Nr. 159
Die PSI-Quelle Auf dem Planeten des Chaos und des Wahnsinns - Atlans Extrasinn rebelliert von Ernst Vlcek
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Nr. 159
Die PSI-Quelle Auf dem Planeten des Chaos und des Wahnsinns - Atlans Extrasinn rebelliert von Ernst Vlcek
Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Mitte August des Jahres 2843. Die Krise, die von Komouir, dem auf der galaktischen Eastside gelegenen Fundort wertvoller Schwingkristalle, ausging, veranlaßte Lordadmiral Atlan, gemeinsam mit Froom Wirtz, dem Instinkt-Spezialisten, und Terrania Skeller, einem parapsychisch begabten Kind, der Welt der Schatzsucher einen Besuch abzustatten. Dieser Besuch erwies sich, wie schon berichtet, als äußerst folgenschwer, denn Kräfte griffen ein, die, da sie sich weder steuern noch beeinflussen ließen, Menschen zu hilflosen Spielbällen machten. Alles begann in dem Moment, als Atlan und seine Begleiter das »schweigende Raumschiff« entdeckten, dessen Funktion es war, eine »Straße im Kosmos« zu bahnen. Jetzt, nach überstandenen Abenteuern auf dem Eisplaneten, ist Atlan, von dessen Begleitern nur noch das Mädchen Terrania Skeller am Leben ist, zusammen mit den Überresten von Skanmanyons Berg auf einen unbekannten Planeten transportiert worden. Hier, auf einer namenlosen Welt mitten im Zentrum der Galaxis, lernt der Lordadmiral erneut das Chaos und das Grauen kennen – und die Geschichte Skanmanyons. Skanmanyon ist DIE PSI-QUELLE …
Die PSI-Quelle
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Extrasinn des Lordadmirals rebelliert. Terrania Skeller - Skanmanyons Medium. Arraby - Häuptling der Chachats. Arritim - Atlans eingeborener Kampfgefährte. Skanmanyon - Die PSI-Quelle droht zu versiegen.
1. Ich spürte eine bisher nicht gekannte Kraft meinen Körper durchfluten. Langsam kam wieder Leben in mich. Das verzögerte Erwachen verursachte in mir ein prickelndes Lustgefühl. Die Luft umfächerte mich wie der Atem einer hingebungsvollen Frau. Ein Hauch nur, aber zärtlich, verheißungsvoll. Etwas berührte mich, streichelte meinen Körper. Mit geschlossenen Augen stellte ich mir vor, daß dies die Umarmung eines liebevollen Wesens sei. Ich öffnete die Augen. Vor mir stand ein geschlechtsloser Medo-Roboter, weit und breit kein weibliches Wesen. Ein Fön trocknete mich. Ich lag auf einem robotischen Massagetisch, dessen Gelenkarme mich einölten und meine Muskeln kneteten. Der Medo-Roboter überwachte mittels seiner Diagnosegeräte diese Prozedur. »Wo bin ich?« fragte ich ihn. Keine Antwort. Der Medo-Roboter war schweigend in seine Tätigkeit vertieft. Ich forschte in meiner Erinnerung. Vor diesem Erwachen war ich in Skanmanyons Berg gewesen. Dieses gigantische Eisgebilde sollte vom Planeten Schneeball, der im Leerraum außerhalb der Galaxis lag, ins Zentrum der Galaxis gebracht werden. 38 Ringraumschiffe standen bereit, um den Transport durchzuführen. »Der Flug beginnt – und nichts kann ihn aufhalten«, hatte Terrania sinngemäß gesagt. Sie stand plötzlich bei mir im Eisgefängnis. Sie war übel zugerichtet: blind, bis auf die Knochen abgemagert, blaß wie eine wandelnde Tote. Eine Untote – das war sie. Eine Untote, von der unheimlichen Macht
Skanmanyon belebt und beherrscht. Skanmanyon! Terrania nannte diese Macht eine »PSI-Quelle«. Sie teilte mir noch mit, daß beabsichtigt sei, mich zu paralysieren und mich in Skanmanyons Berg zum Zentrum der Galaxis mitzunehmen. Am Ziel würde man mich wecken. Dann sollte die Entscheidung über meine weitere Verwendung fallen. Das Erwachen fiel jedoch ganz anders aus, als ich es erwartet hatte. Keine Panik erfaßte mich, ich war gestärkt und ausgeruht und befand mich in einem geradezu perfekten psychischen Gleichgewicht. Nicht einmal die Erinnerung an die Vorbereitungen für ein Geschehen, das die Galaxis erschüttern mußte, konnte mich aus der Ruhe bringen. Vielleicht trug die Umgebung einiges zu meinem stoischen Verhalten bei. Der Raum war von einer klinischen Sterilität wie ein Krankenzimmer. Der Medo-Roboter war von terranischer Bauart. Auch der Massagetisch und die übrige Einrichtung waren terranische Erzeugnisse. Das alles erweckte in mir nichts anderes als Neugierde. »Wo bin ich?« fragte ich wieder. Der Medo-Roboter brach auch jetzt sein Schweigen nicht. Doch diesmal erhielt ich Antwort. Sie kam aus dem Lautsprecher. Eine Stimme, die mir so vertraut wie diese Umgebung vorkam, sagte: »Sie befinden sich auf Tahun, dem dritten Planeten der Sonne Tah.« »Im Medo-Center der USO?« entfuhr es mir überrascht. »Jawohl«, bestätigte die wohlklingende Stimme. Sie gehörte einer Frau. »Und wie bin ich hierher gekommen?« wollte ich wissen.
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Ernst Vlcek
Die Frau lachte. »Das ist eine lange Geschichte. Aber es gibt noch viel wichtigere Dinge, die Sie erfahren sollten. Wenn Ihre Weck-Therapie abgeschlossen ist, werde ich Sie aufsuchen und Ihnen alles erklären.« Ich konnte es kaum erwarten, der Unbekannten mit der so vertraut klingenden Stimme gegenüberzutreten. Und dann war es soweit. »Terrania!« rief ich verblüfft, als ich der jungen Dame gegenüberstand. »Terrania Skeller!« Sie war nicht mehr das magere Mädchen von neun Jahren mit den großen braunen Augen, die tief in den Höhlen lagen und ständig neugierig und erschrocken zugleich blickten. Sie war zu einer Frau geworden, zu einer atemberaubenden Schönheit gereift. Sie lachte und schob sich eine Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht. »Wie ist das möglich?« fragte ich. »Träume ich?« Sie wurde ernst. »Sie haben zehn Jahre im Tiefschlaf verbracht, Atlan«, sagte sie, hakte sich bei mir unter und führte mich zum Ausgang des Sanatoriums. »Kommen Sie, gehen wir in den Park. Suchen wir uns einen ruhigen Platz, wo wir ungestört sind. Dann werde ich Ihnen alles erzählen. Während Ihres Tiefschlafs hat sich viel geändert.«
* Man schrieb den 15. August 2853. Zehn Jahre waren vergangen, seit ich in Gegenwart des neunjährigen Mädchens Terrania paralysiert worden war. Jetzt trat sie mir im Erholungspark des Medo-Centers als Frau von neunzehn Jahren gegenüber. »Sie können sich bestimmt ungefähr denken, was passiert ist, Atlan«, sagte sie, als wir in einer Laube gegenüber den Wasserspielen Platz nahmen. In meinem Kopf schwirrten die Gedanken immer noch wie ein aufgescheuchter Bie-
nenschwarm herum. Ich nickte. »Skanmanyon hat sein Ziel, das Zentrum der Galaxis, erreicht«, sagte ich dann düster. »Hier konnte er sich entfalten und hat seine Macht über alle Intelligenzwesen der Milchstraße ausgeweitet. So ist es doch?« Sie betrachtete mich mitleidig. »Sie haben noch immer ganz falsche Vorstellungen von Skanmanyon, Atlan. Sie glauben, Skanmanyon sei machtbesessen und wolle die Intelligenzwesen beherrschen und unterdrücken. Doch das stimmt nicht. Skanmanyon fordert nichts, sondern er gibt. Und er hat den Bewohnern der Milchstraße bisher – in den zehn Jahren seines Wirkens – mehr gegeben, als selbst ich erahnen konnte.« »Was hat es denn gegeben?« »Kosmische Reife, um ein Beispiel zu nennen. Es gibt keinen Krieg mehr in der Milchstraße. Alle Völker sind befriedet.« »Und um welchen Preis?« »Um einen lächerlich geringen Preis. Es kostete die Völker der Galaxis nur etwas Verständnis, Liebe und Uneigennützigkeit.« »Und sind diese befriedeten Wesen auch glücklich?« »Sehen Sie mich an, Atlan. Was sehen Sie? Glauben Sie, daß ich unglücklich bin?« Ich blickte scheu zu ihr hoch. Unsere Blicke begegneten sich, und ich versank in ihren großen braunen Augen. Ohne daß ich etwas dazu tat – oder etwas dagegen tun konnte –, lagen wir uns auf einmal in den Armen. Ich kam mir so hilflos wie ein Neugeborenes vor und klammerte mich an sie. Ihre Körperwärme bot mir Schutz. »Ich habe Angst, mich in der neuen Weltordnung nicht zurechtzufinden«, gestand ich. »Du mußt mir helfen, Terrania.« »Wie habe ich diesen Tag ersehnt …« Wir saßen lange so da, bewegungslos, in fester Umarmung. Mir wurden viele Dinge auf einmal bewußt, ich erkannte die Zusammenhänge, ohne daß sie mir von jemanden erklärt worden wären.
Die PSI-Quelle Es gab keine USO mehr, kein Solares Imperium. Alle Sternenreiche existierten nur noch auf dem Papier, um eine alte Redewendung zu gebrauchen. Es gab keine Raumflotten, keine Institutionen zum Schutze der Terraner oder anderer Völker. Das heißt, es gab all diese Dinge der Vergangenheit noch, doch waren sie ihrer ursprünglichen Funktionen entkleidet. Man brauchte die Kampfschiffe noch, um Bedrohungen von außen abzuwehren: etwa, um einen Einfall der Maahks in die Milchstraße zu verhindern. Die Maahks! Sie waren nicht mehr unsere Verbündeten, denn sie gehörten Skanmanyon nicht an. Sie hatten geschworen, die Völker der Milchstraße von dieser »destruktiven« Macht zu befreien. Ich schmiedete bereits Pläne, wie ich eine Untergrundorganisation ins Leben rufen und mit den Maahks in Verbindung treten konnte. »Warte die weiteren Ereignisse ab, bevor du etwas unternimmst, Atlan«, bat Terrania, als hätte sie meine Gedanken erraten. Und dann fügte sie erklärend hinzu: »Ja, ich kann deine Gedanken lesen, Atlan. Skanmanyon hat mir diese Gabe geschenkt. Viele sind unter seinem segensreichen Einfluß zu Telepathen geworden. Und in einigen Jahrzehnten werden alle Menschen parapsychische Fähigkeiten besitzen. Auch du – wenn du dich Skanmanyons Glorie nicht widersetzt. Du mußt mir glauben, Atlan. Reich mir deine Hand.« Ich tat es nicht. Aber sie ergriff die meine und entmaterialisierte mit mir. Als ich mich in neuer Umgebung wiederfand, stellte ich verblüfft fest, daß sie mit mir zum GoshunSee teleportiert war. »Sind wir wirklich auf Terra?« fragte ich ungläubig. »Ja«, antwortete sie. »Ich habe dich hierhergebracht, weil ich hoffe, daß du auf Terra schneller zu dir selbst zurückfinden wirst.« »Aber Terra ist 32 308 Lichtjahre von Tahun entfernt«, sagte ich mit belegter Stimme.
5 »Ja, und?« »Willst du sagen, daß du über diese gigantische Entfernung hinweg teleportieren kannst?« »Terra und Tahun liegen in Skanmanyons Einflußbereich. Es gibt keine Hindernisse und keine störenden Einflüsse.« »Das ist … phantastisch.« »Ich könnte sogar von einem Ende der Galaxis zum anderen teleportieren …« Mich schwindelte. Ich hielt mir den Kopf. Terrania brachte mich in einen Bungalow. Ich legte mich auf die körpergerechte Liegestatt. Plötzlich fühlte ich mich unsäglich schwach. Terrania verschwamm vor meinen Augen. Sie drückte mir die Lider zu, und ich ergab mich der Dunkelheit, die mich zu sich holte. Ich dachte daran, welchen Verlauf die menschliche Geschichte genommen hätte, wenn der Transport von Skanmanyons Berg nicht so reibungslos abgelaufen wäre. Und diese Überlegung verursachte meinen Alptraum.
2. Es begann mit der Rebellion meines Extrasinns. Ich bin Skanmanyon! hämmerte es mir ein. Mein Körper war völlig gefühllos – und wie schwerelos. Nur in meinem Kopf verspürte ich ein schmerzhaftes Hämmern, so als würde sich dort ein Ringen auf parapsychischer Ebene abspielen, dessen Nebeneffekte sich physisch auf mein Gehirn auswirkten. Was ist passiert? dachte ich. Du bist wieder bei Bewußtsein, meldete mein Extrasinn. Jetzt mußt du in meinem Sinn handeln. Ich werde befehlen, denn ich bin Skanmanyon. Und du bist mein Diener, Atlan, und wirst gehorchen. Wahnsinn! Verlor ich den Verstand? War ich nicht eben auf Tahun gewesen? Hatte sich nicht Terrania meiner angenom-
6 men und … Aber nein, das konnte nicht real gewesen sein. Was für ein Unsinn, daß ich zehn lange Jahre im Tiefschlaf gewesen sein sollte und Terrania als reife Frau sich in mich verliebte. Und doch – meine augenblicklichen Qualen waren um nichts realistischer. In meinem vieltausendjährigen Leben war es noch nie passiert, daß mein Extrasinn auf diese Weise rebellierte. Mein Extrasinn hielt sich für Skanmanyon! Hast du die visionären Zukunftsbilder gesehen? fragte mein Extrasinn. Ja, du hast die Vision gesehen – erlebt. Zweifle nicht an deinem Verstand, denn das Erlebnis mit Terrania war nicht Wirklichkeit. Aber diese Vision könnte sich bewahrheiten. So könnte die Zukunft der Galaxis aussehen, wenn du mir, Skanmanyon, hilfst, Atlan. Es war nur ein Traum gewesen. Ich atmete auf. Die Wirklichkeit sah anders aus. Wie? Um mich war bodenlose Schwärze. Ich wußte nicht, ob ich die Augen offen oder geschlossen hatte. Meine Sinnesorgane waren taub wie mein ganzer Körper. Mein wahnsinnig gewordener Extrasinn beherrschte das Nervenzentrum meines Körpers. Ich lehnte mich dagegen auf und errang einen Teilsieg. In meinen Ohren war eine Explosion, als ich meinen Gehörsinn in die Gewalt bekam. Als die Detonation verklang, kam ein Pfeifen und Brausen auf. Wie von einem Sturm. Aber es klang viel überirdischer, ähnlich den Funkstörungen bei einem Hypersturm. Es war ein Gesang der Inpotronen. Das Singen und Pfeifen und Brausen schwoll zu einem ohrenbetäubenden Crescendo an. Im Hintergrund lauerte mein Extrasinn. Aber ich flüchtete mich nicht zu ihm zurück. Meine Freiheit war mir lieber. So klar bei Verstand war ich immer noch, daß ich die Äußerungen meines Extrasinns als Wahnsinn erkannte. Ich verstärkte meine Bemühungen, dem
Ernst Vlcek Einfluß meines Extrasinns zu entrinnen. Es kostete mich übermenschliche Anstrengungen – und ohne die regenerierende Ausstrahlung meines Zellaktivators wäre ich wahrscheinlich schon längst zusammengebrochen. Aber ich hatte dann Erfolg, obwohl ich es kaum mehr erwartet hatte. Wieder drängte ich meinen Extrasinn ein Stück aus meinem Geist, der langsam wieder die dominierende Rolle in meinem Gehirn zu spielen begann. Ich konnte hören – aber das unheimliche Heulen blieb. Mein Tastsinn kehrte zurück. Ich krallte die Hände zusammen und hatte das Gefühl, daß sich meine Finger um Schlammklumpen schlossen, die zwischen ihnen herausquollen. Und dann gelang es mir, die Augen zu öffnen. Ich mußte sie sofort wieder schließen. Über mir zogen leuchtende Farbschleier dahin, die mich blendeten. Als ich die Augen dann wieder vorsichtig einen Spalt öffnete, konnte ich feststellen, daß ich auf einer kleinen Insel inmitten eines Farbenmeeres war. Die Welt war in durcheinanderwirbelnde Schockfarben getaucht. Unter meinem Körper waren Pflanzen, vom Schlamm überflutet. Dazwischen rieselten dünne Wasseradern. Das Wasser sammelte sich in den Eindrücken, die mein Körper im Morast hinterließ. Ich steckte den Kopf in eine dieser so entstandenen Pfützen, um mich abzukühlen. Trink! forderte mein Extrasinn. Das ernüchterte mich sofort. Ich fuhr hoch. Das Farbenspiel um mich ging weiter. Ich konnte es nicht lange mit ansehen, sondern mußte die Augen immer wieder schließen, um nicht selbst wahnsinnig zu werden. Es genügte, wenn mein Extrasinn durchdrehte. Wie hatte es überhaupt dazu kommen können? Natürlich war Skanmanyon dafür verantwortlich zu machen. Aber als Mentalstabilisiertem war es mir bisher immer gelungen, den Para-Schocks dieser PSI-Quelle
Die PSI-Quelle erfolgreich standzuhalten. Wieso gelang mir das plötzlich nicht mehr? War eine psychische Schwäche dafür verantwortlich? Wohl kaum. Es gab nur eine einzige plausible Erklärung. Die parapsychischen Kräfte hatten sich verstärkt. Sie mußten ins Unermeßliche gestiegen sein. Ganz in der Nähe mußte sich ein PSI-Sender von ungeheurer Stärke befinden. Skanmanyon! Ganz gewiß. Aber wie war es zu dieser Entfaltung, zu dieser explosionsartigen Verstärkung gekommen? Ich versuchte, die Lage zu sondieren. Ich lag im Freien. Das konnte keine hypnosuggestive Täuschung sein, denn ich hatte den Wahnsinn meines Extrasinns abgeschüttelt. Ich lag wirklich und wahrhaftig im Morast. Die psychedelischen Farbschauer, die außerhalb meiner kleinen Insel der Realität regierten, mußten auf Skanmanyons Wirken zurückzuführen sein. Ich konzentrierte mich, starrte intensiv auf einen Punkt, versuchte, durch die Farbschleier hindurchzublicken. Es gelang. Zuerst sah ich wie durch einen Nebel eine gespenstisch erleuchtete Landschaft. Als brenne sie in einem inneren Feuer, leuchteten die Pflanzen in einem tiefen Rot. Die Farbverzerrungen störten mich aber wenig. Wenigstens konnte ich durch die psychedelische Farborgie hindurch überhaupt etwas erkennen. Wenn ich die Entfernung richtig schätze, dann begann etwa zweihundert Meter vor mir ein Dschungel. Nein, Dschungel war es eigentlich keiner, denn die Pflanzen standen nicht besonders dicht. Bei genauerer Betrachtung entpuppte sich der Pflanzenwuchs überhaupt als eher spärlich. Die Pflanzen – exotische Bäume und Sträucher – umsäumten nur die Ufer eines Stromes. Ich kam auf die Beine. Kaum stand ich, als die Farborgie mit ungeheurer Wucht erneut einsetzte. Der Fluß und die Vegetation an seinen Ufern verschwanden hinter den Farbschleiern, die in Wellen über mich ka-
7 men. Die Farben blendeten meine Augen und verursachten mir physischen Schmerz. Ich schloß die Augen, bis ich mich wieder einigermaßen erholt hatte. Dann wandte ich mich um und blickte in die andere Richtung, die dem Fluß entgegengesetzt lag. Hier erstreckte sich eine endlose Wiese. Das Gras und die unzähligen Blüten standen unter Wasser. Es ergoß sich in breiter Front den Hügel herunter, vermurte das Land und wurde dann von dem Strom aufgenommen. Und dann sah ich die Ursache der Überschwemmung. Einige hundert Meter von mir entfernt lag ein schmelzender Eisbrocken. Mir war sofort klar, daß dies der spärliche Überrest von Skanmanyons Berg war. Er schmolz unter den sengenden Strahlen einer fremden Sonne dahin. Und Skanmanyon? Was war aus der PSIQuelle geworden, die sich innerhalb dieses Eisbergs befunden hatte? Ein geistiger Schlag von meinem Extrasinn rief mir in Erinnerung, daß die PSI-Quelle den Eisberg verlassen hatte. Skanmanyon war entfesselt. Ich stemmte mich gegen seinen Einfluß und behielt die Oberhand. Für einige Augenblicke ließ der ParaSturm der unsichtbaren PSI-Quelle etwas nach. Ich bekam Gelegenheit, einige zusammenhängende Gedanken fassen zu können. Allem Anschein nach war der Transport von Skanmanyons Berg beendet. Ob er sein vorbestimmtes Ziel im Zentrum der Galaxis erreicht hatte oder nicht, konnte ich nicht sagen. Ich, Skanmanyon, bin am Ziel, hörte ich mein Extrasinn sagen. Ich glaubte es. Also hatte alles nach Wunsch geklappt. Oder doch nicht? War das Schmelzen des gigantischen Eisbergs geplant oder zumindest einkalkuliert gewesen? Von dem ehemals zweitausend Meter hohen Koloß war nur noch ein etwa fünfzig Meter hohes Eisgebilde übriggeblieben. Und das
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schmolz in den Strahlen der fremden Sonne weiter dahin. Von Terrania Skeller und den Dienern Skanmanyons fehlte jede Spur. Wahrscheinlich waren sie aus dem Eisberg geflüchtet, als sie feststellten, daß es mit Skanmanyon zu Ende ging. Das ist nicht mein Ende, sondern erst der Beginn! klärte mich mein Extrasinn auf, der sich immer noch in dem Wahn befand, Skanmanyon zu sein. Möglicherweise aber hatte sich Skanmanyon tatsächlich in meinem Extrasinn manifestiert. Dieser schreckliche Gedanke ließ mich nicht mehr los. Wie war ich aus dem Berg gekommen? Ich wußte es nicht, und auch mein Extrasinn gab mir keine Antwort auf diese Frage. Ich wußte nur noch, wie ich beim Start von dem Planeten Schneeball das Bewußtsein verloren hatte – mit dem Bildnis der völlig entstellten Terrania vor Augen. Hatte dieser letzte Eindruck, den ich von ihr gehabt hatte, diesen wirren Traum von einer Zukunft unter Skanmanyons Herrschaft verursacht? War es Wunschdenken, daß ich sie völlig unversehrt, als reife Frau und strahlend schön, gesehen hatte? Ein Traum – oder war das andere die Wirklichkeit? Ich wischte diese Überlegungen fort, weil sie zu nichts führten. Es gab wichtigere Probleme, als solche Spekulationen. Wenn dies die Realität war, mußte ich zusehen, wie ich mit ihr fertig wurde. Die verwirrenden Einflüsse des psychedelischen Farbenspiels ignorierend, machte ich mich auf den Weg. Das heißt, ganz gelang es mir nicht, der Beeinflussung durch die PSI-Quelle zu entfliehen. Doch immerhin blieb ich Herr über mich.
* Die Farben bildeten vor mir eine undurchdringliche Wand. Ich schloß die Augen. Plötzlich stolperte ich und fiel der Länge nach hin. Als mein Gesicht im Schlamm lag,
die Nässe mir durch Nase und Mund eindrang, beschwor mein Extrasinn mich: Liegenbleiben! Liegenbleiben! Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ich mich meinem wahnsinnigen Extrasinn entziehen konnte und mich aus dem Morast befreite. Die heiße, stickige Luft gierig einatmend, stolperte ich weiter. Rannte gegen ein Hindernis, einen Baum. Meine Beine verstrickten sich im Unterholz. Ich verlor den Halt, wollte mich in Rückenlage bringen, um nicht nach vorne zu fallen. Zu spät. Mit ausgebreiteten Armen stürzte ich in den Fluß und wurde von der reißenden Strömung mitgerissen. Das eiskalte Wasser und die Todesangst klärten meinen Verstand. Für Sekunden lichtete sich der wirbelnde Farbnebel – ich sah schäumendes Wasser, Felsen, die herausragten und gefährliche Wirbel erzeugten. Am linken Ufer ertönte ein markerschütternder Schrei. Ich sah ein Pelztier, das im Schlamm über die Böschung herunterrutschte und gleich darauf in den schäumenden Fluten versank. Eine Zeitlang war es meinen Blicken entschwunden, dann sah ich es zehn Meter vor mir auftauchen. Es schrie wieder, schlug in Todesnot um sich. Anfangs hatte ich gegen die Strömung angekämpft und versucht, das Ufer schwimmend zu erreichen. Ein fast aussichtsloses Unterfangen. Beim Anblick des ertrinkenden Tieres faßte ich jedoch den Entschluß, es zu retten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß es von ungeheurer Wichtigkeit für mich war, dieses Tier am Leben zu erhalten. Wenn du den Layan rettest, hast du einen Freund fürs Leben gewonnen, suggerierte mir mein Extrasinn ein. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht bewußt, woher der Antrieb zu meinem Handeln kam. Mit kräftigen Schwimmstößen näherte ich mich Meter um Meter dem hilflos dahintreibenden Tier. Einmal geriet ich in einen Strudel, wurde erbarmungslos in die Tiefe gezerrt. Als ich wieder an die Oberfläche kam, versank eine
Die PSI-Quelle Armlänge vor mir gerade das Pelzwesen. Ich griff nach ihm, bekam es an den Nackenhaaren zu fassen und hielt es fest. Das bewußtlose Tier über Wasser haltend, kämpfte ich nun gegen die Strömung an und versuchte, das Ufer zu erreichen. Irgendwann gelang mir das auch. Ich bekam einen über Wasser hängenden Strauch zu fassen und zog mich mitsamt dem Pelzwesen zur Uferböschung. Dann watete ich an Land, das bewußtlose Tier an den Vorderpfoten nachziehend. Auf dem Trockenen ließ ich mich erst einmal erschöpft zu Boden sinken. Nach einigen Atemzügen begann ich an dem Tier mit Wiederbelebungsversuchen. Ich mußte immer wieder eine Rast einlegen. Als ich meine Hoffnung, das Tier retten zu können, schon aufgeben wollte, rührte es sich. Es schlug die Augen auf und sah mich an. Ich rückte etwas von ihm ab, um es durch meinen Anblick nicht zu erschrecken. Aber es folgte mir mit den Augen. Es schien überhaupt keine Scheu vor mir zu haben, und in dem Blick seiner klugen Augen war keine Spur von Angst zu sehen. Diese Augen! Als gehörten sie einem Intelligenzwesen! Mich schwindelte, vor meinen Augen begann alles zu flimmern. In meinem Kopf machte sich wieder schmerzhaft rasendes Pochen bemerkbar. Ich barg das Gesicht in den Händen und drückte mit den Handballen gegen die Augen. Das tat gut. Als ich die Hände wieder vom Gesicht nahm und die Augen öffnete, waren die psychedelischen Effekte um mich stärker als jemals zuvor. Aber inmitten des irritierenden Farbenspiels und der schmerzhaft verzerrten Realität stand das Pelztier auf seinen vier Beinen. Es war etwa von der Größe eines Wolfes, nur hatte es kein zottiges Fell, sondern einen silbrig schimmernden Pelz. Sein Kopf war im Verhältnis zum Körper zu klein geraten. Es besaß keine Schnauze, sondern einen breiten Mund mit Borsten statt Zähnen, der
9 tiefer als das knollenartige Riechorgan (oder was immer dieses nasenähnliche Gebilde für ein Organ sein mochte) saß. Es starrte mich unverwandt an. Ich versuchte herauszufinden, ob in seiner Haltung etwas Feindseliges lag. Doch es wirkte so friedlich wie ein Lamm. Und dann sagte es in einer fremden Sprache zu mir: »Danke, daß du mir das Leben gerettet hast. Ich bin Skanmanyon. Und du?« In diesem Augenblick war ich sicher, endgültig den Verstand verloren zu haben. Zum Glück erwachte ich, bevor der Alptraum noch schlimmere Formen annehmen konnte …
3. Terrania hatte mich belogen. Das verbitterte mich, weil es mir zeigte, daß ich mich in ihr getäuscht hatte. Aber ich empfand gleichzeitig auch Erleichterung darüber, daß die Realität etwas anders aussah, als sie sie mir geschildert hatte. Es stimmte wohl, daß die Ausstrahlung Skanmanyons die gesamte Galaxis erfaßt hatte. Aber es traf nicht zu, daß alle Intelligenzwesen im Bann dieser PSI-Quelle standen. Auch stimmte es nicht, daß es kein Solares Imperium mehr gab, Terrania mußte bekennen, daß dies nur Zukunftsmusik war. Die USO, die Solare Flotte und die Solare Abwehr waren aktiver denn je. Sämtliche Streitkräfte des Solaren Imperiums standen im Einsatz. Man hatte auf Terra erkannt, welche Gefahr von Skanmanyon drohte und versuchte, die PSI-Quelle zu finden und unschädlich zu machen. »Du bist der einzige, der verhindern kann, daß man weiterhin Jagd auf Skanmanyon macht«, sagte Terrania, nachdem sie mich über die wahren Verhältnisse in der Galaxis aufgeklärt hatte. »Ich denke nicht daran, dies zu tun, denn es wäre gegen meine Überzeugung«, erwiderte ich.
10 Terrania war verzweifelt. »Atlan, du weißt doch, daß Skanmanyon nur Gutes für die Menschheit will. Du mußt Perry Rhodan davon überzeugen, daß von Skanmanyon keine Gefahr droht. Es könnte alles so werden, wie ich es dir prophezeit habe. Alle Völker der Galaxis würden sich verbrüdern und in Frieden zusammenleben. Ist das nicht auch das Ziel der Terraner?« »Die Terraner wollen den Frieden nicht um den Preis ihrer Freiheit«, sagte ich. Terrania schwieg bedrückt. Nach einer Weile sagte sie so leise wie zu sich selbst: »Ich sehe schon, daß ich dich durch Worte allein nicht überzeugen kann. Du willst Beweise sehen. Nun gut, ich werde dir anhand einiger Beispiele Skanmanyons Glanz und Glorie demonstrieren.« Das alarmierte mich. »Was hast du vor, Terrania?« Sie lächelte schwach, es war ein bitteres Lächeln. »Ich bin mit dir nach Terra teleportiert, Atlan, weil ich wollte, daß du für eine geistige Symbiose mit Skanmanyon plädierst. Es war mein Plan, dich in der Solar Hall vor versammeltem Parlament die Vorteile für eine Vereinigung mit Skanmanyon preisen zu lassen. Aber jetzt muß ich erkennen, daß ich zuerst noch dich überzeugen muß. Ich dachte, das sei mir bereits gelungen.« »Du erwartest doch nicht von mir, daß ich für die Versklavung der gesamten Galaxis durch ein vergeistigtes Lebewesen eintrete«, erwiderte ich. »Du wirst zur Vernunft kommen, Atlan«, versicherte sie mir. »Du mußt es, denn dies ist wahrscheinlich die letzte Chance für die Menschheit, wirklich kosmische Reife zu erlangen.« Ich betrachtete Terrania fast mitleidig. Sie glaubte an das, was sie sagte. Sie meinte es ehrlich. Aber was war mit der Macht, die sie beherrschte und sie zu dieser Einstellung zwang? Ich war nach wie vor überzeugt, daß Skanmanyon falsches Spiel trieb. »Warum tritt Skanmanyon nicht selbst an die Menschheit heran?« fragte ich. »Wenn
Ernst Vlcek er wirklich segensreich wirken könnte, dann würde Perry Rhodan das anerkennen und einer Zusammenarbeit nichts in den Weg legen.« Wieder lachte sie verbittert auf. »Du hast zehn Jahre geschlafen, Atlan – Skanmanyon nicht. Er hat in dieser Zeit alles in seiner Macht Stehende versucht, die Menschheit und die anderen galaktischen Völker auf den richtigen Weg zu bringen. Aber es war vergebens. Die Terraner hängen zu sehr an ihrer traditionellen Lebensweise, als daß sie einschneidende Neuerungen akzeptieren würden. Du bist Skanmanyons letzte Hoffnung, die Völker der Galaxis auf friedlichem Wege zu bekehren.« »Und wenn ich mich nicht dafür hergebe, wird er die Macht wohl mit Gewalt an sich zu reißen versuchen«, stellte ich fest. »Du willst einfach nicht verstehen, Atlan.« Ich stand am Fenster des Bungalows und blickte auf den Goshun-See hinaus. Plötzlich erblickte ich eine Gestalt in einem Kampfanzug. Im nächsten Augenblick war sie verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Ich war sicher, daß der Mann sich mit Hilfe eines Deflektorfeldes unsichtbar gemacht hatte. Langsam erkannte ich die Wahrheit. Terrania hatte mich unbemerkt zur Erde, in den Bungalow am Goshun-See gebracht. Aber irgendwie hatte die SolAb von unserer Ankunft erfahren. Wahrscheinlich durch den Mutanten des Korps … einer der Telepathen mußte unsere Gedanken empfangen haben. Für mich bestand kein Zweifel, daß der Bungalow bereits umstellt war. Warum hatte dann Terrania die Gedanken der angreifenden Soldaten nicht geortet? Sie hatte doch behauptet, telepathisch veranlagt zu sein. Möglicherweise war sie durch das Gespräch mit mir abgelenkt worden. Ich traute meinen Augen nicht, als Gucky zusammen mit Perry Rhodan im Garten vor dem Bungalow materialisierte. Ich drehte mich zu Terrania um und wollte sie in ein
Die PSI-Quelle Gespräch verwickeln, damit sie von den Ereignissen abgelenkt wurde. Doch als ich in ihr Gesicht blickte, wußte ich, daß sie bereits informiert war. »Wir müssen fort, Atlan«, sagte sie verzweifelt. »Perry Rhodans Mutanten haben das Haus umstellt. Ich werde mit dir von hier fortteleportieren.« »Nein!« entfuhr es mir. Ich wich vor ihr zurück, in der Hoffnung, daß die Mutanten in den Bungalow eindringen würden, bevor sie mit mir teleportieren konnte. »Du mußt mit mir flüchten, Atlan«, beschwor sie mich. »Es geht um das Wohl der Menschheit.« Ich stieß mit dem Rücken gegen die Wand. Terrania war mir gefolgt. Jetzt näherte sich mir ihre Hand. Ich spürte ihre Berührung auf meinem Gesicht. Hinter Terrania tauchten Gucky und Ras Tschubai auf … Wir entmaterialisierten. Und fanden uns auf einer fremden Welt wieder. Es war eine erdähnliche Welt. Mit üppiger Vegetation und einer vielgestaltigen Tierwelt. Wir standen auf einem Hügel. Fünfhundert Meter vor uns lag eine Siedlung im Tal. Es waren an die hundert Bauten verschiedener Größe zu erkennen, meist Fertigteilhäuser nach terranischem Prinzip. »Das ist Fleeton, eine der jüngsten terranischen Kolonien«, erklärte Terrania, »und der dem galaktischen Zentrum am nächsten liegende Vorposten des Solaren Imperiums. Hier hat Skanmanyon zuerst zu wirken begonnen. Vor zehn Jahren hat es hier auch einen Stützpunkt der Solaren Flotte gegeben. Dieser existiert aber längst nicht mehr.« Die Siedlung bot einen friedlichen Anblick. Dennoch konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, daß von ihr eine unheimliche Drohung ausging. Ich schluckte. »Und – beherrscht Skanmanyon den Planeten und seine Bewohner immer noch?« »Geh hinunter und sprich mit den Menschen«, forderte Terrania mich auf.
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* Ich ging an dem ersten Haus vorbei. Im Garten spielten einige Kinder. Zwei Mädchen und drei Jungen. Das älteste von ihnen mochte zwölf Jahre alt sein. Sie machten den Eindruck, als seien sie glücklich; sie lachten unbeschwert, sprühten vor Vitalität und tollten ausgelassen umher wie ganz normale Kinder. Ich vermutete eine Manipulation Skanmanyons und ging weiter. Vom nächsten Haus winkte mir eine Frau zu. Sie war eine stämmige Pioniersfrau mit gebräunter Haut. Ich winkte zurück, und sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln. Zuerst wollte ich auch an diesem Haus vorbeigehen, doch dann besann ich mich anders. Die Frau kam mir auf halbem Weg entgegen. Ihre großen, intelligenten Augen musterten mich mit offener Neugier. »Sind Sie endlich aus Ihrem tiefen Schlaf erwacht«, sagte sie zur Begrüßung und drückte meine Hand. »Sie wissen, wer ich bin?« Sie lachte. »Wer kennt Sie nicht, Atlan? Wir alle haben voll Sehnsucht auf diesen Tag gewartet. Jetzt können wir der Zukunft mit Zuversicht entgegenblicken.« »Wußten Sie, daß ich nach Fleeton kommen würde?« wunderte ich mich. »Nein, wir sind doch keine Hellseher!« Wieder lachte sie, es war ein erfrischendes Lachen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß diese Frau geistig versklavt war. Sie fuhr fort: »Ich meinte es so, daß wir den Tag ersehnten, an dem Sie aus dem Tiefschlaf geweckt werden sollten. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Ich hätte nicht gedacht, daß es so lange dauern würde, Sie auf Ihre schwere Aufgabe vorzubereiten.« »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen …« Ihre Stirn umwölkte sich, in ihre Augen kam ein Ausdruck der Trauer, der aber so-
12 fort wieder von ihrem Lächeln fortgewischt wurde. »Sie meinen, Sie haben sich noch nicht dazu entschlossen, für uns einzutreten«, interpretierte sie meine Worte. »Werden Sie uns denn nicht helfen?« Jetzt zeichnete sich wieder Besorgnis auf ihrem Gesicht ab. Ich blickte der Frau fest in die Augen und fragte geradeheraus: »Stehen Sie unter Skanmanyons Einfluß?« »Ja, doch.« »Leiden Sie nicht darunter?« »Ganz im Gegenteil. Alles, was wir sind und was wir können, haben wir Skanmanyon zu verdanken. Es ist schade, daß sich die übrige Menschheit weigert, sich ihm anzuvertrauen. Mit Skanmanyons Hilfe könnten sie alle so werden wie wir und bräuchten uns nicht mehr zu hassen und zu fürchten. Und man würde uns endlich nicht mehr jagen …« Als die Pionierfrau merkte, daß ich ihr nicht folgen konnte, erzählte sie mir die Geschichte dieser Kolonie. Vor zehn Jahren, gleich nachdem Skanmanyon das Zentrum der Galaxis erreichte, hatte er auf Fleeton zu wirken begonnen. Die Menschen hatten plötzlich gefühlt, daß sie sich geistig veränderten, daß sich fremde Gedanken unter ihre eigenen mischten. Der ersten Panik war aber Erleichterung gewichen, als sie erkannten, daß sie nicht versklavt wurden, sondern sich trotz – oder wegen – des fremden Einflusses freier zu fühlen begannen. Sie erkannten plötzlich Dinge ganz klar, die ihnen bisher völlig unverständlich waren. Und wußten plötzlich ihre Gehirne zu gebrauchen. Es war eine Befreiung ihrer mentalen Kräfte, die bisher latent in ihnen gewesen waren. Regionen des Gehirns, die bisher brach gelegen hatten, wurden nach und nach aktiviert. Dieser Prozeß ging relativ langsam vor sich, so langsam zumindest, daß das Ich eines jeden einzelnen mit der Entwicklung sei-
Ernst Vlcek nes Über-Ichs Schritt halten konnte. Aber gemessen an der natürlichen Evolution, war es ein rasend schnell ablaufender Vorgang. Innerhalb von wenigen Tagen erlangten die Menschen von Fleeton mit Skanmanyons Hilfe eine geistige Reife, die auf normalem Wege erst viel spätere Generationen in einigen tausend Jahren erreicht hätten. Es war nicht so, daß Skanmanyon ihren Intelligenzquotienten anhob, sondern er verstärkte nur ihre psychische Potenz. Die Pioniere von Fleeton wurden zu Mutanten – und das im positiven Sinn. Nach und nach lernten sie, die Gedanken der anderen zu lesen – oder sie vor den anderen abzuschirmen –, sie konnten Gegenstände mit der Kraft ihres Geistes bewegen und bekamen zur Fähigkeit der Telekinese noch die der Teleportation. Sie lernten, die Natur zu beherrschen, die Leuchtkraft der Sonne zu steuern, das Wachstum der Pflanzen zu beeinflussen, sie entschlüsselten die letzten Geheimnisse des Lebens. Das bedeutete Unsterblichkeit. Damit gaben sich die Pioniere von Fleeton aber nicht zufrieden. Sie wußten, daß viele Milliarden von Lebewesen in der Galaxis noch auf ihre geistige Befreiung warteten. Daß es unzählige Wesen gab, die noch Sklaven ihrer eigenen geistigen Unzulänglichkeit waren, die ahnten, daß ungeahnte Kräfte in ihren Gehirnen schlummerten, nicht aber den Weg kannten, um diese latenten Fähigkeiten zu wecken. Die Fleetoner wollten als Missionare Skanmanyons wirken und zuerst die Menschheit und dann die anderen Völker bekehren. Doch sie stießen überall auf Unverständnis. Man ließ sich von den Jüngern Skanmanyons nicht bekehren, sondern begann sie wegen ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten zu hassen – und zu fürchten. Vielleicht wäre es nicht zu einer solchen galaxisweiten Treibjagd auf die Jünger Skanmanyons gekommen, wenn es sich nur um die paar tausend Fleetoner gehandelt hätte. Aber Skanmanyon begann auch auf anderen bewohnten Planeten in Zentrumsnähe zu
Die PSI-Quelle wirken. Und bald waren es Millionen – und dann Milliarden von außergewöhnlich begabten Mutanten, die die zivilisierte Galaxis überschwemmten. Man glaubte ihnen nicht, daß sie keine feindlichen Absichten hatten. Niemand wollte wahrhaben, daß Skanmanyon nicht Versklavung, sondern geistige Befreiung über die Völker der Galaxis bringen wollte. Es kam zum Krieg gegen die Jünger Skanmanyons. Ganze Planeten in der Nähe des Zentrums, die sich innerhalb von Skanmanyons Einflußbereich befanden, wurden atomisiert. Die letzten überlebenden Mutanten flüchteten sich auf geheime Welten, wo sie sich dank ihrer parapsychischen Fähigkeiten vor ihren Feinden verbergen oder sich ihrer Angriffe erfolgreich erwehren konnten. So sah die Situation in der Galaxis aus, als ich aus dem Kälteschlaf geweckt worden war. »Wir setzen unsere ganze Hoffnung in Sie, Atlan«, schloß die Pioniersfrau. »Wenn Sie uns nicht helfen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als die Völker der Galaxis mit Gewalt zur Vernunft zu bringen.« In ihrer Stimme schwang echtes Bedauern mit. Ich verließ das Haus fast fluchtartig und begab mich ins Zentrum der Siedlung. Überall wurde ich wie ein alter Bekannter begrüßt. Aber keiner der Mutanten fragte mich mehr, ob ich ihnen helfen würde. Entweder holten sie sich die Antwort aus meinen Gedanken, oder die Pioniersfrau hatte sie telepathisch informiert. Aber das spielte keine besondere Rolle. Wie dem auch war, ich zweifelte nicht daran, daß jeder Fleetoner spielend leicht meinen Mentalblock durchbrechen und in meinen Gedanken lesen konnte. Ich ging eine schattige Allee entlang. In den Baumkronen sangen bunte Vögel. Die Straße wies keinen Belag auf, sondern war mit einem Teppich aus Stoppelgras bewachsen. Dazwischen lagen in willkürlicher Anordnung Blumenbeete. Tiere tummelten sich auf den Straßen und in den Parks. Sie zeig-
13 ten vor den Menschen keine Scheu. Ein buntgefiederter, papageienartiger Vogel sank auf mich hernieder und landete auf meiner Schulter. »Ich bin Skanmanyon«, krächzte er mir ins Ohr. Das traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich wußte selbst nicht genau, warum ich schockiert war. Es lag nicht eigentlich an der Tatsache, daß der Vogel sprechen konnte. Mich beunruhigte nur, was er sagte. Es war eine ähnliche Situation wie in dem Alptraum, in dem ich auf einer fremden, chaotischen Welt einem Pelztier das Leben gerettet hatte, das mich dann mit den gleichen Worten ansprach: Ich bin Skanmanyon … Ich blieb an einem Grundstück stehen, das an die Allee grenzte. Dort stand ein Haus, das sich wohltuend von den Fertigteilhäusern abhob. Es war eine supermoderne zweistöckige Prunkvilla. Davor standen ein junger Mann und ein hübsches Mädchen, die einander an den Händen hielten. Sie betrachteten das Haus kritisch und – wie mir schien – mit gemischten Gefühlen. Das Mädchen sagte: »Ich weiß nicht, Stade, aber es paßt nicht recht in diese Umgebung. Es wirkt zu protzig. Und auch zu kalt, zu technisiert.« »Du wolltest das Haus haben«, erwiderte der junge Mann. »Das schon, aber ich habe es mir etwas anders vorgestellt. Es sollte besser in die Natur dieser Welt passen. Vielleicht wenn es von Kletterpflanzen umrankt wäre …« »Das läßt sich machen. Wollen wir es versuchen, Kate?« Die beiden verfielen in konzentriertes Schweigen. Plötzlich sah ich staunend, wie sich entlang der Hausmauer etwas bewegte – wie Schlangen, die aus dem Boden krochen und sich die Hauswände hinaufschlängelten. Aber es waren keine Schlangen, sondern Pflanzen. Sie wuchsen irrsinnig schnell, so schnell, daß ich mit den Augen ihrem Wachstum kaum folgen konnte. Und im Nu
14 war das Haus unter dichtem Pflanzengrün verschwunden. »Jetzt sieht es viel freundlicher aus, Stade«, rief das Mädchen beglückt aus. Ich wollte mich wieder zurückziehen, denn ich hatte genug gesehen. Obwohl mein Verstand rebellierte, nicht wahrhaben wollte, was ich mit eigenen Augen gesehen hatte, bestand für mich kein Zweifel mehr, daß die beiden jungen Leute das rapide Wachstum der Kletterpflanzen mit Hilfe ihrer parapsychischen Fähigkeiten gesteuert hatten. Gerade als ich mich umdrehte, um mich lautlos zu entfernen, rief mich der Mann an. »Warum so eilig, Atlan? Wollen Sie nicht unser Gast sein?« Ich drehte mich um. Das Paar kam leichtfüßig auf mich zu. Sie sahen aus wie ganz normale Menschen. Nichts wies darauf hin, welche gigantischen Fähigkeiten sie besaßen. »Ich weiß nicht, ob ich Ihre Einladung annehmen kann«, meinte ich zögernd. »Sie sind doch nach Fleeton gekommen, um sich ein Urteil über uns zu bilden«, sagte Stade. »Das können Sie am besten, wenn Sie mit uns zusammenleben. Sagen Sie nur nicht, Sie hätten nicht die nötige Zeit.« Ich versuchte, meine Gedanken vor den beiden zu verbergen. Ich wollte sie nicht wissen lassen, daß mir ihre Andersartigkeit unheimlich war. »Wenn es Ihnen hier nicht gefällt, dann können wir uns auf unsere Insel zurückziehen«, schlug Kate vor. »Sie kommen doch mit, Atlan?« »Natürlich werden Sie uns begleiten«, sagte Stade bestimmt. »Sie dürfen uns diesen Wunsch nicht abschlagen. Ich werde Ihnen die Insel zeigen, dann können Sie sie gar nicht verfehlen.« Im nächsten Augenblick sah ich im Geist eine exotische Insel vor mir. Sie war nicht besonders groß, aber von üppigem Pflanzenwuchs überwuchert. Das Bild vor meinem geistigen Auge festigte sich – wurde auf einmal so realistisch, daß ich meinte, den Duft der Pflanzen einat-
Ernst Vlcek men zu können. Vor mir wiegte sich eine kirschrote Blüte im Wind, zum Greifen nahe. Unwillkürlich verspürte ich den Wunsch, sie zu pflücken. »Tun Sie es nur, Atlan«, ertönte Kates helle Stimme hinter mir. Ich pflückte die Blumen. Sekundenlang starrte ich darauf. Ich befand mich tatsächlich bereits auf der Insel. Es war keine Illusion. Aber wie war das möglich? Weder Stade noch Kate hatten zu mir den für die Teleportation nötigen körperlichen Kontakt hergestellt. »Wie bin ich hierhergekommen?« wunderte ich mich. Stade und Kate wechselten einen kurzen Blick. »Sie sind natürlich teleportiert«, erklärte Stade dann. »Aber …« Mir versagte es die Stimme. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Aber langsam kristallisierte sich die Erkenntnis heraus, daß ich aus eigener Kraft hierher teleportiert war. Ich konnte es nicht glauben. Das durfte nicht wahr sein. »Doch, Atlan«, versicherte Stade. »Sie haben sich auf diese Insel gewünscht. Jetzt sind Sie da. Skanmanyon hat Ihnen die Kraft dafür gegeben.« »Nein!« Ich wollte diese Gabe nicht annehmen. Ich durfte nicht in die Abhängigkeit Skanmanyons geraten, würde bis zum letzten Atemzug dafür kämpfen, daß ich ich selbst blieb. »Wehren Sie sich nicht dagegen, Atlan«, beschwor mich Stade. »Sie haben nichts zu befürchten«, drang Kate in mich. »Skanmanyon verlangt keine Gegenleistung. Was er gibt, gibt er umsonst.« »Sie gehören jetzt zu uns, Atlan!« »Sie sind ein Jünger Skanmanyons!« Ich stand wie benommen da, verschloß mich den beschwörenden Stimmen, wollte mich dem fremden Einfluß entziehen, dem
Die PSI-Quelle mein Gehirn ausgesetzt war. »Sie können nicht mehr zurück, Atlan«, hörte ich Stade sagen. »Sie sind jetzt einer von uns. Sie sind ein Mitglied der neuen Menschheit, der die Galaxis gehören wird. Skanmanyon beschützt Sie.« »Nein!« Ich sträubte mich mit aller Kraft dagegen. Skanmanyon durfte keine Macht über mich bekommen. Noch glaubte ich daran, eine Chance zu haben, dem Einfluß dieser unheimlichen PSI-Quelle zu entrinnen, obwohl mein Extrasinn Skanmanyon in seinen Bemühungen unterstützte. »Sie sind Skanmanyon, Atlan!« Ich bin Skanmanyon! bestätigte mein Extrasinn. In meiner Verzweiflung griff ich instinktiv nach meinem Zellaktivator, um von ihm die Kraft zu schöpfen, die ich benötigte, um Skanmanyon Widerstand leisten zu können. Doch meine Hände griffen ins Leere. »Sie tragen den Zellaktivator schon längst nicht mehr«, sagte Stade. »Er wurde Ihnen schon auf Tahun abgenommen, als Sie aus dem Tiefschlaf erwachten.« Dann bin ich verloren! dachte ich entsetzt. »Nein«, widersprach Kate. »Sie sind auch ohne den Zellaktivator unsterblich. Skanmanyon hat Ihnen ewiges Leben geschenkt.« »Nehmen Sie das Geschenk der Unsterblichkeit an – und wir sind Brüder«, sagte Stade. »Gleich können Sie die Zugehörigkeit zu uns beweisen, Atlan. Die Solare Flotte ist mit hundert Großkampfschiffen nach Fleeton unterwegs. Man will uns mitsamt dem Planeten vernichten. Wir haben keine andere Wahl, als uns zur Wehr zu setzen. Es gibt nur noch eine Möglichkeit, ein Blutvergießen zu verhindern, Atlan.« Ich wußte, was er meinte. Die Mutanten von Fleeton hofften, daß ich die Vermittlerrolle übernehmen und die Besatzungen der Kampfschiffe zu Skanmanyon bekehren würde. Mir blieb keine andere Wahl, als zu teleportieren. Ich konzentrierte mich auf die Ausstrahlung der Mutanten aus Perry
15 Rhodans Mutantenkorps – und materialisierte an Bord des Flaggschiffs. »Kehrt um!« warnte ich Perry und seine Leute mit letzter Kraft. »Gegen die Mutanten von Fleeton habt ihr keine Chance. Sie werden euch vernichten.« Dann wurde es mir schwarz vor den Augen. Ich verlor das Bewußtsein in der Überzeugung, daß ich mich endgültig von Skanmanyon losgesagt hatte. Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus. Das wurde mir gleich nach dem Erwachen aus diesem Suggestivtraum klar.
4. Etwas kitzelte mein Gesicht. Ein Geräusch drang an mein Ohr, das sich wie ein vielfach verstärktes Schnüffeln anhörte. Es kam von ganz nahe, und ich hatte das Gefühl, von einem fremdartigen Wesen beschnuppert zu werden. Unwillkürlich versteifte ich mich, spannte meine schmerzenden Muskeln an. Das Tier, oder was es sonst war, das mich abtastete, schien bemerkt zu haben, daß ich wach war. Es gab winselnde Klagelaute von sich, und dann leckte etwas Warmes, Nasses über mein Gesicht. Ich öffnete die Augen einen Spalt. Zuerst sah ich nur ein Büschel Stacheln, die erregt vibrierten. Sie fluoreszierten grünlich. Aber es waren keine Stacheln, sondern nur biegsame Borsten, die ein angenehmes Prickeln auf meiner Haut verursachten. Als ich meine Augen weiter öffnete, erkannte ich über den Borsten ein knollenartiges Riechorgan, und noch weiter darüber waren zwei feucht schimmernde Augen. Der Layan! Das war das Tier, das ich aus den reißenden Fluten des Stromes gerettet hatte. Wenn du den Layan rettest, hast du einen Freund fürs Leben gewonnen, hatte mir mein Extrasinn gesagt. Doch was besagte das schon? Mein Extrasinn war wahnsinnig geworden! Die Traumerlebnisse verblaßten, und ich
16 wurde abrupt an die wirklichen Ereignisse erinnert. Ich war auf einer unbekannten Welt im Zentrum der Galaxis. Hierher war ich zusammen mit Skanmanyons Berg transportiert worden. Dieser gigantische Eisberg schmolz nun unter den Strahlen der fremden Sonne. Und Skanmanyon selbst, dieses Überwesen, das von Terrania als PSI-Quelle bezeichnet worden war? »Ich bin Skanmanyon!« hatte der Layan gesagt, als ich ihn aus dem Fluß gezogen hatte. Was war von dieser Äußerung zu halten, zumal sich auch mein verrückt gewordener Extrasinn als Skanmanyon bezeichnete? Was war aus Terrania geworden? Was geschah überhaupt mit dieser Welt, auf der parapsychische Kräfte tobten? Die Hölle war los. Der Layan mußte nun endgültig zu der Überzeugung gekommen sein, daß ich wach war. Er ließ von mir ab, zog sich zurück. Verschwand aus meinem Blickfeld. Um mich waren Farben, die die Realität verschluckten. Ich wälzte mich herum, tastete mit den Händen um mich und bekam einen Stein zu fassen. Er war naß, glitschig, fühlte sich aber angenehm kühl an. Ich klammerte mich an ihn. Er war im Augenblick für mich der einzige Bezugspunkt zur Realität. Aber als ich dann auf den Stein blickte, sah ich ihn als gigantischen Fels vor mir. Ich fühlte mit der Hand, daß er klein genug war, um ihn umfassen zu können. Aber optisch erschien er mir als hundert Meter hoher Felsbrocken. Diese widersprüchliche Aussage zwischen meinem Tastsinn und meinem optischen Sinn ließ mich verzweifeln. Ich trieb auf den Abgrund zu, hinter dem der Wahnsinn lauerte. Skanmanyon! Er wollte mich endgültig in seine Gewalt bringen. Mein Extrasinn war ihm nicht genug. Jetzt konnte ich wieder kämpfen. Als ich mir meine verzweifelte Lage so deutlich ins Bewußtsein gerufen hatte, erwachte der Wi-
Ernst Vlcek derstandsgeist in mir. Ich starrte den scheinbar himmelhohen Felsbrocken an – und da wurde er zu einem handlichen Stein. Die Gräser ringsum, auf denen Wassertropfen perlten, blieben nach wie vor rot glühende, behaarte Halme. Aber auch sie schrumpften zu normaler Größe zusammen. Ich Skanmanyon …, begann mir mein Extrasinn einzusuggerieren. Doch ich verschloß mich dieser verführerischen Stimme in meinem Kopf. Ich blieb ich selbst. In meinen Ohren war ein Tosen und Brausen. Als es langsam abklang, war auch meine innere Stimme verstummt. Jetzt erst fand ich die Kraft, mich vom Boden zu erheben. Dabei behielt ich den Stein als einen Fixpunkt der Realität im Auge. Alles andere ignorierte ich, um nicht in den Bann Skanmanyons zu geraten. Erst nach einer Weile wagte ich es, meine Augen weiterwandern zu lassen und meinen Blick auf den Layan zu richten. Er stand auf allen vieren da, abwartend und neugierig, wie mir schien. Jetzt öffnete er den borstenbewehrten Mund, und aus seiner Tierkehle kam eine gutturale Stimme. »Ich bin Skanmanyon«, sagte der Layan, und es kostete ihn sicherlich große Mühe, seine Stimmbänder, die nicht zum Sprechen gedacht waren, diese Worte formen zu lassen. Er wiederholte: »Ich bin Skanmanyon!« Diesmal fügte er hinzu: »Und wer bist du?« »Atlan!« sagte ich. »Wirklich?« »Ja, ich bin Atlan«, sagte ich fest. Ich wollte es klarstellen, um Skanmanyon zu zeigen, daß er keine Macht über mich hatte. Meine eigene Stimme übte eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Sie war ein zweiter Bezugspunkt zur Realität. Ich klammerte mich daran wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Und ich sagte es noch einige Male laut vor mich hin, daß ich Atlan war, sozusagen, um vor aller Welt zu demonstrieren, daß ich es auch bleiben wollte. »Ich bin dein Freund«, sagte der Layan.
Die PSI-Quelle Ich überlegte, ob ich ihn auf die Probe stellen sollte. Wie würde das Tier reagieren, wenn ich ihm erklärte, daß Skanmanyon mein Gegner und nicht mein Freund war? Aber ich sprach es nicht aus. Im Augenblick war es mir wichtiger, einen Verbündeten auf dieser chaotischen Welt zu haben. So gesehen, konnte in meiner Lage auch der Layan als Fixpunkt der Realität gelten. »Willst du mir helfen, Layan?« fragte ich ihn. Er machte Schlangenbewegungen mit seinem geschmeidigen Körper, tänzelte auf der Stelle. So als wolle er mir durch einen Freudentanz seine Zuneigung zeigen. Ich interpretierte sein Verhalten zumindest so – mußte es tun, um nicht in den paraabstrakten Wahnsinn abzugleiten. »Du bist mein Freund, ich helfe dir«, sagte der Layan mit seiner kaum artikulierten Stimme. »Kannst du dich orientieren?« fragte ich. »Ich finde mich überall zurecht«, versicherte der Layan. Und wie um seine Behauptung zu beweisen, fügte er hinzu: »Denn ich bin Skanmanyon.« »Kannst du mich zur PSI-Quelle bringen?« Jetzt erst wurde mir voll bewußt, daß ich in einer fremden Sprache sprach. In der Sprache dieser Welt. Die fremden Worte kamen wie selbstverständlich über meine Lippen. Ich war überzeugt, es meinem Extrasinn zu verdanken, daß ich diese Sprache beherrschte – und in weiterer Folge natürlich Skanmanyon. Die fremde Sprache kannte jedoch keine Bezeichnung für »PSI-Quelle«, und so verwendete ich den terranischen Begriff. Möglich, daß der Layan mich deshalb nicht verstand. Er gebärdete sich plötzlich jedenfalls wie verrückt. Wieder vollführte er einen ritualisierten Tanz auf, der ähnlich aussah, als würde ein Hund seinem eigenen Schwanz nachlaufen. Endlich beruhigte sich der Layan wieder. Er blickte mich aus seinen klugen Augen an und sagte:
17 »Ich bringe dich zur Gemeinschaft. Folge mir.«
* Die Welt um mich war immer noch fremdartig, alptraumhaft verzerrt, skurril bis ins Groteske. Über den Himmel jagten Farbschauer, nur hie und da kam die Sonne als gelbliche Scheibe zum Vorschein. Die Landschaft war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, wogte manchmal wie wild bewegtes Meer, erstarrte dann wieder – oder verschwand in einem Nichts aus sich einander jagenden Farben. Für mich hatten diese Erscheinungen – zumindest teilweise – ihre Schrecken verloren. Der Layan führte mich. Ich hatte mich in seinen Nackenpelz gekrallt, mußte dabei jedoch etwas gebückt gehen. Langsam begann mein Rücken zu schmerzen, aber das war noch immer besser, als sich in diesem Chaos zu verirren. Über meine Zukunft machte ich mir keine Gedanken. Zuerst galt es einmal, in die Realität zurückzufinden, hinaus aus dem Gefängnis zu kommen, das Skanmanyon mit seinen parapsychischen Kräften um mich erbaut hatte. Doch glaubte ich nicht einmal, daß die Angriffe auf die Realität mir allein galten oder gezielt gegen mich gerichtet waren. Der Layan – und wahrscheinlich die gesamte Fauna dieser Welt – war ebenfalls betroffen. Er hatte es nur leichter, weil er sich Skanmanyon nicht widersetzte. Ich fragte mich, wieso Skanmanyon dem Tier erlaubte, mir zu helfen. Fand jedoch keine Antwort. Vielleicht gab es überhaupt keine Erklärung. Möglicherweise sollte mich der Layan aber auch nur in eine Falle locken. Trotz meines heimlichen Mißtrauens gegen meinen Führer mußte ich mich ihm anvertrauen. Der Layan führte mich sicher durch den psychedelischen Alptraum. Manchmal machte er mich durch Knurrlaute auf ein Hindernis aufmerksam, dann wieder wandte er den Kopf und leckte mit seiner rauhen
18 Zunge meine Hand. Seit wir aufgebrochen waren, hatte er noch nicht wieder gesprochen. Das empfand ich als Erleichterung, denn es ließ mir das Tier natürlicher erscheinen. Ich kann nicht sagen, wie lange wir unterwegs waren, als der Layan plötzlich anhielt und erstarrte. »Was ist?« fragte ich, bekam aber keine Antwort. Jetzt wäre es mir ganz lieb gewesen, wenn das Tier sein Schweigen gebrochen hätte. Doch es gab keinen Laut von sich und starrte vor sich hin ins Leere. Das heißt, für mich sah es so aus, als würde der Layan ins Nichts starren, denn rund um mich tobte nach wie vor der parapsychische Sturm, der mich nichts von der Realität erkennen ließ. Der Layan schien jedoch durch die psychedelischen Effekte hindurchblicken zu können. Was sah er? Ich strengte meine Augen an, bis sie mich schmerzten. Und da gelang es mir für einen Moment, die optischen Täuschungen zu durchbrechen. Etwa zwanzig Meter vor uns war ein Schatten aufgetaucht. Er war mannshoch und gut fünf Meter lang. Es war die Silhouette eines raubkatzenhaften Tiers, das sich uns mit geschmeidigen Bewegungen näherte. Das ist ein Werpesch, klärte mich mein Extrasinn auf. Der gefährlichste Feind des Layan. Jetzt erst verstand ich das Verhalten meines Leittieres. Trotz seiner Besessenheit erkannte es die tödliche Gefahr, die sich ihm näherte. Wenn ich eine Waffe besessen hätte, wäre das Problem leicht zu lösen gewesen. Doch mit bloßen Händen war es mir nicht möglich, dem Layan im Kampf gegen dieses riesige Raubtier beizustehen. Das Ungeheuer verschwand wieder im Farbenmeer. Der Layan rührte sich noch immer nicht. Ich spürte zwischen meinen Fingern, wie sich sein Nackenpelz aufstellte.
Ernst Vlcek Da tauchte plötzlich ein mächtiger Schädel mit rot glühenden Augen und fingerlangen Fangzähnen vor mir auf. Die Augen starrten mich an, als wollten sie mich hypnotisieren. Der Layan wurde von der Bestie völlig ignoriert, sie hatte nur Augen für mich. Jetzt öffnete sie den Rachen, und aus ihrer Kehle kamen kaum verständliche Laute. Ich mußte genau hinhören, um zu verstehen, was das Raubtier sagte. Aber erst als es die Worte wiederholte, war ich sicher, was sie bedeuteten. »Ich bin Skanmanyon!« Das kam für mich völlig überraschend. Der Layan aber entspannte sich. Er entgegnete: »Ich bin Skanmanyon.« Und dann erklang eine dritte Stimme: »Ich bin Skanmanyon!« Erst jetzt erblickte ich den Sprecher. Es war ein graugefiederter Vogel, dessen Flügel Farbtupfer von orange bis zu tiefviolett aufwiesen. Der Vogel saß auf dem Rücken des mannshohen Raubtiers. »Ich bin Skanmanyon!« wiederholte der Vogel. Und wie ein vielfaches Echo erklang es hoch über mir aus unzähligen Vogelkehlen: »Ich bin Skanmanyon!« Ich blickte hinauf. Die Leuchterscheinungen verblaßten für Sekunden und gaben meinen Blick auf mächtige Baumkronen frei, in denen sich vielgestaltiges Gefieder tummelte. Von geierähnlichen Riesenvögeln bis zu fingergroßen Singvögeln waren alle Zwischengrößen vertreten. Sie alle behaupteten, Skanmanyon zu sein. Das Raubtier trollte sich. Die Vogelschar in den Bäumen beruhigte sich wieder. Der PSI-Orkan stürzte sich mit verstärkter Gewalt auf mich, nahm mich gefangen, kapselte mich von der Realität ab. Der Layan setzte sich in Bewegung. Die Rechte in seinen Nackenpelz gekrallt, folgte ich ihm durch das paraabstrakte Labyrinth. Der Zwischenfall hatte mich dermaßen
Die PSI-Quelle abgelenkt, daß ich nicht vorbereitet war, als mein Extrasinn mein Ich attackierte. Ich bin Skanmanyon. Du bist Skanmanyon. Die Welt ist Skanmanyon! hämmerte es in meinem Kopf. Skanmanyon ist das Universum! Mein Ich igelte sich ein und versuchte, den Ansturm der unheilvollen Suggestionen zurückzuschlagen. Es kostete mich übermenschliche Anstrengungen, die Attacke abzuwehren. Aber ich hatte Erfolg. Mein Extrasinn ließ von meinem Ich ab, ich kam aus der parapsychischen Umklammerung frei und konnte mich langsam wieder erholen. Als sich mein Blick klärte und mir meine Augen ein einigermaßen naturgetreues Bild meiner nächsten Umgebung vermittelten, sah ich, daß ich mich mit beiden Armen um den Hals des Layan geklammert hatte. Erst nach diesem optischen Eindruck bestätigte mein Nervenzentrum, was die Augen dem Hirn projizierten. Ich ließ den Layan los, klammerte mich wieder an seinen Nackenpelz und ging neben ihm her. Kurz darauf hielt er an. »Hier ist die Gemeinschaft«, sagte er. »Ich wünsche mir, daß du hier Aufnahme findest.« Ich konnte nichts sehen. Vor mir waren nichts als endlos aneinandergereihte Farbkaskaden. »Wirst du mich jetzt verlassen?« fragte ich besorgt. »Ich gehöre zur Gemeinschaft. Ich bin Skanmanyon.« »Ich bin Skanmanyon!« erwiderte eine volltönende Stimme, die unweit vor mir ihren Ursprung hatte. Eine akustische Täuschung war natürlich nicht ausgeschlossen. Aber ich wagte doch, aus dem Klang der Stimme zu schließen, daß der Sprecher ein intelligentes Wesen war. Kein Tier konnte so artikuliert sprechen. »Und wer bist du?« Da ich mich angesprochen fühlte, antwortete ich: »Ich bin Atlan.«
19 Schweigen. Ich bin Skanmanyon! hämmerte mein Extrasinn. »Ich bin Atlan!« wiederholte ich. Nach einem weiteren sekundenlangen Schweigen sagte der unsichtbare Sprecher: »Wir, Skanmanyon, heißen dich willkommen.« Da wurde mir klar, daß die »Gemeinschaft«, von der der Layan ständig gesprochen hatte, ein Lebenskollektiv verschiedenster Lebewesen war, das von einer einzigen, alles überragenden und über alles dominierenden Geisteskraft zusammengehalten wurde: Skanmanyon! Der Layan zog mich einige Schritte nach vorne. Beim letzten Schritt brach das Irrlichterspiel in sich zusammen, als hätte jemand einen Knopf gedrückt. Ich konnte die Realität ohne irgendwelche Verzerrungen wahrnehmen. Unsägliche Erleichterung überkam mich, als ich den festen, grasbewachsenen Boden unter meinen Füßen sah, Sträucher und Bäume, die eine Lichtung umsäumten, einen Bach, der sprudelnd dahinfloß. Mir war, als sei ich aus einem Alptraum erwacht. Mir gegenüber stand aufrecht ein Eingeborener dieser Welt.
5. Das Wesen … Es ist ein Arychi, klärte mich mein Extrasinn auf. Es sind die Herren dieser Welt. Ich, Skanmanyon, werde sie zu Herren der Galaxis machen. Der Arychi war etwa 1,50 Meter groß und von schlanker Gestalt. Ich erkannte sofort an den Kiemen, die seinen dicken Hals wie eine Krause umgaben, daß es sich um einen Amphibio handelte. Sein Kopf war lang und schmal. Die großen, farblosen Augen lagen hoch an der Stirn, waren etwas seitlich angeordnet und quollen hervor wie die eines Frosches. Er zuckte unaufhörlich mit den durchsichtigen
20 Lidern. Eine Nase hatte er nicht, was sein Gesicht unfertig erscheinen ließ. Die fehlende Nase ließ den breitgezogenen Mund außerdem besonders groß wirken, so daß er das Dominierendste an seiner Erscheinung war. Unter diesem Mund befand sich eine Blase, die sich beim Sprechen aufblähte und dann wieder in sich zusammenfiel und zu einem runzeligen Hautlappen wurde. Der sich nach unten verbreiternde Hals ging schulterlos in den aalschlanken Körper über. Aus der »Brust« ragten zwei Extremitäten heraus, die man am besten als Mittelding zwischen Armen und Flossen bezeichnete. Jeder dieser Flossenarme war nicht mehr als siebzig Zentimeter lang, war durch Schwimmhäute mit der Körperseite verbunden und endete in viergliedrigen Flossen. Deren Schwimmhäute waren jedoch so weit zurückgebildet, daß Finger entstanden waren. Die Füße waren ebenfalls extrem kurz, vielleicht vierzig Zentimeter lang, und endeten in schmalen Füßen, die seltsamerweise keine Schwimmhäute aufwiesen, dafür aber vier feingliedrige, extrem lange »Zehen« hatten. Ich ahnte, daß die Arychi ihre Beine wohl vornehmlich wie Arme gebrauchten und mit den »Zehen« die eigentliche Handarbeit verrichteten. Das bestätigte sich sofort, als ich im Hintergrund einige Arychi im Kreis zusammensitzen sah. Sie lehnten sich, auf die Arme gestützt nach vorne und flochten mit den Füßen Netze. Fischnetze, assoziierte ich sofort. Ich glaube, diese Beschreibung gibt ein einigermaßen klares Bild von diesem Amphibienvolk. Hinzuzufügen wäre nur noch, daß ihre Körper statt einer Haut olivgrüne Schuppen aufwiesen, die jedoch samtweich waren. Die Luftblase meines Gegenübers blähte sich zu imposanter Größe auf, dann sagte er, und die Luftblase zuckte im Rhythmus seiner Worte: »Willst du in unsere Gemeinschaft aufge-
Ernst Vlcek nommen werden?« »Aber ich bin nicht Skanmanyon«, erwiderte ich. »Alles Lebende ist Skanmanyon«, behauptete der Arychi. »Auch du bist einer von uns. Also gehörst du der Gemeinschaft an.« So formlos spielte sich meine Aufnahme bei den Arychi ab. Ich war froh darüber, daß man mir keine langwierigen Fragen stellte, die meine Herkunft und mein Aussehen betrafen. Die Arychi schien es nicht zu stören, daß ich überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihnen hatte. Sie waren nicht neugierig, nicht lästig, und – was für mich besonders wichtig war – sie zwangen mich nicht, mich zu Skanmanyon zu bekehren. Obwohl sie selbst alle unter dem Einfluß der PSI-Quelle standen. Ständig hörte ich irgendwo einen Arychi sagen: »Ich bin Skanmanyon!« Sagten sie das immer vor sich hin, um es sich einzureden oder um nagende Zweifel zu beseitigen? Oder wollte Skanmanyon mir dadurch beweisen, daß er diese Geschöpfe fest in seiner Gewalt hatte? »Ich bin Skanmanyon!« Dieser Ausspruch ertönte auch ständig aus Tiermäulern, aus den Schnäbeln der Vögel, aus den Rachen von Raubtieren, Echsen, Schlangen, Klettertiere und Zwitterwesen des Tierreichs, für die es in der mir bekannten Fauna keine Gegenstücke gab, zischten zirpten, säuselten, brüllten und krächzten: »Ich bin Skanmanyon!« Sie alle hatten in der Gemeinschaft Aufnahme gefunden. Das Kernstück dieses seltsamen Lebenskollektivs, nur durch die Ausstrahlung der PSI-Quelle Skanmanyon zusammengehalten, bildeten jedoch die Arychi. Ihre angeborene Intelligenz prädestinierte sie für die Führungsrolle. Allerdings war mir nicht klar, welche Rechte ihnen ihr Status einräumte, oder welchen Nutzen sie daraus zogen. Überhaupt war für mich kein Sinn in dieser Lebensgemeinschaft zu sehen. Jedes Lebewesen schi-
Die PSI-Quelle
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en für sich dahinzuleben und seine Zugehörigkeit zum Kollektiv lediglich durch den Ausspruch geltend zu machen: »Ich bin Skanmanyon!« Alle Wesen schienen hier nur für die Lobpreisung Skanmanyons zu leben. »Ich möchte mir gerne alles ansehen, mich über eure Lebensgewohnheiten informieren«, sagte ich zu dem Arychi, der mich empfangen hatte. »Würdest du mich führen und mir Fragen beantworten?« »Ich stehe zu deiner Verfügung.« Der Eingeborene sagte es nicht ohne Würde. Da seine Sprechblase auch danach aufgebläht blieb, nahm ich an, daß er dem noch etwas hinzuzufügen habe. Das war auch tatsächlich der Fall: »Ich bin Skanmanyon!« Ich schnitt eine Grimasse, ich konnte es einfach nicht mehr hören.
* So ähnlich mußte es auf der Arche Noah zugegangen sein. Was ich sah, entsprach aber auch ungefähr der terranischen Vorstellung vom Paradies: Die verschiedensten Tierarten, sonst Jäger und Gejagte, lebten in friedlicher Koexistenz nebeneinander. Wie idyllisch dieses Bild auch war, es konnte auf die Dauer nicht gutgehen. Fleischfresser konnten nicht allein durch Skanmanyons PSI-Kraft zu Vegetariern werden, um nur ein Beispiel zu nennen. Skanmanyon störte das Gleichgewicht der Natur. Früher oder später mußte die Ökologie dieser Welt zusammenbrechen. Dann nämlich, wenn die Stärkeren nicht mehr die Schwächeren fraßen, um so eine natürliche Auslese zu treffen. Plötzlich wußte ich, warum ich mich instinktiv gegen Skanmanyons Beeinflussung wehrte. Es ging nicht nur darum, daß ich in ihm einen machtbesessenen Despoten sah, der die Herrschaft in der Galaxis an sich reißen wollte. Vielleicht war es so, aber selbst wenn ich ihm gute Absichten nicht absprach, konnte ich mich für seine Pläne nicht
erwärmen. Ich wußte natürlich noch nicht genau, was Skanmanyon bezweckte. Aber wenn die Befriedung der Galaxis nach dem Muster dieser Lebensgemeinschaft vor sich gehen sollte, dann würde das den Untergang der zivilisierten Völker bedeuten. Die Ökologie der Galaxis ließ sich mit der des Dschungels dieser Welt vergleichen. Hier wie dort herrschte das Naturgesetz: töten oder getötet werden. Wenn die raumfahrenden Intelligenzvölker dieses Naturgesetz auch mit technisierten Methoden zur Anwendung brachten. Doch auch das Leben der Menschheit war ein ewiger Kampf ums Überleben. Ein Eingriff in die Evolution, wie Skanmanyon ihn plante, würde zuerst zur Stagnation und schließlich zur Degenerierung führen. Was Skanmanyon mir in den visionären Zukunftsträumen gezeigt hatte, war einesteils verlockend gewesen. Andererseits aber erschreckte es mich. Ich fand nun zum ersten Mal Gelegenheit, über diese Dinge nachzudenken. Deshalb konnte ich alles auch so klar sehen. Skanmanyons Traum von einer friedlich vereinigten Galaxis war nicht zu realisieren. Selbst im kleinen Maßstab, hier im Dschungel dieser fremden Welt, wurden die Mängel von Skanmanyons Lebensgemeinschaft deutlich. Was sollte der Werpesch fressen, wenn er hungrig war? In diesem Paradies waren seine Opfer, die seine Nahrung darstellten, zugleich auch seine Brüder. Es stimmte hinten und vorne nicht in diesem Paradies. Ich fragte mich, wozu die Arychi überhaupt ihre Netze flochten. Mußten sie die gefangenen Fische nicht wieder zurück ins Wasser werfen, wenn sie das Maul öffneten und sich als Skanmanyon zu erkennen gaben? Es war ein Paradies voller Widersprüche. Ich wäre Skanmanyon gerne gegenübergetreten, um mit ihm über seine Pläne zu diskutieren. Aber wo war Skanmanyon? Terrania Skeller hätte mich vielleicht zu ihm führen können. Doch auch sie war verschwun-
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den. Ich beschloß, zuerst nach ihr zu suchen und über sie zu Skanmanyon zu stoßen.
* Die Arychi wohnten in Pfahlbauten, die nur zur Hälfte aus dem Wasser ragten. Ihre Häuser sahen wie Bienenstöcke aus, die nach oben hin spitz zuliefen. Die Spitze war offen. Doch bei dieser Öffnung handelte es sich nicht um den Eingang, wie ich zuerst vermutet hatte, sondern um einen Lichtschacht. Außer dieser Öffnung gab es keine weiteren zu sehen, und so nahm ich an, daß die Eingänge der Pfahlbauten unter dem Wasserspiegel lagen. Mit dieser Vermutung hatte ich recht. Mein Begleiter lud mich ein, das Allerheiligste Skanmanyons aufzusuchen. Das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Deshalb folgte ich ihm in den See und schwamm hinter ihm nach zu dem größten »Bienenstock«, der aus dem Wasser ragte. »Ist Wasser dein Element?« erkundigte sich der Arychi beeindruckt, als er mich beim Schwimmen beobachtete. »Ich fühle mich in allen Elementen zu Hause«, erwiderte ich. Meine Antwort schien ihn noch mehr zu beeindrucken als meine Schwimmkünste. Ich bereute meine Übertreibung aber recht schnell. Als wir nur noch vier Meter von dem großen Pfahlbau entfernt waren, packte er mich plötzlich mit den Füßen am Hals und tauchte. Seine »Zehen« hielten mich mit eisernem Griff fest und zerrten mich unbarmherzig unter Wasser. Ich konnte gerade noch meine Lungen voll Luft pumpen. Der Arychi schwamm gemächlich auf einen gut drei Meter unter Wasser liegenden röhrenförmigen Auswuchs zu und zog mich mühelos nach. Durch die Öffnung der Röhre kam uns gerade ein anderer Arychi entgegen, so daß wir ihn erst herauslassen mußten, bevor wir selbst eindringen konnten. Ich hoffte, daß mein Führer sich nun beeilen würde, damit wir schnell das Ende der
Röhre erreichten und im Innern des Pfahlbaues auftauchen konnten. Die Luft wurde mir bereits knapp. Aber der Arychi hatte keine Eile. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis wir das Ende der Röhre erreichten. Aber selbst dann war die Unterwasserexkursion noch nicht vorbei. Als ich mich von einem querliegenden Stamm abstieß, prallte ich mit dem Kopf gegen ein Hindernis. Ich tastete in der Dunkelheit verzweifelt um mich und mußte feststellen, daß ich von festem Bastgeflecht umgeben war. Es gab nur einen Weg, und der wand sich schneckenartig nach oben. Diesem Schneckengang folgte der Arychi mit mir im Schlepptau. Ich konnte die Luft nicht mehr anhalten – und öffnete den Mund. Ich schluckte Wasser, vor meinen Augen begannen bunte Kreise zu tanzen. Dann senkte sich Schwärze über mich. Terrania tauchte auf. Wie schon in den vorangegangenen Visionen erschien sie mir auch jetzt als Mädchen von neunzehn Jahren, zu einer Schönheit gereift. Ich wehrte mich gegen diese Bilder, wollte nicht wieder in den Strudel von visionären Alpträumen hinabgezogen werden. Vielleicht verhalf mir mein innerer Widerstand dazu, das Bewußtsein zu behalten. Oder aber Skanmanyon bezweckte gar nicht, mich in seinen Bann zu ziehen. Jedenfalls sah ich das nasenlose Gesicht des Arychi über mir, als ich die Augen aufschlug. Ich lag rücklings auf einer Bastmatte. »Wasser ist nicht dein Element«, stellte er fest. »Wo sind wir?« erkundigte ich mich und stützte mich auf. »Das ist Skanmanyons Tempel.« Ich erinnerte mich wieder daran, daß er mir versprochen hatte, mich ins Allerheiligste Skanmanyons zu führen. Ich wußte nicht, was ich zu sehen erwartete. Vielleicht hoffte ich insgeheim, auf einen von Skanmanyons Helfer vom Planeten Schneeball oder sogar auf Terrania zu treffen. Doch ich wurde enttäuscht.
Die PSI-Quelle Das Innere des etwa acht Meter durchmessenden Pfahlbaues wies nichts auf, das irgendwie an Skanmanyon erinnerte. In einer Höhe von zwei Metern spannten sich Balken kreuz und quer bis hinauf zur Lichtöffnung in einer Höhe von sieben Metern. Von den Balken hingen getrocknete Fische. Auf einem der Balken hockte ein Arychi und spielte mit den an Schnüren hängenden Trockenfischen. Links von mir war eine Öffnung im Boden, und eine Handbreit darunter sah ich den dunklen Wasserspiegel. Ich rückte etwas von der Öffnung ab, durch die wir in den Tempel gekommen waren. Auf der anderen Seite sah ich einige Arychi rund um einen ihrer Kameraden hocken. Sie murmelten irgendwelche Beschwörungsformeln vor sich hin. Plötzlich bäumte sich der Arychi in ihrer Mitte auf und begann hysterisch zu schreien. »Skanmanyon! Skanmanyon!« schrie er in voller Lautstärke, und seine Sprechblase blähte sich auf, daß ich meinte, sie könnte jeden Augenblick platzen. Die anderen Arychi blieben davon unbeeindruckt und fuhren in ihren Beschwörungen fort. »Skanmanyonmanyonmanyon!« jammerte wieder der hysterische Arychi. »Erhöre mich. Dring in mich. Mach mich zu dir!« Seine Stimme brach, und er sackte kraftlos auf die Bastmatte zurück. »Was hat das zu bedeuten?« erkundigte ich mich. »Er ist ein Ausgestoßener«, antwortete mein Führer. »Er muß von einem Dämon befallen sein. Deshalb kann Skanmanyon nicht in ihn dringen.« »Du meinst also, daß er, so wie ich, nicht Skanmanyon ist?« fragte ich ungläubig. Der Arychi nickte ernst. »Wir versuchen, den Dämon aus ihm zu vertreiben.« »Dürfte ich mich mit ihm unterhalten?« bat ich. »Vielleicht kann ich ihm helfen.« Der Arychi wiegte seinen Krötenkopf, dann rutschte er auf den Knien zu den Hohe-
23 priestern und flüsterte mit ihnen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder mir zuwandte und mich mit einer Flosse zu sich winkte. Als ich den sich wie unter körperlichen Qualen windenden Arychi erreichte, zogen sich die anderen zurück. Er blickte aus seinen hervorstehenden Augen zu mir auf. Ein Flehen lag in seinem Blick. »Kannst du mir helfen?« »Ich weiß es nicht«, gestand ich. »Aber ich möchte es versuchen. Ich werde aber nur Erfolg haben, wenn du mich unterstützt. Ich habe einige Kenntnisse über Skanmanyon, die deinen Artgenossen unbekannt sind. Ich war Skanmanyon ganz nahe, als er auf eure Welt kam. Erinnerst du dich, wann das war?« »Es war gegen Ende der Eilegung«, antwortete der Arychi. Beim Sprechen bildeten sich vor seinem Mund Blasen aus Speichel, die sich mit Luft aus seiner Sprechblase füllten und dann platzten. »Plötzlich waren alle Skanmanyon. Nur ich nicht.« »Wie heißt du?« »Vahas – ich bin ein Ausgestoßener.« »Das stimmt nicht, Vahas«, sprach ich so leise auf ihn ein, daß die anderen mich nicht hören konnten. »Ich weiß, daß du ein Auserwählter bist, weil Skanmanyon dich nicht beeinflussen kann. Du bist etwas Besonderes. So wie ich. Auch auf mich hat Skanmanyon keinen Einfluß.« Die Augen des Arychi schienen noch weiter hervorzuquellen, während er meinen Worten ungläubig lauschte. Ich fuhr schnell fort: »Die anderen sind von einem Dämon besessen. Von Skanmanyon. Nicht du. Du bist der einzige Normale unter lauter Besessenen. Ich werde dir helfen …« »… zu Skanmanyon zu finden?« fragte er hoffnungsvoll. »Ich werde dich vor ihm beschützen!« Da schrie er markerschütternd auf. Sein Schrei schmerzte mir in den Ohren. Etwas schien in mir zu bersten. Ich preßte mir die Hände an den Kopf, um dem
24 Schmerz in meinem Gehirn entgegenzuwirken, wollte mir die Ohren zuhalten, um den gespenstischen Schrei des Unglücklichen nicht zu hören. Doch da erkannte ich, daß ich selbst es war, der schrie. Und der Schmerz in meinem Gehirn wurde nicht von außenstehenden Kräften verursacht, sondern in mir selbst geboren. Ja, so ist es recht, triumphierte mein Extrasinn. Gib dich den Arychi als ein von einem Dämon Besessener zu erkennen. Unterwerfe dich mir, Skanmanyon, oder erleide das Schicksal eines Ausgestoßenen. Ich mußte meine ganze Aufmerksamkeit meinem Extrasinn widmen, so daß ich nicht wußte, was um mich vorging. Erst nachdem ich die parapsychische Attacke abgewehrt hatte, klärten sich meine Sinne wieder. Die Arychi waren entsetzt vor mir zurückgewichen. Jener, der nicht von Skanmanyon beeinflußt wurde, kauerte eng gegen die Wand gepreßt da und streckte mir seine Beine abwehrend entgegen. Aus seinem Mund trat jetzt Schaum. Er stieß in kurzen Intervallen spitze Schreie aus. Dazwischen rief er beschwörend: »Erlöst mich! Rettet mich! Skanmanyon hilf mir!« Zwei der Arychi kamen auf allen vieren auf mich zugekrochen. Dann stützten sie sich auf die Flossenarme und balancierten darauf ihre Körper. Dabei machten sie mit den feingliedrigen Fingern ihrer Beine seltsame Zeichen, als wollten sie mich damit bannen. Da ich von der Auseinandersetzung mit meinem Extrasinn noch immer ziemlich erschöpft war, unternahm ich nichts, sondern wartete erst einmal ab, was weiter geschehen würde. Die anderen Arychi kümmerten sich inzwischen um ihren von Skanmanyon verschont gebliebenen Artgenossen. Sie zerrten ihn in die Mitte des Raumes und sprachen auf ihn ein. Er gab jetzt keinen Laut von sich. Da mir die anderen den Blick versperrten, konnte ich ihn nicht sehen.
Ernst Vlcek Aber dafür hörte ich ihn gleich darauf um so deutlicher. Er begann wieder hysterisch zu kreischen. Es kam völlig unerwartet, als die ihn umsitzenden Arychi plötzlich in den erhobenen Händen schwertähnliche Waffen hielten. Ich stellte noch fest, daß diese Waffen aus Metall waren und wunderte mich, wie die Amphibios dazu kamen. Dann ließen sie ihre gezackten Schwerter niedersausen. Ich hörte einen dumpfen Aufschlag. Da der Arychi in ihrer Mitte jedoch weiterschrie, dachte ich, daß sie ihre Waffen gegen ihn nur symbolisch erhoben hätten – etwa um den vermeintlichen Dämon in ihm zu bedrohen. Doch dann hielt einer von ihnen einen Kopf hoch. Sie hatten ihn enthauptet! Und der Kopf ohne Körper schrie weiter. Zwischen den einzelnen Schreien stieß der Kopf hervor: »Ich bin Skanmanyon!« Ich mußte mich abwenden und sah nur aus den Augenwinkeln, wie einer der Arychi mit dem Kopf in der Hand in die Bodenöffnung sprang und untertauchte. Nun wandten sich die übrigen Arychi an mich. »Ich bin Skanmanyon«, sagte einer. »Und wer bist du?« Ich brachte es nicht über mich, zu lügen, weil ich das als Kapitulation gegenüber meinem Extrasinn empfunden hätte. Und so sagte ich wahrheitsgetreu: »Ich bin Atlan.« »Wir werden auch dich zu Skanmanyon machen – der du von dem Dämon Atlan befallen bist.«
6. Sie begannen, mit den Breitseiten ihrer gezahnten Schwerter auf den Bastboden zu trommeln. Dabei ließen sie mich nicht aus den Augen. Einer sagte in beschwörendem Singsang: »Rufe Skanmanyon.« Ein anderer fügte im gleichen Tonfall hin-
Die PSI-Quelle zu: »Rufe mich.« Und dann kam die Reihe wieder an den ersten. »Werde Skanmanyon.« »Werde ich.« Ich wog meine Chancen ab. Eine Flucht durch den Unterwasserausgang war undurchführbar. Das Wasser war das eigentliche Element der Arychi. Wenn es mir gelänge, mich in den Besitz eines der Schwerter zu bringen, könnte ich mir durch die geflochtene Wand des Tempels einen Weg schlagen. Aber wie sollte es weitergehen? Es gab keine Brücke zum Festland. Und das Pfahldorf lag fast in der Mitte des Sees. Ich konnte natürlich auch versuchen, durch den Lichtschacht ins Freie zu gelangen. Aber auch von dort gab es kein Weiterkommen. Zweifellos hatten die Eingeborenen mit mir das gleiche wie mit ihrem Artgenossen vor. Es gibt also in Skanmanyons Weltordnung kein Blutvergießen, dachte ich sarkastisch. Mein Extrasinn hörte mich. Ich, Skanmanyon, stehe erst am Anfang, antwortete er. Diese Eingeborenen sind primitiv. Ich muß sie schrittweise an größere Ziele heranführen. Noch bin ich für sie ein Mythos, noch muß ich mich ihnen anpassen. Aber bald werden sie vollwertig wie ich sein. Sieh sie dir an. So sehen die zukünftigen Herren der Galaxis aus! Mit deiner Hilfe könnte die Menschheit ihren Platz einnehmen. Ich war überzeugt, daß mein Extrasinn nicht mehr zu retten war. Mich schauderte bei dem Gedanken, mein weiteres Leben zusammen mit diesem entarteten, wahnsinnigen Logiksektor verbringen zu müssen. In nur einem Körper, in ständigem Existenzkampf. Meine einzige Chance war, an Skanmanyon heranzukommen, ihn zur Vernunft zu rufen, oder die PSI-Quelle zum Versiegen zu bringen. Die Eingeborenen trommelten weiterhin
25 ihren monotonen Rhythmus mit den Schwertern auf den Boden. Einmal erhob einer von ihnen die Waffe drohend gegen mich und kreischte dabei furchterregend. Ich zuckte nur leicht zusammen, ließ mich jedoch nicht zu einer Gegenmaßnahme hinreißen. Ich durchschaute die Finte. »Ich bin Skanmanyon«, sagten sie wie aus einem Mund. »Und du?« Ich gab keine Antwort. Bisher hatten die Eingeborenen die Schwerter mit den Flossenhänden gehalten. Jetzt wechselten sie die Stellung, stützten sich mit den Flossenhänden am Boden ab und ergriffen die Schwerter mit den Füßen, die eigentlich auch ihre Hände waren. In dieser Stellung sahen sie wie mitten in der Bewegung angehaltene Turner aus, die gerade im Begriff waren, in der Hocke über ein Pferd zu springen. So trommelten sie geduldig und unermüdlich weiter. Du kannst dich nur retten, wenn du dich als Skanmanyon zu erkennen gibst, behauptete mein Extrasinn. Unter anderen Umständen hätte ich das als durchwegs vernünftigen und logischen Vorschlag angesehen. Aber mein Extrasinn war wahnsinnig, und ich vermutete irgendeinen Trick Skanmanyons. Wieder schrie einer der Arychi auf holte mit dem Schwert aus und schlug nach mir. Diesmal sprang ich zur Seite, um dem Schwerthieb auszuweichen. Kaum hatte ich das jedoch getan, da hob der nächste sein Schwert. Ich nahm mir vor, diesmal nicht von der Stelle zu weichen. Als ich jedoch sah, wie das Schwert geradewegs auf mich heruntersauste, brach mir der Angstschweiß aus. Ich schloß mit dem Leben bereits ab. Doch da bekam ich von unerwarteter Seite Unterstützung. Ein anderer Arychi parierte den tödlichen Streich mit seinem Schwert und schlug es dann seinem Artgenossen mit der gezahnten Schneide gegen die Brust. Der Arychi brach blutüberströmt zusammen. Die anderen trommelten weiter, als sei
26 nichts geschehen. Der Sieger aus dem Zweikampf starrte auf sein blutiges Schwert. »Ich bin Skanmanyon?« sagte er. Es war eine Frage. Ich beobachtete ihn. War es möglich, daß Skanmanyons Einfluß nachgelassen hatte und ihn die ersten Zweifel an seiner Identität nagten? »Du bist nicht Skanmanyon«, schleuderte ich ihm entgegen. Er reagierte so, wie ich es mir keinesfalls erhofft hatte. Mit einem Aufschrei wandte er sich mir zu. Sich auf beide Flossenarme stützend, schwang er den Körper in einer Pendelbewegung zur Seite, bis er in die Horizontale kam und stieß dann mit dem Schwert nach mir. Ich wich dem Hieb aus, stürzte mich dann auf ihn und entwand ihm die Waffe. Jetzt hörten auch die anderen Arychi zu trommeln auf, als würden sie sich erst jetzt der Unsinnigkeit ihres Tuns bewußt. Ich war bereit, mich ihnen zum Kampf zu stellen. Doch anstatt über mich, fielen sie übereinander her. Ich sprang zu einer der Querstangen über meinem Kopf hinauf und zog mich daran hoch. Der Arychi, der bis jetzt hier oben die zum Trocknen aufgehängten Fische betreut hatte, umfaßte mich mit seinen fingerartigen Zehen und umschloß damit meinen Hals. Dann ließ er sich in die Tiefe fallen. Er riß mich mit, doch gelang es mir, mich mit den Beinen festzuhalten. Der Griff um meinen Hals verstärkte sich, so daß ich keine andere Wahl hatte, als das Schwert nach meinem Gegner zu schlagen. Ich stieß damit auf einen nachgiebigen Widerstand, gleich darauf ertönte ein Schrei, und der Würgegriff um meinen Hals löste sich. Ich schwang mich wieder hoch und kletterte zur Lichtöffnung hinauf. Der Kampf unter mir war inzwischen entschieden worden. Nur einer der Arychi hatte überlebt. Aber auch seinen Körper zeichneten unzählige Wunden. Das blutgetränkte Schwert mit beiden Beinen haltend, ließ er sich kopfüber ins Wasser fallen und tauchte unter. Ich zog mich das letzte Stück hoch und
Ernst Vlcek steckte den Kopf durch die Öffnung. Mir stockte der Atem bei dem Anblick, der sich mir bot. Die von Skanmanyon errichtete Lebensgemeinschaft existierte nicht mehr. Das totale Chaos war ausgebrochen. Überall kämpften Eingeborene gegeneinander. Es waren keine rituellen Kampfübungen, wie ich im ersten Moment geglaubt hatte, sondern es waren Auseinandersetzungen auf Leben und Tod. Was sich innerhalb des Pfahlbaues bereits angedeutet hatte, wurde außerhalb in größerem Stil weitergeführt. Die Tiere blieben von dem allgemeinen Irrsinn nicht verschont. Auch sie fielen übereinander her, zerfleischten Eingeborene oder wurden von diesen erlegt. Die Skanmanyon errichtete Pseudoordnung war zusammengebrochen. Die von ihm erschaffene Lebensgemeinschaft zerfiel. Ohne die Gründe dafür zu kennen, ahnte ich, daß dies der Anfang vom Ende war. Ich glaubte nicht einmal so sehr, daß Skanmanyons Einfluß auf die Psyche der Lebewesen dieser Welt geringer geworden war. Obwohl auch dies im Bereich des Möglichen lag. Ich hielt es aber dennoch für wahrscheinlicher, daß Skanmanyon selbst eine Wandlung durchmachte. Irgend etwas mußte bei der Landung auf dieser Welt schiefgegangen sein. Schon die Ereignisse bei meinem Erwachen – das rapide Schmelzen des Eisbergs, das Verschwinden von Skanmanyons Diener, die ParaStürme, die schockartig über alles Leben herfielen – hatten darauf hingewiesen, daß Skanmanyon nicht Herr der Lage war. Jetzt schien die sich anbahnende Krise ihrem Höhepunkt zuzustreben. Oder konnte es noch schlimmer kommen? Ich mußte die PSI-Quelle finden, bevor noch mehr Unheil angerichtet wurde. Das Schwert in der Rechten, so sprang ich kopfüber vom Dach des Pfahlhauses ins Wasser. Wasser? Unter mir war ein loderndes Flammen-
Die PSI-Quelle
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meer. Als mein Körper darin eintauchte, glaubte ich, durch siedendes Öl zu schwimmen. Ich versuchte mir auszureden, daß dies die Realität war, was mir meine Sinne vorgaukelten. Doch eine innere Stimme sagte mir, daß ich in diesen feurigen Fluten vergehen würde – wie die PSI-Quelle Skanmanyon langsam, aber unaufhaltsam versiegte. Die Stimme gehörte meinem wahnsinnigen Extrasinn.
* Das siedende Öl wurde zu breiiger Lava. Das Schwimmen fiel mir immer schwerer. Meine Arme wurden lahm. Ich kam von der Horizontalen immer mehr in die Senkrechte. Meine Füße sanken in die Tiefe, als hingen Gewichte daran. Hinzu kam noch, daß mein Extrasinn versuchte, Gewalt über meinen Körper zu bekommen. Meine Sinne funktionierten kaum mehr. Nur hie und da sah ich durch die flammende Hölle Schemen huschen. Ich stieß mit den Armen gegen nachgiebige Hindernisse: Arychi, die tot auf dem Wasser trieben; Kadaver von Tieren. Ich konzentrierte mich vor allem darauf, meinen Kopf über der Lava zu halten, und bildete gleichzeitig einen mentalen Abwehrblock gegen meinen rebellierenden Extrasinn. Als sich auf einmal etwas auf mich stürzte, mich mit seinem Gewicht in die Tiefe drückte und sich in meinen Haaren festkrallte, schlug ich mit dem Schwert blindlings um mich. Das half. Ich konnte mich von dem Gewicht befreien. Kurz darauf spürte ich unter meinen fast gefühllosen Beinen festen Boden. In der Luft war ein Geräusch wie von tausend Elektronenorgeln. Nur wenn ich angestrengt lauschte, dann konnte ich vereinzelte Todesschreie heraushören. Unter größter Kraftanstrengung watete ich an Land. Ließ mich erschöpft zu Boden sin-
ken, ruhte einige Atemzüge lang aus. Dann raffte ich mich wieder auf. Weiter! trichterte ich mir ein. Fort von hier! Nichts wie weg aus diesem Tollhaus. Hier ist dein Platz! versuchte mir mein Extrasinn einzureden. Sei Skanmanyon. Lebe und leide wie er. Es fiel mir immer leichter, mich der Suggestionen meines Extrasinns zu erwehren. Fast schien es mir, daß die Impulse schwächer wurden, oder aber mein eigenes IchBewußtsein hatte sich gefestigt. Wie dem auch war, ich hatte immer öfter klare Momente, in denen ich die Welt sah, wie sie wirklich war. Fünf Meter vor mir lag ein Werpesch auf dem Rücken. Seine vier Beine hatte er steif von sich gestreckt. Nur in seinem Raubtiergesicht zuckten noch einige Nerven, letzte Lebenszeichen. Ein Dutzend Arychi umtanzten ihn, traktierten ihn dabei mit ihren Schwertern, kletterten auf ihm herum und stopften Pflanzen und die Kadaver kleinerer Tiere in seine Wunden. Als sich ein Arychi bückte, wurde ihm von einem anderen der Kopf abgeschlagen. Die anderen setzten ihren seltsamen Tanz fort. Ein einzelner Arychi wurde von einem Schwarm bunter Vögel überfallen. Sie hackten mit ihren Schnäbeln auf ihn ein und fügten sich auch gegenseitig Wunden zu. Ich sah aus den Augenwinkeln einen Schatten auf mich zuspringen und stieß automatisch das Schwert in diese Richtung. Ein antilopenähnliches Tier spießte sich daran auf. Noch im Tode versuchte es, mich mit seinen drei Hörnern zu erreichen. Ich zog mein Schwert aus dem toten Tier – da landete ein Körper auf meinem Rücken und warf mich zu Boden. Noch bevor ich mich wieder erheben konnte, waren ein halbes Dutzend Arychi über mir, drückten mir Arme und Beine auseinander und preßten sie mit ihrem Gewicht zu Boden. Sie starrten alle auf einen Punkt an meiner Brust. Mir wurde heiß, Schweiß brach mir
28 aus allen Poren, als ich erkannte, daß sie meinen Zellaktivator im Auge hatten. Das konnte mein Ende bedeuten. Wenn sie mir den Zellaktivator abnahmen und damit das Weite suchten – wie sollte ich ihn in diesem fremdartigen, von Skanmanyon noch weiter verfremdeten Dschungel jemals wiederfinden? Ohne Zellaktivator würde ich aber rasch altern und zu Staub zerfallen. Ich bäumte mich auf, doch ich konnte die Arychi nicht abschütteln. Einer packte mich an den Haaren, drückte mir den Kopf auf die Brust. Ein anderer packte den Zellaktivator und zog ihn mir mitsamt der Kette über den Kopf. Als er ihn in seinen Flossenhänden hielt, stieß er ein Triumphgeheul aus – das jedoch in einem Todesschrei endete. Einer seiner Artgenossen schlug ihn von hinten nieder und riß den Zellaktivator an sich. Die Arychi ließen jetzt von mir ab und stürzten sich auf ihren Kameraden mit dem Zellaktivator. Ein wilder Kampf entflammte. Ein Arychi konnte sich aus dem kämpfenden Knäuel lösen. Er hatte den Zellaktivator erbeutet und flüchtete damit in den Dschungel. Ich folgte ihm. Doch nach dreißig Metern kletterte er an einer Liane hoch und entwischte mir in die dicht beieinanderstehenden Baumkronen. Ich wollte ebenfalls auf der Schlingpflanze hochklettern, aber sie riß unter meinem Gewicht. Der Eingeborene bemerkte es und quittierte meine Niederlage mit einem Triumphgeheul. Ich versuchte, ihn in dem Blätterwerk nicht aus den Augen zu verlieren, während ich an einem dicken Stamm mit rissiger Rinde hochkletterte. Als ich die Baumkrone erreichte, staunte ich nicht schlecht. Das Geäst der Bäume war so miteinander verfilzt, daß über dem Boden eine zweite Ebene entstand, die sich praktisch lückenlos weithin erstreckte. Hier sprossen Schmarotzerpflanzen, die ein Dickicht bildeten. Vögel und Klettertiere nisteten hier. In dem dichten Gestrüpp hatte ich den Arychi mit meinem Zellaktivator aus
Ernst Vlcek den Augen verloren. In meiner Verzweiflung schlug ich mich in eine willkürliche Richtung. Ein Vogel, der in seinem Nest auf Eiern, die bunt wie Ostereier waren, brütete, stürzte sich kreischend auf mich. Ich hieb mit dem Schwert nach ihm, traf, und er löste sich in Tausende von schillernden Federn auf, die jede für sich ein Eigenleben hatten und sich zu einer Barriere vereinigten, die mir den Weg versperrte. Ich schloß die Augen. Als ich sie wieder öffnete, existierte das Trugbild nicht mehr. Der Vogel lag tot zu meinen Füßen. Von links, weit weg von mir, kam ein Todesschrei. Ich wandte mich in diese Richtung. Zweimal brach ich in das Geäst ein, verstauchte mir den Fuß, humpelte aber weiter. Wenig später stieß ich auf den Arychi, der mir den Zellaktivator gestohlen hatte. Er besaß ihn nicht mehr. Das stellte ich fest, als ich ihn durchsuchte. Irgend jemand hatte ihn mit den Beinen nach oben aufgehängt und getötet. Die symmetrisch angeordneten Wunden ließen darauf schließen, daß es sich um einen Ritualmord handelte. Ich folgte weiterhin der Richtung, die ich ursprünglich eingeschlagen hatte. Ich kam rasch weiter. Nur einmal kam es zu einem Aufenthalt, als sich eine Echse auf mich fallen ließ und sich in meiner Schulter verbiß. Es gelang mir, sie abzuschütteln. Abgesehen von diesem Zwischenfall, schien die Natur dieser Welt langsam zur Ruhe zu kommen. Die psychedelischen Effekte waren nur noch so schwach, daß ich sie trotz meiner Schwäche ignorieren konnte. Auch mein entarteter Extrasinn war in den Hintergrund getreten. Die Beschwörungen – Laß den Zellaktivator sein, Skanmanyon gibt dir ewiges Leben – hatten nichts Zwingendes mehr an sich. Und dann entdeckte ich unweit vor mir die Gruppe von Eingeborenen, die aller Wahrscheinlichkeit nach den Arychi rituell hingerichtet und sich den Zellaktivator ange-
Die PSI-Quelle eignet hatte. Von weitem sahen sie aus wie Arychi. Doch als ich mich näher heranschlich, entdeckte ich doch einige Unterschiede. Sie waren gleich groß und gleich schlank, wenn ihre Schultern vielleicht auch etwas mehr entwickelt waren. Aber ihre Körper wiesen kaum noch Schuppen auf, ihre Augen standen nicht so weit hervor, sondern lagen in Höhlen. Ihre Flossenarme waren degeneriert, sie besaßen keine Schwimmhäute. Alle diese Merkmale ließen darauf schließen, daß es sich um eine höherentwickelte Splittergruppe von Arychi handelte, die nur noch auf dem Land lebten. In dieser Vermutung wurde ich bestärkt, als ich bei genauerer Betrachtung auch erkannte, daß sie keine »Halskrausen« mehr hatten – ihnen fehlten Kiemen, also waren es überhaupt keine Amphibios. Obwohl es in dieser Situation überhaupt nicht von Bedeutung war, kam mir der Gedanke, daß die Amphibios womöglich ihre metallenen Waffen von diesen ArychiAbkömmlingen bekommen hatten. Ich sah, daß sie viel stärker bewaffnet waren als die Amphibios; sie besaßen außer Schwertern, deren Schneiden nicht gezackt waren, auch Speere und bumerangartige Wurfgeschosse. Als der Dschungel vor felsigem Untergrund endete, verließ die sechsköpfige Gruppe das Geäst und begann mit dem Aufstieg an einer Geröllhalde. In der Ferne – in immer schwächer pulsierenden Farbkaskaden eingebettet – sah ich eine steil aufragende Felswand. Sie schienen das Ziel der ArychiAbkömmlinge zu sein. Obwohl ich nicht hundertprozentig sicher sein konnte, daß sie im Besitz meines Zellaktivators waren, folgte ich ihnen weiterhin. Die überall verstreut liegenden Felsbrocken boten mir guten Schutz. Ich überlegte während des anstrengenden Marsches Dutzende Male, ob ich einen Überfall auf die kleine Gruppe riskieren sollte. Denn wenn sie erst zu ihrem Stamm zurückgekehrt waren, würde es zu spät sein.
29 Aber nie bot sich mir eine günstige Gelegenheit. Erst als das Gelände ebener wurde und die Felswand keine zwei Kilometer mehr entfernt war, sah ich meine Chance. Ich folgte der Gruppe nicht mehr nach, sondern befand mich rechts von ihr und etwas voraus. Da entdeckte ich eine kleine Schlucht, auf die die Arychi-Abkömmlinge zusteuerten. Es bestand kein Zweifel für mich, daß sie den Weg durch die Schlucht nehmen würden. Ein schmaler Pfad führte die eine Steilwand entlang, daneben fiel ein Abgrund noch gut dreißig Meter in die Tiefe. Ich stieg den Fels hinauf, so daß ich oberhalb des Pfades war. Dann rannte ich, was meine Beine hergaben. Den Schmerz in meinem Knöchel verbiß ich. Die Schulterwunde spürte ich kaum. Als ich völlig erschöpft eine geeignete Stelle für einen Hinterhalt erreichte, hatte ich einen Vorsprung von fast zweihundert Metern herausgeholt. Unweit von mir erhob sich die Felswand bis zur Wolkengrenze hinauf. Ich konnte darin sogar schon dunkle Öffnungen erkennen, die mir nicht natürlichen Ursprungs schienen; dafür waren sie zu gleichmäßig angeordnet. Wahrscheinlich lebten die ArychiAbkömmlinge in diesen Höhlen. Ich begann damit, Felsbrocken übereinander zu schichten, bis meine Kräfte versagten. Der Pfad führte nur acht Meter unter mir vorbei. Die Eingeborenen kamen in gemächlichem Schritt näher. Die Waffen hatten sie achtlos umgehängt, die Speere benutzten sie wie Spazierstöcke. Ihr Anführer, der Eingeborene, der an der Spitze ging, hatte sich meinen Zellaktivator umgehängt. Ich konnte es kaum mehr erwarten, bis die Eingeborenen sich unter mir befanden. Endlich war es soweit. Ich löste den untersten Stein aus der Felspyramide, so daß sie in sich zusammenbrach und die schweren Felsbrocken in die Tiefe stürzten.
*
30 Noch während die Steine den Abhang hinunterrollten, rutschte ich in sicherer Entfernung selbst hinunter. Die Eingeborenen sahen die Bedrohung auf sich zukommen, wollten ausweichen. Doch da wurden sie auch schon unter den Felsmassen begraben. Den Anführer erwischte es zuerst. Er warf sich zu Boden – und wurde so von einem schweren Felsbrocken erschlagen. Drei der Eingeborenen wurden von den Steinen in den Abgrund gerissen, ein weiterer wurde ebenfalls von der Steinlawine getötet, blieb aber auf dem Pfad liegen. Der letzte in der Reihe überlebte. Als ich den Pfad erreichte, stellte ich ihn zum Kampf. Er war von meinem Anblick dermaßen überrascht, daß er zu einer Gegenwehr kaum fähig war. Er parierte ungeschickt zwei meiner Schwerthiebe und wollte sich dann zur Flucht wenden. Ich hätte ihn laufenlassen, wenn nicht zu befürchten gewesen wäre, daß er seine Stammesangehörigen alarmierte und auf mich hetzte. So sprang ich ihm nach, bekam ihn an einem Bein zu fassen und schlug ihn mit einem Fausthieb bewußtlos. Geschafft. Nun brauchte ich nur noch die Felsbrocken beiseite zu räumen, um an meinen Zellaktivator heranzukommen. Das war schwieriger, als ich gedacht hatte. Die vorangegangenen Strapazen hatten mich ausgelaugt. Noch dazu war ich ohne Zellaktivator, der die verbrauchten Energien regeneriert hätte. Es kostete mich gehörige Anstrengung, einen Felsbrocken nach dem anderen wegzuräumen. Aber die Mühe lohnte sich. Endlich lag der Zellaktivator frei. Mit zitternden Fingern nahm ich ihn an mich und hängte ihn mir um. In diesem Moment gab etwas unter mir nach. Ich erkannte erschrocken, daß der Fels, auf dem ich gehockt hatte, abrutschte und über den Rand des Abgrunds kippte. Doch diese Erkenntnis kam für mich zu spät. Ich konnte keinen Halt mehr finden und rutschte mit einer Geröllawine den fast senk-
Ernst Vlcek rechten Hang hinunter. Ich weiß nur noch, daß ich meinen Kopf mit den Armen zu schützen versuchte. Meine Erinnerung setzte erst wieder ein, als ich mich auf felsigem Untergrund liegend fand – bestimmt dreißig Meter unterhalb des Pfades, von dem ich abgestürzt war. Vor meinen Augen verschwamm alles, es kostete mich Mühe, gegen die Schwäche anzukämpfen. Ich wollte nicht das Bewußtsein verlieren. Da entdeckte ich wie durch einen Nebel die Höhle und schleppte mich auf allen vieren darauf zu. Wasser tropfte vom Höhlenrand herunter und floß zwischen den Felsen in einem schmalen Rinnsal zum Boden der Schlucht, wo sich das Wasser zu einem Bach sammelte. Ich hob den Kopf, riß den Mund auf und fing die Wassertropfen mit meinen trockenen Lippen auf. Es war nicht genug, um meinen Durst zu stillen, aber es labte trotzdem. Dann schleppte ich mich mit der letzten Kraft meines gemarterten Körpers in die Höhle hinein. Wenn ich schon das Bewußtsein verlor, dann wollte ich nicht im Freien liegenbleiben. Die Höhle bot mir wenigstens etwas Schutz vor den Blicken der Eingeborenen, die vielleicht hierherkommen würden, um nach ihren verschollenen Artgenossen zu suchen. In der Höhle war es angenehm kühl. Das Tropfen von Wasser drang an mein Ohr. Der Fels unter meinen rauhen Händen war feucht. Ich legte mein heißes Gesicht darauf, bis mich ein Schüttelfrost überlief. Dennoch fand ich die frische Kühle dieses Ortes als angenehm. Ich schleppte mich tiefer in die Höhle hinein. Denn ich wollte so tief wie nur möglich darinnen sein, wenn ich die Besinnung verlor. Da schlug mein entarteter Extrasinn wieder zu. Vor mir tauchte Terrania Skeller auf. Sie kam mit wiegenden Schritten aus der Höhle
Die PSI-Quelle auf mich zu. Auf ihrem schönen Gesicht lag ein Ausdruck des Schmerzes und des Bedauerns. Sie bückte sich nach mir … »Nein!« schrie ich. »Geh weg!« »Aber, Atlan …«, begann sie irritiert. »Ich will dich nicht als strahlende Erscheinung sehen«, schleuderte ich ihr keuchend entgegen. »Zeige dich mir, wie du wirklich bist. Oder hast du nicht den Mut dazu, Skanmanyon? Warum schickst du mir diese Illusion? Bist du zu feige? Willst du nicht, daß ich sehe, was du aus Terrania gemacht hast?« Das Trugbild zerrann. Die Düsternis der Höhle umfing mich wieder. Ich versuchte, in dem diffusen Licht Einzelheiten zu erkennen. Und dann sah ich die Gestalt, die sich von den Felswänden kaum abhob. Sie kauerte zusammengesunken auf einem Stein. »Terrania!« entfuhr es mir. Und ich kroch näher. Als ich nur noch eine Armlänge von ihr entfernt war, konnte ich Einzelheiten an ihr erkennen. Ich war erschüttert. Sie hatte sich noch weiter verändert, seitdem ich sie zuletzt gesehen hatte. Ihr Kopf war zu einem unförmigen, riesigen Gebilde angeschwollen, zu dem der magere, nur noch aus Haut und Knochen bestehende Körper in starkem Gegensatz stand. Sie hatte keine Haare mehr auf dem Kopf. Die Schädeldecke hatte den wuchernden Gehirnmassen nicht mehr standhalten können, war von innen förmlich gesprengt worden, so daß sie ungehindert austreten konnten. Terranias Gehirn lag frei. Es war eine unförmige, wuchernde Masse, die zu einem monströsen Gebilde aufgequollen war. Die Gehirnwindungen pulsierten ständig. Nerven zuckten darin unkontrolliert. Aus offenen Wunden wurde ein milchiges Sekret abgesondert. Das alles konnte ich erkennen, während sie mir das Profil zeigte. Jetzt wandte sie mir ihr Gesicht zu. Ihre Augenhöhlen waren leer, die Augen ohnehin längst erblindet, waren geplatzt. Ihr Gesicht war ein mit Haut
31 überzogener Totenschädel. Mir krampfte es bei ihrem Anblick das Herz zusammen. Wenn man bedachte, daß dieses Monstrum einst ein junges Menschenkind von neun Jahren gewesen war, das die Zukunft noch vor sich gehabt hatte … Dennoch durfte ich mich nicht von Gefühlen beeinflussen lassen. Emotionen konnten an Terranias Schicksal nichts mehr ändern. Eigentlich hätte sie schon längst tot sein müssen. Aber irgend etwas, eine unheimliche Macht hielt dieses Ding, das einst Terrania Skeller gewesen war, am Leben. »Bist du Skanmanyon?« fragte ich mit belegter Stimme. »Ich bin Skanmanyon«, antwortete mir eine hohle Stimme. Terrania bewegte dabei kaum die Lippen. Skanmanyon! Das hier vor mir war nicht mehr Terrania, sondern der Träger der PSIQuelle. Ich hatte richtig vermutet. Skanmanyon hatte sich in Terranias Körper zurückgezogen. »Ist das alles, was von dir übriggeblieben ist?« sagte ich sarkastisch. »Ist in diesem ausgemergelten Körper der spärliche Rest der PSI-Quelle, die als Leuchtfeuer der Macht über die Galaxis strahlen wollte?« »Ich bin Skanmanyon«, wiederholte Terrania mit schwacher Stimme. Wieder mußte ich mir sagen, daß dies nicht Terrania, sondern nur noch ihre Hülle war. Das TerraniaBewußtsein aber existierte nicht mehr. »Es hat dir nichts genützt, daß du Terrania tötetest«, fuhr ich anklagend fort. Ich spürte, wie mit jedem meiner Worte neue Kraft aus dem Zellaktivator in mich floß. »Du bist selbst zum Sterben verurteilt, Skanmanyon.« »Ich kann nicht sterben«, kam es nach einer Weile über Terranias Lippen. »Ich bin kein Lebewesen im eigentlichen Sinn. Für mich gibt es auch keinen Tod, wie du ihn verstehst. Aber ich kann versiegen. Und ich verströme hier nutzlos, während Milliarden und aber Milliarden von Lebewesen meiner Hilfe harren. Wieso nur ist mein Opfer so sinnlos?«
32 Mir wurde nun vieles klar. Die PSIQuelle Skanmanyon strebte der Auflösung entgegen. Und wenn Skanmanyon auch behauptete, nicht den Tod finden zu können, so war es doch eine Art des Sterbens, der durch Terranias unheimliche Metamorphose noch verdeutlicht wurde. Vielleicht hatte Skanmanyon bereits im »Sterben« gelegen, als er auf diese Welt kam. Die Para-Stürme, die er über diesen Planeten geschickt hatte und mit denen er die darauf lebenden Wesen beeinflussen wollte, waren wahrscheinlich nur ein letztes Aufbäumen gegen den voranschreitenden Exitus gewesen. Aber was hatten meine Alpträume damit zu tun? »Warum hast du dich mit ganzer Kraft auf mich konzentriert, Skanmanyon?« wollte ich wissen. »Warum hast du meinen Extrasinn beeinflußt und gegen mich rebellieren lassen? Und warum hast du mir die Vision über die fiktive Zukunft geschickt?« »Ich wollte dich für mich gewinnen«, sagte Terrania-Skanmanyon. »Ich wollte dir zeigen, daß ich die Völker der Milchstraße nicht unterdrücken, sondern sie in eine bessere Zukunft führen wollte. Du hättest mir helfen können – und damit auch den Völkern der Milchstraße. Aber nun … verströme ich meine Kräfte sinnlos. Warum hast du dich so gesträubt, mir zu helfen? Warum hast du dich meinem Wirken nicht ergeben … Eine neue Zeit wäre für die Menschheit angebrochen …« »Und hätte, wie auf dieser Welt, mit dem totalen Chaos geendet!« fügte ich hinzu. Terrania schüttelte ihren großen Kopf. Ihre leeren Augenhöhlen waren auf mich gerichtet. »Nein«, kam es aus ihrem lippenlosen Mund. »Das Chaos dieser Welt ist auf meine Schwäche zurückzuführen. Es wäre alles anders gekommen, wenn …« »Was?« »Willst du es hören? Willst du alles über mein Werden, mein Sein und über mein bitteres Ende erfahren? Ich weiß nicht, warum
Ernst Vlcek ich mich gerade dir mitteile, der du mich verschmäht hast … Aber sicher wußtest du es nicht besser …« Die Lider wurden mir schwer und fielen mir schließlich zu. Ich schwebte im Nichts. Im Leerraum zwischen den Galaxien. Und hier erlebte ich die Geburtsstunde Skanmanyons – der PSI-Quelle.
7. Drehe das Rad der Zeit zurück. Um viele Jahre. Tausend Jahre sind zu wenig. Es müssen schon einige hundert mal tausend Jahre sein. Damals herrschte in der Galaxis ein mächtiges Volk. Ihre Spuren sind schon längst verweht, aber noch heute finden sich da und dort Überreste ihrer Kultur – Zeugnisse eines hochzivilisierten Volkes. Viel ist nicht mehr über sie bekannt. Wer weiß schon, von welcher Gestalt sie gewesen sind? Frage auch nicht danach, woher sie kamen oder wohin sie gingen. Das alles ist nicht mehr von Bedeutung. Sie waren die Herren der Galaxis und nannten sich Varganen. Oder aber spätere Völker gaben ihnen diesen Namen. Auch das ist nicht wichtig, forsche nicht danach, du wirst es nie erfahren. Die wenigen Wissenden des Universums werden ihr Geheimnis für sich bewahren. Sie werden bis ans Ende der Zeit den Schatz hüten, den die Varganen ihnen hinterließen. Solch ein Schatz ist ein Planet im Leerraum zwischen den Galaxien. Diese Welt kennst du unter der Bezeichnung »Schneeball«. Doch nun hat auch Schneeball seine Bedeutung verloren; bleibe dieser Welt fern, lasse ihr den Frieden. Du wirst auch dort nicht mehr das Erbe der Varganen finden. Als ihre Zivilisation die höchste Blüte erreichte und die gesamte Galaxis ihnen gehörte, trat eine Zeit der Stagnation in ihrer Entwicklung ein. Du mußt es dir so vorstellen, daß du allein auf einer Insel bist. Du er-
Die PSI-Quelle kundest die Insel, nimmst sie nach und nach in Besitz – und dann hast du die gesamte Insel erforscht und bist nicht klüger und nicht reicher als am Anfang. Ähnlich ist es den Varganen ergangen. Die Galaxis gehörte ihnen, barg keine Geheimnisse mehr. Aber sie strebten nach Höherem, wollten weiter hinaus, ihre Sterneninsel war ihnen zu klein geworden, sie wollten weiterhin expandieren. Kontakte zu anderen Galaxien schaffen, zu anderen Intelligenzwesen, das Universum erobern. Zu diesem Zweck suchten sie eine Welt auf, die weit draußen im Leerraum lag: Schneeball. Mit Hilfe ihrer ungeheuren Technik verwandelten sie den Planeten in eine Empfangsstation für psionische Strahlung. Diese Station sollte alle PSI-Impulse, die aus der fernen Tiefe des Universums und aus anderen Räumen kommen mochten, empfangen und speichern. Was für ein gewaltiges Unterfangen! Es war wohl das gigantischste Experiment, das je gemacht wurde und je gemacht wird. Stelle dir vor: ein ganzer Planet als Empfänger für parapsychische Strahlungen aus allen Galaxien, ja, aus allen existierenden und möglichen Universen. Auch die Varganen wußten am Anfang ihres Projekts nicht, ob solche PSISendungen aus anderen Galaxien und Universen überhaupt kamen. Aber die Wahrscheinlichkeit sprach dafür. Und die Zukunft gab ihnen recht. Der psionische Empfangsplanet Schneeball – nenne die Welt nur weiterhin so – trat in Tätigkeit. Die Empfangsstation lief ununterbrochen, vollrobotisch, wartungsfrei. Die Zeit verging. Für die Uhren des Kosmos waren es vielleicht nur Sekundenbruchteile. Für Sterbliche war es eine Ewigkeit … Und dann verschwanden die Varganen von der kosmischen Bühne. Ein unbekanntes Schicksal ereilte sie. Verschwanden sie freiwillig in andere Räume? Oder wurden sie ausgerottet? Wer weiß das schon?
33 Jedenfalls vollzog sich der Untergang der varganischen Zivilisation. Viele Denkmäler, die sie sich gesetzt hatten, blieben zurück, zerfielen langsam zu Staub, vergingen zu Nichts. Einige Denkmäler aber blieben erhalten. Eines davon war Schneeball: die Empfangsstation für psionische Strömungen. Sicherlich gibt es an anderen Koordinaten noch weitere PSI-Empfänger wie Schneeball, die noch zu finden wären … Aber du interessierst dich nur für Schneeball. Denn hier beginnt etwas, dessen Ende du miterlebt hast -Skanmanyon!
* Die Varganen sind gegangen. Zurück blieb die Welt im Leerraum und erfüllte nach wie vor ihre Funktion. PSI-Strömungen aus fernsten Räumen wurden hier empfangen und gespeichert. Pausenlos strömten psionische Energien aus anderen Galaxien und fremddimensionalen Universen nach Schneeball. PSI-Impulse von Lebewesen wurden ebenso gespeichert wie paraabstrakte Naturphänomene und psionische Strahlungen paramechanischer Natur. Sie wurden aufgefangen, sortiert, gespeichert. Die PSI-Station Schneeball stand pausenlos in Betrieb, über Jahrtausende hinweg, arbeitete ununterbrochen, sich selbst regenerierend. Im Laufe dieser Zeit entstand in den Speichern der Station eine solche Ballung von psionischer Energie, daß die Maschinerie sie nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Das ist einfach formuliert, obwohl es in Wirklichkeit viel, viel komplizierter gewesen sein muß. Es müssen unzählige Faktoren zusammengespielt und gerade diese Mischung ergeben haben, die es ermöglichten, daß die PSI-Energie eine Eigeninitiative entwickelte. Sie befreite sich aus dem Gefängnis der varganischen Technik. Oder anders ausge-
34 drückt: Das Zusammenwirken unbekannter Faktoren ließ den Funken des Lebens auf die geballte psionische Energie überspringen. Sie entwickelte ein eigenes Bewußtsein. Auf der ehemaligen Empfangsstation Schneeball entstand eine eigene PSI-Quelle. Skanmanyon war geboren. Ein körperloses Wesen, bestehend aus psionischer Energie. Eine völlig neue Lebensform, geformt von den parapsychischen Impulsen aus allen Galaxien und Universen. Ein kosmisches PSI-Bewußtsein. Skanmanyon empfing weiterhin. Und Skanmanyon sendet selbst. Skanmanyon wuchs – und strahlte immer stärker. Bald war Skanmanyon eine so starke PSIQuelle, daß ihre Ausstrahlung die Randzonen der Galaxis erreichte. Inzwischen hatten sich in der Galaxis neue Lebensformen entwickelt. Die Evolution war nicht stehengeblieben. Wesen hatten sich aus dem Schlamm ihrer Welten erhoben und waren Sprosse um Sprosse die Leiter der Entwicklung emporgeklommen. Hatten sich aus Wilden raumfahrende Völker entwickelt. Zivilisationen waren überall emporgestrebt. Nachfahren degenerierter Varganen? Was soll's! Die Galaxis pulsierte vor neuem intelligentem Leben. Und Skanmanyon empfing die Impulse. Und Skanmanyon wuchs – über Schneeball hinaus, umfing mit seiner psionischen Strahlung weitere Randwelten, brandete gegen die Ausläufer der Galaxis. Skanmanyon sandte seine Botschaft aus. Er rief die Intelligenzwesen zu sich – und sie folgten dem Ruf. Vertreter vieler Völker machten sich auf den Weg, um den Ursprung der Strahlungsquelle zu finden und ihre Natur zu ergründen. Skanmanyon erhielt seine ersten Diener. Es wurden immer mehr. Skanmanyons Dienerschar wuchs zu einem Heer an, das sich aus vielen unterschiedlichen Völkern zusammensetzte und über viele Sonnensysteme
Ernst Vlcek verstreut war. Skanmanyons Machtbereich dehnte sich immer weiter aus. Immer mehr Völker empfingen seine parapsychische Botschaft und gliederten sich in das Heer der treuen Dienerschar ein. Und Skanmanyon lockte weiter, sendete, empfing, wuchs und wurde mächtiger. Bald beherrschte die PSI-Quelle den Leerraum und die angrenzende Randzone der Galaxis. Mit dem Alter und der Ausdehnung bekam Skanmanyon aber auch Größe im philosophischen Sinn. Skanmanyon war nicht mehr nur noch Selbstzweck, sondern strebte nach größeren, höheren Zielen. Etwas von der Herrlichkeit der Varganen war wohl auch in ihn übergegangen. Die PSI-Quelle mit dem starken Bewußtsein wollte zum Diener seiner Diener werden. Die Voraussetzungen für ein Kollektiv auf parapsychischer Basis hätten nicht besser sein können. Die Mitglieder aller Völker würden ihre Körper zur Verfügung stellen – und der körperlose Skanmanyon würde sie mit seinen unermeßlichen parapsychischen Fähigkeiten ausstatten. So würde die Galaxis zu einer Insel des Friedens und des Glücks werden. Doch in diese Zeit der Planung fiel es, daß Skanmanyon seine Grenzen aufgezeigt wurden. Er konnte seinen Einflußbereich von Schneeball aus nicht mehr weiter ausdehnen. Wenn er mit seinen psionischen Sendungen die ganze Galaxis bestreichen wollte, um alle Intelligenzvölker in sein ParaKollektiv einzubeziehen, dann mußte er ins Zentrum. Nur von dort aus konnte sich Skanmanyon voll entfalten.
* Die Vorbereitungen für den großen Transport ins Zentrum der Galaxis wurden getroffen. Sie fanden unter der Anleitung Skanmanyons statt – und erstreckten sich über Jahrhunderte.
Die PSI-Quelle Das psionische Bewußtsein hatte alles bis ins kleinste Detail geplant. Zuerst wurde das gigantische Diskusraumschiff gebaut, das die Flugroute ins galaktische Zentrum absichern sollte. Konstrukteure aus Dutzenden von Völkern fertigten die Pläne an, die geschicktesten Techniker sorgten für den Zusammenbau. Es war für Skanmanyon kein Geheimnis, daß es innerhalb der Galaxis noch viele raumfahrende Völker gab, einige davon waren sogar weit mächtiger als seine Diener. Deshalb sah Skanmanyon nur eine Möglichkeit, seinen Transport gegen allzu neugierige Wesen abzusichern. Er mußte seine Flugroute neutralisieren. Der Raumflugverkehr in dieser Sternenzone mußte lahmgelegt werden. Das sollte mit Hilfe des riesigen Diskusschiffs geschehen. Dieses würde auf allen Welten, die es ansteuerte, bei den Bewohnern einen Hohlweltrausch hervorrufen; sie würden die Raumfahrt vergessen, das All, die anderen bewohnten Planeten – und fortan glauben, sie lebten innerhalb einer Kugel. Nachdem diese Sicherheitsvorkehrung getroffen war, konnte der eigentliche Transport Skanmanyons stattfinden. Skanmanyon hatte herausgefunden, daß Unterkühlung die beste Möglichkeit war, um psionische Energie zu konservieren. Deshalb hatte er auf Schneeball auch den synthetischen Winter hervorgerufen. Auf dieser Erfahrung aufbauend, wurde ein zweitausend Meter großer Eisberg erschaffen, in dem sich die gesamte PSIQuelle konzentrierte. Sechsunddreißig Ringraumschiffe dienten als »Antrieb«. Und dann kam der Tag, an dem das Diskusraumschiff in die Galaxis startete, um auf einer breiten Sternenstraße den Hohlweltrausch zu verbreiten. Doch von hier an ging etliches schief. Skanmanyon mußte feststellen, daß die Kommunikation zwischen einem rein energetischen Wesen aus psionischer Energie und organischen Lebensformen auf die Dauer nicht einwandfrei funktionieren kann.
35 Und vor allem nicht über große Entfernungen hinweg. Mit der Entfernung schwand Skanmanyons Einfluß auf seine Diener. Er, der ihr Befehlsgeber gewesen war, mußte von seinem Domizil auf Schneeball miterleben, wie das Schiff, das Welten in den Hohlweltrausch stürzen sollte, nach einigen Pannen schließlich endgültig ausfiel. Damit war eine Absicherung seiner Flugroute nicht mehr möglich. Aber es stellten sich noch andere Komplikationen ein, die noch viel verheerendere Folgen haben sollten. Skanmanyon erkannte erst viel zu spät, daß die Unterkühlung ein Fehler war. So sehr sie seiner Konservierung auch nützte, so schädlich war sie für seine Diener. Zuerst hatte Skanmanyon diesen Sekundär-Effekt als relativ harmlos angesehen. Aber als er selbst in dem Eisberg festsaß und sich durch die Unterkühlung nicht voll entfalten konnte, da erkannte er, wie wichtig die Diener auf Schneeball für ihn waren. Doch gerade diese fielen aufgrund der tödlichen Kälte aus. Und die eisigen Temperaturen verursachten auch den Ausfall der robotischen Stationen auf Schneeball. Durch eine Reihe vermeidbarer Fehler und Irrtümer saß Skanmanyon nun auf Schneeball fest. Das Hohlweltrausch-Schiff war in der Galaxis verschollen. Die vorprogrammierten Vorgänge, der Start der Raumschiffe, die den Eisberg mit der PSI-Quelle transportieren sollten, liefen nicht an. Die dafür verantwortlichen Robot-Stationen waren im synthetischen Winter ausgefallen, die Besatzungen waren entweder tot oder sie befanden sich im Kälte-Tiefschlaf, aus dem Skanmanyon sie nicht wecken konnte. Du kennst die Tragik dieser Geschichte von einer anderen Warte. Du stammst aus der Galaxis. Du kennst den Planeten WigaWigo, auf dem das Diskusraumschiff abstürzte und viel später erst den Hohlweltrausch verursachte. Du weißt, daß dieses Schiff sich noch einmal von dieser Welt erhob, um seine Mission fortzusetzen, dann
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aber endgültig auf Komouir abstürzte. Von dort hast du den Weg zu Skanmanyon gefunden. Das Erscheinen von Terrania Skeller, Kilter Shann und dir auf Schneeball hat keineswegs zur endgültigen Katastrophe geführt. Ganz im Gegenteil, Ihr hättet die Rettung Skanmanyons sein können. Ihr hättet …
* Vor allem durch Terranias Ankunft wurden die Dinge wieder in Gang gebracht. Sie war ein Empfänger psionischer Energie, ein Medium, wie Skanmanyon es benötigte: aufnahmefähig, formbar, leicht zu lenken. Durch den Kontakt zu ihr konnte Skanmanyon die Stationen wieder in Betrieb nehmen, die vorprogrammierten Vorgänge liefen an. Der Transport der unterkühlten PSIQuelle wurde durchgeführt, die Zielwelt im Zentrum der Galaxis erreicht. Da ist Skanmanyon jetzt, hier stirbt er. Dabei verlief bis hierher noch alles ohne Zwischenfälle. Skanmanyon konnte sich auf dieser Welt entfalten, er begann als PSIQuelle zu strahlen und ergriff von dem Leben dieses Planeten Besitz. Jedes denkende Wesen, jedes Tier, jeder Eingeborene wurde zu Skanmanyon. Ein absoluter Triumph! Doch der Schein trog. Draußen, im Leerraum zwischen den Sterneninseln, auf dem Planeten Schneeball, hatte Skanmanyon von überall her psionische Energien empfangen. Doch hier, im Zentrum der Galaxis, riß die Verbindung zu den PSI-Strömen aus den Tiefen des Universums ab. Skanmanyon konnte immer noch parapsychische Impulse aussenden, er konnte mit geballter PSI-Kraft diesen Planeten beherrschen. Aber diese Kräfte konnte er nicht mehr erneuern. Er empfing keine psionischen Energien mehr und war nicht in der Lage, sich zu regenerieren. So verlor Skanmanyon seine energetische Substanz. Er wurde – und wird – immer
schwächer, immer unbedeutender, erlischt einfach wie eine Flamme. Nichts kann diesen Auflösungsprozeß aufhalten. Wie Skanmanyon gewachsen ist, zu Größe und Herrlichkeit gefunden hat, so vergeht er jetzt wieder, wird zum Nichts, aus dem er gekommen ist. Der Körper dieses Menschenkinds ist seine letzte Zufluchtsstätte. Dieser Körper wird zu seinem Grab werden. Skanmanyon hätte als PSI-Quelle diese Galaxis zu neuer Blüte bringen können. Er wäre in der Lage gewesen, das Erbe der Varganen zu übernehmen. Aus den unzähligen Völkern der Milchstraße wäre eine neue Gemeinschaft geworden, die mit Skanmanyons Hilfe die Varganen bald an Größe übertroffen hätte. Aber es sollte nicht sein … es wird nicht sein. Was zurückbleibt, ist Trauer bis in den Tod – ein galaxisweiter Sternendschungel, von Wilden ohne kosmische Zielsetzung bevölkert – keine Zukunft … Und die PSI-Quelle verströmt sinnlos.
8. Ich lag da, das Gesicht auf dem nassen, kalten Stein. Stille. Nur das Tropfen von Wasser war zu hören. Als ich die Augen öffnete, hatten sie sich so an das Dämmerlicht gewöhnt, daß ich weit mehr Einzelheiten in der Höhle erkennen konnte als vorher. Ich stützte meinen Körper etwas auf, um einen besseren Überblick zu haben. In meinen Händen war nicht viel Kraft. Zweimal gaben sie nach und ich sackte zusammen, bevor es mir gelang, mich aufzusetzen. Wasser tropfte mir auf die Stirn. Ich zählte die Tropfen. Achtzehn … neunzehn … zwanzig … Es war wie eine chinesische Folter. Ich beugte den Kopf zurück und fing die Tropfen mit dem offenen Mund auf. Das tat gut. Aber ich war immer noch arg geschwächt. Wieviel Zeit war vergangen? Ich blinzelte zum Höhleneingang hinüber. Er lag im hel-
Die PSI-Quelle len Sonnenlicht. Die Strahlen reflektierten sich in dem nassen Fels, und das Spiegellicht leuchtete die geräumige Höhle aus. Jetzt wußte ich, daß ich die gute Sicht nicht allein der Anpassungsfähigkeit meiner Augen zu verdanken hatte. Als ich in die Höhle gekommen war, war es später Nachmittag gewesen. Jetzt mußte gerade Sonnenaufgang sein, denn sonst wären die Strahlen nicht in diesem Winkel eingefallen. Also hatte Skanmanyons Erzählung die ganze Nacht hindurch gedauert. Ich blickte zu dem Stein, auf dem Terrania bei meinem Eintreffen gehockt hatte. Sie saß immer noch da wie versteinert. Es schien kein Leben mehr in ihr zu sein. Wer bist du? dachte ich. Die Antwort kam von meinem Extrasinn. Ich bin wieder normal. Daß ich mich für Skanmanyon gehalten habe, erscheint mir jetzt wie ein böser Traum. Aber Skanmanyon wollte nichts Böses damit … Das war mir inzwischen auch klar. Doch die gute Absicht allein genügte nicht, um segensvoll zu wirken. Abgesehen davon, daß das, was Skanmanyon für gut gehalten hatte, nicht auch für die Menschheit gut gewesen wäre, war die PSI-Quelle in den letzten Phasen ihres Wirkens nicht mehr zurechnungsfähig gewesen. Durch den Schwund ihrer psionischenergetischen Substanz hatte die PSI-Quelle die Kontrolle über sich verloren. Als Skanmanyon das Chaos über diese Welt brachte, lag er bereits in Agonie. Nun gab es ihn nicht mehr. Die PSIQuelle war erloschen, endgültig verströmt, diffundiert … gestorben. »Terrania!« rief ich verhalten, wie man jemanden anspricht, der vor sich hindöst und den man sanft wecken wollte. »Terrania!« Die Mumie rührte sich nicht. Ich war sicher, daß es Skanmanyon nicht mehr gab. Und mit ihm war auch Terrania gestorben. Mein Extrasinn war wieder normal. »Was soll ich tun?« fragte ich laut. Ausruhen, riet mir mein Logiksektor. Du
37 mußt erst wieder zu Kräften kommen. Dann sehen wir weiter. »Soll das ein Trost sein?« ärgerte ich mich und zuckte vor meiner eigenen Stimme zusammen. Mit gedämpfter Stimme fuhr ich fort: »Ich sitze auf dieser unbekannten Welt fest. Bin von der Zivilisation abgeschnitten. Wie soll ich zurückfinden? Und du rätst mir, mich auszuruhen. Sage mir lieber, wie es weitergehen soll!« Da hast nur eine Chance. Und? Ein Gedanke, ein Hoffnungsschimmer. Terrania-Skanmanyon! Sie kann dich an jedes gewünschte Ziel teleportieren. Diese Äußerung ließ den leisen Verdacht in mir aufkommen, daß mein Extrasinn immer noch wahnsinnig war. »Terrania ist tot. Skanmanyon erloschen«, sagte ich gepreßt. Oder war das nicht richtig? Hatte sich das Wesen, das einst Terrania gewesen war, nicht gerade bewegt? Eine Täuschung. Nein, doch nicht. Der große, unförmige Kopf, in dem das augenlose Gesicht winzig wirkte, dieser monströse, von wuchernden Ganglien gekrönte Schädel drehte sich langsam in meine Richtung. Leere Augenhöhlen starrten mich an. »Terrania!« Reine Antwort. Ich streckte eine Hand in ihre Richtung. Sie reagierte nicht. Die schmalen, blutleeren Lippen blieben geschlossen. Was war von der Wendung ihres Kopfes zu halten? Ein letzter Reflex? Vielleicht, aber er hatte mir gezeigt, daß die PSI-Quelle noch nicht ganz erloschen war. Skanmanyon existierte noch, wenn die psionische Energie, aus der er bestand, auch nicht mehr erstrahlte, sondern höchstens nur noch flackerte. Aber eine Chance bestand noch für mich. »Skanmanyon«, sagte ich mit belegter Stimme. »Es ist für eine Zusammenarbeit noch nicht zu spät. Ich bin immer dafür gewesen, wenn ich deine Bedingungen auch
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nicht akzeptieren konnte. Ich konnte mich nicht damit abfinden, daß du der Schutzherr der Menschheit werden solltest. Eine Symbiose mit dir wäre einer Versklavung des organischen Lebens gleichgekommen. Nur das wollte ich verhindern. Aber einer Zusammenarbeit auf der Basis gleichwertiger Partnerschaft läge überhaupt nichts im Wege … Bring mich von hier fort – auf eine Welt des Solaren Imperiums! Dann werden wir einen Ausweg finden …« Ich verstummte erschöpft. Mit fieberndem Blick starrte ich auf das Geschöpf, in dem sich die letzten Reste Skanmanyons manifestiert hatten. Plötzlich war mir, als begänne Terranias Gestalt zu flimmern. »Teleportiere nicht fort!« rief ich entsetzt. Die Mumie verlor immer mehr ihre Festigkeit, wurde durchscheinend. »Ich sterbe …« Die Worte kamen schwach und kaum verständlich über Terranias Lippen. »Warte, Skanmanyon!« rief ich und schleppte mich auf Terrania zu. Ich wollte den körperlichen Kontakt mit ihr herstellen, bevor Skanmanyon mit ihrem Körper endgültig entmaterialisieren konnte. Ich streckte meine Hand, daß ich mir fast das Schultergelenk auskugelte. Ich wußte nicht genau, ob ich Terrania berührte, oder ob sie noch immer außerhalb meiner Reichweite war. Terrania! Warte … Sprach ich diese Worte noch laut aus? Oder waren sie bloß ein Gedanke? Mir wurde schwarz vor Augen. Die Welt versank um mich – oder ich versank in der Welt.
* Mein Körper schaukelte. Trieb ich irgendwo auf dem Wasser? Ich befand mich in ständiger Auf- und Abwärtsbewegung, als würden Meereswellen mit mir spielen. Ich versuchte, die Augen zu öffnen, was mir aber nicht gelang, weil ich von grellem Licht geblendet wurde. Ich mußte mich mit
einem Blinzeln begnügen, konnte jedoch nichts Genaues erkennen. Für meinen Extrasinn aber genügte die verschwommene Information, die von den Augen an das Nervenzentrum weitergegeben wurde, um die Lage zu sondieren. Du bist nicht auf dem Wasser, beruhigte mich mein Extrasinn. Aber ich befand mich in Bewegung. Konnte mich diese Erkenntnis tatsächlich beruhigen? Ich war nicht mehr in der Höhle. Terrania! Sie war mit mir zu einer anderen Welt teleportiert. Nein! zerstörte mein Extrasinn diese Hoffnung. Langsam gelang es mir, meine Augen vollends zu öffnen. Vor mir sah ich die auf- und abhüpfenden schmalen Rücken zweier Arychi. Ich verdrehte die Augen und erblickte über mir zwei Froschgesichter. Sie trugen mich. Deshalb die Auf- und Abwärtsbewegungen. Alles verschwamm wieder vor meinen Augen. Durch die geschlossenen Lider merkte ich, wie sich ein Schatten über mich senkte. Ich riß die Augen auf. Von hinten hatte sich einer der arychischen Träger tief über mich gebeugt. Seine aufgeblähte Sprechblase berührte fast meine Stirn, als er sagte: »Der Gerroch braucht Ruhe. Der Gerroch soll still bleiben.« »Gerroch« hieß in der Sprache der Eingeborenen »Fremder«. Ich beherrschte die fremde Sprache also immer noch, die ich unter Skanmanyons Einfluß gelernt hatte. Wohin brachten mich die Eingeborenen? Ich starrte auf das Gesicht über mir. Die Einzelheiten verrieten mir, daß es sich bei dem Eingeborenen um keinen Amphibio handelte, sondern um einen Landbewohner. Vielleicht gehörte er demselben Stamm an wie jene sechs Eingeborenen, die mir den Zellaktivator entwendet hatten … und die ich in einen Hinterhalt gelockt hatte. Meine Rechte zuckte zur Brust. Ich empfand unsägliche Erleichterung, als meine Finger durch die zerschlissene Bluse den Zellakti-
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vator spürten. Er war noch da! Sofort ergriff mich neuerliche Panik. Die Eingeborenen wollten den Tod ihrer Artgenossen rächen! Ich versuchte mich aufzubäumen. Aber etwas preßte sich auf meine Schultern und drückte mich auf die Bahre zurück. Die Aufregung hatte mich so geschwächt, daß ich kurz darauf erneut das Bewußtsein verlor. Als ich irgendwann erwachte, war ich ausgeruht und einigermaßen bei Kräften. Ich fand mich in einer Höhle wieder, die durch ein flackerndes Licht erhellt wurde. Ein Schatten huschte von mir fort, und dann hörte ich jemanden in der fremden Sprache rufen: »Der Gerroch ist aufgewacht!«
* Ich verhielt mich abwartend, als einer der Eingeborenen zu mir in die Felsnische trat. Er war größer als alle Eingeborenen, die ich bisher zu Gesicht bekommen hatte. Sein Körper war kräftig, fast muskulös zu nennen. Er trug einen Lendenschurz, der von einem Gürtel zusammengehalten wurde. Vom Gürtel baumelte ein ungezacktes Krummschwert. Ich hatte das Aussehen der amphibischen Arychi noch gut in Erinnerung. Dieser unterschied sich von ihnen stark. Sein Körper war nicht nur breiter und muskulöser, sondern auch kürzer. Dafür waren die Standbeine länger und in einem Maße degeneriert, daß er sie wohl kaum wie Arme gebrauchen konnte. Die Zehen der Füße waren kurz und alles andere als Greifwerkzeuge. Dafür waren seine Arme und vierfingrigen Hände voll ausgebildet. An der Außenseite der Hände entdeckte ich einen Fortsatz, der kürzer als die vier Finger war, der sich aber im Laufe der weiteren Evolution zu einem Daumen entwickeln konnte. Die Kiemen an seinem Hals waren so weit degeneriert, daß sie wie schlecht ver-
heilte Narben aussahen. Die Augen lagen in Höhlen eingebettet, bei den Winkeln des breiten Mundes waren verhornte Öffnungen zu sehen, die möglicherweise Atmungs%-, Riech- und Gehörorgane in einem waren. »Spricht der Gerroch unsere Sprache?« fragte er mich. »Ja.« Er kam näher und blieb zwei Meter vor mir stehen. »Warst du bei den Arychi?« »Ja.« »Bist du ihr Freund?« »Ich bin niemandes Feind.« Diese Antwort schien ihn zu irritieren. Aber nach einer Weile nickte er zufrieden. »Warum hast du die Arychi verlassen, Gerroch?« Ich erklärte ihm in den einfachen Worten seiner Sprache, daß ich die Flucht ergreifen mußte, als die Arychi plötzlich Amok liefen und alles niederzumetzeln begannen, was sich in Reichweite ihrer Waffen befand. Bis auf den Schluß hielt ich mich an die Wahrheit, erwähnte nichts von dem Kampf mit den sechs Landbewohnern, sondern erklärte, daß ich von einer Steinlawine in den Abgrund gerissen worden sei und in der Höhle Schutz gesucht hätte. »Dort haben wir dich gefunden«, sagte er dazu. »Ich bin euch zu großem Dank verpflichtet, daß ihr mich gerettet und gesund gepflegt habt«, sagte ich. »Ist uns dadurch deine Gunst gewiß, Gerroch?« Ich verstand nicht recht, versicherte ihm aber nochmals, daß ich ihm und seinem Volk dankbar wäre. Eine Weile schwieg er, dann sagte er düster: »Ein unheimlicher Zauber ist über unsere Welt gekommen. Wir waren alle wie verhext. Nicht nur unser Stamm war davon betroffen, sondern auch alle anderen Stämme. Unsere Feinde ebenso wie unsere Verbündeten. Zuerst schien es, als wäre das neue Sehen und das neue Fühlen eine segensreiche
40 Gabe der Götter. Aber dann mußten wir erkennen, daß Dämonen in uns gefahren waren. Auch unserem Stamm erging es so wie den Arychi. Viele von uns Chachats starben durch die Hand ihrer Brüder. Andere wurden von sonst friedlichen Tieren gerissen. Auch in mir war ein Dämon. Ich habe meine eigene Brut vernichtet, gerade als der Eisprung stattfand.« Er schwieg wieder, dann fragte er mich: »Sage mir, Gerroch, warum wurden wir dieser schweren Prüfung unterzogen? War es eine Strafe?« Jetzt erkannte ich, worauf er hinauswollte. Er vermutete, daß ich einer der Dämonen war – oder der Dämon schlechthin –, der mit schuld an dem Chaos war. Man hatte sich meiner angenommen, um mich günstig zu stimmen und nicht wieder meinen Zorn zu entfachen. Ich wollte diesen Irrtum schon aufklären. Doch da schaltete sich mein Extrasinn ein. Sei kein Narr. Lasse die Eingeborenen in dem Glauben, daß du ein übernatürliches Wesen seist. Du brauchst dich ja nicht unbedingt als Gott aufzuspielen, aber lasse sie wenigstens über dich im unklaren. Das wird dir helfen. Das war ein Rat, den ich gerne befolgen wollte. Die Reaktion meines Extrasinns zeigte mir, daß er wieder normal war. Ich tat geheimnisvoll und gab mich orakelhaft, als ich dem Eingeborenen nach einer langen Kunstpause Antwort gab. »Es gibt Dinge, die normale Sterbliche nie ergründen werden und die sie auch nicht zu verstehen versuchen sollten. Die Götter gehen ihre eigenen Wege und legen ihren Dienern über ihr Handeln keine Rechenschaft ab. Wie heißt du?« »Ich bin Arraby, der Häuptling der Chachats.« »Und was siehst du, wenn du deine Behausung verläßt? Wie zeigt sich die Welt deinem Auge?« »Die Welt scheint wieder so zu sein, wie sie einmal war. Alles hat wieder seine ursprüngliche Ordnung. Aber wie weiß ich,
Ernst Vlcek daß dies alles nicht nur Trug ist? Wer kann mir sagen, daß die Dämonen nicht bereits zu ihrem nächsten Schlag ausholen?« »Du willst es zu genau wissen, Arraby«, stellte ich mit warnendem Unterton fest und registrierte zufrieden, daß er unter meinen Worten zusammenzuckte. Da ich ihm aber keine Angst einjagen wollte, fügte ich schnell hinzu: »Die Welt wird so bleiben, wie sie jetzt ist. Kein Dämon wird mehr in die Lebewesen fahren, um sie zu geißeln. Das verspreche ich dir, Arraby.« »Oh!« Er kauerte nieder und preßte sein Gesicht gegen den Boden. Dabei murmelte er Worte des Dankes und des Glücks. »Erhebe dich, Arraby«, gebot ich. »Nicht du hast mir, sondern ich habe dir zu danken für die freundliche Aufnahme bei deinem Volk.« »Wir sind deine Sklaven, Gerroch …« »Nein!« unterbrach ich ihn unwillig. »Ich will nur, daß ihr meine Freunde seid. Wenn ihr mir für einige Tage eure Gastfreundschaft bietet, dann bin ich zufrieden.« »Du bist unser heiliger Gast, solange du es wünschst.« Er erhob sich und blieb unschlüssig stehen. Wahrscheinlich drängte alles in ihm, die freudige Botschaft seinen Stammesangehörigen mitzuteilen. Ich wollte ihn schon gehen lassen, als mir etwas einfiel. »Als ihr mich in der Höhle fandet, Arraby, war ich allein?« »Du warst allein, Gerroch«, bestätigte er. »Nur du warst in der Höhle.« »Bist du sicher, daß nicht noch ein anderer Gerroch da war?« »Ich schwöre es bei meinem nächsten Ei, daß die Höhle bis auf dich verlassen war. Ich weiß es, denn ich war selbst dabei, als du gefunden wurdest.« »Du kannst gehen, Arraby.« Ich grübelte darüber nach, was aus Terrania-Skanmanyon geworden war. Hatte sich Skanmanyon mit Terranias Körper an einen einsamen Ort zurückgezogen, um dort in die
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Ewigkeit einzugehen? Oder war Skanmanyon meinem Wunsch nachgekommen und auf einen Planeten des Solaren Imperiums teleportiert? Ich hatte noch ganz deutlich das Bild vor Augen, wie Terrania wie in Zeitlupe entmaterialisierte. Welche Ironie des Schicksals, wenn sie in die Zivilisation teleportiert war und mich nicht mitnehmen konnte, weil ich zu schwach gewesen war, um den körperlichen Kontakt herzustellen! Ich wäre für alle Zeiten auf diese unbekannte Welt verbannt. Aber selbst wenn Terrania-Skanmanyon nicht von dieser Welt verschwunden war, standen meine Chancen für eine Rückkehr in die Zivilisation schlecht. Dennoch dachte ich nicht an Aufgabe. Ich würde nach Terrania-Skanmanyon suchen – und wenn ich den gesamten Planeten durchforschen mußte.
9. In den nächsten Tagen lernte ich die Chachats ziemlich gut kennen, ihre Sitten und Bräuche, ihre Lebensgewohnheiten, ihr Verhältnis zur Umwelt und zu den anderen Stämmen. Die Chachats wußten nicht, daß sie von den amphibischen Arychi abstammten; soweit waren sie noch nicht, daß sie sich darüber Gedanken gemacht hätten. Aber für mich war der Zusammenhang klar. Sie hatten noch viele biologische Merkmale ihrer Vorfahren. Obwohl sie reine Landbewohner waren, legten sie ihre Eier in eigens dafür vorgesehene Brutteiche. Unter normalen Umständen konnte ein Chachat die Luft unter Wasser nur etwa doppelt solange anhalten wie ein Mensch. Doch wenn er seine Eier legte, dann konnte er stundenlang unter Wasser bleiben. Während der Trächtigkeit machte der Chachat eine Metamorphose durch, die ihn für diese Zeit in einen Arychi zurückverwandelte. Das betraf aber nur seinen Metabolismus, äußerlich verwandelte er sich nicht.
Ich kam zu der Überzeugung, daß die Chachats die am höchsten entwickelte Lebensform dieser Welt waren, die sie Archalon nannten. Es gab noch viele andere Arychi-Abkömmlinge, die jedoch alle mehr Merkmale des Urvolkes besaßen, wenngleich auch sie keine reinen Amphibios waren. Jeder Stamm besaß seine biologischen Eigenheiten, die ihn vom anderen unterschieden. Oftmals war es nur eine andere Färbung der Schuppenhaut. Einmal, es war während einer Jagd, begegnete ich jedoch dem Vertreter eines Stammes, bei dem sich die Sprechblase vollkommen rückgebildet hatte. Ich dachte, in ihm ein noch höher entwickeltes Wesen als die Chachats gefunden zu haben. Doch stellte es sich heraus, daß es sich um eine negative Mutation handelte. Er konnte nicht sprechen und war debil. Fast alle Stämme waren untereinander verfeindet, oder wenn sie sich nicht bekriegten, dann mieden sie jeglichen Kontakt untereinander. Diese strenge Isolation verblüffte mich anfangs. Ich war der Meinung, daß eine Vermischung der einzelnen Stämme miteinander ein neues, wahrscheinlich viel höherstehendes Volk ergeben hätte. Doch dann erfuhr ich von Arraby den Grund für diese Isolation. Mischehen waren nicht möglich. Ein Chachat konnte mit einer Berbin zum Beispiel keine Nachkommen zeugen. Das heißt, biologisch war es schon durchführbar, aber die Nachkommen aus einer solchen Verbindung waren negative Mutationen. Der sprechblasenlose Eingeborene, den ich auf der Jagd getroffen hatte, war ein solches Produkt gewesen. Manche Stämme pflegten aber trotz der Tabus Kontakt miteinander. Sie beschränkten diesen jedoch auf den Tausch mit Waren und den Austausch von Erfahrungen. Die Berben, zum Beispiel, trieben Handel mit den Arychi. Deshalb wurden sie von allen anderen Stämmen verachtet. Die Chachats betrachteten sie als ihre erklärten Feinde. Ich erkannte augenblicklich den Zusam-
42 menhang mit meinem Erlebnis, als das durch Skanmanyon hervorgerufene Chaos den Höhepunkt erreicht hatte. Die nicht amphibischen Eingeborenen, die damals meinen Zellaktivator an sich genommen hatten, waren Berben gewesen. Nun scheute ich mich nicht mehr, Arraby zu gestehen, daß ich die sechs Berben getötet hatte. Diese Mitteilung erfreute ihn dermaßen, daß er mir zu Ehren sofort ein Fest veranstaltete. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich auch, warum die Chachats es nicht guthießen, daß die Berben Handel mit den Arychi trieben. Einerseits beuteten die Berben die Amphibios aus. Sie überließen ihnen wertlose Abfälle ihrer Kultur und bekamen dafür Nahrung, in der Hauptsache getrockneten Fisch. Andererseits brachten die Berben den Amphibios das Feuer und rüsteten sie mit Waffen aus. Dann stachelten sie sie an, den Flüssen bis zum Meer zu folgen, die Schiffe nichtamphibischer Völker zu überfallen und zu plündern. Die Beute erhielten sie dann im Austausch gegen wertlosen Schmuck. Deshalb waren die Berben verhaßt. Aber sie waren mächtig. Die Chachats fühlten sich noch nicht stark genug, Krieg gegen sie zu führen. Und ein Zusammenschluß aller von den Berben unterdrückten Völker war aus den erwähnten biologischen Gründen nicht möglich. Die Angst vor Mischehen und deren Folgen war zu groß. Trotz vieler körperlicher Unterschiede, verschiedener Kulturen und anderer Anschauungen hatten Berben und Chachats etwas gemeinsam: Beide Völker lebten in ausgedehnten Höhlensystemen, die zu schier uneinnehmbaren Festungen ausgebaut waren. Manche dieser Höhlen waren natürlichen Ursprungs, andere wiederum waren in mühevoller, generationenlanger Arbeit in den Fels getrieben worden. Auf diese Weise war ein Labyrinth entstanden, in dem sich oftmals die eigenen Stammesangehörigen verirrten, wenn sie sich nicht an die vertrauten
Ernst Vlcek Höhlen hielten. Während des Festes behauptete Arraby einmal sogar: »Es gibt einen Flußlauf im Fels, der von uns geradewegs in die Festung der Berben führt. Sie selbst haben davon keine Ahnung. Ich habe ihn einmal während einer Trockenperiode nur durch Zufall entdeckt. Denn man kann diesen Weg nur benützen, wenn der Fluß wenig Wasser führt. Irgendwann kommt der Tag, an dem wir stark genug sind, die Berben zu schlagen. Dann werden wir auf diese Weise in ihre Festung einfallen.« Ich schenkte seinen Worten wenig Beachtung. Aber schon am nächsten Tag trat ein Ereignis ein, das die Berben – und den geheimen Zugang in ihr Höhlensystem – für mich interessant machte.
10. Die Chachats waren ausgezeichnete Fallensteller, aber von mir konnten sie noch einiges lernen. Ich kannte noch viele Kniffe aus der Zeit, als ich, von der arkonidischen Zivilisation abgeschnitten, auf der Erde in unfreiwilliger Klausur gelebt und mich gelegentlich unter die damals barbarischen Terraner gemischt hatte. Wir brachen früh am Morgen auf, um die Fallen zu kontrollieren. Schon bei der ersten Falle entdeckten wir, daß etwas nicht stimmte. Es handelte sich um eine tiefe Grube, die wir überdeckt hatten. Nun war das tarnende Reisig eingebrochen, aber wir fanden kein Wild vor. Arritim, der Sohn von Häuptling Arraby, stieg in die Grube hinab und fand an den weichen Wänden Spuren von Werpeschkrallen. Also hatte sich eine der Raubkatzen darin gefangen. Doch sie war nicht mehr da. Andererseits stand es aber fest, daß sich das Raubtier nicht aus eigener Kraft aus der Falle hatte befreien können. Wir suchten weiter und fanden Blutspuren. Daraufhin behaupteten die Chachats,
Die PSI-Quelle daß die Berben ihre Falle geplündert hätten. Das sei schon oft vorgekommen, behauptete Arritim. Wir suchten noch die anderen zwei Dutzend Fallen auf. Bei sieben von ihnen fanden wir die gleiche Situation wie bei der ersten Falle vor. Sie waren zugeschnappt, aber das darin gefangene Wild war geraubt worden. Das wurde den Eingeborenen unheimlich, denn sie konnten sich nicht erklären, wie es den Berben möglich gewesen war, alle ihre Fallen ausfindig zu machen. Mir kam zu diesem Zeitpunkt noch kein Verdacht. Außerdem wurden meine Gedanken in andere Bahnen gelenkt, als Arritim Fußspuren von Berben fand. Die fünf Krieger, die sich in unserer Begleitung befanden, machten sich kampfbereit. Es war nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß die Berben immer noch in der Nähe lauerten und nur darauf warteten, daß wir ihnen in den Hinterhalt gingen. Vorsichtig machten wir uns auf den Rückweg zum Höhlensystem der Chachats. Den wachsamen Augen der Krieger entging nichts. So traf es uns auch nicht unvorbereitet, als eine Schar Berben plötzlich aus dem Dickicht brach. Unser Glück war nur, daß sie keine guten Strategen waren. Es waren Wilde, die sich blindlings auf ihren Feind stürzten. Hätten sie uns umzingelt, wären wir wahrscheinlich verloren gewesen, denn sie waren in der Überzahl. Aber da sie nur von einer Seite kamen, liefen sie uns förmlich ins offene Messer. Ich bemühte mich nicht einmal, meine Waffe zu ziehen – ein besonders kunstvoll ziseliertes Schwert, das mir Arraby zum Geschenk gemacht hatte. Die Berben glaubten, in mir ein besonders leicht zu bezwingendes Opfer zu haben. Ohne die geringste Vorsicht stürzten sich gleich vier von ihnen auf mich. Der erste rannte mit dem Gesicht in meine vorschnellende Faust, bevor er den Speer zum Stoß senken konnte. Ich duckte mich unter einem horizontal geführten Schwert-
43 hieb hinweg und hieb dem Angreifer mit der Handkante gegen die Sprechblase. Die anderen beiden, durch den Ausfall ihrer Kameraden gewitzt, wollten mich in die Zange nehmen. Als sie von zwei Seiten mit vorgehaltenen Speeren auf mich losrannten, sprang ich zur Seite. Noch bevor sie sich auf die neue Situation einstellen konnten, war ich herumgewirbelt und stieß sie mit den Köpfen zusammen. Nachdem ich mir Luft geschafft hatte, kam ich Arritim zu Hilfe, der sich kaum noch zweier verbissen kämpfender Berben erwehren konnte. Den einen nahm ich ihm ab; ein kurz angesetzter Nackenschlag setzte ihn außer Gefecht. Den anderen erledigte Arritim mit einem Schwertstreich, in den er seine ganze Kraft legte. Kurz darauf war der Kampf zu unseren Gunsten entschieden. Wir hatten einen Krieger verloren. Von den Berben waren acht tot, fünf bewußtlos – sie gingen auf mein Konto –, und zwei hatten Fersengeld gegeben. »Sie werden Verstärkung holen«, meinte Arritim. »Töten wir die Schlafenden und machen wir, daß wir zurück in unsere Höhle kommen.« »Davon will ich nichts wissen, Arritim«, herrschte ich den Häuptlingssohn an. »In meiner Gegenwart werden keine Wehrlosen ermordet. Wir lassen sie zurück, damit sie ihren Artgenossen berichten können, wie gut die Chachats zu kämpfen verstehen. Einen nehmen wir als Gefangenen mit.« »Wozu einen Gefangenen?« wunderte sich Arritim. »Es ist schlimm genug, daß du den Berben das Leben schenken willst, aber noch furchtbarer ist, daß du einen von ihnen in unsere Höhlen mitnehmen willst. Sein böser Geist wird Unglück über uns alle bringen, Atlan.« »Unsinn!« Das war alles, was ich da zu sagen hatte. Die Krieger fesselten den Berben an Händen und Füßen, banden ihn an einen langen Stock und trugen ihn wie ein erlegtes Wild.
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Ernst Vlcek
* Arraby war ebenfalls nicht glücklich, daß ich ihm »den bösen Geist« eines Berben ins Haus brachte. »Was soll er hier?« fragte der Häuptling unbehaglich. »Er soll mir einige Fragen beantworten«, sagte ich. »Zum Beispiel, wie es ihnen gelang, alle unsere Fallen zu finden.« »Das bedeutet Unheil«, sagte auch Arraby. »Ich werde euch beschützen«, konnte ich mit ruhigem Gewissen behaupten. Das beruhigte ihn etwas, aber ihm war anzumerken, daß er den Berben trotzdem lieber weit weg von sich und aus den Höhlen gewußt hätte. Ich hielt den Berben unter den kalten Strahl eines Wasserfalls, der sich aus einer Wand der Versammlungshöhle ergoß. Das brachte ihn zu Bewußtsein. Als er merkte, daß er von Feinden umringt war, blähte sich seine Sprechblase vor Wut und Haß auf. Ich merkte ihm an, daß er sich bedenkenlos auf die Chachats gestürzt hätte, wäre er nicht gefesselt gewesen. »Du bist unser Gefangener«, sagte ich zu ihm. Er hätte mich mit seinen Blicken am liebsten getötet, zerrte an seinen Fesseln und begann dann wie ein wildes Tier zu schreien. Den Chachats war ziemlich unbehaglich zumute. »Tötet mich!« brüllte der Berbe. »Gebt mir den Tod, wenn ihr nicht einen Fluch auf euch laden wollt.« »Wir werden dich von dieser Schmach erst erlösen, nachdem du uns gesagt hast, was wir von dir wissen wollen«, sagte ich ungerührt. Wieder zerrte er ungestüm an seinen Fesseln, daß sie ihm tief ins Fleisch schnitten. »Wie ist es euch gelungen, die Fallen der Chachats zu finden?« wollte ich von ihm wissen. Er gab einen Laut von sich, in den er all
seine Verachtung hineinlegte. Dann sagte er: »Wir Berben sind die besseren Jäger. Wir sind die besseren Fährtensucher. Und wir sind die besseren Kämpfer.« »Mit dieser Antwort kann ich mich nicht zufriedengeben«, erwiderte ich. »Außerdem sind deine Behauptungen falsch. Die Chachats haben bewiesen, daß sie bessere Krieger als die Berben sind. Sechs von ihnen haben die doppelte Anzahl von Berben besiegt.« Die Chachats im Hintergrund stimmten ein Siegesgeheul an. Der Berbe blähte nur, vor Wut und Verachtung stumm, seine Sprechblase auf. »Willst du mir nicht antworten«, riet ich ihm. »Dann kannst du dir weitere Demütigungen ersparen. Wie habt ihr die Tierfallen der Chachats gefunden?« Wieder funkelten mich die großen hervortretenden Augen des Gefangenen an, als er mich anschrie: »Verdammt sollst du sein, elender Dämon, der du in der Gestalt eines Gerrochs gekommen bist. Unsere Götter sind mächtiger als du. Und unsere Kleine Göttin, die uns beisteht, wird dich zerschmettern.« Ich horchte auf. Eine Erregung begann sich meiner zu bemächtigen, die ich nur schwer unterdrücken konnte. »Hat euch vielleicht diese kleine Göttin zu den Fallen geführt, damit ihr sie plündern konntet?« »Sie kann noch viel mehr als das. Sie gibt unseren Kriegern Kraft – unseren Weibern die Fruchtbarkeit. Sie segnet unsere Brut, sie reinigt unseren Geist. Sie wird uns zum Sieg über die Chachats und alle anderen Stämme führen. Unsere Kleine Göttin und Königin macht uns zu den Herrschern über dieses Land.« Ich lächelte belustigt, obwohl ich nicht annahm, daß er meine Physiognomie richtig deuten konnte. »Ich glaube eher, ein böser Geist ist in dich gefahren«, meinte ich. »Hast du diese Göttin denn schon selbst gesehen, der du solche Macht andichtest?«
Die PSI-Quelle »Sie ist bei uns – in Fleisch und Blut – und läßt ihre Kraft in uns fließen.« »Und wie sieht sie aus?« »Was bedeutet schon die Gestalt eines Gottes. Du abscheulicher Dämon erscheinst in ähnlicher Gestalt wie unsere Königin. Aber Skanmanyon ist viel mächtiger als du, elender Gerroch.« Jetzt hatte ich die Gewißheit. Terrania-Skanmanyon lebte. Er hatte sich in die Höhlen der Berben zurückgezogen und dort die Herrschaft übernommen. Das bewies, daß Skanmanyon noch nicht alle seine PSI-Kräfte verloren hatte. Immerhin konnte er die Berben so weit beeinflussen, daß sie Terrania als ihre Königin anerkannten. Und Skanmanyon war noch stark genug parapsychisch begabt, um die Fallen der Chachats zu espern. Was für ein glücklicher Zufall, daß ich Skanmanyons Spur so schnell wiedergefunden hatte! Ich hatte mich auf eine jahrelange Suche vorbereitet. Vielleicht war dieser schnelle Erfolg aber kein gutes Zeichen. Möglicherweise war Terrania-Skanmanyon nur nicht in eine größere Entfernung teleportiert, weil er dazu nicht mehr stark genug war! Dennoch würde ich ihn aufsuchen. Skanmanyon war meine letzte Hoffnung, um von hier wegzukommen. Aber nicht nur aus Gründen meiner eigenen Sicherheit wollte ich Skanmanyon finden. Ich überlegte mir schon, welche Verstärkung Terrania-Skanmanyon für das Mutantenkorps wäre, wenn es mir gelang, ihn zu retten und ihn zur Zusammenarbeit zu überreden … Doch das war Zukunftsmusik. Zuerst mußte ich einen Weg finden, um an Terrania heranzukommen. Und zwar lebend. Angesichts der Wildheit der Berben war das nicht so einfach. Aber undurchführbar war es wieder auch nicht. Ich glaubte bereits, eine Möglichkeit gefunden zu haben, in das Höhlenreich der Berben einzudringen. Ich würde so schnell wie möglich aufbrechen.
45 »Du hast mir wider Willen sehr geholfen«, sagte ich zu dem Berben. »Deshalb hast du einen Wunsch offen.« Wie aus der Pistole geschossen, verlangte der Gefangene: »Löse meine Fesseln und gib mir ein Schwert. Ich möchte kämpfend sterben.« Ich blickte fragend zu Arraby. Der sagte: »Wenn es dein Wille ist, Atlan, dann soll der Berbe ehrenvoll sterben.« Ich schnitt dem Berben mit dem Schwert die Fesseln durch und entfernte mich. Einer der Krieger warf ihm ein Schwert zu. Die anderen zogen ihre Waffen. Kaum war ich aus dem Kreis aus Kriegern, der sich um den Berben geschlossen hatte, begann der ungleiche Kampf. Ich sah nicht zu, sondern begann mit den Vorbereitungen zum Aufbruch in das Höhlenreich der Berben.
11. »Der Fluß führt zuviel Wasser«, beschwor mich Arraby. »Du wirst lange unter Wasser schwimmen müssen, ohne atmen zu können. Ein Chachat könnte es vielleicht schaffen, aber du hältst es nicht so lange unter Wasser aus wie ein Chachat.« »Ich habe auch meine Qualitäten«, erwiderte ich lakonisch. Als Arraby einsah, daß er mich von meinem Vorhaben nicht abbringen konnte, sagte er: »Nimm wenigstens meinen Sohn Arritim als Begleiter mit. Er hat mich auf dem Fluß schon einmal bis ins Reich der Berben begleitet. Er kennt ihn genau, weiß über alle seine Heimtücken Bescheid.« »Arritim würde natürlich eine große Hilfe für mich sein.« Ich blickte zum Häuptlingssohn. »Würdest du das Wagnis mit mir eingehen?« »Ich könnte mir keine größere Ehre vorstellen, als der Kampfgefährte eines so unüberwindlichen Gerrochs wie dich zu sein, Atlan«, sagte Arritim mit stolz geschwellter Sprechblase.
46 »Nun übertreib nicht«, dämpfte ich sein Pathos. Arraby hatte mir ursprünglich ein kleines Heer seiner Krieger mitgeben wollen. Aber davon wollte ich nichts wissen. Falls es mir gelang, mich mit Terrania-Skanmanyon zu verbünden, hätte ich mich dann womöglich auch noch mit den eigenen Leuten herumschlagen müssen, weil sie in mir einen Verräter sahen. Mit Arritim war das etwas anders. Er vergötterte mich, mit ihm würde ich mich auch in einer verzwickten Situation arrangieren können. Arraby begleitete uns mit seinen engsten Vertrauten zu dem subplanetaren Fluß. Als wir die Grotte erreichten, konnte ich feststellen, daß der Häuptling der Chachats nicht übertrieben hatte. Der Fluß führte Hochwasser, die Strömung war reißend. Die Grotte war zwar geräumig und stand nur halb unter Wasser. Links und rechts befand sich sogar ein schmaler felsiger Uferstreifen. Doch schon nach fünfzig Metern verengte sich die Höhle, die Decke senkte sich herab und verschwand in den Fluten. Arraby erklärte mir, daß dahinter ein langer Kanal lag, den man durchtauchen mußte, um in die nächste Höhle zu gelangen. Seiner Beschreibung nach zu urteilen, war dieser Kanal fünfzig Meter lang. Er traute mir zu, daß ich lange genug die Luft anhalten konnte, um dieses erste Hindernis zu überstehen, zumal mich die Strömung begünstigte. Aber er sagte, daß danach weitere Kanäle kamen, die überflutet waren. Und diese waren länger. Er warnte mich noch einmal eindringlich. Doch ich ließ mich von meinem Vorhaben nicht mehr abbringen. Ich mußte zu Terrania. Sie war meine einzige Chance, von diesem Planeten fortzukommen. Ich wollte nicht wieder, wie schon einmal auf Terra, Tausende von Jahren auf einer Barbarenwelt im Exil zubringen. Einer der Krieger überreichte mir eine lange Liane, an deren Ende eine große Blüte angebracht war. Es handelte sich um eine
Ernst Vlcek Blume, die Leuchtstoffe enthielt und in der Dunkelheit ein fluoreszierendes Licht ausstrahlte. Sie sollte uns den Weg leuchten. Arritim erhielt ebenfalls eine solche Leuchtblume. Ich machte den Abschied kurz. Ich reichte Arraby nur stumm die Hand, er ergriff sie mit seiner degenerierten Flosse in dem Bewußtsein, daß diese Geste den Abschied bedeutete. Dann ließ ich die Leuchtblume ins Wasser und sprang hinterher. Die Liane hatte ich mit dem Ende an mein linkes Handgelenk gebunden. Sofort wurde ich von der Strömung mitgerissen. Ich schwamm in die Flußmitte, wo ich weniger Gefahr lief, an einen Felsvorsprung zu stoßen. Arritim folgte mir, überholte mich und übernahm die Spitze. Als ich mich nach einer Weile umdrehte, waren Arraby und seine Fackelträger schon weit hinter uns. »Achtung! Tief Luft holen!« rief mir Arritim zu. Ich blickte wieder nach vorne. Wir trieben mit unheimlicher Geschwindigkeit auf die Felsen zu. Fünf Meter davor pumpte ich meine Lungen mit Luft voll und tauchte. Die Leuchtblume vor mir stieß gegen die Felsdecke und wurde von dem Sog immer tiefer gerissen. Ich mußte tiefer tauchen, um nicht gegen den Fels zu prallen. Als ich unter einer Felsspitze hindurchgetaucht war, erblickte ich weit vor mir Arritim im Licht seiner Leuchtblume. Er schlängelte sich wie ein Aal durch die Strömung. Dann entschwand er aus meinen Augen. Ich dachte, er sei aufgetaucht, doch dann erschien er noch einmal, als er mit verzweifelten Arm- und Beinbewegungen versuchte, herunterhängenden Felszacken in die Tiefe auszuweichen. Da ich diese Gefahr rechtzeitig entdeckte, konnte ich schon früher unter ihr wegtauchen und ihr so müheloser entgehen als der Chachat. Die Luft wurde mir bereits knapp. Ich hoffte, daß der Tunnel bald zu Ende war und wir in die dahinterliegende Grotte kamen. Meine Lungen standen bereits so unter
Die PSI-Quelle Druck, daß ich meinte, sie würden mir den Brustkorb sprengen. Aber noch bevor meine Lage verzweifelt wurde, konnte ich auftauchen. Ich stieß kraftvoll durch die Wasseroberfläche ins Freie und japste nach Luft. Im Schein unserer Leuchtblumen sah ich eine breite Grotte, deren Decke allerdings niedrig war. Tropfsteine hingen manchmal bis an die Wasseroberfläche hinab. Arritim kämpfte gegen die Strömung, die hier relativ schwach war. Als ich ihn erreichte, blieb er mit mir auf gleicher Höhe. »Wie hast du es überstanden, Atlan?« fragte er ohne die geringsten Anzeichen von Erschöpfung. Ich dagegen keuchte. »Wenn es sein muß, halte ich auch die doppelte Strecke unter Wasser durch«, behauptete ich wider besseres Wissen. »Das freut mich zu hören«, meinte er zufrieden. »Du wirst es beweisen können.« Noch war dies aber nicht der Fall. Die Grotte machte eine Biegung, die Decke senkte sich. Ich mußte unter einer etwa zehn Meter langen Enge hindurchtauchen. »Jetzt vorsichtig sein!« ermahnte Arritim mich dann. »Zu Trockenzeiten verliert sich der Fluß im rissigen Boden dieser niedrigen Höhle. Deshalb gibt es auf dem Boden viele spitz emporwachsende Tropfsteine. Auf sie mußt du achten. Ich habe einmal mitansehen müssen, wie sich einer meiner Kameraden daran aufspießte.« Ich nahm Arritims Warnung ernst. Aber da die Strömung hier ziemlich gering war, konnte ich den plötzlich auftauchenden Stalagmiten immer rechtzeitig ausweichen. Wir mußten noch einige Male tauchen, ohne uns dabei jedoch sonderlich anzustrengen. Als ich wieder einmal auftauchte, vernahm ich plötzlich ein fernes Tosen. Gleichzeitig spürte ich, wie die Strömung wieder an mir zerrte. Die Leuchtblume, die ich zuvor noch hinter mir nachgezogen hatte, wurde fortgerissen, die Liane, an der sie hing, spannte sich. »Was ist das?« fragte ich Arritim. »Du meinst das Rauschen von Wasser?«
47 Er machte ein bekümmertes Gesicht, wie mir schien. »Wir kommen jetzt an die gefährlichste Stelle. Der Flußlauf wird etwas weiter vorne nur einige Armspannen schmal. Es gibt viele gefährliche Klippen. Die Strömung ist mörderisch. Dahinter verschwindet der Fluß wieder im Fels, und wir müssen durch einen besonders langen Kanal tauchen. Teile dir deine Kräfte ein, Atlan.« Die Felswände rückten immer enger zusammen, bis sich schließlich eine etwa fünf Meter schmale Schlucht bildete, durch die das Wasser gepreßt wurde. Die Felswände waren steil und glatt, boten keinen Halt und verloren sich hoch über mir in der Dunkelheit. Das Tosen schwoll immer mehr an. Das Wasser schäumte wild. Die Strömung wurde gewaltig. Die Schlucht wurde noch enger. An einer Stelle standen die Felswände so dicht beieinander, daß ich meinte, sie mit ausgebreiteten Armen berühren zu können. Aber für solche Überlegungen hatte ich bald keine Zeit mehr. Als sich der Flußlauf verbreiterte, hatte ich gerade Zeit genug, neue Kraft zu schöpfen, bevor mich die Strömung mitriß. Plötzlich ragte vor mir ein Fels aus der Brandung. Ich trieb genau auf ihn zu. In letzter Sekunde streckte ich noch den Arm aus, spürte den Aufprall schmerzhaft bis in die Schultergelenke, merkte jedoch, wie ich herumgedreht und mit dem Rücken über den rissigen Fels geschleift wurde, um dann von einem Strudel hinabgezerrt zu werden. Der Wasserdruck war so stark, daß ich meinte, von ihm erdrückt zu werden. Ich kämpfte gegen den Wasserwirbel an, um wieder zum Atemholen an die Oberfläche zu gelangen. Doch als es mir schließlich gelang, dem Strudel zu entkommen, sah ich im fluoreszierenden Schein meiner Blume, daß sich knapp über mir die Felsdecke befand. Sie lag unter Wasser! Panik erfaßte mich. War das bereits der lange Unterwasserkanal, vor dem mich Arri-
48 tim gewarnt hatte? Wenn es so war, dann war ich verloren. Ich hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, Luft zu holen. Mein Sauerstoffvorrat, den ich in die Lungen gepumpt hatte, bevor mich der Strudel in die Tiefe riß, war lange nicht ausreichend. Ich spürte schon jetzt, wie mir die Luft knapp wurde. Ich würde nicht lange genug durchhalten. Verzweifelt verstärkte ich meine Schwimmbewegungen. Der Fels über mir glitt rasend schnell dahin. Aber er wollte kein Ende nehmen. Arritim hatte ich schon längst aus den Augen verloren. In meinem Kopf begann es dumpf zu dröhnen. Dann war ich plötzlich von einer unheimlichen Stille umgeben. Meine Schwimmbewegungen wurden immer unkontrollierter, immer verzweifelter. Du mußt durchhalten! hämmerte mir mein Extrasinn ein. Ich muß es schaffen, sagte ich mir. Da! Die Felsen wichen zur Seite. War das das Ende des Kanals? Meine Hoffnungen zerrannen sofort wieder, als ich sah, daß die Decke gleich darauf wieder fast senkrecht in die Tiefe führte. Ich schaffte es mit letzter Kraft, tiefer zu tauchen, einen Aufprall zu verhindern. Aber dann hatte ich plötzlich Sehstörungen. Vor meinen Augen verschwamm alles. Ich begann mich leicht zu fühlen, ich war schwerelos. Mir konnte nichts mehr geschehen. Alles war wunderbar. In mir war ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Nichts konnte meinen inneren Frieden stören … Tiefenrausch! hörte ich meinen Extrasinn wie aus weiter Ferne. Aber auch das riß mich nicht aus meinem Taumel. Ich öffnete meinen Mund, um meinem Körper zu geben, was er benötigte: Luft. Sie strömte gurgelnd in meine Atemwege, breitete sich in meinem Körper aus, füllte die Lungen. Ich fühlte mich müde werden – und noch leichter. So leicht wie eine Feder, so leicht, daß mich der Wind … nein, das war die Wasser-
Ernst Vlcek strömung! … daß ich davongewirbelt wurde. Einem unbestimmten Ziel entgegen. Einem Ziel, das unsäglich weit war. Und nur schwer zu erreichen. Einem Ziel, dem jeder Sterbliche zustrebte, wenngleich er viele Umwege machte, um die Erreichung dieses Ziels hinauszuschieben. Ich war ihm schon ganz nahe … dem Tod … Ewigkeit … keine Gedanken … kein Sehen. Kein Hören. Kein Fühlen. Keine Emotionen. Nichts.
* Nichts. Niedergeschlagenheit. Schmerz. Ein Laut: leises Rauschen. Der Eindruck von verschwommenem Licht. Nebelschwaden, die, keiner Richtung folgend, vorbeizogen. Ein Gedanke: Wo bin ich? Tot! Eine erste Schreckreaktion. »Du hast es geschafft, Atlan.« Eine Stimme in dem immer mehr anschwellenden Rauschen. »Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, aber du bist dem mörderischen Fluß entkommen. Du warst sogar noch vor mir hier …« Die Nebel lichteten sich. Im schwachen Schein meiner Leuchtblume, die ich seltsamerweise im Haar trug, sah ich ein Gesicht. Ein Krötengesicht. »Arritim …« »Ja, ich bin es.« Ich richtete mich auf. Meine Kleider waren klitschnaß. Die Erinnerung kam zurück. »Ich dachte schon, daß alles aus sei«, sagte ich im Tonfall eines Mannes, der gerade dem Tod ins Auge geblickt hatte. »Du hast mir das Leben gerettet. Danke, Arritim.« Er blickte mich verwundert an. »Ich?« sagte er erstaunt. »Ich konnte dir nicht helfen, Atlan. Ich mußte froh sein, selbst dem tödlichen Griff des Flusses zu entkommen. Du hast es aus eigener Kraft geschafft. Du hast die Situation gemeistert, wie es nur ein Gott kann. Du bist hinter mir in den Kanal getaucht – und lange vor mir
Die PSI-Quelle am Ziel herausgekommen …« Langsam sickerten seine Worte in mein Bewußtsein. Aus eigener Kraft? Wie denn? Ich erinnerte mich noch genau daran, wie mich die Kräfte verließen, wie ich den Mund öffnete, völlig apathisch, um den Tod durch das nasse Element zu empfangen. Arritim hatte nur in einem Punkt recht. Meine wundersame Rettung mußte auf das Wirken übernatürlicher Mächte zurückzuführen sein. Und ich ahnte auch bereits, wer der Urheber dieser Mächte war, die mich den tödlichen Fluten entrissen hatten. Terrania-Skanmanyon! Eine andere Erklärung gab es nicht. Ich sah darin ein gutes Omen – einen Hinweis dafür, daß Skanmanyon bereit war, mit mir zusammenzuarbeiten. Ich erholte mich rasch. Ich vergaß alles, was bisher geschehen war. Es zählte nicht mehr. Ich konnte der Zukunft wieder zuversichtlicher entgegensehen. »Wie geht es weiter?« fragte ich Arritim. Ich starrte zum Fluß, auf dessen Oberfläche sich das schwache Licht unserer Blumen spiegelte. Das Wasser schäumte zwischen Felsvorsprüngen, brandete gegen die steilen Wände. Wir befanden uns auf einer Erhebung, die einen Meter aus dem Wasser ragte. Gischt besprühte uns. Mich schauderte bei dem Gedanken, noch einmal in die Fluten tauchen zu müssen. »Wir können den Weg nun auf dem Trockenen fortsetzen«, antwortete Arritim, und ich empfand unsägliche Erleichterung. »Wir sind nicht mehr weit von der Grenze des Reiches der Berben entfernt. Fühlst du dich wieder stark genug, Atlan?« »Ich könnte Bäume ausreißen«, sagte ich. Seinem verblüfften Gesichtsausdruck nach zu schließen, nahm er meine Äußerung wortwörtlich. »Übernimm die Führung, Arritim.« Er setzte sich in Bewegung. Ich folgte ihm. Wir mußten noch an die fünfzig Meter über Felsvorsprünge, aus dem Wasser reichende Steine und auf schmalen, fußbreiten Pfaden dem Flußlauf folgen. Dann zweigte
49 ein Felsspalt nach links ab. Ihm folgten wir, bis wir zu einem senkrecht nach oben führenden Kamin kamen. Die Lianen mit den Leuchtblumen hatten wir uns um die Stirn gebunden, so daß sie uns den Weg leuchteten. Der Aufstieg durch den Kamin war beschwerlich. Wir mußten einige Male eine Rast einlegen. Einmal wurde der Kamin so breit und die Wände so glatt, daß nicht einmal Arritim einen Halt darin fand. Uns blieb nichts anderes übrig, als die Lianen, an denen die Leuchtblumen gehangen hatten, zusammenzubinden und sie als Kletterseil zu benützen. Ich befestigte am Ende einen handgroßen Stein und schleuderte ihn in die Dunkelheit über uns. Beim dritten Versuch verfing sich der Stein in einer Felsspalte, so daß wir an dem Seil hochklettern konnten. Diese Methode mußten wir insgesamt noch viermal anwenden. Dann hatten wir es geschafft. Arritim bedeutete mir durch eine Geste, still zu sein. Wir schienen dem Höhlenbereich der Berben schon ziemlich nahe. Der Häuptlingssohn verscharrte die Leuchtblumen unter Geröll, damit uns ihr Schein nicht verraten konnte. Dann tasteten wir uns den Weg durch die Dunkelheit. Arritim kannte sich hier aus. Nach einer nicht allzu langen Zeit, die wir uns durch niedrige Höhlen und enge Felsspalten gearbeitet hatten, entdeckte ich vor uns eine Lichtquelle. Arritim war ein Schatten vor dem etwas helleren Hintergrund. Wieder bedeutete er mir durch eine Geste, daß ich mich leise verhalten sollte. Ich stieß ihn ungeduldig an. Er setzte sich wieder in Bewegung. Vor einer etwa sechzig Zentimeter durchmessenden Felsöffnung blieb er stehen. Ich hielt den Atem an, als ich über seine schmalen Schultern in eine geräumige Höhle blickte. Sie wurde von einem halben Dutzend Fackeln ausgeleuchtet. Sonst war die Höhle leer. »Die Gelegenheit ist günstig«, raunte mir Arritim zu. »Keine Berben in der Nähe.«
50 Er schickte sich an, durch die Öffnung in die Höhle hinunterzusteigen. Ich hielt ihn zurück. »Arritim, du brauchst mich nicht mehr zu begleiten«, sagte ich. »Für dich wäre es zu gefährlich. Die Berben würden dich sofort töten. Gegen mich werden sie wahrscheinlich nicht so schnell die Waffe erheben.« »Ich bleibe bei dir.« »Ich möchte aber nicht, daß du dich für mich opferst. Es wäre ein ganz und gar sinnloses Opfer.« »Es gibt kein Zurück für mich«, erklärte er. »Oder glaubst du, ich könnte gegen die Strömung schwimmen?« Das war ein Argument. Dennoch versuchte ich, ihn umzustimmen. Wenn er mich begleitete, war er auf jeden Fall verloren, ob ich mich nun mit Terrania-Skanmanyon verbünden konnte oder nicht. Arritim würde von den Berben auf keinen Fall verschont bleiben. »Du könntest dich vom Fluß treiben lassen, bis er ins Freie fließt«, schlug ich ihm vor. »Dann könntest du durch den Dschungel zu deinem Stamm zurückkehren.« »Von hier an ist der Fluß bei Hochwasser unpassierbar«, sagte er nur. »Da sterbe ich schon lieber an deiner Seite im Kampf gegen die Berben.« Da war nichts zu machen. »Okay«, sagte ich in Interkosmo. Er kletterte vorsichtig durch die Öffnung in die Höhle. Als ich ihm folgte, begann er bereits mit dem Abstieg an der steilen Felswand. Das Schwert hatte er sich dabei zwischen die Zähne geklemmt, um es im Notfall sofort zu Hand zu haben. Ich wartete oben, bis er festen Boden unter den Füßen erreicht hatte. Ihm fehlten nur noch drei Meter. Plötzlich entstand in den Zugängen der Höhle Bewegung. Überall tauchten bewaffnete Berben auf. Ich wollte Arritim eine Warnung zurufen, doch da legte sich von hinten eine Flosse auf meinen Mund. Eine Dolchspitze erschien vor meinen Augen. Hilflos mußte ich zusehen, wie Arritim
Ernst Vlcek umzingelt wurde. Er bemerkte die Gefahr nicht einmal, weil er mit dem Gesicht zum Fels herunterkletterte. Als er losließ und das letzte Stück zu Boden sprang, schlugen die Berben zu. Arritim setzte kaum auf dem Boden auf, als er von mehr als einem Dutzend Speeren gleichzeitig durchbohrt wurde. Ich wandte mich ab. Die Berben stimmten ein Triumphgeheul an. »Wir haben euch längst erwartet«, hörte ich eine Stimme hinter mir sagen. »Die Kleine Göttin hat uns gewarnt.« Ich erwartete, daß mir hier und jetzt eine Waffe in den Körper gebohrt wurde. Aber nichts dergleichen geschah. Der Berbe in meinem Rücken befahl: »Klettere hinunter.« »Was habt ihr mit mir vor?« fragte ich. »Wir werden dich Skanmanyon opfern!« sagte der Berbe.
12. Ich glaubte bis zuletzt, daß mich die Eingeborenen zu Terrania-Skanmanyon bringen würden. Auch noch, als sie mich in die Höhle mit dem Opferstein schleppten. Ich dachte, dies sei der Thronsaal. Der Opferstein sah aus wie ein Herrscherstuhl. Es handelte sich um einen behauenen Stein, um einen Quader mit einer Höhe von einem Meter, der drei Meter breit und zwei Meter tief war. Darauf stand ein Holzgestell. Dort, vermutete ich, würde die »Kleine Göttin« Platz nehmen. Aber als mich die Berben mit ihren Speeren darauf zutrieben, wußte ich, was es geschlagen hatte. »Ihr werdet den Zorn Skanmanyons auf euch lenken, wenn ihr mich richtet!« versuchte ich die Berben zu beeinflussen. Aber sie ließen sich nicht einschüchtern. Ihre Speerspitzen trieben mich auf den Opferstein. Als ich ihn erklettert hatte, stürzten sie sich auf mich und banden mich mit ausgebreiteten Armen und gegrätschten Beinen auf das Gestell.
Die PSI-Quelle Das alles ging so schnell, daß ich nicht wußte, wie mir geschah. Kaum war ich festgebunden, wurde das Gestell mit mir nach hinten gekippt. Ich wandte den Kopf und sah aus den Augenwinkeln unter mir eine steinerne Schale. Daneben stand ein geschminkter Berbe, dessen Kopf von einem bunten Federschmuck geziert wurde. Mein Henker! Er stützte sich auf ein langes Schwert, das ihm bis an die Brust reichte. Die eine Schneide war wie eine Säge gezahnt, auf der anderen Seite war das Schwertblatt rasierklingenscharf. Wieder fiel mein Blick auf die Steinschale. Sie sollte meinen Kopf auffangen. Daran konnte es keinen Zweifel geben. Ich bäumte mich auf, aber die Fesseln hielten. Ich konnte gerade den Kopf etwas heben. Die Berben begannen mit einem schaurigen Ritual. Beim Tanzen schleuderten sie noch lebende Tiere gegen den Opferstein, so daß sie daran zerschmetterten. Dann brachten sie Arritims von unzähligen Wunden gezeichneten Körper und schleuderten auch ihn gegen den Opferstein. Immer wieder. »Skanmanyon wird euch strafen!« rief ich über den Gesang der sich in Ekstase steigernden Berben. Ich war sicher, daß sie meine Opferung eigenmächtig beschlossen hatten. Warum sollte Terrania-Skanmanyon meinen Tod wollen, wo sie mich erst vor kurzem aus der reißenden Strömung des Flusses gerettet hatte? Das ergab doch keinen Sinn! Plötzlich kam mir der Verdacht, daß Terrania-Skanmanyon vielleicht gar nicht bei den Berben war. Das erschien mir aber auch nicht sehr wahrscheinlich. Die Aussagen des Gefangenen waren deutlich genug gewesen. Er hatte nicht nur behauptet, daß eine »Kleine Göttin« seinen Stamm befehligte, sondern hatte auch Skanmanyons Namen genannt. Aber warum schritt Terrania-Skanmanyon dann nicht ein? Wieso ließ er zu, daß mich die Eingeborenen töteten! Waren seine PSIKräfte bereits so schwach, daß er die Ereig-
51 nisse in der Opferhöhle nicht espern konnte? Plötzlich erfuhr das Ritual der Eingeborenen eine Unterbrechung. Schweigen senkte sich über die Höhle. Als ich den Kopf hob, sah ich, wie durch einen Eingang einige Berben mit einer Sänfte kamen. Darauf saß Terrania. Ich war bei ihrem Anblick erleichtert. Jetzt konnte ich wenigstens noch hoffen. Doch meine Hoffnungen fielen in sich zusammen, als ich mir bewußt wurde, daß Terranias Erscheinen auch bedeutete, daß sie über meine bevorstehende Opferung Bescheid wußte, ja, daß sie wahrscheinlich sogar von ihr befohlen worden war. Die Träger setzten die Sänfte auf dem Opferstein ab, so daß Terrania mir ihr Gesicht zuwandte. Ich starrte in ihre leeren Augenhöhlen und fragte mit belegter Stimme: »Bin ich dein Feind, Skanmanyon?« »Nein«, kam die Antwort nach einer Weile mit schwacher Stimme. »Alles, was früher war, zählt nicht mehr. Es herrscht eine gänzlich neue Situation. Diese erfordert, daß du stirbst, Atlan.« »Warum? Nenne mir den Grund, Skanmanyon.«
* Ich spürte für einen Moment, wie sich fremde Gedanken in meinen Geist tasteten. Aber sie konnten meine Mentalsperre nicht durchdringen. Die PSI-Quelle Skanmanyon war schon viel zu schwach, als daß sie mich hätte beeinflussen können. Ihre Fähigkeiten reichten aber immerhin noch dazu aus, um die Gehirne der Eingeborenen zu beherrschen. Als Skanmanyon erkannte, daß er meinen Geist mit seinen parapsychischen Impulsen nicht mehr erreichte, sprach er durch Terranias lippenlosen Mund. »Ich habe einsehen müssen, daß ich keine Macht mehr über die Lebewesen der Galaxis habe. Meine Energien sind verströmt, ich konnte sie nicht mehr erneuern. Jetzt bin ich fast ein Nichts … Nur noch ein kläglicher
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Rest von mir ist erhalten. Ich habe in diesem Körper eine letzte Zufluchtsstätte gefunden …« Terrania verstummte. Ihr dünner Arm hob sich: das Zeichen für die Eingeborenen, in ihrem Ritual fortzufahren. Sie begannen wieder zu tanzen und zu schreien. Sie badeten sich in Tierblut. »Und warum willst du mich töten, Skanmanyon?« fragte ich. »Ich habe diesen Planeten als mein Domizil erkoren. Hier will ich bescheiden leben und weiterwirken … Die Eingeborenen … vergöttern mich. Ich habe sie zu meinen Dienern gemacht, und … ich werde sie zum mächtigsten Volk dieser Welt machen. Ich kann keinen Rivalen dulden. Es hat sich herumgesprochen, daß auch die Chachats einen neuen Gott haben …« »Ich bin nicht dein Rivale«, versuchte ich Skanmanyon zu erklären. »Ich will nur weg von hier. Zurück in die Zivilisation. Verhilf mir zur Rückkehr, dann gehört der Planet dir.« »Zu spät.« Die Eingeborenen kamen beim Tanzen dem Opferstein näher. Ich wußte, daß das große Ereignis unmittelbar bevorstand. »Ich verstehe deine Handlungsweise nicht, Skanmanyon«, nahm ich einen neuen Anlauf. »Du mußt noch immer stark genug sein, um diese Welt kraft deines Geistes verlassen zu können. Du hast es bewiesen, als du mich vor dem Ertrinken bewahrtest. Du warst es doch, der mich aus den Fluten rettete? Warum hast du es getan, wenn du mich jetzt töten lassen willst?« »Die Eingeborenen müssen mit eigenen Augen sehen, wie du stirbst«, antwortete Terrania-Skanmanyon mit so leiser Stimme, daß ich sie in dem allgemeinen Lärm kaum verstand. »Sonst hätte sich ein Mythos um dich gebildet, Atlan. Ich muß meinen Untertanen zeigen, daß ich über dich triumphiere. Das festigt meine Macht.«
»Das ist nicht deiner würdig!« rief ich. »Kannst du dich mit diesem erbärmlichen Dasein unter Wilden zufriedengeben? Du, der du eine ganze Galaxis hättest beherrschen können!« »Ich bin schwach …« »Du bist noch mächtig genug, um dein Schicksal zum Besseren zu wenden«, sagte ich eindringlich. »Und ich kann dir dazu verhelfen. Teleportiere mit mir zurück in die Zivilisation, und ich verspreche dir ein würdigeres Leben.« »Angesichts des Todes verspricht man viel.« »Ich meine es ehrlich«, versicherte ich. Meine Augen wanderten kurz zu dem federgeschmückten Henker. Es war wieder still in der Opferhöhle geworden. Der Henker hob das riesige Schwert über seinen Kopf. Ich schluckte. »Die terranische Wissenschaft findet bestimmt eine Möglichkeit, dein Leben zu retten, deine psionischen Kräfte für immer zu erhalten«, sagte ich mit sich überschlagender Stimme. Mir blieben nur noch Sekunden, um Skanmanyon vielleicht doch noch zu überzeugen. Ein schier aussichtslos erscheinendes Unterfangen. »Ich schwöre dir, daß ich alles tun werde, um dir zu helfen, Skanmanyon. Du könntest immer noch segensreich für die Völker der Galaxis wirken. Im Mutantenkorps des Solaren Imperiums …« Ich verstummte, als ich sah, wie sich das Schwert blitzend senkte. Das war das Ende. Doch dann spürte ich plötzlich eine knochige, kalte Hand in der meinen. Und noch bevor die Klinge meinen Hals berührte, um meinen Kopf vom Rumpf zu trennen, entmaterialisierten wir ins Nichts …
ENDE
ENDE