KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR -UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
E M M E R I C H VON B E O C Z Y
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR -UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
E M M E R I C H VON B E O C Z Y
DIE PYRAMIDE VON SAKKARA DER ERSTE GROSSBAU DER MENSCHHEIT
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU.MÜNCHEN-INNSBRUCK-BASEL
Einführung Drei Kamelrittstunden von Kairo entfernt, ragt bei dem Fellachendörfchen Sakkara der älteste noch erhaltene Großbau der menschlichen Geschichte in massiger Breite in den Himmel Ägyptens: die sechzig Meter hohe Stufenpyramide des Königs Djoser. Ein Jahrhundert vor der Riesenpyramide des Cheops erbaut, bildet sie die Urform der mehr als achtzig späteren pyramidenförmigen Grabmäler am unteren Nil. Wie die Burgen den Rheinstrom, so bekrönen sie den hochgelegenen Felsrand der Libyschen Wüste. Wer war dieser König Djoser und was bewog ihn, über sein Schachtgrab das gewaltige Steingebirge zu türmen, das mehr als viereinhalb Jahrtausende lang den Unbilden der Witterung und aller menschlichen Unvernunft getrotzt hat? Wie kam er dazu, gerade die Pyramidenform zu wählen, die vielen Königsgräbern der nachfolgenden Dynastien als Muster diente? Aus der Dämmerung der Frühzeit treten König Djoser und sein Staatskanzler und Baumeister Imhotep als die ersten klar erkennbaren Persönlichkeiten in das hellere Licht der Menschheitsgeschichte. Ihr Hauptwerk, die Stufenpyramide von Sakkara, hatte kein Vorbild, sondern erwuchs aus dem genialen Schöpferwillen dieser beiden Männer. Auf den folgenden Seiten wollen wir die Zeit des Djoser in Szenen und Betrachtungen wiedererstehen lassen. Vieles muß aus Mangel an Quellen im Dunkel bleiben. Und doch ergibt sich aus den zahllosen Einzelsteinchen, die von der Forschung in den letzten Jahrzehnten zusammengetragen wurden,' ein farbiges Mosaik voll dramatischen Lebens. Unser Weg durch diese Welt der späten Stein- und Kupferzeit beginnt in Memphis, südlich der Stelle, wo der oberägyptische Nil sich in die Arme des Deltas verzweigt . ..
Der heilige Apisstier ine wogende Menschenmenge säumte die Straßen von Memphis, das an der Grenzscheide zwischen dem „Südlande", der Landschaft des Nildeltas, und dem über tausend Kilometer weit sich erstreckenden „Nordlande" lag und die beiden Reiche verklammerte. Die ägyptische Hauptstadt beging den Tag des Saatbeginns und der Fruchtbarkeit und rüstete zum Umgang mit dem heiligen Apisstier. Die Bewohner der Stadt und die Fellachen der Umgebung waren zu Vieltausenden herbeigeeilt, um zu sehen, wie ihr König Djoser das heilige Tier um die „Weiße Mauer" der Stadt führte und den Feldern den Segen des großen Ptah erflehte. Sie trugen Kränze, aus Zwiebelknollen geflochten, Talismane und Symbole für eine gute Ernte. Sie beteten, als die Prozession begann, zu Ptah, dem Hauptgott des Landes, dem die schönsten und weitläufigsten Tempel von Memphis geweiht waren. Ptah hatte der Hauptstadt auch den Beinamen gegeben: Hait-Ka-Ptah, Wohnung des Geistes des Ptah. Das golddurchflochtene Band, das Djoser in der Hand hielt, führte zum Halsgurt des erhabenen Stieres, der im Mittelpunkt des festlichen Tages stand. Zwei kräftige Tempcldiener führten das Tier dicht neben dem König. Der Apisstier war die irdische Verkörperung des weltenschaffenden Gottes Ptah und zugleich die vergöttlidite Wiederverkörperung des Reichsgründers Menes und aller seiner königlichen Nachfolger. Von schwarzer Haarfarbe, zeigte er auf der Stirn ein weißes Dreieck und auf dem Rücken eine weiße adlergestaltige Zeichnung. Abgesandte des Königs hatten lange gesucht, bis sie endlich im Stall eines Bauern am mittleren Nilstrom das göttliche Tier erkannten — damals als Djosers Vorgänger in prunkvollem Goldschmuck in die Gruft am Rande der westlichen Wüste gebettet Königszeichen des Menes und der großen ägyptischen Pyramidenbauer 3
worden war. Seitdem galt dem Stier des Ptah die religiöse Verehrung der Nilstrombewohner. Als der Herr der beiden Reiche die Stadtmauer umschritten, trat er auf den erhöhten Rain eines Gerstenfeldes und warf aus der umgehängten Tasche eine Handvoll Saatkörner auf den grauen Nilschlammboden, und das gleiche wiederholte er auf dem Emmerfelde des Nachbarbauern. Das war das Zeichen, daß jetzt, nach dem Ablaufen der Hochflut, wieder der Pflug seine Furchen ziehen sollte und die Saat ausgestreut werden durfte. Noch am gleichen Tage würde man die Schafe und Schweine aus ihren Hürden lassen, damit sie die Samen in den Boden traten. König Djoser breitete die Hände über den heiligen Stier und gab Befehl, ihn ungehindert sein Doppelgehege im Bezirk des Ptahtempels suchen zu lassen. Denn es war nicht einerlei, welchem der beiden Gelasse das Tier sich zuwenden würde. Als die Priester Djoser die Nachricht überbrachten, daß Apis ohne zu zögern in den rechten Raum eingetreten sei, dankte er dem Gott für das glückverheißende Orakelzeichen. Der König ließ das Nordtor der Stadt öffnen, überquerte den Tempelvorplatz und begab sich in den nahegelegenen Palast zurück, der trotz seiner Bauweise aus Lehmziegeln das „Große Haus"„Per-ho" genannt wurde — ein Name, der, abgewandelt in „Pharao", später auf die Könige selber überging. Auf der Palasttreppe wandte sich der König noch einmal um und entließ sein Gefolge. Alle die Fürsten, Würdenträger und Hofbeamten warfen sich nieder und berührten mit ihren Lippen die Erde. Nur einer, der Schwiegersohn des Königs, der die Tochter Djosers als Gattin heimführen sollte, der Thronfolger Sekhemkhet, hatte das Vorrecht, den Fuß des Gebieters küssen zu dürfen.
Der König und sein Wesir Am Abend dieses Tages weilte König Djoser allein in seinem Palast. In seinem Privatgemach, dessen Wände mit einem Geflecht aus Schilfmatten überzogen waren, legte er die Abzeichen der königlichen Würde ab, die hohe Krone, den Tierschweif, den Zeremonienbart, das Zepter, die Geißel und die golddurchwirkten Sandalen. Noch war seine Tagesarbeit nicht getan. Er hatte zu dieser späten Stunde Wesir Imhotep zu sich befohlen, mit dem ihn seit Jugendtagen ein vertrautes und freundschaftliches Verhältnis verband. Nur wenn sie beide zu den offiziellen Feierlichkeiten in der Öffentlichkeit erschienen, wich das ungezwungene Zueinander der konven4
LTnterägypten und ein Teil Oberägyptens, die Landschalt der bedeutendsten Königs-Pyramiden.
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tionellen, abstandheischenden Etikette. Der König achtete in seinem Kanzler den weitblickenden Staatsmann und verdankte ihm manchen klugen Ratschlag auch auf anderen Lebensgebieten. Auch heute wollte er mit ihm Dinge besprechen, die ihn außerhalb der Staatsgeschäfte seit langem bewegten. Schon vernahm er durch die schüttere Wand der Schilfmatten die Stimme des Kanzlers. Imhotep verhandelte mit einem Kurier, der von der Sinaihalbinsel gekommen und soeben vor dem Palast angelangt war. „Veranlasse", hörte Djoser den Boten sagen, „daß ,man' weiß, daß räuberische Beduinen unsere Expedition bei den Kupferbergwerken angegriffen haben und daß es uns gelungen ist, sie in die Wüste zurückzutreiben." Der König dachte nach: Man wagte nicht, von Angesicht zu Angesicht vor ihn zu treten, und man scheute sich, seinen Titel oder gar seinen Namen auszusprechen und bediente sich der unpersönlichen Formel: „Veranlasse, daß ,man' weiß." War er denn ein Tyrann, dessen Blick man scheute wie den Blick der Schlange? Trieb ihn nicht jeder Nerv seines Herzens dazu, sein Volk glücklich zu machen, wie es ihm der Gott in so vielen Augenblicken der Zwiesprache aufgetragen? Warum durfte er nicht wie ein Mensch zu den Menschen seines Volkes sein, wie ein Vater zu seinen Kindern, wie ein Bauer zu seinem Haustier? Wenig später hob Imhotep die Türmatte zur Seite und erschien vor seinem Herrn. Da sie ohne Zeugen waren und niemand ihr Beisammensein stören konnte, eilte der König dem Kanzler entgegen, um dem zeremoniellen Kniefall des Freundes zuvorzukommen. „Nehmt Platz, Imhotep! Ihr werdet ermüdet sein!" Er wies auf einen der kunstvoll gearbeiteten Sessel, dessen Füße den kraftvollen Klauen des heiligen Rindes nachgeformt waren. Djoser hörte schweigend und ungeduldig an, was der Wesir über die Vorgänge im Sinaigebirge berichtete, es drängte ihn, von dem zu sprechen, was ihn alle Jahre, wenn die Hochflut des Nils erwartet wurde, bedrückt hatte. „Es ist schon einige Zeit her, seit ich Euch zum letzten Male sah, Imhotep", begann der König. „Ich weiß, Ihr seid mit Arbeit überhäuft. In welchem Eurer Ämter wart Ihr wieder tätig: als mein Kanzler, oder als Arzt, oder als weiser Mathematiker, oder als Astronom oder als Baumeister und Architekt? Was habt Ihr Neues gefunden oder welche Verbesserungen habt Ihr für schon Bekanntes ausgedacht?"
„Ich beschäftige mich zur Zeit mit der dringend notwendigen Verbesserung unserer Schrift und werde Euch, wenn Ihr es befehlt nach Abschluß meiner Überlegungen Vortrag darüber halten." „Ich bin Euch sehr dankbar", entgegnete Djoser, „daß Euch auch diese Angelegenheit am Herzen liegt. Aber heute hätte ich gern eine Antwort auf die Frage, die ich Euch neulich stellte. Ihr wißt, wie wichtig es für das Land ist, den Zeitpunkt der jährlichen Nilüberschwemmung genau zu kennen, damit sich die Grundherren und Fellachen frühzeitig danach richten können. Die letzte Überflutung habe ich zwar richtig angegeben, aber doch eigentlich nur nach meiner Erfahrung und meinem Gefühl, und vielleicht auch nach einem Wink der Götter. Meine Gebete zum Flußgott Hapi haben offenbar guten Erfolg gehabt; denn die Nilschwelle trat pünktlich nach meiner Vorhersage ein und ist außerordentlich günstig verlaufen. Ich möchte aber die Nilflut mit aller Sicherheit voraussagen können, und daher bat ich Euch, darüber nachzusinnen und eine Methode ausfindig zu machen, wie man dieses und jedes andere Ereignis im Ablauf eines Jahres genau bestimmen und festlegen kann. Ihr wolltet die Sterne um Rat fragen, weil Ihr meint, daß sie die zuverlässigsten Freunde der Könige sind. Haben sie Euch Antwort gegeben?" „Ich glaube, Euch einen guten Vorschlag machen zu können", erwiderte Imhotep erfreut. „Ich habe dem Gott der Weisheit und der Berechnung, Thot, ein Opfer dargebracht und auch die Sterne habe ich befragt, und ich zweifle nicht daran, daß sie mir den richtigen Weg gewiesen haben." Imhotep setzte dem König in gedankenklaren Ausführungen auseinander, daß der Sothis-Stern — den wir heute den Sirius nennen — fast genau am Tage des Eintreffens der Nilflut nach längerer Unsichtbarkeit zum ersten Male wieder in der Morgendämmerung heraufsteige. Auf diesen Tag sollte man daher den Beginn des neuen Jahres verlegen. Jedes Jahr sollte drei Zeiten haben, die sich nach den bäuerlichen Notwendigkeiten richteten, und jeweils vier Mondumläufe umfaßten, nämlich Überschwemmungszeit, Winter und Sommer. Demnach empfehle es sich, die zwölf Mondumläufe, die Monate, zwischen den sich folgenden Flutschwellen zur Einheit des künftigen Jahres zusammenzufassen, das also dreihundertsechzig Tage durchlaufe; die noch fehlenden fünf Tage sollten Feiertage werden, an denen die Geburtstage der fünf Kinder des Himmels und der Erde von allem Volk festlich begangen werden könnten, nämlich die Geburtstage des Osiris und der Isis, des Horus, des Seth und der Nephtys. „Mit Hilfe dieser Zeiteinteilung nach den
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zwölf Mondumläufen und den Feiertagen der guten Götter", schloß Imhotep, „seid Ihr imstande, die Nilüberschwemmung so genau vorauszusehen, wie das menschlicher Einsicht nur möglich ist. Der heute würdig begangene Tag der Aussaat und der feierliche Umgang mit dem Äpisstier zur Fruchtbarmachung der Felder würde künftig auf den 26. Tag des vierten Uberschwemmungsmonats fallen."
Nachdenklich war der König den weitschauenden Vorschlägen gefolgt, die sein gelehrter Staatskanzler den Sternen abgelauscht hatte, und er war entschlossen, dem Reiche diese neue zeitliche Ordnung zu geben. Was indes weder der kluge Imhotep noch der weise König Djoser wissen konnte, war der Umstand, daß ein Jahr in Wirklichkeit um einen Vierteltag länger ist als diese dreihundertfünfundsechzig Tage und daß sich im Ablauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte das so gedankenvoll errechnete Jahr mehr und mehr gegenüber der Länge des natürlichen Jahres verschieben müsse. Und da sie das nicht erkannt haben, gerieten das Kalenderjahr der Ägypter und die Wirklichkeit zunehmend aus dem Gleichschritt, was die Ägypter in ihrer Traditionsgebundenheit als einen unabänderlichen Fehler oder als eine Fügung der Götter hinnahmen. Aber aus diesem Fehler haben die Ägyptologen unserer Zeit ihren Nutzen ziehen können; denn er gab ihnen Auskunft darüber, wann die Kalenderreform Imhoteps ihren Anfang genommen hat. In vier mal dreihundertfünfundsechzig, also in tausendvierhundertsechzig Jahren, mußten trotz der Fehler natürliches und Kalenderjahr sich wieder decken. Man weiß aus einigen späteren verbürgten Angaben, wann dieser Zeitpunkt eingetreten ist, und konnte auf diese Weise zurückrechnend ermitteln, daß die neue Jahreseinteilung des Imhotep am 17. Juli 2769 v. Chr. eingeführt worden ist, ein Datum, das für die frühägyptische Geschichte wie ein Markstein ist, von dem aus erst feste Datierungen auch für andere Ereignisse dieser Epoche möglich geworden sind. Trotz seiner Mängel hat der Kalender Imhoteps höchste Bewunderung bei den Zeitgenossen und den Späteren erregt, und noch Herodot hat ihn im fünften Jahrhundert v. Chr. für zuverlässiger gehalten als den Kalender, nach dem die Griechen lebten. Mit der Korrektur, daß er in den durch 4 teilbaren Jahren einen Schalttag einführte und die durchschnittliche Länge des Jahres auf 365,25 Tage festsetzte, hat ihn Cäsar übernommen, als er die Julianische 8
Kalenderreform verfügte. Er galt in seinen Grundzügen noch im ganzen Abendlande bis zur Gregorianischen Kalenderreform im Jahre 1582, als nach Beratungen mit vielen Fachgelehrten zum Ausgleich der seit Cäsar eingetretenen Unordnung zehn Tage übersprungen und zum weiteren Ausgleich in Säkularjahren (1600, 1700 usw.) nur dann Schalttage eingefügt wurden, wenn sich die ersten Ziffern des Säkularjahres durch 4 teilen ließen.
Vorsorge für die Ewigkeit Die Mitternacht war längst vorüber, von der Terrasse drang ein kühler Hauch, der aus der Wüste herüberwehte, in das Gemach. Der König und sein Wesir weilten noch immer im Gespräch. „Laßt uns die Frische der Nacht genießen, Imhotep!"
Die Pyramide des Djoser im Querschnitt: l. Die ursprüngliche Mastaba mit (2) den schrägen Stützmauern; 3 die verstärkte Stützmauer der Mastaba; 4 die „kleine", 5 die erweiterte „große" Pyramide des Djoser; 6 der senkrechte Schacht mit Djosers Grab; 7 eines der 34 m tief gelegenen Schachtgräber der Familienangehörigen; 8 Teile des unterirdischen Gang- und Kammernsystems (nach I. E. S. Edwards, The Pyramids of Egypt, 1947). 9
König Djoser erhob sich und trat mit dem Wesir vor den Palast. In der unermeßlichen Kuppel des Himmels glühten unverschleiert die Lichtpunkte der Sterne. „Die Klarheit der Nacht klärt die Gedanken", sagte der König; „und manches, was mein Herz nicht minder bewegt als Nilflut und Kalender bedarf noch der Klärung. Ihr wißt, Sokar-Ptah, der Totengott, wird auch mich eines Tages in die .Westlichen Gefilde' geleiten, und der Gott wünscht, daß ich nicht unvorbereitet bin, wenn er mich ruft. Ich sorge mich um das, was Ihr für den Wohnsitz meines Ka, meiner Seele, in Auftrag gegeben habt. Wünscht Ihr, daß mein Ka hungert und dürstet? Spornt die Handwerker an, daß sie die Zahl der Krüge und Schalen und Speiseteller vermehren; treibt die Goldschmiede an, daß sie die Halsketten und die Arm- und Brustringe, die Holzkünstler, daß sie die Lagerstatt, die Truhen und Thronsessel vollenden; haltet die Speisen, Getränke und die Salböle bereit, denn niemand weiß die Stunde!" „Viel ziervoller Hausrat für die Kammern Eures Grabes", erwiderte Imhotep, „liegt schon lange in den Magazinen, mein König. In den Hütten der Steinmetzen häufen sich die Krüge und Schalen, fünftausend an der Zahl, alle aus dem Stein herausgehauen und herausgeschliffen. Viele Truhen sind gefüllt mit kostbarem Geschmeide. Aber gestattet mir zu sagen, daß die Vorratskammern in dem Grabe, das Ihr Euch neben der Gruft Eures Vaters Ka-sekhemmui am oberen Nil erbauen laßt, all diese Dinge heute schon nicht mehr fassen können, obwohl achtzehn Kammern bereits in den Felsen gehöhlt sind. Auch die Fallsteine, die zur Sicherung gegen das Raubgesindel des ,Südlandes' in die Grabgänge gekeilt werden, hat der Baumeister herstellen lassen. Es ist nichts versäumt worden, o König!" „Es lag mir fern, Euch Vorwürfe zu machen", beeilte sich Djoser zu sagen. „Aber ich habe viel nachgedacht in jüngster Zeit, und meine Gedanken sind andere Wege gegangen als die Euren. Felsen und Fallsteine scheinen mir nicht zu genügen zur Sicherung meiner Ruhe, wenn die Boten Sokar-Ptahs vor mich treten. Imhotep, ich gedenke mein Grab in die Nähe meiner Hauptstadt zu verlegen, wo die Grabwächter und die Opferpriester mir näher sind als in der Einöde des ,Südlandes'. Die Sonne beendet ihren Tageslauf am westlichen Horizont. Niemand weiß, auf welchen Wegen sie wieder zum östlichen Himmelsrand zurückkehrt. Gewiß leuchtet sie in dieser Zeit den Abgeschiedenen, spendet im Dunkel der Erde ihrem Ka Licht und Wärme. Dort, wo das Tagesgestirn den Himmel ver10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2006.12.28 08:55:03 +01'00'
läßt — irgendwo im ,Schönen Westen', am Rande der Wüste —, soll auch mein Ka sein ,Haus der Ewigkeit' haben, die aus dem Fruchtland Kommenden sollen mich dort finden, und ich werde für immer ihr Herr sein." „Ihr meint gewiß die hochgelegene Ebene am Absturz der Wüste gegen Sonnenuntergang", erwiderte der Wesir, „zwei Wegstunden von Memphis entfernt, wo schon seit undenklichen Zeiten der Totengott, der ,in der Erde wohnt', viele unserer Vorväter bewacht!" „Ja, ich möchte das für den geeignetsten Platz halten", bestätigte der König, „fern und doch nahe den Menschen. Und ich möchte der Bauweise meiner königlichen Vorgänger folgen, wie sie auch mein Vater Ka-sekhem-mui gewünscht hat. Laßt einen Schacht von vierzehn ägyptischen Ellen im Quadrat senkrecht in den Felsen der Wüste treiben und unten einen Querstollen anlegen, der in der Grabkammer endet. Und dann baut viele, viele Vorratsräume in die Tiefe. Euer König möchte nicht darben, drüben, wie ein Tempelbettler oder ein Nilruderer." Imhotep kannte die maßlosen Ängste und Sorgen seines Herrn um ein behagliches und würdiges Fortleben seines Ka, seine Furcht vor einer Schändung seines Leibes durch Grabräuber, so daß der umherschweifende Ka bei seiner Rückkehr den Leib, zu dem er gehörte, nicht mehr wiederfand oder wiedererkannte und ewig ruhelos umherirren mußte. Der Architekt Imhotep sah aber auch schon vor sich die neue Aufgabe: eine Grabanlage, wie sie bisher noch keinem Pharao gebaut worden war. Er sagte: „Ihr seid Pharao des ,Nordlandes' und des ,Südlandes', König Djoser! Dem Herrn der beiden Länder gebührt nicht nur ein Grab. ,Nord-' und ,Südland' sollen Anteil haben an Eurem Ka, so wie sie in den zwei Portalen Anteil haben in Eurem Palast. Die ,Zwei' ist heilig, Herr!" Ein Zug der Zufriedenheit lief über Djosers Antlitz: „So laßt in Ptahs Namen zwei Gräber für mich bauen, eines für meine Mumie und mein Herz und das zweite für die Krüge mit meinen Eingeweiden!"
* Imhotep ließ in den folgenden Jahren die beiden Schächte von je siebenmal sieben Metern im Querschnitt achtundzwanzig Meter tief in den Felsen graben. Fast zweihundert Meter lagen die Gräber voneinander entfernt auf dem Sockel der westlichen Wüste. Das nördlichste der beiden Gräber erhielt als Überdeckung einen flachen Hügel, der nach dem arabischen Wort für „Bank", mit der 11
der Grabhügel einige Ähnlichkeit hat, „Mastaba" genannt wird. Die abgeflachte Aufschüttung aus Lehm und Kies war acht Meter hoch und dreiundsechzig Meter lang. Um ein Abgleiten der Lehmund Gesteinsfüllung zu verhindern, wurde sie mit einer Mauer aus behauenen Steinquadern eingefaßt. Sie zeigte eine leichte Neigung nach innen, um dem Hügel größeren Halt zu geben (s. Abb. Seite 9). Die Sammlung steinerner Vasen und Schalen dürfte zu diesem Zeitpunkt bereits zehntausend betragen haben. Die Steinmetzen waren bemüht, den Granit, aus dem die Vorratsgefäße bestanden, innen und außen gleichmäßig zu runden, mit den Kupfermeißeln und Steinschabern dieser Zeit eine ungeheure Leistung.
Vom Herrscher zum Gott-König Das Ansehen, das König Djoser in seiner Umgebung und bei seinen Untertanen genoß, muß in den letzten Jahren vor der Fertigstellung der beiden Grabschächte und der Mastaba ständig gewachsen sein. Seine weise Regierung hatte dem Lande Frieden und Wohlstand gebracht und auf lange Zeit gesichert. Auf den lebendigen, eindrucksvollen Reliefbildern in den Grabgängen und Grabkammern der Nil-Oase und des Wüstensaumes zu beiden Seiten des Stromes, die sich aus etwas späterer Zeit erhalten haben, können wir noch heute erkennen, wie das Volk der Ägypter in jener Frühepoche seiner Geschichte gelebt hat. Wir sehen die Bauern, Fischer, Jäger und Handwerker, die Frauen und Kinder bei der Arbeit und bei der Unterhaltung und stellen fest, daß die heitere und freundliche Welt, in der die Menschen dargestellt sind, nicht den Eindruck macht, als ob sie ihre Alltagsarbeit gezwungen getan hätten, sondern eher als eine Nutzen und Zufriedenheit bringende Beschäftigung empfanden. So darf man annehmen, daß die Talbewohner mit ihrem Dasein nicht unzufrieden gewesen sind. Denn zweifellos hat ihr König, wie jeder tüchtige Pharao der späteren Zeit, in die Fürsorge für sein Land auch die Lebensadern des Talgrundes einbezogen, das weitläufige Kanalsystem. Manche Forscher vermuten, daß auch die vielfältigen ausgeklügelten Wasserschöpfwerke, wie wir sie auch heute noch zu Tausenden im Nilstromlande antreffen, auf König Djoser und seinen Architekten Imhotep zurückgehen. Soweit wir wissen, gab es zu Djosers Zeiten auch keine Kriege, da im weiten Umkreis Ägyptens noch keine bedrohlichen und gleichwertigen Staaten bestanden. Das Volk scheint also allen Grund gehabt zu haben, mit der patriarchalischen Herrschaft seines Königs einverstanden zu sein. 12
Grundriß der Djoser-Pyramide; eingezeichnet sind auch die unterirdischen Gänge und die Grabkammer, die sich achtundzwanzig Meter tief unter der Pyramidenmitte befindet. Der Sarg des Königs stand also fast neunzig Meter unter der Pyramidenspitze: 1 Grundriß der frühesten Mastaba; 2 Stützmauer; 3 verstärkte Stützmauer und Schachteingänge zu den elf Familiengräbern; 4 Grundriß der „kleinen" und 5 der „großen" Pyramide; 6 Grabkammer Djosers; 7 Gräber der Familienangehörigen; 8, 9, 11, 12 Stollen mit den Schatzkammern. 10 Eingang in die unterirdische Welt; 13 der Totentempel; 14 der Serdab, das Statuenkämmerchen (nach I. E. S. Edwards). 13
Auch Djoser konnte mit der Entwicklung seiner beiden Länder durchaus zufrieden sein. Doch wurde dieses Bewußtsein zu jener Zeit durch mehrere Schicksalsschläge überschattet, die den König schwer getroffen haben müssen. Innerhalb kürzester Zeit wurden ihm nicht weniger als elf Familienangehörige durch den Tod entrissen, unter ihnen vermutlich seine Mutter Nima-athep, die Gemahlin seines verstorbenen Vaters Ka-sekhem-mui, sowie seine Gattin, deren Namen wir nicht wissen. Längs des Ostrandes seiner Mastaba ließ er für die elf Verstorbenen die üblichen Grabschächte anlegen — zweiunddreißig Meter tief, vier Meter tiefer noch als seine eigene Gruft, doch, wie es sich gebührte, von geringerem Querschnitt. Tief im gewachsenen Felsen, am Grunde jedes brunnenartigen Schachtes, zweigte ein lang sich erstreckender Stollen ab, der bis weit unter die königliche Mastaba reichte und dessen Ende die Grabkammer bildete (vgl. die Zeichnung Seite 13, Ziffer 3 und 7). Um auch diesen elf Schächten einen Grabhügel zukommen zu lassen, erweiterte Imhotep die Mastaba über das Quadrat hinaus zu einem Rechteck, das die elf nebeneinander liegenden Familiengräber mit überdeckte. Wir können noch heute die Stelle, an der der Rechteck-Anbau erfolgte, ohne Schwierigkeit erkennen. Die riesige Grabhügelstufe, die durch diese Zusammenfügung und Ausdehnung entstanden war, muß schon in diesem frühen Baustadium auf den Beschauer einen machtvollen Eindruck gemacht haben. Und doch sollte es erst der Anfang sein! Der tiefere Grund für die nun folgenden Erweiterungen und Erhöhungen der Mastaba zur ersten Pyramide der Welt war ein Wandel im Denken des ägyptischen Volkes, der für die Kultur und Staatsgeschichte des Reiches von größter Bedeutung werden sollte: Es war der immer mehr aufkommende Glaube, daß der Pharao Ägyptens dem Irdischen entrückt, daß er ein Gott-König sei. Mit Hilfe des neuen Kalenders Imhoteps war es Djoser gelungen, die Tage für den Eintritt der Nilüberflutungen so genau vorherzusagen, wie es vordem nie möglich gewesen war. Günstige Fluthöhen, die den Kanälen und Rinnsalen mehr Wasser zuführten als in anderen Jahren, mögen dazu gekommen sein. Mußte der einfach denkende Bauer nicht zu der Überzeugung kommen, daß der Herrscher nicht nur Mittler zwischen Mensch und Gott sei, der durch seine Gebete den Nilgott Hapi beeinflussen konnte, sondern daß er auch selber imstande sei, die Wasserfluten zur rechten Zeit zu rufen und ihre Höhe zu bestimmen? Nur eine Gottheit konnte so unfehlbar und mächtig sein, daß er den Wassern Kommen und 14
Gehen gebot! Vielleicht ist das die Erklärung dafür, daß eines Tages in den Inschriften, die den Königsnamen Djoser tragen, zu allen bisherigen Titeln und Würden der Beinamen „Der Gute Gott" auftaucht. War doch dieser Hohe und Einsame in seinem Palast nicht nur der Bändiger und Gebieter des Stromes, den er aus der Unterwelt mit der Fülle seiner nähernden Wasser zu der Stunde, die er selber bestimmte, herbeibefahl, sondern auch der Erschaff er jenes göttlichen Totenmals, das nach seinem Willen am Rande der Wüste aufwuchs, und der Schöpfer von Wasserläufen, der dem heiligen Nil die Wege bis auf die Felder und Äckerchen und in die Gärten der Fellachen vorschrieb. Wir wissen nicht, was in der Seele König Djosers vor sich ging, als er den Steinmetzen befahl, seinem Namen die Gottesformel hinzuzufügen. Auch die Könige waren in dieser Zeit tief eingewurzelt in den allgemeinen Glaubensgrund des Volkes; ihre Unnahbarkeit und kultische Vereinsamung zwang sie in eine unwirkliche Vorstellungswelt, die wir heute ahnen, aber mit dem Verstände des modernen Menschen nicht mehr begreifen. Götter waren unsterblich. Auch ihr Gott-König mußte unsterblich sein — nicht dem Leibe nach. Denn auch König Djosers Körper würde eines Tages jener rätselhaften Wandlung unterzogen, die man den leiblichen Tod nannte. Aber diese Verwandlung würde einer gewaltigen Steigerung seines Ka gleichkommen, seiner Seele, und so würde der Pharao auch in der Abgeschiedenheit des jenseitigen Fortlebens weiterhin für Ägypten „Der Gute Gott" bleiben, der auch in künftigen Zeiten zu gegebener Stunde die Wasser des Nils herbeirief, damit er fruchtbare Schlammerde und tränkende Fluten für die Kanäle und Äcker heranführe. Man würde seinem Ka nährende und schmackhafte Opfer darbringen, damit er nicht Not leide und die Lebenden nicht vergesse. Dieser Glaube an ein unsterbliches Fortleben der Könige hat sich in Ägypten bis in die Spätzeit erhalten. Noch zu Alexanders des Großen Zeiten war er so lebendig, daß nach seinem Tode ein erbitterter Kampf um den Besitz seiner Leiche entbrannte. Denn auch der Eroberer und Herr Ägyptens, Alexander, galt als ein Gott wie Djoser, und man versprach sich besondere Vorteile davon, die in dem „toten" Körper des Gott-Königs weiterlebende und weiterwirkende göttliche Seele in den Grenzen des Landes zu wissen.
Die Totenstadt am Wüstenrand So kam alles darauf an, die Seele des Königs an einer möglichen Abwanderung zu hindern. Sein Ka sollte sich wohlfühlen in der Nähe der Lebenden. Für seinen Aufenthalt in der Nachbarschaft 15
der Hauptstadt Memphis genügten die bisherigen Gräber nicht. Es sollte eine königliche Totenstadt entstehen, die ihresgleichen nicht hatte auf der Welt. Die abgeschiedene Seele König Djosers sollte auch in der jenseitigen Welt die gewohnte Umgebung finden, seinen Palast und die Häuser seines Hofstaates, die Hütten seiner Dienerschaft und die Kapellen der Götter, zu denen er als seinesgleichen beten konnte. Man glaubt heute, daß auch der Gedanke an diese Totenresidenz von Imhotep ausgegangen ist; sie ist zu einem der ergreifendsten Friedhöfe der Erde geworden. Man wählte das Gelände rings um Djosers Gräber am Wüstenrande, westlich der Stadt der „Weißen Mauer". Freilich durften die aus Nilschlamm-Ziegeln errichteten Königsbauten von Memphis, die für lebende Menschen durchaus zweckmäßig, aber doch wenig haltbar waren, nicht ohne weiteres zum Aufenthalt des Ka Djosers verwendet werden, der ja unsterblich war. Die Stadt für den toten König mußte aus beständigem Material gebaut sein, das von der schleifenden Gewalt der Sandstürme und vom Wasser nicht zerstört werden konnte. So begann man zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte monumentale Bauwerke aus geglättetem Stein zu errichten, der aus den Felsenbergen der Umgebung gebrochen und mit Kupferhämmern, Kupfermeißeln und Steinschabern bearbeitet wurde. In dieser geheimnisvollen Stadt zwischen Nil und Wüste entstanden indes keine bewohnbaren Räume, deren der alles durchdringende Ka des Königs ja nicht bedurfte; alles war massiv ineinandergefügt und doch der Wirklichkeit nachgebildet, auch die Portale und Türen waren nicht als Durchgänge für lebende Menschen gedacht, sondern bestanden aus geschlossenen oder halboffenen Steintüren, deren ebenfalls aus Stein gemeißelte Angeln sich nicht bewegten, da die Portale nur „geistig" durchschritten werden konnten. Der Ka war ja kein Wesen aus Fleisch und Blut, er bewegte sich durch die Kalkquadern, durdi Porphyr- und Granitwände, wie das Licht Glas durchflutet. Ihm genügte die Andeutung der Wirklichkeit. Vielleicht ließ er sich auch täuschen! So gestaltete Imhotep in den folgenden Jahren neben der Mastaba des Nordgrabes, sorgfältig aus Steinblöcken aufeinandergetürmt, die Fassade und die beiden Portale der Residenz von Memphis nach. Das eine Portal führte wie beim Stadtpalast in das „Nordland" und das zweite in das „Südland" König Djosers. Steinerne Tempelbauten wuchsen zu Seiten weiträumiger Höfe auf, in den Seitenkammern der beiden Königsgräber bildeten die Stein16
metzen die Schilfmattenwände der Residenz von Memphis in blaugrünen Fayence-Kacheln kunstvoll nach. Die Zimmerdecken, die in der Residenz aus Rundhölzern bestanden, erfuhren hier in mühevoller Meißelarbeit eine Wiederholung in Stein, ein Holzbalkentor erhielt eine steinerne Kopie. Heute sind die Originalbauten, die aus Nilschlamm, Schilfgeflecht oder Lehmziegeln in Memphis errichtet waren, vom Erdboden verschwunden; ein lichter Palmenhain dehnt sich fast ohne jede Spur der einstigen Stadt über die riesenhafte Fläche, die einst Memphis hieß. Ihre steinernen Nachbildungen in der Totenstadt aber haben zum großen Teil die Jahrtausende überstanden, so daß wir uns durch sie ein einigermaßen zutreffendes Bild vom Aussehen des Königspalastes in Memphis machen können. Zum Schutz all dieser Bauwerke umgab Imhotep die Totenresidenz mit einer zehn Meter hohen Mauer, harmonisch gegliedert mit zahllosen Vorsprüngen und fünfzehn unregelmäßig verteilten Toren, von denen jedoch nur ein einziges, das auch heute noch als Eingang benützt wird, ein normales Portal war, während alle anderen als geschlossene Scheintüren nur dem Ka zugänglich blieben. Vieles deutet darauf hin, daß auch diese Mauerumwehrung eine Nachbildung war, eine Nachahmung der berühmten „Weißen Mauer" der Hauptstadt, die König Menes, jener noch nicht enträtselte Herrscher der ersten Dynastie s der die Grundlage für die Organisation des Landes gelegt hatte, bei der Vereinigung von Ober- und Unter-Ägypten um seine Festung Memphis gezogen hatte. Die Mauer um die Mastaba Djosers erstreckte sich in dem umgürteten Rechteck einen halben Kilometer in die Länge und fast dreihundert Meter in die Breite.
Die Totenresidenz mit der Stufenpyramide. Der Zugang zur Totenstadt befindet sieh ganz links an der vorderen Mauer. Die übrigen Portale sind Scheintüren (Rekonstruktionsversuch naehl.E. S. Edwards). 17
Im Westen wohnen die Toten Die Umfriedung der Totenresidenz von Sakkara hatte jedoch einen Nachteil. Wer von Memphis herüberkam, sah nur die gewaltige Umwehrung, aber nicht die Mastaba selber, die sich hinter der zehn Meter hohen Mauer verbarg. Da aber das Grabmal als Symbol der steten Anwesenheit des göttlichen Ka des Herrschers sichtbar sein sollte, entschloß sich Djoser, auf die vorhandene Mastabastufe eine zweite von ebenfalls acht Meter Höhe zu setzen, die gegenüber der ersten um einige Meter zurücktrat wie die Stufen einer Treppe. Um die größere Last gegen seitliches Ausbrechen zu sichern, mußte nachträglich die schräge Stützmauer, die die untere Mastabastufe zusammenhielt, auf volle drei Meter Dicke verstärkt werden. Alles war gewagt an diesem Weiterbau, es fehlte jede Erfahrung mit der Aufschichtung von schweren geglätteten Steinquadern. Bisher hatte man nur mit Steinbrocken gebaut, wie sie sich in der Natur vorfanden, oder mit Lehmziegeln, die an der Sonne getrocknet waren, oder man verwandte Lehmbewurf auf Stroh- und Palmengeflecht. Die Quadern aus den Steinbrüchen durften zudem nur so schwer sein, daß sie von zwei Arbeitern getragen werden konnten; denn es gab in dieser Zeit vor mehr als viereinhalb Jahrtausenden noch keine Krane, Greifhaken, Flaschenzüge oder andere kräftige Hebevorrichtungen. Schon das Losbrechen der Steine aus dem anstehenden Kalkfelsen muß eine anstrengende Arbeit gewesen sein. Mit Feuersteinbohrern und Kupfergerät schlug man handtiefe schmale Schlitze in schnurgerader Reihe in den Fels, keilte trockene Holzscheite in die Spalten und begoß die Hölzer mit Wasser. Die Feuchtigkeit durchdrang das Holz, ließ es aufquellen, und mit ungeheurer Gewalt wurde der Fels entlang der Keile aus seinem Untergrund losgesprengt. Für den Transport der Steinblöcke wartete man die nächste Landüberschwemmung ab, ließ Boote aus zusammengeknüpften Schilfbündeln heranfahren und lud das Gestein hinein. Oder man verfrachtete es auf hölzerne Schlitten, die, von Ochsen gezogen, im Nilschlamm leicht bewegt werden konnten. In Trockenzeiten feuchtete man während des Transportes den Schlamm vor den Schlittenkufen aus mitgeführten Wasserkübeln an, um die Gleitfähigkeit des Bodens zu erhöhen. Mühselig war es, die Steine auf den fast vierzig Meter hoch gelegenen Wüstensockel hinaufzuschaffen und sie dann acht bis sechzehn Meter hoch auf die Mastaba hinaufzuwuchten. Zehntausende Blöcke mußten auf diese Weise gebrochen und transportiert werden. Während des Aufbaus der 18
zweiten Mastabastufe war man auch unter der Erde nicht müßig geblieben. Vom Zentralschacht aus grub man in mehreren Stockwerken zahlreiche sehr tief liegende Gänge nach allen Richtungen, die sich verzweigten und gabelten (vgl. Zeichnung S. 13, Ziffer 6, 8, 9, 11, 12). An beiden Seiten öffnete sich eine ständig wachsende Anzahl von Nischen und Kammern, die zur Aufnahme der Grabbeigaben bestimmt waren. Wir wissen heute nicht mehr, welche Gold- und Silberschätze allmählich in diesen Räumen untergebracht wurden, da sie später geplündert wurden; aber die zahllosen herrlich gearbeiteten Steingefäße, die man dort fand, verraten, daß die versenkten Schätze unvorstellbar reich gewesen sein müssen. In diesem Baustadium der Pyramide hatte die Zahl der in den Kammern niedergelegten Steingefäße etwa fünfzehn- bis zwanzigtausend erreicht. Mit Wein, öl und Salben gefüllt, konnten sie ihre Anziehungskraft auf die Seele des Gottkönigs nicht verfehlen. Nun war die Doppelmastaba etwa sechzehn Meter hoch. Jetzt war auch vom Niltal her zu sehen, wie sie breit und massig die Mauerkrone überragte. Aber der König begnügte sich nicht mit dem bisher Erreichten und beschloß im Einvernehmen mit Imhotep, die einmal begonnene Erhöhung weiterzuführen und noch zwei weitere Stufen auf die Doppelmastaba aufzusetzen. Wahrscheinlich hatte der Baumeister sehr bald Mittel und Wege gefunden, die Arbeiten leichter und praktischer zu organisieren. Da auch die neuen Stufen treppenartig gegen die unteren zurücktraten, brauchte man weniger Material. So wuchs denn der Bau in den nächsten Jahren bis zur stattlichen Höhe von fast vierzig Metern empor. Die oberste Plattform war nun so klein geworden, daß eine weitere Aufstockung in der bisherigen Weise nicht mehr möglich war. Der Bau schien vollendet.
Der Kultlauf des Königs Noch nie war ein steinernes Gebäude von solcher Bauhöhe errichtet worden, und die Geschichtsforscher schließen aus dieser Herrschertat, daß König Djoser schon damals im Besitz einer fast mythisch anmutenden Machtfülle gewesen ist. Er war für sein Volk im wahrsten Sinne des Wortes „Der Gute Gott" geworden. Es wäre undenkbar gewesen, daß man ihn getötet hätte, wie man in Urzeiten Könige des Landes getötet hatte, weil sie zu schwach geworden waren, den Nilfluten zu gebieten. 19
Das lag schon lange zurück, aber es war bis kurz vor Djosers Regierungsantritt jahrhundertelang Sitte gewesen, daß der jeweilige König "von Zeit zu Zeit seine noch vorhandene Stärke vor allem Volke, vor den Priestern und den Fürsten beweisen mußte. Man zwang ihn, im Abstand mehrerer Jahre zwischen zwei abgesteckten Zielmarken einen Bewährungslauf auszuführen. Bestand er eines Tages die Probe nicht mehr, so konnten die Gaugrafen der zweiundvierzig ägyptischen Bezirke den Herrscher entthronen und durch einen neuen, jüngeren, kräftigeren ersetzen. König Djoser hätte man diesen Zwang nicht mehr auferlegen können, und es dürfte auch keine Veranlassung dazu vorgelegen haben. Was aber seit vielen Generationen Sitte und Brauch war, konnte trotzdem nicht ohne weiteres vernachlässigt werden. Im Charakterzug der Ägypter lag es, Vergangenes, Überholtes nicht durch Neues, Besseres zu ersetzen, sondern beides gleichberechtigt nebeneinander bestehen zu lassen. Wir können dieses Beharren immer wieder feststellen, zum Beispiel in der amtlichen Schrift, die mit geringen Änderungen bis in die Römerzeit verwendet wurde, obwohl es neben den Hieroglyphen längst eine abgeschliffene, zügigere Schreibweise für den täglichen Gebrauch gegeben hat. Wir erleben es in der ägyptischen Kunst in den streng symmetrischen Sitz- und Standbildern, deren Haltung sich in den Jahrtausenden kaum verändert hat, ja zu gewissen Zeiten den ältesten Vorbildern bewußt nachgestaltet wurde. Wir erkennen es an den zahllosen Reliefs, in denen keine Figur aus der Bildfläche herausschaut und Seiten- und Vorderansicht eines Menschen gleichzeitig zu erblicken sind, eine Darstellungsweise, die typisch ägyptisch ist und die über zweieinhalb Jahrtausende lang beibehalten wurde, obwohl die Künstler bei ihrem hohen Ausbildungsstand leicht hätten „perspektivische" Figuren schaffen können. So wurde auch der Schnellauf des Königs nicht aufgegeben, als er längst seinen inneren Sinn verloren hatte. Und König Djoser unterzog sich, selbst als er der unabsetzbare „Gute Gott" geworden war, der Zeremonie des Kultlaufes, den man Sedlauf nannte.
Der große Hof vor dem Königspalast von Memphis stand dicht gedrängt mit Menschen, die in der. Mitte einen freien Raum ließen. In frischem Weiß schimmerten die Leinenschurze der Männer. Nach der feiertäglichen Salbung glänzten ihre kupferfarbenen Ober20
körper in der herabbrennenden Sonne. Seitwärts der großen Freitreppe, die zu den beiden Portalen des Palastes emporführte, hatten die obersten Beamten des Reiches einen bevorzugten Platz. Dort drängten sich auch die Aufseher und Schreiber der Schatzkammern und der Vorratshäuser, die Steuereintreiber und die Vorsteher der vielen weitverzweigten Regierungsä'mter, wie sie seit der Verwaltungsreform des Königs Menes bestanden. Ihnen gegenüber hatten die Priesterschaften all jener Götter Aufstellung genommen, die in Memphis verehrt wurden. Der Pharao hatte neben den Göttern der Hauptstadt auch alle Lokalgötter Ober- und Unterägyptens in Memphis wie in einem Pantheon versammelt und jedem eine eigene Kapelle gebaut, um die Gaue des Landes noch fester an die Reichszentrale zu binden. Man sah die Priester des Sonnengottes Re-Harachte, die der liebenswürdigen Göttin Bastet mit dem Katzenkopf, des widderhäuptigen Chnum, der einst den
Blick vom Westhof der Totenresidenz auf die Djoser-Pyramide. 21
Menschen und sein Ka auf der Töpferscheibe entworfen hatte, des Sonnenstrahlen-Atons und des Osiris, den man den „Ersten der Westlichen" — den ,Ersten der Toten' — nannte. Man sah die Tempeldiener der Gsiris-Gemahlin Isis und die des schakalköpfigen Mumienbetreuers Anubis. Unter allen aber ragten hervor die Priester des Hauptgottes von Memphis, des Ptah, des Schöpfers der Welten, dessen heiliger Apisstier bekränzt, allen sichtbar, breit und wuchtig vor den Reihen der Zuschauer stand, um den Sedlauf des Königs, dessen Symboltier er war, beizuwohnen. Dem Palast gerade gegenüber hatten die zweiundvierzig Fürsten der Gaue ihren traditionellen Standort, hinter jedem von ihnen postierte sich an der Spitze ihres Gefolges der Standartenträger. Er reckte die Standartenstange mit den Abzeichen seiner Grafschaft über die Köpfe der Umstehenden hoch hinaus, um aller Welt die Anwesenheit seiner Landsleute beim großen Königsfest kundzutun. Sie waren zum Teil in wochenlanger Reise von weither gekommen, tief aus dem oberägyptischen Süden: vom Hasengau, vom Schlangengau, vom Horusthron, vom Doppelzeptergau, vom Nubierland und vom Gau der weiblichen Seele; andere stammten aus dem unterägyptischen Deltagebiet: vom Ibisgau, dem Harpunengau, dem Unversehrten Zepter, aus Busirisland und aus dem Bezirk „Spitze der Fische". Jeder Gaufürst hatte zu Seiten des Heb-SedHofes eine Kammer, in der er während der festlichen Tage wohnte. Erwartungsvoll blickten die Männer hinüber zu den Portalen der königlichen Residenz, die sich, breit hingelagert, längs der vierten Seite des Hofes hinzog. Mit seinen graubraunen Nilschlammziegeln und seiner flachen Bedeckung aus Rundhölzern unterschied sich der Palast nur durch seine Größe von den übrigen Häusern der Stadt. Und doch waren die Augen der gespannt Harrenden wie verklärt, als sie in tiefer Ehrfurcht zum Königshaus hinüberschauten, da dort der Gott-König wohnte, der „Gute Gott", den sie heute, nach langer Frist, wieder einmal sehen durften. Die Palasttore schwangen auf, eine Gruppe von Posaunenbläsern und Paukenschlägern kam die Freitreppe herab und verteilte sich über die Terrasse. Tubatöne erschollen, dumpf rasselten die Trommeln. Der höchste Reichsbeamte, Wesir Imhotep, trat über die Schwelle des Portals und verkündete mit machtvoller Stimme, daß der Erhabene sich nahe. Wie die Wucht des Sturmes die Halme des Getreides niederzwingt, so stürzten die Menschen zu Boden und beugten ihre Stirnen in den glühendheißen Sand. König Djoser schritt die Stufen herab: der Herr des Doppelreiches Ober- und Unterägypten, 22
der Beherrscher des heiligen Stromes, der Stern im Lichtland der Starke Stier, der Gute Gott, der Horus Neteri-erkhet — König Djoser. Er kam daher, angetan mit dem schneeweißen LemenscViurz wie jeder Ägypter, um den Hals wand sich die breite goldene Schmuckkette, die Füße waren mit den goldenen Königssandalen bedeckt, an der Rückseite des Gürtels schwang der lange Tierschweif, wie ihn auch die Libyer in der Wüste trugen als Zeichen des Jagdzaubers, der auch dem Pharao eigen war. Das Kinn umrundete der künstliche viereckig zugeschnittene Zeremonienbart. Das Haupt wurde überragt von der hohen oberägyptischen Krone, die wie ein Kegel mit einem Knauf aus Stoff geformt war. In der einen H a n d trug Djoser wie ein Zepter die Geißel, einst ein Wedel gegen die ewige ägyptische Plage der Stechfliegen, seit langem aber Symbol der Herrschaft über die Gaue des Deltas; in der anderen Hand hielt er den Krummstab, eine Erinnerung an die Nomaden des Landes, als der Hirte noch mit der gebogenen Krücke seines Stabes ein Schaf an den Beinen aus der Herde holte. Dem König folgte der Sandalenträger, der sich in späterer Zeit in einer Grabinschrift als „großen Mann" bezeichnen durfte, weil er „seinen königlichen Herrn hinsichtlich der Sandalen zufriedenstellte". Er trug ein Paar Goldsandalen als Ersatz hinter dem Herrscher her. Die Spitze des Gefolges bildete die königliche Familie in ihrer weitgreifenden Versippung, allen voran der Thronfolger Sekhemkhet. Djoser wandte sich dem Opferaltar zu, um — ein Gott gegenüber den anderen Göttern — die vorgeschriebenen Opfergaben niederzulegen. Weihrauchgewölk erhob sich aus steinernen Schalen. Der weithin duftende Rauch, der aus den verschwelenden gelbgrauen Harzkörnern aufstieg, versinnbildlichte das zu den Ewigen schwebende Gebet des Gottkönigs. Dem Apisstier, der wie demütig den Nacken niedersenkte, legte Djoser die flache Hand auf die Stirn, um den Segen des Gottes Ptah zu erflehen. Dann entledigte der König sich der Sandalen, des Leinenschurzes und des Zepters. Ein kleiner Schurz bedeckte seine Blöße. Muskulös und von fast jünglinghafter Harmonie war sein Körper. Mit der Krone auf dem Haupt und der Geißel in der Rechten, im Schmuck des Zeremonienbartes schritt er zu der nächstgelegenen Zielmarke, die aus Lehmziegeln in Form eines großen lateinischen B am Ende des langgestreckten Platzes in den Sand gemauert war. In ehrerbietiger Entfernung standen die Menschen, die das wundersame Schauspiel erlebten. Diener der Leibwache hielten die Grenzen der Laufbahn gesichert. 23
Mit weit ausholenden Sprüngen begann König Djoser seinen Lauf, der zweiten Zielmarke zu, die, hundert ägyptische Ellen — das sind fünfzig Meter — entfernt, gleichfalls die Form eines B hatte. Mehrmals mußten beide Wendemarken umrundet werden. Der König lief ohne Hast, seine Bewegungen waren gemessen, kraftvoll, harmonisch. Unter den Füßen stäubte Sand auf. Es war eine Szene von fast gottesdienstlichem Ernst. Kaum bewegte sich die hohe Krone auf dem Haupt, kaum rührte sich die Geißel, die der König erhoben trug, würdig und gesammelt blieben die Gesichtszüge. Nach mehreren Umläufen hatte er seine Aufgabe bewältigt. Als er dann, nur ein wenig schneller atmend, an seinen Platz zurückkehrte, wußten die Tausende, daß ihr König im Vollbesitz seiner Kräfte war, daß er dem falkengestaltigen Horus nicht nachstand, dessen „Augen Sonne und Mond sind und dessen Flügelspitzen die Grenzen der Erde berühren". Beglückt verkündete der Sprecher der Gaufürsten allem Volk, daß der Starke und Gute Gott, Pharao Djoser, auch weiterhin Herr über die Wasser des Stromes und Segenspender den Äckern der Bauern sein werde. Als der Herrscher Lendenschurz und Goldsandalen angelegt und das Zepter wieder in die Linke genommen hatte, ging er mit seinem Hofstaat noch einmal zu dem geduldig ausharrenden heiligen Stier und richtete über das Tier an Gott Ptah die Frage, ob er der König, der den Sedlauf bestanden, die vier Stufen seiner Mastaba um weitere Stufen erhöhen solle oder nicht. Und der Gott gab ein Zeichen: Ohne Zögern nahm das Tier die dargereichte Futtergabe: Der Weltenschöpfer wünschte die nochmalige Vergrößerung der Pyramide. Aus dem Schatzhaus trat der Reichsschatzmeister mit einer Schar Gefolgsleute. Zweiundvierzig goldene Armreifen übergab er dem König, und der König beschenkte mit ihnen seine zweiundvierzig Gaufürsten. Unter dem Schall der Posaunen, im Wirbel der Trommeln und unter dem Dröhnen der Pauken kehrte König Djoser in seinen Palast zurück. Wieder neigte das Volk sich in den Staub.
Die Vollendung der Pyramide Noch am Abend des denkwürdigen Tages war König Djoser wieder allein mit seinem Vertrauten, dem Ersten Baumeister, dem Wesir und Berater Imhotep. Von draußen, aus den engen Gassen und von den Plätzen von Memphis, drang der Lärm des Volks24
Empfangshalle der Totenresidenz von Sakkara mit den frühesten noch nicht freistehenden Säulen der Welt (Wiederherstellung). 25
festes herein, die Menschen waren ausgelassen, sie hockten vor den Türen ihrer Hütten und schmausten, erhoben sich zum Tanz, bewunderten die Gaukler und lauschten den Märchenerzählern, ließen sich immer wieder die Geschichte von Osiris erzählen, der von seinem Bruder Seth getötet und zerstückelt, von seiner Schwester und Gemahlin Isis aber wieder zusammengefügt und zu neuem unterirdischem Leben erweckt wurde, als „Erster der Westlichen". König Djoser aber hatte in dieser Stunde eine ernste Sorge: „Wie kann es geschehen", fragte er Imhotep, „daß ich den Befehl des Gottes Ptah, die Mastaba noch einmal zu erhöhen, erfülle? Es ist unmöglich, auf die bereits gebaute vierte Stufe noch eine oder mehrere weitere Stufen zu türmen, da die oberste Plattform für einen solchen Aufbau viel zu klein ist." Imhotep überlegte und sah nur einen Ausweg: Die Basis der Pyramide, die allererste Mastaba, mußte an zwei zusammenstoßenden Seiten, also etwa der Nord- und Ostkante, um fünfzig ägyptische Ellen, um fünfundzwanzig Meter, verbreitert werden; auf dieser größeren Grundfläche ließen sich dann, wenn man die schon gebauten vier Stufen mitverwendete, zwei weitere Stufen errichten. Djoser erkannte die Zweckmäßigkeit dieses Vorschlages an und befahl zugleich, daß neben der Pyramide auch seinem Ka die Möglichkeit gegeben wurde, den Sedlauf auszuführen. Zu diesem Zweck sollten auch im großen Hof der Totenresidenz die beiden B-förmigen Zielmarken, diesmal aus Stein gefertigt, aufgestellt werden, und zwar im gleichen Abstand von hundert ägyptischen Ellen, wie bei der Laufbahn des Stadtpalastes. Auch sollte sowohl im Südgrab, als auch in der Grabanlage unter der Pyramide in abgetrennten Räumen der Sedlauf auf farbigen Reliefbildern dargestellt werden. Der König wünschte zudem, daß in einem besonderen Heb-Sed-Hof der Totenresidenz die Kammern für die Gaufürsten in Stein nachgebildet wurden.
Alles das ist genau nach dem königlichen Befehl in den folgenden Jahren von Imhotep ausgeführt worden. Die künstlerisch hervorragenden Reliefs in den Nischen des Nord- und Südgrabes sind im Jahre 1821 von der preußischen Ägyptenexpedition unter General Freiherr von Minutoli entdeckt worden und zeigen den König, leicht bekleidet, mit Krone und Geißel bei seinem Kult- und Bewährungslauf. Vor und hinter seinen Füßen erkennt man die B26
förmigen Zielmarken. Auch der Heb-Sed-Hof mit den Fürstenkammern wurde in seinem Grundriß aus dem Wüstensand freigelegt und teilweise wiederhergestellt; ebenso fand man die beiden Zielmarken des Pyramidenhofes. Die größten Schwierigkeiten entstanden einem Baumeister jener frühen Zeit bei der Aufgabe, die bereits aufgestockte Stufenpyramide in eine noch höhere Pyramide von größerem Grundriß zu verwandeln. Imhotep vergrößerte die Basis zunächst um fünfundzwanzig Meter nach zwei Seiten hin. Dann erweiterte er nacheinander die vorhandenen Stufen, bis er ein genügend großes Fundament geschaffen hatte, das die beiden letzten Stufen tragen konnte. Djosers Großpyramide war vollendet. Wie eine Treppe ins Ewige ragte sie sechzig Meter hoch über die Wüste, als das erste Baumonument der Menschheit, ein Grabmal für die Ewigkeit- gedacht, und ein Ruhmesmal für einen König, der sich den Göttern verbrüdert wußte. Die Stufenpyramide bedeckte eine Fläche von einhundertneun mal einhunderteinundzwanzig Metern. Dieses Steingebirge, auf dessen kalkhellen Quadern die ständig strahlende Sonne sich in milden Farben spiegelte, dieser „Berg des Gottes", aufgeschichtet von einem Sterblich-Unsterblichen, muß für die schlichten Menschen Alt-Ägyptens ein überwältigender Anblick gewesen sein. Selbst der Besucher, der heute vor dieser vierseitig hochgetürmten Himmelstreppe steht, kommt sich klein und gedemütigt vor, obwohl das Bauwerk inzwischen altersgrau geworden und an vielen Stellen verwittert ist. An einem solch erhabenen Bau mitzuwirken, war gewiß für die Untertanen König Djosers nicht Sklavenarbeit, sondern geheiligtes Werk. Wenn die Feldarbeit getan war nach den Zeiten der Hochflut, werden sie von weither gepilgert sein, um am Königsgrab mitzuschaffen — so wie es in der Zeit der Gotik ein gottgefälliges Tun war, zum Dombau beizutragen — als Mitwirkender in der Bauhütte, oder, falls das nicht möglich war, durch eine Geld- oder Materialspende oder durch ein Vermächtnis. Es war wie eine Dankesschuld des Volkes für seinen Wohltäter, ein Gegenwert gleichsam für das, was der geniale Herrscher für sein Land getan hatte. Aber es war vermutlich auch Ausdruck der Erwartung, daß der Ka des Königs einst seine schützenden Flügel über das Land halten werde, wenn man ihm dieses unvergängliche Heim schuf. In einer späteren Pyramide finden wir einen Text, der in gleicher Weise auch für König Djoser Gültigkeit haben mag: „Wir bauen Dir eine Treppe, damit Du darauf zum Himmel aufsteigst." 27
Das Bildnis des Königs In den neunzehn bis dreiundzwanzig Jahren, in denen Pharao Djoser das Zepter in der Hand hielt, konnte Imhotep nicht nur die Pyramide, sondern auch den ausgedehnten mauerumgürteten heiligen Bezirk um das Bauwerk mit allen seinen darin befindlichen Gebäuden und Anlagen vollenden. Fast fünfundzwanzigtausend Steingefäße haben sich um diese Zeit in den unterirdischen Kammern befunden, ihre Anzahl erhöhte sich bis zum Tode des erhabenen und vergöttlichten Herrschers auf die fast unbegreiflich hohe Zahl von etwa dreißigtausend. An der Nordseite der Pyramide erbaute Imhotep einen machtvollen Tempel, der für den Kult des „Guten Gottes" und für die Opferfeiern bestimmt wurde. Sein Inneres war nur auf Irrwegen zu betreten. Dicht in seiner Nähe errichtete der Reichsbaumeister noch eine kleine Steinkammer von der Größe eines Schilderhauses, mit einer inneren Bodenfläche von etwa einem Quadratmeter. Sie hatte keinen Eingang und war von Quaderwänden fest umschlossen. Im Innern fand man bei ihrer Entdeckung und Öffnung ein fast lebensgroßes Sitzbild des Gottkönigs, das aus Kalkstein herausgehauen war. Die Gesichtszüge ließen darauf schließen, daß das einst farbige Bildwerk in den letzten Regierungsjahren Djosers entstanden sein mußte. Der jugendliche Gesichtsausdruck, der die schönen Reliefporträts der mittleren Lebensjahre des Königs kennzeichnet, war einem ernsten, männlichen Aussehen gewichen. Obwohl die Augen, die vermutlich aus edlem Gestein nachgebildet wurden, von Plünderern herausgebrochen waren, zeigte das Antlitz des Gott-Königs würdevolle Gelassenheit; der Anflug eines bitteren Zuges um die leicht herabgezogenen Mundwinkel war jedoch unverkennbar. In selbstbewußter, aufrechter Haltung saß der Herrscher auf einem einfach gehaltenen Thronsessel, Füße und Beine waren eng geschlossen, die linke Hand mit den ausgestreckten Fingern ruhte auf dem linken Oberschenkel, die Rechte war als geballte. Faust an die Brust gedrückt, eine Geste des unangefochtenen Machtbewußtseins. Das Kopftuch, das über das Haupt gedeckt war, zeigte altertümliche Faltung. Teile der Nase und des langen eckigen Zeremonienbartes waren nicht mehr erhalten (vgl. das Umschlagbild). Der kleine geschlossene Statuenraum, das nennen, enthält heute nur eine vorzüglich Originals, das im Nationalmuseum in Kairo Menschenbildnisse bewundert werden kann. 28
„Serdab", wie wir es ausgeführte Kopie des als eines der frühesten Das Bildnis offenbart
noch nicht die künstlerische Vollendung späterer Königsstatuen, doch können wir sicher sein, daß das Porträt dem Antlitz des Dargestellten, so ähnlich ist, wie das den Steinmetzen jener frühen Zeit' nur irgend möglich war. Eine Statue war zu Djosers Zeit noch nicht zur öffentlichen Besichtigung bestimmt, wie die Standbilder späterer Pharaonen, sondern hatte einzig und allein den Zweck, als Sitz des Ka zu dienen. Der Ka ergriff von einer steinernen Nachbildung des Leibes um so eher Besitz, je ähnlicher sie dem dargestellten Menschen war. In Augenhöhe der Djoser-Statue finden wir noch heute zwei Schlitze in der steinernen Vorderwand des Serdab, damit der König, oder vielmehr sein überlebender göttlicher Geist, den Opferzeremonien beiwohnen konnte, die auf dem davorliegenden Platz dem Gott-König von seiner Priesterschaft darzubringen waren. Die Einkünfte mehrerer Dörfer hatte Djoser noch zu Lebzeiten für diesen Opferdienst bestimmt. Ein sehr hohes Alter wird König Djoser kaum erreicht haben. Setzt man seinen Regierungsantritt auf ein Alter von etwa fünfundzwanzig Jahren und fügt man die ungefähr bekannte Regierungszeit hinzu, so kann man annehmen, daß er wohl nicht älter als fünfundvierzig Jahre geworden ist. In diesem Alter etwa zeigt ihn die Statue im Serdab-Kämmerchen. Trifft das zu, so würde man sein Todesjahr auf 2750 v. Chr. datieren können. Die Beisetzung des Königs in dem steinernen Sarkophag tief im Felsen unter der Pyramide hat zweifellos mit allem Pomp stattgefunden, den man dem Gott-König schuldete. Es war sicher zugleich ein Tag tiefer Trauer für das ganze Volk. Vermutlich hat Imhotep, der weise Kanzler und Freund des Herrschers, die Beerdigungszeremonien entworfen und geleitet. Er wird auch die urtümlich-kraftvollen Sprüche und magischen Formeln über der Mumie seines königlichen Herrn gesprochen haben, die die Nachwelt nicht vergessen hat. Noch dreihundert Jahre später hat König Unas die Todessprüche des Djoser in den Stein seiner eigenen Grabkammer einmeißeln lassen. Befremdend und wuchtig klingen die Worte an unser Ohr: „Der Himmel ist wolkenschwer, die Sterne sind verfinstert, das Himmelsgewölbe erbebt, die Knochen des Erdgottes zittern, wenn der König kommt, glänzend und machtvoll als ein Gott, der von seinen Vätern und von seinen Müttern lebt. Wer von ihm gefunden wird auf seinem Wege, den verschlingt er Stück für Stück. Er hat die Rückenwirbel seiner Opfer für das 29
Einstechen berechnet, er hat die Herzen der Götter genommen und die Kräfte der Himmlischen verschlungen. Die Großen sind für sein Frühmahl da, und er verzehrt ihre Zauberkräfte. Die Sterne vom Nordhimmel legen ihm das Feuer unter den Kessel, und die Himmelsbewohner bedienen ihn. Er nimmt sich den Entscheid, und man bringt ihm die Ewigkeit. Jauchzet ihm! Er hat sich den Horizont erobert!" Diese Stellen aus den sogenannten „Pyramidentexten" gehören zu den ältesten religiösen Schriften der Menschheit. Sie fanden sich eingestreut in die weniger gewalttätig anmutenden Sprüche, die von König Unas selbst stammen.
Fortlebende Götter Fünfzehnhundert Jahre nach seinem Tode — fast auf das Jahr genau — wurde Djoser noch immer als Gott verehrt, wie wir den Wandkritzeleien entnehmen können, die sich im Bezirk der Stufenpyramide gefunden haben. Erlauchte Pilger suchten das DjoserGrab auf und schrieben auf die Steinquadern: „Jahr 47 der Regierung Ramses IL, zweiter Monat der Überschwemmungszeit, 25. Tag. Der Schreiber des Schatzhauses, Hadnachte, Sohn des Sei und seiner Mutter Ta-u-asret, kommt, um einen Ausflug zu machen und sich zu erfreuen im Westen von Memphis mit seinem Bruder Pa-nachte, Schreiber des Wesirs. O, alle ihr Götter des Westens von Memphis und ihr Götter, die ihr über die heilige Erde herrscht, Osiris, Isis und ihr großen Geister des Westens von Anch-tui, gebt mir eine gute Lebenszeit, um euer Ka und auch denjenigen des Königs Djoser zu verehren . . . " Imhotep überlebte seinen königlichen Freund um mehrere Jahre und war unter Djosers Nachfolger Sekhemkhet oberster Reichsbeamter und Erster Baumeister. Er begann auch unter seinem neuen Herrn sogleich mit dem Bau eines Königsgrabes in Form einer Stufenpyramide. Imhotep gab dieser zweiten von ihm begonnenen Königs-Pyramide von vornherein die Maße, die Djosers vollendetes Bauwerk hatte; aber der Bau gedieh nicht über die ersten Anfänge hinaus, da Sekhemkhet nur wenige Jahre regierte. Als er starb, waren nur Teile der Umfassungsmauer und die unterirdische Grabkammer im Rohbau fertiggestellt. 30
Auch Imhotep wurde m späteren Zeiten als Gott verehrt. Wir besitzen ein kleines Standbild von Am, das ihn als Gottheit darstellt. Besonders die Schreiber, die einen der ehrenwertesten Beruf im alten Nilstromlande ausübten, betrachteten ihn als ihren Schutzpatron und brachten ihm ein Opfer dar, bevor sie ihre Arbeit begannen. Selbst die Griechen sahen in Imhotep, mehr als zweitausend Jahre nach seinem Tode, noch eine Gestalt von mythischer Größe. Sie stellten ihn Asklepios gleich, der Gottheit der Heilkunde.
* Der Verfall des einst blühenden Doppelreichcs am Nil, seine Besetzung durch Perser und Römer, durch Byzantiner, Kalifen und Türken, wirkte sich auch auf all die herrlichen Bauwerke aus, die von den Pharaonen im Laufe von fast drei Jahrtausenden errichtet worden waren. Auch König Djosers Stufenpyramide und seine Totenstadt machten keine Ausnahme. Die monumentalen Bauwerke des Königs wurden zu Steinbrüchen. Die Wüste warf ihre Stürme über den heiligen Bezirk und bedeckte ihn mit Sanddünen. Schon lange vor dem Niederbruch des Pharaonenreiches waren Räuber in das Heiligtum eingebrochen und hatten es aller kostbaren Grabbeigaben beraubt. Heute können uns nur die vieltausend steinernen Schalen, Vasen und Krüge, die von den Plünderern als wertlos zurückgelassen wurden, eine Vorstellung von dem ungeheuren Reichtum geben, mit dem sich der Gottkönig für das Fortleben im Jenseits gerüstet hatte. Selbst bis in die unterirdische Gruft drangen die Räuber vor. Man fand in dem zurückgelassenen Steinsarkophag nur noch ein Reststück des Skeletts, das — wenig ehrerbietig — in das Anatomische Museum der Universität Kairo verbracht wurde. Das ist alles, was von der leiblichen Gestalt des Königs Djoser des „Prächtigen" auf uns gekommen ist. Sein Werk aber, die Stufenpyramide und Teile der umgebenden Gebäude, steht noch heute am Saume der Libyschen Wüste und legt Zeugnis ab von der Größe eines der frühesten Herrscher AltÄgyptens, von dem es in den Pyramidentexten heißt: „Anubis, der Gott, der die Herzen zählt, strich den zum Osiris Gewordenen aus der Zahl der Götter der Erde und setzte ihn ein in das Verzeichnis der Götter des Westens. 31
Du bist auf dem Thron des Osiris, als Stellvertreter des Ersten der Westlichen. Nimm dir seine Macht! Empfange seine Krone! Er hat dir seinen eigenen Thron überantwortet, auf daß alle Verklärten dir folgen. Der Sonnengott stützt sich auf dich im Horizonte des Lichts."
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Ullstein-Bilderdienst; auf dem Umschlag: Die Pyramide des Djoser und Sitzbild (Ausschnitt) des Gott-Königs. Bild auf der inneren Umschlagseite: in glasiertem Ton nachgeahmte Schilfmattenwand in einer der Grabkammern. Lux-Lesebogen
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(Geschichte)
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25
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