Nr. 387
Die Rache des Magiers Gefangen in einer künstlichen Welt von Marianne Sydow
Der Flug von Atlantis-Pthor durch...
25 downloads
680 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 387
Die Rache des Magiers Gefangen in einer künstlichen Welt von Marianne Sydow
Der Flug von Atlantis-Pthor durch die Dimensionen ist erneut unterbrochen wor den. Der Kontinent, der auf die Schwarze Galaxis zusteuerte, wurde durch den Kor sallophur-Stau gestoppt. Pthor ist nun umschlossen von Staub und planetarischen Trümmermassen, die von einem gewaltigen kosmischen Desaster zeugen, das sich in ferner Vergangenheit zugetragen hat. Die Zukunft sieht also nicht gerade rosig aus für Atlan und seine Mitstreiter. Alles, was sie gegenwärtig tun können, ist, die Lage auf Pthor zu stabilisieren und eine ge wisse Einigkeit unter den verschiedenartigen Clans, Stämmen und Völkern herbeizu führen. Die angestrebte Einigkeit der Pthorer ist auch bitter nötig, denn Pthor bekommt es mit den Krolocs zu tun, den Beherrschern des Korsallophur-Staus. Diese spinnen ähnlichen Wesen haben bereits eine rege Erkundungstätigkeit auf Pthor entfaltet, die auf eine drohende Invasion schließen läßt. Glücklicherweise findet die Invasion jedoch nicht sofort statt, so daß Atlan, dem neuen König von Pthor, die Zeit bleibt, Nachforschungen nach Balduur und Raza mon, seinen verschollenen Spähern, anzustellen, von denen er annimmt, daß sie sich in der Gefangenschaft der Krolocs befinden. Bei seinem Flug ins Gebiet des Gegners muß Atlan sich nicht nur mit den Krolocs auseinandersetzen – er bekommt auch Allersheims Rache zu spüren, DIE RACHE DES MAGIERS …
Die Rache des Magiers
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide auf der Suche nach Balduur und Razamon.
Copasallior und Koratzo - Atlans Gefährten.
Allersheim - Ein Verbannter, der Rache üben will.
Slojuck - Ein Tiermensch.
Pemar Gayn - Oberster Kroloc von Cornac.
1. GOL'DHOR! dachte Atlan verzweifelt. GOL'DHOR, wohin willst du uns bringen? Er erhielt keine Antwort. Das Schiff der Magier schwieg. Der Arkonide versuchte, die Hand zu he ben. Es gelang ihm nicht. Er war wie ge lähmt und konnte nicht einmal den Kopf wenden. Es war sehr still in dem goldenen Raumschiff. Bis vor wenigen Minuten hatte Atlan jen seits der durchsichtigen Schiffshülle Cornac erkennen können, den größten Stützpunkt der Krolocs im Korsallophur-Stau. Die GOL'DHOR war dort gelandet, und man hatte von den Krolocs die Freigabe der Ge fangenen – Balduur und Razamon – gefor dert. Die Krolocs schickten drei Unterhänd ler an Bord. Aber als die Fremden das Schiff betraten, veränderte sich plötzlich etwas in der GOL'DHOR. Irgend etwas lähmte die beiden Magier, Atlan und die Krolocs, und gleichzeitig schien es, als löse Cornac sich in grauen Nebel auf. Das war natürlich eine Täuschung. Atlan war sicher, daß Cornac nach wie vor exi stierte. Aber solange die GOL'DHOR durch diesen seltsamen Nebel trieb, war die Stati on für den Arkoniden unerreichbar. Damit war Atlans Vorhaben vorerst gescheitert, denn er war von Pthor aufgebrochen, um den Berserker und den Bruder Thalias zu be freien. Er versuchte es noch einmal. Er konzen trierte sich auf die GOL'DHOR, rief sie, be schimpfte sie – aber das magische Raum schiff reagierte auf nichts. Hatten die Krolocs etwas mit diesen Vor gängen zu tun?
Drei dieser Wesen waren kaum fünf Me ter von Atlan entfernt. Die drei Unterhändler trugen noch ihre unförmigen Schutzanzüge. Auch sie waren offenbar unfähig, sich von der Stelle zu rühren. Als diese Wesen an Bord kamen, stellte es sich heraus, daß sie eine tödliche Gefahr für die GOL'DHOR und deren Insassen bedeu teten. Aber Atlan wußte noch nicht, welche Art von Waffe mit den Unterhändlern ins Schiff gelangt war. Er war mit der Waggu in der Hand aus dem Kommandostand ge stürmt, als Koratzos heftige Reaktion ihm die Wahrheit verriet. Aber er war nicht mehr dazu gekommen, die Krolocs unschädlich zu machen. Die GOL'DHOR kam ihm zuvor. Irgendwo hinter ihm, im Kommandostand des seltsamen Schiffes, hielten sich Copasal lior und Koratzo auf, die beiden Magier. Da er nichts von ihnen hörte und sie ihm auch nicht zu Hilfe kamen, mußten wohl auch sie den lähmenden Kräften, die das Innere der GOL'DHOR erfüllte, zum Opfer gefallen sein. Der Gedanke erfüllte Atlan mit Bitterkeit. Die beiden hatten versichert, daß die GOL'DHOR ein Produkt der positiven Ma gie sei. Sie mußten sich geirrt haben. Wie anders ließ es sich erklären, daß das Schiff nun auch die Magier zu seinen Gefangenen machte? Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Unter seinen Füßen vibrierte der Boden. Ir gendwo in den Tiefen der GOL'DHOR er wachten geheimnisvolle Maschinen. Unwill kürlich versuchte Atlan nach unten zu sehen. Es gelang ihm nicht. Seine Augen starrten nur immer in dieselbe Richtung, auf jenen Kroloc, auf den er hatte schießen wollen. An dem Wesen vorbei konnte er ein Stück der Schiffshülle erkennen und die träge wallen
4 den Nebel dahinter. Ein weiches Rauschen erfüllte die GOL'DHOR. Es hörte sich an, als striche ein leichter Wind durch dichtbelaubte Baumkro nen. Fiepende, pfeifende Laute, die an Vo gelstimmen erinnerten, verstärkten die Illu sion. Die Geräusche wirkten beruhigend, beinahe einschläfernd. Atlan wehrte sich ge gen eine unnatürliche Sorglosigkeit, die ihn befallen wollte. Noch ist nicht erwiesen, daß eine Gefahr droht, meldete sich überraschend der Extra sinn. Atlan war dankbar für diese Bemerkung. Ihm war alles willkommen, was ihn von dem betörenden Rauschen ablenkte. Ich fürchte, die Lage ist eindeutig, dachte er bedrückt. Du irrst dich, behauptete der Extrasinn. Durch Koratzos Reaktion bei der Ankunft der drei Krolocs hast du erfahren, daß die Fremden in feindlicher Absicht die GOL'DHOR betraten. Aber der Stimmenma gier hatte keine Zeit mehr, dich über die Art der Bedrohung aufzuklären. Die Krolocs sind kriegerisch und kompromißlos. Wir können davon ausgehen, daß sie die ganze GOL'DHOR samt ihren Insassen vernichten wollten. Hältst du diese drei dort für Selbstmör der? Für einen Kroloc mag ein solcher Opfer tod besonders ehrenvoll sein. Aber das ist nebensächlich. Die GOL'DHOR muß sich und euch vor der Vernichtung schützen. Die ser merkwürdige Start mag das einzige Ge genmittel gegen den krolocischen Angriff sein. Was immer also auch im Augenblick geschieht – es muß nicht gegen dich und die Magier gerichtet sein, sondern kann im Ge genteil eurem Wohl dienen. Das hört sich logisch an. Aber leider gibt es noch andere Möglichkeiten, und die sind weitaus unangenehmer. Mit diesem Schiff stimmt etwas nicht, das spüre ich. Ahnungen! Gefühle! Bis jetzt hat die GOL'DHOR nicht einmal Ansätze zu feindli chem Verhalten gezeigt.
Marianne Sydow Atlan verzichtete auf eine Antwort. Er fragte sich, ob etwa auch der Extrasinn der wundersamen Ausstrahlung der GOL'DHOR verfallen war. Die GOL'DHOR war unsagbar schön. Als der Arkonide sie zum erstenmal sah, da konnte er sich kaum vorstellen, daß dies ein Raumschiff sein sollte. Es schien sich eher um ein Kunstwerk zu handeln. Das Schiff ähnelte einer fünfzig Meter langen, aus gol denem Glas geschliffenen Gottesanbeterin. Es schimmerte und glänzte wie ein Juwel. Wer sich der GOL'DHOR näherte, der spür te, daß das Schiff Freundlichkeit und Diensteifer ausstrahlte. Das war keine tote Maschine, sondern fast schon ein lebendiges Wesen. Es schien undenkbar, daß etwas so Schönes und Freundliches negativen Zwecken dienen sollte. So stellte sich denn auch beim Zusammentreffen mit den Kro locs heraus, daß es in der GOL'DHOR keine Waffen gab, die zu einem Angriff taugten. Und doch hatten sich in Atlan ein Rest von Mißtrauen erhalten. Jetzt schien es ihm, als sollten seine schlimmsten Befürchtungen sich bestätigen. Das Rauschen wurde ein wenig lauter, dann mischte sich ein drohendes Summen hinein. Atlan hatte das Gefühl, zur Seite zu glei ten, von einer unsichtbaren Hand geschoben zu werden, obwohl sich seine Position im Rumpf der GOL'DHOR nicht veränderte. Der Magen wollte sich ihm umstülpen. Für einen Augenblick verlor er die Orientierung. Die Umgebung verschwamm um ihn. Er konnte nichts sehen und nichts hören, und er wähnte sich allein in einem endlosen Raum. Dann kehrte er mit einem Ruck in die Wirk lichkeit zurück. Da sah er den Kroloc vor sich.
* Diese Wesen, die den ganzen Korsallo phur-Stau beherrschten und die dort leben den Völker tyrannisierten, mußten außerge wöhnlich widerstandsfähig sein. Als Atlan
Die Rache des Magiers noch um sein Gleichgewicht kämpfte, hatte der Kroloc längst erfaßt, welche Chance sich ihm bot. Er stürzte sich auf den Arkoniden. Seine beiden Begleiter waren etwas langsa mer. Der Kroloc hatte genug Zeit gehabt, sich auf diesen Augenblick vorzubereiten. Die plötzliche Lähmung, die ihn befiel, die bloße Tatsache, daß er noch lebte, das Verschwin den der Station Cornac – das alles verwirrte ihn zwar, hinderte ihn aber nicht daran, die Lage mit der gebotenen Kaltblütigkeit zu analysieren. Noch hatte er es nur mit einem Gegner zu tun. Von draußen hatte er beobachtet, daß zwei weitere Wesen sich im Schiff aufhiel ten, aber sie waren im Augenblick nicht zu sehen. Als erstes mußte er an die Waffe des Fremden heran. Noch wußte er nicht, was sich mit diesem Gebilde anfangen ließ, aber es sah gefährlich aus. Der Fremde schien den Kroloc gar nicht zu bemerken, als der heraneilte und die Waggu an sich riß. Der Kroloc reichte die Waffe an seine Artgenos sen weiter. Dann streckte er die Greifklauen aus, um den Arkoniden zu Boden zu zwin gen. Jetzt endlich reagierte der Fremde. Atlan selbst meinte, sich rasend schnell zu bewe gen. In Wirklichkeit war der Schlag, mit dem er den Kroloc abwehren wollte, so langsam und kraftlos, daß sein Gegner es nicht einmal für nötig hielt, der Faust auszu weichen. »Da hinein!« kommandierte der Kroloc seine Artgenossen und schloß die Klauen um Atlans Fußgelenke. Ein Ruck, und der Arkonide krachte schwer auf den Boden. Die Krolocs hasteten in die Schleusenkam mer. Den Arkoniden zogen sie hinter sich her. Atlan wehrte sich. Allmählich wurden sei ne Bewegungen schneller und sicherer, und es gelang ihm, die Krolocs so in Atem zu halten, daß sie sich kaum mit dem beschäfti gen konnten, was jetzt außerhalb der Schleu se vor sich ging. An ein Entkommen war je
5 doch unter diesen Umständen nicht zu den ken. Die drei Krolocs verloren schließlich die Geduld. Einer der drei richtete sich plötzlich steil auf und hob eines seiner vier Beine. Ein Schatten huschte über den Boden. Atlan warf sich zur Seite. Die anderen beiden Kro locs hielten ihr Opfer fest, aber sie wurden vom Ausweichmanöver des Arkoniden über rascht. So ging der mörderische Tritt des Angreifers fehl. Atlans linker Arm war plötzlich frei. Der Kroloc, der ihn dort bis her festgehalten hatte, wälzte sich mit an den kugelförmigen Leib gezogenen Beinen auf dem Boden. Dieser Anblick brachte den Arkoniden endgültig zur Besinnung. Der Kroloc, der den Angriff geführt hatte, war für einen Au genblick irritiert, als er seinen Artgenossen am Boden liegen sah. Der andere, der den Arkoniden umklammerte, stieß einen quiet schenden Laut aus und stieß Atlan plötzlich von sich. Blitzschnell war Atlan auf den Beinen. Er wich bis an die Wand zurück und erwartete den nächsten Angriff. Aber als der eine Fremde sich gerade zum Sprung duckte, geschah etwas höchst Seltsa mes: Ein geisterhaftes Gemurmel erhob sich. Es war, als säßen ringsum in den Wänden unzählige Zuschauer, die den Kampf mit ge dämpfter Stimme kommentierten. Der Kroloc vergaß für einen Augenblick den Arkoniden und drehte sich langsam im Kreis. Atlan dagegen glaubte zu wissen, wo her diese Stimmen in Wirklichkeit stamm ten. Er sprang mit erhobener Faust vorwärts. Er war sehr verwundert, als der Kroloc schon nach dem ersten Schlag widerstands los zu Boden ging. Da gab es hinter ihm ein dumpfes Geräusch. Er drehte sich um – da lag der zweite Kroloc, lang hingestreckt, als hätte er sich mitten in der Schleuse zum Schlafen niedergelegt. Und noch während er zu begreifen versuchte, was mit diesem selt samen Burschen wohl geschehen sein moch te, rollte sich der dritte Kroloc friedlich in einer Ecke zusammen und rührte sich nicht mehr.
6 Atlan sah auf. Koratzo stand dicht vor der inneren Schleusentür. Der Stimmenmagier lächelte verlegen. »Danke«, murmelte Atlan. »Es wurde höchste Zeit. Wie lange werden wir vor die sen freundlichen Burschen Ruhe haben?« »So lange du willst. Aber das bringt uns leider nicht weiter. Die Krolocs mögen wach oder betäubt sein – sie bleiben in jedem Fall gefährlich.« Atlan betrachtete zweifelnd die Fremden. Wenn sie die Krolocs im Auge behielten und wachsam blieben, konnte seiner Mei nung nichts Schlimmeres mehr geschehen. »Das ist leider ein Irrtum«, erklärte Korat zo bedrückt. »Mit den Krolocs sind drei wandelnde Bomben an Bord gekommen.« Er fing Atlans Gedanken auf und lächelte bitter. »Nein, man kann sie nicht entschärfen. Sie wurden organisch umgewandelt. In der Barriere von Oth gäbe es vielleicht die Mög lichkeit, noch etwas zu retten, hier jedoch …« Der Logiksektor hatte also die Wahrheit getroffen. »Bomben müssen gezündet werden«, meinte Atlan bedächtig. »Wie wollte man diese drei zur Explosion bringen?« »Der Impuls wurde bereits gegeben. Die GOL'DHOR hat Cornac gerade noch im richtigen Augenblick verlassen.« »Also doch!« sagte Atlan erstaunt. Korat zo sah ihn verblüfft an. Der Arkonide erklär te dem Magier, welche Begründung sich sein Logiksektor für den überraschenden Start der GOL'DHOR zurechtgelegt hatte. »Schön wär's«, sagte Koratzo trocken. »Leider irrt sich dein unsichtbarer Partner. Komm mit, von hier aus kannst du es schlecht erkennen.« Während er dem Stimmenmagier folgte, bemerkte Atlan zum erstenmal, daß das Ma terial, aus dem die GOL'DHOR bestand, sei ne Transparenz verlor. Im Rumpf und in der Nähe der Schleuse war diese Veränderung am weitesten fortgeschritten. Die grauen Ne bel, die Atlan gesehen hatte, erwiesen sich
Marianne Sydow als etwas, was die Wände selbst hervor brachten. In der Kommandozentrale im Kopf der »Gottesanbeterin« konnte man jen seits dieser Schwaden schemenhaft eine dü stere Landschaft erkennen. Copasallior, der vor einem der Augenfen ster gestanden hatte, drehte sich nach den beiden Männern um. »Ich fürchte, die Suche nach Balduur und Razamon werden wir verschieben müssen«, sagte der Weltenmagier. »Wo immer wir uns auch befinden mögen – es wird nicht leicht werden, diesen Ort wieder zu verlas sen. Dort draußen ist eine wilde, böse Kraft, die uns festhalten will.« Atlan stellte verwundert fest, daß die GOL'DHOR sich auf einem Planeten be fand. Er hatte von einer Landung nichts ge spürt. Das Schiff stand am Ufer eines gelbbrau nen Ozeans. Die Wellen, die über den schwarzen Strand liefen, wirkten seltsam zäh und dickflüssig. Dichte Wolken verhüll ten den Himmel. Bräunlicher Dunst trieb zwischen schroffen, schwarzen Felsnadeln hindurch. Das Licht war trübe, der Stand der Sonne war nicht auszumachen. Es war eine düstere, scheinbar unbelebte Welt. Nur auf dem Meer, etwa fünfhundert Meter vom Ufer entfernt, gab es etwas, was nicht in diese Einöde passen wollte. Dort erhob sich ein riesiger, schwarzer Palast mit Zinnen und Türmen, umgeben von dicken Mauern. Hinter Tausenden von leeren Fensterhöhlen glomm es gespen stisch, als würden dort viele winzige Feuer brennen. Atlan kniff die Augen zusammen. Ihm kam es so vor, als schwankte der ganze Palast. Zuerst dachte er, es handele sich um eine optische Täuschung, hervorgerufen durch die bewegte Wasseroberfläche. Aber je länger er hinsah, desto mehr war er ge neigt zu glauben, daß der Palast tatsächlich auf dem Wasser schwamm. »Wir sollten so schnell wie möglich star ten«, meinte er. »Auf dieser Welt haben wir nichts verloren, und Razamon und Balduur werden wir hier schon gar nicht finden.«
Die Rache des Magiers Er trat an eines der Kontrollpulte und be tätigte die Schalter und Tasten, die einen Start einleiten sollten. Bisher war es so ge wesen, daß die GOL'DHOR sich nach den Anweisungen der drei Passagiere selbst steuerte. Als Atlan darauf bestand, dennoch in der Bedienung der Kontrollen unterwie sen zu werden, war es ihm so vorgekom men, als sei die GOL'DHOR über solche Aktivitäten nicht gerade begeistert. Er wartete und betrachtete die wenigen Anzeigegeräte. Nichts rührte sich. »Paß mal auf, GOL'DHOR«, sagte er grimmig. »Du wirst jetzt sofort starten und uns nach Cornac zurückbringen. Wenn nicht – nun, auch du bist verletzlich. Ich werde ei nes dieser Pulte auseinandernehmen, wenn du nicht gehorchst.« »Es hat keinen Zweck«, warnte Copasalli or. »Wir haben es auch schon versucht, aber die GOL'DHOR scheint uns nicht mehr zu hören.« Atlan schüttelte ärgerlich den Kopf und streckte die Hand aus, um noch einmal auf den Hauptschalter zu drücken. Mitten in der Luft, etwa zehn Zentimeter von dem Schal ter entfernt, traf er auf Widerstand. »Sie hört uns also doch«, kommentierte er bissig. »Aber sie will nichts mehr mit uns zu tun haben. Es scheint, als hätten wir unsere Rolle als willkommene Gäste ausgespielt. Ich habe diesem Schiff von Anfang an nicht trauen können.« Die Magier schwiegen bedrückt. Atlan ging von einem Pult zum anderen. Es war überall dasselbe. Er kam an keines der Gerä te heran. »Wir sollten die Krolocs endlich aus dem Schiff entfernen«, meinte Koratzo schließ lich. »Die Zündung der Bomben wurde nur verzögert, aber nicht vollständig unterbro chen. Früher oder später werden die drei ex plodieren.« »Wenn wir die GOL'DHOR verlassen, ha ben wir gute Aussichten, in der Einöde da draußen unser Leben zu beschließen«, gab der Arkonide zu bedenken. »Ich habe das ungute Gefühl, daß das Schiff uns loswerden
7 will. Sollen wir ihm auch noch entgegen kommen?« Das Schiff vernahm jedes Wort, und es verfolgte die Unterhaltung mit großer Auf merksamkeit, davon war Atlan überzeugt. Er hoffte, daß die GOL'DHOR sich zu irgend einer Bemerkung hinreißen ließ. Die Reakti on kam auch, aber sie fiel anders aus, als At lan es erwartet hatte. »Bleibt hier«, wisperte eine schwache Stimme in seinem Kopf. »Bitte, laßt mich nicht alleine. Ich habe Angst!« Aber gleichzeitig legten sich unsichtbare Hände um die Schultern des Arkoniden. At lan wurde vorwärtsgeschoben, und alle Ver suche, sich dagegen zu sträuben, halfen ihm nicht. Er sah, daß auch Koratzo und Copa sallior widerstrebend zum Ausgang schrit ten. Sie gelangten in den Mittelteil der GOL'DHOR. Dort befanden sich zahllose Geräte. Atlan erschrak, als er die vielen Lichter sah, die winzigen Blitze, die durch den Raum zuckten. Schimmernde Kristalle rotierten über gläsernen Tafeln und zeichne ten krause Muster auf. Die seltsamen Hände schoben ihn weiter, und gleich darauf gelangte er in die Schleu se. Das Schott öffnete sich, die goldene Rampe schob sich nach unten und berührte mit einem häßlichen Knirschen die schwar zen Kiesel. Atlan stolperte die Rampe hinab. Noch immer konnte er sich nicht einmal um drehen. Regungslos verharrte er, während Koratzo und Copasallior neben ihm auf tauchten. Die beiden Magier waren sehr bleich. Es schien, als kämpften sie mit all ih ren geheimnisvollen Kräften gegen den un sichtbaren Gegner. Sie erreichten absolut nichts. Nach etwas über einer Minute plumpsten die drei Krolocs vor ihnen zu Bo den. Dann gab es ein schleifendes Geräusch, und die unsichtbaren Hände verschwanden so plötzlich, daß Atlan beinahe rücklings zu Boden gestürzt wäre. Hastig drehte er sich um. Die Schleuse der GOL'DHOR hatte sich geschlossen, die Rampe war verschwunden. Atlan zweifelte nicht daran, daß das Schiff
8
Marianne Sydow
sich zur Wehr setzen würde, falls die Magier oder er versuchten, den Weg ins Innere zu erzwingen. Wie aber vertrug sich das mit der verzweifelten Bitte um Hilfe? Atlan sah sich nach den Magiern um. Er schrocken stellte er fest, daß Copasallior nur noch zur Hälfte vorhanden war. Der Sechs armige bot einen schrecklichen Anblick. Während Atlan noch wie versteinert hinsah, gewann jedoch der Weltenmagier sein ver trautes Aussehen zurück. »Nichts zu machen«, verkündete er aus druckslos. »Ich komme nicht hinein.« Da begriff der Arkonide, daß Copasallior versucht hatte, sich mit Hilfe seiner Trans mitterfähigkeit in das Innere der GOL'DHOR zu versetzen. Wieder einmal drängte sich ihm der Vergleich mit den irdi schen Mutanten auf. Er sah Koratzo fragend an. Der Stimmen magier schüttelte nur stumm den Kopf. At lan verzichtete auf alle Fragen. Er wußte, daß die Magier sehr darunter litten, daß sie versagten. »So ungefähr habe ich mir das vorge stellt«, murmelte Atlan nachdenklich. »Wir sind ausgesperrt.« Er blickte zu dem wolkenverhangenen Himmel hinauf. Wo mochten sie sich über haupt befinden? Lag diese düstere Welt im Korsallophur-Stau oder befand sie sich in ei ner anderen Dimension? Wie auch immer – nur die GOL'DHOR konnte ihre Passagiere nach Cornac und von da aus nach Pthor zurückbringen. Leider schien das magische Raumschiff im Mo ment nicht die geringste Lust zu verspüren, ihren ehemaligen Passagieren diesen Gefal len zu tun. Gab es etwas, womit man die GOL'DHOR festhalten konnte? Wenn sie genug Zeit hatten, konnten sie das Schiff vielleicht doch umstimmen. »Wir bekommen Besuch«, sagte Copasal lior plötzlich.
2.
Das Ding sah aus wie ein riesiges, blutro tes Blatt. Die aufgewölbten Ränder waren mit schwarzen Ornamenten verziert. Tier hafte Gestalten kauerten in der offenen Schale. Sie waren von humanoider Gestalt, aber ihre Körper waren mit Federn oder Schuppen bedeckt, manche besaßen ein struppiges Fell. Ihre Gesichter waren er schreckend menschlich, ebenso die Hände, aber sonst schienen ihre Körper aus den zer stückelten Leibern der verschiedensten Tiere zusammengesetzt zu sein. Atlan sah einen Mann mit kurzem, weißen Fell und den seh nigen Beinen eines Yassels. Auf dem Rücken trug dieser Fremde einen gezackten Knochenkamm, und neben den muskulösen Armen saßen kurze, plumpe Flügel, die sich unruhig bewegten. Die Tiermenschen – es waren zwölf – schwenkten silberne und blaue Tücher durch die Luft. Sie taten das so konzentriert, daß sich dem Arkoniden der Verdacht aufdräng te, ihre Tätigkeit könne am Ende sogar mit der Art zusammenhängen, wie sich das Blatt bewegte. Und wirklich beschrieb das Fahr zeug eine Kurve, als alle Tücher sich nach links senkten. Im Bug der Flugschale stand ein Mann, der die Tiermenschen dirigierte. Der Fremde bediente sich einer Sprache, die Atlan zu nächst für ein ihm unbekanntes Idiom hielt. Allmählich aber erkannte er einzelne Wörter wieder. Da begriff er, daß der Fremde Ptho ra sprach. Es war jedoch eine uralte Form dieser Sprache. Der Fremde ließ das Blatt wenige Meter vor Atlan und den Magiern anhalten. Von oben herab starrte er die Ankömmlinge an. Er trug einen weiten, schwarzen Umhang mit einer großen Kapuze. Sein Gesicht lag im Schatten. Nur die intensiv leuchtenden, goldgelben Augen waren deutlich zu sehen.
* »Das ist ein Magier!« sagte Koratzo plötzlich. »Einer von uns. Sag mir deinen Namen, Fremder!«
Die Rache des Magiers Der Mann in dem schwebenden Blatt stieß ein meckerndes Gelächter aus. »Kennst du mich nicht mehr, Sohn des Kir Ban?« fragte er spöttisch. »Es gab ein mal eine Zeit, da habe ich dich auf meinen Knien gewiegt und dich die Laute der Zer störung gelehrt, die alten Formeln, die Wör ter des Schreckens. Du warst ein gehorsamer Schüler, und ich war sehr stolz auf dich. Aber lassen wir das, es ist so lange her, nicht wahr, Koratzo? Ich freue mich, daß gerade du mir meine GOL'DHOR zurückgebracht hast. Dein Anblick ist wie ein Hauch Heimat für mich!« Die Worte klangen nicht unfreundlich, aber Atlan spürte den bitteren Hohn, der sich in jedem Laut verbarg. Koratzo stand wie erstarrt. Copasallior be wegte unruhig seine sechs Hände. Der Fremde warf die schwarze Kapuze zurück. Zum erstenmal sah Atlan das Gesicht des unbekannten Magiers. Der Mann mußte sehr alt sein. Die Haut spannte sich wie dünnes Pergament um seinen Schädel. Unter den Augen und um die Mundwinkel herum schi en sie dagegen aus irgendeinem Grunde viel zu weit zu sein. Tiefe Falten und Runzeln ließen die Nase und die Lippen fast unsicht bar werden. Das sah irgendwie abstoßend aus. Der Fremde wartete offenbar auf eine Antwort. Als Koratzo jedoch beharrlich schwieg, hob er resignierend die Arme. »Die Freude über dieses Wiedersehen hat dir die Sprache verschlagen, wie?« erkun digte sich der Mann in dem Fahrzeug zy nisch. Da stieß Koratzo einen seltsam klagenden Laut aus. Um den fremden Magier herum flimmerte es, dann bog der Mann im dunklen Umhang den Kopf zurück und lach te. »Das war nicht schlecht, Koratzo!« spot tete er. »Noch ein bißchen Übung, und du hast eine Chance. Ich würde dich gerne in dieser Kunst unterweisen. Wie ist es? Schließen wir den Pakt, wie in alten Zei ten?«
9 Koratzo gab keine Antwort, aber Atlan konnte deutlich erkennen, daß er einen neuen magischen Angriff startete. Unvermittelt begannen die schwarzen Kiesel zu dampfen. Es stank nach Schwefel. Um den Fremden bildete sich eine Dunst glocke, und bis an den Boden des schweben den Blattes heran schossen dünne Dampf strahlen. Atlan sah durch den Dunst hindurch, daß der Fremde um sein Gleichgewicht kämpfte. Impulsiv zog er die Waggu, die er vorhin dem Kroloc wieder abgenommen hatte. Aber Copasallior drückte hastig seinen Arm nach unten. »Was, zum Teufel …«, hob Atlan an. Copasallior reckte drei Arme in die Luft. Ein dumpfes Grollen zerriß die Stille. Atlan fuhr erschrocken herum und sah, wie in eini ger Entfernung eine bizarre Felsnadel zerriß. Die Trümmerbrocken gelangten jedoch nicht bis auf den Boden. Sie verschwanden mitten in der Luft – und tauchten über dem Kopf des Fremden wieder auf. Gebannt starrte der Arkonide das gespen stische Bild an. Leider schien es, als wäre der Fremde un verwundbar. Vorhin hatte er eine winzige Unsicherheit erkennen lassen. Jetzt aber stand er wieder gelassen im Bug seines ei genartigen Fahrzeugs, und seine Augen fun kelten böse. Dampf, Rauch und Staub wi chen vor diesen Blicken zurück, die herab stürzenden Steine bewegten sich auf Bah nen, die allen Naturgesetzen Hohn sprachen. »Ihr Narren!« kreischte der Fremde mit überschnappender Stimme. »Da, nehmt das, und das, und …« Er deutete mit seinen unglaublich dürren, weißen, knochigen Zeigefingern auf die Ma gier. Atlan spürte etwas, das durch die Luft fuhr und ihn mit heißem Atem streifte. Dann verlor er den Boden unter den Füßen. Er wurde davongewirbelt und blieb benommen am Fuße eines Felsens liegen. Sein Kopf schmerzte – ohne das Goldene Vlies hätte dieser Sturz böse Folgen gehabt. Er hielt Ausschau nach den Magiern und
10 erschrak. Koratzo lag regungslos am Boden. Copasallior stürzte gerade in diesem Augen blick. Wütend und ratlos tastete Atlan nach seinem Gürtel. Die Waggu hatte er verloren. Sie lag irgendwo zwischen den schwarzen Kieseln. Das schrille Kichern des fremden Magiers schmerzte ihn. Er richtete sich mühsam auf und starrte mit brennenden Augen zu dem schwebenden Blatt hinüber. »Komm nur her!« rief der Fremde. »Ich fresse dich schon nicht auf, du König von Pthor!« Und dann folgte wieder dieses gräßliche Gelächter. Atlan stolperte zwischen den buckeligen Felsen hindurch. In seinem Kopf summte und brummte es, als hätte er direkt neben ei nem einschlagenden Blitz gestanden. Vor seinen Augen tanzten schwarze Punkte. Er kam an Koratzo und Copasallior vorbei und wollte anhalten, um ihnen zu helfen. Aber seine Beine bewegten sich wie stumpfsinni ge Automaten weiter. Vor dem schweben den Blatt sank er gegen seinen Willen auf die Knie. »So ist es recht«, kicherte der Fremde. »König von Pthor! Wie kommst du dazu, dich so zu nennen? Du hast überhaupt keine Macht! Ich werde dafür sorgen, daß Pthor einen besseren Herrscher bekommt.« Atlan starrte den Hageren mit brennenden Augen an. »Ich werde der neue König sein!« erklärte der Fremde gelassen. Du wirst dich wundern, dachte Atlan mit grimmigem Spott. Nur ein Narr wird sich freiwillig all diese Probleme aufladen. Pthor ist der wohl ungeeignetste Platz im ganzen Universum, wenn es darum geht, primitive Machtgelüste zu befriedigen! Der Fremde lächelte kalt. »Deine sogenannten Probleme können mich nicht schrecken«, sagte er herablas send. »Damit werde ich fertig. Zu einer ge wissen Zeit gab es keinen mächtigeren Ma gier als mich, und ich habe nicht den Ein druck, daß meine Fähigkeiten allzu arg gelit-
Marianne Sydow ten haben. Sieh dir doch nur deine beiden Freunde an! Ein feines Gespann ist das. Sie hätten sogar eine Chance gehabt, wenn die ser Dummkopf von einem Weltenmagier dir erlaubt hätte, die Waffe der Technos zu be nutzen. Aber da Copasallior sich unbedingt an die Regeln halten wollte, muß er nun auch die Folter ertragen.« Er drehte sich um. »Bringt das Boot zu Boden!« befahl er den Tiermenschen. Die blauen und silbernen Tücher wirbel ten, rasend schnell durch die Luft, und die Flugschale landete sanft und sicher. »Holt sie herein und bindet sie!« Die alptraumhaften Wesen sprangen aus dem Fahrzeug und rissen die beiden Magier hoch. Auch Atlan wurde mit dünnen Ketten gefesselt und in die Flugschale verfrachtet. Ein Halbmensch mit katzenhaftem Körper verband die Handfesseln der drei Gefange nen mit einem Ring im Boden des Fahr zeugs. Das Wesen ging dabei erstaunlich rücksichtsvoll vor. »Seht her!« rief der fremde Magier. »Ihr sollt mit eigenen Augen sehen, wie grenzen los überlegen meine Magie allen anderen Künsten ist.« Der Katzenhafte half Atlan und den bei den Magiern, die immer noch halb bewußt los waren, behutsam auf die Beine. »Danke«, murmelte der Arkonide sehr lei se. Ein Blick aus dunklen, freundlichen Au gen antwortete ihm. Atlan atmete tief durch. Zufrieden registrierte er, daß dieses Wesen durchaus nicht mit allem einverstanden war, was sein Herr unternahm. Der Fremde stand vor der Schleuse der GOL'DHOR. Theatralisch breitete er die Ar me aus, daß sein düsterer Umhang sich im leichten Wind wie ein Segel bauschte. »Mein Name ist Allersheim!« rief er so laut, als müsse er sich Tausenden von Zuhö rern mitteilen. »Und die GOL'DHOR ist mein Eigentum.« »Das kann nicht sein!« flüsterte Koratzo entsetzt.
Die Rache des Magiers Auch Atlan konnte es nicht glauben. Die GOL'DHOR war einfach zu schön, um ein Werk dieses bösen alten Mannes zu sein. Aber da berührte Allersheim das goldene Raumschiff. Die GOL'DHOR verlor ihre goldene Far be. Sie wurde zuerst grau, dann schwarz. Die Wände waren nicht länger transparent und schimmernd, sondern stumpf und unan sehnlich. Dann war es, als beginne das Schiff zu atmen und sich zu recken wie ein Tier, das aus dem Schlaf erwacht. Die Um risse der »Gottesanbeterin« verschoben sich und verschwammen für einen Augenblick. Atlan blinzelte verwirrt. Als er wieder hin sah, hockte an der Stelle der GOL'DHOR et was auf dem schwarzen Strand, ein Gebilde, das an eine plumpe Heuschrecke erinnerte. Da wußte Atlan endgültig, daß seine Ah nungen ihn nicht getrogen hatten. Diese »Heuschrecke« hatte er schon einmal gese hen, vor kurzer Zeit erst, als er in der Pala mandiro-Schlucht in eine Falle geraten war. Jetzt, da er die Umwandlung miterlebt hatte, schien es ihm rätselhaft, warum er die Zu sammenhänge nicht schon begriffen hatte, als er die GOL'DHOR zum erstenmal vor sich gehabt hatte. Allersheim lachte triumphierend und tät schelte liebevoll die Hülle der verwandelten GOL'DHOR. »Du willst zurück und kannst es kaum er warten, deinen wirklichen Herrn nach Pthor zu bringen, nicht wahr, mein Liebling?« krächzte er. »Aber du darfst nicht ungedul dig werden. Warte hier auf mich. Ich kehre bald zurück.« Erst jetzt schien er auf die drei Krolocs aufmerksam zu werden. Er ging zu ihnen und berührte sie nacheinander. Sofort richte ten die Krolocs sich auf. »Ihr gefällt mir«, sagte Allersheim zu ih nen. »Denn ihr habt großen Mut bewiesen. Leider tragt ihr etwas in euren Körpern, was ich nicht gebrauchen kann. Ich werde euch davon befreien. Dafür werdet ihr mir in Zu kunft dienen.« »Wir sind Krolocs«, erhielt er über den
11 Translator zur Antwort. »Und kein Kroloc dient einem Wesen wie dir!« »Wie ihr wollt«, meinte Allersheim gelas sen, »Ihr werdet es euch bald anders überle gen, dessen bin ich sicher. Kommt jetzt, es ist Zeit, in meinen Palast zurückzukehren.« Die Krolocs kletterten gehorsam in die Flugschale, und Allersheim folgte ihnen. Die Tiermenschen hantierten mit den blauen und silbernen Tüchern. Das riesige Blatt schwebte lautlos über die lehmfarbenen Wellen des fremden Meeres auf den schwimmenden Palast zu.
* Dicke Mauern und wuchtige Türme aus schwarzem Marmor ragten vor der blutroten Flugschale auf. Hinter allen Fensterhöhlen strahlte es blau, silbern und golden. Ein ge waltiges Tor öffnete sich, und die Tier menschen steuerten das Fahrzeug nach Al lersheims Anweisungen in einen giganti schen Innenhof. Weißer Sand bedeckte die riesige Fläche, aber ringsum ragten die schwarzen Mauern so hoch in den Himmel hinauf, daß Atlan und die Magier sich fühl ten, als stünden sie auf dem Boden eines en gen, tiefen Brunnens. Allersheim sah sich nach seinen Gefange nen um. Sein Gesicht war ausdruckslos. »Ihr könnt euch überall umsehen«, sagte er. »Laßt euch Zeit, und seid nicht vor schnell in eurem Urteil. Meine Diener wer den auf euch achten. Wenn ich euch spre chen will, werdet ihr es schnell genug mer ken.« Er wandte sich an die drei Krolocs. »Ihr kommt mit mir.« Die drei Fremden kletterten schwerfällig aus dem Fahrzeug. Sie trugen immer noch ihre unförmigen, zerknitterten Schutzanzü ge. Den Translator nahmen sie mit. Der Katzenhafte beugte sich über den Ar koniden und versperrte ihm so den Blick auf Allersheim und die Krolocs. Schweigend löste er Atlans Fesseln und wandte sich dann den beiden Magiern zu. Atlan rieb sich die
12 Handgelenke. »Wie heißt du?« fragte er den Katzenhaf ten. »Slojuck, Herr.« »Gehörst du zu den Dienern, die uns be wachen sollen?« »Der Befehl des Magiers gilt für alle Be wohner von Schloß MODRANLÖK, Herr«, erwiderte Slojuck gleichmütig. »Wenn ich dich nun bitte, uns dieses Schloß zu zeigen – wirst du meine Bitte er füllen?« Slojuck hatte Koratzo und Copasallior losgebunden und richtete sich langsam auf. Er sah Atlan nachdenklich an. »Ja, Herr«, murmelte er schließlich. »Gut. Dann führe uns bitte herum.« Slojuck wandte sich wortlos ab und ging voran. Koratzo tat zwei Schritte, taumelte dann aber und stürzte über den Rand der Flugschale. »Warte, Slojuck!« rief Atlan hastig. Der Katzenhafte blieb gehorsam stehen. »Was hast du?« fragte Copasallior den Stimmenmagier besorgt. »Es geht gleich wieder«, murmelte Korat zo grimmig. »Vergiß nicht – ich war einmal sein Schüler. Er haßt mich. Es ist fast ein Wunder, daß er mich am Leben gelassen hat.« Atlan betrachtete den Stimmenmagier nachdenklich. Plötzlich erinnerte er sich dar an, daß man sich bei den Magiern erzählte, die GOL'DHOR wäre vor vielen tausend Jahren in der Palamandiro-Schlucht gefun den worden. Wenn Allersheim sie wirklich dort als Köder hingestellt hatte – wie lange war es dann her, daß Koratzo bei dem Hage ren in die Lehre gegangen war? Koratzo glich einem Terraner von unge fähr fünfundzwanzig Jahren. Und doch muß te er schon viele tausend Jahre alt sein. Slojuck kam zurück und beugte sich über Koratzo. Nach kurzem Zögern hakte der Katzenhafte eine kleine Flasche von seinem Gürtel los. »Trink einen Schluck davon«, sagte er zu dem Stimmenmagier. »Es ist eine Medizin,
Marianne Sydow die jeder hier in MODRANLÖK ab und zu braucht.« Koratzo roch mißtrauisch an der geöffne ten Flasche. Aber es schien, als wäre Slo jucks Medizin unverdächtig – Koratzo trank einen winzigen Schluck und reichte die Fla sche an den Katzenhaften zurück. »Es hilft tatsächlich«, sagte er wenige Se kunden später überrascht. Vorsichtig stand er auf. Sie gingen über den düsteren Hof, und einmal bückte sich Atlan und hob eine Handvoll von dem schneeweißen Sand auf. Das Zeug fühlte sich genau an wie das, was er in der Palamandiro-Schlucht gefunden hatte. Aber es brannte nicht auf der Haut und färbte sich auch nicht blau. Slojuck führte sie durch ein offenes Tor in den Palast. Sie gelangten in einen giganti schen Saal, in dem zahlreiche Tiermenschen an langen Tischen saßen. Allersheim schien seine Diener gut zu pflegen. Auf den Ti schen standen riesige Töpfe und Schalen mit verschiedenen Speisen. »Kommt und stärkt euch«, schlug Slojuck vor. »Der Palast ist groß, und wir werden lange unterwegs sein.« »Merkwürdig, daß Allersheim uns drau ßen fesseln ließ und uns dann erlaubt, hier drinnen frei herumzulaufen«, sagte Atlan, als sie an einem der Tische saßen. Die Diener hatten sich sofort erhoben, als sie die Gefangenen des Magiers kommen sa hen, und ihnen soviel Platz eingeräumt, daß sie sich ungeniert unterhalten konnten. »Er kann sich diese Großzügigkeit lei sten«, behauptete Copasallior. »Wir haben nicht die leiseste Chance, aus diesem Palast zu fliehen.« »Vielleicht doch«, murmelte Atlan. Copasallior seufzte schwer. »Ich weiß, woran du jetzt denkst. Du warst schon oft gefangen und kennst tausend Listen. Aber hier hast du es mit einem Ma gier zu tun, der vor nichts zurückschreckt.« Das mag sein, dachte Atlan. Aber auch in diesem Palast wird nur mit Wasser gekocht. Aber er sprach diese Gedanken nicht aus.
Die Rache des Magiers »Erzähle mir etwas über diesen Allers heim«, bat er statt dessen. »Wie ist er hier hergekommen?« »Das ist eine lange Geschichte.« Copasal liors riesige, steinern wirkende Augen sahen Atlan aufmerksam an. »Wir haben Zeit«, lächelte der Arkonide. Er wußte, daß Copasallior nach Ausflüch ten suchte. Die Magier sprachen nicht gerne über ihre internen Probleme. »Ich werde es ihm erklären«, sagte Korat zo plötzlich zu dem Weltenmagier. »Er muß die Wahrheit kennen, Copasallior, sonst kann es leicht eine Katastrophe geben.« Copasallior stimmte widerstrebend zu. »Allersheim«, begann der Stimmenma gier, »ist ein Konstruktionsmagier, und es gab noch niemanden, der dieses Gebiet der magischen Wissenschaften so perfekt wie er beherrschte. Er formt Dinge nach seinem Willen. Er hat diesen Palast aus dem Wasser wachsen lassen, hat die darin enthaltene Ma terie in feste Form gebracht und sie stabili siert – was er auf diese Weise erschafft, ist nahezu unzerstörbar. Auf dieselbe Weise kann er alles erzeugen, was er zum Leben braucht. Auch seine Diener sind Konstruk tionen.« Atlan sah den Stimmenmagier überrascht an. »Er kann tote Materie mit magischem Le ben erfüllen«, fuhr Koratzo grimmig fort, »aber auch lebende Wesen in tote Dinge verwandeln. Der Patorgh von Zbahn ist sein Werk.« Atlan erinnerte sich nur zu gut an dieses Gebäude. Der Patorgh glich einem giganti schen Schneckenhaus, rund zweihundert Meter hoch, und bestand aus einem basalt ähnlichen Gestein. Überall an der Oberflä che und im Innern traten dunkelrote Stränge zutage, die an versteinerte, blutgefüllte Adern erinnerten. »Der Patorgh war ein lebendes Wesen. Allersheim brachte es zur Bucht der Zwillin ge und verwandelte es in ein Bauwerk. Er hätte sich bei uns in der Barriere großen Ruhm mit diesem Werk erworben, wäre
13 nicht das, was einst in diesem riesigen Ge bäude lebte, intelligent gewesen. Aber so ist Allersheim. Er sucht nach solchen Gelegen heiten. In der Nähe von Moondrag gab es einen berühmten Ort, den Berg der Statuen. Steinerne Figuren aller Größen konnte man dort bewundern. Sie waren so lebensecht, daß kein Pthorer es wagte, nach Einbruch der Dunkelheit in ihre Nähe zu gehen. Und alles, was dort zu sehen war, schien fremd. Es waren Wesen, die es in Pthor niemals gab. Eines Tages aber stand mitten zwischen all den fremden Gestalten ein Mann aus Moondrag, von dem jeder wußte, daß er den Konstruktionsmagier Allersheim aus tiefster Seele haßte. Nun stand er dort, zu Stein ge worden, mit genau der Kleidung, in der man ihn noch am Abend zuvor gesehen hatte.« Koratzo sah Atlan nachdenklich an. »Um den Berg der Statuen machten die Wanderer von diesem Tage an einen großen Bogen. In der Barriere beschlossen wir, daß wir dem schlimmen Treiben dieses Magiers ein Ende setzen mußten. Es war eine wirre Zeit. Schon immer hatte es die negativen Magier gegeben, aber stets war ein Gleich gewicht erhalten geblieben. Im Lande Pthor, unter dem Einfluß der FESTUNG, gewann das Böse an Macht. Die negativen Kräfte blühten förmlich auf, und Allersheim war der stärkste Vertreter einer neuen Form der Magie. Wir hofften, der Entwicklung eine andere Richtung geben zu können, wenn wir Allersheim aus dem Wege schafften. Wir hätten ihn getötet, wäre er nicht so mächtig gewesen. Darum schickten wir ihn nur in die Verbannung. Um das Urteil vollstrecken zu können, mußten alle, die dafür gestimmt hat ten, dem Weltenmagier einen Teil ihrer Kräfte übertragen. Nur so hatte Copasallior eine Chance, an Allersheim heranzukommen und ihn zu überwältigen. Der Weltenmagier brachte Allersheim auf eine unbewohnte Welt namens Korsel. Niemand hat seither etwas von dem Konstruktionsmagier ge hört.« Atlan schwieg einen Augenblick. Dann sah er Copasallior an.
14 »Liegt Korsel im Korsallophur-Stau?« fragte er. Der Weltenmagier lächelte gequält. »Die Namen haben eine gewisse Ähnlich keit miteinander«, gab er zu. »Aber das ist reiner Zufall. Nein, Korsel war die Schwe sterwelt des Planeten, den Pthor zum Zeit punkt der Verbannung besuchte. Falls diese Welt jetzt im Korsallophur-Stau steht, dann ist sie nachträglich dorthin gelangt.« Er seufzte. »Hätte ich ihm damals nur seine magischen Fähigkeiten nehmen können!« »Es ist zu spät, um sich deswegen Vor würfe zu machen. Was mag Allersheim jetzt vorhaben?« »Du hast es doch gehört«, murmelte Co pasallior. »Er wird mit Hilfe der GOL'DHOR nach Pthor zurückkehren, und ich fürchte, er hat tatsächlich die Macht, sich zum Herrscher zu erheben.« »Falls ihm nicht die Krolocs einen Strich durch die Rechnung machen.« Copasallior lachte bitter auf. »Die Tarnung der GOL'DHOR ist erlo schen. Bestimmt hat sich nicht nur das Äu ßere des Schiffes verändert. Ich gehe jede Wette ein, daß Allersheim Waffen zur Ver fügung hat, mit denen er die Krolocs mühe los in die Flucht jagen kann.« »In diesem Fall«, sagte Atlan hart, »ist es unsere Pflicht, Allersheim unter allen Um ständen daran zu hindern, daß er Korsel mit der GOL'DHOR verläßt. Ist er erst einmal unterwegs, dann kann ihn nichts mehr auf halten. Oder hätten die Magier von Oth eine Chance, wenn sie sich geschlossen gegen ihn stellen?« Koratzo schüttelte stumm den Kopf. Co pasallior sah Atlan starr an. »Er wird eine Herrschaft des Schreckens in Pthor errichten«, prophezeite er. »Gegen ihn waren die Herren der FESTUNG gütige Landesväter. Aber was sollen wir tun? Ko ratzo hat dir von Allersheims Taten und Fä higkeiten berichtet. Glaubst du denn wirk lich, daß wir diesem Mann entkommen kön nen? Und selbst wenn wir es schaffen soll ten, aus dem Palast zu fliehen – die
Marianne Sydow GOL'DHOR wird uns niemals mehr gehor chen.« »Warten wir es ab«, meinte Atlan. »Dieser Allersheim ist ein sehr selbstsiche rer Mann. Er ist nicht mehr daran gewöhnt, auf Widerstand zu stoßen. Hier auf Korsel hat er nur willenlose Sklaven um sich. Wir sollten uns sorgfältig umsehen. Sicher wird sich etwas finden lassen, was wir gegen Al lersheim verwenden können.« Er wartete die Einwände der Magier nicht ab, sondern winkte Slojuck herbei.
3. Atlan fühlte sich in eine Märchenwelt ver setzt. Er konnte die Paläste nicht zählen, die er im Lauf seines Lebens gesehen hatte, und es waren prächtige Bauwerke darunter ge wesen, in denen Luxus und Verschwendung herrschten, aber auch düstere Gemäuer, de ren barbarischer Prunk den Gast schaudern ließ. MODRANLÖK übertraf sie alle. Es gab nichts, was man damit vergleichen konnte. Da gab es gigantische Treppen, kühn ge schwungen und freitragend. Jede Stufe trug ein ganzes Bildwerk an Gravuren, und jedes Bild erzählte eine eigene Geschichte. Die Fi guren waren mit verschiedenen Metallen ausgelegt, die aus dem schwarzen Marmor schimmerten und strahlten. Manche dieser Treppen besaßen Geländer aus purem Gold, aber viele ließen derartige Sicherheitsmaß nahmen vermissen. Wenn man dann aus schwindelnder Höhe nach unten blickte, er kannte man, daß die zunächst sinnlos wir kende Musterung des Bodens aus der Entfer nung neue Bilder ergab. Von den Treppen führten schwindelnd dünne Stege in die Tiefen des Palasts. Slo juck ging achtlos daran vorbei, aber Atlan konnte der Versuchung nicht widerstehen. Er trat auf einen solchen Steg hinaus – und stieß einen überraschten Ruf aus, als er un vermittelt in einer von feuchtem Dunst er füllten Halle mit niedriger Decke stand, kaum daß er zwei Schritte getan hatte.
Die Rache des Magiers Schrille Schreie erschreckten ihn. Ein gutes Stück vor ihm brannte ein Feuer, und vor den zuckenden Flammen sah er die Silhouet ten mehrerer Frauen, die hastig weite Tücher um sich schlangen und die Flucht ergriffen. Du bist mitten in ein Dampfbad geplatzt! kommentierte der Extrasinn trocken. Sie sahen wie Terranerinnen aus! Wundert dich das? Allersheim ist schließ lich humanoid. Allersheims Harem, dachte Atlan sarka stisch. Die Frauen taten ihm leid. Sicher wurden sie gegen ihren Willen in diesem dü steren Palast gefangengehalten. Unsinn, sagte der Extrasinn grob. Diese Frauen haben gar keinen eigenen Willen. Allersheim hat sie nach demselben Verfah ren hergestellt, wie er alles hier geformt hat. Genauso gut könntest du den Boden bemit leiden, auf dem du stehst. Der Boden lebt wenigstens nicht, dachte Atlan wütend. Es ist nicht gerade der günstigste Ort, um über die Grundgesetze des Lebens zu disku tieren. Wenn Allersheim dich hier erwischt, dürfte es Ärger geben. Ganz abgesehen da von, daß sich Koratzo und Copasallior um dich sorgen werden, wenn du zu lange ver schwunden bleibst. Atlan war instinktiv stehengeblieben, als er sich in dieser unbekannten Umgebung wiederfand. Als er sich jetzt umdrehte, war jedoch von dem Steg nichts zu sehen. Geh nur immer geradeaus! riet der Extra sinn. Sekunden später stand er Koratzo und Co pasallior gegenüber, die ratlos vom Rand der Treppe auf den Weg hinausblickten. Sie stellten keine Fragen, und Atlan war froh darüber. Zwar schien es, als empfinde Slo juck gewisse Sympathien für die Gefange nen – aber wie sicher durften sie sein, daß er Allersheim nicht umgehend alarmierte, wenn er von Atlans Abstecher erfuhr? Der Katzenhafte war bereits auf dem übernächsten Treppenabsatz angelangt, und sie folgten ihm eilig. Slojuck schien keine Müdigkeit zu ken
15 nen. In stets gleichbleibender Geschwindig keit stieg er die Treppe hinauf. Den anderen schien es, als wüchse dieser immer steiler vor ihnen auf. Die Stufen nahmen kein En de. Erst als er merkte, daß seine Schützlinge hinter ihm zurückblieben, drehte der Katzen hafte sich um. Copasallior hatte auf diesen Augenblick nur gewartet. Er setzte sich de monstrativ hin. »Wir müssen uns ein wenig ausruhen!« rief Atlan dem Katzenhaften zu. »Komm und leiste uns Gesellschaft.« Slojuck verzog keine Miene, als er neben den Gefangenen stehenblieb. Nur in seinen Augen funkelte es spöttisch. In Atlan ver stärkte sich der Verdacht, daß der Katzen hafte kein gewöhnlicher Diener sein könne. »Wohin führst du uns eigentlich?« wollte Koratzo wissen. »Mir scheint fast, diese Treppe führt bis in den Himmel von Korsel hinauf.« »Wir sind in einem der Türme«, erklärte der Katzenhafte. »Von dort oben könnt ihr ganz MODRANLÖK überblicken. Es ist nicht mehr weit.« Sie hatten den Diener nicht darum gebe ten, sie in den Turm zu führen, denn sie hat ten gar nicht damit gerechnet, daß man sie hinaufgehen lassen würde. War Slojuck selbst auf diesen Gedanken gekommen? Oder hatte Allersheim die entsprechenden Anweisungen gegeben? Ein Geräusch lenkte Atlan ab. Erst das Zi schen, das von unten heraufdrang und sich ihnen langsam näherte, brachte ihm zu Be wußtsein, wie still es in dem Palast war. Sie waren auf dieser Treppe bisher niemandem begegnet. Nichts regte sich in ihrer Umge bung. Der Palast schien wie ausgestorben. »Was ist das?« fragte Koratzo, der das Zi schen auch vernommen hatte. Slojuck antwortete nicht. Sprungbereit stand er wenige Stufen höher als Atlan und blickte starr nach unten. Als Atlan dem Blick des Katzenhaften folgte, entdeckte er eine dünne Rauchwolke, die über die Stufen kroch, so stetig und ziel sicher, daß man sie für ein lebendes Wesen
16 halten konnte. Als diese Wolke jedoch näher kam, stellte der Arkonide fest, daß sie nur eine sekundäre Erscheinung war. Winzige Wesen krabbelten die Treppe herauf. Sie hatten Mühe, die hohen Stufen zu erklimmen, denn sie maßen nur etwa dreißig Zentimeter und hatten zudem sehr kurze Beinchen. Aber auf jeder neuen Stufe kämpften sie emsig und unerschrocken ge gen das immer gleichbleibende Problem an, streckten ihre dünnen Arme aus und hoben und schoben sich gegenseitig über die mar morne Kante. Hatten sie den Übergang ge schafft, so liefen sie im Watschelgang mehr mals hin und her, schickten dabei winzige Rauchwölkchen in die Luft und begaben sich alsbald von neuem an den Aufstieg. Was taten diese Wesen da? Atlan zer brach sich vergebens den Kopf darüber. Und als die Winzlinge näher kamen, vergaß er die Frage fast, denn das Bild, das sich ihm bot, reizte ihn zum Lachen. »Die sehen aus wie große Zigaretten«, stellte er fest. Die kleinen Fremden hatten stabförmige, weiße Körper ohne jede Gliederung, und dort, wo man den Kopf vermutet hätte, saß eine Art Mütze, die dunkelrot glühte und in rhythmischen Abständen jene Rauchwolken erzeugte, durch die man die Annäherung der Zwerge schon von weitem bemerken konnte. In halber Höhe entsprangen zwei Arme dem Körper, und am unteren Ende saßen zwei re lativ große Füße, die wie Blätter geformt waren. Die Beine waren so kurz, daß man sie kaum sehen konnte. »Laßt sie vorbei«, sagte Slojuck plötzlich. »Kommt, schnell. Hier auf dem Steg seid ihr vor ihnen sicher.« Die beiden Magier folgten dem Wink des Katzenhaften sofort. Atlan dagegen zögerte. Die Zwerge sahen nicht gerade gefährlich aus, eher komisch. Sie waren jetzt so nahe, daß er hören konnte, wie sie sich mit leise fiependen Stimmen untereinander verstän digten, aber noch verstand er nicht, was sie sagten. Slojuck jedoch schien der Ansicht zu sein,
Marianne Sydow daß solche Forschungsversuche nur von übel waren. Er packte den Arkoniden kurzerhand bei den Armen und zog ihn zu sich auf den Steg. Fasziniert beobachtete Atlan, wie die Kleinen emsig die Stufe enterten, auf der er eben noch gestanden hatte. »Schmutzige Füße«, hörte er aus dem Ge fiepe heraus. »Fremde Füße«, setzte eine andere Stim me hinzu. »Sechs«, kommentierte eine dritte. »Fremd, fremd!« riefen viele andere durcheinander. »Spuren!« begann die erste erneut. »Viele schmutzige Spuren«, vervollständigte die zweite. »Wir putzen sie weg!« bestimmte die drit te. »Weg, weg!« echote der Chor. Und dann wanderten sie auf ihren gelben Füßen über Stein und Metall. Hinter ihnen glänzten die kostbaren Verzierungen wie frisch poliert. Kein Quadratmillimeter ent ging der Aufmerksamkeit der eifrigen klei nen Fremden, und Atlan begriff endlich, welche Aufgabe die Fremden erfüllten. Sie hatten nichts weiter zu tun, als diese gigantische Treppe sauberzuhalten. »Wie machen sie das?« fragte er Slojuck. Der Katzenhafte schien mit dieser Frage überfordert. »Sie fressen alles, was nicht hergehört«, antwortete er stockend. »Sie sind sehr heiß. Mit ihren Füßen brennen sie Löcher in dickes Leder.« Roboter, dachte der Arkonide spontan. Alles sprach für diesen Verdacht. Und doch war Atlan davon überzeugt, daß die Zwerge mehr als nur geistlose Maschinen waren. Die Zwerge hatten die Stufe gesäubert und setzten ihren Weg fort. Da verlor plötz lich einer das Gleichgewicht. Er zog Arme und Beine ein und rollte über drei Stufen, ehe er regungslos liegenblieb. Slojuck durchschaute die Absicht des Ar koniden zu spät. Als Atlan sich vorbeugte, griff er zwar nach ihm, um ihn festzuhalten, aber da hatte sich die Hand des Arkoniden
Die Rache des Magiers schon um den weißen Körper geschlossen. Slojuck stieß einen entsetzten Schrei aus und ließ Atlan los. Der kleine Fremde war überraschend schwer. Atlan hob ihn auf und betrachtete ihn von allen Seiten, hütete sich aber, mit den Füßen, den Händen oder der »Mütze« in Berührung zu kommen. Er konnte an dem Fremden nichts entdecken, was sich als Sin nesorgan bezeichnen ließ. Und doch konnten die Wesen sprechen, also auch hören, und sehr wahrscheinlich brauchten sie so etwas wie Augen, um ihre Arbeit zu tun. Er spürte, wie sich unter der dicken, fe sten Haut etwas bewegte. Die gelben Füße zuckten. Das kleine Wesen kämpfte gegen die fremde Hand an. »Laß mich los!« forderte es plötzlich klar und deutlich. Atlan stellte den Kleinen wortlos vor sich auf den Boden. Sofort wollte der Fremde zum Rand der Treppe zurückkehren. Atlan setzte den rechten Fuß vor ihm auf. Er hörte Slojuck erschrocken aufstöhnen. »Beantworte mir ein paar Fragen«, forder te Atlan freundlich. Das Wesen antwortete nicht, sondern ver suchte, über den Fuß des Arkoniden hinweg zuklettern. Aber Atlan wippte mit der Fuß spitze, und fast wäre es erneut gestürzt. »Du kommst nicht an mir vorbei«, erklär te er belustigt, »ehe du nicht meinen Wunsch erfüllt hast.« Der Kleine hielt an. Er wedelte mit den Ärmchen in der Luft herum, als wollte er den Arkoniden auf diese Weise beschwören, ihn endlich freizugeben. Als Atlan nicht rea gierte, gab das Wesen schließlich auf. »Altes Ekel«, fiepte der Fremde voller Abscheu. Das klang so possierlich, daß Atlan laut auflachte. Aber seine Heiterkeit verflog jäh, als die »Mütze« des Kleinen plötzlich grell aufglühte. Er spürte die Hitze bis in sein Ge sicht hinauf. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück. Slojuck schien aus tiefer Trance zu erwachen. Rücksichtslos riß er Atlan fort und rannte mit ihm weiter auf den
17 Steg hinaus. Die beiden Magier waren schon ein paar Meter entfernt. »Hinlegen!« schrie der Katzenhafte mit überschnappender Stimme und warf sich selbst zu Boden. Atlan stürzte über ihn hin weg und klammerte sich erschrocken am Rand des schmalen Steges fest. Der Marmor war glatt und bot seinen Händen kaum Halt. Die Angst, in den schier endlosen Abgrund zu stürzen, verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Da gab es hinter ihm einen gewaltigen Knall. Unter seinem Körper erbebte der stei nerne Steg, daß er bereits befürchtete, das ganze Gebilde werde zerspringen und sie al le mit sich in die Tiefe reißen. Aber der Steg hielt. Dem Knall folgte das Prasseln eines hef tig brennenden Feuers. Ein Gluthauch strich über Slojuck und die drei Gefangenen von MODRANLÖK hinweg, dann ging ein Ascheregen über sie nieder. Endlich wurde es still. Von weitem hörte man das Zischen und Fiepen der kleinen Fremden. Als Atlan den Kopf hob, sah er die wei ßen Wesen schon hoch über sich. Sie schie nen das Drama, das einen ihrer Artgenossen die Existenz gekostet hatte, gar nicht wahr zunehmen. Unbeeindruckt setzten sie ihr Werk fort. »Das war knapp«, stellte Koratzo trocken fest und erhob sich. Die Asche rieselte ihm aus den Haaren. Er schüttelte sich wie ein Hund, daß die Flocken nach allen Seiten sto ben. Atlan war ehrlich erschüttert. Er glaubte zu wissen, daß die Explosion nicht aus pu rem Zufall erfolgt war. Diese kleinen Wesen hatten nur einen Lebenszweck: Sie mußten, koste es, was es wolle, diese Treppe von Schmutz und Zerfall freihalten. Konnte ei nes von ihnen aus irgendwelchen Gründen seine Aufgabe nicht mehr erfüllen, so war es zur Selbstzerstörung gezwungen. Es war allein seine Schuld, daß der Kleine nun nur noch in Form feiner Ascheflöckchen existierte. Dem Arkoniden wurde bewußt, daß Slo juck ihm bewundernde Blicke zuwarf. Für
18 den Katzenhaften war es offenbar bereits ein Wunder, daß Atlan noch am Leben war. Die Explosion hatte ihm keinen so großen Schock versetzen können wie die simple Tatsache, daß Atlan versucht hatte, sich mit diesem Wesen zu unterhalten. »Treiben sich hier noch mehr von der Sorte herum?« fragte Copasallior. Slojuck zuckte zusammen. »Nein, Herr«, antwortete er heiser. »Nicht auf dieser Treppe und nicht in diesem Turm. Aber andere Gruppen durchstreifen den gan zen Palast. Man weiß nie, wo man auf sie trifft. Kommt jetzt, die Gefahr ist vorüber.« Sie folgten dem Katzenhaften, der sie durch den gigantischen Turm führte. Die putzwütigen Wesen tauchten nicht wieder auf. Offenbar waren sie weiter oben von der Treppe abgewichen. Nach, einiger Zeit wurden die Stufen stei ler und enger. Die Wände rückten näher her an. Sie kamen an Fenstern vorüber, an deren unteren Rändern winzige, sehr helle Flam men züngelten. Atlan sah sich vergebens nach einer Möglichkeit um, diese Lichtquel len aus der Nähe betrachten zu können. Al len schlechten Erfahrungen zum Trotz hätte er sich zu gerne mit den Flammen befaßt, denn sie drangen direkt aus den marmornen Fensterbänken. Endlich erreichten sie das Ende der Trep pe. Sie gelangten auf eine reich verzierte Plattform. Ober ihnen wölbte sich in strah lendem Blau die innere Kuppel des Turmes. Unter ihnen gähnte ein schier endloser Ab grund, in dem nur hier und da winzige Lich ter glommen. Hier oben war man von allem abgeschlos sen, was normalerweise den Lauf der Welt bestimmte. Die Flammen vor dem Fenster verhüllten alles, was draußen geschah, man konnte nicht einmal erkennen, ob über die sem Teil von Korsel Tag war oder Nacht. Die Treppe wand sich wie eine Schlange und verlor sich in der Finsternis. Fast sah es aus, als löse sie sich weiter unten auf. Slojuck ließ seinen drei Begleitern Zeit. Er wußte vermutlich aus eigener Erfahrung,
Marianne Sydow welche Gefühle einen bei diesem Anblick befielen. Als er aber meinte, seine Schützlin ge müßten sich mittlerweile eingewöhnt ha ben, schritt er geschmeidig über die golde nen Ornamente zur Wand des Turmes. Mit einem kräftigen Ruck schob er eine steiner ne Platte zur Seite. Schwefelfarbenes Licht strömte in den Turm und färbte das Blau un ter der Kuppel zu einem giftigen Grün. Das Heulen des Windes klang schauerlich in dem riesigen Gemäuer. Zögernd folgten Atlan und die beiden Ma gier dem Katzenhaften nach draußen.
* Eine ringförmige Plattform umgab die Spitze des Turmes. Auch sie bestand aus schwarzem Marmor, aber der Stein war hier draußen längst nicht mehr glänzend und glatt. In der hüfthohen Brüstung klafften breite Risse. Die Spuren des Zerfalls waren überdeutlich. Aber das bemerkten die drei Männer zu nächst nur am Rande, denn die Aussicht über MODRANLÖK verschlug ihnen glatt den Atem. Sie hatten gewußt, daß der Palast sehr groß war, aber so gigantisch hatten sie ihn sich doch nicht vorgestellt. Zwei Dutzend Türme, alle so hoch und wuchtig wie der, auf dem sie standen, sta chen aus der Tiefe herauf, und jeder Turm kennzeichnete einen bestimmten Palastbe zirk. Da gab es Gebiete, in denen giebelige Dächer vorherrschten, an anderen Stellen wuchsen halbkugelige Kuppeln wie mon ströse Geschwülste aus dem Boden. Den nächsten Turm umgab ein wahrer Wald aus nadelspitzen Pfeilern, die aus der Höhe zier lich wirkten, aber jeder für sich genug Platz boten, um den Hofstaat eines Fürsten aus dem terranischen Mittelalter darin unterzu bringen. Atlan sah aber auch Gebäudefor men, die völlig abstrakt wirkten, und sogar fliegende Behausungen gehörten zu Allers heims Palast. Atlan schätzte, daß die schwimmende In
Die Rache des Magiers sel rund fünf Kilometer lang und an der brei testen Stelle fast zwei Kilometer breit war. Nur an wenigen Stellen gab es unbebaute Plätze, und obwohl man dort etwas Grünes sah, war sich der Arkonide sicher, daß es in MODRANLÖK keine Gärten und Parks gab. Es hätte einfach nicht zum Wesen des Konstruktionsmagiers gepaßt. Aber Brücken gab es, in allen Größen und Formen. Als spindeldürre Bogen spannten sie sich über ganze Palastbezirke, wanden sich wie metal lene Spiralen um die niedrigeren Türme, schufen elegante Verbindungen zwischen Gebäuden und Festungsmauern und durch brachen dann wieder plump und klobig wohlgegliederte Gebäudekomplexe. »Chaotisch«, bemerkte Koratzo nach eini ger Zeit. »Er muß sich sehr verändert haben. Früher hätte er so einen Palast jedenfalls nicht errichtet.« »Es ist viel Zeit vergangen«, murmelte Copasallior. Er sah sich nach Atlan um und deutete in die Tiefe. »Glaubst du immer noch, daß wir gegen seinen Willen hier her auskommen?« Der Arkonide blickte zu den Mauern hin über, die den eigentlichen Palast umgaben. Dahinter breiteten sich ringförmig die Quar tiere und Arbeitshallen der Tiermenschen aus, dann kam eine zweite Mauer, noch hö her, noch besser gegen jeden Versuch ge schützt, sie von innen zu erklettern. Er wuß te, daß dahinter nur noch ein schmaler Strei fen Kieselstrand sie vom Meer getrennt hät te. »Sehen wir uns weiter um«, schlug er aus weichend vor. Sie gingen langsam um den Turm herum. Slojuck folgte ihnen wie ein Schatten. Wenn sie Fragen hatten, bemühte er sich, ihnen nach bestem Wissen Auskunft zu geben. Dennoch wurden sie alle drei das unange nehme Gefühl nicht los, in seiner Gegenwart bei jedem Wort, das sie sagten, besonders vorsichtig sein zu müssen. Von der entgegengesetzten Seite der Plattform aus sahen sie direkt in den Hof hinab, in dem Allersheims Flugschale stand.
19 Tiermenschen wimmelten um das Gefährt herum. »Was machen die da?« fragte Atlan. Der Katzenhafte hob in seltsam mensch lich anmutender Gebärde die Schultern. »Sie bringen Vorräte«, erklärte er. »Dann wird Allersheim wohl bald starten?« »Davon verstehe ich nichts, Herr.« »Die GOL'DHOR!« sagte Copasallior. »Irre ich mich, oder steht sie wirklich näher am Wasser?« »Es stimmt«, nickte Koratzo. »Diese Fel sen waren schräg vor uns, als wir aus der Schleuse kamen.« »Allersheim will doch wohl nicht die Kräfte seiner Diener schonen?« fragte Copa sallior überrascht. Da erst begriff Atlan, warum die beiden Magier dem Umstand, daß die GOL'DHOR sich um vielleicht hundert Meter bewegt hat te, so große Bedeutung beimaßen. Dem Konstruktionsmagier konnte es egal sein, ob die Tiermenschen ein wenig länger an ihren Lasten zu tragen hatten. Und plötzlich ging dem Arkoniden auf, daß es noch ein zweites Rätsel gab: Wozu benötigte Allersheim ei gentlich Vorräte? Konnte er nicht alles, was er brauchte, mit Hilfe seiner Magie herstel len? Zwar mußte es auch ihm Schwierigkei ten bereiten, sich mitten im KorsallophurStau auf diese Weise mit Nahrung zu versor gen, aber der Flug nach Pthor dauerte ja auch nicht so lange, daß man ganze Ladun gen von Proviant benötigte. Abgesehen davon hatte die GOL'DHOR noch die Vorräte an Bord, die man in der FESTUNG eingeladen hatte. Atlan mußte an die Waggus denken, die bei diesen Vorräten lagen. Er hatte drei sol che Waffen mitgenommen. Nun, da er sie hätte brauchen können, waren sie unerreich bar. Es war sinnlos, noch länger in die Tiefe zu starren. Atlan prägte sich den Verlauf der Wege und Brücken ein, die von »ihrem« Turm zur Festungsmauer führten. Dann machten sie sich auf den Weg nach unten. Sie wurden bereits erwartet. Am Ende der
20
Marianne Sydow
Treppe stand der Tiermensch mit den Yas selbeinen und dem Saurierkamm auf dem Rücken. »Kommt mit!« sagte er grollend. »Der Magier erwartet euch.«
4. Allersheim saß auf einem Thron aus Mar mor und Silber. In dem gewaltigen Gebäude wimmelten zahllose Diener umher. Dennoch war es in Allersheims Saal so still und dun kel wie in einer Gruft. Die Luft roch muffig. »Habt ihr euch umgesehen?« fragte der Magier und musterte seine Gefangenen auf merksam. »Wie gedenkt ihr eure Flucht zu gestalten?« »Du kannst uns hier nicht ewig festhalten, Allersheim«, sagte Koratzo gelassen. »Und das weißt du auch. Wir haben zu viele Freunde in der Barriere. Du kennst Glyndis zorn, um nur einen zu nennen. Sobald du mit der veränderten GOL'DHOR zurückkehrst, wird er wissen, daß es Schwierigkeiten gab. Er wird uns suchen, und er kann sehr hart näckig sein. Für ihn ist es unwichtig, wie weit wir uns von Pthor entfernt haben. Er wird uns trotzdem finden und einen Weg öffnen.« Allersheim starrte ihn mit seinen gelben Augen an. Nach einer Weile brach er in schallendes Gelächter aus. »Es ist das erste Mal, daß ich dich bei ei ner Lüge erwische, Koratzo!« prustete er. »Dein Vater wäre stolz auf dich. Der Sohn des Kir Ban lernt endlich, daß die Wahrheit eine gefährliche Sache ist.« Koratzo antwortete nicht. »Mich bringst du auf diese Weise nicht durcheinander«, fuhr Allersheim etwas we niger heiter fort. »Ja, ich erinnere mich an Glyndiszorn, und ich weiß auch, welche Fä higkeiten er hat. Glaube mir, aus dieser Falle hilft er euch nicht heraus. Ist das dein einzi ger Plan? Verläßt du dich tatsächlich nur auf die Hilfe anderer? Du enttäuschst mich, Ko ratzo.« »Du wirst Korsel verlassen«, bemerkte
Copasallior. »Und was soll dann geschehen? Du neutralisierst unsere Kräfte, Allersheim, aber das kommt dich jetzt schon teuer zu stehen. Du mußt zu viel Energie aufwenden. Du bist an solche Manöver nicht mehr ge wöhnt. Sobald du den Palast verlassen hast, wirst du die Kontrolle über uns verlieren. Wer könnte uns dann noch hier festhalten?« Atlan sah den Konstruktionsmagier spöt tisch lächeln. Die Argumente beeindruckten ihn nicht. Er fühlte sich völlig sicher und grenzenlos überlegen. Eine Waffe! dachte der Arkonide sehn süchtig. Wenn ich doch wenigstens ein Schwert hätte. Du vergißt immer wieder, welche Art von Magie dieser Mann betreibt! wisperte der Extrasinn. Ein Schwert würde in deiner Hand zerfallen oder zu irgend etwas wer den, was zu keinem Kampf mehr taugt. So einfach ist ein Magier nicht zu besiegen. »Ihr dürft jetzt gehen«, sagte Allersheim unvermittelt. »Seht euch nur weiterhin gründlich in MODRANLÖK um, denn ihr werdet den Rest eures Lebens in diesen Hal len verbringen. Ihr braucht keine Angst da vor zu haben, daß ihr hier schneller altert als in der Großen Barriere von Oth, oder daß eure magischen Fähigkeiten erlöschen. Ich habe für alles gesorgt.« Nach dem letzten Wort hob Allersheim die rechte Hand. Im nächsten Augenblick entstand zwischen ihm und seinen Gefange nen eine massive Wand, und nur von weit her hörten sie den Magier höhnisch kichern. »Er will uns zermürben«, stellte Koratzo fest, als sie auf dem Gang vor der Tür zum Thronsaal standen. Ein Trupp Tiermenschen eilte an ihnen vorbei. Es waren kräftige Burschen mit brei ten Schultern und bepelzten Körpern. Sie trugen allerlei Werkzeuge bei sich und un terhielten sich mit leisen Grunzlauten. »Spaten und Hacken«, murmelte Atlan. »Das wäre besser als gar nichts. Wir sollten nach dem Ort suchen, an dem das Werkzeug aufbewahrt wird.« »Allersheim.«
Die Rache des Magiers »Ich weiß, daß wir uns für ihn etwas an deres ausdenken müssen. Aber es könnte sein, daß wir uns gegen seine Diener zu wehren haben. Und da kann eine Spitzhacke über Leben oder Tod entscheiden.« »Die Diener werden uns niemals angrei fen«, erklärte Copasallior mit steinerner Miene. »Im Gegenteil – sie werden uns he gen und pflegen und sich notfalls ohne Zö gern für uns opfern. Wenn du willst, kannst du es ausprobieren. Versuche, einem von de nen da sein Werkzeug abzunehmen.« »Da du ohnehin zu wissen scheinst, wie das Ergebnis einer solchen Aktion aussähe, kann ich mir meine Kräfte wohl sparen, oder?« Copasallior überging Atlans Bemerkung. »Allersheim hat viele Jahrtausende in die ser Einsamkeit verbracht«, fuhr er fort. »Er hat sich das selbst zuzuschreiben, denn noch kein Magier wurde ohne triftigen Grund von Pthor verbannt. Aber er sieht in uns die Schuldigen. Er will Rache. Unser Tod wäre ihm ein zu niedriger Preis für das, was wir ihm vermeintlich angetan haben.« »Und wie passe ich in das Bild?« fragte Atlan. »Du bist der König von Pthor«, sagte Co pasallior. »Vielleicht, wenn du dich zur Zu sammenarbeit bereit zeigst, nimmt er dich sogar mit.« »Keine schlechte Idee«, überlegte Atlan. »So käme ich an ihn heran. Wenn ich erst mal in der GOL'DHOR bin, hätte ich viel leicht eine Chance, das Raumschiff in mei nem Sinne zu beeinflussen. Und auch wenn das nicht gelingt – ich könnte unsere Freun de in Pthor alarmieren.« »Ich fürchte, Allersheim wird derartige Schwierigkeiten voraussehen«, bemerkte Copasallior. »Ich werde es trotzdem versuchen«, ent schied Atlan. »Stimmt das, was er über Glyndiszorn sagte?« Koratzo lächelte abfällig. »Zu seiner Zeit war die Knotenmagie noch ein sehr unterentwickeltes Teilgebiet der Weltenmagie. Glyndiszorn hat eine eige
21 ne Wissenschaft daraus gemacht. Er be herrscht jetzt Raum und Zeit in einer Weise, die Allersheim sich in seinen kühnsten Träu men nicht vorstellen könnte. Aber das ist nicht unser einziger Vorteil. Solange Allers heim in unserer Nähe ist, kann ich meine Magie praktisch gar nicht einsetzen. Wenn er aber diese Welt verläßt, werden meine Fä higkeiten zurückkehren. Dann kann ich um Hilfe rufen, und wenn wir uns nicht gerade in der fernsten aller Dimensionen verloren haben, wird Glyndiszorn meine Nachricht hören und verstehen. Du siehst, wir haben gute Chancen, schneller von Korsel wegzu kommen, als es Allersheim lieb sein kann.« Der Stimmenmagier sah Copasallior fra gend an. »Ich für mein Teil weiß noch nicht, in welcher Form ich zu unserer Befreiung bei tragen kann«, murmelte der Sechsarmige mißmutig. »Solange dieser Bann auf uns liegt, sagen meine Sinne mir nichts darüber, ob Cornac oder Pthor in Reichweite sind. Ja, wenn ich sie spüren könnte – ich wäre recht zeitig genug in der FESTUNG, um dem Konstruktionsmagier einen gebührenden Empfang bereiten zu können.« »Kostet es ihn wirklich so viel Kraft, eure Fähigkeiten zu neutralisieren?« Atlan stellte sich diesen Vorgang unge fähr so vor, als halte ein Hypno-Mutant mehrere Personen gleichzeitig unter Kon trolle. Auch so etwas kostete Kraft, nicht zu letzt wegen der ständigen Konzentration, die erforderlich war, damit die Opfer nicht der Kontrolle entglitten. Mußte nicht auch Al lersheim den Bann lösen, wenn der Schlaf ihn übermannte? Er fragte auch danach. Aber zwischen Magiern und Mutanten gab es noch einige gravierende Unterschie de. So erfuhr Atlan zum Beispiel, daß ein solcher Bann sich niemals gegen den Willen Allersheims lösen konnte. Nur wenn der Konstruktionsmagier die Welt Korsel ver ließ, würde ihm Lauf einiger Stunden sein Einfluß auf Copasallior und Koratzo schwinden, bis die beiden sich aus eigener
22
Marianne Sydow
Kraft von den Überresten des Banns befrei en konnten. Nichtmagisch begabte Wesen hatten eine solche Chance nicht. Sie würden noch in Jahren nach Allersheims Befehlen handeln und denken. Zweifellos aber war Allersheim tatsäch lich geschwächt, und das deutete darauf hin, daß er im Lauf der langen Zeit seiner Ver bannung Schaden genommen hatte. »Wenn wir ihn jetzt angreifen könnten«, behauptete Koratzo, »hätte er kaum eine Chance.« Das Problem, stellte Atlan fest, glich einer Schlange, die sich selbst in den Schwanz biß. Der Versuch, diesen Teufelskreis mit Gewalt aufzubrechen, erschien ihm als we nig erfolgversprechend. Slojuck tauchte überraschend vor ihnen auf. »Kommt!« sagte er ausdruckslos.
* Slojuck führte sie zunächst ins Freie, in einen der zahllosen Innenhöfe, die sich un tereinander so ähnlich sahen, daß man bin nen einer Stunde restlos die Orientierung verlieren konnte. Das schwebende Blatt war nicht zu sehen. Dafür tummelten sich affenähnliche Wesen im weißen Sand. Sie sprangen umeinander, jagten sich an den schwarzen Mauern ent lang und balgten sich auch manchmal. Atlan fragte sich vergeblich, welche Aufgabe diese Kreaturen wohl in MODRANLÖK zu erfül len hatten. Obwohl die Pseudoaffen einen harmlosen Eindruck machten, ging Slojuck ihnen ge wissenhaft aus dem Weg. In Schlangenlinien führte er seine Schützlinge bis zur gegen überliegenden Wand, in der sich ein giganti sches Tor öffnete. Dahinter lag eine dunkle Halle. Breite, wuchtige Treppen führten zu den oberen Stockwerken hinauf. Aber Slo juck plante diesmal keinen Ausflug in lufti ge Höhen. Er ging an den Treppen vorbei. Im Hintergrund der Halle gab es eine kleine enge Tür. Dort hielt er an.
Von draußen drang das Geschrei der Pseudoaffen herein. Eines der Wesen husch te durch die offene Tür, raste mit aberwitzi ger Geschwindigkeit durch die Halle und bremste abrupt, als es die drei Fremden sah. Es starrte die Magier unverwandt an, tänzel te dann auf Atlan zu und erhob sich auf die Hinterbeine. Der Arkonide sah die nadelspit zen Zähne und die schimmernden Krallen. Ausweichen konnte er der Kreatur nicht, denn er stand mit dem Rücken zur Wand. Aber zum Glück überlegte der Affe es sich anders. Er warf sich herum und flitzte da von. »Merkwürdig«, sagte Slojuck leise. »Die anderen Wächter haben euch gar nicht be achtet. Warum kam dieser eine nachsehen?« Niemand konnte ihm diese Frage beant worten. Er öffnete die Tür und ging voran. Sie gelangten in einen kurzen, engen Kor ridor. Die Decke war so niedrig, daß Atlan und Koratzo die Köpfe einziehen mußten. Die Luft war schlecht, und nur zwei einzelne Flammen erhellten den Raum ein wenig. »Ihr müßt leise sein«, mahnte Slojuck. »Die Nächtlichen haben sehr empfindliche Ohren.« Er öffnete eine zweite Tür, und den Ge fangenen stockte der Atem. Vor ihnen lag ein Paradies im Kleinfor mat. Die Halle war größer als Allersheims Thronsaal. Aber hier gab es genug Licht und auch frische Luft. Eine Humusschicht be deckte den Boden, und überall wuchsen Pflanzen. Es gab Bäume mit knorrigen Stämmen, blühende Büsche und weiches Moos, sogar richtige Blumen, die den Arko niden an Lilien erinnerten. Die gewölbte Decke bildete einen künstlichen Himmel. Zwischen Wolken, die wie Wattebäusche aussahen, strahlten Sonnenlampen – oder ih re magischen Gegenstücke. Am erstaunlich sten aber waren die Hütten, die unter den Bäumen standen. Es waren sehr kunstvoll gefertigte Gebil de aus Holz und Stein, mit Stroh und großen Blättern gedeckt und von kleinen Gärten
Die Rache des Magiers umgeben. »Die Nächtlichen!« flüsterte Slojuck und deutete auf eine Stelle, an der sich zwischen dichten Sträuchern zwergenhafte Gestalten zeigten. Die Nächtlichen waren zart wie Elfen, kaum einen halben Meter groß und von humanoidem Äußeren. Sie wisperten mit hel len Stimmen durcheinander, bis einer von ihnen auf die Eindringlinge zuging. »Wen bringst du uns da?« fragte er Slo juck. Seine Stimme war so zart, daß man sich anstrengen mußte, um seine Worte zu ver stehen. Slojuck ging in die Knie und nickte dem Kleinen freundlich zu. »Drei Fremde«, flüsterte er. »Gefangene des Magiers.« »Zwei sind von seiner Brut!« piepste der »Nächtliche« ängstlich. Seine Artgenossen zwischen den Sträu chern bewegten sich unruhig. »Sie sind jetzt ohne Macht«, erklärte Slo juck beruhigend. »Allersheim ist ihr Feind. Ich habe es mit eigenen Ohren gehört.« Der Zwerg betrachtete die beiden Magier zweifelnd. Atlan beachtete er kaum, aber be sonders vor Copasallior schien er sich sehr zu fürchten. »Ihr könntet ihnen helfen«, sagte Slojuck behutsam. »Allersheim wird uns bald verlas sen.« Der Nächtliche zögerte. »Berichte davon!« forderte er schließlich. Slojuck erzählte ihm von der GOL'DHOR, die nach unvorstellbar langer Wartezeit gekommen war, um Allersheim in seine Heimat zurückzutragen. Er berichtete auch von den drei Fremden, die das goldene Raumschiff nach Korsel entführt hatten. Als der Nächtliche hörte, daß Copasallior den Konstruktionsmagier in die Verbannung ge bracht hatte, warf er dem Sechsarmigen einen scheuen Blick zu und wich ein paar Trippelschritte zurück. Atlan stellte fest, daß Slojuck erstaunlich gut über alles informiert war. Der Katzen hafte kannte zum Teil sogar die Hintergrün
23 de des Dramas, das sich damals in der Bar riere von Oth abgespielt hatte. »Die drei Fremden will Allersheim hier zurücklassen«, schloß Slojuck seinen Be richt. »Sie werden die neuen Herren von MODRANLÖK sein – und gleichzeitig Ge fangene in diesen Mauern bis in alle Ewig keit. Aber wie du selbst gesehen hast, sind zwei von ihnen Magier. Wenn wir sie nach draußen bringen könnten, ehe Allersheim mit der GOL'DHOR davonfliegt, könnten sie ihn vielleicht aufhalten und vernichten. Dann wären wir alle frei. Zeigt ihnen den geheimen Ausgang!« Der Nächtliche erschrak. Er drehte sich um und starrte seine Artgenossen hilfesu chend an. Diese aber starrten wie gebannt zurück. Dem Arkoniden drängte sich ein ausge sprochen scheußlicher Verdacht auf. Diente Slojucks Appell an die Hilfsbereitschaft der Zwerge nur dem einen Zweck, diesen gehei men Ausgang für Allersheim auszukund schaften? Dem Konstruktionsmagier solle eigentlich nichts von dem unbekannt sein, was es in MODRANLÖK gab. Aber im Lauf vieler Jahrtausende mochte Allersheim in mancher Beziehung die Übersicht verlo ren haben. Atlan hoffte, der Nächtliche würde Slo jucks Ansinnen wenigstens vorerst zurück weisen. Später gab es sicher eine Möglich keit, den Katzenhaften abzuhängen und ohne ihn in diese Halle zurückzukehren. Aber der Nächtliche faßte einen einsamen Entschluß. »Kommt in meine Hütte«, piepste er. »Dort wollen wir uns beraten.« Slojuck verzog keine Miene. Mit lebhaf ten Gesten bedeutete er seinen Schützlingen, ihm zu folgen und leise zu sein. Die Nächtlichen zwischen den Sträuchern wichen zurück und verdrückten sich nach al len Seiten, als die Gruppe sich in Bewegung setzte. Unterwegs wurde sehr wenig gespro chen. Atlan und die Magier erfuhren nur, daß ihr kleiner Führer Darcal hieß. Darcals Hütte stand etwa fünf Minuten entfernt. Vier
24 alte Bäume, deren Stämme die Eckpunkte eines Quadrats bildeten, waren in den Bau einbezogen worden. Die Mittelachse des ebenfalls quadratischen Hauses bildete die Diagonale zwischen den Gewächsen, und die Stämme waren somit zu Mittelpfeilern für die Seitenwände geworden. Die Mauern aus Holz und Stein waren auffällig sorgsam errichtet worden. Ein paar Meter von der Tür entfernt gab es unter einem Schutzdach eine kleine Feuerstelle. Eine Zwergenfrau stand an einem riesigen Kessel und rührte darin herum. Darcal bat seine Gäste nicht ins Haus, sondern wies ihnen Plätze auf Rasenbänken im Garten zu. Die Frau brachte ihnen Becher aus geschliffenem Marmor und einen eben falls steinernen Krug mit klarem, kaltem Wasser. Danach zog sie sich wieder an ihren Kochtopf zurück. Darcal schien in der Gegenwart so frem der Gäste unsicher und gehemmt, und Slo juck wußte offenbar nicht recht, wie er ein Gespräch in Gang bringen sollte. Koratzo, der trotz Allersheims Bann für solche Situa tionen einen sechsten Sinn hatte, versuchte es mit einer ebenso alten wie wirksamen Therapie. »Slojuck nennt euch die Nächtlichen«, wandte er sich an Darcal. »Aber hier ist es hell. Wie kamt ihr zu euren Beinamen?« Darcal lächelte traurig. »Vor langer Zeit«, sagte er, »als wir noch allein auf der Welt waren, die Allersheim Korsel nannte, wohnten wir auf den Inseln, die sich überall aus dem Meer erheben. Am Tage, wenn die Sonne schien, mußten wir uns in unseren Hütten verbergen, denn wir vertrugen das Licht und die Hitze nicht. Nachts aber besaßen wir große Macht. Wir herrschten über alle Tiere des Meeres und des Landes, und selbst der Wind und das Meer gehorchten uns. Eines Tages wuchs vor unseren Inseln etwas, das böse und häß lich war – es war Allersheims Palast. Da mals gab es davon allerdings noch nicht viel zu sehen. Es bildete sich eine schwimmende Insel, und auf ihr wuchs ein Turm. Die Tiere
Marianne Sydow bekamen Angst und weigerten sich, an unse re Küsten zu kommen, so daß wir fürchten mußten, der Hunger würde uns vernichten. Wir baten den Magier, seinen Palast an ei nem anderen Ort zu bauen. Er lachte uns aus. Da sandten wir nachts die Stürme und die Wellen zu ihm, und als er morgens er wachte, war nur noch der Turm und ein win ziges Stück treibender Fels übrig. Am Tage, wenn wir die Kontrolle über die Elemente verloren, wuchs der Palast von neuem, und in der darauffolgenden Nacht wurde er wie der zerstört. Das ging einige Zeit so, dann wurde Allersheim zornig. Wir alle versan ken in einen tiefen Schlaf, und als wir wie der erwachten, fanden wir uns in dieser Hal le wieder. Hier wird es niemals Nacht, denn die Sonnenlampen brennen ewig. Solange das Licht um uns ist, können wir uns nicht befreien.« Die Geschichte erschien dem Arkoniden als nicht ganz logisch. Die Lampen unter der Hallendecke konnten doch die Sonne Kor sels nicht ersetzen. Wahrscheinlich war es nicht allein das Licht, das die Nächtlichen zu Gefangenen machte – es mußten auch psy chologische Aspekte mitspielen. »Inzwischen«, fuhr Darcal fort, »nützt es uns auch nichts mehr, daß wir einen Weg nach draußen gefunden haben. Etwas am Himmel von Korsel hat sich verändert. Die Nacht kann uns die Herrschaft über die Wel len nicht zurückbringen.« »Aber ihr könnt hinaus?« Darcal sah Koratzo aufmerksam an. »Manchmal«, antwortete er zögernd. »Der Weg ist gefährlich. Allersheim kennt unser Geheimnis, und er sorgt dafür, daß in uns die Sehnsucht nach der Freiheit weiterlebt. Es bereitet ihm großes Vergnügen, unsere Träume dann zu zerschlagen, wenn es am schmerzlichsten für uns ist.« Damit stand fest, daß Slojuck wenigstens in diesem Punkt keine bösen Absichten ver folgte. »Der Weg beginnt …«, hob Darcal erneut an, aber ehe er den Satz beenden konnte, flog etwas Schwarzes auf ihn zu, und der
Die Rache des Magiers kleine Nächtliche stürzte rückwärts von der Rasenbank. Es ging so schnell, daß jede Ge genwehr zu spät kam. Als Atlan und die Ma gier aufsprangen, war Darcal bereits tot. Der Pseudoaffe schleuderte Darcal von sich und richtete sich auf. Milchweißes Blut tropfte von seinen Fangzähnen. Und dann waren die Affen überall. Schreiend und schnatternd sprangen sie aus Sträuchern und Baumkronen und stürzten sich auf die Nächtlichen und deren Behau sungen. Die Zwerge hatten nicht die leiseste Chance, den schwarzen Bestien zu entkom men. Einige setzten sich zur Wehr, aber je der Widerstand scheiterte schon nach weni gen Sekunden. »Weg von hier!« schrie Slojuck gegen den Lärm an. »Schnell! Wir müssen ver schwinden, ehe die Wächter mit den Nächt lichen fertig sind!« Atlan schüttelte unwillig den Kopf. Wenn es danach ging, hätten sie längst von Pseu doaffen umringt sein müssen. Die Wächter aber machten einen Bogen um Darcals Hüt te. Nur zwei waren in ihre Nähe vorgedrun gen, hatten Darcal und die kleine Frau getö tet und sich dann wieder zurückgezogen. »Immer mit der Ruhe«, mahnte auch Co pasallior. »Die Affen werden uns nichts tun. Dafür hat Allersheim gesorgt. Es bereitet ihm tatsächlich Freude, Träume zu zerstören – Darcal hat den Gegner richtig einge schätzt. Laßt uns die Hütte untersuchen.« Slojuck schien den Tränen nahe. Nie zu vor hatten sie den Katzenhaften so aufgeregt gesehen. Er wagte sich nicht in die Hütte hinein. Jammernd wartete er vor der Tür. »Ich bin sicher, daß Darcals Weg hier drin beginnt«, sagte Koratzo. »Er wollte gerade auf die Tür zeigen, als diese Bestie ihn an fiel.« Drinnen war es sauber und ordentlich. Der Boden bestand aus gestampfter Erde. Durch die Fensteröffnungen fiel genug Licht, um sie die spärliche Einrichtung er kennen zu lassen. Darcal hatte keine Reich tümer sein eigen genannt. »Sucht den Boden ab!« rief Koratzo und
25 begann selbst, mit den Füßen aufzustamp fen, in der Hoffnung, einen verborgenen Hohlraum am dumpfen Widerhall erkennen zu können. Atlan stufte diese Methode als wenig erfolgversprechend ein. Er rannte zu dem aus Grasmatten bestehenden Lager. Co pasallior half ihm, und mit seinen sechs Händen schaufelte der Weltenmagier das zur besseren Polsterung unter die Grasmatten gestopfte Heu zur Seite, daß die Halme nur so flogen. Aber unter dem Heu war ebenfalls nur festgestampfte Erde. Das Schreien der Pseudoaffen kam jetzt wieder näher. Atlan suchte verzweifelt nach einem Anhaltspunkt. Dabei entdeckte er ein paar Messer auf einem Wandbord. Er raffte sie zusammen und steckte sie in den Gürtel, den er über dem Goldenen Vlies trug. Er wollte sich gerade einer Baumstammhälfte zuwenden, als Slojuck den Kopf um die Ecke steckte. »Sie kommen!« rief der Katzenhafte. Atlan fluchte unterdrückt. An dem Baum stamm war etwas, eine Unregelmäßigkeit im Muster der Rinde, was seinen Verdacht er regte. Er legte die Hände dagegen, drückte und schob, aber nichts rührte sich. Wütend schlug er mit der Faust dagegen. Im näch sten Augenblick lag er am Boden. Eine pechschwarze Hand legte sich über sein Ge sicht. Er bekam keine Luft. Er stieß die Knie nach oben, aber der Pseudoaffe wich ihm mit Leichtigkeit aus. Die roten Augen schienen höhnisch zu glitzern, als das Biest ganz langsam zu drückte. Atlan spürte die barbarische Kraft in dieser schwarzen Hand. Ihm wurde be wußt, daß diese Kreatur ihm mühelos den Schädel zerquetschen konnte – und sie wür de es auch tun, ganz ohne Zweifel, wenn er ihr genug Zeit ließ. Glühender Schmerz durchzuckte ihn, und vor seinen Augen wallten dunkelrote Schlei er. Allersheim, dachte er, du hast deinen Wächter schlecht instruiert. Er wird mich umbringen – was ist dann mit deiner Rache?
26
Marianne Sydow
Aber Atlan hatte ja nichts mit der Verban nung von Pthor zu tun. Sein Tod mochte für Allersheim sogar wünschenswert sein, denn damit beraubte er seine beiden wirklichen Gegner der Gesellschaft des einzigen We sens, das ihnen hier in MODRANLÖK ein echter Freund sein mochte. Er wunderte sich über diese Gedanken, die ihm durch den Sinn gingen, während schon die Ohnmacht nach ihm griff. Seine Hände wollten ihm nicht gehor chen. Er konnte die Messer in seinem Gürtel nicht erreichen. Er versuchte, in die haarige Hand zu beißen, krallte die Finger in die schwarze Haut – der Druck stieg weiter an. Und dann gab es einen mörderischen Ruck, Knochen splitterten, und heißes Blut lief ihm über das Gesicht. Aus! dachte er. Das Wort explodierte in seinem Gehirn zu gleißender Helligkeit. Es war, als stürze er geradewegs in die Hölle.
5. Er wunderte sich darüber, daß er noch am Leben war. In seinem Kopf pochte es dumpf und schmerzhaft, und in seinen Ohren dröhnte es. Das Dröhnen zerfiel in schnat ternde Laute – die Pseudoaffen waren immer noch in der Nähe. Das Atmen fiel ihm schwer. Als er ver suchte, sich zur Seite zu rollen, spürte er einen schweren Körper quer über seiner Brust. Benommen tastete er mit den Händen danach. Er spürte dichtes Fell, dann eine warme, klebrige Masse. Hastig zog er die Hand zurück. In Darcals Hütte schien ein Kampf zu to ben. Atlan zwang die schmerzenden Lider auseinander und stöhnte auf, als ihm das Licht in die Augen drang. Zuerst sah er nur wogende Schatten. Dann gewannen die Schatten harte Konturen, und er sah die Wächter, fünf an der Zahl, die schnatternd und fauchend auf eine Gestalt eindrangen, die an der Wand der Hütte stand. Vorsichtig drehte Atlan den Kopf. Nie-
mand achtete auf ihn. Der Schmerz betäubte ihn fast, aber er vergaß ihn, als er Koratzo und Copasallior sah, die regungslos, in ver krampfter Haltung, auf dem harten Boden lagen. Dann war der, der sich dort drüben gegen die Pseudoaffen zur Wehr setzte, also Slo juck! In diesen Augenblicken war es dem Arko niden völlig gleichgültig, ob der Katzenhafte nun zuverlässig oder nur ein Werkzeug des Konstruktionsmagiers war. Er blinzelte, um die Tränen aus seinen Augen zu vertreiben. Als er wieder hinsah, sauste gerade ein lan ger Knüppel durch die Luft. Ein Pseudoaffe wurde am Schädel getroffen und sank leblos zu Boden. Von draußen jedoch drangen schon neue Stimmen herein. Slojucks Chan cen, diesen Kampf für sich entscheiden zu können, sanken rapide. Wenn er jedoch fiel, dann würden die Wächter sich wieder ihren anderen Opfern zuwenden. Atlan wußte nicht, ob die beiden Magier noch am Leben waren. Er konnte sich jetzt nicht weiter dar um kümmern. Irgendwie gelang es ihm, die Messer aus dem Gürtel und unter dem Körper des toten Wächters hervorzuziehen, ohne dabei die Aufmerksamkeit der anderen Pseudoaffen zu erregen. Slojuck schwang seinen Knüppel mit schrecklicher Wucht und hielt so seine Gegner auf Distanz. Daß auch das kein aus reichendes Mittel gegen diese Kreaturen war, bewiesen die zahllosen Wunden an sei nem Körper, besonders aber an seinen Bei nen. Atlan war in einer denkbar ungünstigen Position. Wollte er sich aufrichten, dann mußte er den Körper zur Seite rollen. Er wagte es noch nicht, die Wächter in dieser Weise zu provozieren. Aber er spannte seine Muskeln und stellte zufrieden fest, daß er die Kontrolle über seinen Körper allmählich zurückgewann. Er warf das erste Messer im Liegen. Noch während es durch die Luft flog, schob er den toten Pseudoaffen weg. Das Messer drang in den Rücken eines Gegners. Zufällig
Die Rache des Magiers schwang Slojuck seinen Knüppel fast gleichzeitig gerade gegen diesen Gegner. Der Katzenhafte war, als der Wächter zu sei nen Füßen zusammenbrach, so überrascht, daß er den Knüppel sinken ließ. Das hätte sein sicheres Ende bedeutet, wäre nicht das nächste Messer blitzend durch die Luft ge flogen. Der Tod des Getroffenen riß Slojuck aus seiner Betäubung und flößte ihm Mut ein. Eine Minute später war alles vorbei. Die Wächter waren tot. Zwei, denen Slojuck mit seinen Hieben zunächst nur zu einer tiefen Narkose verholfen hatte, tötete der Katzen hafte mit Messerstichen, ehe Atlan ihn zu rückhalten konnte. Atlan verzichtete darauf, dem Katzenhaf ten moralische Vorhaltungen zu machen. Er lief zu den Magiern hinüber und untersuchte sie hastig. Er war sehr erleichtert, als er fest stellte, daß sie nur bewußtlos waren. Beide würden eine Weile mit brummenden Schä deln herumlaufen müssen. »Achtung!« zischte Slojuck von der Tür her. Atlan schrak zusammen. Der Katzenhafte winkte ihn zu sich: »Hier!« flüsterte er und hielt dem Arkoni den die Messer hin. Er selbst behielt nur sei nen Knüppel. »Das hat doch keinen Sinn«, murmelte Atlan zweifelnd. Durch die offene Tür konnte er mehr als zwanzig Pseudoaffen erkennen. Die Wesen waren aufgeregt und kampfeslüstern. Es schien, als hätten sie Allersheims Befehle vorübergehend vergessen. Möglich war na türlich auch, daß Copasallior sich grundle gend getäuscht hatte und Allersheim gar kei nen Wert darauf legte, das Leben seiner Ge fangenen zu schonen. Die Wächter jedenfalls würden keine Gnade walten lassen. Wußten sie bereits, was in der Hütte geschehen war? Fast konn te man das glauben, denn die schwarzen Kreaturen näherten sich der Hütte sehr vor sichtig. Sie waren immer noch unbewaffnet, hatten nicht einmal Knüppel in den Händen,
27 obwohl genug trockene Äste herumlagen. Aber sie fletschten drohend die Zähne und schlichen knurrend heran. »Sinn oder nicht«, murmelte Slojuck, »wir müssen siegen. Sonst ist es aus mit uns. Allersheim hat keine Kontrolle über das, was in der Halle der Nächtlichen geschieht.« Darum also benahmen sich die Pseudoaf fen so blutgierig. »Es war ein Fehler, nicht sofort zu flie hen«, stellte der Katzenhafte fest. Es lag nicht einmal der leiseste Vorwurf in seiner Stimme. Atlan biß die Zähne zusammen. Noch besser, so dachte er, wäre es gewesen, Slo juck hätte sie niemals zu den Nächtlichen geführt. Er fühlte sich schuldig, obwohl er nicht hatte ahnen können, welche Folgen ihr Besuch für die freundlichen Zwerge haben mußte. Die Pseudoaffen hielten in etwa fünf Me tern Entfernung an. Stumm und starr blick ten sie zur Hütte hinüber. Dann plötzlich preschte einer von ihnen vor. Slojuck schnalzte mit der Zunge und hob seinen Knüppel. Der Wächter flog durch die Tür, wurde noch im Sprung getroffen und stürzte zu Boden. Von draußen kam fragendes Schnattern, dann setzte erneut tiefe Stille ein. Atlan spähte um die Ecke und erschrak. Die Pseu doaffen verteilten sich. Offenbar bildeten sie jetzt einen Ring um die Hütte. Und sie wür den gewiß nicht durch die offenen Fenster eindringen, sondern über das Dach kommen. Der Arkonide blickte nach oben. Die dünnen Balken und das trockene Stroh konnten den Gegner nicht lange aufhalten. Er packte das Messer fester und schob Slojuck dichter an die Wand heran. Dann eilte er zu den Magiern. Er zog Copasallior bis neben die Tür. Als er zu Koratzo zurück kehren wollte, hörte er das Trampeln auf dem Dach, dann brachen krachend die ersten Balken. Direkt über dem Stimmenmagier brach ein Teil der Decke herunter. Koratzo verschwand unter einem Haufen Stroh, und der erste Pseudoaffe fiel gleich hinterher.
28 Atlan wagte es nicht, eines der Messer zu werfen. Er würde noch genug Waffen verlie ren in diesem ungleichen Kampf. Er sah den Wächter springen und duckte sich. Der Pseudoaffe flog knapp über ihn hinweg, fing sich geschickt mit allen vieren an der Wand ab und ging auf Slojuck los. Der Katzenhaf te räumte seinen Gegner mit einem Schlag aus dem Weg. Jetzt quollen die Pseudoaffen durch die Lücke im Dach. Zum Glück nahmen sie kei ne Rücksicht auf taktische Erwägungen. Sie behinderten sich gegenseitig und wimmelten vor allem um Slojuck herum, der unermüd lich seine Keule schwang. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen. Trotzdem wehrten sie sich verbissen, und die Wächter schienen verunsichert ange sichts so zäher Gegner. Erst allmählich fiel dem Arkoniden auf, daß die Pseudoaffen auch langsamer in ihren Bewegungen wur den. Slojuck zog sogleich die Konsequenzen aus dieser Beobachtung und drang brüllend in die feindlichen Reihen. Der Boden be deckte sich mit den Leibern geschlagener Wächter. Es ist Koratzo, sagte der Extrasinn. Er kommt zu sich. Atlan akzeptierte diese Erklärung. Ein Wächter griff unsicher nach seinen Beinen. Mit einem Fußtritt beförderte er das Wesen in eine Ecke. Er erspähte ein handliches Stück von einem zerbrochenen Dachbalken, steckte das Messer weg und griff Slojucks Taktik auf. Die langsamen Reaktionen der Pseudoaf fen machten es den beiden leicht. Als kein Wächter mehr auf den Beinen war, blieb At lan schweratmend stehen. »Gib mir ein Messer!« forderte Slojuck. Der Arkonide zuckte beim Klang der Stimme zusammen. Alle Sanftmut war aus dem Blick des Kat zenhaften verschwunden. Als Atlan zögerte, hob Slojuck drohend seine Keule. »Koratzo!« sagte Atlan verzweifelt. »Bringe diesen Gorilla zur Vernunft, schnell!«
Marianne Sydow Der Stimmenmagier antwortete nicht. Aber Slojucks Arme sanken langsam herab. Das Gesicht des Tiermenschen war von un sagbarer Anstrengung gezeichnet. Er kämpf te mit seinen Armen, die ihm plötzlich nicht mehr gehorchen wollten und schwerer wur den, als wären sie mit Blei gefüllt. Als Slojuck stöhnend zusammenbrach, eilte Atlan zu dem Strohhaufen und begann, den Stimmenmagier auszugraben. Wenig später kroch Koratzo ins Freie. Er war sehr schmutzig, und seine Augen blitzten zornig. »Warum bin ich nicht eher darauf gekom men«, schimpfte er. »Diese Nächtlichen ha ben selbst magische Fähigkeiten – oder sie hatten welche. Sie konnten sich gegen Al lersheim wenigstens teilweise abschirmen. Hier drinnen ist ihr Einfluß immer noch spürbar. Ich hätte viel eher eingreifen kön nen. Der ganze Kampf war völlig überflüs sig!« Atlan sah sich bedrückt um. »Wir sollten sehen, daß wir so schnell wie möglich von hier wegkommen«, murmelte er. »Und der Ausgang?« »Ich glaube nicht, daß es Sinn hat, jetzt nach ihm zu suchen. Ich gehe jede Wette ein, daß Allersheim diese Entwicklung vor hergesehen hat. Die Nächtlichen waren ihm sicher schon lange ein Dorn im Auge. Jetzt, da er fortgehen wird, hat er keinen Grund mehr, sie noch länger zu quälen, und sie freizulassen – das wäre ihm wohl nie in den Sinn gekommen. Nein, er hat das alles sau ber geplant, und wir sind ihm in die Falle gegangen. Sorge dafür, daß Slojuck ruhiger wird, ich kümmere mich um Copasallior. Dann brechen wir auf.« Aber der Weltenmagier war inzwischen zu sich gekommen. Er blickte düster umher. Slojuck machte eine erschreckende Wand lung durch. Die menschlichen Züge seines Gesichts machten tierischen Formen Platz, und aus seinen Augen sprach so abgrund tiefer Haß, daß Atlan sich instinktiv ab wandte. Koratzo litt unter diesem Anblick. Es dau
Die Rache des Magiers erte mehrere Minuten, bis er den Katzenhaf ten magisch in den Griff bekam. Dann aber sank Slojuck binnen weniger Sekunden in tiefen Schlaf. »Wir müssen ihn aus dieser Halle schaf fen«, sagte Koratzo erschöpft. »Wenn er hier drin bleibt, wird er den Verstand verlieren und sich in eine reißende Bestie verwandeln. Das ist die Rache der Nächtlichen. Sie haben Allersheim etwas hinterlassen. Er wird diese Räume nie mehr benutzen können.« Atlan dachte mit Schaudern daran, daß Slojuck gerade noch lange genug durchge halten hatte. Sie schleppten den Katzenhaften nach draußen. Copasallior sah sich aufmerksam um und reckte seine sechs Arme in die Hö he. »Es könnte gehen«, murmelte er. »Ober die Tür hinaus komme ich allerdings nicht.« Er griff nach Slojuck und verschwand mit ihm. Gleich darauf kehrte er zurück und hol te Koratzo und den Arkoniden. Schweigend wandten sie der Halle der Nächtlichen den Rücken. Dort war niemand mehr am Leben. Ganz in der Nähe lagen auch einige der Pseudoaffen. Sie waren grauenvoll verstüm melt, aber nicht die Zwerge selbst hatten ih ren Feinden diese Wunden zugefügt. Es mußte wie ein Rausch über die Wächter ge kommen sein, schnell und tödlich. Hastig trugen sie Slojuck durch den Kor ridor und an den Treppen vorbei ins Freie. Vor dem Hof der Pseudoaffen zögerten sie. Aber auch dort war es jetzt still geworden. Sie legten Slojuck in den weichen Sand und warteten, während Koratzo den Katzen haften behutsam aus dem magischen Schlaf löste.
* Slojuck war freundlich und sanft wie zu vor. Er erinnerte sich nicht daran, was mit ihm in Darcals Hütte geschehen war. Er war nur heilfroh, daß er das Abenteuer lebend überstanden hatte. Als Atlan nach dem toten Wächter fragte, unter dem er begraben gele
29 gen hatte, zuckte Slojuck nur mit den Schul tern. »Ich habe ihm eins über den Schädel ge geben«, erklärte er lakonisch. »Du kamst zur rechten Zeit, Freund«, lä chelte der Arkonide. »Eine Sekunde später wäre es nämlich zu spät gewesen.« »Dieser Ort gefällt mir nicht«, murmelte Copasallior unsicher. »Laßt uns von hier verschwinden. Wo hält Allersheim sich um diese Zeit auf?« Unwillkürlich blickte er dabei zum Him mel hinauf. Aber der war immer noch voller Wolken und dämmerig wie zuvor. »Wird es hier denn niemals dunkel?« er kundigte er sich. »Nein«, sagte Slojuck. »Das heißt – manchmal ruft der Magier die dunklen Stür me, dann bleibt es tagelang stockfinster. Ab und zu treiben auch Sandwolken von den In seln herüber.« Atlan wünschte sich, die Wolken würden einmal aufreißen, damit er die Sonne sehen konnte. Und wenn es sie gar nicht gibt? Hinter den Wolken ist Helligkeit, dachte Atlan ärgerlich an die Adresse des Extra sinns. Das hat nichts zu bedeuten. Allersheim ist doch Konstruktionsmagier. Warum sollte er nicht auch für Licht sorgen können? Atlan widmete dem Himmel über Korsel mehr Aufmerksamkeit. Er sah Zonen von unterschiedlicher Helligkeit, aber nichts Konkretes, wonach sich der Standort einer Sonne hätte bestimmen lassen. Vielleicht hatte der Extrasinn also doch recht. Aber hieße das nicht, daß Korsel tatsächlich Be standteil des Korsallophur-Staus war? »Er arbeitet jetzt mit den anderen drei Fremden«, sagte Slojuck, und die anderen wußten sofort, daß Allersheim und die Kro locs gemeint waren. Sollte der Konstruktionsmagier sich wirk lich so viel Zeit gelassen haben, ehe er diese wandelnden Bomben entschärfte? »Er wird sich die Zähne an ihnen ausbei
30 ßen«, murmelte Koratzo. »Es ist leichter, einen solchen Palast zu errichten, als das rückgängig zu machen, was man mit den Krolocs angestellt hat.« »Wenn er keinen Erfolg hat, fliegen wir früher oder später mit ganz MODRANLÖK in die Luft«, sagte Copasallior trocken. »Ich hoffe für uns, daß Allersheim nichts von sei nem Ehrgeiz verloren hat.« »Wo hat er die Krolocs untergebracht?« fragte Atlan. »Ich könnte euch hinführen«, schlug Slo juck vor. »Es gibt eine Brücke, die direkt unter dem Fenster des Untersuchungsraums vorbeiführt. Ich war schon oft dort, und der Magier hat mich niemals entdeckt.« Die Brücke war ein metallenes Band, das sich wand und ringelte wie eine Luftschlan ge. An manchen Stellen berührte sie die Wand eines klobigen Turmes. Dort hinauf führte der Katzenhafte seine Schützlinge. Nach einiger Zeit gebot er ihnen, leise zu sein und sich nur noch mit äußerster Vor sicht zu bewegen. Unter einem Fenster hielt er an. Skeptisch sahen Atlan und die beiden Ma gier zu der Öffnung hinauf. Dort züngelten die obligatorischen Flammen. Die Wand war voller Unebenheiten und Absätze, so daß es leicht sein mußte, das Fenster zu erreichen. Aber erstens war die Öffnung so schmal, daß jeweils nur zwei von ihnen hindurchse hen konnten, und zweitens waren da diese Flammen, die den Blick versperrten. Slojuck hatte auch diesmal eine Lösung zur Hand. Er fingerte am Rand der Brücke herum, und das Band dehnte sich, wurde breiter und wölbte sich der Mauer entgegen. Der Katzenhafte grinste triumphierend und wies mit einer einladenden Geste auf das Fenster. Aus unmittelbarer Nähe erst ent deckten sie, daß unterhalb der Flammen ein breiter Spalt im Gemäuer klaffte, der sich nach innen neigte, so daß sie bequem in den dahinter liegenden Raum hineinsehen konn ten. Atlan, der bisher nur wenige magische Geräte gesehen hatte, blickte verständnislos
Marianne Sydow auf das wüste Durcheinander von Utensilien, die jeder Trödelsammlung Glanz verliehen hätten – zu einem Experimentierraum paß ten sie überhaupt nicht. Dann entdeckte er die Krolocs, und er hielt die Luft an. Die drei lebenden Bomben hatten ihre Schutzanzüge abgelegt. Wie überdimensio nale, düstere Spinnen hockten sie dicht bei einander zwischen grausigen Masken und wackelten nervös mit den Greifarmen. Die Masken bestanden aus Stein und wa ren um die zwei Meter hoch. Von allen Sei ten starrten den Krolocs tellergroße Augen entgegen, und sie duckten sich unter diesen Blicken, preßten ihre grauen Leiber dicht an den Boden und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Von Allersheim war zu nächst nichts zu sehen. Aber wenige Minu ten später tauchte er zwischen den Masken auf und begann, beschwörend auf die Kro locs einzureden. Der Konstruktionsmagier trug immer noch seinen schwarzen Umhang. Auf sei nem kahlen Schädel saß ein riesenhaftes, ausladendes Gebilde, das eine gewisse Ähn lichkeit mit dem Kopfputz mittelamerikani scher Kaziken aufwies. Bei jeder Bewegung wippten bunte Federn, deren Schäfte mit winzigen Juwelen besetzt waren. Der untere Teil der »Krone« bestand aus einem Metall, das wie pures Gold schimmerte. Selbst wenn man Allersheims ungewöhnliche Fähigkei ten in Betracht zog, mußte man zu dem Schluß gelangen, daß dieser Kopfputz ein ganz ordentliches Gewicht besaß. Aber der Magier trug die Last ohne erkennbare An strengung. Jetzt wurde die Stimme des Magiers lau ter. Atlan lauschte angestrengt, verstand aber kein Wort. »Er benutzt die Ursprache derer von Oth«, flüsterte Koratzo aufgeregt. »Das heißt, daß er einen großen Teil unserer Ent wicklung verpaßt hat. Ist es wirklich schon so lange her, seit wir ihn nach Korsel ge schickt haben?« Allersheims Stimme wurde zu einem Singsang. Die Krolocs duckten sich womög
Die Rache des Magiers lich noch tiefer herab und zitterten am gan zen Leibe. Da unterbrach Allersheim die Be schwörung und wandte sich in Pthora an sei ne Versuchsobjekte. »Hört auf, euch zu fürchten!« befahl er ungeduldig. Der Translator übertrug seine Worte in die quietschende Sprache der Kro locs. »Wenn ihr so zittert, stört ihr die magi schen Linien. Nehmt euch gefälligst zusam men. Es geht schließlich um euer Leben.« Koratzo stieß einen verächtlichen Laut aus. »Er lehrte mich einen Teil der Stimmen magie«, murmelte er. »Aber er selbst be herrschte nur die bösen Laute und die zer störenden Formeln. Um alles andere hat er sich nie gekümmert. Das hat er nun davon!« »Du solltest ihm helfen«, flüsterte Atlan. »Wir sind darauf angewiesen, daß er dieses Problem aus der Welt schafft.« »Das weiß ich. Aber ich kann nicht ein greifen, denn er würde es sofort bemerken.« Allersheims Appell an die Krolocs blieb nahezu wirkungslos. Immerhin gaben sich die drei Fremden Mühe. Sie hielten sich ge genseitig an den Greifklauen fest und mur melten sich tröstende Worte auf krolocisch zu. Allersheim seufzte und begann von vorne. Und diesmal tat sich etwas im Ring der Masken. Die toten Augen der steinernen Gebilde begannen zu leuchten, zunächst nur schwach, dann immer greller. Allersheim geriet darüber in wahre Verzückung. Sein Kopfputz schwankte wie im Sturmwind, als der Magier rhythmisch mit den Füßen zu stampfen begann. Er trat dicht an die Kro locs heran und drehte sich langsam im Kreis. Seine Augen strahlten fast so grell wie die der Masken. Schneller drehte er sich, und nun schien es, als erwachten auch die Masken zum Le ben. Sie bewegten sich langsam, schaukelten hin und her und rieben sich knirschend an einander. Die Krolocs zitterten nicht mehr. Atlan war überzeugt davon, daß die armen Kerle
31 vor Furcht gelähmt waren. »Was macht er da?« fragte er beunruhigt. »Er versucht, die innere Struktur der Kro locs zu verändern«, erklärte Copasallior lei se. »Es scheint, als wisse er nicht genau, welche Organe oder sonstigen Körperteile die eigentlichen Bomben darstellen.« Atlan schluckte trocken. Er war immer noch skeptisch, was die Wirksamkeit magi scher Praktiken anging, aber er hatte Allers heim nicht für einen Dilettanten gehalten. Copasalliors Erklärung jedoch ließ ihn das Schlimmste befürchten. Allersheim tastete blind an drei hochexplosiven Sprengkörpern herum, und wenn der Weltenmagier recht hatte, so konnte nur ein glücklicher Zufall eine Katastrophe verhindern. Der Arkonide hatte längst gelernt, daß glückliche Zufälle sich ein besonderes Ver gnügen daraus machten, das in sie gesetzte Vertrauen zu enttäuschen. »Wir sollten uns an einen sicheren Ort be geben«, murmelte er. »Wenn die drei in die Luft fliegen, möchte ich nicht unbedingt da neben stehen.« Koratzo zuckte die Schultern und richtete sich auf. Drinnen sang Allersheim seine ma gischen Formeln. Atlan sah, daß nun auch die Masken sich langsam zu drehen began nen und dabei ein dumpfes Brummen von sich gaben. Die steinernen Münder zuckten, als schnappten sie nach Luft. »Er macht Fehler«, sagte Koratzo leise. »Atlan hat recht. Kommt, solange es noch Zeit ist.« Slojuck wollte die Veränderungen, die er an der Brücke vorgenommen hatte, beseiti gen, aber sie zogen ihn mit sich, obwohl er sich heftig dagegen sträubte. Als jedoch hin ter ihnen das Brummen immer lauter wurde und die Wände des Turmes zu vibrieren be gannen, folgte er ihnen freiwillig. Sie rann ten über die Brücke nach unten. Der ganze Turm geriet in Schwingungen. Große Brocken von Marmor stürzten an ihnen vor bei in die Tiefe. »Schneller!« rief. Copasallior. »Der ganze Turm wird zusammenstürzen.«
32 Wußte Allersheim, was er mit seiner Be schwörung auslöste? Oder war er so tief in Trance, daß er seine Umgebung nicht mehr wahrnahm? Für Slojuck und die drei Gefangenen war es im Augenblick völlig gleichgültig, ob die Krolocs explodierten oder nicht. Der Turm löste sich zusehends in seine Bestandteile auf. Sie rannten um ihr Leben über das me tallene Band und verfluchten die zahllosen Windungen, die die Brücke beschrieb. Viel zu langsam rückte der Boden näher. Als sie noch zwei Meter über dem weißen Sand waren, prasselte ein Hagel von Mar morbrocken herab. Wie durch ein Wunder wurden sie nicht getroffen. Der Zwischenfall hatte auch eine gute Seite. Slojuck vertraute immer noch auf Allers heims Künste. Was immer der Magier auch an Bösem angerichtet hatte – nie verlor er die Kontrolle über seine Schöpfungen. Die ser Glaube hinderte den Katzenhaften daran, echte Furcht zu entwickeln. Erst jetzt er kannte er das volle Ausmaß der Gefahr. Er sprang von der Brücke und fing sich im Sand ab. Die anderen folgten ihm. Slo juck schien jetzt genau zu wissen, wohin sie fliehen mußten, um wenigstens den herab fallenden Trümmern zu entgehen. Er wandte sich nach links und hetzte in weiten Sprün gen auf eine steinerne Kuppel zu. Das Dröhnen wurde noch lauter. Slojuck erreichte die Wand der Kuppel und riß eine Tür auf. Bevor er in das Gebäude schlüpfte, warf Atlan einen letzten Blick auf den Turm. Ein Berg von Trümmern umgab das Bau werk. Immer größere Brocken stürzten her ab. Das ganze Gebilde bebte und schüttelte sich. Die Flammen an den Fenstern waren erloschen, und in den Wänden klafften brei te Risse. Die Brücke stand noch, aber an mehreren Stellen klafften Lücken in dem metallenen Band. Slojuck zerrte den Arkoniden durch die Tür. »Kommt!« rief er laut, aber seine Stimme ging im Getöse fast unter. In der Kuppel lebten Scharen von Tier-
Marianne Sydow menschen, die in heller Panik durcheinan derliefen. Auch hier machten sich die Er schütterungen, die sich auf den felsigen Grund übertrugen, bemerkbar. Staub und Sand rieselten von den Decken herab, Mö belstücke stürzten krachend um. Niemand beachtete die vier Flüchtlinge. Die Tiermenschen waren ausreichend mit ihrer eigenen Furcht beschäftigt. »Wir müssen sie warnen«, stieß Atlan keuchend hervor. Slojuck wandte sich im Laufen nach ihm um. In den Augen des Katzenhaften flacker te es. »Es hat keinen Sinn!« rief er verzweifelt. »Sie würden gar nicht verstehen, was wir von ihnen wollen.« Sie rannten durch eine Tür in der Rück wand der Halle und gelangten in einen stil len, leeren Gang. Slojuck deutete nach vor ne. »Wir müssen das schwebende Blatt errei chen«, erklärte er. »Es steht in einer metalle nen Halle. Dort sind wir vor den Trümmern geschützt.« Das mochte stimmen. Aber was war mit den Bomben? Als sie etwa zwanzig Meter zurückgelegt hatten, hörten sie ein dumpfes Trommeln. Die ersten Marmorbrocken stürzten auf die Kuppel. Das konnte nur eines bedeuten: Der Turm begann sich zu neigen. Ein »normales« Bauwerk wäre sicher längst in sich zusammengefallen. Der auf magische Weise erzeugte Marmor jedoch war ausge sprochen widerstandsfähig. Slojuck riß immer neue Türen vor ihnen auf. Die Kuppel war riesig, und es kam ih nen so vor, als wären sie stundenlang in die sen Räumen unterwegs. Sie liefen durch die Werkstätten der Tiermenschen, in denen Slojucks Artgenossen alles herstellten, was sie selbst zum Leben benötigten. Sie kamen aber auch durch Wohntrakte und Vorratsla ger. Sie sahen riesige Gestalten, die schwere Lasten schleppten und das Dröhnen und Donnern nicht wahrzunehmen schienen. In einem hell erleuchteten Saal waren ein gutes
Die Rache des Magiers Dutzend Frauen damit beschäftigt, prächtige Gewänder zu nähen, und auch sie hoben nicht einmal die Köpfe, als die Flüchtlinge zwischen ihnen hindurchrannten. Endlich wich die letzte Tür vor ihnen zu rück, und sie blickten wieder in einen mit weißem Sand bedeckten Hof. »Das ist das Haus des schwebenden Blat tes«, keuchte Slojuck. Das Gebäude war würfelförmig. Die fen sterlosen Wände bestanden aus silbergrauem Metall. Das Haus des schwebenden Blattes stand völlig isoliert und war entgegen aller sonst in MODRANLÖK geltenden Regeln nicht einmal durch eine Brücke mit den be nachbarten Gebäuden verbunden. Die Tür schwang gehorsam auf, und sie drängten nach drinnen, wo Allersheims Flugschale in düsterem Rot erstrahlte. Sie nahmen sich keine Zeit, den Raum auch nur flüchtig zu durchsuchen, sondern halfen Slojuck, die Tür zu schließen und mit schweren Eisen stangen zu sichern. Sie hatten diese Arbeit kaum beendet, da hob sich der Boden unter ihren Füßen, und ein gewaltiger Donner schlag machte sie fast taub. Mehrere Minuten lang konnten sie nichts tun, als sich irgendwo festzuhalten und zu warten. Die schwimmende Insel schüttelte sich und bockte, als wolle sie all die Türme, Kuppeln und Brücken ins Meer befördern. Das Krachen und Bersten der stürzenden Mauern durchdrang selbst die dicken Me tallwände. Schließlich wurde es ruhiger. Benommen standen sie auf. Slojuck machte sich an der Tür zu schaffen, und sie griffen schweigend zu. Aber als sie die Eisenstangen entfernt hatten, stellten sie fest, daß die Tür sich ver klemmt hatte. Sie versuchten so ziemlich alles – ohne Erfolg. Eine genaue Untersuchung ergab, daß keine weiteren Ausgänge vorhanden waren. Auch das Dach bot keinen Ausweg, denn es bestand ebenfalls aus Metall und war fugenlos mit den Wänden verbunden. Sie saßen fest, in einem metallenen Wür fel, in dessen Mitte wie zum Hohn ein flug
33 tüchtiges Fahrzeug schwebte.
6. »Es hat keinen Sinn, jetzt in Panik zu ver fallen«, mahnte Atlan, und sein beschwörender Tonfall galt allein dem Katzenhaften – die Magier wirkten kaum beunruhigt. »In der Flugschale liegen noch Allersheims Vor räte. Wir sollten etwas essen und ein paar Stunden schlafen. Hier drinnen sind wir vor erst am sichersten untergebracht.« Slojuck ließ sich nicht restlos davon über zeugen, aber er griff zögernd zu, als Atlan ihm Speck und Brot aus Allersheims Provi ant anbot. Die Natur forderte ihr Recht. Slo juck sank zur Seite und schlief ein, kaum daß er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte. Atlan fühlte sich dank des Zellaktivators immer noch frisch genug, und auch die bei den Magier zeigten keine Spur von Erschöp fung. Dennoch drang der Arkonide darauf, daß auch sie sich wenigstens für ein oder zwei Stunden ausruhten. Sie hatten im Au genblick ohnehin keine Chance, gewaltsam einen Weg nach draußen zu schaffen, und er hoffte, daß Copasalliors Transmitterfähig keit bald zurückkehren würde. Nach kurzer Zeit jedoch vernahm er ein feines Zischen und Schaben. Er ging dem Geräusch nach. Schließlich stand er vor der blockierten Tür. Er lauschte angestrengt. Je mand oder etwas machte sich an dem zu schaffen, was den Ausgang versperrte. Er fragte sich, wer in MODRANLÖK wohl einen Grund haben mochte, den Einge schlossenen zu Hilfe zu eilen, aber ihm fiel niemand ein. Plötzlich knackte es, und die Tür sprang einen winzigen Spalt breit auf. Ein feiner Rauchfaden stieg an dem Metall auf. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er bückte sich, und plötzlich hörte er die feinen Stimmchen. »Wir schaffen Ordnung«, sangen sie. »Wir räumen auf.« Atlan richtete sich auf und lehnte sich er
34 leichtert an die Wand. Nette kleine Kerle, dachte er. Macht nur fleißig weiter. Bald habt ihr es geschafft. Da aber vernahm er die feinen Stimmchen wieder, und diesmal klangen sie schon etwas lauter. »Wir räumen weg, was nicht hergehört. Wir löschen aus, was fremd ist …« Atlan erschrak. Daran hatte er nicht ge dacht. Die kleinen Wesen würden sich nicht damit zufrieden geben, die Tür freizulegen, sondern auch diesen Raum durchstöbern. Hatten sie die Fremdlinge erst einmal er späht, dann würden sie keine Ruhe geben, bis die Störenfriede vernichtet waren. »Koratzo! Copasallior!« rief er alarmiert. »Kommt her und hört euch das an!« Die Magier lauschten dem Gesang der kleinen Fremden. »Wir können nur in die Flugschale klet tern«, meinte der Weltenmagier nach einer Weile. »Fliegen können diese Burschen nicht, das wissen wir.« Koratzo brachte den Sechsarmigen mit ei ner hastigen Geste zum Schweigen. Über rascht blickte er auf den Türspalt. »Ich kann sie immer besser verstehen«, flüsterte er. »Allersheims Bann wird schwä cher. Copasallior – spürst du es nicht auch?« »Ja«, sagte der Weltenmagier bedächtig. »Aber es reicht noch nicht. Ehe ich uns in Sicherheit bringen kann, haben die kleinen Fremden uns längst erreicht.« »Die Flugschale hilft uns jetzt nichts«, murmelte Koratzo. »Wir haben es mit einer Spezialtruppe zu tun. Sie sind nur für dieses Gebäude und das schwebende Blatt zustän dig. Sie können das Fluggerät sozusagen fernsteuern.« Er überlegte und nickte dann. »Ich kann sie jetzt deutlich erfassen. Warten wir ab, bis sie mit der Tür fertig sind. Es hat keinen Sinn, sie vorher schon unschädlich zu machen. Wir würden uns damit nur selbst schaden.« Atlan sah den Stimmenmagier zweifelnd von der Seite her an. Koratzo lächelte spöt tisch. »Es fällt dir immer noch schwer, den
Marianne Sydow Kräften der Magie zu vertrauen«, stellte er fest. Atlan zuckte nur mit den Schultern. Fünf Minuten später war es soweit. Der Türspalt verbreiterte sich. Eine Rauchwolke drang durch die Öffnung. Es knirschte und knarrte, und dann trippelte eines der weißen Wesen herein. Die drei Männer hatten sich bis in die Nä he der Flugschale zurückgezogen. Hinter ih nen lag Slojuck. Der Katzenhafte schlief tief und fest. Der Fremde blieb stehen. Wahrscheinlich untersuchte er jetzt mit seinen seltsamen Sinnen den ganzen Raum. Tatsächlich dreh te sich das Wesen nach wenigen Sekunden in die Richtung, in der die Eindringlinge standen. Seine »Mütze« glühte heller auf, und seine gelben Füßchen zuckten unruhig. Ein helles Zwitschern erklang, dann setzte der Kleine sich in Bewegung. Seine Artge nossen drängten nach. Mit ihren Füßen tilg ten sie die Spuren vom Boden, und sie zwit scherten und zischten munter durcheinander. Plötzlich aber geriet ihr Vormarsch ins Stocken. Atlan sah den Stimmenmagier an, aber der bewegte nicht einmal die Lippen. Den noch glaubte der Arkonide etwas zu hören, ein feines Klingen wie von winzigen Glocken. Gebannt beobachtete er die weißen Zwerge. Insgeheim hoffte er, daß es nicht nötig war, diese Wesen zu zerstören, denn die Kleinen waren im Grunde genommen friedlich und harmlos. Wenn es gelänge, sie von ihrem unglückseligen Putzfimmel zu befreien … Aber was sollten sie ohne diesen Trieb mit ihrer Existenz anfangen? Koratzo begann zu sprechen, aber er be nutzte keine Sprache, die Atlan jemals ge hört hatte. Ganz sicher handelte es sich auch nicht um jene Ursprache, die Allersheim bei seiner Beschwörung benutzt hatte. Was er sagte, klang fremd und irgendwie faszinierend. Mit den weißen Wesen jedoch schien es dem Arkoniden nichts zu tun zu haben. Er konnte sich beim besten Willen
Die Rache des Magiers nicht vorstellen, daß die Zwerge sich durch ein paar eigenartige Laute aufhalten ließen. Zu seinem Erstaunen blieben die fremden Kreaturen jedoch zunächst stehen, und we nig später verstummten sie. Es schien dem Arkoniden unnatürlich still in dem von Me tall umschlossenen Raum. Nur Koratzos Stimme war jetzt zu hören, und die kleinen Fremden standen ganz ruhig da – hörten sie zu? Verstanden sie am Ende sogar, was Ko ratzo zu ihnen sagte? Aber mit Überzeugungskraft allein ließen sich die automatenhaften Wesen nicht auf halten. Plötzlich erlosch die Glut in den »Mützen« der kleinen Fremden. Koratzo sprach noch kurze Zeit zu ihnen, dann schwieg er. Die Fremden rührten sich, als erwachten sie aus einer tiefen Trance. »Wir gehen«, sangen einige von ihnen. »Wir leben«, antworteten die anderen. »Wir löschen nichts Fremdes mehr aus!« riefen alle zusammen. Dann drehten sie sich um und marschier ten davon, in der gleichen Reihenfolge, in der sie gekommen waren. Aber sie gaben keine Rauchwolken mehr von sich, und sie zischten auch nicht mehr. Ihre Stimmen klangen fröhlich. Sie sprachen immer noch, als gehörte jedes Wort zu einem sorgsam einstudierten Chor, und trotzdem klang alles viel frischer, spontaner. Koratzo sah den Arkoniden lächelnd an. »Zufrieden?« fragte er. »Wie lange wird diese Veränderung an halten?« »Nur ich oder ein gleichstarker Magier könnte sie rückgängig machen.« »Dann haben die kleinen Kerle also eine echte Chance.« »So ist es.« »Falls Allersheim sie nicht wieder in sei ne Gewalt bringt.« »Allersheim ist tot«, sagte Koratzo unbe wegt. Atlan fragte gar nicht erst, ob der Magier sich dessen so sicher war und woher er über haupt von Allersheims Tod wußte. Er nickte
35 zu Slojuck hinüber. »Nehmen wir ihn mit?« Atlan wollte diese Frage klären, ehe der Katzenhafte erwachte. Sie konnten für die vielen Bewohner von MODRANLÖK kaum etwas tun. Zumindest Slojuck jedoch wollte er wenn möglich in Sicherheit bringen. »Es hat keinen Sinn«, murmelte Copasal lior düster. »Wir würden ihm einen schlech ten Gefallen erweisen. Er wäre in Pthor nicht lebensfähig. Allersheim hat ihn für diesen Palast geschaffen. Er konnte MODRANLÖK stets nur in Begleitung sei nes Herrn verlassen.« Atlan sah Koratzo fragend an. Der Stim menmagier wich seinen Blicken aus. »Daran kann ich leider auch nichts än dern«, sagte er leise. »Aber diese Zwerge …« »Das ist etwas ganz anderes. Die Kleinen gehören zu einem eigenständigen Volk. Al lersheim hat sie nicht geschaffen, sondern nur modifiziert. Slojuck dagegen ist ein Ge schöpf des Magiers. Nicht einmal Allers heim selbst hätte ihm jemals die Freiheit schenken können.« Atlan fand sich mit dem Unvermeidlichen ab. Er fragte sich nur, wie Slojuck es auf nehmen würde. Als hätte der Katzenhafte im Schlaf ge spürt, daß von ihm die Rede war, richtete er sich gähnend auf. Er entdeckte die offene Tür und sah sich verwundert um. »Der Weg ist frei«, sagte Atlan bestäti gend. »Komm und hilf uns, die Flugschale nach draußen zu bringen.«
* Slojuck war guten Mutes. Schwungvoll enterte er das schwebende Blatt und winkte seine drei Gefährten zu sich herauf. Auf dem Boden lagen die blauen und silbernen Tü cher. Slojuck zeigte dem Arkoniden und den beiden Magiern, wie sie die Tücher zu hal ten und zu schwenken hatten. Die drei Männer waren skeptisch – die beiden Magier, weil sie fürchteten, daß das
36 Schwenken der Tücher nur in Allersheims Gegenwart den gewünschten Erfolg brachte, Atlan, weil er sich sowieso nicht vorstellen konnte, daß man auf so simple Weise ein Fahrzeug in Bewegung setzen konnte. Aber es schien, als hätten sie sich ge täuscht. Das schwebende Blatt schwankte leicht hin und her, dann schob es sich lang sam vorwärts, erreichte die Tür und schweb te nach draußen. Slojuck saß rechts im Bug, hantierte mit den Tüchern und gab dabei sei nen Begleitern die nötigen Anweisungen. Hinter ihm kauerte Atlan, der sich ausge sprochen fehl am Platz fühlte, und links sa ßen Koratzo und Copasallior. Das Flugblatt hielt draußen im Hof kurz an, als wollte es seinen Passagieren Gele genheit geben, sich davon zu überzeugen, daß ein weiterer Aufenthalt in MODRANLÖK zumindest unbequem sein müsse. Da, wo der Turm gestanden hatte, in dem Allersheim mit den drei Krolocs experimen tierte, gab es nur noch ein tiefes Loch im fel sigen Grund. Sie schwebten ganz nahe heran und blickten schaudernd in den Abgrund. Ganz leise und weit entfernt hörten sie das Rauschen von Wasser, aber sie hatten weder Zeit noch Lust, der Sache nachzugehen. Vielleicht hatte die Insel tatsächlich ein Loch bekommen, das dem Meer die Chance gab, dieses magische Gebilde langsam von innen her zu zerfressen. Sie suchten nur kurz aus der Luft die Um gebung ab. Von Allersheim fanden sie keine Spur. Das war nicht weiter verwunderlich, denn der Magier mußte bei der Explosion direkt neben den Krolocs gestanden haben. Ringsherum lagen alle Gebäude in Trüm mern. Laut Koratzo mußte es dem Konstruk tionsmagier noch gelungen sein, die Brisanz der lebenden Bomben zu mindern, denn sonst hätte von ganz MODRANLÖK nichts übrigbleiben dürfen. Hier und da sahen sie Allersheims Diener, die über die Trümmer liefen und nach Dingen suchten, die noch zu gebrauchen waren. Sie reagierten kaum auf die Annäherung des schwebenden Blattes. Es sah aber auch nicht so aus, als stünden sie
Marianne Sydow unter Schockeinwirkung. Im Gegenteil: Sie wirkten ganz gelöst und friedlich. Ein Stück weiter waren einige der alptraumhaften We sen damit beschäftigt, die Löcher in der Wand eines sonst noch intakten Gebäudes zu verstopfen. Sie gingen dabei planvoll und geschickt zu Werke. »Sie werden sich schnell in ihrem neuen Leben zurechtfinden«, stellte Copasallior fest. »Wenn ein paar Jahre vergangen sind, werden sie auch imstande sein, Ausflüge zu den Inseln zu unternehmen. Mit der Zeit sollte es ihnen dann gelingen, sich völlig von der Vergangenheit zu lösen und Allers heim zu vergessen. Sie werden sich in Ein geborene dieses Planeten verwandeln.« Atlan schwieg. Er betrachtete die tierhaf ten Gestalten und versuchte sich vorzustel len, welche unlösbaren Rätsel auf die Wis senschaftler fremder Völker warteten, wenn diese eines fernen Tages nach Korsel kamen und sich bemühten, die Herkunft der Tier menschen zu erforschen. Dann aber sah er wieder auf Slojucks breiten, pelzigen Rücken. Im Augenblick hatten sie wahrhaftig andere Probleme zu bewältigen. Was, zum Beispiel, sollte mit Slojuck geschehen? Gut, sie mußten ihn zurücklassen. Aber sie konnten ihn nicht einfach mit der Flug schale stehenlassen, wenn sie an Land wa ren. Alleine wurde er mit dem schwebenden Blatt sicher nicht fertig. Atlan beugte sich vor und stieß Koratzo an. Als der Stimmenmagier sich umdrehte, bewegte Atlan lautlos die Lippen. Koratzo verstand sofort. Können wir dieses Ding auch ohne Slo jucks Hilfe steuern? fragte Atlan in seinen Gedanken. Jetzt noch nicht, kam Koratzos lautlose Antwort. Warum fragst du? Atlan erklärte es ihm. Daran habe ich nicht gedacht, gestand Koratzo. Warte, ich werde Copasallior da von unterrichten. Unterdessen schwebte das Blatt weiter, langsam und still, über die kläglichen Über
Die Rache des Magiers reste kühner Brücken und zierlicher Türme hinweg. Die massiven Gebäude hatten hier, etwa hundert Meter vom Explosionsort ent fernt, fast keinen Schaden genommen. Alles andere dagegen lag in Trümmern. Die me tallenen Kerne zerstörter Wendeltreppen ragten wie überdimensionale Korkenzieher aus Schutthügeln hervor, und manchmal zeigte ein reichverzierter Mauerbogen noch an, wo der Eingang zu einem ehemals präch tigen aber leider hinfälligen Bauwerk sich befunden hatte. Gerade als Copasallior mit einem Nicken zu verstehen gab, daß er Koratzos Nachricht empfangen hatte, trieb das Blatt über einen solchen Bogen hinweg. Vielleicht war es ein Zufall. Aber Atlan, der einen Blick nach unten tat, ehe es los ging, hätte später schwören mögen, daß die ser Bogen an allem schuld war. Dort unten nämlich bildeten goldene Dra chen die Pfeiler eines riesigen Portals, und mit ihren geifernden Mäulern schienen die Ungeheuer das schwebende Blatt regelrecht zu verfolgen. Und das Fahrzeug reagierte prompt. Es schwankte und schüttelte sich, und plötzlich begann es zu brummen. Atlan erinnerte sich sofort an die Vorfälle in der GOL'DHOR. Auch die hatte sich laut los bewegt, ehe es zu Schwierigkeiten kam. »Landen!« schrie er Slojuck an. »Schnell!« Der Katzenhafte zuckte zusammen und senkte die Tücher, mit denen er dem Boot seine Signale gab. Das schwebende Blatt kümmerte sich überhaupt nicht darum. Es wackelte nur noch schlimmer und stieg sogar höher in die Luft. Und dann nahm es Fahrt auf. Es bewegte sich nicht auf die Insel zu, auf der die GOL'DHOR gelandet war. Atlan war plötzlich ganz ruhig. In solchen Situationen kannte er sich aus. Der ganze Hokuspokus in diesem magischen Palast hatte ihn verunsichert. Er blickte nach vorne und stellte fest, daß das schwebende Blatt mit haarsträubender Geschwindigkeit über die Insel hinwegschoß
37 und innerhalb der nächsten zwei bis drei Mi nuten das offene Meer erreichen mußte. Er glaubte zu wissen, was das bedeutete: Ir gendwo dort draußen würde das schwebende Blatt samt seinen Passagieren in die Fluten stürzen, und selbst wenn es wider Erwarten in dem lehmfarbenen Meer nicht vor men schenfressenden Ungeheuern wimmelte, so waren doch die Überlebenschancen der vier »Unfallopfer« denkbar gering. Er schob Slojuck grob zur Seite und kroch bis zur Spitze des Fahrzeugs. Er hatte sich dank seines ausgezeichneten Gedächtnisses automatisch gemerkt, an welcher Stelle Al lersheim während der Fahrt nach MODRANLÖK gestanden hatte. Jetzt unter suchte er diesen Platz. Er war überzeugt da von, daß man die Schale auch ohne das Her umwedeln mit blauen und silbernen Tüchern steuern konnte. Allersheim konnte kein solcher Narr ge wesen sein, daß er sich bedingungslos auf seine Diener verließ. Es mochten Ereignisse eintreten, die er ohne Zeugen zu bereinigen wünschte. Inzwischen pfiff der Fahrtwind mit Stur meskraft über die offene Schale hinweg. Slojuck saß stumm und starr vor Entsetzen an seinem Platz. Koratzo versuchte immer noch mit Hilfe der Tücher eine Kontrolle auf das Fahrzeug zurückzugewinnen. Copasalli or dagegen arbeitete sich bis zu dem Arkoni den vor. »Hier müssen Schalter sein«, keuchte At lan. »Irgendwelche Bedienungselemente. Wahrscheinlich ähneln sie denen in der GOL'DHOR!« Copasallior hatte bei dieser Suche einen entscheidenden Vorteil: Er verfügte über sechs Hände. So war es kein Wunder, daß er schon nach kurzer Zeit die in Frage kom mende Fläche abgesucht hatte. »Hier ist nichts«, behauptete er und er mußte die Stimme heben, um das Tosen des Windes zu übertönen. Im ersten Impuls wollte Atlan den Wel tenmagier ärgerlich zur Seite schieben, dann besann er sich eines Besseren. Copasallior
38 kannte sich mit den Erscheinungsformen magischer Techniken schließlich gut genug aus, um nichts zu übersehen. Atlan schob sich noch weiter nach vorne. Am Bug war der Rand des schwebenden Blattes leicht eingerollt. Er untersuchte den Hohlraum, und seine Fingerspitzen ertaste ten eine Reihe von Unebenheiten. Er drückte und schob daran herum, ohne daß ein Erfolg sich zeigte. Das Blatt schoß mittlerweile über den Rand der Insel hinaus. Vor ihnen lag nichts als eine endlose, eintönig gelbbraune Was serfläche. Auf dem Bauch liegend, schob Atlan sei ne rechte Hand millimeterweise an der Wand des kleinen Hohlraums entlang, und endlich fand er etwas, was sich wie ein Schaltknopf anfühlte. Er drückte darauf. Ein markerschütternder Schrei ertönte. Atlan zog hastig seinen Arm ins Freie und sah sich dann um. In der Mitte der Flugschale klaffte eine große Öffnung. Slojuck klammerte sich krampfhaft an der Bordwand fest und be mühte sich, möglichst weit von dem gefähr lichen Abgrund wegzurücken. Proviantbün del wurden von der Wucht des Fahrtwinds in die Tiefe geschleudert und verschwanden irgendwo tief unter ihnen in den trägen Wel len. Atlan tastete nach hinten und drückte abermals auf den Knopf. Er erwartete, daß das Loch sich schließen würde. Statt dessen legte das Fluggerät sich schräg. Atlan lachte triumphierend. Das schwebende Blatt be schrieb eine beängstigend scharfe Kurve. Für die Magier und Slojuck, die wenig Er fahrungen im Umgang mit solchen Fahrzeu gen hatten, mußte es aussehen, als wolle die Flugschale die unwillkommenen Passagiere kurzerhand ins Meer kippen. Atlan jedoch spürte genau, daß die Schale den kritischen Punkt längst nicht erreichte. Was er gehofft hatte, trat ein. Das Blatt nahm Kurs auf MODRANLÖK. Dabei ver lor es jedoch ständig an Höhe, ohne daß auch die Geschwindigkeit abnahm.
Marianne Sydow Wenn es so weiterging, würde das Fahr zeug gegen die marmornen Mauern rasen und seinen Passagieren einen schnellen Tod bescheren. Atlan wagte es, noch einmal auf den Knopf zu drücken. Ihm war nicht wohl da bei. Er war immer der Ansicht, daß man sein Glück nicht ohne zwingenden Grund über mäßig strapazieren sollte. Gründe lagen aber im Moment wahrhaftig vor. Die Reaktion des Blattes war verblüffend. Es bremste stark ab. Dabei sank es den Wellen entgegen. Und als es noch fünf Me ter über den gelben Fluten war, löste es sich buchstäblich in Luft auf. Niemand fand Zeit, sich über den Grund dieses Vorgangs den Kopf zu zerbrechen. Atlan, Slojuck und die beiden Magier stürz ten wie Steine ins Wasser. Als Atlan auftauchte, sah er die Köpfe der beiden Magier in geringer Entfernung. Von Slojuck dagegen gab es keine Spur. Eisiger Schrecken befiel den Arkoniden. Es war nur zu logisch – wo und wann hätte der Katzen hafte wohl das Schwimmen erlernen sollen? Kraftverschwendung, kommentierte der Extrasinn, als Atlan erneut tauchte. Das Wasser war so trübe, daß er bei aus gestrecktem Arm seine Hand nicht zu sehen vermochte. Ehe er bei seinem halbblinden Umhertasten auch nur in die Nähe Slojucks gelangte, war dieser mit Sicherheit ertrun ken. Aber er hatte die Magier vergessen. Für Koratzos seltsame Fähigkeiten war die Be schaffenheit des Wassers nebensächlich. Er spürte Slojuck mit Leichtigkeit auf, und er dirigierte mit seinen lautlosen Anweisungen den Arkoniden, bis dieser den pelzigen Kör per des Katzenhaften zu fassen bekam. Slojuck war bewußtlos. Mühsam brachte Atlan ihn an die Oberfläche. Das Wasser dieses fremden Meeres erschien ihm so dick wie Sirup. Es kostete Kraft, sich darin zu be wegen. Oben nahm Copasallior ihn in Empfang. Er griff mit zwei Händen nach Slojuck und verschwand mit ihm. Gurgelnd stürzte das
Die Rache des Magiers Wasser in den Trichter, den der Weltenma gier zurückließ. Atlan schwamm langsam auf die ferne Insel zu. »Bleib hier«, rief Koratzo ihm zu. »Copasallior wird uns gleich holen. Er ist noch nicht wieder kräftig genug, um uns alle auf einmal zu transportieren, sonst hätte er uns gleich mitgenommen.« Er behielt recht. Es verging kaum eine Minute, da war der Weltenmagier zur Stelle. Er nahm zuerst Atlan mit, der sich sofort um Slojuck zu kümmern begann, dann standen sie alle drei um den Katzenhaften herum. Slojuck erholte sich schnell.
* Sie kehrten zu viert durch ein halb zerfal lenes Tor in die inneren Palastbezirke zu rück. Hier, an der Seeseite von MODRANLÖK, hatten Wind und Wetter an vielen Stellen selbst dem magischen Marmor arg zugesetzt. Die mächtige Mauer wies tiefe Risse auf, und die klobigen Türme wirkten wie angefressen. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagte Koratzo zu dem Katzenhaften. »Wir müssen in die GOL'DHOR zurückkehren. Vielleicht bringt uns das Raumschiff in unsere Welt zurück. Es wird Zeit, daß wir Abschied neh men.« Slojuck sah den Stimmenmagier aus druckslos an. Atlan trat zu ihm. »Wir können dich nicht mitnehmen«, sag te er beschwörend. »Es wäre dein Tod.« Slojuck lächelte traurig. »Ich weiß«, murmelte er – und dann dreh te er sich um und ging ohne ein weiteres Wort davon. Atlan sah ihm nach, bis er zwi schen den düsteren Mauern verschwunden war. Copasallior berührte ihn an der Schul ter. Der Arkonide schüttelte ärgerlich den Kopf, als könne er so die lästigen Gedanken zurückdrängen. Slojuck war nur eine Randerscheinung, ein Kampfgefährte für kurze Zeit, einer von vielen tausend, die At lan hatte kommen und gehen sehen. Er dreh
39 te sich zu Copasallior um. »Komm!« sagte der Weltenmagier leise. »Es ist höchste Zeit. Etwas geschieht mit der GOL'DHOR …« Sie ließen sich von dem Weltenmagier da vonreißen, und Atlan fühlte nichts, was die se Transportart von einem Teleportersprung unterschied. Mitten in der GOL'DHOR ma terialisierten sie. Die kamen tatsächlich im letzten Augen blick. Die GOL'DHOR war keine häßliche Heu schrecke mehr, sondern hatte sich in das gol den schimmernde Fahrzeug zurückverwan delt, mit dem sie Pthor verlassen hatten. Und sie wurde immer transparenter, löste sich buchstäblich auf und stürzte mit ihren drei Passagieren in den von grauen Nebeln er füllten Raum zurück, durch den sie – vor wie langer Zeit? – nach Korsel gekommen waren.
7. Sie tauchten genau da wieder auf, wo sie sich befunden hatten, ehe die GOL'DHOR dem lautlosen Ruf ihres Herrn folgte: In Cornac, auf einer beleuchteten Plattform, an deren Rändern die Spaccahs der Krolocs verankert waren. Sie sahen durch die augenförmigen Fen ster den stauberfüllten Raum des Korsallo phur-Staus und die Krolocs auf der Platt form, die in panischer Furcht die Flucht er griffen, als dieses unheimliche Raumschiff scheinbar aus dem Nichts heraus entstand. Es hatte sich nicht viel verändert. Den noch ließ sich mit Leichtigkeit feststellen, daß für die Krolocs ebenfalls Zeit verstri chen war, seit die GOL'DHOR Cornac ver lassen hatte. Keine einzige Spaccah trieb noch im Raum, die Spuren der ungleichen Schlacht waren beseitigt. Die Krolocs hatten offenbar nicht im Traum damit gerechnet, daß die GOL'DHOR noch einmal auftauchte – wenigstens nicht in der Form, in der sich die Rückkehr nun vollzog. Was würden die Krieger von Cornac sich
40 diesmal wohl einfallen lassen, um die unge betenen Gäste loszuwerden? Atlan und die Magier waren sich über ei nes einig: Diesmal würden sie nicht einfach nur abwarten, bis die Krolocs die Initiative ergriffen. Aber vorerst stand ihnen ein Schrecken ganz anderer Art bevor. Die GOL'DHOR hatte sich während des ersten Teiles der Reise als ein wahrhaft per fektes Raumschiff erwiesen, das stets be müht war, seinen Gästen alle Wünsche zu erfüllen. Man konnte mit dem Schiff spre chen und ihm so genau erklären, was es tun sollte. Atlan wandte sich daher gewohnheitsmä ßig an die GOL'DHOR, nachdem die Magier ihre vakuumfesten Umhänge angelegt hat ten. Der Arkonide brauchte für den geplan ten Ausflug keine Vorbereitungen zu treffen. Er trug das Goldene Vlies, das ihn auch draußen auf der Plattform schützen würde. »Wir gehen hinaus«, sagte Atlan. »Öffne die Schleuse!« Damit wandte er sich um und schritt durch den golden schimmernden Vorhang. Vor der Schleuse standen Koratzo und Copasallior. Das Schott war geschlossen. »Nanu!« sagte Atlan verwundert. »GOL'DHOR, mach die Schleuse auf!« Nichts. »Hat dieses Ding die Sprache verloren?« fuhr er ärgerlich auf. Koratzo räusperte sich verlegen. »Ich spüre nichts mehr«, murmelte er. »Das magische Leben der GOL'DHOR ist erloschen.« Atlan war sekundenlang wie erstarrt. Auf dem Hinflug hatte er darauf bestan den, sich über die wichtigsten Funktionen des Schiffes informieren zu lassen. Die GOL'DHOR war darauf eingegangen, aber dem Arkoniden war bewußt, daß er noch längst nicht genug über das Schiff wußte, um es sicher navigieren zu können. »Es hilft nichts«, sagte Koratzo niederge schlagen. »Wir werden von jetzt an alles sel ber machen müssen. Die GOL'DHOR bleibt
Marianne Sydow ein Produkt der Magie, aber sie ist ein toter Gegenstand, nicht viel mehr als eine antima gische Maschine.« Der Arkonide wandte sich wortlos um und kehrte in den Kommandostand zurück. Er trat vor eines der Kontrollpulte. In Ge danken rekapitulierte er alles, was er wäh rend des Fluges gelernt hatte. Er konnte einfache Manöver fliegen. Da zu brauchte man nur wenige Handgriffe: Er wußte auch, wie man den schier undurch dringlichen Schutzschirm einschaltete und regulierte. Und er war ziemlich sicher, daß es ihm gelingen würde, den Weg nach Pthor zu finden oder ein anderes Objekt im Kor sallophur-Stau anzufliegen, wenn ihm die Koordinaten bekannt waren. Aber er hatte keine Ahnung, wie man diese Schleuse be diente. Seitdem Start aus der FESTUNG war die Schleuse nur einmal geöffnet worden – auf Korsel, und da hatte der Arkonide leider kei ne Gelegenheit gehabt, das Lichterspiel auf den Pulten zu beobachten. Und vorher, wäh rend des kurzen Fluges von der Barriere zur FESTUNG, war er noch viel zu sehr von den anderen Eigenschaften der GOL'DHOR gefesselt gewesen, um auf solche Kleinig keiten zu achten. »GOL'DHOR!« sagte er beschwörend. »Gib mir ein Zeichen. Laß nur ein einziges kleines Licht auf dieser Tafel aufleuchten. Den Rest erledige ich dann schon alleine.« Aber das Schiff reagierte nicht auf diesen Appell. Atlan seufzte und sah sich nach den Ma giern um. Sie standen immer noch in der Nähe der Schleuse. Koratzo redete mit leb haften Gesten auf den Weltenmagier ein. Das wäre natürlich eine Lösung, überlegte Atlan. Copasallior konnte sie jederzeit nach draußen schaffen. Aber auf lange Sicht wäre es unerträglich, sich in diesem Punkt nur auf den Weltenmagier verlassen zu müssen. Was geschah, wenn Copasallior durch ir gendwelche Einflüsse wieder einmal an der Entfaltung seiner Fähigkeiten gehindert war?
Die Rache des Magiers Er mußte die Schleuse auf andere Weise öffnen. Jede Lösung, die sich allein auf die Kräfte eines Magiers stützte, war auf die Dauer unbefriedigend. Er setzte sich hin und ging systematisch die verschiedenen Schaltmöglichkeiten durch. Noch konnte er sich Zeit lassen. Die Kro locs schienen so verwirrt durch das plötzli che Auftauchen der GOL'DHOR, daß sie sich zu keinem Gegenzug aufraffen konnten.
* Atlan könnte nicht ahnen, wie sehr er sich irrte. Nach dem Verschwinden des goldenen Flugkörpers hatte seine Vielbeinigkeit Pe mar Gayn keine Ruhe mehr gefunden. Er wagte es auch nicht, sich von dem kleinen Kasten zu trennen, mit dessen Hilfe er die drei Bombenträger zu zünden vermochte – falls der Kasten funktionierte und nicht wie beim letzten Mal jämmerlich versagte. Für Pemar Gayns Untertanen begann eine harte Zeit. Und da Pemar Gayn der oberste Kroloc von Cornac und Cornac der wichtig ste Stützpunkt dieses kriegerischen Volkes im Korsallophur-Stau war, waren fast alle Krolocs seine Untertanen. Die, die Zugang zu den Gemächern Seiner Vielbeinigkeit hatten, waren mit ihren Nerven alsbald so weit herunter, daß sie ihre angeblichen Pri vilegien gerne gegen die ermüdenden Pflich ten simpler Schleusenwachen eingetauscht hätten. Seine Vielbeinigkeit war nämlich ein ein fallsreicher Kriegsherr – und ein äußerst phantasieloser Vorgesetzter, wenn es darum ging, seinen Untertanen spezielle Wünsche nachhaltig einzubleuen. Pemar Gayn kannte nur eine Art von Strafe. Er verteilte Fußtrit te. Allmählich wurde die Sache sogar für ihn selbst anstrengend. Er bekam Schmerzen im Fuß, die ersten Anzeichen einer Gelenkent zündung machten ihm zu schaffen, und sei ne Tritte waren längst nicht mehr so wuchtig und zielsicher, wie seine Untertanen es ge
41 wöhnt waren. Pemar Gayn spürte, wie seine Autorität sank. Es mußte etwas geschehen. Etwas, was die vergangene Schlappe wieder wettmach te. Die Krolocs bereiteten einen Angriff auf die Eripäer vor. Das kam öfter vor und war im Grunde nichts Besonderes. Im Lauf der Zeit war es für die Krolocs zu einer lieben Gewohnheit geworden, sich bei jeder pas senden und unpassenden Gelegenheit neue Listen gegen die Eripäer auszudenken. Sie frönten ihrem Hobby während ermüdender Stunden des Wacheschiebens oder auf den Flügen durch die Nebel des Staus oder auch in ihrer karg bemessenen Freizeit. Für Pemar Gayn jedoch war es diesmal kein Spiel. Dies war sein Angriff, sein Plan – er konnte es sich nicht leisten, ausgerech net jetzt die Achtung und den Respekt der Krolocs zu verlieren. So saß er die meiste Zeit in seinen Gemä chern, wartete auf die Rückkehr der GOL'DHOR, hütete den kleinen Schaltka sten und schmiedete finstere Rachepläne für den Fall, daß ihm die drei Insassen des ver maledeiten Raumschiffs in die Greifklauen fielen. Und plötzlich war die GOL'DHOR da. Seine Vielbeinigkeit sprang auf. In der Ei le vergaß er den schmerzenden Fuß und die Entzündung im Gelenk. Mit einem Schmer zenslaut sank er auf die harten Polster zu rück. Vorsichtig angelte er das Kästchen heran. Bebend vor Erwartung drückte er auf den bewußten Knopf. Er war gewarnt. Trotzdem traf es ihn wie ein Schock. Die GOL'DHOR dachte überhaupt nicht daran, zu explodieren. Schimmernd und ele gant stand sie auf der Plattform. Pemar Gayn drückte noch einmal auf den Knopf. Dann preßte er das Kästchen zwi schen den Greifklauen, daß es drinnen kni sterte und knirschte. Wütend schleuderte er das nutzlose Gerät in eine Ecke. Als er da nach die GOL'DHOR noch einmal ganz ge
42
Marianne Sydow
nau betrachtete, begriff er erst, warum dies mal gar nichts hatte explodieren können. Die drei Bombenträger waren nicht mehr an Bord. Damit stand für Pemar Gayn fest, daß die Fremden in dem seltsamen Flugkörper äu ßerst gefährlich waren. Man hatte die drei Bombenträger sorgfäl tig ausgewählt. Es waren erfahrene Kämp fer, die jederzeit bereit gewesen wären, ihr Leben für die Sache der Krolocs zu opfern. Und genau das sollten sie ja auch tun. Sie waren auf jede nur denkbare Situation vor bereitet worden. Sie hatten gewußt, daß es ihre Aufgabe war, den Flugkörper von innen her zu zerstören. Undenkbar, daß sie sich dann dazu verleiten ließen, das Schiff zu verlassen. Daraus ergab sich, daß die Fremden die drei Bombenträger mit Gewalt nach draußen befördert haben mußten. Nun waren die Bombenträger auf zwei Methoden der Zün dung eingerichtet. Pemar Gayn konnte das Signal geben. Die Explosion erfolgte aber auch, wenn gegen die Todeskandidaten Ge walt angewendet wurde. Nachdem Pemar Gayn dies alles bedacht hatte, befiel ihn nackte Angst. Dort draußen lauerte ein Gegner, der sogar diese Bomben, die als das Geheimste vom Geheimen gal ten, zu entschärfen vermochte, der dem Be schuß mit schwersten Waffen trotzte und es bei alledem für unter seiner Würde hielt, sei nerseits den Krolocs ein paar kräftige Schüs se vor den Bug zu setzen. Eine List mußte her, mit der man diese gefährlichen Leute ein für allemal loswurde. Pemar Gayn beobachtete die GOL'DHOR mit seinen acht Augen und dachte ange strengt nach. Und plötzlich hatte er eine grandiose Idee. Er rief nach Snarv. Sein persönlicher Be rater eilte hinkend herbei.
* Atlan ging methodisch vor, und nach ge raumer Zeit, als die Magier gerade ungedul-
dig nachschauen kamen, hatte er auch Er folg. Er entdeckte einen unscheinbaren He bel am Rand des Schaltfelds. Als er den He bel berührte, ging ein leises Glockensignal durch die GOL'DHOR. Er sprang auf und rannte zur Schleuse. Das innere Schott hatte sich geöffnet. Den Rest des Geheimnisses fanden sie schnell heraus: Sobald die Schleuse durch den Hebeldruck aktiviert war, lief alles weitere automatisch ab. Un klar blieb nur, ob es ihnen auch jederzeit ge lingen würde, das Schott von außen zu öff nen. Copasallior war nicht sehr begeistert, als Ulan ihn bat, an Bord zu bleiben. Aber er sah ein, daß es besser war, die GOL'DHOR nicht unbeaufsichtigt zurückzulassen. Als Atlan aber von der Möglichkeit sprach, daß Koratzo und er die Hilfe des Weltenmagiers brauchen könnten, um überhaupt in das Schiff zurückzukehren, wandte Copasallior sich ärgerlich ab. »Du vergißt, wo wir uns befinden!« sagte er rauh. Der Arkonide zuckte zusammen. Der Korsallophur-Stau! Nach den Ereignissen auf Korsel hatte Atlan überhaupt nicht mehr daran gedacht, daß die Magier ihre Fähig keiten innerhalb dieses stauberfüllten Raumes nur in sehr geringem Maß einsetzen konnten. Ehe er sich darüber aber noch weiter Ge danken machen konnte, tauchte in der Nähe der GOL'DHOR ein Kroloc auf. Er war der einzige weit und breit. Seine Artgenossen hatten sich längst irgendwo verkrochen und wagten sich vorerst nicht auf die Plattform hinaus. »Schon wieder ein Unterhändler«, stellte Koratzo fest. »Hoffentlich ist er weniger ex plosiv als seine Vorgänger.« »Es sieht nicht so aus, als wolle er uns hier in der GOL'DHOR besuchen«, stellte Atlan fest. Der Kroloc war in etwa zwanzig Meter Entfernung stehengeblieben. Er hatte keinen Translator bei sich. Atlan und Koratzo ver ließen die GOL'DHOR. Der Fremde in dem
Die Rache des Magiers dicken Schutzanzug bewegte sich unruhig, als die beiden Fremden sich ihm näherten. Als sie bis auf fünf Schritte heran waren, sprang der Kroloc auf und eilte davon. Aber er blieb gleich wieder stehen und drehte sich um. »Wir sollen ihm folgen«, sagte Atlan. Er war sicher, daß Koratzo jedes Wort, das er unter dem Helm des Goldenen Vlieses sprach, verstehen würde. »Tun wir ihm den Gefallen.« Diesmal waren die beiden Männer be waffnet. Allersheim hatte die Waggus nicht angerührt. Zwar würden ihnen die Lähm strahler nur wenig nutzen, wenn sie inner halb des Stützpunkts angegriffen wurden, aber die Waffen in ihren Gürteln verliehen ihnen ein Gefühl der Sicherheit. Der Kroloc führte sie zum Rand der Platt form. Unter ihnen lag der Eingang zu einer schwach beleuchteten Transportröhre. Der Kroloc sprang in die Tiefe und schwebte langsam in die Röhre hinein. Dabei drehte er sich um und winkte. Atlan und Koratzo folg ten ihm mit gemischten Gefühlen. Von innen war die Röhre durchsichtig. Sie schwebten hinter dem Kroloc her, ohne noch etwas zu ihrer Fortbewegung beitragen zu müssen. Draußen herrschte ein eigenarti ges Dämmerlicht. Sie sahen gigantische Pfeiler, an denen Blitze entlanghuschten. An schenkeldicken Trossen waren Kugeln und Würfel verankert, kleine Plattformen lagen in hellem Lampenlicht vor ihnen, und ab und zu trieb eine Spaccah vorbei, eine ovale Flugscheibe, wie die Krolocs sie stets be nutzten, wenn sie ihre Stützpunkte verlie ßen. Zwischen den Pfeilern und Trossen nahmen sich die Spaccahs wie winzige Glühwürmchen aus, die durch einen bizarren Wald versteinerter Riesengräser irrten. Am Ende der Röhre wurden sie sanft ab gebremst. Der Kroloc eilte nach rechts und drückte seine vermummten Greifklauen ge gen die Wand. Ein Schott öffnete sich. Da hinter lag eine Kammer, die ein wenig bes ser beleuchtet war als die Röhre. Sie traten ein, das Schott schloß sich lautlos, und dann
43 strömte Luft in die Kammer. Der Kroloc schälte sich umständlich aus seinem Anzug. »Wohin bringst du uns?« fragte Koratzo, sobald der Fremde sich von seiner Umhül lung befreit hatte. Der Kroloc blieb wie vom Donner gerührt stehen. Und dann antwortete er tatsächlich in seiner Sprache. Koratzo lauschte und nickte. »Er bringt uns zum obersten Kroloc von Cornac«, dolmetschte er. »Er meint, wir würden dort mehr über den Verbleib unserer Freunde erfahren.« »Kannst du ihn tatsächlich verstehen? So ganz ohne Translator?« »Nicht wortwörtlich. Aber es reicht, um den schlimmsten Mißverständnissen auszu weichen.« »Ich bin gespannt auf den Herrscher von Cornac!« »Man nennt ihn ›Seine Vielbeinigkeit‹«, lächelte Koratzo. »Aber es dürfte sich trotz dem um einen normalen Kroloc handeln.« Unterdessen hatte sich das zweite Schott geöffnet, und sie gelangten endlich in das ei gentliche Cornac. Der Stützpunkt bestand aus drei giganti schen Felstrümmern, die alle ungefähr rund waren. Die Krolocs hatten die Bruchstücke zueinandergeführt und miteinander auf viel fältige Weise verbunden, sie dann ausge höhlt und mit einem Wust von Aufbauten versehen, bis eine gewaltige Raumstation entstanden war. Hier drinnen bestanden die Wände immer noch aus dem Material, das den Krolocs am reichlichsten zur Verfügung gestanden hatte: aus rauhem, grauem Ge stein. Falls in den Krolocs ein Sinn für die Schönheit von Farben und Formen existier te, so hatten sie diesen während der Arbeiten in Cornac erfolgreich unterdrückt. Hier war alles grau. Wo doch einmal andere Farben auftraten, war die Abwechslung einzig und allein zweckbedingt, beziehungsweise zufäl lig. Die Gänge verbanden zwar die einzel nen Sektoren des Stützpunkts auf möglichst geradem Wege, aber das Innere des Asteroi
44 den war von harten Gesteinsadern durchzo gen. Wo sich den Krolocs solche Hindernis se in den Weg gestellt hatten, warfen sie be denkenlos alle architektonischen Prinzipien über Bord, gingen den Weg des geringsten Widerstands und sparten auf diese Weise Zeit und Kraft. So waren Gänge entstanden, die krumm und schief waren, als hätten sich hier nicht intelligente Wesen, sondern vom Instinkt geleitete Riesenwürmer durch das Gestein gebohrt. Hinzu kam die Beleuchtung, so trübe und matt, daß ein Mensch beinahe zwangsläufig Depressionen bekommen mußte. Koratzo, der das Licht stets dem Schatten vorzog, fühlte sich ausgesprochen unwohl in dieser Umgebung. Dem Arkoniden erging es nicht viel besser. Dem Kroloc machte das alles natürlich nichts aus. Hier drin war er in seinem Ele ment. Behende eilte er voran und blieb ab und zu ungeduldig stehen, winkte und zap pelte herum, bis die beiden Männer ihn ein geholt hatten. Sie begegneten keinem einzigen Kroloc in dieser Zeit. Die Gänge waren wie ausgestor ben. Dafür gab es eine Vielzahl von Ge räuschen. Es knarrte und knirschte in den Wänden, fernes Donnern ließ an zusammen stürzende Gänge denken, und manchmal heulten Sirenen auf. Allmählich wurde der Gang dann wenig stens etwas breiter und höher. An die Stelle geschlossener Türen traten offene Durch gänge, aber die Räume, die dahinter lagen, waren fast immer so dunkel, daß sie im Vor beihasten keine Einzelheiten erkennen konn ten. Schließlich blieb der Kroloc stehen. »Wir sind am Ziel«, übersetzte Koratzo eine gequietschte Bemerkung des Fremden. Atlan betrachtete mißtrauisch das Portal, vor dem sie standen. Es war sehr hoch und wuchtig gebaut, und es gab ein paar unge lenke Versuche, Verzierungen aus dem Stein zu schlagen. Der Kroloc stieß ohne weitere Förmlichkeiten die Tür auf und gab seinen Schützlingen mit einer unmißverständlichen Geste zu verstehen, daß sie einzutreten hät-
Marianne Sydow ten. Atlan legte unwillkürlich die Hand auf die Waggu. Sie kamen in einen Raum, der groß und dunkel war. Am anderen Ende gab es ein Fenster oder einen Bildschirm, der etwas Licht verstrahlte. Davor hockte ein Kroloc, der – offenbar zum Zeichen seiner Würde – einen blutroten Harnisch um die mittlere Körperkugel trug. Neben dem Fremden stand ein plumper Kasten aus Metall, ein krolocischer Translator. Der Kroloc, der sie hergeführt hatte, war vorausgeeilt. Als er seinen Herrscher fast er reicht hatte, warf er sich platt auf den Boden und rutschte auf dem Bauch bis an den Translator heran. »Seine Vielbeinigkeit Pemar Gayn!« ver kündete er, und das Gerät übersetzte jeden Laut getreulich in die Sprache von Pthor.
* Pemar Gayn pflegte nicht viele Worte zu machen. Das wäre nicht krolocisch gewesen. Also kam er sofort zum Kern seines Anlie gens. »Ihr sucht die beiden Gefangenen, die von Hyrconia nach Cornac gebracht werden soll ten«, sagte er. »Sie sind nicht hier.« Atlan warf demonstrativ einen Blick in die Runde. »Das sehen wir«, bemerkte er spöttisch. »Du verstehst mich falsch, Fremder. Die Gefangenen sind nicht in dieser Station.« »Aha. Nun, vielleicht kannst du uns verra ten, wo wir sie dann finden werden.« »In der Lichtung der Eripäer«, erwiderte Pemar Gayn wie aus der Pistole geschossen. Die beiden Männer sahen sich überrascht an. Koratzo hob die Hand. Atlan wartete ge duldig. Er wußte, daß der Magier jetzt auf seine Weise nach Balduur und Razamon suchte. Nach einer Weile nickte er nach denklich. »Er sagt die Wahrheit«, erklärte er. Aber lautlos und nur für Atlan verständlich fügte er hinzu: »Dieser Bursche führt etwas im Schilde. Ich bin sicher, daß er noch einen
Die Rache des Magiers Trick auf Lager hat. Er ist fest davon über zeugt, daß er uns für alle Zeiten los sein wird, wenn wir versuchen, auf eigene Faust zu dieser Lichtung zu fliegen.« »Der Transport«, sagte Pemar Gayn, »wurde auf dem Weg nach Cornac überfal len. Niemand von unserer Seite hat den Überfall überlebt. Wir fanden aber Spuren, die darauf hindeuten, daß die beiden Gefan genen nicht von den Eripäern getötet, son dern verschleppt wurden.« »Dann sind sie in guten Händen«, meinte Atlan trocken. »Eure Feinde sind unsere Freunde.« »Du irrst dich, wenn du denkst, daß die Eripäer deine Freunde nach diesem Grund satz behandeln werden. Sie mißtrauen allem, was einmal mit uns in Berührung kam. Ihre eigenen Leute sind in der Lichtung ihres Le bens nicht sicher, wenn es ihnen gelingt, aus unserer Gefangenschaft zu entkommen.« Atlan dachte an die Bombenträger. Wer es fertig brachte, die eigenen Artgenossen auf so brutale Weise zum Tode zu verurtei len, der schreckte sicher erst recht nicht vor der Manipulation anderer Wesen zurück. Unter diesen Bedingungen konnten es sich die Eripäer beim besten Willen nicht leisten, Fremde mit offenen Armen zu empfangen, selbst dann nicht, wenn diese Besucher er wiesenermaßen einem der Ihren das Leben gerettet hatten. »Ihr solltet zur Lichtung fliegen«, sagte Pemar Gayn listig. »Vielleicht gelingt es euch, die Eripäer von euren friedlichen Ab sichten zu überzeugen und auch euren Freunden zu helfen.« Atlan starrte das spinnenhafte Wesen mißtrauisch an. Welchen Plan verfolgte Pe mar Gayn? Hatte er denn gar keine Angst davor, daß die Fremden mit der GOL'DHOR gegen seine Krolocs kämpfen würden, wenn diese ihrerseits die Eripäer angriffen? Pemar Gayn schwieg und wartete. »Also gut«, murmelte der Arkonide schließlich. »Jetzt brauchen wir nur noch die Koordinaten der Lichtung.« »Die kann ich euch geben.«
45 Atlan warf dem Magier einen fragenden Blick zu. Koratzo zuckte die Schultern. »Ich kann seine Gedanken nicht erfas sen«, teilte er dem Arkoniden lautlos mit. »Warum will er unbedingt, daß wir zu den Eripäern gehen?« »Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Vielleicht hofft er, daß die GOL'DHOR schon beim Anflug zerstört wird – dann ist er diese Sorge los. Oder er hofft, daß wir die Eripäer im richtigen Augenblick ablenken und seine Spaccahs dadurch den Durchbruch schaffen.« Koratzo atmete beinahe hörbar auf. »Beides läßt sich vermeiden«, behauptete er. »Die GOL'DHOR wird den Eripäern mü helos widerstehen. Was das Ablenkungsma növer betrifft – Pemar Gayn hat anscheinend vergessen, wie schnell unser Schiff sich durch den Korsallophur-Stau bewegt. Wir werden zur Stelle sein, wenn die Krolocs überhaupt noch nicht mit uns rechnen.« Atlan war nicht gänzlich davon überzeugt, daß Pemar Gayn die von Koratzo benannten Fehler wirklich beging. Obwohl die Krolocs für den Arkoniden alle gleich aussahen, hat te er das untrügliche Gefühl, mit Seiner Vielbeinigkeit ein besonders schlaues Exem plar dieser kriegerischen Wesen vor sich zu haben. Aber die Sorge um Razamon und Balduur ließ ihn alle derartigen Bedenken vergessen. Er ging auf den Handel ein. Pemar Gayn hatte bereits alle Vorberei tungen getroffen. Er war sich offenbar ganz sicher gewesen, daß die Fremden auf seinen Vorschlag eingingen. Er gab Atlan einen Streifen dicken Papiers und einen Schreib stift, dann las er von einem Zettel eine Reihe von Zahlen und sonstigen Dingen ab, die vom Translator wunderbarerweise nicht nur übersetzt, sondern sogar auf das pthorische Maßsystem übertragen wurden. »Werdet ihr sofort losfliegen?« fragte er zum Schluß. »Ja«, antwortete Atlan knapp. »Fürchtest du nicht, daß wir uns für einige Unannehmlichkeiten rächen könnten, die du
46
Marianne Sydow
uns bereitet hast?« fragte er dann. »Nein«, erwiderte Pemar Gayn gelassen. »Erstens wäre es nicht krolocisch, zweitens hilfst du mit Rachegelüsten deinen Freunden nicht.« »Der meint das tatsächlich ernst!« staunte Koratzo. Atlan verzichtete auf jede weiter Frage. Er wandte sich um und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um, aber Pemar Gayn dachte gar nicht daran, sich in irgend einer Form zu verabschieden. »Das wäre wohl auch nicht krolocisch«, murmelte Atlan spöttisch. Zur gleichen Zeit hob Pemar Gayn eines seiner vier Beine und holte aus. Er legte alle Kraft in den nun folgenden Tritt, denn er wollte den Fremden mit seiner Kraft und Zielsicherheit imponieren. Eitelkeit in sol chen Fragen war eines hochgestellten Kro locs durchaus würdig. Der pflichtvergessene Diener Snarv, der den Fremden nachstarrte, anstatt sie zu ih rem Raumschiff zurückzuführen, rutschte davon und krachte kaum einen Meter von Atlan entfernt gegen die Wand. Benommen rappelte er sich auf und machte sich auf den Weg.
8. »Seine Vielbeinigkeit wird sich die Hände reiben vor Vergnügen«, vermutete Copasal lior düster. »Warum habt ihr es ihm so leicht gemacht? Ihr hättet ihm wenigstens ein paar Vergeltungsschläge androhen können für den Fall, daß er uns mit den Spaccahs ver folgen läßt.« »Wir waren in seiner Hand«, bemerkte Koratzo tadelnd. »Laßt uns starten. Wir ha ben schon genug Zeit verloren.« Pemar Gayn, der in seinen Räumen die GOL'DHOR noch immer aufmerksam beob achtete, hielt die Luft an, als das Raumschiff sich von der Plattform löste und davonglitt. Er gab das Zeichen. Auf der Rückseite von Cornac starteten ein Dutzend kleiner, wendi ger Fahrzeuge. Andere waren schon aufge-
brochen, als Atlan und Koratzo noch auf dem Weg zum Quartier Seiner Vielbeinig keit waren. Sie standen in den Staubwolken des Staus verteilt an ausgewählten Positio nen. Die Spaccahs folgten dem goldenen Raumschiff in sicherer Entfernung. Und es dauerte nicht lange, da stand fest, daß die Fremden sich tatsächlich nach jenen Daten richteten, die Pemar Gayn ihnen gegeben hatte. Seine Vielbeinigkeit rief zufrieden die Beobachter zurück. Es war völlig überflüs sig, an den seltsamen Flugkörper noch mehr Gedanken zu verschwenden. Die GOL'DHOR war bereits so gut wie vernich tet – ohne daß die Krolocs dafür auch nur einen Fühler krumm zu machen brauchten. Sie flog geradewegs in eine Todeszone. Natürlich waren es die falschen Koordina ten, nach denen Atlan und die Magier die GOL'DHOR steuerten. Ihr Kurs würde sie innerhalb der nächsten Stunden in den Ya marikar-Wirbel führen, und dort … Selbst Pemar Gayn wurde es unbehaglich zumute, wenn er an den Yamarikar-Wirbel nur dachte. Zu viele Spaccahs waren dort schon verschwunden. Niemand war jemals von dort zurückgekehrt. Über die tatsächlichen Gefahren, die im Yamarikar-Wirbel lauerten, herrschte Un klarheit. Es gab die wildesten Gerüchte, aber naturgemäß keine Augenzeugenberichte. Die Krolocs hatten allerdings auch keine sehr intensiven Forschungen in dieser Rich tung betrieben. Es reichte ihnen zu wissen, daß die unheilbringenden Kräfte des Wirbels auf ein eng begrenztes Gebiet im Raum be schränkt blieben und absolut unüberwindlich waren. Pemar Gayn legte das Thema »GOL'DHOR« in Gedanken zu den Akten und widmete sich wieder den strategischen Plänen. Es kehrte Ruhe ein im Stützpunkt Cornac.
*
Die Rache des Magiers Um die GOL'DHOR waren Staub und Dunkelheit. Immer seltener wurden Gestein strümmer sichtbar. Die Spaccahs, die ihnen heimlich gefolgt waren, blieben zurück. »Wahrscheinlich sind wir schon in der Nähe der Lichtung«, frohlockte Copasallior. »Laßt uns schneller fliegen, wir brauchen doch jetzt keine Rücksicht mehr auf die Krolocs zu nehmen.« Aber Atlan, der die Kontrollen übernom men hatte, erhöhte die Geschwindigkeit nicht. Er ahnte, daß ihnen Gefahren drohten, und er zog es in solchen Fällen vor, seinen Gefühlen zu folgen. Koratzo war sehr still. Er saß da und blickte nach draußen, und wenn man ihn an sprach, reagierte er abweisend. Atlan wußte, was den Stimmenmagier quälte: Auch er ahnte, daß Pemar Gayn sie in irgendeiner Weise betrogen hatte, und es machte ihm schwer zu schaffen, daß er dem obersten Kroloc von Cornac nicht auf die Schliche gekommen war. Und dann kam der Augenblick, in dem die Staubwolken dünner wurden. Atlan regi strierte verblüfft einige Lichtpunkte. Er dachte automatisch an Sterne, aber als er ge nauer hinsah, erkannte er, daß dort keine weit entfernten Sonnen leuchteten. Die Lichtquellen waren ihnen vielmehr ganz na he, und sie ähnelten den Kratern aktiver Vulkane. Sie glühten in unruhigem Licht. Es gab regelrechte Eruptionen, bei denen das Licht weit durch den Raum zuckte und an dere Quellen erfaßte, mit diesen verschmolz und ein Gewirr von leuchtenden Linien bil dete. Die beiden Magier betrachteten die unge wöhnliche Erscheinung interessiert, aber oh ne Zeichen von Beunruhigung. Kein Wun der, dachte Atlan, denn sie waren ja mit den Aspekten der Raumfahrt nicht vertraut. Viel leicht nahmen sie sogar an, daß solche Lichtvulkane etwas ganz Alltägliches waren. »Was kann das sein?« fragte Copasallior neugierig. »Es sieht faszinierend aus.« »Von weitem, ja«, stimmte Atlan zu. Er berührte die Schalter und wartete dar
47 auf, daß die GOL'DHOR zur Seite wich. Noch machte auch er sich keine Sorgen, denn wenn sie später, jenseits des unwirkli chen Hindernisses, die Geschwindigkeit er höhten, waren sie immer noch um vieles schneller in der Lichtung als irgendeine Spaccah. Die GOL'DHOR jedoch rückte und rührte sich nicht. Sie flog stur geradeaus. Und die Lichter wurden größer. Jetzt sah man glü hende Staubwolken, die um die einzelnen Punkte kreisten. Die Lichtquellen wurden zu glühenden Schlünden, in denen die Materie verschwand. Atlan prüfte jede Schaltung doppelt und versuchte es noch einmal, ohne Erfolg. Co pasallior, der nahe an eines der Fenster ge treten war, drehte sich um. »Wäre es nicht Zeit, diesen Dingern aus zuweichen?« erkundigte er sich. »Auf diese Idee bin ich längst gekom men«, erklärte Atlan ruhig. »Leider hat die GOL'DHOR etwas gegen meine Pläne ein zuwenden. Sie gehorcht mir nicht. Seid ihr beide sicher, daß nicht noch ein negativer Magier an diesem Wunderschiff herumge pfuscht hat?« Copasallior schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich verstehe dich nicht«, gestand er. »Ist das dort das Werk eines verbannten Magiers?« fragte Atlan und deutete auf die Lichtquellen. Sie waren mittlerweile zu Trichtern ge worden, regelrechten Strudeln aus leuchtender Materie. Atlan verstand jetzt nur zu gut, warum die Staubwolken in diesem Gebiet so dünn waren. Die Strudel sogen sie auf. Copasallior betrachtete das Bild geraume Zeit. »Nein«, sagte er dann leise. »Ich spüre keine magischen Kräfte, die von diesen Er scheinungen ausgehen. Das dort ist natürli chen Ursprungs.« »An der GOL'DHOR liegt es auch nicht«, mischte Koratzo sich überraschend in das Gespräch. »Ich spüre, daß die Maschinen versuchen, deine Befehle zu befolgen, Atlan.
48
Marianne Sydow
Aber etwas hält sie zurück und macht ihre Bemühungen zunichte, eine Kraft, die stär ker ist als alles, was die GOL'DHOR aufzu bieten hat.« Atlan machte sich mit grimmiger Miene über die Kontrollen her. Er schöpfte alle Möglichkeiten aus. Aber die GOL'DHOR wich nicht von ihrem Kurs ab. Der Arkonide schaltete den Schutzschirm hoch und drehte sich nach den Magiern um. »Wir können gar nichts mehr tun«, sagte er. »Nur warten.« Die glühenden Schlünde kamen immer näher. Atlan schloß den Helm des Goldenen Vlieses und wies die Magier an, sich in ihre schützenden Umhänge zu hüllen. Sie befolg ten seinen Rat, obwohl auch sie wissen muß ten, daß es unsinnig war, von solchen Maß nahmen mehr Sicherheit zu erwarten. Selbst wenn die Schutzhüllen ihnen bei einer Be schädigung der GOL'DHOR das Leben ret teten, gab es keine Hoffnung auf Rettung. Die GOL'DHOR war etwas schneller ge worden. Jetzt konnte man bereits erkennen, in welchen Schlund sie stürzen würde. Es war einer von dreien, die dicht nebeneinan der standen und in besonders reichem Maße mit glühenden Staubfontänen um sich war fen. Da kommt nichts und niemand lebend heraus, behauptete Atlans Extrasinn plötz lich. »Herzlichen Dank für diese Aufmunte rung«, murmelte Atlan gereizt, ohne sich um die erstaunten Blicke der Magier zu küm mern. Die GOL'DHOR stürzte in einen Strudel aus greller Helligkeit.
* Sie waren zunächst geblendet. Eine Hölle aus wirbelnder Glut umhüllte die GOL'DHOR. Sie rückte immer näher und schien das Schiff samt seinen Insassen in sich aufsaugen zu wollen. Und dabei war es immer noch gespenstisch still. Atlan erkann-
te verwundert, daß dieses Schiff tatsächlich nach ganz anderen Gesetzen konstruiert sein mußte, als er sie kannte. Ein See aus purem Feuer nahm die GOL'DHOR auf. Sie sahen Bewegungen jenseits des Schutzschirms, dunkle Schlieren und grellblaue Kugeln, die träge dahintrie ben. Sie hatten keine Kontrolle mehr über ihre Geschwindigkeit und die Richtung, in die sie sich bewegten. Die wenigen Instru mente des magischen Fahrzeugs spielten verrückt und lieferten Werte, mit denen nie mand etwas anfangen konnte. Aber es schi en ihnen, als sinke das Schiff langsam im mer tiefer, nach unten – wobei unklar blieb, was in dieser Umgebung »unten« sein mochte. Allmählich wurden die Schatten häufiger. Dunkle Zonen, deren Ränder zerfaserten, flossen zu bräunlichen Fladen zusammen. Plötzlich gab es einen Ruck. Die GOL'DHOR stand still. Ungläubig betrachtete Atlan die Instru mente. Sie zeigten an, daß die GOL'DHOR mit mittlerer Geschwindigkeit durch staub erfüllten Raum glitt. Ärgerlich drückte er auf eine Taste. Da sank die Geschwindigkeit angeblich. Gleichzeitig aber wurde es um das Schiff herum wieder etwas heller, und die blauen Lichter, die schon längst zurück geblieben waren, tauchten wieder auf. »Wir steigen!« rief Koratzo begeistert. Atlan arbeitete wie im Fieber. Der Ge schwindigkeitsmesser stand auf Null. Er ma nipulierte am Schutzschirm herum. Er ver drängte den Gedanken daran, daß dieses wunderbare Gebilde zusammenbrechen und die GOL'DHOR der Glut dort draußen preis geben könnte. Mit zusammengebissenen Zähnen verringerte er die Energie, die dem Schutzschirm zufloß. Die GOL'DHOR stieg weiter. Jetzt verschwanden die dunklen Schatten, und dünne, orangene Schlieren traten an ihre Stelle. Blitze umzuckten das Schiff. Atlan kam an einen Punkt, an dem er nicht noch mehr Energie wegnehmen durfte. Er wagte es kaum noch, den entsprechenden Schalter
Die Rache des Magiers zu berühren. Die GOL'DHOR bewegte sich trotzdem. Aber in einer Zone weißer Glut blieb sie stecken. Die beiden Magier verhielten sich still, und Atlan war ihnen dankbar dafür. Allmäh lich lernte er sie auch als Gefährten in brenz ligen Situationen schätzen. Sie hatten zu mindest einen Vorteil auf ihrer Seite: Sie verloren niemals die Beherrschung. Oder doch fast nie. Sie waren keineswegs vor Furcht erstarrt, sondern sie saßen ruhig und entspannt auf ihren Plätzen. Der Arkonide zerbrach sich den Kopf dar über, wie er die GOL'DHOR zu weiterem Aufsteigen bewegen könnte. Behutsam er höhte er die Energiezufuhr für den Schutz schirm. Das Schiff sank sofort wieder tiefer in die Gluthölle hinein. Er drehte den Schal ter auf den alten Wert zurück und wartete, bis das Schiff wieder festsaß. Dann versuch te er es mit dem Antrieb, von dem er noch immer nicht wußte, nach welchem Prinzip er überhaupt funktionierte. Auch das führte sie nur in die Region der orangenen Schlieren zurück. Vielleicht war alles eine Täuschung, über legte Atlan. Vielleicht sollte er den Antrieb hochschalten und auf Teufel komm raus ein Schlupfloch in der Nähe der braunen Schat ten suchen. Dort unten konnte die Freiheit auf sie warten, aber auch ein plötzlicher Tod. Genaugenommen war dieses Risiko je doch überall gleich hoch. Was blieb ihm noch? Es störte ihn, daß die GOL'DHOR an Bo den gewann, je schwächer sie sich gegen über der Gluthölle zeigte. Der Schutzschirm war mittlerweile so schwach, daß eine Feu erlanze der Krolocs ihn hätte durchstoßen können. Aber die Glut blieb draußen. Und der Antrieb? Er mußte plötzlich an Pemar Gayn den ken. Der Kroloc hatte sie an diesen Ort ge schickt, um die GOL'DHOR und ihre Insas sen ein für allemal loszuwerden. Die Kro locs kannten also dieses Gebiet. Sie mußten es wohl für absolut unüberwindlich halten. Pemar Gayn war überzeugt davon, daß das
49 goldene Raumschiff diesmal nicht zurück kehren konnte. Trotz des Geredes vom kro locischen Verhalten in punkto Rache würde er nicht riskieren, daß seine Gegner ihn we gen dieses Verrats zur Rechenschaft zogen. Die Krolocs waren – vermutlich gegen ih ren Willen – mit ihren stets bewaffneten Spaccahs in die Strudel geraten. Waffen, dachte Atlan. Irgendeine Bezie hung gab es da. Auch der Schutzschirm war eine Waffe. Eine, die der Verteidigung diente. »Man müßte eine Waggu nach draußen bringen können«, überlegte er laut. »Warum?« fragte Copasallior. »Wäre es denn möglich?« fragte der Ar konide überrascht. Copasallior nickte nur. Koratzo stand auf und reichte ihm die Waffe, die immer noch in seinem Gürtel steckte. »Sie darf auf keinen Fall innerhalb des Schutzschirms erscheinen!« warnte Atlan. Copasallior nahm die Waffe und sah sie mit seinen riesigen, steinernen Augen an. Dann hob er zwei Arme. Die Waggu ver schwand. Draußen gab es eine grellblaue Entladung. Atlan lachte leise auf und streckte die Hand aus. Er berührte den Schalter. Im letz ten Augenblick zögerte er. Wenn er sich irr te … Aber dann schaltete er den Schutzschirm doch aus. Es ging so schnell, daß keiner von ihnen es genau verfolgen konnte. Die glühende Hölle um sie herum riß auf. Die grellen Schwaden zerstoben, als wäre ein gewaltiger Sturm ausgebrochen. Die GOL'DHOR wur de herumgewirbelt, schlingerte und brumm te plötzlich und stürzte dann in eine staubige Finsternis hinein. Atlans Hand lag immer noch auf dem Schalter. Er hörte das Prasseln auf der Hülle des goldenen Raumschiffs, das Dröhnen und Klirren und Heulen, das plötz lich in der GOL'DHOR war, er vernahm das Sirren und Singen und wußte, daß er gewon nen hatte. Er wartete, bis die Geräusche zu unerträglicher Lautstärker anschwollen.
50
Marianne Sydow
Dann erst schaltete er den Schutzschirm wieder ein. Er lehnte sich zurück und genoß die Stille und die Dunkelheit hinter den Augenfen stern. Noch spürte er nicht die geringste Lust, ir gendwelchen Fragen nachzuspüren. Er wuß te, daß diese seltsamen Strudel auf die An wesenheit von Waffen reagierten, als hätten sie selbst Angst vor jeder Form von Gewalt. Die GOL'DHOR war ein friedliches Schiff. Es gab keine fest montierten Waffen an Bord. Andernfalls wäre das Schiff ver mutlich schon beim ersten Kontakt mit dem Strudel explodiert. Aber mit dem Schutz schirm hatten sie der Hölle Widerstand lei sten können. Dann waren sie steckengeblie ben. Erst als sie der wirbelnden Materie hilflos ausgesetzt waren, gewannen sie die Freiheit. Der Strudel hatte sie ausgespien, als wäre ihm aus Versehen eine falsche Beute, viel leicht sogar ein befreundetes Wesen in den Rachen geschwommen. Warum war das so? Waren diese Strudel intelligent? Oder die Kugeln und Schlieren und Schatten dort drinnen? Sie würden das Rätsel nicht lösen. Sie hatten weder Zeit noch Lust dazu. Denn um
hinter die Geheimnisse dieser normalerweise tödlichen Falle zu kommen, hätten sie in die Strudel zurückkehren müssen. Die stärksten hundert Yassels von ganz Pthor hätten nicht ausgereicht, um Koratzo, Copasallior und Atlan zurückzuschleppen. »Und jetzt?« fragte Copasallior nach lan ger Zeit, in der sie schweigend nach draußen gesehen hatten. »Jetzt«, sagte Atlan langsam, »machen wir uns auf die Suche nach der Lichtung.« »Pemar Gayn hat uns belogen«, murmelte Koratzo bedrückt. »Wer weiß, wo Razamon und Balduur jetzt sind.« »In Cornac waren sie jedenfalls nicht«, erwiderte der Arkonide. »Und von allen Or ten innerhalb des Korsallophur-Staus ist die Lichtung derjenige, an dem wir es am ehe sten versuchen sollten. Wir werden sie fin den, und wenn wir diese ganze elende Staubwolke nach ihnen durchstöbern müß ten.« Er legte die Hände auf die Kontrollen. Die GOL'DHOR glitt gehorsam vorwärts.
E N D E
ENDE