Lewis Orne, ein Neuling im Dienst des R&R, einer interstellaren Nachrichtenorganisation, hat die Aufgabe, einen Planete...
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Lewis Orne, ein Neuling im Dienst des R&R, einer interstellaren Nachrichtenorganisation, hat die Aufgabe, einen Planeten zu beobachten. Er hat nach Anzeichen zu forschen, ob die technologische und soziologische Entwicklung dieser Welt zum Militarismus führen könnte. Die nach verheerenden Kriegen mühsam wieder aufgebaute galaktische Zivilisation will nicht das Risiko eingehen, daß sich irgendwo in ihrem Körper neue militaristische Krebsgeschwülste bilden, und scheut nicht vor radikalen Maßnahmen zurück, um den Anfängen zu wehren. Während seiner Tätigkeit entdeckt Lewis Orne, daß er über bemerkenswerte PSI-Fähigkeiten verfügt, aber er entdeckt auch, daß er damit keineswegs allein steht. Und schließlich muß er feststellen, daß sein Werdegang aus konsequenten, genau vorgezeichneten Schrien bestand, die zu einer merkwürdigen Berufung führen. Doch damit hae er erst die niederen Weihen empfangen. Nun erst begannen die Riten der Göer – und um ein Go zu werden, muß man nicht nur über gewisse Gaben verfügen, man muß auch durch die Hölle gegangen sein.
FRANK HERBERT, bekannt vor allem durch seine Romane DER WÜSTENPLANET (Heyne-Buch Nr. 3108) und EIN CYBORG FÄLLT AUS (Heyne-Buch Nr. 3384), hat mit THE GOD MAKERS ein eigenwilliges Werk geschaffen, in dem die spannende Handlung durchdrungen ist von tiefen religiösen und philosophischen Einsichten in die Natur menschlicher Existenz.
FRANK HERBERT
DIE RITEN DER GÖTTER Science Fiction-Roman
Deutsche Erstveröffentlichung
h WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE-BUCH Nr. 3460 im Wilhelm Heyne-Verlag, München
Titel der amerikanischen Originalausgabe THE GOD MAKERS Deutsche Übersetzung von Birgit Reß-Bohusch
Redaktion: Wolfgang Jeschke Copyright © 1972 by Frank Herbert Copyright © der deutschen Übersetzung 1975 by Wilhelm Heyne Verlag, München Printed in Germany 1975 Umschlagzeichnung: C. A. M. Thole, Mailand Umschlag: Atelier Heinrichs, München Gesamtherstellung: Ebner, Ulm ISBN 3-453-50336-6
Frank Herbert – Die Riten der Götter
Um sich in einen Go zu verwandeln, muß ein Lebewesen die Körperlichkeit überwinden. Die drei Stufen auf dem Wege zur Transzendenz sind bekannt. Erstens muß sich das Geschöpf seiner geheimen Aggressionen bewußt werden. Zweitens muß es die Zweckmäßigkeit der äußeren Gestalt durchschauen. Driens muß es den Tod erleiden. Ist dies geschehen, so muß der werdende Go eine Prüfung ohnegleichen bestehen, die ihm die Wiedergeburt bringt und ihn jenen erkennen läßt, der ihn gerufen hat. ›Die Erschaffung eines Goes‹ Das Amel-Handbuch
Lewis Orne konnte sich nicht erinnern, daß es je eine Zeit gegeben hae, in der er frei von jenem merkwürdigen, stets gleichen Traum gewesen war; eine Zeit, in der er einschlafen konnte, ohne daß der verrückte Wirklichkeitssinn dieser Vision sein inneres Gleichgewicht bedrohte. Der Traum begann mit Musik, Klängen, die sich wie Sirup hinzogen – ein gespenstischer Sphärenchor. Nebelgestalten drangen aus der Musik und unterstrichen ihren spukhaen Charakter. Dann übertönte eine Stimme das alberne Theater mit beunruhigenden Sprüchen: ›Göer werden nicht geboren, sondern erschaffen.‹ Oder: ›Wer behauptet, er sei neutral, meint in Wirklichkeit, daß er die Notwendigkeit des Krieges anerkennt.‹ Wenn man Lewis Orne ansah, konnte man sich nicht vorstellen, daß er von Träumen dieser Art geplagt wurde. Er stammte von Chargon im Gemma-System, einem Planeten mit dichter Atmosphäre, und war ein robuster Typ mit knorrigen Muskelpaketen. Sein Gesichtsausdruck erinnerte entfernt an eine Bulldogge, und
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sein ruhiger, fester Blick weckte zuweilen Unbehagen bei anderen Menschen. Trotz seines merkwürdigen Traums, vielleicht auch deswegen, besuchte Orne in regelmäßigen Abständen Amel, den Planeten der Göer. Und da ihn die Sätze jener Traumstimme auch am Tage nicht losließen, trat er am Morgen seines neunzehnten Geburtstags in den Dienst des Reintegrations- und Reedukations-Korps, kurz R&R genannt. Er wollte sein Scherflein zum Wiederauau des von Kriegen zerfetzten galaktischen Imperiums beisteuern. So setzte ihn das R&R nach Abschluß der berühmten Friedensschule von Marak an einem wolkenverhangenen Vormiag auf dem wiederentdeckten Planeten Hamal ab – einer Welt, deren Terra-Index bis auf acht Stellen nach dem Komma stimmte und deren Eingeborene rassisch so nahe an den Homo sapiens herankamen, daß sie genetische Verbindungen mit den Bewohnern der Inneren Welten eingehen konnten. Zehn Hamal-Wochen später stand Orne am Rande eines staubigen kleinen Dorfes im Zentralhochland des Nordkontinents und drückte auf den Notschalter des grünen Minisenders in seiner rechten Uniformtasche. In diesem Moment war er sich zum erstenmal der Tatsache bewußt, daß viele Agenten des R&R von ihren Missionen nicht zurückkehrten. Was ihn zu seinem Tun bewogen hae, war der Anblick von etwa dreißig Hamaliten: Sie starrten mit düsteren Mienen einen Gefährten an, der sich versehentlich in einen Korb mit saigen weichen Früchten gesetzt hae. Kein Gelächter, nicht der geringste Stimmungsumschwung. Dieser Sturz in den Obstkorb bekräigte, was Orne anhand einer Reihe ähnlicher Vorfälle registriert hae: Ein Hauch von Verderben lag über Hamal. Orne seufzte. Es war geschehen. Er hae ein Signal in den
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Raum hinausgesandt und damit eine Lawine ins Rollen gebracht, die ihn, den Planeten oder beide vernichten konnte. Wie er später entdeckte, hae er gleichzeitig seine beharrlichen Visionen abgeschüelt. Aber die Ereignisse, die sie verdrängten, weckten in ihm manchmal den Verdacht, daß er seine geheimnisvolle Traumwelt betreten hae.
* Eine Religion besteht aus zahlreichen gegensätzlichen Beziehungen. Sie braucht Gläubige und Ungläubige. Sie braucht jene, welche die Mysterien kennen, und jene, die sie nur fürchten. Sie braucht den Teilnehmer und den Außenstehenden. Sie braucht einen Go und einen Teufel. Sie braucht absolute und relative Werte. Sie braucht Ungeformtes (wenn auch im Prozeß des Formens begriffen) und das bereits Geformte. Religionswissenscha Geheime Schrien von Amel
»Wir stehen im Begriff, einen Go zu erschaffen«, sagte Abt Halmyrach. Er war ein kleiner, dunkelhäutiger Mann, eingehüllt in eine blaßorange Kue, die in weichen Falten bis zum Boden fiel. Sein glaes, schmales Gesicht mit dem kahlen Schädel wurde von der Nase beherrscht, die wie ein Felsvorsprung über die zusammengekniffenen Lippen hing. »Wir wissen nicht, aus welchem Geschöpf oder Ding der Go geboren wird«, fuhr der Abt fort. »Vielleicht aus einem von euch.« Seine Blicke ruhten auf den Schülern, die auf dem harten Boden des nüchternen Raums kauerten. Schräg fielen die Strahlen von
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Amels Sonne durch die Fenster. Der Saal stellte eine Psi-Festung dar. Die geheimnisvollen Kräe des Unterbewußtseins durchwoben ihn, von Instrumenten zu gigantischen Dimensionen verstärkt. Zwanzig Meter lang war er und drei Meter hoch. Jenseits der Fenster lagen die Parkdächer von Amels engem, verwinkeltem Wohnbezirk. Die Stirnseiten des Raums sahen aus wie heller Stein, geädert von dünnen braunen Linien, die an Insektenspuren erinnerten. Ein stumpfes, bläulichweißes Licht hüllte die Wände ein. Der Abt spürte die Energie, die zwischen den beiden Stirnseiten hin und her floß, und einen Moment lang setzte sich in seinem Innern jenes Gemisch aus Furcht und Schuldgefühl fest, das auch seine Schüler ergriffen hae. Offiziell hieß die Vorlesung ›Religionswissenscha‹ aber die jungen Leute kannten weder Frömmigkeit noch Demut. Sie sprachen nur davon, einen Go zu erschaffen. Und sie waren fortgeschrien genug, um die Gefahren ihres Tuns zu erkennen. »Alles, was ich hier sage und tue, ist das Ergebnis einer langen, sorgfältigen Vorbereitung«, erklärte der Abt. »Zufallsfaktoren bringen Gefahren mit sich. Der Raum hier wurde absichtlich so nüchtern gehalten, um jede Ablenkung auszuschalten. Der geringste Fremdeinfluß kann das Ergebnis unseres Vorhabens maßlos verändern. Wenn also einer von euch jetzt noch die Klasse verlassen möchte, so soll er es ohne Scham tun.« Die weißen Kuen der Schüler wisperten über den Boden, aber niemand folgte Abt Almyrachs Aufforderung. Bis jetzt verlief alles nach Plan. »Wie wir wissen«, sagte der Abt, »besteht die Hauptgefahr unseres Vorhabens darin, daß wir Erfolg haben. Wenn es uns gelingt, einen Go zu erschaffen, so entsteht paradoxerweise etwas, das nicht mehr unsere Schöpfung ist. Wir selbst könnten die Schöp-
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fung dessen werden, den wir ins Leben rufen.« Der Abt nickte vor sich hin. Er dachte über die Göer nach, die im Laufe der Menschheitsgeschichte aufgetaucht waren: wahnsinnig oder vernunbegabt, primitiv oder hochentwickelt ... aber alle unberechenbar. Wie auch immer erschaffen, der Go ging seinen eigenen Weg. Und die Launen eines Goes dure man nicht auf die leichte Schulter nehmen. »Der Go ersteht jedesmal neu aus dem Chaos«, erklärte der Abt. »Wir besitzen keine Macht über diesen Vorgang; wir kennen nur die allgemeinen Regeln.« Er spürte in der Mundhöhle die trockene Elektrizität der Furcht, erkannte, wie sich die notwendige Spannung um ihn auaute. Der Go mußte zum Teil aus der Furcht geboren werden, aber nicht allein aus der Furcht. »Wir müssen uns in Ehrfurcht vor unserer Schöpfung verneigen«, sagte er. »Es gilt, sie anzubeten und ihr zu gehorchen.« Die Schüler kannten ihren Einsatz. »Anbeten und gehorchen«, murmelten sie. Demut strahlte von ihnen aus. Ja, dachte der Abt, unser Tun enthält unendliche Möglichkeiten und unendliche Gefahren. Die Fäden des Universums sind mit diesem Augenblick verflochten. Er sagte: »Rufen wir zuerst die Zwischenform ins Leben, als Miler des Goes, den wir erschaffen wollen!« Er hob die Arme. Der Energiestrom zerriß, bildete Strudel. Die Geschehnisse schoben sich ineinander. Vor seinem inneren Auge tauchten drei Szenen gleichzeitig auf, verkeet und doch ohne Zusammenhang. Er sah seinen Bruder Ag Emolirdo im dunstigen Licht des Planeten Marak stehen; das schmale Gesicht mit dem Raubvogelprofil war tränenüberströmt. Die Vision ging in das Bild einer Hand über, deren Zeigefinger den Schalter eines kleinen grünen Kästchens herunterdrückte. Zugleich sah der Abt sich selbst, mit erhobenen
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Armen, während aus der Psi-Wand im Hintergrund ein Shriggar, die Todesechse von Chargon, trat. Die Schüler hielten den Atem an. Steif, halb gelähmt vor Entsetzen, senkte er die Arme und drehte sich um. Ja, es war ein Shriggar – ein mächtiges Exemplar, denn es mußte sich ducken, um nicht die Decke zu streifen. Von den kurzen Armen spreizten sich messerscharfe Klauen. Der Schnabel stand offen; eine lange, gespaltene Zunge zuckte hin und her. Die Stielaugen kreisten, und der Atem der Bestie erfüllte den Raum mit dem Gestank von Faulschlamm. Das Maul schnappte zu. ›Chunk!‹ Dann dröhnte eine Stimme durch den Saal, dumpf, geisterha. Sie kam nicht von dem Shriggar, denn der stand reglos da. »Der Go, den ihr erscha, kann bei der Geburt sterben. Solche Ereignisse wählen ihre eigene Stunde. Ich stehe bereit und wache. Ein Krieg wird stafinden, in einer Stadt aus Glas, wo Geschöpfe von hoher Intelligenz leben. Es kommt eine Zeit der Politik. Und es kommt eine Zeit der Priester, in der sie bangen vor den Folgen ihres Wagemuts. All dies muß geschehen um eines unbekannten Zieles willen.« Langsam löste sich der Shriggar auf – erst der Kopf, dann der große gelbschuppige Leib. Wo er gestanden hae, breitete sich eine dampfende braune Pfütze aus. Das zähe Zeug umfloß die Füße des Abtes und drang bis zu den Schülern vor, die am Boden knieten. Keiner von ihnen wagte sich zu rühren. Sie wußten, was es bedeutete, einen Zufallsparameter einzuführen, solange die zukkenden Psi-Ströme den Raum beherrschten.
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Jeder, der irgendwann mit einem Kribbeln auf der Haut die elektrisierende Nähe eines unsichtbaren Wesens gespürt hat, kennt das Urgefühl der Psi-Energie. HALMYRACH, ABT VON AMEL Psi und Religion, Vorwort Lewis Orne verkrampe die Hände auf dem Rücken, bis die Knöchel weiß hervortraten. Er stand am Fenster seines im zweiten Stock gelegenen Zimmers und starrte düster in den Hamal-Morgen hinaus. Über den fernen Bergen war die Sonne groß und gelb aufgegangen. Der wolkenlose Himmel verhieß sengende Hitze. Im Hintergrund zeichnete der Beamte des Untersuchungsausschusses das Gespräch auf, das sie eben beendet haen. Ein harter Sti kratzte über den Transmierstreifen, der den Bericht an das Schiff des UA-Mannes weitergab. Na schön, dann war es vielleicht falsch, das Notsignal auszulösen, dachte Orne. Das gibt dem Klugscheißer noch lange nicht das Recht, mich zu schikanieren. Schließlich war es mein erster Job. Da kann schon mal was schiefgehen. Das Kratzen des Sties machte Orne allmählich nervös. Er umklammerte mit einer Hand den Fensterriegel und fuhr sich mit der anderen durch das kurzgeschorene rote Haar. Der pluderige weiße R&R-Coverall unterstrich seine vierschrötige Erscheinung. Das volle Gesicht mit der breiten Stirn war zorngerötet. Im allgemeinen beherrschte er sich recht gut, doch im Moment hae er Mühe, ruhig zu bleiben. Er dachte: Wenn sich mein Verdacht als unbegründet erweist, feuern sie mich. Es gibt ohnehin schon genug Reibereien zwischen dem R&R und dem Untersuchungsausschuß. Dieser Bollerkopf hier wartet nur darauf, uns zu blamieren. Aber wenn auf Hamal tatsächlich etwas faul ist – Mann, das gibt ein Theater!
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Orne schüelte den Kopf. Sicher habe ich mich getäuscht. Je länger er darüber nachsann, desto mehr ärgerte er sich, daß er den Untersuchungsausschuß eingeschaltet hae. Die Hamaliten waren vielleicht nicht von Natur aus aggressiv. Die Gefahr, daß der R&R die technische Grundlage für den Auau einer Kriegsindustrie schuf, erschien gering. Dennoch ... Orne seufzte. Er spürte eine vage, traumhae Unruhe. Das Gefühl erinnerte ihn an den Schwebezustand kurz vor dem Erwachen, wenn Handeln, Denken und Empfinden miteinander verschmolzen. Jemand polterte die Treppe am anderen Ende des Korridors hinunter. Der Boden unter Ornes Füßen zierte. Er befand sich im Gästehaus der Regierung, einem uralten Holzbau, der muffig und vergammelt roch. Vom Fenster aus konnte er den Marktplatz von Pitsiben mit seinem holperigen Kopfsteinpflaster überblicken. Dahinter erstreckte sich der breite Dammweg, der aus der Rogga-Ebene heraufführte. In langen Kolonnen kamen die Bauern und Jäger der Umgebung zum Markag nach Pitsiben. Goldgetönter Staub hing über der Straße. Er dämpe die Farben, verlieh der Szene etwas malerisch Verschwommenes. Die Bauern stemmten sich in die Zuggeschirre ihrer flachen zweirädrigen Karren und troeten schwerfällig schwankend dahin. Sie trugen lange grüne Umhänge, gelbe Baskenmützen, die schräg über dem linken Ohr saßen, gelbe Hosen mit breiten, staubbedeckten Aufschlägen und Riemensandalen. Ihre Karren waren hoch mit Feldfrüchten beladen. Auch hier herrschten die gelben und grünen Farbtöne vor. Die Jäger in ihren braunen Gewändern hielten sich ein wenig abseits, wie zum Flankenschutz. Sie schrien hocherhobenen
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Hauptes dahin, bewaffnet mit Vogelflinten, ein Lederetui mit Feldstecher über die linke Schulter gehängt. In einigem Abstand folgten die Jagdgehilfen. Sie schoben Wildkarren, auf denen sich erlegte Sumpiere türmten, vor allem buntgefiederte Enten und Porjos, die kleinen schlangenschwänzigen Nagetiere, die von den Hamaliten als besondere Delikatesse geschätzt wurden. In der Ferne erkannte Orne die dunkelrote Spitze des UA-Schiffes, das kurz vor Sonnenaufgang im Tal gelandet war. Von den Farmen ringsum stiegen bläuliche Rauchsäulen auf und hüllten es in einen Dunstschleier. Es sah aus wie ein Spielzeug, das vergeßliche Riesen zurückgelassen haen. Einer der Jäger blieb auf dem Dammweg stehen, hob den Feldstecher an die Augen und betrachtete das Schiff. Er zeigte keine übergroße Neugier und auch kein Erstaunen. Diese Handlungsweise entsprach nicht der Norm – irgend etwas stimmte hier einfach nicht. Der Rauch und das flirrende gelbe Sonnenlicht verliehen der Landscha ein blühendes, sommerliches Aussehen. Orne spürte, wie bei dem Anblick tiefe Bierkeit in ihm aueimte. Es ist mir scheißegal, was dieser Blödmann denkt! Ich hae recht, als ich das Notsignal auslöste. Irgend etwas verbergen die Hamaliten. Sie sind nicht friedfertig. Der Fehler liegt nicht bei mir, sondern bei dem Pfuscher, der die ersten Kontakte knüpe. Mußte er davon sabbern, daß wir kriegerische Rassen nicht unterstützen! Das Kratzen des Sties war verstummt. Orne drehte sich um. Der Beamte des Untersuchungsausschusses saß auf der Kante von Ornes ungemachtem Be. Er hae seine Akten und Papiere auf dem ganzen Tisch verteilt. Der Mann wirkte lang und schlaksig. Er hae dunkle, widerspenstige Locken und eine weergegerbte Haut. Die halbgeschlossenen Lider gaben seinem Gesicht jenen arroganten Zug, der so typisch für die UA-Leute war. Er trug
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geflickte blaue Drillichsachen ohne Rangabzeichen. Umbo Stetson, Sektorchef – so hae er sich vorgestellt. Sektorchef, dachte Orne. Warum schicken die gleich ihren Obermakker! Stetson bemerkte, daß Orne ihn ansah und räusperte sich. »Das Wichtigste häen wir wohl. Aber kauen wir die Sache zur Sicherheit noch mal durch. Sie sind also vor zehn Wochen hier gelandet?« »Jawohl. Eine Fähre des R&R-Transporters Arneb setzte mich hier ab.« »Und es ist Ihre erste Mission?« »Das sagte ich bereits. Ich schloß meine Ausbildung auf UniGalacta mit 0,07 ab und praktizierte anschließend auf Timurlain.« Stetson zog die Stirn kraus. »Und dann schickte man Sie gleich in diesen goverlassenen Winkel des Universums?« »Ja.« »Hmm. Da standen Sie nun, erfüllt vom missionarischen Eifer des R&R, was? Die Menschheit muß mit vereinten Kräen zu neuen Ufern aurechen ...« Orne lief rot an. Stetson nickte. »Ich sehe schon, auf Uni-Galacta wird immer noch der faule Zauber von einer Kulturrenaissance gelehrt.« Er preßte eine Hand an die Brust und dozierte: »Wir müssen die verlorenen Welten wieder mit den Zentren der Zivilisation und Industrie vereinen und den ruhmreichen Aufstieg unserer Rasse fördern, der durch die Randweltenkriege so brutal unterbrochen wurde!« Er spuckte auf den Boden. »Ich glaube, das können wir uns sparen«, murmelte Orne. »Sie haben ja sooo recht«, spöelte Stetson. »Und was‘ hat man
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Ihnen für das idyllische Fleckchen hier mitgegeben?« »Ein Wörterbuch, zusammengestellt von unserem ersten Kontaktmann – aber es taugte nicht viel ...« »Wie hieß der Kerl?« »Andre Bullone – der Name steht zumindest auf dem Buch.« »Oh – irgendwie verwandt mit Hochkommissar Bullone?« »Keine Ahnung.« Stetson machte sich eine Notiz. »Und er war der Ansicht, daß Hamal eine friedfertige Welt mit einer primitiven Jagd- und Ackerbaukultur ist?« »Genau.« »Tja – sonst noch etwas?« »Berichtformulare und den Minisender.« »Ich nehme an, Sie besitzen wie Ihre Kollegen ein eidetisches Gedächtnis und sind vollgestop mit all dem Kram über Medizin, Industrie, Technik und Kultur fremder Völker?« »Der R&R bildet seine Agenten gründlich aus.« »Legen wir eine Gedenkminute ein!« Unvermielt schlug Stetson mit der Faust auf den Tisch. »Verdammter Quatsch – ein politisches Lockmiel, mehr nicht!« Orne sah ihn erstaunt an. »Was?« »Die R&R-Masche, mein Junge! Volksverblödung, die ein paar politische Karrieren verlängert und uns alle in Gefahr bringt! Merken Sie sich meine Worte: Eines Tages wird eine Welt zuviel wiederentdeckt. Wir geben ihren Bewohnern die Industrie, die sie nicht verdienen – und wir haben einen neuen Randweltenkrieg am Hals ...« Orne spürte erneut, wie Zorn in ihm hochstieg. »Weshalb habe ich wohl das Notsignal ausgelöst?« fauchte er. »Eben das möchte ich herausfinden«, entgegnete Stetson gelassen und lehnte sich zurück. Er klope mit dem Schreibsti gegen
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seine Schneidezähne. »Sie haben sich einsam gefühlt und wollten, daß wir Ihnen das Händchen halten, was?« »Ach, scheren Sie sich zum Teufel!« »Später, mein Junge, später!« Stetsons Miene wirkte noch arroganter als zuvor. »Also – wonach haltet ihr R&R-Knaben Ausschau?« Orne verschluckte eine wütende Antwort. »Nach Kriegsanzeichen ...« »Etwas präziser vielleicht?« »Wir suchen nach Befestigungsanlagen, beobachten die Kinder bei Gemeinschasspielen, überprüfen, ob die Männer Uniformen besitzen oder sich zu Wehrübungen treffen ...« »All die Dinge also, die ins Auge fallen.« Stetson schüelte langsam den Kopf. »Und Sie glauben, das genügt?« »Nein, verdammt noch mal!« »Hmmm, wie recht Sie haben! Bohren wir also weiter! Was stört Sie eigentlich an den ehrenwerten Bewohnern dieses Planeten?« Orne seufzte und zuckte die Achseln. »Irgendwie fehlt ihnen der Schwung, die Energie. Und sie besitzen keinen Humor. Ihre Ernsthaigkeit grenzt schon an Trübsinn.« »Oh?« »Ja. Ich – ich ...« Orne fuhr sich mit der Zunge über die trokkenen Lippen. »Nun, ich sprach in der Ratsversammlung davon, daß unser Volk Froolap-Knochen zur Herstellung von Linkshänderuntertassen benötige ...« Stetson beugte sich mit einem Ruck vor. »Waas?« »Nun, die Kerle waren die ganze Zeit über so verdammt düster, daß ich die Nase voll hae, und – na ja ...« »Wie reagierten sie darauf?« »Sie baten um eine genaue Beschreibung der Froolaps und wollten wissen, wie man die Knochen versandfertig auereitet.«
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»Und?« »Nun, ich – also nach meiner Antwort kamen sie zu dem Schluß, daß es auf Hamal keine Froolaps gibt.« Idiot, dachte Orne. Mußtest du ihm das erzählen? Jetzt glaubt er sicher, du häest nicht alle Sprossen in der Leiter! »Wie steht es mit Heldenfriedhöfen, Nationaldenkmälern und ähnlichem?« fragte Stetson ungerührt. »Hmm. Sie bestaen ihre Toten aufrecht und pflanzen über der Grabstelle einen Obstbaum an. Es gibt riesige Obsthaine auf Hamal ...« »Sie halten diese Tatsache für bedeutungsvoll?« »Zumindest beunruhigt sie mich.« Stetson holte tief Lu und lehnte sich zurück. Er klope geistesabwesend mit dem Schreibsti auf die Tischplae, dann fragte er: »Wie gefällt den Bewohnern die Aussicht, in das Galaktische Imperium eingegliedert zu werden?« »Sie zeigen sich vor allem vom Auau einer Industrie angetan. Deshalb bin ich auch hier in Pitsiben. Es gibt hier ganz in der Nähe ein Wolframvorkommen ...« »Auf welchem Niveau befindet sich die Medizin?« unterbrach ihn Stetson. »Verstehen die Ärzte etwas von Wundbehandlung?« »Schwer zu sagen«, meinte Orne. »Sie tun, als wüßten sie alles. Darin gleichen sich aber die Mediziner aller Rassen. Soviel ich erkennen konnte, besitzen sie solide anatomische Kenntnisse.« »Haben Sie eine Ahnung, weshalb der Planet so rückständig ist?« »Die Sage berichtet, daß Hamal unbewohnt war, bis zu Beginn der Randweltenkriege sechzehn Überlebende eines TritsahinKreuzers in einem Reungsboot landeten. Sie haen nur das Notwendigste bei sich und besaßen so gut wie keine technischen Kenntnisse. Wenn man ihre Nachkommen so ansieht, muß es sich
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in der Hauptsache um Schwarze gehandelt haben.« »Und sie vermehrten sich und warteten, bis der R&R kam«, sagte Stetson. »Großartig!« Er warf Orne einen düsteren Blick zu. »Angenommen, sie haben den Hang zu Aggressionen – wie lange würde es dauern, bis sie sich zu einer echten Gefahr entwikkeln?« »Nun, das System besitzt zwei unbewohnte Planeten mit reichen Rohstofflagern. Nach dem Auau einer funktionsfähigen Industrie vielleicht zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre ...« »Merken Sie jetzt, was für Probleme uns der R&R au alst?« Stetson stach mit dem Zeigefinger anklagend in die Lu. »Und wehe, wir begehen einen kleinen Schnitzer! Wehe, wir erklären die Hamaliten für aggressiv, und einer eurer Schnüffler findet heraus, daß wir uns getäuscht haben!« Er klatschte mit der flachen Hand auf den Tisch. ›Boiing!‹ »Die Leute besitzen eine überaus rasche Auffassungsgabe«, fuhr Orne fort. »Sie errichten bereits die ersten Fertigungshallen.« Er hob die Schultern. »Man hat das Gefühl, sie saugen alles in sich auf wie schwarze, düstere Schwämme.« »Wie poetisch!« Stetson stemmte sich hoch und ging im Zimmer auf und ab. »Gut, sehen wir uns das Land einmal aus der Nähe an. Aber ich warne Sie, Orne! Der Untersuchungsausschuß hat wichtigere Aufgaben, als beim R&R Babysierdienste zu übernehmen.« »Und es würde Ihnen einen Heidenspaß bereiten, mich als Pfuscher zu entlarven!« »Sehr richtig, Sonny.« »Es war immerhin meine erste Mission. Da kann es vorkommen, daß man sich täuscht ...« »Warten Sie erst mal ab! Wir nehmen mein Buggy, ja?« Wozu denn? dachte Orne. Er soll sich ruhig ein bißchen anstrengen, wenn er dem R&R so gern am Zeug flickt ...
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Das Hauptproblem beim Auau jeder neuen Religion besteht darin, die Faktoren und Zusammenhänge zu erkennen, von denen das Überleben einer Rasse abhängt, und sie weder zu hemmen noch zu zerstören. Religionswissenscha Praktischer Ratgeber Die Hitze machte sich bereits bemerkbar, als Orne und Stetson auf die kopfsteingepflasterte Straße hinaustraten. Schlaff hing die grüngelbe Nationalflagge vom Dachfirst des Gästehauses. Unter den Markisen der Gemüsestände scharten sich die Hamaliten zu düsteren kleinen Gruppen. Hin und wieder warfen sie dem Fahrzeug am Rande des Marktplatzes ein paar träge Blicke zu. Stetsons Buggy war ein weißer Zweisitzer in Stromlinienform, mit Panoramafenster und einer Heckturbine. Die beiden Männer stiegen ein und schnallten sich fest. »Das ist es, was ich meine«, sagte Orne, während Stetson die Turbine startete und einkuppelte. Das Fahrzeug begann heig zu schaukeln, doch gleich darauf fing die automatische Federung die Stöße des Kopfsteinpflasters ab. Der UA-Mann steuerte das Buggy in einer eleganten Kurve an den Gemüseständen vorbei. »Was ist es, das Sie meinen?« »Das lahme Getue der Typen da drüben. An jedem anderen Fleck des Universums häe unser Buggy einen Menschenauflauf verursacht. Aber die Hamaliten stehen einfach da und schauen grimmig.« »Weshalb wohl?« »Ich nehme an, daß sie den Befehl dazu haben.« »Könnten sie nicht einfach nur schüchtern sein?« »Wenn Sie meinen ...« Stetson wich einem der niedrigen Karren aus. »In Ihrem Bericht steht, daß es auf Hamal keine Befestigungsanlagen gibt.«
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»Ich habe zumindest keine gesehen.« »Und keine militärähnlichen Gruppenaktivitäten.« »Mir sind keine aufgefallen.« »Und keine Artillerie.« »Ich ...« »... habe keine gesehen«, fauchte Stetson. »Ihre Plae scheint einen Sprung zu haben. Glauben Sie, daß die Hamaliten etwas verbergen?« »Ja.« »Und wie kommen Sie darauf?« »Ich fühle, daß irgend etwas nicht stimmt.« Stetson steuerte auf den breiten Gratweg zu. »Sie sind eben ein mißtrauischer Mensch.« Orne umklammerte den Türgriff. »Das sagte ich Ihnen von Anfang an.« »Wir freuen uns irrsinnig, wenn ein R&R-Agent einmal seinen Gefühlen freien Lauf läßt.« »Besser, ich begehe einen Fehler, als Sie tun es«, knurrte Orne. Stetson zuckte die Achseln. »Ihre Häuser sind fast nur in Holzbauweise errichtet. Bei ihrer Kulturstufe deutet das auf Friedfertigkeit hin.« »Vorausgesetzt, wir wissen, was dies alles« – Orne umfaßte mit einer weitausholenden Geste die Landscha, »– bei ihrer Kulturstufe bedeutet.« »Alle Achtung! Lernt man solche Dinge auf Uni-Galacta?« »Nein, es ist zufällig meine eigene Ansicht. Wenn die Hamaliten Artillerie und Reitertruppen besitzen, haben Gemäuer aus Stein wenig Sinn.« »Es gibt weder Reit- noch Zugtiere auf Hamal.« »Ich habe keine gesehen. Das heißt nicht ...« »Schon gut, ich gebe nach.« Stetson seufzte. »Wissen Sie, wie sie
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ihre Vogelflinten herstellen?« »In Handarbeit. Es gibt dafür eine eigene Gilde.« »Gilde – ach, du meine Güte!« Unvermielt brachte Stetson das Buggy zum Stehen und schaltete die Turbine aus. Orne starrte ihn wortlos an. Der Weg war heiß und staubig. Ein paar Insekten krochen durch den Sand. Der R&R-Agent wurde den Eindruck nicht los, als ob er diese Szene schon einmal erlebt hae, daß er sich in einem Kreis bewegte, aus dem es kein Entrinnen gab. »Hat der Bursche, der die ersten Kontakte knüpe, schwere Waffen gesehen?« »Nein – doch das besagt gar nichts«, meinte Orne. »Der Bollerkopf hat den Leuten gleich am Tag seiner Ankun erzählt, welchen Wert wir auf Friedfertigkeit legen.« »Das wissen Sie genau?« »Ich habe mir das Protokoll angehört.« »Dann haben Sie ja sooo recht«, sagte Stetson gedehnt. »Zum erstenmal!« Er stieg aus. »Kommen Sie – ich brauche Ihre Hilfe.« Orne öffnete seine Tür. »Was wird das?« Stetson schob ihm das Ende eines Maßbands in die Hand. »Hier, halten Sie das mal an die Böschung!« Orne gehorchte. Das Plastistahlband fühlte sich angenehm kühl an, als er es in den Staub am Rand der Straße drückte. »Sieben Meter«, murmelte Stetson und schrieb die Zahl in sein Notizbuch. Sie bestiegen das Buggy und fuhren weiter. »Was ist an der Straßenbreite so wichtig?« wollte Orne wissen. »Ach, wir verschaffen uns einen einträglichen Nebenverdienst durch den Verkauf von Omnibussen an unterentwickelte Welten«, entgegnete Stetson. »Ich wollte nur sehen, ob sich unsere neuesten Modelle für die Straßen hier eignen.« »Witzbold!« knurrte Orne. »Aber ich kann mir schon denken,
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daß es dem Untersuchungsausschuß immer schwerer fällt, vom Senat Zuschüsse zu erhalten.« »Sie haben ja sooo recht! Vielleicht verlegen wir uns in Zukun auf ein Nerventonikum für R&R-Agenten. Das müßte uns aus den roten Zahlen bringen.« Orne lehnte sich in seine Ecke und starrte düster vor sich hin. Ich bin erledigt. Dieser Klugscheißer findet auch nicht mehr als ich. Und vage Gefühle zählen beim UA nicht. Die Kerle verlangen handfeste Beweise. Der Weg bog vom Grat ab und führte in einer weiten Kurve durch ein Gelände mit niedrigen Sträuchern und Bäumen. »Na, endlich verlassen wir die Hauptstraße!« sagte Stetson. »Wenn wir geradeaus weiterfahren, kommen wir direkt an einen Sumpf.« »Tatsächlich?« Sie erreichten ein breites Tal. Jenseits der dichten Hecken, die als Windschutz dienten, stiegen Rauchsäulen in den Himmel. »Woher kommt der Rauch?« erkundigte sich Stetson. »Von Bauernhöfen.« »Sie haben das nachgeprü?« »Jawohl, ich habe das nachgeprü.« »Empfindlich, hm?« Der Weg führte an einen Fluß und über eine primitive hölzerne Brücke mit Steinpfeilern. Stetson hielt kurz an und betrachtete den schmalen Pfad, der dem Flußufer folgte. Dann setzte sich das Buggy wieder in Bewegung. Die Straße erklomm den nächsten Grat. Gräben tauchten links und rechts des Weges auf. Dahinter zeigten sich Zäune. »Was bedeuten diese Zäune?« fragte Stetson. »Sie markieren einmal die Ackergrenzen und halten zum zweiten die Sumpiere von der Saat fern.«
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»Hm – wie groß sind diese Biester?« »Höchstens einen halben Meter.« »Wild?« »Sehr wild.« »Eignen sich somit nicht als Reit- oder Zugtiere?« »Nein, absolut nicht.« Der UA-Mann preßte nachdenklich die Lippen zusammen. »Beschäigen wir uns noch einmal mit der Regierung von Hamal!« Orne mußte schreien, um das Geräusch der Turbine zu übertönen. Das Buggy keuchte den nächsten Berghang hinauf. »Was möchten Sie hören?« »Die Sache mit der Erbfolge.« »Ach so. Der Sitz im Rat geht im allgemeinen auf den ältesten Sohn über.« »Und im besonderen?« »Wenn der älteste Sohn stirbt oder keine männlichen Nachkommen existieren, gibt es eine Art Wahlverfahren.« »Aber eindeutig patriarchalisch?« »Eindeutig.« »Wie steht es mit Spielen?« »Ach ja, ein merkwürdiger Sport ist mir aufgefallen. Insgesamt beteiligen sich sechzehn Leute daran. Das Spielfeld beträgt fünfzig mal fünfzig Meter und wird von zwei diagonalen Gräben durchzogen. Je vier Mann stellen sich an den Ecken auf ...« »... und kriechen mit gefletschten Zähnen aufeinander zu?« »Haha. Sie haben zwei schwere Bälle mit Grifflöchern, einen grünen und einen gelben. Die Mannscha mit dem gelben Ball fängt an; sie rollt ihn durch den Diagonalgraben. Der grüne Ball muß dann so berechnet werden, daß er im Zentrum mit dem gelben zusammenprallt.«
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»Und das tut er nie?« »Manchmal schon.« »Und dann gibt es ein Riesenhallo?« »Nein. Es sind keine Zuschauer da.« »Überhaupt keine?« »Ich habe jedenfalls ...« »... keine gesehen«, ergänzte Stetson. »Macht nichts. Es scheint ohnehin eine harmlose Sache zu sein. Beweisen die Hamaliten Geschick darin?« »Im Gegenteil. Mir kamen sie reichlich unbeholfen vor. Aber das Spiel scheint sie wenigstens etwas aus ihrer düsteren Zurückhaltung zu locken.« »Sie sind ein frustrierter Missionar«, lachte Stetson. »Am liebsten würden Sie die Hamaliten um sich scharen und ein paar Spiele organisieren.« »Kriegsspiele«, entgegnete Orne. »Haben Sie je daran gedacht?« »Wie?« Einen Moment lang achtete Stetson nicht auf den Weg. Das Buggy geriet ins Schleudern und stieß gegen die Böschung. Sofort nahm der UA-Mann das Steuer fest in die Hand. »Was geschieht, wenn sich irgendein kluger R&R-Typ zum Herrscher des ihm anvertrauten Planeten macht?« fragte Orne. »Er könnte seine eigene Dynastie gründen. Ihr würdet das erst merken, wenn die ersten Bomben fallen oder zu viele Leute ›aus unbekannter Ursache‹ sterben.« »Das ist der Alptraum unserer Organisation«, sagte Stetson leise und schwieg dann. Die Sonne kleerte immer höher. Der Weg führte eine Zeitlang durch Farmland, dann erklomm er erneut einen Bergkamm. Einmal fragte Stetson: »Wie sieht es mit der Religion aus?« »Ich habe auch da nach Hinweisen gesucht«, erklärte Orne. »Sie
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sind Monotheisten und verehren den Großen Go von Amel. In dem Reungsboot ihrer Vorfahren fand sich eine Bibel. Es gibt ein paar Wanderprediger, aber wenn ich die Sache richtig durchschaue, sind sie nichts anderes als Spione für den Rat. Dann gibt es noch einen Kult um einen Propheten namens Arune, der vor dreihundert Jahren angeblich mit Leib und Seele in den Himmel auffuhr. Aber ich fand keinen Anhaltspunkt für religiöse Streitigkeiten.« »Die Süße und das Licht«, murmelte Stetson. »Priester?« »Der Rat hat diese Funktion übernommen. Er ernennt die sogenannten ›Hüter des Gebets‹. Alle neun Tage findet ein Goesdienst sta. Dazu kommen verschiedene Feiertage. Die Priester von Amel haben einen vorläufigen Gnadenerlaß erteilt. Man wird das übliche Palaver abhalten und dann zu dem Schluß gelangen, daß der Große Go auch über die Geringsten wacht.« »Trügt mich mein Ohr, oder vernehme ich einen Hauch von Sarkasmus?« »Einen Hauch von Vorsicht«, entgegnete Orne. »Der Weise betet einmal in der Woche und übt dreimal täglich seine Psi-Kräe«, murmelte Stetson. »Was?« »War nicht so wichtig.« Sie kamen in eine flache Senke, überquerten einen Wasserlauf und fuhren wieder einen Berggrat entlang. In der Ferne tauchte ein Dorf auf. Stetson hielt den Wagen an und öffnete das Fenster. Über der Straße lastete drückende Hitze. »Gibt es Flugzeuge auf Hamal?« wollte Stetson wissen. »Nein.« »Sonderbar.« »Eigentlich nicht. Ihre Vorfahren sind dem Raumtod nur knapp entgangen. Das hat zu dem Aberglauben geführt, daß es gefähr-
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lich sei, den sicheren Boden zu verlassen. Zudem besitzen sie eine gewisse Scheu vor der Technik – mit Ausnahme des Rates vielleicht, der schon fortschrilicher denkt.« »Nigger-Syndrom«, murmelte Stetson. »Was?« »Viele Subkulturen glauben, daß die Technik zum Untergang der Menschheit führen wird«, erklärte Stetson. »Manchmal habe ich das Gefühl, daß etwas Wahres dran ist.« »Weshalb bleiben wir eigentlich hier stehen?« »Wir warten.« »Und worauf?« »Daß etwas passiert«, sagte Stetson. »Wie denken die Hamaliten über den Frieden?« »Sie finden ihn großartig. Der Rat zeigt sich begeistert von den Friedensbemühungen des R&R. Wenn man die einfachen Bürger fragt, erhält man eine stereotype Antwort: ›Möge der Große Go allen Völkern den Frieden schenken!‹ Alles sehr konsequent.« »Orne, wissen Sie, warum Sie das Notsignal ausgelöst haben?« Orne seufzte. »Geht das nun wieder von vorne los?« »Ich meine – was hat den Ausschlag gegeben? Welches Ereignis?« »Es waren zwei Dinge«, erwiderte Orne leise. »Sehen Sie, man gab mir zu Ehren ein Festbanke. Und ...« »... sie servierten Froolap?« »Wollen Sie die Geschichte hören oder nicht?« »Ich bin ganz Ohr.« Orne warf einen bezeichnenden Blick auf Stetsons große Ohren und fuhr fort: »Also, der Höhepunkt des Mahls war ein PorjoGericht ...« »Porjo?« »Ein einheimisches Nagetier, das angeblich einst den Schi rüchigen von Tritsahin als einzige Nahrung diente. Besonders die
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Schwänze werden als Delikatesse betrachtet.« »Aha. Weiter!« »Kurz vor dem Auragen dieser Göerspeise fesselte der Koch ein lebendes Porjo mit einer Schnur, die sich bei Hitzeeinwirkung rasch zersetzt, und warf es in die Schüssel voll kochend heißem Wasser. Das Vieh sprang mir in seiner Todesangst an die Brust.« »Und?« »Die Typen lachten fünf Minuten lang wie die Irren. Es war das erste und einzige Mal, daß ich Hamaliten überhaupt lachen sah.« »Man hat Ihnen also einen Streich gespielt, und Sie waren so sauer, daß Sie dachten: Wartet nur, jetzt hole ich meinen großen Bruder – der wird es euch zeigen!« »Quatsch! Aber haben Sie sich schon mal überlegt, was die Kerle für Gemüter besitzen, wenn sie ein Tier bei lebendigem Leib in eine kochendheiße Brühe stecken – rein zum Spaß?« »Hm, ein etwas derber Humor, das gebe ich zu. Und deshalb riefen Sie den Untersuchungsausschuß?« »Da war noch etwas anderes.« Orne beschrieb den Zwischenfall mit dem Mann, der sich versehentlich in den Früchtekorb gesetzt hae. »Diesmal lachten die bösen Knaben also nicht, und das weckte Ihr Mißtrauen?« »Ach was!« fauchte Orne. »Mir fiel nur wieder der gemeine Spaß mit dem Porjo ein, und ich bekam eine irre Wut. Machen Sie daraus, was Sie wollen! Ich behaupte jedenfalls immer noch, daß auf diesem Planeten irgend etwas faul ist. Machen Sie auch daraus, was Sie wollen!« »Genau das habe ich vor.« Stetson griff unter das Armaturenbre des Wagens und holte ein Mikrofon hervor. Er schaltete es ein. »Hallo – hier Stetson!« Orne hae mit einemmal einen dicken Klumpen im Hals. Das
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Summen eines Bordsenders erklang, dann, ein wenig verzögert durch den Signalumwandler, eine blecherne Stimme: »He, Stet! Was gibt es?« »Wir haben hier ein echt faules Ei, Hal«, erklärte Stetson. »Schickt Besatzungstruppen her – Dringlichkeitsstufe eins!« Orne zuckte zusammen und starrte den UA-Mann verwirrt an. »Was – so schlimm?« kam die Antwort, wiederum verzögert. »Ja. Nehmt euch mal den Blödmann vor, der hier die ersten Kontakte geknüp hat – ein gewisser Bullone. Der Kerl fliegt, und wenn er Kommissar Bullones Großmuer ist! Man muß schon blind und schwachsinnig sein, um die Hamaliten ein friedfertiges Volk zu nennen.« »Seid ihr in Gefahr?« »Kaum. Der R&R-Typ hat sich sehr unauffällig benommen. Bis jetzt ahnen sie noch nicht, daß wir ihre Schliche durchschaut haben.« »Gib mir für alle Fälle deine Koordinaten!« Stetson warf einen Blick auf das Armaturenbre. »A-8.« »Geht in Ordnung.« »Hal, ich möchte, daß die Truppen bereits morgen hier eintreffen«, sagte Stetson. »Der Funkspruch ist bereits unterwegs, Stet.« Das Summen der Sendeanlage verstummte. Stetson legte das Mikrofon an seinen Platz zurück und wandte sich Orne zu. »Sie haben sich also mehr oder weniger von Ihren Gefühlen leiten lassen?« Orne schüelte den Kopf. »Ich ...« »Drehen Sie sich einmal um!« Der R&R-Agent tat ihm den Gefallen. »Fällt Ihnen etwas auf?«
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»Nein. Ich sehe einen Jäger mit seinem Gehilfen und einen Bauern, die vermutlich vom Markt zurückkommen.« »Ich meine die Straße selbst«, sagte Stetson. »Lektion Nummer eins, mein Freund: Eine breite Straße, die über die Bergkämme führt, ist eine Militärstraße. Immer. Landwirtschaswege sind schmal und folgen den Wasserläufen. Militärstraßen weichen Sumpfgebieten aus und überqueren Flüsse im rechten Winkel. Tri hier genau zu, hm?« »Aber ...« Orne unterbrach sich, weil im gleichen Moment der Jäger mit seinem Gehilfen auauchte. Die Männer streien das Fahrzeug nur mit einem flüchtigen Blick. »Was ist in dem Lederetui?« fragte Stetson. »Ein Feldstecher.« »Genau. Lektion Nummer zwei: Teleskope werden zu wissenschalichen, Ferngläser zu militärischen Zwecken entwickelt. Ich möchte ween, daß diese komischen Vogelflinten eine Reichweite von mindestens hundert Metern besitzen. Das wiederum läßt den Schluß zu, daß es auf Hamal Artillerie gibt.« Orne nickte schwach. Die Ereignisse haen ihn irgendwie überrumpelt. Er konnte sich noch nicht einmal richtig erleichtert fühlen. »Noch etwas«, fuhr Stetson fort. »Die Fügsamkeit der Zivilbevölkerung. Sie deutet auf eine starke militärische oder religiöse Führerschicht hin, die den technischen Fortschri unterdrückt. Der Rat von Hamal weiß sowohl die Religion wie die Spionage als Machtmiel einzusetzen. Und ich bin überzeugt davon, daß er seine Vorrechte durch eine gut ausgebildete Armee schützt. Die Spielquadrate, von denen Sie berichtet haben, düren in Wirklichkeit getarnte Exerzierplätze sein ...« Orne schluckte. »Das häe ich selbst erkennen müssen.« »Unterbewußt taten Sie es. All die kleinen Unstimmigkeiten
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machten Sie so nervös, daß Sie schließlich das Signal auslösten. Aber kommen wir zur nächsten Lektion: Eine wirklich friedfertige Rasse redet überhaupt nicht vom Frieden. Sie hat ein System der Gewaltlosigkeit entwickelt, das die beiden Begriffe Krieg und Frieden nicht kennt.« »Natürlich.« Orne holte tief Atem. Er warf einen Blick auf das Dorf, das in der wabernden Hitze vor ihnen lag, »Aber wo sind die Festungsanlagen? Oder die Zugtiere, die man zum Transport schwerer Geschütze benötigt ...?« Stetson zuckte die Achseln. »Das finden wir sicher noch heraus. Die Hamaliten sind raffiniert vorgegangen, das muß man ihnen lassen. Bullone – möge er in seinem eigenen Sa schmoren! – gewann den falschen Eindruck von Hamal und verriet zuviel. Die Führer des Volkes setzten sich zusammen und kamen überein, klammheimlich sämtliche Kriegsbeile zu begraben, um uns gemeinsam zu melken. Haben sie bereits eine Abordnung nach Marak entsandt?« »Ja.« »Um diese Leute müssen wir uns auch noch kümmern.« Orne gab keine Antwort. Jetzt, da seine Karriere gereet war, häe er sich eigentlich erleichtert fühlen können. Aber er dachte an die Folgen, welche die ›Wiederentdeckung‹ für Hamal haben würde, und Unbehagen erfaßte ihn. Eine Besatzungsmacht vertiee die Klu zwischen den Hamaliten und den Angehörigen des Imperiums. »Ich glaube, Sie werden einen guten UA-Mann abgeben«, sagte Stetson. Orne fuhr aus seinen Gedankengängen hoch. »Ich – was?« »Ich ziehe Sie hiermit für den Untersuchungsausschuß ein!« »Ja – dürfen Sie das überhaupt?« »Gewiß. Wir finden viele Agenten auf diese Weise ...« Er sprach
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nicht weiter, weil er merkte, daß Orne mit großen Augen dem Farmer nachstarrte, der die Straße entlangtroete. »Ich – ich will ein linkshändiger Froolap sein!« murmelte Orne und deutete auf den Mann. »Da – unser Zugtier! Und der Karren ist nichts anderes als eine Geschützlafee ...« Stetson schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Verdammt! Direkt vor unserer Nase!« Er lächelte hart. »Ich glaube, das gibt eine hübsche Überraschung, wenn unsere Truppen morgen hier eintreffen.« Orne nickte schweigend. Insgeheim dachte er, daß es eine andere Methode geben müßte, um diese Leute zum Frieden zu erziehen. Was Hamal braucht, ist eine neue Religion – eine, die den Menschen hier zeigt, wie sie ihr Leben in Einklang mit ihrer Welt und ihre Welt im Einklang mit dem Universum bringen können. Aber das war ausgeschlossen, solange Amal jede Religion steuerte. Es gab keine Glaubenslehren, die einen psychologischen Ausgleich schufen – nicht auf Chargon, nicht auf Marak und ganz bestimmt nicht auf Hamal.
* Jedes intelligente Geschöpf braucht irgendeine Religion. NOAH ARKWRIGHT Grundsätzliche Schrien Umbo Stetson ging auf der Landekontrollbrücke seines Aufklärungsschiffes hin und her. Während des Fluges bildete der dröhnende Metallboden die Rückwand der Brücke. Nun jedoch stand das Schiff auf seinen Heckflossen und ragte hoch über den Dschungel von Gienah-III auf. Durch die offenen Luken des Kon-
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trollraums sah man dicht über dem Horizont eine buergelbe Sonne. Gienah stellte ein scheußliches Problem dar, und Stetson sträubte sich dagegen, die Sache einem Neuling zu übertragen. Einen Mann, den er selbst zum Untersuchungsausschuß geholt hae ... Ich rekrutiere ihn und schicke ihn in den Tod, dachte Stetson. Er warf einen Blick auf Lewis Orne, der ein nagelneues UA-Diplom in der Tasche hae. Er ist gut ausgebildet und intelligent, aber ohne jede Erfahrung. »Radikal säubern müßte man dieses Gienah«, murmelte Stetson. »Sämtliches Leben vernichten ...« Er blieb an einer der Luken stehen und starrte auf die Dschungellichtung hinunter. Die Bremsraketen des Schiffs haen die Vegetation rings um den Landeplatz verbrannt.‘ Orne starrte mit zusammengekniffenen Augen zum Horizont hinüber. Weit entfernt glaubte er ein schwaches Glitzern zu erkennen; vermutlich die Stadt. Hin und wieder streie sein Blick das Instrumentenpult mit der großen Uhr oder den Kartenschirm an der Decke. Er fühlte sich nicht besonders wohl auf dieser Welt, die nur eine Schwerkra von sieben Achtel g aufwies. Seine Narben im Nacken – die einzigen Spuren der Mikrosender-Implantation – juckten wie verrückt. Er begann zu kratzen. »Pah!« fauchte Stetson. »Politiker!« Ein schwarzes dünnes Insekt mit kräigen Flügeln landete in seinem kurzgeschorenen roten Haar. Er nahm es mit zwei Fingern und ließ es wieder fliegen. Erneut surrte es ihm um den Kopf. Er wich aus, bis es zu Stetson weiterflog. Ornes neuer blauer Coverall knisterte, so steif war er noch. Er gab dem jungen Mann ein militärisches Aussehen, das irgendwie nicht zu seinen beinahe clownhaen Zügen passen wollte.
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»Allmählich habe ich das Warten sa«, meinte er. »Da sind Sie bestimmt nicht der einzige!« »Inzwischen etwas Neues von Hamal gehört?« »Vergessen Sie Hamal, und konzentrieren Sie sich auf Gienah!« »Es war ja nur eine Frage.« Eine leichte Brise bewegte die Baumwipfel in der Tiefe. Da und dort schoben sich rote und violee Blüten durch das Grün. Sie nickten wie aufmerksame Zuhörer. »Sehen Sie sich nur den verdammten Dschungel an!« sagte Stetson. »Die und ihre blöden Anordnungen!« Orne entnahm den Zornausbrüchen seines Vorgesetzten, daß es sich bei Gienah um ein sehr spezielles, sehr gefährliches Vorhaben handelte. Dennoch kehrten seine Gedanken immer wieder zu Hamal zurück. Die Besatzungsmacht hae den Planeten übernommen, und alles lief wie erwartet. Es gab einfach keine Möglichkeit, die Truppen von Übergriffen abzuhalten. Möglich, daß die Hamaliten ein friedliches Volk waren, wenn das Imperium seine Leute schließlich zurückholte – aber die Narben würden sich noch nach vielen Generationen zeigen. Ein Signal ertönte. Gleichzeitig blinkte eine rote Lampe über dem Lautsprechergier des Schaltpults. Stetson warf den unschuldigen Instrumenten einen wütenden Blick zu. »Ja, Hal?« »Okay, Stet. Der Befehl ist eben durchgekommen. Wir nehmen Plan C. Du kannst die Geheimdaten jetzt an deinen Mann weitergeben – und dann sieh zu, daß du von dem Planeten verschwindest!« »Hast du dich erkundigt, ob es möglich ist, einen anderen Agenten einzusetzen?« Orne hob verwundert den Kopf. Geheimnisse über Geheimnisse und nun dies?
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»Ja. Bescheid negativ. Die Sache drängt zu sehr.« Stetson machte ein Gesicht, als wollte er das Lautsprechergier zertrümmern. »POLITIKER!« knurrte er. »Aufgeblähte Sasäcke! Bescheuerte Festeiße! Sabbergreise!« Er holte zweimal tief Lu. »Okay, richte den Idioten aus, daß wir nach Plan C vorgehen!« »Schon erledigt. Soll ich mit deinem Schützling reden?« »Nein. Ich – verdammt, erkundige dich noch einmal, ob nicht ein anderer den Job übernimmt!« »Stet, du weißt, daß an Bord der Delphinus ein Verzeichnis aller UA-Agenten war. Deshalb müssen wir Orne einsetzen.« Stetson seufzte. »Dann versuche wenigstens eine längere Frist herauszuschinden!« »Stet, nun fang endlich an!« »Wenn ihr ...« »Stet!« »Was denn?« »Auf dem Beobachtungsschirm zeigt sich eine Gruppe von Eingeborenen. Die Kerle kommen schnurstracks auf das Schiff zu.« »Wie viele sind es?« »Soll ich sie zählen? Sieh zu, daß du endlich verschwindest!« »Okay, wir beeilen uns. Halte mich auf dem laufenden!« »Wird gemacht.« Orne stand an der Kontrollraumluke und musterte Stetson unauffällig. Die Unruhe seines Vorgesetzten steckte ihn an. Er hae ein flaues Gefühl im Magen. Stetson bemerkte seinen Blick. »Orne, wenn Sie jetzt noch aussteigen wollen – Sie haben meine volle Unterstützung ...« »Was ist denn so gefährlich an der Sache?« »Das werden Sie gleich erfahren.« Stetson öffnete einen Spind und holte einen weißen Coverall mit Goldverzierungen heraus, den er Orne zuwarf. »Da – ziehen Sie sich schon mal um!«
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»Aber – das ist eine R&R-Uniform ...« »Mann, streifen Sie das Ding über Ihr häßliches Gestell!« »Jawohl, Sir! Sofort, Sir! Ich hae nur zu denken gewagt, daß ich nichts mehr mit dem R&R zu tun häe – Sir!« Er schlüpe aus seinem Drillichzeug. Stetson grinste breit. »Es gibt Dinge, die ich ganz besonders an Ihnen schätze, Orne! Dazu gehört auch Ihre unterwürfige Art gegenüber Vorgesetzten.« Orne strich den Klebeverschluß des weißen Coveralls zu. »Jawohl, Sir.« »Schluß jetzt mit dem Theater! Hören Sie mir genau zu!« Stetson trat an die Karte mit dem grünlich leuchtenden KoordinatenGier. »Da sind wir.« Er deutete mit dem Finger. »Und da ist die Stadt, die wir überflogen haben. Sobald wir Sie absetzen, wenden Sie sich nach Nordosten. Die Stadt ist so groß, daß Sie Ihr Ziel gar nicht verfehlen können. Wir ...« Wieder blinkte das Lautsprecherlicht. »Was ist denn nun schon wieder, Hal?« fragte Stetson gereizt. »Neue Befehle, Stet. Wir gehen nach Plan H vor.« »Fünf Tage?« »Mehr können sie uns nicht zugestehen.« »Heiliger ...« »Die Zentrale behauptet, wenn sie die Information noch länger zurückhält, kommt Hochkommissar Bullone dahinter.« »Also dann – fünf Tage.« Stetson seufzte. Orne wartete, bis das Blinklicht erloschen war, dann fragte er: »Der übliche Murks vom R&R?« Stetson schni eine Grimasse. »Viel schlimmer – dank Bullone und Co. Aber ganz egal, wie o wir am Rande einer Katastrophe stehen, Uni-Galacta beharrt auf dem Blabla von der wiedervereinten Menschheit!«
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»Wenn wir die versprengten Rassen nicht zurückholen, kommen sie eines Tages von selbst«, entgegnete Orne. »Und das kann gefährlich werden.« »Ja, ja, schon gut«, winkte Stetson ab. »Aber Gienah ist wieder ein anderer Fall. Es handelt sich hier nicht, ich wiederhole, nicht um eine wiederentdeckte Welt.« Orne versteie sich. »Eine Fremdrasse?« »Sie sagen es. Eine Rasse und eine Kultur, mit der wir noch nie zuvor in Berührung kamen. Die Sprache, die Sie auf dem Weg hierher gebüffelt haben, stammt auf keinen Fall von der menschlichen Sprache ab. Sie wurde nach den Aufzeichnungen der Minispione zusammengestellt und ist natürlich nicht vollständig. Auch über die Eingeborenen besitzen wir nur spärliche Informationen. Vielleicht benötigen wir sie nicht, wenn – wenn sich die Zentrale dazu entschließt, Gienah zu vernichten.« »Großer Geist, warum denn?« »Vor sechsundzwanzig Tagen unternahm ein Forscher des Untersuchungsausschusses eine Routineüberprüfung auf dem Planeten. Als er seine Minispione wieder einsammelte und auswerten wollte – siehe da, war plötzlich ein Findelkind darunter.« »Wollen Sie damit sagen, daß die Fremden auch Minispione besitzen?« »Nein. Das Ding stammt von der Delphinus, einem R&R-Schiff, das seit achtzehn Standardmonaten verschollen ist.« »Sie glauben, daß es hier abstürzte?« »Ich weiß nicht recht. Wir konnten keine Spur des Wracks entdecken, obwohl wir gründlich danach suchten. Und – und nun hat sich etwas ereignet, das in mir den heigen Wunsch weckt, eine Bombe auf diesen Scheißplaneten zu werfen und dann so schnell wie möglich zu verschwinden ...« Ein Summen, und das Blinken des Lautsprecherlichts.
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»HERRGOTT, WAS GIBT ES?« brüllte Stetson. »Wir haben jetzt einen Minispion über der Eingeborenengruppe, Stet. Die Kerle reden von uns, wenn ich sie richtig verstehe. Und sie sind bewaffnet.« »Wie sehen ihre Waffen aus?« »Schwer zu erkennen. Unser Gerät arbeitet nicht im Infrarotbereich. Scheinen jedoch Gewehre mit Patronenmunition zu sein – möglicherweise von der Delphinus.« »Und die Leute kommen auf das Schiff zu?« »Ja – im Eiltempo.« »Dann behalte die Gruppe im Auge! Kümmere dich aber auch um die übrigen Sektoren!« »Glaubst du, ich bin von gestern?« Hal unterbrach abrupt die Verbindung. »Sonnige Gemüter haben wir im UA, nicht wahr?« spoete Stetson. Er sah Ornes Uniform an und verzog das Gesicht. »Wozu trage ich das Ding eigentlich?« wollte Orne wissen. »Zur Tarnung.« »Genügt da nicht ein falscher Bart und eine Sonnenbrille?« Stetson lächelte humorlos. »Wir haben unsere eigenen Methoden entwickelt, um mit diesen unterbelichteten Politikern fertigzuwerden. Es ist uns gelungen, Spione bis in die höchsten Stellen des R&R einzuschleusen. Sobald wir das Gefühl haben, daß mit diesem oder jenem Planeten etwas nicht stimmt, schaffen wir die Akten auf die Seite.« »Aber, aber ...« »Dann schicken wir auf besagte Welt einen klugen Jungen wie Sie, als R&R-Agent verkleidet.« »Klasse! Und was geschieht, wenn der R&R hier anrückt, während ich mich gerade bei den Eingeborenen lieb Kind mache?« »In diesem Fall kennen wir Sie nicht.«
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»Quatsch, das glaubt Ihnen kein ... Moment mal! Sagten Sie nicht, daß Gienah-III von einem UA-Forscher entdeckt wurde?« »Ganz recht. Aber eines schönen Tages fing einer unserer R&RSpione ein Routine-Gesuch ab, daß man hier einen Vertreter des Imperiums benötigte. Unterschrieben war der Wisch von einem Mann namens Riso – ein Besatzungsmitglied der Delphinus.« »Aber ...« »Geschenkt. Das Gesuch war eine Fälschung. Und nun begreifen Sie vielleicht, weshalb ich Gienah am liebsten ausroen würde. Diesen Betrug kann nur jemand wagen, der genau weiß, daß der echte Kontaktmann verschollen oder tot ist.« »Stet, was, zum Henker, suchen wir hier?« fragte Orne. »Eine Fremdrasse – das erfordert ein Experten-Team mit voller ...« »Diese besondere Fremdrasse scheint eine Bombe zu erfordern, mein Lieber. Es liegt an Ihnen, innerhalb von fünf Tagen das Gegenteil zu beweisen. Nur so lange noch können wir Hochkommissar Bullone die Welt vorenthalten. Und wenn Sie in dieser Spanne nichts erreichen, wird Gienah zu einem hübschen Spielzeug für unsere Politiker. O Mama!« »Wir arbeiten unter Druck«, sagte Orne. »Das gefällt mir nicht. Es steht soviel auf dem ...« »Mir gefällt es auch nicht!« unterbrach ihn Stetson. »Stet, es muß einen anderen Weg geben. Denken Sie an die Alerinoiden! Dieses Volk hat uns Physik-Erkenntnisse geliefert, für die wir fün undert Jahre und länger gebraucht häen.« »Die Alerinoiden kaperten kein einziges unserer Forschungsschiffe.« »Aber wenn die Delphinus wirklich abgestürzt ist? In diesem Dschungelgebiet entdeckt man ein Schiff nicht so leicht. Und wenn die Einheimischen zufällig ...« »Genau das sollen Sie herausfinden, Orne! Sie sind die Antwort
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auf das Routine-Gesuch – ein Agent des R&R.« Orne atmete tief durch. Er hae das Gefühl daß man ihn vor vollendete Tatsachen stellte und ihm keine Zeit zum Nachdenken ließ. »Warum ausgerechnet ich?« fragte er leise. »Sie werden in den Listen der Delphinus sicher noch als R&RMann geführt, mit Fingerabdrücken, Retinabild und all den anderen Dingen. Das ist wichtig, wenn die Leute da unten zur mißtrauischen Sorte gehören.« »Haben Sie wirklich keinen besseren Mann für diese Aufgabe? Sicher, ich gehöre erst seit kurzem zu Ihrem Verein, aber ...« »Möchten Sie aussteigen?« »Nein. Ich will nur wissen, weshalb gerade ich ...« »Weil die Eierköpfe im Hauptquartier einem ihrer Blechmonster das Problem einspeisten. Die Dinger klickten eine Weile und stießen dann Ihren Namen aus. Sie sind tauglich, verläßlich – und entbehrlich.« »Sie besitzen eine umwerfende Offenheit.« »Verstehen Sie nun, weshalb ich Sie persönlich einweise, ansta es mir im Flaggschiff bequem zu machen? Ich habe Sie in den Untersuchungsausschuß gelotst. Orne, hören Sie mir jetzt genau zu: Wenn Sie das Notsignal auf Gienah ohne Grund auslösen, ziehe ich Ihnen die Haut bei lebendigem Leib ab. Wir wissen beide, welche Vorteile die Beziehungen zu einer fremden Rasse bringen. Aber wenn Sie in einer echten Klemme stecken, werde ich Sie heraushauen. Notfalls lande ich mit meinem Schiff sogar mien in dieser komischen Stadt. Ist das klar?« Orne schluckte. »Ja. Vielen Dank, Stet.« »Wir gehen in eine planetennahe Parkbahn. Ein Stück weiter draußen warten fünf Truppentransporter mit Spezialeinheiten, dazu ein Panzerschiff mit einer Bombe an Bord. An Ihnen liegt es, wie sich die Sache weiterentwickelt. Wir müssen erstens wissen,
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ob die Fremden die Delphinus festhalten, und wenn ja, an welchem Ort. Als nächstes gilt es zu erfahren, wie kriegerisch sie sind, ob wir mit ihnen verhandeln können oder ob sie den Kampf wollen, wie es mit ihrer Intelligenz aussieht ...« »Das alles in fünf Tagen?« »Keine Sekunde länger.« »Welche Daten haben wir bereits?« Stetson drückte auf eine Taste. Die Leuchtkarte verschwand. Sta dessen zeigte sich im Bildschirm die Aufnahme eines Minispions. »Da«, sagte Stetson. »Die Geschöpfe haben Ähnlichkeit mit den terranischen Schimpansen. Allerdings ist ihr Fell blau. Lediglich die Gesichter sind unbehaart.« »Der Kerl sieht aus wie das berühmte ›missing link‹«, stellte Orne fest. »Ja – aber das suchen wir nicht.« »Vertikale Pupillenschlitze«, murmelte Orne, »eine flache Nase und ein zurückweichendes Kinn. Keine richtigen Lippen. Hmm. Die Arme sind viel zu lang im Verhältnis zum übrigen Körper. Vier Finger an jeder Hand. Täusche ich mich, oder hat der Bursche einen Schwanz?« »Ja«, bestätigte Stetson. »Es handelt sich um Baumgeschöpfe. Auf dem ganzen Planeten gibt es nicht eine einzige Straße. Dafür eine Menge Lianenpfade, die quer durch den Dschungel führen.« Stetsons Züge verhärteten sich. »Bringen Sie das auf einen Nenner mit der Stadt!« Er deutete auf die Türme und Brücken, die filigranha im Hintergrund aufstiegen. »Sklavenkultur?« »Sieht so aus.« »Wie viele Städte haben sie insgesamt?« »Wir entdeckten zwei. Die hier und eine auf der entgegenge-
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setzten Seite des Planeten, die allerdings nur noch eine Ruine darstellt.« »Ein Krieg?« »Fragen Sie mich nicht!« »Wie weit reicht der Dschungel?« »Er bedeckt nahezu die gesamte Landfläche. An den Polen gibt es Meere und auf dem Festland ein paar Seen und Flüsse. Zwei Driel des Äquatorstreifens werden von einer niedrigen Gebirgskee gebildet. Die Kontinentaldri muß schon vor langer Zeit stagefunden haben. Man sieht kaum noch Spuren davon.« »Und Sie sind sicher, daß es nur die beiden Städte gibt?« »Ziemlich. Da – sehen Sie sich das Ungetüm an! Zweihundert Kilometer lang und mindestens fünfzig Kilometer breit. Der Computer schätzt die Bevölkerung auf dreißig Millionen. Eine Stadt von diesem Ausmaß ist uns bisher noch nie begegnet.« »Donnerweer!« flüsterte Orne. »Was uns diese Rasse auf dem Sektor der Architektur beibringen könnte ...« »Wenn wir nicht gezwungen sind, sie auszuroen, Orne. In diesem Fall bleibt von der Stadt nur ein Aschefeld für die Archäologen.« »Es muß einen anderen Weg geben.« »Ich bin ganz Ihrer Meinung, aber ...« Das Lautsprechersignal ertönte. »Ja, Hal?« fragte Stetson müde. »Der Eingeborenentrupp hat nun etwa die Häle des Weges zurückgelegt. Ornes Ausrüstung ist auf dem getarnten Gleiter verstaut.« »Wir kommen sofort nach unten.« »Weshalb ein getarnter Gleiter?« fragte Orne. »Hals Idee. Wenn die Bewohner von Gienah das Ding für ein Bodenfahrzeug halten, haben Sie im Moment der Gefahr einen
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Trumpf im Ärmel.« »Stet, gibt es denn für mich überhaupt eine Chance?« »Keine besonders große. Wir nehmen an, daß man die Besatzung der Delphinus gefangen hält. Sie wird man so lange am Leben lassen, bis man Sie gründlich ausgequetscht und Ihnen die Ausrüstung abgenommen hat.« »Und ich habe fünf Tage Zeit?« »Wenn Sie nach dieser Frist noch nicht zurückgekehrt sind, bombardieren wir.« »Ich weiß – entbehrlich.« »Wenn ich Ihnen noch einen Rat geben darf, mein Junge – halten Sie sich immer einen Fluchtweg frei. Vielleicht hil Ihnen das hier dabei.« Er deutete auf die frischen Narben an Ornes Hals. »Ah, gut, daß Sie davon sprechen! Wie funktioniert das Ding überhaupt?« Stetson legte eine Hand an den Kehlkopf. Seine Lippen bewegten sich nicht; dennoch drang eine zischelnde Stimme an Ornes Ohr: »Verstehen Sie mich, Orne?« »Ja. Ist das ...« »Nicht so!« sagte die Stimme. »Schalten Sie das Mikrofon ein! Lassen Sie die Lippen geschlossen! Setzen Sie lediglich die Sprechmuskulatur ein, ohne die Laute in der Mundhöhle zu formen!« Orne preßte die Hand an den Kehlkopf. »So?« »Schon besser«, sagte Stetson. »Ich höre Sie laut und deutlich.« »Wie groß ist der Übertragungsbereich?« »In Ihrer Nähe wird sich stets ein Minispion mit einem starken Relais befinden. Selbst wenn Sie das Mikrofon nicht einschalten, überträgt er alles, was Sie sagen und was um Sie vorgeht. Wir zeichnen jede Ihrer Bewegungen auf.« »Hoffentlich.« Stetson streckte ihm die Rechte entgegen. »Viel Glück, Orne.
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Das mit dem Hilfsangebot war übrigens mein Ernst. Ein Wort von Ihnen genügt ...« »Danke, Stet. Ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann.«
* Beuge dein Haupt vor Ullua, dem Sternenwanderer der Ayrber. So du den Herrn lästerst, möge deine Zunge verdorren. So aber ein anderer den Herrn lästert, nimm sein Leben. Denn verflucht sind alle, die Go nicht dienen, verflucht von Ihm und den Gerechten. Möge der Fluch den Sünder treffen, vom Scheitel bis zur Sohle, im Wachen wie im Schlafe, im Sitzen wie im Stehen ... Anrufung des Morgens von Bairam Grauer Schlammboden und düstere Schneisen zwischen blauen Baumriesen – das war der Dschungel von Gienah. Nur ein schwacher Lichtschimmer sickerte durch das dichte Laubdach. Ornes Gleiter holperte über knorrige Wurzeln. Lianen versperrten ihm den Weg. Dampfschwaden stiegen auf, und aus den Baumkronen klatschten schwere Tropfen auf die Windschutzscheibe. Orne schaltete die Scheibenwischer ein. Ein leichter Schwindel hae ihn erfaßt. Er kam von einer Welt mit dichter Atmosphäre und wurde das Gefühl nicht los, daß sich alles im Zeitlupentempo abspielte. Winzige Tiere huschten, raschelten, schwirrten um das Fahrzeug. Insekten mit großen Samtflügeln tauchten im Licht der Scheinwerferkegel auf, taumelten in die Helligkeit. Ein endloses Zirpen, Kreischen, Pfeifen, Kekkern, Klopfen durchdrang das Halbdunkel. Stetsons Stimme klang plötzlich in Ornes Kehlkopfverstärker auf. »Wie sieht die Gegend aus?«
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»Reichlich fremd.« »Etwas von den Angreifern zu erkennen?« »Nein.« »Schön. Wir verschwinden jetzt. Alles gute.« In der Ferne erklang das mächtige Dröhnen der Startraketen. Einen Moment lang verstummten alle anderen Geräusche. Nach und nach setzte das Dschungelkonzert wieder ein. Eine dunkle Gestalt schwang geisterha durch die Scheinwerferkegel und verschwand hinter einem Baum. Dann noch eine. Und noch eine. Unscharfe Silhoueen an Lianenpendeln. Etwas plumpste schwer auf die Turbinenhaube. Orne bremste so abrupt, daß die Ausrüstung im Gepäckabteil nach vorn rutschte. Durch die Windschutzscheibe starrte ihn ein Eingeborener von Gienah an. Er richtete ein Gewehr auf Ornes Stirn. Nach dem ersten Schock erkannte Orne die Waffe – eine Mark-XX, die zum Arsenal eines jeden R&R-Schiffes gehörte. Vorsichtig legte Orne eine Hand an den Kehlkopf, schaltete das verborgene Mikrofon ein und bewegte lautlos die Sprechmuskulatur: »Erster Kontakt mit den Eingeborenen. Einer der Kerle sitzt auf der Turbinenhaube und bedroht mich mit einer Mark-XX.« »Sollen wir zurückkommen?« wisperte Stetson. »Nein. Aber haltet euch bereit. Der Bursche wirkt eher neugierig als feindselig.« »Seien Sie vorsichtig. Die Reaktionen einer völlig fremden Rasse sind schwer zu durchschauen.« Orne löste die Hand vom Kehlkopf und streckte sie langsam mit gespreizten Fingern aus. Leere Hände – das Friedenssymbol des Universums. Der Gewehrlauf senkte sich ein wenig. Orne rief sich die Sprache von Gienah in Erinnerung, die er in Hypnose gelernt hae. Ochero? Nein, das hieß ›Das Volk‹. Ahh ... dieser komische Zungenbrecher.
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»Ffroiragrazzi«, sagte er. Der Eingeborene wich ein wenig zur Seite und erwiderte dann in Galaktischer Universalsprache: »Wer bist du?« Orne kämpe gegen ein Gefühl der Panik an. Der lippenlose Mund hae so merkwürdig ausgesehen, als er die vertrauten Worte formte – ohne jeden Akzent übrigens. »War das der Eingeborene?« zischelte Stetson. Orne faßte sich an den Hals. »Genau.« »Wer bist du?« wiederholte das Geschöpf. »Lewis Orne vom Reintegrations- und Reedukations-Korps. Der Kontaktoffizier der Delphinus forderte mich an.« »Wo befindet sich dein Schiff ?« »Es setzte mich ab und startete wieder.« »Weshalb?« »Es muß noch auf anderen Planeten landen und hae sich bereits verspätet.« Aus dem Augenwinkel sah Orne, daß sich mehrere Schaen um sein Fahrzeug versammelt haen. Jemand kleerte in das Gepäckabteil. Sein Gesprächspartner sprang mit einem Satz auf das Tribre und riß die Tür auf. Die Gewehrmündung blieb drohend auf Orne gerichtet. Wieder formte der lippenlose Mund Worte in der Galaktischen Universalsprache: »Was hast du in deinem Fahrzeug?« »Die übliche R&R-Ausrüstung – alles, was ich brauche, um den Bewohnern eines wiederentdeckten Planeten den Anschluß an die Zivilisation zu erleichtern.« Orne deutete mit dem Kinn auf das Gewehr. »Kannst du die Waffe nicht senken? Sie stört mich.« Der Eingeborene reagierte nicht darauf. Sein Mund stand offen, und Orne sah lange Reißzähne und eine schmale blaue Zunge. »Sehen wir für deine Begriffe nicht sonderbar aus?«
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»Eine starke Mutation, wenn ich mich nicht täusche«, erwiderte Orne mit einem Achselzucken. »Worauf ist sie zurückzuführen? Harte Strahlung?« Der Fremde schwieg. »Nun, im Grunde ist es egal«, fuhr Orne fort. »Ich bin hier, um deinem Volk bei der Wiedereingliederung zu helfen ...« »Ich bin Tanub, Führer der Grazzi und Herr der Hohen Wege«, erklärte der Eingeborene. »Ich entscheide, wer uns hil.« Orne schluckte. »Wohin willst du?« fragte Tanub. »In eure Stadt. Ist das erlaubt?« Tanub schwieg ein paar Herzschläge lang, während sich seine Pupillenschlitze erweiterten und wieder zusammenzogen. Die Augen erinnerten Orne an eine Raubkatze, die zum Sprung ansetzt. »Es ist erlaubt«, sagte Tanub schließlich. Stetson meldete sich wieder. »He, wir werfen alles um und kehren zurück. Galaktische Universalsprache plus Mark-XX-Gewehre – so haen wir nicht geweet. Es steht fest, daß sich die Delphinus in ihrem Besitz befindet.« Orne schaltete das Mikrofon ein. »Nein. Gebt mir noch etwas Zeit!« »Warum?« »Ihr würdet nur ein Blutbad anrichten. Außerdem habe ich so eine Ahnung ...« »Heraus mit der Sprache!« »Später, Stet. Sie müssen mir vertrauen.« Es entstand eine lange Pause. Orne und Tanub beobachteten einander aufmerksam. »Also gut«, meinte Stetson dann. »Machen Sie weiter wie geplant! Und versuchen Sie unbedingt herauszufinden, wo die Delphinus versteckt ist! Wenn wir unser Schiff zurückhaben, können wir ihnen die Zähne ziehen.«
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»Warum tastest du immer nach deinem Hals?« fragte Tanub. Orne nahm die Hand vom Kehlkopf. »Ich bin nervös. Gewehre machen mich immer nervös.« Tanub senkte den Lauf ein wenig. »Können wir nun losfahren?« erkundigte sich Orne. Seine Mundhöhle war wie ausgetrocknet. »Bald.« Die grünliche Instrumentenbeleuchtung verlieh dem Eingeborenen einen unheimlichen Gesichtsausdruck. »Hinter mir ist noch ein Sitz frei«, sagte Orne. »Willst du einsteigen?« Tanubs Blicke huschten nach links und rechts. Er drehte sich um, rief ein paar scharfe Befehle in das Dunkel des Dschungels und kleerte dann auf die Bank hinter Orne. Der Geruch von nassem Fell machte sich in der Kabine breit. »Wann fahren wir?« fragte Orne. »Die große Sonne geht bald unter«, erklärte Tanub. »Wir setzen unseren Weg fort, wenn Chiranachuruso am Himmel erscheint.« »Chiranachuruso?« »Unser Trabant – unser Mond.« »Ein schönes Wort«, sagte Orne. »Chiranachuruso ...« – »In unserer Sprache bedeutet es ›Arm des Sieges‹. Sein Licht wird uns leiten.« Orne drehte sich um und starrte Tanub verwirrt an. »Willst du etwa behaupten, daß du hier in der Tiefe des Dschungels sehen kannst?« »Du nicht?« »Nein – zumindest nicht ohne die Scheinwerfer.« Tanub beugte sich vor und starrte Orne ins Gesicht. Seine Pupillen weiteten und verengten sich. »Du hast die gleichen Augen wie – wie die anderen.« »Oh, die Leute von der Delphinus?«
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»Ja.« Orne zwang sich, keine Fragen mehr zu stellen. Er wollte mehr über die Delphinus in Erfahrung bringen, deshalb wollte er vermeiden, daß ein falsches Wort alles zerstörte. Er wußte viel zu wenig über die Bewohner von Gienah. Wie vermehrten sie sich? Was für eine Religion haen sie? Es stand fest, daß Stetson und die hohen Bosse von der Zentrale nicht mit einem Gelingen der Mission rechneten. Ein Unternehmen, bei dem es galt, möglichst wenig zu verlieren. Er selbst war entbehrlich. Orne empfand plötzlich Mitleid für die Eingeborenen. Tanub und seine Rasse haen kein Mitspracherecht, obwohl es um ihre Zukun ging. Verzweifelte Menschen bestimmten das Geschehen. Verzweifelte und verängstigte Menschen, die im Schaen der grauenhaen Randweltenkriege aufgewachsen waren. Aber haen diese Menschen das Recht, eine ganze Rasse auszulöschen? Niemand konnte leugnen, daß die Bewohner von Gienah vernunbegabte Geschöpfe waren. Orne schickte ein Stoßgebet zum Himmel: »Mahmud, hilf mir, dieses Volk zu reen!« Eine innere Ruhe durchflutete ihn, ein Gefühl der Stärke und Zuversicht. Er dachte: Ich bestimme das Geschehen! Ein kühler Hauch schien mit einemmal den Dschungel zu streifen. Die Tierlaute verstummten. Nur die Eingeborenen rings um das Fahrzeug flüsterten. Tanub richtete sich auf. »Wir fahren jetzt. Langsam. Folge meinen – Kundschaern.« »Gut.« Orne steuerte den Gleiter über eine sperrige Wurzel. Im Licht der Scheinwerfer sah er, wie sich die Eingeborenen von Baum zu Baum schwangen. Stille herrschte im Innern der Kabine. »Ein wenig nach rechts«, sagte Tanub und deutete auf eine Schneise. Orne gehorchte.
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»Ich habe eure Stadt von oben gesehen«, meinte Orne. »Sie ist prachtvoll.« »Ja.« Tanub nickte. »Eure Rasse bewundert sie. Weshalb hast du dein Schiff so weit weg von der Stadt gelandet?« »Wir wollten nichts zerstören.« »Im Dschungel gibt es nichts zu zerstören, Orne.« »Besitzt ihr nur die eine große Stadt?« wollte Orne wissen. Stille. »Ich fragte, ob ...« »Orne, du kennst unsere Sien nicht«, knurrte Tanub. »Deshalb erzeihe ich dir. Die Stadt dient dem Fortbestand unserer Rasse. Unsere Jungen brauchen das Sonnenlicht. In früheren Zeiten errichteten wir Plaformen in den Baumwipfeln. Das tun heutzutage nur noch die Wilden.« »Vorsicht mit Sex und Fortpflanzung!« fuhr Stetsons Stimme dazwischen. »Das sind immer heikle Themen. Offenbar schlüpfen die Jungen aus Eiern. Die Geschlechtsdrüsen verbergen sich übrigens in dem zoeligen Fell am Hals – da wo eigentlich das Kinn sein sollte!« »Wer bestimmt, wo sich ein Kinn zu befinden hat?« fragte Orne rebellisch. »Wer die Brutplätze besitzt, beherrscht unsere Welt«, fuhr Tanub fort. »Früher gab es noch eine Stadt. Wir zerschmeerten sie. Bald wird der Dschungel ihre geborstenen Türme überwuchern.« »Gibt es viele Wilde?« fragte Orne. »Mit jeder Brutperiode weniger«, erwiderte Tanub. Seine Stimme klang stolz. »Daher bekommen sie ihre Sklaven!« warf Stetson ein. »Bald werden sie völlig ausgeroet sein«, sagte Tanub. »Du beherrscht die Galaktische Universalsprache sehr gut«, stellte Orne fest. »Der Herr der Hohen Wege verfügt über den besten Lehrer«,
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erwiderte Tanub. »Weißt du viele Dinge, Orne?« »Deshalb schickte man mich hierher.« »Unterrichtet ihr mehrere Welten?« »Eine ganze Menge«, bestätigte Orne. »Eure Stadt besteht aus hohen Türmen. Welches Material verwendet ihr beim Bau?« »Glas – in eurer Sprache. Die Ingenieure der Delphinus erklärten, so etwas sei unmöglich. Sie haben sich getäuscht.« Wieder mischte sich Stetson ein. »Eine Glasbläser-Kultur! Das würde manches erklären.« Der Gleiter kroch durch die Dschungelschneise, während Orne versuchte, die Informationen auszuwerten. Glasbläser. Herr der Hohen Wege. Augen mit senkrechten Pupillenschlitzen. Eine Baumrasse. Jäger. Kriegerisch. Sklavenkultur. Die Jungen brauchten das Sonnenlicht. Aberglaube oder physische Notwendigkeit? Rasche Auffassungsgabe. Schließlich befand sich die Delphinus erst seit achtzehn Standardmonaten in ihrem Besitz. Einer der Kundschaer schwang sich in den Scheinwerferkegel, sprang zu Boden und winkte. Auf Tanubs Befehl hielt Orne an. Sie warteten etwa zehn Minuten, bevor sie weiterfuhren. »Wilde?« fragte Orne. »Vielleicht. Aber wir sind stark. Und sie haben keine guten Waffen. Fürchte dich nicht, Orne!« Ein Glitzern zwischen den Stämmen verriet, daß sie sich ihrem Ziel näherten. Der Dschungel wurde lichter, blieb ganz zurück. Eine freie Zone von etwa zwei Kilometern erstreckte sich bis zur Stadt. Orne hielt den Atem an. Türme, höher als die höchsten Dschungelbäume, ragten in den mondhellen Himmel. Wendeltreppen, elegant geschwungene Brücken, schräge Rampen verbanden sie. Ein schimmerndes Filigran aus Glas, ein glitzerndes Netz ...
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»Was ist los?« erkundigte sich Stetson. Orne preßte die Hand an den Kehlkopf. »Wir stehen dicht vor der Stadt. Sie ist atemberaubend.« »Schade, daß wir sie in die Lu jagen müssen.« Orne fiel ein Fluch seiner Heimatwelt Chargon ein: Mögest du wie eine Luwurzel mit dem Kopf in den Boden wachsen! In diesem Moment tauchten von allen Seiten bewaffnete Eingeborene auf. Tanub beugte sich über seine Schulter. »Du hast dich nicht täuschen lassen, Orne, oder?« Orne spürte, wie sich sein Magen verkrampe. »Wie meinst du das?« Der Geruch von nassem Fell stieg ihm in die Nase. »Du hast durchschaut, daß wir keine Mutanten einer humanoiden Rasse sind.« Orne schluckte. »Geben Sie es lieber zu!« wisperte Stetson. »Ja, das stimmt.« »Du gefällst mir, Orne«, sagte Tanub. »Ich mache dich zu meinem Sklaven. Du bekommst schöne Frauen von der Delphinus, und dafür bringst du mir all die Dinge bei, die du weißt.« »Wie habt ihr die Delphinus gekapert?« »Woher weißt du das?« Tanub hob das Gewehr. »Das ist nicht schwer zu erraten«, erwiderte Orne. »Die Waffe hier stammt von der Delphinus. Und man hat sie dir sicher nicht freiwillig gegeben. Unser Ziel ist es, den Frieden im Universum zu ...« »Bodenwurm!« unterbrach ihn Tanub verächtlich. »Du und deine Rasse – ihr seid keine Gegner für uns! Wir gehen den Hohen Weg. Unser Mut ist gewaltig. Wir überragen die anderen Geschöpfe an List. Wir werden euch unterjochen.« »Wie habt ihr die Delphinus in euren Besitz gebracht?« »Ha! Ihr versteht nichts von Keramikbauteilen. Die Schiffsdü-
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sen versagten, und wir erklärten der Besatzung wahrheitsgemäß, daß wir sie verbessern könnten ...« Orne musterte Tanub im schwachen Schein der Instrumentenbeleuchtung. »Tanub, hast du je vom Untersuchungsausschuß der Galaktischen Föderation gehört?« »Untersuchungsausschuß! Das sind die Leute, die ständig durch die Galaxis reisen und die Dinge in Ordnung bringen, die ihre Gefährten falsch gemacht haben! Dieser Ausschuß bedeutet das Eingeständnis eurer Unterlegenheit.« »Viele Völker begehen Fehler.« Der Gienah-Führer schien sich anzuspannen. Er entblößte die Fänge und knurrte leise. »Ihr habt die Delphinus durch einen Verrat besiegt!« »Fordern Sie ihn nicht heraus!« zischte Stetson. »Die Narren auf der Delphinus hielten uns für schwach, weil wir von kleinerer Gestalt sind als sie.« Tanub bohrte Orne die Mündung des Gewehrs in den Magen. »Beantworte mir eine Frage! Weshalb sprichst du von diesem Untersuchungsausschuß?« »Weil ich ihm angehöre«, erwiderte Orne. »Ich kam her, um herauszufinden, wo ihr die Delphinus versteckt haltet.« »Du bist hergekommen, um zu sterben«, sagte Tanub. »Das Schiff gehört jetzt uns. Es ist an einem sicheren Ort, dem sichersten und besten Ort, den es gibt. Wenn die Zeit des Angriffs naht...« »Ihr seht keine andere Möglichkeit als den Angriff ?« »Im Dschungel erschlägt der Starke den Schwachen.« »Und am Ende bringen sich die Starken gegenseitig um.« »So reden nur Feiglinge.« »Oder Leute, die miterlebt haben, wie durch diese Denkweise ganze Welten ausgeroet wurden – so daß weder für die Starken noch für die Schwachen Lebensraum blieb.« »In einem Jahr, Orne, sind wir bereit zum Angriff. Dann werden
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wir sehen, wer von uns beiden recht hat.« »Schade, daß du nicht weiter denkst«, meinte Orne. »Wenn zwei intelligenzbegabte Rassen zusammentreffen, sollten sie ihr Wissen austauschen. Das wäre ein echter Gewinn für beide. Was habt ihr mit der Mannscha der Delphinus gemacht?« »Jene, die noch leben, sind unsere Sklaven. Einige leisteten Widerstand. Andere weigerten sich, ihr Wissen an uns weiterzugeben.« Er klope an den Lauf der Mark-XX. »Du wirst nicht so dumm sein und dich weigern, oder?« »Wir Angehörige des UA sind dazu ausgebildet, anderen Leuten Lektionen zu erteilen – besonders wenn sie einen Fehler begangen haben«, sagte Orne. »Und du hast einen Fehler begangen, Tanub. Du hast mir verraten, wo die Delphinus verborgen ist.« »Mann, das ist ein Ding!« hörte er Stetsons erregte Stimme. »Nun spannen Sie uns nicht auf die Folter!« »Unmöglich!« knurrte Tanub. Er richtete die Waffe immer noch auf Orne. »Sie befindet sich auf der dunklen Seite eures Mondes«, fuhr Orne fort. Tanubs Pupillenschlitze verengten sich, bis sie ein schmaler Strich waren. »Du liest Gedanken?« »Nein. Ich verlasse mich auf meine geistige Überlegenheit und die Fehler der anderen.« »Ich habe zwei Panzerschiffe losgeschickt«, zischte Stetson. »Keine Angst, wir holen Sie raus! Aber dann möchte ich erfahren, wie Sie dieses Rätsel gelöst haben ...« »Du bist ein Schwächling wie die anderen!« Tanub knirschte mit den Zähnen. »Du begehst einen neuen Fehler, wenn du mich mit den primitiven Geschöpfen des R&R vergleichst.« »Immer langsam!« warnte Stetson. »Lassen Sie es jetzt nicht auf
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einen Kampf ankommen! Der Kerl ist ein Baumgeschöpf und vermutlich stark wie ein Gorilla.« »Armselige Made!« fauchte Tanub. »Ich könnte dich auf der Stelle töten.« »Das würde den Untergang dieser Welt bedeuten«, warnte ihn Orne. »Ich bin nicht allein, Tanub. Andere hören unser Gespräch mit. Eines unserer Schiffe umkreist den Planeten, und es hat eine Bombe an Bord. Weißt du, wie die Oberfläche von Gienah nach der Detonation aussehen würde? Wie geschmolzenes und wiedererstarrtes Glas!« »Du lügst.« »Ich unterbreite dir ein Angebot«, sagte Orne. »Uns liegt nichts daran, euch zu vernichten. Wir tun es nur, wenn ihr uns dazu zwingt. Sta dessen nehmen wir euch in die Galaktische Föderation auf – zur Probe, bis ihr bewiesen habt, daß ihr keine Gefahr für andere Völker darstellt.« »Du wagst es, mich zu beleidigen!« »Ich meine es ernst. Wir ...« »Gescha, Orne!« unterbrach ihn Stetson. »Unsere Leute haben die Delphinus in einem engen Gebirgstal auf der dunklen Seite des Mondes entdeckt. Die Startraketen waren abgesprengt. Wir bringen die Sache jetzt in Ordnung.« »... sind bereits wieder im Besitz der Delphinus«, änderte Orne seinen Satz ab. Tanubs Blicke wanderten zum Himmel. »Unmöglich«, sagte er dann. »Die Ingenieure deiner Rasse haben in der Stadt einen Sender errichtet, der die Verbindung zum Schiff aufrechterhält. Es wurde kein Signal durchgegeben ...« »Ihr besitzt nur die schlechte Ausrüstung der R&R«, erklärte Orne. »Und deine Leute haben geschwiegen, bis es zu spät war. Das ist ihre Art.«
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»He, woher wissen Sie das?« warf Stetson ein. Orne beachtete die Zwischenfrage nicht. »Du trägst die MarkXX der Delphinus. Das verrät mir, daß ihr keine besseren Waffen kennt. Ihr werdet eine Niederlage erleiden.« »Dann sterben wir eben den Heldentod.« »Das ist nicht nötig. Wir wollen nicht ...« »Vielleicht lügst du«, unterbrach ihn Tanub. »Dieses Risiko kann ich nicht eingehen. Ich muß dich töten.« Ornes Fuß drückte auf einen winzigen Hebel. Die Startdüsen des Gleiters kreischten auf. Die Maschine schoß senkrecht in die Höhe. Tanub ließ entsetzt das Gewehr fallen. Er versuchte es wieder aufzuheben, aber die Beschleunigung preßte ihn gegen den Sitz. Orne, der den weit höheren Druck seines Heimatplaneten Chargon gewohnt war, nahm die Waffe ruhig an sich. Dann schnallte er Tanub mit Hilfe des Sicherheitsgurtes in seinem Sitz fest. Langsam drosselte er die Beschleunigung. Tanub starrte ihn mit unverhohlener Angst an. »Wir brauchen keine Sklaven«, sagte Orne. »Maschinen erledigen einen Großteil unserer Arbeit. Wir werden Experten nach Gienah schicken, die euch zeigen sollen, welche Energien in eurer Welt stecken. Ein vernüniges Transportsystem, der Abbau von Rohstoffen, die ...« »Und was verlangt ihr dafür?« flüsterte Tanub eingeschüchtert. »Ihr könnt uns beibringen, bessere Keramikbauteile herzustellen«, sagte Orne. »Wir haben wirklich nicht die Absicht, euch auszuroen – obwohl du nun gesehen hast, daß wir es ohne weiteres schaffen würden. Aber schon der Gedanke, eure schöne Stadt zu zerstören und euch zurück in den Dschungel zu jagen, erfüllt uns mit Gewissensqualen.«
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Tanub duckte sich. »Die Stadt«, wisperte er. »Laß mich zu meinem Volk gehen. Ich – ich will dem Rat deine Vorschläge unterbreiten.« Er starrte Orne voll Bewunderung an. »Ihr seid stark ... zu stark. Das haen wir nicht vermutet.«
* Da die Psi-Wahrnehmungen aus dem in frühen Zeiten unerforschten Bereich des Unterbewußtseins kamen, verband die Menschheit sie stets mit Furchtreaktionen und Begriffen wie Hexerei und Schwarze Magie. Diese Vorstellung hat sich tief in uns erhalten, und wir neigen dazu, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. HALMYRACH, ABT VON AMEL Psi und Religion Die Lichter in der Offiziersmesse waren gedämp und die Sessel bequem. Auf der grünen Tischplae standen Kristallingläser und eine Karaffe mit Hochar-Brandy. Orne hob sein Glas und nahm einen Schluck von der dunklen Flüssigkeit. »Eine Zeitlang fürchtete ich, mit diesen Genüssen wäre es für immer vorbei.« Stetson schenkte sich ebenfalls ein Glas ein. »Die Zentrale hat die ganze Geschichte per Monitor verfolgt. Wissen Sie, daß man Sie befördert hat?« »Endlich erkennt jemand meinen wahren Wert!« Stetson grinste breit. »Freuen Sie sich nicht zu früh, mein Junge! Je höher der Rang, desto stärker der Verschleiß. Die Verlustziffer ist groß.« »Häe ich mir denken können.« Orne nahm noch einen Schluck von dem Brandy. Seine Gedanken wanderten zu Gienah, dann zu
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Hamal. Militärische Besetzung. Man konnte es eine Notwendigkeit nennen, eine Vorbeugemaßnahme oder wie auch immer – es war und blieb Kontrolle durch Gewalt. Stetson schaltete das Aufnahmegerät ein. »Also schön, bringen wir die Sache hinter uns!« »Womit soll ich anfangen?« »Am besten mit einer Entschuldigung. Wie kommen Sie dazu, Gienah auf Probe in die Galaktische Föderation aufzunehmen?« »Es erschien mir kein schlechter Gedanke.« »Aber Agenten Ihres Ranges haben im allgemeinen nicht die Vollmacht zu solchen Angeboten.« »Ist die Zentrale dagegen?« »Nein. Man hat Ihren Vorschlag nachträglich genehmigt.« »Na also!« »Orne, wie sind Sie auf das Versteck der Delphinus gestoßen? Wir haen den Mond bereits flüchtig abgesucht und nicht das geringste entdeckt. Die Idee erschien aber auch zu abwegig.« »Nun, ich hae inzwischen einiges über die Eingeborenen von Gienah in Erfahrung gebracht. In mancher Hinsicht erinnerten sie mich an die alten Indianerstämme auf Terra.« »Wie meinen Sie das?« »Sie überfielen mich wie eine Horde von Wilden. Ihr Anführer sprang mit einem Satz auf die Turbinenhaube meines Gleiters. Das war ein Mutbeweis vor mir, aber auch vor seinen Gefährten.« »Ehrlich gesagt, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.« »Warten Sie ab! Dieser Tanub nannte sich Herr der Hohen Wege. Das ist eine wörtliche Übersetzung. In Wirklichkeit wollte er ausdrücken, daß er eine Art Bandenchef oder Räuberhauptmann war. Sehen Sie, es gibt in jeder Sprache ein Wort für Räuber, das mit Weg oder Straße zu tun hat, sei es nun ›Highwayman‹ oder Wegelagerer oder sonst etwas.«
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»Möglich, aber was hat das ...« »Sofort. Die Glasbläserkultur deutete ferner darauf hin, daß die Spezies noch nicht lange die Primitiven-Stufe überwunden hae. Und das Überleben der Rasse stand in engem Zusammenhang mit der hochgelegenen, von Sonnenlicht durchfluteten Stadt.« »Das hieß doch nur, daß wir eine Kontrollmöglichkeit haen.« »Kontrolle ist ein häßliches Wort, Stet. Aber lassen wir das jetzt. Sie wollen wissen, durch welche Hinweise ich das Versteck der Delphinus fand. Es geht weiter. Tanub sagte mir, der Mond von Gienah hieße Chiranachuruso, übersetzt ›Arm des Sieges‹.« »Ja – und?« »Dann die senkrechten Pupillenschlitze.« »Orne, Sie drücken sich wie ein Orakel aus.« »Die Eingeborenen von Gienah sind Räuber, die nachts den Dschungel durchstreifen und sich aus den hohen Baumkronen auf ihre Opfer stürzen. Tanub erklärte mir, das Schiff sei an dem sichersten und besten Ort, den es gäbe. Die Mentalität dieser Leute verlangte also nach einem Versteck, das irgendwo sehr hoch oben lag – und dunkel war. Dafür kam nur ein Platz in Betracht – die dunkle Seite von Chiranachuruso, dem ›Arm des Sieges‹.« »Ich will ein gesprenkelter Greepus sein!« stöhnte Stetson. Orne grinste ihn an. »Lieber nicht – Sir. Für den Augenblick habe ich nämlich genug von Nichthumanoiden.«
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»Erst durch den Tod wissen wir, was Leben ist«, sagte der Abt. »Ohne die ewige Nähe des Todes gäbe es keine Bewußtseinsentfaltung, keinen Sieg über das Bewußtsein, keinen Rückzug aus festverankerten Symbolen in die Leere ohne Ende.« ROYALI, Religion für jedermann Gespräche mit dem Abt
Die UA-Bosse sprachen vom ›Sheleb-Zwischenfall‹ und stellten mit Erleichterung fest, daß nur ein Opfer zu beklagen war. Daran mußte Stetson denken, als er das eine Opfer zurück nach Marak flog. Ein Gespräch kam ihm immer wieder in den Sinn. »Je höher der Rang, desto stärker der Verschleiß. Die Verlustziffer ist groß.« Stetson murmelte einen langen Prjado-Fluch. Die Ärzte haen kaum Hoffnung, den Gereeten durchzubringen. Der Mann lebte nur noch im klinischen Sinn. Er befand sich in einer Bergungskapsel, und komplizierte Apparaturen haen seine wichtigsten Körperfunktionen übernommen. Die Morgensonne von Marak fiel auf den abseits gelegenen Landeplatz. Von hier aus war der Lazare-Komplex des Hauptquartiers am schnellsten zu erreichen. Aber die Bodenkontrolle hae den Notarztwagen noch nicht durchgelassen. Ein Schild auf der Bergungskapsel identifizierte den Verstümmelten als Lewis Orne. Ein Bild war beigefügt. Es hae nur wenig Ähnlichkeit mit dem Mann im Innern der Kapsel. Dennoch – sobald sich Stetson der Kapsel näherte und einen Blick auf das hilflose Bündel Mensch warf, hae er das Gefühl, daß eine sonderbare Kra von dem Todgeweihten ausstrahlte. Er schalt sich einen Idioten, der seinen Schuldkomplex ins Metaphysische zu verdrängen suchte. Aber insgeheim beschloß er, einem
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Psi-Sachverständigen dieses Phänomen zu schildern – für alle Fälle. Dann erhielten die Mediziner die Erlaubnis, das Landefeld zu betreten. Stetson, immer noch erfüllt von Entsetzen und Kummer, fühlte sich abgestoßen von der kalten Gleichgültigkeit, mit der die Leute diesen Fall behandelten. Allem Anschein nach betrachteten sie den Patienten als eine Kuriosität. Der Arzt unterschrieb den Befund. Orne hae ein Auge verloren, ein Stück des rechten Oberschenkels, die linke Kniescheibe, drei Finger der linken Hand und einen Teil des linken Unterkiefers. Die Haut des Rückens war von den Schulterbläern bis zur Hüe verbrannt. Lungen und Nieren arbeiteten nicht mehr. Das Diagramm an der Kapsel zeigte, daß sich Orne seit einhundertneunzig Stunden im Schockzustand befand. »Warum habt ihr euch die Mühe mit der Kapsel gemacht? fragte der Arzt. »Weil er lebt!« Der Mann schüelte den Kopf. »Seine Herztöne sind so schwach, daß wir die ausgefallenen Organe auf keinen Fall operativ ersetzen können. Und zur Zellreproduktion hat er einfach nicht die Kra. Eine Zeitlang hält er vielleicht noch durch, weil er sich in der Kapsel befindet, aber dann ...« Der Arzt zuckte die Achseln. »Noch lebt er!« beharrte Stetson. »Ja, und wir können immer beten, daß ein Wunder geschieht«, fügte der Arzt trocken hinzu. Stetson warf ihm einen haßerfüllten Blick zu, aber der Mann achtete nicht darauf. Er starrte durch das winzige Fenster ins Innere der Kapsel. Nach einer Weile richtete er sich kopfschüelnd auf. »Wir werden unser Möglichstes tun«, sagte er. Sanitäter verluden die Kapsel, und dann jagte der Wagen über
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die Betonpiste zu einem der hohen grauen Klötze, die das Landefeld umringten. Stetson schlenderte mit hängenden Schultern in seinen Arbeitsraum zurück. Er ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen und starrte durch die offene Sichtluke auf das Hafengewimmel hinunter. Auf dem Hauptfeld standen zwei Reihen von PartouillenSchiffen startbereit – rotschwarze Nadeln, die in der Sonne blitzten. Wie viele davon waren schon hier gelandet, um Verwundete und Sterbende abzuladen? Er dachte: Es geschieht immer bei irgendeiner alltäglichen Mission. Was Sheleb betraf, haen wir nur einen vagen Verdacht. Ein FrauenRegime. Das machte uns stutzig. Eine Kleinigkeit – und ich verliere einen meiner besten Agenten. Er seufzte. Dann begann er seinen Bericht aufzusetzen. »Der militante Kern des Sheleb-Volkes konnte ausgeroet werden. (Ein scheußliches Blutbad!) Besatzungstruppen eingetroffen. (Orne hat recht mit seiner Meinung über die Besatzungsmächte. Sie bringen ebensoviel Schaden wie Nutzen.) Gefahr für den Galaktischen Frieden gebannt. (Was kann ein zerrissenes und demoralisiertes Volk schon tun?) Grund des Eingreifens: (Blödheit der anderen!) Der Kontaktmann des R&R übersah militante Anzeichen auf Sheleb, obwohl er zwei Monate auf dem Planeten weilte. Verdachtsmomente: 1. Reines Frauen-Regime, 2. Zu großer Unterschied (Lutig-Norm) zwischen Männern und Frauen hinsichtlich Anzahl und Aktivitäten, 3. Das übliche Hierarchie/Kontroll/Geheimdienst-Syndrom. Unser Agent Lewis Orne fand heraus, daß die Herrscherkaste eine Methode entdeckt hae, das Geschlecht der Nachkommen schon bei der Empfängnis zu bestimmen (siehe Anlage). Sie züch-
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tete eine Armee männlicher Sklaven, die für eine strikte Durchführung der Regierungsbefehle sorgte. Der R&R-Agent wurde, nachdem er seine Informationen preisgegeben hae, umgebracht und durch einen Doppelgänger ersetzt. Eine der Waffen, die man mit Hilfe des neuerworbenen Wissens konstruierte, verwundete Lewis Orne so schwer, daß mit seinem Tod zu rechnen ist. Ich schlage hiermit vor, Orne posthum den Galaxis-Verdienstorden zu verleihen und seinen Namen in die Ehrenliste einzutragen.« Stetson schob den Bericht zur Seite. Der Zentrale genügte ein grober Überblick. Um die Einzelheiten kümmerten sich später seine Adjutanten. Mit einem Seufzer suchte Stetson Ornes Personalakte heraus und machte sich an die Aufgabe, die er am meisten verabscheute: die nächsten Angehörigen zu verständigen. »Heimatplanet Chargon«, murmelte er. »Im Krankheits- oder Todesfall zu benachrichtigen – Mrs. Victoria Orne, Muer.« Er bläerte die Akte durch, um die unangenehme Pflicht noch ein wenig hinauszuschieben. Orne hae sich mit siebzehn zu den Spezialkämpfern der Föderation gemeldet. Er war von daheim ausgerissen, und seine Muer gab erst nachträglich ihre Einwilligung zu dem Schri. Zwei Jahre später – Stipendium für UniGalacta, das R&R-Ausbildungszentrum auf Marak. Fünf Jahre Studium, eine R&R-Mission, und dann sofort Rekrutierung zum UA. Wieder zwei Jahre später – Bergungskapsel. In einem plötzlichen Wutanfall schleuderte Stetson die Akte gegen die graue Metallwand. Als er die Papiere wieder aufsammelte, standen ihm Tränen in den Augen. Er stellte die Verbindung zum Zentralsekretariat her und diktierte einen kurzen Text an Ornes Muer. Dann verließ er das Schiff. An diesem Abend betrank er sich im Hafen mit HocharBrandy.
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Am Morgen darauf erhielt er bereits Antwort von Chargon. »Muer von Lewis Orne in schlechter Gesundheitsverfassung. Konnte nicht benachrichtigt werden. Sta dessen Schwestern verständigt. Bie an Mrs. Ipsco Bullone, Gain des Hochkommissars von Marak, die Familie zu vertreten.« Unterzeichnet war das Schreiben von Madrena Orne Standish. Stetson hae seine Bedenken, als er die Residenz von Ipsco Bullone anrief. Immerhin war der Mann Führer der Mehrheitspartei im Rat der Föderation. Mrs. Bullone nahm das Gespräch an, schaltete aber den Bildschirm nicht ein. Im Hintergrund hörte man Wasser rauschen. Stetson starrte in das Grau. Er haßte leere Videoschirme. Außerdem hae er Kopfschmerzen von dem Brandy, und eine innere Stimme warnte ihn. Irgend etwas war da sicher nicht in Ordnung. Eine herbe, beinahe männliche Stimme drang aus dem Lautsprecher neben dem Videoschirm. »Ja – Polly Bullone!« Stetson stellte sich vor und schilderte den Sachverhalt. »Victorias Sohn im Sterben? Hier auf Marak? Das darf nicht wahr sein! Und Madrena ist eigens wegen der Wahlen nach Chargon gereist. Ja, natürlich, ich kümmere mich sofort um ihn.« Stetson bedankte sich und brach das Gespräch ab. Er kaute nachdenklich an seiner Unterlippe. Die Gain des Hochkommissars! Etwas stimmte da nicht. Und dann durchzuckte es ihn blitzartig – der Kontaktmann auf Hamal! Wie hae dieser Pfuscher geheißen? Andre Bullone! Stetson besorgte sich unauffällig den vollen Bericht über die Hamal-Affäre. Tatsächlich, dieser Andre Bullone war ein Neffe des Hochkommissars. Iepotismus in den höchsten Rängen – sieh mal einer an! Aber er konnte keinen Zusammenhang zu Ornes Fall erkennen. Ein jugendlicher Ausreißer. Ungewöhnlich begabt.
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Willensstark und zielbewußt. Er schien nichts über diese Familienverbindung zu wissen. Stetson las weiter. Man hae den Neffen zu einem Schreibtischjob verdonnert. Er saß jetzt in irgendeinem obskuren Büro und frisierte Berichte. Neben dem Versetzungsvermerk entdeckte Stetson einen grünen Haken. Das bedeutete: Druck von oben. Hm – eine Verbindung zwischen Orne und den Bullones ... Immer noch verwirrt, richtete Stetson eine kurze vertrauliche Notiz an die Zentrale. Dann wandte er sich dem Papierkram zu, der sich auf seinem Schreibtisch angesammelt hae.
* Als die Mythologie unser erstes primitives Verständnis für das Phänomen der Psi-Kräe weckte, trat eine Wende ein. Dem Grimorium folgte Neugier, und die Furcht wich der Experimentierlust. Die Menschheit wagte es erstmals, dieses grauenbehaete Grenzgebiet mit den analytischen Waffen des Verstandes zu durchforschen. Aus diesen ersten plumpen Vorstößen entstanden die praktischen Handbücher, die uns als Grundlagen für die Religions-Psi-Lehre dienten. HALMYRACH, ABT VON AMEL Psi und Religion Die ovale Kapsel mit dem Schwerverwundeten befand sich in einem Einzelzimmer. Starke Deckenhaken hielten sie in der Schwebe, damit sie keinen Erschüerungen ausgesetzt war. Das Summen, Klicken und Pochen medizinischer Geräte durchdrang das wässerige Grün des Raums. Hin und wieder schob sich eine Tür auf, eine weißgekleidete Gestalt trat lautlos ein und warf einen Blick auf den Verletzten. Die Apparate wurden überprü, die Kurven vervollständigt, und dann war Lewis Orne wieder allein.
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Die jungen Assistenzärzte sprachen o über ihn. »Dieser Agent von Sheleb hat es immer noch nicht überstanden. Mann, so etwas von zäh ... Soviel ich hörte, besitzt er nur noch den achten Teil seiner Organe – Leber, Nieren, Magen, alles im Eimer ... Ween, daß es ihn noch in diesem Monat erwischt ... Ha, seht euch Tavish an, der weet immer auf Nummer Sicher!« Am Morgen des achtundachtzigsten Tages nahm die Tagesschwester die erste Routine-Überprüfung vor. Sie öffnete die Sichtklappe, warf einen Blick auf den Verletzten. Sie war eine hochgewachsene Frau mit harten Gesichtszügen, die es gelernt hae, Wunder und Niederlagen mit der gleichen äußeren Ruhe hinzunehmen. Ihre Aufgabe war es, den Kranken zu beobachten, mehr nicht. Bald hast du es gescha, armer Teufel! dachte sie. Orne öffnete das eine Auge, das ihm geblieben war. Die Tagesschwester, abgestump durch den gleichbleibend schlechten Zustand des Patienten, stieß einen leisen Schrei aus. »Haben sie diesen Hexen auf Sheleb tüchtig eingeheizt?« wisperte Lewis Orne. »Ja, Sir!« stieß die Schwester hervor. »Und ob sie das getan haben!« »Wieder so ein verdammter Pfusch!« Orne schloß das Auge. Die Atemkurve verstärkte sich. Auch die Herztöne waren deutlicher zu hören. Die Schwester klingelte aufgeregt nach den Ärzten.
*
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Ein Teil unseres Problems liegt darin, daß wir eine äußere Kontrolle für Systeme schaffen, die man eigentlich durch innere Kräe im Gleichgewicht halten sollte. Wir geben uns zu wenig Mühe, die inneren Ordnungskräe, von denen das Überleben einer Art abhängt, zu erkennen, und so geschieht es häufig, daß wir sie unterdrücken. Wir ignorieren damit unsere eigenen Feedback-Funktionen. LEWIS ORNES Bericht über Hamal Orne hae für eine unbestimmte Spanne in einer nebligen Leere geschwebt. Dann war eine Zeit der Schmerzen gekommen, gefolgt von der allmählichen Erkenntnis, daß er sich in einer Bergungskapsel befand. Er erinnerte sich an die Explosion auf Sheleb, die ihn plötzlich erfaßt hae, mit Urgewalt und völlig lautlos. Die Kapsel verlieh ihm ein Gefühl der Sicherheit, schirmte ihn gegen Gefahren von außen ab. In seinem Innern herrschte Chaos. Er erinnerte sich an ... Träume? Waren es wirklich Träume? Er konnte es nicht genau sagen. Etwas von einer Axt und einem Axtstiel. Der Zusammenhang entgli ihm immer wieder. Er spürte seine Abhängigkeit von der Kapsel, doch nicht nur das; da war etwas, das ihn an ein gnadenlos manipulierendes System fesselte – eine Art Masseneffekt, der jegliche Existenz auf einen Grundnenner brachte. Ist es möglich, daß der Mensch den Krieg ersann und von seiner eigenen Erfindung überrumpelt wurde? dachte Orne. Wie können wir es wagen, uns zu Richtern über die Angelegenheiten sämtlicher vernunbegabten Wesen aufzuwerfen? Ist es möglich, daß wir von unserem Universum beeinflußt werden – in einer Art und Weise, die wir nicht ohne weiteres durchschauen? Er spürte, wie sein Gehirn/Verstand/Bewußtsein arbeitete und gelangte zu der Überzeugung, daß all diese Aktivität nur dazu diente, Symbole für die Triebkräe, den Aufwärtsdrang des
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Lebens zu finden. Irgendwo in seinem Innern gab es jedoch eine alte Funktion, ein Ding von archaischen Tendenzen, das immer gleich blieb, ungeachtet der Evolutionsstufen, die es durchlaufen hae. Abrupt fühlte er die Nähe einer überwältigenden Gedankenmacht: Der Versuch von vernunbegabten Geschöpfen, die Vergangenheit zu ändern, Unterschiede auszuroen oder um jeden Preis das Glück der Mitgeschöpfe herbeizuführen, ist ein fehlgeleitetes Unternehmen. Der Vorsatz, anderen nichts Böses anzutun, ist gut; will man jedoch die Mitgeschöpfe zu ihrem Glück zwingen, so fordert man damit eine Gegenreaktion heraus. Langsam gli Orne in den Schlaf.
* Der Mensch handelt aus einem komplexen Superioritätsverlangen. Er findet Selbstbestätigung im Ritual, hält seine Lernbegier für rational, strebt selbstgesetzte Ziele an, steuert seine Umgebung und unterdrückt dabei die eigene Anpassungsfähigkeit, die nie voll ausgenutzt wird. HALMYRACH, VORLESUNGEN Privatarchiv von Amel Orne erholte sich Schri für Schri. Nach einem Monat wagten die Ärzte eine Transplantation, die er gut überstand und die seine Heilung beschleunigte. Wieder zwei Monate später setzte man ihn auf eine Alotl-Gibiril-Diät. Sie stärkte den Auauprozeß seines Körpers. Die Zellerneuerung setzte ein: die Finger wuchsen nach, das Knochengewebe an den Beinen, die Haut, sogar das verlorene Auge. Während dieser Zeit der physischen Genesung machte Lewis Orne eine seelische Krise durch. Er begann an Dingen zu zweifeln,
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die er zuvor ohne weiteres akzeptiert hae. Die Werte von früher nahmen einen verschwommenen Charakter an. Er entfernte sich immer weiter von seinem einstigen Ich. Fast schien es, als häe er sich mit seinem Tod abgefunden und akzeptierte nun, da er sich wieder ins Leben zurücktastete, nur eine Teildefinition des Daseins. Ich bin ein Wesen, dachte er. Ich existiere. Das genügt. Ich gebe mir selbst Leben. Der Gedanke durchdrang ihn wie Feuer und trieb ihn voran. Das Rad seines Lebens kam in Schwung, und er wußte, es würde sich voll im Kreis drehen. Er hae das Gefühl, daß er bis in die Eingeweide des Universums vorgedrungen war, um zu sehen, wie alles zusammenhing. Keine alten Tabus mehr, dachte er. Ich war bei den Lebenden und bei den Toten. Vierzehn Monate, elf Tage, fünf Stunden und zwei Minuten, nachdem man ihn ›so gut wie tot‹ von Sheleb aufgelesen hae, verließ Orne das Krankenhaus in Begleitung eines merkwürdig schweigsamen Umbo Stetson. Es war Vormiag. Wolken überzogen den grünen Himmel von Marak. Ein kalter Frühlingswind drückte das junge Gras flach an den Boden und zerrte an den exotischen Blüten, die rund um das Landefeld des Lazare-Komplexes wuchsen. Orne blieb auf den Treppenstufen stehen und atmete tief die kühle Lu ein. »Ein herrlicher Tag«, sagte er. »Ich fühle mich prächtig.« Wie neugeboren, setzte er insgeheim hinzu. Stetson streckte zögernd die Hand aus, um Orne zu stützen, zog sie wieder zurück ... Orne warf einen Blick nach Südwesten. »Der Gleiter muß jeden Moment kommen«, sagte Stetson. Ein Windstoß brachte Orne ins Stolpern, doch er fing sich sofort wieder. »Es geht wirklich«, versicherte er Stetson, der ihn ängstlich musterte. »Du siehst noch ziemlich klapprig aus.«
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»Ah, ich hae dieses Krankenhaus gründlich sa. Sämtliche Schwestern, die mich betreuten, waren entweder verheiratet oder zumindest schon vergeben.« Er blieb abrupt stehen und sah seinen Vorgesetzten ruhig an. »Stet, irgend etwas ist los mit dir! Heraus mit der Sprache!« Stetson schüelte langsam den Kopf. »Es hat keinen Sinn. Du mußt dich erst einmal gründlich erholen.« »Ein Aurag?« Stetson zuckte die Achseln. »Stet?« »Ja ...« »Spar dir die noble Geste für jemanden, der dich nicht kennt! Du hast einen Job für mich. Also schön. Worum geht es?« Stetson grinste schief. »Die Sache ist die – wir haben nicht mehr viel Zeit ...« »Klingt sehr vertraut«, meinte Orne. »Aber ich weiß nicht, ob ich das alte Spiel noch einmal mitmache.« »Nun, wir haen gedacht ...« Stetson stockte und zuckte wieder die Achseln. »Siehst du, die Bullones nehmen dich doch für die nächste Zeit als Gast in ihr Haus auf, und – und wir glauben, daß Ipsco Bullone eine Verschwörung leitet, die zum Sturz unserer Regierung führen soll ...« »Was?« Orne starrte seinen Vorgesetzten verständnislos an. »Aber der Galaktische Hochkommissar ist die Regierung!« »Das meine ich nicht!« »Was dann?« »Orne, die gegenwärtige Situation könnte ohne weiteres zu einem neuen Randwelten-Krieg führen. Wir glauben, daß bei Bullone die Fäden zusammenlaufen«, erklärte Stetson. »Insgesamt sind es einundachtzig Welten, auf denen es rumort – alles Völker, die schon seit Jahrhunderten der Galaktischen Liga angehören.
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Aber nun scheint sich eine Bande von Verrätern das Ziel gesetzt zu haben, eben diese Liga zu untergraben. Selbst bis auf deinen Heimatplaneten sind sie vorgedrungen.« »Chargon?« fragte Orne ungläubig. »Genau.« Orne schüelte den Kopf. »Und was willst du von mir? Daß ich meinen Erholungsurlaub daheim antrete? Mann, ich war mit siebzehn zuletzt bei meiner Familie. Ich weiß nicht, ob ...« »Nein, verdammt. Wir sehen dich viel lieber als Gast bei den Bullones. Wie kommst du überhaupt zu dieser Ehre?« »Das ist schon eine merkwürdige Geschichte«, meinte Orne nachdenklich. »Wenn ich mir überlege, welche Witze wir immer über den guten Ipsco gerissen haben – und dann stellt sich heraus, daß seine Frau eine Schulfreundin meiner Muer war. Sogar das Zimmer im Internat teilten sie!« »Deine Muer hat nie davon gesprochen?« »Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern.« »Hast du den Alten schon kennengelernt?« »Er brachte seine Frau einige Male ins Krankenhaus. Ganz neer Knabe, wenn auch ein wenig steif und reserviert.« Stetson preßte die Lippen zusammen. Er warf einen Blick nach Südwesten, dann sah er wieder Orne an. »Jedes Kind weiß, wie die Nathianer im Randwelten-Krieg gegen die Liga von Marak kämpen – wie die alte Zivilisation zerbrach. Weniger bekannt ist, daß sich aus der Liga von Marak die Galaktische Förderation entwickelt hat, mit dem Ziel, die Einheit von damals wiederherzustellen.« »Fün undert Jahre sind eine lange Zeit – wenn du diesen banalen Einwand gestaest.« »Oder auch nicht.« Stetson räusperte sich und sah Orne durchdringend an.
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Orne überlegte, weshalb Stetson die Sache so vorsichtig anpackte. Was hae er mit seiner Anspielung auf die Nathianer und die Liga von Marak gemeint? Tief im Innern spürte er eine sonderbare Unruhe. Stetson hae sich abgewandt. »Ich persönlich vertraue dir ohne Vorbehalt ...« »Was heißt das nun wieder? Hat die angebliche Verschwörung etwa auch in den Reihen des Untersuchungsausschusses ihre Anhänger?« »Wir vermuten es.« »Weshalb?« »Vor gut einem Jahr schnüffelte ein Archäologen-Team des R&R in den Ruinen von Dabih herum. Der Planet war während der Randwelten-Kriege zerstört worden. Noch heute überzieht erstarrte Schlacke einen Großteil des Festlands. Aber wie durch ein Wunder stöberten die Männer ein unversehrtes Archiv in einer Außenstation der Nathianer auf.« Er warf Orne einen ausdruckslosen Blick zu. »Ja – und?« fragte Orne, als sich die Stille ausdehnte. Stetson nickte vor sich hin. »Die R&R-Knaben konnten nichts aus ihrem Fund machen. Das alte Lied. Sie forderten von uns einen Experten für archaische Schrien an. Der knackte den ziemlich komplizierten Kode, und als er das Zeug lesen konnte, betätigte er das Notsignal.« »Wegen eines fün undert Jahre alten Archivs?« Stetson zog die Augenbrauen hoch. Sein Blick war kühl und forschend auf Orne gerichtet. »Dabih war eine Verteilerstation für ausgewählte Elemente der mächtigsten Nathianer-Familien ...« »Verteilerstation?« wiederholte Orne verständnislos. »Für Flüchtlinge, die als Spione und ähnliches ausgebildet waren. Ein alter Trick ...«
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»Aber fün undert Jahre, Stet!« »Und wenn es fünftausend Jahre wären!« sagte Stetson grimmig. »Letzten Monat fingen wir Bruchstücke von Geheimbotschaen ab, die im gleichen Kode verfaßt waren. Diese Frechheit!« Er schüttelte den Kopf. »Aber das Schönste kommt noch. Sämtliche Texte befassen sich mit den Wahlen, die vor der Tür stehen!« Orne ließ sich von Stetsons Erregung anstecken. Im Moment gab es für ihn wieder nur ein Ziel – unter allen Umständen einen Randwelten-Krieg zu verhindern. »Aber – die Wahlen finden in zwei Tagen sta!« Stetson nickte. »In zweiundvierzig Stunden und fünfzig Minuten, um genau zu sein. Eine winzige Frist.« »Standen irgendwelche Namen in den Aufzeichnungen von Dabih?« wollte Orne wissen. »Namen von Planeten, ja. Und Familiennamen, aber die waren in einem anderen Kode verschlüsselt, den wir noch nicht entziffern konnten.« »So schwierig?« »Im Gegenteil, er ist zu einfach. Es handelt sich um Decknamen, die sich offensichtlich auf die innere Sozialstruktur der Nathianer beziehen. Wir können die Dabih-Aufzeichnungen in Worte übertragen, aber diese Worte ergeben keinen Sinn. Der Kodename für Chargon beispielsweise lautete Sieger. Sagt dir das etwas?« Orne schüelte langsam den Kopf. »Gar nichts.« »Hae ich auch nicht erwartet.« »Und für Marak?« »Kopf«, sagte Stetson. »Bring das mal mit Bullone in Verbindung!« »Ich verstehe, was du meinst. Und wie willst du ...« Stetson winkte ab. »Die haben die Namen inzwischen längst geändert.«
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»Vielleicht auch nicht. Immerhin behielten sie den Nachrichtenkode bei.« Orne rieb sich mit der Hand über die Stirn. Irgendwo an der Grenze seines Bewußtseins lauerte ein Gedanke, der ihm immer wieder entschlüpe. Er fühlte sich erschöp und ausgebrannt. »Du hast recht«, meinte Stetson. »Wir werden weiterhin versuchen, das Rätsel zu knacken. Vielleicht kommen wir einen Schri weiter.« »Welche Anhaltspunkte besitzt ihr?« Orne spürte, daß Stetson noch etwas Wichtiges zurückhielt. »Anhaltspunkte? Wir haben unsere Geschichtsbücher zu Hilfe genommen. Darin heißt es, daß die Nathianer die Theorie der Politik genial beherrschten. Etwas davon schimmert in den Aufzeichnungen von Dabih durch, gerade genug, um uns erkennen zu lassen, wie machtlos wir sind.« »Zum Beispiel?« »Die Nathianer wählten die Einsatzorte ihrer Flüchtlinge mit teuflischer Raffinesse aus – auf Planeten, die der Krieg so zerfleischt hae, daß ihre Bewohner nur noch den Wunsch haen, die Gewalt zu vergessen und den Wiederauau zu betreiben. Die Befehle, welche die Nathianer erhalten haen, waren klar: Sie sollten sich in der fremden Kultur einnisten, mit ihr verwachsen, die schwachen Stellen in der Führung enthüllen, eine Untergrundmacht auauen und die eigenen Nachkommen für die Herrscha ausbilden.« »Diese Rasse scheint über unendliche Geduld zu verfügen,« stellte Orne fest. »Allerdings. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Niederlage in einen Sieg zu verwandeln.« »Hmm. Wenn du meine Geschichtskenntnisse ein wenig auffrischen könntest ...«, meinte Orne.
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»Viel weiß ich auch nicht. Irgendwann entstand auf NathiaII eine Kolonie von Raum-Nomaden. Die Mythologie nennt sie Arber oder Ayrber. Sie besaßen trotz ihrer Unrast einen stark ausgeprägten Familiensinn und Loyalität gegenüber der eigenen Rasse. Sprunghae Menschen mit sonderbaren Sien und Gebräuchen...« »Auf Chargon lernten wir nur, daß die Nathianer ›eine der Parteien waren, die den Randwelten-Krieg auslösten‹. Ich gewann damals den Eindruck, daß man ihnen die gleichen Vorwürfe machte wie der Liga von Marak.« »Es gibt Planeten, auf denen man diese Ansicht ketzerisch nennen würde.« »Und wie denkst du darüber?« »Die Geschichte wird stets von den Siegern geschrieben«, meinte Stetson achselzuckend. »Auf Chargon vielleicht nicht«, erwiderte Orne. »Aber ein paar andere Fragen: Weshalb verdächtigt ihr ausgerechnet den Hochkommissar? Und weshalb geizt du so mit deinen Informationen?« Stetson fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Bullone hat sieben Töchter. Eine davon – sie heißt Diana – bildet die Agentinnen im UA aus. Sie lebt im Moment bei ihren Eltern.« »Ich entsinne mich schwach, daß Mrs. Bullone ihren Namen erwähnt hat.« »Nun, eine der Kodebotschaen, die wir abfingen, war an ihre Adresse gerichtet.« »Puh!« Orne schüelte den Kopf. »Kennt ihr den Absender? Und den Inhalt?« Stetson hüstelte. »Lew, du weißt, daß wir alles doppelt und dreifach nachprüfen.« »Ja, und?«
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»Die Botscha war von Hand geschrieben und mit MOS unterzeichnet.« Orne schaute auf, als Stetson nicht weitersprach. »Ihr habt herausgebracht, was dieses MOS bedeutet?« »Ja, Lew. Wir nahmen Diana Bullones Bekanntenkreis unter die Lupe und fanden rasch jemanden mit diesen Initialen. Der Handschrienvergleich stimmte. Madrena Orne Standish.« Orne erstarrte. »Maddie?« Er sah Stetson entgeistert an. »Das also war der Haken?« »Wir wissen genau, daß du seit deinem siebzehnten Lebensjahr nicht mehr daheim warst«, begann Stetson hastig. »Und wir besitzen lückenlose Unterlagen über die weiteren Stationen deines Lebens. Das geht alles in Ordnung. Die Frage ist nur ...« »... ob ich meine eigene Schwester ans Messer liefere, wenn sich der Verdacht als begründet erweist.« Stetson schwieg. Und Orne merkte, daß sich der Freund hinter die Maske des Vorgesetzten zurückgezogen hae. Eine Hand steckte in der Uniformtasche. Umklammerte sie ein Aufnahmegerät? Oder eine Waffe? »Ich verstehe«, fuhr Orne leise fort. »Stet, ich habe zu Beginn meiner Lauahn einen Eid geleistet, und ich kenne meinen Auftrag – dafür zu sorgen, daß es nie wieder zu einem so grausamen Krieg kommt. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Maddie an einer Verschwörung beteiligt ist.« »Daran gibt es keinen Zweifel, Lew.« Orne dachte an seine Kindheit zurück. Maddie? Ein rothaariger Kobold, stets zu Streichen und Abenteuern aufgelegt, eine wertvolle Verbündete im Kampf gegen die nüchterne Welt der Erwachsenen. »Nun?« drängte Stetson. »Meine Familie gehört nicht zu diesen Verräterclans«, erklärte
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Orne entschieden. »Und Maddie schon gar nicht!« »Vielleicht ist sie durch ihren Mann in die Sache geraten«, gab Stetson zu bedenken. »Ein hoher Politiker ...« »Ja – der Vertreter von Chargon im Rat der Föderation«, sagte Orne. »Ich kenne seine Karriere in allen Einzelheiten, obwohl ich persönlich noch nie mit ihm zusammengetroffen bin. Maddie schrieb mir damals, als sie heiratete, und schickte mir ein Bild.« »Du hast deine Schwester sehr gern.« Das war eine Feststellung, keine Frage. »Ja. Sie half mir damals bei den Fluchtvorbereitungen.« »Warum bist du eigentlich weggelaufen?« Orne spürte das Gewicht dieser Frage. Er bemühte sich, seiner Stimme einen beiläufigen Klang zu geben. »Unstimmigkeiten in der Familie. Ich wußte genau, was ich wollte – aber meine Leute waren dagegen.« »Und was wolltest du – Spezialkämpfer bei der Föderation werden?« »Unsinn. Das diente nur als Sprungbre zum R&R. Ich hasse Gewalt. Und ich hasse es, wenn Frauen mein Leben regieren.« Stetson warf erneut einen Blick nach Südwesten. Am Horizont war ein Gleiter aufgetaucht. »Bist du bereit, als Spion im Hause der Bullones zu leben, um ...« »Als Spion?« »Um soviel wie möglich über diese Verschwörung herauszufinden ...« »In zweiundvierzig Stunden?« »Oder weniger.« »Eine gefährliche Sache. Die Residenz liegt ziemlich abgeschieden. Ich habe keinerlei Kontakt zu euch.« »Vergiß nicht den Kehlkopfsender!« sagte Stetson. »Die Ärzte haben ihn auf meine Bie wieder implantiert.«
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»Wie menschenfreundlich!« »Jedenfalls funktioniert er. Wir verfolgen alles mit, was sich in deiner unmielbaren Umgebung abspielt.« »Das garantiert meine Loyalität«, sagte Orne. Noch während er sprach, kam ihm der Gedanke, daß er den Sender aus seinem Körper entfernen konnte, wenn er es nur richtig wollte. Er schüttelte den Kopf. Verrückte Idee! »Das war nicht der Zweck des Einbaus«, widersprach Stetson heig. Orne, immer noch verwirrt durch seine sonderbaren Gedanken, schaltete das Kehlkopfmikrophon ein und bewegte die Sprechmuskulatur. Irgendwo fing jemand seine Stimme auf, das wußte er. »Hallo, mein treuer Schaen! Paß gut auf, wenn ich diese Diana Bullone verführe! Vielleicht lernst du etwas dabei.« Zu seiner Überraschung erwiderte Stetson: »An deiner Stelle würde ich mich auf die wichtigeren Dinge konzentrieren!« Stet trug also auch eins dieser verdammten Geräte. Traute der Untersuchungsausschuß überhaupt niemandem mehr?
* Auf den Menschen angewandt, umfaßt der Begriff ›Feedback‹ komplizierte unterbewußte Prozesse, sowohl im Sinne des Individuums wie auch des Kollektivs. Daß Einzelwesen durch solche unterbewußte Kräe beeinflußt werden können, wissen wir seit langem. Daß auf sehr viel breiterer Basis ähnliche Vorgänge existieren, ist weniger bekannt. Sie erscheinen im allgemeinen nur latent, in Bevölkerungskurven, in der Geschichtsentwicklung, in Veränderungen, die sich über Jahrhunderte erstrecken. Wir neigen dazu, solche Prozesse religiösen Kräen zuzuschreiben und vermeiden es, sie analytisch zu betrachten. VORLESUNGEN DES ABTES Privatnotizen
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Mrs. Bullone stand im Mielpunkt des Gästezimmers, die Hände über dem stalichen Leib gefaltet. Sie erinnerte an eine fee kleine Maus – graue Augen, graues Haar unter einem perlenbesetzten Netz, ein langes, grausilbernes Kleid, das über dem mächtigen Busen spannte, und ein ausgeprägtes Doppelkinn. Ich darf nicht vergessen, sie Polly zu nennen, dachte Orne. »Sie sollen sich bei uns wie daheim fühlen, Lewis!« sagte sie. Sie besaß einen dröhnenden Bariton, der lächerlich wirkte, wenn man gleichzeitig einen Blick auf ihren winzigen, gespitzten Mund warf. Orne sah sich um. Schlichte Möbel mit einem altmodischen Handselektor zur Farbwahl. Ein polarisiertes Fenster gab den Blick auf einen ovalen Swimming-pool frei. Das Glas (er war sicher, daß es sich um echtes Glas und nicht um einen der raffinierten neuen Kunststoffe handelte) wies eine gedämpe dunkelblaue Tönung auf, die den Park draußen in eine vom Mondlicht übergossene Landscha verwandelte. Ein Konturenbe stand an der rechten Längswand; darüber befanden sich Einbaufächer. Zur Linken sah man durch eine halboffene Tür Badezimmerkacheln. Alles machte einen altmodisch gemütlichen Eindruck. Er fühlte sich in der Tat wie daheim. »Genauso habe ich unser Haus auf Chargon in Erinnerung«, sagte er. »Ich war verblü, als ich es zum erstenmal aus der Lu sah. Sogar der Grundriß stimmt.« »Ja, Ihre Muer und ich haen viele gemeinsame Ansichten. Wir sind bis heute gute Freundinnen geblieben und pflegen einen regen Gedankenaustausch.« »Sie haben soviel für mich getan.« Innerlich fluchte Orne, weil ihm nichts außer diesem banalen Zeug einfiel. »Ich weiß nicht, wie ich mich dafür jemals erkenntlich zeigen kann.« »Ah, da sind wir ja!« sagte eine sonore Stimme vom Korridor her. Orne drehte sich um. In der Tür stand Ipsco Bullone, der
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Hochkommissar der Galaktischen Liga und – wenn Stetson recht behielt – ein Verräter. Bullone war ein hochgewachsener Mann mit einem scharfgezeichneten Gesicht, in dem vor allem die dunklen Augen unter den buschigen Brauen auffielen. Auf den ersten Blick wirkte er linkisch, ja sogar ein wenig scheu – aber das war vielleicht die Politikermasche. Dennoch, als Verschwörer oder gar Diktator konnte sich Orne den Mann nicht vorstellen. Bullone trat näher. »Freut mich, daß Sie das Schlimmste überstanden haben, mein Junge«, sagte er jovial. »Hoffentlich gefällt es Ihnen bei uns.« »Lewis erzählte mir eben, wie sehr ihn unser Heim an Chargon erinnert«, warf Polly ein. »Nicht gerade das, was man heutzutage baut, aber wir mögen es so«, meinte Bullone. »Ich kann die moderne Architektur nicht ausstehen. Zu funktionell. Ein altmodisches Tetragon auf einer Schwenkachse – mehr brauche ich nicht.« »Ich höre meine Muer sprechen«, lachte Orne. »Ja? Wir richten den Salon meist nach Nordosten aus. Ein herrlicher Blick auf die Hauptstadt, müssen Sie wissen. Aber wenn Sie sich in Ihrem Zimmer nach Sonne oder einer kleinen Brise sehnen, steht es Ihnen jederzeit frei, das Haus zu drehen.« »Zu liebenswürdig«, erwiderte Orne. »Auf Chargon ist der Salon meist der See zugewandt. Wir lieben die Meereslu.« »Wir auch – wir auch. Kommen Sie, wir setzen uns gemütlich zusammen und plaudern über Chargon. Ich würde gern erfahren, wie Sie über die politische Entwicklung Ihres Heimatplaneten denken.« »Ich schlage vor, wir lassen Lewis erst einmal ausruhen«, sagte Polly. »Schließlich hat man ihn eben erst aus dem Krankenhaus entlassen, und er ist sicher völlig erschöp.«
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Sie wir ihn hinaus, dachte Orne. Sie hat ihm noch nicht erzählt, daß ich mit siebzehn von Zuhause durchgebrannt bin. Polly trat ans Fenster, stellte das Glas auf ein neutrales Grau ein und wählte als vorherrschende Möbelfarbe ein sanes Grün. »So, das entspannt«, sagte sie müerlich. »Wenn Sie etwas benötigen – neben dem Be ist eine Klingel. Der Robo-Butler kennt sich aus, oder er verständigt uns.« »Also dann, bis zum Abendessen!« Bullone winkte ihm zu, dann verließ er an der Seite seiner Frau den Raum. Orne eilte ans Fenster und spähte zum Swimming-pool hinunter. Nichts. Bei seiner Ankun hae er am Rande des Beckens eine junge Frau mit einem großen Sonnenhut und einem knappen Badeanzug bemerkt. Sie war ins Haus gelaufen, als der Gleiter zur Landung ansetzte. Eine junge Frau, nicht größer als Polly, aber gertenschlank und mit goldrotem Haar. Die Züge haen ein wenig hart und energisch gewirkt, aber das machten die riesigen Augen und der volle, schön geschwungene Mund wieder we. Eine Frau, die Eleganz und Weiblichkeit ausstrahlte. Das also war Diana Bullone – die Frau, auf die man ihn angesetzt hae. Orne warf einen Blick auf die Landscha jenseits des Swimming-pools – bewaldete Hügel und am Horizont die schwachen Umrisse einer Gebirgskee. Vornehme Abgeschiedenheit ... Nicht jeder konnte es sich leisten, seine Liebe zum Altmodischen so zu pflegen wie die Bullones. Hier draußen waren sie zumindest vor neugierigen Blicken geschützt. Wird Zeit, daß ich mich bei Stet melde, dachte Orne und schaltete das Mikrophon ein. Er schilderte seinem Vorgesetzten die Lage. »Sieh zu, daß du mit der Tochter näher bekannt wirst! Deiner Beschreibung nach war es das Mädchen am Swimming-pool.«
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»Ich werde mir Mühe geben«, versprach Orne und unterbrach die Verbindung. Er spürte eine sonderbare Unruhe. Irgendwie hae er den Eindruck, als ob er die Angelegenheit von verschiedenen Gesichtspunkten aus zugleich betrachtete. Zum einen machte er Stetsons Spiel mit; zum anderen ging er persönlichen Interessen nach. Und tief in seinem Innern war ein neutraler Beobachter, der sein Benehmen unmöglich fand. Unabhängig davon drängte es ihn, jetzt, da er dem Tod so knapp entronnen war, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Um sich von diesen verwirrenden Gedankengängen abzulenken, schlüpe er in eine frische Uniform und verließ sein Zimmer. Er schlenderte durch einen gekrümmten gelben Korridor, der, wie er wußte, in den Salon führte. Die Aufenthaltsräume und Gästezimmer befanden sich wie daheim auf Chargon an der Außenseite des Hauses. Den Kern bildeten die Privaträume der Familie. Orne betrat den Salon, einen langgestreckten Raum, der um zwei Segmente des Tetragons herumführte. Der Boden war mit einem dicken Teppich in roten und braunen Farbtönen bedeckt. Niedrige Sofas standen zwanglos gruppiert unter den Fenstern. In einer Ecke des Salons entdeckte er eine Gestalt, die eine ähnliche Uniform trug wie er. Er wollte sich bemerkbar machen, doch im gleichen Moment erklang Musik. Orne horchte wie verzaubert. Er fühlte sich in seine Kindheit zurückversetzt. Eine Kaithra – seine Schwestern haen das Instrument ebenfalls beherrscht. Das Mädchen, das sich über den Metallständer mit dem flachen Holzbre beugte und die Saiten mit zwei kleinen Hämmern bearbeitete, mußte Diana Bullone sein. Leise trat er näher. Die Musik ließ ihn an Gestalten denken, die in wilden Stampfrhythmen um ein loderndes Feuer tanzten ... »Ihr Spiel weckt Heimweh in mir«, sagte er leise, als der Schlußakkord verklungen war.
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Das Mädchen zuckte zusammen und wirbelte herum. »Oh – ich hae Sie nicht bemerkt.« »Entschuldigen Sie bie, daß ich mich wie ein Dieb heranschlich. Ihre Musik lockte mich an.« Sie lächelte. »Ich bin Diana Bullone. Und Sie müssen Lewis Orne sein.« »Für Sie hoffentlich Lew.« »Gern.« Sie legte die Metallhämmer auf das reichverzierte Instrument. »Nicht viele Menschen kennen den Klang einer Kaithra. Aber in der Familie meiner Muer spielt man sie seit Generationen.« Orne nickte. »Meine Schwestern beherrschen sie ebenfalls. Es – es ist lange her, seit ich sie zum letztenmal hörte.« »Ach ja«, sagte Diana. »Ihre Muer ist ...« Sie unterbrach sich verwirrt. »Ich muß mich daran gewöhnen, daß Sie ein ... ich meine, daß wir einen Fremden im Haus haben, der genau genommen doch keiner ist.« Orne lachte. Dieses Mädchen gefiel ihm. Trotz des strengen Knotens und der einfachen UA-Uniform sah sie prächtig aus. Doch dann rief er sich in Erinnerung, daß sie Stetsons Verdächtige Nummer Eins war. Diana und Maddie? Eine verrückte Situation. Er befand sich als Gast hier und benutzte die Gelegenheit, um herumzuschnüffeln, und das Mädchen, das ihn faszinierte, auszuhorchen! Halt, dachte er. Deine oberste Treue gehört dem Untersuchungsausschuß. Es geht um den Frieden der Galaxis. Eine Stimme in seinem Innern spoete: Um den gleichen Frieden wie auf Hamal und Sheleb? Ziemlich lahm erwiderte er: »Ich hoffe, Sie betrachten mich nicht mehr lange als Fremden.« »Schon vorbei.« Sie nahm lachend seinen Arm. »Wenn Sie Lust haben, veranstalte ich für Sie eine Exklusiv-Führung durch unseren Besitz. Ein verrückter alter Bau – aber ich liebe ihn.«
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Musik ist ein wesentlicher Bestandteil vieler Psi-Erlebnisse, die man der Religion zuordnet. Durch die ekstatische Kra rhythmischer Laute fühlen wir uns hingezogen zu Mächten jenseits der Zeit und jenseits der festen Vorm, die durch unseren engen Blickwinkel in die Unendlichkeit begrenzt werden. NOAH ARKWRIGHT Formen des Psi Gegen Abend konnte Orne nicht mehr klar denken. Diana war die aufregendste Frau, die er je kennengelernt hae – und doch fühlte er sich in ihrer Nähe geborgen. Sie liebte das Wasser, die unblutige Paloika-Jagd und den Geschmack von Ditar-Äpfeln. Sie zeigte eine gewisse Geringschätzung gegenüber der älteren Generation und verriet ihm im Vertrauen, daß ihr die Bürokratie des Untersuchungsausschusses auf die Nerven ging. Sie konnten beide wie Kinder über die unsinnigsten Dinge lachen. Orne betrat sein Zimmer, um sich für das Abendessen umzukleiden. Durch das glasklare Fenster – er hae das Grau verbannt – starrte er in den Park hinaus. Die Dunkelheit, die in diesen Breiten rasch hereinbrach, hae sich wie eine schwere Decke über die Landscha gebreitet. Nur über den Bergen am Horizont lag ein orangegelber Schein. Die drei Monde von Marak würden bald aufgehen. Verliebe ich mich in diese Frau? dachte Orne. Kindheitserinnerungen drangen auf ihn ein, vermischten sich mit seinen Zweifeln. Die rituellen Übungen von Chargon kamen ihm wieder in den Sinn, mysterienbeladen wie eh und je. Er dachte: Ich bin es. Ich bin das Selbstbewußtsein, das die Höchste Weisheit kennt und das Absolute fühlt. Ich bin das All-Eine, das Unpersönliche, das man Go nennt.
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Weltliches Machtstreben, in religiöse Formeln umgewandelt – aber irgendwie spürte er, daß die alten Begriffe eine neue Bedeutung erlangt haen. »Ich bin Go«, wisperte er, und er durchschaute, daß dieses Ich nichts mit seinem Ego zu tun hae. Unbekannte Kräe regten sich in seinem Innern. Er wollte sich mit Stetson in Verbindung setzen, nicht, um ihm Bericht zu erstaen, sondern um Klarheit in seine verworrenen Gefühle zu bringen. Dann fiel ihm ein, daß Stetson oder sein Stellvertreter ihn und Diana den ganzen Nachmiag belauscht hae, und Zorn stieg in ihm auf. Der Robo-Butler meldete, daß die Familie sich zum Abendessen versammelte. Hastig schlüpe Orne in eine Ausgehuniform und begab sich in den Salon. Die Bullones erwarteten ihn bereits. Auf dem altmodischen Tisch mit den Warmhalteplaen brannten echte Kerzen (sie verbreiteten Weihrauchdu) zwischen goldenen Shardi-Gedecken. »Willkommen in unserem Heim«, sagte Bullone und erhob sich feierlich. »Mögen Sie hier die nötige Ruhe und Erholung finden!« Orne bedankte sich und nahm Platz. »Sie haben das Haus gedreht«, stellte er fest. »Wir lieben den Mondeaufgang«, erklärte Polly und deutete zu den Bergen hinüber. »Romantisch, nicht wahr?« Diana hielt die Augen auf ihren Teller gesenkt. Sie trug ein tiefausgeschnienes Kleid aus lindgrüner Glitzerseide, das ihr goldrotes Haar herrlich zur Geltung brachte. Eine schlichte Kee aus Reinach-Perlen schimmerte an ihrem Hals. Polly, die rechts von Orne saß, wirkte sehr fraulich in einem dunklen Kleid mit Stola, die ihre Tonnenfigur ein wenig verhüllte. Bullone trug schwarze Abendshorts und eine knielange goldgetönte Kubi-Jacke. Das Haus und seine Bewohner strahlten Reich-
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tum und Vornehmheit aus. Einen Moment lang teilte Orne Stetsons Verdacht: Ipsco Bullone würde alles tun, um sich und den Seinen dieses Luxusleben zu erhalten. Aber er täuschte sich. Sein Eintreten hae einen Streit zwischen Polly und ihrem Mann unterbrochen. Jetzt, nachdem er Platz genommen hae, setzten sie ihn fort. Die Diskussion störte Orne nicht; im Gegenteil, sie gab ihm das Gefühl, daß man ihn als Familienmitglied akzeptierte. »Ich brauche diesen Rummel längst nicht mehr«, sagte Bullone müde. »Ich sitze fest im Sael. All diese Fremden im Haus ...« »Unsere Wahlpartys haben Tradition«, unterbrach ihn Polly entschieden. »Viel lieber würde ich mich im kleinen Kreis entspannen«, beharrte Bullone. »Wir halten den Rahmen ohnehin bescheiden«, sagte Polly. »Fünfzig Personen – mehr nicht.« Bullone stöhnte. »Daddy, bei einer so wichtigen Wahl kannst du dich gar nicht entspannen«, warf Diana ein. »Das politische Gleichgewicht der Liga steht auf dem Spiel. Denke nur an den Aikes-Sektor! Wenn da etwas schiefläu, bist du die Führung los.« »Sie hat mir bisher nichts als Kopfschmerzen eingebracht. Ich gebe sie mit Vergnügen ab.« Bullone wandte sich an Orne. »Entschuldigen Sie das Gezänk, mein Freund, aber wenn ich mich nicht hin und wieder zur Wehr setze, gerate ich ganz unter den Pantoffel. Sie haen, soviel ich höre, auch einen anstrengenden Tag.« Er warf seiner Tochter einen liebevollen Blick zu. »Diana vergißt, daß Sie bis gestern im Krankenhaus lagen.« »Oh, es hat mir großes Vergnügen bereitet«, versicherte Orne. »Morgen unternehmen wir einen Ausflug in den Naturschutzpark«, sagte Diana. »Wenn wir den Gleiter benutzen, wird es nicht so schlimm für Lew.«
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»Aber kommt rechtzeitig zur Party zurück!« ermahnte sie Polly. Bullone sah Orne mit hochgezogenen Brauen an. »Verstehen Sie jetzt, was ich meine?« »Aber, Scoie ...«, begann Polly, doch im gleichen Moment drang aus einer Nische ein schwaches Summzeichen herüber. »Oh, das ist sicher für mich. Einen Augenblick, bie.« Orne beugte sich über seinen Teller und begann zu essen. So sehr er die Ohren spitzte, er verstand kein Wort von dem Gespräch, das Polly führte. Nach einer Weile kehrte sie an den Tisch zurück. »Etwas Wichtiges?« fragte Bullone. »Eine Absage für morgen abend. Professor Wingard ist krank.« »Go sei Dank, einer weniger«, meinte Bullone achselzuckend. Wie ein machthungriger Verschwörer wirkt er eigentlich nicht, dachte Orne. Außer er spielt mir ein raffiniertes Theater vor ... Zum erstenmal keimte in Orne der Verdacht auf, daß ihn vielleicht Stetson belogen hae. Wenn das Ganze nun ein Versuch war, Leute aus dem Untersuchungsausschuß in die große Politik einzuschleusen? Nein. Es hae keinen Sinn, Phantomen nachzulaufen. Er mußte sich an die Fakten halten. Polly sah ihren Mann kopfschüelnd an. »Scoie, du bekleidest ein bedeutendes Amt! Darüber solltest du hin und wieder nachdenken.« »Meine Liebe, das ist dein Werk«, erwiderte Bullone mit einem schüchternen Lächeln. »Ohne dich wäre ich eine politische Null.« »Nun hör mal, Scoie ...« »Doch, doch, streite es nicht ab!« Er wandte sich Orne zu. »Sie berät mich in allen entscheidenden Fragen. Und sie ist schlau wie ein Fuchs. Nun, es scheint in der Familie zu liegen. Ihre Muer
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und ihre Großmuer waren ebenfalls politische Genies.« Orne starrte seinen Gastgeber an. Er vergaß, die Gabel aus der Hand zu legen. Ein Gedanke explodierte in seinem Gehirn. Es kann nicht sein, dachte er. Es kann einfach nicht sein! »Du verstehst doch sicher etwas von Politikerfamilien, Lew«, meinte Diana. »Dein Vater war Chargons Vertreter in der Liga, nicht wahr?« »Ja, murmelte Orne. »Er starb im Amt.« »Entschuldige – ich wollte nicht an alte Wunden rühren.« »Oh, schon gut.« Orne schüelte langsam den Kopf. Er versuchte den Gedanken, der ihn befallen hae, loszuwerden. Es konnte nicht sein, und doch – die Einzelheiten stimmten haargenau ... »Was ist, Lewis?« fragte Polly besorgt. »Sie sehen mit einemmal so blaß aus.« »Ich fühlte mich ein wenig erschöp«, log Orne. »Oh, Lew!« Diana schob ihren Teller zur Seite. »Es ist meine Schuld. Ich häe dich nicht durch das ganze Haus schleppen dürfen.« »Unsinn ...«, wehrte er ab. Polly hae sich mit einem energischen Ruck erhoben. »Sie legen sich sofort ins Be, Lewis, und wenn Sie sich etwas besser fühlen, bringe ich Ihnen eine kräige Brühe, ja?« Orne hae Gewissensbisse. Sie machten sich echte Sorgen um ihn, daran gab es keinen Zweifel. Verwirrt schob er seinen Stuhl zurück. »Mrs. Bullone, wenn Sie mich – äh – Polly –, wenn du mich nicht für unhöflich hältst ...« »Los, nun aber raus mit dir!« Orne erhob sich mit ziernden Knien. »Bis morgen, Lew«, sagte Diana. »Erhol dich gut!« Er hae das Gefühl, daß sie besondere Wärme in ihre Worte legte. »Bis morgen«, entgegnete er schwach und floh aus dem Raum.
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Im Korridor hörte er, wie Bullone auf Diana einredete: »Du bist verrückt, Mädchen! Lewis braucht noch Schonung. Wehe, du nimmst morgen nicht auf seinen angegriffenen Zustand Rücksicht!« Die Antwort verstand Orne nicht mehr. Er betrat sein Zimmer, ließ sich auf das Be fallen und schaltete das Kehlkopfmikrofon ein. »Stet!« »Hallo, Orne«, kam die Antwort. »Hier spricht Stetsons Ersatz!« »Hören Sie mir genau zu, Mann! Sie wissen von dem Archiv, das die Nathianer auf Dabih zurückgelassen haben, ja? Forschen Sie nach, ob Sheleb einer der Planeten war, auf denen sie ihre sogenannten Flüchtlinge absetzten!« »In Ordnung. Warten Sie!« Es entstand eine lange Pause. Dann meldete sich Stetson. »He, Lew! Was soll deine Frage hinsichtlich Sheleb?« »Stand der Planet in dem Verzeichnis der Nathianer?« »Nein.« »Bist du ganz sicher? Es würde eine Menge erklären ...« »Hm – Moment.« Wieder wartete Orne eine geraume Weile. »Sheleb liegt auf der Route nach Auriga, und Auriga stand auf ihrer Liste. Wir haben Grund zu der Annahme, daß Auriga nicht zu den abtrünnigen Planeten zählt. Angenommen, das Schiff erreichte sein Ziel nicht, weil es irgendwo unterwegs notlanden mußte ...« »Das ist die Lösung!« rief Orne aufgeregt. »Mann, bleib im subvokalen Bereich!« fauchte Stetson. »Sie können unser Gespräch nicht mithören, aber sie wissen, daß wir diese implantierten Sender besitzen. Wenn sie Verdacht schöpfen, weil du zu laut redest ...« »Entschuldige. Aber ich wußte, daß Sheleb zu diesen Welten gehörte.« »Weshalb? Was hast du entdeckt?«
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»Ich – es ist ein schrecklicher Gedanke«, sagte Orne. »Du erinnerst dich – die Trauen auf Sheleb besaßen die Möglichkeit, das Geschlecht ihrer Nachkommen schon bei der Empfängnis zu bestimmen.« »Daran denke ich nicht so gern. Ist es wichtig?« »Stet, wenn sich nun diese Untergrundbewegung nur aus Frauen zusammensetzt? Wenn ihre eigenen Männer nichts von der Verschwörung wissen? Wenn auf Sheleb die Sache nur außer Kontrolle geriet, weil der Kontakt mit der Zentrale verlorengegangen war? Vergiß nicht, der Planet ist ein Findelkind des R&R!« »Heilige Muer Marak!« murmelte Stetson. »Hast du Beweise, daß...« »Bis jetzt nicht«, schni ihm Orne das Wort ab. »Wäre es dir möglich, eine Liste der Leute zu besorgen, die zur Wahlparty der Bullones eingeladen sind?« »Eine Kleinigkeit. Weshalb?« »Überprüfe, ob Familien dabei sind, in denen die Frauen ihre Männer zu großen politischen Leistungen anspornen. Und gib mir rechtzeitig Bescheid, wenn du etwas entdeckst.« »Lew, solche vagen Anhaltspunkte reichen nicht aus, um ...« »Im Moment müssen wir nehmen, was sich bietet.« Orne machte eine Pause. »Halt, Stet«, sagte er dann nachdenklich. »Vielleicht ist da noch etwas. Das Nomadenerbe ...«
* Wir haben ein altes Sprichwort: Je mehr Go, desto mehr Teufel; je mehr Fleisch, desto mehr Maden; je mehr Besitz, desto mehr Angst; je mehr Macht, desto mehr Unterdrückte. DIE ÄBTE VON AMEL Psi-Kommentare
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Die Bullones begannen ihren Tag sehr früh. Trotz der bevorstehenden Wahlen begab sich der Hochkommissar bereits eine Stunde nach Sonnenaufgang in sein Büro. Er begegnete Orne, der schläfrig in den Korridor hinaustrat, und begrüßte ihn lebha. Diana und Polly standen in der Tür zum Salon. »Müssen Sie jetzt schon fort?« fragte Orne und unterdrückte mühsam ein Gähnen. »Leider, mein Junge, leider«, erwiderte Bullone. »Verstehen Sie jetzt, weshalb mir dieser Job zum Hals heraushängt?« Diana und Polly traten näher. Sie überschüeten Orne mit Fragen nach seinem Befinden. Gemeinsam brachten sie Bullone zu seinem Gleiter. Der Himmel war wolkenlos, und der Park duete nach Blüten und taufrischem Gras. »Dad hat mir ordentlich die Meinung gesagt, Lew«, meinte Diana, als Bullone gestartet war. »Heute wollen wir nichts übertreiben. Komm, zuerst gibt es Frühstück ...« Sie nahm seine Hand und zog ihn zurück zum Haus. Polly war bereits vorausgegangen. Ich muß mich vorsehen, dachte Orne. Sie behandeln mich so freundlich. Auch die Frauen von Sheleb haen Charme besessen, bevor sie ihm den Krieg erklärten. »Ein Picknick düre genau das Richtige für dich sein«, fuhr Diana fort. »Wir fliegen zu einem idyllischen kleinen See hinaus, nehmen etwas zu lesen oder ein paar Filme mit und faulenzen richtig.« Orne zögerte. »Aber die Party?« »Ach, das übernimmt Muer.« Er dachte an die Dinge, die heute in diesem Haus geschehen konnten – Dinge, die er beobachten sollte. Aber nein ... wenn er die Situation richtig einschätzte, dann stellte Diana ein schwaches
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Glied in der Kee dar. Außerdem drängte die Zeit. Bis morgen konnten die Nathianer die Regierung übernommen haben. Er wußte, daß er die Entscheidung sofort treffen mußte. Und so sagte er: »Freundliche Eingeborene, du bist des Weges kundig. Ich vertraue dir mein Leben an!« Und er dachte: Hoffentlich nützt du das nicht aus!
* Jene, die Wissen um des Lohnes willen suchen – und das gilt auch für das Psi-Wissen – wiederholen die Fehler der primitiven Religionen. Wissen, gewonnen aus der Furcht oder aus der Hoffnung auf Lohn, ist umgeben von einem Mantel der Ignoranz. Die Alten lernten auf diese Weise, und das Ergebnis war eine Verzerrung der Wirklichkeit. APHORISMEN DER ÄBTE Wege zur Erlangung von Psi-Kräen Die Sonne lag warm über dem Wasser. San stieg das Ufer an. Zwischen den weichen Grashalmen nickten purpurne und orangerote Blüten. Vögel zwitscherten in den Baumkronen, und im Ried am anderen Ufer nistete ein Groomis, der hin und wieder seinen knarrenden Lockruf ausstieß. Diana hae die Hände im Nacken verschränkt und die Augen geschlossen. »Als Kinder machten wir bei schönem Weer an jedem Achag ein Picknick«, erzählte sie. »Leider lassen es die Weerexperten für meinen Geschmack viel zu o regnen.« Orne saß neben ihr auf der Mae und starrte auf den See hinaus. Ein Gefühl der Unruhe hae ihn erfaßt. Genau wie auf Sheleb, dachte er. Und wie daheim ... »Da drüben im Schilf haen wir ein selbstgebautes Floß versteckt.« Diana richtete sich auf und deutete zu ein paar angefaul-
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ten Stämmen. »Siehst du? Die Reste sind noch da.« Ihre Hand streie Ornes Arm. Etwas wie ein Schock durchfuhr ihn. Ohne recht zu wissen, was er tat, riß Orne Diana an sich und küßte sie. Sie wehrte sich nicht. Erst nach einer Ewigkeit ließ er sie wieder los. »Ich – ich wollte das nicht«, wisperte Diana. »Ich auch nicht.« Orne schüelte benommen den Kopf. »Himmel, was habe ich da angerichtet ...« Diana schluckte. »Lew – hast du etwas gegen mich?« Einen Moment lang dachte er an Stetson. Ach was, der glaubt sicher, das gehört zu meiner Rolle!. Ein bieres Gefühl. »Mädchen – ich – ich liebe dich.« Sie kuschelte sich mit einem Seufzer an seine Schulter. »Dann ist doch alles in Ordnung. Du bist nicht verheiratet. Muer hat das nachgeprü.« Sie lächelte. »Du mußt wissen, Muer hat das zweite Gesicht.« Die Bierkeit blieb. Er erkannte das Schema zu deutlich. »Diana«, begann er, »ich bin mit siebzehn von zu Hause fortgelaufen ...« »Ich weiß, Liebling. Muer hat mir alles erzählt.« »Du begreifst nicht. Mein Vater starb, bevor ich auf die Welt kam. Er ...« »Das war sicher furchtbar für deine Muer. Plötzlich allein – und ein Baby unterwegs ...« »Sie haen es längst gewußt. Es war die Broach-Krankheit. Die Ärzte erkannten die Gefahr erst, als es keine Heilungschancen mehr gab. Das Zentralnervensystem war bereits angegriffen.« »Wie entsetzlich!« flüstere Diana. »Dann – dann warst du sicher geplant – ich meine, sie brauchten einen Sohn ...« Orne fiel es wie Schuppen von den Augen. Er preßte die Hände
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gegen die Stirn. »Natürlich«, sagte er leise. »Dad war Chargons Vertreter in der Liga. Muer hat mich von der ersten Minute an in die richtige Bahn zu lenken versucht. Als Dads Nachfolger ...« »Du hast dich gegen ihre Wünsche gesträubt?« »Ich haßte die ewige Bevormundung. Eine meiner Schwestern heiratete schließlich einen Mann, der das Amt übernahm. Hoffentlich ist er glücklich dabei.« »Maddie – ja.« Orne erinnerte sich an die verschlüsselte Botscha, die der Untersuchungsausschuß abgefangen hae. »Wie gut kennst du Maddie?« fragte er. »Sehr, sehr gut. Lew – was ist denn los mit dir?« »Immer nur Politik«, murmelte er. »Du würdest von mir das gleiche Spiel verlangen. Daß ich an meine Karriere denke, daß ich meinen Einfluß ausbaue, daß ich mich an die Spitze vorarbeite...« »Warte ab bis morgen!« entgegnete sie. »Vielleicht ist das Versteckspiel dann gar nicht mehr nötig.« Orne spürte ein Knacken im Kehlkopfsender, aber er hörte keine Stimme. »Was – ist morgen?« wollte er wissen. »Die Wahlen, was sonst? Lew, du benimmst dich merkwürdig. Fühlst du dich nicht wohl?« Sie legte ihm die Hand auf die Stirn. »Vielleicht sollten wir lieber ...« »Nein, nein«, wehrte Orne ab. »Es ist nur – ich habe eben erkannt, daß ich ein Nathianer bin!« Sie starrte ihn an. »Du hast es eben erkannt?« »Vielleicht wußte ich es auch.« Orne zuckte die Achseln. »Ja, ich wußte es und wollte es nicht wahrhaben.« »Lew, ich verstehe dich nicht.« »Die Ähnlichkeit in der Struktur«, sagte er. »Sie fiel mir sofort auf – aber ich zog keine Schlüsse daraus. Oh, ich Idiot!« Er schnippte
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mit den Fingern. »Der Kopf! Deine Muer! Sie steckt hinter der ganzen Sache. Sie hat die Fäden in der Hand.« »Aber natürlich, Liebling! Sie – ich dachte, du ...« »Bring mich zu ihr, so schnell wie möglich!« Orne schaltete das Kehlkopfmikrofon ein. »Großartige Arbeit, Lew«, sagte Stetson begeistert, bevor Orne zu Wort kam. »Wir rücken sofort mit einer Spezialeinheit an! Ich gehe kein Risiko ein bei diesen ...« »Stet! Keine Truppen!« sagte Orne laut. Entsetzen hae ihn gepackt. »Komm zu den Bullones – aber allein, hörst du?« Diana war aufgesprungen. Sie wich ein paar Schrie zurück. »Was meinst du?« fragte Stetson. »Ich versuche eure dämlichen Hälse aus der Schlinge zu ziehen!« fauchte Orne. »Du kommst allein, ist das klar? Sonst erleben wir eine neue Katastrophe.« »Lew, mit wem sprichst du?« fragte Diana. Orne beachtete sie nicht. »Stet, hast du verstanden?« »Hört denn dieses Mädchen mit?« »Natürlich hört sie mit. Beeil dich!« »Gut, Lew. Ich weiß nicht, wie die Lage aussieht, aber ich vertraue dir, obwohl du selbst zugegeben hast – nun, du weißt, daß ich euer Gespräch überwachte. Die Spezialtruppen stehen bereit. Ich bin in zehn Minuten bei Bullone, aber nicht allein. Der Kommandeur der Galaktischen Streitmächte wird mich begleiten.«
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Der Teufel steckt in allen Dingen, die wir nicht verstehen. Das verhüllte Auge sieht den Hintergrund des Universums schwarz. So entsteht jene satanische Kulisse, die unsere Unsicherheit weckt und Visionen der Hölle hervorbringt. Um diesen Teufel zu bezwingen, tun wir, als wären wir allwissend. Aber angesichts des grenzenlosen Universums, das jenseits der satanischen Kulisse lauert, muß Allwissenheit eine Illusion bleiben – nichts als eine Illusion. Haben wir das erst akzeptiert, dann löst sich die Kulisse von selbst auf. ABT HALMYRACH Von der Religion ins Reich der Psi-Kräe Es war eine aufgebrachte Gruppe, die sich im Salon der Bullones versammelt hae. Jalousien und dunkel getönte Fenster hielten das grelle Licht der Miagssonne ab. Die Klimaanlage summte, und im Hintergrund hörte man das Klicken und Klappern der Robo-Diener, die alles für die Wahlparty vorbereiteten. Stetson lehnte an einer Wand, beide Hände tief in den Taschen seiner ausgebeulten Drillichuniform vergraben. Eine tiefe Falte stand über seiner Nasenwurzel. Admiral Sobat Spencer, Kommandeur der Galaktischen Streitmächte, ging wie ein gefangenes Raubtier im Zimmer auf und ab. Polly Bullone saß auf einem Sofa, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepreßt. Diana stand mit geballten Fäusten neben ihr. Sie zierte vor Wut, und ihr Blick war starr auf Orne gerichtet. »Diese kleine Zusammenkun ist also auf meine Dummheit zurückzuführen«, sagte Orne. Er stemmte die Hände in die Hüen und trat in die Mie des Zimmers. Das Hin- und Herwandern des Kommandeurs ging ihm allmählich auf die Nerven. »Aber ich halte es für gut, wenn Sie mir zunächst alle einen Moment lang zuhören.« Er sah den Admiral an. »Alle.«
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Spencer, hielt an. »Ich warte immer noch darauf, daß Sie mir einen vernünigen Grund für Ihre Verzögerungstaktik nennen. Am liebsten würde ich dieses Haus in seine Bestandteile zerlegen lassen und der Sache auf den Grund gehen ...« »Sie – Sie Verräter, Lewis!« dröhnte Polly. »Ich bin geneigt, Ihnen beizupflichten, Madame«, sagte Spencer, »wenn auch aus anderer Sicht.« Er warf Stetson einen fragenden Blick zu. »Schon Nachricht von Scoie Bullone?« »Ich erhalte Bescheid, sobald er eintri«, erwiderte Stetson und versank wieder in Nachdenken. »Sie waren zur heutigen Wahlparty geladen, Admiral, nicht wahr?« fragte Orne. »Ja. Aber welchen Zusammenhang hat das ...« »Wären Sie bereit, Ihre Frau und Ihre Töchter wegen Teilnahme an einer Verschwörung festzunehmen?« Ein hartes Lächeln umspielte Pollys Lippen. Spencer setzte zum Sprechen an, doch er brachte keinen Laut heraus. »Die Nathianer sind in der Hauptsache Frauen«, erklärte Orne. »Die Damen Ihres Haushalts gehören dazu.« Der Admiral sah aus, als häe er einen Schwinger in die Magengrube erhalten. »Die Beweise ...« flüsterte er. »Einen Augenblick!« wehrte Orne ab. »Darauf komme ich noch.« »Unsinn!« fauchte der Admiral. »Sie glauben doch nicht ...« »Lassen Sie ihn ausreden, Admiral«, warf Stetson ein. »Ich muß sagen, das lohnt sich in den meisten Fällen.« »Dann soll er endlich etwas Vernüniges vorbringen!« »Also gut«, begann Orne. »Die Nathianer sind, wie gesagt, in der Hauptsache Frauen. Die wenigen Männer entstanden durch genetische Zufälle oder, wie bei mir, durch sorgfältige Planung.
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Deshalb gelang es uns auch nicht, irgendwelche Namen zu erfahren. Eine enge Gemeinscha von Frauen, die sich mit Hilfe ihrer Männer zu Machtpositionen emporarbeiteten ...« Spencer räusperte sich, schluckte. Er ließ kein Auge von Orne. »Vor dreißig oder vierzig Jahren nun begann die Gruppe damit, einige auserwählte Männer für echte Spitzenpositionen auszubilden. Die übrigen männlichen Angehörigen der Nathianer – die Zufallsprodukte – erfuhren nichts davon. Die neuen Mitglieder jedoch wurden voll in die Verschwörung eingeweiht, sobald sie die Volljährigkeit erreicht haen. Ich schätze, diese Lauahn war auch für mich bestimmt.« Polly starrte ihre Hände an. Diana wandte den Blick ab, als Orne sie ansah. »Die heutige Wahl sollte diesen Teil des Planes krönen. Wenn alles nach Wunsch geklappt häe, wären sie mit größerer Kühnheit zu Werk gegangen.« »Mein Junge, Sie stecken selbst bis über den Kopf in dieser Sache«, fauchte Polly. »Es ist zu spät, etwas gegen uns zu unternehmen.« »Das werden wir ja sehen!« entgegnete Spencer schneidend. Er hae seine Selbstbeherrschung wiedergefunden. »Einige Verhaftungen, eine Pressekampagne, die dem Volk die Augen öffnet ...« »Nein!« unterbrach ihn Orne. »Polly hat recht, Admiral. Für diesen Weg ist es wirklich längst zu spät. Die Frauen von Nathia haben sich im Laufe der Jahrhunderte Positionen geschaffen, von denen wir sie nicht mehr verdrängen können.« Spencer richtete sich auf und warf Orne einen vernichtenden Blick zu. »Junger Mann, ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich diese Residenz niederwalzen lasse ...« »Ja, ja.« Orne winkte müde ab. »Wieder ein Hamal, wieder ein Sheleb.«
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»Wollen Sie die Verschwörung als vollendete Tatsache hinnehmen?« »Eine andere Wahl haben wir kaum«, erklärte Orne. »Aber – es wird Zeit, daß alle hier die Lektion von der Axt und dem Axtstiel begreifen.« »Die – was?« Spencer schüelte verwirrt den Kopf. »In manchen primitiven Zivilisationen räumte man die ständige Kriegsgefahr aus dem Weg, indem man für ein Gleichgewicht der Kräe sorgte. Ein Dorf stellte Axtstiele her, das andere nur die Schneiden. Auf diese Weise entstand eine gegenseitige Rüstungskontrolle ...« Polly beobachtete Orne mit zusammengekniffenen Augen. »Wissen Sie, was ich glaube?« fauchte Spencer. »Mit Ihrem Versuch, hier Verwirrung zu stien, erweisen Sie sich als echter Nathianer!« »Unsinn!« entgegnete Orne ungeduldig. »Das Volk der Nathianer gibt es nicht mehr. Seit fün undert Jahren heiraten die Frauen dieses Stamms in die verschiedensten Kulturen ein. So ist eine Mischrasse entstanden – eine kleine Geheimtruppe von politischen Genies.« Er lächelte Polly zu, dann wandte er sich wieder an Spencer: »Denken Sie einmal an Ihre Frau, Sir! Ganz ehrlich – wären Sie heute Kommandeur der Galaktischen Streitkräe, wenn sie Ihre Karriere nicht in die Hand genommen häe?« Der Admiral lief rot an. Seine grimmige Miene schien Orne jedoch nicht im geringsten zu beeindrucken. »Nun ja – warum sollte ich es nicht zugeben ...«, meinte er schließlich achselzukkend. »Ah, Sobie nimmt Vernun an!« triumphierte Polly. »Ich hae es nicht anders erwartet.« Sie sah Orne an. »Fertig, Lewis? Dann mache ich weiter ...« »Einen Augenblick!« Orne hob die Hand. »Sie unterschätzen
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Ihren Schwiegersohn, Polly.« »Pah!« fauchte Diana. »Ich hasse dich!« »Das wird sich wieder geben.« »Verlaß dich lieber nicht darauf!« Spencer war neben Polly getreten. »Dennoch – wir haben die besseren Trümpfe.« »Im Gegenteil«, korrigierte ihn Orne. »Wenn Sie die Lage objektiv betrachten, stehen Sie mit ziemlich leeren Händen da.« »Wie meinen Sie das?« fragte der Admiral verdutzt. »Das Regieren bringt nicht nur Ruhm«, erklärte Orne. »Man bezahlt seine Macht damit, daß man ständig auf des Messers Schneide balanciert. Das große amorphe Ding da draußen – das Volk – hat schon viele seiner Führer gestürzt. Das geschieht im Handumdrehen, durch ein kurzes Aufflackern des Zorns. Verhindern läßt es sich nur durch eine gute Regierung – keine perfekte, aber eine gute Regierung. Andernfalls ist man früher oder später selbst an der Reihe.« »Und was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen?« fragte Spencer. Stetson trat ein paar Schrie vor. »Das ist ziemlich klar«, meinte er. Alle Augen richteten sich auf ihn. »Um an der Macht zu bleiben, mußten die Frauen von Nathia für eine gute Regierung sorgen. Sie haben es getan, daran besteht kein Zweifel. Wenn wir sie nun absägen, verhelfen wir politischen Pfuschern zu Amt und Würden – fanatischen, machthungrigen Demagogen, die nur darauf brennen, ihre Komplexe auszutoben.« »Und das wäre gleichbedeutend mit dem Chaos«, fuhr Orne fort. »Lassen wir also die Nathianer-Gruppe weitermachen wie bisher – mit zwei kleinen Einschränkungen ...«
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»Wir ändern nichts«, sagte Polly hart. »Sie haben die Lektion von der Axt und dem Axtstiel nicht begriffen.« »Und Sie begreifen die Lektion von echter politischer Macht nicht!« entgegnete Polly. »Lewis, worauf stützen Sie Ihre Forderungen? Sie haben mich, aber das nützt Ihnen nicht viel. Die Organisation kann auch ohne mich weitermachen. Und Sie wagen es nicht, uns preiszugeben. Zuviel steht auf dem Spiel. Wir halten die Peitsche in der Hand!« »Unsinn!« sagte Orne. »Der Untersuchungsausschuß könnte innerhalb weniger Tage neunzig Prozent Ihrer Gruppe in Schutzha nehmen.« »Und wie wollen Sie unsere Mitglieder finden?« »Nichts leichter als das!« »Wirklich, Lew?« Stetson sah seinen Untergebenen fragend an. »Das Nomadenerbe«, erklärte Orne. »Sieh dir dieses Haus an! Ein besseres Zelt! Der Wohnraum der Männer außen – die Frauen abgeschirmt im Zentrum ...« »Gut«, warf Spencer ein, »aber das reicht doch nicht!« »Nein. Hinzu kommt eine Vorliebe für die Musikinstrumente der Nomadenvölker – Kaithra, Tamburin, Oboe.« Orne machte eine kleine Pause. »Und wir können nachforschen, welche Politiker durch den Einfluß ihrer Frauen an die Macht gelangten. Es wird uns kaum einer entgehen.« Polly starrte ihn mit offenem Mund an. »Das – das geht mir alles zu schnell«, stammelte Spencer. »Aber ich weiß eines. Ich habe geschworen, einen zweiten Randweltenkrieg mit allen Mieln zu verhindern. Und wenn ich meine eigene Frau verhaen muß – ich werde diesen Schwur halten!« »Eine Stunde nach Aufdecken des Komplos wären Sie nicht mehr in der Lage, jemanden zu verhaen«, widersprach Orne.
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»Der Mann einer Nathia-Angehörigen! Man würde Sie lynchen oder, wenn Sie Glück haben, selbst ins Gefängnis stecken.« Spencer wurde blaß. »Und welchen Kompromiß schlagen Sie vor?« fragte Polly ruhig. »Erstens – Vetorecht gegen jeden Kandidaten, den Sie ernennen«, erklärte Orne. »Zweitens – Ihre Organisation besetzt nie mehr als die Häle der Spitzenpositionen.« »Und wer soll das Vetorecht über unsere Kandidaten erhalten?« »Admiral Spencer, Stet, ich – und sonstige Leute, die uns vertrauenswürdig erscheinen.« »Halten Sie sich für einen Go?« fuhr Polly auf. »Nicht mehr als Sie«, entgegnete Orne. »Ich bin bei meiner Muer in die Lehre gegangen, Polly. Wir schaffen ein Gleichgewicht der Kräe. Ihr schneidet den Kuchen an, wir suchen uns das erste Stück aus. Eine Gruppe stellt den Axtstiel her, eine andere die Schneide. Gemeinsam setzen wir dann die Teile zusammen.« Es entstand ein langes Schweigen. Dann meinte Spencer zögernd: »Es erscheint mir einfach nicht gerecht, nur ...« »Kein politischer Kompromiß ist gerecht«, unterbrach ihn Orne. »Regierungen sind dazu da, Risse zu flicken und Gräben zu überbrücken«, sagte Polly. Sie sah Orne an und lachte leise: »Also gut, Lewis, wir nehmen den Vorschlag an.« Spencer zuckte hilflos die Achseln. »Und noch etwas, mein Junge«, fuhr Polly fort. »Wenn Sie in die Politik einsteigen möchten ...« »Ich stecke seit Jahren bis zum Hals in der Politik«, sagte Orne. »Jetzt möchte ich erst einmal ein paar private Dinge tun. Ich werde Diana heiraten und einen Hausstand gründen ...«
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Diana versteie sich. »Lew, ich will von dir nichts mehr hören und sehen! Hast du das verstanden?« Orne hob die Schultern. Er wirkte sehr müde und niedergeschlagen, als er sich abwandte und auf Stetson zuging. Seine Schläfen hämmerten wie verrückt. Er nahm seine Umgebung wie durch einen Schleier wahr. Schwindel erfaßte ihn, und mit einemmal wurde ihm schwarz vor den Augen. Die Anwesenden schrien entsetzt auf, als Orne zusammenbrach. »Rasch einen Arzt!« rief Stetson. »Ich häe mich mehr um ihn kümmern sollen. Ich wußte, daß er noch sehr schwach ist ...« Polly lief, so schnell es ihre Fülle erlaubte, ans Videofon. »Lew!« Diana packte Orne an beiden Schultern. »Oh, Lew, es tut mir so leid! Ich hae meine Worte doch nicht ernst gemeint. Lew, bie – du darfst nicht sterben ...« Orne schlug die Augen auf. Dianas goldrotes Haar nahm ihm die Sicht. Im Hintergrund hörte er Pollys aufgeregte Stimme videofonieren. Diana schmiegte sich an seinen Hals und löste dabei unbemerkt das Kehlkopf-Mikrophon aus. Orne vernahm das leise Zischen der Trägerwelle. Verdammt, dachte er. Auf den tiefsten Meeresgrund verschwinden soll das Ding! An der Stelle, wo die Chirurgen den Sender implantiert haen, war plötzlich Leere. Das Zischen der Trägerwelle verstummte. Ein Schock durchfuhr Orne. Ich besitze Psi-Kräe! Bei allem, was heilig ist – ein Esper ... San machte er sich von Diana los und setzte sich auf. »Oh, Lew!« flüsterte sie. Polly war neben ihre Tochter getreten. »Der Arzt kommt gleich«, sagte sie. »Inzwischen soll Lewis ganz ruhig liegen. Ich hole nur rasch eine Decke – he, weshalb sitzt er?«
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Orne achtete kaum auf die Worte der anderen. Er dachte: Ich werde nach Amel gehen müssen. Das läßt sich nicht vermeiden. Nach Amel ...
* Der Tod hat viele Aspekte: Nirwana, das ewige Rad, das Gleichgewicht zwischen Organismus und Denken als reine Aktivität, Spannung/Entspannung, Schmerz und Freude, die Suche nach einem Ziel und der Verzicht. Die Aufzahlung läßt sich beliebig fortsetzen. NOAH ARKWRIGHT Aspekte der Religion Im gleichen Moment, als Orne den Schutz der Metallwände verließ und in das helle Sonnenlicht der Landerampe hinaustrat, drangen die Psi-Strömungen auf ihn ein. Schwindel erfaßte ihn, und er umklammerte mit beiden Händen das Geländer. Er hae das Gefühl, zwischen gegensätzlichen Magnetfeldern gefangen zu sein. Die Schwäche ließ nach. In der Tiefe, verzerrt durch flirrende Hitzewellen, breitete sich die glasige Piste des Raumhafens von Amel aus. Kein Luhauch ging. Nur die unsichtbaren Psi-Böen jagten durch sein Inneres. Als Orne auf Marak das Thema Amel angeschnien hae, war plötzlich alles wie von selbst ins Rollen gekommen. Experten des Untersuchungsausschusses haen ihm Psi-Detektoren und -Verstärker implantiert. Kein Mensch fragte nach dem Verbleib des Minisenders. Man zeigte ihm, wie er die Instrumente bedienen mußte, und man brachte ihm bei, die klaren Signale abzusondern und verschwommene Impulse zu verstärken.
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Eine hektische Zeit, wenn er so zurückblickte. Er hae seine politischen Pläne durchgesetzt, die Hochzeit mit Diana vorbereitet, die innere Verwaltung des UA kennengelernt und nebenbei versucht, sich an das neue Psi-Bewußtsein zu gewöhnen. Nun jedoch, da er im Begriff stand, den heiligen Boden von Amel zu betreten, merkte er, daß ihm dies nicht gelungen war. Im Gegenteil – das Psi-Training hae seine Empfänglichkeit und damit seine Furcht gesteigert. Er dachte: Sie haben mich gewarnt, daß es anfangs schlimm sein würde. Jeder, der als Schüler auf die Welt der Priester kam, machte diese Empfindungen durch. Orne konzentrierte sich nach innen, wie er es gelernt hae. Allmählich schwächten sich die Psi-Eindrücke zu einem vagen Gefühl der Unsicherheit ab. Er atmete tief durch. Die Lu war heiß und trocken, als fehlte ihr ein Element, das seine Lungen benötigten. Die Metallfläche der Schiffsluke gab sein Bild leicht verzerrt wieder: blockig, gedrungen – ein Halbgo erstanden aus Amels Vergangenheit. Eine schwache Narbe am Haaransatz war alles, was an Sheleb erinnerte. Er hae sich von dem Zwischenfall erholt; aber er wußte, daß Sheleb Jahrhunderte dazu benötigen würde. Orne betrachtete die Landscha, während der Sturm in seinem Innern langsam abflaute. Türme, Kuppeln, Pagoden, Säulen, Pyramiden, Minaree, Obelisken, Schreine – das alles drängte sich in der Ebene, die tief unten im Sonnenglast flimmerte. Leuchtende Farbkleckse reihten sich an Pastelltöne, Mauern aus Holz ragten neben Triton und Plastistahl auf. Amel war ein Schmelztiegel für tausend Zivilisationen. Die gelbe Sonne Dubhe wanderte über einen wolkenlosen Himmel. Orne schwitzte in der langen blauen Kue, die jeder Priesterschüler tragen mußte. Ein paar Schrie neben ihm führte ein
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breiter Rollstreifen in die Tiefe. Furcht überfiel Orne mit einemmal, Furcht vor dem Unbekannten, das ihn in den engen, verwinkelten Gassen und den bunt durcheinandergewürfelten Häusern des Tempelbezirks erwartete. Schon einmal hae er dieses unheimliche Kribbeln gespürt, dieses namenlose Entsetzen ... Er hae an seinem Schreibtisch gesessen und in die Parklandscha hinausgeträumt. Am Nachmiagshimmel hing die grüne Sonne von Marak, kalt und fern. Auch Amel war weit weg – ein Planet, den er irgendwann nach seinen Flierwochen besuchen würde. Im Moment hielt er Vorlesungen am College des Untersuchungsausschusses. Sein Thema lautete: »Anzeichen latenter Aggressionen und ihr rechtzeitiges Erkennen«. Ganz plötzlich hae ihn dieses Gefühl erfaßt. Er wandte den Blick vom Fenster ab und betrachtete den nüchtern eingerichteten Raum. Alles war wie sonst – die grauen Wände, das Begestell aus Metall, die weiße Decke, der Stuhl am Fußende des Bes, die schmale Spindtür. Dennoch spürte er, daß sich irgend etwas verändert hae, und daß diese Veränderung eine Gefahr für ihn brachte. Schrie näherten sich im Korridor. Jemand klope. Es war Stetson. Der Sektorenchef trug wie immer seine verwaschene, geflickte Drillichuniform. Das Rangabzeichen am Kragen wirkte stumpf, und unwillkürlich überlegte Orne, wann Stet es wohl zuletzt geputzt hae. Hinter Stetson rollte ein Robokarren herein, beladen mit Bändern, Mikrofilmen und sogar einem Stoß altmodischer Bücher. Orne richtete die Blicke auf den Karren. Er wußte sofort, daß seine Furcht nicht unbegründet war. Langsam stand er auf. »Was gibt es, Stet?« Stetson zog sich den freien Stuhl heran und warf die Mütze aufs Be. Er grinste. »An deiner Miene erkenne ich, daß du bereits Schlimmes ahnst. Und du täuscht dich nicht. Eine unangenehme
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Aufgabe.« »Ich dachte, damit sei es endgültig vorbei.« »Wie man es nimmt, Lew«, erklärte Stetson. »Es wäre möglich, daß dir selbst viel daran liegt, die Sache aufzuklären.« »Stet, ich heirate in drei Wochen.« »Deine Hochzeit ist verschoben worden«, sagte Stetson. Er hob beschwichtigend die Hand, als Orne auffuhr. »Moment! Ich sagte verschoben – sonst nichts.« »Wer hat das angeordnet?« »Nun, nachdem wir Diana die Lage geschildert haen, fand sie auch, daß es besser sei, noch eine Weile zu warten. Sie ist heute morgen in einer dringenden Mission nach Franchi Primus abgereist.« »Wir waren zum Abendessen verabredet!« fauchte Orne. »Ich weiß. Diana läßt dir ausrichten, daß es ihr leid tut. Auf dem Karren da liegt übrigens ein Videowürfel, den sie mir für dich mitgegeben hat.« »Und was bezweckt ihr mit dieser Maßnahme?« »Der Zeitpunkt deiner Reise nach Amel ist vorverlegt worden. Du mußt Berge von Vorbereitungen treffen. Diana häe dich nur abgelenkt. Ihr könnt heiraten, sobald du zurückkehrst.« »Wenn du nicht schon mit der nächsten unangenehmen Aufgabe wartest!« »Du hast dich nun mal verpflichtet, für den UA zu arbeiten ...« »Und die Sache macht mir einen irren Spaß! Ich kann jungen Leuten nur empfehlen, eurer Organisation beizutreten. Die individuelle Freiheit wird ganz groß geschrieben.« »Laß jetzt den Quatsch, Lewis! Ich muß mit dir über Amel sprechen.« »Weshalb mit einemmal die Eile? Anfangs hieß es, ich häe ein halbes Jahr Zeit.«
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»Lew, du stellst dir das alles zu einfach vor.« Orne warf ihm einen mißtrauischen Blick zu. »Hast du meinen Wunsch nach einem gründlichen Psi-Training weitergeleitet, Stet?« »Sicher.« »Und?« »Lew, man meldet sich nicht nach Amel, sondern man wird berufen.« »Was soll das nun wieder heißen?« »Wenn du nicht auf der Liste der anerkannten Esper stehst, gibt es nur eine Möglichkeit, nach Amel zu gelangen: Du wirst als Schüler berufen.« »Und – ich bin berufen worden?« »Ja.« »Was geschieht, wenn ich ablehne?« Harte Linien umspielten Stetsons Mund. »Du unterstehst dem Untersuchungsausschuß, vergiß das nicht!« Orne seufzte. »›Ich setze mein Leben und meine Ehre daran, die Saat der Gewalt überall und zu jeder Zeit aufzuspüren und zu vertilgen‹«, zitierte er. »Vielleicht sollte man anfügen: Und ich bin bereit, dafür alles und jeden zu opfern.« »Schlag das dem Boß vor, wenn du zurückkommst«, meinte Stetson. »Falls ich zurückkomme.« »Zugegeben, die Möglichkeit besteht immer«, sagte Stetson. »Aber man hat dich nach Amel berufen, und der Untersuchungsausschuß besteht darauf, daß du dem Ruf folgst.« »Deshalb waren alle so eifrig, als ich meinen Plan faßte.« Ganz recht. Sobald unsere Psi-Experten bestätigt haen, daß du einen hohen Grad an Talent besitzt, schöpen wir Hoffnung. Wir brauchen jemanden von deinem Format auf Amel.«
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»Warum? Was geht den UA diese Welt an? Im weiten Umkreis von Amel gibt es auch nicht die Spur einer Kriegsdrohung. Diese Leute haben Angst, ihre Göer zu verärgern.« »Oder deren Priester.« »Außerdem hat es noch nie Schwierigkeiten bereitet, nach Amel zu gelangen.« »Uns schon.« »Dem UA?« »Genau.« »Aber unsere Psi-Experten stammen doch von Amel!« »Da hast du recht. Nur – wir haben sie nie angefordert. Amel wandte sogar einen gewissen Druck an, damit wir sie in unseren Reihen aufnahmen. Umgekehrt waren wir nie in der Lage, einen tüchtigen, vertrauenswürdigen Agenten auf Amel einzuschleusen.« »Du glaubst, daß sich auf Amel etwas zusammenbraut?« »Wenn das der Fall sein sollte, dann kommen wir in ernste Schwierigkeiten. Welche Waffen gibt es gegen Psi-Kräe? Wie sollen wir beispielsweise diesen Kerl von Wessel einsperren, der mit Hilfe von Telekinese von Planet zu Planet gelangt? Oder was machen wir mit Leuten, die implantierte Sender ohne jeden chirurgischen Eingriff aus ihrem Körper entfernen?« »Ah, das weißt du also auch?« »Der Sender übertrug plötzlich nicht mehr die Geräusche deiner Umgebung, sondern das Blubbern von Wasser. Wie ist es dir gelungen, das Ding auf den Meeresgrund zu befördern?« »Keine Ahnung. Ich wollte einfach, daß es verschwand ...« »Hmm. Vielleicht bist du nach Amel berufen worden, weil du unbedingt dorthin wolltest?« Orne schaute überrascht auf. »Das wäre durchaus möglich.« Er spürte immer noch die Furcht, doch nun bezog sie sich nicht
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mehr auf den Robokarren, sondern auf das ferne Amel. »Du weißt genau, daß man mich berufen hat?« »Ja – und uns liegt daran, daß du unverzüglich nach Amel gehst.« »Das hast du mir noch nicht näher erklärt, Stet.« Stetson seufzte. »Lew, wir erhielten heute morgen die Gewißheit: Bei der nächsten Ratsversammlung soll beantragt werden, den Untersuchungsausschuß abzuschaffen und seine Funktionen dem R&R zu übergeben.« »Ist das ein Witz?« »Nein.« »Dem R&R – mit anderen Worten, Tyler Gemine?« »Ganz genau.« »Ausgerechnet diesem Kirchenlicht! Die Häle unserer Probleme verdanken wir der Blödheit des R&R. Ich dachte, unser vorrangiges Ziel wäre es, Gemine zu feuern.« »M-hm.« Stetson nickte. »Dennoch wissen wir aus sicherer Quelle, daß man den Antrag bei der nächsten Versammlung stellen wird – also in knapp fünf Monaten. Und wir wissen auch, daß er die volle Unterstützung der Amelpriesterscha besitzt.« »Aber das ist doch idiotisch! Es gibt Tausende, vielleicht Millionen religiöser Sekten auf Amel. Das Ökumenische Abkommen...« »Das Abkommen verbietet es nicht, den Untersuchungsausschuß in die Pfanne zu hauen!« »Ich weiß nicht recht, Stet. Wenn die Priester es auf uns abgesehen haben, weshalb berufen sie mich dann als Schüler nach Amel?« »Genau diese Frage bereitet uns Sorgen«, sagte Stetson. »Niemand, absolut niemand hat es bisher gescha, einen Agenten auf die Welt der Priester einzuschleusen – weder wir, noch der frühere Geheimdienst von Marak. Nicht einmal den Nathaniern ist es
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geglückt. Alle Versuche endeten bereits im Raumhafen mit einem höflichen Hinauswurf.« Orne deutete auf den Robo-Karren. »Was hast du mir hier mitgebracht?« »Das Zeug, das du ursprünglich in sechs Monaten lernen solltest. Jetzt hast du genau sechs Tage Zeit.« »Und welche Vorkehrungen habt ihr getroffen, falls auf Amel etwas schiefgeht?« »Keine.« Orne starrte ihn ungläubig an. »Keine?« »Soviel wir wissen, dauert die Ausbildung auf Amel – auch die Probe genannt – ein halbes Jahr. Wenn wir nach dieser Zeit nichts von dir hören, werden wir Erkundigungen einziehen.« »Nach dem Schema: ›Wohin habt ihr seine Leiche gescha?‹« fauchte Orne. »Verdammt, in einem halben Jahr gibt es den UA vielleicht nicht mehr ...« »Deine Freunde werden sich um dich kümmern.« »Die gleichen Freunde, die mich nach Amel schickten!« »Lew, ich bin sicher, daß du die Notwendigkeit des Aurags einsiehst – so wie Diana es getan hat.« »Diana weiß Bescheid?« »Ja. Sie war anfangs sehr unglücklich, aber sie erkannte, daß es die einzige Möglichkeit ist ...« Stetson machte eine Pause und fuhr dann fort: »Wir könnten versuchen, Amel zu unterdrücken, aber das würde zu Religionskriegen in der gesamten Föderation führen. Zudem glaube ich nicht, daß wir genügend Freiwillige für einen solchen Angriff fänden. Irgendeiner Religion gehören die meisten Mitglieder des UA an. Eine heikle Geschichte, Lew. Wir müssen wirklich erst einmal herausbringen, weshalb sich Amel gegen uns gewandt hat. Vielleicht läßt sich Abhilfe schaffen. Das ist unsere einzige Hoffnung.«
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»Und wenn sie Eroberungspläne haben, Stet? Was dann? Vielleicht ist eine neue Gruppe an die Macht gekommen.« Stetson wirkte niedergeschlagen. »Wenn du uns dafür Beweise bringst ...« Er zuckte die Achseln. »Gut.« Orne trat an den Robo-Karren. »Was steht zuerst auf dem Programm?« »Schau dir das Material hier gründlich an! Und im Laufe des Tages werden dir die Ärzte einen verbesserten Psi-Verstärker einsetzen.« »Wann?« »Ich weiß nicht. Sie holen dich ab.« »Wie ne von ihnen!« murmelte Orne.
* In einem Universum ohne Krieg nehmen die Menschen die Funktion einer kritischen Masse an. Um die Stabilität zu erhalten, muß man viele Faktoren berücksichtigen: persönliche Wertanschauungen, Probleme des Zusammenwirkens auf technologischer Basis, ethisch-religiöse Fragen und vieles mehr. Zu diesen voraussehbaren Dingen kommen unweigerlich einige Unbekannte, heimtückisch in ihrer Vielschichtigkeit. Die menschliche Situation in bezug auf den Krieg läßt sich mit einem multilinearen Rückkoppelungssystem vergleichen, in dem jedes Bauelement gleich wichtig ist. »Der unmögliche Krieg« Kapitel IV, UA-Handbuch
Lange Schaen fielen in Ornes Krankenzimmer. Es war die stille Zeit zwischen dem Essen und den Besuchsstunden. Man hae die Pseudo-Perspektive des Raums verbannt und sta dessen eine
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Atmosphäre der Behaglichkeit und Ruhe geschaffen. Sane grüne Farbtöne herrschten vor. Das Licht war gedämp. Orne lag reglos da. Der Induktionsverband ließ es nicht zu, daß er den Kopf herumdrehte. Noch hae der Juckreiz, das beste Anzeichen für den Beginn des Heilvorgangs, nicht eingesetzt. Der Aufenthalt im Krankenhaus machte Orne nervös. Allzu deutlich erinnerten ihn die Gerüche und Laute an die vielen Monate, die er zwischen Leben und Tod geschwebt hae. Sheleb – eine der Welten, die angeblich immun gegen den Krieg waren. Wie Amel. Die Eingangstür gli lautlos zur Seite. Ein hagerer, hochgewachsener Mann trat ein. Er trug die Insignien der Psi-Abteilung: einen Blitz in Zickzacklinie. Orne sah ein raubvogelartiges Gesicht mit einer langen Nase, einem spitzen Kinn und sehr schmalen Lippen. Die Augen machten einen unsteten, gehetzten Eindruck. Der Fremde beugte sich über das Fußende des Krankenbes und nickte Orne flüchtig zu. »Ag Emolirdo«, stellte er sich vor. »Ich betreue die Psi-Abteilung. Das Ag steht für Agony.« Orne betrachtete den Neuankömmling unauffällig. Das war also der geheimnisumwierte Chef der Psi-Truppe. Emolirdo strahlte die Sicherheit eines Mannes aus, der sehr viel weiß. Er erinnerte Orne an einen Priester auf seiner Heimatwelt – auch der war von Amel nach Chargon gekommen. »Hallo«, sagte er schwach. »Ich habe schon eine Menge über Sie gehört.« »Hm.« Emolirdo reckte sein spitzes Kinn vor. »Ich komme her, weil ich Ihren Fall überprüe. Verblüffend. Sind Sie sich im klaren darüber, daß Sie ein Psi-Herd sein könnten?« »Ein was?« Orne versuchte sich aufzurichten, aber der Verband hielt ihn fest.
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»Ein Psi-Herd. Ich werde das gleich erklären.« »Danke.« Die Überheblichkeit des Psi-Experten ärgerte Orne. »Betrachten Sie dieses Gespräch als Einführung in das Psi-Training«, fuhr Emolirdo fort. »Ich habe beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Wenn Sie tatsächlich das sind, wofür wir Sie halten – nun, es gibt dieses Phänomen äußerst selten.« »Wie selten?« »Die Zeugnisse verlieren sich im Nebel der Vergangenheit.« »Ich verstehe.« »Falls Sie ein Psi-Herd sind, dann – dann besitzen Sie die Macht eines Goes.« Einen Moment lang fühlte sich Orne wie erstarrt. Die Begriffe der Existenz und des Goestums wirbelten in seinem Gehirn umher, ließen sich nicht fassen und einordnen. »Sie stellen das nicht in Frage?« fuhr Emolirdo fort. »Ich – es kommt alles so überraschend. Weshalb glauben Sie, daß ich ein – ein Psi-Herd bin?« »Sie erscheinen wie eine Insel der Ordnung in einem chaotischen Universum. Seit beim Untersuchungsausschuß Ihr Name zum erstenmal auauchte, haben Sie eine Reihe von Problemen gemeistert, die im Normalfall zu Krieg und Chaos geführt häen. Sie griffen ein und schufen Ordnung.« »Ich tat das, wozu ich ausgebildet war.« »Ausgebildet! Von wem?« »Vom Untersuchungsausschuß!« »Wirklich?« Emolirdo holte sich einen Stuhl und nahm an Ornes Seite Platz. »Gehen wir einmal der Reihe nach vor! Das Leben, so wie wir es verstehen, stellt eine Brücke zwischen Ordnung und Chaos dar. Wir definieren das Chaos als eine ungezähmte RohEnergie, bereit für jeden, der sie zu formen vermag. So gesehen ist das Leben gespeichertes Chaos. Folgen Sie mir?«
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»Ich folge Ihren Worten.« »Also noch einmal.« Emolirdo räusperte sich. »Das Leben nährt sich vom Chaos, existiert aber innerhalb der Ordnung. Das Chaos stellt eine Grundlage dar, von der sich das Leben abhebt. Das bringt uns zu einer weiteren Grundlage, der sogenannten Stase. Sie ist vergleichbar mit einem Magneten. Die Stase zieht freie Energie an, bis der Stau der Nicht-Bewegung, der Nicht-Anpassung so groß wird, daß eine Explosion erfolgt. Dadurch kehren die Formen, die sich zuvor in der Stase befanden, zum Chaos zurück, zur Un-Ordnung. Man kann sagen, daß die Stase immer zum Chaos führt.« »Das ist ja großartig«, stellte Orne fest. Emolirdo runzelte tadelnd die Stirn und fuhr fort: »Das gilt sowohl für die tote wie für die lebende Materie. Eis, die Stase des Wassers, birst, wenn es plötzlich in Kontakt mit Hitze kommt. Eine erstarrte Zivilisation löst sich auf, wenn man sie in Kontakt mit den Flammen des Kriegs oder einer fremden Zivilisation bringt. Der Natur ist die Stase verhaßt.« »Ebenso wie das Vakuum«, sagte Orne, in der Hoffnung, durch seinen Einwurf Emolirdos Redefluß zu unterbrechen. »Aber weshalb setzen Sie mir all diese Begriffe vor – Chaos, Ordnung, Stase?« »Die Psi-Wissenscha arbeitet mit Energiesystemen. Daran sollen Sie sich gewöhnen. Sonst noch Fragen?« »Worte, nichts als Worte«, meinte Orne. »Was hat das alles mit Amel zu tun oder mit der Vermutung, daß ich ein – Psi-Herd bin?« »Erst einmal zu Amel: Bei dem Planeten der Priester scheint es sich um eine Stase zu handeln, die sich nicht auflöst.« »Dann ist es vielleicht keine echte Stase.« »Sehr scharfsinnig«, erwiderte Emolirdo. »Und was den PsiHerd betri, so zwingt er uns, über das Problem der Wunder
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nachzudenken. Sie sind nach Amel berufen worden, weil man Sie für einen Urheber von Wundern hält.« Unwillkürlich versuchte Orne den Kopf zu heben. Ein heiger Schmerz durchzuckte seinen Nacken. »Wunder?« flüsterte er heiser. »Wer sich mit der Psi-Wissenscha beschäigt, kommt an den Wundern nicht vorbei«, sagte Emolirdo in seiner knappen, ein wenig arroganten Art. »Der Teufel steckt in allen Dingen, die wir nicht verstehen. Anders ausgedrückt – Wunder erschrecken uns und machen uns unsicher.« »So wie der Mann, der angeblich ohne Raumschiff von Planet zu Planet wandert.« »Er scha es tatsächlich«, erklärte Emolirdo. »Es ist auch eine Form des Wunders, wenn man will, daß etwas geschieht – und der Wunsch wird erfüllt.« »Angenommen, ich will, daß Sie von hier verschwinden?« fragte Orne. Die Andeutung eines Lächelns huschte über Emolirdos Züge. »Das könnte ein fesselndes Experiment sein – besonders wenn ich Ihrem Wunsch einen anderen entgegenhalte ...« Orne war verwirrt. »Offen gestanden, ich weiß nicht, was ich von Ihrem Vortrag halten soll.« »Ich will Ihnen nur erklären, daß wir Dinge untersuchen, die sich jenseits der anerkannten Schablonen abspielen und o im Widerspruch zu den allgemeingültigen Regeln stehen. Die Gläubigen nennen so etwas Wunder. Wir sagen, daß wir auf ein Psi-Phänomen gestoßen sind oder gar auf das Wirken eines Psi-Herdes.« »Der Name ändert nicht unbedingt die Sache.« »Es gibt Stellen in unserem Universum, an denen die Energie des äußeren Chaos reichlich vorhanden ist und sich auch zähmen läßt. Sie kennen sicher die historischen Berichte. Menschen ver-
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biegen Drähte, schnitzen kleine Plastikfigürchen, würfeln die verrücktesten Dinge bunt durcheinander – und Wunder geschehen: Eine harte, glae Metallfläche wird klebrig, als häe man sie mit Leim beschmiert; jemand malt ein Pentagramm auf den Boden, und Flammen tanzen innerhalb der Linien; aus einer verschnörkelten Flasche dringt Rauch und gehorcht dem Willen eines Menschen ...« »Und?« »Dann gibt es bestimmte Lebewesen, die Sammelpunkte – oder Herde – für die Energie des Chaos sind. Sie tun einen Schri und tauchen Lichtjahre entfernt wieder auf; sie schauen einen Schwerkranken an, und er wird gesund; sie lassen Tote auferstehen; sie lesen Gedanken.« Orne hae eine trockene Kehle. Wenn Emolirdo von diesen Phänomenen sprach, hae das nichts mit blindem Glauben zu tun. Er wußte, was er sagte. »Aber was hil es, wenn man all diese Erscheinungen unter dem Begriff Psi zusammenfaßt?« »Es entreißt sie dem Reich der Furcht«, entgegnete Emolirdo. Er beugte sich zu Ornes Nachischlampe herunter und hielt die Hand in den Lichtkegel. »Da – werfen Sie einen Blick auf die Wand!« »Ich kann den Kopf nicht bewegen.« »Ach so, das hae ich vergessen.« Emolirdo richtete sich wieder auf. »Ich wollte nur, daß Sie den Schaen meiner Hand betrachten. Nehmen wir einmal an, es gäbe intelligente Wesen, die auf eine flache Ebene – wie jene Wand – als ihren Lebensraum beschränkt wären. Sie entdecken meinen Schaen. Könnten sie sich vorstellen, welche Form diesen Schaen wir – eine Form, die außerhalb ihrer Dimensionen liegt?« »Eine uralte Frage. Sie fasziniert mich immer wieder«, versi-
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cherte Orne. Die Haut unter dem Verband begann mit einem Mal wie verrückt zu jucken. Orne widerstand dem Verlangen, die Wunde mit den Fingernägeln zu bearbeiten. Bruchstücke aus den Sagen Chargons kamen ihm in den Sinn: die Waldzauberer; die Gnome, die einem Menschen drei Wünsche freistellten und ihn dann grausam betrogen; die Wunderhöhle, in der Kranke geheilt wurden ... Der Juckreiz wurde unerträglich. Er nahm eine Tablee und schluckte sie mit etwas Wasser. »Sie denken nach?« meinte Emolirdo. »Wozu habt ihr mir diesen Psi-Verstärker implantiert?« »Er zeigt die Nähe von Psi-Aktivitäten an«, erklärte Emolirdo. »Er spürt Psi-Felder auf und die Gegenwart von Psi-Herden. Er gibt Ihnen die Kra, Psi-induzierten Gefühlen zu widerstehen. Vielleicht verleiht er Ihnen sogar die Gabe der Prekognition und befähigt Sie, Gefahren vorherzusehen. Ich werde einige parahypnotische Sitzungen mit Ihnen durchführen, damit Sie mit diesen Dingen besser vertraut werden.« Orne spürte ein Prickeln im Nacken und eine Leere im Magen, die nichts mit Hunger zu tun hae. »Die Vorahnungen zeigen sich in verschiedener Form – als flaues Gefühl im Magen oder als Atemnot. Das sind verläßliche Signale.« Schweißperlen sammelten sich auf Ornes Stirn. Er hae einen schalen Geschmack im Mund. Am liebsten häe er sein Vorhaben rückgängig gemacht. Er mußte an Stetson denken. Stetson war kühl und skeptisch, und er hae ihm geraten, nach Amel zu gehen. Dann war da noch die Sache mit dem Sender, der irgendwo auf dem Meeresgrund lag ... »Sie sehen auf einmal so blaß aus«, sagte Emolirdo. Orne rang sich ein Lächeln ab. »Die erste Warnung ...«
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»Was?« fuhr der Psi-Chef auf. »Beschreiben Sie genau, wie Ihnen zumute ist!« Orne tat es. »Komisch, daß es so früh kommt«, murmelte Emolirdo. »Können Sie die Quelle erkennen?« »Ich weiß nicht recht. Die Gefahr scheint von Ihnen auszugehen – und von Amel.« Emolirdo preßte die Lippen zusammen. »Vielleicht ist das PsiTraining selbst zu gefährlich für Sie. Das begreife ich nicht ...«
* Wenn ein Weiser etwas nicht versteht, so sagt er: »Das verstehe ich nicht!« Der Narr aber und der Ungebildete schämen sich, ihre Unwissenheit einzugestehen. So schweigen sie, wo eine einzige Frage ihnen Weisheit bringen könnte. APHORISMEN DER ÄBTE Es gab wirklich keine Ausrede mehr, noch länger auf der Rampe herumzulungern. Orne hae den ersten Ansturm von Amels Psi-Feldern überwunden. Aber das Gefühl, daß ihm eine Gefahr drohte, blieb hartnäckig, auch wenn er es in den Hintergrund schob. Er spürte die Hitze und den schweren Stoff der Kue. Sein Körper war schweißgebadet. Und das flaue Gefühl im Magen sagte: Warte! Er trat einen halben Schri auf den Rollstreifen zu. Die böse Vorahnung verstärkte sich. Der biere Geruch von Weihrauch stieg ihm in die Nase. Obwohl sich Orne für einen eingefleischten Agnostiker hielt, empfand er Ehrfurcht. Amel besaß eine Aura, die keinen Unglauben duldete.
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Es sind nur Psi-Kräe, redete Orne sich ein. Gesänge, schrill und monoton, schwebten über dem Tempelbezirk. Sie beschworen Bilder aus seiner Kindheit herauf: die Prozessionen an hohen Feiertagen ... Mahmud, der streng von der Kiblah herabblickte ... die Azan, die am Bairam-Fest über den Marktplatz schallte ... »So du den Herrn lästerst, möge deine Zunge verdorren ...« Orne schüelte den Kopf. Ausgerechnet jetzt wirst du fromm, dachte er. Beuge dein Haupt vor Ullua, dem Sternenwanderer der Ayrber ... Die Wurzeln seiner Furcht reichten tief hinunter. Er gab sich einen Ruck, betrat den Rollstreifen. Das Gefühl der Gefahr blieb, aber es verstärkte sich nicht. Der Rollstreifen trug ihn in die Tiefe, bis zu einem überdachten Gehweg. Hier unten herrschte drückende Hitze., Orne wischte sich den Schweiß von der Stirn. Eine Gruppe weißgekleideter Priester drängten sich mit ihren Schülern in den spärlichen Schaen des Gehwegs. Sie waren im Auruch begriffen. Nur einer von ihnen blieb zurück, groß, schwerfällig, plump. Man hae den Eindruck, daß der Boden dröhnen würde, wenn er sich bewegte. Sein Schädel war glarasiert, und dunkle Augen glühten unter buschigen weißen Brauen. »Orne?« fragte er grollend. Orne trat in den Schaen. »Ja.« Die Haut des Priesters war gelb und feig. Er stemmte die Hände in die Hüen und sah Orne vorwurfsvoll an. »Du hast das Reinigungs-Ritual versäumt.« Er machte eine Pause. »Mein Name ist Bakrish.« Orne zuckte die Achseln. »Auf dem Schiff hieß es, ich könnte mir Zeit lassen.« »Ah, einer von denen.«
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Etwas an dem plumpen Mann mit der drohenden Miene erinnerte Orne an einen R&R-Ausbilder auf Marak. Unwillkürlich mußte er lächeln. »Was freut dich so?« »Dies demütige Antlitz erstrahlt vor Glück, da ich Amel an deiner Seite betreten darf.« »Mmpf!« »Was meintest du vorhin mit einer von denen?« fragte Orne. »Daß du zu den Leuten gehörst, die sich erst auf Amel eingewöhnen müssen. Das ist alles.« Er drehte sich um und marschierte los. »Komm jetzt.« Orne hae alle Mühe, ihm zu folgen. Keine Gleitstreifen, keine Sprungplaformen, dachte Orne. Eine primitive Welt. Der Weg führte zu einem fensterlosen, niedrigen Gebäude aus grauem Plasti-Beton. Durch ein Portal gelangten sie in eine dämmerige, angenehm kühle Halle. Orne stellte fest, daß man die Tür von Hand öffnen mußte und daß einer der Flügel quietschte. Sie gingen durch einen langgestreckten Korridor, vorbei an einer Reihe winziger Zellen ohne Türen. Einige standen leer, andere waren vollgepfrop mit seltsamen Instrumenten, und wieder andere dienten Mönchen als Gebetskammern. Am Ende des Korridors befand sich wieder eine Tür. Sie führte in ein Zimmer, das gerade genug Platz für einen Schreibtisch und zwei Stühle bot. Verborgene Lichtquellen hüllten den Raum in einen rötlichen Schein. Der Geruch von Schwamm und Moder lag in der Lu. Bakrish zwängte sich hinter den Schreibtisch und deutete auf den freien Stuhl. Orne nahm Platz. Das flaue Gefühl in seinem Magen hae sich verstärkt. »Der Untersuchungsausschuß wird dir gesagt haben, daß auf Amel das Ökumenische Abkommen gilt«, begann der Priester.
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Orne verbarg sein Erstaunen. »Es ist also nicht ungewöhnlich, daß man mich zu deinem Guru gemacht hat«, fuhr Bakrish fort. »Wie soll ich das verstehen?« »Nun, du bist ein Anhänger Mahmuds, ich dagegen ein Hynd und Wali. Nach dem Ökomenischen Abkommen dienen wir alle dem Einen Go, der viele Namen hat. Begreifst du jetzt?« »Nein.« »Hynder und Ayrber sind von alters her Feinde«, sagte Bakrish. »Hast du das nicht gewußt?« »Ganz dunkel entsinne ich mich, daß da irgend etwas war«, erwiderte Orne. »Aber ich vertrete die Ansicht, daß Feindscha zu Unrecht und Unrecht zum Krieg führt. Ich habe geschworen, eine solche Entwicklung zu verhindern, so weit es in meiner Macht steht.« »Gut, sehr gut«, sagte Bakrish. »Emolirdo hat uns deine Einstellung geschildert, aber wir mußten uns natürlich selbst überzeugen. Deshalb bist du hier.« Also stimmt es, was Stet vermutet, dachte Orne. Die Psi-Abteilung spioniert für Amel. Er bemühte sich, seine Gefühle zu verbergen. Insgeheim forschte er mit seinem neuerweckten Psi-Bewußtsein nach einer Schwäche oder dem Hinweis einer Gefahr. »Ich dachte, ich käme ganz einfach als Schüler nach Amel.« »Nichts ist im Grunde einfach.« Während Bakrish sprach, merkte Orne plötzlich, daß ihn das flaue Gefühl im Magen verließ. Er sah, daß der Priester zum Eingang schaute, und drehte sich um. Ein Instrument rollte auf einem Karren vorbei. Er erkannte gerade noch den Zipfel einer Kue. »So ist es besser«, erklärte Bakrish. »Nun besitzen wir die Tensor-Phase deiner Verstärkereinheit. Wir können sie nach Belie-
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ben au eben oder so überlagern, daß du vernichtet wirst.« Orne beherrschte sich mühsam. Was für eine Bombe hat mir Emolirdo da verpaßt? »Zweifellos ein hübsches Spielzeug!« sagte er. »Spoe nicht! Wir haben nicht die Absicht, dich zu vernichten, sondern wollen vielmehr die Instrumente, die man dir einpflanzte, nutzen.« Orne atmete zweimal tief durch. Das Psi-Training machte sich bemerkbar. Er konzentrierte sich nach innen. Ruhe durchflutete ihn wie klares, kaltes Wasser, verlieh ihm Psi-Empfänglichkeit. Gleichzeitig brannten die Gedanken in seinem Gehirn. So hae er sich den Verlauf der Dinge nicht vorgestellt. Saß er etwa hilflos in der Falle? »Hast du irgendwelche Fragen?« wollte Bakrish wissen. Orne räusperte sich. »Ja. Kannst du mir helfen, zu Abt Halmyrach zu gelangen? Ich muß herausfinden, weshalb Amel versucht, den ...« »Alles zu seiner Zeit«, unterbrach ihn Bakrish. »Wo hält sich der Abt auf?« »In der Nähe. Ich kann dir versichern, daß er den Geschehnissen mit großer Spannung entgegensieht.« »Welchen Geschehnissen?« »Deiner Probe natürlich.« »Ah, ihr freut euch wohl schon darauf, daß ich mich in euren Netzen verfange!« Bakrish warf ihm einen verwirrten Blick zu. »Glaube mir, junger Freund, keiner von uns hat den Wunsch, dich zu vernichten. Wir trafen lediglich die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen ...« »Du hast selbst erklärt, daß ihr mich vernichten könnt.« »Das heißt nicht, daß wir es wollen. Siehst du, im Grunde läu die Sache darauf hinaus: Du möchtest mehr über uns in Erfahrung bringen, und wir möchten mehr über dich in Erfahrung bringen.
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Das geschieht am einfachsten, wenn du dich der Probe unterwirfst. Du hast keine andere Wahl.« »Sagst du ...« »Ich versichere es dir.« »Und du glaubst, daß ich mich wie ein Gria zur Schlachtbank führen lasse?« »Mordgedanken oder ähnliches sind hier wirklich fehl am Platz. Ich schlage vor, du betrachtest die Angelegenheit wie wir alle – als spannenden Test.« »Für euch ist das leichter. Ihr befindet euch nicht in Gefahr.« Wieder sah ihn Bakrish verwundert an. »Das würde ich nicht behaupten.« Orne spürte, wie Zorn in ihm hochstieg. Dafür hae er seine Hochzeit verschoben, dafür hae er sich von den Chirurgen quälen lassen, dafür hae er das anstrengende Psi-Training auf sich genommen! Dafür ... »Ich werde herausfinden, was hier los ist!« fauchte er. »Und dann räume ich in eurem Laden gründlich auf! Verlaßt euch drauf!« Bakrish wurde blaß. Er schluckte, schüelte den Kopf. »Du mußt dich den Mysterien aussetzen«, murmelte er. »Einen anderen Weg kennen wir nicht.« Orne schämte sich wegen des plötzlichen Wutausbruchs. Er dachte: Warum hat der Kerl Angst? Er befindet sich völlig in Sicherheit. Dennoch – meine Drohung erschreckt ihn. Warum? »Wirst du dich der Probe unterwerfen?« fragte Bakrish. Orne lehnte sich zurück. »Du behauptest, daß ich gar keine andere Wahl habe.« »Das stimmt.« »Gut, ich mache mit. Aber wenn ich es schaffe, verlange ich eine Unterredung mit dem Abt.« »Gewiß – wenn du es schaffst.«
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Wir alle stammen von dem All-Einen und kehren zurück in seinen Schoß. Wie können wir etwas fernhalten von dem Ursprung, der war, und dem Ende, das ist? SPRÜCHE der ÄBTE
»Er ist angekommen, Ehrwürdiger Abt«, sagte der Priester. »Bakrish kümmert sich um ihn.« Abt Halmyrach stand neben dem Schreibpult, auf einem blaßorangen Teppich, der die Farbe seiner Kue besaß. Er war barfuß. Der hohe, altmodische Raum wirkte kühl und dunkel. Die Glühkugeln, die an der Decke schwebten, verbreiteten ein gedämpftes Licht. In dem offenen Kamin, der sich hinter dem Abt befand, glomm ein niedriges Feuer. Der Abt spürte den Raum. Sein hageres Gesicht mit der langen Nase und dem schmallippigen Mund war ausdruckslos, aber er sah die feigen Schaen an den holzvertäfelten Wänden, er hörte, wie der Priester über den Steinboden jenseits des Teppichs schlure und wie das Kaminfeuer leise knackte. Macrithy, der ihm Bericht erstaete, gehörte zu seinen zuverlässigsten Beobachtern. Dennoch fühlte sich der Abt von seinem Äußeren abgestoßen: schwarzes Haar mit langen Koteleen, ein glaes, rundes Gesicht, dunkler Anzug mit weißem Umschlagkragen und hoher Hut. Zu sehr erinnerte er den Abt an historische Bilder der Zweiten Inquisition. Aber das Ökumenische Abkommen gestaete es jedem Gläubigen, den Habit zu wählen, den er für richtig hielt. »Ich spürte seine Ankun«, sagte der Abt. Er wandte sich an das Schreibpult und ließ die Feder über das raschelnde Papier gleiten. Es freute ihn, die alten Traditionen aufrechtzuerhalten. »Kein Zweifel – er muß es sein.«
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»Er hat die drei Stufen zur Transzendenz überwunden«, meinte Macrithy, »aber noch steht nicht fest, ob er die Probe scha und dich erkennt, der ihn gerufen hat.« »Erkennen hat viele Bedeutungen«, wandte der Abt ein. »Hast du den Bericht meines Bruders gelesen?« »Ich habe ihn gelesen, Ehrwürdiger Abt.« Halmyrach schaute von seinem Pult auf. »Ich sah das kleine grüne Kästchen in einer Vision, kurz bevor der Shriggar auftauchte. Ich sah auch meinen Bruder und spürte den transzendenten Einfluß, den dieser Moment auf seine Gefühle ausübte. Es fasziniert mich, daß alles so genau nach den Worten des Shriggars verläu.« »Ehrwürdiger Abt«, sagte Macrithy, »der Krieg, die Stadt aus Glas, die Zeit der Politik – diese Dinge sind eingetroffen. Ich habe mir Ihren Bericht über die Goerschaffung genau angesehen. Nun müssen wir wohl vor den Folgen unseres Wagemuts bangen.« »Ich tue es bereits«, entgegnete der Abt, ohne von seinem Schreibpult aufzublicken. »Wie wir alle«, meinte Macrithy. »Aber – es ist unser erster Mensch!« Der Abt setzte mit einer entschlossenen Geste einen Punkt hinter seinen Satz. »Was haben wir in der Vergangenheit erreicht? Einen Berg auf Talies, den Tönenden Stein von Krinth, den Mäusego auf der Alten Erde – und ähnliches mehr. Nun besitzen wir unseren ersten Menschengo!« »Es gab bereits einige davon.« »Aber keinen, den wir erschufen!« »Vielleicht werden wir es bereuen«, murmelte Macrithy. »Oh, ich bereue es längst«, sagte der Abt. »Aber was hil das, mein Freund?«
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Der Tag ist kurz, und der Arbeit gibt es viel, und die Arbeiter sind träge, doch hoher Lohn winkt, und unser Herr drängt zur Eile. Schrien des ABT HALMYRACH
»Die Zelle der Glaubensmeditation«, sagte Bakrish und deutete auf den Raum, dessen Tür er aufgestoßen hae. »Leg dich flach auf den Boden und bleib liegen, bis ich dir das Aufstehen gestae. Wenn du dich vorzeitig erhebst, droht dir Gefahr.« »Weshalb?« Orne beugte sich vor, warf einen Blick in den Raum. Er sah ein hohes, schmales Rechteck. Wände, Boden und Decke schienen aus weißem, von bräunlichen Adern durchzogenem Stein zu bestehen. Fahles Licht, stumpf und bläulichweiß wie entrahmte Milch, lag über der Zelle. Der Geruch von Moder und feuchten Mauern stieg ihm in die Nase. »Das hier ist eine Psi-Maschine von hoher Wirksamkeit«, erklärte Bakrish. »Flach auf dem Rücken liegend befindest du dich einigermaßen in Sicherheit. Hör auf mich, ich bie dich darum! Manche mißachteten die Warnung. Ich habe miterlebt, was mit ihnen geschah.« Er schauderte. Orne räusperte sich. Kälte stieg in ihm auf. Wieder spürte er eine entsetzliche Leere im Magen. »Und – und wenn ich mich weigere, den Raum zu betreten?« »Bie«, sagte Bakrish. »Ich bin hier, um dir zu helfen. Jetzt umzukehren, wäre gefährlicher für dich, weitaus gefährlicher.« Orne drehte sich um und las ein stummes Bien in den dunklen Augen des Priesters. Er holte tief Atem, schri über die Schwelle. Das Gefahrensignal schwächte sich ein wenig ab. »Leg dich flach hin!« riet ihm Bakrish.
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Orne streckte sich auf dem Boden aus. Die Kälte des Steins drang eisig durch den Stoff der Kue. »Sobald du den ersten Schri getan hast, gibt es kein Zurück mehr«, sagte Bakrish. »Vergiß das nicht!« »Hast du dich auch dieser Probe unterzogen?« wollte Orne wissen. Er kam sich albern vor – hilflos auf dem Rücken liegend wie ein Käfer. Bakrish, der im Eingang stand, wirkte von seinem Blickwinkel aus übergroß. »Gewiß«, erwiderte Bakrish, und Orne glaubte in seinen Worten tiefes Mitgefühl zu erkennen. »Was liegt am Ende dieser Probe?« fragte Orne. »Das muß jeder für sich entdecken.« »Ist es wirklich so sehr gefährlich, jetzt noch einen Rückzieher zu machen?« Orne stützte sich auf einen Ellbogen. »Ich werde den Eindruck nicht los, daß ihr mich zu irgendeinem Experiment mißbraucht.« Bedauern strahlte von Bakrish aus. Er sagte: »Wenn der Wissenschaler erkennt, daß sein Experiment mißlungen ist, hindert ihn das nicht unbedingt an neuen Versuchen ... mit neuem Material. Du hast wirklich keine Wahl. Bleibt jetzt flach liegen! Es ist am sichersten.« Orne gehorchte. »Also schön – bringen wir es hinter uns!« »Wie du befiehlst!« Bakrish trat zurück, und der Eingang verschwand. Keine Spur davon blieb in der Wand zurück. Orne hae einen trockenen Gaumen. Er sah sich in der Zelle um. Sie schien etwa vier Meter lang, zwei Meter breit und an die zehn Meter hoch zu sein. Allerdings nahm er die braunweiße Decke nur verschwommen wahr; er konnte sich in der Abschätzung täuschen. Vielleicht diente das fahle Licht dazu, die Sinne zu verwirren. Das warnende Gefühl verließ ihn nicht.
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Abrupt dröhnte die Stimme von Bakrish durch den Raum. Sie war überall, um ihn und in ihm. »Du befindest dich innerhalb der Psi-Maschine. Sie umschließt dich. Die Prüfung, der du ausgesetzt wirst, ist alt und stellt hohe Anforderungen. Sie soll die Tiefe deines Glaubens erforschen. Ein Versagen bedeutet den Verlust deines Lebens oder den Verlust deiner Seele – vielleicht auch beides.« Ornes Handflächen waren schweißnaß. Er ballte die Hände zu Fäusten. Die Psi-Aktivität im Hintergrund stieg an. Glaube? Die Zeit in der Bergungskapsel kam ihm in den Sinn und der Alptraum, der ihn einst gequält hae. Göer werden nicht geboren, sondern erschaffen. Während der langsamen Genesung hae er sein Ich neu aufgebaut, von der Wurzel an. Eine Glaubensprüfung? Woran glaubte er? An sich selbst? Damals, in der Kapsel, war sein Bewußtsein völlig aufgewühlt gewesen. Er hae alles in Frage gestellt, selbst den Sinn des Untersuchungsausschusses. Irgendwo in seinem Innern hae er eine alte Funktion gespürt, ein Ding von archaischen Tendenzen. Dann erinnerte er sich an seine Definition von der Existenz: Ich bin ein Wesen. Ich existiere. Das genügt. Ich gebe mir selbst Leben. Etwas mußte man glauben. Wieder dröhnte die Stimme des Priesters durch die Zelle: »Versenke dein Ich in den mystischen Strom, Orne! Was hast du denn zu befürchten?« Orne spürte den Druck von Psi-Kräen, die sich auf ihn richteten. »Ich weiß immer gern, wohin ich gehe, Bakrish!« »Manchmal gehen wir nur um des Gehens willen.« »Blödsinn!« »Wenn du den Lichtschalter betätigst, handelst du in dem Glauben, daß es hell wird.«
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»Ich verlasse mich auf Erfahrungen der Vergangenheit.« »Kennst du alle Menschheitserfahrungen?« »Vermutlich nicht.« »Dann mache dich auf Überraschungen gefaßt! Ich sage dir jetzt, daß sich in deiner Zelle kein Beleuchtungsmechanismus befindet. Das Licht, das du siehst, existiert, weil du es so willst – aus keinem anderen Grund.« »Was ...« Dunkelheit hüllte den Raum ein, stygisch, die Sinne verleugnend. Gefahr! tobte sein Inneres. Das heisere Wispern des Priesters erfüllte das Dunkel: »Sei gläubig, mein Schüler!« Orne bekämpe das Verlangen, aufzuspringen und mit den Fäusten gegen die Wände zu trommeln. Irgendwo mußte eine Tür sein. Doch der Ernst, den er in den Worten des Priesters gespürt hae, hielt ihn zurück. In der Flucht lag der Tod. Es gab keine Umkehr. Ein diffuses Leuchten hing plötzlich hoch oben in der Zelle und kam in einer Spirale auf ihn zu. Licht? Es paßte nicht in seine Definition vom Licht, sondern schien ein eigenes Leben zu besitzen. Orne hielt die rechte Hand vor die Augen. Er konnte schwach ihre Umrisse erkennen. Der Druck der Psi-Kräe um ihn verstärkte sich mit jedem Herzschlag. Er dachte: Als ich zu zweifeln begann, wurde es dunkel. Stellte das milchige Licht, das anfangs in der Zelle geherrscht hae, den Gegensatz zum Dunkel dar, die Furcht vor dem Dunkel? Schaenlose Helligkeit erfüllte den Raum, aber sie war schwächer als zuvor, und in der Nähe der Decke, wo er das diffuse Leuchten gesehen hae, ballte sich nun eine dunkle Wolke zusammen. Sie besaß die gleiche Anziehungskra wie die Tiefe des Universums. Orne starrte die Wolke an. Ihre Existenz erschreckte ihn.
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Die Dunkelheit kehrte zurück, stygisch, die Sinne verleugnend. Wieder zeigte sich der diffuse Schimmer in der Nähe der Decke. Gefahr! kreischte sein Inneres. Orne schloß die Augen und bemühte sich, die Furcht zu unterdrücken. Es gelang ihm. Verwirrt schlug er die Augen wieder auf. Furcht! Der gespenstische Schimmer tauchte herab. Augen zu! Das Gefühl der drohenden Gefahr ließ nach. Er dachte: Furcht ist gleich Dunkelheit. Die Dunkelheit lockt sogar, wenn es hell ist. Er atmete ruhig und gleichmäßig, konzentrierte sich nach innen. Glaube? Hieß das blinder Glaube? Die Furcht brachte Dunkelheit. Was wollten sie von ihm? Ich existiere. Das genügt. Er zwang sich, die Augen zu öffnen, starrte hinauf in die lichtlose Leere der Zelle. Der gefährliche Schimmer kroch auf ihn zu. Selbst in völliger Dunkelheit herrschte ein Pseudo-Licht. Es war kein richtiges Licht, weil er darin nicht sehen konnte. Es war AntiLicht. Er entdeckte seine Gegenwart überall, sogar im Dunkel. Orne erinnerte sich an seine Kindheit auf Chargon, an Zeiten des Dunkels in seiner Schlaammer. Mondschaen haen sich in Monster verwandelt. Mit fest zusammengekniffenen Augen war es dagelegen, aus Furcht, er könnte entsetzliche Dinge sehen. Pseudo-Licht. Orne starrte die schimmernde Spirale an. War Pseudo-Licht gleichbedeutend mit Pseudo-Glaube? Der Schimmer kroch in sich zurück. War völlige Dunkelheit gleichbedeutend mit dem völligen Fehlen des Glaubens? Der Schimmer erlosch. Reicht es, wenn ich an meine eigene Existenz glaube?« überlegte Orne.
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Die Zelle blieb dunkel und gefahrvoll. Sie roch nach Moder, nach feuchten Wänden. Leise Geräusche durchzogen das Dunkel – ein Scharren und Rascheln, Kratzen und Gleiten. Orne verband die Laute mit den abstoßendsten Bildern, die seine Phantasie hervorbrachte – giigen Drachen, wahnsinnigen Monstern, Riesenschlangen, Vampirgeschöpfen mit Fängen und Klauen. Er lag reglos da. Das heisere Wispern von Bakrish durchdrang das Dunkel. »Hältst du die Augen offen, Orne?« Ornes Lippen zierten. Das Sprechen kostete ihn Mühe. »Ja.« »Was siehst du?« Die Frage löste eine Vision aus. Sie flimmerte in der Dunkelheit vor Orne. Bakrish, in ein unheimliches, rotes Licht getaucht, mit zuckendem Leib, das Gesicht schmerzverzerrt ... »Was siehst du?« wiederholte Bakrish. »Ich sehe dich. Ich sehe dich in Saduns Hölle.« »In der Hölle Mahmuds?« »Ja. Warum sehe ich das?« »Ziehst du das Licht nicht vor, Orne?« Entsetzen schwang in der Stimme des Priesters mit. »Warum sehe ich dich in der Hölle, Bakrish?« »Ich flehe dich an, Orne! Wähle das Licht! Glaube!« »Aber warum sehe ich dich in ...« Orne unterbrach sich, weil er spürte, daß jemand sein Inneres durchforschte. Jemand prüe seine Gedanken, seine Lebenshaltung, jeden seiner geheimen Wünsche. Jemand wog seine Seele und ordnete sie ein. Eine neue Art des Bewußtseins blieb. Orne wußte, daß er Bakrish in die tiefste Hölle Mahmuds stoßen konnte, wenn er es nur wollte. Warum nicht? fragte er sich.
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Dann wieder: Warum? Wer war er, um so eine Entscheidung zu treffen? Hae Bakrish den ewigen Haß Mahmuds verdient? War Bakrish der Mann, der den Untersuchungsausschuß zu zerstören suchte? Bakrish war ein Nichts, ein kleiner Priester. Abt Halmyrach hingegen ... Stöhnen und Knirschen erfüllte die Zelle. Eine Flammenzunge schoß aus dem Dunkel über Orne, eine feurige Lanze, gezielt und wurereit. Sie warf einen rötlichen Glanz auf die Zellenwände. Wieder die Warnung: Gefahr! Und wenn er Mahmuds Haß in eine bestimmte Richtung lenkte, traf dieser Haß dann nur ein Ziel? Oder geriet er mit in den Strudel? Orne hae das vage Bewußtsein, daß er in diesem Moment etwas Gefährliches, Teuflisches tun konnte. Er konnte einen Mitmenschen zu ewigen Qualen verdammen. Aber welchen Menschen und warum? War der Besitz von Macht ein Freibrief? Er fühlte sich abgestoßen von der momentanen Versuchung. Kein Mensch verdiente die Hölle. Kein Mensch hae sie je verdient. Ich existiere, dachte er. Das genügt. Habe ich Angst vor mir selbst? Die tanzende Flamme erlosch. Sie ließ die Dunkelheit mit ihrem Scharren, Kratzen und Zischeln zurück. Orne spürte, wie seine Hände zierten, wie die Fingernägel den Boden kratzten. Eine Erkenntnis kam ihm. Er hielt die Hände ruhig. Das Kratzen verstummte. Er hielt die Beine ruhig. Das Scharren und Schleifen verstummte. Nur das Zischeln blieb. Natürlich – sein Atem! Gelächter schüelte ihn. Licht! Gleißende Helligkeit durchflutete die Zelle.
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In einem Anflug von Halsstarrigkeit verbannte er das Licht. Dunkel hüllte ihn ein – ein warmes, stilles Dunkel. Er wußte nun, daß die Psi-Maschine auf seine innersten Wünsche ansprach, auf jene Wünsche, die nicht vom skeptischen Bewußtsein gesteuert wurden, auf jene Wünsche, an die er glaubte. Ich existiere. Das Licht erstrahlte, wenn er es wollte, aber er hae die Dunkelheit gewählt. In dem plötzlichen Nachlassen der Anspannung erhob sich Orne, ohne auf die Warnung des Priesters zu achten. Flach auf dem Boden ausgestreckt hae er seine innerste Passivität begriffen, die Dinge, die er sich vorspiegelte und als feste Werte akzeptierte. Davon war er nun frei. Orne lächelte in das Dunkel und rief: »Bakrish, öffne die Tür!« Eine Psi-Ausstrahlung erreichte ihn, vorsichtig tastend. Er erkannte Bakrish darin. »Du siehst, daß ich glaube«, sagte Orne. »Öffne die Tür!« »Öffne sie selbst!« Orne setzte seine ganze Willenskra ein. Zeige mir Bakrish! Ein Knirschen erfüllte die Zelle. Durch einen Spalt in der Wand drang ein breiter Lichtfächer. Bakrish hob sich blockig gegen die Helligkeit ab. Er trat ein paar Schrie vor und zögerte dann, als er Orne im Dunkel stehen sah. »Hast du nicht das Licht vorgezogen, Orne?« »Nein.« »Aber du stehst – trotz meiner Warnung. Das bedeutet, daß du den Kern dieser Probe begriffen hast.« Orne nickte. »Die Psi-Maschine reagiert auf die Willensäußerung, die nicht vom Bewußtsein gesteuert werden. Das ist der Glaube – der vom Bewußtsein unabhängige Wille.« »Du hast begriffen und wählst dennoch das Dunkel?«
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»Beunruhigt dich das, Bakrish?« »Ja.« »Ich finde das im Moment nützlich.« »Hm.« Bakrish verneigte sich. »Ich danke dir, daß du mich verschont hast.« »Das weißt du?« Orne war überrascht. »Ich spürte die Hitze der Flammen und hae den Brandgeruch in der Nase. Ich hörte meine eigenen Schmerzensschreie.« Bakrish schüelte den Kopf. »Das Leben eines Guru hier auf Amel ist nicht leicht. Es gibt zu viele Möglichkeiten.« »Du warst in Sicherheit«, sagte Orne. »Ich steuerte meinen Willen.« »Darin liegt der höchste Glaubensgrad«, murmelte Bakrish. Er hob die Arme, preßte die Fingerspitzen gegeneinander und verneigte sich noch einmal vor Orne. Orne trat ins Licht. »Habe ich damit die Probe bestanden?« »Oh, das war erst die Einführung«, entgegnete Bakrish. »Insgesamt gibt es sieben Stufen: Glaube, die Wunder und ihre zwei Gesichter, Dogma und Ritual, Ethik, Religionsideal, Lebensfunktion und persönliche Mystik. Die Reihenfolge ist willkürlich, und manche Prüfungen fallen zusammen.« Orne zeigte sich gelassen. Das warnende Gefühl in seinem Innern war verschwunden. Er sagte: »Gut. Machen wir weiter!« Bakrish seufzte. »Rama schütze mich!« Dann meinte er zögernd: »Als nächstes stehen die zwei Gesichter der Wunder auf dem Programm.« Einen Moment lang meldete sich das Gefahrensignal. Orne bekämpe es. Ich glaube an mich selbst, sagte er sich vor. Ich kann meine Furcht überwinden. »Je schneller wir es schaffen, desto eher habe ich Gelegenheit, mit dem Abt zu sprechen«, sagte er verbissen.
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»Ist das der einzige Grund?« fragte Bakrish. »Natürlich nicht«, erwiderte Orne. »Aber er ist der Mann, der gegen den Untersuchungsausschuß kämp. Wenn ich all deine Rätsel gelöst habe, muß ich ihn noch knacken.« »Er hat dich gerufen«, sagte Bakrish. »Einen Moment lang fühlte ich mich versucht, ihn in die Hölle zu stoßen.« Bakrish wurde bleich. »Den Abt?« »Ja.« »Rama stehe uns bei!« »Lewis Orne stehe euch bei!« meinte Orne lachend. »Machen wir weiter!«
* Das Schema der massiven todbringenden Gewalt – jenes Phänomen, das wir Krieg nennen – wird aufrechterhalten durch ein Schuld-Furcht-HaßSyndrom, welches sich in der Art einer Krankheit durch Konditionierung ausbreitet. Mag die fehlende Immunität gegenüber dieser Krankheit etwas sehr Menschliches sein, so ist doch die Krankheit selbst keine notwendige oder natürliche Voraussetzung der menschlichen Existenz. Unter den Konditionierungsschablonen, welche den Kriegs-Virus übertragen, finden sich Rechtfertigung begangener Fehler, Selbstgerechtigkeit und die Notwendigkeit, derartige Dinge beizubehalten und zu pflegen ... UMBO STETSON Vorlesungen am Anti-Krieg-College
Bakrish hielt vor einem schweren Bronzeportal an und drehte einen kunstvoll geschmiedeten Griff in Form einer Sonneneruption herum. Mit einem leisen Quietschen sprang die Tür auf.
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»Es geschieht selten, daß diese beiden Prüfungen aufeinanderfolgen«, sagte er, während er mit der Schulter die Tür vollends aufstemmte. Sie betraten einen gigantischen Raum. Mauern aus Stein und Plastibeton wölbten sich in schwindelnder Höhe zu einer Kuppel. Durch schmale Schlitze in der Decke sickerten dünne Lichtstrahlen in die Tiefe, durchsetzt von goldenen Staubkörnern. Ornes Blicke folgten den flimmernden Pfeilen zu einem glaen Wall, etwa zwanzig Meter hoch und vierzig bis fünfzig Meter lang. Die Barriere erschien unvollständig; sie brach in der Mie des Raums ab, wie eingeschüchtert durch die gewaltigen Mauern ringsum. Bakrish schloß das Portal und deutete auf den Wall. »Wir gehen dorthin.« Das Klatschen ihrer Sandalen schuf ein gespenstisch verzögertes Echo. Der Geruch von Moder und feuchten Wänden hing auch hier im Raum. Orne entdeckte ringsum Bronzetüren in gleichmäßigen Abständen. Er drehte sich um, konnte aber nicht mehr unterscheiden, durch welches der Portale er den Saal betreten hae. Zehn Meter vor der sonderbaren Barriere hielt Bakrish an. Die Mauer schien aus grauem Plastibeton zu bestehen, gla und nichtssagend. Dennoch meldete sich in Orne wieder das Gefahrensignal. Die Furcht kam in mächtigen Wellen, wie das Branden der See. Eine Vielzahl von Möglichkeiten bei einer grundsätzlich gefahrvollen Situation – so hae Emolirdo dieses Phänomen gedeutet. Bakrish warf Orne einen Blick zu. »Ist es nicht wahr, mein Schüler, daß man die Befehle seiner Vorgesetzten befolgen soll?« Die Stimme des Priesters rief in der Weite des Saals ein hohles Echo hervor. Orne hüstelte. »Gewiß, wenn die Befehle sinnvoll sind und der Vorgesetzte, der sie erteilt, echte Überlegenheit besitzt. Weshalb fragst du?«
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»Orne, man hat dich als Spion hierhergesandt, als Agent des Untersuchungsausschusses. Im Grunde tragen deine Vorgesetzten die Verantwortung für alles, was hier geschieht.« »Worauf willst du hinaus?« Orne spannte sich an. Auf der Stirn des Priesters glänzten Schweißtropfen. Seine dunklen Augen wirkten fiebrig. »Die Psi-Maschinen jagen uns manchmal Entsetzen ein, Orne. Sie sind absolut unberechenbar. Jeder, der in ihr Feld gerät, kann ihrer Macht unterworfen werden.« »Wie vorhin, als du die Flammen der Hölle spürtest?« »Ja.« Bakrish schauderte. »Und du willst dennoch, daß ich weitermache?« »Es ist die einzige Möglichkeit, das zu erreichen, weshalb du hierhergesandt wurdest. Du kannst nicht au ören, du willst nicht au ören. Das Rad des Großen Mandalas dreht sich.« »Ich wurde nicht hierhergesandt«, widersprach Orne. »Der Abt hat mich berufen. Er trägt die Verantwortung, Bakrish, sonst wärst du jetzt nicht an meiner Seite. Wo bleibt dein eigener Glaube?« Bakrish preßte die Fingerspitzen gegen die Stirn und verneigte sich. »Der Schüler belehrt den Guru.« »Weshalb äußerst du solche Ängste?« fragte Orne. Bakrish ließ die Arme sinken. »Weil du uns immer noch mißtraust und Furcht vor uns empfindest. Ich spiegle nur deine Gefühle wider. Und Furcht führt zu Haß, das hast du in der ersten Prüfung gesehen. Bei der Aufgabe, die vor dir liegt, stellt jedoch Haß die allergrößte Gefahr dar.« »Für wen, Bakrish?« »Für dich, für alle, die du eventuell beeinflußt. Diese Prüfung vermielt, so du sie bestehst, ein Verständnis, das man nur selten erlangt ...« Er unterbrach sich. Zwei junge Priester waren eingetreten. Sie schleppten einen schweren Stuhl mit hohen, eckigen Lehnen und
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stellten ihn etwa zehn Meter vor dem grauen Wall ab. Nach einem scheuen Seitenblick auf Orne huschten sie zu einem der Bronzeportale und verließen den Raum. »Sie haben Angst vor mir«, sagte Orne. »Heißt das, daß sie mich hassen?« »Sie bewundern und verehren dich. Ob diese Ehrerbietung unterdrückten Haß enthält, vermag ich nicht zu sagen.« »Ich verstehe.« »Orne«, fuhr Bakrish eindringlich fort, »ich flehe dich an, gehe ganz ohne Haß in diese Prüfung!« »Weshalb verehren mich die beiden?« Orne starrte immer noch die Tür an, hinter der die beiden Jungen verschwunden waren. »Sie kennen diese Prüfung. Die Fäden unseres Universums sind darin verwoben. Und die Kunde von deinen außergewöhnlichen Fähigkeiten ist dir vorausgeeilt. Bei einem potentiellen Psi-Herd liegt alles in der Schwebe. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten.« Orne versuchte zu erforschen, was den Priester im Innersten bewegte. Offenbar spürte Bakrish sein Tasten. »Ich habe Angst«, sagte er. »Wolltest du das wissen?« »Weshalb?« »Als ich geprü wurde, fand ich in diesem Raum beinahe den Tod. Ich hae Haß ausgestrahlt. Der Ort grei noch heute nach mir.« Ein Ziern durchlief seinen Körper. Orne merkte, wie ihn die Furcht des Priesters ansteckte. »Es wäre eine Erleichterung für mich, wenn du mit mir beten könntest«, meinte Bakrish. »Zu wem?« »Zu irgendeiner Macht, an die du glaubst – zu dir selbst, zu dem Einen Go, zu mir. Darauf kommt es nicht an. Aber ich weiß, daß das Gebet hil.«
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Bakrish faltete die Hände und senkte den Kopf. Nach einem kurzen Zögern folgte Orne seinem Beispiel.
* Was ist besser – ein guter Freund, ein gutes Herz, ein gutes Auge, ein guter Nachbar, eine gute Frau oder das Erkennen von Ursache und Wirkung? Nichts von alledem. Eine warme, empfindsame Seele, welche den Wert der Gemeinscha, aber auch den Preis der individuellen Würde kennt – das ist am besten. BAKRISH als Schüler zu seinem Guru »Weshalb hast du Bakrish gewählt, um ihn durch die Probe zu führen?« fragte Macrithy den Abt. Sie befanden sich im Arbeitszimmer des Abtes, und Macrithy war eben gekommen, um zu berichten, daß Orne die erste Prüfung bestanden hae. Ein Hauch von Schwefel hing im Raum, und Macrithy fand, daß eine bedrückende Hitze herrschte, obwohl das Feuer im Kamin längst niedergebrannt war. Der Abt wußte, daß Macrithy diese Ehre für sich gewollt hae. Er beugte sich über sein Schreibpult und erwiderte, ohne den Kopf zu heben: »Weil ich an etwas denken mußte, das Bakrish einst als Schüler sagte. Es gibt Zeiten, in denen selbst ein Go einen Freund benötigt.« »Was herrscht hier für ein sonderbarer Geruch, Ehrwürdiger Abt?« fragte Macrithy. »Hast du etwas verbrannt?« »Ich habe meine Seele im Höllenfeuer geläutert«, erklärte der Abt. Er spürte, daß in seinem Tonfall Unzufriedenheit mit Macrithy mitschwang. Um den Tadel abzumildern, fügte er hinzu: »Bete für mich, mein lieber Freund! Bete für mich!«
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Der Lehrer, der nicht von seinen Schülern lernt, versteht nichts von seinem Aurag. Der Schüler aber, der über das fundierte Wissen seines Lehrers spoet, ist wie einer, der unreife Trauben ißt und fortan die süßen, reifen Früchte der Rebe verachtet. SPRÜCHE der ÄBTE »Du mußt auf dem Stuhl dort Platz nehmen«, sagte Bakrish nach dem Gebet. Er deutete auf das klobige Ding, das vor der Barriere stand. Orne warf einen Blick auf den Stuhl und bemerkte eine umgedrehte Schale, die so angebracht war, daß sie über dem Sitz pendelte. Ornes Herz schlug schneller. »Manchmal gehen wir um des Gehens willen.« Die Worte fielen ihm ein, und er überlegte, wer sie gesagt hae. Das große Rad drehte sich. Orne trat auf den Stuhl zu, setzte sich. Das Warnsignal in seinem Innern schrillte. Aus verborgenen Öffnungen im Stuhl schossen Metallbänder, fesselten seine Arme und Beine, umspannten seinen Oberkörper. Er versuchte sich zu befreien. »Kämpfe nicht!« warnte Bakrish. »Du kannst nicht entfliehen.« »Weshalb hast du mir verschwiegen, daß der Stuhl mich festhalten würde?« »Ich wußte es nicht, das schwöre ich dir. Der Stuhl ist Teil der Psi-Maschine und erhält durch dich eigenes Leben. Er hat die Entscheidung selbst getroffen. Orne, ich flehe dich an als dein Freund! Kämpfe nicht, hasse uns nicht! Haß vervielfältigt die Gefahr, in der du schwebst. Er könnte dich ins Verderben stürzen.« »Und dich mitreißen?« »Höchstwahrscheinlich. Man kann den Folgen seines Hasses nicht entrinnen.« Bakrish sah sich in dem gigantischen Gewölbe um. »Auch ich habe an diesem Ort einst gehaßt.«
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Mit einem Seufzer trat er hinter den Stuhl und hielt die Schale so, daß sie genau über Ornes Kopf schwebte. »Hüte dich vor ruckartigen Bewegungen! Im Innern der Schale befinden sich MikroElektroden, die dir große Schmerzen zufügen, wenn du auszuweichen versuchst.« Er senkte die Schale. Orne spürte, wie feine Drähte seine Kop aut berührten. »Was soll das?« fragte er. Seine Stimme klang wie aus weiter Ferne. Und er dachte plötzlich: Warum lasse ich das alles mit mir geschehen? Warum glaube ich ihnen einfach? »Dies hier ist eine der berühmten Psi-Maschinen«, sagte Bakrish. Er verstellte etwas an der Rückenlehne des Stuhls. Metall klickte. »Siehst du die Wand vor dir?« Orne starrte unter dem Rand der Schale hervor. »Ja.« »Beobachte sie!« befahl Bakrish. »Sie bringt deine geheimsten Wünsche und Triebe ans Licht. Mit ihrer Hilfe kannst du Tote zum Leben erwecken und ähnliche Wunder vollbringen. Vielleicht stehst du am Rand eines tiefen mystischen Erlebnisses.« Ornes Kehle war wie ausgetrocknet. »Wenn ich mir nun wünsche, daß mein Vater hier erscheint?« »Ist er tot?« »Ja.« »Dann könnte es geschehen.« »Und er wäre wirklich am Leben und genau wie mein Vater?« »Ja. Aber laß dich warnen! Die Dinge, die du hier sehen wirst, sind keine Halluzinationen. Aber ein Geschöpf, das durch deinen Willen erscheint, besitzt neben der eigenen Psyche auch etwas von dir. Seine und deine Materie werden in einer Weise aufeinander einwirken, die sich nicht vorhersagen läßt. Alle deine Erinnerungen werden jenem Wesen gegenwärtig sein ...« »Meine Erinnerungen?«
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»Hör mir gut zu, Orne! Das ist sehr wichtig. In einigen Fällen geschieht es, daß sich die Erschaffenen ihres Doppellebens voll bewußt sind. Andere werden dich aus ihrer Psyche zurückweisen. Sie haben vielleicht nicht die Fähigkeit, diese Abhängigkeit zu meistern. Wieder anderen fehlt das Empfindungsvermögen für die Rolle, die sie spielen.« Orne spürte die Angst hinter den Worten des Priesters, spürte die Aufrichtigkeit, und er dachte: Er glaubt das! »Warum werde ich in diesem Stuhl festgehalten?« »Ich weiß es nicht genau. Vielleicht ist es wichtig, daß du nicht vor dir selbst fliehst.« Bakrish legte Orne eine Hand auf die Schulter. »Ich muß jetzt gehen, aber ich werde für dich beten. Der Glaube und die Gnade seien mit dir!« Der Priester entfernte sich. Seine Kue streie raschelnd den Boden. Eine Tür schlug dumpf zu. Unsagbare Einsamkeit erfaßte Orne. Dann erklang ein schwaches Summen, wurde lauter. Der PsiVerstärker in seinem Nacken schmerzte, und Orne spürte das Aufflackern von Psi-Kräen ringsum. Die Barriere erwachte zu Leben, verwandelte sich in ein tiefes, glasiges Grün, durchsetzt von irisierenden Purpurlinien, die sich wanden und schlängelten wie Würmer in einer zähflüssigen Masse. Orne holte tief Atem. Furcht hämmerte auf ihn ein. Die Purpurfäden übten eine hypnotische Anziehungskra auf ihn aus, schienen ihm entgegenzuquellen. Einen Moment lang glaubte er Dianas Gesicht zwischen den Linien zu erkennen, doch es verschwamm wieder. Ich will nicht, daß sie hier an diesem gefährlichen Ort ist, dachte er. Verzerrte Formen tauchten auf, flossen zusammen zu den Umrissen eines Shriggar, jener riesigen Sägezahn-Echse, mit der die Müer von Chargon ihren ungehorsamen Kindern drohten.
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Die Umrisse füllten sich. Gelbe Schuppen, Stielaugen ... Die Zeit schien stehenzubleiben. Orne dachte zurück an seine Kindheit auf Chargon. Aber damals war der Shriggar längst ausgestorben, überlegte er. Mein Ururgroßvater sah das letzte lebende Exemplar. Die Erinnerungen wollten nicht weichen. Sie trieben ihn durch einen langen Korridor, erfüllt von hohlen Echos, die den Hauch von Wahnsinn und irrem Gestammel haen. Tiefer ... tiefer ... tiefer. Kindergelächter, eine Küche, seine Muer als junge Frau. Er war drei Jahre alt und drückte sich verlegen in eine Ecke, weil die beiden großen Schwestern ihn verspoeten. Sie verspoeten ihn, weil er angstschloernd erzählt hae, im Abflußkanal lauerte ein Shriggar ... Kichernde Mädchen! Verhaßte Geschöpfe! »Hihi, er will einen Shriggar gesehen haben!« – »Still jetzt, ihr beiden!« Auch in der Stimme der Muer schwang Belustigung mit. Die Form des Shriggars quoll aus dem grünen Wall. Krallen scharrten über den Boden. Der Shriggar verließ die Barriere. Er war gigantisch, doppelt so groß wie ein Mensch, und seine Stielaugen kreisten nach rechts, nach links ... Orne riß sich gewaltsam von den Erinnerungen los. Schmerz durchzuckte ihn, als er unwillkürlich den Kopf zurückwarf und die Elektroden in Bewegung gerieten. Der Shriggar verschwand nicht, tappte neugierig näher. Orne hae einen säuerlichen Geschmack im Mund. Meine Vorfahren wurden von dieser Bestie gejagt, dachte er. Die Angst hat sich unausrobar in den Genen festgesetzt. Gelbe Schuppen knirschten, der kleine Raubvogelkopf senkte sich wie zum Angriff. Der scharfe Schnabel des Shriggars war halb geöffnet, so daß man die gespaltene Zunge und die gefährlichen Sägezähne erkennen konnte.
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Ein Urinstinkt preßte Orne gegen die Stuhllehne. Er spürte die Ausdünstung der Bestie – den süßlichen Gestank verfaulten Fleisches. Die Stielaugen waren auf Orne gerichtet. Noch ein Schri, noch einer. Kaum vier Meter entfernt hielt das Monstrum an. Der Gestank raubte Orne beinahe die Besinnung. In dem grünen Wall wanden und schlängelten sich immer noch die irisierenden Purpurfäden. Orne nahm sie nur verschwommen wahr. Er konnte den Blick nicht von der Echse abwenden. Der Shriggar kam noch näher. Sein Atem roch nach Faulschlamm. Ganz egal, was Bakrish behauptet, es muß eine Halluzination sein. Die Shriggar sind längst ausgestorben. Ein neuer Gedanke kam Orne: Vielleicht haben sich die Priester von Amel an Rückzüchtungen gewagt. Was geschieht nicht alles im Namen der Religion? Die Stielaugen des Shriggars kreisten einen Meter von Orne entfernt. In der grünen Barriere verfestigten sich neue Formen. Orne sah zwei Kinder, mit Spielhöschen bekleidet. Sie hüpen auf dem Steinboden herum. Nackte Füße patschten näher. Helles Lachen hallte in der Leere der Kuppel wider. Es waren zwei Mädchen, das eine etwa fünf, das andere acht Jahre alt. Sie haen den stämmigen Körperbau der Einwohner von Chargon. Das ältere Kind trug einen Sandeimer und eine Spielschaufel. Plötzlich blieben die beiden stehen und sahen sich verwirrt um. »Maddie, wo sind wir?« fragte das kleinere Mädchen. Bei dem Laut wirbelte der Shriggar herum. Das ältere Kind schrie auf. Entsetzen ergriff Orne. Seine Schwestern – die albernen kleinen Mädchen, die ihn ausgelacht haen, als er daheim von dem Shriggar erzählt hae! War ihm jener Vorfall nur in den Sinn gekommen, damit er seinen Haß abreagieren konnte?
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»Lau!« rief er. »So lau doch fort!« Aber die beiden Kinder blieben vor Schreck wie erstarrt stehen. Der Shriggar senkte den Kopf, stieß auf die Mädchen zu. Sein mächtiger Rumpf verdeckte die beiden Kinder, so daß Orne nicht erkennen konnte, was sich abspielt. Er hörte einen gellenden Schrei, der abrupt verstummte. Von seinem eigenen Schwung vorwärtsgetrieben, taumelte der Shriggar gegen die grüne Wand und verschmolz mit ihr. Das ältere Kind lag flach auf dem Boden. Eine Hand umkrampe den Sandeimer und die Schaufel. Von dem kleineren Mädchen war nichts außer einer breiten roten Blutspur geblieben. Ein Alptraum, dachte Orne. Es muß ein Alptraum sein. Einen Moment lang starrte er den grünen Wall an, aber der Shriggar kehrte nicht zurück. Er hat seinen Zweck erfüllt, dachte Orne. Bakrish hae recht. Dieses Ding war wirklich ein Teil meines Ichs. Es war meine Bestie. Das ältere Mädchen erhob sich taumelnd und kam auf Orne zu. Es ließ keinen Blick von ihm. Maddie, dachte er. Maddie, so wie sie damals aussah. Aber Maddie ist heute eine erwachsene Frau und hat selbst Kinder. Was habe ich da ins Leben gerufen? Im Gesicht und an den Beinchen des kleinen Mädchens klebte Sand. Einer der roten Zöpfe hae sich aufgelöst. Maddie bebte vor Zorn. Zwei Meter von Orne entfernt blieb sie stehen. »Das warst du!« sagte sie empört. Orne zuckte zusammen. »Du hast Laurie totgemacht!« fuhr sie anklagend fort. »Nein, Maddie, nein!« wisperte Orne. Die Kleine hob den Eimer, schleuderte ihm den Inhalt ins Gesicht. Er schloß die Augen. Sand prasselte gegen den Elektro-
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denhelm, rieselte ihm über Gesicht und Oberkörper. Orne schüttelte den Kopf, um den Sand loszuwerden. Ein Teil der Mikroelektroden lösten sich. Schmerz explodierte hinter der Stirn. Die Purpurlinien in der grünen Wand drehten und wanden sich heiger. Orne starrte das Gewimmel durch einen roten Schleier aus Schmerz an; seine Augen tränten. Bakrish hae gesagt, daß die Wesen, die er schaffen würde, eine eigene Psyche besaßen ... »Maddie«, sagte er, »bie, versteh doch ...« »Du wolltest in meinen Kopf eindringen!« kreischte sie. »Aber ich habe dich wieder herausgeschubst! Ich lasse dich nie, nie, nie herein..« Andere werden dich zurückweisen. Das Kind Maddie hae ihn aus ihrer Psyche verdrängt, weil ihr achtjähriger Verstand ein derartiges Erlebnis noch nicht verarbeiten konnte. Als Orne das durchschaut hae, erkannte er gleichzeitig, daß er die Vorgänge in der Kuppel als Realität und nicht als Halluzination akzeptierte. Was kann ich sagen? Wie kann ich das alles rückgängig machen? »Ich bringe dich um!« kreischte Maddie. Sie schwang die Schaufel und stürzte sich auf ihn. Der scharfe Metallrand des Spielzeugs schni eine tiefe Wunde in seinen Oberarm. Blut sickerte durch den Stoff der Kue. Orne fühlte sich erneut in einem Alptraum gefangen. »Maddie!« rief er, ohne seine Worte zu überlegen. »Hör auf damit, oder Go wird dich strafen!« Sie wich ein paar Schrie zurück – und nahm neuen Anlauf. Aus dem grünen Wall schri eine Gestalt im wallenden weißen Gewand, mit einem roten Turban auf dem Kopf. Orne sah die leuchtenden Augen, die asketischen Züge, den langen, grauen Bart, der im Sufi-Stil geteilt war ... »Mahmud!« wisperte er.
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Er kannte das Bild aus seiner Kindheit. Es hae die Rückwand der inneren Moschee geschmückt, die er an Fesagen auf Chargon besucht hae. Go wird dich strafen! Mahmud trat hinter das Kind, hielt den zum Schlag erhobenen Arm fest. Maddie versuchte sich loszureißen, aber er gab ihr Handgelenk nicht frei. Langsam drehte er ihr den Arm nach hinten. Maddie schrie und schrie und schrie ... »Nicht!«, protestierte Orne. Mahmud hae eine dunkle, grollende Stimme. »Man hindert den Miler Goes nicht daran, eine gerechte Strafe zu erteilen.« Er zog die Kleine an den Haaren hoch, packte die Schaufel und hieb damit kurz gegen Maddies Halsschlagader. Das Schreien verstummte. Blut schoß heraus und befleckte das weiße Gewand Mahmuds. Er ließ die schlaffe kleine Gestalt zu Boden fallen und sah Orne an. Ein Alptraum, dachte Orne. Es muß Ein Alptraum sein! »Du hältst das alles für einen Alptraum!« grollte Mahmud. »Deine Schöpfungen mußten beseitigt werden. Sie entstanden durch Haß, nicht durch Liebe. Man hae dich gewarnt!« Orne fühlte sich elend. Ihm kam in den Sinn, daß Bakrish diese Prüfung ›die zwei Gesichter der Wunder‹ genannt hae. »Soll das hier etwa ein Wunder sein?« fragte er Mahmud trotzig. »Ein tiefes mystisches Erlebnis? Das?« »Warum hast du den Shriggar nicht angesprochen?« entgegnete Mahmud. »Er häe mit dir über gläserne Städte und den Sinn des Krieges, über Politik und ähnliche Dinge diskutiert. Ich fordere mehr. Woraus besteht deiner Meinung nach ein Wunder? Das ist meine erste Frage.« Wieder meldete sich die Furcht. Orne fiel es schwer, sich auf das Problem zu konzentrieren. »Bist – bist du wirklich der Miler Goes?« stammelte er.
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»Haarspaltereien!« sagte Mahmud verächtlich. »Das Universum besteht aus einem Stück. Daran können Namen und Bezeichnungen nichts ändern.« Orne hae das Gefühl, daß er am Rande des Chaos balancierte. Was ist ein Wunder? Was ist ein Wunder? Emolirdos Lehren fielen ihm ein. Chaos ... Ordnung ... Energie ... Psi ist gleich Wunder. Worte, noch mehr Worte. Wo blieb sein Glaube? Ich existiere. Das genügt. »Ich bin ein Wunder«, sagte er. »Ooh, sehr gut«, erwiderte Mahmud spöisch. »Ein Psi-Herd, was? Energie aus dem Chaos, geformt für alle Zeiten. Aber nun die zweite Frage: Ist ein Wunder gut oder schlecht?« Orne atmete tief durch. Es klang wie ein Schluchzen. »Im allgemeinen heißt es, daß Wunder gut sind, aber das stimmt nicht. Die Begriffe ›gut‹ und ›schlecht‹ beziehen sich auf Motive. Wunder sind einfach.« »Menschen haben Motive«, wandte Mahmud ein. »Menschen können die Begriffe ›gut‹ und ›schlecht‹ nach ihrem Gutdünken definieren«, sagte Orne. Mahmud starrte ihn an. »Bist du gut oder schlecht?« Orne wich dem gestrengen Blick nicht aus. Mit einemmal fand er es ungeheuer wichtig, diese Prüfung zu bestehen. Er akzeptierte jetzt, daß dieser Mahmud der Realität angehörte. Welche Aussage versuchte der Prophet ihm zu entlocken? »Wie kann ich gegen mich selbst gut oder schlecht sein?« fragte Orne. »Ist das deine Antwort?« Orne fühlte, daß dies eine gefährliche Frage war. »Du willst, daß ich sage, die Menschen erschaffen Göer, um ihre beliebigen Definitionen von Gut und Schlecht durchzusetzen!«
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»Oh? Ist das der Ursprung der Gölichkeit? Weiter, mein Freund! Du kennst die Antwort – ich weiß es genau.« Bin ich gut oder schlecht? überlegte Orne. Er zwang sich zur Konzentration, aber es war, als kämpe er gegen eine reißende Strömung an. »Ich – wenn ich eins mit dem gesamten Universum bin, dann bin ich Go und Geschöpf. Ich bin das Wunder. Wie kann so etwas gut oder schlecht sein?« »Wie steht es mit der Schöpfung?« wollte Mahmud wissen. »Beantworte mir diese Frage! Aber weiche nicht wieder aus!« Orne schluckte. Er überlegte, ob die große Psi-Maschine jene Energie verstärkte, welche die Menschen Religion nannten. Bakrish hat gesagt, hier könnte ich Tote zum Leben erwecken. Bisher beanspruchte die Religion das für sich. Aber wie unterscheide ich Religion, Psi und Schöpfung? Der ursprüngliche Mahmud ist seit Jahrhunderten tot. Falls ich ihn neu erschaffen habe, in welcher Beziehung stehen dann seine Tragen zu mir? Dazu kam immer noch die Möglichkeit, daß es sich – trotz des eigenartigen Realitätsgefühls – um eine Halluzination handelte. »Du kennst die Antwort!« beharrte Mahmud. Orne wußte, daß es kein Entrinnen gab. »Ein Geschöpf kann, so ist es definiert, unabhängig von seinem Schöpfer handeln. Du besitzt Unabhängigkeit, obwohl du an mir teil hast. Ich habe die Trennung vollzogen, dir deine Freiheit gegeben. Wie also kann ich über dich urteilen? Du bist höchstens in deinen eigenen Augen gut oder schlecht. Das gleiche gilt für mich.« Er lachte. »Bin ich gut oder schlecht, Mahmud?« Mahmud verneigte sich. »Du hast die Probe bestanden. Mein Segen geleite dich!« Er hob das tote Kind mit saner Bewegung auf und ging auf die grüne Wand zu, verschmolz mit ihr. Schweigen lag über dem Raum. Die Purpurlinien bewegten sich nur noch träge.
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Orne war schweißgebadet. Seine Schläfen hämmerten. Die Wunde am Arm schmerzte. Er atmete stoßweise, als sei er eine lange Strecke gelaufen. Irgendwo schlug dumpf hallend eine Bronzetür zu. Der grüne Wall hae wieder einen nichtssagenden grauen Farbton angenommen. Schrie schluren näher. Hände lösten behutsam die Elektroden von seiner Kop aut. Die Metallbänder, die ihn gefesselt haen, schnellten zurück in die Stuhllehnen. Bakrish trat vor ihn. »Das war eine harte Prüfung«, murmelte Orne erschöp. »Ich hae dich angefleht, an diesem Ort nicht zu hassen«, entgegnete der Priester. »Aber du lebst und besitzt deine Seele noch.« »Woher weißt du das?« »Irgendwie merkt man, wenn sie verloren geht«, meinte Bakrish. Er warf einen Blick auf Ornes Arm. »Wir müssen die Wunde versorgen. Es ist jetzt Nacht draußen und höchste Zeit für die nächste Stufe.« »Schon Nacht?« Orne starrte zu den schmalen Schlitzen in der Kuppel hinauf. Sie waren dunkel. Das Licht im Saal rührte von Glühkugeln her, die im Gewölbe schwebten. »Die Zeit vergeht rasch.« »Für dich vielleicht.« Bakrish seufzte. »Laß mich einen Augenblick ausruhen. Ich bin völlig erledigt.« »Nimm eine Energiepille, wenn wir deinen Arm verbinden! Komm nun!« »Weshalb die Eile? Was ist jetzt an der Reihe?« »Du mußt die Schaen von Dogma und Ritual durchwandern. Es steht geschrieben, daß der Beweggrund der Vater der Ethik und die Vorsicht die Schwester der Furcht ist ...« Er machte eine Pause. »... und die Furcht die Tochter der Schmerzen.«
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Schweigen ist der Hüter der Weisheit, laute Späße und. Frivolität hingegen fördern die Ignoranz. Wo aber Unwissenheit herrscht, fehlt das Goverständnis. SPRÜCHE der ÄBTE »Er zeigt eine angenehme Zurückhaltung«, meinte der Abt. »Das fällt mir an ihm auf – eine angenehme Zurückhaltung. Er spielt nicht mit seiner Macht.« Der Abt saß auf einem Schemel vor dem Kamin. In seiner Nähe stand Macrithy mit dem neuesten Bericht über Orne. Trotz der positiven Worte schwang Trauer in der Stimme des Abtes mit. Macrithy hörte es. »Auch mir ist nicht entgangen, daß er darauf verzichtete, die Frau seines Herzens zu sich zu holen oder auf andere Weise mit der Großen Maschine zu experimentieren. Aber sag, Ehrwürdiger Abt, weshalb erfreut dich diese Beobachtung nicht?« »Orne wird über sich selbst nachdenken, sobald er Zeit dazu findet. Er wird erkennen, daß er die Maschine nicht braucht, um seinen Willen durchzusetzen. Was dann, mein Freund?« »Du bist sicher, daß er der Go ist, den du gerufen hast?« »Völlig sicher. Und wenn er seine enormen Kräe entdeckt ...« « ... wird er dich aufsuchen, Ehrwürdiger Abt.« Abt Halmyrach nickte stumm. »Wir haben dem Sprechenden Stein Einhalt geboten«, sagte Macrithy. »Wirklich? Oder wandte er sich nur belustigt ab, weil er einen anderen Daseinszweck gefunden hae?« Macrithy schlug die Hände vors Gesicht. »Ehrwürdiger Abt, wann hören wir endlich auf, in diese unbekannten Regionen vorzustoßen? Wir haben kein Recht dazu ...« »Kein Recht?«
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»Wann halten wir ein?« Macrithy senkte mit hilfloser Geste die Arme. Tränen liefen ihm über die Wangen. »Erst wenn wir kurz vor dem Untergang stehen«, erwiderte der Abt. »Warum nur – warum?« »Weil wir auf diese Weise begannen, mein lieber Freund. Weil das der Anfang war. Das ist die andere Seite der Entdeckungen: Sie sollen den Blick freigeben auf das, was immer war, das, was ohne Anfang ist und ohne Ende. Wir betrügen uns selbst, verstehst du? Wir schneiden ein Stück aus dem Immer und sagen: ›Seht! Hier hat es begonnen, und hier seht, endet es!‹ Doch aus diesen Worten spricht nur unsere begrenzte Wahrnehmungsgabe, nicht die Wirklichkeit.«
* Ordnung bringt Gesetze mit sich. Sie helfen uns, die Ordnung zu verstehen und in der richtigen Vorm anzuwenden. Es wäre jedoch falsch weiterzufolgern, daß den Gesetzen eine Absicht zugrundeliegt. Absicht erfordert einen Beginn: erst die Absicht, dann das Gesetz. Das Wesen der Ewigkeit aber besteht darin, daß sie weder Anfang noch Ende hat. Ohne Anfang keine Absicht, kein ewiges Motiv. Ohne Ende kein letztes Ziel, kein Gericht. Daraus können wir schließen, daß Sünde und Schuld, die ja Produkte der Absicht sind, mit der Ewigkeit nichts zu tun haben. Allermindestens erfordern Begriffe wie Sünde, Schuld, Gericht einen Anfang und erscheinen somit als Segmente der Ewigkeit. Sie befassen sich mit den endlichen Gesetzen und nur mit den Randproblemen der Ewigkeit. Daher ist auch unser Goesbild so begrenzt und einschränkend. ABT HALMYRACH Das Problem der Ewigkeit
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Frost hing in der Nachtlu, und Orne zog die Kue enger um sich. Bakrish hae ihn in einen Park innerhalb des Tempelbezirks geführt. In den Baumkronen erklangen ein paar schläfrige Vogelrufe. Es roch nach frisch gemähtem Gras. Die dunkle Silhouee eines Berges hob sich gegen den Sternenhimmel ab. Und eine Lichterprozession erklomm im Zickzack den Hang; sie strebte dem Gipfel zu. Ornes Arm schmerzte noch immer, aber die Energiepille hae wenigstens die Müdigkeit vertrieben. Bakrish drehte sich um. »Das sind Schüler, begleitet von Priestern. Sie tragen Laternen an langen Pfählen. Die Lichter drehen sich, so daß man die verschieden getönten Glasscheiben sehen kann – rot, blau, gelb und grün.« Orne betrachtete die Szene. Wie ständig die Farbe wechselnde Leuchtinsekten krochen die Lichter über die Bergflanke. »Und was soll das?« »Die Schüler stellen ihre Frömmigkeit unter Beweis.« »Was bedeuten die vier Farben?« »Rot steht für das Blut, das man hingibt, Blau für die Wahrheit, Gelb für den Reichtum religiöser Erfahrung und Grün für das Wachsen und Gedeihen des Lebens.« »Ich verstehe nicht, was eine Prozession zum Berggipfel mit Frömmigkeit zu tun hat.« »Es ist eine Geste des guten Willens.« Bakrish ging schneller. Er verließ den holprigen Pfad und überquerte eine Rasenfläche. Orne hae Mühe, ihn einzuholen. Er dachte wieder: Warum mache ich all das mit? Weil ich die Begegnung mit dem Abt suche? Weil mir Stetson befohlen hat, diesen Aurag durchzuführen? Wegen des Eides, den ich vor dem Untersuchungsausschuß geschworen habe? Keiner dieser Gründe erschien ihm ausreichend. Er hae das Gefühl, daß er seinen bisherigen Weg ebenso leicht
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verlassen konnte, wie Bakrish den Park-Pfad verlassen hae. Der Priester blieb an einer Mauer stehen. Ein Tor führte hindurch, und hier strömten Priester und Schüler zusammen. Schweigend ergriffen sie die langen Pfähle, die in einem Ständer lehnten. Jenseits des Tors flammten Lichter auf. Füße schluren, Kuen raschelten, hin und wieder hüstelte jemand. Bakrish nahm einen der Pfähle, drehte am unteren Ende. In der Laterne flammte Licht auf. Die rote Glasscheibe war der Prozession zugewandt, die sich jenseits des Tores formierte – Schüler und Priester, Schüler und Priester. Sie alle haen die Augen gesenkt. Ihre Gesichter wirkten ernst und feierlich. »Hier.« Bakrish drückte Orne die Stange in die Hand. Orne wollte fragen, was er mit dem Ding anfangen sollte, aber die Stille schüchterte ihn ein. Er kam sich albern vor. Weshalb waren sie hierhergekommen? Und worauf warteten sie nun? Bakrish nahm ihn am Arm und flüsterte: »Schließ dich an – ich folge dir gleich! Und halte die Laterne ganz hoch!« Jemand weiter vorn zischte: »Schscht!« Orne erkannte die Umrisse einer Gestalt, trat in die Reihe. Sofort meldete sich das. Warnsignal in seinem Innern. Er stockte, blieb stehen. »Weiter!« wisperte Bakrish. »Weiter!« Orne gehorchte. Die Laterne tauchte den Priester vor ihm in ein grünliches Licht. Weit vorn klang ein rhythmisches Murmeln auf, das sich verstärkte, als es die Reihe entlangwanderte. Es übertönte das Schlurfen der Sandalen und Rascheln der Kuen, ließ die Insektenlaute im hohen Gras neben dem Weg verstummen. Es waren keine Worte, nur Laute: »Ahhh-ah-huh! Ahh-ah-huh!« Der Pfad stieg an, wand sich in vielen Kehren über den Hang. Tanzende Lichter, düstere Gestalten, Gesang, Wurzeln quer über dem Weg, Geröll, glae Felsen, Kälte.
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»Du singst nicht?« flüsterte Bakrish. Das Gefühl, daß er hier fehl am Platz war, und die Warnung in seinem Innern machten Orne rebellisch. Er entgegnete ebenso leise: »Ich bin heute nicht bei Stimme!« Ahh-ah-huh! Was für ein Unsinn! Am liebsten häe er die Laterne weit von sich geschleudert und wäre im Dunkel verschwunden. Die Prozession hielt so abrupt an, daß Orne um ein Haar seinen Vordermann umgerannt häe. Der Gesang verstummte. Die Gläubigen verließen den Weg. Er folgte ihnen, bahnte sich einen Weg durch eine niedrige Hecke. Vor ihm breitete sich ein flaches Amphitheater aus, in dessen Mie ein steinerner Stupa von doppelter Mannshöhe aufragte. Die Schüler trennten sich von den Priestern und bildeten einen Halbkreis um den Stupa. Ihre Laternen warfen vielfarbige Schaen. Wo war Bakrish? Orne drehte sich um. Der Priester war nicht mehr in seiner Nähe. Was erwartete man von ihm? Wie konnte er hier Frömmigkeit zeigen? Ein bärtiger Priester trat vor den Stupa. Er trug eine schwarze Kue und eine rote Kopedeckung. Seine Augen leuchteten. Die Schüler erstarrten. Orne stand im äußeren Ring. Was hae das mit seiner Probe zu tun? Was sollte er hier? Der Priester breitete die Arme aus, senkte sie wieder. Er begann mit einem weiragenden Baß zu sprechen: »Ihr steht vor dem Schrein des Gesetzes und der Reinheit. Diese beiden Begriffe sind unzertrennlich, wenn es um den wahren Glauben geht. Gesetz und Reinheit! Hier liegt der Schlüssel zum Großen Mysterium, das uns das Paradies öffnet.« Erneut spürte Orne das Warnsignal und gleich darauf das Anschwellen einer Psi-Macht. Sie war irgendwie anders als alles bisher Erlebte. Sie hämmerte im Takt mit den Worten des Priesters,
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verstärkte sich, als die Leidenscha seiner Sprache zunahm. Orne versuchte sich auf den Sinn der Worte zu konzentrieren. »... die unsterbliche Tugend und Reinheit aller großen Propheten! Empfangen in Reinheit, geboren in Reinheit, ihre Gedanken gebadet für alle Zeit in Reinheit. Unberührt von der Niedrigkeit der Materie, weisen sie uns den Weg!« Mit einem Schock erkannte Orne, daß die Psi-Macht um ihn nicht von einer Maschine kam, sondern von den Emotionen der Zuhörer, die zusammenströmten zu einem mächtigen Feld. Der bärtige Priester spielte mit den Gefühlen der Menge wie ein geübter Musiker auf einem Instrument. »Habt Vertrauen in die ewige Wahrheit dieses gölichen Dogmas!« rief der Priester. Weihrauch stieg Orne in die Nase. Eine unsichtbare Elektronikorgel stimmte dumpfe Klänge an, eine getragene Melodie mit grollenden Passagen, welche die Stimme des Priesters begleiteten, ohne sie je zu übertönen. Priester am Rande des Halbkreises schwangen Weihrauchfässer. Bläuliche Wolken stiegen in die Nacht. Eine Glocke klang auf, hell und durchdringend. Sie läutete siebenmal. Orne nahm die Szene wie hypnotisiert auf. Massen-Emotionen wirken wie eine Psi-Macht! dachte er. Der Priester vor dem Stupa ballte die Fäuste und reckte sie zum Himmel. »Allen wahren Gläubigen das ewige Paradies!« rief er. »Ewige Verdammnis aber allen Ketzern!« Er senkte die Stimme. »Ihr, die ihr die ewige Wahrheit sucht, sinkt in die Knie und betet um Erleuchtung! Betet, daß euch der Schleier von den Augen falle! Betet um die Reinheit, die Erleuchtung bringt! Betet um den Segen des All-Einen!« Kuen raschelten und knisterten, als die Schüler auf die Knie sanken. Nur Orne blieb stehen. Er fühlte sich erhaben, geläutert,
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am Rande einer großen Entdeckung: Massen-Emotionen erzeugen eine Psi-Macht! Er wollte Bakrish rufen, ihm seine Erkenntnis mitteilen. Ein empörtes Murmeln ging durch die Reihen der Schüler. Es drang nur verschwommen an Ornes Ohren. Zornige Blicke trafen ihn. Das Murmeln schwoll an. Das Warnsignal in Orne tobte. Er erwachte aus seiner Erstarrung und erkannte die Gefahr. Ein Schüler am anderen Ende des Halbkreises deutete auf ihn. »Was ist mit dem da? Weshalb kniet er nicht wie wir?« Orne warf einen suchenden Blick in die Runde. Wo war Bakrish? Jemand zerrte an seiner Kue, wollte ihn in die Knie zwingen. Orne machte sich frei. Gleich jenseits der Hecke befand sich der Weg. »Ketzer!« rief eine Stimme aus der Menge. Orne spürte die Psi-Macht wie ein Netz, das über ihn geworfen wurde, das sein Bewußtsein trübte und die Vernun fesselte. Andere nahmen das Wort auf. »Ketzer! Ketzer!« Orne zog sich Schri für Schri zurück. Furcht hae ihn erfaßt. Die Wut der Menge war etwas Greiares – eine Zündschnur, die knisterte und rauchte und jeden Moment zur Detonation führen konnte. Der bärtige Priester blickte starr zu Orne herüber. Sein Gesicht erschien wie ein Kaleidoskop von Farben. Das Amphitheater hae etwas Dämonisches, Alptraumhaes an sich. Mit einemmal merkte Orne, daß er immer noch die Laterne hochhielt. Ihr Licht fiel auf den Pfad neben der Hecke. Abrupt erhob der Priester vor dem Steinmal die Stimme zu einem Wahnsinnsschrei: »Bringt mir den Kopf des Ketzers!« Orne schleuderte die Laterne wie einen Speer, als die Meute der Fanatiker auf ihn eindrang. Er wirbelte herum, floh den dunklen
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Pfad entlang. Hinter sich hörte er die Schreie der Verfolger. Der Weg, im Sternenlicht nur schwach zu erkennen, machte einen Bogen nach links. Ein dunkler Fleck zeigte sich in der Kurve. Zweige schlugen Orne ins Gesicht. Ein Wald? Dann fiel der Pfad steil ab, wand sich nach rechts, wieder nach links. Orne stolperte über eine Wurzel, wäre um ein Haar gestürzt. Seine Kue verfing sich in einem Strauch, und er verlor kostbare Sekunden, als er sie loshakte. Der Mob war dicht hinter ihm – ein kreischendes Rudel, bunte Lichtkleckse. Orne verließ den Weg hangabwärts, zwängte sich durch eine dichte Baumgruppe. Wieder verfing sich die Kue in den Sträuchern. Er löste den Gürtel, streie das lästige Gewand ab. »Ich höre ihn!« rief jemand. »Da unten!« Die Verfolger hielten an, schwiegen einen Herzschlag lang. Zweige knackten überlaut, als Orne sich einen Weg durch das Unterholz bahnte. »Ihm nach!« Sie waren wieder hinter ihm her. Orne stürzte, schlierte ein Stück den Hang hinunter, lief geduckt über den Pfad und arbeitete sich durch ein Dickicht. Er fror in den Sandalen und den leichten Shorts, die er unter der Kue getragen hae. Zweige zerkratzten seine Haut. Der Mob war wie eine Menschenlawine über ihm – Fluchen, Trampeln, Knacken. Lichter tanzten. Gestalten in Kuen huschten durch das Dunkel. Wieder kam Orne an einen Pfad. Er führte nach rechts, den Berg hinunter. Stolpernd und keuchend folgte Orne diesem neuen Weg. Seine Beine schmerzten, und er hae Seitenstechen. Die Dunkelheit nahm zu. Wieder hae er eine Baumgruppe erreicht. Er hielt an, lehnte sich schweratmend an einen Stamm und horchte. Der Mob war ein Stück zurückgefallen. »Ein Teil von euch geht hier entlang!« befahl jemand. »Die übrigen folgen mir!«
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Ornes Atem ging stoßweise. Gehetzt wie ein Tier, weil er einen Moment lang die Vorsicht vergessen hae! Die Worte von Bakrish kamen ihm in den Sinn: »Vorsicht ist die Schwester der Furcht ...« Etwa fünfzig Meter über Orne rief jemand: »Hört ihr ihn?« Ein Stück weiter links erwiderte eine Stimme: »Nein!« Orne löste sich aus dem Schaen des Baumstamms, schlich auf Zehenspitzen weiter.. Er hörte Schrie weiter oben am Hang, aber sie verloren sich im Dunkel. Verwirrte Rufe, dann Stille. Meter um Meter schob sich Orne vor. Manchmal kroch er auf allen vieren, um nur ja kein unnötiges Geräusch zu verursachen. Wieder stieß er auf den Pfad. Seine Armwunde schmerzte wie verrückt. Er sah, daß er den Verband verloren hae. Allmählich gewöhnte er sich einen festen Rhythmus an – im Schutze von Sträuchern, von Baum zu Baum, wo die Schaen am tiefsten waren. Nach einer Weile spürte er Gras unter den Füßen. Die Bäume und Sträucher wurden spärlicher. Orne erkannte, daß er das letzte Stück des Hangs erreicht hae, das in den Park des Tempelbezirks überging. Zu seiner Rechten sah er schwach erhellte Fenster. Er kam an eine Mauer. Orne duckte sich, preßte sich an die Wand. Allmählich ließ sein Ziern nach. Bakrish hae gesagt, daß Abt Halmyrach in der Nähe sei. Der Abt, dachte er. Warum gebe ich mich mit den niedrigeren Rängen ab? Wo war Bakrish, als ich ihn brauchte? Handelt so ein Agent des UA? Orne kam sich vor wie von einem Traum befreit. Dogma und Ritual! Was für ein hohles Geschwätz! Ein Raubtierlächeln huschte über seine Züge. Er dachte: Ich erkläre hiermit, daß ich die Probe bestanden habe! Sie ist vorüber. Ich habe die einzelnen Prüfungen mit Erfolg hinter mich gebracht. Schrie erklangen zu seiner Linken. Orne gli hinter einen Baum. Im schwachen Sternenlicht sah
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er einen Priester in einer weißen Kue den Weg entlangkommen. Orne preßte sich gegen den Stamm. In der Krone schimpften verschlafen ein paar Vögel. Irgendwoher kam der betäubende Du von Nachtblüten. Die Schrie näherten sich. Einen Moment lang zögerte Orne noch. Dann schnellte er aus seinem Versteck, umklammerte den Hals des Priesters – ein kurzer Druck auf einen bestimmten Nerv, und der Mann brach zusammen.
* Neid, Begehren und Ehrgeiz beschränken einen Menschen auf das Reich der Maja. Und was ist dieses Universum? Nichts als der Spiegel seines Neides, seines Begehren und seines Ehrgeizes. NOAH ARKWRIGHT Die Weisheit von Amel »Wahnsinn!« sagte der Abt. »Du hast deinen Freund aufgestachelt, den Mob auf Orne zu hetzen. Und das, nachdem ich es ausdrücklich verboten hae. Ahh, Macrithy ...« Macrithy stand mit hängenden Schultern im Arbeitszimmer des Abtes. Abt Halmyrach hae die Lotus-Stellung eingenommen. Zwei Finger erhoben, starrte er Macrithy unverwandt an. »Ich dachte nur an dich!« setzte sich Macrithy zur Wehr. »Du hast überhaupt nicht gedacht.« Der Abt war furchtbar in seinem ruhigen, schmerzerfüllten Urteil. »Du hast nicht an die Menschen gedacht, die in eine heulende blutgierige Meute verwandelt wurden. Orne häe sie in die ewige Hölle stoßen können. Vielleicht tut er es noch, wenn er sich seiner Macht bewußt wird.« »Ich kam her, um dich zu warnen, sobald ich erfuhr, daß er entwischt war«, sagte Macrithy. »Welchen Sinn hat diese Warnung?« fragte der Abt. »Ahh, mein
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lieber Freund, wie konntest du so einem Irrtum verfallen? Alles, was nun geschieht, ist die Folge deines Tuns. Ich kann nur annehmen, daß du es darauf angelegt hast, diese Situation herbeizuführen.« »Oh, nein!« rief Macrithy entsetzt. »Wenn Worte und Taten einander widersprechen, so glaube den Taten«, sagte der Abt. »Weshalb willst du uns vernichten, Macrithy?« »Ich will es nicht!« Macrithy wich zur Wand zurück. »Ich will es nicht!« »Aber du tust es! Geschah es vielleicht, weil ich Bakrish und nicht dich zu Ornes Guru bestimmt habe? Ich konnte dich nicht wählen, mein Freund. Du häest Orne und dir selbst den Untergang gebracht. Das dure ich nicht zulassen.« Macrithy vergrub das Gesicht in den Händen. »Er wird uns alle vernichten«, schluchzte er. »Bete, daß dem nicht so ist«, entgegnete der Abt leise. »Sende ihm deine Liebe und dein Mitgefühl. Vielleicht erwacht er dann.« »Was nützt jetzt noch Liebe?« fragte Macrithy. »Er wird dich aufsuchen ...« »Natürlich«, murmelte der Abt. »Weil ich ihn rief. Schluß jetzt mit den Gedanken an Gewalt, Macrithy! Bete, daß deine Seele geläutert werde! Ich will das gleiche tun.« Macrithy schüelte langsam den Kopf. »Zum Gebet ist es nun zu spät.« »Daß gerade du so etwas sagst!« Trauer schwang in der Stimme des Abtes mit. »Verzeih mir!« bat Macrithy. »Nimm meinen Segen und geh!« entgegnete Halmyrach. »Und bie auch den Go Orne um Vergebung. Du hast Ihm vielleicht großes Leid zugefügt.«
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Eine irdische Macht kann einen Engel vernichten. Dies ist die Lektion vom Frieden. Es genügt nicht, den Frieden zu lieben und nach Frieden zu streben. Man muß auch seine Nächsten lieben. Auf diese Weise meistert man den dynamischen Liebes-Konflikt, den wir Leben nennen. NOAH ARKWRIGHT Die Weisheit von Amel Orne kam durch eine schmale Gasse ins Zentrum des Tempelbezirks. Er bemühte sich, unauffällig dahinzuschlendern, aber er blieb im Schaen der Hauswände. Die Kue des überwältigten Priesters war ihm zu weit und schleie am Boden nach. Er hoe, daß irgend jemand den Mann finden würde – aber nicht zu bald. Der Priester lag gefesselt und geknebelt unter den Büschen im Park. Und nun zum Abt, dachte Orne. Der Geruch von billigen Eintopfgerichten hing über der Gasse. Das Schlapp-Schlapp von Ornes Sandalen hallte von den Hauswänden wider. Licht fiel aus einer schmalen Seitengasse. Orne hörte Stimmen. Er blieb stehen. Zwei Priester kamen ihm entgegen. Sie waren schmal, blond und haen gütige Gesichtszüge. »Möge euer Go euch Frieden gewähren«, murmelte Orne. Die beiden hielten an. Ihre Gesichter lagen jetzt im Schaen. Der Mann zur Linken erwiderte: »Ich bete für dich, daß Go deine Wege leite!« Der andere hüstelte und fügte hinzu: »Können wir dir dienen?« »Ich bin zum Abt gerufen worden«, erklärte Orne, »und scheine mich verirrt zu haben.« Er wartete sprungbereit. »Die Wege hier sind ein Labyrinth«, meinte der Priester zur Linken. »Aber du befindest dich ganz in der Nähe.« Er drehte sich zur Seite, so daß sich sein scharfes Profil gegen das Licht abhob.
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»Du biegst dort vorn rechts ab, gehst ein Stück geradeaus und folgst der drien Quergasse links. Sie endet am Hof des Abtes. Du kannst ihn nicht verfehlen.« »Ich danke euch.« Der Priester, der ihm die Auskun erteilt hae, wandte sich erneut an Orne und sagte: »Wir fühlen deine große Macht, Fremder. Bie, gib uns deinen Segen!« »Er sei euch gewährt.« Die beiden verneigten sich tief. Dann fragte einer von ihnen: »Wirst du der neue Abt, Fremder?« Orne unterdrückte sein Entsetzen. »Haltet ihr es für weise, über solche Dinge nachzudenken?« Die Priester zogen sich zurück. »Wir haen keine böse Absicht«, sagten sie. »Verzeih uns!« »Gern«, entgegnete Orne. »Vielen Dank für eure Hilfe.« »Ein Dienst am Nächsten ist ein Dienst an Go«, murmelten sie. »Möge dir Weisheit geschenkt sein!« Sie sprachen nicht ganz im Gleichklang, so daß ihre Worte sonderbar nachhallten. Noch einmal verneigten sie sich, dann gingen sie weiter. Orne starrte ihnen nach, bis die Dunkelheit sie verschluckte. Merkwürdig, dachte er. Was sollte das alles? Aber er wußte nun, wo er den Abt fand.
* Du erweist deinem Herrn nicht unbedingt deine Liebe, wenn du ihn nach außen hin durch eine Barriere abschirmst. Wie soll er da seine Diener beobachten und erkennen, ob sie ohne Selbstsucht ihre Pflicht erfüllen? Nein, mein Sohn, eine solche Barriere ist o ein Werk der Furcht, und in ihrem Innern sammelt sich Staub an. SPRÜCHE der ÄBTE
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Die Gasse, die zum Haus des Abtes führte, war so schmal, daß Orne die Mauern zu beiden Seiten berühren konnte, wenn er die Arme ausstreckte. Die wenigen Glühkugeln vermochten das Dunkel kaum zu erhellen. Es roch nach Moder und frisch umgegrabener Erde. Die Straßendecke wies Sprünge und Risse auf. Am Ende der Gasse entdeckte Orne eine graue Mauer mit einem Tor. Auf der Brüstung befanden sich spitze Eisenhaken, und das Tor war verschlossen. Sieh mal einer an! dachte Orne zynisch. Ist auf Amel doch nicht alles Reinheit und Frieden? An diesem Ort lauerte die Gewalt. Schmale Gassen ließen sich leicht verteidigen. Menschen, die scharfe Befehle erteilten, besaßen im allgemeinen einen Hang zum Militärischen. Unter dem Mantel der Psi-Kräe und des ständigen Friedensgeschreis verbargen sich also militante Ambitionen. Orne warf einen Blick über die Schulter. Die Gasse war wie ausgestorben. Er holte tief Atem, streie die Priesterkue ab und warf einen Zipfel über die Mauer. Der Stoff verhakte sich an den Eisenspitzen. Orne zerrte mit aller Kra daran. Das Gewebe hielt sein Gewicht aus. Vorsichtig, die Fußspitzen gegen die Mauer gestemmt, arbeitete er sich nach oben. Er vermied die Eisendorne, kauerte einen Moment lang auf der Brüstung und betrachtete seine Umgebung. Ein Hof, blühende Sträucher in Pflanzboichen, ein ma erleuchtetes Fenster im Obergeschoß des Hauses ... Gefahr! In den Schaen da unten konnte sich ein ganzes Heer von Wachtposten verbergen. Aber Orne wußte instinktiv, daß die Gefahr einen anderen Ursprung hae. Sie kam von dem hellen Fenster. Orne löste den Saum der Kue vom Eisengier, sprang in den Hof hinunter und zog sich rasch wieder an. Schri für Schri
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schlich er zur Hauswand. Er vermied die Topfpflanzen und hielt sich stets im Schaen. Von einem Balkon unterhalb des Fensters hingen Kleerpflanzen herab. Orne ruckte an einem der Triebe. Mit einem Knacken löste sich das Ding. Zu schwach. Er tastete sich entlang der Hausmauer. Ein Luzug streie seine Wange. Er blieb stehen, starrte in das Dunkel – eine offene Tür. Ein prickelndes Gefühl der Furcht erfaßte ihn. Er beachtete es nicht, trat ein. Ein Treppenhaus. Licht flammte auf. Orne erstarrte. Dann, als er die Fotozelle neben dem Eingang bemerkte, häe er um ein Haar laut aufgelacht. Ein Schri zurück – Schwärze; wieder ein Schri vorwärts – Licht. Die Treppe führte in einer weitgeschwungenen Kurve nach links. Orne erklomm die Stufen auf Zehenspitzen. Am Ende entdeckte er eine Tür mit einem goldenen A. Der Abt? Die Tür besaß weder ein Schloß noch einen Code-Mechanismus. Orne schob sie einen Spalt auf. Ein schwaches Klicken. »Ah, ich hae dich erwartet.« Ein schwach vibrierender, dünner Tenor. Orne sah zuerst ein breites Himmelbe. Der dunkelhäutige Alte, der sich in den Kissen aufrichtete, kam ihm merkwürdig bekannt vor. Ein schmaler Kopf mit Geiernase, der hohe, völlig kahle Schädel ... »Ich bin Abt Halmyrach«, sagte der Greis mit brüchiger Stimme. »Willkommen, mein Sohn! Laß dich segnen!« Der Geruch von Alter und Staub hing im Raum. Irgendwo im Schaen tickte eine altmodische Uhr. Orne trat zwei Schrie auf die Gestalt in dem langen, weißen Nachthemd zu. Das Warnsignal in seinem Innern verstärkte sich.
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Er hielt an. »Sie haben große Ähnlichkeit mit einem Mann auf Marak – Emolirdo ...« »Mein jüngerer Bruder«, erklärte der Abt. »Behauptet er immer noch, sein Vorname sei eine Abkürzung von Agony?« Orne nickte. »Ein kleiner Scherz von ihm. In Wirklichkeit heißt er Aggadah – nach dem Talmud, einer sehr alten religiösen Schri.« »Sie sagten, daß Sie mich erwartet häen.« »Gewiß, denn ich hae dich gerufen.« Die Blicke des Abtes schienen Orne zu durchdringen. Einer der mageren Arme deutete auf den Stuhl neben dem Be. »Bie, nimm Platz. Es tut mir leid, daß ich dich in meinem Schlafgemach empfange, aber im Alter geizt man mit seinen Kräen. War mein Bruder wohlauf, als du ihn zuletzt sahst?« »Ja.« Etwas an dem ausgezehrten Alten deutete Kräe an, mit denen Orne bisher noch nie in Berührung gekommen war. Tödliche Gefahren schlummerten in diesem Raum. Orne sah sich um, bemerkte schwarze Wandbehänge mit unheimlichen Mustern – Kurven und Quadrate, Pyramiden, Kreuze, eine Art Ankerflügel ... Der Boden war hart und kalt. Er bestand aus großen schwarzweißen Steinplaen in Pentagonform. In den Nischen erkannte man Möbel aus poliertem Holz – einen Sekretär, einen niedrigen Tisch mit Stühlen, einen Videorecorder in einem mit Schnitzereien verzierten Regal. Orne wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Abt zu. »Haben Sie Ihre Wächter verständigt?« »Wozu benötige ich Wächter? Sie schaffen erst die Furcht.« Wieder deutete der schlaffe Arm auf den Stuhl. »Bie, nimm doch Platz! Es stört mich, wenn du so unbequem herumstehst.« Orne betrachtete den Stuhl, ein altersschwaches Ding ohne Armlehnen.
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»Eine ganz gewöhnliche Sitzgelegenheit«, sagte der Abt. Orne nahm auf der Kante Platz. Nichts geschah. »Siehst du?« Der Alte lächelte. Orne fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Der Lu hier im Zimmer schien etwas zu fehlen, ein Bestandteil, den seine Lungen brauchten. Irgend etwas stimmte nicht. Die Begegnung verlief anders, als er erwartet hae. Aber wenn er genau darüber nachdachte, so hae er vom Verlauf dieses Zusammentreffens keine feste Vorstellung gehabt. »Du hast Schlimmes hinter dir«, fuhr der Abt fort. »Es war notwendig, zum größten Teil jedenfalls. Dennoch besitzt du mein volles Mitgefühl. Ich erinnere mich noch genau, was ich damals empfand.« »Ach? Kamen Sie auch hierher, um etwas herauszufinden?« »Gewiß – sogar etwas sehr Konkretes.« »Weshalb wollen Sie den Untersuchungsausschuß vernichten?« stieß Orne hervor. »Eine Kampfansage beinhaltet nicht unbedingt den Willen zur Vernichtung«, entgegnete der Abt lächelnd. »Hast du die Absicht hinter deiner Probe erkannt? Weißt du, weshalb du dich diesen gefährlichen Prüfungen unterzogen hast?« Die leuchtenden braunen Augen waren fest auf Orne gerichtet. »Hae ich denn eine andere Wahl?« »Gewiß – das beweist dein Herkommen.« »Also schön – vielleicht war ich neugierig.« »Worauf?« Orne spürte, daß sein Herz rascher schlug. Er senkte die Lider. Merkwürdig, dachte er, verberge ich etwas? »Bist du ehrlich zu dir selbst?« fragte der Abt. Orne schluckte. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, der von seinem Lehrer zur Rechenscha gezogen wird. »Ich versuche es.
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Ich – vielleicht machte ich weiter, weil ich hoe, von Ihnen Dinge über mich selbst zu erfahren, die – die ich noch nicht weiß.« »Sehr gut«, wisperte der Abt. »Aber du bist ein Produkt der Marak-Kultur ...« »Und der Nathanier-Kultur«, warf Orne ein. Der Abt nickte. »Gerade diese beiden Zivilisationen besitzen viele Möglichkeiten zur Selbsterkenntnis – Rekonditionierung, raffinierte Mikrochirurgie-Techniken, akulturelle Zwangsumformung. Wie kann es da Dinge über dich geben, die du noch nicht weißt?« »Ich – ich spüre einfach, daß es so ist.« »Warum? Und in welcher Weise?« »Wir erreichen mit unserem Wissen nie eine letzte Grenze. Das ist das Wesen des unendlichen Universums.« »Eine seltene Einsicht«, sagte der Abt. »Hast du je Angst empfunden, ohne genau zu wissen, weshalb?« »Wem wäre das nicht so ergangen?« Halmyrach nickte. »Du sprichst die richtigen Worte, aber ich bezweifle, daß du gemäß deiner Erkenntnis handelst. Ah, wenn wir nur die Zeit häen, dich in das Studium der thaumaturgischen Psychiatrie und des Christentums einzuführen.« »Was?« »Uralte Dinge, entwickelt in einer Zeit, die weit vor unserer Zivilisation lag. In der Christeros-Religion haben sich noch manche Fragmente jener Techniken bewahrt.« Orne schüelte den Kopf. Die Unterredung verlief ganz anders als erwartet. Er fühlte sich in die Verteidigerrolle gedrängt – und doch saß er nur einem alten Mann in einem lächerlichen Nachtgewand gegenüber. Nein, das stimmte nicht. Die Macht, die von dem Greis ausging, ließ sich nicht verleugnen. »Glaubst du wirklich, daß du hierherkamst, um deinen kostba-
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ren Untersuchungssausschuß zu schützen? Um herauszubringen, ob wir Kriege schüren?« »Das war mit ein Grund.« »Und wenn du nun tatsächlich entdeckst, daß wir einen Krieg planen? Was dann? Bist du der Arzt, der das Geschwür herausschneidet und der Menschheit ihre frühere Gesundheit wiedergibt?« Zorn stieg in Orne auf, aber er verrauchte ebenso rasch, wie er gekommen war. Gesundheit? Der Begriff störte ihn. Was war schon Gesundheit in diesem Zusammenhang? »Um uns lauern Schaenmächte«, fuhr der Abt fort. »Hin und wieder durchbrechen sie die Dimensionen, die sie in Schach halten, und zeigen sich in Formen, die auch wir wahrnehmen können. Vom Standpunkt des Lebens aus betrachtet, sind einige dieser Kräe gesund, andere wieder krankha. Es gibt Methoden, eine Verbindung zu ihnen herzustellen, aber das bringt nicht immer die erhoen Ergebnisse.« Schweigend starrte Orne den Abt an. Er erkannte, daß er sich auf einen gefährlichen Kurs begeben hae. Wilde, erschreckende Kräe wallten in ihm auf. »Siehst du keine Parallelen zwischen den Dingen, die wir bisher besprochen haben?« fragte Halmyrach. Orne schluckte. »Vielleicht.« »Die beste einer mechanistischen, wissenschasbetonten Zivilisation hat dich gewogen, Orne, und dir einen Platz in ihrer Struktur zugewiesen. Gefällt dir dieser Platz?« »Sie wissen, daß es nicht so ist.« »Es gibt etwas in deinem Innern, das die Zivilisation nicht zu berühren vermochte – so wie es etwas gibt, das dein Untersuchungsausschuß nicht zu berühren vermag.« Orne spürte einen Klumpen im Hals. Er dachte an Gienah,
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Hamal und Sheleb. »Manchmal berühren wir zuviel.« »Gewiß«, pflichtete ihm der Abt bei. »Aber der Großteil eines jeden Eisbergs bleibt unter Wasser. So ist es mit Amel. So ist es mit dir, mit dem UA, mit allen Dingen.« Erneut, stieg Zorn in Orne hoch. »Worte!« murmelte er. »Nichts als Worte!« Der Abt schloß mit einem Seufzer die Augen. Als er wieder sprach, klang seine Stimme sehr leise. »Guru Pasawan, der die Anhänger Ramakrischnas zur Großen Einigkeit führte, lehrte die Gölichkeit der Seele, die Gleichheit allen Lebens, das Eins-Sein der Göer, die Harmonie aller Religionen, den unerbilichen Fluß der Ewigkeit ...« »Ich habe genug von diesem Religionsgeschwafel!« fauchte Orne. »Sie vergessen, daß ich inzwischen einige Ihrer Psi-Maschinen kennenlernte. Ich weiß, welche Manipulationen ...« »Betrachte meine Worte als Geschichtslektion«, unterbrach ihn der Abt san. Seine großen, dunklen Augen waren unverwandt auf Orne gerichtet. Orne schwieg beschämt. Weshalb dieser Ausbruch? dachte er. Was verbarg sich dahinter? »Bis jetzt bestätigen die Entdeckung und Auslegung der PsiKräe Guru Pasawan«, sagte der Abt. »An unserer Glaubenslehre hat sich nichts geändert.« »Oh?« Orne überlegte, ob Halmyrach ihm einen wissenschalichen Goesbeweis liefern wollte. »Das Zusammenwirken der gesamten Menschheit stellt eine gewaltige Psi-Macht dar oder ein Energiesystem, wenn dir das lieber ist. Der Name tut nichts zur Sache. Manchmal nennen wir diese Macht Religion. Manchmal versehen wir sie mit einem Aktionsmielpunkt, den wir Go nennen.« »Ein Psi-Herd«, stammelte Orne. »Emolirdo deutete an, daß ich
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– er sagte, daß ...« »Daß du ein Go sein könntest?« Die dunklen Hände des alten Mannes zierten auf der weißen Bedecke. Orne spürte keine Furcht mehr, aber das Aufwallen der inneren Kräe bereitete ihm Unbehagen. »Ja, er sprach davon.« »Wir haben die Erfahrung gemacht, daß ein Go ohne Disziplin in unseren Dimensionen das gleiche Geschick erleidet wie ein gewöhnlicher Sterblicher unter ähnlichen Umständen. Leider fühlt sich die Menschheit immer zum Absoluten hingezogen – auch bei Göern.« Orne dachte an sein Erlebnis auf dem Berg, an den bärtigen Priester und an die geballte Psi-Energie, die von der Menschenmenge ausgegangen war. »Man spricht mit einer gewissen Oberflächlichkeit von der Ewigkeit, von absoluten Dingen«, meinte der Abt. »Betrachten wir zur Abwechslung einmal ein endliches System, in dem irgendein Wesen – meinetwegen auch ein Go – alle Möglichkeiten des Lernens ausschöp und Allwissenheit erlangt.« Orne verstand, worauf der Abt hinauswollte. »Es wäre schlimmer als der Tod.« »Unsägliche Langeweile erwartet dieses Wesen«, pflichtete Halmyrach ihm bei. »Die Zukun wäre eine ewige Wiederholung – ein Abspulen alter Bänder.« »Aber Langeweile ist eine Art Stase«, gab Borne zu bedenken. »Sie bricht irgendwann zusammen und verwandelt sich in Chaos.« »Und wo leben wir armen, auf die Endlichkeit beschränkten Geschöpfe?« Orne sah ihn fragend an, und der Abt setzte hinzu: »Umgeben von Chaos. In einem unendlichen System, wo alles
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geschehen kann – an einem Ort des ständigen Wechsels. Unser einziger absoluter Wert: Die Dinge ändern sich.« »Wenn alles geschehen kann, dann ist es auch möglich, daß unser hypothetisches Wesen vernichtet wird – selbst wenn es sich um einen Go handelt.« »Ein hoher Preis, um der Langeweile zu entrinnen, nicht wahr?« »So einfach kann es nicht sein«, protestierte Orne. »Und ist es vermutlich auch nicht«, stimmte der Abt zu. »In uns lebt ein Bewußtsein, das die Vernichtung leugnet. Das kollektive Unbewußte, Paramatman, Urgrund, Sanatana Dharma, supermind, ober palliat – man hat ihm viele Namen gegeben.« »Wieder nur Worte«, warf Orne ein. »Die Tatsache, daß ein Name existiert, heißt noch nicht, daß auch das Ding existiert.« »Ich freue mich, daß du klare Logik nicht mit korrekter Logik verwechselst«, meinte Halmyrach. »Du bist ein Empiriker. Kennst du die Legende vom Ungläubigen Thomas?« »Nein.« »Ah, dann kann ein Sterblicher einen Go belehren. Thomas ist eine meiner Lieblingsgestalten. Er weigerte sich, wichtige Tatsachen einfach zu glauben.« »Er scheint ein kluger Mann gewesen zu sein.« Der Abt nickte. »Er zweifelte, aber er ging in seiner Skepsis nicht weit genug. Thomas fragte nie, wen die Göer anbeten.« Orne spürte, wie sich sein Innerstes nach außen kehrte, ganz langsam. Kräe stiegen in ihm auf, Begriffe wurden neu geordnet. Es war eine Bewußtseinsexplosion, ein gleißendes Licht, das ihm die Unendlichkeit erhellte. Der Augenblick ging vorüber. »Mahmud hast du nicht belehrt«, sagte Orne. »Nein.« Der Abt schüelte traurig den Kopf. »Mahmud ist uns
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entglien. Wir erschaffen Göer, Propheten – aber nicht immer haben wir ein gutes Verhältnis zu ihnen. Wenn sie die Weichen zum Verfall und Untergang stellen, achten wir zu wenig darauf. Wenn sie sich bemühen, uns den Weg zur Wahrheit zu weisen, bedecken Schleier unsere Augen. Das Ergebnis ist immer das gleiche.« »Und selbst wenn ihr den rechten Weg wählt, erreicht ihr nur zeitweilige Ordnung. Ihr bringt es zu Macht, und sie zerspliert euch unter den Händen.« Die Augen des Abtes erstrahlten in einem merkwürdigen Licht. »Ich neige mein Haupt vor dir, Orne. Weißt du, wie viele unschuldige Menschen im Laufe der Geschichte gefoltert und grausam umgebracht wurden – unter dem Deckmantel der Religion?« »Die Zahl spielt keine Rolle.« »Warum gerät die Religion immer außer Kontrolle?« stöhnte der Abt. »Sie wissen, was ich heute nacht da draußen erlebte?« »Ich erfuhr es, kurz nachdem du entkommen warst«, erwiderte Halmyrach. »Und ich flehe dich an, hege keinen Groll gegen uns!« »Sie wollten mir die explosive Energie der Religion vor Augen führen«, sagte Orne. »Es ist wahr – ein Sterblicher vermag einen Go zu belehren.« Er zögerte. »Oder einen Propheten. Ich schätze Sie, Abt Halmyrach.« Tränen strömten dem Alten über die mageren Wangen. »Was bist du, Orne? Ein Go oder ein Prophet?« Orne unterdrückte die Sinneswahrnehmungen, wandte sich den neuen Zusammenhängen zu. »Das eine, das andere – oder keines von beiden. Man hat die Wahl. Ich nehme Ihre Warnung an, Halmyrach. Ich werde keine neue Religion gründen, die irgendwann entartet.«
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»Was wirst du dann tun?« flüsterte der Abt. Orne drehte sich um, hob den Arm. Ein zuckendes Flammenschwert tauchte dicht vor seinen Fingerspitzen auf. Es war auf den Kopf des Abtes gerichtet. Orne entdeckte Furcht in den alten Augen. »Was geschah mit dem ersten Menschen, der diese Form der Energie anzape?« fragte Orne. »Er wurde bei lebendigem Leibe verbrannt – als Hexenmeister«, entgegnete Halmyrach heiser. »Er wußte nicht, was er mit der Macht anfangen sollte, nachdem er sie ins Leben gerufen hae.« »Es ist also gefährlich, eine unbekannte Macht herbeizuholen? Wie nannte man jenes Phänomen?« »Einen Salamander.« »Die Menschen hielten ihn für einen Dämon mit eigenem Leben«, sagte Orne. »Aber Sie wissen mehr darüber, Ehrwürdiger Abt, nicht wahr?« »Es ist ungeformte Energie«, wisperte der Abt und ließ sich in die Kissen zurücksinken. Orne bemerkte seine Schwäche, flößte ihm Energie ein. »Danke«, sagte Halmyrach. »Manchmal vergesse ich meine Jahre, aber sie vergessen mich nicht.« »Sie zwangen mich, die Dinge anzuerkennen, die ich bereits besaß«, meinte Orne. »Ich zweifelte an der Existenz jenes höheren Bewußtseins, das sich hin und wieder in Menschen, Göern, Propheten oder Maschinen manifestiert. Aber Sie haben mir die Probe auferlegt und mich gelehrt, an mich selbst zu glauben.« »So werden Göer erschaffen ...« Orne erinnerte sich an seinen alten Alptraum: »Göer werden nicht geboren, sondern erschaffen.« Er sagte: »Sie häen die Legende von Thomas beherzigen sollen. Göer beten in der Tat. Ich rief Mahmud, und Mahmud war nicht von euch erschaffen. Ich ver-
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ursachte Leid und Schmerzen. In einem unendlichen Universum kann ein Go hassen.« Der alte Mann preßte beide Hände vor die Augen. »Was haben wir getan! Was haben wir nur getan!« »Psi-Kräen begegnet man mit Psi-Kräen«, erklärte Orne. Orne setzte seinen Willen ein. Er projizierte sich in den Raum, in fremde Dimensionen, und fand einen Platz, wo ihn die PsiEnergie nicht ablenkte. Irgendwo heulte die Stille, aber er achtete nicht darauf. In seinem Innern tickte der Gedanke an lodernde Sekunden. ZEIT! Er tauschte Symbole wie Energieblöcke, manipulierte Energie wie Einzel-Impulse. Zeit und Spannung. Spannung ist gleich Energiequelle. Energie plus Widerstand ist gleich Energiezuwachs. Um einen Faktor zu verstärken, muß man ihm entgegenwirken. Energiezuwachs plus Widerstand ergibt (Zeit/Zeit) neue Identitäten. »Also wird man wie das Schlimmste, dem man entgegenwirkt«, flüsterte Orne der ZEIT zu. Die ZEIT zeigte es anschaulich: Großes wurde klein, Priester verfielen der Sünde ... Irgendwo weit weg spürte Orne den Strom chaotischer Energie. Ein Fließen ohne Unterlaß, inmien einer großen Leere. Er stellte sich vor, daß er auf einem Berg stand, und unter seinen Sohlen war harter Fels. Er tastete mit beiden Händen die lebendige Erde ab. Ich besitze also Gestalt, dachte er. Eine Stimme erreichte ihn aus der Tiefe. Er wurde den Berg hinuntergezogen, hierhin und dorthin gezerrt. Orne widerstand den Kräen, strömte der Stimme entgegen. »Gebenedeit sei Orne! Gebenedeit sei Orne ...« Es war der brüchige Tenor des Abtes. Dann erkannte er andere
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Stimmen – Diana, Stetson ... eine ungeheure Zahl. Orne sah mit Sinnen, die er eigens zu diesem Zweck schuf. Er schaute in Dimensionen, die er geformt hae. Immer noch spürte er in der Ferne den Strom des Chaos, aber das vermochte ihn nicht aufzuhalten. Man mußte nur die richtigen Dinge betrachten. Die Schleier würden fallen. »Gebenedeit sei Orne!« betete der Abt. Orne hae Mitleid mit den alten Mann. Er war wie das Gleichnis Emolirdos – der Schaen eines dreidimensionalen Körpers in einem zweidimensionalen Universum. Halmyrach existierte in einer dünnen Zeitschicht. Das Leben projizierte seine Materie entlang dieser Dimension. Der Abt betete zu seinem Go Orne, und Orne erhörte ihn. Er kam vom Berggipfel herab, schwebte über dem Be des Greises. »Sie haben mich noch einmal gerufen!« »Ich weiß nicht, welche Wahl du getroffen hast«, murmelte der Abt. »Go, Prophet – oder was sonst?« »Merkwürdig«, sagte Orne. »Sie existieren in diesen Dimensionen und doch außerhalb. Ich sah Ihre Gedanken durch ein ganzes Lebensalter brennen, und sie benötigen nur Sekunden für die Reise. Sobald Sie sich bedroht fühlen, zieht sich Ihr Bewußtsein in die Nichtzeit zurück. Sie zwingen die Zeit nahezu zum Stillstand.« Der Abt hae die Hände erhoben. »Ich flehe dich an, beantworte meine Frage!« »Sie kennen die Antwort längst.« »Ich?« Halmyrach riß erstaunt die Augen auf. »Sie kennen sie seit Jahrtausenden. Ich sah es. Bevor sich die Menschen in den Raum wagten, betrachteten einige von ihnen das Universum in der richtigen Weise und fanden die Lösung. Im Sanskrit nannte man es die Maja ...«
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»Die Maja«, wiederholte der Abt leise und nickte. »Ich übertrage mein Bewußtsein auf das Universum.« »Das Leben scha sein eigenes Motiv«, fuhr Orne fort. »Wir projizieren unseren eigenen Daseinsgrund. Und vor uns – immer der große Zusammenbruch und das große Erwachen. Vor uns – immer die gewaltige, lodernde Zeit, aus der sich der Phönix erhebt. Der Glaube, den wir besitzen, ist der Glaube, den wir schaffen.« »Wie beantwortet das meine Frage?« wollte der Abt wissen. »Ich wähle das, was jeder Go wählen würde«, erklärte Orne. Und er verschwand aus dem Schlafgemach des Abtes.
* Wie Orne andeutete, holt der Prophet, der Tote erweckt, in Wirklichkeit die Materie des Verstorbenen in eine Zeit zurück, in der sie lebendig war. Der Mann, der sich von Planet zu Planet bewegt, sieht den Raum in Abhängigkeit von der Zeit: Ohne die dazwischenliegende Zeit gibt es keinen Raum. Orne wiederum hat unser Universum als einen Ballon geschaffen, der sich zu ungleichmäßigen Dimensionen ausdehnt. Auf diese Weise nahm er meine Herausforderung an und erhörte mein Gebet. Wir können unser Universum weiterhin durch die Symbolgier unserer Wahl betrachten. Wir können unser Universum weiterhin lesen wie ein alter Mann, der die Nase gegen die Seiten eines Buches preßt. Private Aufzeichnungen von ABT HALMYRACH Tyler Gemine, der Chef des R&R, saß in seinem Büro auf Marak und musterte den Besucher, den eine pompöse, nach Sandelholz duende Schreibtischplae auf Distanz hielt. Der R&R-Boß war fe und hae fleischige, joviale Gesichtszüge. Sein Mund lächelte, aber die Augen wirkten hart. Im Moment hae er die schwielige Stirn in Falten gezogen.
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»Noch einmal, Admiral Stetson«, sagte er und warf einen Blick auf das Familien-Hologramm, das den Schreibtisch zierte. »Sie behaupten, daß Orne aus dem Nichts in Ihrem Büro auauchte?« Stetson lümmelte in einem Besuchersessel. »Genau, Sir.« »Wie der Kerl von Wessen? Ein Psi-Phänomen?« »Nennen Sie es, wie Sie wollen, Sir. Orne stand plötzlich da, grinste mich an und übermielte die Botscha, die ich wortwörtlich an Sie weitergegeben habe.« »Und die ich als Einmischung betrachte«, fauchte Gemine. Stetson verbarg seine Belustigung hinter einer besorgten Miene. »Nun Sir, jetzt, da der Untersuchungsausschuß aufgelöst ist, benötigen viele von uns einen Job.« »Das verstehe ich.« Gemines harte Augen schienen Stetson zu durchbohren. »Aber ich wehre mich energisch gegen die Behauptung, daß der R&R gefährliche Fehler begangen hat.« »Da war diese unglückliche Geschichte mit Hamal, Sir«, erinnerte ihn Orne. »Ganz zu schweigen von Gienah und ...« »Ich sage ja nicht, daß wir vollkommen sind, Admiral«, unterbrach ihn Stetson. »Aber unsere Position ist eindeutig. Der Rat hat endgültig entschieden, daß der Untersuchungsausschuß aufgelöst wird und wir ...« »Nichts ist endgültig, Sir«, meinte Stetson. »Vielleicht haben Sie Ornes Botscha doch nicht ganz verstanden.« »Oh, sie ist überdeutlich«, meinte Gemine. »Und Sie verlangen also von mir, daß ich Ihnen die Geschichte abnehme?« Er lockerte nervös seinen Kragen. »Puh, ziemlich heiß hier ...« Ohne das Gewicht zu verlagern, deutete Stetson auf eine Stelle hinter Gemines linkem Ohr. Der R&R-Boß drehte sich um und erstarrte. Mien in der Lu hüpe eine winzige Flamme auf und ab. Sie schwoll an, erreichte einen beachtlichen Durchmesser.
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Gemine sprang auf. Sein Stuhl kippte um, aber das bemerkte er nicht. Hitzeschwaden drangen auf ihn ein. »Nun?« fragte Stetson. Gemine versuchte auszuweichen, aber der Flammenball schni ihm den Weg ab, drängte ihn in eine Ecke. »In Ordnung!« kreischte Gemine. »Einverstanden. Ich bin mit allem einverstanden.« Die Flamme schrumpe zu einem Punkt, erlosch. »Orne erklärt es folgendermaßen«, meinte Stetson gleichmütig. »Es gibt keine Stelle im Universum, an der nicht zu der einen oder anderen Zeit Hitze geherrscht hat. Man muß lediglich Raum und Zeit so verschieben, daß der Raum mit einer Periode des Feuers zusammenfällt. Nehmen Sie Platz, Sir. Ich glaube nicht, daß Orne dieses Spiel wiederholt, solange wir uns einig sind ...« Gemine richtete seinen Sessel wieder auf, ließ sich in die Polster sinken. Schweiß bedeckte seine Stirn. »Aber – aber sagten Sie nicht, daß ich die Organisation weiterhin leiten sollte?« fragte er verzweifelt. Nun verfinsterte sich Stetsons Miene. »Verdammter Unsinn – dieses Gleichnis von Axt und Axtstiel ...« »Was?« »Nach Ornes Worten leben wir in einem Universum, in dem alles geschehen kann. Das bedeutet, daß man selbst den Krieg als Möglichkeit einbeziehen muß«, knurrte Stetson. »Sie haben die Botscha ja selbst gelesen.« Gemine drehte sich ängstlich um. Die Flamme blieb verschwunden. Er räusperte sich und stützte die Ellbogen an der Schreibtischkante auf. »Ich bin Ihrem Büro als Sonderberater zugeteilt«, fuhr Stetson mürrisch fort, »und soll die Eingliederung des UA in den R&R« – Er schni eine Grimasse – »leiten.«
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»Ja, gewiß.« Gemine setzte eine Verschwörermine auf. Er beugte sich vor. »Haben Sie eine Ahnung, wo Orne im Moment steckt?« »Er sagte etwas von Flierwochen.« »Aber ...« Gemine hob hilflos die Schultern. »Bei seiner Macht... ich meine, was er mit diesem Psi-Dings alles erreichen könnte ...« »Mir hat er jedenfalls erklärt, daß er keine Lust habe, seine Hochzeit noch länger aufzuschieben«, erwiderte Stetson fest.
* Einmal Esper, immer Esper. Einmal Go, kann man selbst bestimmen, wie die Zukun aussehen soll. Ich verneige mich vor Ihnen, Ehrwürdiger Abt, und danke Ihnen für Ihre gütige Belehrung. Die Menschen sind so daran gewöhnt, das Universum als ein Puzzle aus winzigen Teilen zu betrachten, daß sie am Ende handeln, als bestünde es wirklich aus winzigen Teilen. Die Matrix, mit deren Hilfe wir das Universum erfassen, muß eine direkte Funktion dieses Universums sein. Wenn wir die Matrix verzerren, bleibt das Universum in seiner ursprünglichen Form erhalten; wir ändern lediglich unsere Betrachtungsweise. Ich sagte es bereits zu Stet – es ist wie eine Drogenabhängigkeit. Wenn man etwas durch Zwang herbeiführt, einschließlich des Friedens, muß man immer im gleichen Stil weitermachen, um Zufriedenheit zu erlangen. Das mit dem Frieden ist ein schreckliches Paradoxon: Man benötigt gleichzeitig den Kontrast von immer mehr Gewalt. Der Friede kommt zu jenen, die erkannt haben, was er bedeutet. Zum Dank für Ihre Belehrung werde ich mein Versprechen halten: Die Menschheit besitzt einen Blankokredit bei der Bank der Zeit. Noch kann alles geschehen. LEWIS ORNE an ABT HALMYRACH
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P. S.: Auf meinem Grabstein soll folgende Inschri stehen: »Er wählte die Ewigkeit über die Stufen der Endlichkeit.« Unser erster Sohn wird übrigens Hal heißen. Er kann sich selbst eine Geschichte über den Ursprung dieses Namens zurechtlegen. Ag hil ihm vielleicht dabei. In Liebe, L. O.
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