Die roten Schuhe
Marianne Kaindl
Die roten Schuhe
scanned by Heide
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Die roten Schuhe
Marianne Kaindl
Die roten Schuhe
scanned by Heide
Verlagsbuchhandlung Julius Breitschopf Wien • München • Zürich
Einband von Sieglinde V o e l k n e r Bilder von Ernst K u t z e r
90/0195 Alle Rechte, besonders die des Nachdruckes, der Übersetzung, Verfilmung, Radio- und Fernsehübertragung sowie der Tonbandwiedergabe, vorbehalten © 1967 by Verlagsbuchhandlung Julius Breitschopf, Wien Printed in Austria Druck von Waldheim-Eberle, Wien
In der Auslage Sie standen in der Auslage eines Schusters, weit draußen in der Vorstadt, und alle Kinder, die vorübergingen, betrachteten sie mit sehnsüchtigen Augen. Besonders die kleinen Mädchen konnten sich nicht satt an ihnen sehen und drückten ihre Stupsnäschen
an den Scheiben platt. Sie waren aber auch entzückend! Aus allerfeinstem rotem Leder hatte sie der Schuster gemacht, hatte auch am Sohlenleder nicht gespart, die zierlichsten silbernen Schnallen hatte er für sie ausgewählt und die Kappen mit mühsamer Stepparbeit verziert. Noch nie waren ihm so schöne Schuhe gelungen. Nicht nur seine ganze Kunst hatte er auf sie verwendet, sondern auch all die innige Liebe zu seinem Töchterchen, dem er sie zugedacht hatte. In seinen Gedanken sah er es schon mit diesen roten Schuhen durchs Haus hüpfen und tanzen, und seine goldenen Locken hüpften und tanzten fröhlich mit. Dabei lag aber das kleine Annerl noch in der Wiege, dachte einstweilen weder ans Gehen und noch weniger ans Tanzen und lutschte nur eifrig sein rosiges Däumchen. Die Schusterin schüttelte nur den Kopf über ihren Mann, der in seinem Übereifer sein Kindlein gleich um zehn Jahre älter hatte machen wollen, und stellte die zierlichen Schuhe kurzerhand in die Auslage. »Kann das Annerl auch jetzt die Schuhe nicht tragen, so brauchen wir doch das
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Geld, das du für sie bekommen wirst, um so dringender. Vielleicht langt's gerade für ein Taufgewand fürs Annerl, und so hast du dein Kunststück doch im rechten Augenblick vollführt!« Wer aber sollte da draußen in der Vorstadt die feinen, teuren Schuhe kaufen? Die kleinen Mädchen, die sich an ihnen nicht satt sehen konnten, wußten alle, daß ihre Eltern die Schuhe nicht bezahlen konnten. Nur in ihren Träumen hatten sie sie an den Füßen und tanzten mit ihnen durch das weite, weite Traumland. Die Wochen vergingen. Längst war das Annerl getauft worden, wenn auch nur in einem ausgeborgten Taufkleidchen. Die roten Schuhe aber standen immer noch an ihrem Platz. Sicher wären sie schon ganz staubig geworden, wenn der Schuster sie nicht jeden Morgen sorgsam und liebevoll abgebürstet hätte. »Ach ja!« seufzte da eines Tages der linke Schuh tief auf. »Ach ja!« »Was hast du, Linker?« fragte der Rechte. »Ach!« entgegnete der Linke verdrossen. »Ist das denn nicht zum Seufzen? Da stehn
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wir nun seit Wochen in diesem Glaskäfig. Nur die Kinder starren uns an, aber niemand kommt, um uns zu kaufen. Niemand — niemand! Nie werden wir hier herauskommen! Niemals werden wir etwas sehen von der großen schönen Welt!« »Aber geh«, tröstete ihn der Rechte, »nur nicht gleich mißmutig sein! Wer etwas Besonderes ist, der muß auch besondere Geduld haben! Und ich weiß genau, daß wir etwas Besonderes sind! Ich sehe es an den Augen der Kinder, die aufleuchten, wenn sie uns erblicken. Manchmal spiegle ich mich sogar ein bißchen in ihnen, und dann sehe ich, wie schön wir sind. Und ich bin stolz darauf, Linker! Wart nur, eines Tages wird uns eine Prinzessin erwählen, und wir werden im marmornen Thronsaal tanzen!« »Red keinen Unsinn!« brummte der Linke. »Prinzessinnen gehen nicht durch Vorstadtstraßen, und im übrigen sind sie selten geworden heutzutage.« »Woher willst du denn das wissen?« fragte der Rechte empört. »Ich stehe nicht umsonst auf einer Zeitung«, 8
antwortete der Linke würdevoll. »Ich habe sie ganz durchgelesen. Das bildet ungemein. Ich weiß mehr über Prinzessinnen, als du dir träumen läßt. Und deshalb sage ich dir, schlag sie dir aus dem Kopf, deine Prinzessinnen! Wir werden hier in der Auslage stehn, bis wir verblichen und verschimmelt sind. Das sage ich dir — so wahr ich der Linke bin!« »Und ich sage dir«, rief der Rechte erzürnt, »dir hat das Zeitunglesen den Kopf verdreht. Du kannst noch so gebildet tun, ich werde doch recht behalten — denn ich bin der Rechte!« »Das werden wir sehen — nein, das werden wir nicht sehen!« kicherte der Linke, dann drehten sie sich einander die Fersen zu und schauten einander nicht mehr an. Der Linke las weiter in seiner Zeitung, obwohl er sie schon auswendig kannte. Der Rechte blickte hinaus auf die Straße. Er zwinkerte den Kindern zu. Er ließ seine silberne Schnalle im Sonnenlicht blitzen und beobachtete genau alles, was draußen vor sich ging. Darum erblickte auch er als erster die prachtvolle Kutsche, die durch die
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Straße gerollt kam und gerade vor dem Geschäft des Schusters anhielt. Vielsagend stieß er den Linken an, als das Geld in der Kasse klimperte und die beiden Schuhe in eine Schachtel verpackt und in die Kutsche gelegt wurden. Davon ging's in sausender Fahrt, daß die beiden Schuhe nur so hin und her gerüttelt wurden. »Au! Stoße mich nicht so!« schimpfte der Linke, weil der Rechte gar so wild auf und ab sprang. »Sei mir nicht bös, Linker!« jubelte der Rechte. »Aber ich muß vor lauter Freude hüpfen. Nun fahren wir endlich unserm Leben entgegen! Nun geht's ans Tanzen und Springen, Gleiten und Drehn, und die schönste Prinzessin wird uns an den Füßen haben!« »Wart es erst einmal ab, du Narr!« beschwichtigte ihn der Linke. »Du weißt ja gar nicht, wohin wir kommen.« Aber der Rechte war nicht zu halten: »Prinzeßchen schön, Prinzeßchen fein, Ich will dein treuer Diener sein!« 10
sang er. Er sang so lange, bis schließlich der Linke mit der zweiten Stimme einfiel und mitbrummte, so gut er konnte. Nach und nach ging ihr Gesang in Schnarchen über, und beide verfielen in einen tiefen Schlaf, denn sie waren das Reisen noch nicht gewohnt.
Im Schloß Sie erwachten davon, daß irgend jemand sagte: »Ich glaube, meine Tochter wird von ihnen begeistert sein!« Wieder gab der Rechte dem Linken einen vielsagenden Stoß mit dem Absatz, aber der Linke hatte keine Zeit, ihm zu antworten. Er staunte und staunte! Er schaute hinauf zu dem funkelnden Kristallüster, der wie eine Blütendolde über dem Tisch schwebte. Er bestaunte die Englein im gemalten Himmelsgewölbe der Zimmerdecke. Er bewunderte die goldverzierten Wände, die an drei Seiten durch Spiegel, an einer Seite durch schmale, hohe Fenster unterbrochen waren. Durch diese Fenster sah man hinaus in die grüne Einsamkeit eines großen Parkes. Ach — es war alles wunderschön! Der Linke konnte sich nicht satt sehen. »Rechter!« flüsterte er endlich. »Du hast recht behalten! Das Wunder ist geschehen.
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Wir sind wirklich in einem Schloß. Ach, Rechter, ich bin so glücklich! Ich möchte am liebsten tanzen vor lauter Freude!« »Sei ruhig, Linker«, mahnte der Rechte, »werde mir nicht zu übermütig. Wir sind bei Hof— und müssen uns danach benehmen.« Höflich wandte er sich an die große Gehpuppe mit den langen goldenen Locken, die mitten auf dem Tisch saß und so vornehm aussah wie eine richtige Prinzessin. »Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle, meine Gnädige«, sagte er artig. »Ich bin der Rechte, und das hier ist mein Bruder, der Linke. Da Sie schon länger an diesem Platz zu verweilen zu geruhen. . . zu geruhen zu verweilen. . . zu. . . zu...« Da blieb ihm sein schöner Satz im Munde stecken. Die Tür hatte sich geöffnet, und herein sprang ein liebliches kleines Mädchen. Dunkle Locken umrahmten sein feines Gesichtchen, und auf diesen Locken schwebte ein goldenes Krönlein. Einen Augenblick blieb das kleine Mädchen an der Türschwelle stehen. Seine Augen leuchteten vor Glück und Erwartung. Es hatte die Hände aufs Herz gelegt, wie um es festzuhalten, 14
damit es nicht vor lauter Freude zerspringe. Plötzlich lief es auf den Tisch zu. Es bewunderte die duftigen Kleider und die vielen Spielsachen, die auf ihm aufgebreitet lagen. Es küßte die schöne Puppe, und nun gewahrte es auch die roten Schuhe, die unbeweglich und vor Entzücken aneinandergepreßt auf das Prinzeßlein blickten. »Was für schöne Schuhe!« jubelte es. Im Nu streifte es seine Schuhe ab und schlüpfte in die roten hinein, und die schmiegten sich selig um die zarten Füßchen der Prinzessin. Der Rechte sprang hoch auf vor Freude. Hopsa! tat es ihm der Linke nach, und das Prinzeßchen drehte sich und sprang mit ihnen. Zierlich tanzte es um den Tisch und um seinen Vater herum. »Herrlich passen sie mir! Wie angegossen! Als ob ich fliegen könnte damit, so ist's! Ich danke dir, lieber Vater! Oh, so sehr danke ich dir!« Und das Prinzeßlein tanzte im Zimmer hin und her und lachte und jubelte. Aber bald wurde ihm das Zimmer zu eng. Es glitt durch den goldfunkelnden Thronsaal. Lächelnd wiegte es sich vor den hohen Spiegeln hin und her, und hundert Spiegelbilder 15
lächelten freundlich zurück. Es walzte durch die Gemächer der Kammerherren und Hofdamen und nickte allen strahlend zu. Sogar in die Küche hopste es, und schließlich ward ihm das Schloß zu eng, da lief es hinaus in den großen Schloßpark. 16
Wie ein Schmetterling schwebte es zwischen den alten Bäumen, in denen der Wind brauste. Nun drehte es sich nach dem Rauschen des Windes im Kreise und sprang und sang vor lauter Lust. So war es den roten Schuhen gerade recht! Wenn es nach ihnen 17
gegangen wäre, würde das Prinzeßlein wohl noch heute durch den Park tanzen. Aber schließlich wurde es doch müde. Die Dämmerung brach herein, und das Prinzeßlein kehrte in das Schloß zurück. »Wie schaust du denn aus!« rief die Kammerfrau empört. »Ganz erhitzt und ermattet bist du! Wie kannst du morgen auf den Ball gehen, wenn du dich heute so überanstrengt hast! Wie wirst du dem Königssohn gefallen, wenn deine Augen trüb und deine Locken zerzaust sind?« Aber die Prinzessin gab ihr keine Antwort. Sie legte ihr nur die Arme um den Hals und sagte: »Dies war mein schönster Geburtstag!« Und dann ging sie schlafen. Die roten Schuhe stellte sie nebeneinander unter ihr Bett, damit sie ganz nahe bei ihr wären, und — im Nu war sie eingeschlafen.
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Die Puppentaufe Da standen nun die Schuhe unter dem Bett der Prinzessin und fragten sich, ob dies alles nicht nur ein Traum gewesen sei. Die Sterne stiegen am Himmel auf und guckten neugierig durchs Fenster hinein. Länger, immer länger wurde der silberne Streif, den das Mondlicht ins Zimmer warf. Die Turmuhr zählte mit hellem Schlag die Stunden aus, und schließlich kündigte sie Mitternacht an. Da hörten die Schuhe plötzlich aus allen Ecken des Zimmers Seufzer dringen. »Ach ja!l« — »O jeh!« — »O weh!« »Wer seid ihr?« flüsterten die Schuhe. »Warum seid ihr so traurig?« »Wir sind die Puppen der kleinen Prinzessin. So viele hat sie, daß sie sich gar nicht um jede einzelne kümmern kann. Ach, die meisten hat sie schon fast vergessen.« »Und heute hat sie eine schöne, große Gehpuppe zum Geburtstag bekommen«,
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setzten andere Stimmen fort, »da wird sie nun überhaupt keine Zeit mehr für uns haben.« »Wie viele seid ihr denn?« fragten die Schuhe teilnehmend. »Dreiundsechzig«, erwiderten die Puppen, »und mit der neuen Puppe vierundsechzig. Manche von uns haben noch nicht einmal einen Namen, weil die Prinzessin noch keine Zeit gefunden hat, uns zu taufen.« »Das ist wirklich traurig«, sagte der Linke, »da sieht man einmal wieder, wie's in der Welt zugeht!« Der Rechte aber sprang in die Höhe. »Vielleicht könnte ich den Damen behilflich sein?« sagte er artig. »Ich fühle mich Manns genug, um den namenlosen Damen zu einem Namen zu verhelfen.« »Das wäre lieb von Ihnen, Herr von Rechts!« riefen die Püppchen begeistert. Im Nu schoben sie den goldenen Polstersessel der Prinzessin in die Mitte des Zimmers, die ins Mondlicht getaucht war. Der Rechte kletterte auf den Sessel. Der Linke führte höflich einen Täufling nach dem andern herbei. 20
Der Hampelmann der Prinzessin aber, der nach der Meinung aller Puppen immer die besten Einfälle hatte, flüsterte dem Rechten die zukünftigen Namen der namenlosen Püppchen zu. Zuerst kam ein Steckkissenpüppchen dran, das von seiner großen Schwester im Arm getragen wurde. »Das ist unsere Winzigklein«, flüsterte der Hampelmann, und der Rechte sprach feierlich die Taufformel: »Ich taufe dich mit Mondenschein, Ein wenig Sternlicht misch' ich drein, Dein Name, der sei — Winzigklein!« Das Steckkissenpüppchen verzog ein wenig das Gesicht, als die hellen Mondstrahlen es trafen, dann bohrte es den Finger in den Mund. Es war noch sehr dumm, das Püppchen, und mehr konnte man nicht von ihm verlangen. Da war die kleine Laufpuppe schon gescheiter. Als die den Namen »Lorli« erhalten hatte, machte sie artig einen Knicks. »Mama!« sagte sie, denn das war das ein21
zige Wort, das sie sprechen konnte — aber das sagte sie sehr klar und deutlich. Das Chinesenpüppchen wurde »Mit-Si Bit-Si« getauft, die Holländerin »Meisje«, der Tiroler natürlich »Seppl«, das Schulmädchen mit den dicken, blonden Zöpfen »Lieselotte«, der kleine Koch »Schleckerich« und »Brummpetz«, der braune Bär mit den vergnügten Augen! Schließlich waren da noch sehr liebe Zwillingsschwestern mit braunen Locken, in denen die eine ein rosa, die andere ein blaues Band trug. Sie bekamen die Namen »Sanne« und »Anne«. »Auf, auf — zum Taufschmaus!« rief nun das rotbackige Bauerndirndl, das sich schon die längste Zeit in der Puppenküche der Prinzessin zu schaffen gemacht hatte. Meister Schleckerich hatte sich zu ihr gesellt. Nun trugen beide dampfende Schüsseln und leckere Mehlspeisen in das große Puppenhaus und deckten auf sämtlichen Tischen in sämtlichen Zimmern auf. Da gab es ein Tafeln und Schmausen! Die roten Schuhe hatten natürlich den Ehrenplatz, und Schleckerich setzte ihnen einen 22
köstlichen Pudding aus der feinsten roten Schuhpaste vor. Am meisten aber aß die kleine Ziehharmonika der Prinzessin. »Du platzt ja bald!« spottete Seppl. Beleidigt zog sich die Ziehharmonika zusammen; wie ein Seufzer klang's da auf. Dann dehnte sie behaglich ihr rundes Bäuchlein wieder aus. Das gab einen Jauchzer, und im Nu erklang die allerlustigste Tanzmusik. Da konnte die Taufgesellschaft nicht länger sitzenbleiben. Die roten Schuhe
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forderten die Zwillingsschwestern Sanne und Anne zum Tanz auf, Seppl holte sich das Schulmädchen, Brummpetz tanzte mit Meisje, der Koch mit der Chinesin. So hekkenhoch ging's her vor lauter Ausgelassenheit, daß keine einzige Puppe die Töne des Glockenspiels vernahm, die das Ende der Geisterstunde verkündeten. Pardauz — da war es aus mit der Fröhlichkeit, und die ganze Gesellschaft purzelte zu Boden, wo sie gerade waren. Die Kammerfrau machte am nächsten Morgen ein sehr böses Gesicht, als sie das Durcheinander erblickte. »Oh, dieses Prinzeßlein!« seufzte sie. »Daß es nie sein Zimmer ordentlich aufräumen kann! Es ist eine Plage. Außer den roten Schuhen ist wieder einmal nichts an seinem Platz!« Der Rechte blinzelte dem Linken zu, und beide hatten große Mühe, nicht herauszuplatzen vor lauter Lachen.
Der Ball Wißt ihr, was das für eine Aufregung ist, wenn ein Prinzeßlein auf den Ball geht? Das ganze Schloß stand auf dem Kopf! Da wurden Pferde geputzt und gestriegelt; die Kutsche wurde frisch vergoldet; die Uniformen der Lakaien erhielten neue silberne Knöpfe; der Schatzmeister holte seine kostbarsten Edelsteine aus der Schatzkammer hervor; die Kammerfrau mußte Rüschen kräuseln und die Locken der Prinzessin auskämmen; die Kammerherren putzten ihre Monokel, damit sie die Prinzessin besser bewundern konnten. Die Hofdamen aber saßen in ihren Zimmern und weinten sich die Augen aus, denn diesmal durften sie nicht mitgehen. Der Oberzeremonienmeister hüpfte wie ein Heuschreck hin und her und jammerte: »Meine Nerven! Oh, meine Nerven!« Und der Sterngucker saß vor seinem
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großen Fernrohr und schaute in das unermeßliche Weltall. Er strich sich über das Kinn und murmelte vielsagend: »Hm! Hm! Hm!« Endlich kam die kleine Prinzessin aus ihrem Ankleidezimmer hervor, und alle riefen »Ah!« und »Oh!« vor lauter Entzücken. Sogar der alte Rechenlehrer der Prinzessin guckte verwundert durch seine große, große Brille: »Sieh da!« rief er. »Ich hätte nicht geglaubt, daß jemand so schön sein kann... schöner als alle Rosen im Garten des Schlosses, schöner a l s . . . hm! — Jemand, der nicht immer weiß, daß 8 mal 7. . . Warte, vielleicht weiß sie es jetzt! Wieviel ist 8 mal 7, allergnädigste Prinzessin —wieviel also?« »77!« lachte die kleine Prinzessin und zwinkerte übermütig mit ihren dunklen Augen, die vor Freude und Erwartung glänzten. »Entsetzlich!« seufzte der Rechenlehrer. »Allergnädigste Prinzessin gehören ins Bett! Allergnädigste Prinzessin haben ja Ballfieber!« Aber da hatte ein Diener die Prinzessin schon in die Kutsche gehoben. Hui! stoben 26
die acht vorgespannten Schimmel davon. Die Prinzessin sah Berge, Wiesen und Dörfer am Fenster vorbeifliegen, aber es ging ihr immer noch nicht schnell genug. Auf einmal fingen ihre Füßchen zu zappeln an. Das kam wohl daher, weil die roten Schuhe einfach nicht mehr stillbleiben konnten. Sie hatten es nämlich auch, das Ballfieber. Es war schrecklich ansteckend! Endlich hielt die Kutsche vor einem andern Schloß. Es war noch viel prächtiger als das
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der kleinen Prinzessin. Das war kein Wunder — denn hier lebte der König des Landes. Zur Feier der Rückkehr seines Sohnes von einer langen Reise hatte er die Ballgäste von weither eingeladen — lauter Kinder, denn sein Sohn war selbst noch ein Kind. Im Saal wimmelte es schon von fröhlichen Masken: Blumen, Spanierinnen, lustigen Hampelmännern, Chinesinnen, Matrosen, Biedermeierdamen — und was es da sonst noch alles gab. Die Schuhe kamen aus dem Staunen nicht heraus. So viele schöne Mädchen hatten sie noch nie beieinander gesehen. Besonders ein kleines Rotkäppchen fiel ihnen auf. Es hatte zwar noch nicht einmal Schuhe an und trug nur ein einfaches Dirndlkleidchen. Doch seine Augen lachten schelmisch, und seine langen Zöpfe glänzten wie gesponnenes Gold. So erschien es den beiden Schuhen lieblicher als alle andern schönen Mädchen im Saal — ihre Prinzessin natürlich ausgenommen. Plötzlich zuckten die Füße der Prinzessin, daß die roten Schuhe knirschend aneinandergerieben wurden. Ein ganz in Samt ge28
kleideter Page hatte sich vor ihr verbeugt. Nun reichte er ihr den Arm und führte sie zum Tanz. Der Page trug silberne Schuhe, die waren gar fein gearbeitet und seltsam geschnitten. Noch nie hatten die roten Schuhe so Kostbares gesehen. Doch die Silbernen schauten so hochmütig drein, daß die roten Schuhe sie nicht anzusprechen wagten. Als aber während des Tanzens der linke silberne Schuh ein wenig auf unsern Rechten trat und sich sehr höflich entschuldigte, faßte sich der ein Herz und fragte: »Woher kommt ihr denn, ihr zwei Silbernen, und wem gehört ihr?« »Wir kommen aus Indien«, antworteten sie herablassend, »und natürlich sind wir die Schuhe des Königssohnes — das merkt man doch gleich! Wir müssen ihm heute helfen, sich eine Braut zu erwählen, denn wir haben einen auserlesenen Geschmack. Eure Herrin da ist ganz hübsch — aber uns, uns ist sie lange nicht prächtig genug! Macht euch also keine Hoffnungen.« »Patsch!« Der Rechte war dem einen silbernen Schuh heftig auf die Kappe getreten 29
— »patsch!« und jetzt auch dem andern.» »Das ist für eure Hochnäsigkeit und dafür, daß ihr unser Prinzeßlein beleidigt habt!« »Bravo! Bravo!« stimmte der Linke zu, dann drehten sich die Schuhe weiter im Kreis, aber sie redeten kein Wort mehr miteinander. Der Königssohn und die kleine Prinzessin unterhielten sich um so eifriger. So lange hatten sie sich nicht mehr gesehen, denn der Prinz war drei Jahre lang verreist gewesen — so vieles hatten sie sich zu erzählen. Sie hörten erst zu tanzen auf, als der Oberzeremonienmeister verkündigte, daß nun das schönste Mädchen zur Ballkönigin gewählt werde. Er setzte sich auch gleich seine große Brille auf, und die Kammerherren folgten seinem Beispiel. Der König aber stand sogar von seinem Thron auf, denn er war am neugierigsten, wer die Schönste sei. Als sich das Rotkäppchen vor den bebrillten Herren verneigte, legte der Oberzeremonienmeister den Finger an die Nase: »Hm!« machte er, und »hm!« sagten auch 30
die anderen. Der König aber sagte sogar: »Hm! Hm!« Genau das gleiche aber geschah, als die kleine Prinzessin sich vor ihnen verbeugte. — So hatten nun die Preisrichter die Wahl zwischen zwei Ballköniginnen und konnten sich nicht einigen, welcher sie die Krone geben sollten, bis der Oberzeremonienmeister schließlich auf einen Ausweg verfiel. »Das Rotkäppchen«, sagte er, »kann sich an Schönheit wohl mit der Prinzessin messen. Wie aber könnten wir eine Ballkönigin erwählen, die noch nicht einmal Schuhe trägt!« »Eine schuhlose Ballkönigin, das wäre allerdings unmöglich!« lachte ein Kammerherr. »Ha, das wäre etwas!« lachten auch die andern. Das Rotkäppchen schaute verlegen auf seine bloßen Füße. So sehr schämte es sich, daß seine Augen sich mit Tränen füllten. Es besaß keine Ballschuhe, das Rotkäppchen. Es war das Töchterchen des Försters und hatte nur derbe Schuhe, mit denen man auf steinigen Straßen tapfer ausschreiten kann. Deshalb hatte die Försterin ihr Töchterchen 31
lieber barfuß auf den Ball geschickt, wie das wohl auch zu einem Rotkäppchen passen konnte. »Barfüßchen — Barfüßchenl« lachten und spotteten die Ballgäste. Das kleine Rotkäppchen hätte sich am liebsten in einem Mauseloch verkrochen — wenn nur eines dagewesen wäre! Mitleidig blickte die Prinzessin auf das verlegene Kind und — plötzlich streifte sie ihre roten Schuhe von den Füßen: »Da — nimm sie dir — niemand soll dich auslachen, weil du keine Schuhe hast!« sagte sie freundlich. Da wurde es auf einmal ganz still im Saal, und die am meisten gespottet hatten, machten das verlegenste Gesicht. Zögernd schlüpfte die kleine Förster-Lene in die feinen Schuhe — und — siehe da — sie paßten ihr genau so gut wie dem Prinzeßlein. Den Preisrichtern blieb nichts anderes übrig: sie mußten Lene zur Ballkönigin krönen, denn nun war die Prinzessin barfuß. Der König aber erhob sich und ging auf das Prinzeßlein zu. »Du hast ein gutes Herz, kleine Prinzessin, 32
und das ist mehr, als wenn du heute Ballkönigin geworden wärest«, sagte er. Und der Königssohn beugte sich nieder, löste die silbernen Schuhe von seinen Füßen und warf sie in eine Ecke. »Hast du keine Schuhe, so brauch' ich auch keine!« sagte er vergnügt. 33
Die andern Ballgäste folgten seinem Beispiel, und bald lag ein ganzer Schuhberg in der Ecke. Alle tanzten und sprangen auf nackten Sohlen und wurden dabei so übermütig, daß man sie weithin jauchzen und lachen hörte. Nur das Rotkäppchen behielt seine Schuhe an, denn es konnte sich keinen Augenblick von dem Geschenk der Prinzessin trennen — und das verstand jedermann. Erst als es nach Hause ging, zog es sie aus, damit sie auf dem langen Heimweg nicht beschädigt würden, und drückte sie fest ans Herz.
Die Baumschule Ja — die roten Schuhe hatten es gut bei der kleinen Lene. Die ganze Woche durften sie in einer Schachtel schlafen, in seidenweiches Papier verpackt. Am Sonntag aber putzte Lene sie sorgfältig und ging mit ihnen in die Kirche. Vorsichtig wich sie jedem Stein und jeder Pfütze aus. Die Kinder im Dorf konnten die roten Schuhe nicht genug bewundern, die einmal einer wirklichen Prinzessin gehört hatten. Sie betasteten das feine Leder und die silbernen Schnallen. Am liebsten wären sie selbst ein wenig hineingeschlüpft, doch Lene gab sie natürlich nicht her. Lenes kleine Schwester Lotte aber sagte laut, daß es jeder hören konnte: »Wenn sie der Lene nicht mehr passen, krieg' ich sie!« »Was wirst denn du mit den roten Schuhen anfangen, Lotte?« riefen die Kinder. »Du hast ja Elefantenfüße, trittst in jede Pfütze und stößt an jeden Stein!«
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»Und ich krieg sie doch!« sagte Lotte trotzig. Nun muß ich euch sagen, daß sich die roten Schuhe trotz Lenes Fürsorge gar nicht wohl fühlten. Es war ihnen nämlich schrecklich langweilig! »Ach!« seufzte der Rechte. »Ist das ein Leben? Die ganze Woche in der Schachtel schlafen müssen und höchstens am Sonntag ein wenig Ausgang haben! Am liebsten würde ich auf Reisen gehn!« »Mir wird ganz bang, wenn ich an Lotte denke«, ächzte der Linke, »was wird sie erst mit uns anfangen? Ich bekomme eine Gänsehaut am Oberleder, wenn ich daran denke!« Aber es kam noch schlimmer! Eines Tages kam Lene vom Kirchgang nach Hause und hatte eine Blase an der Ferse. »Die Schuhe passen dir nicht mehr!« sagte die Mutter, und so betrübt Lene auch darüber war — die Mutter packte die Schuhe sorgfältig ein und stellte sie in die Rumpelkammer. Ach, da war es noch viel langweiliger als in Lenes Schrank! Man sah und hörte rein gar nichts, und vor lauter Lange-
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weile verfielen die Schuhe schließlich in einen langen, langen Schlaf. Sie verschliefen den Winter, sie verschliefen sogar den Sommer. Vielleicht hätten sie ihr ganzes Leben verschlafen, wenn nicht. . . ja, wenn nicht... Holterdiepolter! Holterdiepolter! Die Schuhschachtel wurde heruntergeworfen, und triumphierend schwang die kleine Lotte die roten Schuhe in der Luft. »Da sind sie ja! Endlich hab' ich sie gefunden!« rief sie. »Bestimmt passen sie mir schon!« Sie zwängte die Füße in die Schuhe, aber die waren viel zu schmal und außerdem ein gutes Stück zu lang. Lang und eng — was kümmerte das Lotte! »Herrlich passen sie mir!« sagte sie befriedigt. »Und nun sehe ich aus wie eine Prinzessin und will spazierengehn!« Und schon marschierte sie zur Tür hinaus und in den Wald hinein. Vergnügt hopste sie von einem Bein auf das andere, von einem Stein zum nächstbesten. Ach — es war ein schreckliches Erwachen für die roten Schuhe! 37
»Gib doch auf die Steine acht! Du tust uns ja weh!« knirschten sie, doch Lotte sprang unbekümmert weiter; querfeldein, querwaldein — über Stock und Stein, durch Pfützen und Dornen, daß den zwei Roten Hören und Sehen verging. »O weh, meine Kappe!« »Au, au — mein Absatz!« »Ach, diese Steine!« »Was für ein Schmutz!« Lotte aber sang, so laut sie nur konnte — und sie konnte es sehr laut: »Ich gehe spazieren in Prinzessinnenschuhen. Ich bin eine Prinzessin, eine Prinzessin!« Dabei schwang sie ihre dicken Beinchen, daß die Schuhe beinahe von den Füßen gepurzelt wären. In kurzer Zeit hatte sie die schmutzigsten Schuhe der Welt. So strolchte sie den ganzen Nachmittag herum. Erst am Abend, als sie von ferne die Mutter rufen hörte, hielt sie inne. Wie sahen jetzt ihre Schuhe aus! Geschunden, zerkratzt und niedergetreten! Vor lauter Schlamm und Schmutz sah man die rote Farbe nicht mehr. Niemand hätte geglaubt, daß solche Schmutzfinken einmal mit einer 38
Prinzessin auf den Ball gegangen waren. Da bekam Lotte Angst. Was würde die Mutter zu den besudelten Schuhen sagen? »Ei — sie wird mich gar nicht damit erwischen!« Kurzerhand warf sie die Schuhe zwischen die Tannenbäumchen auf der Waldblöße. Dann lief sie weg — so schnell, wie man nur mit einem schlechten Gewissen läuft. »Au au!« schrie der Rechte. »Jetzt hat mich dieses schlimme Kind auf einen spitzen Stein geschleudert!« »Ach, Rechter, Rechter«, seufzte der Linke. »Siehst du dort die große Wolke am Himmel aufsteigen? Wer wird uns beschützen, wenn ein Gewitterregen kommt?« »Wir werden euch beschützen!« riefen da viele feine Stimmchen. »Wer — wer seid ihr denn?« fragte der Rechte neugierig. »Aber — ihr liegt doch mitten unter uns! Wir sind die Tannenbäumchen aus der ersten Klasse der Baumschule.« Da sahen sich die Schuhe erst einmal richtig um. Tatsächlich, ringsum standen lauter 39
Tannenpflänzchen, die ihnen freundlich zunickten. »Ha, ha, eine Baumschule!« lachte der Linke ungläubig. »Hat man so etwas schon gehört, daß auch die Bäume in die Schule gehen müssen?« »Natürlich gehen wir in die Schule«, sagten die Kleinen stolz. »Auch wir Bäumchen müssen viel, sehr viel lernen.« Nun wurde der Rechte neugierig: »Ja — was lernt ihr denn, Tannenkinder? Lesen und schreiben?« »O nein!« riefen die Tännchen. »Wir lernen blühen und wachsen, Regen trinken und unser Gesicht der Sonne zukehren. Wir lernen, aus Luft und Wasser unsere grünen Nadeln zu bilden — und das ist keine Kleinigkeit! —, und in der Handarbeitsstunde nähen wir an unserm Nadelkleid. In jeder Klasse müssen wir ein schönes, regelmäßiges Röcklein mit zarten, grünen Spitzen anfertigen. Wir müssen uns sehr plagen damit! Vor allem aber lernen wir, uns gut zu halten, denn nur wer schön gerade steht, darf in die zweite Klasse aufrücken.« 40
»Und wer sind eure Lehrer?« fragte der Linke. »Die alten Tannen am Waldesrand, die Zwerglein, die unsere Wurzeln kämmen, damit sie schön gleichmäßig nach allen Seiten wachsen. Die Sonne ist's, und die Sternlein sind's, der Wind und der Regen. Schließlich kommt auch noch der Herr Förster und prüft uns von Zeit zu Zeit. Aber der ist schrecklich streng! Denkt euch nur, wer nicht gerade steht — den packt er einfach beim Schöpf und reißt ihn aus. Wir können uns kaum aufrecht halten vor lauter Angst, wenn er kommt. Wer aber die Prüfung bestanden hat, kommt in die zweite Klasse.« 41
»Was lernt ihr denn in der zweiten Klasse?« wollte nun der Rechte wissen. »Wir«, riefen stolz die größeren Schößlinge, die schon ihr erstes Röcklein trugen und wie richtige kleine Tännchen aussahen, »wir lernen, unsere Äste geschmeidig und locker zu machen, damit sie sich unter dem Wind ducken und dem Sturm trotzen können. Wir lernen, unsere Wurzeln tief in den Boden zu senken, damit sie auch bei Dürre Nahrung finden. Wir müssen den Winter ertragen und unser Nadelkleid dicht und warm machen, damit wir nicht erfrieren. Wir arbeiten an unserem zweiten Röckchen, und wenn wir gesund und kräftig aussehen und unser Nadelkleid gleichmäßig und dunkelgrün ist, läßt uns der Herr Förster in die dritte Klasse aufsteigen. Die dritte Klasse aber — das ist die schönste und schwerste Klasse!« »Ja — was gibt es denn in der dritten Klasse zu lernen?« wandten sich die roten Schuhe fragend zu den größeren Tannenbäumchen, die sich zu Füßen der alten Tannen versammelt hatten. »Wir«, antwortete das größte und schön42
ste von ihnen, »müssen uns noch ein Röckchen schneidern und schmücken uns mit den ersten Tannenzapfen. Hauptsächlich betreiben wir Sprachstudien. Wir lernen die Sprache der Blumen und der Tiere — und von der Menschensprache das Nötigste. Wir lernen das Wetter voraussagen und nehmen in Heimatkunde den Wald bis zum Försterhaus durch.« »Aber — das Schönste verschweigt ihr!« riefen da die Tannenkinder aus der ersten und zweiten Klasse eifrig. »Nun, ja«, gestand das Tännchen, »eines lernen wir auch noch, das Schönste und Schwerste. Wir lernen, wie aus einem ganz gewöhnlichen kleinen Tannenbäumchen ein Weihnachtsbaum werden kann, und wie . . .«
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Eine unfreiwillige Wasserfahrt »Brumm — bumm — bumm — bumm — bumm!« machte es da. Es war die große Wolke, die inzwischen schon ganz nahe herangekommen war und blaue Blitze nach der Erde schleuderte. »Bumm — bumm«, grollte sie, »ich platze vor Regen. Ich bin so zornig, daß ich die ganze Welt zerschmettern möchte. Lauter böse Dinge habe ich heute gesehen: streitende Geschwister, hartherzige Reiche, Tierquäler, Verleumder, Faulpelze, Kinder, die das Brot in die Gosse warfen, Haß, Überheblichkeit, Heimtücke, Streit und Krieg, ach, und noch vieles, vieles mehr. Ganz krank bin ich vor Zorn und Überdruß. Darum will ich alles zerstören, was ich mit meinen Blitzen treffen kann, alles niederbrennen, was böse und schlecht ist!« »Halt ein, Gewitterwolke«, flehten die Tannenkinder, »du bist ja blind vor Zorn
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und vernichtest die Unschuldigen mit den Schuldigen! Jetzt hast du deinen Blitz in die große Eiche geworfen, die uns vor dem Sturm beschützt hat. Sei doch nicht gar so wild! Gib uns lieber etwas zu trinken, wir sind schon ganz verdurstet!« Die Wolke hörte einen Augenblick zu poltern auf. »Brumm — bumm, der Eiche habe ich nichts antun wollen!« brummte sie verlegen. »Es tut mir leid!« Einige Tränen tropften aus ihren schwarzen Augen und fielen klatschend hernieder. »Das muß ich wieder gutmachen«, sagte sie leise. Sie schlug ihr weites Gewand auf und ließ den Regen herniederrauschen auf den Wald. Aber was für ein Regen war das! Vergeblich versuchten die Tannenkinder ihre Gäste vor der strömenden Flut zu schützen. Sie glitschten, vom schießenden Wasser getrieben, über die Waldblöße. Sie wurden den Waldweg hinuntergeschwemmt. Ehe sie noch zur Besinnung kamen, stürzte der Rechte in das Bächlein hinein, das am Rande des Waldes sich zum Weg gesellte.
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»Bruder!« schrie er. »Ich versinke — leb wohl — auf Nimmerwiedersehn!« Aber da hättet ihr unseren Linken sehen sollen! Er rutschte zum Rande des Bächleins, umklammerte mit seiner Spange ein Holzscheit, das gerade dabei war, sich in die schmutziggelbe Flut zu stürzen, und purzelte mit dem Scheit ins Wasser. Er hatte seinen Sturz gut berechnet, denn er fiel gerade neben den Rechten, der sich schon fast bis zum Rand mit Wasser gefüllt 47
hatte und verzweifelt um sein Leben kämpfte. »Komm, Bruder, komm!« schrie der Linke und zog den Rechten zu sich hinüber, so daß der sich mit letzter Kraft an das Holzscheit hängen konnte. »O Bruder!« keuchte der Rechte. »Das werde ich dir nie vergessen. Ich habe dich immer ein wenig für einen Griesgram gehalten — aber heute habe ich gesehen, daß du das Herz am rechten Fleck hast.« »So hast du wenigstens eine gute Meinung von mir bei unserm gemeinsamen Tod«, ächzte der Linke. »Denn lange halten wir uns hier doch nicht. Ach, ich wollte, ich läge noch in meiner Schachtel und wäre niemals aufgewacht!« In diesem Augenblick wurde das Holzscheit gegen ein Stück abgerissene Zauntür getrieben, verklemmte sich zwischen den Staketen, und sogleich rutschten die Schuhe auf den Zaun hinüber. Nun hatten sie ein großartiges Floß. »Juchhe!« schrie der Rechte vergnügt. »Juchhe, juchhe! Wir fahren zur See!« 48
»Aber nur so lange, bis wir ertrinken!« seufzte der Linke. Der Rechte hatte sich einen vorübertreibenden Kochlöffel aufgefischt und steuerte damit das Floß sicher durch die gurgelnde Flut. Die ganze Nacht trieben sie so dahin. Längst hatte sich die Wolke verzogen. Ein Stern nach dem andern stieg am Himmel auf. Immer breiter wurde das Bächlein, und schließlich war ein kleiner Fluß aus ihm geworden, der durch die Ebene eilte. Als die Sonne am Himmel aufstieg, hatte sich die aufgerührte gelbe Flut schon geklärt und spiegelte das Himmelsblau. Die wild dahinstürzenden Wogen hatten sich in lustige Wellenkinder verwandelt, und die beiden Schuhe fühlten sich sehr behaglich. »Das ist ein angenehmes Reisen!« sagte der Rechte vergnügt, und der Linke nickte dazu. »So wollen wir durch die ganze Welt fahren!« Plötzlich gab es einen mächtigen Ruck: Das Floß war auf einen Weidenstumpf beim Ufer aufgefahren. Es drehte sich im Kreis 49
und konnte sich nicht mehr lösen. Damit hatte die geplante Weltreise ein jähes Ende gefunden!
Eine unangenehme Operation und eine wundersame Begegnung Die Zeit verging. Immer mehr füllten sich die Schuhe mit Wasser. Das wirbelnde Floß war zuweilen in Gefahr, auseinandergerissen zu werden, selbst der Rechte gab keinen Pfifferling mehr für sein Leben. Da bemerkte ein kleines Mädchen am Ufer das angetriebene Fahrzeug mit seiner seltsamen Last. Es watete ins Wasser und zog vorsichtig die Schiffbrüchigen ans Land. »Sieh da, Schuhe, Kinderschuhe — gerade das, was ich brauchen kann!« Fröhlich sprang es mit seiner Beute nach Hause. »Mutterl« rief es schon von weitem. »Mutter — schau, was ich gefunden habe. Ein Paar rote Schuhe! Auf dem Fluß sind sie getrieben. Sind sie nicht schön? Sicher werden sie mir herrlich passen!« Nun, eigentlich waren sie gar nicht mehr schön, die roten Schuhe. Ihr hättet sie bestimmt nicht mehr erkannt. Ganz aufge-
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quollen waren sie vom Wasser, schlappig und breit. Die rote Farbe war unregelmäßig verwaschen, die Spangen vom verzweifelten Anklammern an das Holzscheit ausgedehnt: »Hm«, sagte die Mutter, »schön kann ich sie nicht gerade finden — aber die Sohlen scheinen noch gut zu sein. Wir wollen sie spannen und trocknen, Barbara — dann werden wir weiter sehn.« So wurden in die Schuhe zwei Strecker hineingesteckt. O weh, wie das riß und zerrte, zwickte und zwackte. Tapfer verbissen die Schuhe ihren Schmerz und ließen sich wieder in die frühere Form zwängen. Als sie ganz trocken waren, nahm die Mutter einen Lappen und Schuhpaste und ließ die Schuhe ein. Ihr hättet es nicht für möglich gehalten, wieviel Paste sie verschlangen — ausgehungert, wie sie waren. Je mehr sich ihre Haut glättete, um so vergnügter wurden sie und sangen schließlich übermütig: »Mutter, Mutter, Butter, Butter, Futter, Futter!« 52
Endlich hatten sie genug und legten zufrieden die Schnallen auf ihr fettes Bäuchlein. Nun bürstete die Mutter die Schuhe, daß ihnen das Singen verging. Dafür wur53
den sie so geschmeidig und glänzend, daß selbst die Mutter nachdenklich sagte: »Du — das sind wirklich schöne Schuhe, Barbara —, die müssen einmal etwas Besonderes gewesen sein.« »Das waren wir auch!« riefen die beiden wie aus einem Munde: »Prinzessinnenschuhe waren wir!«, aber natürlich, Menschenohren sind nicht so fein, daß sie die Stimmen von Schuhen vernehmen könnten. Darum sagte die Mutter nur: »Sie quietschen ein bißchen, aber das wird sich geben. Gib nur acht auf sie, Barbara! Sie sind aus sehr feinem Leder.« Ja, achtgeben auf die Schuhe, das wollte Barbara wirklich! Wie kann aber ein Kind so feine Schuhe schonen, wenn es jeden Tag einen langen Schulweg auf einer schlechten Straße zurücklegen muß, wenn der Herbstregen rauscht und schließlich grimmige Winterkälte die Straße mit Eis überzieht? »O weh!« ächzte der Linke eines Tages, »ich habe ein Loch in der Sohle. Es zieht so kalt herein, daß ich noch das Zipperlein bekommen werde.« 54
»Ach, und mein Absatz ist ganz schief. Ich muß bucklig gehn wie ein altes Männlein!« klagte der Rechte. »Ich habe genug vom Laufen!« nörgelte der Linke. »Und genug von der ganzen Welt. Sie sollen mich wieder in meine Schachtel legen. Da will ich schlafen — schlafen! Ich habe längst gemerkt, daß man nur Haut und Haare lassen muß, wenn man auf Abenteuer ausgeht. Ich will Ruhe haben!« »Aber, Bruderherz«, tröstete der Rechte, »warte nur — es wird auch wieder Frühling. Dann wollen wir über die Wiesen springen und tanzen und lustig sein wie in unserer Jugendzeit.« »Ja — lustig, mit einem Loch in der Brandsohle, und wenn man schon langsam grau wird. Nein, Rechter, ich mache mir nichts vor: Wir sind alt und schäbig geworden. Wir gehören in die Schachtel oder...« »Was — oder?« »Darüber laß mich lieber nicht nachdenken!« 55
»Die Schuhe müssen gerichtet werden!« sagte die Mutter und trug sie zum Schuster. »Ha, ha!« lachte der, als er die Roten erblickte. »Das kommt davon, wenn man mit dünnen Sohlen auf Reisen geht. Aber wartet nur, wartet. Aus euch will ich noch ein Paar tüchtige Wandergesellen machen.« Er nahm die Schuhe in seine derben Fäuste. Er betrachtete sie nicht mit liebevollen Blicken wie der andere Schuster, der sie angefertigt und dabei an sein Töchterlein gedacht hatte. Nein, mit Hammer und Zange, Nadel und Pfriem fiel er über sie her. »Ich sterbe!« ächzte der Rechte und wurde ganz blaß. »Ich bin schon tot!« stöhnte der Linke. »Ich habe ja immer gewußt, daß wir schrecklich enden werden!« Aber der Schuster kümmerte sich nicht um ihre Klagen. Er hämmerte, pfiff und sang munter vor sich hin:
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»Schuh' zerreißen — jeder kann's. Doch, wer macht die Schuhe ganz? Hier hilft nur der Meister Fleck. Ritsch! Reißt er die Sohlen weg, Und nun munter: klopf, klopf, klopf, Trifft er den Nagel auf den Kopf. Eins, zwei, drei: Im Handumdrehn Sind die Schuhe wieder schön.« Der Schuster stellte die Schuhe auf den Tisch und betrachtete zufrieden sein Werk. Wie schmuck sie wieder waren! Vor lauter Freude wurden sie ganz rot, und der Rechte rief: »Hab' ich es nicht gesagt, Linker. Aus uns wird noch etwas! Es kommt immer besser, als man glaubt, und überhaupt.. .« »Und überhaupt sagtest du vor einer Stunde: Ich sterbe.« »Und was sagtest du?« »Reden wir nicht mehr darüber!« Vergnügt hängten sie sich mit ihren Spangen ineinander ein — und so konnte sie die Mutter bequem nach Hause tragen. Sie stellte sie — ja, denkt euch nur —, sie stellte sie gerade unter den Weihnachtsbaum. 57
Da standen also die Schuhe wieder auf einem Gabentisch, wenn auch nur auf einem bescheidenen. Aber sie waren nicht minder aufgeregt als damals im Schloß. »Ob Barbara sich freuen wird?« fragte der Linke. »Freut sich denn ein Kind über ein Paar geflickte Schuhe? Sicher wird sie uns über ihren andern Geschenken ganz übersehen.« »Pst! Pst!« flüsterte der Rechte. »Siehst du denn nicht? Hörst du denn nichts?« überirdischer Glanz erfüllte das Zimmer. Süße, himmlische Musik ertönte. Das Weihnachtsbäumchen stand auf einmal in schimmerndem Kerzenlicht. »Was ist das? — Was war das?« fragte der Linke verwirrt. »Das Christkind war das — das Christkind!« jubelte der Rechte. »Hast du es nicht gehört? Hast du es nicht gesehn? >Oh, ihr zwei< — hat es gesagt, — >ihr Landstreicher, ihr Seefahrer, wie schön ihr wieder seid! Ich weiß wohl, wie tapfer du damals warst, Linker, als ihr in höchster Not wart, und daß du immer das Herz auf dem rechten Fleck hast.. .<« 58
»Hör auf, hör auf!« brummte der Linke, »immer das Herz auf dem rechten Fleck... Geträumt hast du, nichts weiter. Das Bäumchen glänzt. . . das Bäumchen singt — sonst war doch nichts.« Ja, wirklich, leise, ganz leise sang das Bäumchen vor sich hin: »Ich wurde erwählt. Ich wurde geschmückt. Ich glitzre, ich schimmre, ich leuchte beglückt; und so wie mein Schein alles Dunkel erhellt, strahlt Lieb' heut und Fried' der ganzen Welt.« »Grüß dich, Tannenbäumchen!« riefen die roten Schuhe. »Kennst du uns noch? Du bist doch das schönste Bäumchen aus der dritten Klasse der Baumschule!« Aber das Bäumchen schüttelte nur ein wenig seinen dunklen Wipfel: »Stört mich nicht!« flüsterte es. »Ich muß singen — ich muß singen.« Da kam die kleine Barbara ins Zimmer,
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und mit einem Jubelschrei drückte sie die roten Schuhe ans Herz. »Schön sind sie wieder, Mutti!« rief sie. »Oh, so schön!« »Ach, sie freut sich wirklich«, seufzte der Linke glücklich. »Sie freut sich über ein Paar geflickte Schuhe! Das ist ein gutes Kind! Wie glücklich ich bin — so glücklich!« »Aber — ich bin noch glücklicher, denn ich habe das Christkind gesehen«, sagte der Rechte, »bestimmt, ganz bestimmt, du mußt es mir glauben!« »Ja, ja, ja«, antwortete der Linke lächelnd, »ich glaube dir alles. Denn heute am Weihnachtsabend will ich nicht mit dir streiten.« Ei — und da hatte der Linke einmal recht!
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Ein neuer Freund Der Frühling kam, und nun konnte Barbara mit ihren Schuhen in die blauen Tage hineinmarschieren. Richtig jung und übermütig waren sie wieder geworden. Selbst der Linke hatte allen Griesgram vergessen. Sie trabten durch den grünenden Wald. Sie wanderten durch Wiesen, die von tausend Blumen und dem ersten trocknenden Heu dufteten. Sie gingen an wogenden Ährenfeldern entlang. Sie stießen gegen die ersten reifen Äpfel und Birnen, die der wilde Wind ins Gras geworfen hatte, und schließlich raschelte rotes und gelbes Laub unter ihren Sohlen. Aus Frühling und Sommer war Herbst geworden und malte die Welt mit seinen leuchtenden Farben, so bunt er nur konnte. Nach so einem bunten, strahlenden Herbsttag lernten die roten Schuhe Schnauzer kennen, der in ihrem Leben noch eine
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große Rolle spielen sollte. Wer war Schnauzer? Das möchtet ihr alle gern wissen! Nun, er war ein struppiges, wolliges Kerlchen mit klugen, ein wenig mißtrauischen Augen und seidenweichen Stirnlocken. Sein buschiger Schwanz flatterte meist wie eine Fahne fröhlich hinter ihm drein, und seine kurzen stämmigen Beinchen waren in unaufhörlicher Bewegung. Als die Schuhe ihn kennenlernten, war er allerdings nicht so fröhlich und gar nicht schön. Matt und abgemagert lag er in dem großen Gasthausgarten, in den Barbara mit ihren Eltern eingetreten war. Obwohl er eine rosa Seidenschleife um seinen Hals trug, kam ihm die Welt in diesem Augenblick nicht rosig vor. Verdrießlich vor Ärger und Hunger knurrte er vor sich hin. Manchmal, wenn sein Herr, der Seiltänzer, vorbeiging, wurde sein Knurren lauter: »Gib mir etwas zu fressen!« hieß das. »Sonst lauf ich dir davon!« Der Seiltänzer hörte ihn nicht. Er mußte schleunigst auf das Seil, um die Leute im Gasthausgarten zu unterhalten. Barbara aber hatte den Hund wohl gehört und ge-
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sehen. Sie hielt ihm ein Stückchen von ihrem Schnitzel hin — da war er schon bei ihr. Er verschlang das Fleisch mit einem Biß. Nun zeigte sich, daß er bei seinem Herrn doch mancherlei gelernt hatte, er setzte sich auf die Hinterbeine und begann zierlich zu bitten. »Gib mir noch ein Stückchen«, flehten seine Augen inständig, »nur noch ein einziges Stückchen!« Wer hätte diesen Augen widerstehen können! Also, noch ein Stückchen und noch ein Stückchen und noch ein . . . »Barbara, verfüttere doch nicht dein ganzes Schnitzel dem Hund!« sagte der Vater. Schnauzer duckte sich und kroch unter Barbaras Stuhl. Oh, er kannte zornige Menschenstimmen genau! Doch Barbara hatte wohl schon zu tief in seine dunklen, flehenden und dankbaren Augen geblickt! Heimlich steckte sie dem Hund einen Bissen nach dem andern zu. Jedesmal gab er ihr dankbar die Pfote. Jedesmal strich sie ihm sanft über das Fell. Fröhlich baumelten ihre Beine hin und her, aber plötzlich begann der Hund zu
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knurren: »Krrr!« brummte er. »Tretet ihr mich, beiße ich euch!« »Sei nicht dumm, Zottelkopf!« sagte der Rechte empört. »Wir wollen dich doch nicht treten — wir sind nur vergnügt.« »Ich traue euch nicht«, knurrte der Hund. »Ich weiß genau, daß die Menschen euch nur anziehn, damit sie uns besser treten können.« »Schäm dich, uns so zu beleidigen«, schimpfte der Linke. »Wir könnten keinem Tier etwas zuleide tun und unsere Herrin auch nicht — das hast du hoffentlich gemerkt, Brummbär!« »Ich heiße weder Zottelkopf noch Brummbär«, antwortete der Hund etwas versöhnlicher, »ich heiße Schnauzer. Und gegen eure Herrin sage ich nichts. Sie hat mir von ihrem Schnitzel gegeben! Aber ihr — tretet ihr wirklich nicht?« »Wir versprechen es dir!« riefen beide Schuhe. »Dann will ich euch nicht mehr anknurren. Ich habe bisher nur Schuhe kennengelernt, die nach mir getreten haben. Da wird man mißtrauisch!«
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»Ist der Seiltänzer dein Herr?« fragte Rechte neugierig. »Leider!« erwiderte der Hund. »Leider aber er wird es nicht mehr lange sein. habe es satt, zu hungern und getreten werden.«
der — Ich zu
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»Barbara wünscht sich schon lange einen Hund«, sagte der Linke nachdenklich. »Schnauzer!« rief da der Seiltänzer, der seine Vorführungen beendet hatte, und der Hund lief zu seinem Herrn. Er nahm einen Teller zwischen die Zähne. Zierlich trippelte er auf den Hinterfüßen von Tisch zu Tisch, und die Leute legten Geldstücke für den Seiltänzer auf den Teller. »Du bist ja ein Künstler!« riefen die roten Schuhe erstaunt, als ihr neuer Freund an ihnen vorbeikam. Doch Schnauzer beachtete sie nicht, denn in diesem Augenblick trug er seine Nase sehr hoch, hm, vielleicht, weil er den Teller halten mußte. Als er mit dem Einsammeln fertig war, brachte er seinem Herrn den Teller und erhob bittend die Pfoten. »Du hast noch ein Stückchen Wurst!« flehten seine Augen. »Gib mir nur ein Stück — gib mir nur die Wursthaut. Ich möchte dir ja gern treu bleiben, aber wenn du mich verhungern läßt, kann ich es nicht länger!« Der Seiltänzer hatte die wenigen Münzen vom Teller genommen. Sein Gesicht wurde traurig.
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»Ach ja!« seufzte er. »Ach ja!« Plötzlich hob er seinen Fuß gegen den bettelnden Hund und schleuderte ihn davon. »Weg! — Weg!« Als Barbara mit ihren Eltern in der Dunkelheit nach Hause ging, lief ein weißer 69
Schatten neben ihnen her. Manchmal war er vor ihnen, manchmal war er hinter ihnen. Manchmal sah er aus wie ein Hase und manchmal wie ein Hund. Barbara verlor ihn nicht aus den Augen. »Wenn er nur weiter mitgeht!« dachte sie. »Wenn er nur bei uns bliebe!« Als sie zu Hause anlangten, lag Schnauzer schon auf der Schwelle, als ob er sie erwartet hätte. »Das ist doch der Hund des Seiltänzers!« sagte die Mutter erstaunt, Barbara aber hatte schon die Arme um den Hund geschlungen und legte ihr Gesicht an sein struppiges Fell. »Er ist mir nachgelaufen. Mir gehört er — mir!", und der Hund schmiegte sich dankbar an seine neue Herrin. So hatte Barbara nun einen Hund, die roten Schuhe aber hatten einen guten Freund bekommen. Von Tag zu Tag und von Bad zu Bad wurde Schnauzer ein wenig weißer. Sein zotteliges Fell wurde seidenweich, sein mageres Bäuchlein rund. Immer fröhlicher funkelten seine Äuglein unter den Stirnlocken hervor. Immer eifriger wedelte er mit dem Schwänzchen. Als es Winter 70
wurde, vertrieb er den roten Schuhen und Barbaras Püppchen die langen Abende mit seinen Kunststücken und abenteuerlichen Erzählungen. Was hatte er doch alles erlebt! Nur von seinem früheren Herrn wollte er niemals erzählen. »War er denn wirklich so schlecht, dein Herr?« fragten ihn die roten Schuhe eines Tages. »Ach — das war er wohl nicht«, antwortete Schnauzer, »solange es ihm gut ging, habe ich immer eine volle Schüssel gehabt; aber dann . . . ach, ich will gar nicht mehr daran denken! Natürlich war er nie so gut wie Bella — sie war ein Engel. Er hat mich oft geschlagen und getreten, denn er war sehr jähzornig, aber er hat mich auch viele Kunststücke gelehrt. Manchmal hat er mich in seine Arme genommen und gesagt: >Du bist mein einziger Freund!< Wißt ihr, was das für einen Hund bedeutet? Ach, ich schäme mich oft, daß ich ihm die Treue gebrochen habe und ihm davongelaufen bin. Nun hat er niemand mehr!« »Sei nicht dumm«, riefen die Schuhe. »Fast 71
wärest du verhungert bei ihm. Hast du das schon vergessen?« »Ich habe es nicht vergessen, aber ich denke auch daran, wie er mich über das Seil trug und alle Leute uns zujubelten. Ich denke daran, wie wir von Ort zu Ort zogen, überall gab's etwas Neues zu sehen und zu riechen. Sogar Rechnen habe ich bei meinem Herrn gelernt, und — früher — wenn ich die richtigen Antworten bellte, gab er mir immer eine Knackwurst zur Belohnung.« »Kannst du wirklich rechnen?« fragten die Schuhe verwundert. »Natürlich, das heißt, so weit ich damit gekommen bin.« »Wieviel ist zwei und zwei?« fragte der Rechte. »Wau, wau, wau, wau!« »Er kann es wirklich!« rief der Linke verblüfft. »Wieviel ist zwei und eins?« fragte der Ofen und schaute mit seinen runden Kachelaugen neugierig auf den Hund. »Wau, wau, wau.« 72
»Wieviel ist drei und zwei?« wollte nun der Linke wissen. »Wem, wem, wem, wau, wau, wau.« »Falsch — du hast dich geirrt!« »Das ist es ja«, rief Schnauzer verzweifelt. »Ich komme ganz aus der Übung. Wenn Bella zurückkommt, werde ich nichts mehr können.« »Wer ist denn diese Bella?« wollten nun die roten Schuhe wissen. »Ach, Bella — Bella! — Sie ist das Töchterchen des Seiltänzers. So brummig und zornig ihr Vater oft war, so freundlich und sanft war sie. Zu Füßen ihres Bettes habe ich schlafen dürfen, und immer hat sie etwas Gutes für mich gehabt. Sie war sehr zart, und wie ein Vogel ist sie dahingeschwebt auf dem Seil. Von weit her sind die Leute gekommen, um sie zu bewundern. Sie war eine kleine Berühmtheit. Da ist sie krank geworden, aber niemand hat etwas davon gemerkt, weil ihre Wangen noch röter geworden sind und ihre Augen noch glänzender. Doch der Arzt hat gesagt, daß sie sterben muß, wenn sie nicht in ein Land geht, wo sie klare, frische Bergluft hat und Ruhe,
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viel Ruhe. So ist Bella von uns weggefahren und hat uns allein und traurig zurückgelassen. Sie hat uns versprochen, bald, bald wieder gesund zu werden und zurückzukommen. Aber sie ist doch nicht zurückgekommen, und niemand hat den Seiltänzer ohne seine kleine, liebliche Bella sehen wollen. Immer weniger Leute sind zu unseren Vorstellungen gekommen. Immer schlechter ist es uns gegangen, und dabei hätte mein Herr immer mehr Geld für seine kranke Tochter gebraucht. Deshalb ist er so böse geworden; deshalb hat er mich immer öfter getreten; deshalb wäre ich beinahe verhungert, und deshalb schäme ich mich ja so, daß ich meinem Herrn untreu geworden bin.« »Das kann ich wohl verstehen«, sagte der Linke, »aber, schau, was hätte es deinem Herrn genützt, wenn du neben ihm verhungert wärest — so braucht er dich wenigstens nicht mehr zu füttern.« »Wer weiß, wo er jetzt ist, mein alter Herr! Wer weiß, ob er überhaupt noch lebt. Der Winter ist eine schlimme Zeit für uns Seiltänzer.« 74
»Seid doch endlich einmal still!« rief da die kleine Puppe aus ihrem Bettchen. »Man kann wieder einmal überhaupt nicht schlafen.« Da wurden alle still. Schnauzer rollte sich mit einem tiefen Seufzer zusammen, und bald atmete er tief und schwer. »Wau, wau, wau!« bellte er manchmal traumverloren. »Wau, wau!« »Er rechnet!« staunte der Linke. »Er kann das Einmaleins im Schlaf! Ein ungewöhnlich kluger Hund!« Und dann war's still in der Stube. Nur die alte Wanduhr sagte unaufhörlich: »Ticktack — ticktack!«
Bei der Märchengroßmutter Weihnachten war längst vorbei. Das Land lag in Eis erstarrt. Jedesmal, wenn Barbara nach Hause kam, weinte sie, wenn sie die roten Schuhe auszog. Die Mutter konnte sich gar nicht erklären, weshalb Barbara gar so fror. Als sich aber eines Tages Barbaras große Fußzehe durch die Kappe des Rechten gebohrt hatte und blaugefroren daraus hervorblinzelte, schlug die Mutter die Hände über den Kopf zusammen. »Die Schuhe sind dir ja viel zu klein, Barbara!« rief sie. »Kein Wunder, daß du kalte Füße bekommst. Ja, warum hast du denn nie etwas gesagt?« »Ach Mutter — ich habe mich nicht von ihnen trennen wollen. Ich — ich hob' sie so lieb!« »Und hast dir vor lauter Liebe die Füße erfroren!«
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»Was wird nun mit den roten Schuhen geschehen?« fragte Barbara. Ja, da war guter Rat teuer! Die roten Schuhe sahen einander unglücklich an. Was — was würde aus ihnen werden? Plötzlich sprang Barbara auf. »Ich hab's!« rief sie. »Ich weiß, was wir mit den roten Schuhen machen: Wir schenken sie der Märchengroßmutter.« »Das ist ein guter Einfall!« sagte die Mutter. »Die Märchengroßmutter wird sie bestimmt brauchen können — sie kann alles brauchen.« Die Schuhe wurden verpackt, und Barbara trug sie zum Hause der Märchengroßmutter. »Lebt wohl, ihr zwei!« rief Schnauzer ihnen zu. »Lebt wohl, und vergeßt mich nicht. Auf Wiedersehen, vielleicht einmal bei Barbara.. . vielleicht anderswo!« »Wirst du ruhig sein, Schnauzer! Ist das eine Art, so zu bellen!« sagte Barbara. Nun, man konnte von ihr nicht verlangen, daß sie Schnauzer verstand. Das Haus der Märchengroßmutter lag am Rande des Waldes in einem kleinen 78
Gärtchen, in dem im Sommer die schönsten und seltensten Blumen blühten. Im Winter war es umschwirrt von vielen Vögeln, denen die Großmutter Futter streute, um ihnen über die strenge Zeit hinwegzuhelfen. Wie es draußen im Gärtchen piepste und zwitscherte von vielen Vogelstimmen, so erklang das Haus von vielen fröhlichen Kinderstimmen. Das waren die Enkel der Märchengroßmutter. Sie erfüllten ihr Haus mit Leben und Freude und ließen sie ganz vergessen, wie alt sie schon war. Aber sie machten ihr auch viel Arbeit, denn diese Enkelkinder schössen in die Höhe wie die Pilze. Immer brauchten sie neue Kleider, Jacken und Hosen, daß ihre Mütter mit dem Nähen und Flicken gar nicht nachkamen. Da setzte sich die Märchengroßmutter an die Nähmaschine, und die ersehnten Kleider wuchsen aus ihren geschickten Händen hervor. Hatte aber das eine Enkelkind ein Kleidchen bekommen, so kränkte sich das andere und wollte auch eines haben. Die Märchengroßmutter hätte gar nicht gewußt, woher die vielen Stoffe nehmen, wenn ihr nicht immer die Dorfbewohner etwas ge79
schenkt hätten für ihre große Enkelschar: da ein Kleid, dort ein Nachthemd, da eine Lederhose mit trüber Vergangenheit und dort einen Soldatenmantel. In den geschickten Händen der Großmutter verwandelten sich diese oft wunderlichen und scheinbar unbrauchbaren Sachen in die schon benötigten Höschen und Kleidchen. Die größten Löcher wurden so fein und fast unsichtbar gestopft. Wenn sie die Nähmaschine verließ und sich an die Handarbeit machte, setzten sich ihre Enkelkinder zu ihr. »Erzähle, Märchengroßmutter, erzähle!« bettelten sie. »Du weißt alle Geschichten!« »Laßt mich ein wenig nachdenken«, sagte sie, und dann begann sie wohl: »Es war einmal eine neugierige kleine Prinzessin, die wollte alles sehen und wissen, was im Königreich geschah. Deshalb wünschte sie sich von ihrem Vater eine Stadt aus lauter Glas. Der König schüttelte zwar verwundert den Kopf über diesen seltsamen Wunsch seiner Tochter, aber er ließ trotzdem eine Stadt erbauen, in der alles aus Glas war, sogar die Möbel und die Glöckchen auf den Türmen. Da konnte 80
nun die Prinzessin ihre Untertanen beobachten, sooft sie nur wollte — aber, leider, was sie da sah, war nicht immer schön — nein, gar nicht! Sie sah Elend und Not, Kummer und Sorge. Da lief sie weinend zu ihrem Vater und sagte: >Lieber Vater, warum esse ich von goldenen Tellern, und viele Kinder in der gläsernen Stadt leiden Hunger? Warum schlafe ich in einem seidenen Bett, und manche Menschen in der Stadt haben noch nicht einmal ein
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Obdach? Weshalb brennen in unserem Schloß tausend Kerzen, und viele Stuben in der gläsernen Stadt sind dunkel?< >Hm<, sagte der König, >ich weiß es nicht, frage den Staatsminister.< Die Prinzessin ging zum Staatsminister, aber der sagte nur: >Das ist schon immer so gewesen.< Da ging die kleine Prinzessin hin und verkaufte ihre Krone und ihr blitzendes Geschmeide, um den Menschen in der gläsernen Stadt zu helfen. Die Bewohner der gläsernen Stadt freuten sich sehr, aber die Hofdamen spotteten über die Prinzessin, die ihre Krone verschenkt hatte, und ihr Spott verbreitete sich von einem Königsschloß zum anderen, bis schließlich auch des Kaisers Sohn davon erfuhr. >Ei, sieh da!< sagte er. >Da gibt es also doch irgendwo auf der Welt eine kleine Prinzessin, der das Glück ihrer Mitmenschen wichtiger ist als Krone und Geschmeide. Was für eine vortreffliche Kaiserin müßte sie werden!< Er schwang sich auf sein Roß und ritt geradewegs zu der Prinzessin. >Du sollst 82
meine liebe Frau und Kaiserin sein!< sagte er und hob sie auf sein Pferd. Sie ritten durch die gläserne Stadt, und alle Leute jubelten der Prinzessin zu. Die Kinder schenkten ihr einen Blumenkranz, der lag auf ihrem Haupt schöner als eine Krone — und so zog sie ein in des Kaisers Schloß. Als Kaiserin hat sie dann noch vielen Menschen geholfen, und manche haben es ihr nachgetan.« So erzählte die Märchengroßmutter — jeden Tag eine andere Geschichte. Die roten Schuhe lagen im Schrank, schliefen und träumten und erwachten nur, wenn die Großmutter geheimnisvoll begann: »Es war einmal...«
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Die ungleichen Zwillinge Eines Tages wurde die Schranktür aufgerissen. Ein kleines Mädchen mit schwarzem Wuschelkopf guckte neugierig in die Schatzkammer der Großmutter. »Siehst du«, rief sie triumphierend und zog die roten Schuhe aus ihrem weichen Bett hervor, »ich habe doch gewußt, daß die Großmutter ein Paar Schuhe hat — ein Paar Schuhe, gerade recht für mich!« »Du darfst doch nichts aus Großmutters Schrank nehmen, Tilde!« rief ein blondes Mädchen, das genau so groß war wie das andere. »Großmutter wird schimpfen.« »Ach was«, erwiderte die andere, »schau nur, Hilde, wie gut mir die Schuhe passen. Der Rechte hat zwar ein Loch in der Kappe — aber das kann Großmutter bestimmt richten. Und ich kann sie so gut brauchen, die Schuhe!«
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»Ich aber auch«, entgegnete Hilde. »Wenn sie dir passen, passen sie auch mir.« »Aber mir gehören sie, weil ich sie aufgestöbert habe!« schrie Tilde. »Dir — gehört höchstens eine Ohrfeige, weil du meinen Schrank untersucht hast!« O weh, das war die Großmutter! »Zieh dir einmal die Schuhe an!« wandte sie sich freundlich an Hilde. Siehe da, die Schuhe paßten der blonden Hilde genau so gut wie der schwarzen Tilde. Das war weiter kein Wunder, denn sie waren Zwillinge. Sie waren gleich groß, hatten gleiche Hände und Füße und auch ein ähnliches Gesicht. Nur die Haare waren verschieden, und genauso verschieden waren auch die Herzen. Hilde war still und sanft, aber Tilde war ein Teufelchen, wild und streitsüchtig. »Morgen kann Hilde sich die Schuhe abholen«, sagte die Großmutter. »Ich werde sie nur ein bißchen herrichten.« »Und was bekomme ich?« fragte Tilde enttäuscht. »Keine Ohrfeige!« entgegnete lächelnd die Großmutter.
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Als Hilde am nächsten Tag die Schuhe abholte, war Tilde auch dabei. Kaum waren die Schwestern auf der Straße, da riß Tilde ihrer Schwester die Schuhe aus der Hand. »Damit du's gleich weißt«, sagte sie, »du wirst die Schuhe nicht allein haben. Wir wollen sie uns redlich teilen. Montag gehören sie mir, Dienstag dir und so weiter — und wenn du dich dagegen sträubst, reiß' ich dir die Haare aus!« Da wagte Hilde nicht zu widersprechen. So spazierten an einem Tage die roten Schuhe an den Füßen der braven Hilde einher. Am nächsten Tag aber sprang die wilde Tilde mit ihnen über Stock und Steine, daß ihnen Hören und Sehen verging. Wenn Hilde sie abends unters Bett stellte, waren sie schön geputzt und standen ordentlich nebeneinander. Tilde warf sie schmutzig ins Zimmer, bevor sie ins Bett hüpfte. Da lagen sie nun und seufzten: »Ach, lange ertrag' ich das nicht mehr!« klagte der Linke. »Schau, ich kriege schon lauter Kummerfalten! Hilde — Tilde — Tilde 87
— Hilde... Was ist das für ein Leben! Ach Gott! — Ach Gott!« »Ach Gott — ach Gott!« tönte es leise aus allen Zimmerecken. Das war kein Echo, sondern es waren die Spielsachen der schlimmen Tilde, denen es kaum besser erging als den roten Schuhen. Doch die Schuhe hörten sie nicht mehr — sie waren vor Erschöpfung eingeschlafen. So ging es viele Tage, bis eines Morgens Tilde ihrer Schwester die Schuhe aus der Hand riß. »Heute komm' ich dran!« schrie sie herausfordernd. »Nein — ich bin dran!« beharrte Hilde. »Du hast sie gestern angehabt. Man sieht's am Schmutz.« »Nein — ich kriege sie!« schrie Tilde. Diesmal wurde es selbst der sanften Hilde zuviel. Wie ein Löwe kämpfte sie um ihre Schuhe, und sie eroberte sich auch den Rechten glücklich zurück. »Gut!« rief Tilde. »So ist es mir recht. Du hast einen Schuh und ich habe einen — das ist wenigstens ehrlich geteilt!« Und sie marschierte mit dem Linken zur Tür hinaus.
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»Wohin willst du, Tilde, mit nur einem Schuh?« »Laßt mich alle in Ruh'!« »Wohin willst du mit einem Schuh nur am Bein?« »über Stock und Stein!« »Wohin willst du, halb barfuß und halb beschuht?« »Weit fort — immer nach meinem Übermut!« 89
Sie lief tief in den Wald hinein, kletterte über Felsen und auf die höchsten Bäume. Sie schaute in die Vogelnester und erschreckte die jungen Vögelchen. Sie riß die schönsten Blumen aus und warf sie gleich wieder fort. Sie wollte Schmetterlinge haschen und stolperte dabei über Steine und Wurzeln. Als sie merkte, daß sie mit nur einem Schuh schlechter lief als ganz barfuß, zog sie den Linken aus und legte ihn auf einen Baumstumpf. »Heute abend hol' ich dich wieder!« versprach sie und war schon verschwunden. Sie hatte aber den Schuh so unordentlich auf den Stumpf gelegt, daß der erste kräftige Windstoß ihn hinunterwarf. »Huiii! Roter Schuh — glückliche Reise!« lachte der Wind. Der Linke kollerte einen Abhang hinunter und — bauz! — fiel in ein tiefes Loch hinein, das wohl von einem Fuchsbau übriggeblieben war. »Das ist mein Ende!« murmelte er verstört vor sich hin. »Hier findet mich niemand mehr! Ich werde mich mit Erde füllen, das Wasser wird mich zerfressen, und... ach, 90
ich will lieber nicht darüber nachdenken. Einmal müssen wir alle sterben — aber daß ich ein so unrühmliches Ende finden und ohne meinen lieben guten Herzbruder, das ist bitter — bitter!« »Jedes Ende ist bitter!« sagte da leise jemand, und als er sich verwundert umdrehte, sah er im Dämmerdunkel den matten Glanz schimmernder Perlen. »Eine Perlenkette!« rief er erstaunt. »Ja, meine Gnädige, wie kommen denn Sie in dieses verdammte Fuchsloch?« »Wahrscheinlich auf ähnliche Weise wie Sie, mein Herr«, antwortete die Perlenkette. »Wenn man einmal in der Patsche steckt, ist es zwecklos, darüber nachzudenken, wie man hineingeraten ist. Herauskommen muß man wieder — das ist die Hauptsache!« »Ja, haben Sie denn noch Hoffnung, aus diesem Loch herauszukommen?« fragte der Linke verblüfft. »Ich zweifle keinen Augenblick daran«, erwiderte die Perlenkette. »Man hat mir eine außerordentliche Zukunft prophezeit. Wenn ich auch eine Zeitlang sehr dunkle Jahre durchmachen muß, so werde ich doch 91
bald gerettet werden und einem glänzenden Leben entgegengehen, wenn ich nur erst einmal ganz auf den Hund gekommen bin!« »Darf ich fragen, wie lange Sie schon hier sind, meine Gnädige?« erkundigte sich nun der Linke. »Zweihundert Jahre«, erwiderte die Perlenkette. »Und da sind Sie nicht längst schon vor Langeweile gestorben?« »Oh — ich habe immer Abwechslung«, 92
entgegnete die Perlenkette lächelnd. »Ich betrachte mir den Himmel!« »Den Himmel?« fragte der Linke, aber da sah er schon selbst, daß ein Stückchen Himmel über dem Loch blaute. »Man soll nicht glauben, wie tröstlich ein Stückchen Himmel sein kann«, fügte die Perlenkette hinzu, »wenn man sonst nichts mehr besitzt. Der große gewaltige Himmel, der allen gehört, kann gar nicht so schön sein wie so ein Fleckchen, das einem ganz allein gehört mit seinem Himmelsblau, seinem Sternenlicht und den ziehenden Wolken!« Ja — da hatte die Perlenkette recht. Wie sie schaute nun auch unser Linker in das kleine Stück Himmel hinein, das ihnen allein von der Schönheit der Erde geblieben war. Er sah es Abend werden. Er erblickte die Sterne in ihrem Glanz. Er fühlte die Mittagssonne. Er spürte, wenn Regen kam und ahnte im flimmernden Dunst der Himmelstiefe das Aufsteigen der Gewitter. Er sah einen Tag nach dem andern vergehen, und er zitterte, wenn verwehte Blätter für Augenblicke die Aussicht verdeckten. 93
So lag er und schaute, schlief und träumte, sehnte sich nach seinem verlorenen Bruder und unterhielt sich mit der Perlenkette. Und die Zeit verging so schnell! Tag und Nacht — Nacht und Tag, bis auf einmal. . . ja, bis auf einmal.. .
Drei unerwartete Wiedersehen — und damit Schluß! »Wau — wau!« machte es auf einmal. Diese Stimme kannte unser Linker doch. Jetzt — ein aufgeregtes Schnuppern und Schnaufen! Und dann wieder triumphierend: »Wau! Wau! Wau! Wau! Wau!« »Schnauzer!« rief der Linke aufgeregt. »Schnauzer!« Da wurde schon die Erde vom Ausgang des Loches weggescharrt. Ein paar eifrige Hundepfoten gruben sich tiefer, immer tiefer in das Loch hinein, bis schließlich Schnauzer seine Nase gerade in den Schuh stecken konnte. »Du bist es wirklich!« rief er vergnügt. »Ich habe dich gefunden. Es geht eben nichts über eine gute Spürnase!« »Ach, Schnauzer, Schnauzer!« rief der Linke. »Das werde ich dir nie vergessen!« Und schon fühlte er sich von Schnauzers Zähnen erfaßt und aus dem Loch gezerrt.
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»Ich bitte Sie, meine Herren«, rief es da flehentlich aus der Tiefe, »vergessen Sie mich nicht!« »Ja, natürlich, die Perlenkette!« sagte der Linke. »Die — was?« fragte Schnauzer erstaunt. »Die Perlenkette?« Noch einmal kroch er in das Loch hinein. Diesmal mußte er lange suchen, bis er die Perlenkette in dein zerwühlten Erdreich aufgestöbert hatte. Behutsam legte er sie ins Gras. »Wau — wau?« fragte er. »Sind Sie echt, mein Fräulein?« »Das ist eine beleidigende Frage, mein Herr!« »Sie ist nicht nur echt — sie ist sehr wertvoll!« sagte der Linke. »Und sie hat immer in der vornehmsten Gesellschaft gelebt.« »So, so, ich wünsche Ihnen alles Gute, meine Gnädige!« brummte Schnauzer, packte den Schuh und wollte davonlaufen. »Aber bitte, bitte, nehmen Sie mich doch mit, Herr Schnauzer!« flehte die Perlenkette. »Mit — wohin mit? Was sollte ich mit Ihnen auf der Wanderschaft anfangen? Als 96
Halsband sind Sie kaum zu brauchen, fressen kann man Sie auch nicht.« »Aber, Schnauzer«, rief der Linke eifrig, »sie ist doch ein Vermögen wert! Und sie gehört niemand auf der Welt. Sie liegt schon zweihundert Jahre da. Ich bin ein alter Schuh. Mich machen alle Perlenketten der Welt nicht mehr jung und schön. 97
Ich brauche nichts als Ruhe, aber du — du kannst sie verkaufen und ein herrliches Leben führen l« Schnauzer schaute seinen Freund nachdenklich an. »Wau, wau!« sagte er. »Wau, wau, wau. Wau, wau, wau, wau!« »Er rechnet!« flüsterte der Linke der Perlenkette zu. »Er kann das ausgezeichnet.« Plötzlich brach der Hund in ein wildes Freudengebell aus. Er wälzte sich auf dem Boden hin und her, jaulte und heulte, daß die Perlenkette entsetzt rief: »Hören Sie auf, mein Herr! Ich habe Nerven — Nerven. Ich bin eine Dame!« Aber Schnauzer kümmerte sich weiter nicht um sie: »Bella ist gerettet! Lieber Linker, Bella ist gerettet! Ich muß doch meinem Herrn nur die Perlenkette bringen, dann ist er reich, so reich wie noch nie. Dann kann Bella gesund werden, und alles wird wie früher. Ich bin nämlich«, hier wurde er ein wenig verlegen, »auf dem Weg zu meinem alten Herrn. Ich habe es vor Sehnsucht nicht mehr ausgehalten. Im Sommer, wenn die Straßen so weiß und glänzend durch das Land ziehn, kann ich 98
nicht mehr seßhaft bleiben und der brave Hund eines braven, kleinen Mädchens sein. Ich muß wandern — wandern, und wenn ich nichts als Fußtritte und Prügel bekäme! Aber ich werde keine Prügel kriegen, wenn ich meinem Herrn die Perlenkette bringe. Nein, da wird er mich nicht schlagen. Er wird mich beim Kopf packen und sagen: >Du bist wirklich mein einziger Freund!< Bella wird gesund werden und wiederkommen, und das alte lustige Wanderleben wird wieder beginnen!« »Und was wird Barbara sagen?« fragte der Linke. »Bitte, laß mich nicht daran denken!« seufzte Schnauzer verlegen. »Ich bin ein ungetreuer Bursche! Und doch werde ich sie bestimmt nie vergessen, nie! Sie war so gut zu mir! Aber die Straßen sind so weiß, und das Wandern ist so schön. Und mein alter Herr! Ich muß doch zu ihm zurück! Verstehst du das nicht?« »Ich verstehe dich schon, ich möchte ja auch so gern wieder zurück zu meinem Herzbruder, dem Rechten, aber...« »Richtig«, sagte Schnauzer, »jetzt hätte 99
ich fast die Hauptsache vergessen!« Er nahm die Perlenkette zwischen die Zähne, aber sehr, sehr vorsichtig, packte den Linken bei der Spange, und nun lief er durch den Wald, so schnell er nur konnte. Da lag schon die Straße, von hohen Pappelbäumen gesäumt, und zog ihre hellen Windungen durch das Land. Sanft legte Schnauzer den Schuh in den Straßengraben, wo schon ein anderer lag. »Wau! Wau! Lebt wohl, ihr zwei!« rief er vergnügt. Dann fegte er die Straße entlang, daß bald von ihm nichts mehr zu sehen war als ein weißer Punkt. »Linker!« schrie der Schuh, der schon im Straßengraben gelegen war. »Linker!« »Ja, Rechter! Wie kommst denn du hieher?« »Ach, Linker!« »Ach, Rechter!« Das war ein Wiedersehen! Sie umarmten und küßten sich. Wenn sie Menschen gewesen wären, hätten sie jetzt wohl Freudentränen geweint — aber das konnten sie doch nicht. Dann aber betrachteten sie einander 100
genau. »Oh, Linker, wie siehst du aus — du bist ja ganz weiß geworden!« So war es auch, denn der Linke war in dem Loch ganz verschimmelt! 101
»Und du — du bist ganz grau!« »Ach ja, so lange bin ich gewandert, um dich zu finden! über so viele Wege, durch so viele Regentage! Schöner wird man nicht dabei. Aber, daß ich dich endlich gefunden habe! Daß ich wieder bei dir bin! Da ist es doch ganz gleich, wie wir aussehen — wenn wir nur wieder beieinander sind!« »Nun erzähl mir doch, wie du hieher gekommen bist, Rechter!« bat der Linke. »Ach — viel ist da nicht zu erzählen. Als Tilde damals ohne dich nach Hause gekommen ist, da hat's ein Strafgericht gegeben — du, meine Güte! Freilich, du bist davon nicht zurückgekommen. Und was hätte Hilde mit nur einem Schuh anfangen sollen? Ich bin mir recht überflüssig vorgekommen, und eines Abends hab' ich mich auf die Sohle gemacht und bin zum Haus hinausspaziert — die Straße entlang. Vielleicht — hab' ich mir gedacht —, vielleicht finde ich ihn doch irgendwo, meinen Herzbruder! Nun — glaube nicht, daß es ein Vergnügen ist, allein zu stiefeln, wenn man gewohnt ist, von Füßen gegangen zu 102
werden. Viele, viele Tage war ich unterwegs, überall hab' ich dich gesucht. Nirgends hab' ich dich gefunden. Wie ich mich hier im Straßengraben ein wenig ausgeschlafen hab', ist Schnauzer dahergekommen, auf der Suche nach seinem früheren Herrn. Er hat sich gleich aufgemacht, um dich aufzustöbern — und so hab' ich dich endlich wieder. Das ist meine Geschichte — und nun kommst du dran, Linker!« »Ja, bitte, erzählen Sie auch, Herr Linker!« riefen da viele raunende Stimmen. Es waren die Blätter der Pappeln am Straßenrand. »Es ist schrecklich spannend!« hauchten die Schmetterlinge, die in den Lüften gaukelten. »Endlich einmal eine Abwechslung!« riefen die Schottersteine. So erzählte auch der Linke seine Geschichte, und alle hörten andächtig zu. »Aber was soll nun aus uns werden?« seufzte er, als er geendet hatte. »Sehr einfach!« riefen die Schmetterlinge: »Sie bleiben bei uns!« »Wir fühlen uns hochgeehrt, so weit103
gereiste Herren beherbergen zu dürfen«, flüsterten die Gräser im Straßengraben, »und werden uns bemühen, Ihnen ein angenehmes und weiches Lager zu bereiten.« »Wir werden euch vor Regen schützen«, riefen die Pappeln, »und außerdem sind wir berühmt als Blitzableiter!« »Und wir werden für Unterhaltung sorgen!« polterten die Schottersteine. »Auf einer Straße gibt es immer etwas zu sehen — obwohl uns alles schon langweilt, weil es schließlich auf unserm Rücken breitgetreten wird.« »Uns gefällt es hier sehr gut!« sagte der Rechte. »Für Kinderfüße taugen wir doch nicht mehr. Zum Wandern sind wir zu müde, aber hier hätten wir wohl noch manchen schönen Tag und einen angenehmen Lebensabend.« »Mir ist alles recht«, seufzte der Linke, »wenn ich mich dabei nur ausruhn kann!« So verbrachten die Schuhe viele schöne Tage im Straßengraben. Sie erzählten den Schmetterlingen, den Pappeln, den Gräsern und auch den Schottersteinen ihre Erleb104
nisse. Der Wind, der in den Pappeln brauste, hörte aufmerksam zu. An einem Sommerabend, als er sich in den Eichen meines Gartens wiegte, hat er mir die ganze Geschichte erzählt. »Schreib sie auf!« flüsterte er. »Das ist etwas für deine Kinder!« Viele Tage, schrieb ich, aber dann kam der Herbst. Der Regen rauschte hernieder. Der Wind war wild und ungebärdig geworden. Er pfiff und heulte so laut, daß er mich zuerst gar nicht verstand, als ich ihm zurief: »Holla, Wind, wie geht's den roten Schuhen? Jetzt muß es doch schon recht kalt und unangenehm sein im Straßengraben?« »Ha, ha! Straßengraben!« lachte der Wind. »Straßengraben — ihr Menschen wißt auch gar nicht, was in der Welt vor sich geht!« »So erzähle mir doch, bitte, wo die roten Schuhe jetzt stecken, lieber, kluger Wind!« bat ich. »Wart!« brummte der Wind. »Ich schlüpfe nur geschwind in den Kamin — da ist's behaglicher! Und schon hörte ich's im 105
Ofen sausen und prasseln und vernahm die raunende Stimme des Windes: »Wo die roten Schuhe jetzt sind? Im Straßengraben stecken sie bestimmt nicht mehr — schon seit vielen Jahren nicht mehr, denn meine Geschichte war nicht so neu, wie du geglaubt hast. Sie wären ja dort schon längst vermodert. Nein — sie stehen auf einer silbernen Platte in einem Glasschrank, und wer sie betrachtet, wundert sich, weshalb ein paar so alte Schuhe solch einen Ehrenplatz haben. Wie sie dahin gekommen sind? Nun, da hab' ich auch ein bißchen die Hand im Spiel gehabt! Gerade an dem Tag, an dem eine gewisse Prinzessin neuvermählt in das Reich ihres Gemahls fuhr, schaukelte ich mich in den Pappeln am Straßenrand. Ich erkannte sie gleich, die Prinzessin. Sie hatte immer noch so schöne, dunkle Augensterne wie das kleine Mädchen, das einst im Ballsaal seine Schuhe hergeschenkt hatte. Nur leuchteten sie noch mehr als früher vor lauter Glückseligkeit. Nun — ich bin ein kurz entschlossener Bursche! Ich fuhr hernieder zu der golde106
nen Kutsche, riß der Prinzessin den Schleier weg und trug ihn gerade zu den roten Schuhen im Straßengraben. Da mußte die Kutsche anhalten. Lachend lief die Prinzessin ihrem Schleier nach. Als sie sich aber nach ihm bückte, erblickte sie die roten Schuhe — oder was halt von ihnen übrig war. überrascht" hob die Prinzessin die Schuhe auf. Prüfend fuhr sie über das rauh gewordene Leder. Nachdenklich betrachtete sie die silbernen Schnallen, und plötzlich — plötzlich drückte sie die alten, graugewordenen Schuhe ans Herz. >Schau, was ich gefunden habe<, rief sie ihrem Gemahl zu. >Die roten Schuhe — die roten Schuhe, die ich einst auf jenem Ball verschenkte, auf dem wir schließlich alle barfuß tanzten.< Ungläubig schaute der Prinz bald die Schuhe, bald seine junge Frau an. >lch glaube mich zu erinnern, daß du damals feiner beschuht warst, Herzliebste!< sagte er lächelnd. >Komm, steig ein, und laß die alten Schuhe liegen!< Aber die Prinzessin drückte die Schuhe 107
nur noch fester an sich. >lst es nicht ein Wunder, daß ich sie gerade heute gefunden habe?< sagte sie leise. >Ja, sie sind alt und häßlich und nutzlos geworden, und doch werde ich mich nie und nimmermehr von ihnen trennen. Sie werden mich immer daran erinnern, wie vergänglich alles ist, und wie sorgsam man alles hüten muß, das einem geschenkt wird. Einmal nur ein Paar Schuhe — das andere Mal vielleicht die Liebe und das Glück!< >Wenn du es so meinst, kleine Prinzessin<, lächelte der Prinz, >so heb sie nur gut auf, deine wunderlichen Schuhe!< Seitdem haben die Schuhe den Ehrenplatz im Zimmer der Prinzessin. Sie stehen auf einer silbernen Platte in einem Glasschränkchen. Die Kinder der Prinzessin betrachten sie oft neugierig: >Warst du wirklich so schlimm, Mutti?< sagen sie. >Wie hast du es nur fertiggebracht, deine Schuhe so herzurichten? Was sind wir doch für brave Kinder dagegen!< Aber die Prinzessin lächelt nur: >Einmal werde ich euch die Geschichte der roten 108
Schuhe erzählen, einmal, wenn ihr ein wenig größer seid!<« Huiii! Fort war der Wind. Er brauste neuen Abenteuern entgegen, die schon auf ihn warteten in seinem unermeßlichen Spielraum zwischen Himmel und Erde. Wenn ihr nun einmal in einem Schloß ein Paar alte Kinderschuhe in einem Glas109
schränkchen seht, da habt ihr sicher unsere Freunde gefunden. Der eine wird wahrscheinlich ein wenig schelmisch blinzeln und ein Liedchen vor sich hinsingen: »Die Welt ist wirklich wunderschön, Mit rechten Augen angesehn!« Der andere wird verschlafen und mürrisch alle Besucher anschaun, und vielleicht hört ihr ihn brummen: »Mehr Ruhe allerdings Wünschte sich der — von links!« Wenn ihr also zufällig diesen beiden Gesellen begegnet, so grüßt sie schön von mir und sagt ihnen, ich wünsche ihnen noch viele schöne und geruhsame Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte in ihrem Glasschränkchen.
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Traudls Geheimnis
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Die roten Schuhe Von Marianne Kaindl
Einem armen Schuhmacherehepaar wird eine kleine Tochter geboren. Voll Freude und Stolz darüber und aus Liebe zu seinem Kindchen, fertigt der Schuhmacher ein besonders schönes Paar roter Lederschuhe an. Er kann es kaum erwarten, sein Meisterwerk von seinem Töchterlein getragen zu sehen. Doch das Geld ist knapp in des Schuhmachers Haus. Schweren Herzens muß sich der Mann entschließen, die Schuhe zu verkaufen. Eine Prinzessin erhält sie zum Geburtstag und schenkt sie eines Tages einem anderen Kind. So geraten die Schuhe von einer kleinen Besitzerin zur andern. Sie erleben mannigfaltige Abenteuer, bis sie schließlich, alt und verbraucht und scheinbar völlig nutzlos, im Straßengraben landen. Aber gerade dort werden sie von der ersten Besitzerin entdeckt, die ihnen einen Ehrenplatz im Schloßmuseum gibt.
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