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Die Scharfrichter Roy Palmer 1. Wie verlorene Seelen taumelten die Galeonen in der kabbeligen See. Es schien, als hätten sie jeglichen Kurs verloren, als mangele es ihnen an Führung. Soeben war ein schwerer Sturm über den aus vier Dreimastern bestehenden Verband hinweggezogen. Verwirrt blickten sich die Männer und Frauen um, die sich als erste wieder an Oberdeck wagten. Noch war der Himmel grau verhangen. Regen und Gischt sprühten über die Decks der Schiffe. Schäden hatte es gegeben: hier war der Bugspriet weggeknickt, dort hatte es den Fockmast abgetakelt, überall hingen die Segel in Fetzen, und auf einer Galeone war das Ruder ramponiert. Verzweiflung und Resignation breiteten sich unter den Besatzungen aus. Es hatte sich schon so viel ereignet, seit man die Alte Welt verlassen hatte. Sturm und Krankheit die Geißel Gottes schien die vormals so Mutigen zu züchtigen, die ausgezogen waren, das Gelobte Land zu suchen und zu finden. Doch nun war es wieder die Stimme des Großmeisters, des Erhabenen, die alle wachrüttelte und zu neuen Taten antrieb. Jeremiah Josias Webster er, das „Flammenschwert Gottes", wie er sich selbst zu nennen pflegte, kommandierte in alter Frische und Stärke vom Achterdeck seines Flaggschiffes „Kyrie Eleison" aus. Seine Donnerstimme verlieh den Jüngern und den „Bräuten Christi" neue Energien, sie war ein labender Balsam für die Erschöpften und Ermatteten. Die Hauptpersonen des Romans: Jeremiah Josias Webster ein heuchelnder Wanderprediger, der mit seiner Gemeinde in die Neue Welt aufgebrochen ist.
Philip Hasard Killigrew der Seewolf hat etwas dagegen, unangenehme Nachbarn zu haben. Old Donegal O'Flynn mit einer Crew harter Kämpfer verfolgt er die vier Schiffe der Puritaner. Edwin Carberry der Profos hat Gelegenheit, seine Fäuste fliegen zu lassen. So fanden die vier Schiffe wieder zueinander, und Webster legte erneut den Kurs fest, den man im Wetter verloren hatte. Gen Westen in die Neue Welt! Neue Segel wurden gesetzt, das Rigg der Galeonen wurde überholt. Hämmern und Klopfen, Sägen und Klappern ertönte von den Decks und aus dem Inneren der Schiffe. Die Schäden wurden ausgebessert, Lecks abgedichtet, Wasser abgepumpt. Orman Smead, einer der Pilger an Bord der „Kyrie Eleison", enterte zu den Frauen ab, die in einem großen Raum gleich neben dem eigentlichen Mannschaftslogis untergebracht waren. Er trat an die Koje, in der seine Frau Judith lag, und sprach mit fester Stimme: „Judith, es ist vollbracht." Judith Smead hatte Fieber. Sie war wachsbleich im Gesicht und wurde hin und wieder von Schüttelfrost gepackt. Noch wußte keiner, um welche Art von Krankheit es sich handelte. Vielleicht nur Erkältung, vielleicht aber auch Schlimmeres. Webster hatte vorgeschlagen, die Frau in eine andere Kammer zu legen, beispielsweise ins Achterdeck. Doch die Frauen hatten einmütig erklärt, sie wollten sich lieber hier im Vordeck der Kranken widmen. Judith Smead war bei allen beliebt, sie hatte sich stets aufopfernd für Hilfsbedürftige eingesetzt sowohl in ihrer Heimat als auch während der Überfahrt. „Was ist vollbracht?" fragte die Frau leise. „Wir segeln wieder", antwortete ihr Mann stolz. „Du glaubst, wir schaffen es?" „Er sagt es." „Und er irrt sich nicht?" fragte sie zweifelnd. „Das darfst du nicht sagen", tadelte Orman Smead. „Das ist Sünde. Der Erhabene irrt sich nie. Sein Wort ist das Wort Gottes." „Du meinst, wir werden die Neue Welt erreichen?"
„Wir schaffen es." „Auch ich werde die Neue Welt noch sehen?" fragte Judith Smead. Ihr Mann berührte mit den Fingern der rechten Hand ihre Stirn. „Aber sicher doch. Ich habe nie daran gezweifelt. Der Herr ist mein Hirte, er weist mir den Weg." Es stimmte: Orman Smead hatte nie den geringsten Zweifel an dem gehegt, was der Großmeister Webster suggerierte und auferlegte. So ging es auch den anderen. Websters Wort war Gebot und Gesetz zugleich. Er war der Führer dieser Sekte, und alle folgten ihm bedenkenlos. Kritik war nicht üblich. Kritik war Sünde. Die Pilger waren ausgezogen, das Gelobte Land zu besiedeln und die Burg Zions zu erbauen. Nichts und niemand konnte sie davon abbringen. Der Glaube versetzte bekanntlich Berge. Drei Monate waren vergangen, seit der Verband Plymouth verlassen hatte. An Bord der Galeonen hatten sich insgesamt fast 450 Menschen befunden, zusätzlich das Getier, das während der Reise als Frischverpflegung diente. Inzwischen waren es nur noch etwas über vierhundert Männer und Frauen doch auch der Sturm hatte ihren Willen, die Neue Welt zu erreichen, nicht ganz zerstören können. Kaum ließ Jeremiah Josias Webster die Posaune des Erzengels Gabriel ertönen, schufteten die Frommen wieder wie die Besessenen. Später, als die wichtigsten Ausbesserungsarbeiten vollzogen waren, ließ Webster eine Andacht anberaumen. Die Gläubigen stimmten einen schmetternden Choral an. Am lautesten sang Webster. Daß er beim Singen aber die jungen Frauen beobachtete, die sich unter ihm auf der Kühl ganz in der vordersten Reihe der Gemeinde versammelt hatten, fiel keinem auf. Ihr Hühnchen, dachte er selbstgefällig und zufrieden, bald ist wieder eine von euch dran. * Er war ein stiernackiger und grobschlächtiger Kerl, dieser Jeremiah Josias Webster. Sein Gesicht war kein richtiges
Gesicht, sondern eher eine Hauklotzvisage, doch darüber sahen die Gläubigen gern hinweg. Mußte der Messias denn unbedingt ein Adonis sein? Und wie sah Jehova überhaupt aus? Du sollst dir kein Bild von Gott machen, hieß es in der Bibel. Also war es Sünde, den Herrn auf Gemälden darzustellen. Dies war der Grund, warum der „Erleuchtete" wie Webster gelegentlich auch genannt wurde, es seiner Gefolgschaft verboten hatte, Bilder vom Herrn zu zeichnen. Es gab auch keine Heiligenbilder in der Gemeinde. Puritanisch karg und sparsam lebten diese Menschen und vor allen Dingen selbstzüchtig. Nach der Andacht zog sich Webster an diesem Abend in seine Kapitänskammer im Achterdeck der „Kyrie Eleison" zurück. Er ließ sich auf dem Gestühl hinter dem Pult nieder und grinste. Seine hellen Augen funkelten. Na, war es nicht großartig, wie er diese Hammelherde im Zaum hielt? Eine Weile dachte er darüber nach, dann erhob er sich wieder, trat an eins der Schapps und holte eine Flasche Rotwein heraus. Natürlich war es den Pilgern nicht gestattet, zu saufen, zu huren und der Völlerei zu frönen. Was er aber, der Großmeister, tat, stand auf einem ganz anderen Blatt. Im übrigen war es den gemeinen Sterblichen nicht gestattet, das Allerheiligste des Erhabenen zu betreten. Was er hier trieb und welchen Gepflogenheiten er nachging, war einzig und allein seine Sache. Webster bewaffnete sich mit der Flasche und einem großen Zinnbecher und kehrte zum Kapitänspult zurück. Mit einem Seufzer setzte er sich. Er öffnete die Flasche, drehte den Korken zwischen den Fingern und rieb ihn an dem bauchigen Behältnis auf und ab. Das erzeugte ein neckisches Quietschen. Der Großmeister lachte glucksend. O ja: auch wenn er seiner Gefolgschaft menschliche Gelüste verbot er selbst wußte nur zu gut, was Genuß bedeutete. Mit zufriedenem Gesicht füllte Jeremiah Josias Webster den Becher. Er roch erst einmal an dem Wein, bevor er ihn trank, und atmete den blumigen Duft des schweren, herben Rebensaftes voll ein. Seine Miene war jetzt verzückt. Er konnte sich zu der Idee, vor der Abreise aus England zwei Dutzend Fässer Wein eingekauft zu haben, nur immer wieder gratulieren. Spanischer Rotwein aus Murcia ein vorzügli-
cher Tropfen! Aber nur er konnte beurteilen, welchen Wert dieser Wein hatte. Die Gläubigen kannten sich ja nicht einmal mit gewöhnlichem Bier aus. Die meisten Weinfässer hatte Webster seiner Gemeinde gegenüber natürlich als Essig deklariert, damit keiner auf den Verdacht verfiel, der Erhabene sei vielleicht ein heimlicher Säufer. Der Rest der Partie Rebensaft war Abendmahlswein. Selbstverständlich mußte man einen entsprechenden Vorrat mitnehmen, denn dort, wo man in der Neuen Welt Fuß fassen würde, gab es bestimmt keinen Wein. Man mußte dessen war Webster sicher die Rebstöcke erst anbauen. Wie aber sollte man das Heilige Abendmahl zelebrieren, wenn es keinen Wein und keine Oblaten gab? Webster ließ den Wein die Kehle hinunterrinnen. Was für ein Tropfen! dachte er. Was für ein Leben! Es ging ihm gut. Der Sturm war überstanden, die Schäden waren nicht allzu groß und ließen sich reparieren. Ein Grund zum Feiern! Webster hob erneut den Becher an den Mund und trank. Er schloß die Augen. Der Abend ließ sich gut an, und im Verlaufe der nächsten Stunden würde er seine Vollendung finden. Es befanden sich genug junge Frauen und Mädchen an Bord. Hin und wieder vergnügte sich Webster mit einer von ihnen. Natürlich war das keine Sünde, sondern vielmehr eine besondere Art der Teufelsaustreibung. Die meisten der „Hühnchen" unterwarfen sich der Prozedur recht bereitwillig. Nur zu gern ließen sie sich den Teufel aus dem Leib treiben. Webster war ein großartiger Exorzist, er kannte alle Mittel und Tricks. Und wenn der Leibhaftige wieder Einzug hielt in den sündigen Körper einer Jüngerin, so mußte er eben erneut verjagt werden. Je öfter man ihn verscheuchte, desto besser war es. Andere Mädchen wieder wie diese Jessica Baker zum Beispiel ließen sich nicht so ohne weiteres in die Kammer des Großmeisters locken. Das Mißtrauen schien ihnen angeboren zu sein. Bei Jessica mußte Webster besonders aufpassen. Sie war die Nichte von John Baker, einem redlichen Mann, der seine ganze Familie mit an Bord der „Kyrie Eleison" gebracht hatte. Mit diesem Baker durfte es Webster auf keinen
Fall verderben. Alle gehorchten dem Erhabenen, aber auch auf Männer wie John Baker hörte die Gemeinde. Gerade während der Überfahrt war es wichtig, daß die Einigkeit und. der Zusammenhalt der „Auserwählten Gottes" durch nichts beeinträchtigt wurde. Webster leerte den Becher und setzte ihn auf dem Pult ab. Nun, er hatte ja viel Zeit. Diese Jessica konnte er sich immer noch schnappen. Im „gelobten Land" hatte er dazu noch reichlich Gelegenheit. Er sparte sie sich ganz einfach für später auf, als besonderen Leckerbissen. Während er über die „Hühnchen" nachdachte, die sich an Bord der Galeone befanden, trank Webster in aller Gemütsruhe die Flasche Wein aus. Was gab es Besseres als ein kleines Ein-Mann-Gelage und anschließend eine Teufelsaustreibung in der Koje? Webster lachte leise in sich hinein. Hölle und Teufel, er hatte wirklich den richtigen Dreh gefunden. Alle waren ihm mit Leib und Seele verfallen. Er konnte sie kommandieren, wie er wollte. Und er hatte keine Repressalien zu fürchten wie daheim in England. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Hasses und der Verachtung. England! Zum Teufel mit dem Land! Er, Webster, wünschte seinen Landsleuten, die auf jener Insel des Elends ihr Dasein fristeten, daß sie allesamt über den Jordan gingen oder vom Blitz getroffen wurden. Sie hatten es nicht anders verdient. Nach ihren Gesetzen hätte er bereits irgendwo am Galgen gebaumelt. „Ketzer", murmelte Webster. „Sünder! Natterngezücht!" In England hatte er tüchtig gegen die Krone gewettert und die Königin eine „babylonische Hure" genannt. Mut hatte er, das mußte man Webster lassen. Allein das Wettern gegen die „barbarischen Zustände am Hof" hätte in manchem anderen Fall schon ausgereicht, um den betreffenden MoralPrediger an den Galgen zu bringen oder dem Schwert des Scharfrichters auszuliefern. Nicht so im Falle Jeremiah Josias Webster. Der schien tatsächlich so etwas wie einen Schutzengel zu haben. Ein Umstand, der ihm seitens seiner Gemeinde natürlich noch mehr Achtung einbrachte. Was denn dieser Kerl fluchte und schimpfte gegen das Königshaus und die Regierung, und man ließ ihn leben?
Keineswegs. Einen derartigen Schwächebeweis konnte sich Elizabeth I. nicht leisten. Sie hatte auch, als Webster seine Rede von der „babylonischen Hure" vom Stapel ließ, sicherlich mit dem Gedanken gespielt, den Kerl öffentlich verbrennen zu lassen, wie man es in einem ähnlichen Fall in Florenz mit einem Mönch namens Savonarola getan hatte. Aber dann hatte sie sich eines Besseren belehren lassen. Es war sehr unklug, Webster hinzurichten. Immerhin hatte er es verstanden, einige Volksmassen um sich zu scharen. Ihn aufzuknüpfen, konnte Revolution bedeuten. Also mußte die Angelegenheit anders gehandhabt werden. Die Königin war eine scharfe Gegnerin der Puritaner, und der Elisabethanische Strafvollzug sah vor, daß Kerle wie Webster zur Rechenschaft gezogen wurden, indem man sie entweder zum Zappeln aufhängte oder um einen Kopf verkürzte. Diese Gesetze wollten geschickt umgangen werden. Folglich wählte die Königin den Weg des geringeren Widerstandes: Sie schob Jeremiah Josias Webster einfach aus England ab samt seiner wachsenden Anhängerschaft. Die Frage war, ob ein Rammklotz wie Webster, ein Fanatiker und Draufgänger, sich so einfach abschieben ließ. Doch hier verfuhren die Schergen der Königin, die Webster heimlich aufsuchten, nach dem Prinzip des Zuckerbrotes und der Peitsche. Sie überreichten Webster einen Ledersack voll Golddukaten, damit er sich ein Schiff kaufen konnte. Gleichzeitig drohten sie, ihn meuchlings ermorden zu lassen, wenn er nicht schleunigst England verließ. Webster hatte sich die Sache gründlich überlegt. Eigentlich hatte er schon immer vorgehabt, auszuwandern. Die Möglichkeiten, so eine Anhängerschaft tüchtig auszubeuten, sollten in der Neuen Welt viel größer sein als in Europa, wo das eigentliche Problem die Landbeschaffung war. In Amerika, so hatte Webster vernommen, brauchte man nur zu landen, und schon gehörte einem die Insel oder die Erde, auf die man seinen Fuß gesetzt hatte. Tauchten irgendwelche Eingeborenen auf, die einem das Leben erschwerten, so genügte es, sie zu erschlagen oder zu vergiften. Gewiß, einen Teil dieser Neuen Welt beanspruchten die Spanier für sich. Doch weiter oben im Norden sollte der
neue Kontinent noch mehr oder weniger Niemandsland sein. Also, hatte Webster gedacht, dorthin wollen wir segeln. Darum hatte er seine Gemeinde um sich versammelt und ihr verkündet, der Herr habe ihm ein Zeichen gegeben und ihn im übrigen dahingehend erleuchtet, daß der Weg der Auserwählten Zions und Jehovas über den Atlantik in die Neue Welt führe, wo sie das gelobte Land vorfinden würden. Zu diesem Zweck müsse man in England allen Besitz aufgeben und verkaufen und eine Anzahl von Galeonen erstehen, mit denen man das Jammertal und das Sündenbabel hinter sich lassen werde. Schließlich könne man nicht über das Meer spazieren, wie es dereinst Jesus getan hatte. Man konnte auch nicht erwarten, daß sich die Fluten teilten, wie es der Fall gewesen war, als Moses und das Volk der Juden Ägypten verlassen hatten, um nach einer neuen Heimat zu suchen. Damals hatte es eben noch keine so guten und soliden Schiffe gegeben. Außerdem war der Atlantik größer als der See Genezareth oder das Rote Meer. All das sahen Websters Anhänger ein. Prompt verkauften sie Haus und Hof und sahen sich in Plymouth nach entsprechenden Schiffen um. Vier Galeonen mußten schon her, um die Gemeinde Jehovas zu befördern. So kauften die Auserwählten die Segler und tauften sie auf Namen um, die dem Sinn und Ziel ihrer Sache entsprachen. „Kyrie Eleison" hieß das Flaggschiff Herr, erbarme dich! „Cherubim" lautete der Name der zweiten Galeone, und die dritte und vierte hatten ähnliche Namen biblischer Herkunft. Die Gläubigen hatten also ihr letztes Hemd hergegeben, um die Schiffe zu kaufen. Webster indes hatte nicht im Traum daran gedacht, auch die Golddukaten zu verwenden. Die behielt er für sich als Rücklage für schlechtere Zeiten. Man konnte nie wissen, was kam. Im Übrigen hatte Webster seiner Gemeinde wohlweislich vorenthalten, daß er sozusagen auf den sanften Druck des Königshauses hin England verließ. Nein, das brauchte keiner zu wissen. Sein Weichen wäre als Schwäche ausgelegt worden. Das schadete dem Charisma. Also erwähnte es Webster erst gar nicht. Innerlich frohlockte er. Er nannte vier wertvolle Schiffe sein eigen, hatte einen Sack voll Gold und auch sonst alles,
was er wollte: Wein, genug zu essen, Frauen. Was wollte er mehr? In der Neuen Welt würde er sich ein gutes Stück Land aneignen. Vielleicht eine Insel? Er würde sehen, wie sich die Dinge ergaben. Auf jeden Fall brauchte er selbst keinen Finger zu rühren. Die Jünger Zions würden wie üblich für ihn schuften. Sie würden Häuser bauen und Vieh züchten, die Felder bestellen und ernten. Websters Aktivitäten würden sich auf Predigen, aufs Teufelaustreiben und eventuell auf die Vermehrung der Gemeinde beschränken. Jeremiah Josias Webster öffnete noch eine Flasche Wein und holte ein Stück kaltes Schweinefilet aus dem Schapp, das er mit ein paar Scheiben Brot verspeiste. Ja, auch das konnten die Auserwählten Jehovahs: Sie hatten säckeweise Mehl mit an Bord gebracht. Jede Woche der Überfahrt wurde frisches Brot gebacken. Und jede Woche wurde auch eins der Tiere geschlachtet, mal ein Schwein, mal ein Schaf oder eine Ziege. Auf den Galeonen standen Verschlage, in denen die Tiere untergebracht waren. Es gab auch Federvieh Legehennen und Suppenhühner, aber auch junge, kräftige Hähne, die die Fortpflanzung der Art sicherten. I Schmatzend beendete Webster seine Mahlzeit. Dann leerte er auch die zweite Flasche Wein. Er wollte sich erheben, um sich eine der jungen Frauen zu holen und zum gemütlicheren Teil des Abends überzugehen, doch plötzlich näherten sich der Kapitänskammer polternde Schritte. Webster hob den Kopf. Seine Augen verengten sich. Sein Gesichtsausdruck war lauernd. Was hatte das zu bedeuten? * Orman Smead atmete auf. Ein Wunder schien geschehen zu sein: seine Frau hatte fast kein Fieber mehr. Endlich lächelte sie wieder, und eben hatte sie von der heißen Suppe gegessen, die von den anderen Frauen zubereitet worden war. Judith war über den Berg, wie die Frauen dem Mann glaubhaft versichert hatten. Der Sturm schien ihre Krankheit weggeblasen zu haben.
Jawohl, es war der Glaube, der ganze Berge versetzte. Orman Smead legte seiner Frau ergriffen die Hand auf die Stirn. „Dem Herrn sei Dank", sagte er. Etwas später, als Judith Smead eingeschlafen war, beschloß ihr Mann, die Kühl aufzusuchen und ein Gebet zu sprechen. Immer wenn er nachts sein Antlitz dem Mond und den Sternen zuwendete, hatte Smead das Gefühl, besonders enge Zwiesprache mit Gott zu halten. Orman Smead schritt durch das Schiff, tief in seine Gedanken verstrickt. Fast überhörte er die Geräusche, die gedämpft aus einer der Kammern drangen. Dann aber schien es eine innere Stimme zu sein, die ihn bremste und alarmierte. Himmel was für Laute waren das? Betroffen verharrte Smead. Einen Augenblick stand er mit verhaltenem Atem da. Dann konnte er nicht anders er mußte sein Ohr an das Schott der Kammer legen und lauschen. Heilige Mutter Gottes, dachte er, was geht hier vor? Die Laute schienen ziemlich eindeutig darüber Auskunft zu geben. Die Töne der Lust waren da zu hören, mal ein unterdrücktes Stöhnen und dann wieder eine Art Keuchen. Orman Smead richtete sich wieder auf und schnappte nach Luft. Er war versucht, das Schott einzurennen und empört in die Kammer zu stürmen. Doch durfte er das? Nein es lag nicht im Bereich seiner Kompetenzen. Nur einer war befugt, in einem Fall wie diesem einzuschreiten, und das war der Großmeister selbst. Smead zögerte keine Sekunde. Statt das Oberdeck aufzusuchen, eilte er geradewegs zur Kammer des Kapitäns und klopfte heftig gegen das Schott. Von innen ertönte eine dumpfe Stimme. Klang sie nicht auch etwas verzerrt? Unsinn, es konnte nur die Einbildung sein, die Smead etwas Derartiges vorgaukelte. Der Großmeister war allzeit wach und bereit, nichts konnte seine Umsicht und Aufmerksamkeit beeinträchtigen. „Was ist los?" brummte die Stimme. „Erhabener?" sagte Smead vorsichtig. „Ja. Was willst du?" Um ein Haar hätte Webster gesagt: ,Was, zum Teufel, willst du?' Aber er konnte sich gerade noch rechtzeitig genug beherrschen.
„Ich habe etwas zu melden", erwiderte Smead drängend. Jeremiah Josias Webster war mit einem Satz auf den Beinen, mußte sich jedoch mit einer Hand am Pult festhalten, weil er ins Schwanken geriet. Diese Art von Gleichgewichtsstörung war nicht auf den Seegang, sondern auf den Rotwein zurückzuführen. Webster brummelte etwas Unverständliches, dann ging er zum Schott und riß es auf. Moses höchstpersönlich schien ihm gegenüberzustehen, es fehlten nur die Gesetzestafeln. Argwöhnisch und fragend zugleich musterte Webster den weißbärtigen Riesen, der im dämmrigen Licht der Öllampe, die am Deckenbalken der Kammer baumelte, auf ihn zutrat. „Nun?" fragte der Großmeister. „Was ficht dich an, Orman Smead?" Smead erwiderte: „Es geschieht Ungeheuerliches auf diesem Schiff, Erhabener." „Geht es deiner Frau schlechter?" „Nein. Das Fieber hat nachgelassen." Websters Miene hellte sich etwas auf. „Dann freue dich. Der Herr hilft seinen Schäflein. Da hast du wieder den Beweis. Laß uns gemeinsam beten, Bruder." „Es geht nicht um meine Frau Judith", erklärte Smead. „Es gibt Schlimmeres zu vermelden." „Spann mich nicht auf die Folter." Smead senkte die Stimme. „In einer der Kammern geht es drunter und drüber. Ich fürchte, da wohnt einer der Seeleute einem der Mädchen bei." Fast hätte Webster wegen der Ausdrucksweise des anderen aufgelacht, aber auch das konnte er sich verkneifen. „Bist du ganz sicher?" „Ja, leider." „Diese Nattern gehören bestraft", sagte Webster. „Ich wollte schon einschreiten", sagte Orman Smead. „Aber erst wollte ich mich deiner Zustimmung vergewissern." „Das übernehme ich selbst", sagte Webster. Er drehte sich um, stolperte durch die Kammer und nahm die neunschwänzige Katze vom Haken. Dann kehrte er zu Smead zurück. „Ich werde sie schon züchtigen, diese Sünder!" verkündete er.
Smead war ein wenig irritiert. Wäre er nicht ganz sicher gewesen, daß Webster in Askese und Abstinenz lebte, dann hätte er in diesem Augenblick geschworen, daß der Erhabene torkelte und auch ein wenig nach Wein roch. Aber das war natürlich eine Täuschung. Er, Orman Smead, war zu aufgeregt, das war es. Zum einen war er überwältigt, weil Gott seiner Frau zur Besserung verholten hatte, zum anderen versetzte ihn der Sittenverfall an Bord der „Kyrie Eleison" in kochenden Zorn. Webster stapfte an Smead vorbei. Smead drehte sich um und folgte seinem Großmeister. Gemeinsam suchten sie den Mittschiffsbereich auf. Hier konnte sich Webster davon überzeugen, daß sich der Weißbart weder getäuscht noch irgendwie übertrieben hatte. Da waren sie, die eindeutigen Geräusche. Und Smead war sogar sicher, daß sie an Lautstärke noch zugenommen hatten. Er war entsetzt und schockiert. Der Großmeister fackelte nicht lange und warf sich gegen das Schott der Kammer. Da der von innen vorgeschobene Riegel standhielt, mußte auch Orman Smead mit einschreiten. Gemeinsam brachen die Männer das Schott auf. Sie stürzten in die Kammer. Webster rutschte aus und fiel sofort hin. Smead stolperte über ihn. Webster wollte fluchen, biß sich aber sofort auf die Unterlippe. Er rappelte sich wieder auf und packte den Mann, der aus der Koje sprang und zu entwischen versuchte. Das Mädchen hockte aufrecht in der Koje und preßte die Decke gegen die Brust. „Nein", flüsterte sie erschrocken. „Nein, bitte nicht. Nur das nicht." Der Seemann versuchte, sich losrzureißen. Aber da war er bei Webster an der falschen Adresse. Webster schleuderte ihn gegen die Wand und drosch mit der Neunschwänzigen auf ihn ein. „Natter!" brüllte er. „Hurenbock!" Der Seemann brach unter den klatschenden Hieben zusammen. Die junge Frau schrie auf. „Laß ihn in Ruhe!" rief sie. Da griff auch Orman Smead ein, der nun weiß Gott nicht mehr an sich halten konnte. Wütend verpaßte er dem Mäd-
chen zwei schallende Ohrfeigen. Sie sank schluchzend auf die Koje. „Hure!" brüllte Smead. „Schäm dich!" „Schämt euch!" brüllte auch Webster. Inzwischen war das ganze Schiff lebendig geworden. Trappelnde Schritte näherten sich, Rufe wurden laut. Die Mitglieder der Gemeinde Jehovas wollten wissen, was los war. Webster blieb ihnen keine Erklärung schuldig. Mit brutaler Gewalt zerrte er den Seemann auf den Gang hinaus. „Da!" schrie er. „Seht ihn euch an! Er ist ein Verbrecher! Ein geiler Hurenbock!" „Pfui Teufel!" schrie eine Frau. „Er hat sich mit dieser Hure eingelassen!" stieß Smead hervor. „Sünder!" riefen einige Gläubige. „Sie müssen verurteilt werden!" kreischte eine Frau. „Ja", sagte Jeremiah Josias Webster. „Sie werden das empfangen, was sie verdient haben! Aber erst, wenn wir die Neue Welt erreicht haben! Der Herr will, daß sie erst dort ihre gerechte Strafe erhalten!" „Recht so!" riefen die Gemeindemitglieder. „Abführen!" befahl Webster und deutete auf den Seemann. „Sperrt ihn in die Vorpiek! Dort soll er schmoren und über seine üblen Sünden nachdenken!" Vier Männer schleppten den Seemann weg. Smead hatte derweil das Mädchen aus der Koje geholt und stieß sie in den Gang. Verächtlich blickte Webster sie an. „Teufelsweib", sagte er kalt. Sie warf sich vor ihm auf die Knie und versuchte, sich an seinen Beinen festzuklammern. „Erbarmen!" jammerte sie. „Es war keine Absicht!" „Was dann?" fragte der Großmeister höhnisch. „Fleischeslust", sagte Orman Smead. „Es wird nicht wieder geschehen!" wimmerte das Mädchen. Webster stieß sie von sich. „Weiche von mir, Satan!" schrie er. Kurz darauf wurde auch die junge Frau abgeführt. Auf Websters Geheiß hin sperrte man sie ins Kabelgatt. Alle
kehrten auf ihre Plätze zurück. Orman Smead trat auf die Kühl, schaute zum Mond und zu den Sternen auf und begann zu beten. Jeremiah Josias Webster indes kehrte ärgerlich in seine Kapitänskammer zurück und genehmigte sich noch einen Becher Wein zum Trost. Denn eigentlich hatte er vorgehabt, sich die junge Frau, die sich mit dem Seemann eingelassen hatte, in die Koje zu holen. Aber diesen Plan konnte er vorerst vergessen. Er mußte sich eine andere suchen, der er den Teufel aus dem Leib trieb. Doch in dieser Nacht wurde daraus nichts mehr. Es herrschte zuviel Betrieb an Bord der „Kyrie Eleison". Zu leicht konnte man beim Liebesspiel ertappt werden. Da war es schon besser, sich in Enthaltsamkeit zu üben. Verdammter Mist, dachte Jeremiah Josias Webster, elendes Pack. Fahrt doch von mir aus alle zur Hölle. Hätte die Gemeinde geahnt, welche frommen Wünsche der Großmeister und Erhabene für sie hegte, hätte es sicherlich einigen Aufruhr gegeben. Aber keiner ahnte etwas. Sie alle waren Webster verfallen und wie von einem Wahn besessen. Dieser Wahn sollte noch schlimme Folgen haben. 2. Don Antonio de Quintanilla war zu einer großartigen Erkenntnis gelangt: Hier an der Cherokee-Bucht im besonderen und auf der Insel Great Abaco im allgemeinen, lebte es sich wirklich nicht schlecht. Mehr noch, es war ein paradiesisches Dasein. Der Dicke hätte mit keinem tauschen mögen. Vor allem zog ihn nichts mehr nach Havanna, wo er dereinst als Gouverneur in seinem feudalen Palast an der Plaza residiert hatte. Eigentlich hatte er ja sogar Vizekönig werden sollen, aber auch danach gelüstete es ihn nicht mehr. Zur Hölle mit Kuba, mit der Krone und allem Wohlstand er hatte damit nichts mehr im Sinn. Ja, Don Antonio fühlte sich rundum wohl. Irgendwie schien er sogar jünger geworden zu sein. Auch das brachte das neue Leben mit sich: Er war wieder kerngesund, brauchte
keine Hofärzte und Quacksalber, keine Arzneimittelchen und dumme Sprüche. Von alledem, was ihn krank machte, war nichts mehr vorhanden. Anfangs hatte er dem feinen Leben nachgetrauert. Jetzt aber wußte er, daß er viele Jahre in einem Irrtum gelebt hatte. Es taugte nichts, sich wie ein Pfau aufzuplustern. Viel schöner war es, unbeschwert in den Tag zu leben und sich an der Sonne, am Meer und der schönen Umgebung zu erfreuen. Da lachte das Herz wieder. Die Feinde von früher waren Freunde geworden. Was will der Mensch mehr? Angesichts dieser Wandlung war es natürlich auch kein Wunder, daß Don Antonio die Sache mit dem Schatz gelassen hingenommen hatte. Schön, der Bund der Korsaren hatte sein feines Versteck an der Bucht bei Batabanoy geplündert. Na und? Die Kisten, Truhen und Fässer mit dem vielen Gold, dem Silber, dem Schmuck, den Juwelen und den Perlen waren nun hier, im unterirdischen Labyrinth, in den Tropfsteinhöhlen. Wenn er wollte, konnte Don Antonio sie jederzeit betrachten. Aber was hatte er davon? Der ganze Plunder bedeutete ihm nichts mehr. Er hatte die wahren Werte der Existenz wiedergefunden. Diese Entdeckung bedeutete ihm mehr als alles andere. Jeden Morgen pflegte Don Antonio de Quintanilla ein ausgiebiges Bad zu nehmen. Lange lag er dann im Wasser auf dem Rücken und blickte nach oben. Zeigte sich eine Brieftaube, so war er oft der erste, der sie registrierte und meldete. An diesem Morgen, dem Morgen des 22. Juni 1595, schwebte keine Brieftaube über Great Abaco. Nachrichten aus Havanna, von Arne von Manteuffel aufgesetzt und von Jussuf losgeschickt, ließen also auf sich warten. Doch es sollte ein anderes Ereignis geben, das vorerst alles andere in den Schatten stellte und die Mitglieder des Bundes der Korsaren sogar Havanna und das Handelshaus von Manteuffel vergessen ließ. Don Antonio verließ das Wasser. Das Naß perlte von seinem dicken Leib ab und trocknete in der Sonne. Don Antonio ging über den Strand und kletterte auf einen alten, knorrigen Mangrovenbaum. Auch das war neu. Früher hätte
er keine Leiter hochzusteigen vermocht. Hier aber war aus dem watschelnden Fettwanst von einst ein flinker, gewandter Mann mit ungeahnten Energien geworden. Der alte Mangrovenbaum war einer von Don Antonios beliebtesten Aussichtspunkten. Hier konnte er Stunden zubringen. Er beobachtete die Seevögel oder sah der Brandung zu, wie sie auf den Sand schäumte. Die CherokeeBucht war eine Oase des Friedens, ein Hort der Unveränderlichkeit. Er konnte sich keinen schöneren Platz auf der Welt vorstellen. Don Antonio wurde auf Mastspitzen aufmerksam, die sich an der Kimm bewegten. Er reckte den Hals und versuchte, mehr zu erkennen. Schließlich räumte er seinen Platz, holte ein Spektiv und eilte an den Strand. Von hier aus spähte er zu den fremden Mastspitzen. Vier Schiffe, dachte er. Wer? Spanier? Woher kommen sie? Etwas später verlagerte er seinen Standort zur südlichen Ostküste. Von hier aus konnte er die unbekannten Schiffe noch besser erkennen. Teufel auch, dachte er, die halten ja genau auf uns zu! Von diesem Zeitpunkt an konnte er seine Entdeckung nicht mehr für sich behalten. Don Antonio meldete, was er gesehen hatte. Sofort ließ der Seewolf mehrere Ausgucks aufziehen, die die fremden Segler nicht mehr aus den Augen ließen. Dan O'Flynn, Bill, Le Testu, Montbars, Mike Kaibuk, Juan und zwei Mann der Edmond-Bayeux-Crew verfolgten von nun an jede Bewegung der vier Galeonen. Nach knapp einer Stunde traf Albert als Bote im Lager ein und meldete, daß die Galeonen sich anschickten, an der südlichen Ostküste vor Anker zu gehen. Hasard, SiriTong, der Wikinger und Old O'Flynn begaben sich daraufhin zu Dan, der sich an einem erhöhten Platz der Ostküste, einem gleichsam strategischen Punkt, als Späher postiert hatte. Von hier aus konnten sie mit dem bloßen Auge beobachten, was geschah. Dicht unter Land waren die vier Galeonen vor Anker gegangen. Hasard nahm das Spektiv zu Hilfe und betrachtete die Menschen, die sich an Deck bewegten. Dann nahm er auch, die Schiffe genau in Augenschein.
„Ziemlich massiv gebaute Galeonen", urteilte er. „Ein merkwürdiger Verband", brummte der alte O'Flynn. „Woher kommen die bloß?" „Und was wollen sie?" fragte der Wikinger. „Wir erfahren es noch", entgegnete die Rote Korsarin mit grimmiger Miene. „Verlaßt euch drauf." Befürchtungen, daß die Fremden dem Bund der Korsaren ernstlich gefährlich werden konnten, hegte sie dabei aber nicht. Die Mannschaft im Stützpunkt an der Cherokee-Bucht war inzwischen wieder komplett, die kleine Flotte vollzählig. Hasards „Schatzgeschwader" war vor zwei Tagen zurückgekehrt. Die Schätze waren vollständig in den Tropfsteinhöhlen gelagert. Don Antonio de Quintanilla hatte beim Verstauen sogar fleißig mitgeholfen, ohne seinem früheren Reichtum nachzujammern. Wer immer sich an Bord der vier fremden Galeonen befand diese Leute konnten den Stützpunkt an der CherokeeBucht unmöglich entdeckt haben. Von Norden kommend, waren sie daran vorbeigesegelt. Sie ahnten also nichts von der Existenz des Bundes der Korsaren und der neun Schiffe, die in der Bucht vor Anker lagen. „Merkwürdig, merkwürdig", sagte der Seewolf nach einem neuerlichen Blick durch den Kieker. „An Bord der Galeonen befinden sich nicht nur Männer, sondern auch Frauen." „Ja", bestätigte Dan. „Und sie haben auch eine Menge Bordgetier dabei. Auf den Decks stehen Verschläge mit Hühnern, Ziegen, Schafen und Schweinen." „Auswanderer", sagte der Wikinger. „Vielleicht Pilger", meinte Hasard. „Fromme Leute, die in der Neuen Welt eine Kolonie errichten wollen." „Heiliger Strohsack", sagte Old O'Flynn. „Das hat uns hier gerade noch gefehlt. Die sollen bloß keine Predigten halten." „Die Frage ist immer noch, aus welcher Ecke Europas sie stammen", sagte der Seewolf. „Ich kann keine Flagge entdecken." „Mal sehen", sagte Dan. „Am Bug des Führerschiffes kann ich einen Namen erkennen." „Dann lies doch mal vor", sagte sein Vater brummig. „Kyrie Eleison", entzifferte Dan mit einiger Mühe.
„Wie?" Old O'Flynn war entsetzt. Ihm sträubten sich die Haare. „Was, zum Henker, heißt denn das?" „Da solltest du Pater David fragen", erwiderte Siri-Tong. Hasard lächelte. „Nicht nötig. Kyrie Eleison bedeutet ,Herr, erbarme dich'." Der Alte stöhnte. „Das halte ich im Kopf nicht aus. Jetzt fehlt noch, daß diese Betbrüder uns zu bekehren versuchen." Dan ließ das Spektiv sinken und sah seinen Erzeuger erstaunt an. „Wieso? Wir sind doch keine Heiden." „Ich schon", knurrte der Alte. SiriTong lachte leise. „Laß das bloß nicht deine Mary hören." Es war zehn Uhr geworden. Auf der „Kyrie Eleison" wurde jetzt eine Glocke geläutet. Interessiert verfolgten die Beobachter, was weiter geschah. Nach dem letzten Glockenschlag stimmten die Besatzungen der vier Schiffe gleichzeitig einen Choral an. Deutlich tönten die einzelnen Worte zur Insel: „Näher, mein Gott zu dir..." Old O'Flynn stöhnte wieder. „Da haben wir den Salat", sagte er. „Es sind Engländer. Auch das noch! Verdammt, wer hat die bloß auf die Neue Welt losgelassen?" „Du solltest nicht so respektlos daherreden", sagte die Rote Korsarin. „Ich finde das nicht gut. Es sind ehrliche, anständige Menschen, das sieht man doch." Old O'Flynn's Gesicht war verkniffen. „So? Woran sieht man das denn?" „An ihrem Benehmen." „Und man hört's, weil sie singen, was?" „Richtig", bestätigte Pater David, der in diesem Moment zu ihnen trat. „Böse Menschen pflegen kaum fromme Lieder zu singen." „Oder hast du Piraten schon mal Choräle singen hören, Dad?" fragte Dan grinsend. Der Alte spuckte in den Sand, dann musterte er die Runde mit einer bitterbösen Grimasse. „Ich will euch mal was sagen, ihr Klugscheißer. Mich können diese Betbrüder nicht beeindrucken. Ich traue ihnen nicht. Die führen was im
Schilde, ich schwör's euch. Mit denen kriegen wir noch mächtig Ärger." „Ich würde Donegals Bedenken nicht so einfach in den Wind schlagen", sagte nun auch Pater David ernst. „Auch unter Pilgern und Puritanern gibt es viele Heuchler, die sich nur den Tarnmantel frommer Menschen umhängen." „Richtig", sagte Hasard. „Wir sollten darum genau prüfen, mit wem wir es zu tun haben." „Dann prüfe mal", brummte Old O'Flynn. „Ich an deiner Stelle würde diese Choralsänger gleich wieder verscheuchen. Die haben hier nichts zu suchen." „Das können wir nicht machen", sagte Siri-Tong. „Das können wir aber doch", sagte der Wikinger. „Die Insel gehört uns. Für zwei Parteien ist hier kein Platz." „Also?" fragte Old Donegal. „Was tun wir?" „Wir warten vorerst noch ab", erwiderte der Seewolf. „Wir zeigen uns noch nicht." „Und wir mucksen auch nicht?" erkundigte sich Thorfin Njal. „Nein", antwortete Hasard. „Vielleicht wollen sie nach der Atlantiküberquerung nur frisches Trinkwasser an Bord nehmen. Wenn sie dann weitersegeln, gewähren wir ihnen selbstverständlich freies Geleit." „Die?" Old O'Flynn stieß ein verächtliches Zischen aus. „Die segeln nicht weiter. Die lassen sich hier nieder." Pater David hatte einen Blick durch den Kieker geworfen. „Auf den vier Schiffen müssen an die vierhundert Menschen sein", stellte er fest. „Einfache Leute, der Kleidung nach zu urteilen. Nun, auch ich denke, daß sie weiterziehen werden. Wahrscheinlich wollen sie zum Festland." „Alles nur Vermutungen", sagte Old Donegal. „Aber du weißt genau Bescheid, wie?" fragte Siri-Tong. „Ja." „Zwackt dich mal wieder dein Holzbein?" fragte der Wikinger. „Nein", erwiderte der Alte kratzbürstig. „Aber ich sehe manchmal ein bißchen hinter die Kimm. Und da braut sich was zusammen." „Besser, sie ziehen weiter, und es gibt keinen Kontakt", sagte Pater David.
„Meinetwegen!" zischte der Alte. „Ist ja prächtig! Wir brauchen nur zu warten!" Im Prinzip war es logisch und richtig, daß sich die Mitglieder des Bundes den Fremden nicht zeigten. Man genügte sich schließlich selbst, und niemand brauchte zu wissen auch Engländer nicht -, daß freiheitlich denkende Menschen auf Great Abaco einen Stützpunkt angelegt hatten. Mögen diese frommen Sänger also mit Gott ihrer Wege ziehen, dachte Hasard, während er und seine Freunde dem Choral lauschten. Ja, an die vierhundert Menschen waren doch ein bißchen viel. Das Geheimnis des neuen Stützpunktes an der Cherokee-Bucht sollte um jeden Preis gewahrt bleiben. Genau diese Überlegung war es, die Hasard und seine Männer davon Abstand nehmen ließ, sich zu zeigen. Hasard, Siri-Tong, der Wikinger, Old O'Flynn und Pater David zogen sich nach einigem Warten wieder zurück. Der Seewolf ließ Dan und Batuti als vorgeschobene Posten zurück. Sie sollten von den Dünen aus verfolgen, was sich weiter abspielte. Dan und der Gambia-Mann krochen durch die Dünen. Sie gingen immer wieder in Deckung und verhielten sich so, daß die Ausgucks der Schiffe sie nicht sehen konnten. Bald waren sie dem Platz, an dem die vier Galeonen ankerten, sehr nah, und konnten jede Einzelheit beobachten, ohne den Kieker zu Hilfe nehmen zu müssen. So wurden sie Zeugen eines nicht sehr schönen Schauspiels und es zeigte sich, daß der alte O'Flynn mit seinen Unkenrufen wohl doch wieder einmal recht gehabt hatte. * Jeremiah Josias Webster hatte seinen größten Auftritt. Seit sie Plymouth verlassen hatten, hatte er kein derartiges Hochgefühl empfunden wie jetzt. Sieg, Triumph das Ziel, das gelobte Land, war erreicht! Er, der Großmeister, hatte es geschafft! Er fühlte sich wie ein Eroberer. Die ganze Welt schien ihm zu gehören.
Fast glaubte er, den Lobgesang zu vernehmen, den die himmlischen Heerscharen seinetwegen anstimmten. Während die Männer und Frauen an Bord der vier Schiffe ihre Andacht hielten und dem Herrn für den erfolgreichen Verlauf ihrer Reise dankten, dachte Webster noch einmal über alles nach. Nein, besser hätte er es wahrhaftig nicht treffen können. Er war nunmehr sicher, daß auch die übrigen Pläne, die er gefaßt hatte, in Erfüllung gehen würden. Land, Macht und Reichtum! Alles würde ihm zu Füßen liegen! Was für ein Kerl er doch war! Wenn er daran zurückdachte, wie er angefangen hatte. Er hatte vier Galeonen, einen Sack voll Gold und eine Anhängerschar, die ihm gehorchte. Mit dieser Streitmacht würde er alles erreichen. Früher war Webster in England als Wanderprediger herumgezogen. Er war ein fanatischer Anhänger des Puritanismus kalvinistischer Prägung gewesen. Der Leitgedanke hatte sich bei ihm zu einer Art religiösen Wahns gesteigert. Webster versinnbildlichte gewissermaßen die Figur des eifernden und rachsüchtigen Jehova im Alten Testament. Ein gewisses Charisma war ihm nicht abzusprechen. Doch er war von barbarischer Gewalttätigkeit. Was er selbst predigte, hielt er nicht ein. Gegen Hurerei, Trunk- und Freßsucht wetternd, war er selbst keineswegs abgeneigt, diesen Gelüsten zu frönen. Auch dafür gab es eine Rechtfertigung und Erklärung. Er, Jeremiah Josias Webster, durfte sich all das erlauben, weil er „auserwählt" war, das „Flammenschwert Gottes" zu sein, das die Übel an der Wurzel ausrotten sollte. Aus diesem Grund hatte ihn seine Gemeinde mit „Großmeister" oder „Erhabener" anzureden. Das taten sie denn auch, und keiner wagte, an dem Status des allgewaltigen Webster zu zweifeln oder ihn gar öffentlich zu kritisieren. Das war Sünde. Die Euphorie regierte die Stunde. Wer immer leise Zweifel daran gehegt hatte, daß alles klappen würde all das war ausgeräumt, seit die Ausgucks der „Kyrie Eleison", der „Cherubim" und der beiden anderen Galeonen an diesem Morgen Land gesichtet hatten.
Dies war der Beweis: Webster war der ideale Sektenführer, einen besseren konnte man sich nicht wünschen. Er war von Gott auserkoren, in der Neuen Welt ein „Neues Reich Gottes" zu errichten. Die Gemeinde sang und betete, und Webster genoß seinen Erfolg in vollen Zügen. Darüber vergaß er aber auch nicht das Urteil, das es noch zu vollstrecken galt. Nachdem die „Hure" und der „Hurenbock", die Smead und er in der Kammer ertappt hatten, eingesperrt worden waren, hatte am darauffolgenden Tag an Bord der „Kyrie Eleison" das Gericht getagt. Webster war natürlich der Vorsitzende gewesen. Als Beisitzer hatten John Moore, der Tischler, und Harris, der ehemalige Schreiber, fungiert, die in der Bord- und GruppenHierarchie so etwas wie Oberjünger waren. Smead hatte als Zeuge ausgesagt. Auch die „Delinquenten" waren vorgeführt worden. Sie hatten beide um Gnade gefleht. Doch es gab kein Erbarmen. Jeremiah Josias Webster nahm die „unerhörte und schamlose Sittenverderbnis", wie er den Vorfall umschrieb, zum Anlaß, seine Anhänger zu einem barbarischen Urteil aufzuputschen. Man müsse, so hatte er gepredigt, ein Exempel statuieren, damit sich ähnliche Dinge nicht wiederholten. Anderenfalls sei alles in Frage gestellt. Der Zorn des Herrn würde die Gemeinde treffen, wenn sie nicht hart durchgriff. Das Urteil: Der Seemann, der mit der „Hure" in der Koje erwischt worden war, sollte angesichts der „reinen neuen Welt" am Halse aufgehängt werden. Der Sünderin hingegen würde der Erhabene mit einer Peitsche „den Teufel der Fleischeslust" aus dem nackten Leib treiben. Webster hatte das Verdikt gesprochen, alle hatten zugestimmt. Jetzt, angesichts der Tatsache, daß man die „reine Küste" der „unverderbten Welt" erreicht hatte, war die Vollstreckung des Urteils fällig. Der Choral war zu Ende gesungen, die Gebete wurden abgeschlossen. Der Gottesdienst war vorbei. Webster ging zum nächsten Punkt der Tagesordnung über. Breitbeinig stand er auf dem Achterdeck der „Kyrie Eleison", die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Blick wanderte über die Ge-
sichter der Männer und Frauen. Ja sie warteten nur auf sein Zeichen. „Geht jetzt und holt das Natterngezücht", sagte Webster. Einige Männer verschwanden im Vordeck. Orman Smead holte ein Tau, knüpfte eine Schlinge und ließ das Tau vom Schiffsjungen an der Nock der Großrah anschlagen. Das Tau lief durch eine Talje. Smead überprüfte den Sitz des Taus und die Stabilität der Schlinge, dann trat er etwas zurück und verharrte in abwartender Haltung. Der Seemann wurde vorgeführt. Er war groß und kräftig gebaut, schwarzhaarig mit einem markanten Gesicht, das den Frauen sicherlich gefiel, wie Webster neidvoll feststellen mußte. Der Seemann preßte die Lippen zusammen. Der Blick seiner dunklen Augen richtete sich voll Haß auf Webster. „Wir vollstrecken das Urteil", sagte Webster. „Hängt den Mann am Halse auf, bis kein Leben mehr in ihm ist!" „Ja!" schrie eine Frau. „Hängt ihn auf!" „Hängt ihn!" heulten die Gläubigen. „Nein!" schrie das Mädchen, das nun ebenfalls an Deck gezerrt wurde. Doch ein Mann hielt ihr einfach den Mund zu, und vier andere hielten die Zappelnde an den Armen und Beinen fest. „Orman Smead", sagte Webster. „Vollstrecke!" „Ja, Erhabener", sagte Smead. Ein bärtiger Mann mit einem roten Kopftuch hielt den Todeskandidaten fest. Smead legte dem Seemann die Schlinge um den Hals. Gott will es so, dachte er. „Sünder!" herrschte Webster den Seemann an. „Sprich dein letztes Gebet!" Aber der Seemann spuckte nur aus und rief: „Du bist ein Mörder, Webster! Du bist ein Teufel! Du wirst noch bereuen, was du getan hast! Ich verfluche dich!" „Schweig!" fuhr Smead ihn an. „Sünder!" brüllte die Gemeinde. Websters Gesicht war etwas verzerrt. „Orman Smead, bereite dem Geifern dieser Höllennatter ein Ende", sagte er. Smead zog den Verurteilten mit dem Tau hoch. Der Mann mit dem roten Kopftuch half ihm. Alle sahen zu, wie der
arme Teufel mit den Beinen strampelte und nach Luft rang. Dann erstarben die Bewegungen des Mannes. Schlaff hing er am Tau. So war die Großrah der „Kyrie Eleison" zum Galgen geworden. Orman Smead war der Henker. Hündisch ergeben blickte er zu Webster auf, dessen Züge sich wieder geglättet hatten. Die Gemeinde murmelte Beifall. Das Gemurmel wurde zu einem heiseren Rufen, dann zu einer Art Jaulen. 3. „Mann, Mann", sagte Batuti. „Sind die verrückt? Kneif mich mal, ich glaube, ich träume." „Du träumst nicht", erwiderte Dan. Er richtete seinen Kieker durch einen Busch, der mitten in den Dünen wuchs, auf das Deck der „Kyrie Eleison". So konnte er auch das kleinste Detail, beispielsweise die Reaktionen der Männer und Frauen, beobachten. „Sie haben den armen Kerl wirklich aufgehängt." „Was der wohl verbrochen hat", sagte der Gambia-Mann. Sie lauschten den Stimmen. „Wie die heulen", sagte Dan leise. „Da läuft's mir kalt über den Rücken." „Mir auch", murmelte der schwarze Herkules. „Sie sind wie besessen." „Vielleicht sind sie's wirklich." „Mein Alter hat recht", sagte Dan. „Von denen haben wir nichts Gutes zu erwarten." „Die gebärden sich wie Übergeschnappte", sagte Batuti. „Sie jaulen den Himmel an." „Als seien sie ebenfalls Verdammte", brummte Dan. „Die sind nicht ganz richtig im Kopf." „Vielleicht sind sie betrunken?" „Nein, das glaube ich nicht." „Sieh dir mal den Kerl auf dem Achterdeck an", sagte Batuti. „Das ist der Ober-Verrückte." Dan beobachtete den stiernackigen, grobschlächtigen Kerl schon eine ganze Weile. Was hinter dessen Hauklotzvisage
und Rammstirn vorging, war nicht schwer zu erraten. Er triumphierte. Die Vollstreckung des Todesurteils war für ihn ein richtiges Erfolgserlebnis. „Das ist ein Sadist", sagte Dan. „Ein Leuteschinder. Merken die denn nicht, daß sie verschaukelt werden?" „Es lebe Jeremiah Josias Webster!" schrie in diesem Augenblick einer der Gläubigen an Bord der „Kyrie Eleison". „Es lebe der Großmeister! Der Erhabene!" „Er lebe hoch!" heulten die anderen. „Der Herr segne ihn!" brüllte Orman Smead. „So", sagte Batuti. „Jetzt wissen wir wenigstens, wie der Kerl heißt. Jeremiah Josias Webster. Ein feiner Name." „Den sollte man sich merken", sagte Dan grimmig. „Hure!" schrie Webster. „Nun zu dir!" „Ich kann mir schon vorstellen, was da passiert ist", murmelte Dan. „Es gehört ja kein Scharfsinn dazu. Der Seemann und das Mädchen haben sich ein bißchen geliebt. Ist ja auch menschlich, nicht wahr?" „Und was ist daran schlimm?" fragte Batuti gedämpft. „Es ist wohl verboten." „Das verstehe ich nicht." „Die Leute da sind Puritaner", erklärte Dan. „Bei denen ist so gut wie alles verboten. Sie dürfen nicht saufen, fressen oder huren. Klar?" Der Gambia-Mann tippte mit dem Finger gegen seine Stirn. „Spinnen die?" „Ja", erwiderte Dan. Webster stieg mit der Peitsche in der Hand auf die Kühl hinunter. Die Männer zerrten die junge Frau auf ihn zu. „Reißt ihr die Kleider vom Leib!" rief er. „Nein!" schrie sie. Wieder versuchte sie verzweifelt, sich zu wehren, doch es nutzte ihr nichts. Die Männer ließen erst von ihr ab, als sie völlig nackt vor Webster stand. „Jetzt treibe ich dir den Teufel der Fleischeslust aus!" schrie der Großmeister. „Nein!" stieß die junge Frau aus. Sie wollte zum Schanzkleid laufen und ins Wasser springen. Doch Webster war schneller.
Der erste Hieb der Peitsche traf das Mädchen und warf sie auf die Planken der Kühl. Keuchend kroch sie davon. Aber der „Erhabene" war mit einem Satz über ihr und drosch wie von Sinnen auf sie ein. Batuti stieß einen ellenlangen Fluch aus. „Warum schwimmen wir nicht hin und treiben diesem Webster den Teufel aus?" zischte er. „Der Kerl ist ein Schwein!" „Mir juckt's auch in den Fingern", entgegnete Dan. „Aber es wäre Wahnsinn. Du kennst Hasards Befehle." „So ein hübsches Mädchen! Wie kann dieser Hund sich so an ihr vergreifen?" „Was mich am meisten schaudern läßt, ist das Verhalten der Leute auf den vier Schiffen", sagte Dan. „Mein Gott." Fassungslos verfolgten die beiden, wie Webster die „Züchtigung" zum Abschluß brachte. Fast sah es so aus, als wolle er die junge Frau totschlagen. Dann aber schien er sich eines Besseren zu besinnen. Er ließ von ihr ab, richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die blutende Frau wurde weggetragen. Sie hatte die Besinnung verloren. Die Gemeinde gebärdete sich wieder wie verrückt. Frenetischer Beifall ertönte. Man jubelte Webster zu. Alle hatten mit geradezu gieriger Besessenheit den Vollstreckungen zugeschaut, besonders der Auspeitschung der nackten Frau. Webster weidete sich an seinem Erfolg. Mit hocherhobenem Kopf enterte er wie ein Diktator auf das Achterdeck seines Schiffes. „Mir ist in etwa so einiges klargeworden, Batuti!" raunte Dan seinem Freund zu. „Daß Webster nicht nur ein Mörder, sondern auch ein Hurensohn ist?" zischte der Gambia-Mann. „Das auch, aber auch noch was anderes. Mein lieber Mann, wir haben es hier mit frömmelnden Heuchlern zu tun, die allesamt von dem stiernackigen Kerl verhext sind." Batuti grinste hart. „Ich hätte Lust, Webster ein bißchen zu enthexen. Mal sehen, was dann passiert." Sie schwiegen und verfolgten, was weiter an Bord der Schiffe geschah. Webster gab seine Anweisungen. Smead, Moore, Harris und andere Männer fierten ein Beiboot der
„Kyrie Eleison" ab. Auch von den drei anderen Galeonen wurden Jollen zu Wasser gelassen. Schließlich enterte Webster selbst in das Boot ab und ließ sich an Land pullen, begleitet von den Abordnungen der anderen Schiffe. „Vorwärts!" rief Webster. „Das neue Reich Gottes ist unser!" „Halt mich fest!" japste Batuti. „Das ist ja wohl die Krone!" „Der Hammer", sagte Dan. „Jünger!" schrie Jeremiah Josias Webster. „Folgt mir! Gott weist uns den Weg! Er hat mir die Botschaft verkündet! Auf dieser Insel werden wir die Burg Zions errichten, wie es sein Wille ist! Vorwärts!" Dan und Batuti hörten nicht mehr zu, was Webster noch salbaderte. Sie verschwanden aus den Dünen und tauchten im Inseldschungel unter. Die Freunde mußten schleunigst über das, was sie beobachtet und vernommen hatten, unterrichtet werden. * Im Stützpunkt an der Cherokee-Bucht hatten sich die Freunde bereits alle versammelt, als Dan O'Flynn und Batuti eintrafen. Old O'Flynn hatte mal wieder seine wissende Miene aufgesetzt, die von Unheil und Verdruß sprach. Was er prophezeit hatte, fand denn ja auch seine Bestätigung. Schon die Gesichter der beiden anrückenden Kundschafter drückten aus, welche Art von Neuigkeiten sie brachten. „Na", sagte Carberry. „Was treiben denn unsere Betbrüder?" Hasard, Siri-Tong und die anderen, die an der südlichen Ostküste gewesen waren, hatten natürlich bereits berichtet, was sie gesehen hatten. „Die harmlosen Betbrüder", fügte Old O'Flynn mit dünnem Grinsen hinzu. Dan und Batuti verharrten und atmeten erst mal tief durch. Dann platzte es aus Dan heraus: „Ein sauberer Haufen ist das! Die haben soeben einen Mann aufgehängt und ein Mädchen ausgepeitscht auf viehische Weise."
„Amen", murmelte Old Donegal. „Fromme Leute, das muß ich schon sagen." „Kannst du nicht mal 'ne Weile das Maul halten?" fragte Carberry drohend. „Warum sollte ich?" zischte Old Donegal. „Weil es der Takt verlangt, Mister O'Flynn", fuhr Mary O'Flynn, geborene Snugglemouse, dazwischen. Schon baute sie sich vor ihrem Angetrauten auf und stemmte die Fäuste in die Seiten. Sie sahen sich beide angriffslustig an. Während sie sich anfunkelten, fuhren Dan und Batuti in ihrem Bericht fort. „Der Anführer heißt Jeremiah Josias Webster", sagte Batuti. „Wir haben es gehört, wie die Mistkerle seinen Namen gerufen haben." Er schickte einen raschen Blick zu Pater David. „Jawohl, sie sind Mistkerle. Wie können sie sonst zulassen, daß ein armer Teufel aus so einem geringen Anlaß aufgehängt wird!" „Aus welchem Anlaß denn?" fragte Hasard. „Wißt ihr, was der Mann verbrochen hat?" „Ja", erwiderte Dan. „Es war von Hurerei die Rede. Deshalb hat Webster den Mann hinrichten lassen. Deswegen hat er auch die junge Frau entblößt und ausgepeitscht. Und jetzt sind diese Verrückten im Begriff, mit ihren Booten auf der Insel zu landen, weil Webster allen Ernstes vorhat, hier das neue Reich Gottes zu errichten, wie er erklärt. Der spinnt nicht nur, der hat sie nicht mehr alle." Die Mienen der Freunde waren immer düsterer geworden. „Jetzt hab' ich aber die Schnauze voll!" stieß Carberry wütend hervor. „Mir reicht's, Freunde! Ich gehe hin und haue diesem Kasper und seinen Hampelmännern die Jacken voll!" „Ja, geben wir es diesen Brüdern!" rief auch Big Old Shane. , Alle waren aufgebracht, die Stimmen tönten durcheinander. Hasard sorgte jedoch für Ruhe, indem er die Arme ausbreitete. „Schluß der Debatte", sagte er entschlossen. „Wir stellen sofort einen Kampftrupp zusammen und rücken ab! Fünfzig Mann! Freiwillige vor!" „Hier", sagte Carberry, trat einen Schritt vor und stand nun mitten in der Runde.
„Ich bin mit dabei", sagte Shane grollend. „Ja, mir ist's auch recht, bei Odin", sagte der Wikinger. Schon stand er neben Shane und dem Profos und winkte seinen Kerlen Eike, Arne, Olig und dem Stör zu. Rasch war der Trupp zusammengestellt. Hasard übernahm die Führung. Die Männer waren bis an die Zähne bewaffnet. Sie hatten Musketen und Pistolen, Säbel, Degen und Messer. Pulver und Kugeln waren auch in ausreichender Zahl vorhanden. Shane und Batuti nahmen vorsorglich auch ihre Langbögen aus englischer Eibe mit, desgleichen die Brandund Pulverpfeile, die sich in den meisten Kämpfen hervorragend bewährt hatten. Der Gambia-Mann hatte dieses Mal außerdem auch seinen Morgenstern dabei, mit dem er „kräftig aufzuräumen" gedachte, falls die sogenannten frommen Betbrüder Widerstand leisteten. Ferris Tucker war auch mit von der Partie. Er stopfte sich vorsichtshalber ein paar Flaschenbomben in die Taschen. Dan hatte Feuerstein und Feuerstahl dabei, so daß sie, wenn es erforderlich wurde, jederzeit die Wurfgranaten zünden konnten. Der Seewolf setzte sich an die Spitze des Trupps und gab das Zeichen zum Abmarsch. Mit langen, schnellen Schritten entfernten sich die Männer. Die zurückbleibenden Männer und Frauen blickten ihnen schweigend nach. „Puritaner", sagte Mary O'Flynn. „Wer hätte das gedacht. Was fällt denen bloß ein, ausgerechnet hier zu landen?" „Nichts weiter", erwiderte Gotlinde, Thorfin Njals Frau. „Sie sind zufällig hier aufgekreuzt. Aber sie werden schon wieder abziehen. Reg dich nicht auf." Mary seufzte. Ja, Gotlinde hatte recht in ihrem Zustand durfte sie sich nicht aufregen. Insgeheim sann sie aber doch darüber nach, was noch alles passieren konnte, wenn dieser Verrückte Jeremiah Josias Webster sich weigerte, das Feld zu räumen. Immerhin hatte er vierhundert Leute hinter sich. Eine beachtliche Streitmacht. Hasard und seine fünfzig Männer hatten an die achtzehn Meilen zurückzulegen, bis sie den Ankerplatz der fremden Galeonen erreichten. Dan und Batuti waren gelaufen, als sie die Cherokee-Bucht aufgesucht hatten, und hatten entsprechend wenig Zeit gebraucht, um die Strecke zu bewältigen.
Der Trupp hingegen brauchte schon ein „Stündchen" wie der Wikinger ausrechnete. Daß ein wenig mehr Zeit daraus wurde, kümmerte ihn nicht weiter. Hasard aber drängte zur Eile. Jede Minute, die verstrich, konnte fatale Folgen haben. Je mehr Pilger auf Great Abaco landeten, desto heikler wurde die Situation. Der Seewolf führte seine Begleiter schnurstracks nach Süden und beschleunigte seine Schritte immer mehr. Zum Schluß lief er und die Männer hasteten geduckt hinter ihm her. Jetzt war es soweit, man hatte die Dünen erreicht, in denen Dan und Batuti zuvor gelegen hatten. Carberry hielt sich dicht neben Hasard. Sobald er die Schiffe, die Boote und die „Gemeinde" des Jeremiah Josias Webster erblickte, stieß er einen saftigen Fluch aus. „Potzdonner, die Verrückten sind ja schon dabei, ihren Kram auszuladen!" Richtig: Webster vergeudete keine Zeit. Seine „Brüder in Christo", die ihn in den Booten begleitet hatten, waren tatsächlich dabei, ihre Habe zu entladen. Einige betätigten sich sogar schon als Holzfäller. Mit Äxten und Beilen hackten sie auf ein paar dicke Zypressen und Pinien in Strandnähe ein. Ein Baum war zu Boden gekracht, er wurde schnell und sachkundig von Ästen und Zweigen befreit. John Moore, der Tischler, war es, der die Holzfäller anführte. Er hatte auch schon einen Platz ausgesucht, an dem die erste Hütte gebaut werden sollte. Es war inzwischen früher Nachmittag geworden. Hasard schickte seine Männer im Schutz der Dünen in Stellung und zwar so, daß sie den Landeplatz der Webster-Gemeinde einkreisten. Shane und Carberry lagen dicht neben dem Seewolf. Shane spuckte in die Hände. „So, gleich geht's los. Na, die werden sich wundern." „Vielleicht wäre es doch besser gewesen, mit den Schiffen auszulaufen", brummte der Profos. „Warum?" flüsterte Hasard. „Na, wir hätten ihre Pötte versenken können." „Du vergißt, daß Frauen an Bord sind." „Die Haare auf den Zähnen haben."
„Man kann nicht alle über einen Kamm scheren", sagte der Seewolf. „Und wir wollen hier kein Massaker veranstalten." „Na ja", brummte der Profos. „Und was ist, wenn uns diese Fanatiker mit ihren Schiffsgeschützen beschießen?" „Das werden wir zu verhindern wissen", entgegnete Hasard grimmig. Auf einen Einsatz der Schiffe des Bundes hatte er wohlweislich verzichtet. Er wollte sich nicht enttarnen. Webster und seine Leute brauchten nicht zu wissen, daß in der Cherokee-Bucht neun Schiffseinheiten lagen: die „Isabella IX.", die „Wappen von Kolberg", die „Pommern", die „Persante" ex „Confidence", die „Caribian Queen", „Eiliger Drache über den Wassern", die „Empress of Sea II.", die „Golden Hen" und „Le Griffon", die früher „Chubasco" geheißen hatte. Es war taktisch nur klug, von diesem Verband vorerst kein einziges Schiff zu zeigen. Hasard wußte genau, was er zu tun hatte. Sein Plan stand bereits fest. „Paßt auf", sagte er zu seinen Kameraden. „Ich halte es für das beste, erst einmal mit Webster zu reden." „Reden?" wiederholte Carberry. „Dabei kommt nichts raus." „Die Diplomatie verlangt, daß ich es zumindest versuche." „Ja, das ist richtig", sagte Shane. „Ich weiß nicht, ob Diplomatie bei denen angebracht ist", sagte der Profos. „Aber von deinem Vorhaben kann dich ja doch keiner abbringen, wie?" Er warf einen Blick zu der „Kyrie Eleison". Dort baumelte die Leiche des Seemannes am Tau, das an der Großrah befestigt war. Ein abschreckendes Beispiel für alle, die irgendwie aus der Reihe tanzten oder sich gegen Webster auflehnten. Ein Zeichen auch für etwaige Feinde, die auf der Insel lauern konnten und Webster einen heißen Empfang bereiteten? „Du hast es mal wieder erfaßt, Ed", sagte der Seewolf. Dann erhob er sich, überstieg eine Düne und näherte sich dem Großmeister, der nicht allzu weit entfernt stand und die Arbeiten verfolgte. *
Jeremiah Josias Webster spürte, daß etwas nicht in Ordnung war. Für drohenden Ärger hatte er einen Instinkt. Den hatte er sich zugelegt, als er noch als Wanderprediger durch die Dörfer gezogen war. Nicht selten hatte es Hiebe gesetzt, wenn mal jemand mit seinen Thesen nicht einverstanden gewesen war. Einmal hatte er ein ganzes Priester-Seminar gestört. An die Tracht Prügel, die er dort bezogen hatte, konnte er sich noch jetzt gut erinnern. Schritte sie näherten sich knirschend im Sand. Von hinten! Webster fuhr herum. Er zuckte zusammen, als er den schwarzhaarigen Hünen sah, der sich ihm näherte. Was war das für ein Kerl? Woher kam er so plötzlich? „Achtung", sagte Webster zu Harris, der nur ein paar Schritte von ihm entfernt stand. „Da kommt ein Eingeborener." Harris wandte sich ebenfalls um und starrte den Riesen an. Das sollte ein Wilder sein? Unsinn er war wie ein Engländer gekleidet. Er hatte eisblaue Augen und ein hartes Gesicht, das von einer Narbe gezeichnet war. Ein Weißer. Harris wich unwillkürlich zurück, als sich der Blick dieser Augen auf ihn richtete. Er konnte dem Blick nicht standhalten. Was war los? „Ich bin kein Eingeborener", erklärte der Seewolf kühl. Auf Englisch Webster verschlug es die Sprache. Harris wagte es ohnehin nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Hier war etwas im Busch. Der Riese mit den eisblauen Augen sah sehr ernst und sehr entschlossen aus. Harris war froh, daß er mit seinem Blick jetzt Webster fixierte. „Diese Insel befindet sich bereits in meinem Besitz", fuhr Hasard fort. „Deshalb empfehle ich den Gentlemen, wieder abzuziehen. Es gibt in der Karibik unzählige andere, noch unbewohnte Inseln, auf denen man sich getrost niederlassen kann." Jeremiah Josias Webster schnappte sicht- und hörbar nach Luft. Ungeheuerlich! Was nahm sich dieser Fremde heraus? Hatte er den Verstand verloren? Und wieso sprach er so gut Englisch? Der Teufel sollte ihn holen! Endlich hatte Webster seine Fassung so weit wiedererlangt, daß er losdonnern konnte.
„Weiche zurück, Heide!" brüllte er den Seewolf an. „Versündige dich nicht! Der Herr hat mir diese Insel zugewiesen!" „Das glaube ich nicht", sagte Hasard schlicht. „Wie?" Webster stieß einen heulenden Laut aus. Er verschluckte sich und mußte husten. Harris sprang herbei. Er wollte seinem Großmeister auf den Rücken klopfen, doch Webster stieß ihn weg. „Du wagst es?" keuchte Webster. Sein Zeigefinger richtete sich bebend auf den Seewolf. „Du? Du wagst es, an meinen Worten zu zweifeln? Du? Ein Heide?" „Ich bin kein Heide", erwiderte Hasard schroff. „Wer bist du?" „Das spielt hier keine Rolle, Webster", erwiderte Hasard. „Du kennst meinen Namen?" „Jeremiah Josias Webster ist doch richtig, nicht wahr?" „Satan!" brüllte Webster. „Du bist der Teufel in Person! Hebe dich hinweg von mir!" „Es ist besser, du hebst dich hinweg", sagte Hasard. „Ich bin Gottes Flammenschwert!" „Nein, du bist ein gewöhnlicher Sterblicher", sagte der Seewolf. „Ich rate dir wirklich dringend, deine Siebensachen wieder zusammenzupacken und weiterzusegeln. Klar?" „Nein! Ich bin auserwählt!" „Jawohl, auserwählt", wiederholte Harris. Hasard verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Das ist doch albern. Kommt ihr euch nicht selbst närrisch vor?" „Nein!" heulte Webster. „Ich bin der Großmeister! Der Erhabene! Ich habe meinen Auftrag! Von Gott, verstanden? Ich will das Reich errichten und die Burg Zion!" „Um Himmels willen, nein", sagte Hasard. „Nicht auch das noch. Zum letzten Mal: Ich erwarte, daß ihr sofort wieder verschwindet." „Niemals!" dröhnte Websters Stimme, und alle Gläubigen, die ihn bisher noch nicht richtig gehört hatten, fuhren jetzt an Bord der Schiffe zu ihm herum. „Niemals!" stieß er noch einmal hervor. „Ich werde tun, was der Herr mir befohlen hat! Der Herr ist mein Hirte! Und ich bin sein Flammenschwert!"
„Er wiederholt sich", murmelte Dan O'Flynn in der Deckung der Dünen. „Aber das merkt er gar nicht", meinte Batuti. „Er ist viel zu verrückt", sagte der Wikinger. „Am besten wäre es, ihm sein verdammtes Flammenschwert um die Ohren zu schlagen. Oder soll ich ihm mal mein Messerchen zu kosten geben?" „Laß mich das erledigen", sagte Carberry grollend. Sie lauschten, was Webster noch alles von sich gab, und verfolgten, was weiter geschah. Die Männer der „Kyrie Eleison" und der anderen drei Schiffe, die mit dem sehr ehrenwerten Großmeister gelandet waren, hatten inzwischen von ihren Arbeiten abgelassen und näherten sich mit verwunderten Mienen den Streithähnen. Sie begriffen nicht recht, was hier vorging. „Das Schwert, das jeden Ketzer und Andersgläubigen vernichten wird!" stieß Webster in diesem Augenblick mit schriller Stimme hervor. „Ich glaube nicht, daß du mich niederflammen wirst, Webster", erwiderte Hasard trocken. „Und du hast schon entschieden zuviel gesprochen und herumgeschrien." „Man nennt mich Großmeister!" „Ich nenne dich Webster." „Natter!" heulte Webster. „Das wirst du mir büßen! Ich bin es gewohnt, daß man mich als Erhabener anredet!" „Wenn deine Leute so beschränkt sind, es zu tun bitte", entgegnete der Seewolf respektlos. „Von mir kannst du das nicht verlangen." „Ich werde dich züchtigen!" „Auch das glaube ich nicht", erwiderte der Seewolf. Webster beobachtete sein Gegenüber aus schmalen Augen. Sein Gesichtsausdruck war tückisch. Sein Atem ging schnell und unregelmäßig. Was für einen Oberteufel hatte er hier vor sich? Wollte der sich absolut nicht unterwerfen? Nun, er würde ihn schon noch dazu bringen, zu parieren. Aber vielleicht war es doch ratsam, die Taktik zu ändern. „Nun denn", sagte Webster. „Ich will Gnade walten lassen. Ich gestatte ausnahmsweise, daß du dich mir unterwirfst, Fremder. Du darfst Buße tun bis ich, der Erhabene und Großmeister, dich in meinen Orden aufzunehmen gedenke."
„Bis dahin", sagte Harris. Hasard hörte dem Unsinn zu, den Webster von sich gab. Er begriff, daß mit diesem Kerl nicht zu reden war. Der hatte seinen religiösen Wahn. Und solche Leute waren besonders gefährlich. Old O'Flynn hatte das von Anfang an richtig erkannt. Kalt erwiderte der Seewolf: „Ich habe nicht die Absicht, mich einem Verrückten zu unterwerfen." Webster fehlten nun doch die Worte. Er japste und keuchte. Am liebsten hätte er laut geflucht. Aber das durfte ein Großmeister nicht tun. „Wenn du also nicht freiwillig mit deinem Orden verschwindest, werde ich nachhelfen", sagte Hasard frostig. Webster brüllte: „Bereue deine Sünden! Beichte! Du wirst Buße tun!" Wie, zur Hölle, wollte dieser schwarzhaarige Bastard dafür sorgen, daß sich eine 400köpfige Gemeinde aus dem gelobten Land, das sie so mühsam erobert hatte, wieder zurückzog? Das war ja lachhaft! „Unterwerfe dich!" heulte er. Hasard wartete, bis Jeremiah Josias Webster mit dem Heulen und Brüllen fertig war. Dann stieß er einen scharfen Pfiff aus. Webster und Harris klappten die Kinnladen herunter, aber auch die anderen Gläubigen staunten verblüfft. Das, was jetzt geschah, hatten sie wahrhaftig nicht erwartet. 4. Wir sind umzingelt, dachte Webster. Nein, damit hatte er nicht gerechnet! Aber wie hatte er annehmen können, daß der schwarzhaarige Riese ganz allein erschienen war? Der war doch kein Selbstmörder. Jedenfalls sah er nicht so aus. Er, Webster, hatte einen Fehler begangen. Vor sich selbst gestand er dies ein, und am liebsten hätte er sich eigenhändig geohrfeigt. Aber die Gefolgschaft durfte davon nichts ahnen. Auf den Pfiff des Seewolfs hin waren die fünfzig Kämpfer aus ihren Deckungen aufgestanden. Da blickten sie nun
drohend von den Dünen auf die Jünger Gottes und deren „Flammenschwert". Besonders fiel der Webster-Gemeinde der Alte mit dem Holzbein auf, weiter das Narben-Ungeheuer mit dem mächtigen Rammkinn, der rothaarige Riese, das graubärtige Monstrum und der pechschwarze Herkules. Und dann war da noch ein Kerl mit einem Helm, der wie ein Scheusal aus anderen, längst vergangenen Zeiten wirkte. Der Helm war verbeult und hatte auch keine Hörner, aber das Scheusal trug einen zottigen Pelz als Kleidung und Sandalen mit Lederriemen, die über den Knöcheln über Kreuz zusammengebunden waren. Ein Pelz, bei der Hitze! Und bei dem Rübezahl befanden sich noch vier andere Schrats, die so ähnlich aussahen und ausstaffiert waren wie er! Was war das für eine Bande? Zerberusse und Chimären der Hölle? Apokalyptische Reiter? „Zum allerletzten Mal", sagte der Seewolf. „Webster, pfeif deine Leute zurück! Setzt euch in eure Boote und pullt ab!" „Nein!" brüllte Webster. „Jünger! Auf zum Kampf! Verjagt die Teufel! Der Herr gibt uns Mut und Kraft!" Schon wollte er sich auf Hasard stürzen. Hasard eröffnete jedoch das Gefecht, indem er dem Großmeister die Faust unter das Kinn rammte. Webster hatte das Gefühl, gegen eine Mauer gelaufen zu sein. Er knickte in den Kien ein und kippte um. Die Wucht des Hiebes war groß. Der „Erhabene" segelte ab bis zum Strand. Mit einem Satz war der Seewolf bei Harris. Harris wich wieder zurück und stammelte etwas, was er selbst nicht verstand. Vielleicht war es ein halber Bibelvers, vielleicht auch eine Verwünschung. Tatsache war, daß Harris es mit der Angst zu tun gekriegt hatte. Er fürchtete nicht nur den schwarzhaarigen Riesen mit der Narbe im Gesicht, sondern auch die fünfzigköpfige Streitmacht, die da bis an die Zähne bewaffnet aufmarschierte. Harris glitt aus und stürzte in den Sand. Er keuchte und wollte sich schleunigst wieder aufrappeln, aber da waren sie schon über ihm. John Moore und die anderen Mitglieder des Landetrupps stürmten nun aber auch herbei. Wütend schwangen sie ihre Äxte und Beile.
„He!" rief Moore. „Was soll denn das? Ihr seid wohl nicht bei Sinnen!" „Aufhören!" brüllte Orman Smead. „Quatsch!" schrie Carberry. „Wir haben ja gerade erst angefangen!" Jeremiah Josias Webster hatte für kurze Zeit das Bewußtsein verloren. Jetzt kam er wieder zu sich. Er schüttelte sich und stöhnte. Verdammt, was war geschehen? Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Dieser Satans-Bastard, der seinen Namen nicht nennen wollte, hatte ihm die Faust unters Kinn gedonnert. Das Kinn schmerzte gewaltig. Irgend etwas schien verrenkt zu sein. Und jetzt die Front, die da lärmend anrückte! Webster begriff vollends, welchen schwerwiegenden Fehler er begangen hatte. Er hatte die Bewohner dieser Insel gründlich unterschätzt. Sie waren erstens keine primitiven, nackten Wilden, die man unterwerfen oder erschlagen konnte ganz, wie's beliebte -, und zweitens entpuppten sie sich jetzt als rüde, ruppige Kämpfer, die offenbar mit ihren Fäusten genausogut umzugehen verstanden wie mit ihren Waffen. Wie die Teufel griffen die Männer des Bundes der Korsaren an. Webster gelang es eben noch, sich aufzurichten und ein, zwei Schritte in Richtung der Boote zu wanken, da war das narbige Monstrum heran und verpaßte ihm einen wuchtigen Tritt in den Allerwertesten. Webster konnte plötzlich fliegen er segelte über den Strand und landete klatschend in der Brandung. Heulend schüttelte er die Faust gegen die „Heiden", doch auch das nutzte ihm herzlich wenig. Carberry wütete mit röhrendem Gebrüll. Als nächsten packte er Harris und beutelte ihn mit ein paar kräftigen Ohrfeigen und Rippenknüffen durch. „Haut ab, ihr Kanaillen!" brüllte er dabei. „Verschwindet, oder ich zieh' euch die Haut in Streifen von euren verfluchten Affenärschen!" Big Old Shane, der Wikinger, die nordischen Schrats und alle anderen Männer des Kampftrupps hieben ebenfalls zu, daß die Schwarte krachte. John Moore, der noch zu den mutigsten Männern der „Kyrie Eleison" gehörte, rannte mitten in einen frontalen Faustschlag hinein, der von Shane geführt wurde. In seinem blinden Zorn wollte Moore mit der Axt
zuschlagen, doch ein anderer Kämpfer nahm sie ihm vorsorglich blitzschnell ab: Batuti. Die Axt fiel zu Boden. Shane grinste. „Danke, mein Herr", sagte er. Batuti grinste ebenfalls, von einem Ohr zum anderen. „Gern geschehen." Er wandte sich wieder um, schwang den Morgenstern und rannte brüllend einer Gruppe von Betbrüdern nach, die sich angesichts des pechschwarzen Teufels sofort zu ihrer Jolle zurückzogen. Harris taumelte zur Jolle der „Kyrie Eleison". Benommen kletterte er an Bord. „Nichts wie weg hier weg", stammelte er. Webster erhob sich aus dem Wasser. Er torkelte zwar, als habe er eine ganze Gallone Rotwein getrunken, gab aber noch nicht auf. Wieder hob er die Faust. „Das Flammenschwert Gottes wird euch vernichten! Ein Wehklagen und Zähneklappern wird anheben! Die Hölle ist euch gewiß!" „Paß auf!" brüllte Carberry. „Gleich klappern dir die Zähne!" Mit langen Sätzen hielt er auf den Großmeister zu. Hasard und Shane „räumten" John Moore ab. Sie trugen ihn bis zu den Booten und verfrachteten ihn zwischen zwei Duchten der einen Jolle. Dann kehrten sie zu ihren Kameraden zurück. Carberry scheuchte Webster durchs Wasser. Webster tönte zwar immer noch herum, als er aber den Profos anrücken sah, zog er es doch vor, Reißaus zu nehmen. Orman Smead stand wie ein Fels in der tobenden Brandung und hob mahnend die Hand. „Besinnt euch, Sünder!" rief er. „Halleluja, der Herr ist mit uns! Wer dich schlägt, dem halte auch die andere Wange hin!" Old O'Flynn blieb verdutzt vor ihm stehen. „Ist das dein Ernst?" „Hosianna", sagte Smead stolz. „So steht es in der Bibel." Der Alte kniff ein Auge zusammen. „Und darum habt ihr Halunken auch den armen Teufel aufgehängt, wie?" fragte er lauernd. „Der arme Teufel war ein Fleischessünder", erklärte Smead.
„Und ihr seid Mörder", sagte der Alte kalt. „Der Herr verzeihe dir..." „Auge um Auge, Zahn um Zahn!" zischte Old Donegal. „So steht's im Alten Testament, nicht wahr? Soviel weiß ich gerade noch." Dann schien er zu explodieren. Ein Hagel von Knüppelhieben trieb den bärtigen Orman Smead zu den Booten. Old Donegal hatte sein Holzbein abgeschnallt und ließ es kräftig über den Rücken des Mannes tanzen. Carberry war es gelungen, den brüllenden Webster zu schnappen. Er trug ihn einfach zu einer der Jollen. Webster zappelte zwar wie verrückt, aber das konnte den Profos nicht beeindrucken. Er hievte den ehrenwerten Großmeister in das Boot. Dort landete Webster so unsanft, daß er sich den Hinterkopf stieß. Er wurde wieder ohnmächtig und mit seinem Gezeter war vorerst Schluß. Hasard und der Kampftrupp leisteten gründliche Arbeit. Ein Kerl nach dem anderen wurde in die Boote „komplimentiert". Einige retteten sich aber auch voll Panik ins Wasser und schwammen zu ihren Schiffen. „So!" rief Hasard. „Und jetzt die Plünnen!" Die „Plünnen" alles, was Webster und seine Mannen an Habseligkeiten und Geräten mitgebracht hatten flogen zurück in die Boote. Es krachte und polterte, dann war die Ladung komplett. Carberry, Shane und ein paar andere schoben die Jollen sogar noch ein Stück ins tiefere Wasser. Dann begannen die Gläubigen wie die Irren zu pullen, denn allein vor Carberrys wildem, zähnefletschendem Grinsen grauste es ihnen. Old O'Flynn blickte den Schwimmern nach. „Die scheinen die Haie zu vergessen", sagte er. „Vielleicht wissen sie nicht einmal, daß es hier Haie gibt." „Die Haie spucken sie wieder aus", brummte Batuti. „Die Brüder haben so viel Gift im Leib, daß man glatt an ihnen sterben kann." Die Haie schienen an diesem Nachmittag zu schlummern. Jedenfalls zeigte sich keine Dreiecksflosse, und die Schwimmer gelangten unbehelligt bis zu den Galeonen. Auch die Jollen legten nun an, und die Crews enterten in aller Hast auf und hievten ihre Siebensachen wieder an
Bord. Auch Webster wurde auf die „Kyrie Eleison" gehievt. Er war immer noch bewußtlos. „In Ordnung", sagte der Seewolf. „Das wäre erledigt. Wir haben den Strand und die Landestellen sozusagen gereinigt. Das genügt mir vorerst." „Du meinst, die Lektion genügt ihnen?" fragte Big Old Shane. „Das glaube ich nicht", sagte Old O'Flynn. „Ich auch nicht", meinte Ferris Tucker. „Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn wir ihnen ein paar Flaschenbomben in die Boote gehauen hätten." „Die mit ihren Sprüchen", sagte der Wikinger. Hasard beobachtete, was auf den Schiffen vor sich ging. „Webster wird diese Niederlage nicht hinnehmen", sagte er. „Aber noch scheint er besinnungslos zu sein. Wenn seine Leute vernünftig sind, ergreifen sie jetzt die Initiative." „Ja, wenn sie klug sind, hauen sie ab", fügte Dan hinzu. „Aber das tun sie nicht. Dieser Großmeister scheint ihnen mehr zu bedeuten als der liebe Gott selbst." „Wir ziehen uns hinter die Dünen zurück", sagte der Seewolf. Der Trupp räumte den Strand und ging erneut in Deckung. Wieder galt es, abzuwarten und sich auf eventuelle weitere Aktionen der Pilger einzurichten. Wenn Hasard insgeheim gehofft hatte, daß die WebsterGemeinde ankerauf gehen und davonsegeln würde, dann hatte er sich getäuscht. Die vier Galeonen blieben vor Anker liegen. Auf der „Kyrie Eleison" bemühte man sich um das Wohlergehen des Großmeisters. Ehe der nicht wieder bei Bewußtsein war, wurde keine Entscheidung getroffen. * Jeremiah Josias Webster hatte einen ganz miesen Traum. Er schien geradewegs in der Hölle gelandet zu sein. Sein ganzer Körper schmerzte, als zwacke man ihn mit glühenden Eisen. Er saß in einem Kessel, unter dem ein großes Feuer brannte. Um ihn herum tanzten die Teufel. Sie lachten meckernd und verhöhnten ihn.
„Nein!" schrie Webster. „Das ist ein Irrtum! Ich gehöre ins Paradies!" „Ha, ha!" schrien die Teufel. Der Oberteufel, ein Riese mit lauter Narben im Gesicht und einem gewaltigen, vorspringenden Rammkinn, trat ganz dicht an den Kessel und rührte mit einem Riesenlöffel das Wasser um. „Du spinnst wohl!" röhrte er. „Du bist hier abgeliefert worden!" „Ich bin der Großmeister!" schrie Webster. „Irrtum!" brüllte der Oberteufel. „Der Großmeister ist jemand ganz anderes!" „Ich bin der Erhabene, das Flammenschwert Gottes!" Das Ungeheuer stieß ein jaulendes Lachen aus. „Du? Du bist ein altes Ferkel, Webster! Du hast dein Leben lang nur gelogen, gesoffen, gefressen und herumgehurt! Mit keuschen Jungfern hast du es getrieben." „Nein, nein!" „Wir haben den Auftrag, dich in die tiefste Hölle zu tragen", erklärte der Oberteufel. „Das hier ist nur der Vorhof." „Was?" Jeremiah Josias Webster glaubte, den Verstand zu verlieren. „Nein! Gnade!" Der Oberteufel lachte wieder glucksend, und die Unterteufel tanzten wie die Wilden um den Kessel herum. Dann nahm der Oberteufel eine riesige Gabel zur Hand und stach sie Webster in den Hintern. Webster brüllte auf. „Er ist schon halb gar!" schrie der Oberteufel. „Wir können ihn jetzt runtertragen!" „Nicht!" keuchte Webster. Er schwitzte aus allen Poren, das Wasser rann ihm in Bächen über das Gesicht. „Was habt ihr vor? Was wollt ihr tun?" Der Oberteufel stützte sich mit den Armen auf die Riesengabel und grinste höhnisch. „Das will ich dir verraten. In der tiefsten Hölle kriegst du jeden Tag zwanzig Hammerschläge auf den Schädel, und fünfmal am Tag wird dir siedendes Pech in den Rachen gekippt." „Nein!" „Doch", erwiderte der Oberteufel. „Außerdem wirst du zur Abwechslung morgens, mittags und abends mit glühenden Zangen gekniffen. Das erfrischt." Webster begann zu heulen wie ein Schloßhund. Er gewahrte kaum die große, dunkle Gestalt, die sich aus dem
schwelenden, qualmenden Hintergrund näherte. Dann aber fuhr er zusammen, denn der Oberteufel kreischte: „Achtung, da kommt der Großmeister!" Webster starrte die Erscheinung aus geweiteten Augen an. Ein Riese breite Schultern, schwarze Haare, eisblaue Augen, eine Narbe im Gesicht stand da vor ihm. Irgendwie kam er dem Erhabenen bekannt vor, doch er konnte sich nicht entsinnen, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. „Er will nicht in die tiefste Hölle, Herr", sagte der Oberteufel. „Er muß hinein", antwortete der Großmeister. „Wie lautet dein Urteil?" Der Großmeister hob den rechten Daumen. Webster fixierte den Daumen wie ein Hypnotisierter, der ein Pendel anstarrt. Der Daumen senkte sich dem Boden entgegen Webster war erledigt. „Wegtragen", befahl der Großmeister. Die Teufel schnappten sich den Kessel und rannten davon. Webster sah einen roten Höllenschlund, der sich vor ihm öffnete. „Nein!" heulte er. „Ich bin der Großmeister!" Dann versuchte er, aus dem Kessel zu springen, aber der Oberteufel stach ihn wieder mit der Riesengabel. Schluchzend mußte sich Jeremiah Josias Webster seinem Schicksal fügen. Er war verloren, verdammt in alle Ewigkeit. Plötzlich aber fand ein Szenenwechsel statt. Die Hitze schwand. Auch der rote Schlund löste sich auf. Webster verspürte immer noch heftige Schmerzen, aber über ihm war ein graues Licht. Vorsichtig öffnete er die Augen. Ein bärtiges Gesicht schob sich in sein Blickfeld. Es schien Petrus, der himmlische Wächter, zu sein, der sich da mit sorgenvoller Miene über ihn beugte. „Nun, Großmeister", murmelte er. „Wie geht es dir?" Beschissen, hätte Webster fast geantwortet. Dann besann er sich. Der Bärtige das war ja Orman Smead! Fahr zur Hölle, wollte Webster knurren, aber auch das verkniff er sich. „Recht gut", erwiderte er. Das Bewußtsein kehrte voll zurück. Er erinnerte sich: Man hatte sie geschlagen und getreten, und dieses narbige Scheusal hatte ihn gepackt und in die Jolle geschmettert. Jetzt befand er, Webster, sich also
wieder auf der „Kyrie Eleison", und alle, die ganze Besatzung, hatten sich um ihn geschart. Webster richtete sich mit dem Oberkörper auf und stützte sich mit den Händen auf den Planken ab. Er schaute sich um. Da standen sie Männer und Frauen. Smead, Moore, Harris und die anderen vom Landetrupp waren ramponiert. Alle übrigen blickten betreten und niedergeschlagen drein. „Was ist?" fragte Webster mit verzerrtem Gesicht. „Habt ihr sie nicht in die Flucht geschlagen, diese Nattern?" Smead entgegnete: „Das war leider nicht möglich." „Warum nicht?" Webster begann schon wieder zu brüllen. „Sie sind stärker als wir", antwortete Moore. „Und sie scheinen allesamt den Teufel im Leib zu haben." Webster sprang auf. Sein Kopf drohte zu zerplatzen, ihm wurde übel. Er mußte sich an der Nagelbank des Großmastes festhalten. „Wir werden ihnen diesen Teufel austreiben!" heulte er. „Ich gebe mich nicht geschlagen! Dies ist das gelobte Land, das neue Reich Gottes! Wir werden es erschließen!" „Aber wie?" fragte Harris. „Mit Pauken und Trompeten!" schrie Webster. Er trat ans Schanzkleid und drohte mit der erhobenen Faust zum Ufer. Die „Nattern" waren verschwunden. Doch vielleicht lauerten sie noch in den Dünen. „Gezücht!" brüllte der Großmeister. „Elende Lumpen! Piraten! Ihr werdet noch um Gnade winseln!" So tobte er herum, verfluchte die Gegner und tadelte seine eigenen Leute, weil sie versagt hatten. Wenn bei seinen Jüngern die tüchtige Abreibung nachhaltig gewirkt hatte, so war das bei ihm noch lange nicht der Fall. Hinzu kam: Das Flammenschwert Gottes war ziemlich stumpf gewesen, als es eigentlich zündend hätte zuschlagen sollen. Es hatte niemanden vernichtet, hatte selbst sogar einen krachenden Kinnhaken und schließlich auch noch das empfangen, was man auf gut Englisch einen Tritt in den Hintern nannte. O Schande das konnte ein Mann wie Jeremiah Josias Webster, der im Heimatland sogar gegen die Königin gewettert hatte, nicht hinnehmen. Was drüben, am Strand des „gelobten Landes", geschehen war, nagte ganz erheblich am Nimbus des Großmeisters. Es
mußte etwas getan werden. Die Jünger sollten nicht glauben, daß es eine Schwäche ihres Erhabenen gewesen war, die zu dieser kläglichen Niederlage geführt hatte. So mußte sich Webster erst einmal einen Sündenbock suchen. Das war sein Landetrupp. Anklagend richtete er den Zeigefinger auf Moore, Harris, Smead und die anderen Männer, die ihn zum Ufer begleitet hatten. „Ihr habt versagt", erklärte er. „Feiglinge seid ihr. Warum habt ihr nicht gekämpft, wie es sich geziemt?" „Wir haben es versucht", erwiderte Harris. „Sie waren uns überlegen", versuchte Moore sich zu verteidigen. „Und heißt es nicht, du sollst auch die andere Wange hinhalten?" rief Orman Smead. Webster warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Doch nicht in diesem Fall! Orman Smead, du solltest die Bibel gründlicher lesen. Hat nicht Jesus selbst die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Händler und Krämer, all das Natterngezücht, aus Gottes Tempel geworfen? Rein soll das Reich des Herrn sein. Frei von Sünde. Hätten wir sonst den Lüstling gehängt und seine Hure ausgepeitscht? Nun?" Smead senkte den Blick. Was sollte er dem entgegenhalten? Er wußte es nicht. „Du hast recht", erwiderte er. „Die Einsicht kommt spät." „Es war ein Fehler von mir, nicht zu kämpfen", sagte Smead. „Aber ich dachte, eine rechte Predigt könne die Ketzer überzeugen und auf den geraden Weg zurückführen." „Sie sind nicht nur Ketzer", sagte Webster verächtlich. „Sie sind auch Heiden." „Aber sie sind ebenfalls Engländer", wandte Moore ein. Der Großmeister sah ihn an. Hätten Blicke töten können, wäre Moore in diesem Moment tot auf die Planken gesunken. „Das heißt gar nichts", setzte der Erhabene dem Tischler auseinander mit erzwungener Geduld, wie ein Lehrer zu einem dümmlichen Schulkind spricht. „Ich nehme an, sie sind nicht einmal getauft, diese Nattern. Auf jeden Fall haben sie dem christlichen Glauben abgeschworen. Es müssen Piraten sein, wie es sie in der Neuen Welt schon geben soll."
„Davon war mir nichts bekannt!" rief einer der Jünger Christi. Webster achtete nicht darauf. Natürlich hätte auch er sich sagen müssen, daß es nicht ganz so einfach war, eine xbeliebige Insel in der Karibik zu erobern. Man mußte mit Schnapphähnen, Spaniern oder Wilden rechnen, die einem die Hölle anheizen. Aber zu was hatte man die Schiffskanonen? Jetzt, da sich herausgestellt hatte, daß diese auserkorene Insel wider Erwarten doch bewohnt war, konnte man mit dem Gesindel und Gezücht aufräumen, indem man die Geschütze zum Einsatz brachte. Also schritt Webster wieder zur Tat. Wenn diese Hurensöhne sich einbildeten, die Sendboten Gottes zerschmettert zu haben, dann hatten sie sich getäuscht, und zwar gründlich! Es galt, zum Gegenschlag auszuholen, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war! „Jünger Christi!" verkündete Webster. „Auf zum Kreuzzug gegen die Ungläubigen! Sie müssen wie Läuse von der geheiligten neuen Erde getilgt werden!" Wieder ließen sich die Männer und Frauen mitreißen. Smead war der erste, der rief: „Jawohl! Auf zum Kampf gegen die Heiden! Es lebe Jeremiah Josias Webster! Der Großmeister! Der Erhabene!" „Hoch!" schrie die Menge. Auch von den drei anderen Schiffen gellte es herüber: „Auf zum Kreuzzug! Nieder mit dem Gezücht!" Webster lächelte selbstzufrieden. Er hatte es wieder einmal geschafft. Eben hatte es noch ziemlich kritisch ausgesehen, jetzt war er wieder der König. So groß war sein Einfluß auf diese Hammelherde. Er nahm sich vor, es das nächste Mal nicht zu vergessen. Aber ein nächstes Mal, eine neuerliche Schmach, würde es nicht geben. Dafür würde er sorgen. Jetzt war der Großmeister fast völlig gelassen. Er erteilte seine Befehle, ließ die Kanonen ausrennen und gab die Anweisung, Handfeuerwaffen auszuteilen. Auch mit Blankwaffen wie Säbeln und Messern wurden die Jünger Christi ausgerüstet. Einige erhielten Piken in die Hand gedrückt, damit
sie wenigstens etwas hatten, womit sie sich auf den Kreuzzug begeben konnten. Jeremiah Josias Webster ging zum nächsten Teil seines neuen Planes über. Er stellte Trupps zusammen, die wieder in die Boote abentern sollten, um zum Sturm auf den Strand anzusetzen. Moore, Smead, Harris und andere sogenannte „Oberjünger" waren die Anführer dieser Trupps. Ihnen war gar nicht wohl in ihrer Haut, aber sie konnten dem Großmeister natürlich, nicht den Befehl verweigern. Was ihnen in einem solchen Fall blühte, hatten sie ja gewissermaßen anschaulich vor Augen: Der tote Seemann baumelte immer noch an der Großrah der „Kyrie Eleison". Dieses Ende wollte keiner der Gläubigen finden lieber nahmen sie eine Tracht Prügel in Kauf. Doch immerhin mit den Waffen in den Händen fühlten sie sich stärker als zuvor. Und zahlenmäßig waren die Trupps, als ganze Einheit gesehen, den „Helden" inzwischen auch überlegen. Warum also pessimistisch sein? „Auf zum Kreuzzug!" schrie Harris, um sich selbst Mut einzuflößen. „Auf in den Kampf!" „Der Sieg ist unser!" brüllte Moore. So stachelten sie sich gegenseitig an. Johlend und lärmend enterten sie in die bereitliegenden Jollen ab. Über ihnen ragten die Rohrmündungen der Kanonen aus den offenen Stückpforten. Die Stücke waren geladen, die Geschützführer standen mit den Luntenstöcken in der Hand bereit. Eben wurde auch die Holzkohlenglut in den Kupferbecken, die zum Entfachen der Zündschnüre dienten, geschürt. Alles war bereit zum Gefecht. Nunmehr, davon war Webster felsenfest überzeugt, würde man die Nattern und Schlangen, die in den Dünen lauerten, das Fürchten lehren. 5. Hasard und die fünfzig Männer des Kampftrupps lagen nach wie vor in Deckung. Sie lauschten den Bannflüchen, die Webster zu ihnen herüberschleuderte, und grinsten sich eins.
Dann aber war es wieder Dan O'Flynn, der mit seinen scharfen Augen als erster die Wende registrierte, die sich auf den vier Galeonen der Pilger abzeichnete. „Achtung", sagte er wütend. „Sie rüsten zum Gefecht." Hasard, Shane, Ferris Tucker, Old O'Flynn, der Wikinger und alle anderen reckten die Köpfe und spähten zu den Schiffen. Tatsächlich, da wurden die Kanonen ausgerannt. Gestalten hasteten auf den Decks hin und her. Das Klirren von Handwaffen tönte zu den Männern des Bundes herüber. „Hol's der Henker", sagte Hasard. „Webster gibt also wirklich noch nicht auf." „An dem beißen wir uns noch die Zähne aus", orakelte der alte O'Flynn. „Musketen, Tromblons, Säbel und Messer werden verteilt", sagte Dan nach einem Blick durch den Kieker. „Sind die denn völlig durchgedreht?" „Richtig", erwiderte der Seewolf. „Das haben wir ja bereits bemerkt." „Sie entern in die Boote ab", sagte Thorf in Njal. „Also, so was von Sturheit habe ich auch noch nicht erlebt. Haben wir uns nicht deutlich genug ausgedrückt?" Wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, griff er nach seinem „Messerchen", wie er sein Langschwert nannte. „Sie legen ab", sagte Shane. So war es. Die „Rächer des Herrn", wie Webster seine Mannen auch großspurig nannte, hielten kräftig pullend mit den Jollen auf den Strand zu. Schon schwenkten sie ihre Waffen. Ob sie richtig damit umzugehen verstanden, war noch die Frage. Aber Hasard konnte es auf einen offenen Konflikt nicht ankommen lassen. Er beschloß, sofort zu handeln. „Wir müssen verhindern, daß sie landen", sagte er. „Feuer frei für die Musketen! Zielt auf die Boote und auf die Kanoniere! Haltet aber über ihre Köpfe!" Seine Männer schoben die Musketen über die Dünen und nahmen Ziel. Die Waffenhähne wurden gespannt, es knackte metallisch. Der Seewolf gab das Zeichen und die Musketen knallten im Stakkato. Die Kugeln sirrten auf die Schiffe und die Boote zu. Schon ertönten die ersten Wutschreie. Websters Männer zogen entsetzt die Köpfe ein. Mit einem derart massiven Beschuß, obendrein noch präzise gezielt,
hatten sie nicht gerechnet. Die Musketenkugeln bohrten sich mit häßlichen Geräuschen in das Holz der Boote. Sie pfiffen über die Geschützführer hinweg wie zornige Hornissen. Die Männer brüllten durcheinander. Die Frauen schrien voller Panik und warfen sich auf die Planken. Jeremiah Josias Webster stieß wieder seine wilden Anschuldigungen gegen das „Natterngezücht" aus, mußte dann aber auch auf dem Achterdeck der „Kyrie Eleison" in Deckung gehen, weil ihm die Kugeln um die Ohren flogen. In ohnmächtiger Wut schüttelte er die Fäuste. „Schlagt sie in die Flucht!" brüllte er. Das war leichter gesagt als getan. Ein Beiboot der „Kyrie Eleison" wurde in diesem Moment von Musketenkugeln durchlöchert. Das Wasser sprudelte herein, die Jolle sackte weg, bis sie fast senkrecht an der Vorleine hing. Die Leine brach und züngelte in die Tiefe. Das Boot sank endgültig. Schreiend retteten sich die Insassen zur Jakobsleiter. Ihr Anführer war Harris. Er enterte als erster wieder hoch und sprang keuchend auf die Kühl der Galeone. „Versager!" brüllte Webster ihm zu. „Es ist nicht meine Schuld!" heulte Harris. „Sie haben mit dem Teufel paktiert!" Diesen Anschein hatte es wirklich. Alles war wie verhext. Webster tobte, aber er sah ein, daß er auf diese Weise kein Stück weiterkam und nichts erreichte. Was sollte er jetzt noch tun, um sein Großmeister-Charisma zu retten? Der Nimbus zerbröckelte schon wieder und drohte, zu Nichts zu werden. Da half nur eins. Man mußte den Fluch der Hölle bezwingen mit den Waffen der Bibel. Webster ging jetzt davon aus, daß der schwarzhaarige Riese und seine Kumpane tatsächlich einen Pakt mit dem Höllenfürsten unterzeichnet hatten. Also waren sie Teufel in Menschengestalt. Man konnte sie mit Weihwasser, mit der Bibel oder mit Kruzifixen verscheuchen, aber auch mit Chorälen. Jaulend würden sie davonkriechen wie Hunde mit eingekniffenem Schwanz. „Singt!" schrie Webster. „Laut und deutlich! Los!" Er stimmte den Gesang selbst an.
Und so sangen die Jünger Christi. Wie ein einziger Ruf stieg ihr Choral von den Schiffen auf und wehte zum Ufer, wo die Männer des Bundes der Korsaren gerade ihre Musketen nachluden. „Hört euch das an", sagte der Seewolf. „Wutgesang! Aber damit ist bestimmt kein Gefecht zu gewinnen." „Sie werden schon noch einsehen, daß hier kein Platz für sie ist", sagte Ferris Tucker. „Wenn nicht, schmeiße ich diesem Webster eine Höllenflasche zwischen die Beine. Mal sehen, was er dann macht." „Vorsicht", sagte Dan. „Drüben zünden sie eine Lunte an." Tatsächlich: auf einem der Begleiterschiffe der „Kyrie Eleison", der „Cherubim", hantierten die Männer an einem der Geschütze. Eben hatten sie die Lunte entfacht, jetzt senkten sie ihr glimmendes Ende auf das Bodenstück der Kanone. Bei dem Geschütz handelte es sich um einen 17-Pfünder, wie Dan aus seiner Deckung erkennen konnte. Zeit, die Webster-Mannen am Schuß zu hindern, hatten Hasard und seine Kameraden nicht mehr. Sie konnten sich nur noch platt hinwerfen und die Köpfe mit den Händen abdecken. Dann donnerte auch schon die Kanone der „Cherubim". Websters Männer stimmten ein Triumphgebrüll an. Sie glaubten bereits, den „Nattern" einen vernichtenden Schlag zugefügt zu haben. Aber die Culverinen-Kugel schlug wirkungslos in den Sand. Der Sand stob hoch. Ein Loch hatte sich im Strand gebildet. Sonst war nichts geschehen. Shane und Batuti lagen mit Pfeil und Bogen bereit. Mit grimmigen Mienen hielten sie Dan die Spitzen ihrer Brandpfeile hin. Dan zündete die ölgetränkten Lappen, mit denen die Spitzen umwickelt waren, mit Hilfe des Feuersteins und des Feuerstahls an. Dann legten der Gambia-Mann und der graubärtige Riese die Pfeile an die Bogenschäfte und spannten die Sehnen. Hasard gab den beiden Schützen ein Zeichen. Sie schnellten gleichzeitig aus ihrer Deckung hoch und ließen die Pfeile von den Sehnen surren. Die Pfeile stachen flach auf die „Cherubim" zu und verschwanden in der Stückpforte, aus der die Gegner soeben mit der Culverine geschossen hatten.
Das wirkte. Die Pfeile rasten über das Deck der Galeone. Schreiend sprangen die Kerle auseinander und warfen sich hin. Einer überrollte sich auf den Planken, ein anderer knallte gegen das Schanzkleid. Im Nu war der Teufel los. An Bord der Galeone begann es zu kokeln die brennenden Pfeile fanden in dem trockenen Holz reichlich Nahrung. Die Kerle schrien durcheinander. Wasser und Sand wurden in Kübeln und Pützen herbeigeschafft und in die Feuernester gekippt. Hasards Stimme dröhnte zu den Schiffen: „Webster, wenn du jetzt nicht verschwindest, lasse ich deine Schiffe in Brand schießen!" „Satanspack!" heulte Webster. „Hexenbrut!" „Bis jetzt haben wir nur Warnschüsse abgefeuert!" rief der Seewolf unbeirrt. „Aber wir können auch anders!" „Das Flammenschwert Gottes wird dich köpfen!" brüllte der Großmeister. „Er hat immer noch nicht genug", sagte Old O'Flynn. „Ich hab's ja gewußt." „Dan", sagte Hasard. „Gib mal eine Muskete her." „Hier." Dan reichte dem Seewolf die Waffe. Hasard sprang auf, legte mit der Waffe an und zielte auf Webster. Der Erhabene trug einen schönen schwarzen Spitzhut, der ein ideales Ziel bot. Hasard fackelte nicht lange und drückte ab. Der Schuß klang wie ein harter Peitschenknall. Jeremiah Josias Webster blickte noch völlig verdutzt zum Ufer da hatte die Kugel ihn auch schon erreicht. Er duckte sich noch, aber es war zu spät. Der schwarze Hut wurde ihm vom Kopf gefegt. Er segelte durch die Luft und landete zwei Yards entfernt auf den Planken, dicht vor dem Schanzkleid der „Kyrie Eleison". „Ein Meisterschuß", sagte Dan O'Flynn. „Alle Achtung, Sir." „Und das freihändig", fügte Shane hinzu. „Das macht dir so leicht keiner nach." Hasard grinste. „Das mußt du gerade sagen." „Keiner will dir hier Honig um den Bart schmieren", sagte nun aber sogar der alte O'Flynn. „Es war wirklich ein toller Schuß, alles, was recht ist." Webster, der Erhabene, warf sich vor lauter Schreck und Entsetzen auf das Achterdeck. Er jaulte die Planken an. Sei-
ne Furcht ging in Wut über er hämmerte mit den Fäusten auf die Planken. Der Gesang war verstummt. Die Pilger Christi hatten selbst eingesehen, daß sie den Feind auch mit Chorälen nicht in die Flucht schlagen konnten. Alle blickten zu Webster. Wer anders als der Großmeister sollte in dieser verfahrenen Situation die Entscheidung treffen, was weiter zu tun war? Webster fühlte sich, als habe man ihn öffentlich gesteinigt. Nicht nur sein Kinn und der Hintern schmerzten, es tat ihm überall weh. Richtig elend war ihm zumute. Aber was sollte er tun? Er begriff, daß es so nicht weiterging. Er entschloß sich nun doch, das Feld zu räumen. Er rappelte sich wieder auf, griff nach seinem Hut und stülpte ihn sich über. Dann trat er an die Querbalustrade des Achterdecks. „Anker hieven", sagte er gequält. „Wir segeln weiter." „Wir kapitulieren also?" fragte Moore. Webster hätte ihn am liebsten in der Luft zerrissen. Aber er beherrschte sich. ,.Nein. Wir ändern nur unsere Taktik", erwiderte er. „Aber wie, das erkläre ich euch später." Immer wieder warf er scheue, hastige Seitenblicke zum Ufer. Was war, wenn es diesem Teufel einfiel, noch einmal mit einer Muskete auf ihn zu schießen? Oder gar mit einem Brandpfeil, wie sie es bei der „Cherubim" getan hatten? Nein, diesem Risiko durfte er sich nicht aussetzen. Der Schuß auf den Hut war eine Warnung gewesen. Wenn der Schütze tiefer hielt, hatte das Großmeister-Hirn plötzlich ein Loch und wer sollte die Pilgerschar dann noch in das heilige Land des Herrn führen? So hievte man auf allen vier Galeonen den Anker. Die Segel wurden gesetzt, und kurze Zeit darauf bewegte sich der Verband in südlicher Richtung. * „So, jetzt sind wir sie endlich los", sagte Ferris Tucker zuversichtlich. „Die lassen sich hier nicht mehr blicken."
„Hier nicht", sagte der Seewolf. „Aber vielleicht woanders. Wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren." „Wir verfahren wie vereinbart?" fragte Old O'Flynn. „Ja", erwiderte Hasard. Sie hatten es schon an der Cherokee-Bucht abgesprochen, was sie nach dem erfolgreichen Schlag gegen die WebsterMeute zu tun gedachten. Hasard gab dem Gambia Mann ein Zeichen. Dieser erhob sich und schoß nacheinander drei Brandpfeile in den Himmel in Richtung Stützpunkt. Es war das Signal für Martin Correa, Nils Larsen und Sven Nyberg, mit der „Empress of Sea II." loszusegeln. Die drei sahen die Brandpfeile aufsteigen und begaben sich sofort an Bord. Nur wenige Worte wurden mit den Freunden gewechselt, die am Ufer zurückblieben das Trio verließ mit dem Schiff die Bucht und segelte am Strand entlang südwärts. Vereinbart war auch, daß Old O'Flynn mit Verstärkung an Bord gehen würde ein weiterer wichtiger Punkt, denn mit nur vier Mann war die Stammcrew der „Empress" zu klein, um ein Unternehmen wie dieses durchzuführen. Die vier Galeonen des Jeremiah Josias Webster mußten „beschattet" werden, um die weiteren Schritte des Großmeisters zu beobachten. Wer zu der Verstärkung zählte, war bereits festgelegt: Dan, Carberry, Batuti und Gary Andrews. Sie gingen von den Dünen an den Strand und warteten das Eintreffen der „Empress" ab. Hasard gab außerdem Bill den Befehl, auf einen der Bäume in Strandnähe zu steigen. Von hier aus hielt Bill Ausschau. Er vergewisserte sich, daß Webster mit seinen Schiffen wirklich das Weite suchte. Oder versuchte er etwa, einen Trick anzuwenden? Zuzutrauen war ihm alles. Vielleicht kehrte er um und pirschte sich wieder an? Nein, das schien nicht der Fall zu sein. Dennoch war es ratsam, ihn nicht aus den Augen zu lassen und ständig unter Beobachtung zu halten. Nach Ablauf einer Stunde traf die „Empress of Sea II." bei den Freunden ein. Old O'Flynn, Dan, der Profos, der Gambia-Mann und Gary Andrews gingen an Bord. Die „Empress" hatte die Aufgabe, den vier Schiffen zu folgen und festzus-
tellen, wie sich die Sache mit den Eiferern weiter entwickelte. „Mal sehen", sagte Dan noch, bevor sie sich trennten. „Vielleicht gibt Webster ja wirklich klein bei." „Ich glaube es nicht", sagte sein Vater. Auch Hasard hatte seine Zweifel. „Ein Glaubensfanatiker, der es geschafft hat, an die vierhundert Leute an sich zu binden, der ist nicht so leicht zu bremsen." „Das stimmt", sagte Big Old Shane. „Aber er kann doch seine Leute nicht so mir nichts, dir nichts opfern. Er muß sich doch sagen, daß er ein furchtbares Unheil anrichtet, wenn er weiter versucht, auf Great Abaco zu landen." „Erfahrene Kämpfer sind das auch nicht", sagte der Wikinger. „Wie die sich schlagen, ist das eher lachhaft", meinte Carberry. „Wir dürfen sie auf keinen Fall unterschätzen", sagte der Seewolf. „Das wäre ein Fehler. Demagogen vom Typ eines Webster haben schon Völker verwirrt und in den Tod gehetzt." Es lohnte sich, darüber nachzudenken. Hatte nicht ein Peter von Amiens, genannt der Einsiedler, Tausende von Menschen des niederen Volkes zum ersten Kreuzzug entflammt? Und sie waren dann bei Nikäa von den Seldschuken abgeschlachtet worden irregeführte Menschen. Es hörte nie auf, und mochte das Ziel noch so irreal sein und von einem Verrückten verkündet werden. Mit dem Feuer der Beredsamkeit ließen sich die Menschen auf die Schlachtbank führen. Die „Empress" entfernte sich nach Süden. Bill stieg von seinem Aussichtsplatz, dem Baum, ab und gesellte sich wieder zu dem Trupp. Hasard wartete noch eine Weile, dann gab er das Zeichen zum Abmarsch. Der Trupp kehrte zum Stützpunkt zurück. Beim Heimmarsch hatte der Seewolf ziemlich trübe Gedanken. Der Bund der Korsaren hatte die Schlangen-Insel und Coral Island verloren. Great Abaco und die CherokeeBucht waren ihm als neuer Schlupfwinkel ideal erschienen. Hatte er sich etwa geirrt? War die neue Heimat, die sie sich geschaffen hatten, jetzt auch in Gefahr und noch dazu durch die eigenen Landsleute?
Im Stützpunkt würden sie beraten, wie er noch besser abzusichern war. Und die Patrouillenfahrten müssen wieder aufgenommen werden, dachte Hasard. Ohne Sicherheitsmaßnahmen ging es auch hier nicht. Immer wieder konnten Schiffe auftauchen, und wenn ein möglicher Feind nur zufällig Great Abaco anlief, konnte das verheerende Folgen haben. Also mußte entsprechende Abhilfe geschaffen werden. Hasard nahm sich vor, einen perfekten Plan zu entwerfen. Es gab noch viel zu tun. * Inzwischen rauschte die „Empress of Sea II." bei gutem Nordostwind südwärts. Old O'Flynn hatte selbst die Pinne übernommen. Bald ging er auf Südostkurs. Es wurde rasch dunkler. Im Westen senkte sich der mattrote Sonnenball der Kimm entgegen. Ein großer Schwärm Seevögel steuerte auf Great Abaco zu und landete am südlichen Strand. Die acht Männer an Bord des kleinen Dreimasters spähten aufmerksam zu den vier Galeonen der Pilger, die sich immer weiter nach Süden entfernten. Webster nahm keinen Kurswechsel vor, wie Hasard und seine Kameraden insgeheim befürchtet hatten. Offenbar hatte er doch nicht vor, noch weiter vor Great Abaco zu verweilen. „Der Schein kann auch trügen", sagte Old O'Flynn mißtrauisch. „Vielleicht kehren die Betbrüder im Schutz der Dunkelheit zurück." „Zuzutrauen wäre es diesem Webster", meinte Carberry. „Bei dem müssen wir wohl auf alles gefaßt sein. Er ist ein ausgekochter Halunke." Die Sonne tauchte in die Kimm und verschwand von einem Augenblick auf den anderen. Die Nacht warf ihre langen Schatten. Der letzte Schimmer der Dämmerung ging in Finsternis über. Von den vier Galeonen war jetzt nichts mehr zu sehen. „Setzen die nicht das Hecklicht?" fragte Nils Larsen. „Sie tun's absichtlich nicht", entgegnete Old Donegal. Dann spuckte er in hohem Bogen nach Backbord ins Wasser, um der Verachtung Ausdruck zu verleihen, die er für
Jeremiah Josias Webster empfand. „Webster, dieses Schlitzohr, hat sich Seinen Plan bereits zurechtgelegt. Im Dunkeln, meint der Kerl, ist gut munkeln." Der Profos betrachtete seine riesigen Hände. „Wir werden ihm das Munkeln schon abgewöhnen. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß er es darauf anlegt, was auf die Nase zu kriegen." „Kann schon sein", sagte Gary Andrews grinsend. „Es soll ja Kerle geben, die sich freuen, wenn man sie haut." „Spaß beiseite", sagte Dan. „Ich schätze, die Bande wird nicht Great Abaco, sondern Eleuthera ansteuern. Da verholen sie erst mal." „Vielleicht laufen die auch New Providence an", sagte Sven Nyberg. „Eleuthera liegt näher", erwiderte Dan. „Und da sind sie zunächst ungestört", brummte sein Vater. „Webster kann seine Sprüche klopfen und Kriegsrat mit seinem Volk halten. Irgendwas wird er schon aushecken." Batuti seufzte. „Aber wir können die Inseln doch nicht auf gut Glück abklappern. Wenn wir Pech haben, finden wir die Schiffe nicht mehr wieder." „Unsinn", entgegnete Old O'Flynn. „So gut können die Betbrüder ihre Kähne auch nicht verstecken. Dan wird sie schon sichten. Außerdem sagt mir mein Spürsinn, daß Eleuthera die richtige Adresse ist." Es war im übrigen keine ganz mondlose Nacht. Die blasse Sichel des Mondes stand am Nachthimmel wie ein überdimensionales Stück Zitrone. Mit leisem Rauschen zerteilte der Bug der „Empress" die Fluten. Ziemlich schnell war die Passage zwischen Great Abaco und Eleuthera überbrückt. Aufmerksam hielten die Männer nach allen Seiten Ausschau. Doch von den vier Galeonen gab es nicht die geringste Spur. Sie schienen verschwunden zu sein. „Beim Donner", sagte Carberry. „Die können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben." „Schön wär's", brummte Old Donegal. Kurze Zeit darauf ließ er noch ein wenig anluven und steuerte Kurs Ost-Ost-Süd. Die „Empress" passierte wenig später Spanish Wells und Harbour Island im Norden und
segelte nun an der nördlichen Küste von Eleuthera entlang. Wieder war von den Gesuchten nichts zu sehen. „Wenn sie doch nach Süden abgehauen sind, können wir sie lange suchen", sagte Martin Correa. „Dann haben sie jetzt bereits fast New Providence erreicht." „Wir können zwar Eleuthera im Süden umrunden", meinte Nils Larsen. „Aber wir kommen trotzdem zu spät, und die Betbrüder landen vielleicht auf Andros." Old O'Flynn lachte meckernd. „Na, da wünsche ich ihnen viel Vergnügen." Er dachte an Coanabo und dessen Stamm. Die Indianer würden den frommen Gentlemen sicherlich einen gebührenden Empfang bereiten. „Alles Unfug", sagte Dan. „Ich wette, die Kerle sind auf Eleuthera." „Wer hält dagegen?" fragte Carberry. Keiner meldete sich. „Ich bin doch nicht verrückt", sagte Batuti. „Denkst du, ich will verlieren?" „Ihr habt alle eine große Klappe", sagte Old O'Flynn. „Aber eins solltet ihr bedenken. Wir O'Flynns sind gute Navigatoren und ausgesprochene Spürnasen." „Eigenlob stinkt", sagte Carberry grinsend. „Wenn hier jemand stinkt, dann ist es Webster", meinte Dan leise lachend. „Wir brauchen nur dem Duft zu folgen, und schon finden wir ihn." Einige Zeit darauf sollte sich herausstellen, daß Dan doch richtig getippt hatte. Die „Empress" näherte sich der Ostküste von Nord-Eleuthera. Plötzlich hob Dan den Kopf. „Es tut sich was", sagte er. „Da drüben sind Lichter." Er streckte die Hand aus und deutete mit dem Zeigefinger auf das Ufer. Das Ufer war natürlich nicht zu erkennen wohl aber die Lichter. „Laternen", murmelte der Profos. „Und ein Strandfeuer. Aha, die Burschen fühlen sich also sicher." „Sie rechnen wohl doch nicht damit, daß wir sie verfolgen", meinte Sven Nyberg. „Jedenfalls halten sie es nicht für möglich, daß wir ihnen bis hierher nachschnüffeln und sie aufscheuchen", sagte Gary Andrews. „Sehr gut. Die werden sich noch wundern."
Es war noch vor Mitternacht. Old O'Flynn und seine sieben Begleiter tasteten sich mit der „Empress" vorsichtig an den Lagerplatz der Pilger heran. Die Lichter entpuppten sich als die Ankerlaternen der vier Schiffe. Am Strandfeuer, so war zu sehen, hatten sich die Gestalten versammelt. Stimmen tönten zu dem kleinen Dreimaster herüber. Websters Organ war deutlich herauszuhören. „Wie der auf die Pauke haut", sagte Old O'Flynn mit höhnischem Lächeln. „So ein Schweinepriester. Man muß sich ja schämen, Engländer zu sein." „Los", sagte Carberry. „Was unternehmen wir? Wir sollten erst mal irgendwo landen und dann die Hundesöhne belauschen." „Einverstanden", erwiderte Old Donegal. „Das habe ich auch vor, Mister Carberry." „Sehr schön, Mister O'Flynn", sagte der Profos. „Aber vielleicht sollten wir uns doch ein bißchen beeilen, ehe sich die Bastarde schlafen legen." Etwas später steuerte Old Donegal eine Bucht an der nördlichen Westküste von Eleuthera an. Die „Empress" hatte nunmehr die Insel im Südosten gerundet und befand sich somit an der Leeseite etwa auf der Gegenseite der WebsterJünger. Die „Empress" ging in der Bucht vor Anker. Carberry wollte sofort an Land, aber der Alte hielt ihn zurück. „Ich bin hier der Kapitän, Mister", sagte er. „Und ich bestimme, wer als Kundschafter abrückt." „Melde mich freiwillig, Sir", knurrte der Profos. Old O'Flynn schüttelte den Kopf. „Nichts da. Dan hat die schärfsten Augen, und Batuti sieht man in der Nacht nicht, weil er so schön schwarz ist." „Soll das heißen..." „Ja", erwiderte Old Donegal schlicht. „Dan und Batuti." Sie diskutierten noch eine Weile herum, dann aber gab Carberry auf. Er verwünschte den Alten zwar mit den übelsten Flüchen, aber es blieb dabei: Dan und Batuti pullten zum Pirschgang an Land. Sie versteckten die Jolle im Ufergebüsch und zogen los. Die sechs zurückbleibenden Männer blickten ihnen nach, wie sie im Dickicht verschwanden. „Viel Erfolg", murmelte Martin Correa.
6. Eleuthera war eine langgestreckte, gekrümmte Insel. Es dauerte nicht sehr lange, und Dan O'Flynn und der GambiaMann hatten den schmalen Streifen überquert, der sie von Webster und dessen Gemeinde trennte. Sie orientierten sich an den Stimmen, die wieder herüberwehten, und bald sahen sie auch das Feuer und die Ankerlaternen der vier Galeonen. „Riech mal", sagte Batuti gedämpft. „Da brutzelt doch was." Dan grinste. „Auch Betbrüder müssen sich ernähren." „Ach ja? Ich dachte, die leben von Luft." „Nein, und von Liebe schon gar nicht." „Mann." Batuti konnte nur den Kopf schütteln. „Bei denen ist Liebe was Strafbares. Nicht zu fassen." „Es gibt aber auch Sekten, bei denen ist die Vielweiberei erlaubt", erklärte Dan leise seinem Freund. „So? Wie paßt denn das zusammen?" „Überhaupt nicht", flüsterte Dan. „Und die Sekten, die ich kenne, sind sich untereinander auch spinnefeind." „Von mir aus brauchte es solche Sekten nicht zu geben", brummte der schwarze Herkules. „Die verdrehen nur die ganze Weltordnung." Sie legten sich flach auf den Boden und robbten die letzten Yards, die es noch zurückzulegen galt, durch das Dickicht. Es war für sie kein Problem, sich in die Nähe des Lagerplatzes am Strand zu schleichen. In dem struppigen, verfilzten Buschwerk fanden sie gute Deckung. Sie waren sicher, daß die Kerle sie nicht entdecken würden. Batuti verständigte sich mit Dan durch Zeichen. Wie es schien, hatten die Jünger Christi nicht einmal Wachtposten aufgestellt. Jeremiah Josias Webster schien dies nicht für nötig zu halten. Er fühlte sich sicher und hatte seine alte Fassung Wiedererlangt. Seine Selbstsicherheit war zurückgekehrt. Er war wieder ganz der Erhabene und Großmeister, der die Schar der Jünger und Kreuzfahrer befehligte. Seinen schwarzen Spitzhut trug er immer noch trotz des Loches, das er darin entdeckt hatte. Aber das Kugelloch sah
man im Dunkeln ja nicht. Der Hut gehörte ganz einfach zu den Insignien des Großmeisters, er war ein Symbol der Macht und der Würde. Der tote Seemann, der während der Fahrt von Great Abaco nach Eleuthera noch an dem Tau der „Kyrie Eleison" gebaumelt hatte, war auf das Flehen der ausgepeitschten „Hure" hin inzwischen von der Rah geknüpft worden. Auch ein paar andere Frauen hatten gebeten, den Toten zu bestatten, und in seiner unendlichen Gnade und Güte hatte Webster diesem Wunsch nachgegeben. Allerdings hatte er den „Hurenbock" weder mit christlichen noch mit seemännischen Ehren beigesetzt. Er hatte ihn einfach ins Wasser werfen lassen und damit basta. Die Haie wußten schon, was mit so einem Hundesohn anzufangen war. In seiner Kapitänskammer hatte sich Webster selbstverständlich auch wieder ein paar Becher Wein genehmigt, ehe sie auf Eleuthera gelandet waren und das Lagerfeuer entfacht hatten. Der Wein heizte ihn innerlich an und peitschte ihn zu wilden Reden auf. Dan und Batuti beobachteten: Um das Feuer, über dem ein Lamm am Spieß gebraten wurde, waren offenbar außer Webster die Unterführer dieser merkwürdigen Sekte versammelt. Sie hielten, wie man an Bord der „Empress" schon richtig vermutet hatte, eine Art Kriegsrat ab. Schon war Jeremiah Josias Webster wieder kräftig am Tönen. Er stand aufrecht da und gestikulierte heftig. Die zuckenden Flammen verliehen seiner Erscheinung etwas Diabolisches. Rund um das Feuer hockten die anderen Männer fast zwei Dutzend. Moore, Harris und Smead waren mit dabei. Smead drehte den Lammspieß. Webster breitete mit gleichsam südländischer Grandezza die Arme aus. Sein Auftritt war perfekt, es fehlte nur der Beifall des Publikums. „Jünger!" rief er aus. „Wie ich euch vorhin schon angekündigt habe, hat der Herr erneut zu mir gesprochen! Er hat mich beauftragt, alle Inseln der Karibik zu missionieren!" „Alle?" fragte Moore. „Das sind aber sehr viele." „Unterbrich mich nicht!" zischte Webster, dann fuhr er eher salbungsvoll und mit öligem Unterton in der Stimme fort: „Die Bewohner dieser Inseln sind offenbar alle Sünder
und Ketzer. Wir haben ja gesehen, wie viele Heiden es hier gibt, die wie die Wilden um sich schlagen. Diese Lumpen werden wir zu einem Gott wohlgefälligen Leben zwingen! Wir werden die Widerspenstigen züchtigen, die Abtrünnigen und Unbekehrbaren steinigen und zu Asche verbrennen!" Dan und Batuti tauschten im Dickicht einen Blick miteinander. Der Gambia-Mann tippte mit dem Zeigefinger an die Stirn. Dan nickte bestätigend. Es stimmte: Einem verrückteren Kerl als diesem Webster waren sie bisher noch nicht begegnet. Webster stellte alle in den Schatten, selbst den beutegierigen One-Eye-Doolin, gegen den der Bund jüngst hatte kämpfen müssen. Websters Stimme wurde lauter, er hatte sich so richtig in Fahrt geredet. „Auf dieser Insel, so hat der Herr verkündet, soll eine feste Burg errichtet werden! Die Feste Zions! Sie wird der Ausgangspunkt für den heiligen Feldzug gegen alle Andersgläubigen, gegen Heiden und Wilde sein!" „Eine Burg?" murmelte Moore. „Nicht schlecht." „Es wird einige Zeit dauern, bis wir sie erbaut haben", sagte Harris. „Aber sie wird ein Prachtbau sein, unser Dom und unser Heim zugleich." Hündisch ergeben blickte er zu Webster auf. Wenn der seine großen Reden schwang, war Harris wie in Trance. Er berauschte sich an diesen Sprüchen. In diesem Zustand war er zu allem bereit, auch, neue Hiebe von den „Heiden" zu empfangen. Aber nicht alle Unterführer und Oberjünger schienen einverstanden zu sein mit dem, was Webster von sich gab. Einer von ihnen hatte den Mund verzogen. Eine Erwiderung schien ihm auf der Zunge zu liegen, aber er sprach sie nicht aus, denn Orman Smead blickte warnend zu ihm hin. Webster hob die rechte Hand, als sei er Christus beim Einzug in Jerusalem. „Der erste Kreuzzug aber ist gegen das Natterngezücht auf Lucaya zu führen, das es gewagt hat, sich den Befehlen des Herrn zu widersetzen!" Batuti sah wieder Dan an und murmelte fragend: „Lucaya?" „Great Abaco wird oft so genannt", raunte Dan. „Wußte ich nicht", wisperte der Gambia-Mann. Er nahm sich vor, sich den Namen zu merken. Webster mußte sich genau über die Inselwelt informiert haben, ehe er die Über-
querung des Atlantiks begonnen hatte. Vielleicht hatte er auch gutes Kartenmaterial. „Nieder mit dem Natterngezücht!" brüllte Webster. „Nieder mit dem Oberteufel, dem Schwarzhaarigen, der von Dämonen und den Mächten der Hölle besessen ist! Er muß darum gepfählt, gevierteilt und den Haien zum Fraß vorgeworfen werden!" „Jawohl!" riefen Harris, Smead und einige andere. „Den Haien zum Fraß! Ausrotten muß man das Gezücht!" „So, wie man Ungeziefer ausrottet!" schrie Webster. „Wir zerfetzen und zerquetschen sie! Wir kehren aus und fegen Schmutz und Nattern von der Insel, bis sie sauber ist! Rein, wie der Herr es von uns verlangt! Und dann geht es weiter! Der Kreuzzug beginnt, und er wird lange dauern! Aber Gott wird uns schützen und loben, er wird uns führen und leiten!" Batuti ballte die Hände zu Fäusten. Er verspürte so richtig Lust, zum Feuer zu stürmen und sich den sehr ehrenwerten Großmeister zu holen. Dan war ebenfalls geladen wie ein Siebzehnpfünder aber natürlich unternahmen sie nichts, denn sie hatten ja den Befehl, nur zu beobachten. Außerdem wäre es viel zu riskant gewesen, zu zweit etwas gegen diesen Wahnsinnigen und dessen Gefolgschaft zu unternehmen. Sie hatten also keine andere Wahl. Sie konnten nur weiterhin verfolgen, was vor sich ging, und sich die Schmähreden dieses Verrückten anhören. * Orman Smead stach mit einer Gabel in das Lamm und stellte fest, daß es gar war. Eigentlich war der Zeitpunkt gekommen, das zarte Tierchen zu verspeisen aber wer wagte schon, Webster zu unterbrechen? Der tönte gegen die Nattern und Heiden und schüttelte die Fäuste in die Richtung, in der sich Great Abaco oder Lucaya befand. Sowohl die Jüngerschar am Feuer als auch die Leute an Bord der Schiffe sowie die beiden Späher im Dickicht erlebten jetzt, wie sich der Großmeister bis in die Raserei steigerte.
„Die Geißel Gottes wird alle Ketzer vernichten!" donnerte er. „Tod den Nattern! Zertrampelt sie!" „Ja! Tod den Nattern!" riefen die Unterführer. Nur einer ließ sich von Websters Besessenheit nicht mitreißen jener, der auch schon zuvor den Mund verzogen hatte. Jetzt konnte er sich nicht länger zurückhalten. Er sprang auf. Orman Smead wollte ihn wieder zu Boden zerren, aber der Mann riß sich von ihm los. „Webster!" rief der Mann. Webster holte gerade Luft. Er wollte erneut loslegen, hielt aber den Atem an und blickte zu dem Störenfried. „Was willst du?" „Ich möchte dich an etwas erinnern." „Später, nicht jetzt." „Es ist aber wichtig", sagte der Mann. „Vor lauter Geifer vergißt du ganz, was wir gerade auf Lucaya erlebt haben." „Geifer?" wiederholte Webster langsam. „Du wagst es..." „Eine geifernde, unflätige Hetzpredigt", sagte der Mann respektlos. „Ich habe jetzt die Nase voll. Man hat uns geschlagen und auf uns geschossen. Was willst du noch? Daß sie uns alle umbringen? Du vergißt wohl, daß wir Frauen und Mädchen an Bord haben, halbe Kinder noch. Es ist unverantwortlich, ihr Leben leichtfertig aufs Spiel zu setzen." Jeremiah Josias Webster glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Er starrte den Kritiker an, als sei dieser ein Wesen von einem fremden Stern. Smead wollte den Mann beschwichtigen. Harris zischte: „Sei doch still!" Aber der Mann ließ sich nicht beirren. Er war trotz aller Sprüche des Großmeisters noch nüchtern genug, die entscheidende Frage an ihn zu richten. „Wie stellst du dir das überhaupt vor?" fragte er. „Wie soll der Kreuzzug gegen das Natterngezücht denn praktisch durchgeführt werden? Wenn mich nicht alles täuscht, versteht es diese Art von Nattern ausgezeichnet, scharf zuzubeißen." „Nur, weil sie uns überrumpelt haben!" schrie Webster den Mann an. „Nur deswegen!"
Der andere lachte höhnisch. „So? Ich hatte den Eindruck, daß die Kerle eine kräftige Handschrift haben. Und sie können auch verdammt gut mit ihren Waffen umgehen. Und die Brandpfeile? Hast du bemerkt, wie sie damit zu treffen verstehen?" Webster trat einen Schritt auf den Mann zu und stand jetzt unmittelbar vor dem Feuer, über dem sich der Spieß drehte. „Natürlich habe ich es bemerkt. Und? Was willst du damit sagen?" „Daß die Nattern, wie du sie nennst, uns haushoch überlegen sind." „Das ist eine Lüge!" brüllte Webster. „Kannst du mir das Gegenteil beweisen?" „Ich weiß es! Es bedarf keiner Beweise." Der Mann schüttelte trotz der zornigen Blicke, die ihm auch Harris, Moore, Smead und die meisten anderen zuwarfen, den Kopf. „Ich will das ganz genau wissen, Jeremiah Webster." „Für dich immer noch der Erhabene!" „Lassen wir den Erhabenen und den Großmeister weg", entgegnete der Kritiker. „Ich habe diesen Mummenschanz satt. Ich will, daß du mir sagst, welche Pläne du in bezug auf die Bewohner der Insel hast." Webster hob die Fäuste. „Noch ein Wort, und ich züchtige dich mit meinen bloßen Händen!" „Das sieht dir ähnlich", erwiderte der andere. „Aber andere Argumente hast du wohl nicht, was? Ich habe schon bereut, diese Reise mitzumachen. Sie ist ein einziger Wahnsinn." „Versündige dich nicht!" rief Smead dazwischen. „Du weißt nicht, was du sagst!" „Er ist ein Ketzer", sagte Harris zynisch. „Das ist es." „Herr, hilf ihm, denn er ist nicht bei Sinnen", murmelte Smead. Webster brüllte: „Wegen dieser ruchlosen Anschuldigungen und Gotteslästerungen wirst du dich vor dem Gericht verantworten!" „Von wegen!" schrie der Rebell zurück. „Mich hängst du nicht am Hals auf! So leicht geht das bei mir nicht!" „Stopft ihm das Maul!" heulte Webster.
Der Mann wich einen Schritt zurück und hob beide Hände. „Keiner tritt mir zu nah, sonst kann er was erleben! Ich kann mich verteidigen! Nicht so gut wie die auf der Nachbarinsel, aber mir genügt es!" Batuti grinste Dan zu. „Der taugt was, der Bursche", raunte er. „Aber er setzt sehr hoch", murmelte Dan. „Er hat sie alle gegen sich." „Einer muß diese Irren doch mal zur Vernunft bringen." „Ich weiß nicht, ob ihm allein das gelingt", flüsterte Dan. „Schlägt sich denn keiner auf seine Seite?" „Wohl nicht", meinte Dan. „Komme endlich zu dir!" schrie indessen Harris dem Aufsässigen zu. „Tu Buße! Bitte um Verzeihung! Du bist vom Teufel besessen!" „Ihr seid besessen", sagte der Mann spöttisch. „Aber ihr merkt leider nicht, wie er euch verhext hat." „Willst du behaupten, ich bin ein Hexer?" stieß Webster mit schriller Stimme hervor. Der Mann winkte ab. „Gar nichts behaupte ich. Aber hast du überhaupt eine Ahnung, wer die Kerle auf der Insel sind?" „Engländer", erwiderte Moore an Websters Seite. Webster war viel zu wütend, um auf diese Frage etwas entgegnen zu können. " „Sie sind nicht alle Engländer", sagte der Rebell. „Es sind auch noch andere Leute dabei. Nimm den Schwarzen zum Beispiel. Oder diese Nordmänner. Wo kommen die her? Wir können nur raten." „Der Schwarze kommt aus Afrika, und die Nordmänner aus dem Norden", sagte Harris höhnisch. „Ist doch ganz einfach. Aber was nutzt es uns, wenn wir erfahren, aus welchen Ländern sie stammen? Sie sind unsere Feinde, die ausgerottet werden müssen. Das ist alles. Sie sind Nattern, Hurenböcke, Ketzer, Heiden und Schnapphähne." „Schnapphähne?" wiederholte Orman Smead verdutzt. „Ja", erwiderte Harris. „Kerle, die andere Schiffe überfallen und ausplündern. Sie schneiden ihren Opfern die Gurgeln durch und werfen sie ins Wasser. Vielleicht sind sie aber auch Kannibalen, die Menschenfleisch fressen."
„Der Nigger bestimmt!" rief einer der Ober jünger. Batuti zerdrückte einen saftigen Fluch zwischen den Zähnen. Dan legte ihm die Hand auf den Unterarm und wisperte: „Laß man. Das zahlen wir ihnen alles noch zurück." Jeremiah Josias Webster hätte sich am liebsten auf den Aufsässigen gestürzt und ihn niedergeschlagen. Anschließend konnte er ihn den Haien zum Fraß vorwerfen. Alles deutete darauf hin, daß er wieder ein Exempel statuieren mußte, um die Kerle an der Kandare zu halten. Aber etwas hielt ihn noch zurück. Auf was wollte dieser Querulant eigentlich hinaus? „Es ist gut, das zu wissen", sagte der Mann. „Wir haben es also mit Piraten zu tun. Die schrecken bekanntlich vor nichts zurück. Dennoch muß ich feststellen, daß sie uns noch recht fair behandelt haben. Sie hätten uns ja schon am Strand, als wir gelandet waren, die Hälse durchschneiden können, nicht wahr?" „Nein!" brüllte Webster. Der Mann zuckte mit den Schultern. „Woher du dein Wissen beziehst, ist mir schleierhaft." „Der Herr spricht zu ihm!" schrie Harris. „Amen", sagte der Aufsässige frech. „Wie dem auch sei, eins habt ihr mir bestätigt. Unser Kreuzzug wird zu einem sehr gefährlichen Unternehmen. Wir müssen damit rechnen, daß das sogenannte Natterngezücht wieder auf uns schießt und sich mit den Säbeln auf uns stürzt. Mit anderen Worten, bei unserer nächsten Begegnung wird Blut fließen, und das nicht zu knapp." „Auch das müssen wir auf uns nehmen", sagte Smead. „Der Herr will es so." „Der Orden wird erhebliche Verluste erleiden", sagte der Mann mit kalter, schneidender Stimme. „Und das soll in unser aller Interesse sein?" „Ja!" brüllte Harris. „Die Piraten werden uns dezimieren", sagte der andere Mann. „Trotzdem werden wir sie besiegen", sagte Smead laut. „Der Sieg ist unser."
„Davon habe ich bisher noch nichts bemerkt", entgegnete der Kritiker. „Und was ist, wenn diese Piraten unsere Schiffe entern, alles niedermetzeln und die Frauen vergewaltigen? Habt ihr euch das überlegt, gründlich, meine ich?" „Schluß!" brüllte Jeremiah Josias Webster. Seine Stimme überschlug sich vor Zorn und Haß. „Basta!" Allein die durchaus berechtigten Einwände des einen Ober Jüngers hatten ausgereicht, bei dem Großmeister einen regelrechten Tobsuchtskoller zu entfesseln. Webster stürzte sich auf den Widerspenstigen, geriet dabei jedoch an den Lammspieß. Er hakte mit dem Fuß hinter das Gestell, auf dem die Spitze des Spießes lag, stolperte und fiel in das Feuer. Das Lamm landete samt Spieß auf dem Boden. Webster strampelte mit den Beinen und schlug wie ein Verrückter um sich. Die Funken stoben, Glut flog nach allen Seiten. Dann, mit einem Satz, war Webster überraschend schnell wieder auf den Beinen. Er warf sich auf den schadenfroh grinsenden Zweifler und rammte ihm die Faust gegen die Brust. Der Mann prallte zurück, keuchte und verlor das Gleichgewicht. Er ruderte mit den Armen und landete auf dem Boden. „Auf ihn!" heulte Webster. „Steinigt diesen Dämonen der Hölle!" „Ja, steinigt ihn!" brüllte auch Harris. Die anderen Oberjünger wurden von Websters Koller regelrecht angesteckt. Alle sprangen auf und stürmten zu dem Mann, der gewagt hatte, an den Entscheidungen und Verkündungen des Großmeisters zu zweifeln. Von den Schiffen ertönte leiernder Gesang. Natürlich hatten alle, die sich an Bord der vier Galeonen befanden, das Geschehen am Ufer verfolgt. Jetzt schien die gerechte Strafe, sozusagen der Zorn Gottes, den Aufsässigen zu treffen. Zeit, einen Choral zu singen. „Die gehören alle eingesperrt", raunte Batuti. „Die haben kein richtiges Blut, sondern Gift in den Adern." „Kein Wunder bei den Predigten, die Webster ihnen hält", sagte Dan mit gedämpfter Stimme.
„Kann man dem Burschen da nicht helfen?" flüsterte der Gambia Mann. „Nein, wir dürfen es nicht tun", erwiderte Dan verhalten. „Wenn uns die Bande schnappt, sind wir geliefert. Und wir gefährden auch unsere Freunde von der „Empress"." So konnten sie nur zusehen, wie Webster und seine Mannen über den Kritiker herfielen. Brüllend und schreiend prügelten sie mit den Fäusten auf ihn ein. Orman Smead hatte rasch noch den Spieß mit dem Lamm in die richtige Lage zurückbringen können. Jetzt fuhr auch er hoch und warf sich auf den wild zuckenden, keuchenden Haufen Leiber. Mit einem wilden „Halleluja-Ruf hieb er zu, traf aber den falschen Kerl: Harris. „Au!" brüllte Harris. „Bist du blind?" „Paß doch auf!" brüllte Smead. Webster, Moore und die anderen droschen auf den Kerl ein, der unter ihnen lag, aber auch sie behinderten sich gegenseitig. Schließlich war es dunkel, und man konnte nicht so recht sehen, auf wen man einschlug. Der Rebell nahm seine Chance wahr. Er knallte einem Gegner die Faust unters Kinn, einem zweiten rammte er das Knie voll in den Leib. Dann kroch er weg. Es gelang ihm, sich aus den Griffen von Webster und zwei anderen zu lösen. Er sprang auf und ergriff die Flucht. „Hinterher!" brüllte Webster. „Packt ihn!" heulte Harris. „Er ist ein Teufel!" stieß ein anderer Mann mit kreischender Stimme hervor. Auf den Schiffen war der Gesang derweil lauter geworden. Es war eine groteske, absurde Szene. Dan und Batuti sahen, daß sich der Flüchtling ihnen näherte. „Achtung!" zischte Dan. „Aufpassen!" Doch es war schon zu spät. Der Webster-Jünger hatte mit langen Sätzen den Strand überquert. Schon stürmte er ins Dickicht genau auf die Stelle zu, an der die beiden Späher sich versteckt hatten. Er erlebte eine böse Überraschung. 7.
Als der Mann mit raschen Sprüngen in das Dickicht eindrang, gelang es Dan gerade noch, sich zur Seite wegzurollen. Nur so verhinderte er, daß der Mann auf ihn trat oder über ihn stolperte. Aber dann schrie der Mann auch schon wie am Spieß. Batuti fuhr vor dem Flüchtling hoch wie ein Kastenteufel. Er rollte mit den Augen und stieß einen gutturalen Laut aus. Der Webster-Jünger glaubte, den Teufel in Person vor sich zu haben. „Allmächtiger!" brüllte er. Im Nu war die Hölle los. Webster und die anderen aufgebrachten Oberjünger stürmten heran und stießen Rufe aus. „Was ist los?" schrie Webster. „Hier! Ein Dämon!" heulte der Mann im Gebüsch. Alle Kritik, die er vorher an seinem Großmeister geübt hatte, schien jetzt vergessen zu sein. Er hatte Angst und brauchte Hilfe. Ein zähnefletschendes Ungeheuer drohte sich auf ihn zu stürzen. Jeremiah Josias Webster hatte bei dem Handgemenge zwar seinen Hut verloren, hatte ihn aber noch schnell aufheben können, ehe er losgestürmt war. Jetzt stülpte er sich den durchschossenen Hut wieder über. „Ein Dämon!" brüllte er. „Wir töten ihn!" Webster erreichte an der Spitze seines Trupps das Gestrüpp, acht seiner Kerle folgten ihm. Die übrigen unter ihnen auch Orman Smead, der nicht besonders gut zu Fuß war blieben etwas weiter zurück. Webster gewahrte eine Bewegung im Dickicht. Dann sah er den Flüchtling und den Gambia-Mann. „Da!" stieß Webster voll Abscheu hervor. „Der Nigger!" „Hier ist noch einer!" schrie der Abtrünnige. Er registrierte nämlich gerade, wie sich Dan O'Flynn aufrichtete. „Noch eine Natter!" brüllte der Großmeister. „Batuti!" zischte Dan. „Wir hauen ab!" „Ja", erwiderte der Gambia-Mann. „Es hat keinen Zweck zu kämpfen." Das sah auch er ein, obwohl er Webster und den anderen Kerlen, die ihn einen Nigger nannten, am liebsten die Hälse umgedreht hätte.
Für Dan und den schwarzen Herkules begann jetzt eine Jagd auf Leben und Tod. Dan trat dem Flüchtling gegen die Beine, Batuti versetzte dem Kerl einen Stoß. Der Mann landete im Dickicht und riß Webster mit um. Er fing von dem Erhabenen zwei harte Hiebe ein, dann wälzte er sich zur Seite. „Teufel!" heulte Webster. „Zwei Teufel! Nehmt sie gefangen! Nein schlagt sie gleich tot!" Dan und Batuti jagten los nach Westen, zurück zum Ankerplatz der „Empress of Sea II.". Sie konnten sich ausmalen, was ihnen blühte, wenn sie diesen Verrückten in die Hände fielen. Hinter ihnen tobte die schreiende Bande, der Gesang von Bord der Schiffe tönte auch hinter ihnen her. Jeremiah Josias Webster hatte sich aufgerappelt. Er hastete weiter, gefolgt von seinen Männern. Während er voranstürmte und nach den Davoneilenden Ausschau hielt, arbeitete es in seinem Hirn. Was hatte dieser Vorfall zu bedeuten? Hatte er richtig gesehen? Handelte es sich bei dem Nigger wirklich um den Menschenfresser, der auf Great Abaco mit Brandpfeilen geschossen hatte? Webster glaubte, sich nicht zu täuschen. Deshalb folgerte er, daß die beiden Kerle, die sie aufgescheucht hatten, zum Natterngezücht des Oberteufels gehörten. Heimlich hatten diese Hunde die Beratung des Großmeisters und seiner Oberjünger belauscht! Ungeheuerlich! Überhaupt, es war ein starkes Stück, daß sie dem Verband bis hierher gefolgt waren". Wie hatten sie das schaffen können? Webster beschloß, später darüber nachzugrübeln. Jetzt war keine Zeit dazu. Er mußte diese Bastarde fangen. Andernfalls würden sie seine Pläne natürlich sofort weitergeben und verraten an die anderen Nattern des Teufelsgezüchts. Genau das mußte verhindert werden! Webster strauchelte über die Luftwurzel eines Mangrovenbaumes und prallte der Länge nach auf den Boden. Die Jünger hasteten an ihm vorbei. Er richtete sich wieder auf. „Packt sie!" brüllte er. „Wer sie fängt, dem ist ein Platz im Paradies gewiß!" Das ließen sich die Jünger Christi nicht zweimal sagen. Sie legten noch an Tempo zu. Zwei von ihnen holten mächtig
auf und befanden sich nun dicht hinter Dan und dem Gambia-Mann. „Wir haben sie!" schrie einer von ihnen. Dan und Batuti fackelten nicht lange. Sie rissen ihre Pistolen aus den Gurten, spannten die Hähne und warfen sich herum. Dan hob die Pistole, zielte kurz und drückte ab. Es knallte laut. Eine weiße Wolke Pulverqualm puffte hoch, der Mündungsblitz stach wie ein greller Blitz in die Nacht. Vor Dan brach einer der Verfolger gurgelnd zusammen. Batuti legte ebenfalls mit der Pistole an und krümmte den Finger um den Abzug. Wieder krachte es. Auch der zweite Mann, der sich dicht hinter ihnen befand, stürzte. Er stöhnte auf und griff nach seinem rechten Bein. Dan und der Gambia-Mann hetzten weiter. Webster erschien, stolperte über den einen Getroffenen, fiel auf die Knie, kippte vornüber und stieß sich den Kopf am Stamm einer riesigen Zypresse. „Verdammt!" heulte er, obwohl ein Großmeister einer Puritaner-Sekte nicht fluchen durfte, jedenfalls nicht öffentlich. „Sie sind tot!" schrie ein Jünger, der die beiden Verletzten in diesem Moment ebenfalls entdeckte. „Nein!" keuchte der erste Getroffene. „Wir leben noch!" Tatsächlich waren sie beide nur verwundet, der eine an der Schulter, der andere am Bein. Sie dachten, es sei ein Zufall. Aber von den „Nattern" des Oberteufels war ja eigentlich bekannt, daß sie gut zielen konnten. Wie paßte das zusammen? Auf die kurze Distanz hätten sie die beiden Verfolger doch sicherlich mit Leichtigkeit töten können. Webster und die Jünger Christi kamen nicht auf den Gedanken, daß Dan und der Gambia-Mann die beiden Kerle absichtlich verschont hatten. Dan und Batuti waren keine Mörder. Obwohl sie sich in Todesgefahr befanden, machten sie ihre Gegner nur kampfunfähig. Doch das ging nicht einmal dem Großmeister auf, der seiner Gemeinde so viele Gebote predigte. Webster wußte nur eins: daß er diesen beiden Kerlen keine Chance geben durfte. Daß er sie töten mußte. Daß sie nicht verraten durften, was sie erlauscht hatten. „Weiter!" trieb er seine Männer wieder an. „Holt mir diese Teufel! Sie dürfen uns nicht entwischen!"
* Die beiden Pistolenschüsse, die Dan O'Flynn und der Gambia-Mann abgefeuert hatten, dienten einem doppelten Zweck. Zum einen hielten sie sich dadurch die Verfolger vom Leib. Zum anderen alarmierten sie auch die Freunde an Bord der „Empress", die sich inzwischen sicherlich ihre Gedanken machten und zum Kampf rüsteten. Dan und Batuti würden mit Sicherheit Verstärkung und Unterstützung brauchen. Die Jünger Christi, von Webster aufgehetzt und angestachelt, waren ihnen immer noch dicht auf den Fersen. Sie ließen nicht locker. Aber auch Dan und Batuti gaben sich noch lange nicht geschlagen. Im Buschkampf waren sie schließlich genauso gut wie im Seegefecht und beim Entern. Hatten sie nicht bei vielen Gelegenheiten bewiesen, wie schnell und wendig sie sich im Urwald zu bewegen verstanden? Dan hatte von Batuti dabei viel gelernt. Gerade im Urwald konnte man einem Gegner auf mannigfache Weise Fallen stellen oder sich ihm im Schutz der Büsche entziehen, wenn es einem nur gelang, etwas Vorsprung zu gewinnen. Außerdem war die Dunkelheit ein zusätzlicher Verbündeter. Dan und Batuti handelten, ohne sich absprechen zu müssen. Ein Wink, ein rascher Blick genügte, und einer wußte vom anderen, was er zu tun gedachte. Es galt, den Feind mit einer weiteren Aktion zurückzuwerfen und dann so schnell wie möglich die Ankerbucht der „Empress" zu erreichen. Dan tauchte nach links weg und duckte sich in ein Mangrovengebüsch. Seine Hände ertasteten einen dicken Ast, der am Boden lag. Er grinste hart und dachte: ausgezeichnet. Batuti hatte die Gegner dicht hinter sich. Er konnte das Keuchen und Schnaufen des Mannes hören, der ihm auf den Fersen war. Er wandte den Kopf und warf einen Blick über die rechte Schulter zurück. Da sah er in der rechten Hand des Kerls etwas matt aufblinken. Ein Messer! durchzuckte es den Gambia-Mann.
Batuti hatte wie Dan keine Zeit, die leergefeuerte Pistole nachzuladen. Den Morgenstern hatte er auch nicht dabei. Er hatte ihn an Bord der „Empress" zurückgelassen, um im Dickicht beweglicher zu sein. Aus dem gleichen Grund hatte er auch darauf verzichtet, eine Muskete oder einen Säbel mitzunehmen. „Du schwarzer Teufel!" keuchte der Verfolger. „Hab' ich dich? Warte, dich steche ich ab!" Batuti spürte deutlich, wie es in seinem Inneren überkochte. Er blieb mit einem Ruck stehen und fuhr zu dem Kerl herum. Wütend funkelte er ihn an. Der Webster-Jünger schien selbst nicht recht zu begreifen, was der Grund für das jähe Anhalten des Gambia-Mannes war. Aber er reagierte. Mit einem Schrei riß er das Messer hoch. Batuti duckte sich gedankenschnell und stürzte sich auf den Gegner. Er unterlief das Messer und warf sich gegen den Mann. Das Messer stach ins Leere. Websters Jünger wollte neu ansetzen und auf Batutis Rücken einhacken, doch der schwarze Herkules war schneller. Mit einem Fluch hob er den Kerl aus, stemmte ihn hoch und schleuderte ihn den anderen, nachrückenden Verfolgern entgegen. „Da habt ihr ihn!" schrie er. „Hilfe!" heulte einer der Kerle. „Der Kannibale!" „Er frißt uns!" brüllte ein anderer. „Steinigt ihn!" schrie Webster, aber er war noch zu weit vom Schauplatz des Geschehens entfernt, um etwas unternehmen zu können. Er sah auch noch nicht, was im Dickicht vor sich ging. Der Messer-Mann, von Batuti geschleudert, prallte gegen seine Kumpane. Drei von ihnen gingen mit ihm zu Boden. Dann, urplötzlich, sprang Dan O'Flynn aus dem Gebüsch hervor. Er drosch mit dem erbeuteten Knüppel um sich und holte zwei Kerle von den Füßen. Schreiend landeten sie auf dem Boden. „Weg!" zischte Batuti. Dan war neben ihm. Sie liefen weiter und brachten einige Distanz zwischen sich und die Verfolger. Ehe die sich wieder aufgerappelt hatten, verstrichen ein paar Sekunden. Dan
und Batuti hatten jetzt den Vorsprung gewonnen, der ihnen genügte, um bis zur „Empress" zu gelangen. Jeremiah Josias Webster eilte zu seinen Mannen und half zwei von ihnen auf die Beine. „Oh, diese Nattern!" zürnte er. „Ich werde sie in Stücke schneiden!" „Wäre es nicht besser, sie lebend zu kriegen?" fragte einer der Oberjünger. „Erhabener, wir könnten sie als Geiseln benutzen, um auch den Oberteufel zu fassen." Nicht schlecht, dachte Webster, dann erwiderte er laut: „Warum eigentlich nicht? Gut, holt sie mir lebend! Wir werden einen großen Schauprozeß veranstalten! Einen der beiden richten wir öffentlich hin, den anderen verwenden wir als Faustpfand! Aber holt sie mir!" Die Jünger Christi stürmten wieder los nach Westen. Aber vorerst entdeckten sie die „Nattern" nicht wieder. Die waren weit vor ihnen, hatten Luft und setzten sich im Sturmlauf ab. * An Bord der „Empress of Sea II." waren die Pistolenschüsse natürlich gehört worden. Old O'Flynn, Carberry, Gary Andrews, Martin Correa, Nils Larsen und Sven Nyberg hoben gleichzeitig die Köpfe und lauschten wie gebannt. „Das kam aus dem Dickicht", sagte der Alte. „Hoffentlich haben sie Dan und Batuti nicht entdeckt." „Damit müssen wir rechnen", erwiderte der Profos. „Ich glaube allerdings nicht, daß sich die beiden von diesen Narren packen lassen. Wir müssen uns nur darauf vorbereiten, daß die Bande gleich hier auftaucht." „Klarschiff zum Gefecht", sagte Old Donegal. „Drehbassen besetzen. Martin, schür das Feuer!" Old Donegal und Martin Correa bereiteten für alle Fälle die Schwenkgeschütze des kleinen Dreimasters vor. Sie machten sie schußfertig, dann warteten sie die weitere Entwicklung der Dinge ab. „Wir anderen schwimmen an Land", sagte Carberry rauh. „Ich hoffe, du hast nichts dagegen, Mister O'Flynn."
„Keine Einwände, Mister Carberry", entgegnete der alte Zausel. „Paßt aber gefälligst auf, daß die Haie euch nicht was abbeißen. Wäre doch schade drum." Carberry, die beiden Dänen und Gary Andrews grinsten, dann sprangen sie von Bord. Sie tauchten im Wasser unter und bewegten sich auf das Ufer zu. Dort, wo Dan und Batuti die Jolle im Ufergestrüpp versteckt hatten, krochen sie kurz darauf an Land. „In Deckung", sagte der Profos. Er versteckte sich in einem dichten Mangrovengestrüpp. Gary Andrews hockte sich neben ihn. Nils Larsen und Sven Nyberg suchten sich ihren Platz nicht weit entfernt in einem feuchten, fettlappigen Gesträuch, von dem aus sie das Ufer überblicken konnten. Sehr lange brauchten die Kämpfer nicht auszuharren. Sie hörten Geräusche aus dem Urwald. „Da kommen sie", sagte Carberry. „Dad!" rief Dan aus dem Dickicht. „Wir sind's! Nicht schießen!" „Weiß ich selbst", erwiderte sein Vater lakonisch. Dann ging alles ziemlich schnell. Es knackte im Unterholz. Dan und der Gambia-Mann jagten heran. Sie tauchten aus dem Dunkel und rannten zu der Jolle. Carberry richtete sich halb auf und gab ihnen ein Zeichen. „Alles in Ordnung", sagte Dan. „Klar", meldete sich Nils Larsen aus dem Gebüsch. „Wir sind hier, um unseren lieben Betbrüdern einen guten Abend zu wünschen." „Oder einen guten Morgen", murmelte neben ihm Sven Nyberg. „Mitternacht ist ja gleich rum." „Noch nicht ganz", erwiderte Batutis schwer atmend. „Ruht euch erst mal aus", sagte der Profos, und es klang fast fröhlich. „Jetzt sind wir dran." Dan und Batuti setzten sich auf das Dollbord der Jolle. Was sich jetzt ereignete, war wirklich ein hübsches kleines Schauspiel für ihre Augen und so herzlich hatten sie auch schon lange nicht mehr gelacht. Es knackte und prasselte im Unterholz. Carberry spuckte in die Hände.
„Na, da scheint ja 'ne ganze Viehherde anzutrampeln", brummte er. „Die Gentlemen machen ganz schön Radau." „Sie sind auf Natternjagd", sagte Gary Andrews. „Dann laßt uns losnattern", sagte Carberry. Es nahten die Jünger Christi fünf Kerle waren es noch, die trotz der Angriffe von Dan und Batuti nicht aufgegeben hatten. Unter ihnen befand sich auch Jeremiah Josias Webster, der Großmeister und Erhabene, das Flammenschwert Gottes höchstpersönlich. Webster sah, wie sich das Dickicht vor ihm öffnete. Sein Blick war frei auf das Wasser, und sofort entdeckte er auch die „Empress", die da vor Anker lag. „Wir haben sie!" brüllte er triumphierend. Carberry verließ seine Deckung und trat einfach vor den Kerl hin. „Das stimmt nicht ganz", sagte er. „Wir haben euch." Webster stoppte. Er stand da wie vom Donner gerührt. Noch so ein Kerl aber wo steckten die anderen? Egal, auch dieser Heide, dieses Monstrum von einem Narbenbullen, mußte gefangengenommen werden. „Männer!" heulte Webster. „Packt diesen Teufelsknecht!" Die mutigen Jünger Christi waren jedoch anderweitig beschäftigt. Gary, Nils und Sven stürmten aus dem Gebüsch und zogen gleich kräftig vom Leder. Es hagelte Hiebe. Einer der Wackeren lag sofort am Boden, und als er sich wieder aufrichten wollte, hämmerte Sven ihm die Faust auf den Kopf. „Packt ihn!" keuchte Webster. Carberry schüttelte den Kopf. „Das mußt du schon selbst besorgen, Meister. Oder flattern dir die Hosen?" „Natter!" stieß der Großmeister zischend hervor. „Ergib dich freiwillig!" Der Profos legte los. Eine Ohrfeige fegte Jeremiah Josias Webster von den Füßen. Der schwarze Spitzhut segelte durch die Nacht und landete irgendwo im Gebüsch. Webster flog zu Boden, sprang aber wieder auf und warf sich zornig brüllend auf den Profos. Carberry geriet erst jetzt so richtig in Braßfahrt. Er ließ den Erhabenen auflaufen. Webster trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust und rammte ihm einen rechten Haken
gegen das Kinn. Aber der Profos schüttelte nur wieder den Kopf. „Das ist gar nichts, du Affenarsch", sagte er. Dann explodierte er. Ein Donner von Hieben ging auf Webster nieder. Webster kam nicht mehr zum Zug. Es knallte und krachte, und jemand schien seinen Gehirnkasten auseinanderzubrechen, um mal nachzuschauen, was drin war. Der Profos tobte. Er schoß volle Breitseiten ab, riß die Masten aus dem Kielschwein und putzte sich mit dem Großsegel die Nase. Ganz Eleuthera wackelte, und die Vögel und Frösche verließen in panischem Entsetzen den Urwald. Ein Sturmwind heulte über das Eiland, die Palmen bogen sich bis auf den Strand. Dan, Batuti, Old O'Flynn und Martin Correa verfolgten gelassen, wie der Großmeister samt seinen Jüngern verdroschen wurde. Sie brauchten nicht einzugreifen. Carberry, Gary, Nils und Sven erledigten das sozusagen mit souveräner Gelassenheit. Einer nach dem anderen flog ins Dickicht. Der Erhabene und seine Gefolgschaft wurden derartig vertrimmt und zurechtgestaucht, daß ihnen kein Schuh und kein Spitzhut mehr paßte. Nein, diesen grimmigen Kämpfern waren die Jünger Christi, bei allem Fanatismus, der sie beseelte, nun doch nicht gewachsen. Da halfen ihnen auch die Messer nichts, die sie bei sich trugen. Die Messer wurden ihnen einfach aus den Händen geschlagen und flogen dann in hohem Bogen in das Buschwerk. Carberry beförderte den Großmeister zur Krönung der Abreibung in einen Dornenstrauch. Webster jaulte und wälzte sich weg, dann schwanden ihm die Sinne. Carberry klopfte sich den Staub von den Händen. „So", sagte er. „Das war mal eine feine Predigt. Hoffentlich hat sie ihm gefallen." Gary und die beiden Dänen lachten. Sie wandten sich vom Dickicht ab und traten zu Dan und Batuti. „Die stehen so schnell nicht wieder auf", sagte Gary. „Und wenn sie zu sich kommen, müssen sie erst mal ihre Knochen zusammensuchen." Carberry trat ans Ufer und winkte zur „Empress" hinüber.
„Auftrag erledigt, Sir!" meldete er dem alten O'Flynn. „Die Betbrüder liegen flach mit dicken Klüsen und verschobenen Nasen!" „Danke, Mister Carberry!" erwiderte Old Donegal kichernd. „Dann hält uns hier nichts mehr. Ab durch die Mitte!" Die sechs Mannen am Ufer schoben die Jolle ins Wasser und enterten an Bord. Vergnügt griffen sie nach den Riemen und begannen zu pullen. „Feine Sache", sagte Dan. „Du bist ganz schön in Form, Ed." „Ich bin immer in Form." „Na nun übertreibe mal nicht." „Und wenn dieser Oberpriester mit seinen Betbrüdern noch mal frech wird, ramme ich die Kerle alle unangespitzt drei Yards tief in den Strand", verkündete der Profos. Lachend gingen die Männer mit der Jolle bei der „Empress" längsseits und enterten über. Das Boot wurde an Bord gehievt. Dann wurde der Anker gelichtet. Sie setzten die Segel und verließen die Bucht von Eleuthera. „Zurück zum Stützpunkt", sagte Old O'Flynn. „Wir müssen Hasard und den anderen melden, was sich dieser Webster in den Kopf gesetzt hat." Dan und Batuti hatten inzwischen berichtet, was sie am Lagerplatz der Sekte erlauscht hatten. „Eins ist sicher", sagte Martin Correa. „Die ganze Meute ist übergeschnappt." „Ja", bestätigte Carberry. „Vom religiösen Wahn besessen." „Die sind ganz und gar nicht die richtige Nachbarschaft für uns", sagte Dan O'Flynn. „Ich kann nur hoffen, daß Webster von seinem sogenannten Kreuzzug absieht und endlich das Weite sucht." Aber war die neue Lektion, die er bezogen hatte, dem Großmeister wirklich eine Lehre? Noch lag er mit platter Nase und dichtgedroschenen Augen im Dickicht von Eleuthera. Bei dem Kampf gegen Carberry hatte er auch einen der oberen Schneidezähne eingebüßt von den Beulen und Schrammen ganz zu schweigen, die seine Holzhackervisage zusätzlich verunstalteten und verwüsteten. Wenn er das Bewußtsein wiedererlangte, mußte ihm endgültig dämmern, daß die Bahamas nicht das „neue Reich
Gottes", sondern die Hölle für ihn waren. Aber würde diese Einsicht wirklich Einzug in seinen Quadratschädel halten? Das war noch die große Frage.... ENDE Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 508 Duell unter Wasser von Burt Frederick Mel Ferrow war auf zwei Yards Tiefe getaucht. Seine Lungen waren vollgepumpt mit Luft, das Messer lag wie von selbst in seiner Rechten. Über ihm verdüsterte sich das Türkisgrün des Buchtwassers. Er zog die Beine an und spannte die Muskeln. Einen Sekundenbruchteil, bevor die breite, helle Unterseite des Riesenhais über ihm war, schnellte er hoch. Das Messer jetzt mit beiden Fäusten gepackt, stieß er die Klinge in den Leib der Bestie. Mehr als zwei Yards weit, von der Mitte seines Körpers aus, schlitzte sich der Hai selbst auf. Dunkles Blut floß in wabernden Schwaden in das Türkisgrün. Blitzartig tauchte Mel Ferrow nach unten weg, um dem peitschenden Schwanz zu entgehen... Diesen Roman mit einem neuen spannenden Abenteuer des Bundes der Korsaren erhalten Sie bereits nächste Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler sowie in allen Bahnhofsbuchhandlungen. Wenn nicht, dann wenden Sie sich bitte an die Vertriebsabteilung des Erich Pabel Verlags GmbH, Postfach 1780, 7550 Rastatt.