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G. F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller deutscher Sprache. BASTEILÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine großen Taschenbuch-Bestseller.
Die Schattenhaften Schweren Herzens nahm Black Jim Buckmaster den Kampf gegen die gefürchtet Pecos-Banditen auf, denn einer ihrer Anführer war der eigene Bruder ...
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 43 386 1. Auflage: Januar 2003
Vollständige Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe All rights reserved © 2003 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Lektorat: Will Platten Titelillustration: Faba / Norma Agency, Barcelona Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: Wildpanner, München Druck und Verarbeitung: AIT SA, Trondheim, Norwegen Printed in Norway ISBN 3-404-43386-6 Sie finden uns im Internet unter http://www.bastei.de oder http://www.luebbe.de Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
1 Nachdem er seine Arbeit verrichtet hat und es nichts mehr zu tun gibt auf der einsamen Pferderanch, was nicht bis zum nächsten Tag warten könnte, macht Jim Buckmaster Feierabend. Er zieht das Hemd aus und wäscht sich am großen Wassertrog, zu dem eine Baumröhrenleitung ständig frisches Wasser von der Quelle herüberbringt. Jim Buckmaster ist ein dunkelhaariger, großer und sehniger Mann. Seine langen Beine sind leicht gekrümmt, und seine Taille ist so schlank und fast wespenartig, wie es die Taille eines Reiters nur sein kann. Doch seine Schultern sind breit und muskulös, ganz so wie die eines Mannes, der schon eine Million Mal das Lasso warf und der mehr als hunderttausend Mal ein Wildpferd oder einen Stier an diesem Lasso hängen hatte. Jim Buckmasters Körper ist von einer geschmeidigen Zähigkeit, wie man sie an einem lederzähen und dennoch panterschnellen Wüstenwolf erkennen kann. Er trocknet sich dann ab und blickt auf die untergehende Sonne. Er kann sie gut sehen, denn sie haben ihre Pferderanch ziemlich hoch über der Ebene erbaut, hoch oben im Mesa- und CanyonLand, denn dieses Land ist richtig für die Pferdezucht. Hier gibt es das beste Gras, das
beste Wasser und die beste Luft. Die Canyons und Kessel bieten Schutz vor den eisigen Winterstürmen. Und in der großen Trocken- und Hitzeperiode, wenn in der Ebene alles staubig und braun gebrannt ist, was im Frühling grün und frisch war, ist hier oben in den Hochtälern und den grünen Canyons Kühle und Frische zwischen den hohen Tannen. Sie haben ihre Ranch auf einer Terrasse errichtet, von deren Rand aus sie über die Ebene schauen können – fünfzig und mehr Meilen weit bis zum Pecos River hinüber, dessen Hügelkette sich wie ein unregelmäßig gezacktes Sägeblatt am Horizont abhebt. Der Himmel ist nun blutrot gefärbt. Es ist, als schleuderte die untertauchende Sonne die Flammen der Hölle gen Himmel und als stünde dort im Westen das ganze Weltall in Flammen. Aber hinter Jim Buckmaster, dort aus den Canyons, da kriechen nun die ersten Schatten der Nacht. Jim Buckmaster zieht sich das Hemd über und stopft es in die Hose. Tief an seiner linken Seite hängt ein Revolver im Holster. An der linken Seite! Und es ist ein steifes und geöltes Holster, angepasst von einem erstklassigen Meister, ganz ein Maßanzug für die Waffe. Ein Kenner sieht es sofort. Und ein Kenner lässt sich auch nicht davon täuschen, dass der Kolben dieses Revolvers nur einfach aus Walnussholz ist.
Nein! Dieser Peacemaker-Colt sieht nur auf den ersten Blick so schlicht und einfach aus. Denn der Kolben hat eine besondere Form, eine Form, die von einem Mann für seine Hand ausgesucht wurde, irgendwo bei einem Waffenmeister, der aus solchen Waffen sehr individuelle Instrumente macht. Jim Buckmaster wendet sich dem Blockhaus zu. Es ist solide und mit einem deutlich erkennbaren Sinn für einen gewissen Stil und eine gewisse Schönheit gebaut. Es ist dreiräumig, mit einem gemauerten Kamin in der Mitte, sodass man annehmen kann, dass auch ein gemauerter Ofen im Hause ist, der alle Räume heizt. Dieses Haus ist eine sehr geschickte Arbeit. Und auch die Scheune, der Stall und die Corrals sind gut und solide gebaut. Die kleine Pferderanch ist wie ein Musterstück, wie ein Paradestück. Sie unterscheidet sich deutlich von den zumeist flüchtig und nicht für die Dauer erbaut wirkenden Anwesen von ähnlicher Größe im Land. Immer, wenn Jim Buckmaster dieses Blockhaus betrachtet, verspürt er eine tiefe Zufriedenheit darüber, dass er nach all den bewegten Jahren des Umherziehens und der Suche mit seinem um acht Jahre jüngeren Bruder hier sesshaft wurde. Ja, sie haben hier alles richtig solide und gediegen gebaut. Und man kann alles noch
vergrößern. Doch das hat Zeit. Eine Pferderanch braucht nicht groß zu sein. Es kommt auf die Pferde an. Es ist mit einer Pferderanch wie mit einem Schmuckgeschäft: Das eine verkauft Glasperlen und billigen Schmuck für die breite Masse, und es muss einen hohen Umsatz haben, mit viel Ladenraum und vielen Verkäufern, um gut verdienen zu können, das andere Geschäft aber verkauft nur erlesene Kostbarkeiten und hat großen Gewinn. Es braucht nicht viel Ladenraum und nur einen oder zwei Verkäufer. Genauso ist es mit einer Pferderanch. Deshalb kann sie ruhig klein sein, wenn sie nur die »richtigen« Pferde züchtet. Jim Buckmaster ist mit dieser Ranch zufrieden. In den fünf Jahren, die er mit seinem Bruder hier ist, haben sie erstklassige Arbeit geleistet. Seine Ersparnisse wurden dabei restlos aufgebraucht. Doch dafür besitzen sie Pferde, die mehr als zwanzigtausend Dollar wert sind, ganz zu schweigen von »Geromino«, dem roten Hengst, für den der Rinderkönig Aharon Cumberland, »Big Boss« genannt, schon zweitausend Dollar geboten hat. Jim Buckmaster geht langsam zum Haus hinüber, und er überlegt dabei, was er wohl zum Abendbrot zubereiten soll. Sein Bruder Virg, der nach Corro geritten ist, um Vorräte zu holen, müsste schon zurück sein. Jim denkt nicht ohne Sorge an die vielen Möglichkeiten, die seinen
wilden und verwegenen Bruder Virg davon abgehalten haben konnten, rechtzeitig den Heimweg anzutreten. Aber er kann Virg nicht in der Einsamkeit festhalten. Ein junger Bursche wie er muss auch etwas Spaß bekommen. Überdies ist Virg an der Reihe gewesen für einen Stadtbesuch. Doch jetzt ist er überfällig, nachdem er am Morgen noch vor Tagesanbruch losgeritten war und es nach Corro nur zwanzig Meilen sind. Denn zwanzig Meilen sind in diesem Land wirklich keine Entfernung. Jim Buckmaster tritt zu dem Brennholzstapel und nimmt einige Scheite auf die Arme, um sie ins Haus mitzunehmen. Doch er verharrt dann bewegungslos. Denn nun hört er Hufschlag im Canyon. Es ist kein gewöhnlicher und normaler Hufschlag. Virg kann es nicht sein. Denn der hat ein Packpferd bei sich, beladen mit Vorräten. Wenn Virg käme, dann müsste der Hufschlag zweier Pferde hörbar sein. Auch wäre es nicht ein solch wilder und trommelnder Hufschlag, wie ihn ein Pferd macht, das wild und rau angetrieben und scharf geritten wird. Nein, der Bruder kann es nicht sein. Aber wer kommt dann so angaloppiert, als wäre er auf der Flucht oder brächte eine Nachricht, die so wichtig ist, dass es um Sekunden geht?
Jim Buckmaster tritt vom Brennholzstapel fort und an die Ecke des Hauses. Er blickt nach Süden zum Maul des Canyons hinüber, der von der Ebene herauf in das Land hier führt. Jetzt kommt ein Reiter aus diesem Canyon gesaust, so als hätte ihn eine starke Kraft aus einer Röhre gepustet. Es ist schon zu dunkel, als dass Jim den Reiter erkennen könnte. Er sieht nur die Silhouette, diesen sich wild bewegenden Schatten. Doch dann hört er etwas. Es ist ein schriller und scharfer Schrei. Es ist jener scharfe Schrei, mit dem er und sein Bruder sich verständigen, wenn sie auf Pferdejagd sind oder es sonst etwas gibt, was es notwendig macht, dass sie sich ihr Kommen oder ihren Standort mitteilen. Jim Buckmaster atmet langsam aus. Denn es sieht für ihn so aus, als wäre sein Bruder Virg auf der Flucht. Und dann ist er auch schon heran. Er bringt das nun schwankende und stolpernde Tier zum Stillstand. Das Tier keucht rasselnd, und es ist mit flockigem Schweiß bedeckt. Es ist rücksichtslos geritten worden. Jim weiß, dass es vielleicht verloren ist. Auf jeden Fall müsste man sich viel Mühe mit ihm machen und stundenlang an ihm arbeiten, es abreiben, herumführen, massieren, vor allen Dingen verhindern, dass es sich vor Erschöpfung legt. In Jim ist nun ein kalter Zorn.
Sein Bruder lehnt sich keuchend an die Wand des Hauses. Ja, er hat einen wilden Ritt hinter sich. Und sicherlich nahm er den Abkürzungsweg an den Abgründen vorbei und über die schmalen Felsbänder am Rand der Geröllhänge, einen gefährlichen Weg, den nur sie kennen, weil einmal ein herrlicher Wildhengst auf diesem Weg vor ihnen flüchtete, ein Hengst, der ihnen einige kostbare Stuten entführt hatte und den sie abschießen wollten. Jim wartet. Er fragt den Bruder nicht. Dieser stößt wenig später keuchend hervor: »Sie sind hinter mir her! Noel Marrs und die ganze Cumberland-Mannschaft! Ich hatte mit Kirby Cumberland eine Schießerei. Ich glaube, ich habe ihn getötet. Er griff zuerst zur Waffe, doch diese Schufte im Lonestar Saloon, dieser Louis Kettle, sein Barmann und auch Hogan Earp – sie sagten, dass ich zuerst gezogen hätte. Aber sie lügen! Ich möchte wissen, warum sie so lügen! Als ich aus der Stadt ritt, begegnete ich eine halbe Meile weiter der Cumberland-Mannschaft. Sie drängte mich vom Weg, wie sie es immer tut, wenn sie Reitern begegnet. Sie wussten noch nicht, dass ich den jüngsten Sohn ihres Ranchers erschossen hatte, sonst hätten sie mir gleich die Haut abgezogen. Doch sie ritten schnell auf die Stadt zu. Und ich wette, sie sind jetzt keine zwei Meilen hinter mir, obwohl ich scharf geritten bin und die Abkürzung nahm. Ich muss weiter
flüchten, Bruder! Gib mir unser bestes Pferd! Gib mir Geromino! Damit entkomme ich ihnen! Ich reite nach Westen über den Pecos! Was bleibt mir anders übrig!? Big Boss Cumberland lässt mich aufknüpfen, das ist doch wohl klar! Oder nicht?« Jim Buckmaster hat inzwischen nachgedacht, und seine Gedanken eilten hundert Meilen in der Sekunde. Und er weiß, dass jetzt wahrhaftig keine Zeit ist zum Nachdenken. Bevor man diese Sache nüchterner betrachtet und die Dinge zu klären versucht, muss Virg erst einmal in Sicherheit sein. Wenn Noel Marrs mit einem Rudel Cumberland-Reitern hinter ihm her ist, geht es wahrhaftig um Virgs Leben. Es muss Zeit gewonnen werden. Und erst dann, wenn Virg in Sicherheit ist, wenn die Cumberland-Mannschaft seiner vorerst nicht habhaft werden konnte, kann man daran denken, die Dinge zu entschärfen, Möglichkeiten zu einem Ausweg zu finden. Jim Buckmasters Stimme klingt ganz ruhig, als er sagt: »In Ordnung, Virg! Sattle dir Geromino. Ich packe indes ein Bündel für dich. Du wirst einige notwendige Dinge bei dir haben müssen. Reite über den Pecos! Das ist wohl gut so! Denn jenseits des Pecos hat die CumberlandMannschaft zu viele Feinde. Sie werden dich nicht sehr weit verfolgen können. Also los!« Er eilt ins Haus. Virg aber seufzt keuchend, und dieses Seufzen klingt erleichtert. Er tritt an
das zu Schanden gerittene Pferd heran und nimmt dem Tier den Sattel ab. Dabei stößt er hervor: »Verzeih mir, Buck! Verzeih mir! Ich muss meine Haut retten. Ich konnte dich nicht schonen. Jim wird für dich sorgen! Jim wird dich wieder in Ordnung bringen! Jim wird alles in Ordnung bringen. Jim ist nicht einfach nur mein großer Bruder! Jim ist der große Jim Buckmaster! Black Jim Buckmaster ist er!« Er eilt mit dem Sattel davon, hinüber zu einem Corral, in dem sich ein riesiger Hengst katzenhaft geschmeidig bewegt. Als er im Sattel dieses Tieres aus dem Corral reitet, kommt Jim Buckmaster mit dem Bündel aus dem Haus. Er tritt ans Pferd und schnallt das Bündel hinter dem Sattel fest. Es geht sehr schnell, denn am Sattel sind zwei Riemen dafür vorhanden. Virg hält indes das mutwillig tanzende Tier einigermaßen mit den Hufen auf dem Boden. »Ich werde nach Langtry kommen«, sagt Jim Buckmaster, »sobald ich kann. Ich werde auf jeden Fall nach Langtry kommen, Virg! Du reitest über den Pecos! Dort ist Banditenland. Dort leben all die Schattenhaften. Werde kein Bandit! Bleibe gut! Warte auf mich! Ich bin dein Bruder. Vergiss nicht, dass du einen Bruder hast! Sei gut, Cowboy!« Dieses »Sei gut, Cowboy!« ist der alte Cowboygruß und zugleich der beste Wunsch, den
man einem Reiter, der ins Ungewisse reitet, mit auf diesen Weg geben kann. »Sei gut, Cowboy!« Dies bedeutet so viel wie: Behalte dein Selbst und reite stets gerade Wege! Behalte deine Ehre und werde deinen Grundsätzen nicht untreu. Virgil Buckmaster weiß also genau, was sein älterer Bruder meint, denn obwohl er erst zweiundzwanzig Jahre ist – also acht Jahre jünger als Jim –, ist er schon fast ein Mann. Er weiß, worauf es ankommen wird, und er kennt seine Schwächen genau. Wenn es Tag wäre und man ihn bei Tageslicht sähe, so könnte man sein prächtiges Aussehen bewundern. Er ist groß, sehr geschmeidig, blond und auf eine verwegene und sieghaft anmutende Art hübsch. Er wirkt ganz so, als könnte er sich alle Dinge im Sturm erobern und als hätte er großen Spaß an allen Wagnissen und verwegenen Dingen. Doch dies kann man in der Nacht nicht sehen. Er ist nur ein großer und geschmeidiger Reiter auf einem großen Hengst. »Danke, Großer!« So stößt er hervor. Und dann lässt er den riesigen Geromino anspringen. Er reitet nach Westen zu auf den schmalen Pfaden hinunter zur Ebene. Jim Buckmaster steht einige Sekunden lang unbeweglich da, und er atmet dabei aus. Seine
hohe Gestalt wirkt erschlafft, müde, wie innerlich ausgebrannt. Er hält den Kopf gesenkt. Als er dann aufblickt und den Blick gen Himmel richtet, sind dort die ersten Sterne zu erkennen. Doch diese fernen Lichter sind kein Trost für Jim Buckmaster. Er fragt sich, wie es werden wird, wenn Noel Marrs, der Erste der großen und mächtigen Cumberland-Ranch, mit seinem Rudel hier eintrifft. Ja, dies fragt er sich bitter. Und zugleich stellt er sich die Frage, ob er kämpfen soll, wenn Noel Marrs zu rau werden möchte. Die Entscheidung ist nicht einfach. Denn er, Jim Buckmaster, denkt auch daran, was er mit Virg in den vergangenen Jahren hier aufbaute, an das Heim und den festen Platz, den sie sich schufen. Sollte das alles verloren sein? Er fragt es sich. Zugleich wird er sich darüber klar, dass er verloren sein wird, wenn er zur Waffe greifen würde. Er würde ein oder zwei Reiter der Cumberland-Mannschaft töten können – vielleicht sogar drei. Und Noel Marrs würde zu diesen drei Toten gehören. Doch dann ginge es ihm wie seinem Bruder Virg. Er müsste fliehen. Die ganze Macht der mächtigen Cumberland-Ranch würde ihn jagen. Um mehr als zehn Jahre würde er
zurückgeworfen werden. Denn als er vor fünf Jahren mit Virg hier begann, hatte er zuvor fünf weitere Jahre jeden Dollar gespart. Zehn Jahre also stecken in dieser Pferderanch. Als Flüchtling könnte er außerdem für Virg nichts tun. Aus all diesen Erkenntnissen und Überlegungen heraus bewegt er endlich die Hände. Er löst die Schnalle seines Waffengurtes. Er trägt Gurt und Waffe hinüber zu dem Nussbaum, der beim Wassertrog steht und während der Hitze kühlen Schatten spendet. Jim legt Gurt und Waffe in eine Astgabel. Als er sich mit dem Rücken gegen den Stamm lehnt, hört er den Hufschlag einer rau und wild reitenden Mannschaft im Canyon. Diese Reiter, die nun bald aus dem Canyon gesaust kommen, sind eine richtige Raureiter-Mannschaft. Sie sind für die Cumberland-Ranch mehr als nur Cowboys – eher schon Ritter, die einem Fürsten dienen, der sich mit ihrer Treue Macht und Einfluss, Reichtum und Größe erhält, all das, was er mit ihrer Hilfe erobern und schaffen konnte. Die Cumberland-Ranch beschäftigt mehr als hundert Menschen, darunter auch einige Mexikaner-Familien, doch die RaureiterMannschaft zählt kaum mehr als ein Dutzend Männer. Allerdings wiegt jeder dieser Männer eine Durchschnittsmannschaft auf. Jim Buckmaster weiß, dass diese Reiter dreifachen
Cowboylohn bekommen, in erstklassigen Quartieren wohnen und sogar jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Kälbern mit ihrem eigenen Brandzeichen versehen dürfen. Sie stehen in der Rangordnung der Cumberland-Ranch ganz oben, jawohl, sie sind wie Ritter, die nach dem Fürsten kommen und bei ihm ganz oben an der Tafel sitzen. Diese Mannschaft wird von Noel Marrs geführt. Und das ist auch jetzt so, als sie aus dem Canyon gesaust kommen. Noel Marrs' riesiges Pferd und auch Marrs' mächtige Gestalt sind an der Spitze des Rudels gut zu erkennen, denn die Sterne wurden klarer und leuchtender. Die Nacht wird eine jener klaren und hellen Nächte werden, in denen man meilenweit sehen kann. Drunten auf der Ebene liegt jetzt schon bleiches Mondlicht, und vielleicht, wenn man besonders scharfe Augen hat, wird man den Schatten des flüchtenden Virg Buckmasters erspähen können, der auf Geromino über die Ebene zum Pecos flüchtet. Jim Buckmaster tritt langsam aus dem Schatten des Nussbaumes hervor. Er bleibt genau an der Grenze des Schattens stehen, und er steht dort recht gut. Denn die Zweige hinter ihm sind tief genug, sodass kein Reiter ihn bedrängen kann. Zugleich aber zeigt er seine Furchtlosigkeit
dadurch, dass er sich nicht im Haus verkriecht oder irgendwo in der Umgebung versteckt. Die Reiter verteilen sich auf der ganzen Ranch, und sie erfüllen die Nacht mit dem Schnauben ihrer Pferde, ihrem Stampfen und Keuchen. Sättel knarren, Metallteile klimpern. Dann wird es still. Jim Buckmaster beobachtet Noel Marrs, der sein riesiges Pferd beim Wassertrog verhält, sich umsieht und wartet. Eine heisere Stimme tönt vom Corral hinüber: »Geromino ist fort – er ist fort!« Noel Marrs zieht sein großes Tier herum. Es ist löwengelb und wiegt sicherlich nicht weniger als dreizehn Zentner. Es ist ein starkes, zähes und sehr schnelles Pferd, das die zweihundertzwanzig Pfund des Vormannes und den siebzig Pfund schweren Sattel tragen kann, ohne nach wenigen Meilen zu versagen. Noel Marrs hat es rau geritten – zwanzig Meilen lang. Nun stöhnt und schwankt es. Von seinen Flanken tropft Blut. Jim kann es deutlich in der heller werdenden Nacht erkennen. Der Vormann hat sein gelbes Löwenpferd schlimm mit den Rädern seiner mexikanischen Sporen bearbeitet. Doch es gehört zu seiner Art, alle Dinge rau und hart anzupacken und jedem das Letzte abzuverlangen. Noel Marrs kennt keine Gnade, kein Erbarmen, keine Duldung, keine Schonung. Wenn die mächtige Cumberland-
Ranch mit einem riesigen Körper verglichen werden kann, dann ist Big Aharon Cumberland der Kopf dieses Körpers. Und sein Vormann Noel Marrs ist die rechte Faust, seine harte, geballte und immer wieder mitleidlos zuschlagende Faust. Dieser mächtige Körper – die CumberlandRanch – hat noch viele Fäuste und Füße, Stachel und Zähne. Doch ihre rechte Faust – Noel Marrs, der Erste Vormann – ist das, was man besonders respektieren muss. Und manchmal ist es eine Faust mit einem Hammer. Noel Marrs bleibt im Sattel, obwohl sein Pferd keucht und stöhnt und sich jeder andere Mann des Tieres erbarmen würde. Doch Noel Marrs kennt kein Erbarmen. Um aber gerecht zu sein, muss gesagt werden, dass er auch gegen sich selbst kein Erbarmen kennt. Er treibt sich auch selbst auf diese raue und unnachgiebige Art an, und alles, was er sich dienstbar machen kann, ist für ihn nur ein Mittel, um besondere Leistungen zu erzielen, um ein Riese zu sein, der möglichst Berge versetzen oder andere unmögliche Dinge möglich machen kann, dies aber nicht zu seinem eigenen Wohle, sondern zum Wohle der Cumberland-Ranch, die sein Gott ist. Jawohl, so ist es. Solch ein Mann ist Noel Marrs. Man muss dies wissen, um den Verlauf der Geschichte, die hier geschildert wird, richtig zu beurteilen.
Er bleibt also im Sattel seines erbarmungswürdigen Pferdes. Und er blickt auf Jim Buckmaster nieder und fragt mit einer Stimme, die kehlig und merkwürdig ruhig und sanft klingt: »Du hast ihm Geromino gegeben, nicht wahr? Er ist auf Geromino nach Westen geflüchtet und glaubt, uns entkommen zu können?« »So ist es«, erwidert Jim Buckmaster schlicht. »Er ist mein Bruder. Und er hat mir gesagt, dass Kirby zuerst den Revolver zog. Er hat mir gesagt, dass die Zeugen im Saloon gelogen haben. Und weil er mein Bruder ist, musste ich ihm glauben.« Noel Marrs nickt langsam. Er ist sehr breit und sehr knochig, dabei hager wie ein Indianer. Sein Knochenbau ist jedoch so stark, dass er mehr als zwei Zentner wiegt. Er nimmt den alten Hut ab, dessen Krempe vom Reitwind vorn hochgebogen ist. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, und er hat eine gelbe Löwenmähne. Sein Gesicht ist kantig, hohlwangig. Er hat zwei etwas schräggestellte Augen, hohe Wangenknochen. Und er trägt einen sichelförmig über die Mundwinkel hängenden Schnurrbart, der ein typischer Chinesenbart wäre, wenn er nicht so gelbblond wäre. Nachdem er seinen Hut wieder aufgesetzt hat, nickt er nochmals. Und dann sagt er noch kehliger als zuvor: »Sicher, einem Bruder muss man glauben können. Auf wessen Wort sollte
man sich sonst verlassen können, wenn nicht auf das Wort eines Vaters, eines Sohnes, eines Freundes und ganz besonders eines Bruders. Denn ein Bruder ist ein Stück vom gleichen Baum und somit vom gleichen Holz. Ja, man muss an den eigenen Bruder glauben können. Man muss ihm vertrauen können wie sich selbst.« Er nickt wieder nach dieser merkwürdigen Rede. Dann wird seine bisher kehlig-sanfte Stimme härter, schneidender und kälter. »Aber du hast dich damit auf die Seite deines Bruders und gegen die Cumberland-Ranch gestellt, Mister. Du hast die Partei eines Mannes ergriffen, der einen Cumberland erschoss. Die Cumberland-Ranch würde auseinander brechen wie ein trockenes Stück Brot, wenn sie die Helfer ihrer Feinde nicht ebenfalls zu treffen wüsste. Siehst du das ein, Jim Buckmaster?« »Wir sollten den Dingen erst richtig auf den Grund gehen, Noel Marrs«, erwidert Jim Buckmaster ruhig. »Ich habe mit meinem Bruder nur wenige Worte wechseln können. Und auch du hast dich im Saloon gewiss nicht lange aufgehalten. Jede Handlung wäre also überstürzt. Wir sollten die Dinge erst einmal zu klären versuchen. Wenn Kirby Cumberland wirklich zuerst zum Revolver griff, dann ist meinem Bruder kein Vorwurf zu machen. Jeder Mensch hat das Recht, sich zur Wehr zu setzen, wenn sein Leben bedroht ist. Denn jede Kreatur auf dieser
Erde bekam vom Schöpfer den Selbsterhaltungstrieb und die Fähigkeit, sich auf irgendeine Art schützen zu können. Ein Mann kämpft, wenn ein anderer ihn bedroht. Was ist falsch daran? Wir sollten beide nach Corro reiten und den Dingen auf den Grund gehen.« Noel Marrs schüttelt den Kopf, und er wirkt sehr mürrisch und völlig unbeeindruckt. Jim Buckmaster kann die unversöhnliche Engstirnigkeit dieses Mannes richtig spüren, so wie eine Mauer, die gegen ihn vorrückt und ihn fortschieben will. Dann sagt Noel Marrs ernst: »Natürlich ist nichts falsch daran, wenn ein Mann sich wehrt und sein Leben schützt, doch dies ist sehr allgemein. Die Sache sieht völlig anders aus, wenn dieser Mann einen Cumberland von den Beinen schießt. Das geht nicht! Das kann man nicht tun. Wo kämen wir da hin, wenn man die Cumberlands so ungestraft abschießen könnte! Vielleicht hat Kirby Cumberland nicht viel getaugt. Es ist sogar ziemlich sicher, dass er nichts getaugt haben würde, selbst wenn er hundert Jahre alt geworden wäre. Doch er war ein Cumberland, verstehst du? Er gehört zur Cumberland-Ranch, wie dein Ohr zu deinem Kopf gehört. Und wenn man alle Cumberlands abschießen würde, dann gäbe es keine Cumberland-Ranch mehr. Ich aber bin dafür da, dass niemand der Cumberland-Ranch einen
Schaden zufügen kann. Und nun kommen wir zur Sache!« Er macht eine kleine Pause und sagt dann: »Du bist hier erledigt, Jim Buckmaster. Ich sehe, du trägst keinen Revolver. Doch wenn du jetzt gerne einen hättest, dann will ich warten, bis du ihn dir geholt hast. Ich will sogar vom Pferd steigen und dir eine Chance geben. Du kannst mit mir einen Revolverkampf bekommen, wenn du ihn haben möchtest. Doch es würde dir nichts nützen – gar nichts! Denn du hättest – wenn du mich besiegen könntest – wieder ein Stück der CumberlandRanch vernichtet. Die Cumberland-Ranch würde dich mit deinem Bruder zusammen von dieser Welt jagen. Hast du verstanden?« Er fragt es etwas unbeholfen, und er wirkt jetzt irgendwie besorgt, so als läge ihm viel daran, dass Jim Buckmaster dieses Denken verstünde. Jim versteht es. Er hat vorher schon gewusst – und man weiß es im ganzen Land –, dass die Cumberland-Ranch für Noel Marrs eine Art Religion ist. »Dein Denken ist verzerrt, Noel Marrs«, sagt er. »Du gleichst einem Götzendiener. Es gibt Heiden, die beten einen Götzen an, so wie du die Cumberland-Ranch, und sie tun alles, um diesem Götzen zu dienen. Sie wissen genau, dass jeder Götze auf tönernen Füßen steht, und sie fürchten seinen Sturz. Der Gedanke daran macht sie verrückt. Und so tun sie alles, um jede Gefahr
abzuwenden, von der sie meinen, dass sie den Götzen stürzen könnte. Ihr Denken und all ihre Maßstäbe verzerren sich. Sie begehen sehr oft Unrecht, ohne es erkennen zu können. Auch das, was du jetzt tun willst, ist Unrecht. Nein, ich kämpfe nicht! Ich habe meinen Revolver mit Absicht abgelegt. Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, dich zu töten. Ich würde einem mächtigen Riesen, nämlich der Cumberland-Ranch, nur eine Faust abschlagen. Das Problem ist nicht damit zu lösen, dass ich dich töte.« »Siehst du, das ist es, was jedermann im Land immer wieder begreifen muss«, erwidert Noel Marrs kehlig. »Das ist es genau, was jedem Menschen in diesem Land immer wieder klargemacht werden muss.« Er wendet sich im Sattel um. »Wir nehmen die besten Pferde, Jungens! Und wir nehmen noch jeder ein Ersatzpferd mit. Wenn wir unterwegs die Tiere immer wieder wechseln, können wir sicherlich sogar Geromino einholen! Also nehmt die besten Tiere! Sattelt auch für mich! Ich habe noch zu tun!« Er sitzt nun endlich ab, und das erschöpfte Pferd stöhnt erleichtert, obwohl es schwankt, als er es entlastet. Er schenkt Jim Buckmaster keinen Blick mehr. Nun, auf der Erde, erweist er sich nicht ganz so groß, wie es den Anschein hat, wenn er im Sattel sitzt. Doch das liegt an seinen Beinen. Sie sind
ziemlich stark gekrümmt. Er kann damit einem Pferd die Luft aus dem Leib pressen. Er läuft auf den Außenkanten seiner Sohlen wie ein Indianer. Es geht ein Gerücht im Land um, nach dem er zu einem Viertel ein Apache sein soll. Er geht zur Scheune hinüber, deren Tor geöffnet ist. Er wirft ein Zündholz ins Stroh und sieht einige Sekunden lang zu, wie das kleine Flämmchen zu einer lodernden Flamme wird. Dann wendet er sich zum Blockhaus, und nun, da er vom Flammenschein schon beleuchtet wird, der ihm folgt, da wird man sich auch darüber klar, dass er sehr lange Arme hat. Jim Buckmaster steht unter den Zweigen des Nussbaumes und bewegt sich nicht. Doch er kämpft einen schlimmen Kampf, tief in seinem Kern, mit sich selbst. All das Wilde und Heißblütige in ihm droht die Oberhand zu gewinnen, ihn zu beherrschen. Er verspürt einen starken Zwang, wieder unter den Baum zu treten und dort den Revolver aus der Astgabel zu nehmen. Er erzittert wie unter einem Fieberschauer, und er weiß gut über sich Bescheid. Wehe, wenn dieses Wilde und Heißblütige in ihm die Oberhand gewinnt! Damals, als er ein junger Bursche war, der von daheim fortritt, da hat es ihn beherrscht, und er hat ein wildes Leben geführt und ist ein Revolverheld gewesen.
Erst später, als er einige Erlebnisse hatte und reifer geworden war, wandelte er sich. Seine letzte Wandlung ging dann vonstatten, als sein jüngerer Bruder zu ihm kam und er für ihn die Verantwortung übernehmen musste. Er hat sofort erkannt, dass der wilde Junge schnell auf einen schlechten Weg geraten würde und verloren wäre. Und so hat er sich sesshaft gemacht. Sie haben diese Ranch aufgebaut. Er hat seinem Bruder Virg ein Heim verschafft, einen festen Platz, und sie haben sich Ziele gesteckt. Sie wollten eines Tages die beste und größte Ranch von New Mexico besitzen. Es sollte eine berühmte Pferderanch werden, ein erstklassiges Gestüt. Er bewegt sich schon, um den Revolver zu holen, ja, er möchte zu schießen beginnen. Zuerst jenen Noel Marrs töten, der jetzt drinnen im Haus gewiss alle brennbaren Dinge auf einen Haufen wirft und dann die Petroleumkanne darüber ausgießen wird. Und dann möchte er noch auf die anderen Männer schießen, die jetzt seine besten Pferde aus den Corrals holen. Da sie auch noch Reservepferde mitnehmen wollen, haben sie keine schlechte Chance, selbst einen Hengst wie Geromino zu einholen. Denn es sind zwei Dutzend Klassepferde dabei, die solch ein Rennen durchstehen können. Virg ist mehr als ein Halbschwergewicht. Er wiegt hundertachtzig Pfund. Dies ist selbst für Geromino für eine lange
Distanz kein leichtes Gepäck. Und die Verfolger werden alle zehn Meilen ihre Tiere wechseln. Jim Buckmaster bewegt sich also schon. Doch dann gewinnt sein Verstand wieder die Oberhand. Seine Gedanken jagten sich und waren wild und voller Zorn. Doch nun ist es plötzlich vorbei. Denn er denkt daran, dass es seinem Bruder wenig nützen würde, wenn man ihn hier zusammenschießt. Gewiss, er könnte vielleicht Noel Marrs und noch zwei oder drei Männer mit sich von dieser Erde nehmen. Er traut sich dies zu und weiß, dass er, selbst wenn er tödlich getroffen wäre, noch einige Atemzüge lang kämpfen könnte. Er würde seine sechs Kugeln verfeuern. Aber dann würden sie ihn in Stücke geschossen haben. Und er könnte nichts mehr für Virg tun. Virg wäre allein – ein wilder Junge, der ins Banditenland flüchtete und unter Banditen leben wird. Jim Buckmaster steht wieder still. Er presst die Lippen zusammen und sieht ruhig zu, wie sie seine Pferde aus den Corrals holen, wie die Flammen aus der Scheune schlagen. Das Feuer wird auch den Stall vernichten. Im Blockhaus aber leuchtet es nun ebenfalls rötlich durch die beiden Vorderfenster. Noel Marrs hat Feuer angelegt. Jim sieht ihn herauskommen. Und wieder kämpft er gegen den Drang an, den Revolver zu nehmen und zu schießen. Doch er weiß, dass ihn einige der
Männer, die nun die Sattelpferde herbeibringen und die Reservepferde an langen Leinen mitführen, bestimmt beobachten. Noel Marrs ruft über den Hof: »Jagt alle anderen Pferde fort! Jagt sie alle den Canyon hinunter!« Er findet, indes er dies ruft, das Pferd, das seinen Sattel trägt. Es ist ein großes Tier. Es ist Jim Buckmasters liebstes Tier, ein mausgrauer Wallach, groß, stark, zäh und schnell, ein Pferd für einen schweren Mann. Noel Marrs sitzt auf und kommt wieder zu Jim geritten. Er hält an und sagt: »Ich habe es dir schon gesagt, Jim! Und ich sage es nochmals, damit du es nicht vergisst: Du bist hier erledigt! Du bist hier fertig! Wir werden deinen Bruder erwischen. Wenn wir dann zurück sind, kommen wir nachsehen, ob du noch hier bist.« Er macht eine kleine Pause und fragt dann seltsam gedehnt: »Du möchtest mich gern tot am Boden sehen, nicht wahr? Du möchtest gerne etwas tun, um dich zu rächen? Aber das wäre falsch. Freund, du musst es nicht persönlich sehen. Die Cumberlands müssen ihr Prestige erhalten. Ich bin dafür da, um die Ranch zu schützen. Es ist nichts Persönliches gegen dich, Jim.« »Doch«, sagt dieser jetzt langsam. »Ich denke, dass da eine ganz persönliche Sache mit eine Rolle spielt.«
Noel Marrs grollt seltsam. Dann schüttelt er heftig den Kopf. »Wenn du dieses Land verlässt«, sagt er heiser, »so kannst du von mir aus Ann Uvalde mitnehmen. Ich werde euch nicht nachreiten, um dir das Mädel wieder abzunehmen. Nein, es ist nichts Persönliches, Jim Buckmaster. Ich kann nur nicht zulassen, dass die Cumberlands aussterben. Denn dann gibt es keine Cumberland-Ranch mehr. Ich schütze die Cumberlands, weil die Ranch bis in alle Ewigkeit bestehen soll!« Nach diesen Worten reitet er davon. Er gibt seinen Männern kein Kommando, ihm zu folgen. Doch sie beeilen sich sehr. Auch die Reiter, die alle Pferde den Canyon hinuntergejagt haben, schließen auf. Und dann nehmen sie Virg Buckmasters Fährte wieder auf. Gewiss, Virg sitzt auf einem guten Pferd, dem besten Tier auf tausend Meilen in der Runde. Doch bis zum Pecos sind es fünfzig Meilen. Und bis tief genug ins Pecos-Land hinein sind es noch weitere Meilen. Die Cumberland-Mannschaft kann es mit ihren Reservepferden schaffen. Jim Buckmaster blickt ihnen nicht nach, er dreht ihnen den Rücken zu. Er betrachtet die brennenden Gebäude. Es wäre zwecklos, etwas löschen zu wollen. Es ist alles aus hier. Er ist hier fertig. Er müsste neu anfangen.
Doch zuerst muss er an Virg denken.
2 Er muss drei oder vier Meilen zu Fuß laufen, bis er auf einige Pferde trifft. Doch es sind einige Stuten von ihm, und sie werden bald Fohlen bekommen. Er findet aber dann eines der müden Tiere der Cumberland-Mannschaft, die mit seinen Pferden den Canyon hinunter gejagt worden sind. Er reitet auf dem sattellosen Tier zwei Meilen weiter und trifft dann auf eine weitere Gruppe seiner Pferde. Es sind einige Tiere dabei, die nicht tragend sind, und so sitzt er bald auf einem schnellen Tier. Es macht ihm nichts aus, ohne Sattel zu reiten. Zaumzeug hat er sich mitgenommen, als er die brennende Ranch verließ. Nun reitet er schnell auf die Stadt zu, und er denkt dabei auch an all seine Pferde. Sie sind nun überall verstreut. Die besten Tiere hat sich die Cumberland-Mannschaft genommen. Es sind herrliche Tiere, ausdauernd und schnell, allerbeste Zucht. Solche Tiere besitzt selbst die große und mächtige Cumberland nicht. Niemand auf tausend Meilen in der Runde besitzt solche Tiere. Sie alle stammen von Geronimo ab. Jim fragt sich, was aus den Tieren werden wird. Sie sind ein Vermögen wert. Und die Cumberland-Mannschaft reitet auf ihnen auf der Fährte des Bruders und muss damit gewiss weit ins Pecos-Land hinein.
Und wer wird all die Tiere zusammentreiben, für die Fohlen sorgen und all die vielen notwendigen Dinge für die Tiere tun, die jetzt im Land herumwandern werden? Dies ist die Frage! Er wird viele Stuten und Fohlen an Pferdediebe verlieren. In ihm ist nun wieder jene heiße und gefährliche Wut. Es ist ein böser Zorn, der zerstören möchte, zurückschlagen, rächen, vernichten. Er treibt das Pferd schärfer an. Doch als er die Stadt erreicht hat, sein mit flockigem Schweiß bedecktes Pferd zügelt und es im Schritt gehen lässt, damit die schlafende Stadt seinem Kommen möglichst wenig Aufmerksamkeit schenkt, da schwindet jener böse und gefährliche Zorn wieder in ihm. Er reitet vor den Lonestar Saloon. Drinnen ist noch Licht. Doch draußen an den Haltestangen sind keine Sattelpferde angebunden. Jim geht hinein, und der Barmann, der die Stühle mit den Sitzen auf die Tische stellt und dann gewiss die Sägespäne ausfegen wird, bevor er sich beim ersten Tageslicht zur Ruhe legen darf, um dann erst wieder am Abend abzulösen, wendet sich müde zu ihm um. »Es ist geschlos...«, beginnt er mürrisch. Doch dann erkennt er Jim Buckmaster und verstummt. Er deutet mit dem Daumen über die Schulter hinweg auf eine Tür und sagt: »Ich soll Ihnen
sagen, dass Mister Kettle noch auf ist und geneigt ist, Sie zu empfangen.« Jim Buckmaster nickt wortlos, und er weiß nun, dass man hier damit gerechnet hat, ihn noch vor Tagesanbruch zu sehen. Man hat ihn erwartet, und weil das so ist, wird Louis Kettle auch bereit sein. Dies aber wieder bedeutet, dass er nicht allein sein wird. Jim nähert sich dem Barmann. »Steve, wie war die Sache?«, fragt er ruhig. »Sag mir, wie es war, Steve Hill.« Der Barmann stützt sich auf den Besen. Er ist ein bulliger, schwergewichtiger und narbengesichtiger Mann. Dieser Saloon hat drei Barmänner. Doch Steve Hill ist der letzte Mann in der Rangstufe. Er ist zugleich auch Hausknecht. Früher, da war er ein ziemlich bekannter Preisboxer, der viel Geld verdiente. Doch er dachte damals sicherlich, dass es immer so bleiben würde. Eines Tages aber wurde er geschlagen. Und dann wurde er wieder und wieder geschlagen und zehrte noch eine Weile von seinem Ruf, bis es sich überall herumgesprochen hatte, dass er als Preiskämpfer nichts mehr taugte. Seine Zeit war vorbei. Und es ging ihm schlecht. Dass er nun hier Barmann und Hausknecht sein darf, empfindet er als großes Glück. Er blickt Jim mürrisch an und sagt widerstrebend: »Da gibt es nicht viel zu sagen,
Jim Buckmaster. Kirby Cumberland und Ihr Bruder hatten sich ja nie gemocht. Sie hatten sich mal wieder gestritten. Kirby Cumberland schlug Ihren Bruder ins Gesicht, weil dieser eine abfällige Bemerkung über ein Mädel gemacht hatte. Ihr Bruder fiel von diesem Schlag über einen Tisch. Er blieb am Boden liegen und zog. Er schoss sofort und traf.« Der Barmann deutet auf eine Stelle, wo die Sägespäne bedeutend dichter liegen, so als hätten sie etwas zu verdecken. Jim begreift, dass dort Blut verloren wurde. Steve Hill schnauft hörbar. »Kirby Cumberland starb sofort«, sagt er. »Er kam gar nicht mehr zu Bewusstsein. Dann kam die Mannschaft in den Saloon. Noel Marrs nahm die Verfolgung auf. Haben sie Virg schon erwischt?« Er stellt die Frage auf eine Art, die irgendwie bange und besorgt anmutet. Jim Buckmaster betrachtet ihn fest und sagt dann: »Steve, Sie lügen! Mein Bruder schießt nicht, wenn man ihn schlägt. Er schlägt zurück, doch er schießt nicht. Es ist eine Lüge! Steve, warum sagst du nicht die Wahrheit?« Der alte Preiskämpfer bekommt wieder seinen mürrischen und störrischen Ausdruck. Er steht mit gesenktem Kopf da, blickt jedoch unter der Stirn hinweg auf Jim. »Ich lüge nicht«, sagt er. »Es war so, wie ich es sagte.« Er wendet sich ab und beginnt zu fegen. Jim aber geht auf die Tür
zu, auf der das Wort »Privat« zu lesen ist. Er öffnet sie und tritt ein. Es sind drei Personen im Raum. Louis Kettle sitzt hinter seinem Schreibtisch und zählt die Einnahmen des Tages. Sein Revolvermann steht in der Ecke und füttert einen prächtigen Papagei mit irgendwelchen Kernen, wahrscheinlich Nüssen. Als Jim eintritt, sagt der Papagei schrill: »Tür zu! Tür zu! Ich werde mich erkälten!« Der Revolvermann Hogan Earp grinst blitzend, doch in seinen hellen Augen ist keine Freundlichkeit. Sie bleiben kalt, wachsam und wirken wie Glas. Seine Pupillen sind klein und stechen auffällig von der hellen Augenfarbe ab. Die dritte Person im Zimmer ist eine Frau. Es ist Lily Long, eine Frau, die im Spielraum beim Roulett die Bank hält, aber auch dann und wann für die Gäste singt. Sie wirkt auf den ersten Blick wie eine fremdländische Schönheit, denn ihre Wangenknochen stehen hoch und deutlich hervor. Ihr Name täuscht, denn sie ist ganz deutlich eine Slawin, eine Polin oder Russin. Und obwohl ihr Haar dunkel ist, sind ihre Augen blau. Wie eine geschmeidige Katze kauert sie in einem großen Sessel. Sie blickt Jim aufmerksam an, und die Flügel ihrer kleinen Stupsnase vibrieren. Dann öffnen sich ihre vollen Lippen, und sie zeigt ein blitzendes Lächeln. Ihre Zähne sind makellos, sehr weiß und kräftig.
»Hallo, Jim Buckmaster«, sagt sie, und ihre Stimme klingt schnurrend und kehlig zugleich. Sie ist eine schwarze Katze mit Zähnen und Krallen, denkt Jim, indes er sich leicht vor ihr verbeugt. Dann setzt er sich, ohne darum gebeten worden zu sein. Er blickt den Mann hinter dem Schreibtisch an und fragt: »Louis, Sie kennen mich. Sie kennen mich gut, nicht wahr? Wir sind ganz alte Bekannte, die sich zufällig in diesem Land hier zum zweiten Mal begegneten. Ich frage Sie, Louis, wie die Sache gewesen ist. Und ich will die Wahrheit wissen. Erzählen Sie mir nur nicht, dass mein Bruder Virg auf Kirby Cumberland geschossen hat, weil dieser ihm einen Schlag versetzte, der ihn über einen Tisch warf. Virg wäre wieder aufgestanden und hätte mit den Fäusten gekämpft. Es muss alles ganz anders gewesen sein. Wie war es wirklich?« Er sitzt nun ganz still da und blickt Louis Kettle an, einen großen, schlanken dunklen Mann, der sich sorgfältig kleidet und den man auf den ersten Blick fast für einen Offizier in Zivil und einen Gentleman aus England halten könnte. Vielleicht war er dies früher auch mal. Jetzt ist er ein Spieler und Saloonbesitzer. Seine Beziehungen zu Lily Long sind rein geschäftlicher Art, obwohl fast alle Menschen in diesem Land anderer Meinung sind. Nur ganz wenige eingeweihte Menschen wissen, dass Lily
Long diesem Spieler fast den ganzen Saloon abgewonnen hat und sie auf diese Art Partner und Teilhaber wurden. Aber das war damals, als Lily Long in die Stadt kam und Louis Kettle sie noch hatte haben wollen. Louis Kettle steckt sich erst eine seiner langen und dünnen Zigarren an, bevor er antwortet. Dann aber klingt seine Stimme ganz ruhig und präzise. Er sagt: »Wenn Ihr Bruder entkommen konnte, Jim, wird Big Boss Cumberland sicherlich eine Belohnung auf ihn aussetzen. Und Steckbriefe werden überall angeschlagen werden. Jim, Ihr Bruder wird wegen Mordes gesucht werden, wenn Noel Marrs und die Mannschaft ihn nicht erwischen. Und wenn sie ihn erwischen und nicht gleich an Ort und Stelle töten, dann wird er bestimmt von einer Jury schuldig gesprochen und aufgeknüpft werden. Er ist verloren, so oder so. Ist das klar, Jim?« »Aber er ist unschuldig«, sagt Jim Buckmaster langsam. »Er ist unschuldig, nicht wahr? Ich glaube daran, denn ich kenne ihn. Er hätte niemals wegen eines Faustschlages zur Waffe gegriffen.« Louis Kettle saugt an seiner Zigarre. Als er dann wieder spricht, sind seine Worte gedehnt, und sie sind sehr überlegt. Es ist etwas in seiner Stimme, was einen Mann wie Jim Buckmaster einige Dinge begreifen und erkennen lässt. Jim Buckmaster weiß nun sehr schnell, um was sich
die Sache dreht und wie das ganze Spiel laufen soll. Denn Louis Kettle sagt: »Gewiss, wir könnten Virgs Unschuld bezeugen! Wir könnten ihn entlasten und zu einem weißen Schäflein machen. Wir könnten schwören und die Wahrheit sagen. Doch wir haben Angst! Wir fürchten uns! Big Boss Cumberland würde der Meinung sein, dass wir Partei gegen ihn ergreifen und das Andenken seines Sohnes in den Schmutz ziehen wollten. Und was würde Big Boss Cumberland hin? Was würde Noel Marrs wohl tun, wenn wir dabei behilflich wären, dass der Mann, der einen Cumberland tötete, frei und ungestraft bliebe? Was würde diese mitleidlose Ranch, diese Institution von Unduldsamkeit und Macht – ah, was würde sie wohl tun? He, Jim, ich will es Ihnen sagen! Wir wären erledigt! Und weil das so ist, wagen wir nicht, die Wahrheit zu sagen. Ein Cumberland wurde getötet. Dem Alten und auch Noel Marrs ist es gleich, ob in Selbstverteidigung und zu Recht – oder ob es Mord war. Sie wollen dieser Welt hier nur demonstrieren, dass man einen Cumberland nicht ungestraft töten kann. Und deshalb wollen sie den Tod des Mannes, der es tat. Sie haben zu viele Feinde. Sie müssen so handeln, denn sonst fürchtet sich bald niemand mehr davor, einen Cumberland zu töten. Verstehen Sie das, Jim?«
Er beugt sich vor, so weit wie er kann. Sein sonst so beherrscht und undurchschaubar wirkendes Gesicht drückt für einen Augenblick einen ganzen Sturm von Gefühlen aus. »Ich habe die ganzen Jahre darauf gewartet, Jim, dass Sie und die Cumberland-Ranch aneinander geraten würden. Ich habe gewartet, bis die Cumberlands den Fehler machten, Ihnen auf die Zehen zu treten. Doch sie taten es nicht. Big Boss Cumberland ist kein Narr. Er ließ Sie in Frieden, Jim! Er ließ Sie am Rande seines Reiches die Pferderanch betreiben. Nur sein jüngster Sohn Kirby verspürte jenes Jucken. Dieser Narr musste sich immer wieder mit Virg messen. Zuerst machten sie nur Wettrennen, Wettschießen. Und dann spielten sie Poker oder versuchten sich die Mädels auszuspannen. Sie waren von Anfang an Konkurrenten. Und weil Kirby Cumberland zumeist der Herausforderer und anschließend der Verlierer war, wurde die ganze Sache zu einem Problem für ihn. Er war kein Bursche, der verlieren konnte. So kam es, dass er Virg mehr und mehr hasste. Jetzt ist er tot. Virg hat ihn getötet. Und wir können nicht sagen, wie es war. Wir können nur sagen, was im Sinne der Cumberland-Ranch ist, denn wir sind keine Helden. Wir wollen nur leben und bescheidene Geschäfte machen. Wir sind nur ganz kleine Mäuseriche und Mäuse, die es nicht wagen
können, eine Katze anzuknurren, sonst frisst uns die Katze.« Er lehnt sich zurück und legt die Hände flach auf die Tischplatte, rechts und links neben den Kasten, in dem die Tageseinnahme liegt. »Wenn wir uns vor der Cumberland-Ranch nicht mehr fürchten müssen«, sagt er schlicht, »werden wir gern sagen, wie es gewesen ist. Und dann wird Virg sicherlich nicht länger verfolgt und gejagt werden. Aber wir können es erst dann wagen, die Wahrheit zu sagen, wenn wir uns nicht mehr vor den Cumberlands fürchten müssen. Das ist alles, Jim Buckmaster.« Jim hört es, und er weiß es nun. Er sitzt eine Weile bewegungslos da. Dann sagt er leise und knirschend: »Also eine Erpressung! Louis, Sie Schuft, Sie wollen sich mit Hilfe einer Erpressung einen Revolvermann kaufen, der die Cumberlands abschießt. Wozu haben Sie eigentlich diesen Gent dort?« Er deutet auf Hogan Earp, der immer noch den Papagei füttert und lautlos und blitzend seine Zähne zeigt. Doch nun spricht er auch. »Ich würde es tun, Jim Buckmaster. Doch ich habe keinen Bruder zu retten. Ich bin hier nur als Hauspolizist und Beschützer angestellt. Für die Arbeit, die Cumberlands auszurotten, würde ich zehntausend Dollar verlangen. Und die möchte ich Mister Kettle ersparen. Doch er wird auf mich zurückgreifen müssen. Denn ich bin besser und
entschlossener als Sie, Black Jim Buckmaster. Gewiss, Sie hatten früher einen großen Namen. Sie waren bekannt als unbesiegbarer Revolvermann. Sie waren berühmt als Kämpfer. Und besonders bei jenem Treiben unter Jesse Chisholm von San Antonio nach Dodge City, da waren Sie der schnelle Mann, von dem so viel abhing. Doch dann wurden Sie zahm. Sie begannen eine Ranch zu bauen und Pferde zu züchten. Ich denke, dass Sie Nerven bekommen haben. Und das ist schlecht.« Er tritt zurück, um sich wieder mit dem bunten Vogel zu beschäftigen. Jim erhebt sich und blickt die Anwesenden der Reihe nach an. »Sie sind mir doch nicht böse, dass ich unsere Chance nutze?«, fragt Louis Kettle sanft. »Wann finde ich mal wieder die Gelegenheit, den Cumberlands einen Wolf an die Kehle springen zu lassen? Vielleicht niemals mehr. Jim, ich weiß, was Sie vollbringen können, ich weiß es, denn ich sah Sie einmal kämpfen, damals, vor Jahren in Wichita. Ich denke nicht wie Mister Hogan Earp, dass Sie zahm geworden sind, Jim. Ich denke, dass Sie gefährlicher sind als je zuvor. Was hat Noel Marrs denn auf Ihrer Ranch gemacht, als er Virg dort nicht mehr vorfand?« Er stellt die letzte Frage mit einer lauernden Gewissheit. Jim nickt ihm zu und sagt: »Sicher, er hat meine Ranch niedergebrannt. Er hat meine besten Pferde gestohlen und alle anderen Tiere fortgejagt. Ich
habe keine Zeit, all die Tiere wieder einfangen zu können. Noel Marrs hat mir einen Schaden von etwa zwanzigtausend Dollar zugefügt.« »Sehen Sie«, sagt Louis Kettle sanft. »Davor möchten wir uns behüten. Und deshalb können wir Ihren Bruder leider nicht entlasten, sondern müssen aussagen, dass er zuerst zog und Kirby Cumberland niederschoss, ohne ihm eine Chance zu lassen. Wir müssen es sagen, weil die Cumberland-Ranch keine Neutralen duldet. Sie duldet nur Freunde. Das ist es, Freund Jim! Und was werden Sie jetzt tun?« Jim betrachtet ihn ruhig. Oh, er beherrscht sich gut! Man sieht ihm nichts an. Sein dunkles Gesicht ist ruhig und still. Seine grauen Augen sind ausdruckslos. Nur die dunklen Linien in diesem Gesicht wurden vielleicht eine Idee tiefer und schärfer. Er ist äußerlich ganz ein großer, hagerer, ruhiger Mann. Doch der große Revolver an seiner Seite, dessen Griff so einfach und schlicht wirkt, erscheint mit einem Mal viel beachtlicher als ein Revolver an der Seite eines anderen Mannes. Die Augen von Louis Kettle, Hogan Earp und Lily Long betrachten diesen Revolver, und es sieht so aus, als hätte diese Waffe ganz plötzlich wie ein Magnet ihre Blicke angezogen. Es sind die Gedanken, die in diesen drei Menschen sind, die dieses wie gebannt wirkende Starren bewirken.
»Ich weiß noch nicht, was ich tun werde«, murmelt Jim. Damit geht er hinaus. Er schließt die Tür leise und sachte hinter sich. Steve Hill, der narbengesichtige Barmann, fegt immer noch. Er blickt sich nicht nach Jim um, will ihn absichtlich nicht ansehen. Jims Schritt hält einen Moment inne. Er sagt: »Steve, was warst du, bevor du Preiskämpfer wurdest?« Steve Hill sieht ihn nur an. »Cowboy war ich«, brummt er. »Wenn ich es geblieben wäre, würde es mir jetzt vielleicht besser gehen. Vielleicht besäße ich eine kleine Ranch. Doch ich bin jetzt fünfundvierzig Jahre alt. Ich habe gelernt, wie man einen Mann von den Beinen schlägt, bis er nicht wieder aufstehen kann. Alles andere habe ich verlernt. Ich könnte als Cowboy nicht mehr das Salz in der Suppe verdienen. Und ich habe wohl auch keinen Mut mehr, mich als Siedler zu versuchen. Was soll die Frage?« »Meine Pferde sind im Land verstreut«, erwidert Jim. »Ich suche einen Mann, der sie zusammentreibt und auf sie aufpasst, bis ich mich wieder darum kümmern kann. Ich zahle diesem Mann hundert Dollar im Monat. Hast du gehört, Steve?« »Warum machst du mir das Angebot, Jim Buckmaster?« »Ich sagte nur, dass ich einen Mann suche«, erwidert Jim. »Diese Stelle ist für jeden offen.
Wer zuerst kommt, kriegt sie. Hundert Dollar im Monat!« Er macht einen Schritt und stößt mit seiner Stiefelspitze gegen einen der großen Messingspucknäpfe. »Und bei mir braucht niemand Spucknäpfe zu putzen«, sagt er. »Bei mir gibt es Reiterarbeit. Was dich betrifft, Steve, so könnte es vielleicht sein, dass du früher einmal ein stolzer Mann warst und es wieder sein möchtest.« Nach diesen ruhigen Worten geht er hinaus. Die Stadt ist ruhig und still. Sie liegt noch im Schlaf. Doch im Osten naht schon die graue Morgendämmerung. Die Nacht hat keine Schatten mehr, wurde grau und wird sich in fahle Nebel auflösen. Jim blickt auf das sattellose Pferd und denkt daran, dass er jetzt zu Big Boss Cumberland muss – jawohl, er muss zu den Cumberlands auf die Ranch. Er muss zu ihnen, denn er muss alle Möglichkeiten ausschöpfen. Es hat keinen Sinn, jetzt hinter Noel Marrs und Bruder Virg herzusausen. Er muss darauf vertrauen, dass Virg entkommen kann – oder dass, wenn ihn die Cumberland-Mannschaft erwischt, er lebendig zu Big Boss Cumberland gebracht wird. Es hängt alles von Big Boss Cumberland ab. Also muss er, Jim Buckmaster, zu ihm. Er seufzt leise, denn er weiß, was es bedeutet, wenn er zu den Cumberlands reitet, dorthin auf
die Ranch, wo jetzt Kirby Cumberland gewiss wie ein Fürstensohn aufgebahrt wurde und noch nicht unter die Erde kam. Es könnte Jim wahrhaftig passieren, dass die Cumberlands seine Haut in Streifen schneiden – mit Peitschen! Doch er muss hin. Er muss diesen Versuch machen. Es muss einen Weg geben, die Dinge mit Vernunft zu klären, in Ordnung zu bringen. Es muss einen Weg geben. Er bewegt sich nun, um den Plankengehsteig zu verlassen und zu seinem Pferd zu treten. Doch da erkennt er schräg gegenüber auf der anderen Seite eine leichte Bewegung unter den vorgebauten Obergeschossen. Sein Blick wird scharf, und seine Handballen berühren den Revolverkolben, eine automatische Bewegung, mit der er sich versichert, dass der Revolver genau richtig sitzt und der Kolben im richtigen Winkel von der Hüfte nach außen absteht. Aber es ist eine sehr schlanke Gestalt, die nun erkennbar wird, weil sie an den Rand des gegenüberliegenden Gehsteiges tritt. Es ist eine Frauengestalt, eingehüllt in einen Morgenmantel. Jim weiß, dass es Ann Uvalde ist – jene Ann Uvalde, die Noel Marrs erwähnte, als er sagte, Jim könnte sie mitnehmen, wenn er das Land verließe, und er, Noel Marrs, würde ihnen nicht nachreiten, um ihm das Mädel wieder abzunehmen.
Jim sieht Ann Uvalde winken. Ihre Stimme klingt über die Straße: »Ich habe einen Sattel für dich, Jim! Und ein Frühstück! Ich sah dich in die Stadt kommen. Hol dir den Sattel und das Frühstück, Jim!« Er zögert. Doch dann wieder verspürt er den Wunsch, mit ihr zu sprechen. Er möchte einen Moment in ihrer Nähe sein. Irgendwie hat er das Gefühl, als würde ihm dies sehr viel nützen. Sie wird seinen Zorn besänftigen und ihn ruhiger machen. Und so nimmt er sein sattelloses Pferd und geht hinüber. Die Tür zu ihrem Laden steht offen. Er bindet das Pferd an und tritt auf den Gehsteig. Der Sattel, von dem sie sprach, liegt bei der Tür. Es ist der Sattel ihres Vaters. Doch der braucht ihn nicht mehr. Old Buck Uvalde, der ein schlichter Cowboy war, der für die CumberlandRanch ritt, starb vor drei Jahren im Sattel, ganz natürlich und unvermutet. Der Arzt sagte dann, dass er etwas am Herzen hatte und dies wahrscheinlich gar nicht wusste. Er fiel ganz einfach aus dem Sattel und war tot. Doch Ann Uvalde hatte schon vorher ihren kleinen Schneiderladen in der Stadt gehabt. Sie war schon vor dem Tod ihres Vaters selbstständig gewesen. Und dann bekam sie seinen Sattel, seinen Revolver und seine Stiefel.
Sonst nichts. Denn er hatte bis zu seinem Lebensende gern getrunken und gespielt. Er war bis zu seinem Tod ein großer Junge gewesen. Jim hat ihn noch gekannt. Und nun muss er wieder daran denken, als er den Sattel nimmt und ihn auf das Pferd schnallt. Er geht dann in den Laden hinein, durchquert ihn und gelangt durch die kleine Schneiderwerkstatt in die Wohnküche des Mädchens. Sie kommt eben vom Herd her mit der Kaffeekanne zum Tisch. »Setz dich, Jim, und iss«, sagt sie dabei sanft, und ihr kupferrotes Haar hängt ihr zu zwei dicken Zöpfen geflochten zu beiden Seiten über die Schultern nach vorn nieder. Sie wirkt so sehr jung und mädchenhaft, ihre grünen Augen sind groß und ruhig. »Jim, es wird einen Weg geben, und es wird alles in Ordnung kommen.« Man hört aus ihrer Stimme, dass sie mit ihrer ganzen Kraft gewünscht und gebetet hat und dass sie dies immer noch tut. Er setzt sich und trinkt erst einmal den starken und heißen Kaffee. Der tut ihm gut, und er spürt, wie auch seine Nerven ruhiger werden. All die innerliche Anspannung, nur mit Mühe bezwungen und beherrscht, glättet sich, wird sanfter, entweicht aus ihm. Ja, es hat immer gut getan, hier in dieser Stube zu sitzen. Hier gab es immer Wärme, Verständnis
und all die Dinge für ihn, die ein gutes und prächtiges Mädchen einen Mann spüren lassen kann, wenn er kommt, um auszuruhen, um Kraft zu sammeln und daran zu denken, was ein Mann wie er tun sollte, um dieses Mädchen bekommen zu können. Jetzt denkt er wieder daran, und er kommt zu dem Schluss, dass es nichts mehr gibt, was er diesem Mädchen bieten könnte, gar nichts mehr. Mit einem Mal ist er trotz seines starken Bedauerns froh darüber, dass er an Ann Uvalde noch nicht jene Frage stellte, die ein Mann an ein Mädchen richten muss, wenn er ihr erklärt, sie gern zur Frau haben zu wollen. Sie ist wieder zum Herd getreten, und er betrachtet ihre schlanke Gestalt in dem Morgenmantel. Sie trägt zierliche Pantöffelchen und hat sehr kleine Füße. Sie ist prächtig, denkt er. Sie wäre für mich der kostbarste Schatz geworden. Ich hätte im nächsten Jahr ein zweites Haus gebaut – für sie und für mich – für uns. Ja, sie wäre meine Frau geworden. Ich bin sicher, dass sie das wollte. Doch nun ... Sie bringt die Pfanne zum Tisch, in der sie Eier und Schinken gebraten hat. Sie füllt seinen Teller und schneidet Brot ab. »Es wird einen Weg geben, Jim«, sagt sie. »Virg war zum Kaffee und Kuchen noch bei mir. Er aß mit gutem Appetit. Er ging von hier aus
noch einmal zum Saloon. Und da muss er den Streit bekommen haben. Willst du mir erzählen, was sonst noch geschehen ist? War Virg bei dir? Konnte er flüchten? Bist du Noel Marrs und der Cumberland-Mannschaft begegnet?« Jim zögert. Doch dann beginnt er zu essen und zu berichten. Er spürt erst jetzt, welchen Hunger er hat. Und er weiß, dass er die Nahrung jetzt ganz besonders notwendig hat, um körperlich und geistig im Vollbesitz seiner Fähigkeiten bleiben zu können. Ein Mann wie er, der außergewöhnliche Leistungen zu vollbringen vermag, braucht ständig neue Säfte und Kräfte. Ja, er ist Ann dankbar, dass sie ihn stärkt. Und diese Stärkung gibt sie ihm nicht nur durch Speise und Trank. Sie hört seinen Bericht ruhig an. Und sie weiß ganz genau, dass er nun auch all die persönlichen Wünsche und Hoffnungen, die sie und ihn betreffen, begräbt. Sie hört, dass die Ranch abgebrannt ist und die Pferde aus den Corrals verjagt wurden. Sie hört, dass er Virg ins Pecos-Land folgen will, entweder um bei ihm zu bleiben – oder um ihn zurückzuholen, wenn es ihm gelingen sollte, mit Big Boss Cumberland zu einer Einigung zu kommen. Doch es wird wahrscheinlich keine Einigung geben. Ann Uvalde weiß es ziemlich sicher. Sie sagt dann, nachdem er geendet hat: »Wie es auch ausgehen wird, Jim, es gibt immer einen
Weg und eine Möglichkeit für einen neuen Anfang. Und wenn es sein sollte, dass du nicht zurückkommen kannst, sondern mit deinem Bruder irgendwohin gehen musst, um diesen neuen Weg und den neuen Anfang zu finden, so lass mich nicht lange warten. Ich will dir folgen. Ich will mit dir in einer erbärmlichen Hütte leben, barfuß gehen und Virg eine gute Schwester sein. Verstehst du mich, Jim Buckmaster? Ich möchte nicht auf mein Glück verzichten. Ich möchte diesmal mit dabei sein, wenn ihr neu beginnen müsst. Und ich würde glücklich sein. Ich will, dass du weißt, dass ich dich liebe.« Er blickt sie an, und sie sitzt ihm sehr schmal und zart gegenüber. Doch er weiß, dass sie sehr kräftig ist, gesund und vital, voller Wünsche dem Leben gegenüber, voller Hoffnungen und Erwartungen. Und das ist richtig so. Jedes Mädchen erwartet etwas für sich vom Leben. Und es kann hart und zäh darum kämpfen. Das ist in Ordnung. Er ist sicher, dass sie barfuß in einer jämmerlichen Hütte mit ihm leben und nicht klagen, sondern lächeln würde. Sie ist äußerlich so zart. Sie wiegt kaum mehr als hundert Pfund. Doch sie ist sehr stark – alles in allem gesehen. Sie könnte gewiss eine von den Frauen werden, die weit über sich hinauswachsen und die sogar aus normalen Durchschnittsmännern beachtliche Burschen machen.
»Ich wollte dich zur Frau haben, Ann«, sagt er. »Nächstes Jahr wollte ich für uns ein Haus bauen. Doch jetzt kann ich dir nichts mehr versprechen, gar nichts mehr! Wenn ich jetzt reite, dann musst du dich frei und ungebunden fühlen.« »Nein, ich werde warten«, sagt sie. »Es könnte sein, dass du an Scheidewege kommst. Dann sollst du daran denken, dass ich auf dich warte. Und vielleicht wird dieses Wissen deine Entscheidung beeinflussen. Ich warte auf dich. Denn ich liebe dich! Und jetzt kannst du reiten.« Sie erhebt sich mit einer raschen und geschmeidigen Bewegung. Ihre Augen sind groß und weit. Und sie weicht bis zum Herd zurück. Mit beiden Händen hält sie ihren Morgenrock unter dem Kinn am Hals zusammen. Jim steht einige Sekunden am Tisch und blickt zu ihr hinüber. Er spürt, dass sie nicht will, dass er jetzt zu ihr kommt. Nein, sie will keinen Abschied mit Küssen. Sie würde die Beherrschung verlieren. Sie würde ihn nicht mehr loslassen wollen. Sie würde weinen, sich an ihn klammern und wie von Sinnen sein. Er hebt die Hand und wischt sich übers Gesicht. Die dunklen Linien darin sind wieder tiefer. Seine Lippen pressen sich fest zusammen, und er schnauft leise durch die kurze, gerade
Nase. Die Narbe unter seinen Wangenknochen ist weiß geworden, wie immer, wenn er erregt ist. »Leb wohl, Ann«, murmelt er und geht hinaus. Er zieht die Tür zu und weiß, dass sie jetzt nicht mehr geöffnet werden kann. Er eilt hinaus, sitzt draußen auf und reitet davon. Als er an der Bank vorbeikommt, denkt er daran, dass er auf dem Konto noch etwa fünfhundert Dollar haben muss. Doch die Bank wird erst in drei Stunden geöffnet. Und in drei Stunden – nun, da wird er auf der CumberlandRanch sein. Er wird Big Boss Cumberland gegenüberstehen. Und es ist nicht vorauszusehen, was dann sein wird. Auf jeden Fall jedoch wird er in Gefahr sein, in äußerster Gefahr.
3 Der Weg zur Cumberland-Ranch ist fast wie seine Straße, ja, er ist sogar sorgfältiger gepflegt als eine Straße. Und auch dies spricht für die Größe dieser Ranch. Sie kann es sich leisten, eine siebzehn Meilen lange Privatstraße von der Stadt über ihr Weideland bis zur Hauptranch zu erhalten, so wie jemand einen Gartenweg erhält, um bequem vom Wohnhaus zur am Ende des Gartens gelegenen Laube zu kommen. Jim reitet schnell. Es ist ein prächtiges Weidegebiet, durch das er muss. Es gibt Wäldchen, Senken, Hügel, Bäche und Seen. Und überall weiden Rinder in Rudeln. Das Gras steht überall gut, denn die Weide hat reichlich Wasser. Da auf den Hügelkämmen und auch sonst überall reichlich Wald steht, wird es hier nie eine Versteppung geben. Die Cumberland-Ranch achtet darauf, dass nirgendwo im großen Maße Holz geschlagen wird. Und so fängt sich überall der Wüstenwind und bringt all den vielen Sand und Staub nicht auf die grüne Grasebene. Einige Male erkennt Jim in der Ferne Reiter der Cumberland-Ranch. Doch er selbst begegnet niemandem. Er reitet dann nach siebzehn Meilen im Schritt an den Corrals der Ranch entlang und auf das große Geviert von Gebäuden und Bauten zu, die zusammen eine nicht kleinere Bodenfläche bedecken als die Stadt Corro.
Dies ist nicht nur eine einfache Ranch, es ist die Residenz eines Fürsten, eines Rinderkönigs. Die Menschen, die Jim zu Gesicht bekommt, sind alles untergeordnete Personen, zumeist Mexikaner, die mit ihren Familien in einem in der Nähe gelegenen Dorf leben, das aus etwa einem Dutzend Adobehütten besteht. Und sie leben dort etwa genau so wie damals zur Ritterzeit die Leibeigenen in der Nähe der Ritterburg, mit all ihren Familienmitgliedern zum Dienst verpflichtet. Als Jim durch das breite Tor in den großen Ranchhof reitet, da sieht er Big Boss Aharon Cumberland aus dem Haus auf die weite Veranda treten. Cumberland blickt zu ihm herüber, und an der Art, wie er den Kopf hebt und das Kinn in die Luft reckt, kann Jim erkennen, dass der Rancher ihn sofort erkannt hat. Er reitet hinüber; und als er zur Seite blickt, erkennt er einen Mann, der geschmeidig um die Ecke eines Gebäudes kommt. Es ist der dunkle und indianerhafte Ed Cumberland. Jim weiß, dass dieser Ed Cumberland gefährlich ist, gefährlich wie ein Raubtier, das Gut und Böse nicht unterscheiden kann. Ed Cumberland bleibt stehen, sieht ihn ausdruckslos an und blickt dann zu seinem Vater hinüber. Dieser steht bewegungslos auf der Veranda, nur mittelgroß und schlank, gar nicht riesig, breit
und gewaltig wirkend. Er wiegt nicht mehr als hundertvierzig Pfund, und dies ist in diesem Land nichts, gar nichts. Denn hier sind die beachtlichen Männer körperlich größer, stärker. Und weil er in einer Zeit groß und mächtig wurde, wo ein Mann ganz besondere körperliche Fähigkeiten entwickeln musste, um sich behaupten zu können, wundert man sich, dass er nur mittelgroß und fast schmal ist. Doch er ist drahtig, so etwa wie ein Terrier, an dem auch alles angespannt und zäh ist, stramm und straff. Er steht kerzengerade und mit erhobenem Kinn da. Seine Beine sind etwas krumm. Er trägt einen weißen Spitzbart, und sein Haar ist weißgelb und dicht gekräuselt. Seine einst scharfe Falkennase wurde einmal gebrochen. Ein halbes Ohr fehlt ihm, und einige andere Narben erzählen von seinen Kämpfen. Seine Handgelenke sind stark und breit, und wer diese Handgelenke sieht, dem wird klar, dass in diesen abfallenden Schultern mehr Kraft ruht als in den Schultern eines sehr viel breiter und wuchtiger gebauten Mannes. Seine Augen sind hell und hart wie Flusskiesel. Als Jim vor der Veranda das Pferd verhält und vom Sattel aus zu ihm blickt, vergehen einige Sekunden, während derer sie sich betrachten. Dann sagt Aharon Cumberland: »Wer einen Cumberland tötet, ist verloren. Er und seine Sippe
und seine Freunde, die zu ihm halten, sind verloren. So ist das, wenn jemand einen Cumberland tötet. Denn die Cumberlands sind unantastbar, sie sind groß, sie sind ...« »Das ist eine schlechte und geradezu irrsinnige Einstellung, Mister«, sagt Jim scharf und bitter. »Die Cumberlands sind auch nur Menschen, Amerikaner wie wir alle. Mister, ich weiß noch nicht, wer die Schuld an diesem Kampf hatte. Ich weiß noch nicht, wer zuerst zur Waffe griff. Mein Bruder bestreitet es. Und so half ich ihm. Es gibt einige Augenzeugen. Doch diese fürchten sich davor, etwas zu sagen, was den Cumberlands missfallen könnte. Mister, ich möchte Sie darum bitten, fair zu sein. Ich möchte, dass Sie den Augenzeugen Ihr Wort geben, es ihnen nicht nachzutragen, wenn die Wahrheit anders ist, als die Cumberland-Ranch es sich wünscht, um ein Opfer jagen zu können. Ich möchte, dass Sie diesen Augenzeugen klarmachen, dass Sie selbst ebenfalls nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit hören wollen.« Aharon Cumberland betrachtet ihn seltsam verwundert. Dann fragt er ruhig: »Warum sollte ich das tun? Ein Cumberland wurde getötet. Und ich brauche als abschreckendes Beispiel den Kopf des Mannes, der ihn getötet hat. Mir ist es nur recht, wenn Augenzeugen sagen, dass Kirbys Mörder zuerst den Revolver zog und mein Junge
keine Chance hatte. Das ist die beste Lösung. Warum sollte ich das ändern wollen?« »Aus Gerechtigkeit«, erwidert Jim und bewegt sich ungeduldig im Sattel. Er wurde nicht zum Absitzen aufgefordert. Und so blieb er auf seinem Pferd. »Noel Marrs hat meine Ranch niedergebrannt«, sagt er. »Er hat meine Pferde gestohlen oder einfach aus den Corrals und in die Freiheit gejagt. Es sind viele Stuten dabei, die jetzt bald Fohlen bekommen. Ich kann mich nicht um meine Tiere kümmern. Ich habe verloren, was ich mit meinem Bruder in fünf Jahren aufbaute. Doch ich will darauf verzichten. Ich will mit Virg fortgehen und an einem anderen Ort neu beginnen. Doch Sie müssen fair sein, Mister Cumberland! Sie müssen fair sein, verstehen Sie? Es muss erreicht werden, dass die Augenzeugen unbesorgt die volle Wahrheit sagen können. Und da wird es sich mit Sicherheit herausstellen, dass mein Bruder in Selbstverteidigung geschossen hat. Und wenn dies klar und erwiesen ist, dann wird die Cumberland-Ranch keine Belohnung aussetzen und auch keine Steckbriefe durchsetzen. Mein Bruder wird nicht wegen Mordes verfolgt werden, und wenn man ihn inzwischen lebend erwischen konnte, so wird man ihn freilassen. Haben Sie mich verstanden, Mister Cumberland? Ich will keinen Streit! Ich werde auch das Land verlassen. Ich werde keine
Entschädigung für die Brandstiftung und den Pferdediebstahl verlangen. Doch ...« »Er redet eine verteufelt freche Sprache«, sagt eine Stimme hinter ihm. Er wirft einen Blick über die Schulter. Ed Cumberland ist von drüben herübergekommen, lautlos und unbemerkt, ganz wie ein schwarzer Schatten. Er wirkt so sehr indianerhaft, dass man glauben könnte, er wäre ein Halbblut. Doch das ist er nicht. Er ist ein weißer Mann von weißen Eltern, der wie ein Indianer aussieht, den man in die Kleidung eines Cowboys steckte und dem man die Haare stutzte. Er steht zehn Schritte hinter Jims Pferd und hält einen schussbereiten Revolver in der Hand. Jim Buckmaster wird sich darüber klar, dass er einen Fehler machte. Er unterließ es, diesen Ed Cumberland ständig zu beobachten. Doch das ist verständlich. Er tat alles, um auf Big Boss Aharon Cumberland einzuwirken. Er ließ seinen ganzen Willen ausströmen, sodass Cumberland es wie den Anprall einer Welle spüren musste. Jim Buckmaster hatte sich zu sehr auf den Rancher konzentriert, um auf diesen einzuwirken. Und dadurch gelang es Ed Cumberland, hinter ihn und näher an ihn heran zu gelangen, ohne bemerkt zu werden. Es sind in der weiten Runde des Hofes und zwischen den Gebäuden noch andere Menschen
zu sehen. Doch es sind alle nur untergeordnete Bedienstete. »Er redet eine verteufelt freche Sprache«, wiederholt Ed Cumberland, und seine Stimme klingt höhnend und unversöhnlich. Dann fragt er schlicht: »Big Boss, soll ich ihn aus dem Sattel schießen?« Diese kühle und fast völlig gefühllos gestellte Frage ist erschreckend. Man könnte glauben, Ed Cumberland wäre nicht normal, sondern ein Irrer, dem jedes Gefühl für Gut und Böse fehlt und dessen Denken so verzerrt ist, dass er sich seiner Mängel gar nicht bewusst ist. Und zum Teil ist dies auch so. Zum anderen Teil aber ist es bei ihm nichts anderes als Arroganz und die Verachtung gegen alles, was nicht Cumberland heißt. Er ist ein Bursche, der von Anfang an daran gewöhnt ist, dass sich ein Cumberland alles anmaßen und erlauben darf, dass ein Cumberland besondere Rechte hat und dass ein Cumberland sich für nichts – mag er tun, was er will – auf dieser Welt und innerhalb einer Gemeinschaft zu verantworten hat. Und er nennt seinen Vater »Big Boss«, so als wäre dies ein Königstitel, auf den er als Sohn ebenfalls stolz sein kann. Jim Buckmaster blickt den Rancher an, und dabei spürt er, wie zwischen seinen Schulterblättern eine bestimmte Stelle zu jucken
beginnt und ihm der Schweiß ausbricht. Er wird sich darüber klar, dass der Bursche hinter ihm abdrücken wird, wenn sein Vater auch nur nickt. Diese Erkenntnis ist erschreckend. Es ist dies wie im finsteren Mittelalter, als irgendwelche Despoten mit einem Heben oder Senken des Daumens über Menschenleben bestimmten. In dieser Sekunde erkennt Jim Buckmaster den ganzen Wahnsinn. Und er begreift, dass diese Ranch vernichtet werden muss – ganz und gar! Denn sie ist etwas, was es gar nicht mehr geben darf. Hier in diesem Land, fern von Recht und Ordnung und dem Gesetz, hier ist etwas entstanden, was sonst überall in der zivilisierten Welt schon längst gestorben ist. Hier ist der Wille der Cumberlands Gesetz. Und mit einem Mal kann Jim Buckmaster sogar Burschen wie Louis Kettle begreifen, die sich eine Gelegenheit, dieser Cumberland-Sippe einen Wolf an die Kehle springen zu lassen, nicht entgehen ließen. Dann hört er Big Boss Aharon Cumberland sagen: »Nein, Ed! Ich möchte nicht, dass du ihn aus dem Sattel schießt. Wir wollen uns nicht wie Despoten benehmen, die das Leben der Minderen nicht achten. Nun, er ist der Bruder eines Mannes, von dessen Hand mein Sohn getötet wurde. Und er kam her und stellte mir Bedingungen. Er wollte mit mir einen Handel machen. Das geht nicht! Wir werden ihn laufen lassen, Ed! Er kann
laufen! Und er soll sich nie wieder blicken lassen – nie wieder!« Nach diesen Worten wendet sich Big Boss Aharon Cumberland zur Seite und geht davon. Er geht die Veranda entlang und verschwindet dann um die Ecke des Hauses, ganz ein beschäftigter Boss, der seinen Rundgang über die Ranch beginnt und für den eine nebensächliche Sache nun erledigt ist. Jim Buckmaster blickt über die Schulter auf Ed Cumberland. Dieser zielt immer noch mit dem Colt auf ihn, und Jim weiß, dass Ed Cumberland auf diese Entfernung einen faustgroßen Ball, den man in die Luft wirbelt, treffen kann. Jim hat also gar keine Chance. Ed Cumberland könnte ihn zweimal treffen, bevor er zum Schuss kommen würde. Es geht Jim jetzt so wie am Abend zuvor, als er vor der Entscheidung stand, gegen Noel Marrs und die Cumberland-Mannschaft um die Erhaltung seiner Ranch kämpfen zu müssen – oder stillzuhalten, um am Leben bleiben zu können, weil der Bruder ihn brauchen wird. Er wendet langsam sein Pferd, und er wendet es rechts herum, damit Ed Cumberland den Colt an seiner Linken immer sehen kann und sicher ist, dass Jim die Waffe nicht verdeckt zieht. Als er das Pferd gewendet hat, sagt Ed Cumberland: »Big Boss geht jetzt zu Kirby, denn der ist im Gartenhaus aufgebahrt. Er nimmt
Abschied von ihm. Wir werden Kirby heute Abend begraben, bei Sonnenuntergang. Es ist so heiß, und auch Kirby war immer heiß und wild. Ich hatte ihm schon einige Male gesagt, dass er Virg nicht mit dem Revolver schlagen könne. Er hat es mir nicht geglaubt. Er hat mit mir um einen Hengst gewettet, dass er deinen Bruder Virg schlagen könnte. Ich glaube, mein Bruder war ein Narr. Aber er war ein Cumberland. Ich habe mal gelesen, dass es auch schon richtige Königssöhne oder Kronprinzen gegeben hat, die Narren waren. Aber es waren Königssöhne. Sie durften alles tun, was ihnen Spaß machte.« Er grinst. »Mein Vater sagte, dass ich dich laufen lassen soll, Jim Buckmaster. Also steig ab und lauf! Ich nehme das wörtlich! Bevor du absteigst, machst du die Schnalle deines Revolvergurts auf! Vorwärts!« Jim zögert. Dabei blickt er Ed Cumberland ruhig an. Doch diese Ruhe ist nur Schein. Er weiß, dass dieser Bursche da nur darauf wartet, dass er, Jim Buckmaster, nicht gehorcht oder sogar zur Waffe greift. Ed Cumberland grinst abermals und sagt dann mit Spott: »Ich gebe dir mein Wort, dass ich dich laufen lasse. Glaubst du einem Cumberland nicht, wenn er dir sein Wort gibt? Ich lasse dich laufen – ohne Pferd und ohne Waffe! Ist das nicht sehr nobel, wenn man bedenkt, dass dein Bruder meinen Bruder erschoss?«
Jim Buckmaster entschließt sich nun. Ja, er wird gehorchen. Was ist schon ein Pferd, und was macht es schon aus, dass er seinen guten Revolver verliert? Er wird sich ein anderes Pferd und eine andere Waffe besorgen, wenn er seinem Bruder ins Pecos-Land folgt. Er löst den Waffengürtel, hebt die Hände und steigt aus dem Sattel, ohne das Pferd mit den Händen zu berühren, also sich festzuhalten. Er tritt dann langsam vom Pferd fort. Sein Waffengurt mit dem Revolver fiel zu Boden. »Also geh schon«, sagt Ed Cumberland. Dabei richtet sich sein Blick auf den Waffengurt und die Waffe. Es ist ein gieriges Glitzern in diesem Blick. »Es ist nicht mein Sattel«, sagt Jim. »Er gehört Ann Uvalde. Mir ist es gleich, ob du mir Pferd und Waffe stiehlst, Ed. Ich will keinen Verdruss mit euch. Doch der Sattel gehört Ann Uvalde.« »Geh schon«, sagt Ed Cumberland. »Und ich finde es sehr klug von dir, mit uns keinen Verdruss zu wollen. Ich hätte nie geglaubt, dich mal solche Worte sprechen zu hören. Für uns alle – und ich glaube sogar auch für Big Boss – warst du Black Jim Buckmaster, der Mann mit dem berühmten Kämpfernamen, der mit Jesse Chisholm Rinder trieb, der zu Chisholms besten Männern gehörte, auf die ganz Texas fast genauso stolz ist wie auf die Helden von Alamo. Aber ich bin enttäuscht von dir.«
Jim sagt nichts mehr. Er wendet sich ab und geht davon. Als er nach einigen Schritten über die Schulter sieht, hat Ed Cumberland seine Waffe aufgehoben und wiegt sie in der Hand, ganz deutlich erkennbar mit der freudigen Genugtuung eines Mannes, der Pferde, Waffen, Hunde und Frauen liebt und der keine Gewissensbisse kennt, wenn er ein besonders prächtiges Objekt zu Gesicht bekommt und der Wunsch in ihm erwacht, es zu besitzen. Jim geht davon, und er weiß nicht, dass ihn aus dem oberen Stockwerk des Ranchhauses ein weiteres Mitglied der Cumberland-Sippe beobachtet. Doch es handelt sich bei diesem Beobachter nicht um einen Mann. Es handelt sich um Reva Cumberland. Sie öffnet nun das Fenster weiter, beugt sich hinaus und ruft zu ihrem Bruder hinunter: »Du hättest das nicht tun sollen, Ed! Ihr wart zu hart zu ihm. Er kam mit guten Absichten her. Und ich weiß, dass du und Kirby eine Wette abgeschlossen hattet. Du hast Kirby dazu angestachelt, es mit dem Revolver zu versuchen. Ich ...« »Du hast dich einige Male mit diesem Virg Buckmaster getroffen«, sagt er. »Kirby belauschte euch einmal. Er war ziemlich eifersüchtig auf dich, seine Schwester. Er war sehr wütend, dass du dich mit einem Burschen küsstest, mit dem er selbst ständig im Streite lag.
Vielleicht hat ihn diese Wut ebenso angetrieben, es mit dem Revolver zu versuchen, wie die Wette. Und ich bin noch gar nicht fertig mit ihm!« Er geht zu einem Pfosten bei der Haltestange, wo ein Lasso hängt. Er nimmt es und wendet sich zu Jim Buckmasters Pferd. Es ist ein gut erzogenes Rinderpferd, denn da seine Zügel zu Boden hängen, steht es still auf dem Fleck. Ein gutes Cowboypferd lernt diese Lektion zuerst. Für Ed Cumberland ist es also nicht schwer, in den Sattel zu kommen. Er schnallt den Waffengurt Jim Buckmasters wieder zusammen und hängt ihn anstatt des Lassos ums Sattelhorn. Und dann reitet er davon. Er reitet in die Richtung, in die Jim Buckmaster ging. Das Lasso hält er in der Hand, so als würde er es bald benutzen. Das Mädchen aber ruft aus dem Fenster zu ihm nieder: »Ed, du hast ihm dein Wort gegeben, dass du ihn laufen lassen würdest!« »Ich werde ihm sogar dabei helfen, so sehr halte ich Wort«, ruft er über die Schulter zurück.
Jim Buckmaster läuft wie ein Indianer im Wolfstrott, obwohl ihm das mit seinen hochhackigen Stiefeln sehr schwer fällt. In ihm ist wieder der wilde Zorn, und er fragt sich bitter, was denn mit ihm los ist. Er fragt sich, ob es nicht
vielleicht doch Feigheit ist, die ihn dazu zwingt, immer wieder einem Kampf auszuweichen und zu kneifen. Als die Ranch schon ein Stück hinter ihm liegt, will er den Wagenweg verlassen. Denn er traut Ed Cumberland nicht. Es könnte sein, dass dieser ihm folgt, weil ihm irgendeine Idee in den Kopf kam. Dieser Ed Cumberland ist unberechenbar wie ein Indianer. Man kann ihn nie genau ausrechnen wie einen normalen Mann, dessen Reagieren oder Handlungen man ungefähr voraussehen oder zumindest ahnen kann. Bei Ed Cumberland ist es anders. Und seine Schwester? Zum ersten Male denkt Jim am Reva Cumberland. Er weiß nicht, dass sein Bruder Virg sich in letzter Zeit oft mit ihr getroffen hat. Er ist diesem Mädchen auch nur wenige Male begegnet und hat noch weniger Worte mit ihm gewechselt. Er fragt sich, ob sie auf der Ranch war und vielleicht sogar beobachtet und zugehört hat. Es waren einige Fenster des Ranchhauses geöffnet, und vor fast all diesen Fenstern hingen Gardinen. Indes Jim so dahintrottet, denkt er also auch an dieses hübsche und auf eine sehr aparte Art eigenwillig wirkende Mädchen. Er fragt sich, ob Reva Cumberland so ist wie ihre Brüder, so wie die Cumberlands, so arrogant, so unduldsam, so selbstherrlich.
Aber dann vergisst er sie schnell wieder. Er hat eine Menge anderer Sorgen. Er weiß jetzt, dass Big Boss Cumberland Virgs Kopf haben will, ganz gleich, ob Virg unschuldig oder schuldig ist. Er, Jim Buckmaster, kann nur noch eines tun: zu Virg reiten und bei ihm bleiben, mit Virg irgendwohin reiten, wo sie sicher sind und die Dinge hier weit zurücklassen können, so weit, dass sie davon nicht mehr eingeholt werden können. Und dann müssen sie noch einmal von vorn beginnen. Sie müssen sich nochmals etwas aufbauen. Jim will nun den Wagenweg verlassen, als dieser um die Basis eines Hügels zu biegen beginnt. Doch da hört er Hufschlag. Er blickt über die Schulter zurück, und er erkennt Ed Cumberland. Der indianerhafte Bursche kommt auf Jims Pferd, und Jim ahnt sofort, was das Lasso zu bedeuten hat, das Ed Cumberland zum Wurf bereit macht. Jim schlägt einen Haken nach links und eilt den nicht sehr steilen Hang hinauf. Dort oben auf dem Kamm gibt es Felsen und Bäume. Dort kann er zu Fuß einen Reiter vielleicht doch foppen und zum Narren machen. Doch er schafft es nicht. Er gleitet einmal aus und stolpert, als er auf Boden gerät, der unter dem Gras von Mäusen unterhöhlt wurde. Ein Grasballen rutscht unter seinem Fuß weg. Da er stolpert, kann er keine geschmeidige
Bewegung machen, um der Lassoschlinge auszuweichen. Doch er hätte es wohl ohnehin nicht vermocht. Denn Ed Cumberland ist ein Künstler mit dem Lasso. Er ist damit ein erstklassiger Könner, der es sogar versteht, Berglöwen – also Pumas – damit zu erwischen. Zu seiner Fertigkeit kommt noch sein unwahrscheinlicher Instinkt, voraussehen zu können, was für eine Bewegung das gejagte Wild machen wird, wenn die Lassoschlinge fliegt. Er gibt dann dieser Schlinge, die er durch die Luft sausen lässt, dass man sie kaum mit dem Auge erkennen kann, unterwegs noch jede gewünschte Richtung, Größe oder Drehung in die Senkrechte, Schräge oder Waagerechte. Es ist leicht für ihn, einen stolpernden Mann zu erwischen, der mit beiden Armen rudert, um sein Gleichgewicht zu halten. Als Jim die Gefahr ahnt und sich zur Seite wirft, um sich über den Boden zu rollen, ist es schon zu spät. Die Schlinge zieht sich mit einem Ruck um seine Schultern zusammen und presst seine Oberarme gegen den Oberkörper. Als er sich über den Boden rollt, spürt er einen heftigen Ruck. Ed Cumberland zieht ihn über den Boden. Er treibt sein Tier zum Trab an und hält erst wieder an, als sie den Wagenweg erreicht haben, von dem Jim abgebogen ist.
Es waren nur hundert Yards, doch Jim sieht schon sehr schlimm aus. Solch eine Weide ist ja keine Gartenwiese. Es gibt überall zwischen den Gräsern allerlei dornige Pflanzen und Disteln. Auch sind da und dort Steine im Boden, deren Spitzen mehr oder weniger gefährlich für Jims geschleiften Körper aus der Grasdecke ragen, Steine, die einst von den Felsen auf den Hügel herabbröckelten, herunterrollten und nun für Jim so schmerzvoll werden. Als Ed Cumberland anhält und Jim still am Boden liegt, hört man nur das Schnaufen des Pferdes, Jims gepresstes Stöhnen und Ed Cumberlands spöttisches Lachen. Dann wird es still. Jim erhebt sich langsam, und Ed Cumberland sorgt dafür, dass die Lassoschlinge fest bleibt und die Leine stramm gehalten wird. Jims Kleidung ist schon da und dort zerfetzt und schlimm ruiniert. Er blutet aus verschiedenen Kratzwunden und Rissen. Und er blickt Ed Cumberland an. Er legt seine ganze Verachtung in seinen Blick. Und dann sagt er heiser: »Das ist also dein Wort, Edson Cumberland? Was habe ich dir getan, du Hundesohn? Warum tust du das mit mir?« »Mein Vater sagte, dass ich dich laufen lassen soll«, grinst Ed Cumberland. »Er verbot mir nicht, dir beim Laufen zu helfen. Und das gerade will ich tun. Ich werde dich am Lasso ziehen.
Dann läuft es sich leichter. Du musst nur darauf achten, dass du nicht von den Beinen fällst. Denn wenn ich das nicht gleich merke, ziehe ich dich über den Boden. Das aber tut mir Leid. Ich will dich nur etwas ziehen, damit du leichter und schneller laufen kannst. Ich bin nämlich ein hilfsbereiter Mensch. Und es macht mir Spaß, dir zu helfen und dabei dennoch nicht die Anordnung meines großen Vaters zu missachten. Ich lasse dich laufen, wortwörtlich, nicht wahr?« Er spricht es nicht einmal hohnvoll und spöttisch, nein, seine Stimme klingt recht normal, sodass es fast den Anschein hat, er wäre wahrhaftig davon überzeugt, Jim einen guten Dienst zu erweisen. Doch der glitzernde Blick in seinen dunklen Indianeraugen straft diesen Eindruck Lügen. Ed Cumberland ist gemein. Er gehört zu jenen Burschen, die schon als Kinder Freude daran haben, einer Katze eine klappernde Büchse an den Schwanz zu binden und sich totlachen wollen, wenn das arme Tier verrückt wird. So ein Bursche ist Ed Cumberland! Jim Buckmaster begreift, dass es ihm übel ergehen soll. Und somit ist also wieder einmal mehr klar, dass ein Cumberland nichts taugt. Die Cumberlands sind groß und mächtig. Doch sie missbrauchen diese Macht. Sie sind etwas, was man vernichten sollte.
Zu dieser Auffassung jedenfalls kommt Jim Buckmaster jetzt. Und wer kann ihm dies verübeln? In diesem Land kann man nicht um Hilfe rufen. Der nächste Sheriff ist hundert Meilen weit fort. Und obwohl dieses Gebiet zu einem County gehört, lässt sich hier nie ein Gesetzesmann blicken. Hier ist Big Boss Cumberland das Gesetz. Jim Buckmaster muss also für die eigene Sicherheit selber sorgen. Jetzt erst ist er entschlossen und bereit dazu. Nun ist seine Geduld erschöpft. Er hat sich etwas erholen können. Er blickt Ed Cumberland aus schmalen Augen an und sagt: »Hör jetzt auf damit, Ed! Hör auf! Oder es wird schlimm für dich!« Ed Cumberlands Gesicht verzerrt sich plötzlich. »Was? Stolze Worte? Du drohst mir? Hoiii!« Und als er dieses Hoiii ausstößt, gibt er dem Pferd die Sporen. Er wird schneller reiten, als Jim laufen kann. Das ist sicher.
4 Jim Buckmaster hat eine ganze Menge Tricks im Ärmel. Und weil seine Geduld und die Wünsche, ungeschoren davonkommen zu können, nun vergebens sind, holt er nun einen dieser Tricks hervor – oder vielmehr leicht und schnell aus dem Ärmel. Es ist ein einfacher Trick – wenn man ihn kann. Es ist nichts anderes als der scharfe Schrei einer Pumakatze, und dieser Schrei klingt so schrill und wild wie der Notschrei einer Frau, die über den Rand einer Schlucht in die Tiefe stürzt. Solch ein Schrei ist das. Jims Pferde haben ihn oft genug gehört. Denn es gab dort oben auf dem Hochcanyon viele Pumas. Jim und Virg erlegten sie zu Dutzenden. Und die Pferde wissen, wie solch ein Puma schreit. Als das Pferd, auf dem Ed Cumberland sitzt, diesen wilden Schrei so dicht hinter sich hört, macht es einen heftigen Satz nach rechts, so als wollte es sich noch unter einem bereits springenden Puma hinweg zur Seite ducken. Ed Cumberland ist gewiss ein vortrefflicher Reiter, denn es ist ja alles an ihm so indianerhaft und geschmeidig. Doch auch ein richtiger Indianer wäre aus dem Sattel gefallen. Und so fällt auch Ed Cumberland.
Das Pferd jedoch bricht durch und zieht Jim von den Beinen, weil dieser nicht so schnell laufen kann. Die Schlinge sitzt so stramm, dass Jim sie nicht über Kopf und Schulter bekommen kann. Und so muss er es hinnehmen, dass der durch einen Pumaschrei erschreckte Gaul ausbricht und ihn mitschleift. Doch er wird nicht sehr weit geschleift. Es gelingt ihm, dem Pferd einige scharfe Befehle zuzurufen. Und da das Tier seit einigen Wintern daran gewöhnt ist, von ihm geschützt zu werden, hält es nach etwa hundert Yards an und wendet den Kopf. Es zittert und schnaubt erregt. »Es ist doch gar kein Puma da«, keucht Jim heiser und schnaufend. »Du bist ein gutes Pferd, ein sehr gutes! Doch es ist kein Puma da!« Er erhebt sich und knickt mit dem Knie ein. Er ist hart damit gegen einen Stein oder irgendeine starke Wurzel gestoßen. Er sieht noch übler aus, zerrissener und verletzter. Er streift kniend die Lassoschlinge ab und erhebt sich dann. Mühsam hinkt er zu seinem Pferd und will aufsitzen. Doch nun wird er sich erst bewusst, wie zerschunden und mitgenommen er ist. Er kommt erst beim dritten Mal in den Sattel. Als er oben sitzt, pfeift eine Kugel dicht an seinem Kopf vorbei. Er blickt sich nach dem Schützen um, und er erkennt Ed Cumberland, der inzwischen nahe genug herangelaufen ist, um in Schussweite zu sein. Ed Cumberland wird von
einer wilden Wut angetrieben. Er fiel auf einen recht einfachen Trick herein und stürzte wie ein Greenhorn vom Pferd. Er kann es nicht ertragen, solch eine Niederlage erlitten zu haben. Er blieb keine Sekunde am Boden liegen, nachdem er abgeworfen worden war. Er sprang auf, so als hatte ihn eine Nadel gestochen, vergewisserte sich, ob der Revolver noch in seinem Holster saß und rannte hinter dem Pferd und Jim her. Als er nun zum zweiten Mal abdrückt, trifft er das Pferd. Er wollte jedoch Jim treffen, dies ist sicher. Doch der rasche Lauf und seine wilde Erregung haben ihm wohl etwas von seiner Zielsicherheit genommen, obwohl die Entfernung für einen sicheren Coltschuss immer noch reichlich weit ist. Das Pferd fällt wie vom Blitz getroffen. Und nun ist es Jim, der auf den Boden prallt. Er rollt sich zur Seite, um nicht unter das sich noch wälzende Pferd zu geraten. Und dann hat er Glück. Es ist ein Glück, wie es nur sein kann, wenn es Bestimmung sein soll, von der Vorsehung und vom Schicksal, welches ja über alle Wege und über Glück oder Unglück bestimmt, gewollt. Denn am Sattelhorn des Pferdes hing ja Jims Waffengurt mit dem Revolver. Als das Pferd nun fällt und sich getroffen rollt, gleitet dieser Waffengurt vom Sattelhorn und liegt dann im Gras. Er liegt in Jims greifbarer Nähe.
Und das ist die Rettung! Denn Ed Cumberland in seiner wilden Wut, der dazu noch durch seine beiden Fehlschüsse umso mehr angestachelt ist, will ihn ganz gewiss töten. Daran gibt es keinen Zweifel. Er ist nun auch nahe genug, denn er lief ja schießend weiter. Nun gibt er einen dritten Schuss ab. Die Kugel fetzt durch das Haar des am Boden hockenden Jim, der seinen Hut längst verloren hat. Jim handelt nun schneller, als seine Gedanken ihm folgen können. Was er nun tut, geschieht rein instinktiv und mit dem Wunsch, sein Leben zu erhalten. Er muss sich schützen. Es gibt gegen diesen Burschen, dessen Denken so verzerrt ist und dem es an so sehr vielen Eigenschaften mangelt, die gut und normal sind, dass er sich dieses Mangels bei seinem verzerrten Denken gar nicht bewusst ist, keine andere Möglichkeit mehr. Jim greift den Revolver, hält mit der anderen Hand das Holster fest, zieht die Waffe, hebt sie und schießt. Er blickt dabei in Ed Cumberlands Mündungsfeuer und spürt, wie ihn die Kugel hoch an der Schulter trifft. Er sieht dann Ed Cumberland vornüber auf das Gesicht fallen und begreift erst jetzt, dass er geschossen und getroffen hat. Er verspürt noch keine Bitterkeit, die wird erst später kommen. Vorerst verspürt er nur eine Erleichterung, eine Befreiung. Er freut sich, noch am Leben zu sein.
Das ist ganz natürlich. Doch dann, mit einem Mal, ist er erneut alarmiert. Denn ein Reiter kommt. Es kann nur ein Reiter der Cumberland-Ranch sein. Das bedeutet Gefahr für ihn. Denn er hat ja nun getan, was sein Bruder Virg schon vor ihm tat: einen von Big Boss Aharon Cumberlands Söhnen schoss er nieder. Vielleicht ist Ed Cumberland tot. Es geschah hier auf der Cumberland-Weide. Und die Cumberlands werden ihn jagen und hetzen wie seinen Bruder Virg. Es hat sich alles noch einmal wiederholt, so als hätte das Schicksal mit den Brüdern Buckmaster – und auch mit den Cumberlands – einen sehr schlechten Scherz machen wollen. Jim erhebt sich mit dem Revolver in der Hand, und er ist bereit, auch mit diesem Reiter zu kämpfen, der so dicht über dem Pferdehals liegt, dass er ihn zuerst gar nicht erkennen kann. Doch dann sieht er, dass es eine Reiterin ist – Reva Cumberland. Sie beachtet ihn zuerst gar nicht. Sie hält an, springt vom Pferd und kniet mit einem lauten Ruf neben Ed nieder. Sie untersucht ihn wie eine geübte Krankenschwester. Und dann kniet sie still mit gesenktem Kopf da. Ihre geraden Schultern sinken nach vorn, und
so wirkt ihre Haltung nun sehr hoffnungslos und resigniert. Jim tritt einen Schritt näher. Er hat in die Runde geblickt. Doch es ist niemand sonst zu sehen. Er blickt auf das Mädchen nieder und sagt gepresst: »Es tut mir Leid, dass er Ihr Bruder ist, Miss. Doch er wollte mich töten. Er war wie von Sinnen und ganz und gar verrückt. Er wollte mich töten.« Sie blickt zu ihm auf, und sie kniet immer noch neben dem leblos am Boden liegenden Bruder. Er kann nun sehen, wie Tränen über ihre Wangen laufen. Und dann sagt sie etwas, was ihn überrascht, was er nicht erwartet hätte. »Mein Vater ist daran schuld«, spricht sie. »Mein Vater hat sie nicht so gut erzogen, dass sie andere Menschen achten und respektieren lernten. Ich spreche von meinen Brüdern, Mister! Ja, von Kirby und Ed! Sie waren von Anfang an darauf dressiert, dass die Cumberlands etwas ganz Besonderes sind, gegen das sonst alles andere auf dieser Welt minderwertig ist, unwichtig, klein und erbärmlich. Und dabei waren sie selbst ganz kleine Burschen, Wichte. Sie fühlten das, und gerade das war so schlimm. Sie mussten sich selbst immer wieder beweisen, dass sie was Besonderes waren. Deshalb benahmen sie sich so verrückt, so völlig närrisch. Sie wollten so groß sein, wie ihr Vater die Cumberlands haben will.
Und sie waren so klein, dass sie sich wie Rowdys benahmen. Es stieg ihnen zu Kopf, dass sie Macht hinter sich hatten. Sie taugten nichts und hätten nie viel getaugt. Es sind meine Brüder, und ich bin sehr traurig, solche Worte sprechen zu müssen. Doch es muss doch unter den Cumberlands wenigstens einen Menschen geben, der die Dinge so sieht, wie sie sind, der sich nichts vormacht und der ...« Nun versagt ihr die Stimme. Sie erhebt sich und wendet sich ab. Sie bedeckt ihr Gesicht mit beiden Händen und steht so abgewandt eine Weile da. Dann aber wendet sie sich Jim zu, nimmt ihre Hände vom Gesicht und sagt: »Ich werde Ihnen nicht helfen können, Jim Buckmaster. Doch ich habe gesehen, was Ed mit Ihnen machte. Ich sah oder hörte auch, dass er mehrmals auf Sie schoss, bevor Sie sich verteidigten. Er ist tot, und er ist mein Bruder. Doch ich kann es Ihnen nicht verübeln. Sie hatten das Recht, Ihr Leben zu verteidigen. Sie sehen, nicht alle Cumberlands sind ungerecht. Doch ich bin nur ein Mädchen. Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie sollten mein Pferd nehmen und die Flucht ergreifen. Big Boss Cumberland sieht die Dinge von einem anderen Standpunkt aus. Er wird Sie hetzen, so wie er Virg hetzen lässt. Jim Buckmaster, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass Virg und ich uns mehrmals getroffen hatten. Ich glaube, ich liebe
ihn. Grüßen Sie ihn von mir! Aber es ist keine Hoffnung für ihn und für mich. Ich bin eine Cumberland. Und die Cumberlands haben die närrische Idee, größer und mehr zu sein als die anderen Menschen.« Sie nickt ihm zu und geht davon, in Richtung Ranch. Sie lässt ihr Pferd zurück, damit er die Flucht ergreifen kann. Zur Ranch sind es etwa drei Meilen. Sein Vorsprung wird deshalb nicht sehr groß sein, obwohl Big Boss Cumberland nicht so schnell genügend Reiter für eine neue Hetzjagd zusammenbringen kann. Jim blickt auf den Toten nieder. Und nun ist seine Bitterkeit so groß, dass sie ihn zu erwürgen droht. Er ist Ed Cumberland plötzlich gar nicht mehr böse – nein. Seine Bitterkeit richtet sich gegen das System, das Big Boss Cumberland errichtete. Er begreift, dass Kirby und Ed Cumberland sicherlich ganz normale und durchschnittliche Burschen geworden wären, die sich von ihren Mitmenschen kaum unterschieden hätten, wenn ihnen von ihrem Vater nicht von Kindesalter an eingegeben worden wäre, dass sie mehr sind als andere Menschen. Jim Buckmaster weiß, dass er in diesem Land nichts mehr zu suchen hat. Er muss flüchten. Die große Ranch wird mit all ihrer Macht hinter ihm her sein.
Und so wird er nicht nur über den Pecos – in das Land der Schattenhaften – reiten müssen, um sich um Virg zu kümmern. Nein, ein böses Geschick hat mit ihm das gleiche Spiel getrieben wie mit Virg. Er weiß es nun klar und sicher. Er nimmt den Damensattel vom Pferd, legt den anderen Sattel auf, den er dem toten Tier abnimmt, und sitzt auf. Seine Wunde blutet unaufhörlich. Es ist keine gefährliche Wunde. Die Kugel traf noch über dem Schlüsselbein und riss nur eine tiefe Furche. Als Jim im Sattel sitzt, nimmt er sein Halstuch und stopft es unter das Hemd, sodass es auf der Wunde liegt und die Blutung sicherlich nach einer gewissen Zeit stillen wird. Dann reitet er. Als er die Stadt erreicht, ist er zutiefst erschöpft. Er hat mehr Blut verloren, als er es für möglich gehalten hätte. Auch ist er seit dem Morgen des Vortages auf den Beinen oder im Sattel. Er ist ein verbitterter, müder, blutender und staubiger Mann, in zerfetzter Kleidung und voller Risse und Wunden. Er reitet vor die Bank, steigt ab, geht hinein und sagt barsch zu dem Kassierer: »Ich hebe mein Konto auf. Ich habe nicht viel Zeit! Zahlen Sie mein Guthaben aus!« Der Mann betrachtet ihn. Und John Payne, der schwarzbärtige Bankier, tritt aus seinem Büro in den Kassenraum.
»Hallo, Jim Buckmaster«, spricht er gedehnt und betrachtet ihn. »Er will sein Konto löschen«, murmelt der Kassierer. »Dazu hat jeder Kunde ein Recht.« Sein Chef nickt und betrachtet Jim aufmerksam. »Sind Sie auf der Flucht, Jim Buckmaster?«, fragt er sogleich. Jim sieht, dass der Kassierer sich an die Arbeit macht, und so gönnt er sich einige Minuten Ruhe. Er lehnt sich schwer auf den langen Tisch, der den Schalter- und Kassenraum vom Kundenraum trennt. Er holt Rauchzeug hervor und dreht sich eine Zigarette. John Payne beobachtet ihn und wartet. Nachdem Jim die Zigarette angezündet hat, macht er einen langen Zug. Er stößt den Rauch aus. »Ja, ich bin auf der Flucht«, sagt er. »Wenn ich bliebe, müsste ich Big Boss Cumberland, Noel Marrs und noch einige andere Burschen töten. Sie ließen mir keine Ruhe. Ich könnte mich ihrer nicht anders erwehren. Ich müsste sie töten.« Er raucht wieder. Der Bankier blickt auf seinen Kassierer, der noch beschäftigt ist, richtet seinen Blick wieder auf Jim und fragt sanft: »Und warum tun Sie es nicht, Jim Buckmaster? Warum bleiben Sie nicht im Land und nehmen den Kampf auf? Warum kämpfen Sie nicht um Ihr Recht? Wir haben
schon gehört, dass Noel Marrs Ihre Ranch abbrannte. Dazu hatte er kein Recht. Warum bleiben Sie nicht und kämpfen? Wer sollte es denn sonst tun, wenn nicht Sie, Black Jim Buckmaster?« Jim schüttelt nur leicht den Kopf. Sonst gibt er keine Antwort. Er hält es für sinnlos, mit John Payne darüber zu diskutieren. Er verzichtet darauf, diesem Bankier zu sagen, dass er nicht die geringste Lust hat, sich zum Vorkämpfer all der Menschen zu machen, die sich der CumberlandSippe immer wieder unterwerfen. Er will zu seinem Bruder. Und er möchte nicht gegen die Cumberlands kämpfen. Es würde ein zu schlimmer Kampf werden. Es würde viele Tote geben, Blut fließen. Ja, er könnte die Holle loslassen, gewiss, aber es gehört zu seiner Art, nach anderen Möglichkeiten zu suchen. Er weiß, dass es vielleicht – nein, sogar wahrscheinlich oder ganz bestimmt – ein gutes Werk wäre, wenn die Macht der Cumberlands gebrochen würde, wenn sie zurechtgestutzt würden, bis sie nicht größer wären als alle anderen Menschen im Land. Doch er fühlt sich nicht dazu berufen. Nein! Einige Male während der letzten Stunden, da hatte er zwar wilde und zornige Wünsche, und er war schon fast entschlossen, zurückzuschlagen und alles daran zu setzen, um die Cumberlands zu vernichten. Doch dann, als er wieder ruhiger
denken konnte, kam er immer zu der Auffassung, dass er kein Sheriff und kein Richter ist. Es ist Sache der menschlichen Gemeinschaft oder des Gesetzes, das von der menschlichen Gemeinschaft geschaffen und dem von Gesetzesvertretern Geltung verschafft wird, diese Zustände in Ordnung zu bringen. Der Kassierer bringt ihm das Geld. Er zählt es ihm auf den Tisch. Jim unterschreibt zwei Papiere. Und dann ist er hier fertig. Er steckt das Geld ein. Es sind wenig mehr als fünfhundert Dollar. Er wirft die Zigarette in einen Aschenbecher und sagt nun doch zum Bankier: »Ich kämpfe nicht, wenn es für mich nichts zu gewinnen gibt. Ich kann meine Ranch auch in einem anderen Land aufbauen. Es muss nicht hier sein. Ich habe Ed Cumberland töten müssen. Ich gehe fort, weil ich nicht ein ganzes Dutzend solcher Burschen töten möchte. Tötet sie doch selbst, ihr Feiglinge!« Die letzten Worte verraten seine ganze Bitterkeit und Verachtung. Als er auf die Straße tritt, sind mehr Menschen zu sehen als sonst um diese Zeit. Auch Ann Uvalde steht vor ihrem Geschäft. Als er zu ihr blickt, winkt sie ihm, er soll zu ihr kommen. Er nimmt das Pferd am Zügel und wendet sich ab. Er geht nicht zu ihr hinüber. Er geht in den Mietstall und gibt dort das Pferd ab.
»Schaff den Sattel zu Miss Uvalde«, sagt er zu dem Stallburschen. Dann geht er zur Posthalterei, denn er weiß, dass um diese Zeit die Postkutsche nach Westen abgeht. Sie ist zwar noch nicht da, doch sie hat selten große Verspätung. Als er sich eine Fahrkarte kauft, fragt der Postagent: »Flucht? Wir hätten das nie von Ihnen gedacht, Jim Buckmaster. Wir waren immer davon überzeugt, dass die Cumberlands, wenn sie Ihnen auf die Zehen treten sollten, von Ihnen die ganze Hölle bekommen würden. Wir hätten nie gedacht, Jim Buckmaster, dass Sie kneifen würden.« »Ich bin so wie ihr alle«, erwidert Jim. »Ich unterscheide mich nicht von all den anderen Menschen, die schon seit vielen Jahren vor der Cumberland-Sippe im Staub liegen.« Er nimmt die Karte und geht hinaus. Die Postkutsche kommt von Osten her in die Stadt gesaust. Sie zieht eine mächtige Staubfahne hinter sich her, die den Raum zwischen den beiden Häuserfronten füllt. Jim klettert in die Kutsche, und er ist am Ende seiner Kraft. Ich hätte mich verbinden lassen sollen, denkt er. Wenn sich die Wunde entzündet, bin ich schlimm dran. Ich hätte mir einen Verband anlegen lassen sollen. Und Kleidung hätte ich
gebraucht. Ich sehe übel aus, etwa so, als wäre ich unter eine Rinderstampede geraten. Indes wird draußen ein frisches Sechsergespann vor die Kutsche gespannt. Zwei Postsäcke werden abgeworfen. Der Kutscher ruft heiser vom Bock: »Ich habe sieben Minuten Verspätung! Also los! Beeilt euch! Die Straße wird bei den Sand Hills immer böser. Ich verliere dort stets mehr und mehr Zeit. Hoiii, ihr Tanten, heiyaaa!« Die letzten Worte gelten dem frischen Gespann. Die Post saust nach kaum mehr als drei Minuten Aufenthalt wieder aus der Stadt. Jim sitzt in der Ecke, hat die Augen geschlossen und entspannt sich. Er streckt die Beine aus und atmet hörbar aus. Er ist sehr froh, in der Kutsche zu sitzen. Er weiß, dass ihn nun so leicht niemand wird einholen können. Denn die Post wechselt alle zwanzig Meilen bei einer Station ihr Gespann und legt die Meilen schneller zurück als ein Reiter es könnte, der sein Pferd nicht wechseln kann. Jim will schon vor Erschöpfung einschlafen, als er sich daran erinnert, dass ja außer ihm noch andere Fahrgäste in der Kutsche sitzen. Er öffnet ziemlich mühsam die Augen, um sich diese Fahrgäste, mit denen er jetzt viele Stunden zusammen sein wird, anzusehen. Es sind ein dunkel gekleideter Mann, der wie ein Spieler aussieht. Neben ihm sitzt ein
glatzköpfiger Dicker, der wie ein reisender Händler wirkt, einer von der Sorte, die gefärbtes Wasser als Wundermedizin verkauft und die auf offener Straße oder Jahrmärkten ein Feuerwerk von Worten und Witzen auf die Menge niederprasseln lässt. Der dritte Fahrgast – er sitzt rechts neben Jim in der anderen Ecke der Kutsche – ist eine Frau. Als Jim seinen Kopf wendet, um sie zu betrachten, blickt er in zwei dunkelblaue Augen, die ihn aufmerksam und sehr forschend betrachten. Es ist eine junge Frau, sehr blond, sehr kühl und dabei sehr reizvoll und begehrenswert, sodass es sogar Jim trotz seiner Erschöpfung auffällt. Sie lächelt plötzlich auf eine ernste Art, die irgendwie kameradschaftlich wirkt. »Sind Sie verwundet?«, fragt sie. »Kann ich Ihnen helfen?« »Danke, Madam«, erwidert er. »Es ist alles nicht so schlimm, wie es aussieht. Ich fühle mich ganz wohl. Ich ... ich bin nur müde.« Er schließt seine Augen wieder. Bevor er einschläft, denkt er daran, dass er Ann Uvaldes Winken unbeachtet ließ, dass er sich abwendete und es vermied, von ihr Abschied zu nehmen. Er ging fort. Er verließ sie ohne Abschied. Sie stand vor dem Laden und wartete darauf, dass er in seiner Not zu ihr kommen würde. Sie hätte ihm
geholfen. Er hätte sich in Ordnung bringen und seine Wunde versorgen können. Doch er drehte ihr den Rücken und fuhr fort. Es ist besser so, denkt er. Und er hört nicht mehr, wie die junge Frau zu den beiden anderen Männern sagt: »Ich glaube, er ist an der Schulter verwundet. Ich will mich um seine Wunde kümmern. Helfen Sie mir, Gentlemen! Er wird es nicht einmal merken. Er ist restlos erschöpft.«
5 Jim erwacht erst wieder, als sie am Pecos sind und die Pferde in der Furt anhalten, um etwas Wasser zu nehmen. Das Gespann wurde inzwischen zwei weitere Male gewechselt, und es ist Abend geworden. Im Westen geht die Sonne unter und färbt Himmel und Fluss purpurfarben. Da die Kutsche bis zu den Naben im Fluss steht, spürt man den leichten Wind, der übers Wasser streicht. Jim erwacht also, und er verspürt sofort sein Fieber und den Durst. Nur nicht krank werden – das darf ich nicht, so denkt er. Und als er nach seiner Schulterwunde tastet, da spürt er, dass er dort einen richtigen Verband hat. Er wendet den Kopf und betrachtet die junge Frau. »Sie brauchen sich nicht zu bedanken«, sagt sie kühl. »Es ist mein Beruf. Ich bin Krankenschwester!« Sie reicht ihm eine Flasche. »Ich habe bei der letzten Pferdewechselstation Orangensaft bekommen«, sagt sie. »Er wird Ihnen gut tun. Sie haben Fieber. Und dieses Pulver sollten Sie einnehmen. Es wird Ihr Fieber etwas zurückhalten.«
Sie hält ihm ein kleines Papierkügelchen hin, und er begreift, dass es sich um Zigarettenpapier handelt, in das sie das Pulver hüllte. Er steckt es in den Mund und spült alles mit dem Orangensaft hinunter. Der Saft tut seinem Durst gut, und er fühlt, dass er sprechen kann. Zuvor hatte er das Gefühl, nur heiser krächzen zu können. »Danke«, sagt er. »Sie sind sehr gut zu mir. Ich bedanke mich. Es ist ein großes Glück für mich, dass Sie Krankenschwester sind. Ich hätte nie geglaubt, dass es hier im Westen so etwas gibt. Wenn ich mich nicht irre, ist dies der Pecos River. Sind Sie westlich des Pecos-Flusses als Krankenschwester tätig?« nicht sogleich. Sie betrachtet erst die beiden anderen Fahrgäste mit einem nachdenklichen Blick. Sogar Jim erkennt, dass der Gleichmut auf den Gesichtern der beiden Männer nur gespielt ist. Sie sind selbst sehr neugierig. Plötzlich lächelt sie auf ihre ernste Art, die etwas traurig, etwas kühl und dennoch irgendwie verständnisvoll wirkt Dann sagt sie: »Ich reise zu meinem Mann. Wir haben unsere Praxis verlegt. Ich komme von Virginia hergereist. Mein Mann ging schon vor mir nach Pecos Bend, um die neue Praxis einrichten zu können. Wenn die Gentlemen nach Pecos Bend kommen und dort einen Arzt nötig haben, so kommen Sie zu Doktor Dwight Lane.
Ich bin nicht nur seine Frau, sondern auch seine Helferin.« Bevor jemand etwas erwidern kann, wird draußen Hufschlag laut. Von Westen her kommen Reiter zum Fluss herunter und halten an. Die Kutsche ruckt nun auch wieder an, fährt zum anderen Ufer hinüber und wird angerufen. »He, habt ihr Neuigkeiten aus Corro zu melden?«, fragt eine heisere Stimme unduldsam und hart. Die Stimme des Begleitmannes erwidert oben vom Bock: »Nein, Noel Marrs! Wir hatten Verspätung und hielten nur so lange an, bis wir ein neues Gespann bekommen hatten. Was sollte es denn für Neuigkeiten in Corro gegeben haben?« »Ihr Narren! Ihr kümmert euch wohl um nichts! Kirby Cumberland wurde von einem Revolverschwinger getötet! Und ihr habt nicht einmal was davon gehört! Wir sind hinter seinem Mörder her! Doch die Banditen von Pecos Bend hielten uns auf und zwangen uns zur Umkehr. Eines Tages wird die Cumberland-Ranch ein Aufgebot von mehr als hundert Reitern über den Fluss schicken und dieses Banditenland durchkämmen wie ein großer Läusekamm. Und wir werden genug Läuse erwischen.« Die Stimme des Vormannes klingt heiser und bitter. Er ist mit wilder Wut angefüllt.
Jim Buckmaster sitzt still in der Ecke der Kutsche und hütet sich, den Oberkörper im Fenster zu zeigen. Doch er ist sehr froh. Er weiß nun, dass sein Bruder auf Geromino das Rennen gewann. Die Cumberland-Mannschaft hat ihn trotz Reservepferden nicht erwischen können. Aber wahrscheinlich hat es Virg den Banditen von Pecos Bend zu verdanken, dass die Cumberland-Mannschaft seiner nicht habhaft werden konnte. Die Banditen hier müssen sehr schnell ein großes Aufgebot zusammengestellt haben, als die Cumberland-Mannschaft über den Fluss geritten kam. Noel Marrs sah sich gezwungen, die Verfolgung abzubrechen. Als die Kutsche anfährt und von dem etwas erfrischten Gespann den Uferhang hinaufgezogen wird, kann Jim einen Blick auf die CumberlandMannschaft werfen. Ja, es sind noch alle Reiter beisammen, ein gutes Dutzend. Doch sie wirken sehr mitgenommen und verbittert. Es passt ihnen nicht, dass sie vor einer Übermacht umkehren mussten. Noel Marrs war klug genug, es nicht mit Kampf zu versuchen. Die CumberlandMannschaft ist im Land westlich des Pecos zu verhasst. Das hängt damit zusammen, dass sie schon viele Vieh- und Pferdediebe aufgeknüpft hat. Denn es herrscht ein richtiger Krieg zwischen jenen Schattenhaften aus dem Pecos-Land, die
immer wieder über den Fluss kommen, um Rinder und Pferde zu stehlen, und den Ranchern. Jim Buckmaster erkennt jedoch noch etwas, und es macht ihn wieder bitterer als zuvor. Die Pferde sind arg mitgenommen. Viele Tiere haben blutige Flanken, von den Sporenrädern aufgerissen. Auch hat keiner der Reiter noch sein Reservepferd bei sich. Sicherlich ließen sie die Reservetiere, zu Schanden geritten und zerbrochen, irgendwo zurück. Denn es handelt sich ja um Tiere, für die sie der CumberlandRanch gegenüber nicht verantwortlich sind. Diese Pferde waren ihnen nur wichtig zur Verfolgung. Als sie die Tiere nicht gebrauchen konnten, wurden sie völlig uninteressant für sie. Die Kutsche ist dann an dem Reiterrudel vorbei und fährt den Uferhang hinauf. Jim Buckmaster lehnt mit geschlossenen Augen in der Ecke, und er verspürt wieder seinen starken und bitteren Zorn. Er denkt an seine schönen, prächtigen Tiere. Fast alle hat er selbst zugeritten und geschult. Er beschlug ihre Hufe, und manche dieser Tiere verdanken ihm, dass sie lebend auf die Welt kamen. Denn besonders im ersten Jahr waren Wölfe und Pumas schlimm und wussten genau, wann eine Stute wehrlos war und ihr Fohlen werfen würde. Und da die meisten Stuten im Stall einfach verrückt wurden und ihre Fohlen im Freien gebären wollten – weil ihnen dies im
Blut lag –, so gab es manchmal schlimme Stunden. Jim Buckmaster erinnert sich wieder an all die tausend Nöte und Freuden, an die Mühsal und das Glück, das er mit seinen Pferden erlebte. Er spürt wieder einmal mehr, wie sehr ihm diese Tiere ans Herz gewachsen waren. Und nun ist alles verloren. Seine Pferde sind in alle Himmelsrichtungen verstreut worden. Man würde da und dort einige Tiere finden und einfangen können. Doch die Mehrzahl wird verloren sein. Dieses Land ist voller Rinder- und Pferdediebe, voller Langreiter und Banditen, die für ein gutes und schnelles Tier Kopf und Kragen riskieren. Aber auch diesmal kommt Jim Buckmaster über diese höllischen Minuten hinweg, in denen er sich wünscht, die ganze Cumberland-Ranch vernichten zu können. Er versinkt wieder in einen halbwachen Zustand, der ihm die Reise etwas erträglicher macht. Er weiß nicht mehr, wie lange es dauert, bis sie Pecos Bend erreicht haben. Doch es ist längst Nacht geworden, eine stille und strahlende Nacht mit Sternen, die an einem klaren Himmel über New Mexico und Texas funkeln, so als wären sie Edelsteine auf blauem Samt. Jim bleibt in der Kutsche sitzen, bis die anderen Fahrgäste ausgestiegen sind. Er kann erkennen, wie die junge, blonde und so energisch wirkende Frau, die ihm die Wunde
verband, von einem großen Mann fortgeführt wird. Sie lacht dabei glücklich und müde zugleich, froh darüber, dass ihre lange Fahrt beendet ist. Jim Buckmaster blickt dem Paar nach. Der große Mann – es muss der Arzt sein – trägt den Koffer und die Reisetasche der Frau zusammen in der Linken, so als hätten diese beiden Gepäckstücke überhaupt kein Gewicht. Die Frau trägt ihren Reisekorb. Und der Mann hat seinen rechten Arm um ihre Schultern gelegt, als wollte er sie stützen, führen, beschützen und zugleich auch endlich im Arm halten, fühlen, dass sie wirklich bei ihm ist. Gewiss sind sie sehr glücklich, denkt Jim. Und er fragt sich, warum dieser Arzt wohl aus Virginia ins Banditenland kam und hier eine Arztpraxis eröffnete. Wer tut das schon? Jim hebt die Hand und wischt sich übers Gesicht. Er spürt wieder sein Fieber, und jetzt, da er auf den Beinen steht, fühlt er sich schwindlig. Sein linkes Knie ist stark angeschwollen. Als er sich umblickt und die ersten Schritte macht, hinkt er stark. Ein Mann tritt zu ihm, ein knochiger, pferdegesichtiger Mann, dem ein gelber Schnurrbart den Mund verdeckt. Die Kutsche hat vor einem Hotel gehalten, dem Pecos Bend Hotel. Und die beiden Laternen davor lassen den Marshalstern des Mannes matt blinken.
»Fremder«, sagt der Marshal zu Jim, »woher kommen Sie? Wer sind Sie? Was führt Sie zu uns?« Jim Buckmaster betrachtet ihn fiebrig, und er fühlt sich nun noch müder und schwindliger. »Ich brauche ein Bett oder eine Schütte Stroh in einem Stall«, sagt er heiser. »Ed Cumberland hat mir eine Kugel verpasst. Mein Name ist Jim Buckmaster. Ich bin über den Fluss gekommen, um den Cumberlands zu entgehen und meinem Bruder Virg zu folgen, hinter dem die Cumberland-Mannschaft hergesaust war.« Der Marshal von Pecos Bend betrachtet ihn eine Weile sorgfältig. Dann nickt er fast unmerklich und sagt: »Nun gut, wenn Sie Geld haben, werden Sie in diesem Hotel ein Zimmer bekommen. Sonst müssen Sie im Mietstall auf Stroh schlafen. Ihr Bruder ist der Cumberland-Mannschaft entkommen. Jack Jocelyn und einige seiner Freunde waren zufällig in der Stadt und nahmen Ihren Bruder unter ihren Schutz. Dies hier ist eine Stadt, die neutral ist. Und diesseits des Pecos haben die Cumberlands keine Macht. Da bekommen sie blutige Köpfe.« Er wendet sich ab und will gehen. Doch dann verhält er und fragt: »Ed Cumberland verpasste Ihnen eine Kugel? He! Was bekam er dafür?« »Ich glaube, ich habe ihn getötet«, murmelt Jim. »Er schoss mehrmals auf mich und tötete auch mein Pferd. Dann bekam er meine Kugel. Es
ist ein schlechtes Spiel des Schicksals. Mein Bruder Virg und ich, wir haben jeder einen von Big Boss Aharon Cumberlands Söhnen getötet. Es war ein schlechtes Spiel des Schicksals.« »Es gibt eine Menge Menschen im Land, die mit diesem Spiel des Schicksals sehr zufrieden sein werden«, sagt der Marshal. »Ich bin Ole Sorrel und vom Stadtrat dieser Stadt als Town Marshal eingesetzt. Vor etwa acht Jahren, da hatte ich jenseits des Pecos eine kleine Ranch. Ich war Ein-Mann-Rancher in einem kleinen Tal und besaß einige Dutzend Rinder. Als der Bach, von dem mein Tal mit Wasser versorgt wurde, plötzlich austrocknete, ritt ich aus, um nachzusehen, warum kein Wasser mehr kam. Ich fand die Ursache. Es handelte sich um einen Damm, den die Cumberland-Reiter geschaffen hatten. Dieser Damm staute das Wasser und leitete es ab. Als ich dagegen etwas unternahm – also den Damm wieder zerstörte –, da erfreute ich mich nicht lange des Erfolges. Zwei Tage später bekam ich es mit Bullpeitschen. Ich wäre fast gestorben. Und seitdem freue ich mich, wenn es jemandem gelingt, einen Cumberland in die Hölle zu schicken. Wer kann mir das übel nehmen?« Er geht davon, ein großer, knochiger und pferdegesichtiger Mann. Doch seine Stimme klirrte zuletzt vor Hass. Und Jim, der sich langsam und müde zum Hotel wendet, spürt auch in sich diesen Hass. Er
gehört ja auch zu denen, die es mit den Cumberlands zu tun bekamen. Und Virg gehörte dazu. Jetzt sind sie beide hier in diesem Land. Und sie mehren die Schar jener, die durch die Cumberlands vertrieben wurden. Jim geht ins Hotel. Der Nachtportier ist ein Neger, dessen Zähne weiß blitzen. Jim sagt ihm, man solle ihn in zwölf Stunden wecken und ein warmes Bad für ihn bereit halten. Er sagt ihm auch, man solle ihm ein grünes Hemd, eine Cordhose und Unterzeug aus dem Store holen und neben die Badewanne legen. Fünf Minuten später liegt er auf dem Bett und schläft ein.
Als er erwacht, spürt er, wie seine Wunde hämmert. Er kann Schulter und Arm nur unter starken Schmerzen bewegen. Sein Fieber ist wieder stärker, und er weiß, dass die eigentlich ungefährliche und nur stark blutende Fleischwunde sich nun doch richtig entzündet hat. Es klopft dann an seine Tür. Er erhebt sich, denn er hat einen Stuhl unter die Klinke geschoben, sodass niemand ohne Gewalt anzuwenden und Lärm zu machen zu ihm herein könnte. Als er durch das Zimmer geht, schwankt er, und alles dreht sich im Kreise. Er öffnet die Tür und sieht den Neger-Portier davor stehen.
»Ich sollte Sie wecken«, sagt der Schwarze. »Und das Bad ist bereitet.« Jims Augen glänzen fiebrig. Er sagt: »Ich glaube, Mister Black, das wird nicht gehen. Ich bin ziemlich erledigt. Es wäre besser, wenn ich auf das Bad verzichtete, so schmutzig und voller verkrustetem Blut ich auch bin. Ich brauche die Hilfe eines Arztes, Mister Black!« Er wendet sich müde und schwankt zu seinem Bett zurück. Er streckt sich stöhnend aus.
In den nächsten Tagen ist er sehr geduldig, obwohl er ständig an seinen Bruder denkt und sich fragt, was Virg wohl macht, mit wem er beisammen ist und wann er wohl kommen wird. Er wird in diesen Tagen von dem Arzt Dwight Lane und dessen Frau Mara gut versorgt und betreut, und er spürt trotz der eigenen Nöte und Sorgen etwas von der großen Liebe, die diese beiden Menschen miteinander verbindet. Er kann aber auch schon etwas von all jenen Schatten und bitteren Dingen ahnen, die von diesem Paar irgendwo in Virginia zurückgelassen wurden. Am sechsten Tag wird die entzündete Wunde endlich sauber und beginnt zu heilen. Das Blut reinigt sich. Jim fühlt sich von Tag zu Tag besser. Er isst viel Obst und trinkt reichlich Milch. Der Hotelneger betreut ihn gut, wahrscheinlich
deshalb, weil Jim ihn wie einen Menschen behandelt, für dessen Hilfe man dankbar ist. Jim weiß nun inzwischen auch, warum sein Bruder Virg noch nicht zu ihm kam. Er hört es von dem Schwarzen, der Pete Blueman heißt – oder sich hier so nennt. Pete sagt es ihm mit den Worten: »Ihr Bruder Virg ist natürlich mächtig in Not gewesen. Die Cumberland-Mannschaft hatte ihn fast schon erwischt. Er hat es Jack Jocelyn zu verdanken, dass er entkommen konnte. Und nun reitet er mit Jack Jocelyn und dessen Mannschaft. Wer kann ihm dies verübeln? Ich weiß nicht, wohin die Mannschaft geritten ist. Man spricht in diesem Land nicht darüber, wohin all die Mannschaften dann und wann reiten. Doch sie werden eines Tages wieder hier auftauchen.« Mehr braucht Jim nicht zu hören, um alles zu begreifen. Er weiß auch, wer Jack Jocelyn ist, nämlich ein ganz berüchtigter Revolverheld und Bandit der seine Raubzüge bis nach Mexiko unternimmt und der dann mehr als fünfzig Reiter unter seinem Kommando vereinigt. Aber es kommt auch vor, dass Jack Jocelyn mit nur drei oder vier verwegenen Burschen über den Pecos reitet und irgendwo einen Geldtransport ausraubt oder eine Bank plündert. Jim macht sich in diesen Tagen die schlimmsten Sorgen um seinen Bruder, weiß er doch jetzt mit Sicherheit, dass Virg mit Banditen
unterwegs ist, dass er mit einer Bande reitet, die man als »Die Schattenhaften« überall fürchtet. Jim verflucht in diesen Tagen seine Ohnmacht, zu der ihn seine Wunde zwingt. Er verflucht den Tag, an dem er dazu gezwungen wurde, auf Ed Cumberland zu schießen, und er verwünscht überhaupt all dieses Geschehen, jenes Geschick, das seinem Bruder und ihm aufgezwungen wurde und aus dem er einen Ausweg finden muss. Aber selbst wenn Jim Buckmaster gesund wäre und reiten könnte, wüsste er in diesen Tagen nicht, wo er seinen Bruder finden könnte. Am achten Tag nach seiner Ankunft in Pecos Bend hat er seine Blutvergiftung so weit überstanden, dass er sich aus dem Hotel und auf die Straße traut. Er fühlt sich sehr schwach und ausgebrannt, doch er weiß, dass er alles überstanden hat und nun Fortschritte in seiner Gesundung macht wie ein zäher Wolf. Er setzt sich auf die Hotelveranda und betrachtet das Leben und Treiben der Stadt. Es scheint auf den ersten Blick eine Stadt zu sein wie jede andere auch in einem Rinderland. Und es gibt gewiss auch eine ganze Menge ordentlicher Rancher, Siedler und Farmer hier, Handwerker, Händler und aufbauende Menschen. Sicherlich ließen viele von ihnen eine Vergangenheit zurück, von der sie nicht eingeholt werden möchten. Doch dies muss nicht unbedingt ihre eigene Schuld gewesen sein.
Es ist also ein ganz normales Leben und Treiben in dem kleinen Ort, den man sich ganz und gar nicht als eine Banditenstadt oder gar als eine Art Banditenburg vorstellen darf, in dem die Banditen mit ihren Liebchen in Saus und Braus leben, Gelage veranstalten und es alle Sünden und Leidenschaften gibt. Nein, so ist es nicht. Und dennoch ist es Banditenland. Jim Buckmaster sieht viele Reiter in die Stadt kommen, die alle zu einer Sorte gehören: der der Nachtfalken, der Schattenhaften, die schattenhaft in der Nacht auf Raub ausgehen wie Raubwild. Es sind Reiter, die in dieses Land geflüchtet sind, um vor der Verfolgung durch das Gesetz sicher zu sein. Sie leben irgendwo in verborgenen Siedlungen und Camps. Sie versorgen sich von Pecos Bend aus, und sie sind eine Macht im Land, die von klugen Leuten geführt wird, Leuten, die das Land hier am liebsten zu einem selbstständigen Staat machen würden. Aber es kommen auch Siedler und Farmer in die Stadt, Menschen, die redlich ihre Arbeit tun, Aufbauarbeit leisten für die Zukunft. Jim weiß auch, dass diese Farmer, Siedler, Schafzüchter und Handwerker von den Banditen in keiner Weise bedroht werden, jedenfalls nicht mehr als in jedem anderen Land. All die kleinen und großen Banden wissen zu genau, dass sie die
Arbeitsamen und Redlichen nötig haben, etwa so wie die Raubritter ja auch Bauern nötig hatten. Jim wird, indes er so auf der Veranda des Hotels sitzt und es dankbar empfindet, an der Sonne und in der frischen Luft sitzen zu können, von nicht wenigen Leuten gegrüßt. Und dieses Grüßen wirkt sogar irgendwie vertraulich, und er muss an den Marshal der Stadt denken, der einmal drüben ein kleiner Rancher war, dem die Cumberlands das Wasser abschnitten und den sie dann noch grausam verprügelten. Jim weiß, dass es noch viele andere Menschen gibt, mit denen die Cumberlands auf ähnliche Art verfuhren, als Big Boss Aharon Cumberland sich sein Rinderreich schuf und sich nach allen Richtungen ausbreitete. Nach Meinung vieler hier besteht zwischen ihnen und ihm, Jim Buckmaster, viel Gemeinsames. Denn auch er musste vor den Cumberlands flüchten. Dass er und sein Bruder dabei sogar noch Cumberlands töteten, erfüllt diese Leute mit Genugtuung und Anerkennung. Jim begreift das. Er erhebt sich nach einer Weile und macht seinen ersten Rundgang durch die Stadt. Sie ist sehr klein und nicht sehr solide erbaut. Kaum eines der Bretterhäuser ist gestrichen, und die Adobehäuser und -hütten sind ebenfalls sehr kümmerlich. Es gibt zwei Stadtteile. Die Adobehütten des größeren Stadtteils gehören den
Mexikanern. In den Holzbauten wohnen die Menschen amerikanischer Herkunft. An der Ecke, die von der Hauptstraße und einer Quergasse gebildet wird, wurde ein Adobehaus erst vor wenigen Tagen weiß getüncht. Unter dem Vordach steht eine lange Bank, auf der einige Menschen sitzen, Frauen mit Kindern, Männer jeder Sorte und jeden Alters. Die Tür steht offen. Und auch der Raum darinnen ist mit Menschen gefüllt. An der Hauswand ist ein Schild angebracht. Darauf steht: DWIGHT LANE DOKTOR DER MEDIZIN Jim geht weiter, doch schon beim nächsten Fenster bleibt er stehen. Es ist offen. Er kann in den Behandlungsraum blicken. Und er sieht Mara Lane und ihren Mann bei der Arbeit. Sie sind dabei, einem kleinen Jungen den gebrochenen Arm zu schienen. Jim kann sehen, wie behutsam sie arbeiten, ganz in ihre Aufgabe versunken, während die Mutter des kleinen Jungen immer wieder sagt, dass der Junge seinem Vater nachgeraten sei, der auch stets die waghalsigsten Kunststücke machen müsste. Und dieser Junge, Pedro, hätte es sich in den Kopf gesetzt, Seiltänzer zu werden wie der Großvater. Doch sie
würde es nicht dulden, unter gar keinen Umständen. Jim grinst unwillkürlich, denn er weiß, dass die Mexikanerin sicherlich vor Begeisterung nur so strahlen würde, wenn der kleine Bursche auf dem Seil tanzen könnte. Und indes er so grinst, vergisst er einen Moment seine Probleme und denkt daran, was doch seine Mutter mit ihm stets für einen Kummer hatte, weil auch er so waghalsig und verwegen war und stets riskierte, sich Hals, Arme und Beine zu brechen. In diesem Moment blickt Mara Lane auf und zum Fenster. Sie erkennt ihn sofort und lächelt ihm ernst zu, so als wüsste sie genau, an was er sich erinnert und könnte es gut verstehen. Jim erkennt, dass diese Frau sehr glücklich ist. Er nickt ihr grüßend zu, und als er weitergeht, da denkt er wieder darüber nach, was dieses Paar wohl nach hier getrieben haben könnte. Er beendet dann seinen Rundgang durch die Stadt. Als er das Hotel erreicht, ist er sehr müde. Er schafft es noch bis zu seinem Bett, legt sich hin und schläft sofort ein. Doch er weiß, dass er nach diesem Schlaf seiner Gesundung schon wieder ein Stück näher gekommen sein wird. Als er nach Stunden erwacht, ist es draußen Nacht. Auch im Zimmer ist es dunkel. Doch Jim spürt sofort, dass er nicht allein im Zimmer ist.
Dort beim Fenster auf dem knarrenden Stuhl, da sitzt ein Mann. »Wer ist hier?«, fragt Jim heiser. »Ich bin es – Virg, dein Bruder«, erwidert eine Stimme. Zuerst erkennt Jim diese Stimme gar nicht, denn sie klingt so sehr viel härter, kälter und spröder, als er sie in Erinnerung hat. Doch er begreift schon in dieser Sekunde, dass sich nicht nur des Bruders Stimme verändert hat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch Virg anders geworden ist. Denn es sind ja immerhin mehr als zehn Tage vergangen.
6 Jim setzt sich im Bett langsam auf und setzt die Füße auf den Boden. Er beugt sich weit vor, und er spürt einen wilden Hunger in sich. Dieser Hunger ist natürlich. Doch er unterdrückt ihn. Er schweigt eine Weile, und dann sagt er ruhig: »Wir sind also wieder beisammen, Virg! Und du wirst sicherlich auch schon gehört haben, dass es mir nicht anders erging als dir. Auch ich musste auf einen Cumberland schießen. Auch ich musste einen Cumberland töten. Sie haben unsere Ranch abgebrannt, und sie haben unsere Pferde davongejagt oder gestohlen. Doch das macht nichts, gar nichts! Ich meine, es hätte keinen Sinn, wenn wir jetzt versuchen würden, uns zu rächen. Es hätte keinen Sinn, wenn wir zum Beispiel die Cumberland-Ranch niederbrennen würden – als Vergeltung, aus Rache. Wir ...« »Warum hätte das keinen Sinn?«, fragt Virg scharf. »Warum nicht? Ich habe fünf Jahre lang für unsere Ranch geschuftet. Ich habe wie ein Sklave gearbeitet und mir nichts gegönnt. Und dann ist mit einem Mal alles umsonst, weil jemand mit einem Revolver auf mich zu schießen beginnt und ich ebenfalls die Waffe ziehe, um mich zu wehren. Dieser Hundesohn, dieser Kirby Cumberland, schoss zweimal auf mich, bevor ich abdrückte. Ich hatte ihm zuvor nur was auf sein großes Maul gegeben, sodass er unter die Tische
fiel. Und dort lag er nun, nahm Deckung und begann zu schießen. Ich konnte nicht einmal fortlaufen. Ich stand auf dem freien Platz vor dem Schanktisch und ...« Er bricht ab, schnauft und erhebt sich vom Stuhl. Seine große, schlanke und geschmeidige Gestalt hebt sich deutlich gegen das hellere Fensterviereck ab. »Ich würde es wieder tun«, sagt er. »Ich würde wieder zurückschießen, denn er wollte mich töten. Er wollte mich töten, weil er ein Sohn des Big Boss war. Er wollte beweisen, wie gut er mit dem Revolver ist. Und er brauchte keine Angst vor Strafe zu haben, wenn er mich getötet haben würde. Die Macht der Cumberland-Ranch hätte ihn geschützt. Ich verstehe dich nicht, Bruder! Nein, Jim, ich verstehe dich nicht! Ich war früher immer stolz auf meinen großen Bruder. Und jetzt höre ich, dass du dich nicht rächen willst. Was willst du denn?« Wieder erwidert Jim nicht sofort. Er zögert. Und indes er überlegt, wie er zu Virg sprechen soll, kann er den Bruder so gut verstehen. Es ist ganz natürlich, dass sich Virg Rache wünscht. Virg ist ja noch so ungestüm und wild. Er weiß noch nicht, dass Rache und Hass in die Hölle führen und dass nachher die Befriedigung nur schal ist. »Virg«, sagt er, »wir könnten Rache üben, vergelten. Doch wir haben Big Boss Cumberland
zwei Söhne getötet – ja, in Selbstverteidigung zwar, doch aber getötet. Er hat keine Söhne mehr, nur noch einige Neffen, Vettern und noch entferntere Verwandte. Lass es damit gut und für uns erledigt sein. Wir könnten nach Oregon gehen und dort noch einmal beginnen. Wir haben noch Geromino. Einige unserer Stuten werden sich noch finden lassen. Wir könnten bis nach Oregon gehen und dort noch einmal ...« »Nein«, sagt Virg. »Daraus wird nichts, Bruder! In Oregon gibt es vielleicht auch eine Sippe wie die Cumberlands oder einen großen Burschen, dem wir nicht passen. Nein! Ich mache nicht mehr mit! Ich habe es lange genug auf die mühevolle Art versucht, fleißig und redlich. Ich habe daran geglaubt, dass man zu Erfolgen kommen muss, wenn man nur lange genug redlich und fleißig daran arbeitet. Doch es ist völlig falsch. Man muss groß und mächtig sein! Das allein zählt! Wenn man groß und mächtig ist, wenn eine harte Mannschaft für einen reitet, der man Befehle erteilen kann – nun, dann geht alles viel schneller. Ich komme mir vor wie ein Narr. Bruder, es ist alles falsch, was du mir immer wieder gesagt hast. Ein kleiner Mann kann nur groß werden, wenn er härter, klüger und rücksichtsloser ist als alle anderen Burschen in seiner Nähe. Es ist wie in einem Wald. Der größte Baum bekommt die meiste Sonne. Und so will ich jetzt leben. Ich habe Freunde hier gefunden,
die genau so denken wie ich. Bruder, ich habe die Taschen voller Geld. Denn wir haben drüben in Texas einen Geldtransport ausgeraubt. Ich habe in sechs Tagen mehr als tausend Dollar verdient, und für tausend Dollar muss ein Spitzencowboy länger als zwei Jahre arbeiten. Hoi, Bruder! Vielleicht gehe ich eines Tages nach Oregon, aber nicht als Hungerleider, so wie wir das jetzt tun würden. Wenn ich noch einmal etwas anfange, dann mit einem Sack voller Geld. Damit gehe ich vielleicht nach Oregon, als großer Mann, verstehst du? Dann werbe ich mir eine Mannschaft an und stutze alle Burschen zurecht, die mir im Weg sind. So wird es gemacht! Ich habe das jetzt begriffen. Du aber, Jim, bist ein Narr!« Er wendet sich vom Fenster ab und geht zur Tür. Von dort sagt er: »Du bist mein Bruder, aber du bestimmst nicht mehr, was ich tue. Die Zeit ist vorbei. Ich bin jetzt selbstständig geworden. Und wenn du lange genug nachgedacht hast, dann wirst du sicherlich einsehen, dass du alles falsch gemacht hast. Es war falsch, sich im Schatten der Cumberlands niederzulassen und darauf zu vertrauen, dass sie uns ungeschoren ließen. Es war falsch. Doch du bist mein Bruder! Wenn du zu uns gehören möchtest, Jim, dann will ich dich meinen neuen Freunden vorstellen. Und wir könnten dich schon gebrauchen. Ich würde dir
sogar versprechen, dass ich, wenn wir erst einen Sack voll Geld gesammelt haben, mit dir nach Oregon gehe. Überleg es dir!« Er geht hinaus. Und Jim, der immer noch still und bewegungslos auf dem Bettrand sitzt, weiß nun, dass er keinen Einfluss mehr auf den Bruder hat. Virg hat sich selbständig gemacht. Er ist nicht mehr sein kleiner Bruder. Er kann Virg keine Befehle mehr geben und für ihn und sich entscheiden, was sie tun sollen. Jim kann auch mit Gewalt nichts mehr machen. Denn er ist noch zu schwach und zu kraftlos, um einen Burschen wie Virg zu überwältigen, auf ein Pferd zu binden und mit ihm aus dem Land zu reiten. Bis er Virg wieder körperlich überlegen wäre, ist Virg längst einer dieser Banditen, die schnelles Geld verdienen und meinen, ihr Glück ginge nie zu Ende. Jim seufzt, als er sich langsam erhebt und auf Strümpfen zum Fenster geht. Er blickt hinaus auf die Straße. In der Stadt ist es sehr lebendig. Reiter kommen immer noch von der Weide und aus den Hügeln hereingeritten. Einige Wagen verlassen die Stadt – Siedlerwagen, in denen die ganze Familie Platz hat. Die Postkutsche aus dem Osten kommt vor das Hotel gefahren und hält mit kreischenden Bremsen schwankend an. Jim erinnert sich bitter
daran, dass er vor elf Tagen mit solch einer Post und in dieser Stunde angekommen war. Aber dann denkt er wieder über das Problem nach, das nun so groß wie ein Berg vor der Zukunft liegt – vor Virgs und seiner Zukunft. Virg ist ihm entglitten, hat sich freigemacht von seiner Führung. Er ist ihm ausgebrochen und reitet nun mit Banditen. Er ist all die Jahre Virgs Vorbild gewesen, der große Bruder, der einen Kämpfernamen hatte. Und nun hat er – mit den Augen seines Bruders gesehen – etwas falsch gemacht. Virg ist zu der Auffassung gekommen, dass sich redliches Mühen im Schatten einer großen und unduldsamen Ranch nicht lohnt oder auszahlt. Und er will die verlorenen Jahre so schnell wie möglich aufholen. Er hat in sechs Tagen tausend Dollar »verdient«, wie er sagte. Sie haben einen Geldtransport ausgeraubt. Und damit ist er ein Bandit geworden, der Straßenraub beging und sich gegen das Bundesgesetz verging. Nicht nur die örtlichen Sheriffs werden hinter ihm her sein – nein, er wird noch andere Männer auf der Fährte haben. Denn er verging sich gegen das Bundesgesetz der Vereinigten Staaten von Amerika. Und damit wird er auch von den US Marshals gesucht und gejagt werden. Das Bundesgesetz ist überall, in allen Staaten und Territorien. Auch in Oregon gilt es. Virg kann also – wenn er erkannt wurde und nun als Straßenräuber bekannt ist – überall von einem US
Marshal verhaftet werden. Er könnte also keinen Ort finden, wo er das Gesetz nicht fürchten müsste, es sei denn, hier in diesem Land. Und das bedeutet, dass er im Banditenland unter Banditen leben muss. Er ist verloren. Wie schnell geht das, denkt Jim. Und er stellt sich dann fortwährend die Frage, wie er Virg noch aus dieser Sache herausholen könnte. Doch da gibt es so leicht keine Antwort. Jim steht noch eine Weile am Fenster. Zwischendurch wandert er auf Strümpfen durch das Zimmer, raucht eine Zigarette und denkt nach. Dabei wächst sein Zorn auf die Cumberlands wieder an. Ja, er muss ihnen allein die Schuld geben. »Vielleicht sollte ich zurückgehen«, murmelt er. »Vielleicht sollte ich wieder aufbauen, was sie mir zerstörten. Vielleicht sollte ich hart und unerbittlich zurückschlagen, wenn sie mich nicht in Frieden lassen. Vielleicht sollte ich Big Boss Cumberland und seinen Vormann Noel Marrs töten. Und dann würden auch die Augenzeugen im Lonestar Saloon zu Corro meinen Bruder wenigstens von der Mordanschuldigung entlasten.« Er spürt plötzlich scharf und beißend seinen Hunger. Ihm wird fast schlecht vor Hunger, denn er ist ja ein Genesender, dessen Körper Säfte und
Kräfte besonders notwendig braucht und deshalb den Hunger besonders gebieterisch wirken lässt. Er zieht sich an, legt den Waffengurt um und geht hinaus. Im Hotelrestaurant bekommt er noch ein Abendessen. Er isst zwei Portionen und trinkt zwei große Tassen Kaffee, in den er viel Milch und Zucker tut. Dann geht er in den »Pecos Bill Saloon«, in dem ein Gitarrenspieler einen mexikanischen Tanz klimpert und ein Mädchen sich wirbelnd dreht, wobei ihre vier oder fünf Röcke fliegen und sie selbst mit Kastagnetten nur so klappert und rasselt. Es ist ein feuriges, wildes und rassiges Mädchen. Alle Männer sehen ihrem Tanze zu. Und sie vergessen dabei sogar das Trinken, obwohl viele von ihnen ihre Gläser in den Händen halten. Es ist ein recht einfacher Saloon, und der Fußboden ist nichts anders als festgestampfter Lehm. Die Tische bestehen aus über Fässer gelegten Brettern. Es gibt Bänke zum Sitzen. Und an der einen Wand hängt ein farbenprächtiges Bild, das einen riesenhaften Cowboy darstellt, der auf einem Rappen reitet, dessen Zügel zwei Schlangen sind, die sich in seinen Ohren festgebissen haben. Der Cowboy stößt aus Mund und Nasenlöchern Feuer aus, und als Sporen
dienen ihm zwei Skorpione, mit deren Stacheln er die Flanken des Rappens bearbeitet. Dieser Cowboy ist Pecos Bill. Jim denkt bei seinem Anblick wieder bitter: Sicher, dies ist der wilde Pecos Bill! Und all die Jungens, die es juckt, eifern ihm nach und wollen wild, verwegen und unbesiegbar sein. Doch sie sind keine Sagengestalten, sondern einfach nur Jungens. Eines Tages erwischt es sie, und dann sehen sie ein, was für Narren sie waren. Auch Virg wird es zu spät erkennen. Zum Teufel, wie kann ich ihn retten? Jims Gedanken kreisen also schon wieder um diese Dinge, und er geht indes durch den Raum, nimmt an der Bar einen Whisky, der aus dem »Falben-Tal«, stammt, wo er in großen Mengen gebrannt wird. Und diese WhiskySchwarzbrenner sind ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Macht in diesem Land westlich des Pecos-Flusses. Jim schüttelt sich unmerklich, als das scharfe Zeug wie ein Blitz durch seine Kehle bis in den Magen zuckt. Dann verlässt er die Bar und schiebt einen Vorhang aus Holzperlen beiseite. Er betritt den Spielraum, und er sieht gleich beim ersten Blick seinen Bruder beim Pokerspiel. Groß, schlank, geschmeidig, hübsch, blond, sieghaft und verwegen, so sitzt Virgil Buckmaster dort mit einigen Männern um den runden Tisch.
Er raucht eine Zigarre und hat ein großes Glas vor sich stehen, in dem noch ein Rest Whisky ist. Jim tritt hinzu und betrachtet das Glas. Wenn es einigermaßen voll war, so reichte der Inhalt gewiss aus, um Virg betrunken zu machen. Denn er ist dieses scharfe und starke Zeug nicht gewöhnt. In das große Glas da aber gehen mehr als ein halbes Dutzend normale Whiskys hinein. Jim sieht, dass auch die anderen Männer solche großen Gläser bei sich stehen haben, und er begreift, dass dies hier so Sitte ist. Die Pokerspieler wollen nicht immer neue Gläser verlangen und sich stören lassen. Sie lassen sich einfach Wassergläser füllen und kommen damit eine Weile aus. Jim hört seinen Bruder siegesgewiss und voll Vergnügen lachen. Dann sieht er ihn die Karten aufdecken und hört die Worte: »Ich bin gar nicht zu schlagen, Freunde! Ich nicht! Dies ist ein Full House, Leute! Liefert nur ab! Liefert nur immer alles Geld bei Virg Buckmaster ab! Der kann es gebrauchen! Und er ist nicht zu schlagen. Ich hätte schon viel früher über den Pecos reiten sollen, viel früher!« Seine Stimme klingt etwas lärmend und großsprecherisch, denn er ist wahrhaftig betrunken. Vielleicht hat er sogar schon das zweite Glas fast leer. Er leert es nun. Und dabei fällt sein Blick auf Jim.
Er setzt das Glas ab, erhebt sich halb vom Sitz und macht eine ausholende Bewegung in Richtung Jim. »Seht ihr, Freunde! Dies ist mein großer Bruder! Dies ist mein Bruder Jim, der mal ein ganz großer Kämpfer war. Black Jim Buckmaster! Black James George Morgan Buckmaster! Das ist er! Das ist er wirklich, Freunde! Und er hat Big Boss Aharon Cumberlands zweiten Sohn weggeputzt – einfach weggeputzt! Bummm! Habe ich keinen prächtigen Bruder? Hallo, Jim! Fein, dass du aus dem Bett gekommen bist! Ein Mann kann nicht seine Zeit im Bett verbringen! Setz dich zu uns, Jim! Denn hier bist du unter Freunden! Meine Freunde sind gewiss auch deine Freunde! Nicht wahr, Jungens? Ihr habt doch nichts gegen meinen großen Bruder einzuwenden? Er hat einen Cumberland erledigt! Das zählt! Komm, Jim! Ich bin in einer Glückssträhne! Ich gewinne diesen haarigen Gentlemen das ganze Geld ab! Und dabei haben wir es doch so schwer verdient – hahaha! So schwer verdient haben wir es doch!« Jim achtet einen Moment nicht auf ihn. Er betrachtet die anderen Männer am Tisch. Und er sieht hartgesottene und eiskalte Burschen, richtige Sattelpiraten und zweibeinige Wüstenwölfe. Sie betrachten ihn sorgfältig und abschätzend, und sie begreifen sofort, dass er anders ist als sein
Bruder, dass er ihnen gewachsen ist, weil er einmal raue Wege geritten ist. Und natürlich kennen sie seinen Namen. Man kennt jene Männer genau, die mit Jesse Chisholm die erste Rinderherde fünfzehnhundert Meilen weit von San Antonio nach Dodge City trieben. Man kennt die Geschichte dieses ersten Trails, jenes großen Rindertreibens, und man weiß, was Black Jim Buckmaster damals leistete. Aber dann hat man viele Jahre nichts mehr von ihm gehört. Jetzt betrachten ihn die Männer also sorgfältig, und sie schätzen ihn wohl genau ab. Sie wissen, dass er einer von Chisholms großen Revolverkämpfern war, mit denen er eine zwanzigfache Überzahl von Indianern schlug, und die immer dann hinter ihm standen, wenn er seine eigene meuternde Mannschaft bändigte. Die Männer finden, dass er noch recht krank wirkt, nur ein Schatten von dem, was er war. Und nun begreifen sie, warum Virg Buckmaster ihm ausbrechen konnte. Virg stellt indes vor: »Jim, dies sind meine guten Freunde! Dies ist Jack Jocelyn! Verstehst du? Dies ist Jack Jocelyn! Und er ist hier ein mächtiger Mann, Bruder! Und dieser Gentleman ist Saba Chisholm! Hörst du? Saba Chisholm! Ein ganz entfernter Verwandter jenes Jesse Chisholm, für den du geritten bist, um Texas den großen Dienst zu erweisen! Dies dort aber, dies ist
Santana Montez! Und er war drüben in Mexiko bei Maximilian sogar mal Major! Solche Freunde habe ich! Und ich gewinne ihnen das Geld ab! Komm, Bruder! Setz dich zu uns! Soll ich dir einige Dollars leihen? Fünfhundert vielleicht? Komm ...« »Es ist genug, Virg«, sagt Jim ruhig. »Du hörst jetzt auf! Es ist genug! Komm mit mir! Wir werden einen Spaziergang machen. Die frische Luft wird dir gut tun. Du hörst jetzt auf!« Vielleicht hätte Jim andere Worte sprechen sollen. Vielleicht ist es sein Fehler, dass er versucht, Virg wieder Befehle zu geben. Aber vielleicht glaubt er daran, dass er seinen Befehlen oder Wünschen den nötigen Nachdruck verleihen kann. Aber es ist falsch von ihm. Denn Virg hat sich von ihm freigemacht. Virg lässt sich nichts mehr sagen. Und überdies ist in ihm der Eigensinn eines Betrunkenen. Er erhebt sich. Sein Gesicht wird tiefrot. »Geh zum Teufel!«, sagt er. »Ich brauche keine Amme! Ich trinke keine Milch mehr aus der Flasche! Ich trinke Feuerwasser und habe Haare auf der Brust, verstanden? Wenn du mich stören willst, Bruderherz, dann geh zum Teufel!« Er will sich wieder setzen. Und weil er an der Reihe ist, das Kartenspiel zu mischen und auszuteilen, greift er nach den Karten, die einer der Männer inzwischen zusammengestrichen hat.
Jim zögert einen Moment. Doch dann entschließt er sich zu einem Versuch. Er muss den Bruder jetzt und gleich von hier fortbringen. Er muss ihn unter Kontrolle bekommen wie ein bockendes Pferd. Und so fasst er zu und reißt Virg vom Stuhl. Er hält ihn vorn an der Hemdbrust gefasst, und er spürt dabei, wie kraftlos und schwach er noch ist. Gewiss, er konnte Virg fassen und vom Stuhl reißen. Doch er tut es unter Aufbietung aller Kräfte. Im Vollbesitz seiner Kraft aber hätte er den hundertachtzig Pfund schweren Bruder lüften und über einen Tisch werfen können. »Du wirst tun, was ich dir sage, Junge!« Er zischt es, indes er ihn an der Hemdbrust vom Stuhl reißt, und er ist gewillt, Virg all die Härte und Unduldsamkeit spüren zu lassen, die notwendig ist. Doch Virg ist zum Kampf bereit. Er zögert nicht. Er kämpft gegen den Bruder an, und er tut es mit der wilden Wut eines Betrunkenen, der gereizt ist und sich selbst nicht mehr kennt. Zuerst reißt er sein Knie hoch, doch Jim dreht den Körper und fängt den gemeinen Stoß mit dem Oberschenkel auf. Doch seine Muskeln sind für einen Moment wie gelähmt. Virg trifft ihn nun mit der Linken gegen die Schulter, dicht unterhalb der kaum verheilten Wunde.
Jim weiß, dass seine Faustschläge noch zu kraftlos sind, um den Bruder auszuschalten. Er zieht deshalb den Revolver, um ihn als Schlagwaffe zu verwenden. Doch da ist plötzlich ein Mann bei ihm. Es ist Jack Jocelyn. Er ist groß, sehnig, rothaarig und äußerlich ganz und gar ein verwegener Rebell. Er hält Jims Revolverarm fest, und seine langen und sehnigen Hände sind wie zwei Stahlklammem. »Nur ruhig, Mister! Ich dulde unter Brüdern keine Schlägereien! Nur ruhig, Jim Buckmaster! Virg ist ein ausgewachsener Mann!« »Das bin ich!«, sagt Virg und schwankt näher. »Und ich bin unter Freunden! Verschwinde, Bruder! Wenn du noch mal Hand an mich legst, bekommst du was von mir, was dir nicht bekommt! Verschwinde!« Jim sagt nichts mehr. Er sieht keinen der Männer mehr an. Als sich Jack Jocelyns Hände wieder lösen, lässt er den Colt im Holster. Er wendet sich ab und geht hinaus. »Ich bin kein Flaschenkind mehr!«, hört er Virg hinter sich sagen. Draußen steht er dann eine Weile in der Dunkelheit eines der vorgebauten Hausdächer. Seine Hände zittern. Er seufzt und schnauft, und er ist am ganzen Körper in Schweiß gebadet. Er weiß, dass es Schwäche ist, die diesen Schweißausbruch verursacht. Und seine kaum verheilte Wunde scheint von dem Stoß wieder
aufgeplatzt zu sein. Er spürt, wie das Blut wieder rinnt. Er geht zurück ins Hotel.
7 Am nächsten Tag geht er nach dem Mittagessen in den Mietstall und findet dort Geromino. Er kauft sich für zwanzig Dollar einen alten Sattel. Als er Geromino sattelt, sagt der Stallmann, der ihn vom Stallgang aus in der Box beobachtet: »Dies ist Virg Buckmasters Pferd. Ich weiß zwar, dass Sie sein Bruder sind, doch solch ein Pferd verleiht man wohl nie – selbst nicht dem eigenen Bruder. Und deshalb möchte ich nicht, dass Sie es nehmen. Ich will erst von Virg Buckmaster hören, dass Sie es dürfen.« »Es ist mein Tier«, erwidert Jim ruhig. »Ich lieh es meinem Bruder damals nur, damit er seinen Hals retten konnte. Jetzt brauche ich es wieder selbst.« Der Stallmann wendet sich auf dem Absatz und läuft hinaus. Jim weiß, dass jetzt Virg benachrichtigt wird. Er führt das Pferd aus dem Stall und sitzt draußen auf. Er reitet vor den Store, sitzt ab und bindet Geromino an. Einige Beobachter haben sich schon eingefunden. Der Stallmann verschwand irgendwo in einer Gasse. Jim geht in den Store und kauft dort einige notwendige Dinge, die ein Mann haben muss, wenn er längere Zeit im Freien kampieren will. Er lässt sich alles in einen Sack packen und erwirbt noch eine Segeltuchplane, die auf einer Seite geteert ist,
eine Ölhaut und ein Lasso. Er schnürt alles zu einem Bündel zusammen, wie es Reiter hinter dem Sattel mitführen. Dann geht er hinaus. Als er draußen das Bündel hinter dem Sattel auf Geromino festschnallt, kommt der Bruder. Er kommt aus einer Gasse gestürmt, mit wirrem Haar und ganz so, als wäre er soeben aus dem Bett gekommen. »He, was machst du mit meinem Pferd?«, ruft er schon aus größerer Entfernung. »Du willst mir doch nicht das Pferd nehmen?« »Ich habe kein anderes, also brauche ich es«, erwidert Jim kühl. »Ich lieh es dir damals. Doch jetzt nehme ich es zurück. Es rettete dein Leben. Nun brauche ich es!« Virg hält keuchend vor ihm an. Er ist noch unrasiert, ungewaschen und ungekämmt. An seiner Wange sind noch Spuren von Lippenrot. Jim ahnt, dass der Bruder dort in der Gasse bei einem Mädchen war – die ganze Macht. »Virg«, sagt er, »es geht mächtig abwärts mit dir. Du wirst ganz plötzlich aufwachen und mitten in der Hölle sein. Es geht abwärts mit dir wie auf einer Rutschbahn. Ich habe die ganze Nacht nachgedacht. Ich will dir sagen, was ich tun werde. Ich reite zurück zu unserer Pferderanch. Ich baue wieder auf. Und wenn die Cumberlands kommen, bekommen sie von mir heißes Blei. Ich reite zurück, beanspruche meine Rechte und baue auf. Und deshalb brauche ich
Geromino! Verstehst du? Wenn ich dir einen Rat geben darf, dann komm mit mir! Zusammen werden wir Wege und Möglichkeiten finden, um aus der ganzen Sache herauszukommen. Ich kämpfe jetzt. Ich bin entschlossen. Ich bin jetzt so, wie du mich haben möchtest – Black Jim Buckmaster! Wie in alten Zeiten. Ich werde die Cumberlands zum Teufel jagen, wenn es notwendig ist.« Virg tritt einen Schritt zurück und betrachtet ihn staunend. Doch dann schüttelt er den Kopf und sagt: »Zu spät aufgewacht, Bruder! Zu spät! Ich glaube nicht mehr an dich. Doch du musst mir Geromino lassen! Ich brauche ihn! Er ist das schnellste Pferd im Land. Auf ihm kann ich allen Verfolgern entkommen.« Er tritt wieder näher an Jim heran, wischt sich hastig übers Gesicht und spricht: »Ich war gestern schlimm betrunken. Ich erinnere mich, dass wir irgendwie einen Streit hatten. Als du dann fort warst, hatte ich eine schlimme Pechsträhne. Mein Glück war wie fortgeblasen. Ich habe alles Geld verloren, meinen Spielgewinn und dann auch das Geld, das ich so schnell und leicht verdient hatte. Ich habe sogar noch Schulden gemacht. Weißt du, deshalb brauche ich Geromino so nötig. Ich will mir neues Geld beschaffen. Doch danach muss schnell und scharf geritten werden. Meine Freunde haben alle erstklassige Tiere. Ich könnte
so leicht kein Tier bekommen, das ihren Pferden ebenbürtig ist. Ich brauche Geromino! Wenn du ihn mitnimmst, werden ihn doch nur die Cumberlands erwischen, wenn sie dich erledigen. Es ist närrisch, zurück zur abgebrannten Ranch zu gehen. Es ist ...« »Du hast das geraubte Geld schnell verspielt und vertan«, unterbricht Jim ihn bitter. »Und jetzt willst du reiten, um neues Geld zu rauben? Oh, du bist schon mitten in der Hölle! Und jeder Mann ist sein eigener Hüter. Ich bin körperlich noch zu schwach, um dich mit Gewalt aus diesem Land schleifen zu können. Ich kann auch nichts dagegen tun, dass du Umgang mit Banditen hast. Ich kann dich nur noch einmal bitten, mit mir zu kommen und ...« »Nein!«, sagt Virg scharf. »Und wenn du reitest, dann nicht auf Geromino. Der gehört jetzt mir!« Als er verstummt, stehen sie sich einige Atemzüge lang schweigend gegenüber. Sie sind nun zwei feindliche Brüder. Ihre Wege haben sich getrennt. Sie sind wie die beiden Vorderräder eines Wagens. Virg löste sich von der Achse, und nun rollt er, rollt ungelenkt und kann nur noch in eine Richtung rollen. Irgendwann wird er gegen ein Hindernis prallen und umfallen. Und Jim ist gewissermaßen das Rad, das nun noch allein an der Vorderachse des Wagens sitzt.
Kann sein Wille diesen Wagen doch noch lenken? Er wendet sich ab, um aufzusitzen. Er sagt kein weiteres Wort mehr. Doch als er den Fuß hebt, um ihn in den Steigbügel zu schieben, da reißt ihn Virg an der Schulter herum. »Der Hengst bleibt hier!«, sagt Virg kehlig und knurrig. Jim tritt vom Pferd fort. Seine Hand senkt sich zum Revolver nieder. »Virg«, sagt er, »ich werde auf dich schießen. Ich weiß, dass ich so sehr viel schneller bin, dass ich es mir erlauben kann, dich nur zu verwunden. Ich werde dir den Arm oder das Bein zerschießen. Selbst von einem Bruder lasse ich mir dieses Pferd nicht stehlen. Und ich gebe es schon gar nicht dafür her, dass du damit Banditenritte unternimmst. Dies ist Geromino, ein Apachenhengst. Ich habe ihn gefangen und gezähmt. Und er ist der Stammvater einer Pferdezucht. Virg, du bekommst ihn nicht!« Sie stehen sich nun als Feinde gegenüber. In Virgs Augen ist ein Staunen. Er begreift jetzt erst richtig, wie schlimm es zwischen ihnen ist. Er blickt in Jims Augen und erkennt darin die kalte Härte und den unabwendbaren Entschluss. Er kennt Jim gut genug und weiß, dass der Bruder ihn verwunden würde. Da gibt er auf. Irgendwie kommt er wie aus einem wilden Traum zur Besinnung.
»Na gut, ich pfeife auf den Hengst«, sagt er. »Ich schaffe es auch ohne ein Wundertier. Zwischen uns ist also nichts mehr. Und dabei hätten wir – du und ich – uns zusammen ein Königreich erobern können. Doch du hast Angst! Du bist ein Dummkopf! Die Cumberlands haben sich mit Gewalt ein Reich geschaffen. Nun sind sie mächtig. Und sie können tun, was sie wollen. Sie werden dich vernichten. Erwarte nur keine Hilfe von mir. Wir haben beide in Notwehr einen Cumberland getötet. Doch du hast immer noch nicht gelernt.« Er wendet sich ab, um zu gehen. In seiner Bewegung liegt etwas Endgültiges. Jim sagt schnell: »Hör auf mich, Virg! Komm mit mir! Wir könnten auch gegen die Cumberlands bestehen. Wir könnten ...« Er verstummt, denn ihm fällt ein, dass Virg ja schon ein Bandit geworden ist. Virg hat tausend Dollar Beuteanteil bekommen, und er hat dieses Geld verspielt und sogar noch Schulden gemacht. Jim verstummt also, und er blickt Virg nach. »Du lieber Gott«, murmelt er, »lass ein Wunder geschehen. Führe meinen Bruder auf den richtigen Weg zurück. Gib ihm eine andere Richtung. Denn ich kann es nicht vollbringen.« Er wird sich seiner Worte erst bewusst, als er sie gesprochen hat. Und nun wird er sich bewusst, dass er gebetet hat.
Was bin ich dumm, denkt er. Wie kann ich zu Gott beten, dass er ein Wunder vollbringen soll. Jeder Mann ist sein eigener Hüter. Virg ist zweiundzwanzig Jahre alt und weiß genau, was gut und böse ist. Wie kann ich verlangen, dass unser Schöpfer ein Wunder vollbringt! Er schluckt schwer und mühsam, und er würgt seine Bitterkeit hinunter. Er sitzt auf und reitet aus der kleinen Stadt Pecos Bend. Niemand hält ihn auf. Doch viele Menschen blicken ihm nach. Und sie wurden Zeugen, wie zwei Brüder sich für immer trennten. Virg Buckmaster bleibt zurück, und er gehört schon zu den Schattenhaften, die in den Nächten reiten oder sich bei Tag maskieren, wenn sie auf Beute aus sind. Virg gehört schon zu den wildesten Sattelpiraten, die schnelles Geld verdienen und an ihr Glück glauben. Jim aber reitet nach Osten über den Pecos zurück. Er kehrt um. Er wird den Kampf aufnehmen. Denn er hat das Recht dazu. Er will kein Bandit werden. Er will auch nicht mehr fortlaufen. Er hat sich entschieden.
Wenn es Zeichen gibt, die einem Mann Glück künden, dann sieht Jim etwa vier Stunden später solch ein Zeichen, als er die Poststraße verlässt,
um einen Ort zu suchen, wo er die Nacht verbringen kann. Der Vier-Stunden-Ritt ist für seinen geschwächten Körper mehr als genug für das erste Mal. Er folgt einem kleinen Bach, der aus einigen Hügeln kommt. Er weiß, dass es dort einen See geben muss, dessen natürlicher Ablauf dieser Bach ist. Und als er den See dann zu Gesicht bekommt, da erblickt er in der Spätnachmittagssonne einige Pferde. Zuerst glaubt er, dass hier eine Mannschaft rastet. Doch dann erkennt er die Pferde auch schon. Es sind seine Pferde, seine eigenen. Es sind die Tiere, die die Cumberland-Mannschaft vor mehr als elf Tagen einfach zurückgelassen hat, um auf die mitgeführten Reservetiere umzusteigen. Vielleicht hatten die Cumberland-Reiter irgendwo in der Nähe schon Virg auf Geromino in Sicht bekommen, denn es war ja eine helle Nacht. Und so ließen sie hier die erschöpften Tiere zurück, wechselten nur die Sättel und jagten weiter. Dann sind die Pferde sicherlich all die Tage umhergewandert, vielleicht sogar viele Meilen weit. Und dann haben sie diesen See gefunden und blieben hier auf der saftigen Weide und der wunderschönen Badestelle, die zugleich auch Tränke ist.
Jim hält an, legt die Hände übers Sattelhorn und zählt die Pferde. Sie haben ihn längst gewittert. Doch irgendwie erscheint er ihnen vertraut. Auch wieherte Geromino unter ihm kräftig, und dieses Wiehern kennen sie genau. Geromino beginnt nun nervös zu tänzeln. Jim muss ihn wieder fest in die Hand nehmen. Denn Geromino ist nun einmal ein Hengst, und unter den Pferden dort befinden sich auch einige Stuten. Und es sind alle da – alle, die von der Cumberland-Mannschaft geritten wurden. Nur die Reservepferde fehlen noch. Auf diesen ritt die Cumberland-Mannschaft heim. Zum ersten Mal in diesen Tagen ist Jim glücklich. Und er hält sein Glück, hier durch Zufall auf ein Dutzend seiner wertvollsten Tiere gestoßen zu sein, für ein gutes Zeichen. Er weiß, dass jede Pechsträhne einmal zu Ende geht. Und vielleicht ist das jetzt bei ihm der Fall. In diesem Land hier streifen stets Reiter umher, die sich solch ein Rudel kostbarer Pferde nicht hätten entgehen lassen. Doch durch irgendwelche glücklichen Umstände wurden die Tiere nicht entdeckt. Jim reitet pfeifend auf die Tiere zu. Er hat sich auch daheim auf der Pferderanch seinen Tieren fast immer pfeifend genähert. Sie kennen seine Melodie. Pferde sind Gewohnheitstiere, und so
haben sie sich an seine Melodie gewöhnt und laufen nicht vor ihm fort.
Jim nimmt sich Zeit. Es ist drei Tage später, als er mit den Pferden seine niedergebrannte Ranch erreicht. Er hatte einen großen Bogen nach Norden geschlagen und ist dann nach Südosten eingeschwenkt. Er glaubt, dass seine Rückkehr bis jetzt noch nicht bekannt ist. Unterwegs fand er noch zwei Stuten, die inzwischen Fohlen geboren haben, ganz allein und irgendwo auf der Weide oder zwischen den Hügeln. Er nimmt sie mit, und er muss sich besonders wegen der Fohlen Zeit lassen. Die Corrals seiner Ranch sind nur wenig beschädigt worden. Als er seine Pferde in den Corrals hat, fühlt er sich erleichtert. Inzwischen hat er sich auch wieder an das Reiten gewöhnt. Er kam zu Kräften und dachte lange genug darüber nach, wie er wohl anfangen muss. Er sorgt noch dafür, dass die Tiere im Corral genügend Wasser haben. Das Gras im Corral ist stark gewachsen. Die Tiere können einige Tage ohne ihn auskommen. Er bereitet sich ein Essen, raucht noch eine Zigarette und ist dann wieder bereit. Es ist schon Abend, als er auf Geromino fortreitet. Seine Ziele stehen fest. Er sucht in den nächsten Stunden einige der kleinen Nachbarn
auf, die wie er an den Grenzen des CumberlandReiches leben. Er spricht überall vor und fragt nach seinen Pferden. Die Leute staunen ihn an. Es sind Siedler oder Drei-Kühe-Rancher, Heimstätter – also kleine Leute, wie man so sagt, unbedeutende Menschen. Sie sind misstrauisch, wenn er vor ihre zumeist sehr kümmerlichen Hütten reitet, und sie beantworten seine Fragen nur zögernd. Dabei staunen sie ständig und finden es unfassbar, dass er zurückgekommen ist und sich anscheinend vor der Cumberland-Mannschaft nicht fürchtet. Aber sein Ritt lohnt sich. Schon bei den ersten drei Siedlerstätten findet er insgesamt fünf Tiere und zwei Fohlen. Er sagt den Leuten, dass man ihm die Tiere auf der Ranch abliefern möge, denn er würde eine gute Belohnung zahlen. Als er dann nach Mitternacht irgendwo ein feuerloses Camp macht und unter den Sternen liegt, da ist er sicher, dass man ihm die Pferde auf die Ranch bringen wird. Diese Heimstätter sind immer knapp an Bargeld. Für einen einzigen Dollar würden sie fünfzig Meilen weit reiten oder einen Tag lang Bäume fällen. Er schläft dann ein, und er ist beim Morgengrauen schon wieder im Sattel und setzt seinen Rundritt fort. Er sucht alle Menschen auf, die an der Grenze der Cumberland-Ranch leben und die seine davongetriebenen Pferde irgendwo gefunden haben könnten.
Am Nachmittag hat er seinen großen Halbkreis beendet und die Straße erreicht. Er hält an und überlegt. Dabei blickt er nach Westen. Zwei Meilen weiter liegt die Stadt Corro. Soll er in die Stadt reiten? Diese Frage stellt er sich. Er zieht alle Beweggründe in Erwägung, die dafür sind, aber er denkt auch an all die Dinge, die dagegen sprechen. Doch wie er es auch drehen und wenden mag, von welcher Seite er die Probleme auch betrachtet, es kann für ihn nur einen einzigen Entschluss geben. Es ist völlig klar, dass er nur dann in diesem Land bleiben und für seine Rechte kämpfen kann, wenn er sich vor aller Welt furchtlos zeigt. Er braucht gar nicht erst den Versuch zu machen, seine Ranch wiederaufbauen zu wollen, wenn er sich davor fürchtet, sich in der Stadt zu zeigen. Aber er weiß, dass er in Kämpfe geraten könnte. Davor schreckt er zurück. Denn er greift nicht gern zum Revolver. Er ist kein Revolverheld. Er weiß zu gut, welch eine Zerstörung er mit seiner Waffe anrichten kann und dass solch eine Vernichtung dann nicht wieder rückgängig zu machen ist. Er hasst diese Kämpfe. Doch er entschließt sich. Er reitet auf die Poststraße und in Richtung Stadt.
Hinter der nächsten Bodenwelle trifft er auf Reva Cumberland, die aus dem Hohlweg eines Cottonwood-Haines kommt, durch den die Straße zur Stadt führt. Auch sie erkennt ihn sofort, zügelt ihr Pferd, zögert nur wenig und reitet dann zu ihm. Auch er nähert sich ihr, und als sie sich erreicht haben, halten sie an. Sie reitet einen kleinen, stämmigen Wallach. Und deshalb steht Geromino unter Jim ziemlich still. Das Mädchen betrachtet Jim ernst. »Ja, ich bin zurückgekommen«, sagt Jim. »Ich musste zurück auf diese Weide kommen.« Sie schluckt mühsam, so als ahnte sie mit dem feinen Instinkt einer Frau seine Beweggründe. Doch dann fragt sie: »Und warum sind Sie zurückgekommen, Jim?« Er senkt den Kopf und betrachtet seine Hände, die über dem Sattelhorn liegen. Lange, geschmeidige und kraftvolle Hände sind es. Das Mädchen bemerkt jedoch auch, dass seine Wangen noch ziemlich hohl sind und es ihm an Gewicht fehlt. Dann blickt er auf und sagt: »Man muss den Dingen stets ins Auge sehen, Reva. Mein Bruder Virg ist verloren. Er ist nicht mehr zu retten. Er ist ein Bandit geworden, befindet sich in schlechter Gesellschaft und hat sich völlig meinem Einfluss entzogen.«
Er macht eine kleine Pause, und er kann erkennen, wie das Mädchen unter der sonnengebräunten Haut erblasst, wie es den Atem anhält und sich dann auf die Unterlippe beißt, wie um einen Schrei zurückzuhalten. Jim spricht sofort weiter. Er sagt mit bitterer Härte: »Ich will meinen wilden Bruder nicht entschuldigen. Es ist ganz klar, dass eine gewisse Bereitschaft in ihm vorhanden gewesen sein muss, solch ein wildes Leben einzuschlagen – ich meine, solch einen rauchigen Weg als Bandit. Doch den Anlass gab die Cumberland-Ranch. Er kam auf die Idee, dass man auf redliche und rechtliche Art zu nichts kommen kann. Er glaubt jetzt daran, dass der Starke rücksichtslos all seine Macht einsetzen kann und nichts zu befürchten hat. Er glaubt daran, dass der Starke – und sei er noch so rücksichtslos! – das Recht immer auf seiner Seite hat. Und so will auch er in diesem Stil groß werden. Er will einen Sack voll Geld erbeuten. Und dann glaubt er, sich eine Mannschaft anwerben zu können, mit der er sich ein Königreich erobern kann, etwa so wie Big Boss Aharon Cumberland. Virgs Denken ist verzerrt. Er hat alle Maßstäbe verloren. Ich kann ihn nicht retten. Er ist verloren. Selbst wenn er jetzt noch zur Einsicht käme, würde er wahrscheinlich für einige Jahre zu Sträflingsarbeit verurteilt werden. Er weiß das. Er würde lieber sterben. Bald schon wird er
erkennen, wie dumm er war und wie sehr er alles falsch gemacht hat. Er wird sich wünschen, dass er die Zeit noch einmal zurückdrehen und alle Dinge ungeschehen machen könnte. Doch es wird zu spät sein. Er hat keine Chance mehr. Er gehört zu jenen Schattenhaften.« Wieder macht er eine Pause. Als er dann spricht, blickt er dem Mädchen fest in die Augen. »Die Cumberland-Ranch trägt die Schuld«, sagt er. »Wenn es Recht und Gesetz für alle Menschen gäbe, wenn die Menschen in diesem Land sich nicht so sehr vor den Cumberlands fürchten würden, dann hätte mein Bruder Virg nicht flüchten müssen. Dann hätten die Augenzeugen im Saloon sich nicht davor gefürchtet, die Wahrheit zu sagen. Doch sie fürchten sich vor der Macht der CumberlandRanch. Sie hatten Angst davor, sich auf die Seite eines Mannes zu stellen, der in Selbstverteidigung und Notwehr einen Cumberland tötete. Und deshalb musste Virg flüchten. Jene Augenzeugen hätten in ihrer Furcht genau das Gegenteil ausgesagt. Sie haben es sogar schon gesagt, und sie würden es beschwören. Denn die Cumberland-Ranch ist hart. Sie hat meine Ranch niedergebrannt. Dies ist eines der vielen Zeichen für ihre Härte. Reva, ich bin zurückgekommen, weil ich die Cumberland-Ranch bekämpfen werde. Ich will jetzt mein Recht! Und Sie wissen selbst genau, dass ich ebenfalls in
Selbstverteidigung einen Cumberland töten musste. Es war Ihr Bruder, Reva. Es tut mir Leid. Doch warum sollte ich mich von einem Cumberland ohne Gegenwehr töten lassen? Warum? Sind die Cumberlands besondere Menschen? Reva, wenn Sie verschweigen, dass auch ich in Notwehr handelte, dann sind Sie wie die Augenzeugen in der Stadt, die aus Furcht meinen Bruder mit auf ihrem Gewissen haben. Denn er konnte sich nicht im Vertrauen auf Recht und Gesetz stellen und gelassen und furchtlos auf seinen Freispruch warten. Das ist es, Reva! Ich musste Ihnen dies erklären. Ich möchte, dass Sie alles verstehen.« Sie sitzt mit gesenktem Kopfe im Sattel, und sie ist ein sehr rassiges und reizvolles Mädchen. Als sie den Kopf hebt, sind in ihren grünen Augen Tränen. »Virg und ich«, sagt sie, »wären vielleicht ein Paar geworden. Ich habe mich von ihm küssen lassen. Ich mochte ihn. Mein Bruder Kirby war sehr eifersüchtig auf mich, seine Schwester. Kirby hat Virg und mich einmal beobachtet. Vielleicht war er deshalb so wild auf einen Kampf mit Virg. Und er hatte auch mit Ed gewettet, dass er Virg mit dem Revolver schlagen könnte. Sie hatten um einen Hengst gewettet, der bei uns im Corral steht. So ist das, Jim! Ich kann Ihnen nicht helfen. Ich kann mir selbst nicht helfen. Und die Cumberland-Ranch? Zum Teufel
mit ihr! Ich habe nie begriffen, warum man groß und mächtig sein muss, um das Leben lebenswert zu finden! Ich habe nie begriffen, warum man seine Macht dazu benutzen muss, um die Kleinen immer wieder in den Schmutz zu treten. Ich begriff nie, warum Macht wie ein Rausch ist, in dem man sich wie ein Halbgott fühlt.« Sie treibt plötzlich ihr Tier an. Jim blickt ihr nachdenklich nach. Und er ist froh, dass er ihr gesagt hat, was mit Virg ist. Nun wird sie es leichter überwinden, ihn verloren zu haben. Jim reitet weiter, und als er sich der Stadt nähert, da steht es endgültig für ihn fest, dass er den Kampf aufnehmen wird und muss. Er hat seine Beweggründe sehr klar formuliert, als er zu Reva sprach. Nein, es darf keine Furcht mehr im Land vor der Cumberland-Ranch geben. Es darf nicht mehr vorkommen, dass Menschen sich davor fürchten, die Wahrheit zu sagen, nur weil diese Wahrheit der Cumberland-Ranch nicht passt. Er will zeigen, dass ein Mann sich vor der Ranch nicht zu fürchten braucht. Und so reitet er in die Stadt. Die Menschen hier erkennen ihn sofort. Das Nachrichtensystem der kleinen Stadt kommt sofort in Betrieb. Die Kunde eilt von Haus zu Haus und von Mund zu Mund. Er ist kaum richtig drinnen in der Stadt und vor dem Saloon aus dem Sattel gerutscht, als es
fast überall in Corro bekannt ist, dass Jim Buckmaster zurückgekommen ist, etwas hager und hohlwangig zwar, doch auf seinem feuerroten Apachenhengst Geromino und mit einem Revolver an der Hüfte. Jim aber hat an der Haltestange des Saloons drei Pferde mit dem Brandzeichen der Cumberland-Ranch entdeckt, einem großen »C« in einem Kreis. Er weiß also, dass drinnen drei CumberlandReiter sind. Und dennoch geht er hinein. Denn es hat keinen Sinn für ihn, wenn er sich im Land behaupten will, unausbleiblichen Dingen auszuweichen. Eines Tages würde er ohnehin Cumberland-Reitern begegnen. Warum nicht schon heute?
8 Als er eintritt, da erkennt er sofort, dass die Kunde seines Kommens auch schon in diesen Saloon gelangt ist. Es standen ja auch einige Männer vor dem Saloon auf der Veranda. Und sie verschwanden dann im Saloon. Und nun blicken ihn etwa zwei Dutzend Männer an. Louis Kettle, der ehemalige Spieler und nunmehrige Saloonbesitzer, sitzt am runden Tisch neben der Treppe, die nach oben führt. Er hat einen Gast bei sich am Tisch. Es ist der Bankier John Payne, und sie haben beide ein Schachspiel zwischen sich. Die Partie ist noch ausgeglichen. Doch jetzt beachten sie das Brett und die Figuren nicht. Es ist jedoch irgendwie bemerkenswert, dass der Bankier die weißen Figuren und der Saloonbesitzer die schwarzen wählte. Auch Louis Kettles Leibwächter und Revolvermann ist da, Hogan Earp. Er trägt einen neuen Anzug, ein weißes Hemd und dazu eine schwarze Samtschleife. Irgendwie wirkt er verändert. Dieser fast elegante Anzug passt nicht zu ihm. Denn Hogan Earp erinnert zu sehr an einen hageren und fast farblosen Wüstenwolf. Ihm steht Weidetracht besser, und man ahnt dann etwas von seiner Geschmeidigkeit und stellt sich vor, wie er im Sattel eines Pferdes wirkt, nämlich sehr viel beachtlicher.
Er trägt trotz des neuen Anzuges sein Revolverholster tief unter der Hüfte und am Oberschenkel festgeschnallt. Die Jacke würde ihn etwas beim schnellen Ziehen stören. Jim stellt dies alles mit einem raschen Blick fest, denn er ist nun ganz der ehemalige Black Jim Buckmaster, ein Revolverkämpfer. Es ist so wie damals, als er für Jesse Chisholm ritt und diesem half, all die Schwierigkeiten zu überwinden, die mit dem Revolver überwunden werden mussten. Die Menschen im Raum spüren auch, dass da ein anderer Jim Buckmaster hereingekommen ist, ein anderer, als sie ihn bisher kannten, einer, der jetzt so wirkt, wie es seinem alten Ruf und den alten Legenden über ihn entspricht. Auch der Barmann Steve Hill ist da. Er steht hinter der Bar. Wahrscheinlich wechselt er seine Schicht. Es sind noch einige Bürger der Stadt und einige Gäste da, die hier irgendwelche Geschäfte machen wollen. Handelsreisende also oder Männer, die sich nur umsehen. Und einige Reiter sind da, die man hier nur flüchtig kennt, weil sie irgendwo in den Hügeln leben, in verborgenen Camps. Sie kommen dann und wann in die Stadt und leben von unbestimmbaren Einkünften. Doch es liegt gegen sie nichts vor. Sie halten sich bescheiden zurück,
und so bekommen sie sogar mit den CumberlandReitern keinen Streit. Jim hat die drei Cumberland-Reiter, deren Pferde vor dem Saloon stehen, schnell entdeckt. Sie sind gut im Raum verteilt, und Jim glaubt fast, dass sie dies noch schnell vor seinem Eintreten taten. Denn in der Fensterecke steht ein Tisch, auf dem eine Flasche und drei Gläser stehen. Dieser Tisch, an dem also drei Männer gesessen haben müssen, ist jetzt verlassen. Die Flasche aber ist noch halb gefüllt, Jim sieht einen Mann beim Billardtisch. Er reibt die Spitze des Stockes gerade mit Kreide ein, doch er starrt dabei hart und fest zu ihm herüber. Der zweite Cumberland-Reiter steht am Ende des Schanktisches hinter dessen Schmalseite. Und der dritte Mann steht beim Frei-ImbissTisch und isst gerade ein gekochtes Ei mit viel Senf darauf. Sie haben ihre Plätze gut gewählt. Denn wenn Jim Buckmaster an den Schanktisch treten sollte – und dazu ist er ja wohl auch in den Saloon gekommen – um sich einen Drink geben zu lassen, haben sie ihn genau zwischen sich. Den Mann am Billardtisch hat er dann hinter sich. Und die beiden Männer am Schanktischende und am Frei-Imbiss-Tisch sind rechts und links von ihm. Diese drei Reiter der Cumberland-Ranch sind hartgesotten und erfahren. Sie gehören zu jenem
Rudel, das Virg auf Geromino jagte und Jim die Pferde stahl. Jim tritt zu dem Mann am Frei-Imbiss-Tisch. Er nimmt ein mit Bratenscheiben belegtes Brot und spürt dabei seinen Hunger. Er bewegt sich nicht, als der Mann schnell von ihm wegtritt. Als er nach einer eingelegten Gurke greift, hört er den Mann laut sagen: »Kettle, ist dies ein Stall mit einem Futtertrog, in den jeder Hundesohn hereingeschlichen kommen und zu fressen beginnen kann?« Nach dieser Frage ist es still. Und es ist ganz klar, dass die Cumberland-Reiter nun von Louis Kettle eine ganz klare Parteinahme erwarten. Sie wollen Louis Kettle dazu zwingen, Flagge zu zeigen. Wenn er es sich nicht mit der Cumberland-Mannschaft verderben will, muss er jetzt etwas sagen, was sich eindeutig gegen Jim Buckmaster richtet. Wahrscheinlich müsste er sagen, dass dies kein Stall wäre, in den jeder Hundesohn kommen dürfe, um sich voll zu fressen. Jim ist nun sehr neugierig. Er wendet sich halb und betrachtet Louis Kettle ruhig. Dabei kaut er an der Gurke und an dem mit Braten belegten Brot, und in seinen rauchgrauen Augen ist ein belustigtes Funkeln. Man kann es deutlich sehen. In Jim Buckmaster ist ein grimmiger und gefährlicher Humor.
Er schluckt einen Bissen hinunter und grinst dann. »Louis«, sagt er, »jetzt sind Sie schon wieder in der Klemme. Wenn Sie der Cumberland-Ranch gefällig sein wollen, dann müssen Sie diesem Burschen nun eine ihn befriedigende Auskunft geben. Ich bin neugierig, Louis, was Sie sagen werden.« Kettle zeigt grinsend seine Zähne. »Dies ist ganz leicht«, sagt er. »Natürlich ist dies kein Stall mit einem Futtertrog. Dies ist ein Saloon mit einem Frei-Imbiss-Tisch, an dem jeder sich bedienen kann, der gewillt ist, zumindest für einen Dollar zu trinken. Und Hundesöhne dürfen hier nicht herein.« Als er es gesagt hat, ist es wieder still. Und die Reiter der Cumberland-Ranch überlegen. Sie begreifen, dass er mit seiner Feststellung immer noch keine Partei ergriffen hat. Dies macht sie wütend. Denn ihr Sprecher sagt jetzt: »Das da ist ein Hundesohn, Kettle – der dort! Jagen Sie ihn hinaus! Schnell! Jagen Sie ihn hinaus! Oder lassen Sie es Ihren Revolverhelden tun! Sonst wird kein Cumberland-Reiter mehr in Ihrem Hundestall verkehren. Wenn Sie diesen Hundesohn hier lassen, ist dies ein Hundestall.« Und damit hat er den Ball wieder Louis Kettle zugeworfen. Sie treiben ein böses Spiel, diese drei Cumberland-Reiter. Sie haben es sich jetzt
richtig in den Kopf gesetzt, dass Louis Kettle Partei ergreifen muss. Louis Kettle betrachtet Jim Buckmaster, und es ist ein ernstes Forschen und eine tiefe Nachdenklichkeit in seinem Blick. Louis Kettle gleicht einem Mann, der an einem Scheideweg steht. Er weiß nicht, welchen Weg er einschlagen soll. Jim nimmt sich indes ein Ei, beißt die Spitze ab und tut etwas Senf auf das Ei. Er isst es mit Appetit. Dabei betrachtet er Louis Kettle nachdenklich, und er weiß jetzt besser, wie sehr dieser Mann die Cumberland-Ranch hasst und warum er sich einen Revolverhelden als Leibwächter hält, obwohl er selbst als Revolverkämpfer ganz gewiss nicht zweitklassig ist, sondern Beachtung verdient. Auf Louis Kettles Spielergesicht zeigt sich diesmal doch der Widerschein von Gefühlen. Dann sagt er sanft: »Es tut mir Leid, Jungens! Ich kann hier keinen Hundesohn sehen. Hier sind alles nur Gentlemen – einer wie der andere. Und ...« »Nein«, sagt Jim jetzt. »Es sind nicht alle Gentlemen. Ich sehe drei Pferdediebe. Ich sehe drei Pferdediebe, die unter der Führung eines Brandstifters ritten und mir ein Rudel Pferde stahlen. Louis, ich werde nicht von Ihnen verlangen, dass Sie die drei Pferdediebe aus
Ihrem Saloon werfen oder für mich Partei ergreifen. Aber es sind Pferdediebe, auch wenn sie für die Cumberland-Ranch reiten. Es sind die Untergebenen eines Brandstifters. Und sie haben Pferde gestohlen!« Er isst nun nicht mehr. Er hat sich umgewandt. Und er hat die drei Cumberland-Cowboys alle vor sich zwischen dem Billardtisch und dem Schanktisch stehen. Er hat den Platz am Imbisstisch eingenommen, und der Mann dort hat den Fehler gemacht fortzugehen. Und dann hat er ihnen seine Herausforderung gesagt. Es ist sehr still. Nicht einmal Füße scharren oder Atemzüge keuchen. Es ist alles wie erstarrt. Dann aber wird es allen Anwesenden klar, dass Jim Buckmaster hereingekommen ist, um die Cumberland-Ranch herauszufordern – nein, noch mehr! Es ist viel mehr als nur eine Herausforderung! Die Zuschauer begreifen, dass ein Mann dazu entschlossen ist, seine Rechte zu wahren und sich nicht herumstoßen zu lassen. Was Jim Buckmaster jetzt tut, ist nichts anderes als eine Demonstration seiner Furchtlosigkeit und zugleich eine Warnung. Jeder begreift es. Auch die drei Cumberland-Reiter sind sich darüber klar. Die Gäste, die sich in der voraussichtlichen Schussrichtung befinden, bewegen sich plötzlich,
so als hätte eine Peitsche geknallt. Sie bringen sich in Sicherheit. Oben auf der Treppe erscheint Lily Long. Sie spricht laut genug hernieder: »Zeigen Sie dieser Bande, Jim, dass es noch Männer gibt in diesem Land, die nicht zu zittern beginnen, wenn ein Cumberland-Reiter sein Maul aufmacht. Wenn es Pferdediebe sind, dann hinaus mit ihnen! Dies ist ein Saloon für Gentlemen!« Ihre Worte sind wie Öl auf ein schwelendes Feuer. Die Cumberland-Reiter erliegen nun ihrer wilden Wut. Sie sind es gewöhnt, dass man sie respektiert, dass man ihnen aus dem Weg geht, dass sie Sonderrechte genießen. Und jetzt wurden sie nicht nur herausgefordert, sondern sie spüren auch deutlich jene Strömung gegen sich anprallen, die aus Hass gegen die Cumberland-Ranch entstanden ist. Es sind Bürger der Stadt im Saloon, und diese Bürger hätten statt einer großen und unduldsamen Ranch lieber tausend Siedler- und Farmerfamilien im Land. Sie wissen, dass die Ranch diese Entwicklung aufhält und die Stadt deshalb keine Chance hat, sich entwickeln zu können. Die drei Cumberland-Reiter wissen, dass sie jetzt stellvertretend für ein System handeln müssen. Und so wagen sie den Kampf mit Black Jim Buckmaster, über den sie zwar Wunderdinge
hörten, die jedoch schon Jahre zurückliegen und fast nur noch Legenden sind. Sie wagen den Kampf, weil sie selbst Kämpfer sind. Wären sie es nicht, so würden sie nicht zur Kernmannschaft der Cumberland-Ranch gehören, nicht zu jenen bevorzugten Reitern der Ranch, die Sonderrechte genießen und dreifachen Lohn erhalten. Oh, sie wissen genau, für was sie jetzt zur Waffe greifen. Sie wissen, dass es keinen Aufschub geben kann. Sie müssen jetzt und sofort für das System, dem sie dienen, handeln. Denn was Jim Buckmaster tut, ist eine Meuterei gegen die bestehende Ordnung im Land. Es ist ein Aufbegehren, ein Gegenanstemmen. Und wenn er damit durchkommt, könnte das der Anfang einer Lawine werden. Dann aber hätten es alle Cumberland-Reiter sehr viel schwerer. Und so ziehen sie ihre Waffen. Sie brauchen sich nicht einmal untereinander zu verständigen. Es ist alles so klar, und es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen, die sie so handeln lässt, als gehorchten sie einem geheimen Kommando. Sie ziehen schnell und glatt. Sie sind Revolverreiter, Cowboys mit einer besonderen Befähigung zum schnellen und genauen Schießen. Sie konnten sich als CumberlandReiter in dieser Schießkunst weiter ausbilden und vervollkommnen. Denn die Weidearbeit wird von
anderen Reitern verrichtet. Sie aber gehören zu den »Rittern«. Die Zuschauer im Saloon liegen längst in Deckung. Nur Louis Kettle und sein Revolvermann Hogan Earp, die in die hinterste Ecke neben dem Schanktisch getreten sind, beobachten wie gebannt, wie Jim Buckmaster zieht. Denn dieses Ziehen ist für sie nichts anderes als eine Offenbarung. Für Louis Kettle geht es darum, erkennen zu können, ob er richtig handelte, als er neutral blieb und keine Partei ergriff, obwohl die Cumberland-Reiter dies von ihm verlangten. Und Hogan Earp, der Revolvermann, bekommt endlich Aufschluss über Jim Buckmasters Revolverschnelligkeit, über die er ständig Vermutungen anstellte. Es ist eine unheimliche Schnelligkeit, so unheimlich glatt, präzise und fast wie Hexerei, wie das Zauberkunststück eines Hexenmeisters auf einer Bühne, der aus der Luft einen weißen Ball ergreift. Ja, so ist es! So sieht es aus für alle Zuschauer. Doch es ist kein Spiel, es ist keine Schaustellung von Zauberkunststücken. Es geht um Leben und Tod. Und nicht nur das! Es geht um die Zukunft des Landes! Es geht darum, ob ein Mann, der gegen
die Cumberland-Macht aufbegehrt, davonkommen kann – oder ob er gewinnt. Und das alles ist so schwerwiegend. Hogan Earp ist sicherlich der sachverständigste Fachmann, der mit offenen und scharfen Augen zusieht. Und was er sieht, jagt ihm einen Schrecken ein. Er hat bis jetzt geglaubt, mit Jim Buckmaster einen Revolverkampf wagen zu können. Jetzt weiß er, dass er Buckmaster im Ziehen niemals schlagen könnte. Und sicherlich auch nicht in der Treffsicherheit. Denn es ist unheimlich! Da zogen drei Revolverreiter gegen einen Mann. Doch dieser Mann ist ein ganz Großer in der Gilde der Revolverkämpfer, ein Mann, der den Tod in den Händen hält und vielleicht gerade deshalb all die Jahre zurückgezogen und bescheiden lebte und allen Kämpfen aus dem Weg ging. Obwohl Jim Buckmaster einen Sekundenbruchteil später zieht, schlägt er die drei Revolverreiter der Cumberland-Mannschaft. Er schießt dann zweimal, bevor sie selbst abdrücken können. Doch weil er zweimal traf, gibt es zwei Fehlschüsse.
Und der dritte Mann, der noch ungetroffen blieb, kann einen Schuss anbringen – einen Streifschuss, der sich über Jim Buckmasters Wange wie ein Peitschenhieb zieht eine blutige Strieme. Dann aber schießt ihn Jim von den Beinen wie die zwei anderen Burschen zuvor. Und er zuckt nicht einmal zusammen, als die Kugel wie ein Peitschenschlag seine Wange streift. Er steht dann breitbeinig da, in der Linken den rauchenden Revolver, den Ellenbogen fest gegen die Hüfte gedrückt, denn er schoss von der Hüfte aus, kaum dass der Lauf aus dem Holster war. Er schoss so sicher, als hätte er mit einem Gewehr sorgfältig über Kimme und Korn gezielt. Das ist einmalig. Es ist unheimlich. Und es ist unfassbar. Doch es ist noch nicht alles. Die Zuschauer begreifen es nicht gleich, doch dann wird es ihnen im vollsten Umfange klar, nämlich: keiner der drei Cumberland-Reiter ist tot. Jim Buckmaster verwundete sie nur. Sie hocken oder kauern am Boden, stöhnen oder fluchen gepresst und drücken sich die Hände gegen die Wunden. Einer wird jetzt ohnmächtig und streckt sich auf den Sägespänen des Fußbodens aus. Jim Buckmaster aber senkt langsam den Revolver. Es ist immer noch still. Jemand sagt
dann aus einem Winkel in diese Stille hinein, gepresst und wie stöhnend: »Du lieber Himmel, habt ihr das gesehen? Leute, habt ihr das gesehen? Er hat sie nicht einmal totgeschossen. Er hat diese drei Narren nur geritzt!« Nun, sie sind schon etwas mehr verwundet als nur geritzt, denn sonst würden sie gewiss weitergekämpft haben. Er hat sie in die Arme oder Schultern geschossen, sodass sie ihre Waffen nicht mehr halten konnten, zurückgestoßen wurden und deshalb selbst beim krampfartigen Abdrücken in eine völlig andere Richtung schossen. Doch sie kamen gnädig davon. Sie griffen ihn in dreifacher Übermacht an. Er aber erteilte ihnen nur eine Lektion. Es wird wieder still. In diese Stille sagt er: »Die Cumberland-Ranch soll aufhören! Habt ihr gehört? Sagt eurem Rancher, dass er aufhören soll! Mir wurde die Ranch abgebrannt. Und mir fehlen noch viele Pferde. Zuerst wollte ich fortgehen, denn ich wusste, dass ich auf Narren wie ihr es seid, schießen müsste. Doch dann habe ich es mir überlegt. Man hat geglaubt, ich wäre eine alte Tante geworden. Doch ich bin immer noch Jim Buckmaster. Das wollte ich mal klarmachen. Wenn die Cumberland-Ranch nicht aufhört, wird es wieder Tote geben. Doch ich weiche jetzt nicht mehr. Ich baue meine Ranch wieder auf, weil ich ein Recht darauf habe.«
Er wendet sich plötzlich scharf nach links, wo Louis Kettle und Hogan Earp in der Ecke hinter dem Schanktisch stehen. »Wie war das mit Virg und Kirby?«, fragt er. »Sagt mir jetzt endlich die Wahrheit, wie es mit Virg und Kirby war? Hat mein Bruder wirklich ohne Warnung zum Revolver gegriffen und Kirby Cumberland getötet, ohne ihm eine Chance zu geben?« Louis Kettle und Hogan Earp zögern. Doch Lily Long steht oben am Geländer neben der Treppe, wo es eine Galerie mit einigen Logen gibt, von denen aus man auf den großen Gastraum niederblicken kann. Lily Long spricht laut von oben nieder: »Kirby Cumberland wurde mehr als frech. Er beleidigte Ann Uvalde. Er sagte, dass Ann Uvalde außer Ihnen, Jim, auch noch andere Männer empfing und zu sich ließe. Und da schlug ihn Ihr Bruder aufs Maul, dass er unter die Tische flog. Und aus dieser Deckung hervor begann Kirby Cumberland auf Ihren Bruder zu schießen. Er traf ihn nicht. Die Kugeln stecken noch im Schanktisch. Dort kann man die Einschläge noch sehen. Es war Virg Buckmasters Recht und Notwehr, dass er endlich zurückschoss. Jedes Gericht würde ihn freisprechen. Louis Kettle! Und auch Sie, Hogan Earp! Seid doch keine Feiglinge! Sagt doch endlich die Wahrheit! Die Cumberlands sollen zum Teufel gehen! Es ist an der Zeit, dass sich in
diesem Land niemand mehr vor den Cumberlands fürchtet!« Es ist still. Dann seufzt Louis Kettle hörbar, und man begreift, dass er sich mühevoll zu einem Wagnis, zu einem Entschluss durchgerungen hat. Langsam sagt er: »Es war so wie Lily Long es sagt. Es ist so gewesen.« »Das kann ich beschwören«, meldet sich nun auch Hogan Earp. »Wenn es hier das richtige Gesetz gäbe, dem sich auch die Cumberlands unterordnen müssten, dann hätte Virg Buckmaster gar nicht zu flüchten brauchen.« Und damit ist alles vor Zeugen gesagt. Doch das macht die ganze Sache nur noch trauriger. Jim Buckmasters Stimme klirrt nur so vor Bitterkeit und Verachtung. Dann sagt er: »Aber mein Bruder ist verloren. Er ist nicht mehr zu retten. Er ist dort drüben jenseits des Pecos und kommt nicht mehr zurück. Und dies alles, weil ...« Er verstummt. Denn es hat keinen Sinn, den Leuten zu sagen, was sie ja selbst erkennen können und längst wissen. Jim Buckmaster geht hinaus. Und obwohl er sich am Frei-Imbiss-Tisch bedient hatte, verlangt Louis Kettle nicht von ihm, dass er für mindestens einen Dollar Getränke kauft. Das wäre auch dumm. Denn etwas Großes ist geschehen.
Ein Mann ist gegen die Cumberland-Macht aufgestanden. Und dieser Mann ist Jim Buckmaster, jener Jim Buckmaster, der für Jesse Chisholm geritten ist – kein gewöhnlicher Jim Buckmaster, sondern jener!
Als Jim aus dem Saloon kommt, stehen draußen viele Menschen und starren ihn an. Er aber fühlt sich ausgehöhlt und ausgebrannt. Blei scheint durch seine Glieder zu fließen. Er fühlt sich so müde und erschöpft. Seine Nerven drohen zu zerreißen. Jetzt merkt er, dass er nicht mehr jener junge, verwegene und wilde Bursche ist, der er war, als er für Jesse Chisholm ritt. Jetzt spürt er, dass er ein gereifter Mann wurde. Seine Revolverschnelligkeit und die Treffsicherheit sind noch vorhanden, denn sie sind angeboren, instinkthaft. Seine Linke ist unwahrscheinlich schnell und sicher. Er konnte damit als kleiner Junge schon eine Fliege im Fluge zwischen Daumen und Zeigefinger erwischen, ohne sie zu zerdrücken. So schnell ist seine Linke und so gut ist sein Auge. Er ist befähigt. Doch er spürt nun die Last der Verantwortung. Er hat seine Grundsätze. Und nun hat er einen Kampf begonnen, der noch viel größer werden kann. Was wird sein, wenn Big Boss Aharon
Cumberland ihn jetzt von Noel Marrs und der Cumberland-Mannschaft jagen und hetzen lässt? Dann wird er entweder flüchten müssen, irgendwohin, wo er aus der Sache entkommen kann – oder er wird um sich beißen müssen wie ein Büffelwolf, hinter dem die Hunde her sind. Das heißt, er wird immer wieder schießen und vielleicht auch töten müssen. Vor diesem Problem steht er jetzt. Wenn er daran denkt, möchte er es schon fast wieder bedauern, diese Sache begonnen zu haben. Er geht zu seinem Pferd, nimmt die Zügel und geht die Straße entlang. Dabei aber denkt er schon wieder daran, dass eines Tages – und vielleicht schon bald – vielleicht wieder einmal ein Bursche wie Virg durch die Art der Cumberland-Ranch dazu gezwungen ist, zu flüchten oder etwas zu tun, was ihn auf den falschen Weg bringen muss. Jim hört plötzlich, dass er angerufen wird. Er wendet den Kopf und erkennt Ann Uvalde. Er wäre mit seinem Pferd fast an ihr und ihrem kleinen Laden vorbeigegangen, ohne sie zu bemerken. Nun hält er inne und zieht seinen Hut, den er sich in Pecos Bend gekauft hatte. Er blickt zu Ann Uvalde hinüber, und es sind keine zehn Schritte bis zu ihr. »Ann, ich bin zurückgekommen, um zu kämpfen«, sagt er. »Vielleicht hetzen sie mich
bald, bis ich tot bin. Es hat keinen Sinn, Ann, dass ...« »Komm herein, ich werde dir etwas Essbares bereiten«, sagt sie ruhig, ganz ruhig und selbstverständlich. »Komm herein, Jim! Ich habe guten Kaffee. Ich habe auf dich gewartet. Komm herein, iss und ruhe dich aus.« Er steht einige Sekunden lang still da. Und dann spürt er, dass es gut für ihn wäre, wenn er in ihrer Stube sitzen und in ihrer Nähe sein könnte. Er nickt und bindet sein Pferd an. Dann folgt er ihr in den kleinen Laden. Seine Schritte sind schleppend und müde. Und er weiß schon jetzt, dass er bei Ann Uvalde Ruhe finden wird. Er wird in ihrer Nähe etwas spüren, woraus er Kraft schöpfen kann. Und als er sich an den Tisch setzt, seine Beine ausstreckt und sie ihm den Kaffee bringt, da spürt er wieder, dass sie eine gute Frau für ihn wäre, dass er sie liebt und dass alles so gut und prächtig sein könnte, wenn er nicht vor einem schlimmen Kampf stünde.
9 Big Boss Aharon Cumberland hört es zwei Stunden später, denn genau so lange braucht ein Reiter auf einem schnellen Pferd und wenn er das Tier scharf antreibt, von der Stadt bis zur Hauptranch. Aharon Cumberland hat schon am Vortag gehört, dass Jim Buckmaster ins Land zurückgekommen wäre. Aus diesem Grunde hat er seinen Vormann Noel Marrs von einem weit entfernten Vorwerk holen lassen, wo zurzeit das Zusammentreiben von Rindern durchgeführt wird, die jedes Jahr vom Indianerbüro für das Indianerreservat am San Taos Creek bestimmt sind. Der Boss der Cumberland-Ranch und sein Erster Vormann sitzen gerade im Büro beisammen und überlegen, was zu tun wäre, als sie die Nachricht bekommen, dass Jim Buckmaster mit drei Cumberland-Reitern gekämpft hätte, diese niederkämpfte und selbst dabei nur eine winzige Schramme abbekam. Der Bote berichtet alles ganz genau und ausführlich. Er bekommt dann ein ZwanzigdollarStück und geht wieder. Big Boss Aharon Cumberland aber sitzt ganz ruhig und unbeweglich hinter seinem narbigen Schreibtisch. Nur seine Augen leben, diese
kieselharten Augen. Denn sie glühen jetzt gelblich. Noel Marrs sagt nichts. Er wartet, doch in seinem Kopf reift indes schon ein Plan, der nicht ganz zufällig geboren wird, sondern das Produkt vieler Wünsche ist. Und diese Wünsche sind jetzt ganz klar in ihm, so als wären sie zuvor wie greifbare Dinge hinter Nebelschwaden verborgen gewesen und kämen jetzt ins Licht. Er sagt es plötzlich schlicht und klar, wie es seine Art ist. Er blickt seinen Rancher an und sagt: »Ich möchte mit ihm kämpfen! Ich möchte es mit ihm auskämpfen. Ich möchte ihn besiegen. Ich wünsche mir, ihn zu besiegen.« In seiner Stimme liegt mehr, als seine Worte es ausdrücken. In seiner Stimme kann man erkennen, dass er es sich von Herzen wünscht und es für ihn fast eine Lebensnotwendigkeit ist. Aharon Cumberland betrachtet seinen Vormann ernst. Doch er stellt keine Fragen nach dem Warum. Das ist nicht nötig. Er weiß, dass Noel Marrs sich früher sehr um Ann Uvalde bemühte. Und beim letzten Ball am Unabhängigkeitstag hat Ann Uvalde nur mit Jim Buckmaster getanzt. Es ist aber noch etwas anderes, was Aharon Cumberland begreift. Es ist die Tatsache, dass sein Vormann Noel Marrs keinen anderen ebenbürtigen Mann neben sich im Land duldet. Noel Marrs muss ganz einfach
feststellen, ob er Jim Buckmaster schlagen kann. Dies wurde immer zwingender für ihn. Und jetzt, da Buckmaster drei der Cumberland-Reiter besiegt hat, wird es für den Vormann zu einer unabänderlichen Notwendigkeit. Dies also begreift Aharon Cumberland. Er denkt über Noel Marrs' Verlangen nach. »Sicher«, sagt er dann, »es wäre nicht gut, wenn ich ihn von der ganzen Mannschaft jagen ließe. Es wäre eindrucksvoller, wenn ihn ein Mann der Cumberland-Mannschaft eindeutig schlagen könnte. Und überdies hat er meinen Sohn Ed getötet. Sein Bruder und er, sie töteten meine Söhne. Es ist ganz klar, dass ich ihre Skalps haben möchte – beide! Meine Tochter war Augenzeugin, wie Jim Buckmaster meinen Sohn Ed tötete. Ich könnte einen Sheriff auf ihn hetzen. Ich könnte verlangen, dass aus der CountyHauptstadt ein Sheriffsvertreter in unser Land geschickt wird und ihn verhaftet. Die Cumberland-Mannschaft könnte bei dieser Verhaftung helfen. Es wäre streng nach dem Gesetz. Und Reva müsste vor Gericht natürlich so aussagen, dass er schuldig gesprochen würde. Ich könnte auch meinen Einfluss darin ausüben, dass die Geschworenen in unserem Sinne ausgesucht werden. Das ginge alles zu machen. Ich könnte ihn ganz legal erledigen. Doch dies wäre zum ersten Mal, dass die Cumberland-Ranch zu solchen Hilfsmitteln greift. Bisher hat sie ganz
allein Autorität und Macht ausgeübt. Die harte Faust hat stets genügt. Und so will ich es noch einmal auf diese Art versuchen.« Er blickt seinen Vormann ruhig an. »Also gut, versuche es, Noel! Kämpfe mit ihm. Doch wenn du es mit den Revolvern versuchst, so wird er dich besiegen.« »Ich bin kein Narr«, sagt Noel Marrs. »Ich weiß, wie ich einen Mann wie Jim Buckmaster schlagen kann. Er könnte mich mit dem Revolver schlagen. Doch ich schlage ihn mit den Fäusten.«
Jim Buckmaster erreicht nach diesem bemerkenswerten Tag noch vor Mitternacht seine Ranch. Und er denkt auf dem ganzen Ritt nicht nur über seine Probleme nach – nein, er muss auch immerzu an Ann Uvalde denken, an ihre ruhige Selbstverständlichkeit und die Zuversicht, die sie ihn spüren ließ. Sie gab ihm auf eine geheimnisvolle und wunderbare Art seine innerliche Ruhe wieder. Er konnte Kraft schöpfen. Seine Bitterkeit wich aus ihm. Und das alles hatte sie mit wenigen Worten, die völlig andere Dinge betrafen, mit der Heimlichkeit ihrer Stube und jenen unsichtbaren Strömen vermocht, die von ihr zu ihm übergingen.
Er weiß nun, dass sie für ihn die Frau sein würde, bei der er immer wieder aufs neue Kraft schöpfen und Ruhe finden könnte. Als er seine Ranch erreicht, wird er sofort wachsam und fühlt nach dem richtigen Sitz seiner Waffe. Denn es brennt ein kleines Feuer, an dem zwei Männer sitzen. Und in seinen Corrals bewegen sich viele Pferde, viel mehr, als vorhanden waren bei seinem Wegritt. Die beiden Männer am Feuer sind ihm bekannt. Es sind zwei der benachbarten Siedler und Farm-Ranchers. Sie stehen wartend am Feuer, als er heranreitet, und weil er sich umsieht, entdeckt er, dass der ganze Brandschutt weggeräumt worden ist. All die Asche, die verkohlten Trümmer und Überreste wurden fortgeräumt. Er fragt sich, was dies zu bedeuten hat. Denn er hatte doch keine Arbeiter bestellt und niemanden um Hilfe gebeten. Als er anhält und absitzt, betrachten ihn die beiden Siedler aufmerksam. Auch er sieht sie forschend an, sagt jedoch nichts. »Wir sind schon den ganzen Tag hier«, sagt einer der Männer schließlich. Und er macht eine weite Armbewegung. »Auch all die anderen Leute waren hier, all Ihre Nachbarn, Mister Buckmaster. Fast alle haben einige Ihrer Pferde eingefangen, denn die Tiere streunten überall herum. Nun gut, als es sich herumsprach, dass Sie
wieder zurück wären und Ihre Pferde suchten, machten wir uns alle auf den Weg nach hier. Wir alle brachten Ihre Pferde mit. Sie sind dort in den Corrals. Und wir warteten auf Sie, Mister Buckmaster. Und weil uns die Warterei zu langweilig wurde, begannen wir den Brandschutt wegzuräumen. Wir waren ein Dutzend Männer, und da war das gar nicht so sehr viel Arbeit. Die anderen Nachbarn sind dann heimgefahren. Wir aber blieben hier, um Ihnen die Pferde zu übergeben und Ihnen zu sagen, dass die anderen Nachbarn morgen und übermorgen mit Baumstämmen herkommen. Jeder wird eine Wagenladung gerader und geschälter Fichtenstämme bringen.« Er macht eine erwartungsvolle Pause. Im Feuerschein kann Jim erkennen, wie sie beide grinsen, so als verspürten sie eine herzliche Freude. Verwundert fragt er schließlich: »Und warum tut ihr das? Ich bat doch überall nur, dass man mir meine Pferde bringen möge. Und ich wollte dafür eine gute Belohnung zahlen. Um mehr bat ich nicht. Warum helft ihr mir dabei, die Ranch wieder aufzubauen? Ich kann das doch nicht bezahlen. Ich kann ...« »Sie haben nichts zu zahlen, Mister«, spricht einer der beiden Männer schnell. »Es ist Nachbarshilfe«, sagt der andere Mann ernst.
Und dann sprechen beide, so als hätten sie es vorher einstudiert: »Wir freuen uns alle, dass Sie zurückgekommen sind und aushalten wollen, Jim Buckmaster!« Ja, sie sprechen es, als wäre es einstudiert. Doch es ist ganz gewiss rein zufällig. Und Jim Buckmeister begreift, was das bedeutet. Für all die Kleinen, die an Big Boss Aharon Cumberlands Grenzen und in seinem Schatten leben, wurde er zum Vorkämpfer. Sie, die doch all die Jahre den Druck und die Unduldsamkeit der Cumberland-Ranch aushalten und ertragen mussten, sehen in ihm den Vorkämpfer. Denn er ist kein gewöhnlicher Mann, er ist Black Jim Buckmaster, der mit Jesse Chisholm ritt. Für diese Siedler, Farmer und Drei-Kühe-Rancher ist er ein Großer, so wie damals ein furchtloser Ritter auch ein Großer für die Bauern war, damals in jener anderen Zeit in der Alten Welt, die sie oder ihre Väter verlassen haben, um in einem Land der Freiheit zu leben. Er ist Black Jim Buckmaster. Und wenn es der Cumberland-Ranch gelingt, ihn zu vertreiben, ihn fortzujagen, nun, dann können sie sich selbst keine Hoffnungen auf eine bessere Zeit machen. Dann müssen sie damit rechnen, dass es ihnen eines Tages und durch irgendwelche Umstände herbeigeführt ebenso ergehen könnte wie dem großen Jim Buckmaster.
Und deshalb wollen sie, dass er bleibt und aushält, dass er es auskämpft und somit vielleicht die Anfänge zu einer neuen Zeit schafft. Deshalb wollen sie ihm helfen. Indes er dies erkennt und darüber nachdenkt, sagt einer der Männer fast feierlich und beschwörend: »Jim Buckmaster, Sie werden unsere Hilfe annehmen, nicht wahr? Sie tun so sehr viel für uns und die kommende Zeit – so sehr viel. Vielleicht können Sie das nicht so sehen wie wir. Doch wir müssen Ihnen ganz einfach helfen, diese Ranch wieder aufzubauen. Sehen Sie, es könnte sein, dass auch eine unserer Siedlerstätten einmal zerstört wird, weil jemand von uns etwas tut, was der Cumberland-Ranch nicht gefällt. Und da würden die Nachbarn ebenfalls kommen und dabei helfen, alles wieder aufzubauen. Das ist so.« Jim steht lange da, hält den Kopf gesenkt und überlegt. Dann sieht er die Männer an und sagt langsam: »Ich bin sehr dankbar für diese Art von Nachbarshilfe. Ich werde sie annehmen. Doch ich verlange, dass man es mich wissen lässt, wenn ein anderer Mann unserer Gemeinschaft Hilfe nötig hat. Und ich verlange, dass ihr euch nicht in meine Kämpfe einmischt. Es könnte sein, dass die Cumberland-Mannschaft meine Ranch zum zweiten Mal niederbrennt und mich totschießt. Dann wäre es dumm von euch, euch auf meine
Seite gestellt zu haben. Ihr habt doch fast alle Frauen und Kinder, nicht wahr?« »Ich habe meine Mutter, meine Frau und deren Vater und sieben Kinder daheim«, sagt einer der beiden Männer. »Viele von uns könnten gar nicht kämpfen, weil sie nicht einmal die Waffen dafür hätten. Doch wir sind eine Gemeinschaft geworden. Sie haben es richtig gesagt, Jim Buckmaster.«
In den nächsten vier Tagen weicht all die Bitterkeit aus Jim, denn er erlebt die echte und gute Nachbarshilfe und erkennt, dass die menschliche Gemeinschaft nicht nur solche kleine Aufgaben zu meistern vermag, sondern durchaus in der Lage ist, größere Dinge zu bewältigen, wenn sie selbst nur groß genug ist. Jetzt sind sie nur wenig mehr als ein Dutzend Männer, die seine kleine abgebrannte Ranch wieder aufbauen. Doch was könnte alles vollbracht werden, wenn sie viele Dutzende oder gar Hunderte wären?! Jim denkt am Abend oder vor dem Einschlafen immer wieder daran. Er sieht so richtig vor seinen Augen die Bilder der Zukunft, wenn solch eine große Gemeinschaft erst richtig in Gang kommen würde, durch nichts bedroht und eingeschüchtert, ungehemmt und ohne Furcht.
Ein weites Land würde erblühen, auf dem jetzt nur wenige Rinder weiden. Felder, Äcker, Wege, Straßen und eine richtig kontrollierte Weidewirtschaft würde entstehen. Man würde Alfalfagras anbauen. Man würde Schulen, eine Kirche und ein Bürgerhaus bauen. Der rege Frachtverkehr würde das Land mehr an die Außenwelt anschließen. Und wenn ein solches Land richtig zur Blüte käme, so würde es für eine der Eisenbahngesellschaften interessant werden. Man würde eine Nebenlinie bekommen. Handel, Aufschwung, langsam ansteigender Wohlstand, Redlichkeit und Fleiß – dies alles wäre im Land. Jim muss in diesen Tagen immer wieder darüber nachdenken. Denn er lernt jetzt seine Nachbarn kennen, diese redlichen und fleißigen Menschen, die er bisher kaum beachtet hat, weil er ja von Geburt und Geblüt ein Cowboy, ein Rindermann und ein »Ritter« ist, der dann Pferdezüchter wurde, weil es sich so ergab, weil er zufällig einen herrlichen Hengst einfangen und zähmen konnte, der so trefflich als Stammvater einer Zucht geeignet ist. Doch dann bekam Jim die Macht einer großen und unduldsamen Ranch zu spüren. Und jetzt weiß er, was gut ist: nämlich eine redliche Gemeinschaft, in der jeder die gleichen Rechte hat und von der aus eine Ordnung ausgeht, die rechtlich ist.
Es ist nicht nur so, dass die Gesetze zum Schutze der Kleinen da sind. Denn vor dem Gesetz gibt es keine Kleinen und keine Großen. Vor dem Gesetz sind sie alle gleich. Und natürlich gibt es auch schlechte Kleine. Die Gesetze sind da, um die Gemeinschaft sauber und rechtlich zu halten. Denn solch eine Gemeinschaft ist Demokratie, ist die Republik. Ist sie nicht sauber und rechtlich, so sind es auch die Gesetze nicht, die sie durch ihre Diener erlässt. Nein, es darf keine Ausnahmen geben. Jim weiß dies jetzt mehr als zuvor. Und deshalb bereut er es nicht, den Kampf gegen die Cumberland-Macht aufgenommen zu haben. Er spürt jetzt die Kraft in sich, all diese Dinge, die er tun muss, auf sein Gewissen zu nehmen. Er wird sich zur Wehr setzen. Und wenn es Tote gibt – er wird dies auf sein Gewissen nehmen können. Denn er kämpft für sein Recht und ist damit ein Vorkämpfer. Die anderen Menschen hier, die kleinen Nachbarn – sie können nicht kämpfen. Sie sind zu schwach und haben kaum Waffen. Aber er kann es. Er ist dazu befähigt. Also wird er es tun. Wenn er gewinnt, wird die Gemeinschaft hier nicht länger im Schatten der unduldsamen Ranch leben. Sie wird wachsen, größer werden, aufbauen und sich ausbreiten. Dann wird man eines Tages Wahlen abhalten und nach den Gesetzen der Verfassung leben. Die
Gemeinschaft wird darauf achten, dass ihre Diener und Beamten redlich und treu ihre Pflicht tun. Und sie wird darauf achten, dass es Gerechtigkeit gibt für jedermann. Wenn dies vorher schon so gewesen wäre, hätte Virg nicht flüchten müssen. Die Zeugen hätten furchtlos die Wahrheit sagen können. Daran muss Jim immer wieder denken. Er fragt sich auch jeden Tag mehrmals, was sein Bruder Virg wohl tut. Und manchmal verspürt er den starken Wunsch, noch einmal über den Pecos zu reiten und Virg mit Gewalt aus dem Land der Banditen zu holen. Jetzt fühlt er sich schon sehr viel kräftiger, fast im Vollbesitz seiner alten Fähigkeiten. Die Tage haben ihm gut getan. Er hat sich mit jedem Tag unwahrscheinlich gut erholt und an Gewicht zugenommen. Die ständige körperliche Betätigung in der frischen Luft gab ihm alles wieder, was er durch die Krankheit verlor. Ja, er könnte Virg jetzt verprügeln, mit Gewalt dazu zwingen, ihm zu folgen. Er würde mit seinem Bruder fertig werden, obwohl Virg ein beachtlicher Bursche ist, der kämpfen kann. Aber es ist wohl zu spät. Virg müsste sich den Behörden stellen, wenn er neu beginnen wollte. Er müsste erst sühnen. Sonst wäre jede Chance, die er erhielt, ungerecht.
Aber Virg würde gar nicht zurückkommen und neu beginnen wollen. Und ganz bestimmt würde er sich nicht den Behörden stellen und sühnen wollen. Er würde gar nicht begreifen, dass er freiwillig für eine Schuld zahlen müsste. Nein, Jim schlägt sich den Gedanken aus dem Kopf. Am fünften Tage ist er dann wieder allein. Doch seine Ranch steht wieder. Das Blockhaus ist gut und solide um den Kamin gebaut, so wie es vorher war. Unter den Siedlern waren einige geschickte Handwerker, die mit Axt und Säge zaubern konnten. Auch der Schuppen und die Scheune stehen wieder. Einige Möbelstücke wurden hergebracht und andere neu angefertigt. Es kamen auch Tassen, Töpfe und Pfannen, Werkzeuge und viele notwendigen Dinge. Die Gemeinschaft der Nachbarn gab ihm alles, was er braucht. Und wenn er es manchmal nicht annehmen wollte, so sagten sie ihm, dass sie dies nicht nur bei ihm so machen, sondern schon bei den Peters und den Daniels so getan hätten, als deren Siedlerstätten von einer Apachenbande, die aus dem Reservat ausgebrochen war, niedergebrannt worden seien. Auch damals haben sie sich zusammengetan und geholfen, so gut sie es vermochten. Am fünften Tage ist Jim also wieder allein. Und beim letzten Lieht der sinkenden Sonne macht er noch einen Rundgang und betrachtet
alles. Oh, es gibt natürlich noch viel zu tun für ihn, doch er ist schon wieder aus dem Gröbsten heraus. Obwohl ihm noch mehr als zwei Dutzend Pferde fehlen, wird er doch noch einige Tiere verkaufen können. Und er hat von seinen Stuten etwa ein Dutzend Fohlen bekommen, die heranwachsen werden. Dadurch, dass er den Mut fand, zurückzukommen, hat er viel retten können. Und natürlich hat er auch eine Menge Glück gehabt. Er weiß, dass die Cumberland-Mannschaft noch ein Dutzend seiner Pferde besitzen muss. Es sind jene Tiere, auf denen die Cumberland-Reiter heimgeritten sind. Es handelt sich um erstklassige Tiere. Jim glaubt, dass diese Tiere irgendwo in einem Corral der Cumberland-Ranch sind. Doch er kann es nicht wagen, hinzureiten und die Herausgabe zu verlangen. Dass er bisher von den Cumberland-Reitern nicht angegriffen wurde, ist merkwürdig genug. Er schreibt es dem Umstand zu, dass er bisher nicht allein auf der Ranch war, sondern die Nachbarn bei sich hatte. Es waren auch zwei Frauen und einige größere Kinder mit hier, die all die vielen anderen notwendigen Arbeiten verrichteten, für die die Männer keine Zeit hatten oder nicht geeignet waren. Und am Abend und die ganze Nacht brannten große Feuer.
Jim überlegt, ob er diese Nacht Besuch bekommen wird. Er hat sich schon so seine Gedanken gemacht. Als er sich dann noch vor Einbruch der Dunkelheit sein Abendessen bereitet hat und gesättigt ist, bleibt er nicht länger in seinem neuen Haus, sondern nimmt seine Decken und geht hinaus. Er wird sich nicht im Haus überraschen lassen, um dort eingeschlossen zu sein wie ein Fuchs im Bau. Er geht hinüber zu den Corrals und dann ein Stück den bewaldeten Hang hinauf bis zu einer kleinen Terrasse. Von hier aus kann er zwischen einigen Bäumen hindurch auf seine Ranch blicken. Die Corrals sind genau unter ihm. Er kann sie mit seinem Revolver beschützen, und er bedauert in dieser Stunde sehr, dass sein Gewehr verbrannte und er sich in Corro keine Waffe kaufte. Mit einem Gewehr könnte er weiter schießen. Auch sind alle Gegner, die im Besitze von Gewehren sind, ihm auf größere Entfernung überlegen. Er legt sich auf der Terrasse zur Ruhe, schläft jedoch nicht ein, sondern liegt still da und beobachtet, wie die Sterne immer klarer werden und der Mond aufgeht. Wie ein blanker Silberdollar steigt er hinter den Bergen auf. Die Nacht wird klar und hell, still und strahlend. Dann beginnen die Coyoten von den Hügeln zu heulen, und drunten von der Ebene,
über die Virg damals auf Geromino zum Pecos flüchtete, klingt der Ruf eines Büffelwolfes, der von Texas her aus der Wüste herübergewandert ist. Doch er wird sich nicht lange an den Kälbern erfreuen können. Die Cumberland-Reiter werden ihn sicherlich bald mit heißem Blei oder mit Hilfe eines vergifteten Köder erwischen. Jim muss wieder an die Cumberland-Reiter denken, und er fragt sich einmal mehr, warum er bisher noch nicht angegriffen wurde. Dann aber vernimmt er den Hufschlag eines Reiters im Canyon. Es ist ruhiger und stetiger Hufschlag, so als hätte der Reiter keine besondere Eile. Jim fragt sich, wer ihn da besuchen kommt. Denn es muss sich um einen späten Besucher handeln. Wer sonst wohl würde so ruhig durch den Canyon geritten kommen und den Hufschlag seines Pferdes sorglos hören lassen, so als wäre er ein guter Freund. Jim erhebt sich aus seinen Decken und zieht auch seine Stiefel wieder an. Er nimmt den Revolver aus dem Holster, das er am Boden liegen lässt, und schiebt den Lauf der Waffe in den Hosenbund. Dann gleitet er etwas tiefer und hält am Stamm eines Baumes an. Die Corrals und sein Haus liegen nun noch etwas unter ihm, doch er könnte mühelos einen Stein gegen sein Haus oder in den Corral werfen.
Der Reiter kommt nun aus dem Canyon geritten und biegt um die Scheune herum. Jim erkennt ihn sofort. Auch wenn die Nacht nicht so hell wäre, diesen Mann würde er auch als Silhouette erkennen. So wie dieser Reiter dort sitzt nur einer im Sattel, breit, klotzig und auf einem sehr großen Pferd. Es ist Noel Marrs, der Erste Vormann der Cumberland-Ranch. Als Jim sich darüber klar ist, da begreift er auch sofort, warum Noel Marrs gekommen ist – ganz allein und offen, ganz wie ein Besucher, der Jim Buckmaster sprechen will.
10 Jim atmet langsam aus. Er bleibt dicht am Stamm des Baumes, und er weiß, dass Noel Marrs ihn bestimmt nicht im tiefen Schatten der dichten Zweige erkennen oder gar entdecken kann. Noel Marrs hält zwischen Haus und Corrals an. Er sitzt ab und stellt sein Pferd an den Wassertrog. Dann tritt er einige Schritte beiseite, stellt sich breitbeinig und mit in die Seiten gestemmten Fäusten hin und ruft laut in die Stille: »Buckmaster! Jim Buckmaster! Ich weiß, dass du bestimmt nicht in deinem Hause bist! Du wirst irgendwo ganz in der Nähe auf der Lauer liegen und mich vielleicht über Kimme und Korn anvisieren. Doch wenn du abdrückst, ist es Mord! Ich bin unbewaffnet. Ich habe meine Waffen am Eingang des Canyons abgelegt. Komm heraus, Jim Buckmaster, damit wir uns wie Männer unterhalten!« Jim zögert. Er denkt über Noel Marrs nach. Doch er findet nichts Widersinniges in dessen Verhalten. Was Noel Marrs jetzt tut, passt zu ihm. Es ist seine Art. Jim begreift, dass Noel Marrs mit ihm kämpfen will. Dass er nicht mit der Mannschaft kommt, beweist nur, dass Marrs ihn, Jim Buckmaster, als ebenbürtigen Gegner anerkannt hat, als einen Mann, den er selbst und eigenhändig schlagen muss, um sich und der Welt
beweisen zu können, dass er zu Recht der Erste der Cumberland-Ranch ist. Noel Marrs kommt, weil die CumberlandMannschaft drei Reiter verlor, deren Vormann er ist. Er kommt, weil er einen Jim Buckmaster nicht mit Hilfe einer Mannschaft schlagen will. Und sicherlich auch will er Big Boss Aharon Cumberland zeigen, was er für ein Kerl ist. Er mag noch viele andere Gründe haben, unbewusste und bewusste. Jim begreift, dass Noel Marrs gekommen ist, um für seinen Götzen zu kämpfen: die Cumberland-Ranch. Er will es allein tun, weil auch Jim allein ist. Doch er tut es nicht aus Ritterlichkeit, ganz bestimmt nicht! Er tut es allein deshalb, weil er nicht klein sein will, weil er der Mann sein will, der alle Feinde der Ranch mit der bloßen Faust erschlägt, ein Riese, der sich vor nichts fürchtet und der alles besiegen kann. Vielleicht meint er, so sein zu müssen und dies immer wieder beweisen zu müssen, weil er die Kraft ist, die die Cumberland-Ranch erhält. So ähnlich muss es sein. Jim spürt nun selbst einen starken Zwang. Er sagt sich zwar, dass dieser Mann ihm körperlich viel zu sehr überlegen ist und ihn wahrscheinlich in Stücke schlagen wird. Noel Marrs verkörpert wahrhaftig die Cumberland-Ranch. Er ist so groß und stark, so unbezwingbar. Ja, er ist die Faust der Cumberland-Ranch und noch mehr.
Wenn ich ihn schlagen könnte, denkt Jim, wenn ich ihn schlagen könnte ... Seine Gedanken machen halt wie vor einer Wand. Jim weiß nicht, was sein wird, wenn er diesen Mann schlagen könnte. Doch er weiß, dass er ihn schlagen muss, schlagen will. Dieser Noel Marrs ist jetzt die Verkörperung der Cumberland-Ranch für ihn. Er sieht es plötzlich so. Und so zieht er den Revolver aus dem Hosenbund, legt ihn wieder in eine Astgabel, wie er es schon einmal tat, und tritt hinaus aus dem Baumschatten ins Mondlicht. »Ich komme, Noel Marrs«, sagt er ruhig. »Und auch ich bin unbewaffnet. Ich komme, damit wir uns wie Männer unterhalten.« Noel Marrs erwartet ihn bewegungslos. Er blickt ihn nur eine Weile stumm an. Jim hält drei Schritte vor ihm an, und so stehen sie im Mondlicht und scheinen ein stummes Zwiegespräch zu halten. Doch schließlich räuspert sich Noel Marrs und sagt: »Wir verstehen uns gut, Jim Buckmaster, nicht wahr?« Auch Jim räuspert sich, nickt und erwidert: »Sicher, wir verstehen uns gut, Noel Marrs.« »Also weißt und begreifst du, warum ich selbst gekommen bin, um es mit dir auszukämpfen?« »Ich begreife es, Noel Marrs«, sagt Jim und nickt. »Du verspürst Zweifel in dir, Zweifel an
deiner Größe und deiner Stärke. Du weißt, dass ich zurückgekommen bin, um mich gegen die Cumberland-Ranch zu behaupten. Du hast darüber nachgedacht und bist auf die Idee gekommen, dass es sehr eindrucksvoll wäre, wenn du die Sache ganz allein mit mir regeln würdest.« Als er verstummt, schweigen sie beide. Dann murmelt Noel Marrs: »Ich will kein Vormann mehr sein, wenn du mich schlagen kannst. Ich bin der Erste der Cumberland-Ranch. Ich vertrete sie. Und sie musste einige Niederlagen hinnehmen. Zwei Cumberlands wurden getötet. Drei meiner Reiter wurden verwundet. Jetzt komme ich, Jim Buckmaster! Pass gut auf und kämpfe! Es wird ein Männerkampf sein. Und ich habe schon lange nicht mehr mit einem richtigen Mann gekämpft.« Nach diesen Worten senkt er den Kopf, schiebt die langen und gewaltig starken Arme vor und greift an. Jim gleitet und dreht sich vor diesem Angriff zur Seite, wie ein Torero vor einem angreifenden Stier. Es gelingt ihm, Noel Marrs zugleich auch über den Fuß stolpern zu lassen. Marrs fliegt zu Boden. Er knurrt wie ein Bär, rollt sich blitzschnell zur Seite, denn er rechnet damit, dass Jim Buckmaster nun mit aller Kraft nach ihm treten wird, so wie es in diesem wilden Land üblich ist. Hier kämpfen alle Lebewesen mitleidlos und bis zur Vernichtung des Gegners
miteinander. Hier kennt auch die Natur keine Gnade. Und so ist es auch gnadenlos, wenn zwei Männer miteinander kämpfen. Doch Jim Buckmaster tritt nicht zu. Er schnellt jedoch vor, als Noel Marrs sich erhebt. Er trifft ihn mit langen Schlägen rechts und links und dann mit einem Aufwärtshaken. Die Schläge sind auch für Jim sehr schmerzvoll, denn er schlägt mit aller Kraft, und der Schmerz zuckt durch seine Fäuste und Arme bis in die Schulterblätter. Er hat das Gefühl, als schlüge er gegen ein Denkmal aus Stein. Doch das Denkmal bewegt sich, knurrt und schnauft. Es wird von diesen Schlägen zwar durchgeschüttelt, doch nicht angeschlagen. Noel Marrs wirft sich plötzlich knurrend vor. Seine langen Arme umfassen Jim. Der kämpft sich wild und verzweifelt frei und benutzt die Hilfe des Knies dabei, das er hochreißt. Als er sich von Noel Marrs löst, gehen seine Hemden in Fetzen, das grüne Reithemd und das wollene Unterhemd darunter. Noel Marrs' starke Fingernägel reißen blutige Furchen in Jims Haut. Und Jim spürt in sich jäh eine wilde Panik! Er glaubt plötzlich nicht mehr daran, dass er Noel Marrs schlagen kann. Er hat ihn jetzt mehrmals mit aller Kraft und Härte getroffen. Andere Männer hätten Purzelbäume geschlagen und wären nicht wieder aufgestanden.
Doch Noel Marrs schwankte nur, knurrte nur und warf sich dann nach vorn. Nun folgt er Jim, dabei keucht er die Worte: »Kämpfe nur, mein guter Freund! Kämpfe nur! Ich versprach mir von dieser Sache einen richtigen Männerkampf. Enttäusche mich nur nicht, Buckmaster! Ich will stolz sein können auf diesen Sieg. Ich will es nicht bereuen müssen, eigenhändig mit dir gekämpft zu haben.« Sie umkreisen sich. Jims Panik und Furcht schwinden langsam. Er bekommt sich wieder unter Kontrolle und fragt sich, ob die kaum richtig verheilte Wunde wieder aufplatzen wird, wenn Noel Marrs voll mit der Faust darauf trifft. Als Noel Marrs wieder angreift, stürmt er ihm entgegen. Ihr Zusammenprall ist schlimm, und obwohl Jim zweimal rechts und links treffen kann, wird er dann von einer Faust, die als Schwinger von links kommt, einfach von den Beinen gefegt, so als hätte ihn ein Elefant mit dem Rüssel geschlagen. Er fällt über den Tränktrog, zieht instinktiv die Beine an und stößt sie Marrs, der sich über ihn werfen will, vor die Brust. Er stößt den schweren Mann von sich und bekommt dann zwei Sekunden Zeit, um die Wirkung des Schlages überwinden zu können. Sein Kopf wird wieder klar. Er sieht Noel Marrs wieder kommen, und so duckt er sich, taucht unter dessen Schwingern weg und rammt seinen Kopf in den Leib des
anderen. Er umfasst zugleich mit seinen langen Armen die Kniekehlen des Gegners, und so hält er ihn nicht nur auf, sondern bringt ihn zu Fall. Er glaubt einen Moment, dass er sich das Genick dabei bricht, so scharf und gemein schmerzt sein Nacken und zuckt der Schmerz sein Rückgrat entlang und bis in alle Glieder. Er spürt aber auch, dass sein Kopfstoß dem Mann die Luft nimmt und ihn sogar irgendwie zu lähmen scheint. Er fällt auf Marrs, der unter ihm auf den Rücken kracht. Und dann rollen und wälzen sie sich übereinander, schlagen, stoßen, würgen, zerren und fügen sich Schmerzen zu. Sie kämpfen mit Aufbietung aller Kräfte. Beide wollen die Entscheidung am Boden suchen. Sie haben alles vergessen, was es außer diesem Kampf auf der Welt gibt. Irgendwie befinden sie sich in jenem Urzustand, den die Zivilisation zwar in all den vielen Tausenden von Jahren verschüttete, der jedoch immer wieder frei und nackt zum Vorschein kommt, wenn zwei Männer wie Jim Buckmaster und Noel Marrs in einem Land wie diesem miteinander kämpfen. Es ist eine harte Auseinandersetzung jenseits der verwaltenden Ordnung, und beide Männer sind die Verkörperung von Kräften, die schon immer miteinander rangen, so lange die Menschheit besteht. Sie rollen gegen die Wand des Blockhauses, und jetzt sieht es so aus, als würde für Jim das
Ende kommen. Er liegt nämlich unter Noel Marrs, der keuchend und knurrend über ihm kniet, seinen Hals umfasst hält, ihm nicht nur die Luft abdrückt, sondern auch damit beginnt, seinen Kopf immer wieder gegen die Wand zu stoßen. Jim weiß, dass er es keine drei Male vertragen könnte. Er bäumt sich verzweifelt, versucht, sich zu drehen. Und es gelingt ihm, seinen Daumen unter den kleinen Finger einer der ihn würgenden Hände zu bekommen. In seiner äußersten Not wird er sich gar nicht richtig bewusst, dass er Noel Marrs den kleinen Finger bricht. Er begreift nur, dass Marrs wütend und schmerzvoll aufbrüllt und dass die würgenden Hände von seinem Hals genommen werden. Er stößt Marrs beide Fäuste unters Kinn und von sich herunter. Er kann sich von Marrs fortwälzen und auf die Beine kommen. Doch als er sich erhebt, dreht sich alles um ihn. Er kann nichts mehr sehen. Vor seinen Augen sind dunkle Nebel, und er weiß, dass dies vom Luftmangel verursacht wird. Er braucht Sauerstoff. Irgendwie ahnt er jedoch, dass sich Noel Marrs dicht bei ihm erhebt, schwankend verharrt und sich ihm dann nähert. Er selbst lehnt keuchend mit dem Rücken an der Wand, und es ist ihm, als wäre er nur ein mit Luft gefüllter Körper, aus dem die Luft jedoch entweicht, sodass er ganz schlaff und haltlos wird.
Es scheint alles aus ihm zu entweichen, sodass er glaubt, bald nur noch als erschlaffte Hülle am Boden zu liegen. Der Kampf am Boden hat ihn restlos erschöpft. Er ist ausgehöhlt, ausgebrannt, leer. Und er glaubt, dass er verloren hat. Sein Blick wird in diesem Moment jedoch klar. Die dunklen Schleier lichten sich. Er sieht wieder, dass er sich in einer hellen Mondnacht befindet. Er begreift, dass er mit dem Rücken an der Wand seines Blockhauses lehnt. Und er sieht Noel Marrs kommen. Oh, dieser Kampf hat auch den Vormann erschöpft, geschwächt und bis ins Mark ausgehöhlt. Auch dem Vormann fehlt es an Luft. Der Sauerstoffmangel schwächt ihn und lässt ihn einem Betrunkenen gleichen. Doch er kommt stur und beharrlich näher, schwankend und stolpernd, doch von einem Vernichtungswillen angetrieben. Sein Gesicht ist von Jims Fäusten schlimm gezeichnet, und Jim wundert sich darüber, dies jetzt so klar und wie unbeteiligt erkennen zu können. Er betrachtet Noel Marrs wie ein Zuschauer. Dann hält Noel Marrs vor ihm an, genau eine Armlänge entfernt. Er schwankt immer noch und keucht. Er stößt irgendwelche Laute aus, die wahrscheinlich Worte sein sollen. Vielleicht will er sagen, dass Jim jetzt endgültig erledigt ist. Doch es ist nicht zu verstehen.
Jim kann im Mondlicht deutlich sehen, wie Noel Marrs seine Rechte ballt, und wie er sie in Schulterhöhe zurücknimmt. Jim begreift, dass es eine rechte Gerade werden soll, die in Schulterhöhe wie ein Rammpfahl kommen wird. Jim betrachtet die riesige Faust staunend, so als ginge ihn das alles nur als Zuschauer etwas an. Er denkt: Er wird mir die Faust mitten ins Gesicht stoßen! Und dann erst schlägt in ihm etwas Alarm. Er sieht die Faust kommen und begreift endlich, dass er ausweichen muss. Es gelingt ihm, den Kopf seitwärts zu bewegen. Die Faust radiert an Wange und Ohr entlang und stößt mit aller Wucht gegen die Hauswand. Jim hört dicht neben seinem Ohr den Aufprall der Faust. Und dann erfasst ihn die Panik. Er stößt einen heiseren Laut aus und beginnt wieder zu kämpfen. Die wenigen Sekunden der Erholung taten ihm gut. Er weicht zur Seite aus und trifft dann den vor Schmerz aufbrüllenden Noel Marrs immer wieder. Seine Schläge sind weit hergeholt. Sie sind langsam. Doch Marrs kann ihnen nicht ausweichen. Seine Faust, die er sich an der Hauswand brach, muss ihm furchtbare Schmerzen bereiten, die seinen Arm lähmen.
Jim trifft ihn mehrmals unters Kinn und auf den Hals. Das nimmt Marrs die Luft. Er fällt ganz plötzlich um, so als hätte ihn eine unsichtbare Keule getroffen. Jim schwankt zur Hauswand und lehnt sich dagegen. Seine Knie knicken etwas ein. Er erträgt so seine Not und starrt dabei auf Noel Marrs' ausgestreckten Körper, spürt dabei eine dumpfe Furcht, dass sich Marrs erheben und den Kampf wieder fortsetzen könnte. Er weiß, dass er dann fortlaufen würde. Er könnte nicht länger standhalten. Er würde es einfach nicht länger mehr fertig bringen. Aber Noel Marrs bewegt sich nicht. Er bleibt am Boden liegen. Und Jims Not lässt etwas nach. Er verspürt plötzlich den heftigen Wunsch, seinen Oberkörper in den Wassertrog zu tauchen. Er glaubt, dass er sich dann besser fühlen wird. Und so geht er vorwärts, schwankend und taumelnd. Bei Noel Marrs hält er einen Moment inne und betrachtet ihn. »He, Marrs, kannst du nicht mehr?« Er fragt es keuchend und verspürt ungewollt einen Triumph, ein Glücksgefühl. Ja, es ist ihm, als wäre er einer Todesgefahr entronnen. Er stolpert weiter, erreicht den Wassertrog und taucht den Oberkörper hinein. Doch er hält es nicht lange aus, da er Luft holen muss. Aber er taucht zwischendurch seinen Oberkörper immer wieder in das kühlende Wasser. Es lindert seine
Schmerzen, erfrischt ihn, hilft ihm, seine Not zu überwinden. Als er sich etwas besser fühlt und sich umwendet, um nach Noel Marrs zu sehen, entdeckt er, dass er nicht allein ist. Reiter sind gekommen – mehr als ein Dutzend. Er erschrickt. Er glaubt, dass es die Cumberland-Mannschaft ist, die ihrem Vormann folgte. Er glaubt erschreckt, dass Big Boss Aharon Cumberland gekommen ist, um ihm die Haut abzuziehen, wie man so sagt, um ihn zu erledigen. Noel Marrs liegt immer noch am Boden, doch er hat sich etwas bewegt. Er liegt nun etwas auf der Seite. Von den Reitern aber tönt eine Stimme zu Jim herüber. »He, Bruder! Du hast ihn wahrhaftig geschlagen! Wir haben es gesehen! Wir haben die letzte Minute zugesehen. Das war ein gewaltiger Kampf! Wenn ich doch schon früher gekommen wäre. Dies hätte ich von Anfang an sehen wollen!« Jim, vor dessen Augen sich manchmal noch feurige Kreise drehen oder Nebel den Blick verdunkeln, begreift, wer zu Besuch gekommen ist. Er fühlt sich nur einen Moment lang erleichtert. Dann aber sagt ihm sein schon wieder folgerichtig arbeitender Verstand, dass sein Bruder Virg bestimmt nicht in guter Gesellschaft
ist und sicherlich auch nicht über den Pecos und in dieses Land gekommen ist, um nur seinen Bruder zu besuchen oder ein ehrenwertes Geschäft zu machen. Jim fühlt sich noch zu erschöpft. Er setzt sich auf den Rand des Wassertroges. So kann er seine zitternden Beine entlasten. Er wischt sich mit beiden Händen das Wasser aus Haaren und Gesicht. Sein ganzer Oberkörper ist ja nass, und die Fetzen seiner beiden Hemden hängen ihm über den Gürtel nieder. Er fragt sich, was sein Bruder und dessen Begleiter hier wollen. Und er braucht nicht lange zu warten. Die Reiter sitzen nämlich alle ab, binden ihre ziemlich müden Tiere an und begeben sich mit ihren Lassos zu den Corrals. Jim begreift, dass sich jetzt alles noch einmal wiederholt. Nur diesmal nimmt nicht die Cumberland-Mannschaft seine Pferde, sondern eine Banditenbande, zu der auch der eigene Bruder gehört. Und er kann nichts dagegen tun. Er ist restlos erschöpft. Sein ganzer Körper schmerzt. Er keucht immer noch nach Luft, so als wäre er zwanzig Meilen im Dauerlauf gerannt. Er kann gar nichts tun. Selbst wenn er jetzt den Revolver bei sich hätte, er könnte nicht viel damit anfangen. Seine Hände sind zerschlagen und schwellen an. Er kann seine Finger kaum
bewegen. Sein Blick ist noch nicht scharf und sicher genug. Er wäre auch mit einem Revolver in der Hand vollkommen ungefährlich und von jedem drittklassigen Revolverschwinger zu schlagen. Er sieht seinen Bruder Virg auf sich zukommen. Virg bleibt vor ihm stehen und blickt auf ihn nieder. »Du bist schon ein mächtig großer und harter Bursche, Bruder«, sagt Virg und schnalzt anerkennend mit der Zunge. »Du bist wahrhaftig ein ganz besonderer Kämpfer. Und jetzt weiß ich richtig, was Jesse Chisholm damals an dir hatte, als ihr mit zehntausend Rindern und fünf Dutzend wilden und hartbeinigen Burschen nach Kansas zogt. Du hast Noel Marrs geschlagen. Und das ist genau so, als hättest du die Cumberland-Ranch von ihrer stolzen Höhe gestoßen. Nun gut!« »Was – willst – du – hier, Virg?«, fragt Jim keuchend und hält seine Hände gegen seine schmerzenden Rippen. Virg wippt auf den Sohlen und hält seine Hände leicht gegen die Hüften gelegt. »Nun«, sagt er, »ich habe immerhin fünf Jahre für diese Pferderanch ohne Lohn gearbeitet. Nicht wahr? Ich habe hier einen Anteil. Oder nicht? Nun, ich bin gekommen, um mir meinen Anteil zu holen. Und ich beanspruche Geromino und etwa ein Dutzend Pferde. Dann sind wir quitt, Bruder! Weißt du, es ergibt sich gerade so, dass
wir erstklassige Pferde brauchen. Wir sind unterwegs, um einen Coup zu landen. Unser Fluchtweg ist lang. Und da kommen uns meine Pferde sehr gelegen. Meine Freunde werden mir die Tiere abkaufen. Und so bekomme ich für meinen Anteil an dieser Ranch eine hübsche Summe. Nur Geromino werde ich nicht verkaufen. Auf Geromino werde ich eines Tages als reicher Mann nach Oregon reiten und dort im großen Stil etwas beginnen, was ...« »Du bist ein Narr, Virg«, sagt Jim heiser, und er sieht nun bewusster, dass Virg einen Kreuzgurt mit zwei Revolverholstern trägt, die er an den Oberschenkeln festgeschnallt hat. Virg ist ganz in dunkles Leder gekleidet und wirkt sehr verwegen und piratenhaft, ganz wie ein Nachtfalke, einer jener Schattenhaften. Er lacht leise. »Jeder lebt auf seine Art und seine Weise«, sagt er. »Ich denke, dass du der Narr bist, Bruder! Aber wir haben uns in Pecos Bend schon getrennt und ...« »Wenn du mir Geromino nimmst, so betrachte ich das als Pferdediebstahl«, sagt Jim gepresst. »Ich warne dich, Virg! Ich streite nicht ab, dass dir an dieser Ranch ein Anteil gehört. Ich gebe zu, dass dir eine gewisse Anzahl der Tiere gehört. Doch nicht Geromino! Das weißt du genau! Und du weißt auch, wie wichtig der Hengst für meine Pferdezucht ist. Ohne Geromino ist diese Pferdezucht nur noch halb so viel wert. Du
ruinierst mich durch diesen Diebstahl. Lass es bleiben, Bruder! Oder ich werde dich wie einen Pferdedieb jagen! Hast du mich verstanden?« Virg gibt keine Antwort. Er wendet sich ab, geht zu seinem Pferd, nimmt es am Zügel und geht zu den Corrals. Er wirft dabei einige scharfe Blicke auf Noel Marrs, der immer noch am Boden liegt. Jim sieht Virg nach. Er kann im hellen Mondlicht erkennen, wie Virg sein Pferd wieder besteigt, in den Corral reitet und Geromino mit dem Lasso fängt. Er legt ihm dann ein Halfter an, das er aus der Satteltasche holte. Er kommt wieder herbeigeritten und bindet beide Pferde in der Nähe an. Auch die anderen Reiter versammeln sich. Sie sitzen alle noch auf den Tieren, auf denen sie kamen. Doch jeder hat ein gutes Tier an der Leine. Es ist klar, dass sie die ausgeruhten Tiere noch schonen wollen und dass die Beschaffung der frischen und erstklassigen Pferde ein Teil eines Planes ist. Einer der Reiter nahm sich Noel Marrs Pferd. Virg nähert sich Noel Marrs. Und dieser setzt sich plötzlich auf, so als wäre er schon lange wach gewesen und wüsste genau, was jetzt auf ihn zukommt. Auch Jim begreift es plötzlich. Er wird sich darüber klar, dass er seinen wilden Bruder nun
mit völlig anderen Maßstäben messen muss. An Virg ist alles anders geworden. Virg bleibt neben Noel Marrs stehen und hebt den Fuß. Er stößt Marrs gegen die Schulter, sodass Marrs zur Seite fliegt und wieder am Boden liegt. Marrs ist noch zu erschöpft. Sein Luftmangel ist viel größer als der von Jim. Ein kleiner Junge könnte ihn umstoßen. Er rollt sich auf Hände und Knie und kauert nun so. Dabei blickt er zu Virg empor, und es strömt ein stures und geduldiges Abwarten von ihm aus. Er weiß, dass er keine Chance hat und in Virg Buckmasters Hand ist. Virg könnte ihn jetzt mit einem Knüppel totschlagen, und er müsste es hinnehmen. Er ist zu ausgepumpt, zu erschöpft. »Bleib am Boden hocken«, sagt Virg zu ihm. »Bleib am Boden wie ein Riesenfrosch! Ich bin dir noch etwas schuldig, nicht wahr? Du hast mich sechzig Meilen weit bis über den Pecos gehetzt, nicht wahr? Viel hätte nicht gefehlt, dann würdest du mich erwischt haben. Nur meine jetzigen Freunde hielten dich im letzten Moment auf. Was hättest du dann mit mir gemacht, Noel Marrs? Wenn du mich bekommen hättest, was würdest du mit mir gemacht haben?« Noel Marrs nimmt die Hände vom Erdboden. Er richtet den massigen Oberkörper gerader auf. Er kniet jetzt vor Virg Buckmaster wie ein Sklave vor dem Herrn.
Doch er wirkt dabei nicht unterwürfig oder angstvoll. Man sieht ihm an, dass er dort so kniet, weil er nicht genug Kraft hat, um sich gegen Virgs Willen erheben zu können. Er keucht rasselnd dabei. Und seine gebrochene Hand schmerzt ihn wohl auch zu sehr, als dass er sich noch länger damit aufstützen konnte. Er blickt Virg keuchend an und reckt sein Kinn in die Höhe. »Ich hätte dich erledigt, du Hundesohn«, sagt er heiser. »Ich hätte dich erledigt«, wiederholt er nochmals. Virg betrachtet ihn eine Weile. Dann nickt er, zieht den Revolver aus dem linken Holster und wirft die Waffe genau vor Noel Marrs zu Boden. Dann tritt er langsam zurück und lüftet die Waffe im rechten Holster. Er lässt sie dann wieder los und hält die Hand griffbereit hinter dem Kolben. »Ja, du hättest mich erledigt«, sagt er etwas schrill. »Und ich hätte keine Chance gehabt. Doch ich bin nicht so wie du, Freund Marrs von der Cumberland-Ranch. Ich bin nicht so! Dort vor deiner Nase liegt ein Revolver. Nimm ihn und kämpfe! Oder du wirst auch keine Chance haben. Mister, mein Bruder ist ein Narr. Er hat dich nur verprügelt. Er vergaß, dass du wieder gesund werden und die Cumberland-Mannschaft wieder führen würdest. Doch du wirst sie nicht mehr führen, nie wieder!«
Es wird still. Die Zuschauer sind ruhig. Es sind harte Burschen, Geächtete. Sie kennen kein Mitleid. Sie lassen Virg gewähren, sind nur stumme Zeugen und Zuschauer. Was Virg tut, ist bestimmt in ihrem Sinne. Die CumberlandMannschaft ist ihr stärkster Feind diesseits des Pecos. Sie könnten sorgloser in dieses Land kommen, wenn sie die Cumberland-Mannschaft nicht fürchten müssten. Also begrüßen sie es sehr, dass Virg Buckmaster dem Vormann dieser Mannschaft ans Leder will. Die Ranch wird für diesen Vormann kaum einen Ersatz finden können. Ohne Noel Marrs ist die große und mächtige Ranch wie ein Riese, dem die rechte Faust abgeschlagen wurde. In die Stille hinein sagt Jim Buckmaster heiser: »Bruder, es ist so gut wie Mord! Noel Marrs kann jetzt nicht kämpfen. Du weißt ganz genau, dass du ihn schlagen kannst. Was du da tun willst, ist Mord.« »Ich bin wie er! Ich bin wie die CumberlandRanch! Ich zahle es zurück, auf die gleiche Art!« Virg sagt es schnappend scharf, und er meint damit, dass Noel Marrs und die CumberlandRanch ihren Gegnern oder jenen Leuten, die ihnen im Weg sind, auch nur solche lächerlichen Chancen geben. »Du kannst es nicht tun«, sagt Jim schärfer. Er erhebt sich vom Rand des Wassertroges. Seine
Beine tragen ihn wieder einigermaßen. Er will sich dem Bruder nähern. Doch einer der Männer, die zuschauen, erreicht ihn mit drei langen Schritten und hält ihn fest. »Nein, Jim Buckmaster«, sagt der Mann grimmig. Jim blickt ihn an. Es ist Jack Jocelyn. »Ich gebe dir was auf die Nase, wenn du stören möchtest«, sagt Jack Jocelyn ruhig, und es gibt keinen Zweifel, dass der Bandit es ernst meint. Jim kann also nichts tun. Er kann Noel Marrs nicht dadurch helfen, dass er sich etwas auf den Kopf schlagen lässt – wahrscheinlich einen Revolverlauf. Jim ist völlig machtlos. Und das weiß auch Noel Marrs. Denn er wendet jetzt den Kopf und blickt auf Jim. »Du kannst es nicht verhindern, Jim«, sagt er mühsam. »Doch ich erkenne an, dass du es versuchst. Du bist nobel, Jim! Anständig bist du! Ich bin dir nicht einmal besonders böse, dass du mich besiegen konntest. Es musste wohl alles so sein. Es steht alles in einem großen Buch geschrieben – schon vor der Geburt stand es dort eingetragen.« Er wendet sich Virg zu. »Pass auf, du Hundesohn«, sagt er. »Es mag sein, dass ich dich zu Unrecht jagte. Und es mag sein, dass es von mir verbrecherisch war, wenn
ich allen Burschen, die ich jagte, nie eine Chance gab. Doch ich tat es nur, weil es der CumberlandRanch dienlich war. Diese Ranch aber ist etwas, was größer ist als ...« »Du redest zu viel, Marrs«, sagt Virg Buckmaster kühl. »Hast du Furcht davor, den Revolver in die Hand zu nehmen? Ja? Dann begreifst du wohl endlich, was all jene armen Burschen in sich spürten, die du gejagt und zerbrochen hast, weil sie der Cumberland-Ranch irgendwie im Weg waren oder ...« » ... oder weil sie die Ranch bestohlen hatten«, vollendet Noel Marrs. »Doch ich furchte mich nicht – ich nicht!« Er nickt nach diesen Worten. Dann betrachtet er seine zerschlagene Rechte, die er mit aller Kraft gegen die Wand des Blockhauses stieß. Er brach sie sich, wurde kampfunfähig und verlor somit den Kampf. Er hätte damit rechnen müssen, dass Jim Buckmaster noch rechtzeitig den Kopf zur Seite nehmen würde. Er seufzt. Und dann greift er mit der Linken nach der Waffe, die vor ihm am Boden liegt. Als er sie in der Hand hält, beginnt Virg zu schießen.
11 Wenige Minuten später ist Jim Buckmaster allein – allein mit Noel Marrs, der wieder bewegungslos am Boden liegt, so als wäre dies alles nicht gewesen, sondern er läge noch so da, wie von Jim niedergeschlagen. Einen Moment glaubt Jim selbst an einen bösen Spuk, an einen Traum, an eine Bewusstlosigkeit, die ihm solch ein Erleben vorgaukelte. Doch dann riecht er den aufgewirbelten Staub, den die Reiter zurückließen. Er vernimmt auch noch den Hufschlag. Jim bewegt sich und fällt neben Noel Marrs auf ein Knie. Er ist sicherlich tot, denkt er, doch er untersucht ihn dann. Und zuerst will er es gar nicht glauben, doch es wird ihm klar: Noel Marrs lebt noch. Seine Wunden bluten. Also muss das Herz noch schlagen. Wie sonst könnte es möglich sein, dass der Pulsschlag Blut fließen lässt? Jim seufzt. Er reißt sich die Hemdreste aus dem Gürtel, öffnet Marrs' zerrissenes Hemd und beginnt, die Wundlöcher zu verstopfen. Doch er glaubt nicht, dass er Noel Marrs retten kann. Er könnte Marrs gewiss nicht in die Stadt zum Arzt schaffen. Seine Kraft reicht nicht aus dazu. Bis er aber den Arzt hergeholt hätte, würde eine noch längere Zeit verstreichen.
»Ich muss es aber versuchen«, murmelt er und müht sich noch eine Weile, die Wunden zu verstopfen. Als er glaubt, genug getan zu haben, nimmt er einige Hände voll Staub und drückt ihn auf die verstopften Wunden. Er hofft, dass der Staub zwar feucht vom Blut wird, doch eine Art Papppflaster werden wird. Was kann er sonst tun? Er besitzt keinen Verbandskasten. Als er sich nach Noel Marrs' Pferd umsieht, erinnert er sich, dass es von den Banditen mitgenommen wurde. Er erhebt sich dann schwankend und geht zum Corral. Eines seiner ihm noch verbliebenen Pferde kommt auf Zuruf zu ihm. Er klettert müde auf den nackten Rücken des Tieres. Es ist eine gute, zahme Stute. Er wird sie sogar ohne Halfter lenken können. Und so macht er sich auf den Weg nach Corro. Jeder Schritt des Pferdes tut ihm weh. Er glaubt jetzt, dass einige seiner Rippen angeknickt wurden. Er hätte allen Grund, Noel Marrs zu hassen. Doch er macht sich auf den Weg, um den Arzt zu benachrichtigen. Dieser Ritt wird schlimm für ihn. Es ist kaum zu fassen, dass er noch die Kraft dazu findet und dass er die Höllenpein erträgt, um einen Mann zu retten, der doch ganz gewiss sein Feind ist und dem er einen Teil der Schuld geben muss, dass sein Bruder Virg ein Bandit wurde. Jim denkt über seine Beweggründe gar nicht nach.
Es scheint ihm zu selbstverständlich, dass er so und nicht anders handelt. Dieser Ritt kommt ihm wie eine Ewigkeit vor. Manchmal, wenn seine Schmerzen zu schlimm werden, und er es wegen seiner Rippen nicht mehr wagt, Atem zu holen, möchte er aufgeben. Er möchte vom Pferd rutschen und sich ins Gras legen. Überall spürt er nun richtig die Schmerzen, wo ihn Noel Marrs' Fäuste wie Huftritte getroffen hatten. Auch sein Kopf schmerzt, so als müsste er zerspringen. Seine Nieren, seine Leber und sein Magen rebellieren, so, als steckten Indianerpfeile in ihnen. Es ist wahrlich ein schlimmer Ritt. Doch irgendwie schafft er es. Als er glaubt, schon tausend Jahre unterwegs zu sein, da sieht er die Lichter der kleinen Stadt vor sich in der Nacht. Da er endlich das Ziel vor Augen sieht, strömt noch einmal aus seinem tiefsten Kern Kraft in ihn. Seine Härte und die Zähigkeit reichen noch aus, um es ihm möglich zu machen, die Stadt zu erreichen. Es ist schon spät, schon gegen Mitternacht. Doch einige Männer treten aus dem Saloon, wahrscheinlich brachen sie gemeinsam auf, um heimzugehen. Sie stehen noch beisammen, um sich zu verabschieden.
Aber dann sehen sie den Reiter auf dem sattellosen und halfterlosen Pferd, einen halbnackten, blutenden, zerschlagenen und erschöpften Mann. Es sind Louis Kettle, Hogan Earp, der Bankier John Payne und der alte, graue und schweigsame Abe Buchanan, der hier Arzt ist, seinen Lebensunterhalt jedoch hauptsächlich dadurch verdient, dass nach seinem Rezept eine kleine Fabrik im Osten ein Mittel gegen Warzen herstellt und mit mehr oder weniger gutem Erfolg verkauft. Er bekommt fünf Prozent Anteil, und das reicht aus für ihn, um hier zu leben und ab und zu einen Kranken zu behandeln. Die Männer betrachten den Reiter. Endlich erkennen sie ihn als Jim Buckmaster. Und sie hören ihn sagen: »Auf meiner Ranch liegt Noel Marrs! Er wird sterben, wenn er keine ärztliche Hilfe erhält. Doc, Sie müssen sofort losfahren. Ich will nicht, dass Noel Marrs stirbt. Ich will es nicht, dass er so stirbt!« Nachdem er dies gesagt hat, fällt er vom Pferd.
Irgendwann erwacht er und erlebt sofort einen heftigen Schrecken, denn als er sich bewegen will, kann er es nicht. Er glaubt, steif und starr zu sein. Seine Muskeln gehorchen ihm nicht, sie schmerzen nur höllisch.
Und so liegt er erst einmal still da und versucht, alles zu begreifen. Es dauert einige Minuten, bis ihm alles klar ist. Er weiß dann endlich, dass er mit Noel Marrs gekämpft hat, dass er dann nach Corro geritten ist und mit den Männern vor dem Saloon noch gesprochen hat. Er weiß, dass seine Muskeln verkrampft und völlig starr sind, und das ist kein Wunder nach diesem Kampf. Er ist ein kranker Mann. Um seinen Oberkörper sitzt ein fester Verband wie ein Korsett. Dies alles erschüttert ihn nicht so sehr, denn es ist eine dumpfe Gleichgültigkeit in ihm. Doch diese Gleichgültigkeit wird jäh verändert, so etwa wie ein stiller Mittag durch einen Donner. Denn er begreift, in wessen Bett er liegt und in wessen Zimmer er sich befindet. Und für einen Moment wird er sehr wütend und böse. Diese Frauen, denkt er bitter und grimmig. Sie ergreifen von einem Besitz, wo und wie sie nur können. Zum Teufel, warum hat man mich nicht in ein Hotelzimmer gelegt? Warum hat Ann Uvalde die Idee gehabt, mich zu sich ins Haus zu nehmen und in ihr Bett legen zu lassen? Doch als die ersten zornigen Gedanken erst einmal gedacht sind, wird er vernünftiger. Auch öffnet sich die Tür. Ann Uvalde kommt aus ihrer kleinen Schneiderwerkstatt herüber. Sie trägt eine
hellblaue Schürze, in der vorn einige Stecknadeln mit bunten Köpfen stecken. Und um den Hals hat sie ein Maßband hängen. Als sie erkennt, dass Jim erwacht ist, hält sie kurz inne. Doch dann hebt sie das Kinn, tritt näher und blickt vom Fußende des Bettes auf ihn nieder. »Ich kann in deinen Augen Ärger erkennen«, sagt sie. »Es passt dir wohl nicht, dass du hier bei mir im Bett liegst? Aber ich habe Arbeit. Ich kann nicht immer zwischen meinem Laden und dem Hotel hin und her laufen. Es ist bequemer für mich, wenn ich dich hier habe. Und wer sonst hätte sich um dich kümmern können? Der Doc ist doch fort. Und niemand kümmert sich hier um einen kranken Mann, der so wirkt, als hätte er verloren. Ich werde dir jetzt eine kräftige Brühe bringen. Dein Magen wird sie hoffentlich vertragen können. Habt ihr euch mit armdicken Knüppeln geprügelt?« »Nein«, sagt Jim mühsam. Und dann lächelt er. »Du erinnerst mich an meine Tante Mary«, sagt er. »Die schimpfte auch immer und benahm sich wie ein Zankdrachen, wenn sie es besonders gut meinte und nicht sicher war, ob man ihre Güte nicht vielleicht doch als des Guten zu viel ansehen würde. Ann, ich danke dir! Ich will auch noch deine Brühe schlucken. Doch dann will ich aufstehen und ins Hotel ziehen. Ich will nicht, dass die Leute über dich reden, obwohl ...«
Er verstummt, denn ihm wäre fast etwas über die Lippen gerutscht, was er noch nicht sagen möchte. Doch eine Frau hat ein feines Gefühl und Gespür, wenn es darum geht, einen Mann festzunageln, der gewisse Hemmungen hat und den sie liebt und von dem sie spürt, dass er sie ebenfalls liebt. »Obwohl ...?«, fragt sie. »Sprich nur weiter!« »... obwohl wir eines Tages heiraten werden, wollte ich sagen«, murmelt er langsam. »Doch ich bin mir nicht mehr sicher, ob es gut wäre, dich zu heiraten. Du erinnerst mich an meine Tante Mary. Die war die Güte selbst. Meinem Onkel Jeff strickte sie wollene Unterhosen, obwohl Jeff sie nicht haben wollte, weil sie so kratzten. Und sie schimpfte den ganzen Tag, damit man nicht auf die Idee kommen sollte, sie wäre eine gute Frau. Sie dachte, wenn dies jemand erst erkennen würde, würde man sie ausnutzen. Sie kannte alle Kirchenlieder, und auch mein Onkel musste sie lernen, obwohl er gar nicht singen konnte. Er sang in der Kirche immer so falsch, dass der ganze Chor durcheinander geriet. Tante Mary aber gab nie auf, ihn alle Lieder zu lehren. Sie ...« »Ich will von deiner Tante Mary nichts mehr hören«, sagt Ann spitz. »Aber du kannst sicher sein, dass ich dir keine Unterhosen aus Wolle stricken werde. Und auch Kirchenlieder werde
ich dir nicht beibringen wollen, denn ich habe schon gemerkt, dass du so unmusikalisch bist wie dein Onkel Jeff es gewesen sein soll. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich dich überhaupt haben will, wenn ich dich an Tante Mary erinnere.« Nach diesen Worten rauscht sie hinaus. Doch als sie dann die kräftige Brühe und einige Biskuits bringt, hat sie ihre Schneiderschürze abgetan und auch nicht mehr das Maßband um den Hals hängen. Sie hat sich sogar frisch gekämmt, was auch notwendig war. »Soll ich dich füttern?«, fragt sie. »Oder hat das Tante Mary auch immer getan, wenn man Onkel Jeff so sehr verprügelt hatte, dass er in keinen Sarg mehr passte?« »Dazu kam es nie«, ächzt Jim und versucht, sich aufzusetzen, was ihm nach einiger Mühe unter starken Schmerzen auch einigermaßen gelingt. »Dazu kam es nie«, wiederholt er, »denn Tante Mary beschützte ihn stets. Sie war sechs Fuß groß und wog dreihundert Pfund. Mein Onkel Jeff aber war zwei Köpfe kleiner und wog wenig mehr als hundert Pfund.« »Du kommst dir wohl sehr witzig vor?«, fragt sie zornig. »Ist das so schön, wenn man so verprügelt wird wie du? Fühlt man sich danach so spaßig?« »Ich wurde nicht verprügelt«, sagt er ernst und versucht, den Löffel mit seinen steifen und zerschlagenden Fingern zu halten. »Ich habe Noel
Marrs geschlagen, und es war so schlimm, dass ich nie wieder mit ihm kämpfen, sondern vor ihm die Flucht ergreifen würde. Ich konnte ihn schließlich so zu Boden schlagen, dass er nicht wieder aufstand. Und ich fühle mich gar nicht zum Spaß aufgelegt.« Ann Uvalde hatte ihm das Tablett mit der Suppenschüssel auf die Bettdecke gestellt. Nun setzt sie sich auf den Bettrand und sieht zu, wie er mühsam den Löffel hält und ihn mit zitternder Hand zum Mund führt. »Du erinnerst mich an meinen Opa«, sagt sie schließlich sarkastisch. »Der ließ die Katze auch immer ganz zuletzt aus dem Sack. Willst du mir endlich erzählen, was sonst noch geschehen ist?« Jim erzählt es ihr, indes er seine Brühe löffelt. Er berichtet ihr alles und endet mit den Worten: »Ich bin also erledigt. Wenn Noel Marrs tot sein sollte, bin ich erledigt. Denn die CumberlandRanch wird denken, dass ich ihn getötet hätte. Verstehst du? Er hatte keine Waffe bei sich. Mein Bruder nahm seinen Revolver natürlich wieder an sich. Noel Marrs liegt dort und hat keine Waffe. Man wird denken, dass ich ihm keine Chance gab, dass ich zur Waffe griff, als er mich verprügelte und es für mich so aussah, dass ich ihn mit den Fäusten nicht besiegen konnte. Die Cumberland-Mannschaft wird mich aus deinem Haus schleifen, Ann, mein gutes Mädel. Und sie werden mich gewiss aufknüpfen. Sie nehmen das
nicht mehr länger hin. Sie haben durch uns Buckmasters die beiden Cumberland-Söhne und den Vormann Noel Marrs verloren. Das ist es, Mädel! Deshalb werden wir wohl nicht heiraten können. Was ich vorhin redete – von Tante Mary und so – nun, das war dummes Zeug. Gib mir einen Anzug von deinem Vater. Ich weiß, dass du noch einige Sachen von ihm im Schrank hast. Er hatte meine Statur. Also gib mir seine Kleidung. Das ist alles, was du noch für mich tun kannst, denke ich. Und es ist jetzt wieder so, wie es schon einmal war. Ich muss fort. Ich wollte kämpfen, aushalten! Doch es ist vorbei. Noel Marrs hat mich schlimm zerschlagen. Ich habe nicht einmal einen Revolver bei mir. Selbst wenn ich ihn hätte, ich könnte mit meinen zerschlagenen Händen ...« »Ich werde dir eine Schüssel mit heißem Wasser bringen«, unterbricht sie ihn. »Ich werde dir auch Glyzerin geben, damit du deine Hände massieren kannst. Sie werden davon etwas besser werden. Ja, ich bringe dir auch die Kleidung meines Vaters. Er war sein ganzes Leben lang ein leichtsinniger Bursche, ein Cowboy, der sich keine Sorgen machte. Und selbst als alter Mann kleidete er sich noch wie ein junger Cowboy.« »Er sah gut aus«, erwidert Jim. »Er wollte nie mehr sein als ein Cowboy, und vielleicht war das gut so. Vielleicht war er so glücklich.« Sie betrachten sich. Dann sagt sie hart: »Ich habe auch noch meines Vaters Waffen, einen
Revolver, ein Gewehr und eine Schrotflinte. Diese Waffen kannst du auch haben, Jim!« Er blickt auf seine Hände und den noch leeren Teller. »Die Schrotflinte werde ich gebrauchen können«, murmelt er. Sie nimmt ihm den leeren Suppenteller fort. »Vielleicht bin ich auch wie mein Großvater«, sagt sie. »Vielleicht lasse auch ich erst immer ganz zuletzt die Katze aus dem Sack. Doch ich muss es dir wohl sagen, bevor du es von anderen Leuten hörst. Es war gegen Morgengrauen, als eine Bande in die Stadt kam. Sie holten den Bankier John Payne aus dem Haus, gingen mit ihm zur Bank und zwangen ihn, den Geldschrank zu öffnen. Aber es war nicht sehr viel Geld da, nur etwa fünftausend Dollar. Die Bande verschaffte sich deshalb auch noch Einlass zum Store und zum Saloon. Sie schossen Louis Kettle und Hogan Earp zusammen und raubten die Kassen des Stores und des Saloons. Die Stadt war fast eine volle Stunde in der Hand einer Banditenbande. Und dein Bruder war dabei. Ich hätte es nicht für möglich gehalten. Diese Banditen sind einfach über den Pecos gekommen, haben die Stadt besetzt und ...« Sie bricht ab und macht eine müde Bewegung. »So weit musste es kommen«, sagt sie dann. »Es gibt in diesem Land keine andere Kraft oder Macht als die Cumberland-Mannschaft. Es gibt
kein anderes Gesetz als Big Boss Aharon Cumberlands Willen. Wir haben hier nicht einmal einen Hilfssheriff, und selbst wenn wir einen hätten, er könnte in der Stadt kein Aufgebot zusammenstellen, das den Banditen gewachsen oder gar überlegen wäre. Sie können ungestraft über den Pecos kommen und hier einige Geldschränke leeren. Sie fürchten die Cumberland-Mannschaft nicht mehr. Big Boss Aharon Cumberland aber trägt die Verantwortung. Er ist der Große. Er duldete nichts neben sich, keine Gemeinschaft der Kleineren, keinen Hilfssheriff, nichts! Damit übernahm er aber auch die Pflicht, dieses Land zu beschützen. Wer hier wie ein König regiert, muss wie ein König seine Untertanen schützen. Die Cumberland-Ranch wird erledigt sein, wenn sie die Banditen nicht aus dem Land halten kann. Was heute kurz vor Tagesanbruch geschah, ist der Beginn eines Umbruches.« Sie geht langsam hinaus. Jim versteht sofort, denn es ist ganz klar. Wenn die Cumberland-Ranch nicht mehr stark genug ist, die Banditen aus dem Land zu halten, dann wird sie die Hilfe des Gesetzes in Anspruch nehmen müssen. Sie muss das Gesetz ins Land rufen. Doch das bedeutet auch, dass sie selbst sich diesem Gesetz wird unterstellen müssen. Und das ist dann der Umbruch, die neue Zeit.
Jim Buckmaster siedelt eine gute Stunde später ins Hotel über und legt sich dort wieder hin. Den Leuten, die ihn sehen, entgeht es nicht, dass er eine Schrotflinte bei sich hat. Doch wenig später bekommt die kleine und so heftig erschreckte Stadt einen neuen Gesprächsstoff. Mit der Abendpost kommt nämlich ein Fahrgast in die Stadt, der einen Stern trägt. Es ist ein noch junger Mann, groß und sehnig, hartgesichtig und mit zwei hellen Augen. Dieser Mann hat eine weite Reise hinter sich. Denn es ist ein Hilfssheriff aus der Stadt Texico, die fast zweihundert Meilen nördlicher liegt und der dieses Gebiet verwaltungsmäßig untersteht. Dieser Sheriff mietet sich im Hotel ein Zimmer, und als er sich ins Gästebuch einträgt, liest er dort mit gerunzelten Augenbrauen Jim Buckmasters Namen. Er stellt daraufhin einige Fragen und geht dann zum Abendessen. Als er noch eine Zigarre geraucht hat, verlässt er das Restaurant und setzt sich in der Hotelhalle in die Ecke neben der Treppe. Er verbirgt sich hinter einer Zeitung und wartet. Als er die Zeitung gelesen hat, kommt Jim Buckmaster herunter. Er bewegt sich steif, schief und sehr mühsam, doch der Hunger treibt ihn herunter. Dieser Hunger ist ein gutes Zeichen, doch vielleicht hätte sich Jim Buckmaster das
Abendessen lieber aufs Zimmer bestellen sollen. Er hat zwar wieder die Schrotflinte bei sich, deren Läufe und der Kolben abgesägt sind, doch als er seinen Zimmerschlüssel an den dafür bestimmten Haken hängt, steht es sehr ungünstig für seine eigenen Interessen und sehr günstig für die des Sheriffs aus Texico. Er hört hinter sich eine kühle Texanerstimme sagen: »Ich verhafte Sie, Jim Buckmaster. Es wäre gut, wenn Sie sich damit abfinden könnten. Denn ich habe meinen Revolver schussbereit, Sie aber müssten sich mit der Flinte erst umdrehen. Ich schieße zwar nicht besonders gut, doch Sie könnte ich bestimmt treffen.« Jim blickt über die Schulter, und als er den Sheriff zwei Sekunden lang betrachtet hat, da weiß er, dass dieser sehr bescheiden ist und untertreibt, was die Schießkunst betrifft. Er will sich nicht totschießen lassen und hat auch nicht die Absicht, einen Gesetzesmenschen totzuschießen. Jim Buckmaster ergibt sich. Der Sheriff nimmt ihn mit hinauf auf sein Zimmer und schließt ihn dort mit Hilfe einer Handschelle an eine Sprosse des eisernen Bettgestelles an. Und weil Jim natürlich wissen will, aus welchem Grunde man ihn verhaftet hat, sagt es ihm der Gesetzesmann.
»Sie sollen Edson Cumberland erschossen haben. Die Cumberlands haben Anzeige wegen Mordes erstattet. Miss Reva Cumberland soll Augenzeuge gewesen sein, wie Sie ihren Bruder erschossen. Ich werde Sie mit der Morgenpost nach Texico bringen. Dort wird es dann eine Gerichtsverhandlung geben. Doch zuvor muss ich erst noch Miss Reva Cumberland vernehmen. Ich muss ihre Aussage zu Protokoll nehmen.« Jim liegt der Länge nach auf dem Bett, mit einem Handgelenk über dem Kopf an eine Strebe angeschlossen. Er fragt fast lässig: »Und wenn Miss Reva Cumberland aussagt, dass ich in Selbstverteidigung geschossen habe? Wenn sie aussagt, dass ihr Bruder erst mein Pferd tötete und dann noch weitere Schüsse auf mich abgab, von denen mich einer verwundete?« Der Sheriff zögert unmerklich. »Das kann nicht sein«, sagt er. »Mister Cumberland gab uns mit der Anzeige einen genauen Bericht. Und er kann sich doch dabei nur auf die Aussagen seiner Tochter gestützt haben, nicht wahr? Aber gut, ich will Ihre Frage beantworten, Jim Buckmaster! Wenn das Mädel Sie entlasten sollte, entfällt der einzige Augenzeuge gegen Sie, der umso mehr zu bewerten ist, als es sich ja um die Schwester des Getöteten handelt. Ich kann dann den Haftbefehl gegen Sie aufheben. Dann sind Sie frei. Und ich kann wieder heim nach Texico fahren.«
»Ich glaube, Sie werden hier eine Menge zu tun bekommen«, murmelt Jim. »Und vielleicht werden Sie sogar für immer hier bleiben, weil es an der Zeit ist, dass hier in Corro ein Deputy Sheriff seinen Sitz hat. Die Cumberland-Ranch hielt hier all die Jahre auf ihre Art Ordnung im Land, und es war keine gute Ordnung. Jetzt aber sieht es so aus, als könnte selbst diese Ordnung nicht mehr aufrecht erhalten werden, als brauchte auch die Cumberland-Ranch die Hilfe des Gesetzes. Gehen Sie mal durch die Stadt, Sheriff! Fragen Sie die Leute aus! Oder haben Sie schon gehört, dass die Bank ausgeraubt wurde?« »Die Leute sind sehr zurückhaltend und schweigsam zu mir«, sagt der Sheriff langsam. »Doch ich bin erst eine gute Stunde hier. Ich sah noch nicht sehr viele Leute.« »Ich habe Hunger«, sagt Jim. »Und Sie werden eine ganze Menge zu hören bekommen, Mister.« »Ich bin Bill Sherman«, sagt dieser. »Und ich werde Ihnen wohl etwas Essbares besorgen müssen. Wer hat Sie denn so verprügelt?« »Das war die rechte Faust der CumberlandRanch«, murmelt Jim bitter.
Er bekommt wenig später sein Abendbrot. Dann lässt ihn der Sheriff wieder allein. Er isst und schläft wieder eine Weile. Er könnte überhaupt
immer nur schlafen und liegen, so krank fühlt er sich. Es geht ihm wie einem Pferd, welches vom Reiter zu Schanden geritten wurde, und er kann nur hoffen, dass seine Natur noch stärker ist als die eines Pferdes. Er erwacht erst gegen Morgen, und er sieht, dass der Sheriff neben ihm auf dem Fußboden geschlafen hat. Jim fühlt sich besser. Seine Muskeln und Rippen schmerzen nicht mehr so schlimm. Er fühlt sich nicht mehr so wund und zerschlagen. Der Sheriff hat sich aufgesetzt und betrachtet ihn. »Ich habe allerlei gehört in dieser Stadt«, sagt er langsam. »Und all diese Dinge hören sich hier ganz anders an als in der County-Hauptstadt. Ich denke, wir waschen uns und gehen zum Frühstück. Wenn Sie mir Ihr Wort geben, dass Sie bis nach dem Frühstück ein folgsamer Gefangener bleiben, will ich Ihnen sogar das Armband abnehmen.« »Es stört sehr«, sagt Jim. »Und ich verspreche alles! Ich gebe mein Wort, Mister Sherman, dass ich brav sein werde.« Als sie dann später zum Frühstück im Restaurant erscheinen, werden sie von den anderen Gästen aufmerksam betrachtet. Jim hört, dass Louis Kettle getötet wurde und sein Revolvermann Hogan Earp schwer verwundet ist. Der Sheriff bringt ihn dann aufs Zimmer zurück und teilt ihm dabei mit, dass er noch in der
Nacht eine Nachricht zu den Cumberlands geschickt hätte und Reva Cumberland sicherlich bald eintreffen müsste. Das ist wenige Minuten später der Fall. Der Sheriff hat Jim wieder ans Bett geschlossen, als draußen auf dem Gang schnelle und leichte Schritte hörbar sind. Dann klopft es, und die Tür wird sofort geöffnet. Reva kommt herein, erregt und im Gesicht gerötet von einem schnellen Ritt, der ihr Haar zerzauste. Ihr rehlederner Reitrock ist mit flockigem Pferdeschweiß bespritzt. Und sie halt eine Reitpeitsche in der Hand. »Das ist ein Missgriff, Sheriff«, sagt sie herbe. »Mein Vater wollte von mir verlangen, dass ich ...« Sie verstummt, schluckt, bekommt sich unter Kontrolle und sagt dann schlicht und klar: »Ich werde zu Protokoll geben, dass mein wilder Bruder Ed diesen Mann da angegriffen hat. Ed schoss mehrmals auf ihn, als der Mann noch gar nicht bewaffnet war. Und ...« Sie berichtet alles genauso, wie es war. Der Sheriff hört aufmerksam zu und betrachtet das Mädchen nachdenklich, als dieses mit den Worten endet: »Mein Bruder wurde getötet, doch er hatte selbst schuld daran. Auch Virg Buckmaster war sicherlich schuldlos. Doch weil die Cumberlands nicht gerecht sind, musste er flüchten. Es wird Zeit, dass die Cumberlands endlich gerecht werden. Und ich will jetzt den
Anfang damit machen. Sie müssen Jim Buckmaster freilassen, Sheriff!« »Das werde ich tun, wenn ich Ihr unterschriebenes Protokoll an den Haftbefehl heften und damit die Anzeige Ihres Vaters gegenstandslos machen kann, weil es keinen Verhaftungsgrund gibt. Aber wird Ihr Vater mit Ihrer Aussage einverstanden sein, Miss Cumberland? Wird er nicht vielleicht der Ansicht sein ...?« »Es ist mir gleich, welche Ansichten mein Vater hat«, unterbricht sie ihn, und nun wirkt sie wieder sehr erregt. »Die Cumberland-Ranch muss endlich gerecht werden. Ich konnte nie etwas dafür tun. Doch jetzt habe ich endlich eine Möglichkeit!« Sie wendet sich an Jim. »Ich hörte schon«, sagt sie, »dass Virg bei der Bande war, die gestern die Bank ausraubte und dann auch noch die Geldschränke des Saloons und des Store plündern konnte. Es ist schlimm mit Virg! Er muss vollkommen den Kopf verloren haben und nicht mehr wissen, was er tut. Ich habe Mitleid mit ihm. Er ... er war ein so prächtiger Junge. Ich glaube, es hätte nicht mehr lange gedauert, und ich würde ihn sehr lieb gehabt haben. Vielleicht ...« Sie bricht ab und schüttelt den Kopf. »Er ist nicht zu retten«, murmelt sie. »Louis Kettle ist von der Bande getötet worden. Es war Mord und
Raub. Sie werden Virg hängen, wenn sie ihn erwischen, ihn und die anderen Banditen. Er ist verloren. Und die Cumberlands sind mit schuld daran. Ich kann es nicht ungeschehen machen. Ich glaube aber, dass wir Cumberlands jetzt untergehen. Ich sehe es kommen, dass wir am Boden liegen werden und niemand uns helfen wird, weil sie uns alle hassen. Sie mussten uns alle die Jahre hindurch zu sehr fürchten. Wir haben keine Freunde. Mein Vater muss die Mannschaft jetzt selbst führen. Man hat Noel Marrs auf die Ranch geholt. Der Doc war dabei. Noel Marrs lebte noch, als ich die Ranch verließ. Er hat einige Worte gesprochen. Er sagte, dass Sie ihn fair besiegt hätten. Er sagte, es wäre ein richtiger Männerkampf gewesen. Und Sie könnten nichts dafür, Jim Buckmaster, dass Ihr Bruder und die Banditen gekommen wären. Sie hätten damit nichts zu tun.« Sie verstummt und geht langsam zur Tür. »Ich glaube nicht«, sagt sie von dort, »dass mein Vater gegen Sie etwas unternehmen wird. Noel Marrs verdankt Ihnen vielleicht sein Leben. Ja, wenn er am Leben bleiben sollte, dann verdankt er es Ihnen. Sie haben gezeigt, dass Sie sehr menschlich, sehr nobel – ach, dass Sie so anständig sind! Mein Vater wird die Mannschaft jetzt selbst wieder führen müssen. Er glaubt, dass die Banditen jetzt immer wieder über den Pecos kommen werden.«
Sie nickt dem Sheriff zu. »Ich erwarte Sie im Schreibzimmer dieses Hotels.«
12 Es ist nicht sehr viel später, als Jim Buckmaster sich zum zweiten Mal von Ann Uvalde den Sattel holt, denn dieser wurde damals vom Mietstallburschen wieder zu ihr geschafft, nachdem Jim mit der Postkutsche nach Westen gefahren war. Er gibt Ann einen kurzen Bericht und endet mit den Worten: »Ich kann hier nicht in der Stadt herumlungern und den kranken Mann spielen. Ich muss zu meinen Pferden. Sie brauchen mich. Und es gibt auf meiner Ranch auch sonst recht viel zu tun.« Sie sehen sich eine Weile schweigend an. Dann sagt Ann Uvalde schlicht: »Ich werde in den nächsten Tagen hinaus zu dir kommen. Ich will mal nachsehen, ob es mir dort gefallen könnte. Am nächsten Sonntag komme ich hinaus.« Er grinst etwas schief, weil sein zerschlagenes und angeschwollenes Gesicht ein besseres Grinsen nicht zulässt. Und dann sagt er: »Das ist fein, Mädel. Ich muss unbedingt mit dir beraten, wo wir das Kinderzimmer anbauen. Es muss ja schließlich groß genug sein für ...« »Raus! Raus mit dir, Jim Buckmaster! Denn noch sind wir nicht verheiratet! Ich weiß noch gar nicht, ob es mir dort draußen überhaupt gefallen wird. Über ein Kinderzimmer zu sprechen, halte
ich noch sehr für verfrüht. Ich werde einige Vorhänge anbringen und auch Tischdecken und Bettzeug mitbringen. Sicherlich wirst du auch Geschirr und einige andere Dinge nötig haben.« »Du kannst dich ruhig schon bei mir einrichten«, sagt er und legt dann den Zeigefinger auf ihre kleine Nase. »Meine Tante Mary zwang meinen guten Onkel immer dazu, eine Nachtmütze zu tragen. Wirst du das von mir auch verlangen?« Da macht sie sich von ihm frei und streckt ihm die Zunge heraus. »Bäh!« Und da geht er. Er würde sie gerne geküsst haben, doch sein zerschlagener Mund ist für solche Annehmlichkeiten bestimmt nicht geeignet. Und überdies hat er ihr etwas vorgemacht und weiß genau, dass sie es begriffen hat. Seine Scherze um eine ernste Sache, die sich beide wünschen und die zwischen ihnen ohne Worte eine beschlossene Sache sind, sollten ihr den Abschied leichter machen. Denn wenn sie es auch beide wollen, wenn es zwischen ihnen nun auch beschlossene Sache ist, so sicher ist es noch nicht, dass sie das gewünschte Glück finden werden. Ann Uvalde kennt Jim Buckmaster zu gut. Sie kennt ihn zu genau. Sie weiß, dass er es nicht zulassen wird, dass sein Bruder raubt und mordet. Er kann seinen Bruder zwar nicht mehr retten.
Virg ist verloren. Seine Schuld ist schon zu groß geworden. Aber Jim Buckmaster wird sicherlich noch einmal über den Pecos ins Land der Banditen reiten, zu den Schattenhaften. Diesmal wird er nicht zum Bruder reiten, um ihn zu retten, ihn wieder unter Kontrolle und auf den rechten Weg zu bringen. Nein! Diesmal wird er ausreiten, um einen Wolf unschädlich zu machen. Dies ist seine Pflicht als Bruder und der menschlichen Gemeinschaft gegenüber. Ann Uvalde weiß es genau. Jim Buckmaster wird nur so lange warten, bis er körperlich wieder kräftig genug ist. Und so wird jener Sonntag, an dem sie zu ihm auf die Ranch fahren will, vielleicht das letzte Beisammensein zwischen ihnen sein. Aber vielleicht auch nicht! Und dafür will sie mit ganzer Kraft beten.
Da er sehr langsam reitet und unterwegs mehrmals anhält, wenn ihm die Seiten und all die inneren Organe, besonders seine Nieren, zu sehr schmerzen, erreicht er seine Ranch erst am späten Nachmittag. Doch es ist alles noch so, wie er es in jener Nacht verließ. Nur Noel Marrs ist nicht mehr da. Ein Mann erwartet ihn, und es ist ein Cowboy der Cumberland-Ranch. Dieser Cowboy sagt:
»Der Big Boss hat mich hergeschickt, damit ich für Ihre Pferde sorge, Jim Buckmaster. Der Big Boss hat gesagt, dass Sie, weil Sie nach Corro geritten wären, um den Arzt zu Noel Marrs zu schicken, keinen Schaden haben sollten. Das sagte der Big Boss, nachdem Noel Marrs ihm gesagt hat, dass Sie nobel waren, Jim Buckmaster. Die Cumberland-Ranch kann ebenfalls nobel sein. Auch Ihre Pferde, die wir damals ritten, als wir Ihren Bruder verfolgten, werden Sie morgen oder übermorgen zurückbekommen, soweit sich die Tiere noch in unseren Händen befinden. Dies soll ich Ihnen bestellen. Kann ich jetzt abreiten oder brauchen Sie noch meine Hilfe?« Der junge Cowboy betrachtet bei seinen Worten Jim Buckmaster mit einer Mischung von Respekt und Bewunderung. Jim schüttelt den Kopf. »Ich brauche keine Hilfe mehr«, sagt er ruhig. »Es wäre gut gewesen, wenn die Cumberland-Ranch früher schon so anständig und gerecht gewesen wäre. Dann wären viele Dinge nicht geschehen.« »Ich weiß – viele denken so«, murmelt der Cowboy. Er rückt an seinem verbogenen Hut und bewegt sich irgendwie nervös auf den Füßen. Und dann sagt er, so als müsste es heraus: »Die Mannschaft wusste, dass Noel Marrs zu Ihnen ritt, um es mit Ihnen auszukämpfen. Wir wussten es alle. Und wir rechneten es Noel Marrs hoch an,
dass er allein zu Ihnen ritt, um die Sache zu erledigen. Vielleicht dachten wir noch zu verdreht. Doch wir waren wütend, dass Sie drei unserer Jungens so zurechtgestutzt hatten. Wir fanden es richtig so, dass unser Vormann, unser bester Mann, sich auf den Weg machte, um die Schlappe wettzumachen.« Er macht eine kleine Pause, bewegt sich wieder auf den Füßen und kratzt sich hinter dem Ohr. »Aber dann haben Sie Noel Marrs geschlagen«, sagt er. »Noel Marrs hat es selbst zugegeben. Er hat gesagt, dass er einwandfrei geschlagen wurde. Und damit muss sich die Cumberland-Mannschaft zufrieden geben. Mister, ich soll Ihnen von den Jungens ausrichten, dass sie alles sehr bedauern und mit Ihnen keine Feindschaft haben wollen. Wenn wir uns in Zukunft irgendwo begegnen, so soll es keine Feindschaft mehr geben. Ed und Kirby Cumberland, das waren zwei Giftpilze. Wir wissen das genau. Und wir wissen jetzt auch, dass der Big Boss nicht unfehlbar ist und das System, das er errichtet hat, zusammenbrechen wird. Die Schattenhaften kamen auch in der vergangenen Nacht wieder über den Pecos. Sie stahlen der Cumberland-Ranch eine Rinderherde. Einer unserer Jungens war heute hier und erzählte es mir. Es gibt einen Rinderkrieg zwischen uns Cumberland-Reitern und den Viehdieben jenseits
des Pecos. Aber so stark sind wir nicht mehr. Natürlich werden wir kämpfen. Wir alle halten zum Big Boss – trotzdem! Doch wir können nicht überall sein. Und wenn wir überall sind, dann haben wir uns zu sehr zersplittert. Die Schattenhaften aber können immer in voller Stärke auftreten. Das ist das Problem. Und so werden wir diesen Rinderkrieg wohl verlieren. Denn wir bekommen nirgendwo Hilfe. Das ganze Land wird zusehen, wie die CumberlandMannschaft zerbricht und die Ranch erledigt wird. Wir können es den Leuten nicht einmal verdenken. Die Cumberland-Ranch war stets unduldsam, hart und dachte nur an sich. Sie beanspruchte mehr Weide, als sie nötig hatte, nur um die Siedler aus dem Land zu halten. Wir haben keine Freunde. Wir gehören zu keiner Gemeinschaft. Wenn es eine Gemeinschaft gibt, dann wartet sie ab und sieht zu, wie man uns erledigt. Wir haben über diese Dinge eine ganze Nacht in unserem Schlafhaus diskutiert. Nun gut, dies alles sollten Sie wissen, Jim Buckmaster. Vielleicht verspüren Sie nun eine gewisse Befriedigung. Auf jeden Fall wird Ihnen die Cumberland-Ranch keinen Kummer mehr machen.« Er wendet sich zum Corral, um sein Pferd zu holen. Doch er hält noch einmal inne und fragt über die Schulter: »Hat Noel Marrs gut gekämpft? Er ist unser bester Mann. Wir lieben
ihn bestimmt nicht. Doch wir achteten und respektierten ihn. Hat er gut gekämpft?« Seine Stimme klingt gepresst, und sicherlich fragt er im Namen der ganzen Mannschaft, für die ihr Vormann ein Gewaltiger war, der gleich hinter dem Vater im Himmel kam. »Wenn ich vorher gewusst hätte, was das für ein Kampf werden würde, wäre ich vor Noel Marrs fortgelaufen«, sagt Jim ernst. »Ich habe ihn gar nicht richtig besiegt. Er wurde wahrscheinlich nur durch Luftmangel bewusstlos.« Der Cowboy nickt. Dann geht er wortlos davon, sitzt auf und verlässt die Ranch. Jim ruft ihm nach. »Es gibt eine Möglichkeit, Bruder! Die Cumberland-Ranch muss das Gesetz um Hilfe rufen! Das bedeutet natürlich Unterwerfung. Doch die menschliche Gemeinschaft kann dann nicht tatenlos zusehen.« Der Cowboy gibt keine Antwort. Er verschwindet im Canyon.
Einige Tage vergehen, Tage, in denen Jim Buckmaster leichte Arbeit verrichtet und sein Körper sich erholt. Er überwindet allmählich die Folgen seines Kampfes. Einige Male bekommt er Besuch. Es sind Nachbarn, die bei ihm nach dem Rechten sehen. Und am zweiten Tag bringen zwei Cowboys der Cumberland-Ranch ein Dutzend seiner Pferde.
Sie berichten, dass die Schattenhaften aus dem Pecos-Land westlich des Flusses bis jetzt in jeder Nacht tätig geworden seien und die CumberlandMannschaft die ersten Verluste erlitten habe. Zwei Tote sollen darunter gewesen sein. Dann ist Jim wieder allein. Doch die Nachbarn, die ihn in den folgenden Tagen besuchen, wissen alle etwas zu berichten. Sie erzählen von den schattenhaften Reitern, die geschlossen und verwegen durch die Nacht und irgendwohin galoppierten. Sie berichten davon, dass Rinder durch die Nacht getrieben werden. Und manche hörten in der Ferne auch Schüsse. Es wird für Jim Buckmaster immer klarer, dass die Cumberland-Ranch immer ärger bedrängt wird und mit den Banditen um ihre Rinder kämpfen muss. Für Jim ist es auch ganz sicher, dass sein Bruder Virg maßgeblich an diesem Rinderkrieg beteiligt ist, schon allein deshalb, weil er sich an der Cumberland-Ranch rächen will, so wie er sich schon an Noel Marrs gerächt hat. Der fünfte Tag ist dann der Sonntag, an dem Ann Uvalde kommen will. Jim hat alles sorgfältig gesäubert und den Hof gefegt. Denn er möchte, dass es Ann hier gefällt. Irgendwie in seinem Kern hofft er inständig, dass alles einen guten Ausgang nehmen wird, dass er am Leben bleiben kann. Und dann wäre es schon
gut, wenn Ann sich hier wohl fühlen würde und bereit wäre, hier als seine Frau zu leben. Sie kommt dann viel früher, als er damit gerechnet hat. Sie kommt in einem leichten Wagen, den sie voll gepackt hat mit vielen Dingen. Noch vor Sonnenaufgang muss sie losgefahren sein. Sie hält an, wickelt die Zügel um die Bremse und betrachtet vom Sitz aus alles sehr kritisch. »Da ich ein sehr einfaches Mädchen bin«, sagt sie schließlich, »würde ich wohl für die erste Zeit damit zufrieden sein. Auf jeden Fall ist es mehr, als meine Mutter jemals hatte. Meine Mutter war stets froh, wenn sie dort, wo mein Vater gerade als Cowboy arbeitete, in der Nähe eine Arbeit finden konnte, mit einer Wohnkammer für sich und für mich. Es war manchmal ein recht erbärmliches Leben. Doch am Sonntag kam dann stets mein Vater gestiefelt und gespornt auf einem schönen Pferd angeritten, so als wäre er ein großer Rancher und hätte die Welt erobert. Meine Mutter liebte ihn trotz allem, aber es war ein erbärmliches Leben. Er wollte nie mehr sein als ein Cowboy. Und ein Cowboylohn reicht nicht für eine Familie. Jim, kannst du verstehen, dass ich es besser haben will? Ich will meinen festen Platz. Und meine Kinder sollen ein richtiges Heim haben. Dies hier, dies könnte ein Heim werden. Doch werden wir es ...« Sie halt inne und schluckt mühsam. »Es wird alles gut ausgehen«,
sagt sie. »Und ich habe tausend Dinge mitgebracht. Hilf mir abzuladen!« Er tritt an den Wagen und hebt sie herunter. Er ist schon wieder kräftig genug. Er kann es tun, ohne dass ihn die Rippen schmerzen. Dann küsst er sie. Und dann sagt er: »Ann, bevor wir anfangen, muss ich es dir sagen. Ich werde mir Geromino zurückholen. Und ich werde meinen Bruder einfangen und dem Gesetz übergeben, bevor er noch schlimmere Dinge verüben kann. Ich muss es tun. Ich kann nicht zulassen, dass ein Buckmaster raubt und mordet. Was ich tun will, ist gefährlich. Doch ich muss es tun. Es könnte sein, dass all unsere Wünsche nicht in Erfüllung gehen können. Du musst das wissen.« Sie nickt. Und dann küsst sie ihn. Schließlich laden sie alle Dinge aus dem Wagen. Und dann verwandeln sie die kahlen und schmucklosen Räume des Blockhauses. Ann kocht das Mittagessen. Und erst als sie gegessen haben, beim Kaffee sind und Jim eine Zigarette raucht, da berichtet Ann, dass der Hilfsheriff immer noch in Corro ist und Anweisung bekam, zu bleiben und dort sein Büro zu eröffnen. Die Anweisung sei am Vortag mit der Post gekommen, nachdem der Hilfssheriff fünf Tage zuvor einen Bericht nach Texico geschickt habe. »Wir haben also nun einen richtigen Gesetzesmann im Land«, sagt Ann. »Er versucht,
ein Aufgebot zusammenzustellen. Doch ich glaube nicht, dass er das schafft. Bisher hat nur immer die Cumberland-Mannschaft in diesem Land die Macht ausgeübt. Es wird niemand sein Leben riskieren, um ihr zu helfen. Alle Leute werden zusehen, wie sie zerschlagen wird und zerbricht. Ein Land wird frei werden. Die Stadt ist natürlich böse auf die Banditen, weil sie die Bank, den Saloon und den Store plünderten. Doch was die Banditen jetzt machen, dies versetzt viele Leute nur in Schadenfreude.« »Das mag sein«, murmelt Jim nachdenklich. »Doch es ist etwas falsch daran – ganz bestimmt!«
Es war ein schöner Sonntag, gut und prächtig für Ann und Jim. Manchmal vergaßen sie alle Sorgen, und immer dann, wenn sie an die Sorgen denken mussten, wenn sie spürten, dass dies vorerst nur ein einziger glücklicher Tag ist, dem vielleicht nie wieder weitere solche Tage folgen können, da scherzten sie besonders. Am Nachmittag spannt Jim Anns Wagen wieder an. Er sattelt sein Pferd und bindet es hinten an den Wagen. Dann hilft er Ann auf den Sitz, setzt sich daneben, nimmt die Zügel und fährt sie ein Stück des Weges. Sie begegnen einer Siedlerfamilie, die in der Stadt war und wechseln einige Worte.
»Dieser neue Sheriff – er sucht Männer für ein Aufgebot«, sagt der Siedler. »Doch er findet niemanden. Nur dieser Hogan Earp, der nur leicht verwundet wurde, damals, als die Banditen die Saloon-Kasse ausräumten, hat sich zur Verfügung gestellt. Er will es den Schattenhaften wohl heimzahlen. Sonst wird sich gewiss niemand melden, um mit dem Sheriff zu reiten.« »Das ist falsch«, murmelt Jim. »Dieser Sheriff vertritt das Gesetz. Und dieses Gesetz ist nur so stark wie die menschliche Gemeinschaft, für die es die verwaltende Ordnung sein soll. Es ist nicht richtig, dass der Sheriff ohne Hilfe bleibt. Denn dem Gesetz müsste sich auch die CumberlandRanch unterordnen. Also wäre es nur gut, wenn es so stark wie nur möglich wäre.« Er verstummt sehr ernst und nachdenklich, und die Siedlerfamilie, zu der schon zwei fast erwachsene Söhne gehören, starrt ihn staunend an. »He, würden Sie denn dem Sheriff helfen, Jim? Würden Sie mit dem Sheriff reiten und die Banditen bekämpfen, die ...« »Einer dieser Banditen hat mir meinen wertvollsten Hengst gestohlen«, erwidert Jim. »Ich bin deshalb befangen, nicht wahr?« Er grüßt und fährt mit Ann weiter. Er bringt sie bis dicht an die Stadt heran. Dann nimmt er Abschied von ihr. Und wie immer bewundert er die Kraft dieses Mädchens. Denn sie jammert
nicht, wie es so manche Braut getan hätte. Sie versucht auch nicht, ihn umzustimmen. Nein! Sie sagt nur: »Viel Glück, Jim! Ein Mann muss tun, was er für richtig hält. Viel Glück! Ich werde immer auf dich warten!« Dann fährt sie weiter. Er bleibt zurück und schaut auf die sinkende Sonne und das Mädchen mit dem Wagen, die bald nur noch ein kleiner Punkt im roten Sonnenlicht sind. Dann wendet er das Pferd und reitet zurück. Die dunklen Schleier der Nacht ziehen ihm entgegen. Die Sterne leuchten schon, als er seine Ranch erreicht. Beim Wassertrog vor dem Haus steht ein Pferd. Dann ruft eine Stimme: »Jim, jetzt brauche ich Ihre Hilfe! Jim, ich bin es, Reva Cumberland!« Er reitet näher und sieht auf das Mädchen nieder. Sie saß vor dem Haus auf der Bank und hat gewartet. Nun tritt sie zu ihm und streichelt sein Pferd. »Mein Vater wurde in der vergangenen Nacht verwundet, als er einige Viehdiebe verfolgte. Wir hielten es bis jetzt geheim, denn wenn es sich herumsprechen sollte, dass Big Boss Cumberland ebenfalls ausgeschaltet wurde und die Mannschaft nun völlig ohne Führung ist, dann werden die Banditen nicht mehr schattenhaft in
den Nächten durch unser Land reiten, unsere Herdenwächter überfallen und Rinder über den Pecos treiben. Dann werden sie am Tag kommen und den Kampf suchen. Sie sind in der Überzahl, und die Cumberland-Mannschaft ist ohne Hilfe.« »Das musste eines Tages so kommen«, erwidert Jim und gleitet aus dem Sattel. »Manchmal zerbricht etwas, was so sehr groß und mächtig erschien, so schnell, dass man sich wundern muss. Die Cumberland-Ranch bedeutet Macht und Stärke. Doch die Banditen wurden stärker. Es gibt hier für sie dreißigtausend Rinder zu erbeuten. Da sie für jedes Rind mit einem Betrag von zehn Dollar rechnen können, sind das dreihunderttausend Dollar. Und überdies zerstören und zerbrechen sie etwas, wovor sie die ganze Zeit Respekt hatten.« »Wollen Sie uns nicht helfen, Jim?«, fragt Reva Cumberland, als er verstummt und sie sich einige Atemzüge lang schweigend gegenüber standen. »Wollen Sie uns nicht helfen, Jim?«
13 Er denkt über ihre Bitte nach. Ja, es ist keine Frage, sondern eine Bitte, dies ist sofort klar. Reva Cumberland steht dicht vor ihm. Im Mondlicht kann er sie gut betrachten. Sie wirkt sehr rassig und apart, doch auch sehr beherrscht und sehr stolz. Sie ist zwar gekommen, um ihn um Hilfe zu bitten, doch an ihrer stolzen Haltung erkennt er, dass sie nicht aus Eigennutz so handelt. Es geht ihr wahrscheinlich nicht um die Cumberland-Ranch. Dies glaubt Jim nun zu ahnen. Er fragt langsam zurück: »Warum sollte ich das tun? Warum sollte ich Big Boss Aharon Cumberland zu Hilfe kommen?« »Nicht ihm«, erwidert sie schlicht. »Nicht uns von der Cumberland-Ranch. Es geht um mehr, Jim, und das wissen Sie genau. Warum sind Sie zurückgekommen, um hier auszuhalten und Ihre Rechte zu vertreten? Warum kamen Sie zurück, nachdem Sie schon geflüchtet waren? Und warum holten Sie den Doc für Noel Marrs? Warum haben Sie hier wieder aufgebaut? Oh, Sie wissen ganz genau, dass Sie jetzt etwas tun müssen, Jim Buckmaster! Wer sonst sollte es? Wer sonst? Hören Sie, Jim! Die CumberlandMannschaft wird Ihre Befehle annehmen und ausführen! Und sicherlich werden auch all die anderen Leute in diesem Land unter Ihrem Befehl
reiten, all die Nachbarn, die Ihnen diese abgebrannte Ranch wieder aufbauen halfen. Und in der Stadt werden sich dann Männer für das Sheriffsaufgebot melden. Jim, Sie und der Sheriff, Sie könnten ein großes Aufgebot in den Sattel bringen. Denn wenn Sie gegen die Banditen reiten, dann wird man es im ganzen Land begreifen, dass es nun zu einem Umbruch kommen muss! Entweder werden in Zukunft die Banditen anstatt der Cumberland-Ranch in diesem Land herrschen, oder die menschliche Gemeinschaft trägt einen Sieg davon und wird dadurch zur maßgebenden Kraft, von der aus die Ordnung ausgehen kann. Das ist die Chance, Jim! Ich habe darüber nachgedacht. Und ich sprach mit meinem Vater darüber. Jim, ich habe Sie nicht nur aus Gerechtigkeit davor bewahrt, als Mörder verfolgt und verhaftet zu werden. Nicht nur der Wahrheit und der Gerechtigkeit wegen tat ich es. Sie sind Black Jim Buckmaster, den man in Texas als Helden verehrt. Sie taten schon für Texas eine ganze Menge. Nun gut, jetzt tun Sie es für dieses Land hier.« Sie verstummt sehr beherrscht, überhaupt hat sie sich fest in der Hand. Sie ist ein kluges und kühles Mädel. Jim begreift plötzlich, dass sie ihrem Vater sehr viel ähnlicher ist, als es ihre Brüder je waren. Dieses Mädchen hat viel von Big Boss Aharon Cumberland, aber auch viel Weiblichkeit, Duldsamkeit, Güte und Wärme. Sie
ist zwar keine zweite Jungfrau von Orleans, doch irgendwie erinnert sie daran. Und nun steht sie vor Jim, blickt ihn an und wartet. Jim überlegt eine Weile. Er denkt darüber nach, warum er zurückgekommen ist. Ja, es ist wirklich kein Unterschied dabei, ob er gegen die Cumberland-Mannschaft oder gegen die Banditen kämpfen muss, denn in der Bedrohung lösen sie sich nur ab. Und dass Reva Cumberland hier ist, bedeutet, dass die Cumberland-Ranch sich nun unterwirft, dass sie die menschliche Gemeinschaft um Hilfe bittet. Jim begreift, dass, wenn sie die Banditen schlagen können, eine völlig neue Ordnung im Land beginnt. Und dieses wollte er ja durch seine Rückkehr und seinen neuen Anfang ja anstreben. Also ist es nur richtig, wenn er jetzt dafür kämpft. Er legt seine Hände auf die Schultern des Mädchens. »Die Cumberland-Mannschaft soll alle Weidehütten und Vorwerke verlassen und aufgeben. Alle Reiter sollen in Gruppen aus dem Land reiten, auf ausdauernden Pferden, gut bewaffnet und mit Proviant für eine ganze Woche. Sie sollen sich übermorgen bei den Santa Rosa Caverns einfinden. Ich werde zu allen Nachbarn reiten und versuchen, ein Aufgebot
aufzustellen. Dem Sheriff kann ich nicht helfen. Er muss es selbst in der Stadt versuchen. Er muss mit jedem Mann reden, den er gerne hinter sich im Aufgebot hätte. Sagen Sie es dem Sheriff, Reva! Sagen Sie ihm, dass er jedem Mann, den er anwerben möchte, davon vertraulich Mitteilung machen soll, dass sich zwei Aufgebote sammeln und das Sheriffsaufgebot das dritte sein wird. Dann werden vielleicht einige Leute aus der Stadt mitmachen und sich nicht ganz so fürchten. Wir treffen uns alle bei den Santa Rosa Caverns. Ich bin sicher, dass die Gesetzlosen jenseits des Pecos davon Nachricht bekommen werden. Denn sie haben ganz gewiss Spione und Zuträger überall. Aber ich werde dann das vereinigte Aufgebot irgendwohin führen und von irgendwoher wieder auftauchen. Das ist es, Reva!« Sie nickt. »Ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht, Jim«, murmelt sie. »Warum konnte Virg nicht so bleiben, wie er war? Es würde doch nun alles gut werden können für ihn, wenn er sich nicht selbst den Weg zurück verbaut hätte. Es ist so schlimm! Er war solch ein prächtiger Junge. Ich hatte ihn schon so gern, dass ...« Sie verstummt, wendet sich ab und tritt zu ihrem Pferd. Jim hilft ihr in den Sattel. Sie sagt noch: »Ich werde einen unser alten Pferdepfleger zu Ihnen schicken, Jim, damit er sich hier um Ihre Tiere kümmern kann.«
»Er soll einen Wagen mit Sätteln, Waffen und Munition mitbringen«, sagt Jim. »Ich werde fast allen Nachbarn, die mit mir reiten wollen, Sättel und Waffen borgen müssen. Es sind arme Leute.« Das Mädchen nickt, und sie blickt eine Weile nachdenklich auf ihn nieder. Es wird ihr klar, welche Verantwortung er auf sich nehmen muss. Es wird ihr jetzt erst richtig klar. Denn das Aufgebot, das er führen will, wird vielleicht Tote und Verwundete haben. Er aber wird die Befehle geben. Und damit trägt er die Verantwortung. Sie sagt plötzlich sanft: »Du bist mir doch nicht böse, Jim, dass ich dies alles von dir verlangte, dass ich zu dir kam und ...« »Nein, Reva«, sagt er. »Es ist schon in Ordnung so. Es muss sein, denke ich!« Sie nickt und bewegt sich im Sattel. »Ann Uvalde ist prächtig«, sagt sie. »Du wirst kein besseres Mädel bekommen können. Ich wünsche euch viel Glück!« Damit reitet sie an. »Danke«, sagt er hinter ihr her, und er findet, dass auch sie sehr prächtig ist. Er fragt sich, warum zwei Brüder bei solch einer Schwester so gar nichts taugten, warum das so war. Bitter denkt er daran, dass er gezwungen war, einen dieser Brüder zu töten. Er seufzt. Dann versorgt er sein Pferd, bereitet sich ein Abendbrot und legt sich zur Ruhe. Er braucht
diese Ruhe. Am nächsten Morgen wird er in aller Frühe aufbrechen und viele Meilen reiten müssen. Bevor er einschläft, denkt er daran, dass er ein Aufgebot gegen die Banditen führen wird, zu denen auch der eigene Bruder gehört. Er weiß nicht, dass dieser Bruder zu dieser Stunde schon dabei ist, Rinder zu stehlen. Er ist keine fünfzehn Meilen von ihm entfernt. Und die Viehdiebe erwischen auch einen der Grenzreiter, der die Rinder gesichert hatte.
Als Jim am anderen Morgen in den Sattel klettert, fühlt er sich körperlich noch besser als am Vortag. Er reitet zuerst zu den Daniels, und er trifft Pete Daniel und dessen beide Söhne an einem Hügelhang, wo sie dabei sind, Baumstümpfe zu roden. Daniel stammt aus Deutschland, irgendwo von einem Strom, den man Rhein nennt. Jim Buckmaster weiß nicht genau, wo dieser Fluss fließt doch er weiß, dass die Daniels sehr arbeitsame Menschen sind. Pete Daniel grinst und wischt sich den Schweiß aus der Stirn, als Jim heranreitet. Er deutet auf den Südhang und sagt: »Wir haben uns aus Germany einige Reben schicken lassen, richtige Weinreben vom Rhein. Auf diesem Hang werden sie gedeihen, und ich werde einen Wein
ziehen, der sich von dem spanischen Wein sehr unterscheidet. Ein Wein wird das sein, der ...« Er verdreht die Augen, küsst seine Fingerspitzen und schnalzt mit der Zunge. Und dann zitiert er, weil er ja aus Deutschland stammt, Theodor Körner, der über den Wein schrieb: »Der Wein ist der Stimme des Liedes zum freudigen Wunder gesellt und malt sich mit glühenden Strahlen zum ewigen Frühling der Welt!« Er verstummt und sagt dann ernst: »Da fällt mir ein, dass dies Theodor Körner schrieb, ein Dichter, der für die Freiheit ritt, damals mit Major Lützow, der ...« Und weil er damit auf ein Thema kommt, das Jim sehr am Herzen liegt, unterbricht ihn Jim mit den Worten: »Auch wir müssen reiten! Ich weiß nicht, für welche Freiheit jener Körner damals mit jenem Major Lützow ritt. Aber was er über den Wein sagte, gefällt mir. Er muss ein ganz patenter Bursche gewesen sein. Und auch Sie, Pete Daniel, und Ihre Söhne sind in Ordnung. Ihr habt mir schon einmal geholfen. Ich bitte wieder um Eure Hilfe. Wir müssen für eine Freiheit reiten, die vielleicht anders ist als jene, für die der Wein-Dichter ritt. Doch es geht jetzt darum, dass die Cumberland-Ranch Hilfe braucht und sich der Gemeinschaft unterwirft und damit dem Gesetz. Es geht darum, dass die Macht der Cumberland-
Ranch nicht von den Banditen übernommen wird und wir alle hier vom Regen in die Traufe kommen. Ich werde die Cumberland-Mannschaft führen. Und ich bitte alle Nachbarn und Freunde, mit mir zu reiten und zu streiten.« Er sagt es sehr eindringlich und ernst. Pete Daniel nickt. »Ich unterhielt mich gestern noch mit Bend Wade und George Maffit darüber«, sagt er bedächtig. »Wir hatten ähnliche Ansichten. Es muss wohl etwas geschehen, damit Ordnung ins Land kommt. Aaah, wer hätte gedacht, dass wir alle noch einmal der Cumberland-Ranch beistehen würden? Doch was rede ich da? Wir stehen ihr ja gar nicht bei! Es ist ja gar nicht so! Sie ist nicht mehr in Not als wir. Wenn ich später meinen Wein verkaufen will, brauche ich viele Nachbarn. Ich brauche ein dicht besiedeltes Land. Und wer siedelt schon in einem Land an, in dem die Banditen reiten? So einfach ist das!« Er wendet sich an seine Söhne, die stumm aber aufmerksam dabei standen und nun heftig nicken. »Habt ihr gehört, Jungens? Habt ihr begriffen, worum es geht? Wir werden mit Jim Buckmaster reiten. Und gleich jetzt, damit die anderen Nachbarn wissen, dass wir Daniels die ersten sind, die sich zur Verfügung stellten. Und ihr werdet eines Tages stolz darauf sein, dies euren Söhnen und Enkeln erzählen zu können. Also vorwärts!«
Es geht leichter, als Jim es sich dachte. Er muss immer wieder staunen, wie schnell diese Siedler, Farmer und Kleinrancher die Notwendigkeit begreifen, ein Aufgebot zu bilden und für eine neue Ordnung zu kämpfen. Doch sie alle wünschen sich ein aufblühendes Land mit regem Handel. Zuvor verhinderte die Cumberland die Besiedlung und solch einen Aufschwung. Jetzt würden die Banditen daran schuld sein, dass niemand hier siedeln und aufbauen will. Also muss man etwas dagegen tun. Dies ist die Ansicht dieser einfachen Leute.
Als sich Jim Buckmaster zwei Tage später bei Anbruch der Nacht den Santa Rosa Caverns nähert, da hat er einundzwanzig Reiter hinter sich. Sie reiten zumeist auf seinen Pferden, denn diese sind schnell und ausdauernd. Und sie sitzen zumeist auf Sätteln der Cumberland-Ranch. Als sie vor die Santa-Rosa-Höhle reiten, brennt dort ein großes Feuer. Doch sie wurden schon vorher von einem Wächter angerufen. An dem Feuer sind mehr als dreißig Männer versammelt. Es ist die Cumberland-Mannschaft. Sie wirkt sehr zurückhaltend und schweigsam. Doch einer der Reiter sagt: »Wir haben da über dem Feuer ein Kalb gebraten. Bedient euch nur,
wenn ihr hungrig seid. Wir selbst haben schon gegessen. Big Boss liegt im Bett. Er lässt sich entschuldigen. Eine Rustlerkugel hat ihm eine Rippe freigelegt und gebrochen. Er hat gesagt, dass wir nur immer das tun sollen, was Jim Buckmaster uns sagt. Und wir werden es tun! All unsere Weidehütten und Vorwerke sind nun unbesetzt und verlassen. Die Banditen können, wenn sie wollen, dreißigtausend Rinder und zweitausend Pferde stehlen, ohne dass jemand sie daran hindern könnte. Denn alle Leute, die nicht mit uns nach hier geritten sind, halten sich auf der Hauptranch auf. Die Weide und die Herden sind unbewacht und unbeschützt. Das ist alles, Jim Buckmaster, was zu sagen wäre, was uns betrifft.« Jim nickt. Und er weiß, dass sich die Cumberland-Mannschaft ihm auf diese Art unterstellt hat. Denn er ist Black Jim Buckmaster, ein Mann, der mit Jesse Chisholm schon Unmögliches vollbrachte und der auch hier in diesem Land gezeigt hat, dass er Mut besitzt und kämpfen kann. Diese Reiter werden ihm gehorchen. Alles, was er sagt, wird für sie richtig sein. Denn nur einer kann führen. Doch er wird auch alles verantworten müssen. Er nickt und gibt den Männern, die mit ihm kamen, einige Befehle. Bald darauf sitzen sie um
das große Feuer und essen vom gebratenen Bullkalb, das an einem großen Spieß über der Glut gedreht wird. Doch bald darauf tönt wieder der Ruf der Wachtposten. Nun kommen die Männer aus Corro, das Aufgebot der Stadt. Es ist klein. Doch auch die Stadt ist klein. Wenn man es richtig bedenkt, so kamen alle Männer aus Corro, die in der Lage sind, einen harten Ritt durchzuhalten und auch kämpfen zu können. Und das sind nicht viele. Deshalb hatten die Banditen es ja auch so leicht, die Bank und den Store und den Saloon auszurauben. Der Hilfssheriff Bill Sherman kommt mit Hogan Earp, mit dem Barmann Steve Hill, mit dem Bankier John Payne, mit dem Storehalter und dem Schmied. Und der Arzt Abe Buchanan ist mit dabei auf seinem grauen Wallach. Er hat die Arzttasche bei sich. Als Jim das sieht, fühlt er sich etwas erleichtert. Er weiß, dass ärztliche Hilfe vielleicht so manches Leben wird retten können. Außer den eben genannten Männern kamen noch vier weitere aus der Stadt, sodass sie zusammen nun etwa fünf Dutzend sind. Es ist also ein sehr großes Aufgebot. Doch es ist sicher, dass die Banditen jenseits des Pecos mehr als hundert Reiter in die Sättel bringen
können, wenn sie erst wissen, was auf sie zukommt. Der Deputy Sheriff tritt zu Jim und reicht ihm die Hand. Er grinst auf eine respektvolle Art. »Es sieht so aus, Jim«, sagt er, »als hätte dieses Land Sie zum Reitboss gewählt und als besäßen Sie das Vertrauen der Bevölkerung. Da ich aber das Gesetz vertrete, kann ich mich Ihnen nicht unterstellen. Ich habe jedoch das Recht, Gehilfen ernennen zu können. Es wäre wohl gut, wenn Sie sich als Deputy unter Eid nehmen ließen. Ich würde Ihnen dann den Auftrag erteilen, dieses Aufgebot zu führen und könnte mich bis zur Beendigung der Aktion unter Ihren Befehl stellen.« Er grinst stärker. »Wollen wir es so machen? Sie bekommen sogar einen Stern an die Weste.« Alle Zuhörer grinsen, denn jeder begreift, wie geschickt der Hilfssheriff aus Texico seine Sache macht. Er gibt Jim Buckmaster die volle Autorität des Gesetzes und überträgt ihm die Leitung der Aktion. Jim nickt. Wenig später ist er ebenfalls Hilfssheriff. »Ich unterstelle mich hiermit Ihrer besseren Kenntnis der Gesamtlage und überlasse Ihnen das Kommando«, sagt Bill Sherman formell. Eine Stunde später sind sie wieder unterwegs.
Sie reiten in dieser Nacht fünfzig Meilen, und die Männer aus der Stadt und auch einige der Siedler zerbrechen fast an diesem Ritt. Noch vor Morgengrauen durchfurten sie den Pecos und verbergen sich den ganzen Tag in den Uferhügeln westlich des Flusses. »Du lieber Vater im Himmel«, seufzt der Storehalter, »ich habe mich so wundgeritten, dass mir die Hose am Hintern klebt.« »Dann pass nur auf, dass sie nicht als neue Haut anwächst«, sagt einer der Cowboys. »Meinem Vetter Ringo passierte das mal. Er hatte eine Hose an, die einen Rehledereinsatz hatte. Als er sich wund ritt, wuchs dieses Rehleder als neue Haut fest. Und weil es dadurch ja gewissermaßen wieder lebendig wurde, wuchsen auch wieder Haare. Ein richtiges Rehfell bekam er hinten auf beide Backen. Er hätte damit auf den Jahrmärkten Geld verdienen können – ich meine, wenn er sich zur Schau gestellt hätte. Doch er war ein feiner Mensch. Er sagte, dass er den Leuten doch nicht seine Hinterbacken zeigen könne, selbst wenn diese mit Rehfell bewachsen wären. Deshalb hat man auch nie etwas davon gehört. Doch wir Verwandten wussten es.« Einige Männer lachen, aber der Storehalter schnaubt böse. Es werden noch viele Geschichten erzählt, indes der Tag vergeht. Es wird jedoch auch viel geschlafen.
Am Abend führt Jim Buckmaster seine Männer weiter. Er berät sich manchmal mit Männern, die das Land hier genau kennen. Sie reiten in dieser Nacht etwa fünfzig Meilen nach Westen, durch ein unübersichtliches und raues Land, das in der Ferne zu den Sacramento Mountains ansteigt. Als sie vor Tagesanbruch wieder anhalten, ist der Ort abermals gut gewählt. Sie haben Deckung nach allen Seiten, Gras, Wasser und Schatten. Einige Männer sind von dem Ritt krank. Der Doc bekommt zu tun, und es ist merkwürdig, dass dieser hagere Doc auf seinem grauen Wallach leicht und ohne Müdigkeit reitet. Er behandelt auch die wunden Hinterbacken des Storehalters und versichert ihm, dass ihm kein Rehfell, doch bestimmt Hornhaut wachsen würde und ihm das alles nicht passiert wäre, wenn er öfters mal geritten wäre. Als sie dann bei Nacht ihren Ritt fortsetzen, schwenken sie bald nach Osten ein, und nun wird auch den Dümmsten von ihnen klar, dass sie einen riesigen Bogen schlugen, um gewissermaßen durch die Hintertür nach Pecos Bend gelangen zu können. Als es Tag wird, befinden sie sich auf einem Hügel. Es gibt nur einige Felsen hier und dürre Büsche und braunes Gras. Es ist kein Wasser da, und alle Reiter müssen darauf achten, mit ihren Pferden unsichtbar zu bleiben.
Jim Buckmaster und einige seiner Unterführer aber beobachten den ganzen Tag. Sie haben zwei Ferngläser zur Verfügung, und sie haben eine weite Sicht. Es gibt viel zu beobachten. Da ist die Stadt Pecos Bend drunten, etwa sieben Meilen weit entfernt, am Fluss. Und da ist das Land östlich des Flusses. Dort ist in der klaren Luft sogar ohne Glas die riesige Staubwolke zu erkennen, die sich nur sehr langsam bewegt. Wer ein Kenner ist, der weiß, dass diese gewaltige Staubwolke von bestimmt nicht wenigen Rindern erzeugt wird, die verhältnismäßig schnell getrieben werden. Die Cumberland-Cowboys schätzen die Herde auf etwa achttausend Rinder. Dies aber beweist, dass die Banditen, die Viehdiebe, Nachtfalken und Schattenhaften – oder wie man sie auch sonst noch nennen mag – die vergangenen drei oder vier Tage gut genutzt haben. Sie trieben auf der unbewachten Weide eine Riesenherde zusammen. Sie veranstalteten ein richtiges Round-up, so als wären sie die rechtmäßige Mannschaft. Dass sie dabei nicht gestört und behindert wurden, machte sie sicherlich nicht sorgloser, doch verwegener. Es ist aber noch mehr zu sehen, und sogar in der Nähe. Es gibt einen Creek dort unten, der zum Fluss fließt und sich sogar gabelt. Und auf diesem
ziemlich grünen Weideland weiden Rinder. Manche Tiere sind so nahe, dass man mit dem Glas die Brandzeichen an ihren Flanken erkennen kann. Es sind Cumberland-Rinder, Tiere, die erst vor wenigen Tagen gestohlen wurden. Einige Reiter sind zu sehen. Es gibt einen Corral, bei dem einige Brennfeuer brennen. Für die Beobachter ist es klar, dass die CumberlandRinder dort andere Brandzeichen erhalten. Man brandet dort den Cumberland-Brand um. Vielleicht macht man aus dem C eine Sonne oder ein Wagenrad. Es gibt da so viele Möglichkeiten. Auf jeden Fall aber steht fest, dass die Viehdiebe hier die gestohlenen Rudel und Herden sammeln, umbränden oder zumindest nach dem langen und scharfen Treiben ausruhen und zu Kräften kommen lassen. Bevor sie die Tiere irgendwohin zum Verkauf treiben – wahrscheinlich nach Arizona hinüber, wo jetzt große Ranches aufgebaut werden, die ihre Weideflächen mit Rindern besetzen müssen und diese Rinder erst einmal kaufen müssen, bevor sie selbst eines Tages Rinder verkaufen können –, müssen die Tiere erst einmal wieder an Gewicht zunehmen und fähig sein, den langen Marsch über die Berge nach Westen anzutreten. Bis jetzt sind erst einige Hundert Rinder dort unten im Tal.
Doch drüben – jenseits des Pecos-Flusses, also im Osten – da kommt die riesige Staubwolke Stunde um Stunde näher. Jim und seine Männer verbringen auf dem trockenen Felsenhügel einen heißen Tag, und schon gegen Mittag hat niemand mehr Wasser. Doch Jim lässt keine Wasserholer fort. Einige Male erblicken sie Frachtwagen oder mexikanische Ochsenkarren auf einem Weg, der von der Stadt kommt und dicht am Hügel vorbei weiter nach Westen führt. Sonst sehen sie nirgendwo Reiter in der Ferne. Und doch weiß Jim genau, dass die Zeit drängt. Er spricht zu Bill Sherman darüber. Er sagt: »Wir müssen heute noch über sie kommen! Sonst ist es zu spät. Diese Falken sind nicht dumm und auch nicht so leichtsinnig, dass sie sich nicht fragen, warum sie nirgendwo auf Widerstand stießen. Sie wissen sicherlich schon längst, dass die Cumberland-Mannschaft und die meisten kampffähigen Männer des Landes und der Stadt irgendwohin geritten sind. Und unsere Fährte ist ganz bestimmt da und dort deutlich genug zu finden. Diese Schattenhaften, die jetzt gar nicht mehr wie Schatten in den Nächten reiten, sondern sehr deutlich am Tag tätig sind, werden Fährtenleser ausgeschickt haben. Diese Scouts, die unserer Fährte von den Santa Rosa Caverns aus folgten, weil sie bestimmt unseren Treffpunkt gefunden haben, kommen noch in
dieser Nacht nach Pecos Bend. Und sie werden dort ganz gewiss melden, dass sie bei Anbruch der Nacht unsere Fährte nicht mehr sehen konnten, wir aber durch die Hintertür in dieses Land geschlüpft sind und ganz in der Nähe der Stadt auf der Lauer liegen.« Er macht eine kleine Pause. »Wir wären gestern schon bemerkt worden, wenn nicht alle Banditen über den Pecos geritten wären, um dort die Herde treiben zu helfen oder als Nachhut die Treiber zu sichern. Die Anführer der Bande rechnen gewiss damit, dass wir drüben auf der anderen Seite in einem Versteck lauern und die Herde nicht über den Fluss lassen wollen. Doch wir lassen sie über den Fluss. Wir können sie wieder zurück auf die andere Seite treiben, wenn wir die Banditen geschlagen haben.« »Aber wie?« So fragt einer der Männer, die außer dem Sheriff noch zuhörten. Jim hebt die Schultern. »Ich weiß es noch nicht«, sagt er. »Wir haben erst späten Mittag. Wir müssen erst sehen, was bis zum Anbruch der Nacht in diesem Land geschehen wird. Wenn wir jetzt schon Pläne machen, müssen wir sie vielleicht wieder ändern. Wir werden kurz vor Abend wissen, was wir zu tun haben. Auf jeden Fall wird die ganze Bande, wenn sie heute noch die Herde auf diese Seite des Pecos-Flusses bringt, müde und erschöpft sein.
Sie werden bei der ruhenden Herde ein Camp errichten.« Sie schweigen dann alle, denn sie haben Durst, und auf dem Hügel ist es heiß. Sie beobachten nur. Am späten Nachmittag sehen sie dann durch die Gläser, wie die Herde den wohl acht Meilen entfernten Fluss erreicht und der Übergang beginnt. »Sie haben bis spät in die Nacht zu tun«, sagt Jim langsam. Er denkt kurz nach und spricht dann weiter. »Doch ihre Anführer werden nicht bis zuletzt dabei bleiben. Die Anführer werden sicherlich in die Stadt reiten und sich zumindest den Staub aus den Kehlen spülen. Wir haben die Chance, die Anführer erledigen zu können, wenn wir den richtigen Trick finden.« »Was für einen Trick?« So fragt John Payne, der Bankier, der sich gut gehalten hat auf dem langen Ritt. Jim grinst schief. Sein Gesicht ist hohlwangig und stoppelbärtig. In seinen rauchgrauen Augen ist ein hartes Glänzen. Er deutet nach Südwesten. Dort kommen zwei mexikanische Ochsenwagen den Weg entlang, der eigentlich nur aus Wagenradspuren besteht. »Wir werden diese Mexikaner dort zu einem Geschäft überreden«, sagt er. »Es muss gleich sein, solange der Hügel hier noch Deckung gibt. Wir borgen uns die Wagen aus und laden sie voll mit unseren Jungens. Wir fahren in die Stadt. Ich
werde das machen. Und ich nehme ein Dutzend Männer mit. Der Rest des Aufgebotes rückt nach Anbruch der Nacht langsam vor und postiert sich zwischen der Stadt und dem Herdencamp. Es darf niemand aus der Stadt zum Herdencamp und vom Herdencamp zur Stadt. Wenn es nicht anders geht, dann fallt über das Herdencamp her und jagt die ganze Bande auseinander. Wenn wir ihre Anführer in der Stadt erwischen, werden sich die auseinander gejagten Gruppen und Rudel der Bande auch nicht zu einem geschlossenen Gegenangriff sammeln. Es fehlen ihnen die Anführer. Bill Sherman führt das Aufgebot, wenn ich in der Stadt bin.«
14 Es klappte alles gut. Und es ist schon die Nacht angebrochen, als die beiden mexikanischen Ochsenkarren die Stadt erreichen. Die Fahrt war mühsam, denn Ochsen bewegen sich nur langsam. Jim geht neben dem Vierergespann her und knallt immer wieder mit der Ochsenpeitsche, genau so, wie es auch die mexikanischen Ochsentreiber tun. Jim sieht gar nicht mehr wie Jim aus. Er trägt Sandalen, einen Kaliko-Anzug, wie ihn der Mexikaner trug, den er vertritt, und auf seinem Kopf sitzt ein riesiger Strohhut. Seinen Revolver trägt er unter dem hemdartigen Kittel, und im Gürtel steckt ein Messer. Der Wagen ist ein riesiger Karren, der auf zwei gewaltigen Radscheiben rollt. Diese Radscheiben sind so groß, dass Jim gerade noch über das Rad blicken kann. Diese eisenbeschlagenen Vollräder sind sehr breit und hinterlassen eine gewaltige Furche. Und quietschen tun sie, dass man Ohrenschmerzen bekommt. Doch Jim hat ganz andere Probleme. Er flucht immer wieder bitter und grimmig, weil die Kleidung des mexikanischen Treibers, die er sich anzog, voller jener kleinen Tierchen ist, die heute gewiss einen besonderen Freudentag haben, weil
sie nun statt Mexikanerblut das eines Amerikaners saugen können. Damit ist nicht behauptet, dass Amerikanerblut besser ist als Mexikanerblut, doch ganz bestimmt irgendwie anders, wenn man es vom geschmacklichen Standpunkt eines Flohes beurteilt. Jim Buckmaster wünscht sich jedenfalls ein halbes Dutzend Hände, um sich überall kratzen zu können. Er beneidet die sechs Männer, die in seinem Wagen verborgen sind, und auch die anderen Männer, die in dem anderen Wagen fahren. Der Treiber des zweiten Ochsengespanns kommt einmal kurz nach vorn und sagt bitter: »Jim! Jim Buckmaster, ich will Ihnen mal sagen, dass dies keine gute Idee war. Die Flöhe fressen mich auf! Diese verteufelten Greaser hatten mehr Flöhe am Balg als Haare auf dem Kopf. Wenn ich könnte, so würde ich jetzt zehn Liter Essig trinken, damit den Blutsaugern mein Saft zu sauer wird. Ich bin wütend, Mister, und möchte wie auf einer heißen Ofenplatte tanzen. Und den Jungens im Wagen, denen ich mein Leid klagte, fällt nichts Besseres ein, als mich zu fragen, ob ich denn nicht wüsste, wie man einen Floh fangen könnte. Ich kann doch nicht ein Ochsengespann antreiben und dabei zehntausend Flöhe fangen, die mich zerbeißen wie ein Rudel Wölfe ein Elchkalb. Haben Sie mich verstanden, Jim Buckmaster? Es war keine gute Idee!«
»Nur Geduld, Compadre«, knirscht Jim, »nur Geduld, mein lieber Freund und Partner!« Und weil er einmal irgendwann und irgendwo einige Abschnitte aus dem Hamlet von Shakespeare gelesen hat, fällt ihm ein Zitat wieder ein, das er sich merkte. Er sagt plötzlich laut: »Wenn die Leiden kommen, so kommen sie wie einzelne Späher nicht, nein, in Geschwadern!« »He? Hä? Was sagen Sie da, Jim Buckmaster?« Der Mann fragt es und schnappt zugleich nach Luft. Dann bleibt er zurück, weil sein Gespann zurückbleibt und wieder angetrieben werden muss. »Wo warst du denn, Franky?«, fragt eine Stimme aus dem Wagen. »Wir dachten schon, du wärest fortgelaufen.« »Geht zur Hölle!«, sagt Franky grimmig. »Geht alle zur Hölle! Dort vorn, dieser Jim Buckmaster, der fühlt sich als Kapitän oder als Admiral. Er redet von Geschwadern. Dabei habe ich mit ihm über Flöhe gesprochen. Es ist alles verrückt heute!« Indes denkt Jim nicht mehr daran. Denn dicht vor ihm sind die Lichter der Stadt und tauchen zu beiden Seiten des Weges die ersten Häuser auf. Jim denkt an seine Aufgabe – und an seinen Bruder Virg.
Und plötzlich weiß er, dass er seiner Aufgabe irgendwie untreu wurde, jawohl, untreu! Denn er weiß jetzt, warum er den Plan fasste, sich unerkannt in die Stadt zu schleichen oder vielmehr zu schmuggeln, um die Anführer der Banditen festzusetzen. Er weiß es nun genau. Es wird ihm klar, dass er gegen die Banditen nicht reiten und kämpfen kann, solange er seinen Bruder nicht irgendwie ausgesondert und festgesetzt hat. Er könnte keinen Angriff gegen die Bande reiten, wenn er nicht zuvor genau wüsste, dass der Bruder nicht unter ihnen ist. Denn sonst könnte es der Teufel wollen, dass er einen Banditen aus dem Sattel schießt, der sich dann als sein Bruder erweist. Die kleine Stadt ist merkwürdig still und wie ausgestorben. Es brennen nur wenige Lichter in den Häusern. Und das Mexikanerviertel ist vollkommen still, so als läge dort schon alles im tiefen Schlaf. Doch es ist noch viel zu früh. Sollte die Bevölkerung der Stadt damit rechnen, dass die Gesetzlosen verfolgt werden und ein Aufgebot in die Stadt kommen könnte? Sollte es sich in Pecos Bend schon herumgesprochen haben, dass drüben im CorroDistrikt ein großes Aufgebot gebildet worden ist, das nun schon seit Tagen verschwunden ist und vielleicht sehr schnell irgendwo auftauchen kann, um zuzuschlagen?
Jim hält es für möglich, dass die Bürger in der Stadt mit solchen Möglichkeiten rechnen. Denn wer in einem Land lebt, das von den Banditen beherrscht und geleitet wird, der ist sehr hellhörig, wachsam und verlässt sich auf seinen Instinkt. Jim denkt daran, dass er vor nicht langer Zeit noch in dieser Stadt weilte, hier eine Wunde gesund pflegte und versuchte, seinen Bruder unter Kontrolle zu bringen. Doch es war vergebens. Jim denkt an die Leute, die er hier kennt. Er denkt an die Frau Mara Lane, die ihrem Mann aus dem Osten nach hier folgte. Er weiß immer noch nicht, warum dieses Paar den Osten verließ und in diese Stadt westlich des Pecos River zog. Doch es waren bestimmt sehr zwingende Gründe, und ganz sicher keine guten. Jim wünscht dem Paar Glück, denn er sah, wie sie die Menschen betreuten und für die mexikanischen Kinder alles taten, was sie konnten. Die beiden Ochsenkarren erreichen nun die Höhe des Hotels und des Pecos Bill Saloons. Den beiden Gebäuden gegenüber hält Jim an. Er flucht spanisch auf die Ochsen ein, so wie es die mexikanischen Maultier- und Ochsentreiber auch tun. Und dabei blickt er auf die Pferde, die vor dem Saloon angebunden sind. Es sind herrliche Tiere,
nur staubig und müde, voller verkrustetem Schweiß. Und eines der Pferde erkennt Jim sofort. Es ist Geromino, sein roter Hengst, den ihm der Bruder stahl. Jim atmet langsam aus, indes er das Ochsengespann mit Hilfe einer Leine an einem Haltebalken anbindet. Sein Bruder ist also dort im Saloon. Sicherlich sind auch noch Jack Jocelyn, Saba Chisholm und der gefährliche Santana Montez dort drinnen. Die Pferde vor dem Saloon lassen diesen Schluss zu. Franky, der inzwischen den zweiten Ochsenkarren angehalten und das Gespann angebunden hat, kommt nach vorn zu Jim. Er fragt laut, wie ein Mexikaner so echt: »Gehen wir einen echten Gringo-Blitz trinken, Amigo? Wollen wir unseren Bauch von innen kitzeln?« Und leiser zischt er: »Ich würde Gift nehmen, wenn ich wüsste, dass dann die Flöhe tot von meinem zarten Körper fielen.« Jim überlegt noch, und er denkt an seinen Bruder. Er weiß, dass Virg mit den anderen Männern zur Waffe greifen und schießen wird, wenn die Mannschaft, die er in den beiden Wagen mitbrachte, den Saloon umstellen und stürmen sollte.
Jim fürchtet sich plötzlich davor, dass sein Bruder auf ihn und die anderen Männer des Aufgebotes schießen würde. Und in dieser Sekunde fasst er eine verzweifelte und verwegene Idee. Diese Idee hat er ganz plötzlich, und sie wird in dieser Sekunde zu einem Plan. Seine Gedanken arbeiten heftig. Sie eilen tausend Meilen in der Sekunde. Er handelt mit einem Male wie unter einem Zwang. Was er tut, kommt ihm erst viel später richtig zu Bewusstsein. Er sagt zu Franky: »Pass auf, mein Junge! Dort drinnen ist mein Bruder. Ich gehe jetzt hinein. Und mein Bruder wird mir helfen. Ich habe mich schon vor einigen Tagen mit ihm in Verbindung gesetzt. Er konnte damals nicht verhindern, dass die Bande mir einige wertvolle Pferde stahl. Doch er steht auf meiner Seite, weil er mein Bruder ist. Ich gehe jetzt dort hinein, und wenn er sieht, dass ich allein komme und Hilfe nötig habe, so wird er mir helfen. Wenn es dort drinnen losgeht, so besetzt die Stadt! Lasst niemanden herein. Riegelt die Stadt ab, sodass die Banditen, wenn der Sheriff sie angreift und sie sich teilen, um sich hier wieder sammeln zu können, nicht herein können. Hast du verstanden, Franky?« »Du gibst die Befehle, Mister«, sagt der Cowboy. »Ich bin nur ein dummer Kuhtreiber,
dem die Flöhe das Blut ausgesaugt haben. Ich kann gar nicht denken. Es ist deine Beerdigung.« »Dann ist es gut«, murmelt Jim und setzt sich in Bewegung. Er geht über die Fahrbahn und betritt den Saloon. Er zögert nicht um einen Sekundenbruchteil, und er denkt eine Sekunde lang daran, dass diese Stadt ja auch einen Marshal hat, einen Scheinmarshal, der Ole Sorrel heißt und ein Pferdegesicht hat. Er fragt sich flüchtig, auf welcher Seite dieser Mann nun wohl stehen würde. Doch dann vergisst er ihn. Er hat inzwischen den Saloon betreten und sieht seinen Bruder.
Virg Buckmaster steht am Schanktisch. Er dreht Jim den Rücken zu und leert soeben durstig ein Glas. Doch sie können sich im Spiegel ansehen. Obwohl Jim verkleidet ist und seinen großen Strohhut nicht abgenommen hat, kann er sehen, dass der Bruder ihn sofort erkennt. Er bemerkt es daran, wie Virgs Augen sich weit öffnen und dann schmal werden, und wie Virgs soeben noch lässig am Schanktisch lehnender Körper sich strafft und anspannt. Jims Blick fliegt unter der breiten Krempe des Strohhutes hervor schnell in die Runde. Er ist jetzt wieder ganz jener Black Jim Buckmaster,
der dazu befähigt ist, mit einem einzigen schnellen Rundblick mehr Einzelheiten wahrzunehmen und registrieren zu können, als es ein Durchschnittsmann in zehn Minuten könnte. Jim sieht den berüchtigten Revolverhelden und Banditen Jack Jocelyn am Frei-Imbiss-Tisch stehen. Jocelyn hält in der einen Hand einen gebratenen Hühnerschenkel und in der anderen Hand einen zusammengerollten Maisfladen, der innen eine Sirupfüllung hat. Er kaut mit vollen Backen und schenkt Jim vorerst nur einen kurzen und uninteressierten Blick, denn er hörte gewiss das Quietschen der Ochsenkarren und rechnete damit, dass Mexikaner eintreten würden. Jims Anblick entspricht seinen Erwartungen, da die Ochsenkarren ja hörbar angehalten haben. Saba Chisholm, der eiskalte, hellblonde Texaner mit dem blonden Sichelbart, sitzt mit dem panterhaften Mexikaner Santana Montez an einem Tisch. Bei ihnen steht das Mexikanermädel, das hier singt und tanzt. Sie hat ihnen Wein gebracht, den sie durstig trinken. Mit in die Seiten gestemmten Händen steht das Mädel dabei, wiegt sich in den Hüften und sagt lockend: »Für wen soll ich tanzen? Pepe kommt mit der Gitarre! Für wen soll ich tanzen? Wer gibt mir ein Goldstück, wenn ich für ihn tanze – nur für ihn? Und ich werde nur ihn ansehen, nur ihn allein, wenn ich für ihn tanze! Wer gibt mir ein Goldstück?«
»Ich nicht, Pussy«, sagt Saba Chisholm gedehnt und betrachtet indes Jim mit einem Seitenblick zum zweiten Mal und nun schärfer. »Aber ich – ich werde dir ein Paar goldene Schuhe kaufen, damit du nicht mehr barfuß tanzen musst«, sagt Santana Montez. »Ich werde mit dir nach Santa Fe eine Reise machen, Esmeralda, Süße! Wir werden ...« Er verstummt, denn mit einem Mal ist alles anders im Saloon. Denn Jack Jocelyn hat plötzlich erkannt, wer gekommen ist. Jack Jocelyn spürte wohl jenes Warnsignal des Instinkts, der in ihm besonders ausgeprägt ist. Er dachte über dieses Warngefühl nach und sah den eingetretenen Mex noch einmal an. Er wusste dann plötzlich, dass es kein Mexikaner ist. Denn nun hält Jim den Kopf erhoben. Jocelyn sieht in Jims hellgraue Augen, und er erkennt ihn trotz der Bartstoppeln und der hohl gewordenen Wangen. »He!« Er ruft es scharf und lässt den Hühnerknochen und die Maisfladenrolle einfach fallen. »He, das ist ja Jim Buckmaster!« Es werden keine weiteren Worte mehr geredet. Es ist klar, dass die Banditen schon von dem Aufgebot hörten, das sich unter Jim Buckmasters Führung vereint hat und aus dem Corro-Distrikt geritten ist.
Die drei Banditen waren gewiss schon sehr nervös und unruhig, weil dieses Aufgebot immer noch nicht in Erscheinung trat oder von ihren Spähern, die sie gewiss ausgesandt haben, aufgespürt worden ist. Sie konnten all die Rinder über den Fluss bringen und wurden nicht angegriffen und gehindert. Und auch in dieser Stadt geschah nichts. Jetzt aber kam Jim Buckmaster. Sie wissen, was das bedeutet. Wo Jim Buckmaster ist, kann das Aufgebot nicht weit sein. Also wissen sie, was zu tun ist. Jack Jocelyn greift zum Revolver. Santa Montez stößt das Mädchen fort, sodass es weit weg unter die Tische fliegt. Der Texaner Saba Chisholm aber wirft sich vom Stuhl, landet am Boden und zieht dabei die Waffe. Er ist jetzt viel schneller und katzenhafter als der panterhaft wirkende Montez. Sie sind drei gefährliche Revolverhelden. Was Jim Buckmaster wagt, ist einfach verrückt. Denn selbst er hat gegen sie keine Chance. Jocelyn allein ist ihm schon gewachsen. Und Saba Chisholm ist Jocelyn vielleicht sogar überlegen. Wenn man die Chancen abwägt, so hat Jim keine.
Er holt den Revolver unter dem Hemdkittel hervor, und weil er die Waffe nicht aus dem gewohnten Holster zieht, ist er langsamer. Bevor er abdrückt, sieht er bereits in zwei Mündungsfeuer. Die Kugeln von Saba Chisholm und Jack Jocelyn treffen ihn, stoßen ihn zurück, lassen ihn schwanken. Doch dann schießt er, indes er immer wieder in die Mündungsfeuer blickt und der Raum sich mit dem Krachen der Revolver und dem Pulverrauch füllt. Er spürt nichts, dieser Black Jim Buckmaster. Er weiß nicht mehr, dass er am Boden kniet und schießt, bis der Revolver leer ist. Dann wird es still. Drüben beim Schanktisch, da kniet sein Bruder Virg, blutend und mit dem rauchenden Colt in der Hand. Er schoss nur mit dem rechten Revolver, dieser Virg Buckmaster. Er schoss auf Jack Jocelyn, traf ihn, bekam Jocelyns Kugel und traf ihn nochmals. Und so hatte es Jim Buckmaster nur mit Saba Chisholm und Santana Montez zu tun. Er weiß, dass sie am Boden liegen und sich nicht mehr bewegen. Er weiß auch, dass er selbst bald genauso am Boden liegen wird. Doch er blickt noch zu Virg hinüber und sagt schwer: »Ich habe gewusst, dass du mir helfen würdest, Virg! Deshalb kam ich allein herein. Hat Jocelyn dich schlimm erwischt, Kleiner?«
Virg blickt auf seinen Revolver, so, als würde er sich jetzt erst bewusst, dass er eingegriffen und geschossen hat. Dann fühlt er mit der Linken nach der heftig blutenden Wunde. »Ich musste dir wohl beistehen, denn du bist mein Bruder«, sagt er gepresst. »Und ich glaube, dass ich seit langer Zeit endlich wieder einmal etwas richtig machte.« Als er es gesagt hat, fällt er aufs Gesicht. Und auch Jim versinkt in bodenlose Tiefen. Er weiß nicht mehr, dass seine Männer hereingestürmt kommen und überall die Hölle losbricht. Denn drunten am Fluss, dort greift Sheriff Bill Sherman mit fast fünfzig Reitern das Herdencamp an.
Als Jim erwacht, blickt er in ein Frauengesicht, und er glaubt, dass es Ann Uvalde ist. Doch eine Stimme sagt wie aus weiter Ferne zu ihm: »Nein, ich bin nicht Ann Uvalde, von der Sie immer wieder im Fieber sprachen. Ich bin Mara Lane, und mein Mann, der Doc, hat gesagt, dass Sie und Ihr Bruder es schaffen könnten, wenn Sie nur wollten. Hören Sie mich, Jim Buckmaster?« Er nickt leicht. Und da hört er die Stimme wieder wie aus weiter Ferne sagen: »Ann Uvalde müsste heute mit der Postkutsche hier
eintreffen. Denn wir haben vor drei Tagen eine Nachricht zu ihr geschickt. Sie muss heute mit der Abendpost kommen.« Er nickt wieder, diesmal stärker. Ja, er begreift genau, dass er einige Tage ohne Besinnung war, dass Ann kommen wird und der Bruder noch lebt. Und noch einmal hört er Mara Lanes Stimme sagen: »Es ist alles gut, Jim Buckmaster! Sie können ruhig schlafen und brauchen sich nicht zu sorgen. Der Sheriff hat das Aufgebot gut geführt. Sie haben die Banditen in diesem Teil des PecosLandes geschlagen. Man verdankt es Ihnen und Ihrem Bruder, dass die Anführer der Bande isoliert und unschädlich gemacht werden konnten. Der Sheriff meint, dass Ihr Bruder sicherlich einen Pardon bekommen würde, weil er sich zuletzt doch noch unter Einsatz seines Lebens auf die richtige Seite stellte. Sind Sie zufrieden, Jim?« Er nickt abermals. Und dann schläft er wieder ein. Er träumt davon, dass nun eine neue Zeit beginnt. Und sein Traum wird Wahrheit werden. Die Cumberland-Ranch wird nur noch eine Ranch sein wie viele andere und innerhalb einer Gemeinschaft, die aus Siedlern, Farmern und anderen Ranchers besteht, aus Städtern, Händlern, Handwerkern und all den vielen anderen Menschen, die zu solch einer Gemeinschaft gehören.
Big Boss Aharon Cumberland wird ein einsamer Mann bleiben, der sich zurückzieht und kaum das rancheigene Land verlässt. Virg Buckmaster wird Pardon erhalten. Reva Cumberland wird sehr bald zu einer einstigen Schulfreundin in den Osten reisen, um dort einen Mann zu finden, wie es manchmal so kommt. Sie wird nicht wieder heimkehren. Und Noel Marrs wird nie wieder in den Sattel klettern können. Er und Aharon Cumberland werden sehr einsam leben, und manchmal, da wird man sie am Creek sitzen und angeln sehen. Denn sie sind geschlagene Riesen aus einer vergangenen Zeit. Sie wurden zurechtgestutzt und spielen nicht mehr mit. Es ist ja auch kein rauer Vormann mehr notwendig. Das Gesetz schützt nun die Kleinen und die Großen. Und Geromino wird der Stammvater einer berühmten Pferdezucht werden. Das alles liegt in der Ferne. Der genesende Jim Buckmaster träumt davon, vielleicht, weil er schon spürt, dass es Wahrheit werden wird. Als wenig später Ann Uvalde ins Krankenzimmer tritt, lächelt er im Schlaf, als wüsste er genau, dass sie gekommen ist. ENDE