Nr. 287
Die Schrecken des Schwarzplaneten Sie sind Fallensteller - ihr Ziel ist die Vernichtung der Oberwelt von Maria...
16 downloads
671 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 287
Die Schrecken des Schwarzplaneten Sie sind Fallensteller - ihr Ziel ist die Vernichtung der Oberwelt von Marianne Sydow
Auseinandersetzungen im Innern und Kämpfe gegen äußere Feinde – sie bestim men gegenwärtig das Geschehen im Großen Imperium der Arkoniden. Während die imperialen Flottenverbände gegen die mächtigen Methans im schwe ren Ringen begriffen sind, gärt es auf vielen Welten des Imperiums. Schuld daran ist einzig und allein Orbanaschol, der Brudermörder und Usurpator, der in seiner Ver blendung und Korruptheit einen politisch völlig falschen Weg beschritten hat. Die Tage Orbanaschols scheinen gezählt, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann die Gegenkräfte im Imperium stark genug sind, den Usurpator vom Thron zu stoßen. Kristallprinz Atlan, der eigentliche Thronfolger, und seine verschworenen Gefähr ten, die Orbanaschol bisher schwer zu schaffen machten, sind augenblicklich aller dings nicht in der Lage, gezielt einzugreifen. Kraumon, ihre geheime Stützpunktwelt, wurde von den Methans zerstört. Atlan ist sich über das Schicksal seiner rund 15.000 Kampfgefährten auf Kraumon im unklaren. Er weiß nur, daß seine Gesinnungsgenossen der Vernichtung entgehen konnten. Bevor Atlan sie wieder auffinden kann, erlebt der Kristallprinz DIE SCHRECKEN DES SCHWARZPLANETEN …
Die Schrecken des Schwarzplaneten
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz wird mit einer neuen Niederlage konfrontiert.
Fartuloon - Atlans Lehrmeister und Begleiter.
Zarf - Pilot der CRYSALGIRA.
Honcus - Der »Stählerne« leistet Hilfe in der Not.
Chersoth und Vreth - Bewohner des Schwarzplaneten.
1. Durch die CRYSALGIRA hallten nervtö tend und schrill die Töne der Alarmpfeifen. Ächzend beugte ich mich vor, bemühte mich, den Entzerrungsschmerz der letzten Transition zu ignorieren und den Grund für den Alarm zu erkennen. Als ich die Ortungs reflexe sah, vergaß ich das Ziehen in allen Knochen. »Feuerleitstand!« brüllte Zarp in sein Mi krophon. »Alles klar?« Der Mann, der für die Geschütze der CRYSALGIRA verantwortlich war, stellte die Bildverbindung her. »Wahnsinn!« behauptete er. »Wir haben keine Chance. Das sind mindestens einhun dert Schiffe.« »Ortung!« Das war Fartuloon. Der Bauchaufschnei der hatte mit gewohnter Geschwindigkeit die Auswirkungen der Transition überwun den und wirkte trotz der unerfreulichen Überraschung völlig ruhig. »Wir haben einhundertzweiunddreißig Reflexe«, meldete Senjah, die den Ortungs stand übernommen hatte. »Es handelt sich nur zum Teil um vollständige Raumschiffe. Neben einigen Beibooten schwirren eine Menge Trümmer da draußen herum. Die noch erhaltenen Schiffe sind energetisch tot.« Ich atmete unwillkürlich auf. Die CRYS ALGIRA war ein Kugelschiff mit einem Durchmesser von nur einhundert Metern – gegen eine solche Übermacht wären wir völ lig wehrlos gewesen. Andererseits bestand noch längst kein Grund zur Freude, denn was hatten diese Wracks in der unmittelba ren Nähe unseres Stützpunktplaneten Krau
mon zu suchen? »Nehmen Sie Kurs auf Kraumon, Zarf«, sagte Fartuloon leise. »Aber passen Sie gut auf.« Diese Ermahnung hätte er sich sparen können, denn Zarf wußte selbst, was auf dem Spiel stand. Mit gebührender Vorsicht näherten wir uns dem Planeten. Als wir eine unsichtbare Grenze überschritten hatten, tauchten die Wracks und die Trümmerstücke auch auf den normalen Bildschirmen auf. »Das sind ja Maahks!« Ich sah mich um und entdeckte Getray von Helonk. Sie war die einzige an Bord der CRYSALGIRA, die keine Beschäftigung hatte. Das lag nicht etwa daran, daß wir ihre Hilfe nicht gebraucht hätten -außer Fartu loon und mir waren nur dreißig Besatzungs mitglieder vorhanden. Aber Getray von He lonk verstand nichts von der Raumfahrt. Sie hatte sich inzwischen von den Strapazen auf Kosic erholt. Zarf wandte für einen Moment die Blicke von seinen Kontrollen und sah die attraktive Arkonidin geradezu schmach tend an. Unser Pilot umwarb Getray schon seit ihrer Ankunft mit großer Beharrlichkeit, ohne auch nur den geringsten Erfolg verbu chen zu können. Getray war viel zu besorgt um das Schicksal ihres Mannes, der in ir gendeinem Kerker des Kristallprinzen steck te, als daß sie sich auf eine Romanze einge lassen hätte. »Maahks«, wiederholte Fartuloon nach denklich und drehte an den Einstellknöpfen. Ein walzenförmiges Raumschiff wurde sichtbar, daß – sich langsam überschlagend – durch das All trieb. Die Walze war auf einer Seite der Länge nach aufgerissen. Kleinere Punkte trieben neben dem Wrack – abgerissene Teile der
4 Hülle, Einrichtungsgegenstände, aber auch Maahks. Keiner der Methanatmer hatte die Kata strophe überlebt. Der Angriff mußte zumin dest für dieses Schiff völlig überraschend gekommen sein, denn die Besatzung hatte keine Zeit mehr gefunden, die Schutzanzüge anzulegen. »Gräßlich«, flüsterte Getray entsetzt. Niemand antwortete ihr, denn in diesem Augenblick tauchte das Wrack eines arkoni dischen Schiffes auf. Es hatte einen Durch messer von zweihundert Metern. Die obere Hälfte der stählernen Kugel war zerfetzt und verbrannt. Ich umklammerte mit beiden Händen die Lehnen des Kontursessels, und in meinem Magen bildete sich ein Eisklum pen, während ich das Wrack anstarrte, das unendlich langsam rotierte. Als der Name des Schiffes endlich sichtbar wurde, ging ein erleichtertes Seufzen durch die CRYSALGI RA. Es war keiner von den Raumern, die auf Kraumon stationiert waren! Fartuloon warf mir einen kurzen Blick zu, und ich nickte. Wir mußten erfahren, was hier geschehen war -und es gab nur einen Ort, an dem alle erforderlichen Informatio nen für uns bereitlagen: Kraumon. Wir hat ten selbstverständlich immer damit rechnen müssen, daß unser Stützpunkt entdeckt und angegriffen wurde. Für diesen Fall gab es Vorsichtsmaßnahmen. Zarf erhöhte die Geschwindigkeit. Auf den Bildschirmen glitten Dutzende tfon schwer angeschlagenen Schiffen vorüber. Keines trug einen Namen, der uns bekannt war. Auffallend war die große Zahl der wal zenförmigen Raumer. Irgendwie hegte ich immer noch die irrationale Hoffnung, daß auf Kraumon alles in Ordnung war. Mein Extrahirn sendete einen skeptischen Impuls, aber ich verschloß mich vor der un bequemen Stimme dieses Gehirnteils. Mit brennenden Augen starrte ich auf den Bild schirm und wartete darauf, daß Kraumon darauf auftauchte. Und dann war es soweit. Die Wüsten waren zerfurcht von der
Marianne Sydow furchtbaren Gewalt energetischer Schüsse. Die Spitzen der Gebirge waren zerschmol zen und die Geröllflächen verbrannt. In der bewohnbaren Zone klafften die riesigen Bombenkrater wie schwarzgeränderte Nar ben. Fassungslos starrte ich den Schirm an. Ir gend jemand sagte etwas, aber ich verstand nichts. Ich fühlte mich wie betäubt. Das, worauf wir uns zwar immer vorbereitet hat ten, von dem ich jedoch unterbewußt nie ge glaubt hatte, daß es jemals geschehen könn te, war grausige Wirklichkeit geworden. Kraumon war zerstört. Es ging nicht nur um die Gebäude, die technischen Einrich tungen, die Vorräte und Ersatzteile, all das, was wir dort in langer, mühseliger Arbeit zusammengetragen hatten. Kraumon war für mich – das merkte ich erst jetzt – zu einem Symbol geworden. Das Wachstum des Stützpunkts war gleichbedeutend mit der Annäherung an mein Ziel. Nach der schwe ren Niederlage bei den KAYMUUR-TES traf mich dieser Schlag besonders schwer. »Der Robotsender existiert noch!« sagte Fartuloon beschwörend. Ich starrte ihn ver ständnislos an. »Wir haben ihn angepeilt und das Symbol gesendet«, fuhr der Bauchaufschneider be schwörend fort. »Außerdem scheint es, als hätten unsere Freunde sich retten können!« »Von da unten?« Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Morvoner Sprangk, Eiskralle, Karmina, Arthamin, Vorry … Es waren zu viele Namen. In meinem Schädel klopfte ein dumpfer Schmerz. Far tuloons Stimme wich zurück, das, was er sagte, verschwamm zu einem unverständli chen Gemurmel. Denk an Sorkoth! befahl das Extrahirn mit schmerzhafter Intensität. Es ist noch längst nicht alles verloren. Keines der Wracks ge hörte zu deinen Schiffen. Der Robotsender hat alle Informationen! Fartuloon tauchte vor mir auf und hielt mir einen Becher hin. Ich ergriff das Gefäß und stürzte den Inhalt hinunter. Das Zeug
Die Schrecken des Schwarzplaneten verwandelte meine Kehle in ein flammendes Etwas und entfachte eine unerträgliche Glut in meinem Magen. Mir brach der Schweiß aus, und die Umgebung kreiste sekunden lang in haarsträubendem Tempo um mich herum, aber dann wurde mir besser. »Der Robotsender hat die gespeicherte Nachricht übermittelt«, sagte Fartuloon, oh ne auf den Vorfall einzugehen. »Der Klar text liegt vor.« Ich beugte mich schweigend vor und betä tigte eine Taste. Fartuloon sah mich spek tisch an. »Diese Nachricht geht jeden an Bord et was an!« wehrte ich seinen stummen Vor wurf ab. »Spiel den Text ab.« Die Nachricht war kurz. Morvoner Sprangk hatte sie formuliert, und er pflegte keine langen Reden zu halten. Es war in die sem Fall auch gar nicht notwendig. Wir erfuhren, daß zuerst die Maahks auf getaucht waren. Offensichtlich war Der mitrons mißglückter Besuch auf dem Depot planeten doch nicht ohne Folgen geblieben. Wie und durch wen die Methanatmer die Koordinaten von Kraumon erhalten hatten, war nicht mehr wichtig. Sie waren gekom men, um unseren Stützpunkt zu vernichten oder uns zur Zusammenarbeit gegen das Im perium zu zwingen. Kurz darauf tauchte ein arkonidischer Flottenverband auf. Zwischen ihm und den Maahks entbrannte eine erbit terte Schlacht, und diese Gelegenheit hatten unsere Freunde auf Kraumon genutzt. Die Bewohner des Stützpunkts waren in die Schiffe gegangen – es mußte sehr eng für sie geworden sein. An eine Rettung der vielfäl tigen technischen Anlagen war natürlich nicht zu denken gewesen. Das berührte mich nicht weiter -wichtiger war die Gewißheit, daß unsere Freunde in Sicherheit waren. Mit der Information, daß die kleine Flotte das sechsundzwanzig Lichtjahre entfernte Sor koth-System anfliegen würde, endete die Nachricht. Sorkoth war eine Ausweichmöglichkeit. Es gab mehrere solcher Punkte, die ver schieden weit von Kraumon entfernt waren.
5 Meistens handelte es sich um Planeten, auf denen Fartuloon schon vorher seine gehei men Stützpunkte errichtet hatte. »Hoffentlich sind Ihre Leute durchgekom men«, sagte Getray mit einem Blick auf die Wracks. »Wir werden nachsehen«, entschied ich. »Zarf, durchsuchen Sie systematisch den Raum um Kraumon. Senjah, Sie achten be sonders auf energetische Impulse. Und ge ben Sie auf die Walzenraumer acht. Die Maahks lieben es, sich tot zu stellen und dann aus dem Hinterhalt zuzuschlagen. Cor ros, Sie helfen Tash in der Feuerleitzentrale. B'horr?« »Ich lausche auf sämtlichen Frequenzen«, meldete der Funker. »Bis jetzt ist nichts zu hören.« »Gut. Alle anderen bleiben auf ihren Sta tionen: Fartuloon und ich nehmen alle arko nidischen Schiffe unter die Lupe. Hoffent lich treffen wir auf keinen bekannten Na men.« »Kann ich denn gar nichts tun?« fragte Getray von Helonk niedergeschlagen. Ich wollte sie in ihre Kabine schicken, denn ich fürchtete, daß die Bilder des Schreckens für sie nicht gerade der richtige Anblick waren. Aber Getray sah nicht so aus, als ließe sie sich widerspruchslos ab wimmeln. »Übernehmen Sie diesen Schirm«, ent schied ich. »Ich zeige Ihnen, wie Sie die Ge räte bedienen müssen. Vielleicht gelingt es Ihnen, Überlebende aufzuspüren – sofern diese im Schutz eines Raumanzugs eines der Schiffe verlassen haben.« Getray machte sich mit Feuereifer an die Arbeit. Jeder wußte, daß die Erfolgschancen für sie gleich null waren, aber niemand sprach diesen Gedanken aus. Wenn es Über lebende gab, so taten sie gut daran, in den Schiffen zu bleiben und dort auf Hilfe zu warten. Die Überlebensmöglichkeiten waren in den Wracks besser als im freien Raum. Es war eine deprimierende Suche. Man che Schiffe waren so stark zerstört, daß man sie kaum noch identifizieren konnte. Einmal
6 ortete Senjah einen Impuls aus einem Wal zenraumer. Dort floß Energie in das Bugge schütz. Eine halbe Sekunde später verging der angepeilte Sektor des Maahksraumers in einem Glutball. »Wir haben es fast geschafft«, murmelte Fartuloon geraume Zeit später. »Wir haben noch ein paar Walzenraumer vor uns, und das ist alles. Mit den Maahks sollten wir un sere kostbare Zeit nicht verschwenden. Be reitest du die Transition vor?« Ich stand auf, reckte mich und wollte mich auf den Weg machen, da stieß Getray von Helonk einen erstaunten Laut aus. »Da ist einer!« rief sie. Ich drehte mich hastig um. Hinter den zerstörten Walzenschiffen tauchte ein Kugelraumer auf. Er war relativ gut erhalten. Dicht daneben hing ein winzi ger, silberner Punkt. Schwache Lichtblitze zuckten in die Schwärze des Raumes vor. Zarf reagierte blitzschnell. Die CRYSAL GIRA änderte ihren Kurs, schwebte über die Schiffe der Maahks hinweg und flog auf den Kugelraumer zu. Getrays Geräte zeigten ein wandfrei an, daß dort tatsächlich ein Überle bender durch das Vakuum schwebte. Der Unbekannte gebrauchte die winzigen Trieb werke des Raumanzugs rücksichtslos. Wenn er so weitermachte, kam er nicht weit, denn die Energie mußte sich bald erschöpft ha ben. Gleichzeitig ließ die Geschwindigkeit, mit der er sich von dem Wrack entfernte, nur einen Schluß zu: Er hatte das Schiff erst vor wenigen Minuten verlassen. »Was ist das?« fragte Zarp ungläubig. Die Überraschungen rissen nicht ab. Von dem Raumschiff ging etwas aus, daß wie ein Schlauch aus einem milchigen Mate rial aussah. Das Gebilde war teilweise hinter dem Wrack verborgen, sein Ende ließ sich noch nicht erkennen. Ich vergaß die Vorbe reitungen für die Transition nach Sorkoth und konzentrierte mich voll auf die seltsame Erscheinung. Der Schlauch war sehr lang. Er beschrieb seltsame Windungen, und er war nicht starr, sondern schwankte hin und her, drehte sich
Marianne Sydow dabei und pulsierte manchmal, als wäre es ein atmendes Lebewesen. Erst als wir den Schiffbrüchigen schon fast erreicht hatten, sahen wir das Ende des Schlauches. Es war eine Blase, ein schim merndes Ding, das irgendwie unfertig wirk te. »Das Ganze besteht aus Energie«, melde te Senjah verblüfft. »Aber ich habe hier Ausschläge, wie sie mir noch nie unter die Augen gekommen sind.« »Wir holen diesen Raumfahrer an Bord«, entschied ich. »Vorerst werden wir in der Nähe des Wracks bleiben. Senjah, versuchen Sie, mehr über diese energetischen Gebilde herauszubekommen.« Ein paar Minuten später zogen wir den Schiffbrüchigen in die Schleuse.
2. »Alles weg«, stammelte der Mann und verdrehte die Augen, »ein Mahlstrom. Mei ne Kameraden gingen nach oben, Sessel gin gen nach oben, alles ging nach oben. Es war ein Sturm. Alles wurde weggefegt, verste hen Sie?« »Was ist passiert?« fragte Fartuloon ein dringlich. »Nach oben«, murmelte der Mann auf der Liege und schüttelte traurig den Kopf. »Einfach nach oben, verstehen Sie?« Fartuloon verstand nichts, und ich konnte es ihm nicht verdenken. »Wie heißen Sie?« »Wutsch!« machte der Mann und zeigte nach oben. Plötzlich begann er zu kichern. Mir sträubten sich die Haare. »Ich war ein geklemmt. Die verdammten Maahks. Bei ei nem Schuß knallte mir ein Aggregat aufs Bein. Auf einmal war das verflixte Ding weg. Und ich hing an einer Strebe. Oh, Mann, das war vielleicht komisch. Ich ging verkehrt herum durch einen Antigrav schacht. Auf einmal kriegte ich den Raum anzug vor den Bauch. Das Ding hat mich fast umgehauen. Und dann war ich unten – oder war ich oben? Keine Ahnung. Jeden
Die Schrecken des Schwarzplaneten falls sauste alles mögliche an mir vorbei. Machte mich ganz verrückt. Wutsch – und dann wieder Wutsch – verstehen Sie? Und ich immer dran vorbei. Oh, Mann, ich habe keine Ahnung, wie ich da rausgekommen bin.« »Wissen Sie, warum sich alles nach oben bewegte?« fragte Fartuloon. »Nach oben«, nickte der Mann nach drücklich. »Oder war es unten?« Er begann zu grübeln und reagierte nicht mehr auf unsere Fragen. Fartuloon über zeugte sich davon, daß der Mann in der Krankenkabine keinen Unsinn anrichten konnte, dann winkte er mir grimmig zu. »Nun?« fragte er, als wir draußen standen. »Auf jeden Fall eine höchst merkwürdige Sache«, antwortete ich vor- sichtig. »Diese Energiedinger – ob das mit den Erscheinun gen zusammenhängt, von denen er berichte te?« »Er hat nichts berichtet«, korrigierte Far tuloon trocken. »Dazu wäre er in diesem Zu stand gar nicht fähig. Er steht unter einem Schock. Es können Tage vergehen, ehe er seinen Verstand wieder normal gebrauchen kann.« »Du glaubst ihm nicht.« Der Bauchaufschneider zuckte die Schul tern. »Vielleicht stimmt das, was er gesagt hat – die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig.« »Bei einem Raumgefecht kann es zu vie len merkwürdigen Erscheinungen kommen. Das wissen wir. Wir haben es auch manch mal mit eigenen Augen gesehen. Aber dieser Schlauch – kennst du so etwas?« »Nein. Und das ist für mich der beste Grund, diese Gegend schleunigst zu verlas sen. Unsere Freunde warten sicher schon auf uns.« »Was mag hinter der Blase liegen?« »Wieso glaubst du, daß, es dahinter noch weiter geht?« »Ich finde, es sieht so aus. Ich möchte wetten, dieser Schlauch führt in eine andere Welt!« »Du spinnst!« knurrte Fartuloon. »Und
7 selbst wenn du recht hast – was geht uns das an? Denk mal an den Mikrokosmos. Das war auch eine andere Welt, und es war ver dammt kompliziert und zeitraubend, einen Rückweg zu finden, von der Gefahr einmal abgesehen. Du solltest wirklich den Spaß an derartigen Abenteuern verloren haben.« »Da drüben ist etwas«, sagte ich stur. »Frag mich nicht, woher ich das weiß, aber hinter der Blase lauert eine Gefahr.« »Also auf nach Sorkoth.« »Nein. Diese Gefahr gilt nicht nur uns. Fartuloon, ich habe niemals behauptet, hell seherische Fähigkeiten zu besitzen, aber ir gend etwas stimmt an dieser Sache nicht. Wir müssen uns darum kümmern.« Fartuloon blieb mitten im Gang stehen und sah mich finster an. »Paß mal auf, mein Sohn«, sagte er nach einer Weile. »Die Zerstörung unseres Stütz punktes hat nicht nur dich getroffen. Trotz dem habe ich mir nur um dich Sorgen ge macht. Ein alter Mann wie ich kommt über einen solchen Verlust hinweg – ich habe schon ganz andere Niederlagen erlitten. Aber du … Jedenfalls habe ich mich beinahe gefreut, als dieser komische Schlauch auf tauchte. Ich dachte, gut, das lenkt ihn ab und hilft ihm über den kritischen Punkt hinweg. Und ich habe recht behalten. Wollen wir es nicht damit bewenden lassen? Warum willst du unbedingt bei jeder unpassenden Gele genheit den Kopf in die Schlinge stecken?« Natürlich hatte er recht. Aber Sorkoth war nur einen Katzensprung entfernt, und wenn meine alten Freunde die Raumschiffe so führten, wie sie es immer ta ten, so konnte eigentlich nichts schiefgehen. Außerdem verloren wir nicht viel Zeit, wenn wir uns wenigstens in dem Wrack einmal umsahen. »Zeit!« sagte Fartuloon wütend, als ich ihm meine Überlegungen mitteilte. »Als ob es nur darum ginge! Natürlich kannst du dich auf Morvoner Sprangk, Karmina und die anderen verlassen. Aber sie sind nicht wegen Morvoner oder Karmina nach Krau mon gekommen. Jeder einzelne lebt mit dem
8 Risiko, von Orbana-schols Leuten eingefan gen und wegen Hochverrat hingerichtet zu werden -für dich!« Das Extrahirn meldete sich immer noch nicht. »Ich nehme ein Beiboot«, sagte ich. »Es dauert nicht lange. In spätestens einer Stun de bin ich zurück.« »Du bist ein verdammter Dickschädel – aber daran bin ich wohl selbst schuld. Ich al ter Mann hätte dich öfter übers Knie legen sollen, als du noch klein warst. Jetzt ist es zu spät.« »Du sagst es.« Ich machte mich auf den Weg zum Han gar. Fartuloon trottete brummend hinter mir her. Als das Schott sich öffnete, drängte er sich an mir vorbei. »Du willst doch nicht etwa mitkommen?« fragte ich. »Was dachtest du denn? Hast du gedacht, ich lasse dich alleine in diesem Wrack heru mirren? Das riskiere ich nicht.« Ich grinste, und er warf mir einen bitter bösen Blick zu. Wir kannten uns zu gut, als daß einer den anderen nicht hätte durch schauen können. Fartuloon war genauso neugierig wie ich. Wir standen vor einem uns unbekannten Phänomen – es hätte mich sehr gewundert, wenn er sich diese Gelegen heit hätte entgehen lassen. Das Beiboot war startbereit. Fartuloon in spizierte die Vorräte, was ich als leicht über trieben empfand. Auch die beiden Rauman züge unterzog er einer strengen Überprü fung. Ich verständigte inzwischen Zarf. Er sollte besonders auf etwa eintreffende Schif fe achten, denn es war zu erwarten, daß so wohl die Arkoniden als auch die Maahks nachsehen wollten, was sich in diesem Raumsektor ereignet hatte. Falls eine der beiden Parteien es geschafft hatte, noch rechtzeitig eine Nachricht abzusetzen, so mußte man mit Bergungsschiffen rechnen. In diesem Fall durfte die CRYSALGIRA nicht auf ihrer Position bleiben. Zarf sollte sich zu einer acht Lichtjahre entfernten, pla netenlosen Sonne zurückziehen und dort
Marianne Sydow warten, bis die Besucher sich zurückzogen oder wir uns meldeten. Notfalls konnten wir mit dem Beiboot den unmittelbaren Gefah renbereich verlassen. Als alles geregelt war, starteten wir. Das Wrack machte uns schon beim An flug klar, daß es Überraschungen für uns be reithielt. Weil der geheimnisvolle Schlauch dem oberen Schiffspol entsprang, hatten wir uns dazu entschlossen, möglichst in der Nä he der Bodenschleuse einzudringen. Aber kein einziges Schleusenschott reagierte auf den Befehl, uns einzulassen. »Sollen wir uns durchbrennen?« fragte ich. Fartuloon setzte zu einer Antwort ein, aber im selben Augenblick meldete sich Zarf von der CRYSALGI-RA. »Wir haben ein ziemlich großes Leck ent deckt. Es befindet sich, von Ihnen aus gese hen, auf der anderen Seite des Schiffes, etwa dreißig Meter oberhalb der unteren Pol schleuse.« Die Hülle des Wracks – es war ein 600-Meter-Schlachtschiff gewesen -glitt an uns vorbei. Deutlich waren im Licht unserer Scheinwerfer die zahllosen kleinen Beschä digungen zu erkennen. Das Wrack war seit dem Ausfall der Schutzschirme allen äuße ren Einwirkungen schutzlos preisgegeben, und hier, im Gebiet der vorangegangenen Raumschlacht, wimmelte es von Trümmer teilen aller Größenklassen. Wir gelangten auf die andere Seite und konnten den Scheinwerfer des Beiboots aus schalten, denn die Hülle wurde von der fer nen Sonne Kraumons erhellt. »Da ist es«, sagte Fartuloon leise. Das Leck war groß genug, um zwei Bei boote gleichzeitig passieren zu lassen. Seine Ränder waren gezackt, deutlich ließen sich die Bruchstellen erkennen. »Keine Folge eines Strahlschusses«, mur melte ich verwundert. »Was mag ein so rie siges Loch in die Hülle geschlagen haben?« Fartuloon antwortete nicht. Er spähte in die Dunkelheit jenseits der aufgebrochenen Hülle und schaltete dann den Scheinwerfer
Die Schrecken des Schwarzplaneten doch wieder ein. Wir sahen ein Gewirr von durchgebogenen Streben und zerbeulten Verkleidungsplatten. »Der Gegenstand, der diese Verwüstun gen angerichtet hat, kam aus dem Innern des Schiffes«, stellte Fartuloon fest. »Zarf, ich gebe Ihnen ein paar Daten durch. Füttern Sie die Positronik damit und stellen Sie fest, ob sich auf dem angegebenen Kurs ein beson ders großes Trümmerstück herumtreibt.« Es dauerte nur wenige Minuten, dann kam die Antwort. »Kein stofflicher Gegenstand, aber die mutmaßliche Flugbahn führt genau durch einen der zerstörten Maahkraumer hin durch.« »Welche Beschädigungen können Sie an dem Walzenschiff auf diese Entfernung fest stellen?« »Allem Anschein nach gab es an Bord ei ne gewaltige Explosion. Der Mittelteil des Schiffes läßt sich nur noch theoretisch re konstruieren.« »Hm«, machte Fartuloon. »Wir dringen jetzt durch das Leck in das Wrack vor.« Behutsam steuerte ich das Beiboot an der aufgerissenen Hülle vorbei. Drinnen war es noch schwieriger, denn die frei schweben den Trümmerteile bildeten ein wahres Laby rinth. »So kommen wir nicht weiter«, knurrte Fartuloon nach kurzer Zeit. »Wir müssen immerhin damit rechnen, daß die äußeren Umstände uns dazu zwingen, das Wrack sehr schnell zu verlassen.« Ich nickte und kehrte zum Rand des Lecks zurück. Wir verankerten das kleine Schiff und benachrichtigten Zarf davon, daß wir von nun an zu Fuß weitergehen wollten. Jetzt kamen wir schneller voran. Wir stie ßen auf eine massive Wand, die keine Spu ren von Zerstörung zeigte. Nach einigem Suchen entdeckten wir eine Sicherheits schleuse. Es kostete einige Mühe, das po sitronische Schloß zu überreden, aber schließlich wich das schwere Schott doch zur Seite. Die Kontrollgeräte der Raumanzü ge zeigten uns, daß die Schleusenkammer
9 sich mit Luft füllte. Das stimmte mich zu versichtlich, denn wenn es im Innern des Wracks noch eine atembare Atmosphäre gab, konnten die Zerstörungen nur relativ gering sein. Wir traten auf einen hell erleuchteten Ringkorridor hinaus. »Wir sind jetzt im Wrack«, teilte ich Zarf mit. »Bis jetzt ist alles in Ordnung. Wie sieht es draußen aus?« Ich erhielt keine Antwort.
* »Ich gehe nach draußen«, knurrte Fartu loon, nachdem auch ein zweiter Anruf bei der CRYSALGIRA ohne Antwort blieb. Ich nickte und konzentrierte mich auf meine Umgebung. Während Fartuloon die Schleuse passierte, untersuchte ich einige Kontrollgeräte an den Wänden. Als erstes stieß ich auf einen Druckmesser. Das Gerät behauptete, daß es um mich herum kein atembares Gasgemisch, sondern nur ein Va kuum gäbe! Verblüfft sah ich auf meinen eigenen Druckmesser – und der zeigte normale Ver hältnisse an. Eines der beiden Geräte war defekt. Ich zog den Strahler und schlug mit dem Kolben leicht gegen die Wand. Die Au ßenmikrophone übertrugen den dumpfen Laut des Aufpralls. Vermutlich waren einige der bordeigenen Apparaturen ausgefallen. Ich kümmerte mich nicht weiter um den Druckmesser, sondern begab mich in die erstbeste Kommunikationsnische. Wenn es Luft in diesem Wrack gab, dann mochten ir gendwo in diesem riesigen Schiff auch noch Überlebende zu finden sein. Ich schaltete den Apparat auf Rundruf, gab mich als Angehöriger eines Bergungs trupps aus und forderte alle lebenden Perso nen an Bord auf, sich umgehend zu melden. Dann ging ich auf Empfang – und hatte plötzlich das Gefühl, in einen Orkan geraten zu sein. Hastig verringerte ich die Empfind lichkeit der Außenmikrophone. Das dröh nende Geräusch, das aus dem Lautsprecher
10 drang, schwächte sich ab. Ich schüttelte be nommen den Kopf und stellte fest, daß da durch der ganze Raum ins Wanken geriet. Verwirrt starrte ich die wackelnden Wände der Nische an. Erst nach geraumer Zeit drang ein Impuls des Extrahirns bis in mein Bewußtsein vor. Sofort ausschalten! Das Sprechgerät wollte mich allem An schein nach zum Narren halten, denn es hüpfte in unberechenbaren Winkeln vor meinen Augen hin und her. Jedesmal wenn ich die richtige Taste anvisiert hatte, war das verflixte Ding plötzlich verschwunden. Ir gendwann landete ich einen Zufallstreffer, und der Spuk war vorüber. »Was ist los?« fragte Fartuloons poltrige Stimme. »Wo steckst du?« Ich wankte aus der Nische und winkte ihm zu. »Von der anderen Seite der Schleuse aus ist es kein Problem, die CRYSALGIRA zu erreichen«, berichtete er. »Drüben ist alles in Ordnung. Es scheint, daß es hier im Wrack etwas gibt, was den Funkverkehr unterbin det.« »Das verstehe ich nicht«, murmelte ich benommen. »Wir haben die Armbandsender benutzt – die Hyperfunkwellen müßten doch das bißchen Metall überwinden können.« »Sie tun es aber nicht. Und was hast du inzwischen herausgefunden?« Ich berichtete von meinem Versuch, einen Kontakt zu den noch lebenden Besatzungs mitgliedern herzustellen. »Ein Brausen, das Orientierungsstörungen verursacht«, murmelte Fartuloon. Es klang nicht sehr begeistert. »Ich möchte wissen, was hier sonst noch alles los ist.« Obwohl ich wußte, daß diese Bemerkung einen rein rhetorischen Wert hatte, griff ich sie sofort auf. »Wir sehen ein Stück weiter oben nach«, schlug ich vor. Fartuloons Gesicht war hinter dem Klar sichthelm deutlich zu erkennen. Er blickte mich grimmig an, dann nickte er. »Gut, ich bin einverstanden. Aber sobald
Marianne Sydow wir Anzeichen einer Gefahr entdecken, keh ren wir um. Mit diesem Wrack stimmt etwas nicht!« Wir folgten dem Ringkorridor bis zum nächsten Antigravschacht. Das Feld war zu sammengebrochen, wie die hektisch blin kenden Lichter der Kontrolleiste bewiesen. Wir hätten die Flugaggregate einsetzen kön nen, beschlossen jedoch, es zuerst beim nächsten Schacht zu versuchen. Als wir uns abwandten, nahm ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung in der Schachtöffnung wahr. Ich wirbelte herum und richtete den Strahler auf den vermeintlichen Gegner. Hinter mir lachte Fartuloon grimmig auf. »Hier stimmt einfach gar nichts«, knurrte er. »Allmählich komme ich zu der Auffas sung, daß alle Kontrollgeräte das genaue Gegenteil von dem anzeigen, was wirklich vorliegt.« Eine kurze Strebe schwebte an uns vorbei nach oben. Die Warnlampen blinkten immer noch. Ich beugte mich vor und spürte den sanften Sog des künstlichen Schwerefelds. Über mir strebte das verbogene Metallstück nach oben. Wir ließen uns in das nächsthöhere Deck tragen, hielten uns jedoch ständig am Rand des Schachtes und waren außerdem bereit, sofort die Flugaggregate einzuschalten, wenn es zu einer Störung kam. Natürlich ge schah nichts. Als wir auf der Ringplattform standen, beugte Fartuloon sich vor und späh te nach oben. »Sehr merkwürdig«, murmelte er. »Die Strebe ist schneller geworden.« Ich blickte ihn ungläubig an, und das machte ihn wütend. »Erinnerst du dich nicht mehr an das, was uns der arme Kerl erzählte, den wir aufge fischt haben? Alles ging nach oben – hier haben wir den ersten Beweis dafür, daß es eine Art Sog gibt.« »Du hast selber gesagt, daß der Mann einen Schock erlitten hat und vermutlich Märchen erzählt.« »Hältst du das auch für ein Märchen?« Ich drehte mich um. Als ich sah, was Far
Die Schrecken des Schwarzplaneten tuloon meinte, hielt ich den Atem an. Wir befanden uns auf gleicher Ebene wie die er sten Maschinenhallen. Von der Plattform aus sahen wir in einen kurzen Korridor, der von einem schweren Sicherheitsschott abge schlossen wurde. Einige Meter vor dem Schott befand sich ein Getränkeautomat. Aus irgendeinem Grund war das Gerät in Betrieb, obwohl niemand da war, der die pausenlos erscheinenden Trinkbecher anfor derte. Und genau diese Becher waren es, die sich äußerst seltsam verhielten. Sobald sie auf das schmale Bord hinaus geschoben wurden, kippten sie nämlich um. Der Inhalt landete auf dem Boden und wur de von einer Absaugvorrichtung beseitigt. Die Becher dagegen stiegen in die Höhe und blieben unter der Decke kleben. Es mußten schon etliche hundert von diesen Trinkgefä ßen da oben versammelt sein. »Nun?« fragte der Bauchaufschneider herausfordernd. »Ein Defekt«, sagte ich schulterzuckend. Ich ging zu dem Automaten und beobachtete sorgfältig eine kleine Skala auf dem Arm bandgerät. Wenn es hier eine Gravitations schwankung gab, würde ich sie an den Be wegungen des Zeigers erkennen und viel leicht sogar lokalisieren können. Der Zeiger bewegte sich nicht. Dafür stellte ich fest, daß er einen Wert anzeigte, der ein wenig unter der Norm lag, die auf ar konidischen Schiffen eingehalten wurde. Ich glaubte mich daran zu erinnern, daß dies vorher, auf dem tieferen Deck, nicht der Fall gewesen war. Nachdenklich kehrte ich zu Fartuloon zurück. Die Strebe war inzwi schen so weit von uns entfernt, daß wir sie im gelblichen Licht des Schachtes nicht mehr erkennen konnten. Wir ließen zwei Decks aus. Jetzt hatten wir keinen Zweifel mehr, daß es diesen »Sog« geben mußte. Unsere Geschwindig keit lag weit über dem Normalwert -wir merkten es, als wir uns auf die nächste Platt form schwingen wollten. Wir brauchten da zu entschieden zu viel Kraft. In den angrenzenden Gängen und Räu
11 men fanden sich weitere Beweise. Überall klebten kleinere Gegenstände an der Decke, andere schwebten dicht über dem Boden und hüpften auf und ab, als bemühten sie sich, dem Ruf nach oben zu folgen. Wir fanden in diesem Sektor auch den ersten Raumfahrer. Er lag mitten auf einem Gang. Irgend etwas hatte seinen Schädel durchschlagen. Oben an der Decke klebte Blut. »Ich denke, damit wissen wir genug«, sagte Fartuloon, als wir zum Schacht zu rückkehrten. »Zweifellos ist dieser energeti sche Schlauch an der Katastrophe schuld. Der Sog nach oben muß von ihm ausgehen. Anfangs war die Wirkung viel stärker als jetzt. Wahrscheinlich wird die Anziehungs kraft dieser Blase allmählich nachlassen, bis das ganze Gebilde in sich zusammenbricht.« »Das glaube ich nicht. Mir kommt es eher so vor, als hätte das Gebilde sich jetzt erst stabilisiert. Anfangs muß nicht nur der Sog stärker gewesen sein, sondern es kam sicher zu starken Schwankungen und sogar Umpo lungen. Du brauchst nur an das Leck zu den ken, durch das wir eingedrungen sind.« »Meinetwegen ist es so«, brummte Fartu loon. »Das ändert nichts an der Tatsache, daß wir hier nichts mehr tun können. Je wei ter wir nach oben vordringen, desto stärkere Zerstörungen werden wir finden. Ich möchte mit dir wetten, daß schon im nächsten Deck der Sog stark genug war, um die dort statio nierten Leute einfach zu zerquetschen. Wenn es Überlebende gegeben hat, dann nur in den unteren Decks. Dort haben sich die Verhältnisse inzwischen soweit stabilisiert, daß diese Leute sich mit Leichtigkeit hätten selbst befreien können.« »Das klingt zwar alles logisch, aber be friedigend ist es nicht«, antwortete ich ärger lich. »Wir wissen jetzt, daß unser Schützling auf der CRYSALGIRA keineswegs unter Halluzinationen litt. Es gibt diesen Sog, den er beschrieben hat. Wir nehmen mit einigem Recht an, daß diese seltsamen Erscheinun gen etwas damit zu tun haben. Wir wissen außerdem, daß noch andere Einflüsse vor handen sind. Der Funkverkehr ist unterbro
12 chen, und die Instrumente spielen verrückt. Aber was steckt dahinter?« »Woher soll ich das wissen? Vielleicht ist es eine neue Teufelei, die die Maahks ausge heckt haben. Zuzutrauen wäre es ihnen. Auf jeden Fall ist es besser, wenn wir jetzt um kehren. Zarf und die anderen werden sich schon Sorgen machen.« Ohne meine Antwort abzuwarten, wählte er das nach unten gepolte Feld des Schach tes und trat einen Schritt nach vorne. Im nächsten Augenblick war er meinen Blicken entschwunden. Ich hörte ein erschrockenes Ächzen und dann das Surren eines Flugag gregats. »Ich komme«, sagte ich hastig, schaltete ebenfalls das Aggregat ein und sprang in den Schacht, um dem Bauchaufschneider zu helfen. Natürlich nahm ich an, daß die Kon trollen uns wieder einmal genarrt hatten und das Feld diesmal tatsächlich zusammenge brochen war. Die Beschleunigung traf mich wie der Schlag einer Riesenfaust. Die Wände rasten an mir vorbei. Als ich endlich begriff, daß ich in die verkehrte Richtung flog, befand ich mich um mindestens drei Decks näher am Ausgangspunkt dieser unheimlichen Kraft. »Bleib unten!« schrie Fartuloon. »Ich schaffe es schon!« »Die Warnung kommt zu spät«, antworte te ich. Ich schaltete an den Kontrollen des Flug aggregats, und für einen Moment schien es, als würde ich langsamer nach oben steigen. Dann gewann diese unheimliche Kraft wie der die Oberhand. Ich schaltete das Aggre gat hoch, und das Surren wurde zu einem schrillen Heulen. Als die harten Vibrationen mich schüttelten, gab ich es auf. Das Gerät kam gegen den Sog nicht an. »Wo bist du?« fragte Fartuloon. »Im Schacht. Aber frag mich nicht, wel ches Deck ich jetzt passiere. Bei der Ge schwindigkeit kann ich die Kennziffern nämlich nicht so genau erkennen.« »Kannst du eine der Haltestangen errei-
Marianne Sydow chen?« »Ich könnte schon. Aber das würde mei nen Flug nach oben nicht abblocken. Wenn ich schon diese Blase von innen besichtigen muß, möchte ich es nicht mit dem Verlust eines Armes bezahlen.« »Was hältst du davon, daß der Sog sich ausgerechnet in dem Moment verstärkte, als wir in den Schacht gingen?« »Gar nichts«, antwortete ich und hielt ver zweifelt Ausschau nach einer Möglichkeit, diesen Wahnsinnsflug doch noch zu been den, ehe ich entweder an einem Hindernis zerschmettert oder in das energetische Etwas geschleudert wurde. »Es kann Zufall sein. Vielleicht trifft es nur die nach unten gepol ten Schachtteile. Vergiß nicht, daß hier alles umgekehrt funktioniert.« Noch während ich sprach, meldete sich der Logiksektor. »Mein kleiner Mann im Ohr empfiehlt uns, die Seiten zu wechseln«, gab ich an Fartuloon durch und versuchte, mich in eine günstige Position zu manövrieren. »Das habe ich inzwischen auch schon ausprobiert«, knurrte Fartuloon. »Leider er folglos.« Ich raste weiter nach oben, und allmählich gewann ich einen recht guten Eindruck von dem, was unserem Schiffbrüchigen zu sei nem Schockzustand verholfen hatte. Je höher ich kam, desto häufiger waren die Schachtwände durchlöchert und zerfetzt. Durch die Öffnungen erblickte ich im Vor beisausen nach oben aufgebrochene Gänge und Hallen. Zwischen zerbogenen Verstei fungen hingen Gegenstände aller Art fest – und nicht nur das. Überall gab es Leichen, und die meisten waren auf grauenhafte Wei se verstümmelt. Ich versuchte, diesen Bil dern auszuweichen, indem ich nach Fartu loon Ausschau hielt, der sich irgendwo über mir befand. Aber immer wieder schob sich die brutale Wirklichkeit in meinen Sichtbe reich. Ich war beinahe dankbar, als die Ge schwindigkeit sich weiter erhöhte und die zerrissenen Wände des Schachtes zu einem verschwommenen Durcheinander von hellen
Die Schrecken des Schwarzplaneten und dunkleren Flächen wurden. »Wo bist du jetzt?« fragte ich. »So ziemlich am Ende«, antwortete Fartu loon sarkastisch. »Hoffentlich hat irgendein freundlicher Mensch die obere Polschleuse geöffnet, sonst sehe ich schwarz.« Ich schwieg bedrückt. Die Neugierde hat te mich an diesen Ort getrieben. Wohin ging unsere rasende Fahrt? Wenn die Polschleuse nicht geöffnet war, würde es vermutlich so schnell gehen, daß wir gar nichts merkten. »Fartuloon?« Ich bekam keine Antwort. Verzweifelt drehte ich an den Kontrollen des Helmfunks herum, aber der Lautsprecher blieb stumm. Ich blickte nach oben und stellte fest, daß ich nichts tun konnte. Ich konnte nur warten. Und am Ende dieser Wartezeit stand der Tod.
* Der Übergang kam so überraschend, daß ich sekundenlang jede Orientierung verlor. Plötzlich waren die an mir vorbeirasenden Flächen verschwunden. Ich schwebte in ei nem rosafarbigen Etwas. Um mich herum wallten goldene und orangefarbene Nebel streifen. Ein Schwarm von blaßblauen Ku geln zog an mir vorbei. Eine der Kugeln kam so nahe, daß ich glaubte, sie mit den Händen berühren zu können. Die Kugel pul sierte wie ein atmendes Meerestier, und hin ter der blauen Haut schimmerten wirre Lichtpunkte. »Wo bin ich?« Unwillkürlich hatte ich laut gesprochen. Gleich darauf dachte ich, die Trommelfelle müßten mir zerplatzen. Hastig drehte ich die Lautstärke des Helmfunks herunter. »… Universum«, hörte ich den Rest einer Antwort, und ich erkannte die Stimme so fort. Fartuloon! Er hatte es also doch über standen. Logisch, sagte das Extrahirn. Ihr wurdet von derselben Kraft erfaßt und transportiert. Es gab keinen erkennbaren Grund, euch ei ner unterschiedlichen Behandlung zu unter
13 ziehen. »Fartuloon, wo steckst du?« »Zwischen irgendwelchen Nebeln und Kugeln. Da ich dich deutlich hören kann, nehme ich an, daß du dich ganz in der Nähe befindest.« Ich drehte mich langsam um meine Ach se. Es ging ganz leicht. Es war, als schwebte ich in einer Flüssigkeit. »Ich sehe dich nicht.« Fartuloon lachte glucksend. »Das war nicht anders zu erwarten. Ich sagte dir schon, daß hier alles anders ist.« »Ich habe vorhin kein Wort verstanden.« »Ach so. Nun, ich nehme an, daß wir uns in einer völlig fremden Dimension befinden, möglicherweise sind wir sogar in einem an deren Universum.« »Hast du eine Ahnung, wie wir in das Wrack zurückkommen?« »Nein. Ich kann mich zwar frei bewegen, aber es gibt keinen Anhaltspunkt, in welche Richtung ich mich begeben muß.« »Wie wäre es mit rückwärts? Weißt du noch, woher wir gekommen sind?« »Ich wußte es, und natürlich habe ich es sofort versucht. Aber ich habe nichts gefun den. Inzwischen bin ich ein paarmal diesen Kugeln ausgewichen. Ich muß zugeben, daß mein Orientierungssinn in dieser Situation nicht funktioniert. Was sagt dein Extrahirn dazu?« Diese Welt ist in sich begrenzt, aber den noch unendlich, behauptete der Logiksektor prompt. Wenn es eine Möglichkeit gibt, die sen Raum zu verlassen, so liegt der auslö sende Faktorjenseits der Grenzen. Ich unterbreitete Fartuloon diesen Kom mentar. Der Bauchaufschneider schwieg ei ne Weile. »Wir sitzen also fest«, brummte er. »Wir sind darauf angewiesen, daß ein Zufall unse ren Rücktransport einleitet. Erfahrungsge mäß sind solche Zufälle äußerst selten.« »Ich weiß nicht«, murmelte ich bedrückt. »Das alles ergibt doch gar keinen Sinn. Wa rum werden wir hierher transportiert? Was ist der Zweck?«
14 »Naturereignisse sind selten zweckmäßig. Wahrscheinlich sind wir in den energeti schen Schlauch geraten. Wenn wir Glück haben, fällt dieses Gebilde bald in sich zu sammen und entläßt uns in den Normal raum.« Der Schlauch stellte eine Verbindung zu dieser Blase her, sagte der Logiksektor. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß diese Erkenntnis für uns einen Nutzen haben soll te. Der Sog ist nach wie vor innerhalb des Schiffes wirksam. Es werden also weiterhin Gegenstände angezogen. Sie sind allerdings in dieser Umgebung nicht in ihrer gewohn ten Form sichtbar. Sie unterliegen aber ver mutlich einem Beschleunigungsvorgang, der sie unaufhaltsam durch den Schlauch bis in die Energieblase treibt. »Dann dürfte das Ding demnächst wegen Überfüllung auseinanderplatzen«, knurrte ich wenig erfreut. »Was meinst du?« fragte Fartuloon sofort. »Mein Extrahirn versucht mir gerade zu erklären, daß die Nebelstreifen und Kugeln möglicherweise Gegenstände sind, die aus dem Schiff in den Schlauch gelangten und jetzt der Energieblase entgegenfliegen.« Fartuloon pfiff leise durch die Zähne. »Das könnte durchaus stimmen. Es wäre auch die Erklärung dafür, daß wir uns ge genseitig nicht sehen können. Wir unterlie gen einem optischen Phänomen. Alles ver ändert sich – hier herrschen fremdartige Be dingungen.« »Hm. Ich sehe im Augenblick sechs Ku geln von verschiedener Größe. Sie fliegen alle in eine Richtung.« Im nächsten Augenblick scherte eine der Kugeln aus dem Schwarm aus und kam auf mich zu. »Sehe ich wenigstens hübsch aus?« fragte Fartuloons Stimme, die jetzt wesentlich lau ter aus dem Lautsprecher drang. »Wie hast du mich gefunden?« fragte ich. »Ich habe ebenfalls Kugeln gezählt und eine bemerkt, die im Vergleich zu denen, zwischen denen ich herumflog, fast still
Marianne Sydow stand.« Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, daß diese Kugel identisch mit dem Bauch aufschneider war. »Wir haben keine volle Gewißheit«, sagte ich. »Es gibt noch mehr Kugeln, die nicht der allgemeinen Marschrichtung folgen oder langsamer vorankommen.« »Dann machen wir eben einen Test. Ganz in meiner Nähe befindet sich ein ringförmi ges Nebelding. Ich versuche, in seine Nähe zu gelangen.« Die Kugel bewegte sich und hielt . kurz vor dem Nebelring an. »Nun?« »Du scheinst recht zu haben. Ich komme zu dir.« Es kostete mich keine Anstrengung, den Ring ebenfalls zu erreichen. Unwillkürlich atmete ich auf. Zwar sah ich immer noch nichts von Fartuloon, und die Vorstellung, daß diese Kugel mit ihm identisch war, fand ich auch nicht beruhigend. Aber es war eine Basis dafür geschaffen, uns in dieser beun ruhigenden Umgebung zu orientieren. »Das wäre also geklärt«, sagte auch Far tuloon. »Als nächsten Schritt schlage ich vor, daß wir wenigstens den Versuch unter nehmen, einen Rückweg zu finden. Die Ku geln zeigen uns die Richtung an. Wenn wir ihnen entgegenfliegen, müßten wir wenig stens in der Nähe der Grenze gelangen.« Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken, als ich an die letzten Sekunden vor dem Übergang dachte. Auch wenn wir die Gren ze durchstießen, hatten wir nichts gewon nen. Der Sog würde uns immer wieder zu rückschleudern. Trotzdem bewegte ich mich in die Richtung, aus der ein dünner, oft un terbrochener Strom von Kugeln kam. Das bläuliche Gebilde, von dem ich annahm, daß es Fartuloon verkörperte, blieb meistens dicht neben mir. Und dann … »He«, sagte der Bauchaufschneider über rascht. »Wir scheinen uns verlaufen zu ha ben!« Die Kugeln hatten die Richtung gewech selt. Die kamen uns nicht mehr entgegen,
Die Schrecken des Schwarzplaneten sondern wanderten hinter uns her. Manche überholten uns sogar. Die Grenze, behauptete das Extrahirn. Die Richtungsänderung erfolgt automatisch. Ihr schafft es nicht. »Dann bleibt uns wohl keine andere Wahl, als uns die Energieblase von innen zu betrachten«, murmelte Fartuloon. Es zog uns weiter. Wir brauchten gar nichts zu unternehmen, denn innerhalb des Schlauches gab es eine Art Strömung. Ich starrte nach vorne – und dabei wurde mir be wußt, wie verrückt unsere Situation war. Fartuloon sah mich ebenfalls als eine pulsie rende, blaue Kugel mit kleinen Lichtern im Innern. Aber womit sah er mich? Waren un sere Körper in ihrer eigentlichen Form über haupt noch vorhanden, oder waren wir in ir gend etwas umgewandelt worden? Ich taste te nach meinem Gürtel und spürte deutlich die darin eingearbeiteten Geräte. Ich hob die Hand und sah nichts. Wenn ich mich auf meine Augen verlassen sollte, existierte mein Körper nicht mehr. Ich senkte die Hand und griff nach dem Kolben des Impulsstrahlers. »Hast du deine Waffe noch?« fragte ich. Fartuloon schwieg einen Moment. »Ja«, sagte er dann. »Ich kann sie zwar nicht sehen, aber ich kann sie anfassen. Auch das Skarg ist vorhanden. Hm, viel leicht ist die Idee gar nicht schlecht, aber es kann genausogut passieren, daß wir uns da mit selbst umbringen.« »Schlimmer kann es nicht werden. Zuerst das Skarg, einverstanden?« Fartuloon stieß ein zustimmendes Grun zen aus. Ich behielt die neben mir dahin schwebende Kugel scharf im Auge – und plötzlich blitzte es an ihrem Rand. Eine dün ne Schnur aus brennender Helligkeit züngel te durch den rosafarbenen Raum, und an ei ner fernen Stelle zerriß etwas mit einem peitschenden Knall. Fartuloon stieß einen triumphierenden Schrei aus. Eine klaffende Lücke in den unwirklichen Begrenzungen war entstanden. Dahinter fun kelten die vertrauten Sterne, und wir beweg
15 ten uns genau auf den Riß zu. »Wir schaffen es!« schrie Fartuloon über mütig. Eine halbe Sekunde später knallte es noch einmal, nur lauter, und diesmal war mit ei nem Schlag alles anders. Die verheißungsvolle Öffnung war ver schwunden. Das Licht um uns herum verän derte sich. Aus dem Rosa wurde ein tiefes, drohendes Rot. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, daß wir uns mit steigender Ge schwindigkeit bewegten. Gleich darauf tauchte vor uns ein Schwarm langsam glei tender Kugeln auf. Wir versuchten es mit ei nem Ausweichmanöver, aber diesmal schafften wir es nicht. Mit immer höherer Geschwindigkeit rasten wir genau in den Pulk hinein. Die ersten drei oder vier Kugeln huschten vorbei, aber die fünfte lag genau auf meinem Weg. Ich hörte Fartuloon ent setzt aufschreien, dann erfolgte der Zusam menstoß. Ein Gewitter von Blitzen hüllte mich ein, raste an mir vorbei und machte einem dunklen Punkt Platz. Ich flog mitten in diese Dunkelheit hinein und fand mich plötzlich in einem Gewirr von Gegenständen wieder. »Atlan!« »Ich bin noch da«, sagte ich vorsichtig. »Du bist mit dieser Kugel verschmolzen. Das Ding ist jetzt mindestens fünf Meter groß. Verdammt, du fliegst viel schneller als ich. Versuche, das Tempo zu verlangsa men!« Die letzten Wörter waren bereits so leise, daß ich sie kaum noch verstehen konnte. Ich drehte an den Einstellknöpfen, aber diesmal war der Kontakt zu Fartuloon endgültig ab gerissen. Auch von der Umgebung außer halb der Kugel sah ich nichts mehr. Ich be fand mich in diesem dunklen Hohlraum, und um mich herum schwirrten Dinge, die der Sog aus dem Wrack gerissen hatte. Zwi schen Metallteilen, den Überresten kompli zierter Geräte, Stoffetzen und zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verbeulten Gegenstän den hing auch eine entsetzlich verstümmelte Leiche. Ich schloß die Augen und dachte
16
Marianne Sydow
darüber nach, wie ich eventuell aus dieser Blase fliehen konnte. Aber diesmal war mein Weg vorbe stimmt, und ich erhielt keine Chance mehr, meine Situation zu verändern. Kurz hintereinander zuckten mehrere Blit ze am Rand der Dunkelzone auf. Der Inhalt weiterer Kugeln entleerte sich, und die Blase um mich herum dehnte sich aus. Gemeinsam mit einem Schwarm kleiner Nebel und Schalter tauchte Fartuloon auf. Er ruderte mit den Armen. Eine Funkverbindung kam nicht zustande. Das Feuerwerk der Blitze steigerte sich zu einer unerträglichen Flut aus zuckenden Licht, dann gab es einen har ten Ruck. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, in einen tiefen Schacht zu stür zen, dann raste eine Welle von Schmerzen durch meinen Körper, und dann war gar nichts mehr da.
3. Ein leiser, melodischer Glockenton weck te mich. Ich blieb mit geschlossenen Augen liegen und genoß die Ruhe und die Wärme um mich herum. Erst nach einer ganzen Weile fiel mir auf, daß einige der vertrauten Geräusche fehlten, die sonst die Kabine er füllten. Kabine? Mit einem Schlag kehrten die Erinnerun gen zurück. Ich schlug die Augen auf. Es war dunkel. Ich blickte in eine unendli che Schwärze. Vorsichtig richtete ich mich auf. Ich wartete eine Weile, in der Hoffnung, daß meine Augen sich allmählich auf die Dunkelheit einstellen würden. Tatsächlich bemerkte ich einen schwachen, rötlichen Lichtschimmer. Entweder war die Licht quelle sehr weit entfernt, oder sie besaß eine kaum nennenswerte Stärke. Immerhin stellte ich fest, daß ich in einer Mulde lag. Der Rand zeichnete sich scharf gegen die schwa che Helligkeit ab. Auf allen vieren kroch ich vorsichtig nach oben. Der Boden war uneben, aber die zahl-
reichen Wellen und Buckel fühlten sich glatt an, als hätte man sie mit einem Plastikmate rial übergossen. Meine Hand stieß gegen einen weichen Gegenstand. Ich zuckte zurück – in dieser unwirklichen Umgebung mußte ich mit al lem rechnen. Die Außenmikrophone über trugen ein Rascheln und Schaben, ein leises Klirren und einen wütenden Laut. Ich spürte die Bewegung über mir mehr, als daß ich et was sah. Als ich mich zur Seite warf, glitt ich auf dem glatten Boden aus und rollte in die Mulde zurück. Unwillkürlich stieß ich einen leisen Fluch aus. »Atlan!« »Fartuloon! Wo steckst du?« »Keine Ahnung. Sag mal, hast du mich eben angestoßen?« Mir sträubten sich nachträglich noch die Haare. Durch die Berührung war Fartuloon aufgewacht, und der Bauchaufschneider hat te instinktiv reagiert. In solchen Situationen pflegte er selten sein Ziel zu verfehlen. »Ja, das war ich«, seufzte ich. »Beinahe hättest du mich halbiert.« Fartuloon räusperte sich verlegen. »Bist du schon lange wach?« »Nein. Und wenn ich mir eben nicht ganz schön den Ellbogen gestoßen hätte, würde ich glatt glauben, daß ich träume. Weißt du, wo wir hier sein können?« »Klettern wir erst einmal nach oben«, schlug Fartuloon vor. »Vielleicht sehen wir dann mehr.« Ja näher wir dem Rand der Mulde kamen, desto steiler wurde der Hang. Wir rutschten immer wieder ein Stück zurück. Als ich mich endlich über die Kante der Vertiefung zog, war ich in Schweiß gebadet. Mein er ster Blick galt nicht der Umgebung, sondern dem Armbandgerät. Ich stellte fest, daß es um uns herum atembare Luft gab. Das muß nicht stimmen, warnte das Extra hirn. Erinnere dich: Auf dem Wrack zeigten alle Instrumente falsche Werte an. Unsere nicht, dachte ich. Nur die, die zum Schiff gehörten. Trotzdem hatte ich ein unangenehmes Ge
Die Schrecken des Schwarzplaneten fühl in der Magengrube, als ich den Klar sichthelm öffnete. Aber erstens würde dieser Augenblick ohnehin kommen, denn unsere Luftreserven reichten nicht für die Ewigkeit. Zweitens erwiesen sich alle Befürchtungen als überflüssig. Die Luft war frisch und kühl. Ich atmete mehrere Male vorsichtig durch und konzentrierte mich auf die Reak tionen meines Körpers. Es geschah nichts. Kein Schwindelgefühl, kein Brennen im Hals, nichts. Nur ein schwacher Schwefelge ruch wirkte etwas störend. »Du kannst den Helm öffnen«, teilte ich Fartuloon mit. Der Bauchaufschneider brummte etwas vor sich hin. Er ärgerte sich natürlich dar über, daß ich das Risiko auf mich genom men hatte. Wenig später stand er neben mir. »Einfach entzückend«, behauptete er und deutete auf die vor uns liegende Landschaft. »Das reinste Paradies. Und was das Wich tigste ist: Hier holt man sich ganz bestimmt keinen Sonnenbrand.« Damit hatte er recht. Alles andere war Galgenhumor. Wir befanden uns zweifellos auf einem Planeten. Allerdings konnte sich diese Welt nicht in unserer Galaxis befinden. Der Him mel war total schwarz. Es war nicht der kleinste Stern zu sehen, auch nicht der ver schwommene Schimmer eines unendlich weit entfernten Sternsystems. Die einzige Lichtquelle war ein rot glim mernder Punkt am Horizont. Um eine aufge hende Sonne handelte es sich dabei offen sichtlich nicht. Vor uns lag eine Landschaft, die infolge der mangelnden Beleuchtung alles andere als einladend wirkte. Nur an wenigen Stellen spiegelte sich das schwache Licht auf glasi gen Hügelkuppen. Fartuloon ließ seine Lampe aufblitzen und leuchtete den Boden vor unseren Füßen ab. »Wie glasiert«, sagte er. »Warum hast du nicht früher an die Lam pe gedacht?« fragte ich und dachte an das Mißverständnis in der Mulde. »Du hast doch auch einen Kopf zum Den
17 ken, nicht wahr?« gab Fartuloon bissig zu rück. Der Boden war wirklich wie glasiert. Au ßerdem war er ungeheuer hart. Es gab kein Sandkorn darauf, keinen Staubkrümel, nicht einmal einen losen Steinbrocken. »Weißt du, woran mich das erinnert?« fragte Fartuloon. »An die Spuren einer atomaren Explosi on. Oder an eine Landschaft, die systema tisch mit einer Impulskanone behandelt wor den ist.« »Hm«, machte Fartuloon zustimmend und scharrte mit dem Stiefel auf dem harten Bo den. Er zog das Skarg und kratzte mit der Spitze auf dem glasigen Zeug herum. »Sehr hart«, nickte er. »Deine Schlußfol gerungen sind logisch, aber sie stellen nicht die Antwort auf meine Frage dar. Natürlich ist die Oberfläche des Planeten zerstört wor den – wie, das werden wir vielleicht nie er fahren. Aber es kommt noch ein Faktor hin zu.« Er deutete mit dem Skarg in den absolut lichtlosen Himmel hinauf. »Keine Sterne. Und in unserem Univer sum gibt es keinen Planeten, auf dem man einen solchen Himmel sehen könnte.« »Du meinst, der Schlauch könnte uns in ein anderes Universum entführt haben?« »Du warst im Mikrokosmos. Dort gab es Sonnensysteme, nicht wahr? Ein Universum ohne Weltkörper wäre ein Paradoxon. Als mein Pflegesohn und Schüler solltest du das eigentlich wissen. Wenn wir hier nicht in ei nem anderen Universum sind, was bleibt üb rig?« »Eine andere Dimension, Herr Schulmei ster«, antwortete ich spöttisch. »Genau. Und das erinnert mich an eine Sage, die man gar nicht mal so selten hört. Erinnerst du dich an die Schwarzplaneten?« »Sage!« knurrte ich. »Ein Schauermär chen ist das und nichts anderes. Immer wenn unter mysteriösen Umständen ein Schiff ver schwindet, sind angeblich die Schwarzpla neten daran schuld. Eine bequeme Erklä rung!«
18 »Dieser Planet ist aber schwarz«, beharrte Fartuloon auf seiner Meinung. »Und er steht durch eine energetische Brücke mit unserem Raum-Zeit-Kontinuum in Verbindung.« »Eben. Davon ist in diesen Märchen näm lich niemals die Rede. Da heißt es lediglich, daß außerhalb unseres Raumes diese kosmi schen Planeten existieren, auf denen allerlei Fabelwesen leben. Sie errichten keine ener getischen Brücken, sondern bauen Raum schiffsfallen auf. Die Schiffe verschwinden, sobald sie mit der Falle in Berührung kom men.« »Vielleicht haben die Bewohner unseres Planeten es sich diesmal anders überlegt. Der Sage nach sind die Opfer der Raumfal len verschiedenen sehr unangenehmen Ein flüssen unterworfen. Sie verändern sich, sagt man. Und wenn ich mir die Gegend so an schaue, könnte ich mir vorstellen, daß die Ärmsten ganz gerne in ihre eigentliche Um gebung zurückkehren möchten. Die energe tische Brücke könnte eine Vorbereitung für eine Flucht vom Schwarzplaneten sein.« »Vielleicht«, murmelte ich nachdenklich. »Besonders angenehm finde ich diese Vor stellung nicht. Wenn die Verbindung wirk lich absichtlich hergestellt wurde, stehen den Schiffbrüchigen technische Mittel zur Ver fügung, die beträchtlichen Schaden anrich ten könnten.« »Wir werden sehen. Jetzt sehen wir erst mal nach, was es mit dem Licht dahinter auf sich hat.« Einen Vorteil hatte diese düstere Welt: Man konnte sich nicht verirren. Es gab keine größeren Bodenerhebungen, die den Blick auf die ferne Lichtquelle versperrten. Das Gehen auf dem glatten, harten Boden war anstrengend, und die Dunkelheit wirkte er müdend. Außerdem gab es keinen Anhalts punkt dafür, wie groß die Strecke war, die wir inzwischen zurückgelegt hatten. Das Licht war nach mehreren Stunden immer noch so fern wie am Beginn unseres Weges. »Es ist, als würden wir auf der Stelle tre ten«, brummte Fartuloon, als wir eine kurze Rast einlegten.
Marianne Sydow »Vielleicht wäre es klüger gewesen, in der Mulde zu bleiben. Wir sind dorthin durch den Schlauch befördert worden. Es gibt also eine Verbindung zwischen der Mulde und unserer Welt. Wer weiß, ob wir an einer anderen Stelle den Rückweg fin den.« Fartuloon zuckte die Schultern. »Die Landung in dieser Mulde dürfte auf einem Zufall beruhen. Wenn meine Vermu tung stimmt, dann müssen wir vor allen Din gen die Bewohner dieser Welt suchen. Ohne sie werden wir den Rückweg niemals fin den. Wenn es stimmt, daß die Bewohner der Schwarzplaneten hauptsächlich von Arkoni den abstammen, werden wir sie am ehesten in der Nähe des Lichtes finden. Außerdem haben wir noch ein anderes Problem. Wir haben nur unsere Notrationen. Damit kom men wir nicht weit.« Ich klopfte auf den harten, sterilen Boden. »Zum Gemüsebau ist die Gegend nicht geeignet«, stellte ich fest. Ich schaltete die Lampe ein und leuchtete die Umgebung ab. Immer wieder hatte ich die Hoffnung, doch irgendeine Veränderung zu finden. Ich fand auch etwas. »Da drüben liegt etwas«, sagte ich leise. Wir stapften hinüber und schalteten im mer wieder die Lampen ein, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Langsam nahm der Gegenstand deutliche Konturen an, und dann erkannten wir, worum es sich handelte. »Ein Arkonide!« stieß Fartuloon über rascht aus. Wir rannten los. Neben der Gestalt im Raumanzug blieben wir stehen. »Wer es auch ist, er stammt aus dem Wrack«, murmelte Fartuloon und deutete auf eine Reihe von Zeichen auf dem Rückenteil des Raumanzugs. Der Fremde lag auf dem Bauch, mit dem Gesicht nach unten. Die Arme hatte er nach den Seiten ausgestreckt. Irgendwie kam mir seine Haltung merkwürdig vor. Fartuloon bückte sich und klopfte dem
Die Schrecken des Schwarzplaneten Fremden auf die Schulter. Der Fremde rea gierte nicht. Dafür richtete Fartuloon sich auf und starrte mich entgeistert an. »Was ist?« fragte ich. »Er – er ist tot«, schluckte der Bauchauf schneider. »Damit mußten wir rechnen«, antwortete ich. Das Benehmen des Bauchaufschneiders irritierte mich. Erstens geschah es schließ lich nicht zum erstenmal, daß er eine Leiche sah, und zweitens – was machte ihn eigent lich so sicher? Er hatte den Fremden doch nur an der Schulter berührt. Ich bückte mich und faßte die Arme des Fremden. »Hilf mir mal«, sagte ich – dann spürte ich es. Wir starrten uns an. »Ich fürchte, uns erwartet eine sehr unan genehme Überraschung«, knurrte Fartuloon nach einiger Zeit. »Aber wir sollten es hinter uns bringen.« Gemeinsam drehten wir den Fremden um. Mein Magen revoltierte, als ich hinter dem Transparenthelm das sah, was Fartuloon schon nach der ersten Berührung vermutet hatte. Der Arkonide, der in diesem Anzug steck te, war nämlich gar keiner mehr. In dem An zug befand sich eine breiige Masse von rot brauner Färbung.
* »Gräßlich«, murmelte Fartuloon einige Zeit später. Wir hatten uns beinahe fluchtartig von der Leiche entfernt. »Wie kann das passiert sein?« fragte ich. »Etwas hat ihn zerquetscht.« »Ohne daß der Raumanzug beschädigt wurde?« Fartuloon schwieg. Nach einer Weile murmelte er etwas vor sich hin, aber ich ver stand kein Wort. Statt dessen hörte ich ein seltsames Geräusch. Es hörte sich an, als tappten einige hundert Arkoniden mit nack ten Füßen über das Gestein. Gleichzeitig
19 wurde ein leichter Luftzug spürbar – und das auf einer Welt, auf der es weder Wind noch Wolken zu geben schien. Fartuloon riß das Skarg heraus und sah sich nach allen Seiten um. Aber da war nichts. Nur diese ewige Dunkelheit und der ferne Lichtpunkt. Das Getrappel kam beängstigend schnell näher. Der Boden unter unseren Füßen vi brierte leicht. »In Deckung!« zischte Fartuloon. »Gute Idee. Aber wohin?« Die niedrigen Hügel um uns herum – so niedrig, daß man sie kaum noch als Hügel zu bezeichnen wagte – boten wenig Schutz. Höhlen, Felsbrocken oder eine Vegetation, hinter der wir uns verbergen konnten, gab es nicht. »Hier herüber!« rief Fartuloon und rannte nach rechts. Das Getrappel war jetzt so laut, daß es die Stimme des Bauchaufschneiders fast übertönte. Ich rannte hinter ihm her. Es war sehr zweifelhaft, ob Fartuloon die gün stigste Richtung gewählt hatte, denn das Trappeln schien von allen Seiten zugleich zu kommen. Aber irgend etwas mußten wir tun. Wir rannten ungefähr eine Minute lang über die glatten Bodenwellen, ohne daß die Geräuschkulisse sich auch nur im Gering sten veränderte. Ich hatte Fartuloon einge holt und hielt ihn am Arm fest. »Das ist sinnlos«, keuchte ich. Ich hob die Lampe und leuchtete die Umgebung ab. Alles war wie vorher. Nichts bewegte sich in der schwarzen Einöde. »Ein unsichtbarer Gegner?« fragte Fartu loon mißtrauisch. »Ich weiß es nicht. Verdammt, es wird immer heißer.« Ein Gluthauch streifte uns. Dann folgte ein plötzlicher Sturm, der uns in die Luft schleuderte. Ich schlug hart auf, rollte über den glasigen Boden und wurde vom Wind weitergeschoben. Fartuloon hatte ich aus den Augen verloren. Ich hörte ihn erbittert fluchen – wenigstens war er noch am Leben. Verzweifelt versuchte ich, mich irgendwie festzuklammern, aber es gab auf diesem Bo
20 den nichts, was mir einen Halt bieten konn te. Die Hitze stieg immer noch an. Ich nutzte eine kurze Pause, als ich am unteren Rand einer flachen Böschung liegen blieb, und schloß den Klarsichthelm. Als fri sche, kühle Luft in meine Lungen strömte, fühlte ich mich schon etwas wohler. Ich drosselte den kleinen Lautsprecher und ver nahm nun das Trappeln und das Heulen des Sturmes nur noch gedämpft. Vorsichtig kroch ich eine flache Rinne entlang. Sobald ich den Kopf hob, spürte ich die Wucht des Sturmes. Wo mochte Fartu loon jetzt stecken? Ich schaltete das Helmfunkgerät ein und rief nach ihm. Er antwortete sofort. Wir wechselten einige Bemerkungen über den Sturm und die seltsamen Geräusche, aber al les lief darauf hinaus, daß wir im Augen blick machtlos waren. Solange wir den Geg ner nicht sahen, konnten wir auch unsere Waffen nicht einsetzen. »Ich könnte es mit dem Skarg versu chen«, überlegte Fartuloon. »Nur das nicht!« erwiderte ich entsetzt, denn ich erinnerte mich noch deutlich genug daran, welche Wirkung das unheimliche Schwert im Innern des energetischen Schlauches gehabt hatte. »Am Ende reißt es uns irgendwohin, und wir finden nie mehr zurück.« »Schlimmer kann es wohl kaum noch werden!« knurrte der Bauchaufschneider grimmig. »Allerdings bin ich dafür, daß wir es erst versuchen, wenn wir wieder beisam men sind.« Allmählich gewann ich den Eindruck, daß das trappelnde Etwas uns gar nichts anhaben konnte. Das Geräusch blieb unverändert, oh ne daß jemand uns angriff. Nur der Sturm war lästig, denn seinen wilden Böen waren wir nicht gewachsen. Mühsam arbeiteten wir uns in den spärlichen Bodenvertiefungen aufeinander zu. Sobald wir dem Sturm die geringste Angriffsfläche boten, warf er sich wie ein Raubtier auf uns und versuchte, uns davonzufegen.
Marianne Sydow Ich verlor jedes Zeitgefühl. Das Tosen und Brüllen wurde zu einer monotonen Ge räuschkulisse. Die Klimaanlage des Raum anzugs summte eifrig. Das Außenthermome ter zeigte beunruhigende Werte an. In einer flachen Mulde trafen wir uns. Wir lagen flach auf dem Boden und starrten nach oben. Wir sahen nichts als die formlose Dunkelheit. »Na gut«, murmelte Fartuloon. »Unser Gegner ist unsichtbar. Wenn er sich mit ei nem Energieschirm umgeben hat, müßte das Skarg ihn knacken.« Ich hätte eine Menge Einwände vorbrin gen können. So zum Beispiel den, daß das fremde Etwas sich bisher nicht wirklich feindlich verhalten hatte. Oder daß wir nicht wußten, wo das Schirmfeld begann – falls es vorhanden war. Schließlich existierte auch noch die Frage, ob es sinnvoll war, den Geg ner sichtbar zu machen. Wenn wir Pech hat ten, wurde diese Tat als feindlich betrachtet und führte dann erst zu einem echten An griff. Aber ich sagte gar nichts. Ich kannte Far tuloon zu gut und wußte, daß er sich jetzt nicht mehr zurückhalten ließ. Fartuloon hob vorsichtig das Schwert. Zu erst geschah gar nichts. Dann merkte ich, daß der Sturm nachließ. Das heißt, eigent lich bildete sich lediglich über der Mulde ei ne Zone der Ruhe. Das Pfeifen und Winseln blieb und bewies, daß außerhalb dieser Zone keine Änderung eingetreten war. Der Bauchaufschneider grinste zufrieden und richtete sich vorsichtig auf. Das Skarg glitt nach oben. Die Zone der Ruhe wuchs. »Das reicht«, sagte ich begeistert. »Auf diese Weise können wir das gefährdete Ge biet verlassen.« Im selben Augenblick zuckten bläuliche Flammen um die Spitze des Schwertes. Fartuloon stieß einen überraschten Laut aus und stieß das Skarg noch höher hinauf. Die blauen Flammen breiteten sich aus und bildeten ein filigranartiges Muster um uns herum. Aber sie berührten uns nicht. Sie flossen an einer unsichtbaren Kuppel ent
Die Schrecken des Schwarzplaneten lang und verschwanden in dem glatten, har ten Boden. Das Skarg schien von innen her aus zu glühen. Ich starrte wie hypnotisiert auf den Griff. Immer wieder hatte ich versucht, die ei genartige Figur darauf zu erkennen. Bei ei nem flüchtigen Hinsehen zeichnete sich ein Gesicht ab, das zu lächeln schien. Aber wenn man sich bemühte, Einzelheiten zu er kennen, verschwammen alle Umrisse zu ei nem nebelhaften Etwas. Jetzt glühte diese Figur ebenfalls. Sie schien zu wachsen. Ihre Umrisse blieben verschwommen, aber der Prozeß der Aus dehnung schritt rasch voran. Wenig später war Fartuloon von einer Aura aus silbrigen Linien umgeben, die die Konturen einer Ge stalt nachzeichneten. Und diese Gestalt wuchs immer noch. Das Leuchten aus dem Skarg griff auf Fartuloon über. »Vorsicht!« schrie ich. »Hör auf!« Er hörte mich nicht. Oder er wollte mich nicht hören. Unbeweglich stand er da, das Skarg in der Hand, hochaufgerichtet, als wollte er den tiefschwarzen Himmel mit dem Schwert be rühren. Ich wich langsam zurück. In diesem Au genblick war mir Fartuloon unheimlich. Un gewollt drängten sich Erinnerungen vor. Sei ne Stützpunkte, die rätselhaften Kristalle, die er Omirgos nannte, nicht zuletzt das Skarg … Ich prallte mit dem Rücken gegen ein Hindernis und wirbelte herum. Ich stand am Rand der unsichtbaren Barriere. Die bläuli chen Flammen zuckten direkt vor meinem Gesicht dem Boden entgegen. Ich biß die Zähne zusammen und sah zögernd zu Fartu loon hinüber. Ich erschrak, denn ich konnte den Bauchaufschneider nicht mehr sehen. An seiner Stelle erhob sich eine Art Statue. Der Mann sah aus wie ein Arkonide. Er trug eine fremdartige, ungepflegte Uniform. Die roten Augen blickten mich starr an. Das Gesicht war völlig ausdruckslos. Vorsichtig zog ich den Impulsstrahler aus
21 dem Halfter. Als ich die Hand hob, öffnete der wie versteinert wirkende Mann den Mund. »Suche Honcus«, sagte er. Seine Stimme hörte sich an, als spiele man eine Tonaufnahme mit viel zu niedri gem Tempo ab. »Der Weg in die Freiheit …«, fuhr der Fremde fort, und dann zerbrach er mit einem Knall in winzige Splitter. Ich duckte mich und spürte, wie mehrere kleine Gegenstände gegen den Raumanzug prallten. Eine Druck welle schleuderte mich zu Boden. Ich schrie auf, als ich mit dem Kopf voran gegen die Barriere knallte. Vor meinen Augen sprüh ten Funken. Ich wurde herumgewirbelt und fing mich nur mit Mühe ab, sonst wäre ich kopfüber auf dem Boden gelandet. Als ich mich umdrehte, sah ich jenseits der Barriere hüpfende Schatten, Gestalten, die nur aus Beinen zu bestehen schienen. Sie sprangen ohne erkennbaren Grund durchein ander. Manche waren klein, höchstens so lang wie einer meiner Arme. Andere er reichten eine Höhe von mehreren Metern. Es war nicht mehr völlig dunkel. Ich konnte nicht erkennen, woher das dämmeri ge Licht kam, aber die tanzenden Vielbeiner waren deutlich zu sehen. Sie drängten sich am Rand der Barriere. Da sie sich in ständi ger Bewegung befanden, konnte ich ihre Ge stalt niemals in allen Einzelheiten betrach ten. Sobald ich eines der Wesen fixiert hatte, verschwand es mit einem plötzlichen Sprung im Gewühl der überlangen Beine. »Das sind also unsere Gegner!« Ich drehte den Kopf und erblickte Fartuloon. Er stand wieder an seinem Platz, und das Skarg sah aus wie immer. »Ja!« fauchte ich wütend. »Jetzt haben wir sie auf dem Hals.« »Noch hält die Barriere«, knurrte der Bauchaufschneider. Er senkte das Skarg. Ich stieß einen warnenden Ruf aus, denn ich rechnete damit, daß das schützende Feld zu sammenbrach. Das geschah auch. Aber als sich über unseren Köpfen die erste Lücke bildete, erklang ein leises, singendes Ge
22
Marianne Sydow
räusch, das anschwoll, winselnd die Tonhö he wechselte und mit seinen Vibrationen meinen Körper ausfüllte. Meine Zähne klap perten aufeinander. Die Umgebung verschwamm vor meinen Augen. Ich sah nur noch einen roten Nebel. Dann kamen die Schmerzen.
4. Die Bewußtlosigkeit konnte meiner Mei nung nach nur wenige Herzschläge lang ge dauert haben. Als ich die Augen öffnete, merkte ich sofort, daß es heller geworden war. Ich richtete mich auf und hielt verwun dert nach den Vielbeinern Ausschau. Sie waren verschwunden. »Eine komische Welt ist das«, knurrte Fartuloon, der wenige Schritte von mir ent fernt lag und jetzt ebenfalls erwachte. »Es scheint, als hätten wir uns einen Teil des Weges erspart.« Er hatte recht. Das rote Licht war näher gerückt. Die niedrigen Bodenwellen zeich neten sich in einem harten Muster von Licht und Schatten vor uns ab. Wir richteten uns auf, und nach einem Blick auf die Außen thermometer öffneten wir die Helme. Ich ta stete meinen Schädel ab. Eine Beule war das einzige Andenken an die Begegnung mit den Vielbeinern. »Hast du diese komischen Wesen gese hen?« fragte ich. »Ja. Komische Dinger. Ich möchte wis sen, wie die auf diesen Planeten gekommen sind. Sie sahen nicht so aus, als würden sie von zivilisierten, raumfahrenden Wesen ab stammen.« »Vielleicht wohnten sie schon immer hier«, murmelte ich. »Willst du immer noch zu dem Licht da hinten?« »Was bleibt uns anderes übrig? Hinter uns sind diese Burschen mit den vielen Beinen. Noch einmal möchte ich das nicht durchma chen.« »Was hältst du von Honcus?« fragte ich vorsichtig. »Honcus? Wer ist das?«
»Wir sollen nach ihm suchen – falls ich den merkwürdigen Kerl richtig verstanden habe.« »Phantasierst du?« Ich erzählte ihm, was ich in dem Augen blick gesehen hatte, als das Glühen aus dem Skarg seinen Körper unsichtbar machte. Far tuloon hob das Schwert hoch und betrachtete es mißtrauisch. »Es hat sich nicht verändert«, stellte er nachdenklich fest. »Ich glaube nicht, daß es Sinn hat, über diese Ereignisse nachzuden ken. Hier ist vieles anders, als wir es ge wöhnt sind. Schwarzplaneten sind Stätten, an denen die spukhaften Gestalten der Träu me feste Formen annehmen.« »Woher weißt du das?« Fartuloon antwortete nicht. Er steckte das Schwert weg und marschierte auf das Licht zu. Ich folgte ihm, hielt diesmal jedoch den Impulsstrahler griffbereit. Gegen Geister kannst du damit bestimmt nicht kämpfen, bemerkte das Extrahirn spöt tisch. Es gibt keine Geister, dachte ich wütend zurück. Wenn es manchmal so aussieht, dann handelt es sich lediglich um ein Phäno men, das sich mit unserem Wissen nicht er klären läßt. Fartuloon blieb plötzlich stehen und deu tete nach vorne. »Wir bekommen Besuch.« Gegen den roten Lichtschein zeichnete sich eine Gestalt ab, die an einen Reiter erin nerte. »Sie schicken uns einen Fremdenführer«, murmelte ich. »Ist das nicht reizend?« Wir gingen dem Fremden entgegen. Bald merkten wir, daß der Reiter viel schneller vorankam als wir. Und er hielt genau auf uns zu. »Wollen wir ihm entgegenfliegen?« fragte Fartuloon. Ich schüttelte den Kopf. »Er braucht nicht zu wissen, welche Mög lichkeiten wir haben«, lehnte ich den Vor schlag ab. Fartuloon sah mich fragend an, aber ich
Die Schrecken des Schwarzplaneten reagierte nicht darauf. Ich wußte selbst nicht, warum ich es für wichtig hielt, unsere technische Ausrüstung nicht überdeutlich zu demonstrieren. Aber ich war fest entschlos sen, diesmal meinen Willen durchzusetzen. Nach einiger Zeit hörten wir ein rhythmi sches Klappern. Der Reiter galoppierte mit unvermindertem Tempo heran. Wir blieben stehen und warteten ab. »Entweder sieht er uns nicht, oder er will uns über den Haufen reiten«, knurrte Fartu loon. Wir standen sprungbereit. Je näher der einsame Reiter kam, desto unheimlicher wirkte er. Ein Tier, das über eine derart wei te Strecke so erbarmungslos angetrieben wurde, hätte keuchen und schnauben sollen. Aber man hörte nur das regelmäßige, metal lische Klappern, mit dem die Beine den har ten Boden berührten. Die Gestalt auf dem Tier zeichnete sich als dunkler Klumpen vor dem rötlichen Licht ab. Der Fremde saß so still auf dem dahinrasenden Tier, als wäre er damit verwachsen. »Spring!« schrie Fartuloon, als das Tier nur noch zwei oder drei Sprünge von uns entfernt war. Ich warf mich zur Seite und sah aus den Augenwinkeln Fartuloon, der sich blitzschnell abfing und den Impuls strahler aus dem Halfter riß. Das Tier hielt an. Seine Beine stemmten sich gegen den glatten Boden. Es rutschte noch ein oder zwei Meter weit. Funken zuckten unter seinen Füßen hervor. Dann stand es groß und knochig zwischen uns. Wir warteten. Der Fremde blieb regungs los sitzen. Von seinem Gesicht war nichts zu sehen. Alles war von dunklen Tüchern be deckt. Ich ließ den Fremden für einen Moment aus den Augen und sah mir sein erstaunli ches Reittier an. Jetzt, aus der Nähe, erkannte ich sehr schnell, daß es sich um eine Art Roboter handelte. Die dünnen Beine glänzten metal lisch. An einigen Stellen hangen noch Reste des Bioplastbezugs herab, die das stählerne Gerüst einmal umhüllt hatten. Der Rumpf
23 bestand aus gegeneinander beweglichen Stahlplatten. In den Platten war eine Art Sat tel verankert. Weiter unten ragten Fußstüt zen aus dem metallenen Leib, die mit einem Stofflappen umwunden waren. Auch der Kopf hatte einmal eine pseudoorganische Verkleidung gehabt. Jetzt lagen die roten Sehzellen fast völlig frei. Das rechte »Auge« wurde halb von einem nicht mehr funktio nierenden, künstlichen Lid bedeckt. Der Ausdruck der Augen wirkte dadurch jedoch nicht schläfrig, sondern bösartig und hinter listig. Die Ohren schließlich wurden von ei nem feinen Antennengeflecht gebildet. »Wer sind Sie?« fragte Fartuloon, als der Fremde sich auch nach längerer Zeit nicht zum Sprechen bequemte. Die dunklen Tücher gerieten in Bewe gung. Der Vermummte hob den rechten Arm und deutete gebieterisch auf die rote Lichtquelle. »In diese Richtung wollten wir ohnehin«, nickte Fartuloon. »Aber zu Fuß kommen wir nicht sehr schnell vorwärts!« Ich warf ihm einen warnenden Blick zu. Der Fremde würdigte uns keiner Antwort. Sein Arm hing bewegungslos in der Luft. Obwohl kein Lufthauch zu spüren war, be wegten sich die dunklen Tücher, als flatter ten sie in einem leichten Wind. »Na schön«, brummte Fartuloon. »Dein Roboter scheint genug Kraft zu haben, uns alle zu tragen. Du erlaubst wohl?« Er schwang sich geschickt hinter dem Vermummten auf das Robottier – und war ebenso schnell wieder unten. Der Fremde hatte sich kaum bewegt. Nur sein Arm war kurz zur Seite gezuckt. Fartuloon rollte fluchend zur Seite. »Nennt man das bei euch Gastfreund schaft?« brüllte er wütend. »Du hättest mir fast das Genick gebrochen!« Der Vermummte gab keine Antwort. Er ließ den Arm sinken. Das Robottier drehte sich um und trabte auf den roten Lichtschein zu. »Komm«, sagte ich zu Fartuloon. »Es hat keinen Sinn, sich mit dem Kerl zu
24
Marianne Sydow
streiten. Er hat offensichtlich genaue Anwei sungen, wie er sich verhalten soll. Vielleicht ist er selbst nur eine Maschine.« Falls der Fremde das gehört hatte, berühr te ihn meine Verdächtigung nicht. Er ritt un gerührt weiter. Wir folgten ihm, so schnell wir konnten, und bald merkten wir, daß je mand für uns sorgte. Sobald die Maschine mit dem Vermummten einen gewissen Vor sprung erreicht hatte, erfaßte uns etwas und setzte uns unmittelbar hinter dem einsamen Reiter wieder ab. »Ein Transmitteref fekt«, murmelte Fartu loon und sah sich aufmerksam um. »Aber es gibt keine Maschinen.« Mir machte etwas anderes Sorgen. Von der Lichtquelle her wehten uns neblige Schleier entgegen. Der Schwefelgeruch wur de stärker. »Wir sollten die Helme schließen«, schlug ich vor. »Die Bewohner dieses Planeten sind vielleicht den hiesigen Bedingungen ange paßt, aber das gilt nicht für uns.« Nach dem siebenten oder achten Verset zungsvorgang war das Licht zu einem glü henden Ball angeschwollen, der fast den ganzen Himmel beherrschte. Das Licht wur de unangenehm. Alles um uns herum leuch tete in einem stechenden Rot. Die glasigen Bodenwellen reflektierten die Helligkeit in zahllosen Lichtblitzen. Wir schoben die Blenden vor den Klarsichthelm und mußten dennoch blinzeln, um den Reiter vor uns zu erkennen. Der Vermummte hatte noch im mer kein einziges Wort gesprochen. Re gungslos saß er auf seinem Robottier. Dann standen wir am Rand einer Senke. Wir sahen die Gestalten, die unter uns ihren unverständlichen Beschäftigungen nachgin gen, die merkwürdigen, klumpenförmigen Gebilde, die in regelmäßigen Reihen den Hang bedeckten und die primitiven Hütten in der Mitte des Tales. Wir waren am Ziel.
* Vor den kreisförmig angeordneten Hütten
erwartete uns eine Abordnung der Dorfbe wohner. Von den Leuten selbst sahen wir al lerdings nichts. Sie waren bis zur Unkennt lichkeit vermummt. Das Robottier hielt an, und der Reiter vollführte eine knappe Geste, dann verschwand er zwischen den Hütten. Gespannt warteten wir. »Willkommen«, sagte plötzlich eine knar rende Stimme. »Wir haben auf euch gewar tet. Folgt uns in die Halle der Beratung, da mit wir euch unsere Geschichte erzählen können.« »Ihr sprecht arkonidisch – heißt das, daß ihr zu unserem Volk gehört?« fragte ich ver blüfft. Ich erhielt keine Antwort. Die Vermumm ten hatten sich bereits umgedreht und schrit ten zu einem Durchgang, der zwischen zwei Hütten lag und auf einen großen, runden Platz führte. »Höflich sind sie nicht gerade«, brummte Fartuloon. »Warten wir ab, was sie uns zu sagen ha ben.« Die »Halle der Beratung«, erwies sich als niedriger, langgestreckter Schuppen. Als wir durch die Tür gingen, mußte ich den Kopf einziehen, um nicht gegen eine verbogene Stahlschiene zu stoßen, die den oberen Ab schluß bildete. In der Halle war es dämme rig. Die Wände, aus allerlei sonst nicht ver wendbaren Materialien gefertigt, wiesen ei ne Unmenge von Löchern und Ritzen auf, durch die das rote Licht in den Raum ein dringen konnte. Am Boden lagen ein paar Vermummte, die mit groben Hieben und Fußtritten hochgejagt wurden. »Setzt euch!« Als Sitzgelegenheit dienten niedrige, har te Hocker aus einem lavaähnlichen Gestein. »Es ist viel Zeit vergangen, seit wir uns zum letztenmal Besuch aus der Oberwelt hatten«, sagte der Sprecher der Vermumm ten. »Wie ihr bereits bemerkt habt, sind wir Arkoniden. Wir wurden auf diesen Planeten verschlagen – aber wir wissen nicht, wieviel Zeit im Großen Imperium vergangen ist.« »Welcher Imperator herrschte damals?«
Die Schrecken des Schwarzplaneten fragte Fartuloon. »Feranrol.« »Seitdem sind nahezu neunhundert Ar konjahre vergangen.« Eine Weile herrschte Schweigen. Dann begannen die Vermummten miteinander zu tuscheln. Ich wartete, und als sie nach meh reren Minuten immer noch nicht bereit wa ren, das Gespräch fortzusetzen, hob ich är gerlich die Hand. »Wie seid ihr hierher gekommen?« »Es war ein Unfall«, erklärte der Sprecher dumpf. »Ich heiße Chersoth und war der Kommandant der SQUORTAG. Wir trans portierten Ausrüstungsgegenstände zur Ko lonie Khel. Nach der zweiten Transition ge rieten wir in einen Strahlensturm, der uns aus dem Kurs warf und schwere Schäden anrichtete. Wir konnten dem Sturm entkom men, aber es war schon zu spät. Die Trieb werke explodierten. Wir dachten, wir müß ten alle sterben. Es brach eine Panik aus. Wir drängten uns in den oberen Decks zu sammen, weil es nur dort noch Luft und Nahrung gab. Und dann entstand plötzlich ein Sturm, der uns mit sich riß. Die Pol schleuse platzte auf, und wir rasten durch einen seltsamen Tunnel. Dort verloren wir das Bewußtsein. Als wir wieder erwachten, befanden wir uns auf diesem Planeten.« »Ihr?« fragte ich mißtrauisch. »Sie spre chen sicher von Ihren Vorfahren, nicht wahr?« Der Sprecher kicherte schrill hinter den schwarzen Tüchern, die sein Gesicht ver deckten. »Nein. Wir haben die Zeiten überdauert. Dies ist ein Schwarzplanet, und die Zeit ist für uns nahezu bedeutungslos.« »Ihr seid unsterblich?« »Nicht direkt. Aber neunhundert Arkon jahre sind schon eine beachtliche Lebens dauer.« »Warum versteckt ihr euch hinter diesen Tüchern?« fragte Fartuloon. Ich war ge spannt auf die Antwort. Irgend etwas stimm te hier nicht. Es wirkte alles zu perfekt, wie einstudiert. Vielleicht waren das gar keine
25 Arkoniden, sondern unbekannte Wesen, die in dieser Maske auftraten, um die Falle noch wirkungsvoller zu gestalten. »Die Schwarzplaneten sind teuflische Fal len im Nichts«, erwiderte Chersoth. »Von der Fontäne geht eine Strahlung aus, die uns verändert und umformt. Unsere Körper sind entstellt, und unsere Gesichter gleichen Masken des Schreckens. Es ist schwer, mit diesen Vorgängen leben zu müssen. Wären wir gezwungen, die Veränderungen unserer Freunde stündlich vor uns zu sehen, so wür den wir alle den Verstand verlieren. Wir schützen mit diesen Tüchern uns selbst und unsere Kameraden.« »Was ist die Fontäne?« »Die Lichterscheinung. Dieser rote Ball. Es ist unvergänglich und ändert niemals sei nen Standort.« »Warum habt ihr uns kommen lassen?« stellte Fartuloon endlich die Frage, die uns direkt betraf. »Wir möchten euch helfen.« »Warum?« Der Sprecher schien verwundert zu sein. Er wackelte mit seinem vermummten Haupt und überlegte sich die Antwort genau. »Ihr seid Arkoniden. Das verpflichtet uns zu diesem Verhalten.« »Aber wir fanden einen Toten«, gab Far tuloon hart zurück. »Hier, auf diesem Plane ten.« »Wir haben einen Fehler gemacht«, gab Chersoth bedauernd zu. »Als die Verbin dung zur Oberwelt entstand, drangen Dinge zu uns vor, die wir für gefährlich hielten. Daher wehrten wir uns. Erst als der Strom dieser Gegenstände versiegte und wir Zeit fanden, uns mit einzelnen Dingen genauer zu befassen, bemerkten wir unseren Irrtum. Es ist tragisch, aber wir können nichts tun, als unseren Irrtum zu bereuen.« Er lügt! behauptete das Extrahirn trocken. Ich nickte unwillkürlich, aber jetzt war nicht der richtige Augenblick, um sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Die Vermummten schienen normalerweise außerordentlich schweigsam zu sein. Es galt, die Gelegenheit
26 auszunutzen. »Euer Schicksal ist schwer«, sagte ich ge dehnt. »Es steht uns nicht zu, euch Vorwürfe zu machen. Ihr sagt, daß ihr uns helfen wollt. Was werdet ihr tun?« »Wir werden euch dahin zurückbringen, wo ihr hingehört. In.eure eigene Welt, die für uns nicht mehr erreichbar ist.« »Ihr könnt also eine Verbindung zur Oberwelt schaffen?« »Nicht immer, und nicht ohne gewisse Ri siken. Es wird einige Opfer geben, aber das soll euch nicht belasten.« »Heißt das, daß einige von euch ihr Leben aufs Spiel setzen müssen, um unseren Rück transport zu garantieren?« »Leider triffst du die Wahrheit, Fremder«, erwiderte Chersoth. »Ein solches Opfer können wir nicht an nehmen.« »Es ist kein Opfer. Erstens ist diese Exi stenzform für uns nahezu unerträglich. Die besonderen Bedingungen des Schwarzplane ten hindern uns am Sterben. Viele werden mit Freuden bereit sein, die Chance zu nut zen. Zweitens seid ihr die ersten, bei denen wir sicher sein können, daß der Übergang gelingt. Wir haben es oft versucht, aber im mer neue Niederlagen einstecken müssen. Es wird wichtig für das Große Imperium sein, wenn eine Verbindung zwischen der Oberwelt und den Schwarzplaneten herge stellt wird. Von den letzten, die zu uns ka men, hörten wir, daß in der Oberwelt Krieg zwischen euch und den Maahks herrscht. Wir könnten euch unterstützen.« »Wie?« »Ganz einfach.« Chersoths Gesicht war nicht zu sehen, aber ich war sicher, daß er jetzt lächelte. »Die Schwarzplaneten befin den sich außerhalb des Raumes. Sie sind nicht an die Dimensionen eurer Welt gebun den. Einen Teil der Rätsel konnten wir lö sen. Andere werdet ihr bezwingen. Wenn wir nach unseren Wünschen jede beliebige Verbindung zur Oberwelt herstellen können, werden die fremden Eindringlinge euch bald keinen Ärger mehr bereiten.«
Marianne Sydow »Ihr wollt euren Planeten als Schaltstelle zur Verfügung stellen?« »Die Nachricht von dem großen Krieg hat uns sehr beunruhigt. Wir sind Arkoniden, auch wenn die Strahlung der Fontäne uns entstellt und verkrüppelt hat. Unsere Pflicht ist es, dem Imperium zu helfen. Wir hörten, daß die Wesen, die ihr Maahks nennt, prak tisch nicht zu besiegen sind. Der Krieg wird unter diesen Umständen weitergehen, bis beide Völker ausgeblutet sind. Nun stellt euch vor, eure Flotten könnten fern vom Kampfort in einen Dimensionstunnel flie gen, hier herauskommen und praktisch ohne Zeitverlust durch einen zweiten Tunnel in direkte Nähe der feindlichen Stützpunkte ge langen.« »Phantastisch«, brummte Fartu-loon. Chersoth kicherte leise. »Das sind Zukunftsträume«, bemerkte ich nüchtern. »Zuerst müssen wir unser eigenes Problem lösen.« »Wir werden in zwei Tagen mit den Vor bereitungen beginnen.« »Warum nicht sofort?« Wieder kicherte der Vermummte. »Wir sind manchmal ein bißchen egoi stisch«, gab er freimütig zu. »Wir schätzen eure Gesellschaft, denn wir hoffen, von euch Neuigkeiten zu erfahren. Aber es gibt noch einen anderen Grund, der uns zwingt, etwas Zeit verstreichen zu lassen. Unsere Techni ken reichen noch nicht aus, die Verbindung zu jedem beliebigen Zeitpunkt herzustel len.« »Was geschieht mit Ihnen? Wollen Sie nicht versuchen, diesen Planeten zu verlas sen.« »Einige haben es versucht«, erwiderte Chersoth dumpf. »Die Verbindung zur Oberwelt kündigt sich durch bestimmte Na turerscheinungen an. Sie haben den Zeit punkt bestimmt, an dem sie hinüberwech seln konnten. Wir haben niemals etwas von ihnen gehört. Unseren Berechnungen zufol ge sind sie zu Staub zerfallen, als sie die Sphäre der Schwarzplaneten verließen. Nur hier wird der Alterungsprozeß abgeblockt.
Die Schrecken des Schwarzplaneten Sobald einer von uns in das normale RaumZeit-Kontinuum zurückkehrt, kommt es zu einer rasend verlaufenden Alterung.« »Hm«, machte Fartuloon. Es hörte sich nicht sehr überzeugt an. »Vielleicht könnten wir uns gegen diese Bedrohung schützen«, fuhr Chersoth fort. »Aber unsere entstellten Körper werden sich niemals regenerieren lassen. Das allein wäre Grund genug, in dieser Umwelt zu verhar ren. Wir sind Arkoniden, vergessen Sie das bitte nicht, und darum kennen wir den Ab scheu unserer Artgenossen vor Krüppeln. Hier sind alle gleichberechtigt – auf Arkon oder einem der Kolonialplaneten würden wir ein unwürdiges Dasein am Rande der Ge sellschaft fristen.« Unvermittelt erhob sich Chersoth. Die dunklen Tücher flatterten leicht. Auf ein Zeichen verließen die anderen Vermummten die Halle. Nur einer blieb zurück. »Vreth wird euch herumführen und euch alles zeigen«, erklärte Chersoth mit einer knappen Geste. »Er wird euch auch zu eu rem Quartier bringen. Übrigens könnt ihr die Helme eurer Raumanzüge beruhigt öffnen. Die Luft riecht zwar etwas unangenehm, ist jedoch nicht giftig für euch.« Er wanderte davon, eine hohe, dürre Ge stalt, von den wehenden Tüchern umgeben.
* Die dunklen Klumpen an den Hängen wa ren Pflanzen. Laut Vreth stellten sie das ein zige Nahrungsmittel der Vermummten dar. »Wir fanden sie hier, kurz nach unserer Ankunft. Natürlich haben wir gezögert, da von zu essen. Aber dann gingen unsere letz ten Notreserven zu Ende, und wir mußten es wagen. Es stellte sich heraus, daß diese Pflanzen in geradezu idealer Zusammenset zung alles enthalten, was unsere Körper brauchen.« Ich berührte einen Auswuchs der Pflanze und spürte ein unangenehm schwammiges Material. »Wenn Sie die Helme öffneten, könnten
27 Sie feststellen, daß die Pflanzen sehr ange nehm riechen«, bemerkte Vreth anzüglich. Wir taten, als hätten wir es nicht gehört. Unsere Helme blieben geschlossen. Vreth war allem Anschein nach fest ent schlossen, uns jedes Detail dieser eigenarti gen Siedlung zu zeigen. Er führte uns uner bittlich durch das weite Rund des Tales. Mü helos schritt er über die glatten Hänge, wäh rend wir uns nur vorsichtig vorwärts scho ben, denn die geringste Unachtsamkeit ließ uns ausgleiten -und dann gab es nur einen Rettungsanker, nämlich die Pflanzen. Da diese für unsere Gastgeber lebenswichtig waren, wollten wir nach Möglichkeit keine von ihnen beschädigen. Ich atmete auf, als wir endlich wieder un ten waren. Vreth zeigte uns jede einzelne Hütte, obwohl es an diesen Behausungen wirklich nichts Sehenswertes gab. »Wozu braucht ihr eigentlich die Hüt ten?« fragte Fartuloon. »Mir scheint, als gä be es hier weder Wind noch Wolken, nicht einmal Temperaturunterschiede.« »Die Hütten sind psychologisch wichtig. Wir fühlen uns darin geborgen. Außerdem schützen sie uns wenigstens etwas vor der Strahlung der Fontäne.« Fartuloon nickte gedankenvoll und schwieg. »Gibt es wirklich keinen Regen?« fragte ich. »Sie brauchen doch Wasser, sonst wäre das Überleben völlig unmöglich. Auch die Pflanzen könnten sonst nicht wachsen.« »Die Pflanzen holen die Feuchtigkeit aus der Tiefe. Das machen wir auch. Schon zu Beginn unseres Aufenthalts haben wir einen Schacht gebohrt. In den Tiefen des Planeten gibt es gewaltige Höhlen, die mit kristallkla rem Wasser gefüllt sind. Wir vermuten, daß es auf dieser Welt einmal reiches Leben gab. Es wurde fast völlig vernichtet, als der Pla net aus dem normalen Raum geworfen wur de.« »Das ist alles sehr interessant«, sagte Far tuloon entschlossen. »Aber so allmählich werde ich müde. Cher-soth erwähnte ein Quartier. Führe uns hin.«
28 Vreth wandte sich schweigend ab. »Hoffentlich hast du ihn nicht beleidigt«, murmelte ich, als die brüchige Tür der Hütte sich hinter uns schloß. Wir waren endlich al leine. »Wenn schon«, knurrte der Bauchauf schneider. »Ich glaube diesen Kerlen sowie so kein Wort. Soviel Selbstlosigkeit gibt es im ganzen Universum nicht. Sie spielen uns etwas vor, hast du das nicht gemerkt?« »Doch. Aber es bringt uns nicht weiter, wenn wir ihnen das ins Gesichtsagen.« »Gesicht ist gut. Man sieht es ja niemals.« »Für die Entstellungen können sie nun wirklich nichts.« »Was haben sie vor?« überlegte Fartu loon. »Ich bin sicher, daß sie uns benutzen wollen – aber wozu? Hast du die Robottiere gesehen?« Ich nickte. Eine riesige Schar dieser Ma schinen stand im hintersten Teil des Tales. Vreth, der sonst so eifrig bemüht war, uns alles zu erklären, hatte einen großen Bogen um diese Transportmittel gemacht. »Vor nicht einmal dreißig Jahren ver schwand ein Schiff«, sagte Fartuloon nach denklich. »Es hatte eine Ladung Maschinen an Bord, die auf einen der bevorzugten Jagd planeten des arkonidischen Adels gebracht werden sollten.« »Künstliche Reittiere?« »Du hast es erfaßt. Außerdem gab es Un mengen von Delikatessen, ausgewählte Waffen und transportable Hütten, die mit al lem Komfort ausgestattet waren. Ich weiß nicht mehr, in wessen Auftrag das Schiff un terwegs war. Jedenfalls war es spurlos ver schwunden.« »Was natürlich auf die sagenhaften Schwarzplaneten geschoben wurde.« »Mit Recht«, nickte Fartuloon ungerührt. »Solche Zufälle gibt es. Der Raumer strandete hier, und die Vermummten nah men die Ladung an sich. Kannst du es ihnen verdenken?« »Ich wollte, ich könnte an einen solchen Zufall glauben. Ich bin überzeugt davon, daß sie es absichtlich getan haben. Sie haben das
Marianne Sydow Schiff eingefangen.« »Die technischen Möglichkeiten dazu ha ben sie vielleicht«, murmelte ich. »Aber so, wie du dich ausdrückst, hört es sich an, als hätten sie das Schiff vorher ausgewählt. Da zu müßten sie eine Verbindung haben, eine Möglichkeit, sich über das zu informieren, was im Normalraum geschieht, vielleicht so gar einen Informanten auf einem der ArkonPla-neten.« »Wäre das so unwahrscheinlich?« »Ja!« knurrte ich nachdrücklich. »Es hie ße nämlich, daß sie schon jetzt imstande wä ren, den Schwarzplaneten zu verlassen.« »Du glaubst doch nicht etwa an das Mär chen mit dem plötzlichen Tod?« »Ich habe keine Ahnung, ob sie wirklich zu Staub zerfallen. Aber wenn sie irgendwo aufgetaucht wären, hätten sie Aufsehen er regt.« Fartuloon seufzte. Er liebte es, Diskussio nen dieser Art in Gang zu setzen, aber wenn zu viele Gegenargumente auftauchten, är gerte er sich gewaltig. »Also gut«, murmelte er und inspizierte das schmutzige, unordentliche Lager. »Warten wir ab, was die Herren uns morgen mitzuteilen haben.« Erst als ich mich hingelegt hatte, spürte ich die ungeheure Müdigkeit. Es war nicht sehr bequem, im Raumanzug zu schlafen, aber ich war fest entschlossen, es durchzu halten. Ich hatte keine Angst vor dem biß chen Gestank – aber vor den Strahlungen der sogenannten Fontäne war mir doch ein bißchen bange. Ich hielt es für sehr wahr scheinlich, daß diese Strahlung für die Ent stellungen verantwortlich war, deretwegen die Schiffbrüchigen sich vermummten. Bevor ich einschlief, warf ich noch einen Blick auf ein Meßinstrument. Unser Luft vorrat reichte noch für vier Arkontage.
5. Es gab auf diesem Planeten keinen Unter schied zwischen Tag und Nacht. Der Him mel war immer schwarz, und die Fontäne
Die Schrecken des Schwarzplaneten rührte sich nicht von der Stelle. Ich blinzelte benommen in die rötliche Dämmerung im Innern der Hütte. Irgend etwas hatte mich geweckt. »Ihr seid die Fremden«, sagte eine dump fe Stimme. Ich drehte mich hastig um. Neben der Tür stand ein Arkonide. Ich hatte ihn schon einmal gesehen: Beim An griff der Vielbeiner. »Stimmt«, knurrte Fartuloon und schwang die Beine von der harten Liegefläche. Seine rechte Hand lag auf dem Griff des Schwer tes. »Und wer sind Sie?« »Ich heiße Honcus. Hier nennt man mich meistens ›den Stählernen‹.« Der Grund für diesen Beinamen war deut lich zu erkennen. Honcus hatte abweichend auf die Einflüsse der Schwarzwelt reagiert. Sein Gesicht und das, was von seinem Kör per zu sehen war, wies keine Entstellungen auf. Dennoch hatte auch er sich verändert. Als ich ihn zum erstenmal sah, dachte ich an eine Statue. Dieser Eindruck war gar nicht mal so falsch gewesen. Honcus war wie er starrt. Er bewegte sich eckig und ungelenk wir ein primitiver Roboter. Seine Augen wa ren weit geöffnet, die Augenlider gelähmt – dieser Mann konnte nicht einmal blinzeln. In seinem wie aus Stein gehauenen Gesicht zuckte kein Muskel. »Ich bin gekommen, um Sie zu warnen«, sagte Honcus, ohne die Lippen zu bewegen. Dennoch war jedes Wort deutlich zu verste hen. »Warnen?« fragte Fartuloon mißtrauisch. »Wovor?« »Vor den Vermummten. Sie planen den Durchbruch in die Oberwelt.« »So? Uns sagten sie, daß die Rückkehr in den Normalraum für sie glatter Selbstmord wäre. Sie würden zu Staub zerfallen.« »Sie beide haben sich vorhin über dieses Thema unterhalten. Sie glauben nicht, daß diese Information der Wahrheit entspricht. Und Sie haben recht.« »Aha«, murmelte Fartuloon zufrieden. »Dachte ich es mir doch. Sie können also
29 durchaus in der sogenannten Oberwelt le ben.« »Mehr als das. Sie sind tatsächlich zeitlos – und unangreifbar. Die Veränderung hat nicht nur ihre Körper entstellt. Die Spuren in ihren Gehirnen sind unsichtbar, aber weitaus gefährlicher.« »Sie meinen, daß die Vermummten wahn sinnig sind?« fragte ich. »Ja. Sie hassen jeden, der nicht das glei che schreckliche Schicksal erlitten hat wie sie selbst.« »Warum wollten sie uns dann helfen? Sie hätten uns jederzeit umbringen können.« »Sie wollten es tun. Viele kamen diesmal über die Brücke, und nur Sie haben überlebt. Es war ein Zufall. Dieses Schwert hat Sie beide beschützt.« Er hob ruckartig die Hand und deutete auf das Skarg. Ich erinnerte mich daran, wie Fartuloon versucht hatte, damit den Schlauch zu öffnen. Das war die Entscheidung, flüsterte das Extrahirn. Ohne diesen Versuch hättet ihres nicht überlebt. »Sie faßten den Plan, das Schwert einfach an sich zu nehmen. Darum schickten sie die Scharen der Hüpfenden aus. Aber das Schwert schleuderte euch auch aus dieser Falle. Daraufhin kamen sie zu dem Ent schluß, euch hierher zu bringen. Sie glauben inzwischen, daß das Schwert nur in Verbin dung mit seinem Träger seine volle Kraft entfalten kann. Sie haben euch angeboten, den Rückweg zu öffnen. In Wirklichkeit fehlen ihnen alle Voraussetzungen dazu.« »Wenn es so ist, begreife ich den Sinn Ih rer Warnung nicht«, sagte Fartuloon. »Wie sollen die Vermummten in den Normalraum gelangen, wenn sie den Weg nicht kennen?« »Der Weg ist bekannt«, berichtigte Hon cus. »Die Fontäne stellt die Verbindung dar. Aber es ist gefährlich, sie zu benutzen. So viel ich weiß, ist es noch niemandem gelun gen, diese energetische Hölle zu durchbre chen. Sie allerdings haben eine Chance. Das Schwert wird Ihnen auch diesmal helfen. Darauf setzen die Vermummten ihre ganze
30 Hoffnung. Wenn sie gemeinsam mit Ihnen die Fontäne durchstoßen, wird das Schwert eine Gasse schaffen.« »Was wollen diese Leute im Normal raum?« fragte ich. »Sie wollen die Macht erringen, und sie wollen sich rächen.« »Wem soll diese Rache gelten? Niemand trägt die Schuld an dem tragischen Unfall, der sie auf den Schwarzplaneten brachte. Außerdem ist inzwischen viel Zeit verstri chen.« »Ihre Argumente sind vernünftig, aber die Vermummten haben die Gesetze der Ver nunft längst vergessen. Sie werden mordend von einem Planeten zum anderen ziehen, und nichts wird sie aufhalten können.« »Was können wir tun?« fragte ich etwas ratlos. »Fliehen«, erklärte Honcus. »Aber nicht sofort. Im Augenblick sind Sie sicher in die sem Dorf. Die Ruheperiode dauert zwar nur noch kurze Zeit, aber auch während des Ta ges wird niemand Sie belästigen. Die Ver mummten müssen einige Vorbereitungen treffen. Ich werde inzwischen dafür sorgen, daß alles getan wird, um unsere Flucht zu si chern.« »Wollen Sie uns begleiten?« »Ohne mich hätten Sie keine Chance, die Fontäne zu erreichen. Der Weg führt durch viele Gefahren. Eine Stunde nach Beginn der nächsten Ruheperiode werde ich zu Ih nen kommen.« »Wir werden auf Sie warten«, versicherte ich. Honcus drehte sich abrupt um und verließ die Hütte. »Was sagst du nun?« fragte Fartuloon tri umphieren. »Gar nichts«, murmelte ich. »Mir kommt das alles äußerst merkwürdig vor.« »Ich bin sicher, daß wir diesem Mann ver trauen können.« »Das sagst du nur, weil er alle deine Be fürchtungen bestätigt.« »Willst du etwa hierbleiben?« »Nein. Aber ich schlage vor, daß wir
Marianne Sydow während unserer Flucht nicht blindlings hin ter Honcus herlaufen.«
* Kurze Zeit später erschien Vreth. Er brachte ein Frühstück für uns mit: Einige Stücke von dem schwammigen Zeug, daß an den Hängen der Senke wuchs, und zwei Be cher mit Wasser. Wir lehnten ab und ver sorgten uns lieber aus den leider nicht sehr reichhaltigen Vorräten in den Anzugtaschen. Vreth war darüber offensichtlich nicht sehr erfreut. Er wandte uns demonstrativ den Rücken zu und wartete schweigend. »Von mir aus kann es losgehen«, verkün dete Fartuloon, als wir unsere mageren Ra tionen verspeist hatten. »Was steht denn heute auf dem Programm?« »Wir werden die Führung durch unser Gebiet fortsetzen«, antwortete Vreth kühl. Die einfachste Methode, euch im Auge zu behalten, meinte der Logiksektor. Die Dorfbewohner waren vollzählig auf den Beinen. Mehrere Gruppen stiegen über eine breite Treppe, die in der Nähe des Dor feingangs über den Rand der Senke hinweg führte. Andere arbeiteten an den Hängen oder transportierten Lasten. »Woran merkt ihr eigentlich, wann es Tag ist?« fragte Fartuloon. »Die Pflanzen zeigen es uns. Sehen Sie dort! Sie wechseln in regelmäßigen Abstän den die Stellung der oberen Zweige. Es hat etwas mit der Strahlung aus der Fontäne zu tun.« Er marschierte los. Vreth war nicht sehr groß. Selbst mit der kapuzenförmigen Kopfbedeckung reichte er mir nur knapp bis ans Kinn. Die Tücher schlotterten um seinen Körper – er mußte darunter dürr wie ein Gerippe sein. Dennoch legte er ein Tempo vor, das uns zu schaffen machte. Mindestens drei Stunden lang trabten wir hinter ihm durch einen Tunnel, den die Schiffbrüchigen schräg ins Innere des Plane ten getrieben hatten. Dann standen wir vor
Die Schrecken des Schwarzplaneten einem See. In der kuppelförmigen Decke der Höhe befand sich ein Loch, durch das eine rötliche Lichtflut hereinbrach. Das Wasser war schwarz. Nicht die winzigste Welle kräuselte die Oberfläche. »Das ist der Brunnen«, erklärte Vreth. Durch das Loch schwebte ein dunkler Ge genstand, glitt tiefer und wurde als ein an Stricken hängender Behälter erkennbar. »Die Seile werden von Hand gezogen«, erläuterte Vreth. »Maschinen können wir so nahe an der Fontäne nicht einsetzen. Die Strahlung bringt alles durcheinander. Beson ders robotische Geräte werden davon getrof fen.« »Und was ist mit den Robottieren?« fragte Fartuloon herausfordernd. »Wir haben den Tunnel für Notfälle ange legt«, fuhr Vreth fort, ohne auf die Frage des Bauchaufschneiders einzugehen. »Außerdem benutzen wir ihn, wenn wir ba den wollen. In den See dürfen wir uns nicht vorwagen. Wir versinken wie Steine darin. Darum haben wir diese Becken angelegt.« Er zeigte uns eine Reihe von Vertiefungen am Rand des Sees. »Wir schöpfen sie mit den Behältern voll, die auf diesem Gestell hängen. Seitdem die Entstellungen ein bestimmtes Ausmaß er reicht haben, werden die Becken allerdings nur selten benutzt. Wenn jemand sich säu bern möchte, schaltet er diese Warnlampe ein, um niemanden mit seinem Anblick zu erschrecken.« »Wie zartfühlend«, sagte ich. »Aber Sie haben Fartuloons Frage noch nicht beant wortet. Wenn Sie keine Maschinen einsetzen können – was ist dann mit den Robottie ren?« Vreth drehte sich um und machte sich auf den Rückweg. Fartuloon und ich sahen uns schweigend an. »Dann eben nicht«, knurrte der Bauchauf schneider. »Ich möchte wissen, warum er uns an diesen See geführt hat. Um uns die Badewannen zu zeigen?« Vreth mußte jedes Wort verstanden ha ben, aber er gab keinen Kommentar dazu ab.
31 Der Tag verging quälend langsam. Uner müdlich stakste der Vermummte durch die einzelnen Bezirke der Siedlung. Einmal tra fen wir unterwegs Honcus. Der »Stählerne« tat, als hätte er uns noch nie gesehen. »Er ist ein Außenseiter«, bemerkte Vreth, als wir weit genug weg waren. »Er paßt nicht in unsere Gesellschaft. Aber er ist der einzige, der mit den Leuchtenden umgehen kann.« »Wer sind die Leuchtenden?« hakte Far tuloon sofort nach. »Schiffbrüchige. Sie wurden auf diesen Planeten verschlagen, aber sie sind keine Arkoniden. Anfangs gab es Krieg zwischen ihnen und uns. Honcus hat die Auseinander setzungen beendet. Er steht ständig in Kon takt mit ihnen. Wir tauschen ab und zu Wa ren untereinander aus.« »Waren?« knurrte Fartuloon. »Was für welche?« »Gebrauchsgüter«, antwortete Vreth aus weichend. Er meint Strandgut, erklärte das Extra hirn. Beutestücke aus den Schiffen, die in die Falle gerieten. Eine Stunde später hallte ein dumpfer Laut durch die Senke. Vreth zeigte auf die Zweige der Pflanzen. »Sie drehen sich der Dunkelzone entge gen. Die Ruheperiode beginnt in wenigen Augenblicken. Darf ich euch diesmal eine gute Mahlzeit anbieten? Chersoth bat um die Ehre, euch bewirten zu dürfen.« »Wir haben unsere Konzentrate«, lehnte ich ab. »Wir möchten euch nicht zur Last fallen.« »Das ist ein lobenswerter Vorsatz«, erwi derte Vreth. »Dennoch bitte ich euch, mich wenigstens zu Chersotz zu begleiten. Er wollte euch an diesem Abend sehen.« Mir war nicht wohl bei dieser Einladung. Erstens traute ich den Vermummten nicht, und zweitens wollte ich Honcus nicht warten lassen. Aber blieb uns überhaupt eine Wahl? Fartuloon blickte grimmig auf eine Reihe von Vermummten, die langsam näherrück ten.
32
Marianne Sydow
Vreth deutete auf den Eingang einer Hüt te. Wir verständigten uns mit kurzen Blicken und traten ein.
* Drinnen herrschte die übliche rote Däm merung. Die Hütte war im Vergleich zu un serer Unterkunft geradezu kostbar eingerich tet. Die Wände wurden von bestickten Tü chern teilweise bedeckt. Es gab richtige Ses sel, einen Tisch aus poliertem Stein, Teppi che auf dem Boden und zahlreiche niedrige Borde, auf denen kleine Statuen standen. Auf dem Tisch entdeckte ich metallene Schalen mit Speisen darin – und diese Köst lichkeiten konnten unmöglich aus dem schwammigen Fleisch der Pflanzen gewon nen sein. Daneben gab es mehrere Krüge und eine Anzahl von Trinkbechern, alle aus edlen Metallen gehämmert und reich ver ziert. »Betrachtet euch als meine Gäste«, sagte Chersoth und deutete auf die Sessel. »Manchmal gelangen einige Proviantkisten auf unseren Planeten. Morgen werden wir uns auf den gefährlichen Weg zur Oberwelt begeben. Ihr sollt nicht ohne eine angeneh me Erinnerung diese Senke verlassen. Setzt euch zu mir. Wir wollen diesen Abend ge meinsam verbringen.« Zögernd nahmen wir Platz. Wir waren uns stillschweigend darüber einig, daß wir die Einladung nicht annehmen durften. Zu mindest die Speisen und Getränke waren für uns tabu. Doch beim bloßen Anblick von echtem Fleisch und frischen Früchten begann mein Magen mit einem protestierenden Knurren. Ich kam mir vor wie ein Fisch, dem ein fet ter Köder vor der Nase baumelt. Chersoth, Vreth und ein anderer Ver mummter gaben sich völlig unbefangen. Sie schienen nicht einmal zu bemerken, daß wir unsere Helme geschlossen hielten. Chersoth selbst goß Wein in unsere Becher und füllte die flachen Eßschalen mit den leckersten Bissen, ehe er sich selbst und seine Leidens-
gefährten bediente. Fartuloon starrte wie hypnotisiert auf seinen Teller. Die Ver mummten langten kräftig zu. Aber auch jetzt achteten sie darauf, daß weder ihre Hände, noch ihre Gesichter entblößt wurden. Zum Essen benutzten sie zangenähnliche Geräte. Wenn sie den Becher zum Mund führten, wandten sie sich diskret ab. »Schmeckt es euch nicht?« fragte Cher soth nach einer Weile besorgt. »Wir haben keinen Hunger«, erwiderte Fartuloon. »Wie ihr wißt, führen wir in den Anzügen konzentrierte Nahrung mit uns. Wir hatten gerade etwas gegessen, als Vreth uns Ihre Einladung überbrachte.« »Das ist schade«, murmelte Chersoth be dauernd und fischte mit der Zange kleine, helle Kugeln aus einer fetten Brühe. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Die Ku geln waren die Eier einer kleinen Echsenart, und die Brühe, in der sie gekocht wurden, war sehr scharf und dick. »Aber einen Schluck Wein werdet Ihr doch sicher vertra gen.« »Unsere Versetzung auf den Schwarzpla neten war mit großen Strapazen verbunden«, sagte der Bauchaufschneider. »Wir waren gezwungen, Medikamente zu uns zu neh men. Alkoholische Getränke vertragen sich damit sehr schlecht.« »Hm«, machte Vreth und goß seinen Be cher zum drittenmal voll. »Ihr ahnt nicht, was ihr versäumt.« »O doch!« knurrte Fartuloon vielsagend. Eine Weile blieb es still. Die Vermumm ten kauten und schmatzten, unternahmen je doch keinen weiteren Versuch, uns zum Es sen zu überreden. Dann dröhnte draußen der dumpfe Gong. »Was soll das?« fragte Chersoth über rascht. »Um diese Zeit sollte Ruhe herr schen!« Er stand auf und ging zur Tür. Als er einen Vorhang zurückschlug, tauchte ein keuchender Vermummter auf, der eine merkwürdig geformte Waffe in der Hand hielt. »Die Hüpfenden dringen über den
Die Schrecken des Schwarzplaneten Nachtrand herein. Sie haben den Brunnen schon fast erreicht.« »Wir kommen sofort«, sagte Chersoth ha stig und drehte sich um. »Leider müssen wir euch jetzt alleine las sen«, sagte er bedauernd. »Die Hüpfenden sind unsere schlimmsten Feinde. Sie stehlen unser Wasser, und wenn es ihnen gelingt, genug Feuchtigkeit aufzunehmen, werden sie zu unbesiegbaren Bestien.« »Wenn es so ist, werden wir an eurer Sei te kämpfen!« bot Fartuloon an. »Wie ihr seht, sind wir bewaffnet.« »Eure Waffen sind wirkungslos, wenn ihr sie gegen die Hüpfenden einsetzt«, lehnte Vreth ab. »Außerdem kennt ihr diese Wesen nicht. Sie würden euch bei der ersten Gele genheit töten, und ich glaube nicht, daß wir euch schützen könnten. Bleibt in dieser Hüt te – sie dringen in unsere Behausungen nicht ein. Wir werden bald zurückkehren.« »Was sagst du dazu?« fragte Fartuloon verblüfft, als die drei Vermummten die Hüt te verlassen hatten. »Ein Ablenkungsmanöver. Honcus sagte, daß die Vermummten uns die Hüpfenden auf den Hals geschickt haben. Diese Wesen stehen also unter dem Einfluß unserer Gast geber. Sie wollen, daß wir uns unbeobachtet glauben. Irgendwie müssen sie uns dazu bringen, dieses Zeug zu essen.« »Die Versuchung ist groß«, gab der Bauchaufschneider unumwunden zu. »Hast du dir gemerkt, welche Speisen die Ver mummten zu sich genommen haben?« »Ja, aber wir sollten uns trotzdem zurück halten. Was für sie genießbar ist, kann für uns das reine Gift darstellen.« »Sie brauchen uns, und schon deshalb werden sie uns nicht umbringen.« »Sie haben recht«, sagte Honcus. Der »Stählerne« hatte ein dickes Tuch an der Rückseite der Hütte zurückgeschlagen. Von weit her hörten wir die eigenartig tap penden Laute, die von den Vielbeinern er zeugt wurden. Dazwischen erklangen schril le Schreie und das Zischen von Waffen. »Sie brauchen euch lebend, aber damit ihr
33 die Wünsche der Vermummten erfüllt, woll ten sie euch mit einer Droge willenlos ma chen. Ich habe etwas Ähnliches vorausgese hen. Es ist alles vorbereitet. Kommt, oder die Chance zur Flucht ist für alle Zeiten ver tan.« Wir rannten hinter ihm her an der Rück seite mehrerer Hütten entlang. Einmal sahen wir den Platz um den Brunnenschacht. Dort hatten sich mindestens einhundert Ver mummte versammelt. Sie fuchtelten mit ih ren Waffen in der Luft herum. Manchmal löste sich aus den trichterförmigen Öffnun gen der seltsamen Stäbe ein blaß leuchtender Energiestrahl, aber die Schüsse gingen ins Nichts. Von einem Gegner keine Spur. »Ein Scheingefecht«, erklärte auch Hon cus, während wir einem schmalen, gewun denen Pfad entlang gingen, der über den Hang nach oben führte. »Es ist alles nur eine Täuschung, um euch zu überlisten.« Wir hatten den Rand der Senke erreicht und rannten den Pfad entlang. Einmal sah ich eine düstere Gestalt zwischen den Pflan zen. Ich stieß einen warnenden Ruf aus und ließ mich fallen. Der Strahl aus der Waffe zuckte über mich hinweg. Honcus reagierte erstaunlich schnell. Mit einem weiten Sprung erreichte er das Versteck des Geg ners. Wir hörten ein erschrockenes Gurgeln, dann einen trockenen, harten Laut. Honcus kam wieder zum Vorschein. Sein Gesicht verriet nichts von seinen Gefühlen. Wir stellten ihm auch keine Fragen. Honcus brauchte uns nicht erst zu erklären, daß es von nun an um Sekunden ging. Man mußte den Schuß im Tal bemerkt haben. Wir hasteten die steilen Windungen des Pfades entlang. Ab und zu sah ich nach un ten. Die Vermummten rannten verwirrt durcheinander. Das Scheingefecht war längst eingestellt worden. Als wir den Rand der Senke überquerten, gab uns Honcus ein knappes Zeichen, huschte zur Seite und kehrte mit drei Robot tieren zurück. »Schnell!« sagte er. »Sie werden uns fol gen. Spätestens jetzt müssen sie begreifen,
34
Marianne Sydow
daß ihr nicht alleine seid.« Wir schwangen uns auf die seltsamen Ma schinen, während Honcus uns die Bedeutung der einzelnen Kontrollen erklärte. Die Schaltleisten befanden sich an der Vorder kante der aufmontierten Sitze. Wir fanden uns schnell mit der Technik zurecht und setzten die Maschinen in Gang. In donnerndem Galopp rasten wir über die Ebene, der rotglühenden Fontäne entgegen. Die metal lenen Füße der Robottiere schlugen Funken aus dem harten Stein. Glühende Nebel tauchten vor uns auf. »Wohin geht es hier?« schrie Fartuloon zu Honcus hinüber. »In das Reich des Leuchtenden!« rief der »Stählerne« zurück.
6. Als die leuchtenden Nebel sich um uns schlossen, gab Honcus das Zeichen zum An halten. »Die Leuchtenden hassen Lärm und schnelle Bewegungen«, erklärte er. »Sie sind empfindlich und zart. Ihr werdet sie se hen, denn ohne ihre Erlaubnis dürfen wir das Gebiet nicht durchqueren.« »Und die Vermummten?« fragte ich. »Werden sie uns nicht verfolgen?« »Nicht hierher. Sie fürchten die Leuchtenden. In diesem Gebiet haben sie keine Macht. Erst jenseits der Grenzen müssen wir wieder mit ihnen rechnen.« »Wer sind die Leuchtenden?« Honcus ließ das Robottier im Schritt wei tergehen. Wir hielten uns neben ihm. »Sie kamen vor uns auf diesen Planeten. Ich weiß nicht, welchem Volk sie entstam men. Sie sprechen niemals über ihre Heimat. Nachdem die Vermummten die Hüpfenden unterjochten, sind die Leuchtenden die ein zigen Wesen auf dem Schwarzplaneten, die noch Raumschiffe einfangen können. Ich konnte ihnen vor langer Zeit einen großen Gefallen tun, darum akzeptieren sie mich. Wenn im Tal Nachschub gebraucht wird, bin ich der einzige, der mit ihnen verhandeln
kann. Chersoth und die anderen hassen mich, aber sie können es sich nicht leisten, mich zu töten. Von den Pflanzen alleine können wir uns nicht ernähren.« »Das dachte ich mir«, murmelte Fartu loon. »Dann waren es also diese Leuchtenden, die uns einfingen?« »Nein. Diese Verbindung kam durch einen Zufall zustande. So etwas kann ge schehen. Die Leuchtenden ziehen nur Ro botraumer herab. Sie verachten die Ver mummten, weil diese in ihrem grenzenlosen Haß jedes lebende Wesen aus dem Normal raum vernichten.« Vor uns entstand ein wirbelndes Etwas. Honcus hielt an und hob die Hand. Atemlos sah ich zu, wie aus dem Wirbel eine Gestalt hervortrat. Als die Konturen deutlicher wur den, durchfuhr mich ein eisiger Schreck. Ich griff unwillkürlich zur Waffe. Nicht schießen! warnte das Extrahirn. Reiß dich zusammen. Sie sind seit mehr als neunhundert Arkonjahren hier und wissen nichts von eurem Krieg! Ich warf Fartuloon einen Blick zu. Der Bauchaufschneider beherrschte sich meister haft. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Der Maahk, der nun vor dem Wirbel stand, rührte sich nicht. Er war von einer schwachglimmenden Schicht umgeben. Ich wunderte mich darüber, daß ein Methanat mer in dieser Umgebung überhaupt bestehen konnte. Allem Anschein nach trug dieser Maahk keinen Raumanzug. »Wir fliehen vor den Vermummten«, sag te Honcus. »Wir bitten euch um die Erlaub nis, euer Gebiet durchqueren zu dürfen.« »Wohin wollt ihr?« Der Maahk bediente sich der arkonidi schen Sprache. »Zur Fontäne. Diese beiden Fremden sind beim letzten Kontakt auf diesen Planeten verschlagen worden.« »Es tut mir leid«, sagte der Maahk, und mein Erstaunen wuchs. Ein Methanatmer, der – wenigstens der Form halber – Gefühle zeigte, war mehr als nur ungewöhnlich. »Sie werden nicht bleiben«, erwiderte
Die Schrecken des Schwarzplaneten Honcus. »Die Vermummten konnten sie nicht töten, selbst die Hüpfenden haben es nicht geschafft. Sie werden das Tor zur Oberwelt durchschreiten.« Der Maahk sah uns an – wenigstens hatte ich den Eindruck, daß er es tat, denn seine Augen waren durch die glimmende Schicht nicht genau zu erkennen. Er hob den rechten Arm in einer schlangenhaften Bewegung, winkte und trat in den Wirbel zurück. »Wir dürfen passieren«, sagte Honcus zu frieden. »Gibt es hier viele – Leuchtende?« fragte Fartuloon vorsichtig. Er vermied es, die Me thanatmer beim Namen zu nennen, denn Chersoth hatte ja bestätigt, daß man auf der Schwarzwelt von dem Krieg Kenntnis hatte. »Einhundertzwanzig«, gab Honcus be kannt. »Ich glaube nicht, daß wir noch einen zu sehen bekommen. Ihr wart erschrocken, als er auftauchte. Warum?« »Wir wissen einfach zu wenig von dieser Welt«, murmelte Fartuloon. »Das Wesen er schien so unerwartet, daß unsere Reaktion wohl verständlich ist.« Honcus gab keine Antwort. In langsamer Gangart trugen uns die Ro bottiere durch die Nebelschwaden. Ab und zu sahen wir trichterförmige Wirbel, aber sie blieben leer. Ich überlegte, ob es vielleicht in diesem begrenzten Gebiet eine MethanAthmosphäre gab. Es war zwar äußerst un wahrscheinlich, aber an diesem Planeten war ja ohnehin nichts normal. Die Kontrollgeräte raubten mir jedoch diese Illusion, denn nach wie vor entsprach die Luft unseren Bedürf nissen. Was hattest du erwartet? fragte das Extra hirn. Honcus trägt keinen Schutzanzug, und außerdem herrschen denkbar ungeeignete Temperaturen. Schon gut, dachte ich ärgerlich zurück. Es war ein unlogischer Gedanke. Aber genauso unlogisch ist die Existenz der Maahks. Es liegt an der leuchtenden Schicht, der sie ihren Namen verdanken. Ein energeti sches Phänomen. Außerdem sprach Honcus davon, daß die Schiffbrüchigen in einen zeit
35 losen Zustand versetzt werden. Ich konnte mir darunter nicht viel vorstel len. Zeitlos – was sollte das für eine Exi stenz sein? Wie konnte ein Körper außerhalb der Zeit funktionieren? Das Extrahirn gab mir diesmal keine Ant wort. »Wie groß ist dieses Gebiet?« fragte Far tuloon nach einiger Zeit. »Wir werden die Grenze bald erreichen.« Die metallenen Füße tappten über den harten Boden. Auch hier gab es nichts als glasierte Felsen. Die Nebel narrten uns, in dem sie uns die Anwesenheit monströser, nur halb erkennbarer Wesen vorgaukelten. Einmal huschte ein greller Strahl über unse ren Weg. Honcus hielt an und hob warnend die Hand. Dem Strahl folgte ein Schwarm von Funken, die sirrend vorbeiflitzten. »Was ist das?« flüsterte Fartuloon. »Niemand weiß es«, gab Honcus leise zu rück. »Der Lichtstrahl kündigt ihr Kommen an. Wenn man ihnen aus dem Weg geht, kann einem nichts geschehen.« »Daraus ließe sich entnehmen, daß sie in telligent sind.« '»Kann sein. Es gibt ziemlich viele Le bensformen hier. Die Falle ist nicht nur für arkonidische Schiffe gebaut.« Die Funken verschwanden im leuchtenden Nebel. Kaum waren sie fort, da trat ein Maahk aus dem nächstbesten Trichter. »Die Vermummten erwarten euch an der Grenze«, sagte er. »Sie sind bewaffnet und haben eine riesige Horde von Hüpfenden mitgebracht.« Honcus überlegte, während der Maahk wartend vor ihm stand. »Wir weichen ihnen aus«, entschied der »Stählerne«. »Es hat keinen Sinn, wenn wir uns jetzt auf einen Kampf einlassen. Sie sind uns weit überlegen. Kannst du uns zur Ebe ne der kochenden Wasser führen?« »Ja«, antwortete der Maahk zögernd. »Ich kenne den Weg. Aber die kochenden Wasser werden euch töten.« »Mir können sie nichts anhaben«, erwi derte Honcus beruhigend. »Und meine Be
36 gleiter tragen Schutzanzüge.« »Ich werde euch führen.« Der Maahk lief behende vor uns her. Ab und zu wich er besonders dichten Nebelwol ken aus. Auch ein paar Dutzend Funken tauchten noch einmal auf. »Wir sind dicht vor der Siedlung der Leuchtenden«, teilte Honcus uns nach einer Weile mit. »Bitte, verhaltet euch absolut ru hig und achtet auf das, was ich tue.« Die Nebel wichen zurück und gaben den Blick in eine Senke frei. Die Robottiere trabten nach unten. Der Maahk stieß einige warnende Laute aus, und von überall her strömten seine Artgenossen herbei. Ich biß die Zähne zusammen und be mühte mich, den in mir aufkeimenden Haß zu unterdrücken. Keiner von ihnen ist bewaffnet, sagte der Logiksektor beruhigend. Die Maahks starrten uns an, drehten sich wie auf ein Kommando um und verschwan den in den halbkugelförmigen Gebäuden. Lautlos schlossen sich alle Türen und Fen ster. Das Dorf lag wie ausgestorben vor uns. Honcus wartete, bis »unser« Maahk ein Zei chen gab, dann setzten wir unseren Weg fort. Das Tal der Maahks wirkte erstaunlicher weise viel freundlicher als das der Ver mummten. Auch hier gab es die schwammi gen Pflanzen an den Hängen, aber dazwi schen breiteten sich andere Gewächse aus. An den Wegrändern leuchteten riesige Blü tensterne. Die Rundhäuser waren sauber und ordentlich gebaut, ihre Wände trugen fremd artige Symbole, die vermutlich Hinweise auf die Bewohner gaben. Die Maahks hatten keinen tiefen Brunnenschacht gebaut, son dern unmittelbar neben den letzten Häusern den steinigen Boden aufgebrochen. Die Bö schungen waren ebenfalls mit den Sternblu men bepflanzt. Das Wasser des Teiches am Grund der Vertiefung spiegelte die rotleuch tenden Nebel wider. Es herrschte eine beklemmende Stille. Nur das leise Klappern der metallenen Füße war zu hören. Wir ritten um den Teich her-
Marianne Sydow um und erreichten eine Rampe, die zum an deren Rand der Senke hinaufführte. Als wir oben angelangt waren, sah ich mich noch einmal um. Die Maahks hatten die Häuser verlassen und starrten zu uns herauf. Ein paar Schritte weiter waren wir außer Sichtweite. Fast gleichzeitig übertrug das Außenmikrophon eine weiche, einschmei chelnde Melodie. Ich wußte nicht, auf wel chem Instrument sie gespielt wurde, und ins gesamt wirkte sie sehr fremdartig. Dennoch vermittelte sie ein Gefühl tiefsten Friedens. Hier auf dem Schwarzplaneten schienen sich fast alle Dinge in ihr Gegenteil zu ver kehren. Ich hätte keinem Maahk jemals zu getraut, daß er einen Sinn für Schönheit, ge schweige denn für Musik entwickelte. »Jenseits dieses Nebels beginnen die ko chenden Wasser«, sagte der Maahk. »Ich muß jetzt zurückbleiben.« »Wir danken dir und deinen Freunden«, versicherte der Mann mit. dem erstarrten Gesicht. »Wir hoffen, euch nicht gestört zu haben.« »Wir danken für eure Rücksichtnahme. Eure Anwesenheit brachte Freude in unser Gebiet.« Der Maahk trat einen Schritt zurück und verschwand im Nebel. Einen Augenblick später standen wir auf der Ebene der kochenden Wasser.
* Eine rot und schwarz gefleckte Fläche dehnte sich vor uns aus. Der Glutball der »Fontäne« beherrschte den Himmel. Erst jetzt konnten wir erkennen, daß der »Ball« in der Luft hing. Ein blaßleuchtender Stiel verband ihn mit der Oberfläche des Plane ten. Zwischen dem fernen Ziel und unserem Standort erhoben sich zahlreiche Säulen, die in allen Schattierungen zwischen Weiß, Orange, Rot und tiefem Violett schimmer ten. Die Säulen bewegten sich träge hin und her. »Die kochenden Wasser«, erklärte Hon cus und deutete auf diese Gebilde. »Sie wer
Die Schrecken des Schwarzplaneten den von der Kraft der Fontäne nach oben ge zogen und brechen durch alle Stellen, an der der Boden von geringerer Festigkeit ist. Das ist die Gefahr, die uns droht. Die geringste Erschütterung kann neue Ausbrüche hervor rufen.« »Reizend«, murmelte Fartuloon. »Wie groß sind die Chancen, da ungekocht hin durchzukommen?« »Ich habe die Ebene erst zweimal durch quert. Wenn wir schnell genug sind, kann uns nichts geschehen. Auf jeden Fall sind wir hier vor den Vermummten sicher. Sie und die Hüpfenden fürchten sich vor den ko chenden Wassern.« »Ich kann es ihnen nachfühlen«, bemerkte ich. »Hier muß jeder seinen eigenen Weg ge hen«, fuhr Honcus ungerührt fort. »Wenn wir hintereinander reiten, vergrößert sich das Risiko. Achtet darauf, daß ihr nach Möglich keit auf den glatten Flächen bleibt. Da wo der Boden schwarz erscheint, gibt es mei stens schon eine poröse Oberflächenstruktur. Natürlich müßt ihr den Wassersäulen aus weichen. Zum Glück herrscht zur Zeit nur eine geringe Aktivität. Ein Abstand von zwanzig Schritten ist ausreichend.« Er drehte sein Robottier halb herum und trabte zum Rand der nächsten rotglänzenden Fläche. Er drehte mit ruckhaften Bewegun gen den Kopf hin und her, um sich zu orien tieren, dann jagte er mit irrsinniger Ge schwindigkeit in das Inferno hinein. »Was meinst du?« fragte Fartuloon zwei felnd. Ich betrachtete die Ebene aufmerksam, prägte mir eine Reihe dicht aufeinanderfol gender, reflektierender Flächen ein und zuckte die Schultern. »Wir müssen es versuchen.« »Er hätte uns wenigstens sagen können, wie weit es bis zur anderen Seite ist«, knurr te Fartuloon, gab dem Robottier ein Zeichen und raste davon. Es war ein höllischer Ritt. Einen durchge henden Weg aus hartem Gestein gab es nicht. Unsere Transportmaschinen konnten
37 im Sprung bis zu zehn Metern überwinden, und das war in diesem Fall wenig genug. Ich raste in einem wilden, verschlungenen Kurs zwischen den Säulen aus kochendem Was ser hindurch. Es galt, alles im Auge zu be halten, was mich umgab. Die hellen, begeh baren Flächen. Die dunklen Schatten, in de nen die Gefahr lauerte. Die Wasser- und Dampfmassen, die sich manchmal seitwärts verlagerten. Und natürlich das Ziel, die Fon täne, deren Licht mich blendete. Das Robottier reagierte fast ohne jede Verzögerung. Inzwischen war ich mit den Kontrollen so vertraut geworden, daß ich über ihre Bedienung nicht mehr nachzuden ken brauchte. Dennoch kam ich oft genug in Schwierigkeiten. Einmal ergoß sich eine ko chendheiße Dampfwolke über mich. Der Raumanzug schützte zwar mich, aber nicht die Maschine. Die letzten Fetzen der synthe tischen Haut wirbelten davon. Für einen Au genblick war die Optik des Roboters lahm gelegt, weil einer dieser Fetzen auf einer Linse hängenblieb. Ich beugte mich nach vorne und wischte die Synthohaut weg. Die Maschine preschte mit unverminderter Ge schwindigkeit weiter. Ich sah den tief schwarzen Graben schon fast unter den Vor derfüßen und gab das Signal zum Sprung. Die Maschine schnellte in die Luft. Es reichte nicht. Im Bruchteil einer Se kunde erkannte ich, daß wir den rettenden Rand des Grabens nicht erreichen konnten. Ich warf mich nach vorne, packte den Hals der Maschine und schaltete mit einem Druck des Ellenbogens das Fluggerät ein. Die me tallenen Beine wirbelten hilflos durch die Luft, schlugen gegen die scharfkantigen Steine an der Abbruchstelle, fetzten einzelne Brocken los, die donnernd nach unten roll ten. Ohne die Maschine hatte ich keine Chan ce, dieses Gebiet jemals zu verlassen. Das Fluggerät würde mir in dieser Beziehung auch nichts nützen. Während ich die Lei stung des Aggregats erhöhte, dachte ich be reits darüber nach, wie ich eventuell eine Verbindung zu Fartuloon bekommen sollte.
38 Ich konnte ihn über den Helmfunk rufen – aber wie sollte er mich in diesem Labyrinth finden? Die Maschine war zu schwer. Ich konnte sie nicht halten. Zwar hatten die Vorderbei ne den Rand des Grabens erreicht, aber unter den stampfenden Bewegungen bröckelte im mer mehr Gestein weg. Ich spähte über den metallenen Kopf und entdeckte in wenigen Metern Entfernung glatten, harten Boden. Es hatte keinen Sinn, zu warten, bis ich mit dem Robottier abstürzte, also bereitete ich mich darauf vor, es allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit zum Trotz mit dem Fluggerät zu versuchen. Ehe ich meinen Plan in die Wirklichkeit umsetzen konnte, fauchte es hinter mir. Ich spürte den brutalen Ruck, der durch die Ma schine ging. Die Kontrollen waren in diesem Augenblick unerreichbar. Ich konnte nichts weiter tun, als mich krampfhaft festzuhalten. Die Maschine wurde über den Rand des Grabens geschleudert. Der Boden kam auf mich zu. Ich ließ los und stieß mich mit bei den Beinen ab. Das Robottier krachte dicht neben der nächsten Wassersäule auf den Bo den. Die Maschine lag auf der Seite, und die stählernen Beine bewegten sich nur noch langsam. Die Automatik greift ein, warnte der Lo giksektor. Ich hechtete auf die Maschine zu. Die Beine veränderten ihre Stellung, verrenkten sich grotesk und berührten den Boden. Aus den glatten Trittflächen schoben sich mit Widerhaken bewehrte Dornen, stemmten sich in das Gestein und verankerten sich dort. Der metallene Körper ruckte herum. Als ich die Schaltleiste erreichte, war die Maschine eben im Begriff, sich wieder auf zurichten. Ich schlug mit der Faust gegen einen Schalter, rutschte an dem glatten Me tall ab und überschlug mich. Aber ich hatte es geschafft. Die Maschine stand regungslos da. Hätte ich den Schalter nicht rechtzeitig erwischt, dann wäre das Robottier ohne mich weiter gestürmt.
Marianne Sydow Mühsam kletterte ich nach oben. Da, wo vorher der Graben geklafft hatte, fauchten Dampfwolken nach oben. Ich tippte neue Befehle ein. Etwas später sah ich hinter einigen Was sersäulen Fartuloon, der mich jedoch nicht bemerkte. Ich hütete mich, ihn auf mich auf merksam zu machen. Die geringste Ablen kung konnte für ihn tödlich sein. Endlich wurde das Gewirr der Wassersäu len weitmaschiger. Die schwarzen Flächen schrumpften und verschwanden schließlich ganz. Ich riskierte es, kurz anzuhalten und mich umzusehen. Rechts tauchte der Bauch aufschneider auf. Ich winkte ihm zu und wartete. Der Boden zwischen uns schien si cher zu sein. »Hast du Honcus gesehen?« fragte Fartu loon, als er mich erreicht hatte. Ich schüttelte stumm den Kopf. Nebenein ander ritten wir weiter, nicht mehr so schnell wie vorher, aber immer noch sehr konzen triert. Wir hatten keine Mühe, den letzten Gefahrenstellen auszuweichen. Als vor uns keine einzige Wassersäule mehr aufragte, übertrugen die Außenmikrophone das Klap pern der metallenen Beine, und Honcus kam auf uns zu. »Sie stehen hinter dieser Hügelkette«, sagte er und deutete auf eine Reihe niedri ger, aber steiler Erhebungen. Die Klimaanlage blies kühle Luft in mei nen Helm. Der Schweiß auf meiner Stirn trocknete und rief dabei ein unangenehmes Jucken hervor. Meine Augen schmerzten von der erbarmungslosen Helligkeit. Ich fühlte mich wie zerschlagen und hätte alles für eine Gelegenheit gegeben, eine ausgiebi ge Pause einzulegen. Der bloße Gedanke an eine Dusche und ein weiches Bett machte mich rasend. »Wir können nicht immer nur vor ihnen davonlaufen«, sagte ich ärgerlich. »Ihr habt die Waffe der Hüpfenden ken nengelernt«, erwiderte Honcus ruhig. »Diesmal werdet ihr ihnen nicht entkom men, denn sie sind nicht die einzigen Geg ner. Wir durchschreiten die Höhlen der To
Die Schrecken des Schwarzplaneten ten …« »Was ist das nun wieder?« fuhr Fartuloon ungeduldig dazwischen. »Ein System von Gängen, das uns fast bis an die Fontäne heranbringt«, erklärte der »Stählerne« gelassen. »Die Hüpfenden ha ben die für sie geltende Grenze bereits er reicht. Das bedeutet, daß wir es nur noch mit den Vermummten zu tun haben, wenn wir an die Oberfläche zurückkehren.« »Wenn!« betonte Fartuloon. »Wer bei al len Raumgeistern sind die Toten, denen die se Höhlen gehören?« »Wesen, die niemanden mehr sehen oder hören. Sie sind ewig, und nichts kann sie mehr stören.« »Warum gebraucht ihr eigentlich so ko mische Namen?« fragte der Bauchaufschnei der. »Hüpfende, Leuchtende – es wäre doch einfacher, die Dinge so zu nennen, wie es im Normalraum üblich ist!« »Namen dieser Art haben für uns keine Bedeutung mehr. Wir alle wissen, daß wir für immer auf diesem Planeten bleiben müs sen, und darum wollen wir uns nicht unnötig an das erinnern, was wir hinter uns lassen mußten. Die Vermummten sind die einzige Ausnahme.« »Aha«, brummte Fartuloon. »Immerhin scheint es, als wäre der Weg durch die Höh len einigermaßen gefahrlos. Oder gibt es auch da einen Haken?« »Wir werden es merken«, erwiderte Hon cus nachdenklich. »Und woran, wenn man fragen darf?« Fartuloon erhielt keine Antwort. Wir war fen uns einen vielsagenden Blick zu. Honcus war zweifellos für die hier herrschenden Verhältnisse ein sehr netter Bursche. Trotz dem konnte er einem zuweilen auf die Ner ven gehen.
* Der Eingang zu den Höhlen war so groß, daß man selbst mit einem Lastengleiter mü helos hätte eindringen können. »Weiter hinten wird es enger«, sagte Hon
39 cus. »Aber wir werden keine Schwierigkei ten haben.« Mißtrauisch spähten wir in die Dunkel heit. Fartuloon schaltete die Lampe ein. Im hellen Lichtstrahl erschienen wuchtige Säu len, die die Decke trugen. Die Wände waren glatt. »Wer hat diese Höhlen angelegt?« fragte ich. »Die Wesen, von denen ich euch erzählte. Es heißt, daß sie vor unvorstellbar langer Zeit hierher gelangten. Sie brachten einen Teil ihrer Technik mit. Im Gegensatz zu uns besaßen sie Maschinen, denen die Strahlung nichts anhaben konnte. Sie richteten sich einen Stützpunkt ein. Vermutlich wollten sie die Nähe der Fontäne nicht verlassen, weil sie auf die Möglichkeit zur Rückkehr hoff ten. Als sie begriffen, daß die Falle perfekt war, resignierten sie offensichtlich. Sie zo gen sich in ihre Höhlen zurück und lebten von da an nur noch für ihre Meditationen.« »Vom Denken alleine kann sich niemand ernähren«, bemerkte Fartuloon skeptisch. »Sie brauchen keine Nahrung mehr«, wi dersprach Honcus. »Sie sind über das Stadi um, in dem solche Bedürfnisse eine Rolle spielen, längst hinweg.« Wir durchquerten die erste Höhle und ge langten in einen Gang, der breit genug war, daß wir nebeneinander reiten konnten. Far tuloon hatte die Lampe am Kopf seines Ro bottieres befestigt. Da Honcus keine Ein wände hervorbrachte, nahmen wir an, daß die geheimnisvollen »Toten« sich durch ein bißchen Licht nicht würden stören lassen. Die Wände waren nicht überall glatt. Es gab filigranartige Gebilde auf dem schwar zen Gestein. Ohne eingehende Untersu chung ließ es sich nicht feststellen, ob es sich dabei um Verzierungen handelte oder um eine natürliche Erscheinung. Ab und zu hörten wir das Plätschern von fließendem Wasser, sahen aber nicht eine einzige Quel le. Nach ungefähr einer Stunde mündete der Gang in eine wahrhaft gigantische Halle. Der dünne Lichtstrahl verlor sich in der Fer ne.
40 Honcus wandte sich nach rechts und lenk te seine Maschine dicht an der Wand ent lang. Wir folgten ihm schweigend. Die Wände warfen das Klappern der Metallbeine als leises Echo zurück. »Vorsicht!« sagte Honcus nach einer Weile. »Wir kommen jetzt in die Nähe der Toten.« Ich verzog das Gesicht. Nach den bisheri gen Schilderungen des »Stählernen« konnte es sich bei diesen Wesen nicht gerade um gefährliche Kämpfer handeln. Unwillkürlich stellte ich sie mir als mittlere Skelette vor, in denen irgendwo noch ein winziger Funken Leben brannte, gerade ausreichend, um ver sponnenen Gedanken nachzuhängen. Weit vor uns entstand wie aus dem Nichts ein bläuliches Flimmern. Winzige Flammen tanzten über den Bo den, leckten an den Wänden hinauf und hüll ten eine klobige Gestalt ein, die ungelenke Bewegungen vollführte. »Ich hatte es befürchtet«, flüsterte Honcus und hielt an. »Sie dringen immer wieder hier ein. Ihr Hunger nach Nahrung treibt sie vor wärts. Sie werden niemals begreifen, daß die Toten sich immer noch zu wehren wissen.« »Was um alles in der Welt ist das?« keuchte Fartuloon entsetzt. »Der Bursche da drüben …« »Still!« zischte Honcus scharf. Wir warteten und beobachteten fassungs los die Szene, die sich vor unseren Augen abspielte. Die Gestalt, an der die blauen Flammen lautlos hinaufkrochen, sah wie ein Arkonide aus. Der Unterschied bestand in der Größe. Der Fremde war mindestens zehn Meter hoch. Er gab keinen Laut von sich, obwohl seine verzweifelten Abwehrversuche bewie sen, daß die Lage für ihn gefährlich war. Er tappte wie ein Blinder hin und her, stieß mit dem Kopf gegen die harte Wand, taumelte zurück und stand schwankend da, während die Flammen sein Gesicht erreichten. »Können wir ihm denn nicht helfen?« fragte Fartuloon flüsternd. Honcus hob abwehrend die Hand.
Marianne Sydow Der Riese fiel. Er kippte langsam zur Sei te und prallte schwer auf. Die Flammen zo gen sich zurück. Sie bildeten einen Halb kreis auf der der Höhle zugewandten Seite. Erst jetzt wurde deutlich, daß es dort vorne einen weiteren Zugang gab. Minuten verstrichen. Die Flammen zuck ten unruhig und tauchten die am Boden lie gende Gestalt in blaues Licht. Dann hörten wir dumpfe Schritte. Etwas bewegte sich in der Dunkelheit des Durchgangs. Fartuloon zog scharf die Luft ein, als der gewaltige Kopf eines weiteren Riesen erschien. Der Fremde betrachtete aufmerksam sei nen Gefährten, dann die Flammen. Der leuchtende Ring wich ein Stück zurück. Das schien ein Zeichen zu sein, daß diesen We sen bekannt war. Die Gestalt löste sich aus der Dunkelheit und bückte sich. Der Riese packte seinen Artgenossen an den Beinen und zog ihn in den schützenden Gang. Wir hörten die schweren Schritte, die sich lang sam entfernten. Erst, als die Geräusche längst verklungen waren, erloschen die Flammen. »Kommt«, flüsterte Honcus. Er hielt jetzt auf die Mitte der Höhle zu. Offenbar erschien es ihm nach dem Auftau chen der Riesen als zu gefährlich, in der Nä he der Wände zu bleiben. Nach einigen Schritten zog er einen länglichen Gegen stand aus der Tasche seiner zerlumpten Jacke. Im schwachen Lichtschein der klei nen Lampe sah ich ein dünnes Rohr mit ver schieden geformten Rippen. Die Finger des »Stählernen« glitten darüber hin. Eine zir pende Melodie entstand. Der Lichtstreifen glitt über den glatten Boden, zeigte mehrere kleine, schillernde Wasserbecken und dann eine Reihe von un förmigen Felsen. Das sind keine Steine! behauptete das Ex trahirn. Ich sah genauer hin und bemerkte unter dicken Wülsten winzige, schläfrige Augen. Der Lichtstreifen wanderte weiter. Ich hätte gerne angehalten, um diese eigenartigen Wesen näher zu betrachten. Sie waren mir
Die Schrecken des Schwarzplaneten völlig fremd, aber ich ahnte, daß sie unvor stellbare Kenntnisse gesammelt hatten. Lei der erkannte ich andererseits, daß ein Auf enthalt zu gefährlich war. Honcus lenkte sei ne Maschine behutsam zwischen den Frem den hindurch, und die zirpenden Laute be gleiteten unseren Weg. Wir folgten dem »Stählernen« schweigend und nachdenklich. Auf unserem Weg entdeckte ich an die hundert dieser Fremden. Sie reagierten nicht auf unser Erscheinen. Ihre unförmigen Körper lagen scheinbar wehrlos auf dem blanken Boden. Aber das Ereignis kurz vorher bewies, daß sie über Waffen verfügten. Als die Fremden hinter uns zurückblie ben, steckte Honcus das dünne Rohr wieder ein. Er führte uns zum nächsten Ausgang. Erst in der nüchternen Umgebung des glat ten Stollens kam wieder eine Unterhaltung in Gang. »Diese Riesen …«, begann Fartuloon. »Es sind Arkoniden«, erklärte Honcus. »Ihre Entwicklung verlief anders als die der Vermummten. Sie wurden zu Riesen, aber je größer ihre Körper wurden, desto schwächer wurde ihre Intelligenz. Sie sind völlig ver dummt. Seit Jahrhunderten versuchen sie, die Toten anzugreifen.« »Wovon leben sie überhaupt, wenn es ih nen nicht gelingt, diese Fremden aufzufres sen«, wunderte sich Fartuloon. »Nahrung gibt es genug. Die tieferen Ka vernen enthalten automatisch gewartete Pilz gärten. Die Fremden haben sie vor langer Zeit angelegt. Es existierten sogar noch die Aufbereitungsanlagen, in denen aus den Pil zen die verschiedenartigsten Nahrungsmittel hergestellt werden. Aber die Riesen sind zu dumm, um die Anlagen zu nutzen. Sie essen die Pilze, sobald sie sichtbar werden. Wenn sie den gesteuerten Ernteprozeß abwarten würden, hätten sie alles, was man zum Le ben braucht.« Es schien erstaunlich und unwahrschein lich, daß technische Anlagen nach einer so langen Zeitspanne überhaupt noch funkti onsfähig sein sollten. Ich dachte an die Ver
41 sunkenen Welten der Varganen. Bestand vielleicht sogar eine Verbindung zwischen ihnen und den sternförmigen Wesen? Es war nicht auszuschließen. Allerdings würden wir keine Gelegenheit erhalten, die ses Rätsel zu lösen. »Wir haben den Ausgang bald erreicht«, sagte Honcus später. »Die Vermummten werden unseren Trick inzwischen durch schaut haben. Sie erwarten uns mit Sicher heit jenseits der Höhlen.« »Wir werden uns darauf einstellen«, ver sicherte ich. Wir kamen um eine Biegung und sahen den roten Lichtschein in der Ferne. »Dort ist es«, murmelte Honcus. Er zog eine der seltsam geformten Waffen aus dem Lastengurt des Robottiers und überprüfte sie sorgfältig.
7. Wir hielten kurz vor dem Eingang. Von draußen konnte niemand uns beobachten. Die Lichtfülle jenseits des Höhleneingangs erschien fast unerträglich. Die riesige rote Kugel der Fontäne hing über uns und über goß alles mit vernichtender Glut. Der blasse Energiestrang, der die Kugel mit der Ober fläche verband, war kaum erkennbar. »Zwischen uns und dem Zugang der Fon täne liegt nur diese Ebene«, sagte Honcus leise. »Mit den Robottieren könnt ihr diese Entfernung in ungefähr einer Stunde der alten Zeitrechnung überwinden. In diesem Be reich gibt es keine Gruppen von Schiffbrü chigen. Die Umgebung der Fontäne ist nor malerweise tabu. Ihr habt nur die Ver mummten zu fürchten.« »Gut«, sagte Fartuloon. »Wir werden mit diesen Trauergestalten schon fertig. Kehren Sie jetzt besser um – oder wollen Sie uns lieber begleiten?« Es wäre nicht schlecht, dachte ich. Hon cus sah zwar furchterregend aus, aber in der kurzen Zeit unseres Zusammenseins hatte ich ihn schätzen gelernt. Er würde auch im Normalraum ein verläßlicher Gefährte sein.
42 »Ich begleite euch bis zur Fontäne«, sagte er, und seine starren Augen spiegelten das rote Licht wider. »Diese Erklärungen waren nur für den Fall gedacht, daß mir etwas zu stoßen sollte. Wir werden gemeinsam gegen die Vermummten kämpfen. Dann allerdings muß ich zurückbleiben. Ich würde dem Le ben in der Oberwelt hilflos gegenüber ste hen. Mein Platz ist hier.« Er wird den Kampf nicht überleben, sagte das Extrahirn ernst. Und er weiß es. Der Durchbruch zur Fontäne mag gelingen, aber auf dem Rückweg hat er keine Chance. Ihr könnt die Vermummten nicht alle töten. »Kehren Sie um«, bat ich. »Wir schaffen es schon. Sie werden hier gebraucht. Wir ha ben es während dieses Rittes deutlich ge merkt.« Honcus schwieg und gab seiner Maschine einen lautlosen Befehl. Er ritt zum Ausgang. Seine Entscheidung war vermutlich längst gefallen. Sein Entschluß stand schon fest, als er zum erstenmal Kontakt zu euch aufnahm. Er gehört zu keiner der hier vorhandenen Gruppen. Der Handel zwischen den Ver mummten und den Maahks wird zusammen brechen – die ehemaligen Arkoniden werden die einzigen Leidtragenden sein. Wenn euch die Flucht gelingt, ist damit die Gefahr einer Invasion im Normalraum gebannt. Ohne die Hilfe der Maahks sind die Vermummten re lativ hilflos. Ich schüttelte die trüben Gedanken ab, die mit diesen Dingen zusammenhingen. Der Schwarzplanet war eine gnadenlose Welt, in der man sich Sentimentalitäten nicht leisten durfte. Wir durchritten den Ausgang und wichen sofort nach den Seiten aus. In der ungeheu ren Lichtfülle war es schwer, Einzelheiten zu erkennen. Unsere Gegner machten sich jedoch sehr schnell bemerkbar. Dicht vor mir stiegen Dampfschwaden vom Boden auf. Im ersten Augenblick be griff ich die Bedeutung kaum. Der Energie strahl war in dieser Helligkeit nicht sichtbar, und auch das Glühen des Bodens an der Ein-
Marianne Sydow schußstelle war zu schwach, um sich deut lich abzuheben. Dann aber ließ ich das Ro bottier nach rückwärts springen. Der nächste Schuß traf die Stelle, an der ich mich eben befunden hatte. Weiter rechts preßte sich Fartuloon in den kümmerlichen Schutz des niedrigen, steilen Hanges. Honcus dagegen preschte vor, hob die Hand, feuerte schräg nach oben und kehrte eilig zurück. Einige Schritte von mir entfernt fiel einer der Ver mummten zu Boden. Die Vermummten hatten einen günstigen Standort gewählt. Sie standen über uns, und der zerklüftete Grat des langgestreckten Hü gelzugs bot ihnen eine ausgezeichnete Deckung. Sie konnten uns der Reihe nach abschießen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Daran änderte auch der erste Erfolg des »Stählernen« nichts. Es handelte sich um einen Zufallstreffer. Wir verständigten uns mit knappen Ge sten und zogen uns wieder in den Zugang zum Höhlensystem zurück. »Sie wußten, an welcher Stelle wir her auskommen müssen«, stellte Honcus nüch tern fest. »Gibt es nicht noch andere Ausgänge aus diesem Höhlensystem?« fragte Fartuloon ungeduldig. »Ja, aber sie sind für uns unerreichbar. Wir müßten zurück bis zur Ebene der ko chenden Wasser und von dort aus lange Zeit parallel zu den Hügeln reiten, bis wir den nächsten Tunnel finden. Ich bin sicher, daß die Vermummten an allen in Frage kom menden Stellen die Hüpfenden postiert ha ben. Selbst wenn wir mit diesen Vielbeinern fertig werden, ändert das nichts an der Situa tion, denn die Vermummten könnten uns am nächsten Ausgang auflauern. Zwischen den Tunneln und den Hallen der Toten gibt es zwar Querverbindungen, aber die sind ent weder blockiert oder werden von den Riesen besetzt gehalten.« »Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als die Kerle aus der Reserve zu locken«, stellte Fartuloon fest. »Wie groß ist die Reichweite der Waffen?«
Die Schrecken des Schwarzplaneten »Zu groß, um durch einen schnellen Aus bruch davonzukommen«, lautete die wenig ermutigende Antwort. »Aber wartet mal – die Vermummten haben nicht viel Zeit. Sie können sich da oben auf den Hügeln nicht lange aufhalten. Dort sind die Strahlungs schauer besonders stark. Die Ebene selbst ist längst nicht so gefährlich. Wenn wir ein we nig warten, müssen sie die Initiative ergrei fen.« Zum erstenmal seit einiger Zeit dachte ich an den begrenzten Luftvorrat, den wir mit uns führten. Ich sah nach und stellte fest, daß wir noch für knapp zehn Stunden ver sorgt waren. »Merkwürdig«, brummte Fartuloon, als ich ihn auf diesen Umstand hinwies. »So lange waren wir doch gar nicht unterwegs. Und die Uhren spielen anscheinend auch verrückt.« »Kümmert euch nicht darum«, riet Hon cus. »Sobald ihr in die Oberwelt zurückge kehrt seid, verliert der Einfluß dieser zeitlo sen Welt seine Wirkung.« Ich fragte mich, woher er das so sicher wissen wollte. Außerdem machte ich mir Sorgen wegen der CRYSALGIRA. Wir hat ten nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, wieviel Zeit im Normalraum vergangen war. Vielleicht waren wir für unsere Freunde schon seit Wochen oder Monaten verschol len … »Auf jeden Fall reicht diese Reserve aus«, fuhr Honcus fort. »Ich nehme an, daß in ei ner Zeit von ungefähr einer eurer Stunden die Vermummten ihre jetzige Stellung räu men müssen.« »Diese Warterei gefällt mir nicht«, sagte Fartuloon. »Es geht ja nicht um unseren Luftvorrat. Notfalls nehmen wir die Helme ab.« »Das dürft ihr auf keinen Fall wagen!« warnte Honcus sofort. »Ihr würdet euch da mit den Einflüssen der Fontäne aussetzen und zu Bestandteilen unserer Welt werden. Selbst das Schwert könnte euch dann nicht mehr helfen.« »Aha«, brummte der Bauchaufschneider
43 und warf mir einen Blick zu. Unsere Ahnun gen, die uns veranlaßt hatten, die Rauman züge nicht einmal zum Schlafen abzulegen, waren also durchaus zutreffend gewesen. Wir warteten unmittelbar am Ausgang des Tunnels. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an das grelle Licht, aber die Ebene war so eintönig, daß es ohnehin unwichtig war, ob ich Einzelheiten erkennen konnte oder nicht. Im übrigen stellte es sich heraus, daß Honcus sich geirrt hatte. Die Stunde verging – wobei wir auf die Aussagen des »Stählernen« angewiesen waren, denn wir hatten keine Möglichkeit mehr, die Zeit zu messen – aber kein Vermummter verließ den Hügelkamm. Unsere Uhren blieben inzwi schen einfach stehen. »Ich gehe hinaus«, sagte Fartuloon schließlich. Er lenkte das Robottier aus der Tunnel mündung und hielt an. Nichts geschah. Der Bauchaufschneider ritt ein Stück weiter hin aus, dann drehte er sich um und gab mehrere Schüsse auf den Grat des Hügels ab. »Sie sind weg!« behauptete er über Helm funk. »Vielleicht ist es ihnen zu langweilig geworden.« Ich hatte ein ziemlich unangenehmes Ge fühl zwischen den Schulterblättern, als ich ebenfalls hinausritt. Neben Fartuloon hielt ich an. Unsere Impulsstrahler waren auf den Hügelkamm gerichtet, und wir lauerten auf eine Bewegung, die den Standort unserer Gegner verriet. Inzwischen war Honcus ab gestiegen und hangelte sich geschickt an dem steilen Hang und einigen Vorsprüngen im Fels nach oben. Wir hielten den Atem an, als er hinter der schwarzen Linie ver schwand. Gleich darauf sahen wir ihn wie der. Er winkte mit beiden Armen und klet terte wieder hinunter. »Sie sind tatsächlich abgezogen«, berich tete er, als er uns erreichte. »Ich habe ihre Spuren gefunden.« »Mit ihrer Zeitlosigkeit scheint es nicht weit her zu sein«, murmelte Fartuloon nach denklich. »Sie geben Schnellauf, wie?« »Nein«, entgegnete Honcus ruhig. »Ich
44
Marianne Sydow
bin sicher, daß sie irgendwo auf uns lauern.« Die Reitmaschinen trugen uns in rasen dem Tempo über die Ebene. Über uns hing die Fontäne, ein riesiger Glutball, der uns beängstigend nahe zu sein schien. Weit vor uns flimmerte der blasse Energieschlauch, der nach oben führte. Zwischen ihm und uns gab es nur eine glatte, völlig deckungsfreie Fläche. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es den Vermummten gelingen sollte, hier einen Hinterhalt zu legen. Und doch war es so. Wir hatten den Schlauch fast erreicht, da stürmten sie auf ihren Robottieren um die blaßrosa Energiewände herum.
* Der erste Schuß heulte an mir vorbei. Der zweite fuhr zischend in die stählernen Vor derbeine meiner Maschine. Das Robottier knickte nach vorne ein, und ich flog im ho hen Bogen durch die Luft. Der Zufall wollte es, daß ich direkt neben einem der Ver mummten landete. Ich brauchte kaum zu zielen, sondern schoß einfach schräg nach oben. Der Energiestrahl fegte den Reiter aus dem Sitz und schleuderte ihn gegen einen anderen Vermummten, der ebenfalls den Halt verlor. Die beiden Maschinen rasten weiter, blind und führerlos, krachten in an dere Robottiere hinein und sorgten für ein ziemliches Durcheinander. Die Vermummten kreischten aufgeregt. Sie feuerten pausenlos auf uns, aber vom Zielen schienen sie nicht viel zu halten. Ne ben mir rollte sich Fartuloon über den Bo den. Er war von seiner Maschine gesprun gen, und das Robottier raste im wilden Zick zack in die Reihen der Vermummten. Zwei Reiter versuchten es mit einem Ausweich manöver und prallten frontal zusammen. Die beiden Vermummten überschlugen sich in der Luft und blieben regungslos liegen. Die Maschinen verkeilten sich miteinander, schlugen wild um sich und brachten dabei weitere Reiter in Schwierigkeiten. Wir zielten auf einige Vermummte, – die
sich rechtzeitig aus diesem Gewühl entfernt hatten. Unsere Schüsse trafen. Die führerlo sen Maschinen rasten in einem weiten Bo gen mitten in den Energieschlauch hinein und vergingen in einer hellen Lichterschei nung. »Da hinüber!« keuchte Fartuloon. Ich rannte zu zwei zertrümmerten Reitma schinen, während der Bauchaufschneider mir Feuerschutz gab. Wenig später lag er ne ben mir in der Deckung. Über die metalle nen Leiber hinweg nahmen wir die Ver mummten unter Beschuß, die jetzt allmäh lich wieder zur Besinnung kamen. »Verdammt«, sagte ich, als ich den Plan unserer Gegner erkannte. »Sie versperren uns den Weg.« Sie bildeten eine Barriere zwischen uns und dem Energieschlauch. Sie hatten einiges dazugelernt, denn sie saßen längst nicht mehr auf ihren Maschinen, sondern nutzten die Metallmassen genau wie wir zur Deckung. »Und wenn wir sie alle vernichten müs sen«, knirschte Fartuloon erbittert, »wir müssen den Rückweg finden! Los! Denke an unseren Luftvorrat.« »Das ist nicht das Schlimmste«, sagte ich wütend. »Mein Magazin ist leer.« »Dann nimm ein Neues!« »Du verstehst mich falsch«, erklärte ich, während Fartuloon eine Reitmaschine zer störte und damit die Deckungsmöglichkeit für die Vermummten reduzierte. »Der Ener gieverbrauch ist viel zu hoch.« Fartuloon starrte verdutzt auf die kleine Leuchtanzeige am Griff seines Strahlers. Ich hatte inzwischen ein Reservemagazin einge setzt. Ein Vermummter wunderte sich über die Feuerpause und wagte sich zu weit vor. »Das ändert die Lage«, murmelte Fartu loon. »Wir haben nicht einmal genug Schüs se frei, um die Vermummten auszuschalten, geschweige denn ihre Deckung zu durchbre chen. Wo steckt eigentlich Honcus?« »Ich habe keine Ahnung. Als die Kerle hinter dem Schlauch hervorkamen, raste er seitwärts davon.«
Die Schrecken des Schwarzplaneten Die Vermummten hatten inzwischen eini ge Lücken in den nebeneinander liegenden Robottieren entdeckt und schossen von dort aus auf die beiden Maschinen, hinter denen wir uns befanden. Sie richteten damit kaum einen Schaden an. Die von ihnen verwende ten Waffen waren zu schwach, um den ver dichteten Stahl schnell genug zu durchdrin gen. Und ehe es kritisch wurde, konnten wir den Ursprung der Stahler anvisieren. Wir schossen sparsam, aber sehr genau. »Unentschieden«, murmelte Fartuloon. »Sie kriegen uns nicht, und wir kommen nicht an ihnen vorbei.« Immer wieder vergewisserten wir uns, daß keiner der Vermummten im Schutz der Energiewände versuchte, seine Stellung zu wechseln und uns von hinten oder von der Seite her anzugreifen. »Dort!« knurrte Fartuloon plötzlich. Ziemlich weit rechts tauchte ein Reiter neben dem Schlauch auf. Ich entdeckte fast gleichzeitig einen Vermummten, der plötz lich aus seiner Deckung sprang und etwas zu uns herüberwerfen wollte. Mein Schuß hatte eine verheerende Wirkung. Die entstellten Arkoniden waren offenbar bereit, jetzt zu ra biaten Mitteln zu greifen, denn das, was in unserer Nähe hatte landen sollen, war eine Bombe. Sie explodierte auf der falschen Sei te der Kampfstätte und riß eine breite Bre sche in die Barrikade aus stählernen Lei bern. »Komm schon!« murmelte Fartuloon. Ich warf ihm einen Blick zu und sah, daß er auf den einzelnen Reiter zielte. Noch war der Fremde nicht in der günstigsten Position. Das ist kein Vermummter! schrie der Lo giksektor. Ich warf mich herum und drückte Fartulo ons Arm nach oben. »Honcus!« keuchte Fartuloon, der den Reiter jetzt auch erkannte. Der »Stählerne« ritt genau auf die Ver mummten zu. »Der Kerl ist verrückt geworden«, knurrte Fartuloon und schoß auf einen Vermumm ten, der am Rand der Barriere auftauchte.
45 »Die Kerle schießen ihn ab, sobald er nahe genug ist.« »Warten wir es ab«, murmelte ich. »Honcus ist kein Selbstmörder. Er hat be stimmt einen Plan.« Vorerst konnten wir nicht viel tun. Wir hielten die Vermummten in Schach, aber da wir nur sparsam von unseren Waffen Ge brauch machen konnten, würde es uns kaum gelingen, sie völlig von Honcus abzulenken. Der »Stählerne« wich inzwischen etwas von seinem Kurs ab. Er entfernte sich von der energetischen Wand. Wenn er in dieser Richtung weiterritt, würde er genau zwi schen uns und die Vermummten kommen. »Achtung!« sagte Fartuloon leise. Hinter der Barriere tat sich etwas. Wir hörten die schrillen Rufe der Vermummten. Einer von ihnen floh in unsere Richtung. Ich hob die Waffe, aber der Vermummte schien in Panik geraten zu sein. Er beachtete weder uns noch unsere Waffen, sondern rannte schreiend davon. Honcus hatte angehalten. Er saß wie ein Denkmal auf seiner Reitmaschine und zielte gelassen auf den Flüchtenden. Den blassen Energiestrahl konnte man bestenfalls ahnen, aber seine Wirkung war verheerend. Weitere Vermummte rannten hinter den stählernen Leibern hervor. Honcus schoß wie ein Rasender. Wir verstanden das nicht. Warum verließen die Vermummten ihre si chere Position? Und warum brachte Honcus seine Kameraden um? Dann tauchte über den liegenden Robot tieren der schwach leuchtende Umriß eines Maahks auf. »Er hat Hilfe geholt«, knurrte Fartuloon verwundert. »Wie sind die Kerle so schnell hierher gekommen?« »Keine Ahnung. Vielleicht liegt es an die sen Trichtern, in denen sie immer ver schwinden. Ich glaube, wir sollten es jetzt langsam versuchen. Drüben dürfte die Luft rein sein.« Fartuloon nickte, warf noch einen sichernden Blick in die Umgebung und rannte los. Ich folgte ihm und sicherte uns nach hinten
46 ab. Wie begründet diese Vorsichtsmaßnah me war, erwies sich, als die fliehenden Ver mummten uns sahen. Ich schoß drei- oder viermal, ehe wir die Deckung erreichten. Fartuloon setzte in ei ner Flanke darüber hinweg und übernahm die Deckung, während ich ihm folgte. Die Maahks waren spurlos verschwunden. Ein paar Vermummte lagen regungslos auf dem Boden. Bei einigem war die Maskie rung aus dunklen Tüchern teilweise ver rutscht. Zum erstenmal sahen wir, warum die Schiffbrüchigen sich so gründlich ver bargen. Wir sahen Gesichter, in denen an stelle der Nase und des Mundes Geschwüre saßen, blanke Knochen, die aus der Haut ragten und hornige Wucherungen, die den Vermummten jede Bewegung zur Qual ma chen mußten. Ein bitteres Gefühl überkam mich bei dem Gedanken, daß wir gezwungen waren, gegen diese Kreaturen zu kämpfen. Sie wollen es nicht anders! kommentierte das Extrahirn. Hinter mir schlug ein Strahlschuß in die Deckung ein. Fartuloon zog mich zur Seite, und wir duckten uns, während sich über uns ein Strahlengewitter entlud. »Zum Schlauch!« keuchte der Bauchauf schneider. »Wir können sie nicht aufhalten.« Honcus war immer noch draußen. Als wir losrannten, sah ich ihn. Seine Maschine tän zelte in unberechenbaren Sprüngen hin und her, während der »Stählerne« pausenlos ver suchte, die Vermummten zurückzuhalten. Seine Schüsse kamen blitzschnell und pla ziert. Die Vermummten teilten ihre Auf merksamkeit zwischen ihm und uns. Die energetische Wand des riesigen Ver bindungsschlauchs zur Fontäne war schon sehr nahe. Wir liefen im Zickzack, warfen uns hin, rutschten über die glatte Fläche und sprangen weiter. Die Schüsse konnten wir weder sehen noch hören, nur über und neben uns flammte es in der blassen Wand auf. Wildes Gebrüll erhob sich hinter uns. »Honcus!« stöhnte Fartuloon. Der »Stählerne« war getroffen. Die Ma-
Marianne Sydow schine bekam keine neuen Befehle und preschte auf die Vermummten zu. Die ent stellten Arkoniden kümmerten sich um die sen Gegner kaum noch. Ein zweiter Schuß riß Honcus in die Luft und zerfetzte ihn. Gleichzeitig stürmten die Vermummten vor. »Los!« schrie ich und gab dem Bauchauf schneider einen Stoß. Fartuloon hatte seit dem Tode des »Stählernen« in wilder Wut auf die herandrängenden Vermummten ge schossen. Mein Stoß schleuderte ihn gegen die Wand des Schlauches. Er verschwand, und ich sprang hinter ihm her, fast im glei chen Augenblick, in dem ein Schuß die Stel le traf, an der ich gestanden hatte. Ich spürte, wie ein Sog mich erfaßte. Ich raste nach oben. Von Fartuloon war nichts zu sehen, aber unten erkannte ich einige Vermummte, die durch die Wand drangen. Nicht schießen! befahl das Extrahirn scharf. Du gefährdest dich und den Bauch aufschneider! Auch die Vermummten wurden von dem Sog ergriffen. Ich hatte mich von ihnen so weit entfernt, daß ich sie nur noch als dunkle Punkte erkennen konnte. Aber es wurden immer mehr. Nervös fingerte ich am Strah ler herum. Zweifellos hatte das Extrahirn recht, aber andererseits durften wir es nicht zulassen, daß auch nur einer der Entstellten in das Normal-Universum gelangte. Der »Schlauch« nahm mir die Entschei dung ab. Unter mir gab es plötzlich anstelle der schwarzen Punkte glühende Bälle, die sich ausdehnten und von den Wänden aufgeso gen wurden. Kein Vermummter befand sich jetzt noch auf dem Weg zur Fontäne. Aber auch Fartuloon war nicht zu sehen. Ich war allein. Um mich herum glommen die Wände aus Energie. Als ich den Kopf in den Nacken legte, entdeckte ich eine rote Masse, die sich rasend schnell vergrößerte. Dann kam der Aufprall. Dröhnende Entladungen umgaben mich von allen Seiten. Dann zerrte etwas an mir. Es war, als würde ich in tausend Fetzen ge rissen. Ich bekam keine Luft mehr. Mein
Die Schrecken des Schwarzplaneten letzter Gedanke war, daß es nicht reichte. Ich war zu weit von Fartuloon entfernt.
* Als ich zu mir kam, war es dunkel um mich herum. Eisiger Schrecken durchfuhr mich. War ich an meinen Ausgangsort zu rückgebracht worden? Noch einmal würde ich den Weg zur Fontäne nicht finden – schon gar nicht, nachdem Honcus tot war. »Verdammt!« schimpfte eine polternde Stimme. »Wo steckt der Kerl nur!« »Fartuloon!« ächzte ich. »Aha. Würdest du bitte die Güte haben, dich ein bißchen zu bewegen? Aber sei vor sichtig.« Ich befolgte Fartuloons Anweisung und merkte schnell, daß ich unter irgendwelchen Gegenständen begraben war. Ich stieß mit dem Fuß an und hörte entferntes Klappern. »Halt!« schrie der Bauchaufschneider. Ich erstarrte zur totalen Bewußtlosigkeit. »Es wird eine Weile dauern, bis ich dich ausgegraben habe«, verkündete Fartuloon. »Du steckst unter einem riesigen Haufen von Gerumpel.« »Kannst du mir auch verraten, wie ich dorthin geraten bin?« fragte ich. »Ganz einfach. Der Sog ist verschwun den, als wir im Schiff ankamen. Leider hing ein großer Teil von Trümmerstücken unter halb der Polschleuse fest.« »Du willst doch nicht andeuten, daß das ganze Zeug auf mich herabgekracht ist?« »In diesem Fall könntest du mir keine dummen Fragen mehr stellen!« knurrte Far tuloon. »Der Antigravschacht nahm seine normale Funktion wieder auf. Du und das Zeug waren leider auf der abwärts gepolten Spur gelandet.« »Dann solltest du vielleicht versuchen, die ganze Geschichte umzupolen«, schlug ich vor und grinste, als Fartuloon zu fluchen be gann. »Laß es gut sein«, empfahl ich. »Ich möchte endlich hier heraus. Irgend etwas piekt mich an einer äußerst unangenehmen
47 Stelle.« »Das ist die gerechte Strafe dafür, daß du dich über einen alten Mann lustig machst«, kommentierte Fartuloon, und fast gleichzei tig wich der Druck von mir. Von da an war es ein Kinderspiel. Binnen weniger Sekunden war ich frei. Ich stieg in dieser Zeit zwar auch um ein Deck höher, aber dort konnte ich den Schacht verlassen und ohne weitere Behinderungen zu Fartu loon zurückkehren. Nach einer kurzen Ori entierung fanden wir den Weg zu dem Leck, durch das wir eingedrungen waren. Unser Beiboot lag an der alten Stelle. Wir kletter ten hinein und setzten als erstes das Funkge rät in Betrieb. Wir blieben vorerst auf Empfang. Seit un serem Aufbruch zu dieser seltsamen Reise mußte viel Zeit verstrichen sein. Dennoch gab es keine Anzeichen dafür, daß außerhalb des Wracks eine Bergungsflotte manövrier te. Wir blieben vorsichtig, steuerten das klei ne Raumschiff an den Rand des Lecks und ließen die Ortungsgeräte arbeiten. »Nichts!« sagte Fartuloon verblüfft. »Ich habe hier nur ein Echo, direkt hinter dem Wrack, in dem wir stecken. Wenn es nicht so absurd wäre, würde ich glatt behaupten, daß die CRYSALGIRA immer noch auf ih rer alten Position steht.« Ich runzelte die Stirn. Zarf konnte unmög lich so unvorsichtig sein. Auch wenn keine anderen Schiffe im Kraumon-Sektor aufge taucht waren, hätte er wenigstens einige Ma le seine Position wechseln müssen, denn die Masse der Wracks und die energetischen Gebilde behinderten die Ortung. Ein Ver dacht, der mich schon auf der Welt der Ver mummten beschäftigt hatte, wurde stärker. Die Zeitlosigkeit – welche Bewandtnis hatte es damit? »Bist du übergeschnappt?« fragte Fartu loon heftig, als ich auf Sendung umschaltete. »Hallo, Zarf!« sagte ich statt einer Ant wort. »Alles in Ordnung. Wie weit sind Sie mit der Untersuchung?« »Wir rennen tagelang auf diesem
48 Schwarzplaneten herum«, murmelte Fartu loon, »und der Kerl stellt Fragen, als wären wir nur mal kurz für ein paar Minuten ver schwunden.« »Wir kommen zurück!« sagte ich. »Sobald wir uns eingeschleust haben, neh men Sie das Wrack unter Beschuß. Es darf nichts von ihm übrigbleiben. Haben Sie ver standen?« »Natürlich!« sagte Zarf verblüfft. »Aber warum …« »Wir können uns später unterhalten. Die Vernichtung dieses Wracks ist vorrangig!« Wir näherten uns der CRYSALGIRA mit rasender Geschwindigkeit. Als ich im letzten Augenblick das Beiboot abfing und in den Hangar schweben ließ, murmelte Fartuloon eine Reihe von unfreundlichen Bemerkun gen vor sich hin, die sich mit meiner Art, ein Beiboot zu fliegen, befaßten. Ich hörte kaum hin, sondern starrte auf das Schott, das sich langsam schloß. Ich atmete erleichtert auf, als ich sah, wie drüben beim Wrack die er sten Strahlschüsse einschlugen. Als wir die Zentrale erreichten, war von dem ehemaligen Schlachtschiff fast nichts mehr übrig. Schweigend beobachteten wir, wie die letzten Reste in einer sich schnell ausbreitenden Glutwolke verschwanden. Die Verbindung zum Schwarzplaneten bestand immer noch. »Was nun?« fragte Zarf ratlos. »Das Energiegebilde wird instabil!« rief Senjah beinahe gleichzeitig. Sekunden später konnten wir es auch auf den Normalschirmen sehen. Der Schlauch änderte seine Farbe, wurde an einigen Stel len durchsichtig und kroch dann in sich zu sammen. Dann war nur noch die Blase da, das eigentliche Tor zu jener fremden Welt. Sie pulsierte heftig, als lehne sie sich gegen die drohende Auflösung auf. Dann schrumpfte das Gebilde innerhalb kurzer Zeit, bildete einen grelleuchtenden Fleck und war urplötzlich verschwunden. »Was ist mit der Ortung?« »Der Spuk ist vorbei«, behauptete Senjah, und ich nickte zufrieden.
Marianne Sydow »Was haben Sie drüben gefunden?« fragte Zarf neugierig. »Warum mußte das Wrack zerstört werden?« »Das ist eine sehr komplizierte Geschich te«, murmelte ich. »Wir werden später viel leicht darüber sprechen. Im Augenblick seh ne ich mich nach einer vernünftigen Mahl zeit und einer schönen langen Pause. Nur so viel: Es gab keine Überlebenden.« »Das hatte ich auch nicht angenommen«, erwiderte Zarf ernst. »Einige Fragen«, mischte Fartuloon sich ein. »Wie lange waren wir drüben?« Der Pilot sah den Bauchaufschneider ver wundert an. Er deutete auf die Borduhr. »Viereinhalb Stunden«, sagte er. »Ich hat te bereits überlegt, ob ich jemanden hinüber schicken sollte, denn auf unsere Anrufe ha ben Sie ja nicht geantwortet. Ich bin froh, daß Sie alles gut überstanden haben. Ange nehm war es nicht, so lange mit der CRAS ALGIRA hier herumzuhängen.« Vermutlich hielt er uns für verrückt, weil wir nach einem kurzen Blickwechsel schal lend zu lachen begannen. »Schon gut, Zarf«, brachte ich endlich heraus. »Nachdem wir so viel Zeit verloren haben, sollten wir uns endlich um unsere Freunde kümmern. Steuern Sie Sorkoth an, wir ruhen uns inzwischen aus.« »Der arme Mann weiß jetzt vermutlich gar nicht mehr, was gespielt wird«, kicherte Fartuloon, als wir die Zentrale verlassen hat ten. »Wir werden es ihm erklären müssen. Ehrlich gesagt, vieles erscheint mir auch noch immer sehr merkwürdig.« »Immerhin – deine Ahnung war richtig. Es bestand tatsächlich eine Gefahr, die nicht nur uns bedrohte.« »Wir sind damit fertig geworden. Verges sen wir das Ganze.« »Das wird mir nicht leichtfallen. Ich glau be nicht, daß es außer uns auch nur einen einzigen Arkoniden gibt, der einen Schwarz planeten so gründlich kennengelernt hat – und zurückgekehrt ist.« »Zufall«, murmelte ich. »Ohne das Skarg
Die Schrecken des Schwarzplaneten hätten wir es nicht geschafft.« »Zufall?« schnaubte Fartuloon, blieb ste hen und funkelte mich an. »Es lag weder am Zufall, noch am Skarg, sondern einzig und allein an uns. Wenn wir nicht richtig reagiert hätten …« »Meistens hatten wir kaum die Möglich keit, anders zu reagieren, als wir es getan ha ben. Welchen Einfluß hatten wir denn schon auf das Geschehen? Wir sind durch eine fremde Welt gestolpert – zufällig haben wir den richtigen Weg gefunden.« Ich meinte es nicht ernst. Es war ein altes Spiel zwischen uns, eine Reaktion auf über standene Gefahren. »Was weißt du Grünschnabel denn schon!« knurrte Fartuloon abfällig. »Zufall! Die Erfahrung langer Jahre sagt mir, daß niemand außer uns ein solches Abenteuer überstehen kann.«
8. Die CRASALGIRA überwand die Entfer nung zwischen Kraumon und Sorkoth in ei ner Transition. Während Fartuloon und ich ein paar Stunden schliefen, umrundete das Raumschiff den Planeten, und die Ortungs geräte suchten die gesamte Oberfläche ab. Sorkoth war eine recht freundliche Welt mit einer Sauerstoff-Atmosphäre und sparsa mer Vegetation. Man hätte meinen sollen, daß es kinderleicht war, unsere Freunde auf diesem Planeten zu finden. Immerhin muß ten dort unten mehr als ein Dutzend Raum schiffe stehen, deren Durchmesser zwischen einhundert und dreihundert Meter betrug. Hinzu kamen Beiboote, die man bei der Evakuierung wohl ebenfalls eingesetzt hatte. Nicht nur die Metallmassen hätten sehr schnell aufgespürt werden sollen, sondern auch die Energiemengen, die selbst bei spar samsten Verbrauch den Landeplatz der klei nen Flotte verrieten, mußten auf diesem un bewohnten Planeten wie ein Leuchtfeuer wirken. Leider taten sie das nicht. Als wir die Zentrale wieder betraten, war
49 die Stimmung an Bord bedrückt. Senjah, die sich als äußerst fähig im Umgang mit den Ortungsgeräten erwiesen hatte, starrte ner vös auf ihre Schirme, drehte an Knöpfen und betätigte Schalter, während sie unaufhörlich vor sich hinmurmelte. »Wir haben keine Spur gefunden«, melde te Zarf. Fartuloon runzelte unwillig die Stirn. »Habt ihr den ganzen Planeten abge sucht?« »Noch nicht. Ein paar Gebiete bleiben noch übrig, aber die Chance, daß die Schiffe sich dort verbergen, ist gering. Eigentlich hätten wir sie schon von weitem bemerken müssen.« »Wir suchen weiter«, brummte Fartuloon und starrte nachdenklich auf die gesprenkel te Oberfläche von Sorkoth. Es wäre leichter gewesen, wenn Sprangk sich gemeldet hätte. Aber er hatte die strikte Anweisung, solange Funkstille zu wahren, bis wir selbst Verbindung aufnahmen. Das war eine weitere Vorsichtsmaßnahme gegen eine zufällige Entdeckung. Auch wenn Zarf pessimistisch war – noch gab es Hoffnung. Vielleicht war die Flucht nur sehr knapp gelungen und unsere Freunde hatten sämtliche Energieerzeuger lahmge legt, um jeden Verfolger zu irritieren. In die sem Fall konnten wir unsere Freunde nur finden, wenn wir den Landeplatz überflo gen. Die Stunden vergingen quälend langsam. Und dann stand es fest, daß keines der Schiffe auf Sorkoth gelandet war. »Wir versuchen es über Funk«, entschied ich. »Vielleicht haben sie ein Versteck ge funden, in dem wir sie auch mit den emp findlichsten Geräten nicht aufstöbern kön nen.« B'horr, der Funker, schickte den Spruch hinaus. Er versuchte es eine ganze Stunde lang, während wir Sorkoth auf einer genau berechneten Bahn umkreisten. Wir bekamen keine Antwort. »Es ist zwecklos«, sagte Fartuloon schließlich. »Wir müssen uns damit abfin
50 den. Sie sind nicht da.« »Wir suchen die anderen Planeten eben falls ab«, beschloß ich verbissen. »Sie kön nen sich schließlich nicht in Luft aufgelöst haben!« Das ist auch gar nicht nötig, flüsterte der Extrasinn sarkastisch. Wenn Raumschiffe nach einer Schlacht verschwunden sind, dann dürfte das niemandem rätselhaft er scheinen. Aber im Kraumon-Sektor hatten wir jedes Wrack unter die Lupe genommen! Na und? Sie können zu den Schiffen ge hören, die restlos zerstört wurden. Oder sie konnten zwar noch fliehen, hatten aber tech nische Schwierigkeiten. Transitionstriebwer ke können ausfallen oder fehlerhaft arbeiten. Bei dem energetischen Chaos, das während der Schlacht herrschte, kommen noch weite re Unsicherheiten hinzu. Vielleicht hat sogar der Schwarzplanet etwas mit dem Ver schwinden der Schiffe zu tun. Ich wollte nicht daran glauben. Während wir durch das System kreuzten und verzwei felt nach einem Anhaltspunkt suchten, rede te ich mir immer wieder ein, daß es eine harmlose Erklärung gab. Schließlich war es nicht so einfach, an die vierzehntausend Menschen zu evakuieren. Die Raumer muß ten so vollgestopft sein, daß es zu allen nur denkbaren Schwierigkeiten kam. Dann war es soweit. Wir hatten selbst die unwahrscheinlich sten Orte inspiziert. Nirgends fangen wir et was. Die Raumschiffe blieben spurlos ver schwunden. Um auch die letzte Möglichkeit auszu schöpfen, suchten wir die Umgebung der einzelnen Planeten ab. Wenn unsere Schiffe gezwungen waren, das Sorkoth-System zu verlassen, weil die Verfolger ihnen auf der Spur waren, so hatten sie bestimmt einen Hinweis hinterlassen. Eine Raumboje, ein Zeichen, einen Robotsender … Wir fanden auch diesmal nichts, aber der Gedanke an den Robotsender hatte mich auf eine Idee gebracht. Als ich B'horr bat, es mit der auf Krau-
Marianne Sydow mon verwendeten Impulsfolge zu versuchen, sah Fartuloon mich kopfschüttelnd an. »Es hat keinen Sinn, Atlan«, sagte er. »Wir müssen uns damit abfinden.« »Niemals!« knurrte ich zurück. »B'horr! Versuchen Sie es wenigstens!« Der Funker schickte das Signal auf die Reise. Die Empfänger blieben stumm. Auf den vielen Kontrollgeräten tat sich ebenfalls nichts. Nur die Statik war zu hören. »Vielleicht hatten sie keine Zeit, das Ge rät auf diese komplizierten Impulse einzu stellen«, überlegte B'horr laut. »Sie könnten eine andere Möglichkeit gefunden haben. Ein Lösungswort. Etwas, wovon sie annah men, daß wir sofort darauf kommen wür den.« »Kraumon«, sagte ich nachdenklich. »Kann sein. Vielleicht aber auch einen Namen. Ihren zum Beispiel, oder den ir gendeiner wichtigen Person.« »Die Liste können wir ins Endlose fortset zen«, brummte Fartuloon mutlos. B'horr schüttelte energisch den Kopf. »Die Anzahl der Begriffe, die in Frage kommen, ist gering. Rein theoretisch kommt jedes Wort der arko-nidischen Sprache in Betracht, aber es muß sich um etwas han deln, was für uns schnell und leicht zu fin den ist.« »Na, dann finden Sie mal schnell und leicht!« knurrte Fartuloon und stapfte hin aus. »Nehmen Sie es ihm nicht übel«, murmel te ich bedrückt. »Es ist nicht einfach, zwei so schwere Schläge nacheinander einstecken zu müssen.« »Das geht uns allen so«, sagte B'horr ernst. »Aber Sie und Fartuloon sind von die ser Entwicklung natürlich besonders stark betroffen. Trotzdem möchte ich es versuchen.« »Ich helfe Ihnen«, nickte ich. Wir verbrachten Stunden damit, Namen und Begriffe herauszusuchen. Pausenlos bombardierten wir Sorkoth mit unseren Si gnalen. Aber entweder hatten wir das richti ge Wort immer noch nicht gefunden, oder es
Die Schrecken des Schwarzplaneten gab tatsächlich keinen Sender, der darauf hätte ansprechen können. Einmal kam Getray von Helonk und brachte uns ein paar Erfrischungen. Sie ver sorgte alle Leute an Bord. Um nicht tatenlos herumzusitzen, hatte sie sich für diese Tätig keit entschieden, und sie half uns damit wirklich. Während der gesamten Zeitspanne, in der wir unsere intensive Suche betrieben, hatte niemand seinen Platz verlassen müs sen, um sich selbst um eine Mahlzeit zu kümmern. Sie stellte die Becher und Teller vorsich tig ab und sah B'horr über die Schulter. »Immer noch nichts?« fragte sie. B'horr schüttelte nur den Kopf, und auch ich schwieg bedrückt. Getray hatte alles aufgegeben, was früher für sie wichtig gewesen sein mochte. Um ih rem Mann zu helfen, war sie selbst zu einer Rebellin geworden. Sie hatte ihre ganze Hoffnung auf mich gesetzt und fest darauf vertraut, daß ich ihr helfen konnte. Und nun war ich selbst hilflos. Unser Stützpunkt existierte nicht mehr, unsere Freunde waren verschollen. Wir hat ten die CRYSALGI-RA, in dem sich zur Zeit vierunddreißig Arkoniden aufhielten, den Schiffbrüchigen aus dem Kramon-Sek tor mitgerechnet. Das war alles, und es war verzweifelt wenig, wenn man an unsere ehr geizigen Pläne dachte. Getray verließ den Raum und eilte davon, um ihren freiwilligen Versorgungsdienst fortzusetzen. Etliche Stunden später, als wir vor Erschöpfung kaum noch die Augen of fenzuhalten vermochten, gaben wir es auf. »Wir werden hier bleiben und warten«, sagte ich zu Fartuloon, der sich inzwischen ausgeruht und nun die Wache in der Zentra le übernommen hatte. »Irgendwann müssen sie in diesem Gebiet auftauchen oder wenig stens einen Kurier schicken, der uns über al les informiert.« Fartuloon nickte nur.
*
51 Nach zwei Tagen Bordzeit wurde das Warten zu einer unerträglichen Nervenpro be. Die Stimmung an Bord war angespannt und gereizt. »So geht es nicht weiter«, sagte Fartu loon. »Wir müssen etwas unternehmen, sonst drehen unsere Leute durch.« »Nicht nur sie«, gab ich zurück. »Ich bin auch nahe daran, die Nerven zu verlieren.« Wir waren allein. Fartuloon hatte mich vor meiner Kabine abgefangen. Das Ge spräch, das wir führten, war nicht für die Öf fentlichkeit bestimmt. »Wir könnten nacheinander alle Sonnen systeme anfliegen, die zwischen Kraumon und Sorkoth liegen«, schlug Fartuloon vor. »Glaubst du im Ernst, eine Fortsetzung dieser Sucherei würde unsere Schwierigkei ten beseitigen?« »Nein, aber wir hätten etwas zu tun.« »Das reicht nicht aus.« »Gut. Dann erledigen wir eben das, was Morvoner Sprangk in der gleichen Situation getan hätte: Wir hinterlassen eine Nachricht und fliegen weiter.« »Wohin?« Der Bauchaufschneider seufzte abgrund tief. Meine Frage traf den wunden Punkt. Nachdem Kraumon entdeckt und zerstört worden war, gab es nur noch einen Treff punkt, nämlich Sorkoth. Es war sinnlos, ein fach von einem System zum nächsten zu fliegen und dort nach unseren Freunden zu suchen. Entweder fanden wir sie hier oder gar nicht. Im Lautsprecher knackte es. Ich zuckte zusammen – das beste Zeichen dafür, wie arg meine Nerven strapaziert waren. »Raumortung!« drang Senjahs Stimme durch alle Räume der CRYSALGIRA. »Sofort alle Stationen besetzen!« Wir sahen uns an, und dann rannten wir los. In der Zentrale herrschte zum erstenmal seit Tagen wieder Betrieb. Zarf sah uns grin send entgegen. »Das Warten hat sich gelohnt«, sagte er. »Aber es wurde wohl auch Zeit, daß die
52 Burschen sich endlich melden!« »Noch wissen wir nicht, ob es sich um unsere Freunde handelt«, dämpfte Fartuloon den Optimismus unseres Piloten. Ich warf dem Bauchaufschneider einen ärgerlichen Blick zu. Er handelt nur vernünftig, behauptete das Extrahirn. Mache dir lieber keine zu großen Hoffnungen, dann fällt auch die Enttäu schung weniger schlimm aus. Manchmal fragte ich mich, ob mein Lo giksektor eigentlich besonders pessimistisch ausgefallen war, oder ob sich alle, die die Prüfungen der ARK SUMMIA erfolgreich abgeschlossen hatten, mit demselben Pro blem herumärgern mußten. »Wieviel Schiffe sind es?« fragte Fartu loon neben mir. »Nur eines«, antwortete Senjah. »Es ist ziemlich klein. Leider kann ich noch keine Einzelheiten feststellen, aber es nähert sich rasch.« »Ein Kurier!« vermutete Zarf spontan. »Sie haben also doch einen anderen Planeten angeflogen.« »Wir ziehen uns in den Ortungsschatten von Sorkoth zurück«, ordnete Fartuloon an. Zarf wollte etwas sagen, aber ein scharfer Blick des Bauchaufschneiders hielt ihn da von ab. »Nun?« fragte Fartuloon mich. Er deutete auf einen Schirm, auf dem wir das fremde Raumschiff beobachten konnten. Bis jetzt war es nur ein grünlich leuchtender Punkt. »Die Richtung stimmt«, murmelte ich. »Es kommt aus dem Kraumon-Sektor.« »Also kann es wohl kaum ein Kurier sein«, knurrte Fartuloon. Und er hatte recht. Allmählich kam auch mir die ganze Angele genheit sehr merkwürdig vor. »Ein Nachzügler?« vermutete ich vorsich tig. »So kann man es auch nennen.« »Was meinst du damit?« fragte ich ärger lich. Aber Fartuloon hatte sich entschlossen, es bei dieser rätselhaften Andeutung zu belas sen. Schweigend starrten wir den leuchten-
Marianne Sydow den Punkt an, der allmählich größer wurde. Immer noch sahen wir nur das Energieecho, die eigentliche Form und Größe des Schiffes blieb uns verborgen. Bis es eine unsichtbare Grenze überschritt und plötzlich sichtbar wurde. Eisiges Schweigen herrschte in der CRY SALGIRA. Der Schock war zu groß, um ihn innerhalb weniger Sekunden zu verdauen. »Ein Maahk!« flüsterte Zarf nach langer Zeit entsetzt. Es war keines der häßlichen Walzenschif fe, sondern ein linsenförmiges Beiboot, daß sich uns näherte. Wir kannten diese kleinen Schiffe nur zu gut. Ich starrte auf den Schirm und dachte an die vielen Wracks im Kraumon-Sektor. Die Linse mußte von dort kommen. Vielleicht hatten ein paar MethanAtmer überlebt und das Beiboot bemannt, um zu fliehen oder Verstärkung zu holen. »B'horr!« sagte Fartuloon scharf. »Rufen Sie das Schiff. Verwenden Sie das Krau mon-Signal!« Er nahm also an, daß unsere Freunde das Beiboot erbeutet haben könnten. Und da re dete ausgerechnet der Bauchaufschneider von übertriebenem Optimismus! Von der Linse kam keine Antwort. »Die kommen nicht mehr weit«, murmelte Fartu loon. Die einzige Reaktion auf B'horrs Kontakt versuch bestand darin, daß das kleine Schiff den Kurs änderte. »Sie wollen fliehen«, stellte Senjah lei denschaftslos fest. »Hinterher!« sagte ich. »Wir sie nicht entkommen lassen, sonst ha ben wir bald eine ganze Horde von Maahks auf dem Pelz.« Zarf hatte auf eine solche Anweisung nur gewartet. Die CRYSALGI RA schoß aus dem Ortungsschutz des Plane ten heraus. Das kleine Bei- boot versuchte allem Anschein nach eine Transition, aber das klappte nicht. Das Schiff begann plötz lich zu trudeln. »Die kommen nicht mehr weit«, murmel te Fartuloon. Als hätte er damit ein Stichwort gegeben, bildete sich am Rand der Linse ein grell glü
Die Schrecken des Schwarzplaneten
53
hender Punkt. Zarf schaltete die Triebwerke herunter. Wir brauchten nicht mehr einzugreifen. Das Schiff der Maahks zerbarst, und die ausgeglühten Trümmerteile verstreuten sich im Raum vor Sorkoth. Für wenige Minuten hatte uns das kleine Schiff abgelenkt. Dann brach die Hoff nungslosigkeit wieder über uns herein. Die
CRYSALGIRA zog ihre monotone Kreis bahn um den Planeten, der seine Funktion als Treffpunkt bisher nicht erfüllt hatte. Das Warten begann von neuem.
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 288: König der Deserteure von Peter Terrid Sie gelten als Überlebende einer Schlacht – Atlan und Fartuloon in der Maske von Toten