Die Söhne des Teufels Western von U. H. Wilken Die Texas Rangers sorgen im Westen für Recht und Ordnung. Sie jagen Verb...
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Die Söhne des Teufels Western von U. H. Wilken Die Texas Rangers sorgen im Westen für Recht und Ordnung. Sie jagen Verbrecher und führen sie ihrer gerechten Strafe zu - und manchmal müssen sie auch töten, wenn es ihr Auftrag verlangt. Delmer und Joshua McKinney hatten den alten Russo töten müssen, diesen verwilderten Einsiedler, der ohne Grund Menschen umbrachte, Vieh abschlachtete und die Bevölkerung in Angst und Schrecken hielt. Und nun, Jahre später, sind sie selbst in schrecklicher Gefahr. Russos zwei Söhne haben sich auf ihre Fährten gesetzt, wollen Rache nehmen - blutige Rache. Sie sind noch grausamer als ihr Vater, sind wie Schakale, die einmal Blut gerochen haben. Und im Todestal soll die Entscheidung fallen... *** »Stehenbleiben, Russo!« Heiser tönte es zornig durch den fauchenden Sturm, der durch die Bergschlucht orgelte. »Gib endlich auf, sonst -« Vom Sturm zerfetzt, verloren sich die Worte in der zerklüfteten Bergwildnis. Zwei Männer hetzten den hünenhaften Russo die Bergflanke empor. Ständig trieben sie ihn vor sich her und hätten schon
schießen können, doch noch zögerten sie und hofften, daß er sich ergab. Keuchend arbeitete Russo sich unheimlich schnell voran, als wollte er in den Himmel stürmen und zwischen die tief dahintreibenden grauen Wolken springen. Verbissen und manchmal irr auflachend, versuchte er, den Verfolgern zu entrinnen und in seinem Schlupfwinkel dort oben auf den sturmgepeitschten Anhöhen unterzutauchen. Aber sie wollten ihn haben! Nicht noch einmal sollte ihnen dieser alte bissige und bösartige Bärenwolf Russo entwischen, den die Menschen unten auf den weiten heißen Ebenen »das Vieh« nannten, weil er alles roh verschlang, weil er roh handelte und weil er hier in seinem Reich der Bergwildnis schon so manchen Menschen umgebracht hatte. Wieder brüllte einer der Verfolger warnend und zum letztenmal. Doch wieder reagierte der Einsiedler nicht darauf, und während die drei Männer durch den Sturm rannten, sank die Nacht mit ihren schwarzen Schattenfeldern hernieder. Immer nur für Augenblicke erschien bleich der Mond zwischen den Wolkenlücken. Mündungsfeuer stachen durch die Dunkelheit; dumpf erstickte der Knall der Schüsse, erstarb das Echo. Ein Fremder vernahm die Schüsse. Seit Ausbruch des Sturms lagerte dieser große schlanke Fremde nun schon oberhalb der Bergflanke im spärlichen Schutz der Felsen und der sturmgeschüttelten Bäume. Und obwohl er nicht mehr jung war, richtete er sich, ohne sich aufstützen zu müssen, mit der geschmeidigen Kraft eines durchtrainierten Mannes auf, dessen Zuhause die Wildnis, die Weite und die sonnendurchglühte Wüste sind. Im Nu hatte er die Winchester gepackt - und schon lag sie feuerbereit in seinen sehnigen schlanken Händen.
Dieser Mann hatte seinen vierzigsten Geburtstag überlebt und das hieß im Westen schon eine ganze Menge! In seinen rauchgrauen Augen funkelte es hell und hart wie Metall in gleißender Sonne und so kalt wie Eis - und doch war in diesen Augen, die endlose Fernen gesehen hatten, ein Ausdruck von Herzenswärme, der das Leben bejahte. Ein Fremder... So waren nicht nur Russo und seine beiden Verfolger hier am Canyon - eine schicksalhafte Begegnung! Irgendwann in den kommenden Jahren sollte dieser Zufall sich wiederholen... In dieser Nacht trafen sie aufeinander. Sekunden nur waren es noch bis zu dieser nächtlichen Begegnung - und der große Fremde stand mit angehobener Winchester vor der verwehenden Holzasche seines längst erloschenen Lagerfeuers. Wildes Keuchen drang näher. Metall schlug klirrend gegen Felsgestein. Zundertrockene Äste halbabgestorbener Mesquitesträucher am Hang brachen, und losgestoßene kleine Steine rollten rasselnd abwärts. »Halt, Russo...!« Doch Russo wollte um keinen Preis aufgeben. Vielleicht würde er noch nicht einmal auf seine beiden jungen Söhne Gersh und Henry hören. Und warum sollte er auch - waren sie doch so gemein, wild und hemmungslos wie er, so grausam, unbelehrbar und skrupellos! Zudem befanden sie sich irgendwo hier im Südwesten von Texas, um vermutlich wieder ihren bösen Trieben und Instinkten nachzugehen. Und wie ein gejagter Büffel rannte er höher, mit wehendem zotteliggrauem und verfilztem Haar, in schmutzig gewordenes Leder gekleidet, nicht Bär, nicht Wolf - und dann erblickte er jäh den großen Fremden zwischen den Bäumen und Felsen, und dahinter schemenhaft die Umrisse eines knochigen Pferdes.
Mit berstendem Donner brüllte der Himmel auf, und Regen prasselte gegen die Felsen und zerfetzte die letzten Blätter der Bäume und Sträucher. Grell zuckend fuhr ein Blitz über den Himmel und zersprang zu einem gleißenden Diagramm. Mit brüchiger Stimme schrie Russo den Fremden an, doch die Worte waren nicht zu verstehen; vielleicht war es auch nur ein Aufschrei der Wut, des Jähzorns und des Hasses. Der Fremde tat nichts, stand reglos, obwohl der Sturm sich gegen ihn stemmte - doch die Winchester schreckte Russo zurück, obwohl er selber bewaffnet war mit Gewehr, Colt und Bowiemesser. Keuchend warf er sich herum, sah die beiden Verfolger wie gespenstische Schatten durch die Regenschauer kommen, riß das Gewehr hoch und schoß. Einer der Verfolger zuckte zusammen und kippte weg, warf sich angeschossen hin - und sein Gefährte feuerte auf Russo. Der Hüne schwankte im grellen Schein eines Blitzes, als hätte der Blitz ihn getroffen. Das Gewehr wirbelte nach hinten weg und schlug hart klirrend auf. Langsam ging Russo in die Knie und kippte dann auf die Seite. Einer der Verfolger hastete heran, kniete nieder, drückte Russo auf den Rücken und bemerkte erst jetzt die Nähe des Fremden. Unwillkürlich wollte er im ersten Moment die Waffe auf den Fremden richten, doch da winkte der große hagere Mann kalt und beherrscht ab und kam mit gesenkter Winchester heran. Forschend blickte er auf das verzerrte Gesicht des Todgeweihten, über das der Regen rann. Russo atmete wie ein verendender Büffel, doch selbst jetzt noch, an der Schwelle des Todes, brach sein unseliger Haß noch einmal durch. »Meine - Jungs - werden euch finden und - töten, ihr verdammten - Bastarde! Ihr müßt - sterben -«
Es war aus mit dem alten Russo. Der Mann, der ihn erschossen hatte, um nicht selber draufzugehen, der gezwungen worden war, zurückzuschießen, erhob sich und blickte mit braunen Augen den Fremden an. »Das war der alte Russo«, sagte er, noch etwas außer Atem, »ein Mensch, der unmenschlich gehandelt hat. Wir sind lange Zeit hinter ihm hergewesen. Wenn er Hunger hatte, kam er aufs Weideland und fiel Rinder an, erschoß sie, schnitt das beste Fleisch heraus und ließ alles andere liegen - und dann knallte er die Tiere aus purer Lust am Töten ab. Und wenn Cowboys hinzukamen, um die Tiere zu retten, schoß er sie aus dem Sattel... Ich bin froh, daß es mit ihm ein Ende hat.« Danach wandte der Mann sich ab und ging langsam zu seinem Gefährten zurück, half ihm, stützte ihn und geleitete ihn heran. Blut rann aus der Stirnwunde, die der Streifschuß gerissen hatte, und sickerte zwischen den Fingern der vorgehaltenen Hand durch. Auch dieser Mann blickte auf den Toten - und der Fremde stellte bei beiden Verfolgern eine große Ähnlichkeit fest. Beide waren drahtig, hart und sehnig, mehr als mittelgroß, und beide hatten braune Augen und dunkles Haar. Sie waren Brüder. Und der Verwundete atmete tief ein und entspannte sich merklich, warf dem Fremden einen seltsamen Blick zu und schloß beim Aufzucken eines Blitzes wie geblendet die Augen. Dann sagte er in das Grollen des Gewitters hinein: »Er hat zwei Söhne - und auch ich hab' einen kleinen Jungen. Es ist verdammt schwer, einen Mann zu erschießen, der Vater ist. Da denkt man an viele Dinge - ich jedenfalls.« »Russo ist im Haß gestorben, Delmer«, sagte der andere, der Russo getroffen hatte, und verlieh seiner Stimme einen harten Klang. »Er starb noch mit dem ganzen Haß seines Lebens auf den Lippen. Seine Söhne würden uns jagen und erledigen. Das
ist nicht nur in den Wind gesprochen, Delmer! Wir müssen mit allem rechnen! Die Söhne wissen doch, daß wir beide auf ihren alten Vater angesetzt worden waren.« »Gott sei Dank, daß es vorbei ist, Joshua.« Der verwundete Delmer schwankte. »Leg mir einen Verband an, Bruder. Und dann wollen wir aufbrechen. Für mich ist das Leben als Texas Ranger vorbei - und ich geh zu meiner Frau und zu meinem Kleinen zurück und bleib' für immer bei ihnen.« »Die beiden werden sich freuen - Lena und der kleine Terry. Aber willst du wirklich Schluß machen? Was willst du denn tun?« Sie sprachen miteinander, als wäre der große Fremde gar nicht da. Das verriet ein großes Selbstvertrauen und eine innere Stärke. Und sie mußten auch erkannt haben, daß sie diesem Fremden vertrauen konnten. Diese Begegnung in der stürmischen Unwetternacht hier in der Bergwelt im Grenzland zwischen dem südwestlichen Texas und dem Wüstenland New Mexico Territory war schon höchst seltsam. Es war so, als sollte das so sein, verfügt vom Schicksal dieser drei Männer, die morgen schon wieder ihre eigenen Wege gehen würden, die die Entfernung trennen sollte. Und vielleicht würden Zeit und Raum sie diese Nacht vergessen lassen. »Was ich tun werde, Jo?« Der Angeschossene seufzt, doch das war im Gewittergrollen nicht zu hören. »Wir ziehen nach Westen. Es soll da irgendwo im Department Arizona ein riesiges schönes Tal geben - die Leute nennen des ›Sundown Valley‹, weil man dort angeblich die schönsten Sonnenuntergänge erleben kann. Yeah, dahin werden wir gehen. Und wenn du uns mal besuchen willst, dann reite zur Stadt Paradero...« Sie sahen auf Russo und dann auf den Fremden. »Wir sind die McKinney-Brüder - beide Texas Ranger. Und wer sind Sie, Mister?«
Der Fremde lächelte flüchtig. »Jemand, der nichts gegen Texas Ranger hat. Ich bin schon mal in Paradero gewesen. Diese kleine Town liegt in der Nähe des Flusses, den die Einheimischen Rio Sabrina genannt haben - nach einer alten Begebenheit. Dort soll sich ein wunderschönes mexikanisches Mädchen namens Sabrina im Wasser des Flusses das Leben genommen haben, weil der Sohn eines reichen amerikanischen Ranchers sie nicht geheiratet hat. Nun, vielleicht ist was Wahres dran.« »Wenn Sie mal hinkommen sollten, irgendwann, dann können Sie mich und meine kleine Familie ruhig mal besuchen.« Delmer McKinney verzog vor Schmerzen das Gesicht. »Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das sage. Bestimmt sehen wir uns nie wieder... Gehen wir, Joshua. Wir nehmen Russo mit in die Stadt.« »Dann werden seine Söhne schon bald wissen, daß wir ihn gestellt haben, und dann wird alles wieder von vorn anfangen, dieser Haß, diese Kämpfe.« »Ich geh weit nach Westen, Bruder - aber du willst weiter als Ranger arbeiten. Du bleibst also in diesem Gebiet. Ich mach mir Sorgen um dich. Du solltest auch den Dienst quittieren und dann mitkommen.« »Nein, ich bleibe. Und ich würde mein Gesicht verlieren verstehst du mich?« »Ja.« Joshua McKinney hob Russo an, und der Fremde half ihm, den Toten auf den Lagerplatz zu bringen. Dann ging Joshua McKinney weg und kam mit den Pferden zurück. Während seiner Abwesenheit hatten der Fremde und sein Bruder Delmer kein Wort miteinander gewechselt. Schließlich ritten die beiden Brüder und Texas Ranger mit dem leblosen Russo davon in die dunkle Tiefe des Canyons, und in der Ferne grollte es dumpf und schwer.
»Ja, ich mach Schluß mit diesem Rangerleben, Joshua«, sprach Delmer McKinney mit schwerer und schleppender Stimme, »ich halte das nicht länger durch, das geht mir an die Nerven... Da muß unsereins so einen Mistkerl wie Russo suchen, jagen und fassen, und wenn man ihn erwischt hat, dann ist man auch noch gezwungen, zurückzuschießen. Diesmal hast du es getan - doch beim nächsten Mal muß ich es dann vielleicht tun, um zu überleben. Und diesmal haben wir einen Mann zur Strecke gebracht, der zwei Söhne hat. Ich will nicht mehr Väter oder Söhne oder Brüder erschießen müssen, auch wenn sie mich dazu zwingen sollten. Yeah, darum mach ich Schluß, Jo.« Der Bruder respektierte diese Entscheidung, die Delmers Leben vielleicht in andere Bahnen verlaufen ließ - doch wer konnte das jetzt schon wissen. »Ich reite weiter als Ranger, Delmer - was sollte ich denn sonst machen! Kann schon möglich sein, daß ich bis an mein Lebensende -« Polternd tobte der Gewitterschlag über die nächtlich dunklen Berge hinweg und verebbte grollend. Wieder nahm der Sturm zu und entwurzelte Bäume auf den ungeschützten Höhen. Kaltes bleiches Mondlicht stach durch Wolkenfetzen hervor und stieß als gleißende Lanze in die tiefen Canyons hinein. Das Unwetter machte jede Unterhaltung zunichte. So mußten sie schweigen, doch wohl jeder von ihnen dachte irgendwann an diesen großen Fremden, dem sie begegnet waren und der sie irgendwie tief beeindruckt hatte. Leblos und schlaff lag Russo zusammengeschnürt und festgezurrt auf dem Pferd, bedeckt mit einem Tuch, durch das der Regen drang. Der Fluch dieses Toten lebte noch weiter. Zwei Brüder zogen durch das Unwetter hinab auf die weite Ebene - und dort auf dem Berg zwischen den Felsklippen kauerte der Fremde mit dem Rücken an einen Fels gelehnt,
hatte sich eingehüllt und starrte gedankenversunken in die vorbeiziehenden Regenschauer. Irgendwann sollte ihn sein Pferd in das ferne, westwärts gelegene Sundown Valley tragen, nach der Town Paradero und zu Delmer McKinney und dessen Frau Annalena und deren gemeinsamen Sohn Terrence, genannt Terry. Und der Junge sollte diesen Mann einfach gernhaben. Doch dann würde der Fremde, der den McKinneys kein Fremder mehr wäre, wieder fortreiten, denn er war so rast- und ruhelos wie der Wind, und dann sollte viel Zeit vergehen - sehr viel Zeit. Und sie sollten kaum noch aneinander denken, nur manchmal vielleicht noch. Nach jenem kurzen Besuch sollten dann wieder Jahre verstreichen - bis zu der Zeit, da die Rache der Söhne des alten Russo herangereift war und die Saat des Bösen aufging. Der Fremde war in Vergessenheit geraten. Selbst in der Erinnerung gab es ihn nicht mehr... *** Die Jahre waren also dahingegangen, und in all diesen Jahren war viel geschehen. Noch immer lebten und arbeiteten Delmer McKinney und seine Frau Lena auf dem Rancho und wurden von Vaqueros unterstützt. Noch immer saß auch Delmer McKinneys Bruder Joshua im Sattel und ritt für die Truppe der Texas Ranger im Kampf gegen Viehdiebe, amerikanische und mexikanische Banden und verdiente sich so wahrlich hart genug seine wenigen Dollar für eine recht bescheidene Lebensführung - doch er war auf seine Art zufrieden und wohl auch glücklich. Delmer McKinney und seine Frau hatten den Jüngling nicht halten können. Es hatte Terrence in die Ferne getrieben. Größer
als alle Seßhaftigkeit war diese Sehnsucht geworden, dieses Fernweh - und er war jung... Und der große Fremde hatte in diesen Jahren so manche Kämpfe durchstanden, denn er war einer der größten Gunfighter des Westens, ein gutherziger, aber sehr rauher und harter Mann, dessen Leben die Einsamkeit war. Sie alle gingen und ritten verschiedene Wege - und dann, wie unter der Macht des Schicksals, führten ihre Wege zusammen. Es kam zu einer Tragödie des Tötens! *** Wieder tobte ein Unwetter über Prärien, Wüsten und Bergschluchten hinweg. Wie damals, als der alte Russo sein Leben aushauchte, zuckten auch zu dieser frühen nächtlichen Stunde die fahlen Blitze über den dunkel verhangenen Himmel, und ihr grelles Licht holte eine windschiefe Adobehütte am Rande einer kleinen mexikanischen Ortschaft aus dem Dunkel hervor. Nur sekundenlang waren die dort angeleinten Sattelpferde unter den wild schlagenden Ästen alter Laubbäume zu sehen. Der trübe, anheimelnd gelbe Lichtschein einer rußenden Lampe sickerte durch das verhangene kleine Fenster ins Freie und machte den prasselnden Regen als gleißende Streifen sichtbar. Im Innern dieser Hütte hockten etliche bewaffnete Männer beisammen, rauchten, tranken und sprachen miteinander. Zwei waren Brüder. Der eine hieß Gersh, der andere Henry. Sie waren die Söhne des alten Russo. Und sie beide blickten auf den Dollar, den erst Gersh und nun Henry auf den Tisch geworfen hatte. Eine Seite des Dollars brachte die Entscheidung.
Langsam nahm Gersh Russo den Dollar wieder an sich und blickte seinen Bruder lächelnd an. »Du darfst ihn erledigen, Henry. Schade - ich wollte es gerne...« »Nun sei nicht traurig, Gersh«, meinte Henry Russo mit einem treuherzigen Augenaufschlag und lächelte wie verschämt, »es sind ja zwei, so wie wir. Du kannst dir dann den anderen vornehmen. Das macht vielleicht noch mehr Freude!« »Darauf kannst du dich verlassen!« versetzte Gersh Russo haßerfüllt. »Die McKinneys haben unseren Alten zu Tode gehetzt - wie einen Kojoten! Und da soll auch noch ein Fremder dabeigewesen sein, dort in der Sierra; niemand kennt seinen Namen. Und die McKinneys hatten ihn auch nicht beschrieben. Ist ja wohl auch unwichtig... Jedenfalls jagen wir jetzt! Es ist genau umgekehrt. Und wenn du mir auch nicht glauben willst, Bruder - ich hab' Dad verdammt gern gehabt.« »Ich doch auch, aber er war eben ein Einzelgänger, er wollte ja immer allein sein, da oben in den verdammten Bergen!« Henry Russo verzog zynisch das Gesicht. »Also, ich knall diesen Joshua McKinney ab! Du und die Jungs haltet euch heraus.« »Sicher - nur wenn du den Ranger nicht voll treffen solltest, helfen wir dir.« Gersh blickte in die Runde. Die Männer, die sich hier versammelt hatten, bildeten zusammen eine Bande, die nur Gewalttätigkeit kannte und völlig verroht war. »Wir würden das schon richtig machen, Henry. Ganz schön richtig satt! Wenn ich nur wüßte -« Er brach ab, holte mehrmals schnell hintereinander Luft und mußte krampfthaft husten. Einen Fluch murmelnd, fuhr er mit dem Handrücken über den Mund und wischte den Speichel ab. »Verdammt, ich glaub', ich hab' mir einen aufgesackt... Yeah, wenn man nur wüßte, wo genau der andere McKinney ist, dieser Delmer McKinney! Der ist, glaube ich, nach Westen gegangen, soll eine Frau und einen
Jungen haben. Ich hab' da was gehört von einem Sundown Valley.« »Wenn ich den Ranger McKinney umgelegt habe, dann können wir ja in aller Ruhe nach dem anderen suchen«, schlug Henry Russo vor. »Und wenn wir getrennt reiten und uns dann irgendwo wiedertreffen, verlieren wir nicht soviel Zeit. Dann haben wir mehr Zeit für unsere Rache, Bruder.« »Ihr macht viel zuviel Theater darum«, spottete grinsend der mittelgroße, fast schmächtig-zierlich wirkende junge Mexikaner Manuelito. »Schießt sie über den Haufen, und noch ein paar Leute dazu, und die Sache hat sich.« So wie Manuelito, so dachten wohl auch die anderen. Doch die Russos wollten sich an den Vorbereitungen zur tödlichen Rache ergötzen und sich an den Qualen ihrer Opfer erfreuen. »Halts Maul, Hombre«, sagte Henry Russo schroff, »du weißt ja gar nicht, was es heißt, seinen Alten zu verlieren! Dich hat man irgendwo am Wegrand gefunden und wie einen Haufen Dreck zusammengefegt.« »Du sagst es«, meinte Manuelito ungerührt und grinste breit, kaute auf dem geflochtenen Lederkinnriemen seines Sombreros und schwieg. »Bueno«, entschied Gersh Russo, »du erledigst den Ranger McKinney, und dann suchen wir getrennt nach dem anderen McKinney.« Draußen tobte das Unwetter und stampften unruhig die Pferde. Wenig später kam Henry Russo aus der Adobehütte hervor, stieg in den nassen Sattel und ritt in die Ortschaft hinein. Vor einer Tienda hielt er unter dem schadhaften Vordach an und blickte in den Schankraum hinein, wo unruhig die Talglichter flackerten. Nur wenige Mexikaner saßen an einem Tisch, und an der Theke lehnte ein junges mexikanisches Mädchen. Der Desperado glitt vom Pferd, zog es durch die Einfahrt und stellte es im Stall unter. Dann ging er nach vorn und in die
Tienda hinein, trat an die Theke heran und verlangte einen kleinen Krug Mescal. Der Mexikaner hinterm Tresen schob ihm den gefüllten Krug zu und betrachtete ihn verstohlen. Im Schein der blakenden Talglichter hatte Henry Russos Gesicht dämonische Züge, die aber auch wilde Leidenschaft verrieten. Ihm war deutlich anzusehen, daß er sich vor dem Mord an Joshua McKinney noch einmal körperlich austoben wollte, daß er sich stark für das Mädchen interessierte, und als er nun schweigend fünf Dollar auf den Tresen legte, lächelte die Muchacha ihn an, strich über die Hüften und ging barfuß in Sandalen nach hinten. Wenig später folgt er ihr, sah eine Tür zu einem Spalt geöffnet und einen Lichtstreifen hervorfallen. Lächelnd schob er sich in den kleinen Raum hinein, schloß die Tür und näherte sich dem Lager, beugte sich über die Muchacha und fragte leise: »Wie heißt du?« »Sarita«, hauchte sie. »Das ist ein schöner Name für dich, er paßt zu dir. Du bist sehr schön, weißt du das?« Ungeniert entkleidete er sich, legte aber den breiten Waffengurt mit den beiden schweren Colts griffbereit dicht neben das Lager und glitt dann zu ihr unter die Decke. Sie kicherte, als er sie umständlich auszog und gelegentlich zwischendurch fluchte. Doch dann schmiegten sie sich aneinander, spürten die heiße Haut des anderen, und seufzend gab sie sich ihm hin. »Ich werde dich vermissen«, flüsterte sie, als er wieder neben ihr lag und sich sein Atem allmählich beruhigte. »Ich komme ja wieder«, versprach er, »ich muß erst einen Hundesohn umlegen.« »Du willst jemanden töten?« hauchte sie und richtete den bloßen Oberkörper ein wenig auf. »Kannst du denn überhaupt noch ruhig schlafen?« »Warum denn nicht?« lachte er kurz auf. »Es ist ja nur ein Texas Ranger, Amiga mia.«
»Oh, wie aufregend! Aber ist das nicht zu gefährlich?« Daß er einen Ranger ermorden wollte, störte sie anscheinend nicht. Die Ranger waren nicht beliebt, eher verhaßt in diesem trostlos öden Landstrich im Grenzgebiet wie alles und wie jeder, der das Gesetz vertrat, was mit dem Gesetz zu tun hatte, mit Recht und Ordnung. »Gefährlich?« dehnte er und verschränkte die Arme unterm Kopf, räkelte sich behaglich und grinste dann abfällig. »Ein wenig schon, Muchacha - aber danach verschwinden wir, mein Bruder und ich und die anderen Compadres.« »Dann wirst du nicht wiederkommen«, meinte sie betrübt. »Wenn nun jemand kommen sollte, hierher, und nach euch fragt - was dann?« »Du wirst den Mund halten, nicht wahr?« »Si, naturalmente! Ich bin doch keine Verräterin, ich liebe dich doch - si, te quiero. Aber wo kann ich dich finden? Ich möchte so gern fort von hier, irgendwohin, wo es besser ist.« »Kannst du schweigen wie ein Grab, amiga mia?« »Ja«, behauptete sie, »ich schwöre es bei meinem Leben.« »Bueno, Carina - du wirst mich in Llano finden. Komm nach - ich brauche dich.« Er schien sich doch ein wenig in sie verliebt zu haben, jedenfalls mehr, als es ihm vielleicht selber recht war. »Aber zu keinem ein Wort darüber!« warnte er nach kurzem Schweigen. »Es würde dich das Leben kosten, Muchacha!« »Ich weiß, Carino - mein heißgeliebter Liebling«, hauchte Sarita und schmiegte sich an ihn, strich tätschelnd über seine Brust hinweg und küßte sein Ohr. Sie war ein armes Ding, das für ein paar schmutzige Dollar ihre Ehre hergab, doch in diesem Leben wurde keinem was geschenkt, schon gar nicht so einem armen mexikanischen Mädchen, das auch ein Recht auf Liebe und ein wenig Glück hatte.
Und weil dieses schäbige Dasein für sie so hoffnungslos war, so zerstörerisch ihrem Herzen und ihrer Seele gegenüber, griff sie nach jedem Halt, auch wenn er noch so fragwürdig war. Und Henry Russo war sich darüber im klaren, daß er dieses Mädchen völlig in der Hand hatte. Er blieb bei Sarita bis zum frühen Morgen. Als er ins Freie trat, war das Unwetter vorübergezogen, und fern im Osten überstrahlte die aufgehende gelblich-rote Sonne den Horizont und versprach einen seidigblauen Tag, der vielleicht so manchen Menschen an das Paradies denken ließ. Es war gutes Schußwetter. Heute und an den kommenden Tagen - nur mußte man die Sonne im Rücken haben. Doch es reichte auch vortrefflich, wenn man im Schatten eines Hinterhaltes lag... Henry Russo schloß sich seinem Bruder und den Komplizen an, und gemeinsam ritten sie davon, ohne daß die Pferde Staub aufwirbelten, denn der sandige Boden war noch feucht. Das Mädchen Sarita sah ihnen nach vom Fenster ihres kleinen Zimmers aus, und mit all ihren Hoffnungen waren auch die Ängste gekommen. Gnadenlose Männer ritten in die Ferne - und einer wollte töten. Sollte er es nicht schaffen, würde sein Bruder an seine Stelle treten und den Schwur der blutigen Rache erfüllen. Sie und die Komplizen waren eine Gemeinschaft von Halunken, eine Brut des Bösen, die es auf zwei Brüder abgesehen hatte, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen. Das einzige, was sie getan hatten, war, daß sie Südwesttexas von einem bösartigen Einsiedler und heimtückischen Mörder erlöst hatten, und das im Auftrage ihres Commanders in El Paso. Diesen Brüdern ging es nicht allein um Vergeltung und Rache. Sie suchten nach jedem Grund, um blutig zuschlagen zu können. Das Schicksal des Vaters ließ sie ziemlich kalt. Sie konnten ohnehin nicht mehr irgend etwas Schönes und Gutes
empfinden. Vermutlich wußten sie gar nicht, daß es auch Blumen gab in diesem Land. Sie hatten längst den Blick verloren für alle Schönheit und damit jegliches Gefühl menschlicher Wärme, Treue und Redlichkeit. Der Fluch des alten Bärenwolfes Russo war zu unheilvollem Leben erwacht; er schien dem Grab entstiegen zu sein… *** Die McKinneys sollten sterben...! Einer war dem Tode furchtbar nahe. Selbst im Schattenkreis des durchschwitzten staubigen Stetsons funkelten heimtückisch die Augen des Mordschützen und offenbarten Niederträchtigkeit und Rachegedanken. Dieser Gesetzlose wollte wieder einmal aus dem Hinterhalt morden, und die Waffe zum Töten lag schon feuerbereit in seinen Händen. Und dann kam der verhaßte Mann Joshua McKinney über den steinigen Paßweg geritten - und der Lauf des Gewehres folgte genau seinen Bewegungen und senkte sich langsam, da er abwärts ins Tal ritt und die Entfernung zwischen ihm und dem Mordschützen und damit dem Gewehr ständig zusammenschrumpfte. Joshua McKinney konnte eigentlich nicht die geringste Chance haben, mit dem Leben davonzukommen. Denn Henry Russo war verteufelt treffsicher. Zudem wußte er seinen Bruder und die Komplizen hinter sich in der Deckung bizarrer Felsklippen am Talrand. Aber er wollte es allein erledigen, und darum hatte er hier am Paß Joshua McKinney aufgelauert. Es war jetzt soweit, und Henry Russo wartete nicht länger. Jäh spie sein Gewehr eine Feuerlanze durch die hitzeflimmernde Luft. Scharf stieß der Knall des Schusses zerfetzend in die Stille hinein, und mit dem Aufwiehern des strauchelnden Pferdes begann das Echo zu toben. Schwer
stürzte McKinney zu Boden, und aufwallender roter Staub schlug über ihm zusammen. Schlenkernd rollte er mit schlaff schlagenden Armen den Hang abwärts, durchbrach Dornengestrüpp, wurde von einem dieser graugrünen Mesquitesträucher aufgefangen und blieb wie tot an der riesigen Distelrose liegen. Hallend verlor sich das Echo des Schusses irgendwo jenseits der Klippen. Mit schlagenden Steigbügeln raste das reiterlose Pferd davon; Staub quirlte unter den trommelnden Hufen hoch und verbarg das Aufblitzen der blanken Hufeisen in der Sonne. Noch geduckt, als fürchtete er, beschossen zu werden, hetzte Henry Russo davon, rannte um die Felsen, erreichte sein Pferd und stieß das Gewehr in den Scabbard. »Yeah!« kam es pfeifend und fauchend über seine Lippen, doch es klang nicht wie ein Stoßseufzer. Mit einem Ruck riß er sich kraftvoll in den Sattel und trieb das Pferd mit einem Sporenstoß an, und während er sich nun dem liegenden Texas Ranger näherte, tauchte hinter ihm am Talrand sein Bruder Gersh und Manuelito mit den anderen auf und verhielten abwartend, grinsten und nickten sich zu, als wollten sie damit sagen: Ich hab's ja gewußt, er erwischt den Bastard von Ranger... Schlaff und regungslos lag Ranger Joshua McKinney vor den erregt stampfenden Hufen des Pferdes, das Henry Russo trug. Drohend hielt Russo den Sechsschüsser in der rechten Hand und starrte auf sein Opfer. Der Anblick des hervorsickernden Blutes nötigte ihm nur ein zynisches und grausamverräterisches Grinsen ab. Er warf einen schnellen Blick zurück und auf die wartenden Reiter - dann stieg er langsam aus dem Sattel und trat mit schußbereitem Colt an den Ranger heran. »Das war's, du Schwein.« Joshua McKinney war tot - ermordet.
»He!« rief Henry Russo und winkte, und das Echo antwortete: »He - he - he -« Langsam setzte er den rechten Fuß gegen den Körper seines Opfers und drückte ihn herum, so daß er auf dem Rücken zu liegen kam. »Gersh!« »Was ist los, Henry?« brüllte Gersh, und das Echo beider Stimmen schlug zusammen und hallte völlig verworren durchs Tal. Doch es gab einen Menschen, der die Namen verstehen konnte - ein alter Mexikaner, der abseits vom Tal im Schatten saß und seine dürren Ziegen bewachte. Und dieser alte Mann erhob sich und witterte in den heißen Südwind, schleppte sich dann bergan, gestützt auf einen langen Stock, und erreichte den Talrand. Niemand entdeckte ihn, doch er sah und hörte alles, und er beobachtete, wie Gersh Russo und die anderen zu jenem Mann neben dem Sattelpferd und dem Toten ritten... »Ich hab' ihn voll erwischt, Gersh!« rief Henry Russo. »Noch der andere McKinney, und wir haben unseren Alten gerächt!« Die Reiter erreichten jene Stelle, wo der Tote lag, und scharten sich um ihn. Feiner Staub hüllte sie alle ein und strich nur langsam zur Seite - und dann ritten sie alle davon und ließen den Toten unter dem weiten blauen Himmel zurück. Der Alte atmete schwer und bekam vor Anstrengung rote und wäßrige Augen. Er sah, wie sich ein Reiter aus dem Rudel löste - und das war der Mordschütze. »Wohin willst du?« rief dieser Gersh, und der andere antwortete: »Noch mal nach dem Pueblo! Ich will Sarita noch einmal sehen!« »Du bist verrückt! Laß diese Mexikanerin, vergiß sie und Pueblo! Wo, zum Teufel, willst du uns treffen?« »In Llano - wenn ihr dann noch dort seid!«
Wild auflachend jagte Henry Russo davon - und die anderen tauchten in der staubigen Weite unter. Der alte Mann ging ins Tal. Hoch zogen die Totenvögel schon ihre lautlosen Kreise. *** »Jedesmal ist es wunderschön«, sagte sie träumerisch versunken und blickte in die Glut des Sonnenuntergangs dort fern im Westen, wo dieses paradiesische Tal endete und wo die Wüste mit all ihren roten Felsmassiven und hohen Kakteen begann, »so schön nach einem heißen Tag. Manchmal, Delmer, möchte ich weinen beim Anblick der sinkenden Sonne, aber ich weiß nicht, warum.« Sanft legte er den Arm um sie. »Du denkst an den Jungen, Lena - das ist es«, sprach er langsam und weich. »Du bist mit deinen Gedanken und mit deinem Herzen bei ihm, und wenn die Sonne untergeht, fragst du dich, wo er wohl jetzt, an diesem Abend, sein mag, wo er schlafen wird, ob er gesättigt oder hungrig ist. Ja, du denkst an Terry, Lena, und wie schön es wäre, wenn wir alle wieder beisammen wären, an einem Tisch und in diesem Haus.« »Ich mache mir Sorgen - ja, viele große Sorgen, Delmer.« Zögernd nahm sie den Blick von dem Feuer des Sonnenuntergangs am fernen westlichen Horizont und legte die abgearbeiteten schlanken Hände an seine Brust. »Und ich mach mir Sorgen um dich - und um deinen Bruder Joshua....« Ihr melancholisches Lächeln verschwamm und wich einem ernsten Ausdruck. »Ist es nicht sehr seltsam, Delmer, daß ich gerade jetzt so oft an ihn denke? An eure gemeinsame Zeit als Texas Ranger? Weißt du - manchmal gibt der Himmel einem von uns Zeichen, die wir zunächst nicht verstehen und uns erklären können, doch es sitzt dann tief im Herzen und läßt uns keine Ruhe mehr... O ja, Delmer«, seufzte sie, während ihre Hände
an ihm hinabsanken und sie sich wieder dem Sonnenuntergang zuwandte, »ich wäre unendlich glücklich, wenn wir alle wieder unter einem Dach wären! Sieh doch mal unseren jungen Vaquero da drüben an, den jungen Corky! Mein Gott, er ist so jung wie Terry, und doch bleibt er hier. Er fühlt sich bei uns wie zu Hause, und ich glaube, daß die anderen Männer auch so empfinden, die für unser Rancho reiten. Warum kommt Terry nicht heim? Himmel, warum nicht!?« »Es wird ihm nichts zugestoßen sein, Lena«, gab er ihr Zuversicht und versuchte, ihr Bangen zu mildern. »Er wird wiederkommen, ich weiß es - und du wirst ihn in die Arme nehmen, Liebling.« Sie standen vor dem Steinhaus ihrer Ranch, die im spanischmexikanischen Baustil errichtet worden war, damals vor unzähligen Jahren, und die heute mehr einer alten Missionsstation ähnelte. Im roten Sonnenschein stiegen die ersten Bodennebel ganz zart und wie in luftigen Schleiern über dem Grasland im Tal auf und legten sich um die weidenden Rinder und reitenden Cowboys, die sich ständig um das Vieh kümmerten und Annalena McKinney viel Arbeit abnahmen. Vor Mann und Frau wartete am Rande des staubigen Ranchhofes ein Sattelpferd mit hängenden Zügelenden. Das Gurren und Gackern von Federvieh drang leise aus dem Stall hervor; die Hühner machten sich zur Nachtruhe bereit und rückten auf den Stangen zusammen. Warm fächelte der Wind aus dem Süden durch das Geäst des großen alten Laubbaumes, der mit seinen weitausladenden Ästen und Zweigen die Sonne umarmt hielt. Delmers Atemzüge kamen schwer, doch er fühlte sich nicht bedrückt. Er war ein rauher Mann, doch er war auch sensibel, und das wußte nur Lena, seine Frau. Sie spürte, wie er die Hände auf ihre Schultern legte, und sie griff danach. Der Wind spielte mit ihrem blonden Haar, das die
Sonne ausgetrocknet und noch heller gemacht hatte. Der Sonnenschein war wie ein zauberhafter Hauch, der die vielen kleinen Sommersprossen auf ihrem Gesicht nicht mehr erkennen ließ. »Ich kann es noch immer nicht glauben, Delmer«, flüsterte sie. »Endlich soll Schluß damit sein? Endlich wirst du dich nur um die Ranch und um uns alle hier kümmern?« »Ja, Lena. Ich hab' schon mit dem Town Mayor gesprochen, mit anderen Bürgern auch - und sie alle wissen Bescheid und akzeptieren meinen Entschluß, auch wenn sie ihn nicht gutheißen - in ihrem Sinne. Sie haben mir da so vieles erzählt na ja, du weißt schon: Dollars, Ranch, Altersversorgung. Und natürlich haben sie auch angedeutet, daß es doch eine große Ehre wäre, Sheriff zu sein, Ordnungshüter und Gesetzesvertreter. Natürlich ist es das, aber ich will Zeit haben - für dich, Lena.« Sie wandte sich ihm abermals zu und blickte in seine braunen Augen, und ihre Stimme klang nahezu feierlich: »Wenn das alles wahr ist, Delmer McKinney, dann ist dieser Sonnenuntergang heute abend der schönste, den ich je erleben durfte.« Sanft legte er die rauhen Hände an ihre Wangen und gab ihr einen Kuß. »Er ist es, Lena.« Da kamen ihr die Tränen, und sie sah ihm nach, wie er zum Pferd ging, in den Sattel stieg und davonritt. »Gott beschütze dich, Delmer. Ich habe einen wunderbaren Mann.« Delmer McKinney ritt nach Paradero, denn er war Sheriff dieser Stadt. Für alle Zeit wollte er den Staub der Vergangenheit von seinen Stiefeln wischen. Als er in das Sundown Vally gekommen war, vor vielen Jahren, da hatte er, als die Leute ihn auserkoren, willig zum Stern des Gesetzes gegriffen, denn die kleine Ranch hatte alle seine Ersparnisse gekostet. Es hatte für ihn keinen anderen Weg gegeben, und so
war er dann zum Sheriff geworden. Nun sollte Schluß damit sein. Er hatte seine Pflicht getan. Und dieser aufrechte Mann ritt einsam der Nacht entgegen. Hinter ihm sank die Sonne in den Staub der Wüste hinein. *** Department Arizona / New Mexico Territory. Mit dem heißen langen Sommer kam die Zeit der Dürre ins Land, und die Hitze legte sich bedrückend auf die Gemüter. Die Menschen litten mit den Tieren unter der Hitzeglocke. Tagsüber schien alles Leben zu erlahmen und zu ersticken, doch allabendlich pulsierten Leidenschaft, Liebe und Haß um so mehr, und wer ohnehin schon zu Gewalttätigkeit neigte, verlor vollends die Beherrschung. Die Menschen handelten und reagierten völlig anders als zu gewöhnlichen Zeiten. Ein Mann trotzte all diesen Witterungseinflüssen und blieb stets ruhig und bedächtig. Es war der einsame große Fremde. Langsam ritt er in die kleine Town Camp Bowie. In der Ferne buckelten sich wie rauchverhangen die Chiricahua Mountains, das Land der Apachen, und die Sonne stand im Zenit und knallte die Mittagshitze auf die Dächer, Höfe und Straße der Stadt. Wie leergefegt lag die breite staubige Straße vor ihm, und die Luft darüber flimmerte und verglaste. Irgendwo schlug eine Haustür in zundertrockenen Holzangeln knarrend zu, und schwach pendelnd bewegten sich die hängenden Schilder von Store, Barber's Shop und Clothing House an rostigen Haken unter den Vordächern hin und her. Es war so still, daß das Singen des Chinook zu hören war, dieses Summen des Windes, der von Vergänglichkeit und Vergessen zu erzählen schien. Er kam als ein Fremder, doch er war schon mehrmals in Bowie gewesen in all den vielen vergangenen Jahren, und er
hoffte verhalten, den Sheriff wiederzusehen und nicht sein Grab aufsuchen zu müssen. Dumpf schlugen die Hufe seines Pferdes durch die lastende Stille, und die Schatten von Mann und Pferd zogen über die staubige Straßenfläche und wischten dahin, erreichten den Rand des Gehsteiges genau vor dem Sheriff's Office und schmolzen zusammen, krochen unter die Stiefel des Mannes und unter die Hufe des nun stehenden Pferdes. Stählerne Radsporen drehten sich klirrend an den staubigen und abgetretenen brüchigen Stiefeln des schlanken großen Mannes, als er auf den Plankenweg stieg. Wie zögernd blieb er stehen, drehte sich halb herum und rieb dabei mit den Stiefeln knirschend über den Flugsand hinweg, den der Wind auf den Plankensteg geworfen hatte. Sein Blick schweifte forschend umher, die Straße hinauf, und blieb an den steinernen Baracken des Armeepostens haften. Dort flatterte träge die Flagge am Mast, doch von der Besatzung waren nur zwei Posten zu sehen, die lustlos mit geschulterten Gewehren ihre Kontrollgänge machten und offensichtlich gegen die Mittagsmüdigkeit ankämpften. Glitzernd in der grellen Sonne spannte sich die Telegrafenleitung von einer Stange zur anderen und in die Ferne davon. Langsam wandte der Mann sich der Tür des Office zu, öffnete sie und trat ein. Der Dämmerschein im Office ließ ihn die Augen verengen; suchend blickte er sich um und gewahrte einen hinterm Tisch zusammengesunkenen älteren Mann mit schlohweißen Haaren. Vom Sheriffsstern an der ledernen Weste war nichts zu sehen, doch es war der Sheriff aus alter Zeit. Wie ein müdes altes Väterchen saß er dort auf dem Stuhl, auf dem er auch schon früher Platz genommen hatte, und auch die alten Bilder hingen noch im Office, nur waren sie noch mehr vergilbt und vom Rauch gebräunt. Stilles Lächeln entspannte das rauhe zerfurchte Gesicht des Fremden. Mit flachen tastenden Schritten trat er an den Tisch
heran und griff nach dem Stück Papier, das dort vor dem Oldtimer lag. Stirnrunzelnd las er den Klartext, und als er die Hand mit dem Telegramm sinken ließ, spürte er den Blick des Sheriffs, der aufgewacht war, ohne sich dabei bewegt zu haben. »Zum Teufel, was -« Jäh brach die Stimme ab, und der Sheriff ruckte hoch und starrte seinen staubigen Besucher ungläubig und wie erschüttert an. »Das - das kann doch nicht wahr sein! Bist du es wirklich, oder penn' ich noch?« »Du bist putzmunter, Freund«, versicherte der Fremde lächelnd. »Mein Gott«, ächzte der Oldtimer, »wie kommst du denn hierher?« »Auf meinem Pferd und durch diese Tür da, Juke... Wie ich gesehen habe, hast du schlechte Nachricht bekommen.« »Yeah - ein Texas Ranger ist erschossen worden: Joshua McKinney. Hast du ihn gekannt?« »Ich kann mich nicht daran erinnern, Juke - ich bin schon zu vielen begegnet, auch Texas Rangern. McKinney? Kann schon möglich sein; der Name kommt mir irgendwie bekannt vor, aber wer heißt nicht alles McKinney...« »Jedenfalls kriegen alle Sheriffs im New Mexico Territory diese Nachricht, weil die Halunken nach Westen geritten sind, raus aus Texas. Ein alter Mexikaner, der seine Ziegen aufs Land getrieben hatte, war Zeuge der Ermordung des Rangers. Einer der Halunken soll nach einem Dorf geritten sein, das sie Pueblo nannten, und dann hat der mexikanische Hirte auch noch den Namen einer anderen Stadt gehört: Llano. Es kann damit aber auch das Wüstengebiet der Llano Estacados gemeint gewesen sein.« »Yeah«, dehnte der große ernste Mann nachdenklich, »doch es gibt so eine kleine Stadt im Grenzgebiet, die Llano heißt, ich weiß das genau, und sie liegt so versteckt, daß man sie kaum findet.«
»Willst du dich der Sache annehmen? Das brauchst du nicht. Ich wette, daß alle Texas Ranger von El Paso aus nach Spuren suchen, und auch alle US Marshals in die Sättel gestiegen sind!« »Sicher, das wird so sein, Juke, aber ich bin sowieso unterwegs und will zur mexikanischen Grenze. Da treibt sich jemand herum, der sich so nennt wie ich, nur heißt er nicht wirklich so, und was mich daran mächtig stört, ist die Tatsache, daß er ein Dreckskerl ist, der meinen Namen versaut. Dieses Llano liegt auf dem Weg dorthin. Mir macht es nichts aus, wenn ich abbiege und die Stadt aufsuche. Vermutlich werde ich auch eher dort eintreffen, noch vor einem US Marshal. Die Texas Ranger dürfen Texas nicht verlassen, ihre Befugnisse enden an der Grenze nach New Mexico.Yeah, ich werde mich mal umsehen, Juke. Es kann ja nicht schaden, denke ich.« »Vielleicht ist schon eine Schwadron US Kavallerie nach dorthin auf dem Marsch«, warf der alte Juke ein. »Willst du dir selber einmal wieder Kummer aufladen?« »Du kennst mich ja...« »Und ob ich dich kenne! Du hast dich in all den Jahren nicht geändert, du bist immer noch der Sattelwolf.« Der greise Sheriff, der als Hüter des Gesetzes einfach nicht totzukriegen war, was ungeheure Tapferkeit, aber auch Spürsinn, Klugheit und Bedachtsamkeit verriet, schüttelte den Kopf und richtete sich am Tisch auf. »Weißt du, es ist mir so was wie eine Ehre, dich als Freund zu haben. Du gehörst zu diesem Land, mein Junge, und wenn du einmal nicht mehr sein solltest, dann - ja, dann wird der Westen sterben, und ich glaube, daß nur noch der Wind dann von dir erzählen wird und du in den Legenden weiterleben wirst. Das mußte ich dir einmal sagen, das wollte ich dir schon damals sagen, aber du bist ja so plötzlich wieder weggeritten, irgendwohin, weiß der Teufel. Warum bist du nur immer so
ruhelos, alter Junge! Willst du denn niemals ein festes Zuhause haben?« »Der Westen ist mein Zuhause, Juke«, murmelte der »alte Junge« ein wenig melancholisch. »Ich muß mit dem Wind umherziehen, mit den Wolken da oben. Warum das so ist und immer so sein wird - ich weiß es nicht.« »Aber du hast dir doch früher Zeit genommen und bist mal irgendwo für längere Zeiten geblieben, hast dich ausgeruht von all dem Dreck, der uns immer umgibt, wenn wir gegen Unrecht und Verlogenheit kämpfen.« »Weißt du, Juke«, meinte der Gunfighter seufzend und kopfschüttelnd, »diese Geruhsamkeit, von der du sprichst, hat es nie gegeben. Alles, was wir früher erlebt haben, ist nur schön in der Erinnerung. Wir vergessen die miesen, dreckigen Zeiten, das Elend, den Hunger, diesen ewigen Haß und die Kämpfe, und die Erinnerung verleiht allem so was wie einen Glorienschein. Nein, Juke, Geruhsamkeit gibt es nur in unseren Erinnerungen. Wir werden die alten Fehler immer wieder machen. Frag mich nicht. Der Wind kann dir auch nicht antworten. Yeah, und darum reite ich so ganz nebenbei auch nach Llano.« Juke ging zum Röhrenofen und nahm die Blechkanne mit dem lauwarmen Kaffee vom Eisendeckel. »Möchtest du eine Tasse?« »Wenn du ihn so zubereitet hast wie früher, dann lieber nicht...« »Was soll das heißen, he? Immerhin lebst du ja noch!« Polternden Schrittes kam jemand über den Plankensteg heran und stieß die Tür auf. Es war ein Soldat, der dem Sheriff ein Stück Papier überreichte. »Für Sie, Sheriff. Kam gerade eben durch.« Während der Soldat das Office verließ, las Juke mit blinzelnden Augen das Telegramm.
»Juke, deine Augen sind nicht mehr so wie früher«, murmelte der sehnige Mann ernst. »Zeit für dich, den Stern abzulegen, sonst schießt dich noch irgendein kleiner schäbiger Halunke über den Haufen. Du hast früher mal den Blick eines Adlers gehabt...« »Ja, nicht wahr?« hüstelte Juke und grinste. »Jetzt hab' ich nur noch die Augen eines Misthaufenadlers. So ein alter Hahn kann ja doch nur die Würmer erkennen, die da aus dem Mist hervorkommen. Aber diesen Mist hier kann ich noch alle Tage lesen. Der mexikanische Hirte - hier steht's - hat sich endlich an zwei Namen erinnern können... Du sagst, daß du den Namen McKinney irgendwann schon einmal gehört haben könntest. Well, vielleicht kannst du dich jetzt besser erinnern. Zwei der Halunken, die den Ranger umgebracht haben, heißen Henry und Gersh. Sagt dir das was?« »Das könnten Brüder sein, wie?« Nachdenklich blickte der rauhe große Mann zu Boden, auf dem eine zertretene Zigarre lag und ein wenig Sonnenschein schwach seine Kreise malte. »Nicht immer scheint wirklich die Sonne, nicht wahr? Und manchmal sehnt man sich nach Regen - wie jemand in der Wüste nach einer Wasserstelle...« »Mir scheint, daß du ein bißchen zuviel in der Sonne gewesen bist«, versetzte Juke bissig. »Wie kommst du ausgerechnet jetzt auf Regen!« Der ruhige und besonnene Blick der rauchgrauen Augen des wettergebräunten Mannes schweifte hinaus auf die Straße, und er kniff die Augen zusammen und dachte konzentriert nach. Der alte Juke störte ihn dabei nicht und wartete still und gespannt, wußte er doch, daß der Gunfighter irgendwo in seiner Vergangenheit auf die Suche gegangen war. Dabei betrachtete Juke den tiefhängenden langläufigen Colt seines Besuchers; schwer ruhte die sechsschüssige Waffe in der zerschrammten Halfter. Doch mit diesem Colt schoß der Gunfighter nur selten - er war ein Mann der Winchester, er
verließ sich mehr auf dieses hervorrgende, stets funktionierende Gewehr, dessen Drall eine genaue Treffsicherheit ermöglichte. Und der Gunfighter mußte jederzeit, zu jeder Sekunde, feuerbereit sein! Der Tod griff ewig und immer mit knöcherner Klaue nach ihm und wollte ihn aus dem Licht des Lebens reißen und in die Tiefe der Vergessenheit stoßen, ins Dunkel hinein! Juke war ein erfahrener alter Mann, und er wußte, daß gerade diese Männer mehr am Leben hingen als alle anderen. Er selber gehörte auch dazu. Wer so nahe dem Tod war, lebte das Leben und liebte es - und es war jedesmal grauenvoll, einen Menschen töten zu müssen! »Regen«, sprach plötzlich der Gunfighter ih die Stille des Office hinein, »und eine Unwetternacht in den Bergen... Da kam ein Mann genau auf mich zu, er war groß wie ein Riese und sah aus wie ein Bär und bissiger Wolf zugleich - und da kamen zwei Männer, sie waren Brüder und Texas Ranger. Und der eine mußte den Alten der Berge erschießen. Das war der alte Russo. Und die Brüder nannten ihren Namen... Yeah, jetzt weiß ich es wieder, Juke.« Er drehte sich wieder um und wandte sich dem Sheriff zu, und die Muskelstränge in seinem zerfurchten rauhen Gesicht arbeiteten und verhärteten jäh das Gesicht, machten es wie zu Stein. »Großer Gott, sie haben einen McKinney umgebracht, so, wie es der Alte geschworen hatte, damals im Unwetter, als der Regen vom dunklen Himmel strömte. Seine Söhne rächen sich! Joshua McKinney ist tot, und nun werden sie nach dem anderen suchen, und ich kenne Delmer McKinney und weiß, wo er steckt. Juke, du mußt sofort eine Nachricht losjagen. Über den Telegrafen nach der Stadt Paradero! Delmer McKinney muß gewarnt werden, es geht um sein Leben, um das seiner Frau und seines Sohnes! Die Russos schrecken vor nichts zurück! Beeile dich, Juke, lauf hin zum Armeeposten. Inzwischen kümmere ich mich um mein Pferd.«
Sporenklirrend trat er hinaus, und auch Juke machte sich sofort auf den Weg. Die glühende Mittagshitze nahm ihnen fast den Atem. Es war so heiß, daß selbst die Fliegen wie tot an den Wänden klebten und sich nicht rührten. So schnell und so gut es ging, rieb der Gunfighter sein Pferd ab, massierte die Beinmuskeln und führte es dann langsam an den Wassertrog heran, der hinter dem Officehaus im Schatten stand. Ächzend und krebsrot im Gesicht vor Überanstrengung, kam Juke auf den Hof und keuchte: »So eine Sauerei! Die Leitung ist unterbrochen! Wahrscheinlich haben wieder einmal halbirre Apachen soviel Tiswin gesoffen, daß sie die Leitung zerstört haben. Was soll ich denn jetzt machen? Der Ritt zur nächsten Stadt ist zu weit.« »Dann warte ab, bis die Leitung wieder zusammengeflickt worden ist, Juke. Die Halunken können noch nicht im Sundown Valley sein. Uns bleibt also noch ein wenig Zeit. Ich mach mich jetzt auf den Weg nach Llano. Vielleicht trinke ich später mal von deinem Kaffee...« Entschlossen stieg er in den Sattel, beugte sich hinab und legte Juke die Hand auf die knochige Schulter, klopfte zweimal sanft darauf und lächelte rauh - und dann ritt er vom Hof, auf die Straße hinaus und durch die Stadt davon nach Süden. Juke war ihm bis zum Straßenrand gefolgt und sah ihm beinahe wehmütig und schmerzerfüllt nach. Immer dann, wenn jener Mann davonritt, kam es Juke so vor, als ginge das Leben nun für ihn zu Ende, als gäbe es nichts mehr, worauf er sich freuen könnte. Und Juke fühlte sich als Sheriff und hier in dieser Stadt unter den vielen Menschen verdammt einsam. Freunde wie den alten Juke hatte der geheimnisvolle Fremde in so mancher Stadt - nicht aber in Llano! ***
Mit dem sengenden Wind kam er aus der rot flammenden Wüste und in die ihm unbekannte kleine Grenzstadt Llano geirrt. Terrence war ein abgerissener armer Kerl, der nach Hause wollte - nach all den großen und bitteren Enttäuschungen in der Fremde, nach Not und Elend, nach der rastlosen Zeit ohne Heim und Herd. Ein junger Mann, der zu träumen aufgehört hatte, wo er doch immer so gern und so oft geträumt hatte von fernen Prärien und Bergen, von großartigen Abenteuern unter den glitzernden Sternen und dem neblig-orangefarbenen Nordlicht über den bewaldeten Bergen hoch oben im Norden, wo es noch die letzten freien Indianer gab. Ein Traum von vielen war vorbei, und Arizonas Wüste hatte ihn wieder. Und Terrence fand sich in dieser schäbigen und staubigen Town Llano im Grenzland des Department Arizona nicht zurecht. Er sah die Einwohner, meistens Mexikaner und Mischlinge, und er spürte ihre Blicke, die nichts Freundliches hatten, aber auch nichts Feindseliges. Hier tauchten Fremde auf und verschwanden wieder, und niemand fragte nach dem Woher und Wohin. Doch diese Hitze, die alles ausdörrte und den Verstand so manchen Menschen zum Stillstand brachte, machte die Menschen auch hier besonders streitsüchtig. Diese Streitsucht schlummerte heimtückisch in so manchem und konnte bei der kleinsten Ursache ausbrechen. Doch davon ahnte und wußte Terrence nichts, und er dachte auch gar nicht einmal daran, denn er war viel zu erschöpft und müde und sehnte sich nach einem Glas kühlen Biers. Durst trieb ihn schließlich in den halbdunklen Pulqueria-Saloon. Hier war es ein wenig angenehmer, doch auch nicht gerade kühl, und die ganze Atmosphäre war muffig, verbraucht und staubig, schmutzig und irgendwie einem Rattenloch ähnlich.
Die Luft war vermieft und rauchgeschwängert. Stummel von Talglichtern standen auf den Tischen und auf der Theke. Bewaffnete Männer hockten abseits in einer Ecke an einem Tisch und betrachtete ihn, als wäre er ein Aussätziger und hätte die Blattern, doch sie schienen sich nicht besonders für ihn zu interessieren, denn sie nahmen die Blicke schnell wieder von ihm. An der Theke blieb er stehen und legte sein Bündel darauf. »Ein Bier«, bestellte er mit staubheiserer und brüchig klingender Stimme. »Hab' mächtig Durst, Mister.« »Ja«, sagte der Bartender einsilbig, füllte ein milchig aussehendes Glas und schob es ihm hin. »Bezahl' gleich, Hombre.« Terrence fuhr sich durchs zerwühlte und schweißfeuchte blonde Haar, nickte und schluckte, suchte in seinen ausgebeulten Taschen und legte einen Dollar hin. »Mein letzter...« »Das reicht gerade für ein kleines Besäufnis«, stellte der Mann fest und verzog das Gesicht, »aber du brauchst bestimmt nicht viel zum Besoffensein, wie? Was willst du hier in Llano?« »Nichts«, antwortete Terrence achselzuckend, »ich bin nur zufällig hier. Hab' gar nicht gewußt, daß es hier 'ne Town gibt.« »Ja, das wissen nicht alle, ist auch gut so, denke ich. Wohin willst du eigentlich? Du siehst aus wie ein Tramp. Haben sie dich aus der Armee rausgeworfen? Ziemlich heruntergekommen, wie?« »Oh yeah!« seufzte Terrence »Mir geht's gar nicht gut. Ich hab die Schnauze voll von allem. Ja, ich will nach Hause.« »Wo ist das? Noch weit -« Der Bartender verstummte vor dem jähen Gebrüll in einem der Hinterräume. Auch Terrence horchte unwillkürlich hin.
Ebenso horchten die anderen Männer am Tisch auf und warfen sich grinsend vielsagende Blicke zu. Nebenan hatten den Stimmen nach Mann und Frau eine wilde Auseinandersetzung, die sich in wüsten Schreiereien verlor - und dann knallte irgend etwas krachend gegen die Wand und zerbarst splitternd. Es mußte sich um einen Hocker, Stuhl oder Tisch gehandelt haben. »Nein!« schrie der Mann wütend. »Du kommst nicht mit! Ist schon schlimm genug, daß du mir nach Llano gefolgt bist! Dabei hab' ich dich doch noch einmal besucht und dir alles erklärt! Was willst du hier? Hau ab, laß mich in Ruhe! Du kotzt mich an! Es ist aus und vorbei mit dieser Scheißliebe, hörst du? Aus! Ich muß zu den anderen hin, und du würdest mich nur aufhalten! Du bist wie ein Klotz am Bein, wie 'ne Klette! Nein, Schluß jetzt!« »Amigo mio, sag nicht so was!« tönte es aufschluchzend durch die Wände. »Dios mio! Ich hab' an dich geglaubt, an unsere Liebe, an alles Glück, und ich wollte dir alles geben, alles!« »Ha! Was hast du denn, was besitzt du denn schon? Deinen Körper, nichts weiter! Du bist so blöd und dumm wie das verdorrte Bohnengestrüpp da draußen!« »Du quälst mich, Henry Russo! Du hast mich ausgenutzt und mich wie eine Hure behandelt! Alles war also Lüge. O dios mio, was für eine Schande!« »Pah! Du hast dich mir doch vor die Füße geworfen! Weißt du, was du bist? He, weißt du das? Aah, laß mich in Ruhe, du ekelst mich an! Hör auf mit dem Gewimmer, sonst schmeiß ich dir den anderen Stuhl an den Kopf!« »Oh, wie kann man nur so niederträchtig sein, so verlogen! Du gibst damit an, einen Texas Ranger umgelegt zu haben, aber das war nichts anderes als Mord! Ja, du bist ein Mörder ich will keinen Mörder lieben, jetzt nicht mehr! Vaya al diablo! Geh zum Teufel!«
Gehässig lachte Henry Russo auf. »Das geht nicht - ich bin's selber! Sarita, du hübsches Miststück, du wirst das Maul halten, claro? Und jetzt verschwinde aus Llano und reite auf deinem Maultier zurück nach Pueblo!« Schritte polterten, dann knallte eine Tür zu - und mit rasselnden Radsporen kam Henry Russo aus dem Hinterraum in den Pulqueria-Saloon und warf seine Ausrüstung mit dem Gewehr auf einen der freien Tische. In alter Gewohnheit rückte er den Waffengurt mit den Colts zurecht und kam an die Theke. Sein Gesicht glühte, und er hatte Mühe, die Wut zu überwinden und wieder ruhig zu werden. »Gib mir einen doppelten Whisky!« herrschte er den Bartender an. »Presto! Beeile dich, Mann, sonst spuckt meine Galle!« »Nur keine Aufregung«, meinte der Keeper gelassen, »du bekommst deinen Whisky.« Er langte nach der Flasche und wollte ein Glas füllen, doch Russo entriß ihm die Flasche und trank sofort daraus. Schnaufend setzte er sie ab und fuhr mit dem Handrücken knurrend über die Lippen. In seinen Augen war kein guter Ausdruck, als er dem jungen blonden Terrence einen stechenden Blick zuwarf. Terrence wandte sich halb ab und wollte wohl damit Russo klarmachen, daß ihn das alles nichts anging und er mit allem nichts zu tun haben wollte - doch gerade das war sein Fehler, denn Henry Russo fühlte sich wie verächtlich abgewiesen, wie übergangen und nicht beachtet. Aber er wollte ja beachtet werden! Er fühlte sich nach dem Mord gleich wie ein Riese und Coltkönig. Russo war ohnehin gereizt. Er hatte Sarita in Pueblo noch einmal besucht und ihr ausgeredet, nach Llano zu reiten - aber gerade das hatte sie getan. Und sie hatte ihn hier im PulqueriaSaloon entdeckt und war nicht mehr von seiner Seite gewichen. Sein Bruder und die anderen waren schon weitergeritten, sie
hatten umsonst hier auf ihn gewartet - und all das hatte ihn in Wut versetzt. »He, Kleiner, du willst wohl nichts mit mir zu tun haben, wie? Gibst dich wohl nicht mit jedem ab, oder? Sieh mich an, verdammt!« Terrence wollte Frieden und keinen Streit. Er versuchte, sanft und beruhigend zu lächeln, wollte ganz ruhig wirken, obwohl ihm das Herz bis zum Halse emporschlug. Einem Streit, womöglich anschließend mit Colts ausgetragen, wäre er rettungslos unterlegen, und darauf zielte es dieser Russo offensichtlich ab... »Ich?« sagte Terrence mit belegter Stimme und sah ihn mit flackernden Augen an. »Doch, ich hab' nichts gegen Sie, Mister - warum sollte ich?« Noch wußte niemand hier im Pulqueria-Saloon, wer sich dieser kleinen Stadt Llano näherte - und niemand würde auch den Namen dieses einsamen Reiters erfahren, dieses großen hageren Mannes, der aus der Wüste kam. Und dieser Gringo hatte den Stadtrand fast schon erreicht... »Du kleiner Scheißer!« giftete Russo den jungen Terrence an. »Du lügst aus Angst! Natürlich hast du was gegen mich, das sehe ich dir an! Du wagst nur nicht, mir das zu sagen, aus Angst, daß ich dich übern Haufen schießen könnte!« Weitab noch vom Pulqueria-Saloon stampften die Hufe des Pferdes durch den heißen Staub der sandigen Straße. Zusammengesunken saß der große Fremde im Sattel, als schliefe er. »Nein, nein«, beteuerte Terrence, »ich hab' keine Angst, das sieht nur so aus, Mister. Ich -« Aus dem Hinterraum kam in diesem Moment das junge mexikanische Mädchen Sarita hervor, barfuß auf Sandalen, ärmlich gekleidet, wie gedemütigt zu Boden blickend, doch voll innerlichem Zorn, beseelt von einem kaum mehr unterdrückbaren Haß auf Henry Russo.
»Ich geh jetzt«, sagte es, »und ich komm nie wieder! Ich lauf dir nicht hinterher.« Draußen neben dem Gebäude verhielt der Fremde im schmalen Schattenstreifen und glitt vom Pferd, zog die Winchester aus dem Gewehrschuh und blickte sich dann stirnrunzelnd und mit verkniffenen Augen um. Langsam bewegte er sich ums Haus und näherte sich der Schwingtür des Pulqueria-Saloons. »Hoffentlich bist du bald verschwunden!« fauchte Russo. »Ich bin ein Amerikaner, ich gebe mich nicht länger mit 'ner Mexikanerin ab!« Sarita ging zur Tür mit ihrem kleinen Bündel, in dem etwas Proviant war, und drückte die Türflügel halb auf. Von dort aus sagte sie in den Raum hinein: »Weißt du, was du für mich bist, Russo? Ein widerlicher Americano, ein Pistolero, der aus dem Hinterhalt schießt, der lügt und ein armes Mädchen ausnutzt! Ich verfluche dich, Russo!« Dann verschwand sie. »So ein billiges Miststück!« grollte Russo, trank und starrte dann wieder Terrence an - und diesmal war es ganz deutlich in seinem Gesicht zu erkennen, daß er sich abreagieren wollte, nicht mit Worten allein: Er wollte schießen! Und vielleicht wieder einmal töten... Terrence versteifte sich. Angst packte und lähmte ihn - er war wie eine Feldmaus, so wehrlos den Fangkrallen eines Bussards über sich ausgesetzt. Seine Sehnsucht nach Abenteuern besagte noch lange nicht, daß er besonders mutig wäre. Auch neigte er überhaupt nicht zu Gewalttätigkeiten; mit seinem ganzen Herzen liebte er den idyllischen Frieden, und er fand Gewalt und Haß erniedrigend. Selbst die schönste Landschaft konnte die Menschen nicht friedfertig stimmen, und sie brachten es fertig, aus einem Paradies eine Hölle zu machen. Henry Russo wollte die Hölle.
Und Terrence hatte es wohl gehört, daß dieser Mann einen Texas Ranger erschossen hatte. Wer das tat, schreckte vor nichts zurück und erschoß auch jeden anderen kaltblütig, ohne mit der Wimper zu zucken. Draußen sprach die junge Mexikanerin, doch ihre Stimme war so gedämpft, so leise, daß niemand im Pulqueria-Saloon ihre Worte verstehen konnte, und niemand sah, daß sie mit einem Fremden sprach, der ihr jäh auf dem Gehsteig begegnet war und sie angesprochen hatte... »Geben Sie mir den Rest vom Geld, Mister«, bat Terrence, »ich muß jetzt weiter, hab' noch einen ziemlich langen Weg.« »He«, dehnte Russo, »du trinkst noch einen mit mir, Kleiner, ist das klar?« Er wollte Terrence zum Bleiben zwingen und ihn dann irgendwie dazu bringen, nach der Waffe zu greifen. »Nein«, antwortete Terrence aufbegehrend und abweisend. »Suchen Sie sich einen anderen aus, mit dem Sie sich schießen können!« Diese Worte hatte er in plötzlichem Zorn gesprochen. Wäre es nicht so furchtbar heiß und drückend gewesen, dann wären ihm die Worte niemals so über die Lippen gefahren. Und als er begriff, daß er einen riesengroßen Fehler gemacht hatte, strich er sich hastig das Geld ein und wandte sich der Tür zu. In diesen Sekunden hatte er drei Wahrnehmungen. Es war ein Moment des Schicksals - vielleicht Zufall, vielleicht aber auch ein Zeichen des Himmels. Er vernahm das metallische Klirren handgeschmiedeter Radsporen. Er sah vor sich an der Tür einen großen Fremden. Und zugleich hörte er hinter sich ein schabendes Geräusch, das entstand, wenn ein Colt aus dem Halfter gezogen wurde. Und dann, mit dem Geräusch des knackenden Colthahns, hörte er Russo scharf und fauchend sagen: »Bleib' stehen, Hombre! Oder du fällst tot aus der Tür!«
Terrence stand wie festgenagelt. Vor sich - ganz nahe - hatte er das rauhe und zerfurchte sonnengebeizte Gesicht des fremden großen Mannes, das schon ein wenig schüttere sandfarbene Haar, die schiefergrauen Augen, die ruhig und fast so kalt wie Eis blickten - und er konnte es sich nicht erklären, warum er so plötzlich Vertrauen zu einem Fremden haben konnte! Dieser Mann war wohl seine einzige Rettung - in seinen Händen lag Terrences Leben! Und irgendwie kam dieser Fremde Terrence bekannt vor, doch er konnte sich nicht erinnern, ihm irgendwo begegnet zu sein. Was Henry Russo an haßerfüllten Worten noch sagte, hörte Terrence nicht. Er war vom Anblick des Fremden völlig gefangen. Noch immer blickte er in diese Augen, in denen es wie Rauch schwelte, aber die eisige Kälte wich sekundenlang einem Ausdruck von menschlicher Wärme und entschlossener Hilfsbereitschaft. Ja, es war ein schicksalhafter Augenblick an der Tür des Pulqueria-Saloons, doch niemand ahnte es. Terrence und Russo wußten nicht, wer der Fremde mit der Winchester war und was er hier wollte, und der Fremde kannte nicht Russo und konnte sich nicht an Terrence erinnern. Dies alles war ein unwahrscheilicher Zufall! »Dreh dich um und zieh!« Da war wieder Henry Russos Stimme, so voller Bosheit und Niederträchtigkeit! Und diese Stimme war wie ein Dolchstoß in Terrences Rücken hinein. Er hatte kaum mehr einen Willen, und er reagierte gar nicht. Der Fremde sah in die braunen Augen des jungen Terrence und bemerkte das fiebrige Flackern. »Rück mal beiseite, Junge«, sagte er ruhig und kam langsam und mit gesenkter Winchester herein. »Du stehst mir im Weg.« Er meinte damit: In der Schußbahn. Doch das begriffen weder Terrence noch Russo, Terrence bewegte sich mit
schleppenden Schritten zur Seite und verharrte abseits wie ein Häufchen Elend. Klirrend drehten sich die Sporenräder an den brüchigen alten Reitstiefeln. Lässig und doch nicht schlaksig schritt der Fremde auf den Tresen zu. Die Blicke der Anwesenden folgten ihm und ließen ihn nicht mehr los. Sogar Henry Russo ahnte Unheil, doch er war sich seiner Schnelligkeit und Treffsicherheit allzu siegesbewußt. Doch sehr wahrscheinlich hätte er ganz anders gehandelt, schon vorher, wenn das Wetter ihm nicht auch so zu schaffen machte. Vielleicht hätte er dann den jungen blonden Terrence gar nicht beachtet. Draußen an der Tür erschien die junge Mexikanerin Sarita und verkrampfte sich; sie hob die Hände mit dem Bündel daran ans Gesicht, als wollte sie die Augen verdecken. »Whisky«, verlangte der Fremde und legte die Winchester auf die Theke, aber so, daß er blitzschnell danach greifen konnte. Dann lehnte er sich an und blickte kalt umher, und kein Wort kam aus ihm hervor, als er Henry Russo betrachtete. Terrence wollte nicht Zeuge sein, wollte nicht zusehen - und er drückte die Türflügel auseinander und ging fast schwankend hinaus, an der Mexikanerin vorbei und zur Hausecke. Horchend blieb er stehen. Im Pulqueria-Saloon war es noch totenstill. Niemand lachte, niemand sprach. Fröstelnd trotz der sengenden Hitze zog Terrence die Schultern an und machte dann, daß er zu seinem Klepper kam, einem derart knochigen Tier, daß niemand es ihm stehlen würde. Das könnte jeder getrost tun, ohne befürchten zu müssen, aufgeknüpft zu werden, denn hier war Arizona, das einzige Land, wo es keine Todesstrafe für Pferdediebstahl gab. Im Saloon trank der Fremde etwas vom Whisky und blickte dabei über den Rand des abgestoßenen Glases hinweg Henry Russo unverwandt an. Die Gäste und der Keeper warteten schweigend und reglos ab.
»Amigo mio!« hauchte Sarita an der Tür. »Te quiero! Sei vorsichtig - ich liebe dich.« »Verschwinde!« fuhr Russo sie giftig an und langte wieder zur Flasche. Noch immer hielt er den Colt in der Rechten, hatte jedoch die Hand gesenkt. Nicht eine einzige Sekunde lang ließ er den Fremden aus den Augen. Vielleicht vermutete er in ihm einen US Marshal, der seine Spur gefunden hatte. In Llano war noch immer nicht Leben zu spüren. Die Bewohner und die anderen, die hier nur Station machten, hielten sich auch weiterhin in den Häusern auf, und Terrence stand neben dem Pferd und blickte bangend zum Saloon zurück. Dieser Fremde mußte ihm doch irgendwie schon einmal begegnet sein! Es war nicht sein Aussehen, sondern seine Stimme, die Terrence bekannt vorkam. Sie beide waren Fremde in Llano, sie waren sich auch als Fremde begegnet - doch es gab in ferner Vergangenheit eine kleine gemeinsam verlebte Episode der Freundschaft. Beide hatten sich in den Jahren danach im Aussehen stark verändert; die rauhe Zeit hatte eben bei beiden ihre Narben hinterlassen. Auch war Terrence noch ein Junge gewesen. Lang war es her, da dieser große Fremde in Terrences Leben getreten war und in ihm die Sehnsucht nach der Ferne geweckt hatte. Terrence konnte nicht hören, was im Pulqueria-Saloon gesprochen wurde. Wäre er dort geblieben, hätte er sich an alles erinnert und zugleich Schreckliches erfahren. Es trieb ihn weiter - er wollte hier nicht länger bleiben. Und so zog er sich aufs Pferd und ritt langsam an. Er mußte noch einmal am Saloon vorbei... »Was starrst du mich so an, Kerl?« zischelte Henry Russo, dem unter dem ruhigen, aber kalten Blick des Fremden allmählich die Nerven durchgingen. »Willst du was von mir?«
»Yeah«, antwortete der große Mann ernst und sehr bedächtig. »Ich will deine Waffen und dich - und nicht dein Leben. Gib auf, Russo. Niemand knallt einen Texas Ranger wie einen tollwütigen Kojoten ab und entkommt dann auch noch. Oder hattest du das geglaubt? Hast du angenommen, mit einem Mord deinen Vater rächen zu können? Nein, Russo.« »He«, flüsterte Russo und setzte die Flasche ab, »was heißt das? Wer bist du?« Angespannt wich er von der Theke ab. Er blickte nicht auf die Winchester, die vor dem Fremden lag, doch er wußte, daß sie sich dort befand, und er glaubte, daß der Gegner nach dem Gewehr greifen würde. Außerdem nahm er an, einen riesengroßen Vorteil zu haben, hielt er doch schon den Colt in der Hand! »Du bist wohl lebensmüde, wie? Du willst hier in Llano also deinen Geist aufgeben. Wie schön von dir. Dann fang mal an. Du wirst aber keine schöne Leiche abgeben - ich werde dich nämlich mit Blei durchlöchern und zerfetzen.« Draußen kam Terrence nähergeritten. Der Fremde lächelte nicht über die herausfordernden Worte des Halunken. Für ihn war dies alles bitterer Ernst und eine große Gewissensfrage, denn er erschoß nicht gern einen Menschen, auch wenn es der dreckigste Kerl war. Aber Russo würde ihn dazu zwingen, denn er hatte einen Colt schon gepackt. Das bedeutete, daß dem Fremden gar keine Zeit bleiben würde, zu versuchen, Russo lediglich kampfunfähig zu schießen. Der Schuß mußte sitzen! Und das behagte dem großen Fremden gar nicht! »Dann versuch's mit dem Zerfetzen«, entgegnete er frostig. »Ich wundere mich nur, daß du hier in diesem Nest allein bist ohne deinen Bruder. Der sucht wahrscheinlich nach dem anderen McKinney...« »Stimmt, im Westen - und er wird ihn aufspüren und in die Hölle jagen! Vielleicht helfe ich ihm noch dabei, denn dich
erledige ich alle Male, wetten? Das ist für mich ein Kinderspiel, siehst du?« Kaum hatte er ausgesprochen, da riß er die Rechte mit dem schweren Colt auch schon hoch und wollte schießen. Die Winchester auf der Theke hatte ihn glauben lassen, daß der Fremde danach greifen würde - doch der zog so erschreckend schnell den Colt, daß es für das menschliche Auge unmöglich war, dieser blitzartig schnellen Handbewegung zu folgen. Dabei handelte der Fremde mit einer schon traumhaften Sicherheit - die Waffe schien ihm in die Hand zu springen, und wie er es überhaupt schaffte, den Hahn zurückzureißen, zu zielen und abzudrücken, war ein Rätsel. Laut dröhnend entluden sich zwei Colts. Es hörte sich wie ein Knall an, doch es waren zwei. Aber der Schuß des toten Desperado fuhr nach oben in die Decke hinein und ließ den Adobemörtel abbröckeln. Schlaff stürzte Russo gegen die Theke und fiel zu Boden. Krachend schlug die Rechte mit dem rauchenden Colt in einen Spucknapf hinein. Pulverrauch breitete sich wallend im Saloon aus. Reglos stand der Fremde mit dem Colt am Tresen. Kein Muskelstrang bewegte sich im Gesicht. In den Augen war es ausdruckslos da war nichts von Haß oder Genugtuung zu erkennen, reinweg gar nichts! Alle seine Empfindungen verbarg dieser Mann wie unter einer dicken Decke aus Eis. Niemand sollte jemals seine Gedanken ergründen können. Er hatte nicht herzlos geschossen, nicht kalt und abgebrüht, doch kaltblütig und entschlossen, weil Henry Russo ihm keine andere Wahl gelassen hatte. Nach Westen... Also war der andere Russo unterwegs, um Böses zu tun, und ein von Haß getriebener Mann fand irgendwann immer denjenigen, den er suchte, und wenn Jahre dabei draufgehen würden.
Langsam schob er den Colt in den Halfter zurück und nahm die Winchester, warf die Cents auf den Tresen und wandte sich der Tür zu. Die Mexikanerin kam herein, ging steif, die Hände ineinander verkrampft. Das Bündel schlug ihr gegen die Beine. Sie blickte den Fremden nicht an, auch nicht die anderen - sie starrte nur auf Henry Russo, und sie schwankte zu ihm, fiel auf die Knie und begann zu weinen. Als der Fremde aus dem Pulqueria-Saloon kam und ins heiße Freie trat, ritt gerade Terrence vorbei und aus Llano hinaus. Der Mann sah dem Jungen nach, und in seinen Augen war ein Ausdruck des Nachdenkens und des Suchens. Vielleicht ahnte er, daß er diesen jungen Mann wiedersehen würde. Mit einem Ruck wandte er sich ab und stakste zu seinem Pferd. Als er in den Sattel stieg, war Terrence schon verschwunden, und in wenigen Stunden würde sich seine Spur irgendwo westwärts in der Wüste unter dem blutroten Schein der untergehenden Sonne verlieren. Der Fremde zog das häßliche Pferd sanft herum, schnalzte und ritt auf die Straße hinaus, näherte sich der Schwingtür des Pulqueria-Saloons und beobachtete scheinbar ungerührt, wie Männer den leblosen Banditen und Rangermörder Henry Russo hervorschleppten, vom schluchzenden Mädchen Sarita gefolgt. Das Leben hatte ihr nur eine kleine Rolle in einer kleinen Episode zugedacht gehabt - und doch hatte sie dem Fremden mit wenigen Worten so vieles erzählt und verraten in der Verzweiflung und Angst um Russo, aber auch im Zorn und in Haßliebe. Und eigentlich war dies hier alles nur eine kleine Episode im Leben des großen ernsten Fremden, dessen Namen längst zu einer Legende geworden war.
Er würde Sarita wohl niemals wiedersehen, und wenn auch die Zeiten kamen und gingen, und alles Neue wurde irgendwann alt und alltäglich, reif zum Vergessen. Er war aus der Wüste gekommen, und er verschwand auch wieder in der großen weiten Wüste des Department Arizona. Es mochte sein, daß Russo jenem Halunken das Leben gerettet hatte, der sich im Grenzgebiet so nannte wie der Fremde. Denn der Fremde ritt nicht weiter zur Grenze. Wie ein einsamer alter Wolf, wachsam und gefährlich, zernarbt und weise, zog er seines Weges und in die helle Sternennacht hinein, die ihn auf seinem langen Ritt einholte. Er wollte Delmer McKinney beistehen. In westlicher Ferne lag ein riesiges Tal, genannt Sundown Vally - ein Paradies, das zu einem Tal des Todes werden sollte... »Corky.« Annalena McKinney stand am Stangenkorral hinter den Stallungen und winkte dem blutjungen Cowboy, und Corky kam sofort angeritten, schwang sich vom Pferd und blickte sie mit braunen Augen fragend an. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm schon, daß sie sich um ihren Mann und seinen Boß sorgte. Sie hatte sich bereits wetterfeste Kleidung angezogen und lederne Handschuhe übergestreift, doch sie trug keine Reitstiefel mit Sporen. »Corky«, bat sie, »sage Compadre Mendoza, daß ich nach Paradero fahre. Ich möchte meinen Mann abholen. Er will seinen Abschied nehmen, doch vielleicht halten die Bürger ihn noch länger auf. Dann wird er froh darüber sein, daß ich ihn von diesem Trubel erlöse. Aber vielleicht«, sie unterbrach sich und atmete schwer und tief ein, »vielleicht überlegt er es sich ja doch noch anders und trägt noch weiterhin den Stern für Paradero. Und das, Corky, möchte ich nun wirklich nicht, und ich werde um ihn kämpfen. Er soll endlich seine Ruhe und
seinen inneren Frieden haben, und den wird er nur hier auf der Ranch finden, sonst nirgendwo.« »Si, Señora - ja, Ma'am«, antwortete der junge Corky. »Soll ich den Buggy vorfahren?« »Ich habe die Pferde schon vorgespannt, Corky, und auch etwas Proviant auf den Zweispänner gelegt. Das geht schon in Ordnung. Reite zu Compadre Mendoza, ja? Er ist ein guter Vormann, er wird während meiner Abwesenheit hier alles regeln. Und paßt gut auf euch auf!« Corky schluckte. »Sie wollen allein -?« »Ja, Corky - ich habe keine Angst vor diesem flüchtigen Alleinsein, denn ich weiß ja, wofür ich es tue.« So kam es, daß Annalena McKinney die Ranch verließ und mit dem Buggy allein davonfuhr. Nur einmal blickte sie zurück auf die Ranch, die sie Rancho Grande genannt hatten, und ein Ausdruck von Wehmut, Schmerz und Sorge, aber auch von Stolz und Zufriedenheit, lag wie verwischendes Rouge auf ihrem herb-schönen Gesicht. Und sie dachte an den Sohn Terry. Wenn er eines Tages heimkehren sollte, dann würde er hier an dieser Stelle stehenbleiben und am Talrand verharren, und er würde von hier aus die Ranch dort unten im weiten Tal liegen sehen. Es müßte doch für ihn ein ganz überwältigender Anblick sein! Das Elternhaus endlich wiederzusehen, dieses Tal, die Heimat, das Zuhause. »Oh, mein Gott, laß ihn heimkommen.« Die Hufe der beiden Wagenpferde schlugen trommelnd weiter und unterbrachen mit ihrem Stakkato die lastende Stille einer scheinbar unberührten Wildnis mit all ihren Tausenden von Kakteen, staubigen Comas und Mesquitesträuchern, mit den roten Felsen und den herrlich bunten Blumen, die da blühten im Schatten der Felsmassive und Bäume. Und am rauchigen Horizont des Tals stieg bläulicher Dunst über dem
Rio Sabrina empor - dort lagen die Blumenteppiche, leuchteten die frischen grünen Bäume in der Sonne, gleißten die stillen Wasser, die rastlos plätschernd ihren Weg durch das steinige Bett nahmen. Dort begann das Weideland des Ranchers Maxwell Steiner, der felsenfest glaubte, allmächtig zu sein, und der jeden anderen Zwei-Kühe-Rancher hier in diesem gewaltigen Tal als Dorn im Auge betrachtete, weil er keinen anderen neben sich zu dulden bereit war. Aber so war es wohl immer und überall: Wer klein war, nicht so stark, geriet schnell unter die Stiefel des Mächtigen und mußte sich ducken, um zu überleben. Und es gab sehr viele Kleine, die zusammen die Masse bildeten, die große Herde, die einem Leithammel folgte, sogar blindlings in den Abgrund des Lebens hinein. Annalena McKinney kannte dieses entbehrungsreiche und harte Leben in Licht und Schatten des Daseins. Wer immer in der Sonne besonders groß dastand, der warf auch einen größeren Schatten als alle anderen. Und sie wußte, daß man als Mensch nur dann das Schöne und das Reine sehend erleben konnte, wenn man zuvor durch häßlichen Schmutz gegangen war, hatte gehen müssen, weil nun eben einmal jedem Dunkel das Licht folgte, dem auch nur wieder eine kleine Zeitspanne vergönnt war. Sie fuhr durch ein Tal, das so groß war, daß ein Mann tagelang im Sattel sitzen mußte, um es von Ost nach West zu durchqueren. Über allem spannte sich an diesem Tag, wie zuvor tagsüber auch, ein seidigblauer Himmel, über den kleine weiße Wolken hinwegsegelten und zueinander finden sollten. So hell dieser Himmel war, so grau war alles das, was man Zukunft nannte. Es war wie Asche, die im Wind verwehte. Im Fahrtwind kräuselte sich locker ihr blondes Haar. Sie sah nicht mehr zurück, blickte weit voraus und dachte an ihren Mann.
Paradero war ihr Ziel - jene Stadt, die einen so schönen Namen hatte. Denn Paradero bedeutete Aufenthalt, Ende und Verbleib. Vielleicht war damit die Seßhaftigkeit gemeint - und nichts anderes... *** Sonnenuntergang im Sundown Valley. Alles in der Town Paradero, die Häuser, Höfe, Straßen und Menschen, sah kupferfarben aus wie im Schein eines ruhig flackernden Kaminfeuers. Die Gluthitze war mit dem Wind und den Wolken gen Westen gezogen, und die Nacht nahte von Osten her, lautlos und unaufhaltsam. In den Häusern aber nistete noch die Tageshitze als drückende Wärme und trieb wohl alle Menschen hinaus in den weichen Abendwind. Festlich mit weißen Bettlaken bedeckt, standen im Schatten eines kühlen Innenhofes mehrere gedeckte Tische, umgeben von Bürgern, die sich besonder gut gekleidet hatten, um ihren Sheriff würdevoll zu verabschieden. Aber wie das bei solchen Anlässen ist, wurde auch hier besonders viel getrunken - und schon fielen so einige männliche Wesen durch derbe, nicht stubenreine Witze auf und so manche Lady kreischend und schnatternd aus der Rolle. Schnaufend wischte Delmer McKinney sich mit einem Tuch die feuchte Stirn und die Hände ab und blickte lächelnd, aber auch ermattet und vom ganzen Trubel geschafft, umher. Dick, behäbig und stampfend kam der Deputy Sheriff daher und keuchte wie eine Lok unter letztem Dampf. »Mann, wie fühlt man sich denn so ohne Stern und Verpflichtung, Delmer?« fragte er fistelnd und rührselig. »Ist es schlimm?«
»Ach, weißt du, >Napoleon<, man gewöhnt sich an alles aber wie ist es mit dir, he? Keiner wird mehr mit dir schimpfen, fluchen und auch saufen!« Voller Unbehagen strich der beleibte Deputy die Haarsträhne aus der Stirn und bewegte die Schultern wie unter einem Juckreiz. »Yeah, du hast recht - so ganz allein in diesem stinkigen und muffigen Sheriff's Office herumhocken, und keiner geht einem auf den Geist - das ist schrecklich langweilig! Von mir aus kann sich hier jeder den Blechstern auf die Glatze nageln - ich komme auch ohne das Stück Blech aus!« »Nun, die Bürger haben dich zu meinem Nachfolger ernannt, Napoleon - ist das etwa nichts? Du bist jetzt Sheriff von Paradero! Eine tolle Sache, wie? Und wieder ein paar Stufen weiter hinauf.« »Hach! So eine Erfolgsleiter ist doch wie 'ne Hühnerleiter, beschissen von oben bis unten! Und ich soll allein fertigwerden mit dem ganzen Gesindel, mit diesen Eintagsfliegen, die hier in Paradero eintrudeln und wieder verschwinden, und ich soll mit dem King zurechtkommen, mit diesem Maxwell Steiner? Ho, nicht die Bohne schaff' ich das!« »Ich weiß, daß du deine Schwierigkeiten haben wirst, mein Guter, aber du wirst damit fertigwerden - und wenn du gar nichts tun solltest, erreichst du doch was: Daß sie dich in Ruhe lassen. Ich habe da nur eine Bitte, Napoleon. Sag mir immer rechtzeitig, was Steiner vorhat, ja? Auf meinem Rancho Grande werde ich nicht viel erfahren, und wenn, dann kann es schon zu spät sein.« »Natürlich, klar! Aber glaubst du denn, daß dir Steiner an den Kragen will?« »Es kann sein, gerade jetzt, wo ich nicht mehr den Stern trage und mich ganz der Arbeit auf der Ranch widmen kann. Natürlich werde ich versuchen, die Ranch zu vergrößern, Vieh zu züchten und noch welches hinzuzukaufen. Ich -« Delmer
McKinney unterbrach sich, als er den Gesichtsausdruck seines ehemaligen Deputy und jetzigen Sheriffs bemerkt hatte. »Was ist denn?« »Oh«, grinste Napoleon, »nimmst du nicht den Duft einer Rose in der Wüste wahr? Ist deine Nase verstopft? Dreh dich doch einmal um und blick zur Straße hin...« Da wandte McKinney sich um und erblickte auf der Straße neben dem Buggy seine Frau. In seinen Augen leuchtete es auf. Flüchtig klopfte er Napoleon auf die runde Schulter, vergaß die Festrunde, kehrte allen den Rücken und schritt zu seiner Annalena, nahm sie in die Arme und küßte ihre Stirn. Die Sonne ging unter... »Ich bin soweit, Lena.« »Dann komm, Delmer«, flüsterte sie glückselig, »komm fahren wir nun endlich für immer beide zusammen nach Hause:« »Ja, Lena - ja, nach Hause.« Und er ging, holte sein schon gesatteltes Pferd, leinte es hinten am Buggy an und saß neben seiner Frau auf, nahm die Zügelenden und ließ die beiden Pferde antraben. Napoleon stand winkend am Straßenrand und hatte auf einmal Tränen in den Augen. Der Buggy rollte aus der Stadt, und der dickleibige gutmütige Sheriff wandte sich seufzend ab und kehrte zur Tafelrunde zurück, wo die ersten Lampions bunt und hübsch leuchtend im Abendwind hin- und herschwankten. Napoleon nahm es an diesem Abend biblisch-ernst. Er haßte Alkohol, doch er sollte seinen Feind lieben - und so liebte er ihn in vollen Zügen und trank mehr, als gut für ihn war. Und irgendwann schwankte er vom Patio, ließ die Bürger auf dem Innenhof allein und bewegte sich mit schleppenden Schritten zum Office. Ächzend sackte er auf den Stuhl, rülpste laut und gähnte - und sein Mund stand noch offen, als der
junge Clerk vom Postoffice hereinkam und ihm ein Telegramm im Klartext auf den Tisch legte. »Verschlucken Sie sich nicht, Sheriff. An dieser Nachricht werden Sie wohl zu beißen haben...« Napoleon langte sofort danach, während er den Mund zuklappte, und versuchte zu lesen, mußte mit der alten Petroleumlampe erst Licht machen und konnte nun den Text erkennen. »Damn'd, das - das kann doch nicht - mein Gott!« Erschüttert blickte er auf und den jungen Postangestellten an. »Joshua McKinney? Das ist doch Delmer McKinneys Bruder!« »Die Nachricht ist verspätet eingetroffen, Sheriff - sie wurde irgendwo mit Verzögerung weitergegeben. So was kommt vor.« Der dickleibige Sternträger war völlig ernüchtert. Diese Nachricht hatte ihn wie ein Stoß mit einem heißglühenden Messer getroffen. Langsam kam er hinter dem Tisch hoch und ließ das Papier fallen. In diesem Moment sah er um Jahre gealtert aus. »Tu mir einen Gefallen«, sagte er mit brüchig klingender, gar nicht mehr fistelnder Stimme, »lauf zum Mietstall rüber und schick den Stallboy her.« »Liberty? Mach ich! Bye, Sheriff.« Der Postclerk eilte hinaus und über die Straße, und die grauen Schwaden der Dämmerung schlugen hinter ihm zusammen. Als der junge schwarzhaarige Liberty in das Office kam, waren nur höchstens zwei Minuten vergangen, und es war schon Nacht geworden, denn in Arizona währte die Übergangsphase von Tag zu Nacht nur minutenlang. Liberty diente im Stall als Bursche und Mädchen für alles, und er träumte davon, eines Tages auch einmal den Blechstern tragen zu dürfen. Darum war er auch sofort damit einverstanden, um was Napoleon ihn gebeten hatte.
»Gut, Sheriff, ich sattel sofort mein Pferd und jag hinterher!« Er wartete eine mögliche Antwort des Sheriffs erst gar nicht ab und spurtete hinaus. Irgendwo in Paradero schlugen langsam klappernd beschlagene Hufe über die Straße. Reiter kamen mit der Nacht in die Town... Was nun geschah, war wieder einmal Schicksalsfügung, höhere Gewalt oder purer Zufall. Wieder mischte der Zufall die Karten für ein Spiel auf Leben und Tod, und dieses Spiel konnte nur grausam sein. Nicht weit vom Sheriff's Office entfernt bogen die fremden Reiter von der Straße ab und verschwanden nacheinander in einer dunklen Hofeinfahrt. Inzwischen hatte sich die festliche Runde der Bürger mehr oder weniger in Alkohol aufgelöst; sonst sehr zurückhaltende Ladys kreischten und mußten ihre stark angetrunkenen Männer stützend nach Hause schaffen. Wie vereinsamt stand der gute dicke Napoleon im Office und rieb sich das Gesicht. Er fühlte sich wie in die Enge getrieben und wußte scheinbar nicht ein noch aus. Nervenzerrüttende Sorge um Delmer McKinney und dessen großartige und gutherzige Frau Annalena quälte ihn. Und die Zeit drängte! Die innere Unruhe war so groß, daß er auf und ab ging im Office und schließlich hinaus auf den Plankensteg trat. Und da kam auch schon Liberty zu Pferde heran und parierte kurz vor Napoleon das schnaubende Reittier, das immerhin das beste aus dem Stall war. Vernehmlich laut tönte seine Stimme die Straße hinauf. »Soll ich Mr. McKinney irgend etwas Bestimmtes sagen, Sheriff? Ich meine, weil seine Frau doch bei ihm ist...« Aus der dunklen Hofeinfahrt kam langsam einer der Fremden hervor, doch nur so weit, daß er den Sheriff und den
Stallboy sehen und beobachten konnte, ohne selber gesehen zu werden. »Kein einziges Wort zu seiner Frau, Liberty! Sie darf nichts erfahren, hörst du? Unser Sheriff ist in Lebensgefahr! Er hat mir einmal erzählt, was damals in Texas geschehen war, und wenn die Halunken seinen Bruder Joshua erschossen haben, dann werden sie versuchen, auch ihn umzubringen! Los, hau ab, Junge!« Da jagte Liberty los und hetzte sein Pferd in einen wilden Galopp hinein, raste an der dunklen Hofeinfahrt vorbei und hinaus in die Sternennacht. Staub wallte auf und schlug gegen die Häuser. Trommelnder Hufschlag verlor sich in mondheller Ferne. Seufzend ließ der Sheriff die Schultern fallen, und ein wenig von der schweren Last wich von ihm. Nun, so glaubte er, könnte er nichts weiteres tun, als abzuwarten - denn die Zeit würde alles entscheiden. Als er in das Office zurückgehen wollte, vernahm er Schritte. Jemand kam näher. Hörbar schlugen die tiefhängenden Halfter mit den schweren Colts gegen die Oberschenkel. Bei jedem Schritt drehten sich die Sporen kurz aufrasselnd. Mit verkniffenen Augen blickte Napoleon jenem Manne entgegen. Noch konnte er nicht die Gesichtszüge erkennen. Die Bewegungen ähnelten denen einer Raubkatze. Der Mann lächelte wohl, denn es schimmerte weiß im sonnengebräunten Gesicht. Und jetzt geriet er in die herausfallende Lichtbahn des Office und blieb vor dem Sheriff stehen. »McKinney?« fragte er. »Ich war auch mal Texas Ranger. Da habe ich einen McKinney kennengelernt - Joshua. Und der soll tot sein...« Kopfschüttelnd und scheinbar betroffen beugte er sich ein wenig vor und wandte das Gesicht ab, um nicht voll beleuchtet
zu werden. Vielleicht blendete ihn aber auch das diffuse Licht, war doch erst vor kurzem knallrot die Sonne untergegangen; manche Menschen konnten in Dämmerung und Nacht schlecht sehen. »Der ist tot!« ächzte Napoleon und verriet damit alles, ohne es zu wollen und zu wissen. »So tot, wie man nur sein kann. Tot ist tot.« »Heaven«, murmelte der Unbekannte, »und ich hab' den langen Weg gemacht, um seinen Bruder zu besuchen.« Daß er diesen Weg gemacht hatte, war nicht erlogen - doch der Besuch sollte überhaupt nicht freundschaftlich sein. Aber das konnte der Sheriff nicht ahnen - und vielleicht trug der Alkoholgenuß ein wenig dazu bei, daß er so schwerfällig im Denken war. »Wieso? Der Bruder lebt - Delmer McKinney. Ich laß' ihn gerade verständigen. Er wird herkommen. Sie können hier in Paradero auf ihn warten, Mister. Wer sind Sie überhaupt?« »Ein Freund«, log der Mann und hüstelte, rang asthmatisch nach Luft und atmete rasselnd aus. »Ich würde ihm gern entgegenreiten. Das wäre eine echte Überraschung für ihn.« »Er hat 'ne Ranch, sie heißt Rancho Grande. Es ist zu umständlich, Ihnen den Weg zu beschreiben. Reiten Sie einfach in Richtung -« Napoleon verstummte, horchte und glaubte, in der Nähe das Stampfen eines Pferdes gehört zu haben. Ihm kam das alles auf einmal seltsam vor, und er versuchte, den Fremden näher zu betrachten, doch der hatte sich vom Lichtschein völlig abgewandt und mied auch das Sternenlicht. »Mein Pferd ist unruhig«, meinte der Unbekannte, »es kann sich noch immer nicht an eine fremde Stadt gewöhnen...« Er wollte keinen Argwohn aufkommen lassen, bewegte scheinbar linkisch die Rechte an den Stetson und stakste dann langsam davon.
Der Sheriff sah ihm nach, bis er in der Einfahrt verschwand, und dann ging auch Napoleon zurück ins Office. Hier begann er zu grübeln und versuchte, sich zu erinnern, ob Delmer McKinney einmal über einen Freund erzählt hatte, doch er kam zu keinem Ergebnis. Vielleicht hatte er einmal weniger aufmerksam zugehört und es vergessen. Hufgetrappel klopfte dumpf davon. Horchend stand der dickleibige Sheriff, der aufgrund seiner in die Stirn fallenden Schmalzlocke den Beinamen Napoleon verpaßt bekommen hatte, in dem alten Dienstraum und fühlte sich auf einmal verdammt einsam und verlassen. Vielleicht, so sagte er sich, empfindet das jeder Mann, der auf einmal Sheriff geworden ist. Pflicht und Verantwortung lasteten jäh allein auf seinen Schultern, und er allein mußte nun mit allem fertigwerden. Ruhelos verließ er das Office und sah den erhellten Saloon, hörte Männer lachen und erblickte am Straßenrand mehrere Sattelpferde, die angeleint waren. Er brauchte gar nicht genauer hinzusehen, um zu wissen, daß alle Pferde das Brandzeichen der Steiner-Ranch trugen. Etwas abseits von diesen Tieren stand ein einzelnes Pferd, das einem Fremden gehören mußte. Auf dem Weg zum Saloon begegnete er dem zarten, fast scheuen jungen Mädchen, das als Hausgehilfin beim Padre wohnte und dessen spartanisch eingerichtete Räume säuberte und auch für Sauberkeit im Innern der kleinen Kathedrale sorgte. »Guten Abend, Dixie«, fistelte er. »Wohin willst du denn jetzt noch?« Das Mädchen Dixie lächelte verhalten, als müßte es sich entschuldigen, zu dieser frühen nächtlichen Stunde noch allein auf der Straße unterwegs zu sein. »Ich habe für Hochwürden noch etwas eingekauft, Sheriff. Sie wissen doch, er raucht nicht, aber er liebt Kautabak.« »Na, dann bring ihm das Zeug schnell«, meinte Napoleon gönnerhaft. »Hauptsache, er verschluckt sich nicht daran, dann
ist es aus mit den schönen Messen und so.« Er betrachtete Dixie väterlich. »Du, paß auf dich auf, Dixie, ja? Du bist ein hübsches Mädchen, das so manchen Mann auf höchst dumme Gedanken bringen kann. Weißt du, warum, Dixie?« »Nein, Sheriff.« Sie sagte die Wahrheit, denn sie wußte es wirklich nicht und sie hatte noch niemals etwas über weibliche Reize und männliches Triebverlangen gehört. »Du bist doch siebzehn Jahre alt - oder jung«, seufzte Napoleon und suchte nach Worten, »und da kommt so ein hübsches Mädchen wie du in so ein gewisses Alter, verstehst du? Nein, du verstehst es nicht, das sehe ich dir an der Nasenspitze an. Also, in deinem Alter ist manches Mädchen schon verlobt oder sogar verheiratet. Bei den Mexikanern und bei den Indianern schon mit vierzehn Jahren. Weißt du, das ist so wie bei besonders hübschen Blumen, die werden vom Wind bestäubt und - ach, wie soll ich dir das sagen! Also, paß auf dich auf, ja? Und jetzt ab nach Hause, klar?« Sie machte einen artigen Knicks und wollte gehen, doch Napoleon hielt sie noch mit einer Frage zurück. »Sag mal, hast du keinen festen Freund? Dem du vertrauen kannst, der dich beschützt und dich tröstet und dir Liebe schenkt?« »O doch, Sheriff!« strahlte Dixie. »Den besten, den es gibt!« »Kenne ich ihn? Wohnt er hier in Paradero? Oder ist er ein Cowboy der Steiner-Mannschaft? Reitet er vielleicht für unseren ehemaligen Sheriff, für Mr. McKinney?« »Nein, Sheriff, aber Sie kennen ihn bestimmt.« »Und wer ist der Glückliche?« Da antwortete Dixie so entwaffnend schlicht und dennoch so bezaubernd überzeugend mit einem Wort: »Gott.« Und danach schritt sie schnell davon und verschwand hinter dem kleinen Haus des Padre neben der Kathedrale. Für einen Augenblick vergaß der gute Mann die Umwelt. Die Antwort des Mädchens berührte ihn zutiefst. Zugleich aber
wuchs in ihm die Sorge um Dixie, denn diese rauhe Welt war diesem feinfühligen Mädchen gegenüber feindselig gestimmt. Kein Unhold würde nach Gott fragen, wenn er sich über das Mädchen hermachen sollte! Er ahnte, daß irgendwann Dixie etwas zustoßen würde. Denn alles, was auf dieser Welt nicht in die Norm hineinpaßte, war ständig in Gefahr, angegriffen zu werden. Und irgendwie zählte auch er dazu, weil er den Stern des Gesetzes trug... Langsam schritt er zum Saloon und trat ein, blickte umher und musterte die Cowboys der Steiner-Ranch. Das waren schon verwegene junge Burschen, die den Stier bei den Hörnern packten und nicht nach Gut und nach Böse fragten. Für Maxwell Steiner taten sie alles, denn er zahlte einen guten Lohn. Vierzig Dollar im Monat, das waren zehn Dollar mehr als anderswo. Und dafür mußten sie bereit sein, nicht nur auf umherstreunende Kojoten zu schießen und die Sierrawölfe von den Rinderherden fernzuhalten. Sie grinsten ihn herausfordernd frech an, stießen sich an und machten Bemerkungen, die wenig schmeichelhaft waren, doch das konnte ihn nicht reizen. Gelassen ging er an die Theke und ließ sich einen doppelten Whisky geben. »Den spendiere ich«, sagte der Saloonbesitzer lächelnd. »Vielleicht ist es der letzte.« »Du bist heute sehr liebenswürdig, Dodson«, bemerkte Napoleon bissig, »auf mein Begräbnis wirst du noch lange warten müssen.« »Oh, wer weiß?« meinte Dodson und stützte sich mit den Ellbogen auf den Tresen. »Du solltest jedenfalls vorsichtshalber schon mal Probeliegen beim Sargmacher machen.« »Ein guter Vorschlag, Dodson - aber nach dir, wenn's angenehm ist? Ich stehe noch nicht auf der letzten Sprosse der Leiter - und jetzt rede nicht so einen Mist daher! Mir ist überhaupt nicht nach Scherzen zumute, verdammt!«
»He, gibt's was Neues, Sheriff?« »Nichts für Paradero, schon gar nicht für dich, weil du ein Tratschmaul bist.« Napoleon schlürfte und sah sich im verräucherten Raum um. »Wer hockt denn da hinten?« »Der hockt schon eine ganze Zeitlang da rum, Nappy. Ist ein Fremder, ein Mexikaner, ist aber ganz ruhig und artig.« »Den habe ich noch nie hier gesehen«, murmelte der Sheriff. »Hat er gesagt, was er hier in Paradero will? Man kommt doch nicht her, nur um deinen schäbigen Whisky zu trinken.« »Er trinkt Mescal«, verbesserte Dodson und verzog das Gesicht. »Nein, kein Wort. Ist bewaffnet mit Schießeisen und Messer. Am besten, du kümmerst dich nicht um ihn. Er hat mir nur gesagt, daß alle Mexikaner, die Manuelito heißen, feine Kerle wären - also muß er Manuelito heißen, das ist doch einleuchtend, oder für dich nicht?« Der Sheriff schwieg, betrachtete verstohlen den jungen Mexikaner und überlegte. Da aber so manche Mexikaner vorübergehend in Paradero waren, gab er es auf und wandte sich wieder seinem Whisky zu. Wenig später kamen ein paar angetrunkene Bürger von der Abschiedsfeier herein, die noch Nachdurst hatten - und so entging es Napoleon, daß der Mexikaner Manuelito den Saloon verließ. Als dann auch Napoleon ging, war die Zeit gekommen, da der Stalljunge Liberty das Paar auf dem Buggy erreicht haben mußte... *** Der Buggy stand. Unruhig blickte Annalena McKinney vom Wagen aus auf die beiden Männer. Delmer McKinney war vom Buggy gestiegen und sprach abseits mit dem jungen Stallburschen Liberty, der sein schweißnasses Pferd am Zügel hielt.
Was die beiden miteinander besprachen, konnte die Frau nicht verstehen, und sie sah auch nicht den Gesichtsausdruck ihres Mannes, weil er ihr den Rücken kehrte. Doch sie konnte Libertys Gesicht erkennen, vielleicht lag es am bleichen Sternenlicht, vielleicht am schnellen Ritt, daß sein Gesicht so verzerrt und unruhig erschien. Jetzt nickte Delmer McKinney und straffte die Schultern, zögerte aber noch und murmelte ein paar Worte. »Ja, natürlich hab' ich Zeit, Mr. McKinney«, hörte Lena den jungen schwarzhaarigen Burschen sagen. McKinney nickte, und dann kamen beide an den Buggy heran. Während Liberty mit seinem Pferd am Zügel ein wenig abseits stehenblieb, sah McKinney, dicht am Wagen verharrend, seine Frau beruhigend an. »Ich muß noch einmal in die Stadt, Lena - ich hab' da was vergessen. Liberty wird dich zum Rancho Grande begleiten. Nein, lehne das bitte nicht ab - mir ist wirklich etwas wohler, wenn ich weiß, daß dich jemand begleitet.« Sie lauschte dem Klang seiner Stimme und blickte ihm in die Augen, atmete tief und schwer ein und seufzte verhalten. Niemals würde sie versuchen, ihn zu halten, wenn er glaubte, so und nicht anders handeln zu müssen. Es war nicht Demut, die sie in seinen Schatten zurücktreten ließ, sondern großes Verständnis und zugleich die Hoffnung, daß alles gutgehen möge. Er war Herr seiner Entscheidungen, und sie konnte und wollte ihm nur dabei behilflich sein, nicht hineinreden. Und obwohl er lächelte, wußte sie dennoch, daß irgend etwas geschehen war, das mit seiner Vergangenheit zu tun hatte. Da er ein lauterer Mann war, der sich nichts hatte zuschulden kommen lassen, konnte diese Vergangenheit nur von anderen Personen an ihn herangetragen worden sein. Liberty zu fragen, hatte keinen Sinn, denn Liberty würde schweigen - und so blieb ihr wieder einmal nur die Hoffnung, blieben ihr bange Stunden des Wartens und des Betens. So
tapfer und beherrscht sie auch war - in diesem Moment spürte sie ganz deutlich, daß alles allmählich über ihre Kräfte ging. Ihre Stimme klang etwas belegt. »Gut, Delmer. Wirst du bei Sonnenaufgang Paradero verlassen?« »Ich glaube, dann noch nicht, Lena...« »Ja, du hast recht, Delmer - dein Pferd braucht schließlich ein paar Stunden Ruhe. Ich werde mit dem Abendessen auf dich warten, ja?« »Ich versuche, so schnell wie möglich auf der Ranch zu sein, Lena - aber rechne nicht mit Minuten und Stunden.« Sie war die Frau eines Sheriffs im Sundown Valley, und sie hatte oft warten und bangen müssen. Noch einmal wollte sie diese Zeit durchstehen und ganz tapfer dem Morgen entgegensehen, diesem Morgen eines besseren Lebens. Aber es war alles sehr schmerzlich und bitter, und allein die Hoffnung reichte nicht aus - dazu gehörte auch der Glaube an Gott und an ihren Mann. »Dann - dann wollen wir mal, Liberty«, sagte sie und brachte die Kraft auf, dem Stalljungen aufmunternd zuzunicken und ihren Mann lächelnd anzusehen. »Ich werde uns beiden einen starken Kaffee machen, und dann werden wir gemütlich miteinander plaudern... Auf geht's, Liberty!« Sie trieb die Pferde an und fuhr mit dem Buggy davon, und Liberty folgte zu Pferde, während Delmer McKinney neben seinem Tier stand, dessen Zügelenden er vom Wagen gelöst hatte. »Joshua«, murmelte er, »ich bin auch noch da - und ich warte auf diese Halunken! Und dann, Joshua, dann hole ich sie mir alle vor den Colt.« Ein Schwur in der Sternennacht. Und Delmer McKinney stieg in den Sattel und ritt auf der Wagenspur zurück in Richtung Paradero. ***
»Da reitet er, Gersh!« Männer verhielten in der Deckung der Bäume und Felsen oberhalb des langen flachen Taleinschnitts und beobachteten Delmer McKinney, wie er zügig dahinritt; ein langer Staubschlauch folgte dem Pferd. »Yeah«, flüsterte Gersh Russo, »das ist er!« »Willst du ihn nicht erledigen? Du hast doch jetzt Zeit und Gelegenheit dazu!« drängte einer der Komplizen. »Mach ihn doch fertig - und dann verschwinden wir!« »Nein. Ich bin nicht so lange im Sattel gewesen, um alles in einer Minute zu erledigen!« entgegnete Gersh Russo. »Ich will ihn leiden sehen! Und seine Frau auch! Los, reiten wir zum Treffpunkt. Manuelito wird aus Paradero zurücksein. Ich will genau wissen, was sich dort so alles tut. Und außerdem will ich, daß mein Bruder Henry auch hier im Sundown Valley ist. Wir machen dieses Traumtal zu einem Todestal, Jungs, ist das klar?« Keiner kam dazu, ihm zu antworten. Denn jäh hörten sie alle das harte metallische Knacken des Durchladens von Gewehren - und Sekunden später tönte es kalt, ruhig und bestimmend aus dem Dunkel zwischen den Felsklippen hervor: »Was hier geschieht, geschieht nur mit Mr. Steiners Zustimmung - oder gar nicht! Los, hebt die Hände an! Bis in Schulterhöhe, nicht zum Hut und nicht in den Nacken!« Gersh Russo und die anderen mußten gehorchen, wollten sie nicht über den Haufen geschossen werden. Die Stimme, die sie vernommen hatten, verriet eiserne Entschlossenheit, zu der auch noch Brutalität hinzukam. Zuerst glaubten sie alle, von einem Aufgebot gestellt worden zu sein, doch dann erkannten sie, daß dieser Steiner der Herrscher des Tals sein mußte, daß er sich zumindest dafür hielt. Mit angehobenen Händen standen sie dann neben den Pferden - und von allen Seiten rückten Männer näher, die wie
Cowboys und Vaqueros aussahen und mit Gewehr und Colt bewaffnet waren. Jeder trug die Chaps zum Schutz gegen Dornen, und es war erstaunlich, daß sich diese Männer so lautlos hatten heranschleichen können. »Da kommt jemand«, rief einer der Männer halblaut, »trägt 'nen Sombrero, scheint ein Mexikaner zu sein!« »Fangt ihn ab!« befahl ein baumlanger Mann, der zweifellos der Vormann oder Anführer dieser Revolvermannschaft war. »Wenn er aufmuckt, legt ihn um.« »Er gehört zu uns«, sagte Gersh Russo, der sich auf die neue Lage schnell eingestellt hatte, »und wir brauchen ihn.« Der schlanke, fast dürre große Vormann blickte ihn mit gletscherkalt funkelnden Augen an und verzog verächtlich den Mund. »Wir sind zwar hier in Arizona und brauchen nur die Tür aufzustoßen, um in Mexiko zu sein - aber bei uns reitet kein Mexikaner in der Crew. Es gibt genug dieser Schmierfinken, die unsere Rinder stehlen wollen und die Luft hier verpesten. Und wenn wir keinen Mex bei uns haben, dann brauchen wir auch nicht genau hinzusehen und können abdrücken! Ist 'ne ganz einfache Sache für uns.« »Was wollt ihr? Uns fertigmachen?« »Ihr befindet euch auf dem Gebiet der Steiner-Ranch - ein Grund, euch alle in die Hölle zu jagen. Aber wir können es nicht sofort tun - das wird Mr. Steiner entscheiden.« »Wer ist das?« »Mr. Steiner kommt gleich nach Gott.« »Dann möchte ich diesen zweiten Gott sprechen.« »Du wirst ihn sprechen müssen, savvy?« versetzte der Vormann und gebot Gersh Russo mit herrischer Handbewegung, zu schweigen. Auch die anderen verhielten sich still. Die Pferde mußten irgendwo abseits sein, denn Manuelito näherte sich schnell, ohne Verdacht zu schöpfen, und er geriet, so wie die anderen vor die Gewehre und mußte
die Hände heben. Zufrieden wandte der Vormann sich ab und blickte wieder Russo an. »Ihr wollt also McKinney erledigen? Das wirst du Mr. Steiner genauestens erklären müssen! Und jetzt gebt die Waffen ab! Wenn hier einer von euch verrückt spielen sollte, wird er ein toter Mann sein. Wir fackeln nicht. Also - her mit den Kanonen.« Sie gehorchten widerwillig. Und dann mußten sie, flankiert von den Steiner-Reitern, einen anderen Weg durch das riesige Sundown Valley nehmen. Der Tod machte eine Atempause. *** »Du mußt mit allem rechnen, Napoleon. Paß gut auf dich auf, alter Junge, und traue keinem Fremden - und wenn er noch so harmlos aussehen mag.« »Das sagst ausgerechnet du, Delmer?« ächzte der Sheriff kopfschüttelnd und rieb sich unruhig die Stirn. »Dich wollen sie töten, nicht mich!« »Du vertrittst das geschriebene Gesetz, Napoleon«, erinnerte Delmer McKinney ihn, »und Halunken, die einen Texas Ranger ermorden, bringen es auch fertig, einen Sheriff grundlos zusammenzuschießen. Solche Kerle mißachten jegliche Ordnung und hassen Gesetzesvertreter.« »Und du - was wirst du jetzt tun?« McKinney atmete schwer ein und blickte wie suchend im Office umher, als hätte sich hier irgend etwas verändert, doch alles war beim alten geblieben, alles war so stickig, düster und staubig wie sonst - und hier hatte er Jahre seines Lebens verbracht! »Ich reite auf die Ranch. Wohin sollte ich denn sonst? Etwa hier in Paradero auf die Bande warten? Vielleicht kommt sie erst in ein paar Wochen, wer weiß? Ich kann mich nicht
verkriechen und will das auch nicht! Yeah, ich werde zum Kampf bereit sein. Denn die Mörder meines Bruders werden in das Sundown Valley kommen! Vielleicht sind sie schon hier.« »Warum verläßt du nicht mit deiner Frau das Tal, Delmer? Ich meine, nur für ein paar Wochen, bis die Bande wieder verschwunden wäre? Auch Lena ist in Gefahr! Nur gut, daß euer Junge nicht hier im Tal ist.« Die alte Petroleumlampe warf einen trübe flackernden Schein auf die ernsten Gesichter der beiden Männer. Draußen graute der Morgen, und gleich würde die Sonne jenseits des Tales aufgehen und den Himmel vergolden. »Ich habe einen riesengroßen Fehler gemacht«, gestand der Sheriff, »ich habe einem Fremden gesagt, wo du zu finden bist. Dieser Fremde hat sich als Freund ausgegeben, als ein guter Bekannter von dir, aus texanischen Zeiten. Ich war noch ganz durcheinander und hab' zuviel geredet. Und dann ging er fort, hin zu seinem Pferd. Yeah, im Saloon hat dann auch noch ein Fremder gesessen, ein Mexikaner namens Manuelito. Vielleicht sehe ich jetzt in jedem Fremden einen Mordschützen.« McKinney machte ihm keine Vorwürfe - und warum auch: Jedem konnte so ein Fehler und Mißgeschick unterlaufen, besonders dann, wenn man nicht argwöhnisch war. »Es kann sein, daß diese beiden Fremden zur Bande gehören, Freund. Dann werden sie jetzt schon wissen, wo ich zu finden bin. Ich muß schnellstens zurück, aber ich frage mich, wo Lena am sichersten aufgehoben wäre. Es hat keinen Sinn, das Tal fluchtartig zu verlassen, Napoleon. Wenn die Halunken die Ranch beobachten, dann werden sie mich und Lena wegreiten sehen. Nein, vielleicht sind wir auf der Ranch noch am sichersten. Immerhin kann ich mich auf meine Leute fest verlassen.« Beide wußten um die Gefahr, die sich im Sundown Valley zusammenbraute, und beide wußten im Grunde genommen
keinen rettenden Ausweg. Als sie sich nun anblickten, kam ihre Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck. Nirgendwo waren sie sicher. Und sie wurden sich darüber klar, daß sie sich zum Kampfe stellen mußten. Das Schlimme war, daß sie es mit Gegnern zu tun haben würden, die heimtückisch aus dem Hinterhalt zuschlugen. Delmer McKinney war sich sicher, daß er zuvor eine Drohung erhalten würde, denn Rache kam selten aus heiterem Himmel. Das Opfer sollte zunächst qualvolle Stunden durchmachen, leiden und verzweifeln. Da McKinney dies wußte, konnte er sich innerlich darauf einstellen und äußerlich darauf vorbereiten. Irgendwann würde jemand zu ihm kommen und ihm den Tod ankündigen. Wenn diese Halunken nur seine Frau aus ihrem teuflischen Spiel herauslassen würden! Seine Sorge galt einzig und allein Lena. »Die Sonne geht auf«, murmelte er und straffte sich, »ich reite jetzt zurück. Der Stallboy Liberty wird wohl erst gegen Abend zurückkommen. Mach's gut.« »Ja, mach ich«, antwortete Napoleon seufzend und blickte ihm nach. *** Mit dem strahlend hellen Morgen unter dem seidigblauen Himmel begann für das Mädchen Dixie der freie Tag, an dem es tun und lassen konnte, was es wollte. Doch wieder einmal, wie schon so oft, trieb es Dixie aus Paradero hinaus, und sie durfte für die Strecke zum Rio Sabrina den Einspänner des Padre benutzen. Dixie träumte gern und oft an den hell funkelnden Wassern des Rio Sabrina und genoß unter den grünen Bäumen im sanften Schatten die Stille des Paradieses. Von einem starken, fast unerschütterlichen, festen Glauben beseelt, empfand sie keine Furcht vor dem Alleinsein im Tal,
weit abseits der Stadt, die sie von ihrem Lieblingsplatz aus schon gar nicht mehr sehen konnte, noch nicht einmal den Glockenturm der kleinen Kathedrale. Während sie zum Fluß unterwegs war, ritt Delmer McKinney zurück nach seiner kleinen Ranch - und auf einem sonnenüberfluteten großen Hof zwischen Stallungen und Herrenhaus der Steiner-Ranch standen mehrere Sattelpferde und warteten unbewaffnete Männer auf Maxwell Steiners Entscheidung. Gersh Russo hatte das Herrenhaus aufsuchen müssen, und Colin Davis, der lange Vormann und Anführer der RevolverKampfmannschaft, hatte ihn begleitet und nicht aus den Augen gelassen. Russo kam sich nicht nur wie ein Gefangener vor - er war es auch, obwohl er sich frei bewegen konnte. Und nun stand er jenem Manne gegenüber, der nur für sein Rinder-Imperium lebte und vielleicht auch bereit war, dafür zu sterben: Maxwell Steiner. Steiner verharrte am sonnenhellen Fenster und blickte auf den Hof hinunter. Sein Haar schimmerte wie Eis im hereinfallenden Sonnenschein. Er war groß und wirkte klotzig, trug derbe Kleidung - und als er sich nun Gersh Russo zuwandte, blickte der Bandit in das kantige, steinern reglose Gesicht eines nach Macht strebenden Mannes, dem jedes Mittel recht war, um zum Ziel zu gelangen. Seine ohnehin schon erreichte Machtstellung verlieh ihm die Möglichkeit, auch einmal gnädig zu sein, doch hinter allem, was er tat, steckte dieses »Alles-unter-die-Füße-kriegen«. Und er konnte auf den Gemütern und Seelen anderer Menschen herumtrampeln, so wie es ihm in den Sinn kam. Natürlich hatte er Gersh Russo bereits eingehend betrachtet, als dieser aus dem Sattel gestiegen war. »Warum soll McKinney draufgehen?« Seine Stimme klang wie das zerreißende Holz eines stürzenden Baumes und schmerzte in den Ohren, obwohl er gar
nicht einmal laut sprach. Und seine Frage duldete keine Ausflüchte und Lügen. Sie stach wie ein Messer zu und traf ihr Ziel. Und Gersh Russo erkannte das rechtzeitig genug und fühlte, daß Maxwell Steiner nicht gut auf Delmer McKinney zu sprechen war, wahrscheinlich deshalb, weil der Stern McKinney auch ein gewisses Maß an Macht gegeben hatte. »Er und sein Bruder haben in Texas vor Jahren unseren Alten abgeknallt. Seinen Bruder haben wir schon in die Hölle gejagt. Jetzt ist er dran. Ich warte nur noch auf meinen Bruder. Seine Name ist Henry Russo, ich bin Gersh Russo.« »Ihr seid also Desperados. Nun gut, von mir aus legt ihn um - aber nicht in meinem Namen! Und wenn ihr das sauber erledigt habt, dann kommt her, und ich setze euch auf meine Lohnliste. Macht es also unter euch aus, verstanden? McKinney ist mir im Weg. Räumt ihn weg. Das ist alles. Colin, geleite den Gentleman hinaus.« Das war Maxwell Steiners Entscheidung - sie war kurz und knapp gekommen, doch hinter diesen wenigen Worten verbarg sich Todfeindschaft. Und Gersh Russo ritt mit den Komplizen davon. In Richtung Rio Sabrina... *** Das Mädchen Dixie saß träumend am hohen Ufer des Sabrina-Flusses und lauschte dem Wispern des heißen Windes, der durch das Gras harfte und die Blätter der Bäume und Sträucher rascheln ließ. Dixie gewahrte nicht den jungen Mann auf der anderen Seite des Rio Sabrina, der dort im Schatten wie in stiller Andacht stehengeblieben war und sie betrachtete. Sie hörte nicht seine schweren Atemzüge und auch nicht das dumpfe Schnauben des Pferdes, das er hinter den Felsen
zurückgelassen hatte. Der Anblick des Mädchens weckte in ihm Erinnerungen, und in seinen Augen erschien ein Leuchten, denn die Erinnerung war schön und verklärte jene Zeit mit dem ganzen wunderschönen Zauber der frühen Jugendjahre. Plötzlich zuckte er zusammen, horchte in den Wind und wich unwillkürlich in die Deckung zurück. Hufgetrappel näherte sich dem Fluß. Noch verbargen Bäume und Felsen die näherkommenden Reiter. Schwer stampften die Pferde durch den weichen Ufersand und durch die Schattenfelder der Bäume. Auch Dixie hatte den Hufschlag gehört und richtete sich jetzt auf, stand unschlüssig im Schatten und blickte zum Einspänner zurück. Sie könnte versuchen, auf dem Wagen zu flüchten, doch die Reiter würden sie einholen. Ein Fluchtversuch war sinnlos. Bangen Herzens wartete Dixie. Und da kamen sie auch schon unter den Bäumen am Wasser hervorgeritten - fremde, schwerbewaffnete Männer, unrasiert, staubig und verschwitzt. Ein wildes Rudel, das im ersten Moment aus Cowboys zu bestehen schien, doch bei näherem Hinsehen wurde deutlich, daß es sich um ein Revolverrudel handelte, um Männer, die rücksichtslos, gemein und brutal waren. Nicht ein einziger war vertrauenerweckend, so daß Dixie sich an keinen von ihnen wenden könnte, um ihn um Beistand zu bitten. Das Rudel blieb noch dicht zusammen, und die beschlagenen Hufe polterten nun über das Gestein am Ufer hinweg. Obwohl Dixie noch nicht das ganze Sundown Valley kannte, wußte sie dennoch, daß diese Reiter vom Land der Steiner-Ranch kamen. Daß es Banditen waren, konnte sie nicht wissen. Sie war wie ein scheues Reh, von Angst jäh gepackt und unfähig, wegzulaufen. Das Böse nahm sie in seinen Bann. Und zitternd stand sie im Schatten und wurde von den Reitern dann lachend und brüllend auf stampfenden und keuchenden Pferden
umringt. Sie vernahm so manches aufdringliche und gemeine Wort, so manche Bezeichnung, die sie noch niemals gehört hatte. Was die Reiter dann untereinander ausmachten, bekam sie gar nicht mit, doch es schienen Wetten zu sein, und wer gewinnen würde, könnte sich um die Kleine kümmern. Dixie wußte nichts von Begierde und Leidenschaften, von jenen Trieben, die das menschliche Leben immer wieder stark beeinflußten und so manche Tragödie heraufbeschworen. Und sie wußte auch nicht, daß sie mit ihren siebzehn Jahren ein wunderschönes Mädchen mit lockenden weiblichen Reizen war. Flüche wurden laut, und mancher schimpfte über sein Pech und ritt weg. Zwei bleiben zurück, rutschten langsam von den Pferden und verharrten vor Dixie. Ihre Absichten waren eindeutig - doch Dixie ahnte es nur schwach, fast instinktiv. Sollte das die Liebe sein, dann wollte sie nichts von Liebe wissen. »He, Kleine«, dehnte der eine mit heiserer Stimme, und der andere sagte aufdringlich sanft: »Süße, wie wär's denn an so einem schönen Tag mit uns beiden?« Langsam wich Dixie zurück, doch die beiden Männer folgten ihr grinsend. In ihren Augen flackerte es so seltsam unruhig. Das war ein Ausdruck, wie Dixie ihn noch niemals zuvor gesehen hatte. Sie stieß mit dem Rücken gegen den leichten Wagen und konnte nicht weiter, nicht nach rechts und nicht nach links. Angst ließ sie zittern und flüsternd beten. Die Männer waren stehengeblieben und betrachteten sie abschätzend. »Du bist dran mit der Wache«, sagte der eine, »so ist es abgemacht. Ich will nicht überrascht werden.« »Wozu Wache, he? Hier ist sonst niemand. Los, fang an, worauf wartest du denn noch, verdammt!«
»Immer schön langsam«, entgegnete der Mann, der die Wette gewonnen hatte. »Ich will was davon haben.« »Ich hab' nichts«, beteuerte Dixie in diesem Moment, »ich hab' kein Geld, und Pferd und Wagen gehören -« Das Lachen der Männer unterbrach sie. Jetzt kam der eine auf sie zu und hob schon die Hand, um nach ihrem Körper zu greifen. Da versuchte sie, auf den Wagen zu klettern und zu flüchten, doch er war schneller, packte sie und riß sie an sich. Er war gar nicht einmal so abstoßend im Aussehen, doch seine Art machte ihn widerlich und abscheulich. Er war wild und leidenschaftlich, und seine Begierde war wie ein Rausch, so heftig wie ein Vulkanausbruch. Er sah nur sie und nichts anderes mehr, vergaß die Umwelt, den Komplizen und die anderen, die weit abseits von den Pferden gestiegen waren und lagerten. Mit beiden Armen hielt er Dixie umschlungen und küßte sie so heftig, daß sie kaum mehr atmen konnte. In Angst und Verzweiflung versuchte sie, aus seiner Umarmung zu kommen, und dabei zerriß ihr Kleid. Sie wollte aufschreien, fühlte sich gepackt, wurde zu Boden gerissen, war einer Ohnmacht nahe, spürte den Mann auf sich. In dieser Sekunde krachte irgendwo ein Schuß. Blitzschnell warf der Mann sich von Dixie und langte nach den Colts - und wieder fiel ein Schuß. Zuckend bäumte der Mann sich auf, ließ die Waffen fallen und griff an die Schulter. »Schieß doch!« schrie er dem Komplizen zu. »Da drüben zwischen den Felsen!« Der andere hetzte zum Pferd, riß das Gewehr aus dem Scabbard, lud durch und wollte über den Rio Sabrina hinwegschießen, wollte den jungen blonden Burschen töten, der aus der Deckung hervorgekommen war, doch als er abdrückte, knickte er mit dem rechten Bein etwas ein, so daß sein Schuß fehlging. Zugleich aber geriet er in die Bahn des letzten Warnschusses hinein, wurde voll getroffen und fiel um. Er war auf der Stelle tot.
Und drüben stand der junge Blonde und blickte ungläubig herüber, konnte es wohl nicht fassen, daß er getroffen und einen Menschen getötet hatte. Dabei hatte er ihn nur kampfunfähig machen wollen. Eine einzige Sekunde hatte über Leben und Tod entschieden; wäre der Halunke nicht eingeknickt, würde er jetzt noch leben und vermutlich sogar unverletzt sein, doch ob er aufgegeben hätte, war wirklich fraglich. Sein Komplize, der neben Dixie kauerte und sich die Schulter hielt, wagte nicht, erneut nach den Waffen zu greifen, weil er nicht wußte, daß ein Zufallstreffer seinen Komplizen erwischt hatte. Die Schüsse waren bestimmt von den anderen gehört worden. Nun kam der Blonde den Hang heruntergelaufen und winkte Dixie heftig. »Nimm den Wagen und komm rüber, Dixie!« rief er. »Ich bin's, Terrence!« »Terry!« schrie sie auf, kam hoch und kletterte auf den Wagen, trieb das Pferd an und fuhr abwärts. Schon zerrte das Pferd den Wagen mit Dixie auf dem Kutschbock durch den seichten Fluß - und Terrence hastete nach oben zurück und rannte zu seinem Pferd. Der angeschossene Bandit tat nichts, um beide aufzuhalten warum, wußte er wohl selber nicht. Viel zu schnell und überraschend hatte sich die Situation geändert, und vorbei war der Rausch, dahin die Begierde. Was nun kam, war blanker Haß auf Terrence, doch zum Schuß auf ihn war es schon zu spät - Terrence war hinter den Felsen verschwunden, und auch den Wagen sah man nur noch für wenige Sekunden. Die jungen Leute flüchteten durch das weite Tal. Weit hinter ihnen tauchten Reiter auf, die sich zusammenrotteten und in einer Staubwolke verhielten.
»Den verdammten Hundesohn nehmen wir uns vor!« sagte Gersh Russo in kaltem Haß. »Der lebt nicht mehr lange.« *** In eine dünne Decke gehüllt, saß Dixie neben dem blonden Terrence McKinney auf dem Wagen und zitterte noch immer, obwohl ihnen beiden die Flucht so gut wie gelungen war. »Wir sind gleich da, Dixie«, sagte er beruhigend und mit sehr weicher Stimme, »und dann bist du in Sicherheit vor diesen Männern.« »Oh, Terry!« hauchte sie. »Was für ein Wiedersehen ist das! Oh, ich schäme mich so...« »Das darfst du nicht sagen, noch nicht einmal denken, Dixie«, fuhr er sie ungewollt heftig an, »das sag nie wieder, hörst du? Diese verdammten Kerle wollten dich zur Liebe zwingen, diese Schweine! Und da schämst du dich? Blick mich nicht so an, Dixie!« »Ich hab' die Schuld an allem«, warf Dixie sich vor, »ich hätte doch in Paradero bleiben sollen, aber nein - ich mußte zum Rio Sabrina... Und nun habe ich die Schuld daran, daß du auf die Männer schießen mußtest. Du hast einen von ihnen getötet, Terry - und sie werden nach dir suchen, die anderen, und dich erschießen!« Er sah übers dahintrottende Pferd hinweg und auf die Häuser, die sich vor der Kathedrale aus dem heißen Sand erhoben. »Woher kamen diese Kerle überhaupt? Kamen die nicht vom Weidegebiet der Steiner-Ranch?« »Ja, aber ich hab' sie noch nie in der Stadt gesehen. Einer war Mexikaner. Ich hatte geglaubt, daß der Rancher Steiner keine Mexikaner als Vaqueros einstellen würde. So hat es doch immer geheißen hier im Tal.«
»Ja, früher schon - ich bin lange weggewesen. Erzähl' doch mal, was sich alles verändert hat hier im Sundown Valley.« Sie sah ihn seltsam scheu an. »Dein Vater ist nicht mehr Sheriff - er hat den Stern abgelegt. Jetzt ist Deputy Napoleon der Sheriff. Sonst hat sich nicht viel geändert, eigentlich gar nichts.« »Ist mein Vater noch in der Stadt, Dixie?« »Nein, er ist auf die Ranch geritten.« Sie fuhren in die Stadt hinein und um die Kathedrale, und vor dem Haus des Padre war Terrence Dixie beim Absteigen behilflich. »Kommst du mit ins Haus, Terry?« bat sie. Er schluckte, schüttelte den Kopf und sah auf die Straße, über der die Luft vor Hitze flimmerte. »Ich will nach Hause, Dixie.« Er löste die Zügel seines Pferdes vom Wagen, stieg in den Sattel und ritt langsam an. Schon nach wenigen Yards verhielt er und zog das Pferd halb herum. Ernst blickte er Dixie an. Er sprach nicht - aber Dixie wußte, was er dachte. »Ich paß schon auf mich auf, Terry. Sei du auch vorsichtig, ja? Sehen wir uns bald wieder?« »Ich hoffe es, Dixie. Also dann, bis bald.« Sie trennten sich, und jeder dachte an den anderen. Die Jahre hatten beide reifer und vernünftiger werden lassen. Die Zeit unbeschwerter Jugendjahre war vorbei, und sie standen nun mitten in diesem Leben, das keinem etwas schenkte. Niemals könnten sie einander so wie früher gegenübertreten, so gelöst und unbeschwert, aber wenn sie eines Tages die Liebe zueinander finden sollten, würde alles vielleicht noch viel schöner sein. Und warum sollten sie sich in diesem paradiesischen Tal nicht lieben, wenn sie sich mehr als gern hatten.
Auf der Straße vor dem Office traf Terrence auf Napoleon und mußte abwägende Blicke über sich ergehen lassen, doch jäh erkannte ihn der Sheriff. »Großer Gott, bist du es, Junge?« »Ja«, antwortete Terrence und mußte grinsen, obwohl die blutigen Geschehnisse am Rio Sabrina zeitlich gar nicht weit zurücklagen, »ich bin's.« »Mann, Junge, hast du dich aber verändert! Du bist ja älter geworden! Yeah, natürlich, das liegt eben am Alter - ich meine, du bist reifer, erwachsener geworden, Terry. Oh, da wird sich aber deine Mutter freuen! Und dein Vater natürlich auch mächtig! Junge, du siehst ein bißchen schmal aus. Hast du nichts zu essen gehabt? Möchtest du für unterwegs was haben?« »Danke, Sheriff, das schaffe ich auch mit knurrendem Magen.« »Warte noch«, bat Napoleon, als Terrence anreiten wollte, »ich hab' mit dir zu reden.« »Ich auch, Sheriff, ich wollte mein Pferd nur anleinen.« Terrence ritt an die Haltestange heran, saß ab und schlang die Zügelenden um den Holm. Dann folgte er dem Sheriff ins Office. Es wurde ein sehr ernstes, nahezu bedrückendes Gespräch, und als sie sich trennten, war keiner von beiden froh. »Mach einen Umweg, Terry«, riet Napoleon. »Ich nehme an, daß die Halunken euch gefolgt sind, daß sie dich beobachten werden. Du darfst sie nicht zur Ranch locken! Und sage deinem Vater, was ich auch dir gesagt habe. Es kann sich um diese Banditen handeln, die sich grausam und blutig rächen wollen! Ich fürchte, daß wir alle schlimme Stunden durchmachen werden.« Terrence schwieg, saß auf und ritt aus Paradero. Heimweh und Sehnsucht waren so groß in ihm geworden, daß er sich durch nichts halten ließ. Reiter beobachteten ihn.
Und sie folgten ihm so lautlos wie Schatten und blieben stets in der Deckung weit abseits seiner Spur. Ein frisches Grab an den Wassern des Rio Sabrina verhieß nichts Gutes, und die Banditen ritten nicht mehr geschlossen. Drei kleine Trupps waren unterwegs. So kam es denn auch, daß sich die Ereignisse überschlugen. Noch strahlte hell und heiß die Sonne über dem Sundown Valley. *** »Ich danke dir, Liberty«, sagte Annalena McKinney ernst lächelnd und reichte ihm die Hand, »du bist länger geblieben, als du eigentlich bleiben wolltest. Komm gut zurück nach Paradero.« »Ja, Ma'am«, antwortete der Stallbursche, spürte ihre Hand und schluckte, grüßte dann Delmer McKinney, mit dem er über die Gefahren gesprochen hatte, wandte sich ab und schwang sich geschmeidig in den Sattel seines bereitstehenden Pferdes, das ihn schon Sekunden später im gestreckten Galopp vom Ranchhof und durch das Tal trug. Liberty ahnte nicht, daß er dem Verhängnis entgegenritt. Denn die Stunden blutiger Rache hatten schon begonnen. Skrupellose Banditen waren wild entschlossen, aus dem Sundown Valley ein Tal des Todes zu machen. Drei Banditen ritten näher und Liberty entgegen, der den direkten Weg zur Stadt zurück eingeschlagen hatte und dem heimkehrenden Terrence deshalb nicht begegnen würde, der einen anderen Weg genommen hatte. Gersh Russo wollte nicht länger auf seine Rache warten. Das Verlangen nach Rache war wie ein schlimmes Fieber, das in ihm wütete und sich auf die Komplizen übertragen hatte. Nun waren sie alle bösartig und haltlos geworden.
Vielleicht sollte sich Libertys Traum, einmal Sheriff zu werden, niemals erfüllen. Vielleicht sollte er heute, an diesem sonnenhellen Tag, sterben. Sie sahen ihn kommen. Und sie spähten noch einmal über die Sanddünen hinweg und hinauf aufs weite Land, wo Terrence nach Hause ritt. »Den kriegen wir immer noch«, krächzte einer der Banditen, »der reitet zur Ranch von diesem McKinney. Die muß da irgendwo liegen - so hat es Gersh von Steiner gehört. Und dieser Bursche dort unten kommt von der Ranch und will zur Stadt. Schießen wir ihn ab, Amigos!« Sie brauchten keinen Grund mehr, um auf irgend jemanden zu schießen. Sie wurden von Maxwell Steiner geduldet und brauchten nichts zu befürchten. Von nun an wollten sie das Tal in eine Hölle verwandeln! Drei Gewehre verließen die Scabbards. Drei Läufe wurden auf Liberty gerichtet. Die Waffen wurden durchgeladen und schußbereit gemacht. Der Tod wartete in den Läufen. Und Liberty ahnte nichts und sah auch nicht die drei Halunken vor sich zwischen den Felsen und Eukalyptusbäumen. Die Sonne blendete ihn, und er kniff die Augen zusammen und beugte sich im Sattel vor, spürte den heißen Reitwind im Gesicht und dachte an alles, nur nicht an einen Hinterhalt. Jäh peitschten Schüsse und zerfetzten die Stille. Eine Kugel traf. Liberty spürte den kurzen, harten und heftigen Schlag an der Schulter, und die Kugel hätte ihn vom Pferd gestoßen, hätte er sich nicht zuvor weit vorgebeugt und dabei die Stiefel fest in die Steigbügel gepreßt. Im ersten Moment verspürte er noch keine Schmerzen und keine Schwäche. Das Pferd scheute, richtete sich schrill wiehernd auf und warf sich halb herum, raste mit ihm schräg davon. Wieder krachten Schüsse, doch diesmal traf nicht eine einzige Kugel, weil der vom Pferd aufgewirbelte Staub den Reiter fast verbarg.
»Hinterher!« brüllte einer der Banditen. »Nein!« schrie ein anderer. »Der reitet weiter zur Stadt! Und dabei wird er den anderen vor die Läufe geraten! Los, weiter!« Sie spornten die Pferde an und ritten aus der Deckung hervor. Weit abseits verhielt Terrence und lauschte in die lastende Stille hinein. Längst war das verworrene Echo der Schüsse verhallt. Er atmete tief ein und ritt schnell weiter - und die nachfolgenden Banditen verloren ihn aus den Augen. Doch seine Spur wies ihnen den richtigen Weg, und während sie ihm folgten und sich dem Rio Grande näherten, quälte Liberty sich im Sattel Meile um Meile vorwärts und zitterte vor Schmerzen, die so stark waren, daß ihm die Tränen kamen. Von Gersh Russo fehlte jede Spur. Wo sich dieser Bandit aufhielt, wußten nur wenige. Er wartete auf seine Chance und bereitete die Rache in kalter Ruhe heimtückisch vor. Nach Gersh Russos Wille sollte Blut fließen... *** »Halt!« Scharf tönte die Stimme hinter dem versandeten alten Brunnen hervor, und zugleich hörte Terrence das eindeutige metallische Knacken, das ihm verriet, daß die Waffe durchgeladen worden war und auf ihn gerichtet wurde. Sein Blick schnellte umher, doch er konnte den Mann nicht sehen, der ihn zum Halten aufgefordert hatte. Vor ihm lag das heimatliche Tal mit der kleinen Ranch, und er sah die Rinder und die Cowboys auf dem satten Grün des Weidelandes. Herdrauch stieg kräuselnd über dem Dach des Wohnhauses empor in den Abendhimmel. Dort war sein wahres Zuhause. Und davon hatte er in der Fremde zu träumen begonnen. »Was willst du hier?« hörte er die Stimme.
»Zur Ranch will ich«, antwortete er, »nach Hause.« »Dann bist du - o verdammt, fast hätte ich auf dich geschossen!« Stiefel rieben durch Sand, Sporen klingelten und dann sah Terrence einen jungen Cowboy hinter dem Brunnenaufbau hervorkommen. Mit gesenktem Gewehr stand der Cowboy auf dem sandigen Platz, wo einst die Spanier ihre Pferde getränkt hatten, und blickte Terrence mit braunen Augen richtig herzlich an. »Du mußt Terry sein!« »Ja, der bin ich«, bestätigte Terrence, und Lächeln entspannte sein Gesicht. »Du bist neu hier, ich kenn dich nicht. »Ich bin Corky, der jüngste Cowboy hier...« Corky rieb sich das staubige Gesicht. »Mann, das ist eine Überraschung! Die Ma'am hat oft über dich gesprochen, und dein Vater hat sie immer trösten müssen. Aber was reden wir noch lange? Komm, ich begleite dich zum Haus.« »Du hast Wache hier, Corky?« »Ja. Dein Vater erwartet so einiges.« »Dann bleib' besser auf deinem Posten, Corky. Revolvergesindel treibt sich im Sundown Valley herum. Unterwegs hab' ich Schüsse gehört. Um diese Zeit macht niemand Jagd auf Kojoten.« »Großer Gott, Liberty ist unterwegs! Er reitet nach Paradero zurück! Vielleicht ist auf ihn geschossen worden!« Terrence bewahrte mühsam Ruhe. »Reitet Compadre Mendoza noch für meinen Vater?« »Ja, er ist Vormann.« »Dann sag es ihm, Corky.« Langsam ritt Terrence weiter und über den Talrand hinweg, ließ die tiefe Senke hinter sich zurück und näherte sich dem Haus und den Stallungen. Als er den Rand des Hofes erreicht hatte, kam gerade seine Mutter aus dem Haus.
Sie blieb jäh stehen und sah ihn an, und der Beutel mit dem Körnerfutter für das Federvieh entglitt ihrer Hand. Terrence rutschte langsam vom Pferd und ging mit flachen Schritten auf sie zu - und hinter ihm färbte sich der Himmel feuerrot. Dicht vor ihr verharrte er und bewegte wie hilflos ein wenig die Hände, als suchte er nach irgendeinem Halt. Hinter sich hörte er das Knarren der Stalltür und Schritte, die sofort wieder verstummten. Er brauchte gar nicht zurückzublicken, um zu wissen, daß es sein Vater war. Und ihm kamen die Tränen. »Mam'«, hauchte er. Annalena McKinney hob langsam die Hände an und streckte sie nach dem Sohn aus - und dann fielen sie sich aufschluchzend in die Arme. Terrence war endlich zu Hause. Wenig später verließen Compadre Mendoza und zwei Vaqueros das Ranchtal und suchten nach Liberty, doch sie fanden ihn nicht und kehrten wieder um. Drei Banditen beobachteten die Ranch. Die Sonne war untergegangen, und Wind war aufgekommen, der große Staubwolken durch das Sundown Valley trieb. Im Ranchhaus brannte die alte Fransenlampe. Sie saßen wie einst unter einem Dach - Vater, Mutter und Sohn. Doch draußen lauerte der Tod. *** Fauchender Wind trieb abgestorbene und entwurzelte Strauchballen durch die Town und warf Sand und Staub gegen die erhellten Fenster. Monoton tickte die Standuhr im Sheriff's Office und gemahnte Napoleon, den Rundgang zu beginnen. Plötzlich klopfte jemand. Mißtrauisch lauschte der dickleibige Sheriff dem Wimmern und Fauchen des Windes
und der Stille vor der Tür, und als er die Petroleumlampe löschen und den Colt ziehen wollte, wurde die Tür geöffnet. Dixie kam herein und drückte die Tür hinter sich zu. Scheu sah sie umher und suchte wohl nach Worten, denn sie atmete mehrmals tief ein, wollte beginnen und schwieg dennoch. »Was ist denn, Dixie? Du hast vor irgend etwas Angst, Mädchen - das sehe ich dir an. Wir sind allein, du kannst also ruhig reden...« »Ja«, flüsterte Dixie, »ich habe Angst, Sheriff! Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber mir ist so, als würde das Haus vom Padre beobachtet! Hat Terry Ihnen alles erzählt?« »Ich weiß alles«, bestätigte er. »Du hattest nicht auf mich hören wollen, nicht wahr? Aber darüber jetzt noch zu sprechen, ist sinnlos und überflüssig. Was kann ich denn für dich tun, Dixie? Du siehst, ich bin allein, und wenn es hier richtig losgehen sollte, dann werde ich noch mehr als allein sein. Hier wird niemand einen Finger für mich krümmen. Das ist nun einmal so, damit habe ich mich längst abgefunden. Es wäre besser, du würdest schnellstens nach Hause gehen, Dixie. Hier braut sich was zusammen! Bleib' zu Hause, Mädchen, sonst gerätst du noch in ein Bleigewitter hinein!« Dixie wußte wohl selber nicht, warum sie den Sheriff aufgesucht hatte. Der Padre könnte sie nicht vor Gefahren bewahren. Vielleicht blieb ihr nur noch das Verkriechen. »Ja, Sie haben wohl recht, Sheriff«, sagte sie leise und hoffnungslos, »dann will ich mal gehen und -« Sie verstummte und blickte ihn mit geweiteten Augen voller Angst an. Draußen vor dem Office stampften Hufe! Sattelleder rieb knarrend, Sporenräder klirrten, eine sonore Stimme war zu hören, dann schwere Schritte. Stiefel rutschten über die Planken des Gehsteiges. Unwillkürlich wich Dixie zurück und hinter den Sheriff, der den Colt gezogen hatte.
Sie kamen nicht zum Überlegen, denn schon wurde die Tür aufgedrückt - und ein Fremder zog den jungen Stallburschen Liberty herein, trat die Tür zu und schleppte den Boy in eine der leeren Zellen, wo er ihn vorsichtig auf eine Pritsche legte. »Ich habe ihn unterwegs gefunden, Sheriff. Er braucht sofort einen Arzt. Holen Sie ihn. Inzwischen kümmere ich mich um den Jungen.« »Wer sind Sie? Was -« »Später, nicht jetzt. Machen Sie schnell, Sheriff, sonst blutet der Junge noch ganz aus.« Da hastete Napoleon aus dem Office und über die halbdunkle Straße davon. Blicke folgten ihm... Wie ihres Willens beraubt, stand das Mädchen Dixie im Office und sah, wie der große schlanke Fremde aus der Zelle hervorkam. »Ich brauche Verbände - wo ist das Zeug?« herrschte er Dixie an. »Tu was, Amiga mia! Steh hier nicht rum!« »Ich - ich -« »Schon gut, dann sieh zu, wie er verblutet! Macht ja auch Spaß, so zuzusehen, wie? Wo lebst du eigentlich? Im Westen!« Er winkte ab, doch sicherlich hatte er es gar nicht so grob gemeint. Vielleicht war das seine Art. Jedenfalls beeindruckte seine Erscheinung das Mädchen zutiefst, und es fühlte sich wie in einen Bann gezogen. Dixie konnte den geheimnisvollen Fremden nicht aus den Augen lassen, sie mußte ununterbrochen hinstarren. Er war wieder in die Zelle zurückgegangen und beugte sich über den stöhnenden Stallburschen. Draußen rüttelte der heftige Wind an den Fensterläden und brachte die Hängeschilder vor den Geschäften zum Schwingen. Reglos stand ein alt aussehendes Sattelpferd vor dem Office, während Libertys Stallpferd am Zügel zerrte. Das Pferd des Fremden mußte sich an Unwetter gewöhnt haben, an Hitze und Kälte, Stille und Sturm.
Endlich kamen Napoleon und der Arzt herein, und der Doc kümmerte sich sofort um Liberty. Der Fremde blickte den Sheriff mit rauchgrauen Augen ernst an. »Er hat was von McKinneys Rancho gesagt. Was ist los damit?« »Delmer McKinney, seine Frau und nun auch sein Sohn sind in Lebensgefahr, Mister! Banditen trachten McKinney nach dem Leben! Wir haben ein Telegramm erhalten und -« »Aah, ich weiß.« Der Fremde winkte wieder einmal ab, kurz und knapp, als wäre ihm jedes Wort zuviel sehr lästig. »Delmer McKinney - ja, stimmt. Also ist Gersh Russo mit seinen Schießern schon hier. Ich habe seinen Bruder Henry in Llano umlegen müssen. Wahrscheinlich weiß Gersh Russo noch nichts davon. Ich mach mich auf den Weg zur Ranch. Zuvor brauche ich Munition. Ist der Store noch wie früher an der Straßenecke? Ja? Well, dann will ich mal.« Hart klirrten die Radsporen an den staubigen Stiefeln des Fremden, als er aus dem Office ging. »Geh du auch, Dixie«, bat der Sheriff, »hier kannst du nichts tun.« Grübelnd starrte er auf die Tür, die sich nun auch hinter dem Mädchen schloß. Ihm war so, als hätte er diesen Fremden irgendwann schon einmal gesehen, aber er kam nicht darauf. Dixie sah, wie der Fremde mit seinem Pferd am Zügel die Straße hinaufging, und Angst trieb sie davon. Sie lief über den Plankensteg und hastete durch die Staubwolken, die der Wind ihr entgegentrieb. Urplötzlich wurde sie gepackt, am Arm festgehalten und dann in eine dunkle Nische gerissen. Bevor sie aufschreien konnte, preßte jemand seine Hand auf ihren Mund. »Wenn du schreist, bist du Sekunden später tot!« fauchte es drohend. »Reiß dich zusammen, maldito sea! Was ist da los im Office, he? Antworte, aber versuch nicht zu schreien!«
Nur verschwommen konnte sie das sonnengebräunte Gesicht erkennen. Der Mann, der vor ihr stand, war der Mexikaner, den sie mit den anderen am Rio Sabrina gesehen hatte. Manuelito! Und Dixie sprach zitternd und stockend, denn furchtbar groß war ihre Angst. Sie sagte mehr, als die Halunken hören wollten. Sie sprach vor sich hin, ohne nachzudenken. »Was sollen wir mit ihr machen, Manuelito?« Dixie hörte diese Frage und verstummte, versteifte sich und stöhnte. »Nichts«, entschied der Mexikaner, »laß sie laufen, sie kann uns nicht gefährlich werden. Wenn sie versuchen sollte, diese Stadt zu wecken, dann wird sie sterben. Verschwinde, Muchacha!« Sie ließen Dixie laufen, doch nicht aus Mitleid oder Erbarmen. Sie konnten mit ihr im Moment nichts anfangen, und sie würde ihnen nur hinderlich sein und im Wege stehen. So flüchtete Dixie ins Haus des Padre und brach dort fast zusammen. »Los, nehmen wir uns diesen fetten Sheriff vor!« zischte Manuelito und grinste teuflisch verzerrt. »Machen wir hier die Hölle!« »Hast du gehört, was das Mädchen gesagt hat? Dieser Fremde hat Henry erschossen!« »Ich bin ja nicht taub, du Narr! Den nehmen wir uns auch noch vor. Aber erst den Sheriff. Adelante, Amigos!« Und sie bewegten sich geduckt und mit gezogenen Colts aus der dunklen Nische hervor und auf den Gehsteig hinaus. Der Pulsschlag des Lebens wurde zum Paukenschlag des Todes, und die Zeit ließ sich nicht mehr in Stunden aufteilen: Es ging um Minuten und Sekunden! Es war ein Wettlauf mit der Zeit und mit dem Tod. Noch beherrschte der Wind mit seinen wilden Böen die Straße von
Paradero, noch tranken Männer gemütlich Bier oder Whisky in Dodsons Saloon, noch saßen die Einwohner am Abendbrottisch - noch war es still in der Town... Der Fremde war in den Store gegangen, und sein Pferd stand mit schleifendem Zügel davor. Im Office verarztete im trüben Schein der Lampe der Doc den jungen Stallburschen, so gut es eben ging, und Napoleon machte sich Sorgen um das Leben des Jungen, den er zur Ranch hinausgeschickt gehabt hatte. »Wie steht's, Doc?« »Er ist jung und kräftig, er wird durchkommen. Du solltest dich ausruhen. Wer weiß, was nicht alles noch geschehen wird! Mit der Ruhe im Sundown Valley scheint es jedenfalls vorbei zu sein, fürchte ich. Also dann, ich gehe jetzt. Morgen komme ich vorbei, dann bringen wir den Jungen ins Haus des Stallbesitzers. Jetzt jedenfalls ist er nicht transportfähig, das wäre zu riskant. Gute Nacht.« »Ich komm noch mit vor die Tür...« Zwei Türen wurden fast auf die Sekunde genau geöffnet. Die eine Tür war die vom Sheriff's Office, die andere die vom Store. Aus beiden Türen fiel Lichtschein auf den Gehsteig und hinein in die treibenden Staubschwaden. »Bis morgen also«, murmelte der Doc und ging. Napoleon sah ihm nach, atmete schwer ein und schüttelte den Kopf, wollte ins Office zurück, hörte irgendwo Metall klirren und blieb stehen, blickte suchend umher. Vom Staub eingehüllt, erschienen vor ihm auf der Straße schemenhaft verschwommen mehrere Männer, und einer davon trug einen Sombrero. Geisterhaftes Auflachen tönte verzerrt herüber, und noch immer klirrten die Sporen an den Stiefeln und bewegten sich die Männer näher. Es war zu dunkel, um erkennen zu können, ob sie Waffen in den Händen hielten, doch Napoleon rechnete damit und langte nach dem Colt, weil er um sein Leben bangen mußte.
Als er den Colt halb aus der Halfter gezogen hatte, vernahm er abermals dieses Auflachen, das so teuflisch triumphierend klang - und dann sah er sekundenlang und fast schon erlöschend die Mündungsfeuer mehrerer Colts. Den Knall hörte er schon nicht mehr. Blei fuhr ihm in den Leib, trieb ihn über die Planken und stieß ihn gegen die Officetür. Polternd stürzte er hinein und entging den anderen Schüssen, die ihm noch nachgefeuert wurden. Staub und Pulverrauch vermischten sich. Quietschend schwang die Tür hin und her. Zeit seines Lebens sollte der gutmütige Napoleon diese Sekunden nicht vergessen. Es waren wirklich nur ganz wenige Sekunden, aber sie machten ihn zu einem alten Mann. Schwerverwundet blieb er auf den Brettern im Office liegen. Die gnadenlosen Revolverschwinger wandten sich vom Office ab und dem Store zu. Dort stand nur das Sattelpferd des Fremden - der große Unbekannte selber war nirgendwo zu sehen... »Los, suchen wir nach ihm!« fauchte Manuelito. »Legt ihn um, macht ihn kalt, Hombres!« Sie waren völlig enthemmt und verroht. Sie handelten nicht in Notwehr, sie töteten willkürlich und auch absichtlich - und das war Mord! Und dabei glaubten sie auch noch, daß sie dem Gesetz und dem Recht entrinnen könnten. Da sahen sie den Fremden - nur sekundenlang erschien er ihnen wie ein Spuk im wirbelnden Staub dieser frühen Nacht. Sie schossen, aber er war schon wieder verschwunden. Sie rannten weiter voller Wut und Mordgier - und rannten in das Gewehrfeuer seiner Winchester hinein. Mehrmals flammte es orangefarben auf, und der Knall der unheimlich schnell abgegebenen Schüsse verdichtete sich zu einem einzigen Schlag wie bei einer Explosion. Es gab kein Entrinnen, keinen Ausweg, keine Chance. Jäh lagen sie im treibenden Staub auf der nächtlichen Straße, und während das Echo der Schüsse über die Dächer der Häuser hinwegstieß und in tintig-dunkler
Nacht zerflatternd erstarb, begannen sich Radsporen an den Stiefeln des Fremden klirrend zu drehen, bewegte der Fremde sich auf die Straße hinaus und blieb zwischen den Halunken stehen. »Zum Teufel!« Mehr an Worten hatte er nicht für sie übrig - und warum auch! Sie hätten ihn in Stücke geschossen. Er war ihnen zuvorgekommen. Sie waren an den Stärkeren geraten, an den besseren Mann und es gab nichts, was ihn dazu bewegen könnte, sich auch nur einen einzigen Vorwurf zu machen. Mit einem Ruck wandte er sich ab und kehrte den toten Halunken den Rücken. Im Office kniete er neben dem Sheriff nieder, und gleich darauf kam der Arzt erneut ins Office und mußte wieder einmal seine Tasche aufklappen. »Haben Sie im Store Munition bekommen, Fremder?« »Yeah.« »Das hab' ich schon gemerkt.« Daraufhin schwieg der Fremde, richtete sich auf und ging hinaus, schritt zu seinem Pferd, stieg in den Sattel und jagte aus Paradero hinaus in die Nacht. *** »Wer hat denn Wache heute nacht, Compadre Mendoza?« »Corky, Señor McKinney.« »Schon wieder? Das gefällt mir nicht. Der Junge muß sich doch auch einmal ausruhen, der kann doch nicht ewig auf den Beinen sein.« »Er wollte es, Señor - es war sein Wunsch.« »Gut - dann aber nur die ersten zwei Stunden. Ich bin im Haus.«
Delmer McKinney zog sein Pferd herum und ritt langsam auf das Licht zu. Dieses anheimelnd gelbe Licht ließ McKinney einen Moment lang träumen. Wie schön wäre es, Frieden hier und anderswo im Tal zu haben, frei und unbeschwert leben zu können, sich erfreuen zu dürfen an der Schönheit der Natur, an allen Dingen, die das Leben so lebenswert machten. Aber da war die Gefahr ringsum, diese bösartige und lauernde Gefahr, die von Menschen ausging. Wie oft hatte er diesen Lichtschein gesehen und daran gedacht, den Sohn wieder zu Hause zu haben - und nun war es so: Terry war heimgekommen, er saß bei seiner Mutter am Tisch, und beide warteten auf ihn. Der Himmel spannte sich tief und dunkelblau über dem Tal, und manchmal vernahm Delmer McKinney den Ruf eines Cowboys, das Murren der Rinder und den Hufschlag eines Sattelpferdes. Alles schien in tiefem Frieden unter diesem Nachthimmel zu liegen. Doch Delmer McKinney konnte sich des bedrückenden Gefühls nicht erwehren, daß die Gefahr in unmittelbarer Nähe war. Nichts davon war zu sehen und zu hören, und als er neben dem Stall absaß, hörte er das Federvieh im Stall rascheln und gurren. In der Unterkunft der Männer flackerte ein Talglicht und warf seinen Schein auf die einfachen Schlaflager. Nach und nach kamen jetzt die Männer vom Weideland zurück und auf die Ranch. Einer nahm McKinneys Pferd am Zügel und brachte es in den Stall. Ganz langsam schritt McKinney zum Haus hinüber - und vor der Tür blieb er auf einmal stehen und spürte die Gefahr auf einmal viel heftiger als je zuvor. Obwohl Mendoza dem Stalljungen Liberty nachgeritten war und nichts hatte feststellen können, wurde Delmer McKinney sich darüber klar, daß er, seine Familie, die Männer und die ganze Ranch in Gefahr waren. Auch ihn könnte eine Kugel, aus
dem Hinterhalt abgefeuert, töten. Seine Gegner schreckten vor nichts zurück. Was aber sollte er tun, wenn der Gegner so heimtückisch war! Er konnte sich nicht auf einen Kampf vorbereiten, er mußte abwarten und konnte erst dann handeln vielleicht erst dann, wenn es schon zu spät war. Drei Halunken waren in der Nähe und witterten wie Wölfe herüber, und zwischen den Bäumen und Felsen auf der anderen Talseite zügelten Gersh Russo und seine Komplizen die Pferde - aber das konnte er nicht wissen. Einer seiner Cowboys schwebte in großer Gefahr... Corky! Der junge Cowboy hatte sich einfach zuviel zugemutet; die Müdigkeit zerrte in den Schultern und füllte den Körper wie mit Blei. Immer wieder fielen ihm die Augen zu. Es nützte ihm auch nicht viel, nach Cowboy-Sitte zerriebenen Tabak in die Augen zu wischen, um durch das Brennen der schmerzenden Augen wachzubleiben. Heftig zuckte er zusammen, als ihm das Gewehr aus den Händen rutschte und klirrend auf den Felsboden schlug. Das Geräusch verriet seinen Platz. Bewaffnete Männer gaben sich Zeichen, ließen die Pferde zurück und schlichen suchend weiter. Noch immer stand Delmer McKinney vor der Tür seines Ranchhauses - und er wußte selber nicht, warum er hier ausharrte und nicht hineinging zu Frau und Sohn. Vielleicht war es eine dumpfe Ahnung, die ihn über den Hof zurückgehen ließ. Vor der Unterkunft traf er auf Mendoza, auf diesen treuen, verwegenen und loyalen Mexikaner, dem er nahezu blindlings vertrauen konnte. »Du, das alles gefällt mir heute nacht nicht«, murmelte er. »Schick zwei Jungs ins Tal hinaus und zu Corky.« Wieder blickte er umher und hob wie fröstelnd die Schultern an. »Es ist fast so wie damals, Compadre, damals in Texas, als die Apachen uns umstellt hatten... Alles war so still gewesen, so
ruhig - viel zu ruhig. Da hatten wir auch keine Nachtvögel gehört, keine Kojoten. Nur die Stille war dagewesen. Stille, die schlimmer war als der größte Schlachtlärm. Damals haben wir alle uns nach dem Battle Cry gesehnt, nach dem Schlachtruf, und als er kam, war es wie eine Erlösung... Yeah, such' dir zwei Jungs heraus, die noch einigermaßen munter sind, aber nehme nicht die jüngsten.« »Ich finde Freiwillige genug«, antwortete Compadre Mendoza mit ernstem Lächeln, »da brauche ich nicht zu suchen, Señor.« »Bueno. Also, ich geh jetzt ins Haus.« McKinney nickte ihm zu, wandte sich ab und stapfte zum Haus hinüber, trat ein und schloß dann die Tür. Corky wachte weiter, doch die Stille ließ ihn an viele Dinge denken. Und er sagte sich, daß er niemals dieses Tal verlassen hätte, wenn er Terrence wäre. So ein schönes Zuhause mit soviel Wärme und Geborgenheit war sein größter Wunsch, aber er war mit seinem jetzigen Leben auch schon voll zufrieden. Wenn nur nicht diese Müdigkeit wäre... Irgendwo rollte ein kleiner Stein den Hang abwärts und zwischen die zundertrockenen Sträucher. Der Wind aus dem Süden nahm zu und wimmerte durch das Tal. Blaue Funken schienen über den Longhorn-Rindern zu tanzen. Vielleicht würde es bald schon ein Unwetter geben. Die Luft schien unter Spannung zu sein, wie elektrisch geladen... Corky war hellwach geworden. Von allein hatte sich dieser Stein bestimmt nicht gelöst, und auch der Wind hatte dies nicht bewirken können! Auch würde ein heranschleichender Wolf keinen Stein mit seinen Pfoten lösen, schon gar nicht ein Puma. Und die Schlangen hatten sich längst wieder in die Felsspalten geschlängelt. Angespannt blickte er umher, konnte aber nichts Verdächtiges entdecken. Alles war so wie zuvor, und nirgendwo bewegte sich ein Mensch näher und auf ihn zu.
Chiricahua- Apachen waren bestimmt nicht im Sundown Valley. Nach Berichten aus militärisch unterrichteten Kreisen verhielten sich die Indianer in ihren Reservaten und auf ihren bewaldeten grünen Bergen des Chiricahua-Paradieses ruhig und friedlich. Sollten Banditen nahe sein? Seine Hände krampften sich ums Gewehr. Unruhig sah er umher und hielt den Atem an. Noch saß er und machte den Fehler, die Gefahr nicht am Boden zu suchen. So übersah er den flach über den Boden hinwegkriechenden Gegner, der sich ihm schräg von hinten näherte. Und dieser Mann hatte das Gewehr zurückgelassen, sogar die Colts, deren Kolben nur über den Boden schrammen und schaben würden. Die einzige Mordwaffe, die der Bandit bei sich hatte, war ein Bowiemesser... Immerhin gehörte schon eine ganze Portion Niederträchtigkeit dazu, einen Menschen mit einem Messer von hinten töten zu wollen. Gersh Russo hatte den richtigen Halunken dazu auserwählt, einen Menschen, der kein einziges gutes Gefühl aufzubringen vermochte. Corky ahnte nicht, wie furchtbar nahe der Tod ihm war! Unten auf dem Hof der Ranch stiegen zwei Cowboys in die Sättel und ritten langsam an, und Compadre Mendoza suchte die Unterkunft auf. Aber diese beiden Männer könnten Corky doch nicht mehr retten - sie würden in jedem Falle zu spät kommen. Das Messer in der Faust des Halunken war eine heimtückische lautlose Waffe. Genau innerhalb der Blutrinne reflektierte bleiches Sternenlicht, doch nur für zwei, drei Sekunden. Sie wollten den blutjungen Cowboy Corky doch tatsächlich umbringen, nur um lautlos an die Ranchgebäude herankommen zu können!
Womit sie aber nicht gerechnet hatten, waren die beiden Cowboys, die langsam und suchend nähergeritten kamen. Fauchend fuhr ein Windstoß über den Talrand hinweg und brachte die Sträucher und Bäume zum Rascheln. Ganz feiner Staub trieb über Anhöhen und verflüchtigte sich im Windschatten. Die näherkommenden Cowboys zwangen den Halunken zur Eile, und um schneller an Corky heranzukommen, schob er sich nicht mehr auf dem Bauch vorwärts, sondern bewegte sich auf allen vieren, kriechend wie eine Hyäne. Corky ließ das Gewehr nicht los, und der Finger lag am Abzug. Das aber konnte sein Todfeind nicht sehen. Nur noch Sekunden... »He, Corky«, hallte die rufende Stimme herüber, »wo steckst du?« Der Boy wollte antworten, doch da stieß der Bandit zu - und Corky bäumte sich im Sitzen auf und riß zugleich den Abzug durch. Krachend entlud sich das Gewehr, und das Blei bohrte sich klatschend in eine Sandwehe hinein. Schlaff rutschte Corky zur Seite hin weg und rollte ein paar Yards abwärts. Der Schuß alarmierte alle Mann auf der Ranch. Delmer McKinney war am Tisch hochgeschnellt, starrte auf die Tür und keuchte: »Corky! Großer Gott, nur ein Schuß! Das war kein Alarmsignal! Drei waren vereinbart, drei! Ich muß raus und -« Er sprach nicht weiter, hastete durch den Raum und stürzte hinaus. Hart traf es ihn. Er hatte das Gefühl, als hätte ihn eine unsichtbare riesengroße Faust an der Brust getroffen. Der Schlag war so heftig und wuchtig, daß er zurückgestoßen wurde. Taumelnd stürzte er rücklings ins Haus hinein und gegen Terrence, der ihm gefolgt war. Beide stürzten zu Boden und entgingen dadurch um Haaresbreite den Schüssen, die durch die offenstehende Tür ins Innere des Hauses gejagt wurden.
»Daddy!« schrie Terrence, und Annalena McKinney konnte keinen Laut hervorbringen, ihr Hals war wie zugeschnürt, das Entsetzen lähmte sie einen Moment lang völlig. Erst, als Terrence hinausrannte, schrie sie ihm nach: »Komm zurück, Terry! Sie bringen dich um, Terry! Komm sofort zurück, du darfst nicht wegreiten und -« Er hörte nicht auf ihre flehenden Worte, auf ihre Warnung er hetzte über den Hof und zum Pferdestall, aus dem Mendoza und noch ein Cowboy hervorgeritten kamen. Irgendwo abseits der Ranch flammte es mehrmals auf, und Blei fuhr jaulend über den Hof. Im Tal dröhnten auch Schüsse. Schon war Terrence im Stall, zerrte das ungesattelte Pferd ins Freie und warf sich auf den bloßen Pferderücken, trieb das Tier an und ritt davon. Wieder peitschten Schüsse durch die Nacht. Wer auf wen schoß, war nicht festzustellen. Die Geschehnisse überschlugen sich. Ein reiterloses Pferd rannte vor Terrence vorbei und verschwand. Nur durch Zufall entdeckte Terrence schließlich Corky zwischen den Sträuchern, und während er sich vom Pferd warf und zu Corky emporhastete, entfernte sich irgendwo trommelnder Hufschlag in der Nacht. Wie tot lag Corky vor ihm - aber Corky lebte! Dann kam ein Cowboy Terrence zur Hilfe, und gemeinsam brachten sie den Bewußtlosen zur Ranch. Hier auf der Ranch scharte Compadre Mendoza die Männer um sich. »Nein, du bleibst hier, Terrence!« rief er mit einer Stimme, die wütend klang. »Beschütze deine Mutter! Wir suchen nach den Bandoleros!« Und schon preschten sie vom Hof, und der heftige Wind fegte die Staubwolken davon. Mühsam trugen Terry und der Cowboy den jungen Corky ins Haus und betteten ihn auf Terrys Schlaflager. Dann wandte Terrence sich sofort seinen Eltern zu.
Annalena McKinney kauerte kniend neben ihrem Mann, der schwer atmend am Boden lag. Tränen rannen über ihr Gesicht, und mit zitternden Händen hielt sie die Hände ihres Mannes umfaßt. Langsam hob sie den Blick an und sah wie gequält auf ihren Sohn. Terrence konnte kein Wort hervorbringen. Schweigend kniete auch er nieder und starrte auf den Vater. Die Hemdbrust war blutdurchtränkt, und um das Einschußloch schwoll es stark an. Die Kugel mußte aus einiger Entfernung abgefeuert worden sein, denn dem Schuß hatte schon die Durchschlagskraft gefehlt - die Kugel steckte im Körper. Und wäre der hinterlistige Mordschütze nicht durch irgend etwas abgelenkt worden, dann hätte er den Rancher, ehemaligen Texas Ranger und Sheriff, tödlich getroffen. Vermutlich war Gersh Russo der Gewehrschütze gewesen, und vielleicht hatte ihn der abgrundtiefe unselige Haß auch zittern lassen. »Mam'«, flüsterte Terry nach langem Schweigen, »Dad muß auf ein Bett, er darf hier nicht liegenbleiben. Ich reite nach Paradero und hole den Arzt.« »Bitte, bleibe hier, Terry. Joe kann losreiten. Joe, hörst du?« »Ja, Ma'am«, antwortete der Cowboy, der Terrence behilflich gewesen war, »ich hau sofort ab.« »Du kannst den Buggy nehmen, Joe.« »Nein, Ma'am - auf dem Pferd bin ich schneller in Paradero. Ich werde mich höllisch beeilen.« Nach diesen Worten lief er hinaus und ritt gleich darauf von der Ranch. Hart peitschte er das Pferd vorwärts und schonte es nicht. Im Galopp trug das Pferd ihn aus dem Tal und auf die Talebene hinaus. Fauchend kam der Wind ihm entgegen. Tief beugte er sich nach vorn und berührte mit dem Kinn fast den Pferdehals. Er war vielleicht eine halbe Meile geritten, als er weit vor sich einen Reiter entdeckte. Fluchend zerrte er das Gewehr aus
dem Scabbard, lud durch und ritt auf den Mann zu, wild entschlossen, sich den Weg nach Paradero notfalls freizuschießen. Der Mann, der ihm entgegenkam, ritt im zügigen Galopp. Das Pferd lief wie ein Uhrwerk, gleichmäßig und ausdauernd, ohne auch nur eine Spur von Erschöpfung zu zeigen. Niemals würde man diesem häßlichen Pferd eine solche Leistung zutrauen, niemals in ihm einen Dauerrenner und Langstreckengaloppierer vermuten. Aber das war bei den Tieren genauso wie bei den Menschen - das Aussehen war nicht entscheidend, es verriet nicht viel über Leistung und Stärke, Wille und Durchhaltevermögen. Und die Reiter kamen einander immer näher. Joe hatte zuerst geglaubt, einen der Banditen entdeckt zu haben, doch der Reiter versuchte nicht, ihm auszuweichen. Auch zog er nicht die Winchester aus dem Gewehrschuh hervor. Demnach konnte es keiner der Halunken sein. Mitten auf der windigen Ebene trafen sie aufeinander, und Joe blickte in ein wettergebräuntes, rauhes und zerfurchtes Gesicht, das im Mondschein einer verwüsteten Landschaft ähnelte. Doch die rauchgrauen Augen des Fremden verrieten unerhört große Wachsamkeit und Menschenkenntnis, Lebenswille und Entschlossenheit. Dieser Fremde war nicht ein verbrauchter Mann, das war ein Kämpfer, zernarbt und pulverversengt. »Ich will zu McKinney«, sagte der Fremde mit dunkler und durchdringender Reibeisenstimme. »Wo ist er?« »Alla en el Rancho Grande«, antwortete Joe auf mexikanisch, weil es hier die Umgangssprache war und weil McKinneys Cowboys meistens Mexikaner, also Vaqueros, waren. »Was? Dort im Rancho Grande?« murmelte der große Fremde düster. »Warum ist er nicht im Sattel? Bandeloros trachten ihm nach dem Leben.«
»Sie sind schon dagewesen. Den Boß hat es erwischt, er liegt schwerverwundet im Ranchhaus. Ich will den Arzt holen. Wer sind Sie, Mister?« Doch er bekam keine Antwort - der Fremde ritt schon weiter und tauchte in den Schatten einer mit ihm davonziehenden Wolke hinein. Compadre Mendoza und die anderen waren nirgendwo zu sehen. Vielleicht hatten sie Spuren entdeckt, denen sie folgten und die sie womöglich zum Rio Sabrina führten. Wo die Banditen geblieben waren, war nur zu erahnen, denn der ständig zunehmende Wind warf Flugsand auf alle Spuren und löschte die Eindrücke aus. Joe ritt jedenfalls weiter nach Paradero, um Leben zu retten. Einsam zog der Fremde seines Weges durch die Nacht von Arizona. *** »Mutter, bitte - nicht weinen«, bat Terrence mit flackernder weicher Stimme, und sie klang wie einst, als er noch ein Junge war und Schutz bei ihr gesucht hatte. »Dadurch wird es doch nicht besser, Mam'.« Sie nahm die Hände vom tränennassen blassen Gesicht und versuchte, sich zu beherrschen, doch das war nicht einfach und auch nicht sinnvoll. Verzweifelnd schüttelte sie den Kopf. »O mein Junge, ich habe euch doch so lieb - und ich weiß nicht, was sein wird, wenn Vater - wenn er -« Sie sprach nicht weiter, atmete stockend und blickte wieder auf das eingefallene graue Gesicht des bewußtlosen Schwerverwundeten, der auf seinem Bett im Schlafzimmer ruhte und nicht mehr zu atmen schien. »Dad wird es schaffen, Mam', ganz bestimmt, glaub' mir«, versicherte Terrence, obwohl er selber gar nicht so sehr davon überzeugt war. »Er wird doch nicht an so einer Kugel sterben,
Mutter! Nein, Dad nicht. Ich bin doch nicht zurückgekommen, um Daddy ein Grab zu schaufeln! Bei Gott, er wird leben, und alles wird wieder gut werden, Mutter. Ich - ich muß jetzt mal zu Corky und nach ihm sehen, Mam'. Er braucht uns, und auch er darf nicht -« Terrence verstummte und lauschte, während seine Mutter unverwandt auf den Schwerverwundeten sah und den dumpfen Hufschlag draußen vor dem Haus wohl gar nicht gehört hatte. »Mam', da ist jemand!« Sie schreckte auf. »Wer kann das sein, Terry?« Terrence antwortete nicht, nahm den geladenen schweren Colt und richtete sich neben dem Bett auf, glitt aus dem Schlafraum und wollte ans Fenster, um hinaussehen zu können - da wurde die Tür geöffnet. Staub wallte herein. Das Licht flackerte heftig. Wind röhrte über den nächtlichen Hof. Drüben schlug hart klappernd ein Stalltor. Dumpf grollte ein Unwetter in südlicher Ferne. Der Fremde stand vor Terrence! Terrence erkannte ihn sofort wieder. Diesem Manne war er in der kleinen Banditenstadt Llano begegnet - und nun stand dieser große Fremde mit seiner Winchester in der Tür. Nicht der Wind und nicht das ferne Grollen ließen Terrence zuammenfahren und erstarren - es war der Anblick dieses Mannes, den der Atem der Wildnis umwehte, in dessen derber einfacher Kleidung sich der Rauch vieler Lagerfeuer und der Qualm von verbranntem Pulver eingenistet hatte. Und Terrence spürte zugleich diesen großen und gewaltigen Strom der Ruhe und Selbstsicherheit, der von dem Fremden ausging. Dieser Fremde verkörperte einen Glauben - jenen Glauben an das Unbesiegbare und Gute. Und er erweckte Vertrauen, Hoffnungen und Zuversicht. Es war nicht zu erklären und nicht zu beschreiben. Dieser Mann brauchte nichts zu sagen, um verstanden zu werden. Und als er nun Terrence mit rauchgrauen Augen anblickte, nickte dieser
nur und wich ein wenig zurück, und der Fremde schritt mit klingelnden Radsporen an ihm vorbei, ohne auch nur im geringsten erstaunt darüber zu sein, ihn hier auf der Ranch wiederzusehen. Wie groß und unerschütterlich mußte die Beherrschung dieses Mannes sein! Und Annalena McKinney hörte das Klingeln der Sporen und die festen Schritte, sie blickte auf - und sie sah ihn dort an der Tür stehen. »Wer - wer sind Sie?« hauchte sie. »Was wollen - Sie hier?« »Sie kennen mich, Ma'am«, hörte sie seine dunkle Stimme, »von einer Zeit her, als der Junge noch klein war - von damals, Ma'am. Erinnern Sie sich jetzt?« »O mein Gott!« Das war alles, was Annalena McKinney in diesem Moment sagte und sagen konnte, und ihre Worte waren auch nur ein Hauch von Antwort gewesen. In einer einzigen Sekunde des Erkennens und Begreifens schmolzen all die Jahre zusammen zu einem einzigen Augenblick, erfüllt von Erinnerungen und Wiedersehensfreude. Mit einer Geste der Ratlosigkeit deutete sie hilflos auf den Bewußtlosen und flüsterte: »Mein Mann - Delmer - sie haben ihn zusammengeschossen...« »Es ist eine alte Geschichte, Ma'am«, sprach er ernst und beugte sich zu Delmer McKinney hinab, »sie begann damals in Texas, als Ihr Mann und sein Bruder als Ranger ritten und einen Mörder stellen mußten - den alten Russo. Seine Söhne wollen sich rächen. Henry Russo hat Delmers Bruder Joshua getötet - dafür habe ich Henry Russo in die Hölle geschickt. Jetzt versucht Gersh Russo, Ihren Mann umzubringen - und mit ihm auch Sie! Und wenn er erfährt, daß Ihr Sohn hier ist, wird er versuchen, auch ihn zu töten. Nein, Ma'am, machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde nach Gersh Russo suchen und ihn stellen! Und ich werde ihn finden, das ist sicher.« »Aber Sie riskieren Ihr Leben!«
Er lächelte ausdruckslos. »Ich habe mich längst daran gewöhnt, Ma'am. Erinnern Sie sich noch Ihrer Worte von damals? Da haben Sie so was auch gesagt - und ich lebe noch immer.« »Ja«, flüsterte sie, »ich erinnere mich. Sie hatten gesagt, daß Sie mit dem Tode als ewigen Begleiter leben müßten. Das habe ich nicht vergessen.« »Der Doc kann frühestens morgen in der Mittagszeit hier eintreffen. Ich werde mir die Wunde ansehen und tun, was ich tun kann. Machen Sie jetzt alles, was ich Ihnen sage, immer schön der Reihe nach und ganz ruhig, Ma'am. Die Kugel muß raus, das ist am wichtigsten.« »Und wenn diese Banditen zurückkommen und -« »Sie kommen nicht, Ma'am - nicht in dieser Nacht und nicht morgen. Ich weiß, wo sie während des Unwetters unterkriechen werden. Auch zweibeinige Hunde und Wölfe mögen keinen Regen...« Als er Terrence anblickte, nickte der junge Mann. »Ja, ich geh raus und halte Wache.« »Bring mein Pferd in den Stall, Terry.« Der Fremde lächelte. »Wir hätten auch zusammen herreiten können, nicht wahr?« »Ich - ich weiß noch immer nicht, wie - wie Sie heißen.« »Namen, mein Junge, sind wie Schall und Rauch - sie haben keinen Wert, denke ich, denn sie sind austauschbar. Und nun geh.« Als Terrence das Haus verlassen hatte, sah Annalena den Mann fragend an. »Soll der Junge es nicht erfahren?« »Warum, Ma'am? Womöglich will er dann so werden wie ich. Nein, das hat Zeit. Später einmal - dann, wenn ich weggeritten bin, Ma'am. Ich will hier im Sundown Valley ein Fremder bleiben.«
Draußen orgelte der Wind und wurde immer wilder und heftiger. Bald würde Sturm durch das Sundown Valley toben. Erst nach Stunden kamen Mendoza und die anderen zurück, und ihr Schweigen besagte genug. Gegen Morgen wurde es dann ganz windstill. Das war kein gutes Zeichen. Und die schwarze Wolkenbank türmte sich am Horizont in den Himmel empor. Der Fremde kam aus dem Haus und ging zu Terrence, der fröstelnd und übernächtigt im Korral stand. »Ich habe das Hundehalsband an der Wand hängen sehen«, sagte er. »Ist der Hund tot?« »Schon lange«, antwortete Terrence müde, »er war ein Deutscher Schäferhund, nicht überzüchtet, treu und sanft. Wölfe haben ihn gerissen. Aber woher wissen Sie das?« Hinterm Stall im Auslauf liefen die Hühner umher, und der Mann zeigte lächelnd auf sie und meinte: »Früher waren es braune Hühner, aber vielleicht haben sie zu lange in der Sonne herumgestanden...« »Ja, früher hatten wir braune Hühner, das stimmt, ich erinnere mich daran! Sie müssen schon einmal hiergewesen sein, Mister! Sie wissen so gut Bescheid... Ich war damals noch ein ziemlich kleiner Junge, da war ein Mann hier, er hat mir mir gespielt, ich hab' sogar auf seinen Knien gesessen, und er hat mir Geschichten erzählt - ja, ich weiß das noch, aber nicht mehr so genau. Gerechter! Dann sind Sie -?« »Yeah.« In diesem Moment kam Annalena McKinney aus dem Haus und rief froh und glücklich: »Terry, Dad ist zu sich gekommen! Oh, er wird es überstehen, jetzt ganz bestimmt! Komm schnell, Terry!« Da rannte Terrence der Mutter nach und ins Haus, und der große Fremde lächelte seltsam melancholisch vor sich hin, atmete dann tief ein und stakste in den Stall zu seinem Pferd. Ohne ein Wort des Abschieds ritt er davon.
So wie damals. Und dieses Pferd, das so unsterblich zu sein schien wie er, trug ihn in den Kampf. Das Unwetter brach aus, und der Tag wurde zur Nacht. *** Sein Gesicht war von Haß zerfressen. Gersh Russo fand keine Ruhe und keinen Frieden. Alle seine schlimmen Gefühle tobten mehr als das Unwetter. Das Wetterleuchten seiner Haßausbrüche konnte die Komplizen mehr erschrecken als das grelle Aufflammen der Blitze am Himmel. Sie hatten notdürftig Schutz gefunden unter einer hervorspringenden Felsennase, doch Sturmböen umfauchten die Felsen und trieben die Regenschauer zwischen die Männer und ihre abgetriebenen Pferde. Gnadenlos wollte Gersh Russo wieder ausholen und ein Blutbad anrichten, und während er vom Haß immer wieder heimgesucht wurde, vergaß er mehr und mehr seinen Bruder Henry und ihren gemeinsamen Vater. Die Gesetzlosen, die bei ihm waren, hatten es auf einmal schwer, ihn noch zu verstehen. Dennoch würden sie alles das tun, was er von ihnen verlangte. Sie respektierten ihn als Anführer und beugten sich ihm. Als er so vor ihnen stand, den Arm ausgestreckt und in den Himmel zeigend, die Haarmähne wirr im Gesicht, hustend und geifernd, hatten die Komplizen den fatalen Eindruck, einen Irren vor sich zu haben - doch irre war Gersh Russo überhaupt nicht! Er wußte genau, was er tat und was er tun wollte. Und nun, da er Blut geleckt hatte, war er nicht mehr zu halten. Vielleicht ging das Erbe seines Vaters wie eine Saat des Bösen in ihm auf! Vielleicht würde er wie sein Vater irgendwann
mordend durch die Wildnis ziehen - wenn nicht jemand käme, der seinen unheilvollen Weg beendete. Die kühle Feuchtigkeit brachte ihn immer wieder zum Husten und er bekam wilde Hustenanfälle, die ihn quälten und auszulaugen begannen. Plötzlich schlug der eingeteilte Posten abseits der schützenden Felsen Alarm, und im Nu hatte jeder seine Waffen feuerbereit. Zwei Reiter kamen - und einer war der baumlange SteinerVormann Colin Davis. »Du sollst zu Mr. Steiner kommen, Russo«, sagte er, »allein.« »Warum, zum Teufel?« schnappte Russo. »Und warum allein, he?« »Frag ihn selber, Mann!« versetzte Davis schlechtgelaunt. »Wir haben lange nach euch gesucht. Also, beeil' dich, hinzukommen, sonst wird er sauer - und das wünsch dir lieber nicht!« Lauernd verengte Gersh Russo die Augen und stieß den Atem so scharf aus, daß das Regenwasser von den Lippen sprühte. »Er weiß wohl schon, daß wir unseren Kampf begonnen haben, wie? Daß wir mittendrin sitzen und jetzt hart ausholen!« »Mann, Russo«, meinte Colin Davis lässig, »das müßtest du doch schon längst begriffen haben: Mr. Steiner erfährt von allem! Er weiß genau, was im Sundown Valley geschieht, ob nun am Tage oder in der Nacht. Er hat überall seine Leute, selbst in der kleinsten Hundehütte. Du solltest eigentlich längst erkannt haben, daß Mr. Steiner der Herr des Tals ist! Nichts entgeht ihm, hörst du?« »Hast du 'ne Ahnung, was er von mir will?« »Jedenfalls mit dir reden - denn sonst würdest du schon ein toter Mann sein, und mit dir jeder deiner Freunde. Yeah, es ist
ein gutes Zeichen für dich, daß er mit dir reden will. Du solltest ihn nicht warten lassen, Russo.« Gersh Russo nickte und sagte irgend etwas, doch berstender Donner übertönte seine Worte. Blitze fuhren zuckend und fauchend durch die dunstige Schwärze des Himmels und gingen zerflammend zu Boden. Sturmböen peitschten den Regen vor sich her und durch die Hügelfalte. Zerfetzte Blätter lösten sich von Bäumen und Sträuchern und tanzten wirbelnd in den Regendunst hinein. Unruhig stampften die Pferde, und unablässig rann und tropfte es von den Felsen und schlug schwer in die Tiefe. Wieder sagte Russo irgend etwas, schrie dann und gestikulierte - und niemand gewahrte den einsamen Reiter dort drüben zwischen den nassen Felsklippen, der auf seinem häßlichen Pferd nahezu reglos verhielt. Der große Fremde... Nasse Erde klumpte sich an den Stiefeln von Gersh Russo zusammen, als er durch den Erdbrei stampfte und an sein Pferd herantrat. Fluchend zerrte er sich in den Sattel, blickte dann auf die vier Komplizen und versuchte mit Worten und Gesten, sie zu erhöhter Wachsamkeit zu ermahnen. Dann riß er am Zügel, zerrte das Pferd ziemlich brutal herum und folgte Colin Davis und dem anderen. Die vier Banditen blieben zurück, hüllten sich enger in die Wettermäntel und hockten sich schließlich hart an der Felswand nieder. Nach einer Ewigkeit und vielen Versuchen schaffte es einer endlich, ein Feuer zu entfachen. Ein anderer holte den Topf, der sich draußen schon mit Regenwasser gefüllt hatte, ans Feuer und hing ihn am Dreifuß über den züngelnden Flammen auf. Die Pferde warnten nicht. Mit hängendem Schädel standen sie wie demütig am Rande des Feuerscheins und fraßen nichts vom nassen Gras.
Irgendwo abseits des Lagerplatzes trottete ein betagt aussehendes Pferd stampfend um die Felsen und durch den prasselnden Regen, dessen große schwere Tropfen auf den Schultern des Reiters zerplatzend aufschlugen. Irgendwo rieben die Zipfel des Wettermantels über Gestein hinweg, blieb das Pferd stehen und stieg der Mann aus dem Sattel. Irgendwo dort im Grau des Regens klirrten leise und kaum hörbar stählerne Radsporen an nassen aufgequollenen Reitstiefeln. Und irgendwo griffen sehnige Hände nach der Winchester und zogen das Repetiergewehr aus dem Scabbard hervor... »Verdammt, was will dieser Steiner von Gersh? Steiner hält sich wohl wirklich für einen Gott auf Erden, wie?« »Was ist das - Gott?« »Mann, bist du saublöde? Warum fragst du mich, he?« »Ich will wissen, ob du an ihn glaubst.« »Quatsch!« »Dann glaubst du auch nicht an das Ende der Welt, wie?« »Nein, warum auch? Du, ich sag dir, du hast zu lange in der Sonne gestanden, bei dir stimmt es da oben nicht mehr!« »Also, ich glaub' an das Ende der Welt. Es hat ja auch einen Anfang gegeben. Also muß es auch ein Ende geben, irgendwann.« »Donnerwetter! Warum bist du nicht Reverend geworden, Padre oder sonst was? Habt ihr das gehört, Jungs? Er glaubt ans Ende!« »Warum denn nicht? Irgendwann wird es mich erwischen, das weiß ich! Dann ist es aus. Vorher will ich noch so manchen umlegen! Wißt ihr, warum? Weil es mir Spaß macht, darum!« Banditen sprachen über Sinn und Wert des Lebens. Ob sie es nun wahrhaben wollten oder nicht - tief in ihrem Innern war etwas, das sie dazu bewegte, im stillen über manches nachzudenken, doch sie waren nicht bereit, andere Menschen zu verschonen. Hin- und hergerissen zwischen Gut und Böse, erfüllt von Träumen und von Mordlust, hatten sie sich für den
bösen und schlimmen Weg entschieden, und es gab für sie kein Zurück mehr, kein Ausweichen, keinen neuen Anfang. Und weil sie das alles auch begriffen hatten, waren sie bösartig geworden, richtig bösartig. Manchmal aber sprachen sie auch so wie einfache Bürger in diesem weiten Land, in dem nicht viele Menschen lebten. »Haben wir noch gemahlenen Kaffee?« »Ich glaub', ja. Ich hatte noch etwas in der Satteltasche.« Der Bandit erhob sich, ging zu seinem Pferd und zerrte die Satteltasche auf. »Yeah, ich hab's.« Er kam zurück und schüttete den gemahlenen Kaffee in das heiße Wasser hinein. »Jetzt muß die Brühe erst einmal ziehen, so lange, bis das Wasser schwarz geworden ist. Dann ist er richtig.« Sie saßen nun schweigend am Feuer, blickten auf den Topf mit dem siedendheißen Kaffeewasser und fluchten manchmal vor sich hin. Irgendwo schritt ein großer hagerer Mann durch den Regen - langsam, ernst und wachsam. »Na, los«, drängte einer der Banditen, »nimm den Topf runter, der Kaffee ist bestimmt jetzt fertig.« Der Bandit, der die Rolle eines Kochs übernommen hatte, begann zu hantieren und füllte die Blechbecher mit dem heißen Kaffee. Sie sahen nicht den Fremden, der nun langsam um die Felsen herumkam, der im strömenden Regen verharrte und sie ernst beobachtete. Seltsam, dachte dieser Mann, es ist fast so wie damals in Texas - da tobte auch ein Unwetter über die Mountains hinweg, damals, als der alte Russo starb... Langsam setzte er sich wieder in Bewegung. »Hoffentlich quatscht Steiner nicht zu lange mit Gersh«, meinte ein Bandit. »Du hast wohl Sehnsucht nach ihm, wie?«
»Wie man's nimmt. Er ist der Kopf von uns allen. Jedenfalls bist du das hinterste Ende von allem.« »Halts Maul!« Sie schlürften vom Kaffee, drehten ständig die heißen Becher in den Händen und entdeckten noch immer nicht den großen Fremden, der nun am Rande des Feuerscheins verharrte und die Winchester bis in Hüfthöhe angehoben hatte. Dieser Mann hoffte noch immer, daß die Banditen sich ergeben würden, denn sie müßten sich sagen, daß bei einem Kampf mindestens zwei von ihnen nicht den nächsten Sonnenschein erleben würden. Der Fremde setzte auf die Vernunft, auf die allerletzte Vernunft dieser zweibeinigen Raubwölfe. Irgendwann und irgendwo müßte es doch eine Grenze der Gewalt geben, ein Besinnen und Aufgeben. Aber er wußte so gut wie diese Banditen auch, daß am Ende aller Wege auf diese Halunken der Strick wartete. Eigentlich wäre es gar nicht verwunderlich, wenn sie sich verzweifelt wehren würden, wenn sie lieber jetzt den Tod suchten, als nach Wochen oder gar Monaten auf das Galgengerüst geführt zu werden. Darüber hatte er schon manches Mal nachgedacht. Die Androhung einer Todesstrafe hatte keine abschreckende Wirkung gezeigt. Aber kein Mensch wurde schlecht geboren. Die Umwelteinflüsse machten ihn langsam schlecht. Also hatten die Menschen, die später richten wollten, auch einen Teil Schuld am verruchten Weg dieser Männer, die einst als kleine Jungs im Sand gespielt hatten. Ihm gefiel so manches nicht, doch diese Banditen zwangen ihn zum Handeln, denn sie wollten Delmer McKinney, dessen Frau, deren Sohn Terrence und die Ranchmannschaft ermorden. Das mußte und wollte er verhindern. Es war jetzt soweit. Tief atmete er ein.
Und dann sagte er, als der brüllende Donner verhallt war, ruhig und dennoch kalt und warnend: »Nehmt die Hände hoch! Den Kaffee kann ich mir selber eingießen.« Sie zuckten zusammen, erstarrten einen Herzschlag lang, irgendeiner japste nach Luft, ein anderer winselte fast wie ein kleiner Hund, der getreten worden war - und dann, als sie ihn dort stehen sahen, groß, schlank und reglos, mit beiden Händen die Winchester haltend, auf deren Lauf Wasser perlte, begriffen sie, daß es das Ende war. Aber anstatt nun aufzugeben, langten sie nach den Waffen. Sie griffen schon automatisch zu, dachten an nichts anderes, nur an das eine: ihn zu töten! Danach wäre alles wieder gut für sie, und sie könnten ihrer Wege ziehen und weiterhin morden, rauben und plündern. Der schwarze Himmel brüllte auf und übertönte das Peitschen der Schüsse, das schrille Wiehern der Pferde, den Schrei eines sterbenden Banditen. Blitze jagten durch die Dunkelheit und fuhren zuckend auseinander - und in ihrem fahlen Licht sanken Männer lautlos zu Boden. Und der Regen bildetet einen grauen und glitzernden Vorhang, den der Sturm vor den leblosen Banditen zusammenzog. Der große Fremde stand noch da. Regen floß über seinen Mantel und tropfte vom Gewehrlauf. Patronenhülsen, mechanisch ausgestoßen, lagen auf dem nassen Felsboden, und der Regen erstickte ihren schwachen Qualm. Blut sickerte unter dem Hemd hervor und durchdrang selbst den Mantel rechts an der Schulter, etwa dort, wo der Streifschuß eine klaffende Wunde gerissen hatte. Langsam wandte er sich ab. Er würde die Banditen, da sie auf dem Steiner-Land gefallen waren, von Steiners Reitern beerdigen lassen. Er selber hatte keine Zeit, keinen Spaten, keine Schaufel und auch nicht soviel Kraft dafür, denn die Kraft ging mit dem Blut unendlich langsam, doch stetig aus dem Körper.
Das Pferd trug ihn davon. Das Unwetter tobte. Es regnete in Arizona... *** Regen schlug trommelnd ans verhangene Fenster, dumpf drang das monotone Klopfgeräusch durch den Vorhang und in den feudal eingerichteten Salon im Obergeschoß des Herrenhauses der Steiner-Ranch. Maxwell Steiner blickte Gersh Russo kalt an. »Das war's. Meidet noch mein Land! Sie haben gehört, Russo, was meine Leute erfahren haben: Ihr Bruder Henry ist tot, er wurde erschossen - von einem Fremden. Das wollte ich Ihnen sagen. Wenn es die McKinneyRanch nicht mehr gibt, können Sie herkommen. Keine Minute eher. Verstanden?« Gersh Russo nickte verkrampft. In ihm tobte die Hölle. Am liebsten würde er jetzt auf alles schießen, was sich bewegte, nur um sich irgendwie abzureagieren. »Ihr Pferd wird jetzt abgerieben und versorgt worden sein, Russo. Sie können also aufbrechen.« »Ja«, krächzte Russo und hustete, »ja -« Colin Davis trat nach kurzem Anklopfen herein, sah Steiner ernst an und meldete: »Da kommt ein Reiter, Boß! Er kommt genau auf die Ranch zu. Ist ein Fremder. Sollen wir ihn -?« »Nein, wozu jetzt schon umlegen, Davis? Haltet euch heraus. Ich nehme an, daß es der Mann ist, der Ihren Bruder umgelegt hat, Russo... Gehen Sie nach unten und zu Ihrem Pferd. Und noch einmal, Russo: Hier auf meiner Ranch wird keiner erschossen, ist das klar?« Gersh Russo gab keine Antwort, fraß den großen Haß in sich hinein und verließ den großen Raum. Schon wenig später kam der große Fremde aus dem Dunkel hervorgeritten und zügelte sein häßliches grobknochiges Pferd
im strömenden Regen auf dem überschwemmten Hof der Ranch. Was nun kam, sollte vielleicht einmal in die Geschichte des Sundown Valley eingehen... Zunächst ging alles unwahrscheinlich glatt und reibungslos vonstatten. Denn Maxwell Steiner wollte nach außenhin ein großartiger Mensch sein, um später den Weg für einen Senatorenposten freizuhaben. Wahlen kosteten Geld, und Geld hatte er. Zum Ansehen brauchte er nur noch einen Glorienschein. Gersh Russo hielt sich noch auf der Ranch auf. Zusammengesunken saß der Fremde im Sattel. Der Wettermantel hing durchnäßt und schwer von seinen Schultern, verbarg die angeschossene Schulter und verwischte die Konturen des Mannes. Schräg vor sich hielt er die Winchester; sie ruhte mit ihrem Gewicht auf dem Sattelhorn. Das Pferd stand wie aus Stein, und selbst bei Donnerschlägen und grellen Blitzen zuckte es mit keinem Muskel. Unten fiel breit und hell Lichtschein durch die Tür, deren Flügel weit geöffnet wurden, um Maxwell Steiner Platz zu machen. Langsam trat er auf die überdachte Terrasse hinaus und verharrte am Geländer. »Wer sind Sie?« fragte er mit düster klingender Stimme. »Was wollen Sie, Fremder?« »Gersh Russo will ich.« Das war eine eindeutige und ganz klare Antwort und Forderung - doch seinen Namen nannte er nicht. »Der ist schon wieder geritten.« »Nein, Rancher Steinen« Ganz bewußt war diese Formulierung - sie verzichtete auf das »Mister«, auf das Wort »Herr«. »Er ist hier.« »Sie glauben mir nicht?«
Der große Fremde neigte den Kopf und lauschte. Trotz des tobenden Unwetters hatte er das halberstickte Husten eines Mannes vernommen - und dadurch hatte Gersh Russo sich verraten. »Ich erwarte nicht von Ihnen, daß Sie Russo ausliefern, Rancher Steiner. Mir ist bekannt geworden, daß Sie Mexikaner nicht mögen und sie als Untermenschen betrachten. Nun, das mag ein Geburtsfehler dieser Menschen sein, für den sie nichts können - bei Ihnen wäre es aber ein verdammt großer Charakterfehler, wenn Sie noch immer behaupten wollten, Russo wäre nicht mehr auf der Ranch. Ich nehme an, daß Sie sich so einen Charakterfehler nicht anlasten lassen wollen. Aber wie Sie auch entscheiden werden, Rancher Steiner - ich werde dort draußen vor der Ranch auf Russo warten. Irgendwann wird er kommen.« Langsam wendete der Fremde und ritt vom Hof, kehrte allen den Rücken und bewies dadurch seinen Mut. Und es war dieser Mut, der Maxwell Steiner beeindruckte und ihn wenig später schon sagen ließ: »Davis, jag ihn von der Ranch!« »Ja, Mr. Steiner.« Als Colin Davis zum Stall ging, kam Gersh Russo hervorgeritten. Das Gesicht war verzerrt und von Haß geprägt, doch er sagte kein Wort, spornte das Pferd an und jagte in den Regen hinein. Gersh Russo wollte den verhaßten Fremden hinterrücks erschießen... Darum beeilte er sich so sehr! Denn der Fremde würde wohl nicht damit rechnen, daß er, Russo, so schnell nachkommen würde. Es gab dort vor der Ranch eine mächtige Bodenwelle, der eine große flache Mulde folgte, die man durchqueren mußte, um die nächstfolgende Bodenwelle zu erreichen. Und dort auf der ersten Bodenwelle fielen hinter dem grauen Regenvorhang wenig später zwei Schüsse. Was dort in diesen Sekunden wirklich geschah, konnte niemand erkennen.
Alle warteten auf der Ranch, und Maxwell Steiners Hände krampften sich um einen der runden Pfosten, die das Vordach stützten. Wimmernd strich der Wind über den Hof und wellte das Wasser der Pfützen. Der Sturm war jäh erstorben - und alle glaubten, den Hall der Schüsse noch zu hören. Dann sahen sie ein reiterloses Pferd, das davontrottete. Eine Zeitlang geschah nichts. Die Wolkendecke zerriß, und hell sickerte es durch die Wolkenlücken. Irgendwer kam aus der Mulde geritten und lenkte sein Pferd auf die nächste Bodenwelle. Nicht ein einziges Mal blickte jener Reiter zurück. Und mit dem letzten Aufbrüllen des fernab verklingenden Unwetters verschwand der große Fremde jenseits der Bodenwelle… *** Oft brauchte die Geschichte ihre Helden, doch die Zeit - das wußte der große Fremde - wollte gelebt sein. Es war wohl zum allerletzten Male, daß er die McKinneys besuchte. Die Sonne schien hell und warm fern im Westen, und er ließ sich vom Doc, der noch auf Delmer McKinneys Ranch weilte, die Schulterwunde verbinden. »Unser guter Sheriff wird es schon überleben«, sagte der Doc leise, »doch er wird wohl lange brauchen, um wieder gehen zu können. Und auch Liberty ist schon fast gesund, dieser Bursche.« »Dann ist es gut, Doc.« Es war der Tag des Abschieds. Der große tapfere Mann sprach noch mit Delmer McKinney und dessen Frau Annalena einige wenige, aber herzliche Worte - und dann ging er hinaus und trat an sein Pferd heran. Im roten Schein der so wunderschön untergehenden Sonne stand Terrence auf dem Hof und blickte ihn fragend an, und der
Mann sah auf das blonde Haar, das kupferfarben glänzte, und lächelte. »Sieh zu, daß du mal wieder braune Hühner hast, Terry. Mach's gut, Terrence McKinney - und bleib' diesem Tal treu. Das da draußen in der Fremde - das ist nichts für dich.« Und der Fremde ritt davon und in die Glut des Sonnenuntergangs hinein und Terrence sah ihm nach, bis sich dort weit draußen der letzte rote Staub aufgelöst hatte. Annalena McKinney trat zu ihrem Sohn und legte ihm die Hand auf die Schulter, und Terrence fragte leise: »Weißt du, wer er ist, Mam'? Ja, du weißt es.« »Ja, mein Junge«, sagte sie seufzend, und ein Hauch von Melancholie verklärte ihr Gesicht, »ja - er ist einer der ganz wenigen und ganz großen Männer des Westens, die uns das Leben in diesem Land lebenswert machen. Laß' es mich so sagen, Terry: Er ist wie das Salz dieser Erde.« »Ich weiß es jetzt, Mam'... Ja, er ist eine Legende zu Lebzeiten. Und er ist unser Freund! Oh, Mutter, das muß ich unbedingt Dixie sagen!« Annalena lächelte sanft. »Gut, Terry, tu das - aber sag keinen Namen, denn er will es nicht. Oh, da kommt unser Doc. Du kannst ihn begleiten, Terry - aber komm bitte bald zurück aus Paradero.« Jenseits des Sundown Valley ging die Sonne unter...
- ENDE -