ATLAN 7 – Die Stahlquelle
Nr. 306
Die Stahlquelle von Harvey Patton
Sicherheitsvorkehrungen, die auf Atlans Anraten ...
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ATLAN 7 – Die Stahlquelle
Nr. 306
Die Stahlquelle von Harvey Patton
Sicherheitsvorkehrungen, die auf Atlans Anraten noch gerade rechtzeitig getroffen wurden, haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt und nicht bereinigt worden. Der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan, Lordadmiral der USO, und Razamon, der Berserker – er wurde beim letzten Auftauchen von Atlantis oder Pthor zur Strafe für sein »menschliches« Handeln auf die Erde verbannt und durch einen »Zeitklumpen« relativ unsterblich gemacht – sind die einzigen, die die Sperre unbeschadet durchdringen können, mit der sich die Herren von Pthor ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Allerdings verlieren die beiden Männer bei ihrem Durchbruch ihre gesamte Kleidung und technische Ausrüstung. Und so landen Atlan und Razamon – der eine kommt als Späher, der andere als Rächer – nackt und bloß an der Küste von Pthor, einer Welt der Wunder und Schrecken. Ihre ersten Abenteuer bestehen sie am »Berg der Magier«. Ihr weiterer Weg führt sie über die »Straße der Mächtigen« nach Orxeya, zu den Seelenhändlern, und von da aus an DIE STAHLQUELLE ...
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ATLAN 7 – Die Stahlquelle
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan und Razamon – Die beiden Unsterblichen in der Hölle des Blutdschungels. Kälderspuur – Ein Verstoßener aus dem Stamm der Yaghts. Porquetor – Ein Retter in höchster Not. Landerkoor – Anführer einer Jagdgruppe.
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ATLAN 7 – Die Stahlquelle kam aus dem Blutdschungel, der sich zu unserer Rechten wie eine dunkle Wand aus dem Nebel hob. Ich sog ihn prüfend ein und versuchte die darin enthaltenen unterschiedlichen Komponenten zu unterscheiden. Der Hauptbestandteil war zweifellos der Duft verschiedener Blüten. In ihn mischten sich aber auch andere, weit weniger angenehme Dinge. Es roch auch nach Verwesung und Moder, was darauf hinwies, daß es in dieser Zone den üblichen ständigen Kampf ums Überleben gab. Dann war die Stadt hinter uns versunken. Wir waren allein und ritten zwischen niedrigen Büschen dahin. Nun schien es mir an der Zeit, mein Vorhaben durchzuführen. Ich zügelte mein Tier, brachte es zum Stehen, und Razamon folgte meinem Beispiel. »Steig ab«, forderte ich ihn auf und sprang selbst von dem Yassel. »Hier wird uns niemand mehr stören. Wir können also jetzt in Ruhe nachsehen, was uns Lastor als Fracht für Wolterhaven anvertraut hat.« Das Gesicht des Atlanters verzog sich. »Dachte ich es mir doch!« meinte er sarkastisch. »Du bist zwar nicht neugierig, aber du willst immer alles wissen.« Wir führten die Reittiere zur Seite und nahmen ihnen die Trensen aus dem Maul, so daß sie grasen konnten. Sie blieben erstaunlich ruhig, obwohl zuweilen aus dem Blutdschungel die wilden Schreie irgendwelcher Tiere zu uns herüberdrangen. Natürlich war es nicht legal, was ich vorhatte. Der Händler hatte es uns sogar streng untersagt, nach den Dingen zu sehen, die wir in den Satteltaschen mit uns führten. Ob er wirklich im Ernst annahm, daß wir uns daran halten würden? Für so naiv dürfte er euch wohl kaum gehalten haben, sagte mein Extrasinn dazu. Vermutlich nimmt er an, daß ihr mit der Ware nicht viel anzufangen wißt. Anderenfalls hätte er sie euch als vollkommen Fremden wohl kaum anvertraut. »Wir werden es sehen«, sagte ich leise und öffnete den Verschluß der linken Satteltasche. Obenauf lagen, in Tücher eingeschlagen, die für unseren Verzehr unterwegs bestimmten Lebensmittel und Wasserblasen. Als ich sie ausgeräumt hatte, kam ein hölzerner Zwi-
1. Orxeya lag hinter uns. Wir ritten einen von niedrigen Gewächsen überwucherten Weg entlang, der nach Südwesten führte. Drei Wochen hatten wir in dieser Stadt verbracht, und die Erinnerung daran war durchaus nicht immer angenehm. »Man sollte diesen Stump aufhängen!« knurrte Razamon, und seine schwarzen Augen funkelten in unterdrücktem Grimm. Ich zuckte mit den Schultern. »Laß es gut sein, Freund. Im Grunde müssen wir froh sein, daß dieses Schicksal nicht uns ereilt hat. Schließlich haben wir es nur Coerfä zu verdanken, daß der Seelenerschaffer uns wieder laufenlassen mußte. Unsere Lage ist eigentlich gar nicht so schlecht.« Das stimmte auch. Wir waren in die Dienste des Händlers Gäham Lastor getreten und in seinem Auftrag nach Wolterhaven unterwegs. Er hatte uns für hiesige Begriffe gut ausgerüstet. Wir besaßen Waffen und Lebensmittel, und die pferdeähnlichen Yassels erwiesen sich als gute und willige Reittiere. Trotz der warmen Bekleidung fröstelten wir. Es war früher Morgen, ein dichter Nebel lag über der Gegend und setzte sich in feinen Tröpfchen auf das weiße Fell der Yassels. Die Sicht wurde jedoch allmählich besser, ein heller Fleck über dem Horizont zeigte den Standort der aufgehenden Sonne an. Wenn ich mich umwandte, konnte ich im Hintergrund noch die letzten Gebäude der Stadt erkennen. »Es ist noch zu früh«, murmelte ich vor mich hin. »Was meinst du damit?« erkundigte sich Razamon, aber ich winkte nur ab. Schweigend ritten wir weiter. Bald kam ein leichter Wind auf und brachte die Nebelschwaden in Bewegung. Sie lichteten sich merklich, und schließlich brach die Sonne durch. Die Tiere warfen schnaubend die Köpfe hoch und verfielen von selbst in einen leichten Trab. Ich tätschelte Kynietz den Hals, er wandte mir kurz den Kopf zu und sah mich aus seinen großen braunen Augen zwischen dem rudimentären Hornansatz wie verstehend an. Mit dem Wind wehte uns aber auch ein unbekannter, seltsamer Geruch entgegen. Er 4
ATLAN 7 – Die Stahlquelle »Was hast du?« fragte ich provozierend, als er in dieser Haltung unbeweglich stehenblieb. »Einen Sonnenstich vielleicht, obwohl die Sonne ja eigentlich noch viel zu schwach ist?« Razamon aber gab keine Antwort, sondern verharrte weiter in seiner Stellung. Schließlich nahm ich ihm kurzerhand den Stein wieder ab, und er schien wie aus einem Traum zu erwachen. Für einige Sekunden wirkte er vollkommen desorientiert, und das weckte naturgemäß meine Neugier. Ich hob den Stein selbst vor die Augen und sah hindurch. Tatsächlich, ich konnte hindurchsehen! Ich sah die gesamte Umwelt wie in einem irrlichternden, leuchtenden Feuer. Die gewöhnlichen Büsche um uns herum waren plötzlich von einer strahlenden farbigen Aureole umgeben, die sie wie faszinierende Meisterwerke eines großen Künstlers erscheinen ließ. Eine bisher unbekannte Verzückung erfaßte mich. Ich drehte mich zur Seite und sah nun Kynietz als ein ätherisches, elfenhaftes Wesen. Dieser Anblick war so zauberhaft, daß ich es einfach nicht vermochte, mich von ihm zu lösen. Psychische Beeinflussung, Bewußtseinserweiterung nach Art der Halluzinogene! stellte mein Logiksektor nüchtern analysierend fest. Was du da siehst, ist nur eine Illusion durch Spektralverschiebung in fremde Wellenbereiche, die deinen Augen normalerweise nicht zugänglich sind. Diese Impulse muteten brutal an, aber sie erfüllten ihren Zweck und ernüchterten mich. Ich nahm den Stein von den Augen, und nun erschien mir die Umwelt fast trist und unerträglich öd. Dann begegnete ich Razamons Blick, und seine Bemerkung holte mich endgültig in die Realität zurück. »Nun, wer hat hier den Sonnenstich?« fragte er mit einem ironischen Lächeln. Ich zwang mich zu einer ruhigen und sachlichen Antwort. »Okay, jetzt wissen wir also Bescheid. Natürlich mußte auch Lastor wissen, was sich mit diesen Steinen alles erreichen läßt. Die Abnehmer in Wolterhaven dürften ihre Wirkung ebenfalls kennen und entsprechende Preise dafür zahlen. Das werden sie aber wohl auch noch tun, wenn wir mit einiger Verspä-
schendeckel zum Vorschein, der mit Riemen und Schnallen an den Seiten der Tasche befestigt war. Sie waren so raffiniert angebracht, daß ich einige Minuten brauchte, bis ich sie endlich gelöst hatte. Ich hob den Deckel heraus und schüttelte dann verwundert den»Enttäuscht, Kopf. Lordadmiral?« fragte Razamon, der mir über die Schulter sah. Zuweilen konnte er sich Anspielungen auf meine Stellung im Solaren Imperium nicht verkneifen. Einem Imperium, das galaxisweit von uns entfernt schien, obwohl wir uns doch nach wie vor auf der Erde befanden. Wir sahen große ledrige Blätter, die man als Verpackungsmaterial für unterschiedlich große Gegenstände benutzt hatte. Vorsichtig hob ich eines davon heraus und wickelte es auf. »Ein Stein!« stellte mein Gefährte kopfschüttelnd fest. Ich war nun wirklich enttäuscht. Was ich da in der Hand hielt, war tatsächlich nichts weiter als ein etwa pflaumengroßer tropfenförmiger Stein. Erst als das Licht der Sonne darauf fiel, änderte sich meine Ansicht. Der simple Stein begann plötzlich auf seltsame Art und Weise zu glitzern. Die Sonnenstrahlen brachen sich auf seiner Oberfläche, bunte Farben huschten darüber hin und veränderten sich im raschen Wechsel. »Was hältst du davon?« erkundigte ich mich. Er wiegte den Kopf. »Bisher habe ich noch nichts Ähnliches gesehen, Freund. Hypnosteine können es nicht sein, sonst müßten wir bereits ihren Einfluß spüren. Wie fühlt sich der Stein an, gibt es irgendwelche Hinweise auf seine Besonderheit?« »Keine, die ich feststellen könnte«, gab ich zurück. »Hier, begutachte ihn selbst. Vielleicht erinnert er dich an etwas, das dir früher schon einmal begegnet ist.« Razamon nahm ihn, betrachtete ihn von allen Seiten und führte ihn bis dicht vor die Augen. »Jetzt hab ich's!« stieß er plötzlich triumphierend aus. *
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ATLAN 7 – Die Stahlquelle Mit dürren Ästen verscheuchten wir den Großteil der surrenden Quälgeister und saßen dann wieder auf. Kynietz und Belzo wieherten befriedigt auf und trabten los. Es war inzwischen erheblich wärmer geworden, der Nebel hatte sich restlos verzogen. Einige hundert Meter weiter lichtete sich das Buschwerk zur Linken, während der Dschungel bis auf knapp hundert Meter an uns heranrückte. Wir zügelten die Yassels und hielten nach einem Geländestreifen Ausschau, der uns eine gefahrlose Annäherung an die Straße der Mächtigen erlaubte. In diesem Moment geschah es. Ein lautes, bösartiges Summen lag plötzlich in der Luft, das sich uns vom Blutdschungel her näherte. Wir wandten uns um und erblickten einen riesigen Insektenschwarm, der genau auf uns zukam. Die Tiere waren so groß wie irdische Hornissen, rot und gelb gestreift, und zweifellos nicht weniger gefährlich als diese. »Los, weg von hier!« rief ich Razamon zu und gab Kynietz die Sporen. Unsere Reittiere hatten den Schwarm natürlich auch bemerkt. Sie schienen die Insekten bereits zu kennen, denn sie gerieten augenblicklich in wilde Panik. Weder Belzo noch Kynietz reagierten noch auf Sporen, Schenkeldruck oder Zügel. Schrill aufwiehernd rasten beide los, bockten dabei und keilten wie verrückt vor Angst aus. Bisher hatten wir die beiden Yassels nur als ruhige und folgsame Tiere kennengelernt. Ihr Durchgehen überraschte uns so sehr, daß wir uns nur wenige Sekunden in den Sätteln zu halten vermochten. Zuerst flog ich in hohem Bogen durch die Luft und landete mitten im Gestrüpp. Razamon folgte mir nur Sekundenbruchteile später. Wir rappelten uns wieder auf und fluchten um die Wette, aber das nützte uns wenig. Mit verkniffenen Gesichtern sahen wir den Yassels nach, die nun auf den Dschungel zurasten, von der Wolke der blutgierig summenden Insekten gefolgt. Gleich darauf waren sie zwischen den Bäumen verschwunden. Razamon lachte bitter auf. »Es geht doch nichts über einen guten Anfang, nicht wahr?« meinte er sarkastisch.
tung dort eintreffen, denke ich.« »Ein Umweg?« meinte Razamon mit gerunzelter Stirn. »Wohin willst du gehen, wenn nicht nach Wolterhaven?« »Nach dieser Stadt schon, nur nicht auf dem von Lastor angegebenen Weg. Warum sollen wir parallel zur Straße der Mächtigen durch unwegsames Gelände reiten, wenn wir sie selbst benutzen können? Daß sie von den Einheimischen gemieden wird, obwohl es keine Fallen zu geben scheint, sollte uns nicht abschrecken. Außerdem haben wir die Chance, unterwegs auf den Göttersohn Balduur zu stoßen! Dieser Abschnitt untersteht ihm schließlich, und irgendwo an der Straße soll sein mysteriöses Haus liegen. Von ihm könnten wir wichtige Informationen erhalten, die uns unserem Endziel näherbringen.« Razamon fuhr sich mit der knochigen Hand durch das blauschwarze Haar. »Das hat einiges für sich«, räumte er ein. »Vielleicht würde es uns den Weiterritt nach Wolterhaven sogar ganz ersparen. Gut, ich bin dabei.« Ich hatte inzwischen weitere Illusionssteine aus der Tasche geholt und sah probeweise hindurch. Es gab verschiedene Größen, bis hinauf zum Gänseei. Je größer sie waren, um so stärker war auch ihre Wirkung auf meine Sinne. Ich erlebte eine Vielfalt verschiedener Wahrnehmungen, sah alle Gegenstände idealisiert, von leuchtenden Aureolen in nie gesehenen Farben umgeben. Natürlich hütete ich mich davor, erneut in ihren Bann geschlagen zu werden. Ich verstaute sie wieder in der Satteltasche und brachte diese in den früheren Zustand. Dann nickte ich meinem Gefährten zu. »Dann sind wir uns also einig. Machen wir uns also gleich auf den Weg. Die Yassels werden immer unruhiger, weil sie ständig von diesen Stechinsekten belästigt werden.« Es waren nun schon ganze Schwärme, die sich auf die beiden Tiere stürzten. Neben kleineren mückenähnlichen Exemplaren gab es auch große Fliegen mit grünlich schimmernden Flügeln. Allen gemeinsam waren immens lange Rüssel, mit denen sie das Fell der Yassels durchdringen konnten, um ihnen Blut abzuzapfen. Wir blieben dagegen von ihnen verschont. 6
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Form noch auf keinem Planeten angetroffen hatte. Noch in Orxeya hatte nichts darauf hingewiesen, daß es schon wenige Kilometer weit derart drastische Veränderungen geben würde. Als uns Lastor unsere Kleidung übergab, hatte er sogar ausdrücklich auf die kalten Nächte hingewiesen, die uns unterwegs bevorstehen sollten. Im Anfang war es leicht für uns, den richtigen Weg zu finden. Die davonstürmenden Yassels hatten alles niedergetrampelt, was ihnen im Weg gewesen war. Wir folgten der Spur ihrer Hufe und kamen an die Bresche, die sie in das Unterholz zwischen den Bäumen gerissen hatten. Sie war noch deutlich erkennbar, aber der Urwald war schon wieder dabei, diese Lücke zu schließen. Üppig wuchernde, von den Bäumen herabhängende Lianengewächse zogen sich von allen Seiten zusammen und zwangen uns dazu, die Messer einzusetzen. Die betroffenen Gewächse schnellten hastig zur Seite, rollten sich ein, und aus den Schnittwunden ergoß sich eine grünliche warme Brühe über uns. Andere reagierten in genau gegenteiliger Weise. Ihre Ranken peitschten wie Fangarme auf uns zu, in dem sichtlichen Bestreben, uns zu umschlingen. Sie waren mit zahlreichen Saugnäpfen besetzt, die uns nachdrücklich vor Augen führten, welches Schicksal uns bevorstand, wenn wir in ihrer tödlichen Umarmung hängenblieben. Nur der pausenlose Einsatz der Messer half uns weiter. Ich ging voran, denn Razamon hatte zu humpeln begonnen. Bei dem Sturz hatte er sich das linke Bein aufgeschlagen, und außerdem machte ihm zusätzlich der ominöse »Zeitklumpen« zu schaffen, der an seinem Bein hing, wie er behauptete. Eine neue Liane schnellte auf mich zu, und ich hob mein Messer. Dann duckte ich mich jedoch rasch, denn ich bemerkte eben noch rechtzeitig, was diese »Liane« in Wirklichkeit war. Es handelte sich um eine armdicke, von den Ästen herunterhängende Baumschlange mit perfekter Farbtarnung! Ihr eckiger Kopf mit der gespaltenen Zunge und den langen Giftzähnen pendelte nur um eine Handbreit an meinem Gesicht vorbei. »Herzlichen Glückwunsch!« knurrte Raza-
»Jetzt stehen wir da mit unseren Talenten. Die Tiere sind weg, mit ihnen auch unsere Fracht, die Lebensmittel und das Wasser.« 2. Ich stand da, massierte meinen schmerzenden linken Arm und überlegte. Viel kam dabei allerdings nicht heraus, Razamons Analyse unserer Lage hatte alles bereits vorweggenommen. Außer den Messern, den armbrustähnlichen Skerzaals und den dazu gehörenden Bolzen besaßen wir nichts mehr! Das war auf jeden Fall zu wenig, um unseren Weg nach Wolterhaven fortzusetzen. Bis dorthin waren mehr als hundert Kilometer zurückzulegen, soviel ich wußte. Und das unter uns vollkommen unbekannten, vermutlich aber wenig günstigen Umständen. »Wir müssen versuchen, die Yassels wieder einzufangen«, erklärte ich. »Vermutlich ist es ihnen gelungen, den Schwarm im Wald abzuhängen, und dann dürften sie sich wieder beruhigt haben. Die Aussichten, sie wieder einfangen zu können, sind also gar nicht so schlecht.« Das Gesicht meines Gefährten blieb finster. »Natürlich hast du recht«, gab er mißmutig zu. »Die einzige Alternative wäre die Rückkehr nach Orxeya, aber dort würde uns auch nichts Gutes erwarten.« Ich rückte meine verrutschte Waffe wieder zurecht und zog das Messer. »Dann also nichts wie los! Zweifellos ist der Boden drüben im Dschungel weich, die Yassels werden also Spuren hinterlassen haben. Mit etwas Glück können wir schon bald weiterreiten.« »Das walte Balduur«, knurrte Razamon und setzte sich in Bewegung. Je näher wir der düsteren Wand aus hoch aufragenden Bäumen kamen, um so wärmer wurde es. Der Blutdschungel strahlte eine feuchte Schwüle aus, die uns bald dazu zwang, die Jacken zu öffnen. Der aufdringliche Geruch wurde immer stärker und nahm uns fast den Atem. Pthor war eine rätselhafte Welt voller Gegensätze. Das traf sogar auf die Klimazonen zu, die ich in einer derart scharf abgegrenzten 7
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Ohne Reittiere hätte es zur Not noch gehen können, aber nicht ohne Proviant und Wasser. Wer die Tiere abgeschlachtet hatte, ließ sich leicht erraten. Im Blutdschungel lebten verschiedene Stämme von Eingeborenen, das hatten wir in Orxeya erfahren. Daß sie es in dieser Umgebung äußerst schwer hatten, sich zu behaupten, lag auf der Hand. Für sie galt das Gesetz des Dschungels ebenso wie für die Tier- und Pflanzenwelt. Kein Wunder also, daß sie auch hier danach gehandelt hatten. Ich schrak zusammen, als ich merkte, was mit Razamon vor sich ging. Sein Fluchen brach plötzlich ab, statt dessen kamen knurrende Laute aus seiner Kehle. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, er breitete die Arme aus und krümmte die gespreizten Finger zu Krallen. Seine Gestalt duckte sich und er sah wild um sich, als suchte er jemand, dem er an die Gurgel gehen konnte. Bring dich in Sicherheit! riet mir der Extrasinn. Er wird gleich einen seiner Anfälle bekommen. Ich befolgte diesen Rat und zog mich wieder zwischen die Bäume zurück. Schon im nächsten Moment begann der Atlanter zu toben. Der Berserker früherer Zeiten brach in ihm durch, und in Ermangelung anderer Objekte stürzte er sich auf einen Baum mit etwa schenkelstarkem Stamm, den er zu bearbeiten begann. Es blieb mir immer unbegreiflich, woher dieser hagere Mann seine wirklich übermenschlichen Kräfte nahm. Schon damals, als wir – noch vor dem Auftauchen von Pthor – draußen auf der normalen Erde die zu seiner Wohnung gehörende Stahlkammer entdeckten, hatte ich staunen müssen. Jetzt sah ich in einer Mischung von Faszination und Schaudern zu, wie er seine aufgestauten Aggressionen an dem Baum ausließ. Mit nichts als den bloßen Händen zerfetzte er ihn buchstäblich! Die in seiner Reichweite befindlichen Äste knickte er ab wie Streichhölzer, dann setzte er zu einem Hebelgriff an und brach den Baum in Brusthöhe einfach durch! Als die Geräusche des Aufschlags verhallt waren, schien er wie aus einem Traum zu erwachen. Seine Arme sanken herab, er stand sekundenlang regungslos da, und seine Züge
mon, der sie mit einem raschen Messerhieb köpfte. »Wenn das so weitergeht, sehe ich schwarz für uns, verehrter Lordadmiral.« Zu unserem Glück blieb es aber nicht so. Als wir ungefähr hundert Meter zurückgelegt hatten, lichtete sich das Unterholz, und es gab keine Lianen mehr. Das Blattwerk der Bäume über uns war so dicht, daß es kaum noch einen Lichtschimmer durchließ. Es war so dunkel, daß andere Pflanzen einfach keine Lebensgrundlage mehr fanden, soweit sie auf Kohlenstoffassimilation durch Photosynthese angewiesen waren. Dafür stießen wir bald darauf auf seltsame bleiche Strünke, die sich wie ausgebleichte Knochen aus dem Boden reckten. Ich trat mit dem Fuß dagegen, um sie zu beseitigen, zog ihn aber dann recht schnell wieder zurück. Ein hölzernes Rasseln erklang, und die Strünke schnappten nach meinem Bein, um es zu umschlingen. Es schien sich dabei um eine besondere Art von fleischfressender Pflanze zu handeln, die hier auf der Lauer lag. Erneut traten unsere Messer in Aktion und beseitigten diese Falle. So lernten wir im Verlauf einer knappen halben Stunde noch verschiedene Widerwärtigkeiten des Blutdschungels kennen. Wir waren förmlich in Schweiß gebadet, als dann endlich ein Lichtschimmer verriet, daß es vor uns eine Lichtung gab. Wir erreichten sie und atmeten dankbar auf. Zu früh, wie sich gleich darauf herausstellen sollte. Als sich unsere Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, stöhnten wir in maßloser Enttäuschung auf. Wir hatten unsere Yassel gefunden, aber sie waren tot! Sie waren jedoch weder den Mordinsekten noch den anderen Gefahren des Dschungels zum Opfer gefallen. Schon die ersten Blicke zeigten uns, daß ihr Ende gänzlich anderen Feinden zuzuschreiben war. Sie waren hilflos verblutet, denn man hatte ihnen die Kehle durchgeschnitten ... Razamon fluchte hemmungslos. Seine Reaktion war verständlich, und es war nicht nur der Tod der Tiere, der ihn so erregte. Zaumzeug, Sättel und Satteltaschen – alles war verschwunden! Das traf uns noch weit schlimmer, als der Verlust der Yassels. 8
ATLAN 7 – Die Stahlquelle chend weiter auseinander. Trotz des schlechten Lichtes konnten wir die Spuren gut erkennen. Hier waren sieben oder acht Eingeborene gegangen, die vermutlich mokassinähnliche Fußbekleidung trugen. Rätselhaft blieb uns nur, wie sie so schnell zur Stelle gewesen sein mochten, um noch vor uns bei den Yassels zu sein. Der Boden senkte sich allmählich und wurde immer sumpfiger. Bald stießen wir auf ganze Kolonie von Binsengewächsen, die mehr als zwei Meter hoch waren. Ihre Stengel waren etwa fingerdick und mit zahlreichen Widerhaken bedeckt, an denen vorwitzige Insekten zappelten. Hoch über uns lärmten zahlreiche Vögel, aber wir bekamen weder sie noch andere größere Tiere zu Gesicht. Bald hatten wir jede Orientierung verloren. Die Spuren der Räuber schlängelten sich zwischen der Binsenkolonie hindurch und führten mal in diese, mal in jene Richtung. Es gab aber keinen Zweifel daran, daß wir immer tiefer in den Dschungel gerieten. Bald darauf wateten wir bis zu den Knöcheln im Wasser, denn der schwammige Boden wurde immer morastiger. Nur noch geknickte Binsenstengel zeigten uns den Weg, den die Eingeborenen hier genommen hatten. Wir atmeten auf, als dann das Gelände wieder anstieg und ein heller Schimmer vor uns anzeigte, daß es dort wieder eine Lichtung gab. Wir erreichten sie schwitzend und ausgepumpt. Sie erwies sich als überraschend groß, war annähernd kreisförmig und etwa fünfhundert Meter breit. Hier gab es keine Bäume, sondern nur Gras und mannshohe Büsche. Sie waren mit riesigen bunten Blüten bedeckt, die jenen intensiven Duft ausströmten, den uns der Wind am Anfang zugetragen hatte. Allerdings merkte ich bald, daß es sich um fleischfressende Pflanzen handelte, und so hielten wir respektvollen Abstand zu ihnen. Der Boden war jedoch trocken, und das war schon viel wert. Allerdings mußten wir noch einige Schlangen erschlagen, ehe wir es wagen konnten, uns auf dem morschen Stamm eines umgestürzten Baumes niederzulassen. Razamon lächelte freudlos. »Dieses Pthor ist zwar meine Heimat, aber ein wirklich höllischer Kontinent. Ich habe immer gehofft, daß in dieser Umgebung mei-
entspannten sich. Ich verließ meine Deckung und ging langsam auf ihn zu. Er sah mich an, und ein zwiespältiges Lächeln zeigte sich in seinen Mundwinkeln. »Ich habe mich eben danebenbenommen, wie?« meinte er heiser. »Tut mir leid, Atlan, ich konnte einfach nicht anders. Mein altes Erbe.« »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, unterbrach ich ihn. »Wir haben alle unsere kleinen Eigenheiten, für die wir nichts können. Jetzt gibt es weit wichtigere Probleme für uns. Es wird uns nichts weiter übrigbleiben, als die Spur dieser Räuber aufzunehmen, wenn wir unsere Sachen wiederhaben wollen.« Razamons Gesicht wurde übergangslos ruhig. »Wir müssen sie zurückholen«, sagte er sachlich und griff unwillkürlich nach der Skerzaal. »Die Illusionssteine können die Räuber gern behalten, ganz gleich, wie Lastor darüber denken mag, aber wir brauchen einwandfreies Essen und sauberes Wasser. Oder möchtest du etwa die Brühe hier trinken?« Er wies auf einige trübe Pfützen, die zwischen den niedrigen Gewächsen auf der Lichtung zu sehen waren. Das Blut der Yassels hatte sie rötlich gefärbt, und zuweilen zeigten Bewegungen an, daß es auch in ihnen Leben gab. Der schwarze Boden war weich, Schnecken und Würmer krochen langsam darüber hin. Ihr Ziel waren die Kadaver der abgeschlachteten Tiere, aber sie waren nicht die einzigen »Trauergäste«. Eine Kolonne von fingerlangen blaugrünen Käfern mit großen Beißzangen krabbelte bereits darauf herum und verbiß sich darin. Ich schüttelte mich, drehte mich dann langsam und suchte nach Spuren der Räuber. Sie waren nicht schwer zu finden, denn ihre Füße waren tief in den weichen Boden eingesunken. Allerdings führten sie weiter in den Dschungel hinein, aber das war zu erwarten gewesen. »Okay, gehen wir los«, sagte ich. * Wir kamen nun relativ gut vorwärts, denn weiter im Innern wurden die Bäume immer dicker und höher, standen also auch entspre9
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Razamon einen Stoß und ließ mich gleichzeitig rücklings vom Stamm fallen. Nur Sekundenbruchteile später zischte ein Pfeil durch die Luft und traf genau die Stelle, an der ich eben noch gesessen hatte ... Etwa dreißig Meter halblinks vor euch war eine Bewegung zwischen den Büschen, informierte mich der Extrasinn, während ich mich gegen den Baum preßte. Er war dick genug, um uns vorerst Deckung zu geben, und ich unterrichtete den Atlanter mit einigen Worten. In seinen unergründlichen Augen begann es unheildrohend zu funkeln. »Die Räuber und Halsabschneider sind zurückgekommen!« kam es rauh aus seiner Kehle. »Das soll ihnen schlecht bekommen, so wahr ich Razamon heiße.« Er riß die Skerzaal von der Schulter und machte sie schußbereit. Dann sprang er plötzlich auf und jagte mit langen Sätzen auf die Stelle zu, die ich ihm angegeben hatte. Es war eine jener unberechenbaren Spontanreaktionen, auf die man immer bei ihm gefaßt sein mußte. Mir blieb jedoch nichts weiter übrig, als ihm zu folgen. Es war nun einmal passiert, und im Stich lassen konnte ich ihn nicht. Außerdem war es gut möglich, daß wir bereits umzingelt waren, und da war ein Ausbruch tatsächlich die beste Lösung. Ein weiterer Pfeil kam angeflogen. Er verfehlte uns aber weit und bohrte sich harmlos in den Boden. Ich hastete zwischen zwei Fleischfresser-Büschen hindurch und gelangte auf eine Fläche, die mit mannshohen Ginsterstauden bewachsen war. Razamon hatte etwa zehn Meter Vorsprung und bahnte sich mit lautem Getöse seinen Weg. Auch weiter vorn war das Geräusch brechender Zweige zu hören, sonst blieb alles still. Das wundert mich, denn ich hatte mit einer Überzahl von Angreifern gerechnet. Es konnte aber auch eine besondere List sein. Dann klang vor mir die zornige Stimme des Atlanters auf. »Jetzt hab ich dich, Bursche! Du wirst nie wieder rauben und töten, das verspreche ich dir.« Das Klatschen von Schlägen erklang, dem ein schriller Schmerzensschrei folgte. Rasch arbeitete ich mich durch die Stauden nach links hinüber und sah dann Razamon, der über eine Gestalt gebeugt stand und erneut zu-
ne Erinnerung wiederkehren würde, aber man hat sie leider zu gründlich gelöscht.« Ich zuckte mit den Schultern. »Dein Wissen wäre jetzt ohnehin alter Schnee, wie die Terraner sagen. In mehr als zehntausend Jahren muß es auch hier große Veränderungen gegeben haben, zumal die Herren der FESTUNG sich kaum um Land und Leute kümmern.« »Ich bin gespannt, ob sie doch noch einen Weg finden werden, die Horden der Nacht durch das Schirmfeld hinaus auf die Erde zu bringen«, meinte Razamon. »Es ist gut, daß ihr so schnell reagiert und das Feld aufgebaut habt. Andernfalls wäre jetzt draußen wohl der Teufel los.« »Es würde mich sehr interessieren, was dort überhaupt los sein mag«, gab ich zurück. »Wir befinden uns jetzt schon rund einen Monat hier auf Pthor, und das ist eine Menge Zeit. Warum hat Perry Rhodan inzwischen noch nichts unternommen? Er hat die hervorragende Technik des Solaren Imperiums zur Verfügung, die vielen Spezialisten des Waringer-Teams, und außerdem noch die Mutanten! Ich kann mir kaum vorstellen, daß es ihnen nicht gelingen sollte, sich irgendwie einen Weg durch den Wölbmantel zu bahnen.« Mein Gefährte rieb sich nachdenklich die Stirn. »Das erscheint mir auch wunderlich, aber es könnte eine einfache Erklärung dafür geben: Vielleicht stimmt der Zeitablauf von Pthor nicht mit dem der Erde überein. Wenn das der Fall ist, mögen draußen vielleicht erst ein paar Tage vergangen sein, während es für uns Wochen waren.« »Ist das nur eine Vermutung, oder eine deiner Resterinnerungen, die plötzlich zum Vorschein kommt?« erkundigte ich mich. Ich bekam jedoch keine Antwort mehr, denn plötzlich ereignete sich etwas, das unsere Unterhaltung abrupt beendete. Gefahr! klang die Stimme meines Extrasinns drängend in mir auf. Ich hatte zwar weiterhin unsere Umgebung beobachtet, aber das Gespräch hatte mich doch abgelenkt. Mein »innerer Wächter« schien dafür etwas bemerkt zu haben, das meiner Aufmerksamkeit entgangen war. Ich vergeudete keine Zeit mit Rückfragen, gab 10
ATLAN 7 – Die Stahlquelle habe versagt. Ich irre jetzt schon seit Tagen im Dschungel umher und habe soviel Angst ...« »Steh auf«, sagte Razamon, »wir werden dir nichts mehr tun. Warum hat man dich vertrieben?« Der Junge erhob sich folgsam. Er zitterte immer noch, aber er beruhigte sich nach und nach. Und dann erfuhren wir seine Geschichte. Er hieß Kälderspuur und gehörte zum Eingeborenenstamm der Yaghts. Diese hatten vor einigen Tagen Mannbarkeitsriten abgehalten, durch die die Jünglinge in den Kreis der erwachsenen Männer eingeführt werden sollten. Diese waren natürlich mit den bei primitiven Völkern üblichen Quälereien und Mutproben verbunden gewesen. Dazu hatte unter anderem auch der Gang mit nackten Füßen durch ein Feuer gehört – alle anderen hatten ihn absolviert, nur Kälderspuur nicht. Er war vor den lodernden Flammen zurückgeschreckt, sekundenlang nur, aber das hatte genügt. Die Ältesten hatten ihn als feige angesehen und davongejagt. Jetzt irrte er durch den Blutdschungel und war auf der Suche nach der sagenhaften Stahlquelle, von der niemand genau wußte, wo sie lag. Man hatte ihm gesagt, daß er zu seinem Stamm zurückkehren dürfe, wenn er eine Waffe vorweisen könnte, die von dort stamme. Er hatte auf uns geschossen, weil er gehofft hatte, unsere Skerzaals zu erbeuten, die in seinen Augen ausgesprochen furchtbare Waffen waren. Wir hatten Verständnis für ihn, aber wir wußten nicht recht, was wir weiter mit ihm anfangen sollten. Unsere Aufgabe war ohnehin schon schwierig genug, er konnte uns dabei höchstens noch mehr behindern. Es widerstrebte uns aber auch, ihn einfach seinem Schicksal zu überlassen, denn seine Überlebenschancen im Dschungel waren denkbar gering. Das änderte sich jedoch von einem Augenblick zum anderen. Plötzlich waren wir dem Schicksal dankbar dafür, daß es uns mit dem Jungen zusammengeführt hatte. »Ich weiß, wer eure Reittiere getötet und die Sachen geraubt hat, die sie trugen«, sagte er. »Ich habe sie dabei beobachtet, hielt mich
schlug. Ich fiel ihm in den Arm. »Stop!« sagte ich entschieden. »Du willst dich doch nicht an einem Unschuldigen vergreifen? Dieser schmächtige Junge gehört nicht zu den Räubern, das sieht man auf den ersten Blick.« 3. So plötzlich, wie sie gekommen war, verebbte Razamons Wut wieder. Seine grimmige Miene entspannte sich, ein Ausdruck von Verlegenheit erschien in seinem Gesicht, als er nun seinen Gefangenen näher in Augenschein nahm. »Entschuldige, Atlan«, sagte er dann. »Du weißt ja, wie es mir ergeht, wenn es mich gepackt hat. Sind wirklich keine anderen Wilden in der Nähe?« Ich verneinte, denn weder auf der Lichtung noch im Dschungel hatte sich sonst etwas gerührt. Der Eingeborene lag immer noch auf dem Boden und wimmerte leise vor sich hin. Es war ein Halbwüchsiger, ein Junge auf der Grenze zum Mannesalter. Er trug nur Ledersandalen und einen Lendenschurz, sonst war er vollkommen nackt. Seine Hautfarbe ließ sich kaum feststellen, denn er war fast ganz mit Morast beschmiert. Der rundliche Schädel war vollkommen kahl, über einer platten Nase saßen kohlschwarze, jetzt von Tränen erfüllte Augen. Von der Tatsache abgesehen, daß Hände und Füße jeweils sechs Finger und Zehen besaßen, war er vollkommen humanoid. Neben ihm lag sein Bogen, eine fast unmögliche Konstruktion aus einem krummen Ast, mit einer zusammengedrehten Liane als Sehne. Was hatte dieser Bursche allein in dieser für alle Lebewesen feindlichen Umgebung zu suchen? Ich fragte ihn danach, aber er starrte mich nur ängstlich an. Erst jetzt fiel mir ein, daß ich Terranisch gesprochen hatte, wie zuvor mit Razamon. Ich wiederholte meine Frage in Pthora, und diesmal verstand er mich. Er antwortete, aber er sprach ein schauderhaftes Idiom, so daß ich Sekunden brauchte, um den Sinn herauszufinden. »Sie haben mich verstoßen!« stammelte er. »Mein Stamm will mich nicht mehr, denn ich 11
ATLAN 7 – Die Stahlquelle schüttelte jedoch den Kopf. »Das sind nur die Bäume«, sagte er und wies nach oben. Wir folgten seiner Geste mit den Augen und begriffen gleich darauf, was er meinte. Diese Bäume waren wahre Riesen mit rotbrauner Borke und fast schwarzen fleischigen Blättern. Sie standen so eng zusammen, daß sie sich gegenseitig das Sonnenlicht versperrten. Um dieses war nun ein förmlicher Kampf zwischen ihnen im Gange. Ihre Äste drehten und wanden sich, als wären sie die Glieder tierischer Lebewesen. Jeder Baum versuchte, die seines Nachbarn abzudrängen, um sich den Platz an der Sonne zu erkämpfen. Dadurch kam es zu ständigen Zusammenstößen und Reibereien, und diese verursachten die weithin vernehmbaren Geräusche. Rindenstücke flogen umher, das Holz darunter wurde frei, und aus den Wunden ergoß sich ein dünner blutroter Saft. Er rann an den Stämmen hinab und sammelte sich auf dem Boden in kleinen Lachen, ehe er langsam versickerte. Razamon nickte. »Daher also der Name Blutdschungel«, meinte er. Er leckte sich die Lippen und wandte sich an Kälderspuur. »Kann man diesen Saft trinken?« fragte er hoffnungsvoll, doch der Junge wehrte entsetzt ab. »Auf gar keinen Fall, Herr!« sagte er und machte ein Zeichen in die Luft. »In dem Blut der Bäume sitzen böse Waldgeister, die danach trachten, uns zu verderben. Wer davon trinkt, verfällt nach wenigen Stunden dem Wahnsinn und geht zugrunde.« Er brachte das so ernsthaft hervor, daß ich mir ein Lächeln über seine Interpretation verkniff. Mir war natürlich klar, daß dieser Saft ein Gift enthielt, das dem der irdischen Tollkirsche entsprach. Primitive Völker neigten aber stets dazu, in solchen Dingen das Werk von Geistern und Dämonen zu sehen, das hatte ich im Laufe meines langen Lebens oft genug erfahren. »Ich hoffe nur, daß die Bropen noch nicht auf die Idee gekommen sind, sich die ›bösen Geister‹ nutzbar zu machen, indem sie ihre Speer- oder Pfeilspitzen mit dem Gift tränken«, sagte ich auf Terranisch zu Razamon. »Das wäre ausgesprochen schlecht für uns,
aber versteckt, sonst hätten sie mich umgebracht.« »Wer war es?« drängte Razamon ungeduldig. »Du mußt es uns sagen, wir wollen unser Eigentum zurückholen.« »Es waren Angehörige des Stammes der Bropen«, erklärte Kälderspuur. »Das sind schlimme Räuber, vor denen im Dschungel niemand sicher ist. Sie haben auch unser Dorf vor einiger Zeit überfallen, wobei zehn Männer von uns getötet wurden.« »Zeig uns den Weg zu ihnen«, verlangte ich, aber der Junge schüttelte entsetzt den Kopf. »Das darfst du nicht von mir verlangen, Herr«, wimmerte er. »Sie sind in großer Überzahl, und wenn sie uns fangen, werden sie uns sofort töten. Außerdem führt der Weg zu ihrem Dorf durch das Gebiet der Raubschweine. Diese Bestien fallen jeden an, der ihnen über den Weg läuft.« Razamon klopfte auf seine Waffe. »Gegen Stahlbolzen aus den Skerzaals werden sie kaum gefeit sein«, meinte er entschieden. »Paß auf, ich mache dir einen Vorschlag: Du führst uns zu den Bropen, und wir holen unsere Sachen zurück. Wir werden es schon schaffen, denn wir sind erfahrene Kämpfer aus der Stadt Orxeya. Hinterher helfen wir dir dann, die Stahlquelle zu finden, damit du wieder zu deinem Stamm zurückkehren kannst. Einverstanden?« Etwas von seiner Zuversicht färbte auch auf Kälderspuur ab. Es war aber wohl vor allem die Aussicht, rehabilitiert in sein Dorf zurückkehren zu können, die ihn zustimmen ließ. Wir machten uns sofort auf den Weg und überquerten die Lichtung nach Nordwesten hin. Die Sonne war inzwischen höher gestiegen, und es wurde noch wärmer. Der Durst plagte uns bereits jetzt, aber es gab weit und breit kein genießbares Wasser. Die nächste brauchbare Quelle befand sich im Dorf der Bropen, das nach Auskunft des Jungen etwa drei Stunden Fußmarsch entfernt war. Vor uns ragten wieder die Dschungelbäume auf, und plötzlich zuckten wir zusammen. Ein unheimlich anzuhörendes Knarren und Ächzen klang aus dem Urwald, und wir griffen unwillkürlich nach den Waffen. Kälderspuur 12
ATLAN 7 – Die Stahlquelle könnten wir gut davonkommen. Die anderen stürzen sich dann sofort darauf und fressen es auf.« Während einer kurzen Rast hatten wir ihm einen neuen Bogen angefertigt und Pfeile dazu geschnitzt. Er war also auch nicht ganz wehrlos, aber die Wirkung seiner Waffe war mehr moralischer Art. Wenn diese Bestien wirklich so groß waren, wie er sie uns beschrieben hatte, gehörte schon ein Treffer direkt ins Auge dazu, um sie zu erledigen. Ich riet dem Jungen, bei einem Zusammentreffen mit den Tieren sich auf dem nächsten Baum in Sicherheit zu bringen und uns den Kampf zu überlassen. Er schüttelte jedoch mutlos den Kopf. »Das wäre sinnlos, Herr. Diese Ungeheuer sind furchtbar in ihrer Wut. Sie würden den Baum so lange mit ihren Hauern bearbeiten, bis er fällt. Vor ihnen ist man nur sicher, wenn man ihnen aus dem Wege geht.« »Schöne Aussichten!« knurrte Razamon auf Terranisch. Im nächsten Moment legte er seine Skerzaal an und schoß blitzschnell. Der Bolzen traf den Kopf eines schenkelstarken Wurmes, der wie von einer Feder geschnellt aus einem unterirdischen Loch geschossen kam. Er war dunkelrot, und sein Maul besaß unzählige spitze Zähne. An Stelle von Augen hatte er tentakelähnliche Fühler und bewegte sich auf unzähligen kurzen Beinen. Er lief dann auch noch weiter, als sein Kopf längst zerschmettert war, und wir wichen ihm hastig aus. Staunend sahen wir, daß der runde Körper etwa zehn Meter lang war. »Ein Tasselwurm!« keuchte Kälderspuur und verbarg sich verstört hinter meinem Rücken. Er beruhigte sich erst, als der Körper des Tieres schwer zu Boden fiel und seine letzten Zuckungen erstarben. Wir erfuhren von ihm, daß diese Riesenwürmer sehr selten, aber ungeheuer gefährlich waren. Schon die leiseste Berührung ihrer mit Widerhaken versehenen Rückenstacheln brachte den Tod, ebenso wie der Biß ihrer Giftzähne. Sie waren die einzigen Dschungelbewohner, die es selbst mit den Raubschweinen aufnehmen konnten. Wenig später stolperten wir trotz aller Vorsicht infolge des schlechten Lichtes direkt in
weil uns dann schon ein Streifschuß erledigen würde.« Der Atlanter nickte mit verkniffenem Gesicht. Wir machten einen weiten Bogen um die Kolonie der Blutbäume und drangen wieder in den Dschungel vor. Erneut ging es durch morastiges Gelände. Unsere niedrigen Stiefel waren längst voll Wasser gesogen, und ich spürte, wie sich an den Füßen erste Blasen zu bilden begannen. Doch es half nichts, wir mußten durchhalten, wenn wir diesem Urwald lebend wieder entrinnen wollten. Das wurde uns jedoch nicht einfach gemacht. Kälderspuur war ein Kind des Blutdschungels und führte uns rein instinktiv so, daß wir den größten Schwierigkeiten entgingen. Trotzdem mußten wir uns ständig vorsehen. Der Junge hatte uns zwar versichert, daß die großen Raubtiere tagsüber schliefen und nur in der Nacht auf Beutesuche gingen. Es gab aber immer noch genug andere Lebewesen, die sich nicht an diese Regel hielten. Schlangen aller Größen lagen im Moos verborgen und schnellten sofort hoch, sobald sich in ihrer Nähe etwas bewegte. Käfer und Spinnen ließen sich von oben herabfallen und bissen zu. Nur unsere Stiefel und die dicken Jacken bewahrten uns einige Male vor tödlichen Bissen. Wie sich Kälderspuur inmitten dieser feindlichen Umgebung tagelang allein am Leben erhalten hatte, blieb mir schleierhaft. Und ausgerechnet ihm hatte man den Mut abgesprochen, weil er vor dem Feuer zurückgeschnellt war! Ich beschloß, mit seinem Stammesältesten einige ernste Worte zu reden, sobald wir erst sein Dorf erreicht hatten. Doch der Weg dorthin war noch weit – und er führte zunächst einmal zu den Bropen ... Wir waren schätzungsweise eine Stunde unterwegs, als Kälderspuur unruhig zu werden begann. »Wir erreichen jetzt gleich das Gebiet, in dem die Raubschweine leben«, erklärte er mit furchtsamer Miene. »Umgehen können wir es nicht, dazu würden wir mehrere Tage brauchen. Haltet eure Waffen bereit und schießt sofort, wenn ihr sie zu Gesicht bekommt. Wenn es euch glückt, eines der Tiere zu töten, 13
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Der alte Kempoort braucht sie, um Wein daraus zu machen, wenn unser Stamm ein Fest begeht.« »Sollen wir?« fragte Razamon mißtrauisch. Ich nickte. »Ich glaube, daß wir es riskieren können. Bisher haben wir alles essen können, was auch die Bewohner von Pthor zu sich nehmen.« Wir legten eine kurze Rast ein und vertilgten jeder ein Dutzend eigroße Früchte. Sie waren saftig und mehlig zugleich, schmeckten etwa wie Mandarinen und stillten sowohl Hunger wie Durst. Dieser Fund war die erste erfreuliche Begebenheit auf unserem Weg durch den Blutdschungel. Vermutlich bleibt es auch die einzige! sagte mein Extrasinn nüchtern und emotionslos wie immer. Ich ignorierte diesen Einwurf und schloß für einen Moment die Augen. Prompt nickte ich ein und fuhr verstört hoch, als mich Razamon anstieß. »Ausgeschlafen, Admiral?« erkundigte er sich spöttisch. »Da wird immer behauptet, Zellaktivatorträger bräuchten nur wenig Schlaf, aber das muß wohl eine fromme Sage sein. Du hast jetzt mindestens eine halbe Stunde vor dich hingeschnarcht!« Auch Kälderspuur hatte sich auf dem Boden zusammengerollt und schlief, nur der Atlanter hatte Wache gehalten. Wir weckten den Jungen und brachen wieder auf.
ein Schlangennest. Nur mit geradezu akrobatischen Sprüngen konnten wir uns im letzten Moment noch in Sicherheit bringen. Die Tiere – es handelte sich um mindestens ein Dutzend – waren nicht groß, glichen aber der berüchtigten schwarzen Mamba, und das nicht nur im Aussehen. Sie setzten sofort zur Verfolgung an, wir konnten uns jedoch schneller bewegen als sie. Bald verlor sich ihr angriffslustiges Zischen hinter uns. Ich atmete auf, als es dann vor uns heller wurde. Zu früh, denn nun raunte uns Kälderspuur zu, daß dort die von den Raubschweinen bewohnte Zone lag. Schweigend schlichen wir darauf zu, und bald bekamen wir auch die Spuren ihres zerstörerischen Wirkens zu sehen. Außer einigen besonders starken Bäumen wuchs in diesem Gebiet nichts mehr. Jede andere Vegetation war niedergewalzt und zertrampelt, der weiche Boden wie von Baggerschaufeln zerwühlt. Riesige Mulden, in denen schwärzliches Wasser stand, dienten ihnen offenbar als Suhlen. Als ich die Abdrücke ihrer Fährte sah, mußte ich unwillkürlich schlucken. Die Tatzen eines mittelgroßen Sauriers hinterließen etwa gleichgroße Spuren, und das sagte uns alles. Und doch hatten wir geradezu unverschämtes Glück – wir bekamen nicht ein einziges dieser Ungeheuer zu Gesicht! Die ganze Gegend lag da wie ausgestorben, nur Vögel lärmten in den Baumkronen. Vorsichtig wie flüchtige Verbrecher suchten wir uns unseren Weg durch das zerwühlte Gelände. Wir mußten etwa einen Kilometer zurücklegen, ehe wieder der Dschungel begann, der uns nun fast anheimelnd erschien. »Sie müssen auf einem Raubzug sein«, erklärte Kälderspuur. Er war inzwischen noch schmutziger geworden, aber wir sahen auch nicht mehr taufrisch aus. Der Schweiß lief uns in Strömen über die Gesichter, unsere Münder waren ausgetrocknet und unsere Mägen knurrten vernehmlich. Dann stießen wir jedoch auf Büsche, die mit großen blauen Früchten behangen waren. Das Gesicht des Jungen begann zu strahlen, er riß einige ab und hielt sie uns entgegen. »Ihr könnt sie unbesorgt essen«, versicherte er. »Sie sind köstlich, aber nur selten zu finden.
4. Nun kamen wir erheblich schneller voran als zuvor. Wir waren erholt, und der Boden wurde zunehmend trockener. Die Bäume standen nicht mehr so dicht zusammen, so daß genügend Licht bis zur Erde durchkam. Dafür gab es hier wieder mehr Unterholz, aber es wucherte nicht so üppig wie in den feuchten Gebieten. Kälderspuur erklärte, daß es eine ganze Reihe solcher Oasen im Blutdschungel gab. Wir wurden jetzt in zunehmendem Maße von Insekten belästigt, aber der Junge wußte auch hier Rat. Er stöberte einen Strauch mit stachelbeerähnlichen Früchten auf und wies uns an, diese zu zerquetschen und die freien 14
ATLAN 7 – Die Stahlquelle ebener Erde wohnten. Sie lebten vielmehr in Baumhütten, die sie rings um die Stämme pinienähnlicher Bäume errichtet hatten. Sie bestanden aus Plattformen von etwa vier Meter Durchmesser, erbaut aus Ästen, die mit Lianen zusammengebunden waren. Auch die Wände wurden durch Holzknüppel gebildet, die etwa dreißig Zentimeter auseinander saßen, so daß der Eindruck von großen Käfigen entstand. Die schrägen Runddächer bestanden aus Baumrinde und Blättern, die ebenfalls durch Lianen gehalten wurden. An jedem Haus lehnte eine ebenso primitive Leiter, über die der einzige Zugang zu erreichen war. Mehr interessierten mich jedoch die Dorfbewohner, die sich auf dem freien Platz inmitten der Hütten versammelt hatten. Es mochten etwa dreihundert sein, die Frauen und Kinder eingeschlossen. Allerdings waren überraschend wenig Männer zu sehen. Das legte den Schluß nahe, daß sich der größte Teil von ihnen auf irgendwelchen Beutezügen befand. Auch die Bropen waren absolut humanoid und im Durchschnitt so groß wie normale Menschen. Auffallend jedoch war ihre Magerkeit, die sie dünn und zerbrechlich erscheinen ließ. Ihre Haut war fahlweiß, die Gesichter wirkten eingefallen, so daß ich unwillkürlich an Totenschädel denken mußte. Auch die spärlichen grauen Haarbüschel auf ihren Köpfen paßten dazu. Ich schüttelte den Kopf, als ich daran dachte, daß gerade diese Wesen als Räuber berüchtigt waren. Schnell mußten sie aber jedenfalls sein, das sah ich an den Kindern, die sich der Aufsicht ihrer Mütter entzogen hatten. Sie turnten mit affenähnlichem Geschick die Leitern hinauf und hinunter. Die Erwachsenen hingegen schienen eine Zeremonie zu absolvieren. Sie saßen im Kreis herum, gaben einen unverständlichen Singsang von sich und klatschten im Takt dazu. Als Vorsänger fungierten einige ältere Männer, die außer der üblichen spärlichen Bekleidung aus Leder und Bastfaser Kronen aus bunten Vogelfedern auf den Köpfen trugen. »Laß mich auch mal sehen«, forderte Razamon, und ich machte ihm Platz. Nach einer Weile nickte er zufrieden. »Sie sind tatsächlich unbewaffnet, das gibt uns eine Chance. Wenn wir plötzlich aus der
Hautpartien damit einzureiben. Unsere Gesichter und Hände schimmerten zwar anschließend grün, aber Fliegen und Mücken machten einen weiten Bogen um uns. Schlangen und ähnliches Gewürm gab es in dieser Gegend nicht. Einige Male bekamen wir rehähnliche Tiere mit bläulichem Fell zu Gesicht, die aber eilig die Flucht ergriffen. Gar nicht scheu dagegen waren die fetten Mäuse, deren Löcher überall zu sehen waren. Sie wimmelten hin und her, sprangen an uns hoch und versuchten uns zu beißen. Gegen das Leder unserer Stiefel kamen sie jedoch nicht an, und Kälderspuur wurde seltsamerweise von ihnen verschont. »Er ist ihnen zu dreckig«, witzelte Razamon. Nach einer halben Stunde erreichten wir dann eine Barriere von dichtem Dornengestrüpp. Der Junge erklärte, daß dahinter das Dorf der Bropen läge, die diesen lebenden Schutzwall errichtet hätten. Tatsächlich konnten wir bereits gedämpfte Rufe aus zahlreichen menschlichen Kehlen hören. Sie klangen wie rituelle Wechselgesänge. Nun kam ein schweres Stück Arbeit für uns. Es gab in den Dornenbüschen keine einzige Lücke, durch die wir hätten schlüpfen können. Sie ragten etwa drei Meter hoch auf und waren förmlich ineinander verfilzt. Wir mußten unsere Messer benutzen, um uns eine Gasse in dieses Gewirr zu schneiden. Das war eine höllische Arbeit, die noch zusätzlich erschwert wurde, weil wir möglichst geräuschlos arbeiten mußten. Wenn uns die Bropen vorzeitig bemerkten, war es mit der geplanten Überraschung vorbei. Ich wechselte mich mit Razamon bei dieser Tätigkeit ab. Einer schnitt, der andere räumte die Äste beiseite, und auch Kälderspuur half eifrig dabei. Er zeigte jetzt gar keine Angst mehr. Es dauerte eine halbe Stunde, bis wir einen schmalen Tunnel geschaffen hatten, denn die Hecke war etwa fünf Meter breit. Dann trennte uns nur noch ein schmaler Vorhang von Ästen von der freien Fläche, die auf der anderen Seite lag. Ich bog sie vorsichtig zur Seite und spähte hindurch. Überrascht sah ich, daß die Bropen nicht zu 15
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Häuser waren erheblich näher, und auch dort turnten die Kinder herum. Sie verhielten sich aber vollkommen still dabei, offenbar hatte man sie auf die Bedeutung der »Zeremonie« hingewiesen. Meiner Schätzung nach hatten wir in den Satteltaschen mindestens hundert der Steine transportiert. Jetzt konnte ich feststellen, daß diese Überschlagrechnung ungefähr stimmte. Als die anwesenden rund sechzig Männer versorgt waren, blieb noch eine Anzahl übrig, die nun an die Frauen ausgeteilt wurden. Diese erhielten jedoch nur die kleinen Exemplare. Die großen blieben jenen Männern vorbehalten, die sich durch besondere »Heldentaten« ausgezeichnet hatten, wie aus den Worten der Ältesten hervorging. Besonders bevorzugt wurden natürlich die, die sie geraubt und unsere Yassels getötet hatten. Das erfuhren wir von Kälderspuur, der inzwischen den Gang in der Hecke so erweitert hatte, daß er sich bis zu uns vorschieben konnte. Er bezeichnete uns die betreffenden Männer und wir nahmen uns vor, ihnen dafür einen kleinen Denkzettel zu verabreichen. Vorerst warteten wir aber noch ab und beobachteten weiter. Schon nach kurzer Zeit war zu erkennen, daß die Illusionssteine sich auf das Wahrnehmungsvermögen der Bropen ebenso auswirkten wie zuvor auf das unsere. Eine wahrhaft kindlich anmutende Fröhlichkeit bemächtigte sich ihrer. Sie sprangen auf und drehten sich, die Steine fest vor die Augen gepreßt, nach allen Richtungen. Ausrufe des Entzückens erklangen, sie begannen zu hüpfen und zu tanzen. Das erregte jedoch den Neid derer, die keine Steine bekommen hatten. Die leer ausgegangenen Frauen rissen sie ihren Stammesgenossinnen aus den Händen und sahen selbst hindurch. Das ließen sich diese, plötzlich aus ihren bunten Träumen gerissen, natürlich nicht widerspruchslos gefallen. Es kam zu regelrechten Prügeleien, das Dorf verwandelte sich im Nu in ein wahres Tollhaus. Der Lärm war so laut, daß er kilometerweit zu hören sein mußte. Nur die bropischen Kinder blieben nach wie vor still und sahen von den Leitern oder aus den Häusern mit offenen Mündern dem Treiben zu. Als etwa zehn Minuten vergangen waren
Hecke hervorbrechen und ihnen die Skerzaals zeigen, dürften sie kaum Widerstand leisten. Wir sollten schnell handeln, ehe die anderen zurückkommen.« Mit einiger Mühe schob ich mich neben ihn und betrachtete die Szene nochmals, um unser Vorgehen genau planen zu können. Plötzlich zuckte ich jedoch zusammen und krallte meine Hand unbewußt in Razamons Arm. »Siehst du, was sie da haben? Unsere Satteltaschen!« Die Taschen hatten bisher inmitten des Kreises auf dem Boden gelegen, so daß uns die Sicht darauf durch die Sitzenden versperrt gewesen war. Nun waren zwei Männer mit Federkronen aufgestanden, hoben sie hoch und drehten sie im Kreis, um sie von den anderen bewundern zu lassen. Sie sangen dazu, aber ihr Pthora war noch viel schlechter als das von Kälderspuur. Ich konnte lediglich die Worte »ruhmreiche Krieger« und »Beute« verstehen, der Rest ließ sich aber erraten. »Verdammtes Gesindel!« knurrte der Atlanter, und seine Augen funkelten vor Zorn. Er wollte aufspringen und durch die Äste brechen, aber ich hielt ihn, einer plötzlichen Eingebung folgend, gerade noch zurück. »Warte noch!« raunte ich beschwörend. »Gleich wird etwas erfolgen, das wir uns auf keinen Fall entgehen lassen sollten.« Er gehorchte nur ungern, sollte aber bald merken, daß ich recht behielt. Die beiden Männer hatten inzwischen die Taschen geöffnet. Sie mußten sich schon zuvor mit ihrem Inhalt befaßt haben, denn unsere Lebensmittel waren nicht mehr darin. Dafür holten sie nun die Illusionssteine hervor und verteilten sie an die anwesenden Männer. Dazu sangen sie etwas, aus dem ich »Freuden der Götter« heraushören konnte, und ich begann unwillkürlich zu grinsen. »Hast du es jetzt begriffen?« fragte ich Razamon. »Gleich werden all die tapferen Räuber wie gebannt durch die Steine starren und darüber die Realität vergessen! Wenn wir dann auf sie losgehen, haben wir leichtes Spiel.« »Hoffen wir, daß du recht behältst«, gab der Gefährte leise zurück. Wir waren vorsichtig, obwohl sich der Kreis der Bropen etwa siebzig Meter von uns entfernt befand. Zwei 16
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Die Kinder und jene Frauen, die keine Illusionssteine bekommen hatten, bemerkten das hereinbrechende Unheil. Sie schrien schrill durcheinander und versuchten, auch die anderen darauf aufmerksam zu machen. Das gelang ihnen jedoch nicht, und so rasten sie die Leitern hinauf, um sich in ihren Häusern in Sicherheit zu bringen. Die Männer und ein Teil der Frauen blieben auf dem Dorfplatz zurück. Sie tanzten nach wie vor jubelnd umher, die Steine fest an die Augen gedrückt. Sie sahen ungeahnte Herrlichkeiten und waren der Realität vollkommen entrückt. Als ich dann die ersten Tiere auftauchen sah, biß ich die Zähne fest zusammen, um mein Grauen zu unterdrücken, denn ich wußte, was sich nun zwangsläufig ereignen mußte. Die Raubschweine brachen durch die Dornenhecke wie Horden der Unterwelt. Diese Bestien waren anderthalb Meter hoch und ungefähr vier Meter lang! Ein langes graubraunes Fell aus stachligen Haaren bedeckte ihre walzenförmigen Körper und baumstarken Beine. Das Erschreckendste an ihnen waren jedoch die Köpfe. Die spitzen Ohren waren verhältnismäßig klein, die blutroten Augen dafür um so größer. Die meterlangen Wühlschnauzen waren angriffslustig emporgereckt, und aus ihnen ragten armlange Hauer wie die Stoßzähne von Elefanten empor. Jedes dieser Tiere mußte ungefähr eine Tonne wiegen. Kein Wunder, daß sie den Dornenwall fast mühelos durchbrechen konnten, der sonst gegen jedes andere Lebewesen Schutz bot. Wie Furien stürzten sie sich auf die Bropen. Diese starrten nach wie vor durch die Illusionssteine und schienen die Untiere unter ihrem Einfluß als eine besondere Attraktion anzusehen. Ihre Entzückensschreie wurden noch um einiges lauter, das Stampfen und Grunzen überhörten sie ganz. Ich schüttelte mich, das grauenvolle Gemetzel unter ihnen begann. Die Raubschweine – ich zählte etwa dreißig Exemplare dieser Horde – machten ihrem Namen alle Ehre. Sie kamen wie ein urweltliches Unwetter über die verzückt durch die Steine blickenden
und das Durcheinander immer schlimmere Formen annahm, nickte ich Razamon zu. »Komm, jetzt ist unsere Zeit da. Du hältst dich aber vorerst zurück, Kälderspuur, damit wir eine Rückendeckung haben. Ich sage es dir, wenn du ...« Ich unterbrach mich, denn ich bemerkte, daß mir der Junge überhaupt nicht zuhörte. Er lauschte in die Ferne, und sein Gesicht verzerrte sich in aufkommender Panik. »Die Raubschweine kommen!« stieß er plötzlich schreckerfüllt hervor. * »Was sagst du da?« fragte Razamon entgeistert. Auch ich wollte es zuerst nicht glauben, aber gleich darauf wurden wir eines Besseren belehrt. Ein wüstes Heulen und Grunzen näherte sich von rechts her dem Dorf der Bropen. Es wurde rasch lauter, begleitet vom Dröhnen und Stampfen der Tierhufe, das den Boden erzittern ließ. Dann klangen splitternde und berstende Geräusche auf. Die Tiere durchbrechen den Dornenwall! sagte der Logiksektor warnend. Der Lärm hat sie angelockt und in Raserei versetzt. Ihr solltet euch schleunigst in Sicherheit bringen, von dem Dorf dürfte nach dem Überfall nicht mehr viel übrigbleiben. Das befürchtete ich auch – aber wohin sollten wir fliehen? Daß wir uns zurück in den Dschungel begaben, hatte wenig Sinn. Dort hätten uns die riesigen Tiere rasch eingeholt, und die Skerzaals allein genügten nicht, um sie abzuwehren. Nein, da war es schon besser, wenn wir vorerst blieben, wo wir jetzt waren. Einen besseren Schutz als die Dornhecke konnte es für uns kaum geben. Das sagte ich auch dem Atlanter, und er war der gleichen Meinung. Kälderspuur dagegen war überhaupt nicht ansprechbar. Er preßte sich fest gegen den Boden, barg das Gesicht in den Armen und zitterte jämmerlich. Aus seinem Mund kamen undeutliche Wortfetzen, mit denen er vermutlich irgendwelche Götter oder Dämonen beschwor. Er tat mir leid, aber was mich förmlich mit Entsetzen erfüllte, war das Schicksal, das die Bropen erwartete! 17
ATLAN 7 – Die Stahlquelle uns ins Dorf. Mit einiger Überwindung gelang es mir und Razamon, über die Opfer des Massakers hinwegzusehen. Wir fanden die Satteltaschen wieder. Die Illusionssteine waren zum Teil in den Boden gestampft worden, der nun wie umgepflügt aussah. Aus den Baumhütten klangen erste Schreie und Klagen auf, doch wir kümmerten uns nicht darum. Es war ohnehin unmöglich, den Überlebenden irgendwie zu helfen. Nach zehn Minuten hatten wir die meisten der Steine wieder aufgesammelt und verstaut. »Genug«, sagte ich. »Wir sollten jetzt schleunigst verschwinden. Wenn die Männer zurückkommen, die jetzt auf Raub aus sind, dürfte es uns schlecht ergehen.« »Nicht erst dann!« sagte Razamon heiser. Er sah über meine Schulter hinweg und sein Gesichtsausdruck war so alarmierend, daß ich mich schleunigst umwandte. Als ich erkannte, was da auf uns zukam, überlief es mich kalt.
Bropen. Ihre Hauer stießen zu, und schon wirbelten die zerbrechlichen Körper durch die Luft. Andere wurden einfach niedergetrampelt, ihre Entsetzens- und Todesschreie gellten durch das Dorf. Dutzende starben innerhalb einer halben Minute, aber die übrigen tanzten und jubelten immer noch umher ... Was dann folgte, war einfach zuviel. Ich wandte mich schaudernd ab, denn mein Magen revoltierte, und Razamon erging es nicht besser. Als ich mich endlich wieder dazu überwinden konnte, durch die Hecke zu sehen, hatte sich das Bild gewandelt. Die noch lebenden Bropen hatten irgendwie begriffen, was hier vor sich ging. Entsetzt ließen sie die Illusionssteine fallen und rasten in wilder Flucht davon. Der Weg zu ihren Häusern war ihnen abgeschnitten, denn die Leitern waren inzwischen umgestürzt oder eingezogen worden. Sie flohen durch die breite Lücke im Dornenwall, die durch die Schweinehorde geschaffen worden war. Es waren nicht mehr als vierzig, die anderen lagen tot oder sterbend auf dem Platz. Die Untiere tobten noch eine Weile umher, dann schien sich ihre Wut gelegt zu haben. Es wäre ihnen leichtgefallen, die Bäume mitsamt den Hütten umzulegen, aber sie verzichteten darauf und entfernten sich schließlich wieder. So entgingen wenigsten die meisten Frauen und Kinder dem Tod. Es war nun geradezu unheimlich still, die Überlebenden waren immer noch vom Entsetzen gelähmt. Plötzlich meldete sich mein Extrasinn wieder. Ihr solltet jetzt versuchen, wenigstens einen Teil der Illusionssteine zurückzuerlangen, sagte es nüchtern wie immer. Wie stark ihre Wirkung ist, habt ihr nun erfahren, sie können euch in dieser Umgebung noch von großem Nutzen sein. Beeilt euch damit – wenn erst die auf Raubzug befindlichen Bropen zurückkehren, ist es mit Sicherheit zu spät. Ich teilte Razamon diese Überlegungen mit, und er stimmte mir zu. Allerdings dauerte es noch eine Weile, bis wir Kälderspuur dazu bewegen konnten, sich vom Boden zu lösen. Als er aber sah, daß die Raubschweine fort waren, folgte er uns willig. Wir zwängten uns ins Freie und begaben
5. Das größte Exemplar der Raubschweine war in der Lücke in den Dornenbüschen erschienen! Dieses Tier war mir schon zuvor aufgefallen, es schien der Anführer der Horde zu sein. Fast jede Spezies, die in Gruppen zusammenlebt, besitzt ihre Leittiere, die über irgendwelche besonderen Fähigkeiten verfügen. Manchmal dominieren sie aufgrund ihrer Stärke, manchmal infolge ihrer relativen Intelligenz. Dieser riesige Kerl schien beide Eigenschaften zu gleichen Teilen in sich zu vereinen. Dafür sprach schon die Lautlosigkeit, mit der er ins Dorf der Bropen zurückgekehrt war. Nicht wild stampfend und alles überrennend, sondern unbemerkt auf leisen Sohlen, wie man auf Terra so treffend sagte. Er war etwa dreißig Meter von uns entfernt und stand so, daß er uns den Fluchtweg durch die Bresche in den Dornbüschen versperrte. Doch auch das Schlupfloch, durch das wir gekommen waren, konnten wir nicht mehr erreichen! Die Bestie war auf jeden Fall schneller als wir und hätte uns mühelos eingeholt. 18
ATLAN 7 – Die Stahlquelle los gewordenen Skerzaals zur Seite und rissen unsere Messer hervor. Der Nahkampf war unvermeidlich geworden. Trotz unserer Bedrängnis handelten wir wie ein erstklassiges aufeinander abgestimmtes Team. Wir warteten bis zum letzten Moment, dann sprangen wir nach verschiedenen Seiten auseinander. Der Angriff ging ins Leere, der Keiler stürmte zwischen uns hindurch auf die Dornenhecke zu. Dicht davor fing er sich ab, machte auf der Stelle kehrt und stürmte nun auf Razamon los, der sich näher bei ihm befand. Wieder blieb der Atlanter ruhig stehen und erwartete das gereizt aufquiekende Tier. Dann sprang er plötzlich wie von einer Feder geschnellt auf den nächsten Hüttenbaum zu. Ich erriet seine Absicht und eilte ihm sofort zu Hilfe. Der Keiler schwenkte im Lauf herum und holte Razamon fast ein. Dieser bewegte sich ungeheuer rasch, von dem »Zeitklumpen« an seinem Bein war nichts zu bemerken. Innerhalb von Sekundenbruchteilen stand er hinter dem Baum, den die Bestie in ihrer Wut zu übersehen haben schien. Sie rannte voll mit dem Kopf dagegen, einer der Hauer bohrte sich tief in das Holz. Es krachte und splitterte, der Baum schwankte wie in einem heftigen Sturm. Von oben ertönten die Entsetzensschreie der Bropen, Holzteile lösten sich von der Hütte und fielen zu Boden. Wir achteten jedoch nicht darauf, denn das war der Augenblick, auf den wir gewartet hatten. Für einen Moment schien der Keiler von dem heftigen Aufprall wie betäubt zu sein, und das nutzte Razamon aus. Er spreizte die Beine weit, stemmte sie in den Boden und griff mit beiden Händen nach den Hauern des Tieres. Es gelang ihm mit seiner übermenschlichen Kraft, es für eine Weile festzuhalten, und inzwischen war ich herangekommen. Mit einem gewaltigen Satz sprang ich auf den Rücken des Ungetüms und stach mit meinem Messer in seine Nackenpartie. Es war meine Absicht, die Wirbelsäule zu treffen und damit den Kampf schnell zu entscheiden. Ich mußte jedoch bald bemerken, daß dieser Versuch zum Scheitern verurteilt
Jetzt blieb uns nur noch der Kampf. Fast automatisch rissen wir die Skerzaals von den Schultern, luden und spannten sie mit fliegenden Fingern und schossen. Die Sehnen sirrten, die langen Stahlbolzen huschten auf den Keiler zu. Beide trafen und bohrten sich zwischen seinen Augen tief in die Kopfschwarte. Jedes normale Tier wäre von diesen Treffern unweigerlich getötet worden. Dieses nicht! Es blieb ruhig stehen, als ob nichts geschehen wäre. Dann grunzte es unwillig auf, schüttelte heftig den Kopf, und die beiden Bolzen flogen in hohem Bogen davon. Sie schienen die Schädeldecke nicht einmal angekratzt zu haben. »Auf die Augen zielen!« rief ich Razamon zu. Der Atlanter nickte. Wir hatten inzwischen neue Bolzen aufgelegt, aber wir kamen nicht mehr zum Schuß. Plötzlich wandte sich das Untier um und rannte los, auf die Lücke in der Hecke zu. Es floh jedoch nicht, sondern stürzte sich auf Kälderspuur. Der Junge hatte sich, als er den Keiler beschäftigt glaubte, davongemacht und fast schon das Freie erreicht. Fast – denn er schaffte es nicht mehr ganz. Die Bestie erreichte ihn mit wenigen langen Sätzen, senkte den Kopf und stieß mit ihren Hauern zu. Kälderspuur stieß einen langgezogenen Schrei aus und flog wie eine Puppe hoch durch die Luft. Dann krachte er schwer zu Boden und rührte sich nicht mehr. Ich biß die Zähne zusammen, Razamon fluchte ausgiebig. Der Junge war uns inzwischen irgendwie ans Herz gewachsen, und wir fühlten uns verantwortlich für ihn. Er hatte uns vertraut, aber es war uns nicht gelungen, ihn zu schützen, und das erbitterte uns. Das Raubschwein stieß ein befriedigt klingendes Grunzen aus. Dann machte es kehrt und sah uns tückisch aus seinen roten Augen an. Übergangslos setzte es sich in Bewegung und galoppierte auf uns zu. Wir schossen sofort wieder und trafen auch, aber leider nicht die Augen. Wieder war das Resultat gleich Null, und zu neuem Nachladen kamen wir nicht mehr, das Ungetüm war einfach zu schnell. Rasch warfen wir die nutz19
ATLAN 7 – Die Stahlquelle neuen verzweifelten Attacke gegen das Ungetüm ansetzten, wurde von der Lücke im Dornenwall her ein seltsames metallisch klingendes Gerassel hörbar. Ich hatte vorerst jedoch keine Zeit, mich um die Ursache dafür zu kümmern. Razamon hing wie eine Klette an dem linken Hauer des Keilers, während ich mit dem Messer auf dessen rechtes Auge einstach. Diesmal traf ich gut. Die Bestie stieß einen langgezogenen Schmerzenslaut aus, ging mit allen vieren in die Luft und schleuderte uns beiseite. Ich fiel ausgerechnet auf den linken Arm, und erneut durchzuckte mich ein wahnsinniger Schmerz. Mühsam rappelte ich mich wieder auf, und dann wurden meine Augen groß. Ich vergaß alles andere und starrte sprachlos auf die seltsame Gestalt, die inzwischen ganz nahe herangekommen war. Von ihr ging das seltsame Gerassel aus, das ich bis dahin mehr unbewußt wahrgenommen hatte. Mit einem Schlag fühlte ich mich ins tiefe Mittelalter der Erde zurückversetzt. Ich hatte dieses zum Teil miterlebt, als ich von meiner Tiefseekuppel nördlich der Azoren aus einen meiner »Ausflüge« unternahm. Nun glaubte ich, wieder einen der längst vergangenen Ritter vor mir zu sehen. Der unbekannte Ankömmling war etwa zwei Meter groß und erschien ungeheuer breit. Das lag aber wohl zum guten Teil an der stählernen Rüstung, die er trug. Sie schimmerte blau und umgab ihn von Kopf bis Fuß. Offenbar war sie sehr schwer, denn ihr Träger konnte sich darin nur langsam und relativ unbeholfen bewegen. Trotzdem tappte er zielsicher auf das Untier zu, ein mächtiges Breitschwert in der Hand. Wer mochte dieser seltsame Bundesgenosse sein, der da so unvermutet auf dem Kampfplatz erschien? Ich lauschte unwillkürlich nach einer Aufklärung durch mein Extrasinn, doch diese blieb aus, weil jeder Anhaltspunkt fehlte. Der Keiler sah sich nun plötzlich drei Gegnern gegenüber. Sein primitives Gehirn schien jedoch zu dem Schluß zu kommen, daß der unbeholfene Stahlritter die kleinere Gefahr für ihn darstellte. Grunzend, aber nicht mehr so gewandt wie zuvor, ging er wieder
war. Die Schwarte des Tieres war hart wie Saurierleder, und das Messer infolge häufiger Benutzung fast stumpf geworden. Es drang nicht mehr tief genug ein, ich zog es rasch aus der Wunde und stach erneut zu. Inzwischen hatte sich die Bestie aber wieder gefangen. Mit einem schnellen Ruck hob sie den Kopf und befreite sich aus Razamons Griff. Im nächsten Moment hatte sie auch mich abgeschüttelt. Ich versuchte zwar, mich an dem schmutzigen und stinkenden Fell anzukrallen, flog aber trotzdem einige Meter zur Seite. Mit einer Rolle fing ich den Aufprall ab und war sofort wieder auf den Beinen. Das war mein Glück, denn ich mußte sie augenblicklich wieder benutzen. Der Keiler nahm nun mich aufs Korn und stürmte auf mich los. Ich folgte dem Beispiel des Atlanters und rettete mich hinter einen Baum. Das Untier hatte jedoch aus dem ersten Fiasko gelernt. Es rannte nicht erneut blindwütig gegen den Stamm, sondern warf sich herum, beschrieb einen engen Bogen und stieß mit den Hauern nach mir. Obwohl ich ebenfalls sofort reagierte, schrammte einer der Stoßzähne an meinem linken Arm entlang und riß den Ärmel der Jacke auf. Ein sengender Schmerz durchfuhr mich und machte dann einem Gefühl völliger Taubheit Platz. Der Arm baumelte nutzlos an meiner Seite herunter, Tränen schossen in meine Augen. Ich konnte kaum noch etwas sehen, nur ein instinktiver Sprung zur Seite rettete mich vor dem nachsetzenden Tier. Ihr werdet diesen Kampf verlieren! sagte mein Logiksektor. Der Keiler hat die größeren Kraftreserven, und ihr könnt ihn mit den Messern nicht ernsthaft verwunden. Nur eine schnelle Flucht kann euch noch retten. »Flucht – wohin?« fragte ich, aber ich erhielt keine Antwort. Razamon kam mir zu Hilfe. Er unternahm einen Scheinangriff, und der Keiler fiel darauf herein. Er raste auf den Atlanter los, der sich aber wieder rechtzeitig in Sicherheit brachte. Dadurch erhielt ich einige Sekunden Zeit, um mich zu erholen, aber an einen guten Ausgang für uns glaubte ich nicht mehr. Dann änderte sich die Situation jedoch urplötzlich. Während wir von zwei Seiten her zu einer 20
ATLAN 7 – Die Stahlquelle gerissen, durch die er viel Blut verloren hatte. Vermutlich kamen auch noch innere Verletzungen dazu, denn er atmete mühsam und stockend und krümmte sich immer wieder vor Schmerz zusammen. Wir waren ziemlich ratlos, weil wir nichts besaßen, mit dem wir ihn wenigstens notdürftig hätten verarzten können. Ganz plötzlich kam aber Hilfe von einer anderen Seite. Die Bropen hatten ihren Schreck überwunden. Eine Anzahl von Frauen verließ die Hütten und lief auf den Dorfplatz. Die meisten warfen sich weinend und klagend über die Leichen ihrer toten Angehörigen. Zwei kamen jedoch zu uns herüber, und sie brachten hölzerne Wasserflaschen, Tontöpfe mit Salbe und Binden aus Pflanzenfasern mit. Ohne ein Wort zu sagen, schoben sie uns beiseite und beschäftigten sich mit Kälderspuur. Sie gaben ihm zu trinken und wuschen dann behutsam seine Wunde aus. Sie begann wieder zu bluten, aber nur für wenige Augenblicke. Drei verschiedene Salben wurden darübergestrichen, verhärteten fast sofort und bildeten dann einen Schutzfilm. Anschließend legten die Frauen dem Jungen eine Binde an, wobei sie pausenlos unverständliche Worte murmelten. Vermutlich handelte es sich um Beschwörungsformeln, die die Fieberdämonen fernhalten sollten. »Die beiden arbeiten wie professionelle Krankenschwestern«, meinte Razamon verblüfft. Ich zuckte mit den Schultern. »Sie werden hier auch genügend Gelegenheit haben, sich darin zu üben. Schließlich sind die Bropen ein räuberischer Stamm, und bei ihren Überfällen wird es oft genug Verwundete geben. Ob diese Versorgung ausreicht, ist allerdings eine andere Frage. Die inneren Verletzungen Kälderspuurs dürften schwerer sein als die Hüftwunde.« Inzwischen hatten die Frauen ihr Werk beendet. Nun brachte eine zwei bräunliche Kugeln zum Vorschein, schob sie dem Jungen in den Mund und gab ihm erneut zu trinken. Dann nahmen beide ihre Sachen auf und machten Anstalten, sich zu entfernen. Ich hielt sie auf und sagte einige Dankesworte. Sie sahen mich aus ihren tiefliegenden dunklen Augen an, verstanden aber offenbar kaum etwas. Als ich geendet hatte, schnatter-
auf Razamon los. Er hatte offenbar Orientierungsschwierigkeiten, nachdem ich sein rechtes Auge zerstört hatte. Der Atlanter stellte sich blitzschnell auf die veränderte Lage ein. Er entzog sich dem Angriff durch die Flucht und bewegte sich dabei auf die gepanzerte Gestalt zu. Dicht neben ihr stoppte er seinen Lauf und tat so, als wolle er sich dem Ungetüm zum Kampf stellen. Dieses senkte den Kopf, um ihn auf die Hauer zu nehmen, und entschied damit selbst sein Schicksal. Wie eine Ramme sauste das erhobene Schwert des Unbekannten auf ihn nieder. Es traf ihn dicht hinter dem Kopf und trennte diesen mit einem häßlichen Knirschen vom Körper. Die Bestie verhielt mitten im Lauf und bäumte sich noch einmal hoch auf. Dann fielen Kopf und Rumpf schwer zu Boden. Die Beine schlugen noch ziellos umher, aber ihre Bewegungen erstarben sehr bald. Der Keiler war tot – der Fremde hatte durch sein Eingreifen den fast aussichtslosen Kampf zu unseren Gunsten entschieden! Ich erwartete, daß er nun sein Visier lüften und sich uns zu erkennen geben würde. Er dachte jedoch nicht daran. Statt dessen wandte er sich stumm ab und stampfte rasselnd wieder davon. Wir standen, immer noch überrascht, wie betäubt da und sahen ihm nach. »Wir hätten uns wenigstens bedanken sollen«, meinte Razamon, als er hinter der Dornenhecke verschwunden war. Ich winkte ab. »Er hat uns so offen gezeigt, daß er keinen Wert darauf legt, in näheren Kontakt mit uns zu kommen; lassen wir ihm also seinen Willen. Er wird schon seine Gründe für sein Verhalten haben. Vielleicht finden wir später noch Gelegenheit ...« Ich unterbrach mich, denn ein schmerzliches Stöhnen drang zu uns herüber. Es kam von Kälderspuur, und wir eilten zu ihm hin. * Der Junge lag immer noch da, wo ihn der Keiler hingeworfen hatte. Wir hatten ihn für tot gehalten und atmeten nun auf. Allerdings mußten wir feststellen, daß er übel zugerichtet war. Einer der Hauer hatte eine tiefe Wunde in seine linke Hüfte 21
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Ich unterrichtete Razamon über diese Schlußfolgerung, und er stimmte mir zu. »Was fangen wir aber jetzt mit dem Jungen an?« fragte er dann. »Das einfachste wäre, ihn hier zurückzulassen, aber das wäre vermutlich nicht gut für ihn. Zwar haben ihn die Frauen versorgt, aber die Männer des Stammes dürften wieder anders denken. Die Yaghts und die Bropen sind verfeindet, deshalb könnte man sich entschließen, ihn kurzerhand umzubringen.« Ich nickte und massierte meinen linken Arm. Die Schmerzen darin waren abgeebbt, das normale Gefühl kehrte allmählich wieder zurück. Inzwischen überlegte ich. »Wir nehmen ihn mit«, entschied ich dann. »Laufen kann er nicht, also werden wir eine Trage für ihn bauen und ihn mitschleppen. Trotz seines Zustandes kann er uns immer noch wichtige Hinweise für unseren weiteren Weg durch den Dschungel geben.« »Okay«, sagte der Atlanter und sah sich um. Inzwischen waren auch die noch lebenden bropischen Männer aus ihren Hütten gekommen. Die Aufräumungsarbeiten im Dorf überließen sie allerdings ihren Frauen. Diese trugen die sterblichen Überreste der Getöteten zur Mitte des Platzes. Die größeren Kinder schleppten indessen Holz herbei und schichteten es rings um die Körper auf. Man wollte die Toten also verbrennen. Doch auch für den Leichenschmaus wurde bereits gesorgt. Die Männer nahmen sich den Kadaver des Raubschweins vor, häuteten ihn ab und schnitten die besten Stücke heraus. Von dem Fleisch des riesigen Tieres konnte der ganze Stamm wochenlang leben, sofern es gelang, dieses durch Räuchern zu konservieren. Razamon hielt einige Frauen und Halbwüchsige auf und verhandelte mit ihnen. Im Gegensatz zu mir verstand er sie gut, vermutlich deshalb, weil Pthora einst seine eigene Sprache gewesen war. Er brachte sie dazu, aus Ästen und Lianen eine Trage für Kälderspuur anzufertigen, die schon nach knapp einer Viertelstunde fertig war. Außerdem schwatzte er den Bropen zwei Wasserflaschen ab, die jede ungefähr zwei Liter enthielten, so daß wir in dieser Hinsicht vorerst keine Sor-
ten sie einige Sätze in ihrem eigenen Idiom, wandten sich dann ab und begaben sich in ihr Haus zurück. »Sie haben gesagt, daß wir so bald wie möglich wieder von hier verschwinden sollen«, klärte mich der Atlanter auf. »Was sie getan haben, sollte so etwas wie eine Anerkennung dafür sein, daß wir die große Bestie bekämpft haben.« Ich beugte mich über den Jungen. Er war wieder voll bei Bewußtsein und schien auch keine Schmerzen mehr zu spüren. Das war wohl auf die Kügelchen zurückzuführen, die irgendeinen pflanzlichen Wirkstoff enthalten hatten, der sehr rasch wirkte. »Wir nehmen dich mit uns«, versicherte ich Kälderspuur, aber er ging nicht sofort darauf ein. »Das war Porquetor!« flüsterte er fast ehrfurchtsvoll. »Der große Keiler?« fragte ich, aber er schüttelte den Kopf. »Nein, nicht das Tier – der Mann in Eisen. Er soll oben im Norden wohnen, in der Feste Grool. Bisher hat ihn aber auch noch kein Lebender zu Gesicht bekommen, nur alte Legenden erzählen von ihm. Man sagt, daß er ein mächtiger Mann ist, der sich aber vor den Augen der Menschen verbirgt. Nun habe ich ihn gesehen!« Von Porquetor hatte ich noch nie etwas gehört, dafür aber von der Feste Grool. Soldaten in Orxeya hatten von ihr gesprochen und sie als einen Ableger der FESTUNG bezeichnet. Genaueres hatten sie aber nicht gewußt, denn keiner der Stadtbewohner war je in dieser Gegend im Norden des Blutdschungels gewesen. »Porquetor ist ein Abtrünniger«, fuhr Kälderspuur fort, den die Gestalt des stählernen Ritters zu faszinieren schien. »Er hat sich von seinen Herren getrennt und ist eigene Wege gegangen. Er soll die Stahlquelle entdeckt haben, nach der ich auch suche. Von dort hat er auch seine Rüstung und sein siegbringendes Schwert, wie man sagt.« Ein Rebell gegen die Herren der FESTUNG also! sagte mein Extrasinn sofort. Damit ist er ein potentieller Verbündeter für Razamon und dich. Ihr solltet ihn aufsuchen und mit ihm reden, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet. 22
ATLAN 7 – Die Stahlquelle sich bemerkbar, und ich kniff die Lippen zusammen. Draußen auf unserer Erde gab es alles im Überfluß, was seine Heilung innerhalb weniger Tage gesichert hätte. Hier auf Pthor herrschte dagegen eine fast unvorstellbare Primitivität. Dabei besaßen die Herren der FESTUNG zweifellos die Mittel, diesen Zuständen abzuhelfen. Warum taten sie es nicht? Warum kümmerten sie sich nicht um die Bewohner dieses Kontinents? Sahen sie darin, auf ihrem Weg durch Raum und Zeit anderen Kulturen den Untergang bringen, ihre einzige Aufgabe? Wir banden den Jungen vorsichtshalber mit einigen dünnen Lianenranken fest. Dann nahmen wir die Trage wieder auf und setzten unseren Weg fort. Nach einiger Zeit gerieten wir wieder in eine feuchte und sumpfige Gegend. Hier wurde die Vegetation immer üppiger, und es fiel uns immer schwerer, uns einen Weg zu bahnen. In dieser Situation erwiesen sich die Bärenkräfte des Atlanters wieder als ungeheuer wertvoll. Er ging voran und trug das Gestell lediglich mit der Linken, so mühelos, als wäre es mit Federn beladen. Seine Rechte handhabte das Messer, schlug Äste und Lianen ab, als wäre er ein Roboter. Außerdem mußte er ständig darauf achten, daß wir nicht so tief in den Sumpf gerieten, daß die Gefahr des Versinkens bestand. Ich selbst hatte einige Mühe, mitzuhalten. Mein linker Arm schmerzte wieder, bei jeder unbedachten Bewegung durchliefen ihn heftige Stiche. Die Satteltaschen behinderten mich. Auch die Skerzaal und der Köcher mit den Bolzen hatten ihr Gewicht. Trotzdem durfte ich keinen Augenblick lang unachtsam werden. Mir fiel die Aufgabe zu, unsere Umgebung zu beobachten, damit uns die Annäherung gefährlicher Tiere nicht entging. Je weiter wir nach Norden kamen, um so mehr war mit ihrem Auftauchen zu rechnen. Das hatte Kälderspuur gesagt, und er mußte es wissen. Tatsächlich vernahmen wir nun immer öfter weithin hallende Schreie in allen Tonlagen. Razamon wandte sich halb um und richtete seine stechenden schwarzen Augen auf mich. »Es sieht so aus, als wären wir die längste Zeit in Ruhe gelassen worden. Da vorn wird es heller, dort scheint wieder eine Lichtung zu
gen mehr hatten. Schließlich hoben wir den Jungen vorsichtig auf und betteten ihn auf die Trage. Er atmete schnell und flach, war aber immer noch schmerzfrei. Wir hängten uns die Skerzaals wieder um und nahmen auch die Satteltaschen. »Warte noch«, sagte Razamon dann und wies hinüber zu den Männern. Diese hatten bereits ein Feuer entzündet und brieten Fleischstücke des Keilers am Spieß. Er ging hinüber, verhandelte erneut und kam dann mit einem saftigen Bratenstück zurück. Wir teilten es uns, und auch Kälderspuur bekam davon ab. Es war zwar noch zäh, schmeckte aber wesentlich besser, als ich erwartet hatte. So gestärkt, brachen wir endlich auf und ließen das zum Schlachtfeld gewordene Dorf der Bropen hinter uns. * Es wurde ein beschwerlicher Weg. Der abgemagerte Junge wog nicht viel, aber in der brütenden Hitze des Dschungels trieb uns die Anstrengung bald den Schweiß aus allen Poren. Wir mußten die Trage öfters absetzen und rasten. Im Anfang aber ging alles noch relativ leicht. Wir folgten den Spuren Porquetors, die Abdrücke der stählernen Schuhe wiesen tatsächlich nach Norden. Irgendwo in dieser Gegend lag auch die Siedlung von Kälderspuurs Stamm; und dort wollten wir hin. Der Junge protestierte allerdings heftig, als er von dieser Absicht erfuhr. »Bringt mich bitte nicht dorthin!« flehte er inbrünstig. »Mein Stamm wird mich verachten und verspotten, wenn ich zurückkehre, ohne eine Waffe aus der Stahlquelle mitzubringen. Ich will lieber sterben, als das ertragen zu müssen.« »Unsinn«, sagte Razamon barsch. »Du hast eine Menge mitgemacht und bist mehr tot als lebendig. Kein halbwegs vernünftiger Mensch kann von dir verlangen, daß du in diesem Zustand auch noch Wunder vollbringst. Falls eure Stammesältesten das nicht einsehen wollen, werden wir es ihnen schon beibringen.« Kälderspuur versuchte sich aufzurichten, sank dann jedoch mit einem Wehlaut wieder zurück. Seine inneren Verletzungen machten 23
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Im Gegenteil, das Netz zog sich immer fester um mich zusammen. Ich hatte meine Hände hineingekrallt und versuchte fieberhaft, es zu zerreißen. Das gelang mir jedoch nicht, obwohl ich die Muskeln bis zum Äußersten anspannte. Statt dessen spürte ich, wie sich das zuvor so nachgiebige Gewebe schnell zu verhärten begann. Nur noch zehn oder zwanzig Sekunden, und ich mußte so fest verschnürt wie eine Mumie aus den altägyptischen Königsgräbern sein! Ein Schatten fiel plötzlich über uns. Es gelang mir, den Kopf zu wenden, und dann überlief mich ein eiskalter Schauer. An einem dicken Spinnfaden schwebte ein wahres Ungeheuer vom nächsten Baum zu uns herunter. Es war die größte Spinne, die ich je zu Gesicht bekommen hatte. Ihr Körper war feuerrot und vom Kopf bis zur Spinndrüse am Ende des Hinterleibs etwa drei Meter lang. Entsprechend lang waren auch die vier behaarten Beinpaare. Riesige, sich langsam bewegende Beißwerkzeuge saßen zwischen den kugelförmigen schwarzen Facettenaugen, deren handgroße Segmente im Licht der Sonne unheilverkündend glänzten. »Razamon!« stieß ich atemlos hervor. Aber der Atlanter handelte bereits. Seine schmalen und doch so kraftvollen Hände hatten sich in die Maschen des Netzes verkrallt. Ich sah das Funkeln in seinen Augen und erkannte, daß ihn wieder einmal die Berserkerwut überkam. Bisher hatte sie für mich stets Anlaß zur Besorgnis gegeben. Diesmal manifestierte sie sich aber genau zum richtigen Zeitpunkt. Ein lautes, fetzendes Geräusch ertönte, und das Netz rings um Razamon barst auseinander. Er hatte die Messer achtlos fallen lassen – er brauchte sie nicht. Meine Augen vermochten seinen blitzschnellen Bewegungen kaum zu folgen. Scheinbar mühelos zerfetzte er das Netzgeflecht, wilde, animalisch anmutende Laute kamen aus seiner Kehle. Die Riesenspinne reagierte darauf und fing ihre Abwärtsbewegung etwa drei Meter über unseren Köpfen ab. Ihre Beine klammerten sich um den Spinnfaden, an dem sie hing, ihr Körper pendelte leicht hin und her. Nur die gewaltigen
sein. Dort legen wir die nächste Rast ein. Ich bin dafür, daß du deine Waffe schußbereit machst und vor dich auf Kälderspuurs Beine legst. Du sparst dadurch wertvolle Zeit, wenn es ernst werden sollte.« Wir erreichten die Lichtung, eine grasbestandene annähernd runde Fläche von etwa zwanzig Meter Durchmesser. Aufatmend setzte ich die Trage auf den leicht ansteigenden, ziemlich trockenen Boden ab. Der Atlanter runzelte die Stirn. »Gib mir dein Messer«, verlangte er, als er die Schneide seines eigenen mit dem Daumen geprüft hatte. Ich kam seinem Verlangen nach und massierte dann den linken Arm, um die Schmerzen zu vertreiben. Inzwischen wetzte Razamon die Klingen der beiden Messer aneinander, um sie zu schärfen. Besorgt sah ich auf Kälderspuur. Der Junge war vor Erschöpfung eingeschlafen. Sein Atem ging schnell und rasselnd, sein kahler Kopf war voller Schweißperlen. Auch die Naturmittel der Bropenfrauen hatten anscheinend nicht verhindern können, daß er Wundfieber bekam. Er wird seine Verletzungen nicht überleben! prophezeite mein Extrasinn. Zumindest dann nicht, wenn er nicht noch heute in die Behandlung durch Heilkundige kommt. Ihr solltet euch sehr beeilen, seinen Stamm zu erreichen. Ein vorzüglicher Rat! gab ich ironisch zurück. Kannst du mir auch sagen, wo wir ihn finden können und wie weit es noch zu ihm ist? Diese stumme Unterhaltung hatte mich für wenige Sekunden abgelenkt. Als ich dann wieder begann, meine Aufmerksamkeit der Umgebung zuzuwenden, war es bereits zu spät. Ein großes, silbern schimmerndes Netz fiel blitzschnell von den Kronen der Randbäume herab und legte sich über uns! Seine Maschen waren relativ groß, sein Gewebe dafür aber sehr elastisch. Es dehnte sich aus, sobald es unsere Körper berührte, paßte sich ihren Formen an und hüllte uns von Kopf bis Fuß ein. Natürlich machte ich sofort Abwehrbewegungen, doch dadurch erreichte ich nichts. 24
ATLAN 7 – Die Stahlquelle abzutrennen, aber das nützte kaum etwas. Die Spinne schien den Verlust überhaupt nicht zu bemerken, sie bewegte sich auf den sieben gesunden Beinen so behende wie zuvor. Sie hielt nach wenigen Metern an und warf sich förmlich herum, um erneut anzugreifen. Große Tropfen grünliches Gift kam aus den Austrittsöffnungen an den Zangen hervor. Wo sie auftrafen, begann augenblicklich das Gras zu qualmen, es mußte sich also um eine besonders starke Säure handeln. Mit diesem Biest wird der Atlanter nicht fertig! stellte mein Logiksektor fest. Mit Messern läßt sich gegen seinen Panzer praktisch nichts ausrichten, und an die Weichteile kommt Razamon infolge der langen Beine nicht heran. In diesem Moment handelte ich bereits. Ich packte die schußbereite Skerzaal und legte an. Inzwischen prallten mein Gefährte und das Monstrum erneut zusammen. Fast hätte es Razamon diesmal erwischt. Er erreichte nichts, wurde jedoch von einem der heftig wirbelnden Beine erfaßt und zur Seite geschleudert. Er kam so hart auf, daß er einen Schmerzensschrei ausstieß und bewegungslos liegenblieb. Erneut wandte sich die Spinne, die knarrenden Geräusche ihrer Gelenke erfüllten die Luft. Nun zeigte sie mir ihre linke Seite und damit die Weichteile zwischen Kopf und Körper. Als sie für Sekundenbruchteile stillhielt, visierte ich diese an und schoß. Ich war nur vier Meter entfernt, und die verletzliche Zone etwa einen halben Meter breit. Dicht hinter dem Kopf bohrte sich der Stahlbolzen durch die mit handlangen Borsten besetzte Haut. Er drang tief ein und schien lebenswichtige Teile zu durchschnitten haben, und der Erfolg zeigte sich augenmerklich. Das Untier schnellte hoch in die Luft, pfeifende Laute kamen aus seinem Atemrachen. Dann fiel es schwer auf den Boden zurück. Es wollte wieder auf den Atlanter losgehen, aber seine Beine versagten ihm den Dienst. Konvulsivische Zuckungen durchbebten den riesigen Körper, die Beißzangen schnappten sinnlos auf und zu. Dann knickten die Beine plötzlich ein, die Bestie sank wie in Zeitlupe auf den Boden und rührte sich nicht mehr. Ich hatte bereits einen neuen Bolzen aufge-
Beißzangen klappten noch mit knirschendem Geräusch auf und zu. Der Atlanter wütete weiter. Innerhalb weniger Sekunden hatte er auch Kälderspuur von dem Netz befreit, dann zerriß er die Fesseln um meinen Körper. Seine Augen glühten dämonisch, die Adern an Hals und Schläfen waren zu dicken Strängen geworden. Dann kehrte jedoch fast übergangslos seine klare Überlegung zurück. Sein Gesicht entspannte sich, er schien wie aus einem Traum zu erwachen. Er bückte sich rasch, hob die Messer auf und warf mir eins davon zu. Ich fing es am Griff auf und ging sofort in Abwehrstellung. Keinen Moment zu früh, denn schon ließ sich die Superspinne weiter zu uns herab. Ihr Hinterleib war im Verhältnis zum übrigen Körper relativ schmal. Das ließ darauf schließen, daß sie schon längere Zeit vergeblich auf Beute gewartet hatte. Nun winkte ihr eine solche gleich dreifach, drohte aber zu entkommen. Das stachelte sie an und ließ sie jede Vorsicht vergessen. Dicht neben uns fiel sie auf den Boden, richtete sich auf und griff sofort an. Ihre Fremdartigkeit wurde durch die Facettenaugen demonstriert, die es bei irdischen Spinnen nicht gab. Diese besaßen zumeist acht einzelne kleine Augen, deren Sehvermögen nicht sehr groß war. Dieses Monstrum dagegen konnte uns ausgezeichnet sehen. Es stürzte sich auf Razamon, der ihr am nächsten stand. Er hatte sich rasch einige Schritte zur Seite bewegt, um das Tier von dem hilflosen Kälderspuur fortzulocken. Breitbeinig stand er da, den Oberkörper vornübergebeugt, das Messer zum Zustoßen bereit. Als die Spinne ihn fast erreicht hatte, ließ er es mit einer blitzschnellen Bewegung durch die Luft sausen. Es gab einen knirschenden Laut, als die Klinge eine der mehr als armlangen Beißzangen traf, aber keine Wirkung. Die steinharten Chitinglieder widerstanden auch Razamons wuchtigem Hieb. Rasch warf er sich zur Seite und rollte sich ab, um aus dem Wirkungsbereich der Zangen zu entkommen. Das Untier rannte an ihm vorbei, und er hackte im Liegen nach den Beinen. Es gelang ihm auch, ein Beinglied 25
ATLAN 7 – Die Stahlquelle men, gegen die wir in der Finsternis keine Chance hatten. In verbissenem Schweigen, das nur durch unsere schweren Atemzüge durchbrochen wurde, stapften wir dahin. In meiner Brust vibrierte der Zellaktivator und sandte seine belebenden Impulse durch meinen Körper. Es war fraglich, ob ich ohne ihn die Strapazen dieses Marsches durch den Dschungel ausgehalten hätte. Das lange Leben inmitten der terranischen Zivilisation hatte doch sehr an meiner früheren Spannkraft gezehrt. Die wenigen Wochen hier auf Pthor hatten noch nicht ausgereicht, sie zurückzubringen. Razamon dagegen schien einfach unverwüstlich zu sein. Er fand immer wieder einen Weg für uns, auch dort, wo es nicht mehr weiterzugehen schien. Wir bewegten uns am Rand eines ausgedehnten Sumpfes dahin, der uns zu einem Umweg in westlicher Richtung zwang. Ölig schimmerndes schwarzes Wasser bedeckte die fauligen Überreste umgestürzter Bäume und anderer Pflanzen. Riesige Libellen mit buntschillernden Flügeln schwärmten zwischen einzelnen Schilfinseln umher. Immer wieder stiegen große Gasblasen mit blubbernden Geräuschen aus der Tiefe empor. Eine drückende Schwüle lag über der gesamten Gegend, die uns den Schweiß aus allen Poren trieb. Längst hatten wir unsere schweren Jacken abgelegt und über Kälderspuurs Beine ausgebreitet. Die Randbäume standen hier weit auseinander, zwischen ihnen breitete sich ein üppiger Moosteppich aus. Er schwankte unter jedem Schritt, war jedoch so dick und verfilzt, daß er unser Gewicht trug. Trotzdem fühlten wir uns auf diesem trügerischen Untergrund alles andere als wohl. Wir waren froh, als wir dann endlich das Ende des Sumpfes erreicht hatten und wieder nach Norden einschwenken konnten. Einige hundert Meter weiter kamen wir auf trockenen Sandboden. Er war mit kurzem Gras bestanden, es gab aber auch wieder Kolonien der fleischfressenden Pflanzen, denen wir schon früher begegnet waren. Wir setzten die Trage ab, töteten einige Schlangen, die sich sofort auf uns zubewegten, und konnten uns dann endlich ausruhen.
legt und wartete mißtrauisch noch einige Sekunden ab. Als dann feststand, daß das Monstrum tot war, sah ich nach Razamon. Er war mit dem Hinterkopf auf einen dürren Ast geschlagen und hatte das Bewußtsein verloren. Ich massierte ihm Nacken und Schläfen, wie ich es vor mehr als zehntausend Jahren von meinem Pflegevater Fartuloon gelernt hatte. Schon nach kurzer Zeit kam er wieder zu sich, sprang auf und sah sich mit wild rollenden Augen um. »Beruhige dich, Freund«, sagte ich. »Das Ungeheuer ist tot.« 6. Als er sich wieder erholt hatte, trugen wir Kälderspuur in die Mitte der Lichtung. Er war erwacht, als das Netz über uns fiel, dann aber vor Schreck ohnmächtig geworden, als er sah, wie sich die Spinne zu uns herabließ. Weitere Untiere dieser Art schien es hier nicht zu geben. Wir fanden im Gras aber zahlreiche Knochen von früheren Opfern. Wir legten eine Pause ein, teilten uns den letzten Bratenrest und tranken einige Schlucke aus den hölzernen Wasserflaschen. Kälderspuur kam wieder zu sich, stammelte aber nur ungereimtes Zeug. Sein Fieber war weiter gestiegen, er schien kaum noch zu begreifen, was um ihn herum geschah. Auch er bekam Wasser, ich riß einen Fetzen Stoff aus meiner Jacke, befeuchtete ihn und legte ihn auf seine Stirn. Mehr konnten wir auch beim besten Willen nicht für ihn tun. Sein Zustand trieb uns schon nach kurzer Zeit weiter. Wir mußten versuchen, seinen Stamm zu erreichen, ehe es zu spät für ihn war. Erneut begann der Marsch durch sumpfiges Gelände. Einmal durchquerten wir einen schmalen Wasserlauf, der in westliche Richtung floß. Es schien sich um einen Nebenarm des Flusses zu handeln, der sich durch den Blutdschungel wand. Der Junge hatte uns von ihm berichtet. Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten, in wenigen Stunden mußte der Abend anbrechen. Das spornte uns zusätzlich an. Mit Einbruch der Dunkelheit mußten die großen Raubtiere aus ihren Verstecken kom26
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Auch das wies auf ein bevorstehendes Unwetter hin. Wir fanden jedoch wieder Sträucher mit »Stachelbeeren«, so daß wir uns gegen sie präparieren konnten. Dann wurde es übergangslos fast dunkel. Die Sonne verschwand hinter einer kompakten, fast schwarzen Wolkenwand. Diese schob sich so schnell höher, daß sie schon nach wenigen Minuten den Zenit überschritt. Gleichzeitig kam ein böiger Wind auf, der die Baumkronen peitschte und sich allmählich zu einem handfesten Sturm entwickelte. »Schneller, Herr!« jammerte Kälderspuur. Es hätte seiner Worte gar nicht bedurft. Wir beeilten uns, sosehr wir konnten, das abschüssige Gelände zu verlassen, das sich bei heftigem Regen in einen großen See verwandeln mußte. Weiter vorn ging es wieder bergauf, dort zeigte sich die Andeutung eines Hügels. Wenn wir ihn erreichten, befanden wir uns in relativer Sicherheit. Es waren nur wenige hundert Meter – aber wir schafften es nicht mehr!
Unsere Stiefel waren voll Wasser gesogen und bis oben hin mit Morast beschmiert. Zweifellos waren unsere Füße voller Blasen, aber wir spürten sie längst nicht mehr. Etwas dagegen zu tun, war unmöglich. Hätten wir die Stiefel ausgezogen, wären wir hinterher nicht mehr hineingekommen! Wir tranken in langen Zügen und versorgten auch Kälderspuur. Es ging ihm jetzt wieder besser, er war bei klarem Verstand. Ob es so bleiben würde, erschien mir allerdings fraglich. »Weißt du, wo wir uns hier befinden?« fragte ich ihn. Wir hatten Porquetors Spur schon vor dem Kampf mit der riesigen Spinne verloren. Seitdem hielten wir uns aufs Geratewohl in nördliche Richtung. »Richtet mich auf«, verlangte der Junge. Wir hoben die Trage am Kopfende an, und er sah sich aufmerksam um. »Ich kann es nicht sagen«, erklärte er dann. »Ich war noch nie in dieser Gegend, und auch die Alten haben nicht von ihr erzählt.« Dann schnupperte er in der Luft herum, und ein ängstlicher Ausdruck trat in seine Augen. »Wir werden bald ein Unwetter bekommen, Herr. Ihr solltet versuchen, ein höher gelegenes Gebiet zu erreichen, ehe der große Regen kommt.« Ich sah prüfend zu den Flecken des Himmels empor, die sich zwischen den Kronen der Bäume zeigten. Die Sonne schien, aber ihr Licht hatte eine eigentümliche Farbe bekommen. Hohe Wolkenfetzen trieben über den Himmel und bewegten sich dem Wind entgegen. Keine guten Zeichen, das wußte ich aus Erfahrung. Ich nickte Razamon zu. »Der Junge hat recht, es liegt ein Gewitter in der Luft. Wir befinden uns hier in einem tropischen Gebiet, und so dürfte es entsprechend heftig ausfallen. Folgen wir also seinem Rat, vielleicht finden wir noch rechtzeitig einen Unterschlupf.« Erneut ging es weiter. Wir kamen gut voran, denn der Boden blieb fest, und es ging leicht bergab. In einer halben Stunde legten wir eine größere Strecke zurück als zuvor bei zwei Stunden Marsch durch den Morast. Größere Tiere bekamen wir nicht mehr zu Gesicht, nur stechwütige Insekten aller Größen umschwärmten uns wie wild.
* Erste grelle Blitze zuckten über den düsteren Himmel, denen peitschende Donnerschläge folgten. Wir stampften keuchend dahin, vom Sturm behindert, der uns nun genau entgegenblies. Als ich dann einen Blick nach oben warf, bemerkte ich ein seltsames, mir noch unbekanntes Phänomen. Die von den Böen hin und her gerissenen Baumkronen schienen plötzlich viel lichter geworden zu sein. Ungläubig sah ich, daß sich ihre großen, lanzettförmigen Blätter aufgestellt und regelrecht paarweise zusammengeklappt hatten. So boten sie dem Sturm weit weniger Angriffsfläche und entgingen der Gefahr, abgerissen zu werden. Die Natur des Blutdschungels vermochte sich den Umständen anzupassen; wir konnten es nicht. Wir konnten nur laufen. Und dann kam der von Kälderspuur prophezeite große Regen. Ich hatte schon viele tropische Güsse erlebt, aber keinen wie diesen! Das Wasser fiel regelrecht wie eine kompakte Wand aus den Wolken. Obwohl wir inzwischen unsere Jacken wieder angelegt hatten, waren wir inner27
ATLAN 7 – Die Stahlquelle das Unterholz hinweggetragen, waren aber wiederum nicht hoch genug, um mit den Baumkronen in Berührung zu kommen. Die Bäume selbst standen hier weit auseinander, so daß die Gefahr einer Kollision relativ gering war. Ich hatte meine erste Panik überwunden und war nur noch bestrebt, mich an der Trage fest und über Wasser zu halten. Das war in der stark strudelnden Strömung alles andere als einfach. Meine Kleidung hatte sich vollgesogen, die Skerzaal, der Köcher und die Satteltaschen waren eine weitere beträchtliche Last. Und noch immer fielen die Regenfluten vom Himmel – nahm das denn gar kein Ende? Wie mochte es Kälderspuur gehen? Ich strengte mich an, hob den Oberkörper halb aus dem Wasser und sah nach ihm. Im Licht der Blitze erkannte ich sein bleiches Gesicht und bemerkte erleichtert, daß er noch atmete. Auf der anderen Seite tauchte für einen Augenblick der Kopf Razamons auf. Der Pthorer schien mich anzugrinsen, aber das konnte auch eine optische Täuschung sein, hervorgerufen durch das flackernde Himmelsleuchten. Immerhin war auch ihm bisher nichts geschehen, und das beruhigte mich. So wurden wir eine endlos erscheinende Zeit davongetrieben. Einmal fuhr ein Blitz nur wenige Meter von uns in einen Baum und spaltete ihn. Es roch nach Ozon, ich war für eine Weile vollkommen geblendet, und das Krachen des Donners machte mich taub. Rein mechanisch vollführte ich weiter meine Schwimmbewegungen, aber ich begann bereits zu ermatten. Erste Krämpfe zogen meine Armmuskeln zusammen, meine Finger begannen allmählich gefühllos zu werden. Zeichnete sich schon das nahe Ende ab? Nicht aufgeben! drängte mich der Extrasinn. Das Unwetter kann schließlich nicht unbegrenzte Zeit toben – bis zu seinem Ende mußt du durchhalten! Allmählich kehrte mein Sehvermögen wieder zurück. Überrascht bemerkte ich nun, daß die Blitze bereits weniger und schwächer wurden. Dann konnte ich auch wieder hören und bekam so auch die akustische Bestätigung dafür, daß das Gewitter abzog. Die Regenfluten schienen ebenfalls weniger zu wer-
halb von wenigen Sekunden triefend naß. Es war so schlimm, daß wir Mühe hatten, überhaupt noch Luft zu holen. Wir sahen nichts mehr, sondern stolperten nur noch wie blind vor uns hin. Sturm und Regen vereinten sich zu einer Geräuschorgie, in der unser Keuchen unterging. Unaufhörlich fuhren nun die Blitze nieder, denen sofort schwere Donnerschläge folgten. Die Gewalten der Hölle schienen sich über dem Blutdschungel auszutoben, und wir waren ihnen schutzlos ausgeliefert. Wie sehr, das bemerkten wir erst, als es bereits zu spät war. Plötzlich umspülten reißende Fluten unsere Beine. Sie kamen von allen Seiten und ergossen sich in die Mulde, in der wir uns immer noch befanden. Wenn das irdische Sprichwort von den »Fluten des Himmels« auf eine Situation zutraf, dann bestimmt auf diese. »Die Trage festhalten!« schrie Razamon mir zu. Im nächsten Moment riß uns das Wasser bereits die Beine weg. Ich schlug mit dem Gesicht in die trübe Brühe, die Gras, Laub und entwurzelte Pflanzen mit sich führte. Spuckend und nach Atem ringend kam ich wieder hoch und hielt mich krampfhaft an der Trage fest. Mit ihr zusammen wurden wir davongespült – immer schneller, immer schneller ... Rings um uns war nichts als Chaos. Pausenlos zuckten die Blitze herab, fuhren in die Urwaldriesen und spalteten sie. Das Donnergrollen folterte unsere Ohren, soweit sie überhaupt noch aufnahmefähig waren. Immer wieder schlug die Trage irgendwo an, blieb jedoch nicht hängen, sondern trieb in rasender Fahrt weiter. Sie war aus Hölzern erbaut, in denen es große Luftkammern gab, so daß sie trotz der mehrfachen Belastung nicht untergehen konnte. Jetzt zeigte sich auch, wie gut es war, daß wir Kälderspuur festgebunden hatten. Ohne die Lianen, die ihn hielten, wäre der Junge verloren gewesen. Waren wir es nicht doch? Es schien uns so. Der reißende Strom, der uns mit sich riß, mußte nun schon mehrere Meter tief sein. Das hatte aber auch sein Gutes: Wir wurden über 28
ATLAN 7 – Die Stahlquelle sich mein Extrasinn. Die Senke, die ihr zuvor durchquert habt, muß ein ausgetrockneter Nebenarm gewesen sein, der nur bei solchen Unwettern Wasser führt. Bis auf das Rauschen des Wassers war es fast still geworden. Undeutlich sah ich in einiger Entfernung die Köpfe mehrerer großer Tiere, die gleichfalls um ihr Leben schwammen. Viele andere hatten es nicht geschafft, ihre Kadaver trieben auf den Wogen dahin. Der Tod hatte reiche Ernte gehalten. Ich zog mich an der Trage hoch und rief nach Razamon. Sein Kopf erschien gleich darauf auf der anderen Seite, das blauschwarze Haar klebte in Strähnen auf seinen Wangen. Er war genauso erschöpft wie ich. »Das war wirklich hart«, stellte er heiser fest. »Ohne die Trage wären wir wohl verloren gewesen. Wie soll es aber nun weitergehen? Die Sonne wird bald wieder verschwinden, und eine Nacht auf dem Wasser dürften wir kaum überstehen.« Ich nickte langsam. »Darin muß ich dir leider zustimmen. Zunächst müssen wir jedenfalls einige Zeit dahintreiben, bis wir wieder zu Kräften gekommen sind. Dann sollten wir vereint versuchen, die Trage an eines der Ufer zu bugsieren. Vielleicht finden wir eine Stelle, an der wir an Land gelangen können.« Er stimmte mir zu. Wir ließen uns zurücksinken, ich drehte mich auf den Rücken und spielte den Toten Mann. Das war immer noch die kräftesparendste Methode. Nach etwa einer Viertelstunde hatten wir uns dann soweit erholt, daß wir unser Vorhaben in Angriff nehmen konnten. Mit langsamen Stößen trieben wir die Trage auf das näher gelegene linke Flußufer zu. Besorgt sah ich nach der Sonne, die nun schon direkt über dem Westhorizont stand. Es konnte kaum noch eine Stunde dauern, bis es dunkel wurde. Dann mußte alles viel schwerer für uns werden. Kälderspuur lag regungslos da, bewußtlos oder im tiefen Schlaf der Erschöpfung. Sein Atem ging rasselnd. Zum Glück war sein Körper nicht unterkühlt worden, denn das Wasser war fast lauwarm. Lange konnte er aber nicht mehr durchhalten, wenn er nicht bald in die Pflege kundiger Hände kam.
den. Das Schlimmste war wohl überstanden, aber deshalb waren wir noch längst nicht in Sicherheit. Rings um uns strudelten und gurgelten die Wassermassen. Ein harter Gegenstand schlug gegen mein linkes Bein, und eine Woge von Schmerz durchzuckte mich. Meine linke Hand glitt von der Trage ab, ich hing nur noch mit der Rechten am Holz. Ich biß die Zähne zusammen, biß mich auf die Unterlippe und schmeckte mein Blut. Mit äußerster Anstrengung schaffte ich es, auch mit der Linken die Trage wieder zu fassen. Das kostete mich fast den Rest meiner Kräfte. Schwer keuchend ließ ich mich von dem Gestell mitziehen, vor meinen Augen tanzten rote Ringe. Ich war so müde, so unsagbar erschöpft – allmählich begann mir alles gleichgültig zu werden, sogar das eigene Leben. Dann wurde es fast übergangslos hell um mich herum. Es dauerte jedoch einige Sekunden, bis ich erfaßt hatte, daß diese Helligkeit nicht mehr von den Blitzen stammte. Es gab sie plötzlich nicht mehr! Statt dessen kam ein anderes Licht vom Himmel: die schwarze Wolkenwand war aufgerissen, die Strahlen der Sonne fielen über die gequälte Landschaft. Kein Gewitter mehr, kein Sturm, keine Regenfluten! Es erschien mir fast unglaublich. Ich hatte in meinem langen Leben schon unzählige Sonnen gesehen. All ihr Licht zusammen konnte jedoch nicht schöner sein als dieses hier. * Der Zellaktivator in meiner Brust pulste unermüdlich, neue Kraft durchströmte meinen geschundenen Körper. Ich sah mich um und bemerkte, daß die Strömung nun längst nicht mehr so stark war wie kurz zuvor. Verwundert stellte ich fest, daß wir inmitten einer endlos scheinenden Wasserfläche trieben. Urwaldbäume gab es nur in weiter Ferne rechts und links, jeweils mehrere hundert Meter entfernt. Die Strömung hat euch in den Fluß getragen, den Kälderspuur erwähnt hatte, meldete 29
ATLAN 7 – Die Stahlquelle wehren. Schließlich hatten wir uns einigermaßen wieder erholt. Wir nahmen die Trage auf und schleppten sie weiter auf festes Land. Die Erschütterung weckte Kälderspuur auf, und er sah sich mit fieberglänzenden Augen um. Er wußte offenbar gar nicht, was in der Zwischenzeit mit uns geschehen war. Ich unterrichtete ihn darüber und fragte dann: »Hast du eine Ahnung, wohin uns der Fluß getragen hat?« »Er mündet an der Küste der Stille ins Meer, Herr. Es kann sein, daß wir schon ganz in ihrer Nähe sind«, sagte er mit schwacher, kaum vernehmbarer Stimme. Ich überlegte und sah Razamon an. »Es erscheint mir unwahrscheinlich, daß wir so weit getrieben worden sein sollten. In schätzungsweise einer Stunde legt auch die stärkste Strömung nicht eine Strecke von hundertvierzig Kilometer zurück.« »Zwanzig Kilometer werden wir wohl abziehen müssen. Zwar erstreckt sich der Blutdschungel so weit ins Land, wie du eben gesagt hast, aber Orxeya liegt bereits ein Stück einwärts. Dann bleiben aber immer noch über hundert Kilometer, und die haben wir mit Sicherheit nicht zurückgelegt. Ich nehme an, daß wir uns jetzt ziemlich genau in der Mitte des Dschungels befinden.« Ich stöhnte verhalten auf. »Du machst mir wirklich Mut, alter Freund! Das bedeutet, daß wir, egal in welcher Richtung, mindestens sechzig Kilometer zurücklegen müssen, wenn wir wieder ins Freie kommen wollen ... Wie sollen wir das schaffen, wenn es uns weiterhin so ergeht wie bisher?« Razamon zuckte mit den Schultern und wies zum Himmel. »Darüber können wir uns morgen noch die Köpfe zerbrechen. Die Sonne verschwindet bereits, in längstens einer Stunde wird es dunkel sein. Jetzt kommt es darauf an, einen Unterschlupf zu finden, in dem wir die Nacht verbringen können, ohne von den Raubtieren gefressen zu werden.« Wir begaben uns sofort auf die Suche. Schließlich entdeckten wir eine Höhlung, die die Wasserfluten zwischen dem Wurzelwerk eines riesigen Blutbaums ausgewaschen hatten. Sie war groß genug, uns und die Trage
Ich hätte einiges für das Wissen darum gegeben, wo sein Stamm zu finden war. Wir konnten es nicht einmal ahnen. Wir hatten etwa die halbe Distanz bis zum Ufer geschafft, als vor uns über dem Wasser die dunkle Silhouette zu sehen war. Es handelte sich um eine große Insel, die den Fluß hier in zwei Arme teilte. Wir wurden nun ganz von selbst nach links abgetrieben und erkannten unsere Chance. Wir verdoppelten unsere Anstrengungen. Auf der Höhe der Insel war das Ufer weit nach links ausgebuchtet. Die Strömung trieb uns direkt darauf zu, ehe sie wieder nach rechts abschwenkte. Wir passierten einige Bäume, die tief im Wasser standen, das weit ins Land vorgedrungen war. Dann sah ich eine schmale Landzunge, die so hoch lag, daß sie nicht überflutet worden war. »Dorthin!« rief ich Razamon zu. Das war aber leichter gesagt als getan. Dicht vor dieser Stelle hatte sich ein Strudel gebildet, der sich wie rasend drehte. In ihm trieben Baumäste, ganze Büsche und Tierkadaver dahin. Nur mit äußerster Mühe schafften wir es, nicht von ihm erfaßt zu werden. Im buchstäblich letzten Moment gelang es mir, die unterspülte Wurzel eines riesigen Blutbaumes zu packen. Die Anstrengung riß mir fast den linken Arm aus dem Gelenk. Dann kam mir jedoch Razamon zu Hilfe. Er tauchte unter der Trage hindurch und griff mit zu. Langsam, fast zentimeterweise, zogen wir das Gestell auf das rettende Land zu. Irgendwie schafften wir das auch. Zuvor hatten wir den sumpfigen Boden des Blutdschungels oft genug verwünscht. Nun waren wir froh, daß wir ihn wieder erreicht hatten! Wir standen bis über die Knöchel im Morast und bemühten uns, die Trage mit dem Jungen zu uns heranzuziehen. Es gelang uns auch noch, sie hochzuheben und auf relativ festem Untergrund abzusetzen. Dann verließen uns endgültig die Kräfte. Schwer atmend legten wir uns gegen eine schenkeldicke Wurzel, schlossen die Augen und dachten für einige Zeit gar nichts mehr. Wäre in diesem Moment eine Bestie erschienen und hätte uns angegriffen, hätten wir keine Kraft mehr besessen, um uns gegen sie zu 30
ATLAN 7 – Die Stahlquelle darauf. Als sie halb gar war, schnitt ich sie in kleine Stücke, ließ sie etwas abkühlen und fütterte dann Kälderspuur damit. Er aß begierig und schlief gleich darauf wieder ein. Es war inzwischen fast dunkel geworden. Ich kehrte an das Feuer zurück, mußte aber noch warten. Auf einen Wink Razamons hin holte ich neues Holz, dann entledigte ich mich der nassen Sachen und hängte sie zum Trocknen auf. Schließlich war auch die Keule gar, und wir konnten ebenfalls essen. Das Fleisch war zart und würzig, eine wahre Delikatesse für uns. Auch der Atlanter zog sich aus, wir saßen stumm da und starrten in die Flammen. Einen Überfall durch Raubtiere brauchten wir nicht zu befürchten, bis auf das Rauschen des nahen Flusses war es ringsum geisterhaft still. Das Unwetter schien alle Tiere aus diesem Gebiet vertrieben zu haben, soweit sie mit dem Leben davongekommen waren. Schließlich schlüpften wir wieder in die halbwegs trockene Kleidung, begaben uns in die Höhle und schliefen bald darauf den Schlaf der Erschöpfung.
mit dem Jungen aufzunehmen, der Untergrund war kiesig und relativ trocken. Wir schafften Kälderspuur hinein und machten uns dann auf, um nach etwas Eßbarem zu suchen. In einem Tümpel entdeckten wir ein rehähnliches Tier, das sich beide Vorderläufe gebrochen hatte und jämmerlich fiepte. Ich erlöste es durch einen Bolzenschuß von seinen Qualen, und wir schafften es zur Höhle. Fleisch hatten wir nun, aber ich sah keine Möglichkeit, es zu kochen oder zu braten. »Laß mich das machen«, sagte Razamon. »Weide das Tier aus, ich werde für ein Feuer sorgen.« »Du Optimist!« knurrte ich, folgte aber seinem Verlangen. Als ich mit meiner Arbeit fertig war, roch ich bereits den ersten Rauch. Der Pthorer kniete vor der Höhle und blies mit vollen Lungen in ein Häufchen Äste, aus dem kleine Flammen schlugen. Sie wurden allmählich größer, und bald prasselte das Feuer munter darauflos. Ich schüttelte den Kopf. »Die ersten Funken hast du mit deinem Bolzen aus den Steinen geschlagen, soviel ist mir klar. Wie hast du es aber angestellt, das nasse Holz zum Brennen zu überreden? Bei dir gilt wohl auch der Satz: Das Unmögliche ist nur eine Form des Möglichen ...« Er zuckte mit den Schultern, ein sparsames Lächeln flog über sein strenges Gesicht. »Dieses Zitat ist aber auch nicht mehr ganz taufrisch«, stellte er trocken fest. Ich lächelte zurück. »Das nicht gerade«, gab ich zu. »Dafür aber von Max Frisch, Terra, 20. Jahrhundert. Diesen Namen müßtest du eigentlich kennen, Freund.« Razamon winkte ab, sein Gesicht verschloß sich wieder. »Leider habe ich kein photographisches Gedächtnis wie du. Dafür habe ich aber Hunger – laß einmal sehen, was du da mitgebracht hast.« Aus Ästen und Stahlbolzen fertigten wir einen provisorischen Grill an. Bald darauf drehte sich eine Keule des »Rehes« über den Flammen und verbreitete ihren köstlichen Duft. Ich hatte auch die Leber herausgeschnitten, erhitzte einen flachen Stein und legte sie
7. Eine feste Hand rüttelte mich unsanft wach. Nur widerstrebend fand ich in die Wirklichkeit zurück, aber Razamon ließ mir keine Ruhe mehr. »Komm, wir müssen weg von hier«, drängte er. »Die Sonne ist schon aufgegangen, also werden die Blutbäume bald wieder mit ihrem Kampf ums Licht beginnen. Dann müssen wir damit rechnen, mit dem giftigen Saft berieselt zu werden, und das dürfte uns schlecht bekommen.« Fünf Minuten später verließen wir die schützende Höhlung. Wir stellten fest, daß das Hochwasser des Flusses in der Nacht erheblich zurückgegangen war. Auch sonst schien sich wieder alles zu normalisieren, das bewies das vielstimmige Vogelkonzert über uns. Nicht weit entfernt gab es eine kleine Lichtung. Dorthin brachten wir die Trage mit Kälderspuur, nachdem wir uns vergewissert hatten, daß keine Raubspinne auf der Lauer lag. Wir verzehrten die zweite Rehkeule, die 31
ATLAN 7 – Die Stahlquelle tummelten. Raubkäfer und Fliegen wetteiferten mit rattenähnlichen Kreaturen und einer kleinen Art von Hyänen darum, sich diese Beute streitig zu machen. Einmal sahen wir auch eine große Raubkatze, ein Mittelding zwischen Tiger und Löwe, mit rot und gelb geschecktem Fell. Sie war von einem Baum erschlagen worden, den ein Blitz gefällt hatte. Razamon verzog das Gesicht. »An dieses Biest wagt sich auch nach seinem Tode noch kein anderes Tier heran! Daran kannst du sehen, wie gefürchtet dieser Räuber der Nacht sein muß. Wir hatten unverschämtes Glück, daß wir nicht im Schlaf von einem der Biester angefallen wurden.« »Sagtest du Glück?« erkundigte ich mich mürrisch. »Darunter stelle ich mir etwas ganz anderes vor, Freund. Hätten wir wirklich Glück gehabt, säßen wir jetzt noch auf den Yassels und wären in Richtung Wolterhaven unterwegs.« »Alles im Leben ist relativ«, gab der Atlanter zurück und schlug demonstrativ eine schnellere Gangart an. Wir marschierten mit wenigen kurzen Pausen vier Stunden lang durch. Dann hatten wir den Rand der Zone erreicht, über die das Unwetter gezogen war. Dort stießen wir auf Büsche mit den blauen Früchten, die wir bereits kannten. Wir legten eine Rast ein und sättigten uns daran. Kälderspuurs Zustand schien langsam kritisch zu werden. Er aß zwar, als ich ihn fütterte, merkte aber offenbar kaum, was er zu sich nahm. Sein Gesicht war eingefallen und glühte im Fieber. Er stöhnte nun immer öfter, die Wirkung der bropischen Medizinkugeln schien erschöpft zu sein. Mit gemischten Gefühlen drangen wir wieder in das Gebiet der unzähligen Gefahren ein. Sofort umfing unsere Füße wieder der Morast, so daß wir nur noch halb so schnell wie zuvor weiterkamen. Nach kaum einer Viertelstunde wurden wir zum zweiten Male von einem Riesenwurm attackiert. Wir hatten inzwischen aber bereits einen Instinkt entwickelt, der uns rechtzeitig warnte, wenn es brenzlig wurde. Razamon erledigte das Tier durch einen raschen Messerwurf, sobald sein Kopf aus dem
wir in der heißen Asche auf Vorrat gebraten hatten. Weiter war von dem Tier nichts mehr übriggeblieben als das nackte Skelett. In der Nacht hatten die Würmer alle Weichteile restlos abgenagt. »Wie soll es nun weitergehen?« fragte Razamon in das Knarren und Ächzen der Blutbäume hinter uns hinein. Ich kniff die Brauen zusammen und wies auf Kälderspuur. Er fieberte wieder und warf sich unruhig hin und her. »Unser Hauptziel müßte natürlich sein, den Jungen zu seinen Leuten zu bringen. Das Wasser hat seinen Verband vollkommen aufgeweicht, darunter sieht es wahrscheinlich schlimm aus. Ich nehme an, daß wir während unserer unfreiwilligen Wassersportübung aber schon weit über das Gebiet seines Stammes hinausgekommen sind. Es dürfte sich also empfehlen, den Weg nach Südosten einzuschlagen. Vielleicht finden wir die Yaghts noch, solange Kälderspuur am Leben ist. Später können wir dann versuchen, den Dschungel zu verlassen und wieder die Straße der Mächtigen zu erreichen.« »Südwesten wäre besser«, gab der Pthorer zu bedenken. »In dieser Richtung muß Balduurs Behausung liegen, und dort wollen wir ja im Endeffekt hin. Du hast aber natürlich recht, was Kälderspuur betrifft. Er ist in doppelter Hinsicht eine Last für uns.« »Okay, dann brechen wir sofort auf«, sagte ich. »Um so größer ist die Aussicht, daß sein Leben gerettet wird.« Wir packten unsere wenigen Sachen zusammen und machten uns wieder auf den Weg. Es war inzwischen recht warm geworden, der feuchte Boden dampfte förmlich. Allerdings hatte das Unwetter auch sein Gutes gehabt. Die sonst überall gegenwärtige Schlammschicht war von den Wassermassen weggespült worden, und wir kamen erheblich schneller voran als am Vortag. Ab und zu stießen wir auf Tümpel, die sich in Bodenvertiefungen gebildet hatten und umgangen werden mußten. In allen fanden sich Tierleichen aller nur möglichen Arten, die durch die Überschwemmung ums Leben gekommen waren. Auch sonst stießen wir öfters auf Kadaver, bei denen sich Aasfresser 32
ATLAN 7 – Die Stahlquelle riesigen Leibes, röchelnde Laute kamen aus den Tracheen hervor. Die Schildkröte streckte nun ihren Kopf unter dem Panzer hervor und beobachtete aus ihren lidlosen Augen den überwundenen Feind. Dann bewegte sie sich gemächlich vorwärts und begann damit, ihn mit ihren Scheren zu zerstückeln. Als ihre Zähne laut malmend mit dem Leichenschmaus begannen, erhob ich mich und kehrte zu den anderen zurück. Ich unterrichtete Razamon, und er nickte befriedigt. »Glaubst du jetzt daran, daß wir trotz allem immer noch Glück haben?« fragte er ruhig. »Wären wir eine Minute früher hier erschienen, hätte uns vermutlich das Netz erwischt.« Ich sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung im Gras, zog das Messer und ließ es fliegen. Ein Schlangenkopf fiel abgetrennt zu Boden, der armdicke, etwa acht Meter lange Körper peitschte zuckend umher. Er war grün und braun gefleckt und gegen den Untergrund kaum zu erkennen gewesen. »Gehen wir weiter«, sagte ich und holte das Messer zurück.
unterirdischen Gang zum Vorschein kam. Wenig später kamen wir an eine Lichtung, von der aus unverkennbare Kampfgeräusche zu hören waren. Wir setzten die Trage ab, und ich schlich mich durch die Randbüsche vor. Es konnte schließlich sein, daß sich dort ein Mensch in Lebensgefahr befand, dem ich beistehen konnte. Als erstes sah ich das unverkennbare silbrige Schimmern des Fangnetzes einer Riesenspinne. Es lag über etwa einem drei Meter langen Tier, das einer riesigen Schildkröte glich. Es besaß jedoch rechts und links des Kopfes zwei Paare von großen Krebsscheren, die sich unaufhörlich bewegten. Sie waren so scharf, daß sie auch die bereits verhärteten Netzfäden mühelos durchschnitten. Der riesige ovale Körper drehte sich langsam, nach und nach wurden große Teile des Netzes zerstört. Das gefiel der Spinne naturgemäß nicht. Sie hatte sich bereits zum Boden herabgelassen und setzte immer wieder zu wütenden Attacken an. Diesem Gegner war sie jedoch nicht gewachsen. Ihre Beißzangen glitten an seinem Panzer ab, ohne ihn auch nur ritzen zu können. Selbst das herabtropfende Gift, das einer starken Säure glich, vermochte ihm nichts anzuhaben. Mit wahrhaft stoischer Ruhe befreite sich die Schildkröte von dem Netz, dessen Reste sich daraufhin von ihr lösten. Erst dann widmete sie dem Angreifer ihre Aufmerksamkeit. Der Kampf auf Leben und Tod begann. Die hungrige Riesenspinne rannte vergeblich gegen ihr vermeintliches Opfer an. Sie war schneller als dieses, aber das nützte ihr wenig. Die vier Scheren schnappten immer im richtigen Moment zu, und das mußte sie in kurzer Zeit mit dem Verlust von vier Beingliedern bezahlen. Trotzdem gab sie nicht auf und setzte humpelnd zu einem neuen Angriff an. Es war ihr letzter. Unter häßlichem Knirschen trennte eine Schere ihre rechte Beißzange ab. Eine weitere fand ihren im Verhältnis zum Körper winzigen Kopf und zermalmte ihn. Heftig zuckend fiel das Untier zur Seite, rasselnd scharrten die Beine noch eine Weile über den Boden. Dann erstarben allmählich die Zuckungen des
* Je weiter wir nach Süden vordrangen, um so langsamer kamen wir vorwärts. Hier wucherte der Dschungel weit üppiger, Razamon hatte ständig zu tun, um uns einen Weg zu bahnen. Hoch über uns lärmten ständig große bunte Vögel, in Konkurrenz mit den Affen, die sich behende zwischen Ästen und Lianen hin und her schwangen. Riesige farbenprächtige Schmetterlinge segelten zwischen den Blüten dahin, Fliegen, Mücken und Beißspinnen umschwirrten uns oder fielen auf uns herunter. Wir hatten jedoch vorgebeugt und uns wieder mit dem Beerensaft eingerieben, der sie uns vom Halse hielt. Nur gegen die brütende Hitze gab es kein Mittel. Dann erreichten wir eine Zone, in der es fast geisterhaft still war. Hier gab es weder Vögel noch Affen, kein einziges Insekt war in der Luft. Etwas stimmte hier nicht, das war uns klar. Der Atlanter 33
ATLAN 7 – Die Stahlquelle sicht, die schwarzen Augen funkelten unheildrohend. Ich lenkte rasch ein, ehe ihn die Wut übermannen konnte. »Komm, wir müssen weiter«, sagte ich und deutete auf Kälderspuur. Er war inzwischen erwacht und schien wieder bei klarem Verstand zu sein. »Jede Minute, die wir vertun, vermindert seine ohnehin nicht großen Überlebenschancen.« Ich sagte es auf Terranisch, um den Jungen nicht zu erschrecken. Das ernüchterte Razamon, seine Anspannung löste sich. Er nickte kurz, wir nahmen die Trage wieder auf und setzten unseren Marsch fort. Die durch die Ameisen geschaffene Todeszone war etwa hundert Meter breit. Dahinter normalisierten sich die Verhältnisse fast schlagartig wieder. Die nun schon fast zur Gewohnheit gewordenen Widrigkeiten erforderten unsere höchste Aufmerksamkeit. Irgendwie gelang es uns immer wieder, ihrer Herr zu werden. Am lästigsten wurden die Springschlangen, die als die neueste »Bereicherung« der feindlichen Tierwelt nun auftauchten. Sie waren nur etwa armlang, besaßen aber vier starke Beine, mit deren Hilfe sie sich auf uns schnellten. Zum Glück besaßen sie keine Giftzähne, sonst wären wir kaum mit dem Leben davongekommen. Sie versuchten, sich in ihre Opfer zu verbeißen, um ihnen dann das Blut auszusaugen. Bei Razamon und mir hatten sie damit kein Glück, wir waren durch unsere Kleidung geschützt. Kälderspuur dagegen, der bis auf seinen Lendenschurz nackt war, fiel ihnen zweimal zum Opfer. Erst, als wir die Tiere getötet hatten, lösten sie sich wieder von ihm. Er selbst war bereits zu schwach, um sich zu wehren, obwohl wir ihn inzwischen losgebunden hatten. Der Nachmittag hatte längst begonnen, als wir merkten, daß erneut etwas in der Luft lag. Das war wörtlich zu nehmen. Ein stechender Geruch lag über dem Dschungel und wurde allmählich immer stärker. Es roch nach Schwefel, aber auch andere, säuerliche Komponenten waren dabei. Der Wind trieb sie uns entgegen, im Anfang war ein starker Nies- und Hustenreiz die Folge. Er milderte sich jedoch bald wieder, unsere Lungen und Nasen paßten sich an.
hielt an und sah uns besorgt an. »Das ist anomal«, sagte er mit unwillkürlich gedämpfter Stimme. »Hier muß etwas vorhanden sein, das alle Tiere vertrieben hat. Es wird gut sein, wenn du erst einmal allein vorgehst, um Ausschau zu halten.« Ich nickte, nahm die Skerzaal von der Schulter und machte sie schußbereit. Dann zwängte ich mich so geräuschlos wie nur möglich durch das verfilzte Unterholz, das in einem grünlichen Dämmerlicht lag. Plötzlich stolperte ich über das Skelett eines Affen. Es war von einer Blutlache umgeben, die bezeugte, daß das Tier erst vor kurzer Zeit getötet worden war. Die Knochen waren wie blankpoliert, auch das letzte Gramm Fleisch und Sehnen war säuberlich abgenagt. Wenige Schritte weiter stieß ich auf die Überreste eines Vogels, und auch von ihm waren nur Federn und das Gerippe übrig. So ging es Schlag auf Schlag weiter. In diesem Gebiet waren buchstäblich alle Lebewesen getötet worden. Selbst von den Insekten waren nur noch die aus Chitin bestehenden Teile übrig, und allmählich begann ich zu ahnen, was dafür verantwortlich war. Die letzte Gewißheit gaben mir dann einige tote, etwa fingerlange Tiere mit großen Fühlern und scharfe Mandibeln. »Wanderameisen!« unterrichtete ich Razamon, als ich zurückgekehrt war. »Sie müssen erst vor relativ kurzer Zeit hier durchgekommen sein und haben alles aufgefressen, was sich bewegte. Jetzt sind sie wieder fort, wir können unseren Weg unbesorgt fortsetzen.« »Ein verfluchter Kontinent!« murrte mein Gefährte. »Vieles an ihm gleicht der Erde, aber das Negative ist besonders stark ausgeprägt. Diejenigen, die ihn beherrschen, könnten diese Verhältnisse zweifellos ohne große Mühe ändern, aber sie tun es nicht. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf ihre Mentalität. Das gleiche Chaos, das sie über die von ihnen heimgesuchten Welten bringen, herrscht auch hier.« Es mutete seltsam an, solche Worte aus dem Mund eines Mannes zu hören, der selbst von Pthor stammte. Er hatte einmal zu seinen Herren gehört, war dann aber von ihnen ausgestoßen und auf die Erde verbannt worden. Bitterkeit und Haß sprachen aus seinem Ge34
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Pthor schon gegeben hatte. Dann konnte sein Anblick Assoziationen wecken, die ihm halfen, wieder einen Teil seines gelöschten Gedächtnisses zurückzubekommen. Ich störte ihn nicht, sondern wartete geduldig ab. Nach etwa zwanzig Sekunden löste sich seine Anspannung. Mit unglücklich wirkender Miene schüttelte er den Kopf und sagte resignierend: »Nichts, Arkonide! Nicht der kleinste Fetzen von Erinnerung läßt darauf schließen, daß ich jemals hier gewesen bin.« »Nimm es nicht so schwer«, tröstete ich ihn. »Es ist ohnehin fraglich, ob uns das Wissen darum einen konkreten Nutzen gebracht hätte. Fragen wir statt dessen Kälderspuur, was er uns über diesen Krater sagen kann.« Ich weckte den erschöpft schlafenden Jungen und richtete ihn vorsichtig halb auf, so daß er das vor uns liegende Terrain überblicken konnte. »Ist das die Stahlquelle?« fragte ich eindringlich. Zuerst schien er nicht zu begreifen, er befand sich in einem Zustand völliger Apathie. Im Augenblick war auch nicht viel zu sehen, die Dampfschwaden hüllten alles ein. Dann rissen sie wieder auf, und nun nickte er erregt. »Sie muß es sein, Herr! So wird sie in den alten Legenden von jenen beschrieben, die sie gesehen haben. Welches Glück für mich – jetzt werde ich eine Waffe bekommen und kann mit ihr zu meinem Stamm zurückkehren!« Er machte Anstalten, sich zu erheben, sank jedoch mit einem Wehlaut wieder zurück. Die Anstrengung und Erregung zugleich waren zuviel für seinen geschundenen Körper. Ich gab ihm den Rest Wasser aus meiner Flasche zu trinken, und nach einigen Minuten erholte er sich wieder. »Erzähle uns alles, was du über diesen Ort weißt«, forderte ich ihn auf. »Anschließend werden wir versuchen, eine Waffe für dich zu bekommen, falls es hier so etwas gibt.« Er lächelte dankbar, seine Augen leuchteten auf. Eine Euphorie schien ihn überkommen zu haben, die seine letzten Kraftreserven mobilisierte. »Man sagt, daß es den Blutdschungel nicht immer gegeben hat, Herr. Vor undenklichen Zeiten soll hier einmal ein großes und starkes
Vor euch muß es heiße Quellen geben! unterrichtete mich der Extrasinn mit einem kurzen Impuls. Das stimmte offenbar auch. Wir gerieten bald darauf in den Bereich heißer Dampfschwaden, die sich auch auf die Vegetation auszuwirken schienen. Die Urwaldbäume wurden immer seltener, nur noch niedriges Buschwerk mit lederartigen braunen Blättern konnte sich in dieser Region behaupten. Wir versuchten sie zu umgehen, aber das schien unmöglich zu sein. Sowohl rechts wie links gerieten wir in uferlosen Morast, in dem wir bis über die Knie versanken. Nur in der Mitte gab es eine einigermaßen feste Landzunge. Wir mußten auf ihr weitergehen, ob wir wollten oder nicht. Die einzige Alternative wäre ein weiter Umweg gewesen, der mit Rücksicht auf Kälderspuurs Befinden nicht ratsam schien. Dann hörten auch die Büsche plötzlich ganz auf. Sie hatten uns bisher den Ausblick versperrt, aber nun konnten wir sehen, was vor uns lag. Es war eine riesige Mulde mit wallartigen Rändern, die an einen Meteorkrater oder den Krater eines erloschenen Vulkans denken ließ. Fast unübersehbar erstreckte sie sich vor uns, mit Wasser angefüllt, von dem die Dampfschwaden aufstiegen. Ab und zu wurden sie vom Wind zerrissen, und dann sahen wir die Oberfläche, von der ein seltsam metallischer, blaugrüner Schimmer ausging. Bizarre, phantastisch geformte Gebilde von gleicher Farbe ragten an den Wallrändern auf. Manche wirkten wie erstarrte Büsche, andere wie Nachbildungen irgendwelcher Lebewesen, die dem Hirn eines rauschgiftsüchtigen Künstlers entsprungen waren. Mein Extrasinn brachte mich dann auf die richtige Schlußfolgerung aus allem. »Die Stahlquelle!« stieß ich atemlos hervor. 8. Ich blickte Razamon an und sah, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Er hatte die Augen halb geschlossen und konzentrierte sich offenbar darauf, alte Erinnerungen wachzurufen. Es war immerhin nicht auszuschließen, daß es diesen Ort auch zu seiner Zeit auf 35
ATLAN 7 – Die Stahlquelle »Du sollst sie bekommen«, versicherte ich ihm. Seine Augen fielen wieder zu, er schlief mit einem zufriedenen Lächeln ein. Meine Gedanken gingen jedoch ganz andere Wege. Viele Sagen und Mythen der irdischen Völker schienen hier auf Pthor ihren Ursprung zu haben. Galt das vielleicht auch für die Begriffe »Hölle« und »Fegefeuer« aus der altjüdischen und später christlichen Glaubenslehre? Die Analogie gefangener Geister oder Seelen an einem von Hitze erfüllten Ort war unübersehbar. Andere Völker nannten ihn »Hades« oder »Unterwelt«, aber irgendwie kam es immer auf dasselbe heraus. Razamon riß mich aus meinen Überlegungen. »Allzulange können wir hier nicht bleiben«, sagte er nüchtern. »Wir haben nichts mehr zu essen und zu trinken, und die hier aufsteigenden Dämpfe dürften gesundheitsschädlich sein. Ich schlage vor, daß wir uns aufmachen und versuchen, die Stahlquelle in weitem Bogen zu umgehen. Bis zum Einbruch der Nacht müssen wir einen Ort gefunden haben, wo es etwas Eßbares und gutes Wasser gibt.« Ich nickte und warf einen Blick zum Himmel empor. Die Sonne war bereits merklich gesunken, aber es mußte noch etwa fünf Stunden hell bleiben. Diese Zeit reichte bestimmt aus, eine Gegend zu erreichen, die den von Razamon genannten Anforderungen entsprach. Etwas davon gedachte ich noch zu opfern, ob es dem Pthorer nun gefiel oder nicht. »Wir haben noch ein Versprechen einzulösen«, erinnerte ich ihn. »Ich habe dem armen Jungen zugesagt, hier eine Waffe für ihn zu besorgen, und daran gedenke ich mich auch zu halten. Irgend etwas dürfte sich bestimmt unter den Metallgebilden finden, das sein Verlangen befriedigt.« »Gefühlsduselei«, murrte Razamon, aber er meinte es nicht so. Ein ähnliches Gefühl war es schließlich gewesen, das zu seiner Verbannung von Pthor mit all ihren Folgen geführt hatte. Wir ließen die Trage mit Kälderspuur stehen und begaben uns auf die Suche.
Volk gelebt haben. Es war so mächtig, daß es die Gebote der Götter nicht mehr beachtete und über sie zu spotten begann. Diese straften es dann furchtbar, löschten es aus und zerstörten seine Städte. Dann kam der Dschungel, breitete sich aus und begrub alle Überreste unter sich. Nur diese Stahlquelle mit den heißen Wassern vermochte er nicht zu bedecken.« Seine Stimme war immer leiser geworden. Nun ließ er sich zurücksinken und schloß ermattet die Augen. Razamon nickte mir zu. »Eine der üblichen Legenden primitiver Völker«, sagte er auf Terranisch. »An ihr dürfte lediglich der Kern wahr sein, der sich auf die untergegangene Zivilisation bezieht. Das mit der Bestrafung durch die Götter ist natürlich völliger Unsinn. Der Krater hier läßt viel mehr darauf schließen, daß das Volk durch mißlungene Kernexperimente oder einen Angriff mit Atomwaffen umkam.« »Vielleicht wurde es von den Herren der FESTUNG ausgelöscht, weil es renitent geworden war«, überlegte ich. »Dann würden die Legenden doch so ungefähr die Wahrheit sagen. Für die unwissenden Eingeborenen müssen sie wirklich so etwas wie Götter sein.« »Es könnte eventuell auch der Bevölkerung eines von Pthor heimgesuchten Planeten gelungen sein, den Wölbmantel mit Waffen zu durchdringen«, sagte der Atlanter. »Fünfzig Millionen Jahre sind eine für uns unvorstellbare Zeitspanne, und einmal kann es auch ein Volk geschafft haben, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen. Wenn ich mich nur erinnern könnte!« setzte er grüblerisch hinzu. Ich wandte mich wieder Kälderspuur zu, der nun erneut zu reden begann. »Die Stahlquelle ist ein geheimnisvoller Ort«, sagte er leise und stockend. »In ihr sollen die Geister der Angehörigen des Alten Volkes gefangen sein. Von Zeit zu Zeit versuchen sie immer noch, sich aus diesem Kerker zu befreien. Dann beginnen die heißen Wasser zu kochen und zu sprudeln. Aus ihnen steigt dann glühendes Metall auf, das die Toten einst bearbeitet haben. An der Luft wird es fest und bildet Formen aller Art, darunter auch Waffen. Eine davon muß ich haben!«
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ATLAN 7 – Die Stahlquelle festzuhalten, aber meine Stiefel rutschten auf dem glatten Metallbelag des Bodens ab. Ich fiel – und als ich mich wieder aufgerichtet hatte, war meine Beute längst im heißen Wasser der Stahlquelle versunken. Ich suchte weiter. Schließlich hatte ich rund dreihundert Meter zurückgelegt, eine halbe Stunde war nutzlos vertan. Endlich gab ich auf und machte mich auf den Rückweg. Die Zeit drängte, und vielleicht hatte Razamon längst etwas gefunden, das wir dem Jungen als Trophäe übergeben konnten. Er langte kurz nach mir bei der Trage an, aber auch er kam mit leeren Händen. »Sinnlos«, sagte er mürrisch und ließ sich auf einem mit metallischer Patina überzogenen Baumstumpf nieder. »Ich vermute, daß es auch andere Interessenten gibt, die seit dem letzten Ausbruch hier geräubert haben. An einigen Stellen fand ich Spuren, die darauf schließen ließen, daß dort jemand Metallteile abgeschlagen hatte.« Das war ein ganz neuer Aspekt, aber er schien glaubhaft. Die primitiven Urwaldstämme hatten bestimmt kaum Möglichkeiten, sich anderweitig Gegenstände aus Metall zu beschaffen. Für sie mußte die Stahlquelle eine wahre Fundgrube sein. Im erhitzten Zustand ließen sich die Gebilde aus Eisenverbindungen bestimmt gut bearbeiten und zu Gebrauchsgegenständen und Waffen formen. Kälderspuur ging es sichtlich schlecht. Er warf sich im Schlaf hin und her, röchelte und stöhnte, sein ganzer Körper war schweißbedeckt. Eigentlich war es erstaunlich, daß er überhaupt noch am Leben war, nach allem, was er mitgemacht hatte. Ob er die jetzt eingetretene Krise überstehen würde, erschien mir mehr als zweifelhaft. Trotzdem mochten wir ihn nicht im Stich lassen. Wir nahmen unsere Sachen wieder auf und machten uns marschbereit. Plötzlich hielten wir jedoch inne. In das ständige Brodeln und Gluckern im Krater hatte sich ein neuer Ton gemischt. Ein unterirdisches Grollen klang auf, der Boden unter unseren Füßen begann zu zittern. Dann stiegen mit lautem Zischen heiße Wasserfontänen hoch in die Luft. Rasch nahmen wir die Trage auf und zogen
Wir nahmen uns jeder eine andere Seite vor. Der Atlanter ging nach rechts, ich bewegte mich nach links, den Kraterrand entlang. Bald hatten wir uns in den Dampfschwaden aus den Augen verloren. Die ziemlich regelmäßige Rundung des Walls ließ darauf schließen, daß der Durchmesser der Stahlquelle etwa einen Kilometer betrug. Ich wagte mich so weit an ihn vor, wie es die heißen Dämpfe zuließen. Unzählige bizarre Gebilde säumten das Ufer, manche bis zu zwei Meter hoch. Wenn der Wind die Schwaden zerriß, gleißten und funkelten sie im Licht der Sonne. Sie schienen tatsächlich aus einem Eisenmetall oder einer ähnlichen Verbindung zu bestehen. Bei einem Ausbruch der Quelle – vermutlich infolge Aufsteigens von glühendem Magma aus der Bodenkruste – mußte eine wirklich höllische Hitze entstehen. Nur so war zu erklären, daß sich das Metall verflüssigen konnte. Das heiße Wasser jenseits des Walls blubberte und wallte ständig. Ich blieb auf der Hut, um mich bei einem etwaigen Ausbruch sofort zurückziehen zu können. Der Boden war bis etwa fünfzig Meter rings um den Krater frei von jeder Vegetation. Er war uneben und von einer Kruste metallischer Ablagerungen bedeckt, aber fast trocken. Nur zuweilen stiegen aus den Spalten auch hier neblige Dämpfe auf. Ich gab mir alle Mühe, aber ich konnte nichts entdecken, das irgendwie einer Waffe ähnelte, so sehr ich meine Phantasie auch strapazierte. Die Massen aus erstarrtem Metall entlang der Kraterwand glichen jenen abstrakten Zufallsgebilden, die beim früher auf der Erde praktizierten Bleigießen in der Silvesternacht zustande gekommen waren. Nur einmal fand ich unter ihnen einen langen schmalen Gegenstand, der in etwa einem primitiven Speer glich. Ich erklomm den Wall, ignorierte den heißen Dampf und versuchte, das Objekt abzubrechen. Das gelang mir jedoch nicht, und so trat ich mit dem Fuß dagegen. Diesmal hatte ich Erfolg. Es knirschte laut, der »Speer« brach ab, fiel aber nach innen. Rasch griff ich zu, um ihn 37
ATLAN 7 – Die Stahlquelle »Laßt mich los!« schrie er keuchend auf. »Ich muß eine Waffe haben – eine Waffe für meinen Stamm!« In diesem Augenblick geschah etwas, das mir immer unbegreiflich geblieben ist. Der glühende Brocken am Kraterrand, der schon halb über die Böschung herabgesunken war, kam plötzlich zur Ruhe, wie von unsichtbarer Hand aufgehalten. Gleich darauf wölbte er sich entgegen allen Naturgesetzen wieder nach oben; seine bereits rötlich gewordene Glut strahlte erneut blauweiß auf. Dann begann er sich zu verformen, nahm feste Konturen an und behielt sie. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. »Eine Streitaxt!« stieß ich verblüfft hervor. »Du hast recht«, sagte Razamon heiser. »Bei allen Dämonen dieses verfluchten Kontinents – wie ist so etwas nur möglich?«
uns mit ihr bis zu den ersten Büschen zurück. Von dort aus sahen wir gebannt diesem Ausbruch zu. Der ganze Krater befand sich in Aufruhr. So weit wir sehen konnten, wurden gischtende Wassersäulen bis zu hundert Meter hochgeschleudert. Nur an den Kraterrändern war es verhältnismäßig ruhig. Dafür spielte sich nach kurzer Zeit dort ein anderer, verblüffender Vorgang ab. Inmitten der Dampfschwaden war plötzlich undeutlich ein rötliches Glühen zu sehen. Es wurde immer stärker, das Wasser begann dort regelrecht zu kochen. Immer heller wurde die Glut, der Dampf erstrahlte in regenbogenähnlichen Reflexen. Dann stieg an mehreren Stellen weißglühendes Metall aus den Fluten auf, wurde mehrere Meter hochgeschleudert und fiel wieder zurück. Ein Teil davon ergoß sich über die Kraterböschung, setzte sich dort ab und begann zu erkalten. Neue bizarre Gebilde erstanden in reicher Vielfalt. Unwillkürlich hielten wir Ausschau, um vielleicht doch noch etwas für Kälderspuur Brauchbares zu entdecken. Das Grollen und Rumpeln des Bodens hatte den Jungen geweckt. Mühsam richtete er sich halb auf und starrte aus fieberglänzenden Augen zum Krater hinüber. Abgerissene, unverständliche Wortfetzen kamen über seine Lippen, er war aufs äußerste erregt. Plötzlich schrie er laut auf, erhob sich schwankend und taumelte auf die Stahlquelle zu. Sein Ziel war eine Stelle etwas rechts von uns. Dort erhob sich ein besonders großer glühender Brocken aus dem Wasser und kroch langsam über den Kraterrand. Wir folgten Kälderspuur sofort und packten ihn an den Armen, um ihn zurückzuhalten. Es war offensichtlich, daß er kaum noch wußte, was er im Fieberwahn tat. Ohne uns wäre er zweifellos weitergelaufen und hätte sich in das kochende Wasser gestürzt. Vielleicht wäre das die beste Lösung für alle, sagte mein Extrasinn emotionslos wie immer. Er ist ohnehin so gut wie tot. Ich achtete nicht darauf, denn wir hatten genug zu tun, um den Jungen zu bändigen. Sein schmächtiger, ausgezehrter Körper entwickelte erstaunliche Kräfte.
* Fünf Minuten später hatte Kälderspuur seine ersehnte Waffe. Aus dem Metall hatte sich eine Form gebildet, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit einer zweischneidigen Kampfaxt besaß. Sie kühlte sehr rasch ab und funkelte verheißungsvoll in den zuweilen durchbrechenden Sonnenstrahlen. Razamon ging hinüber zum Kraterrand, griff zu und brach den Stiel mit einem kurzen Ruck ab. Er konnte das unbesorgt tun, denn der Ausbruch der Stahlquelle war vorüber. Die Geysire waren in sich zusammengefallen, der Nachschub an glühendem Metall blieb aus. Innerhalb kurzer Zeit verstummte auch das Brodeln im Krater, die Dampfschwaden versiegten fast ganz. Jetzt konnten Tage oder Wochen vergehen, ehe die Quelle wieder zu toben begann. Der Atlanter kam mit der »Axt« zurück und übergab sie dem Jungen. Kälderspuur nahm sie und starrte sie verzückt an, seine Lippen bewegten sich wie in einem stummen Gebet. Dann brach er plötzlich übergangslos zusammen und verlor das Bewußtsein. Ich griff rasch zu und fing den kleinen Körper auf. Wir betteten den Jungen wieder auf der Trage, und ich legte ein Ohr an seine Brust. Der Herzschlag war kaum noch zu vernehmen und sehr unregelmäßig. 38
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Zeit mehr, um selbst nach dem Messer zu greifen. Ich parierte den Stich durch einen Schlag mit der Skerzaal und prellte ihm die Klinge aus der Hand. Doch auch meine Waffe fiel zu Boden, und ich strauchelte für einen Sekundenbruchteil. Mein Gegner erkannte das, sprang mich an und riß mich zu Boden. Dann umklammerten seine Hände meinen Hals und drückten zu. Rechts von mir war das zornige Schreien von Razamon zu hören, den offenbar wieder einmal sein dämonisches Erbe überwältigt hatte. Mir blieb jedoch keine Zeit, mich darum zu kümmern, denn mein Gegner verlangte mir alles ab. Sein riesiger Körper preßte mich auf den Boden, seine Hände drückten gnadenlos zu. Schon nach Sekunden wurde mir die Luft knapp, bunte Ringe begannen vor meinen Augen zu tanzen. Mit einem heftigen Ruck bekam ich meine rechte Hand frei und setzte einen arkonidischen Dagorgriff in seinen Nacken an. Der Schwarze brüllte vor Schmerzen auf, der Griff seiner würgenden Hände lockerte sich unwillkürlich. Ich befreite auch meine Linke und stieß dann beide Daumen in seine Nieren. Das brachte mir den entscheidenden Vorteil. Der Körper über mir krampfte sich in jähem Schmerz zusammen und fuhr dann steil in die Höhe. Die Hände glitten von meinem Hals, ich bekam wieder Luft. Eine Sekunde später war ich wieder auf den Beinen. Auch mein Gegner stellte sich erneut zum Kampf, aber er war noch nicht wieder voll dabei. Ich schlug mit der Rechten zu und landete einen harten Haken an seinem Kinn. Sein Kopf flog nach hinten, seine Augen verdrehten sich. Dann stürzte er wie ein gefällter Baum besinnungslos zu Boden. »Gut gemacht, Admiral!« sagte Razamon anerkennend. Er stand breitbeinig da, Kälderspuurs Waffe in der Hand. An beiden Schneiden befand sich frisches Blut, und mein Blick glitt weiter zu seinen Gegnern, die regungslos am Boden lagen. Schaudernd wandte ich mich wieder ab. »War das unbedingt nötig?« fragte ich vorwurfsvoll. Der Pthorer hob die Schultern. »Das frage ich mich jetzt auch, um ganz
»Es geht mit ihm zu Ende«, sagte Razamon leise. »Nun, er hat wenigstens noch die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches erlebt. Das kann längst nicht jeder von sich sagen, wenn seine letzte Stunde gekommen ist.« Sein Gesicht war ausdruckslos, nur seine unergründlichen Augen brannten in einem düsteren Feuer. Ich wußte, woran er dachte, und welches sein sehnlichster Wunsch war: Die Unschädlichmachung der Herren von Pthor, damit sie nie mehr Unheil über andere Welten bringen konnten! Gefahr! signalisierte mir plötzlich mein Extrasinn. Ich fuhr hoch und griff nach der Skerzaal, die neben der Trage auf dem Boden lag. Auch Razamon begriff sofort. Er hielt die Streitaxt in der Hand, um sie auf Kälderspuurs Brust zu legen. Nun wirbelte er herum und erhob sie abwehrbereit. Noch sahen wir nichts, aber in den Büschen hinter uns war ein leises Rascheln zu hören. Dort schlich sich jemand an, um uns zu überraschen und vermutlich zu töten und auszurauben. Hätte mein Extrasinn nicht rechtzeitig reagiert, wäre dieses Vorhaben wohl auch gelungen. Ich sah eine Bewegung zwischen den Bäumen, erkannte eine geduckte Gestalt und schoß sofort. Ein dumpfer Schmerzenslaut erklang, dann fiel ein Körper schwer zu Boden. Im nächsten Moment sprangen vier weitere Männer auf und rannten brüllend mit gezückten Messern auf uns zu. Sie waren groß und sehnig, nur mit Lendenschurzen bekleidet und fast schwarzhäutig. Aus ihren dunklen Augen funkelte nackte Mordlust. Sie erreichten uns fast gleichzeitig, je zwei sprangen den Atlanter und mich an. Zum Nachladen blieb mir keine Zeit mehr. Ich wich ihnen mit einem Sprung zur Seite aus und stellte einem von ihnen ein Bein. Er schlug zu Boden, prallte mit dem Kopf auf den metallischen Untergrund und verlor das Bewußtsein. Der andere fing seinen Lauf ab, fuhr herum und drang sofort wieder auf mich ein. Er war ein geübter Kämpfer, das erkannte ich an seiner ganzen Haltung. Geduckt kam er auf mich zu, die scharfe Schneide des langen Messers fuhr mir entgegen. Mir blieb keine 39
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Vorschein, in die etwas eingewickelt war. »Brot und kalter Braten!« sagte er anerkennend. »Nicht sehr viel, aber es hilft uns bestimmt einen Tag weiter. Sieh an, hier ist auch noch eine Flasche voll Wasser. Diese Sorge sind wir vorerst also auch los.« Wir schafften die drei Toten beiseite und deckten sie mit Ästen zu. Dann wuschen wir uns mit warmem Wasser aus einem kleinen Tümpel, anschließend aßen und tranken wir. Die Sonne war inzwischen verschwunden, die Dämmerung kündigte sich an. Für diesen Tag war es also zum Weitermarsch zu spät. Der Atlanter schlug vor, an der Stahlquelle zu lagern, aber ich winkte ab. »Es ist besser, wenn wir uns ein Versteck suchen, Freund. Hier auf der glatten Fläche lägen wir wie auf dem Präsentierteller. Es ist gut möglich, daß sich auch noch andere Interessenten hier einfinden, und denen möchte ich gern aus dem Weg gehen. Es dürfte nicht immer so gut abgehen wie vorhin.« Wir nahmen die Trage mit dem toten Jungen auf und gingen etwa fünfhundert Meter in Richtung Südost. Dort stießen wir auf einen riesigen Baum, dessen fünf Meter dicker Stamm unten morsch und ausgehöhlt war. Die geräumige Höhlung mußte früher einem Raubtier als Unterschlupf gedient haben, darauf wies der verstreute Knochen hin. Jetzt war sie aber schon seit längerer Zeit verlassen, das erkannten wir an dem hereingewehten losen Laub auf ihrem Boden. »Okay, hier bleiben wir«, bestimmte ich. Wir beeilten uns, denn es war nun schon fast dunkel. Mit dürren Ästen fegten wir den Holzraum aus, aber dabei kam eine Menge Ungeziefer zum Vorschein. Razamon schlug Feuer, so daß wir unser Asyl ausräuchern konnten. Erst, als wir sicher waren, daß es keine unliebsamen Gäste mehr beherbergte, bereiteten wir uns ein Schlaflager. »Was fangen wir jetzt mit Kälderspuurs Leiche an?« fragte mein Gefährte. »Ihn noch weiter mitschleppen zu wollen, wäre sinnlos, weil wir nicht wissen, wo sein Stamm zu finden ist. Auch ohne ihn haben wir noch genug zu tun, um in dieser Gegend zu überleben.« Ich zuckte mit den Schultern und sah in die prasselnden Flammen des kleinen Feuers vor dem Baum.
ehrlich zu sein. Du weißt doch aber, wie das ist, wenn es mich wieder einmal überkommt. Ich sehe dann nur noch rot – so ist es eben passiert, ohne daß ich es bewußt wollte.« In diesem Augenblick schrie Kälderspuur jämmerlich auf. Wir fuhren herum und sahen, daß er sich aufgerichtet hatte. Sein Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, er streckte die Arme nach uns aus. Es war das letzte Aufflackern vor dem Ende, das sah ich sofort. »Gib ihm seine Trophäe, Razamon«, sagte ich heiser. * Zwei Minuten später war der Junge tot. Er starb, die Axt in den Händen, einen glücklichen Ausdruck auf dem Gesicht. »Er hat ausgelitten«, sagte Razamon mit einem Ausdruck von Ergriffenheit, den ich nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Doch schon nach Sekunden veränderte sich seine Miene wieder. Er fuhr herum und setzte zu einem Spurt an, aber es war bereits zu spät. Meine bewußtlosen Gegner waren inzwischen wieder zu sich gekommen. Sie dachten jedoch nicht daran, den Kampf erneut aufzunehmen, sondern suchten das Weite, so schnell sie konnten. Innerhalb weniger Augenblicke waren sie lautlos zwischen den Büschen verschwunden, wie sie gekommen waren. »Laß sie laufen«, sagte ich entschieden. Der Atlanter schnaufte unwillig auf, fügte sich aber. Dann ging er einige Schritte zu Seite und hob ein Bündel auf, das einer der Angreifer verloren hatte. Es entpuppte sich als ein großer Sack, aus besonders zähen Pflanzenfasern angefertigt. Er war zweifellos für den Transport von Metall bestimmt gewesen, das die Männer hier hatten holen wollen. Sie mußten Angehörige eines der dunkelhäutigen Stämme im Blutdschungel sein, von deren Existenz wir in Orxeya erfahren hatten. In ihren Augen waren wir Rivalen mit dem selben Ziel gewesen, und so hatten sie uns sofort angegriffen. Razamon wollte den Sack schon achtlos beiseite werfen, hielt dann aber inne. Er griff hinein und brachte einige große Blätter zum 40
ATLAN 7 – Die Stahlquelle bedächtig ein riesiger graubrauner Körper ins Freie. Es war eine Riesenschildkröte, noch um einiges kompakter als die, die wir am Vortage beim Kampf mit der Raubspinne beobachtet hatten. Wir standen regungslos da und hielten unwillkürlich sogar den Atem an. Trotzdem entdeckte uns das Tier. Sein Kopf reckte sich schnüffelnd in unsere Richtung, und dann kamen die gewaltigen Scheren zum Vorschein, die bisher unter dem Panzerschild verborgen gewesen waren. Flucht! war mein erster Gedanke. Ich verdrängte ihn jedoch rasch wieder, als ich sah, wie behende sich das scheinbar so unbeholfene Tier bewegen konnte. Mit großen, raumgreifenden Schritten preschte es plötzlich auf uns zu. »Zurück in den Baum!« schrie ich Razamon zu. Hastig ergriffen wir die Trage mit dem Toten und zogen uns in die Höhlung zurück. Zwei Sekunden später prallte der riesige Körper mit voller Wucht hinter uns gegen den Baum. Ein Regen von Splittern und Holzmehl ging auf uns nieder, es krachte, als ginge die Welt unter. Diesmal schloß ich bereits mit meinem Leben ab. Zu früh, wie sich gleich darauf herausstellte. Der Eingang zur Baumhöhle war etwa zwei Meter breit, der Panzer der Schildkröte dagegen fast dreieinhalb. Zwar brachen bei dem Anprall rechts und links noch morsche Holzbrocken ab, das Loch erweiterte sich dadurch aber nur geringfügig. Kopf, Scheren und Vorderbeine des Ungetüms drangen in den Hohlraum ein, der eigentliche Körper dagegen nur zu einem kleinen Teil. Über ihm, wo der Eingang fast spitz zulief, war noch Raum, durch den Licht hereinfiel. So konnten wir die großen Scheren sehen, die wild schnappend durch die Luft fuhren und uns zu packen suchten. Sie erreichten uns jedoch nicht, zwischen uns und ihnen blieben noch fast zwei Meter Raum. Sie stießen dafür gegen die Trage und kippten sie um. Die Leiche Kälderspuurs fiel uns vor die Füße, und mit ihr auch die metallene Streitaxt aus der Stahlquelle. Razamon hatte sofort seine Skerzaal gegen
»Du hast natürlich recht«, gab ich zu. »Andererseits möchte ich ihn nicht irgendwo stehenlassen, damit er von irgendwelchen Tieren gefressen wird. Doch darüber können wir uns morgen früh noch Gedanken machen. Jetzt bin ich müde und gedenke einen langen Schlaf zu tun.« »... denn dieser letzten Tage Qual war groß«, zitierte Razamon mit humorlosem Lächeln. »Weiß der Himmel, das Zitat paßt haargenau auf uns.« Wir hüllten die Leiche in den Sack und stellten die Trage quer vor den Eingang der Baumhöhle. Ein Toter bewachte unseren Schlaf – ein wirklich sehr makabrer Gedanke. Natürlich brachten wir auch noch Sicherungen aus Ästen an, die wir in den Boden rammten. Das war sehr angebracht, denn inzwischen war der nächtliche Dschungel zu einem unheimlichen Leben erwacht. Nachtvögel krächzten heiser in den Baumkronen, im Unterholz raschelte und knackte es, schrille Pfiffe ließen uns zusammenfahren. Weiter entfernt stießen große Raubtiere mehrmals ihr schauerliches Gebrüll aus; einmal hörten wir auch den Todesschrei eines Opfers. Trotzdem schlief ich schon nach wenigen Minuten ein. Mein Körper war übermüdet und forderte sein Recht. Ich schlief tief und traumlos. Als ich wieder erwachte, schien bereits die Sonne. Razamon schnarchte noch, und ich ließ ihn schlafen. Ich erhob mich leise, entfernte die Äste vor dem Eingang und schlüpfte hinaus. Im nächsten Moment fuhr ich zusammen und griff nach meinem Messer. Ganz in der Nähe wurde ein Krachen und Brechen laut, als würde ein Panzerfahrzeug einen Weg durch den Dschungel bahnen. Ganze Büsche wurden einfach niedergewalzt, dünne Bäume krachten splitternd unter dem Anprall eines riesigen Körpers. Hastig zog ich mich hinter die Trage zurück, und gleich darauf erschien der Atlanter neben mir, die Skerzaal schußbereit in der Hand. »Was ist denn das?« fragte er entgeistert. »Keine Ahnung«, gab ich wahrheitsgemäß zurück. Kaum zehn Sekunden später erfuhren wir es. Etwa zwanzig Meter vor uns wurden die Büsche niedergewalzt, und dann schob sich 41
ATLAN 7 – Die Stahlquelle schwerer, uns daran zu halten. Die Pusteln wurden fast zusehends größer, im Verhältnis nahm auch das Jucken zu. Unsere Gesichter schwollen derart an, daß wir kaum noch aus den Augen sehen konnten. Wir opferten schweren Herzens den Rest Wasser aus der erbeuteten Flasche und wuschen sie damit ab. Das half, sogar überraschend schnell. Der Juckreiz verging innerhalb weniger Minuten, die Pusteln bildeten sich zurück. Damit war uns aber nicht entscheidend geholfen. Da wir zum Schlafen die Jacken ausgezogen hatten, waren auch unsere Arme und Hälse in Mitleidenschaft gezogen worden. Wir hatten aber nichts mehr, um auch sie abzuwaschen. »Ganz Pthor für zehn Liter Wasser!« knurrte Razamon, der sich kaum noch beherrschen konnte. In seinen Augen funkelte es wieder einmal unheildrohend. »Nicht durchdrehen, Alter«, sagte ich beruhigend. »Wasser hilft, das wissen wir jetzt. Gehen wir also auf die Suche danach, irgendwo werden wir schon etwas finden.« Es war unser Pech, daß ausgerechnet diese Region des Blutdschungels ausnehmend trocken war. Wir schlugen große Kreise und durchsuchten die ganze Umgebung, aber ohne Erfolg. Kein noch so kleiner Tümpel, nicht das winzigste Rinnsal war zu entdecken. Wir rieben die betroffenen Hautpartien mit Blättern ab, erreichten damit jedoch nichts. »Jetzt hilft nur noch eins«, sagte Razamon und rieb sich hingebungsvoll den Nacken. »Wir müssen zur Stahlquelle zurück! Dort gibt es Wasser in Massen – schnell dorthin, sonst werde ich noch verrückt.« Eine Minute später befanden wir uns bereits auf dem Weg. Wir legten die Strecke in wahrer Rekordzeit zurück. Dabei achteten wir kaum auf unsere Umgebung, denn wir waren ständig damit beschäftigt, uns irgendwo zu reiben. Wenn wir in dieser Zeit von Tieren oder anderen Menschen angegriffen worden wären, hätten diese leichtes Spiel mit uns gehabt. Diesmal war das Glück jedoch auf unserer Seite. Wir langten bei der Stahlquelle an, ohne irgendwie behelligt zu werden. An diesem Morgen bot sich ein gänzlich
den Kopf des Tieres abgeschossen, aber ohne jede Wirkung. An der dicken Panzerhaut prallte selbst der Stahlbolzen ab. Nun ließ er die nutzlose Waffe fallen und griff dafür behende nach der Axt. Er machte einen Ausfallschritt über die Trage hinweg und führte einen wuchtigen Hieb gegen das rechte Auge der Riesenschildkröte. Er traf gut. Ein fetzendes Geräusch war zu hören, als das Auge zerbarst. Eine warme Flüssigkeit, gemischt aus Blut und Augenwasser, schoß aus dem Organ hervor und übersprühte uns. Im nächsten Moment kam ein schmerzliches Gebrüll aus dem Maul des Untiers, so laut, daß uns fast die Trommelfelle barsten. Die Scherenpaare fuhren noch für einen Moment ziellos umher, dann verschwanden sie blitzartig unter dem Panzer. Gleichzeitig zog das Ungetüm auch seinen Kopf ein, und im nächsten Moment begab es sich auf dem Rückzug. Mit einem Ruck löste sich sein Körper aus dem Höhleneingang, schoß etwa zehn Meter von ihm hinweg und wendete sich dann zur Seite. Das Tier entfernte sich in rasendem Lauf. »Dieser Tag fängt wirklich gut an!« knurrte der Atlanter und schüttelte sich. 9. Wo sich eine der Riesenschildkröten herumtrieb, konnte es leicht noch mehr dieser unfreundlichen Gesellen geben. Deshalb beschlossen wir, möglichst bald aufzubrechen, ehe wir erneut derartigen Besuch bekamen. Es blieb allerdings bei diesem Vorsatz. Der Grund dafür war das fast unerträgliche Jucken, das uns nach kurzer Zeit überkam. Überall dort, wo unsere Hautpartien mit der Flüssigkeit aus dem Auge des Tieres besprüht worden waren, bildeten sich große Pusteln. Sie war also giftig oder zumindest ätzend gewesen. »Nicht kratzen!« warnte ich Razamon. »Das könnte zu Entzündungen führen, zu Fieber und allen möglichen anderen Folgen. Nur leicht reiben, das genügt, um den Juckreiz zu lindern.« Der Pthorer fluchte und schimpfte, befolgte aber meinen Rat. Es fiel uns allerdings immer 42
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Tekener – »The Smiler« und einer der tüchtigsten Spezialisten der USO! Vielleicht befand er sich jetzt gerade zusammen mit Perry Rhodan und anderen Freunden draußen auf Pthor, auf der Suche nach einem Weg durch den Wölbmantel. Auf einer Suche, die vergeblich bleiben mußte, denn kein Mensch konnte ihn durchdringen. Das schafften scheinbar auch die Techniker nicht. »Träumst du?« fragte Razamon und stieß mich an. »Du denkst jetzt an die Erde da draußen, nicht war? Vergiß sie, Freund, sie kann uns jetzt nicht helfen. Wir müssen zusehen, daß wir mit diesem verfluchten Kontinent allein irgendwie fertig werden.« Ich nickte, aber innerlich blieb ich skeptisch. Was hatten wir denn bisher schon erreicht, seit wir in der Bucht der Guurpels an Land gelangt waren? Praktisch nichts! Wir waren weit herumgekommen und von einem Abenteuer ins andere gestolpert. Der Weg zu den Herren der FESTUNG im Osten von Pthor erschien mir jetzt noch weiter als je zuvor. Wir gingen vorsichtshalber noch einmal ins Wasser und schwammen einige Zeit. Dann verließen wir das Becken der Stahlquelle und ließen uns von den Strahlen der Sonne trocknen. Ringsum war alles ruhig und friedlich, nicht einmal Insekten störten uns. Ein wirklich ungewöhnlicher Zustand nach allem, was wir mitgemacht hatten, seit uns vor Orxeya die Yassels durchgegangen waren. Fast widerwillig zogen wir uns schließlich wieder an und machten uns auf den Rückweg. Ein aufdringlicher Geruch nach Schwefel haftete uns an, aber er störte uns kaum. Er würde sich ebenso verlieren wie die Pocken, die bereits ganz zurückgegangen waren. Nur die gerötete Haut erinnerte an das, was uns vor kurzer Zeit noch fast zur Verzweiflung gebracht hatte. Diesmal ließen wir uns Zeit und waren vorsichtig. Der Blutdschungel schien uns eine Atempause gewähren zu wollen, denn wir stießen nicht auf ein einziges gefährliches Tier. Dafür lief uns aber eines der pthorischen Rehe über den Weg, und der Atlanter erlegte es mit einem schnellen Bolzenschuß. Wir nahmen es mit zu »unserem Baum«, und eine Stunde später hingen die besten
anderes Bild. Es gab keine Dampfschwaden mehr, die Sonne schien voll auf den Krater und ließ seine Ränder blausilbern schimmern. Ich suchte nach dem Tümpel, in dem wir uns am Vortag gewaschen hatten, aber sein Inhalt war inzwischen verdampft oder versickert. »Jetzt ist mir schon alles gleich«, stieß der Atlanter hervor. Im nächsten Moment riß er sich die Kleider vom Leib und klomm den Kraterwall hoch. Vorsichtig setzte er sich auf den metallbedeckten Rand und streckte einen Fuß ins Wasser, das jetzt den blaugrünen Schimmer verloren hatte und ganz normal aussah. »Genau Badetemperatur«, stellte er fest. Im nächsten Moment sprang er kopfüber in die Mulde und tauchte unter. Mir stockte unwillkürlich der Atem. Ich vergaß den Juckreiz und starrte gebannt auf die Stelle, an der Razamon eben verschwunden war. An einem Ort wie diesen konnte alles mögliche passieren. Zwar stand kein Ausbruch der Stahlquelle bevor, aber das Wasser konnte Bestandteile enthalten ... Prustend und spuckend tauchte mein Gefährte wieder auf und hielt sich wassertretend auf der Stelle. »Nun komm schon nach«, rief er mir fast übermütig zu. »Die Brühe schmeckt zwar eklig nach Schwefel, aber das ist auch alles. Mir ist jetzt schon bedeutend wohler.« Meine juckenden Körperpartien gaben den Ausschlag. Hastig entkleidete ich mich ebenfalls und folgte Razamons Beispiel. Das Wasser war lauwarm und nicht viel schlechter als jene Chlorlauge, die oft in irdischen Bädern zu finden war. Ich tauchte mehrmals und spürte, wie der Juckreiz fast momentan nachließ. Es war ein wahrhaft herrliches Gefühl. Nach einigen Minuten klommen wir auf den Kraterrand zurück. Das Jucken hatte ganz aufgehört, die Pusteln begannen bereits zu verschwinden. Es war wirklich verblüffend, wie rasch dieser Vorgang ablief, und ich war wirklich erleichtert darüber. Auch ein Unsterblicher – oder vielleicht gerade ein solcher – läuft nicht gern mit einem Narbengesicht herum. Eine Ausnahme gibt es doch, sagte mein Extrasinn. Du vergißt Ronald Tekener, den Mann mit den Lashatpocken. 43
ATLAN 7 – Die Stahlquelle lisch gebauter Mann, seine Gesichtszüge waren finster. Eine Anzahl von Narben im Gesicht und an den Armen zeugte davon, daß er ein geübter Jäger und Kämpfer war. Immerhin hatte er uns nicht sofort töten lassen, also konnten wir noch hoffen. Wir erhoben uns langsam und hielten die Arme vom Körper weg. Die Männer dirigierten uns mit den Speeren zum Ausgang, und wir traten ins Sonnenlicht hinaus. Plötzlich klangen Ausrufe der Überraschung auf. »Das sind sie ja gar nicht!« sagte einer der Männer enttäuscht. »Wir sind an die Falschen geraten, Landerkoor.« »Nein, das sind keine Dalazaaren«, gab der Anführer widerstrebend zu. »Sie sind hellhäutig wie wir, müssen also zu einem anderen Stamm gehören. Vielleicht auch zu zwei verschiedenen, denn die Farbe ihrer Haare stimmt nicht überein.« »Woher kommt ihr, und was wollt ihr hier?« wandte er sich an uns. »Redet schnell und gebt gute Antworten, das rate ich euch.« Er sprach wie auch die anderen denselben harten Pthora-Dialekt, den wir von Kälderspuur kannten. »Wir kommen aus Orxeya«, erklärte ich. »Unsere Yassels gingen durch und rasten in den Blutdschungel. Wir folgten ihnen und dann ...« »Spione der Händler!« unterbrach mich einer der anderen Männer. »Wir sollten es kurz machen und sie einfach töten. Sie halten uns nur unnütz von der Jagd auf die Dalazaaren ab.« »Was hier geschieht, bestimme ich«, fuhr ihn Landerkoor an. »Sprich weiter, Weißhaariger.« »Mein Name ist Atlan, mein Gefährte heißt Razamon«, sagte ich. »Wir kamen von weit her nach Orxeya und traten dort in den Dienst des Händlers Lastor, für den wir nach Wolterhaven reisen sollten. Doch unsere Geschichte dürfte für euch unwichtig sein. Wie ich eurem Gespräch entnehmen konnte, verfolgt ihr jemand anders. Waren das zufällig fünf schwarzhäutige Männer?« »Stimmt«, gab der Anführer zu. »Doch woher wißt ihr das? Habt ihr sie gesehen? Wir sind ihren Spuren bis hierher gefolgt, haben sie aber in dem trockenen Gelände verloren.
Fleischstücke bereits über einem Feuer. Ich hatte das Blut des Tieres mit einer Flasche aufgefangen, und wir tranken es notgedrungen, als Ersatz für das fehlende Wasser. Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, waren wir satt, aber auch schläfrig. »Noch eine Stunde Pause«, schlug Razamon vor, und ich stimmte ihm zu. Mit vollem Magen marschiert es sich schlecht, das hatten schon vor zehntausend Jahren die arkonidischen Rekruten gewußt. Außerdem war immer noch offen, was wir nun mit Kälderspuurs Leiche anfangen sollten. Wir hatten sie in den hintersten Winkel der Baumhöhle geschafft, wo es relativ kühl war. Sie mußte aber trotzdem bald in Verwesung übergehen, das war klar. Wir wollten nur ruhen, aber wir schliefen trotzdem bald ein. Die Abwehrreaktion gegen das Sekret aus dem Schildkrötenauge hatte unsere Körper offenbar doch Kraft gekostet, und damit waren wir nach den Strapazen im Blutdschungel nicht mehr sonderlich reich gesegnet. Wir erwachten am frühen Nachmittag. Besser gesagt, wir wurden geweckt – von einer Gruppe von Männern, die in unseren Schlupfwinkel eindrangen und uns ihre Speere vor die Nase hielten! * Uns blieb nicht die geringste Chance zur Gegenwehr. Selbst der Pthorer, der sonst nicht so schnell aufgab, resignierte diesmal. Gegen sechs scharfe Speere kam auch er mit nur seiner Kraft nicht an. Es handelt sich um Yaghts! informierte mich der Extrasinn. Tatsächlich, die Ähnlichkeit mit Kälderspuur war unverkennbar. Die Männer besaßen die gleichen rundlichen Schädel, schwarzen Augen und platten Nasen, und auch sie waren vollkommen haarlos. Den letzten Beweis lieferten die sechs Finger und Zehen. Sie trugen Jagdanzüge aus Leder und Sandalen, an ihren Gürteln hingen Messer, Wasserbeutel und Proviantsäckchen. »Aufstehen!« herrschte uns der Anführer an. Er war ein fast zwei Meter großer, herku44
ATLAN 7 – Die Stahlquelle letzt, aber er hat sich tapfer gehalten. Kurz vor seinem Tode holte er sich noch eine Waffe aus der Stahlquelle. Ist das die Handlungsweise eines Feiglings, Landerkoor?« Ich hatte keinerlei Gewissensbisse, hier die Wahrheit etwas zu verbiegen. Es kam mir vor allem darauf an, diesen in einem Einbahndenken befangenen Männern vor Augen zu führen, wie eng ihr Horizont in Wirklichkeit war. Wenn sie erst einmal anfingen, über Wert und Unwert ihrer barbarischen Sitten nachzudenken, war schon viel erreicht. Ein erster Erfolg stellte sich auch bald ein. Meinen Worten folgte ein unbehagliches Schweigen. Die Männer scharrten mit den Füßen auf dem Boden und warfen sich unsichere Blicke zu. Was ich gesagt hatte, gefiel ihnen nicht, aber sie zweifelten offenbar meine Schilderung nicht an. Schließlich gab sich der Anführer einen Ruck. »Verhält es sich wirklich so, wie ihr gesagt habt?« fragte er rauh. »Wir sind daran gewöhnt, nur das zu glauben, was wir selbst sehen. Wo ist die Leiche des Jungen und die Waffe aus der Stahlquelle?« Ich wies hinter mich in die Baumhöhle. Innerlich triumphierte ich, aber mein Gesicht blieb unbewegt. »Wärt ihr nicht so versessen darauf gewesen, uns eure Speere zu zeigen, hättet ihr beides leicht entdecken können. Seht ganz hinten in die Höhle, dort steht die Trage, auf die wir Kälderspuur gebettet haben.« Landerkoor setzte sich nach kurzem Zögern in Bewegung, und die anderen Männer folgten ihm. Als sie außer Sicht waren, grinste ich Razamon an. »Nun, was sagst du jetzt? Ich wette, daß sie gleich den Jungen in den höchsten Tönen als Helden preisen werden. Zwar nur posthum, aber immerhin doch noch.« Der Atlanter nickte langsam, sein Gesicht blieb ernst. »Diese Wette dürftest du gewonnen haben – nur hat Kälderspuur leider nichts mehr davon. Sein Tod war ein vollkommen unnützes und sinnloses Opfer.« »Unnütz ja, aber vielleicht nicht sinnlos. Die Yaghts werden es sich in Zukunft wohl gut überlegen, ob sie die bisherigen Mutpro-
Sie haben gestern zwei unserer Männer getötet, die sich auf der Jagd befanden. Als wir die Feuerstelle vor dem Baum sahen, glaubten wir, sie gestellt zu haben.« Razamon lachte hart auf. »Nun, dann haben wir euch eine Arbeit abgenommen«, meinte er trocken. »Sie haben auch uns überfallen, aber wir waren auf der Hut. Nur zwei von ihnen konnten fliehen, die anderen drei haben wir getötet. Ihr könnt ihre Leichen dort hinten bei der Stahlquelle finden.« »Bei der Stahlquelle?« staunte er. »Soll das heißen, daß sie sich hier in der Nähe befindet? Wir wohnen weit von hier und sind nur bei der Verfolgung der Dalazaaren in dieses Gebiet geraten. Bisher hielten wir die Existenz dieses Ortes nur für eine der vielen Legenden der Völker des Blutdschungels.« Ich nickte grimmig. »So, ihr habt nicht an ihr Vorhandensein geglaubt. Also habt ihr Kälderspuur wissentlich in den Tod geschickt, als ihr ihn davonjagtet«, hielt ich ihm vor. Sein Gesicht verschloß sich, er ballte die Fäuste. »Nimm den Namen dieses Feiglings nicht wieder in den Mund, Fremder! Für Leute seines Schlages ist in unserem Stamm kein Platz.« »Feigling?« fragte Razamon mit funkelnden Augen. »Warum soll einer ein Feigling sein, nur weil er nicht mit bloßen Füßen durchs Feuer geht? Er war alles andere als das, Landerkoor! Es ist ihm gelungen, sich ohne Waffen tagelang im Dschungel am Leben zu erhalten, was bestimmt nicht jeder von euch geschafft hätte. Wir trafen ihn zufällig, er hat uns dann begleitet und uns viel geholfen. Er starb an den Wunden, die ihm ein Raubschwein zugefügt hat.« Unterdrückte Ausrufe des Erstaunens wurden unter den Männern laut, und Landerkoor verlor plötzlich viel von seiner Selbstgefälligkeit. »Ein Raubschwein?« sagte er fast verstört. »Du hast richtig gehört«, hakte ich sofort nach. »Ein Rudel dieser Bestien überfiel ein Dorf der Bropen, zu dem uns Kälderspuur geführt hatte. Wir wollten dort unser Eigentum zurückerlangen, um das uns diese Räuber gebracht hatten. Der Junge wurde schwer ver45
ATLAN 7 – Die Stahlquelle »Beherrsche dich!« zischte ich ihm zu. »Willst du jetzt in deinem Zorn alles verderben? Wir können doch nur davon profitieren, wenn sie uns mit sich nehmen. Schließlich haben wir auch nach dem Gesetz des Blutdschungels nichts getan, was sie uns vorwerfen könnten. Im Gegenteil, wir haben sogar noch drei ihrer Feinde getötet. Wenn die Ältesten Kälderspuur nachträglich als Mann anerkennen, werden sie gar nicht anders können, als auch uns in die Ehrung einzubeziehen, weil wir ihm geholfen haben. Spätestens morgen werden wir wieder frei sein.« Der Atlanter entspannte sich wieder, die Gefahr war vorüber. Landerkoor hatte uns mißtrauisch beobachtet, aber nichts verstanden, denn ich hatte Terranisch gesprochen. Es genügte ihm jedoch, daß wir uns seinen Forderungen unterwarfen. »Nehmt eure Sachen an euch«, bestimmte er. »Die Skerzaals und die Pfeilköcher werden wir allerdings in Verwahr nehmen, damit ihr unterwegs nicht auf dumme Gedanken kommen könnt. Los, beeilt euch!« Zehn Minuten später brachen wir auf. Landerkoor ging mit dem Unterführer voran, ihm folgten zwei Männer, die das Gestell mit dem toten Jungen trugen. Dann kamen Razamon und ich, dahinter die beiden restlichen Jäger, deren Pfeilspitzen auf unsere Rücken wiesen. Wir bewegten uns in Schlangenlinien, kamen aber trotzdem zügig voran. Die Yaghts waren es gewohnt, durch den Dschungel zu streifen. Sie fanden auch dort mühelos einen Durchschlupf, wo wir beide ihn uns mühsam mit dem Messer hätten bahnen müssen. So gesehen, war dieser Marsch für uns fast eine Erholung. Wir waren von den schweren Waffen und Köchern befreit, für die Abwendung auftauchender Gefahren sorgten die Yaghts. Unser Weg führte nach Südwesten, und auch das kam uns gelegen, denn in dieser Richtung lag Wolterhaven. Allerdings gerieten wir bald wieder in den dichten Urwald mit morastigem Untergrund. Schweigend stapften wir durch das grünliche Halbdunkel, ab und zu wurde ein Speer geschleudert und tötete Schlangen oder andere kleinere Tiere. Größere, die wirklich gefährlich waren, bekamen wir überhaupt nicht zu Gesicht. Die yaghtschen Jäger mieden mit
ben darüber entscheiden lassen sollen, wer ein Mann ist und wer nicht«, gab ich zurück. * Die Yaghts hatten das Gestell mit dem toten Jungen ins Freie gebracht. Nun entfernten sie den darübergelegten Sack, und die noch vorhandene Skepsis verschwand von ihren Gesichtern. Sie machte einem Ausdruck ungläubigen Staunens Platz. Fast ehrfürchtige Blicke galten der schweren Streitaxt, die auf Kälderspuurs Brust lag. Razamon hatte das Blut der beiden getöteten Schwarzen davon entfernt, sie schimmerte und glänzte in Licht der Sonne. Niemand wagte sie zu berühren. Schließlich wurde der Tote auf Geheiß Landerkoors wieder zugedeckt. Dann wandte sich der Anführer an uns. »Ihr habt wahr gesprochen, das sehen wir jetzt. Es scheint wirklich so, als wäre der Junge es wert gewesen, in die Reihen unserer Männer aufgenommen zu werden. Eine Entscheidung darüber steht mir allerdings nicht zu; ich bin nur der Anführer dieser Jagdgruppe. Die Stammesältesten werden den Sachverhalt prüfen und dann ihre Entscheidung treffen. Wir nehmen die Leiche mit in unser Dorf.« »Das geht nur euch allein an«, bemerkte Razamon. »Wir sind jetzt frei und können uns entfernen, nehme ich an.« »Das kommt nicht in Frage, Schwarzhaariger. Ihr werdet uns zum Dorf begleiten, um vor den Ältesten alles zu bekunden, was mit Kälderspuur im Zusammenhang steht. Angesichts der Wichtigkeit dieser Sache brauchen sie eure persönlichen Aussagen.« »Wenn wir aber nicht wollen?« erkundigte ich mich. Der Yaght lächelte kalt und zückte seinen Speer. »Was ihr wollt oder nicht, spielt hier keine Rolle. Ihr seid vorerst unsere Gefangenen, erst die Ältesten werden darüber entscheiden, was später mit euch geschieht. Solltet ihr euch zur Wehr setzen, werden wir euch ohne Bedenken töten.« Razamons Schläfenadern schwollen an. Seine Augen funkelten, sein Gesicht verzerrte sich in aufkommender Wut. Hastig rammte ich ihm den Ellenbogen in die Rippen. 46
ATLAN 7 – Die Stahlquelle schweflige Geruch aus der Stahlquelle an. »Genug jetzt«, bestimmte Landerkoor schließlich. »Wir gehen zum Dorfhaus, die Ältesten warten bereits auf uns.«
sicherem Instinkt alle lauernden Fallen. Nach etwa drei Stunden erreichten wir wieder trockenes Gebiet, und wenig später lag das Dorf der Yaghts vor uns. Es befand sich auf einer großen, durch Abholzen geschaffenen Lichtung. Auch hier gab es ringsum einen Dornenwall, der nur vier schmale Durchgänge besaß. Innerhalb dieser Barriere standen in geordneten Reihen schätzungsweise dreihundert Blockhäuser. Sie waren äußerst stabil gebaut, zum Teil sogar zweistöckig, die spitzen Dächer waren mit sorgfältig verfugten Holzschindeln bedeckt. Obwohl dieser Stamm hauptsächlich aus Jägern bestand, besaß er doch eine für Dschungelbegriffe ungewöhnlich hochstehende Kultur. Unsere Ankunft erregte natürlich erhebliches Aufsehen. Von allen Seiten kamen Kinder aller Altersgruppen angelaufen und staunten mit offenen Mündern. Auch eine Anzahl von Frauen erschien in den Haustüren und starrten besonders Razamon und mich an. Sie waren durchweg hochgewachsen und nur spärlich bekleidet, boten also, soweit sie jünger waren, einen durchaus erfreulichen Anblick. Nur ihre Köpfe störten diesen Eindruck, denn auch sie waren vollkommen kahl. Männer waren nur vereinzelt zu sehen, offenbar befanden sich die meisten noch auf der Jagd. Landerkoor winkte einige von ihnen zu sich und beriet sich leise mit ihnen. Sie eilten uns voraus, auf ein besonders großes Haus zu, das sich mitten auf dem freien Platz im Zentrum des Dorfes befand. In seiner Nähe gab es eine munter sprudelnde Quelle, die sich in ein ovales, mit Steinen eingefaßtes Becken ergoß. An seinem Rand standen auch zahlreiche wassergefüllte Holztröge. Die Trage mit Kälderspuur wurde abgesetzt, unsere Begleiter suchten diese Tröge auf und begannen sich prustend zu waschen. Auch uns wurde diese Erfrischung gestattet, wenn auch nur unter bewaffneter Aufsicht. Das Wasser war kristallklar und angenehm kühl. Wir tranken erst einmal ausgiebig davon, denn außer dem Rehblut hatten wir an diesem Tage noch keine Flüssigkeit zu uns genommen. Dann wuschen wir uns gründlich, denn unserer Haut haftete immer noch der
10. Es waren sieben Männer, und alle schienen uralt zu sein. Ihre Gestalten waren von der Last des Alters gebeugt, die Gesichter pergamenten und runzelig. Die Augen jedoch waren scharf und wachsam, die Ältesten mußten früher große Jäger gewesen sein. Auch sie trugen Lederbekleidung, die aber mit zahlreichen bunten Symbolen verziert war. Die meisten davon stellten stilisierte Dschungeltiere dar, darunter auch solche, die wir noch nicht zu Gesicht bekommen hatten. Vermutlich waren es alles Exemplare, die diese Männer früher erlegt hatten. Unser Trupp hielt in achtbarer Entfernung zu ihnen an. Nur Landerkoor begab sich zu ihnen und berichtete mit gedämpfter Stimme. Ihm wurden immer neue Fragen gestellt, Rede und Gegenrede wechselten sich ab. Dieser Vorgang auf den Stufen des Dorfhauses dauerte fast eine Viertelstunde. Dann schienen die sieben Alten zufriedengestellt zu sein. Landerkoor wandte sich um und gab unseren Begleitern ein Zeichen. Zwei Männer nahmen die Trage mit Kälderspuurs sterblichen Überresten auf und brachten sie hinüber. Das Sackleinen wurde entfernt, die Ältesten verließen die Stufen und beugten sich über den Leichnam. Wir beobachteten gespannt diese Szene. Ein erregtes Palaver begann. Einer der alten Männer nahm die Axt auf, die so schwer war, daß er sie kaum zu halten vermochte. Sie wurde von allen eingehend begutachtet, und schließlich kam man auch zu einem Resultat. Landerkoor bedeutete Razamon und mir, zum Dorfhaus zu kommen. Daß wir keinen besonders imposanten Anblick boten, wußten wir. Unsere Kleidung war erheblich mitgenommen worden. Die tagelangen Strapazen bei ungenügender Ernährung zeichneten sich in unseren Gesichtern ab, unser Haar war strähnig und ungepflegt. Wir mußten also versuchen, auf andere Weise 47
ATLAN 7 – Die Stahlquelle Glutklumpen entstanden war. Hatte der sterbende Junge das Metall durch die Kraft seiner sehnlichen Wünsche dazu gebracht, gerade diese Form anzunehmen? Das war in keiner Weise zu beweisen, aber durchaus nicht ausgeschlossen. Auf die gebannt starrenden Yaghts verfehlte die Axt jedenfalls ihre Wirkung nicht. Hinter uns wurde bewunderndes Raunen laut, etwas Ähnliches hatte es offenbar in der Geschichte des Stammes noch nie gegeben. Dölderbaan hielt die Trophäe einige Sekunden, bis seine Arme erlahmten. Dann begann er erneut zu reden. »Somit erkläre ich feierlich, daß Kälderspuur ein wahrer Mann gewesen ist, wie diese beiden Männer glaubhaft bezeugt haben. Er ist zwar jetzt tot, aber wir werden zu seinen Ehren heute abend ein großes Fest begehen. Begebt euch in eure Häuser zurück und trefft alle Vorbereitungen dafür. Findet euch wieder hier auf dem Platz ein, sobald die Sonne untergeht.« Die sieben Ältesten zogen sich ins Dorfhaus zurück und die Menge verlief sich. Landerkoor kam auf uns zu und klopfte uns wohlwollend auf die Schultern. »Ihr sollt meine Gäste sein, begleitet mich in mein Haus. Meine Frauen werden euch Essen geben und eure Kleider der Feier entsprechend herrichten. Dieser Abend wird so verlaufen, daß ihr noch lange daran zurückdenken werdet.« »Dafür kann sich Kälderspuur beim besten Willen nichts mehr kaufen!« knurrte Razamon verbittert.
einen Ausgleich für dieses Manko zu schaffen. Wir verstanden uns auch ohne Worte. Hoch aufgerichtet und würdevoll schritten wir auf die Ältesten zu. Nur das leichte Hinken des Atlanters, bedingt durch den »Zeitklumpen« an seinem linken Bein, störte den Gesamteindruck etwas. Das ist nicht unbedingt gesagt! raunte mir mein Logiksektor zu. Diese Leute denken in ihren eigenen, begrenzten Kategorien. Sie werden vermuten, daß das Hinken auf irgendeine Verwundung zurückzuführen ist. So gesehen, kann es Razamon in ihren Augen nur aufwerten. Wir hielten drei Meter vor den alten Männern an und verneigten uns leicht. Das war auch auf Pthor ein Zeichen der Ehrerbietung, und so wurde es auch verstanden. Das Gesicht des »Oberältesten«, der am weitesten vorn stand, nahm einen unverkennbaren Ausdruck des Wohlwollens an. Er erfragte zuerst unsere Namen und nannte dann seinen eigenen, Dölderbaan. Mein Extrasinn behielt wieder einmal recht. Dölderbaan wandte sich mit seinen Fragen fast nur an Razamon! Mich befragte er nur zwischendurch, vermutlich, um eventuelle Widersprüche feststellen zu können. Doch damit konnte er einen Mann nicht hereinlegen, der mehr als hundert Mal so alt war wie er selbst. Ich gab stets die richtigen Antworten, was mir nicht schwerfiel. Sowohl Razamon wie auch ich hielten uns streng an die Wahrheit, soweit es unsere Erlebnisse im Blutdschungel betraf. Schließlich war der alte Mann zufriedengestellt. Er hob die Arme hoch in die Luft und vollführte mit ihnen rituelle Bewegungen. Dann hob er seine Stimme, an die mehreren hundert Dorfbewohner gewandt, die sich inzwischen in der Nähe versammelt hatten. »Wir haben Kälderspuur Unrecht angetan«, verkündete er laut. »Der Junge hat, zuerst allein, dann zusammen mit diesen Männern, im Dschungel zahlreichen Gefahren getrotzt. Er krönte das alles noch, indem er trotz höchster Lebensgefahr die Waffe aus der Stahlquelle holte, die ich euch jetzt zeige!« Er hob die Streitaxt hoch über den Kopf, die auf geheimnisvolle Weise aus einem
* Es wurde ein langer Abend. Als uns die beiden Frauen aus ihrer Obhut entließen, fühlten wir uns so wohl, wie lange nicht mehr. Sie hatten uns in großen Holzzubern mit aromatisch duftendem Wasser gebadet, manikürt und die Haare gestutzt und gebürstet. Dann gab es ein reichhaltiges Mahl: mehrere Sorten Fleisch, Brot und Gemüse, Früchte und Obstsäfte. Als wir es beendet hatten, waren auch unsere Anzüge und Stiefel gesäubert, instand gesetzt und mit irgendwelchen Pflegemitteln bearbeitet worden. Kaum 48
ATLAN 7 – Die Stahlquelle wir geweckt, es gab ein reichliches Frühstück. Dann wandte sich der reichlich verkaterte Landerkoor an uns. »Ihr erhaltet euer Eigentum vollzählig zurück«, eröffnete er uns. »Die Skerzaals und die Bolzen wurden gesäubert und geölt, die Messer frisch geschliffen. Dölderbaan hat mich beauftragt, euch außerdem mit reichlichem Marschproviant zu versehen. Das soll aber nicht heißen, daß ihr schon heute wieder gehen sollt. Ihr könnt bei uns bleiben, so lange es euch behagt.« Ich schüttelte den Kopf. »Wir danken euch für dieses Angebot, möchten jedoch so bald wie möglich weiterziehen. Wir müssen nach Wolterhaven, und der Weg dorthin ist weit. Oder könnt ihr uns neue Reittiere zur Verfügung stellen?« Unser Wirt verneinte bedauernd. Die Yaghts waren reine Jäger und kannten weder Landbebauung noch die Zucht von Nutztieren. Sie lebten sozusagen von der Hand in den Mund, aber trotzdem nicht schlecht. Im Blutdschungel gab es alles, was sie brauchten, in Hülle und Fülle. Natürlich mindestens ebensoviele Gefahren, aber auch daran waren sie gewöhnt. Schon eine Stunde später brachen wir auf. Wir brauchten jedoch nicht allein zu gehen. Die Ältesten hatten ein Dutzend Jäger damit beauftragt, uns bis an den Rand des Blutdschungels zu eskortieren. Landerkoor führte sie an. Erneut marschierten wir durch die grüne Hölle, jetzt aber unter bedeutend besseren Vorzeichen. Die Yaghts bahnten nicht nur den Weg, sondern hielten auch die Gefahren von uns fern. Allerdings nicht alle, einige Male mußten auch wir die Messer oder Skerzaals einsetzen. Wir erlegten mehrere Schlangen und einen Tasselwurm, die der Aufmerksamkeit unserer Begleiter entgangen waren. Das trug uns anerkennende Blicke und beifällige Bemerkungen ein. Am späten Nachmittag hatten wir den Rand des Blutdschungels erreicht, etwa auf halber Strecke zwischen Orxeya und Wolterhaven. Diese Ortsangabe machte Landerkoor noch, ehe er sich nach einem formlosen Abschied mit seinen Leuten auf dem Rückweg zum Dorf begab.
waren wir wieder fertig angekleidet, als auch schon Landerkoor bei uns erschien. »Es ist an der Zeit. Kommt mit mir, man erwartet euch bereits«, erklärte er. Von den Kindern abgesehen, schien der gesamte Stamm auf den Beinen zu sein. Vor allen Häusern steckten blakende Fackeln, auf dem Dorfplatz brannte ein riesiges Feuer, vor dem die Trage mit dem toten Kälderspuur stand. Man hatte ihn mit Symbolen in bunten Farben bemalt und das Gestell mit Hunderten von Blüten geschmückt. Die Streitaxt lag auf einem kleinen Holztisch und schien im flackernden Licht des Feuers ein gespenstisches Eigenleben zu entwickeln. Man räumte uns bevorzugte Plätze unter den Honoratioren des Stammes ein, die auf langen Holzbänken saßen. Dann begannen die Feierlichkeiten. Etwa fünfzig junge Männer in Kälderspuurs Alter mit langen Speeren vollführten einen Tanz, zu dem alle anderen klagende Gesänge von sich gaben. Anschließend erhob sich der Sprecher der Ältesten und begann mit einer Eloge auf den Toten. Er gab alles, was wir ihm geschildert hatten, mit den nötigen Ausschmückungen und Übertreibungen wieder. Auch wir wurden mit reichem Lob bedacht, weil wir dem Jungen geholfen und obendrein noch Dalazaaren getötet hatten. Dölderbaan versprach, uns dafür reichlich zu entschädigen. Als er geendet hatte, übergab man Kälderspuurs Leichnam dem Feuer. Damit war der offizielle Teil der Feier beendet. Frauen erschienen mit großen Tonkrügen und schenkten daraus einen grünlichen Wein in Lederbecher. Er war herb und würzig, aber auch unheimlich stark, wie wir bald merkten. Wir hielten uns deshalb beim Trinken zurück, während die anderen Männer geradezu unheimliche Mengen in sich hineinschütteten. Der alte Kempoort, den Kälderspuur als Weinproduzent der Yaghts bezeichnet hatte, schien ein sehr fleißiger Mann zu sein. Als das Feuer niedergebrannt war, war das allgemeine Besäufnis vollkommen. Ich gab Razamon einen Wink, und wir zogen uns zurück, ohne daß es jemand bemerkte. In Landerkoors Haus warteten zwei große Betten auf uns, ein lange entbehrter Luxus. Zwei Stunden nach Sonnenaufgang wurden 49
ATLAN 7 – Die Stahlquelle neue Widerwärtigkeiten auf uns! Oder bist du etwa der Ansicht, wir könnten ungeschoren nach Wolterhaven kommen?« Ich zuckte mit den Schultern und gab mich betont optimistisch, obwohl ich seine Ansicht teilte. »Was kannst du nach Lage der Dinge mehr verlangen, Freund? Immerhin haben wir genügend zu essen und zu trinken bei uns, und unsere Waffen sind in gutem Zustand. Außerdem besitzen wir noch etwa fünfzig große Illusionssteine und die Quorks, die wir von Honir-Thalia erhalten haben. Nur wer sich selbst aufgibt, ist wirklich verloren, und ich gebe so schnell nicht auf. Die Straße der Mächtigen kann nur wenige Kilometer entfernt sein – machen wir uns auf den Weg dorthin!«
Dies war der vierte Tag seit dem Beginn unseres Irrwegs durch die Dschungelhölle. Nun waren wir wieder allein und starrten mit gemischten Gefühlen auf die Landschaft, die sich, durch das Flimmern aufsteigender heißer Luft verzerrt, unseren prüfenden Blicken darbot. Sie sah nicht gerade einladend aus. Wo der Blutdschungel aufhörte, begann fast übergangslos eine Trockenzone, die nur mit spärlichen halbkugeligen Büschen und kurzem fahlgelbem Gras bestanden war. Von Norden her trug der heiße Wind den aus Blütenduft und Verwesung gemischten Geruch heran, der in den vergangenen Tagen unser steter Begleiter gewesen war. Razamon schüttelte sich unwillkürlich. »Wir haben schlimme Tage hinter uns, die uns wirklich alles abverlangt haben. Jetzt haben wir uns etwas erholt, aber schon warten
ENDE
Weiter geht es in Band 8 von König von Atlantis mit:
Kämpfer der Nacht von Hans Kneifel
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