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PERRY RHODAN – EXTRA 7 Die Stardust-Maschine Autor: Hubert Haensel SIE SIND DIE UNSICHTBAREN – AUF KATARAKT, DER WELT VIELER GEHEIMNISSE Wir schreiben das Jahr 1347 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. In der Milchstraße scheint der Untergang aller Kulturen bevorzustehen: Die Terminale Kolonne TRAITOR, eines der mächtigsten Instrumente im Arsenal der Chaosmächte, hat sie besetzt und beginnt damit, sie in eine Ressourcengalaxis umzuwandeln. Ganze Planeten wie Drorah oder Hayok werden zu Kabinetten für einen entstehenden Chaotender, und in der benachbarten Galaxis Hangay wächst eine Negasphäre heran. In dieser kritischen Situation bot ES, der alte Mentor der Menschheit und die Superintelligenz der Lokalen Gruppe von Galaxien, den Terranern einen Exodus an: Niemand weiß bis heute, wo die »Fernen Stätten« liegen, in die dieser Treck führte, aber ES hat eines versprochen — eine neue Heimat und, zum ersten Mal seit Jahrtausenden, Sicherheit. Ein Teil der Menschheit hat das Angebot angenommen und ist in das verheißene Land aufgebrochen; das Stardust-System, das idyllischer kaum sein könnte. Für die Terraner ist es, als würden sie in das Paradies zurückkehren. Doch kann es so etwas wie das Paradies wirklich geben? Die Siedler der neuen Welten sind davon zunächst überzeugt, aber sie kennen noch nicht DIE STARDUST-MASCHINE
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Wer zu den Sternen reisen will, der sehe sich beizeiten nach der richtigen Gesellschaft um. (Aus den Memoiren des terranischen Raumfahrtpioniers H. Schw.) 1. 19. Dezember 1346 NGZ Sie greifen an! Timber F. Whistler kannte dieses beklemmende Gefühl bereits, aber trotzdem war es jedes Mal neu für ihn. Eben noch hatte er die Sonne als grell lodernden Ball in der Schwärze des Weltraums gesehen, nun wuchsen zwei Kugeln aus blauem Feuer vor ihm auf. Sie waren Energiewesen und die seltsamsten Bewohner des StardustSystems. Die Aussiedler von Terra nannten sie Howanetze. Whistler erschrak vor ihrer Wildheit und unsäglichen Gier. Aggressiver als jemals zuvor stürzten sie seinen Schiffen entgegen. Ihre Energiekörper flossen auseinander, ein Schimmer aus tödlichem Blau fächerte über die' Schirme der Außenbeobachtung. Gefräßig schlossen sich die Howanetze um die NEW GOOD HOPE. »Extremer Energieabfluss!«, meldete Blaine Fishbaugh von der Ortung. Seine Stimme klang gepresst. Whistler blickte auf die Anzeigen. Der Schutzschirm flackerte, seine Struktur veränderte sich schnell. Höchstens noch dreißig Sekunden, dann würde der Schirm zusammenbrechen — das Ende für den SKARABÄUS und seine achtköpfige Besatzung. Vor Monaten schon hatte Whistler eines seiner Schiffe und zwei Techniker bei einem ähnlichen Angriff verloren. Heute erwischt's mich selbst, dachte er in einem Anflug von Panik. Wir haben uns zu weit vorgewagt bei der Jagd nach Hyperkristallen. Vier weitere Energiekugeln erschienen wie aus dem Nichts heraus. Whistler glaubte, ihren Heißhunger wahrzunehmen. Doch
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ihm war klar, dass er sich diese Empfindung nur einbildete. Die Howanetze zogen sich enger um das Schiff zusammen. Heftig prallten sie dabei aufeinander, als machten sie sich gegenseitig die Beute streitig. Ihr greller werdendes Blau tauchte die kleine Zentrale in beklemmenden Widerschein. Whistler rang nach Atem. Er konnte nicht ruhig bleiben, während die Belastungsanzeige des Schirmfelds in den Warnbereich sprang. Versteht ihr mich?, dachte er intensiv. Es war absurd, auf diese Weise Kontakt zu den Energiewesen herstellen zu wollen. Dennoch hatte er während der letzten Stunden mehrere Versuche unternommen — stellte die extrem große Zahl von Howanetzen, die nun die NEW GOOD HOPE umschlossen, eine Reaktion darauf dar? »Timber ...!« Fishbaughs drängender Ausruf riss Whistler aus seinen Überlegungen. Schon neun Howanetze attackierten den SKARABÄUS. Der Energieabfluss über die Schutzschirm-Projektoren überschritt die Warngrenze. Seid ihr wirklich nur instinktgeleitet?, dachte Whistler intensiv. Vor fünf Wochen war die Verbindung ins Solsystem erloschen, wahrscheinlich würde es nie wieder einen Kontakt zu anderen Menschen geben. Hier im Kugelsternhaufen Far Away, irgendwo im Universum, durften sich mehr als achthundert Millionen Siedler sicher fühlen vor dem Zugriff der Chaosmächte. Vielleicht sind wir die letzten Überlebenden ... Der ehemalige. Industrielle reagierte betroffen. Aber wenn dem so ist, werden wir es wohl nie erfahren. Wie eine Lawine hatte das Geschehen der letzten Monate alle Beteiligten mitgerissen. Erst allmählich normalisierte sich das Leben, sofern von Normalität überhaupt schon zu reden war. Whistler hatte die Howanetze bislang nur als höchst willkommene Lieferanten der
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dringend benötigten Hyperkristalle gesehen, und daran würde sich so schnell bestimmt nichts ändern. Aber vielleicht konnte er diese eigenartigen, extrem fremden Geschöpfe domestizieren oder gar Freundschaft mit ihnen... Hörte er ein Wispern unter seiner Schädeldecke? Whistler stutzte. Nein, da war nichts ... oder? Der Schutzschirm brach zusammen. Verschwindet!, schrien Whistlers Gedanken den Howanetzen entgegen. Lasst uns in Frieden! Wir wollen euch nicht vernichten... Heftig pulsierend hüllten die Energiewesen das Schiff ein, dieses mehr als vierzig Meter messende Konstrukt aus einer an beiden Polen abgeflachten Kugel und angeflanschter Kommandozelle. Zu Whistlers Verblüffung zogen sich die Angreifer aber nicht weiter zusammen. Sie verharrten. Unschlüssig? Ob sie meinen Aufschrei vernommen haben? Whistlers Hände verkrampften sich, als die grellblauen Sphären nacheinander verschwanden. Die Empfindung von Heißhunger blieb. Er schluckte entsetzt, seine Kehle war trocken ... rau ... Vergeblich versuchte er, sich zu artikulieren, brachte aber keinen Laut über die Lippen. »Wir verlieren weiterhin Energie!«, meldete Fishbaugh. Er, der kräftige Allrounder, war bis vor wenigen Jahren Angehöriger einer schnellen Angreiftruppe der Terranischen Heimatflotte gewesen; nach einer schweren Verwundung hatte er seinen Dienst quittiert und sein Leben ruhiger gestaltet. Die Ruhe, von der er gerne sprach, fand er dennoch nicht. »Eines von diesen Biestern ist noch da!«, rief Fishbaugh. »Es greift wieder an, berührt die Außenhülle ...« Ein durchdringendes Kreischen erfüllte das Schiff. Es drang aus den Maschinenräumen in die Zentrale herüber. »Zu hoher Abfluss! Das überstehen die Projektoren nicht. Sie werden explodieren und das Schiff in eine Gluthölle verwandeln !« Hör auf damit! Du bringst uns um!
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Vor Whistlers innerem Auge entstand das Bild eines sich aufblähenden Howanetzes. Es zerbarst und verglühte in einem irrlichternden Funkenregen. Der blaue Schleier über den Schirmen schien blasser zu werden. Aber noch war es zu früh für ein Aufatmen. Whistler erkannte, dass zwei der anderen SKARABÄEN ihre Schutzschirme aufgebaut hatten und damit die Howanetze anlockten. Das war die gewohnte Taktik, um die Energiekugeln zur Freigabe ihrer Hyperkristalle zu zwingen. Bis zur Erschöpfung wurden sie von einem Schiff zum anderen gejagt. Sie durften keinesfalls Zeit finden, zu viel Energie aus den Speicherbänken abzusaugen. »An diesem letzten Howanetz dranbleiben!«, ordnete Whistler an. »Ich will Wissen, was es unternimmt ...« »Ich habe es soeben aus der Ortung verloren!«, erwiderte Fishbaugh. »Das Biest ist für wenige Sekunden nur zwanzigtausend Kilometer entfernt materialisiert, danach aber endgültig verschwunden.« »Welche SKARABÄEN sind aktiv?« »Die 02 und die 07. Aber bei keinem von beiden ist dieses Netz.« »Bist du sicher, Blaine?« »Vollkommen. Wahrscheinlich achtet es schon nicht mehr auf uns, sondern bewegt sich geradlinig auf die Sonne zu.« Whistler nickte zögernd. Er lehnte sich zurück, fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und dachte an die Explosion der 24 vor mehr als zweieinhalb Monaten. Das Schiff war von einem der Howanetze vernichtet worden, das nicht nur den schützenden HochenergieÜberladungsschirm als Energiequelle angesehen, sondern alle energetischen Vorgänge im Schiff angezapft hatte. War die NEW GOOD HOPE eben mit demselben Kugelwesen zusammengestoßen? Timber fragte sich, wie schnell die energetischen Geschöpfe lernten und ob sie in der Lage sein mochten, ihr Wissen oder ihre Erfahrungen weiterzugeben. Er war überzeugt, dass
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ausgiebige Forschungen an den Howanetzen bald unerlässlich sein würden. Die Situation eben ... Ich habe sie provoziert - und sie auch wieder bereinigt, glaubte er zu wissen. ihm war klar, dass er einen weiteren Versuch unternehmen musste, wenn auch erst beim nächsten oder übernächsten Flug. Falls er erneut eine derart heftige Reaktion erzielte, steckte vielleicht wirklich mehr dahinter. Dann durfte er annehmen, dass die Howanetze mentale Schwingungen erfassten und einfache Gedankenbilder verstanden. »Sie verschwinden!«, hörte Whistler den Mann an der Ortung sagen. »Zeit für uns, die Ausbeute einzusammeln.« »So eifrig bist du nur, weil das Howalgonium nicht stinkt, Blaine!«, rief jemand im Hintergrund der Zentrale. Hin und wieder machten die Besatzungen der SKARABÄEN Witze darüber, dass diese Hyperkristalle das Endprodukt eines Stoffwechselvorgangs waren. Früher, wusste Whistler, hatten die Terraner davon gesprochen, dass Geld nicht stinke. Wennschon ..., dachte er. Wir brauchen Hyperkristalle in großer Menge. Und sei es nur, um eines Tages mit den Schlachtschiffen auf Erkundung gehen zu können. Wir müssen unser weites stellares Umfeld ebenso kennenlernen wie die Welten von Stardust. * Acht Stunden später ... Timber F. Whistler drehte einen ausnehmend schönen Kristall zwischen den Fingern. Das war Howalgonium, wenngleich die Lichtbrechung den Vielflächner in allen Farben des Spektrums schimmern ließ und nicht nur in dem gewohnten grünlichen Schimmer. Vergeblich suchte Whistler nach Unregelmäßigkeiten in der Struktur, nach .winzigen Verunreinigungen, aber nicht einmal die Scanlupe offenbarte ihm Einschlüsse. Er hatte nie einen perfekteren Brocken Howalgonium gesehen. Fast fühlte er Bedauern, dass dieses Stück zur
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industriellen Nutzung bestimmt war, dafür, die Erfordernisse moderner Technik in ihren vielfältigen Anwendungsbereichen zu stillen. Nur moleküldicke Scheiben würden nach dem Schnitt bleiben, in ihrer Festigkeit nahe an der Grenze zum Auseinanderbrechen der Kristallgitterstruktur, aber eben nur nahe. Insgesamt wartete eine Weiterverarbeitung ohne Rückstände, denn Kantenabschnitte und Ähnliches würden in einem folgenden Arbeitsvorgang auseinandergebrochen und für die Folienbedampfung vorbereitet werden. Dieser Kristall war aber zu perfekt, um ihn geschliffen, poliert und wie momentan üblich nur brachial zerteilt in den schweren Baumaschinen einzusetzen. Im Bereich der neuen Städte fraßen sich diese Maschinen tief in die Planetenkruste und brachten das desintegrierte Material unter atomarer Verdichtung als Stütz- und Dichtmasse wieder aus. Die Siedler beanspruchten ihr Recht, im Stardust-System keineswegs schlechter zu leben, als sie auf den solaren Welten gelebt hatten. »Die erwartete Kristallausbeute wurde bereits übertroffen«, stellte Whistler fest. »Wir fliegen zurück. Blaine ...« »Ich gebe die Order weiter«, bestätigte Fishbaugh. Die NEW GOOD HOPE beschleunigte bereits und schwenkte auf den neuen Kurs ein. Innerhalb Minutenfrist wanderte der innere Planet quer über die Schirme. Oljos ewig der Sonne zugewandte Seite schien das Lodern des weißgelben Muttergestirns zu reflektieren. Schließlich fiel die in Sonnenglut aufgeheizte Welt hinter den SKARABÄEN zurück. Für einige Tage würden die Energiewesen wieder unbehelligt sein. Whistler lag viel daran, einen Gewöhnungseffekt zu vermeiden. Noch ließen sich diese Geschöpfe auf vergleichsweise einfache Weise anlocken und letztlich dazu verleiten, ihre Hyperkristalle auszuscheiden. Der Grund lag im Anziehungseffekt, den die Schutzschirme der SKARABÄEN auf die Energiekugeln ausübten. Doch falls dieser Effekt
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nachließ, blieb letztlich nur die zeitraubende Suche nach willkürlich abgesetzten Kristallen - obwohl der Raum zwischen den beiden inneren Planeten und der Sonne ein einziger riesiger Fundort war. Die NEW GOOD HOPE beschleunigte bis zur halben Lichtgeschwindigkeit. Minuten später begann bereits das Bremsmanöver. Die Entfernungen zwischen den inneren Welten des Starlust-Systems waren auch ohne Überlichtmanöver gut zu bewältigen. Im Mittelpunkt der Bilderfassung wuchs eine leuchtende Sichel: Aveda, die Hauptwelt der Siedler Sie war Whistler von Anfang an vertraut erschienen. Der Planet war wie eine zweite Erde, ein blaues Juwel in der Samtschwärze des Weltraums. Geprägt nicht nur von ausgedehnten Ozeanen und Wolkenschleiern, sondern ebenso von dem saftigen Grün der zehn großen Kontinente. Aveda war ein Paradies. Aber schon einmal waren Menschen durch eigene Schuld aus einem Paradies vertrieben worden. Das durfte sich nicht wiederholen. Obwohl: Die Geschichte vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen - was verbarg sich wirklich hinter diesen einfachen Worten? Eine Warnung davor, das Gebiet des Gartens Eden zu verlassen, weil außerhalb unbekannte Bedrohungen lauerten? Niemand, schon gar nicht ein Spross der Whistler-Dynastie, würde sich davon abhalten lassen, hinter den Horizont zu schauen. Noch war der Far-Away-Kugelsternhaufen ein großes unbekanntes Gebiet. Bis die ersten Expeditions-Raumschiffe in das Umfeld von Stardust vorstoßen konnten, mochten Jahre vergehen. Bislang gab es noch keine Anlagen, die aus Howalgonium das für Fernflüge wichtige HSHowalgonium herstellen konnten, wenngleich entsprechende Pläne schon entstanden. Whistlers Blick hatte sich zwischen die fremden Sterne verirrt. Was werden wir da draußen finden?, fragte er sich. Wird uns schon der Versuch, nach diesen Sonnen
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und ihren Planeten zu greifen, das Paradies kosten? Er würde die Antwort erfahren. Mit seinen 121 Jahren hatte er noch einige Jahrzehnte vor sich, die er in jeder Hinsicht zu nutzen gedachte. Die Gründung der WhistlerStardust & Co. war der Anfang gewesen. Aveda schien mittlerweile zum Greifen nahe. Der Hauptkontinent Avateg stand bildfüllend auf den Schirmen. Timber sah das Dargot-Gebirge, das sich wie ein Wall parallel zur Westküste erstreckte und nur mit schwachen Ausläufern in die Ebene des Ashawar eindrang. Stardust City war westlich der letzten Höhenzüge, im Bereich des beginnenden Flussdeltas, aus dem Boden gestampft worden. Früher hätte ein solches Gebiet als unsicher gegolten. Trügerischer, durchnässter Untergrund, dazu die latente Überschwemmungsgefahr, wenn der Ashawar nach Unwettern anschwoll und ungewöhnlich viel Schlamm und Geröll mitführte. ES hatte das Areal für Stardust City ausgesucht. ES - das Kindermädchen der Menschheit, ging es Whistler durch den Sinn. Doch er schüttelte den Kopf. Diese Bezeichnung für die Superintelligenz, die er vor Jahren gehört hatte, ging völlig an den Tatsachen vorbei. ES stand auf der nächsten Stufe der Entwicklung, war eine vergeistigte Wesenheit. Mittlerweile lagen Gutachten vor, die ES' Wahl als zuverlässig bestätigten. Sigurd Echnatom hatte diese Überprüfungen eingeholt, nicht als Ausdruck seiner Zweifel an der Superintelligenz, sondern eher, um allen Eventualitäten Rechnung zu tragen - und was Rechnungen anging, kannte sich der Mann aus wie kein Zweiter. Stardust City gründete auf felsigem Untergrund. Mächtige Gesteinsadern zogen sich nach Süden bis in die AglahadHalbinsel hin, und nur der Randbereich der Alango Bay war weitläufig durchfeuchtetes Gelände zwischen den Armen des Deltas. Das Land bestach zudem durch seinen überquellenden Tierund Pflanzenreichtum. Analysen der
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Sedimente hatten keine erhöhte Überschwemmungsgefahr ergeben. Abgesehen davon konnte die vorhandene Technik mit jedem Hochwasser fertig werden. Es war früher Morgen Ortszeit, als die NEW GOOD HOFE die letzten faserigen Wolkenbänke durchstieß und zur Landung auf dem noch provisorischen Raumhafen ansetzte. Einige Dutzend SKARABÄEN standen dort, umgeben von einem Heer von Lastenschwebern; alle anderen Raumfahrzeuge befanden sich zwischen den Planeten im Einsatz. Whistler lächelte in sich hinein. Er mochte diese Kulisse, sie gab ihm das Gefühl, zu Hause zu sein. * Die Sonne war nur ein blasser Abglanz ihrer selbst, morgenmüde und rötlichverschlafen, als der ehemalige terranische Großindustrielle den SKARABÄUS über die Rampe verließ und mit schnellen Schritten die Piste überquerte. Ein neuer Tag zog herauf und flößte der Sonnenscheibe neue Kraft ein. Mit einem Mal schienen die Wolken aus flüssigem Gold zu bestehen, ihr Widerschein vertrieb den Rest der Finsternis, als wische eine unsichtbare Hand ungeduldig die Nacht fort. Tief atmete Whistler ein. Es roch nach Frische, nach der unverbrauchten Kühle des neuen Morgens. Ein Hauch von Feuchtigkeit hing in der Luft und trug das mineralische Aroma des Ashawar heran. In der ersten Stunde nach Sonnenaufgang waren diese Empfindungen stets intensiv wahrzunehmen, danach vermischten sie sich mit den Ausdünstungen der Technik: ein Hauch von Ozon und Metalllegierungen, manchmal roch es auch nach Chemie. Whistler empfand nichts Ungewöhnliches dabei, denn es war mehr als die Natur stets ein Teil von Timbers Leben gewesen: ein Geruch wie in den Hallen der Terrania-Robotik-Retrodesigns. Mit einem leichten Kopfschütteln vertrieb Whistler die Bilder der Vergangenheit. Er
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vermisste nichts von alldem. Stardust war seine Chance, ein neues Wirtschaftsimperium aus dem Boden zu stampfen und zugleich seine Sehnsucht nach fernen Welten zu stillen. Sein Blick wanderte an dem StardustMonument empor, dem Wahrzeichen neuen Metropole. Fast einen Kilometer hoch wuchs die schlanke Felsnadel - wer jemals eine Abbildung der einstigen Mondrakete STARDUST gesehen hatte, für den musste die Ähnlichkeit frappierend sein. War dieser Felsen wirklich nur durch Verwitterung entstanden? Eher sah Whistler die ordnende Hand von ES da in vielleicht sogar einen Hinweis auf das Zweite Galaktische Rätsel. Irgendwo im Stardust-System hatte die Superintelligenz zwei Zellaktivatorchips verborgen. Zweimal potenzielle Unsterblichkeit! Der auffrischende Wind vertrieb Whistlers Nachdenklichkeit. In Momenten wie diesem war er überzeugt dass Terra den Kampf gegen die Terminale Kolonne TRAITOR überstehen würde. Und dass im Stardust-System die Saat für ein neues, kosmisches Zweigvolk der Menschheit aufging. Das Schicksal verstreut uns Terraner immer weiter hinaus ins Universum - wie die Samen einer Blume, die der Wind verweht... Whistler aktivierte sein Kombiarmband und sendete einen Anforderungsimpuls an die Automatik seines Gleiters. Das Fahrzeug wartete mehrere Kilometer entfernt bei den Lagerhallen. Als die Maschine neben ihm aufsetzte, stand die Sonne bereits in voller Pracht strahlend über dem Horizont. Zwei SKARABÄEN schwebten nahezu lautlos ein und senkten sich auf die Piste herab. 2. 21. Dezember »Das ist Staatseigentum!«, sagte eine monotone Stimme hinter Whistler. Schon die Lautstärke, in der er so unverhofft und
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ohne Begrüßung angesprochen wurde, ärgerte ihn. Weit hatte er den Kopf in den Nacken gelegt. Er schaute an dem Stahlgebirge empor, das vor ihm aufwuchs, als sei an dieser Stelle die Welt zu Ende. Wolken umflossen die senkrechte Wand, an einigen Abschnitten ergoss sich kondensierendes Wasser in Sturzbächen in die Tiefe. Die obere Kante des Würfels verschmolz mit dem Blau des Himmels. Dutzende Fluggleiter hingen dort, für Timber nur zu erkennen, wenn er die Augen zusammenkniff. »Habe ich mich unklar ausgedrückt?«, fuhr die Stimme fort, einen Hauch von Unbehagen verbreitend. »Der gesamte verpackte Inhalt der LFT-BOX war und ist Staatseigentum; es wird keine Verkaufsgespräche geben.« Dröhnend hatte sich das Schott eines Ladesegments in Bewegung gesetzt. Im unteren Bereich, gut einen Kilometer entfernt, ergriffen schwere Lastenschlepper das erste Bauteil und bugsierten es auf einen Verbund mehrerer Antigravplattformen. Trotz der stabilisierenden Antigravs war das gewaltige Raumschiff tief in den Boden eingesunken. An den Seitenwänden hatten sich in den letzten Wochen Schlingpflanzen emporgearbeitet. Wo vor einer Woche erst unscheinbare Blätter gewesen waren, öffnete sich mittlerweile eine üppige Blütenpracht. »Über Stardust-3D und New Home Trivid wurde unmissverständlich bekannt gegeben, dass die Entladebereiche Sperrzone sind!«, redete die Stimme auf Whistler ein. »Falls Unbelehrbare zu Schaden kommen, trägt die Administration keinerlei Haftungsrisiko.« Ein zweites schalenförmiges Bauteil schwebte zentimetergenau nach außen. Der Größe nach handelte es sich um das Rumpfsegment eines Raumers der MARSKlasse. Zehn der fünfhundert Meter durchmessenden Schlachtkreuzer waren von den Luna-Werften als Bausätze geliefert worden. Außerdem zwanzig Schwere Kreuzer und siebzig Leichte.
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Kreuzer Und das war nur der spezielle Teil der Fracht, dessen Entladung im Gange war Die nach Tausenden zählenden Gleiter, Shifts, Space-Jets und Baumaschinen. das Millionenheer der Roboter sowie Kontingente der Rohstoffbarren waren schon in den ersten Tagen einsatzbereit gemacht worden. Langsam drehte Whistler sich um. »Ich denke, dass ich weder ein Unbelehrbarer noch unbefugt bin«, stellte er eindringlich fest. Sein Gegenüber verzog keine Miene. Sigurd Echnatom, Vorläufiger Administrator der Stardust-Kolonie, kniff lediglich die Augen etwas weiter zusammen, als müsse er gegen die blendende Sonne schauen. Der verkniffene Blick ließ sein Gesicht ungemein kantig erscheinen, zumal die scharfrückige große Nase dem ehemaligen Staatssekretär ohnehin den Ausdruck eines Raubvogels verlieh. »Ich interessiere mich tatsächlich für einen der Bausätze«, sagte Whistler. Ein mitleidiges Lächeln kräuselte Echnatoms Mund. Langsam schüttelte er den Kopf. »Diese Schiffe sollen die Sicherheit der Stardust-Kolonie gewährleisten.« »Bestimmt nicht in zerlegtem Zustand«, platzte Whistler heraus, und beinahe hätte Echnatoms irritierter Blick ihm ein Lachen entlockt. »Wenn ich mich nicht irre, sind die von mir übereigneten SKARABAEN konstant an Transporten und Patrouillenflügen beteiligt.« »Die SKARABAEN wurden dem Staat überschrieben. Als Gegenleistung für die zeitlich unbefristete Lizenz, die WhistlerStardust & Co. das Sammeln von Hyperkristallen im genau definierten Bereich zwischen der Sonne und der Umlaufbahn des zweiten Planeten Parga gestattet«, schnarrte Echnatom. »Ansprüche auf Gewährung weiterer Vergünstigungen bestehen nicht. Nebenabreden waren zu keinem Zeitpunkt Bestandteil der Vereinbarung.« Whistler lag der Widerspruch schon auf der Zunge. Er hatte kein Monopol verlangt,
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sondern. sich mit einer Lizenz zufriedengegeben. Insofern hatte er sich mit einem Stück des Kuchens abgefunden, obwohl er durchaus in der Position gewesen wäre, mehr zu fordern. Aber nach dem Motto »Alles oder nichts« hatte er nie gearbeitet; immer hatten auch menschliche Faktoren seine Entscheidungen bestimmt. »Natürlich würde ich einen angemessenen Kaufpreis für einen Schlachtkreuzer der MARS-Klasse bezahlen.« Echnatoms Blick wurde starr. »Diese Raumschiffe sind unverkäuflich.« »Ich bezahle mit Hyperkristallen. Also genau das, was für Fernflüge dringend benötigt wird.« »Abgelehnt!«, beharrte Echnatom. »Als von Homer G. Adams ernannter Vorläufiger Administrator trage ich die Verantwortung für das Wohlergehen der Kolonie, bis eine ordentliche Wahl über das Amt entscheidet. Meine Obliegenheiten erlauben mir nicht, persönlichen Machtbestrebungen Vorschub zu leisten. Insbesondere die Überlassung eines schlagkräftigen Schlachtkreuzers sehe ich als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Dabei ist es unerheblich, ob Antragsteller eine Privatperson oder eine juristische Person im Sinn der galaktischen Konvention vom ...« Echnatom unterbrach sich kurz. »Es besteht jedenfalls kein Anlass«, brachte er den Satz überraschend unkompliziert zu Ende. »Ich will nichts weiter als mich in Far Away umsehen!« Der ehemalige Staatssekretär schnappte nach Luft. Für einen Moment wirkte er zutiefst erschüttert. Er zupfte an der doppelten Schleife, die seinen Hemdkragen zierte. »Ich sehe meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt«, presste Echnatom schließlich schwer atmend hervor. »Whistler-Stardust & Co. scheint der Meinung zu sein, exorbitante Gewinne anhäufen zu müssen. Damit ist der Weg für eine Steuergesetzgebung vorgezeichnet. Noch leben alle Siedler von den mitgebrachten Vorräten, aber das wird sich
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ändern. Der Termin für die Wahl des Administrators und des Parlaments ist seit gestern auf den 18. Juni kommenden Jahres festgesetzt; unsere Nachrichtensender werden das morgen bekannt geben. Ich selbst stehe nicht für die Wahl zur Verfügung. - Im Übrigen regelt bereits Paragraf 38 der vorläufigen >Lex Stardust< eindeutig die Genehmigungspflicht für Flüge über die Grenze des Systems hinaus. Diese Grenze ist als Oberfläche eines kugelförmigen Sektors mit einem Radius von einhundertundzehn Lichtstunden festzusetzen. Das sind rund zehn Prozent mehr als die Umlaufbahn des äußeren Planeten.« Whistler nickte gedankenverloren. Sein Blick wanderte wieder hinüber zu den fortschreitenden Entladearbeiten. »Mit anderen Worten: Ich werde wegen des Erwerbs eines Fünfhundertmeterraumers mit dem künftigen Administrator reden müssen«, sagte er, noch bevor Echnatom seinen Monolog zu Ende gebracht hatte. »Es kann für Stardust nur vorteilhaft sein, wenn wir bald erfahren, was uns im Umfeld erwartet. Ich hoffe, du bist nicht der Meinung, dass wir uns von allem abkapseln sollen. Zivilisationen, die das tun, ersticken eines Tages an sich selbst.« »Genügend Beispiele beweisen das Gegenteil. Alles ist nur eine Frage der Vernunft.« »Vorwiegend wohl der Bürokratie!«, spottete Whistler. »Muss ich mich zur Wahl stellen, um dem Einhalt zu gebieten?« Er registrierte Echnatoms Zusammenzucken. Von Anfang an hatten sie beide gespürt, dass sie es schwer haben würden, miteinander auszukommen. Whistler mochte steife, bis oben zugeknöpfte Menschen nicht, denen jegliche Intuition fehlte und die deshalb glaubten, sich auf vermeintlich Altbewährtem ausruhen zu müssen. Solche Leute unterdrückten seiner Ansicht nach jede Weiterentwicklung.
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»Solange ich die Verantwortung trage, werden wir keine Risiken eingehen!«, stellte Echnatom fest. »Du zwingst mich tatsächlich, meine.. Kandidatur einzureichen?« Whistler sah dem Administrator die Überraschung an. Echnatom hätte nie damit gerechnet, ausgerechnet das zu hören. Diese Feststellung war Whistler auch nur herausgerutscht, weil der Mann ihn dazu gereizt hatte. Er hatte bestimmt nicht die Absicht, sich in ein Verwaltungsbüro hoch über Startlust City zu verkriechen. So stellte er sich diesen letzten Abschnitt seines Lebens keinesfalls vor. Aber das wusste Echnatom nicht. Lächelnd nickte Timber dem Hageren zu, dann ging er an ihm vorbei zu seinem Gleiter. Echnatoms grauer Haarkranz. stellte Whistler beiläufig fest, war in den letzten Wochen schütterer geworden. Vielleicht lag das an den Problemen, die er sich selbst bereitete. * In der Nacht war ein heftiges Gewitter mit schweren Wolkenbrüchen über den Südwesten des Kontinents Avateg hinweggezogen. Mittlerweile, am frühen Vormittag, hielten sich nur noch über dem Delta Nebelschwaden. Stardust City schien aus dem Nichts aufzuwachsen und reckte sich dem blauen Himmel entgegen. Weit und breit war keine Wolke mehr zu sehen. Stardust-3D sendete eine teils erregt geführte Diskussion über Sinn und Unsinn globaler Klimakontrolle. Bislang zögerte die von Echnatom eingesetzte Verwaltung, solche Projekte anzupacken. Zu Recht, fand Whistler. Es gab wichtigere Themen, die der Erledigung harrten. Auf den Feldern wuchs die erste Saat heran, permanent auf Schädlingsbefall und genetische Veränderungen überwacht. Schließlich wollten mehr als achthundert Millionen Siedler nachhaltig verpflegt werden. Die eingelagerten Nahrungskonzentrate garantierten die Versorgung für mindestens
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ein Standardjahr. Hinzu kamen dehydrierte Nahrungsmittel für weitere zwei bis drei Monate. Zeit genug also, um mehrere Ernten einzubringen; von dem, was Avedas Natur selbst den Siedlern schenkte, ganz zu schweigen. Die Xeno-Biologen, Nahrungsmittelchemiker und Mediziner hatten Hochkonjunktur. Tausende Früchte, Beeren und Bodengewächse warteten in den Kühlräumen der Labors auf die Verträglichkeitsanalysen. An die vierzig wohlschmeckende und sehr nährstoffreiche Früchte waren bereits für den Verzehr freigegeben. Aveda entpuppte sich einmal mehr als ein Garten Eden. Entsprechendes galt für den Fischreichtum der Wasserwelt Zyx, wenngleich die Siedler dort zurückhaltend agierten. Das hatte mit den Indochimi zu tun, den in Küstennähe lebenden Fischmenschen. Ganz so allein, wie es den Anschein gehabt hatte, waren die Menschen im Stardust-System also nicht. Whistler überflog mit seinem Gleiter den südlichen Asha-Seelur-Arm des Ashawar. So weit der Blick reichte, wogten Getreidefelder im Wind. Ihr schnelles Wachstum überraschte ihn. Überall patrouillierten Roboter. Wenige Kilometer östlich waren Energiezäune errichtet worden; offenbar hatte es Wildschäden an den Feldern gegeben. Von See kommend, näherten sich zwei Space-Jets. Beide Maschinen flogen kaum fünfhundert Meter hoch. Die Besatzungen, vermutete Whistler, waren mit Vermessungsarbeiten beschäftigt. Kartografierung der Geländestruktur, Suche nach Bodenschätzen, Fruchtbarkeitsanalysen der oberen Bodenschichten. Die vordere Jet überflog Timbers Gleiter in geringer Höhe. Augenscheinlich erkannte der Pilot, wem er begegnete, denn er kippte den Diskus erst nach rechts und dann nach links aus der Horizontalen. Ein Gruß unter Freunden. Whistler vermutete, dass einer seiner SKARABÄUS-Piloten die Jet steuerte.
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Er drehte den Gleiter nach Westen und wechselte die Trivid-Frequenz. Die Endlosdiskussion über Klimakontrolle interessierte ihn nicht. NHT sendete Sphärenklänge. Nicht das, was Whistler hören wollte, aber doch besser als die sicherlich schon vor mehreren tausend Jahren auf Terra wiedergekäüten Argumente für und gegen den Eingriff in die Natur. Abrupt und mitten im Akkord trat Stille ein. »Für alle, die es genau wissen wollen: Heute ist der 113. Tag, seit Timber F. Whistler junior den Planeten für uns in Besitz nahm und die Flagge in den Boden stieß«, sagte eine Frauenstimme. »Wir haben es gut getroffen mit unserer Entscheidung, ein neues Leben zu beginnen. Aber darüber dürfen wir unser vielfältiges kulturelles Erbe nicht vergessen. Die Gläubigen der Neuen Ökumene und jene, die ihr nahestehen, erinnert New Home Trivid daran, dass wir übermorgen Weihnachten feiern - das erste Weihnachtsfest auf Aveda. Grund genug, unsere Lieben mit einer Aufmerksamkeit zu beschenken. NHT hat es möglich gemacht, zwei Space-Jets für einen Flug nach Zyx zur Verfügung zu stellen. Wahlweise steht natürlich unser anderer Nachbarplanet Trondgarden zur Verfügung, wer mit diesem Fest eher die winterliche Besinnlichkeit assoziiert. Natürlich werdet ihr fragen, was dafür zu tun ist. Nun, nichts leichter als das: Jeder Anruf, der NHT in den nächsten sechzig Minuten erreicht, wird gespeichert. Nach dem Zufallsprinzip lost unsere Hauptpositronik anschließend die glücklichen Gewinner aus. Wie gesagt, sechzig Minuten. Also ran an die Funkarmbänder. Die Frist beginnt - jetzt!« Wieder Musik. Eine der synthetischen Schnulzen, die Weihnachtsstimmung vermitteln sollten. Whistler hatte die abgehackte Melodie schon auf der Erde nicht ertragen, hier auf Aveda erschien sie ihm endgültig als Zumutung. Die Felder lagen bereits hinter dem Gleiter. Hohes Gras bestimmte nun das Bild, darin
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eingegraben die Spuren einer nach Westen trampelnden kleinen Rinderherde. Fünfzig Tiere zählte Timber. Sie wurden nicht nur von Robotern, sondern auch von mehreren Menschen bewacht. Er überflog die Küste und ging über dem Golf von Agaros wieder auf Südkurs. Gut eineinhalbtausend Kilometer trennten ihn von dem Kontinent Belgorin, den er seit Wochen in Augenschein nehmen wollte. Aus diesem - Vorhaben wurde auch diesmal nichts. Das ahnte Whistler in dem Moment, in dem er den eingehenden Anruf annahm und Fishbaughs Konterfei sah. Der Funker und Orter der NEW GOOD HOPE, der für die Company immer mehr Verwaltungsarbeiten übernahm, hatte eine bedeutungsvolle Miene aufgesetzt. »Du hättest gute Chancen, die Wahl des Administrators für dich zu entscheiden, Timber.« Whistler reagierte mit einer entschieden »lehnenden Geste. »Sag, was Sache ist, Blaine, aber verschon mich mit solchen Spekulationen.« »Du bist begehrt, zweifellos die bekannteste Persönlichkeit im System. Stardust-3D hat sich soeben gemeldet und eine Einladung ausgesprochen. Programmleiter Güjyrill bittet dich ins Studio. Übermorgen, am 24. Dezember, um elf Uhr.« »Was wollen sie?« »Ein Interview Außerdem bist du - ich wiederhole es wörtlich - der richtige Mann, um die erste Weihnachtsansprache zu halten.« Whistler schwieg. Das kam sogar für ihn überraschend. Weihnachtsansprachen waren Tradition auf Terra und wurden in der Regel von einem Aktivatorträger zelebriert, bevorzugt von Perry Rhodan. Nur wenn keiner aus dem erlauchten Kreis der potenziell Unsterblichen greifbar war, fiel die Ansprache dem Ersten Terraner oder der Ersten Terranerin zu. »Die. Siedler wollen dich hören!«, fügte Fishbaugh hinzu. »Das ist wohl eher Echnatoms Part. Er leitet die Aufbauarbeit: ich bin nur der Haupteigner eines
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Prospektorenunternehmens, das noch über neun SKARABÄEN verfügt ...« »Die Leute wissen genau, wem sie ihr Hiersein verdanken. Ohne den Anstoß durch den Whistler-Treck würde manches anders aussehen. Du hast die Auswanderer ins Paradies geführt, Timber, nicht dieser staubtrockene Exstaatssekretär, der irgendwann einen Terkonitstab verschluckt hat.« Genau das wollte Whistler nicht hören. Solche Aussagen brachten ihn in Zugzwang, zudem drängten sie ihn in eine Richtung, die ihm nicht behagte. Wie leicht konnte sich die Euphorie ins Gegenteil verkehren. Alle, die ihn heute in den Himmel hoben, würden ihn dann ebenso eilfertig verdammen. »Stardust-3D geht von deiner Zusage aus«, sagte Fishbaugh. Warum nicht? Vielleicht war das die Gelegenheit für ihn, einiges klarzustellen. Zu sagen, dass er nicht nur in der Lage war, perfekte Roboter zu bauen, sondern dass er Whistler-Stardust ebenso zu einer Erfolgsstory machen würde wie vor etlichen Jahrzehnten TRR. Nur: Der Staat, das war er nicht, und das würde er nie sein. Timber nickte zögernd. »Gib dem Sender meine Zustimmung, Blaine.« Blaine Fishbaugh lachte hell. »Ich hoffe, du wirst bei der Gelegenheit deine Kandidatur bekannt geben. Zumindest andeuten »Nichts dergleichen werde ich tun. Ich denke gar nicht daran, mich mit Paragrafen herumzuschlagen.« Whistler unterbrach die Verbindung. Minutenlang flog er auf Südkurs weiter, dann zog er die schwere Maschine herum. Eineinhalb Tage waren ihm zu wenig, um Belgorin zu erkunden. Und wenn er ins Studio kam, wollte er keinesfalls den Eindruck erwecken, er hätte seit achtundvierzig Stunden keinen Schlaf gefunden. * Das Interview hatte er spielerisch leicht überstanden. Dreißig Minuten, die sich -
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wie konnte es anders sein? - überwiegend mit der TRR befassten, mit dem Verkauf der Firma und seinem Engagement für die Siedler. »Eine abschließende Frage«, sagte Whistlers Gegenüber. »Wieso hast du dein Lebenswerk für einen Spottpreis aufgegeben und mit dem Erlös vielen Terranern den Weg nach Stardust geöffnet?« »Weil ich das für richtig hielt!« »Du hast bestimmt mehr dazu zu sagen. Timber.« »Reicht das nicht? Was willst du außerdem hören?« »Vielleicht, dass du dir die Unsterblichkeit als Lohn erhoffst?« Whistler zögerte nur kurz. »Das trifft ganz bestimmt nicht zu«, antwortete er. »Zu jenem Zeitpunkt konnte niemand auch nur ahnen, dass ES zwei Aktivatorchips hinterlassen würde.« »Aber du würdest die Unsterblichkeit nicht ablehnen?«, fasste der Moderator nach. »Viele Siedler glauben, dass du keineswegs nur Hyperkristalle sammelst, wenn du mit deinen SKARABÄEN jeweils für mehrere Tage aufbrichst; sondern dass du vor allem den Aktivatoren nachjagst. Ich habe mit einigen hundert Personen darüber gesprochen. Die Mehrzahl ist großzügigerweise der Ansicht, dass dir die Chips zustehen. - Deshalb interessiert mich, wie du dich dazu stellst.« »Ich fühle mich geehrt, wenn viele so reagieren.« »Du würdest die potenzielle Unsterblichkeit also nicht ablehnen?« »Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Wer glaubt, sich an der Jagd nach dem ewigen Leben beteiligen zu müssen, der soll das tun; ich erhebe jedenfalls keinen Anspruch darauf. Lotho Keraete als Bote von ES hat nicht davon gesprochen, dass die Superintelligenz besondere Bedingungen gestellt hätte. Das heißt also, wer zuerst fündig wird, profitiert davon ...« ... und mit diesem idealen Schlusswort leiten wir über zu zwei Minuten Impressionen aus dem System.«
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Sein prüfender Griff, als er sich den kurzen Stehkragen zurechtrückte, verriet Whistler, dass er im Begriff war, zwei gegensätzliche »Welten« für sich zu beanspruchen. Er war nach wie vor der Geschäftsmann, der allen Widersachern zum Trotz Terrania-Robotik-Retrodesigns aufgebaut hatte. Er konnte gar nicht anders, als sich wieder an die Spitze einer Firma zu stellen und Erfolge zu präsentieren. Andererseits hatte er endlich den Wendepunkt erreicht, an dem er sich nicht mehr dagegen sträubte, seinen Gefühlen nachzugeben. Irgendein Ururahn hatte ihm die wachsende Naturverbundenheit vererbt. Ein Roboter zupfte ihm ein Haar von der Schulter. Timber bedachte die Maschine mit einem kritischen Seitenblick: Sie war kein Modell, das eine WhistlerFertigungsstraße verlassen hatte. »Noch eine Minute bis zur Ansprache ...« Er nickte, und sein Testholo lächelte. O ja, er war zufrieden mit sich selbst. Die 121 Jahre sah ihm niemand an. Er war durchtrainiert und kräftig; seine achtundneunzig Kilogramm verteilten sich immerhin auf einen Meter einundneunzig. Der Sendeleiter gab ihm ein Zeichen, indem er kurz den Tellerkopf neigte. Die Stimme des Blues verlor sich für Sekunden, im Ultraschallbereich. Whistler. wusste es nicht genau, weil Echnatom ihm die Zahlen verweigerte, doch er schätzte, dass einige zehntausend Angehörige anderer galaktischer Völker den Exodus mitgemacht hatten. Er rechnete dabei die Zahlen seines Whistler-Trecks auf alle Siedler hoch. Die Anmoderation begann ... Die Sprecherin bezeichnete ihn als »Mäzen der Stardust-Siedler«. Abwehren konnte er nicht - und auf gewisse Weise fühlte er sich sogar geschmeichelt. Eigentlich, fand er, war die Wortwahl gar nicht übel. Sekunden später war Timber F Whistler wieder im Bild, sah sich ringsum in Dutzenden Facetten von allen Seiten wiedergegeben. Keine Ahnung, welche Perspektive indem Moment live verbreitet wurde.
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»Ich freue mich, dass ich heute zu allen im Stardust-System reden kann. Diese Freude kommt vor allem aus der Tatsache, dass die Übersiedlung so reibungslos vonstattenging. Sicherlich ist die Eingewöhnungsphase schwer, doch wir haben die ersten Wochen hinter uns, und unsere Erwartungen wurden in jeder Hinsicht erfüllt.« Er sprach frei, wie ihm die Worte in den Sinn kamen. Wer ihn kannte, wusste, dass seine Gestik immer schon spärlich gewesen war »... Weihnachten ist seit Jahrtausenden für Milliarden Menschen das säkularisierte Fest des Friedens und der Hoffnung. Wir Siedler im Stardust-System haben beides gefunden - den Frieden in. einer Umgebung, die wie für uns gemacht erscheint, und die Hoffnung, dass unser Glück nicht enden wird, weil eine höhere Macht für uns Einstand. Waren anfangs auch Zweifel da, so können wir heute zu Recht behaupten, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Wir stehen hier auf der Sonnenseite. Trotzdem wissen wir nur zu gut, dass Stardust ein Ausnahmebereich ist und dass keineswegs jeder Ort im Universum ähnlich begünstigt wurde. Möge unsere Heimat nun Terra heißen oder Topsid, Gatas oder Epsal, dort ist es nicht mehr selbstverständlich, in Frieden und Zuversicht zu leben. Die Hoffnung bleibt uns, dass die Bedrohung durch die Chaosmächte bald überwunden sein wird. Ich bin sicher, dass die Völker der Lokalen Gruppe in jeder Hinsicht zusammenstehen und dass sie gemeinsam stark genug sein werden, der Negasphäre zu trotzen. Vielleicht erhalten sie nach einem siegreichen Kampf eine ähnliche Chance, wie sie uns geboten wurde - die Möglichkeit, endgültig alle Grenzen und Vorurteile zu überwinden und mit vereinten Kräften tief in den Weltraum vorzustoßen.« Letzteres war keineswegs nur seine Vision. Ähnliche Formulierungen über die Gemeinsamkeit hatte er in geschichtlichen Datenbanken gefunden. Sie gingen zurück
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auf die Zeit der Galaktischen Völkerwürde-Koalition und die damalige Allianz, deren Ziel die Befreiung der Milchstraße von den Laren und dem Hetos der Sieben gewesen war Große Ideen, wusste Whistler, bedurften oft mehrerer Anläufe, bis ihre Verwirklichung in greifbare Nähe rückte. »Gerade an einem Tag wie Weihnachten denken wir an jene Menschen, die mit Sorge in die Zukunft schauen. Wenn ich Menschen sage, meine ich damit keineswegs nur Terraner und TerranerAbkömmlinge, sondern alle Völker. Es ist unerheblich, wie jemand aussieht und welche Atmosphäre er atmet; Menschen sind für mich alle Intelligenzen, die ihren Verstand und ihre Fähigkeiten für die positiven Werte einsetzen ...« Timber E Whistler machte eine kurze Pause. Er spürte ein schwer zu beschreibendes Gefühl der Freiheit, das Wissen um einen neuen Anfang ohne die alten Fehler. »Wir Menschen von Stardust werden alle Herausforderungen meistern, die auf uns warten!«, fuhr er fort. »Unsere neue Heimat ist zweifellos das interessanteste und geheimnisvollste Sonnensystem des Universums. Hier leben wir außer Reichweite der Terminalen Kolonne, und unsere Zivilisation wird eine Erfolgsgeschichte schreiben. die nicht einmal ES vorhersehen konnte. Wir suchen nicht mehr nach einem friedvollen neuen Anfang, wir haben ihn bereits gefunden! Deshalb ist es unsere Verpflichtung, Frieden und Freiheit weiterzugeben! Ich bin mir sicher, genau diese Worte hätte Perry Rhodan uns mit auf den Weg gegeben, wäre er im Solsystem gewesen und nicht irgendwo in der Milchstraße im Einsatz gegen die Kolonne. Nie zuvor haben Menschen eine ähnliche Chance erhalten, wie sie uns von ES geschenkt wurde. Wir werden diese Chance nutzen.« Die vielfältigen Hologramme erloschen. Whistler spürte die Blicke des Sendeteams auf sich ruhen. Jemand klatschte, zaghaft erst, dann stürmisch.
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»Frohe Weihnachten, Timber!«, zirpte der Blue. »Für diese Visionen ist dir meine Stimme sicher.« In dem Moment verstand Whistler. Möglicherweise hatte er sich selbst einen Bärendienst geleistet. Zögernd schüttelte er den Kopf. »Ich eigne mich nicht als Politiker - ich sage nur, was ich denke.« * Echnatom war der Ärger anzusehen. Er hielt es nicht für nötig, sich zu erheben, als sein Besucher eintrat. Vielmehr warf er einen bezeichnenden Blick auf die holografische Zeitanzeige. »Viereinhalb Minuten zu spät!«, stellte der Vorläufige Administrator vorwurfsvoll fest, als werte er Whistlers unpünktliches Erscheinen wie einen persönlichen Affront. »Dir fehlt die Vorbildfunktion.« »Ich weiß nicht einmal, weshalb du mich in die Administration zitiert hast«, stellte Timber fest. »Gebeten«, berichtigte Echnatom. »Ich habe dich zu einem Gespräch gebeten, weil es einiges über das Wohl der StardustKolonie zu sagen gibt.« Whistler schaute sich nach einer Sitzgelegenheit um. Die Besprechungsecke, die wir zwei Wochen zur Verfügung gestanden hatte, gab es nicht mehr. Den frei gewordenen Raum nahmen Hologramme ein; Übertragungen, die von beiden Trivid-Sendern weitergeleitet wurden, vierundzwanzig Stunden und fünfzehn Minuten am Tag, rund um die Uhr. Gezeigt wurden in lockerer Folge Panoramen aller Planeten ebenso wie der interplanetare Weltraum, ein vielfältiges, der Information dienendes Kaleidoskop. Automatische Kameras flogen in unterschiedlichen Orbithöhen und übermittelten ihre Aufnahmen. Was letztlich gesendet wurde, unterlag dem Zufallsprinzip, von themenbezogenen Zusammenstellungen abgesehen. »Dein Interview und die Weihnachtsansprache fand ich, gelinde gesagt, mehr als seltsam.«
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Das war es also. Whistler hatte bereits vermutet, dass Echnatom ihn deshalb sprechen wollte. Auch wenn drei Tage vergangen waren, änderte das wohl nichts daran, dass Echnatom sich übergangen fühlte. »Ich hoffe, du wirst nicht kandidieren.« Whistler schwieg. Für einen Moment fragte er sich, was das eine mit dem anderen zu tun haben sollte. Echnatom brauchte keine Konfrontation hinsichtlich der Wählergunst zu fürchten, er hatte unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er nicht auf Dauer für das Amt des Administrators zur Verfügung stand. Das war das Einzige, was Whistler dem Hageren hoch anrechnete. Zumal Echnatom sich der Tatsache bewusst sein musste, dass er nicht einfach seinen Hut nehmen und ins Solsystem zurückfliegen konnte. Die Frage, ob er überhaupt aus eigenem Antrieb nach Stardust gekommen war oder nur in aufopferndem Gehorsam, weil ihm das von seinem Vorgesetzten nahegelegt worden war, hatte Echnatom bislang auf keine Weise beantwortet. »Es wäre besser gewesen, du hättest deine hochtrabenden Worte mit mir abgesprochen.« »Wäre es das ...?«, entgegnete Whistler jetzt. Echnatom lehnte sich in seinem Sessel zurück und schaute ihn von unten herauf bohrend an. Zwischen den Fingern der rechten Hand drehte er einen Holoschreiber. »Du hast nicht nur von diesen unseligen Aktivatorchips gesprochen, die ES hinterlassen hat. Vielmehr hast du den letzten Unschlüssigen mit der Nase darauf gestoßen, dass er die Unsterblichkeit für sich erhalten kann, weil dir egal ist, was daraus wird. Das grenzt an Aufwiegelung. Vakante Aktivatoren haben in der Vergangenheit stets für Ärger gesorgt. Trotzdem will ich dir vorerst zugestehen, dass du glaubst, in guter Absicht gehandelt zu haben ...« »Aber?« »Die Gier nach dem ewigen Leben kann schlimmer sein als jede Droge. Sie macht
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uneinsichtig, aggressiv und egoistisch. Vor allem ist das kein Rausch, der nach wenigen Stunden wieder verfliegt. Deine Antwort zum Thema hat Tausende aufgescheucht. Aber die wenigsten unter ihnen sind reif für ein extrem langes Leben, denn dann würden sie sich nicht schon um die Plätze in den SKARABÄEN prügeln. Ich lasse nicht zu, dass die Ordnung auf solche Weise gefährdet wird, Wenn ich die Drogenparagrafen auf diese fatale Jagd nach den Aktivatorchips anwende ...« »Das wäre verrückt!« Echnatoms Miene versteinerte: »Ich will keine Unruhe und keine permanenten Rettungseinsätze, weil Abenteurer und Schatzjäger ihre Kräfte nicht einzuschätzen wissen. Was von mir erwartet wird, ist eine ordentliche terranische Kolonie »Stardust wird ein eigenständiger Staat sein, keine Kolonie.« »Zumindest so lange eigenständig bis zum nächsten Kontakt mit Terra«, korrigierte Echnatom geflissentlich. »Der wahrscheinlich niemals zustande kommen wird. ES hätte sonst nicht zwei Aktivatorchips hinterlassen.« Mit einer knappen Kopfbewegung deutete Echnatom auf die Hologramme. Eines zeigte schroffe Gebirgspanoramen. Zähflüssige Lava wälzte sich aus dem Seitenkrater eines Vulkans hangabwärts und zerfraß ein riesiges Gletscherfeld. Dampfexplosionen wirbelten Glut auf. »Wie groß schätzt du die Wahrscheinlichkeit ein, dass auf Katarakt eine Spur zu finden ist?«, fragte Whistler. »Ich schätze nicht«, sagte Echnatom schroff abwehrend. »Was ist mit den immateriellen Städten?« »Dummerweise sind sie wie ein Magnet, der die Glücksritter anzieht ...« »Ich weiß, dass die Administration Archäologen und andere Wissenschaftler in dem Bereich abgesetzt hat ...« Whistler achtete in dem Moment weniger auf Echnatom als vielmehr auf das Holo. Der Bildausschnitt hatte gewechselt, zeigte aber weiterhin zerklüftete Wildnis.
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Eine schnelle Zoombewegung. Vorbeihuschende Grate erzeugten für Sekunden die Illusion, die Kamera tauche mit rasender Geschwindigkeit in eine der tief eingekerbten Schluchten. hinab. Der Zwiespalt von Licht Und Schatten machte es schwer, Einzelheiten zu unterscheiden. Ein kleiner Wald verwehrte den Blick bis auf den Boden. »Seit deinem Interview ist die Zahl der Abenteurer sprunghaft angestiegen, Whistler.« Echnatoms Tonfall ließ deutlich erkennen, wie sehr ihm dies missfiel. »Bislang glaubten hundert, wenn es hochkam, hundertfünfzig am Tag, ihr Leben für die Unsterblichkeit riskieren zu müssen. Jetzt sind es mindestens fünfhundert. Die Mehrzahl von ihnen sucht die Verbotene Zone heim. Die Archäologen können nicht mehr ungestört arbeiten ...« »Du erwartest, dass ich die Leute von Aumark fernhalte?« In dem Moment hätte Whistler nicht zu sagen vermocht, ob er sich amüsieren oder über Echnatoms Naivität ärgern sollte. Wenn er jetzt abblockte, würde der Run erst recht losgehen. Die Bildwiedergabe erschien mittlerweile so, als schwebe ein Gleiter über die Baumwipfel hinweg. Die Bäume standen keineswegs so eng beieinander, wie es aus größerer Distanz den Anschein gehabt hatte. Da war ein dunkler Schemen. Im ersten Moment glaubte Timber, ein größeres Tier zu sehen, dann wurden die Umrisse deutlicher. Was immer sich da bewegte, es ging auf zwei Beinen. »Einer der Aktivatorjäger«, bemerkte Echnatom unwillig. »Sie werden bald überall sein.« »Das ist keiner von uns.« Whistler wandte sich vollends dem Hologramm zu. »Die Schatten machen es schwer, Einzelheiten zu erkennen, aber dieses Wesen scheint größer zu sein als ein Mensch. Vor allem bewegt es sich geschmeidiger ...« »Vielleicht ein Naat.«
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Timber wusste bislang nicht, ob auch Naats den Exodus mitgemacht hatten. Er wollte nachfragen, doch da hielt der Schemen inne. Es war schwer abzuschätzen, aber der Unbekannte mochte an die drei Meter groß sein. Er wirkte kräftig. Also doch ein Naat? Nur erschien sein Kopf keineswegs kugelförmig, sondern weit eher menschlich. Dieses Wesen starrte in den Himmel, als hätte es die Kamera entdeckt. Oder es spürte mit dem Instinkt des in der Wildnis Lebenden, dass es beobachtet wurde. Ein finsterer, bedrohlich scheinender Blick, in der nächsten Sekunde versperrten ausladende Baumkronen den weiteren Blick. Die Gestalt war nur für einen Augenblick einigermaßen gut erkennbar gewesen. »Das war keiner von uns«, stellte Whistler fest. »Sondern?«, fragte Echnatom. »Vielleicht jemand aus einer der fünf Städte.« Der ehemalige Staatssekretär winkte geringschätzig ab. »Die Macht solcher Bilder ist groß. Erkundige dich bei Stardust-3D, und du wirst hören, dass diese Gestalt eingeblendet wurde. Gegen Bildmanipulationen für Unterhaltungszwecke steht mir keine Handhabe zu, zumal es eine Preisauslobung für den gibt, der alle Fälschungen entdeckt. In der letzten Woche wurde ein Echsenwesen gesucht, das im Felsabbruch unter der StardustNadel sein Schlupfloch hatte. Während des Weihnachts-Interviews hat NHT mit einem Angriff von Weltraumquallen auf den leeren Weltraumbahnhof gegengehalten.« »Zum Glück?«, fragte Whistler leicht amüsiert. »Ja, zum Glück.« Echnatom nickte verbissen. »Andernfalls hätten wir wohl noch mehr Verrückte, die wegen deines Interviews der Unsterblichkeit nachjagen.« 3. Sieben Wochen später
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Hank Astrin stützte beide Hände auf den Oberschenkeln ab und blickte suchend um sich. Er atmete schwer In den wogenden Nebelschwaden mutierten die mannshohen Büsche zu verzerrten Gestalten. Irgendwo in der Nähe musste der Verfolger sein. Astrin lauschte. Obwohl die Schwerkraft auf Aveda um knapp zehn Prozent unter dem terranischen Wert lag, hatte ihn der schnelle Lauf über etliche Kilometer erschöpft. Ich war zu lange müßig, gestand er sich ein. Aber ohne Marouche hätte ich noch länger gezögert. Er hatte zugenommen, und von seinem vor der Umsiedlung guten Trainingsstand war nicht allzu viel geblieben. Das spürte er in den Knochen. Aber er war froh, endlich aktiv geworden zu sein. »Heimweh nach Terra ist kein Grund, sich gehen zu lassen.« Marouche sagte das. Und, verdammt, sie hatte recht damit. Es gab ohnehin kein Zurück. Hank Astrin, Sicherheitsbeauftragter der First Solar Banking Group, hatte seine Entscheidung getroffen. Schon früher hatte er die verrücktesten spontanen Entschlüsse durchgestanden und stets gerusst, was er sich selbst schuldig war. Wenn er nur dieses verdammte Heimweh in den Griff bekommen hätte. Ein Rascheln erschreckte ihn. Und da war es wieder, dieses leise schmatzende Geräusch, das entstand, wenn jemand über feuchten Boden ging. Wenn er zu lange stehen bleibt, weil er sich ebenfalls orientieren muss. Hank biss sich auf die Unterlippe. Die freie Natur war anders als der klimatisierte Gigantkomplex der First Solar. Dort hatte er sich auf die Hightech-Spürhunde verlassen können, auf dieser Welt waren hingegen mehr denn je seine eigenen Sinne gefordert. Nicht weit vor ihm plätscherte Wasser unter der ausgehöhlten Uferböschung. Hank wusste mit einem Mal, wie er dem Verfolger entkommen konnte. Die Strömung des Flussarms würde ihn schnell mit sich tragen, ohne dass er Spuren hinterließ. In Sichtweite der Stardust-Nadel
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und nach dem nächtlichen Wolkenbruch floss der Asha-Nuur-Arm rasch dahin. Astrin war bemüht, den Fehler seines Verfolgers zu vermeiden. Es gab kein Geräusch, als er mit einer Geschmeidigkeit weiterhuschte, die er sich von Marouche abgeschaut hatte. Drei Meter, vier ... er konnte es schaffen, obwohl die Sonne schnell über den Horizont stieg. Vor ihm säumten Büsche das Flussufer, aber keineswegs so dicht, dass sie ein Durchkommen erschwert hätten. Noch einmal hielt Hank inne. Er lauschte. Hinter ihm war wieder alles ruhig. Zu ruhig!, fand er, und fast gleichzeitig erhob sich ein Schatten zwischen den Büschen. Mehr als zweieinhalb Meter groß war die kräftige Gestalt. Astrin wusste, wann er verloren hatte. Natürlich konnte er versuchen, mit einem Sprint an dem Roboter vorbeizukommen. Aber wie er das auch anstellte, er würde auf jeden Fall zu langsam sein. Während der Roboter abwartend keine zehn Meter vor ihm verharrte, winkelte Hank den linken Arm an. Er aktivierte das Kombiarmband. »Sag mir eins, Marouche! Wie hat der Bursche das gemacht? Er kann nicht gleichzeitig an zwei Positionen sein.« Ein leises Lachen antwortete ihm. Die Bimael-Terranerin amüsierte sich offenbar. »In unserem neuen Job sollten wir auf alle Eventualitäten vorbereitet sein«, erklang ihre Stimme aus dem schwachen Akustikfeld des Armbands. »Du sitzt nicht mehr in deiner Überwachungszentrale der First Solar, vergiss das nicht.« Hinter Hank erklangen Schritte. Aber Marouche konnte noch nicht bei ihm sein. Er fuhr herum – und hielt den Atem an. Da stand ein zweiter humanoider Arbeitsroboter, ebenfalls eine der Maschinen, die unermüdlich den Aufbau von Stardust City vorangetrieben hatten und von denen mittlerweile immer mehr an den großen Raumschiffen arbeiteten. Er wusste nicht, wie Ma das fertiggebracht hatte, doch nur sie konnte den zweiten Roboter umprogrammiert haben. Nicht schlecht, musste Hank sich eingestehen.
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Bislang war ihm nicht bewusst gewesen, dass seine Partnerin auf positronischem Gebiet ebenfalls gut drauf war. Etwas an ihr hatte ihn unwiderstehlich angezogen, als er während des Transfers von Terra nach Stardust neben ihr seinen Platz erhalten hatte. Sie waren beide mit ARCHE 001 gekommen. »Du hast mich reingelegt, Ma!« »Nur eine Modifikation des Trainings, Hank. Das ist unerlässlich für jeden von uns, wenn wir in Form bleiben wollen.« Marouche ließ einen überraschten Laut vernehmen. »Pass auf, da stimmt was nicht!« »Das ist der älteste Trick überhaupt«, wollte er erwidern, doch der Protest blieb ihm im Hals stecken. Ungemein grelles Licht flammte auf. Obwohl Astrin beide Hände hochriss und lediglich zwischen den Fingern hindurchblinzelte, schossen ihm Tränen in die Augen. Er konnte nur erkennen, dass diese Lichtflut aus der Höhe herabfiel. »Ma!«, rief er. Die Frau antwortete ihm nicht mehr. Dafür hörte er das verhaltene Summen von Gleitertriebwerken. Zwei schwere Maschinen mussten es sein, die in nächster Nähe aufsetzten. Immer noch blendete das Licht ihrer Suchscheinwerfer. Hank fragte sich, was das sollte. Die beiden umfunktionierten Roboter waren bestimmt keinen solchen Aufmarsch wert. Schritte näherten sich. Mehrere Personen. Astrin hörte sie miteinander reden, verstand aber nichts von dem, was sie sagten. »Astrin?«, fragte eine schroffe Stimme. »Hank Astrin?« Er blinzelte hektisch. »Macht wenigstens die Scheinwerfer aus!«, stieß er hervor. Die Lichtflut erlosch. Vorübergehend war ihm, als stürze er in die vollkommene Schwärze eines Schwarzen Lochs. Dann, wenn auch tränenverzerrt, sah er drei Männer in Polizeiuniform vor ihm stehen. Die Gleiter trugen ebenfalls das Polizeiemblem. Allerdings das von Terrania City. Bislang hatte niemand die
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Zeit gefunden, solche Kleinigkeiten zu ändern. »Na, machen wir nächtliche Action?«, fragte einer der Männer. »Situationstraining«, antwortete Astrin. »Ich bin gezwungen, mich körperlich fit zu halten ...« »Beide Roboter wurden ohne Berechtigungsnachweis von ihrem Arbeitsplatz abgezogen.« Auch das ein Versuch, seine Fähigkeiten nicht verkümmern zu lassen. In der First Solar hatten ihm die Rechnersysteme unterstanden. Er war davon ausgegangen, der Missbrauch des Roboters für seine eigenen Zwecke würde unbemerkt bleiben. Wahrscheinlich hatte Marouche einen Fehler gemacht. Sie war bestenfalls einen oder zwei Kilometer entfernt. Gut, wenn sie sich im Moment zurückhielt. »Bitte, Hank, einsteigen!« Der Sprecher deutete auf den Gleiter Astrin war eben schon aufgefallen, dass die Polizisten seinen Namen kannten. Zumindest, das überraschte ihn. »Wohin bringt ihr mich?«, wollte er wissen. »Wir haben den Auftrag, euch beide in der Administration abzugeben.« Einer der Uniformierten lachte verhalten. »Hast du wirklich angenommen, dass wir die Frau übersehen könnten? Marouche gibt sich nicht ganz so misstrauisch wie du. Nun ja, Bank-Sicherheitsdienst das bedeutet Misstrauen überall und zu jeder Zeit.« Hank schnappte nach Luft, verzichtete aber darauf, die Fragen zu stellen, die ihm auf der Zunge brannten. Antworten, nahm er an, würde er von den Polizisten ohnehin nicht erhalten, sondern von jemandem in der Administration. Von irgendeinem höheren Tier. Aber warum hatte derjenige ihn nicht einfach über sein Armband kontaktiert? * Der Gleiter flog eine Plattform in großer Höhe an. Hank Astrin sah Marouche aus einer vor wenigen Augenblicken gelandeten Maschine aussteigen. Sie wurde
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von einem Polizisten zum Gebäudeeingang geleitet und wandte sich in dem Moment suchend um, als Hanks Gleiter aufsetzte und er ebenfalls ausstieg. Die Sonne stand mittlerweile als gelbroter Glutball über dem Horizont. Ihre Strahlenfinger geisterten durch die Straßenschluchten der neuen Metropole. Aus der Höhe gesehen war das ein berauschender Anblick. Ein Roboter trat auf Marouche zu. Astrin bemerkte, dass die Frau eine unschlüssige Bewegung machte. »Ich weiß auch nicht, was das bedeuten soll«, sagte sie, als Hank zu ihr aufschloss. »Jemand ganz oben muss auf uns aufmerksam geworden sein.« »Folgt mir!«, sagte der Roboter und ging vor ihnen her. »Wer will etwas von uns?«, erkundigte sich Astrin, als sie in einem Antigravschacht abwärts schwebten. »Ich bin nicht ermächtigt, diese Auskunft zu geben.« Nach fünf Etagen traten sie auf einen großen, hell erleuchteten Korridor. Es war ruhig in diesem Teil des Gebäudes. Zu ruhig für eine Verwaltung, die seit Wochen permanent vergrößert wurde, fand Astrin. Er erhaschte einen Blick durch eine halb geöffnete Tür. Der Raum dahinter schien riesig zu sein. Das waren keine einfachen Büros, eher schon Besprechungs- oder Festsäle. Vor dem Roboter öffnete sich ein Türschott. Er blieb stehen und ließ die beiden Terraner eintreten. Der Raum war groß und kahl. Ein kompakter Arbeitstisch, eigentlich schon ein kleines Kommandopult, beherrschte die Szene. Das volltransparente Wandelement dahinter war momentan eingetrübt, es ließ nicht mehr als die Silhouetten der benachbarten Gebäude erkennen. In Schreibtischnähe wurden mehrere Hologramme projiziert. Bis vor einer oder zwei Wochen hatten sich die ersten beiden Trivid-Sender mit Aufnahmen von den Planeten zu überbieten. versucht, bis die Gründung von Nostalgia Trivid wie eine Bombe einschlug. NT war mit Aufnahmen
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aus der Milchstraße, den Galaxien der Lokalen Gruppe und sogar dar- über hinaus in die Offensive gegangen. Astrin musterte die Wiedergabe eines schüsselförmigen Objekts. Es musste gigantisch sein. denn in seiner Nähe stehende Raumschiffe erschienen nur als winzige Punkte. »Bardiocs Sporenschiff«, murmelte er, mehr im Selbstgespräch als für seine Begleiterin bestimmt. »Das muss die PANTHAU-RA sein, jedenfalls der Teil, der nicht im Hyperraum verborgen war.« »Bardioc?«, fragte Marouche. »Einer der sieben Mächtigen, die mit ihren Sporenschiffen vor Äonen Lebenssporen ausgesät haben.« Sie blickte ihn an, als habe er etwas völlig Verrücktes von sich gegeben. Zögernd hob sie die Schultern und ließ sie langsam wieder sinken. Hank hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass solche Gesten bei ihr komisch aussahen. Aber was an Marouchés Bewegungen, fragte er sich, wirkte nicht komisch? Seltsam war wohl die bessere Umschreibung. Ihre Schultern schienen dabei zu zerfließen, ihre Arme sich wie Schlangen zu winden, als führten sie ein unbegreifliches Eigenleben. Ma bemerkte, dass er sie anstarrte. Sie lächelte. Ihre unglaubliche Geschmeidigkeit war es wohl, was ihn sofort an ihr fasziniert hatte. Sobald er Marouche in den Armen hielt, konnte er nie wirklich sicher sein, was geschah. Innerhalb von Sekunden spürte er das Verlangen in sich aufsteigen, ihren weichen. anschmiegsamen Körper an sich zu ziehen... Du musst verrückt sein, Partner, warnte ihn ihr Blick. Hank erkannte, dass sie genau deshalb einen Schritt weiter zurücktrat. Jemand räusperte sich. Der Mann hatte den Raum offenbar durch eine verborgene Tür betreten. Oder er bediente sich eines Deflektorschirms. Jedenfalls vermochte Astrin nicht zu sagen, wie lange er schon da stand, die Arme wie abwehrend vor dem Leib
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verschränkt, und Marouche und ihn abschätzend taxierte. Er trug ein langes Sakko und eine der modernen, aber unpraktischen Röhrenhosen. Den Hemdkragen zierte eine doppelte Schleife. Er war hager, wahrscheinlich sogar dürr, kaschierte das jedoch mit seiner Kleidung. Überhaupt wirkte er nicht minder steif als seine Kleidung. Dazu trug seine markante Nase ebenso bei wie der schmale Haarkranz. »Sigurd Echnatom!« Astrin war überrascht, mit dem Vorläufigen Administrator konfrontiert zu sein. Seine Gedanken überschlugen sich. Da war etwas Größeres im Busch. Obwohl: Nach allem, was er über Echnatom wusste, traute er diesem Mann zu, dass er sich sogar wegen zwei umprogrammierten Arbeitsrobotern persönlich einschaltete. Kompetent, korrekt und kleinlich - so wurde der ehemalige Staatssekretär hinter vorgehaltener Hand charakterisiert.. Echnatom schien seine Musterung beendet zu haben. Jedenfalls ließ er sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch sinken. Sein Blick wirkte nachdenklich. »Ich kann euch beiden leider keine Sitzgelegenheit anbieten«, sagte er wie beiläufig und fuhr mit erhobener Stimme fort: »Privatermittler Astrin & Partnerin. Wir arbeiten schnell und diskret.« »Genau so ist es«, bestätigte Hank. »Einaltmodischer Slogan. Nichts, was euch die Klienten scharenweise zutreiben dürfte.« »Aber zutreffend«, bemerkte Ma. Echnatom wandte sich ihr zu. »Marouche. Einfach nur Marouche, kein zweiter Name«, stellte er fest. »Partnerin des gebürtigen Terraners Hank Astrin. Kolonialterranerin, geboren auf dem Planeten Bimael am 15. Mai 1305 NGZ. Eine Welt ohne wirtschaftliche Ambitionen, die in galaktischer Zurückhaltung glänzt. Ausbildung und Werdegang unbekannt. Ich weiß nur von einem vergeblichen Versuch des TLD, dich anzuwerben.«
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Marouche schürzte die Lippen. »Der Ausbildungszwang und das Drumherum waren nicht mein Fall. Ich bevorzuge eine gewisse Freiheit.« »Die Stardust zweifelsohne bietet.« Als die Frau nicht antwortete, fuhr Echnatom unbewegt fort: »Gründung der Privatermittler Astrin & Partnerin mit Datum 1. Februar. Seit der Registereintragung sind gut zweieinhalb Wochen vergangen. Meines Wissens hat die Detektei bis heute keinen Klienten gefunden.« Astrin fragte sich immer drängender, worauf der Vorläufige Administrator hinauswollte. »Stattdessen gesetzwidriges Vorgehen. Die Entwendung zweier Arbeitsroboter ... Nein!«, reagierte Echnatom schroff, als Marouche zu einer Erwiderung ansetzte. »Jetzt rede ich! Ich will der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht vorgreifen, aber das Eigentumsdelikt ist unstrittig. Selbst falls ein minderschwerer Fall angenommen werden könnte - ich betone falls, und die Möglichkeit dazu liegt in Paragraf 384, Satz vier und fünf -, wäre das gleichbedeutend mit dem Entzug der Lizenz für mindestens zwei Jahre.« Schweigen. »Das war die Drohung«, stellte Astrin schließlich fest. »Was erwartest du von uns?« »Nichts! Rein gar nichts!« Echnatoms Stimme klang frostig. »Ich habe lediglich einen wohlmeinenden Verweis ausgesprochen. Ich hoffe, wir haben uns verstanden.« »Natürlich.« Astrin wartete einige Sekunden, dann wandte er sich um. »Wobei ... Ich könnte zwei gute und verschwiegene Ermittler mit einem Auftrag beglücken«, sagte Echnatom hinter ihm. Für einen Moment war Hank im Begriff, abzulehnen. Ausgerechnet Sigurd Echnatom, der überkorrekte Saubermann, bediente sich anrüchiger Methoden. Es hätte genügt, Hank oder Marouche anzurufen und einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Stattdessen versuchte
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Echnatom, Druck auszuüben. Wie prekär war der Auftrag eigentlich? Hank wollte es wissen. Langsam wandte er sich um. »Marouche und ich sind ein gutes Team!«, sagte er. »Wenn es sein muss, klopfen wir Sogar in der Hölle an.« »Vielleicht müssen wir tatsächlich in diese Richtung denken.« Echnatom klang noch ernster als bisher. »Ich weiß nicht, ob wir nach einem Toten suchen.« * Der positronische Multischlüssel griff. Hank brauchte genau drei Minuten, um die Suchroutine durchlaufen zu lassen. Er öffnete nur ein einfach gesichertes Schloss, aber wer rechnete in Stardust City schon mit ungebetenen Eindringlingen? Jeder erhielt früher oder später seine Wohnung, eingerichtet nach Wahl und ohne dafür ein Vermögen aufwenden zu müssen. Das alles ging noch auf das Budget der Liga Freier Terraner. Ebenso hatte Timber Whistler finanziellen Anteil daran. Momentan war Stardust also ein Schlaraffenland, ein Utopia, in dem jeder versorgt wurde, nur konnte es nicht in jeder Hinsicht so bleiben. Wann die Quelle der Wohltaten versiegen würde, war abzusehen. Bis dahin mussten die Grundlagen für ein neues Finanzsystem geschaffen sein. Die Wertschöpfung durch Roboter und Maschinen machte vieles leichter, aber ganz ohne. Geld ...? Astrin hatte lange in der First Solar gearbeitet, ein sich selbst am Leben erhaltendes Sozialsystem ohne Verpflichtungen vermochte er sich nicht vorzustellen. So gleich momentan alle Siedler erscheinen mochten, so schnell würden sich Verschiebungen ergeben. Deshalb war er überzeugt davon, dass zwei Privatdetektive ihr Auskommen finden würden. Knackend sprang das Schloss auf. Astrin schob das Türschott gerade so weit zur Seite, dass Marouche und er hindurchschlüpfen konnten. Des Hausfriedensbruchs machten sie sich so
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oder so schuldig. Echnatom hatte daran keinen Zweifel gelassen. Seltsamerweise verstand Hank die Beweggründe des Administrators. Ja, es war richtig gewesen, Ma und ihn zu beauftragen. Jede offizielle Untersuchung würde unnötig viel Staub aufwirbeln und für Unruhe sorgen. Unabhängig davon, was bei den Nachforschungen zum Vorschein kam. Der Eingangsbereich mündete in einen großen Wohnraum. Hank schaute sich um. Falls hier ein Toter lag, durften Ma und er keinesfalls Spuren verwischen. Doch der Raum machte einen aufgeräumten Eindruck. Alles war so, wie man es erwartete, wenn der Besitzer nach wenigen Stunden Abwesenheit zurückkehren würde. Die Fensterfront hatte sich wegen des hohen Sonnenstands abgedunkelt. Pflanzen gab es keine, die im Verlauf von sieben Wochen vertrocknet wären. Die Luft roch angenehm frisch, denn sie wurde über die Klimaanlage regelmäßig umgewälzt. Kochfront und Schlafraum waren durch dünne Trennwände abgegrenzt. Zur Zeit der ersten in aller Eile hochgezogenen Gebäude hatte noch keine ausreichende Energieversorgung bestanden. Mittlerweile wurden wieder die ersten energetischen Diffusorbarrieren eingesetzt, ebenso permanente Holo-Trennflächen. Die Wohnung war leer, auch die Nasszelle fand Astrin perfekt aufgeräumt. Marouche lächelte allerdings wissend, als sie mit zwei Fingern über die Tischplatte wischte. Das war keine Schwebeplatte, vielmehr stand sie auf massiven Füßen. »Staub«, sagte Ma. »Timber war in den letzten Wochen wirklich nicht mehr hier.« »Also müssen wir uns weiter umsehen! Möglich, dass er Aufzeichnungen hinterlassen hat.« Hank schürzte die Lippen. »Allzu viele Möglichkeiten dürften nicht vorhanden sein.« Ma lachte verhalten. Hank glaubte, ihre Gelenke knacken zu hören, als sie ihren Arm dehnte und ihn mit den Fingerspitzen anstieß. »Ich nehme mir die Wände und
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die Decke vor, du den Rest. Das ist für dich einfacher.« »So hätte ich es mir auch gedacht.« Astrin wandte sich dem Schrankelement zu und zog zwei Schübe auf. Beide waren leer. Möglicherweise, argwöhnte er, hatte Whistler sich mehr an Bord seiner SKARABÄEN aufgehalten als in der Wohnung. Er schaute zu Marouche hinüber. Sie zog ihre Schuhe aus und streifte die kurzen Strümpfe ab. Obwohl er seit einigen Monaten Mas Fähigkeiten kannte, faszinierte es ihn immer wieder, ihr zuzusehen. Marouché machte sich nichts daraus. Sie verfügte von Geburt an über dieses Können. Jeder, der in den letzten Generationen auf Bimael geboren worden war, .galt als Gummimensch. Nachdem mehr als tausend Jahre lang keine Veränderungen des Erbguts festgestellt worden waren, dominierten mit einem Mal äußere Einflüsse. Bislang wusste niemand, welche Faktoren als Auslöser in Betracht kamen; für Astrin und Marouché war das mit der Übersiedlung ohnehin nebensächlich geworden. Ma rieb mit einem saugfähigen Tuch die Füße und ihre Handflächen ab und schob das Tuch zusammengefaltet unter ihren Gürtel. Hin und wieder brauchte sie es ein zweites Mal, wenn sie ihre Schweißabsonderungen nicht unter Kontrolle brachte oder Flächen berührte, an denen zu viel Feuchtigkeit kondensierte. Hank glaubte schon zu sehen, dass ihre Handkanten pulsierten. Es hatte den Anschein, als verkrampften sich ihre Muskeln. Die Handflächen bogen sich, die Finger wurden wie von Krämpfen zusammengezogen, im nächsten Moment presste Ma ihre rechte Hand an die Wand. Ihre Haut wies nun Milliarden winziger, bestenfalls unter einem Elektronenmikroskop sichtbarer Lamellen auf, die ihr selbst dann ausreichend Halt verschafften, wenn sie kopfüber hing. Sie hob das linke Bein, verrenkte es auf eine Weise, die Hank kalten Schweiß auf die Stirn trieb, und löste sich gleich darauf
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vollends vom Boden. Wie ein überdimensionales Insekt klebte sie an der Wand und suchte nach einem möglicherweise verborgenen Hohlraum. Astrin öffnete die nächsten Schranktüren und Schübe. Viel war nicht da. Verschiedene Trinkgläser, daneben Modelle von TRR-Robotern und mehrere mit Konservierungsspray behandelte alte Schriftstücke. Eines davon eine Heiratsurkunde, ausgestellt auf Timber F. Whistler junior und Cynthis Whistler. Syntronisch gesiegelt auf der Venus. »Romantisch«, murmelte Hank. »Hast du etwas?«, fragte Marouché. Sie klebte mit allen vieren an der Decke und verrenkte sich den Hals, um Astrin sehen zu können. Ihn schwindelte, als er versuchte, die Bewegung ihrer Wirbel nachzuvollziehen; es war ihm schlicht unmöglich. »Okay, ich sehe schon, nichts.« Ma schwang sich weiter, sie ließ keine Handbreit aus, die zu untersuchen war. Hank fand drei Holowürfel. Sie zeigten Bilder, die unzweifelhaft auf der Venus entstanden waren, unter anderem bei der Rekonstruktion der arkonidischen Festungsanlage. Die junge Frau, die auf vielen Aufnahmen zu sehen war, musste Cynthis sein. Hank konnte verstehen, dass Whistler diese Speicherwürfel nach Stardust mitgebracht hatte. Cynthis war eine Schönheit gewesen, nach der sich wohl jeder Mann umgedreht hatte. Auch der zweite Würfel enthielt nur Fotos von Whistler und seiner Frau. Offensichtlich auf Geschäftsreisen, denn mehrmals erschienen Springer und Aras auf den Bildern. Für Hank war damit endgültig klar, dass Whistler nicht beabsichtigt hatte, seiner Wohnung längere Zeit fernzubleiben. In dem Fall hätte er wohl die kleinen Würfel eingesteckt. Der dritte zeigte ebenfalls Fotos. Hank legte ihn zurück, nachdem er die ersten Aufnahmen betrachtet hatte. Er suchte weiter, ohne mehr von Bedeutung zu finden. Marouché nahm sich die Kochfront vor.
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Nach einer Weile ließ sie sich von der Decke herabfallen. Federnd kam sie auf die Beine und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Selbst ihre Knochen waren bis zu einem gewissen Grad biegsam. »Wie geht's weiter?«, wollte sie wissen. »Keine Ahnung. Irgendetwas muss geschehen sein, mit dem Whistler selbst nicht gerechnet hat.« »Vielleicht hat er seine Ansichten geändert und ist inzwischen wie so viele andere hinter der Unsterblichkeit her. Wie der Teufel hinter der armen Seele.« »Das glaube ich nicht«, widersprach Astrin. »Mir ist eben klar geworden, dass er ein sehr enges Verhältnis zu seiner Frau gehabt hat. Wie ich ihn einschätze, hätte er die Bildwürfel mitgenommen.« »Vielleicht hat er das. Es können mehr gewesen sein als nur die drei.« Auf dem Absatz machte Hank kehrt. Er öffnete das Schrankelement und nahm noch einmal die Speicherwürfel heraus. »Dass mir das nicht sofort aufgefallen ist. Die Würfel sind bis zum letzten Speicherplatz voll. Die prunkvolle Eheschließung auf der Venus; zumindest Cynthis scheint zu den Terra-Nostalgikern gehört zu haben. Dann die Reisen. Der dritte Würfel ist der jüngste. Ich bin davon ausgegangen, dass er wie die anderen voll ist. Aber ...« Hank ließ die Bilder im Raffertempo durchlaufen, ohne sie näher zu betrachten. Nach eineinhalb Minuten wechselte die Wiedergabe. »Volltreffer Ma. Diese Speicherung datiert vom 31. Dezember « Hank projizierte die Wiedergabe im größtmöglichen Bereich. Offensichtlich handelte es sich um eine der Filmsequenzen, die von den TrividSendern verbreitet worden waren. Schroffes, kahles Hochgebirge aus der Perspektive einer im niedrigen Orbit fliegenden Robotkamera. Hin und wieder wurde in Täler gezoomt. »Katarakt!«, vermutete die Frau. »Also hat ihn doch der Virus der Unsterblichkeit infiziert?« »Ich weiß nicht, Ma. Ich glaube nicht, dass dieses Gebirge in der Verbotenen Zone
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aufragt. Aber vielleicht gehört es zu einem der anderen Kontinente.« Die Wiedergabe zoomte in eine Schlucht hinab. Wuchtige Bäume bildeten einen lichten Wald. Hank stutzte, als er die auf zwei Beinen gehende massige Gestalt erblickte. Im ersten Moment glaubte er noch an ein Tier, dann wurde die Wiedergabe etwas deutlicher. Dieses Geschöpf trug Kleidung. Das Bild fror ein, als der Unbekannte den Kopf hochriss und in den Himmel starrte, als hätte er die Kamera hoch über ihm bemerkt. Aber das, sagte sich Astrin, war schlicht unmöglich. Zu den Siedlern gehörte dieses Wesen wohl nicht. Es schien deutlich größer als ein Mensch zu sein, hatte ein volles, längliches Gesicht mit ausgeprägtem Kieferbereich und massigem Kinn. Seine Augen wirkten länglicher als bei einem Terraner und wurden von weit vorstehenden Brauenwülsten beschattet. Schon dadurch mochte der Eindruck entstehen, dass er finster, geradezu drohend in die Höhe. blickte. »Diese Sequenz wurde zwar am 31. Dezember gespeichert, aber gesendet wurde sie eher«, stellte Marouché fest. »Sieh dir den Print an: 27. Dezember.« »Es gab keine Wiederholungen.« Astrin wirkte nachdenklich, als er sich das Kinn rieb. »Das heißt, Whistler hat sich die Kopie nachträglich besorgt. Er hat diese Aufnahmen gesehen und wollte sie haben. Sag mir, warum!« »Wegen dieses großen Wesens. Auf Zyx wurden die Indochimi entdeckt; vielleicht gibt es auf den anderen Welten ebenfalls Eingeborene. Ich kann mir vorstellen, dass Whistler dem nachgehen wollte.« »Oder er sieht einen Zusammenhang mit den Aktivatorchips.« Hank lächelte, als Marouché ihn entgeistert anschaute. »Timber interessiert sich nicht für die Unsterblichkeit ...«; beharrte sie. »... trotzdem ist er seit Wochen verschwunden. Ich weiß, Katarakt ist groß, und Whistler wird kaum auf Funkanfragen antworten.« Astrin hob beschwichtigend beide Hände, als Ma zu einer Erwiderung
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ansetzte. »Wir finden heraus, welche Berge das sind.« Die meisten Siedler im Stardust-System wussten, dass Whistler sehr oft in Sonnennähe unterwegs war und mit seinen SKARABÄEN Hyperkristalle einsammelte. Trotzdem, glaubte Astrin, würde das Verschwinden des Industriellen bald auffallen. »Whistler ist beliebt. Ich verstehe, dass Echnatom nicht die Polizei einschaltet, um nach ihm suchen zu lassen. Ein solcher Einsatz ließe sich keineswegs geheim halten und hätte wohl Unruhen und Verunsicherungen zur Folge. An Echnatoms Stelle würde ich ebenfalls auf Ermittler zurückgreifen, deren Wirken nicht auffällt.« Hank schloss seine Hand um den Speicherwürfel. »Das gute Stück leihen wir uns aus. Falls Timber wirklich Hilfe braucht, wird er uns das Eigentumsdelikt - verzeihen. Und falls nicht ...« »Ein Mann wie Whistler stirbt nicht irgendwo in der Wildnis«, behauptete Marouché. 4. Der Blue legte seinen Tellerkopf schräg. »Was vor Wochen gesendet wurde, ist Schnee von gestern!«, rief er schrill, sehr nahe an der Grenze zum Ultraschallbereich. »Alle Aufnahmen sind gespeichert, aber darum kümmert sich schon niemand mehr. Weil es wichtiger ist, den Sendebetrieb auszubauen. Wir müssen konkurrenzfähig und für alle Eventualitäten gewappnet sein. Nach meiner Meinung steht die Kolonie vor einem riesigen Aufschwung, sobald sich neue Märkte öffnen. Ich reiche euch an den Archivdisponenten weiter ...« »Wir wollen keine alten Aufnahmen einsehen«, sagte Astrin. »Uns geht es nur um die geografische Zuordnung eines Filmausschnitts.« »Bei der grauen Kreatur des Missverständnisses«, zirpte der Programmleiter von Stardust-3D. »Wir sind kein Vermessungsinstitut.«
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»Marouché ist Kosmo-Ethnologin«, log Hank. »Sie hat ... sie hatte eine Professur an der Waringer-Akademie. Ich selbst war vor Jahrzehnten Gründer eines Instituts für Kosmogenese und Biologie.« Abwehrend hob Güjyrill beide Hände. »Ich habe das Gespräch mit euch nur eingeschoben, weil Whistler für mich die bedeutendste Persönlichkeit im StardustSystem ist.« »Eben.« Astrin nickte eifrig. »Vorgestern ließ er uns einen Sendeausschnitt vom 27. Dezember zukommen ... Aber er selbst ist schon wieder draußen in Sonnennähe und vorerst nicht erreichbar.« »Die Bilder von Katarakt, ich entsinne mich.« Der Blue machte eine bestätigende Geste. »Wegen des Ausschnitts war Timber bei mir. Er wollte die Aufnahmen, die eine unserer Robotkameras von einem Unbekannten geliefert hat.« »Mehr nicht?« Der Blue zögerte. »Timber sprach von einer interessanten Entdeckung. Ich denke aber, das war nur einer der Schatzjäger.« Hank aktivierte den Bildwürfel. Der große Humanoide schaute bedrohlich in den Himmel. »Timber will trotzdem, dass wir dieses Wesen aufspüren.« »Oramon! Die Aufnahmen zeigen Ausschnitte des Hochgebirges von Oramon.« Astrin und Marouché schauten einander überrascht an. Sie glaubten, sich mittlerweile einigermaßen im System zurechtzufinden, aber mit dem Namen Oramon verbanden sie beide keine besondere Vorstellung. »Der südwestlichste Kontinent von Katarakt«, fügte Güjyrill hinzu. »Alle sprechen nur von Aumark und diesen immateriellen Städten, die ohnehin niemand betreten kann.« »Die genauen Koordinaten!«, drängte Marouché. Der Blue betrachtete die Frau misstrauisch. »Timber hat schon darum gebeten.« »Er hat vergessen, sie uns ebenfalls zu geben«, sagte Astrin.
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Fünf Minuten später verließen Marouché und er das Sendergebäude. Sie waren beide zufrieden. * Die Kartenausschnitte zeigten karges Hochgebirge. »Warum sollte ES ausgerechnet dort Hinweise auf die Unsterblichkeit verborgen haben?«, fragte Marouché. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Astrin. »Allerdings gehe ich davon aus, dass Whistler von diesem großwüchsigen Fremden fasziniert war. Vielleicht glaubte er, dass dieses Wesen aus einer der Immateriellen Städte kam. Ausgeschlossen erscheint mir das nicht.« »Timber wird ein Gespür für außergewöhnliche Situationen zugeschrieben.« »Deshalb bezweifle ich, dass die Filmsequenz nur einen Eingeborenen zeigt. Wäre es so, hätten unsere Leute längst eine Siedlung oder zumindest andere Spuren entdeckt.« »Sicher ist also, dass Timber den Planeten angeflogen hat«, stellte Marouché fest. »Zweifellos hat er sich dabei nach den Koordinaten gerichtet, die uns ebenfalls vorliegen. Das Dumme daran ist nur: Er ist nach knapp einem Tag zurückgekehrt. Seine Spur verliert sich hier in Stardust City.« »Eben das glaube ich nicht, Ma Wir müssen etwas übersehen haben. Ich frage mich, warum seine Mitarbeiter ihn nicht vermissen. Whistler scheint oft genug an Bord der SKARABÄEN mitgeflogen zu sein. Aber nun schon seit Wochen nicht mehr?« »Vielleicht hat seine Besatzung gemeutert ... Eine Frauengeschichte oder was weiß ich.« Marouchés Geste, mit der Handkante an ihrem Hals entlang, sagte genug. Astrin blickte sie entgeistert an. »Schon gut«, beschwichtigte Marouché spontan. »Ich habe das nicht ernst gemeint. Sollte ein Scherz sein.« Ein schlechter Scherz, fand Hank.
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Whistlers Mitarbeiter waren an der Firma beteiligt. Anzunehmen, dass er seine Leute deshalb instruiert hatte, andernfalls hätte von ihnen längst eine Vermisstenmeldung kommen müssen. Ging es also letztlich doch um die Aktivatorchips? Oder um Bodenschätze? Astrins Neugierde war geweckt. Selbst wenn er in dieser Sekunde erfahren hätte, dass Whistler sich bester Gesundheit erfreute, er hätte nicht mehr lockergelassen. Schon um herauszufinden, was wirklich hinter alldem steckte. In der First Solar hatte er gelernt, neugierig zu sein und dass man nie genug über andere Menschen wissen konnte, mochten sie Freund. sein oder Feind. Am 4. Januar hatte SKARABÄUS 04 den Raumhafen von Stardust City verlassen. Die NEW GOOD HOPE und sechs weitere Schiffe der Company waren zu jenem Zeitpunkt in Sonnennähe im Einsatz gewesen. Als Flugziel hatte die Raumhafenverwaltung den Planeten Katarakt verzeichnet. Einziges Lebewesen an Bord: Timber F. Whistler. Der SKARABÄUS war für mehrere Stunden im Bereich des sechsten Planeten geblieben und danach unbeschadet wieder auf dem Raumhafen von Stardust City gelandet. Das war die Aussage, an der sich Marouché verbiss. Zwei Tage hatten Astrin und sie vergeblich auf eine Gelegenheit gewartet, in das Büro der Whistler-Stardust & Co. einzudringen. Ma war schließlich auf die Idee gekommen, den Funkverkehr des Raumhafens abzusuchen. Alle Daten wurden von einfachen Positroniken gespeichert und wöchentlich ausgelagert. Die Sicherung war für Hank leicht zu überwinden gewesen; er hatte nicht länger als dreißig Minuten dafür aufwenden müssen. Wer interessierte sich schon für banalen Funkverkehr zwischen der Bodenstation und startenden und landenden Beibooten? Und wer auf Aveda hätte überhaupt einen Anlass gehabt, mit krimineller Energie in die Positroniken des Raumhafens einzudringen? Niemand brauchte Daten, mit deren Hilfe er andere übervorteilen konnte.
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Wirklich niemand? Hyperkristalle und Unsterblichkeit — die ersten Reizthemen waren doch längst in aller Munde. »Timber ist von seinem Flug nach Katarakt nicht mehr zurückgekehrt«, sagte Astrin überzeugt. »Er hat den Autopiloten seines SKARABÄUS programmiert, ist auf Oramon ausgestiegen und hat das Schiff von der Positronik zurückfliegen lassen. Die geringe Entfernung zwischen den Planeten dürfte keine Probleme aufgeworfen haben.« »Das klingt nachvollziehbar. Zumal Timber mit Positroniken umgehen kann.« »Echnatom wird uns für diese Information eine Passage nach Katarakt beschaffen«, stellte Astrin fest. »Außerdem darf er uns eine geeignete Ausrüstung besorgen.« »Sobald wir ihm plausibel machen, wo wir Whistler vermuten, werden seine Leute die weitere Suche übernehmen«, widersprach Marouché. »Eben nicht.« Astrin schüttelte den Kopf. »Warum, glaubst du, hat der Administrator ausgerechnet uns engagiert? Er denkt in eingefahrenen Bahnen, die von Paragrafen, Verordnungen und Bürokratie begrenzt werden. Auch wenn es nicht immer diesen Anschein hat, bezeichne ich ihn als stockkonservativ. Echnatom weiß das selbst ebenso gut, deshalb kandidiert er nicht für die Wahl des Administrators. Er hätte mit dem langfristigen Aufbau einer zukunftsweisenden Gesellschaftsordnung keine Chance. Sobald der Wahltermin endlich hinter ihm liegt, hat er seine Schuldigkeit getan.« Marouché schürzte die Lippen. »Das klingt so ... banal und trocken. Nun ja, nach Echnatom eben.« Ihre Bemerkung entlockte Astrin ein Grinsen. »Ich denke, dass Echnatom nach Stardust verpflichtet wurde. Natürlich bedeutet es für ihn eine ungeheure Herausforderung, eine neue Kolonie zu gründen. Die Bezahlung dafür ist ein Lebensabend fernab jeder Bedrohung durch die Terminale Kolonne. Kurzum: Es könnte alles zu seinem Besten stehen. Falls er nicht in Whistlers Verschwinden eine Gefahr für sich selbst sieht. Jeder weiß,
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dass die zwei alles andere sind als Freunde. Vielleicht, wird es heißen, hat Echnatom um jeden Preis Whistlers Kandidatur verhindern wollen. Weil Timbers Wahl so gut wie sicher wäre.« »Was stört Echnatom daran?« »Er geht in seinem Amt auf und schläft sogar oft genug im Büro. Würdest du an seiner Stelle unbeeindruckt zusehen können, wie dein Nachfolger dein Werk ins Gegenteil verkehrt? Ich glaube, Echnatom würde nicht eine Stunde lang Ruhe finden.« »Er braucht uns demnach, um einen unzweifelhaften Beweis dafür zu bringen, dass Whistler tot sein muss?« »Wahrscheinlich denkt er so. Sicherheit um jeden Preis und nach allen Seiten. Er muss Zeugen haben, die als unvoreingenommen gelten. Würden Polizisten Whistlers Leichnam aufspüren, könnten Übelmeinende auf den Gedanken kommen, dass nicht alles ordnungsgemäß gelaufen sei. Finden wir jedoch Whistler und bringen ihn nach Stardust City zurück, kann Echnatom beruhigt aufatmen.« »Das ist krank, oder?« Marouché lockerte ihren Körper und verdrehte die Arme derart unmöglich im Nacken, dass Hank entsetzt zur Seite sah. »Das ist die Denkweise eines Menschen, der jede Zeile eines Gesetzestextes von allen Seiten aus beleuchtet«, schwächte er ab. »Echnatom hat permanent Angst, eine Kleinigkeit zu übersehen, die ihm zum Nachteil werden könnte.« Marouché verwandelte sich langsam, aber unaufhaltsam in einen lebenden Knoten. Hank registrierte, dass sie ihre Ellenbogenund Schultergelenke aushängte, um sich noch ein wenig kleiner zusammenfalten zu können. Ihr Kopf war zwischen Armen und Beinen verschlungen, als sie ihn von unten herauf ansah. »Möchtest du so leben. Hank?«, fragte Ma mit leicht vibrierender Stimme. Astrin presste die Lippen aufeinander. »Nicht mit einem Aktivatorchip in der linken Schulter«, sagte er schließlich. *
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Der Planet durchmaß 10.976 Kilometer und war damit die kleinste der bewohnbaren Welten. Katarakt drehte sich einmal in zwanzig Komma neun Stunden um die eigene Achse, für einen Sonnenumlauf benötigte er 2775 Tage. Die Nächte auf dem Planeten wurden nur vom Licht des Sternhaufens erhellt, er hatte keinen Mond. Vier große Kontinente nahmen zusammen wenig mehr als zwanzig Prozent der Gesamtoberfläche ein. Außerdem gab es einige große Inseln und Inselgruppen, die sich langsam in der Direktbeobachtung abzeichneten. flächenmäßig jedoch unbedeutend waren. »Wir gehen in einen Zweihundertkilometerorbit. Vorgesehen sind vier Umrundungen des Planeten«, sagte der Pilot. »Wenn ihr mehr Informationen braucht, können wir einen geostationären Orbit einnehmen.« Grover Parran war ein Veteran unter den Raumfahrern, die mit den ARCHEN gekommen waren. Astrin schätzte den Mann auf mindestens hundertfünfzig. Parran schien in einigen der großen Schlachten mitgekämpft zu haben. Seine linke Gesichtshälfte musste völlig verbrannt gewesen sein, war aber mit eigenem Zellgewebe wieder aufgebaut worden. Narben ließen dennoch erkennen, wie nahe er dem Tod gewesen sein musste. Sein linker Arm war ein Implantat. Astrin hätte das nicht einmal bemerkt. aber Marouché hatte ihn sofort darauf aufmerksam gemacht. Sie hatte einen untrüglichen Blick für solche Dinge. Zweifellos war Parran nach Stardust ausgewandert, um nie wieder eine Raumschlacht miterleben zu müssen. Für Astrin war das allerdings etwas, das er ohnehin nicht richtig greifen konnte. Sterile Medienberichte stumpften ab, sie beschränkten sich auf Zahlen und Bilder von Wracks oder ausglühenden Schiffen. Nur hin und wieder wurden Schicksale beleuchtet. Schlaglichtartig stachen solche Berichte dann aus der Fülle galaktischer Informationen hervor, versanken aber stets
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sehr schnell wieder in der Anonymität. Nur wer in seinem unmittelbaren Lebensumfeld davon betroffen war, reagierte noch mit der Seele auf all das Leid. »Es wurde Zeit, dass es ein Stardust gibt.« Dass er unwillkürlich laut gesprochen hatte, fiel Astrin erst auf, als der Pilot ihn forschend musterte und gleich darauf zögernd nickte. Parran erkannte die ungewollte Äußerung wohl genau so, wie sie gemeint war. Hank fragte sich, was Echnatom der JetCrew über Ma und ihn erzählt haben mochte. Dass er Geophysiker und Marouché Biologin war, die auf Katarakt weitergehende Forschungen anstellten; das war jedenfalls in ihrer Besprechung mit dem Administrator angeklungen. Echnatom hatte sich genau so verhalten, wie Hank es vorhergesehen hatte. »Wir überfliegen Oramon!«, sagte der Pilot. Vor zwei Tagen hatten Astrin und Marouché Vermessungsdateien mit den Filmaufnahmen abgeglichen. Ihr Ziel war demnach das schroffe Triffork-Massiv. Nur die Zehntausendergipfel weiter im Norden erschienen ähnlich stark aufgefaltet und zerklüftet. Zwei aktive Vulkane lagen mehrere hundert Kilometer von Triffork entfernt. »Beim nächsten Mal steigen wir aus«, entschied Astrin. »Irgendwo dort unten wartet wahrscheinlich das ewige Leben.« Parran seufzte, dann lachte er heiser. »Werdet ihr danach suchen?« Astrin biss sich auf die Unterlippe. Marouché wusste in dem Moment nicht, wo sie hinschauen sollte. »Es reizt euch«, sagte Parran. »Das Thema reizt jeden. Aber nur die wenigsten wollen es zugeben.« »Und du?«, fragte Hank. »Natürlich«, antwortete der Pilot. »Aber was will ich damit? Ich habe mein Leben gelebt und so viel Schlimmes und Hoffnung gleichzeitig vor mir gesehen. Ich muss die paar Jahre, die noch vor mir liegen, nicht künstlich hinauszögern.«
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»Du könntest miterleben, dass sich alle Hoffnungen erfüllen«, sagte Marouuche. Parran schwieg minutenlang. Vor dem Diskusschiff wuchs rechter Hand die Nordspitze des Kontinents Miltaldo am Horizont auf. Als auch dieses Stückchen Land zurückblieb, erstreckte sich nur noch der endlos anmutende Ozean unter der Jet. »Und was bleibt mir, wenn sich alle Hoffnungen erfüllt haben?« Die Frage des Piloten sollte Astrin und Marouché noch lange Zeit bewegen. * Bis auf zehn Kilometer über Meereshöhe war die Space-Jet abgesunken. Die Berge schienen schon zum Greifen nahe, als sich die Bodenschleuse des Laderaums öffnete. Astrin, der an den Kontrollen des Gleiters saß, löste die Verankerung. Nahezu unmerklich hob die Maschine ab und schwebte bis über die Luke, dann ließ Astrin sie absinken. »Ich verstehe ihn nicht«, murmelte Marouché in Gedanken versunken. »Parran?« Sie nickte. »Er scheint wirklich nicht zu wollen, dass sich seine Hoffnungen erfüllen.« Langsam sank der Gleiter tiefer. Die Ortung zeichnete ein dreidimensionales Rasterbild, während die Space-Jet beschleunigte und im Mittagshimmel verschwand. »Vielleicht wurde er zu oft enttäuscht. Wir wissen doch, wie die jüngste Geschichte der Milchstraße aussieht.« »Nein«, wehrte Marouché ab. »Das ist es nicht, verlass dich drauf.« Astrin beschleunigte mit geringem Schub. Allerdings schlug er einen Kurs ein, der von den Sechstausendern und teilweise noch höheren Gipfeln des Massivs wegführte. »Stell dir vor, wie öd das Leben wird, wenn man keine Wünsche mehr hat«, stellte er fest. »Ich nehme an, Parran hat genau das gemeint, nämlich eine gewisse Perspektivlosigkeit.«
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Der Gleiter sank bis auf fünftausend Meter Flughöhe ab und tauchte in das Triffork vorgelagerte Gebirge ein. »Apropos Perspektive — die stimmt noch nicht«, sagte Marouché nach einem Blick auf die Trivid-Aufnahmen. »Vermutlich liegt's am Sonnenstand. Licht und Schatten verändern die Berge. Und das Schlimmste ist die veränderte Höhenperspektive. Wir hätten von der Space-Jet aus suchen sollen.« »Und die Besatzung mit der Nase darauf stoßen, dass wir mehr wollen als wissenschaftliche Untersuchungen? Ma, wir haben ein erkleckliches Sümmchen an Honorar zu verlieren.« Vor ihnen öffneten sich einige Schluchten. Die keilförmigen Einschnitte erweckten den Eindruck, als habe ein Riese die Felsen mit einer gewaltigen Axt gespalten. Immer und immer wieder, bis er letztlich aus Zorn seine Hiebe auch quer geführt hatte. Gewaltige Felstürme waren so entstanden, und die Erosion hatte einige schon zusammenbrechen lassen. Inmitten der Geröllhalden zeichnete sich Bewegung ab. Im ersten Moment glaubte Astrin, einen einsamen Wanderer zu sehen, aber dann schwang sich die füllige Gestalt in die Höhe und strich mit kräftigen Flügelschlägen davon. Hank korrigierte die Flugrichtung. Augenblicke später hing der Gleiter, nur noch vom Antigrav getragen, über den Felsblöcken, von denen das große Tier aufgestiegen war. Wie eine Flugechse war es erschienen. Blut bedeckte das Gestein, und die Überreste eines zerfetzten Beutetiers lagen meterweit verstreut. Das Geröllfeld endete so abrupt, wie es begonnen hatte. Eine bewaldete Schlucht öffnete sich vor dem Gleiter. Kleinere Rinnsale stürzten in die Tiefe. Waldflecken zogen sich an den Hängen empor. Als der Blick auf das Triffork-Massiv nur noch dessen höchste Zinnen erkennen ließ, landete Astrin in der Schlucht. »Ungefähr hier ...«, meinte er. Er stieg mit Marouché aus. Ihre Atemmasken brauchten sie nicht. Die Luft war in etwas mehr als drei Kilometern
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Höhe gut atembar. Sie roch würzig, nach dem Harz unbekannter Hölzer ebenso wie nach Fäulnis. Astrin ging einige Dutzend Meter weiter, schaute sich aufmerksam um. Wo er feuchtes Moos überquerte, sah er seine Stiefelabdrücke. Andere Spuren fand er nicht. Er hatte sich schon mehr als zweihundert Meter von Marouché entfernt, als sie über das Armband nach ihm rief. »Wir sollten zusammenbleiben«, sagte die Frau. »Die Raubechse oder was immer das war, macht mir Kopfzerbrechen.« »Ein paar Meter noch«, bat Astrin. »Und wegen der Echse mach dir keine Sorgen wir passen bestimmt nicht in ihr Beuteschema.« Den Gedanken. über das Armband nach Whistler zu rufen, verwarf er sofort wieder. Falls der Industrielle unentdeckt bleiben wollte, würde er sowieso nicht antworten. Im Gegenteil. ihm blieb dann mehr als genug Zeit, sich zu verbergen. Einen Unfall oder Schlimmeres wollte Astrin noch nicht in Erwägung ziehen. Wenige Meter vor ihm lagen verkohlte Äste.. Er musste ein zweites Mal hinschauen, bevor ihm wirklich klar wurde, dass er vor den Überresten eines Lagerfeuers stand. Whistler!, war sein erster Gedanke. Kopfgroße Felsbrocken waren zu einem Kreis aneinandergelegt. Eine angekohlte Astgabel steckte noch in einer Gesteinsspalte. Das Holz zerbrach, als Hank versuchte, es herauszuziehen. Auf jeden Fall ließ ihn die Astgabel vermuten, dass es eine Art Bratspieß gegeben hatte. Die Asche war längst kalt. Als Hank sie mit den Händen aufwühlte, fand er zwei größere Knochen. »Hast du etwas entdeckt?«, meldete sich Marouché. »Ein Lagerfeuer. Vermutlich schon einige Wochen alt. Jemand hat offenbar ein Stück Wild gebraten.« Kurz darauf kam Ma zu ihm. »Das muss nicht unbedingt Timber gewesen sein. Einer der Schatzjäger vielleicht.«
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»Ausgerechnet hier? In dem Bereich muss der Fremde von der Robotkamera erfasst worden sein.« Marouché schaute sich um. »Gibt es noch andere Spuren?«, wollte sie wissen. Sie wurden nicht fündig. Ohnehin kroch bereits die Dunkelheit durch die Schlucht. Gierig fraß sich die Schwärze an den Wänden empor, während in der Höhe die Felswände blutrot das Sonnenlicht reflektierten. Die Wanderung der Schatten veränderte ihr Aussehen unaufhörlich. »Wir wissen nicht einmal, ob Timber auch mit einem Gleiter unterwegs ist«, sagte Marouché. »Keine Ahnung«, erwiderte Astrin. »Aber wir machen bestimmt keinen Fehler, wenn wir die angrenzenden Schluchten mit den Massetastern und der Energieortung absuchen.« * Jäh sackte der Gleiter ab. Vierzig, fünfzig Meter fiel er wie ein Stein, dann hatte Astrin die Maschine wieder leidlich unter Kontrolle. Wenngleich sie bockte und sich gegen die Steuerung sträubte. Sekunden später versagte der Antrieb zum zweiten Mal. Der Gleiter taumelte wie ein welkes Blatt. Nur wenige Meter fiel er an scharfen Graten vorbei, die den Rumpf mühelos aufschlitzen konnten. Schon kam die nächste Wand näher. Mit aller Kraft versuchte Astrin, den Bug wenigstens ein paar Grad herumzuziehen. Er schaffte es nicht. Das Fahrzeug schrammte über den Fels und wurde zurückgeworfen. Äste peitschten heran, versetzten die Zelle in dröhnende Schwingung, und in dem Moment war das Triebwerk von Neuem da, bockig zwar, aber die ersten Segmente der Fehlermeldungen erloschen. Immer noch kein Absorber Astrin hatte das Gefühl, dass sich sein Magen umstülpte, als er mit heftigem Gegenschub abbremste und die Maschine nahezu senkrecht auf dem Heck stehend abfing. Sekundenbruchteile später hätte sie sich
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überschlagen und wäre unkontrollierbar geworden. Unter Volllast ruckte der Gleiter in die Höhe; drehte sich und rasierte die Spitzen kleinerer Bäume ab. Vielleicht zehrte das die kinetische Energie so weit auf, dass der Aufprall nicht vollends zum Desaster geriet. Kreischend sprang das Fahrzeug über den Boden. Ein heftiger Ruck, als es irgendwo hängen blieb, dann war nur noch das Knistern des überbeanspruchten Materials zu hören. »Ma?«, fragte Astrin in die unheimliche Geräuschkulisse hinein. »Bist du in Ordnung?« Die Frau murmelte etwas, das er nicht verstand. Er brauchte einige Sekunden, um sich davon zu überzeugen, dass von den Energiezellen keine Explosionsgefahr drohte. Erst danach rief er die letzten gespeicherten Funktionskontrollen auf. Alle auf fünfdimensionaler Basis arbeitenden Elemente waren nahezu zeitgleich ausgefallen. Die 5-DKomponenten betrafen zwar nicht mehr als eine Handvoll Schaltkreise, aber sie gehörten zu den maßgeblichen Funktionen des Antriebs, zum Antigrav und den Absorbern. Astrin schaltete eine Testfrequenz. Funktion ohne Beeinträchtigung, leuchtete das Schriftbild auf. Er stieß eine Verwünschung aus und aktivierte den Antigrav. Tatsächlich löste sich der Gleiter vom Boden und stieg mehrere Meter hoch. Obwohl das Fahrzeug nur ruppig auf die Steuerung ansprach, nickte Astrin. Er setzte die Maschine wieder auf und löschte mit einer schnellen Handbewegung alle Funktionen. »Etwas stimmt nicht«, stellte er fest. »Weniger mit dem Gleiter - das Problem dürfte in der Umgebung liegen.« »Was für ein Problem?« Marouché schaute ihn fragend an. »Ausfall der fünfdimensionalen Komponente. Obwohl: Die Leistung ist wieder da, nur deutlich abgeschwächt.« »Wir können nicht weiterfliegen?«
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»Dafür reicht's noch, denke ich.« Astrin blickte suchend durch die Frontverglasung. Auch hier wurden die Schatten länger. Die schräg einfallenden Sonnenstrahlen ließen die Felswände unglaublich schrundig erscheinen. »Der Platz ist nicht besser oder schlechter als jeder andere für die erste Nacht«, sagte Marouché. »Irgendetwas unterdrückt die fünfdimensionale Komponente, und es ist immer noch da.« Astrin zuckte mit den Schultern. »Ich kann die Ursache nicht lokalisieren, aber der Gleiter schmierte dort drüben ab, ungefähr auf Höhe der beiden verkrüppelten Bäume.« »Du willst aussteigen?«, fragte Ma, als er sich erhob und den kleinen Antigravprojektor sowie ein handliches Ortungsgerät aus dem Seitenfach nahm. Außerdem griff er nach einem Handscheinwerfer. »Ich schaue mir das von draußen an. Wir halten Funkkontakt über Armband, Ma.« Er sah, dass Marouché Einwände hatte. Sie schwieg allerdings, weil ihr klar sein musste, dass er sich nicht aufhalten lassen würde. Egal, weshalb der Gleiter fast abgestürzt wäre, Hank war entschlossen, das herauszufinden. »Es ist kälter geworden.« Er hielt den linken Arm mit dem Funkgerät angewinkelt und redete nahezu ununterbrochen, kaum dass er sich die ersten zehn Meter entfernt hatte. »Sobald die Sonne verschwindet, sinkt die Temperatur rasch.« »Außenmessung fünf Grad Celsius«, sagte die Frau. Hank ließ den Lichtkegel des Scheinwerfers über die Felsen gleiten. »Ungefähr hier muss die Position sein. Ich gehe weiter, Ma.« »Ich höre dich klar und deutlich, als würdest du neben mir stehen.« Er lachte. »Du kannst schon mal die Sitze zurücklegen. Es wird einigermaßen eng werden, aber wenn du dich zusammenrollst ...« Einen Laut der Überraschung ausstoßend, hielt Astrin inne. »Der Antigrav ist soeben ausgefallen. Und das
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Ortungsmodul zeigt deutliche Schwächeerscheinungen.« »Ich kann von hier aus nichts anmessen, Hank. Keine Veränderung.« »Dann gehe ich noch weiter. Möglich, dass es wieder besser wird.« »Sei vorsichtig!« Astrin lachte. »Glaubst du, ich hätte vor, auf Echnatoms Honorar zu verzichten? Eine Handvoll Hyperkristalle eröffnet angenehme Perspektiven.« »Was ... sagst du ...? ... schwer verst... Ich ...« Marouchés Stimme brach ab. »Ich habe dich nicht verstanden«, sägte Hank. »Wiederhol das bitte!« Die Frau schwieg. Vielleicht redete sie auch auf ihn ein, und nur sein Armband blieb stumm. Allerdings verfügte es nicht einmal über eine fünfdimensionale Komponente. Astrin überzeugte sich davon, dass mittlerweile auch das Ortungsmodul seine Funktion eingestellt hatte. Kein Zweifel, er war in einen Bereich eingedrungen, in dem Hyperenergie absorbiert wurde. Der Normalfunk war allerdings nicht völlig ausgefallen. Hank vernahm ein schwaches Wispern aus seinem Armband. Als er die Abgabeleistung bis zum Optimum erhöhte, klang Mas Stimme wie geschreddert. Er lief weiter, gut hundertfünfzig Meter in die beginnende Nacht hinein. Als er sich umwandte, war der Gleiter fast schon von der Schwärze verschluckt. Sein Armband war endgültig stumm. Nur das Desintegratormesser, das er in einer Außentasche trug, funktionierte noch. Siedend heiß durchfuhr es Astrin. Das Zweite Galaktische Rätsel erschien ihm mit einem Mal zum Greifen nahe. War er auf eine Spur gestoßen, die zu den Aktivatorchips führte? Eines dieser kleinen, aber so unglaublich kostbaren Geräte für Marouché und eines für ihn? Nur noch daran dachte er, als er eine halbe Stunde später Ma in der Enge des Gleiters in seinen Armen hielt, und sie ihn mit Armen und Beinen umklammerte, als wolle sie sich nie wieder von ihm lösen.
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»Was beunruhigt dich? Whistler oder die Aktivatorchips?«, stieß Marouché schwer atmend hervor. »Vielleicht beides«, antwortete Hank. * »Als ob nichts vorgefallen wäre ...« Hank Astrin zerbiss die Feststellung wie eine Verwünschung. Alle Kontrollen der ferngesteuerten Kamera zeigten Grünwerte, sie reagierte feinfühlig auf jeden Befehlsimpuls. Ihre Aufnahmen, auf der Frontscheibe des Gleiters eingespiegelt, waren von durchaus guter Qualität. Mehr als zwölf Kilometer Höhe hatte die Kamera erreicht. Das Licht der Morgensonne lag über dem Gebirge wie flüssiges Gold. Gleißend hell die gewaltigen Gletscher, noch in Schwärze getaucht lagen Felsnischen und Klüfte. Die wilde Bergwelt des Triffork-Massivs bot einen atemberaubenden Anblick. Whistler aufzuspüren würde wie die berühmt-berüchtigte Suche nach der Nadel im Heuhaufen sein. Mittlerweile war Astrin in letzter Konsequenz bewusst geworden, worauf er sich wirklich eingelassen hatte. In dieser Wildnis konnten Marouché und er lange Zeit umherirren, ohne eine Spur des Vermissten zu finden. Einfach zwischen die Berge eintauchen und die Schluchten abfliegen, so hatte Astrin sich die Suche vorgestellt. Irgendwann würde dann die Energieortung auf Whistlers Ausrüstung ansprechen. Für einen Moment war er versucht, allen Befürchtungen zum Trotz so vorzugehen. Er verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder und ließ die Kamera einen langsamen Schwenk vollziehen. Schnee und ewiges Eis, so weit das Auge reichte. Hank Astrin schaltete in den Zoombereich. Sofort verwischte der Himmel im trüben Grau aufziehender Wolken. »Wir hätten mehr von diesen Kameras mitnehmen sollen«, sagte Marouché. Umschalten auf Infraroterfassung. Die Wiedergabe danach war kaum detail-.
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reicher. Einige Gesteinsschichten speicherten die Wärme offenbar besser als andere. Ein seltsames, schwer zu interpretierendes Bild entstand. »Siehst du die Bewegung?«, fragte Ma. Astrin musste zweimal hinsehen, bis er erkannte, was Marouché meinte. Ein seltsames Pulsieren hing zwischen zwei Felswänden. »Das könnten Vögel sein. Diese unstete Bewegung halte ich für ihren Flügelschlag.« »Ich lasse die. Kamera aufschließen«, sagte Hank. Sekunden später erlosch die Wiedergabe. Er stieß eine Verwünschung aus. »Ich habe keine Kontrolle mehr.« »Das Absorberfeld existiert also noch«, argwöhnte Marouché. »Wenn dem so ist, erstreckt es sich über einen ziemlichen Bereich. Die Kamera war gut sechzehn Kilometer Luftlinie entfernt. - Ich fürchte, wenn wir Timber finden wollen, müssen wir uns zu Fuß auf den Weg machen. Uns bleibt gar keine andere Wahl. Er ist da, wo dieses Absorberfeld ist.« »Würdest du darauf wetten?«, wollte Marouché wissen. Astrin schüttelte den Kopf. »Seit wie vielen Generationen beweisen die Mitglieder des Whistlers-Clans, dass ihnen alles gelingt, was sie anpacken?« Eine halbe Stunde später schulterten sie ihre Ausrüstung. In den Tornistern, in die selbst justierende Antigravplatten eingelassen waren, trugen sie Nahrungskonzentrate, Trinkwasser für eine Woche und Medikamente. Die kleinen Hyperfunksender sowie Ersatzbatterien, außerdem ihre Atemmasken. Einen Sauerstoffvorrat hatten sie in Seitentaschen verstaut. Nur die Ortergeräte und separaten Antigravs hingen an ihren Hüftgürteln. Ein Überlebensset für Whistler, angefangen vom Antigrav bis hin zur Sauerstoffmaske, hatten sie zwischen sich aufgeteilt. In Hanks Oberschenkeltasche steckten das große Desintegratormesser und ein handlicher Paralysatorstab. Marouché trug
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anstelle des Paralysators einen schwachen Thermostrahler. Sie versiegelten den Gleiter. Auch wenn das Hochgebirge von Oramon scheinbar menschenleer war, wollten sie keine Überraschung erleben. Im Gleiter ließen sie eine Info-Kapsel mit Peilsender zurück, die auf den Standardfrequenzen angesprochen werden konnte und dann ihre Speicherdaten freigab. Spärliche Informationen zwar, aber doch ausreichend, um Helfer auf ihre Spur zu führen - falls sie selbst auf Unterstützung angewiesen sein würden. Der Tag auf Katarakt war kurz. Die Sonne schickte bereits ihr trübes Licht bis auf den Boden der Schlucht, als die beiden den Gleiter hinter sich ließen. Noch einmal in der Nähe des erkalteten Lagerfeuers nach Spuren zu suchen, hielten beide für wenig sinnvoll. Sie hatten am Vortag nichts gefunden, also würden sie das auch jetzt nicht. Marouché taumelte plötzlich und hatte Mühe, den sicheren Stand zu bewahren. Astrin spürte ebenfalls, wie schwer sein Rückentornister geworden war. Die Antigravplättchen waren ausgefallen. Also befanden sie sich wieder im Bereich des Absorberfelds, über dessen Ausdehnung sie nur spekulieren konnten. Die Reputation der Privatermittler Astrin & Marouché stand auf dem Spiel. Es gab nur noch ein Vorwärts, gewiss kein Zurück. Zwei Stunden nach ihrem Aufbruch erreichten sie das obere Ende der Schlucht, die sich auf ein weites Geröllfeld öffnete. Sie sahen das Wrack eines schweren Gleiters vor sich. Die Maschine würde sich nie wieder in die Luft erheben. Mehr als hundert Meter weit lagen Trümmer und Teile des Triebwerks verstreut. Hank streifte seinen Tornister ab und hastete über das lockere Gestein zu dem Wrack. Immer wieder rutschte er ab. Schließlich verlegte er sich auf die Fortbewegung auf allen vieren. Die Maschine lag im Schatten einer hohen Wand, in fast immerwährendem Schatten.
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In einigen Bereichen kondensierende Feuchtigkeit war zu Eiszapfen gefroren. Bis auf einen breiteren Riss im Dachbereich hatte die Kabine dem Absturz ziemlich gut standgehalten. Sie war leer. Allerdings bemerkte Astrin sehr schnell die dunklen, verkrusteten Flecken im Bereich des Kontrollbereichs und neben dem Pilotensitz. Getrocknetes Blut. Allerdings gab es keinen Hinweis darauf, wer sich an Bord des Gleiters befunden haben mochte. Whistler? Wer sonst?, fragte er sich. Er wollte schon zu Marouché zurück, da fiel sein Blick auf ein verbogenes Stück Metall. Es trug eine deutlich erkennbare Einprägung: TRR. Nur diese drei Buchstaben, mit einem schwungvollen Kringel drum herum - das Logo der Terrania-Robotik-Retrodesigns. 5. Rückblick 7. Januar 1347 NGZ Ein lang gezogenes Heulen schreckte Whistler aus seinem unruhigen Schlaf auf. Die Platzwunde an seiner Stirn pochte. Außerdem fühlte er, dass über seine rechte Gesichtshälfte klebrig warme Nässe rann, Blut aus seiner erneut aufgerissenen Augenbraue. Das Heulen schien nicht enden zu wollen. Timber starrte in die Schwärze der Nacht hinaus, konnte aber nichts erkennen. In der Abenddämmerung waren Gewitterwolken aufgezogen. Wahrscheinlich tobte mittlerweile ein heftiger Sturm durch die Berge. Mit drei Fingern drückte er seine halb abgerissene Augenbraue zurecht. Mit der anderen Hand suchte er nach dem Kontakt für die Kabinenbeleuchtung. Er war am späten Nachmittag abgestürzt, weil das Triebwerk und der Antigrav versagt hatten. Timber wusste bislang nur, dass alle auf fünf dimensionaler Basis arbeitenden Komponenten ausgefallen waren. Die Ursache dafür kannte er nicht. Er hatte es geschafft, den Absturz einigermaßen abzufangen und die
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Maschine in letzter Sekunde vor einer Steilwand herumzureißen. Diese Bilder waren es, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Immer noch sah er die Grate zum Greifen nahe vor sich, sah Hunderte Vögel aus der Wand aufsteigen und hörte die Tiere gegen den Gleiter klatschen. Dann das Geröllfeld ... ein schmetternder Aufschlag, die Maschine sprang wieder in die Höhe, setzte erneut auf, begleitet vom infernalischen Kreischen des aufreißenden Rumpfes. Ein grässlicher Schmerz hatte ihm die Besinnung geraubt. Das Erste, an das er sich bewusst wieder erinnerte, waren hoch über ihm die von der sinkenden Sonne angestrahlten Zinnen. Er hatte seine Wunden mit Bioplasma versorgt und sich angesehen, was von dem Gleiter übrig geblieben war. Timber lauschte jetzt. Das Heulen schien näher zu kommen. Nicht weit entfernt erklang ein verzerrtes Echo. Er fand den Rest der aufgebrochenen Plasmapackung und trug das Zellmaterial auf. Die Blutung stoppte schnell. In dem Moment erschütterte ein heftiger Aufprall die Frontscheibe. Höchstens zwei Handspannen vor Whistler krachten kräftige Reißzähne auf das Glassit und schrammten daran entlang, bis sie in einem der Sprünge Halt fanden. Er sah eine klobige Schnauze, im Widerschein der Kabinenbeleuchtung irisierende Schuppen und geschlitzte Raubtieraugen. Ein zweiter sehniger Körper schlug gegen die Verglasung. Kräftige Pranken wirbelten über die Scheibe, als müssten sie Geröll und Erdreich beiseiteschaufeln, um die vermeintliche Beute erreichen zu können. Sekunden danach waren überall dunkle Leiber. Sie rannten gegen das Wrack an, ihr Heulen wurde schrill. Timber fröstelte. Es gab sie also doch, die Schattenseiten des Paradieses. Bislang hatte niemand Raubtiere auf den StardustWelten entdeckt. Aber das Hochgebirge war nicht der Lebensraum der Siedler, hierher verirrten sich selbst Schatzjäger selten.
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Oder waren die heranschnellenden Leiber ein Trugbild, und ES amüsierte sich über die Unbedarftheit der Menschen, die der Unsterblichkeit nachjagten? Timber war überzeugt davon, dass die Superintelligenz Vorkehrungen getroffen hatte und nur den Besten überhaupt eine Chance ließ, einen der Aktivatorchips aufzuspüren. Wer sonst sollte Stardust in eine lebenswerte Zukunft führen, wenn nicht Menschen, die sich als weitsichtig erwiesen? Er versuchte, das anhaltende Heulen, das Kratzen der Fänge und Zähne und die immer neuen Schläge gegen den Rumpf zu ignorieren. Die Tiere schienen sich in einen Rausch hineinzusteigern. Von einem reißenden Geräusch aufgeschreckt, wandte Timber sich um. Entsetzt sah er zwei Pranken, die einen Riss in der Kabinendecke heftig bearbeiteten. Eine breite Schnauze schob sich nach innen, Reißzähne gruben sich krachend in das dünne Metall. Das Tier riss und zerrte, bis es ein großes Stück der Verkleidung abfetzte. Der Schädel kam weiter nach unten, drehte sich witternd in Timbers Richtung. Winselnd versuchte das Tier, in die Kabine einzudringen. Noch war der Spalt zu eng, aber Whistler gab sich keiner Illusion hin. Er würde die nächsten Minuten nicht überleben, sobald das Biest es nach innen schaffte. Hinter ihm lag seine Ausrüstung. Der Antigrav und das Hyperfunkgerät waren wertlos geworden. Einen Schutzschirmprojektor oder größere Waffen hatte er ohnehin nicht mitgenommen. Seine Finger schlossen sich um den Nadler. Das Magazin war mit Signalnadeln bestückt, deren Zündung vorübergehend für ausreichende Helligkeit sorgen würde. Mit wildem Zerren fetzte das Tier einen schmalen Metallstreifen aus der Deckenverkleidung. Es schien zu spüren, dass sich etwas verändert hatte, jedenfalls ließ es das Metall los und schnappte fauchend nach Whistler. Er schoss. Jaulend zuckte das Tier zurück. Dass urplötzlich Stille eintrat, nahm
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Timber erst wahr, als sich flackernder Lichtschein in den Gleiter ergoss. Die gleißende Helligkeit schien die Tierleiber förmlich zu durchdringen. Nach einer Minute ließ die Helligkeit nach, aber es herrschte noch immer Ruhe. Timber schoss eine zweite Signalnadel durch den klaffenden Riss. Hoch über dem Gleiter entfaltete sich die Helligkeit, ließ aber nur noch Geröll, Felsen und verkrüppelte Pflanzen erkennen. Die Angreifer waren verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. »ES?« Eigentlich ungewollt stieß Whistler den Namen hervor. Alles in ihm drängte danach, den Gleiter zu verlassen und nach Spuren der Tiere zu suchen. Möglicherweise, sagte er sich, würden sie ihn in die richtige Richtung führen. Er glaubte, einen Hauch von Ewigkeit zu spüren, als er halb in sich zusammengesunken im Pilotensessel kauerte und in die Nacht hinausblickte. Eine eigenartige Ruhe hielt wieder Einzug. Timber fragte sich, ob er wirklich nur wegen des großwüchsigen Fremden nach Katarakt gekommen war Oder hatte er die Trivid-Bilder lediglich als Vorwand genommen, eine Ausrede mehr für sich selbst als für andere? In der Nähe ging eine Gerölllawine ab. Ihr Dröhnen hielt geraume Zeit an, danach war alles wie zuvor. Whistler verstopfte den Riss im Dach mit seiner Isolierjacke. Schlaf fand er dennoch nicht mehr Er fürchtete, dass die Raubtiere zurückkommen würden, und hielt das Nadlergewehr im Schoß. Irgendwann dämmerte er ein. Er schreckte hoch, weil ihm eine klamme Kälte zu schaffen machte. Ein schneller Wechsel von Licht und Schatten überzog den Geröllhang. Hoch über dem Gleiterwrack jagten die Wolken dahin, die Sonne stand schon im späten Vormittag. Timbers Hoffnung, die fünfdimensionalen Schaltkreise könnten wieder arbeiten, zerplatzte wie eine Seifenblase. Der Hyperfunk war nach wie vor tot, also bestand der unbekannte Einfluss weiter.
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Er verließ den Gleiter. Die Räuber der Nacht waren verschwunden. Auch den Kadaver des erschossenen Tieres suchte er vergeblich. Fünfzig Schritte hangaufwärts fand er allerdings Losung auf den Felsen. Soweit er das erkennen konnte, war der faustgroße Klumpen frisch. Aber was besagte das schon? ES verfügte über Mittel, die einem Menschen verschlossen blieben. Vergeblich versuchte Whistler, jeden Gedanken an die Unsterblichkeit beiseitezuwischen. Er war sich seiner Entscheidung gar nicht mehr sicher Vielleicht hatte er sich nur eingeredet, dem ewigen Leben nichts abgewinnen zu können. Wenn es ihm jedoch unverhofft auf dem Präsentierteller angeboten wurde, warum... Er floh beinahe vor sich selbst, als er über das Geröllfeld lief. Mehrmals rutschte er aus oder trat Brocken los, die polternd den Hang hinabsprangen: Erst als ihm die Luft knapp wurde und die Kälte in seiner Kehle brannte, hielt er inne. Er befand sich nun gut zweihundert Meter über dem Gleiterwrack und konnte sehr viel mehr erkennen als zuvor. Die Ausläufer des Geröllfelds reichten bis in das nächste Tal hinein. Wie dürre, ausgebleichte Skelette ragten Baumkronen zwischen den Felsblöcken auf. Nordwestlich dieses Tales hatte die Robotkamera von Stardust-3D den Fremden entdeckt. Der Gleiter war allerdings schrottreif und würde sich nie wieder erheben. Timber wusste jetzt, dass es ein Fehler gewesen war, den SKARABÄUS schon wenige Stunden nach der Landung mithilfe des Autopiloten zurückzuschicken. Sein Blick schweifte in die Runde bis hinüber zu den schneebedeckten Sechstausendem. Majestätisch erhaben blickten sie auf ihn herab. Er glaubte, ihren Spott zu spüren, die Überheblichkeit, mit der diese Berge allen Unbilden trotzten. »Wie ihr wollt«, sagte er entschlossen. »Die Herausforderung nehme ich an.« 10. Januar
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Whistler streckte sich und wärmte seine Muskeln, die von der Kühle der Nacht steif geworden waren. Er war es nicht gewohnt, auf nacktem Fels zu schlafen. Die vorherige Nacht war für ihn sogar noch ein wenig schlimmer gewesen. Nachdenklich kaute er auf einem Konzentratriegel, während er den Blick schweifen ließ. In den höheren Lagen hatte es während der Nacht geschneit. Weit herab wirkten die Berghänge wie mit Puder überstäubt. Das Heulen der Raubtiere hatte er nicht wieder vernommen. Vielleicht waren sie weitergezogen, weil er einen ihres Rudels getötet hatte? Es gab viele Möglichkeiten, über die er nicht weiter nachdachte. Gut einen Kilometer von der Höhle entfernt hatte er am Abend einen Einschnitt zwischen den Felsen entdeckt. Falls der Abstieg auf der anderen Seite nicht zu schwierig ausfiel, würde er dort weitergehen. Kurz vor seinem Aufbruch von Aveda hatte er sich gegen ein Flugaggregat entschieden. Die Vorteile des schweren Gleiters waren zu überzeugend gewesen, um sich dagegen zu entscheiden: Schnelligkeit, Stauraum, Unterkunft mit allen technischen Annehmlichkeiten. Timber hatte den Ausfall der 5-DKomponenten nicht vorhersehen können. Davon betroffen waren ebenso Hyperfunkgerät und Antigravgürtel. Nach einem vergeblichen Funktionstest verstaute Whistler beide Geräte wieder in seinem Tornister. Den Translator hängte er allerdings an seinen Gürtel, ebenso ein Etui mit Ersatznadeln für das Gewehr. Zum Glück befanden sich an Bord des Gleiters neben dem Antigrav mehrere Treibladungen mit Klammerankern und Haftsaugern. Zusammen mit den unzerreißbaren Tauen gehörten sie zur Grundausstattung einer Bergsteigerausrüstung. Whistler kannte sich damit aus. Auf Terra hatte er hin und wieder Übungstouren unternommen. Insofern war er für alle Eventualitäten gerüstet.
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Gut eine Stunde nach Sonnenaufgang setzte Whistler seinen Weg in dem ansteigenden Terrain fort. Er teilte seine Kräfte ein, schritt ruhig und gleichmäßig aus, und immer wieder hielt er inne und ließ seine Blicke schweifen. Er ertappte sieh dabei, dass er die Welten des Solsystems mit den Planeten der Sonne Stardust verglich. Er sehnte sich nicht zurück. Terra, seine Roboterfabrik, all das gehörte bereits zu einem Abschnitt seines Lebens, den er als beendet ansah. Nie zuvor hatte er den Reiz des Neuen und Unbekannten derart intensiv wahrgenommen wie nach dem Erlöschen des Übergangs zwischen beiden Sonnensystemen. Oder spüre ich doch den Reiz der Unsterblichkeit? Belüge ich mich selbst, wenn ich sage, dass mich das ewige Leben nicht beeindrucken kann? Die Einsamkeit, hieß es, brachte oft das im Alltag verlorene eigene Ich wieder zum Vorschein. Vor ihm öffnete sich ein Weg durch Gestrüpp und zwischen Felsen hindurch, die den Eindruck erweckten, ein Riese habe sie durcheinander gewürfelt. Der Abstieg war steil, doch einige Kilometer entfernt zeichnete sich das fahle Grün eines Wäldchens ab. Whistler rastete nur kurz. Er trank eine Getränkepackung leer und rieb mit dem Daumennagel über die eingelassenen Entsorgungsstreifen. Ein Hauch von Chemie setzte den Vorgang in Gang, der die Packung von innen her auflöste. Zurück blieb nur ein leicht krümeliger Kompost, ein kleines Häufchen, das der Wind verwehte. Timber machte sich an den Abstieg. Er hatte das Tal fast erreicht, als sich etwas veränderte. In dem Moment hätte Whistler nicht zu sagen vermocht, was mit ihm geschah. Er lief schneller und fühlte sich leichter als zuvor. Hatte er eben noch trotz der Polsterung die Last des Rückentornisters gespürt, schien es ihm nun, als trage er nur noch den leeren Behälter. Erst in dem Moment wurde ihm bewusst, was geschehen war: Die
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Antigravstreifen arbeiteten wieder. Damit auch die anderen bislang lahmgelegten Geräte. Auf der Hangseite eines der großen Monolithblöcke nahm Whistler den Tornister ab. Der Hyperfunksender zeigte ebenfalls wieder Funktionsbereitschaft. Er brauchte nur Fishbaugh anzufunken. Sogar Echnatom würde ihm schnell einen SKARABÄUS oder eine Space-Jet schicken. Daran zweifelte Timber nicht eine Sekunde. Der Interimsadministrator konnte es sich gar nicht leisten, ausgerechnet seinen Hilferuf unbeachtet zu lassen. Er zögerte jedoch. Abschätzend wog er das Hyperfunkgerät in der Hand, dann verstaute er es wieder im Tornister. Unter den Getränkepackungen, damit er nicht erst in Versuchung geriet. Er war nicht nach Katarakt geflogen, um schon beim ersten Problem umzukehren. * Der Wald ... Das schmale Rinnsal, das von allen Seiten spärlichen Zulauf erhielt ... Dazu das dürre Unterholz, das sich linker Hand den Hang emporzog ... Beinahe jeden Meter hätte Whistler beschreiben können, so oft hatte er sich auf Aveda die Aufzeichnung angesehen. Seine Anspannung wuchs. Das Hochgebirge von Oramon erschien ihm wie der erste Schritt hin zur Verwirklichung seines Traums. Seine Überlegungen wurden nicht mehr von Produktivitätskennzahlen und Gewinnprognosen beherrscht. Vielmehr wälzte er Fragen, die sich mit dem Leben auf dieser Welt befassten. Überrascht bemerkte Whistler, dass er nach seinem Nadlergewehr griff. Wie groß war wohl die Wahrscheinlichkeit, dass der Fremde ihm feindlich gegenübertrat? Vielleicht war dieses Wesen wie er auf der Suche. Auf der Suche nach sich selbst? Für Timber traf das auf gewisse Weise sicherlich zu.
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Oder auf der Suche nach der Unsterblichkeit? Möglich war das ebenso. Warum sollten nur die Übersiedler aus dem Solsystem diese Chance erhalten? Hunderte Völker aus dem Far-Away-Sternhaufen mochten ebenfalls ein Anrecht darauf haben. Oder war der Dreimetermann längst zurückgekehrt in eine der immateriellen Städte? Befand er sich jetzt vielleicht schon wieder auf einem anderen Planeten, irgendwo...? Die Existenz dieser Städte behagte Whistler nicht. Er hielt sie für eine Bedrohung. Die Aussiedler von Terra waren in das Stardust-System gekommen, um dem Zugriff der Terminalen Kolonne zu entgehen. Sie hatten die ihnen angebotene Sicherheit gewählt und die tödliche Bedrohung der angreifenden Flotten weit hinter sich gelassen. ES hatte Stardust als Zuflucht angeboten. Wie lange, glaubte die Superintelligenz eigentlich, konnten Menschen ihre Neugierde bezähmen? Den Kontinent Aumark als Verbotene Zone zu bezeichnen forderte geradezu heraus, das Verbot zu übertreten. ES kennt uns Menschen gut genug. Unsere Neugierde ... unseren Drang, jeden Stein so lange umzudrehen, bis wir herausgefunden haben, was sich darunter verbirgt... Whistler suchte vergeblich nach Spuren. Vierzehn Tage waren vergangen, seit die Kamera die Gebirgsregion überflogen hatte. Nach Norden verengte sich das Tal. Es endete an Steilhängen. Selbst der Weg zu dem Pass hoch wurde im oberen Drittel halsbrecherisch. Wahrscheinlich hatte sich der Dreimetermann wieder schluchtabwärts bewegt. In der Richtung stieß Timber bald auf eine erkaltete Feuerstelle. Sie wurde von aneinander geschichteten Steinen begrenzt. Zwei angekohlte Äste auf der Asche schienen darauf hinzudeuten, dass der Wanderer zurückkommen wollte. Timber behielt die Richtung bei. Das Tal wurde breiter, das anfangs schmale,
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Rinnsal wuchs zum munter plätschernden Bach. Die kurze Dämmerung brach herein und wich der Nacht. Im Lichtkegel seines Handscheinwerfers fand Whistler einen massigen Baum dicht am Wasser. Er lehnte mit dem Rücken am Stamm und hielt das Nadlergewehr im Anschlag. Die Geräusche der Nacht blieben zwar spärlich, verrieten aber, dass überall Leben war. Mehrmals schreckte Timber zusammen, als ein schrilles Keckem in der Baumkrone über ihm die Stille zerriss, und als er endlich einschlief, blieb sein Schlaf oberflächlich und unruhig. Ein zitterndes Gleißen schreckte ihn hoch. Sonnenstrahlen fielen durch das Laub. Er hatte von den Wolfsähnlichen Raubtieren geträumt, die ihn im Gleiterwrack angegriffen hatten. Wohin mochten sie verschwunden sein? Nicht einmal ihr Heulen war noch zu vernehmen. Vielleicht waren sie wirklich nur eine Illusion gewesen, ein Hinweis auf das Rätsel, das ES hinterlassen hatte. An diesem Tag legte er gut zehn Kilometer zurück. Der Bach mündete in einen Bergsee. Das Wasser war eisig, was Timber aber nicht daran hinderte, sich zum ersten Mal seit Tagen gründlich zu waschen. Kurz darauf entdeckte er die Fußabdrücke im Uferschlamm. Jemand war bis ans Wasser gegangen und hatte sich dann ziemlich genau nach Süden orientiert. Als Whistler seinen Fuß neben einen dieser Abdrücke setzte, erkannte er, wie groß sie tatsächlich waren. Zweifellos passten sie zu einem drei Meter großen und aufrecht gehenden Wesen. Das waren auch nicht die Abdrücke nackter Füße, vielmehr zeichnete sich ein deutliches Profil ab. Die dazwischen zu erkennenden Streifen mochten Schnürriemen sein, die unter dem Schuh hindurchgeführt wurden. Timber folgte den Spuren. Sie waren nur in Ufernähe deutlich und verloren sich dann schnell. Aber die Richtung hatten sie bis zuletzt beibehalten. Der See lag noch nicht weit hinter ihm, da spürte Whistler wieder die Last auf seinen
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Schultern. Der Antigrav war ausgefallen. Es überraschte ihn nicht sonderlich, denn er hatte damit gerechnet, dass so etwas früher oder später geschehen würde. Vielleicht gab es ein stationäres Energiefeld, das fünfdimensionale Geräte lahmlegte. Das bedeutete, dass sich in den Bergen hochgezüchtete Technik verbarg, die so gar nicht zu einem geschnitzten Speer und von Bändern zusammengehaltenen Schuhen passte. Der Hyperfunk war ebenfalls wieder tot. Allerdings zeigte der Translator unverändert Bereitschaft. Und die Mikropositronik, die Whistler anstelle eines Kombi-Armbands am linken Handgelenk trug, arbeitete ebenfalls ohne höher-dimensionale Felder. Er rief die gespeicherte Karte des Gebirges ab. Leider gab es außer über Aveda noch über keinem anderen Planeten geostationäre Satelliten, die eine Positionspeilung ermöglicht hätten. Timber war gezwungen, sich noch an Landmarken zu orientieren. Den Absturzort des Gleiters hatte er bereits eingetragen. Nach dem kleinen See suchte er vergeblich, schließlich orientierte er sich an den nächsten Bergen. Die beiden Markierungen ergaben in ihrer Verbindung lediglich eine Gerade. Dass die Mikropositronik die Distanz auswarf, interessierte Whistler nicht. Ihm ging es um den Ausfall der fünfdimensionalen Komponenten auf der Südseite dieser Linie. Die beiden Punkte lagen immerhin so weit auseinander, dass ein größeres Areal betroffen sein musste. Die Verbindung zweier Punkte war aber nicht nur durch eine Gerade, sondern ebenso über eine Kreislinie möglich. Wobei die Größe des Kreises nur durch einen dritten auf dieser Linie liegenden Punkt oder durch dessen Zentrum definiert werden konnte. Ein kreisförmiges Areal, in dem möglicherweise eine absorbierende Strahlung herrschte, erschien Whistler plausibel. Wahrscheinlich ein kuppelförmiger Bereich. Nur verspürte er wenig Interesse, so lange im Zickzack zu laufen, bis seine Aggregate wieder
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reibungslos funktionierten und er die Ausdehnung des betroffenen Gebietes bestimmen konnte. Die Spuren führten nach Süden. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass sie mitten in den Kreis führten. Whistler folgte ihnen. 20. Januar Er hatte das Magazin mit schwachen Explosivnadeln geladen. Allerdings war die Distanz fast zu groß für einen sicheren Schuss. Timber hielt den Atem an. Die Bewegung in der Zielvergrößerung war deutlich, aber das Schneefeld glitzerte im Widerschein der hoch stehenden Sonne. Weiß auf Weiß, die perfekte Tarnung. Das Tier mutete an wie ein Hase mit massigem Hinterleib und viel zu großen Sprungbeinen. Der Oberkörper hingegen lief nach vorne spitz zu. Zwei dünne Greifärmchen pendelten in der Luft. Der Schneehase — Timber hatte diese Tierart spontan so benannt — richtete sich halb auf den Hinterläufen auf. Sein einziges großes Auge schien ihn geradewegs anzusehen. Timber fühlte sich plötzlich unbehaglich, aber er wischte alle Bedenken beiseite. Das vernehmliche Knurren seines Magens fiel mit dem Schuss zusammen. Der Schneehase wurde förmlich in die Höhe gerissen, als die Nadel explodierte. Nach dem Raubtier beim Gleiterwrack war es das zweite Mal, dass Timber ein Lebewesen getötet hatte. Aber seine Nahrungskonzentrate waren aufgebraucht. Dürre Beeren und eine Handvoll Blätter konnten dem Körper nicht das geben, was er brauchte, um den Strapazen standzuhalten. Vor zwei Tagen hatte er wieder Fußspuren gefunden und die Reste eines weiteren kleinen Lagerfeuers. Er schien dem Verfolgten nahe zu sein, aber möglicherweise spielte der auch mit ihm. Timber war in den beiden letzten Tagen jedenfalls im Kreis gelaufen. Er hatte seine Gesichtsmaske aufgesetzt, die der eingeatmeten dünnen Luft
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zusätzlichen Sauerstoff aus einer Druckpatrone zuführte. Das machte es ihm leichter, der Höhe von mittlerweile viereinhalb Kilometern standzuhalten. Gegen die Kälte half ohnehin nur, stetig in Bewegung zu bleiben. Die Nächte waren schlimm, wenn der Frost sogar durch die Thermokleidung hindurchkroch. Zwei Wochen Aufenthalt im TrifforkMassiv hatten Timbers Illusionen ein klein wenig zurechtgerückt. Doch mehr als das bestimmt nicht. Der Whistler-Clan war bekannt dafür, dass er sich nicht unterkriegen ließ. Von nichts und niemandem. Er erreichte das erlegte Tier. Der Schuss hatte eine ziemliche Wunde gerissen. Blut sprenkelte den Schnee meterweit im Umkreis. Wenigstens war der Schneehase sofort tot gewesen. Nur ein Tier Wirklich ein Tier? Whistler blickte auf die dünnen Arme und die feingliedrigen Hände. Wer sagte ihm, dass er nicht ein intelligentes Geschöpf vor sich hatte? War die fehlende Kleidung der Beweis? Und dass dieses Wesen keine Ausrüstung trug? Reiß dich zusammen!, mahnte er sich. Oder willst du, dass dich die Einsamkeit in der Höhe um den Verstand bringt? Er trug die Jagdbeute zu seinem windgeschützten Unterschlupf. Ausreichend dürre Aste als Brennholz hatte er schon am Vormittag gesammelt. Aber das war es auch. Ein erlegtes Tier aus der Decke zu schlagen und auszuweiden gehörte keineswegs zu den Aufgaben eines terranischen Wirtschaftsmagnaten. Um genau zu sein, des drittreichsten Terraners im Solsystem, der seinen Reichtum aufgegeben hatte, um Zehntausenden seiner Mitarbeiter die Flucht zu ermöglichen. Flucht ... Verbissen schüttelte Whistler den Kopf. Ich habe den Menschen, die mit mir gegangen sind, das Überleben ermöglicht. Unschlüssig starrte er das blutige Fleisch an. Viel war an dem Tier nicht dran. Oder er hatte einfach schon zu viel weggeschnitten. Er suchte nach dem
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Analyseset und nahm eine Probe. Das Fleisch des Hasen war genießbar. Keine Probleme mit dem Eiweiß, keine in der Kurzanalyse nachweisbaren Allergene. Minuten später leckten die ersten Flammen über das Holz. Whistler bemühte sich, das Feuer rauchfrei zu halten. Er schaffte es nicht immer, weil Fett von dem Braten in die Glut tropfte. Allmählich entwickelte sich ein verführerischer Duft. Eigentlich hatte er für seine Expedition in die Berge nur ein paar Tage veranschlagt. Er hatte Fishbaugh die Nachricht hinterlassen, er werde sich für kurze Zeit zurückziehen und sich melden, sobald er abgeholt werden wollte. Kein Hinweis auf das Warum, kein Wort über das Wo. Die Spekulationen wurden ohnehin ins Kraut schießen. Wahrscheinlich glaubten seine Leute, dass er nach Bodenschätzen suchte und möglichen Konkurrenten zuvorkommen wollte. Bei den Hyperkristallen hatte er seine Möglichkeit nicht genutzt, eine Monopolstellung zu erringen. Vielleicht, weil er weitaus mehr im Sinn hatte? Genau das würden Fishbaugh und die anderen annehmen und in der Öffentlichkeit nicht ein Wort über seine Abwesenheit verlauten lassen. Die Schatten wurden länger. Whistler schnitt sich das erste Bratenstück ab. Es war zäh und hatte einen eigenartig erdigen Geschmack, aber seinem knurrenden Magen war das schlicht egal. Er drehte den provisorischen Spieß weiter, damit das Fleisch nicht verbrannte. Die Hälfte würde er aufheben, sie musste für die nächsten Tage reichen. Er glaubte, dass er nahe daran war, mit dem Unbekannten zusammenzutreffen. Eine Woche, sagte er sich. Wenn ich dann nicht mehr herausgefunden habe, gehe ich zurück. So, wie es jetzt ist, verliere ich zu viel Zeit. Das Feuer zehrte seinen Holzvorrat schnell auf. Timber schob die restliche Glut zusammen und legte nur kleinere Zweige nach. Die Nacht, das wusste er, würde wieder kalt werden.
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Hoch über ihm funkelten die ersten Sterne von Far Away. Vier Millionen Sonnenmassen hatte der Kugelsternhaufen — ein weites Betätigungsfeld, sobald die ersten großen Raumschiffe auf Erkundungsfahrt gehen konnten. Whistlers Blick blieb an einer markanten Felsgruppe hängen. Die Formation ragte gut einen Kilometer entfernt auf. Ein eigenartiges Flackern, das offensichtlich von einer überhängenden Wand reflektiert wurde, hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. Für wenige Sekunden glaubte er, auflodernde Flammen zu sehen. doch sie sanken schnell in sich zusammen. Was blieb, war ein schwacher rötlicher Schein, vielleicht ein niedrig gehaltenes Lagerfeuer. Der Blick durch sein Fernglas zeigte Whistler kaum mehr. Aber vielleicht bekam er diese Chance kein zweites Mal. Er schulterte seinen Tornister, hängte sich die Infrarotbrille um den Hals und stapfte los. Eine halbe Stunde brauchte er für die ersten fünfhundert Meter, weil er in einem Schneebrett einsank. Dann hatte er wieder zuverlässigen Fels unter den Füßen. Das Feuer vor ihm brannte inzwischen gleichmäßig, war aber immer noch schwer einzusehen. Timber rückte die Infrarotbrille zurecht. Sofort erschienen ihm die Felsen, als wären sie in eine seltsame Helligkeit getaucht. Er ging weiter, vorsichtiger jetzt, war auf die Deckung größerer Blöcke bedacht... ... und fuhr heftig zusammen als jäh eine massige große Gestalt vor ihm aufwuchs. Der Blick durch die Brille ließ das humanoide Wesen bedrohlich aussehen. Es verstrahlte eine deutliche Hitze, aber wahrscheinlich hatte es bis vor wenigen Augenblicken am Feuer gesessen. »Ich komme in friedlicher Absicht«, sagte Timber und wurde sich gleichzeitig bewusst, dass der Translator nicht eingeschaltet war. Ohnehin brauchte das Übersetzungsgerät erst geraume Zeit, um die Grundzüge einer, neuen Sprache zu analysieren. Als Timber nach der Brille griff und sie nach unten zog, stieß sein Gegenüber eine
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Reihe heiserer Laute aus. Eine zweite Stimme, schräg. hinter Whistler, antwortete. Er fuhr herum und sah sich zwei weiteren dieser kräftigen Riesen gegenüber. Sie starrten ihn an, als wären sie unschlüssig, was sie mit ihm anfangen sollten. Die großen Armbrüste in ihren Händen redeten allerdings eine deutliche Sprache. Über die Durchschlagskraft der Bolzen dachte Whistler besser nicht nach. Jedenfalls lagen die Finger dieser Hünen sehr nahe an den Abzugshebeln. 6. Die drei schauten auf ihn herab und redeten heftig aufeinander ein. Einer von ihnen hob den Blick in den Himmel, stieß mehrere Worte hervor, die für Whistler nahezu gleich klangen, dann schwiegen sie. Langsam winkelte er die Arme an. Er drehte die Handflächen den Hünen zu. Wie oft er schon von dieser Geste gehört hatte, vermochte er nicht zu sagen. Für ihn war sie logisch und einleuchtend, doch ob sie wirklich überall verstanden wurde, blieb dahingestellt. Der Große, den Whistler zuerst gesehen hatte, redete auf ihn ein. Er hob die Armbrust und zeigte zu den Sternen hinauf. Er war wirklich drei Meter groß. Ein paar Zentimeter mehr oder weniger, das vermochte Whistler nicht so genau abzuschätzen. Auf jeden Fall deutlich größer als die Roboter, die normalerweise die Fertigungsstraßen von TRR verließen. Die Fremden trugen dicke, offensichtlich grob gewebte Kleidung, die aber wohl kaum besonders gut isolierende Eigenschaften haben konnte. Timber gewann allerdings den Eindruck, dass sie an die Kälte und die dünne Luft gewöhnt waren. Wind und Wetter hatten die lederartige Haut ihrer Gesichter gegerbt. Auf den ersten Blick auffallend waren der ausgeprägte Kiefer und das massige Kinn ebenso wie die weit vorgewölbten Brauen.
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Timber hätte nicht zu sagen vermocht, ob einer von den dreien das Wesen war. das er in der Bildsequenz gesehen hatte. Sie zeigten sich nicht sonderlich verwundert, als er die Atemmaske kurz abnahm und ihnen bedeutete, dass er ohne dieses Hilfsmittel schlecht hätte atmen können. »Ich bin der Spur eines von euch gefolgt«. gestand er ein. Sie verstanden ihn ohnehin nicht. »Ich will mit euch reden, weil wir gewissermaßen Nachbarn sind.« Er hielt den linken Arm weiterhin angewinkelt, senkte aber die rechte Hand und griff nach dem Translator. Die Armbrüste folgten der Bewegung. Whistler begegnete in dem Moment dem Blick des Hünen, der nur wenige Schritt vor ihm stand. Er glaubte, so etwas wie Interesse in den dunklen Augen zu lesen. Auch Verständnis. Aufmerksam folgte sein Gegenüber jeder Geste. Whistler löste das positronische Kästchen vom Gürtel und hob es in die Höhe. »Wenn wir lange genug reden, wird das Gerät alles Gesagte dem anderen verständlich machen. Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine. Aber jetzt seid ihr dran.« Der Hüne erwiderte etwas in seiner fremdartigen, hart klingenden Sprache. »Weiter!«, forderte Whistler ihn auf. »So ist es schon ein Anfang. Am besten nicht aufhören, umso eher können wir uns verständigen.« Er ließ nun auch den linken Arm sinken, und keiner der Fremden schritt dagegen ein. Mit zwei Fingern zeigte er auf sich. »Ich bin Timber.« Sein Gegenüber trat schnell auf ihn zu. Er hielt die schwere Armbrust nur noch mit einer Hand, mit der anderen nahm er Whistler den Translator ab. Er drehte das Gerät, schaute den Terraner an und zog die Mundwinkel auseinander. Vielleicht sollte es ein Lächeln sein. »Shatar Huk«, stieß der Hüne kehlig hervor. Dann deutete er mit der Armbrust unmissverständlich auf die überhängenden Felsen und das Feuer, das zu einem Häufchen Glut zusammengefallen war.
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Whistler setzte sich in Bewegung. Er registrierte zufrieden, dass keiner der drei jetzt noch auf ihn zielte. Sie hatten ihre Waffen gesenkt, die Bolzen aber bislang nicht aus der Führung herausgenommen. Kurze Zeit später saßen sie an dem Feuer, das wieder heller aufloderte. weil Huk Holz nachlegte. Die Flammen brachen sich tatsächlich unter einer weit vorspringenden Felsnase. Diesen Widerschein hatte Whistler zuerst gesehen. Koaba Muhugus und Schill Nogan, das waren die Namen der beiden anderen Hünen. Sie redeten abwechselnd, und immer wieder wandte einer von ihnen den Kopf und blickte wie suchend über den Sternenhimmel hinweg. Etwas Furchtsames, fand Whistler, lag in dieser Bewegung verborgen. »Ich komme von den Sternen, das ist richtig«, sagte Timber Whistler schließlich. »Aber von Sternen, die sehr weit entfernt sind. Wir können sie von hier nicht sehen. Vielleicht liegen sie am anderen Ende des Universums.« Der Translator reagierte bereits mit einer Vielzahl hart und kehlig klingender Ausdrücke. Huk riss die Augen auf. Ruckartig Wandte er sich Whistler zu. »Wir Rokinger, unsichtbares Volk ...«, hörte er die Übersetzung. »Nicht gut, wenn uns nachspioniert ... Mögen das nicht.« »Ich spioniere euch nicht nach. Allerdings werden wir uns wohl öfter begegnen. Mein Volk wohnt auf einem der Nachbarplaneten ...« Whistler fragte sich, ob die Rokinger viel damit anfangen konnten. Umso überraschter war er, als Muhugus fragte: »Du kommst von ewiger Winterwelt?« »Von Trondgarden? Nein. Ich lebe auf Aveda, das ist von der Sonne aus gesehen der vierte Planet.« »Bargattas, die Welt der hohen Berge, ist der sechste Planet«, sagte Huk. »Du wirst gerne auf Bargattas leben.« Inzwischen übersetzte der Translator nahezu fehlerfrei. »Mir ist Katarakt zu kalt«, erwiderte Whistler. »Ich werde euch wohl öfter
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besuchen. Aber hier leben? Nein. Ich würde mich nicht wohlfühlen.« »Du verstehst nicht, was ich sage«, knurrte der Hüne. »Doch. Ich verstehe das genau.« Huk machte eine Geste, die alles zu umfassen schien. »Du kommst von den Sternen. Du willst dorthin zurück. Das geht nicht.« »Warum geht das nicht?« In Whistler keimte der Verdacht, Huks ablehnende Haltung habe mit dem Ausfall der 5-DKomponenten zu tun. Andererseits fragte er sich, ob der Rokinger überhaupt von dem Kompensatorfeld wissen konnte oder was immer in den Bergen auf diese Weise wirksam wurde. »Ihr seid selbst von den Sternen gekommen und auf Katarakt gestrandet?« Das war die Vermutung, die Whistler spontan in den Sinn kam. In dem Fall war Huks Behauptung »Das geht nicht« keineswegs als Drohung, sondern als Feststellung gemeint. »Du wirst uns nach Thuinn-Sternbergen begleiten«, fuhr der Rokinger fort, ohne auf die Frage einzugehen. »Der Rok wird entscheiden, was zu geschehen hat.« 23. Januar Entsetzt schüttelte Whistler den Kopf. Sein Magen rebellierte, als er den Blick über die Steilwand gleiten ließ. »Da kommen wir niemals lebend hinüber«, sagte er bebend. »Es gibt keinen besseren Weg!«, behauptete Huk. Schon die Klettersteige der beiden letzten Tage, auf denen die Hünen tiefer in das Gebirgsmassiv eingedrungen waren, hatte Whistler als halsbrecherisch bezeichnet. Die jetzt vor ihnen liegende Steilwand erschien ihm unbezwingbar. Tödlich für jeden, der sich, ohne Flugaggregat oder funktionierenden Antigrav daran versuchte. Die Wand hing leicht über und ließ nur wenige Vorsprünge und Einschnitte erkennen. Das schräg einfallende Sonnenlicht warf kaum Schatten. Whistler
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entdeckte nicht einmal den Einstieg, und schon vor ihm fiel der Fels gut zweihundert Meter tief senkrecht ab. »Ich werde umkehren«, sagte er entschlossen. Mit den Rokingern mitzuhalten, hatte er in den beiden Tagen ihres gemeinsamen Marsches festgestellt, ging an die Grenze der Belastbarkeit. Die Hünen schienen kaum wahrzunehmen, dass er körperlich schwächer war. Wenn sie einen Schritt machten, brauchte er eineinhalb. Und wenn sie, sobald sie klettern mussten, mit den Händen nach einem sicheren Halt tasteten, musste er mindestens einen weiteren griffigen Vorsprung haben, an dem er sich sichern konnte. Seine Muskeln tobten. Jeder Schritt wurde zur neuen Überwindung, und wenn er nicht bald für längere Zeit als eine Nacht Ruhe fand, würde er vor Erschöpfung zusammenbrechen. »Ich gehe nicht weiter!« Whistler blickte zurück über den schmalen Saumpfad, der sich im Dunst der Tiefe verlor. Mehrmals hatte er eine Pause verlangt, aber die Rokinger drängten unerbittlich weiter. Außerdem waren sie schweigsame Weggefährten. ThuinnSternbergen, hatten sie auf seine Fragen geantwortet, sei ihr Dorf. Und sie lebten schon immer dort. Alles Weitere könne ihm nur der Rok erklären. Der Rok war ihr Anführer. Die Übersetzung des Translators lautete »Unsichtbarster«. Whistler glaubte jedoch, dass der Begriff gleichzusetzen war mit »Bürgermeister«. Er wandte sich um, schob sich den Pfad abwärts, doch Huk vertrat ihm den Weg. Das Gesicht des Hünen wurde faltiger, ein deutliches Anzeichen für wachsenden Ärger. Zu Beginn der letzten Nacht hatte Whistler diesen harten Ausdruck schon gesehen, als es nicht gelungen war, das Feuer anzustecken. Die Nacht in großer Höhe war dann erbärmlich kalt gewesen. »Du kannst nicht mehr gehen, Timber!« Die raue Stimme duldete keinen Widerspruch. »Du gehörst zu uns.« Seine kräftigen Hände umklammerten Whistlers Schultern. Dieser verbiss sich einen Aufschrei und versuchte, sich
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loszureißen. Das war vergebliche Mühe, denn auch Nogan packte nun zu. Zu zweit hoben sie ihn hoch. Huk umklammerte Whistlers Arme, Nogan presste mit der Kraft eines Schraubstocks seine Beine zusammen. Muhugus streifte ein engmaschiges Netz über ihn. Es bestand aus dünnen, kunststoffartigen Fäden. Beinahe erschien es dem Terraner, als ziehe sich das Netz enger zusammen, je mehr er sich sträubte. Die Hünen redeten nicht. Huk griff neben Whistler in das Netz und schlang mehrere Gurte zwischen den Maschen hindurch. Er befestigte sie um seinen Nacken und den Oberkörper, dann richtete er sich auf. Whistler würde abrupt hochgehoben. Das Netz hielt ihn, er baumelte vor Huks. Leib. Aber schon im nächsten Moment glaubte er, sein Herz müsse stehen bleiben, denn der Rokinger schwang sich in die Steilwand. »Ruhig bleiben!«, grollte der Hüne. »Wenn du dich bewegst, stürzen wir beide in die Tiefe!« In der Sekunde wünschte Whistler, er hätte nie den verrückten Gedanken gefasst, nach Katarakt zu fliegen. Das Blut gefror in seinen Adern. Huk trug ihn in dem Netz vor sich wie eine Mutter ihr Kleinkind. Timber wurde gegen den Fels gedrückt, schrammte daran entlang und hatte gleich darauf das entsetzliche Gefühl, zu stürzen. Wieder spürte er den muskulösen Leib des Rokingers, der ihn unnachgiebig gegen die Wand quetschte. Der Druck trieb ihm die Luft aus den Lungen. Er keuchte, verwünschte die Tatsache, dass er am Morgen die Atemmaske abgenommen hatte, weil sie tiefere Regionen erreicht hatten. Krampfhaft hielt Timber die Augen geschlossen. Er wollte gar nicht sehen, wie Huk sich durch die Steilwand voranarbeitete. Jeden Moment konnten sie beide abstürzen und zerschmettern. Whistlers Gedanken wirbelten bald haltlos durcheinander. Wie weit mochte Huk schon gekommen sein? Fünfzehn Meter, zwanzig? Er wagte einen vorsichtigen
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Blick, mühsam zwischen verklebten Lidern hindurch: Wolkenverhangener Himmel und steiler Fels, mehr konnte er nicht erkennen. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Whistler schreckte auf, als er eine ruckartige Bewegung spürte und irgendwo aufschlug. Der Boden unter ihm war weich, von dichtem, duftendem Moos bewachsen. Sekundenlang lag er nur da und versuchte, seine durcheinander wirbelnden Gedanken zu beruhigen. Währenddessen lösten kräftige Hände das Netz und wollten ihn in die Höhe zerren. »Ich kann selbst aufstehen«, sagte er schroff ablehnend. Die Steilwand lag hinter ihnen. Voraus plätscherte ein schmaler Wasserlauf über die Felsen. Moose, bläulich schimmerndes Gras und sogar hier und da blühende Gewächse bestimmten das Bild. Die sinkende Sonne überzog das halbe Firmament mit dunklem Purpur. »Es ist zu spät, wir werden ThuinnSternbergen heute keinesfalls mehr erreichen«, sagte Huk. Nicht weit entfernt zwängten sie sich in eine Höhle. Die Rokinger, stellte Whistler fest, schienen schon oft hier gewesen zu sein. An einer Wand war dürres Holz aufgeschichtet. Es gab eine Feuerstelle, über der mehrere Risse im Gestein für Abzug sorgten. Im Hintergrund verlor sich die Höhle in einem niedriger werdenden Gang. Die Hünen schienen mit ihren Kräften ebenfalls am Ende zu sein. Sie entfachten ein kleines Feuer, dessen unruhig flackernder Widerschein die Höhle spärlich erhellte. Wie schon an den Vortagen kauten sie dünne Streifen getrocknetes Fleisch, das sie als Proviant mit sich trugen. Sie gaben Whistler wieder davon ab. Es war zäh und salzig, sättigte aber. »Du bist einer von uns«, sagte Nogan unvermittelt. »Du wirst uns bei der Arbeit helfen.« »Arbeit?« Whistler hatte den Eindruck, dass sie seinetwegen so wenig redeten. Immer wieder hatte er bemerkt, dass sie
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ihn nachdenklich musterten, als wüssten sie nicht, was sie mit ihm anfangen sollten. Er brachte ihr Leben durcheinander; genau den Eindruck gewann er immer mehr. Aus einer Felsnische förderte Huk eine mit Pech umwickelte Fackel zutage. Er entzündete sie am Feuer. »Die Berge geben uns, was wir brauchen«, sagte der Hüne. »Ich zeige dir das Wertvolle.« Whistler folgte ihm in den tiefer in den Berg hineinführenden Gang. Im blakenden Fackelschein erkannte er, dass der Fels mit primitivem Werkzeug bearbeitet worden war. »Haben Rokinger den Stollen gegraben?«, wollte er wissen. »Viele von uns haben hier gearbeitet. Wir müssen uns mühsam holen, was die Berge uns geben.« Huk war gezwungen, sich zu bücken. Gleich darauf musste er sich auf die Knie niederlassen. Whistler konnte noch einigermaßen gut stehen, wenn er sich bückte. Ein Funkeln in der Wand weckte seine Aufmerksamkeit. Eine feine Kristallader zog sich nach hinten, nur an wenigen Stellen trat sie zentimeterdick zum Vorschein. »Salz«, erkannte Timber, als Huk ein schartiges Stück Eisen hob und damit auf die Ader einstach. Der Hüne arbeitete minutenlang wie besessen, schließlich wischte er zusammen, was er aus der Wand herausgebrochen hatte, und trug es nach vorne in die Höhle. Whistler lehnte die Fackel an die Wand und griff nach der kurzen Brechstange. Sie mochte einmal sehr spitz zugelaufen sein, aber davon war nichts mehr zu bemerken. Außerdem stellte er fest, dass sie keineswegs aus Eisen bestand. Das merkte er schon, als er die Stange in die Hand nahm. Irgendein hochwertiges Metall, stellte er fest, möglicherweise war es sogar teilweise molekular verdichtet. Im Roboterbau hatte er mit leichten, aber dennoch äußerst widerstandsfähigen Materialien zu tun gehabt, deshalb glaubte
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er, das unbekannte Metall gut einschätzen zu können. Das war auf keinen Fall ein Werkstoff, den Eingeborene herstellen konnten, die sich noch mit Armbrüsten bewaffneten. Einen solchen Stoff erzeugen konnte nur eine Zivilisation, die mindestens seit Jahrzehnten, wenn nicht schon seit Jahrhunderten die interstellare Raumfahrt betrieb. »Woher stammt dieses Werkzeug?« Die Frage brannte Whistler auf der Zunge. Er stellte sie dennoch nicht. Er arbeitete höchstens eine Viertelstunde lang, dann war er schweißüberströmt und in der stickigen Luft am Ende seiner Kraft. Er hatte einige Gesteinssplitter aus der Wand gebrochen, denen Salzbrocken, so groß wie eine Fingerkuppe, anhafteten. Vorsichtig trug er seine Ausbeute nach vorne. »Sehr gut«, lobte Huk. »Wir kommen nicht mit leeren Händen nach ThuinnSternbergen zurück.« Kurze Zeit später war Whistler eingeschlafen. Trotzdem hörte er die ganze Nacht über das unregelmäßige Hämmern. Die Hünen waren unermüdlich in ihrem Bemühen, die Salzader aufzubrechen. Sie wechselten einander ab. 26. Januar Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten, und die Schatten wurden deutlich länger, als die drei Rokinger und ihr Begleiter endlich das Ziel erreichten. Als Whistler aus der Höhe in den Bergkessel hinabblickte, fühlte er nur Enttäuschung. Seine Beine zitterten, die Schwäche machte sich deutlicher bemerkbar als zuvor. Vier unglaublich anstrengende Tage lagen hinter ihm. Aber er hatte durchgehalten. »Das ist Thuinn-Sternbergen!«, hörte er Huk sagen. Whistler sah keine traditionellen Häuser oder Hütten. Vielleicht waren die schnell wandernden Wolkenschatten schuld daran oder die Schlagschatten der benachbarten Sechstausender, die eine eigentümliche,
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fast schon unwirklich anmutende Düsternis verbreiteten. Schroffe Grate, Zinnen und steil abfallende Wände bestimmten das Bild. Hier und da verliefen sich Geröllhalden, und vereinzeltes Grün wirkte, als habe es der Pinsel eines Malers wahllos hingetropft. Das verhaltene Rauschen, das Whistler seit einigen Minuten wahrnahm, stammte von dem Wasserfall, der aus größerer Höhe in einen kristallklaren Bergsee herabstürzte. An einigen anderen Stellen sickerte zumindest Nässe über die Felsen. Zwischen schroffen Felsspitzen, bestimmt mehr als dreihundert Meter entfernt ... Whistler musste zweimal hinsehen, bis er die keineswegs natürlich entstandene Formation als solche erkannte. Jemand hatte Steine aufeinandergeschichtet, und Holz und locker verteiltes Geröll bildeten den oberen Abschluss. Wie ein Vogelnest klebte der Bau in der Wand. Daneben zwei weitere. Andere zogen sich den Hang hinauf, folgten einem kaum erkennbaren, in weiten Serpentinen Verlaufenden Pfad. Dazwischen waren Seile gespannt, eine Art Flaschenzug, denn Whistler sah, dass ein großer Korb ruckartig in die Höhe stieg. Auch unten im Kessel waren solche Hütten aus Stein errichtet. Eng schmiegten sie sich an die Wände, nur dann zu erkennen, wenn man wusste, worauf zu achten war. Ein Gefängnis, durchzuckte es Whistler. Für ihn zumindest. Von dort unten, schätzte er, gab es der steilen Wände wegen ohne die Hilfe der Rokinger oder ohne funktionierenden Antigrav kein Entkommen. Dieser Kessel war eine Welt für sich, wie geschaffen für jemanden, der in Abgeschiedenheit leben. wollte. Whistler zuckte zusammen, als sich eine Hand schwer auf seine Schulter legte. Huk hielt ihm das Tragenetz hin. »Bin ich euer Gefangener?«, fragte Timber. »Warum?« Huks Blick ging ihm durch und durch. Er sei einer von ihnen, hatten sie gesagt, ein Rokinger. Ein Unsichtbarer Erst allmählich verstand Timber, was sich tatsächlich hinter diesem Namen verbarg.
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Das alles, stellte er fest, roch nach ES. Nach dem oft seltsamen Humor der Superintelligenz. Er spürte den Reiz, die Barriere zu überwinden, die ES aufgestellt hatte wie jemand, der einem Kind oder Hund Aufgaben stellte, um für Beschäftigung und Lerneffekte zu sorgen. »Gut.« Timber F. Whistler nickte knapp. »Bring mich heil da runter, Shatar.« Diesmal schloss er nicht die Augen, als er in dem Netz hing. Der Rokinger kletterte mit affenartiger Geschicklichkeit. In den winzigsten Unebenheiten fanden seine Finger Halt, und seine Kraft war stark genug, sie beide heil nach unten zu tragen. Nach gut zwanzig Minuten erreichten sie die Höhe der ersten Hütten. Bratenduft hing in der Luft. In das monotone Tosen des Wasserfalls, der mittlerweile hinter einem Bergvorsprung verschwunden war mischte sich ein anderes intensives Geräusch. Ein eigentümliches Summen, das Whistlers Aufmerksamkeit weckte. Für einen Moment erweckte es in ihm die Assoziation einer arbeitenden Maschine. Aber was hätte das für ein Aggregat sein sollen? Er brauchte sich nur umzusehen, um sich bewusst zu werden, dass die Rokinger nicht einmal das beginnende Industriezeitalter erreicht hatten. Aber die eigenartige Brechstange in der Höhle? Zufall? »Es ist wohl einfacher, ich trage dich im Netz bis ganz nach unten«, sagte Huk. Whistler schwieg dazu. Der Rokinger lief auf einem der halsbrecherisch anmutenden Pfade weiter. Die beiden anderen folgten ihm dichtauf. Rechts und links klebten Steinhütten am Fels. Whistler sah Kinder zwischen Felsnadeln umherklettern, und seinem ersten Erschrecken folgte die Einsicht, dass sie von klein auf lernten, sich die Berge untertan zu machen. Wie Käfer klebten sie an den steilsten Abschnitten, und er hörte ihr schallendes Lachen. Mütter trugen ihre Säuglinge ebenfalls in Netzen mit sich. Sie hielten inne, schauten zu ihm herüber. Whistler glaubte, die Überraschung zu spüren, mit der sie ihn musterten.
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Das leise Summen war stetig zu hören. Es schien aus einem von mehreren größeren Gebäuden zu kommen, die sich in den Schatten der Felsen duckten. 27. Januar Träge blinzelte Whistler in die trübe Helligkeit. Das Licht fiel durch unzählige Ritzen wie ein filigranes Kunstobjekt. Es schien heller Tag zu sein. Er war erschöpft gewesen und hatte länger geschlafen als beabsichtigt. Er winkelte den Arm an, schaute dann aber doch nicht auf sein Armband. Was nutzte ihm die Standardzeit von Stardust City? Ob dort Mitternacht war oder Mittag, spielte für ihn keine Rolle. Der Raum, in dem er sich befand, maß nur wenige Quadratmeter. Die Tür bestand aus roh zugehauenen Brettern, und es gab ein einziges kleines Fenster, das mit einer Lamellenjalousie verhängt war. Whistler zog die dünnen Latten in die Höhe. Das Fenster selbst bestand aus vielen kleinen mit Schlieren durchsetzten Scheiben. Es verzerrte den Blick, aber er konnte ohnehin nur auf das große Steingebäude schauen. Steinkatrille hatte Huk jenes Haus genannt. Es schien eine Art zentraler Versammlungsraum zu sein. Jemand hatte ihm, während er schlief, eine Schüssel mit Wasser hingestellt. Daneben stand ein ebenfalls gefüllter Tonkrug. Whistler fischte das Analysegerät aus seinem Gepäck. Alles war da. Für einen Moment hatte er befürchtet, die Rokinger könnten ihm seine Ausrüstung abgenommen haben. Das Wasser war von bester Qualität. Er trank einen kräftigen Schluck, dann wusch er sich, und dabei stellte er fest, dass die Schüssel nicht ebenfalls aus Ton, sondern aus einem Kunststoffmaterial bestand. Zweifellos ein zweiter Hinweis, dass nicht alles so war, wie es zu sein schien. Ein dritter ..., berichtigte er sich. An das stete Summen hatte er sich schon gewöhnt und nahm es kaum noch bewusst wahr, aber es war permanent vorhanden.
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Jemand klopfte ans Fenster. Whistler fuhr herum, aber da wurde schon die Tür aufgestoßen. Huk kam herein, in der Hand hielt er mehrere der getrockneten und gesalzenen Fleischstreifen. »Du hast lange geruht, Timber«, sagte er. »Dein Körper muss zu neuen Kräften kommen.« »Und dann?« »Der Rok wartet darauf, dich zu sehen.« Whistler spürte tatsächlich quälenden Hunger. Er nahm einen der Streifen und biss davon ab. Das Fleisch schmeckte noch salziger als in den letzten Tagen, aber vielleicht brauchten die Rokinger mehr davon als ein Mensch. Er trank und kaute, und Huk schaute ihm schweigend zu. Ein Verdacht stieg in Timber auf. »Der Rok wartet jetzt auf mich? Warum sagst du das nicht sofort?« Huk schien ihn nicht zu verstehen. Er legte den Kopf schräg. »Jetzt ist nicht eilig«, sagte er. »Wir machen uns nicht zu Sklaven der Zeit.« Fast schien es Whistler, als husche ein Erschrecken über Huks Gesicht. Zweifellos, sagte er sich, bildete er sich das nur ein. Etwas anderes war ihm allerdings eben bewusst geworden. Er griff nach einem zweiten Fleischstreifen und suchte in seinem Tornister nach dem, was von seiner Verpflegung übrig geblieben war. Lächelnd barg er mehrere Portionspäckchen Salz in der Hand, schließlich schob er sie in seine Hosentasche. Das war feines, mit Vitaminen versetztes Meersalz, das noch von Terra stammte. Vielleicht ließ sich damit einiges bewegen. »Gehen wir!«, wandte er sich an Huk. »Ich habe gelernt, dass die Zeit ungnädig ist. Wer versucht, sie totzuschlagen, muss aufpassen, dass sie sich nicht revanchiert.« Beinahe hätte er aufgelacht, als er Huks verwirrten Blick sah. Er beherrschte sich gerade noch. * Der Rok war ein beeindruckender Mann und nicht nur, weil er eine Handspanne
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größer als Huk war. Sein Gesicht wirkte kantig, die Haut verwittert wie Stein. Immer wieder musterte Whistler den Rokinger. Es hätte ihn nicht gewundert, hätte der Rok von sich behauptet, eine zu Leben erweckte Statue zu sein: Ein absurder Gedanke. Ebenso absurd wie das, was Whistler erzählte. Der Rok und Shatar Huk hörten ihm zu, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Timber fragte sich, wie viel sie wirklich von anderen Welten wussten, von Planeten, Sonnen und dem Sternhaufen, zu dem Stardust gehörte. Er sprach davon, dass die Menschen von weit her gekommen waren, um neuen und besseren Lebensraum für sich und ihre Kinder zu finden. Dass sie sich gleich auf vier Planeten des Systems niedergelassen hatten, wenn auch nur wenige von ihnen bislang auf Katarakt weilten. »Wir haben die Zeichen gesehen«, sagte der Rok überraschend. »Es sind keine großen Flugobjekte, aber erst waren es nur einzelne, und es verstrichen viele Tage, bis sie wieder zu sehen waren. Mittlerweile erscheinen sie häufiger. Wir wissen nicht, was sie bringen werden, aber wir fürchten, dass sie unsere Welt verändern.« »Wir kommen in Frieden«, erwiderte Whistler. »Wir wollen mit unseren Nachbarn ein gutes Miteinander pflegen, weil wir glauben, dass stets einer vom anderen lernen kann.« Er hatte anfangs kurz gezögert, war nahe daran gewesen, den Krieg zu erwähnen, der die Milchstraße überzog, den vielleicht hoffnungslosen Überlebenskampf gegen die Flotten der Terminalen Kolonne. Doch was hätten die Rokinger wirklich davon verstanden? Wahrscheinlich hätten sie befürchtet, dass dieser Krieg über kurz oder lang auch zu ihnen kommen würde. Whistler war froh, dass er genau das verschwiegen. hatte. Das Feuer, an dem sie saßen, war nahezu niedergebrannt. Der Rok legte neue Zweige nach. Prasselnd stoben Funken auf und wirbelten zur Kaminöffnung in der Decke auf. Die Steinkatrille war halb in eine natürliche Felsenhöhle hineingebaut.
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Der Kamin, der wahrscheinlich hoch über dem Zentralhaus ins Freie mündete, war ein Felsspalt. Whistler registrierte dennoch einen guten Zug. Der nahezu farblose Rauch wurde jedenfalls schnell in die Höhe gesogen. Das Feuer wärmte, verbreitete aber keinen unangenehmen Geruch. Und es bringt keine verräterischen Spuren, erkannte Whistler. Sie scheinen wirklich alles getan zu haben, um unsichtbar zu bleiben. Über den Bergen aufsteigender schwerer Rauch wäre schnell von den automatischen Kameras erkannt worden. Zufall, sagte er sich im nächsten Moment. Die Rokinger konnten nicht wissen, dass wir Menschen hier siedeln würden. Vor wem hätten sie sich also verbergen sollen? »Einige von uns sind in den letzten Monaten nach Katarakt gekommen, weil die immateriellen Städte auf dem Nachbarkontinent ihr Interesse geweckt haben. Es gibt diese Städte, wir können sie sehen, aber wir können sie nicht zu jeder Zeit betreten. Diese Städte sind heute hier und morgen auf einer anderen Welt. Vielleicht haben sie mit dem Rätsel zu tun, das uns ES hinterlassen hat ...« »ES?«, fragte der Rok. Zum ersten Mal unterbrach er Whistler mitten im Satz. »Es gibt Wesen, die über uns stehen. Manche Völker nennen sie Götter, wir wissen, dass sie das nicht sind. Für uns sind sie Wesenheiten, Superintelligenzen, von denen wir sehr viel lernen können ...« »Unser Volk hat Thuinn-Sternbergen niemals verlassen«, sagte der Rok, und der Translator gab diesen Worten einen bedeutungsvollen Klang. »Wir wissen nichts von den eigenartigen Städten -und wir hatten nie Kontakt mit ES. Wir nennen uns das unsichtbare Volk, und wir wollen für alle unsichtbar bleiben.« »Seit wann leben die Rokinger in diesem Gebirgskessel?« »Solange wir zurückdenken können. Unsere Väter und die Väter unserer Väter wurden hier geboren.« »Aber euer Volk stammt nicht von Katarakt.« Whistler hatte sich
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entschlossen, den Rok in die Enge zu treiben. Was er zu hören bekommen hatte, war für ihn lediglich ein Zögern. Vielleicht erwartete er auch zu viel und bildete sich nur ein, nicht alles zu hören, was die Rokinger hätten sagen können. Aber wenn er sich irrte, dann wollte er das jetzt wissen. »Irgendwann sind eure Vorfahren in dieses System gekommen. So wie wir Menschen erst vor Kurzem. Waren sie Schiffbrüchige, deren Raumschiff nicht wieder starten konnte?« »Du willst vieles auf einmal wissen, Timber«, wandte Huk ein. Er schwieg, als der Rok ihm die Hand auf den Arm legte. »Sind eure Vorfahren vor Feinden geflohen?«, fasste Whistler nach. »Haben sie deshalb versucht, zu Unsichtbaren zu werden? Die Brechstange, mit der Huk und seine Begleiter Salz aus den Felsen herausschlagen, besteht aus einem Material, das eine fortgeschrittene Technik voraussetzt. Nur wer zu den Sternen fliegen kann. ist in der Lage, dieses Metall herzustellen. Und woher kommt das Summen, das in Thuinn-Sternbergen zu hören ist? Draußen zwischen den Felsen ebenso wie hier in der Steinkatrille. Soll ich noch mehr aufzählen? Die Waschschüssel aus Kunststoff ...« Sie saßen auf weichen Kissen vor dem Feuer. Als Whistler sah, dass der Rok gedankenverloren in die Flammen blickte, sprang er auf. Jetzt überragte er den »Steinernen«, der neben ihm saß, um ein paar Zentimeter. Langsam wandte der Bürgermeister den Kopf. Sein Blick verlor sich scheinbar in weiter Ferne. »Viele Dutzend Jahre sind vergangen, seit mein Vater davon sprach, die Unsichtbarkeit könne niemals lange genug Bestand haben. Manchmal fürchte ich, mein Sohn Sharud Thurbund wird erleben, dass diese Worte Wahrheit werden. Aber dann wird unser Volk untergehen.« »Nein«, sagte Whistler entschieden. »Das Gegenteil wird der Fall sein. Verlasst euer verstecktes Dorf, siedelt euch an den
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Küsten dieses Kontinents an, und euer Leben wird um vieles einfacher.« Der Rok erhob sich wortlos. Seine Schritte wirkten schwer, als er den Raum durchquerte. »Folge ihm, Timber!«, drängte Huk. Die Wand, die Whistler für den Abschluss des Versammlungsraums gehalten hatte, erwies sich als nicht vollständig geschlossen. Doch um das zu erkennen, musste man erst um sie herumgehen. Einer der breiten Stützpfeiler aus groben Felsbrocken verdeckte die Öffnung. Whistler folgte dem Rok in einen kleinen Nebenraum, der nahezu vollständig in den Berg hineinreichte. Von hier kam das verhaltene Summen, und es erschien Timber, als befinde sich sogar die Luft in Schwingung. »Das ist die Maschine!«, sagte der Rok. »Was willst du nun tun?« Sie war groß und kompakt und Mit einer aus sich heraus glimmenden, leicht reflektierenden Hülle überzogen. Wie mit Tausenden Facetten spiegelte sie die kahlen Wände und nun auch verzerrt Timbers Abbild. Vergeblich versuchte er, die Funktion dieser Maschine zu erkennen. Er ging nahe heran, aber als er die Hand ausstrecken wollte, um ihre Verkleidung zu berühren, war ihm, als halte ihn eine seltsame Kraft davon ab. Er wandte sich um und sah, dass der Rok mehrere Meter hinter ihm stehen geblieben war und auf eine Reaktion zu warten schien. Whistler konnte diese Maschine nicht einschätzen und wusste, dass eine Nachfrage ihm keine Antwort einbringen würde, die ihn zufriedenstellte. Er argwöhnte, dass sie einer sehr weit fortgeschrittenen Technologie entstammte, die Menschen erst in Jahrtausenden erreichen würden. Oder ihr Summen kam von banalen Energieerzeugern, deren Leistung der winzigen Batterie entsprach, die Whistlers Translator versorgte. Dann hatte das Aggregat für niemanden einen Wert. Das Einzige, was Timber zu erkennen glaubte, war, dass die Rokinger und ihre Maschine ein Geheimnis umgab, das er im
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Moment nicht richtig einzuschätzen vermochte. Er wandte sich zu dem »Steinernen« um, der ihm mehr denn je wie eine Statue erschien. »Ich biete dir die Zusammenarbeit unserer Völker an«, sagte Whistler. »Die Rokinger behalten in jeder Hinsicht ihre Eigenständigkeit, aber wir leisten euch Hilfestellung, wo immer ihr sie benötigt. Das Erste wird wohl sein, eure Lebensumstände zu verbessern und euren Kindern die Chancen zu bieten, die ihnen zustehen.« Er fischte die kleinen Päckchen mit Salz aus seiner Tasche, öffnete eines davon und hielt alle dem Rok hin. »Probier das!«, sagte er. »Das ist allerbeste Qualität. Ich bin überzeugt davon, dass du ein solches Salz nie zuvor geschmeckt hast. Wir können euch davon so viel überlassen, wie ihr braucht, einen Vorrat, der für Jahre reichen wird.« Zögernd griff der Rok zu und schüttelte einige Körnchen auf seinen Handrücken. Er leckte daran. Sein Gesichtsausdruck wirkte mit einem Mal seltsam gelöst. Danach schüttelte er den Rest des Päckchens auf seine Hand und kostete wieder. »Ich habe nicht zu viel versprochen«, sagte Whistler. »Wir wollen nicht entdeckt werden!«, erwiderte der Rok heftig. »Unser Dorf wird nicht in den Landkarten der Menschen verzeichnet sein, und wir werden mit euch keinen Handel treiben. Der Kontakt mit anderen würde unsere Identität schwächen, bis wir nicht mehr wären als Erinnerungen an einen kleinen Zyklus in einem viel größeren Geschehen. Die Bedrohung durch dein Volk ist für uns unüberschaubar groß.« »Ihr könnt sehr viel gewinnen.« »Nein. Die Menschen werden nie erfahren, dass es uns gibt. Es tut mir leid, Timber, aber du darfst Thuinn-Sternbergen niemals verlassen. Es wäre nicht allein unser Tod, wenn du von unserer Existenz berichten würdest. Du gehörst zu uns, wir werden für dich sorgen.«
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»Sie haben mir den Fluchtversuch nicht übel genommen. Nicht, dass ich das befürchtet hätte. Wie die Rokinger wohl nicht erwartet haben, dass ich mich, ohne aufzubegehren, in mein Schicksal fügen würde. Ich glaube, sie wissen genau, was es bedeutet, vom eigenen Volk getrennt zu werden. Ich lasse es mir nicht nehmen, ich halte sie für die Nachkommen schiffbrüchiger Raumfahrer. Mag sein, dass ihr Raumschiff beim Absturz vernichtet wurde. Vielleicht liegt es auf dem Meeresboden. Damit wäre auch die Existenz der Maschine erklärt. Sie mag das Letzte sein, was die Rokinger mit ihrer einstigen Heimat verbindet, eine stumme Hoffnung, die bestehen bleibt, solange die Maschine arbeitet ...« Whistler schaltete die Speicherfunktion des Translators ab. Nach seinem gescheiterten Fluchtversuch war er dazu übergegangen, ein Tagebuch zu sprechen. Sein Blick schweifte die Steilwände hinauf. Mehr als zweihundert Meter hoch war er dank seiner Ausrüstung gekommen, ohne sich den Hals zu brechen, allerdings hatte er ohnehin nicht geglaubt, es tatsächlich Schaffen zu können. Ihm war es vor allem darum gegangen, die Reaktion der Rokinger herauszufinden. Er hielt auf seiner Wanderung durch das verborgene Dorf inne. Vor ihm dehnte sich der See, der von dem gut einen halben Kilometer entfernt in die Tiefe stürzenden Wasserfall gespeist wurde. Über hölzerne Wasserrohre leiteten die Rokinger das kristallklare Bergwasser von hier zu ihren spärlichen Feldern. Die offensichtlich schnell wachsenden Früchte deckten ihren Vitaminbedarf. Einige Frauen badeten im Uferbereich. Sie winkten ihm zu, und Whistler winkte zurück. Was die Frauen riefen, verstand er nicht. Erst ein Stück weiter setzte er sich ans Ufer. Das machte er seit Tagen so. Von hier aus bot sich ihm ein guter Blick über das Dorf und die Felder. Er sah inzwischen
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Details, die ihm Tage vorher verborgen geblieben waren. Mit einem gemurmelten Kommando schaltete er den Translator wieder auf Aufzeichnung. »Darauf, dass Thuinn-Sternbergen von Terranern entdeckt wird, werde ich Monate warten müssen. Wenn es schlimm kommt, sogar Jahre. Der Rok hat meine Ausrüstung nicht angetastet. Ob er weiß, was ein Hyperfunksender ist? Oder was ein Antigrav bewirkt? Falls er ihre Funktionen erkennen kann, muss er sicher sein, dass ich beides nicht für eine Flucht verwende. Schon deshalb nehme ich an, dass diese eigenartige Maschine für den Ausfall meiner Geräte verantwortlich ist. Möglich, dass sie so etwas wie ein Schutzschirmprojektor war. Oder sie gehörte zu einem Ferntriebwerk. Beides würde erklären. warum sie auf fünfdimensionale Vorgänge Einfluss nimmt, ohne dass sie aber von uns angemessen werden kann. Den Beweis hat mir gestern die Mikropositronik geliefert. Zumindest werte ich das Ergebnis als Beweis. Ausgehend von Thuinn-Sternbergen als Mittelpunkt und den beiden schon gespeicherten Positionen, an denen der fremde Einfluss beginnt, ergibt sich ein kreisförmiges Gebiet, das nahezu das gesamte TrifforkMassiv umschließt. Ich weiß also jetzt, wie weit ich gehen muss, wenn ich mein Funkgerät in Betrieb nehmen will. Das sind auf jeden Fall mehr als fünfunddreißig Kilometer Luftlinie. Davor schrecke ich noch zurück. Ich könnte die Maschine abschalten und einen Notruf senden. Dann stünde wahrscheinlich wenige Stunden später die halbe Flotte von Aveda über den Bergen. Ich habe das versucht. Gestern. Und vorgestern. Ich habe festgestellt, dass ich die Maschine berühren kann, wenn ich das will. Es fällt mir nicht allzu schwer, den Widerstand zu überwinden. Mit den fremdartigen Bedienelementen komme ich bestimmt klar, sobald ich sie mir noch einmal genau
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ansehe. Das hindert mich nicht daran. Aber das eigentliche Problem bin ich selbst. Ich fürchte, ich stehe mir selbst im Weg, und mir ist meine Freiheit nicht jeden Preis wert.« Whistler sah hinüber zu den Jugendlichen, die stets beim höchsten Sonnenstand ihre Geschicklichkeit übten. Ihr Wettkampf im Klettern endete jedes Mal damit, dass die Verlierer aus der Wand abstürzten. Aber sogar die Sieger, hatte er festgestellt, ließen sich aus größerer Höhe fallen. Sie stießen sich geradezu von den Felsen ab und tauchten, wild um sich schlagend, in den See ein. Ihm hätte das eiskalte Wasser die Luft genommen, für die Rokinger schien es eine willkommene Erfrischung zu sein. Whistler seufzte, als er die Jugendlichen in der Wand lachen hörte. »Ich bringe es nicht fertig, die Maschine abzuschalten und das Vertrauen der Rokinger auf diese Weise zu missbrauchen. Naiv sind sie nicht, das kann ich ihnen nicht unterstellen. Aber gestatten sie mir wirklich ungehinderten Zugang, nur weil sie mir vertrauen? Oder kann diese Maschine nicht abgeschaltet werden? Ich weiß es nicht, und ich will es auch nicht herausfinden. Es gibt für mich andere Lösungen.« Er schaute auf. Die ersten Jugendlichen fielen soeben aus der Wand. Sie schwammen bis zum jenseitigen Ufer hinüber. Der letzte Junge hielt sich erstaunlich lange zwischen den Felsen; er sprang erst, als die anderen schon den See verlassen hatten. Prustend und schnaubend tauchte er Minuten später in Whistlers Nähe auf und kam ans Ufer. Er war nicht größer als der Terraner, aber sehr muskulös. Nicht nur sein Gesicht, sein ganzer Körper wirkte wie aus Stein herausgeschlagen. »Die Wand ist sehr schwierig?«, fragte Whistler. Sharud Thurbund nickte stumm und wischte sich mit beiden Händen das Wasser vom Körper. Die Anstrengung zwang ihn, immer noch hastig zu atmen.
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»In drei oder vier Tagen geht ein Jagdtrupp hinaus in die Berge«, sagte er. »Mein Vater hat beschlossen, dass die Männer dich mitnehmen sollen. Du bist einer von uns, und er will, dass du dich auf der Jagd bewährst. Unsere Fleischvorräte müssen aufgefüllt werden.« »Das wäre ein Leichtes, wenn ich zu meinen Leuten zurück...« »Wir sind jetzt deine Leute!«, unterbrach Sharud mit Nachdruck. Whistler nickte. Er ließ seinen Blick über den kaum bewölkten Himmel schweifen. »Es fällt mir noch schwer, mich daran zu gewöhnen«, sagte er nach einer Weile des Schweigens. »Meine Welt war eine andere, dort war das Leben nicht so mühsam wie in Thuinn-Sternbergen.« Er holte ein Portionspäckchen Salz aus seiner Tasche und warf es dem jungen Rokinger hin. Sharud fing es geschickt auf, biss ein Eck der Folienverpackung ab und klopfte mehrere Körnchen Salz auf seine Hand. Vorsichtig leckte er sie mit der Zungenspitze auf. »Die Welt, von der du gekommen bist, leidet keinen Mangel?«, wollte er nach einer Weile wissen. »Sie ist noch lange nicht vollkommen«, wich Whistler aus. Er sah, dass der Junge die Sonnenstrahlen genoss. Sie trockneten die letzte Nässe auf seiner Haut. Im Dorf war es kaum wärmer als vierzehn, fünfzehn Grad Celsius. Immerhin heizte die Sonne zur Mittagszeit die Felsen ein wenig auf. »Manchmal träume ich von den Sternen«, sagte Sharud urplötzlich. Und er stieß den Satz so hastig hervor, als fürchte er sich vor diesem Eingeständnis. »Seit vor mehr als hundert Tagen der erste Flugkörper über den Bergen erschienen ist, frage ich mich, wie es auf anderen Welten aussehen mag. Ob sie schöner sind als ThuinnSternbergen?« »Thuinn - hieß so die Welt, von der eure Vorfahren kamen?« Sharud schaute den Terraner an. Er hob die Schultern und ließ sie nach einer Weile wieder sinken, -eine Geste, die. er sehr schnell von Whistler abgeschaut hatte.
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»Unsere Vorfahren kamen vor langer Zeit nach Sternbergen.« »Was ist aus dem Schiff geworden, mit dem sie kamen?« Sharuds Finger zeichneten Punkte in den lockeren Boden. Es mochten Sonnen und Planeten sein, wie sie in seiner Fantasie entstanden. Im nächsten Moment verwischte der Junge die Zeichnung. »Das weiß niemand«, sagte er. »Ich glaube, nicht einmal der Rok. Eines Tages, wenn er alt ist, wird er mir sein Amt und sein Wissen übertragen.« »Und die Maschine in der Steinkatrille?« »Sie ist das letzte Relikt aus der alten Zeit.« »Haben eure Vorfahren nie versucht, ein neues Raumschiff zu bauen? Oder wenigstens die Technik zu nutzen, um sich das Leben zu erleichtern?« Sharuds Züge verhärteten sich. Fast erschien es Whistler, als empfinde der Junge Furcht. »Jede Technik ist verboten!«, stieß Sharud hastig hervor. »Wir müssen mit dem zufrieden sein, was wir haben.« »Mit Armbrüsten für die Jagd und hölzernen Wasserleitungen und Steinharken für die Felder.« »Ja.« »Aber die Maschine arbeitet.« »... sie verhindert, dass wir eine Technik bekommen, die uns alle töten wird.« Also doch! Whistler hatte es gewusst. Und nicht nur das. Die Letzte Maschine der Rokinger hielt ihre Ängste am Leben. Vielleicht wäre es eine Erlösung für sie gewesen, das Aggregat einfach abzuschalten. Er wusste es nicht. »Du träumst von den Sternen«, sagte Whistler leise. »Vielleicht werden sich eines Tages deine Träume sogar erfüllen. Ich hatte ebensolche Träume, und ich kann dir sagen, dass Technik allein nichts Böses ist. Nichts, vor dem man Angst haben muss. Ich habe inzwischen viele Welten gesehen. Sie sind wie das Salz, das wir alle zum Leben brauchen. Verbote, deren Sinn niemand kennt, mögen längst ihre Berechtigung verloren haben. Falls sie jemals eine hatten.«
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Sharud schaute hinüber zu den Steinhütten, die sich an die Felsen schmiegten. Whistler spürte, dass genug gesagt war. Mehr würde den Jungen in einen Zwiespalt stürzen, in dem womöglich die alte Furcht seine Träume wieder unterdrückte. »Falls das Verbot eines Tages nicht mehr bestehen wird, dann komm zu mir, Sharud«, sagte Whistler. »Ich werde dafür sorgen, dass du in den Weltraum fliegen kannst. Ich werde dir Aveda zeigen und die Wasserwelt Zyx ...« Sharuds Blick war in dem Moment eine einzige stumme Frage. »Du kannst dich darauf verlassen«, versprach Whistler. »Ich halte meine Zusagen.« 15. Februar Timber F. Whistler lag ausgestreckt auf seinem Lager und blickte zur Decke empor. Nur ein Hauch von Helligkeit drang von draußen herein. Das Aroma des frischen Mooses, das in die Matratze und die Laken gestopft war, erfüllte den Raum, und das leise Summen der Maschine war wieder allgegenwärtig. Auf gewisse Weise hatte er es sogar vermisst während der fünf Tage in den Bergen. Nur der Einfluss der Maschine war stetig spürbar gewesen. Er hatte es nicht geschafft, einen Hyperfunkspruch abzusetzen. »Die Jagd war erfolgreich, die Rokinger verstehen es, mit ihren Armbrüsten umzugehen. Sie haben ausreichend Wild für die nächsten Wochen erlegt. Außerdem haben wir Salz gefunden. Das heißt: Ich habe die Salzader entdeckt, die Hünen sind daran vorbeigelaufen. Möglicherweise ist ihr Farbsehen in gewissen Bereichen eingeschränkt. Jedenfalls habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie das Salz nur in Düsternis erkennen können, im Schein einer Fackel oder eines brennenden Astes, so, wie es in der Höhle war. Mit dem Salz haben sie das Wildbret sofort eingerieben. Und sie werden mich wieder mit in die Berge nehmen. Was will ich momentan mehr?«
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Whistler schwieg vorübergehend. Er war müde und immer noch enttäuscht, dass Sharud nicht zu dem Jagdtrupp gehört hatte. Wie gerne hätte er dem Jungen da draußen von den Sternen erzählt. »Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis meine SKARABÄEN über Katarakt erscheinen werden. Ich habe darauf gehofft, dass sie das Gleiterwrack finden werden, aber mittlerweile zweifle ich daran. Vielleicht verhindert der Einfluss der Maschine, dass das Wrack überhaupt geortet werden kann. Egal. Yulanda, Blaine oder wer immer kommen mag, sie werden das >W< in den Bergen sehen. Es war mühsam, die Steine am Rastplatz zusammenzutragen, aber der Buchstabe ist groß genug, dass er sogar aus größerer Höhe auffallen muss. Die Rokinger haben nicht verstanden, dass ich ein Zeichen hinterlassen habe; sie glauben, dass die Steinschlepperei mit meiner Suche nach Salz zu tun hatte. Bin ich wirklich schon bald eineinhalb Monate auf Katarakt? Es kommt mir vor, als vergehe die Zeit schneller. Ich vermisse die Zivilisation nicht mehr so stark wie in den ersten Tagen. Und was ist mit dem Galaktischen Rätsel? Ich habe die Jäger nach den Raubtieren gefragt, aber sie können mit meiner Beschreibung nichts anfangen. Ist das von Bedeutung? Egal. Ich warte auf den nächsten Jagdausflug. Ich fange an, an diesem Leben Gefallen zu finden, das nicht von der Uhr diktiert wird, sondern dem Lauf der Gestirne folgt. Schade, dass ich diese Erfahrungen nicht mehr mit Cynthis teilen darf. Die letzten drei Sätze ersatzlos löschen!« 26. Februar »Wo da oben ist deine Heimat, Timber?«, fragte der Junge zögernd. Nahezu auf Tuchfühlung hatten sie sich nebeneinander vor dem erlöschenden „ Feuer zusammengerollt. Der auffrischende Wind wirbelte die Glut davon, deshalb
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hatten die Rokinger nicht mehr nachgelegt. So weit, wie das Feuer herabgebrannt war, war es schon in hundert Metern Entfernung nicht mehr wahrzunehmen. Vage zeichneten sich die Umrisse der beiden Wachen gegen den wolkenverhangenen Himmel ab. Nur wenige Sterne waren zu sehen. »Ich weiß es nicht.« Whistler beantwortete Sharuds Frage im Flüsterton. Er konnte nicht erkennen, ob die anderen Rokinger schon schliefen. Zu acht waren sie am Vortag aufgebrochen, um Salz zu holen. Keine schwierige Klettertour, aber trotzdem gefährlich, weil der Weg das Gebiet der Caturax streifte. »Nicht einmal mein Vater weiß, wo Thuinn sein könnte«, gab Sharud zu verstehen. »Aber wir werden ohnehin nie zurückkehren.« »Es -gibt immer einen Weg«, behauptete Whistler. »Es kommt nur darauf an, dass man den ersten Schritt wagt. Der zweite Schritt fällt danach schon sehr viel leichter ...« »Trotzdem gibt es Ziele, die für immer unerreichbar sind.« Sharud wälzte sich auf den Rücken und schwieg. Whistler gewann den Eindruck, dass der Junge in den Himmel starrte. Der Wind trug einen schrillen Schrei heran. Whistler sah, dass die Wachen ihre Armbrüste in Anschlag brachten. Erst nach einer Weile ließen sie die Waffen wieder sinken. Der Schrei mochte der eines in der Dämmerung jagenden Caturax gewesen sein. Whistler fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Der üppig sprießende Bart juckte. Das war immer so, wenn die den Bartwuchs hemmende Wirkung des Gels verflog. Die Rokinger, hatte er festgestellt, kannten Haare im Gesicht nicht. Mitten in der Nacht schreckte er auf. Der Wind war heftiger geworden, es regnete leicht. Falls die Pfade rutschig wurden, fürchtete er, saß der Trupp erst einmal fest. Timber F. Whistler hatte das Gefühl, eben erst eingeschlafen zu sein, als ihn schon die Morgensonne kitzelte. Er hatte sich herumgerollt und lag halb in der erkalteten
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Asche. Träge blinzelte er in das fahle Licht über dem Horizont und wischte sich die Asche aus dem Gesicht. Sharud, der in dem Moment die Augen aufschlug, lachte hell. Die Rokinger drängten zum schnellen Aufbruch. »Das Wetter schlägt um«, sagte einer von ihnen. »Im dichten Dunst jagen die Caturax eher als sonst. Wir müssen uns beeilen.« Von ihrem Nachtlager aus führte der Weg wieder abwärts. Whistler schätzte, dass sie kaum höher als zweieinhalbtausend Meter waren. Die Hänge, so schrundig sie auf den ersten Blick erschienen, zeigten immer mehr Auswaschungen. Sie bestanden aus einer Art Tuffgestein, auf dem sich neben Flechten und Moosen viel Buschwerk angesiedelt hatte. Dürre Bäume klammerten sich mit langen Wurzeln fest. Der Dunst schien aus den Felsen selbst hervorzukriechen. Wie ein unersättlicher, alles verschlingender Moloch breitete er sich aus. Waren eben noch die nächsten Bergrücken zu sehen gewesen, verwischten sie im nächsten Moment hinter den aufsteigenden Schwaden. Die Morgensonne verschwand; was blieb, war ein verwaschener rötlicher Fleck knapp eine Handbreit über dem Horizont. Dann, schroff eingekerbt und in gähnende Tiefe reichend, versperrte die Schlucht den Weg. Fünfzig oder sechzig Meter waren es bis zur gegenüberliegenden Seite, Whistler vermochte die Entfernung nur schwer abzuschätzen. Entlang der Abbruchkante bildeten Bäume und Sträucher ein verfilztes Gestrüpp. Die Rokinger packten ihre Armbrüste fester. »Keinen Laut mehr!«, raunte der Anführer. »In den Hängen nisten die Caturax.« Whistler nahm sein Nadlergewehr in die Armbeuge. Wie alle anderen Ausrüstungsgegenstände hatten ihm die Rokinger sogar die Waffe gelassen. Aber was half ihm das Gewehr, solange er nur wenig Chancen hatte, das Gebirge zu überwinden? Selbst wenn ihm jetzt noch an einer Flucht gelegen wäre, die Hünen hätten ihn schnell eingeholt.
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Die Ersten des Trupps zwängten sich zwischen den Büschen hindurch und traten auf eine Felsplatte hinaus. Nacheinander huschten sie weiter. Ein Brettersteg aus verwitterten Hölzern, von schweren Tauen gehalten, nicht sehr breit, aber doch mit einem Geländer gesichert, führte über die Schlucht hinweg. Mehrmals schien es Whistler, als prüften die Rokinger die Festigkeit der Konstruktion. Immer noch konnte er die Tiefe der Schlucht nicht einsehen. Sharud war schon vor ihm auf der Brücke. Whistler kam als Drittletzter an die Reihe. Nach ihm folgten nur noch einer der Jäger und der Anführer des Trupps. Es war totenstill über der Schlucht, als hielte selbst der Wind den Atem an. Als Whistler sich umwandte, sah er die Nester in der Wand. Wie große, nach unten aufgerissene Halbkugeln klebten sie an den Felsen. Wehrhaften Stacheln gleich, ragten Äste teils meterweit aus den Konstruktionen hervor. In dem Moment, in dem er seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne wandte, spürte er das Brett unter sich nachgeben. Er schaffte es nicht mehr, sein Gewicht zu verlagern, konnte nur noch die Arme hochreißen und nach dem Geländer greifen, da zerbrach das morsche Holz mit einem unüberhörbaren Knacken. Whistler stürzte ins Leere, aber zugleich bekam er mit der linken Hand das Geländer zu fassen. Seine Finger verkrallten sich an den knorrigen Stangen, er pendelte herum, und seine Hüfte schrammte schmerzhaft über die Bretter. Mit beiden Füßen trat er ins Leere, versuchte, sich weiter nach vorne zu ziehen, und sah geflügelte Schemen aufflattern. Jemand stieß einen erschreckten Laut aus. Es mochte der Sohn des Rok gewesen sein. Ein schriller Schrei zerriss die Luft. Von mehreren Seiten erklang Antwort, und schon war ein unheilvolles Rauschen zu hören. Caturax stießen auf die Brücke herab. Ein riesiger Schatten strich dicht über den Terraner hinweg. Whistler glaubte bereits,
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die blitzenden Fänge in seiner Schulter zu spüren, doch sie verfehlten ihn um Haaresbreite und rissen lediglich Splitter aus dem Geländer heraus. Die Spannweite des Tieres schätzte Timber auf mindestens drei Meter. Das war nicht bloß irgendein Raubvogel; die lederhäutigen Schwingen passten eher zu einem Flugsaurier. Mindestens ein Dutzend Caturax umkreisten die Brücke. Ihre gellenden Schreie hallten verzerrt aus der Schlucht zurück. Wie auf ein geheimes Kommando griffen sie an. Whistler spürte, wie sich kräftige Fäuste um seine Arme schlossen und ihn vorwärts zerrten. Dann waren wieder halbwegs feste Bretter unter ihm. Er war es gewohnt, über Gitterroste zu laufen, deshalb machte ihm der Blick nach unten wenig aus, aber er hatte das Gewehr verloren. Gurgelnd rollte er sich herum, bekam die Waffe zu fassen, ehe sie womöglich in der Tiefe verschwinden konnte, und riss sie hoch. Er hörte das Geräusch von Bolzenschüssen, die gellenden Schreie getroffener Caturax. Eine dieser Kreaturen bäumte sich jäh vor ihm auf, und Whistler sah Blut aus einer Halswunde hervorspritzen. Das Biest hing mit den Schwingen am Geländer fest, es zerrte und rüttelte, und das Knacken der Holzkonstruktion wurde lauter. Der Terraner löste den Nadler aus. Zwei Explosivgeschosse bohrten sich in den Leib des Tieres, in der nächsten Sekunde wurde es förmlich auseinandergerissen. Vor ihm ein gellender Aufschrei. Der Rokinger, der Whistler eben geholfen hatte, setzte sich mit bloßen Fäusten gegen einen der Caturax zur Wehr. Tiefe Risswunden überzogen seinen Kopf und den Oberkörper. Der Mann taumelte zur Seite, stürzte gegen das Geländer, und ein Schnabelhieb bohrte sich in seinen Nacken. Das alles war die Sache von Sekundenbruchteilen. Als Whistler den Nadler erneut auslöste, schlossen sich die Fänge des Angreifers um den Gewehrlauf. Er spürte die ungeheure Kraft des Tieres,
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das ihn mit der Waffe in die Höhe zerrte, und im letzten Moment ließ er los. Die Brücke zitterte. Gut fünfzehn Meter entfernt knieten zwei Rokinger und schossen ihre Bolzen auf die Caturax ab. Zwischen ihnen und Whistler lag Sharud auf dem Rücken und stieß mit seiner Armbrust nach dem Tier, das ihn bedrängte. Immer wieder schlugen die Fänge des Caturax zu, aber ebenso blitzschnell rollte Sharud sich zur Seite. Whistler griff nach der Armbrust, die der sterbende Rokinger hatte fallen lassen. Hastig zerrte er sie zu sich heran und wuchtete sie hoch. Gerade noch rechtzeitig. Sharud stieß in dem Moment gegen das Geländer, und während der Junge in heller Verzweiflung nach dem Ungeheuer trat, löste Whistler die Armbrust aus. Er hatte versucht, mit der klobigen Waffe einigermaßen gut zu zielen, und war dennoch überrascht, dass die Flugechse sich jäh aufbäumte. Nur noch schwach mit den Schwingen schlagend, stürzte das Tier rückwärts auf die Bretter. Sein Hals streckte sich, der Schnabel hackte nach Whistler, dann lag der Caturax still. Ein heiseres Krächzen. Fünf oder sechs der mächtigen Tiere strichen dicht über die Brücke hinweg, und Whistler hob schon die schwere Waffe zum Schlag, doch die Caturax drehten ab und verschwanden klagend in den wehenden Dunstschleiern. Die Sicht wurde von Minute zu Minute schlechten »Du hast das Leittier getroffen. Sie werden vorerst nicht wieder angreifen«, hörte Whistler jemanden sagen, dann schwanden ihm die Sinne. Als er wieder zu sich kam, trug ihn einer der Rokinger im Netz vor sich her. Die Hünen hatten den Rückweg angetreten. »Wir haben zwei Tote zu beklagen«, sagte Sharud tonlos. »Wir müssen sie schnell nach Thuinn-Sternbergen zurückbringen. Damit wenigstens ihre Seelen den Weg zurück in die Heimat finden.« Whistler spürte die Hände des Jungen nach seinem Gesicht greifen. Sharuds Finger berührten seine Schläfen.
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»Du hast mein Leben gerettet, Timber. Aber ich weiß nicht, ob ich lieber hier bin oder mit den anderen nach Thuinn hätte gehen sollen ...« 8. »Ich habe genug, Hank, verstehst du? Ich sehne mich nach einem Antigravbett, in dem mir nicht bei jedem Umdrehen die Knochen schmerzen. Ich will wieder warmes Wasser oder wenigstens eine Ultraschalldusche — und ich will mich satt essen. Nicht die synthetischen Riegel, die nur nach Stroh schmecken.« Marouché stellte ihre Schuhe auf das von der Sonne beschienene Stückchen Fels. Ein Tier, das entfernt an eine Eidechse erinnerte, huschte blitzschnell davon. Mit den Strümpfen, die sie eben abgestreift hatte, wischte Ma über ihre Fußsohlen und rieb sich danach die Hände ab. Einen e Auenblick später rümpfte sie die Nase. »Ich sollte Beschwerde einlegen bei der Firma, die das geruchsneutrale Material liefert.« »Gerichtsstand ist Terra«, erinnerte Astrin. »Was versprichst du dir davon?« Marouchés Blick huschte die Steilwand hinauf, und ein Lächeln vertrieb ihre schlechte Laune. »Das ist das Einzige, was mich noch hier hält. Ich wollte, wir hätten auf Bimael einen solchen Klettergarten gehabt.« Sie streckte die Hand aus. Astrin gab ihr das Fernglas; sie wickelte den Riemen um ihr Handgelenk. »Mach das wertvolle Stück nicht kaputt«, sagte Hank. »Wir haben nur das eine.« »Wovon redest du?« Ihr Blick taxierte ihn, anzüglich, wie sie meinte. Sollte er sich ruhig an die letzte Nacht erinnern. Schon die tief hängenden Wolken hatten ihr nicht gefallen. »Wir brauchen Whistler - am besten lebendig.« »Du willst sagen, wir beide sollten noch lebendig sein, wenn wir ihn finden. Falls wir ihn finden.« Marouché machte aus ihrer wachsenden Abneigung gegen das Gebirge kein Hehl
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mehr. Vor Tagen hatte Hank eine Landmarke entdeckt, die an ein großes »W« oder »M« erinnerte. »W wie Whistler«, hatte er behauptet. »Whistler hat das Zeichen ausgelegt. Er braucht Hilfe. Die beiden unteren Spitzen weisen in die Richtung, in der wir ihn suchen müssen.« Er wünschte sich verzweifelt, mit seiner Theorie recht zu haben. Aber wer sonst sollte dieses Zeichen hinterlassen haben? Marouché stieg in die Wand ein. Der Fels reizte sie, es tat ihr gut, den Körper geschmeidig zu halten. »Verdammt, Ma, sei vorsichtig!«, hörte sie Hank rufen, als sie .sich über eine Felsnase hinwegschwang und sekundenlang nur an einer Hand hing. Sie lachte und hangelte sich weiter nach oben. Zuerst glaubte Marouché, die Schatten kreisender Vögel über einem Saumpfad zu sehen. Aber die Bewegung war gleichmäßiger. Sie prüfte den Halt ihrer Fußsohlen am Fels und griff mit der linken Hand noch einmalfester zu, dann hob sie mit der Rechten das Fernglas. Die Optik justierte sich auf ihren Visus und wählte den optimalen Vergrößerungsfaktor. Eine eigenartige Prozession bewegte sich entlang einer Hügelkuppe, war aber schon im Begriff, dahinter zu verschwinden. Vier Gestalten, zwei von ihnen beinahe so breit wie hoch. Sie sahen aus wie der Unbekannte in der Trivid-Wiedergabe. Und die beiden prallen Kolosse wirkten nur so, weil sie Lasten mit sich trugen. Da waren auch noch zwei kleinere Gestalten. Marouché pfiff leise zwischen den Zähnen hindurch. »Was ist los?«, erklang Hanks Stimme aus ihrem Armband. Auf geringe Distanz funktionierte der Normalfunk, nur weiter durften sie sich nicht voneinander entfernen. »Trägt Timber einen Vollbart?« »Bitte was?« »Schon gut.« Marouché schwang sich schon wieder nach unten. »Wenn wir uns das einträgliche Goldkind nicht entgehen lassen wollen, sollten wir die Beine in die
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Hand nehmen. Ich habe den Eindruck, die sind gut trainiert.« Hank schaute sie fragend an. »Fünf der großen Fremden und Whistler«, sagte Ma, während sie ihre Schuhe wieder anzog. Sie lachte, als Astrin seine Handgelenke überkreuzte. »Nein, es sah nicht danach aus, als wäre Timber ihr Gefangener.« »Wie weit entfernt?« »Tausendvierhundertundsiebzehn Meter«, wiederholte sie die Messung des Fernglassensors. »Inzwischen bestimmt hundert mehr, und wenn wir länger zögern ...« Sie liefen los. Die Aussicht, nach beinahe zwei Wochen endlich nahe an ihrem Ziel zu sein, mobilisierte ihre letzten Reserven. Zwanzig Minuten brauchten sie, um die Hügelkuppe zu erreichen. Sie sahen die Gestalten in einem kleinen Waldgebiet verschwinden. Im Laufschritt eilten sie den Hügel hinab. Weit vor sich hörten sie Stimmen. Marouché nickte zustimmend, als Hank ihr einen auffordernden Blick zuwarf. Die Fremden hatten keine Ahnung, dass sie verfolgt wurden. Sie drangen in den Wald ein, huschten von Baum zu Baum. Jemand unterhielt sich in einer hart klingenden Sprache, das war bereits deutlicher zu hören. Ein Knacken ließ Marouché herumfahren. Sie erstarrte schier, als sie keine fünf Meter hinter sich einen der Hünen sah. Er zielte mit einer Armbrust auf sie. Marouché zweifelte nicht daran, dass der Schuss sie töten würde. Auch Hank wurde von einem der Dreimeterriesen mit der Waffe bedroht. Langsam hob er seine Hände. »Schon gut«, hörte Marouché ihn sagen. »Wir wollen nur mit Timber reden.« »Timber?«, wiederholte der Hüne. Was er außerdem sagte, blieb unverständlich. Dafür war seine auffordernde Bewegung mit der Armbrust umso deutlicher. *
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Dass die Rokinger zwischen den Bäumen anhielten und zwei der Männer lautlos davonhuschten, irritierte Whistler. Die beiden Träger ließen die Netze mit den Toten vorsichtig zu Boden gleiten. »Sie haben lohnende Jagdbeute entdeckt«, vermutete Sharud. Whistler zuckte heftig zusammen, als Minuten später unvermittelt eine Frauenstimme erklang: »Timber, bitte sag diesen Riesen, dass wir nicht ihre Feinde sind!« Er schluckte schwer, als er den hageren Mann und die Frau sah. In dem Moment taumelte er zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Hoffnung, weil ihn jemand aufgespürt hatte; Enttäuschung, weil damit etwas zu Ende ging, was sein Leben um einige Facetten bereichert hatte. Zugleich wurde ihm bewusst, dass die beiden Terraner wohl in derselben misslichen Lage steckten wie er zunächst. »Sie gehören zu deinem Volk?«, fragte einer der Rokinger. »So ist es«, bestätigte Whistler. »Ich glaube sogar, dass sie nach mir gesucht haben.« »Wie viele werden noch kommen? Sag ihnen, dass sie unsere Gefangenen sind und dass der Rok entscheiden wird, was mit ihnen zu geschehen hat!« Die Hünen waren plötzlich nervös, das spürte Whistler. Sharud schaute unruhig von einem zum anderen. Es gehörte nicht viel Vorahnung dazu, sich auszurechnen, dass bald noch mehr Menschen in die Berge kommen würden und dass das unsichtbare Volk dann nicht länger im Verborgenen leben konnte. Timber F. Whistler schaltete den Translator stumm. »Wir reden später darüber, wer ihr seid und warum ihr hier seid«, sagte er. »Noch gibt es keine Probleme. Tragt ihr Waffen bei euch?« »Einen Paralysatorstab und einen schwachen Thermostrahler«, antwortete der Mann. »Lasst sie um Himmels willen stecken!«
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»Die Fremden haben dir nichts getan, also werden sie uns wohl auch kein Haar krümmen.« So richtig überzeugt war Whistler davon nicht. Aber das behielt er für sich. Überhaupt zog er es vor, während des Weges nach Thuinn-Sternbergen wenig zu reden. * »Ausgerechnet Echnatom vermisst mich.« Whistler lachte leise, obwohl ihm keineswegs nach Lachen zumute war. Er hatte den Rok seit ihrer Ankunft im Dorf nicht gesehen. Sharud blieb ebenfalls auf Distanz. Dafür hatten mit Armbrüsten bewaffnete Männer vor der Steinhütte Posten bezogen. Sie reagierten nicht unfreundlich, aber bestimmt. Als Timber die Tür geöffnet hatte, war er mit Nachdruck zurückgedrängt worden. Jetzt, in der Nacht, knirschten nur mehr die Schritte der Wachen vor der Hütte. Ansonsten war es leise geworden. Und das Summen der Maschine war zu vernehmen. Whistler merkte, dass Hank Astrin und Marouché immer wieder aufhorchten, aber sie fragten nicht. Und er selbst brachte die Sprache auch nicht auf dieses eigenartige Geräusch, es gab so viel anderes, über das sie reden mussten. »Also wurde bislang keine groß angelegte Suche eingeleitet«, stellte Whistler fest. »Nur ihr zwei wisst von meinem Verschwinden.« »Mehr Leute sind nicht erforderlich, um dich nach Aveda zurückzuholen«, stellte Astrin fest. »Echnatom hat die richtige Wahl getroffen.« . Whistler lächelte. Er erhob sich und legte einige Äste nach. Das fast erloschene Feuer erwachte von Neuem zu knisterndem Leben. Die Flammen verbreiteten eine unruhige Helligkeit. Als ein Ast prasselnd auseinanderbrach, stoben Funken bis zur Decke auf und verschwanden in dem schmalen Kamin. Astrin hatte den Paralysatorstab aus seiner Oberschenkeltasche gezogen. Er hielt die Waffe mit zwei Fingern und schlug sie
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rhythmisch in die linke Handfläche. »Wenn die Rokinger nur mit Bolzenschussgeräten und einfachen Messern herumlaufen, haben wir kein Problem mit ihnen«, stellte er fest. »Ich schicke sie mit dem Paralysator reihenweise schlafen. Bis sie aufwachen, sind wir längst über alle Berge.« »Hast du dir die Felswände angesehen?«, fragte Whistler. Astrin zuckte die Achseln. »Wir schaffen es nach oben!«, behauptete Marouché. »Das ist kein Problem.« Whistler schürzte die Lippen. Er spürte, dass die Frau von ihrer spontanen Behauptung überzeugt war. Trotzdem hob er abwehrend die Hände. »Ich will nicht, dass wir mit Waffengewalt gegen die Rokinger vorgehen. Das haben sie nicht verdient.« Marouché erhob sich von ihrem Sitzkissen. Sie begann eine unruhige Wanderung durch den kleinen Raum, blieb vor dem Feuer stehen, schaute in die Höhe. »Du entwickelst ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl mit deinen Entführern, Timber«, stellte sie sachlich fest. »Die Psychologie kennt dieses Phänomen zur Genüge. Du glaubst, dass sie ...« »Das ist Unsinn!«, fuhr Whistler auf. »Die Rokinger umgibt ein Geheimnis.« »Und du willst mehr darüber herausfinden?«, vermutete Marouché. »Geht es um ES?«, fragte Astrin. »Zuerst habe ich auch geglaubt, dass ES dahintersteckt. Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass die Lösung sehr viel tiefer in der Vergangenheit liegt. Die Rokinger sind vor langer Zeit auf diesem Planeten gestrandet und halten sich seitdem ängstlich verborgen. Sie fürchten sich davor, entdeckt zu werden. Deshalb haben sie Probleme mit unserer Anwesenheit.« Marouché blieb jäh stehen. »Dieses Summen - endet das eigentlich nie? Ich höre es, seit wir angekommen sind.« »Es geht von der Maschine aus«, sagte Whistler. »Sie steht in einem Seitenraum der Steinkatrille und arbeitet wohl schon,
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seit die Vorfahren der Rokinger hier siedelten.« »Was macht diese Maschine?« »Sie legt Antigrav und Hyperfunk lahm. Und ich nehme an, einiges mehr, was auf hyperfrequenter Basis aufbaut.« Whistler sagte das so leichthin, dass Astrin und die Frau ihn völlig entgeistert anstarrten. »Wenn wir diese Maschine abschalten, können wir mit unseren Antigravaggregaten sofort verschwinden ...«, stellte Astrin fest. »Wir könnten es höchstwahrscheinlich«, bestätigte Whistler. »Aber wir werden es nicht tun. Ich stand mehrmals vor dieser Maschine und hätte nur den Arm auszustrecken brauchen ...« »Wenn du das nicht getan hast, worauf wartest du eigentlich?«, fragte Astrin konsterniert. »Ich warte darauf, dass die Rokinger von selbst einsichtig werden«, antwortete Whistler. »Mag sein, dass ich diese Hünen und ihr Schicksal ins Herz geschlossen habe.« * Ein monotoner Gesang weckte ihn. Astrin schlief noch, aber Marouché saß schon am Feuer Sie hatte Arme und Beine ineinander verknotet und lachte auf, als sie Whistlers verwunderten Blick bemerkte. »Was ist das für eine Melodie?«, wollte sie wissen. »Singen die Rokinger immer so melancholisch?« »Sie betrauern ihre Toten«, vermutete Whistler. Marouché nickte zögernd und rollte sich zusammen. Als sie abwechselnd beide Füße hinter ihren Kopf in den Nacken legte, fragte sich Timber, ob ihre Knochen aus Gummi bestanden. Die Frau lächelte wissend. Der Gesang hielt den ganzen Tag über an. Gegen Mittag brachte eine der Wachen eine Schale mit Fleisch und Früchten und wenig später zwei Tonkrüge voll Wasser. Am Abend verwehte der Gesang in einem lang gezogenen Wimmern.
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Eine halbe Stunde später erschien der Rokinger wieder, der das Essen gebracht hatte. Er forderte Whistler auf, ihn zu begleiten. Kurz darauf stand der Industrielle von Aveda dem Rok von Thuinn-Sternbergen gegenüber. Nicht in der Steinkatrille, wie er erwartet hatte, sondern in einem kleinen Raum in der Hütte des Rokingers. Whistler glaubte, eine seltsame Anspannung wahrzunehmen. Eine Mischung aus Zorn und Resignation lag in dem Blick, mit dem der »Steinerne« ihn musterte. »Ich spüre deine Sorgen«, begann Whistler, als sein Gegenüber hartnäckig schwieg. »Ich habe gehofft, dass du das erkennen würdest. Sag mir, was aus ThuinnSternbergen werden soll.« »Nichts anderes, als es immer war.« »Das ist deine Sicht der Dinge, Timber. Ich sehe mehr. Ich erkenne, dass erneut zwei deines Volkes in unsere Berge gekommen sind. Du bist der Erste gewesen, und wir betrachten dich als einen der Unseren. Nun sind es zwei. Nach ihnen werden vier kommen und dann acht ...« Whistler schwieg betroffen. Die Überlegungen, die den Rok bewegten, waren ihm keineswegs fremd. »Vielleicht, wenn Thuinn-Sternbergen unter den Schutz der Stardust-Kolonie gestellt würde ...« »Waren der Mann und die Frau dann die Letzten, die unsere Unsichtbarkeit durchbrechen?« »Nein«, sagte Whistler zögernd. »Das kann ich dir nicht versprechen.« Er dachte an die Gefahren des Triffork-Massivs, vor allem daran, dass womöglich doch eine Spur der Unsterblichkeit hierher führte. Es war längst zu spät für die Rokinger, sie konnten nicht mehr im Verborgenen leben. »Ich werde euch helfen, eure Identität und Kultur zu bewahren«, fuhr Timber fort. »Aber die Isolation, die dein Volk zur Einsamkeit verurteilt hat, wird sich nicht länger aufrechterhalten lassen. Ich bin euer Freund, Rok, das solltest du längst erkannt haben. Trotzdem kann ich dir keinen Rat
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geben, wenn ich nicht weiß, warum dein Volk unsichtbar bleiben will.« »Du verlangst viel von mir, Timber.« »Nicht mehr als etwas Vertrauen.« »Sehr viel mehr sogar. Du erwartest, dass ich das Schicksal eines großen und fortschrittlichen Volkes in deine Hände lege und damit in die Verantwortung von euch Menschen.« »Von welchem Volk sprichst du?«, fragte Whistler irritiert. Er hatte den Eindruck, dass sie beide nicht von den gleichen Dingen redeten. Erst jetzt bot der Rok ihm mit einer einladenden Geste an, sich zu setzen. »Ich bin bereit, dir alles zu geben, was ich habe, Timber. Das ist sehr viel mehr als nur Vertrauen und nicht einmal mit dem Leben meines Sohnes aufzuwiegen. Vielleicht wirst du gar nicht verstehen können, was ich dir sage. Obwohl dein Volk einen hohen technischen Stand zu haben scheint.« Minutenlang starrte der Rok ins Feuer. Seine Stimme zitterte, als er endlich weitersprach. * »Die Geschichte von Thuinn-Sternbergen ist nur wenigen bekannt, aber sie wird von Generation zu Generation weitergegeben. Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen, die uns verraten und die Zukunft töten könnten. Ich habe deine Vermutungen vernommen, Timber, dass unsere Vorfahren als Schiffbrüchige auf diesen Planeten gelangt sind. Das ist richtig.. Vor mehreren tausend Sonnenumläufen ist die THUBARIM auf dieser Welt gestrandet. Was aus der Besatzung des stolzen Schiffs geworden ist, siehst du vor dir. Rokinger, die gezwungen sind, sich zu verbergen. Es war nicht einfach für unsere Vorfahren, dieses Schicksal zu akzeptieren, aber sie sahen die Notwendigkeit ein und vor allem, dass die Zeit stärker war als sie alle zusammen und ihre hochstehende Technik.« Whistler hob ruckartig den Kopf und musterte den Rok forschend.
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»Die THUBARIM war kein gewöhnliches Raumschiff«, sagte der »Steinerne«, und Whistler erkannte deutlich, wie schwer es ihm fiel. »Die THUBARIM war die Trägereinheit einer Zeitmaschine! Unsere Vorfahren kamen aus einer Zeit, die von heute aus betrachtet in ferner Zukunft liegt.« Für einen Moment hielt Whistler den Atem an. »Wir kennen Zeitmaschinen«, sagte er. »Mein Volk hat sich ihrer mehrfach bedient. Aber das liegt lange zurück.« »Unsere Vorfahren befanden sich auf der Suche nach einem höheren Wesen, einer Superintelligenz, wie du es nennst. Sie haben erwartet, dieses Wesen in dem Sternhaufen anzutreffen, in dem sie letztlich gestrandet sind.« »Welches Wesen?« »ES!«, sagte der Rok. »Ich glaube, dass es sich um dasselbe höhere Wesen handelt, von dem du gesprochen hast.« Ein Kloß steckte plötzlich in Whistlers Hals. Er war nicht in der Lage, auch nur ein Wort hervorzubringen. »Ich glaube inzwischen, dass unsere Vorfahren am richtigen Ort nach ES gesucht haben. Sie waren nur einige tausend Jahre zu früh hier und haben ES schlicht verfehlt. Ein paar tausend Jahre nach einem Zeitsprung in der Vergangenheit, der zwei Jahrmillionen überbrückt hat ... Eine kleine rechnerische Abweichung.« Whistler musste sich abstützen. Alles um ihn herum drehte sich plötzlich. »ES«, brachte er stockend hervor. »Warum suchten ... suchen ... Warum werden die Rokinger nach ES suchen?« »Unsere Galaxis Thuinn liegt sehr weit von hier entfernt. Räumlich und zeitlich. Aber in zwei Millionen Jahren wird in Thuinn eine Negasphäre entstehen. Unsere Vorfahren sind gekommen, weil sie Unterstützung von ES erbitten wollten.« Der Wirbel riss ihn mit sich. Whistler hörte sich stöhnen. Hörte es denn nie auf? In Hangay entstand eine Negasphäre, eine Bastion der Chaosmächte. Und die Auswirkungen
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stürzten die Milchstraße ins Verderben. Wegen dieser Negasphäre war die Terminale Kolonne in die heimatliche Galaxis eingefallen, und ein Teil ihrer Schiffe belagerte das Solsystem. Vielleicht existierten Sol und die Erde schon nicht mehr. Die Menschen im Stardust-System waren vor der Terminalen Kolonne geflohen und damit zugleich vor der Negasphäre. Sie hatten sich ein neues Leben in Frieden und ohne Bedrohung versprochen. Nun war das Thema Negasphäre wieder präsent. Egal, ob erst in zwei Millionen Jahren, und unerheblich, wie weit entfernt. Das Entsetzen schien allgegenwärtig zu sein. Nur mehr wie aus weiter Ferne hörte Whistler den Rok reden. »... sie fürchteten ein Zeitparadoxon. Um nicht eines Tages ihre eigene Existenz und die ihres Volkes auszulöschen, zerstörten unsere Vorfahren die THUBARIM. Mit ihr alle Technik, die Datenspeicher und anderen Aufzeichnungen. Und sie versetzten sich in einen Stand der Zivilisation, der ausschließen sollte, dass sie jemals wieder zu den Sternen fliegen würden. Nur ein einziges Aggregat überstand die Vernichtung. Es soll sicherstellen, dass kein Rokinger jemals eine Bedrohung für die ferne Zukunft werden kann. Diese Letzte Maschine steht im Nebenraum der Steinkatrille. Sie erzeugt ein Feld, das jeden Einsatz höherer Technologie im Triffork-Massiv verhindert. Die Maschine ist der Garant für unsere Zukunft. Auch wenn der Kampf, der in zwei Millionen Jahren stattfinden wird, nicht mehr unser Kampf sein wird.« Immer noch wirbelte in Whistlers Kopf alles durcheinander. Trotzdem registrierte er die Verzweiflung, die in der Stimme des »Steinernen« mitschwang. Der Rok drückte ihm einen Tonkrug in die Hand. »Es mag sein, dass ich eben einen unverzeihlichen Fehler begangen habe«, sagte er. »Trink den Beerenwein, Timber, vielleicht verstehst du dann.«
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Whistler nickte stumm. Er nahm einen kräftigen Schluck. Der Wein brannte wie Feuer in seiner Kehle, aber er weckte die Lebensgeister Seine Gedanken überschlugen sich. Er überlegte, ob er dem Rok die Wahrheit sagen sollte, nämlich dass die im StardustSystem siedelnden Menschen vor einer entstehenden Negasphäre geflohen waren. Was war das nur für eine unglaubliche Ironie des Schicksals! Vielleicht waren die Siedler vom Regen in die Traufe geraten. Aber konnte ES das wirklich gewollt haben? Dieses Zusammentreffen ließ ihn jedenfalls eine unglaubliche Bedrohung erahnen, wenn auch der nächste Schluck aus dem Krug seine Angst schon wieder vertrieb. Zwei Millionen Jahre in der Zukunft ... Genügte womöglich schon die Anwesenheit der Siedler hier im Sternhaufen Far Away, um die Zukunft zu verändern? So, wie der Schlag eines Schmetterlingsflügels ausreichen mochte, an anderer Stelle des Planeten einen Orkan entstehen zu lassen? Whistler reichte den Krug an den Rokinger zurück. »Jetzt du. Vielleicht wirst du dann endlich verstehen, dass du uns Menschen nicht zu fürchten brauchst.« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen und wartete, bis der Rok den Krug wieder absetzte. »Ich kann dir einen Rat geben, mein Freund. Bis auf dich und ein paar andere hat dein Volk längst vergessen, warum die Expedition der THUBARIM in ferner Zukunft aufbrechen wird. Es gibt also keine Geheimnisse mehr, die verraten werden könnten. Nicht einmal du hast noch Beweise dafür, was geschehen wird. Das einzige Relikt der fernen Zukunft ist die Letzte Maschine. Schalte sie ab! Oder zerstöre sie! Dann wird in wenigen Generationen keine Spur mehr von einer Zeitexpedition sein. Es geht längst nicht mehr darum, ein kosmisches Geheimnis zu bewahren. Es geht nur noch um die Rokinger von Thuinn-Sternbergen.« »Das ist nicht alles«, widersprach der Rok heftig. »Es geht auch darum, dass wir
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Rokinger nicht in diese Zeit gehören unsere Heimat liegt in der fernen Zukunft. Wir können immer noch, auch ohne die Letzte Maschine, zu einem Faktor werden, der die relative Zukunft verändert. Im schlimmsten Fall gefährden wir die Existenz unseres Volkes.« »Du glaubst also, die Rokinger gehören nicht hierher? Nicht an diesen Ort und erst recht nicht in diese Zeit? Und wegen des >Ich-weiß-nicht-was-vielleicht-geschehenkönnte< zwingst du dein Volk, in einer Isolation zu leben, die es nicht verdient hat? Hast du jemals deinen Sohn gefragt, wie er leben möchte? Wenn nicht, solltest du das schnell nachholen! Am besten sofort. Wo ist Sharud? Nebenan?« »Sharud wird der künftige Rok sein. Er wird seine Pflicht erfüllen, wie alle vor uns ihre Pflicht ...« »Lass die Pflicht nicht länger euer Leben zerstören!« Aus größer werdenden Augen schaute der Rok Whistler an. Endlich schien er zu verstehen, dass die Zeit nicht nur ungnädig sein, sondern dass sie auch Wunden heilen konnte. »Ich hoffe, du hast recht«, sagte er tonlos. In dem Moment drang gleißende Helligkeit durch das verhängte Fenster herein. Gellende Schreie hallten durch das Dorf. Whistler starrte dem Rok hinterher, der herumwirbelte, die Tür aufriss und nach draußen stürmte. Ausgerechnet jetzt, als er bereit gewesen war, Vergangenheit und Zukunft der Gegenwart zu opfern. Der terranische Unternehmer hatte das ungute Gefühl, dass die beiden Detektive aus Stardust City mit dem plötzlichen Aufruhr zu tun hatten. * Marouchés verhaltenes Lächeln, als die Tür hinter Whistler zufiel, hätte Astrin warnen müssen. Er bemerkte es nicht einmal, weil er sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt hatte und die Augen geschlossen hielt. Minuten später hing die Frau kopfüber unter der Decke der Hütte. Sie schüttelte
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sich, als Rauch aus dem zusammensinkenden Feuer zu ihr hochstieg, und für einen Moment hielt sie sogar die Luft an, dann tastete sie nach der schmalen Kaminöffnung. Der Spalt war rau, mit Werkzeug erweitert worden. Sie würde trotzdem Mühe haben, sich hindurchzuzwängen, weil der Kamin nicht allzu breit war. Aber noch weniger behagte ihr der Ruß, der sich an den Steinen abgelagert hatte. Mehrmals wischte Ma sich die Hände an ihrer Kleidung ab. Sie schob den linken Arm bis zur Schulter in den Spalt und tastete nach einem festen Halt. Gleichzeitig schlug Astrin die Augen auf. Seine erste Reaktion, als er Marouché nicht sitzen sah, war der Blick in die Höhe. »Pst!«, machte die Frau und legte warnend die Finger vor ihren Mund. Hank schwieg tatsächlich. Marouché tauchte vollends in den Kamin ein. Die Enge machte ihr zu schaffen, ebenso der beißende Rauchgeruch. Sekundenlang fürchtete sie, stecken zu bleiben, aber dann wand sie sich um den faustgroßen Vorsprung herum, indem sie ihr Schultergelenk auskugelte. Einige Meter höher wurde der Spalt breiten Frische Luft zog heran. Ma hielt kurze Zeit inne und streckte sich, bis sie das Gefühl hatte, dass alle Sehnen und Muskeln wieder ansprachen. Erneut trocknete sie ihre Hände, und sie zog das Tuch unter dem Hosenbund hervor und säuberte damit die Fußsohlen. Es war einfach für sie, in dem sich weitenden natürlichen Felsenkamin in die Höhe zu kommen. Der Auslass lag gut fünfzig Meter über dem Boden, ein leicht geschwärztes Loch in der nahezu poliert wirkenden Wand. Fast zum Greifen nahe verliefen die Seile eines Lastenaufzugs. Flüchtig spielte Marouché mit dem Gedanken, sich an einem der Seile in die Tiefe gleiten zu lassen, aber sie entschied sich dagegen. Zu leicht konnte die plötzliche Belastung auffallen. Das Dorf am Fuß der Felsen war in Dunkelheit versunken. Marouché griff
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nach ihrer Nachtsichtbrille und heftete sie sich an die Stirn. Mit einem Mal waren die Umrisse der Gebäude wieder da. Sie sah die beiden Wachen vor der Steinhütte, in der Hank wartete, einige hundert Meter entfernt standen mehrere Rokinger beieinander. Sie schienen zu diskutieren. Marouchés Blick schweifte weiter. Viel von Thuinn-Sternbergen hatte sie bislang nicht gesehen, aber Whistler hatte ihr nichts ahnend eine sehr gute Beschreibung der Steinkatrille gegeben. An die hundertfünfzig Meter seitlich entdeckte sie ein großes Gebäude, das dem entsprach. Sie näherte sich langsam, verharrte aber immer wieder in der Wand und blickte dann suchend um sich. Das Schlimmste, was ihr widerfahren konnte, war, dass ein Rokinger sie entdeckte. Aber nichts geschah. Marouché atmete auf, als sie eine Wandöffnung entdeckte, die der Kamin des Hauptgebäudes zu sein schien. Sie schwang sich mit den Füßen voran in die Tiefe, kletterte schnell abwärts und schwang sich schon nach wenigen Minuten an die Decke des Versammlungsraums. Niemand war da. Marouché hatte nicht gewusst, ob sie auf Whistler und den Rok treffen würde, aber selbst dann hätte sie sich zugetraut, von den beiden unbemerkt weiterzuklettern. Auch wenn die Gefahr sicher nicht allzu groß war, dass in der Dunkelheit noch jemand in die Katrille kam, blieb sie oben. Es machte ihr Spaß, die Decke entlangzuturnen. Erst im Nebenraum löste sie die Fußsohlen und ließ sich zu Boden gleiten. Vor ihr, das summende, spiegelnde Konglomerat, das einen fahlen Lichtschimmer um sich herum verbreitete, war die Maschine. Marouché betrachtete die Bedienelemente von mehreren Seiten. Aber das Einzige, was sie nach ausgiebiger Musterung zu identifizieren glaubte, war die Energieversorgung. Die Maschine abzuschalten genügte. Ab dem Moment würde der Antigrav wieder arbeiten. Mehr musste vorerst gar nicht sein. Marouché tastete über ihren Gürtel. Neben ihrem eigenen Antigrav hingen der
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von Hank und das Reserveaggregat, das sie für Whistler mitgebracht hatte. Entschlossen griff die Frau zu. Trotzdem zögerte sie, genau so, wie Timber es gesagt hatte. Aber dann überwand sie ihre Hemmung und berührte die Schaltfläche. Das Summen brach ab. Gleichzeitig wurde das von der Maschine ausgehende Leuchten heller Sie glühte in einem Lichtschein, der Ma an brennendes Magnesium erinnerte und der ihr verriet, dass sie einen nicht wieder gutzumachenden Fehler begangen hatte. Die eben noch spiegelnde Hülle wurde matt. Sie zerfiel in rasender Geschwindigkeit, und der Vorgang setzte sich innen fort, während das Leuchten geradezu unerträglich anschwoll. Marouché gewann den Eindruck, dass die Helligkeit sogar die Steinmauern durchdrang. Asche wirbelte auf. Die Maschine zerfiel zu feiner, funkelnder Asche. Marouché hatte sie nicht abgeschaltet, sondern eine Selbstvernichtungsschaltung ausgelöst. Aber ob ausgeschaltet oder zerstört, dachte sie, das Ergebnis war in jedem Fall dasselbe. Und nur darauf kam es ihr an. Sie rannte über den Boden, in den Hauptraum hinüber, stürmte, ohne innezuhalten, die nächste Wand hinauf und klebte Sekunden später wieder unter der Decke. Ihr war klar, dass sie keine Zeit mehr verlieren durfte. Jeden Moment konnte im Dorf die Hölle losbrechen. Ihre Knochen und das Gewebe bis zum Äußersten verdreht, zwängte sie sich den Kamin empor, und als sie endlich über der Steinkatrille in der Felswand hing und sich absinken ließ, erklang unter ihr ein dumpf verpuffendes Geräusch. Gleichzeitig erklang ein schriller Signalton von ihrem Gürtel; der Antigrav war wieder funktionsfähig. Marouché aktivierte ihr Gerät und hangelte sich schwerelos abwärts. * Whistler folgte dem Rok.
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Ein grelles Leuchten breitete sich im Talkessel aus. Es schien die Steinhütten und die überall ins Freie stürmenden Rokinger gleichermaßen zu durchdringen. Und es warf keine Schatten. Gut hundert Meter entfernt, ziemlich nahe bei der Steinkatrille, schwebten zwei menschliche Gestalten in die Höhe. Astrin und Marouché. Als er sie entdeckte, war Whistler sofort klar, dass die Antigravs wieder funktionierten. Mehrere Rokinger hoben ihre Armbrüste. Es musste ihnen ein Leichtes sein; die beiden Menschen, die in der gleißenden Helligkeit ein leichtes Ziel abgaben, mit ihren Bolzen zu durchbohren. Whistler fragte sich entsetzt, ob Astrin seinen Paralysator vergessen hatte, da sah er zwei der Armbrustschützen zusammenbrechen. Gleichzeitig brüllte der Rok mit alles übertönender Stimme den Befehl, nicht zu schießen. Nur zögernd senkten einige der Rokinger die Waffen. Marouché schwebte an der Steilwand entlang näher, während Astrin weiter in die Höhe stieg. Whistler lief weiter, der Frau entgegen. »Die Waffen weg!«, rief er immer wieder, aber sein Translator war nicht auf die nötige lautstarke Wiedergabe justiert. Seine Forderung verhallte mehr oder weniger ungehört. Marouché zog sich mit weit ausgreifenden Armbewegungen über die Wand. »Fang auf, Timber!«, schrie sie ihm zu. Gleichzeitig warf sie ein kleines Kästchen zu ihm herab. Das alles ging aberwitzig schnell. Whistler fand keine Zeit, darüber nachzudenken. In einer Reflexbewegung fing er das Kästchen auf; es war ein Antigravprojektor. Von allen Seiten rannten Rokinger auf ihn zu. Einige schleppten Armbrüste mit sich. Ein Bolzen klatschte höchstens einen Meter neben Whistler gegen den Fels. Das gab den Ausschlag für ihn. Mit fliegenden Fingern hakte er den Antigravprojektor an seinem Gürtel ein und aktivierte ihn.
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Er sah Sharud heranhasten, regelte den Antigrav hoch und stieß sich ab. Ein zweiter Bolzen verfehlte ihn abermals nur knapp. Unter ihm blieb Sharud zurück. Der Junge war ein, zwei Sekunden zu langsam gewesen. Enttäuscht schaute er Whistler hinterher. Immer noch brüllte der Rok Befehle. Keineswegs jeder schien zu begreifen, dass er seine Leute davon abhalten wollte, auf die fliehenden Menschen zu schießen. Viele sahen ihre Welt im Verborgenen gefährdet. Whistler zog sich an der Wand in die Höhe. Für das Bergvolk brach nun eine neue Zeit an. Die Rokinger lebten nicht mehr im Verborgenen, weil Menschen ihre Unsichtbarkeit aufgedeckt hatten. Auch wenn Whistler sich gewünscht hätte, dass den Hünen Zeit geblieben wäre, diese Entscheidung selbst zu treffen. 9. Zwei Wochen später Über den Bergen schwebte ein kleines Raumschiff. Es bestand aus einer kugelförmigen, an den Polen stark abgeflachten Zelle, die von dem für terranische Einheiten typischen äquatorialen Ringwulst umlaufen wurde. An diese Zelle angeflanscht war eine kleine Kommandokugel. Meterhohe Schriftzeichen prangten über dem Ringwulst. NEW GOOD HOPE stand für den zu lesen, der die Umgangssprache der Milchstraße beherrschte. Für alle anderen, die den SKARABÄUS beobachteten, war die Schrift nicht mehr als eine Ansammlung undefinierbarer Striche. Leicht wie eine Feder sank das Schiff tiefer und setzte wenig später innerhalb des Kessels auf. Zwei Männer stiegen aus. Der eine war groß und kräftig, gemessen an menschlichen Maßstäben, der andere war etwas kleiner und wirkte hager. Nebeneinander gingen sie auf das Dorf zu.
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Rasch wurden sie von Rokingern umringt, deren unbewegte Gesichter drohend wirkten. »Ich bin Sigurd Echnatom«, sagte der Kleinere der Raumfahrer mit bebender Stimme. »Ich bin gekommen, um dem Volk von Thuinn-Sternbergen die Unabhängigkeit zuzusichern. Wo ist euer Rok?« Keiner antwortete ihm. »So geht das nicht.« Echnatom schüttelte den Kopf. »Wenn Whistler schon in den höchsten Tönen von diesem Dorf spricht, möchte ich wenigstens erkennen können, dass er die Wahrheit sagt.« »Ich kläre das auf pragmatische Weise.« Whistler zog aus seinen Taschen zwei Kilorollen Salz hervor und reichte sie den nächststehenden Hünen weiter. »Das habe ich euch mitgebracht. In unserem Raumschiff wartet noch mehr Salz darauf, verteilt zu werden.« »Ich werte dein Verhalten als unerlaubten Eingriff in die Angelegenheiten einer fremden Kultur, Whistler«, sagte. Echnatom scharf. »Ich fordere dich dringend auf, solche Entgleisungen künftig zu unterlassen!« »Es geht um die Sicherung des Kulturgutes Salz«, erwiderte Whistler. »Überzeuge dich davon, dass eine Schenkung zur Verbesserung des unverfälschten Nahrungsangebots keineswegs gegen die Richtlinien verstößt.« Eine halbe Stunde später saßen Echnatom, der Rok und die führenden Männer des Dorfes in der Steinkatrille zusammen. Ihre Verhandlungen sollten Thuinn-Sternbergen eine ruhige Zukunft bescheren. Timber E Whistler fehlte bei diesen Gesprächen. Er hatte Sharud gesehen, der aus einiger Entfernung den SKARABÄUS betrachtete. Er ging auf den Jungen zu, der ihn nicht einmal kommen sah. »Was hältst du von diesem Schiff, mein junger Freund?«, fragte der Terraner leise, und erst in dem Moment wandte Sharud sich ihm zu. »Es gibt immer eine Zeit, in der Träume wahr werden. Willst du noch hinausfliegen in den Weltraum?« Sharud nickte stumm.
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Gemeinsam gingen sie hinüber zu dem kleinen Schiff, und bevor andere Rokinger verstanden, was geschah, verschwanden sie im Innern der Kugel. Lautlos hob der SKARABÄUS ab. Langsam erst, dann schneller werdend, stieg er in den blauen Himmel über Thuinn-Sternbergen. Das Gebirge fiel unter dem Schiff zurück und schrumpfte zu einem winzigen Fleck inmitten eines
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ausgedehnten Kontinents. Dann wurde Katarakt zur Kugel... Ringsum öffnete sich das Sternenmeer von Far Away. Millionen Lichtpunkte, hingestreut auf dem schwarzen Samt der Ewigkeit, waren ein überwältigender Anblick. »Für unser Volk beginnt wirklich eine neue Zeit !« In Sharuds Augen spiegelten sich die fernen Sonnen, als er das sagte.
ENDE