Kommissar X – Die Statue des Todes von Clark Connelli Deutscher Erstdruck Nr. 1284
Ihr Boß war ein Satan. Sie raubten ...
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Kommissar X – Die Statue des Todes von Clark Connelli Deutscher Erstdruck Nr. 1284
Ihr Boß war ein Satan. Sie raubten und mordeten, und niemand schien sie stoppen zu können – bis Jo Walker die Herausforderung annahm ...
Scan, Korrektur und Layout by Orkslayer
E-Book Version 1.0 (Juni 2002)
Die Hauptpersonen des Romans: Bram Lucall:
Er
ist
daran
interessiert,
daß
die
Goldstatue an die richtige Adresse gelangt, versucht aber auch selbst dabei abzusahnen. Kathryn Lucall:
Ihre Freude schlägt in Entsetzen um, als sie sich dem Tod gegenübersieht.
Scott Fargas:
Bei
seinen
unsauberen
Geschäften
schreckt er auch vor Mord nicht zurück. Jodie, Pink, Huggy, Mort:
Die vier Gangster führen jeden Befehl aus, den man ihnen gibt, ohne groß über die Folgen nachzudenden.
Jo Walker ist Kommissar X.
1. Kapitel
„Hoffentlich ist er pünktlich", sagte Jodie Bear. Er starrte durch das Seitenfenster des Wagens, auf dem der Regen feuchte Spuren zog. Der Asphalt glänzte, aber er wirkte deshalb nicht sauberer als sonst. „Sich in den letzten Minuten seines Lebens nicht zu verspäten, gebietet der Anstand", entgegnete Pink Soul gelangweilt. Er hielt einen 38er Colt Diamondback in der Hand, die mit einem protzigen Ring geschmückt war. Jodie Baer grinste. Er fand die Witze seines Kumpels sehr amüsant. Sie hatten Niveau. Sich mit Pink zu unterhalten, machte Spaß. Natürlich nur, wenn er nicht ausgerechnet seinen Revolver auf einen richtete. Aber
in
solchen
Fällen
trieb
Pink
sowieso
keine
Konversation. Ein Patrol Car fuhr langsam vorbei. Zwei Polizisten hockten darin. Der eine paffte dicke Rauchschwaden gegen die Windschutzscheibe, der andere bediente das Funkgerät. „Bist du abergläubisch, Jodie?" erkundigte sich der Mann mit der Kanone. „Warum?"
„Ich habe vergessen, was es bedeutet, wenn einem ein paar Bullen von links über den Weg fahren." Jodie Baer kicherte. „Das bedeutet Pech." Der andere tat erschrocken. „Bist du sicher?" „Ganz
sicher.
Ich
habe
es
erst
neulich
in
einer
Pfadfinderzeitschrift gelesen. In unserem Fall bedeutet es Pech für Dave Foster.”
2. Kapitel
Dave Foster war kein ängstlicher Mensch. Diesmal aber war ihm nicht besonders wohl in seiner Haut. Er würde froh sein, wenn er das Zeug endlich abgeliefert hatte. Immerhin stellte der antike Schmuck einen beachtlichen Wert dar. Nach seiner Meinung. gehörten die glitzernden Klunkern hinter Verschluß. In einem Safe waren sie besser aufgehoben als an dem ausgemergelten Hals von Mistreß Cornwally. Andererseits paßten beide aus gezeichnet zusammen. Der Schmuck und auch die Lady waren bestimmt sechshundert Jahre alt, nur daß das Collier, die Armbänder und Ohrgehänge noch besser erhalten waren. Dave Foster grinste in sich hinein. Er kannte die Cornwally nur von Fotos in den Illustrierten, und die waren ja meistens noch geschmeichelt. Er fand, sie hätte die Idealbesetzung für eine Horrorfilmrolle abgegeben. Daß sie schon zum sechsten Mal verheiratet war, lag sicher nicht an ihren weiblichen Reizen und auch nicht an ihrem Charme, denn sie War wegen ihrer spitzen Zunge gefürchtet. Aber wenn man so ein Monster schön dick mit Tausenddollarschein e n zudeckte, ihren Mund mit
Brillanten vollstopfte und sie an Händen und Füßen mit Perlenketten fesselte, war sie zweifellos recht ansehnlich. Foster verglich die Multi-Millionärin insgeheim mit seiner
Eve.
Das
Mädchen
besaß
ausschließlich
Modeschmuck, nur der Trauring, den er schon besorgt hatte, war natürlich aus Gold. Dafür war aber sonst alles echt an ihr, und das war ihm lieber als Diamanten und Smaragde. Der junge Mann fing zu träumen an. Das passierte ihm immer, wenn er an Eve dachte. Wütendes Hupen schreckte ihn auf. Er war auf seiner Spur zu weit nach links geraten und hatte einen Chrysler, der ihn gerade überholte, gefährdet. Dave Foster riß sich zusammen. Träumen konnte er später. Erst mußte er den Kram in Pelham abliefern. In diesem Augenblick beging er einen schwerwiegenden Fehler. Hätte er sich die Typen angesehen, die in dem Chrysler saßen und ihn mit einem gehässigen Blick bedächten, wäre er vielleicht bei der nächsten Ausfahrt von der Interstate 95 heruntergefahren und hätte einen Umweg in Kauf genommen. Doch er schenkte dem Wagen und seinen Insassen keine besondere Beachtung. Warum auch? Die Fernstraße war
mit Fahrzeugen vollgestopft. Der Feierabendverkehr flutete aus New York City hinaus. Die Pendler suchten wie allabendlich die Vororte auf, in denen es sich besser und jedenfalls gesünder leben ließ als in einem der verpesteten fünf Boroughs. Dave Foster schaltete das Autoradio ein. Er drückte die fünf Stationstasten, einprogrammiert
auf
war.
Er
denen
jeweils
entschied
ein
sich
Sender
für
eine
Musiksendung mit Country-Songs, die nur gelegentlich von Werbespots unterbrochen wurde. Leise summte er die Melodie mit, die. Guy Clark interpretierte. Das lenkte ihn ein wenig von der Verantwortung ab, die auf ihm lastete. Mister Hennings hatte ihm dringend ans Herz gelegt, die Kassette mit den Kostbarkeiten keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Der flache, schwarze Kasten war in unansehnliches Packpapier eingewickelt. Hennings fand, daß dies eine perfekte Tarnung für etwas Wertvolles sei. In dem Packpapier vermutete man allenfalls ein paar fettige Cheeseburger. Ein mächtiger Truck dröhnte an ihm vorbei. Der Kübel fuhr bestimmt siebzig Meilen und würde früher oder später von einer Geschwindigkeitskontrolle gestoppt
werden. Trucker hatten es eben immer eilig. Sie verdienten nur, wenn die Räder rollten, und je schneller sie sich drehten, um so mehr blieb nach Abzug aller Steuern und Abgaben übrig. Trucker wäre kein Job für ihn. Dave Foster liebte es ruhig. Er konnte sich nicht vorstellen, wochenlang von Eve getrennt zu sein, und. für Eve wäre das auch sicherlich schrecklich. Das braune, abgewetzte Päckchen lag neben ihm auf dem Beifahrersitz. Er blickte auf die Uhr am Armaturenbrett. Er konnte sich Zeit lassen. Er mußte erst um acht Uhr dort sein. Allerdings keine Sekunde später, sonst holte ihn der Teufel. Die Cornwally konnte nicht nur ekelhaft sein, sie machte eine Passion daraus. Mister Hennings war
sicher
nicht
interessiert
daran,
bei
seiner
betuchtesten Kundin in Ungnade zu fallen. Der Werbesprecher versuchte seine Hörer davon zu überzeugen, daß ein Leben ohne Riverton-Rasierwasser einer entsetzlichen Marter gleichkäme. Dave Foster überlegte, ob er sich jemals durch solche geistlosen Sprüche hatte beeinflussen lassen. Ein ehrliches Nein riskierte er allerdings nicht.
Riesige Schilder machten auf die Ausfahrt nach Pelham aufmerksam. Dave Foster befand sich bereits auf der äußersten rechten Spur. Er brauchte sich nicht mehr einzuordnen. Er schaltete zurück und verließ den Highway. Unter, ihm lagen die Dächer von Pelham. Die Cornwallys hatten ihr Anwesen außerhalb des Ortes zum Long Island Sound hin. Dave Foster hatte sich den Weg genau beschreiben lassen. Es war kein Problem, den nahezu fürstlichen Komplex zu finden. Die Landstraße führte durch ein kurzes Waldstück, in dem er die Scheinwerfer einschalten mußte. Hier draußen regnete es nicht mehr. Als er in Manhattan losgefahren war, war der Himmel verhangen gewesen und hatte mit ermüdender Eintönigkeit seine Schleusen geöffnet. Hinter dem Wald mußte er rechts abbiegen. Hier gab es nur noch einen schlechteren Weg voller Schlaglöcher. Aber das war ihm egal. Er fuhr ja einen Firmenwagen. Nach zwei Meilen stieß er auf einen Wegweiser. Er stutzte. Nach seiner Information hätte er geradeaus weiterfahren müssen, doch das Schild war eindeutig. Es schickte ihn wieder in den Wald zurück.
Vielleicht wurde der andere Weg repariert. Nötig hatte er es
längst.
Darüber
wollte
er
sich
aber
keine
Kopfschmerzen machen. Er hoffte nur, daß ihn der Umweg nicht allzuviel Zeit kostete. Dave Foster schlug das Lenkrad hart ein, Der Wagen schaukelte in die neue Richtung. Das Packpapierpäckchen rutschte auf dem Sitz zur Seite. Foster griff danach, damit es nicht auf den Boden fiel. Der Weg war nur sehr schmal. Er hoffte, daß ihm kein Fahrzeug
entgegenkam.
Hier
hätte
er
nirgends
ausweichen können. Ein schwarzgelbes Schild tauchte vor ihm auf und belustigte ihn. Es stellte einen Totenkopf dar. Darunter stand ein Hinweis, daß nach einer halben Meile der Besitz der Cornwallys begänne und daß jeder, der deren Grund und Boden unberechtigt betrete, sich die Folgen selbst zuzuschreiben habe. Schlimmer als in Fort Knox, dachte Dave Foster. Sicher rennen hier Bluthunde frei herum, und bewaffnete Posten schirmen das Gebiet ab. Es muß gemütlich sein, unter solchen Bedingungen zu wohnen.
Er überlegte, warum die Cornwally ihren Schmuck nicht von den eigenen Leuten in einem gepanzerten Wagen hatte abholen lassen, aber das konnte ihm schließlich egal sein. Ein Schlagbaum tauchte auf. Er versperrte den Weg. Eine Weiterfahrt war nur möglich, wenn er die beiden Posten überzeugen konnte, daß er erwartet wurde, aber sicher waren sie informiert. Über ihn, über jeden Lieferanten und natürlich über die Gäste, die ungefähr in einer Stunde vorfahren würden. Zu diesem illustren Empfang wollte die Millionärin ja den antiken Schmuck tragen. Dave Foster brachte
den
Wagen
knapp
vor
dem
Stahlbalken zum Stehen und stellte den Motor nicht ab. Er kurbelte das Seitenfenster herunter und nannte seinen Namen. „Ich komme von Hennings and San. Ich nehme an, Sie wissen
Bescheid."
Die
beiden
Posten
sahen
ihn
abschätzend an. „Können Sie sich legitimieren?" fragte der Größere. Er war breitschultrig, und die Phantasieuniform paßte ihm wie angemessen. Dave Foster ärgerte sich über die Überheblichkeit, mit der er behandelt wurde. Wäre der Schlagbaum nicht
gewesen, hätte er einfach Gas gegeben. Umständlich kramte er seinen Paß hervor und hielt ihn durch das Fenster. „Es ist tatsächlich Mister Foster", rief der Breitschultrige seinem Kollegen zu, der bereit war, die Sperre in die Höhe gehen zu lassen. „Frag ihn, ob er den Schmuck dabei hat!" „Haben Sie den Schmuck bei sich, Mister Foster?" Dave Foster platzte fast vor Wut. "Was glauben Sie, weswegen ich hier bin?" fauchte er. „Darf ich jetzt endlich weiterfahren? Nach meiner Information schätzt Mistreß Cornwally Unpünktlichkeit nicht besonders." „Wir sind beauftragt, das Päckchen entgegenzunehmen", behauptete der Uniformierte und streckte die Hand aus. Dave Foster schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Ich habe strikte Order, den Schmuck nur Mistreß Cornwally persönlich auszuhändigen." „So? Hast du?" Die Stimme des Postens veränderte sich auf unangenehme Weise. Sie klang plötzlich drohend und eiskalt. „Her mit den Klunkern, du Dreckskerl! Sonst blas ich dir ein Loch durch die Rübe, daß man dich auffädeln und als Amulett am Hals tragen kann."
Dave Foster starrte entgeistert in die Mündung eines kurzläufigen Revolvers. Um was für ein Fabrikat es sich handelte, wußte er nicht. Damit kannte er sich nicht aus. Aber das spielte auch keine Rolle. Er war sicher, daß dieses kleine Ding einen Mann wie ihn auslöschen konnte. Atemlos schielte er zur Fensterkurbel, doch im gleichen Moment wurde ihm klar, daß er die Scheibe nicht schnell genug hochdrehen konnte. Außerdem konnte er hier nirgends wenden. Die Fenster waren auch aus normalem Sicherheitsglas und keineswegs kugelfest. Daß die beiden Burschen nicht auf der Lohnliste der Millionärin
standen,
war
ihm
inzwischen
bewußt.
Vermutlich hatten sie den Schlagbaum selbst aufgestellt, ebenso das Warnschild weiter vorn, und vor allem, stammte der irreführende Wegweiser von ihnen. Sie hatten ihn in eine ausweglose Falle gelockt. „Sie - Sie bringen mich in eine schlimme Situation", stammelte er, während er nach einem Ausweg suchte. „Deine Situation ist uns scheißegal", versicherte der Breitschultrige, und der Kleinere, aber noch wesent lich Stabilere empfahl: „Hau ihm doch eins drauf, wenn er nicht spurt."
Dave Foster nickte schwach. „Also gut", sagte er. Er wandte sich zur rückwärtigen Bank um und tastete mit der Hand auf dem Polster entlang. Er tat, als suchte er dort das Päckchen. Dabei stieß er wie unbeabsichtigt mit dem anderen Ellbogen gegen den Hupring, und das Signalhorn tönte wütend durch den abendlichen Wald. Der Ton war bestimmt bis zum Haus der Cornwallys zu hören. Aber wie sollte man dort die richtigen Schlüsse daraus ziehen? Eine kräftige Hand packte Dave Foster am Kragen und drückte
zu.
„Probier
das
nicht
noch
mal,
du
Oberschlauer!" warnte der Mann mit dem Revolver: „Steig aus! Hier draußen gibt es keine Hupen. Das ist günstig für deine Überlebensaussichten. " Dave Foster wurde blaß. War er nicht töricht, wenn er sich sträubte? Der Schmuck war hoch versichert. Seiner Firma entstand zumindest kein finanzieller Schaden. Und die
Cornwally
konnte
den
Überfall
sogar
noch
publicityträchtig ausschlachten. Er hing an seinem Leben. Das war zwar ebenfalls versichert, doch an diesem Gedanken fand er augenblicklich
nichts
Beruhigendes.
Er
hätte
die
Versicherungssumme mit sechzig gerne selbst verbraten.
N atürlich mit Eve. Mit wem sonst? Eve! Sie hatte ihm nie gesagt, daß sie unbedingt einen Helden heiraten wollte. Noch dazu, wenn dieser Held ein toter Narr war. Er öffnete die Tür und kroch aus dem Wagen, dessen Auspuff die Luft verpestete. Dave Foster wagte aber ohnehin kaum zu atmen. Der Kerl mit der Waffe grinste zufrieden. „Na also!" sagte er und stieß den Überfallenen mit dem Knie vor sich her, bis Dave Foster vor seinem Komplizen stand, der jetzt ebenfalls einen Revolver aus der Tasche gezogen hatte. „Hast du den Kram?" wollte er wissen. „Ich hole ihn. Da liegt ein Päckchen auf dem Beifahrersitz. Das wird er sein." Dave Foster rührte sich nicht. Eine ungekannte Wut durchflutete ihn, als der Gangster seinen Kopf in den Wagen steckte, um die Kassette herauszuholen. Sekundenlang spielte er die Möglichkeit durch, wenn er dem Bulligen die Faust ans Kinn setzte, ihm den Revolver entriß und damit auf den Strolch in dem Wagen schoß. Doch dann fiel ihm wieder Eve ein, und er nahm sich vor, sich zur kühlen Vernunft zu zwingen. Wozu sollte er das Ganze unnötig komplizieren. Wenn er sich ruhig verhielt und keinen Widerstand leistete, hatte er in zwei Minuten alles
überstanden, kam ungeschoren davon und konnte von Pelham aus die Polizei alarmieren. Die Visagen der beiden konnte er bis auf die kleinste Falte beschreiben. Er hatte sie sich genau eingeprägt. „Zuschauen müssen, tut weh, nicht wahr?" meinte der Bursche hinter ihm nicht unfreundlich. Dave Foster entschloß sich zur gleichgültigen Tour. „Zum Glück gehört das Zeug nicht mir", sagte er. Der Gangster lachte ordinär. „Das ist ein vernünftiger Standpunkt, Foster. So gefällst du uns schon bedeutend besser." Der andere kam zurück. Er trug das Päckchen und fetzte unterwegs das Packpapier herunter. Achtlos ließ er es fallen. Die schwarze Kassette kam zum Vorschein. Er öffnete sie und konnte sich einen Laut der Bewunderung nicht verkneifen. „Sieht . gar nicht übel aus", schwächte der Bullige ab. „Mir persönlich
ist
Bargeld
lieber.
Hau
jetzt
ab!"
Diese
Aufforderung galt Dave Foster. Dieser war heilfroh, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Es hätte für ihn schlimmer ausgehen können. Immerhin mußten sich die Gangster sagen, daß er gegen sie aussagen konnte. Aber wahrscheinlich fühlten sie sich sicher. Ihre Informationen, die sie besaßen, konnten sich jedenfalls
sehenlassen. Woher wußten sie, daß er mit dem Schmuck von Manhattan hierher unterwegs war? Diese Frage sollte die Polizei beantworten. Er hatte Sehnsucht nach Eve. In ihren Armen wollte er die Aufregungen der letzten Minuten vergessen. Er ging zum Auto und hörte hinter sich die gelangweilte Stimme eines der Gangster: „He, Foster! Jetzt hätten wir doch noch fast das Wichtigste vergessen. Wir sollen dir Grüße bestellen." Dave Foster wandte sich zögernd um. „Grüße? Mir? Von wem denn?" Beide Revolver zuckten synchron hoch und die Männer schossen gleichzeitig. „Vom Teufel", sagte einer lachend. „Er hatte so große Sehnsucht nach dir." Dave Foster spürte keinen körperlichen Schmerz, als er neben der heißen Motorhaube zu Boden sank. Er sah in einiger Entfernung zwei Paar beschmutzte Schuhe vor sich, und dazwischen tauchte plötzlich Eves lächelndes Bild auf, das er nun nie wieder sehen würde. Allein dieser Gedanke tat weh.
3. Kapitel
Jo Walker war gerade erst aus Europa zurückgekehrt. Er hatte noch nicht einmal seinen Koffer ausgepackt, und eigentlich hatte er sich auf New York gefreut, obwohl er sich in den schweizer Bergen wohl gefühlt hätte, wenn er sich nicht mit dem Killer Barry Rechaud hätte herumschlagen müssen. Doch diese Episode war vorüber. Rechaud würde ihn in keiner sehr angenehmen Erinnerung behalten. Dafür hatte er gesorgt. Daß er nun schon wieder über den großen Teich sollte, schmeckte ihm ganz und gar nicht. Aber Geschäft war Geschäft, und zum Wochenende konnte, er ja wieder zurück sein. „Es dauert nicht länger als zwei Tage", versicherte sein Besucher. Es war ein etwas nervöser Typ, der ständig auf die Uhr blickte, als dürfte er keinesfalls den nächsten Termin versäumen. „Mir liegt wirklich außerordentlich viel daran, daß Sie Mister Lucall begleiten. Und der Versicherung natürlich auch. Die Statue repräsentiert einen Wert von mindestens einer halben Million Dollar. Das ist eine sehr vorsichtige Schätzung. Ähnliche Exemplare besitzen nur noch die Museen in Mexico City und Bogota. Sie besteht aus purem Gold. Allein der Materialwert ist immens."
Jo Walker lehnte sich in seinem Drehsessel zurück und blies den Rauch seiner Pall Mall senkrecht nach oben. Der Auftrag war nicht ungewöhnlich. Ähnliches hatte er schon mehrfach übernommen. Meistens war er von den Versicherungsgesellschaften beauftragt worden. Mister Hyman dachte aber an den eventuellen Schaden, den keine Versicherung der Welt decken konnte, wenn die aztekische Skulptur verschwand. Die etwa einen halben Fuß hohe Figur, die als Foto vor ihm auf dem Schreibtisch lag, stellte eine kunsthistorische Kostbarkeit ersten Ranges dar. Nicht auszudenken, was mit ihr geschah, wenn sie in habgierige Hände geriet. Vermutlich wurde sie in einen profanen Goldbarren umgeschmolzen. „Wie steht Mister Lucall dazu, daß ich ihn begleiten soll?" „Er weiß das zu schätzen, Mister Walker. Lucall ist lange genug in unserem Museum beschäftigt", erklärte Mike Hyman, der Sicherheitsbeauftragte des Metropolitan Museum of Art. „Er sieht das nicht als Mißtrauensbeweis. Im Gegenteil. Er ist froh, die Verantwortung nicht allein tragen zu müssen. Vielleicht haben Sie von den Kunst- und Antiquitätendiebstählen gehört, die in den letzten Wochen in New York und Umgebung auf oft brutale Weise verübt wurden.
Erst vor ein paar Tagen wurde der Angestellte des Juwelierhauses Hennings and Son überfallen und ausgeraubt. Die Täter schossen den jungen Mann zusammen und flohen dann mit der Beute, einem sehr schönen, alten Schmuck. Und das ist nur ein Beispiel. Die Polizei besitzt drei dicke Aktenordner mit Unterlagen über die raffinierten und leider ausnahmslos unaufgeklärten Fälle. Ich möchte nicht, daß das Foto unserer Statue ebenfalls in einem dieser Ordner erscheint. Und Mister Lucall mochte auch nicht brutal zusammengeschlagen werden. Er ist zwar verwitwet, doch hängt er sehr an seiner Tochter, die ein Internat in der Schweiz besucht. Von ihm haben Sie keinen Widerstand zu erwarten. Sollte sein Verhalten Ihnen gegenüber trotzdem zu Beanstandungen Anlaß geben, so dürfen Sie mir selbstverständlich Mitteilung darüber machen." Jo winkte lässig ab. „Derartige Vorkommnisse pflege ich selbst zu regeln", erklärte er. „Ich habe keine. Angst vor Mister Lucall. Ich weiß nur immer gern vorher, mit wem ich es zu tun bekomme. Wo befindet sich die Statue jetzt?" „Noch im Museum. Unsere Sicherheitsvorkehrungen sind ein Garant dafür, daß sie vor fremdem Zugriff sicher ist.
Erst wenn sie das Haus verläßt, fangen die Probleme an. Auf dem Weg zum Flugplatz sind schon die tollsten Sachen passiert. Und in der Maschine selbst gibt es für verbrecherische
Elemente
auch
noch
genügend
Möglichkeiten. Erst wenn ich die Bestätigung aus Stockholm habe, daß sie unter Bewachung im dortigen Staatlichen
Museum
steht,
kann
ich
wieder
ruhig
schlafen. Es handelt sich um eine Leihgabe. Wir konnten unmöglich ablehnen, weil sich sogar das Königshaus interessiert gezeigt hat." Jo schmunzelte. Gekrönte Häupter brachten es auch jetzt noch fertig, sogar nationalbewußte Amerikaner vor Ehrfurcht erschauern zu lassen. Ein Stückchen Romantik wohnte eben auch in jedem Yankee. Vielleicht war es aber auch nur Geschäftssinn. Jo
Walker, der
oft
mit
gewisser
Ehrfurcht
auch
Kommissar X genannt wurde, hatte von den Diebstählen und Raubüberfällen gelesen. Das ließ sich gar nicht vermeiden, wenn man dem Verbrechen in dieser Stadt nicht ausgesprochen uninteressiert gegenüberstand. Die Täter gingen erschreckend brutal und kompromißlos vor. Es hatte schon mehrere Tote gegeben, obwohl Gewaltanwendung bestimmt zu vermeiden gewesen wäre.
Dieser Dave Foster zum Beispiel hatte trotz seiner wertvollen Fracht nicht einmal eine Waffe bei sich getragen. Auch sonst hatte er nicht zu den Hitzköpfen gezählt. Er hatte in ein paar Tagen heiraten wollen, doch die Kugeln der Mörder setzten unter sein Leben einen Schlußstrich. Natürlich mußte er den Auftrag annehmen. Die Gangster schienen über derartige Transporte bestens informiert zu sein. Lucall, der Überbringer der Statue, schwebte also durchaus in akuter Gefahr. Jo Walker erfuhr noch, daß der Termin für die Übergabe bereits feststand, damit in Stockholm entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden konnten. Um die Flugtickets brauchte er sich nicht zu kümmern. Die wollte Hyman besorgen, der sich wenig später sichtlich erleichtert verabschiedete. Ihm war eine große Last von der Seele genommen worden. Bram Lucall war erst sechsundvierzig Jahre alt, wies aber schon unübersehbare Ansätze zum Doppelkinn und zur Leibesfülle auf. Sein Atem ging ein wenig asthmatisch, und seine Bewegungen wirkten unbeholfen. Er stand abwartend hinter Hyman, während dieser die goldene Statue in Jo Walkers Beisein in einen kleinen,
schwarzen Koffer legte, der betont unscheinbar aussah. Diese Dinger bekam man in jedem Warenhaus, und normalerweise vermutete darin niemand einen Schatz. Aber bei den guten Informationsquellen der Gangster war auch das nicht ausgeschlossen. Die Figur stellte einen Aztekenkrieger mit grimmigem Gesichtsausdruck dar. Ein wunderbar erhaltenes Stück, und Hymans Wertangabe war sicher nicht übertrieben. Sie wurde in blauen Samt behutsam eingeschlagen, bevor sich der Kofferdeckel über ihr schloß. Mister Hyman übergab seinem Angestellten den Koffer. „Passen Sie gut darauf auf, Lucall", sagte er mit bleichem Gesicht. „Trennen Sie sich nicht von Mister Walker, und geben Sie den Koffer nie aus der Hand. Auch nicht, wenn Sie auf die Toilette gehen." Lucall deutete eine Verbeugung an. Er schwitzte jetzt schon vor Anspannung. „Ich weiß, was auf dem Spiel steht, Sir", versicherte er. „Und ich bin mir des Vertrauens voll bewußt, daß Sie mir schenken. Ich werde die Statue, wenn es sein muß bis zum Letzten verteidigen. Niemand..." „Für
diesen
Part,
Mister
Lucall",
unterbrach
ihn
Kommissar X, „hat Mister Hyman mich engagiert. Damit
hier keine Mißverständnisse aufkommen, möchte ich noch einmal betonen, daß ich mich ab jetzt dafür voll verantwortlich
fühle,
daß
der
Goldjunge
völlig
unbeschadet nach Schweden kommt. Wenn ich es für notwendig erachte, wird mir also Mister Lucall sehr wohl den Koffer übergeben. Er wird nichts unternehmen, was sein Leben unnötig gefährdet. Denken Sie an diesen Foster. Heldentum am falschen Platz zahlt sich bei diesen Strolchen nicht aus. Verlassen Sie sich da auf mich. Ich bin bewaffnet und entschlossen, den Brüdern die Suppe zu versalzen." Hyman räusperte sich. „Sie reden so, als stünde der Raubversuch bereits fest. Ist Ihnen schon etwas zu Ohren gekommen? Als Privatdetektiv verfügen Sie ja über Informanten, die, wie man hört, oft aus fragwürdigen Kreisen stammen." „Ich arbeite nicht mit Gangstern zusammen, wenn Sie das meinen", erwiderte Kommissar X reserviert. „Nein, mir ist
natürlich
nichts
über
einen
geplanten
Überfall
bekannt, aber ich bin darauf vorbereitet. Einzig und allein das ist ja schließlich meine Aufgabe. Ich bin immer lieber ein bißchen zu vorsichtig, und ich erwarte, daß diejenigen, die ich schützen soll, das respektieren
und sich an meine Anweisungen halten. Das erleichtert meine Arbeit und macht den Erfolg wahrscheinlicher." „Ich habe vollstes Vertrauen zu Ihnen, Mister Walker", betonte Lucall. Er zog ein weißes Tuch aus der Tasche und tupfte sich damit die feuchte Stirn ab. Er war sichtlich nervös. Ein ausgefuchster Gangster konnte ihm unschwer ansehen, daß er ein leichtes Opfer war. „Selbstverständlich halte ich mich an Ihre Empfehlungen. Sie besitzen auf diesem Gebiet, wie man hört, eine erstaunliche Erfahrung. Da Sie immer noch leben, müssen Sie gut sein. Also sehe ich keinen Grund, warum ich etwas besser wissen sollte als Sie. Mir ist zwar nicht klar, wie Sie uns gegen ein paar Kugeln schützen wollen, die auf unsere Rücken abgefeuert werden, aber sicher besitzen Sie auch dafür ein Rezept." Kommissar X lächelte hintergründig. „Und noch dazu ein ganz simples, Mister Lucall. Ich werde stets hinter Ihnen gehen. Dann decke ich Ihren Rücken und kann außerdem beobachten, was sich vor uns tut." Bram Lucall schüttelte fassungslos den Kopf. „Sie kennen wohl überhaupt keine Angst?" meinte er. Kommissar X wurde wieder ernst. „O doch, die kenne ich. Angst ist etwas sehr Wichtiges. Ohne sie würden wir leichtsinnig werden. Und vor allem überheblich. Wenn es um
Menschenleben geht, gibt es aber nichts Schlimmeres als Überheblichkeit. Mein Leben hing schon so oft an einem seidenen
Faden,
und
auch
der
ist
bereits
mehrfach
zusammengeknotet. Ich habe die Angst in vielfältiger Form kennengelernt, aber aufgegeben habe ich noch nie. Wenn man sich nicht vor seinem eigenen Versagen fürchten muß, hat man die Partie schon halb gewonnen." „Sie sagen das, als befänden Sie sich schon wieder auf dem Rückflug", fand Hyman. „Ich lasse Ihnen jetzt das Taxi bestellen. Ihre Maschine fliegt in einer Stunde." Kommissar X winkte ab. „Kein Taxi. Meistens sind die Cab Driver ja riesig sympathische Burschen, aber bei einem Unternehmen wie dem unseren bekommt man zu leicht ein faules Ei ins Netz gelegt. Plötzlich geht die Fahrt nicht zum Airport, sondern in eine Tiefgarage, die sich als hinterhältige Falle entpuppt. In solchen Fällen verlasse ich mich lieber auf meine eigenen Fahrkünste. Mein Wagen steht draußen auf dem Parkplatz. Ich lasse ihn am Flughafen stehen. Meine Mitarbeiterin hat bereits eine Garage reservieren lassen." Der Sicherheitsbeauftragte des Museums strahlte. „Mir gefällt, daß Sie offensichtlich an alles denken", sagte er und streckte dem Detektiv die Hand entgegen. „Dann bleibt mir
nur noch, Ihnen einen angenehmen Flug ohne Zwischenfälle und eine baldige Rückkehr aus Stockholm zu wünschen." Kommissar X ergriff die dargebotene Rechte. Er drückte sie fest. Dann verließ er zusammen mit Bram Lucall den Raum. Ab
jetzt
war
er
ein
lebendes
Paket,
das
nur
aus
Aufmerksamkeit bestand. Sogar auf dem kurzen Stück vom Museum bis zu seinem Mercedes 450 SL hielt Jo die Augen offen. Falls die Gangster von dem Transport Wind bekommen hatten, bot sich ihnen auf dem Parkplatz die erste Möglichkeit, den Versuch zu unternehmen, den Koffer an sich zu bringen. Wie versprochen, ging Kommissar X knapp hinter Lucall und gab ihm knappe Anweisungen, in welche Richtung er gehen müsse, um auf den silbergrauen Wagen zu stoßen. Er sah, daß der Mann vor ihm zitterte. Der Hemdkragen war schon jetzt naß. Erfragte sich, ob Bram Lucall dieser Nervenanspannung gewachsen war. Hoffentlich drehte er nicht im entscheidenden Augenblick durch und beging einen verhängnisvollen Fehler. Es befanden sich verschiedene Leute auf dem weitflächigen Parkplatz, und immer wieder kamen neue an. Kommissar X schenkte allen seine Beachtung. Der harmlos wirkende alte Herr dort drüben konnte der Boß der Bande sein. Oder
vielleicht arbeitete die elegante Blondine, die gerade aus dem Rover stieg und sich bemühte, ihren engen Rock wieder in die korrekte Lage zu bringen, mit den Verbrechern zusammen. Kommissar X prägte sich möglichst viele Gesichter ein. Er hielt es für möglich, daß der Überfall nicht hier stattfand, sondern daß sie lediglich verfolgt wurden. Das wollte er rechtzeitig erkennen. Bram Lucall bewunderte den deutschen Wagen, dessen elegant schnittige Form ihn sichtlich beeindruckte. Er ließ sich auf den Beifahrersitz sinken, und sein Gesicht entspannte sich. Hinter der geschlossenen Autotür fühlte er sich offensichtlich sicherer als draußen auf dem Parkplatz. Er behielt den kleinen, schwarzen Koffer auf den Knien, während Kommissar X ebenfalls einstieg und den Motor startete. Jo kontrollierte im Rückspiegel jede Bewegung hinter sich. Er nahm nichts Verdächtiges wahr. Er fuhr bis zur 79sten Straße und von dort auf die Park Avenue, die er anschließend in südlicher Richtung befuhr. „Werden wir verfolgt?" erkundigte sich Brarn Lucall nervös. Der Mann blickte sich immer wieder um und verdächtigte jeden Lieferwagen, der hinter ihnen auftauchte.
Eine Antwort auf diese Frage war unmöglich zu geben. Der Verkehr flutete auf der breiten Straße wie ein aus der Schüssel gegossener Kuchenteig. Ein Überholen war ausgeschlossen. Ebensowenig ließ sich sagen, ob ein bestimmter Wagen absichtlich oder gezwungenermaßen nicht von ihrer hinteren Stoßstange wich. In Höhe der 36sten Straße wandte sich Jo Walker nach Osten. Durch den Queens Midtown Tunnel überquerten sie den East River. Hier begann die Interstate Road 495, die sie aber nur bis zum Central Parkway benutzten. Als sie schließlich auf dem Van Wyck Expressway
den
John
F.
Kennedy
International Airport erreichten, war Jo sicher, daß sie nicht verfolgt worden waren. Er war erfahren genug, um das gegebenenfalls gemerkt zu haben. „Alles klar!" sagte er beruhigend zu Bram Lucall, der auf dem ganzen Weg nur sehr wenig gesprochen hatte. „Ich stelle jetzt den Wagen in die Garage, und dann kann es losgehen." Er lenkte den Mercedes in das Kellergeschoß hinunter, passierte die Schranke, zog sein Ticket und suchte sich anschließend einen Platz in der Nähe eines Aufzugs, mit dem sie direkt bis zur Ankunftshalle fahren konnten. Ein Wächter wies ihn ein und machte ein Gesicht, als würde er dafür ein Trinkgeld erwarten.
Jo hustete ihm was, doch das nahm ihm der Bursche offenbar übel. Plötzlich brachte der Kerl einen Totschläger zum Vorschein und schlug in der gleichen Sekunde zu. Jo begriff, was die Glocke geschlagen hatte, denn plötzlich waren auch eilige Schritte zu hören. Ein zweiter Strolch, der ebenfalls eine Kluft trug, als gehörte er hierher, rannte herbei. Er hielt einen Revolver in der Hand. Der Totschläger hätte ihm einen bleibenden Scheitel gezogen. Zum Glück reagierte Jo trotz aller Überraschung schnell genug. Daher wischte er lediglich an seinem linken Ohr vorbei. Ein gemeiner Schmerz durchzuckte ihn. Er warf sich gedankenschnell zur Seite, denn schon holte der Gangster erneut aus. Im gleichen Augenblick erreichte der andere den Mercedes und riß die Tür auf der Beifahrerseite auf. Bram Lucall schrie und preßte den schwarzen Koffer gegen seine Brust. Der Gangster zerrte ihn brutal aus dem Wagen. Kommissar
X
übermannte
fürchterliche
Wut.
Dieser
nachgemachte Garagenwächter hatte ihn wie einen Anfänger hereingelegt. Sie hatten ihn erwartet. Worauf die beiden es abgesehen hatten, stand fest.
Er schlug zu, doch der Halunke schlief nicht. Er nahm sein Kinn rechtzeitig zurück und ließ so den Schlag wirkungslos verpuffen. Dafür sauste seine Stahlrute durch die Luft, und Kommissar X wurde an der Schulter getroffen. Er hatte das Gefühl, als sei sein Arm gelähmt. Gerade wollte er die Automatic aus der Schulterhalfter reißen, nun mußte er erst den nächsten Treffer abwehren. Um sich selbst machte er sich keine Sorgen. Er kam schon irgendwie zurecht. Auch gegen zwei dieser zu allem entschlossenen Schläger. Aber um Lucall sah es schlimm aus. Der Kleinere der Gangster entwand ihm den Koffer mit der Statue. Kommissar X mußte schnell handeln. Er machte einen Satz zur Seite, und der Totschläger zupfte an seinem Jackett. Dann kreiselte er herum und ließ den Angreifer seine Faust schmecken. Der Kerl stöhnte auf. Dann sprintete Kommissar X hinter dessen Komplizen her, der sich des Koffers bemächtigt hatte und nun mit langen Sprüngen zu einer Eisentür hetzte, die als Notausgang bezeichnet war. Der Kerl hatte einen beachtlichen Vorsprung. Jo mußte alles aufbieten, was an Schnelligkeit in ihm steckte. Ein paar Autos versperrten ihm den direkten Weg. Er hechtete über eine Motorhaube. Dahinter lag Bram Lucall, den der
Gangster mitleidlos niedergeschlagen hatte, und der sich gerade stöhnend aufrichtete. Kommissar X kam zu Fall, wodurch der Räuber einen weiteren Vorteil erhielt. Lucall klammerte sich zitternd an den Detektiv. „Die Statue!" brüllte er außer sich. „Der Hund hat sie mir abgenommen." So klug war Jo auch von selbst. Gewaltsam befreite er sich aus dem Griff des Aufgelösten und stürmte weiter. „Gehen Sie in den Wagen", schrie er zurück, „und verriegeln Sie von innen die Türen." Länger konnte er sich nicht um den Mann kümmern, wenn er die Statue nicht in den Rauch schreiben wollte. Der Gangster zerrte gerade die Eisentür auf. Dahinter war alles dunkel. Nicht einmal eine Notbeleuchtung brannte. Für einen winzigen Augenblick stutzte der Mann, dessen Visage Kommissar X sich längst eingeprägt hatte. Jo raste hinterher. Der andere sah ihn kommen und schickte ihm einen höhnischen Fluch entgegen. „Schöne Grüße an Stockholm, Walker!" rief er zynisch. Dann wandte er sich um und rannte durch die Tür.
Kommissar X zögerte nicht länger. Er sah seine Chance und stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab. Er prallte gegen die Eisentür, die gerade wieder zuschwang. Er beschleunigte diesen Vorgang, und der Gangster brüllte auf, als ginge es ihm ans Leben. Das war kein Wunder, denn er hatte seine Hand nicht schnell genug aus dem Türspalt bekommen. Seine Finger spreizten sich. Sie lösten sich von dem Griff des Koffers, der zu Boden polterte. Mit einem so großartigen Erfolg hatte Jo gar nicht zu rechnen gewagt. Die Statue war gesichert. Nun mußte er nur noch die Gangster fassen, damit sie ihr brut ales Spiel nicht an anderer Stelle fortsetzten. Den Koffer fest in der Linken, riß er die Tür auf. Da
traf
ihn
ein
Schlag,
daß
er
ein
paar
Schritte
zurücktaumelte. Den Koffer aber ließ er nicht los. Er erwartete den nächsten Hieb, doch der Gangster hatte mit dem Schmerz zu kämpfen, der durch seinen Arm tobte. Er rannte davon, und die Eisentür flog hinter ihm mit schepperndem Geräusch ins Schloß. Kommissar X wollte hinterher. Da stoppte ihn ein gurgelnder Schrei.
Er schnellte herum und sah gerade noch, wie Bram Lucall in einen Wagen gestoßen wurde. Es war ein brauner Chrysler. Der zweite Gangster hatte sich seiner bemächtigt. Sofort änderte der Detektiv seine Absicht. Zwar war ihm noch nicht klar, warum die Halunken Lucall verschleppen wollten, aber wahrscheinlich gedachten sie, ihn als Geisel zu benutzen, um damit ihre Forderungen nach der Statue durchzusetzen. Diesen Plan wollte er ihnen gründlich verderben. Er riß die Pistole aus der Schulterhalfter und zielte auf den Vorderreifen. In diesem Augenblick machte der Chrysler einen Satz nach vorn, und der abgefeuerte Schuß peitschte ins Leere. Irgendwo drückte sich das Geschoß an einem grauen Betonpfeiler platt. Kommissar X brachte sich in eine günstigere Schußposition, aber auch der zweite Versuch brachte nicht den gewünschten Erfolg. Der Gangsterwagen schoß um eine Ecke und entzog sich den Blicken und Kugeln Jo Walkers. Jo bebte vor Wut. Zwar war es ihm gelungen, den Strolchen die goldene Beute wieder zu entreißen, dafür aber befand sich nun Bram Lucall in ihrer Gewalt. Das war zweifellos bedrohlicher, zumal die Vergangenheit
gezeigt hatte, daß den Verbrechern ein Menschenleben nicht viel bedeutete. Während ihm diese Gedanken durch den Kopf schossen, sprintete er bereits zu seinem Mercedes hinüber, dessen Türen immer noch offenstanden. Lucall hatte also seinen Rat, sich in den Wagen zurückzuziehen, nicht befolgt. Diese Dummheit rächte sich jetzt. Jo warf sich hinters Steuer und schlug die Tür zu. Während er mit der linken Hand startete, beugte er sich über den Beifahrersitz und zog den anderen Schlag ins Schloß. Er zwang den Rückwärtsgang ins Getriebe und gab stürmisch Gas, während er den Wagen aus der Parktasche steuerte. Das alles geschah innerhalb weniger Sekunden, und doch hatte
der
Entführer
während
dieser
Zeit
einen
beachtlichen Vorsprung herausschinden können. Mit quietschenden Pneus radierte der Mercedes über die Betonspur.
Kommissar
X
mißachtete
einen
Richtungspfeil, weil ihm niemand entgegenkam, und gewann durch diese Abkürzung ein paar wertvolle Yards.
Aber der Chrysler war schon nicht mehr zu sehen. Nur irgendwo ertönte ein Schuß, und gleich darauf war das Geschrei sich faltenden Blechs zu hören. Der Gangster durchbrach gewaltsam die Sperre an der Ausfahrt. Hoffentlich hatte er nicht schon wieder eine blutige Spur hinterlassen. Er glaubte schon, daß er den braunen Chrysler verloren hätte, als er ihn plötzlich wieder vor sich sah. Es saßen jetzt drei Männer darin. Der Gangster hatte also seinen Partner irgendwo aufgesammelt und dabei etwas Zeit eingebüßt. Jetzt raste er in halsbrecherischem Tempo über die Staatsstraße 27 in östlicher Richtung und schien zu ahnen,
daß
er
seinen
Verfolger
noch
längst
nicht
abgeschüttelt hatte. Kommissar X biß die Zähne aufeinander. Seine nervigen Fäuste hielten das Lenkrad umklammert. Er schien mit dem Wagen zu verwachsen. Er kannte ihn in- und auswendig
und
wußte,
daß
er
sich
auf
seine
Leistungsfähigkeit verlassen konnte. Jo pries seine Vorsicht, sich keinem Taxi anvertraut zu haben. Er hätte jetzt keine Möglichkeit gehabt, den Gangstern zu folgen.
Sie kannten zwar seinen Wagen, und das war ein Nachteil. Wenn sie sich in die Enge getrieben fühlten, würden sie möglicherweise ihre Wut an Bram Lucall auslassen. Kommissar X behielt die Nerven. Es war sinnlos, die Verbrecher auf der Straße stoppen zu wollen. Der Ausgang
der
Auseinandersetzung
ließ
sich
nicht
abschätzen. Sie konnten ihre Geisel als Kugelfang benutzen und sogar den Spieß umdrehen. Wenn sie drohten, Lucall zu erschießen, zwangen sie ihn, den Koffer mit der Statue herauszugeben. Dann war sein ganzer Einsatz umsonst gewesen. Nein, er wollte abwartend auf Distanz bleiben. Sie sollten ihn zu ihrem Versteck führen, das sich hier auf Long Island befinden mußte. Irgendwo auf dieser langgezogenen
Halbinsel,
die
nicht
die
geringste
Ähnlichkeit mit Manhattan oder der Bronx besaß. Die Straße war um diese Jahreszeit belebt. Sie führte bis hin nach Montauk Point, dem äußersten Zipfel, und sorgte dafür, daß die Scharen von sonnenhungrigen Touristen die zahlreichen Orte und Strände an der Südküste erreichten.
Sich in diesem Trubel zu verstekken, war nicht schwer. Hier fiel niemand auf. Nicht einmal ein Mann, der keinen sehr glücklichen Eindruck machte und sich in Begleitung zweier fragwürdiger Gestalten befand. Vielleicht aber wartete auch in irgendeiner Bucht ein schnelles Boot, das die Gangster und ihre Geisel an einen entfernten Ort bringen sollte. Kommissar X hoffte, daß er das verhindern konnte. Seine Schulter und verschiedene andere Stellen seines Körpers schmerzten noch vom Hieb mit dem Totschläger. Er hatte aber noch mal Glück gehabt. Der Chrysler hatte inzwischen sein Tempo verlangsamt. Offensichtlich war den Halunken nicht daran gelegen, einer Polizeistreife in die Hände zu fallen. Der
eine
der
Gangster
kannte
seinen
Namen.
Anscheinend waren sie über alles informiert, was den lieben langen Tag in New York passierte. Auf jeden Fall aber mußten sie entsprechende Beobachtungen ange stellt haben.
Sie
waren
im
Bilde,
daß
sich
der
Sicherheitsbeauftragte des Metropolitan Museums of Art an einen Privatdetektiv gewandt hatte. Sie hatten gewußt, daß er mit dem eigenen Wagen zum Flugplatz kommen
und welche Maschine Lucall und er nehmen würden. Perfekt organisiert. Und in der Gewalt dieser Profis, die nichts dem Zufall überließen, befand sich eine wehrlose Geisel, die vor Angst schlotterte und nicht in der Lage war, eine klare, logisch klingende Anweisung zu befolgen. Kommissar X war ärgerlich, weil sich Lucall selbst in diese Lage gebracht hatte. Da es aber um sein Leben ging, durfte er deswegen nicht mit ihm hadern. Es konnte nicht jeder so kaltblütig sein und in einer derartigen Situation ruhig Blut bewahren. Vermutlich hatte Lucall selbst den Koffer zurückholen wollen und war dabei seinem Überwinder in die Hände gefallen. Die Fahrt ging an einigen Orten mit uralten Holzhäusern vorbei, die von den stolzen Besitzern auf Hochglanz gehalten wurden. Man sah ihnen, zumindest aus größerer Entfernung, ihr Entstehungsjahr nicht an. Jo
hatte
kaum
einen
Blick
für
die
verspielten
Schönheiten. Er kannte die Gegend hier zur Genüge, aber auch sonst hätte er sich voll auf den braunen Wagen konzentriert, der in einigem Abstand vor ihm fuhr. Viel konnte er nicht von dem erkennen, was in dem Chrysler vorging. Ihm schien aber, als wäre zwischen
Bram Lucall und dem Gangster, der nicht am Steuer saß, ein Handgemenge entbrannt. Zumindest aber waren sie in einen heftigen Streit verwickelt. Kommissar X hoffte, daß sich Lucall nicht zu einer Unvorsichtigkeit hinreißen ließ. Die Gefahr bestand, denn der Mann konnte ja nicht wissen, daß ihn sein Bewacher nicht aus den Augen verloren hatte. Der Detektiv fuhr geringfügig dichter auf. Vielleicht blickte Lucall sich einmal um und erkannte ihn. Danach konnte er sich wieder zurückfallen lassen. Aber der Mann tat ihm den Gefallen nicht. Sein Kopf zuckte wütend hin und her, und seine Hände fuhren gestikulierend durch die Luft. Mehr spielte sich nicht ab. Bei Amityville verließ der Chrysler plötzlich die Staatsstraße und wandte sich nach Norden. Es ging also nicht zur Küste. Demnach bestand keine Gefahr, daß die Gangster per Boot abhauen wollten. Sie befuhren eine zweispurige Straße, die sich in einem verheerenden Zustand befand. Vermutlich war ihr Belag genauso alt wie die Holzhäuser. Daß die Strecke nur wenig benutzt wurde, leuchtete ein. Die unbemerkte Verfolgung wurde dadurch erheblich schwieriger.
Trotzdem blieb Kommissar X dran. Er hatte gar keine andere Wahl, wenn er Bram Lucall befreien und nach Möglichkeit die Halunken überwältigen und der Polizei übergeben wollte. Die Fahrt führte durch ein namenloses Dorf, jedenfalls besaß es kein Ortsschild. Ein Bauer stemmte die Fäuste gegen die Hüften und blickte dem vorbeiflitzenden, Mercedes kopfschüttelnd nach. Er konnte wohl nicht begreifen, warum es die Menschen so eilig hatten. Er wandte sich wieder seinem Blumenkohl zu und war mit sich und der Welt zufrieden. Er ahnte ja auch nicht, daß er gerade
Zeuge
einer
möglicherweise
folgenschweren
Verfolgungsjagd geworden war. Kommissar X fiel nun wieder weiter zurück und blieb Minuten später stehen. Er hatte gesehen, daß auch der braune Chrysler anhielt. Der
Wagen
stand
auf
einem
Feldweg
vor
einem
verwahrlosten uralten Gebäude. Es hatte zwei Stockwerke und unten eine umlaufende Veranda. Die Fensterläden, an denen keine Spur von Farbe mehr zu erkennen war, hingen schief in den Angeln. Fast alle Fensterscheiben waren zerbrochen. Das Haus wurde mit Sicherheit schon lange nicht mehr bewohnt.
Aber der Chrysler stand davor, und einer der Gangster stieg aus. Er zerrte Bram Lucall aus dem Wagen und stieß ihn vor sich her. Dann folgte auch der andere. Die Gegend war menschenleer. Alles deutete darauf hin, daß in nächster Zeit hier ein größeres Bauprojekt in Angriff genommen werden sollte. Dann würde auch das Haus aus dem vorigen Jahrhundert weichen müssen. Die Ratten, die es vermutlich jetzt bevölkerten, mußten sich eine neue Heimat suchen. Kommissar X wartete ab. Er glaubte nicht, daß die Gangster ihren Gefangenen hierher gebracht hatten, um ihn umzulegen. Das hätten sie schon längst tun können. Sie brauchten ihn noch. Mit seiner Hilfe kamen sie vielleicht doch noch an die Aztekenstatue heran. Solange sie diese nicht besaßen, war Lucall nicht hochgradig gefährdet. Hoffentlich kapierte er das und verhielt sich entsprechend. Jo lenkte seinen Mercedes von der Straße herunter. Er fuhr über den Acker bis zu einer Wacholderbuschgruppe, die dicht belaubt war. Dort stellte er den Wagen ab und nahm einen kleinen
Feldstecher
aus
beobachtete er das Haus.
dem
Handschuhfach.
Damit
Er tastete ein Fenster nach dem anderen ab. Das Gebäude stand so, daß er zwei Fronten von seinem Standort aus sehen konnte. Allerdings war ihm der Blick in zwei Fenster durch Espenstämme verwehrt. Trotzdem hatte er Glück. Er konnte erkennen, wie die Männer an einem der zerbrochenen Fenster vorbeigingen. Sie verschwanden für eine Weile, und plötzlich beugte sich im oberen Stockwerk der breitschultrige Kerl aus einem Eckfenster und zog die schief in den Angeln hängenden Läden zu sich heran. Kurze Zeit später war das Fenster verschlossen. Jo sah nun nicht mehr, was in dem Raum vorging. Schon jetzt überlegte er, ob man es schaffen konnte, das Fenster über die Fassade zu erreichen. Er war ein guter Kletterer, und diese alten Häuser boten eine Fülle von kleinen Vorsprüngen, die wie geschaffen für jeden Einbrecher waren. Es wäre ihm lieb gewesen, wenn er etwas über die Räumlichkeiten gewußt hätte. Vielleicht kam es auf Sekunden an. Ein einziger Irrtum in der Richtung konnte Lucall und natürlich auch ihn das Leben kosten. Es wurde noch das benachbarte
Fenster
verbarrikadiert,
und
wenig
später
erschienen die beiden Halunken in der Haustür, für die sie offenbar einen funktionierenden Schlüssel besaßen, denn sie
versperrten sie sorgfältig. Ihr Gefangener befand sich nicht bei ihnen. Kommissar X kniff die Augen zusammen. Einen Schuß hatte er nicht gehört, auch keinen Schrei. Wahrscheinlich hatten sie Lucall gefesselt und sicherheitshalber auch geknebelt, damit er sich nicht bemerkbar machen konnte, falls wider Erwarten jemand an dem baufälligen Haus vorüberkam. Sie würden jetzt zurückfahren und Verbindung mit ihm aufnehmen. Wie ihre Forderung lautete, wußte er schon jetzt: Bram Lucalls Freilassung gegen die goldene Statue. Er glaubte aber nicht daran, daß sie sich an ihren Teil der Verpflichtungen halten würden. Tatsächlich stiegen die Gangster in den Chrysler, wendeten ihn mit einem halsbrecherischen Manöver und brausten nur zwanzig Schritte entfernt an ihm vorbei. Mit Hilfe des Feldstechers las er die Zulassungsnummer und notierte sie sich. Dann rief er über Autotelefon in seinem Büro an. April Bondy meldete sich und war überrascht, die Stimme ihres Herrn zu hören. „Habt ihr die Maschine verpaßt?" erkundigte sie sich. „So kann man es nennen, Kleines. Hör gut zu, was ich dir sage. Ich habe nicht viel Zeit."
„Schieß los! Ich höre schon, daß du wieder mal mitten im dicksten Schlamassel steckst. Soll ich Tom alarmieren?" „Du
kannst
ihm
folgende
Nummer
eines
braunen
Chryslers geben. Baujahr dürfte achtzig oder einundachtzig sein." Jo nannte die Nummer. Mit diesem Wagen fahren die Kunsträuber. Sie sind zur Zeit auf Long Island in Richtung Queens unterwegs. Wahrscheinlich benutzen sie wieder den Southern Parkway. Sie haben Lucall geschnappt und in einem alten Haus in der Nähe von Forkville eingesperrt. Ich hole ihn jetzt heraus. Ich nehme an, daß sie sich im Museum oder bei uns melden werden. Sollten sie bei dir anrufen, dann weißt du von nichts. Sollten sie sich mit mir treffen wollen, dann gehst du darauf ein und gibst mir schleunigst den vorgeschlagenen Treffpunkt durch." „Alles verstanden, Großer. Was ist mit dem Goldjungen?" „Du bist wieder einmal furchtbar materialistisch", stellte Jo tadelnd fest. „Die Figur habe ich bei mir. Das kannst du Hyman mitteilen. Ihn mußt du auch darüber informieren, was passiert ist. Ich gebe dir jetzt noch eine Beschreibung der beiden Gangster. Der eine ist gut sechs Fuß groß und hat ein Kreuz wie ein gut gepolsterter Footballspieler. An der rechten Hand trägt er einen Ring mit 'nen Riesenstein.
Schwarzes Glas tippe ich. Narbe unter dem linken Auge. Auf der selben Seite ist das Ohr leicht zerknautscht. Der andere ist einen halben Kopf kleiner, aber wesentlich massiver. Er könnte am rechten Handgelenk geringfügig verletzt sein. Sie haben übrigens beide dunkle Haare. Fast schwarz. Sehen aber gefärbt aus. Der Kleinere hat einen starken Bartwuchs, obwohl er rasiert ist. Seine Nase ist angeknickt wie ein Bruchei. Hast du alles?" „Alles einschließlich dem Bruchei", bestätigte April. „Okay. Der Große besitzt einen Totschläger, aber es dürfte feststehen, daß beide auch Schußwaffen bei sich haben. Paß' auf dich auf, Kleines. Ich glaube zwar nicht, daß sie unser Büro beehren, aber möglich ist bei diesen Lumpen alles. Ich. melde mich wieder, sobald ich Lucall befreit habe. Es sind nur ein paar Schritte." Jo schob den Hörer in die Halterung, blickte noch einmal nach Süden, um sich zu vergewissern, daß der Chrysler nicht zurückkam, und verließ den Wagen. Alles war still. Kaum vorstellbar, daß sich wenige Meilen südlich
in
vorwärtsschoben.
beiden
Richtungen
Blechlawinen
Jo hatte zuvor noch den schwarzen Koffer unter seinem Sitz verstaut. Er brauchte nicht jedem gleich ins Auge springen, der durch einen dummen Zufall hier vorbeikam, Er spurtete zu dem Haus, das einen gespenstischen Eindruck machte. Der Wind bewegte monoton einen Fensterladen. Jedes Klacken beantwortete eine Krähe, die auf einer der Espen hockte, mit einem mürrischen Schrei. Jo umrundete das Gebäude und stellte schnell fest, daß er sich
nicht
die
Mühe
zu
machen
brauchte,
die
verschlossene, Haustür zu öffnen. Die unteren Fenster waren fast alle zerbrochen. Er konnte sich das bequemste aussuchen. Bevor er einstieg, lauschte er mißtrauisch. Nichts war zu hören. Auch nicht in dem angrenzenden Schuppen, der ebenfalls verschlossen war. Vielleicht klemmte aber auch nur die Tür. Vorsichtig kletterte Jo durch eines der Fenster, nachdem er die dolchartigen Glasscherben aus dem Holzrahmen entfernt hatte. Die Splitter knirschten unter seinen Schuhen. Der Raum, in dem er sich befand, war leer. Ein paar Bierdosen,
alte
Zeitungen
und
ein
abgebrochenes
Taschenmesser,
das
war
alles,
was
sich
auf
den
Dielenbrettern fand. Jo schlich zur Tür, die weit offenstand. Er gelangte auf einen Flur mit drei weiteren Türen. Sie interessierten ihn nicht. Er suchte die Treppe, die in das obere Stockwerk führte. Sie befand sich am hinteren Ende des Flurs und wirkte nicht gerade vertrauenerweckend. In der Mitte fehlten ein paar Stufen, und die restlichen schienen auch keiner großen Belastung mehr standzuhalten. Jo dachte daran, daß vor ihm drei Männer die Treppe hinaufgestiegen waren, ohne sich den Hals zu brechen. Dann würde er das auch schaffen. Zwei fette Ratten huschten ihm quiekend entgegen. Anscheinend
wollten
sie
ihre
Behausung
vor
dem
Eindringling verteidigen. Jo trieb sie mit einem Fußtritt weg. Sie schnappten nach seinen Schuhen, verdrückten sich dann aber doch. Probeweise rüttelte er am gedrechselten Geländer. Es knirschte verdächtig. Da ließ er lieber wieder los. Hinter ihm quiekten wieder wütend die beiden Ratten. Jo achtete nicht auf die gefräßigen Biester. Das war ein Fehler.
Plötzlich ertönte hinter ihm eine knarrende Stimme, in der triefender Hohn lag: „Eigentlich betritt man ja ein fremdes Haus durch die Tür, Walker. Aber nachdem du es mit den Anstandsregeln nicht so genau nimmst, wirst du dich auch nicht beklagen, wenn wir dich nicht ganz behutsam anfassen." Augenblicklich zuckte Jo herum. Unter seinen Füßen brach ein morsches Brett weg, aber er verlor nicht das Gleichgewicht. Jedenfalls nicht das körperliche. Mit dem seelischen sah es schlechter aus. Woher kamen auf einmal diese beiden Typen, deren Revolver ganz und gar nichts Gutes versprachen? Sie mußten zu den beiden Halunken gehören, die Bram Lucall in das Haus geschleppt hatten. Wahrscheinlich hatten sie ihn sogar erwartet. Ihr Wagen stand möglicherweise' im Schuppen. Daß er ihn nicht genauer untersucht hatte, rächte sich jetzt. Er hatte mit keinem Hinterhalt mehr gerechnet, nachdem das Haus so sorgfältig verschlossen worden war. Bei den vielen offenen Fenstern hätte er sich eigentlich denken können, daß das nur ein Bluff war, der ihm galt.
Um ebenfalls zur Pistole zu greifen, war es zu spät. Die beiden Kerle brauchten nur noch abzudrücken. Bestimmt wußten sie auch, wo sein Wagen stand. Die Figur unter dem Sitz zu finden, war ein Kinderspiel. Wenn sie die Statue hatten, ging es auch Lucall an den Kragen. Schon aus diesem Grund mußte er den. Mann beschützen. Sein einziger Ausweg bestand darin, daß er sich mit zwei entschlossenen Sprüngen nach oben rettete und auf diese Weise ihren Kugeln entging. Oben konnte er sich dann verbarrikadieren und saß dann selbst am Drücker. „Ich schätze, es gibt etwas, worüber wir uns unterhalten sollten", sagte er gedehnt. „Glaube nicht, daß wir viel Lust zum Reden haben, Schnüffler", gab einer der Halunken frostig zurück. „Wir wollen den Koffer, und den kriegen wir jetzt auch ohne deine geschätzte Mithilfe. Du wirst nicht mehr gebraucht, wenn dir das etwas sagt." Das sagte Kommissar X allerdings eine Menge. Es war praktisch sein Todesurteil. Rückwärts tastete er sich, auf die nächsthöhere Stufe. Sie ließen es geschehen, senkten ihre Waffen aber nicht, sondern verfolgten ihn mit den glänzenden Läufen.
„Was wird mit Mister Lucall geschehen?" fragte er, während er sich auf die nächste Stufe zurückzog, die unter seinem Gewicht ächzte. „Es
wird
antwortete
ihm
nicht
der
schlechter zweite
ergehen
höhnisch.
als
dir",
„Großes
Indianerehrenwort." „Okay!" Kommissar X seufzte ergeben. „Dann habe ich wohl wirklich keine andere Möglichkeit mehr." Er
fiel
förmlich
in
sich
zusammen,
um
den
unausweichlichen Geschossen zu entgehen, und sprang die letzten Stufen nach oben. Die Killer schossen nicht. Sie lachten nur teuflisch. Kommissar X begriff auch, warum. Auf dem oberen Absatz prallte er gegen zwei weitere Männer, die ihm sofort die Arme auf den Rücken rissen. Er saß in der Falle.
4. Kapitel
Scott Fargas' Gesichtsausdruck war undefinierbar. Er vermied es, seinen Besucher anzusehen. Er paffte eine riesige Zigarre, die in seinem hageren Gesicht wie ein Leuchtturm auf den Klippen wirkte. Obwohl er einen Maßanzug trug, sah es aus, als gehörte er seinem Großvater. An seinem Klappergestell biß sich jeder noch so geschickte Schneider die Zähne aus. Seine Brille, hinter der seine bleigrauen Augen stark verkleinert wurden, paßte zu dem Gesamteindruck, solange er den Mund nicht öffnete. Jeder mußte ihn für ein wenig gehemmt, unsicher und hilflos halten. Aber das war Scott Fargas ganz und gar nicht. Sein Besucher, der ihn an Körpervolumen wohl um das Doppelte übertraf, und dessen brennend schwarze Augen für jeden leidlichen Menschenkenner von Wildheit und Entschlossenheit zeugten, wußte ein Lied davon zu singen, wie unbequem dieser Mann sein konnte. Der Mann trug zwar europäisch geschnittene Kleidung, doch Hautfarbe und Gesichtsschnitt wiesen ihn eindeutig als einen Orientalen aus. Es hätte ein verkleideter Ölscheich sein können.
Ahmad Talib kniff die Augen zusammen. Sie wurden dadurch noch schwärzer und wütender. „Ich warte jetzt schon über eine Stunde", stellte er mit kehligem Akzent fest. „Meine Auftraggeber werden sehr ungehalten sein, wenn sie erfahren, daß Sie Ihre Zusage gebrochen haben, Mister Fargas." Der Dürre hob gelangweilt die Augenlider.
„Wer
behauptet, daß ich nicht zu meinem Wort stehe?" Seine Stimme klang überraschend scharf. Der Araber sprang auf. Sein Temperament ging mit ihm durch. „Ich, Mister Fargas. Ich behaupte das nicht nur, es ist eine Tatsache. Wir werden uns nach einem anderen Lieferanten umsehen: Nach einem, der zuverlässiger arbeitet." Scott Fargas behielt die Ruhe. Er blies seinem Besucher den Rauch der Zigarre mitten ins Gesicht und amüsierte sich heimlich über dessen Wut. „In ganz New York finden Sie keinen, der auch nur annähernd so zuverlässig ist, Mister Talib", entgegnete er selbstbewußt. „Und vor allem kann Ihnen niemand diese ausgesuchte Ware beschaffen. Ihre Auftraggeber waren
stets des Lobes voll. Ich habe Informationen, daß Scheich..." „Keine Namen, Mister Fargas", fiel ihm der Araber hastig ins Wort. Der Hagere lächelte süffisant. „Wir sind allein. Glauben Sie etwa, daß ich in meinem eigenen Büro belauscht werde?" „Vielleicht nicht, vielleicht doch. Allah hat auch unsere Feinde mit Ohren gesegnet. Halten Sie sich bitte an unsere Vereinbarungen." „Schon gut", schwächte Scott Fargas ab. „Ich wollte nur sagen, daß ich zu meinem Wort stehe. Es liegt kein Grund zur Beunruhigung vor. Auch diesmal nicht. Eine geringfügige Verzögerung ist kein Weltuntergang. Sie werden die Statue erhalten." „Sie haben bereits eine große Anzahlung erhalten", erinnerte ihn der Araber. „Und Sie keine Quittung. Das wollten Sie doch damit sagen, oder? Sie wissen, daß ich nichts Schriftliches aus der Hand gebe. Sie wünschen, keine Namen zu nennen, ich bestehe darauf, daß es für unsere Geschäftsbeziehung keine schriftlichen Beweise gibt. So hat eben jeder seine kleine Marotte." Er lachte krächzend und nuckelte wieder an seiner Zigarre.
Der Araber trat erregt ans Fenster. Er hielt seine Hände hinter dem Rükken verschränkt. Es sah aus, als wollte er jemandem die Luft abdrehen. „Wir lassen uns nicht betrügen, Mister Fargas. Wir sind in diesem Punkt sehr empfindlich. Daran sollten Sie immer denken. Meine Freunde und ich besitzen alle Vollmachten.
Was
wir
tun,
wird
man
im
Emirat
gutheißen." Jetzt endlich verlor auch Scott Fargas ein wenig von seiner Ruhe. Er kam langsam in die Höhe und starrte den Mann feindselig an, der sich ihm wieder zuwandte. „Wollen Sie mir etwa drohen, Mister Talib?" „Selbstverständlich nicht.“ Es klang nicht unterwürfig, sondern spöttisch. „Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, daß meine Auftraggeber so sehr an ihrem Geld hängen wie Sie sicherlich an Ihrem Leben. Nur ein harmloser Vergleich. Nichts weiter.“ Scott Fargas spürte ein unangenehmes Kribbeln im Rücken. Diese Araber hatten eine unheimliche Art, Dinge zu sagen, die man nicht hören wollte. Aber sie zahlten gut und prompt. Meistens sogar schon im voraus. Das wog manchen Nachteil wieder auf.
„Jeder hängt an seinem Leben", konterte er. „Sie etwa nicht, Mister Talib?" - Er quälte sich ein Lächeln ab, das aber schief geriet. Es war das erstemal, daß so etwas wie Feindseligkeit zwischen ihm und dem Unterhändler auftrat. Er dachte nicht daran, sich von diesem schwarzäugigen Wüstenpinscher in die Defensive drängen zu lassen. Letzten Endes standen ihm genügend Leute zur Verfügung, die für ein paar Scheine jeden Mord zuverlässig ausführten. Ahmad Talib blieb eine Antwort schuldig. In seinem Gesicht zuckte es. Und in seinen Fäusten auch. Aber er hielt sich zurück. Noch hatte er keinen entsprechenden Auftrag bekommen. Scott Fargas legte das Schweigen des Arabers als Schwäche aus. Es war gut, daß der dunkelhäutige Halunke keine Ahnung von seiner eigenen Unsicherheit hatte. Zum Teufel! Wo blieben Bear und Soul mit der dämlichen Figur?
Sie
müßten
längst
hier
sein.
Es
war
doch
ausgeschlossen, daß dieser Walker sie ausgetrickst hatte. Völlig unmöglich! Er konnte kein Hellseher sein. Scott Fargas war Kunstsachverständiger. Sein Spezialgebiet waren zwar die fernöstlichen Kulturen, aber er verstand auch eine ganze Menge von fast allen anderen Richtungen und Epochen. Vor allem verfügte er über ausgezeichnete,
weltverzweigte Verbindungen in dieser Branche. Einschlägige Freundschaften waren von unschätzbarem Wert, wenn man wissen wollte, wo ein Gemälde oder eine Skulptur ziemlich problemlos zu stehlen war. Er lachte in sich hinein. Die Polizei würde nie darauf kommen, daß ausgerechnet er hinter den Diebstählen steckte. Seine Männer verpfiffen ihn bestimmt. nicht. Er bezahlte sie fürstlich und unternahm nie den Versuch, sie übers Ohr zu hauen. Die Jungs gingen notfalls für ihn durchs Feuer. Um so beunruhigender war, daß sie sich nicht meldeten. Selbst wenn etwas schiefgelaufen sein sollte, konnte er einen Bericht erwarten. Vielleicht faßte er die Burschen nicht hart genug an. Das Telefon schlug an. Fast gierig griff Scott Fargas danach. Ahmad Talib beobachtete ihn argwöhnisch und lauernd. Der Dürre lauschte. Am anderen Ende der Leitung sprach Pink Soul. „Es hat ein paar Schwierigkeiten gegeben, Boß", gab er zu. Seine Stimme hörte sich aber durchaus nicht kleinlaut an. „Schwierigkeiten? Was für Schwierigkeiten? Hat die Polizei mitgemischt?"
„Keine Polizei. Lucall kam nur mit dem Drecksschnüffler. Aber der hat mächtig aufgedreht. Er hätte mir fast die Hand gebrochen, dieses Schwein." „Deine Krankengeschichte interessiert mich nicht", blaffte Scott Fargas. „Habt ihr die Figur? Wieso seid ihr nicht längst hier? Unser Kunde wird ungeduldig." Ahmad Talib nickte bestätigend und zeigte seine blendend weißen Prachtzähne. „Wir konnten ihn nicht an Ort und Stelle ausschalten, Boß", berichtete der Gangster. „Wir mußten Plan zwei zur Durchführung kommen lassen. Walker ist prompt darauf reingefallen. Inzwischen dürften Sheen und die anderen ihn umgelegt haben. Das war nur noch eine Formsache. Ich schätze, daß sie spätestens in 'ner halben Stunde die Statue abliefern werden.. Was läuft als nächstes?" „Darüber reden wir, wenn die Figur hier ist. Walker ist also tot?" „Mein Wort darauf, Boß." Über Scott Fargas' Gesicht huschte ein teuflisches Grinsen. „Ich melde mich wieder, Soul, sagte er und legte den Hörer auf. Herablassend blickte er den Araber an. Er überlegte, ob er dem Burschen einen Mokka anbieten sollte, doch dann erinnerte er sich an die eindeutige Drohung und unterließ es.
„In einer halben Stunde ist das Geschäft perfekt", verkündete er. Ahmad Talib nickte. „Allah läßt die Seinen nicht im Stich", sagte er salbungsvoll. „Willkommen in seinem Garten!"
5. Kapitel
Es war erst Mittwoch und nicht etwa schon Freitag, aber trotzdem schien dies heute ein ausgesprochener Pechtag zu sein. Jo Walker atmete Schweißgeruch. Die Burschen, die ihm die Arme auf den Rücken gerissen hatten, hielten von Wasser und Seife anscheinend nicht viel. Aber diesen Makel hätte er ihnen noch verziehen, wenn das ihr einziger Fehler gewesen wäre. „Diesmal hast du dich ein bißchen übernommen, Walker", höhnte einer der Kerle hinter ihm. „Aber tröste dich", ergänzte der andere. „Es wird dir bestimmt nie wieder passieren." ' Jetzt lachten sie, alle. Auch die beiden Kerle, die langsam die Treppe heraufkamen und noch immer mit ihren Schießeisen auf ihn zielten. Eine ausgesprochen ungemütliche Situation. War das jetzt das Ende? Worauf konnte er noch hoffen? Sie waren zu viert und hielten ihn fest. Ein einziger Schuß genügte. Es gab keinen Ausweg. Während die beiden Gangster immer näherrückten, fiel Jo ein, was er im Museum zu Bram Lucall gesagt hatte. Er hatte noch nie aufgegeben. Warum sollte er es ausgerechnet diesmal tun,
wo nicht nur sein eigenes Leben von seiner Entschlossenheit abhing, sondern auch das eines weiteren Menschen. Sie standen jetzt vier Stufen unter ihm. Vielleicht würden sie ihn erst zusammenschlagen, bevor sie ihn abknallten. Ihre Gesichter sahen so aus, als freuten sie sich auf einen riesigen Spaß. Den Spaß sollten sie haben. Kommissar X konnte zwar seine Arme nicht rühren, dafür trat er mit dem rechten Bein blitzschnell nach hinten und ließ sich gleichzeitig mit einem kraftvollen Ruck nach vorn fallen. Die Griffe an seinen Armen lockerten sich und Jo brachte es fertig, sich mit einer rasanten Drehung zu befreien. Er hockte jetzt auf der obersten Stufe. Die unteren Killer schossen zum Glück nicht, weil sie fürchteten, ihre Komplizen zu treffen. Diese griffen wutschnaubend nach ihm. Darauf hatte Kommissar X nur gewartet. Er packte einen der Arme, riß ihn zu sich heran und drehte ihn so lange, bis der Kerl aufbrüllte. Danach hebelte er ihn geschickt über sich hinweg und schleuderte ihn gegen die beiden Gangster, die sich nicht mehr schnell genug in Sicherheit bringen konnten. Er fiel gegen sie, und sie polterten schreiend und fluchend die Stufen hinunter.
Jetzt löste sich doch ein Schuß, aber das Blei schlug ins Geländer und hackte einen Span heraus. Mehr Schaden richtete es nicht an. Die Treppe selbst war dieser groben Mißhandlung nicht mehr gewachsen. Sie gab ihren Geist auf und brach unter donnerndem Getöse zusammen. Eine mä chtige Staubwolke stieg auf. Unter den Stufen quietschten Ratten und gerieten in Panik. Der Gangster, der noch hinter Kommissar X stand, glotzte verblüfft in die Tiefe. Er befand sich plötzlich vor einem Abgrund. Alles war ein bißchen zu schnell für ihn gegangen. Als er seine zappelnden Komplizen unter sich sah, die versuchten, Ordnung in ihre Arme und Beine zu bringen, wurde ihm langsam bewußt, daß sie ihren Gegner unterschätzt hatten. Diesen Fehler wollte er schleunigst wieder ausbügeln. Er trat einen halben Schritt zurück und schlug zu. Er streifte Kommissar X am Kinn, doch der spürte den Hieb kaum. Er sah wieder Land. Er mußte nur aufpassen, daß er nicht ebenfalls in die Tiefe stürzte. Jo duckte den nächsten Schlag ab und ließ seine Linke vorschnellen. Ein Geschoß wischte haarscharf an ihm vorbei. Die Verbrecher im Erdgeschoß hatten sich wieder gefangen
und schäumten vor Wut. Sie vergaßen sogar, daß sich noch einer der Ihren bei ihrem Widersacher befand. „Ihr Idioten!" kreischte dieser. „Zielt gefälligst besser." „Damit hast du sicher auch mich gemeint", vermutete Kommissar X. Er schoß einen Haken ab, und der traf. Der Gangster seufzte und verdrehte die Augen. Jo griff ihm in die Jackentasche, die sich deutlich nach außen beulte, und fingerte einen Revolver heraus. Er warf die Waffe in die äußerste Ecke, damit sie für den Schuft nicht mehr erreichbar war. Dann packte er ihn am Kragen und am Hosenbund und warf ihn kurzerhand ins untere Stockwerk, wo die drei anderen sich eben verteilten, um eine möglichst geringe Angriffsfläche zu bieten. Sie schafften es nicht mehr ganz. Zumindest kamen zwei von ihnen erneut zu Fall, als ihr Komplize brüllend und mit ausgebreiteten Armen auf sie zusegelte. Die Verwirrung war komplett. Allerdings brauchten sie sich jetzt beim Schießen keine Hemmungen mehr aufzuerlegen. Jetzt befand sich nur noch Kommissar X oben. Auf den wollten sie ein Scheibenschießen veranstalten. Jo hütete sich, solange zu warten. Er lag längst flach auf dem Boden und hielt seine Automatic im Anschlag.
Einen von ihnen mußte er erwischen. Es war unmöglich, sie alle gefangenzunehmen. Doch der eine sollte ihn zu dem Boß führen. Er glaubte nicht daran, daß sich der Kopf dieser Gang persönlich an dem Überfall beteiligt hatte. Hier wurden Kunstdiebstähle in großem Stil geplant und durchgeführt. Das erforderte eine straffe Organisation und einen Mann, der im Hintergrund die Fäden in der Hand hielt. Um den ging es ihm. Nur dann ließen sich die Verbrechen beenden. Er warf sich zur Seite, denn gerade noch hatte er gesehen, daß einer der Kerle auf ihn zielte. Das Geschoß biß sich in die Holzwand hinter ihm. Dreck rieselte auf den Fußboden. Kommissar X feuerte ebenfalls. Er gab nur einen einzigen Schuß ab. Er mußte mit seiner Munition haushalten, wenn er auch noch zwei Ersatzmagazine bei sich trug und zur Not auch noch den Revolver einsetzen konnte, den er dem Gangster abgenommen hatte. Ein Schrei erfüllte das Haus. Die restlichen Fensterscheiben vibrierten. Wie mußte dieser Mann erst schreien, wenn er ernstlich verletzt war. Die Kugel war dem Halunken in den Unterschenkel gedrungen und dort steckengeblieben.
Die anderen reagierten wütend. „Halt endlich dein Maul!" fauchte einer. „Zahl's ihm zurück! Das Aas muß sterben." Sie gingen in Deckung, denn sie lagen für den Privatdetektiv wie auf dem Präsentierteller. Der Verletzte kroch winselnd über den Boden. Kommissar X ließ ihn in Ruhe. Er wollte ihn nicht töten. Er brauchte den Mann lebend. Anscheinend hatte er sich den Richtigen ausgesucht. Wer keine Schmerzen aushalten konnte, war am ehesten bereit zu reden, wenn es ihm an den Kragen ging. „Schieß doch endlich!" keifte ein anderer, der in sicherer Deckung lag. „Wozu halten wir uns hier eigentlich noch auf?" wollte ein anderer wissen. „Holen wir uns die goldene Puppe, und dann nichts wie weg hier. Der Boß wartet sicher schon lange und weiß nicht, was los ist." „Hast du Quark in den Ohren?" kam die wütende Antwort. „Unser Auftrag ist klar. Die Figur und den Schnüffler, sonst sitzt uns der Kerl schon bald wieder im Pelz." „Worauf ihr euch verlassen könnt", bestätigte Kommissar X grimmig. Momentan konnte er keinen der vier mit seiner Automatic erreichen. Aber wenn er das obere Geländer heimlich umrundete, bekam er einen neuen Blickwinkel. Er mußte es probieren.
Das schleichende Geräusch war unten anscheinend zu hören, denn eine zornige Stimme heulte: „Der Mistkerl holt unsere Waffen. Wir hätten sie doch nicht oben lassen sollen." „Idiot!" „Selber Idiot!" Schüsse peitschten auf. Kommissar X mußte sich wieder weiter zurückziehen, damit sie ihn nicht trafen. Unten waren sie ganz schön aufgeregt. Dabei unterliefen ihnen auch ein paar Unaufmerksamkeiten. Einer wagte sich zu weit aus der Dekkung heraus. Kommissar X schoß sofort und trieb ihn wieder zurück. Es wurde getuschelt. Jo konnte nicht verstehen, was sie sagten, und es interessierte ihn auch nicht. Er wollte nur dafür sorgen, daß sie den Verletzten hierließen, falls sie die Flucht ergriffen. Tatsächlich wurde ein Motor angelassen. Der Schuppen, in dem das Gangsterauto offensichtlich stand, konnte vom Haus aus erreicht werden. Jetzt würden sie die Goldstatue aus dem Mercedes holen und dabei vermutlich auch noch den Wagen demolieren. Mit seiner Pistole konnte er sie aus dieser Entfernung nicht daran hindern. Aber hatten sie nicht etwas von Waffen gesagt? Bestimmt hatten sie hier oben nicht nur Revolver versteckt. Er mußte das Zeug schnellstens finden.
Kommissar X wandte sich der ersten Tür zu. Er entdeckte einen abgedunkelten Raum. Darin hörte er ein Stöhnen. „Mister Lucall?" Der Mann konnte nicht antworten. Sie hatten ihn geknebelt. Kommissar X nahm sich nicht die Zeit, ihn zu befreien. Dazu war später Gelegenheit. Jetzt mußte er verhindern, daß ihnen doch noch die Statue in die Hände fiel. „Ich komme gleich zurück", versprach er. Dann war er schon bei der nächsten Tür. Er riß sie auf und wurde von einem Blitz geblendet. Gedankenschnell ließ er sich zu Boden fallen. Er hatte gerade noch die Gestalt gesehen, die von außen durchs Fenster turnte und auf ihn schoß. Jo riß den Arm hoch. Die Automatic spuckte Feuer. Der Kerl im Fenster reckte die Arme in die Höhe. Sekundenlang balancierte er auf dem Fensterbalken. Dann neigte er sich ganz langsam nach außen und verschwand mit einem Aufschrei. Sein Körper prallte unter dem Fenster auf den sandigen Boden und rührte sich nicht mehr. Kommissar X atmete auf. Das war knapp gewesen. Um ein Haar wäre ihm der Gangster in den Rücken gefallen. Er war
an der Außenfassade hochgeklettert, so wie er selbst es ursprünglich vorgehabt hatte. Dann aber sah der Detektiv die Waffen, die sich in dem Raum stapelten. Es waren Gewehre, Faustfeuerwaffen, Munition und
Sprengkapseln.
Ein
paar
Maschinenpistolen
unterschiedlicher Fabrikate fanden sich ebenfalls. Ein ganzes Arsenal. Für Nachschub war immer wieder gesorgt. Der Verlust dieses Lagers würde die Gang empfindlich treffen, so hoffte er. Draußen fuhr der Wagen los. „He, ihr Schweine!" schrie jemand. „Nehmt mich gefälligst mit oder soll ich hier verrecken?" Das war der Mann, den Kommissar X angeschossen hatte. Er würde nicht zulassen, daß sie ihn ins Auto schafften. Jetzt erst recht nicht. Er bückte sich und nahm ein Gewehr auf. Dann suchte er nach der passenden Munition. Gerade als er sie gefunden hatte, ging unten ein Schuß los, und ein Schrei erstarb. Jo lief zum Fenster und sah, wie ein dunkler Chevrolet davonraste. Der Gangster mit der Beinverletzung bewegte sich nicht mehr. Auf seiner Brust breitete sich ein Blutfleck aus. Er war zweifellos tot. Seine Kumpane hatten ihn
mitleidlos umgelegt, damit er sie nicht verraten konnte. Ein gnadenloses Geschäft. Überlegt lud Kommissar X das Gewehr und legte die Langwaffe an die Wange. Der Chevrolet war schon bei den Wacholderbüschen, hinter denen sein Mercedes steckte. Er feuerte einen Schuß ab, der den Kofferraum traf. Rasch hebelte er durch und schoß erneut. Diesmal verbeulte er das Nummernschild. Die Gangster gerieten in Panik. Sie hatten eine Reihe von Fehlern begangen. Zu sechst war es ihnen nicht gelungen, mit zwei Männern fertig zu werden. Jetzt waren sie nur noch zu zweit und verloren den Kopf. Der Bursche hinterm Steuer trat aufs Gaspedal und ließ den Chevy vorwärtsschießen. Sein Kopf war ihm momentan wichtiger als der kleine, goldene Azteke. Der Kerl in ihrem Versteck mußte mit dem Satan im Bunde sein. Eine andere Erklärung für ihre schmähliche Niederlage fanden sie nicht. Hoffentlich nahm der Boß ihnen diese Version ab! Kommissar X versuchte, sie durch einen Treffer der Reifen doch noch zu stoppen. Sie hatten seinen einzigen Zeugen zum Schweigen gebracht. Wenn er Lucall befreite, hatte er das
zahlenmäßige Gleichgewicht hergestellt. Dann konnte er es mit den restlichen beiden Halunken auch noch aufnehmen. Aber sie taten ihm den Gefallen nicht. Die holprige Straße sorgte dafür, daß der Wagen immer dann in die Höhe sprang, wenn Kommissar X der Meinung war, einen sicheren Treffer anbringen zu können. Schließlich waren sie zu weit entfernt. Er ließ das Gewehr sinken. Es hatte keinen Zweck mehr. Er kehrte in den Nebenraum zurück und stieß die Fensterläden auf. Bram Lucall hatte an seinen Fesseln gezerrt, ohne sich befreien zu können. Er war heilfroh, als ihm Jo Walker die Riemen abnahm und auch das Heftpflaster vor seinem Mund entfernte, um den Stoffetzen herausholen zu können. Er rang eine Weile nach Luft, bevor er ein Wort hervorbrachte: „Wa-was ist mit der Statue?" Jo sah ihn verwundert an. Hatte der Mann nicht die Schüsse und die Schreie gehört? Begriff er nicht, daß er vermutlich in seinem ganzen Leben dem Tod noch nie so nahe gewesen war wie in den vergangenen Minuten? „Sie haben sie nicht gekriegt", antwortete er. „Sie können beruhigt sein, Mister Lucall." „Das bin ich auch, Mister Walker. Wirklich, ich hätte nicht gewußt, wie ich Mister Hyman jemals wieder unter die Augen
hätte treten sollen. Wie haben Sie das nur geschafft? Ich dachte, mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Diese Gangster scheinen von der übelsten Sorte zu sein." Jo nickte. „Sie haben einen ihrer Komplizen kaltblütig erschossen", verriet er. „Anscheinend hatten sie Angst, er würde den Mund nicht halten können." Bram Lucall wurde bleich. Anscheinend begriff er jetzt endlich, was er von diesen Killern zu erwarten gehabt hätte, die nicht einmal ihresgleichen verschonten. Er massierte seine Handgelenke und ging in dem Raum auf und ab. „Ich bin ganz steif", meinte er verbiestert. „Wie geht es jetzt weiter, Mister Walker? Unsere Maschine haben wir ja offensichtlich verpaßt. Ich weiß nicht, ob heute noch eine zweite nach Stockholm geht." „Das weiß ich auch nicht." Jo wunderte sich immer mehr über diesen Mann, der während der Fahrt zum Flughafen vor Angst geschlottert hatte und nun, nachdem er wirklich Grund zur Furcht gehabt hätte, sich erstaunlich kaltblütig gab. Aber wahrscheinlich kam ihm erst später zum Bewußtsein, was er überstanden hatte. „Jedenfalls werden wir heute nicht mehr fliegen." Lucall war überrascht. „Nicht? Aber man erwartet uns doch in Stockholm."
„Jetzt nicht mehr. Mister Hyman dürfte inzwischen mit den dortigen Leuten telefoniert haben. Wir werden einen neuen Termin festlegen. Einen, den die Gangster bestimmt nicht erfahren." Bram Lucall sah den Detektiv fragend an. „Wie wollen Sie das denn anstellen? Die haben anscheinend überall ihre Spione." „In meinem Büro nicht", widersprach Jo. „Nur ich werde wissen, wann wir fliegen. Haben Sie keine Sorgen. Ich hole Sie rechtzeitig ab." „Vertrauen Sie mir nicht, Mister Walker?" „Ich möchte Sie kein zweites Mal dieser Gefahr aussetzen. Das dürfte auch in Ihrem Interesse sein." „Allerdings", bestätigte der andere. „Der heutige Tag wird nicht zu meinen angenehmsten Erinnerungen zählen." „Dann sind wir uns also einig", stellte Jo fest. „Nebenan habe ich ein komplettes Waffenlager entdeckt. Die Halunken sind großzügig ausgerüstet. Wenn es nach ihnen geht, müssen noch mehr unschuldige Menschen sterben." „Sagten Sie nicht, daß auch von ihnen einer tot ist?" „Zwei. Einen mußte ich in Notwehr erschießen, bevor er mich niedermachen konnte. Der andere fiel den Kugeln seiner
Freunde zum Opfer. Ich wäre über solche Freunde nicht glücklich." „Ich auch nicht", sagte Lucall. Seine Stimme klang wie trockenes Stroh. Sie kehrten auf den Gang zurück, und Lucall sah die eingestürzte Treppe. „Wie kommen wir da hinunter?" Jo räumte seine Bedenken beiseite. „Es ist nicht sehr hoch. Ich werde Ihnen helfen. Zuvor schaffen wir aber die Waffen hinaus." Gemeinsam warfen sie die Pistolen und Gewehre aus dem Fenster. Das Zeug würde den ganzen Kofferraum füllen. Jo wollte nichts zurücklassen, obwohl er nicht glaubte, daß die Gangster jemals hierher zurückkommen würden. Hier würde es bald vor Polizei wimmeln. Er kletterte als erster hinunter, und war anschließend Bram Lucall behilflich. Sie gingen zu den beiden Toten und überzeugten sich, daß ihnen kein Arzt mehr helfen konnte. Lucalls Gesicht war grau. Er war nahe dran, sich zu übergeben. „Wo haben Sie den Koffer?" fragte er fast barsch. „Sie sollten ihn nicht aus den Augen lassen. Sie wissen, doch, was er wert ist."
Jo
antwortete
nicht.
Er
hörte
die
Sirenen
zweier
Polizeifahrzeuge. Die Wagen stoppten wenig später, und ein paar Uniformierte sprangen mit gezückten Revolvern heraus. „Nehmt die Pfoten hoch!" forderte ein Sergeant. „Wir sind informiert worden? daß hier 'ne Schießerei stattgefunden hat. Keine Bewegung. Sonst bumst es." „Nehmen Sie Rücksicht, Sergeant", entgegnete Jo Walker. ,,Wir sind zur Zeit nämlich äußerst lärmempfindlich." Dann schilderte er in knappen Worten, was sich zugetragen hatte, und nannte Tom Rowlands Namen, der alles würde bestätigen können. Der Sergeant studierte aufmerksam Jos Lizenzkarte und gab sie ihm mit einem unfreundlichen Blick zurück. Von Privatdetektiven hielt er wohl nicht viel, und schon gar nicht von solchen, die ihm die Schau gestohlen hatten. Jo war durchaus froh über das rasche Auftauchen der Polizei. Dadurch brauchte er sich nicht weiter um die Toten zu kümmern, und die Sicherstellung der Waffen konnte er ebenfalls den Beamten überlassen. Die Gangster trugen zwar Papiere bei sich, doch handelte es sich möglicherweise um Fälschungen. Jo bat, Captain Rowland in Manhattan zu informieren, sobald die Männer
identifiziert waren oder sich andere Hinweise ergaben, die zum Kopf der Bande führen konnten. Nachdem der Sergeant einen Blick in das Haus geworfen hatte, in dem es wie nach einem Bombenangriff aussah, versprach er, sich umgehend mit den Kollegen in Verbindung zu setzen. Jo Walker und Bram Lucall mußten noch verschiedene Fragen beantworten, bevor sie endlich in den Mercedes steigen und nach Manhattan zurückfahren konnten.
6. Kapitel
Scott Fargas platzte fast vor Wut. Daß er zwei seiner Leute verloren hatte, erschütterte ihn nicht so sehr wie die Tatsache, daß er dem Araber nun doch die Statue nicht übergeben konnte. „Sie haben Ihr Wort gegeben", erinnerte Ahmad Talib eisig. „Sie haben doch gehört, was los war", empörte sich Fargas. Am liebsten hätte er den Kerl kurzerhand rausgeworfen, aber das durfte er nicht riskieren. „Jeder hat seine Probleme, mit denen er selbst fertig werden muß", konterte Talib. „Sie haben jetzt ein Problem mehr, Mister Fargas. Ich werde mir neue Instruktionen holen, aber ich fürchte, daß ich Ihnen nicht mehr viel Zeit lassen kann. In Ihrem eigenen Interesse sollten Sie alles daransetzen, die Statue herbeizuschaffen. Und zwar sehr schnell. Ich darf mich empfehlen." Der Araber zog sich mit einer angedeuteten Verbeugung zurück, die bei weitem nicht so überschwenglich ausfiel, wie es in seinem Land selbst Feinden gegenüber üblich war. Scott Fargas wartete, bis er den Raum verlassen hatte. Dann griff er nach einem schweren, gefüllten Aschenbecher und donnerte ihn gegen die Wand. Unglücklicherweise war er
nicht sehr zielsicher. Das lag wohl an seiner schäumenden Wut. Jedenfalls sauste das Wurfgeschoß mitten in eine Glasvitrine und richtete dort eine erhebliche Verwüstung an. Das steigerte seinen Zorn nur noch mehr. Er konnte sich nicht mehr beherrschen. „Sechs Mann", brüllte er, und seine Stimme überschlug sich. „Sechs Mann gegen diesen popligen Schnüffler. War keiner von euch in der Lage, ihm eine Kugel zu verpassen? Bin ich nur von unfähigen Idioten umgeben?" Huggy Sheen, ein kantiger Bursche mit trotzigem Kinn, versuchte eine Rechtfertigung. „Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände, Boß. Das bügeln wir wieder aus. Dieser Walker ist so gut wie tot." „Das habe ich vor einer Stunde schon mal gehört", fauchte Fargas. „Seid ihr wenigstens sicher, daß Craig und Stammel nicht mehr reden konnten?" „Dafür- lege ich meine Hand ins Feuer", versicherte Mort Banks, ein weißblonder Kerl, der trotz der Wut seines Bosses zu lachen schien. Das lag aber nur an der Narbe, die seine Mundwinkel in die Höhe zwang. „Stammel habe ich persönlich bedient. Der hätte bestimmt gequatscht. Und Craig hat sich den Hals gebrochen. Aber da dürfte er bereits tot gewesen sein. Von denen droht uns keine Gefahr."
„Von denen nicht, aber von den Arabern", sagte Scott Fargas leise. „Talib hat eine offene Drohung aus gesprochen. Ich möchte mir diese Brüder nicht zu Feinden machen. Sie sind mir unheimlich. Am liebsten würde ich die dreihundert Mille zurückgeben, bis ich liefern kann." „Und warum tust du es nicht, Boß?" „Blöde Frage! Weil ich sie nicht mehr habe. Ihr habt eure Anteile bekommen, und der Rest ist für Investitionen draufgegangen:" Was Scott Fargas unter Investitionen verstand, erläuterte er nicht näher. Vermutlich hatte er damit die nächsten Informationen gekauft, denn er fuhr fort: „Wir müssen unbedingt erfahren, wann Walker und Lucall fliegen. Darum kümmere ich mich am besten selbst. Eure Köpfe erinnern mich leider zu sehr an Kuhställe. Das ist nur Stroh und Mist drin. Und ihr selbst seid die Rindviecher." Die vier wagten keinen Widerspruch mehr. Sie wollten es nicht ganz mit Fargas verderben, denn einen Boß, der sie so großzügig am Gewinn beteiligte, würden sie nicht so bald wieder bekommen. „Wie wär's, wenn wir Walker einfach eine Bombe zum Geschenk machen?" schlug Jodie Bear vor und strich sich über sein Kinn, daß es nur so knisterte.
„Und wenn dabei die Statue zerfetzt wird, du Kamel? Daß Walker über die Klinge springt, steht fest. Wahrscheinlich bildet er sich ein, daß wir die Nase voll haben. Aber da hat er sich geirrt. Er wird schon bald den Tag verfluchen, an dem er sich mit uns angelegt hat." Er grinste satanisch, und seine vier Killer ließen sich davon anstecken. Ihre gute Laune war wiederhergestellt. Der Gedanke, es dem miesen Schnüffler heimzuzahlen, vertrieb ihre trüben Erinnerungen. Keiner zweifelte mehr daran, daß sie schon bald entscheidend , zurückschlagen würden. Walkers Schicksal war besiegelt.
7. Kapitel
Jo Walker war nicht so sehr zufrieden. April Bondy beobachtete ihn eine Zeitlang schweigend. Denkende sollte man nicht stören. Sie hatte die Fakten zusammengestellt und konnte verstehen, daß man darüber nicht in Begeisterung ausbrach. Einen Chrysler mit der angegebenen Zulassungsnummer gab es ebensowenig wie den Chevrolet, mit dem die letzten beiden Gangster getürmt waren. Beide Nummernschilder waren gefälscht. Vermutlich handelte es sich auch um gestohlene Wagen. Die Pässe der beiden Toten hatten sich als die mittelmäßige Arbeit eines Profis herausgestellt. Anhand der Fingerabdrücke und sonstiger Merkmale hatten sie aber trotzdem identifiziert werden können. Es handelte sich um John Stammel und Paul Craig. Beide waren alte Bekannte der Polizei in mehreren Bundesstaaten. Craig war erst vor zwei Monaten aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er eine achtzehnmonatige Haftstrafe verbüßt hatte. Auch Stammel kannte sich in verschiedenen Gefängnissen des Kontinents bestens aus. Nun waren beide tot und konnten nichts mehr über ihre Komplizen oder Auftraggeber aussagen.
Sie
hatte
die
Akten
der
früheren
Kunstdiebstähle
durchgeackert. Sie waren zahlreich, aber sie führten zu keiner gemeinsamen Spur. Alle wiesen die gleiche Handschrift auf, aber das war auch schon alles. „Irgendwo müssen die Fäden zusammenlaufen", sagte April endlich. Sie wollte Jo zum Reden bringen. Dabei kam oft mehr heraus, als wenn man stundenlang vor sich hinbrütete und die Gedanken immer nur im Kreis gingen. „Es muß sich um einen Mann handeln, der seine Nase überall hat. Vielleicht ist er sogar selbst Kunsthändler oder Juwelier. Vielleicht Auktionator. Diese Leute kennen die Szene am besten und wissen genau, was läuft." Jo Walker blieb vor dem Wandsafe stehen. Hier wußte er die wertvolle Statue in Sicherheit. Er hatte sie nicht mehr aus der Hand gegeben. Er besaß die Einwilligung Mike Hymans, den Zeitpunkt des Flugs spontan selbst bestimmen zu dürfen, um zu verhindern, daß wieder etwas zu den Gangstern durchsickerte. „Ich kann mir sogar vorstellen", sagte er mürrisch, „daß der Halunke zu den Geschädigten gehört. Vielleicht, um den Verdacht von sich abzulenken. Vielleicht aber auch, um die hohe Versicherungsprämie zu kassieren."
„Nun gut." April Bondys himbeerfarbene
Zungenspitze
befeuchtete ihre vollen Lippen. „Wenn das so ist, dann hat der Mann über seinen eigenen Fall Bescheid gewußt, nicht aber über alle anderen. Da muß es noch ein paar undichte Stellen geben, die für die nötigen Informationen verantwortlich zeichnen." Jo gab ihr recht. Immer wieder überlegte er sich, woher die Gangster so gut über seine Handlungsweise Bescheid gewußt hatten. Allerdings war das bei Licht besehen gar nicht so sensationell. Der Flug war schon vorher gebucht worden. Wahrscheinlich hatten eine Menge Angestellte im Museum davon gewußt. Für ein paar Scheine war mancher gern bereit, dieses Wissen preiszugeben. Rätselhafter war schon, wieso er ausgerechnet in der Tiefgarage
erwartet
worden
war.
Sekundenlang
verdächtigte er sogar Hyman. Er könnte kurz nach ihrer Abfahrt die Gangster darüber informiert haben, daß er sich für den eigenen Wagen entschieden hatte. Aber Hyman hatte ihn selbst engagiert. Nun gut, auch das konnte ein geschickter Schachzug des Sicherheitsbeauftragten gewesen sein. Schon mehrfach war Kommissar X ausgerechnet von jenen Leuten
scheinheilig um Hilfe gebeten worden, die sich hinterher als Schuldige entpuppt hatten. Bei Mike Hyman aber wollte er nicht so recht an diese Möglichkeit glauben. Die Liebe dieses Mannes zur Kunst und besonders zu dem kleinen, goldenen Azteken war so deutlich spürbar, daß er bestimmt den Gedanken nicht ertragen könnte, die wertvollen Dinge in anderen Händen zu wissen. Trotzdem strich Jo Hyman nicht ganz von der Liste der Verdächtigen. Fairerweise gestand er aber auch ein, daß die Gangster selbst beobachtet haben konnten, wie Lucall und er im Mercedes fortfuhren. Ein Anruf bei ihren Komplizen, die am Flughafen warteten, kündigte die Opfer rechtzeitig an. Das war kein Problem. „Personalsorgen scheint die Bande jedenfalls nicht zu haben", sagte er bissig. „Sie haben einen ganz schönen Aufwand getrieben. Sechs Mann waren beteiligt, und vielleicht haben noch ein paar andere an anderen Stellen auf ihren Einsatz gewartet." „Anscheinend war die Entführung Lucalls von Anfang an geplant", vermutete die Blondine. „Möglich, aber wahrscheinlich hätte sie sich erübrigt, wenn der Halunke mich mit seinem Totschläger gleich
richtig erwischt hätte. Das Haus dort draußen war eindeutig eine Falle. Ich bin den Kerlen im Wege. Sie wissen genau, daß sie noch nicht gewonnen haben, wenn es ihnen gelingt, mir die Statue zu entreißen." „Du hast eben einen schlechten Ruf, Jo", stellte April lächelnd fest. „Es ist stadtbekannt, daß Kommissar X sich so lange in einen Fall verbeißt, bis er ihn gelöst hat. Es muß für die Gangster kein angenehmes Gefühl sein, dich fortan in ihrem Nacken zu wissen." „Das kann ich ihnen aber schriftlich geben. Wenn sie sich schon unbedingt mit mir anlegen wollen, dann können sie das haben. Ich bin zu jeder Schandtat bereit." „Darf man erfahren, welches deine nächste Schandtat ist?" erkundigte sich April verschmitzt. „Ich bringe die Statue nach Stockholm, und wenn die Burschen vor Wut platzen." Er hatte keinem gesagt, wann es losgehen sollte. Nicht einmal April oder Tom Rowland. Er hatte sich einfach in den Mercedes gesetzt und war zu Bram Lucall gefahren. Hinter ihm lag der kleine, schwarze Koffer.
8. Kapitel
Lucall sah ihn kommen. Sein Gesicht veränderte sich, während er hinter dem Vorhang stand und beobachtete, wie der Detektiv seinen silbergrauen Wagen verließ. „So einen Schlitten werde ich auch bald fahren", murmelte er. „Und ich werde bald wieder richtige Luft atmen
können.
Nicht
diesen
Pestgestank
hier
in
Manhattan. In der Schweiz kann man noch leben. Kathryn wird sich freuen." Er, trat zurück, als Jo Walker auf das Haus zuging. Alles war vorbereitet. Es konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Er wartete ein paar Sekunden, ehe er auf das Läuten reagierte. Walker brauchte nicht zu wissen, daß er ihn schon gesehen hatte. Als er die Tür öffnete, setzte er sein überraschtestes Gesicht auf. „Sie, Mister Walker? Geht es etwa los?" „Unsere Maschine fliegt in eineinhalb Stunden. Diesmal werden uns die Lumpen keine Falle stellen. Nicht einmal meine Mitarbeiterin hat eine Ahnung, daß ich sie erst von
Schweden aus anrufen werde. Von mir aus können wir sofort losfahren, wenn es Ihnen recht ist." Bram Lucall bot seinem Besucher einen Platz an und wies auf eine kleine Bar. „Was trinken Sie?" „Für mich bitte gar nichts. Sie haben eine hübsche Wohnung." Jo Walker setzte sich auf einen Sessel, der erst jetzt sein angeschlagenes Innenleben verriet. Jo hing bedenklich schräg auf dem Polster. „Hübsch ist übertrieben", entgegnete Lucall. „Aber meine Ansprüche sind nicht sehr hoch." Er hielt Jo Walker ein Kästchen mit Zigaretten hin, doch dann lächelte er verlegen.
„Ich
vergaß,
daß
Sie
auf
Ihre
Marke
eingeschworen sind. Sie haben die Statue mitgebracht?" Er deutete auf den Koffer, der neben dem Detektiv auf dem Fußboden stand. „Natürlich! Ich kann sie doch nicht draußen im Wagen liegenlassen. Das könnte den Galgenvögeln so passen." „Da haben Sie recht." Bram Lucall lachte. Es klang etwas gequält. Er strich sich übers Kinn. „Habe ich noch Zeit zum Rasieren?" fragte er, während er aus dem Nebenzimmer eine Reisetasche holte. „Ich habe nicht so früh mit Ihnen gerechnet."
Jo hatte nichts dagegen. „Wir haben noch genug Zeit", sagte er. „Es ist ganz gut, wenn wir nicht zu lange auf dem Flugplatz herumhängen." Bram
Lucall
verschwand
Verbindungstür
offen.
im
Wenig
Bad,
ließ
später
aber
die
erklang
das
charakteristische Surren. Jo Walker sah sich im Zimmer um. Es roch ungelüftet. Er trat ans Fenster, um es zu öffnen. Seine Augen verengten sich. An seinem Wagen stand ein Halbwüchsiger und fummelte am Außenspie gel herum. Jetzt richtete er sich auf und blickte sich argwöhnisch nach allen Seiten um. Er besaß ein verschlagenes Gesicht. Wollte er etwa am hellen Tag diesen auffälligen Wagen knacken? Jetzt
griff
er
in
seine
Tasche
und
brachte
ein
Klappmesser zum Vorschein. Genießerisch schwenkte er die Klinge heraus und wog das Messer in der flachen Hand. Langsam umrundete er den Mercedes. Abschätzend betrachtete er die Reifen. Jo Walker wartete nicht länger. „Das darf doch wohl nicht wahr sein", rief er und spurtete los. Bram Lucall erschien in der Verbindungstür und wollte verblüfft wissen, was es gäbe.
Jo antwortete nicht. In höchster Eile verließ er die Wohnung und raste die beiden Treppen hinunter, bis er keuchend auf der Straße ankam. Bram Lucall trat hastig ans Fenster. Er grinste zufrieden, als er Jo aus dem Haus rennen und auf den Mercedes zuhalten sah. Der Halbwüchsige sah ihn kommen und nahm die Beine in die Hand, nachdem er das Messer kurzerhand gegen den Detektiv geschleudert hatte, ohne ihn jedoch damit ernstlich zu gefährden. Jo Walker flitzte hinterher. Bram Lucall beobachtete die Verfolgungsjagd nicht länger. Er war sicher, daß der Junge nicht so blöd sein würde, sich schnappen zu lassen, Immerhin hatte er zwanzig Dollar dafür bekommen, daß er Walker aus dem Haus gelockt hatte. Sie hatten das schon gestern vereinbart. Der Mann mit dem Doppelkinn, das erst zur Hälfte rasiert war, entwickelte plötzlich eine emsige Geschäftigkeit. Er trat an den Tisch heran und nahm den schwarzen Koffer an sich. Damit ging er ins Nebenzimmer und kam kurze Zeit später wieder zurück. Den Koffer hielt er noch immer in der Hand. Äußerlich war ihm nicht anzusehen, daß es sich um einen anderen Koffer handelte. Auf die Idee würde auch keiner kommen.
Er stellte den Koffer genau dort hin, wo er den anderen weggenommen hatte. Dann ging er zum Telefon, hob den Hörer ab und wählte hastig eine Nummer. Er lauschte nervös dem Rufzeichen und zeigte Erleichterung, als sich endlich eine Männerstimme meldete. „Bist du's, Boß?" fragte er mit gedämpfter Stimme. „Wer soll's sonst sein, wenn du mich anrufst? Ist es soweit?" „Wir fahren gleich los. Die Jungs sollen sich diesmal nicht wieder so bescheuert anstellen, sonst ist der ganze Plan im Eimer." „Überlaß das gefälligst mir!" fauchte der Boß. „Sheen und Banks werden in eurer Maschine sitzen, wenn die Sache nicht schon vorher glatt über die Bühne geht. Hat Walker gegen dich einen Verdacht?" „Bestimmt nicht", versicherte Bram Lucall triumphierend. „So großartig, wie es immer heißt, ist der gar nicht." Scott Fargas ließ sich zu diesem Thema nicht näher aus. Er dachte wohl an die beiden Männer, die er verloren hatte. Und er dachte an die Drohung Ahmad Talibs, die ihm im Genick saß. Er beendete das Gespräch, und Bram Lucall war froh darüber, denn er hörte bereits Jo Walker die Treppe heraufhasten.
Kurze Zeit später kehrte der Privatdetektiv in die Wohnung zurück. Bram Lucall stand in dem Moment längst wieder vor dem Badezimmerspiegel und ließ den Trockenrasierer schnurren. Er schaltete den Apparat ab und massierte ein unaufdringlich duftendes Rasierwasser in seine Haut ein. „War etwas nicht in Ordnung?" wollte er wissen. „So ein Lump wollte ausprobieren, wie mein Wagen mit Plattfüßen aussieht." „Ist nicht möglich! Diese Halunken werden immer dreister. Sie haben ihn doch hoffentlich erwischt." „Leider nicht. Er fetzte um die Ekke, als er mich sah, und schwang sich auf seine Maschine. Bestimmt schnitzt er jetzt irgendwo an einem anderen Fahrzeug herum. Man kann sein Auto eben nicht mehr auf der Straße stehenlassen." „In den Garagen ist man aber auch nicht sicher", erinnerte Bram Lucall an den Zwischenfall am Flughafen. Jo grinste sauer. Er hob den Koffer auf und fragte: „Können wir?" Bram Lucall nickte. Er nahm seine Reisetasche und folgte dem Detektiv.
9. Kapitel
Das Mädchen mit den langen, schwarzen Haaren strahlte. Es hatte es geschafft. Da war das Diplom. Die Prüfer hatten ausgezeichnete
Leistungen
bescheinigt,
sowohl
im
theoretischen Unterricht der Hotelfachschule, als auch beim Praktikum im renommierten Berner Hof hier in Innertkirchen. Kathryn Lucall hatte ein halbes Jahr vor der üblichen Zeit die Prüfungen abgelegt. Das bedeutete, daß sie ihrem Vater sechs Monate weniger auf der Tasche lag. Und was das Schönste war, sie hatte auch schon eine Anstellung bekommen. Es hatte ihr in der Schweiz wirklich gut gefallen, und die Ausbildung, die sie genossen hatte, war perfekt gewesen. Allerdings hatte sie immer ein bißchen gefroren inmitten der mit Schnee bedeckten Berge. Auch an die Mentalität der Menschen in diesem Landstrich hatte sie sich nicht gewöhnen können. Sie waren ihr zu verschlossen und unnahbar. Außerdem fehlte ihr ihr Vater. Deshalb hatte sie sich vor Glück kaum fassen können, daß Mister Wenwood sie in sein Hotel nach Fort Pierce holte. In Florida würde ihr nicht kalt sein, und nach New York zu ihrem Vater war es mit dem Flugzeug nur ein Katzensprung.
Natürlich würde sie erst ein paar Tage bei ihm verbringen, bevor sie voll ins Berufsleben eintrat. Sie hatte mit Mister Wenwood eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Er hatte ihr sogar das Flugticket bezahlt. Kathryn Lucall packte ihre Koffer. „Wirst du mir mal schreiben?"
fragte Suzanne
Boisson, ihre französische
Freundin, mit der sie das Zimmer geteilt hatte. Der zierlichen Brünetten standen ein paar Tränen in den Augen. Kathryn Lucall umarmte sie stürmisch. „Aber Suzanne, es ist doch selbstverständlich, daß wir in Verbindung bleiben. Ich schreibe dir regelmäßig, und ich werde dich auch anrufen. Am besten wäre es, wenn du auch zu uns rüberkämst, wenn du deine Prüfung hinter dir hast." Suzanne Boisson schüttelte den Kopf. „Nach Amerika? Mon dieu! Welch ein Gedanke! Nein, ich gehe selbstverständlich nach Paris zurück. Dort lerne ich den aufregendsten Mann kennen, den du dir vorstellen kannst, und zur Hochzeit bist du schon jetzt eingeladen." Die Freundinnen lachten. Die trüben Abschiedsgedanken waren fortgewischt. „Dad wird Augen machen, wenn ich plötzlich vor ihm stehe", sagte die Schwarzhaarige begeistert. „Fast ein ganzes Jahr haben wir uns nicht mehr gesehen."
„Und wenn er gar nicht zu Hause ist?" gab Suzanne zu bedenken.
„Überraschungen
können
manchmal
sehr
unerfreulich enden. Du solltest ihm ein Telegramm schicken." „Aber dann ist es doch keine Überraschung mehr." „Aber du bist sicher, daß du nicht vor einer verschlossenen Tür stehst. Das ist auch etwas wert." Kathryn Lucall wurde nachdenklich. Irgendwie hatte die Freundin recht. Es wäre wirklich zu dumm, wenn Dad zum Beispiel beruflich unterwegs wäre. „Was werde ich ohne dich anfangen?" meinte sie seufzend. „Kommst du mit zur Post? Dann können wir das Telegramm gleich aufgeben." Die Freundin erklärte sich einverstanden. So schickte Kathryn Lucall eine Botschaft über den großen Teich, auf die sie besser verzichtet hätte.
10. Kapitel
Diesmal wurden sie in der Tiefgarage nicht angegriffen. Sie erreichten unangefochten die riesige Ankunftshalle, und Jo Walker holte die beiden bestellten Tickets ab. Bram Lucall hatte nichts dagegen einzuwenden, daß er den Koffer trug. Ihr übriges Gepäck gaben sie auf. Der
Museumsangestellte
wirkte
nervös.
Er
redete
ununterbrochen und ließ seine Blicke durch die Halle wandern. Der Flug nach Stockholm war noch nicht aufgerufen worden. Plötzlich wurde Bram Lucall bleich. „Drehen Sie sich nicht um, Mister Walker", raunte er. Seine Lippen bewegten sich dabei nicht. „Was ist los?" fragte Kommissar X. „Ist da schon wieder der Typ mit dem Messer?" „Am Schalter dort drüben stehen zwei der Kerle, die mich in dem Haus bewacht haben. Ich wette, daß die nicht zufällig hier sind." Kommissar X bückte sich und suchte dabei die beiden Gangster. Er entdeckte sie sofort. Sie sahen zu Lucall und ihm hinüber, drehten sich gleich darauf abrupt um.
Kommissar X kam wieder in die Höhe. „Sie haben recht", bestätigte er. „Ich begreife das nicht. Niemand wußte von dem Flug." Bram Lucall biß sich auf die Unterlippe. „Vielleicht vielleicht wartet die Bande hier rund um die Uhr", vermutete er. „Sollten wir nicht lieber schon jetzt zur Paßkontrolle gehen? Ich habe kein gutes Gefühl." Kommissar X zögerte. „Sie wissen, daß diese Bande weiterarbeiten wird, auch wenn es uns gelingt, die Statue nach Schweden zu bringen." „Wahrscheinlich." „Es kann sein, daß noch mehr Menschen sterben müssen, wenn die Gang nicht zerschlagen wird." „W-was wollen Sie damit sagen, Mister Walker? Wollen Sie die Halunken etwa hochgehen lassen, hier an Ort und Stelle?" „Das wäre zu riskant. Ich alarmiere von hier aus die Polizei. Warten Sie einen Moment auf mich. Ich bin gleich wieder da." Kommissar X schritt zu der Reihe mit den Telefonboxen. Die beiden Gangster lösten sich von dem Schalter und folgten ihm. Bram Lucall atmete tief. Jetzt oder nie! Eine bessere Chance würde sich ihm nicht mehr bieten. Walker war in besten Händen. Huggy und Mort würden nicht lange fackeln. Besonders Mort Banks war ein gnadenloser Killer.
Der Mann setzte sich in Bewegung. Auf die für ihn typische unbeholfene Art verdrückte er sich in Richtung Ausgang. Die beiden Gangster achteten nicht auf ihn. Sie interessierten sich nur für Jo Walker, der den Koffer trug. Kommissar X sah sie kommen. Er begriff, daß es zum Telefonieren zu spät war. Ihre Gesichter ließen nichts Erfreuliches ahnen. Sie hatten ihm die erlittene Niederlage nicht verziehen. Einer trug einen Trenchcoat über dem Arm. Was das zu bedeuten hatte, war Jo klar. Darunter war ein Revolver auf ihn gerichtet. Jeder Griff zur Waffe würde den Killer veranlassen, augenblicklich zu schießen. Es war für die beiden nicht schwer, den Koffer an sich zu reißen und in dem quirligen Durcheinander der Halle zu verschwinden. Gerade quoll eine lärmende Menge auf die Telefonboxen zu. Es handelte sich hauptsächlich um Kinder und ein paar erwachsene Begleitpersonen. Die Gangster würden sich nicht scheuen, in die Menge zu feuern. Das mußte er verhindern. Kommissar X sprintete los. Erst jetzt sah er, daß Bram Lucall verschwunden war. Er hatte es wohl mit der Angst zu tun bekommen.
Die Gangster trennten sich und versuchten, ihn in die Zange zu nehmen. Die anderen Menschen achteten nicht darauf. In der Halle wurde ständig irgendwo geschrien, gelaufen oder für Durcheinander gesorgt. Die Zeit gepflegter Atmosphäre, in der sich nur die begüterten Schichten das Fliegen leisten konnten, war längst vorüber. Die Hektik war so groß wie auf jedem Bahnhof oder in jedem Hafen. Die Gangster schlossen die Zange. Der Weißblonde fiel ihm in den Rücken und versuchte, ihm den Koffer aus der Hand zu reißen, während ihn der andere in die Mündung seines Revolvers blicken ließ, der unter dem Mantel hervorschaute. Kommissar X wußte, daß der Halunke nicht schießen konnte, solange sein Partner in der Nähe war. Deshalb kümmerte er sich nicht um den Mann mit der Waffe, sondern widmete sich dem Weißblonden, dessen Narbe am Mund ihm schon in dem verfallenen Haus aufgefallen war. Er schnellte herum und benutzte den Koffer als Waffe. Hätte Mike Hyman gesehen, wie er mit der wertvollen Statue umging, hätte er bestimmt einen Herzinfarkt bekommen. Der Gangster griff nach dem Koffer, verfehlte ihn jedoch und bekam ihn zu spüren. Er knurrte voller Wut. Verdammt!
Warum langte Huggy nicht energischer zu? Und von Bram war überhaupt nichts mehr zu sehen. Dieser Idiot! Die
Gedanken
wurden
durch
einen
zweiten
Treffer
unterbrochen, der diesmal sein Kinn in Mitleidenschaft zog. Jetzt reichte es dem Gangster. Seine Fäuste stießen vor, aber sie stießen ins Leere. Kommissar X war zur Seite gewippt und versetzte ihm einen wohldosierten Handkantenschlag, der seinen Gegner mit einem Aufschrei ein paar Schritte vortaumeln ließ. Huggy Sheen bemühte sich, eine Position einzunehmen, von der er einen gesicherten Schuß auf den verhaßten Detektiv abgeben konnte, ohne Mort zu gefährden. Aber Kommissar X verstand es immer wieder äußerst raffiniert, diesen Plan zu vereiteln. Er richtete es so ein, daß er mit den beiden Gangstern annähernd eine Linie bildete. Dabei war er ständig in Bewegung. Duckte sich, schnellte wieder in die Höhe, ließ seine Faust vorpreschen, erwischte Mort Banks mehrfach und ließ keine Sekunde den Koffer los. Die Wut des Weißblonden wurde immer größer. War denn der Schnüffler überhaupt nicht zu fassen? Ihm gelang eine Finte. Anschließend rammte er seine Faust gegen Jo Walkers Hals. Jo rang für einen Moment nach Atem. Etwas zerrte an dem Koffer. Er trat einfach mit dem Fuß zu, wurde dann aber von
kräftigen Fäusten zurückgerissen, und eine barsche Stimme traf sein Ohr: „Tob' dich woanders aus, Freundchen! Schlägereien haben wir hier nicht so besonders gerne." Er versuchte, sich loszureißen, doch er hatte es mit zwei bulligen Uniformierten zu tun, die zur Flughafenpolizei gehörten. Mit einem Angriff von dieser Seite hatte er nicht rechnen können. „Zum Teufel!" fauchte er wütend. „Lassen Sie die beiden Halunken dort nicht entkommen. Es sind ganz üble Killer." Tatsächlich sahen die Gangster mit dem Auftauchen der Polizisten ihre Felle davonschwimmen. Sie beeilten sich, die Halle zu durchqueren und in der Menge unterzutauchen. „Wir haben nur einen gesehen, mein Lieber. Und den hast du ganz schön zusammengemischt. Du kannst von Glück sagen, wenn er dich nicht anzeigt. Wir sind nicht so rücksichtsvoll. Jetzt kommst du erst mal mit uns mit." „Das hat ein Nachspiel", versicherte Jo Walker grimmig. „Ich bin Privatdetektiv. In der Seitentasche steckt meine Karte." „Das kannst du uns alles auf dem Revier erklären", sagte einer der Uniformierten sanft. „Detektiv?" wiederholte der andere zögernd. Ihm kam der Verdacht, daß sie sich vielleicht doch um den falschen Mann gekümmert hatten.
Jo Walker riß sich mit einem entschlossenen Ruck los. Er griff in seine Jackettasche und zeigte seine Lizenz vor. Die Polizisten kratzten sich verlegen die Köpfe und murmelten etwas von einem Schein, der gegen ihn gesprochen habe, und daß sie lediglich ihre Pflicht getan hätten. Kommissar X hielt nach den beiden Gangstern und Bram Lucall Ausschau. Er entdeckte keinen der drei. Es hatte wohl auch keinen Sinn, sie in dem Gewühle wiederfinden zu wollen. „Was wollte denn der Bursche von Ihnen?" erkundigte sich einer der Polizisten jetzt sehr höflich. „Es waren zwei", korrigierte Kommissar X, „und sie sind hinter diesem Koffer her." „Sind wohl geheime Dokumente drin?" Der Beamte senkte seine Stimme zu einem Flüstern. „Wollen Sie sie sehen?" Der andere hob die Schultern. „Kommen Sie mit!" Kommissar X ging nun doch wieder zu den Telefonboxen. In einer öffnete er den Koffer und ließ die beiden Hüter des Gesetzes einen Blick hineinwerfen. „Hä?" machte einer. „Wenn Sie mich fragen", sagte der zweite, „dann ist das ein ganz normaler Ziegelstein. Soll wohl moderne Kunst sein,
wie? Diese sogenannten Künstler werden auch immer verrückter." Auch Kommissar X sah nicht die goldene Statue, sondern den von dem Polizisten erwähnten Ziegel, der in ein Tuch eingewickelt war. Sekundenlang schwieg er. Dann sagte er ein einziges Wort: „Aha!"
11. Kapitel
Bram Lucall hatte es mächtig eilig. Er rechnete damit, daß Huggy Sheen und Mort Banks den Koffer inzwischen an sich gebracht hatten. Sie würden ihn bei Scott Fargas abliefern, und dieser würde erkennen, daß er gefoppt worden war. Wenn er Walker dafür verantwortlich machte, war alles in Ordnung, aber der Boß war kein Dummkopf. Er würde sich fragen, warum er, Bram Lucall, nicht kam, um seinen Anteil zu fordern. Er würde sehr schnell wissen, was die Glocke geschlagen hatte. Bram Lucall hatte zuerst nicht vorgehabt, die Gang zu betrügen. Fargas hatte ihn immer fair bezahlt, und auch von der Anzahlung für die Statue hatte er bereits ein schönes Sümmchen erhalten. Es hätte nichts dagegen gesprochen, diesen einträglichen Nebenjob auch weiterhin auszuführen. Kathryns Aufenthalt in der Schweiz verschlang Unsummen. Noch sechs Monate, und auch dann war noch nicht sicher, ob sie überhaupt die Prüfungen bestand. Doch dann hatten Craig und Stammel dran glauben müssen, und er war Zeuge gewesen, wie Stammel von seinem eigenen Kumpel umgelegt worden war.
Da hatte ihn die Angst gepackt. Irgendwann würden sie auch ihn abknallen.
Ein
leiser
Verdacht,
er könnte
nicht
dichthalten, würde schon genügen. Nein! Das machte er nicht länger mit. In ihm war der Entschluß gereift, dieses letzte große Geschäft in eigener Regie über die Bühne gehen zu lassen. Eine halbe Million war viel größer, wenn sie ihm allein gehörte. Und in der Schweiz würden ihn Fargas und seine Killer bestimmt nicht vermuten. Es mußte nur alles sehr schnell gehen. Der Anfang hatte bestens funktioniert. Jetzt brauchte er nur nach Hause zu fahren, die Statue zu holen und schleunigst zu verkaufen. Er kannte ein paar Leute, die bestimmt interessiert waren. Seine Verbindungen konnten sich sehen lassen. Ein Taxi brachte ihn zurück. Ein paarmal wandte er sich im Fond um aus Angst, er könnte verfolgt werden. Aber das war natürlich blanker Unsinn. Die Gang konnte den Betrug noch nicht ahnen, und falls es Walker wider Erwarten gelungen war, Huggy und Mort zu entkommen, dann hatte auch er keinen Anlaß, den Inhalt des Koffers zu kontrollieren. Vielleicht trat er den Flug allein an. Vielleicht merkte er im Flugzeug, daß er dabei war, den Verantwortlichen des Staatlichen Museums in Stockholm einen Ziegelstein zu
überbringen. Dann war es zu spät. Die Maschine kehrte nicht in der Luft um. Auch dann nicht, wenn das einem Kommissar X in den Kram passen würde. Bram Lucall gab dem Cab Driver ein ansehnliches Trinkgeld und bat ihn, vor dem Haus zu warten. Er eilte die Stufen hoch und betrat sein Appartment. Er verschloß die Tür hinter sich und ging ins Schlafzimmer, wo er den gestohlenen Koffer unter dem Bett hervorzog. Er atmete schwer. Der Triumph stand in seinem Gesicht geschrieben. Liebevoll streichelte er den Koffer. Was für ein Augenblick! Er hatte nicht nur den berühmten, ja, den berühmtesten Detektiv von ganz New York City, sondern sogar Scott Fargas mit seiner ganzen Gang genarrt. Das war schon ein Meisterstück, auf das er stolz sein durfte. Mike Hyman würde natürlich auch schon bald den Braten riechen, aber das konnte ihm egal sein. Bis dahin war er über alle Berge. Über alle Schweizer Berge, genau genommen. Bram
Lucall
legte
beide
Daumen
an
die
Schnappschlösser, als es an der Tür läutete. Sein Kopf ruckte herum. Sein vor Erregung gerötetes Gesicht verlor jegliche Farbe. Wer mochte das sein? Doch nicht etwa Walker? Oder Huggy und Mort?
Er saß kerzengerade auf der Bettkante und wagte nicht zu atmen. Das Läuten wiederholte sich. Es klang schon wesentlich ungeduldiger. Bram Lucall rührte sich nicht. Er überlegte, was er tun sollte, wenn sie die Tür aufbrachen. Natürlich leugnen, das war ganz klar. Aber wo versteckte er in der Eile den Koffer? Wenn sie ihn fanden, war er fällig. Es würde ihm nicht anders gehen als Stammel. Für Verrat und Betrug gab es bei der Gang nur eine Antwort: den Tod. Er hörte ein Geräusch an der Wohnungstür, dann entfernten sich Schritte. Der
Mann
auf
dem
Bett
atmete
auf.
Himmel!
Wahrscheinlich hatte es sich nur um einen Vertreter gehandelt. Den sollte der Teufel holen. Er ging nicht einmal zum Fenster, um nachzusehen, ob er mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte. Ein Vertreter hielt sich mit Sicherheit noch einige Zeit in dem großen Appartmenthaus auf. Er erhob sich, ging in den Livingroom und schenkte sich einen Brandy ein. Nach der Aufregung brauchte er jetzt eine Stärkung.
Nachdem ihn der scharfe Schnaps seelisch wieder aufgerichtet hatte, kehrte er zu dem Koffer zurück und öffnete ihn bedächtig. Seine Augen weiteten sich. Seine Hände zitterten. Über seine Lippen quoll ein Fluch, als er den blauen Samt auseinanderschlug und auf das angerostete Stück Eisen starrte, das nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer goldenen Statue aufwies. „Walker, du Satan!" stieß er fassungslos hervor. Dann schluchzte er in ohnmächtiger Wut. Minutenlang verharrte er vor dem geöffneten Koffer, der ihn zum reichen Mann hatte machen sollen. Er zwang sich zu kühlem Denken, wenn es ihm auch schwerfiel. Den ersten Verdacht, der Detektiv habe ihm eine Falle gestellt, wies er schon bald von sich. Nein, das war ausgeschlossen. Niemals hatte der die Komödie mit der Entführung durchschaut. Vermutlich hatte der Koffer ein Köder für die Gangster sein sollen. Walker war ja vor allem daran gelegen, die Bande zu zerschlagen. Erst in zweiter Linie schien er daran.interessiert zu sein, die Statue nach Schweden zu bringen. Er
mußte
unbedingt
erfahren,
wie
die
Auseinandersetzung auf dem Flughafen ausgegangen
war, Er mußte wissen, wer jetzt die Statue besaß. Wahrscheinlich hatte Walker sie an anderer Stelle bei sich getragen. Es war durchaus möglich, daß sie Huggy und Mort doch noch in die Hände gefallen war. Bram Lucall war maßlos enttäuscht. Sein raffinierter Plan war wider Erwarten fehlgeschlagen. Aber noch gab er nicht auf. Er besaß noch immer eine reelle Chance, das wertvolle Stück in seinen Besitz zu bringen. Er schloß den Koffer mit einem neuerlichen Fluch und schob ihn wieder unter das Bett. Vielleicht brauchte er ihn noch. Man konnte ja nie wissen. Er hastete durch den Flur und übersah vor Aufregung das unscheinbare Papier auf dem Läufer. Nach einem Telegramm hätte er sich zweifellos gebückt. Noch dazu nach einem, das aus der Schweiz kam. So aber verließ er das Apartment, jagte die Treppen hinunter und gab dem Cab Driver, der noch immer auf ihn wartete, die Anweisung, wohin er ihn bringen sollte. Bei Scott
Fargas
mußte
er
die
bittere
Nachricht
schlucken, daß Walker es wieder einmal geschafft hatte, die Kunsträuber abzuschlagen. Der Koffer war in seinem Besitz geblieben. Das bedeutete, daß er früher oder
später den Tausch bemerken und daraus zweifellos die richtigen Schlüsse ziehen würde. Bram Lucall befand sich in einer erbärmlichen Situation. Einerseits mußte er sich von dem Detektiv fernhalten. Andererseits durfte er Fargas gegenüber nicht die Gründe dafür zugeben. Der Boß würde ihn sonst fertigmachen. Seine Laune war ohnehin miserabel. Er schrie und tobte, und die beiden Sündenböcke duckten sich wie unter einem schweren Gewitter. Bram Lucall entschied sich für einen kühnen Angriff. Der war noch immer die sicherste Verteidigung gewesen. „Eine Sauerei ist das", meckerte er. „Ich muß jedesmal meinen Kopf hinhalten, und diese Hammel versauen wieder
alles.
Mir
kommt
das
Spielchen
langsam
verdächtig vor." Scott Fargas sah ihn drohend an. „Verdächtig? Was willst du damit andeuten?" „Nichts Bestimmtes, Boß. Ich finde es nur komisch, daß Sheen und Banks schon zum zweiten Mal nicht in der Lage waren, Walker zu überwältigen. Haben sie das Schießen verlernt? Oder haben sie vielleicht sogar den Koffer und geben es nur nicht zu? Schließlich gibt es keine Zeugen dafür."
Huggy Sheen stürzte sich mit einem Wutschrei auf den Mann, der ihn verdächtigt hatte, aber Scott Fargas stoppte ihn scharf. „Auf deinen Platz, Sheen! Macht das unter euch aus, wenn ihr allein seid. Ich will hier keinen Stunk. Wir ziehen alle am gleichen Strick. Vergeßt das nicht! Ich nehme Lucalls Andeutung nicht ernst. Ich glaube nicht, daß einer von euch so verrückt wäre, mich betrügen zu wollen. Das würde er nicht überleben. Jeder dürfte das wissen und sich danach richten." „Frag ihn doch mal, wieso er sich so schnell verdrückt hat, Boß?" meldete sich Mort Banks zu Wort. „Das war doch nicht normal." Seine Augen suchten Bram Lucall, der unter dem wütenden Blick zusammenzuckte. „Na, eben", schlug Huggy Sheen in die gleiche Kerbe. „Richtig verdächtig war das. Wenigstens die Bullen hätte er uns vom Hals halten können. Es hat ganz so ausgesehen, als würde er nicht mit uns, sondern mit dem verfluchten Schnüffler zusammenarbeiten." „Ihr-ihr seid ja verrückt", stammelte Bram Lucall. Ihm wurde heiß. Das Gespräch nahm eine Richtung, die ihm überhaupt nicht paßte. „Schluß jetzt!" brüllte Scott Fargas. „Wir haben genau bis Mitternacht Zeit. Die Araber wollen die Statue. Ich
bin froh, daß sie sich solange hinhalten lassen. Es steht fest, daß Walker nur mit Gewalt zu knacken ist. Wir müssen uns etwas Besonderes einfallen lassen. Ich erwarte Vorschläge." Die Streithähne kamen auf andere Gedanken. Jeder glaubte, die Lösung zu wissen, wie man Jo Walker die Statue doch noch entreißen könne. Auch Bram Lucall beteiligte sich. Für ihn stand fest, daß der Detektiv sterben mußte. Er wußte zuviel, und zweifellos würde er ihm sofort einen Besuch abstatten, sobald er merkte, was sich in dem Koffer befand. Seine Augen blitzten tückisch auf, als er sich zu Wort meldete.
„Ich
habe
eine
Idee",
verkündete
er
siegessicher. „Deine Ideen taugen nichts", maulte Jodie Bear und rieb sich seine Boxernase. „Laß ihn gefälligst reden!" schrie Scott Fargas. Seine Nerven spielten nicht mehr mit. Ahmad Talibs letzter Anruf
hatte
an
Deutlichkeit
nichts
zu
wünschen
übriggelassen. Er mußte jede Chance ergreifen, die sich ihm bot. Normalerweise hätte er nach zwei Fehlschlägen auf die Beute verzichtet, doch in diesem Fall ging das nicht.
Talib würde in der Nacht die Statue abholen. Wenn er sie dem Araber dann noch immer nicht übergeben konnte, mußte er die dreihunderttausend wieder zurückzahlen. Sicherheitshalber plante er bereits einen Coup, der ihm die nötigen Barmittel in die Hände spielen sollte. Doch das galt nur für den Notfall. Besser war es, wenn er liefern
konnte.
Schon
im
Hinblick
auf
weitere
geschäftliche Beziehungen. Bram Lucall tat sehr geheimnisvoll. „Ich will aber nicht wieder in die Geschichte verwickelt werden", begann er. „Wenn ich meine Anstellung im Museum verliere, ist uns allen damit nicht gedient. Ist das okay, Boß?" Die Gangster protestierten lautstark, aber Scott Fargas brachte sie abermals zum Schweigen. „Hier bestimme ich, verdammt noch mal!" brüllte er. „Wenn dein Vorschlag gut ist, geht die Sache in Ordnung. Wir brauchen dich bestimmt noch öfter. Also schieß los!" Mort Banks und Jodie Bear murrten zwar noch, aber sie wagten keinen lauten Widerspruch. „Walker wird sich wieder mit mir in Verbindung setzen", erklärte Bram Lucall. „Ich kann ihn sogar anrufen und in meine Wohnung bitten. Ein Vorwand läßt sich leicht finden."
„Na klar", nörgelte Huggy Sheen. „Du
mußt
ihm
erklären, warum du den Schwanz eingezogen hast." „Halt's Maul und laß ihn ausreden." Fargas donnerte mit der Faust auf die Schreibtischplatte. Ruhe kehrte ein. „Ich werde ihm sagen, daß die Schweden ungeduldig werden und umgehend die Statue wollen. Er soll mich abholen und mit mir nach Stockholm fliegen." „Na und?" „Er wird mit der Figur in meiner Wohnung aufkreuzen, und dort nehmt ihr ihn dann in Empfang. Mit größter Wahrscheinlichkeit braucht ihr ihn nur abzuknallen und ihm den Koffer aus der Hand zu nehmen. Das ist alles." „Und du?" „Wie gesagt, ich möchte ungern dabeisein. Am besten ist es, wenn ich mich solange im Museum aufhalte. Von dort rufe ich später hier an und erkundige mich, ob alles funktioniert hat." Scott Fargas blickte seine Männer durch seine dicken Brillengläser forschend an. An Bram Lucall blieb er hängen. „Hört sich nicht schlecht an", gab er zu. „Ich bin einverstanden. Gib Soul deinen Wohnungsschlüssel. Du
rufst Walker von hier aus an und bleibst hier, bis alles erledigt ist." Brain Lucall war über diesen Vorschlag nicht gerade begeistert. Er hatte den Verdacht, daß der Boß ihm doch nicht ganz traute. Aber was riskierte er schon? Walker hatte keine Chance. Er würde keine Gelegenheit mehr bekommen, vor seinem Tod den Mund aufzumachen und seinen Betrug zu verraten. Er erklärte sich einverstanden und händigte Pink Soul seine Schlüssel aus. Er brauchte sie nicht mehr, solange Walker noch am Leben war. Daß das nicht mehr lange dauerte, dafür würden seine Komplizen schon sorgen.
12. Kapitel
Jo Walker fragte sich, was Bram Lucall jetzt tun würde. Er hatte sich also doch nicht getäuscht. Manches war ihm an diesem Mann ein bißchen merkwürdig vorgekommen. So hatte er es zum Beispiel seltsam gefunden, daß Bram Lucalls größtes Interesse nach seiner Befreiung der Statue gegolten hatte. Er hatte sich aufgeführt, als wäre er seit Stunden gefesselt gewesen und nicht nur wenige Minuten. Auch das Erschrecken über den Kumpanenmord der Gangster hatte ihm zu denken gegeben. Einen Beweis hatte er natürlich gegen diesen Mann nicht in der Hand gehabt, und auch jetzt war er nicht sicher, ob Bram Lucall zur Gang gehörte oder nur einmalig in seine eigene Tasche hatte arbeiten wollen. Auf jeden Fall war ihm klar, daß der Bursche, dem Mike Hyman die goldene Statue anvertraut hatte, dieses Vertrauen mißbrauchte. Jo Walker saß allein in seinem Büro. April Bondy war nicht da. Er konnte also mit ihr nicht diskutieren. Soviel stand jedenfalls fest: Bram Lucall war ihm in die Falle gegangen. Er hatte die beiden Koffer ausgetauscht, und sicher ging der verhinderte Reifenstecher ebenfalls auf sein Konto.
Jo überlegte, ob er sich den Halunken kaufen sollte, doch der würde sich vermutlich in nächster Zeit nicht in seiner Wohnung blicken lassen. Es sei denn, er rechnete damit, daß die Gangster ihn getötet hatten. Während Jo noch grübelte und seine nächsten Schritte plante, schlug das Telefon an. Er nahm den Hörer ab und meldete sich. Augenblicklich war er gespannte Aufmerksamkeit. Er hatte Bram Lucalls leicht asthmatische Stimme erkannt. Lucall spann sein Garn ab, und Jo hörte gelassen zu. Er spürte, daß kein Wort stimmte. Wenn die Schweden tatsächlich ungeduldig wurden, dann würde ihn das Mike Hyman wissen lassen und nicht Bram Lucall. Auf den Rückruf bei Hyman konnte er wohl verzichten. Daß ihn Lucall in seine Wohnung bestellte, mußte einen triftigen Grund haben. Natürlich hatte er längst entdeckt, daß seine Tauschaktion ein Schuß in den Ofen gewesen war. Er, Jo Walker, war jetzt ein gefährlicher Mann für ihn. Er mußte alles daransetzen, ihn auszuschalten. Trotzdem war Jo entschlossen, das Spiel mitzuspielen. Nur wenn er etwas riskierte, konnte er an die Hintermänner in diesem blutigen Spiel herankommen.
Jo Walker versprach, sich zu beeilen. Dann legte er den Hörer auf die Gabel zurück. Bram Lucall hatte einen schweren Fehler begangen. Nicht mit einem einzigen Wort hatte er sich erkundigt, wie die Auseinandersetzung am Flughafen verlaufen war. Er mußte es also schon von anderer Seite erfahren haben. Damit stand fest, daß er mit der Gang zusammenarbeitete, vielleicht auch bereits an früheren Verbrechen beteiligt gewesen war. Jo Walker stand auf und ging zu dem Wandsafe. Er stellte die Kombination ein und öffnete die Tür. Neben verschiedenen Papieren befand sich ein kleiner, schwarzer Koffer darin. Er nahm ihn behutsam heraus und verschloß den Safe wieder. Er trat an den Schreibtisch, legte den Koffer auf die Platte und öffnete ihn. In weichem Samt lag der
goldblitzende
Aztekenjüngling, der so große Aufregung verursachte. Jo Walker lächelte wie ein Tiger, als er den Deckel zuklappte und die Schlösser einschnappen ließ. Er schnallte sich die Schulterhalfter um, nachdem er die Automatik geprüft hatte. „Auf in den Kampf!" sagte er leise, aber drohend. Dann verließ er das Büro.
13. Kapitel
Die vier Gangster warteten auf ihr Opfer. Sie hatten die telefonische Nachricht erhalten, daß es angebissen hatte. Sie kannten ihren Gegner jetzt zur Genüge. Ein drittes Mal würden sie nicht den Fehler begehen, ihn zu unterschätzen. Er würde sterben, das war beschlossene Sache. Die Frage war nur noch, ob er den Koffer mitbrachte oder nicht. Bram Lucall war tatsächlich nicht mitgekommen. So nahmen sie die Gelegenheit wahr, in seiner Wohnung ein bißchen herumzuschnüfeln. Zu holen gab es hier ja nichts, und einen solchen Übergriff würde der Boß auch nicht dulden. Trotzdem konnte es nichts schaden, sich ein bißchen genauer umzusehen. Pink Soul hatte gleich beim Betreten der Wohnung das Telegramm auf dem Fußboden des Flurs entdeckt und prompt gelesen.
Er
grinste
lüstern:
„Das
wäre
die
richtige
Altersgruppe für Mister Soul, sagte er. „Zwanzig soll die Kleine von Lucall sein. Ich hoffe, er stellt sie mir vor, wenn sie herkommt." „Dir bestimmt nicht", entgegnete Mort Banks feixend. Er hielt seinen Revolver bereits in der Hand. „Jeder weiß, daß du es sogar schon mit Schulmädchen getrieben hast."
„Was dagegen?" „Ich nicht, aber wahrscheinlich Bram." Pink Soul schnaubte verächtlich. „Der kann mir den Buckel runter rutschen. Ich traue ihm einfach nicht mehr. Wer weiß, ob Walker überhaupt kommt. Er kann ja nur so getan haben, als würde er den Schnüffler anrufen." „Wenn der Boß neben ihm sitzt?" zweifelte Huggy Sheen. „Das traut er sich nicht. Ich will verdammt sein, wenn der..." Ein schriller Pfiff unterbrach seine Mutmaßungen. „He! Kommt mal her!" rief Jodie Bear vom Schlafzimmer aus. „Ich glaube, ich habe was Interessantes entdeckt." Nur Huggy Sheen hatte für seinen Sensationsfund Interesse. Als jedoch auch er einen Überraschungsruf ausstieß, wurden auch Pink Soul und Mort Banks aufmerksam. Verblüfft starrten alle vier auf den kleinen, schwarzen Koffer, den der Kumpel mit der Boxernase unter dem Bett vorgeholt hatte. Der Weißblonde pfiff durch die Zähne. „Dieses Schwein!" fauchte er. „Ich breche ihm das Genick." Pink Soul war in Gedanken noch mit Kathryn Lucall beschäftigt, für die er ein paar muntere Gesellschaftsspielchen gewußt hätte. Ihm war nicht klar, worauf Mort Banks hinaus wollte.
Banks erklärte es ihm: „Fällt dir nichts auf? Lucall will sein eigenes Süppchen kochen. Dieser Koffer mit dem Stück Schrott sieht doch ganz genauso aus, wie der Koffer, in dem die Statue steckt. Bestimmt wollte er beide austauschen und ist nur noch nicht dazu gekommen. Dieser Walker ist ja schließlich nicht blöd. Aber hier geht es nur um die Absicht. Lucall ist ein wurmstichiger Apfel, und ich bin dafür, daß wir den Boß jetzt gleich darüber informieren. Der Verräter ist bei ihm. Er kann ihn höchstpersönlich abservieren." „Das hätte ich dem Halunken nicht zugetraut", stellte Pink Soul fest. Erschütterung klang aus seiner Stimme. Der Glaube an das Gute im Menschen geriet ins Wanken, allerdings hatte er vom Guten eine ganz besondere Vorstellung. Er kehrte in den Livingroom zurück und ging zum Telefon. Auch die anderen nahmen wieder ihre Posten ein. Huggy Sheen beobachtete durch das Fenster die Straße. Pink Soul wählte die Nummer. Bram Lucall hatte zweifellos nur noch wenige Augenblicke zu leben. Scott Fargas
würde
ihm
kaum
Gelegenheit
geben,
eine
plausible Ausrede für die Existenz des verräterischen Koffers zu finden.
Der Gangster lauschte auf das Rufzeichen. „Er kommt!" rief Huggy Sheen
mit
unterdrückter
Stimme. Pink Soul warf den Hörer auf die Gabel zurück. Was er hatte erledigen wollen, mußte warten. Zuerst mußten sie den lästigen Schnüffler abservieren. „Hat er den Koffer?" fragte Jodie Bear erregt. Er zog seinen Revolver aus der Tasche und schenkte ihm noch einen letzten prüfenden Blick. „Er hat ihn", bestätigte der Mann am Fenster. „Mann, o Mann! Diesmal packen wir ihn. Der ahnt noch nichts von seinem Glück." „Ist auch nicht nötig", ließ sich Mort Banks vernehmen. „Er kann hinterher in Ruhe darüber nachdenken. Auf dem Friedhof hat er viel Zeit dafür." Er lachte. Sie verteilten sich. Huggy Sheen stürzte aus dem Apartment und hastete die Treppe hinauf. Im nächsten Stockwerk bezog er Stellung. Jodie Bear baute sich neben der Wohnungstür auf. Er hielt den Revolver schußbereit in der Hand. Pink Soul blieb im Living-room und lauschte. Falls wider Erwarten etwas schiefging, würde er sekundenschnell
eingreifen. Er dachte an das Abenteuer draußen auf Long Island und wünschte Jo Walker zum Teufel. Mort Banks verkroch sich im Badezimmer. Die Tür lehnte er nur an. Den Lauf seines Revolvers schob er durch den Spalt. So mochte er es am liebsten. Er würde den Schnüffler abknallen, ohne auch nur das geringste Risiko einzugehen. Danach mußte alles schnell gehen. Bis die Bullen eintrudelten, waren sie längst über alle Berge und lachten sich ins Fäustchen über diesen Einfaltspinsel, den sie Kommissar X nannten.
14. Kapitel
Kommissar X spürte die Gefahr fast körperlich. Die Falle war 'so plump, daß er normalerweise nie hinein getappt wäre. Diesmal aber tat er es aus einem besonderen Grund. Allerdings wußte auch er nicht, ob er sich damit übernommen hatte. Er verließ den Mercedes und hielt auf das Haus zu. Unauffällig beobachtete er die Fenster in der zweiten Etage, aber ihm fiel nichts Ungewöhnliches auf. Er hielt den schwarzen Koffer in der Hand und gab sich betont lässig. Erst als er im Haus verschwunden war, änderten sich seine Bewegungen. Seine rechte Hand zuckte ins Jackett und zog die Automatic heraus. Langsam schlich er Stufe um Stufe nach oben. Er lauschte auf jedes Geräusch, wurde aber erneut enttäuscht. Es war wohl die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Im ersten Stockwerk musterte er mißtrauisch die Türen. Sie waren anonym und halfen ihm nicht weiter. Er mußte seinen gefahrvollen Weg zu Ende gehen. Vielleicht bis zum letzten Atemzug.
Kommissar X schritt weiter. Dumpf hallte jetzt jeder seiner Schritte im hohen Treppenhaus. Irgendwo erklang ein
zaghaftes
Kinderlachen
und
wurde
durch
das
Schlagen einer Tür erstickt. Endlich war er oben. Das kleine Plastikschild trug den Namen Bram Lucall. Er kannte es von seinem letzten Besuch. Sein linker Mittelfinger suchte den Klingelknopf. In dieser Hand hielt er den Koffer. Danach trat er sofort einen Schritt zur Seite. Nichts war zu hören. Kein Wort, kein Schritt. Trotzdem öffnete sich langsam die Tür. Er war also bereits erwartet worden. So ungefähr hatte sich Kommissar X das vorgestellt. „Mister Lucall?" fragte er abwartend. Er ging in die Hocke und richtete die Waffe auf die Tür. Da ging es los. Offenbar hatten sie nicht mit seiner Vorsicht gerechnet. Sie hatten sich eingebildet, ihren Widersacher nur einfach abknallen zu können, aber wieder einmal hatte ihnen Kommissar X einen gewaltigen Strich durch die verbrecherische Rechnung gezogen. Zwei Revolver erschienen an der Tür, und sie spuckten nach beiden Seiten Tod und Verderben. Allerdings
erwarteten die Gangster keinen Zwerg. Deshalb hielten sie viel zu hoch. Kommissar X ließ sich mit dem Schießen Zeit. Er zielte auf eine der beiden Waffenfäuste. Als er dann einen einzigen
Schuß
abgab,
zeigte
ihm
ein
winselnder
Aufschrei an, daß er getroffen hatte. Ein Revolver polterte zu Boden, Jemand bückte sich hastig danach. Kommissar X hätte ihm eine Kugel durch den Kopf jagen können, doch daran lag ihm nichts. Er wollte den Kopf der Bande und nicht den eines windigen Killers, ohne den die blutigen Verbrechen trotzdem weiterlaufen würden. Kommissar
X
schnellte
in
die
Höhe.
Sein
Fuß
katapultierte vor und traf haargenau die Kinnspitze des Halunken. Der brüllte auf und taumelte in das Apartment zurück. Der andere hatte die Ballerei fortgesetzt, und Kommissar X entging nur mit sehr viel Glück einem Treffer. Schritte waren in der Wohnung zu hören. Offensichtlich kam Verstärkung. Noch wußte Kommissar X nicht, mit wie vielen Kerlen er es zu tun hatte. Auf eine längere Schießerei durfte er sich nicht einlassen. Da mußte er den
kürzeren
ziehen,
falls
nicht
vorher
von
einem
Hubschrauber die Polizei informiert wurde. Über ihm war ein schwaches Geräusch zu vernehmen. Kommissar X schnellte herum und warf sich gleichzeitig zu Boden, denn er hatte gerade noch den kurzen Blitz gesehen, der auf ihn zuraste. Also hatten sie auch das Treppenhaus besetzt. „Gib auf, Schnüffler!" schrie der Bursche auf der Treppe. Er hatte sich blitzschnell wieder zurückgezogen. „Kommt der Reihe nach mit erhobenen Händen heraus", schlug der Detektiv vor. „Danach können wir miteinander reden. Die Statue bekommt ihr jedenfalls nicht." „Das werden wir ja sehen, du Miesling", fauchte ein anderer. Bevor Kommissar X es verhindern konnte, riß ihm jemand die Füße unter dem Leib weg. Er ruderte mit den Armen durch die Luft, ließ aber Pistole und Koffer nicht los. Eine Gestalt tauchte in der Tür auf. Sie schoß auf ihn. Kommissar X schleuderte ihm den Koffer ins Gesicht. Dadurch ging der Schuß fehl. „Verdammt!" fluchte er und meinte den Koffer. Die Gangster lachten triumphierend und zerrten den Koffer eilig in die Wohnung.
Der Mann auf der Treppe schoß wieder. Es wurde langsam ungemütlich. Jo hatte noch zwei Schuß. Dann mußte er nachladen.
Den
Revolver,
den
einer
der
Schufte
fallengelassen hatte, konnte er momentan nicht erreichen, ohne sich größerer Gefahr auszusetzen. „Sieh nach, ob nicht wieder nur ein Stück Eisen drin ist", krächzte einer. Kommissar X spurtete los. Mindestens zwei Gangster waren jetzt drinnen beschäftigt und würden nicht so schnell auf ihn schießen, wenn er an ihnen vorbeiraste. Ein Jubelschrei folgte ihm. Sie hielten ihn für den Verlierer. Dabei ahnten sie nicht, daß er ihnen die Statue absichtlich überlassen hatte. Sie sollten ihn zu ihrem Boß bringen. Das war ein riskanter Plan. Kommissar X hielt sich selbst die Daumen.
15. Kapitel
Jo jagte die Treppe hinunter. Zwei, drei Schüsse folgten ihm zwar noch, aber sie wurden nicht mit voller Konzentration abgefeuert: Sie hatten ja die Statue. Daß ihnen der Schnüffler entwischt war, hielten sie für nicht so tragisch. Sie freuten sich an ihrem Sieg, wenn auch Jodie Bear sein Gesicht vor Schmerzen verzerrte und seine rechte Hand mit einem Fetzen umwickelte. „Den Lumpen bringe ich um", versprach er haßerfüllt, aber er zweifelte selbst daran, ob ihm das mit einer Hand noch gelingen konnte. Huggy Sheen kam von der Treppe zurück. Auch er war begeistert, als er die goldene Figur sah. „Wir bringen sie gleich dem Boß", schlug er vor. „Der sitzt schon wie auf Kohlen. Die Araber machen ihm ganz schön die Hölle heiß." Mort Banks nickte. „Das erledigst du mit Jodie." „Und ihr?" „Wir rufen ihn rasch an. Er soll schnellstens über alles Bescheid wissen. Vor allem auch, daß uns Walker durch die Lappen gegangen ist und daß Lucall uns betrügen wollte. Ihr
kommt dann gerade noch zurecht, um seine Leiche wegzuschaffen." Die Gangster grinsten teuflisch und ohne Mitleid. Verrat war ein schlimmes Delikt. Darauf gab es in ihren Kreisen nur eine mögliche Antwort. Die würde Bram Lucall erhalten.
Scott Fargas lauschte in die Hörmuschel. Seinem Gesicht war nicht anzusehen, was er dachte. Bram Lucall beobachtete ihn voller Sorge. Noch immer überlegte er, ob sich ihm eine Möglichkeit bot, die Statue in seinen Besitz zu bringen. Dieses Telefongespräch würde vielleicht die Antwort darauf geben. Der Boß blickte ihn kurz an. Seine bleigrauen Augen besaßen einen gefährlichen Glanz, der ihn warnte. Er gab ein paar Anweisungen an den Anrufer. Dann legte er den Hörer zurück. „Hat es geklappt?" fragte Bram Lucall vorsichtig. Scott Fargas sah ihn nicht an. „Sie haben die Statue", sagte er, „Aber Walker konnten sie wieder nicht erledigen. Dieser Schnüffler muß sterben, sonst kriegen wir vor ihm keine Ruhe." „Ganz meiner Meinung."
Scott Fargas hob den Kopf und bohrte seine Blicke in sein Gegenüber. „Es freut mich, daß wir wenigstens in diesem Punkt einig sind. Dann wirst du auch verstehen, daß Betrüger in meiner Gang keinen Platz haben." Er hielt plötzlich eine Pistole in der Hand und richtete sie auf Lucall. Dieser wurde bleich und wagte keine Bewegung, obwohl er am liebsten aufgesprungen und davongelaufen wäre. „W-was soll das bedeuten, Boß?" sagte er keuchend. „Ich verstehe das nicht." „Wirklich nicht?" kam es schneidend. „Muß ich dich an den Koffer erinnern, der unter deinem Bett liegt? Du bist ein ganz mieses Schwein. Du wolltest mich bestehlen. Das hat noch keiner gewagt. Steh auf und dreh dich um. Ich will dein Gesicht nicht sehen, wenn du krepierst." Bram Lucall brach zusammen. Schlotternd hockte er vor dem Gangster, von dem er wußte, daß seine Worte kein leeres Geschwätz waren. Wenn es ihm nicht gelang, Fargas von der Harmlosigkeit des Koffers zu überzeugen, war er in der nächsten Sekunde ein toter Mann und würde nie mehr die Schweizer Berge sehen. Und vor allem nicht Kathryn, die er als einziges auf dieser Welt wirklich liebte.
Er versuchte es mit allen möglichen Erklärungen, aber Scott Fargas wischte sie mit einer ungeduldigen Handbewegung fort. „Du hast mich einmal für einen hirnlosen Idioten gehalten. Versuche das nicht schon wieder. Du bist das größte Stück Dreck, mit dem ich jemals zu tun hatte. Aber du hast Glück." Bram Lucall schöpfte neue Hoffnung. Der Boß sagte das nicht ohne Grund. Er würde ihm eine Chance geben. „Du wirst diesen Walker umlegen. Du gehst zu ihm und knallst ihn ab. Wenn noch jemand im Büro ist, schießt du eben ein paarmal mehr. Unsere Wege werden sich trennen, und wir werden vergessen, daß wir uns gekannt haben." Bram Lucall erschrak. Er sollte einen Mord begehen? Dazu war er nicht in der Lage, und das wußte Fargas auch ganz genau. Außerdem hätte er gegen Walker nie eine Chance. Der war einfach besser. Daß er sich die Statue nun doch hatte abnehmen lassen, verstand er nicht ganz. Anscheinend war er geflohen. Scott Fargas schien seine Gedanken zu erraten. „Dieser Walker ist ein raffinierter Halunke", sagte er leise. „Der läßt sich nur reinlegen, wenn er sich einen ganz bestimmten Vorteil davon erwartet. Ich wette, daß er sich von Sheen und Bear hierher führen läßt, um mich hochgehen zu lassen. Das
ist eigentlich die beste Gelegenheit für dich, die Sache gleich zu erledigen. Wir anderen werden selbstverständlich sofort abhauen. Der Schnüffler wird das Nest leer finden, und du kannst dich dann in Ruhe mit ihm beschäftigen. Erzähle ihm irgendeine rührende Geschichte, bevor du ihn umlegst." Bram Lucall sah das Ganze schon nicht mehr so hoffnungslos. Er würde Walker weismachen, daß er von der Gang gezwungen worden war, für für sie zu arbeiten. Auch den Koffertausch konnte er auf diese Weise darstellen. Der Detektiv war sein bester Schutz. Fargas konnte ihn nicht zwingen, einen Mord zu begehen. Scott Fargas zog die Schublade auf und holte einen zweiten Revolver heraus. Er schob ihn über die Schreibtischplatte. „Ich warne Neugierige", sagte er drohend. „Die Munition bekommst du natürlich erst, bevor wir von hier verschwinden. Sollte Walker wider Erwarten seine Schnüffelnase nicht in das Büro stecken, erledigst du ihn eben in seinen eigenen Räumen. Haben wir uns verstanden?" Bram Lucall nickte schwach. Innerlich wurde er schon wieder ruhig. Reich würde er zwar nicht werden, aber wenigstens brauchte er nicht mehr um sein Leben zu fürchten. Vielleicht befand er sich schon morgen in der Schweiz.
„Dann ist ja alles in Ordnung", fand Scott Fargas zufrieden. „Du planst doch nicht wieder einen Betrug?" „Aber nein, Boß", versicherte Lucall hastig. „Ich bin doch nicht lebensmüde." „Das dachte ich mir. Schließlich geht es auch nicht nur um dein Leben, sondern auch um das deiner Tochter." Lucall erschrak. „Kathryn? Was hat das Mädchen damit zu tun?" Fargas zündete sich umständlich eine neue Zigarre an und blies den Rauch seinem Gegenüber ins Gesicht. „Ach ja", sagte er, „Du kennst ja ihr Telegramm noch gar nicht. Sie hat geschrieben, daß sie irgendwelche Prüfungen bestanden hat und aus der Schweiz herüberkommt. Die Kleine ist bestimmt enttäuscht, daß du sie nicht in Empfang nimmst. Na, Soul und Banks erledigen das schon für dich. Du solltest also in euer beider Interesse nicht danebenschießen." „Kathryn? Ein Telegramm?" Er konnte es nicht fassen. Aber dann erinnerte er sich an das Läuten an seiner Tür, und nun wußte er, daß ihm der Telegrammbote einen Schrecken eingejagt hatte. „Laßt das Mädchen in Ruhe. Es hat euch nichts getan." „Wir tun ihm auch nichts. Du hast es in der Hand. Oder genauer gesagt, in deinem Revolver." Scott Fargas lachte gehässig.
„Wann-wann wird sie kommen?" Bram Lucall hoffte, daß Walker sie noch am Flughafen abfangen konnte. Scott Fargas blickte auf seine Armbanduhr. „Ihre Maschine ist vor einer dreiviertel Stunde gelandet, verriet er. „Sie dürfte gerade bei dir klingeln." Bram Lucalls Herz setzte für einen Schlag aus. Jetzt wußte er, daß er keine Wahl hatte.
16. Kapitel
Kathryn Lucall schleppte ihre beiden Koffer nach oben. Die Enttäuschung, daß ihr Vater sie nicht am Flugplatz abgeholt hatte, hatte sie inzwischen überwunden. Sie hatte das Telegramm ganz einfach zu spät abgeschickt. Er hatte es nicht mehr rechtzeitig erhalten. Sie freute sich schon auf sein Gesicht. Sie wußte, daß sie im vergangenen Jahr noch hübscher geworden war. Man hatte es ihr oft genug gesagt. Um ein Haar hätte sie sogar geheiratet, doch sie wollte nicht in der Schweiz bleiben. So stark war ihre Liebe zu Curt Berein nicht gewesen. Sie würde gleich Suzanne anrufen und ihr mitteilen, daß sie gut angekommen sei. Die Freundin hatte sich noch kurz vor ihrer Abreise in Schauergeschichten ergangen. Sie wußte immer so schön spannend von allen möglichen Verbrechen zu erzählen. Aber selbstverständlich war der Flug glatt und ohne Zwischenfälle
verlaufen.
Sie
war
weder
einem
Heiratsschwindler, noch einem Mädchenhändler begegnet. Kathryn
Lucall
lächelte
bei
diesem
abenteuerlichen
Gedanken. Dann klingelte sie, nachdem sie die Koffer neben sich abgestellt hatte.
Die Tür wurde überraschend schnell geöffnet. Sie wollte ihrem Vater um den Hals fallen, doch sie prallte befremdet zurück. Rasch vergewisserte sie sich mit einem Blick auf das Namensschild, daß sie sich nicht im Apartment geirrt hatte. „Sie sind schon richtig, Miß Lucall", sagte der breitschultrige Mann mit der Narbe unter dem Auge. „Ihr Vater holt nur rasch noch einen guten Tropfen zur Begrüßung. Er ist gleich wieder da." Er nahm einfach die Koffer und trug sie mit einer spielerischen Leichtigkeit in den Flur, als wären sie leer. Kathryn Lucall lächelte verlegen. Dann folgte sie dem fremden Mann. Kaum standen sie im Flur, als sich ihr von hinten eine Hand auf den Mund legte. Die Tür flog krachend ins Schloß. Der Breitschultrige drehte sich um und grinste lüstern. In seiner Hand hielt er einen Revolver. Kathryn hätte geschrien, aber die Hand auf ihrem Mund verhinderte es. „Schön ruhig!" befahl der Breitschultrige. „Wenn du brav bist, passiert dir nichts. Wirst du schreien?" Das Mädchen schüttelte den Kopf. Was hätte es sonst tun sollen?
Der Mann hinter ihr gab sie frei und stieß sie vor sich her. Er hatte weißblonde Haare und war ihr genauso unsympathisch wie der andere. „Wo ist mein Vater?" fragte sie zitternd. Unwillkürlich mußte sie an Suzannes düstere Prophezeiungen denken. Nun bewahrheiteten sie sich doch noch. Noch dazu auf eine besonders schlimme Weise. „Was wollen Sie von mir?" Der Weißblonde stieß sie in einen Sessel und setzte sich ihr gegenüber. Der Breitschultrige blieb neben ihr stehen und versuchte, von oben in den Ausschnitt ihrer gelben Bluse zu. sehen. „Hör mal zu, wir sind keine Akademiker. Wir können immer nur eine Frage beantworten. Warum fragst du nicht, wie du uns gefällst. Da könntest du nämlich mit großer Zustimmung rechnen." „Wo ist mein Vater?" wiederholte Kathryn Lucall. Die Angst schnürte ihr fast die Kehle zu. „Noch lebt er", antwortete der Weißblonde. „Ob er auch am Leben bleibt, hängt von dir ab und natürlich auch von ihm selbst. Er wollte uns nämlich bestehlen, und das lassen wir uns nicht gefallen."
Das Mädchen schoß steil in die Höhe. „Mein Vater ist kein Dieb", protestierte es. „Er hat noch nie etwas Unrechtes getan." Pink Soul drückte sie energisch in den Sessel zurück. Er rutschte dabei ganz zufällig von ihrer Schulter ab, und seine Hand glitt über ihre Brust. Dort ließ er sie liegen. Kathryn hielt den Atem an. Die Berührung war ihr so angenehm wie die eines ekelhaften Reptils. Sie hatte aber von Suzanne gehört, daß man sich in derartigen Situationen besser nicht zur Wehr setzte, um den Verbrecher nicht unnötig zu reizen. „Dein sauberer Vater", erklärte Mort Banks, „ist das größte Miststück, das das Glück hat, an Manhattans Dunstglocke schnuppern zu dürfen. Normalerweise müßte er schon tot sein. Aber der Boß ist nun mal eine Seele von Mensch. Auch den miesesten Typen räumt er noch eine Chance ein. Wenn dein Vater seine Aufgabe ordentlich erledigt, bist du frei. Sonst . . ." Er richtete den Revolver auf das Mädchen und brauchte nichts weiter zu sagen. „Aber vorher haben wir noch jede Menge Spaß mit dir", meldete sich Pink Soul. Mit einem energischen Ruck riß er die dünne Bluse in Fetzen.
Kathryn Lucall schrie entsetzt auf. Alle Glücksgefühle, die sie vor wenigen
Minuten
noch
empfunden
hatte,
waren
ausgelöscht. Sie konnte nicht fassen, was diese Männer behaupteten. Ihr Vater sollte ein Verbrecher sein? „Laß das!" herrschte Mort Banks seinen Kumpan an. „Was mit ihr geschieht, bestimmt der Boß." „Sei doch nicht so pingelig", maulte Pink Soul. „Vielleicht hat sie es ganz gern." Das Mädchen fröstelte. Momentan war es hier noch kälter als in der Schweiz. Sie dachte an ihren Job in Florida, doch sie konnte sich nicht mehr darüber freuen. Gab es denn nirgends Hilfe? „Welche Aufgabe wurde meinem Vater gestellt?" wollte sie wissen. „Och, nichts Weltbewegendes. Er muß nur einen Privatschnüffler umlegen. Das ist alles." „Ein Mord?" Ihre Augen weiteten sich ungläubig. „Das tut mein Vater nie." „Du solltest beten, daß er es schon getan hat, Baby. Sonst geht es dir nämlich verdammt dreckig. Und tu nicht immer so, als wäre dein Vater etwas Besseres als wir. Er hat zu unserer Gang gehört. Er hat genauso abgesahnt wie wir alle. Du kannst wirklich stolz sein auf deinen Dad. Und jetzt hat er die Chance, ein Menschenleben zu retten. Deins nämlich. Und
seins natürlich auch. Jetzt wird sich herausstellen, ob er etwas taugt." Die beiden Gangster lachten vergnügt. Für sie war Jo Walker schon so gut wie tot. Was blieb dem Verräter denn anderes übrig, als den Schnüffler umzulegen? Daß er damit sein Leben trotzdem nicht rettete, würde er erst erfahren, wenn es für ihn zu spät war. Halunken wie Bram Lucall hatten einfach keine Daseinsberechtigung. Die begingen immer wieder solche Fehler wie den mit dem Koffer. Na, und für die Puppe würde sich auch noch eine Verwendung
finden.
Laufenlassen
konnte
man
sie
selbstverständlich nicht. Das Telefon schlug an. Kathryn zuckte zusammen. Ob das ihr Vater war? Sie griff nach dem Hörer, doch Pink Soul riß sie brutal zurück. Wieder berührte er sie mehr, als es eigentlich nötig gewesen wäre. Am liebsten hätte sie ihn ins Gesicht geschlagen. Der Weißblonde meldete sich. Er grinste. „Na klar, Boß", sagte er stolz. „Wir haben sie. Pink fragt, ob du sie ihm schenkst." Er blieb eine Weile still, während gedämpftes Quaken aus der Hörmuschel drang.
„Okay, Boß!" antwortete er schließlich. „Wird erledigt. Wir bringen sie rüber." Er legte auf. „Der Boß will dich sehen", verkündete er dann. Pink Soul zog eine enttäuschte Grimasse. „Schade! Aber wenn ich es mir recht überlege, haben wir heute schon eine andere Puppe erwischt, die mir noch lieber ist als du. Die ist nämlich aus purem Gold. Kalt wie du, aber massiv. Da kannst du nicht mithalten, Baby." „Wir bringen dich jetzt von hier weg", sagte Mort Banks. „Es könnte ja sein, daß in der Wohnung demnächst die Bullen auftauchen. Wahrscheinlich machst du auf dem Weg zum Wagen Theater. Deshalb müssen wir dich bedauerlicherweise ein bißchen pieken." Er griff hinter sich, und als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie eine Injektionsspritze. Kathryn Lucall wollte aufspringen, doch Pink Soul drückte sie brutal in das Polster zurück. Sie wehrte sich trotzdem. Da schlug er ihr mitten ins Gesicht. Zur gleichen Zeit spürte sie den Einstich am Oberschenkel. Ihr weiter, roter Rock war ein Stück nach oben gerutscht. Es war, als hätte man sie in eine Kiste mit Watte geworfen. Sie hörte plötzlich die Stimmen der verhaßten Männer nur noch aus der Ferne, obwohl sie sie deutlich sehen konnte. Ihre
Stimme versagte ihr den Dienst, und sie fühlte sich plötzlich so schlapp, daß sie froh war, gestützt zu werden. Die Gangster führten sie die Treppen hinunter und verließen mit ihr das Haus. Sie gingen bis zum nächsten Häuserblock. Dort stand auf einem Parkplatz ein brauner Chrysler. In den stießen sie und brausten unverzüglich los. Kathryn Lucall fuhr einem fragwürdigen Schicksal entgegen.
17. Kapitel
Kommissar X folgte den Gangstern in sicherem Abstand. Seine Automatic hatte er inzwischen nachgeladen. Er würde ein gefülltes Magazin brauchen, wenn er dem Boß dieser Bande gegenüberstand. Der Chevrolet führte ihn ans Ziel. Es handelte sich um einen jener Quader, in deren Innern aus Stahl und Glas sich Hunderte von Büros befanden. Er war nicht sicher, ob sie ihn bemerkt hatten. Das war ihm auch egal. Er wartete zehn Sekunden, nachdem sie mit dem schwarzen Koffer im Haus verschwunden waren. Dann folgte er ihnen. Sie
hatten
offensichtlich
einen
der
beiden
Aufzüge
genommen. Er beobachtete die Leuchtanzeige und stellte fest, daß die Fahrt in die elfte Etage ging. Er nahm den zweiten Lift und fuhr zwei Stockwerke höher. Dann stieg er aus und schlich auf der Treppe zurück. Er stand vor einer Doppelreihe von acht Türen. Welches mochte die richtige sein? Er merkte aber schnell, daß sämtliche Büros zur Fargas Corporation gehörten. Sein Mann residierte also auf einer ganzen Etage.
Kommissar X nahm die Automatik aus der Tasche und versuchte der Reihe nach, die Türen zu öffnen. Bei einer hatte er Glück. Sie war unverschlossen, und in dem kleinen Vorraum dahinter brannte Licht. Er pirschte sich weiter. Alles war gespenstisch still. Keine Stimme war zu hören. Sollte er etwa schon wieder in eine Falle gelockt werden? Hatten ihn die Gangster absichtlich ins Schlepp genommen? Sicher wäre es klüger gewesen, polizeiliche Verstärkung anzufordern, aber dazu war keine Zeit mehr gewesen. Er näherte sich der Verbindungstür. In dem Moment wurde diese aufgerissen, und ein Mann stammelte: „Um Gottes willen, nicht schießen, Mister Walker!" Es war Bram Lucall. Er hielt zwar einen Revolver in der Hand, doch der Lauf zeigte zum Fußboden. Kommissar X entwaffnete ihn mit einer blitzschnellen Bewegung und riß ihn mit sich zu Boden. Er rechnete damit, daß von den seitlichen Türen her jemand auf sie schießen würde, doch es ereignete sich nichts. „Sie sind fort", keuchte Lucall mühsam. „Sie haben mich zurückgelassen, damit ich Sie töte, aber ich kann es nicht. Wenn das die einzige Möglichkeit ist, Kathryn zu retten, dann
muß ich das Mädchen im Stich lassen." Er schluchzte und brach in Tränen aus. „Seit wann sind Sie so zimperlich?" fragte Kommissar X hart. „Sie haben sich doch auch nicht gescheut, mich in eine Falle zu locken. Sie haben versucht, die Statue in Ihren Besitz zu bringen. Sie sind, wie man so schön sagt, ein ganz ausgekochter Gauner, der plötzlich Fracksausen kriegt, weil er anscheinend aufs falsche Pferd gesetzt hat." „Retten Sie Kathryn! Was mit mir geschieht, ist mir dann egal." Kommissar X ließ den Mann los. „Kathryn ist Ihre Tochter, nicht wahr?" Bram Lucall bestätigte diese Vermutung. „Sie kam heute unerwartet aus der Schweiz zurück. Fargas' Killer haben sie in meiner Wohnung in Empfang genommen. Sozusagen als Sicherheit dafür, daß ich Sie umlege. Aber ich kann keinen Menschen töten." „Und wo versteckt sich Fargas?" „Ich habe keine Ahnung, Mister Walker. Das müssen Sie mir glauben. Er hat sich mit zwei von seinen Leuten abgesetzt. Und natürlich mit der Statue, die man Ihnen nun also doch noch abgenommen hat." Kommissar X grinste hinterhältig. „Sie halten mich wohl für einen perfekten Trottel, wie?"
Bram Lucall sah den Detektiv unsicher an. „Ich verstehe Sie nicht. Was wollen Sie damit sagen? Ich habe die Statue selbst gesehen, die Jodie Bear und Huggy Sheen gebracht haben." „Es ist eine Fälschung. Glauben Sie wirklich, ich werfe einem Gangster freiwillig eine halbe Million in den Rachen? Ich habe in aller Eile einen Abguß herstellen lassen. Ich kenne da einen Spezialisten." Bram Lucall war entgeistert. „Und die echte Figur befindet sich noch in Ihrem Büro? „Unsinn! Sie haben doch selbst behauptet, die Schweden seien schon schrecklich ungeduldig. Sowie ich mir im klaren darüber war, daß ich Ihnen nicht trauen konnte, habe ich einfach meine Mitarbeiterin mit dem kleinen Azteken nach Stockholm geschickt. Sie dürfte inzwischen dort angekommen sein. Ihre ehemaligen Freunde haben sich jedenfalls nicht um sie gekümmert." „Sie sind unschlagbar", stellte Bram Lucall fest, „Aber Kathryn hilft das auch nicht. Wenn Fargas erfährt, daß Sie noch leben, bringt er das Mädchen um." „Nicht, wenn er erkennt, daß er sich über eine Imitation gefreut hat. Wenn er die echte Statue haben will, wird er Ihre Tochter dafür freigeben." „Wie soll er es erfahren?"
„Wollen Sie sich über mich lustig machen? Draußen auf den Firmenschildern wird die Fargas Corporation als eine Firma ausgewiesen, die von Kunst etwas versteht. Fargas dürfte Sachverständiger sein. Ein Experte also. Nur der erste flüchtige Blick konnte ihn täuschen. Inzwischen weiß er längst, was los ist. Er wird sich mit mir in Verbindung setzen. Aber darauf warte ich nicht. Ich hole Ihre Tochter aus Ihrer Wohnung. Kommen Sie mit!"
18. Kapitel
Scott Fargas hätte das schwarzhaarige Mädchen am liebsten an Ort und Steile umgebracht. Er war abermals betrogen worden. Die Statue, die er nun endlich in den Händen hielt, war nicht viel mehr wert als das Stück rostigen Eisens, das seine Leute in dem Koffer bei Lucall gefunden hatten. Eine Fälschung. Und damit hatte dieser verfluchte Schnüffler ausgerechnet ihn genarrt. Was sollte er nur tun? Ahmad Talib konnte jeden Augenblick eintreffen. Die eingeräumte Frist war um. In den wenigen Minuten konnte er aber unmöglich das echte Kunstwerk herbeischaffen. Sollte er zugeben, daß es sich um einen billigen Abguß handelte? Dann würden die Araber aus der Haut fahren, und er würde ihre Wut zu spüren kriegen. Aber es war kaum anzunehmen, daß sie von diesen Dingen überhaupt etwas verstanden. Der Scheich war weit. Er würde keinen Verdacht schöpfen. Schließlich hatte er bisher immer einwandfreie Ware erhalten. Scott Fargas behielt seine Gedanken für sich. Keiner der Männer durfte etwas davon wissen. Die Wahrheit kannte außer ihm nur noch einer: Walker.
War er endlich tot? Bis jetzt hatte Lucall nichts von sich hören lassen. Er traute ihm zu, daß er aus lauter Feigheit sogar seine Tochter opferte. Der Mann mit der Brille lächelte grausam. Kathryn Lucall, die in e inem Nebenraum untergebracht worden war, gefiel ihm gut. Aber sie stellte eine Gefahr dar. Also mußte sie sterben, wenn alles vorbei war. Die Frage war nur, wie kam er an die echte Statue heran, wenn Walker doch nicht mehr lebte? Alles hing von dieser Frage ab. Er rief seine Männer zu sich. Sie kamen sofort. Pink Soul hatte sich natürlich wieder bei der Gefangenen herumgedrückt. Er erntete dafür einen mißbilligenden Blick, der ihm durch Mark und Bein ging. Teufel! Mit dem Boß war nicht zu spaßen. Diese Erfahrung mußte wenig später auch Jodie Bear machen, dessen angeschossene, rechte Hand verbunden war. „Ich habe eine Aufgabe für euch", verkündete Scott Fargas. „Ich will wissen, ob Lucall, dieses Schwein, den Schnüffler erledigt hat. Ihr fahrt also zurück und seht nach. Aber seid vorsichtig. Es könnte gut sein, daß die Luft mit Polizisten verseucht ist."
„Und wenn niemand da ist?" fragte Pink Soul, der lieber bei Kathryn Lucall geblieben wäre. „Dann bedeutet das einen neuen Verrat. In diesem Fall findet ihr die beiden vermutlich in Lucalls Apartment. Ihr wißt, was ihr dann zu tun habt." Die Gangster grinsten. „Weißt du das auch, Bear?" Jodie Bear zuckte zusammen. „Na klar, Boß", stammelte er. „Du kannst dich drauf verlassen. Ich bin mit der Linken besser als manch einer mit der Rechten. Der kleine Kratzer macht mir nichts aus." „Natürlich nicht", entgegnete der Gangsterboß kalt. „Aber ich kann nun mal nur Leute mit zwei Händen gebrauchen. Was soll ich mit dir?" „Ich sage doch, daß ich auf der Höhe bin, Boß. Aber wenn du Bedenken hast, könnte ich vorläufig unsere Gefangene bewachen. Das kann ich auch mit links." Scott Fargas lächelte verständnisvoll. „Da hast du recht, Bear. Also zisch schon ab! Ihr anderen erledigt die Sache mit Walker." Jodie Bear wandte sich erleichtert ab und ging zur Tür. Scott Fargas handelte blitzschnell. Die Kugel traf Bear in den Rücken. Er gab keinen Laut mehr von sich.
Fargas steckte den Revolver zurück. „Wer sich die Hand zerschießen läßt, ist zu dämlich für unser Geschäft", verkündete er eisig. „Dämlichkeit aber ist gefährlich. Für uns alle. Denkt daran. Ihr könnt ihn gleich mitnehmen und unterwegs irgendwo rauswerfen." Damit war dieses Thema für ihn erledigt. Er wußte, daß die anderen drei in Zukunft aufpassen würden, um nicht ebenfalls Opfer eines Fehlers zu werden. Kaum waren die Gangster mit ihrem toten Komplizen verschwunden, erschien Ahmad Talib, der Araber. Sein Gesicht war entschlossen und drohend. Als er aber die Statue in die Hand nahm, verneigte er sich anerkennend und
sagte:
„Alle
Achtung,
Mister
Fargas!
Meine
Auftraggeber haben schon nicht mehr damit gerechnet." „Ich
habe
noch
Verpflichtungen
immer
erfüllt",
meine
sagte
der
geschäftlichen hagere
Mann
überheblich. Ganz wohl war ihm dabei nicht, aber er verstand es ausgezeichnet, die kleine Unsicherheit zu überspielen. Als Talib dann auch noch die restliche Summe auf den Tisch blätterte, war für den Gangsterboß die Welt wieder in Ordnung.
19. Kapitel
In Bram Lucalls Apartment fanden sie zwar Kathryns Koffer, aber nicht das Mädchen. Kommissar X entdeckte die Einwegspritze, die die Gangster liegengelassen hatten. Er zog daraus die richtigen Schlüsse. „Man hat sie betäubt und dann von hier fortgebracht", sagte er. „Überlegen Sie, ob Sie nicht doch Fargas' Versteck kennen." Bram Lucall verneinte spontan, und Kommissar X glaubte ihm ausnahmsweise. Der Mann, der ihm ansonsten äußerst unsympathisch geworden war, schien in echter Sorge um seine Tochter zu sein. Unauffällig
suchte
erleichtert,
als
er er
nach keine
Blutspuren fand.
Zu
und
war
größeren
Gewalttätigkeiten schien es also nicht gekommen zu sein. Das besagte aber nichts. Vielleicht war das Mädchen inzwischen schon tot. Kommissar X dachte scharf nach. Vor allem wollte er Rücksprache
mit
Tom
Rowland
halten.
Nachdem
Kidnapping im Spiel war, sollte die Polizei zumindest Bescheid wissen.
Der Captain der Mordkommission knurrte und brummte und ließ alle möglichen unzufriedenen Geräusche hören. Eingreifen konnte er allerdings auch nicht, da er keine Ahnung hatte, wohin sich die Gangster mit ihrer Geisel zurückgezogen hatten. „Das sollst du auch gar nicht", erklärte Kommissar X. „Wir
müssen
alles
vermeiden,
was
das
Mädchen
zusätzlich gefährden könnte. Ich will nur, daß ein paar deiner Leute abrufbereit sind, falls ich Unterstützung brauche." Das versprach der Dicke. Jo
legte
auf
und
sah
Bram
Lucall
an,
dessen
Gesichtsausdruck sich verändert hatte. „Das sind sie", schrie der Mann außer sich. „S ie sind an der Tür." Er blickte wild um sich, faßte nach einer gefüllten Whiskyflasche und stürzte damit aus dem Zimmer. „Bleiben Sie hier!" befahl Jo Walker. „Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Die bringen Sie glatt um." Zu spät! Draußen peitschten Schüsse auf, und ein kläglicher Schrei erklang.
Kommissar X warf sich durch die offene Tür und ging unverzüglich auf Tauchstation. Er brauchte nicht einmal eine Sekunde, um die Situation zu erfassen. Die Gangster waren lautlos in das Apartment, zu dem sie einen Schlüssel besaßen, eingedrungen. Bram Lucall hatte sie trotzdem gehört und war direkt in ihre Kugeln gerannt. Blutend lag er auf dem Läufer und stöhnte. Sie waren zu dritt. Kommissar X kannte sie alle. Er war ihnen bereits mehrfach begegnet. Von Lucall hatte er inzwischen auch ihre Namen erfahren. Der Kantige mit dem trotzigen Kinn war Huggy Sheen. Kommissar X schoß. Seine Kugel traf den Mann und schleuderte ihn gegen einen weißblonden Strolch; der aussah, als würde er über das Blutbad lachen. Es war Mort Banks. Er reagierte geistesgegenwärtig und benutzte seinen Kumpan als Deckung. In aller Ruhe legte er auf den Detektiv an, und Jo konnte sich nur noch durch einen riskanten Sprung zurück in den Livingroom retten. „Komm heraus, du Mistwanze!" brüllte Banks. „Du hast Craig umgebracht und jetzt Sheen. Dafür schicke ich dich in den Dreck." „Freier Abzug für einen von euch, wenn ihr mir sagt, wo ihr das Mädchen habt", schrie Kommissar X zurück. Er hatte sich
auch noch die Ersatzpistole eingesteckt. Wahrscheinlich würde er sie brauchen. Höhnisches Gelächter antwortete ihm, Sie schossen durch die offene Tür, aber ihre Kugeln erreichten ihn nicht. Der dritte Mann, Pink Soul, kannte die Räumlichkeiten von ihrer letzten Durchsuchung gut. Daher wußte er, daß er über das Bad ins Schlafzimmer und von dort in den Livingroom gelangte. Kommissar X wußte das nicht. Pink Soul wechselte mit Mort Banks einen schnellen Blick. Sie verstanden sich auch ohne große Worte. So mancher Coup lag hinter ihnen. Und so mancher Tote war auf diesem Weg zurückgeblieben. Ein Privatdetektiv noch nie. Walker würde der erste sein. Der
Gangster
füllte
die
Trommel
seines
38er
Colt
Diamondback neu. An Munitionsmangel wollte er nicht scheitern,. wenn er auch überzeugt war, daß ein einziger Schuß genügte. Er verschwand im Bad, durchquerte lautlos das Schlafzimmer und verharrte an der gegenüberliegenden Tür. Er hörte, wie Mort Banks etwas rief, um den Verhaßten abzulenken. „Für die kleine Hure haben wir eine großartige Verwendung. Sie muß für das büßen, was ihr Vater angestellt hat."
„Hoffentlich vergeßt ihr nicht, daß auch ihr für alle eure Schandtaten
zur
Verantwortung
gezogen
werdet",
gab
Kommissar X zornig zurück. Er achtete darauf, wie sich der Schatten im Flur bewegte. Ein sicheres Ziel bot sich ihm jedoch nicht. Der Gangster lachte grell. „Du hättest Pfaffe werden sollen", brüllte er. „Dann hätten dir deine Schafe weniger Ärger gemacht, als du mit uns hast." Dann fing er wieder zu schießen an. Kommissar X feuerte ebenfalls. Doch er schoß in eine völlig andere Richtung. Er hatte zwar nicht gesehen, wie sich die Verbindungstür zum Schlafzimmer bewegte, doch er hatte den kaum wahrnehmbaren Luftzug gespürt und war dadurch rechtzeitig gewarnt worden. Pink Soul starrte entgeistert auf seinen Revolver. Dann ließ er ihn fallen und brach zusammen. „Hast du ihn?" plärrte Mort Banks. Kommissar X preßte sich den Arm vor den Mund und grunzte: „Klar!" Mit einem Satz verschwand er durch die Tür, zwischen der der Tote lag. Er jagte durchs Schlafzimmer, während der Gangster in diesem Augenblick seinen erschossenen Komplizen entdeckte und es mit der Angst zu tun bekam. Mit jedem Mann nahm er es auf,
aber nicht mit dem Teufel persönlich. Walker schien seiner Meinung nach mit den höllischen Mächten im Bunde zu sein. Kommissar X hörte die fliehenden Schritte auf der Treppe. Er sah erst gar nicht im Livingroom nach, sondern hetzte aus dem Apartment und nahm drei, vier Stufen auf einmal. Knapp vor dem letzten Absatz holte er den Gangster ein. Mort Banks blickte sich entsetzt um. Er hob die Waffe, aber da sprang Kommissar X bereits und riß ihn die restlichen Stufen hinunter. Er ließ ihm keine Chance. Zuerst flog der Revolver in hohem Bogen davon. Schließlich packte er den Lumpen bei der Gurgel und drückte zu. „Wo ist sie?" fragte sie. „Wo steckt das Mädchen? Und wo hat sich Fargas verkrochen?" „Er - er bringt mich um", winselte Banks. „Er hat auch Jodie abgeknallt." „Du kannst dir aussuchen, wer dich umbringen soll, dein sauberer Boß oder ich. In fünf Sekunden erübrigt sich deine Wahl." Er setzte ihm den Lauf der Automatic an die Schläfe. Der Killer brach zusammen. Er spuckte alles aus, was er wußte, und war fast froh, als Jo Walker ihn in das Apartment zurückschleppte und ihn mit ein paar Handschellen an die Heizung fesselte. So fiel er wenigstens nur der Polizei in die
Hände und nicht Scott Fargas, der ihm diesen Verrat nie verzeihen würde. Jo gab eine knappe Meldung an Tom Rowland durch und bat darum, auch einen Arzt mitzubringen. Er selbst wartete nicht auf den Einsatzwagen. Er hoffte, Kathryn Lucall noch retten zu können.
20. Kapitel
Für Scott Fargas stand der Entschluß fest. Er mußte aus New York verschwinden und in einem anderen Staat unter falschem Namen eine neue Gang auf die Beine stellen. Sicher hatte der Schnüffler seine Kenntnisse nicht für sich behalten. Selbst wenn er jetzt auch wahrscheinlich nicht mehr lebte, so stand in seinem Notizbuch oder an anderer Stelle der Name Scott Fargas. Schöner Mist! Der Gangster raffte hastig die Dollarbündel zusammen, die ihm der Araber gebracht hatte. Es war zu riskant, auf Soul, Sheen und Banks zu warten. Sie würden nichts mehr bekommen. Sie hatten eben Pech gehabt. Er mußte nur noch eine Kleinigkeit erledigen. Das Mädchen durfte nicht überleben, obwohl es nichts wußte, was es hätte verraten können. Eine Lucall am Leben gelassen zu haben, würde ihm ewig gegen den Strich gehen. Er nahm seinen Revolver und erhob sich. Kathryn wartete im Nebenraum auf ihr Schicksal. Es läutete an der Tür. War es möglich, daß seine Leute schon wieder zurück waren? Oder war es Lucall? Hatte er den Teck doch erschossen? Das würde ihm auch nichts nützen.
Er öffnete die Tür und zuckte leicht zusammen. Ahmad Talib stand vor ihm. Er verneigte sich höflich. „Darf ich hereinkommen? Es geht um ein Geschäft, Mister Fargas." Der Gangster war erleichtert. Er bat seinen Besucher Platz zu nehmen, nachdem er die Waffe wieder eingesteckt hatte. „Ich freue mich, daß Ihre Auftraggeber an weiteren Geschäften interessiert sind", sagte er. „Womit darf ich diesmal dienen?" „Ich spreche nicht von einem neuen, sondern von einem alten Geschäft", korrigierte der Araber. Er holte etwas Glänzendes unter seiner Jacke hervor und warf es Scott Fargas vor die Füße. Es war die Statue. Sie zerbrach und gab einen Metallkern frei. „Das Gold ist auch nicht mehr das, was es einmal war", stellte er mit kaltem Glitzern in den Augen fest. „Es war sehr töricht von Ihnen, uns betrügen zu wollen." Scott Fargas wich zurück. „Ich - ich wurde selbst betrogen", beteuerte er. „Ich bin dabei, die echte Statue zu beschaffen. Ich rechne damit, daß ich sie morgen haben werde." „Morgen werden Sie tot sein." Plötzlich hielt Ahmad Talib ein Messer mit leicht gekrümmter Klinge in der Hand.
„Um Gottes willen!" schrie Farbas auf. „Man kann doch über alles reden. Das Geld erhalten Sie selbstverständlich zurück. Und die echte Statue obendrein. Ich schwöre es. Und für Sie persönlich habe ich noch ein Extrapräsent." Der Araber musterte sein Gegenüber frostig. „Ein Geschenk? Für mich? Was ist es?" „Dort drinnen."- Er wies auf die Tür. Seine Hand zitterte heftig dabei. Der Araber ging rückwärts zur Tür und stieß sie auf. Er war überrascht. „Das Mädchen?" Scott Fargas nickte. „Sie werden Ihren Spaß an ihr haben. Außerdem läßt sich mit solcher Ware ein guter Preis erzielen. Habe ich recht?" Wieder verneigte sich Ahmad Talib. „Dagegen gibt es nichts einzuwenden", räumte er ein. Dann schleuderte er das Messer mit kurzem, kräftigem Ruck und beendete damit die Diskussion. Scott Fargas griff noch in seine Tasche, doch er starb, ehe er die Waffe zur Hälfte herausgezogen hatte. Der Araber ging zu ihm, bückte sich und zog das Messer aus der Brust. Er wischte die Klinge am Anzug des Toten ab. Dann stand er auf und ging zu Kathryn Lucall, die gefesselt war und sich nicht wehren konnte. Sie hatte den Mord mit ansehen müssen.
Als er vor ihr stand, zeigte er seine blitzenden Zähne und grinste. Dann hob er das Messer ...
21. Kapitel
Kommissar X stürmte in das Haus. Um ein Haar prallte er mit einem Araber zusammen, der ihm entgegenkam. Der Ausländer
verneigte
sich
höflich
und
murmelte
eine
Entschuldigung. Dann drückte er sich an dem Detektiv vorbei. Jo hastete weiter. Er achtete nicht weiter auf den Araber. Er dachte nur noch an Kathryn Lucall und an Scott Fargas. Er fand den Gangsterboß in seinem Blut. Er war tot. Als er die Wunde untersuchte, wurde ihm siedendheiß. Das war ein Messerstich. Der Araber! Und er hatte ihn laufenlassen. Er wagte gar nicht, daran zu denken, was mit dem Mädchen geschehen war. Kathryn Lucall rührte sich ebenfalls nicht. Aber sie war nicht tot. Sie hatte auch keine Verletzung, wenn man von den Abschürfungen an ihren Handgelenken absah. Sie stammten von den Fesseln. Die Riemen lagen neben ihr. Zerschnitten. Das Mädchen kam zu sich und schrie auf, als es Jo Walkers Gesicht so dicht über sich sah. Er mußte es beruhigen, bevor er sich erkundigen konnte, was hier vorgefallen war.
Sie konnte es ihm nur berichten bis zu dem Moment, als sie aus Angst vor dem Mann mit dem Messer in Ohnmacht gefallen war. „Er hat Ihnen nichts angetan", sagte Jo sanft. „Er hat sogar Ihre Fesseln durchgetrennt. Ihm lag nur an dem Mann, der ihn betrogen hatte." Erst jetzt stellte er sich vor, sagte ihr aber nur das Nötigste. Er vermied es, über ihren Vater zu sprechen. Einen Moment später fragte sie nach ihm. „Ist er - tot?" „Er hat versucht, Sie zu retten", wich Jo aus. Er sah, wie in ihren Augen Tränen aufstiegen. „Man hat behauptet, er sei ein Verbrecher gewesen", schluchzte sie. „Ein Dieb und ein Mörder." Jo Walker legte seinen Arm um ihre Schultern. Er spürte ihr Zittern. Was hatte dieses Mädchen in den letzten Stunden durchmachen müssen, und was kam noch alles auf es zu, wenn es erst richtig zur Besinnung
kam. Von den
Polizeiverhören ganz zu schweigen. „Ihr Vater hat ein paar schlimme Fehler gemacht", sagte er ruhig. „Er wollte ein bißchen mehr, als ihm zustand, und er wollte es auf möglichst bequeme Art. Aber ein Mörder war er nicht, Kathryn. Das dürfen Sie mir glauben. Und noch
etwas: Er hat einen Menschen über alles geliebt. Das waren Sie." Sie blickte durch ihn hindurch, aber Jo war sicher, daß sie seine Worte verstanden hatte. Es war nicht viel, was er ihr hatte sagen können, doch das wenige würde ihr irgendwann helfen, mit dem Schrecklichen fertig zu werden. ENDE
KOMMISSAR X erscheint wöchentlich im PMS Roman-und Zeitschriftenverlag GmbH, Rastatt, Telefon (0 72 22) 13-1. Druck
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