Das neue Abenteuer 478
Hans Ahner: Die Testflieger
Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme Pute
Mit Illustration...
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Das neue Abenteuer 478
Hans Ahner: Die Testflieger
Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme Pute
Mit Illustrationen von JÜrgen Wagner ISBN 3-355-00094-9 © Verlag Neues Leben, Berlin 1986 Lizenz Nr. 303 (305/115/86) LSV 7503 Umschlag: JÜrgen Wagner Typografie: Walter Leipold Schrift: 9 p Timeless Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 644 008 7 00025
Sie saßen in Aknasows Zimmer um den langen Konferenztisch; die Testflieger und einige Konstrukteure. Aknasow faßte die Erprobungsergebnisse der "Acht" zusammen, doch niemand interessierte sich sonderlich dafÜr, denn was gesagt wurde, war allen längst bekannt. Jakimow, der Kommandant der "Acht", zählte gelangweilt die Anwesenden. Es waren dreizehn! Ein Teufelsdutzend, dachte er. Doch plötzlich horchte er auf. Was hatte Aknasow da eben gesagt? Die "Acht", deren Erprobung doch abgeschlossen war, sollte noch einmal getestet werden. Unter einem anderen Piloten? So etwas war zwar manchmal Üblich, doch warum bei der "Acht"? Dieses Experimentalflugzeug hatte man zu Studienzwecken entwickelt, es wÜrde niemals in Serie gehen. Aknasows Bemerkung riß alle Besatzungsmitglieder aus ihrer GleichgÜltigkeit Spannung breitete sich in dem hellen Raum aus. Selbst Aknasow spÜrte sie. Er begann sich zu verhaspeln, und seine Worte klangen hölzern und wenig Überzeugend. Doch Jakimow trafen sie wie ein Keulenschlag. Er nahm nicht einmal wahr, daß die anderen Genossen der Besatzung zu ihm herÜbersahen, als wollten sie sagen: Alexander Iwanowitsch, das kannst du doch nicht auf dir sitzenlassen. Vertraut uns der "Alte" nicht mehr? Wozu holt er einen anderen Piloten? Jakimow erhob sich schwerfällig, stÜtzte sich vornÜbergebeugt auf den Tisch auf und sah Aknasow vorwurfsvoll an. Aknasow fÜhlte sich unsicher. Ihm wurde bewußt, daß er nicht die richtigen und verbindlichen Worte gefunden hatte, die in dieser Situation notwendig gewesen wären. Das Reden war ohnehin nicht seine Stärke. Warum hatte er nicht einfach gesagt: Die "Acht", Jungens, ist dank eurer Arbeit eine vortreffliche Maschine geworden, ein Experi-
mentalflugzeug, ein Studienentwurf. Heute, im Jahre 1948 entwickelt niemand mehr ein viermotoriges Verkehrsflugzeug mit Kolbenmotoren. Jetzt sind die Propeller- und Strahlturbinen an der Reihe. Wir konnten damals, als wir mit der Flugzeugentwicklung begannen, nicht ahnen, daß uns die neue Technik so rasch Überholt. Wir werden nun eine ähnliche Maschine mit Propellerturbinen entwickeln, und dabei kommen uns die Erfahrungen von der "Acht" zugute. Wir sollten einmal sehen, was ein anderer Pilot zu ihr zu sagen hat, ein Pilot, der nicht nur das Können, sondern auch die Erfahrung besitzt. Es wäre doch interessant . So hätte er reden mÜssen. Aber er hatte lakonisch gesagt: Wir holen einen neuen Piloten her! Da mußten sich Jakimow und die anderen ja verletzt fÜhlen. Aknasow blickte Jakimow hilflos an, die Narbe Über seinem rechten Auge, die von einem Flugunfall zurÜckgeblieben war, rötete sich. "Ja, wissen Sie, Alexander Iwanowitsch, das Volkskommissariat .", er korrigierte sich, da er sich noch immer nicht an die neue Bezeichnung gewöhnt hatte. " . das Ministerium fÜr Flugzeugindustrie wird uns einen anderen Piloten schicken, der sich die ,Acht' noch einmal ansieht ." Er konnte nicht zu Ende sprechen, denn der Bordingenieur, Wassili Fjodorowitsch Nasarow, ein erfahrener Pilot, der sich im Großen Vaterländischen Krieg bei einer Transportstaffel Verdienste erworben hatte, unterbrach ihn. "Verstecken Sie sich bitte nicht hinter dem Ministerium, Genosse Aknasow! Von allein schicken die uns keinen Piloten, Sie haben ihn angefordert!" Auch Nasarow, den sie an Bord den "Hausherren" nannten, weil er während des Fluges quer zur Flugrichtung hinter dem Kommandanten auf erhöhtem
Podest mit großen Gerätetafeln saß und den Lauf der Triebwerke wie in einer Schaltzentrale Überwachte, hatten Aknasows Worte verletzt. Aknasow wich aus. "Sie alle sehen die ,Acht' doch so, wie Sie das in den Dokumentationen nach Ihren FlÜgen niedergeschrieben haben, aber ein anderer geht unvoreingenommen an die Maschine heran und findet noch Mängel heraus, die wir bisher nicht kennen. Wie Sie wissen, kann das selbst bei Serienmaschinen noch viel später der Fall sein." "Was soll er denn schon anderes sehen?" entgegnete Jakimow unwirsch. "Wir sind doch keine Maler oder Poeten, die zu jedem Gegenstand unterschiedliche Auffassungen haben. Bei uns regiert die Zahl!" Aknasow stÜtzte sich auf den Tisch auf und sah Jakimow nachsichtig an. Er hatte seine Sicherheit wiedergewonnen. "Hören Sie zu, Alexander Iwanowitsch! Ein Dichter soll geschrieben haben, daß wir aus uns heraus allein nichts sind. Wir mÜssen alle lernen und empfangen, von denen, die vor uns waren, wie auch von denen, die mit uns sind. Selbst das größte Genie wÜrde nicht weit kommen, wollte es alles aus seinem Inneren holen." Aknasow spÜrte, daß er die Oberhand gewann und erläuterte die Situation noch einmal. Man beherrsche nun die Konstruktion, die Fertigung und Erprobung eines viermotorigen Großflugzeugs. Die gewonnenen Erfahrungen wÜrden der nächsten Generation moderner Flugzeuge zugute kommen, der Maschine mit Propellerturbinen. Dagegen erhob niemand Einwände. "Darf man vielleicht erfahren, wer der Neue sein wird, Boris Alexejewitsch?" fragte Nasarow angriffslustig. "Sergej Pawlowitsch Tschistjakow!" antwortete Akna-
sow und sah gespannt in die Runde. Er wußte, daß sie jeden anderen akzeptieren wÜrden, aber nicht Tschistjakow. Aknasow kannte Tschistjakow als zuverlässigen und erfolgreichen Flieger. Aber gerade seine Erfolge neideten ihm einige. Tschistjakow war vor dem Krieg einer der bekanntesten Testpiloten gewesen, hatte LangstreckenflÜge absolviert und Rekorde aufgestellt, doch viele glaubten, daß er diese Leistungen ohne eine gewisse Protektion "von oben" nicht hätte vollbringen können. Man brauchte das fÜr große Unternehmen. Doch Neid war es nicht allein, was manche gegen Tschistjakow aufbrachte. Seine wortkarge und betont zurÜckhaltende Art bei Besprechungen und Konferenzen, sein Schweigen, das manche als beleidigend empfanden, wurden nicht selten als Hochmut und Arroganz gedeutet. Aknasow war Überzeugt, daß das zwar alles Vorurteile waren, doch man mußte mit ihnen rechnen. Manche verziehen ihm auch seine Eigenwilligkeiten nicht. Einmal war er, und zwar nur zum Gaudi, unter einer Newa-BrÜcke hindurchgeflogen! Das hatte ihm ein Disziplinarverfahren eingebracht. Trotz allem: Tschistjakow blieb ein hervorragender Pilot, noch eine Nuance besser und erfahrener als die anderen, obwohl in diesem Beruf keine Mittelmäßigkeit geduldet wird. Wäre ihm nicht vor zwei Jahren die unglÜckselige Sache mit jenem Strahljäger passiert, dann hätte man ihn von Anfang an als Kommandant der "Acht" eingesetzt. Aknasow hatte alles versucht, Tschistjakow jetzt ins Werk zu bekommen. Dessen Erfahrungen konnten der Sache dienen, und er war vor allem nicht betriebsblind. Ein Raunen ging durch den Raum. Nasarow blickte fra-
gend zu den anderen, dann erwiderte er: "Hm, ja! Tschistjakow ist ein guter Pilot, aber ., aber ., ja, was ich sagen wollte: Er sollte lieber nicht zu uns kommen." Aknasow glaubte den Grund fÜr Nasarows Einwand zu kennen und antwortete: "Wir sitzen doch alle im Glashaus, unsere Arbeit ist ein ständiges Risiko." Damit spielte er auf Tschistjakows Mißgeschick mit jenem Strahljäger an, das sie alle kannten. So etwas sprach sich schnell herum. "Tschistjakow hat einen zu steilen Aufstieg genommen, und in der Fliegerei gilt noch immer das Wort: Senkrechtstarter steigen nicht nur senkrecht auf, sie kommen auch wieder so herunter", sagte Nasarow bissig. Er wußte zwar, daß eine Havarie mit dem Strahljäger jedem passieren konnte und es nur darauf ankam, wie es die Havariekommission auslegte. Und Tschistjakow hatte eben Pech gehabt. Doch wie dem auch sei: Nasarow wÜrde es Tschistjakow schwermachen und sich mit ihm wohl bald anlegen.
Das Dröhnen der beiden Motoren drang fast ungedämpft in das Cockpit der betagten Li-2. Tschistjakow verfolgte unablässig das Spiel der Zeiger an den Bordgeräten. Doch die winzigen Nadeln am Höhen- und Fahrtmesser und am Variometer standen wie festgeklebt, so wie es sein mußte, nur daß sie unter den Vibrationen der Maschine ein wenig zitterten. Tschistjakow achtete darauf, daß der Kompaß nicht "auswanderte" und die stilisierte Silhouette des kleinen Flugzeugs am kÜnstlichen Horizont nicht nach oben oder unten wich. Es kam darauf an, Stunde um Stunde in genau dreitausend Meter Höhe bei exakt gleichbleibender Geschwindigkeit ständig geradeaus zu fliegen, ohne die geringste Höhenschwankung und Abweichung
nach der Seite; auch um die Längsachse durfte sich das Flugzeug nicht neigen. Es schien, als ob die Maschine erstarrt im Raum hing. Es gibt kaum etwas Schwierigeres, als auf diese Art zu fliegen, und nur erfahrene Testpiloten sind in der Lage, den Flug so einzurichten, daß nach seinem Abschluß ein gerader, wie mit dem Lineal gezogener Strich auf dem Barogramm erscheint. Was sind dagegen schon Kunstflugfiguren wie die gesteuerte Rolle, der Wirbelturn oder das Trudeln? Tag fÜr Tag flog Tschistjakow auf diese Weise, und alle Stunden wechselte er sich mit Minenko, seinem Kopiloten, ab. In der Kabine hinter ihnen hockten einige Ingenieure, die ein neues elektronisches Gerät auf seine Zuverlässigkeit hin erprobten, und deshalb hatten die FlÜge ohne die geringste Abweichung zu erfolgen. Sergej Pawlowitsch Tschistjakow gefiel diese Tätigkeit nicht. Gewiß, fÜr solche FlÜge konnte man keinen Piloten aussuchen, der gerade seine Lizenz erworben hatte, dazu bedurfte es großer Erfahrungen, man mußte den Luftraum vor dem Flugzeug förmlich mit den Augen abtasten, ob es nicht unversehens zu einer Turbulenz kam, die das Flugzeug aus der Bahn brachte und die Arbeit der Ingenieure wertlos machte. Trotzdem wÜnschte sich Tschistjakow eine andere Aufgabe, die mehr von ihm forderte. Am liebsten wÜrde er wieder Flugzeuge testen, die noch nie geflogen waren und in die man sich mit FingerspitzengefÜhl hineintasten mußte, um ihre Flugeigenschaften kennenzulernen und zu verbessern, Flugzeuge, deren Leistungen man in monatelanger Arbeit ermitteln mußte und bei denen man niemals wußte, ob sich nicht irgend etwas Unvorhergesehenes zeigte, mit dem niemand gerechnet
hatte. Er schätzte Aufgaben, an die man wie ein Kriminalpolizist bei der Aufklärung eines schwierigen Falles oder wie ein Mathematiker bei der Lösung einer komplizierten Rechnung herangehen mußte, Aufgaben, die Mut und FingerspitzengefÜhl und Erfahrung zugleich erforderten. Seit zwei Jahren aber - seit jenem unglÜckseligen Tag, als ihm die Sache mit dem Strahljäger passierte - Übertrug man ihm Aufgaben, Über die er längst hinausgewachsen war. WÜrde er je noch einmal andere, kompliziertere Aufträge erhalten? Er wollte nicht ewig mit der alten, fast schrottreifen Li-2 fliegen und irgendein neues Gerät erproben, das er selbst nicht einmal kannte. Das Flugzeug glitt dicht Über einer schmutziggrauen Decke zerzauster Schichtwolken dahin, denn eine weitere Wolkendecke hoch Über ihm hinderte das Sonnenlicht, das Grau in eine Sinfonie leuchtender Farben zu verwandeln. Er flog dreitausend Meter hoch, dicht Über diesem endlosen, grauen Meer dahin, und zuweilen schlug einer dieser zottigen Fetzen wie eine Wolke Über dem Flugzeug zusammen und hÜllte es fÜr Sekunden ein. Das Licht im Cockpit wurde jedesmal dämmrig. Dieser Flug, ganz dicht Über den Wolken, machte es besonders schwierig, die gerade Linie einzuhalten, denn ständig rÜttelten Böen wie unsichtbare Fäuste an der Maschine und versuchten, sie von ihrem Kurs abzubringen. Sergej Pawlowitsch Tschistjakow blickte zu Minenko hinÜber und spreizte den rechten Daumen. Der ergriff sofort das Steuerhorn und Übernahm das Flugzeug fÜr die nächste Stunde. Tschistjakow lehnte sich in seinem Sitz zurÜck. Er befand sich in dem Alter, da er jedes Jahr damit rechnen mußte, vom Flugmedizinischen Dienst nicht mehr als flugtauglich anerkannt zu werden. Die Ärzte hatten bei
manchem seiner Kollegen schon etwas gefunden, was das Fliegen von einem Tag auf den anderen beendete. Deshalb drängte es ihn um so mehr, noch einmal mit einer Aufgabe betraut zu werden, die von ihm alles forderte. Längst hatten junge Piloten ihre ersten Erfahrungen beim Testfliegen gesammelt, solche, die außer ihrer Pilotenlizenz noch ein Ingenieurdiplom vorweisen konnten. Er, Tschistjakow, war in den zwanziger Jahren, als im Lande eine eigene Flugzeugindustrie entstand, zur Fliegerei gekommen, hatte selbst mitgebaut und die ersten Maschinen mit anderen, die genausowenig Erfahrungen besaßen wie er, eingeflogen. Man vertraute ihm von Jahr zu Jahr immer kompliziertere Maschinen an. Sein Name erschien in den Zeitungen und in Rekordlisten, ihm gelangen mit neuen Flugzeugen aufsehenerregende FlÜge nach dem Fernen Osten und in die Arktis. Er war sich aber auch bewußt, daß ihm gerade diese Erfolge einige neideten, und hin und wieder bezeichnete man ihn hinter seinem RÜcken ungerechterweise als Protektionskind. Doch solche spektakulären FlÜge erforderten lange Vorbereitung und sehr viel Geld. Dazu brauchte man die Zustimmung der entscheidenden Genossen aus dem Volkskommissariat, und Tschistjakow bekam beides, denn dort schätzte man seine besonderen Leistungen. Nach dem Sieg Über das faschistische Deutschland, er lag nun drei Jahre zurÜck, entstanden andere Flugzeuge mit Turbinenantrieb. Er machte sich mit den neuen Strahljägern, von denen sich einige schon in der Erprobung befanden, vertraut und sah bald, daß mit den neuen Maschinen keineswegs alles reibungslos verlief, es gab Havarien und auch schwere Verluste. Tschistjakow war anfangs sehr unsicher, denn er mußte wie alle anderen lernen, mit diesen Maschinen umzugehen, und dann kam
jener unglÜckselige Tag . Tschistjakow blickte auf das schmutzige Grau hinaus, das vor dem Flugzeug wallte und brodelte, als befände sich unter ihm eine höllische KÜche. Das Cockpit verwandelte sich in eine Pilotenkabine jenes Strahljägers. Das Gewölk vor ihm schien sich zu zerteilen, und in seiner Phantasie erschien eine Betonpiste wie an jenem Tag. Tschistjakow glaubte sogar das leichte Pfeifen der Turbine zu hören. Die Maschine flog immer schneller auf die Piste zu, und je tiefer sie hinab kam, um so größer schien die Geschwindigkeit zu werden, doch dieser Eindruck war bei jeder Landung gleich. Er wählte die Landegeschwindigkeit höher, als sie die Konstrukteure errechnet hatten, eine Übliche Praxis in der Testfliegerei bei neuen, noch unerprobten Flugzeugen. Von Flug zu Flug setzten sie dann die Landegeschwindigkeit allmählich herab, bis sie sich dem errechneten Wert näherte. In der Flugerprobung gilt noch immer der Satz, daß man jedem noch nicht völlig erprobten Flugzeug mit vernÜnftigem Mißtrauen entgegentreten soll. Man darf nicht glauben, daß ein errechneter Wert in jedem Fall stimmt. Ein leichter Stoß, der Strahljäger hatte aufgesetzt, nun jagte er, wie es Tschistjakow damals schien, mit viel zu hoher Geschwindigkeit Über die zu kurze Betonbahn dahin. Er betätigte den Bremsschirm, der den Lauf des Flugzeuges aufhalten sollte. Doch der Schirm öffnete sich nicht. Mit unverminderter Geschwindigkeit jagte das Flugzeug dahin. Was war geschehen? Es gab keine Zeit zum Überlegen. Schon lag die erste Hälfte der Piste hinter dem Flugzeug. Tschistjakow betätigte die Bremsen, die Geschwindigkeit nahm ab. Die Anschnallgurte schnitten
fast schmerzhaft in seinen Körper. Das Flugzeug wurde langsamer, aber das Ende der Landebahn kam noch immer viel zu schnell auf ihn zu. Die Maschine schoß Über die Betonbahn hinaus, ihr Bugrad sackte auf dem weichen Boden ein und wurde abgerissen. Sie schlitterte noch einige Meter mit hoch aufgerichtetem Heck dahin, ehe sie zum Stillstand kam. Sie sah aus wie ein Vogel, der Körner aufpickt. Tschistjakow stieg aus der Maschine. Er betrachtete diese Landung als Mißgeschick, das jedem passieren konnte. Der Bremsschirm hatte eben versagt, und fÜr das folgende Bremsen war die Piste einfach zu kurz gewesen. Man brauchte eben fÜr die neuen Maschinen viel längere Startund Landebahnen als bisher, dachte er. Anfangs gab ihm die Flugleitung recht, doch dann, als sich die Havariekommission mit dem Fall befaßte, erschien alles in einem anderen Licht. Wie von weit her hörte Tschistjakow, während er jetzt mit seiner Li-2 in dreitausend Meter Höhe dahinflog, die Stimme eines Kommissionsmitgliedes: "Sie wußten doch, daß die Landegeschwindigkeit eines Strahljägers weit Über der eines Kolbenflugzeuges liegt, zudem wählten Sie eine höhere Landegeschwindigkeit, als man errechnet hatte." Tschistjakow antwortete damals: "Die höhere Landegeschwindigkeit ist bei einem Versuchsflugzeug Üblich. Bestätigte sich alles am Boden Errechnete in der Luft, wäre die Flugerprobung ÜberflÜssig." Das Kommissionsmitglied schÜttelte daraufhin den Kopf. "Sie verstehen nicht, Genosse Tschistjakow! Wir meinen die höhere Landegeschwindigkeit als bei einem Kolbenflugzeug. Das wußten Sie doch. Sie hätten nach dem Aufsetzen sofort die Bremsen betätigen mÜssen und
nicht erst auf den Bremsschirm warten dÜrfen. Daß er versagte, nun, das ist eine andere Sache, aber Sie als Testpilot hätten damit rechnen mÜssen. Sie kennen doch den Grundsatz der Testfliegerei: Mit dem Schlimmsten rechnen, auf das Beste hoffen."
Zunächst hatte er etwas erwidern wollen, doch dann geschwiegen. Wie sollte er sich gegen so eine Anschuldigung verteidigen. Es kam darauf an, wie man die Sache betrachtete. Er hatte versagt, ganz einfach versagt, und dagegen gab es fÜr ihn als Testpiloten keine Entschuldigung, und, dieses Versagen schafften auch all seine frÜheren Verdienste nicht aus der Welt. Nach diesem Zwischenfall hatte er einmal zufällig hinter seinem RÜcken gehört: "Sergej Pawlowitsch wird eben alt. Lange wird er bei uns wohl nicht mehr mitmachen. Einige Jährchen vielleicht noch in der Li-2, aber dann ist Schluß."
Seitdem flog er hier und erprobte Bordgeräte. Tschistjakow lächelte bitter. Vielleicht sollte er um seine Ablösung bitten, ehe man ihn davonschickte. Auf einem Kontrollturm wÜrde sich gewiß noch ein Platz finden. Er Übernahm das Steuer wieder, es war Zeit, auf Gegenkurs zugehen, denn sie flogen immer einhundert Kilometer hin und her und her und hin, schnurgerade. Querruder und Seitenruder links! Die Maschine neigte ihren BackbordflÜgel zu der nahen Wolkendecke hinab, als wollte sie diese aufschlitzen . Einer der Ingenieure klopfte Tschistjakow auf die Schulter. "Genug fÜr heute, Sergej Pawlowitsch, landen Sie!" Tschistjakow nahm die beiden Gashebel zurÜck und drÜckte das Steuerhorn nach vorn. Sekunden später tauchte die Maschine in das schmutziggraue Gewölk, im Cockpit breitete sich Dämmerlicht aus. Das Flugzeug sank rasch der Erde entgegen, ein leises Zischen erfÜllte die Kabine, und ein mit dem Fliegen nicht vertrauter Beobachter hätte meinen können, im Fahrstuhl nach unten zu sinken. Im Cockpit wurde es noch dunkler. Nicht einmal die FlÜgelspitzen waren mehr zu sehen. Der Abstieg schien nicht enden zu wollen. Mißmutig verfolgte Tschistjakow das Spiel der Zeiger an den Bordgeräten. Endlich riß die dunkle graue Masse fÜr Sekunden auf, Tschistjakow erkannte die vertraute schmutzigbraune, ausgewaschene Landschaft wie durch einen Schleier. Doch dann blieben die Wolken zurÜck. Er ließ die Maschine noch ein StÜck sinken, ehe er wieder die Gashebel nach vorn schob. Die Motoren heulten auf, Übertönten das leichte Zischen, das vom Fahrtwind her stammte, und rissen das Flugzeug spÜrbar vorwärts. Bis zum Flugplatz
war es nicht mehr weit. Bald erkannte Tschistjakow die Betonpiste auf Steuerbord. Wie eine Tischplatte lag sie auf der ausgewaschenen Erde. Er flog das Landeverfahren. Einige Male steilte der FlÜgel in den Himmel, dann glitt das Flugzeug wie auf einer unsichtbaren Rutschbahn endgÜltig zur Erde hinab und setzte auf. Beim Ausrollen sah er die alten Flugzeugschuppen, die man bald nach der Revolution gebaut haben mochte, und ein halbes Dutzend betagter Flugzeuge. Alles machte einen unfreundlichen dÜsteren Eindruck. Auf diesem fern von der Hauptstadt gelegenen Flugplatz muß ich sicher meine Fliegerlaufbahn beschließen, dachte Tschistjakow bitter. Schwerfällig, als ob er erst seine Gelenke lockern mÜßte, stieg er die Metalleiter hinab, die ein Mechaniker von außen angelegt hatte. "Gibt es Beanstandungen an der Maschine?" fragte jemand. Tschistjakow schÜttelte den Kopf. "Was soll schon an so einer ,MÜhle' kaputtgehen?" In dem windschiefen Flughafengebäude, Über dem sich ein kleiner, gläserner Turm erhob, wartete der Flugleiter auf ihn und bat ihn in sein winziges BÜro. Dort saß ein unbekannter Mann. Als Tschistjakow eintrat, erhob er sich sofort. Der Flugleiter setzte sich an seinen mit Papieren bedeckten Schreibtisch und sagte beinahe geschäftsmäßig: "Machen Sie sich bekannt." Er wies auf den JÜngeren. "Das ist Igor Sergejewitsch Utkin, der Sie, Genosse Tschistjakow, ablösen wird und ab morgen Ihre Aufgabe Übernimmt." Tschistjakow stutzte. Sollte er etwa nicht mehr fliegen? Er glaubte nicht richtig gehört zu haben und sah den Flugleiter mißtrauisch an. Seine BefÜrchtungen sprach er aber nicht aus. Nun, eine BegrÜndung wÜrde man im Flugmedizinischen Institut leicht finden: Ja, sehen Sie, Sergej Pawlo-
witsch, einmal ist Schluß, und es wird Zeit fÜr Sie, sich einer weniger aufreibenden Tätigkeit zuzuwenden. Vielleicht sollten Sie kÜnftig auf dem Turm arbeiten . Daß es so rasch kommen wÜrde, hätte Tschistjakow nicht gedacht. Der Flugleiter sah, was in Tschistjakow vorging, er legte seine Hand auf dessen Arm und sagte beschwichtigend: "Ich weiß nicht genau, was man von Ihnen will, aber ich habe etwas von einer anderen Aufgabe gehört. Sie sollen eine Testmaschine fliegen ." Er fÜhrte Tschistjakow zu einem wackligen Stuhl. "Lassen Sie uns alles Notwendige besprechen. Sergej Pawlowitsch!" Er hielt inne. "Genosse Utkin, ich weise Sie morgen ein, Sie können heute gehen." Der JÜngere verließ das kleine BÜro. Als er die TÜr hinter sich geschlossen hatte, sagte der Flugleiter: "Sie haben Ihre Aufgabe bei uns erfÜllt. Deshalb lassen Sie es uns so wie nach jenen kampferfÜllten Tagen an der Front halten, ehe wir am nächsten Morgen zu neuen FlÜgen aufstiegen. Kurzum: Lassen Sie uns ein Gläschen trinken und auf Ihre Zukunft anstoßen ." Sie saßen sich gegenÜber, Tschistjakow und Jakimows Besatzung, und Tschistjakow hatte schon beim Betreten des Raumes die gespannte Atmosphäre gespÜrt und sofort gewußt, daß ihm die Besatzung ablehnend gegenÜberstand. Aknasow hatte begonnen, Tschistjakow die neue Aufgabe zu erläutern. Sergej Pawlowitsch begriff sehr rasch, daß das Problem, das da auf ihn zukam, nicht in erster Linie technischen Charakter trug, vielmehr wÜrde es auf eine ersprießliche Zusammenarbeit mit Jakimows Besatzung, insbesondere mit Nasarow, ankommen. Tschistjakow
verstand auch, daß sein Erscheinen Jakimows Leute kränken mußte, sie fÜhlten sich herabgesetzt und mußten glauben, daß Aknasow ihren Arbeitsergebnissen nicht traute. Einen anderen als ihn hätten sie wahrscheinlich akzeptiert. Am Schluß seiner Darlegungen forderte Aknasow alle auf, sich mit Tschistjakow bekannt zu machen. Sie reichten ihm die Hände, wobei sie mit starren Gesichtern Über ihn hinwegsahen. Nur Nasarow begrÜßte ihn schnoddrig, so wie es damals an der Front Üblich war, wenn man die innere Spannung Überspielen wollte, mit: "Guten Tag, Euer Ehren!", was soviel heißen sollte wie: Na, wir wollen erst mal sehen, ob du der große Tschistjakow bist, der mit dieser Aufgabe fertig wird. Hatte sich jemand ungeteilte Anerkennung erworben, nannte man den Betreffenden "Exzellenz". Jakimow warf Nasarow einen abschätzenden Blick zu. Sie mißtrauen mir nicht nur, weil ich ihre Arbeit ÜberprÜfen soll, dachte Tschistjakow, sondern sie zweifeln an meinen Fähigkeiten, weil ich eine Bruchlandung hinter mir habe. Werde ich ihnen beweisen können, daß ich die Maschine beherrsche? Sie standen sich wortlos gegenÜber, niemand wußte, was er in dieser peinlichen Situation sagen sollte. Der Chefkonstrukteur forderte die Besatzungsmitglieder auf, wieder ihre Plätze einzunehmen. Aknasow schlug vor, daß Tschistjakow mit Jakimow zunächst einige EinweisungsflÜge in der "Acht" absolvieren und danach das Flugzeug als Kommandant Übernehmen soll. Tschistjakow lehnte jedoch den Vorschlag ab. "Genosse Aknasow und auch Sie, Genosse Jakimow, werden verstehen, daß sich ein Testpilot allein ohne EinweisungsflÜge an das fÜr ihn unbekannte Flugzeug herantastet, um sich
ein eigenes Bild zu machen. Ich arbeite erst alle Versuchsprotokolle und Dokumentationen durch. Danach beginne ich, wie es Üblich ist, mit den Rollversuchen, ehe wir zum ersten Flug unter meiner Leitung starten. Ich will mir mein eigenes Urteil Über das Flugzeug bilden." "Wozu denn noch einmal Rollversuche?" sagte Nasarow ablehnend. "Wollen Sie das Fahrrad vielleicht noch einmal erfinden? Die Maschine ist längst erprobt! Es genÜgen einige Dutzend FlÜge." Aknasow wollte etwas einwenden, doch Tschistjakow kam ihm zuvor. "Wenn ich die Flugeigenschaften und die Leistungen der ,Acht' ÜberprÜfen soll, beginne ich von vorn, andernfalls kann ich diese Aufgabe nicht Übernehmen." Er blickte in die Runde, und als niemand etwas erwiderte, sagte er mit unnötiger Schärfe, um seine Unsicherheit zu verbergen. "Ist das klar, Genossen?" In den Gesichtern las er nur Ablehnung. Alle schwiegen, das Eis zwischen ihnen konnte nicht hier unten auf der Erde, sondern nur in der Luft gebrochen werden. Dort mÜßte sich jeder beweisen, und auch er wÜrde sich anstrengen mÜssen, denn in diesem Fall zählten nicht allein technisches Können und Erfahrungen, er brauchte ihr Vertrauen. Sie gingen wie Fremde auseinander, sie sich nie wiedersehen wÜrden. Tagelang arbeitete sich Tschistjakow durch die dickleibigen Ordner und Mappen mit den Versuchsprotokollen und Dokumentationen der "Acht". Dabei gewann er die Überzeugung, daß Jakimows Besatzung alles getan hatte, was getan werden mußte, und daß er, Tschistjakow, den vorliegenden Ergebnissen kaum etwas Neues wÜrde hinzufÜgen können. Einige Male unterbrach
Tschistjakow seine Arbeit, um mit Jakimow zu sprechen, weil ihm beim Studium der Akten einiges unklar geblieben war. Nasarow, der zufällig ein Gespräch gehört hatte, sagte später zu Jakimow: "Er fÜhrt sich wie ein Untersuchungsrichter auf!" Jakimow neigte abwägend den Kopf. "In gewisser Hinsicht ist er es auch, er hat das Urteil zu ÜberprÜfen, das wir Über die ,Acht' gefällt haben." "Was gibt's da noch zu ÜberprÜfen, Alexander Iwanowitsch? Etwas Neues, das uns entgangen ist, wird er an der ,Acht' auch nicht finden." "Sag das nicht! Bei kommenden FlÜgen können Dinge in Erscheinung treten, die bei uns nicht da waren. Du weißt es selbst am besten ." "Können, können .", antwortete Nasarow ärgerlich. "Auch bei sorgfältigster Erprobung gibt es immer Erscheinungen, die sich erst viel später bei einer Serienmaschine ergeben." "Das sage ich doch", erwiderte Jakimow. Er blickte Nasarow abwägend von der Seite an. ",Hausherr'", sagte er nachdrÜcklich. "Du hast doch nur etwas gegen Tschistjakow. Du weißt doch, daß er große Erfahrungen hat." In diesem Spätherbst hatte es schon einige Male geschneit. Schwere, nasse Flocken, mit Regen vermischt, tanzten träge zur Erde und tauten sogleich wieder weg. Der Winter wÜrde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Doch an diesem Morgen, da Tschistjakow zum erstenmal mit der "Acht" aufsteigen wollte, schien die niedrig stehende Sonne noch einmal warm. Als Tschistjakow vor dem im Sonnenlicht gleißenden Rumpf des mächtigen Flugzeugs seinen Fallschirm anlegte, schloß er geblendet die Augen. Die Mechaniker fÜhrten
letzte Handgriffe am Fahrwerk aus und schlossen die Verkleidungsklappen der Motoren. Dann verließen sie die Maschine.
Auch Nasarow und die anderen legten ihre Fallschirme an, dann kletterten sie nacheinander Über die schmale Leiter in den Rumpf. Zuerst Tschistjakow, wie es an Bord der Rangfolge entsprach, dann der schwarzhaarige Kopilot Juri Timofejewitsch Tschernow, ihm folgten der "Hausherr" und die beiden Flugversuchsingenieure, die hinten in der Kabine ihre Plätze einnahmen. Zuletzt kamen der Bordfunker und der Navigator, fÜr die es auf diesem Flug nichts zu tun geben wÜrde, weil Tschistjakow angeordnet hatte, nur eine erweiterte Platzrunde zu fliegen. Schweigend nahmen die Männer ihre Plätze ein. Doch als sie ihre Hauben mit den eingearbeiteten Kopfhörern aufstÜlpten, bemerkten sie verwundert, daß Tschistjakow
an Stelle der Haube eine SportmÜtze trug, Über die er seine Kopfhörer schob. Nasarow schien das nicht zu gefallen, er verzog spöttisch den Mund. Da er aber quer zur Flugrichtung vor dem großen Bedienpult saß und die anderen sich hinter seinem RÜcken befanden, konnte er sein Mißfallen niemandem mitteilen. Sie schalteten die Bordsprechanlage ein. Tschistjakow und Nasarow hantierten an Schaltern und Kipphebeln, schließlich forderte der Kommandant den Ingenieur auf, die Triebwerke anzulassen. Der Generator surrte, und nacheinander sprangen schmetternd die vier Motoren an. Ihr dumpfes Dröhnen erfÜllte bald das Cockpit. Jeder hatte zu tun. Sie kontrollierten die Bordgeräte: Zylinderkopftemperaturen, Ladedruck, Drehzahlen . Tschistjakow scheute sich nicht, auch die Geräte seines Bordingenieurs zu ÜberprÜfen. Nasarow gefiel das nicht, denn er konnte sich nicht erinnern, daß je einer an seiner Zuverlässigkeit gezweifelt hätte. Traute ihm Tschistjakow nichts zu, oder wollte er ihn absichtlich verletzen? Nun, bei Gelegenheit wÜrde er es ihm zurÜckzahlen! Wer war denn dieser Tschistjakow eigentlich, daß er einem wie ein Schullehrer Über die Schulter sehen mußte? Dieser Außenseiter! Nicht zuletzt bewies das seine zivile SportmÜtze. Die Maschine schÜttelte und vibrierte, alles klirrte und schepperte. Doch niemanden störte das, es war immer so, bevor sich der mächtige "Kasten" in der Luft befand. Die Zylinderkopftemperaturen näherten sich den Normalwerten. Tschistjakow schob die Gashebel nach vorn, die Zeiger an den Drehzahlmessern wanderten, aus dem Dröhnen wurde ein hohes Singen, und das SchÜtteln und Vibrieren ging in ein fast schmerzhaftes Klirren Über. Aber gleich darauf fiel das Brausen wieder in sich zusammen. Tschistjakow löste
die Bremsen, langsam setzte sich die große Maschine in Bewegung, fast gleichzeitig betätigte er die Bugradlenkung. Als die Maschine einen weiten Bogen beschrieb, warf Tschistjakow rasch noch einen Blick auf Nasarows Geräte. Leicht rollte das Flugzeug zur Start- und Landebahn. Tschistjakow und Tschernow klappten die Sonnenblenden herab. Der Kommandant ließ die Maschine noch einige Meter rollen, um zu prÜfen, ob das Bugrad in Startrichtung stand, dann trimmte er das Höhenruder leicht schwanzlastig und bremste die Motoren noch einmal ab, wobei sich Nasarow die Bemerkung nicht verkneifen, konnte: "Alles in Ordnung, Euer Ehren? Oder gibt's Beanstandungen?" Tschistjakow erwiderte nichts, obwohl er den Spott heraushörte. "Pojechali!" - Los geht's! befahl er. Er war seit langem gewöhnt, den Abflug auf diese Weise bekanntzugeben, anstatt vorschriftsmäßig zu befehlen: Wir starten! "Habt ihr's gehört?" rief Nasarow provozierend in das Kehlkopfmikrofon. "Genosse Tschistjakow scheint einen Schubkarren zu schieben, oder vielleicht ist er ein Bierkutscher? Pojechali! Wo gibt's denn das?" Nasarow lachte spöttisch, aber niemand antwortete ihm. Die "Acht" toste Über die Startbahn. Sergej Pawlowitsch Tschistjakow hielt das geriffelte Steuerhorn, zugleich hatte er den Fahrtenmesser im Blick. Bei einhundertzehn Stundenkilometern hob das Bugrad ab. Die Nadel am Fahrtmesser kroch weiter: Einhundertsechzig! Die Stöße hörten auf, die Maschine flog. Der Kopilot legte die Sicherungsklappe um und drÜckte einen Knopf: Fahrwerk unter Strom! Die Räder verschwanden in den Schächten. Wie es Tschistjakow schien, geschah das zu langsam. Man wÜrde es ÜberprÜfen mÜssen. Doch was war das? Die Maschine nahm die Nase etwas zu hoch.
Wenn sie dadurch an Geschwindigkeit verlor, konnte es gefährlich werden. Tschistjakow drÜckte die Steuersäule nach vorn, aber dazu mußte er mehr Kraft aufwenden, als er vermutet hatte. Irgend etwas stimmte nicht. Er drÜckte einen Schalter, um die Maschine weniger schwanzlastig zu trimmen. Doch zu seiner Überraschung geschah das Gegenteil von dem, was er erwartet hatte: Er mußte noch mehr Kraft aufwenden, um die Steuersäule nach vorn zu drÜcken, und dabei hob das Flugzeug seinen Bug immer höher. Die Situation wurde bedrohlich. In diesem Augenblick begriff er: Offensichtlich hatte man die Zuleitungen zum Trimmschalter falsch angeschlossen. Daher betätigte er ihn in entgegengesetzter Richtung. Die "Acht" senkte die Nase, und der weitere Flug verlief normal. Hatte ihm jemand einen Streich gespielt? Nasarow, der das alles von seinem erhöhten Platz hinter
Tschistjakow beobachtete, konnte es sich auch dieses Mal nicht verkneifen, Über die Bordsprechanlage eine schnoddrige Bemerkung zu machen. "Ich sehe, es gibt gleich zu Beginn Schwierigkeiten, Euer Ehren!" "Still, Nasarow!" wies ihn Tschistjakow zurecht. "Ich dulde nur die nötigsten Gespräche an Bord! Um jeden Irrtum auszuschalten! Nasarow! Notieren Sie! Das Fahrwerk fährt zu langsam ein!" Nasarow stutzte, er war es nicht gewöhnt, daß man ihm widersprach. Jakimow hatte seine ständigen Bemerkungen hingenommen. Nasarow notierte Tschistjakows Anweisung und verzog auch nicht mehr den Mund, als der Kommandant sich nach seinen Bordgeräten umdrehte. Das sonore Dröhnen der Motoren erfÜllte das Cockpit. Tschistjakow leitete die erste Kurve ein. Das Flugzeug legte sich gehorsam zur Seite und drehte nach Steuerbord. Der mächtige FlÜgel steilte zur Erde. Bald darauf folgte die zweite Kurve. Sie flogen vierhundert Meter hoch. Die Landschaft, die unter der Maschine vorÜberzog - Landstraßen, Wälder und kleine Seen - kannte Tschistjakow nicht. Zuweilen duckten sich winzige, weißgetÜnchte Katen an den Boden, und das alles Überzog die tiefstehende Sonne mit goldenem Glanz. Dritte und vierte Kurve, Landeanflug! Wieder auf dem Boden, wies Tschistjakow Nasarow an, die Maschine aufbocken zu lassen, um das Fahrwerk zu ÜberprÜfen. "Aber im Freien, nicht im Hangar", fÜgte er hinzu. Nasarow sah Tschistjakow erstaunt an, aber er stellte keine Fragen. "Ich habe eine bestimmte Vermutung", erklärte Tschistjakow. "Stellen Sie außerdem fest, wer fÜr
den falschen Anschluß des Trimmschalters verantwortlich ist." Nasarow sah ihn erbost an. Tschistjakow mochte seine Gedanken erraten haben. "Ein Defekt mag sich jetzt erst eingeschlichen haben." Ehe sie vom Platz gingen, forderte er alle auf, ihre Berichte sofort zu schreiben. "Das ist unnÜtze Arbeit, wir haben doch alles schon erprobt!" antwortete Nasarow aufgebracht. "Haben Sie auch schon aufgeschrieben, daß es mit der Trimmung Schwierigkeiten gab und daß das Fahrwerk zu langsam einfuhr?" sagte Tschistjakow spöttisch. Dann ging er davon. "Er kommandiert uns wie Schulbuben!" Nasarow drohte mit der Faust hinter ihm her.
Man hatte die "Acht", so wie es Tschistjakow forderte, im Freien aufgebockt, Über Nacht war die Temperatur unter den Nullpunkt gesunken, und am Morgen Überzogen dÜnne Eisdecken die TÜmpel und PfÜtzen. Die Mechaniker legten Leitungen und bauten Meßgeräte am Flugzeug auf, und wenn sie einander etwas zuriefen, stieg ihr Hauch in die frische Morgenluft. Die Mannschaft verfolgte skeptisch diese Vorbereitungen und äußerte untereinander Zweifel. Nur der "Hausherr" unterließ an diesem Morgen seine Spötteleien und schwieg abwartend. Tschistjakow stand stumm, die Hände in den Taschen, neben Aknasow. Er schien sich seiner Sache sicher zu sein. Als die Versuchsanordnung fertig war, hob Aknasow die rechte Hand als Zeichen, daß man beginnen könne. Pfeifend fuhren die massigen Räder aus den Triebwerkgon-
deln, die Knickstreben streckten sich, und dann rastete das Fahrwerk hörbar ein. Aknasow drÜckte die Stoppuhr und schÜttelte verwundert den Kopf. "Zwölf Komma sieben Sekunden!" rief er den Umstehenden zu. "Tschistjakow hat recht! Das ist zuviel!" Einer der beiden Flugversuchsingenieure ergänzte: "Auch der Stromverbrauch ist zu hoch!" Nasarow war betroffen, denn er hatte Tschistjakows Feststellung fÜr unzutreffend gehalten, da es mit dem Fahrwerk noch nie Schwierigkeiten gegeben hatte. "Lassen Sie es einfahren, Boris Alexejewitsch!" schlug Tschistjakow vor. In seiner Stimme war kein Triumph zu erkennen. Aknasow gab abermals ein Zeichen. Wieder wurde das leise Pfeifen hörbar, die Räder, von einer unsichtbaren Kraft gehoben, lösten sich gespenstisch vom Boden, und die Streben fuhren teleskopartig ein. Bei diesem Vorgang brauchte man nicht mehr die Stoppuhr, um zu erkennen, daß das Einfahren noch langsamer ablief. "Vierzehn Komma zwei!" stellte Aknasow unwillig fest. "Wiederholen wir es!" Abermals glitten die mächtigen Räder aus den Gondeln, bewegten sich die Streben, wurden verriegelt und fuhren wieder ein. Aknasow sagte resigniert: "Wie beim erstenmal!" Und zu Tschistjakow gewandt, fragte er: "Haben Sie dafÜr eine Erklärung, Sergej Pawlowitsch?" Tschistjakow schaute nachdenklich auf die Triebwerkgondeln, in denen das Fahrwerk verschwunden war. Er zuckte mit den Schultern. "Vielleicht! Doch lassen Sie das Fahrwerk erst einmal ausbauen und grÜndlich ÜberprÜfen, vor allem die Gelenke und Lager. Ich möchte ganz sicher-
gehen." Nasarow musterte Tschistjakow skeptisch. Zuerst gaben Sie sich ziemlich klug, Euer Ehren, dachte er, aber jetzt versagt wohl auch Ihr Latein. Doch warum war ihnen vorher nicht aufgefallen, daß mit dem Fahrwerk etwas nicht stimmte? Da mußte erst dieser "Bruchpilot" angefordert werden, und gleich beim ersten Flug fand er die schwache Stelle, die ihnen allen vorher entgangen war. Am nächsten Morgen versammelten sie sich abermals um die "Acht". Über Nacht war die Temperatur noch tiefer gesunken, und an diesem Tag trugen die Männer zum erstenmal in diesem Jahr PelzmÜtzen und gefÜtterte Handschuhe. Die Mechaniker hatten bis in die Nacht gearbeitet. Doch sie fanden keinen Fehler. Nun kam es auf die Versuche an. Aknasow war ärgerlich, weil die Mechaniker keine Ursache hatten finden können. Wie am Vortag stand er mit der Stoppuhr bereit. Er zog den Handschuh aus und gab ein Zeichen. Dieses Mal fielen die Ergebnisse noch schlechter aus als am Tag vorher. Aknasow ließ den Vorgang einige Male wiederholen, doch es änderte sich nichts. Am dritten Morgen, die Quecksilbersäule war nun unter fÜnfzehn Grad minus gesunken, lief die Stoppuhr noch länger. Tschistjakow stand wie immer scheinbar unbeteiligt dabei. "Ich habe es nicht anders erwartet", sagte er ruhig. Aknasow blickte ihn fragend an. "Wie meinen Sie das, Sergej Pawlowitsch? Kennen Sie die Ursache?" Tschistjakow erwiderte nichts, sondern sah sich ein wenig spöttisch nach Nasarow um. "Und was meinen Sie dazu?"
Nasarow nickte stumm, auch er schien jetzt eine Erklärung fÜr das Versagen zu haben, doch er zögerte, seine Meinung zu äußern. Endlich sagte er mit gepreßter Stimme: "Man sollte vielleicht einen anderen Schmierstoff nehmen, das Zeug, das wir jetzt verwenden, wird mit sinkender Temperatur zu steif und setzt dem Fahrwerk einen zu großen Widerstand entgegen." Aknasow blickte Tschistjakow prÜfend an. Der nickte. "Ich habe es von Anfang an vermutet, deshalb ließ ich die Maschine im Freien aufbocken." Nasarow wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Tschistjakow hätte sich mit seiner Erkenntnis aufspielen können, doch er hatte ihm, Nasarow, die Lösung Überlassen, er fÜhlte sich dabei nicht wohl. Als sie vom Platz gingen, dachte Nasarow, daß Tschistjakow vielleicht gar kein so Übler Kerl sei. Vielleicht halfen seine Erfahrungen, schneller bei der Entwicklung des Großraumflugzeugs vorwärtszukommen. Und das war schließlich die Hauptsache. Trotzdem konnte er auch bei den nächsten FlÜgen nicht umhin, spöttische Bemerkungen zu machen, wenn der Kommandant beim Start befahl: "Pojechali!" - Aufgeht's!
Sie starteten zum Nachtflug. Es ist die eine Sache, am hellen Tag im Cockpit zu sitzen, und die andere, wenn sich die Schatten der Nacht Über die Erde senken und alles ins Zwielicht tauchen. Die zahllosen Instrumente und Kippschalter zeigen erst dann ihre TÜcken, wenn die Skalen nur dÜrftig von der Gerätebeleuchtung erhellt werden. Bei diesem Licht neigt man dazu, sie zu verwechseln und sich von den schwach leuchtenden Marken und Zeigern an den Bordgeräten
verwirren zu lassen. Wie viele Änderungen machen sich nach nächtlicher Erprobung noch notwendig, um jede Verwechslung auszuschließen. Die Maschine raste Über die Startbahn. Die weißen Lichter zu beiden Seiten des Flugzeugs wuchsen zu einer Lichtgirlande zusammen, und noch ehe die roten Schwellenlichter das Ende der Betonbahn anzeigten, löste sich die Maschine von der Erde und stieg in die Dämmerung hinein. Über ihr wölbte sich ein glasig blauer Himmel. Das klar umrissene Gitterwerk der Straßen, Kanäle und Eisenbahnen tief unten verlor seine Schärfe, es löste sich allmählich in weiche Konturen auf und verblaßte dann völlig. Rauchige Dämmerung Überzog die Erde, und da und dort kÜndeten schon einzelne Lichter von der anheimelnden Wärme in den Häusern und HÜtten. Erst flogen zottige Wölkchen vorÜber, und dann kam eine dunkle Masse wie ein unbezwingbarer Fels auf die Maschine zu. Während sie das Flugzeug ÜberspÜlte, wurde es in der Kabine dunkler, doch nur fÜr einige Sekunden, dann war das Flugzeug wieder frei. Sie stiegen höher und höher, rosafarbene Wolken zogen unter ihnen dahin. Sie weckten in den Männern die Vorstellung, noch immer mit der Erde verbunden zu sein, obwohl sie unter dem hohen, kalten Himmel dahinflogen. Sie wÜrden erst nach Mitternacht zurÜckkehren; Tschistjakow wollte die Maschine auf einem längeren Nachtflug erproben. Nasarow reichte Tschistjakow eine Thermosflasche und belegte Brote nach vorn. Tschistjakow verspÜrte mit einem Male Hunger, er begann zu essen. Tschernow Übernahm das Steuer. Der Navigator kurbelte an der Frequenzskala unter dem Kabinendach. Sie flogen
geraume Zeit in die Nacht hinein. Tschistjakow begann zu träumen, und als er auf die Uhr blickte, waren sie schon vier Stunden unterwegs. Wenn es nach ihm ginge, wÜrde er noch länger fliegen, vielleicht nach dem Ural und noch ein StÜck darÜber hinaus, bis nach Asien hinein. Aber dazu wÜrde der Kraftstoff nicht reichen, und so etwas durfte nicht auf eigene Faust unternommen werden. Dazu bedurfte es einer grÜndlichen Planung, um jeden Zufall auszuschalten. Voraus stand ein kräftig leuchtender goldgelber Mond; er tauchte die Wolken unter ihnen in bläuliches Licht, nur wenn sie hin und wieder einmal aufrissen, sah man in seinem Schein die samtenen Konturen von FlÜssen und Seen, die sich deutlich vom verschneiten Land abhoben. Zuweilen blinkten einsame Lichter und kÜndeten vom Leben in den Dörfern und Ansiedlungen. Langsam wanderte der Mond nach Steuerbord, Tschistjakow, der das Steuer wieder Übernommen hatte, leitete eine flache Linkskurve ein, um auf Gegenkurs zu gehen. Das Bild änderte sich. Vor ihnen blinkten Sterne, sie erschienen ihnen näher als die gelegentlichen Lichter der Erde. Glasklar standen sie am Himmel: Pegasus und Schwan, und Über ihnen im Zenit die Kassiopeia. Der schwarzhaarige Kopilot Juri Tschernow zog den Stecker der Bordsprechanlage aus der Brechkupplung und erhob sich aus seinem Sitz. Als Tschernow das Cockpit verlassen wollte, bäumte sich die Maschine plötzlich heftig auf. Gleichzeitig wurde sie stark geschÜttelt, und es polterte, als ob es im Himmel Schlaglöcher gäbe. Unsichtbare Fäuste schienen auf die Maschine einzuschlagen, und alle glaubten, sie wÜrde auseinandergerissen. Tschernow stieß mit dem Kopf gegen das Schott und stÜrzte zu Bo-
den. Tschistjakow riß es das Steuerhorn aus den Händen, er hatte das GefÜhl, daß die Maschine ihren Bug steil aufrichtete. Er konnte sich nicht erklären, was in diesen Sekunden geschah. Mit aller Kraft griff er nach dem Steuerhorn und drÜckte es nach vorn; so brachte er das Flugzeug wieder in seine normale Lage. Die Nadeln an den Bordgeräten tanzten und schlugen wild aus, doch aus ihnen vermochte Tschistjakow nicht zu erkennen, was geschehen war. Obwohl das Flugzeug nun wieder geradeaus flog, wurde es noch immer geschÜttelt, und heftige Schläge trommelten auf seine Beplankung ein. Ächzen und Grollen Übertönte die Motoren, und immer wieder wuchteten unvorstellbare Kräfte an der "Acht". Er blickte zum Seitenfenster hinaus, aber dort war, wenn er sich weit nach vorn beugte, nichts anderes als die reflektierenden Scheiben der rasend rotierenden Propeller zu sehen. Die Motoren arbeiteten also, als ob nichts gewesen wäre, und die Drehzahlmesser bestätigten es Tschistjakow. Wenn er nicht rasch die Ursache fÜr dieses ungewöhnliche Verhalten fand, konnte er nicht mehr lange die schlingernde und gierende Maschine, die sich zudem ständig aufbäumen wollte, halten. Er sah sich rasch zu Nasarow um, doch der Bordingenieur saß nicht mehr auf seinem Platz, weil er sich um Tschernow kÜmmerte. War der Kopilot schwer verletzt? Tschistjakow schob diesen Gedanken von sich, denn jetzt galt es erst einmal, die Maschine sicher auf die Erde hinunterzubringen. Da fiel Tschistjakows Blick auf die Stellungsanzeige der Landeklappen. Die waren ausgefahren! Wer hatte den Schalter betätigt? Ein Blick auf den Fahrtmesser zeigte, daß die Geschwindigkeit beträchtlich zurÜckgegangen, aber fÜr ausgefahrene Landeklappen noch viel zu hoch
war. Daher das SchÜtteln, das Aufbäumen und Stampfen. Tschistjakow beugte sich zum Bedienpult und griff nach rechts hinunter zum Schalter. Sogleich zog das Flugzeug wieder ruhig seine Bahn, als ob nichts gewesen wäre. Nun forderte er Über die Bordsprechanlage die beiden Flugversuchsingenieure hinten in der Kabine auf, Tschernow zu helfen. Nasarow möge wieder seinen Platz einnehmen. Tschistjakow brachte die Maschine auf Heimatkurs. Über Sprechfunk forderte er einen Arzt an, dann Überlegte er, wie es geschehen konnte, daß die Klappen von selbst ausgefahren waren. Nasarow beugte sich Über seine Schulter. "Vermutlich GehirnerschÜtterung, einige Platzwunden, möglicherweise Schädelfraktur ." "Ich gebe es durch!" sagte Tschistjakow. Danach beschäftigte er sich wieder mit dem Zwischenfall. Doch bald schob sich Nasarow wieder an ihn heran. Er hatte inzwischen gehört, daß die ausgefahrenen Klappen die Ursache fÜr das RÜtteln gewesen waren. "Haben Sie etwa aus Versehen den Kippschalter gestreift? Wie sollten denn die Klappen sonst ausfahren?" fragte er lauernd. "Quatsch!" Tschistjakow wies auf den Schalter unten am Bedienpult rechts. "Wie sollte ich ihn dort streifen", sagte er ärgerlich. Wollte der neunmalkluge "Hausherr" den Zwischenfall etwa ihm anlasten? Doch wie sollten die Klappen sonst ausfahren, wenn man nicht den Schalter betätigte? Er dachte fÜr einen Augenblick an seinen Plan, einen Langstreckenflug zu beantragen. Den wird er nun vielleicht nicht mehr verwirklichen können. In der Ferne tauchte ein rötlicher Schimmer auf, die Wolkendecke verfärbte sich. Das Licht einer großen Stadt drang durch das dÜnne Gewölk und warf einen diffusen
Schein an den Himmel. Der Zeiger am Radiokompaß sprang um, sie hatten ein Funkfeuer Überflogen. Tschistjakow glaubte abermals, Nasarows lauernden Blick hinter sich zu spÜren. Also jetzt willst du mir an den Kragen, Freundchen, dachte er. Unaufmerksamkeit beim Nachtflug, Gefährdung der Besatzung und des Flugzeugs, ein Verletzter!
In diesem Augenblick bäumte sich die Maschine erneut auf, aber dieses Mal hatte Tschistjakow alles im Griff. Tatsächlich! Der Schalter hatte sich von selbst verstellt, auch Nasarow sah es. Doch es konnte wohl nicht am Schalter liegen? War etwa der Antrieb der Landeklappen defekt? Nasarow begriff, was er jetzt zu tun hatte. Er schob sich in den Sitz des Kopiloten, um die Bedienung der Gashebel beim Landeanflug und der Landung zu Übernehmen. Sie
wÜrden ohne ausgefahrene Klappen mit sehr hoher Geschwindigkeit den Boden berÜhren. Ein großes Risiko. Tschistjakow dachte an seine Havarie mit dem Strahljäger, und ihm fiel zugleich ein, daß Nasarow nun keine Schuld fÜr den Zwischenfall mehr auf ihn abwälzen konnte. Auch er hatte gesehen, daß die Landeklappen von selbst ausgefahren waren. Doch Tschistjakow war sich in dieser Situation bewußt geworden, daß er in Nasarow einen Widersacher besaß, der nur darauf lauerte, ihm einen Fehler nachzuweisen. Oder irrte er sich vielleicht? Daß Nasarow nun ohne Worte Tschernows Platz eingenommen hatte, besagte gar nichts, das war einfach seine Pflicht. Tschistjakow leitete den Sinkflug ein. "Wir landen wie Üblich mit ausgefahrenen Klappen!" entschied er. Nasarow sah ihn zweifelnd an. WÜrden die Klappen funktionieren? Tschistjakow ließ sie ausfahren. Doch in vierhundert Meter Höhe sackte die Maschine durch. Wie ein Lift ging sie nach unten. Die Klappen waren von selbst zurÜckgeschnellt. Nasarow schob sofort die Gashebel nach vorn, um den starken Auftriebsverlust auszugleichen. Sie landeten mit sehr hoher Geschwindigkeit, aber sie brachten das Flugzeug vor dem Ende der Landebahn zum Stehen. Gleich darauf fuhr der Ambulanzwagen mit Tschernow durch die Nacht. Tschistjakow stieg schweigend aus und lief in Richtung Flugleitung davon. Nasarow bemÜhte sich, mit ihm Schritt zu halten, aber Tschistjakow ging schneller, er wollte Nasarow nicht an seiner Seite haben. Der Vorfall mit den Landeklappen, so sagte Aknasow,
habe erneut gezeigt, daß sich das im KonstruktionsbÜro Errechnete nicht immer im Flug bestätigen mÜsse. Der Fehler fÜr die Landeklappen sei gefunden, die bisher vorliegenden Ergebnisse erlaubten es, mit den Arbeiten an einem neuen, ebensogroßen Flugzeug mit Propellerturbinen zu beginnen. Tschistjakow erwartete uneingeschränkte Zustimmung, da sie ja alle die weitere Erprobung unter seiner Leitung fÜr ÜberflÜssig hielten. Doch seine Vermutung erwies sich als falsch. Alle schwiegen abwartend. Nasarow sah Tschistjakow herausfordernd an. Tschistjakow wich diesem Blick aus, denn seit dem letzten Flug, als ihm der "Hausherr" versuchte, die Schuld am Versagen der Landeklappen zuzuschieben, Übersah er ihn absichtlich. Doch manchmal kamen in ihm leise Zweifel auf. Vielleicht hatte Nasarow es gar nicht so gemeint, waren seine Worte etwa nur eine sachliche Feststellung im ersten Augenblick gewesen? Warum sonst hatte sich Nasarow bemÜht, beim Weggehen mit ihm Schritt zu halten? Wollte er vielleicht etwas erklären? Tschistjakow räusperte sich, dann sagte er bedächtig: "Sie wollen die Erprobung der ,Acht' also einstellen, Boris Alexejewitsch?" Aknasow nickte, doch Tschistjakow fuhr fort: "Gerade an diesem Punkt, wo wir Schwierigkeiten mit den Landeklappen haben? Wir sollten gerade deshalb die ProbeflÜge mit der ,Acht' fortsetzen, schon im Hinblick auf die Turbinenmaschine." "Nicht nötig, Sergej Pawlowitsch. Wir kennen jetzt die Ursache fÜr das Versagen. Die Antriebsmechanismen fÜr die Landeklappen waren zu schwach dimensioniert, da wir von unseren bisherigen Erfahrungen ausgingen, die fÜr ein Großflugzeug unserer Zeit nicht mehr ausreichen ."
"Um so dringlicher wäre eine erneute Erprobung des verstärkten Klappensystems", unterbrach ihn Tschistjakow. "Ihre Ansicht von den zu schwach ausgelegten Antrieben trägt theoretischen Charakter, Boris Alexejewitsch, und wir sollten die Gelegenheit benutzen, sie im Flug zu bestätigen", sagte Nasarow. Tschistjakow stutzte, als ihm Nasarow unerwartet zu Hilfe kam. Was mochte den Bordingenieur plötzlich veranlaßt haben, seine Meinung zu unterstÜtzen? Ging es ihm lediglich um die Sache? Aknasow Überlegte eine Weile, dann sah er Tschistjakow an und sagte: "Also benutzen wir die Gelegenheit und erproben die ,Acht' noch einmal mit neuen Klappenantrieben. Wir hätten es sonst später an der neuen Maschine getan. Aber da wir Sie, Tschistjakow, noch hierbehalten dÜrfen ." Tschistjakow erhob sich von seinem Platz, das war sonst nicht Üblich bei ihren Beratungen. Jetzt wollte Tschistjakow auf seinen Plan zu sprechen kommen, und er war gespannt, wie Aknasow und die Besatzung der "Acht" darauf regagieren wÜrden. "Wenn Sie, Boris Alexejewitsch, glauben", begann er, "die Erprobung der ,Acht' in KÜrze abschließen zu können, so ist das eine Sache. Vorher sollten Sie jedoch die ,Acht' auf einem Langstreckenflug testen, auf einem Flug, bei dem die Leistungen und Eigenschaften der Maschine in besonders eindrucksvoller Weise demonstriert werden. Im Ministerium wÜrde man sicherlich ." Aknasow unterbrach Tschistjakow ungeduldig: "Wozu, Sergej Pawlowitsch? Wir haben die ,Acht' schon frÜher einem zwanzigstÜndigen Flug unterworfen. Ihre Standfe-
stigkeit ist aktenkundig erwiesen, und Sie haben uns geholfen, noch einige technische Anfälligkeiten aufzudekken." "Gewiß", wandte Tschistjakow ein. "Man flog zwanzig Stunden unter besonders gÜnstigen Bedingungen in der Nähe des Flugplatzes. Ein Langstreckenflug hingegen", er holte tief Luft, "sagen wir von Moskau nach Nowosibirsk und ohne Zwischenlandung zurÜck, mÜßte dagegen unter den Bedingungen erfolgen, wie sie jeden Tag auf ein Langstreckenflugzeug im Linienflug zukommen, vielleicht noch etwas härter." Stille breitete sich aus, dann sagte Nasarow gedämpft: "Ein interessanter Vorschlag." "Mit diesem Flug wÜrden wir schon die kÜnftigen Leistungen des Turbinenflugzeugs abstecken", ergänzte Tschistjakow, und Jakimow wiederholte: "Ein wirklich interessanter Vorschlag, wir sollten ihn grÜndlich erörtern, Boris Alexejewitsch." Aknasow trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte. Tschistjakows Vorschlag war ihm zu Überraschend gekommen. "Moskau-Nowosibirsk und zurÜck", sagte er halblaut. "Haben Sie sich schon eingehender damit befaßt, oder ist Ihnen das erst jetzt eingefallen?" "GrÜndlich Überlegt!" erwiderte Tschistjakow knapp. "Und wenn auf dem Flug etwas Unvorhergesehenes geschieht?" fragte Aknasow. "Es könnte uns stark zurÜckwerfen." Nasarow schÜttelte den Kopf. "NatÜrlich kann etwas geschehen. Das ist bei unserer Arbeit immer so, aber auch das wÜrde die Arbeiten am neuen Flugzeug nur unterstÜtzen. Was wir einmal zu beherrschen gelernt haben, macht uns niemals wieder Schwierigkeiten, und außerdem: Der
Weg zur Sicherheit fÜhrt nun einmal Über das Risiko." Aknasow mußte diese Argumente anerkennen, dennoch gab er zu bedenken: "Im Ministerium könnte man anderer Meinung sein. Lassen Sie irgend etwas geschehen! Man wÜrde uns vorwerfen, fahrlässig gearbeitet zu haben, dann bekämen wir niemals ,grÜnes Licht' fÜr die Neuentwicklung." Tschistjakow lachte bitter. "Vom ,grÜnen Tisch' und aus dem Cockpit hat man immer eine unterschiedliche Sicht." Aknasow verteidigte seinen Standpunkt. "Wir stehen jetzt gut da mit der ,Acht'! Nach Erfolgen soll man das Schicksal nicht herausfordern." "Denken Sie auch an die Landeklappen", mischte sich Nasarow erneut ein. "Wäre die Maschine abgestÜrzt und völlig zertrÜmmert worden, hätte man auf die Erprobungsakte ,Ungeklärter Fall' schreiben mÜssen, so aber wurden wesentliche neue Erkenntnisse fÜr kÜnftige Großflugzeuge gewonnen." Jakimow meldete sich. "Boris Alexejewitsch!" sagte er bedächtig. "Nehmen Sie es mir bitte nicht Übel, wenn ich der Ansicht bin, daß Sie gegen den Langstreckenflug im Grunde gar nichts einzuwenden haben. Es stört Sie nur, weil Sie glauben, er verzögere die Entwicklung des Turbinenflugzeugs. Ist es nicht so?" Man nickte Jakimow zustimmend zu. Er hatte den Kern der Sache getroffen und das gesagt, was alle dachten. Aknasow spÜrte, daß er kein Überzeugendes Gegenargument mehr ins Feld fuhren konnte. Er blickte nachdenklich auf die gegeneinandergepreßten Fingerspitzen, dann sagte er schleppend: "Moskau-Nowosibirsk und zurÜck, das sind sechstausend Kilometer, also fÜnfundsiebzig Prozent der maximalen Reichweite unserer
,Acht'." "Sie sehen also, daß mein Vorschlag durchaus nicht fragwÜrdig ist", antwortete Tschistjakow. Aknasow grÜbelte vor sich hin. Seine Stirn war schweißnaß. Er hatte in seinem Leben schon manchen Fernflug, ja sogar Rekorde, eingefädelt, doch jetzt, da er vor der wahrscheinlich bedeutsamsten Entwicklung seines Lebens stand, wollte er plötzlich nichts mehr riskieren. "Das wären dreizehn bis vierzehn Stunden", murmelte er vor sich hin. "Vielleicht haben Sie recht, Tschistjakow." Dann gab er zögernd seine Zustimmung zum Fernflug.
Schräg lag die Erde unter den Tragflächen des mächtigen Flugzeugs, das in weiter Schleife aufstieg und auf Ostkurs ging. FÜr die Besatzung gab es jetzt nur noch den unendlich weiten Himmel. Die Sonne erschien am Horizont. Tschistjakow fÜhrte das Steuerhorn. Neben ihm, an Stelle des verletzten Tschernow, hatte Jakimow als Kopilot Platz genommen. Hinter ihnen thronte wie immer der "Hausherr" und beobachtete seine Geräte. In der Kabine saßen Aknasow, die beiden Flugversuchsingenieure, der Bordfunker Karaulow und der Navigator Podowski. Aknasow hatte seine Abneigung gegen den Fernflug Überwunden und brannte nun selbst darauf, an dem großen Unternehmen teilzunehmen. Aufmerksam verfolgte er das Spiel der Zeiger am zweiten Instrumentenbrett, das man in Versuchsmaschinen in der Kabine anbringt. Sie alle schienen ihre Vorbehalte gegenÜber Tschistjakow aufgegeben zu haben, zumal der bevorstehende Flug ein Ereignis nach ihrem Geschmack war. Sogar Nasarow unterließ seine schnoddrigen Bemerkungen. Tschistjakow seinerseits warf keinen Blick mehr auf die Gerätetafel des Bordingenieurs.
Er kannte Nasarow nun schon lange genug und wußte, daß er zuverlässig war. Der Tag versprach schönes Wetter. Tief unter ihnen zeichneten sich die Industriestädte östlich von Moskau ab, und noch ehe zwei Stunden vergangen waren, glitzerte im Dunst das gewundene Band der Wolga. Sie stiegen noch etwas höher, der Horizont verlor seine scharfe Kontur, an seine Stelle trat ein trÜber Streifen, Über dem sich der Himmel wölbte. Auch die Erde verschwamm mehr und mehr. Das Wetter wird sich also ändern, dachte Tschistjakow. Bald Überzog eine dÜnne Schichtwolkendecke die Erde, und es dauerte nicht lange, bis ein durchsichtiges Netz von Zirruswolken hoch Über ihnen Schatten auf die Schichtwolken warfen. Die verdeckten auch den schmalen Streifen, hinter dem sich der Horizont verbarg. Nach einer weiteren halben Stunde rÜckten beide Schichten dicht zusammen, ihre Farbe ging vom Perlmutt in grelles Weiß und schließlich in stumpfes Grau Über. Danach flogen sie in feuchtem, nieselndem Dunst, bis die Maschine endgÜltig von den Wolken verschluckt wurde. Blindflug! Tschistjakow richtete sich nur noch nach den Bordgeräten. Eis setzte sich an den Tragflächen und an den Luftschrauben ab. Der Zeiger am Fahrtmesser ging zurÜck, die Maschine wurde unter der schweren Eislast langsamer und begann zu schÜtteln. Auch Jakimow griff nun nach der Steuersäule, denn die Arbeit an den Rudern wurde immer schwerer. Die Zentrifugalkräfte der Propeller schleuderten EisstÜckchen gegen den Rumpf und erzeugten in der Kabine trotz des Motorenlärms ein ständiges Prasseln. Tschistjakow rief die Bodenstation: "Erde! Hier ,Acht',
Flughöhe viertausend! Vereisung! Geben Sie mir eine niedrigere Flughöhe! Sollen wir den Flug abbrechen?" Die Bodenstation ließ sich Zeit, der Eispanzer wurde immer dicker. Endlich kam die Antwort: "Gehen Sie auf fÜnfzehnhundert Meter hinab! Handeln Sie nach eigenem Ermessen!" Tschistjakow schaltete die Sprechverbindung ab und wendete sich zu Jakimow hinÜber. "Nun haben sie uns den ,Schwarzen Peter' zugespielt. ,Handeln Sie nach eigenem Ermessen!' Damit ist alles, was nun kommt, uns Überlassen! Aber gnade Gott, wenn etwas schiefgeht!" "Arschlöcher!" schrie Nasarow erbost von hinten. "Wozu werden die Kerle da unten Überhaupt bezahlt, wenn sie keine Verantwortung Übernehmen wollen." Jakimow lachte. Immerhin schweißt eine solche Situation die Besatzung zusammen, dachte Tschistjakow. Nasarow drosselte die Motoren, die Maschine ging im steilen Bahnneigungsflug in die Tiefe. Der Zeiger am Variometer schlug heftig in Richtung "Sinken" aus. Auch die Nadel am Höhenmesser ging zurÜck. Dreitausend! Zweitausend! EintausendfÜnfhundert! Das Außenthermometer stieg Über den Nullpunkt, und das Eis begann zu schmelzen. Auf den Frontscheiben breiteten sich Rinnsale aus, und die abspringenden Eisbrocken trommelten gegen den Rumpf. Doch nun waren sie aus einer schwierigen Situation in eine andere, vielleicht noch schlimmere geraten. Die Erde verhÜllte sich erneut unter Schichtwolken, und weit vor dem Flugzeug stiegen mächtige WolkentÜrme wie bizarre Bastionen und
Zinnen auf. Gewitter! Normalerweise umgeht man es, denn die Kräfte, die gegen das Flugzeug wuchten, können es zerbrechen. Falls man es nicht schafft, muß der Pilot umkehren oder auf dem nächsten Flugplatz landen. Was hatte die Bodenstation gesagt? Handeln Sie nach eigenem Ermessen! Galt das auch fÜr ein Gewitter?
Es lockte Tschistjakow, die Maschine unter härtesten Bedingungen zu prÜfen. Wenn der Fernflug auch unter solchen Bedingungen gelang, sprach das nur fÜr ihr Können und die Qualität des Flugzeugs. Oder sollte er sich doch bei der Bodenstelle rÜckversichern? Aber Tschistjakow konnte sich denken, wie die reagieren wÜrde. Außerdem, was im täglichen Luftverkehr galt, war doch nicht fÜr sie verbindlich. Er brauchte ja nicht den Gewitterkern anzusteuern, vielleicht gelang es ihm, sich durch die Wol-
kentÜrme, die gleich mächtigen Felswänden weiß und tiefschwarz vor ihnen emporwuchsen, hindurchzumogeln. Jakimow schob die Gashebel nach vorn, um in den schmalen Schluchten emporzusteigen. Mitunter verschwanden die FlÜgelspitzen in den schwarzen Wänden. Unter und neben ihnen wallte und brodelte es. Da wurde die Maschine unversehens in eine Schlucht hinabgerissen. Das Flugzeug ächzte und stöhnte, dann war es in der grauen Masse verschwunden. Die Motoren heulten. Aknasow arbeitete sich in der schlingernden Maschine mÜhsam nach vorn und blickte dem Piloten Über die Schulter. Eine Serie harter Schläge trommelte auf die Maschine ein. Tschistjakow versuchte, sie wieder steigen zu lassen, doch es schien, daß gewaltige Kräfte sie daran hinderten. Da wurde das Flugzeug mit ungeheurer Gewalt nach oben gerissen. Ein Fetzen blauen Himmels erschien vor ihnen, und einige Sonnenstrahlen fielen in die dunklen Katakomben. Doch immerhin: Die Maschine stieg! Minuten später stieß sie in den klaren Himmel. Doch das Gewitter, das sie eben verlassen hatten, war nur der Vorbote gewesen. Eine dicke, undurchsichtige Wand erschien vor ihnen. Aus ihr wuchsen turmartige Haufenwolken mit scharfumrissenen Rändern empor. Links von ihnen zog sich eine diffuse Kumulusnimbofront schleierartig nach Norden. Das verhieß nichts Gutes, und Tschistjakow Überlegte, ob er die Motoren wieder drosseln sollte, um in die Dunstschicht hinunterzutauchen. Doch wußte er, was ihn erwartete? Es war durchaus möglich, daß der Dunst bis zur Erde reichte, dann wÜrden sie niemals Sicht bekommen. Wieder erinnerte er sich: Handeln Sie nach eigenem Ermessen! Daher versuchte er abermals, zwischen den hoch
aufragenden Gebirgen, die man wegen ihrer Zinnen Cumulus castellatus nennt, hindurchzufliegen. Aber auf keinen Fall durften sie dort hineingeraten. Die scharf gezeichneten Konturen dieser Wolken verrieten, daß sie Wasser enthielten. Damit drohte erneut Vereisung! Der Flug durch die Schleierwolken war dann immer noch das geringere Übel. Ihre verschwommenen Umrisse zeigten, daß sie aus winzigen Eiskristallen bestanden, aber die wÜrden kaum schaden. Die unterkÜhlten Wassertröpfchen in den Haufenwolken dagegen wÜrden sich sofort auf FlÜgeln, Propellern und zwischen den Rudern festsetzen und gefrieren. Tschistjakow blickte zu Jakimow hinÜber. Doch der saß gelassen da, das anstÜrmende Gewitter schien ihn nicht zu beunruhigen. Sie flogen zwischen mächtigen Wolkenmassen dahin. Links und rechts wuchsen und quollen neue empor. In ihnen schien es zu kochen und zu brodeln. Manchmal stÜrzten sie auch in sich zusammen und flössen auseinander. Die Maschine wurde ständig geschÜttelt, die Flächenspitzen schwangen. Hin und wieder flogen sie durch dÜnne Fetzen. Eine HexenkÜche! Blendende Helligkeit wechselte mit nachtschwarzer Finsternis ab. Tschistjakow glaubte in einem Labyrinth zu fliegen, aus dem es kein Entrinnen gab. Doch zuweilen leuchtete Über ihnen ein Fetzen blauer Himmel. Sie mußten die Ausläufer des Urals bereits hinter sich haben und sich in der Nähe von Tscheljabinsk befinden. Tschistjakow warf einen raschen Blick auf den Radiokompaß, dessen Zeiger gerade umsprang. Doch dann geschah alles blitzschnell. Plötzlich umgab sie undurchdringliches, milchiges Grau, und ihre Maschi-
ne wurde von einer unsichtbaren Hand in einen Schlund hinabgerissen. Tschistjakow schlug es die Steuersäule aus der Hand, doch Jakimow hielt sie fest. Die Maschine schÜttelte, als ob sie im nächsten Augenblick bersten wÜrde. Es ging auf und ab. Die Flächen zitterten und schwangen. WÜrden sie halten? Die Zeit verrann. Wie lange währte dieser Kampf nun schon? Weder Tschistjakow noch Jakimow hätten dieses Frage beantworten können. In solchen Situationen verliert man das ZeitgefÜhl. Doch ebenso plötzlich, wie diese Hölle Über sie hereingebrochen war, verschwand sie wieder. Nun flogen sie in knapp fÜnftausend Meter Höhe Über unendliche Steppe. Wie zum Hohn meldete sich die Bodenstation: ",Acht'! Hier Erde! Ihr habt das Gewitter hinter euch! Haltet euch an unsere Anweisungen!" Tschistjakow lachte höhnisch und sagte zu Jakimow: "Hast du's gehört? Jetzt Übernehmen sie wieder die Verantwortung! Eigenes Ermessen gilt nur, solange es brenzlig ist. Danach sind die Herren wieder munter. Man mÜßte ihnen nach unserem Ermessen ihr Gehalt zahlen." Ein Flugversuchsingenieur brachte belegte Brote und Kaffee nach vorn. Sie aßen schweigend, denn die Maschine flog jetzt ruhig ihre Bahn. Tschistjakow zog den Sonnenschutz unter die oberen Scheiben. Deutlich war der Schienenstrang der Transsibirischen Eisenbahn unter dem Flugzeug zu erkennen, der Eisenbahnknotenpunkt Kurgan. Der Zeiger am Radiokompaß deutete bereits auf das Funkfeuer von Omsk. Der Flug verlief nun gleichmäßig, und es schien, als ob sie fÜr das hinter ihnen liegende Gewitter entschädigt werden sollten. Rechts tauchte die Baraba-Steppe auf mit dem TschanySee. Im Licht der mittäglichen Sonne schillerte er wie
Glas. Bald erreichten sie den Wendepunkt ihres Fernfluges. Als sie sich Über Nowosibirsk befanden, meldete sich die Bodenstation. ",Acht'? Ihr steht genau Über uns! Wir wÜnschen euch guten RÜckflug!" Als sie auf Heimatkurs gingen, erhielten sie die Nachricht, daß das Gewitter, das sie am Morgen Überrascht hatte, nach SÜden abzog. Um ganz sicherzugehen, wich Tschistjakow etwas nach Norden aus. Doch diese Vorsicht war ÜberflÜssig, die Sicht wurde nun durch nichts mehr beeinträchtigt, und voraus zeigte sich der Horizont als schmaler Dunststreifen. Die braunen ausgewaschenen Höhen des Urals lagen hinter ihnen. Wenn Tschistjakow von dem morgendlichen Gewitter absah, erschien ihm dieser Flug fast als ein zu leichter Sieg. In drei Stunden wÜrden sie es geschafft haben. Mächtig dehnte sich die Wolga abermals unter ihnen. Kaum war sie ihren Blicken entschwunden, mischte sich ein ungewöhnliches Geräusch, schrill anschwellend, in das Dröhnen der Motoren. Tschistjakow stutzte, er konnte sich dessen Ursache nicht erklären. Erst ein Blick auf den Drehzahlmesser des zweiten Motors zeigte ihm, daß das Triebwerk "durchging". Der Zeiger kletterte auf zweitausendvierhundert Umdrehungen. Dann Überschritt er sogar die höchstzulässigen zweitausendfÜnfhundert, und als ob ihn nichts mehr aufzuhalten vermochte, pendelte er wild weiter: dreitausend - dreitausendfÜnfhundert - viertausend.' Tschistjakow sah erschrocken auf die Zahlen. Höchste Gefahr fÜr Besatzung und Maschine! Gleich wÜrden die Lager auslaufen, das Öl in Brand geraten oder . Daran wagte er nicht zu denken: Der Motor könnte auseinanderfliegen.
Aknasow kam nach vorn, aber Tschistjakow wußte schon selbst, was zu tun war. Er hob die rechte Hand als Zeichen fÜr Nasarow: Brandhahn schließen! ZÜndung fÜr Motor zwei abstellen! Mit drei Motoren wÜrden sie, wenn es nicht zum Feuer kam, sicher den Heimathafen erreichen. Tschistjakow drÜckte den Knopf, um die Blätter des Propellers auf Segelstellung zu fahren. Vergeblich! Der Verstellmechanismus funktionierte nicht mehr. Er drÜckte wieder und wieder. Gleich wÜrden die TrÜmmer der Luftschraube auf das Flugzeug einschlagen. Und das kurz vor dem Ziel! Sie hatten kaum noch eine halbe Stunde zu fliegen. Tschistjakow rann der Schweiß den RÜcken hinunter. Er meldete den Zwischenfall der Bodenstelle. Man möge alle Vorkehrungen fÜr eine schwierige Landung treffen. Wenn wir Überhaupt noch landen können, dachte er grimmig. "Bereitet euch auf das Ärgste vor!" Das hieß Feuerwehr und Ambulanzwagen, das hieß, den Flugplatz fÜr andere Maschinen zu sperren und die Piste frei zu halten. Tschistjakow ging tiefer hinab, und wieder versuchte er, die Luftschraube auf Segelstellung zu fahren. Ihr schrilles Jaulen drang schmerzhaft an die Ohren. Tschistjakow wußte nicht zu sagen, beim wievielten Male es gelang. Die rasend rotierenden Blätter wurden langsamer und blieben schließlich stehen, dann fuhren sie auf Segelstellung. Starr verharrten sie, als ob nichts gewesen wäre. In diesem Augenblick meldete sich einer der beiden Flugversuchsingenieure aus der Kabine: "Motor zwei qualmt!" Tschistjakow verstand: Das Öl brannte! Fast gleichmÜtig gab er zurÜck: "Beobachten Sie weiter!"
So also sah das Ende des Fernflugs aus! Niemals wÜrden sie den Flugplatz erreichen, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er seinen letzten Befehl geben wÜrde. Die Minuten verrannen wie Stunden. Erneut meldete sich der Ingenieur "Aus Motor zwei schlagen helle Flammen!" Tschistjakow betätigte das Feuerlöschsystem. Danach beugte er sich nach vorn, aber er konnte den Motor von seinem Sitz aus nicht sehen. "Brennt es immer noch?" Die Antwort war entmutigend: "Die Flammen schlagen bereits bis zum Leitwerk!" Tschistjakow betätigte abermals die Löscheinrichtung. Vielleicht funktionierte sie nun, aber noch ehe er fragen konnte, meldete der Ingenieur: "Die Motorverkleidung glÜht kirschrot! Das Feuer greift auf den FlÜgel Über!" Bis zum Flughafen waren es nur noch zehn Minuten, doch in solchen Situationen erscheinen sie endlos lang. Tschistjakow dachte an den Kraftstoff, der sich noch in den Tragflächenbehältern befand. An einen Notablaß war jetzt nicht mehr zu denken. Die Maschine konnte in jedem Augenblick explodieren. Es gab nur eine Möglichkeit, und Tschistjakow befahl sogleich: "Alle Luken öffnen! Die gesamte Besatzung springt ab!" Nur er wÜrde an Bord bleiben, um die Maschine vielleicht noch zu retten, so wie es in der Testfliegerei Üblich ist. Das Weitere vollzog sich in Sekunden. Die Besatzungsmitglieder lösten die Anschnallgurte und drängten zu den Luken. Da die Flammen im Fahrtwind gegen die Bordwand schlugen, zögerte einer der Flugversuchsingenieure. Er scheute sich, in die Flammen zu springen. Doch Aknasow, der in dieser Situation seine Entschlußkraft bewahrte, gab ihm einen Stoß, daß der Ingenieur aus der Maschine stÜrzte. Sekunden später
schwebte er am Fallschirm sicher zur Erde. Die anderen folgten ihm, ohne zu zögern. Tschistjakow flog weiter. Wenn die Maschine fÜhrerlos abstÜrzte, wÜrde kaum jemand die Ursache der Havarie herausfinden. Er mußte daher an Bord bleiben, solange es ging. Was hieß: Solange es ging? Die Maschine kam der Erde immer näher. Wenn er jetzt nicht sprang, wÜrde es bald unmöglich sein, sich mit dem Fallschirm zu retten. Da sah er Nasarow hinter sich. Warum war der Bordingenieur nicht abgesprungen, wie er es befohlen hatte? "Sofort springen!" schrie ihm Tschistjakow zu, doch der "Hausherr" schÜttelte den Kopf und nahm den Sitz des Kopiloten ein, um beim Landeanflug die Gashebel zu bedienen, denn allein wÜrde Tschistjakow die gefahrliche Situation nicht meistern können, falls die Maschine nicht schon vorher explodierte.
Tschistjakow warf ihm einen erstaunten Blick zu. So einer bist du also, ein Bursche, auf den man sich im Notfall verlassen kann, dachte er. Voraus tauchte die Piste auf, es wÜrde nur noch Sekunden dauern, bis die Maschine den Boden berÜhrte. Tschistjakow entschied, auf der Grasnarbe neben der Betonbahn niederzugehen. Sie erreichten die Schwelle. Nasarow schloß die Brandhähne und stellte die ZÜndung ab. Das Dröhnen der Motoren erstarb. Plötzlich fÜhlten sich die beiden Männer wie von einer unsichtbaren Kraft festgehalten, und ein entsetzliches Knirschen drang an ihre Ohren. Die Maschine hatte ohne ausgefahrenes Fahrwerk den Boden berÜhrt. Es polterte und ächzte. Die Feuerwehr raste neben ihnen her. Sekunden später stÜrzten Tschistjakow und Nasarow durch die offene Luke bis Freie. Hinter ihnen legte sich ein Schaumteppich Über das Flugzeug. Sie machten keine großen Worte. Tschistjakow sagte nur: "Mein lieber Alter, das hätte ins Auge gehen können." Nasarow hingegen antwortete schnoddrig: "Das hast du gut hingekriegt, Exzellenz!" Zum erstenmal duzten sie sich, und jeder wußte in diesem Augenblick, daß er einen Freund gewonnen hatte. Die Männer sprachen nicht viel. Triebwerkbrände, durchgehende Luftschrauben und Havarien, an die sie nicht dachten, weil sie ihnen erst eines Tages begegnen wÜrden, das war ihr Alltag. Aknasow blickte nachdenklich auf ein Blatt Papier, das er in den Händen hielt. Doch ehe er auf seinen Inhalt zu sprechen kam, sagte er: "Der Fernflug konnte trotz allem erfolgreich beendet werden. Durch Ihr Verhalten, Sergej
Pawlowitsch und Wassili Fjodorowitsch, war es uns möglich, festzustellen, daß der Verstellmechanismus der Luftschrauben verändert werden muß. Bei unserem kÜnftigen Propeller-Turbinen-Flugzeug dÜrfte das eine große Rolle spielen." Er legte eine kurze Pause ein, dann deutete er auf das Papier in seinen Händen. "Ich hätte es gern gesehen", wendete er sich ans Tschistjakow, "wenn Sie bei uns geblieben wären, Sergej Pawlowitsch ." Die anderen Besatzungsmitglieder nickten beifällig. " . doch das Ministerium hat anders entschieden. Man braucht Sie fÜr eine neue, komplizierte Aufgabe. Lesen Sie bitte selbst." Er reichte Tschistjakow das Papier. Nasarow erhob sich als erster von seinem Platz und drÜckte Tschistjakow fest die Hand. "Mach's gut, Serjosha! Vielleicht fÜhrt uns die Fliegerei noch einmal zusammen." Und sie umarmten sich herzlich.