Nr. 448
Die Todeswüste Der Marsch zur Burg Odiara von H. G. Ewers
Atlans kosmische Odyssee, die ihren Anfang nahm, al...
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Nr. 448
Die Todeswüste Der Marsch zur Burg Odiara von H. G. Ewers
Atlans kosmische Odyssee, die ihren Anfang nahm, als Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, das Vorfeld der Schwarzen Galaxis erreichte, geht weiter. Während Pthor und die Pthorer es immer wieder mit neuen Beherrschern, Besatzern und Invasoren zu tun haben, trachtet der Arkonide danach, die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis auszuspähen und die Kreise der Mächtigen zu stören. Gegenwärtig geht es Atlan und seinen Gefährten Razamon und Kennon/Axton allerdings nicht darum, den Machthabern der Schwarzen Galaxis zu schaden, sondern es geht ihnen ganz einfach ums nackte Überleben – und das seit der Stunde, da sie auf Geheiß des Duuhl Larx im »Land ohne Sonne« ohne Ausrüstung und Hilfsmittel ausgesetzt wurden. Die Welt, auf der die drei Männer aus ihrer Betäubung erwachen, ist Dorkh, eine Welt der Schrecken und der tödlichen Überraschungen. Kaum sind Atlan und seine Gefährten den Nachstellungen der riesigen Raubvögel und der seltsamen Gnomen entgangen, da müssen sie auch schon vor den katzenartigen Mavinen die Flucht ergreifen. Sie verschwinden im Dschungel und erreichen den »Jagdteppich« der Nomaden, wo für sie erneut eine abenteuerliche Flucht beginnt. Ihr weiterer Weg führt in DIE TODESWÜSTE …
Die Todeswüste
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan, Razamon und Kennon-Grizzard - Drei Wanderer in der Wüste von Dorkh. Mathilda - Ein urtümliches Transportmittel. Kuashmo - Burgherr von Odiara.
1. Atlan hatte soeben einen Sandhügel erstiegen, um von dort aus einen weiteren Blick nach Südosten zu haben, wo Turgan, die Stadt der Weisen, liegen sollte, als er einen halberstickten Schrei hörte. Er wirbelte herum, darauf gefaßt, sich unbekannten Angreifern gegenüber zu sehen. Doch alles, was er sah, war Lebo Axton, der heftig gestikulierte. Was Atlan beunruhigte, war das, was er nicht sah, nämlich Razamon. Der Pthorer aus den Horden der Berserker war verschwunden, obwohl es in der näheren Umgebung keinerlei Deckung gab, hinter der er sich hätte verbergen können. »Was ist mit Razamon geschehen?« rief der Arkonide. »Er ist verschwunden!« rief Lebo Axton zurück. Die zerlumpten Kleidungsstücke schlotterten um seinen ehedem kraftstrotzenden Grizzard-Körper, der sich von seiner schweren Erkrankung noch nicht voll erholt hatte. »Ich komme!« rief Atlan und lief den Hügel hinab. »Dort ging er«, berichtete Axton, nachdem er ihn erreicht hatte, und deutete auf den Sand zwischen zwei Sträuchern, die so klein und dürr waren, daß nicht einmal eine Maus sich hinter ihnen hätte verstecken können. Er hielt Atlan am Ärmel fest, als der Arkonide auf die Stelle zugehen wollte. »Warte! Es hat keinen Sinn, sich in Gefahr zu begeben, wenn man die Gefahr nicht kennt.« »In was für eine Gefahr?« fragte Atlan. »Ich sehe keine Gefahr.« »Es steht nicht fest, ob sich Razamon ernsthaft in Schwierigkeiten befindet«, fuhr Lebo Axton alias Sinclair Marout Kennon
fort. »Er kann aber auch nicht tun und lassen, was er will, sonst hätte er sich längst mit uns verständigt. Achten wir also auf Besonderheiten dieses Sandfleckens gegenüber den übrigen Flecken dieser Sandwüste, durch die wir seit zwei Tagen wandern!« Atlan bemühte sich, den Fleck, an dem Razamon verschwunden war – und er war sehr genau zu bestimmen, da dort seine Fußspuren endeten –, mit anderen Stellen der Sandwüste zu vergleichen. Überall gab es Spuren kleiner und kleinster Tiere, die in dieser Einöde lebten. Sie führten kreuz und quer durchs Gelände. Nur im Umkreis von etwa fünf Metern um die Stelle, an der Razamon verschwunden war, gab es keine anderen Spuren als die des Pthorers! »Die Tiere meiden diese Stelle«, sagte Atlan erregt. »Sie kennen demnach die Gefahr, die dort droht.« »Richtig«, erwiderte Lebo Axton. Er hob die Hand und deutete zum Himmel, der von dichten Wolkenfeldern verdeckt war, die langsam von Süden nach Norden trieben. Die Sonne Dorkhs war nicht zu sehen, aber nach wenigen Sekunden glühte der Rand einer großen Wolke auf, und dann kam die hellgelbe Scheibe der Sonne zum Vorschein. »Jetzt müßte es deutlich zu erkennen sein«, sagte Lebo Axton und deutete wieder auf den ominösen Sandfleck. Und diesmal sah es Atlan auch. Bei dem Fleck gab es eine kreisförmige Fläche von ungefähr anderthalb Metern Durchmesser, die das Sonnenlicht etwas stärker reflektierte als die übrige Wüste. »Was ist das?« stieß Atlan erregt hervor. »Ich weiß es noch nicht«, sagte Axton. Er bückte sich, hob einen knapp faustgroßen Stein auf und warf ihn in die Mitte des bewußten Flecks.
4 Der Stein verschwand nicht, wie Atlan halb erwartet hatte. Er wirbelte nur etwas Sand auf – und in der winzigen Mulde, die er erzeugte, funkelte und glitzerte etwas, als bräche sich das Sonnenlicht an einem Häufchen Diamanten. »Kristalle«, stellte Atlan fest. »Wahrscheinlich gibt es dicht unter einer Sandschicht ein ganzes Nest von Kristallen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß Razamon darin versunken sein sollte.« »Ich auch nicht«, sagte Lebo Axton. »Dann hätte er bestimmt noch Zeit genug gehabt, nach uns zu rufen. Ich kann mir nur denken, daß über der Kristallballung ein dimensional übergeordnetes Feld existiert, das lebende Materie entstofflicht.« Atlan schüttelte den Kopf. »Nicht alle lebende Materie, Lebo. Die beiden Sträucher stehen im Kreis und sind doch nicht verschwunden.« »Sonst stünden sie nicht dort«, erwiderte Axton trocken. »Wir kennen also eine weitere Eigenschaft des Feldes. Es kann zwischen sogenannter toter Materie, pflanzlichem Leben und tierischem Leben unterscheiden und trifft eine Auswahl, indem es sich nur der aus tierischem Leben bestehenden Materie annimmt.« »Eine gezielte Auswahl also, die auf Intelligenz deutet«, sagte Atlan. »Ergibt sich die Frage, was mit der entstofflichten Materie geschieht. Wird sie wiederverstofflicht? Wenn ja, wo? Lebo, das sind Fragen, die sich nicht durch reine Gedankenarbeit beantworten lassen!« Lebo Axton lächelte. »Du hast es erfaßt. Es gibt Fragen, die sich nur durch das Experiment beantworten lassen. Ich werde also den Fleck betreten. Im Fall einer Wiederverstofflichung bin ich hoffentlich wieder mit Razamon vereint.« »Aber du wirst mich niemals über das Ergebnis des Experiments informieren können«, erwiderte Atlan. »Das ist nicht gesagt«, meinte Axton. »Wenn ich irgendwo auf Dorkh wiederverstofflicht werde, kehre ich selbstverständlich
H. G. Ewers an diesen Ort zurück.« Atlan nickte. »Vielleicht bist du in zwei Monaten wieder hier – und ich trete während dieser Zeit Löcher in den Sand, esse halbvertrocknete saure Beeren und trinke Wasser aus verschmutzten Tümpeln! Ganz davon abgesehen, es mag nach der Wiederverstofflichung Gefahren geben, gegen die zwei Männer mehr ausrichten können als einer. Wir experimentieren also beide gleichzeitig.« »Du bist wichtiger als ich, Atlan«, gab Lebo Axton zu bedenken. »Außerdem brauchst du nicht die ganze Zeit hier zu warten. Wir machen einen Treffpunkt aus und …« »Meine Entscheidungen treffe ich immer noch selbst«, schnitt Atlan ihm das Wort ab und setzte sich auf den bewußten Fleck zu in Bewegung. Lebo Axton beeilte sich, um mit ihm Schritt zu halten. Als Atlan den Rand des kreisförmigen Flecks überschritten hatte, flimmerte es ihm plötzlich vor den Augen, dann hatte er das Gefühl, in einer lautlosen Explosion zerrissen zu werden – und dann fühlte er gar nichts mehr …
* Gelblicher Nebel wallte vor seinen Augen. Als Atlan einatmete, füllten sich Mund und Nase mit einem durchdringenden Geruch nach Vanille. »Lebo?« flüsterte er. »Ist hier«, antwortete Lebo Axton ebenso leise. »Ich mag ja Vanille, aber nicht so viel auf einmal. Gehen wir geradeaus weiter?« Atlan streckte die rechte Hand in die Richtung aus, aus der Lebos Stimme gekommen war. Seine Hand und die Lebos begegneten einander auf halbem Weg. Langsam tappten sie durch den Nebel vorwärts, die freien Hände nach vorn gestreckt. Wenig später berührten ihre Hände eine glatte Wand. Im nächsten Augenblick glitt die Wand zur Seite. Sie traten durch die vom Nebel verhüllte Öffnung und hörten an dem
Die Todeswüste schleifenden Geräusch hinter sich, daß die Tür sich wieder schloß. Dann verwehte der Nebel, der mit ihnen durch die Öffnung gekommen war. Vor ihnen lag eine kleine Halle. Sie schien aus einem riesigen weißen Kristall herausgeschnitten zu sein, denn Boden, Wände und Decke bestanden aus einem glasartigen Material, das so geschliffen war, daß es das weiße Licht der unter der Decke hängenden Kugellampe vieltausendfach brach. Vor der gegenüberliegenden Wand, etwa acht Meter von Atlan und Axton entfernt, saß ein humanoides Wesen auf einer Art Kristallthron. Es trug weiße wallende Kleidung, war etwa 1,50 Meter groß und hatte ein bräunliches, stark zerklüftetes Gesicht. Ein silberweißer langer Bart hing ihm bis auf die Brust. Eine weitere Parallele zu Pthor! teilte der Logiksektor Atlan mit. Dieses Wesen gleicht dem Lebensmagier Wortz! »Ich grüße dich!« sagte Atlan auf Pthora. Das Wesen starrte ihn aus glitzernden Augen an, die ständig von gelblichen Schleiern überzogen wurden. »Ich habe heute einen Glückstag«, erwiderte es in jener Sprache, die dem Pthora so sehr ähnelte und von allen Intelligenzen, die Atlan, Razamon und Axton bisher auf Dorkh getroffen hatten, gesprochen wurde. »Gleich drei Besucher kurz hintereinander.« »Es war unser Gefährte, der dich heute zuerst besuchte«, sagte Lebo Axton. »Wo ist er?« Der Alte kicherte. »Das, was das Wesentliche von ihm ist, befindet sich hier, in den Wänden, der Decke und dem Boden.« Atlan erschrak. »Du hast ihm sein Bewußtsein geraubt?« »Ich habe das Wesentliche erhalten«, antwortete der Alte. »Du wirst es ihm zurückgeben, denn ich befehle es dir!« bluffte Atlan. »Ich, der König von Atlantis, das auch Pthor genannt wird!« Der Alte hob die Arme. Unglaublich dür-
5 re Hände mit spinnenbeinigen Fingern kamen zum Vorschein. »Willkommen, König von Atlantis!« sagte er feierlich. »Die Götter der Magie meinen es wirklich gut mit mir, daß sie dich geschickt haben. Ihr werdet ebenfalls in das Guulh eingehen und meine wertvollsten Diener sein.« Lebo Axton stieß einen hellen Schrei aus und stürzte sich auf den Alten. Aber er kam nicht weit. Mitten im Sprung brach er zusammen und blieb reglos liegen. Atlan spürte etwas Grauenvolles in seinem Bewußtsein und hatte das Gefühl, als sollte ihm das Gehirn aus dem Schädel gerissen werden. Sekundenlang wurde ihm schwarz vor den Augen. Er taumelte, konnte sich aber wieder fangen und sah plötzlich wieder klar. Der Alte war aufgesprungen, hatte die Arme abwehrend in Atlans Richtung ausgestreckt und sackte haltlos in sich zusammen, als der Arkonide in drohender Haltung auf ihn zuging. Ich habe dich vor dem Guulh bewahrt! wisperte der Extrasinn in Atlans Bewußtsein. Aber sein Bewußtsein ist so erschrocken darüber, daß es ihn verlassen hat und in das Guulh geflohen ist. Atlan blieb vor dem Körper des Alten stehen, der gleich einer leblosen Puppe mit verrenkten Gliedern auf dem Boden lag. Er ahnte, daß das Guulh nichts anderes war als das Kristallmaterial, aus dem die Halle bestand. Wahrscheinlich handelte es sich um magisch aufgeladene Materie. Nachdenklich ging der Arkonide um den Körper und den Thron herum und stand gleich darauf vor einer Tür, die ihm vorher des Thrones wegen verborgen geblieben war. Als er sie berührte, öffnete sie sich. Hinter ihr lag ein Gang mit kristallenen Wänden und ebensolchem Boden sowie der gleichen Decke. Am Ende des etwa fünf Meter langen Ganges gab es wieder eine Tür. Er öffnete sie ebenfalls und prallte vor der eisigen Kälte zurück, die ihm aus ihr entge-
6 genschlug. Aber er konnte durch den Nebel, den die kondensierende Luftfeuchtigkeit bildete, noch einen riesigen Saal mit Wandgestellen sehen, auf denen zahllose Lebewesen lagen: Humanoide und Nichthumanoide sowie Tiere aller möglichen Arten. Auf einem Gestell ganz vorn lag Razamon – steifgefroren. Dann schloß sich die Tür wieder. Alle Opfer des Magiers werden eingefroren, um sie vor Verwesung zu bewahren! teilte ihm der Logiksektor mit. Auch Axton wird das gleiche Schicksal ereilen, wenn du nicht schnell und kompromißlos handelst! Aber sieh dich vor! Der Magier muß Helfer haben! Der Arkonide kehrte in den »Thronsaal« zurück – und sah, wie aus zwei Öffnungen, die sich in einer Wand gebildet hatten, zwei riesige Tiere krochen, die halb Spinnen, halb Termiten ähnelten. Träge krochen sie auf Axtons Körper zu. Atlan eilte zu dem schlaffen Körper des Magiers und hob ihn mühelos hoch. »Wenn du mich hören kannst, dann laß dich warnen!« rief er laut. »Ich werde deinen Körper zerstören, so daß du niemals in ihn zurückkehren kannst, wenn du deine Helfer nicht zurückrufst und meinen Gefährten ihre Seelen zurückgibst!« »Ich lasse dich frei, wenn du meinen Körper schonst!« hallte es schauerlich dumpf durch die Halle. Atlan ging zu einem der Helfer des Magiers und trat mit aller Kraft gegen eines der etwa meterlangen dünnen Beine. Es zuckte zurück, aber nicht nur es, sondern alle Beine des betreffenden Tieres, das in dieser Haltung erstarrte. »Das genügt mir nicht!« rief Atlan. Er hob den Körper des Magiers über seinen Kopf. »Ich werde deinen Körper zerschmettern, wenn du die Seelen meiner Gefährten nicht zurückgibst und dafür sorgst, daß wir alle drei unbehelligt wieder an die Oberfläche von Dorkh zurückkehren können!« »Halte ein!« hallte die Stimme des Magiers mit kreischendem Unterton. »Ich wer-
H. G. Ewers de deine Bitte erfüllen!« »Meine Forderung!« entgegnete Atlan nachdrücklich. »Aber ich warte nicht lange!« »Einverstanden«, gab der Magier zurück. »Behellige meine Diener nicht. Sie werden den Körper des ersten deiner Gefährten zurückholen, und ich werde ihm und deinem anderen Gefährten das Wesentliche ihrer Existenz zurückgeben! Aber du mußt meinen Körper behutsam zurücklegen!« Atlan lachte grimmig. »Irrtum, Freundchen! Dein Körper bleibt mein Faustpfand, bis wir alle drei in Sicherheit sind!« »Das ist unmöglich!« kreischte der Magier. »Mein Körper darf die Yrminguulh nicht verlassen! Ich werde sterben, wenn auch nur ein einziger Sonnenstrahl mich trifft.« »Dann warten wir, bis es Nacht ist«, sagte Atlan. »Ich bin einverstanden«, sagte der Magier. Atlan merkte, daß der schlaffe Körper des Alten sich wieder belebte. Seine Seele, sein Bewußtsein, sein Geist oder wie man es nennen wollte, war in ihn zurückgekehrt. Der Arkonide stellte den Magier auf die Füße, hielt ihn aber an einer Falte seines Gewandes fest. Auch der Körper Lebo Axtons erwachte wieder zum Leben. Es wirkte nicht anders, als wäre Axton-Grizzard aus einer tiefen Bewußtlosigkeit erwacht. Er seufzte einmal, dann setzte er sich auf und lächelte Atlan zu. Die beiden Helfer des Magiers waren unterdessen zur Tür hinter dem Thron gekrochen. Als sie sie berührten, öffnete sie sich. Sie verschwanden in dem dahinter liegenden Gang. Axton erhob sich ganz, dann erschauerte er. »Es war alles andere als angenehm, körperlos in einem körperlosen Gewimmel aller möglichen Kreaturen zu schweben. Am liebsten würde ich dem Alten den Hals umdrehen.«
Die Todeswüste »Beschütze mich vor ihm!« kreischte der Magier. »Wir haben einen Handel geschlossen, König von Pthor!« Lebo Axton nickte. »Ich dachte es mir. Sein Leben gegen unseres. Dein Extrasinn hat dich also vor den magischen Kräften dieses alten Knaben geschützt, Atlan.« Die Tür hinter dem Thron öffnete sich. Razamon betrat die Halle, die schwarzen Augen bösartig funkelnd. »Da ist ja dieser Satan!« schrie er, als er den Magier erblickte. »Ich werde dich umbringen!« »Nein!« sagte Atlan hart. »Ich habe ein Abkommen mit ihm getroffen, ohne das du für immer im Guulh bleiben müßtest. Und du weißt, daß mein Wort gilt, Razamon.« Razamon blieb stehen und nickte, aber er blickte weiterhin wütend auf den Magier. »Ist es draußen Nacht oder Tag?« fragte der Arkonide. »Meiner Schätzung nach müßte es später Abend sein.« »Noch scheint die Sonne auf diesen Teil von Dorkh«, erwiderte der Magier. »Ihr müßt noch warten.« »Gut«, meinte Atlan. »Und wie kommen wir dann an die Oberfläche zurück? Setzt du den transmitterähnlichen Effekt in umgekehrter Richtung ein?« »Das ist unmöglich«, sagte der Magier. »Wir müssen durch ein uraltes Gewölbe bis zum Kamin der Zauberin Laetara gehen und in ihm hinaufsteigen. Eigentlich brauche ich euch nur bis zum Gewölbe zu führen. Den weiteren Weg würdet ihr selber finden.« »Das könnte dir so passen«, entgegnete Atlan. »Wer weiß, welche Gefahren in dem Gewölbe und im Kamin der Zauberin lauern. Vielleicht überfällt Laetara uns sogar, wenn du nicht bei uns bist.« »Laetara ist lange tot«, erklärte der Magier. »Es gibt wirklich keine Gefahren auf dem Weg nach oben.« Er lügt! teilte der Logiksektor mit. Er muß daran interessiert sein, euch ins Verderben zu schicken, denn nur dann könnt ihr sein Geheimnis nicht weitererzählen!
7 »Das klingt logisch«, sagte Atlan, um seinen Logiksektor zu ärgern. »Führe uns, Alter! Bis wir oben sind, wird es dunkel sein.« Der Magier sträubte sich nicht länger. Er führte Atlan, Axton und Razamon durch die Tür hinter seinem Thron. Als er im Gang die beiden Helfer sah und merkte, daß sie tot waren, zischte er giftig, aber ein drohender Blick Razamons brachte ihn zum Schweigen. In der Mitte des Ganges öffnete er in der rechten Wand eine weitere Tür. Dahinter lag ein langgestrecktes, gemauertes Gewölbe. Der Magier nahm eine pyramidenförmige Lampe von einem Haken an der Wand des Gewölbes, murmelte einen Spruch und hauchte sie an. In ihrem Innern glomm ein bläulicher Glutball auf und dehnte sich zu einer hellen Flamme. Auch auf dem Weg durch das Gewölbe murmelte der Alte ständig irgendwelche Sprüche, wahrscheinlich Beschwörungen, mit denen er Gefahren fernhalten mochte, die sicherlich hinter den Mauern des Gewölbes lauerten. Nach ungefähr einer halben Stunde endete das Gewölbe an einer aus dunkelgrünen Bruchsteinen gemauerten Wand, in die lediglich ein halbmeterhohes Loch eingelassen war. Der Magier deutete auf das Loch. »Dahinter liegt der Kamin der Zauberin Laetara. Ihr braucht mich nicht mehr, denn den Weg nach oben …« »… finden wir besser mit dir!« erwiderte Atlan und schüttelte den Alten kräftig, bis er anfing zu jammern. »Vorwärts! Du kriechst als erster hindurch, aber ich halte dich am linken Bein fest und drehe dir den Fuß um, wenn du einen Trick versuchst!« Gehorsam ließ sich der Magier auf Hände und Füße nieder und schickte sich an, durch das Loch zu kriechen. Aber als Atlan ihm die Lampe abnahm, sträubte er sich wie irrsinnig dagegen. »Aha!« sagte Razamon. »Er wollte also doch einen Trick versuchen!« »Ohne die Lampe sehe ich nichts!« jam-
8 merte der Magier. »Und ich fürchte mich im Dunkeln.« »Dann pfeife oder singe!« sagte Lebo Axton und versetzte ihm einen Tritt. Der Alte bewegte sich so schnell, daß Atlan beinahe zu spät zugegriffen hätte. So konnte er gerade noch den linken Fußknöchel des Magiers packen – und er packte fest zu. Indem er mit der freien Hand die merkwürdige Lampe hochhielt, kroch er hinter dem Magier her. Als er das Innere des Kamins erreichte, sah er im Lampenlicht eine mit einer harten Glasur überzogene Schachtwandung, die sich schlangenförmig nach oben wand. Unter der Glasur waren zahllose Ornamente zu sehen, die unbekannte Pflanzen und Tiere sowie Dämonenfratzen darstellten. Und diese Ornamente schienen ein Eigenleben zu besitzen. Atlan richtete sich auf und packte den Magier am linken Oberarm, dann wartete er, bis auch Razamon und Axton im Kamin standen und sagte: »Wie kommen wir diesen Hexenkamin hinauf, Alter?« Als der Magier nicht gleich antwortete, verstärkte es seinen Griff. »Ich rede ja schon!« sagte der Alte. »Die Leiter ist nicht mehr da, also müssen wir meine Magie in Anspruch nehmen. Du versprichst mir, daß du mich freiläßt, sobald wir an der Oberfläche sind und daß mir keiner von euch etwas tut?« »Ich brauche mich nicht zu wiederholen, denn ich habe noch nie mein Wort gebrochen«, erklärte Atlan. »Im Unterschied zu dir. Wie willst du deine Magie anwenden, um uns hinauf zu befördern?« »Ich muß einen Zauberspruch aufsagen und die Lampe in ganz besonderer Weise berühren«, erklärte der Magier. Er zitterte, aber sicher nicht nur vor Furcht, sondern auch vor Wut. »Aha!« meinte Razamon. »Deshalb wolltest du die Lampe behalten. Du wolltest allein nach oben und uns hier unten verschmachten lassen.«
H. G. Ewers »Die Leiter …«, sagte der Magier. »Hat es sicher niemals gegeben«, erwiderte Atlan und hielt ihm die Lampe hin. »Faßt ihn und mich an, Freunde, damit die Magie auf uns alle wirkt!« Seine Gefährten taten, wie er ihnen geheißen. Der Magier zögerte noch eine Weile, dann sah er ein, daß er gehorchen mußte. Er murmelte seinen Spruch, dann strich er mit den Fingern beider Hände gleichzeitig über die Außenfläche der Lampe. Das Licht darin verdunkelte sich, dann wurde es gleißend hell und verdunkelte sich wieder. Ein leises Pfeifen ertönte, wurde lauter und lauter. Die Luft im Kamin geriet in Bewegung. Sie schien dichter zu werden und drehte sich gleichzeitig in Spiralen nach oben. Der Magier und die drei Gefährten wurden angehoben und schwebten mit flatternden Kleidungsstücken durch den Kamin. Die Tierornamente schienen sich schneller zu bewegen, als wollten sie ihr Gefängnis verlassen und sich auf die vier emporschwebenden Gestalten stürzen. Die Dämonenfratzen verzerrten sich in wildem Haß. Endlich wirbelten die vier Gestalten durch die Mündung des Kamins ins Freie und landeten im Sand zwischen drei riesigen Felsbrocken. Über ihnen schimmerten die Sterne der Schwarzen Galaxis. »Meine Laterne!« schrie der Magier und griff nach der Laterne, die Atlan noch immer festhielt. Ihr Licht hatte sich wieder normalisiert. »Erst verlassen wir die Nähe dieser Steine«, erwiderte Atlan. »Wer weiß, ob sie nicht einen Zauber enthalten, mit dem du uns dennoch verderben kannst.« »Ich habe meinen Teil des Abkommens erfüllt!« zeterte der Alte. »Noch nicht ganz«, erklärte der Arkonide und zog den Magier mühelos hinter sich her. »Die Steine tun euch nichts!« schrie der Magier. »Aber ich brauche sie. Es sind meine Schutzsteine.« Atlan schleifte den Magier ungefähr zwanzig Meter weit von den Schutzsteinen
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weg, dann ließ er ihn los. Aber er gab ihm die Lampe nicht zurück, sondern schleuderte sie in hohem Bogen zurück, so daß sie in den Kamin fallen mußte. »Damit du nicht in Versuchung gerätst, uns mit einem Zauberspruch bannen zu wollen«, erklärte er. »Und nun verschwinde so schnell wie möglich!« »Alle Götzen und Dämonen sollen euch verfolgen!« kreischte der Magier haßerfüllt und eilte mit fliehendem Gewand zurück. Aber er kam nur wenige Meter weit. Plötzlich stürzte eine undeutlich erkennbare geflügelte Gestalt herab, packte ihn und verschwand mit ihm im Dunkel der Nacht. Sein Kreischen hallte den drei Männern noch einige Sekunden in den Ohren, dann brach es abrupt ab.
2. Sie entfernten sich noch einige hundert Meter von dem Ort des Grauens, dann rasteten sie. Eingedenk des geflügelten Wesens, das den Magier erbeutet hatte, wachten sie der Reihe nach, aber sie wurden während dieser Nacht von keinen Gefahren belästigt. Am Morgen genossen sie die wärmenden Strahlen der Sonne, denn in der Nacht war es recht kühl geworden, und ihre zerlumpte Kleidung bot nur wenig Schutz vor der Kühle. »Hoffentlich erleben wir nicht noch mehr solcher Überraschungen wie die mit dem Magier«, meinte Razamon. »Hoffentlich nicht«, sagte Lebo Axton und blickte sich suchend um. »Im Augenblick ist meine größte Sorge aber mein knurrender Magen.« Atlan hatte sich ebenfalls umgesehen und dabei in ihrer Nähe etwas entdeckt, das wie das Skelett eines großes Tieres aussah. Er eilte mit schnellen Schritten hin. Tatsächlich war es das Skelett eines großen Tieres, aber keines wild lebenden, denn neben seinen Rippen lag ein ausgebleichtes Sitzgestell aus Holzstäben und Ledergeflecht.
Der Arkonide sah sich noch aufmerksamer um und fand seine Vermutung bestätigt. »Kommt her!« rief er den Gefährten zu. »Ich habe eine Straße gefunden!« Razamon und Lebo Axton liefen zu ihm und musterten verwundert das Tiergerippe. »Eine Straße hatte ich mir anders vorgestellt«, bemerkte Axton ironisch. Atlan deutete nach Südwesten. »Ein Gerippe allein macht natürlich noch keine Straße. Aber dort liegen noch zwei weitere, kleinere Skelette und weiter weg noch ein großes.« Er zeigte nach Nordosten. »Und dort liegen gleich drei große Skelette und mindestens zwei kleine. Alle aber liegen auf einer gedachten Linie von Nordost nach Südwest beziehungsweise umgekehrt. Das bedeutet, daß sie eine Karawanenstraße benutzten. Solche Straßen aber gibt es nur dort, wo ab und zu Wasserstellen sind – und vielleicht finden wir auch noch andere brauchbare Dinge.« »Waffen«, sagte Axton. »Und getrockneten Dung, der sich als Brennmaterial eignet.« »Wir könnten auch noch etwas anderes finden«, meinte Razamon mit eigenartiger Betonung. »Was?« fragte Atlan. »Das, was die da gefunden haben«, antwortete der Pthorer und deutete auf die Skelette. »Den Tod. Wahrscheinlich sind sie verschmachtet.« »Außerdem soll Turgan nicht südwestlich, sondern südöstlich liegen«, sagte Lebo Axton. »Der gerade Weg ist nicht immer der kürzere«, erwiderte Atlan lächelnd. »Gefahren gibt es natürlich überall, aber ich denke, daß unsere Überlebenschancen auf einer Karawanenstraße größer sind als woanders.« »Also gehen wir deine Straße entlang«, sagte Razamon.
* Sie entdeckten auf einer Strecke von etwa zwei Kilometern Länge noch zahlreiche Ge-
10 rippe. Die meisten stammten von Tieren, die entweder Reiter oder Lasten getragen hatten; der Rest stammte von humanoiden Lebewesen, die ein wenig kleiner und etwas breiter als Menschen oder Arkoniden gebaut gewesen waren. Razamon blieb stehen. »Vor uns sehe ich keine weiteren Skelette«, erklärte er. »Die Karawanenstraße bringt ihren Benutzern also nicht immer den Tod, sondern ist wahrscheinlich nur zu bestimmten Jahreszeiten, in denen viele Wasserstellen austrocknen, gefährlich.« »Mich beunruhigt die Tatsache, daß wir bei den Skeletten nichts Brauchbares gefunden haben«, sagte Lebo Axton. »Nicht einmal eine leere Wasserflasche oder einen Warenballen.« »Du denkst an Wüstenräuber«, meinte Atlan nachdenklich. »Das ist natürlich eine Möglichkeit. Aber wenn ich der Führer einer Karawane wäre, die nach dem Tode dieser Wesen hier vorbeikommt, würde ich natürlich alles halbwegs Brauchbare mitnehmen, was ich meinen Lasttieren aufbürden kann.« Er kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt zum letzten Knochenhaufen hinüber. »Es sei denn, ich würde etwas übersehen.« Er ging zu dem Knochenhaufen zurück, griff durch ein Gerippe hindurch und hob ein unterarmlanges Messer mit relativ schmaler dünner Klinge und einem sorgfältig bearbeiteten birnenförmigen Holzgriff auf. »Das hat unter seinem Besitzer gelegen, der zudem halb von seinem gestürzten Reittier begraben war«, erklärte er und wog das Messer in der Hand. »Donnerwetter, die Gewichtsverteilung spricht dafür, daß es sich um ein Wurfmesser handelt – und das bei dieser Größe!« Er faßte es mit zwei Fingern an der Spitze, hob die Hand am Ohr vorbei bis über die Schulter, dann warf er es mit kurzem, heftigen Ruck. Es flog ungefähr fünfzehn Meter weit und bohrte sich mit der Klinge in den
H. G. Ewers Sand. Lachend drehte er sich zu seinen Gefährten um. »Jetzt haben wir eine Waffe, mit der wir uns gegen wilde Tiere verteidigen können.« »Oder mit denen wir ein eßbares Tier erlegen können«, sagte Lebo Axton und preßte die Hände auf die Magengegend. »Mein Magen fühlt sich an, als fräße er sich vor Hunger selber auf.« Atlan schob das Messer unter das Stoffband, das seinen entfernt jackenähnlichen Lumpen zusammenhielt. »Wir werden schon etwas zu essen auftreiben«, meinte er. Sie gingen weiter, ohne auf andere Gerippe zu stoßen. Die Sonne brannte inzwischen so heiß vom Himmel, daß sie erleichtert aufatmeten, als Wolken aufzogen. Dennoch musterte Atlan Lebo Axton immer wieder unauffällig und voller Sorge. Axton hatte infolge der gerade erst überstandenen Krankheit seines Grizzard-Körpers kaum noch Reserven gehabt. Jetzt hatte er überhaupt keine mehr. Er würde noch vor dem Abend zusammenbrechen, wenn er nichts zu essen bekam. Eine halbe Stunde später entdeckte Razamon in einigen hundert Metern Entfernung eine kleine Oase. Grüne Sträucher und niedriges Gras wuchsen auf einem Fleckchen von zirka fünfzehn Metern Durchmesser. »Dort gibt es Wasser und vielleicht auch besseres Obst als diese sauren Beeren, die wir neulich gegessen haben!« rief er und rannte los. »Warte!« rief Atlan. Razamon blieb stehen und sah sich unwillig um. »Warum soll ich warten?« Atlan deutete auf Axton, der nur noch stolpernd und taumelnd ging. »Hilf ihm!« sagte er. »Außerdem, sollte es in der Oase Wild geben, hättest du es bestimmt verscheucht.« Razamon nickte schuldbewußt. »Tut mir leid. Ich hätte es selbst wissen sollen.«
Die Todeswüste Er ging zu Axton und lud ihn sich einfach auf die Schulter. Danach folgte er Atlan, der in leichtem Trab und lautlos auf die Oase zu eilte. Als der Arkonide die Oase fast erreicht hatte, prüfte er die Windrichtung. Der leichte Wind kam von links, also bog er nach rechts ab, um die Oase zu umrunden. Er war aber nicht nur des Windes wegen abgebogen, sondern auch, um im Sand rings um die Oase nach Spuren zu suchen. Als erfahrener Jäger, der sehr oft mit primitiven Mitteln hatte jagen müssen, kannte er sich aus. Tatsächlich entdeckte er die Spur eines Lebewesens, das sich hoppelnd vorwärts bewegt hatte und auch ungefähr das Gewicht eines ausgewachsenen Feldhasen haben mußte. Er schlich auf der Spur langsam und völlig lautlos auf die Oase zu, ließ sich auf Hände und Knie nieder und kroch zwischen den Sträuchern hindurch. Ein Tier, das einer terranischen Eidechse ähnelte, huschte vor ihm davon, verhielt aber schon nach einem Meter und schaute neugierig zu ihm herüber. Dann war Atlan durch die Büsche hindurch und erblickte wenige Meter vor sich einen kleinen Tümpel, der mit trübem Wasser gefüllt war. Und vor dem Tümpel hockte ein Lebewesen im Gras, das verblüffend einem terranischen Feldhasen glich. Es knabberte an dem saftigem Gras herum, hielt aber in kurzen Abständen inne, richtete den Oberkörper auf und bewegte die großen, allerdings muschelförmigen Ohren. Der Arkonide nahm mit dem Messer Maß und warf es. Als das Tier abermals den Oberkörper aufrichtete, schlug die Messerklinge in die Brust ein, durchbohrte sie und tötete das Tier augenblicklich. Atlan sprang auf und eilte zu seiner Beute. Als er das Tier hochhob, kam gerade Razamon zwischen den Sträuchern hervor, noch immer den Grizzard-Körper Axtons auf der
11 Schulter. »Ha!« brüllte der Pthorer. »Atlan hat ein Häschen erlegt, Lebo! Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen!« »Wasser!« flüsterte Axton. Auch Atlan dachte im Augenblick noch nicht an Essen, sondern wandte sich dem Tümpel zu. Er dachte nicht lange darüber nach, ob das Wasser keimfrei war. Er kniete am Rand des Tümpels nieder, wischte mit dem Handrücken lediglich die Schicht staubfeinen Sandes weg, die auf der Oberfläche lag, dann beugte er sich vor und schlürfte das lauwarme und doch lebenspendende Naß. Als sie alle fürs erste genug getrunken hatten, dachten sie darüber nach, ob sie nach Brennmaterial suchen sollten, um den »Hasen« zu braten. Sie verzichteten darauf, denn es gab kein trockenes Holz in der Oase. Atlan zog dem Tier das Fell ab, weidete es aus und zerschnitt das noch dampfende Fleisch in Stücke, die er in drei gleichgroße Haufen aufteilte. Die Leber hackte er mit dem Messer so an, daß leicht mundgerechte Stücke abgebissen werden konnten, dann reichte er sie Lebo Axton. Er brauchte diese Stärkung am nötigsten. Lunge und Herz gab er Razamon, da der Pthorer mehr Nahrung benötigte als ein Mensch oder ein Arkonide. Eine Stunde später hatten sie auch den letzten Fetzen Fleisch von den Knochen genagt und waren, wenn auch noch nicht gesättigt, doch zufrieden darüber, daß sie vernünftige Nahrung und ausreichend Wasser hatten. »Ich denke, wir sollten die Nacht über hier bleiben«, meinte Lebo Axton. »Die Ruhe wird uns guttun.« Atlan und Razamon verständigten, sich mit Blicken. Beide wußten, daß vor allem Lebo eine längere Rast dringend benötigte und daß seine Überlebenschancen stiegen, wenn er am nächsten Morgen noch einmal ausreichend Wasser trinken konnte. Jetzt wäre es sinnlos gewesen, da ihre Körper keinen Millimeter Wasser mehr speichern
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konnten, als sie bereits aufgenommen hatten. »Einverstanden«, erwiderte der Arkonide. »Ich übernehme die erste Wache für zwei Stunden, dann kommt Razamon dran und dann Lebo – und dann noch einmal von vorn.« Er hätte Lebo Axton ausgelassen, wenn er nicht gewußt hätte, daß der alte Sinclair Marout Kennon das niemals zulassen würde.
* In dieser Nacht kühlte die Luft nur wenig ab. Die Sterne schimmerten durch lange dünne Wolkenstreifen hindurch. In der Wüste außerhalb der Oase heulten, keckerten und schrien unbekannte Tiere. Atlan wußte, daß er nicht einschlafen würde, auch wenn er sich nach seiner ersten Wache hinlegte. Deshalb bat er Razamon und Lebo Axton, ihn die ganze Nacht hindurch wachen zu lassen. Doch beide protestierten entrüstet dagegen. Als der Morgen anbrach, hockte der Arkonide auf dem Boden. Er hatte keine Sekunde geschlafen, dennoch fühlte er sich einigermaßen frisch. Sein Zellaktivator wirkte jeder physischen Erschöpfung entgegen – wenn sie nicht zu stark wurde. Nur zur Entlastung von psychischer Erschöpfung benötigte er hin und wieder einige Stunden Schlaf. Er stand auf und durchstreifte die Oase nach eßbaren Früchten. Tatsächlich fand er an einem Strauch zahlreiche kirschenartige Früchte. Sie fühlten sich weich und reif an und rochen süßlich. Doch da die Vögel, die es in der Oase gab, sich von diesen Früchten fernhielten, waren sie möglicherweise giftig. Wenig später aber entdeckte Atlan mehrere niedrige Pflanzen und neben ihnen Löcher, die von Tieren gewühlt worden sein mußten. Er grub mit den Händen nach und fand mehrere dicke gelbe Speicherwurzeln. Als er ein Stück von einer Wurzel abbiß und kaute, schmeckte sie ihm wie Süßkartoffel. Er grub mehrere Hände voll aus und kehr-
te zu seinen Gefährten zurück, die sich über den Fund freuten und sich hungrig darüber hermachten. »Ich grabe nachher noch mehr davon aus«, sagte Razamon kauend. »Wir können sie als Vorrat mitnehmen, denn wer weiß, wann wir die nächste Oase finden?« Von oben erscholl mehrstimmiges lautes Pfeifen. Die drei Männer blickten hoch und sahen einen riesigen Schwarm großer fremdartiger Vögel nach Norden ziehen. »Merkwürdig!« sagte Lebo Axton. »Es könnte etwas bedeuten«, meinte Razamon nachdenklich. »Aber das ist eine fremde Welt, und die Verhaltensweisen der Tiere werden von unbekannten Bedingungen bestimmt – trotz vieler Ähnlichkeiten mit Pthor. Es wäre sinnlos, Rückschlüsse ziehen zu wollen.« Atlan sagte nichts dazu, aber auch er war nachdenklich geworden. Nachdem sie die von Razamon geernteten »Süßkartoffeln« in den wenigen heilen Taschen ihrer Kleidung verstaut und noch einmal reichlich getrunken hatten, brachen sie auf. Die Hitze war noch stärker als am Vortag, und sogar die zahlreichen eidechsenähnlichen Kleintiere verkrochen sich in Bodenhöhlen. Anfangs kamen sie recht gut voran, denn sie waren ausgeruht und gesättigt. Doch vor allem Lebo Axtons Kräfte ließen rasch nach, und auch Atlan und Razamon litten unter der stehenden heißen Luft. Atlan blieb stehen und sah sich prüfend um. »Ich würde mich nicht wundern. wenn es ein Unwetter gäbe«, meinte er. »Wir haben in den letzten drei Stunden zahlreiche Vögel nach Norden fliegen sehen, aber jetzt sehe ich keine mehr. Alle Bodentiere scheinen sich verkrochen zu haben. Ich wollte, es gäbe in der Nähe ein paar Felsklippen, hinter denen wir Schutz suchen könnten.« Auch seine Gefährten waren stehengeblieben und musterten die Landschaft. Doch ringsum war die Wüste brettflach und ohne Bäume oder Felsbrocken. Nur einige mehr
Die Todeswüste oder weniger große Hügel ragten aus der Ebene empor. »Wir bekommen einen Sandsturm!« sagte Razamon plötzlich tonlos. Er deutete nach Süden. Über den Horizont im Süden schoben sich dunkle Wolken. Während die Männer zusahen, stiegen sie erschreckend rasch höher, bis sie sich vor die Sonne schoben und die Wüste verdunkelten. »Das gibt einen Sandsturm, der sich gewaschen hat«, meinte Atlan ernst. »Ohne Deckung haben wir keine Überlebenschance, fürchte ich.« »Das könnte die Erklärung für die Häufung von Skeletten an einer bestimmten Strecke der Straße sein«, erwiderte Razamon düster. »Es handelte sich einfach um eine Karawane, die vom Sandsturm überrascht und zugeweht wurde.« »Warum sagst du nichts, Lebo?« wandte sich Razamon an Axton. »Du stehst nur da und starrst Löcher in die Luft.« »Ich überlege nur, ob ich vorhin etwas gesehen habe, das ein Rundzelt gewesen sein könnte – oder auch nur die Überreste eines Rundzelts«, erwiderte Axton. »Welche Richtung?« fragte Atlan. Axton deutete nach Osten. »Ein Zelt könnte die Rettung für uns bedeuten«, erklärte er. »Ich bin jedenfalls sicher, daß ich einen starken Sandsturm im Freien nicht überleben werde. Deshalb gehe ich und suche nach dem Zelt.« Er verließ die Karawanenstraße und war kurz darauf nur noch schattenhaft zu sehen, wie er schnell durch die Wüste trabte. »Und wenn du nur einen kleinen Hügel gesehen hast?« rief Atlan ihm nach. »Dann sterbe ich eben dort anstatt hier!« rief Axton zurück. »Wir dürfen ihn nicht allein lassen«, sagte der Arkonide zu Razamon. »Dann wäre er auf jeden Fall verloren.« Er setzte sich in Bewegung und eilte Lebo Axton nach. Razamon zuckte die Schultern und folgte ihm. Sie holten Axton ein, als ein schrilles
13 Heulen erscholl, das lauter und lauter wurde. »Es geht los!« schrie Razamon und riß Axton mit sich zu Boden. Atlan warf sich ebenfalls hin und barg das Gesicht zwischen den Armen. Im nächsten Augenblick prallte die Wand hochgerissenen und auf mindestens hundert Stundenkilometer beschleunigten Sandes gegen sie, stach wie mit Millionen scharfer Nadeln auf sie ein und zerrte an ihrer Kleidung. Es wurde stockdunkel. Atlan spürte, wie der angewehte Sand an seiner rechten Körperseite hochkroch, wieder fortgeweht wurde und abermals stieg und wie auch an seiner linken Seite ein Sandwall emporwuchs. Der Sand war so fein, daß er trotz zusammengepreßter Lippen den Mund füllte, in die Nase kroch und die Ohren verstopfte. Bald hörte der Arkonide nur noch ein anund abschwellendes Rauschen. Aber er wußte nicht, ob das von seinen versandeten Ohren kam oder ob es der Vorbote des Erstickungstodes war, der unweigerlich eintreten mußte, wenn der Sturm noch länger anhielt.
* Als er wieder zu sich kam und sich aus dem Sandhügel wühlte, der ihn begraben hatte, konnte er es kaum fassen, daß er noch lebte. Doch dann sah er im Südwesten einen blutroten Schimmer, der eine trübe Helligkeit schuf, und wußte, daß er noch lebte, weil der Sandsturm rechtzeitig abgeflaut war. Zwar wirbelte noch immer Sand durch die Luft, aber er war nicht so dicht, daß er jemanden verschütten konnte. Die Frage war nur, ob das das Ende des Sturmes ankündigte oder ob der Sandsturm gewissermaßen nur den Atem anhielt, um dann um so wütender zu blasen. Dicht neben ihm wölbte sich ein Sandhügel auf, dann kam Razamon zum Vorschein. Der Pthorer wühlte sich vollends aus dem Sand, würgte, hustete und schneuzte sich,
14 dann versuchte er, seine Ohren zu reinigen. Atlan blickte sich suchend um. Ein gehetzter Ausdruck trat in seine Augen, als er nichts von Lebo Axton bemerkte. Er ließ sich neben Razamon fallen und wühlte mit den Händen wie irr im Sand. »Was suchst du?« fragte Razamon mit krächzender Stimme. »Lebo!« gab Atlan gereizt zurück. »Er hat doch neben dir gelegen!« »Oh!« sagte Razamon. Er ließ sich nieder und durchwühlte neben dem Arkoniden den feinen Sand. Nach einigen Minuten hatten die beiden Männer noch immer keine Spur ihres Gefährten entdeckt. Sie richteten sich auf. »Er muß während des Sturmes weitergekrochen sein«, stellte Razamon fest. »Verrückt!« kommentierte Atlan und schaute nach Osten. »Wahrscheinlich hat er das Zelt gesucht, das er gesehen haben will. Aber während des Sturmes kann er doch die Richtung nicht festgestellt haben.« »Dann ist er verloren«, meinte Razamon. »Wir müssen ihn suchen«, erklärte Atlan. Besorgt musterte er eine von Süden heranziehende neue Sturmfront, deren Sandwolken sich rasend schnell auftürmten. »Viel Zeit haben wir nicht.« Er zögerte nicht länger, sondern lief in Richtung Osten. Es wurde allerdings mehr ein Waten als ein Laufen, denn der frisch angewehte Sand lag so locker, daß Atlan und Razamon oftmals bis an die Knie einsanken. Wenn die von Süden nach Norden ziehenden Staubschleier für wenige Augenblicke abrissen, glaubte Atlan, weiter im Osten eine buckelartige Erhebung zu sehen. Doch er war nicht sicher, ob diese Wahrnehmung nicht nur auf Einbildung beruhte. Die Staubschleier wurden bereits dichter, als der Arkonide über ein Hindernis stolperte und hinfiel. Sekundenlang blieb er schweratmend liegen, dann wälzte er sich herum und musterte das Hindernis aus der Nähe. Es bewegte sich, wenn auch nur ganz
H. G. Ewers langsam, und Atlan sah, daß es sich um Lebo Axton handelte. Er hob den Arm. Kurz darauf ließ sich Razamon neben ihm fallen. Der Pthorer atmete pfeifend, aber er rappelte sich bald wieder auf, kroch zu Axton und gab Atlan durch Handzeichen zu verstehen, daß er ihm helfen solle, Axton aufzurichten. Schweigend hievten die beiden Männer Axton hoch, legten sich seine Arme über die Schultern, hielten sie an den Handgelenken fest und verschränkten die Hände ihrer noch freien Arme unter den Oberschenkeln ihres Gefährten. Als sie in Richtung Osten weitergingen, sahen sie sich einen Augenblick lang an. Sie wurden sich bewußt, daß sie beide etwas im Osten gesehen hatten, aber sie besaßen nicht mehr die Kraft, um darüber zu reden. Schritt für Schritt kämpften sie sich weiter, blieben stehen, wenn ihre Lungen und Herzen die Belastung nicht mehr ertrugen, rangen verzweifelt um Luft und setzten dann verbissen ihren Weg fort. Sie wußten nicht, wie lange sie so gegangen waren, als die Staubschleier abrissen und sich eine fahlgelbe Helligkeit über sie und die Landschaft legte. Sie sahen nur, daß kaum zehn Meter vor ihnen ein sandverkrusteter Felshügel aus der Wüste ragte, an dessen unterem Rand dunkle Flecken zu sehen waren. Wieder sahen sie sich an, ohne ein Wort zu sagen. Aber sie dachten beide das gleiche. Diese dunklen Flecken konnten Höhlungen sein, vielleicht nur Nischen im Fels, aber möglicherweise tief genug, um darin etwas Schutz vor der nächsten Sturmwelle zu finden. Als sie sich wieder in Bewegung setzten, brach abermals das Inferno los. Sie wurden zu Boden geschleudert, und staubfeiner Sand fiel mit gellendem Pfeifen und Kreischen über sie her. Aber diesmal wußten sie, daß nur wenige Meter vor ihnen relative Sicherheit winkte. Atlan und Razamon tasteten über den Griz-
Die Todeswüste zard-Körper Lebo Axton hinweg und verständigten sich mit einem Händedruck. Zentimeter um Zentimeter schoben und wühlten sie sich danach weiter, zogen den Gefährten ruckweise mit sich, obwohl das beinahe ihre Kräfte überstieg. Und Lebo Axton verstärkte die eigenen Anstrengungen und half mit, so gut er konnte. Sie wurden von wahren Sandfluten überschüttet, vom schrillen Heulen und gellenden Pfeifen des Sturmes fast völlig betäubt und glaubten kaum noch an eine Errettung aus dieser Hölle. Aber sie ließen nicht nach. Obwohl sie nicht mehr klar zu denken vermochten, riß ihr Überlebenswille sie weiter und ließ sie roboterhaft Bewegungen ausführen, deren sie sich nicht mehr bewußt waren. Und irgendwann stießen sie gegen ein vor ihnen aufragendes Hindernis. Sie tasteten umher, erfühlten die Öffnung einer Höhle oder Nische und versuchten, hineinzukriechen. Schließlich aber merkten sie, daß die Höhlung zu klein für sie alle drei war. So schoben sie Lebo Axton mit dem Kopf voran hinein, zwängten auch seine Beine nach, so daß er sich in zusammengepreßter Haltung in der Höhlung befand, dann trennten sie sich. Atlan kroch nach links, Razamon nach rechts. Endlich konnte sich auch der Arkonide in eine Höhlung zwängen. Zusammengekauert, mit dem Kopf zwischen den Knien, war er einigermaßen vor dem Sandsturm geschützt, denn der hintere Teil seines Körpers verschloß die Höhlung gleich einem Pfropfen. Mühsam atmend, erholte der Arkonide sich etwas, nicht zuletzt dank seines Zellaktivators, dessen heftiges Pulsieren ihm verriet, wie nahe er dem Tode gewesen war. Er fragte sich, wie lange er in der Höhlung aushalten konnte, ohne zu ersticken oder von einem Krampf gezwungen zu werden, seine verkrümmte Haltung aufzugeben und damit dem Sturm wieder Zugang zur Höhlung zu gewähren. Doch seine Erschöpfung war stärker als
15 alle Furcht vor dem Tode. Atlan merkte nicht einmal, daß er einschlief …
3. Als Atlan erwachte, war es dunkel – und unheimlich still. Vorsichtig! mahnte sein Extrasinn, als er sich bewegte. Wieso vorsichtig? dachte Atlan unwillig. Der Sturm ist doch vorbei! Dennoch bewegte er sich vorsichtiger, lockerte seine verkrampfte Haltung, spie Sand aus und drehte sich langsam um, bis sein Gesicht nach außen zeigte. Mit entzündeten, tränenden Augen versuchte er etwas von der Umgebung zu erkennen. Der Durst plagte ihn, denn die übermenschlichen Anstrengungen hatten ihn viel Körperflüssigkeit gekostet. Seine Zunge war geschwollen und so trocken wie ein Stück Filz. Bei jedem Schlucken fuhr ein heftiges Stechen durch seine Kehle. Und er fror, denn der Nachtwind schickte Tausende und aber Tausende eisiger Nadeln durch seine Kleidung. Plötzlich gab es einen harten Ruck. Beinahe wäre Atlan aus der Höhlung gefallen. Im letzten Augenblick konnte er sich herumwerfen und sich mit den Fingern im rissigen Fels festkrallen. Ein Beben! Wieder lief eine heftige Erschütterung durch den Felshügel. Im matten Schein der Sterne sah Atlan am Fuß des Hügels, dicht unterhalb seines Standorts, kleine Sandwolken aufwirbeln. Dann setzte sich der Hügel mit kurzen Rucken in Bewegung. Atlan verlor den Halt, stürzte und fiel in weichen Sand. Er rollte sich zur Seite und spähte hinauf – und da merkte er, daß der Hügel kein Hügel, sondern ein großes Tier war, das sich schwerfällig wie eine terranische Schildkröte durch den Sand bewegte. Die Füße wirbelten bei jeder Bewegung kleine Sandwolken auf. Atlan sprang auf die Füße – und im nächsten Augenblick sah er in Lebo Axtons Ge-
16 sicht. Axton hockte halb zusammengerollt in seiner Höhlung, so daß die Füße und der Kopf sich fast berührten, krallte sich an Vorsprüngen fest und hatte das scharfgeschnittene Grizzard-Gesicht mit dem indianischen Profil nach außen gedreht. Er schien noch nicht klar denken zu können, denn die braunen Augen starrten verständnislos auf den Vorgang, daß der Arkonide an ihm vorbeiglitt, ohne die Beine zu bewegen. Atlan hatte sich inzwischen von seiner Überraschung erholt. Er entdeckte rechts neben Axton mehrere Klüfte im Panzer des riesigen Tieres, nahm Maß und sprang. Seine Finger krallten sich fest, und als auch seine Füße Halt gefunden hatten, entspannte er sich wieder. »Was … was ist …?« stammelte Axton. »Wir müssen auf einer Art Riesenschildkröte reiten!« rief Razamon von rechts und streckte seinen Kopf aus »seiner« Höhlung. »Richtig«, erwiderte Atlan. »Das, was wir für einen Felshügel hielten, ist nichts weiter als ein riesiges Tier – und unsere Höhlungen sind nur Vertiefungen im unteren Rand des Panzers.« Auf Lebo Axtons Gesicht zeichnete sich Erschrecken ab, machte aber schnell einer gewissen Heiterkeit Platz. »Das ist ein Ding!« rief er. »Wir spielen also so etwas wie Anhalter!« »Hoffentlich frißt die Schildkröte nur Pflanzen«, meinte Razamon. »Ich denke schon«, sagte Atlan. »Sie bewegt sich zu träge, um anderen Tieren nachstellen zu können. Dennoch kann sie uns töten, zum Beispiel, wenn wir unter ihre Beine geraten. Immerhin ist sie schätzungsweise fünf Meter hoch, zwanzig Meter lang und wahrscheinlich zehn Meter breit. Ich habe ganz kurz einen Fuß von Mathilda gesehen. Er war so groß wie ein zweisitziger Prallfeldgleiter.« »Mathilda!« rief Razamon und lachte leise. »Daß ihr Terraner allen Dingen immer Namen geben müßt! Oh, Verzeihung, du bist
H. G. Ewers ja kein Terraner!« »In gewisser Weise doch«, erklärte der Arkonide. »Jedenfalls müssen wir dank Mathilda nicht mehr zu Fuß durch den Sand stapfen. Wir können es uns bequem machen und uns zur nächsten Oase tragen lassen, denn es erscheint mir logisch, daß ein so großes Tier große Mengen Pflanzen fressen muß – und die gibt es nur in Oasen.« »Bequem«, wiederholte Lebo Axton. »Hast du es bequem, Atlan? Ich jedenfalls nicht.« Atlan spähte nach oben. Es war nicht hell genug, um alle Einzelheiten des Panzers zu erkennen, aber an dem, was er sah, durfte er darauf schließen, auch weiter oben tiefe Schrunden vorzufinden, die ihm als Kletterhilfen dienen konnten. »Ich steige hinauf«, erklärte er. »Wenn es oben bequemer ist als hier unten, rufe ich euch.« Er kam zügig voran und befand sich wenige Minuten später auf dem Gipfelpunkt des Panzers. Hier gab es kaum noch Schrunden, sondern viele große buckelartige Erhebungen, zwischen denen Platz genug für zwanzig Männer war. »Hört ihr mich?« rief Atlan – und als die Gefährten bestätigten, rief er: »Kommt herauf! Hier können wir es uns gemütlich machen!« Axton und Razamon waren kaum oben, da ging die Sonne auf. Die drei Männer stellten sich jeder auf eine buckelartige Erhebung und sahen sich um. Im Licht der Sonne lag die Wüste ruhig und friedlich da, als hätte es nie einen verheerenden Sandsturm gegeben. »Ich sehe nichts von einer Oase«, sagte Axton und leckte sich über die aufgesprungenen Lippen. »Ich vergaß, etwas zu sagen«, erklärte Razamon. »Vorhin hörte ich es deutlich hinter der Wand meiner Höhlung gluckern, als schwappte Wasser hin und her. Offenbar führt Mathilda ihren eigenen Wasservorrat mit sich. Sie ist also nicht darauf angewie-
Die Todeswüste
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sen, schnell eine Oase zu erreichen, um dort zu trinken.« »Aber sie wird Nahrung brauchen«, warf Atlan ein, um Lebo Axton aufzumuntern. »Wir übrigens auch, und unsere ›Süßkartoffeln‹ enthalten ja auch Wasser.« Sie suchten in den Taschen ihrer Kleidung nach den Wurzeln, die sie aus der Oase mitgenommen hatten. Aber sie hatten die meisten während des Sandsturms verloren und fanden nur noch zwei, die sie sich brüderlich teilten. »Wenigstens habe ich mein Messer noch«, meinte Atlan und schlug gegen das Wurfmesser, das er mit einem von seiner Jacke gerissenen Stoffstreifen an seiner Hüfte festgebunden hatte. »Vielleicht sehen wir wieder einen ›Hasen‹ oder wenigstens eine größere Eidechse.« »Ich sehe schon etwas«, sagte Razamon und deutete nach oben. »Aber es sieht nicht nach jagdbarem Wild aus, sondern eher nach dem Gegenteil.«
* »Ein Delta-Drachen!« entfuhr es Atlan. »Das Gerät sieht sogar fast genauso aus wie die Drachen, die ich auf Terra sehr oft beobachtet habe!« »Aber was da am Steuerbügel hängt, ist bestimmt kein Terraner«, sagte Razamon. »Es hatte zwei Arme, aber keine Beine, sondern einen Echsenschwanz«, meinte Axton. »Außerdem wiegt es garantiert viel weniger als ein Mensch. Und der Kopf! Eine Mischung der Köpfe von Windhunden, Katzen, Greifvögeln und Schlangen!« »Ich frage mich, von wo aus das Gerät gestartet ist«, überlegte der Arkonide laut. »Ein Delta-Drachen kann ja nicht vom Boden aus starten. Er kann auch ohne Aufwinde nicht steigen, und so früh am Morgen gibt es noch kaum Aufwinde über der Wüste. Von sehr weit kann er also nicht gekommen sein – und er wird auch nicht weit kommen.« Er beobachtete den Drachen, der sich mit
zirka dreißig Stundenkilometern und in etwa vierhundert Metern Höhe näherte und dabei allmählich an Höhe verlor. Er sah, wie das Wesen, das den Drachen steuerte, den Bügel langsam nach links drückte. Dadurch beschrieb das Gerät eine Kurve nach rechts, schwebte in ungefähr fünfhundert Metern Entfernung an Mathilda vorbei und flog danach eine weite Linkskurve, die es schräg von hinten wieder an die »Schildkröte« heranbrachte. »Der Bursche hat es auf Mathilda abgesehen«, meinte Razamon. »Entweder aus reiner Neugier oder, weil sie von ihm und seinen Artgenossen als Jagdbeute betrachtet wird.« »Falls das Letztere zutrifft, ist der Fremde nur ein Späher, der das Wild sucht und nach der Entdeckung seinen Standort über Funk durchgibt«, sagte Atlan. »In dem Fall hätten wir bald eine Jägergruppe auf dem Hals, was mir nicht gefällt, denn dann wären wir mindestens unser Transportmittel los.« »Er kommt näher!« sagte Lebo Axton. »Duckt euch!« Sie duckten sich hinter den Hornbuckeln und beobachteten weiter. Der Drachenflieger zog am Steuerbügel, wodurch der Anstellwinkel des Drachens verkleinert wurde und das Gerät beschleunigte. Gleichzeitig verlor es stärker an Höhe. Atlan sah, wie der seltsame Kopf des Wesens hin und her ruckte. Die drei Augen im Gesicht glitzerten, dann hob es einen undefinierbaren Gegenstand. Etwas schlug zwischen Atlan und Razamon in den Panzer Mathildas und blieb stecken. Der Drachenflieger drückte den Steuerbügel, wodurch der Anstellwinkel vergrößert wurde. Die Fluggeschwindigkeit nahm ab, der Drachen stieg kurz an, dann ging er in eine Rechtskurve und glitt gleichmäßig aus. Bevor das Gerät in der Luft stillstand, drückte der Pilot den Bügel so kräftig, daß der Drachen zur stehenden Landung gezwungen wurde. »Einwandfreie Beherrschung des Geräts«,
18 meinte Atlan. »Woher willst du das wissen?« fragte Razamon. »Bist du etwa auch schon mit so einem luftigen Gerät geflogen?« Der Arkonide lächelte. »Notgedrungen. Das war bei meinem Aufenthalt auf Darrhamor, einer terranischen Kolonie. Gemeinsam mit Siedlern kämpfte ich gegen den Diktator Hanghor Blata, der nach einem Putsch die Schürfrechte an die Springer verschleudert hatte. Für unseren entscheidenden Schlag gegen Blata hatten wir uns Delta-Drachen gebaut, um ohne verräterische Energieentwicklung und lautlos in den Innenhof des Regierungspalasts einschweben zu können.« Er sah zu, wie der Pilot, der ungefähr sechshundert Meter von Mathilda entfernt war, zu der »Schildkröte« herüberblickte, sich dann aus dem Gurtzeug löste und sich im Sand ausstreckte. »Er wartet auf seine Freunde«, meinte Razamon. Lebo Axton trat an den Gegenstand heran, der sich zwischen Atlan und Razamon in Mathildas Panzer gebohrt hatte. Es handelte sich um einen zylindrischen Stab von ungefähr dreißig Zentimetern Länge und zwei Zentimetern Durchmesser. »Er ist der Fachmann«, erklärte Atlan, als Razamon dem früheren USO-Spezialisten helfen wollte. Axton lächelte, dann tastete er den Stab ab, drehte an dem oberen Viertel und löste es ab. Danach drehte er an der Stellschraube, die vorher im unteren Teil des Stabes gesteckt hatte. Die Bodenplatte des oberen Teils löste sich. Nachdem Lebo Axton hineingesehen hatte, sagte er: »Ein simpler Peilsender, allerdings mit einer durchaus nicht simplen Energiequelle. Sie sieht aus als wäre sie ein kompaktes Stück Gold von vielleicht zwanzig Gramm Gewicht, aber Gold speichert nicht mehr Energie als Blei.« »Zerstören wir den Sender!« sagte Razamon.
H. G. Ewers Axton schüttelte den Kopf. »Dann wüßten die Jäger, daß etwas schiefgegangen ist, und würden in der Richtung suchen, in die sich Mathilda zur Zeit bewegt. Wir werfen den Peilsender einfach in den Sand, dann müssen sie annehmen, daß Mathilda stehengeblieben ist.« Atlan nickte. »Einverstanden. Der Drachenflieger hat uns offenbar nicht bemerkt, sonst würde er nicht faul im Sande liegen und sich sonnen, sondern versuchen, sich unbemerkt der ›Schildkröte‹ zu nähern und herauszubekommen, was wir hier wollen.« Lebo Axton wog die Hand mit dem Peilsender, dann holte er aus und warf das Gerät fort. Es fiel etwa dreißig Meter neben Mathilda in den Sand. Danach setzte er sich auf eine der buckelartigen Erhebungen und sagte: »Hoffentlich beeilt sich Mathilda, sonst wird sie doch noch von den Jägern erwischt, und wir müssen zu Fuß gehen.«
* Mathilda erhörte ihn. Rund fünf Stunden lang »marschierte« sie mit der Geschwindigkeit eines trainierten terranischen Wanderers nach Südwesten. Zum Glück für die drei Männer überzog sich der Himmel sehr bald mit Cirrus- und Cirrostratuswolken, so daß die Sonneneinstrahlung abgeschwächt wurde. Sonst hätten es die Männer nicht lange auf dem Rücken Mathildas ausgehalten. Dennoch machte ihnen der Durst immer stärker zu schaffen. Deshalb gingen sie schließlich dazu über, daß immer nur einer von ihnen die Umgebung beobachtete, während die beiden anderen ruhten. Gegen Mittag entdeckte Lebo Axton, der gerade Wache hielt, einen weiteren DeltaDrachen, der sich der »Schildkröte« in großer Höhe von Nordosten näherte. »Ein weiterer Scout kommt geflogen!« rief er seinen Gefährten zu. »Anscheinend hat die Jagdgruppe den Peilsender im Sand
Die Todeswüste gefunden und gemerkt, daß ihr jemand ins Handwerk gepfuscht hat.« Atlan und Razamon erwachten aus ihrem Dösen und krochen neben Axton. Vor dem Hintergrund der weißen Wolkenfläche, die zwei Drittel des Himmels bedeckte, wirkte der Drachen wie ein Spielzeuggerät. Er flog in etwa tausend Metern Höhe und näherte sich Mathilda stetig. »Es wäre unsinnig, wenn wir uns vom Piloten sehen lassen würden«, meinte Razamon. »Wir könnten ja doch nichts gegen ihn unternehmen. Kriechen wir also in unsere Angsthöhlen zurück!« »Aber vorher ziehen wir den Stab aus dem Panzer!« erwiderte Axton. Er umspannte den Stab mit beiden Händen und zog daran, gab aber nach einer Minute keuchend auf. »Er steckt zu fest.« Danach ging Razamon ans Werk. Er strengte sich an, daß die Adern an den Schläfen deutlich hervortraten. Seine schwarzen Augen funkelten zornig, als er nach einer Minute noch immer erfolglos geblieben war. Er verdoppelte seine Anstrengungen, und nach einer weiteren Minute glitt der Stab so plötzlich aus Mathildas Panzer, daß der Pthorer sich rückwärts überschlug. Er rappelte sich wieder auf und musterte den Stab. »Kein Wunder«, sagte er keuchend. »Er hat einen halben Meter tief im Panzer gesteckt.« Wütend wollte er ihn wegwerfen, besann sich aber anders und nahm ihn zwischen die Zähne, damit er ihn beim Absteigen nicht behinderte. Lebo Axton folgte dem Pthorer sofort. Atlan dagegen wartete noch, bis der DeltaDrachen aus zirka siebenhundert Metern Höhe zu einem steilen Sturzflug überging, dann stieg er ebenfalls ab und kroch in eine der Höhlungen am unteren Rand des Panzers. Von dort aus spähte er schräg nach oben. Es dauerte nicht lange, dann tauchte der Drachen in seinem Blickfeld auf. Sein Pilot
19 hatte ihn wieder abgefangen und kreiste dicht über Mathilda. Kurz darauf ging der Drachen tiefer, so daß er für Atlan nicht mehr zu sehen war, als er hinter der anderen Seite der »Schildkröte« verschwand. Gespannt wartete der Arkonide darauf, daß der Drachen von der anderen Seite Mathildas wieder auftauchte. Als das nicht geschah, ahnte er, was geschehen war. Der Drachenpilot hatte einen Aufwind ausgenutzt, um sein Gerät noch einmal hochzuziehen und auf dem Rücken Mathildas zu landen. Zweifellos würde er dort das Loch entdecken, das der Stab in der Panzerung hinterlassen hatte. Ohne zu zögern, kletterte Atlan am Panzer empor. Sein Kopf tauchte über den oberen Rand des Panzers, als der Drachenpilot, der sich von seinem Gerät gelöst hatte, gerade das Loch entdeckte. Atlan zog sich ganz hinauf und eilte auf den Fremden zu. Der Pilot bemerkte ihn, als er nur noch zwei Meter weit von ihm entfernt war. Er schlug heftig mit seinem Echsenschwanz aus und katapultierte sich dadurch ein Stück zur Seite, so daß Atlans letzter Sprung ins Leere ging. Im nächsten Augenblick griff der Pilot ihn an. Er schnellte sich auf den Arkoniden zu, rammte ihn an der Hüfte und warf ihn zu Boden. Danach wollte er sich über ihn werfen. Doch auch Atlan schnellte sich zur Seite, so daß die sehr kräftig aussehenden sechsfingrigen Hände des Wesens ihn verfehlten. Es fiel auf den Oberkörper und schnellte sich gleich wieder hoch. Aber Atlan trat ihm von unten gegen den Brustkorb. Der Pilot kippte zur Seite, aber seine Hände packten zu und hielten Atlans Fuß fest. Mit einem Ruck zog er den Arkoniden zu sich heran und packte mit schmerzhaftem Griff seine Schultern. Atlan wollte sich befreien, aber der Griff der Echsenhände war zu stark. Er stöhnte vor Schmerzen, als die Hände des Piloten ihm die Schultergelenke zusammenpreßten. Mit aller Kraft rollte er zur Sei-
20 te und warf den Piloten gegen eine der buckelartigen Erhebungen. Es dröhnte, als der seltsame Schädel gegen den Panzer schlug. Die Hände ließen Atlans Schultern los. Aber im nächsten Moment hatte der Pilot sich wieder erholt. Abermals schnellte er sich auf den Arkoniden zu. Doch Atlan hatte die kurze Pause genutzt und das Wurfmesser ergriffen. Er stach allerdings nicht zu, sondern packte den großvolumigen Griff und hieb ihn seinem Gegner an den Schädel. Dennoch legte das Wesen ihm die Hände um den Hals und drückte zu. Atlan bekam keine Luft mehr. Verzweifelt hieb er wieder und wieder zu, bis der tödliche Griff sich lockerte. Keuchend atmete er. Vor seinen Augen flimmerte es. Erst allmählich vermochte er wieder klar zu sehen und zu denken. Er rollte sich von dem Echsenwesen fort und richtete sich langsam auf. Plötzlich hörte er schnelle Schritte, dann tauchten Razamon und Axton von links her auf. »Bist du verletzt?« fragte Razamon, hielt neben dem bewußtlosen Piloten an und hob das Messer auf. »Laß ihn leben!« sagte Atlan mühsam. »Mir ist nichts passiert. Ich bin nur fast erdrückt und erwürgt worden. Der Bursche hat noch mehr Kraft als du.« »Ich denke, wir fesseln ihn«, sagte Lebo Axton. »Hat er ein Funkgerät bei sich?« »Nein«, sagte Razamon. Atlan wankte zu dem auf dem Rücken Mathildas liegenden Delta-Drachen, drehte die leere steife Liegeschürze des Piloten um und zog ein Gerät von der Größe einer Zigarettenschachtel aus einer kleinen Außentasche. »Das dürfte das Funkgerät sein«, meinte er. Ein zweites Gerät lag neben der Schürze, durch einen Gurt mit ihr verbunden. Es handelte sich um eine Art Rohr, etwa siebzig Zentimeter lang und fünfzehn Zentimeter durchmessend, mit fünf Öffnungen an einem
H. G. Ewers Ende, aus denen je ein Stab ragte. »Die Markierungs- und Peilstäbe für die ›Schildkröten‹«, sagte er nachdenklich und musterte die fünf Auslöseknöpfe am hinteren Rohrdrittel. »Eine gute Waffe außerdem«, erklärte Razamon. »Fesseln wir lieber erst einmal den Piloten, sonst entkommt er uns noch!« sagte Lebo Axton. Razamon schnitt sich mit dem Messer Streifen von seiner Jacke; Axton und Atlan taten es ihm nach. Anschließend fesselten sie den Piloten und verschnürten ihn regelrecht. Keinen Augenblick zu früh, denn sie waren noch nicht ganz fertig, als er wieder zu sich kam und sich wild aufbäumte. »Sei unser Gast!« erklärte Atlan. »Wir können dir zwar weder Speise noch Trank anbieten, aber ein Gespräch unter Männern. Mein Name ist Atlan. Wie heißt du?« Das Echsenwesen starrte ihn aus seinen drei Augen an, sagte jedoch nichts.
4. Gegen Abend marschierte Mathilda in ein flaches Tal, aus dessen Hängen Steinklippen ragten. Atlan, der gerade Wache hatte, legte die Hand über die Augen, um nicht von den Strahlen der tiefstehenden Sonne geblendet zu werden, und hielt Ausschau nach einer Oase. Doch er konnte nichts dergleichen entdecken. Das beunruhigte ihn, denn Lebo Axton, dessen Grizzard-Körper noch immer von der schweren Erkrankung geschwächt war, die erst in der Ruinenstadt Tirn zum Stillstand gebracht worden war, litt schwer unter dem Durst und halluzinierte von Zeit zu Zeit. Aber der Arkonide konnte nichts tun. Mathilda war zu fremdartig, als daß er auch nur daran gedacht hätte, sie vielleicht zu beeinflussen. Plötzlich änderte die »Schildkröte« ihren
Die Todeswüste Kurs und marschierte zur rechten Hangseite des Tales. Atlan spähte hinüber und sah, daß zwischen den Klippen ganze Nester von kakteenähnlichen Pflanzen wuchsen. Mit einem Ruck hielt Mathilda beim ersten Pflanzennest an. Kurz darauf vernahm Atlan ein lautes Grummeln und Schmatzen. Mathilda fraß. Razamon, der von dem Ruck, mit dem Mathilda angehalten hatte, aufgeschreckt worden war, sprang auf und stellte sich neben Atlan. »Sie frißt Kakteen«, erklärte der Arkonide. »Ich schlage vor, daß ich hinabsteige und nachschaue, ob die Kakteen sich auch für uns als Nahrung eignen. Zumindest sollten sie Wasser enthalten.« Razamon nickte. Atlan turnte zum Rand von Mathildas Rücken, dann stieg er an der Seitenwand hinunter und lief zur nächsten Kakteenansammlung. Dabei sah er zum erstenmal Mathildas Kopf. Verblüfft stellte er fest, daß der Kopf der »Schildkröte« dem eines terranischen Haifischs sehr ähnlich sah, nur daß er ungefähr fünfmal so groß war wie der Kopf eines Weißen Haies. Scharfe Mahlzähne an der Unterseite des Kopfes weideten die kakteenähnlichen Pflanzen mit großer Geschwindigkeit ab. Das rechte Auge Mathildas richtete sich kurz auf den Arkoniden, dann schaute es desinteressiert wieder fort. Vorsichtshalber schlug Atlan einen großen Bogen um Mathildas Kopf und wandte sich dem zweiten Kakteennest zu. Natürlich handelte es sich nicht wirklich um Kakteen, sondern um Pflanzen mit halb kugelförmigen Blättern, die rosettenförmig rund um einen speerähnlichen weißen Stamm auf dem Boden angeordnet waren. Aber ihre lederartige »Haut« verriet, daß sie sich ähnlich wie terranische Sukkulenten gegen Feuchtigkeitsverlust effizient schützten und in den dicken Blättern wahrscheinlich Wasser speicherten. Atlan hatte auf zahlreichen Planeten er-
21 lebt, daß Pflanzen sich oft auch gegen ihre Feinde wirksam zu schützen verstanden, deshalb warf er zuerst kleine Steine auf den Stamm und die Blätter der nächsten Pflanze, bevor er es wagte, dicht heranzugehen. Mit dem Messer stach der Arkonide in das nächste Halbkugelblatt. Er mußte dabei einige Kraft aufwenden, denn die Haut erwies sich als zäh und dick. Aus dem Schnitt quollen ein paar Tropfen einer hellgelben Flüssigkeit. Atlan kniete neben dem Blatt nieder und schnitt es kurzerhand mitten durch. Das Innere glich verblüffend dem Innern einer terranischen Wassermelone. Sogar Samen waren vorhanden, wenn auch keine Kerne, sondern schwarze eiförmige Gebilde von Wachteleiergröße. Atlan höhlte mit dem Messer eine Hälfte des Kugelblatts aus und kostete den Inhalt. Er war saftig und enthielt mehr Flüssigkeit, als es den Anschein gehabt hatte. Süß schmeckte er allerdings nicht, sondern halb nach Mohrrübe, halb nach Zitrone. Außerdem kratzte er etwas im Hals. Dennoch aß Atlan auch den Inhalt der zweiten Kugelblatthälfte und stellte danach fest, daß sein Durst gestillt war. Er wartete aber noch, bevor er einige Blätter für seine Gefährten erntete, denn bei unbekannten Pflanzen einer fremden Welt konnte man nie sicher sein, ob der Körper sie auch vertrug oder ob er etwa durch sie vergiftet wurde. Ihm hätte das Gift seines Zellaktivators wegen nicht viel geschadet, wohl aber seinen Gefährten. Als sich aber nach einer Viertelstunde keine Anzeichen einer Vergiftung oder Unverträglichkeit einstellten, erntete Atlan fünf Blätter, stopfte sie sich unter das Hemd und kehrte zurück. Auf Mathilda angekommen, schnitt er vier Früchte durch und höhlte sie aus. Razamon stopfte sich etwas von dem »Fruchtfleisch« in den Mund, machte ein verzücktes Gesicht und schickte sich an, Lebo Axton mit dem Kakteenfleisch zu füttern. Atlan ging zu dem Gefangenen und bot
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ihm ebenfalls etwas von dem Kakteenfleisch an. Doch der drehte den Kopf zur Seite. »Es löscht den Durst«, sagte der Arkonide eindringlich in der auf Dorkh gesprochenen Sprache. Aber der Pilot reagierte nicht darauf. »Wahrscheinlich ernährt er sich nur von Fleisch«, meinte Razamon, der herangekommen war. »Aber diese Wesen müssen doch auch trinken bei der Hitze, die tagsüber in der Wüste herrscht«, erwiderte Atlan. Razamon deutete nach unten. »Deshalb jagen sie wahrscheinlich – unter anderem – diese Tiere, die ja einen reichlichen Wasservorrat mitführen. Aber ich bin sicher, daß sie in der größten Not auch die Flüssigkeit von Kakteen trinken. Wenn unser Freund sie nicht mag, beweist das nur, daß er noch nicht durstig genug ist.« Da Axton sich nach dem Genuß des Kakteenfleischs inzwischen erholt hatte, stiegen Razamon und Atlan hinunter und ernteten eine größere Menge der halbkugelförmigen Blätter. Mathilda äste unterdessen das sechste Kakteennest ab. Nach Einbruch der Dunkelheit machten es sich die drei Männer auf dem Rücken Mathildas so gemütlich wie möglich. Kurz darauf stellte die »Schildkröte« ihre Nahrungsaufnahme ein. Wahrscheinlich schlief sie. Der Himmel war inzwischen wolkenlos geworden. Als die Sterne der Schwarzen Galaxis von ihm herab leuchteten, fing der Gefangene an zu singen. Jedenfalls deuteten At-lan und seine Gefährten die dumpfen getragenen Töne so, die er von sich gab. Sie regelten noch die Nachtwache, und Razamon bekam die erste zugeteilt. Atlan sah den Pthorer noch als dunkle Silhouette gegen den Sternenhimmel auf einem Rückenbuckel stehen, dann überwältigte ihn der Schlaf.
* Mitten in der Nacht schrak er hoch. Er hatte ein Geräusch gehört, und als er
sich aufrichtete, sah er das Echsenwesen mit seinem Delta-Drachen starten. Gleich einem gigantischen urweltlichen Vogel schwebte das Gerät leise rauschend in die Nacht. Atlan sprang auf und sah sich nach Razamon um. Der Pthorer war nicht bewußtlos, wie er vermutet hatte, sondern wankte schlafwandlerisch über Mathildas Rücken, ein Messer in der rechten Hand. Atlan griff nach der Stelle, an der er sein Messer aufbewahrte. Es war verschwunden. Also hielt Razamon sein Messer in der Hand – und es schien ganz so, als hätte er damit die Fesseln des Echsenwesens zerschnitten. »Razamon!« rief Atlan. Doch der Pthorer reagierte nicht. Atlan lief zu ihm und sah, daß Razamons Augen starr geradeaus blickten. Er befand sich in Trance. Atlan vermutete, daß der Pilot ihn hypnotisiert hatte. Er nahm ihm das Messer weg und verstaute es an seinem Platz. Danach stellte er ihm ein Bein, denn Razamon war im Begriff, zum Rand des Rückenpanzers zu gehen und in die Tiefe zu stürzen. Als der Pthorer stolperte, fing Atlan ihn auf und legte ihn behutsam hin. Razamon leistete keinen Widerstand. Der Arkonide wandte alle Tricks an, mit denen sich Hypnotisierte aus ihrem Zustand manchmal reißen lassen. Vergeblich. Er kehrte zu Lebo Axton zurück, um ihn zu wecken und um Hilfe zu bitten. Als ehemaliger Star-Spezialist der USO kannte Axton alias Sinclair Marout Kennon ebenfalls zahlreiche Methoden, jemanden aus einer starken Hypnose zu befreien. Aber Axton schlief so fest, daß Atlan ihn nicht aufwecken konnte, obwohl er ihn heftig schüttelte und ohrfeigte. Da keimte in Atlan der Verdacht auf, daß nicht der Pilot Razamon in Hypnose versetzt hatte, sondern nur seinen Zustand ausgenützt hatte, um ihm zu suggerieren, ihn zu befreien. Im gleichen Zustand mußten sich auch Axton und er selbst befunden haben – und er
Die Todeswüste war anscheinend nur deshalb früher daraus erwacht, weil sein Zellaktivator das neutralisiert hatte, das diesen Zustand verursachte. Das konnte nach allen Erfahrungen aber nur ein Gift gewesen sein, und es gab nur eine Möglichkeit, wie das Gift in seinen Körper gelangt war: durch die Aufnahme des Kakteenfleischs. Es enthielt anscheinend ein Alkaloid, das diejenigen Lebewesen, die eine ausreichende Menge davon aufnahmen, in einen hypnoseartigen tiefen Schlaf versetzte. Er schien keine nachteiligen Nebenwirkungen zu hinterlassen, sonst hätte Mathilda nicht von den Kakteen gefressen. Aber der Pilot des Drachens hatte natürlich Bescheid gewußt. Deshalb war er nicht zu bewegen gewesen, von dem Kakteenfleisch zu essen. Er hatte gewartet, bis seine Gegner schliefen und dann seine Chance ausgenutzt. Atlan schüttelte lächelnd den Kopf. Er respektierte die kaltblütige und überlegte Handlungsweise des Echsenwesens, mehr noch aber die Tatsache, daß es die Hilflosigkeit seiner Gegner nicht dazu ausgenutzt hatte, sie zu töten. Es war lediglich geflohen. Der Arkonide setzte sich auf einen Rückenbuckel Mathildas und blickte in die vom Sternenschein schwach erhellte Wüste. Er verzichtete darauf, nach dem Echsenwesen zu suchen, obwohl es in der kühlen Nachtluft mit seinem Drachen nicht weit gekommen sein konnte. Es mußte im Umkreis von hundert Metern gelandet sein. Doch es hatte Zeit genug gehabt, seine Artgenossen über Funk zu verständigen, so daß es sinnlos gewesen wäre, es wieder einzufangen. Und für seine Gefährten konnte er nicht mehr tun, als ihren Schlaf zu bewachen und darauf zu warten, daß sie aufwachten, wenn die Wirkung des Giftes abgeklungen war – was übrigens in gleichem Maß für Mathilda galt. So hatte Atlan Zeit, darüber nachzudenken, warum der Neffe Duuhl Larx ihn und seine Gefährten auf Dorkh ausgesetzt haben
23 könnte. Er hatte ihnen zwar mit Hilfe einer Nachrichtenkapsel mitgeteilt, daß er erwartete, sie würden Dorkh für ihn gewinnen. Aber Atlan vermochte sich nicht vorzustellen, wie drei Männer mit bloßen Händen beziehungsweise mit nur einem Messer eine von unheimlichem Leben wimmelnde Welt gewinnen könnten. Er hatte noch keine Antwort auf die Frage gefunden, als der Himmel im Osten sich rötlich färbte und seine Gefährten sich regten …
* Nachdem er Razamon und Axton erklärt hatte, was es mit dem Saft der Kakteen auf sich hatte und weshalb der Pilot fliehen konnte, blickten sie sich mit gemischten Gefühlen an. Razamon warf einen Blick auf den Vorrat an Halbkugelblättern, den er und Atlan am Vortage geerntet hatten. »Da haben wir also Wasser und Nahrung und dürfen nichts davon verwenden«, stellte er mit Bitterkeit fest. »Mathilda verwendet es auch, aber nur abends«, erwiderte Atlan, als er an einigen heftigen Erschütterungen spürte, daß die »Schildkröte« sich wieder in Bewegung setzte. »Seht ihr, sie frißt jetzt nicht! Aber wenn sie abends wieder ein Kakteenfeld findet, wird sie bestimmt davon fressen, dann nachts schläft sie sowieso.« »Wir müssen also ebenfalls bis zum Abend warten«, meinte Lebo Axton. »Oder wir essen das Kakteenfleisch abwechselnd.« »Dazu rate ich nicht«, sagte Razamon. »Wir müssen damit rechnen, daß wir im Lauf des Tages Besuch von einer Jägergruppe bekommen, die es auf Mathilda abgesehen hat. Ich bezweifle, daß wir unsere ›Schildkröte‹ erfolgreich verteidigen können. Wahrscheinlich werden wir fliehen müssen, und ich möchte niemanden von euch viele Kilometer weit tragen.« »Also warten wir bis zum Abend«, erklärte Atlan.
24 Er hielt Ausschau nach dem Piloten, während Mathilda sich gemächlich durch das Tal bewegte, aber er konnte weder ihn noch seinen Drachen sehen. Wahrscheinlich hatte er das Gerät zusammengelegt und war zu Fuß fortgegangen. Bald marschierte Mathilda wieder aus dem Tal hinaus und in die fast brettflache Wüste hinein. Diesmal bezog sich der Himmel nicht mit Wolken, so daß die drei Männer bald unter der Hitze litten. Atlan riet seinen Gefährten, sich flach zwischen Rückenbuckel zu legen und die Köpfe zu bedecken. Er selber wollte Wache halten. Razamon und Axton befolgten seinen Rat. Er setzte sich auf einen Rückenbuckel, beobachtete den Himmel und die Horizonte der Wüste und mußte unwillkürlich daran denken, wie er auf einer heißen Wüstenwelt namens Hellgate gegen Perry Rhodan gekämpft hatte. Der Terraner und er hatten damals geglaubt, richtig zu handeln. Er, Atlan, weil er nach Arkon zurückkehren wollte, in seine Heimat, und Perry Rhodan, weil er befürchtete, daß Atlans Rückkehr nach Arkon und sein Bericht über Terra das Große Imperium veranlassen könnten, eine Flotte zur Erde zu schicken und die Menschheit zu unterwerfen. Dabei hatte Atlan nur im Sinn gehabt, mit einer Hilfsflotte zur Erde zurückzukehren und den Menschen beim Aufbau einer eigenständigen Zivilisation zu helfen. Eine Verkettung von Mißverständnissen sowie falscher Stolz hatten schließlich zu dem Zweikampf auf Hellgate geführt. Atlan war dem Terraner dabei überlegen gewesen, weil er das heiße trockene Klima dort besser vertrug. Aber letzten Endes hatte doch Perry Rhodan gesiegt. Und wenig später siegte die Vernunft und besiegelte die Freundschaft zwischen zwei Hartschädeln. Unwillkürlich mußte Atlan an Algonkin-Yatta und Anlytha denken, die ihn durch Zeit und Raum unglaublich lange gesucht hatten und ihm, als sie ihn schließlich in der
H. G. Ewers Schwarzen Galaxis fanden, wieder zu seinem Extrasinn verhalfen. Auch zwischen ihm, Atlan, und dem Kosmischen Kundschafter sowie seiner Gefährtin war eine starke Freundschaft entstanden. Algonkin-Yatta und Anlytha hatten am liebsten bei ihm bleiben wollen, um seinen Kampf gegen die finsteren Mächte der Schwarzen Galaxis zu unterstützen. Doch Atlan wußte, daß er diesen Kampf nur auf seine ihm eigene Art und Weise bestehen konnte. Die Verhältnisse innerhalb der Schwarzen Galaxis waren nicht mit denen in der Milchstraße zu vergleichen. Hier verwischten magische Einflüsse oftmals die kausalen Zusammenhänge, so daß eine angestrebte Wirkung selten durch entsprechend zielstrebiges Handeln erreicht wurde. Das alles wäre für den Kundschafter und Anlytha nicht schnell genug durchschaubar gewesen, war es doch auch für ihn, Atlan, nicht immer durchschaubar, so daß er sich vielfach von den Ereignissen treiben lassen mußte. Aus diesem Grund hatte er die beiden Freunde gebeten, sich wieder zur Erde und in die Zeit durchzuschlagen, aus der sie gekommen waren und Perry Rhodan eine Botschaft von ihm auszurichten. Er hatte Algonkin-Yatta sogar sein Goldenes Vlies mitgegeben, damit es erhalten blieb. Und nun ritten er und seine Begleiter auf einer gigantischen »Schildkröte« durch eine Wüste von Dorkh, erwarteten den Angriff von Jägern und fragten sich vergebens, was auf Dorkh geschehen mußte, um ein Ziel zu erreichen, das sie nicht kannten. Atlan begriff, daß er auch diesmal gezwungen sein würde, sich von den akausalen Nicht-Zusammenhängen, die erst durch magische Kräfte zusammengebracht wurden, treiben zu lassen, wohin auch immer. Er schüttelte diese Gedanken ab und kniff die Augen zusammen, als er einen dunklen Punkt am Himmel sah, der sich Mathilda von Norden näherte. Doch als er nur noch wenige hundert Meter entfernt war, erkannte der Arkonide, daß
Die Todeswüste es sich diesmal nicht um einen Drachenflieger handelte, sondern um einen echten Flugdrachen. Das Tier war allerdings groß genug, um ihm und seinen Gefährten gefährlich werden zu können, falls es angriff. Deshalb rief er Razamon und Axton zu sich und machte sie auf das Tier aufmerksam. »Das ist wirklich ein Riesentier«, meinte Razamon, nachdem er den Flugdrachen eine Weile beobachtet hatte. »Flügelspannweite etwa zwanzig Meter. Ich erinnere mich, ähnliche Tiere bei den Horden der Nacht auf Pthor gesehen zu haben, als der Dimensionsfahrstuhl das vorletzte Mal die Erde heimsuchte.« »Dorkh zeigt immer mehr Parallelen zu Pthor«, sagte Atlan nachdenklich. »Ich wollte, ich könnte die Zusammenhänge begreifen.« Der Flugdrachen ging zum Sturzflug über und fing sich erst in etwa dreißig Metern Höhe wieder. Anschließend schwebte er auf das Vorderteil Mathildas zu. Deutlich konnten die drei Männer seinen mit gelben und grünen Schuppen bedeckten Körper sehen, den langen, mit hochragenden spitzen Hornplatten besetzten Schwanz, die sechs kurzen Beine mit den krallenbewehrten mächtigen Pranken und den pferdekopfähnlichen, aber dreimal so großen Schädel mit der rotgefärbten Halswamme. Das Tier hatte inzwischen das Vorderteil Mathildas erreicht und kreiste über dem Kopf, wie es schien. Mathilda hielt an – und plötzlich stieß sie laute Töne aus, die an das Trompeten terranischer Elefanten erinnerten. Und der Flugdrachen antwortete ihr mit einem hellen Schrei, dann bewegte er kraftvoll seine goldbraun glänzenden Flughäute, schwang sich hoch empor und flog davon. Aber er flog nicht nach Norden, woher er gekommen war, sondern nach Süden. »Wieder ein neues Rätsel«, stellte Razamon fest. »Die beiden Tiere haben sich verständigt, obwohl sie doch völlig verschiedenen Arten angehören.«
25 Mathilda setzte sich mit einigen heftigen Rucken in Bewegung, dann wurden die Erschütterungen schwächer. »Sie marschiert fast doppelt so schnell wie bisher«, sagte Atlan. »Es scheint fast, als hätte das mit dem Flugdrachen zu tun. Ich möchte nur wissen, was es bedeutet.« Lebo Axton setzte sich. »Wir werden es vielleicht erfahren, wenn wir lange genug bei Mathilda bleiben«, meinte er.
5. Am frühen Nachmittag war Sturm aufgekommen, kein sehr starker Sturm, aber er genügte, um die Umgebung durch Sandwolken zu verhüllen. Mathilda hatte sich nicht daran gestört, sondern war mit dem Tempo weitermarschiert, das sie nach der Begegnung mit dem Drachen angeschlagen hatte. Als der Sturm am frühen Abend nachließ, sahen die drei Männer, daß die »Schildkröte« sich über einen Salzsee bewegte. Rechts von ihnen, also im Westen, war manchmal eine dunkle, unterschiedlich hohe Linie zu sehen: die Kämme und Gipfel eines fernen Gebirgszugs, die über den Horizont ragten. »Eigenartig, daß die Jäger nicht gekommen sind«, meinte Lebo Axton. »Der Pilot muß ihnen doch verraten haben, welchen Weg Mathilda eingeschlagen hat.« »Vielleicht sind sie auf ein anderes Beutetier gestoßen«, erwiderte Razamon. Er kniff die Augen zusammen, als sich die Sonne plötzlich verdunkelte, dann schaute er empor. »Seht doch!« rief er überrascht und deutete nach oben. Atlan und Axton sahen auf und bemerkten eine sich ständig verändernde Wolke, die an der Sonnenscheibe vorüberzog und sie dabei verdunkelte. »Das ist keine gewöhnliche Wolke!« rief Atlan. »Das ist ein Schwarm von Flugtieren!«
26 Mathilda beschleunigte ihre Gangart abermals. »Ich habe so eine Ahnung«, meinte Lebo Axton düster. »Daß Mathilda verabredet ist«, sagte Atlan. »Das denkst du doch, nicht wahr?« »Ja, und zwar mit einem Schwarm von Flugdrachen«, erklärte Axton. »Nicht Mathilda allein«, sagte Razamon und deutete nach Südosten. Atlan blickte hin und entdeckte in unterschiedlichen Entfernungen drei riesige Tiere, die wie Mathilda aussahen und sich über den Salzsee nach Süden bewegten. Er wandte sich um – und entdeckte auch im Westen einige dieser Riesentiere. »Da ist wohl so etwas wie ein Meeting von ›Schildkröten‹ und Flugdrachen geplant«, sagte er. »Aber das sind Tiere«, entgegnete Axton. »Ich dachte auch nicht an eine Planung in unserem Sinn, sondern an ein Zusammentreffen, zu dem die verschiedenen Tiere durch ihre Instinkte gesteuert werden«, erklärte der Arkonide. »Ich bezweifle, daß wir dabei sehr willkommen sind.« »Was sollen wir tun?« fragte Razamon. »Ich denke auch, daß wir bei einem Massentreffen zwischen ›Schildkröten‹ und Flugdrachen nichts verloren haben. Aber mir widerstrebt es andererseits, auf die bisherige bequeme Fortbewegungsart zu verzichten.« »Ich meine, wir sollten abwarten«, sagte Atlan. »Da, Mathilda ändert ihren Kurs!« »Tatsächlich!« sagte Razamon. »Die anderen ›Schildkröten‹ auch«, erklärte Lebo Axton. »Sie marschieren alle nach Südwesten.« Atlan blickte nach Südwesten, um nach dem Ziel auszuschauen, dem die Tiere wahrscheinlich zustrebten. Dabei sah er, daß der Drachenschwarm noch immer teilweise die Sonnenscheibe verdeckte. Das bedeutete, daß er über einer Stelle der Wüste kreiste. Doch als er dabei auch nach Westen schaute, entdeckte er noch etwas anderes. Der Gebirgszug war weiter über den Horizont gerückt und ließ sich als Oberteil einer
H. G. Ewers wildzerklüfteten Gebirgskette erkennen. Aber das interessierte ihn im Augenblick nicht sonderlich. Er wartete darauf, wohin Mathilda marschieren würde und ob es tatsächlich zu einem Treffen zwischen den riesigen »Schildkröten« und den Flugdrachen käme.
* Eine gute Stunde später wußten sie mehr. Mathilda war in eine Schlucht hineinmarschiert, in einen gewaltigen Cañon, deren Grund stetig abwärts führte, so daß die steilen Seitenwände immer höher emporragten. Hier unten kam kein Sonnenlicht mehr hin, so daß es dunkel wurde. Dennoch glaubten die drei Männer, vor und hinter Mathilda die schemenhaften Bewegungen anderer großer Tiere zu erkennen. Der Cañon führte allerdings nicht nach Südwesten, sondern knickte bald darauf nach Süden ab. Eine halbe Stunde später ging die Sonne unter. Die Männer sahen es daran, daß am Himmelsausschnitt über dem Cañon die Sterne der Schwarzen Galaxis auftauchten. Wenig später weitete sich der Cañon zu einem großen kesselförmigen Tal, in das genug Sternenlicht fiel, um die Konturen zahlloser »Schildkröten« erkennen zu lassen, die sich hier versammelt hatten. Mathilda marschierte ungefähr noch dreihundert Meter weit, dann hielt sie an. Atlan drehte sich um und sah hinter Mathilda mehrere andere »Schildkröten« aus dem Cañon kommen. Auch sie hielten nach wenigen hundert Metern im Talkessel an. Es wurde still. Aber nicht für lange. Plötzlich erhob sich ein Rauschen und Brausen, als wollte Sturm aufkommen. Doch dann sahen die Männer einen riesigen Schwarm großer Flugdrachen, der gleich einer Rauchfahne von Südwesten heranstrich und sich über dem Talkessel zusammenballte. »Ich denke, wir sollten uns verstecken«,
Die Todeswüste sagte Razamon nervös. »Diese Masse von Flugdrachen beunruhigt mich.« »Aber wo?« fragte Lebo Axton. Auch er wirkte nervös. »In den Höhlungen am Panzerrand«, schlug Atlan vor. Ihn beunruhigte das Rauschen und Brausen Tausender von Flughäuten ebenfalls. Die seltsame Begegnung hatte etwas Unheimliches an sich. Sie schickten sich an, an Mathilda hinabzuklettern. Schon senkte sich der Drachenschwarm tiefer – und im nächsten Augenblick war die Luft im Talkessel erfüllt von dem Trompetenkonzert zahlloser »Schildkröten« und den hellen Schreien der Flugdrachen. Atlan spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Etwas wie eine kreatürliche Urangst überfiel ihn, eine Art instinktiver Erinnerung an Zeiten, da der gemeinsame Urahn von Menschen und Arkoniden auf einer von riesigen Sauriern beherrschten Welt gelebt hatte. Reiß dich zusammen! übermittelte ihm der Logiksektor. Dir kann nichts geschehen, wenn du einen klaren Kopf behältst und überlegt handelst! Als Lebo Axton voller Panik schrie und ins Tal hinausrennen wollte, hatte sich Atlan wieder gefangen. Er sprang Axton nach, warf sich auf ihn und hielt ihn fest. »Ruhe bewahren, Spezialist Kennon!« schrie er ihm ins Ohr. Und die Nennung des alten Titels und des richtigen Namens wirkte Wunder. Lebo Axton alias Sinclair Marout Kennon verstummte und wehrte sich nicht mehr. »Was hier vorgeht, hat mit uns nichts zu tun«, erklärte Atlan seinem alten Mitarbeiter und Razamon, der unschlüssig neben ihnen stand. »Folglich müssen wir uns aus diesem Geschehen heraushalten. Ich denke, wenn wir nicht auffallen, geschieht uns auch nichts.« Axton seufzte. »Alles klar, Lordadmiral«, sagte er scherzhaft. »Verkriechen wir uns in den Höhlen Mathildas!«
27 Sie warfen sich zu Boden und verkrochen sich in Höhlungen. Es wurde auch höchste Zeit, denn die Flugdrachen hatten sich weiter herabgesenkt. Mindestens zehn von ihnen umflatterten Mathilda, deren Trompeten fast hysterisch klang. Sie stießen ihre hellen Schreie aus und kamen oft so dicht an den Panzer der »Schildkröte« heran, daß sie ihn streiften. Das ganze Tal war von dem Lärmen der Tiere erfüllt. Atlan spähte aus seiner Höhlung. Er empfand keine Angst mehr, aber er war erregt. Das Schauspiel erschien ihm wie ein uraltes geheimnisvolles Ritual, zelebriert von zwei verschiedenen Tierarten, deren Existenz offenbar eng miteinander verknüpft war. Er zuckte zurück, als einer der Flugdrachen sich unmittelbar vor seiner Höhlung niederließ, die Schwingen zusammenfaltete und heftig mit dem riesigen Schädel nickte. Vorsichtshalber zog er sein Messer, doch der Drachen schien ihn nicht wahrzunehmen. Übrigens schienen inzwischen alle Drachen gelandet zu sein, denn das Rauschen und Brausen der Flughäute war verstummt, ebenso das Trompeten der »Schildkröten« und die hellen Schreie der Drachen. Ein konvulsivisches Zucken ging durch den Leib des vor ihm gelandeten Flugdrachens, dann krümmte er sich zusammen, so daß der Rücken einen Buckel bildete. Unter heftigem Schnaufen und Scharren rollte das Tier schließlich etwas unter seinem Körper hervor, das einem großen Ei glich, zehnmal so groß wie ein terranisches Straußenei, mit einer harten grauen Schale, die mit zahllosen kleinen Pockennarben bedeckt zu sein schien. Zuerst begriff Atlan nicht, was der Drachen damit wollte. Erst, als er das Ei mit den Vorderpranken anhob und in die Höhlung bugsieren wollte, in der er sich verbarg, erkannte der Arkonide den Sinn des Zusammentreffens von Drachen und »Schildkröten«. Offenbar lebten sie in einer Art Symbiose,
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vielleicht auch nur zeitweilig, aber es war klar, daß das Zusammentreffen den Zweck erfüllte, die »Schildkröten« die Dracheneier aufnehmen zu lassen. Nur dazu dienten offenbar die Höhlungen im unteren Panzerrand. Im letzten Augenblick konnte Atlan die Höhlung verlassen, sonst wäre er von dem Drachenei erdrückt worden. Besorgt lief er zu den Höhlungen, in denen sich seine Gefährten versteckt hatten. Doch auch sie hatten offensichtlich schnell genug begriffen, was hier vorging, und ihre Verstecke verlassen. Andere Drachen schoben ihre Eier in die betreffenden Höhlungen. Von den drei Männern nahmen die Drachen noch immer keinerlei Notiz. Atlan, Razamon und Axton preßten sich an die Panzerwände und warteten darauf, daß die Flugdrachen sich wieder in die Luft erhoben. Statt dessen legten sich die Tiere, nachdem sie ihre Eier deponiert hatten, ganz ruhig in den Sand, atmeten eine Weile hektisch und mit lautem Schnaufen, kippten dann zur Seite und verstummten. »Bei der Straße der Mächtigen!« flüsterte Razamon. »Begreift ihr, was geschehen ist?« »Die Drachen sind tot«, erwiderte Atlan tonlos. »Sie haben sich einfach zum Sterben niedergelegt, nachdem sie dafür gesorgt hatten, daß ihre Nachkommenschaft gesichert war.« Totenstille herrschte im Talkessel. Die »Schildkröten« rührten sich nicht, sondern lagen gleich dunklen Hügeln reglos im matten Schein der Sterne der Schwarzen Galaxis. Verloren standen die drei Männer zwischen Mathilda und den toten Flugdrachen und warteten darauf, wie es weiterging. Aber sie mußten warten, bis die Sterne verschwanden und sich der Himmel über dem Talkessel rötlich färbte …
*
Besorgt musterte Atlan den Grizzard-Körper, der Lebo Axtons Bewußtsein barg. Axton lag mit geschlossenen Augen im Sand und atmete mühsam. Er war erschöpft und litt unter dem Durst. Auch Razamon und Atlan litten darunter, aber Razamons robuste Natur konnte sich noch darüber hinwegsetzen und der Arkonide schöpfte stets neue Kraft aus seinem Zellaktivator, auch wenn ihn das Gerät letzten Endes nicht vor dem Verschmachten retten konnte. In ihrer Verzweiflung hatten sie von ihrem Kakteenvorrat essen wollen, ihn aber nirgends auf Mathildas Rücken gefunden. »Ich mache mir Sorgen um ihn, große Sorgen«, flüsterte Atlan. »Wenn wir nicht bald Wasser oder diese Kakteen finden, stirbt er uns.« Der Pthorer blickte zum nächsten toten Drachen. »Sein Körper müßte noch genügend Flüssigkeit enthalten«, meinte er zögernd. Atlan schüttelte den Kopf. »Inzwischen hat sich Leichengift gebildet«, erwiderte er. »Wer von dem Fleisch ißt, würde jämmerlich zugrunde gehen.« Lebo Axton schlug die Augen auf. »Lieber verdurste ich«, sagte er mit leiser Stimme. »Und wie wäre es mit einem Frühstücksei?« fragte Razamon und deutete auf die nächste Höhlung im Panzer Mathildas. Axton erschauderte. »Ich bin doch kein Eierfresser – jedenfalls nicht von Dracheneiern. Außerdem enthalten sie wahrscheinlich toxische Stoffe, und kochen können wir sie mangels Brennmaterial nicht.« Durch das Tal ging ein Rumoren und schwoll zu einem Getöse an. Die »Schildkröten« bewegten sich. »Es geht weiter!« rief Razamon, legte sich Axton über die Schulter und sprang bei Mathilda auf. Atlan folgte ihm. Sie kletterten wieder auf die Oberseite des »Schildkröten«-Panzers. Dort legte der Pthorer Axton in einer Mulde ab. Atlan
Die Todeswüste stand breitbeinig auf einer buckelartigen Erhebung und beobachtete fasziniert den Aufbruch der »Schildkröten«-Armee. Die riesigen Tiere setzten sich alle gleichzeitig in Bewegung, so, als gehorchten sie einem Kommando. Der Arkonide fühlte sich hilflos. Er wußte, daß er und seine Gefährten völlig von Mathilda abhängig waren. Suchte sie im Lauf des Tages eine Wasserstelle oder ein Kakteenfeld auf, so waren sie gerettet, marschierte sie aber wieder nur durch wasserloses Wüstengebiet, würde zumindest Axton diesen Tag nicht überleben. Da es bei dem aufgewirbelten Staub unmöglich war, eventuelle Pflanzen oder eine Wasserstelle zu erkennen, setzte sich Atlan resignierend zu seinen Gefährten. »Die Tiere haben alle einen langen Anmarschweg hinter sich«, sagte er. »Wir dürfen damit rechnen, daß sie deshalb so bald wie möglich Futterstellen aufsuchen werden.« Lebo Axton lächelte kaum merklich, sagte aber nichts. Dem ehemaligen USOSpezialisten vermochte auch Atlan nichts vorzumachen. Atlan erkannte es und gab seine Versuche auf, den Gefährten trösten zu wollen. Er lehnte sich gegen eine buckelartige Erhebung, zog sich das ausgefranste Jackett über den Kopf und verhielt sich ruhig, um den Flüssigkeitsverbrauch seines Körpers so gering wie möglich zu halten. Bald brannte die Sonne wieder heiß von einem glasklaren Himmel, an dem sich nicht die kleinste Wolke zeigte. Es würde ein höllischer Tag werden. Obwohl der Arkonide sich normalerweise bei dieser Hitze wohlgefühlt hätte, litt er darunter, denn er spürte, wie sie ihm die letzten Flüssigkeitsreserven zu entziehen drohte. Wie lange er vor sich hin gedöst hatte, wußte er später nicht zu sagen. Er spürte aber, daß Mathilda sich nach einiger Zeit in eine andere Richtung bewegte. Unter Aufbietung aller Willenskraft zwang er sich dazu, die bleischweren Glie-
29 der zu regen und sich aufzurichten. Ein Blick auf die Gefährten zeigte ihm, daß Lebo Axton bewußtlos war und Razamon vor sich hin dämmerte. Mühsam kroch Atlan auf den nächsten Buckel und richtete sich hoch auf. Als er sich umschaute, sah er überall die riesigen Schildkrötenähnlichen. Sie strebten nach allen Richtungen auseinander. Nur vier hielten den gleichen Kurs wie Mathilda und marschierten nach Südwesten. Im Westen erblickte der Arkonide abermals die dunkle, unterschiedlich hohe Linie, die einen fernen Gebirgszug erahnen ließ. Aber im Südwesten, dort also, wohin Mathilda marschierte, sprang ein Gebirgszug erkerartig nach Osten vor – und ein Gipfel ragte weit über die Horizontlinie hinaus. »Es geht ins Gebirge!« rief Atlan seinen Gefährten zu. »Dort gibt es bestimmt Wasser!« Eine halbe Stunde später schien sich seine Hoffnung überraschend und viel früher zu erfüllen. Zwischen dem Gebirge und Mathilda erblickte er plötzlich eine dunkle Fläche in der Wüste, anfangs nur als Linie erkennbar; aber bald darauf ragten Gebilde aus ihr empor, die nur Bäume und Sträucher sein konnten. Diesmal sagte der Arkonide nichts, denn er wußte, daß hochgespannte Hoffnungen, die sich zerschlugen, für Menschen am Rand des Verdurstens tödlich sein konnten. Doch schon eine Viertelstunde später sah er schilfähnliche Gewächse und einen Vogelschwarm, der über ihnen kreiste und sich dann niederließ. »Eine Oase!« sagte er fast andächtig. »Wir werden bald Wasser genug haben, um uns sattzutrinken.« Razamon regte sich und kroch zu Atlan hinauf. Mit Atlans Hilfe vermochte er aufzustehen. Seine schwarzen Augen leuchteten auf, als er die Oase sah. »Wahrhaftig!« rief er mit krächzender Stimme. Dann blickte er sich um und entdeckte die vier anderen »Schildkröten«. »Aber diese Viecher können bestimmt einen
30 kleinen See leersaufen. Wir müssen vor ihnen dort sein, sonst gehen wir womöglich leer aus.« Mit einer Behendigkeit, die Atlan ihm gar nicht mehr zugetraut hätte, eilte er in die Mulde zurück, legte sich den noch immer bewußtlosen Axton über die Schulter und kletterte den Rückenpanzer Mathildas hinab. Auch Atlan fühlte neue Energie durch seine Glieder pulsieren. Er folgte dem Pthorer, und bald darauf stapften sie nebeneinander durch die Wüste. Sie waren nicht viel schneller als die »Schildkröten«, aber da unter einer dünnen Sandschicht harter Felsboden war, kamen sie dennoch gut vorwärts und hatten bald einen kleinen Vorsprung errungen. Doch wenige hundert Meter vor dem Ziel erlahmten Razamons Kräfte. Er strauchelte und wäre gestürzt, hätte Atlan ihm nicht schnell Lebo Axton abgenommen. Dabei sah er, daß Axton das Bewußtsein wiedererlangt hatte. »Wir sind gleich am Wasser«, versprach Atlan. Er spürte, wie sein Zellaktivator pochte und pulsierte, um seine letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Dennoch brach auch er bald zusammen. Mehrere Vogelschwärme stiegen kreischend auf, als die drei Männer das Ufer des verschilften Sees erreichten. Atlan blieb einen Augenblick stehen, als er einen warnenden Impuls seines Extrasinns empfing. Er mußte sich dennoch beherrschen, um sich nicht einfach ins Wasser zu stürzen. Er wußte, wie leicht das tödlich sein konnte, falls der See versumpft war. Nach einer Weile hatte er sich soweit gesammelt, daß er mit Axton über der Schulter vorsichtig ins Wasser watete, bei jedem Schritt den Grund mit den Füßen auf Festigkeit überprüfend. Glücklicherweise war der Schlamm in Ufernähe nur knöcheltief. Als das Wasser ihm bis zur Brust reichte, ließ Atlan Axton behutsam von der Schulter gleiten, packte ihn mit einem Zangengriff unter die Achsel und tauchte ihn für ein paar Sekunden ganz unter. Danach hob er ihn
H. G. Ewers wieder hoch, beugte den Kopf und trank einige Schlucke des Wassers. Es war überraschenderweise kühl und schmeckte nur leicht faulig. Wieder ließ Atlan Axton ein Stück hinab. Diesmal trank Axton. Neben ihm tauchte Razamon aus dem Wasser auf, prustete und lachte. Doch dann schaute er zurück, und auf seinem Gesicht malte sich Erschrecken. Atlan blickte sich ebenfalls um, und er erschrak kaum weniger als Razamon, denn die fünf »Schildkröten« hatten soeben das Ufer erreicht und ihre Riesenschädel aus den Panzern hervorgestreckt. Fünf »Haifischköpfe« senkten sich wenige Meter hinter den drei Männern ins Wasser. Fünf erschreckende Gebisse tauchten ein, und ihre Mahlzähne bewegten sich gleich Fräsen und zermalmten massenweise das Schilf. Und die »Schildkröten« schickten sich an, in den See zu steigen! Der Arkonide blickte sich um. Der Rückweg war ihnen versperrt, und zum seitlichen Ausweichen ließen ihnen die Riesentiere keine Zeit, denn sie rückten zwar langsam, aber unerbittlich näher. Sie schienen reine Pflanzenfresser zu sein, waren aber wahrscheinlich nicht intelligent genug, um von den drei Männern Notiz zu nehmen. Wenn sie sie nicht versehentlich mit zermalmten, würden sie sie mit dem Gewicht ihrer viele Tonnen schweren Körper in den Grund drücken. »Schwimmen!« rief Atlan. Er drehte sich um, legte sich auf den Rücken, zog Lebo Axton halb auf sich herauf und stieß sich ab. Razamon schwamm neben ihn und musterte ihn besorgt. Aber die wenigen Schlucke Wasser hatten genügt, um die Erschöpfung aus Atlans Gliedern zu verjagen, wenn auch nur für kurze Zeit. Glücklicherweise blieben die »Schildkröten« stehen, als ihre Körper sich etwa zwei Meter tief im Wasser befanden. Sie wandten sich nach links und rechts und weideten weiter das Schilf ab. Mit sparsamen Bewegungen schwammen
Die Todeswüste
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Atlan und Razamon zum anderen Ufer, wo sie auf festen Boden zurückkrochen und sich erschöpft fallen ließen …
6. Atlan erwachte nach kurzem, tiefem Schlaf. Er rollte sich unter Axton weg, der quer über ihm lag und schlief. Auch Razamon schlief noch. Die Sonne hing schon tief im Westen über dem Horizont. Dunkle Wolken ballten sich turmartig im Süden zusammen. Die fünf »Schildkröten« waren ans jenseitige Ufer zurückgekrochen und schienen zu schlafen. Der Arkonide stand auf und sah sich aufmerksam um. Schmerzhaft fühlte er die Leere in seinem Magen. Wenn er seine Kraftreserven auffüllen wollte, genügte Wasser auf die Dauer nicht. Die Vögel, die in großer Zahl auf dem Wasser schwammen, taugten nicht als Jagdbeute für einen Mann, der nur mit einem Wurfmesser bewaffnet war. Sie waren zu wachsam, als daß sie ihn nahe genug für einen Wurf herangelassen hätten. Vielleicht konnte er nachts, wenn sie schliefen, einige erbeuten. Eine andere Beute wäre ihm allerdings lieber gewesen. Er sah, daß die Vögel unablässig tauchten und mit Fischen in den Schnäbeln wieder an die Wasseroberfläche kamen. Diese Fische waren zwar klein, aber es mußte auch größere Fische im See geben. Ein Wurfmesser eignete sich jedoch schlecht als Jagdinstrument beim Fischfang. Es war außerdem unbrauchbar bei der Konstruktion eines Fischspeers. Doch viele der Schilfstengel waren mehrere Meter lang und sahen aus, als ob sie auch fest genug zur Konstruktion von Speeren wären. Atlan ging wieder ins Wasser, trank noch einige Schlucke und watete zu einer Gruppe hoher Schilfpflanzen hinaus. Nach kurzer Zeit hatte er einen brauchbaren Schilfstengel gefunden. Er tauchte und schnitt ihn mit dem Messer dicht über dem Grunde ab. Anschließend kehrte er ans Ufer zurück, schnitt den Stengel auf eine Länge
von zweieinhalb Metern und schnitzte ein Ende zu einer Speerspitze zu. Für Wild, das auf dem festen Lande lebte, hätte das genügt, nicht aber für Fische. Deshalb suchte der Arkonide die Bäume und Sträucher der Umgebung ab, bis er einen Baum gefunden hatte, dessen Zweige mit fingerlangen spitzen Dornen bewehrt waren. Es war nicht schwer, vier große Dornen abzuschneiden und sie so durch das zugespitzte Ende des Schilfstengels zu drücken, daß sie auf der anderen Seite wieder herauskamen und daß ihre Spitzen nach oben zeigten. Das Resultat war ein relativ leichter Fischspeer mit vier Widerhaken. Bevor Atlan wieder in den See stieg, blickte er noch einmal nach seinen Gefährten. Sie schliefen noch immer. Der Arkonide seufzte und brach auf. Dabei fiel sein Blick zufällig nach Südwesten. Die Sonne stand inzwischen so tief, daß sie sich unterhalb des höchsten Berggipfels befand, wenn auch nicht direkt dahinter. Aber durch diese Art der Beleuchtung zeichneten sich die Konturen des Gipfels relativ scharf ab, und der Arkonide stutzte. Er sah genauer hin, und seine Zweifel schwanden. Das, was er bisher für den Gipfel eines besonders hohen Berges gehalten hatte, besaß die Konturen eines düsteren Schlosses oder einer Burg. Die Ausmaße waren gewaltig. Das Bauwerk stand genau auf dem kegelförmigen Gipfel des eigentlichen Berges. Atlan merkte, wie sein Atem unwillkürlich schneller ging, da er beim Anblick dieses Bauwerks ahnte, daß dort ein neues gefährliches Abenteuer auf ihn und seine Gefährten wartete. Das hat Zeit! übermittelte ihm der Logiksektor. Die Jagd nicht, denn bald wird es zu dunkel dafür sein! Atlan riß sich von dem Anblick los und wandte sich dem See zu. Er watete hinein, bis ihm das Wasser an den Bauchnabel reichte, dann stand er ganz still und wartete. Anfangs sah er nichts, denn seine Füße hatten den Schlamm des Grundes aufge-
32 wühlt. Doch dann klärte sich das Wasser wieder. Die tiefstehende Sonne zauberte blutrote Reflexe an seiner Oberfläche. Dann glaubte der Arkonide, in seiner Nähe huschende Bewegung im Wasser zu sehen. Er rührte sich jedoch noch immer nicht, denn er wußte, daß er nur eine einzige Gelegenheit haben würde, seinen Speer zu werfen, den er in der hoch erhobenen rechten Hand hielt. Verfehlte er das Ziel, würde es dunkel sein, bevor sich die Fische wieder in seine Nähe wagten. So stand er gleich einer Statue, bis er dicht bei seinen Beinen einen etwa fünfzig Zentimeter langen Schatten sah und wenig später die zarte Berührung von Flossen an seinem linken Oberschenkel spürte. Mit einem Schrei entspannte er seine verkrampfte Arm- und Rückenmuskulatur und stieß den Speer mit voller Kraft nach der Beute. Er fühlte, wie die Speerspitze in festes Fleisch fuhr. Eisern hielt er den hin und her ruckenden Speer fest, bis die Kraft des Fisches erlahmte. Atlan zog einen gut unterarmlangen Fisch mit hellgrauen Schuppen und großen Flossen heraus. Der Kopf des Tieres glich dem eines terranischen Mopses. Als der Arkonide das offene Maul mit den scharfen Zahnreihen sah, wurde ihm kalt. Vorsichtig drehte er sich um und watete zum Ufer. Es dauerte nicht lange, da wimmelten zahlreiche dunkle Schatten um seine Beine. Atlan ging unbeirrt weiter, obwohl alles in ihm danach drängte, loszustürmen. Doch das hätte die Raubfische sicher zum Angriff gereizt, und wenn ihre Zähne ebenso scharf waren wie die des gespeerten Fisches, dann wäre von Atlan sicher nicht viel übrig geblieben. So aber ging alles gut, bis er nur noch einen Meter vom Ufer entfernt war. Als er einen stechenden Schmerz oberhalb des linken Knöchels spürte, sprang Atlan mit einem großen Satz ans Ufer. Hinter ihm blieb wild aufgewühltes Wasser zurück – und an seiner linken Wade hing noch der Raub-
H. G. Ewers fisch, der ihn gebissen hatte. Erst ein paar heftige Schläge mit dem keulenförmigen Griff des Wurfmessers brachten auch dieses Tier zur Strecke. Atlan besah sich die Wunde. Sie blutete, aber nicht so stark, als wenn ein größeres Gefäß verletzt gewesen wäre. Deshalb ließ der Arkonide sie so, wie sie war. Sein Zellaktivator würde dafür sorgen, daß sich keine Infektion ausbreitete und daß sie schnell verheilte. Anschließend entzündete Atlan auf steinzeitliche Art ein Feuer, das er mit trockenen Zweigen und Ästen nährte, entschuppte die Fische und nahm sie aus. Es war schon dunkel, als er die Tiere auf dünnen Stöcken über dem Feuer aufhing. Im Süden wetterleuchtete und grollte ein fernes Gewitter. Im Norden, Osten und Westen erklang hin und wieder dünnes, rasch anschwellendes und kurz darauf abbrechendes Geheul. Atlan fühlte sich in eine ferne Vergangenheit der Erde zurückversetzt, aber er wüßte auch ohne Extrasinn, daß der Schein trog. Dorkh war keine Erde, sondern wahrscheinlich nur ein Kontinent im Meer der Zeit, ein Dimensionsfahrstuhl voller fremdartiger und unheimlicher Geschöpfe.
* Als die Fische gar waren, weckte Atlan seine beiden Gefährten. Razamons und Axtons Augen leuchteten auf, als sie die Beute sahen. Der Hunger war groß. Dennoch aßen die drei Männer nur langsam und kauten jeden Bissen gründlich durch. Magen und Darm mußten sich erst wieder an die Aufnahme und Verarbeitung fester Nahrung gewöhnen. Anschließend tranken sie. Aber sie blieben dabei am Ufer, denn der Arkonide hatte ihnen von den Raubfischen erzählt – und sie hatten selbst die scharfen Zähne in den Mäulern der toten Fische gesehen. Danach berichtete er ihnen von dem schloß- beziehungsweise burgähnlichen großen Bauwerk auf einem Berg im Südwesten.
Die Todeswüste »Es scheint so, als wollte Mathilda dorthin«, meinte er abschließend. »Oder zumindest in das Gebirge, in dem das Bauwerk steht.« »Und es scheint so, als sollten wir dort unser nächstes Abenteuer erleben«, erwiderte Razamon mit schiefem Lächeln. Lebo Axton blickte nach Norden, wo am anderen Ufer des Sees die fünf »Schildkröten« liegen mußten. Aber das Sternenlicht reichte nicht aus, um sie zu sehen. »Wie erkennen wir Mathilda eigentlich wieder?« fragte er. »Sie hat einen Leberfleck am Bauch«, erklärte Razamon. »Sehr witzig!« sagte Axton. »Wir müssen ja nicht unbedingt auf Mathilda weiter reiten«, sagte Atlan. »Entweder marschieren die Tiere alle in ›unsere‹ Richtung, oder wir besteigen das, das nach Südwesten geht. Wir dürfen nur ihren Aufbruch nicht verschlafen. Ich schlage vor, daß wir jetzt gleich um den See herumgehen und dicht bei den Tieren warten.« Seine Gefährten waren einverstanden. Nachdem sie das Feuer ausgetreten hatten, brachen sie auf. Im Süden grollte noch immer das Gewitter. Es schien näher zu kommen. Als sie die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, ertönte auch wieder das Geheul, das für einige Stunden verstummt gewesen war. »Das klingt nach Wölfen«, sagte Razamon, bückte sich und hob einen Stein auf. Plötzlich heulte ein Tier ganz in der Nähe; mehrere andere Tiere fielen ein, auch nicht weit entfernt. »Nachdem ich gerade satt geworden bin, möchte ich nicht gern gefressen werden«, meinte Lebo Axton. Er ging zu einem Baum, um sich einen dicken Ast abzubrechen. Atlan half ihm mit dem Messer und fertigte auch für sich und Razamon je eine primitive Keule an. »Wir müssen uns immer dicht am Wasser
33 halten«, sagte er. »Dadurch haben wir notfalls den Rücken frei.« Plötzlich tauchte wenige Meter vor ihnen ein großes Tier aus der Dunkelheit, sah sie und blieb ruckartig stehen. »Ein weißer Hirsch!« flüsterte Axton. »Wirf das Messer, Atlan!« Der Arkonide schüttelte den Kopf. Im nächsten Moment heulte es links und rechts und vor ihnen auf. Das Tier, das tatsächlich große Ähnlichkeit mit einem Hirsch mit weißer Decke hatte, warf sich herum und stürmte wieder in die Finsternis zurück. Nur Sekunden später jagte von der anderen Seite ein großer schwarzer »Wolf« heran, gefolgt von einem Rudel aus einem guten Dutzend fast ebenso großer Tiere. Die drei Männer hoben ihre Keulen; Atlan faßte sein Wurfmesser fester. Doch das Rudel huschte in weiten Sprüngen lautlos an ihnen vorbei und verschwand in der Nacht. »Das war richtig unheimlich«, gestand Ax-ton und ließ seinen Arm mit der Keule sinken. Es war unwirklich! raunte der Logiksektor. Hast du bemerkt, daß die Tiere keinen Sand aufgewirbelt haben? Ein greller Blitz zuckte herab und schlug in den See. Krachender Donner folgte. Die drei Männer entfernten sich etwas vom Ufer, aber es folgte kein weiterer Blitz. Die Wolken, die eben noch den Himmel bedeckt hatten, zogen rasch davon. Dafür ertönte abermals das entnervende Heulen von wolfsähnlichen Tieren. Es kam von Westen und war von Mal zu Mal näher. »Die wilde Jagd«, flüsterte Razamon. »Dort vorn ist die erste ›Schildkröte‹. Wir sollten so schnell wie möglich aufsteigen, denn die Meute kommt immer näher!« Doch Atlan und Lebo Axton rührten sich nicht, und auch er lief nicht weiter, denn im schimmernden Licht der Sterne jagte abermals der weiße Hirsch heran. Diesmal hatte ihn das Wolfsrudel fast erreicht, und der riesige Leitwolf überholte ihn, um ihm in echter Wolfsmanier an die Kehle zu springen. Da wurde die Szene plötzlich in flackern-
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de weiße Helligkeit gehüllt. »Eine Sternschnuppe!« rief Axton. Atlan blickte nach oben und sah einen hellglühenden Meteoriten von Osten nach Westen über den Himmel ziehen. Er verfolgte seine Bahn mit den Augen und sah ihn deshalb irgendwo im Gebirge aufschlagen und explodieren. Und während er noch auf das Krachen der Explosion wartete, sah er, wie der Hirsch und die schwarzen Wölfe verblaßten und gleich verwehendem Rauch verschwanden. Dann krachte die Explosion, und die Druckwelle wirbelte Staubfahnen auf. »Habt ihr das gesehen?« rief Atlan seinen Gefährten zu, als der Donner der Explosion verhallt war. »Ein Feuerblitz wie von einer kleinen Atombombe«, sagte Lebo Axton. »Aber wo ist der Hirsch? Und wo sind die Wölfe?« »Das meinte ich mit meiner Frage«, erklärte der Arkonide. »Sie lösten sich in Luft auf, als der Meteorit aufschlug und explodierte.« »Magisches Feuer«, flüsterte Razamon. »Was meinst du?« fragte Atlan. Razamon lachte unsicher. »Ich weiß es selbst nicht. Intuitiv dachte ich daran, daß von dem Kometen eine magische Strahlung ausgegangen sein muß, seit er in die Lufthülle von Dorkh eintauchte. Sie projizierte möglicherweise die Geisterbilder des Hirsches und der Wolfsmeute. Das würde erklären, warum die Geisterbilder erloschen, als der Meteorit explodierte. Aber, wie gesagt, das war nur so eine Art Eingebung.« »Auf jeden Fall sahen wir etwas, das nicht wirklich existierte«, sinnierte Atlan laut. Das hatte ich dir ja gleich gesagt! teilte ihm sein Logiksektor mit.
* »Sie bewegen sich!« rief Razamon und deutete auf den deutlich sichtbaren »Hügel« der ersten »Schildkröte« und die nur schemenhaft erkennbaren vier anderen Giganten.
Er und seine Gefährten liefen hastig zum Ufer und tranken, bis sie nicht mehr konnten. Unterdessen hatten alle »Schildkröten« ihre Schlaftrunkenheit abgeschüttelt und bewegten sich zielstrebig. Allerdings marschierte nur eine nach Südwesten. »Das ist unsere, egal, ob Mathilda oder nicht!« rief Lebo Axton und rannte auf das Tier zu. Bald darauf saßen die drei Männer auf dem Schildbuckel des Tieres und ließen sich tragen. Sie wußten nicht, ob es sich um Mathilda oder eine andere »Schildkröte« handelte, denn die Tiere sahen für sie alle gleich aus. Aber das spielte keine Rolle, denn es reagierte ebensowenig auf die Reiter wie die Schildkröte, die sie bis hierhergebracht hatte. Ungefähr zwei Stunden später ging die Sonne auf und tauchte die Wüste in helles Licht. Atlan deutete nach vorn. Er brauchte nichts zu erklären, denn diesmal war der Berg mit dem Bauwerk deutlich zu erkennen. Aufmerksam blickten Razamon und Lebo Axton hinüber – aufmerksam und ahnungsvoll. »Eine düstere Festung«, erklärte Axton. »Ich halte den Anblick eher für romantisch«, erwiderte Razamon. Ein Rumpeln und Poltern riß die drei Männer hoch und veranlaßte sie dazu, sich aufmerksam umzusehen, bis sie merkten, daß die Geräusche von Mathilda erzeugt wurden. »Unter ihr muß sich ein Hohlraum befinden«, meinte Razamon. Doch bevor sie weitere Überlegungen anstellen konnten, fielen sie übereinander, als Mathilda ihren Kurs abrupt änderte. Atlan rappelte sich zuerst wieder auf und stellte sich auf eine der buckelartigen Erhebungen des Rückenpanzers. »Sie marschiert nach Südosten!« rief er seinen Gefährten zu. Razamon und Lebo Axton stellten sich neben ihn.
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»Dann kommen wir vielleicht doch noch auf bequeme Art und Weise nach Turgan«, sagte Axton. »Die Burg hätte mich mehr gereizt«, erklärte Atlan. Deine Überlegungen entbehren der Logik! teilte ihm sein Logiksektor mit. Ihr wollt nach Turgan zu den Weisen, also ist es nur logisch, wenn ihr eine bequeme Transportmöglichkeit dorthin benutzt. »Auf jeder anderen Welt wäre es so, nicht aber auf einer, deren Geschick mit Magie verwoben ist«, erwiderte der Arkonide laut. Seine Gefährten stutzten, dann begriffen sie. »Ich schlage ebenfalls vor, daß wir uns nicht von einer Logik leiten lassen, die auf Dorkh keine Gültigkeit besitzt«, meinte Razamon. »Zu Fuß zum Gebirge?« sagte Axton erschrocken. »Es sind höchstens noch dreißig Kilometer – wenn wir jetzt gleich absteigen«, erwiderte Atlan. »Na, sagen wir vierzig Kilometer, aber mehr sicher nicht.« »Außerdem haben wir uns bei der Oase gestärkt und sattgetrunken«, meinte Razamon. »Das Stück bis zum Gebirge schaffen wir bis heute abend, wenn wir zügig gehen.« Lebo Axton seufzte, aber er lächelte dabei, denn auch ihn reizte die düstere Burg. Die drei Gefährten kletterten von der »Schildkröte«, dann setzten sie sich in Richtung Südwesten in Bewegung.
7. Fünf Stunden waren sie durch heißen Sand gewandert, die Sonne hatte erbarmungslos auf sie herabgebrannt und sie das meiste Wasser, das sie in der letzten Oase getrunken hatten, ausschwitzen lassen. Als Atlan sah, daß Lebo Axton sich nur noch mit Mühe auf den Beinen hielt, sagte er: »Ich schlage vor, wir legen eine Rast ein, Freunde!« »Noch nicht!« rief Razamon, der etwa
zehn Meter vorausging. »Ich sehe weiter vorn so etwas wie einige Brunnen. Vielleicht gibt es da Wasser.« Atlan blickte auf. Er war, wie auch Axton und meist auch Razamon, die letzten Stunden mit gesenktem Kopf gegangen und hatte sich die Jacke über den Schädel gezogen, um keinen Sonnenstich zu bekommen. Verwundert kniff er die Augen zusammen, um klarer sehen zu können, aber das Bild blieb. Sieben offenbar gemauerte Brunnenumrandungen, mit kleinen Giebeldächern über den Öffnungen! »Ziehbrunnen!« stieß er hervor. »Genauso sahen die Ziehbrunnen des terranischen Mittelalters aus!« »Aber sieben Stück auf engem Raum!« sagte Lebo Axton. »Was sollte das für einen Sinn haben?« »Sehen wir sie uns genauer an!« rief Razamon und ging weiter. Atlan und Lebo Axton folgten ihm. Wenige Minuten später standen sie vor dem ersten der sieben Brunnen, die einen ungefähr dreißig Meter durchmessenden Kreis bildeten. Auf der Kreisfläche lagen zahlreiche große, flache Steine – und jenseits der Kreisfläche ging die Sandwüste allmählich in eine Geröllwüste über. Razamon, der einen Blick in den ersten Brunnen geworfen hatte, fuhr wie von der Tarantel gestochen zurück. Sein von Natur aus blasses Gesicht war kalkweiß geworden. Atlan hielt Axton, der sich ebenfalls über den Brunnenrand beugen wollte, am Arm zurück. »Was hast du gesehen?« wandte er sich an Razamon. Der Pthorer atmete keuchend und beruhigte sich nur langsam, dann erklärte er: »Seht nicht hinein! Dort haust etwas Ungeheuerliches, das einen grauenhaften Sog auf das Bewußtsein ausübt. Ich habe nichts gesehen, aber etwas gespürt, das wie eine imaginäre Woge über mir zusammenschlug.« Atlan ließ Axton los und trat einen Schritt
36 auf den Brunnen zu, in den Razamon geschaut hatte. »Du läßt es lieber sein, Lebo«, sagte er. »Da dein Bewußtsein in einem fremden Körper existiert, löst es sich möglicherweise leichter von ihm als ein Bewußtsein, das im eigenen, angestammten Körper agiert.« Du Narr! raunte ihm sein Extrasinn zu. Fordere nicht das Schicksal heraus, wenn es nicht notwendig ist! Der Arkonide erkannte die Logik dieses Arguments an, aber er vermochte dem Reiz der Gefahr und seiner Wißbegier nicht zu widerstehen. Langsam ging er weiter auf den Brunnen zu, sich innerlich gegen das wappnend, das Razamon beschrieben hatte. Am Brunnen angekommen, streifte er die Jacke von seinem Kopf, dann legte er die Hände auf den Brunnenrand und beugte sich vor. Im nächsten Augenblick war es ihm, als tauchte sein Bewußtsein in einen Strudel, der sich rasend schnell in einem wildbewegten Meer aus namenlosem Grauen drehte und mit unvorstellbarer Lockung eine schier unwiderstehliche Todessehnsucht auslöste. Mit einem Schrei warf Atlan sich zurück und bedeckte sein Gesicht mit den Händen, obwohl er nichts gesehen hatte. Fast augenblicklich erlosch der unheilvolle Einfluß des Brunnens. Dennoch brauchte der Arkonide noch fast eine Minute, um wieder klar denken zu können. »Was ist dort drin?« fragte Lebo Axton. »Ich weiß es nicht«, antwortete Atlan. »Ich habe nichts gesehen.« »Ich auch nicht«, meinte Razamon. »Aber ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluß gekommen, daß es vielleicht das ist, was das Grauen und die Todessehnsucht hervorruft: ein Hauch des Nichts, das alles sein wird, was eines fernen Tages vom Universum übrig bleibt.« Atlan nickte. »Ich denke zwar nicht, daß das Universum einmal spurlos vergehen wird, aber die Vorstellung einer solchen Vision wird sehr glaubhaft von dem Unsichtbaren im Brun-
H. G. Ewers nen hervorgerufen.« Er musterte das kleine Ziegeldach über dem Brunnen und die dunkelbraune Spindel mit dem bleichen Seil, an dem ein Eimer aus oxidiertem Metall hing. Genau den gleichen Anblick boten die übrigen sechs Brunnen. »Wer die Gefahr nicht kennt und bei seiner Wanderung durch die Wüste auf die Brunnen stößt, wird unweigerlich hineinblicken, um nachzusehen, ob sich Wasser darin befindet«, sagte er tonlos. »Wie viele Wanderer mögen dabei ihre Seelen verloren haben?« Razamon hob eine der flachen Steinplatten an und warf sie zur Seite. Lebo Axton, der ihm zusah, schrie leise auf, als er die dunkelbraune Hand sah, die aus dem Sand schnellte, als sie vom Gewicht der Steinplatte befreit wurde. Gleichzeitig kam der Sand rings um sie in Bewegung. Ein in grünes bleiches Leder gekleidetes, riesiges humanoides Wesen wühlte sich aus dem Sand und richtete sich schließlich auf. Aus Augen, die nur aus Weiß zu bestehen schienen, starrte es Razamon an. Es war zirka drei Meter groß, schlank und unglaublich dürr, aber keineswegs mumifiziert. Die Gelenke des Wesens knarrten gleich altem vertrocknetem Leder, das aneinander gerieben wird, als es sich langsam und steif in Bewegung setzte. Es schritt genau auf den Pthorer zu und streckte dabei die Hände nach ihm aus. Razamon blieb stehen. Er wirkte wie hypnotisiert und regte sich auch dann nicht, als das Wesen ihm die Hände um den Hals legte. Atlan stieß einen Schrei aus, riß das Messer aus seinem provisorischen Gürtel und sprang vor. »Du mußt gegen ihn wie gegen einen Untoten kämpfen, Atlan!« rief Lebo Axton. Das Wesen ließ Razamons Hals los und wandte sich gegen Atlan, aber der Arkonide war schneller – und er beherzigte Axtons Rat. Als es vorbei war, begruben sie das nun-
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mehr endgültig tote Wesen, legten die Steinplatte wieder über sein Grab und standen schweigend eine Weile davor. »Es hat seinen Frieden gefunden«, sagte Lebo Axton. »Atlan, du hast seine Seele aus einem grauenhaften Nichtzustand befreit – oder das, was von seiner Seele übrig geblieben war.« Der Arkonide wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wie geht es dir, Razamon?« Der Pthorer massierte seinen Hals und erwiderte krächzend: »Besser. Ich weiß nicht, warum ich mich nicht gewehrt hatte. Es war alles so unwirklich.« Atlan nickte. »Verlassen wir diesen Ort des Grauens, Freunde! Ich ahne zwar, daß unter den anderen Steinplatten andere Wesen im Nichtzustand liegen und auf Erlösung warten, aber ich bringe es nicht fertig, noch einmal das gleiche zu tun.« Sie wandten sich ab und gingen davon, ohne sich noch einmal umzusehen …
* Als der Himmel sich mit Wolken bedeckte, war es für die drei Männer, besonders aber für Lebo Axton, wie eine Erlösung. Der Marsch durch die Geröllwüste hatte an ihren Kräften gezehrt, vor allem, als sie in ein Gelände kamen, in dem die Steine scharfkantige Splitter waren. Die Hitze des Tages und die Kälte der Nacht mußten im Lauf langer Zeiträume größere Steinbrocken nach und nach zertrümmert haben. Das unzulängliche Schuhwerk schützte kaum vor den Steinsplittern. Die Füße der Männer bluteten aus zahlreichen Wunden, und die letzten Kilometer hatten Atlan und Razamon Lebo Axton stützen müssen, sonst wäre er umgefallen. »Eine Pause!« flüsterte Axton und ließ sich auf den Boden sinken. Auch Razamon und Atlan waren erschöpft und ruhten sich aus. Sie hofften auf
Regen, doch die Wolken zogen hoch über ihnen nach Norden. Atlan erholte sich dank seines Zellaktivators zuerst. Er richtete sich auf und blickte nach Südwesten. Der Gebirgszug war infolge der geringeren Entfernung hoch über den Horizont getreten, eine Mauer aus zahllosen steil aufragenden Bergen, die bei einiger Phantasie gigantischen Drachenzähnen ähnelten und überwiegend aus dunklem nacktem Fels zu bestehen schienen. Atlan schätzte den Berg, auf dem das burgartige Bauwerk thronte, auf eine Höhe von eintausendzweihundert Metern. Seine Wände stiegen steil an und waren von vielen Rissen und Spalten durchzogen. Die Burg selbst ruhte auf einem würfelförmigen Unterbau aus dunkelgrauem Mauerwerk, das an Zyklopenmauern erinnerte. Der Hauptturm schien hundert Meter hoch zu sein. Fünf weitere Türme waren nur halb so hoch, aber auch sie wirkten wuchtig und düster. »Imposant, wie?« fragte Razamon. Atlan wandte den Kopf und sah, daß der Pthorer sich aufgerichtet hatte und aus funkelnden Augen zur Burg schaute. »Wie eine Zwingburg«, erwiderte er. »Gehen wir weiter?« fragte Razamon ungeduldig. »Es sind höchstens noch zehn Kilometer bis zum Fuß des Berges.« Atlan schüttelte den Kopf und blickte zu Lebo Axton, der mit offenem Munde schlief. »Morgen, Razamon. Lebo braucht Ruhe. Außerdem müssen auch wir einigermaßen frisch sein, wenn wir den Berg angehen wollen. Es wird eine höllische Kletterei werden. Eigentlich dürften wir Lebo nicht mit hinauf nehmen. Die Gefahr, daß er vor Entkräftung abstürzt, ist zu groß – und wir haben kein Seil, um ihn zu sichern.« »Wir können ihn aber nicht am Fuß des Berges zurücklassen«, widersprach der Pthorer. »Er wäre hilflos allen Gefahren ausgeliefert, die es dort gibt – und ich bin sicher, daß es zahlreiche Gefahren für Entkräftete gibt, hier wie dort.« »Wir sehen morgen weiter«, meinte At-
38 lan. »Es wird ohnehin in etwa zwei Stunden dunkel. Aus der Nähe läßt sich wahrscheinlich ein gangbarer Weg erkennen, der hinauf führt.« Razamon stimmte widerstrebend zu. Er wirkte erregt und ungeduldig. Wäre er nicht ebenfalls geschwächt gewesen, er hätte es vielleicht gewagt, noch am selben Tage allein zum Berg aufzubrechen. So jedoch blieb auch er zurück. Atlan teilte sich mit dem Pthorer die Wachen. Sie wollten Lebo Axton schonen, denn sie wußten, daß er den Aufstieg zur Burg weitgehend aus eigener Kraft bewältigen mußte. Da Atlan wenig Schlaf benötigte, übernahm er die erste und die letzte Wache. Noch vor dem Anbruch der Nacht ging er die nähere Umgebung ihres Lagers ab. Er suchte nach Anzeichen dafür, daß es in dieser Gegend Raubtiere gab, die möglicherweise nachts ihre Baue verließen und auch Menschen gefährlich werden konnten. Aber er vermochte keine Anzeichen dafür zu entdecken. Einigermaßen beruhigt kehrte er deshalb zum Lager zurück und hockte sich neben seine Gefährten. Razamon war wieder eingeschlafen, aber er schlief unruhig und sprach mehrmals im Schlaf. Als Razamons Wache herangekommen war, streckte auch Atlan sich aus. Er schlief zwar nicht, aber er ruhte konzentriert, um sich für die Strapazen des kommenden Tages zu rüsten. Irgendwann in der Nacht rüttelte Razamon ihn an den Schultern. Atlan fuhr hoch und griff nach seinem Messer. »Ruhig!« flüsterte Razamon. »Keine Gefahr für uns, Atlan. Aber sieh dir die Gegend an, wo sich die Burg befinden muß!« Er zeigte mit ausgestrecktem Arm schräg nach oben. Der Arkonide folgte der Richtung mit den Augen. Irgendwo schräg oben in der Finsternis entdeckte er eine Erscheinung, die einem kleinem Schwarm winziger Funken glich, wie sie beispielsweise aus zwei Feuersteinen fliegen, die man kräftig zusammenschlägt. »Seltsam!« flüsterte er, als könnten die ei-
H. G. Ewers genartigen Funken ihn hören. »Was kann das sein?« Razamon zuckte die Schultern. »Darüber läßt sich von hier aus nur spekulieren, Atlan, aber sie scheinen ein Zeichen dafür zu sein, daß die Burg bewohnt wird – von wem oder was auch immer.« »Von Geistern«, scherzte der Arkonide. »Das Bauwerk ist vielleicht ein Spukschloß. Grünen Tee müßten wir haben.« »Grünen Tee?« fragte Razamon verärgert. »Was sollten wir damit anfangen?« Atlan lächelte. »Ein schottischer Edelmann erklärte mir einmal, daß man sich am besten gegen die Machenschaften von Schloßgeistern schützen könnte, wenn man sich grünen Tee in die Schuhe streute.« »Bei unserem Schuhwerk würde er gleich wieder herausrieseln«, erwiderte Razamon, dann erkannte er, daß er gefoppt worden war und stieß eine Verwünschung aus. Lebo Axton war erwacht und leise neben seine Gefährten getreten. »Eine getrocknete Fledermaus in der geschlossenen linken Hand tut es auch«, meinte er ironisch. »Aber vielleicht sind das dort nur übergroße Glühwürmchen, die da oben um die Türme kreisen.« »Der Teufel soll euch Terraner mit euren dummen Sprüchen holen!« schimpfte Razamon.
* Bei Tagesanbruch machten sie sich wieder auf den Weg. Es blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig, denn sie wurden von Durst und Hunger gequält – und in der Geröllwüste gab es weder Wasser noch Pflanzen oder Tiere. Nach etwa drei Stunden hatten sie den Fuß des Berges erreicht. Ihre Füße bluteten aus zahlreichen neuen Schnittwunden, doch das sowie Hunger und Durst waren vergessen, als sie die Stufen einer Treppe sahen, die in eine tiefe Felsspalte hineinführten. Fast eine Minute lang blieben sie in den
Die Todeswüste Anblick der Treppe versunken, dann brach Lebo Axton die Stille und sagte: »Ich könnte weinen vor Freude! Die ganze Zeit über hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, wie ich mit dem geschwächten Grizzard-Körper den steilen Berg hinaufkommen sollte – und nun hat sich dieses Problem auf so wunderbare Weise gelöst.« Atlan musterte die ungefähr zwei Meter breiten und einen halben Meter hohen Stufen. »Sie sind nicht für Menschen in den Fels gehauen, sondern für Riesen. Nach hundert Stufen werden uns die Beine zittern. Aber es besteht wenigstens nicht die Gefahr, daß wir abstürzen.« »Für Riesen …«, meinte Razamon nachdenklich. »Vielleicht für solche wie diesen Dreimetermann in seinem blaßgrünen Gewand, den ich bei den sieben Brunnen aufstörte?« Er erschauderte. »Wenn ja, dann sind es zweifellos keine Untoten, denn sonst ruhten sie unter den Steinplatten bei den sieben Brunnen«, erklärte Lebo Axton. »Und wie sie aussehen, ist mir im Grunde genommen egal. Hauptsache ist, daß es in der Burg Wasser gibt und etwas zu beißen.« Atlan lächelte. »Das ist auch meine Meinung. Fangen wir an! Ich schlage vor, daß Razamon vorangeht, damit er Lebo helfen kann, wenn er nicht allein die Stufen hinaufkommt. Ich würde dann von unten nachschieben.« Axton seufzte. »Ich möchte so gern behaupten, ich brauchte eure Hilfe nicht, aber das wäre sinnlose Prahlerei. Immerhin wäre es für mich in meinem alten verkrüppelten Kennon-Körper noch schwieriger gewesen. Dennoch hätte ich ihn gern wieder.« Seine Augen verschleierten sich. Atlan legte ihm die Hand auf die Schulter. »Nicht verzagen, alter Freund! Es hat schon so mancher etwas wiedergefunden, das er für immer verloren glaubte.« »So wie du deinen Extrasinn«, meinte Razamon und nickte dem Arkoniden ernst
39 zu, dann ging er in den Felsspalt und schwang sich elastisch die erste Stufe hinauf. Lebo Axton folgte ihm in forscher Haltung. Auch er schaffte die erste Stufe mit glattem Schwung, aber oben mußte er bereits verschnaufen. Zwölf Stufen weiter schaffte er es schon nicht mehr allein. Atlan mußte von unten und Razamon von oben nachhelfen – und nach weiteren zehn Stufen legten sie die erste Pause ein. Schwer atmend musterten sie die fast senkrecht aufsteigenden Wände aus schwarzem Marmor, durch die die Treppe führte, und ihnen wurde klar, welche Strapazen noch vor ihnen lagen. »Genau elf Meter von rund zwölfhundert haben wir in der ersten halben Stunde geschafft«, faßte Atlan es in Worte. »Wenn ich mir vorstelle, daß noch knapp zweitausendvierhundert Stufen über uns liegen …« »Das schaffe ich niemals!« stieß Axton hervor. »Ich werde tot sein, bevor ich ein Viertel der Treppe hinter mich gebracht habe. Am besten klettert ihr allein weiter. Ich komme so weit nach wie möglich. Wenn ihr oben Wasser und Nahrung findet, könnt ihr ja zurückkommen und mir etwas bringen. Dann schaffe ich es bestimmt auch.« Atlan schüttelte den Kopf und deutete nach oben. »Hast du die Vögel gesehen, die um den Berg kreisen, Lebo? Paß auf, gleich wird wieder einer erscheinen!« Es dauerte nur wenige Sekunden, dann huschte über den zirka zwei Meter breiten, von unten sichtbaren Ausschnitt des Himmels schemenhaft ein riesiger grauroter Vogel. Seine Schwingen klafterten mindestens drei Meter. »Er ist nicht allein«, erklärte der Arkonide. »Ich zweifle nicht daran, daß diese Vögel sich auf alle wehrlosen Lebewesen stürzen und sie kröpfen. Es ist also ganz ausgeschlossen, dich allein zurückzulassen.« »Aber ich schaffe es niemals bis nach oben«, erwiderte Lebo Axton verzweifelt.
40 »Und ihr schafft es auch nicht, wenn ihr mich mitschleppen müßt.« Razamon stand auf und starrte wild entschlossen in die Höhe. »Wir kommen entweder alle hinauf oder überhaupt nicht!« erklärte er. »Aber ich will hinauf – und zwar schnell! Deshalb werden wir unsere Methode ändern, Atlan. Wir beide heben künftig Lebo gemeinsam auf die nächste Stufe, dann folgen wir ihm – und so weiter.« »Das könnte tatsächlich besser gehen«, gab Atlan zu. Und es ging wirklich besser, nicht zuletzt, weil der Pthorer Kraftreserven mobilisierte, die Atlan nicht mehr bei ihm vermutet hatte. Sie keuchten und schnauften zwar, aber sie schafften in der nächsten halben Stunde siebenunddreißig Stufen. Eine Stunde später führte die Treppe aus dem Spalt hinaus und am freien Fels entlang. Die drei Männer bemühten sich, nicht in die Tiefe zu sehen. Zwar waren Atlan und Razamon schwindelfrei, aber bei dem Grad ihrer Erschöpfung mochten sie sich darauf lieber nicht verlassen. Wenig später wurde die Treppe von einem meterbreiten Felsband abgelöst. Trotz Atlans Warnung nahm Razamon diese Gelegenheit wahr, lud sich Axton auf die Schulter und trug ihn fast einen Kilometer weit auf dem sich in zahlreichen Serpentinen windenden Band. Danach führten weitere Stufen wieder in einen Felsspalt hinein, und die Methode, Ax-ton zu transportieren, wurde wieder mühsamer. Doch der Pthorer entwickelte erstaunliche Kräfte. Als Atlan die Arme kaum noch hochbekam, hob er allein Lebo Axton von Stufe zu Stufe – und er arbeitete mit berserkerhafter Verbissenheit. Atlan blieb schließlich fast hundert Meter hinter den Gefährten zurück. Aber er hielt nicht an, sondern setzte die ihm verbliebenen und durch den Zellaktivator immer wieder mobilisierten Kräfte ökonomisch ein. Es war bereits dunkel, als er sich eine weitere Stufe hinaufzog, mit ausgestreckten
H. G. Ewers Armen nach der weiteren Stufe tastete und plötzlich über ein Hindernis stolperte. Er stürzte, rappelte sich aber gleich wieder auf und sah sich um. Und im noch schwachen Licht der Sterne erkannte er neben beziehungsweise vor sich seine beiden bewußtlosen Gefährten – und zwei Meter weiter ein gigantisches schwarzes, mit silbernen Ornamenten verziertes Tor, das ihm so hoch wie eine terranische Kathedrale vorkam. Geschafft! konnte er noch denken, dann übermannte auch ihn die totale Erschöpfung, und er brach zusammen.
8. Reiß dich zusammen! Du darfst nicht schlafen! Aufwachen! Rechne damit, daß dir und deinen Gefährten unbekannte Gefahren drohen! Nur du als Aktivatorträger kannst die Erschöpfung überwinden; du mußt nur wollen! Die intensiv auf Atlans Unterbewußtsein einhämmernden Impulse seines Extrasinns versetzten den Organismus in eine permanente Streßsituation. Die Nebennieren schickten einen massiven Stoß Adrenalin in den Blutkreislauf. Dadurch wurde eine Beschleunigung von Atmung und Kreislauf bewirkt, die Großhirnrinde bekam dreimal so viel Sauerstoff zugeführt als normal – und als Resultat davon wachte der Arkonide auf. Nach einem tiefen Atemzug öffnete er die Augen. Sein Blick fiel auf etwas Schwarzes, auf dem etwas Silbriges schimmerte. Aufstehen! forderte sein Extrasinn. Starre nicht so träge wie ein terranischer Ochse auf einen Ausschnitt des Burgtors! Mit einer gedachten Verwünschung richtete Atlan sich auf. Beinahe schlagartig arbeitete sein Gehirn wieder so präzise wie gewohnt. Er wußte, wo er sich befand und daß seine Gefährten noch in tiefer Ohnmacht oder in tiefem Schlaf lagen, aus dem beziehungsweise aus der sie in den nächsten Stunden nicht erwachen würden. Leicht schwankend stand er vor dem ge-
Die Todeswüste waltigen Tor und blickte an ihm hinauf. Es mochte fünfzehn Meter hoch sein und fünf Meter breit, bestand aus sehr massiv wirkendem schwarzem Holz oder täuschend echtem Holzimitat und war relativ spärlich mit Silber beschlagen. Da von ihm offenkundig keine akute Gefahr ausging, kümmerte der Arkonide sich erst einmal um seine Gefährten. Lebo Axton schien bewußtlos zu sein. Sein Atem ging zwar regelmäßig, aber flach, und sein Puls war kaum ertastbar. Atlan öffnete die Kleidung Axtons und legte das Ohr auf die linke Brustseite. Auch das Herz schlug nur schwach, aber regelmäßig. Es gab weder Stolpern noch Aussetzen noch Perioden rasenden Schiagens. Demnach bestand keine unmittelbare Lebensgefahr. Razamon war nicht bewußtlos, aber er schlief den tiefen Schlaf völliger Erschöpfung. Er hatte sich restlos verausgabt. Es wäre gefährlich gewesen, ihn wecken zu wollen. Starke Reize von außen konnten zur Verkrampfung der Koronararterien und zu einem lebensbedrohenden Infarkt führen. Nachdem Atlan seine Gefährten so gebettet hatte, daß sie nicht ersticken konnten, wandte er sich wieder dem Tor zu. Warte noch! meldete sich sein Logiksektor. Jetzt sind deine Gefährten hilflos, so daß es gefährlich wäre, eine abwehrende Reaktion der Burgbewohner zu provozieren. Meine Kräfte sind fast aufgezehrt! dachte Atlan zurück, während er die Faust hob und mehrmals gegen das Tor schlug. Wenn ich zu lange warte, bricht mein Kreislauf zusammen. Ich bin fast zum Skelett abgemagert, so daß die aufputschenden Impulse des Zellaktivators sich früher oder später schädlich auswirken müssen. Wieder hämmerte er mit der Faust gegen das Tor. Aber er war sich nicht einmal sicher, ob man ihn auf der anderen Seite hören konnte. Es war, als hämmerte er gegen eine meterdicke Wand aus Metallplastik. Anschließend wartete er einige Minuten. Aber die erhoffte Reaktion blieb aus.
41 Sekundenlang mußte Atlan gegen eine drohende Panik ankämpfen, denn er hatte sich vorgestellt, was unweigerlich geschehen würde, wenn die Burg unbewohnt war. Lediglich mit einem Messer und den bloßen Händen konnte niemand das massive Tor aufbrechen, der nicht mindestens über die Kräfte eines Haluters verfügte. Und den Abstieg über die tausendzweihundert Meter hohe Treppe würde niemand von ihnen mehr schaffen. Sie würden also unweigerlich verschmachten, falls das Tor nicht von innen geöffnet wurde – und die Aasvögel würden nur einen Haufen zerstreuter Knochen von ihnen übrig lassen. Ohne viel Hoffnung musterte der Arkonide die Teile der Burgmauer, die er links und rechts neben dem Tor sehen konnte. Zumindest hier bestanden sie nicht aus Zyklopenblöcken, wie es von unten ausgesehen hatte. Sie waren aus fugenlosem, senkrecht aufsteigendem Marmor, dem gleichen Material also, aus dem der Berg bestand. Es schien fast, als wären sie aus dem Berggipfel herausgemeißelt worden. Bei einer Höhe von etwa siebzehn Metern bestand keine Möglichkeit, sie zu überwinden. Schon wollte Atlan abermals mit der Faust gegen das Tor hämmern, als er hoch über sich ein weißes Licht schweben sah. Es glitt rasch von rechts nach links und verschwand wieder aus seinem Blickfeld. Sofort dachte der Arkonide an die Lichtfunken, die Razamon und er während der vergangenen Nacht bei der Burg hatten herumschwirren sehen. Aus der Nähe hatte das Licht bedeutend größer und heller gewirkt, nicht wie das Leuchten eines Nachttiers. Atlan drehte sich um – und da sah er viele andere Lichter oben in der Dunkelheit. Sie bewegten sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Richtungen. Es sah aus, als umschwirrten sie die Burg. Als eines der Lichter sich genau auf das Tor zu bewegte und dabei tiefer ging, weiteten sich Atlans Augen, denn er erkannte unterhalb der Lichtquelle undeutlich die Um-
42 risse eines schalenförmigen Gegenstands und hinter der Lichtquelle schemenhaft humanoide oder doch annähernd humanoide Konturen. Eine von einem Piloten gesteuerte Flugschale! »Hierher!« schrie Atlan, so laut er mit seiner ausgedörrten Kehle konnte. »Hierher!« Er winkte wild mit den Armen. Die Flugschale kam näher und schwebte über das Tor hinweg. Der grellweiße Lichtkegel schwenkte unaufhörlich. Er tauchte einmal sogar Atlan in blendende Helligkeit – und kurz vorher erkannte der Arkonide, daß der Pilot der Flugschale kein organisches Lebewesen war, sondern ein plumper Roboter mit fast würfelförmigem Rumpf, einem kuppelförmigen Schädel, zwei Beinen und zwei Armen. Immerhin aber einem humanoiden Lebewesen nachempfunden, was nach allen Erfahrungen hieß, daß seine Konstrukteure humanoid gebaut waren. Ob sie auch wie Menschen oder Arkoniden empfanden, war eine andere Frage. Als der Lichtkegel Atlan traf, schloß er geblendet die Augen – und als er sie wieder öffnete, war die Flugschale mit dem Roboter verschwunden. Er hat mich überhaupt nicht beachtet, obwohl er mich gesehen haben muß! dachte Atlan zornig. Das Verhalten von Robotern wird durch ihre Programmierung bestimmt! teilte ihm sein Logiksektor mit. »Das weiß ich auch!« schrie Atlan wütend. Er dachte eine Weile nach, während er die Flugschalen beobachtete, die in größerer Höhe um die Marmorburg kreisten, dann erinnerte er sich daran, daß er drei Stufen tiefer einen metallischen Gegenstand gesehen hatte. Infolge seiner Entkräftung war er jedoch nicht fähig gewesen, sich um ihn zu kümmern, sondern hatte seine ganze Willenskraft darauf konzentriert, weiterzuklettern. Atlan löste den Stoffstreifen, den er um
H. G. Ewers seine Hüfte trug und in dessen Schlinge sein Wurfmesser stak. Nachdenklich schaute er ihn an, dann nickte er. Er kletterte die drei Stufen zurück. Im Sternenlicht und im Streulicht der Flugschalenscheinwerfer sah er den Gegenstand dort liegen. Erst jetzt erkannte er, daß es sich um eine Gürtelschnalle aus massivem Silber handelte. Er hob sie auf und wog sie in der Hand. Ihr Gewicht betrug mindestens dreihundert Gramm. Der Arkonide kehrte auf das Plateau vor dem Burgtor zurück. Dabei spürte er, wie verbraucht er war. Die letzten Anstrengungen und Entbehrungen hatten nicht nur jedes Gramm Fett seines Körpers verbraucht, sondern auch an den Muskeln gezehrt. Was übrig geblieben war, reichte nur dank seines Zellaktivators gerade noch aus, um ihn ein paar Stunden lang auf den Beinen zu halten. Nachdem er einige Minuten verschnauft hatte, stellte er aus dem Stoffstreifen eine primitive Schleuder her. In die Schlaufe legte er die silberne Gürtelschnalle. Er schwang sie ein paarmal probeweise, dann wartete er auf einen günstigen Augenblick. Als eine der Flugschalen sich dem Tor so weit näherte, daß sie in Reichweite der Schleuder war, wirbelte Atlan die Schleuder mehrmals um seinen Kopf, dann richtete er die Kreisbahn der Schlaufe unter Berücksichtigung des Vorhaltewinkels auf die Flugschale und ließ die Gürtelschnalle davonfliegen. Sie traf, als sich der Lichtkegel des Scheinwerfers gerade auf Atlan richtete. Es klirrte laut, dann erlosch das Licht. »Darauf wirst du reagieren müssen!« schrie der Arkonide triumphierend. Aber die Flugschale schwebte über das Tor und entschwand seinem Blick, ohne daß der Robotpilot sich um den Fremden kümmerte, der seinen Scheinwerfer zertrümmert hatte. Resignierend setzte Atlan sich auf das Plateau. Obwohl er sich sagte, daß der Roboter ja nicht unbedingt direkt reagieren mußte, sondern den Zwischenfall wahr-
Die Todeswüste
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scheinlich nur weitergemeldet hatte, sank seine Zuversicht rapide.
* Eine Stunde später war das Tor noch immer geschlossen, und der Arkonide spürte, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis er infolge Auszehrung zusammenbrach – ohne die Möglichkeit, sich wieder zu erholen. Er mußte etwas unternehmen, solange er noch einen Rest an Kraft besaß! Er stand auf – und schloß die Augen, weil sich alles um ihn zu drehen schien. Mit zusammengepreßten Zähnen kämpfte er gegen den Schwächeanfall und überwand ihn schließlich. Doch er wußte, daß diesem Anfall weitere folgen würden und in immer kürzeren Abständen. Mühsam zermarterte er sein Gedächtnis, um sich an etwas zu erinnern, das ihm eventuell helfen könnte. Mit bitterem Lächeln quittierte er die Erfahrung, daß auch ein photographisches Gedächtnis nur so lange perfekt funktionierte, wie die Durchblutung und damit die Sauerstoffversorgung des Gehirns optimal war. Aber er ließ nicht locker, und schließlich sah er vor seinem inneren Auge einen Abschnitt der Treppe und ein Stück Steilwand, aus dem ein kopfgroßer Marmorbrocken herausgebrochen war. Im Geist wog er den Brocken in den Händen und fragte sich, ob er ihn kräftig genug gegen das Tor schlagen konnte, damit das Hämmern dahinter und auch tiefer in der Burg gehört wurde. Es erschien ihm möglich, aber nicht sicher. Doch er hatte gar keine andere Wahl, als diese letzte Möglichkeit wahrzunehmen. Er mußte sich allerdings bemühen, nicht daran zu denken, wo der Marmorbrocken lag, sonst hätte er gleich aufgegeben. Ungefähr eine Stunde lang kroch er auf dem Bauch von Stufenkante zu Stufenkante, ließ sich einfach auf die jeweils nächstuntere Stufe fallen und sparte auf diese Weise Kraft, dann hatte er die leichtere Hälfte sei-
nes Weges geschafft. An einer scharfen Kehre lag der Steinbrocken. Er war sogar noch etwas größer, als Atlan in Erinnerung gehabt hatte. Ohne sich aufzuhalten, hob der Arkonide ihn hoch und setzte ihn auf der nächsthöheren Stufe ab, danach zog er sich hoch, kroch auf dem Bauch zur Unterkante der nächsten Stufe und schob den Marmorbrocken vor sich her. Nach zwanzig Minuten hatte er ein Viertel des Rückwegs geschafft. Aber er glaubte sich am Ende seiner letzten Kräfte. Der Brocken war ihm beim Anheben vom Mal zu Mal schwerer vorgekommen. Beim letzten Mal hatte er ihn erst nach dem fünften Versuch auf die nächsthöhere Stufe heben können. Er selbst kam nicht mehr hoch. In seinen Händen und Armen war kein Gefühl mehr. Er lehnte an der nächsten Stufe, kämpfte gegen einen Schwächeanfall und hätte am liebsten geheult. Doch auch dazu fehlte ihm die Kraft. Wie es ihm irgendwann letzten Endes doch gelungen war, weiter zu kommen, hätte er hinterher nicht mehr sagen können. Er bewegte sich wie in Trance, ohne etwas zu sehen oder zu hören. Anscheinend hatte sein Unterbewußtsein die Steuerung des Körpers übernommen. Als es um ihn herum hell wurde, kam er wieder zu sich. Als erstes spürte er das rasend schnelle Pulsieren seines Zellaktivators, dann sah er, daß es Tag geworden war. Die Silberbeschläge des Tores glänzten im Licht der Sonne, als wären sie eben erst poliert worden – und erst bei diesem Anblick wurde sich Atlan bewußt, daß er wieder auf dem kleinen Plateau vor dem Burgtor lag. Panik wollte ihn übermannen, denn er vermochte sich nicht vorzustellen, daß er den Marmorbrocken trotz seiner Erschöpfung mitgeschleppt hatte – und er wollte nicht daran denken, daß er wieder zurückgehen und ihn holen würde, denn das hätte er nicht mehr geschafft. Aber dann sah er den Brocken wenige Zentimeter von seiner linken Hand entfernt auf dem Plateau liegen – und er schluchzte
44 vor Erleichterung. Langsam wälzte er sich herum. Lebo Axton und Razamon lagen ebenfalls noch da. Axton schien zu schlafen, aber Razamon regte sich schon wieder. »Razamon?« flüsterte Atlan. Der Pthorer antwortete nicht. Dazu war er anscheinend zu schwach. Ganz langsam richtete Atlan sich auf. Er fühlte sich wie gerädert. Seine abgemagerten Hände waren verschrammt und blutverkrustet; seine Finger zitterten. Die Adern traten dick auf den Handrücken hervor. Es ist eigentlich völlig unmöglich, daß ein körperliches Wrack wie ich noch einmal aufstehen kann! dachte der Arkonide. Dennoch schaffte er es. Aber als er sich bückte, um den Felsbrocken aufzuheben, wurde ihm so schwindlig, daß er wieder hinfiel. Doch er stand sofort wieder auf, als der Schwächeanfall vorbei war. Diesmal gelang es ihm, den Marmorbrocken aufzuheben. Er schien zwei Zentner zu wiegen, obwohl sein Gewicht höchstens zehn Kilogramm betrug. Dennoch hatte Atlan das Gefühl, die Arme würden ihm aus den Schultergelenken gerissen. Zentimeterweise hob er den Brocken hoch, dann ging er aufrecht und ohne zu schwanken zum Tor, hob den Marmorbrocken mit zusammengebissenen Zähnen hoch über seinen Kopf und schlug ihn wieder und wieder gegen das Tor. Nach einiger Zeit merkte er, daß er nur mit leeren Händen zuschlug. Irgendwann mußte ihm der Marmorbrocken entglitten sein. Langsam, wie in Zeitlupe, brach er in die Knie. Er wußte, daß er den Felsbrocken nicht mehr aufheben konnte. Falls man ihn auch diesmal nicht gehört hatte, war alles vorbei. Seine Augen waren blicklos auf das Tor gerichtet, das für ihn und seine Gefährten zum Schicksal geworden war. Als sich in der Mitte des Tores ein vertikaler Spalt bildete, glaubte der Arkonide zuerst an eine Halluzination. Doch dann erweiterte sich der Spalt allmählich.
H. G. Ewers Es öffnet sich! Auf den heißen Impuls der Freude folgte die Vorstellung, was das Wesen, das das Tor öffnete, von ihm halten würde, wenn es ihn kniend und hilflos vor sich sah. Ohne zu wissen, wie, stand Atlan plötzlich wieder auf den Füßen. Hastig raffte er den Stoffstreifen auf und schob das Messer durch die Schlinge, dann band er sich den Streifen um die Hüften. Als er sich erneut dem Tor zuwandte, war der Spalt etwa dreißig Zentimeter breit und vergrößerte sich schneller als zuvor. Dahinter schimmerte gelbliches Licht. Atlan legte eine Hand auf den Griff seines Messers, die andere streckte er, mit der Handfläche nach oben, grüßend aus. Er konnte nur hoffen, daß es zu einer friedlichen Begegnung kam, denn in seiner körperlichen Verfassung hätte ein Kind ihn besiegen können. Noch bevor die beiden Torflügel ganz aufgeschwungen waren, sah der Arkonide den Fremden. Er war groß, etwa zwei Meter, und sehr hager und langbeinig – und er war humanoid. Seine Kleidung bestand aus einem schwarzen, mit Silber beschlagenen Lederkilt und einem ebenfalls schwarzen, seidig schimmernden Hemd. Mehr vermochte Atlan nicht zu erkennen, denn ihm wurde schwarz vor Augen. Dennoch hielt er sich aufrecht, und er hörte den Fremden in der Sprache, die so sehr dem Pthora glich, sprechen. Es schien ihm aber nicht, als spräche er zu ihm. Endlich vermochte Atlan wieder einigermaßen klar zu sehen. Er sah, daß der Fremde einen Gegenstand in eine Halterung seines Gürtels zurücksteckte und erkannte in ihm so etwas wie ein kleines Funkgerät. Eine Waffe schien er nicht zu tragen, was den Arkoniden ungemein erleichterte. Ich würde dennoch vorsichtig sein! raunte ihm sein Extrasinn zu. Da er das Funkgerät benutzt hat, wird er Verstärkung herbeigerufen haben.
Die Todeswüste Ich bin so vorsichtig, wie ein körperliches Wrack sein kann! dachte Atlan zurück. Er versuchte ein Lächeln, war sich aber nicht sicher, ob es ihm gelang, dann sagte er so klar wie möglich: »Ich bin Atlan.« Er deutete auf seine Gefährten. »Das sind Lebo Axton und Razamon. Sie sind erschöpft und brauchen Hilfe. Vor allem brauchen sie Wasser, denn sie haben lange gedurstet.« Zum erstenmal gelang es ihm, Einzelheiten im Gesicht seines Gegenübers zu erkennen. Es wirkte fast menschlich, war aber ziemlich flach und haarlos. Die Nase saß da, wo sie auch bei Menschen und Arkoniden saß, aber sie war nur eine kirschgroße runde Erhebung mit zwei stecknadelkopfgroßen Löchern. Die Augen waren lange schmale Schlitze, hinter denen es hellgrün leuchtete und die sich fast an der Nasenwurzel trafen. Die Kopfoberseite wurde von einem dichten kurzen Pelz bedeckt, der goldbraunem Samt glich. Der Mund war oval, mit hellroten Lippen. Die Haut hatte, soweit sie sichtbar war, die Farbe von hellem Ocker. Als das Wesen die rechte Hand ausstreckte, sah Atlan, daß sie fünffingrig war. Allerdings bestand der »kleine Finger« nur aus einer Art Knochendorn. »Ich bin Kuashmo«, sagte der Langbeinige. »Willkommen in der Burg Odiara! Ich habe Hilfe für deine Begleiter gerufen, Atlan. Aber mir scheint, du brauchst ebenfalls Hilfe.« Atlan atmete auf. Dennoch blieb er wachsam. »Danke, Kuashmo«, erwiderte er. »Aber wie du siehst, kann ich allein auf meinen Füßen stehen. Ich hätte nur gern einen Schluck Wasser.« Das letzte Wort brachte er erst beim zweiten Ansatz undeutlich hervor, denn bei dem Gedanken an klares kühles Wasser zog sich seine Kehle in einem vergeblichen Schluckreflex zusammen. Kuashmo ließ sich nicht anmerken, ob er
45 die Sprachschwierigkeit seines Besuchers richtig deutete. Statt dessen trat er zur Seite, um Platz zu machen für die Helfer, die er über Funk gerufen hatte …
* Atlan erkannte in den sechs plumpen Robotern sofort jenen Typ wieder, den er in den Flugschalen gesehen hatte. Doch da waren es nur undeutliche Wahrnehmungen gewesen. Für so plump, wie sie sich seinem Blick darboten, hatte er sie nicht gehalten. Sie waren ungefähr anderthalb Meter groß, mit würfelförmigen Rümpfen, deren Kantenlänge einen halben Meter betrug. Ihre kuppel-förmigen Köpfe mochten dreißig Zentimeter hoch sein und saßen auf bedenklich schwankenden spiralförmigen »Hälsen«. Die Beine waren einfache Metallröhren mit knirschenden Kniegelenken und großen flachen Füßen. An den Seiten der Rumpfwürfel waren in Kugelgelenken dünne Metallarme befestigt, die so lang waren, daß sich die Roboter beim Gehen auf die klobigen Greifklauen stützen konnten. Das schien auch sehr nötig zu sein, denn die Roboter verfügten offenbar nicht über Lagestabilisatoren und wären ohne Stützarme umgekippt. Wahrscheinlich waren die Stabilisatoren irgendwann ausgefallen, denn die stark korrodierte Außenhülle der Maschinen verriet, daß sie uralt und obendrein niemals gepflegt worden waren. Erschrocken sah Atlan, wie sich jeweils zwei der Roboter zu Axton und Razamon begaben und sich schwankend darum bemühten, sie aufzuheben. Sie setzten dabei ihre Greifklauen so ungeschickt ein, daß der Arkonide mehrmals um die Gliedmaßen seiner Gefährten fürchtete. Am liebsten hätte er diese Art von Hilfe zurückgewiesen, aber er wußte, daß seine Gefährten dringend Hilfe brauchten und mußte deshalb die Roboter akzeptieren, da es offenbar keine anderen Helfer gab. Er war fast verblüfft, als es den Maschi-
46 nen trotz allem gelang, Razamon und Axton aufzuheben und mit jeweils einem Arm zwischen sich festzuhalten, während sie die freien Arme dazu benutzten, sich im Gleichgewicht zu halten. Zwei der Roboter stellten sich schließlich links und rechts neben ihm auf. »Ich kann allein gehen!« protestierte Atlan und setzte sich in Bewegung. Doch im nächsten Augenblick schien sich alles um ihn zu drehen – und ohne die Hilfe der beiden Roboter, die ihn zu seiner Verwunderung ziemlich behutsam stützten, wäre er gestürzt. Wenig später war er noch dankbarer für die Hilfe der beiden Roboter, denn Kuashmo führte sie eine Wendeltreppe hinab, die der Arkonide allein niemals hätte benutzen können, so schwach waren seine Beine. Am Ende der Wendeltreppe führte Kuashmo sie durch einen kurzen Korridor und durch ein zweites, kleineres Tor in einen weiten Innenhof. In der Mitte des Innenhofs ragte der Hauptturm rund hundert Meter empor. Auch er schien aus dem Marmor des Berggipfels herausgehauen worden zu sein. Da der Burghof nicht quadratisch, sondern asymmetrisch war, waren die fünf kleineren Türme nicht gleich weit von ihm entfernt, sondern zwischen etwa fünfzig und zweihundert Meter. Das alles nahm Atlan nur verschwommen wahr, auch, daß seine beiden Gefährten irgendwo neben einem Ziehbrunnen lagen und von »ihren« Robotern mit Wasser übergossen wurden. Irgendwann setzten seine Wahrnehmungen völlig aus, und er kam erst wieder zu sich, als auch er mit Wasser übergossen wurde. Gierig versuchte er, das über sein Gesicht rinnende kühle Naß zu trinken. Aber seine Lippen wurden nur benetzt und waren gleich darauf wieder trocken. Dann hielt ein Roboter ihm eine mit Wasser gefüllte Kelle an die Lippen. Nur in kleinen Schlucken trinken! warnte sein Extrasinn.
H. G. Ewers Es hätte dieser Warnung nicht bedurft. Atlan besaß viel zu viel Erfahrung mit Notfällen, um seinen ausgedörrten Körper mit Wasser vollzuschütten. Er nahm zuerst einen Mundvoll Wasser und wartete, bis sein Gaumen und seine Zunge es aufgesaugt hatten. Danach ließ er einen zweiten, kleinen Schluck langsam die Speiseröhre hinabrinnen. Mit eiserner Selbstbeherrschung wartete er anschließend etwa eine Minute, dann trank er in kleinen Schlucken die Kelle leer. Er fühlte sich wie im Paradies, als er das kühle Naß schmeckte und bald darauf spürte, wie es ihn belebte. Seine Wahrnehmungen wurden allmählich klarer. Als der Roboter ihm eine zweite Kelle voll Wasser anbot, trank er sie in einem Zug leer. Für Sekunden schwand das bohrende Hungergefühl, das er nach der ersten Kelle Wasser wieder gespürt hatte. Aber das hielt nur so lange an, bis das Wasser seinen Magen wieder verlassen hatte, dann verstärkte es sich. Es war ein gutes Zeichen, denn es verriet ihm, daß sein Organismus die Zeit des Durstes und des Hungers unbeschadet überstanden hatte. Er schaute sich nach seinen Gefährten um. Lebo Axton hatte die Augen geöffnet, war aber noch zu schwach, um etwas zu sagen. Razamon dagegen richtete sich auf, stand breitbeinig und schwankend vor Kuashmo und deutete mit dem Finger auf seinen offenen Mund. Kuashmo verschränkte die Arme vor der Brust und verneigte sich. »Ich habe alles herrichten lassen, Razamon«, sagte er, nachdem er seinen Oberkörper wieder aufgerichtet hatte. »Wenn ihr so gütig sein wollt, mir zu folgen!« Razamon blickte den Langbeinigen verwundert an, dann schaute er zu Atlan hinüber und grinste. Der Arkonide kannte den Grund, aber im Gegensatz zu dem Pthorer amüsierte er sich nicht über den Eifer Kuashmos, ihnen zu
Die Todeswüste helfen. Er fragte sich nach dem Grund dafür, warum Kuashmo sich so eifrig um drei abgerissene Habenichtse kümmerte, die er vor dem Burgtor aufgelesen hatte. Allerdings konnte er es sich in seiner Lage nicht leisten, die Hilfe abzuschlagen. Er war auch jetzt noch nicht in der Lage, ohne Hilfe zu gehen, und auch Razamon mußte sich von seinen beiden robotischen Helfern stützen lassen. Lebo Axton wurde weiterhin getragen. Kuashmo führte die Besucher zu einem langgestreckten Gebäude an der Nordostseite der Anlage, die, wie Atlan erst jetzt erkannte, ein unregelmäßiges Fünfeck bildete, mit je einem Nebenturm in den Ecken. Auch das Nebengebäude bestand aus schwarzem Marmor, war aber nicht aus massivem Fels herausgehauen, sondern aus sorgfältig bearbeiteten Marmorblöcken errichtet. Sein Dach war trogförmig gewölbt und bestand entweder aus massivem Kupfer oder war mit einer Kupferschicht überzogen. Durch ein vier Meter hohes Portal wurden die drei Männer ins Innere des Gebäudes geführt. Sie gingen durch eine etwa acht Meter hohe Halle, die durch einen starken Mittelpfeiler aus Marmor abgestützt wurde. In zahlreichen Nischen standen Statuen unterschiedlichster Wesen. Nur einige wiesen die Körperform Kuashmos auf. Aus kreisförmigen Löchern in der Decke fiel gelbes Kunstlicht. Auf der gegenüberliegenden Seite der Halle ging es in einen kurzen Korridor und danach in einen langgestreckten Saal, der verblüffend einem Rittersaal in terranischen Burgen des Mittelalters ähnelte. Allerdings wirkte seine Innenausstattung nicht mittelalterlich, sondern modern. Aus verglasten Streifen an den Wänden fiel Licht in den Saal und beleuchtete einen langgestreckten Tisch aus Metallplastik, um den zwölf verstellbare Sessel standen, die Kontursesseln aus terranischen Raumschiffen glichen. Eine Klimaanlage kühlte die Luft im Saal angenehm. Für Atlan war es schon beinahe zu kalt.
47 Und auf dem Tisch standen Gläser, Karaffen, breite Eßschalen – und große Silberschüsseln, die mit unbekannten Früchten, mit Stücken gebratenen Fleisches und unbekannten Gemüsen gefüllt waren. Axton wurde von seinen Betreuern in einen Sessel gesetzt. Aber als die Roboter ihm Fleischstücke in den Mund schieben wollten, protestierte Atlan. Er ließ sich zum Tisch führen, goß aus einem Gefäß, halb Kanne, halb Schüssel, etwas in Axtons Eßschale, das Soße oder dicke Suppe zu sein schien, dann nahm er einen neben der Eßschale liegenden, ungewöhnlich langstieligen Löffel mit schnabelförmiger Kelle und zeigte den Robotern, wie sie Axton füttern sollten. Axton lächelte, und Atlan nickte ihm aufmunternd zu. Anschließend nahm er selbst in einem Sessel Platz. Razamon saß bereits und stopfte sich den Mund voll kleiner Früchte, die einer Kreuzung zwischen Erdbeeren, Kirschen und Himbeeren ähnelten. Er war ebenfalls klug genug, sich nicht sofort an feste Nahrung zu wagen. Atlan nahm sich zuerst etwas von der »Soßen-Suppe«. Sie schmeckte nach gar nichts, bis sich ein Nachgeschmack wie nach Semmelbröseln und Honig einstellte. Anschließend nahm er etwas Obst und Gemüse zu sich – und zuletzt aß er vorsichtig ein paar Fleischstücke, die nach Wild schmeckten und scharf gewürzt waren. Unterdessen hatte Kuashmo den Freunden aus Karaffen eine hellgrüne Flüssigkeit in kurzstielige Gläser, die die Form faustgroßer Schrumpfköpfe hatten, gegossen. Atlan deutete auf ein leeres Glas und sagte: »Schenk dir auch ein, Kuashmo! Wir sind es gewohnt, daß unsere Gastgeber mit uns trinken.« Kuashmo lächelte, ohne den Mund zu öffnen. Atlan merkte es sich. Dann schenkte er sich ebenfalls ein Glas voll. Atlan hob sein Glas. »Auf das, was wir lieben!« »Mögen eure Augen gnädig auf mir ru-
48 hen!« sagte Kuashmo. Er wartete, bis Atlan und Razamon ihre Gläser an die Lippen setzten – Lebo Axton erhielt sein Glas von einem Roboter gereicht –, dann kippte er den Inhalt mit einem Zug hinunter. Atlan nippte erst einmal vorsichtig, dann blickte er respektvoll zu Kuashmo, denn die Flüssigkeit, die der Langbeinige gekippt hatte, bestand aus fast hundertprozentigem Alkohol, dem scharfe Gewürze beigefügt waren. Sie brannte wie Feuer. Razamon schien das nichts auszumachen, denn er folgte Kuashmos Beispiel. Atlan und Axton aber beließen es bei je einem winzigen Schluck. Als der Arkonide merkte, wie sich Müdigkeit in seinem Körper ausbreitete, fragte er Kuashmo nach ihrer Unterkunft. Auch diesmal reagierte der Langbeinige mit unbegreiflichem Eifer. Abermals führte er die Besucher. Razamon und Atlan konnten bereits ohne Hilfe gehen, während Axton noch gestützt werden mußte. Kuashmo brachte sie zu einem riesigen Raum unterhalb der Burghofebene. Dort waren auf dem Boden große Matten ausgebreitet – und darauf lagen wahre Berge von Decken und Polstern. Kuashmo öffnete eine Nebentür und erklärte: »Dort befinden sich die hygienischen Einrichtungen. Wenn ihr sonst etwas braucht oder durch die Burg geführt werden wollt, braucht ihr eure Wünsche nur gegen jenen Spiegel zu sprechen.« Er deutete auf einen übermannshohen ovalen Spiegel aus poliertem Metall, der an einer Wand hing. »Danke!« sagte Atlan. »Du kannst dich jetzt zurückziehen, Kuashmo!« Nachdem der Langbeinige sich unter zahlreichen Verbeugungen entfernt hatte, meinte Razamon: »Das Leben hat uns wieder, Freunde. Ich hatte nicht erwartet, so gastfreundlich aufgenommen zu werden, ehrlich.« »Ich auch nicht«, erwiderte Atlan auf Interkosmo und deutete auf den Wandspiegel,
H. G. Ewers um auszudrücken, daß er das Interkosmo wählte, weil er annahm, daß Kuashmo über einen Spiegel, der auch als »Interkom« diente, ihre Gespräche mithören konnte. »Aber so froh ich einerseits darüber bin, beunruhigt es mich gleichzeitig. Kuashmo scheint uns mit anderen Personen zu verwechseln. Das birgt einigen Konfliktstoff. Wir müssen sehr vorsichtig sein und ihm gegenüber keine eindeutigen Aussagen machen.« »Ich werde schon herausbekommen, für wen Kuashmo mich hält«, erklärte Lebo Axton, der noch immer von zwei Robotern gestützt wurde. »Aber sorgt erst einmal dafür, daß diese beiden Dinger mich freigeben, sonst drehe ich durch!« Sein uraltes Kennon-Robotertrauma kommt zum Durchbruch! teilte der Logiksektor dem Arkoniden mit. Das wird Probleme geben! Atlan eilte zu Axton, stützte ihn und schickte die Roboter weg, dann sagte er: »Diese Dinger sind alberne Blechkästen, Sinclair. Für Männer wie dich eignen sie sich nur zum Spielen, denn sie sind dir in jeder Beziehung weit unterlegen.« Lebo Axton grinste schief. »Wahrscheinlich hast du recht, Lordadmiral. Aber jetzt möchte ich schlafen. Danach sehen wir weiter.« Atlan half ihm zu einem Lager. Im nächsten Moment war Axton eingeschlafen. Inzwischen hatte Razamon die Tür überprüft und herausgefunden, daß sich ihr Schloß verriegelte, wenn man die Hand auf eine Silberplatte daneben legte. »Damit uns niemand stiehlt«, meinte er lächelnd. Atlan ließ sich auf ein freies Lager fallen und seufzte. »Mir ist gar nicht zum Scherzen zumute. Wir haben zwar nur Kuashmo und ein paar Roboter gesehen, aber ich kann mir nicht denken, daß er allein mit den Maschinen auf Odiara lebt. Hier gibt es mit Sicherheit noch einige Überraschungen und Geheimnisse, die uns demnächst zu schaffen machen wer-
Die Todeswüste
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den.« Er schloß die Augen. Razamon sagte: »Ich brenne darauf, die Geheimnisse dieser Burg zu lüften, wenn auch nicht sofort.« Er gähnte. Atlan lächelte, und während er einschlief,
versuchte er sich vorzustellen, was sie in der Burg Odiara noch alles erwarten mochte.
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 449 von König von Atlantis mit: Burg der Geheimnisse von H. G. Ewers