Die Toten vom Klan
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 108 von Jason Dark, erschienen am 13.03.1990, Titelbild: Vicente...
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Die Toten vom Klan
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 108 von Jason Dark, erschienen am 13.03.1990, Titelbild: Vicente Ballestar
Vermummte Gestalten tauchten auf. Im Schein der flammenden Kreuze ritten sie durch die Nacht: Der alte Rassenhaß war wieder aufgebrochen. Ihr Anführer nannte sich Mister Voodoo. Das FBI griff ein und holte Suko und mich in die Südstaaten der USA. Was wir dort erlebten, war beispiellos. Menschenverachtung, Rassenhaß, Voodoo - Zauber. Doch wir mischten mit und zeigten dem verdammten Klan die Zähne...
Der Baum der Freiheit muß hin und wieder mit dem Blut von Patrioten getränkt werden! Thomas Jefferson
*** Wenn sie ihn erwischten, war er ein toter Mann. Dann würden sie ihn killen, foltern, vierteilen, teeren, federn und anschließend verbrennen. Sie kannten weiß Gott genügend Möglichkeiten, um ihn, den Nigger, ins Jenseits zu schicken, so wie es schon ihre Vorfahren getan hatten. Damals aber öffentlicher und unter dem Deckmantel des >gesunden< Patriotismus. Er wußte es, und er tat es trotzdem, denn einer mußte es ja machen. Das hatte er auch seinen Eltern gesagt, die ihn für einen Lebensmüden hielten, für ihn gebetet und in der kleinen Holzkirche Kerzen angezündet hatten. Er war schon immer anders gewesen. Als Kind, als Jugendlicher und jetzt als Erwachsener. Er hatte mit glanzenden Augen die Reden eines John F. Kennedy verfolgt, und er hatte geweint, als dieser Präsident ermordet wurde. Seine Mutter hatte ihn stets getröstet und ihm erklärt, daß sich alles zum Guten wenden würde, und er hatte neuen Mut gefaßt. Seine Intelligenz hatte Jeremias dabei geholfen. Ein alter Lehrer, der in der Dorfschule unterrichtete, hatte ihm und seinen Eltern geraten, weg aus Mississippi zu gehen, in den Norden zu verschwinden, wo er die Colleges und Universitäten besuchen und in Ruhe lernen konnte. Das hatte Jeremias getan, aber gleichzeitig versprochen, wieder zurückzukehren. Er war wieder da. Fr hatte seine Eltern umarmt und sie so vorgefunden wie früher. Kaum etwas hatte sich verändert in Mississippi. Die Zeit war dort stehengeblieben, besonders fühlbar für einen Menschen, der aus der geschäftigen Hektik des Nordens zurückkehrte. In diesem Staat regierten die alten Gesetze, da herrschte der Fluß, derOld Man River, der Mississippi, der gewaltige Strom, der sich dem Golf entgegenwälzte. Das Leben war wie sein Wasser, ein langer, ruhiger Fluß, unter dessen Oberfläche es allerdings brodelte, was ein Fremder kaum mitbekam. Nur Einheimische, die schon länger in diesem Staat lebten, spürten es. Und noch etwas war anders geworden, im Gegensatz zu früher. Es gab eine größere Angst! Sie war erst spürbar, wenn man sicher näher mit den Menschen befaßte. Da merkte man die Unruhe unter der Oberfläche. Früher war die Angst
auf die Schwarzen allein begrenzt worden. Jetzt griff sie weiter über, auf Gruppen, die sich nicht fügen wollten. Auf Umweltschützer, auf junge Leute, die Altes über Bord werfen wollten und die langen Zöpfe abschnitten. »Sie sind wieder da!« So flüsterte man, wenn man unter sich war, und jeder wußte genau, wer oder was gemeint war. In der Nacht, wenn die Fenster offen waren, der Wind über das Land wehte, da hörten sie oft genug das Trappeln der Pferdehufe oder die Motoren der Autos. Dann ritten sie wie ein Spuk durch die Nacht, und schon sehr bald brannten Häuser, Ställe. Da flammten die Kreuze des Klans auf und loderten wie grausame Fanale hinein in die finstere Nacht. Es gab ihn wieder. Er war oft beschworen und totgesagt worden, aber er war niemals gestorben. | Der Ku-Klux-Klan herrschte weiter! Die Männer, die sich in weiße Kutten hüllten, um sich zu vermummen. Man sollte sie nicht sehen. Sie versteckten sich hinter den Masken, die oft ehrenwerten Mitglieder des Gemeindewesens. Die Geschäftsleute, der Mittelstand, aber auch der Pöbel, der als Helfer mitlief. Wichtig war nur, daß man eine weiße Hautfarbe besaß. Und doch war es ein anderer Klan als früher. Unter der Hand flüsterte man von magischen Ritualen, von schlimmen Verbrechen, die unter den schwarzen Segnungen des Teufels durchgeführt wurden. Niemand wußte, wer der Anführer der Horde war, aber ein Name geisterte flüsternd und gänsehauterzeugend von Mund zu Mund. Mister Voodoo! Auch Jeremias hatte von ihm gehört, und er war der Sache nachgegangen. Er konnte nicht zusehen, wie die Menschen seiner Hautfarbe und eben anders Denkende unter Druck genommen wurden. Er wollte auch wissen, ob sich hinter dem Deckmantel der Kutten etwas anderes verbarg, das mit Schwarzer Magie umschrieben wurde. Jeremias, der von seinen Freunden Jerry genannt wurde, hatte lange geforscht, mit vielen Menschen gesprochen und erfahren, daß es einen bestimmten Ort gab, den Schwarze und Weiße tunlichst mieden, weil dort der Teufel hausen sollte. Jerry mied ihn nicht. Er hatte sich in dieser Nacht auf den Weg gemacht, um das Gebiet zu durchsuchen. Es lag abseits der Orte, am Rand des Sumpfes, wo das Gebiet als menschenfeindlich bezeichnet wurde. Wer sich nicht auskannte, wurde gefressen, den gab der Boden nicht mehr her. Jerry versuchte es trotzdem. Er hatte es auch geschafft, den Ort zu erreichen, und mußte zugeben, daß er sich äußerst unwohl fühlte in dieser unheilschwangeren Atmosphäre, wo noch die Wärme des Tages
als stickiger Dunst über dem Sumpf lag, der zu einer Brutstätte für Millionen von Insekten geworden war. Es gab nur wenige Wege, die durch diesen Sumpf führten. Jerry waren einige bekannt, und auch diejenigen, die ihn zum Zentrum führten. Den letzten Rest hatte er auf allen vieren zurückgelegt, er war durch den Schlamm gekrochen und lag nun in Deckung des hohen Sumpfgrases so still wie ein Toter. Jerry Blake war vorsichtig. Der kleinste Fehler konnte seinen Tod heraufbeschwören. Er wußte nicht, ob das Gebiet bewacht wurde. Möglich war alles. Die Männer vom Klan hatten ihre Augen überall, sie kannten sich aus, sie besaßen zahlreiche Zuträger und Spione, deshalb hatte Jerry selbst seinen Eltern nichts von dem Ausflug erzählt. Er wollte sie nicht in Gefahr bringen. Nichts regte sich auf der Lichtung im Sumpf. Sie war von hohen Bäumen umgeben, deren große, fleischige Blätter einen fauligem Geruch ausströmten, der sich dem übrigen Gestank anpaßte. Jerry Blake hatte lange genug geforscht, um sich seiner Sache sicher zu sein. Hier und nirgendwo anders sollte sich das Zentrum befinden. Hier traf sich der verdammte Clan, und an dieser Stelle sollte dieser Mister Voodoo geboren sein. Nach einigen Minuten des Wartens und im völligen Einklang mit der Natur erhob sich Jerry. Auch dies überstürzte er nicht. Er bewegte dabei seinen Kopf, schaute nach links und rechts und dachte daran, daß es schon zahlreiche Opfer gegeben hatte. Nur waren die Leichen nicht gefunden worden. Mr. Voodoo habe sie gefressen, hieß es, wobei Jerry Blake eher an den Sumpf glaubte, als an diese geheimnisvolle Figur. Angeblich hatte die Polizei auch etwas unternommen, aber darüber konnte Jerry nur lachen. Er traute keinem Polizisten aus dem Staat Mississippi, und erst recht keinem Sheriff oder dessen Helfern. Kreise hatte das Verschwinden allerdings schon gezogen. Aber wer kümmerte sich außerhalb des Staates schon darum? Jerry ging geduckt. In seinem dunklen Gesicht sahen die Augen heller aus. Sie besaßen einen matten Glanz, ebenso wie der schwere Revolver, der in seinem Gürtel steckte. Er stammte noch aus dem letzten Jahrhundert, war sorgfältig gepflegt worden und besaß eine Trommel, in die sechs Patronen hineingeschoben werden konnten. Jerry sog die Luft durch die Nase ein. Anhand der Gerüche wollte er sich orientieren. Vielleicht war hier etwas Identifizierbares zurückgeblieben, das er riechen oder schmecken konnte, aber nichts ließ ihn mißtrauisch werden. Die Nacht war sehr dunkel, obwohl der Mond am Himmel fast einen Kreis zeigte. Über weiches Gelände ging er hinweg; es schmatzte, wenn er seine Füße aus den hinterlassenen Trittstellen hervorzog. Der faulige
Geruch umwehte sein Gesicht. Es roch nach Verwesung, nach Moder, irgendwie nach Tod. Jerry blieb mitten auf der Lichtung stehen. Genaues konnte er nicht erkennen, was sich auf dem Boden ausbreitete, verschwamm zu bläulichen Schatten. Doch nicht alles zeigte diese Farbe. Dazwischen schimmerte etwas Weißes, beim ersten Hinschauen nicht genau zu identifizieren, aber Jerry kam es vor, als gehörten diese Gegenstände nicht an diesen Platz. Er wollte es genauer wissen und bückte sich. Dabei überlegte er noch und sagte sich, daß es sich dabei nicht um irgendwelche verfaulten Pflanzenreste handeln konnte. Auch die gaben manchmal ein ungewöhnliches Leuchten ab. Verantwortlich dafür waren chemischbiologische Vorgänge und die von sehr abergläubischen Menschen als geheimnisvolle Geistererscheinungen gehandelt wurden. Bevor er sich kniete, schaute er sich um. Niemand war zu sehen, nichts störte die Ruhe. Dann erst faßte er zu, und seine Finger umschlossen einen Gegenstand, von dem er glaubte, daß es ihn hier nicht geben konnte oder durfte. Es war kein Irrtum! Als er den Fund anhob, um ihn besser erkennen zu können, begann sein Herz schneller zu schlagen. Es war ein Knochen! Bleiches Gebein schimmerte zwischen seinen Fingern. Ob der Knochen von einem Tier oder einem Menschen stammte, konnte er nicht sagen. Seltsamerweise tendierte er mehr zu einem Menschenknochen und spürte, daß es im Hals eng geworden war. Woher stammte er? Wieso fand er auf dieser Lichtung einen Menschenknochen? Und nicht nur dieser lag in greifbarer Nähe. Er brauchte sich nur nach links zu drehen, um einen zweiten und dritten zu finden. Jerry schwitzte und hatte ein absolut bescheidenes Gefühl. Wenn er Luft holte, spürte er das Stechen in der Brust. Der Schweiß rann ihm in die Augen, wo er ein Brennen hintrließ. Er wischte sich die Augen frei, legte den Knochen vorsichtig zur Seite, drückte sich wieder in die Höhe, um seinen Weg gebückt fortzusetzen. Seine Sohlen schleiften über den Boden. Er trat das saftige Gras nieder und hörte bei jedem Schritt das Schmatzen des feuchten Bodens. Er richtete seinen Blick auf einen gewaltigen Baum, dessen Luftwurzeln wie riesige Stolperfallen wirkten. Diese verzweigten Wurzeln bildeten ein regelrechtes Dickicht, und in diesem Dickicht hatte sich etwas bewegt, er hatte es ganz deutlich gesehen! Jerry blieb unbeweglich stehen. Selbst den Atem hielt er an. Schlangengleich suchte sich in dem Dickicht etwas seinen Weg. Er hörte
unheimlich klingende Laute, Geräusche, die an ein Schmatzen erinnerten, und an ein Würgen, als müßte sich jemand übergeben. Ein widerlicher Gestank wehte ihm aus den Lücken entgegen, als würden innerhalb des Wurzelwerks zahlreiche Leichen verfaulen. Dieser Baum war ungemein groß, und sein Wurzelwerk besaß fast die Ausmaße des Blätterwerks, aber was sich dazwischen tat, gehörte nicht in das normale Leben, das erinnerte ihn an die Geschichten, die sich um diesen Ort rankten. An unheimliche, an geisterhafte Vorgänge, an eine dumpfe Magie, von einer Person diktiert, die Mr. Voodoo genannt wurde. Jerry traute sich nicht, eine Lampe einzuschalten. Er wollte nicht genau sehen, was sich zwischen den starren Wurzelfingern abspielte, aber es kam näher. Jemand schob etwas durch eine Lücke nach außen. Bleich und länglich. Jerry bekam eine Gänsehaut, als er es sah. Es war ein Knochen.. . Er dachte sofort an die Gebeine, die er gefunden hatte. Sein Magen zog sich zusammen, im Mund spürte erden bitteren Geschmack von Galle und merkte kaum, daß er zwei kleine Schritte zurückging. Er sah es trotzdem. Jemand, der innerhalb des Wurzelwerks hauste, hatte ein bleiches Stück Knochen ins Freie geschoben, das direkt vor seinen Zehenspitzen liegenblieb. »Mr. Voodoo«, flüsterte Jerry Blake, Mr. Voodoo. Das mußte er sein, die Menschen hatten recht, wenn sie flüsternd von ihm sprachen. Fr mußte dort hausen, verborgen im Wurzeldickicht, und nur zu bestimmten Zeiten hervorkommen. Vielleicht warf er die Reste seiner Nahrung weg, abgenagt und blankgeleckt. Jerry schüttelte sich, als er daran dachte. Plötzlich wollte er nicht mehr länger an diesem verdammten Fleck stehenbleiben. Er kam ihm vor wie ein verfluchtes Stück Erde, das nur ein Ziel kannte. Den Menschen in sich hineinzuziehen. Er lief rückwärts und glaubte ein Raunen zu hören. »Komm her, du kleiner Neger. Komm zu mir, Nigger. Los, ich werde dich zerstören. . .« Jerry Blake schwitzte noch stärker. Er hatte nicht erkannt, ob es sich um eine männliche oder weibliche Stimme gehandelt hatte. Für ihn war sie normal gewesen. Aber wenn es sich bei dem nicht sichtbaren Wesen um den geheimnisvollen Mr. Voodoo gehandelt hatte, dann mußte er doch ein Mann sein, worauf das Wort Mister hinwies. Auf der Lichtung blieb er noch einmal stehen, um zurückzuschauen. Der gewaltige Baum mit seinem aus dem Boden gedrückten Wurzelwerk hob sich wie ein finsteres Mahnmal ab. Dort lauerte das Grauen, und er hatte es gesehen.
Der Schock saß tief, obwohl er irgendwie damit gerechnet hatte. Plötzlich vernahm er ein anderes Geräusch. Nicht aus seiner Nähe, sondern ziemlich weit von ihm entfernt, aber er kannte den Laut, und der wiederum machte ihn mißtrauisch. In einem anderen Land, in einer anderen Gegend hätte er kaum darauf geachtet, hier war alles anders. Hier erzeugte die Normalität Mißtrauen, wie eben das Geräusch eines laufenden Automotors. Das erinnerte Jerry wieder an sein eigenes Fahrzeug. Er hatte den rostroten Käfer nahe der Straße abgestellt, allerdings in guter Deckung, damit er von dernormalen Fahrbahn her nicht sofort gesehen werden konnte. Einige Minuten mußte Jerry schon laufen, um den Käfer zu erreichen, und er beeilte sich jetzt. Schattengleich huschte er durch den Sumpf, blieb immer auf dem Weg, dessen grüne Decke durch nicht sichtbare Bohlen darunter verstärkt worden war. Rechts und links von ihm glänzte das Sumpfwasser, als hätten sich dort zahlreiche große, dunkle Augen zu kleineren Seen vereinigt. Wasser spritzte unter den Tritten des Mannes auf. Tropfen benetzten sein Gesicht. Er duckte sich unter Zweigen hinweg und war froh, als der Boden unterihm an Härte zunahm, ein Zeichen dafür, daß er die Straße fast erreicht hatte. Sie gehörte nicht zu den Highways, war auch nicht durchgehend asphaltiert, nur nahe der Orte hatte man für eine normale Fahrbahndecke gesorgt. Aber hier im Sumpfgebiet war sie nicht mehr als ein breiterer, buk-keliger Feldweg. Jerry schaute sich öfter um. Er hatte die Geräusche nicht vergessen. Irgendwo in der Nähe mußte ein Fahrzeug herfahren, doch ersah kein t>lasses Scheinwerferpaar. Allein der Mond glotzte wie ein hellgelbes Auge vom Himmel herab. Jerry mußte vom Weg ab und wühlte sich mit wilden Armbewegungen durch sperriges, hinderliches Gestrüpp, bis er den Platz erreicht hatte, wo er den VW abgestellt hatte. Gott sei Dank, er war noch! Blake fiel fast über den Käfer. Er atmete heftig, schüttelte den Kopf und mußte sich erst einige Sekunden Ruhe gönnen, bevor er die Tür öffnen konnte. Erschöpft fiel er hinter das Lenkrad. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken. Er wußte noch nicht, was er unternehmen sollte, er hatte ja bereits etwas getan, das jedoch war bisher noch nicht von einem Erfolg gekrönt worden. In Germany hieß es, daß ein Käfer immer ansprang. Und auch in den Staaten ließ dieser Wagen seinen Besitzer nicht im Stich. Blake hatte den Zündschlüssel kaum herumgedreht, als der Heckmotor mit seinen typischen Geräuschen ansprang.
Das war der Moment, in dem sich bei Jerry Blake der Stau löste und er einen Schrei der Erlösung ausstieß. Er hatte viel erreicht, und er hatte es lebend geschafft. Der Boden war auch hier tief. Die Reifen des Fahrzeugs hatten sich hineingewühlt, aber die Kraft des Motors sorgte dafür, daß der Käfer gut freikam. Jerry Blake konnte nicht mehr auf die Umgebung achten. Er setzte den Wagen zurück, rammte mit ihm einen sperrigen Strauch, kurbelte am Lenkrad, kam gut weiter und rollte rückwärts auf die schmale Fahrbahn, die an dieser Stelle keine Asphaltdecke aufwies. Er wollte zurück nach Cottonwood, wo er bei seinen Eltern lebte. Jerry wußte noch nicht genau, ob er ihnen alles berichten sollte. Wie dem auch sei, es mußte weitergehen, andere sollten etwas tun, mit ihm zusammen, denn er war zu schwach. Der Käfer stand auf der Straße. Jerry wollte ihn nach rechts wenden, als es passierte. Plötzlich kam er sich vor wie auf dem Hof eines Zuchthauses, wo ein Flüchtling versuchte, die Mauern zu überwinden, es aber nicht mehr schaffte. Die grellen Scheinwerferstrahlen hatten ihn von allen Seiten eingefangen. Er konnte nichts mehr sehen. Vor ihm standen die Lichter wie blendende Sonnen, stachen in den Käfer hinein und leuchteten das Innere taghell aus. Instinktiv hatte er einen Arm angewinkelt und ihn vor seine Augen gehalten, um sich zu schützen. In dieser Haltung blieb er sitzen, unfähig, sie zu verändern. Durch seinen Kopf rasten unzählige Gedanken, die sich allerdings nicht in eine bestimmte Richtung konzentrierten. Es war eben alles anders geworden. Dann riß jemand so jeftig die Tür auf, daß Jerry befürchtete, sie würde aus den Angeln gezerrt. Er hörte die Stimme, die er nicht kannte, aber die beiden Worte reichten aus, um ihm Angst zu machen. »Raus, Nigger!« *** Jerry Blake hatte die Stimme nicht erkannt, sie klang auch verzerrt, wahrscheinlich deshalb, weil der Sprecher nicht frei reden konnte und ihn der Stoff vor seinen Lippen hinderte. Er wiederum mußte ein Teil der weißen Kapuze sein, die der Redner über seinen Kopf gestülpt hatte. Blake rührte sich nicht. Er blieb in dieser Haltung mit dem halberhobenen Arm hocken und traute sich nicht, die Augen zu öffnen. »Er will nicht«, sagte ein anderer. »Der Nigger macht auf stur.«
»So was.« Dann hörte Jerry ein Lachen. Das Geräusch war noch nicht verklungen, als eine Hand nach seinem linken Oberarm griff. Zuerst war die Berührung nur sanft, beinahe streichelnd, dann verwandelte sich die Hand in eine Zange, die schmerzhaft zudrückte. Es war ein brutaler, ein böser Druck. Jerry öffnete den Mund zu einem Schrei, bis ihm einfiel, daß er nicht jammern wollte. Nein, nicht er. Er wollte den Leuten vom Ku-Klux-Klan keine Gelegenheit geben, sich über ihn lustig zu machen. Denen nicht. So blieb er stumm. Auch als er den heftigen Ruck spürte, der ihn nach links aus dem Fahrzeug zerrte. Da er sich noch nicht angeschnallt hatte, kippte er weg. Schwer schlug er auf den Boden. Glücklicherweise war es kein Asphalt, er konnte sich noch zusammenreißen und einen Schrei unterdrücken, aber er lag den anderen zu Füßen. Genau das war es, was ihn so störte und demütigte. Das Licht blendete ihn nicht mehr direkt. Es strahlte mehr an ihm vorbei, und Jerry öffnete die Augen. Dicht vor ihm schwangen die hellen Saume und Enden der verdammten Kutten. Ja, es waren die Männer vom Ku-Klux-Klan, die ihm hier aufgelauert hatten, die Bescheid gewußt haben mußten, wohin er gegangen war, und seine Rückkehr abgewartet hatten. Jetzt würde er auch zu den Opfern gehören, die irgendwo im Sumpf verschwanden. Noch lag er, aber kräftige Hände zerrten ihn auf die Beine, und er bekam den ersten Schlag - in den Magen. Jerry krümmte sich zusammen und würgte. Jemand, der hinter ihm stand, riß ihn an seinen kurzen Haaren wieder hoch und flüsterte: »Nigger, du stinkst!« »Alle Nigger stinken.« Einige lachten, dann redete wieder der erste Spreeher. »Und damit sie mit ihrem Gestank nicht die Gegend verpesten, werden wir sie kurzerhand verbrennen.« »Ja, er soll lodern.« Jemand stieß Jerry in den Rücken. Der Schlag trieb ihn voran, hinein in das grelle Licht der Si heinwerfer, die wie Glotzaugen aus den Kühlergrillen der beiden Geländewagen hervorstachen. Gegen eines dieser Fahrzeuge fiel er, spürte die Faust im Nacken, die seinen Kopf nach unten und das Gesicht auf das Blech drückte. Seine Nase hatte einen Stoß abbekommen und begann zu bluten. Der Schmerz wühlte sich hoch bis in seine Stirn. Er holte keuchend Luft, wobei Speichel aus seinem Mund auf das Blech rann.
Es kam Jerry vor wie ein Alptraum aus dem letzten Jahrhundert. Nur war es das nicht. Was er erlebte, spielte sich real ab, und er war das Opfer. Er stand zwischen den Fronten und würde auf furchtbare Art und Weise von ihnen zerrieben werden. Jemand zog seinen Kopf wieder hoch, denn ein anderer Vermummter war da, der etwas in seiner Hand schaukelte und es dann lachend über Jerrys Kopf streifte. Unter dem Kinn setzte es sich fest, schleifte rauh an der Halshaut entlang und wurde in seinem Nacken zusammengezogen. Nun erst war Jerry klar, daß man ihm eine Schlinge um den Hals gelegt hatte. . . Einer zog ihn zurück, ein anderer trat dicht vor ihn. Er konnte das Gesicht nicht sehen; der weiße Stoff lag in Wellen davor. Nur hinter den beiden Einschnitten leuchteten die Augen. Sie waren dunkel und glitzerten böse. »Nigger muß man teeren, federn, hängen und anschließend verbrennen!« flüsterte er. Blake war entsetzt, behielt aber die Ruhe und fragte: »Hat dir das Mr. Voodoo beigebracht?« Blake hatte die Frage so laut gestellt, daß sie auch von den anderen gehört wurde. Ihre flüsternden, zischenden Stimmen verstummten. Fs wurde plötzlich still, zu still, wie Blake fand. Jemand trat vor und schob den Knaben mit der jungen Stimme mit sanfter Gewalt zur Seite. »Was weißt du über Mr. Voodoo, Nigger?« »Viel, vielleicht alles oder auch nichts!« Der Mann vor ihm nickte. Auch von ihm sah Jerry nur die Augen. Er überlegte, wo er sie schon einmal gesehen hatte. Sie kamen ihm bekannt vor. Dieser Blick hatte ihn oft getroffen, nur wollte es ihm nicht in den Sinn, wo das gewesen war. Der Vermummte griff unter seine weiße Kutte und holte ein Messer hervor. Dicht über dem Seil berührte die Spitze den Hals des Farbigen. »Noch einmal, Bimbo, was weißt du über Mr. Voodoo? Was, zum Henker?« »Ich habe ihn nicht gesehen, ich hörte von ihm.« »Von wem?« »Man spricht darüber.« »Wer denn?« »Alle.« Das Messer wich nicht. »Meinst du vielleicht die Nigger in deiner Umgebung?« »Ich sagte alle. Auch Weiße.« »Du könntest ihm die Kehle jetzt durchschneiden!« hetzte jemand aus dem Hintergrund, aber der Mann mit dem Messer schüttelte den Kopf. Er redete wieder auf Blake ein. »Weißt du überhaupt, was du gesagt hast, Nigger? Weißt du es? Mr. Voodoo ist etwas Besonderes. Er steht über den Menschen. Er ist ein Macher, ein Dämon, er wird bald herrschen und uns von der schwarzen Pest befreien, damit das klar ist. Typen wie du dürfen seinen Namen
nicht in den Mund nehmen. Aber damit wirst du nichts mehr zu tun haben, Nigger, gar nichts mehr. Toter als du kann man bald nicht mehr sein, wenn du verstehst.« »Dann stoß doch zu!« knirschte Jerry. »Das wäre zu einfach für dich. Du hättest im Norden bleiben sollen. Wir werden deine Sippe ausräuchern, begriffen, Nigger? Ihr müßt weg. Den Namen Blake wird es in Cottonwood bald nicht mehr geben. Das schwöre ich dir.« Das Licht der Scheinwerfer strahlte in Blakes Rücken. Der Schwarze glaubte, eine Hölle zu erleben. Er schwitzte vor Todesangst. Wie Wasser rann der Schweiß über seine Stirn. Er hatte sich als mutigen Menschen bezeichnet, dieser Mut war jetzt dahinge-schmolzen wie Schnee in der Sonne. Der Mann nahm das Messer weg. Diese Bewegung mußte ein Zeichen für die anderen gewesen sein, denn sie faßten Blake von zwei Seiten an. »Deine Rostlaube werden wir in den Sumpf fahren!« flüsterte man ihm zu und zerrte ihn weiter. Für Blake war es furchtbar, denn zwei kräftige Hände hielten das Ende des Galgenstricks fest, und der Schwarze mußte seine Beine den Gehbewegungen der beiden Männer anpassen, wollte er nicht erdrosselt werden. Die Vermummten trugen weder Fackeln noch Lampen. Das Licht der Scheinwerfer reichte ihnen aus, und es verbreitete sich zu einem gespenstisch bleichen Dreieck, wobei Bäume und Buschwerk konturenklar aus dem Dunkel hervorgerissen wurden. Einer bildete ein besonders mächtiges und sperriges Gebilde. Eine sehr alte Korkeiche, die ihr Geäst über den Weg ausgebreitet hatte. Starke Äste, von denen einige eine Tiefe besaßen, die den Klanmännern wunderbar entgegenkam. Da brauchten sie nicht einmal eine Kiste, wenn sie den Schwarzen hängen wollten, das konnten sie auch vom Boden aus erledigen. Schwungvoll schleuderten die beiden Männer das Ende des Seils über den Ast und hielten es auch weiterhin fest. Sie warteten auf einen Befehl des Anführers, der erst noch wollte, daß Jerry Blake einen halben Schritt zurückging, um die ideale Position einzunehmen. Jemand rollte ein Faß heran, kantete es hoch, und ein anderer brachte einen Sack mit Federn. »Wir halten unser Versprechen!« erklärte der Anführer. »Erst teeren, danach federn, dann hängen, zum Schluß verbrennen. So entspricht es den alten Ritualen!« Jerry holte tief Luft. Es fiel ihm nicht leicht, auch im Innern des Halses kratzte es, nicht nur außen, wo der Strick über die dünne Haut scheuerte. »Jeder Christenmensch wird euch dafür verfluchen!« rief er. »Jawohl, verfluchen!«
»Wer sagt dir denn, daß wir Christenmenschen sind?« wurde ihm geantwortet. »Hat der Ku-Klux-Klan sich nicht hinter dem falschen Glauben versteckt? War es nicht so damals?« »Halt dein Maul, Nigger! Rede nicht über Dinge, von denen du keine Ahnung hast.« Jerry schwieg. Er machte sich nicht einmal Vorwürfe, daß er den Weg gegangen war. Er hatte damit rechnen müssen, daß es schiefgehen würde. Abersterben wollte er auch nicht. Er hatte das Rätsel des Mr. Voodoo lösen wollen, ihm war Hilfe versprochen worden, es war auch jemand gekommen, aber er hatte sich dem Weißen nicht so recht offenbaren können. Da bestand noch eine Kluft. Das Faß mit dem Teer war mittlerweile geöffnet worden. Der scharfe Geruch erreichte auch die Nase des Schwarzen und trieb ihm den Magen in die Höhe. Eine Hand stieß hoch in den Lichtteppich der hellbleichen Scheinwerfer. Die Einger umklammerten einen Quast, diesen breiten Pinsel, den auch zahlreiche Maler benutzen, um Wände mit Kleister zu bestreichen. »Soll ich?« Der Anführer nickte. Dabei schlug der Stoff seiner Kapuze Wellen, und der Frager tauchte den Quast in das offene Faß. Er bewegte ihn etwas in der zähflüssigen Masse. Als er ihn wieder hervorholte, klebte das Zeug wie schwarzer Leim an den dichten Haaren des Quasts fest, und einer der Klanmänner meinte: »Wir sollten ihn ausziehen und dann anstreichen. Fr hat dann mehr davon.« Die anderen grölten. Sie alle wollten sich die Zeit dafür nehmen. Nur einer nicht. Er gehörte nicht zu ihnen. Sie sahen ihn auch nicht, aber sie hörten ihn, als ihr Grölen verstummte. »Wer sich jetzt noch rührt, bekommt das Blei kostenlos!« *** Die Worte hauten rein! Niemand — auch Jerry Blake nicht — hatte mit einem fremden Zeugen gerechnet, zudem mit einer Person, die sich auf die Seite des Schwachen stellte. Deshalb war ihr Schock so groß, und deshalb schafften sie es nicht, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Sie blieben stumm, bis auf Jerry, dessen heftiges Atmen sich in den Klang der Schritte des Unbekannten mischte. Er hatte bisher schräg hinter dem Galgenbaum gestanden. Jetzt ging er weiter, blieb nach wie vor in Deckung, so daß keiner erkennen konnte, welche Waffen er besaß.
»Schön ruhig!« sagte er. »Tut immer, was ich euch sage. Vor allen Dingen ihr mit dem Strick. Laßt ihn los!« Die beiden Kerle zögerten. Sie schauten auf ihren Anführer. Erst als dieser nickte, lösten sie ihre I lande. »Ich hätte auch nicht mehr länger gewartet«, erklärte der Unbekannte. Er hatte eine scharfe Stimme und besaß nicht die breite Aussprache des Südens. Jerry Blake aber fiel ein Stein vom Herzen. Auch der harte Würgedruck war weg. Er blieb noch auf dem Fleck stehen, hob seine zitternden Arme, bevor er die leicht gekrümmten Finger zwischen Hanf und Haut steckte und den Knoten lockerte. Er streifte die Schlinge über den Kopf und schleuderte sie wütend zur Seite. Mit einem Klatschen verschwand sie im hohen Gras. »Stellt euch zu den anderen!« befahl der unsichtbare Sprecher, dessen Stimme sich schon zufriedener anhörte, weil alles bisher nach Plan gelaufen war. Den beiden blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Nach wie vor verbargen die Kapuzen ihre Gesichter. Der Stoff leuchtete wie frisch gefallener Schnee. Von zahlreichen Augenpaaren wurden ihre Schritte überwacht, doch keiner machte auch nur den Versuch, sich gegen den Mann im Dunkeln zu stellen. Er besaß die absolute Kontrolle, und niemand wußte, wie er bewaffnet war. Die Mitglieder des Ku-Klux-Klans glichen Statuen, die allerdings jeden Moment aus ihrer Erstarrung erwachen und das Heft in die Hand nehmen konnten. Sie warteten nurauf einen Fehler des unsichtbaren Helfers. Der regte sich zunächst nicht. Erst als die Mitglieder des Ku-Klux-Klans zusammenstanden, sprach er Jerry Blake an. »Du wirst so tun, Blake, als wären die anderen nicht da. Komm in meine Richtung, aber denk an deinen Freund. Vielleicht willst du ihm etwas davon zurückzahlen.« »Darauf kannst du dich verlassen, Mister.« Trotz der Anstrengung brachte Blake ein Grinsen zustande. Es war ihm anzusehen, daß er sich freute. Erleichterung machte sich breit. Der Typ mit dem Quast rührte sich nicht. Neben ihm blieb Blake stehen. Der Farbige war innerlich erregt. Am liebsten hätte er sich auf den Mann gestürzt, dann überlegte eres sich anders. Er drehte ihm den Quast aus der Hand und hörte unter dem Kapuzenstoff einen Fluch. Sekunden später war der Mann lauter zu hören, denn da hatte ihm Jerry die Kapuze vom Kopf gerissen. »So also sieht jemand aus, der einen Menschen anderer Hautfarbe hängen wollte!« flüsterte Blake. »Kennst du ihn?« erkundigte sich die Stimme aus dem Dunkel.
»Ja, er wohnt in Cotton wood und hilft an einer Tankstelle aus. Ein mieser Typ.« Der Kerl rührte sich nicht. Er hatte dichtes, dunkles Haar. Eingefettet lag es auf seinem Kopf. Seine Haut wirkte im Licht der Scheinwerfer gelblich bleich. Dann strich Blake ihn an. Er hatte es zuvor nicht angekündigt und führte den Quast von oben nach unten. An der Stirn begann der schwarze Schmier, hörte am Kinn auf, wo er sich verdünnte. Noch einmal strich Blake über tias Gesicht, diesmal quer. Dann ließ er den Quast sinken, trat zurück und hörte den Angestrichenen stöhnen. »Die anderen auch?« rief er in das Dunkel hinein. Der Helfer war vorsichtig. »Nein, wir wollen es nicht übertreiben. Aber wir werden sie uns holen.« Und plötzlich schoß er. Die Stille der Nacht zerplatzte, als die harten Salven aus dem Schnellfeuergewehr rasten, in die beiden Wagen schlugen, Scheinwerfer und Reifen zerfetzten und die Fahrzeuge somit fahruntüchtig gemacht hatten. Die Vermummten erstickten fast an ihrer Wut. »Bleibt nur stehen!« rief der Mann. »Rührt euch weiterhin nicht.« Sie wußten, daß sie die schlechteren Karten besaßen und gehorchten. Jerry Blake hatte seinen Weg fortgesetzt. Fr blieb neben seinem Helfer stehen, der ihn nicht anschaute und nur fragte: »Kannst du mit einer Kanone umgehen?« »Klar.« »Dann hier!« Fr reichte ihm eine Waffe. »Nein, ich habe selbst eine.« Erst jetzt erinnerte sich Blake an den alten Colt-Revolver in seinem Gürtel. Er steckte so versteckt, daß ihn die Klan manner bisher nicht gesehen hatten. Zudem hatte Jerry es auch nicht gewagt, die Waffe zu ziehen. »Wohin?« »Mir nach. Mein Wagen steht nicht weit entfernt!« flüsterte der Helfer, der blondes Haar hatte und zur Tarnung dunkle Kleidung trug. Erschoß noch einmal. Die Kugeln fegten über die Köpfe der Vermummten hinweg, ohne einen Menschen zu verletzen. Sie waren die letzte Warnung des blonden Mannes. Dann rannten sie. Zunächst blieb es ruhig hinter ihnen. Es dauerte Sekunden, bis sich die Verbrecher von ihrem Schrek-ken erholt hatten. Dann aber war die Hölle los. Es begann mit gellenden Schreien, mit wilden Rufen. Schon fielen die ersten Schüsse. Ungezielt feuerten die Männer in den Sumpfwald hinein, durch den Jerry und sein Helfer hasteten. Der Blonde lief voran.
Er kannte sich gut aus, nahm kurze Wege und hörte die keuchend gestellte Frage des Farbigen. »Wo steht eigentlich dein Wagen, Mister?« »Auf dem Trockenen.« Damit hatte er eine kleine Insel inmitten des Sumpfgebietes gemeint. Nur ein Weg führte zu ihr und einem alten Blockhaus, das Vorjahren einmal bewohnt gewesen war, dessen Wände aber jetzt vor sich hinfaulten. Jerry Blake kannte sich ebenfalls aus. Da sie eine bestimmte Richtung eingeschlagen hatten, wußte er auch, wo sie landen würden. So schlau konnten die Verfolger auch sein. Sie sahen sie nicht, aber sie hörten sie. Ihre Schreie gellten durch den Wald, hin und wieder wurde geschossen, und dem Klang der Stimmen war zu entnehmen, daß die Vermummten sich geteilt hatten und einen Kreis bilden wollten. Der Untergrund war an zahlreichen Stellen zäh, als wollte er die Menschen zurückhalten. Blake rutschte aus, fiel, raffte sich wieder hoch und hörte die dumpfen Schritte des Blonden, der über einen mit Holzbohlen befestigten Weg rannte, um endlich auf die kleine Insel zu gelangen. Da stand sein Wagen. Eben ein Geländefahrzeug mit breiten und tiefprofiligen Reifen. Verschlossen war es nicht, der Mann stieg ein und wartete auf Blake. Auch der Farbige kletterte in den Wagen, dessen Motor bereits lief. »Glaubst du, daß wir es schaffen, Mann?« Der Blonde zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Mal sehen. Ach so, ich heiße übrigens Abe Douglas.« »Ich bin Jerry Blake, Lebensretter.« »Weiß ich.« »Was? Woher?« Der Blonde lachte. »Hast du uns nicht gerufen?« Blakes Gesicht vereiste, bevor er lachte und seine Augen anfingen zu leuchten. »Dann bist du aus dem Norden gekommen. Ich meine, dann sind Sie ein. ..« »Ja, ein G-man.« »Ha, endlich. Hatte nicht gedacht, daß die Administration so schnell reagiert.« Douglas nickte heftig. »Hast du eine Ahnung, mein Freund, wie schnell wir sein können. Und ich bin noch nicht alles.« »Nein?« Abe gab keine Antwort, weil er sich auf die Strecke konzentrieren mußte, die nicht einfach zu fahren war. Sein Fahrzeug schaukelte über die Unebenheiten des Bodens hinweg. Tiefe Querrillen und hohe Buckel wechselten sich ab mit blakenden Pfützen, braungrünem Sumpfgras und tiefen morastigen Löchern, aus denen der Wagen nur mühsam wieder herauskam und jedesmal zur Seite kippte, wenn er hineinfuhr.
»Wenn die Bescheid wissen!« keuchte Jerry, der sich auf dem Beifahrersitz unruhig bewegte, »werden sie auf oder an der Straße lauern und uns unter Feuer nehmen.« Douglas nickte. »Vorausgesetzt, sie sind schneller als wir.« Er schaute Jerry kurz an. »Du hast ja deine Kanone?« »Sicher.« Blake hob die Waffe hoch. Er machte es dem G-man nach und kurbelte auch die Scheibe an seiner Seite herunter. »Okay.« Douglas gab Gas. Der Untergrund war härter geworden. Zwar rissen die Räder noch immer Grassoden hervor, aber er konnte jetzt, nahe der normalen Straße, schneller fahren. Sie erreichten sie, ohne daß sich ihnen jemand in den Weg gestellt hätte. Heftig kurbelte Douglas das Lenkrad nach links. »Halte nur die Augen weit auf, mein Junge, denn mein linker großer Zeh juckt.« Trotz des Ernstes der Lage mußte Blake lachen. »Was soll das denn?« »Das gibt Ärger.« Noch war davon nichts zu sehen. Das bleiche Licht der Scheinwerfer fiel über die Straße, die auch hier mehr einer Piste glich. Douglas war zufrieden und löschte das Licht. Im Dunkeln fuhren sie weiter. Jerry Blake hatte sich dicht an die Tür gedrückt und starrte aus dem Fenster. Der Fahrtwind trocknete den Schweiß auf seinem Gesicht. Er nahm die Gerüche wahr, horchte nach fremden Geräuschen und versuchte, in die Lücken zwischen den Bäumen zu schauen, ob sich dort irgend jemand zeigte. Nichts war zu sehen. Sie fuhren in eine Kurve. Nicht weit davon hatten die Vermummten den Farbigen hängen wollen. Wenn etwas passierte, dann war es hier eine günstige Stelle. Das sagte Blake auch. Der G-man nickte nur. Sein Schnellfeuergewehr lag neben ihm. Blake traute es diesem Mann zu, daß er mit einer Hand lenkte und mit der anderen schoß, auch wenn es die linke war. Auf einmal wurde es lebendig. Die Schatten erschienen rechts und links. In ihren hellen Kutten hoben sie sich wie Inseln aus der Schwärze ab. Und sie schössen. Der FBI-Agent gab Gas. Der Geländewagen war zwar keine Rakete, spurtete trotzdem einigermaßen und wühlte sich praktisch aus dem Untergrund frei. »Da müssen wir durch!« brüllte Abe, als er nach dem Gewehr griff und aus dem Fenster feuerte. Er hielt es nur mit der linken Hand, hatte den Kolben noch zwischen Ellbogen und Körper geklemmt und den Lauf auf die Fensterkante gelegt. Aber auch die anderen schössen. »Duck dich!« brüllte derG-man.
Jerry war nicht einmal dazu gekommen, einen Schuß abzugeben. Um ihn herum explodierte die Welt. Scheiben wurden zerblasen. Kugeln umschwirrten sie wie bösartige Hornissen, deren Stiche oft tödlich waren. Die Männer vom Ku-Klux-Klan hielten zum Glück nicht auf die Reifen, was fatal gewesen wäre. Douglas schoß, als er sich duckte und >blind< weiterfuhr, wobei er hoffte, auf dem Weg bleiben zu können. Auch Jerry feuerte jetzt. Er schrie dabei, spürte Blut im Gesicht, schoß weiter und wurde abermals von einem Splitterregen erwischt. Dann waren sie durch. Abe kam aus seiner Deckung hoch. Sein Gesicht war verzerrt. Er riß den Wagen nach rechts, weil sie dicht an einem Straßengraben entlangschlitterten. Hinter ihnen wurde noch geschossen, aber keine Kugel traf mehr. Selbst die Reifen waren okay. »Nicht gestoppt!« keuchte Jerry, »nicht gestoppt.« Er wischte Blut aus seinem Gesicht. Splitter waren ihm wie kleine Messer in die Haut gefahren. Douglas nickte nur und stöhnte. Dieses Stöhnen gefiel dem Farbigen gar nicht. »He, Partner, was ist mit dir?« »Nicht so schlimm!« keuchte Abe. »Nicht so schlimm.« Er saß geduckt hinter dem Lenkrad, das Gesicht verzerrt, und erst jetzt sah Jerry das Blut, das aus einer Wunde quoll und die Kleidung des Mannes näßte. Eine Kugel hatte ihn an der Hüfte erwischt, auch die Schulter war in Mitleidenschaft gezogen worden. »Kannst du noch fahren?« »Schlecht.« »Das mache ich.« Sie hielten an und wechselten. Jerry besah sich die Wunden. Sie waren nicht tief, mehr Streifschüsse, aber sie bluteten stark. »Du mußt in ein Krankenhaus.« »Ja, in Cottonwood.« »Das schaffen wir.« Der Farbige hatte seine Furcht vergessen. Für ihn kam es darauf an, so rasch wie möglich Cottonwood zu erreichen. Mit der medizinischen Betreuung dort konnte man zwar keinen Staat machen, die Ärzte wären als Veterinäre besser gewesen, aber mit Schußwunden kannte man sich aus. In einem Land wie diesem gab es immer wieder mal Ärger. . . Zehn Minuten später lag der Ort vor ihnen. Die Lichter gaben einen bläulich-weißen Schein ab. Aus den Bars jaulte Musik, Widerschein bunter Leuchtreklamen huschte über die Main Street, Staub trieb in trägen Wolken hindurch.
Weiter hinten lagen die Wohnhäuser, manche groß und prächtig, andere wiederum kleiner. Dort lebten die Weißen, die Schwarzen besaßen ihre Gegenden an der anderen Seite der Straße. Und das Krankenhaus lag in der Mitte. Ein flacher Bau, mit einem breiten Eingang für die Notaufnahme, wo Jerry Blake stoppte. »Wir sind da, Partner.« »Gut!« flüsterte Abe. »Morgen bin ich wieder auf den Beinen.« Dann sank er zur Seite und war bewußtlos geworden... *** WELCOME IN MISSISSIPPI Wir hatten dieses Schild gesehen, als wir aus Richtung Norden in den Staat hineinfuhren. Wir hatten es gesehen und in Erinnerung behalten, denn es zeigte nicht nur die Schrift, sondern daneben die Abbildung einer glücklichen Familie. Vater, Mutter und zwei Kinder... Einfach wunderbar, wie man hier leben konnte, vorausgesetzt, man war weiß wie die Familie auf dem Schild. »Ein schönes Land«, sagte Suko. Er deutete auf die schnurgerade Straße, die ein gewaltiges Baumwollfeld teilte. Dann grinste er. »Ob die auch Chinesen mögen?« »Keine Ahnung.« »Ich glaube nicht, und dabei singen sie 'God bless America'. Er hat wohl vergessen, manche Ecken im Süden zu segnen, sonst wären wir nicht hier.« Da mußte ich meinem Freund und Kollegen recht geben. Mit diesen wenigen Worten hatte er eigentlich unseren Fall umrissen, wobei ich noch immer nicht überriß, daß wir uns tatsächlich in Mississippi befanden, einem der südlichsten Staaten der USA. Uns hatte ein Hilferuf erreicht. Abe Douglas, ein G-man, mit dem wir schon einige Abenteuer erlebt hatten, wußte nicht mehr weiter. Es ging eigentlich um zwei Dinge. Erstens um den Ku-Klux-Klan und zweitens um den Anführer dieser Gruppe, der Mr. Voodoo genannt wurde. Das hatte Abe stutzig werden lassen, hinzu kam noch, daß zahlreiche Menschen aus der Umgebung eines Ortes namens Cottonwood verschwunden waren und das Gerücht umging, daß der Klan sie geopfert hätte. Rituelle Opfer, eben einem gefährlichen Kult, der möglicherweise etwas mit Voodoo zu tun hatte. Wenn Abe mit seinen Kollegen darüber sprach, wurde er nicht richtig ernst genommen, aber er glaubte fest daran, daß mehr hinter den
Gerüchten steckte. Und er hatte es geschafft, uns nach Mississippi zu holen. Wir waren nicht ungern gefahren, denn die Klan-Leute gehörten zu den Menschen, die ich nicht mochte. Ja, man konnte sagen, daß ich diese Typen haßte, die es noch immer nicht begriffen hatten, daß man als Mensch tolerant sein mußte, und daß diejenigen, die eine andere Hautfarbe und einen anderen Glauben besaßen ebenso viel wert waren wie die Weißen. Sie versuchten immer wieder, die Herrschaft der weißen Rasse festzuschreiben, besonders in den südlichen Staaten der USA, wo ihre perversen Ideen auf fruchtbaren Boden fielen und man den Norden noch immer haßte. »Ihr werdet in eine kleine Hölle kommen!« hatte uns Abe am Telefon versprochen. An diesen Satz mußte ich denken, als wir die Straße entlangfuhren und uns über das schwülfeuchte Klima ärgerten, denn in London hatte der Spätherbst schon die ersten Nachtfröste gebracht. Wir sahen nur wenig Menschen auf den Feldern, die Baumwollstauden nahmen uns den größten Teil der Sicht. In die Felder hinein führten schmale Wege, die von zahlreichen Reifenspureh gezeichnet worden waren. Es war hoher Mittag, ziemlich heiß, und die Sonne stand wie ein Glutball am Himmel. Am Flughafen hatten wir uns einen Wagen geliehen, einen Ford Camaro. Suko hätte zwar lieber einen BMW gehabt, der aber war nicht zu bekommen gewesen. Und dann hörten wir das Heulen. Es war ein Geräusch, das uns beide zusammenzuk-ken ließ, hinter uns aufgeklungen war, mich zwang, in den Rückspiegel zu schauen. Suko auf dem Beifahrersitz drehte sich um. »John, sag mir, daß wir nicht im Kino sind.« »Wieso?« »Hinteruns hängt ein Sheriff, glaube ich. Das ist kein Film aus der Highway-Serie.« »Bestimmt nicht.« In der Tat sah es so aus wie in den einschlägigen Streifen. Ein Patrol Car hatte sich auf unsere Spur gesetzt, dabei waren wir uns keiner Schuld bewußt. Der Wagen mußte irgendwo in Deckung der Zufahrten gelauert und abgewartet haben. Der Wagen des Sheriffs holte auf. Seine wimmernde Sirene lockte Gaffer von den Feldern. Zum erstenmal sahen wir die Arbeiter, die durch Lücken auf die Straße schauten. Es waren zumeist Schwarze, mit schweißglänzenden Gesichtern und breiten Hüten auf dem Kopf, um sich vor der Sonne zu schützen.
Ich ging vom Gas, der Wagen rollte langsam dahin und gab dem Polizisten die Chance, zu überholen. Zwei Leute hockten im Patrol Car. Beide trugen Sonnenbrillen und breitkrempige Hüte, was Suko abermals zu einem Kopfschütteln veranlaßte. »Das sind wirklich Typen wie in einem Highway-Streifen.« »Ja, fehlt nur noch Burt Reynolds.« »Willst du den nicht spielen, John?« »Danke, darauf kann ich verzichten.« Ich mußte rechts an den Fahrbahnrand, der Polizeiwagen stoppte hinter uns. »Jetzt bin ich mal gespannt«, sagte Suko und mußte leise lachen, als sich die Beifahrertür des Patrol Cars öffnete und ein Mann ausstieg, der ebenfalls in einem der von Suko angesprochenen Filme einen Sheriff hätte markieren können. Der Mann war ein Ereignis — wirklich! Groß, breitschultrig, ohne dick zu wirken. Der graue Hut war tief in die Stirn gezogen worden. Die Gläser der dunklen Sonnenbrille waren nur halb zu sehen. Er ließ sich Zeit, kam langsam auf uns zu. An den Stiefeln des Gesetzeshüters blinkten Sporen, der breite I^edergürtel zeigte ebenfalls Silberbeschläge, und an der rechten Seite hing in einer provozierenden Art und Weise seine Waffe, ein schwerer Colt. An der anderen Seite des Gürtels steckte in einer Tasche ein Notizbuch, das das schwarze Leder ausbeulte. Suko grüßte. Ich konzentrierte mich auf das Gesicht des Sheriffs. Viel sah ich nicht. Dicke Wangen, einen breiten Mund, dessen Unterkiefer sich bewegte, weil der Typ seinen Gummi kaute. Es kam zu uns. Ich kurbelte die Scheibe sehr langsam nach unten, hörte ihn fast stöhnend atmen, bevor er lässig gegen die Krempe seines Huts tippte. »Ich bin J.J. Wilson«, sagte er mit einer Stimme, die zwar geduldig klingen sollte, es aber nicht war. »Wie schön für Sie«, erwiderte ich lächelnd. »Sie sind der Sheriff?« »Gut gesehen, Mister.« »Eine Frage, Sir, weshalb haben Sie uns angehalten. Sind wir zu schnell gefahren?« »Nein«, dehnte er. »Oder wird hier ein Film gedreht?« fragte Suko, der sich zur Seite beugte. »Hier stelle ich die Fragen«, blieb der Sheriff kühl. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Sheriff, aberSie kommen mir vor wie jemand, der in den Highway-Filmen immer von Burt Reynolds auf den Arm genommen wird.«
Suko hatte es im Spaß gemeint, den aber konnte der Sternträger überhaupt nicht vertragen. Er bückte sich ein wenig, starrte an mir vorbei und nahm seine Brille ab, um Suko besser sehen zu können. Der Sheriff roch nach Schweiß, seine Augen aber gefielen mir überhaupt nicht. Sie wirkten so gläsern, einfach neutral. »Chink, du hältst dein Maul, sonst scheiße ich dich durch die große Mauer!« Ein Londoner Polizist hätte sich diesen Ton nicht erlauben können, aber in den Staaten fühlen sich manche Sheriffs wie kleine Herrgötter, vor denen alle kuschen. »Was ist ein Chink?« fragte Suko lächelnd. Der Sheriff grinste und zeigte dabei auf lange, gelbe Zähne. »Eine Ratte mit kotzgelber Haut.« »Schauen Sie mal in den Spiegel.« Der Mund des Sheriffs schloß sich. Er selbst zog sich zurück. »Das gibt Ärger«, flüsterte ich Suko zu. Kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, riß J.J. Wilson mit einem heftigen Ruck die Fahrertür auf, zog seine Kanone und fauchte uns an: »Raus! Alle beide!« »Schön«, sagte ich, Suko dabei einen Seitenblick zuwerfend. So kannte ich meinen Freund nicht. Der war ansonsten die Ruhe in Person, aber der Sheriff hatte ihn mit seinem provozierenden Auftreten nervös gemacht. Wir verließen den Wagen, und der Mann, der mit J.J. Wilson gefahren war, kam ebenfalls heran. Der Sheriff hatte die Waffe wieder weggesteckt, sein Kollege als Schutz reichte ihm, und der Typ war das genaue Gegenteil des Sheriffs. Knochig, lang, auch dürr, mit Fingern, die ständig in Bewegung waren. Sein Gesicht besaß einen traurigen Ausdruck. Er sah aus, als wollte er jeden Moment anfangen zu weinen. Die ungesunde Gesichtsfarbe erinnerte mich an einen Teig, der zu dünn war und allmählich riß. »Gibt es Probleme, Chief?« »Kaum, aber durchsuch die beiden mal.« »Gern, Chief. Wen zuerst?« »Den Chink.« Der Dürre grinste breit. »Danke, Chief. Ich liebe Chinks. In Frisco habe ich mal zwei von ihnen gefressen.« »Ah«, sagte Suko. »Deshalb siehst du so schlecht aus, Mister. Hast dir wohl den Magen an ihnen verdorben. Auch ich bin unverdaulich.« Der Deputy oder wer immer es sein mochte, bekam einen gemeinen Blick. »Mann«, sagte er zu Suko. »So wahr ich Tom Markowitz heiße, dich mache ich hier fertig.« Er näherte sich Suko ziemlich drohend. Chief Wilson hielt wieder seine Kanone in der Hand, ich sprach ihn jetzt an. »Hören Sie, Chief, lassen Sie uns vernünftig reden.«
»Zu spät!« Markowitz hatte Suko inzwischen erreicht. »Hände auf das Dach, Chink, dann umdrehen, aber das kennst du ja.« »Und dann?« Der Deputy lief rot an. Er gehörte zu der Sorte Choleriker. »Mach schon, verdammt!« Suko nickte. »Moment noch, denn ich möchte mich zuvor gern ausweisen, wenn möglich.« Markowitz war überfragt. Daß ein Festgenommener so reagierte, überstieg seinen geistigen Horizont. Er warf seinem Boß einen fragenden und hilfesuchenden Blick zu, der jedoch war nicht in der Lage, eine Antwort Zu geben, denn er starrte auf den Ausweis, den ich ihm unter die Nase hielt, wobei ich fragte: »Können Sie lesen, Chief?« Bestimmt sagte ihm das Papier nichts. Aber es sah amtlich aus, da schaute der Chief schon näher hin. Markowitz bekam noch immer keine Antwort. Seine rechte Hand hatte er auf den Griff der Waffe gelegt. Im Moment war es still zwischen uns geworden, nur die Sonne brannte vom Himmel. Ihre Strahlen stachen in unsere Nacken. »Lesen Sie das mal, Kollege!« Chief Wilson schaute hoch. Jedenfalls sah ich es an den Bewegungen seiner Augenbrauen. Er hatte auch aufgehört zu kauen. »Kollege?« »Richtig.« Fast unwirsch schüttelte er den Kopf. »Vielleicht aus dem Norden, Mister?« »Auch?« »Bundespolizei?« »Nein, wir kommen über den großen Teich, aus Großbritannien, wenn Ihnen das etwas sagt. Es gibt da eine Polizeiorganisation, die sich Scotland Yard nennt. Haben Sie den Begriff schon gehört?« Der Chief überlegte. »Das ist doch dieser Sherlock Holmes oder so?« Ich grinste gequält. »Nicht ganz, Chief, nicht ganz. Sherlock Holmes war erstens ein Privatdetektiv und zweitens eine Romanfigur des Autors Sir Conan Doyle. Mein Kollege Suko und ich sind echte Polizisten von Scotland Yard.« »Hm.« J.J. Wilson schaute noch einmal auf den Ausweis und hob die Schultern. »Ich weiß auch nicht, was ich dazu sagen soll. Jedenfalls sind Sie keine amerkanischen...« »Stimmt.« Er bekam wieder Oberwasser. »Und haben hierauch nichts zu sagen, wie ich meine.« »Das würde ich nicht so unterstreichen, schließlich hat man uns in die Staaten geholt.« »Wer denn?«
»Mr. Abe Douglas, New Yorker FBI-Beamter für Sonderaufgaben. Wir wollten ihn bei Ihnen hier in Cotton-wood treffen.« »Ach ja?« »Sie können ihn fragen.« J.J. Wilson warf noch einen Blick auf den Ausweis und reichte ihn mir dann mit einer widerwillig anmutenden Geste zurück. Ich steckte ihn wieder ein. »Können wir jetzt fahren?« »Wohin?« »Zu Mr. Douglas.« Wilson rieb sein Kinn. »Das wird nicht einfach sein, Mister. Er. . . ihm ist ein kleines Unglück passiert. Er liegt in unserem Krankenhaus.« »Was?« fuhr ich den Sheriff an. »Na ja, nichts Schlimmes. Zwei Kugeln, die nicht richtig getroffen haben.« Ich hatte meine Gesichtsfarbe verloren, schaute zu Suko hin, der über das Dach des Fords hinweg ebenfalls erstaunt blickte und es nicht fassen konnte. »Wie ist das denn passiert?« fragte er. »Fr geriet in einen Hinterhalt, wie ich hörte. Nun ja, Sie müssen wissen, daß wir hier in Mississippi leben, und in diesem Staat die Uhren etwas anders laufen als im Norden.« »Sie sind also konservativer.« Der Chief lachte mit weit geöffnetem Mund. »Das ist gut gesagt, Mister. Da haben Sie recht.« »Und Sie halten nicht viel von Menschen, die keine weiße Hautfarbe besitzen«, meldete sich Suko. »Das habe ich mitbekommen. Ihr Gehilfe hier ist das beste Beispiel.« »Nun ja, Tom ist etwas überreizt.« Wilson versuchte abzuschwächen. »Aber an den Tatsachen, daß die Uhren hier etwas anders laufen, können auch Sie nicht vorbei.« »Was heißt das im einzelnen?« erkundigte ich mich. »Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Jedenfalls würde ich Ihnen raten, nicht allzu tief herumzuschnüffeln. Ich kann für keinen meiner Landsleute garantieren.« Diese durch die Blume gesprochene Warnung war im Prinzip deutlich genug. Aber damit hatten wir gerechnet. Wir wußten, daß wir in ein Pulverfaß stechen würden. Von Abe Douglas hatten wir zwar nur generelle Informationen bekommen, aber der Begriff des Ku-Klux-Klan ließ doch gewisse Rückschlüsse zu. »Weshalb seid ihr eigentlich hier?« fragte der Sheriff. »Abe Douglas lud uns ein.« Wilson schüttelte den Kopf. »Doch nicht einfach so. Da steckt mehr dahinter.« »Möglich.« »Und was?«
»Vielleicht der Ku-Klux-Klan«, sagte Suko. Die beiden Gesetzeshüter erstarrten. Ich hatte damit gerechnet, daß sie lachen würden, denn die meisten Menschen stritten die Existenz des Klans Fremden gegenüber ab, und erst recht Leute wie der Sheriff und sein Deputy. J.J. Wilson öffnete den Mund und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Ach nein, Sie glauben daran?« »Natürlich.« »Dann sind Sie schlauer als ich.« »Und die Verschwundenen?« erkundigte sich Suko mit einer fast säuselnden Stimme. Der Sheriff legte die Stirn in Falten. »Wie meinen Sie das denn, Mister?« »Im Bereich Ihrer Stadt sind zahlreiche Menschen verschwunden, wenn uns nicht alles täuscht.« »Wer hat Ihnen das gesagt?« »Raten Sie mal.« Chief Wilson nickte. »Douglas hat Sie hergeholt, er wird Sie auch mit Informationen gefüttert haben. Allmählich sehe ich klarer.« Er rieb sein Kinn. »Aber was der FBI-Mann sagt, muß nicht der Wahrheit entsprechen.« »Dann gibt es den Ku-Klux-Klan nicht?« hakte ich nach. »Das habe ich nicht gesagt. Hier gibt es ihn nicht. Fahren Sie hundert Meilen weiter, dort werden Sie ihm möglicherweise begegnen. Früher gab es ihn auch hier, aber heute.. .« Erhob die Schultern und tat unheimlich unschuldig. »Aber davon dürfen wir uns doch selbst überzeugen, oder nicht?« erkundigte ich mich sanft. »Weshalb?« »Wir reden mit Douglas.« Das war dem Chief unangenehm. Leider konnte ich seine Augen hinter den Gläsern nicht erkennen. Bestimmt gefiel es ihm nicht, was wir vorhatten, aber wir waren nicht bereit, uns von ihm ins Bockshorn jagen zu lassen. Wir hatten eine Aufgabe zu erledigen und waren nicht die Typen, die so leicht aufgaben. »Was ist, wenn Sie mit Douglas gesprochen haben?« wollte J.J. Wilson wissen. »Das wissen wir noch nicht. Wir müssen überlegen, wie es dann weitergeht, Mister.« Er schob seinen Hut etwas in den Nacken. »Am besten wird es sein, wenn Sie Cottonwood wieder verlassen. Ich habe Ihnen schon von den Menschen in diesem Staat berichtet. Sie sind eben anders als im Norden. Ich kann für Ihre Sicherheit nicht garantieren.« »Soll das eine Warnung sein, Chief?« »Nein, nur ein Ratschlag. Meine Warnungen, Sinclair, sehen anders aus. Aber wir sind ja so etwas wie Kollegen, nicht wahr? Obwohl ich nicht
einsehe, daß sich zwei Männer aus Europa in unsere Aktionen einmischen. Das gefällt mir nicht.« »Wo finden wir Abe Douglas und das Krankenhaus?« erkundigte ich mich. Der Chief lachte wieder. Es klang unnatürlich. »Ich möchte nicht unhöflich sein, deshalb fahren wir vor Ihnen her. Sie können Douglas besuchen und dann.. .« Er hob die Schultern. »Denken Sie immer an meinen Ratschlag, Sie beide. Ich kann nicht überall sein, wenn Sie verstehen.« »Das brauchen Sie auch nicht«, meinte Suko. »Wirklich, das ist nicht nötig.« Bevor der Sheriff einstieg, drohte er mit seinem behandschuhten Zeigefinger. »Sie sollten die Dinge nicht auf die leichte Schulter nehmen. Verwechseln Sie Cottonwood nicht mit London.« »Das bestimmt nicht.« Die beiden Gesetzeshüterstiegen ein. Auch wir setzten uns wieder in den Wagen, Suko regulierte die Air condition. »Zwei seltsame Vögel«, meinte er. »Ja, Alter. Ich bin gespannt, welche Vögelchen uns noch über den Weg flattern werden...« *** Cottonwood öffnete sich uns, und ich hatte das Gefühl, in eine Filmkulisse zu fahren. So kannte ich die Orte aus den amerikanischen Streifen, die ich mir oft genug auf dem Bildschirm angeschaut hatte, und auch im Kino. Die Stadt wirkte verschlafen, lag unter den Strahlen der Sonne, und jede Bewegung, egal, wer sie durchführte, kam mir träger vor als bei uns in London. Ich sah hohe Silos, deren Aluhaut im Licht spiegelblank glänzte. Kleine Betriebe hatten sich am Stadtrand angesiedelt. Auch Tankstellen waren dort vorhanden, und in der City, die tatsächlich von einer Main Street geteilt wurde, verteilten sich die Geschäfte. Man hatte hier genügend Platz gehabt, um bauen zu können. Dementsprechend großzügig war alles geworden. Alte und neue Reklameschilder bildeten eine friedliche Koexistenz, und selbst die so bekannten Drugstores tauchten hier noch auf und waren nicht von irgendwelchen In-Bars verdrängt worden wie in den Großstädten. »Sieht richtig friedlich aus«, bemerkte Suko, wobei der Sarkasmus nicht zu überhören war. »So friedlich wie Chief Wilson.« Mein Freund lachte. »Genau, John. Was hältst du von ihm? Wie schätzt du ihn ein?« »Wie du.« »Für mich ist er ein aufgeblasener Ochsenfrosch.«
»Allerdings gefährlicher. Vergiß nicht, daß Chief Wilson hier das Sagen hat. Sein Wort ist Gesetz. Der kann uns mehr Ärger machen, als uns lieb ist.« Suko runzelte die Stirn. »Mich würde interessieren, wie er zum Ku-KluxKlan steht.« »Das wird er dir nicht sagen und mir auch nicht. Er bestreitet die Existenz. Das haben die Verantwortlichen schon immer getan, wie ich weiß. Du wirst kaum einen Menschen finden, der dir die reine Wahrheit sagt. Erst recht keinem Fremden.« »Dann müssen wir uns durchwühlen.« »Genau.« Ich sah, daß Markowitz blinkte, weil er links abwollte. Wir rollten durch eine der schmaleren Straßen, die von Holzbauten gesäumt wurde. Nur ab und zu sahen wir ein Fenster. Hinter den Wänden wurde gearbeitet. »Was kann Abe passiert sein?« fragte Suko leise. »Wir werden es bald wissen.« »Angeschossen.« Mein Freund blieb beim Thema. »Ob er bereits Kontakt mit dem Ku-Klux-Klan hatte?« »Davon gehe ich aus.« »Ich frage mich nur, was mit den verschwundenen Menschen geschehen ist?« »Der Sumpf ist groß.« Wir hatten die schmale Straße durchfahren und sahen vor uns ein größeres Bauwerk, das aus roten Ziegelsteinen errichtet worden war. Zwar mit einem Flachdach versehen, erreichte es trotzdem zwei Etagen. Mehrere Wagen standen auf einem Parkplatz, den auch die Gesetzeshüter ansteuerten. Wenig später hielten wir neben ihnen und stiegen aus. Der Chief war bereits ausgestiegen. Er schob seine Sonnenbrille höher und deutete auf den Eingang mit der Glastür. »Er liegt in der ersten Etage. Die Zimmernummer ist zwanzig.« »Danke.« »Moment mal«, sagte er und grinste dabei. »Was werden Sie tun, nachdem Sie ihn besucht haben?« Ich hob die Schultern. »Das kann ich Ihnen noch nicht sagen, Chief. Das wird die Situation ergeben.« »Ah ja. Am besten wäre es, wenn Sie wieder zurückfliegen. Wie ich Ihnen schon sagte, Cottonwood kann für manche Menschen zu einem sehr unangenehmen Aufenthaltsort werden.« »Wir, Chief, tun keinem etwas. Daran sollten Sie denken. Läßt man uns in Ruhe, lassen wir auch die anderen in Frieden. Wir werden keinen Streit provozieren.« »Kann ich davon ausgehen, daß Sie noch länger bei uns bleiben wollen?« »Das kommt ganz allein auf die Lage an. So, und nun lassen Sie uns zu unserem Freund.«
Er sagte nichts mehr. In der Glastür spiegelte sich seine Gestalt. Wir erkannten, daß er uns nachschaute. Kühle empfing uns und eine steril aussehende Krankenschwester, die sich nach unseren Wünschen erkundigte. Sie ließ Gnade vor Recht walten, und wir konnten gehen. Kaum jemand begegnete uns, nur einmal kamen uns zwei dunkelhäutige Schwestern entgegen, die uns aus großen Augen anstarrten. Fremde waren in Cottonwood wohl selten. Ich betrat nach dem Klopfen als erster den Raum und trat hinein in das Halbdunkel. Es war ein Einzelzimmer. Vor dem Fenster hing eine Jalousie, das Sonnenlicht wurde gefiltert und zeigte sich auf dem Boden als Streifenmuster. Abe schlief, aber seine Instinkte besaß er noch. Als wir neben seinem Bett standen, öffnete er blitzschnell die Augen. Wir sahen den Verband an seinem Arm, das etwas blasse Gesicht und den erstaunten Ausdruck in den Augen. »Hi, Abe, du alter Tiger, da sind wir.« Als Antwort zwinkerte er einige Male, und Suko meinte grinsend. »Du träumst nicht, G-man.« »Jetzt glaube ich es auch.« Ich hatte zwei Stühle geholt. Neben dem Bett ließen wir uns nieder. »Nun erzähl mal, Abe. Wir hörten schon, daß es dich erwischt hat.« »Zwei Streifschüsse. Ich werde bald wieder auf den Beinen sein. Noch zwei Tage, dann laufe ich.« »Das wünschen wir dir. Aber wie ist es passiert?« Douglas war kein Geschichtenerzähler, der alles groß ausschmückte. Mit dürren Worten berichtete er von dem Vorfall, in den er hineingeraten war. Wir hörten vom Ku-Klux-Klan, wir erfuhren den Namen Jerry Blake und auch den geheimnisvollen Mr. Voodoo. Über ihn wollten wir mehr wissen, doch unser Freund aus den Staaten mußte passen. »Sorry, ich glaube, daß ihr euch da an Jerry Blake wenden solltet. Fr hat etwas gesehen.« »Was denn?« »Das kann ich euch nicht sagen, weil er nicht dazu kam, mit mir darüber zu reden.« »Und wo finden wir Blake?« fragte Suko. »Ich glaube, bei seinen Eltern. Er ist wieder zurückgekehrt und wohnt bei ihnen.« »Bist du sicher?« Abe wischte über seine Stirn, auf der ein leichter Schweißfilm lag. »Nein, nicht sicher, aber. . .« Er verstummte, weil er nachdenken wollte. »Es kann auch sein, daß er mit Marsha zusammen ist.« »Seine Freundin?« fragte ich.
»Ja. Auch ihretwegen ist er zurückgekehrt. Die beiden mögen sich schon seit frühesten Kindertagen. Marsha ist hier aufgewachsen und arbeitet in einem Drugstore, im Cottonwood Drug. Ihr könnt den Laden nicht verfehlen, er liegt an der Main Street.« »Ist sie dunkelhäutig?« fragte Suko. »Ja, ein Mischling, sehr hübsch. Weiß war ihre Mutter, aber das werdet ihr selbst sehen.« »Weiß Sie mehr über den Ku-Klux-Klan?« Abe starrte mich fast mitleidig an. »John, wenn du fragst, weiß hier niemand etwas. Den Ku-Klux-Klan gibt es nicht.« »Auch nicht Mr. Voodoo?« »Nicht offiziell.« »Konnte dir Jerry Blake wirklich nichts mehr mitteilen?« hakte Suko nach. »Nicht viel. Fr allerdings glaubt an Mr. Voodoo und muß so etwas wie einen Kontakt mit ihm gehabt haben. Bevor ich genauer nachfragen konnte, passierte es dann. Ich habe die Klan-Leute gesehen, es gibt sie. Ich habe Jerry retten können. Er muß ihnen verdammt dicht auf den Fersen gewesen sein.« »Das glauben wir auch.« Abe Douglas verzog das Gesicht. »Ihr glaubt gar nicht, wie ich mich fühle. Ich liege hier, dabei wollte ich euch zur Seite stehen, denn ich kenne mich etwas aus. Ich habe mich im Ort umgesehen, ich kenne die Infrastruktur etwas, ich hätte euch zur Seite stehen können, aber durch die beiden Kugeln...« »Abe«, sagte ich, mich zu ihm hinabbeugend, »du hast schon genug für die Sache getan. Wärst du nicht gewesen, hätte man Jerry Blake fertiggemacht.« »Stimmt. So weit ist es in unserem Land schon gekommen. Wie sagt man? God bless America. Er hat dabei wohl vergessen, die Menschen zu segnen. Laßt euch von der Ruhe nicht täuschen. Unter dieser Oberfläche brodelt es gewaltig.« Das glaubten wir ihm aufs Wort. Ich wollte noch von Abe wissen, wie er zu Sheriff Wilson stand. Starrheit kehrte in seinen Blick zurück. »Chief Wilson.« Er lachte leise auf. »Er ist der Macher, er hat seine Hände überall, seine Augen ebenfalls. Er weiß viel.« Suko trat aus dem Sonnenmuster. »Auch einiges über den Ku-KluxKlan?« »Bestimmt.« »Macht er mit?« Der G-man überlegte, bevor er sich zu einer Antwort bequemte. »Ich will niemand verdächtigen, ich kann es euch wirklich nicht sagen. Jedenfalls
ist er ein Typ, der genau in diese verdammte Gegend hineinpaßt. Hilft euch das weiter?« »Kaum.« »Geht davon aus, daß nur wenige Menschen so stark sind, daß man sich auf sie verlassen kann. Alle anderen müßt ihr mit größter Vorsicht genießen.« »Ja«, murmelte ich, »das glauben wir auch.« Ich schaute zum Fenster. »Okay, Abe, dann werden wir wieder verschwinden. Werde schnell gesund.« »Hör auf, Mann. Ich bin längst gesund. Leider spielen mir die Arzte einen Streich. Ich wäre längst wieder auf den Beinen, wenn sie hier nicht das Sagen hätten.« »Es ist besser, wenn du deine Kugellöcher auskurierst.« »Nur Streifschüsse, Suko.« »Auch die reichen.« »Wo wollt ihr hin?« »In den Drugstore«, sagte ich. »Wir haben beide Hunger und könnten auch einen Schluck vertragen. Wenn wir dort sind, werden wir nach Marsha fragen.« »Ja, Marsha Lamont. Sie arbeitet im Schichtdienst. Vielleicht habt ihr Glück, daß sie schon früh angefangen hat. Dann hat sie bald Feierabend.« »Was verkehrt dort für ein Publikum?« »Es ist schwer zu sagen, John. Der Sheriff übrigens auch. Für ihn ist immer ein Platz reserviert. Zumeist sind es Weiße. Sie lassen zwar Farbige hinein, müssen Sie auch bedienen, aber die Atmosphäre würde den schwarzen Mitbürgern nicht gefallen, deshalb ziehen sie es vor, den Laden nicht zu betreten.« »Aber Marsha. . .« »John, sie ist ein Halbblut, zudem noch eine Frau und auch sehr hübsch. Leicht hat sie es dort nicht. Wenn betrunkene Weiße durchdrehen, muß sie sich wehren.« Suko schüttelte den Kopf. »Das ist ja wie in den einschlägigen Filmen. Hätte ich nicht gedacht.« »Sicher.« Wir verabschiedeten uns von Abe. An der Tür erreichte uns noch seine Stimme. »Solltet ihr weitere Fragen haben, ruft an oder kommt her. Ich will auch wissen, wer sich hinter Mr. Voodoo verbirgt und ob es sich dabei tatsächlich um einen Dämon oder einen Teufel handelt. Irgendwo werde ich das Gefühl nicht los, daß er die Menschen beeinträchtigt.« »Wir fragen Jerry.« Mit etwas gemischten Gefühlen verließen wir das Krankenzimmer. Der Wagen des Chiefs stand nicht mehr vor dem Gebäude, nur auf unseren Ford fielen die Sonnenstrahlen.
Wir stiegen ein, und ich sah das besorgte Gesicht meines Freundes Suko. »Mir hat man mal gesagt, John, daß der Süden noch die alte amerikanische Lebensweise ausstrahlt. Seit wir hier sind, glaube ich nicht mehr daran. Die Art und Weise gefällt mir nämlich nicht.« »Frag mich mal«, sagte ich und hämmerte die Tür zu. *** Einen Vorteil besaß der Ort Cottonwood. Er war groß genug, daß wir überall einen Parkplatz fanden. Selbst vor dem Cottonwood Drug fanden wir noch genügend Platz. Er lag an der Main Street zusammen mit den anderen Geschäften, Bars und Kneipen. Stepwalks, diese hölzernen Gehsteige, wie aus den Westernfilmen bekannt, gab es zwar nicht mehr, aber zahlreiche Häuser besaßen noch die Vorbauten über den Eingängen. Auch das Lokal, das wir uns ausgesucht hatten. Reklameschilder aus Blech lehnten vor dem Schaufenster. Hinter der Scheibe sah es typisch aus. Da stand die Seife neben dem Bier, die Putzlappen neben den belegten Brötchen. Man verkaufte Candies und Schmieröl, Reisigbesen und Taschenlampen nebst Batterien, Ventilatoren und Fliegenklatschen. Hüte und Vasen waren im Angebot, außerdem Lebensmittel und Waschmittel. Hinter der langen Theke arbeiteten die Männer, doch das Lokal selbst befand sich in einem Anbau. Man hatte rechts der Theke einen Durchbruch geschaffen, aus ihm wehten uns zahlreiche Stimmen entgegen. Zu dieser Stunde schien der Laden gut besucht zu sein. Das warerauch. Wir traten ein in den Wirrwarr, über dem der Rauch zahlreicher Zigaretten und Zigarren hing. Durch die Fenster schienen Sonnenstrahlen, nur eines war durch eine Jalousie abgedeckt worden. Den Chief oder seinen Helfer entdeckten wir nicht. An den Tischen hockten die Einheimischen, zumeist Männer und so gekleidet, wie man es von ihnen erwartete: Jeans, derbe Hemden, die großen Hüte oder die strapazierfähigen Jacken. Man trank Kaffee oder Bier, aß die Schnellgerichte, schaufelte Kuchen in sich hinein, und Abe Douglas hatte uns nicht angelogen, denn wir entdeckten kein dunkelhäutiges Gesicht, bis auf eines. Es gehörte einer jungen Frau, die hinter der Theke bediente. Das mußte Marsha sein. Sie trug knallenge Jeans, wir sahen es, weil sie uns den Rücken zugewandt hatte und an einer großen Kaffeemaschine hantierte. Vor dem Körper hatte sie sich eine Schürze gebunden. Ihre rote Bluse saß locker und ließ von der oberen Figur nur mehr einiges ahnen. Als sie sich umdrehte, sahen wir ihr Gesicht.
Es war rund, mit wunderschönen großen Augen, sie hatte noch etwas Kindliches und trug ihre Haare zu Zöpfen geflochten. Die Haut besaß die Farbe von Milchkaffee. Ihre Lippen waren feingeschwungen, und der schlanke Hals zeichnete sich als zarte Linie nach. Als sie uns sah, runzelte sie die Stirn. Wahrscheinlich wußte sie nicht, wo sie uns hinstecken sollte. An der Theke waren noch einige Hocker frei, nebeneinander konnten wir uns niederlassen. Suko saß rechts von mir. Zwei Hocker weiter saß ein breitschultriger Mann mit sonnenbrauner Haut, einem kräftigen Körper und einer Nase, die wie eine scharfe Ecke aus seinem Gesicht ragte. Er schaute Suko mit einem Blick an, der weder ihm noch mir gefallen konnte, hielt sich allerdings zurück, wobei Suko den Blick kaum zur Kenntnis nahm. Marsha Lamont besaß ihr Reich hinter der Theke. Für die Bedienung der Tischgäste war ein schmalhüftiger junger Mann zuständig, der ziemlich schwitzte. Ein zweiter hatte ebenfalls Thekendienst und sorgte für die Getränke, die der andere bestellte. Der zweite Mann sah aus wie ein Mexikaner, wurde aber Jim gerufen. Wir mußten warten, denn Marsha füllte sechs große Tassen mit frischem Kaffee aus der Maschine. Daneben stand, sorgfältig von einer großen Glasglocke bedeckt, ein Kuchen. Man konnte auch Spiegeleier bekommen, gebratenen Schinken, Mais, selbst Croissants waren käuflich zu erwerben, und natürlich Hamburger. Das Mädchen schob ihr Tablett der Bedienung zu und wandte sich an uns. Dabei wußte sie nicht, ob sie lächeln oder ernst bleiben sollte. Sie sah so aus, als würde sie über uns nachdenken. Zumindest lächelten wir. »Der Kuchen ist frisch?« fragte ich nach einem kurzen Gruß. »Ja, sehr frisch.« »Ich nehme ein Stück zum Kaffee.« »Für mich bitte das gleiche«, bestellt Suko. »Gern.« Es dauerte nicht lange, da stand beides vor uns. In den Staaten habe ich schon oft Kaffee getrunken, den man nur als Brühe bezeichnen konnte. Hier nicht, denn hier schmeckte er nach Bohnen, und auch der Kuchen war ein kleines Gedicht. Marsha freute sich, daß es uns schmeckte, und wir geizten auch nicht mit Komplimenten. Als sie die Teller abräumen wollte, flüsterte ich ihr etwas zu. »Sie sind Marsha Lamont, nicht wahr?« Das Mädchen erstarrte. Ihre Finger umfaßten dabei noch die beiden Tellerränder. »Ja, wieso?«
Ich schaute gegen den Ventilator unter der Decke, der sich müde drehte und wohl mehr zur Dekoration dort hing. Frische Luft verströmte er nicht, er verteilte den Mief nur, sorgte aber für etwas Kühlung. »Wir möchten Sie gern sprechen, Marsha.« Sie zögerte. Noch immer umfaßte sie die Tellerränder und schaute uns dabei an. »Sie sind fremd hier«, gab sie flüsternd zurück, »aber nicht so fremd, als daß ich nicht über Sie etwas Bescheid wüßte.« »Von Jerry?« Marsha erschrak. »Bitte, nennen Sie keine Namen. Nicht hier im Drug. Hier ist alles anders.« »Wann machen Sie denn Schluß?« »Sie haben Glück, in einer halben Stunde werde ich abgelöst.« »Wunderbar!« freute ich mich. »Dann können wir ja gemeinsam etwas unternehmen.« »Weiß nicht.« »He, Marsha, meine Tasse ist leer. Sie wartet darauf, gefüllt zu werden. Aber schnell.« Der Mann neben Suko hatte gesprochen und sich dabei etwas vorgebeugt. »Natürlich, Mr. Morris, sorry.« Marsha bewegte sich plötzlich hektisch. Suko und ich hatten das Gefühl, daß dieser Morris zu den Leuten gehörte, die im Ort etwas zu sagen hatten oder jedenfalls fest daran glaubten. Wir dachten, daß wir sein Interesse verloren hätten, aber er sprach uns weiter an. »Sie sind fremd hier, wie?« »Ja«, erwiderte Suko. »Ich habe mit dir nicht geredet, Chink.« Suko wurde nicht blaß, er tat gar nichts. Starr blieb er sitzen. Beleidigungen wie diese war er gewohnt, auch aus London, aber hier häuften sie sich, und das ärgerte uns doch. »Wie kommen Sie auf Chink?« fragte ich. Morris lachte. »Ich nenne Chinesen so. Einige arbeiten auf meinen Feldern und pflücken Baumwolle.« »Wie schön für Sie. Sie pflücken, damit Sie hier hok-ken und Kaffee trinken können.« Ich hatte ihm eine lockere Antwort gegeben, wenn auch mit einem brisanten Inhalt versehen. So hatte wahrscheinlich noch niemand mit ihm gesprochen, und Morris brauchte einige Zeit, um meine Worte zu verdauen. Vor seiner Antwort holte er tief Luft. »Eigentlich hätte ich Sie auspeitschen lassen können«, sagte er, »aber ich weiß, daß Sie fremd sind und auch mit dem Chief kamen. Deshalb will ich Ihnen sagen, wer ich bin. Morton Morris ist mein Name. Ich besitze die größte Plantage in der Umgebung von Cottonwood. Mein Wort gilt hier etwas, es ist so gut wie das Gesetz.« »Dann taugt das Gesetz nichts«, erklärte Suko.
Morris runzelte die Stirn. »Ich glaube, ihr seid dumm, oder wollt ihr nicht begreifen.« Er rutschte von seinem Hocker. Wir konnten erkennen, daß er an der linken Hüfte eine zusammengerollte Peitsche trug. Das gab es tatsächlich auch noch. »Und jetzt?« fragte ich. Morris wischte über seine Stirn. Um den frischen Kaffee kümmerte er sich nicht. Die folgenden Worte sprach er so laut aus, daß sie bis in den letzten Winkel des Raumes gehört werden konnten. »Ich gebe euch genau eine halbe Minute, dann habt ihr gezahlt, seid aus dem Drug verschwunden, und drei Minuten später aus Cottonwood. Wenn nicht, werdet ihr auch verschwinden, dann aber schleifen wir euch nach draußen.« Ich grinste ihn fröhlich an. »Und anschließend stellen Sie Kreuze auf, stecken sie an, holen Pech, Federn, setzen sich Kapuzen auf, streifen sich die langen Kutten über und spielen Ku-Klux-Klan. So soll es doch laufen, wie?« Auch meine Worte waren verstanden worden. Daß ich für meinen Teil damit so etwas wie eine Todsünde begangen hatte, erkannte ich an den Reaktionen der Gäste und des Personals. Schweigen war angesagt. Marsha Lamont stand hinter der Theke und rührte sich nicht. Ihre Haut war grau geworden, obwohl sie die dunkle Tönung besaß. Die meisten Gäste schauten uns an, als wären wir schon tot. Andere wiederum grinsten gemein, die freuten sich auf die große Schau. Gewalt lag in der Luft. . . Morris nickte uns zu. »Es tut mir leid, aber mein erster Vorschlag gilt nicht mehr. Nicht nach dieser Antwort, die nicht nur dumm, sondern auch lebensgefährlich war.« Im Hintergrund wurden Stühle gerückt. Drei waren es, und drei Typen erhoben sich auch. »Schwierigkeiten, Boß?« fragte der größte von ihnen, ein Muskelmann mit Strohhaaren. Die anderen waren kaum weniger kräftig, sie besaßen nur dümmere Gesichter. »Dummheit«, erwiderte Morris. »Mit dem Gelben?« »Auch mit ihm.« Sie kamen näher. Andere Gäste schufen ihnen Platz. Manche rückten nur zur Seite, andere wiederum standen auf und verdrückten sich, als wollten sie nicht in der Schußlinie stehen. Die drei Helfer griffen uns nicht an, sie blieben hinter ihrem Boß stehen und beschützten ihn. Gelassen griff Morris nach seiner Peitsche und zog sie ebenso gelassen aus dem Gürtel. »Ich hatte euch doch versprochen, daß man euch aus der Stadt schleifen würde, nicht wahr?«
»Ist das die Art des Klans?« fragte Suko. Morris wurde weiß. »Chink, du hättest nicht kommen dürfen. Nein, das hättest du wirklich nicht.« »Hören Sie auf!« warnte ich Morris. »Noch ist es Zeit für Sie. Wirklich.« »Misch dich nicht ein, du bekommst auch dein Fett.« Aus dem Handgelenk schlug er zu. Die Peitsche bewegte sich wie eine Schlange, als sie nach oben fuhr und Sukos Gesicht zeichnen wollte. Der hatte aufgepaßt. Er bewegte den Kopf zur Seite, das Leder erwischte nur seine Schulter, aber diesen Schmerz konnte Suko ertragen. Dann reagierte er. Plötzlich gurgelte Morris auf, als er Sukos Handkante zwischen Nase und Augen spürte. Tränen wasser schoß hervor, er kippte zurück, seine Männer fingen ihn auf und konnten nichts tun, denn wir hielten plötzlich unsere Waffen in den Händen. So etwas hatte es in diesem Drugstore wohl noch nicht gegeben. Wenigstens nicht in den letzten zwanzig Jahren. Die Überraschung war dermaßen groß, daß sich keiner der Gäste bewegte. Nur manch scharfer Atemzug war zu hören. Wir hatten Glück gehabt, weil man uns unterschätzt hatte, das würde kein zweites Mal passieren, doch wir verließen uns auf die Berettas. Morton Morris hing noch immer im Griff seiner drei Helfer. Die Tränen strömten aus seinen Augen; der große Morris sah in diesem Augenblick aus wie das berühmte heulende Elend. Sie stellten ihn wieder auf die Beine. Mit einem Tuch wischte er über sein Gesicht und fühlte nach seinem Nasenbein. »Ich hätte es durch den Treffer auch brechen können«, erklärte Suko. Es war wohl niemand da, der ihm das nicht abgenommen hätte. Vor der Tür standen Kunden, drängten in den Raum, die Aura der Gewalt war noch nicht verflogen. Hinter der Theke bewegte sich Marsha und verschwand durch eine schmale Tür. Ich hoffte, daß wir uns noch begegnen würden. Wieder wischte Morris durch sein Gesicht. Dann hatte er sich soweit gefangen, daß er reden konnte. »Würde ich nicht in die Mündungen schauen, ich hätte euch fertig gemacht.« Ich nickte ihm zu. »Stimmt. Da wir dies nicht wollten, haben wir so reagiert.« »Aber noch seid ihr nicht draußen. Ihr werdet die Stadt nicht mehr so verlassen, wie ihr gekommen seid. Hetzen wie räudige Hunde werden wir euch. Kennt ihr eigentlich die Sümpfe hier?« »Nein«, sagte ich. Morris grinste diabolisch. »Darin sind schon viele verschwunden. Bisher nur Nigger, aber mit euch wird eine Änderung eintreten. Es hat noch niemand gewagt, mich zu schlagen.. .« »Mich auch nicht«, sagte Suko.
Morris wollte lachen, was gequält klang. »Du bist kein Mensch, du bist eine. ..« »Vorsicht!« warnte Suko ihn mit einer Stimme, die den Mann tatsächlich verstummen ließ. »Es gibt gewisse Grenzen, die jeder Mensch respektieren sollte. Auch Sie, Morris.« »Ja, ja, Morton, manchmal gerät man eben an die falschen Leute.« Keiner hatte ihn hereinkommen sehen, aber jeder hatte ihn jetzt gehört. Er stand dicht vor dem Durchgang, die Spiegelbrille noch immer vor den Augen, Gummi kauend, und die Daumen lässig in seinen Gürtel gehakt, den Stetson leicht zurückgeschoben und sich seiner Autorität voll bewußt. »Chief Wilson!« knirschte Morris. »Du... du kommst mir gerade richtig, um die beiden hier zu verhaften.« »Ach ja?« »Komm her!« J.J. Wilson kam tatsächlich näher. Für uns allerdings kein Grund, die Waffen verschwinden zu lassen. »Was ist denn passiert, Morton?« »Der Gelbe hat mich geschlagen.« »Wirklich?« »Verdammt, siehst du das denn nicht?« keuchte Morton und deutete auf seine Nase. »Alle hier sind Zeugen, alle, die im Drug sitzen, Chief. Das mußt du mir glauben.« »Ich sehe es. Hat er dich grundlos geschlagen?« »Klar.« »Glauben Sie ihm, Chief?« fragte ich. »Schauen Sie mal, er hält die Peitsche noch in der Hand.« »Damit wollte ich mich wehren.« »Dann schlugen Sie zuerst?« wurde Suko gefragt. »Nein.« »Doch!« schrie der Baumwollmensch. »Alle hier können es bezeugen. Los, sagt dem Chief wie es war. Der Gelbe griff mich an, als ich hier meinen Kaffee trank. War es nicht so?« schrie er in den Raum hinein und bewegte seine Finger, als wollte er die Gäste allesamt zum Aufstehen zwingen. »Macht eure Mäuler auf!« Ich konnte mir vorstellen, wie es laufen würde. Die Gäste hier waren irgendwie von Morris abhängig, deshalb würden sie einen Teufel tun und zwei Männern zur Seite stehen, die sie nicht kannten. Die Quittung bekamen sie dann später. Chief Wilson schaute in die Runde. Fast jeden einzelnen schien er mit seinen Blicken zu durchbohren. Er stellte die Fragen mit den Augen und sah, wie auch wir, daß die meisten der Gäste nickten und Morris' Aussagen bestätigten. Ob er sich in seiner Rolle wohlfühlte, konnten wir nicht erkennen. Jedenfalls schien er leichte Schwierigkeiten zu haben, den Faden der Handlung in die Hände zu nehmen, schließlich wußte er, daß wir quasi Kollegen waren, und er vermied auch einen Blickkontakt mit uns.
Morris stampfte voller Wut mit dem Fuß auf. »Verdammt noch mal, Chief, nimm sie fest!« »Und dann?« »Wird ihnen der Prozeß gemacht.« Er sagte es in einem Tonfall, als würde er selbst daran nicht glauben. Ich mischte mich wieder ein. »Könnte es nicht anders herum laufen?« fragte ich leise. »Man nimmt uns fest, steckt uns in Jail, wie es ja hier noch heißt, und in einer dumpfen, schwülen Nacht erscheinen die Clansmen und holen uns raus. Kann das nicht auch passieren?« Morris sagte nichts. Sein tückischer Blick war Antwort genug. Es würde so laufen, aber wir hatten nicht vor, hinter Gitter zu gehen, und Chief Wilsons Zwickmühle wurde immer enger. »Hören Sie auf, Chief, wollen Sie diesem Gernegroß nicht sagen, wer wir tatsächlich sind?« »Überlassen Sie das mir.« Morris war mißtrauisch geworden. »Wieso? Was hat das zu bedeuten, Wilson?« »Wir gehören auf die Seite des Chiefs«, sagte ich. »Man kann auch sagen, daß uns ein gewisser Abe Douglas hergeholt hat, Mr. Morris. Jetzt sollte sich in Ihrem Hirn doch etwas tun — oder?« Sein Blick wurde noch finsterer. »Abe Douglas«, flüsterte er, »ist das nicht der Typ, der aus dem Norden kam?« »Genau und für die Bundespolizei, das FBI, arbeitet«, präzisierte mein Freund. Plötzlich horchte Morris auf. Gleichzeitig wurde er unsicher, während sich der Chief in seiner Rolle wohler fühlte, war er durch unsere Aussagen doch aus dem Schneider. »Ah so, dann seid ihr vom FBI?« »So ähnlich.« »Nein, nicht.« J.J. Wilson klärte die Gäste und auch Morris mit dürren Worten auf. »Die beiden kommen aus London. Sie arbeiten für Scotland Yard.« Nach dieser Erwiderung war das große Staunen angesagt. Wohl nur die wenigsten konnten mit dem Begriff Scotland Yard etwas anfangen. Ich kannte die Arroganz vieler Amerikaner, die es überhaupt nicht interessierte, was im alten Europa ablief, es sei denn, es handelte sich um sensationelle Ereignisse wie die Öffnung der Berliner Mauer, worüber auch ich sehr froh war. »Und?« »Wir sind Polizisten, Mr. Morris«, sagte Suko. »Genau wie der Chief. Verstanden?« »Ja, ja«, dehnte er, »das habe ich schon verstanden. Ich habe gute Ohren, Mister.« Er sagte schon Mister; ein Schritt nach vorn. »Ich kenne mich zwar nicht besonders aus, aber ich kann mir vorstellen, daß Sie
hier in unserem Staat nicht viel zu sagen haben. Oder sollte ich mich da irren?« Ich gab die Antwort. »Wie man's nimmt. Wir sind gewissermaßen um Amtshilfe gebeten worden.« Ich steckte die Waffe weg, die Lage hatte sich entspannt. Auch Suko folgte meinem Beispiel. »Und wenn uns jemand offiziell um Amtshilfe bittet, besitzen wir gewisse Rechte, die auch Sie tangieren, Mr. Morris.« »Mich?« Er lachte grunzend. »Auch Sie.« »Wie käme ich dazu? Nein, ich füge mich nicht. Cot-tonwood ist meine Stadt. Fragen Sie die Leute doch. Sie leben von meiner Plantage.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf uns. »Okay, ich ziehe meine Beschuldigung zurück, aber hüten Sie sich, mir noch einmal über den Weg zu laufen. Mississippi ist weit von London entfernt, sehr weit sogar, für Sie möglicherweise zu weit.« Er nickte, als wollte er sich selbst bestätigen, machte kehrt und verschwand mit harten Tritten. Die Spannung löste sich, und die meisten Anwesenden atmeten auf. Wir hörten aus den Lauten die Erleichterung hervor. Auch Chief Wilson war froh. Er kam zu uns, bestellte Wasser und wischte Schweiß aus seiner Stirn. »Das war hart an der Grenze«, sagte er. »Verdammt hart sogar.« Ich nahm es gelassen. »Morris fing an, er beleidigte meinen Kollegen. Da war er nicht anders als Ihr Deputy.« Wilson nickte. »Ich weiß«, stöhnte er. »Aber wir leben nun mal nicht im Norden.« »Der Bürgerkrieg ist lange vorbei, Sheriff.« »Das weiß ich. Doch die Wurzeln sitzen tief. Es gibt eben Schluchten, die nicht überbrückt werden können. Vielleicht in hundert Jahren, aber daran glaube ich auch nicht.« Er trank hastig und leerte das Glas mit Eiswasser in zwei langen Schlucken. »Wir wollen den Klan zerstören«, flüsterte Suko. »Nur deshalb sind wir hier.« »Den gibt es nicht.« »Weshalb lügen Sie, Chief?« »Ich habe die Clansmen nicht gesehen.« »Doch bestimmt von ihnen gehört.« Der Chief schob seinen Kaugummi von einer Seite der Wange zur anderen hin. »Die Leute reden viel.« »Auch über Mr. Voodoo?« fragte Suko. Der Sheriff senkte den Kopf. »Fangen Sie auch nicht davon an, verdammt!« »Es gibt ihn also?«
J.j. Wilson schlug mit der Faust auf die Theke. »Nein, es gibt ihn nicht, es darf ihn nicht geben.« »Und die verschwundenen Menschen?« »Hat der Sumpf geschluckt.« »Das glauben wir Ihnen sogar, Chief«, sagte ich. »Nur macht uns eines mißtrauisch. Die Menschen, die der Sumpf geschluckt hat, sind keine Fremden gewesen. Sie kannten sich in der Umgebung aus, ihnen ist bestimmt auch der Sumpf bekannt gewesen. Darüber sollten Sie näher nachdenken, Chief. Glauben Sie mir.« »Alles Hirngespinste.« »Wie Mr. Voodoo?« »Ja, auch der.« Der Sheriff nahm seine Brille ab und schaute uns an. Zum erstenmal sahen wir seine Augen. Die Pupillen besaßen die Farbe von grauen Steinen. »Was erzählt man sich denn über ihn?« wollte Suko wissen. »Alles mögliche.« »Zum Beispiel?« »Kann ich Ihnen auch nicht sagen, weil es einfach lächerlich ist.« »Vielleicht lieben wir die lächerliche Sache, die mit Magie, Hexerei, Voodoo und Aberglauben zusammenhängt«, flüsterte Suko. »Vielleicht sind wir nur deshalb in Ihre kleine Stadt gekommen, um etwas zu stoppen, das sich wie eine grauenvolle Seuche ausbreiten kann. Denken Sie darüber nach, Chief.« »Das ist Kinderkram.« »Aber ein gefährlicher und tödlicher«, warnte ich. Der Sheriff hob die Schultern. »Mr. Voodoo ist ein Hirngespinst. So etwas wie der Tod, der im Sumpf hausen soll. Ein Monster, ein was weiß ich für eine Figur. Angeblich soll er nur Neger fressen. Ja, das ist es.« »Und Jerry Blake hat ihn gesucht.« »Viele glauben eben daran.« »Er scheint ihn sogar gefunden zu haben«, sagte ich. J.J. Wilson starrte mich überrascht an. »Woher wollen Sie das denn wissen?« »Ich sprach mit Abe Douglas.« »Ach — hat der ihn auch gefunden?« »Nein, aber er war mit Blake zusammen. Sie wissen ja, was in der Nacht geschehen ist.« »Ja, angeblich haben die beiden den Ku-Klux-Klan gesehen. Ich glaube ihnen trotzdem nicht.« »Weshalb nicht?« Er schlug die Hände flach auf die Theke. »Weil es den verdammten Klan nicht gibt. Okay, es hat ihn gegeben, das gebe ich zu, aber die Zeiten liegen lange zurück.« »Sie flammen immer wieder auf«, sagte Suko. »Und Sie, Chief, wissen das. Sie können uns nicht erzählen, daß Sie davon keine Ahnung haben, so wie Sie aussehen. Sie sind ein Mann, der über alles informiert ist, was
in Cottonwood läuft. Da können Sie sich mit Morton Morris auf eine Stufe stellen.« Der Chief schob sein Glas zur Seite. »Wissen Sie, auf mich machen Sie den Eindruck von Menschen, die einfach etwas glauben wollen, ohne es direkt gesehen zu haben. Sie besitzen keine Beweise. Sie können jeden hier fragen, man wird Sie auslachen.« »Wenn die Kreuze brennen, denken auch Sie anders darüber. Dann wird es sich herausstellen, auf welcher Seite Sie stehen, Sheriff.« J.J. Wilson schaute mich böse an. Er hatte meine Worte genau verstanden und auch das Hintergründige hervorgehört. »Wollen Sie mir einreden, daß ich mit dem Klan, sollte es ihn tatsächlich geben, gemeinsame Sache mache?« »Das nicht.« »Was sollte dann Ihre Bemerkung?« Suko gab die Antwort. »Wir haben nur den Eindruck, daß Sie die Augen vor den Realitäten verschließen. Eine ruhige Stadt ist immer gut für einen Chief. Das hebt seine Ansehen, nutzt der Wiederwahl. Sollte es trotzdem Probleme geben, sieht man zu, daß diese sich von selbst erledigen. So sehen wir es.« Da hatte Suko einen wunden Punkt getroffen. Das Gesicht des Chiefs verlor an Farbe. Er verzog den Mund, bevor er sprach. »Wissen Sie was, Sie beiden Schlaumeier. Hauen Sie ab! Setzen Sie sich in Ihren verdammten Wagen und verlassen Sie Cottonwood. Das ist am besten. Noch einmal kann ich Ihnen nicht helfen.« »Das brauchen Sie auch nicht«, erwiderte ich leise. Er schaute uns an, quetschte einen Fluch über die Lippen, drehte sich um und verließ den Drugstore im Sturmschritt. Einer der Keeper sprach uns an. »In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken, wahrlich nicht.« »Wir werden auch nicht tauschen«, erwiderte ich lächelnd, »sondern zahlen.« Zu suchen hatten auch wir hier nichts mehr. Allerdings hatte sich Marsha nicht mehr blicken lassen. Ich wollte auch nicht nach ihr fragen, um sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen, beglich die Rechnung und drehte mich um. Es waren noch immer zahlreiche Gäste anwesend. Wahrscheinlich hatten sie bisher auf unsere Rücken geschaut, doch jetzt, wo wir vor ihnen standen, senkten sie die Blicke. »Die scheinen sich zu schämen«, murmelte Suko, . »Sicher.« Und laut rief ich in den Raum hinein. »Tut es eigentlich nicht weh, wenn man feige ist?« Sie sagten nichts. Sie alle waren keine Helden, obgleich manche von ihnen so aussahen. Kräftig, muskulös, von der Sonne gezeichnet, und auch von harter Arbeit.
Aber die eben gab ihnen ein Mann wie Morton Morris. Wir gingen hinaus. Ich will nicht gerade sagen, daß ich mich gut fühlte, irgendwo half es doch meinem Ego, einen Mann wie Morton in die Schranken gewiesen zu haben. Auf der Straße setzten wir die Brillen auf. Die dunklen Gläser schützten uns vor dem grellen Sonnenlicht. Noch immer herrschte Ruhe auf der Main Street, das heißt, eigentlich sahen wir den normalen Verkehr. Das Hin und Her fahrender Wagen, und schräg gegenüber lag auch das Office des Sheriffs. »Bin mal gespannt«, sagte Suko, »wie unser guter Chiefsich verhalten wird.« »Irgendwann muß er Flagge zeigen.« »Und welche?« »Keine Ahnung, Suko. Ich hoffe nur, daß es die richtige sein wird und er sich nicht an Morris hält.« Schweigend gingen wir das kurze Stück bis zu unserem Wagen, wo wir uns noch einmal umschauten. »Wen suchst du?« fragte Suko. »Das Mädchen.« Ich hatte die Antwort kaum gegeben, als ich das Zischen hörte. Plötzlich war Marsha Lamont da. Sie hatte sich bisher in einer schmalen Durchfahrt versteckt gehalten. Mit Angst im Blick huschte sie auf uns zu und drückte sich langsam an uns vorbei, während sie mir zuflüsterte. »Ich warte am nördlichen Ortsausgang.« Schon war sie wieder weg. Suko runzelte die Stirn. »Die Angst steckt tief in ihr«, flüsterte mein Freund. »Ist das ein Wunder?« »Nein«, erklärte der Inspektor beim Einsteigen. »Überhaupt nicht. Vielleicht kann man hier nur so überleben.« »Ja, das denke ich auch.« Ich saß wieder hinter dem Lenkrad und startete. Langsam rollten wir dem nördlichen Ortsende zu. Von Morton sahen wir nichts. Wer von den Leuten, die uns nachschauten, allerdings zu ihm gehörte, das wußten wir auch nicht. Am nördlichen Ende fächerte die Stadt auf. Da verteilten sich einige Industriebetriebe auf großen Geländeflächen. Zwischen ihnen wiederum sahen wir Holzhäuser, zumeist bewohnt von Farbigen. Viele saßen vor ihren Häusern. Männer waren kaum zu sehen, nur Frauen hockten auf den Bänken zusammen. Einige arbeiteten, andere hörten Radio und wuschen auch. Wir beide hielten nach Marsha Ausschau, die allerdings noch nicht zu sehen war.
Plötzlich war sie wieder da. Sie hatte hinter einem staubigen Buschgürtel Deckung gefunden, huschte auf unseren Wagen zu und stieg blitzschnell ein. »Fahren Sie rasch!« »War es hier sicherer für Sie?« fragte Suko. »Ich hoffe.« »Okay, Marsha, und wohin soll ich fahren?« »Das sage ich Ihnen noch. Erst mal weg...« *** »Dad, ich möchte dir gern helfen!« Jerry stand vor seinem grauhaarigen Vater und schaute ihn auch dann bittend an, als der Mann den Kopf schüttelte. »Nein, Junge, das ist nichts für dich.« »Aber ich kann doch. . .« Arnos Blake legte eine Hand auf die Schulter des Jüngeren. »Du bist für eine Arbeit wie die meine nicht geschaffen. Sonst wärst du auch Tischler geworden wie ich oder mein Vater. Bleib du hierbei deiner Mutter, ich muß den Schrank unbedingt fertig restaurieren. Das habe ich dem Kunden versprochen, und du weißt selbst, daß ich Termine einzuhalten pflege.« Jerry nickte. »Okay, Dad, verstanden.« Er blieb mit seiner Mutter Milly zurück. Beide schauten Arnos nach, wie er durch eine Seitentür verschwand und hinaus auf den Hof ging, wo sich die kleine Werkstatt befand. Reich war Arnos Blake durch die Arbeit nicht geworden, aber die kleine Ein-Mann-Tischlerei ernährte die Familie. Und wenn sich die Aufträge häuften, was auch vorkam, wußte der Meister, wo er sich Hilfe holen konnte. Man achtete seine Arbeit in Cottonwood und Umgebung. Es waren unter den Kunden nur wenige Schwarze. Zumeist wohlhabende Südstaatler brachten ihre alten, ererbten Möbelstücke zu Blake, damit der sie restaurierte. In der Küche war es still geworden. Nur die Kaffeemaschine gluckerte. Durch die Fenster fiel das Sonnenlicht auf die gescheuerten Dielen, die in einem hellen Gelb glänzten. Auch die Einrichtung der Küche hatte Arnos Blake selbst gezimmert. Sie bestand aus warmem Kirschholz., wobei jeder Schrank oder jedes Regalfach schon einem kleinen Kunstwerk glich. Auf diese Arbeit konnte der Meister stolz sein. Der Kaffee war durchgelaufen. Milly Blake füllte zwei Fassen und schob eine ihrem Sohn zu, bevor sie sich niederließ und versuchte, ihn anzulächeln.
Eigentlich hatte Jerry seine Mutter nie anders kennengelernt als eine Frau, die nur in der Küche und im Haus arbeitete, viel erduldet hatte und sich nie beschwerte. An diesem Tag jedoch brach die fünfzigjährige rundliche Frau mit den großen, gütigen Augen und dem Kopftuch über dem Haar ihr Schweigen. »Junge, du weißt, daß ich dich gern habe. Dad und ich lieben die über alles, aber du hättest nicht zurückkehren sollen. Nicht jetzt. Es ist eine schlechte Zeit.« »Waren die Zeiten nicht immer schlecht für uns Schwarze?« »Da magst du recht haben, doch in der letzten Zeit ist wieder etwas hochgekommen, vor dem ich mich fürchte. Ich bezeichne es als den alten, furchtbaren Geist, der damals die Menschen befallen hatte und sie zu Tieren machte. Ja, mein Junge, zu Tieren. Wir waren nichts wert. Die Zeiten gingen vorbei, Kennedy kam, wir erhoben uns, aber der Süden, besonders Mississippi, blieb gleich. Die Alten geben es den Jungen weiter, und die sorgen dafür, daß auch ihre Kinder an der ZweiklassenGesellschaft festhalten.« Jerry hatte zugehört und dabei einige Schlucke Kaffee aus der breiten Tasse getrunken. »Ma, das muß man ändern. Ich bin zurückgekommen, um hier zu leben. Zusammen mit Marsha. Wir beide wollen heiraten. Ich kenne den Norden, ich will nicht fliehen, ich will einen Job haben, der meinem Studium entspricht.« »Und wo willst du arbeiten?« »In Jackson, der Hauptstadt. Ich habe Referenzen, ich bin Betriebswirtschaftler, ich bin Soziologe, ich werde einen Job in der Verwaltung bekommen.« Milly streichelte die Hand ihres Sohnes. »Ich gönne es dir, mein Junge. Ich gönne es dir, ich gönne es Marsha, aber ich kann einfach nicht daran glauben. Nicht in diesem Staat, der den Namen unseres berühmten Flusses trägt, obwohl er nicht durch Mississippi fließt, wir uns ihm aber verbunden fühlen, wir Schwarzen zumindest. Ich habe in den Sechzigern gedacht wie du, dein Vater ebenfalls, doch es war nur ein kurzes Aufbäumen gewesen. Anschließend haben wir es zurückbekommen. Leider, muß ich da sagen.« »Aber es ist eine andere Generation herangewachsen, Ma.« »Na und?« »Wieso na und?« »Ändert das etwas?« »Für mich, ja.« Milly Blake beugte sich vor. »Du hast Glück gehabt, mein Junge. Großes Glück, daß du noch am Leben bist. Denk an die furchtbare Nacht. Du bist auf verbotenen Wegen gewandelt, man soll Mr. Voodoo in Ruhe lassen. Es ist ein Geheimnis, und es soll auch immer ein Geheimnis bleiben, mein Junge.«
Jerry runzelte die Stirn. »Das kann ich nicht unterstreichen. Einer muß es tun.« »Weshalb du?« »Ma!« Jetzt legte er seine Hand auf die der Mutter. »Ich bin es nicht allein. Abe Douglas, den ich kennenlernte, ist ebenfalls hiernach Cottonwood gekommen.« »Und wäre beinahe erschossen worden. Jetzt liegt er im Krankenhaus und kann dir nicht helfen.« »Nein«, sinnierte Jerry, »er nicht.« »Wieso sagst du das so komisch?« Jerry hob die Schultern. »Weil es andere gibt, die mir möglicherweise helfen werden.« »Das ist mir neu.« »Ich will dir sagen, daß Abe zwar allein gekommen ist, aber es ist Unterstützung unterwegs. Er hat mir von den beiden Männern berichtet. Viele Schwarze wissen, daß es um Mr. Voodoo ein Geheimnis gibt. Ich habe ihn fast gesehen, ich habe ihn gerochen. Er hat einen widerlichen Leichengestank ausgeströmt. Es war furchtbar. Ich weiß nicht, wer er ist, aber ich weiß, daß man ihn vernichten muß.« »Ein Dämon.« »Ja, Mutter, das glaube ich auch. Und um einen Dämon zu vernichten, muß man bestimmte Waffen haben, die sich leider nicht in unserem Besitz befinden.« »Wer hat sie denn?« »Die Männer, die erscheinen werden.« »Und die du nicht kennst, mein Junge.« »Abe Douglas hat es nicht nötig, mich anzulügen. Er kennt sich aus, ich kann ihm vertrauen.« »Man muß auch manchmal Menschen vertrauen, Ma!« »Stimmt.« Milly Blake stand auf. Sie goß aus der Kanne frischen Kaffee nach, ihr Sohn wollte keinen. Er betrachtete nachdenklich eine Fliege die ihre Kreise zog. Die Blakes wohnten zwar nicht in Cottonwood, aber trotzdem ziemlich abseits. Früher war das Land noch sumpfig gewesen, bis Arnos Blake es kultiviert und gekauft hatte. Nicht weit vom Hof entfernt begann der Wald, so dicht fast wie ein Dschungel. »Und du vertraust den beiden Männern, die du nicht kennst, mein Junge?« »Voll und ganz.« Milly Blake schüttelte verwundert den Kopf. »So kenne ich dich gar nicht.« Er hob die Schultern. »Was willst du machen, Ma? Manchmal muß man im Leben Menschen vertrauen, und Abe Douglas hat mir so viel von
diesen Männern aus London berichtet, daß ich nicht anders kann, als ihnen zu vertrauen. Sorry.« Lange und nachdenklich schaute sie Jerry an. »Ja, Junge, ich vertraue dir. Ich stehe auf deiner Seite. Du hast bisher gewußt, was für dich richtig war, und du wirst es auch weiterhin wissen. Aber eine Frage hätte ich trotzdem.« »Bitte.« »Was ist mit Marsha. Du weißt, daß Vater und ich sie gut leiden können. Wird sie auf deiner Seite stehen? Wird sie alles mitmachen? Wird sie auch in schweren Zeiten an deiner Seite stehen? Hast du das Mädchen schon danach gefragt?« »Natürlich. Sie ist einverstanden. Auch Marsha will hier raus. Sie haßt ihren Job, sie haßt zwar nicht Cottonwood, aber sie haßt die verdammten Menschen, die ihr hier das Leben schwermachen. Die Bemerkungen der Betrunkenen, die mit ihr ins Bett steigen wollen, all das widerliche Zeug«, er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nichts für sie. Marsha muß hier raus.« »Hast du ihr auch über die Dinge berichtet, die du weißt?« Erst wollte Jerry es abstreiten, dann nickte er. »Ja, ich habe sie in mein Vertrauen gezogen.« »Wie hat sie reagiert?« Milly Blake beugte sich vor. Beinahe beschwörend schaute sie ihren Sohn an. »Ähnlich wie du. Marsha wollte mich davon abhalten. Ich sollte nicht hingehen, doch es gibt Situationen im Leben eines Menschen, wo man sich entscheiden muß. Das ist mir auch während desStuidiums so ergangen. Da mußte ich Farbe bekennen, Ma.« »Und du hast es getan, wie ich dich kenne«, sagte Milly Blake nicht ohne Stolz in der Stimme. »Ja, das habe ich!« »Dann bete ich für dich, daß es gutgehen wird.« Sie wechselte wieder das Thema und kam auf die beiden fremden Männer aus London zu sprechen. »Hat man dir gesagt, wann sie hier in Cottonwood eintreffen werden?« »Das müßte heute sein.« »Also könnten sie schon im Ort sein.« Er stand auf und reckte sich. »Sicher.« Es war warm im Haus. Jerry trug ein blaues T-Shirt und eine dünne Jeans. Als er den Arm wieder zurückzog, fiel sein Blick auf die Uhr. »Dad ist schon ziemlich lange weg, wie ich meine.« »Er wird arbeiten.« »Er wollte doch schnell wieder bei uns sein.« Milly winkte ab. »Junge, du kennst deinen Vater. Wenn er sich einmal entschlossen hat, länger zu arbeiten, gibt er erst Ruhe, wenn er
zufrieden ist. Das ist unter anderem ein Grundstock unseres bescheidenen Erfolgs gewesen.« Jerry war unruhig geworden. »Ich schaue trotzdem nach, Ma.« »Wie du willst.« Milly schaute ihrem Sohn lächelnd nach, als er das Haus durch den normalen Eingang verließ. Sie war stolz auf Jerry, sehr stolz sogar. Er gehörte zu den jungen Menschen, die ihren Weg gehen würden, und zwar in eine bessere Zukunft. Mittlerweile stand Jerry Blake vor dem Haus und schaute in die schräg einlallenden Sonnenstrahlen, die nur schwach vom Laub der Bäume gefiltert wurden, bevor sie sich auf dem Boden ausbreiteten, wobei der Staub in trägen Schleiern ihre Bahnen nachzeichnete. Es war sehr still geworden. Nur weit entfernt jaulte eine Eisensäge. Dort befand sich eine Schmiede. Das Geräusch hörte sich an wie der Schrei eines Menschen. Es hinterließ bei dem empfindlich gewordenen Jerry eine Gänsehaut. Er hatte die Stille seines Elternhauses eigentlich immer gemocht. Nur an diesem Tag war alles anders. Da ging er einige Schritte vor, schlug einen Kreis, ging zur Seite und überlegte, was ihn an der Stille wohl stören konnte. Nach einer Weile wußte er Bescheid! Er hörte seinen Vater nicht. Kein Geräusch drang aus der Tür zur Werkstatt. Okay, es gab Arbeiten, die erzeugten kaum Lärm. Wie zum Beispiel das Schnitzen bestimmter Stellen an alten Schränken, Tischen oder Bänken. Feinarbeiten, für die jemand ein gutes Fingerspitzengefühl benötigte. Nur an diesem Tag beunruhigte es den jungen Mann. Er ging an der linken Seite des Hauses vorbei, über den schmalen Weg. Der alte Zaun war von seinem Vater frisch gestrichen worden, man roch noch die Farbe. Die Werkstatt bestand aus einem stabilen Blockhaus, das Arnos Blake natürlich selbst gebaut hatte. An der Frontseite, wo sich die Tür befand, schimmerten keine Fenster, die lagen auf den jeweils breiteren Seiten. Zum Haus gehörte noch ein vorn offener Schuppen, der sich als Anbau präsentierte. Dort lagerte Arnos Blake das Holz, das er für seine Arbeiten benötigte. Auch im Anbau sah der junge Mann seinen Vater nicht. Fr mußte sich in der Werkstatt aufhalten. Jerry gab sich einen Ruck, als er direkt die Tür der Werkstatt anvisierte. Er konnte gar nicht zählen, wie oft er diesen Weg schon gegangen war, doch nie mit einem derartigen Gefühl im Magen und den ebenfalls zitternden Knien. Er suchte nach Spuren, nach Fußabdrücken, blieb vor der Tür stehen, öffnete noch nicht, denn er rief zuerst den Namen seines Vaters. Arnos Blake gab keine Antwort.
Jerry fing an zu schwitzen. Die Tropfen sammelten sich in seinem Nacken und rollten in kalten Bahnen den Rücken hinab. Auch in den Achselhöhlen breiteten sich dunkle Flecken aus, die sich im Stoff seines Hemdes abzeichneten. Etwas war faul. . . Er wartete. Sekunden verstrichen. Kein Geräusch war aus dem Innern zu hören. Erst nach einiger Zeit kam ihm der Gedanke, durch das Fenster zu schauen, um zu sehen, was sich im Innern abspielte. Dazu kam er nicht mehr. Mit vehementer Wucht flog die Tür nach außen. So schnell, daß Jerry nicht mehr ausweichen konnte, und ihm das Türblatt gegen das Gesicht knallte. Er spürte einen wahnsinnigen Schmerz an der Stirn und der Nase, als er nach hinten kippte, rücklings am Boden landete, eine Wolke aus Staub aufwirbelte und erinnerhalb dieser Wolke plötzlich eine Gestalt sah, die sich wie ein Gespenst hervorschälte. Ein Klan-Mann! Weißes Gewand, weiße Kapuze, mit einer doppelläufigen Schrotflinte in den Händen, deren Mündungen er gegen die Brust des jungen Mannes preßte. Er starrte ihn von oben her an. Nur die Augen bewegten sich. In ihnen lag eine menschenverachtende Kälte; die Pupillen schienen aus dunklem Eis zu bestehen. »Bewege dich nur, wenn ich es sage! Und keinen Laut, sonst bist du tot!« Jerry nickte nicht einmal, aber er gab seinem Gefühl recht, das ihn nicht getrogen hatte. In diesen fürchterlichen Augenblicken dachte er nicht an sich, sondern an seine Eltern. Er hoffte, daß sein Vater noch lebte und... »Steh auf!« Die beiden Mündungen verschwanden von seiner Brust, glotzten ihn aber nach wie vor an wie leere Augen. Der junge Mann stemmte sich in die Höhe. Er versuchte, in sich hineinzulauschen und herauszufinden, was er nun empfand. Angst, Grauen? Nein, das war es nicht. Jerry spürte den ohnmächtigen Zorn, der ihn gepackt hielt, und schrak zusammen, als die beiden Mündungen eine Stelle unter seinem Kinn berührten. Über die Läufe hinweg schielte er gegen die weiße Kapuze und hinein in die Augenschlitze. Er konnte nicht erkennen, wer sich hinter dem Stoff verbarg. Möglicherweise war es ein Bekannter, aber das spielte jetzt keine Rolle. »Du wirst dich umdrehen und vorgehen — okay?« Er nickte. Blut rann aus seiner Nase, fiel in den Staub, wo die Tropfen ein dunkles Muster bildeten.
Die Mündung ließ ihn nie los. Sie schleifte auch über seinen Körper, als er sich drehte, dann drückte sie in seinen Rücken. »Geh nur rein, Nigger, geh rein!« Jerry wollte ein Tuch aus der Tasche holen, um die Blutung zu stillen, dagegen hatte derClanman etwas. »Rühr deine Hand nicht, du Schwein!« Jerry Blake taumelte voran. Er dachte an die beiden Helfer, die kommen wollten. In sie hatte er sein Vertrauen gesetzt, doch sie waren noch nicht da. Wahrscheinlich würden sie erst erscheinen, wenn alles vorbei und der Widerstand in Blut ertränkt war. Die Tür war nicht wieder ins Schloß gefallen. Handbreit stand sie offen. Aus dem Spalt wehte ihm der typische Holzgeruch entgegen, den er seit seiner Kindheit her kannte und für ihn ein Synonym dafür war, daß er sich zu Hause befand. Auch jetzt hatte sich der Geruch nicht verändert, nur glaubte Jerry, noch etwas anderes zu riechen. Blut. . . Sein Blut möglicherweise — oder.. . Er zog die Tür auf — und hätte geschrien, wäre da nicht der Druck der Waffe gewesen. Mitten in der Werkstatt, zwischen Hobel- und der kleinen Drehbank lag sein Vater. Er lag auf dem Rücken. Dennoch hatte die Blutlache genügend Platz, um sich auszubreiten... *** Wir hatten den Ort bereits verlassen, als Marsha mich bat, nicht mehr zu weit zu fahren, sondern in einem schmalen Feldweg einzubiegen, der an beiden Seiten von staubigen Sträuchern gesäumt wurde. Nach wenigen Yards stoppte ich und drehte mich auf dem Fahrersitz zu dem Mädchen um. Marshas Gesicht war maskenhaft. Ihr Blick glitt ins Leere. Sie hatte sich rasch umgezogen, trug ein schwarzes T-Shirt, das an der linken Schulter mit Straß-Flimmer behängt war. Die helle Hose bestand aus dünnem Leinen und endete über den Knöcheln. »Sie wissen also über uns Bescheid?« stellte ich die erste Frage. Das Mädchen nickte. »Worüber noch?« »Jerry hat mir alles berichtet. Ich wußte auch davon, daß er diesen Mr. Voodoo finden wollte. Er scheint ihn gefunden zu haben, aber das wissen Sie ja.« »Und der Klan hat ihn erwischt.« »Er ist furchtbar«, flüsterte sie.
»Kennen Sie sich aus, was den Klan betrifft?« wollte Suko von ihr wissen. Sie strich das glatte, schwarze Haar zurück. »Ich habe ihn als Kind immer für eine Erfindung gehalten, für ein böses Märchen. Seit kurzem weiß ich, daß er tatsächlich existiert. Aber schon vorher habe ich mit Jerry über ihn gesprochen.« »Hatte das einen besonderen Grund?« »Nein, Suko, das heißt ja. Mehr einen historischen. Ich weiß, daß der Klan 1865 in Pulaski/Tennessee von weißen Farmern gegründet wurde. Sie wollten damals die koloniale Lebensform festschreiben, besonders hier im Süden. Dieser Geheimbund richtete seine Aktionen gegen emanzipatorische Schwarze und reformfreudige Politiker. Jeder mußte dem Chef oder seinem nächsten Vorgesetzten gehorchen. Der Geheimbund war hierarchisch organisiert. Seine Symbole waren das Flammenkreuz, eine schwarze Tracht, später eine weiße. 1869 wurde der Ku-Klux-Klan durch ein Bundesgesetz öffentlich aufgelöst.« »Aber er manifestierte sich wieder«, sagte ich. »So ist es. 1915 wurde er in Georgia erneut gegründet. Diesmal richteten sich die Aktionen nicht nur gegen Neger. Auch Iren, Juden und Katholiken wurden vom Klan gejagt. Eine Menge dummer Leute schlossen sich diesem Geheimbund an. Man schätzt, daß er in den Jahren 1924/25 vier bis fünf Millionen Mitglieder hatte. Es waren meist Farmer, Kleinbürger, alles Menschen, die voller Neidkomplexe steckten, und in den sechziger Jahren erlebte der Klan abermals eine Wiedergeburt und agitierte gegen die Rassengesetze, die John F. Kennedy durchgesetzt hatte. Der Klan erreichte allerdings nie mehr die Stärke wie in den Zwanzigern.« »Heute soll er ja tot sein«, bemerkte Suko. Marsha konnte darüber nur bitte lachen. »Diejenigen, die so etwas voller Inbrunst behaupten, sind oft selbst Mitglieder. Der Rassenhaß ist da, er wird auch den Kindern eingeimpft. Ich habe das selbst erlebt, es ist furchtbar. Ich habe es oft gehört, wie Kinder das Wort Nigger in den Mund nahmen. Die Weißen hier fühlen sich manchmal als letzte Bastion der Zivilisation, und darüber kann man nicht einmal lachen.« »Da haben Sic recht.« »Auch Ihnen wird es nicht gelingen, den Klan zu zerstören. Sie können der Schlange höchstens einen Kopf abhacken, aber seien Sie versichert, daß mehrere nachwachsen werden.« »Sieht Ihr Freund auch so pessimistisch in die Zukunft?« erkundigte ich mich. »Wir sind Realisten.« »Und kämpfen trotzdem dagegen an.« Sie drückte den Kopf zurück und lachte. »Ja, vielleicht sind wir auch Fantasten oder Träumer.« Dann beugte sie sich wieder vor. »Aber
wissen Sie, was Jerry immer sagte? Einer muß.es ja tun. Dann hat er versucht, es zu tun.« »Wir werden ihm dabei helfen.« »Ich weiß, es gibt genügend Lebensmüde unter den Menschen. Ich zähle mich auch dazu.« »Sagen Sie mal, Marsha, Sie haben doch die Szene im Drugstore miterlebt.. .« »Ja, ich schaute aus sicherer Deckung zu. Sie haben sich toll verhalten. Man kann Sie zu Ihrem Mut nur beglückwünschen oder Sie fragen, ob Sie lebensmüde sind?« »Wieso das?« »Morton ist eine Macht hier in Cottonwood. Sie haben sich mit der Macht angelegt, John.« »Und gewonnen.« »Keinen Krieg, eine kleine Schlacht. Mein Vater sagte, daß es immer darauf ankommt, eine Schlacht zu gewinnen, aber das werden wir nie, nein, niemals.« »Wir wollen wissen«, sagte Suko, »wer sich hinter den Kapuzen verbirgt? Wer der Anführer des Klans ist?« »Keine Ahnung.« »Morton?« »Möglich, Suko.« »Wie steht der Chief zum Klan?« Müde winkte Marsha ab. »Ich weiß es nicht. Er ignoriert ihn. Er will es wohl nicht wahrhaben, und ein großer Freund der Schwarzen ist er auch nicht, brauchte er auch nicht zu sein, wenn ich ehrlich bin, aber ich verlange nur etwas Objektivität.« »Die hat der Chief nicht, meinen Sie!« »So ist es, Suko.« Mein Freund nickte. »Da gebe ich Ihnen recht. Mich hat er auch nicht gerade wie einen Menschen behandelt. Ich könnte mir vorstellen, daß Wilson mehr weiß, als er zugibt.« »Und Jerry werden sie jagen!« flüsterte Marsha. »Ich weiß das, ich fühle es, ich bin mir sicher. Er hat etwas gesehen, was er nicht sehen sollte. Er ist wahrscheinlich dem Geheimnis der Verschwundenen auf die Spur gekommen.« »Mr. Voodoo«, sagte ich. »Ja, John, ja. Er berichtete von einem widerlichen Gestank. Als würden sich an diesem Ort Massen von Leichen befinden, die allmählich verfaulen.« Marsha schüttelte sich, als sie die Worte sprach. »Kann es sein, daß er ein Grab entdeckt hat?« »Möglich, John. Aber er hat gesagt, daß sich an dieser schlimmen Stelle etwas bewegen würde. Was das nun genau war, darüber hat er sich nicht ausgesprochen. Wahrscheinlich wollte er mich nicht beunruhigen.«
Sie räusperte sich. »Ich möchte nur mit ihm in Ruhe und Frieden leben, ohne den verdammten Klan.« »Weshalb ist Jerry zurückgekehrt?« »Hier ist seine Heimat, hier lebe ich. Sollte Gott uns die Chance geben, fortgehen zu können, so werden wir sie ergreifen. Wir haben schon ein Ziel, Jackson, die Hauptstadt.« »Gut. Aber jetzte möchte ich fahren. Abe Douglas sagte uns, daß Jerry Blake uns erwarten wird.« »Das bestimmt, er sprach auch mit mir über Sie beide.« Marsha schaute nach vorn. »Wenn Sie noch ein Stück weiterfahren, erreichen Sie eine Stelle wo sie wenden können.« »Okay.« Der Motor stotterte beim Anlassen, kam dann aber doch. Wir rollten weiter und wühlten Staub auf. Was uns von Marsha gesagt worden war, hatte nicht gerade optimistisch geklungen. Dementsprechend ernst waren auch unsere Gesichter... *** Wo befand sich das Loch, in das er hätte hineinkriechen können? Wann folgte der Schrei des Schmerzes, des Entsetzens, der all seinen Frust aus ihm herausließ? Nichts davon geschah. Kein Loch im Boden, kein Schrei. Jerry Blake stand starr auf dem Fleck und starrte auf seinen toten Vater, dessen Gesicht schrecklich verzerrt war, so als hätte er vor seinem Tod noch stark gelitten. Wo war die Gerechtigkeit? Wo ist der Gott, zu dem wir alle beten? Wo, bitte, wo? Nichts war vorhanden. Nur dieser alles verzehrende Schmerz, der in der Brust des jungen Mannes wie eine Flamme loderte und ihn zu verbrennen schien. Daß aus seiner Nase noch Blut zu Boden tropfte, nahm er kaum wahr. Er wollte die Augen schließen, konnte die Lider nicht bewegen. Starr stand er auf dem Fleck, ohne zu denken, ohne die Umgebung wahrzunehmen. Er starrte einzig und allein auf seinen toten Vater. Wie er ums Leben gekommen war, konnte er nicht sehen. Die Wunde mußte sich auf dem Rücken befinden, und in seinem Rücken spürte er den gnadenlosen Druck der Mündung. Dann schaute er nach vorn. Wie unter Zwang hob er den Kopf, denn er sah vier weitere Gestalten, die sich in der kleinen Schreinerei verteilt hatten. Einer von ihnen hielt ein machetenähnliches, langes Messer in der Hand. Die Klinge war nicht mehr sauber. . . Dann weinte er. Jerry konnte es nicht verhindern. Die Tränen kamen wie ein Sturzbach. Sie schössen aus seinen Augen, sie näßten das Gesicht,
er schluchzte, er weinte, er holte saugend Luft, er schüttelte den Kopf und spürte den Schwindel. Das Loch war doch plötzlich da. Es schien ihn umschlingen zu wollen, dabei gaben nur seine Knie nach, die das Gewicht des Körpers nicht mehr halten konnten. Der Mann hinter ihm fing ihn ab, und er hörte die böse, stechende Stimme an seinem rechten Ohr. »Reiß dich zusammen, Nigger, wir haben noch einiges mit dir vor!« Trotz seines Schmerzes begriff er die Worte. Sie hatten einiges mit ihm vor. Wahrscheinlich nicht nur mit ihm, sondern auch mit seiner Mutter, die allein im Haus zurückgeblieben war. Das gab ihm einen Stich. Arnos Blake hatte sein Leben diesen Teufeln opfern müssen, wahrscheinlich würden sie ihn auch töten, dann sollte wenigstens eine Person am Leben bleiben, die Mutter. Er riß den Mund auf, wollte seine Mutter durch den irren Schrei warnen, aber wieder war er zu langsam. Der Kerl hinter ihm hatte seinen Standort gewechselt und konnte Jerry im Profil erkennen. Er schlug zu. Jerry wurde von den beiden Läufen der Schrotflinte voll erwischt. Auf der Stelle brach er in die Knie und hatte das Gefühl, in eine dunkle Wolke zu fallen. Er wurde nicht bewußtlos. Es wunderte ihn, daß er noch alles mitbekam, auch wenn durch einen Filter verzerrt. »Der Nigger wollte schreien!« »Das kann er später, wenn wir ihn bearbeiten«, sagte ein anderer. »Meine ich auch.« »Zieh ihn wieder hoch!« Der Mann mit der Schrotflinte riß Jerry auf die Beine. Das schaffte er sogar mit einer Hand, denn seine Kraft war enorm. Am Kragen seines Hemdes hielt er ihn fest, denn der junge Mann schwankte und hätte sich aus eigener Kraft nicht auf den Beinen halten können. Die Wolke vor seinen Augen war noch immer vorhanden, wenn auch dünner, dennoch flössen die Gestalten ineinander, auch der Boden schwankte. Wieder wurde er geschlagen. Diesmal trug ihn der Hieb auf einen Stuhl zu, dessen Fläche ein Muster aus Sägespännen zeigte. Der Mann mit der Machete trat zu ihm und drückte ihm den kalten Stahl gegen die Kehle. »Ich brauche die Waffe nur zu kanten, dann ist es mit dir vorbei, Nigger. Ein Schrei — und du bist verloren.« Jerry Blake weinte noch immer. Seelischer und körperlicher Schmerz trieben ihn dazu. »Was. . . was. . . wollte ihr denn von mir?« brachte er heuchend hervor. »Habt ihr nicht schon genügend Leid gebracht, indem ihr einen Unschuldigen tötet?« »Nigger sind nie unschuldig.«
Diese zynische Antwort bewies Jerry, mit welchen Menschen er es zu tun hatte. Nein, die besaßen kein Gefühl mehr. Bei ihnen war alles Menschliche ausgeschaltet. Das waren Bestien auf zwei Beinen. »Wir werden wieder für Ordnung sorgen und die alten Hierarchien herstellen. Dabei haben wir einen großen Helfer. Du hast doch Mr. Voodoo erlebt? Er wird sich freuen, wenn er dich bekommt, das glaub mir mal, Nigger.« Die Worte rotierten in Jerrys Kopf. Da die Schmerzen zu stark waren, bekam er sie nicht in die richtige Reihenfolge, hörte aber, wie jemand sagte: »Wir sollten gehen.« »Augenblick noch!« zischte ein anderer. »Was ist denn?« »Da muß jemand gekommen sein. Jedenfalls habe ich einen Wagen kommen hören.« Der Sprecher stand am Fenster, schaute hinaus, konnte aber nichts erkennen, da ihm das Wohnhaus die Sicht nahm. Die anderen hatten es eilig und drängten ihn. »Kannst du etwas erkennen, oder hast du dich geirrt?« Der Mann wartete noch. Es sah so aus, als wollte er seine Kapuze in die Höhe schieben, ließ er bleiben, brachte aber seine Augen bis dicht an die Scheibe und ärgerte sich, daß er keine Sonnenbrille trug, denn die Strahlen des schon tiefstehenden Balls fächerten über den Hof und erwischten auch die Fenster der Werkstatt. »Ich habe mich nicht geirrt!« meldete der Klan-Mann. »Okay, was sollen wir deiner Meinung nach tun?« »Aufpassen, auf der Hut sein, aber unseren Plan nicht aufgeben. Schließlich sind wir wer und zudem höllisch stark.« Das war genau die richtige Fonart, die auch die anderen hören wollten. Nur so konnten sie sich gegenseitig aufbauen. Sie hielten sich eben für etwas Besseres. Jerry Blake verstand alles, obwohl die Schmerzen durch Kopf und Körper wühlten. Er hatte den Kopl gedreht, so daß er seinen toten Vater nicht anschauen mußte, das wäre für ihn eine zusätzliche Belastung gewesen. Gleichzeitig war er soweit, daß er sich schon Vorwürfe machte. Er hätte es wissen müssen, daß diese Menschen keine Rücksicht nahmen. Die bastelten immer an Plänen, um ihre Vorhaben durchzuführen. Sie sprachen auch über Jerry. Zwei waren dafür, den jungen Mann zu knebeln, andere dagegen. »Nein, er wird uns ersticken. Seine Nase sitzt zu, weil er geheult hat.« »Seit wann bist du so rücksichtsvoll?« »Quatsch keine Opern. Auch ich will den Nigger tot sehen, aber nach unseren Ritualen.« »Ja, schon gut.«
Derjenige des Klans, der Jerry verteidigt hatte, kam auf ihn zu, blieb stehen und senkte den Kopf. »Du wirst mich bestimmt nicht enttäuschen, Junge. Halt nur dein Maul. Ein falsches Wort, dann schneiden wir dir den 1 (als durch.« »Gut«, würgte er hervor. »Jetzt brauchst du uns nur noch zu erzählen, wie wir ungesehen in eure Bude hineingelangen. Wie ich dich kenne, hat dein Alter bestimmt mehrere Ein— und Ausgänge gebaut.« »Ja.« »Dann rück raus damit!« Jerry Blake blieb nichts anderes übrig, als den Klan-Männern eine genaue Beschreibung zu geben. Er schämte sich dafür, dachte an seine Mutter, die er in Gefahr brachte, und schalt sich selbst einen Feigling. Aber er konnte auch nicht über seinen eigenen Schatten springen. Die Vermummten waren mit seinen Worten zufrieden. Sie hatten ihn eingekreist. Fr konnte sich gut vorstellen, daß sie unter den Kapuzen die Lippen zu einem dreckigen Grinsen verzogen hatten. »Dann wollen wir mal«, sagte derjenige, der den Anführer spielte. »Das wird ein 'lag der Freude. Heute werden wir zuschlagen. Dabei ist es egal, ob unsere Feinde weiß oder schwarz sind. Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns. Das bekommt jeder zu spüren...« *** Natürlich waren wir vorsichtig und schauten uns die Gegend an, durch die wir fuhren. Das war nichts für mich. Es war zu heiß, zu feucht und zu staubig. Die Keifen des Fords wühlten den Dreck zu Wolken auf, der uns begleitete und die Strecke nachzeichnete. Wir waren auch durch das Wohnviertel der Schwarzen gefahren. Man sah, wo das Geld verdient wurde, nicht bei den Farbigen. Zwar besaßen auch sie ihre Häuser, aber die Bauten wirkten doch ziemlich zusammengeschustert. Klar, als Arbeiter auf einer Baumwollplantage verdiente man keine Reichtümer. Marsha Lamont hockte im Fond. Manchmal schaute sie durch das Fenster, dann wiederum duckte sie sich, weil sie von bestimmten Leuten nicht gesehen werden wollte. Sie gab uns den Weg bekannt. Hin und wieder sprach sie auch davon, daß man mit einem Klan-Besuch rechnen könnte. »Jetzt, tagsüber?« wunderte sich Suko. »Denen traue ich alles zu. Sie müssen ja schnell handeln. Es wird sich herumgesprochen haben, daß Sie Morris die Zähne gezeigt haben. So etwas gibt Hoffnung, das formiert den Widerstand und reißt auch andere mit.«
»Hat es ähnliches schon einmal gegeben?« fragte ich. »Nein, bisher hat Morris alles in Schach halten können.« »Sie glauben daran, daß er zum Klan gehört?« »Ja, und nicht nur das. Für mich ist er einer der Anführer, wenn nicht sogar der Anführer. Dieser Mensch gibt sich nicht mit kleinen Dingen zufrieden, der klotzt!« »Wie sind seine Familienverhältnisse? Ist Morris verheiratet? Hat er Kinder?« »Zwei.« »Kennen Sie die beiden?« »Nein, Mr. Sinclair, die kenne ich nicht. Sie sind etwas älter als ich. Angeblich studieren sie in Atlanta. Wenn sie hier sind, dann immer nur auf Besuch. Sie scheinen allerdings ebenso arrogant zu sein wie ihr Vater, was man so hört.« »Okay.« Bäume gaben Schatten. Sonnenlicht blitzte hin und wieder durch das Geäst und kam mir vor wie ein großer Spiegel. Der Himmel sah aus, als hätte man ihn frisch angestrichen. So weit, so blau, so sonnig. In der Ferne hörten wir die Arbeitsgeräusche einer kleinen Fabrik. »Das ist eine Schmiede«, erklärte uns Marsha, als wir sie darauf ansprachen. »Wird sie auch von Schwarzen geleitet?« »Ja und nein, Suko. Da kooperieren zwei Menschen, wobei der eine weiß und der andere schwarz ist. Sie verstehen sich gut, was dem Klan auch ein Dorn im Auge ist.« »Es geht also doch.« »Sicher, auch hier. Jerry und ich wollen gegen den Rassenwahn ankämpfen, deshalb gehen wir auch nicht in den Norden, sondern bleiben im Staate Mississippi. Nur hier können wir etwas erreichen, in Bewegung setzen, in der Hauptstadt, mit Wissen ausgerüstet und tätig an bestimmten Schaltstellen.« »Läßt man Sie daran?« »Sie kennen Jerry nicht, Suko. Der ist es gewohnt, sich durchzusetzen. Der schafft es schon.« Marsha ballte ihre Hände zu Fäusten, als wollte sie ihrem Freund schon jetzt die Daumen kräftig für die Zukunft drücken. »Wann müssen wir ab?« erkundigte ich mich und ging noch mehr vom Gas, weil ich keine Hühner überfahren wollte, die, von einem Hahn gejagt, über die staubige Fahrbahn huschten. »Ich sage rechtzeitig Bescheid.« Wir fuhren durch einen kleinen Pinienwald. Für einen Moment überkam mich der Eindruck, in Italien oder Spanien zu sein. Anschließend rollten wir auf einem schmalen Feldweg weiter und sahen rechts von ihm, ziemlich weit versetzt, ein Gebäude. Marsha Lamont deutete durch das Fenster. »Da müssen wir hin. Gleich können Sie rechts abbiegen.«
Über eine staubige Piste näherten wir uns dem Haus. Suko und ich spürten die Spannung, die sich in uns ausgebreitet hatte. Beide saßen wir leicht vorgebeugt und wirkten sehr konzentriert. Das graue Haus sah harmlos aus. Sonnenlicht spiegelte sich in den Scheiben. Die Hälfte der Hausbreite wurde durch einen Verandavorbau geschützt. Auf dem Holz stand sogar ein typischer Schaukelstuhl. Ich hatte ihn direkt vermißt, denn dieser Sessel gehörte einfach zu den Südstaaten. Bestimmt hatte man uns längst gesehen, doch niemand öffnete uns die Tür, um das Haus zu verlassen. Es blieb ruhig. »Gefällt dir das?« fragte Suko. »Eigentlich nicht.« »Ja«, meldete sich Marsha vom Rücksitz her, »das ist schon sehr komisch. Jerry hätte eigentlich aus dem Haus kommen und uns in Empfang nehmen müssen.« »Er wird den Wagen nicht kennen«, beruhigte Suko sie. »Ich weiß nicht.« Wir ließen das Fenster nicht aus dem Blick, konnten allerdings nicht viel sehen, weil sich das Sonnenlicht in den Scheiben spiegelte. Marsha hatte uns erzählt, daß Jerrys Vater eine kleine Schreinerei t>etrieb und seine Werkstatt auf dem hinteren Teil des Grundstücks lag. Sie wurde durch das normale Wohnhaus vor Blicken geschützt. Das Mädchen war nervös geworden. Wir hörten, daß es seine Hände gegeneinander rieb. Einige Male räusperte Marsha sich, und als wir anhielten, traute sie sich nicht, auszusteigen. »Was ist mit Ihnen, Marsha?« »Komisch, John. Plötzlich habe ich Furcht.« Mein Lachen klang nicht echt. »Das brauchen Sie nicht zu haben. Kommen Sie, wir werden nachschauen.« Zuerst verließen Suko und ich den Leihwagen. Wir stellten uns dort auf, wo Marsha die Tür öffnete und sich, nach allen Seiten sichernd, aus dem Fahrzeug drückte. Kaum stand sie draußen und hatte den Wagenschlag ins Schloß gedrückt, da öffnete sich die Haustür. Nicht schnell, sondern sehr vorsichtig, als wollte die Person im Haus sich erst davon überzeugen, ob die Gäste auch willkommen waren. Dann erschien eine Frau. »Das ist Milly Blake«, flüsterte Marsha, »Jerrys Mutter.« Sie wirkte auf einmal erleichtert, lief über die Holzbohlen der Veranda und warf sich in die Arme der grauhaarigen Schwarzen, die einen mütterlichen Eindruck machte. Suko nickte mir zu, wobei er lächelte. »Da scheint ja alles okay zu sein.« »Ja, wir werden sehen.« Langsam gingen wir auf die Tür zu. Ich blickte noch einmal zurück. Nur der Staub, den unsere Wagenreifen aufgewirbelt hatte, senkte sich
allmählich dem Boden entgegen. Verfolger waren nicht zu sehen. Wenn sich jemand auf unsere Fersen gesetzt hatte, hielt er sich wohlweislich zurück. Milly Blake wußte bereits, wer wir waren. Marsha hatte es ihr mit wenigen Worten erklärt. Sie schaute uns aus schon tränenfeuchten Augen fast dankbar an. »Bitte, Gentlemen, kommen Sie doch herein zu mir. Bitte, ich freue mich so. Seien Sie herzlich willkommen. Unser Haus soll auch Ihnen gehören.« Sie reichte uns zunächst die Hand, bevor sie uns umarmte. Diese Herzlichkeit war uns fast peinlich, aber wir merkten auch, welch eine große Hoffnung diese Frau in uns setzte. Hinter uns schloß sie die Tür. In der Küche warteten wir. Fs roch nach Holz und Kaffee. Marsha stellte für uns noch zwei Stühle an den Tisch, deckte ihn, und Milly Blake schenkte Kaffee ein. Beide Frauen machten einen gelösten Find ruck, so, als könnte jetzt nichts mehr geschehen. Marsha fuhr durch ihr Haarr. »Kinder«, sagte sie, »jetzt haben wir es geschafft, glaube ich.« Enttäuschen wollte ich sie nicht, probierte den sehr starken Kaffee und fragte erst dann, wo sich Jerry befand. »Der wollte nach seinem Vater schauen«, erklärte Milly. »Er ist in der Werkstatt.« Ich runzelte die Stirn. »Schon lange?« »Ja — doch.« Marsha sprang auf. »Dann hole ich sie.« Milly griff nach dem Arm des Mädchens. »Nein, Kind, laß die beiden. Sie werden sich bestimmt einiges zu sagen haben, glaub mir. Es ist dann nur für Männer bestimmt.« »Wie du meinst.« Sie setzte sich wieder hin. Die ältere Negerin hob die Schultern und schob die Tasse leicht hin und her. »Es ist ja alles so furchtbar kompliziert, wenn man einen Sohn hat, der etwas verändern will. Jerry hat sich in Gefahr begeben, mein Mann und ich beteten für ihn, und es hätte ihn fast erwischt, wenn nicht dieser FBI-Agent dazwischengekommen wäre. Er hat ihm geholfen, durch ihn wußte er auch, daß Sie auf dem Weg hierher sind.« »Um Mr. Voodoo zu stellen«, erklärte Suko. Mrs. Blake nickte. »Ja, mein Sohn sprach davon. Niemand weiß genau, wer sich dahinter verbirgt. Jedenfalls ist Mr. Voodoo ein grauenhaftes Geschöpf.« »Ein Mensch?« fragte ich. Mrs. Blake legte ihre Stirn in Falten. »Allmählich kommen mir Zweifel, wenn ich darüber nachdenke. Es geht das Gerücht um, daß es sich bei Mr. Voodoo um ein Monstrum handelt, das sogar Menschen schluckt.« Nach dieser Antwort zeichnete sich die Furcht auf ihrem Gesicht ab, die
Stimme verlor an Kraft. »Können Sie sich vorstellen, daß es so etwas gibt? Daß dieses Monstrum irgendwo in den Sümpfen lauert?« Ich nickte. »Das können wir uns gut vorstellen, Mrs. Blake, man hat uns nicht grundlos hergeholt. Wir sind zwar Polizisten, aber wir beschäftigen uns mit Fällen, die, sagen wir, etwas außerhalb der Norm liegen. Darüber müßten Sie sich schon im klaren sein.« Sie schaute Marsha an. »Begreifst du das?« »Nein, nicht.« »Nun ja, man nennt uns auch Geisterjäger.« Die beiden Frauen standen mit offenen Mündern da. Wie ein leises Zischen strömte der Atem aus den Mündern. Zugleich bekamen sie eine Gänsehaut, während sich Milly noch bekreuzigte. »Sie sind. . . sind Sie vielleicht Schamanen?« »Nein, keine Zauberer, auch keine Exorzisten. Wir sind Geisterjäger, wir jagen Dämonen.« »Auch Vampire?« fragte Marsha. Sie fröstelte. »Denn vor den Geschöpfen habe ich die meiste Angst.« »Auch sie«, erklärte ich und dachte dabei an einen gewissen Will Mallmann, der sich Dracula II nannte und ein gewaltiges VampirImperium errichten wollte. »Haben Sie schon welche gesehen?« »Und vernichtet, Marsha.« Das Mädchen lehnte sich zurück und wischte über sein Gesicht. »Himmel, das kann ich kaum fassen.« »Aber Vampire werden wir hier wohl nicht zu jagen haben, sondern einen Mr. Voodoo, wer immer sich dahinter verbergen mag. Mrs. Blake, hat Ihr Sohn Ihnen noch mehr über diese schreckliche Gestalt erzählt, die ja unmittelbar mit dem Verschwinden der Menschen zu tun haben und auch in Verbindung mit dem Klan stehen soll.« »Nein, das tat er nicht.« »Warum nicht?« »Er wollte uns nicht in Gefahr bringen. Sie wissen bestimmt mehr als mein Mann und ich.« Suko stellte eine andere Frage. »Kennen Sie denn den Ort, wo wir diesen Mr. Voodoo finden können?« »Nicht genau. Er liegt in den Sümpfen.« Sie malte Kreise auf die Tischdecke und schaute den schmalen Rillen nach, die ihr Fingernagel im Stoff hinterlassen hatte. »Ihr Mann auch nicht?« »Nein.« Marsha gab eine Erklärung ab. »Es war mehr ein Alleingang von Jerry. Er wollte seine Eltern nicht in Gefahr bringen, er wollte sie auch nicht mit Wissen belasten.« »Ja, das kann ich verstehen«, murmelte Suko und schaute auf seine Uhr. »Allmählich mache ich mir Sorgen.« Er wandte sich an Mrs. Blake.
»Was haben die beiden so Interessantes in der Werkstatt zu besprechen? Wissen Sie es?« »Auch nicht, nein.« Es entstand eine Schweigepause. Jeder dachte etwas, nur wagte es niemand, diesen Verdacht auszusprechen, bis Milly Blake murmelte: »Der Klan kommt stets in der Nacht.« Wahrscheinlich wollte sie sich mit diesen Worten beruhigen, da jedoch war sie bei mir an der falschen Adresse. »Das braucht nicht immer zu sein.« Sie hob die Schultern. »Wer weiß, Mr. Sinclair. Ich kann Ihnen nicht helfen.« Marsha stand auf. »Wäre es nicht besser, wenn einer von uns einmal nachschaut?« Ich war einverstanden. »Okay, dann werde ich. . .« »John!« Ich hörte Suko sprechen, und am Tonfall seine Stimme erkannte ich, daß es ernst war. Er saß günstiger, konnte zum Fenster schauen und mußte dort etwas gesehen haben. »Was ist denn?« Mein Freund erhob sich. »Ich glaube, wir bekommen Besuch, und der wird sich nicht gerade anmelden, um . . .« Nein, er meldete sich nicht an. Er war plötzlich da und kam über uns wie ein Orkan. Zugleich zersplitterten die Scheiben, flog die normale Eingangstür nach innen, und auch von der Rückseite des Hauses her hörten wir ähnliche Geräusche. Suko und ich reagierten blitzschnell, zogen unsere Waffen — und ließen sie wieder sinken, denn wir sahen, daß wir in einer schlechten Lage waren. Wie ein Mensch, den man zum Schafott führt, erschien Jerry Blake in der offenen Tür. Am Ende, geschlagen, weinend, und er sagte einen Satz, der grauenhaft war. »Daddy ist tot...« *** Auch im Büro des Chiefs stand ein Schaukelstuhl. Er gehörte zum Lieblingsplatz des Sheriffs. In ihn setzte er sich hinein, wenn er entspannen und nachdenken wollte. Oft genug schlief er auch ein, wenn er nicht in seine Wohnung, die über dem Office lag, gehen wollte. Auf ihn wartete niemand, er war nicht verheiratet, und Verwandte wohnten ebenfalls nicht in Cottonwood. Der Chief stand allein auf weiter Flur und gehörte eigentlich zu den einsamen Menschen, was er in einer stillen Stunde sich selbst gegenüber auch
zugab. Ansonsten aber spielte er den harten Typ, denn nur so kam er weiter. Manchmal, wenn es besonders schlimm wurde, griff er auch zur Flasche. Da war er dann zwei läge nicht ansprechbar. Nicht jeder wußte es, viele ahnten es. Auch jetzt hätte er gern zum Bourbon gegriffen, doch er beherrschte sich. Die Probleme waren durch Alkohol nicht aus der Welt zu schaffen. Er wünschte sich weit weg, dann hätte er den G-man und die Kerle aus London nicht kennengelernt. Das ging nicht, er mußte die Stellung halten und lauschte dem Knarren des Schaukelstuhls. Hoffentlich hielten sich die Typen an seinen Rat und verschwanden aus der Stadt. Wenn er ehrlich sich selbst gegenüber war, so glaubte er nicht daran. Beide, auch der Chinese, hatten auf ihn den Eindruck harter Kameraden gemacht, die sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen ließen, auch nicht vom Klan. Wobei der Chief gedanklich beim Thema war. Natürlich wußte auch er, daß der Klan existierte, nur hätte er es nicht vor Zeugen zugegeben. Dann hätte er als Vertreter des Gesetzes eingreifen müssen, und gesehen hatte er die Vermummten nie. Ihm waren wohl die Flammenkreuze aufgefallen und auch die angesteckten Gebäude, wenn der Klan mal wieder durchdrehte. Die Schwarzen waren zu ihm gekommen, er war den Spuren auch nachgegangen — halbherzig zwar, aber immerhin —, doch einen Erfolg hatte er nicht erringen können. Er traf jedesmal auf eine Mauer des Schweigens. Die Schritte des Mannes hörte er schon, als der Besucher noch draußen war. Seine Gestalt zeichnete sich hinter dem Glaseinsatz der Officetür ab, und Wilson erkannte ihn. »Komm rein, Markowitz!« Sein Deputy betrat den Raum. Er bewegte sich nicht nur hölzern, er grinste auch so, warf sich auf einen Stuhl und nahm den Hut ab. Sein dünnes Haar lag schweißverklebt auf dem Kopf. »Du siehst aus, Markowitz, als hätte dir jemand über die Galle gepinkelt. Was ist los?« »Nichts.« J.J. Wilson kaute zweimal schnell auf seinem Gummi, bevor er ihn zielsicher in einen Napf spuckte, sich einen neuen Gummi aus der Packung drückte, ihn zwischen die Lippen schob und fragte: »Wirklich nicht? Und deshalb kommst du zu mir?« »Ja, ich mache mir Sorgen.« Wilson beugte sich vor. »Erzähl mal genauer, mein Junge.« Der Deputy behielt das Grinsen bei. »Es ist das Nichts, das man als die Ruhe vor dem Sturm bezeichnen kann, Chief. Ich bin sicher, daß es bald passiert.«
Der Sheriff verzog das Gesicht. »Was soll passieren, Tom? Laß dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!« »Der Klan wird wieder unterwegs sein.« »Bravo, Tom, ich bewundere dich, daß du so gut Bescheid weißt. Es gibt den Klan doch nicht.« Tom lachte kieksend auf. »Das glauben Sie doch selbst nicht, Chief, Natürlich gibt es ihn.« »Sorry, aber ich habe ihn noch nie gesehen.« Der Deputy bekam enge Augen und grinste schief. »Haben Sie ihn wirklich nicht gesehen?« »Nein. Du weißt mehr als ich.« Markowitz setzte seinen Hut auf. »Okay, Chief, ich habe es Ihnen auch nur sagen wollen.« »Wer ist denn der Klan?« Der Angesprochene stand auf, grinste und ging. An derTür sagteer. »In der Stadt brodelt es unter derOber-fläche, Chief, daran sollten Sie denken.« »Ich werde mich schon zurechtfinden.« »Klar, Chief, klar.« »Scheißkerl!« fluchte f.J. Wilson, als sein Deputy verschwunden war. Jetzt hätte er sich am liebsten aus dem Staub gemacht. Statt dessen griff er zum Telefon und rief das kleine Krankenhaus an, in dem der angeschossene G-man lag. Er wurde schnell verbunden und hörte die noch schwach klingende Stimme des FBI-Beamten. »Chief Wilson hier.« »Ach, der Sheriff.« Augenblicklich klang die Stimme anders. »Was verschafft mir die Ehre Ihres Anrufs?« Wilson lachte. »Ich wollte mich nur erkundigen, ob Sie wieder auf den Beinen sind.« »Noch liege ich.« »Wie lange?« »Das kommt darauf an.« »Hmmm«, dehnte Wilson. »Ich habe übrigens Ihre beiden Freunde kennengelernt. Es sind wahre Paradiesvögel.« »Sie erzählten davon.« »Vor oder nach der Sache im Drug?« »Welche Sache?« Der Sheriff lachte. »Ich will sie Ihnen erzählen. Die beiden haben sich mit Morton Morris, dem King hier, angelegt.« »Ich dachte immer, das wären Sie, Chief.« »Lassen Sie die dummen Scherze, Douglas. Es ist nicht gut, wenn man Morris zum Feind hat.« »Was kann man ändern?«
»Ich will Ihnen nur sagen, daß ich in der Stadt die Ruhe liebe. Morris könnte sich rächen, dann gäbe es zwei tote Kollegen. Würde sich nicht gut als Image machen.« »Und weiter?« »Na ja, ich dachte mir, daß Sie vielleicht mehr Einfluß auf die beiden haben als ich.« »Ich soll Ihnen also helfen?« »Sagen wir unterstützen. Der FBI. . .« »Wann holen Sie mich ab, Chief?« »Ho, ho. Können Sie denn mit den Verletzungen...?« »Hören Sie, Wilson, das ist mein Problem. Ich hatte sowieso vor, das verdammte Zimmer zu verlassen. Wenn Sie in einer halben Stunde bei mir sind, ist alles klar.« Der Sheriff schaute auf seine Uhr. »Das könnte tatsächlich klappen. Ich komme dann.« »Sie wissen auch schon, wie es weitergeht?« »Mal abwarten. Ich hörte Gerüchte von meinem Deputy eben. Unangenehme Dinge.« »Der Klan?« »Er redete davon, obwohl ich nicht daran glaube, daß es ihn gibt. Sie verstehen?« »Klar, Chief. Sie wollen nicht daran glauben, aber man muß sich ja absichern.« »So ähnlich.« Abe Douglas atmete tief durch. »Okay, Wilson, Sie können dann auf mich zählen.« »Bis gleich.« Der Sheriff legte auf und stellte erst jetzt fest, daß er schweißnaß war. Er hatte sich vor der Unterhaltung mit dem G-man aus dem Norden etwas gefürchtet, nun war es besser gelaufen, als er befürchtet hatte. Wenn Douglas die Kunde mitfuhr, war Wilson so gut wie aus dem Schneider. Er tat es nicht gern, aber er verließ seinen Schaukelstuhl, um vor die Tür zu treten. Dieser Platz gehörte ebenfalls zu seinen Lieblingsorten. Da konnte er auf die Main Street schauen, dem Verkehr zusehen, schnuppern und erfahren, was die Menschen fühlten. Er entnahm es aus ihren Bewegungen. Im Schatten eines Pfostens blieb der Mann stehen. So konnte er nicht sofort gesehen werden. Schon bald spürte er, daß Markowitz recht gehabt hatte. In Cottonwood schlich etwas umher, das er nicht direkt sehen, nur fühlen konnte. Man mußte schon ein gewisses Gespür besitzen und auch im Ort aufgewachsen sein. Es lag an den Schwarzen.
Sie waren es, die sich anders bewegten. Scheuer, geduckter. Sie schienen gemerkt zu haben, daß jemand dabei war, diesem Tag und der folgenden Nacht einen Stempel aufzudrücken. Geflissentlich gingen sie den Weißen aus dem Weg. Wer dies sah, konnte sich in Zeiten zurückversetzt sehen, die offiziell längst vorbei waren, tatsächlich aber noch unter der Oberfläche gärten und immer wieder hochkamen. Wie in den Sechzigern, als man in diesem Staat gegen einen Präsidenten Kennedy und dessen Rassengesetz revoltiert hatte. Kennedy war tot, der Haß der Alten aber war geblieben, was die Farbigen genau spürten. Zwei Mädchen gingen vorbei. Sie grinsten frech, dann liefen sie weiter und schwenkten ihre prallen Hinterteile. Das waren Weiße gewesen, die sich auf den Baumwollfeldern als Saisonarbeiter einige Dollars verdienten und am Abend in den berüchtigten Tanzdielen von Cottonwood den Bär rausließen. Fast lautlos näherte sich ein großer, schwarzer Wagen. Nur einer im Ort fuhr diese Luxuskarosse, der reichste und mächtigste Typ, eben Morton Morris. Für den Chief hatte es keinen Sinn, im Office zu verschwinden, Morris hatte ihn bereits entdeckt. Der Mercedes hielt an. Line Scheibe surrte nach unten. Im Rechteck erschien der Kopf des Mannes. »Hallo, Chief!« grüßte Morris. Wilson winkte zurück. »Denken Sie nach?« »Worüber, Mr. Morris?« »Über Ihren Fehler, Chief. Die Fremden haben mich angegriffen. Ich fand es nicht gut von Ihnen, daß Sie sich nicht auf meine Seite gestellt haben. Nein, das war schlecht.« »Ich hatte keine Beweise.« »Die Zeugen standen auf meiner Seite.« J.J. Wilson lachte. »Soll ich denn Kollegen einbuchten, Mr. Morris? Das hätte ein Theater gegeben, kann ich Ihnen sagen. Nein, so ist es mir schon lieber.« »Haben Sie überhaupt was getan?« erkundigte sich der Mann mit lauernder Stimme. »Sicher. Ich habe Ihnen nahegelegt, Cottonwood zu verlassen. Mehr konnte ich nicht tun.« »Werden sie fahren?« »Keine Ahnung, Mr. Morris.« Der King von Cottonwood nickte, was dem Sheriff nicht gefiel, denn er hatte in die Augen des Mannes geschaut. Zwar stand da kein Todesurteil zu lesen, doch Morris schien gedanklich bereits von Wilson Abschied
genommen zu haben. »Wir reden morgen weiter, Chief. Morgen wird sich einiges verändert haben hier.« »Das glaube ich nicht.« Der Mann mit dem hageren Gesicht und den kalten Augen nickte. »Doch, Chief, glauben Sie mir. Es wird sich einiges ändern. Vielleicht sollten Sie schon pak-ken.« Er lachte und gab seinem Fahrer ein Zeichen, der den Wagen sofort anrollen ließ. »Arschloch!« rief Chief Wilson hinter dem Mercedes her, allerdings so leise, daß nur er es verstehen konnte. Er war ziemlich wütend, denn er fühlte sich herumgeschoben wie eine Marionette. Das aber wollte Wilson nicht sein. Irgend jemand hatte ihn mal als einen Dickkopf bezeichnet, was auch stimmte, denn es gab bei Wilson einen Punkt, wo er mehr als sauer wurde. Daß Morris ihn so kalt hatte abfahren lassen, gefiel ihm überhaupt nicht. Der Sheriff erinnerte sich wieder an die Verabredung, die er mit Douglas getroffen hatte. Sie wollte er unbedingt einhalten, schloß sein Office ab und ging hinter das Haus, wo sein Dienstwagen stand. Er dachte an Morton Morris Sätze. Plötzlich gefielen sie ihm überhaupt nicht mehr... *** Vielleicht hätten Suko und ich noch etwas tun können, aber Jerry Blakes Worte hatten uns geschockt. Und wir hörten auch den gellenden Schrei der Milly Blake, als sie in die Höhe schoß, sich an mir festklammerte und ihr Gesicht gegen meine Schulter drückte. Ich hörte und sah sie weinen. Ihr Rücken bewegte sich hektisch, während ich sie automatisch streichelte und an ihr vorbei in den Raum schaute. Marsha Lamont saß auf dem Stuhl wie eine Statue. Innerhalb weniger Sekunden schien sämtliches Leben aus ihrem Körper geflossen zu sein. Ihre Haut war grau wie Asche geworden. An der Tür stand noch Jerry Blake, gezeichnet von Schlägen, mit einem Blutstreifen vorn am Hals, wo ihn eine Klinge geritzt haben mußte. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Daß eres trotzdem schaffte, lag möglicherweise an der Waffenmündung, die sich in seine rechte Wange gebohrt hatte. Hinter ihm stand ein Vermummter. Er hielt den schweren Colt und zitterte nicht einmal. Andere Vermummte waren durch den Hintereingang in das Haus gelangt. Am zerstörten Fenster stand ebenfalls einer und hatte den Lauf einer doppelläufigen Schrotflinte durch das Rechteck geschoben. Insgesamt waren es fünf Vermummte, eine Überzahl, die weder Suko
noch mir gefiel. Einer der Kerle spielte mit seiner Machete, an deren Klinge noch Blut klebte. »Stimmt das mit Ihrem Vater?« fragte ich. Jerry kam nicht zu einer Antwort. Der Kerl neben ihm gab sie. »Klar, wir haben ihn umgelegt. Er wollte nicht so, wie wir wollten. Da mußte er sterben. Ist ja nur ein Nigger!« In mir schoß die Wut hoch. Mein Gesicht, auch das von Suko, nahm eine krebsrote Farbe an, was den Clansmen nicht verborgen blieb. Sie bekamen plötzlich Furcht, denn rasch rammte mir jemand eine Waffenmündung in den Rücken. »Mach ja keinen Scheiß, du Mistbulle!« Ich blieb ruhig, trotz meines innerlichen Vulkans. »Nein, nein, keine Sorge. Ich reiße mich zusammen.« »Das will ich dir auch geraten haben.« Bisher hatte sich Milly Blake gegen meine Schulter gedrückt. Ich spürte, daß sie zitterte, und einen Augenblick später stemmte sich die Frau ab und drehte sich um. Wenn ich nach rechts schielte, sah ich ihr Gesicht. War das noch ein menschliches Antlitz? Ja, schon, aber der Schrecken und der Schmerz hatten es gezeichnet. Ich kannte mich etwas mit Menschen aus und merkte, daß diese Frau dicht vor dem Punkt stand, wo ihr alles egal war. Ich sah auch, wie ein Ruck durch ihren Körper ging und sie sich auf den Mann konzentrierte, der die Machete mit der blutigen Klinge trug. Der starrte ebenfalls in ihre Richtung. Hinter den Schlitzen bewegten sich seine Augen. »Was willst du, Niggerweib?« Wieder ging mir diese gemeine Beleidigung durch und durch. Über meinem Rückem rieselte ein kalter Schauer. Mein Gott, welch ein Haß mußte sich bei diesen Kreaturen im Laufe der Zeit aufgestaut haben! Ein Haß, für den es aus meiner Sicht kein Motiv gab. Milly Blake hatte die Bemerkung überhört. Aber sie ging auf den Mann zu. Nach dem ersten Schritt legte ich ihr eine Hand auf die Schulter. Fast herrisch schüttelte sie meine Hand ab. »Laß mich in Ruhe!« keuchte sie. »Laß mich in Ruhe!« Dann ging sie auf den Macheten träger zu. Totenstill wurde es im Haus. Selbst wir atmeten nur Hach. Ich spürte den Druck in meinem Magen; die Kälte hatte einen Ring um meine Brust gelegt. Ich fing einen von Sukos hilflosen Blicken auf, denn auch er konnte nichts tun. Milly Blake streckte ihren Arm aus. Der Nagel des Zeigefingers wiesauf sie. »Du«, sagte sie. »Du hast meinen Mann getötet. Ich spüre es. Ich merke es, ich weiß, wenn ein Mörder vor mir steht. Du verdammte Bestie hast ihn umgebracht!«
Der Vermummte war unsicher geworden. »He, Alte, du scheinst nicht recht bei Trost zu sein, du. . .« »Kein Wort mehr, Killer! Ich erkenne dich an deiner Stimme. Ich weiß, wer sich hinter der verfluchten Kapuze verbirgt. Du arbeitest für Morris, das ist mir bekannt.« »Bleib stehen, Alte!« »Nein, Mörder. Ich gehe so lange weiter vor, wie es mir paßt. Verlaß dich darauf.« Der Mann lachte unsicher. »Die Frau ist lebensmüde, Freunde. Wirklich, die ist leriensmüde!« »Milly!« sagte auch Suko, an dem sie vorbei mußte, der sich aber nicht rühren konnte, weil hinter seinem Rücken ebenfalls Bewaffnete standen. »Hört auf!« Sie fegte einen Stuhl so heftig zur Seite, daß dieser umkippte. Den größten Teil der brennenden Distanz hatte sie hinter sich gelassen, und sie ließ den Vermummten nicht aus dem Blick. »Wie fühlt man sich denn als Mörder?« fragte sie scharf. »Sag es mir ins Gesicht, Killer! Wie fühlt man sich?« »Gut!« Milly blieb stehen, ballte die Hände zu Fäusten und schüttelte den Kopf. »Gut, sagst du noch, du verfluchte Bestie! Nein, du kannst dich nicht gut fühlen, denn du mußt daran denken, daß auch dein Leben mal beendet sein wird. Dann stehst du vor Gott, dem Allmächtigen. Dann wirst du Rechenschaft für deine Taten ablegen müssen. Dann wirst du heulen und mit den Zähnen knirschen, wenn du in die Tiefe der Hölle gestoßen wirst, wo dir das Feuer die ewigen Qualen bereiten wird. So ist es, Killer, so wird es sein!« Der Rassist war unsicher geworden. »Halt dein Maul, Frau! Halte nur dein verdammtes Maul, mehr will ich nicht! Kein Wort mehr, hörst du?« Milly lachte sofort. Doch es war mehr ein Weinen. »Jetzt kannst du darüber nachdenken, Mörder. Du hast mich gehört, du weißt, welches Schicksal dir einmal begegnen wird. Die Hölle erwartet dich, der Teufel wird sich dir zeigen und .. .« Fr sprang vor und schob die Machete in Millys Richtung. Ich wäre zur Seite gezuckt, die Frau nicht. Sie besaß tatsächlich den Mut, auf der Stelle stehen zu bleiben, hielt den Blick gesenkt und schaute auf die Machete, die nureine Handlänge von ihr entfernt — vor dem Bauch zur Ruhe gekommen war. »Stoß zu, Killer! Stoß endlich zu! Du hast doch Erfahrung darin. Erst mein Mann, jetzt ich! Willst du nicht die gesamte Familie ausrotten, Bastard?« »Ich glaube, wir sollten sie rausschaffen!« sagte der Vermummte. »Ja, macht das. Schafft mich raus. leert und federt mich, um mich dann zu verbrennen. Ich aber werde nicht in die Hölle kommen. Ich werde über dir stehen und auf dich herabschauen, wenn dich das Feuer erfaßt.
Keinen Tropfen Wasser werde ich dir bringen, um deine Schmerzen zu lindern, Killer. Im Gegenteil, ich werde dafür bitten, daß deine Strafe noch länger andauert. Und wenn du es es nicht mehr aushalten kannst, werde ich folgendes machen, um dir eine Linderung zu bringen!« Sie holte saugend Luft, ließ den Mund offen und überraschte uns alle mit ihrer nächsten Aktion. »Das werde ich tun!« Dann spie sie dem Killer gegen die Kapuze! Ich wußte, daß sie einen Schritt zu weit gegangen war, Suko wußte es ebenfalls, und wir sahen beide, wie der Mörder reagierte. Er sprang einen Schritt zurück, unter seiner Kapuze vernahmen wir ein gurgelndes Geräusch, dann holte er aus, um der Frau die Machete in den Kopf zu schlagen. Ich sprang vor, hörte Marsha schreien und bekam einen mörderischen Schlag gegen den Hinterkopf, der augenblicklich mein Bewußtsein auslöschte. Was weiter passierte, bekam ich nicht mehr mit... *** Chief Wilson hatte sich um einige Minuten verspätet. Als er auf den Parkplatz fuhr, sah er Abe Douglas bereits hinter der Glastür erscheinen, die sich durch einen Kontakt automatisch öffnete und den G-man entließ. Der blonde Abe sah ziemlich mitgenommen aus, obwohl er ein Lächeln versuchte, was mehr einem Grinsen glich. J.J. Wilson ging ihm entgegen. »Gut sehen Sie nicht gerade aus«, meinte er zur Begrüßung. »Ich bin auf eigene Gefahr entlassen worden.« »Und die Streifschüsse?« »Sind verpflastert.« Abe schaute gegen die tiefstehende Sonne. Sie hatte ihre morgendliche Farbe verloren und schon einen rötlichen Schimmer bekommen, der im Laufe der Zeit noch intensiver werden würde und später die Farbe einer Blutorange bekam. »Können Sie sich bewegen?« »Es reicht.« »Sind Sie auch bewaffnet?« Abe klopfte gegen seine Jacke. »Mein Argument habe ich mitgenommen.« Der Sheriff amüsierte sich. »Argument ist gut, wirklich, das ist ausgezeichnet.« Douglas, auf dessen Stirn Schweißtropfen perlten, schaute ihn nachdenklich an. »Ich benutze das Wort nicht gern, aber in diesem Staat scheint es ein Argument zu sein.« »Kann man von ausgehen.« Der Chief hatte die Beifahrertür geöffnet. »Steigen Sie ein.«
»Wohin fahren wir?« »In mein Office.« »Warten da meine Freunde?« Wilson verzog den Mund. »Nein. Die beiden sind verschwunden, nicht mehr aufzutreiben.« »Wo könnten sie sein?« Die Frage stellte der G-man, als er schon die Tür zugezogen hatte und die Beine ausstreckte. »Hoffentlich haben Sie meinen Rat befolgt.« »Welchen Rat?« »Zu verschwinden. Weg aus Cottonwood. Das ist kein Pflaster für sie, finde ich.« Abe Douglas konnte nicht anders, er mußte lachen, auch wenn dabei seine Wunden schmerzten. »Da kennen Sie John Sinclair und seinen Freund Suko nicht, Chief. Die verschwinden erst, wenn sie diesen ganzen Sumpf hier aufgerührt haben.« »Oder selbst von ihm verschluckt worden sind.« »Auch das.« »Dann rechnen Sie damit, daß sie es nicht schaffen.« »Hören Sie, Chief, wir alle sind nur Menschen, auch die beiden YardLeute.« »Ich dachte immer, es wären kleine Wunderknaben, weil Sie die Männer doch hergeholt haben.« »Denken Sie, was Sie wollen, Chief. Ich will Erfolge sehen. Und zwar bald. Hier sind verdammt viele Menschen spurlos verschwunden, und ich mag auch nicht, wenn man das einem Unbekannten, einem Mr. Voodoo, in die Schuhe schiebt. Ich würde ihn gern sehen und nicht nur immer von ihm hören. Verstanden?« »Jerry Blake hat sich da was zurechtgeträumt.« »Das sehe ich anders.« »Ach so«, sagte der Chief. »Morton Morris war kurz nach unserem Telefongespräch bei mir. Er ist der King hier, wie Sie wissen.« »Was wollte er?« »Mich warnen und mir erklären, daß ich bald meinen Job verlieren würde.« »Waren Sie nicht loyal?« fragte Abe voller Spott. »Hören Sie auf, G-man, Sie kennen die Verhältnisse hier in Cottonwood nicht. Ich hätte mich auf seine Seite stellen sollen, als er mit Ihren Freunden aneinander geriet. Nun ja, ich sperrte sie nicht ein. Jetzt ist Morris sauer. Er versprach mir, daß sich hier in Cottonwood einiges ändern wird. Und zwar in allernächster Zeit.« »Meint er damit die folgende Nacht?« »Scheint so.« Abe nickte, dachte nach und meinte: »Wir sollten zum Haus der Blakes fahren. Ich kann mir vorstellen, daß ich meine Freunde dort treffen werde, weil sie noch mit Jerry reden wollten.«
»Können wir machen, aber zuvor muß ich noch am Office vorbei.« »Warum?« »Das werden Sie schon sehen, G-man.« Der Chief startete, und Abe stellte auch keine Fragen mehr. Nein, fit fühlte er sich nicht. Hätte es die Lage nicht erfordert, er hätte das verdammte Krankenhaus auch nicht verlassen. Er hatte einfach dort raus müssen, es gab keine andere Möglichkeit für ihn. Er wollte seine Freunde nicht allein auf weiter Flur lassen. »Man kann es nicht sehen, aber fühlen«, sagte Wilson, als sie langsam durch den Ort rollten. »Was denn?« »Den Hauch der Spannung, die Glocke der Gewalt, Douglas. Ich bin hier aufgewachsen, ich weiß, was die Menschen denken, auch wenn sie nichts sagen. Ich brauche ihnen nur in die Gesichter schauen, und ich habe die Warnung von Morton Morris nicht vergessen. Er prophezeite mir, daß sich einiges ändern wird.« »Zum negativen, nehme ich an. Ich sage es deutlicher. In der nächsten Nacht wird der Klan unterwegs sein.« »Quatsch, den gibt es nicht!« Der G-man runzelte die Brauen. »Ich weiß nicht, woher Sie den Mut nehmen, Chief, diese Tatsachen abzustreiten. Der Klan ist eine Tatsache, daran kommen Sie nicht vorbei, auch wenn Sie die Augen schließen und nicht mehr öffnen wollen.« Das Gesicht des Sheriffs war starr. Seine Augen hielt er sowieso hinter der dunklen Brille verborgen. »Sie können erzählen, was Sie wollen, Gman, von mir bekommen Sie keine Bestätigung. Ich habe bisher keinen Vermummten gesehen.« »Auch nicht die Brände, von denen gesprochen wurde?« Der Chief hob die Schultern. »Bei dieser Hitze fackelt oft etwas ab, durch Selbstentzündung.« »Meinen Sie?« »Natürlich.« Abe Douglas gab es auf, den Sheriff von der Existenz des Klans überzeugen zu wollen. Männer wie er würden sich immer weigern, daran zu glauben. Zudem überlegte er auch, ob er dem Sheriff überhaupt trauen konnte. Fr hatte davon gehört, daß auch Gesetzesvertreter Mitglieder des Klans gewesen waren. Möglicherweise spielte J.J. Wilson eine besondere Rolle, die einer vertrauensvollen Person, die besonders den G-man an sich binden sollte, damit dieser unter Kontrolle stand und keinen Unsinn machte. Das alles war möglich, das alles konnte sein, und Douglas beschloß, die Augen offenzuhalten. Vor dem Office ließ Wilson den Wagen ausrollen. Es war noch immer abgeschlossen, was den Sheriff wunderte. »Markowitz, dieser Penner, wo treibt er sich wieder herum? Er hätte mich im Office vertreten sollen.« Als er aufschloß, hörten beide das Klingeln des Telefons.
Der Chief lief hin, riß den Hörer an sich, lauschte und nickte dabei, bevor er sagte: » Ja, ich weiß, Mr. Morris. Ich habe ihn ja selbst abgeholt. Tut mir leid.« Er legte wieder auf. Abe stand neben dem mächtgen Holzschreibtisch, dessen Platte von Sporenkerben gezeichnet war. »Na, was wollte das große Kind von Ihnen, Chief?« »Es paßte ihm nicht, daß Sie ihr Krankenzimmer so frühzeitig verlassen haben.« »Tatsächlich?« Wilson hob die Schultern. »Morris ist ein Mann, der alles erfährt. Seine Spitzel sitzen überall. Er besitzt zahlreiche Ohren und Augen, die für ihn hören und schauen.« »Zählen Sie sich auch dazu, Chief?« Wilson nahm seine Sonnenbrille ab. In seine farblosen Pupillen war so etwas wie Glanz getreten. Er stemmte beide Hände flach auf die Schreibtischplatte. »Ich weiß nicht, wie Sie mich einschätzen, G-man, und was Sie von mir halten. Jedenfalls ist es alles falsch, das kann ich Ihnen versichern. Ich bin dem Gesetz verpflichtet, merken Sie sich das. Klar, Morris hat bei meiner Wahl mitgemischt, mehr auch nicht. Er hat mir auf diesen Stuhl geholfen.« »Dann müßten Sie auch loyal zu ihm stehen.« »Ach, hören Sie auf, Mann! Ich will nicht darüber reden. Okay, ich gebe zu, daß ich nicht der beste Freund der Schwarzen bin. Kann auch keiner verlangen, der fremd ist und nicht aus Mississippi stammt. Aber ich kenne auch meine Grenzen.« »Hoffentlich.« Der Sheriff nickte heftig. »Worauf Sie sich verlassen können, mein Lieber. Ich habe Sie nicht grundlos aus dem Krankenzimmer geholt. Siesollen selbst erkennen, daß Sie irgendwelchen Hirngespinsten nachlaufen, auch was diesen komischen Mr. Voodoo angeht.« »Das ist Ihre Meinung.« Der Chief hob die Schultern und trat an einen nicht sehr tiefen, dafür aber breiten Wandschrank, dessen rechte Tür er zunächst aufschloß, dann aufklappte. »Kommen Sie her, G-man.« »Was ist denn?« Wilson trat zur Seite. »Waffen sind das. Nehmen Sie sich, was Sie wollen.« Abe war erstaunt. »Oh, Sie scheinen ja noch etwas vorzuhaben.« Er warf einen Blick auf die Gewehre und Revolver. »Wenn der Tanz heiß wird, will ich mitspielen können. Suchen Sie sich was aus.« Abe entschied sich für zwei moderne Schnellfeuergewehre. Auf einen zweiten Revolver verzichtete er und verließ sich auf seinen 38er Smith & Wesson.
Da sich noch Schachteln mit Munition im Schrank stapelten, konnten sich die beiden Männer damit eindecken. Der Chief nahm ein Gewehr und eine Schrotflinte heraus, bevor er die Tür wieder abschloß und den Schlüssel einsteckte. »Wie fühlen Sie sich, Oman?« »Fast wie im Wilden Westen.« »So ähnlich ist es manchmal hier.« Der Chief schaute sich noch einmal um, kaute plötzlich hektisch. »Ist was?« »Nein,. . .« Wilson lachte. »Vielleicht Sentimentalität. Ich habe das Gefühl, Abschied zu nehmen.« Er ballte die Hand zur Faust, unterbrach seine Kaubewegungen und schlug heftig auf die Schreibtischplatte. »Kommen Sie, G-man. Wir wollen es endlich hinter uns bringen, diesen ganzen Wahnsinn.« Er ließ Abe Douglas vorgehen. Der FBI-Mann machte sich seine Gedanken und kam zu dem Entschluß, daß J.J. Wilson mehr wußte, als er zugeben wollte. Leer waren die Straßen nicht. Fahrzeuge rollten vorbei. Manche hochbeladen mit Gütern aller Art. Auch auf den Gehsteigen gab es genügend Menschen, die nur einfach saßen und schauten. Einige von ihnen beobachteten, wie die beiden unterschiedlichen Manner in den Streifenwagen stiegen. Sie sahen auch die Waffen, machten sich ihre Gedanken, bis sich einer erhob und das nächste Telefon aufsuchte... *** »Mutter, mein Gott!« Jerry Blake brüllte den Satz, der aus seinem Mund hervorbrach wie ein Sturmwind, kr hatte in den letzten Minuten nur zugeschaut, nicht eingegriffen. Als er jetzt sah, daß seine Mutter sterben sollte, kam es über ihn. Zu weit stand er entfernt, auch Marsha konnte nichts tun. Sinclair bekam den Treffer gegen den Hinterkopf und brach auf der Stelle zusammen. Nur Suko war noch da. Ausgerechnet er sollte Zeuge eines brutalen Mordes werden. Jeder Mensch — egal ob mutig oder feige — besitzt einen Punkt, wo er ausrastet, durchdreht, eigentlich nicht mehr weiß, was er tut, und sich einfach von seinen Gefühlen leiten läßt. Suko machte keine Ausnahme. Er wußte, daß man auf ihn zielte, daran aber dachte er in diesen Augenblicken nicht, als er eingriff.
Bevor der Vermummte die Machete in den Kopf der Frau schlagen konnte, schnellte Suko vor. Er hatte sich abgestellt, kam von der Seite, schleuderte Milly Blake aus dem Weg, und sein Körper schien immer länger zu werden, als ersieh in der Luft streckte. Dann hämmerte er zu. Wo er den Mann traf, bekam er nicht mit, weil er gleichzeitig gegen ihn prallte, aber die Waffe geriet aus der Richtung, sie streifte die Frau nicht einmal. Plötzlich war die Hölle los. Suko hörte nur die Schreie, keine Schüsse und entwickelte sich zu einem 'Tornado. Den Machetenträger hielt er gepackt, drehte ihn herum und schleuderte ihn gegen die Typen, die hinter ihm gestanden hatten. Er riß sie fast von den Beinen. Dann jagte Suko mit einem gewaltigen Hechtsprung auf das Fensterrechteck zu, wo jemand mit der Schrotflinte stand. Bevor er abdrückte, lag Suko am Boden, im toten Winkel, die mörderische Ladung fegte über ihn hinweg, prasselte gegen die Wand, und Suko hörte noch die Schreie. Dann zog er seinen Stab. In das Echo des Schusses hinein gellte seine Stimme. Nur das eine Wort rief er. »Topar!« Fs reichte aus. Plötzlich erstarrten die Bewegungen der anderen. Suko blieben fünf Sekunden Zeit, um die Lage zu seinen Gunsten zu wenden, wobei er keinen seiner Gegner töten durfte. Das hatte er auch nicht vor. Er hätte aus dem Fenster springen können, entschied sich aber für einen anderen Weg und lief auf die normale Eingangstür zu, wo er dem Vermummten die Waffe entriß, der Jerry Blake bedrohte. Suko hatte so rasch gehandelt wie möglich, und er vertraute trotz allem darauf, daß die Klan-Leute den beiden Frauen vorerst nichts taten. Sie hatten ja Sinclair, sie hätten auch Jerry gern gehabt, den wollte Suko in Sicherheit bringen, zerrte ihn hinaus, wollte wieder zurückspringen, als er den Motor eines Lastwagens hörte. Er sah das Fahrzeug bereits hinter den Bäumen und konnte sich vorstellen, daß es ihm keine Unterstützung bringen würde. Da war die Flucht am besten. Zudem war die Zeit vorbei. Suko hatte noch eine Waffe an sich genommen. Fr feuerte in den Raum hinein, jagte die Kugeln gegen die Decke, packte Jerry Blake, der nicht wußte, was mit ihm geschah, und rannte weg, wobei er den jungen Mann hinter sich herzog, der seine Schritte automatisch setzte, um mit Suko Schritt zu halten. Erst im Wald warfen sie sich zu Boden. Sie lagen keuchend hinter einer provisorischen Deckung und warteten ab. »Meine Mutter, Marsha und. ..«
»Keinen Laut«, zischte Suko. »Aber ich muß. . .« »Hör zu, Jerry, du mußt gar nichts.« Suko rollte sich auf ihn zu und packte ihn am Kragen seines Hemdes. Er sah das dunkle Gesicht und die weit geöffneten Augen. »Du mußt wirklich nichts, Junge, nur zuhören, mir helfen und dann tun, was ich dir sage. Hast du das kapiert?« Jerry nickte zwar, doch Suko wußte, daß er nichts begriffen hatte. Fr hoffte nur, daß der junge Mann nicht durchdrehte. Den Lastwagen sahen sie noch immer nicht, sie hörten ihn aber und bekamen auch mit, daß er angehalten hatte. Stimmen gellten auf, und Jerry fing wieder an zu zittern. »Mein Gott, was machen die?« »Bleib ruhig, Junge, bleib nur ruhig. Ich bitte dich darum. Nur so können wir etwas reißen.« »Es sind zu viele, nicht?« »Genau!« Was sie genau anstellten, war von Suko und Jerry nicht zu erkennen. Die beiden blieben so lange in Dekkung, bis der Lastwagen wieder abfuhr. Ihm folgten zwei andere, mit denen die fünf Kapuzenmänner sich förmlich herangeschlichen hatten. »Jetzt!« rief Suko. Zugleich mit ihm war auch Jerry auf den Beinen. Er rannte auf das Haus zu, aber Suko wollte die Wagen nicht aus den Augen lassen und die Verfolgung aufnehmen. Plötzlich erwischte es sie. Es war wie im Krieg. Rechts von ihnen schoß eine Feuerlohe, umhüllt von schwarzem Rauch, in die Luft, spie die Trümmer des Hauses aus, die von der mörderischen Bombe produziert worden waren. Die Druckwelle erfaßte auch die beiden so unterschiedlichen Männer. Weder Jerry noch Suko gelang es, sich auf den Beinen zu halten. Ein gewaltiger Stoß ergriff sie und schleuderte sie von den Beinen. Beide überschlugen sich, Suko zog seinen Körper zusammen, um den umherfliegenden Trümmern ein möglichst kleines Ziel zu bieten. Noch zwei weitere Explosionen erfolgten. Sie erledigten den Rest. Dann brannten die Reste nur noch. Suko erhob sich als erster. Noch in gebückter Haltung schaute erzürn Haus hinüber. Mit den Resten spielten die Hammen. Sie fauchten über das Holz, ließen es sprühen und knattern, sie rissen es auseinander, so daß winzige, rotglühende Funken umherflogen. Der Wind spielte mit dem Qualm und trieb ihn in die Richtung der beiden Männer. Sie husteten um die Wette. Wie Nebel verdunkelte er ihre Sicht. Suko ging auf Jerry zu, der am Boden hockte und sich sein linkes Bein hielt. »Kannst du aufstehen?« Er verzog das Gesicht. »Verdammt, es hat mich am Bein erwischt. Irgendein Teil.«
Suko zerrte ihn hoch. Der junge Mann humpelte, nickte, wischte über seine Augen, die vom Rauch brannten, und ging. »Ja, es klappt, Suko, es klappt.« Dann fragte er: »Und meine Mutter, Marsha und . . .« »Wir werden schauen.« Suko hatte übertrieben, denn es gab nicht viel zu sehen. Vom Haus standen nur mehr verkohlte Fragmente. Auch die Einrichtung war verbrannt, das heißt, die brannte noch, denn das Feuer fand immer wieder Nahrung. Der Qualm nahm ihnen die Sicht. Er trieb ihnen auch entgegen, raubte den Atem, doch daran störte sich Jerry Blake nicht. Inmitten des schwarzen Rauchs stand er wie eine Statue, und aus seinen Augen rannen Tränen über das verschmutzte Gesicht. Suko glaubte nicht daran, daß die Vermummten John Sinclair und die anderen im Haus gelassen hatten. Als Geiseln und als abschreckendes Beispiel für ihre perversen Taten waren sie viel zu wertvoll. Er ließ Jerry stehen und lief dorthin, wo der Leihwagen parkte. Floffentlich war der noch okay. Er war es nicht mehr. Trümmer hatten ihn erwischt und so zusammengedrückt, daß er fahruntüchtig geworden war. Und neben ihm lag ein Toter. Er trug noch immer die Kutte. An der Brust zeigte sie eine rote Farbe. Dort war er von einer Kugel erwischt worden. Als Suko näher hinschaute, erkannte er das gesamte Ausmaß. Eine Schrotladung hatte ihn voll getroffen. Das sah auch Jerry, der neben ihm stehenblieb. »Mein Gott, was ist das für ein Grauen.« »Wir müssen verschwinden, Junge.« »Wohin denn?« »Das werde ich dir noch sagen, Jerry, denn du bist in diesem Fall mein Führer.« Jerry verstand nicht. Er hörte aber die Schreie der Menschen und sogar das Jaulen der Sirenen. Die Feuerwehr war hier ziemlich schnell, was ihn wunderte. Bevor die beiden entdeckt werden konnten, hatte Suko bereits Deckung gefunden... *** Chief Wilson schüttelte den Kopf, als er das Heulen der Sirenen hörte. »Das gefällt mir überhaupt nicht«, erklärte er. Abe Douglas lachte. »Es brennt irgendwo.« »Weiß ich auch. Ich sehe sogar den Qualm. Nur kommt das aus einer Richtung, in die wir fahren müssen. Das läßt Schlimmes befürchten.«
Douglas teilte die Bedenken des Sheriffs noch nicht, aber der Chief ging aufs Ganze. Er stellte das Rotlicht an und ließ auch die Sirene aufwimmern. Weit hatten sie nicht zu fahren. In Cottonwood lag alles relativ dicht zusammen, und die Menschen reagierten wie überall auf der Welt, wenn es etwas Sensationelles gab. Sie rannten hin, wollten schauen, was da passierte. Die Männer sahen es Minuten später. Zwei Wagen der Feuerwehr hatten den Brandherd bereits erreicht. Sie jagten armdicke Wasserstrahlen gegen die Flammen. Der Chief hatte nichts mehr zu erklären brauchen, Abe Douglas wußte auch so Bescheid. Hinter den beiden Wagen stoppten sie, stiegen aus und husteten, da der dicke Qualm träge heranwogte. Chief Wilson ging auf einen Mann zu, der abseits stand und eine Uniform trug. Es war der Leiter der Feuerwehr. »Wir haben Glück gehabt, Chief, daß wir fast vorbeikamen. Wir waren auf einem der Felder, wo es durch Selbstentzündung einen Brand gegeben hat. Auf dem Rückweg sahen wir es dann.« »Und, Vasquez, haben Sie schon etwas erkennen können? Ich meine, ob Menschen umgekommen sind.« »Nein, nichts. Wir kamen nicht hinein.« Abe Douglas hatte die Unterhaltung gehört. Fr deutete dorthin, wo ein Fahrzeug unter Haustrümmern halb begraben lag. »Das ist der Leihwagen der beiden.« Chief Wilson fuhr auf dem Absatz, herum. »Sind Sie sicher?« »Worauf Sie sich verlassen können.« »Verdammt!« »Der Wagen ist leer. Meine Männer haben ihn kontrolliert«, erklärte Vasquez. Dem G-man fiel ein Stein vom Herzen, obwohl seine Sorgen wegen Suko und John weiter blieben. Unruhig ging er auf und ab. Eine innere Spannung hielt ihn fest, so spürte er nicht einmal mehr das verdammte Ziehen der Wunden. Wenn der Wind den Qualm zur Seite wehte, konnten sie auch auf dem Hof die Werkstatt des Mannes sehen. Sie war nicht durch das Feuer in Mitleidenschaft gezogen worden, hatte allerdings einige Trümmer abbekommen und zeigte Schäden auf dem Dach. , »Was ist das für ein Bau?« fragte Abe. »Da hat Arnos Blake gearbeitet.« »Der Vater?« »Genau.« Der G-man schaute gegen den Eingang des zweiten Hauses. Er hatte das Gefühl, dorthin zu müssen, einen triftigen Grund konnte er nicht nennen. Manchmal erwachte in ihm eben ein gewisser Instinkt.
Auch der Sheriff bemerkte die Unruhe des FBI-Mannes. »Was haben Sie, G-man?« »Das Haus, Chief. Es interessiert mich.« »Gehen Sie doch hin!« erwiderte Wilson keuchend. »Werde ich auch.« Abe schlug einen Bogen, hörte aber hinter sich den Schrei des Sternträgers, drehte sich um und sah das Winken des Mannes. »Wir haben eine Leiche gefunden, einen Vermummten. Er liegt neben dem Wagen!« Abe rannte wieder zurück. Der Sheriff starrte gegen die Wasserstrahlen. »Wir konnten sie erst jetzt entdecken.« Zwei Feuerwehrleute trugen den Mann zur Seite, wo der Rauch nicht mehr so störte und sich auch ein Ring aus Neugierigen gebildet hatte. Fast alles Farbige. Als die Menschen den Toten sahen, bekreuzigten sich einige von ihnen. Zwei Frauen fingen an zu jammern, andere wandten sich ab. Bei wieder anderen nahmen die Gesichter kantige Züge an. Chief Wilson persönlich zog der Leiche die weiße Kapuze vom Kopf. Er schaute in ein verzerrtes Gesicht, in dem die Augen noch weit offenstanden. »Kennen Sie ihn, Chief?« Wilson nickte Abe zu. »Ja, ich kenne ihn vom Ansehen. Gesprochen habe ich noch nicht mit ihm.« »Er arbeitete bei Morris als Helfer!« rief jemand aus dem Zuschauerring. »Da habe ich ihn schon oft gesehen. Der gehörte zu den Aufsehern, der sogar die Peitsche gebrauchte.« Douglas nickte und bedankte sich. »Was sagen Sie dazu, Chief?« Wilson hob die Schultern. »Ob er die Peitsche benutzte, kann ich Ihnen nicht sagen, aber für Morris hat der Mann schon gearbeitet.« »Ja, und jetzt haben Sie auch Ihren Klan, an den Sie nie recht glauben wollten.« »Stimmt.« »Wie geht es weiter?« Wilson schob sich einen frischen Kaugummi in den Mund und starrte in den Rauch. »Morton Morris hat mir versprochen, daß es eine besondere Nacht werden wird. Allmählich habe ich das Gefühl, daß ersieh damit nicht geirrt hat.« »Ich auch«, sagte Abe und fuhr fort. »Wenn dieser Mann zum Klan und zu Morris gehörte, möchte ich den Faden weiterspinnen. Ich kann mir gut vorstellen, daß Morton Morris derjenige ist, der die verfluchte Brut anführt.« »Das ist nicht sicher.« »Hören Sie auf, Chief.« Douglas winkte ungeduldig ab. »Ich weiß, daß es nicht sicher ist, aber die Spuren deuten darauf hin. Morton ist reif, verstehen Sie?«
»Klar.« »Werden Sie ihn noch immer decken?« »Das ist jetzt kein Thema.« Der Sheriff bückte sich und untersuchte den Toten, wobei er nickte. »Ich kann mir vorstellen, daß ihn eine Schrotladung erwischt hat.« »Und wer schoß? Bestimmt nicht meine Freunde. Die sind mit Silberkugel-Berettas bewaffnet.« »Womit?« »Lassen wir das.« »Okay, ich sorge dafür, daß die Leiche weggeschafft wird.« Der Chief ging zu seinem Wagen zurück, um von dort aus über Autotelefon sich mit den entsprechenden Leuten in Verbindung zu setzen. Der Chief ließ Abe Douglas stehen, und der wiederum erinnerte sich an das zweite Haus, die Werkstatt. Dort wollte er noch nachschauen. Er konnte sich vorstellen, daß Menschen dort ihr Versteck vor den Flammen gefunden hatten. Der G-man schlug einen Bogen, als er sich dem Ziel näherte. Er sah auch, daß die Tür nicht verschlossen war. Ganz hineinschauen in die Werkstatt konnte er nicht. Wenig später stand er auf der Schwelle und erstarrte. Sein Blick war auf die Leiche des Farbigen gefallen, die rücklings vor seinen Füßen lag. Das Bild war schrecklich, selbst für einen altgedienten G-man wie ihn, der in seiner Laufbahn schon einiges zu Gesicht bekommen hatte. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatten die Mörder den Mann gefoltert. Abe konnte sich nich vorstellen, daß dieser Mensch etwas Unrechtes getan hatte. Er hatte eben nur die falsche Hautfarbe besessen, eben eine schwarze. Da wußte Abe Douglas endgültig, daß es zu einem Kampf ohne Gnade geworden war. Hier stießen zwei Welten zusammen, wobei keine der beiden Gnade kannte. Douglas und Chief Wilson befanden sich ausgerechnet an der Nahtstelle und mußten achtgeben, von ihr nicht zerrieben zu werden. Er atmete tief durch, spürte plötzlich seine Wunden wieder und drehte sich um. Chief Wilson starrte ihn an. Er war herbeigekommen, Abe hatte ihn nicht gehört. Auch ohne daß Douglas ein Wort sagte, wußte der Chief Bescheid. »Ein Toter?« Der G-man nickte. »Wahrscheinlich der Vater.« »Lassen Sie mich nachschauen.« Er drückte sich an Abe Douglas vorbei und war ebenfalls geschockt. Der G-man konnte sich nicht verkneifen zu fragen, ob Wilson den Toten jetzt auch nur als Schwarzen bezeichnete. Tief holte der Chief Luft, bevor er sich sehr langsam umdrehte. Sein Unterkiefer bewegte sich noch heftiger, als er den Gummi kaute. Er stand unter Druck.
»Was sollte das, Mr. FBI?« »Mir haben einige Bemerkungen Ihrerseits nicht gefallen, Wilson.« »Denken Sie etwa, daß Sie die Wahrheit gepachtet haben?« »Das nicht, aber ich habe gelernt, daß Menschen alle gleich sind. Ob schwarz, weiß, gelb oder rot. Danach handele ich, das ist auch meine Überzeugung.« »Und ich habe die meine.« Der Chief trat mit dem Fuß auf. »Es ist eine bodenlose Sauerei, was hier geschehen ist, das will ich mal festhalten. Verlassen Sie sich darauf, daß ich zusammen mit Ihnen den oder die Mörder verfolgen werde. Falls Sie nicht mitmachen können, auch allein.« »Sie, Chief, können sich darauf verlassen, daß ich nicht eher aus Cottonwood verschwinde, bis dieser schlimme Fall aufgeklärt ist. Manchmal kann ich ein Hund sein, der sich festbeißt.« »Danke, ich ebenfalls.« Der Sheriff ging davon. Abe warf noch einen letzten Blick auf den loten, bevor er Wilson folgte, der neben seinem Wagen stand und telefonierte, den Hörerdann mit einem wütenden Fluch auf den Lippen wieder hinschleuderte. »Ärger, Chief?« »Das kann man wohl sagen. Ich erreiche meinen Stellvertreter, Tom Markowitz, nicht.« »Haben Sie keinen dritten Mann?« »Der ist weggefahren, weil seine Mutter im Sterben liegt. Das sind über zweihundert Meilen von hier.« »Dann müssen wir es eben zu zweit durchziehen.« »Ein Himmelfahrtskommando, G-man.« »Das weiß ich, Chief. Aber keine Sorge, ich bin an Himmelfahrtskommandos gewöhnt.« Chief Wilson hob die Schultern. »Wie Sie meinen, Mr. FBI!« *** Daß Jerry Blake sich auskannte, merkte Suko sehr schnell, denn der junge Mann hatte ihn zu einem Versteck am Rande des Sumpfes geführt, das hoch lag, und zwar im Geäst eines Baumes, wo sich jemand mit einigen Balken ein primitives Baumhaus zurechtgezimmert hatte. Auch eine Strickleiter war vorhanden. Jerry holte sie aus dem Versteck, schleuderte sie hoch, und die beiden Haken an ihrem Ende klammerten sich im Geäst fest. Dann kletterten sie hinauf und ließen sich auf der Plattform nieder. Stumm wie ein Fisch saß Jerry Blake neben Suko, den Oberkörper vorgebeugt, die Hände wie zum Gebet gefaltet. Jetzt, wo die erste Anspannung vorbei war, weinte er auch wieder. Suko gab ihm Zeit, irgendwann jedoch mußten sie weiter, und nur auf Jerry konnte er sich verlassen, weil der die Gegend kannte.
Der Inspektor schaute nach Westen, wo sich die Sonne in einen roten Ball verwandelt hatte. Ihre Farbe erinnerte an Blut, das empfand er irgendwie als Zeichen dafür, daß dieser Tag noch längst nicht beendet war und das Grauen zunächst am Beginn stand. »Ob sie alle getötet worden sind?« fragte Jerry nach einer Weile flüsternd. Er hob den Kopf, starrte gegen die Sonne und wischte Tränen aus seinen Augen. »Nein, Jerry, daran glaube ich nicht.« »Warum nicht?« rief er. »Was sollte sie daran hindern, mit ihnen nicht das gleiche zu tun wie mit meinem Vater. Was, zum Teufel?« »Sie werden gebraucht.« Jerry hob den Kopf, dabei verengte er die Augen und machte den Eindruck eines Menschen, der sich allmählich erinnerte. »Ja, Sie haben es gesagt. Sie brauchen Geiseln, sie benötigen Opfer, um sie töten zu können.« »Nicht unbedingt sie.« »Wie meinen Sie das?« Suko legte Jerry eine Hand auf die Schulter. »Weißt du, es kommt jetzt auf uns beide an. Vielleicht werden sie die Geiseln töten wollen, aber da ist noch etwas anderes, an das du dich erinnern solltest. Du warst da, bis dich Abe Douglas gerettet hat.« »Mr. Voodoo.« »Genau.« Jerry Blake atmete scharf ein, bevor er mit einer wilden Bewegung durch sein kurzgeschnittenes Haar strich. »Ja, ich kenne Mr. Voodoo. Ich kenne ihn, ohne ihn je gesehen zu haben. Aber ich habe ihn gespürt, gerochen, es war grauenhaft.« »Der Leichengeruch?« Jerry nickte. »Hast du wirklich keine Erklärung?« Blake hob die Schultern und schaute in das Blut der Sonne. »Die älteren Menschen kannten noch die Geschichte vom Sumpfmonster, das vor Hunderten von Jahren hier gehaust haben soll. Es ist dann verschwunden, aber in der Geschichte heißt es weiter, daß es dann wieder erscheinen würde, wenn jemand in seiner Nähe im Sumpf versinkt. Das muß wohl geschehen sein, so konnte es zurückkehren.« »Du weißt also nicht genau, ob jemand versunken ist?« »Nein, Suko, nein. Ich gehe nur davon aus. Ich nehme es sehr stark an.« »Dann müßten wir uns damit abfinden.« Suko räusperte sich. »Ich möchte noch einmal auf dein Erlebnis zurückkommen und auch auf den Leichengeruch. War er sehr intensiv?« »Es drehte sich mir fast der Magen um.« »Hast du schon etwas von Ghouls gehört?«
Jerry Blake drehte den Kopf. Seine Wangen zuckten, als er fragte: »Wovon bitte?« Suko wiederholte den Begriff und fügte schnell eine Erklärung hinzu. »Sie ernähren sich von Toten. Ghouls sind die schlimmsten Dämonen, die man sich vorstellen kann. Und sei versichert, Jerry, es gibt Dämonen, es gibt sie tatsächlich. Wir haben immer mit ihnen zu tun. Wir sind gewissermaßen Spezialisten, deshalb hat uns Abe Douglas auch geholt. Nach deinen Erzählungen muß es sich einfach um einen Ghoul handeln. Vorausgesetzt, du hast dich nicht geirrt.« »Bestimmt nicht, Suko.« »Dann gehe ich davon aus.« »Und wie kann man den töten?« Der Inspektor hob die Schultern. »Durch Waffen, die John Sinclair und ich bei uns tragen. Mr. Voodoo ist ein dummer, blöder Name für einen Ghoul. Ich weiß nicht, wer ihn.. .« »So hieß er schon immer.« »Dann wollen wir es auch dabei belassen.« Suko deutete gegen den Himmel. Im Umkreis der sinkenden Sonne wirkte er, wie mit Menschenblut bepinselt. »Ich möchte nicht, daß dieses Zeichen dort oben noch zur Wahrheit wird.« »Was sollen wir denn tun?« »Jerry, dein Vater ist tot, aber du willst deine Mutter und auch Marsha in die Arme schließen können?« »Ja, natürlich.« »Dann sollten wir nicht zögern.« Der junge Mann schrak zusammen. »Das heißt, Sie . . . Sie sollen dorthin, wo ich schon einmal war?« »Richtig, in das Zentrum, Jerry. Ist es weit von hier?« »Wenn wir zu Fuß gehen, schon.« »Möchtest du noch eine Sekunde verlieren?« Suko stand bereits am Rand der Plattform. Jerry Blake stieß seine »Faust schräg in die Luft. »Okay, ich gehe mit. Ich will sie rausholen. Sie sollen nicht brennen, und sie sollen nicht dem Ghoul geopfert werden. ..« Suko fand die Einstellung seines Begleiters richtig. Er hatte allerdings beschlossen, auf ihn achtzugeben, denn Übermut konnte leicht tödlich enden... *** Das Schaukeln hatte aufgehört, der Stimmenwirrwarr auch, doch in meinem Kopf hämmerten nach wie vor zahlreiche Zwerge mit ihren Werkzeugen und sorgten für die stichartigen Schmerzen, die von überall herkamen und unter der Schädeldecke explodierten.
Daß man mich auf den Rücken gelegt hatte, merkte ich auch, mehr war vorerst nicht drin, bis ich den Ruck spürte, die Fahrerei wieder begann, und ich mir erlaubte, die Augen zu öffnen. Das heißt, ich blinzelte, schielte in die Höhe und sah zunächst nicht viel. Graue Wellen über mir, in die das Flüstern der Stimmen und mal ein hartes Lachen hineindrangen, denn in der Nähe unterhielten sich Personen über mich. Ich sah sie noch nicht, zudem beschäftigte ich mich auch mit der Erinnerung und dachte daran, wie ich überhaupt in die Lage gekommen war. Trotz meiner Kopfschmerzen fiel es mir schnell ein, und ich spürte auch den Stich in der Brust. Ein Zeichen der Furcht vor den Dingen, die sich ereignet haben mußten, als ich bewußtlos gewesen war. Mich hatten sie erwischt, aber was war mit Suko? Hatte er vielleicht die Chance bekommen und war entwischt? Keine Ahnung, zudem veranstalteten die Unsichtbaren in meinem Kopf ein Trommelfeuer, das mir gar nicht gefiel. Die Augen hielt ich wieder geschlossen, so konnte ich mich besser auf die Geräusche in der unmittelbaren Umgebung konzentrieren. Dieses Flüstern blieb. Nicht durch den Wind geschaffen, sondern von zahlreichen Stimmen. Was sie redeten, konnte ich nicht verstehen, aber jemand, dessen Stimme ich kannte, sie aber nicht einordnen konnte, fing an zu sprechen. »Weg mit ihm, verdammt! Ladet ihn ab!« Sie packten zu. Hände wie Griffel oder Schaufeln. An den Beinen und den Schultern erwischten sie mich und zerrten mich in die Höhe, um mich wegzutragen. Ich hatte Furcht davor, daß sie mich einfach zu Boden schleudern würden, das aber taten sie nicht. Sie behielten mich im Griff und stiegen mit mir abwärts. Gefesselt war ich nicht. Ich ließ sie noch in dem Glauben, bewußtlos zu sein, und versuchte, einigermaßen klare Gedanken zu fassen. Der Hieb hatte meinen Hinterkopf erwischt, dort befand sich auch das Schmerzzentrum, und von da strahlte es auch ab. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Ich fühlte mich auch nicht besonders. In meiner Kehle kratzte es, ich hatte Durst, glaubte aber nicht, daß man mir einen Schluck Wasser gönnen würde. Dann schaukelte es heftig. Meine Träger hatten eine gewisse Distanz überwunden, bevor sie zu Boden sprangen. An der rechten Schulter rutschte ich einem weg, schlug allerdings nicht zu Boden, denn der Mann konnte mich im Nachfangen greifen. Sie schleppten mich ab. Da ich ihre Schritte nicht hörte, nahm ich an, daß wir über einen weichen Boden gingen. Zudem drang mir ein Geruch in die Nase, den ich kannte, der mir trotzdem nicht geheuer war.
Es stank nach fauligem Wasser. Wenn die Schritte gesetzt wurden, hinterließen sie quietschende Geräusche, als würden die Schuhe in Wasser treten. »Das Feuer!« Jemand sagte diese beiden Worte. Sie reichten aus, um mich zu alarmieren. Wieder öffnete ich ein wenig die Augen. Es war dunkel geworden. Den Himmel sah ich als graue Fläche hoch über mir. Davor malte sich das Geäst zahlreicher Bäume ab. Blätter zitterten im leichten Nachtwind, der den Geruch von Fäulnis gegen meine Nase wehte. Ab und zu huschten Lichtspeere durch die Nacht. Sie bewegten sich in einem bestimmten Rhythmus, streiften mal mein Gesicht, wobei ich dann die Augen rasch zukniff. Aber ich hatte genug gesehen. Eingerahmt wurde ich von den Männern in den weißen Kutten. Die Mitglieder des Klans schienen vollständig versammelt zu sein. Ich hatte versucht, sie zu zählen. Sechs waren es mindestens. Dann fauchte etwas. Fackeln waren angezündet worden. Die tanzenden Flammen erhellten die Nacht mit ihrem gespenstischen Licht, schufen ein Muster aus rotem Schein und tiefdunklen Schatten. Wie lange wir unterwegs waren, wußte ich nicht, aber wir gelangten an eine Stelle, die sich die Vermummten ausgesucht hatten. Vielleicht der Ort, wo ich sterben sollte. Sie ließen mich einfach fallen. Für einen mir lang vorkommenden Moment zuckte der Schreck durch meine Glieder, nun tief in einen Schacht oder ein Loch zu fallen. Zum Glück geschah dies nicht. Ich landete rücklings auf dem weichen Grasboden und spürte, wie die Halme mein Gesicht kitzelten, als wären sie streichelnde Finger. Hände tasteten über meinen Körper, was gar nicht nötig war, denn meine Beretta hatte man mir abgenommen. Den Dolch war ich auch losgeworden, nur das Kreuz hatten sie nicht als Waffe erkannt. Es lag auf meiner Brust, verborgen durch den Hemdstoff. »Du bist doch wach, verdammter Engländer!« Meine Güte, die Stimme! Wo hatte ich sie schon gehört? Ich überlegte, kam zu keinem Ergebnis und konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken, als mich ein Fußtritt an der Hüfte traf. »Mach die Augen auf!« Ich gehorchte, um mir weitere Tritte zu ersparen. Was ich zu sehen bekam, war deprimierend genug. Ich lag im weichen Sumpfgras und spürte unter mir das Brackwasser. Das alles ließ sich verkraften. Viel schlimmer waren die Gestalten, die mich umstanden. Die Leute vom Klan!
Es gab keinen unter ihnen, der nicht diese verdammte Vermummung zeigte. Kapuzen, die ihre Gesichter bedeckten und an ihrem oberen Ende spitz zuliefen. Sie ließen nur die Schlitze für die Augen frei und schienen nahtlos überzugehen in die bodenlangen Kutten. Ich konnte nicht erkennen, wer von ihnen die Gruppe anführte, möglicherweise war es der Mann, dessen Stimme mir bekannt vorkam und der sich aus dem Kreis der übrigen gelöst hatte und einen Schritt vorgetreten war. Erstarrte auf mich herab. Noch brannten nur die Fackeln. Die Träger standen etwas weiter entfernt, so daß man von Lichtverhältnissen nicht sprechen konnte und wir von einer zuckenden Welt aus roten Flecken und dunkleren Schatten umgeben waren. Es fiel mir nicht leicht, aber ich hielt dem Blick des Mannes stand. Er beugte sich noch tiefer. Seine Augen strahlten eine gänsehauterzeugende Boshaftigkeit aus. »Du wirst der erste Weiße seit langem sein, der hier sein verdammtes Leben verliert.« »Wollt ihr mich teeren und federn?« »Vielleicht.« »Und dann?« »Wartet auf dich jemand.« »Mr. Voodoo, wie?« Der Vermummte lachte. »Ja, du kennst dich aus, Polizist. Zu gut aus.« »Nicht nur ich.« »Keine Sorge, den Chink bekommen wir auch. Wir mögen keine Gelben, auch keine Schwarzen.« »Dann ist er euch entkommen, wie?« Ich hatte Mühe, den Triumph in meiner Stimme zu unterdrücken. Der Anführer zögerte. Er ballte die aus dem Kuttenärmel schauende rechte Hand zur Faust und machte den Eindruck, als wollte er sie in mein Gesicht stoßen. »Ja«, gab er zu, »der Gelbe ist uns entkommen, aber wir werden ihn wieder einfangen. Wir haben bisher noch jeden bekommen, das kann ich dir versprechen.« »Man kann sich auch irren.« »Hör zu, Engländer! Das ist unser Land, das ist unser Gebiet. Wir kennen uns hier aus. Bald werden die Kreuze brennen. Du hast es nicht sehen können, aber wir haben auf unserem Weg hierher schon einiges abgefackelt. Brennende Häuser zeichnen unseren Weg, und niemand ist da, der uns aufhalten kann. Verstanden?« »Was ist mit Mr. Voodoo?« »Sein Opfer wirst du. Er befindet sich ganz in der Nähe. Wir werden dich zu ihm geben, er wird dich verschlingen, er wird dich. . .«
»Ist er ein Ghoul?« Die Frage traf den Anführer hart. Ich hatte sie nicht einfach aufs Blaue hineingeschossen, sondern mir schon überlegt, daß es sich bei dieser geheimnisvollen Kreatur eigentlich nur um einen Ghoul handeln konnte. Dieser widerliche Gestank nach Moder und Verwesung deutete darauf hin. Es mußte einfach stimmen, und an der Reaktion des Vermummten erkannte ich, daß ich mit meiner Vermutung genau ins Schwarze getroffen hatte. Er zuckte plötzlich zurück. Auch die anderen vom Klan bewegten sich hektisch, denn ich hatte ziemlich laut gesprochen und sie mit meiner mehr feststellenden Frage überrascht. »Du kennst Ghouls, Bulle?« »Ja — natürlich.« »Woher?« »Vielleicht beschäftige ich mich damit, Ghouls oder ähnliche Mutationen zu jagen.« »Als Mensch?« »Sicher. Denken Sie mal nach, Kuttenmann. Weshalb sind mein Kollege und ich wohl in diesen reizenden Staat gekommen? Raten Sie mal, Mister?« »Der FBI-Bulle hat euch geholt.« »Natürlich. Er ist ein guter Freund von uns, er kennt unseren Job. Als er den Namen Mr. Voodoo hörte, wurde er mißtrauisch. Auch sprach es sich herum, daß Menschen verschwunden sind...« »Nigger!« »Menschen!« Der Mann vom Klan winkte ab. »Mr. Voodoo braucht sie, verstehst du, Bulle?« »Ja, Ghouls ernähren sich von Toten. Sie erzählen mir damit nichts Neues.« »Und weiter?« »Nichts im Moment.« »Dann kannst du dich schon auf die Begegnung mit dem Ghoul freuen, Bulle.« »Bestimmt. Ich hätte noch eine Frage. Wo kommt er her. Kennen Sie seine Geschichte?« »Nein«, erwiderte er rasch. »Ich kenne sie nicht genau. Er war schon immer da, sagen die Alten. Man hat ihn früher als ein Sumpfmonster bezeichnet, einfach so, aber daß es sich um einen Ghoul handelte, erfuhren wir erst später.« »Dann habt ihr euch kundig gemacht?« »Natürlich. Wir wollten ihn zum Freund, das gelang uns auch, indem wir ihm Nachschub brachten. Denk mal nach, Bulle. Wir sind der Klan, wir beschäftigen uns damit, diesen Staat wieder sauber zu bekommen. Zurück zu den Wurzeln! Der Süden muß leben, er wird leben. Er wird
erblühen wie eine gewaltige Blume, und er wird seine Kraft über die gesamten Staaten ausbreiten. Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns. Deshalb sind wir mit Mr. Voodoo diese Kooperation eingegangen. Ab und zu speit er Knochen aus, du wirst sie sehen können, denn sie liegen in der Nähe seines Verstecks. Am heutigen Abend wird er seit langer Zeit wieder einen Weißen bekommen, darauf freuen wir uns alle.« Ich kannte jetzt die Zusammenhänge und konnte innerlich nur den Kopf schütteln. So etwas von verbohrt und fanatisch, das war einfach nicht zu begreifen. Ein heftiges Fauchen zerriß meine Gedankenkette. Zuerst dachte ich an einen starken Windstoß, dann aber fiel der helle Feuerschein über uns hinweg, und ich wurde auf die Beine gerissen, um den Blick auf das Kreuz richten zu können. Wir alle schauten in die Richtung. Sie hatten es hart in die Erde gerammt und angezündet. Die Flammen umleckten wie gierige Fingerdie Umrisse und machten aus dem Zeichen der Hoffnung ein Fanal des Wahnsinns und des Schreckens. Es brannte knisternd. Sein Schein überdeckte den der Fackeln. Er war heller, er war strahlender und besaß trotzdem für mich eine schreckliche Düsternis. Das Holz war ziemlich trocken. An manchen Stellen explodierte es, so daß glühende Teile in den dunklen Himmel stießen, wo sie allmählich verlöschten und als grauer Aschenregen wieder zurückfielen. Die Vermummten waren von dem Anblick fasziniert. Keiner schaute mehr auf mich, sie alle starrten das Kreuz an, und ich sah eine Möglichkeit, etwas zu ändern. Schon beim Aufrichten hatte ich mich davon überzeugt, wie weit der Schein reichte. Er bildete zwar einen Ring, allerdings nicht zu groß, denn hinter ihm drückte sich die Finsternis zusammen, die mir gute Deckung geben konnte. Hitze wehte uns entgegen, als wollte sie unsere Haut allmählich ausglühen. Die meisten Vermummten trugen ihre Waffen offen. Gewehre, Revolver; auch den Hundesohn mit der Machete sah ich. Noch brannte das große Kreuz lichterloh. Ich bewegte den Kopf nach rechts, spürte wieder das Zuk-ken der Schmerzstöße und konnte in der Ferne ebenfalls ein Feuer erkennen, dessen Widerschein den Himmel rötlich ausfüllte. Dort mußte eines der Häuser oder der Ställe brennen, die vom Klan angezündet waren. Sollte ich es wagen? Es half nichts, wenn ich zu lange überlegte. Jetzt oder» nie! Ich zog mich langsam zurück, obgleich ich am liebsten gerannt wäre. Das hätte Aufsehen erregt. Lieber vorsichtig hinein in die Dunkelheit tauchen und anschließend weglaufen.
Hinter mir hörte ich plötzlich das Kichern. Es klang widerlich, und ich wußte im gleichen Augenblick, daß ich verloren hatte, denn an meinem Hals spürte ich den kalten Druck der Mündung, die sich in mein Fleisch bohrte. Das Kichern verstummte, dafür vernahm ich die leicht schrille Stimme des Vermummten. »Abhauen wolltest du, wie?« Ich hörte ein Knacken, als jemand einen Hahn spannte. »Wenn ich dich jetzt abknalle, wird sich Mr. Voodoo freuen.« Die anderen drehten sich um, sie hatten ihren Kumpan sprechen hören. »Ach nein!« hörte ich den Anführer reden. »Unser Freund wollte sich verkrümeln. Wie schön für ihn, wie schön für uns. Jetzt machen wir dich fertig, Engländer.« »Und wie bitte?« »Zieh dich aus!« Ich glaubte, mich verhört zu haben, schaute in die Runde und schüttelte den Kopf. »Was soll ich?« »Dich ausziehen, weil wir lieber Nackte mit Teer beschmieren. Du sollst leiden wie die Nigger, du sollst sterben wie die Nigger, Sinclair. Das haben wir vor.« Mir war schon viel untergekommen. Das allerdings hatte noch niemand von mir verlangt. Mich ausziehen wollte ich auf keinen Fall. Ich mußte eine Möglichkeit finden, mich aus dieser Lage herauszuwinden und nickte. »Okay, ich ziehe mich aus. Aber ich glaube nicht, daß Mr. Voodoo sich mit verbrannten Leichen zufriedengibt. Ich kenne die Ghouls, sie brauchen...« »Stimmt, Chef, das kann hinkommen!« meldete sich jemand. Der Anführer schüttelte wütend den Kopf. »Verdammt noch mal, ich lasse mich hier nicht fertigmachen. Nicht von euch. Ich will ihn teeren, ich will ihn federn, ich will. . .« »Nicht brennen. Wir belassen es nur beim Teeren und Federn, schmieren ihn so an, angezogen.« »Und dann bekommt ihn der Ghoul«, sagte der Machetenträger, als er seine Waffe hob und sie mir präsentierte. »Ist das nicht eine wunderbare Lösung?« Der Anführer überlegte. Wahrscheinlich kam es selten vor, daß er überstimmt wurde. »Gut, wir werden es so machen, wir verbrennen ihn nicht, aber er soll sich ausziehen. Ich will sehen, wie seine Haut schwarz gemacht wird!« Der Mann hatte gesprochen, und dabei blieb es. Ich konnte nichts dagegen tun. »Willst du dich selbst ausziehen, oder sollen wir dir deine Klamotten vom Leibe reißen?« »Ich mache es selbst«, erwiderte ich mit belegter Stimme, weil schon ein Kloß in meinem Hals saß.
»Aber nicht hier!« entschied der Anführer. »Wir gehen in die Nähe des Verstecks.« Keiner widersprach. Wie einen Delinquenten, der zur Hinrichtung geführt wurde, begleiteten sie mich. Sie hatten mich in ihre Mitte genommen. Es war ein schauriger Zug, der ein unheimliches Bild bot, als er durch die düstere Nacht schritt und den Widerschein des Flammenkreuzes hinter sich ließ. Jetzt brannten nur mehr die Fackeln. Ich sah auch den Lastwagen, mit dem wir hergefahren waren. Er parkte dort, wo der Waldrand aufhörte und auch die freie Fläche für das Kreuz vorhanden war. Wir aber wandten uns nach rechts, so daß der Schein sehr bald in meinem Rücken loderte. Zusammen mit den Vermummten betrat ich ein anderes Gebiet. Es war noch feuchter. Der Boden wirkte wie ein grüner Schwamm, und unsere Schuhe hinterließen Trittstellen im Boden. Fäulnis wehte mir entgegen. Der Wind trieb sie aus dem Sumpf an meine Nase. Geräusche hörte ich nicht, nur unsere eigenen Schritte erreichten als klatschende Echos meine Ohren. Diesmal hatte ich keine Chance zu entwischen, das stand fest. So ging ich weiter, begleitet von den stumm in der Nähe schreitenden Vermummten, und dachte daran, daß ich wahrscheinlich meinem Ende entgegengehen würde. Es war komisch, aber die Angst war auf einmal da. Sie würgte mich wie eine unsichtbare Kralle, setzte sich in meiner Kehle fest und erschwerte das Atmen. Ich hatte immer damit gerechnet, daß es Dämonen sein würden, die meinem Dasein ein Ende setzten. An den Ku-Klux-Klan hatte ich dabei nie gedacht. Als mir der Teergeruch in die Nase stieg, wußte ich, daß wir das Ziel bald erreicht hatten. Dieser Gestank mischte sich mit dem widerlichen Modergeruch, der mir anzeigte, daß es tatsächlich einen Ghoul gab, der in der Nähe lauerte. Zwei Fackelträger verließen die Reihe, gingen vor und bauten sich dort auf, wo ein mächtiger Baum in die Höhe wuchs und seine Krone ein breites Dach bildete. Von unten her huschte der Fackelschein in das Geäst und machte aus ihm ein tanzendes Mosaik. Er gab dem Betrachter den Anschein, als säßen im Baum zahlreiche schattenhafte Dämonenwesen, die nur darauf warteten, sich auf uns niederstürzen zu können. Der Anführer kantete sein Gewehr, so daß die Mündung auf mich zielte. »Du kannst dir deinen Sterbeort schon aussuchen. Schau auf das untere Ende des Stamms.«
Zwei Vermummte leuchteten mit ihren Stablampen in die Richtung. Die bleichen Finger stachen von zwei verschiedenen Seiten dem Ziel entgegen, wo sie sich vereinigten. Irgendeine Kraft mußte von unten her den mächtigen Baum in die Höhe geschoben haben, denn nur so war der Anblick des Wurzelwerks zu verstehen, daß oberhalb des Erdbodens lag. Es bildete einen Wirrwarr aus zahlreichen, langen Fingern, hinter denen, so schien es mir, Wege in die Tiefe führten. Dort also lauerte er. Ich sah ihn nicht, obgleich das Licht auch hinter das Wurzelwerk schien. Mr. Voodoo hielt sich noch verborgen, aber sein widerlicher Ghoul-gestank war schon vorhanden. Aus dem Hintergrund erschien eine Gestalt. Sie rollte das Faß mit dem Teer herbei und trug auch einen Quast, mit dem sie mich anstreichen würden. »Die Federn kommen auch gleich«, kicherte der Machetenmann. »Gut!« Ich hörte wieder die Stimme des Anführers. Er deutete mit der rechten Hand auf mich. »Bevor es losgeht, zieh dich aus, Engländer. Bis auf die Unterhose, die gestehen wir dir zu.« Während mich das rauhe Lachen der Maskierten umbrandete, öffnete ich langsam die Schnalle des Hosengürtels... *** Jerry Blake war stehengeblieben und hatte eine Hand vor seine Lippen gepreßt. Aus großen Augen starrte er gegen den Brandherd, der sich in der Ferne abzeichnete und doch irgendwie nahe wirkte. Langsam sank seine Hand nach unten, gab den Mund frei, und er flüsterte: »Sie sind wieder da. Verdammt noch mal, sie sind wieder da! Und sie machen es brutal.« »Müssen wir zu diesem Haus?« fragte Suko. Jerry schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß, wo sie sich aufhalten. Sie sind dort, wo das Kreuz aufflammt.« »Ich sehe nichts.« Blake nickte heftig. »Das wird noch alles kommen, Suko. Ich kenne die verfluchten Regeln.« »Dann weißt du bestimmt auch, wo das Kreuz in Brand gesteckt wird — oder nicht?« »Sicher.« »Komm, keine Sekunde mehr vertrödeln. Ich will sie packen, ich will vor allen Dingen John Sinclair.« Jerry Blake hob nur die Schultern. »Und was ist mit meiner Mutter und Marsha?« »Sie werden wir auch finden.« »Lebend?« »Das will ich doch hoffen.«
Jerry senkte den Kopf. Eine depressive Phase hatte ihn überkommen. Die Energie war aus seinem Körper verschwunden. Er traute sich nichts mehr zu. Suko spornte ihn an. Die Zeit drängte, und nur Jerry wußte den genauen Weg zum Ziel. Sie liefen querfeldein. Auch in der Dunkelheit fand Jerry Blake die trockenen Stellen, so daß sie niemals in Gefahr gerieten, vom Sumpf verschluckt zu werden. Es war noch immer warm. Der Sumpf in ihrer Nähe dampfte. Schwaden zogen träge über ihn hinweg. Insekten umschwirrten sie. Suko zählte die Mückenstiche nicht, er wollte endlich ans Ziel gelangen und hielt ständig Ausschau nach einem brennenden Kreuz. Irgendwann erreichten sie eine Straße, mehr eine Piste, die am Sumpfrand entlangführte. Zuerst wollte Jerry den Weg nicht nehmen, obwohl er der kürzeste war. Suko drängte ihn, und dem jungen Farbigen blieb nichts anderes übrig, als dem Inspektor zu gehorchen. Plötzlich sahen sie das Kreuz! Es ging alles sehr schnell, und es kam ihnen vor, als hätte jemand einen Vorhang zur Seite gerissen, der das Flammenkreuz bisher verdeckte. Für Suko war der Anblick schaurig und faszinierend zugleich. Er kannte die Flammenkreuze bisher nur aus Filmen, dort besaßen sie längst nicht die Wirkung wie in natura. Jerry bekreuzigte sich, als er das brennende Kreuz sah, und schüttelte den Kopf. »Zu spät!« flüsterte er, »es ist zu spät.« Das wollte Suko nicht glauben und zerrte ihn weiter. Sie gaben jetzt höllisch acht, denn weit hatten sie nicht mehr zu laufen. Schon bald schälten sich vor ihnen Umrisse aus der Finsternis. Sie gehörten zu einem Lastwagen, der mitten auf dem Weg stand. Soviel Suko erkennen konnte, war der Wagen unbewacht, das wiederum paßte ihm. Rechts von ihnen und tiefer im Gelände sahen sie den Fackelschein. Dort mußten sich die Männer des Klans aufhalten. Eine Wache hatten sie nicht zurückgelassen. Der Wagen besaß keine Plane. Sie konnten auf die Ladefläche klettern, was Suko auch tat. Er hatte sie kaum betreten, als er dumpfe Laute vernahm. Flach legte er sich hin und riskierte es, die schmale Leuchte einzuschalten. Der Strahl traf genau. Wie ein kleiner Kreis erwischte er das Gesicht mit den angststarren Augen, das zu Marsha gehörte. Und neben ihr lag Milly Blake. Beide Frauen waren gefesselt und geknebelt. Suko drehte sich um. Das Gesicht von Jerry Blake tauchte über der hinteren Ladekante auf. Er sah die beiden Frauen und hatte Mühe, einen
Schrei zu unterdrücken. Rasch kletterte er auf die Ladefläche, wurde von Suko festgehalten, der ihm mit scharf klingenden Worten einiges ins Ohr flüsterte. »Hast du verstanden?« »Ja, Suko, ich befreie und kümmere mich um sie.« »Genau, mein Lieber. Schaff sie weg!« Für Suko war die Sache damit erledigt. Er kletterte vom Wagen und hockte sich nieder. Ein Rundblick bewies ihm, daß er keinem aufgefallen war. Aber er wußte, wo sich die Männer vom Ku-Klux-Klan befanden, und dort würde er auch seinen Freund John Sinclair finden. So lautlos wie möglich machte sich der Inspektor auf den Weg. Wie groß die Übermacht der Vermummten war, wußte er nicht. Doch auch David hatte gegen Goliath gewonnen, und das gab Suko eine gewisse Hoffnung... *** Noch zwei Männer waren unterwegs. Abe Douglas, der G-man, und J.J. Wilson, der Sheriff von Cottonwood. So unterschiedlich sie in ihren Ansichten auch waren, da gab es dennoch einen Punkt, wo sie sich trafen. Das Gesetz stand über allem. Freunde würden sie nie werden, das hatte der Chief gesagt und hinzugefügt, daß er sich freuen würde, wenn die Fremden die Gegend wieder verließen. Abe sah es lockerer und hatte nur gelächelt. Später lächelte er nicht mehr. Da befanden sie sich auf dem Weg zu Morton Morris, dessen gewaltiges Anwesen aus mehreren Häusern bestand, die sich auf einem riesigen Gelände verteilten. Jedes Fenster war erleuchtet, es wies ihnen den Weg, den sie mit heulender Sirene nahmen. Sie stoppten vor dem Haus, hetzten die gewaltige Freitreppe hoch und konnten in die Halle stürmen, denn ein dunkelhäutiger Butler hatte ihnen geöffnet. In der Halle stand ein gewaltiger Schreibtisch aus dunklem Holz. Und fast ebenso wie eine Holzfigur hockte Morton Morris dahinter, der die beiden Ankömmlinge anstarrte. »Ich habe sie erwartet«, sagte er. Der Butler schloß lautlos die schwere Eingangstür und zog sich ebenso lautlos wieder zurück. »Weshalb?« fragte Abe. Morris lehnte sich zurück. Er hatte über sein Hemd eine ärmellose Weste gestreift. Das weiche Licht einer alten Leuchte streifte sein Gesicht nur
an einer Seite. »Es spricht sich herum, wenn einer meiner Leute getötet wird.« »Er war einer vom Klan«, sagte der Sheriff. »Ich weiß.« »Dann wissen Sie auch, wer zu dieser dreckigen Bande gehört und was sie vorhaben?« fragte der G-man. »Möglich!« »Sagen Sie es uns!« Morris schaute den FBI-Agenten nachdenklich an. »Warum sollte ich Ihnen alles sagen?« »Weil wir ein Blutvergießen vermeiden wollen.« »Das können Sie nicht.« »Doch!« Morris atmete tief durch, bevor er sich an Wilson wandte. »Hast du ihn nicht aufgeklärt, Chief?« »Nein, das habe ich nicht.« »Erzähle ihm mehr über Mr. Voodoo.« »Tut mir leid, Sir, ich bin nicht in der Lage. Ich kann auch nicht daran glauben.« Morris beugte sich vor. »Diese Gestalt ist unser Schicksal!« sprach er Abe Douglas an. »Sie müssen wissen, daß sie in der Vergangenheit geboren wurde und nie starb. Wenn Mr. Voodoo keine Nahrung mehr bekommt, wird er sie sich holen, das weiß nicht nur ich, auch andere sind darüber informiert. Deshalb müssen wir. . .« »Menschen opfern?« flüsterte Douglas, und es hörte sich an, als würde er schreien. »Ja.« »Sie sind pervers, Morris. Sie sind. . .« Der King von Cottonwood hob die Hand. »Sie sollten nicht vorschnell urteilen, Mann aus dem Norden. Hören Sie mir weiter zu. Wenn dieses Sumpfmonstrum nicht zufriedengestellt wird, verläßt es sein Versteck und holt sich, was es braucht.« »Toll. Man hätte es auch töten können.« »Wie tötet man einen Dämon.« »Es gibt genügend Möglichkeiten, Morris. Davon einmal ganz abgesehen. Ich nehme Ihnen Ihre Motivation nicht ab. Sie sind wahrscheinlich froh darüber, daß Mr. Voodoo existiert und Sie durch seine Existenz von einigen Problemen befreit werden. So kann man Menschen verschwinden lassen, die mißliebig geworden sind.« »Das macht vielleicht der Klan. Ich habe mit ihm nichts zu tun. Ich nicht.« »Stimmt, glaube ich Ihnen. Nur sind Sie auch nicht gegen ihn gewesen, Morris.« »Hören Sie, ich bin Weißerund Südstaatler!« »Ist das ein Privileg?« »Ja, verdammt.«
»Nein, Morris, es ist mehr eine Schande. Okay, Sie haben gesagt, daß Sie mit dem Klan nichts zu tun haben wollen. Sie wissen über ihn Bescheid. Sicherlich sehr genau.« »Worauf wollen Sie hinaus?« »Das werde ich Ihnen gleich sagen. Erzählen Sie uns, wo sich die Brut trifft. Wir haben das Feuer gesehen: die sind wieder unterwegs, Morris, wir aber auch.« »Wollen Sie beide ihn stoppen?« »So ist es.« Morris schüttelte den Kopf. »Keine Chance.« »Hören Sie«, sagte der Chief. »Ich bin auch kein Freund des Nordens, das wissen Sie. Jetzt aber ist es besser, wenn Sie den Mund aufmachen und uns einiges erzählen.« Morton Morris dachte nach. Schließlich hob er die Schultern. »Okay, wenn Sie unbedingt in ihr Verderben laufen wollen, bitte schön. Ich sage Ihnen den Ort.« Abe Douglas konnte mit der Beschreibung nicht viel anfangen. Er schaute auf Chief Wilson, der einige Male nickte und einen zufriedenen Gesichtsausdruck zeigte. »Viel Glück«, wünschte Morris, wobei in seiner Stimme ein gewisser Zynismus mitschwang. Schweigend verließen sie das Haus, begleitet vom harten Lachen seines Besitzers. Draußen erschien der Butler. Er schaute die Männer beinahe flehend an. »Bitte, Sir, Sie müssen etwas tun. Das Grauen darf nicht weitergehen. Keiner versucht es zu stoppen, jeder hat Angst.« Douglas schlug ihm auf die Schulter. »Wir nicht, mein Lieber, wir nicht. ..« Dann stiegen sie in den Wagen und brausten davon. Die Gebete des Schwarzen begleiteten ihren Weg... *** Ich war aus der Hose gestiegen, hörte das Lachen der Vermummten und dachte plötzlich an die beiden Frauen, die sich ebenfalls noch im Haus befunden hatten, zusammen mit Jerry Blake, Suko und mir. Wo sie sich befanden, wußte ich nicht. Ich hatte sie auch nicht mehr gesehen und konnte nur hoffen, daß sie am Leben gelassen worden waren. Auch ich lebte noch, fragte mich allerdings, wie lange ich auf der Erde weilen würde. Sie hatten mir einen unwürdigen Tod versprochen, und sie würden ihr Versprechen einhalten. Die Hose lag neben mir, meine Schuhe zog ich wieder an. Ich kam mir lächerlich vor, nur in Hemd und Unterhose hier zu stehen, beglotzt von
zahlreichen Gaffern, die darauf warteten, mich dem Ghoul vorwerfen zu können. Über ein weiteres Problem dachte ich ebenfalls nach. Es ging um mein Kreuz. Wenn die Vermummten es entdeckten, würden sie mich mit Waffengewalt zwingen, es abzunehmen. Gerade das wollte ich nicht. Es war meine letzte Chance, um möglicherweise gegen den Ghoul bestehen zu können, vorausgesetzt, man brachte mich nicht vorher um. Aber ich klammerte mich trotzdem an den winzigen Strohhalm. Noch hatte ich mein Hemd nicht aufgeknöpft. Ich griff nach dem zweitobersten Knopf und schob den Stoff so zusammen, daß er das Kreuz verdeckte. Rasch öffnete ich die anderen Knöpfe, drehte mich dabei zur Seite und streifte die dünne Kette über den Kopf, ohne das Kreuz dabei in die Höhe zu ziehen. Die Bewegung war sehr wohl registriert worden, doch niemand hatte Verdacht geschöpft. Ich hielt das Hemd in der Hand, knüllte den Stoff zusammen, ließ das Kleidungsstück fallen, so daß es am Boden landete und auch mein Kreuz verdeckte. Das war glatt gegangen. Jetzt stand ich in meiner >Reizwäsche< da. Ich spürte den kalten Nachtwind. Der faulige Geruch hatte sich verstärkt, möglicherweise merkte Mr. Voodoo, daß ein neues Opfer auf ihn wartete. »Das Unterhemd, Bulle!« Bei diesem Befehl mußte der Anführer kichern. Er freute sich, mich demütigen zu können. Auch das streifte ich über den Kopf. In Unterhose, Schuhen und Socken stand ich da. »Gut!« lobte mich der Boß, dessen Gesicht ich noch nicht gesehen hatte. Dabei grübelte ich noch immer über seine Stimme nach. Ich kannte sie, aber ich kam nicht darauf, wo ich sie schon gehört hatte. Mir schössen Namen durch den Kopf wie Wilson und Morris, keiner von ihnen war es. Oder hatte jemand von ihnen seine Stimme verstellt? »Und nun streicht ihn an. Los, ich will den Teer auf seiner Haut sehen. Macht schon!« Der Befehl galt dem Vermummten, der rechts von mir stand, neben dem Teerfaß. Ich schaute hin. Nichts regte sich hinter den Schlitzen der Kapuze. Die Augen wirkten wie dunkles Eis, über das der Widerschein des Fackellichts strich. Um es bequemer zu haben, rollte der Mann das Faß näher an sein Ziel heran. Etwa eine Handlänge entfernt blieb er stehen und schaute mir ins Gesicht. Ich drehte den Kopf, weil ich mich auf seine rechte Hand konzentrierte, die den Quast hielt und ihn jetzt eintauchte.
Die Hand, verflucht, die kannte ich auch . .. »Mach schon. Nimm zuerst sein verdammtes Gesicht. Fang an der Stirn an, dann streiche weiter!« Der Streicher nickte nur, holte den Quast hervor und kam noch näher an mich heran. Unter der Kapuze vernahm ich seine Stimme, die nicht mehr als ein Flüstern war. »Zu gern würde ich dich bestreichen, Alter, aber das ist wohl nicht der richtige Augenblick!« Ich warwie vom Donner gerührt. Diese Stimme hatte ich sofort erkannt. Sie gehörte Suko! Was sollte ich tun? Was sollte er tun? Im ersten Augenblick durchzuckte mich ein Strahl der Hoffnung, der allerdings rasch wieder zusammenfiel, denn die Situation hatte sich so gut wie nicht verändert. Okay, wir waren jetzt zu zweit, standen allerdings noch immer einer großen Übermacht gegenüber, die schwerbewaffnet war und auch schießen würde. Ich schaute in seine Augen. Er hielt den Quast noch fest, und ich war gespannt darauf, wie er reagieren würde, denn die Vermummten nahmen es nicht hin, daß er den Befehl des Anführers nicht sofort befolgte. »Was ist denn? Weshalb streichst du nicht?« Und jetzt zeigte sich Suko von seiner besten schauspielerischen Seite. Dafür hätte ich ihm den Oscar verliehen. »Es.. . es geht wohl nicht«, nuschelte er. »Wieso nicht?« »Das Zeug ist nicht flüssig genug. Es scheint hart geworden zu sein.« Während Suko die Antwort gab, schielte ich an ihm vorbei, denn eine erneute Moderwolke hatte mich gestreift, und ich erkannte innerhalb des Wurzelwerks eine Bewegung. Das war der Ghoul! Und er kam. . . Die Lage spitzte sich zu. Noch sah ich es nur wallen. Schleim wurde vorgedrückt und verklebte die Lücken innerhalb des Wirrwarrs. Meine Eindrücke hatte ich innerhalb einer Sekunde gesammelt. Soviel Zeit brauchte Suko auch für seine nächste Bemerkung. »Komm her, und schau dir das an.« Allmählich durchschaute ich Sukos Plan, und hoffte nur, daß er in Erfüllung ging. Am Rücken besaß ich keine Augen, aber ich konnte die Schritte hören, die durch das Gras schleiften. Er strich dicht an mir vorbei. Der Stoff seiner Kutte streifte noch meine nackten Waden.
»Das ist doch nicht möglich!« fluchte er. »Bisher hat es immer geklappt. Willst du mich verarschen, Ted?« »Aber jetzt nicht.« Suko hatte die Hand gedreht und hielt ihm den Quast in Augenhöhe entgegen. Der Vermummte schaute nach, er schob sogar den Kopf vor und ahnte nicht, daß er Suko ins Messer lief. Mein Freund stieß den mit flüssigem leer getränkten Quast nach vorn und traf genau. Er ließ der Griff los, weil er beide Hände frei haben mußte, und der Quast klebte in Augenhöhe am Stoff der Kapuze fest, so daß der Anführer nichts mehr sehen konnte. Im ersten Augenblick war er so geschockt, daß er nicht einmal einen Schrei ausstieß. Er taumelte zurück, allerdings nur einen Schritt, dann hatte ihn Suko gepackt, umklammerte mit dem linken Arm seinen Hals und zog mit der rechten Hand die Waffe aus der Kuttentasche, die er dem überraschten Ku-Klux-Klan-Mann blitzschnell gegen die Wange drückte. Dabei bohrte sich die Mündung durch den Stoff. »Okay«, schrie mein Freund und zerrte den Anführer zur Seite. »Bis hierher war es Spaß, ab jetzt kenne ich kein Pardon mehr. Wenn sich einer von euch falsch bewegt, ist euer Obermufti so tot, toter geht es nicht mehr. Kapiert?« Die Sätze peitschten in die Stille hinein, und sie waren auf fruchtbaren Boden gefallen. Es gab keinen unter den Vermummten, der es gewagt hätte, nur falsch zu atmen. Wie ein Blitzstrahl hatte sie der Schock getroffen. Suko diktierte das Geschehen, auch ich fühlte mich als Statist, dazu nur mit der Unterhose bekleidet. Mir blieb nicht einmal Zeit, zum Grinsen. Ich hatte weitere Aufgaben zu erfüllen. Jedenfalls wollte ich an Waffen herankommen. Die mußte ich meinen Gegnern abnehmen. Ich bewegte mich etwas zur Seite, um sofort wieder stehenzubleiben, denn plötzlich zerrissen Schüssse die Stille der Nacht. Jeder zuckte zusammen, ich machte da ebenfalls keine Ausnahme, aber die Kugeln waren nicht gezielt geschossen worden, sie fegten als bleierne Grüße in den Nachthimmel. Gezielt allerdings waren die folgenden Worte aus dem dunklen Hintergrund. »Okay«, hörten wir Abe Douglas sagen, »okay, Freunde, bis hierher und nicht weiter.« »Das meine ich auch!« Noch jemand hatte gesprochen. Abe war nicht allein gekommen. Er hatte Chief Wilson mitgebracht, dem ich insgeheim bereits Abbitte leistete, denn ich hatte ihn für ein Mitglied des Klans gehalten. Der Anführer atmete röchelnd. Noch immer nicht wußten wir, wer sich unter der Verkleidung verbarg, aber ich sah die beiden Männer näher
kommen. Sie bewegten sich dort, wo der Schein der Fackeln allmählich von der Finsternis verschluckt wurde. Abe Douglas und der Chief waren schwerbewaffnet. Schnellfeuergewehre trugen sie und hatten die Mündungen auf die Vermummten gerichtet. Chief Wilson übernahm das Kommando, was Abe nicht weiter störte. »Und jetzt laßt fallen!« fuhr er die Vermummten an. »Ich will keine Kanone mehr bei euch sehen, kapiert? Wenn ich nur ein Blinken entdecke, werde ich schießen.« Aus der Masse meldete sich eine krächzend klingende Stimme. »Sheriff, das wirst du büßen. Morton Morris steht auf unserer Seite. Du bist doch seine Marionette.« »Das bin ich nie gewesen, Tucker, und das werde ich auch nie sein. Ich komme von ihm. Er hockt in seinem Haus und denkt über die seiner Meinung nach beschissene Welt nach. So kann sich der Wind drehen, Tucker, auch für dich. Bei Mord hört aller Spaß auf. Da bin ich verdammt humorlos, das kannst du mir glauben.« Chief Wilson stand wie unter Strom. Sein Unterkiefer bewegte sich heftig, als er auf dem Gummi kaute. Er hob das linke Schnellfeuergewehr an und drückte die Mündung gegen eine Stirn hinter der Kapuze. »Laß du deine Machete fallen, Mann. Wir werden sie uns ganz besonders anschauen. Es gibt da einen Toten, den wir in einer Werkstatt gesehen haben. Er sah nicht gut aus. Ich bin kein Arzt, aber ich habe das Gefühl, als wäre er mit einer Waffe getötet worden, die deiner verdammten Machete sehr ähnlich ist.« »Ja, ähnlich, Chief!« »Vielleicht ist es sie sogar!« Wilson hatte den Fanatiker in die Enge gedrängt. Solche Typen drehten durch, wenn sie keine Chance mehr sahen, Wilson wußte das. »Laß sie fallen!« Das tat der Mann nicht. Er schrie und riß die Waffe hoch. Der Chief drückte ab. In einer Reflexbewegung hatte der Vermummte die Waffe noch so weit hochreißen können, daß sie den Sheriff streifte. Am linken Oberschenkel hatte sie die Hose aufgeschlitzt und eine tiefe Wunde hinterlassen. Dennoch hielt sich Wilson auf den Beinen. Die Spannung war einfach zu groß. Er schaute mit starrem Gesicht auf den Killer, der zwischen die anderen gefallen war und sich nicht mehr rührte. Die Kugel hatte ihn in den Kopf getroffen, und sie war ein verdammt großes Kaliber gewesen. Niemand schaute mehr auf die blutbeschmierte Kapuze. »Noch jemand?« rief Douglas. »Oder wollt ihr jetzt die Waffen wegwerfen?«
Er ging auf und ab, bewegte seine Gewehre und sorgte dafür, daß die Mündungen stets auf andere Körper wiesen. Der Tod des Killers hatte auch bei den anderen Mitgliedern des Klans die Wirkung nicht verfehlt. Jeder beeilte sich, sein Schießeisen loszuwerden. Gewehre und Revolver fielen zusammen, landeten im Gras, und freiwillig hoben die weißgekleideten Gestalten ihre Arme, die plötzlich einen sehr lächerlichen Eindruck machten. Suko und ich standen noch immer neben dem Anführer, den das große Zittern überkommen hatte. Unter seiner Kapuze hörten wir ihn keuchen. Suko hatte seinen Mund dicht an das Ohr des Mannes gebracht. »Jetzt ist dein verdammter Traum aus, Maskenmann. Wenn du die Welt bisher nur durch die Schlitze in der Kapuze betrachtet hast, kannst du sie bald durch Gitterstäbe sehen.« Ich brauchte mich um den Chief und unseren Freund Abe Douglas nicht mehr zu kümmern. Der Anführer war wichtiger. »Wie wäre es denn, wenn du dich mal entkleidest, mein Freund. Dabei brauchst du nur die Kapuze hochzuziehen, mehr nicht.« »Ja, das meine ich auch!« stimmte Suko zu. »Ich . . . ich kann nicht. Er hält mich fest.« »Das können wir ändern«, erklärte Suko und ließ den Mann los, hielt ihn aber in Schach und zog sich dabei selbst das weiße Ding vom Kopf. »War eine gute Tarnung«, sagte er grinsend. »Ich hätte nicht gedacht, daß sie noch zu etwas nutze ist.« Abe Douglas kam herbei und brachte mir etwas mit. Es waren die Beretta und mein Silberdolch. »Hier, das habe ich gefunden.« »Danke.« Ich legte die Waffen zu Boden, schließlich stand ich fast nackt da und wußte nicht, wo ich sie lassen sollte. Der Vermummte machte es spannend. Er hätte die Kapuze auch mit einem Ruck über den Kopf streifen können, das ließ er bleiben. Er rollte erst den unteren Rand hoch, und wir hörten dabei seinen schweren Atem. Ich schaute nicht hin, sondern auf die Stelle, wo der mächtige Baum sein Wurzelwerk aus dem Boden gedrückt hatte und es an dieser Stelle einen Hügel bildete. Zitterte dort wieder etwas? Vielleicht täuschte ich mich, aber die stinkenden Wolken waren noch intensiver geworden. Gleichzeitig trat der Anführer einen kleinen Schritt zurück - und in sein Verderben. Die Kapuze verdeckte noch seinen Kopf. Er hatte sie nicht einmal hoch bis zum Kinn gestreift, da packte Mr. Voodoo zu. Anders konnte ich es nicht ausdrücken, denn der Arm aus Schleim war aus dem Wirrwarr gekrochen und hatte sich um den Knöchel des Mannes gelegt. Ein Ruck, ein Schrei, der Anführer fiel auf den Rücken
und wurde von einer unvorstellbaren Kraft über den Rasen gezogen, auf das sperrige, aber dennoch dehnbare Wurzelwerk des mächtigen Baumes zu... *** Wir alle waren überrascht worden. Vor allen Dingen Suko, Abe Douglas und ich, weil wir in der Nähe standen und den Vorgang hatten gut beobachten können. Unter dem Stoff klangen die Schreie des Mannes dumpf auf. Er wußte genau, was ihm bevorstand, daß nicht die anderen zu einem Opfer des Ghouls werden sollten, sondern er. Suko wollte schießen, ich aber fiel ihm in den Arm. »Nein, das mache ich, warte!« Ich mußte es tun, denn dies war ich mir einfach schuldig. Bisherhatte ich nur die zweite Geige gespielt, Suko verstand das und hielt auch Abe Douglas zurück. Ich bewaffnete mich mit dem Kreuz und mit dem Dolch, der mir möglicherweise den Weg freischneiden konnte. So rasch ich auch reagiert hatte, der unheimliche Ghoul war dennoch schneller gewesen. Ihm war es gelungen, sein Opfer schon bis dicht an das Wurzelwerk heranzuziehen, wo es festklemmte, doch durch den weiteren Druck drehte und dabei in eine Lücke gezerrt wurde, die sich aufgetan hatte. Die einzelnen Wurzeln besaßen oft genug Triebe, die abstanden wie Dornen, sehr hart waren und sich irgendwo festhaken konnten. Diesmal fanden sie den Stoff der Kapuze als Beute und hielten sich dort fest. Wie Nägel zerrten sie daran. Was der Vermummte selbst noch nicht fertiggebracht hatte, schafften die Triebe. Sie zerrten ihm die Kapuze vom Kopf. Das geschah intervallweise, selbst ich blieb stehen und schaute zu, wie mein Freund Suko den Schädel anleuchtete. Wir hörten das Reißen von Stoff, sahen den Druck, der durch die Gestalt ging, und plötzlich hing die Kapuze fest, aber der Kopf und das Gesicht lagen frei. Eine verzerrte Fratze der Angst und Panik, ein Gesicht, das wir alle kannten. »Markowitz!« brüllte Chief Wilson. »Verdammt, du Hund! Du bist es, du allein!« Er rannte trotz seiner Beinverletzung auf ihn zu, doch an Suko kam er nicht vorbei. Er stoppte den Chief, der auf uns alle den Eindruck machte, als wollte er seinen Deputy erschießen. Deshalb war mir die Stimme so bekannt vorgekommen, auch wenn Markowitz versucht hatte, sie zu verstellen.
Wilson tobte. Er konnte es nicht fassen, drohte ihm mit der Faust, doch Markowitz war nicht mehr als ein Bündel Angst. Aber er war ein Mensch, und den wollte ich retten. Mit wenigen Sprüngen hatte ich ihn erreicht, mußte auch zu Boden und rutschte mit den nackten Knien über das Gras. Das Kreuz pendelte offen vor meiner Brust, den Silberdolch hatte ich quer zwischen die Zähne geklemmt und wirkte wie ein Pirat. Die Kraft des Ghouls hatte den Mann zur Seite gedreht. Verzweifelt machte er einen Arm lang und streckte mir die Hand entgegen. »Hol mich hier weg, Sinclair!« Mit beiden Händen griff ich zu. Wie Schraubstöcke umklammerten sie sein Gelenk, und ebenso eisern hielt ich fest. Doch Mr. Voodoo, wie der verfluchte Ghoul auch genannt wurde, besaß Kraft. Mehr als ich. Wenn ich etwas erreichen wollte, mußte ich schneller sein. Ich nahm den Dolch, drückte mich weiter vor und spürte schon die harten Wurzelfinger in meinem Gesicht. Ein widerlicher Gestank wehte mir in den offenen Mund. Nicht weit entfernt waberte ein Teil des Schleimwesens, in das ich meinen Dolch hineinstoßen wollte. Das merkte der Ghoul. Plötzlich peitschte sein Arm — oder was immer es auch sein mochte zurück. Einige Tropfen flogen noch ab und klatschten gegen mein Gesicht. Hastig wischte ich sie ab und rief zurück: »Holt ihn euch!« Suko und Abe packten das wimmernde Bündel, das sich einmal zum Chef des Ku-Klux-Klan aufgeschwungen hatte. Ich aber wollte den Ghoul. Sein Versteck kannte ich, nur wußte ich nicht, wie tief es war und wo es hinführte. Wahrscheinlich befand sich unter dem feuchten Boden ein Labyrinth, durch das kein Mensch, aber ein schleimiger Ghoul kriechen konnte. Wenn ihm seine Flucht so weit gelang, bekamen wir ihn nicht mehr. Jetzt war ich froh, den Dolch mitgenommen zu haben, denn mit bloßen Händen hätte ich das Wurzelgestrüpp kaum zur Seite räumen können. Ich schnitt Lücken, zerrte mit der linken Hand, sah Suko neben mir, der ebenfalls mithalf. Schließlich hatten wir eine so große Lücke geschaffen, die mich fassen konnte. »John, gib acht!« Er bekam keine Antwort. Ich war schon voll und ganz auf das schleimige Monstrum fixiert. Normalerweise hätte ich in die Finsternis hineintauchen müssen, aber Suko und Douglas leuchteten in den Wirrwarr hinein und schufen so eine
fahle Helligkeit. Wurzelfinger bekamen sogar einen bleichen Schein, der ungewöhnlich glitzterte, als die Lampenstrahlen darüber hinwegstrichen. Nur mehr mit den Füßen schaute ich hervor, aber den Ghoul entdeckte ich nicht. Dafür kippte der Boden vor mir weg. Nicht ein Schacht oder Tunnel führte in die Tiefe, sondern eine schiefe Ebene, auf der Mr. Voodoo in sein Versteck hineingleiten konnte. Was der schaffte, konnte ich schon lange. Ein regelrechtes Jagdfieber hielt mich gepackt. Ich würde es den verfluchten Bestien zeigen, Dämonen wie er durften einlach nicht überleben. Mit dem rechten Bein kam ich nicht frei, da mein Fuß irgendwo festhakte. Ich zerrte, hörte Suko sagen: »Warte, ich helfe dir!« Dann drückte er dagegen, ich halte es geschafft und schaute die schräge Ebene hinab, um den Ghoul zu sehen. Nein, ich roch ihn nur. Pestilenz wehte mir entgegen. Der Ghoul schien allmählich in das Stadium des Verfaulens überzugehen. Daß es ein Irrtum war, wußte ich. Eklige Wesen wie er waren höllisch gefährlich. An der rechten Seite und außerhalb des Wurzelwerks nahm ich eine Bewegung wahr. Als ich hinschaute, sah ich Sukos Gesicht, der sich selbst anleuchtete und mir eine zweite Lampe reichte. »Vielleicht kannst du die gebrauchen.« »Okay, danke.« Ich ließ den Strahl die schräge Ebene hinunterwandern und sah, daß sie plötzlich abkippte. Genau dort begann der Schacht. Ich war nicht einmal sonderlich überrascht. Irgendwo hatte der Ghoul schließlich sein Versteck haben müssen. Ungefähr eine Körperlänge mußte ich mich noch vorschlängeln, um den Rand zu erreichen. Dort blieb ich liegen, sorgte dafür, daß sich mein Atem beruhigte, aber im Kopf tobten noch immer die bohrenden Schmerzen, als wollten sie ihn auseinandertreiben. Das ging auf die Konzentration. Ich gab nicht acht, und Mr. Voodoo, wie der Ghoul genannt wurde, schaffte es, mich zu überraschen. Aus der liefe des Schachts schnellte ein schleimiges Etwas in die Höhe, ein grüngelber Arm, an dessen Ende sich keine Hand mit Fingern befand, sondern ein dik-ker Klumpen. Es gelang mir, den Kopf zurückzuziehen, dabei streifte meine Schädeldecke das Wurzelwerk über mir, und ich hatte den Eindruck, als würden kleine Zangen über meinen malträtierten Kopf wischen. Dann handelte ich. Der geweihte Silberdolch raste nach unten, und die Klinge nagelte das klumpige Etwas auf dem Untergrund fest.
Hörte ich einen Schrei? Nein, es war wohl nur Einbildung, aber die hatte den verdammten Ghoul erwischt. Mit der Lampe leuchtete ich Dolch und Schleim an. Die Masse bewegte sich, sie pulsierte, sie zuckte, von unten zerrte eine Kraft an ihr, denn sie wollte das Stück lösen. Es gelang ihr nicht. Ich aber wußte, wie es weitergehen würde. Der Ghoul hatte keine Chance mehr. Er saß einmal fest, und die weißmagische Kraft würde ihn zerstören. Sie trocknete ihn aus, denn zum Schluß blieb von einem Ghoul nur ein kristalliner Rest zurück. Ich hatte mich geirrt. Wie es Mr. Voodoo schaffte, war mir selbst ein Rätsel, aber er hatte wohl den Dolch als Hebestange benutzt, denn plötzlich wurde die gesamte Schachtöffnung von der grünlich gelben Schleimmasse ausgefüllt, und sie quoll soga noch über. Ich sah den Ghoul in seiner widerlichen Urform, und ich erkannte die beiden Augen, die wie Glaskugeln innerhalb der Masse hin- und herschwappten. Der lange Arm veränderte sich bereits. Auch war zu hören, wie die Masse austrocknete und dabei anfing zu knistern, als würde jemand mit dünnem Papier rascheln. Ich nahm das Kreuz. Es widerte mich an, es in die Masse hineinzuschieben, aber ich tat es trotzdem. Fast verschwanden Faust und Kreuz in der Lücke zwischen den beiden Glasaugen. Ein gurgelndes Geräusch entstand, das Schmatzen und gleichzeitiges Schlürfen. Laute, die zu einem echten Ghoul gehörten und die ich schon vermißt hatte. Das Kreuz leistete ganze Arbeit. Zuerst brachen die Augen auseinander, wobei sich die einzelnen Teile noch innerhalb der Masse verteilten. Dann zog sie sich zusammen, das Durchsichtige verschwand, der Vorgang des Kristallisierens fing an, ich nahm die Hand zurück, lauschte weiterhin dem Knirschen, sah, wie sich der Arm von der Klinge löste. Dann verschwand der Ghoul wie ein Stein in der Tiefe des Schachts. Als er unten aufprallte, hörte ich das Knirschen, als würden Füße auf Silberpapier treten. Ich leuchtete in den Ausschnitt. Der Strahl der Halogenleuchte traf auf die Reste, die ihn an einigen Stellen reflektierten wie ein Spiegel. Mehr brauchte ich nicht zu sehen. Es war geschafft. »John, erledigt?« Ich lachte laut auf. »Wen meinst du, Suko?« »Den Ghoul.«
»Der auch«, erwiderte ich und merkte plötzlich, wie ich anfing zu zittern, jetzt, wo die verdammte Anspannung vorbei war. Suko befreite mich aus meiner selbstgewählten Klemme und half mir auf die Beine. Die Leute vom Klan standen noch immer so, wie ich sie verlassen hatte. Abe Douglas und Chief Wilson bewachten sie. Sie hatten ihre Kapuzen abgenommen. Ich schaute in fremde Gesichter, im Gegensatz zu dem Sheriff, der sie wohl alle kannte. »Was möchtest du jetzt?« fragte Suko. »Mich anziehen und ins Bett gehen.« »In der Kleidung?« »Und wie.« Da fiel mir etwas ein. »Meine Güte, Suko, ich denke an zwei Frauen, die . ..« »In Ordnung sind. Jerry und ich haben sie gefunden. Unser Freund kümmert sich um seine Mutter und um Marsha.« »Wunderbar«, sagte ich und griff nach meiner Hose. Trotz allem kam ich mir lächerlich vor... *** Wir hatten im Haus des Sheriffs geschlafen. Am nächsten Vormittag, es war schon ziemlich spät, hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Die Sonne schien gegen den Bau und hatte sein Inneres stickig gemacht. An einem Brunnen wusch ich mich. Kopfschmerzen hatte ich noch immer, aber sie ließen sich aushalten. Suko saß mit dem Sheriff im Office. Auch Abe Douglas war dabei. Für Chief Wilson war zwar keine Welt zusammengebrochen, aber er war jetzt davon überzeugt, daß der Klan existierte. Abe Douglas hatte sich auch nach Jerry Blake erkundigt. Der Familie ging es entsprechend. Man trauerte um den toten Vater, der für uns ein Patriot gewesen war, denn Begriffe wie diese zählten im Staate Mississippi. Zu dem Sheriff bekamen wir kaum einen persönlichen Kontakt. Er hatte seine Überzeugung und würde sie auch behalten. Was es noch zu regeln gab, wollte Abe Douglas erledigen. Er besorgte uns einen Leihwagen. Humpelnd begleitete uns Chief Wilson bis zum Eingang seines Office. »Wissen Sie, was ich mir wünsche?« »Ja, Chief, daß wir nicht mehr zurückkommen.« »Genau, Sinclair.« Ich hob die Schultern. »Was ist eigentlich mit Morton Morris?«
»Dem können wir nichts ans Zeug flicken«, meinte der G-man aus New York. »Aber er wird sich neue Leute suchen müssen.« Abe lächelte. »Na denn, Freunde, bis zum nächsten Mal.« Wir reichten uns die Hände. Wilson ging ins Haus, was Abe Douglas auch nicht gefiel, aber man konnte einen Typen wie ihn nicht so schnell ändern. Letztlich hatte er seine Pflicht getan. Bei den Blakes fuhren wir nicht mehr vorbei. Wir wollten sie nicht stören. Suko lenkte den Wagen diesmal und meinte irgendwann, als wir über eine staubige Straße in Richtung Norden rollten. »Weißt du, worauf ich mich freue?« »Klar, auf den Spätherbst in London!« »Genau, sogar auf Regen und Nebel.« Ich sagte nichts, schaute ihn an und dachte mir meinen Teil. Manchen Leuten ist wirklich nicht zu helfen...
ENDE