Österreich € 3,40 · Schweiz CHF 5,80 · Belgien € 3,70 · Niederlande € 3,70 · Luxemburg € 3,70 · Frankreich € 4,20 · Italien € 4,20 · Portugal (Cont) € 4,20 · Spanien € 4,20 Kanaren € 4,40 · Griechenland € 4,80 · Finnland € 5,30 · Dänemark DKK 33 · Norwegen NOK 48 · Japan JPY 1550 (exclusive tax) · Slowenien € 4,20 · Ungarn HUF 1300
Nr. 11/10 15. März 2010 € 3,20
Rüttgers warnt
Der NRW-Regierungschef über Koalitionen und die Finanzkrise
Die unheimliche Elite Wie riesige Anwaltsfabriken Wirtschaft und Politik beeinflussen
4 190931 403202
Ralph Wollburg, Partner bei Linklaters in Düsseldorf
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Die Kunst, neue Wege zu gehen und dennoch seiner Linie treu zu Der neue Audi A8. Die Kunst, voraus zu sein. Als erste Limousine weltweit wirft der neue Audi A8 ein einzigartiges Licht auf unsere Straßen: Auf Wunsch setzen Voll-LED-Scheinwerfer einen neuen Maßstab für innovative, effiziente Lichttechnologie – und prägen dazu das kraftvoll-markante Gesicht des neuen Audi A8. Die präzise Linienführung der Aluminium-Karosserie unterstreicht dabei, wie dynamisch und leicht sich eine Limousine dieser Klasse anfühlen kann. Ein Design, das auf unverwechselbare Art Überlegenheit ausstrahlt. Wir nennen das: Die Kunst, voraus zu sein. Kraftstoffverbrauch in l/100 km: innerorts 10,2–13,3; außerorts 6,1–7,2; komb. 7,6–9,5; CO22-Emission in g/km: komb. 199–219
bleiben.
Nr. 11/ 15. März 2010
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Tatort Internat
Im grünen Rausch
Inseldasein, Tag-und-NachtBetreuung und emotionale Nähe begünstigen sexuelle Übergriffe. Foto: Schüler der Odenwaldschule
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Steuersenkung ade!
Durch die Hölle
NRW-Regierungschef Rüttgers sorgt sich um die Zukunft der Kommunen nach Sperrung der Geldhähne
Nr. 11/10 15. März 2010 € 3,20
Psychologin Susanne P. spricht darüber, wie sie im Gefängnis sieben Stunden lang Opfer eines Sexualverbrechers wurde
Rüttgers warnt
TI TEL
Österreich € 3,40 · Schweiz CHF 5,80 · Belgien € 3,70 · Niederlande € 3,70 · Luxemburg € 3,70 · Frankreich € 4,20 · Italien € 4,20 · Portugal (Cont) € 4,20 · Spanien € 4,20 Kanaren € 4,40 · Griechenland € 4,80 · Finnland € 5,30 · Dänemark DKK 33 · Norwegen NOK 48 · Japan JPY 1550 (exclusive tax) · Slowenien € 4,20 · Ungarn HUF 1300
Der NRW-Regierungschef über Koalitionen und die Finanzkrise
52 Herren der Welt
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Riesige Anwaltskanzleien nehmen immer größeren Einfluss auf Wirtschaft und Politik
Die unheimliche Elite
64 „Ehrgeiz und Kompetenz“ Top-Anwalt Ralph Wollburg spricht über seine Karriere und die Jagd nach Mandaten
Wie riesige Anwaltsfabriken Wirtschaft und Politik beeinflussen
DE UTS CHLA ND
4 190931 403202
Ralph Wollburg, Partner bei Linklaters in Düsseldorf
20 Rüttgers mahnt
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Der NRW-Regierungschef warnt vor falschen Steuerversprechen
24 Hartz IV light
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Im NRW-Wahlkampf nimmt die SPD Abschied von ihren eigenen Reformen
30 Beziehungsgeflecht Westerwelle bringen Reisebegleiter in Schwierigkeiten – und Vorgänger Steinmeier muss Einladungen an SPD-Freunde erklären
Reich und einflussreich Internationale Groß-Sozietäten dominieren auf vielen Rechtsgebieten den deutschen Markt. Deren Spitzenanwälte gewinnen immer mehr Einfluss auf Politik und Wirtschaft
33 Thewes rechnet Wie Union und FDP die Steuerreform heimlich beerdigen
34 Führungsfrage Warum sich die CSU-Landesgruppe gegen Parteichef Seehofer stellt ä
4
Noch gedeiht Kaliforniens Marihuana in der Halblegalität. Bald könnte die Freigabe kommen. Big Business ist es schon heute – „Cannabusiness“
36 Missbrauch im Internat Die abgeschotteten Bildungsinstitute sind ein idealer Tatort für Päderasten
38 Meister der schwarzen Kassen Wie der Ex-Manager des THW Kiel Schmiergeldzahlungen organisiert haben soll
40 Lauscher in Potsdam Brandenburgs Staatskanzlei war über Jahre Zielobjekt russischer Agenten
46 Sieben Stunde Hölle Susanne P. wurde im Gefängnis vergewaltigt. Jetzt spricht sie über die Folgen
50 Dunkelrote Vergangenheit Ein Direktor der Stasi-Unterlagenbehörde verdrängt seine linksradikalen Wurzeln
68 Profile Manager und Minister beim FOCUS-Treff
FORS CHUNG & TECHNIK 74 Strom auf Lager Die Speicherung von Energie aus Wind- und Solarkraftwerken scheint möglich zu sein
78 Gute Frage Warum sind Menschen religiös?
80 Ritt auf dem Ionenstrahl Neuartige Raketentriebwerke sollen Menschen weiter ins All tragen als jemals zuvor
Titelthemen sind mit rotem Pfeil gekennzeichnet F OCUS 11/2010
Titel: Foto: Valér y Klouber t/F OCUS -Magazin Composing: F OCUS -Magazin
INHALT
möglich
96 Missionarisch
Abendlandweit investieren Museen in islamische Kunst – ein Gegentrend zum „Kampf der Kulturen“?
102 110 Mann für alle Fälle
Umtauschkinder
Hollywood-Star Matt Damon will in „Green Zone“ das Thema Irakkrieg populär aufbereiten. Im Interview erklärt er, wie
Die USA sind führend bei Auslandsadoptionen. Die „Ranch for Kids“ kümmert sich, wenn das Familienglück ausbleibt
80 Technik-News Inhalt: Fotos: Goetz Schleser, Marko Priske, John McDermott, Gilles Mingasson/alle F OCUS -Magazin, Mar tin Oeser/ddp, Aga Khan Trust for Culture, Genf, Schweiz, J. Olley/Universal Studios
Rundum-Kamera / Veteran für Afghanistan
81 Perspektiven Tiere als Gummipuppen / Trick für gute Noten
M E D IZ IN 82 Gruseln bis zur Heilung Psychologen erschaffen virtuelle Schreckenswelten, um Phobiker zu behandeln
84 „Der Schurke ist die Krankheit“ Hollywood-Star Harrison Ford spricht über seinen neuen Film „Ausnahmesituation“
86 Dosiert Sex / Allergie / Schweinegrippe / DNA-Spuren
R E P O R TAG E 90 Kiffer-Paradies Kalifornien Millionen konsumieren Cannabis als „Heilpflanze“. Bald könnten alle rechtlichen Schranken für den großen Rausch fallen
KU LT U R 96 Museen mit Mission Weltweit investieren Kunsthäuser Millionen in ihre islamischen Sammlungen
Flexibel und günstig
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Postbank Privatkredit
100 Frauen-Zutreiber Autor Maarten ’t Hart erzählt von einem libidinösen Konkurrenzspiel unter Freunden
102 Bourne in Bagdad Mit seinen Qualitäten als Action-Held versucht Matt Damon in dem Thriller „Green Zone“, die IrakkriegsThematik populär aufzubereiten
*Effektiver Jahreszins ab 10.000 EUR bei 12 Monaten Laufzeit, bonitätsabhängig.
104 Trailer Neu im Kino: Die Filmstarts der Woche
106 Galerie „Kir Royal“-Fortsetzung / Zweierlei Maß beim Leipziger Buchpreis / Premieren der Woche
M ODERNES LE BEN 110 Letzter Ausweg „Ranch for Kids“ Wo die Kinder bleiben, wenn das Wagnis einer Auslandsadoption gescheitert ist
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116 „Psychische Amputation“ Auch nach Naturkatastrophen seien Kinder im Heimatland besser aufgehoben, sagt Experte Bernd Wacker
118 Punk-Rebellin Museumsdirektor Chris Dercon über die Memoiren seiner Freundin Patti Smith ** 9 Cent/Minute aus dem dt. Festnetz; Mobilfunktarif max. 42 Cent/Minute.
134
166
Notplan für den Euro
Der Capitano
Ministerpräsident Papandreou muss sich weitere 43 Milliarden leihen. Ein neuer Europäischer Währungsfonds soll den Bankrott überschuldeter Staaten wie Griechenland verhindern
Michael Ballack „interessiert nicht, ob einer einen Vertrag hat oder nicht oder homosexuell ist“ – er will nur Erfolge
154
128
Cyber-Soldaten
TV-Therapeut
Militärs rüsten sich für den Krieg der Zukunft, der zu großen Teilen im Cyberspace stattfinden und dort die Infrastruktur des Gegners treffen soll
120 Hilfe, es brennt! Erhöht die Teilnahme am Katastrophen-Kurs die Überlebenschance? Ein Selbstversuch
122 Harald Schmidt Finanztipps: Wie man sich am schnellsten gründlich ruiniert
124 Boulevard Ausverkauf einer Legende / Kinder mit Migrationshintergrund / Anna Loos und Silly
AU T O 126 Großer Allradler Die Neuauflage des VW Touareg
127 Edler Engländer Mit dem neuen XJ emanzipiert sich Jaguar von Ex-Partner Ford
M E D IE N 128 Bekenntnisse eines Therapeuten Schauspieler Dieter Pfaff erklärt seine Fernsehfigur Maximilian Bloch
132 Media-Box Die populärsten Radiosender / Kabel-Deutschland-Manager profitieren vom Börsengang
W IR T SC H AFT 134 Letzte Chance für Pleitestaaten Gegen alle Kritik will Finanzminister Wolfgang Schäuble einen Europäischen Währungsfonds 6
140 Konkurrenz weggebissen
158 Neue Megabehörde 8000 Beamte will EU-Chefdiplomatin Ashton im Europäischen Auswärtigen Dienst beschäftigen. Ein schlüssiges Konzept hat sie nicht
Politiker aus Alabama schämen sich, dass die US-Regierung Airbus unfair behandelt hat
142 Möbel-Revoluzzer Die Internet-Firma Myfab greift Branchengrößen und bekannte Marken an
144 Kaviar-Affäre Wie ein Finanztrickser Anleger mit einer angeblichen Stör-Zucht um Millionen brachte
162 (Post-)Ehegeflüster Alles aus bei Carla und Sarko? Oder bloß Halbgares aus der Gerüchteküche?
164 Globus Kanadische Senatorin mag Robbenfleisch / Südkoreaner klaut 1700 Paar Schuhe / Geschenke für polnische Verkehrssünder
146 Konjunktur-Vorbilder Warum in sieben wichtigen Volkswirtschaften das Wachstum stärker anzieht als hierzulande
S P OR T 166 Nationalmannschaft Kapitän Michael Ballack über Sexskandale, Testspielpleiten und seine Erwartungen an die Fußball-WM in Südafrika
150 Geldmarkt Neuer-Markt-Überlebende / Stahl-Papiere / Münchener-Rück-Aktie
152 Marktplatz
169 Finale Eliteschulen schmieden Medaillen / Deutsche Favoriten bei den Paralympics
Telekom plant Frauenquote / Online-Banking nur mit Handy? / Mieten steigen deutlich
A US LA ND 154 Der Feind im Netz Das Schlachtfeld der Zukunft wird auch im Internet liegen. Hacker könnten die Versorgung von Staaten per Mausklick lahmlegen
RUBRI K E N 10 13 15 70 72 76
Foto der Woche Tagebuch Focussiert Leserbriefe Leserdebatte Brennpunkt: Airbus A400M 88 Impressum
89 Fax-Abruf, ServiceRufnumern 170 Menschen 172 Bestseller 174 Fragebogen: Nadeshda Brennicke F OCUS 11/2010
Images, A. Weigel/dpa, C. Stache/AP
Dieter Pfaff, als „Bloch“ Fachmann für Affekte und seelische Defekte, gibt im Interview auch eigene Geheimnisse preis
Fotos: Olaf Ballnus/F OCUS -Magazin , J. Thys/Getty
INHALT
Hornbach ungekürzt
Ist es nicht Irrsinn, eine Schraube zu führen, die nur alle 154 Tage jemand kauft?
Sie können ein paar Pfund Informationen mehr vertragen? Dann kurz hier nachschauen: hornbach.de/ungekuerzt.
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F OT O D E R WOC H E
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Parlament der leeren Stühle Foto: Patrick Hertzog/AFP
Einsam sitzt die Abgeordnete Nummer 587 auf ihrem Platz im Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Vor ihr, hinter ihr, neben ihr: leere Stühle. Es ist Sitzungswoche in Straßburg, Dienstag, 9. März, Tagesordnungspunkt 10: Fragestunde mit dem Kommissionspräsidenten. Und anscheinend ist die polnische Christdemokratin Lena Kolarska-Bobinska eine der wenigen, die sich für die Ausführungen von José
F OCUS 11/2010
Manuel Barroso interessieren. Der erklärt gerade, warum die Kommission die Genkartoffel Amflora zugelassen hat. Die regelmäßigen Fragestunden waren Ende vorigen Jahres auf Wunsch der Parlamentarier eingeführt worden. Sie sollen eine lebendige Debatte zwischen Volksvertretern und den EU-Kommissaren ermöglichen. Stell dir vor, es gibt Demokratie – und keiner geht hin.
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TAGEBUCH CHEFREDAKTEUR HELMUT MARKWORT
Neu: Gefährte mit Beruf Freitag In Deutschland diskutieren Opposition und Medien tagelang die Frage, wen Außenminister Guido Westerwelle in Wirtschaftsdelegationen berufen sollte. In Brasilien bezeichnen führende deutsche Unternehmer diese Debatte als „Katastrophe“. EADS-Vorstand Stefan Zoller, zugleich Beauftragter des Bundesverbands der Deutschen Industrie für deutsch-brasilianische Beziehungen, sagte in Rio: „Es kann doch nicht sein, dass wir eine Woche durch Südamerika fahren und hochkarätige Gespräche führen, ohne dass über die substanziellen Ergebnisse berichtet wird.“ Die Reise sei ein voller Erfolg, werde aber von der Debatte völlig überlagert. Zoller berichtete, er habe Westerwelle vor der Reise gebeten, das gesamte „Brazil Board“ des BDI mitzunehmen. „Das hat er getan“, sagte der Manager. Schon tags zuvor in Sao Paulo waren Mitglieder der Delegation zu Gunsten Westerwelles an die Öffentlichkeit gegangen. Die Spitzenvertreter von Siemens, ThyssenKrupp und EADS sind dankbar, dass sie auf höchster Ebene Geschäfte anbahnen können, unabhängig davon, wie gut sie den Außenminister kennen. Michael Mronz, der Lebensgefährte von Guido Westerwelle, hat an den Exportgesprächen nicht teilgenommen, sondern das soziale Projekt „Kinderdorf Rio“ besucht. Mronz, der sich beruflich um Sportereignisse kümmert, musste sich gegen den Vorwurf verteidigen, er könne während der Reise Geschäfte anbahnen mit Organisatoren der Fußball-WM 2014 und der Olympischen Spiele 2016. Mit solchen globalen Events habe er nichts zu tun, sagt Mronz. Dass Westerwelle wegen seines Lebensgefährten so heftig attackiert wird, dass man sogar von einer Diffamierungskampagne sprechen kann, zeigt, wie viele auch in der Politik noch fremdeln gegenüber der ungewohnten Beziehung. F OCUS 11/2010
Der Außenminister nimmt nicht eine Frau mit auf Reisen, sondern den Mann, mit dem er zusammenlebt. Und dieser Mann ist auch noch berufstätig. Zwei Umstände, die manche verwirren. Die Kritiker bringen es fertig, in der Theorie Toleranz und eheähnliche Partnerschaften für Homosexuelle zu fordern und in der politischen Auseinandersetzung mit polemischen Sprüchen Vorurteile anzuheizen. Der SPD-Vorsitzende Gabriel, der sich offenbar in schlechtem Stil von niemandem unterbieten lassen will, redet sogar davon, der Außenminister verletze die Regeln des „bürgerlichen Anstands“ . Dabei kann er aus eigener Anschauung wissen, dass Kanzler und Minister aller Koalitionen ihre Delegationen immer nach eigenen Vorstellungen bunt gemischt haben.
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Erfolgreicher Besuch Außenminister Westerwelle mit Brasiliens Präsident Lula
Da reisten Fachleute und Landeskenner mit, aber auch Duzfreunde und Spender. Manche Freundschaften bestanden schon vor der Reise, andere haben sich unterwegs entwickelt. Besonders sorgfältig wählen Politiker mitreisende Journalisten aus. Da hielt es Helmut Kohl wie Gerhard Schröder: Wenn einer sie geärgert hatte, durfte er nicht rein in die Kanzlermaschine.
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w w w. l a c o s t e . c o m
FOCUS-FRAGE
Befürchten Sie, dass es in den nächsten Jahren zu einer Inflation kommen könnte?
Wenn der Euro zum Teuro wird Von 1008 Befragten antworteten:*
64% 33% 3% ja
nein
keine Angabe
Steigende Preise befürchten 61 % der Unions-Anhänger, 71 % der FDP-Fans und 81 % der Linken-Sympathisanten, aber nur 57 % der SPD- und 50 % der Grünen-Freunde. * repräsentative Umfrage von für FOCUS im Februar /
In Papas Hand Ledige Väter dürften künftig auch bei der Wahl der Schule eher mitreden
Mütter müssen das Sorgerecht teilen Das gemeinsame Sorgerecht werden Mütter künftig nur noch verhindern können, wenn sie triftige Gründe gegen den Vater ihres nicht ehelich geborenen Kindes vorbringen können. Nach internen Gesprächen im Bundesministerium der Justiz zeichnet sich ab, dass der Gesetzgeber beim neu zu formulierenden Sorgerecht eine moderate Lösung anstrebt. Nach der geplanten Regelung würde noch immer nicht – wie in vielen europäischen Ländern üblich – das gemeinsame Sorgerecht bei Geburt eines Kindes automatisch an beide Elternteile vergeben, sondern an den Antrag
Foto: F. Augstein/AP
Rentenrecht für Ost und West vereinheitlichen 20 Jahre nach der Wiedervereinigung will die CDU ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West schaffen. Damit würden „die im Zuge der Wiedervereinigung getroffenen Sonderregelungen für die Rentenberechnung in Ostdeutschland künftig entbehrlich“, heißt es im Antrag des Bundesvorstands, den die CDU auf ihrem kleinen Parteitag am 22. März in Berlin beschließen will. Als „wichtiges Signal für das geeinte Deutschland“ wertet Michael Kretschmer, CDU-Generalsekretär in Sachsen und stellvertretender Fraktionschef der Union im Bundestag, den Plan. Er warnt aber vor zu hohen Erwartungen. Die Berechnung der Rentenanwartschaften sei äußerst kompliziert. „Wir müssen aufpassen, dass wir keine Enttäuschungen wecken, denn die Anpassung bedeuack tet für Ostdeutsche nicht automatisch eine Anhebung des Niveaus.“ F OCUS 11/2010
des Vaters geknüpft werden. Ablehnen kann die ledige Mutter diese Bitte dann nur, wenn sie Beweise gegen den Vater vorlegt. Die Frau müsste belegen, dass der väterliche Einfluss dem Kind schadet, beispielsweise weil der Mann alkoholoder drogenabhängig ist. Nach derzeit geltendem Gesetz benötigt der Mann die ausdrückliche Zustimmung der Mutter, um sein Sorgerecht ausüben zu können. Verweigert die Frau diese Erklärung, bestimmt allein sie über das Kind. Zwar zahlt der Vater dann trotzdem Unterhalt und kann seinen Nachwuchs sehen (Umgangsrecht), aber bei wichtigen Entscheidungen darf er nicht mitreden. Als „diskriminierend“ hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Regelung im Dezember verurteilt. Deshalb muss der Gesetzgeber nun ein neues Gesetz erarbeiten. Am Entwurf werde derzeit „intensiv“ und „so zügig wie möglich“ gearbeitet, bestätigt ein Sprecher des Bundesjustizministeriums. Fast 220 000 Kinder werden in Deutschland jedes Jahr nicht ehelich geboren. Nur knapp die Hälfte der Eltern üben gemeinsame Sorge aus. Das Bundesjustizministerium hat eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, um zu klären, in welchen Fällen Mütter die gemeinsame Sorge ablehnen. ks 15
Lügt Stegner?
Karikatur: Ronald Slabber/11.3.2010
HANDELSBLATT
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Schluss mit Schießen Zwölf Panzerhaubitzen 2000 schickt die Truppe ins Depot
Kommando Sparen: Heer legt Panzer still Die Bundeswehr greift zu drastischen Sparmaßnahmen: Nach weiteren Streichungen im Verteidigungshaushalt befahl der scheidende Heeresinspekteur Hans-Otto Budde vergangene Woche, zahlreiche Panzer außer Dienst zu stellen. Die größte Teilstreitkraft will damit in diesem Jahr die Betriebskosten um rund 60 Millionen Euro senken. In einem Brandbrief an seine Kommandeure verfügte Budde, 58 Schützenpanzer „Marder“, zwölf Panzerhaubitzen, zehn Bergepanzer und alle 91 Flugabwehrpanzer „Gepard“ stillzulegen. Auch die Flugstunden der Heeres-Helikopter sollen deutlich sinken. Oberste Priorität für das Heer habe auch künftig „die Sicherstellung der aktuellen Einsätze“, schrieb Budde. „Dies ist schlichtweg alternativlos.“ Der „Gepard“ werde „derzeit nicht im Einsatz benötigt“. Trotz der Einsparungen bei den Heeresfliegern sei die Nutzung der CH-53-Transporthubschrauber in Afghanistan „noch nicht gefährdet“. tw
Schiedsrichter-Skandal: Streit um FC-Bayern-Mails
Im Schiedsrichter-Sexskandal attackiert das angebliche Opfer Michael Kempter erneut den vermeintlichen Täter Manfred Amerell. Zwar könne Kempter nicht klären, ob er tatsächlich am 11. April 2007 vor der Partie des FC Bayern beim AC Mailand eine Anti-München-Mail („Freu mich aufs Bayern-Spiel. Hoffentlich fliegen sie gleich raus. Dann stoßen wir an!“) an den 63-jährigen Ex-SchiriSprecher gesendet habe, „weil ich meine E-Mails nicht aufhebe“. Erstaunt habe den 27-jährigen Referee aber, dass ihn Amerell („Halte das für bedenklich“) jetzt der Parteilichkeit bezichtigte und ihm damit indirekt die Fähigkeit abspreche, weitere Spiele zu leiten. Wenn die Mail nach Amerells Verständnis auf Befangenheit hindeute, „dann hätte er sie“, so Kempter zu FOCUS, „eigentlich sofort nach Erhalt melden müssen“. Amerell entgegnet gegenüber FOCUS: „Ich habe diesen Inhalt nicht zu bewerten, das muss der Mann mit sich allein abmachen.“ Zudem habe er die Mail nach dem Lesen gelöscht und erst zuletzt wiecw derherstellen lassen. F OCUS 11/2010
Fotos: J. Sarbach/AP, action press
Neue Vorwürfe gegen den schleswig-holsteinischen SPDChef Ralf Stegner: Nach einem FOCUS-Bericht über zu Unrecht kassierte Aufsichtsrats-Tantiemen machte Stegner in einer Erklärung offenbar falsche Angaben. Als Innenminister saß er 2007 im Aufsichtsrat der HSH Nordbank und erhielt dafür 14 375 Euro, von denen er 8825 Euro an das Land hätte abführen müssen. Stegner weigerte sich, weil er kein Minister mehr gewesen sei, als das Geld 2008 überwiesen wurde. In einer Unter Verdacht Stellungnahme verGegen Stegner wies der Genosse am wird ermittelt 20. Februar auf eine „telefonische Konsultation mit Mitarbeitern des Finanzund Innenministeriums“. Die hat es aber offenbar nicht gegeben. Das geht aus einer Kleinen Anfrage von FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki hervor. Antwort der Landesregierung: „Es liegen keine entsprechenden Erkenntnisse vor.“ Gegen Stegner, der das Geld inzwischen überwiesen hat, ermittelt die Kieler Staatsanwaltschaft wegen Betrugsverdacht. gud
T H E
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EXPERIENCE
downloads and m o re o n w w w. l a v a z z a 2 0 1 0 . c o m
Krumme Tour in Brüssel Spanische EU-Parlamentarier unternehmen einen neuen Versuch, stark gekrümmtes Obst und Gemüse zu reglementieren.
TENDENZ-O-METER ENZ-O-METER
Diese Woche stimmt der Agrarausschuss des EU-Parlaments über einen Bericht ab, der für Produkte wie Gurken oder Bananen bestimmte Krümmungsgrade fordert. Erst 2009 hatte die EU eine entsprechende Verordnung über Traummaße für Früchtchen und Grünzeug medienwirksam abgeschafft. „Jetzt eine Neuauflage ins Spiel zu bringen, ist unzumutbar“, schimpft der britische sb Konservative Richard Ashworth.
Jetzt reicht’s eicht’s aber mit dem m Winter . . . . . . sind sich ch die Deutschen ahmsweise einig. mal ausnahmsweise So schippt T-O-M eben noch mal den Schnee der en Woche zu zurr Se Seit itee. vergangenen Seite. Westerwelle esterwe elle e ⯶ Guido We Nahm Kunst Kunstmäzenin stmäzen nin a auf uff besuch hm mit, an nge gebebbStaatsbesuch angebVerlich weilil er ein altes V en einlösen wollte. sprechen Na und – auch Politiker wollen mal Wort halten! i ⯸ Georg RRatzinger
⯵ Philipp Rösler Will Pharmaindustrie zu niedrigen Preisen verpflichten. Ein Liberaler ist für Zwangsmaßnahmen? Dann muss die Lage ernst sein!
⯷ Nicolas Sarkozy
Bauer weder zerstückelt noch verfüttert Im Fall des angeblich von seiner Familie ermordeten Bauern Rudolf Rupp fordert nun auch der als Haupttäter verurteilte Matthias E. einen neuen Prozess. Wie dessen Münchner Anwalt Kai Wagler erklärte, werde er dies „umgehend“ beantragen. Das Oberlandesgericht München hatte am vergangenen Freitag die Anträge der Witwe und der beiden Töchter auf Wiederaufnahme des Verfahrens für „zulässig“ erklärt. Im Jahr 2005 hatte das
Landgericht Ingolstadt Matthias E. und die Witwe wegen Totschlags, die Töchter wegen Beihilfe zu Haftstrafen verurteilt. Im März 2009 wurde der Leichnam des Landwirts, der laut Urteil zerstückelt und an Hunde verfüttert worden war, aus der Donau geborgen. Ein Artikel im Bayernteil dieser FOCUSAusgabe zum Thema wurde am Donnerstag gedruckt und konnte den OLG-Enttr scheid nicht mehr berücksichtigen.
Söder: Rösler-Pläne „zu zögerlich“
Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder bewertet die Pläne von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler, das Preismonopol der Pharmaindustrie zu brechen, als „zu zögerlich“, weil sie frühestens im nächsten Jahr wirksam würden. Der Landesminister fordert schon für 2010 ein „Preismoratorium“. Die Pharmaindustrie müsse dazu verpflichtet werden, die „Preise in diesem Jahr einzufrieren“. „Außerdem brauchen die Krankenkassen ein Verhandlungsmandat gegenüber der Pharmaindustrie“, sagt Söder. Einsparmöglichkeiten sieht Söder nicht nur bei den innovativen Medikamenten, sondern auch bei den Generika. Grundsätzlich unterstützt er jedoch seinen Bundeskollegen: „Das ist ein Schritt in die richtige kvr Richtung“, meint Söder.
Laut Umfragen unbeliebt, Wahlniederlage droht. Noch schlimmer: Angeblich sinken seine Sympathiewerte sogar bei Gattin Carla!
Bermudadreieck der Steuermoral Auf deutsche Fahndungshilfe gegen Datendiebe, die den Steuerbehörden Bankdaten-CDs aus der Schweiz verkaufen, wartet das Nachbarland seit fast einem Monat vergebens. Die Bundesregierung schiebt das Rechtshilfeersuchen der Schweiz zwischen Finanzministerium (CDU-geführt), Justiz- und Außenressort (beide FDP-geleitet) hin und her – offiziell „zur Prüfung“. Peinliches Problem: Darf der Rechtsstaat einen Dieb, der dem Fiskus Steuerhinterzieher preisgibt, erst belohnen und ihn dann an die Schweizer Strafjustiz weiterreichen? Falls die Ressorts in Berlin sich nicht einigen, erwarten Regierungsstel-
len „ein Machtwort der Kanzlerin“ – doch wohl kaum im Interesse der Schweiz. mj 18
F OCUS 11/2010
Fotos: B. Settnik/dpa, B. Weissbrod/ddp
Ohrfeigte einst „Domspatzen“, immerhin „mit schlechtem Gewissen“. Vorschlag: strenge Beichte beim Bruder und dann mindestens 50 Bußgebete
„Die späte e Aufarbeitung ist eine Chance“ Brandenburgss CDU-Generalsekretär Dieter Dombrowski fordert einen kritischen Blick auf die DDR-Vergangenheit
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Trägt Brandenburg zu Re Recht e den Titel „kleine DDR“?
Ja und nein. Einers Einerseits s hat es in Brandenburg nach der Wiedervereinigung gewisse Sonderentwicklungen Sonderen n gegeben. Andererseits setzt sich nun nach der Enttarnung m mehrerer Stasi-IM im Landtag langsam ein kritischerer Umgang mit der Geschichte Gescc durch. Die Enquetekommissi Enquetekommission i des Landtags soll nun überprüfen, w wie Brandenburg die DDR-Vergangenheit a aufgearbeitet hat. Ist das nicht zu spät? ?
Eigentlich ja – aber es ist auch eine Chance, weil wir heute vieles distanzierter und objektiver abgleichen können. Was soll denn im Mittelpunkt der Analyse stehen?
Es geht um einen kritischen Blick auf die Geschichte der letzten 20 Jahre in Brandenburg. Wie wurde der Übergang von der Diktatur in die Demokratie geschafft? Was lief anders, und was lief ähnlich im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Bundesländern? Welche
Stasi-Opfer Dombrowski, 58, saß früher selbst in einem Gefängnis der Staatssicherheit. Heute ist er Landtagsabgeordneter
Entwicklungen waren positiv und welche negativ? All diese Fragen sollen geklärt werden, besonders im Hinblick darauf, was wir daraus für die Zukunft lernen können.
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Was ist das Ziel der Arbeit?
Wir wollen die Lebenswirklichkeit der 2,5 Millionen Brandenburger in den letzten 20 Jahren umfassend aufarbeiten und nicht die Biografien einiger Stasi-Leute neu bewerten, so wie dies Ministerpräsident Matthias Platzeck und seine SPD versucht haben. fu
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Vater von Tim K. wehrt sich gegen Prozess Der Vater des Amokläufers von Winnenden will sich nicht vor Gericht verantworten. Der Verteidiger von Jörg K. hat beim Landgericht Stuttgart beantragt, die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen sowie fahrlässiger Körperverletzung in 13 Fällen abzulehnen.
In dem 18-seitigen Schriftsatz führt Rechtsanwalt Hans Steffan aus, für den 51-jährigen Vater von Tim K. sei der Amoklauf nicht „erkennbar oder vorhersehbar“ gewesen. Er habe „keinerlei konkrete Anhaltspunkte“ dafür gehabt, dass Tim die spätere Mordwaffe aus dem Kleiderschrank nehmen könnte. Bis heute seien ihm „die Hintergründe zur Tat“ und die „Motivation seines Sohnes“ nicht bekannt. Wenn Jörg K. vor Gericht müsse, dann allenfalls wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, gös so der Anwalt.
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BÊJKH$;khefWiDh$'\hBWijC_dkj[$ Erster Jahrestag Albertville-Realschüler gedenken der Opfer des 11. März 2009 F OCUS 11/2010
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Der rote Schwarze Jürgen Rüttgers, 58 ❙ Anwalt der Arbeitnehmer
Der Vater von drei Söhnen gehört zum linken Flügel der CDU. ❙ Vielseitige Vorbilder
Er beruft sich nicht nur gern auf Konrad Adenauer, sondern auch auf Johannes Rau (SPD). Seit 2005 ist Rüttgers NRW-Ministerpräsident.
„Gegen den Wind“ Acht Wochen vor der Schlüsselwahl im Westen spricht Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers über die Dauer-Querelen von Schwarz-Gelb in Berlin, die Aussichten auf niedrigere Steuern, die Selbstsucht vieler Banken – und Debatten auf dem Rücken von Schwachen
Wir schenken uns die Kalauer-Bemerkung, dass wir für dieses Interview nichts gezahlt haben.
. . . interessante Form, es trotzdem zu sagen . . . Im Ernst: Belastet Sie die Sponsoring-Affäre, bei der der Eindruck entstand, es gäbe Gespräche mit Ihnen gegen Bezahlung?
Die Debatte hat uns geschadet, aber jetzt werden wir nach vorn blicken. Sie sehen noch mitgenommen aus.
Das ist nur, weil ich eine Grippe hatte. Diesen unsäglichen Brief habe ich nicht gekannt. Es hat solche Gespräche nie gegeben. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Wer jetzt noch darauf herumreitet, macht einen Schmutzwahlkampf. Sind Sie sicher, dass nicht irgendwo in der Parteizentrale weiterer Stoff für Peinlichkeiten schlummert?
Wie gesagt: Ich blicke nach vorn. Wir wollen bei Sponsor-Einnahmen der Parteien ein Höchstmaß an Transparenz. Es spricht nichts dagegen, wenn die Namen der Firmen sowie die Summen dem Bundestagspräsidenten und auch den Bürgern mitgeteilt werden.
Foto: Götz Schleser/F OCUS -Magazin
Ist die Affäre nicht für jemanden wie Sie, der gern als Anwalt der kleinen Leute auftritt, besonders schlimm?
Dass in der eigenen Partei ein großer Fehler gemacht wurde, will ich nicht kleinreden. Aber es kann doch wohl nicht sein, dass darüber fünf Jahre erfolgreiche Arbeit in Nordrhein-Westfalen in Vergessenheit geraten. Ich bin optimistisch, dass die Wählerinnen und Wähler am 9. Mai anerkennen, wie gut wir sie durch die Krise geführt haben. Apropos Krise: Wie wollen Sie mit solchen Erfolgsbotschaften durchdringen, solange Union und FPD in Berlin die Oppositionsarbeit gleich miterledigen?
Natürlich sind wir in den letzten WoF OCUS 11/2010
chen gegen den Wind angetreten. Da brauchen Sie nur die Umfragen zu verfolgen. . . . der Ruf von Union und FDP im Bund war seit neun Jahren nicht so schlecht wie jetzt.
Wenn die Leute unzufrieden sind, ist das vor einer Wahl immer von Bedeutung. Es geht um verdammt viel. In Nordrhein-Westfalen wohnen 18 Millionen Menschen, die es wert sind, von uns gut regiert zu werden. Es kann nicht sein, dass eine rot-rote Chaos-Truppe kaputt macht, was wir in Jahren aufgebaut haben, und dann noch die Zukunft von ganz Deutschland blockiert. Nur eine schwarz-gelbe Regierung hier in Düsseldorf garantiert, dass nicht später wichtige Projekte der christlichliberalen Bundesregierung im Bundesrat kaputt gemacht werden. Sind Sie abergläubisch?
Nein. Warum? Vor fünf Jahren leitete Ihr Sieg in NRW das Ende von Rot-Grün im Bund ein. Kommt es jetzt umgekehrt: Erst wird Schwarz-Gelb in Düsseldorf abgewählt, dann kracht auch die Koalition in Berlin?
Da es keinen Machtwechsel am Rhein geben wird, stellt sich die Frage nicht. Sie sind Vizechef der CDU. Wollen Sie nicht in Berlin auf den Tisch hauen?
Wir in Nordrhein-Westfalen hauen nicht auf den Tisch. Wie Johannes Rau immer gesagt hat, tut das meistens der Hand weh und nicht dem Tisch. Und in der Sache hilft es auch nicht weiter. Menschen aus der Uckermark hauen offen-bar auch nicht so gern auf den Tisch. Muss Angela Merkel härter führen?
Ich habe volles Vertrauen in die Kanzlerin. Angela Merkel hat die gute Fähigkeit, dass sie Entscheidungen herbeiführen kann, ohne jedes Mal große Auseinandersetzungen zu provozieren.
Ohne Auseinandersetzungen? Es kracht in Berlin an allen Ecken. Gesundheits-, Atom-, Steuerpolitik, Umgang mit der Katholischen Kirche, Betreuungsgeld . . .
Wenn man der Meinung der Bevölkerung folgt, dann kann in Berlin sicher manches besser werden. Und es wird auch besser. FDP-Chef Guido Westerwelle hat eine Dauer-Debatte um Hartz IV losgetreten, die Ihnen auch kaum gefallen kann.
Ich habe seit 2004 im Kampf um Verbesserungen bei Hartz IV nicht einfach Schlagzeilen geliefert, sondern konkrete Verbesserungen für die Betroffenen erreicht: längere Zahlung von Arbeitslosengeld I und höheres Schonvermögen zum Beispiel. Die Debatte um die Ideen von Guido Westerwelle und die unsozialen Vorschläge der SPD-Spitzenkandidatin in NRW, Hannelore Kraft, haben die Gesellschaft auseinandergetrieben, statt sie zusammenzuhalten. Was haben Sie gegen offene Debatten?
Das Thema ist zu wichtig, um es im Wahlkampf zu missbrauchen. Es ist zynisch, wenn Frau Kraft Hunderttausende Hartz-IV-Bezieher abstempelt, indem sie sagt, sie seien nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar. Als ob es damit getan wäre, Menschen zum Straßenkehren abzustellen. Ihr Partner in Berlin, die FDP, will Arbeitslose zum Schneeschaufeln heranziehen.
Die FDP in Nordrhein-Westfalen hat erklärt, dass sie gegen eine Verschärfung der Gesetze ist. Ich bin im Übrigen nicht verantwortlich für die Interview-Äußerungen der FDP in Berlin. Schneeschippen hilft keinem, wieder in Brot und Arbeit zu kommen. Nur sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bietet eine wirkliche berufliche Perspektive und auch die Chance, 21
DE U T S C H LA ND
Schluss mit Pfusch am Bau Dass bei Großprojekten Bauherren zugleich die Bauaufsicht wahrnehmen, soll der Vergangenheit angehören. Pfusch am Bau scheint ja in NordrheinWestfalen weit verbreitet zu sein. Es gibt den Großskandal in Köln, einen Skandal in Düsseldorf. Alarmiert Sie das? So viel Schlamperei und kriminelle Energie, wie es offenkundig beim Kölner U-Bahn-Bau gegeben hat, hat sich kaum einer vorstellen können. Ich bin sehr gespannt auf die Ermittlungen. Können Sie also als Politiker nur zuschauen? Nein. Es kann nicht sein, wie es offenbar in der Vergangenheit passiert ist, dass Bauherren zugleich die Bauaufsicht wahrnehmen. Wie wollen Sie eingreifen? Wir haben eine Bundesrats-Initiative vorbereitet. Bei der Wahrnehmung der Bauaufsicht von U-Bahnen und Straßenbahnprojekten soll nicht mehr auf Mitarbeiter des Bauherren zurück■ gegriffen werden dürfen.
Die Welt ist in einer beispiellosen Krise, und die Politiker verheddern sich im Klein-Klein.
Das ist es ja, was mir Sorge macht. Statt über Schneeschippen und Straßenkehren zu debattieren, sollten wir die drängenden Fragen anpacken. Wir brauchen schleunigst Regeln, um eine weitere Finanzkrise zu verhindern. Eine zweite Krise kann sich dieses Land nicht leisten. Es gibt Leute, denen Boni wichtiger sind als zukunftsfeste Regeln für die Banken. Darüber sind die Menschen zu Recht sauer. Was schlagen Sie vor?
Es kann nicht sein, dass die Banken lieber auf Ausfallbürgschaften setzen, 22
für die der Staat einstehen muss, statt mit eigenem Geld Kredite zu vergeben. Es kann auch nicht sein, dass der Steuerzahler zweimal zahlt: einmal für die Rettung der Banken und als Kontoinhaber auch noch für überhöhte Überziehungszinsen. Die Zentralbanken bekommen billiges Geld. Der Leitzins liegt bei einem Prozent. Aber der Zinssatz für Unternehmenskredite liegt zum Teil zwischen vier und fünf Prozent. Der einfache Bankkunde zahlt für eine Überziehung seines Kontos oft sogar über zehn Prozent Zinsen. Wollen Sie in die Geschäftspolitik der Banken eingreifen?
Ich will mit den Zahlen zeigen, welche Spielräume Banken haben. Es gibt sogar welche, die schon wieder im Casino spekulieren. Deshalb: Wir brauchen einen Rettungsfonds, in den die Banken
selber einzahlen und für künftige Krisen vorsorgen. Sie müssen ihr Eigenkapital erhöhen, also jedes Geschäft, das sie machen, mit eigenen Mitteln absichern. Und sie müssen endlich das billige Geld, das sie von den Zentralbanken erhalten, an die Kunden weitergeben.Vor allem müssen sie beim Mittelstand die Kreditklemme aufheben. Krise und kein Ende?
Ich bin zuversichtlich, dass es im Sommer richtig aufwärtsgeht. Aber ich habe mit Schrecken gehört, dass der Ecofin (der Rat der EU-Finanzminister; d. Red.) schon Mitte des Jahres die Hilfen, die Deutschland bei der Kurzarbeit gewährt, auslaufen lassen will. Dieser Vorschlag muss dringend vom Tisch kommen. Denn noch sind die Wachstumskräfte zu schwach, als dass wir ohne staatliche Hilfen bei Kurzarbeit F OCUS 11/2010
Foto: Götz Schleser/F OCUS -Magazin
Altersarmut vorzubeugen. Wir brauchen bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten, damit der Übergang von Hartz IV in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis besser gelingt und sich Leistung lohnt.
„Es kann nicht sein, dass der Steuerzahler zweimal zahlt: einmal für die Rettung der Banken und als Kontoinhaber auch noch für überhöhte Überziehungszinsen“ Jürgen Rüttgers
Mit mir wird es keine Steuersenkung geben, die dazu führt, dass in den Kommunen Stadttheater geschlossen, Kindergärten nicht ausgebaut und Sozialleistungen gekürzt werden. Ich habe nichts gegen niedrigere Steuern, wenn man das bezahlen kann. Steuersenkung ohne Verluste für Kommunen – das ist wie eine gründliche Rasur, ohne ein Härchen zu krümmen: Das geht nicht.
Wir verhandeln gerade in Berlin über mehr Geld für Städte und Gemeinden. Wir dürfen nicht den Kommunen den Geldhahn zudrehen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir uns einigen. Sie sitzen hier in einem schönen Büro mit herrlichem Blick auf den Rhein. Sind Sie sicher, dass Sie im Sommer noch hier sind?
Kumpel mit Aussicht Jürgen Rüttgers will NordrheinWestfalen zum modernsten Industrieland Europas machen. Die Zeche Zollverein gehört heute zum Weltkulturerbe
auskämen. Der Arbeitsmarkt darf jetzt nicht zusammenbrechen. Der Staat hilft überall, soll aber weniger kassieren. Drei Tage vor Ihrer Landtagswahl kommt die Steuerschätzung. Glauben Sie, danach redet noch irgendwer über niedrigere Steuern?
Das ist keine Frage des Glaubens, sondern harter Fakten, und dafür braucht man eine ordentliche Steuerschätzung. Dann kann man den Menschen auch vor der Wahl reinen Wein einschenken. Schauen Sie nur auf die unterschiedlichen Prognosen zur Wachstumsentwicklung in diesem Jahr: von 1,4 Prozent bei der Bundesregierung bis über zwei, sogar bis zu drei Prozent. Da geht es um hunderte Millionen Differenz. Und dann? Werden Sie am Donnerstag vor der Wahl sagen, dass Sie Steuersenkungen auf Pump nicht mitmachen? F OCUS 11/2010
Die Menschen werden am 9. Mai fair bewerten, was wir hier im Westen geleistet haben. Wir haben heute 225 000 Arbeitslose weniger als bei unserem Start 2005. Wir haben viel für die Kinder und Familien getan: Der Unterrichtsausfall wurde halbiert. Wir haben 8000 neue Lehrer und 75 Prozent mehr Ganztagsplätze. Wir haben vier Hochschulen plus 24 Forschungszentren neu gegründet, acht Hochschulen ausgebaut – und das alles bei soliden Finanzen. Das zählt. Solide Finanzen? 2010 bringt eine Rekordverschuldung.
Das Problem haben in dieser extremen Krise alle Finanzminister und Kämmerer. Wir in NRW haben 2008 das erste Mal seit 30 Jahren mehr eingenommen als ausgegeben. Wir werden auf der Basis der Schuldenbremse bis 2020 die Neuverschuldung wieder zurückführen. Wir haben ja von 2005 bis 2008 bewiesen, dass das geht. Mehr noch: Ich habe den Wählern auch gesagt, dass wir in den nächsten fünf Jahren 12 000 Stellen im öffentlichen Dienst abbauen werden. Die Ausgaben werden weniger wachsen als die Einnahmen. Wir kämpfen für eine solide Wachstumspolitik. „Wachstum“ ist eines von diesen Politikerwörtern, die gut klingen, aber selten mit konkreten Plänen verbunden sind.
Das ist sehr konkret: Wir wollen, dass Nordrhein-Westfalen das umweltfreundlichste Industrieland Europas wird – mit Investitionen in Forschung und Technologie, mit großen Verbesserungen unseres Bildungssystems. In Aachen entsteht das „Silicon-Valley“ der
Zukunftstechnologien mit über 10 000 Arbeitsplätzen und 92 Unternehmen. Zwei Milliarden werden in den größten Uni-Campus Europas investiert. Mit wem wollen Sie Ihre Pläne denn umsetzen?
Ich möchte die Koalition mit der FDP fortführen. Wir haben fünf Jahre gute Arbeit geleistet. Es hat so gut wie keinen Krach gegeben. Deshalb möchte ich das fortsetzen. Dass weiter Union und FDP dieses Land lenken, ist übrigens auch wichtig für die SPD. Warum denn das?
Wenn die Sozialdemokraten glauben, sie wären schon wieder regierungsfähig und könnten das auch noch mit der Linkspartei organisieren, dann wäre das für die alte ehrwürdige SPD sicher nicht gut. Einer der Großen der SPD, Klaus von Dohnanyi, hat gerade bei unserem Zukunftskongress gesagt: Wenn die SPD an ihrem eigenen Untergang graben will, dann soll sie mit der Linken koalieren. Ihre Sorgen sind auch nicht klein. Den Umfragen zufolge reicht es doch gar nicht für Schwarz-Gelb. Was wollen Sie tun, wenn es weiter nicht reicht?
Kluge Politiker beantworten keine Wenn-dann-Fragen. Warum soll ich mir Gedanken machen, eine Koalition mit der SPD oder den Grünen einzugehen, die nichts anderes tun, als sich Bündnismöglichkeiten mit der Linkspartei offenzuhalten? Saarlands Ministerpräsident Peter Müller wurde auch stinksauer, wenn man ihn fragte, ob er notfalls ein Bündnis mit FDP und Grünen macht. Später hat er es getan.
Dort haben die Grünen die Gefahr des Linksextremismus verstanden. Warum sagen Sie nicht, was kommen kann?
Keine Koalition ist besser als die mit der FDP. Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht ganz dicht. Ich möchte in den kommenden fünf Jahren noch weniger Arbeitslose in NRW haben. Ich möchte, dass Ganztagsschulen weiter ausgebaut werden und allein erziehende Mütter eine bessere Perspektive haben. Um solche Dinge geht es. Koalitionsspiele lenken nur ab von den Fragen, die den Menschen wirklich wichtig sind. Für Sandkasten■ spiele ist die Lage zu ernst. INTERVIEW: M. VAN ACKEREN / A. SPILCKER
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DE U T S C H LA ND
Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wäre? in Prozent
CDU
44,8
40 37,1
SPD
Landtagswahl
35 33
30
20
*((-
*((.
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*((0
*((1
*()(
Grüne
6,2 3,1
6
.11 22 . .1. 4.3 .
22
.
.6. 14
1.3
. .10 12
.3. 30
11.
. 5.8
11.
14
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13
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Linke
0
22
Seit mehr als einem Jahr sinkt die CDU stetig im Ansehen der Wähler. Zuletzt lag sie nur noch zwei Prozentpunkte vor der SPD, die kräftig zulegte
13 10
FDP
10
Kopf an Kopf
Quelle: Infratest dimap
Missglückter Vorstoß Die Landesvorsitzende
S
„Der Schuss muss sitzen“ Kurz vor der NRW-Landtagswahl versucht die SPD, politischen Ballast abzuwerfen: mit einer Reform ihrer Hartz-IV-Reform. Gelingt der heikle Versuch, können die Sozialdemokraten sogar auf einen Erfolg an Rhein und Ruhr hoffen
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igmar Gabriel ist bester Laune. Am vorigen Dienstag sitzt der SPD-Chef abends im Erfurter „Kaisersaal“ und plaudert über sich und seine Partei. Er ist gerade aus Düsseldorf gekommen, tags darauf wird er in Gelsenkirchen, Essen und Detmold reden. „Das ist richtig schön anzusehen“, erzählt Gabriel den Thüringern über seine jüngsten Erlebnisse in Nordrhein-Westfalen. Schwarz-Gelb am Rhein? „Die haben richtig Panik!“ Wahlkampf mache dort Spaß wie selten. „Da geht noch was.“ Es sind unerwartete Gefühle für die erfolgsentwöhnten Sozialdemokraten. Lange Zeit galt ihnen die Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland als verlorenes Rennen. Eine Ablösung von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der sich als schwarzer Sozialdemokrat geriert, schien kaum möglich. Aber dank Sponsoring-Affäre der NRW-CDU und schwarzgelber Chaostage in Berlin hat sich das Blatt gewendet: Die SPD holt auf. Ihre zumeist unauffällige Spitzenkandidatin Hannelore Kraft liegt in den Umfragewerten fast gleichauf mit Rüttgers – für einen amF OCUS 11/2010
„Diese Menschen können zum Beispiel in Altenheimen Bücher vorlesen, in Sportvereinen helfen oder Straßen sauber halten“ Hannelore Kraft
Foto: O. Berg/dpa
der SPD in Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, verstolperte sich beim Thema Hartz
tierenden Ministerpräsidenten ein katastrophaler Wert. Union und FDP verfehlen derzeit die nötige Mehrheit, Rot-Grün steht zeitweise sogar besser da als SchwarzGelb. Zieht die Linke in den Landtag ein, sind womöglich bunte Dreier-Kombinationen oder eine große Koalition zur Regierungsbildung nötig. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) muss um ihre schwarzgelbe Mehrheit im Bundesrat bangen. Verlieren Union und FDP die Macht am Rhein, können sie ihre Reformpläne im Bund zu Steuern und Gesundheit gleich in den Berliner Schubladen lassen, in denen sie derzeit ruhen. Selbst ein vorzeitiges Ende der Koalition schließen Unionsstrategen für diesen Fall nicht aus. Um für mehr Disziplin in den eigenen Reihen zu sorgen, drohte Merkel vorige Woche in einer unionsinternen Runde mit scharfer Intervention: Der nächste Minister, der einen Vorschlag auf eigene Rechnung mache, werde von ihr automatisch und öffentlich Widerspruch ernten. Angesichts des desaströsen Erscheinungsbilds der Merkel-Regierung versucht Gabriel, den Wahlgang in NRW als F OCUS 11/2010
Abstimmung über die schwarz-gelbe Koalition in Berlin zu inszenieren. Und damit die rote Kampagne richtig Schwung bekommt, wirft er noch rechtzeitig vor dem 9. Mai den politischen Ballast ab, der die SPD am stärksten bremst: Hartz IV. Wenn die Genossen wieder erster Interessenvertreter der Arbeitnehmer sein wollen, davon ist Gabriel überzeugt, müssen sie aus dem Schatten von Gerhard Schröders Agenda 2010 treten. Mit seinem arbeitsmarktpolitischen Reformkonzept, an diesem Montag vom Präsidium der SPD abgesegnet, geht Gabriel ein großes, aber unvermeidbares Risiko ein. Er will sich von der Vergangenheit lösen, ohne sie im Nachhinein zu verleugnen. Ein heikler Balanceakt, Absturz nicht ausgeschlossen – wie ausgerechnet SPDSpitzenkandidatin Hannelore Kraft gerade demonstriert. Mit ihrem Vorschlag, Langzeitarbeitslose könnten doch „in Sportvereinen helfen oder Straßen sauber halten“, klang Kraft in vielen Ohren gar nicht so anders als der von ihr heftig gescholtene FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle.
Es gab Widerspruch von vielen Seiten. Dankbar gingen Christdemokraten und Liberale zur Gegenattacke über. Die CDU-Parteizentrale in Düsseldorf ließ flugs ein Flugblatt entwerfen: „PannenHannelore allein zu Haus“. Die SPD setzte ihre gesamte Bundesspitze in Gang, um den verheerenden Eindruck zu verwischen. Am Mittwochmittag versuchte Gabriel in Gelsenkirchen, den Unterschied zwischen FDP und SPD zu erklären. „Westerwelle schmeißt mit Steinen“, polterte der SPD-Chef in der Maschinenhalle der ehemaligen Zeche Consolidation. „Und Hannelore macht ein Angebot, dass es Brot gibt.“ Die Angesprochene hockte daneben, nickte, lächelte – wenn auch etwas verkrampft. Wie Kraft ihren Aufschlag zu Hartz IV verstolperte, gilt als Warnung für die ganze SPD. Ein falscher Zungenschlag, ein falscher Ton – schon bricht die Empörung enttäuschter, meist ehemaliger Anhänger über den Genossen zusammen. Sein Hartz-Konzept ließ Gabriel über viele Wochen im Geheimen vorberei25
Kraft--Akt Die SPD-Landeschefin und der Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel demonstrieren auf dem Landesparteitag in Dortmund Ende Februar Einheit und Stärke
Düstere Prognose für Schwarz-Gelb Bewertung verschiedener Koalitionsmöglichkeiten für die Landesregierung in NRW in Prozent Trend 3/2010 (Vernderung zu 1/2010)
49 55 63 71 77 79 81 Quelle: Infratest dimap
weniger gut/schlecht
SPD/Grüne
sehr gut/gut
48
CDU/SPD
42 (+4)
CDU/FDP CDU/Grüne CDU/Grüne/ FDP SPD/Grüne/ Linke SPD/Grüne/ FDP
34 (Ð4) 26 (+3) 20 (Ð2) 18 (Ð3) 15 (Ð5)
fehlende Werte zu 100 Prozent = wei§ nicht
Rot-grüne Zukunft? Auf die Frage, welche Koalition ihrer Ansicht nach gut oder schlecht für Nordrhein-Westfalen wäre, äußerten die Befragten eine klare Präferenz für SPD und Grüne. Deutlich schlechter schneidet das bestehende Bündnis aus CDU und FDP ab
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ten. Nur einen kleinen Kreis weihte er in die Details ein, darunter Generalsekretärin Andrea Nahles, Parteivize Olaf Scholz, Ex-Generalsekretär Hubertus Heil und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Lange Zeit existierten von dem Papier keine Kopien, nur eine Version auf einem Computer von Scholz. Ihnen allen ist die Brisanz klar. Sie haben nur einen Schuss frei. Und der, so ihr NRW-Genosse Axel Schäfer, „muss sitzen“. Als Kernproblem hat Gabriel die Zahlungen an ältere Arbeitslose ausgemacht. Es sei „eine richtige Verletzung des Stolzes, wenn am Ende der, der 30 Jahre gearbeitet hat, genauso behandelt wird wie der, der noch nie gearbeitet hat“. Nach der jetzigen Regelung fallen die meisten Arbeitslosen nach nur einem Jahr in das Arbeitslosengeld II – die soziale Grundsicherung. Aus der SPD-Basis kamen Forderungen, allen, die lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, das Arbeitslosengeld I zu erhöhen oder länger zu zahlen. Das allerdings ist ein Bruch mit dem Versicherungsprinzip, den Sozialpolitiker wie Nahles, Heil und Scholz skeptisch sehen. Sie ziehen deshalb die Idee vor, jene länger zu unterstützen, die sich beruflich weiterqualifizieren. Leichter war die Verständigung zur Leiharbeit, die dank rot-grüner Reformen längst kein Ausnahmephänomen mehr ist. Durch „Scheintarifverträge mit Scheingewerkschaften“, sagt Gabriel, sei hier ein Weg zu Dumpinglöhnen bereitet worden. „Auch das muss man korrigieren. Im Gesetz muss stehen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit – vom ersten Tag an.“ Und natürlich greift Gabriel den Vorschlag seiner Wahlkämpferin Kraft auf, für schwerstvermittelbare Langzeitarbeitslose einen „sozialen Arbeitsmarkt“ zu schaffen. Sie sollen zu sozialversicherungspflichtigen Gehältern, die über den heutigen 1-Euro-Jobs liegen, gemeinnützige Arbeiten verrichten können – freiwillig, ohne Sanktion bei Verweigerung. Die SPD will ihre Kernwählerschaft zurückgewinnen: die einfachen Arbeiter und Arbeitnehmer, die Gewerkschafter. Genau diese Klientel aber hat kein CDU-Spitzenmann so intensiv gepflegt wie Rüttgers in Nordrhein-Westfalen. An der Frage, wer sich in diesen Gruppen besser behauptet – Kraft oder Rüttgers –, wird die NRW-Wahl entschieden. Wer von beiden anschließend die StaatsF OCUS 11/2010
Fotos: C. Bilan/ddp, W. Grubitzsch/dpa
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kanzlei führt, wird vermutlich über die zweite zentrale Frage entscheiden: Wer kann mit wem? Die SPD setzt auf eine Koalition mit den Grünen. In den jüngsten Umfragen ist Rot-Grün allerdings ebenso weit entfernt von einer Mehrheit wie SchwarzGelb. Also dann ein Bündnis mit einem weiteren kleinen Partner? Der SPD-Vorsitzende drischt so heftig auf Liberale wie Linke ein, dass weder eine Ampelkoalition noch ein rot-rotgrünes Bündnis möglich erscheinen. „In Nordrhein-Westfalen gibt es derzeit zwei fundamentalistische Parteien“, agitiert Gabriel. „Das ist die Linkspartei, die will jede Currybude verstaatlichen. Die andere ist die FDP. Ich sage: Die Jungs, die da rumrennen, sind jung, gnadenlos und verfassungsfeindlich.“ Über eine Regierung mit der Linkspartei brauche eigentlich schon deshalb niemand nachzudenken, „weil die Grünen es sowieso nicht machen werden“. Die Linkspartei solle „erst einmal erwachsen werden“, assisstiert der Düsseldorfer Grüne Reiner Priggen. Für eine Regierungsbeteiligung müsse die Linke „so gravierende Abstriche von ihrem Wahlprogramm machen, das würde die Partei zerreißen“. Weil SPD-Kandidatin Kraft die Option Linkspartei trotzdem nicht förmlich ausschließt, kann ihr Wahlgegner Rüttgers mit der Angst vor einer rot-rotgrünen Allianz weiter punkten. Und was will Rüttgers, wenn seine Wunschkombination mit den Liberalen scheitert? In den Reihen der Union beflügeln bereits Spekulationen über SchwarzGrün die Fantasie. Oder zieht er eine Koalition mit der SPD vor? Rüttgers lässt sich selbst von engsten Vertrauten nicht in die Karten schauen. Dem CDU-Regierungschef allerdings wird nachgesagt, er liebäugele damit, sich 2014 als Bundespräsident wählen zu lassen. Dafür, so spekulieren Parteifreunde, könne ein Bündnis mit der SPD durchaus nützlich sein. Gabriel redet über ein NRW-Bündnis mit der CDU auch nicht gern. „Große Koalitionen führen die SPD in die Unkenntlichkeit“, sagt er in Erfurt. Ein Nein hört sich anders an. Allemal in Thüringen: Hier regiert die SPD mit – in einer gro■ ßen Koalition.
Gemein oder nützlich? Gemeinnützige Jobs gelten mal als Hartz-IV-Sackgasse, mal als letzte Hoffnung. Auch die CDU ist sich da nicht einig.
D
ie 1400 Euro im Monat sind es nicht. Die hatte Familienvater Eugen Geffel auch als Hartz-IV-Empfänger beinahe. Viel wichtiger ist dem 38-jährigen Russlanddeutschen: „Ich sage meinen Kindern immer: ‚Ihr müsst zur Schule gehen, an die Zukunft denken.‘ Da kann ich nicht selber zu Hause auf dem Sofa sitzen.“ Seit Januar arbeitet er in einem Jugendzentrum im münsterländischen Werne als Haustechniker. Möglich wurde das nur mit einem Lohnzuschuss, denn nach drei Jahren Arbeitslosigkeit galt Geffel als schwer vermittelbar. Den Stempel „arbeitsmarktfern“ tragen gleich ihm zwischen 400 000 und 600 000 Menschen in Deutschland. Sie hatte SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft im Auge, als sie befand, man müsse gemeinnützige Jobs für sie schaffen. Die gibt es freilich schon längst. Beschäftigungszuschüsse, 1-Euro-Jobs, ein kommunaler Kombilohn und die „Bürgerarbeit“ dienen genau diesem Zweck. Rund 300 000 Langzeitarbeitslose passen als gemeinnützige Helfer in Schulbussen auf, kaufen für Pflegebedürftige ein, spielen mit Altenheimbewohnern Karten. Die Idee, ihre Zahl noch erheblich auszuweiten, alarmiert Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Er hält es „für einen fatalen Fehler, Hunderttausende Arbeitsuchende als nicht vermittel-
bare, hoffnungslose Fälle abzustempeln“. Zudem könnten reguläre Jobs verdrängt werden. Auch die NRW-CDU brandmarkt Krafts Initiative als „zynisch“, sie schreibe Menschen ab. Andere Christdemokraten, die nicht im Wahlkampf stehen, können der Idee aber durchaus etwas abgewinnen. „Das Thema ist gesamtgesellschaftlich dran, und es muss tabufrei diskutiert werden“, fordert Sachsen-Anhalts Arbeitsminister Reiner Haseloff (CDU). Hundts Bedenken wischt er beiseite: „Rollstuhl schieben im Park, Sterbenden vorlesen – das nimmt keiner Firma einen Job weg.“ Sachsen-Anhalts Modell der gemeinnützigen Bürgerarbeit für Löhne zwischen 675 und 975 Euro im Monat mustere niemanden auf Dauer aus, beteuert der Minister: „Deshalb arbeiten die Leute auch nur 30 Stunden in der Woche, damit sie sich nebenher noch bewerben können.“ Haseloff erwartet von der Bundesregierung ein bundesweites „breites“ Experimentieren mit Bürgerarbeit. Sie habe einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt: Bis zu ein Viertel der Langzeitarbeitslosen, denen sie in Sachsen-Anhalt angeboten werde, melde sich in einen regulären Job ab – für Haseloff ein Beitrag zur Bekämp■ fung der Schwarzarbeit. HANS-JÜRGEN MORITZ
Hilfe als Selbsthilfe Gemeinnützige Arbeit kann Langzeitarbeitslosen wieder Mut machen – und Schwarzarbeit bekämpfen
MARGARETE VAN ACKEREN / RAINER PÖRTNER / AXEL SPILCKER
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Me, MYseLf aNd MeY. Fr a n k S c h ä t z i n g, S c h r i f t s t e l l e r, in Mey bodywear
DE U T S C H LA ND
Denn es bleibt immer etwas hängen Gegen Außenminister Westerwelle läuft eine Kampagne wegen Spezlwirtschaft. Sein SPD-Vorgänger nahm es auch nicht so genau
G
Anrüchige Reise? Außenminister Westerwelle muss sich verteidigen, weil ihn sein Partner Michael Mronz begleitet
Akzeptiert Ist es in Ordnung, dass Au§enminister Westerwelle auf offiziellen Reisen von seinem Partner Michael Mronz begleitet wird? in Prozent
ja 59
39
nein
2 wei§ nicht
Andere Sicht Die Deutschen sehen anders als die Opposition in der Begleitung von Westerwelles Lebenspartner kein Problem
30
uido Westerwelle durchlebt eine der schwersten Krisen seiner Politikerkarriere. Nach dem furiosen Wahlsieg sieht sich der erfolgsverwöhnte FDP-Chef seit Monaten schwersten Angriffen ausgesetzt. Erst wird den Liberalen eine Parteispende eines Hotelkonzerns vorgeworfen, weil sie im Koalitionsvertrag vor allem mit der CSU eine Steuerentlastung für das Gastgewerbe durchsetzten. Dann muss er sich für Vorträge bei Schweizer Banken rechtfertigen. Jetzt verdächtigt ihn die Opposition der Spezlwirtschaft: Sein Lebenspartner, Vertreter angeblich parteinaher Firmen und der Chef eines Unternehmens, an dem sein Bruder beteiligt ist, haben ihn auf Auslandsreisen begleitet. So kann Westerwelle als Außenminister nicht wie seine Vorgänger glänzen. Obendrein muss er als Front- und Feuerwehrmann fast wöchentlich innenpolitische Brandherde in der Steuer-, Sozial- und Gesundheitspolitik löschen. In der schwarzgelben Regierung kommt kein Wir-Gefühl auf – stattdessen alltäglicher Streit. Westerwelle selbst sieht sich als Opfer einer Kampagne von Opposition und einem Großteil der Medien: „Das ist eine durchsichtige Kampagne der Kräfte, die in Nordrhein-Westfalen eine Linksregierung wollen. Dass dabei nicht einmal vor der Diffamierung von Familienangehörigen zurückgeschreckt wird, ist infam.“ Doch die Wirkung ist da. Selten war ein Außenamtschef in den Umfragen so unbeliebt. Auch die FDP fiel von 15 auf zehn Prozent. Die Partei ist auf ihren Vorsitzenden ausgerichtet – im Wahlkampf ein Vorteil, in der Regierung ein Manko. Die einseitige Entlastung der Hotelbranche, räumen Koalitionäre inzwischen selbst ein, war ein Fehler für eine Partei, die ein faires und gerechtes Steuersystem für alle propagiert.
Die Klientelvorwürfe hat die FDP damit selbst wieder heraufbeschworen. Auf diese Weise wird sogar ein dem Bundestag gegenüber offengelegter Honorarvortrag Westerwelles bei einer Schweizer Bank im April 2007 in die Nähe der erst ein Jahr später folgenden Affäre um millionenschwere Schwarzgeldkonten gerückt, nur weil das Geldhaus eine Tochter der Liechtensteiner LGT Bank ist. Zweifellos gibt Westerwelle ein ideales Feindbild ab. Er polarisiert wie bei der Hartz-IV-Debatte bis auf die Messerspitze, und er stellt für viele Linke die Inkarnation des Anti-68ers dar. Jetzt heißt die Parole: Einer wie er teilt aus – jetzt muss er auch mal einstecken. Selbst die Mitreise seines Lebenspartners dient dann zur Schelte. Sportmanager Michael Mronz zahlt zwar die Außenministerbegleitung aus eigener Tasche, aber es wird der Eindruck erweckt, er könne auf Staatskosten womöglich geschäftliche Vorteile ziehen. Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck vermutet in den Attacken gar schwulenfeindliche Tendenzen: „Ob der Lebensgefährte oder die Ehefrau ein Mitglied der Bundesregierung begleitet, tut nichts zur Sache.“ Politprofi Westerwelle hat wohl sein viel bewiesener Instinkt verlassen. Ständig sickern aus dem elf Jahre lang rot-grün regierten Außenamt neue Infos durch, die das Image des Hausherrn ankratzen. Gerade mal mit einer Handvoll eigener Leute rückte er ins Amt ein. Umso mehr hätte der Chef-Liberale auf jedes Detail achten müssen, um keine Angriffsfläche zu bieten. Die „Berliner Zeitung“ fand prompt heraus, der Außenminister habe im Januar auf seiner Asien-Reise auch den Vertreter einer Firma mitgenommen, an der sein F OCUS 11/2010
Bruder Anteile besitze. Selbst wenn Kai Westerwelle nur zu 15 Prozent beteiligt ist, am Minister bleibt so etwas hängen. Das Argument, Unternehmenschef Ralf Marohn genieße seit vielen Jahren einen guten Ruf als China-Experte, berate selbst die Regierung von Rheinland-Pfalz und begleite SPD-Ministerpräsident Kurt Beck wie Landesminister auf Auslandsreisen, ließ die Opposition nicht gelten. Ein Mainzer
Außen-, Wirtschafts- oder Finanzminister geht ohne Begleitung von Bankern und Unternehmern auf große Auslandsfahrt“. Beim „Schlag den Guido“ gibt es keine Grenzen mehr. So holte SPD-Genosse Klaus Brandner zum großen Hieb gegen Westerwelle aus. Er witterte einen Skandal, weil der FDP-Außenminister in seinem Gästehaus jüngst Menschen aus Kultur, Sport, Diplomatie und Wirtschaft zu ei-
Fotos: M. Hanschke/dpa, P. Rigaud/laif
Wurst und Bier Als Außenminister lud Frank-Walter Steinmeier ins Gästehaus seines Amtes, die Villa Borsig am Tegeler See in Berlin. Auf Staatskosten vergnügten sich SPD-Wahlhelfer wie Sänger Thomas Quasthoff (r.)
SPD-Regierungssprecher behauptete gar: „Richtig ist, dass Marohn niemals Delegationsmitglied auf Reisen des Ministerpräsidenten gewesen ist.“ Kurz darauf bewies Marohn mit Fotos, er habe vom 22. bis 24. Oktober 1999 als Leiter der Kontaktstelle der rheinland-pfälzischen Wirtschaft in China an Becks Ostasien-Reise „teilgenommen“. Sofort kündigte das SPD-Wirtschaftsministerium in Mainz die Zusammenarbeit mit Marohns Firma zum 1. Mai. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann wirft dem FDP-Chef trotzdem „Günstlingswirtschaft“ vor. Gesine Lötzsch, künftige Parteivorsitzende bei den SED-Nachfolgern, überdrehte völlig: „Ich nenne das Korruption.“ Das ist selbst der eher linken „Süddeutschen Zeitung“ zu viel: Ziemlich absurd sei der Vorwurf, „Wirtschaftsvertreter hätten sich mit Parteispenden einen Platz im Flugzeug des Außenministers erkauft. Kein Kanzler, kein F OCUS 11/2010
nem Berliner Abend einlud. Westerwelle sei „nicht König Guido“. Er solle aufklären, ob die Abende „im Interesse der Bundesrepublik“ stattfinden, wetterte der Sozi. Vorher hätte sich der Ex-Staatssekretär einmal erkundigen sollen, wie sein früherer SPD-Vizechef Frank-Walter Steinmeier als Bundesaußenminister beim Bratwurstgrillen Partei und Amt vermischte. Das Auswärtige Amt bestätigt, dass am 10. Juli 2008 und 28. Mai 2009 der damalige SPD-Außenminister einen ausgesuchten Kreis von Kulturschaffenden sowie Parteiunterstützer ins Gästehaus des Amtes – die Villa Borsig am Tegeler See – einlud. Bezahlen ließ Steinmeier die „sommerlichen Grillabende“ aus der Ministerschatulle unter der Rubrik „Außergewöhnlicher Aufwand aus dienstlicher Veranlassung in besonderen Fällen“. Der Grillabend im Juli fiel wegen Regenwetters ins Wasser, stattdessen reichten
die Bediensteten Steinmeiers Kulturfreunden Häppchen im Foyer der Villa. Gesprächsthema des Abends war offiziell die Kulturpolitik. Ein Gutteil der 50 Gäste jedoch wie die Schriftsteller Sten Nadolny und Tilman Spengler oder der Kameramann Michael Ballhaus gehören zum SPD-Unterstützerkreis und ein Jahr später zur Kanzlerkandidat-SteinmeierWerbetruppe. Ausgerechnet in der heißen Wahlkampfphase vor der Europawahl am 7. Juni 2009 bat der Außenminister einen noch größeren Kulturfreundekreis und noch mehr SPD-Unterstützer in das neobarocke Schloss. Rund 90 Gäste versammelte Steinmeier Ende Mai auf Staatskosten um sich zur Party. Viele dienen ihm später im Bundestagswahlkampf als Wahlhelfer, vereint im Aufruf: „Für eine starke SPD“. Dazu zählen Regisseur Pepe Danquart, Karikaturist Dieter Hanitzsch, Fotograf Jim Rakete, die Sänger Klaus Hoffmann und Thomas Quasthoff sowie die Schauspieler Leonard Lansink, Adnan Maral, Ursela Monn und Natalia Wörner. Auch TV-Super-Nanny Katharina Saalfrank nebst Gatten durfte nicht fehlen: Einige Wochen später sollte die Genossin als Wahlkampflokomotive für die Sozialdemokraten die Reihen des SteinmeierTeams bei den Themen Bildung und Familie verstärken. Schwor auf diesem Grillabend des Auswärtigen Amts der Kanzlerkandidat schon die SPD-Wahlkämpfer und -sympathisanten ein? Es wird spannend, ob bei dieser Einladungspraxis jetzt auch Kritik aus den SPD-Reihen kommt. Selbst bei der Flugbegleitung auf Auslandsreisen muss sich der Ex-Außenminister für Nachfragen wappnen. Zahlreiche Konzernmanager begleiteten Steinmeier. Üppige Spenden dieser Unternehmen hat die SPD gern genommen. Ein markantes Beispiel: Drei Wochen vor Steinmeiers Reise nach Ghana, Togo und Burkina Faso im Februar 2008 ging am 18. Januar eine Parteispende der Evonic Industrie AG von 100 000 Euro auf dem SPD-Konto ein. Manager Kai Uwe Braekler begleitete drei Wochen später den Außenminister auf seinem AfrikaTrip. Im Wahljahr 2009 erhielt die SPD erneut eine Evonic-Parteispende von 100 000 Euro. ■ OLAF OPITZ
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DE U T S C H LA ND
THEWES RECHNET AB Der Berliner FOCUS-Korrespondent Frank Thewes über das stille Ende eines Top-Wahlkampfthemas
Illustration: Jan Rieckhoff
Glauben Sie noch an die große Steuerreform? Kürzlich rief ich einen Abgeordneten der Koalition an, der im Moment Mehrheiten für eine kleine Steuervereinfachung sucht. Auf meine Frage, ob er das im Rahmen der üblichen Korrekturgesetze oder im Zuge „der Steuerreform“ ändern wolle, hörte ich auf der anderen Seite nur ein Lachen – und: „Welche Steuerreform?“ Offiziell warten Union und FDP noch die amtliche Steuerschätzung Anfang Mai ab, die – welch ein Zufall – nur ein paar Tage vor der nordrheinwestfälischen Landtagswahl terminiert ist. Dass sich daraus „neue Spielräume“ für die versprochene Nettoentlastung von knapp 20 Milliarden Euro ergeben könnten, ist aber eine tollkühne Behauptung Die Steuereinnahmen in diesem Jahr dür ften nämlich eher geringer ausfallen als im November geschätzt. Denn einen Teil der zum 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Steuersenkungen hatten die Schätzer noch nicht berücksichtigt. Sie schlagen auch in den Folgejahren durch. Damit sich der angebliche „Spielraum“ quasi von selbst ergibt, müssten die Steuereinnahmen erst mal um zehn Prozent jährlich wachsen – achtmal so schnell wie die Wirtschaft. Das aber ist extrem unwahrscheinlich. Echte „Spielräume“ eröffnen sich nur, wenn die Koalition uns Bürgern an anderer Stelle wehtut. Mit dem größten Sparpaket in der deutschen Geschichte. In dieser Woche verabschiedet die schwarz-gelbe Koalition aber den Bundeshaushalt mit einem Defizit von 80 Milliarden Euro. Das ist mehr als doppelt so viel wie der bisherige Rekord. Mit 310 Kürzungen und Umbuchungen haben die emsigen Haushälter von Union und FDP
das ursprüngliche Loch zwar noch um 5,6 Milliarden Euro verringert. Um bis 2016 die Schuldengrenze des Grundgesetzes einzuhalten, müssen sie in den nächsten Jahren aber noch weitere 70 Milliarden zusammenstreichen – plus insgesamt 20 Milliarden für die Steuerreform. Die Länder, die über den Bundesrat mitstimmen, und die Kommunen werden ihren Anteil an den Steuerausfällen auf den Bund abwälzen. Ein solches Finanzvolumen schaffen Haushälter nur, wenn sie auch lieb gewonnene Leistungen wie Elterngeld und Zuschüsse an die Sozialkassen abschaffen dür fen. Dafür brauchen sie Unterstützung von ganz oben. Danach sieht es nicht aus. Selbst Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der schlechte Schlagzeilen leichter aushält als andere, sagt auffallend häufig Sätze wie: „Die Mehrheit der Bevölkerung will das heutige Maß an Daseinsvorsorge und sozialer Sicherung.“ Der Ärger über Kürzungen, erläutern Koalitionäre hinter vorgehaltener Hand, sei doch größer als die Freude über eine Steuerreform. Die zum 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Entlastungen habe der Koalition jedenfalls niemand gedankt. Ernüchternd ist, dass vor allem die Steuersenkungspartei FDP beim Sparen mit schlechtem Beispiel vorangeht: Die Liberalen haben selbst ein Ministerium und Staatssekretärsposten besetzt, die sie vor der Wahl noch abschaffen wollten. Damit lässt sich das Modell eines schlanken Staates, der weniger Steuern verschlingt, kaum vermitteln. Für eine echte Steuerreform fehlt die Kraft, glaube ich. Aber ich hoffe noch.
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Gestörter Friede Im Streit mit Hans-Peter Friedrich unterschätzt CSU-Chef Horst Seehofer den Landesgruppenchef und dessen Gefolgschaft
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as muss ich da lesen?“, fragt HansPeter Friedrich. Dass er froh darüber sei, so glimpflich davongekommen zu sein. Der CSU-Landesgruppenchef lacht. „Umgekehrt vielleicht“, sagt er. Und damit ist der Versuch von Parteichef Horst Seehofer, an Friedrich ein Exempel zu statuieren, fehlgeschlagen: Der Berliner Statthalter der CSU ist nicht gedemütigt, und er wird sich „auch in Zukunft nichts gefallen“ lassen. Von niemandem. Ausgerechnet Hans-Peter Friedrich. Der Lockenkopf mit dem Jungengesicht, eher ein Mann der leisen Töne und mehr Sachdenn Machtpolitiker, riskiert den offenen Konflikt mit Seehofer. Einen grundsätzlichen. Denn es geht bei dem Streit zwischen der CSU in Berlin und München, entbrannt an der Gesundheitspolitik, weniger um Inhalte. Friedrich ist ebenso wie Seehofer und Landesminister Markus Söder gegen die Einführung einer Kopfpauschale, weil er den Sozialausgleich für nicht finanzierbar hält. Es geht um das „Selbstverständnis der CSU-Landesgruppe“, wie Friedrich es nennt, und es geht – wieder einmal – um
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den „Führungsstil des Parteichefs“, wie Mitglieder der Landesgruppe sagen. Darum hätte Seehofer die Debatte am liebsten im Keim erstickt. „Bodenloser Unfug“, war seine erste Reaktion auf die Kritik Friedrichs am „Störfeuer“ aus München. Und vor der Sitzung des Parteivorstands, bei der sich die Kontrahenten am vergangenen Montag erstmals nach dem Eklat begegneten, streute Seehofers Umgebung gezielt, der Landesgruppenchef bereue zutiefst und würde am liebsten alles rückgängig machen. Nicht ernst gemeint und nicht ernst zu nehmen, sollte das heißen. Aber die Rechnung ging nicht auf und war vor allem ohne den Wirt gemacht. Friedrich bekräftigte seinen Standpunkt. „Ich habe nichts zurückzunehmen“, sagt er. „Es ist mir nicht egal, was mein Parteivorsitzender sagt“, unterstreicht Friedrich. Er habe auch „kein Problem mit Hierarchien“. Friedrich war früher persönlicher Referent des damaligen und bekanntermaßen ruppigen CSU-Landesgruppenchefs Michael Glos. Fünf Jahre lang. Er ist nicht angeeckt. Als Abgeordneter betrieb der Rechtsanwalt und Wirtschaftswissenschaft-
ler Politik eher im Hintergrund und verschaffte sich Respekt durch Sacharbeit. Den vermisst er jetzt. Anfang Februar beim Job-Center-Gipfel im Kanzleramt erlebte Friedrich das erste Mal, wie wenig seinen Parteichef die Standpunkte der Berliner scheren. Vor Ministern und Länderchefs argumentierte Friedrich gegen eine Grundgesetzänderung. So hatten es die Unionsabgeordneten beschlossen, der CSU-Chef war informiert. „Herr Friedrich spricht hier nicht für die CSU“, fuhr Seehofer dazwischen. Nicht? Nur einer hatte kurzfristig seine Meinung geändert. „Seehofer-Meinung gleich Mehrheitsmeinung“, so geht das nicht, sagt ein Abgeordneter. Friedrich erwartet „schlichtweg Respekt vor unserer Arbeit“. „Loyalität ist eine gegenseitige Sache“, sagt er. Als Drohung wollte Seehofer die Ankündigung verstanden wissen, er werde in Zukunft häufiger in Berlin sein und künftig an allen Koalitionsrunden teilnehmen. „Sehr gut“, sagt Friedrich. Er hofft, dass sich der CSU-Chef dann auch an ihre Beschlüsse gebunden fühlt. In Berlin hat Friedrich einen prominenten Unterstützer. Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich unmissverständlich auf Friedrichs Seite geworfen. Zu Guttenberg ist mit seiner klaren, direkten Art – politisch gesehen – ein Anti-Seehofer. Und gilt als Kronprinz in der CSU. So gesehen lief es Anfang letzter Woche glimpflich ab: für Seehofer. ■ KATRIN VAN RANDENBORGH
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Foto: C. Stache/AP
Eine Frage der Ehre CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich erwartet von Parteichef Horst Seehofer Respekt
Wenn die Insel zur
Hölle wird Tatort Internat: Die abgeschottete Welt und der 24-Stunden-Kontakt zwischen Lehrer und Schüler begünstigen offenbar sexuellen Missbrauch
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ie Berliner nennen es liebevoll Gartenhaus. Gemeint ist der rückwärtige Seitenflügel von Altbauten in der Bundeshauptstadt. In der dritten Etage eines gediegenen Refugiums am Kurfürstendamm lebt der Reformpädagoge Hartmut von Hentig. Eine Wendeltreppe im Wohnzimmer führt direkt in die darüberliegende Wohnung, in der sein Lebensgefährte Gerold Becker wohnt. Becker leitete von 1971 bis 1985 die Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim. Die Eliteschule, Vorzeigeobjekt von Hentigs Reformpädagogik, war offenbar über Jahrzehnte ein Ort systematischer abscheulicher Verbrechen. Acht Lehrer sollen hier zwischen 1966 und 1991 mehr als 30 Schüler sexuell missbraucht haben. Einer der Hauptbeschuldigten ist Becker. Der könne nichts Böses getan haben, meint Hentig und behauptet gar, es könnte allenfalls ein Schüler den Lehrer Becker irgendwie verführt haben. Den Vorwurf, Mitwisser der sexuellen Entgleisungen gewesen zu sein, weist der 84-jährige Vorzeige-Pädagoge, der im Beirat der Humanistischen Union sitzt, vehement von sich. Die Enthüllungen über Missbrauchsfälle reißen nicht ab. Fast täglich melden sich Schüler und berichten von sexuellen Übergriffen und Gewaltorgien in ihren Schulen. Es begann mit dem katholischen Canisius-Kolleg, es folgten Ettal, die Regensburger Domspatzen, aber auch evangelische Einrichtungen – und jetzt die nicht konfessionelle Odenwaldschule. In etwa 30 der 300 Internate in Deutschland wurden Kinder von ihren Lehrern begrabscht, verprügelt oder missbraucht. „Es betrifft alle Internate“, behauptet gar Volker Ladenthin, Professor am Institut für Erziehungswissenschaft an der Universität Bonn. „Auch die vermeintlich besten“, fügt ein ehemaliger Schulleiter, der anonym bleiben möchte, hinzu. „Wenn man da graben würde, kämen Tausende Fälle hervor.“
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10% aller Internate in Deutschland sind bisher von Missbrauchsfällen betroffen. Fast täglich kommen neue hinzu
Bis vor Kurzem hatte jedoch kaum jemand außerhalb der Internatsmauern von Missbrauchsfällen gewusst. Und drinnen herrschte offenbar das Gesetz des Schweigens. „Das Internat ist eine abgeschottete große Familie“, weiß der Münchner Rechtsanwalt Thomas Pfister, der als Sonderbeauftragter der Kirche die Vorfälle im Kloster Ettal untersucht hat. Jürgen Oelkers, Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich, spricht von einem problematischen „Inseldasein“: „Die Schüler sind abgeschlossen von der Welt und ihren Lehrern ausgeliefert.“ Dieses Unbeobachtetsein, die geringe Gefahr, strafrechtlich belangt zu werden, die große Zahl potenzieller Opfer, all das zieht offenbar Menschen mit pädophilen Neigungen an. Gerade Anfang der 80er-Jahre, als die Internate vor großen Personalproblemen standen, „haben sich gezielt homosexuelle Päderasten beworben“, erklärt Ulrich Lange, Internatevermittler bei der Arbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz im Bildungs- und Erziehungswesen (AVIB). „Die Schulen nahmen, wen sie kriegen konnten“, so Lange, „wer aufflog, wurde an ein anderes Internat versetzt.“ Abnorme Erzieher wissen genau, wer für ihre Neigungen geeignet ist. Sie bevorzugen Kinder, die aus problematischen Elternhäusern kommen und daher ein größeres Bedürfnis an Nähe haben. „Schüler brauchen diese Nähe“, weiß der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth von der Berliner Humboldt-Universität, „sie muss aber frei sein von sexuellen Untertönen.“ Genau diese Trennung macht es so schwer. Schon Robert Musil beschreibt in seinen „Verwirrungen des Zöglings Törleß“, erschienen 1906, sowohl die strikte Hierarchie im Internat, unter der besonders die Schwächeren und Sensibleren litten, als auch die erotische Atmosphäre hinter den dunklen Mauern. Viele Dichter und Denker verbrachten zumindest einen Teil ihrer Schulzeit in solchen Instituten und empfanden die strenge Disziplin als grausam. Hermann Hesse beispielsweise lernte am evangelischen Seminar Maulbronn. Er quälte sich durchs Schuljahr, floh schließlich und verarbeitete seine Erfahrungen in dem Roman „Unterm Rad“. Dass Leben und Lernen im Internat nach wie vor nicht einfach ist, gesteht der Maulbronner Seminarleiter Tobias Kuenzlen ein. „Ein Internat ist ein Mikrokosmos, in dem leicht eigene Regeln und Gesetze den Kontakt zur Wirklichkeit vergessen lassen.“ Das Zusammenleben in der abgeschotteten Welt kann zu mafiösen Strukturen des Schweigens führen. Gerold Beckers Nachfolger an der Odenwaldschule, Wolfgang Harder, streitet ab, dass er von einer Schulangestellten über Missbrauchsvorwürfe gegen Becker informiert worden war, und schaltete einen Anwalt ein. Denn die F OCUS 11/2010
Foto: Cinetext
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heutige Schulleiterin bezichtigt ihn des „aktiven Täterschutzes“. Dem Ettaler Sonderermittler Pfister vertrauten sich gerade mal drei von etwa 100 Patres an. Selbst der Abt und sein Stellvertreter hatten angeblich keine Ahnung von den Übergriffen. „Dabei wusste hier jeder von den Züchtigungen und dem sexuellen Missbrauch“, empört sich Pfister. Im Kloster, so der Anwalt, herrsche ein „System der systematischen Beichte“. Ein Pater beichtet dem anderen seine Sünden, doch dieser ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Schweigen und Vertuschen führten dazu, dass Jahrzehnte zurückliegende Missbrauchsfälle erst jetzt bekannt wurden. Die CSU fordert deshalb eine längere Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch – 30 Jahre statt der bisherigen zehn, gerechnet vom 18. Geburtstag des Opfers an. Union, FDP und SPD setzen sich zudem für eine Schadensersatz-Verjährungsfrist von derzeit drei auf 30 Jahre ein. Bundesjustizministerin Sabine LeutheusserSchnarrenberger (FDP) mahnt eine engere Zusammenarbeit der katholischen Kirche mit der Justiz an. Die Kirche will jetzt angesichts der Missbrauchswelle der Staatsanwaltschaft Tür und Tor ihrer sonst verschlossenen Häuser öffnen. Internatsleiter sprechen sich für einen Missbrauchsbeauftragten für alle deutschen Internate aus. Ein Problem der Pädagogen ist die ständige Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz zu den Schülern. Erziehungswissenschaftler Ladenthin fordert: „Die Erzieher brauchen andere Qualifikationen.“ Bisher gebe es für sie weder Eignungstest noch Qualitätskriterien. Und Seminarleiter Tobias Kuenzlen empfiehlt die Goldene Regel von Maulbronn: Mache niemals eine Bemerkung über den Körper eines Schülers. ■ B. ESSER / H. REINKE-NOBBE / M. WISNIEWSKI
Sollen Missbrauchsdelikte später verjähren?
Ausgeliefert Internatsschüler Törleß (Mathieu Carrière in Volker Schlöndorffs gleichnamigen Film von 1966) leidet unter der strengen Disziplin
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In unserem neuen Meinungsforum debattieren unsere Leser das Thema der Woche. Beiträge können Sie unter www.focus.de/magazin/debatte einstellen, an [email protected] mailen, an 089/9250-2620 faxen. Die besten Texte drucken wir nächste Woche, leicht gekürzt, auf der Leserdebatten-Seite. Bedingung: Sie schreiben unter Ihrem echten Namen und verwenden kein Pseudonym.
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„Voll bis Oberkante“ D
ie beiden Männer waren einmal unschlagbar. Elf Meisterschaftstitel holte Zvonimir „Noka“ Serdarusic mit seinem Club THW Kiel. Im deutschen Handball brachte es der gebürtige Jugoslawe, 59, zum erfolgreichsten Trainer aller Zeiten. Manager Uwe Schwenker, 50, formte aus dem kleinen Provinzclub einen Profiverein mit Millionenumsätzen. Mit dem Aufstieg der „Zebras“ gelang ihnen tatsächlich Märchenhaftes: Schwenker und Serdarusic brachten den Handball in Deutschland groß raus. Der Tag der Superlative kam im Frühling 2007. Der THW siegte im europäischen Champions-League-Finale. Der Kieler Handballclub war an der internationalen Spitze angekommen. Für die Kieler Staatsanwaltschaft steht der 29. April 2007 weniger für ein sportliches Großereignis, sondern vielmehr für den Höhepunkt eines Schmiergeldskandals, der die Liga in ihre größte Krise stürzte. Laut Klageschrift gegen Schwenker und Serdarusic wurden die Schiedsrichter des Endspiels mit 92 000 Euro bestochen, und der damalige Gegner SG Flensburg-Handewitt wurde um das Preisgeld betrogen. Der THW kassierte zu Unrecht 418 300 Euro, davon 320 000 Euro Siegprämie. Die Verantwortlichen für die Manipulation: der Kieler Manager und sein Trainer. Auch bei dem Turnier im folgenden Jahr soll das Duo versucht haben, Spiele zu verschieben. Diesmal mit 60 000 Euro. Daraus wurde nichts, Kiel verlor. Das Geld kam in eine „schwarze Kasse“ und war für die Bestechung von Schieds-
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richtern bestimmt, glauben die Ermittler. In den Büchern des Vereins taucht die Summe auf – gestückelt in kleinere Beträge. Verwendungszweck: Betreuungsaufwand für Schiedsrichter bei der Champions League 2008. Quittungen oder Belege fehlen. Die Summen wurden anscheinend bewusst falsch verbucht. Wo die 60 000 Euro blieben, ist unbekannt. Eine Erklärung bot Schwenker in seiner Aussage an. Er habe die 60 000 seinem Freund Serdarusic geliehen, weil dieser angeblich unter Geldproblemen
Angeklagte im Abwehrblock Der ehemalige Manager des THW Kiel Uwe Schwenker (l.) und sein Trainer „Noka“ Serdarusic sollen die Schiedsrichter des ChampionsLeague-Finales 07 bestochen haben
litt. Tatsächlich überwies der Trainer im Dezember 30 000 Euro an den Verein. Er habe den Rest mit ausstehenden Prämien verrechnet. Also alles paletti? Die Ermittler halten diese Version für abwegig. Sie überprüften die Konten des Ex-Trainers und stellten fest: Serdarusic war gar nicht klamm. Er verfügte über mehrere Konten bei der Kieler Volksbank mit Anlagen in Höhe von mehr als 100 000 Euro. Zudem lagen auf dem Girokonto des Trainers in den fraglichen Monaten zwischen 14 000 und 30 000 Euro. Mehrere Zeugen belasten zudem die THW-Matadore schwer. Die Staatsanwaltschaft spricht von „geständnisgleichen Angaben“. So soll Schwenker mit dem vermeintlichen Coup geprahlt haben. Etwa bei einer Party auf Mallorca im Sommer 07. Sieben Gäste des Präsidenten vom Hamburger Konkurrenzclub HSV, Andreas Rudolph, gaben ihre Beobachtungen über Schwenker („Er war voll bis Oberkante“) zu Protokoll. Vier Aussagen sind belastend. Man brauche die Schiedsrichter, um die Champions League zu gewinnen, soll er getönt haben. Zwei Partygäste wollen gar gehört haben, wie er von 90 000 Euro für die Schiris sprach. Serdarusic hingegen soll das schlechte Gewissen geplagt haben. Angeblich beichtete der Trainer gegenüber Handball-Funktionären, wie die Schiedsrichter bestochen wurden. Ein Geständnis vor Gericht wird es wohl kaum geben: Ex-Manager Schwenker streitete alle Vorwürfe ■ ab. Der Trainer schweigt. HUBERT GUDE
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Foto: M. Rose/Getty Images
Im Handball-Bestechungsskandal belasten Zeugenaussagen und Geldtransfers das ehemalige Spitzen-Duo des THW Kiel schwer
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Zielobjekt Staatskanzlei Russlands Geheimdienst platzierte offenbar deutsche Spione im Umfeld von Ministerpräsident Matthias Platzeck – die Verdächtigen blieben verschont
Lachender Landesvater Matthias Platzeck mit seiner Ehefrau Jeanette und Russlands Botschafter Wladimir Kotenew (r.) in Moskaus Prachtbau in Berlin, Unter den Linden. Von hier aus operieren auch getarnte Geheimdienstler
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ie Frau war bester Stimmung. „Ich bin drin“, rief sie ins Telefon und lachte, „ich hab’s also doch geschafft!“ Der Mann am anderen Ende der Leitung gab sich äußerst knapp. „Nein, danke, Schluss“, sagte er kalt und legte auf. Ein kurzes Gespräch – doch dies reichte den Experten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) schon. Die Profis aus dem Referat 4B-5, die rund um die Uhr die russische Botschaft in Berlin abhören, konnten die Frau und ihren wortkargen Bekannten schnell identifizieren. Karin H. (Name von der Redaktion geändert) hatte an diesem Morgen aus der brandenburgischen Staatskanzlei in Potsdam angerufen und ihren berufli-
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chen Aufstieg in die Europa-Abteilung bejubelt. Ein Wort der Anerkennung erwartete sie offenbar von einem ganz speziellen Freund in Russlands Vertretung: Der Gesandte Jurij B., in Wirklichkeit ein getarnter Offizier des Moskauer Auslandsgeheimdienstes SWR, leitet die Spezialabteilung zur Infiltration deutscher Sicherheitsbehörden. Für den Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt (BKA) ist er eine der zentralen Figuren im russischen Agentennetz, das 20 Jahre nach dem Mauerfall erneut große Teile Deutschlands überzieht. Potsdam, knapp 40 Kilometer vom Berliner Regierungsviertel entfernt, gehört zu den bevorzugten Zieladressen der russischen Aufklärung. Die Stadt an der Ha-
vel, wo schon zu Zeiten des Kalten Krieges das KGB wichtige Stützpunkte unterhielt, macht es den östlichen Maulwürfen besonders leicht. Die rot-rote Regierung von Ministerpräsident Matthias Platzeck, der kürzlich mehrere Verratsfälle aus StasiZeiten auf die Füße fielen, dünnt die Spionageabwehr seit Jahren kontinuierlich aus – nur noch ein paar Beamte dürfen den Spähern des Kreml nachstellen. Was im Alltag ohnehin schwer ist: „Wenn’s um die Konspiration geht, ist ein russischer Agentenführer jedem Islamisten zehnmal überlegen“, sagt ein Observationsexperte des BfV. Der jüngste Jahresbericht des brandenburgischen Verfassungsschutzes verdeutlicht die wahren Schwerpunkte: RechtsF OCUS 11/2010
Foto: K. Rocholl/Picture Press
radikale Umtriebe werden auf mehr als 120 Seiten dokumentiert, Linksradikale und Autonome finden sich auf knapp 20 Seiten wieder. Moskaus Schnüffeldienste hingegen werden erst weit hinten beim Namen benannt – in einigen wenigen dürren Zeilen. Dabei hätten Platzeck und sein Innenminister Rainer Speer (beide SPD) guten Grund, das Treiben der russischen Spione genauer beobachten zu lassen. Umfangreiche Staatsschutzdossiers, die FOCUS jetzt einsehen konnte, dokumentieren brisante russische Spionageoperationen, die in das direkte Umfeld des Ministerpräsidenten führten. Platzeck ist über Aktionen und Verratsfälle umfassend informiert, hält jedoch zur F OCUS 11/2010
Fünf Monate Kontrolle Der hohe Potsdamer Landesbeamte Dr. Julius M. (Name geändert) soll vor der Wende häufig tschechoslowakische Geheimdienstler getroffen haben. Nach fünfmonatiger Observation ertappten ihn Verfassungsschützer bei einem Treffen mit einem russischen Agentenführer in Berlin
großen Überraschung seiner Sicherheitsberater still. Bei diesem Desinteresse spielt der Verfassungsschutz, der vom Gesetz her nicht an das Legalitätsprinzip gebunden ist und Straftaten wie Agententätigkeit nicht unbedingt zur Anzeige bringen muss, eine schwache Statistenrolle. „Ermittlungen“, sagt ein Insider zu FOCUS, „sind politisch nicht gewollt. Zudem ist für Platzeck der Russe per se ein guter Mensch, mit dem ihn kulturell viel mehr verbindet als mit einem Briten oder Amerikaner.“ Dabei ist Platzeck ein gebranntes Kind. Vor fünf Jahren verlieh ihm eine dubiose Moskauer Akademie mit viel Pomp den Orden „Peter der Große“ – das Institut entpuppte sich später als GeheimdienstFakultät (FOCUS 28/2008). Karin H., die beim Plausch mit dem russischen Agentenführer belauschte Beamtin aus der Potsdamer Staatskanzlei, hat womöglich schon lange Beziehungen zu Wladimir Putins Schattenmännern. H. wurde in der DDR geboren und absolvierte zu Sowjetzeiten einen Großteil ihres Studiums in Moskau. Nach Referententätigkeiten im Bereich der Landesregierung schaffte H. schließlich den Sprung in die Europa-Abteilung der Staatskanzlei – dies war wohl mit dem abgehörten Spruch gemeint: „Ich bin drin!“ Lange sollte dieser Job jedoch nicht dauern. Nach einem dezenten Wink des Innenministeriums wurde H. versetzt – offenbar bleibt sie ungestraft. Schwerwiegender ist der Spionagefall, in den offenbar der hohe Potsdamer Regierungsbeamte und enge PlatzeckVertraute Dr. Julius M. (Name geändert) tief verstrickt ist. Auch bei M. scheuten die Verfassungsschützer den Gang zur Bundesanwaltschaft, die für Landesverrat und geheimdienstliche Agententätigkeit zuständig ist. Julius M. wurde auf dem Silbertablett serviert. Das tschechische Innenministerium hatte den deutschen Behörden vor Jahren frei Haus die Namen und Daten von westdeutschen Bürgern präsentiert, die im Kalten Krieg ohne Not Kontakt zum Prager Geheimdienst StB hatten. Schon lange vor dem Fall der Berliner Mauer traf sich M., zu der Zeit Mitarbeiter eines Wirtschaftsinstituts, in der damaligen Tschechoslowakei mit östlichen Agentenführern. Dabei soll er umfangreiches vertrauliches Material über 41
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Zieladresse der russischen Spionage: Brandenburgs Staatskanzlei in Potsdam. Der Verfassungsschutz muss sich um Neonazis kümmern, für die Agentenjagd fehlt das Personal
Die Schattenfrau Verfassungsschutz-Chefin Winfriede Schreiber, intern liebevoll „Mutter Oberin“ genannt, ließ einen verdächtigen Top-Beamten aus der Staatskanzlei observieren
versieht nach einer Versetzung jetzt den höheren Dienst in einer Landeseinrichtung in Berlin. Gegenüber FOCUS wollte er sich nicht äußern. Auch Matthias Platzeck lehnte eine Kommentierung ab – aus Datenschutzgründen. Der Hauch des Kalten Krieges weht bis heute in die Potsdamer Staatskanzlei, wenn Insider über das Ehepaar Bernd und Olga D. (Name geändert) sprechen. Platzeck und sein Vorgänger Stolpe müsste es noch immer frösteln. Ein Stoff wie aus dem Spionagekrimi. Bernd und Olga D., heute beide um die 60, entscheiden sich nach dem naturwissenschaftlichen Studium in Karl-Marx-Stadt/ Chemnitz für den „Einsatz an der unsichtbaren Front“ – gemeint ist die Spionage.
Sie reisen mit Rückendeckung des KGB in den Westen aus: Bernd nach Schweden, Olga nach Österreich. Sie erhalten neue Pässe, treffen sich in der Bundesrepublik, heiraten. In der Nähe von Hamburg siedeln sie sich als sogenannte „Illegale“ an – sie sind fortan Spione mit einer abgeänderten, aber jederzeit überprüfbaren Identität. In Moskaus Auftrag führen sie Informanten in ganz Norddeutschland. Der Fall der Mauer verscheucht das Agentenpaar nach Moskau. Und jetzt gelingt Bernd und Olga D. der Überraschungscoup: Sie tauchen auf einmal im direkten Umfeld des damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe auf. Der Landesvater, erfahren im Umgang mit geheimen DDR-Diensten, weist die F OCUS 11/2010
Foto: P. Pleul/dpa
Unternehmen der Bundesrepublik übergeben haben. Der Staatsschutz wusste somit auf Grund der Prager Dossiers recht genau, was Julius M. im Kalten Krieg verraten haben soll. Diesmal sollte der Mann, der in leitender Position in der Staatskanzlei saß, nicht ungeschoren davonkommen. Das Kölner Bundesamt, von Brandenburgs Verfassungsschutz-Chefin Winfriede Schreiber um Hilfe gebeten, startete eine große Beschattungsaktion. Fünf Monate lang wurde Julius M. im Büro und daheim in einem vornehmen Berliner Stadtteil abgehört – es gab jedoch keine Fakten. Erst als seine Frau in einem fast zweistündigen belauschten Telefonat einer Bekannten nebenbei erzählte, Julius werde an diesem Abend „Sascha“ treffen, sahen die MaulwurfJäger einen Ansatz. Es war eine erstklassige Spur. Spezialisten fotografierten Julius M. bei einem Treffen mit einem älteren Mann in einer Pizzeria in Berlin-Dahlem. Der Senior, knapp 70, war bald identifiziert: Er leitete einst die wichtige KGB-Residentur in Köln. „Und einmal KGB ist immer KGB“, sagt ein intimer Kenner des Falls. Als Julius M. mit dem Spionageverdacht konfrontiert wurde, gab er den entrüsteten Staatsdiener. Er gestand die zwielichtigen Ost-Kontakte zwar ein, bestritt jedoch energisch, etwas verraten zu haben. Von daher fand er auch nichts dabei, seine alten Dienstunterlagen überprüfen zu lassen. In den Dokumenten stießen die Fahnder überraschend auf verdächtige Kalendereinträge. Julius M., ein penibler Beamter, hatte jedes Treffen mit tschechoslowakischen Agentenführern vermerkt. War ein geheimes Rendezvous aus irgendwelchen Gründen mal geplatzt, so traf man sich wie aus dem KGB-Lehrbuch zwei Wochen später – zur gleichen Stunde, am gleichen Platz. Auch diese Ausweichtermine waren präzise notiert. Ministerpräsident Platzeck, zwischendurch detailliert über die vermeintlichen Maulwürfe in der Regierungszentrale informiert, wollte keinen Radau. „Der Skandal um Julius M. wurde in der kleinen DDR, wie Manfred Stolpe Brandenburg einst nannte, still und heimlich erledigt“, weiß ein Kölner Verfassungsschützer. Fakt ist: Julius M., gegen den in der Tat kein Strafverfahren eingeleitet wurde,
Staatskanzlei an, der neu gegründeten Unternehmensberatung D. Aufträge zukommen zu lassen – was auch geschieht. Bernd D. tritt jetzt als Beauftragter russischer Unternehmen in Deutschland auf. Ab 1997 ist er auf einmal Brandenburgs Vertreter in Russland und danach Beauftragter des Potsdamer Wirtschaftsministeriums. Obwohl Stolpe und sein Nachfolger Platzeck mittlerweile über D.s Spionagehintergrund informiert sind, lassen sie es zu, dass der „Illegale“ sich als vermeintlich honoriger Kaufmann an die Bundesdruckerei und an den EADS-Konzern wendet – zwei Firmen mit hypersensibler Sicherheitstechnik. Platzeck stimmt sogar zu, dass Bernd D. einen Teil seiner fünf Dienstreisen nach Russland organisiert – somit sind die KGB-Nachfolger wohl immer bestens im Bilde. Das Kölner Bundesamt, erbost über die Zauderer in Potsdam, stellt Bernd D. zur Rede, gibt ihm klar zu erkennen, dass er enttarnt ist. Beim dritten Treff bietet der ertappte Spion plötzlich seine Kooperation an – doch niemand will auf ihn hereinfallen. „Die Russen haben ihm bestimmt gesagt, dass er zum Schein bei uns mitmachen soll – es ist das alte, das uralte Spiel“, so ein Insider zu FOCUS. Dennoch gibt es auch im Sicherheitsgeschäft beizeiten wirklich Neues. So engagierte das brandenburgische Landeskriminalamt (LKA) im Kommissariat zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zwei Männer aus Russland und Weißrussland. Beide – einer wollte sogar zum BKA – kannten sich im Milieu osteuropäischer Ganoven bestens aus. Eines Tages erfuhr der Staatsschutz, dass das Ermittler-Duo im russischen Rjasan ein Speznas-Training absolviert hatte. Das hieß: Die Männer waren in Sabotage, Untergrundkampf und Entführung gedrillt. Im Krisenfall sind sie dem Moskauer Militärgeheimdienst GRU unterstellt. Als die beiden Einzelkämpfer im Dienst des brandenburgischen LKA auf ihre bis dahin verschwiegene Ausbildung angesprochen wurden, sprangen sie auf, hauten die Hacken zusammen und bekundeten ihre Loyalität klar und deutlich: „Respektieren Sie, dass wir Offiziere der ■ russischen Armee sind!“
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JOSEF HUFELSCHULTE
F OCUS 11/2010
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DE U T S C H LA ND
„Ups, die ist ja vergewaltigt worden“ Die Psychologin Susanne P. wurde im Gefängnis Opfer eines Patienten. Jetzt spricht sie über ihr Martyrium und ihren Weg zurück in ein normales Leben Wie geht es Ihnen?
Leidlich gut. Es war ein sehr schwieriges Jahr. Seit meiner Geiselnahme im April vergangenen Jahres ist nichts mehr in meinem Leben, wie es vorher war. Vor der Tat war ich eine starke, selbstbewusste Psychologin, die Sexualstraftäter behandelt und viel und gerne gearbeitet hat. Nachher war ich zunächst einmal ein Opfer, das in einer posttraumatischen Wolke verschwand. Ich musste mich ganz neu finden und jeden Tag darum ringen – und dies tue ich noch heute. Auf welche Weise?
Der Neuanfang nach diesem Erlebnis war schlimm. Der größte Erfolg des vergangenen Sommers war, dass ich es geschafft habe, alleine in den kleinen dunklen Supermarkt um die Ecke zu gehen und eine Flasche Olivenöl zu kaufen. Aber es ging voran. Dann jedoch kam der Herbst, und ich rutschte ab in die Depression. Es gibt Tage, da bin ich inzwischen ganz entspannt und kann viel schaffen. Dann wieder können mich alltägliche Situationen in eine Krise stürzen. In eine Krise?
Heute Morgen zum Beispiel hatte ich Handwerker da, die an der Wohnungstür etwas richten sollten. Verabredet war, es kommt ein Handwerker. Es ka46
Starkes Opfer Diplom-Psychologin Susanne P., 50, leitete über Jahre die Sexualstraftäter-Abteilung in der Justizvollzugsanstalt Straubing. Am 7. April 2009
nahm ein Häftling sie in ihrem Büro als Geisel und vergewaltigte sie mehrfach. Nach sieben Stunden gab der Schwerverbrecher auf. F OCUS 11/2010
men aber zwei. Zwei Männer in meiner Wohnung. Dann verlangten sie von mir irgendwann auch noch den Schlüssel, damit sie testen konnten, ob die Tür auch schließt. In solchen Momenten ist die Tat von damals extrem präsent. Ich saß an meinem Computer und kämpfte, ruhig zu bleiben. Das gelingt mir aber immer besser. Was mir noch zusetzt, sind Dissoziationen, also das Gefühl, ich verliere den Überblick über eine Situation. Außerdem ist es mir bislang kaum möglich, ohne Begleitung zu reisen. Roland K., der Sie als Geisel genommen und gequält hat, war, überspitzt formuliert, zuvor ein Musterhäftling für Sie. Wie sehr belastet Sie diese Fehleinschätzung?
Sehr. Ich hatte mich in diesem Menschen geirrt und ganz offensichtlich etwas übersehen. Das quält mich beinahe mehr als die Tat selbst. Es hat mein ganzes Vertrauen in mich, meine Wahrnehmung, meine Fähigkeiten und Sicherheiten dieser Welt erschüttert. Jegliches Selbstvertrauen war weg. Ich glaube, es wäre noch anders gewesen, wenn ich der Sorte ausgesprochen naiver Psychologen zuzurechnen wäre. Aber ich habe viele Täter aus der Therapie herausgenommen, weil ich kritisch war, weil ich dachte, bei dem oder jenem wird das nie was. Bei ihm aber hatte ich nie diesen Eindruck – und das ist mir zum Verhängnis geworden. Können Sie sich erklären, wie es zu dieser Fehleinschätzung kommen konnte?
Foto: M. Priske/F OCUS -Magazin
Das ist mir noch nicht wirklich gelungen. Ich bin überzeugt, er hat mich absichtlich getäuscht. Aber auch das hätte ich merken müssen. Ich habe immer versucht, die Prüfung, bei wem Therapie Sinn macht und bei wem nicht, sehr genau zu vollziehen, und hatte natürlich meine Methoden herauszufinden, wer es ernst meint und wer nicht. Aber in diesem Fall waren sie wohl unzureichend. Aber wenn sich eine ausgewiesene Fachfrau wie Sie so täuschen kann, ist dann die Behandlung, Begutachtung und Entlassung von Sexualstraftätern nicht ein zu riskantes Unterfangen?
Die Frage stellt sich. Auch mir jetzt im Nachgang der Tat. Hat sich die Frage Ihnen vorher nicht gestellt?
Vorher hat sie sich mir anders gestellt. Als Leiterin der Sozialtherapie war imF OCUS 11/2010
mer klar: Gefangene mit bestimmten Straftaten und bestimmter Haftdauer haben nicht nur die Pflicht, sondern auch ein Anrecht auf sozialtherapeutische Behandlung. Irgendwann werden diese Männer ja ohnehin aus dem Gefängnis entlassen. Analog dazu habe ich meine Arbeit gemacht – immer unter dem Aspekt: Wenn wir längerfristig ein Opfer verhindern, dann hat sich die Arbeit gelohnt. Jetzt, im Nachgang, frage ich mich: Warum der ganze Aufwand für einen Schwerststraftäter, wenn eine solche Tat das Ergebnis ist? Sie plädieren also dafür, Schwerststraftäter nicht mehr zu therapieren, also auch nicht mehr zu entlassen?
Das Problem ist doch, dass es den Be-
nicht, was aus mir geworden wäre, wenn er eine andere Frau so beschädigt hätte. Und eine andere Frau hätte es womöglich nicht überlebt. Weshalb glauben Sie das?
Dieser Mann hatte ja schon einmal eine Frau getötet, weil sie versucht hatte, um Hilfe zu schreien, als er sie vergewaltigte. Ich wusste jedes noch so kleine Detail aus seiner Akte, ich war seine Therapeutin. Und ich wusste, wenn ich schreien oder ihn verärgern würde, dann wäre das mein Ende. Deswegen habe ich überlebt. Aber es waren doch damals Hundertschaften von Polizisten vor Ort.
Ja, das schon. Aber der Einsatz war meines Erachtens an Dilettantismus nicht zu überbieten.
„Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn er eine andere Frau so beschädigt hätte“ handlungsgedanken und den Resozialisierungsgedanken gibt und dass dies immer mit einem gewissen Maß an Risiko verbunden ist. Wenn wir über einen Dieb reden, ist der gesellschaftliche Schaden, der dann zur Debatte steht, ein anderer als bei einem Sexualstraftäter respektive bei einem Mörder. Wenn ich mir jetzt vorstelle, ich würde diesen Job weitermachen, dann würde ich mit Sicherheit keinen Lebenslänglichen mehr aufnehmen. Aus der schlichten Tatsache heraus, dass man Menschen nur vor, aber nicht in den Kopf schauen kann. Wenn man sich einmal so sehr geirrt hat wie ich, dann verändert das eben auch den Zugang zu Therapiemöglichkeiten, die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Und in diesem Zusammenhang kann ich nur sagen, dass ich froh bin, dass nur ich Opfer wurde. Was meinen Sie damit?
Ich habe mich ausführlich mit der Frage beschäftigt, was geschehen wäre, wenn dieser Mann auf Grund der Fehleinschätzung irgendwann entlassen worden wäre. Es mag sich merkwürdig anhören, aber ich denke, ich kann immer noch besser damit leben, etwas übersehen zu haben und dafür die Konsequenzen zu tragen, als dass eine andere Frau dies hätte tun müssen. Ich weiß
Susanne P.
Das müssen Sie erklären.
Ein für mich entscheidender Punkt war beispielsweise, dass ein Kollege aus der Justizvollzugsanstalt, den ich übrigens sehr schätze, die Rolle des Erstsprechers übernommen hatte, also derjenige war, der als Erster mit dem Täter und mit mir sprach. Er sprach aber nicht nur als Erster mit mir, sondern führte über die ganzen Stunden hinweg die Verhandlungen, obwohl er kaum Erfahrung hatte. Sie hatten während der sieben Stunden in Geiselhaft etwa zehn Telefonkontakte nach draußen. Hat nie ein Polizist oder Polizeipsychologe mit Ihnen gesprochen?
Nein, nur der Kollege. Was hat Ihr Kollege so zu Ihnen gesagt?
Na ja, er fragte immer, wie es mir so ginge. Ich saß nackt und gefesselt auf dem Stuhl und sagte wahrheitswidrig, dass es mir gut ginge. Das musste ich ja. Mit meiner Antwort hat man sich zufrieden gegeben. Man ist nicht auf die Idee gekommen, vielleicht mal einen Fachmann für solche Lagen ranzuholen. Hätte ein Fachmann denn was ändern können?
Wir hatten in der Anstalt leider keine Codewörter, um bei solchen Lagen Situationen auf geheimem Weg mitzuteilen. Und die gibt es meines Wissens 47
DE U T S C H LA ND
auch bis heute nicht. Aber natürlich haben Experten Techniken drauf, Fragen so zu verklausulieren, dass es einem Opfer auch in schwersten Situationen möglich ist zu vermitteln, dass es ihm eben nicht gut geht und was in etwa geschieht. Nun, Sie haben sich am Telefon gemeldet, waren also am Leben, und was ansonsten geschieht, wird man draußen wohl geahnt haben . . .
Eben nicht. Ein Mehrfachvergewaltiger und Frauenmörder schließt sich sechseinhalb Stunden mit einer Frau allein auf sechs Quadratmetern ein und verbarrikadiert sich. Aber keiner kam auf die Idee, dass da nicht nur Plauderstündchen abgehalten werden.
Stimme meines Kollegen. Und ich dachte: Die haben mich hier total vergessen. Das war Ihr Eindruck. Kann es nicht sein, dass einfach nicht mehr möglich war?
Man hätte ja auch mal mit einer Endoskopkamera nach dem Rechten sehen können oder mit dem Mikrofon horchen. Dann hätte man sofort gewusst, dass es mir eben nicht gutgeht und dass da was völlig aus dem Ruder läuft. Vielleicht wollten sie es aber auch nicht wissen. Denn wenn die Polizei gewusst hätte, was geschieht, hätte sie einen Zugriff machen müssen. Und vielleicht hatte sie keine Lust dazu. Aber ein Zugriff hätte für Sie ja auch gefährlich sein können.
Das kann ich mir gut vorstellen. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die
Knopf wenig nützlich. Es existierten keine Codewörter für Gefahrenlagen. Ganz offenbar war es um die Sicherheit in Bayerns angeblich sicherstem Gefängnis nicht gut bestellt. Und daran hat sich nichts geändert. Ich erwarte keine Entschuldigung. Aber ich möchte, dass das, was mir da passiert ist, für etwas gut ist – nämlich die Sicherheit in dieser angeblichen Hochsicherheitsanstalt zu erhöhen. Ich meine, es ist doch geradezu absurd, dass man in einer JVA arbeitet, vergewaltigt wird über sieben Stunden – und keiner kriegt’s mit. Wenn ich gestorben wäre, hätten die das über Stunden auch nicht gemerkt. Wollen Sie auch juristisch vorgehen?
Ja, klar. Mir bleibt gar nichts anderes übrig. In absehbarer Zeit muss ich wohl
„Ich wusste, wenn ich schreien oder ihn verärgern würde, dann wäre das mein Ende“
Woraus schließen Sie das?
Ich weiß noch genau, als ich aus dem Zimmer kam, erhielt ich eine medizinische Erstversorgung. Dann kam mein Kollege, der die ganze Zeit über die Telefonate geführt hatte. Aus meinem Blickwinkel sah es so aus, als würde er lachen, und ich fragte einen Arzt: Wieso lacht der denn? Der Arzt antwortete: Der lacht nicht. Der weint. Ich schaute dann wieder meinen Kollegen an und sah ihn regelrecht zusammenbrechen – in diesen Moment hatte er erfahren, dass ich vergewaltigt worden war. Das war aber schon sehr naiv, oder?
Total. Aber diese Naivität war Symptom des gesamten Polizeieinsatzes. Ich habe mich in diesem hermetisch abgeriegelten Raum über die ganze Zeit so alleinegelassen gefühlt. Der Täter erzählte immer irgendeinen Mist. Von der Polizei hörte ich nichts, ich hörte immer nur die 48
Haben sich Justizministerium oder Polizei bei Ihnen entschuldigt?
Ich habe die üblichen Blümchen für Opfer bekommen. Ansonsten behandelt man mich mit Arroganz und als Persona non grata. Weshalb denn das?
Nun, es gab mehrere Umstände, die tatbegünstigend waren, und dies kritisiere ich. Ich kenne bundesweit keine Abteilungen dieser Art mit einem Dienstzimmer, bei dem die Tür nach innen aufgeht und damit gut verbarrikadierbar ist. Ich hatte kein Personennotrufsystem – zwar einen Alarmknopf am Schreibtisch, aber wenn man an der Tür steht, ist dieser
erst einmal eine Klage anstreben wegen Anerkennung des Dienstunfalls. Bis heute ist das nicht erfolgt. Ansonsten steht Staatshaftung zur Debatte. Wie geht es beruflich weiter?
Ich bin gerne Psychologin. Wie das in Zukunft aussehen kann, weiß ich nicht und muss sich erst ordnen. Weil Sie eingangs sagten, alles in Ihrem Leben sei neu: Sie haben auch einen neuen Nachnamen . . .
Ja. Am 17. April vergangenen Jahres habe ich geheiratet. Nur zehn Tage nach der Tat?
Ich erinnere mich noch gut, dass ich zu der Ärztin, die mich im Krankenhaus untersucht hat, sagte: Mensch, ich wollte doch in zehn Tagen heiraten. Für mich war völlig klar, dass eine solche Frau, wie ich es nun war, nicht geheiratet wird. Meinem Mann habe ich das auch so gesagt. Und er meinte nur: jetzt erst recht. Wir hatten eigentlich ein großes Fest geplant und eine Hochzeitsreise. Das haben wir alles abgesagt und dann im kleinsten Kreise geheiratet. Mein Sohn hat damals was sehr Nettes gesagt: „Siehst du, Mama, das ist alles der Frau B. passiert. Jetzt bist du Frau ■ P.“ Das hat mir gut gefallen. INTERVIEW: PETRA HOLLWEG
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Foto: J. Koch/ddp
Vergewaltiger Roland K. mit einem Polizisten im Gericht. Er wird lebenslang in Haft bleiben
mich da rausholen. Ich kann nicht sagen, ob das zu risikoreich gewesen wäre. Ich hätte mir zumindest gewünscht, dass sie die Verhandlungsführung anders machen und zumindest signalisieren, wir wissen, was bei dir los ist, und wir kümmern uns um dich. Aber ich kam da raus – und sie sagten: Ups, die ist ja vergewaltigt worden. Interessant fand ich in dem Zusammenhang, dass sich in der Ermittlungsakte vorsorglich mehrere gleichlautende Stellungnahmen von Polizisten finden, die sagen, sie hätten vor dem Büro gestanden und nichts gehört von den Geschehnissen da drin. Also so etwas finde ich schon ganz schön schräg.
Susanne P.
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Erfolg für das Politbüro D
ie Genossen waren begeistert. In einer Hausmitteilung vom 23. Mai 1972 konnte die Westabteilung des Zentralkomitees der SED dem Politbüromitglied Albert Norden einen wichtigen Erfolg vermelden. Der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) hatte soeben in Bonn einen neuen Vorstand gewählt. Mit dem Personal, freuten sich die Ostbonzen, könne der Verband seine „progressive Politik“ weiterführen. Der Vorstand bestand aus einem Mitglied des Marxistischen Studentenbundes Spartakus sowie zwei Vertretern des Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB). Einer davon war Hans Altendorf, damals 23. Der einstige Aktivist des DDR-nahen SHB ist heute als Direktor der Stasi-Unterlagenbehörde ausgerechnet zuständig für die Aufarbeitung der Hinterlassenschaft der DDR-Geheimpolizei. Zu ersten Vorwürfen, die kurz nach seinem Dienstantritt 2001 aufgekommen waren, hatte er geschwiegen. Ende vorvergangener Woche brachten Enthüllungen der „Welt“ das ganze Ausmaß seiner einstigen Verstrickung in die linksradikale Studentenszene Hamburgs ans Licht. Zu der Führungsposition als Vorstandsmitglied des VDS und der Mitgliedschaft im SHB kommt seine Tätigkeit in der Konferenz der Mitglieder des Weltfriedensrats in der Bundesrepublik hinzu. In dieser Funktion nahm das SPD-Mitglied Altendorf im Oktober 1973 als Delegierter am „Weltkongress der Friedenskräfte“ im Moskauer Kreml teil. Der Rat wurde vom BRD-Verfassungsschutz als „aktivste und bedeutendste Frontorganisation“ in einem „Netz kommunistischer Tarnorganisationen“ charakterisiert. Bis heute spart der Jurist diese biografischen Details aus. In einem aktuellen Brief an die Mitarbeiter der Behörde, der FOCUS vorliegt, kommt sein aktives Engagement im Weltfriedensrat mit keiner Silbe vor. Seine Behauptung in einem Interview, er habe sich seit 1972/73 aus der
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Dunkelrote Vita Hans Altendorf war in den siebziger Jahren in der linksradikalen Szene aktiv. Davon will der heutige StasiAufklärer nichts mehr wissen
linksradikalen Szene zurückgezogen, ist nachweislich falsch. In einem FOCUS vorliegenden Dokument wird Altendorf noch Ende 1978 als Mitglied der Konferenz des Weltfriedensrats aufgelistet – neben führenden Vertretern der DKP. 1974 nahm er an einer Konferenz in Leningrad teil. Die bisher von Altendorf abgegebenen Erklärungen erinnern an Rechtfertigungsversuche von Amts- oder Mandatsträgern, die als ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi ertappt wurden. Zwar ist der Vergleich an sich unzulässig, in beiden Fällen geht es aber um Verdrängung von Teilen der eigenen Biografie. Als Vize-Leiter einer Behörde, die sich zur Offenlegung von Biografien verpflichtet sieht, wird Altendorf so zur Belastung, weil er ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellt. Allerdings stellt sich Behördenchefin Marianne Birthler bislang vor ihn. Nicht näher eingehen mochte Altendorf in dem Brief an seine Kollegen auch auf seine damaligen Politansichten. So warf er als Sprecher des Hamburger Allgemeinen Studenten-Ausschusses (AStA) der CDU eine friedens- und demokratiefeindliche Politik vor und betonte: „Der Antikommunismus ist immer ein Mittel der herrschenden Kreise, gegen die Interessen der gesamten Bevölkerung vorzugehen.“ SPD-Kanzler Willy Brandt attestierte er einen „verschärften Rechtskurs“ und eine „reaktionäre Gemeinsamkeit mit der CDU/CSU“. Im August 1973 hielten die Streiter von Altendorfs SHB inne und gedachten des verstorbenen einstigen ersten Mannes der DDR, Walter Ulbricht. Mit ihm, so erklärten sie, „verlieren alle fortschrittlichen und friedliebenden Menschen einen ihrer hervorragenden Führer“. Er habe „entscheidenden Anteil am Aufbau eines Staates auf deutschem Boden, in dem die Arbeiterklasse frei von Ausbeutung und Unterdrückung selbst ihr Schicksal in die ■ Hand genommen hat“. A. FUHRER / T. TUMOVEC
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Foto: J. Kalaene/dpa
Der Stasi-Aufklärer Hans Altendorf verdrängt seine linksradikale Vergangenheit und stellt damit die Glaubwürdigkeit der Birthler-Behörde in Frage
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Foto: Tim Wegner/F OCUS -Magazin
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Die internatinale Großkanzlei Shearman & Sterling erwirtschaftet in Deutschland pro Anwalt den höchsten Umsatz: fast 1,2 Millionen Euro jährlich.
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it frisch gebügeltem weißem Hemd, polierten Schuhen und zu eng gebundener Krawatte betritt der junge Mann einen holzgetäfelten Konferenzraum. Christian Hallmann*, 27 Jahre alt, Jura-Absolvent mit Prädikatsexamen, setzt sich an einen schweren runden Tisch – ihm gegenüber vier Männer in dunklen Anzügen. Was er im Leben erreichen möchte, wollen die freundlichen Frager wissen, ob er sich als Teamplayer oder Einzelkämpfer sehe, was er von moderner Kunst halte und von den Entwicklungen im Aktienrecht. Die Männer fragen nach Hobbys und seiner Freundin, was er lese und welche Bedeutung er dem Wort Diskretion beimesse. Der Kandidat ist nervös, aber er antwortet konzentriert und in geschliffenem Deutsch. Fehlerfrei wechselt er ins Englische, sobald einer der Frager die vertraute Fremdsprache benutzt. Während des fast zweistündigen Gesprächs nippt Hallmann nur am Wasserglas. Seinen Cappuccino rührt er nicht an. Er hat Angst, der Milchschaum werde an der Oberlippe kleben bleiben. „Wir sind eine der renommiertesten und größten Kanzleien weltweit“, sagt schließlich der älteste der vier Männer. „Wir beschäftigen nur die besten Juristen, die hart arbeiten, aber auch gutes Geld verdienen können.“ Dann blickt der Grauhaarige Hallmann direkt in die Augen: „Wir würden Sie gern im Team begrüßen. 110 000 Euro Einstiegsgehalt plus Boni. Sie fangen am 1. März an. Einverstanden?“
Hallmann, derzeit Referendar mit rund 1000 Euro brutto im Monat, spürt, wie ihm der Atem stockt. Einhundertundzehntausend! Die Summe übertrifft seine kühnsten Erwartungen. „Sehr gern, vielen Dank“, sagt er. Der Grauhaarige erhebt sich, nimmt seine Brille von der Nase und streckt dem Neuling seine rechte Hand entgegen. „Willkommen, junger Mann“, sagt er und lächelt väterlich. „Ab heute spielen Sie ganz oben mit.“ Sie sind groß, sie sind mächtig und reich. Internationale Großkanzleien beherrschen das globale Spiel der Wirtschaft in Sphären, wo die Luft zu dünn ist für die meisten Konkurrenten. Die in den vergangenen Jahren gewachsenen Megasozietäten – meist entstanden durch Fusionen amerikanischer oder englischer Partnerschaften mit deutschen Kanzleien – dominieren den Markt in Deutschland und verdrängen den klassischen Anwalt, zumindest in den wirtschaftsrechtlichen Bereichen. Die Konzerne beschäftigen Top-Advokaten – brillante Denker und Strategen mit außergewöhnlichen Netzwerken. Dieser kleine elitäre Zirkel bewegt Milliarden und beeinflusst mit seinem Rat wirtschaftliche und politische Entwicklungen. Seine Mitglieder tragen Namen, die die Öffentlichkeit nicht kennt. – und dennoch gehören sie zu den mächtigsten Männern (es sind ausschließlich Männer!) der Republik. Vorstände von Dax-Konzernen, Unternehmer, Gewerkschaftsbosse und Minister folgen den Empfehlungen dieser Strip-
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Rat für die Regier ung
Gesetze und Gutachten Auch die Bundesregierung engagiert externe Berater
Im Auftrag des Staates ❙ Aus einer deutsch-englischen
Fusion entstand Freshfields
Bruckhaus Deringer. Die Sozietät mit 2500 Anwälten belegt weltweit Platz drei auf der Umsatzhitliste, in Deutschland Platz eins.
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❙ Einer der einflussreichsten
Anwälte ist Andreas Fabritius. Der 52-Jährige arbeitet auch für den Staat, 2008 beriet er die Bundesrepublik bei der Übernahme der PleiteBank Hypo Real Estate.
penzieher – auch das Kanzleramt vertraut ihnen. Allein im Jahr 2008 gab die Bundesregierung rund 40 Millionen Euro für externe juristische Beratung aus. Für den Staat entwerfen die Juristen Gesetzesvorlagen oder schreiben Gutachten über wirtschaftliche und finanzpolitische Fragen. Sie gestalten die Gesetze mit, auf deren Grundlagen sie später ihre Mandanten – meist Konzerne und große Unternehmen – beraten.
Die Stars der Branche heißen Rainmaker, weil sie ihre Kanzlei mit Profit überschütten können Sozietäten wie Freshfields Bruckhaus Deringer, Linklaters, Hengeler Mueller, Clifford Chance oder CMS Hasche Sigle dominieren – lässt man allein Zahlen als Maßstab gelten – die Spitzenplätze sämtlicher Rankings. Allein die 20 größten dieser Juristen-Konglomerate erwirtschaften in Deutschland einen jährlichen Umsatz von 2,6 Milliarden Euro – das sind mehr als 17 Prozent des gesamten Marktvolumens. Die Kanzleien verfügen über ein weltumspannendes Netz von Niederlassungen. Sie beschäftigen Tausende „Associates“, wie beispielsweise die englische Megakanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer mit 2200 Anwälten weltweit, davon 550 in Deutschland. Rainmaker – so heißen die Top-Player der Zunft. Wie indianische Schamanen angeblich Regen herbeibeschwören können,
so generieren sie für ihre Kanzleien bis zu zweistellige Millionenumsätze. Regenmacher denken wie Investmentbanker und agieren wie Unternehmer. Bei fundamentalen Deals, etwa bei Transaktionen oder Fusionen von Konzernen, bilden diese Zauberer das Nervenzentrum. Sie leiten Teams aus Associates, die aus den Nischen unterschiedlicher Rechtsgebiete Wissen zusammentragen und aufbereiten. Wie ein griechischer Chor stehen die klugen Zuarbeiter hinter ihren Fallführern. Sie säuseln und flüstern, wispern und zischeln ihrem Boss die juristischen Argumente zu, mit denen er dann den Gegner schlägt. Georg Thoma, Partner bei Shearman & Sterling in Düsseldorf, gehört unbestritten zu den Stars der Branche. Seine Mandate umfassen legendäre Übernahmen, die auf Seite eins der Wirtschaftspresse gemeldet werden. So half er der Treuhand beim Verkauf der ostdeutschen Chemiefabriken und der Allianz beim Kauf des französischen Versicherungskonzerns AGF. Der 65-Jährige beriet Daimler bei der Übernahme von Chrysler und später erneut, als der Stuttgarter Konzern seinen amerikanische Partner an die Investmentgesellschaft Cerberus abstieß. Thomas jüngster Coup: Bei einem Mittagessen fädelte er 2009 den Einstieg von Abu Dhabi bei Daimler ein. „Bahnbrechende Deals“, wie Thoma das einordnet, gelingen nur wenigen Anwälten: So berät Rolf Koerfer, Partner bei Oppenhoff & Partner, seit mehr als einem Jahrzehnt die Schaeffler-
Sie vereinen Größe, Macht und Reichtum Umsätze führender Anwaltskanzleien in Deutschland
Fotos: Ber t Bostelmann/F OCUS -Magazin, S. Boness/Visum
Kanzlei Rang
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Umsatz in Mio. Euro
Freshfields Bruckhaus Deringer
393,0
Hengeler Mueller
226,0
Umsatz pro Partner 2 897 000
Clifford Chance
196,0
3 379 000
CMS Hasche Sigle
194,7
1125 000
Linklaters Lovells
176,0 137,0
Gleiss Lutz
130,2
White & Case
123,4
Taylor Wessing
121,0
Nrr Stiefenhofer Lutz
105,6
Shearman & Sterling
105,0
Allen & Overy Latham & Watkins
102,0 93,0
Baker & McKenzie
91,0
Beiten Burkhardt
83,2
Anzahl der Partner
2 867 000
137
Umsatz pro Anwalt
Anzahl der Anwälte
707 000
556
958 000
78
236
499 000
58 173
393
399 000
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494 000
1915 000 2 346 000 1407 000 1487 000 4 773 000 3 000 000 1979 000 2 230 000 1 891000
86
430 000
71
406 000
22
1193 000
274
250 281 260 88
34
703 000
145
47
624 000
149
532 000
171
41 44
359 000
232
Blick ins Innere des Systems Der Branchendienst Juve beschreibt die Szene der Wirtschaftskanzleien. Er kommentiert den Wechsel von Spitzenanwälten, listet deren Mandate auf und erstellt Hitlisten über Umsätze, Margen und Anzahl der Rechtsanwälte sowie Partner Quelle: Juve, 2008/09
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55
Gruppe, beispielsweise beim Erwerb von FAG Kugelfischer und der geplanten Übernahme von Continental. Ralph Wollburg von Linklaters führte Mannesmann in der Abwehrschlacht gegen Vodafone. Auch Roger Kiem ist einer der Anwälte, denen der Branchendienst Juve das Prädikat „häufig empfohlen“ verleiht. Der Spezialist für Gesellschaftsrecht, Partner der amerikanischen Kanzlei Shearman & Sterling in Frankfurt, fuhr an einem sonnigen Sonntag im Mai mit seinem Trekkingrad durch die Rhön, als ihn ein wichtiger Anruf erreichte. Er solle die Scheichs von Katar bei ihrem Einstieg bei Porsche und Volkswagen beraten. „Ich bin sofort nach Hause gespurtet und habe angefangen zu arbeiten“, erinnert sich der 47-Jährige an den Moment, der in seiner bisherigen Karriere einen neuen Höhepunkt markieren sollte. In den folgenden Monaten galt, was immer gilt, wenn wichtige Mandanten millionenschwere Aufträge erteilen: permanente Erreichbarkeit! Das Handy bleibt Tag und Nacht angeschaltet, E-Mails werden gelesen, sobald sie im Empfangsordner auftauchen. Urlaub, Wochenende, Familie, Freunde – bis auf Weiteres gestrichen. „Der Mandant steht immer an allererster Stelle“, formuliert Kiem die simple Regel. Der Stress zahlt sich aus. Kiems Klient, das Emirat Katar, investierte 7,5 Milliarden Euro in den Volkswagen-Konzern und in Porsche. Am 18. Dezember war der Einstieg der Scheichs per-
fekt. Seitdem führt Anwalt Kiem eine der Hitlisten an, die in der Branche Renommee und Ansehen garantieren: Er hat eine der größten Transaktionen des Jahres 2009 in Europa gemeistert. Top-Anwälte wie Kiem sind Männer, die keine Schatten werfen. Für ihre Erfolge lassen sich andere feiern. Wenn Manager oder Politiker vor Kameras Hände schütteln, rücken deren juristische Berater diskret in den Hintergrund. Fast nie erscheinen sie auf Fotos, niemals plaudern sie über ihre Deals oder tratschen über Mandanten. „Unser Geschäft basiert auf Diskretion und Vertrauen“, sagt Ralph Wollburg, Partner bei Linklaters in Düsseldorf. Auf der Visitenkarte des 54-jährigen Experten für Gesellschaftsrecht steht „Co-Head of Global M & A“ (Mergers and Acquisitions). Insider wissen, dass dieser Titel in der Hierarchie des Systems kaum noch Raum für einen weiteren Karriereschritt lässt (siehe Interview Seite 64). Verschwiegenheit, Vertrauensschutz, Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit und das strikte Verbot, widerstrebende Interessen zu vertreten – so lauten die ethischen Leitbilder eines Anwalts. Diesen ungeschriebenen Regeln sollte jeder Advokat in Deutschland folgen, wenn er seriös und professionell arbeitet – gleichgültig, ob er Konzerne fusioniert oder einen Rentner bei einem Streit mit dem Nachbarn vertritt. Der Ehrenkodex scheint jedoch an Bedeutung zu verlieren. „Besonders in den großen, internationalen Sozietäten unter-
Übernahmeschlacht
Familienbesitz Schaeffler produziert Zubehör für die Automobilindustrie
Vertrauter im Hintergrund ❙ „Berater des Unternehmers in
allen Lebenslagen“ – so sieht
sich der Anwalt Rolf Koerfer. Er arbeitet seit wenigen Monaten bei Oppenhoff & Partner, davor war er Partner bei zwei anderen Großkanzleien.
56
❙ Der 52-jährige Spezialist
für Übernahmen vertritt schon seit Jahren die Interessen der Schaeffler-Gruppe, beispielsweise bei der Übernahme der FAG Kugelfischer und der Continental AG.
Fotos: T. Schamberger/ddp, M. Wächter/Caro
T I TEL
Renommierter Einzelkämpfer Der Berliner Strafrechtler Ferdinand von Schirach kann es sich leisten, Mandate abzulehnen
Juristen für die globalisierte Welt Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte in den 30 größten Wirtschaftskanzleien Deutschlands 7000
Starke Konkurrenz Nur die besten Universitätsabsolventen haben eine Chance auf Anstellung in einer Großkanzlei. Zum Partner schaffen es die wenigsten
6000
Anwälte
5000
Viele junge Anwälte sind nervös, blass und übermüdet – auf ihnen lastet enormer Leistungsdruck
4000 3000
Partner 2000 1000 1998
0
2009
Die zehn wichtigsten Sozietäten für Fusionen und Übernahmen in Deutschland nach Transaktionsvolumen in Mrd. US-Dollar, erstes Halbjahr 2009 Freshfields Bruckhaus Deringer Hengeler Mueller Sullivan & Cromwell Shearman & Sterling Clifford Chance Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom Linklaters Allen & Overy Davies Ward Phillips & Vineberg Lovells
30,6 20,4 16,2 14,7 13,0 11,7 9,9 9,0 9,0 5,6
Geschäft im Verborgenen Bei jeder Firmenfusion arbeiten Dutzende juristische Berater im Hintergrund
Quellen: Soldan Institut, 2009/10 (oben), Thomson Reuters (unten)
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gräbt das Streben nach Profit unsere standesethischen Grundsätze“, kritisiert Ulrich Hartel, Seniorpartner bei Raupach & Wollert-Elmendorff, einer mittelständischen deutschen Kanzlei. Der Spezialist für Steuer-, Wirtschafts- und Erbrecht aus München arbeitet seit 1971 als Jurist und sieht das Ansehen seines Standes in Gefahr: „Der Rechtsanwalt war immer ein freier Beruf mit Standesethos und einer hohen Reputation.“ „Anwälte sind Individualisten. Sie sind nicht geeignet, in enge Strukturen gepresst zu werden“, glaubt auch Elmar Schuhmacher. Der Experte für Urheber- und Medienrecht, der Professor an der Rheinischen Fachhochschule Köln ist und auch an der Universität Bonn lehrt, hat seine Partnerschaft in der Kanzlei Graf von Westphalen gekündigt – laut Branchendienst Juve auf Platz 32 der Umsatzriesen in Deutschland. Zusammen mit zwei befreundeten, bereits selbstständigen Kollegen begab sich der 46-Jährige noch einmal an die Startlinie: Anfang des Jahres gründete er die Kanzlei Lungerich Lenz Schuhmacher in Köln. Seine Mandanten sind ihm gefolgt. Mit diesem Schritt will sich Schuhmacher aus einem System befreien, das eine – wie er sagt – fatale Entwicklung genommen hat. „Die meisten internationalen Großkanzleien arbeiten nach amerikanischem Vorbild. Sie organisieren sich wie Konzerne und regeln sämtliche Befugnisse und Zuständigkeiten bis ins kleinste Detail.“ Nach seiner Auffassung müsse ein Anwalt jedoch „sein eigener Herr“ sein, „um frei denken zu können“. Viele großen Sozietäten jedoch degradierten kluge Juristen zu Zuarbeitern, die sich letztlich nur in den Nischen eines Rechtsgebiets auskennten. „Sie züchten moderne Lohnknechte“, kritisiert Schuhmacher. Vor allem junge Anwälte seien „teilweise Sklaven, die durch die Kette des Geldes verbunden sind“.
Sebastian Kühn* ist einer dieser „Sklaven“ aus freiem Willen. Der 32-Jährige sieht blass und müde aus. Während er spricht, wippt er pausenlos mit dem Bein. Den Blackberry schiebt er auf der Tischplatte hin und her, sodass er das Display immer im Blick hat. Kühn, dessen schlaksigen Körper ein perfekt geschnittener Anzug umhüllt, kann die „vollständige Kriegsbemalung“ vorweisen, wie es im Branchenjargon heißt: doppeltes Prädikatsexamen, ein im Ausland erworbener Master of Laws (LL.M.) sowie Doktortitel. Damit erfüllt der Jurist alle Voraussetzungen, die Großkanzleien von ihren Bewerbern verlangen. Seit drei Jahren arbeitet Kühn nun bei einer der Sozietäten, die weltweit unter den Top Ten gelistet ist. Jeden Morgen um 8.30 Uhr sitzt der junge Mann an seinem Schreibtisch in einem hellen Büro mit moderner Kunst an den Wänden und einem Blick auf eine der teuersten Straßen Deutschlands. Meist arbeitet Kühn bis 22 Uhr. „Wer eher geht, wird schief angeguckt“, sagt er. Seine Freundin, mit der er vier Jahre zusammen war, hat ihn verlassen. Im Herbst hatte er sie in ein luxuriöses Hotel nach Mallorca eingeladen – eine Wiedergutmachung für die Monate, in denen er sich kaum um sie kümmern konnte. Als er mit ihr am zweiten Tag am Pool lag, klingelte das Telefon. Die Kanzlei verlangte seine Rückkehr. Sofort. „Ich tausche Lebenszeit gegen Geld“, resümiert Kühn. „Das ist der Deal.“ Er habe gewusst, worauf er sich einlasse. *Name geänder t
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T I TEL
Mandanten fordern Experten Relative Größe der Fachanwaltschaften im Jahr 2009 in Prozent
Arbeitsrecht 22,4
21,6 Familienrecht
Steuerrecht 12,3 6,3 Strafrecht Verkehrsrecht 5,9 5,3 Miet- u. Wohnungseigentumsrecht
Bau- u. 5,0 Architektenrecht
3,7 Verwaltungsrecht
Sozialrecht 3,2
3,0 Insolvenzrecht
Erbrecht 2,6 Medizinrecht 2,2
2,3 Versicherungsrecht
203 285 327 369 495 497
Ungleiche Verteilung In Deutschland sind mehr als 150 000 Anwälte zugelassen. Die meisten davon arbeiten in den alten Bundesländern 661 754 785 820 877 913 1036 1097 1137 1317
Quelle: Soldan Institut 2009/10
In vielen Großkanzleien werden am Monatsende Statistiken veröffentlicht, die jeden Anwalt mit seiner Stundenzahl erfassen. „Wer längere Zeit unter dem Soll bleibt, bekommt ziemlich schnell Ärger“, erzählt Constantin Tanner*, die in den vergangenen zehn Jahren in vier Großsozietäten angestellt war. Manche Anwälte überträfen dagegen ihr gefordertes Jahrespensum von beispielsweise 2200 Stunden um 60 Prozent. Theoretisch hätten sie damit jeden einzelnen Arbeitstag 16 Stunden für Mandanten gearbeitet – zusätzlich zu der Zeit, die die üblichen internen Verwaltungsaufgaben verschlingen. „Anwälte stehen unter enormem Druck, deshalb rechnen manche ihre Stunden doppelt und dreifach ab“, weiß Tanner. Diese Schummelei bezahle der Mandant. Die Zeit ist getaktet wie am Fließband. Je nach Kanzlei gelten Einheiten von sechs bis 20 Minuten. Dies bedeutet, dass der Auftraggeber jede angefangene Minute als volle Takteinheit bezahlt. Gleichgültig, ob der Anwalt telefoniert, ob er recherchiert, verhandelt, nachdenkt oder schlicht im Flugzeug sitzt – immer tickt die Uhr. In manchen Fällen rinnen die wertvollen Minuten dutzendfach und zudem parallel, wenn nämlich mehrere Anwälte am selben Fall arbeiten und diese je nach Seniorität zwischen 200 und 1000 Euro Honorar berechnen. Über ihre Profitmaschine sprechen die Eingeweihten grundsätzlich nicht. Da der Staat jedoch teilweise seine Ausgaben veröffentlichen muss, bietet sich auch ein Blick auf die Honorare, die er an Großkanzleien überweist. 12,5 Millionen Euro hat im Jahr 2008 allein das Finanzministerium ausgegeben. Der damalige Minister Peer Steinbrück (SPD) holte sich externe Hilfe für das Finanzmarktstabilisierungsgesetz – die Grundlage für die staatliche Unterstützung maroder Finanzinstitute mit bis zu *Name geänder t
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Fotos: Valér y Klouber t/F OCUS -Magazin, A. Stein/Joker
Anwaltsdichte in den Bundesländern Einwohner pro Anwalt
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Gleichgültig, ob der Anwalt telefoniert, nachdenkt, schreibt oder reist – immer tickt die Uhr
4,2 Sonstiges
Strukturwandel Um sich von der Konkurrenz abzuheben, spezialisieren sich viele Anwälte. Gefragte Gebiete sind vor allem Arbeits-, Familien- und Steuerrecht
Hamburg Berlin Hessen Bremen Nordrhein-Westfalen Bayern Baden-Wrttemberg Saarland Schleswig-Holstein Niedersachsen Rheinland-Pfalz Sachsen Meckl.-Vorpommern Brandenburg Thringen Sachsen-Anhalt
Seine Arbeit mache Spaß, und es sei „wahnsinnig spannend“, an „diesen gigantischen globalen Projekten“ mitzuarbeiten. Kühn verdient 108 000 Euro im Jahr plus maximal 20 000 Euro Bonus. Das finanzielle Extra hängt unter anderem von den Stunden ab, die er Mandanten in Rechnung stellt. Damit kassiert der Anfänger mehr als doppelt so viel wie seine gleichaltrigen Freunde, die in klassischen Kanzleien oder beim Staat arbeiten. Internationale Sozietäten funktionieren nach simplen kapitalistischen Regeln. Sie stellen die Besten ein, die die Universitäten auf den Markt entlassen. Sie zahlen fürstliche Gehälter und versprechen Boni. Als Gegenleistung verlangen sie selbstausbeuterisches Engagement. Andreas Fabritius, seit 1991 Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Frankfurt, sagt, wer Karriere machen wolle, müsse „hohe Einsatzbereitschaft und den Willen mitbringen, dicke Bretter zu bohren“. Er fordere „juristische Exzellenz, Integrität, kommerzielles Gespür und Urteilskraft“. Insider wissen, dies beinhaltet auch: Stunden schrubben. „Billable hours“ – das ist der Schlüsselbegriff, an dem Erfolg oder Misserfolg eines Anwalts gemessen wird. 2200 bis 2600 Stunden im Jahr, die Mandanten in Rechnung gestellt werden können, fordern die meisten Großkanzleien von ihren Angestellten. Rechnet man 220 Arbeitstage im Jahr, müsste also jeder Jurist täglich bis zu zwölf Stunden „billen“, wie es im Branchenjargon heißt. Der Anwalt soll sich spätestens nach einem Jahr „amortisieren“, also bezahlt machen und zum Profit der Partner beitragen.
Streiten kostet viel Geld Klassische Anwälte rechnen meist nach Gebührenordnung ab oder verhandeln eine Pauschale. Endet die Auseinandersetzung vor Gericht, fallen erhebliche Kosten an, vor allem wenn der Prozess verloren wird. Gerichtskosten
eigener Anwalt*
Gesamtkosten**
Streitwert: 10 000 Euro 1. Instanz 2. Instanz
588 784
1. Instanz 2. Instanz
1368 1824
1. Instanz 2. Instanz
2568 3424
1. Instanz 2. Instanz
8868 11 824
1469 1643
3527 4070
Streitwert: 50 000 Euro
3136 3509
7639 8842
Quelle: Nomos/Gebührenkalkulator
480 Milliarden Euro. Das juristische Gerüst für diese Bankenrettungsaktion zimmerte die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, zu deren Klienten die führenden Banken der Republik gehören. „Das war Jura mit allerhöchstem Anspruch und eine denkwürdige Zusammenarbeit mit den Fachleuten in den Ministerien“, schwärmt Freshfields-Partner Fabritius. Als Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU) im August 2009 die Kanzlei Linklaters beauftragte, einen Gesetzentwurf zur Zwangsverwaltung maroder Banken zu erarbeiten, warf ihm seine damalige Kabinettskollegin Brigitte Zypries (SPD) „Verschwendung von Steuergeldern“ vor. Es sei unverantwortlich, eine große Wirtschaftskanzlei zu konsultieren, statt den vorhandenen Sachverstand innerhalb der Bundesregierung zu nutzen, kritisierte die Justizministerin. Ein Anwalt verfüge nicht über die notwendige Erfahrung in der Formulierung von Gesetzen und habe meist auch „einen anderen Blickwinkel“. Die SPD-Politikerin forderte ein „Lobbyisten-Register“, in dem offengelegt werden sollte, welche externen Juristen beauftragt gewesen und welche Honorare geflossen seien. Im Streit um die teuren Berater wurde Zypries nicht müde zu behaupten, ihr Ministerium leiste die juristische Arbeit ohne fremde Hilfe. Allerdings vergaß sie zu erwähnen, dass Nörr Stiefenhöfer Lutz – wie die meisten Großkanzleien Interessenvertreter von Aktiengesellschaften, nicht aber von Kleinan-
Streitwert: 100 000 Euro
4052 4535
10 672 12 495
Streitwert: 500 000 Euro
* **
8937 10 007
26 742 31 837
nach Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, inklusive 19 Prozent Umsatzsteuer Wenn der Prozeß verloren wird, setzen sich die Kosten zusammen aus Gerichtsgebühren, eigenem Anwalt plus Anwalt der Gegenseite.
Risiko Neustar t
Auf Empfang Ein Konzern wie RTL benötigt Berater in verschiedenen Rechtsgebieten
Ab sofort selbstständig ❙ Ein Aussteiger aus dem
System der Großen ist Elmar
Schuhmacher. Der 46-jährige Spezialist für Urheber- und Medienrecht kündigte als Partner bei der Sozietät Graf von Westphalen und gründete
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mit zwei befreundeten Kollegen die Kanzlei Lungerich Lenz Schuhmacher in Köln. beispielsweise der Medienkonzern RTL, folgten dem Anwalt.
❙ Alle seine Mandanten,
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legern – im November 2005 an einem Gesetzentwurf mitgearbeitet hatte, der Hauptversammlungen beschleunigen sollte. Der Anwalt habe nur ein Praktikum im Ministerium absolviert und kein Honorar verlangt, beschwichtigte Zypries. Externe Berater wirkten auch an weniger komplizierten Fällen mit: Für einen Gesetzentwurf zur Regelung von Bürgerportalen überwies der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Februar 2009 knapp 167 000 Euro. Im Juli 2008 floss ebenfalls Geld: 103 000 Euro für einen Vorschlag zum Gesetz über einen elektronischen Personalausweis. Auch Ex-Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) ließ sich beraten und zahlte mehr als eine Million Euro für ein Gutachten über die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn sowie weitere 150 000 Euro für einen Gesetzentwurf, in dem mit Dänemark die Fehmarnbelt-Querung geregelt werden soll. Solche Rechnungen mögen den Steuerzahler erschrecken – im Vergleich zu den Ausgaben von Siemens erscheinen sie wie Schnäppchen aus dem Schlussverkauf. Der Dax-Konzern soll für die Aufarbeitung seines Korruptionsskandals fast eine Milliarde Euro an Anwälte gezahlt haben – so die Schätzung. „Internationale Großkanzleien sind getrieben von Gewinnstreben“, kritisiert Jürgen Schacht, Anwalt in Hamburg. Der Einzelkämpfer, der in den 80er-Jahren Aidskranke gegen die Pharmaindustrie vertrat und schließlich einen Entschädigungs-
fonds von rund 125 Millionen Euro verhandelte, kennt das Geschäft „dieser Fabriken“ – als deren Gegner. „Sie sammeln ein enormes Spezialwissen, aber sie erfüllen nicht die vornehmsten Aufgaben eines Anwalts, nämlich die Rechtsstrukturen zu wahren. Laut unserem Eid steht das Interesse an Gerechtigkeit über dem Gewinnstreben.“ Schacht, 58, verweist auf die Fälle, in denen deutsche Städte sogenannte Cross-Border-Leasinggeschäfte abgeschlossen haben. Um sich aus ihrer Finanznot zu befreien, haben etliche Städte ihre Wasserwerke, Müllverbrennungsanlagen oder Schienennetze an US-Investoren verkauft und diese dann zurückgepachtet. Fast jeder Bürgermeister engagierte eine renommierte internationale Großkanzlei, weil die einheimischen Juristen zwar Arbeits-, Miet- und Familienrecht beherrschen, aber keine Erfahrung mit komplizierten binationalen Verträgen haben. Hunderte Seiten in Englisch hätten auch die Stadtoberen lesen und verstehen müssen, um zu begreifen, auf welches Risiko sie sich einließen. Stattdessen bereiteten die angeheuerten Spezialisten sogenannte Transaktionsbeschreibungen vor. In Wittenberg beispielsweise, wo die Stadt ihre Kläranlage und das Abwassersystem verkauft hat, legten die Experten vier Seiten vor: einen Text ohne Fachkauderwelsch, dazu Grafiken, die die Zahlungsströme demonstrieren sollen. Oberbürgermeister Eckhard Naumann – erleichtert ob der Hilfe – setzte seine
Bogners Berater
Multitalent Willy Bogner, 67, ist Sportler, Unternehmer und Filmemacher
Geschäftspartner seit Jahrzehnten ❙ In der mittelständischen Kanzlei
Raupach & Wollert-Elmendorff arbeiten rund 100 Anwälte in sieben deutschen Städten.
Wirtschaftsrecht in München, Willy Bogner – in privaten sowie in unternehmerischen Entscheidungen.
berät Ulrich Hartel, Anwalt für Steuer-, Erb- und
❙ Seit mehr als 30 Jahren
60
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Unterschrift unter den 1000-Seiten-Vertrag, sein Kämmerer beglich die Rechnung der Berater: satte 2,5 Millionen Euro. „Das Kleingedruckte und die Klauseln haben die Anwälte verschwiegen“, kritisiert Schacht, der die Nöte der Kommunen kennt. Nachdem die Finanzkrise die vermeintlichen Sicherheiten platzenließ und US-Gerichte die Leasingverträge als „Luftgeschäfte“ verurteilten, verlangen einige Investoren nun Nachzahlungen. Was die deutschen Stadträte damals naiv-euphorisch beschlossen haben, erfahren sie jetzt: Vertragsklauseln erzwingen Geheimhaltung und verbieten, bei nachfolgenden Problemen, die Kanzlei zu wechseln. Einzelkämpfer Schacht wirft den Großen vor, den anwaltlichen Ehrenkodex verletzt zu haben: „Sie haben die Kommunen in risikoreiche Geschäfte getrieben und kassieren gleich zweimal – zuerst dafür, dass sie das Problem schaffen, und dann erneut, um irgendeine Lösung zu finden.“
Erfahrener Kritiker Jürgen Schacht, Rechtsanwalt aus Hamburg, wirft Großkanzleien vor, Kommunen in risikoreiche Geschäfte getrieben zu haben
Nur wenige Spitzenverdiener Durchschnittliche Jahresbruttogehälter von Anwälten in Euro 47 900
Arm und reich Bei vielen Anwälten reicht das Einkommen kaum zum Überleben. Rund zehn Prozent dagegen verdienen mehr als 100 000 Euro brutto im Jahr
31 300 28 100
an
ge
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llte in An So w zie lte t ten fre ie Mi in tarb So ei zie ter t an ten ge ste in llt Ein e A ze nw lka nz lte lei en fre in ie M Ein it ze arb lka eit nz er lei en
28 800
Weltweite Rechtspflege Anwaltsdichte im internationalen Vergleich Anwlte pro 100 000 Einwohner USA É
379
Deutschland É
179
Frankreich
sterreich
75 62
É
Fotos: Wolf Heider-Sawall, Sebastian Har tz/beide F OCUS -Magazin, S. Eisend/imago
Quelle: Soldan Institut 2009/10
Litauen Finnland Irland
45 34 18
Streit-Macht USA In Amerika ist die Anwaltsdichte mehr als 20-mal höher als in Irland
Die internationalen Großkanzleien verändern den deutschen Anwaltsmarkt Die Fragen nach Ethik und Ehre diskutieren derzeit nicht nur die Praktiker der Branche, sondern auch die Lehrenden. „Je stärker die Spezialisierung und je größer der Druck der Kommerzialisierung, desto schwieriger lassen sich gemeinsame und verbindende Werte vermitteln“, warnt Martin Henssler, Präsident des Deutschen Juristentags. Der Kölner Juraprofessor schlägt vor, einen Ethik-Kodex zu verfassen, „der rechtlich nicht zwingende, aber prägende Leitlinien“ für den Anwaltsberuf enthält. Den Anwaltsmarkt kennt der Münchner Berater Christoph Vaagt wie kaum ein Zweiter. Der Jurist konzentriert sich als Unternehmensberater auf Rechtsanwaltskanzleien. „Seit der Invasion der amerikanischen und englischen Kanzleien hat sich der deutsche Markt stark verändert“, weiß Vaagt. Nationale, auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Kanzleien wurden vom Markt verdrängt oder mussten fusionieren. Wer in diesem Feld überleben will, müsse „mit extrem hoher Qualität oder niedrigen Preisen“ überzeugen, sagt Vaagt. Der Experte klassifiziert vier Kategorien: international vernetzte Großkanzleien – darunter nur noch wenige deutsche – sowie mittelständische, regional tätige Kanzleien, lokale Sozietäten sowie eine Schar von Einzelkämpfern. Mehr als 150 000 Rechtsanwälte sind in Deutschland zugelassen. Ihr durchschnittlicher Jahresumsatz beträgt 98 000 Euro. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Advokaten nahezu verdreifacht. Um sich von der Masse der Konkurrenz abzuheben, spezialisieren sich immer mehr Juristen – derzeit sind fast 36 000 Fachanwälte zugelassen. Wer sich als Einzelkämpfer ohne Spezialisierung und ohne festen Mandantenstamm durchschlägt, gehört zum juristischen Prekariat. Simone Wagner* aus Berlin beispielsweise verwandelt ihr Wohnzimmer in ein Büro, sobald ihre Kinder in der Schule sind. Die allein erziehende Mutter breitet die Akten auf dem Esstisch aus, den Strom für den Drucker holt sie mit einem Verlängerungskabel aus der Küche. Die Anwältin hält sich mit Fällen über Wasser, die keine Kanzlei übernehmen möchte: Scheidungen von Hartz-IV-Empfängern, Nachbarschaftskriege, Streit mit dem Chef um nicht bezahlte Überstunden. „Ich handle mit meinen Mandanten eine Pauschale aus. Wenn ich Glück habe, zahlen sie irgendwann“, sagt Wagner, deren Stundenlohn „bei etwa 25 Euro“ liegt. „Über Ethik kann
Quelle: Soldan Institut 2009/ eigene Berechnungen
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ich mir beim besten Willen keine Gedanken machen“, sagt sie. „Ich muss überleben.“ Ferdinand von Schirach dagegen leistet sich den Luxus, Mandate abzulehnen. Der 45-jährige Strafrechtler aus Berlin gehört zu der kleinen Zahl von Einzelkämpfern, die ihre Fälle auswählen können. „Ich verteidige keine Täter aus der rechten Szene und niemanden, der wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern angeklagt ist“, sagt Schirach, der im Jahr „nicht mehr als ein Dutzend Verfahren“ führt. Seine Karriere begann als Referendar bei einem prominenten Kollegen und mit einem Fall, der weltweit Aufsehen erregte: Strafrechtler Nikolas Becker vertrat nach dem Zusammenbruch der DDR Staatschef Erich Honecker. Später – inzwischen als Sozius in Beckers Kanzlei – verteidigte Schirach den SED-Funktionär Günter Schabowski, der am 9. November 1989 mit einem gestotterten Satz den Fall der Mauer auslöste. Vor sechs Jahren entschloss sich der Advokat zur Selbstständigkeit. Er mietete sich in eine Bürogemeinschaft ein und hängte sein Namensschild an die Tür. Der „sicherlich gewagte Plan“ funktionierte. Bei seinen Klienten – Drogenhändler, Diebe, Mörder, Räuber – benötigt er keine Werbung. Die Gestalten der Unterwelt kennen die Telefonnummern der begabtesten Strafverteidiger der Republik – und keiner von Schirachs Mandanten hat je ein „lebenslänglich“ kassiert.
In der uniformierten Advokaten-Welt fällt ein Mann wie Schirach auf: Er trägt Cordhosen, fährt einen mehr als 15 Jahre alten 500er Mercedes, vergisst sein Handy im Restaurant und raucht, ohne die Zigarette hinter dem Rücken zu verstecken. Außerdem schreibt er Bücher. Seine KurzgeschichtenSammlung „Verbrechen“ schaffte es auf die Bestsellerlisten. „Ich möchte mein Leben mit Dingen ausfüllen, die mich interessieren“, sagt er. „Reichtum interessiert mich nicht.“ Wer in Großkanzleien bis zu zweistellige Millionensummen verdienen will, muss zum Partner aufsteigen. Nach fünf bis acht Jahren entscheidet sich, welche Associates Chancen haben, in den elitären Zirkel berufen zu werden. „Jeder weiß, die anderen sind in Kompetenz und Ehrgeiz absolut gleichwertig. Deshalb gewinnen häufig die Lautesten“, weiß Elmar Schuhmacher, einst selbst Mitglied im Kreis dieser Mächtigen. Wer den Weg dennoch schafft, profitiert von allem, was das System erfolgreich macht: dem renommierten Namen, einer weltumspannenden Ansammlung von Experten sowie einer von Ehrgeiz und Angst getriebenen Schar junger Anwälte. Sie alle motiviert die Hoffnung auf Erfüllung eines großen Versprechens: dazuzugehören, wenn Geld und Macht verteilt werden. ■ KATRIN SACHSE
Manhattan, ganz oben Joe Flom, 86 (links), wird von vielen Anwälten als Idol verehrt. Der Sohn armer jüdischer Einwanderer baute die Kanzlei Skadden Arps (hier mit Partnern) mit auf und führte an der Wall Street legendäre Abwehrschlachten
62
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Fotos: N. Welch/Forbes
T I TEL
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„Ich verlange Ehrgeiz und Kompetenz“ Der Top-Anwalt Ralph Wollburg spricht über seinen Aufstieg, die Jagd nach profitablen Mandaten und verrät, was er von seinem Team erwartet
Linklaters
Juristen im Konzern Umsatz, weltweit Umsatz in Deutschland Anwälte, weltweit Partner, weltweit Gewinn pro Partner Anwälte in Deutschland
1,5 Mrd. Euro 176 Mio. Euro 2200 500 1,5 Mio. Euro 300
❙
Der Anwalt Ralph Wollburg ist einer von 60 Partnern der Sozietät Linklaters in Deutschland.
❙
Folgende Dax-Konzerne berät der 54-Jährige derzeit: ThyssenKrupp, RWE, Deutsche Börse, Deutsche Bank, Fresenius Medical Care, Beiersdorf, Fresenius SE.
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Wann haben Sie das letzte Mal eine Robe getragen?
Die brauche ich sehr selten, weil ich – außer in aktienrechtlichen Anfechtungsklagen – fast nie vor Gericht auftrete. Meine Mutter hatte mir irgendwann eine geschenkt, aber beim letzten Umzug ist die wohl verloren gegangen. Wirtschaftsanwälte arbeiten ja kaum wie klassische Anwälte, die ihre Mandanten häufig in Gerichtsprozessen verteidigen. Sind Sie glücklich mit Ihrer Berufswahl?
Ich habe Jura studiert, mir war aber lange nicht klar, was ich werden wollte. Als junger Mann wusste ich nur, dass ich wirtschaftliche Prozesse mitgestalten möchte. Über meine Wahl bin ich sehr froh, weil mein Beruf mir schon in jungen Jahren Möglichkeiten eröffnet hat, für die ich in anderen Branchen endlose Hierarchien hätte durchlaufen müssen. Mit 30 war ich schon Partner in der Düsseldorfer Kanzlei Bruckhaus Kreifels Winkhaus und Lieberknecht und habe wichtige Mandate eigenverantwortlich geführt. Heute beraten Sie Dax-Konzerne und führen Unternehmen in ihren Verhandlungen um Fusionen, Firmenkäufe und -verkäufe. Sie gehören zu den renommiertesten und bestverdienenden Wirtschaftsanwälten Deutschlands. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?
Wenn Sie das Glück haben, zur Gruppe dieser Top-Anwälte zu gehören, dann übertrifft die Realität wohl die eigenen Erwartungen. Allerdings braucht man auch eine Menge Glück, um dort anzukommen. Es mag eine Hand voll Anwälte geben, die – ähnlich wie Sie – diese Millionen-Deals verhandeln. Welches Verhältnis haben Sie untereinander?
Es gibt etliche, mit denen ich ein kollegiales, teilweise freundschaftliches Verhältnis pflege. Solange der Umgang fair und vernünftig ist, habe ich mit keinem der konkurrierenden Kollegen ein Problem. Wir laufen uns ja auch ständig über den Weg, sitzen uns in Verhandlungen gegenüber und müssen einen Konsens finden, denn am Ende wollen unsere Mandanten einen Vertrag unterschreiben. Anwalt, Berater, Unternehmer – welche Rolle übernehmen Sie eigentlich in den Schlachten der Konzerne?
Ich sehe mich vor allem als Berater. Die Exzellenz unserer juristischen Arbeit ist dabei Grundvoraussetzung, das hat oberste Priorität. Zudem berate ich mit in strategischen Entscheidungen, in Fragen der wirtschaftlichen Ausrichtung, ich versuche, Schwerpunkte zu setzen, Probleme aufzuzeigen und Lösungen anzubieten. Mein Ziel ist es, das zu sein, was man im Englischen trusted advisor nennt.
Fotos: Valér y Klouber t/F OCUS -Magazin
Wie viel Macht und Einfluss besitzt ein Anwalt wie Sie?
Auf die Unternehmensübernahmen und die gesellschaftsrechtlichen Fragen, die ich juristisch begleite, habe ich Einfluss, weil ich Entscheidungsprozesse maßgeblich mitgestalten kann. Berufsanfänger, die die Chance bekommen, bei Linklaters oder einer anderen internationalen Großkanzlei zu arbeiten, durchlaufen eine harte Schule. Haben Sie Ihre Karriere unter ähnlichen Bedingungen begonnen?
Ich glaube, die Anforderungen haben sich im Laufe der Zeit nicht wesentlich verändert. Wer Karriere machen will, muss hart und intensiv arbeiten – damals ebenso wie heute. Von jungen Anwälten wird erwartet, dass sie 2200 bis 2600 Stunden im Jahr arbeiten beziehungsweise diese in Rechnung stellen. Gilt das F OCUS 11/2010
Pensum auch für Sie?
Ich schätze, dass ich 60 bis 70 Stunden in der Woche arbeite, 50 Wochen im Jahr. Sie haben gesagt, dass Sie bereits als junger Anwalt wichtige Mandate geführt haben. Bei welchem Fall haben Sie zum ersten Mal richtig Feuer für Ihren Beruf gefangen?
Feuer gefangen hatte ich von Anfang an. Meinen ersten richtig großen Fall habe ich geführt, kurz nachdem ich Partner geworden war – 1992 die Übernahme von Hoesch durch Krupp. Damals habe ich den Vorstand von Hoesch in einer schwierigen Lage beraten, denn Krupp hatte bereits fast 75 Prozent der Anteile von Hoesch erworben. Unser Mandant stand also vor einer Situation, in der es zu der von Krupp angestrebten Verschmelzung kaum noch Alternativen gab. Wir haben die Fusion konstruktiv mitbegleitet und dabei für Hoesch die besten Bedingungen herausgeholt. Wie bekommt man als junger Anwalt einen solchen Fall?
Ich hatte damals schon einige komplizierte Transaktionen begleitet. Gleichwohl war die Hilfe eines meiner damaligen Seniorpartner für die Akquisition sehr wichtig. Dieses Mandat bedeutete für mich eine besondere Herausforderung, allein schon deswegen, weil manche der Vorstände, die ich damals beraten habe, meine Väter hätten sein können. Für mich hat sich das Mandat als Glücksfall erwiesen, denn damit hatte ich mir in der Branche einen Namen gemacht. Wie wichtig sind Netzwerke für Sie?
Diesen Ausdruck mag ich nicht besonders. Natürlich muss ich viele maßgebliche Leute kennen: Vorstandsvorsitzende, Finanzvorstände, Chefjustiziare. Und diese Leute sollten mich kennen. In kritischen Situationen muss ein Anruf genügen, und man muss sich aufeinander verlassen können. Also sollte man sich schon vorher begegnet sein und ein Gefühl dafür entwickelt haben, ob und wie man miteinander zurechtkommt. Sie gelten als Abwehrspezialist. Sie werden gerufen, wenn sich Unternehmen gegen feindliche Übernahmen wehren müssen. Verteidigen Sie lieber, anstatt anzugreifen?
Ich habe im Lauf meiner Karriere viele Konzerne in ihrer Abwehrschlacht beraten, beispielsweise Mannesmann, Beiersdorf oder auch Krupp. Das hat sich so ergeben – ein Mandat führte zum anderen. Besonders häufig vertrete ich deutsche Unternehmen, dafür bin ich Spezialist. Auch meine vorsorglichen Mandate betreffen hauptsächlich deutsche Unternehmen. Was heißt vorsorglich?
Es gibt Unternehmen, die damit rechnen, dass sie angegriffen werden, und sich darauf vorbereiten. Für diesen Fall bin ich mandatiert. Sie erhalten einen Auftrag, obwohl noch gar nichts passiert ist?
Ja, vorsorglich. Nun könnte es passieren, dass ein Unternehmen, das Sie bereits beraten, eines angreift, das Sie vorsorglich mandatiert hat. Was dann?
Das würde eine Interessenskollision bedeuten. Dann müsste ich beide Mandate abgeben. Zum Glück passiert so etwas nicht häufig, denn über den Verlust eines großen Mandats ärgert man sich nicht nur fünf Minuten. Auch der Staat lässt sich häufig von internationalen Sozietäten beraten. Übernehmen Sie auch solche Aufträge?
Unsere Sozietät hat das Bundeswirtschaftsministerium 65
T I TEL
beim Entwurf eines Gesetzesvorschlags zum Umgang mit Bankeninsolvenzen beraten. Ich halte solche Mandate für unproblematisch, denn der Staat braucht externe Expertise, wenn komplexe Dinge schnell geregelt werden müssen. Das kann ein Ministerium nicht leisten. Nachtschicht Wenn in den Bürohäusern schon lange die Lichter ausgeschaltet sind, arbeiten die Anwälte bei Linklaters am Münchner Prinzregentenplatz noch immer
Ist es gleichgültig, ob man einen Dax-Vostand berät oder einen Minister?
Ich persönlich habe wenig Spaß daran, an Gesetzgebungsverfahren mitzuarbeiten. Ich berate lieber Unternehmer oder Vorstände, weil man einen direkten Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen hat. Sie haben Haim Saban beraten bei der geplanten Übernahme von Kirch oder die Deutsche Bank, als diese mit der Dresdner Bank fusionieren wollte. Beide Deals wurden monatelang verhandelt, sind dann aber nicht zu Stande gekommen. Sehen Sie gescheiterte Verhandlungen als Niederlage?
Man muss immer damit rechnen, dass Transaktionen scheitern, beispielsweise weil bestimmte Forderungen nicht durchsetzbar sind oder die Preisvorstellungen zu weit auseinanderliegen. Natürlich frustriert der Abbruch von Verhandlungen, aber damit muss man leben. Scheitern können Unternehmenstransaktionen auch, weil die persönlichen Eitelkeiten der Manager nicht ausreichend befriedigt werden. Wie empfinden Sie solche Kämpfe?
Personelle Fragen spielen bei Fusionen natürlich immer eine wichtige Rolle. Allerdings geht es dabei meist um die legitime Durchsetzung von Interessen und um die Verteilung von Kompetenzen, nicht um Eitelkeiten. Von außen betrachtet, scheinen Eitelkeiten häufig die größere Rolle zu spielen . . .
Das mag von außen so aussehen – aber so einfach sind die Dinge nicht. Für jeden Deal stellen Sie ein Team aus Anwälten zusammen. Was für ein Chef sind Sie?
Ein sehr fordernder. Ich erwarte von meinen Mitarbeitern den gleichen Einsatz, den ich auch bringe. Ich verlange Ehrgeiz, Kompetenz und verantwortliches Handeln. Da mache ich keine Kompromisse. . . . eher konsequent. Ehrgeizige Leute wollen auch gefordert werden, um sich weiterentwickeln zu können. Viele junge Anwälte, die bei mir gelernt haben, sind inzwischen sehr erfolgreich geworden. Mögen Sie den Begriff Rainmaker?
„Ich habe im Laufe meiner Karriere viele Konzerne in ihrer Abwehrschlacht beraten. Das hat sich so ergeben – ein Mandat führte zum anderen“ Ralph Wollburg
Der hat sich eingebürgert. Ich habe zu dem Begriff kein Verhältnis – auch wenn ich immer wieder auf diesen RankingListen auftauche. Das sind einfach sehr akquisestarke Anwälte. Mit dieser besonderen Fähigkeit gibt es nicht viele. Was zeichnet einen solchen Anwalt aus?
Erstklassige juristische Fähigkeiten, Überzeugungskraft, Persönlichkeit und ein extremes Engagement für seine Mandanten. Rainmaker berechnen Stundensätze von bis zu 1000 Euro. Was müsste ich für die Zeit bezahlen, die wir gesprochen haben?
Meinen regulären Stundensatz. Aber keine Angst – ich berechne natürlich nichts. ■ INTERVIEW: KATRIN SACHSE
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Fotos: Wolf Heider-Sawall, Valér y Klouber t/beide F OCUS -Magazin
Das klingt ziemlich hart . . .
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SPRÜCHE
PROFILE
„Unsere Unternehmen stellen komplizierteste und hochwertigste Maschinen und Anlagen her. Für diese Unternehmen sollte es doch ein Leichtes sein, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Einklang zu bringen.“ STEFAN MAPPUS Ministerpräsident Baden-Württembergs, CDU
Besser eine Marke als ein „Märkle“
Gute Bekannte Mit Wolfgang Porsche und dessen Lebensgefährtin Claudia Hübner tauschte sich FOCUS-Chefredakteur Helmut Markwort aus
Fußball und Wein SC-Freiburg-Boss Fritz Keller, Winzer am Kaiserstuhl, traf Natalie Lumpp, TopSommelière aus Baden-Baden
Marken-Mythos „Cleverle“ Lothar Späth erhielt einen Sonderapplaus, mit FOCUS-Chef Uli Baur
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Was ist das Geheimnis von BadenWürttemberg? 100 Gäste aus Politik und Wirtschaft ergründeten auf Einladung von FOCUS in Stuttgart die Erfolgsformel. Chefredakteur Uli Baur begrüßte die Manager, Banker und Spitzenpolitiker, darunter das halbe baden-württembergische Kabinett, im Restaurant „Gast“. Jochen Rädeker, Vorstandssprecher des Art Directors Club Deutschland (ADC), provozierte die Südländer mit witzigen Worten zum Nachdenken über ihre Marken. Der Werber spannte dabei einen Bogen vom Porsche Boxster bis zum Schwarzwald-Bollenhut. Schwaben und Badener machten sich selbst künstlich klein, wenn sie sich auf Dialektsprüche und Kehrwoche reduzieren ließen. Rädeker, Inhaber der Werbeagentur Strichpunkt, warnte vor zu viel Bescheidenheit: „Vorsicht, aus einer Marke wird sonst schnell ein Märkle.“ Eines der wichtigen Themen des Abends: die „industrielle Logik“ der Porsche-VW-Ehe. Für Michael Macht, Chef der Stuttgarter Sportwagenschmiede, eine klare Sache: Porsche hilft VW bei der Auslastung seiner Werke. Die Karosserie des neuen Viersitzers Panamera komme aus einem VW-Presswerk bei Hannover, erklärte er den Ministern am Tisch. Edelstoff aus ihren Kellern hatten zahlreiche Winzer für den FOCUS-Treff mitgebracht, dazu wurden Maultäschle und Flädle-Lollis serviert. Was Besonderes als Digestif: der erste und einzige Whisky aus Baden-Württemberg, gebrannt und destilliert in der badischen Staatsbrauerei Rothaus. ■
„Das ist eine Frage nach den Grenzen meiner Fantasie.“ ANDREAS KRAUTSCHEID Generalsekretär der CDU in NRW, zur Möglichkeit einer schwarz-grünen Landesregierung
„Die Misere ist beispiellos in der deutschen Nachkriegsgeschichte.“ STEPHAN ARTICUS Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, zur Finanzmisere der Kommunen
„Die Uhr in Afghanistan läuft gegen uns.“ EGON RAMMS deutscher Nato-General
„Ich werde mich niemals genug bedanken können. Aber ich kann jetzt damit anfangen.“ CHRISTOPH WALTZ nach dem Gewinn des Oscars als bester Nebendarsteller für seine Rolle in „Inglourious Basterds“
„Strittige Entscheidungen sind doch das Schöne an diesem Sport.“ JONATHAN FORD walisischer Fußballverband, zur Fifa-Entscheidung, auf technische Hilfsmittel zur Unterstützung der Schiedsrichter zu verzichten
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Fotos: alle Katharina Alt/F OCUS -Magazin
Round Table von Politik und Wirtschaft Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann, Innenminister Heribert Rech (CDU), Lothar Späth, Vize-Regierungschef und Justizminister Ulrich Goll (FDP), Wolfgang Porsche, Porsche-Vorstandsvorsitzender Michael Macht und -Kommunikationschef Christian Dau (v. l.)
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LESERBRIEFE Nr. 10/10 8. März 2010 € 3,20
Griechischer Schock Wie der Euro in letzter Sekunde gerettet wurde – vorerst
Die Burn-outGesellschaft Macht uns der Job krank? Wege aus der Psycho-Falle
und Missbrauchsfälle zu verhindern. Wer Menschen nicht begeistern kann, sondern nur bevormunden will, wird die Herzen und Seelen nie erreichen. Herbert Püls, 96215 Lichtenfels
Dr. Peter Wehrenfennig, 58738 Fröndenberg
Auch wenn man davon ausgehen darf, dass sexuelle Übergriffe und körperliche Züchtigung nicht als System in der katholischen Kirche etabliert sind – die Kultur des Totschweigens und Unterdrückens ist es ganz offensichtlich nach wie vor, trotz aller Untersuchungsgremien. Dass staatlicherseits volle und schnelle Aufklärung der bekannt gewordenen Fälle gefordert werden darf, sollte eine Selbstverständlichkeit sein und nicht auch noch durch Würdenträger der katholischen Kirche in giftiger Form angegriffen werden. Wolfang Krünägel, 85567 Grafing
Die Depression lauert (10/10) Titelgeschichte
Zu vorschnell spricht man von Burn-out. Dies klingt ja auch schicker. Oft verbirgt sich aber hinter einer solchen Diagnose eine noch tiefer gehende Erkrankung wie etwa eine Depression. Da sollte sich jeder, ob nun Top-Manager oder einfacher Arbeiter, professionelle Hilfe suchen. Und noch etwas: Jeder ist ersetzbar, auch im Berufsleben. Die Grenzen in der beruflichen Herausforderung muss jeder selber erkennen, sonst gibt es eines Tages ein „böses Erwachen“. In Afrika kennt man so einen Begriff wie Burn-out nicht. Erwin Chudaska, 63322 Rödermark
Die Kirche muss sich ändern
Namen Cotrim vertrieben, per 100 ml 11,94 Euro kostet und in Spanien unter dem Namen Septrin in gleicher Menge 1,24 Euro. Auch in Spanien machen die Hersteller noch Profit.
Zum Thema sexuelle Übergriffe in katholischen Institutionen frage ich mich: Wann werden die noch lebenden Täter von einem Gericht angeklagt – oder unterliegt die katholische Kirche einer Art Immunität? Da alle Vergehen lange zurückliegen, würde es mich interessieren, wie es seit den 80er-Jahren zu dieser bewundernswerten Läuterung gekommen ist. Anders gefragt: Wie schafft es eine Institution, in einer Zeit des Internet Dinge zu verheimlichen, die noch nicht verjährt sind? Monika Freund, 42109 Wuppertal
Der Profit stimmt immer (10/10) Diätplan für Pharmariesen
Es ist doch nicht verständlich, wenn das gleiche Medikament – ein Antibiotikum –, in Deutschland unter dem
Gottlob gibt es sie noch (10/10) Gratwanderer Gottes
Es gibt sie noch: herausragende Pfarrer, die sich weit über das Normale für ihre Gemeindemitglieder einsetzen. Man muss sich die Zeit nehmen und sehr viel Menschenkenntnis mitbringen, dann ergeben sich so hochinteressante und lesenswerte Reportagen. Fred Lederer, 63150 Heusenstamm
Inmitten der schweren Zeiten für die katholische Kirche hat mich dieser wohltuende Bericht fasziniert. Gottlob gibt es immer mehr katholische Würdenträger, die den zeitangepassten Weg gehen, um „ihre Schäfchen“ vernünftig zu betreuen. Leider müssen diese herrlichen Menschen viel Kritik einstecken und sind Sanktionen ihrer Vorgesetzten schutzlos ausgeliefert. Manred Afting, 48477 Hörstel
Skandalös und unanständig (10/10) Dechiffriert: Mit der Hitler-Keule
Konfusion bei der neuen SPD-Troika. Herr Gabriel startet nur wilde Verbalattacken bis hin zur Beleidigung der Regierungsparteien. Wo ist das Programm der Sozialdemokraten? Was will man eigentlich für die Bürger erreichen? Nur Fragezeichen. Hans-Dieter Hölscher, 38300 Wolfenbüttel
(10/10) Bekenntnis nach dem Tod
Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, sollten diejenigen, die permanent im Gestern leben und Anspruch auf die einzige richtige Auslegung der Heiligen Schrift erheben, langsam erkennen, dass sich auch die Kirche verändern muss. Nur auf ein Wunder zu hoffen und nach altem Kirchenbrauch für möglichst viele Priester, volle Kirchen und gefügige Gläubige zu beten, wird wohl auf Dauer nicht ausreichen, um leere Kirchen, Kassen, Kirchenaustritte 70
Wer baut die Staatsschulden ab? (9/10) Sind wir nicht alle Griechen?
Partystimmung Mit einem Feuerwerk über der Akropolis feierten die Griechen am 1. Januar 2002 die Einführung des Euro
Wir ignorieren, dass unser Staat finanziell fast handlungsunfähig ist. Seit 20 Jahren machen alle Parteien eine verantwortungslose Finanzpolitik. Entscheidend sind die nächste Wahl und die Bedienung der jeweiligen Klientel. Ich habe noch keinen Politiker gehört, der ein Konzept für den Abbau der Staatsschulden hat. Walter Möller, 22047 Hamburg F OCUS 11/2010
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Es ist für mich skandalös und unanständig, wenn der SPD-Chef Gabriel mit Hinweis auf die Vorgängerparteien der heutigen CDU und FDP geradezu abenteuerliche Rückschlüsse zieht und der CDU und der FDP die Bürgerlichkeit abspricht.
tum und die Gier nach immer mehr Wohlstand nicht runter und genießen das Leben und die Zeit, die dann frei wird. Weniger ist dann mehr. Klaus Poggenpohl, 48291 Telgte
Verantwortung stärken (9/10) Sparen mit Singapur
Helmut Rathke, 44388 Dortmund
Die Null-Quote und die Bibel (10/10) Priester-Quote?
Mit Verweis auf Frau Ministerin Kristina Schröder und ihre Mitgliedschaft in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche erwähnen Sie, dass Frauen nicht zum Pfarramt ordiniert werden und: ob das ein Fall für die Quote wäre? Aber, aber, diese Quote gibt es längst. Sie ist die gleiche wie in der römisch-katholischen Kirche und bei allen orthodoxen Kirchen: null Prozent, mit guter biblischer Begründung. Sie gilt in der überwältigenden Mehrheit der Christenheit. Pfarrer Wilhelm Torgerson, 06886 Wittenberg, Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche
Politisch totgeschwiegen (9/10) Die Misstrauten
Es ist mutet seltsam an, wenn unsere Bundeskanzlerin sagt, dass die Formulierung „Man muss doch noch sagen dürfen“ nahelegen würde, es gäbe ein Tabu, und solche Wortwahl würde die Gesellschaft spalten. Jedoch ist alles, was mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kosten der Migration und der Islamisierung unserer Gesellschaft sowie den damit in Beziehung stehenden ausufernden Kosten unseres Sozialstaats zusammenhängt, mit diesem Tabu belegt und wird politisch bisher weitestgehend totgeschwiegen. Dies wird auf Dauer unsere Gesellschaft mehr spalten, als wenn wir eine unideologische, auf Daten und Fakten basierende öffentliche Debatte zulassen würden. Dr. Ernst Weiland, 61440 Oberursel
Das Leben genießen (9/10) Titelgeschichte Wirtschaftswachstum
Ihr Artikel spricht mir aus der Seele. Warum fahren wir das WachsF OCUS 11/2010
Mit großem Interesse las ich Ihrem (leider zu kurzen) Artikel über das Gesundheitssystem in Singapur, das ich als Medizinstudent kennen lernte. Ich war sehr von der Idee der größeren (auch finanziellen) Mitbeteiligung der Patienten angetan. Dadurch wurden die Beiträge niedrig gehalten, die Mitverantwortung des Patienten gefördert und auch seine Rechte gestärkt. Auch der soziale Ausgleich durch Zuzahlungen lief relativ problemlos.
Liebe Leserin, lieber Leser, schreiben Sie Ihre Meinung zu den Themen in diesem Heft – bitte unbedingt mit Angabe Ihrer Adresse und Telefonnummer: Redaktion FOCUS, Arabellastraße 23, 81925 München oder Leserbrief-Fax: 0 89/92 50-31 96 oder E-Mail: [email protected]. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
aber andererseits kann und will ich mich nicht mein Leben lang verstecken. So ein Stalker kann einem ganz schön das Leben kaputt machen. Name ist der Redaktion bekannt
Die Rente ist keine Sozialleistung
Carsten Mohrhardt, 76287 Rheinstetten
(8/10) Das kann nicht gutgehen
Ohne Dank abkassieren
Es kann nicht sein, dass Rentner als Empfänger von Sozialleistungen bezeichnet werden. Es handelt sich hier eindeutig um eine Versicherungsleistung, die mit den Sozialleistungen des Staates nichts zu tun hat. Meines Erachtens beziehen Sozialleistungen lediglich die Menschen, denen der Staat etwas zahlt, ohne dass diese dafür eine Leistung erbracht haben, egal, ob durch eigene Schuld oder nicht.
(9/10) Alle müssen arbeiten
Das Hartz-IV-Einkommen ist ein Geschenk, das Monat für Monat von der Allgemeinheit kommt. Dafür sollten die Betroffenen mehr Dankbarkeit und soziales Engagement zeigen. Für mich als Steuerzahler ist es erschreckend zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit einige Langzeitarbeitslose das hart verdiente Geld der Allgemeinheit abkassieren, ohne auch nur einen Gedanken darüber zu verschwenden, etwas als Gegenleistung dafür zu erbringen.
Liselotte Reiszner, 24558 Henstedt-Ulzburg
Rette sich, wer kann (9/10) Attraktion des Materiellen
Alexander Sieg, 58135 Hagen
Man steht ganz allein da (8/10) Der Feind hinter meiner Tür
Da ich selber gestalkt wurde, weiß ich, wie man sich fühlt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mir in dieser Lage nicht wirklich geholfen wurde – außer mit einstweiligen Verfügungen. Bei diesem Psychoterror, den ein Stalker verursachen kann, da kann keiner wirklich helfen. Man steht alleine da. Ich habe damals meine HandyNummer gewechselt, meine Homepage gelöscht (die ich unter anderem aus beruflichen Gründen nutzte). Ich bin inzwischen umgezogen, gebe nur noch engsten Freunden meine Nummer usw. Lebe noch mehr zurückgezogen,
Es ist Meinhard Miegel zuzustimmen, dass unsere derzeitige westliche Gesellschaftskultur untergeht. Denn die Geschichte zeigt, dass alte und satte Kulturen mit Gewalt von jungen, aggressiven ersetzt werden (z. B. geplanter EU-Beitritt der Türkei). Leider sind die Rettungsboote (Schweiz) schon voll. Jetzt bleibt nur noch eins: Jeder rette sich und seine Familie. Dr. Rainer Lohbeck, 58332 Schwelm FOCUS (USPS NO. 009-593) is published weekly. The subscription price for the USA is $ 260 per annum. K.O.P.: German Language Publications, Inc., 153 South Dean Street, Englewood NJ 07631. Periodicals postage is paid at Englewood NJ 07631, and at ad-ditional mailing offices. Postmaster: send address changes to: FOCUS, German Language Publications, Inc., 153 South Dean Street, Englewood NJ 07631
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Die Leserdebatte von FOCUS und FOCUS Online
„Kein Zeichen von Schwäche“ Burn-out und Depressionen setzen alljährlich Zigtausende außer Gefecht. FOCUS-Leser debattieren: Ist unsere Arbeitswelt zu hart?
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Täglicher Druck Ich habe Burn-out immer als Modekrankheit betrachtet. Leider habe ich am eigenen Leib erfahren, dass dies nicht so ist. Das lag am Jürgen Thiel, Natal (Brasilien) täglichen Druck.
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Die Belastung steigt Die Arbeitsquantität steigt seit Jahren kontinuierlich. Der Arbeitnehmer verkommt zum „Humankapital“. Burn-out und Depressionen sind die logischen Folgen. Marcus Voggeneder, Mainz
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Pillen gegen den Stress Eine kafkaeske Bürokratie, Arbeitsverdichtung, permanentes Multitasking, Zeitdruck und die Angst vor Arbeitsplatzverlust verursachen Stress. Blinder Konsum, Genussmittel und Medikamente überdecken psychosomatische Dr. med. Ingo Schymanski, Ulm Warnsignale.
sich in einer Scheinsicherheit. Tatsächlich sucht man nach Fehlern, um ihn hinterrücks loszuwerden. Das führt zu permanentem Heinrich Kläser, Bonn Misstrauen. ❙
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Der Weg aus dem Hamsterrad Angestellt arbeitenden Menschen kommt die gesunde Urteilskraft abhanden. Es ist nämlich absolut kein Zeichen von Schwäche, Dauerbelastungen nicht standzuhalten. Seinen eigenen Weg aus dem Hamsterrad zu finden erfordert Stärke. Wiebke Sponagel, Frankfurt/Main Einmal um die Welt Klar sind die Anforderungen gestiegen und Sicherheiten geschwunden. Aber wo liegen die Ursachen? Es funktioniert auf Dauer nicht, „made in China“ zu kaufen und „made in Germany“ zu leben. Die Globalisierung ist so weit nach Osten gewandert, dass sie uns im Westen wieder erreicht. Hartmut Saaber, Wernigerode Kleine Zusatzbelastungen reichen schon Wir sind nicht zu schwach, unser Leben ist zu kompliziert. Wenn man arbeitstechnisch auf hohem Niveau lebt, reichen schon kleine berufliche oder familiäre Zusatzbelastungen, um nicht mehr zu können. Petra Janssen, Hamburg Permanentes Misstrauen Das Phänomen wird verstärkt durch die Umkehrung des Mobbing. Der Mitarbeiter fühlt
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Keine Modeerscheinung So sieht die Unternehmenspolitik aus: Wirklich ernsthaft haben sich nur wenige Betriebe mit den Gefahren psychischer Belastungen Kerstin D. Klein, Köln beschäftigt. Brutaler Markt Die unmenschlichen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt schreien nach echten Reformen. Immer mehr Menschen stellen die MarktwirtPeter Lembrecht, Hannover schaft in Frage. Problem und Lösung Ursächlich für Burn-out sind Ängste, die sich zur Depression steigern. Ausspannen ist nicht nützlich, sondern die Erkenntnis: Wenn ich mein Problem nicht ändern kann, muss ich meine Einstellung zum Problem ändern. Dr. med. Paul Bernard, Schneverdingen
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Die Zeit ist die beste Medizin Ich bin selbst erkrankt und habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen mit so einer Diagnose nichts anfangen können. Seit mehr als sechs Monaten bin ich krankgeschrieben und merke, dass letztendlich die Zeit meine Francesca Büdenbender, Dissen Medizin ist.
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Boden unter den Füßen verloren Als ich vor zwei Jahren Burn-out hatte, verließ mich meine Ehefrau. Bei zwei Besuchen bei einer Neurologin wurde die Erkrankung nicht rechtzeitig diagnostiziert. Mir hätte einiges erspart bleiben können. Günter Achatzy, Elsdorf
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Konsequenzen ziehen Auffällig ist doch, dass alle Betroffenen hinterher genau wissen, dass der Weg vor dem Burn-out offensichtlich nicht richtig war. Wir sollten in dem Thema weitergehen und Konkretes gegen die Ursachen unternehmen.
Ausgebrannt Burn-out-Opfer in der FOCUS-Titelgeschichte (10/2010)
Das bietet nur FOCUS: die Leserdebatte in Print und Internet. Thema in dieser Woche: „Sollen Missbrauchsdelikte später verjähren?“ Beiträge stellen Sie unter www.focus.de/magazin/ debatte auf unsere Website. Sie können an [email protected] mailen oder einsenden. Fax: 0 89/92 50-26 20. Smartphone-Benutzer bringt die App „Kooaba“ zur Online-Debatte. Die interessantesten Kommentare drucken wir im nächsten Heft ab. Bedingung: Sie schicken Ihre Texte unter Ihrem echten Namen (kein Pseudonym). Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
Dr. Ing. Jochen-Pierre Leicher, Hamburg
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ortung. > Weniger Alkohol aus Verantw en. Zeigen Sie durch Ihr Vorbild Kinder ahmen nach, was sie seh n Alkoholkonsum in Grenzen. Verantwortung und halten Sie Ihre Sie haben es in der Hand.
www.kenn-dein-limit.de Eine Aktion der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), mit Unterstützung des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e. V. und gefördert durch die Bundesrepublik Deutschland.
F ORSC H U N G & T E C H N I K FORSC
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Gas Neue SpeicherTechnologien sollen das größte Problem der Wind- und Sonnenenergie lösen: die schwankende Stromproduktion
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ie Zukunft der Energieversorgung wird derzeit noch in zwei grauen Containern erforscht, die auf dem Gelände des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in Stuttgart stehen. Seit November 2009 verwandelt die Demonstrationsanlage, an der auch das Fraunhofer Institut IWES und die österreichische Firma Solar Fuel beteiligt sind, Strom in Erdgas. Mit dieser Technologie will das Konsortium eines der größten Probleme der Energiewirtschaft lösen. „Energiespeicherung ist der Schlüssel für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien“, stellt E.on-Boss Wulf Bernotat klar. „Um erneuerbare Energien besser als bisher nutzen zu können, müssen wir das Problem angehen, dass sie derzeit noch nicht grundlastfähig sind.“ Lediglich Biomasse – in Form von Mais, Holzpellets oder Gülle – lässt sich lagern und bei Bedarf jederzeit einsetzen. Für Wind und Sonne gilt das bisher nicht. Benötigt werden also gewaltige Speicher, die den Ökostrom dann aufnehmen, wenn er in Massen produziert wird – und ihn wieder abgeben, wenn er in ebensolchen Mengen benötigt wird.
Verschiedene Techniken ermöglichen es, Strom aus Solaranlagen und Windturbinen zu speichern
„Das deutsche Stromnetz hat praktisch keine Speicherkapazitäten und kann höchstens 0,07 Terawattstunden aufnehmen, was ungefähr einer Stunde des deutschen Strombedarfs entspricht“, weiß Solar-Fuel-Chef Gregor Waldstein. Davon liefern allein sämtliche Pumpspeicherkraftwerke mehr als die Hälfte. Doch die Kapazitäten der Anlagen, die etwa in den Alpen Wasser mit überschüssigem Strom den Hügel hinauf in einen Stausee pumpen und bei Bedarf dann wieder talwärts Turbinen antreiben, sind weitgehend ausgereizt. Um eine viertägige Windflaute auszugleichen, so rechnet Roland Hamelmann von der Fachhochschule Lübeck hoch, „müsste man den Bodensee auf das Niveau der Zugspitze pumpen“. Wenn die regenerativen Stromquellen wie geplant ausgebaut werden – von derzeit 16 Prozent soll ihr Anteil am Strommix auf bis zu 50 Prozent im Jahr 2050 ansteigen –, sind gewaltige Stromspeicher nötig. Verschiedene Konzepte werden derzeit erprobt: • Die Firma Evonik entwickelt eine riesige Lithium-Keramik-Batterie, die F OCUS 11/2010
Die Zukunft Regenerativen Strom besser speichern
⯠ Windkraft oder Solaranlagen liefern mal zu viel, mal gar keinen Strom.
⯡ Mit dem Ökostrom wird Wasserstoff oder Methan hergestellt. Beide Gase sind lagerfähig.
⯢ Bei Strombedarf im Netz nutzt eine Turbine den Gasvorrat.
⯣ Pumpspeicher-Kraftwerke sind die meistgenutzten Strompuffer.
⯤ Auch unter hohem Druck in den Untergrund gepresste Luft ist ein Energiespeicher.
⯥ Riesige Batterien stabilisieren das Netz.
Foto: Rainer Kwiotek/Zeitenspiegel/F OCUS -Magazin
Zukunft im Container Ulrich Zuberbühler steuert die Strom-zu-Gas-Verwandlung der Testanlage
700 Kilowattstunden speichern kann. Der Prototyp soll zum Jahresende fertig sein. • Stromversorger RWE setzt auf unterirdische Druckluftspeicher, die ihre Energie bei Bedarf über Turbinen entladen. • Die künftige Elektroautoflotte auf Deutschlands Straßen könnte als mobiler Netzspeicher fungieren, wenn die Batterien als Puffer für ein intelligentes Stromnetz benutzt werden. • Niederländische Forscher wollen Kühlhäuser so betreiben, dass sie Stromspitzen ausgleichen: Wird mehr Elektrizität produziert als nötig, frosten sie die eisigen Lagerhallen auf Vorrat. Sobald der Strombedarf steigt, kann die Kühlleistung entsprechend verringert werden. Der nicht benötigte Strom steht anderweitig zur Verfügung. Tage- oder gar wochenlange landesweite Stromlücken kann aber keine dieser Technologien überbrücken. Das Erdgasnetz mit seinen unterirdischen Lagern und Röhren bildet hingegen ein riesiges Speichermedium, meint Waldstein: „Hier kommen wir auf rund 200 Terawattstunden.“ Diese Kapazität entspricht F OCUS 11/2010
etwa der Menge an Strom, die Deutschland in vier Monaten verbraucht. Vor einem Jahr legte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Grundstein für ein neuartiges Hybrid-Kraftwerk, das Windstrom in Wasserstoff verwandelt. Die brandenburgische Firma Enertrag will mit der Anlage schon bald zuverlässige sechs Megawatt Leistung erzeugen. Auch die Stuttgarter Forscher spalten zunächst per Elektrolyse herkömmliches Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Anschließend jedoch gehen sie einen Schritt weiter und lassen den Wasserstoff mit Kohlendioxid reagieren. Dabei entstehen Wasser und Methan. Letzteres ist der Hauptbestandteil von konventionellem Erdgas. Besonders praktisch: Die Ökovariante des fossilen Brennstoffs kann in das reguläre Gasnetz fließen und von da aus entweder Wohnungen beheizen oder erneut Strom erzeugen. Oder – wie beim ZSW – ein Erdgasauto betanken. In Stuttgart steht somit der wohl weltweit erste windkraftbetriebene VW-Passat. Für viele Fachleute liegt der Charme der Strom-zu-Gas-Technologie darin, dass man – im Gegensatz etwa zur Spei-
cherung in Wasserstoff – die bestehende Infrastruktur des Gasnetzes nutzen kann. Dirk Uwe Sauer von der RWTH Aachen kennt aber auch die Nachteile: „Die Umwandlung von Strom zu Gas und dann wieder zu Strom bringt natürlich einen erheblichen Wirkungsgrad-Verlust mit sich.“ Sauer sieht letztlich einen Wirkungsgrad von weniger als 40 Prozent. Die Initiatoren des Projekts sind dennoch zuversichtlich. „Mit der Demonstrationsanlage haben wir gezeigt, dass die Technik funktioniert“, unterstreicht Ulrich Zuberbühler vom ZSW. Nun soll im kommenden Jahr eine – mit zehn bis 20 Megawatt – deutlich größere Variante entstehen, die nach derzeitiger Planung Mitte 2012 in Betrieb gehen wird. „Wir müssen beweisen, dass wir zu wettbewerbsfähigen Kosten den Brennstoff herstellen können. Im Moment liegen wir noch etwas darüber“, gibt Solar-Fuel-Manager Waldstein die Richtung vor. „Wenn das gelingt, und das ist nur eine Frage der Zeit, können wir richtig Gas geben.“ ■ JOCHEN SCHUSTER / MARTIN KUNZ
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BRENNPUNKT
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Sieben europäische Armeen haben einen neuen Lufttransporter geordert. Nach jahrelangem Politikund Industriegezänk geht der Militärvogel in Serie
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XXL-Roboter Alle Systeme sind weitgehend automatisiert. Am Steuer sitzt nur noch eine 2-Mann-Crew.
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Allwetter-Flieger Bei widrigsten Bedingungen, nachts und im Tiefflug übernimmt der Computer das Kommando – wie sonst nur bei Kampfjets.
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Sprit satt Treibstoff für bis zu zwölf Stunden lange Flüge passt in riesige Tragflächentanks.
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Fliegende Tankstelle Über einen großen Füllstutzen (vorn) gelangt Sprit während des Flugs in die Maschine. An den hinteren Tankschläuchen können andere Flugzeuge andocken und sich Kraftstoff holen.
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Sitzvariante Laderaum
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Foto: Airbus
eit den 80er-Jahren wünschen sich Europas Generäle diesen Flieger. Jetzt haben sich Auftraggeber und Hersteller geeinigt: 180 Maschinen bekommen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Belgien, Luxemburg und die Türkei. Ein Drittel davon erhält die Bundeswehr. Pannen beim Bau, Streit um die Finanzierung – das ehrgeizige Projekt eines Militärtransporters für die kommenden Jahrzehnte lieferte Schlagzeilen. Das Bohei überdeckt, dass die bullige Maschine ihre Vorgänger, etwa die deutschfranzösische Transall, deutlich überflügelt. Das viermotorige Multitalent kann schnell und hoch, aber auch langsam in Baumwipfelnähe fliegen. Es dient als fliegende Zapfsäule für Hubschrauber oder Kampfjets und kann selbst im Himmel betankt werden. Vor Luftabwehrraketen schützen moderne Sensor- und Störsysteme. „Schulterdecker“ nennen Ingenieure das Flugzeug, denn seine Tragflächen liegen auf dem Rumpf. Es kann auch andere Aufgaben übernehmen, etwa in neutraler weißer Lackierung bei einem UN-Einsatz. Oder schnell Hilfe nach einem Erdbeben bringen. Mit Bergungsgerät und Hilfsgütern an Bord steuert der Transporter viele Ziele nonstop an, für die andere Maschinen Zwischenlandungen benötigen. Am Katastrophenort braucht er nicht mal eine Landepiste – ein Gras- oder Sandstreifen ■ reicht aus.
Wie ein Airliner Die Pilotenkanzel, die viele Elemente der ZivilSchwester A380 enthält, verfügt über acht große Bildschirme. Wichtige Flugdaten werden in die Frontscheibe eingespiegelt
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37 Tonnen Güter oder Sitz des Lademeisters
3 Laderaum/Laderampe Eigener Kran an Bord Ein Seilwindensystem und ein 5-Tonnen-Kran können den Frachtraum in zehn bis 15 Minuten entladen – unabhängig von der Ausstattung der Flughäfen. Eine hydraulische Verlängerung der Rampe erleichtert das Manövrieren von Fahrzeugen.
Europas Global Player Der Langstreckenflieger kann auch auf kurzen Pisten starten.
Hersteller Länge Spannweite Höhe max. Startmasse max. Nutzlast
4 Lademeister Ein Mann für alle Güter Der Spezialist für das Ein- und Ausladen der Fracht verfügt neben der Einstiegsluke über eine mit Computern ausgestattete Schaltzentrale. Mit seiner mobilen Fernbedienung kann er alle Laderaumsysteme ansteuern und kontrollieren.
Tankmenge max. Geschw. max. Flughöhe Reichweite Startstrecke Preis
63 000 l 770 km/h 11 300 m 6400 km 900 m 100 Mio. Euro
14,7 m
❙
Airbus Military 45,1 m 42,4 m 14,7 m 141 t 37 t
Quelle: Airbus Militar y
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3
hinterer Frachtbereich
6,2 m 42,4 m
5 Fahrwerk Laderampe Flügeltanks
Die sechs Doppelräder des Hauptfahrgestells verschwinden nach dem Start in voluminösen Seitenverkleidungen. Der Fahrwerksschacht wurde so konzipiert, dass er kaum Turbulenzen erzeugt und damit ein optimales Abspringen der Fallschirmjäger ermöglicht. Bei großen Frachten kann das Fahrwerk nach hinten abgesenkt werden, um den Auffahrwinkel der Laderampe zu verringern.
2
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7 6 Stromerzeuger für die Flügeltankpumpe
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zwei Kampfhubschrauber F OCUS 11/2010
oder 116 Personen
7 Propeller/Antrieb
Je eine zwei Tonnen schwere 3-Wellen-Turbine mit einer Leistung von 11 000 PS (8100 kW) treibt die vier aus modernen Verbundwerkstoffen gebauten 8-Blatt-Propeller an. Es ist der stärkste je entwickelte Antrieb eines Turboprops. Der Transporter kann damit auch rückwärts fahren, sogar auf ansteigenden Abstellflächen. Die fünfeinhalb Meter großen Propeller rotieren gegenläufig. Das verhindert, dass das Flugzeug bei einem Triebwerksausfall ins Schlingern gerät. 77
GUTE FRAGE
... wollte in der vergangenen Woche der Hirnforscher Gerhard Roth wissen. Hier gibt ihm der Biologe und Philosoph Eckart Voland eine Antwort, in der „einige Brisanz“ steckt
Bio-Logiker Eckart Voland arbeitet im Zentrum für Philosophie und Grundlagen der Wissenschaft der Universität Gießen. Er hat dort den Lehrstuhl für die Philosophie der Biowissenschaften
W
enn ein menschliches Merkmal als kulturübergreifende Universalie angesprochen werden muss, wie etwa die Sprachfähigkeit oder Kunst, nährt dies den Verdacht, dass dieses Merkmal irgendetwas mit der menschlichen Natur zu tun haben könnte und sich seine Entstehung letztlich aus der Tiefe und Wirkweise des evolutionären Geschehens erklärt. Natürlich gibt es keine Gene für die eine oder andere der vielen tausend Religionen, genauso wenig wie es Gene für die eine oder andere Sprache, den einen oder anderen Kunststil gibt. Kulturelle Traditionen bestimmen also ganz entscheidend, in welcher Form sich die menschliche Natur je manifestiert. Bevor allerdings Kulturgeschichte ihre Wirkung entfalten kann, bedarf es natürlicher Vorgaben. Sprache bedarf eines natürlichen Sprachvermögens, Kunst einer ästhetischen Urteilskraft und Religion eben einer biologisch evolvierten Religionsfähigkeit. Dazu zählen kognitive Strategien der Weltwahrnehmung, wie etwa ein dualistisches Denken, mit dem wir uns spontan
und ohne dass wir es erst mühsam lernen müssten, Geist ohne Körper vorstellen können, ferner ein schier übermächtiges Bestreben, zu rationalisieren und keine Erklärungslücken zuzulassen – auch nicht bei Dingen, die wir überhaupt nicht verstehen können. Dazu gehören auch emotionale Fähigkeiten, wie etwa eine Synchronisation der Gefühlslagen unter dem Druck eines Gemeinschaftsrituals und vieles andere mehr. Um im Darwin’schen „Struggle for Life“ bestehen zu können, muss ein Merkmal allerdings biologische Nützlichkeit hervorbringen. Und in der Tat lassen sich zunehmend Befunde darstellen, die auf eine biologische Funktion von Frömmigkeit hindeuten. Hierzu zählt zu allererst eine verbesserte Bewältigung von Schicksalsschlägen derjenigen, die über Glauben zu einer gefestigten Weltsicht gelangt sind. Außerdem entstehen Kooperationsgewinne in religiös zusammengehaltenen Gruppen leichter als in säkularen, und nicht zuletzt hat Religion auch viel zu tun mit der Stärkung einer Binnenmoral zum Zweck einer gesteigerten Konkurrenzfähigkeit nach außen. In dieser auf biologische Nützlichkeit abstellenden evolutionären Sicht steckt angesichts religiöser Selbstwahrnehmung zweifellos einige Brisanz, weil sie nämlich den Ursprung der Religionen vom Übernatürlichen in das Natürliche verlagert und damit ihrer ■ sicher geglaubten Heimat beraubt.
Foto: Stefan Thomas Kröger/F OCUS -Magazin
Warum sind Menschen religiös?
Eine Frage, die mich bewegt:
Gibt es ein Neandertaler-Erbe in der modernen Menschheit? Darauf gibt in der kommenden Woche der Paläoanthropologe Friedemann Schrenk eine Antwort 78
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Gut kom bin iert :
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F O R SC H U N G & T E C H N I K
Flugdauer 39 Tage
Expressflug zum Mars Raumschiffe mit Ionentriebwerk können den Roten Planeten in 39 Tagen erreichen – sofern ein Kernreaktor statt Solarzellen den benötigten Strom liefert
Mars Erde
Stromgenerator fr erste Antenne
Effizienter Antrieb VASIMR unterscheidet sich von anderen Ionentriebwerken: Es beschleunigt das Plasma mit Radiowellen statt elektromagnetischen Feldern, erzeugt viel Strom und kann den Schub variieren, was die Effizienz steigert
supraleitende Magnete
Tank (Argon, Xenon, oder Wasserstoff)
durch VASIMR angetriebenes Marsraumschi iff Marsraumschiff
kaltes Plasma
12/08 356 352 348 344 340
6/09 12/09 R m t to Raumstation Fll ghhhh (i FFlughhe (inn kkm) km)
beschleunigtes Plasma
Stromzufhrung Stro Radioantenne zur Plasmaheizung
Gasatom
Elektronen
positiv geladenes Ion
Internationale Raumstation (ISS)
Erster Test Ein Ionen-Doppeltriebwerk soll ab 2013 die ISS auf ihrer Bahn halten
Der neue Videostar
»
Mit Rundumsicht: Dank einer Speziallinse kann der Minicamcorder Sony Bloggie MHS-PM5K die Welt um seinen Besitzer im 360-Grad-Panorama aufzeichnen – als FullHD-Video oder auch als 5-Megapixel-Foto. Die Filme gelingen für ein Gerät dieser Klasse sehr gut, Standbilder erreichen nicht ganz die Qualität einer Kompaktkamera. Praktisch ist auch das schwenkbare Objektiv: So hat der Kameramann das Motiv stets bequem auf dem Display im Blick, ganz gleich, wo es sich mm] befindet. ca. 180 Euro, www.sony.de
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Quelle: Ad Astra
Gasionen
Stromgenerator fr zweite Antenne
VASIMIR
Plasmarhre
Antenne fr Radiowellen zur Plasmaerzeugung
Ionen-Generator Radiowellen trennen die Elektronen von den Atomkernen, ein Plasma entsteht
ausgesto§ene Ionen erzeugen Schub
Magnetfeldlinien Ion
Magnetkäfig Starke Magnetfelder schließen das Plasma ein und leiten es zur Düse
Radioheizung Eingestrahlte Radiowellen bringen die geladenen Teilchen auf höhere Energie
Plasma-Rückstoß Das nun eine Million Kelvin heiße Plasma strömt durch eine Düse und erzeugt Schub
Interesse an 3-D-Fernsehen
33%
aller TV-Besitzer zeigten sich in einer Umfrage des US-Marktforschungsunternehmens NPD zumindest etwas interessiert an 3-D-fähigen Fernsehgeräten, von denen weltweit 2010 etwa 1,2 Millionen Stück verkauft werden sollen. Mehr als die Hälfte der Befragten störte sich allerdings an den zum 3-Dmm] Konsum nötigen Brillen.
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PERSPEKTIVEN Riesenkalmar in Plastik
Mit Ionen ins All
Dem umstrittenen Anatomen Gunther von Hagens gelang es, zwei Riesenkalmare mit der von ihm erfundenen Technik zu plastinieren. Dabei wird die Zellflüssigkeit komplett durch Silikon ersetzt – bei den besonders wasserreichen Weichtieren eine Herausforderung. Die toten Exemplare hatte die University of Technology im neuseeländischen Auckland gespendet. Eines ist nun auf dem Rückweg, das andere soll bei Hagens’ Körperwelten-Shows präsentiert werden. Bei der Ausstellung „Körperwelten der Tiere“, die an diesem Freitag im Zoo Neunkirchen (Saarland) beginnt, wird Architeuthis dux allerdings noch nicht zu sehen sein. Dafür werden mit Samba und Chiana die ersten plastinierten Elefanmm ten der Welt gezeigt.
Ein neuartiger Raumschiffantrieb soll Güter und Astronauten schnell und billig zu Mond, Mars und Asteroiden befördern eht es nach der Regierung von USPräsident Barack Obama, wird es so schnell keine bemannten Missionen zu Mond und Mars geben. Im Haushalt für 2011 ist das Geld für den Bau eines neuen Trägerraketen-Systems gestrichen. Vielleicht können US-Raumschiffe beide Himmelskörper aber doch eher erreichen als gedacht. Laut ihrem Direktor Charles Bolden arbeitet die Raumfahrtbehörde Nasa bereits an einem neuen Zeitplan zur Erkundung des Sonnensystems. Dazu müsste jedoch eine neuartige Transportkette im All entstehen. Als erste Stufe übernehmen Raumfähren privater Firmen den Zubringerdienst vom Boden in den niedrigen Erdorbit und zur Internationalen Raumstation ISS. Von dort fliegen Raumtransporter zu anderen Himmelskörpern. Würden sie im All betankt, wäre ein Pendelverkehr möglich, etwa zwischen Erde und Mond. Viele teure Starts von der Erde entfielen. Als Treibstoff könnten Roboter auf dem Erdtrabanten aus Wasser die Gase Wasserstoff und Sauerstoff erzeugen.
Auch Missionen ins tiefere All sind denkbar. So könnten Astronauten schon im nächsten Jahrzehnt Proben von Asteroiden zur Erde holen. Dazu werden aber andere Antriebssysteme als die herkömmlichen Raketenmotoren benötigt. Ein solches innovatives System ist das „Variable Specific Impulse Magnetoplasma Rocket“ (VASIMR) genannte Ionentriebwerk, das in den Labors der texanischen Ad Astra Rocket Company heranreift. Es stößt Gasionen aus, die durch Radiowellen beschleunigt werden. Ihr Rückstoß treibt Raumschiffe mit langsam, aber stetig wachsender Geschwindigkeit voran. Mit VASIMR betriebene Vehikel sollen als Transportfähren zum Mond dienen, später könnten sie Astronauten zum Mars sowie zu Asteroiden befördern. 2009 erreichte ein Prototyp die Nennleistung von 200 Kilowatt. Bis 2013 will Ad Astra nun ein flugfähiges Triebwerk bauen. Als Test soll es die ISS, die durch Luftreibung stetig absinkt, in Abständen anheben. ■ MICHAEL ODENWALD
Trick für gute Noten Frischer Wind für den Afghanistan-Veteran
» Aus Alt wird Neu: Erste Varianten des Hubschraubers CH-53 flogen schon in den 60er-Jahren. Nun wird der BundeswehrOldie fürs 21. Jahrhundert fit gemacht. Das 20-Tonnen-Fluggerät erhält einen Autopiloten und moderne Cockpitausstattung. Die
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Elektronik ermöglicht einen vollautomatischen Schwebeflug. Dazu kommen Satellitenkommunikation und Sensoren gegen Flugabwehrraketen. Die Firma Eurocopter in Donauwörth übernimmt die technischen Veränderungen. güs]
Fotos: C. Abarr/Eurocopter, G. von Hagens/Institut für Plastination in Heidelberg/www.koerper welten.de
Illustration: Brian Sipple/F OCUS -Magazin
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US-Psychologen entdeckten einen Trick, mit dessen Hilfe Schüler bessere Noten erzielen können: In einer Studie forderten sie die Teilnehmer auf, vor einer Klassenarbeit neben ihrem Namen ein A (die „Note Eins“ in den USA) in die rechte obere Ecke ihres Aufgabenblatts zu schreiben. Die Kontrollgruppe notierte dort ein F („Note Sechs“). Das überraschende Ergebnis: Kinder mit dem A vor Augen erzielten bessere Testergebnisse als die F-Gruppe. „Wir glauben, dass die gute Note auf dem Blatt Schüler unbewusst motiviert“, cgo erläutern die Forscher.
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Höllisch wirksam Psychologen erzeugen virtuelle Welten, um Angstpatienten mit ihren Phobien zu konfrontieren – und zu heilen
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ie Folterkammer der Uni-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Münster liegt direkt unter dem Dach. „Challenge-Labor 1“ ist ein karg eingerichteter Raum mit zwei Tischen und zwei Stühlen. Auffällig sind nur die drei großen Bildschirme – zwei für die Versuchsleiterin, einer für ihre Probanden. Wenn das Licht ausgeht, erleben Angstpatienten hier ihre private Hölle. Sie fahren durch enge Tunnel ohne Standstreifen. Dünnbeinige Spinnen kriechen auf sie zu oder lassen sich von der Decke herunterfallen. Theoretisch könnten die Versuchspersonen auch von Pitbulls angeknurrt oder im Flugzeug durchgeschüttelt werden. Aber dafür gibt es in Münster noch keine Software.
Das neuartige Konfrontationsverfahren, das hier erforscht wird, schickt Angstkranke durch künstliche Welten, die von Computern erzeugt werden. Dass sich Menschen mit spezifischen Phobien unter Anleitung ihrer Therapeuten ihrem Panikobjekt stellen, ist schon lange der Königsweg, die Ängste loszuwerden. Sieben bis zehn Prozent der Bevölkerung durchleiden mindestens einmal im Leben eine solche Krankheit. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Am weitesten verbreitet sind Ängste vor Spinnen, Hunden, Autofahrten, großer Höhe und Flügen. Derzeit müssen Therapeuten die Behandlung ihrer Patienten
Horror im Kopf Am Computer erschaffene Welten sollen die Therapie von Angstpatienten verbessern. Nötig sind lediglich die entsprechende Software und handelsübliches Computerzubehör
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Fotos: Erik Hinz/F OCUS -Magazin, Mauritius
Objekt des Grusels Taranteln lösen in Phobikern nackte Panik aus – auch wenn sie nur simuliert sind
noch extrem aufwendig unter realen Bedingungen durchführen. Mit Höhenphobikern etwa klettern sie auf Berge oder zumindest auf Hochhausdächer. Bei ausgeprägter Flugangst funktioniert die Konfrontation fast nur, wenn Arzt und Patient gemeinsam in die Luft steigen. Entsprechend hoch sind die Kosten, die der Klient in der Regel selbst tragen muss. Anders die Behandlung in virtuellen Welten: Liegt die Software fertig programmiert vor, ist die Methode vergleichsweise günstig. Die Technologie basiert zum größten Teil auf handelsüblichen Computerkomponenten. Umso erstaunlicher ist der von den Forschern beobachtete Effekt. Die PixelSzenen lösen das gleiche Herzrasen und ähnlich starke Schweißausbrüche aus wie ihre realen Vorbilder. „Die körperlichen Reaktionen, die man während der Simulationen messen kann, sind absolut vergleichbar“, berichtet die Psychologin Julia Diemer, die bei den Tests am Steuerpult sitzt. Ihr Kollege Andreas Mühlberger vom Psychologischen Institut der Universität Würzburg, mit dem die Münsteraner kooperieren, hat noch weitergehende Erfahrungen gemacht. „Wir haben Patienten erlebt, die allein durch die virtuelle Begegnung mit ihrem AngstF OCUS 11/2010
objekt von ihrer Phobie geheilt wurden“, berichtet er. Mittendrin statt nur dabei. Ursprünglich wurde Virtual Reality zur Steigerung des Unterhaltungswerts von Spielen entwickelt. Mit einer sogenannten Cyberbrille vor den Augen und Kopfhörern auf den Ohren ist man nicht mehr nur Zuschauer, sondern hat den Eindruck, Teil der simulierten 3-D-Welt zu sein. Per Joystick oder Lenkrad kann sich der Spieler selbst durch den virtuellen Raum bewegen. Verstärkt wird die Illusion durch die Übertragung der Kopfhaltung. Wendet man das Gesicht, sieht man Boden, Decke oder Wände der Räume, die das Programm konstruiert. Am Computer haben Patienten mit Panik vor dem Autofahren das Steuer sogar selbst in der Hand, können Gas geben und bremsen. Für die phobischen Probanden ist das alles andere als ein großer Spaß. Die Spinnensimulationen beispielsweise sind zwar eindeutig als Computer-Doubles zu erkennen. Für Menschen mit extremer Angst vor den Achtbeinern ist der Aufenthalt in der virtuellen Krabbelstube trotzdem eine Seelenqual. „Angst findet in emotionalen Verarbeitungssystemen des Gehirns statt“, erklärt der Würzburger Psychologe Mühlberger. „Diese Bereiche nehmen es, vereinfacht gesagt, nicht so
genau mit dem Realitäts-Check.“ Dieser Umstand ist die große Chance für die Therapie per Computer. „Im Grunde geht es darum, dem Patienten zu beweisen, dass er die Begegnung mit dem Angstauslöser aushalten kann“, erläutert der Leiter der Forschergruppe, Psychiatrieprofessor Peter Zwanzger von der Universität Münster. „Ohne Fluchtmöglichkeit tut er das, was er sonst vermeidet: Er stellt sich der Situation. So erlebt er, dass ihm nichts passiert, und seine Angst nimmt ab.“ Je nach Gewöhnungsgrad des Patienten können die Forscher vom Kontrollpult aus die 3-D-Landschaft schrittweise dramatischer gestalten. „Ich kann zum Beispiel entscheiden, ob ein Fahrzeug entgegenkommt oder ob plötzlich Nebel heraufzieht“, erklärt Diemer. „Das funktioniert wie mit einem Baukasten.“ Den Cyber-Therapeuten gelingt es so, den Fortschritt der Behandlung genau zu verfolgen und die Situation individuell auf den Patienten zuzuschneiden. Ist beispielsweise das Fehlen von Notausgängen in der Röhre das Problem, können die grün fluoreszierenden Türen per Tastendruck gelöscht oder zumindest verdunkelt werden. Für Patienten beruhigend: Im Notfall ist der Abbruch der Sitzung jederzeit möglich. Das Würzburger Team um den Psychologen Mühlberger hat neben Autofahrund Spinnen-Programmen bereits Szenarien gegen Flug- und Höhenangst sowie soziale Phobien im Repertoire. Derzeit bastelt die Gruppe mit zwei Informatikern an Software gegen Panik vor Hunden. Auch ein Programm für Menschen mit krankhafter Angst vor Zahnbehandlungen ist in Planung. Noch sind die Therapieprogramme allerdings nicht für jeden Patienten verfügbar. Obwohl alles daraufhin deutet, dass die virtuelle Konfrontation spezifische Ängste heilen kann, „fehlt noch der wissenschaftliche Beweis“, betont Peter Zwanzger. Bis dahin dürften noch einige Jahre vergehen, schätzt sein Kollege Mühlberger. Ist er jedoch erbracht, „wird die Methode ■ schnell zum Standard werden“. DAGMAR METZGER
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Vereint im Kampf gegen die Krankheit In „Ausnahmesituation“ (Start: 11. März) kämpft Harrison Ford als Mediziner Robert Stonehill an der Seite eines Vaters (Brendan Fraser) um das Leben zweier Kinder
Diseases zählt (Waisen-Krankheiten). Die Pharmaindustrie erwartet wegen der kleinen Zahl an Patienten keine Gewinne und forscht kaum an einem Heilmittel. Immerhin verabschiedeten die USA dafür den Orphan Drug Act und gewährten Steuererleichterungen. Der von Ihnen dargestellte kauzige Wissenschaftler Stonehill klagt, dass sogar der Football-Trainer der Uni mehr Gehalt bekommt als sein ganzer Fachbereich. Kritisieren Sie derlei Prioritätensetzungen?
Hollywood-Star Harrison Ford nutzt seinen neuen Film, um für die bessere Erforschung seltener Krankheiten zu plädieren
Ihr Film „Ausnahmesituation“ zeigt den verzweifelten Kampf eines Vaters um eine Therapie gegen die seltene Erbkrankheit Morbus Pompe, an der zwei seiner drei Kinder leiden. Was reizte Sie an dem Thema?
Ich glaube, jeder kann sich mit diesem emotionalen Drama identifizieren, weil es um Fragen der Menschlichkeit geht. Der Zuschauer mag weinen, doch verlässt er den Kinosaal ermutigt von der Haltung dieser Familie, die ihrem schweren Schicksal mit großer Würde und großem Mut begegnet. Der Film bedeutet eine intensive emotionale Erfahrung. Das ist doch das Beste, was ein Film bewirken kann. Zudem beruht er auf einer wahren Geschichte, die mich sehr ansprach. Was möchten Sie mit dem Film erreichen?
Zunächst mal wollte ich einen widersprüchlichen Charakter spielen, etwas anderes, als das, was Sie von mir erwarten. Gleichzeitig hoffe ich, die Öffentlichkeit für diese obskure Krankheit zu interessieren. Es gibt weltweit nur einige tausend Menschen mit Morbus Pompe, die zu den sogenannten Orphan 84
Die Waisen der medizinischen Forschung ❙
Orphan Diseases werden seltene Krankheiten genannt, die nicht mehr als fünf von 10 000 Menschen betreffen.
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In Deutschland sind wahrscheinlich über vier Millionen Menschen an einer Orphan Disease erkrankt. Etwa 80 Prozent sind genetischen Ursprungs, Die Patienten sind vor allem Kinder und Jugendliche.
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Ärzte erkennen die Symptome häufig lange nicht. Es gibt nur wenige Spezialisten und selten eine wirksame Therapie.
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Morbus Pompe ist eine erblich bedingte Stoffwechselstörung der Muskulatur. Lähmungen führen über Jahre zum Tod.
Sie hätten viel simplistischer allein den Konflikt mit der bösen Pharmaindustrie darstellen können. Warum wirkt der Film so ausgewogen?
Weil der Schurke hier eben die Krankheit ist, nicht die Pharmabosse. Deren Aufgabe ist es, Geschäft zu machen. Wenn ich mein Geld bei einem solchen Unternehmen investiere, wünsche ich mir ja auch Aktiengewinne. Aber Sie haben Recht: Natürlich ist wissenschaftliche Forschung unterfinanziert, während für andere Aspekte des Lebens Geld verschleudert wird. Sind Sie von der wahren Geschichte abgewichen, um den Streifen spannender zu machen?
In zwei Punkten haben wir uns künstlerische Freiheiten geleistet. Es stimmt, dass die Kinder nicht an klinischen Tests mit dem neuen Enzym teilnehmen durften, weil sie schon zu groß waren. Allerdings konnten sie in Wirklichkeit an einer Geschwisterstudie teilnehmen. Und der Vater hat auch nicht in einem letzten Verzweiflungsakt versucht, das erfolgreich entwickelte Enzym für seine Kinder aus dem Labor zu stehlen. Allerdings habe er über einen solchen Einbruch nachgedacht, erzählte er uns. ■ INTERVIEW: ULRIKE PLEWINA
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Foto: Concorde Filmverleih
Kauz gegen Schurke
Das sind schlicht Tatsachen. Deshalb ist der Professor ja frustriert und so empfänglich für das Angebot der Familie der betroffenen Kinder, seine Grundlagenarbeit zu finanzieren.
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Der einsame Eisbär auf der letzten Scholle in der Arktis ist eine handfeste Lüge und Manipulation – und fast alle fallen darauf rein
Dieser „Lügen-Bär“ verkohlt die Welt Es gibt kaum ein Bild in der Geschichte der Fotografie, mit dem die Menschen mehr manipuliert und verkohlt werden als mit diesem: Der einsame Eisbär auf der letzten Scholle in der Arktis. Er stirbt aus. Weltuntergangs-Stimmung. Klimawandel bringt uns um. Schuld der Industrie, Schuld von CO2. Panikmache. Geld, politische Macht, Zer-
störung der freien Marktwirtschaft, Gängelung durch eine Öko-Diktatur. Das sind die wahren Ziele der Öko- und Klima-Hysteriker. Dr. Wolfgang Thüne, langjähriger Wetter-Experte des ZDF, fast eine Art „Klima-Papst“, räumt jetzt auf mit diesem ganzen Blödsinn. Er hat zusammen mit Erfolgsautor Peter Helmes eine Aufklärungs-Broschüre her-
ausgebracht, der die sogenannten „GutMenschen“ und „Klima-Spinner“ nichts entgegenzusetzen haben. „Die grüne Gefahr – Der Treibhaus-Schwindel und andere Öko-Täuschungen“. Titel einer 48 Seiten starken Broschüre. Mit dem Coupon auf dieser Seite können Sie die Broschüre bestellen. Kostenlos und ohne jegliche Verpflichtung.
Mit Lügen wird Politik gemacht die Wahrheit kommt unter die Räder „Gut-Menschen“ und Klima-Hy- Ackerflächen für Ölpalmen gerodet steriker stellen aber schon Prog- werden. Die neue Welt-Hysterie heißt nosen für die nächsten 100 Jahre „Schweine-Grippe“. Über 2 Millionen Die Wahrheit: 1950 gab es in der Ark- auf. Tote durch Malaria oder 2 Millionen tote tis 5000 Eisbären, heute sind es 25 000. Kinder durch simplen Durchfall wegen Seit Jahren Die Seehunde sind in manchen Länschlechter Ernährung… darüber redet wird gelogen dern zur regelrechten Plage geworkaum noch einer. Mit Malaria und toten den, so groß wie ganze Ameisen- Die Menschen starben aus durch die Kindern läßt sich die Welt nicht maniKolonien. Viehkrankheit BSE, dann durch die Vo- pulieren. Aber mit „rettender” Windkraft gelgrippe, das Ozonloch, Flüsse und angeblichem „Treibhausklima”. Lüge 2: Der Mensch „kippten um“. In Wahrheit werden die verändert das Klima Endlich die Wahrheit meisten Flüsse immer sauberer. Dann über alle Öko-Lügen Die Wahrheit: Der Einfluß des Men- starben die Wälder durch sauren schen auf das Klima ist nahezu Null. Regen. Die Wahrheit: Abgesehen von Es war überfällig, daß endlich jeDie Sonne macht das Klima, nicht der den Sünden im Regenwald – es gibt mand mit all diesem Unsinn Mensch. Klima-Schwankungen gibt mehr und mehr Wald auf der Erde. aufräumt. Sie können die Broschüre es seit Jahr-Millionen. Wärmeperio- Schließlich sollte Bio-Diesel die Welt von Dr. Wolfgang Thüne mit diesem den waren gut für die Menschen. Käl- retten. Er führt zu noch mehr Abgasen Coupon bestellen. Sie wird in weniteperioden brachten Hunger, Elend, und Hunger in der Welt, weil wertvolle gen Tagen kostenlos geliefert. Völkerwanderung, sogar den Untergang des Römischen Reiches. Endlich Kontra gegen Öko-Spinner Lüge 3: CO2 bringt uns um Studierte Meteorologie, Geophysik, MatheDie Wahrheit: CO2 ist ein Segen für matik, Physik und Geographie. Diplom mit die Menschen, Tiere, Pflanzen. Ohne „sehr gut“. Promotion in Philosophie mit „summa cum laude“. Kennt die Welt, ist mutig, CO2 ist Leben auf unserer schönen sagt die Wahrheit, wurde bekannt als ZDFErde unmöglich. Der Anteil des vom Wetterexperte. Anerkannter Fachmann. Ein Menschen geschaffenen CO2 macht hoch-qualifizierter Wissenschaftler, konservaobendrein nur einen Bruchteil aller Dr. Wolfgang tiv. Er und Peter Helmes, politischer ErfolgsCO2-Emissionen aus. Meteorologen Thüne: autor, und Heinrich Lummer bringen jetzt die können oft nicht einmal für 24 StunDiplomneue Broschüre heraus, die alle Öko-Lügen den das Wetter vorhersagen, unsere Metereologe auf den Kopf stellt: „Die grüne Gefahr”. Lüge 1: Der Eisbär stirbt aus
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Die grüne Gefahr Der „TreibhausSchwindel“ und andere Öko-Täuschungen Vorwort von Heinrich Lummer, CDU-Bürgermeister und Innensenator a.D. von Berlin – unter Mitarbeit von Peter Helmes, Erfolgsautor politischer Bücher
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DOSIERT
Die Wahrheit über
»DNA-Spuren«
Kein Klischee: Männer haben länger Sex (A. Peet und J. Nicholson in „Was das Herz begehrt“)
Die Lust der Opas: Männer machen’s länger Männer sterben früher als Frauen, haben aber ein längeres Sexleben, berichten US-Mediziner im renommierten Fachmagazin „British Medical Journal“. Die Forscher führen dabei eine neue Messgröße ein: die „sexuell aktive Lebenserwartung“ (SALE). Die SALE ist bei Männern zehn Jahre niedriger als die Lebenserwartung, bei Frauen ganze 20 Jahre. Das ergaben Daten von mehr als 6000 Personen.
Allergiebehandlung mit Erdnusspulver und Eiweiß
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Die Liebhaber der forensischen Medizin können bei den CSIEinsatzteams im TV spektakuläre Aufklärungsfälle verfolgen: DNASpuren an Glassplittern, Hautfetzen an Kotflügeln oder Haarreste an Äxten haben schon Dutzende Straftäter überführt. Noch mehr Fantasie als die CSI-Drehbuchautoren beweist das wirkliche Leben: Die Polizei auf der australischen Insel Tasmanien wurde im Jahr 2001 zu einem Einbruch in ein Haus gerufen, bei dem die Räuber keine offensichtliche Spur hinterlassen hatten. Bis einer der Polizisten vor dem ausgeräumten Tresor einen kleinen Blutegel entdeckte. „Das Tier war ganz dick und hatte sich gerade mit Blut vollgesogen“, erinnert sich der Ermittler. Weil
Männer mit 55 haben demnach noch durchschnittlich 15 Jahre Sex, also bis zum 70. Lebensjahr. Bei gleichaltrigen Frauen sind es im Schnitt nur zehn Jahre. Eine gesundheitsbewusste Lebensweise kann die SALE bedeutend steigern, betonen die Studienautoren der Universität Chicago: Wer mit 55 bei guter oder bester Gesundheit ist, gewinnt als Mann fünf bis sieben Jahre hinzu, als Frau drei pan bis sechs Jahre.
Spuren von Lebensmitteln können bei Menschen mit einer Allergie zu einem lebensbedrohlichen Schock führen. Umso erstaunlicher sind die Erfolge, die Kinderärzte der Johns-Hopkins-Universität auf der Jahrestagung der Allergologen in den USA Anfang März präsentierten. Im Rahmen einer Studie gaben sie Kindern mit einer Hühnereiweißallergie täglich Essen, das eine steigende Dosis Eiweiß oder ein Placebo enthielt. Nach fast einem Jahr war die Hälfte der behandelten Kinder in der Lage, fünf Gramm Eiweiß zu konsumieren, ohne dass ihr Körper überreagierte.
Kindern mit einer Kuhmilchallergie verabreichten sie Milchtropfen unter die Zunge. Einige von ihnen wurden mit diesem Verfahren der oralen Immuntherapie sogar geheilt. Auch Erdnussallergiker können ihre Überempfindlichkeit innerhalb eines Jahres wegtrainieren oder zumindest lindern, indem sie täglich Erdnusspulver einnehmen. Das zeigen Studien in den USA und an der Charité Berlin. Wie lange diese Toleranz anhält, ist noch unklar, sagen die Ärzte und betonen, dass nur erfahrene Kinderallergologen die riskant eingestufte Therapie durchführen sollten. cgo
keiner der Anwesenden vom schleimigen Parasiten angezapft worden war, konnte das Tier nur vom Einbrecher stammen und musste folglich dessen Körpersaft in sich tragen. Die Polizei nahm das Tier mit, das Blut konnte erfolgreich analysiert und das DNA-Profil in der Datenbank gespeichert werden. Als nun Jahre später ein 54-jähriger Drogendealer seine Blutprobe abgeben musste, stellte der Computer eine Übereinstimmung mit dem DNA-Profil der Blutegel-Probe fest. Der Täter wurde zweifelsfrei überführt und zu zwei Jahren Haft verurteilt – ein einmaliger Fall der mak Kriminalistik.
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Schon wieder Sodbrennen? Bei häufigen Beschwerden Omeloxan®!
Obwohl die Erkrankungswelle der neuen Influenza in Deutschland fast vollständig abgeebbt ist, erliegen noch immer einige Patienten dieser Virusinfektion. „Die Verstorbenen haben sich bereits vor Wochen angesteckt“, nimmt der Lungenexperte Walter Haas vom Robert Koch-Institut an. Nicht einmal intensivmedizinische Therapieverfahren, etwa die künstliche Lunge, hätten diese Schwerkranken retten können. Auch für die Zukunft hält der Infektiologe weitere Todesfälle an H1N1 für möglich. Noch immer würden in Deutschland Patienten an Herz- und Lungenschäden infolge ihrer Grippeerkrankung leiden. Zwar sei die Zahl neuer Infektionen derzeit sehr gering, sagt Haas, doch spätestens zu Beginn der nächsten Grippesaison im Herbst könnten H1N1-Erkrankungen ra erneut stark zunehmen.
Seit 16 Wochen sinkt die Zahl der H1N1-Infizierten in Deutschland. Fast alle überstanden die Ansteckungskrankheit völlig unbeschadet
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Übermittelte Fälle von neuer Influenza 50 in Tausend
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Schweinegrippen-Bilanz
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Gemeldete Todesfälle an neuer Influenza 30
Vertrauen Sie den Magen-Spezialisten!
Foto: KPA; Illustration: D. Matzenbacher
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Noch immer sterben einzelne Patienten an Schweinegrippe. Am häufigsten erlagen Babys und Erwachsene zwischen 35 und 59 der Infektion
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Omeloxan 20 mg magensaftresistente Hartkapseln. Anwendungsgebiete: Zur Behandlung von Sodbrennen und saurem Aufstoßen. Wirkstoff: Omeprazol. Hinweis: Bei weiter bestehenden Beschwerden suchen Sie bitte einen Arzt auf. Enthält Sucrose. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Apothekenpflichtig. Winthrop Arzneimittel GmbH, Urmitzer Str. 5, 56218 Mülheim-Kärlich. Stand: August 2009 (014615). Maaloxan® 25 mVal Kautablette. Maaloxan® Soft Tabs. Maaloxan® 25 mVal Liquid. Maaloxan® 25 mVal Suspension 250 ml. Maaloxan® 25 mVal Suspension. Maalox® 70 mVal Suspension. Anwendungsgebiete: Zur symptomatischen Behandlung von Erkrankungen, bei denen die Magensäure gebunden werden soll: Sodbrennen und säurebedingte Magenbeschwerden, Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüre (Ulcus ventriculi und Ulcus duodeni). Zusätzlich bei Maaloxan 25 mVal Suspension 250 ml, Maaloxan 25 mVal Suspension und Maalox 70 mVal Suspension: Hinweis: Bei Patienten mit Ulcus ventriculi oder duodeni sollte eine Untersuchung auf Helicobacter pylori (bestimmte Bakterienart) und – im Falle des Nachweises – eine anerkannte Eradikationstherapie erwogen werden, da in der Regel bei erfolgreicher Eradikation auch die Ulcuskrankheit ausheilt. Wirkstoff: Aluminiumoxid, Magnesiumhydroxid. Für Maaloxan 25 mVal Kautablette: enthält Sorbitol, Mannitol, Sucrose (Zucker) und Pfefferminzöl. Für Maaloxan Soft Tabs: enthält Sorbitol, Sucrose, Glucose, Minzaroma und Phospholipide aus Sojabohnen. Für Maaloxan 25 mVal Liquid: Enthält Sorbitol, Mannitol und Pfefferminzöl. Für Maaloxan 25 mVal Suspension, Maaloxan 25 mVal Suspension 250 ml, Maalox 70 mVal Suspension: enthält Sorbitol, Parabene E 218 und E 216 und Pfefferminzöl. Packungsbeilage beachten. Apothekenpflichtig. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Winthrop Arzneimittel 87 GmbH, Urmitzer Str. 5, 56218 Mülheim-Kärlich. Stand: April 2009 (013758). AVS 816 10 007-016511
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Titel: Eva Dahme; Björn Maier, Karin von Zakarias Info-Grafik: Christoph Sieverding, Arno Langnickel (stellv.); Olaf Berger, Andreas Fischer, Ulrich Gerbert, Stefan Hartmann Composing: Werner Nienstedt Dokumentation/Schlussredaktion: Dr. Martin Seidl, Petra Kerkermeier; Pamela Cregeen, Wolfgang Donauer, Astrid Diening, Gisela Haberer-Faye, Gottfried Hahn, Bernd Hempeler, Michael Jupe, Andrea Kaufmann, Catherine Velte, Angelika Loos, Christina Madl, Gerd Marte, Joachim J. Petersen, Marion Riecke, Reinhard Ruschmann, Dorothea Rutenfranz, Heike Spruth, Susanne Ullrich, Nina Winkler-de Lates, Maria Zieglmaier (Kooperation mit dem Recherchedienst der FAZ) Information Services: Heinrich Göderz Herstellung/Produktion (Tel.: 0 89/92 50-29 66, Fax: -25 37): Sonja Wiggermann; Ernst Frost, Helmut Janisch, Peter Kiac˘ek, Christoph von Schiber, Michael Kalogeropoulos-Wimmer Redaktionstechnik (Tel.: 0 89/92 50-26 66, Fax: 91 87 28): Ingo Bettendorf, Peter Gaberle, Bernd Jebing, Kai Knippenberg, Ulf Rönnau, Alexander von Widekind
PARLAMENTSREDAKTION Kayhan Özgenc, Frank Thewes (stellv.); Dr. Margarete van Ackeren, Annette Beutler, Michael Jach, Hans-Jürgen Moritz, Olaf Opitz, Rainer Pörtner, Cordula Tutt, Thomas Wiegold; Friedrichstraße 152, 10117 Berlin, Tel.: 0 30/2 26 64-8 00, Fax: 0 30/2 26 64-8 20
INLANDSKORRESPONDENTEN Berlin: Robert Vernier; Dr. Olaf Wilke (besondere Aufgaben), Armin Fuhrer, Elke Hartmann-Wolff, Gudrun Meyer, Ulrike Plewnia, Thomas Tumovec; Friedrichstraße 150, 10117 Berlin, Tel.: 0 30/2 26 64-7 00, Fax: 0 30/2 26 64-7 01/-7 02 Düsseldorf: Matthias Kietzmann, Jochen Schuster, Thomas van Zütphen; Kaistraße 18, 40221 Düsseldorf, Tel.: 02 11/9 30 26-0, Fax: 02 11/9 30 26-28 Frankfurt: Thomas Zorn; Bernd Johann, Marco Wisniewski; Opernplatz 6, 60313 Frankfurt/Main, Tel.: 0 69/9 13 03 30, Fax: 0 69/28 23 26 Hamburg: Hubert Gude; Kristina Behrend, Rathausstraße 2, 20095 Hamburg, Postfach: 11 32 54, 20432 Hamburg, Tel.: 0 40/41 46 05-0, Fax: 0 40/44 80 98 59 Leipzig: Alexander Wendt, Sternwartenstraße 4–6, 04103 Leipzig, Tel.: 03 41/25 77-2 20, Fax: 03 41/25 77-2 21 Stuttgart: Fritz Schwab, Katharinenstraße 21 d, 70182 Stuttgart, Tel.: 07 11/2 48 40 80, Fax: 07 11/2 48 41 79
AUSLANDSKORRESPONDENTEN Bangkok: Gunnar Heesch, 203/163 Bang Bua Thong Sai Noi, 11110 Nonthaburi; Bangkok, Thailand, Tel.: 00 66/2/9 24 40 99, Fax: 00 66/2/9 24 40 98 Budapest: Harriett Ferenczi, Postfach 89, H-1550 Budapest, Tel.: 00 36/1/2 70 90 03, Fax: 00 36/1/2 39 57 07, Handy: 00 36/30/9 42 39 13 Buenos Aires: Andreas Fink, Avenida Independencia 2014/3 a, 1225 Capital Federal, Argentinien, Tel.: 00 54/11/44 31 74 20, Fax: 012 12/5 75 37 08 72 Brüssel: Ottmar Berbalk; Stefan Borst, 1, Boulevard Charlemagne, Boîte 16, 1041 Bruxelles, Tel.: 00 32/2/2 80 15 45, Fax: 00 32/2/2 30 89 05 Leiden: Kerstin Schweighöfer, Postbus 11 14, NL-2302BC Leiden, Tel.: 00 31/71/5 61 02 40, Fax: 00 31/71/5 61 08 85 Los Angeles: Martina Fischer, 1043 Pacific Street #3, Santa Monica, CA 90405, Tel.: 00 1/3 10/3 96 44 84, Fax: 0 01/3 10/3 96 84 22 Jerusalem: Pinhas Inbari, Na’aleh 2, Ma’aleh Modi’in, POB 160, 71700 Modi’in, Israel, Tel.: 0 09 72/8/9 28 37 40, Fax: 0 09 72/50/8 97 52 31 Johannesburg: Dr. Frank B. Räther, P.O. Box 14 96, ZA-2123 Pinegowrie, South Africa, Tel.: 00 27/11/4 78 00 03, 00 27/82/4 43 00 69, Fax: 00 27/11/4 78 00 03 Moskau: Boris Reitschuster, ul. Donskaja, d. 18/7, str. 1, of. 140, 119049 Moskau, Tel.: 0 07/4 95/2 36 13 44, Fax: 0 07/4 95/2 37 04 43, E-Mail: [email protected]
Prag: Alexandra Klausmann, Komunardu 7, 170 00 Prag 7, Tel. und Fax: 00 42 0/2 22 93 40 69, Handy: 0 04 20/6 04 22 67 62 Rom: Eva Maria Kallinger, Via dell’ Umiltà 83/C, 00187 Roma, Stampa Estera, Tel. und Fax: 00 39/06/5 88 41 62 Tokio: Susanne Steffen, 240-0111 Kanagawa, Miura-gun, Hayama-machi, Isshiki 2178-1, Tel. und Fax: 00 81/ 4 68 77 54 80, E-Mail: [email protected] Washington: Dr. Peter Gruber, 8515 Rosewood Dr. Bethesda, MD 20814, Tel. und Fax: 0 01/3 01/5 81 09 99 Wien: Marta S. Halpert, Kramergasse 9/10, A-1010 Wien, Tel.: 00 43/1/5 33 00 55-22, Handy: 00 43/6 76/3 33 00 77 Zürich: Gisela Blau, Allenbergstraße 77, CH-8708 Männedorf-Zürich, Tel. 00 41/44/2 02 22 66, E-Mail: [email protected]
AUSLANDSBÜROS Frankreich: Brita von Maydell; Manfred Weber-Lamberdière; Karin Aneser (Bild); Hubert Burda Media France SAS, 9, Rue du Faubourg Poissonnière, F-75009 Paris, Tel.: 00 33/1/44 13 95 00, Fax: 00 33/1/44 13 95 19 Großbritannien: Ingrid Böck; Dr. Imke Henkel; Carmen Durrant (Bild); Burda Media, Fourth Floor, 32–34 Great Marlborough Street, London W1V 1HA, Tel.: 00 44/2 07/4 39 24 44, Fax: 00 44/2 07/4 39 25 55 USA: Susann Remke; Jürgen Schönstein (Text); Andreas König (Bild); Burda Media, Inc. New York, Suite 2908, 1270 Avenue of the Americas, New York, N.Y. 10020, Tel.: 0 01/2 12/8 84 49 00, Fax: 0 01/2 12/8 84 48 80
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Recht & Finanzen
Medizin & Gesundheit
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* 0,62 Euro pro Minute aus dem deutschen Festnetz, abweichende Preise aus dem Mobilfunk
* 0,62 Euro pro Minute aus dem deutschen Festnetz, abweichende Preise aus dem Mobilfunk
ARZTHAFTUNGSRECHT
SCHMERZEN
Behandlungsfehler aus Patientensicht: Wie Sie Ihre Ansprüche durchsetzen (8 Seiten) 910
Rückenschmerzen: Eine sorgfältige Diagnose ist wichtig, um die richtige Therapiekombination zu finden (7 S.)
Behandlungsfehler aus Ärztesicht: Wie Sie sich vor Vorwürfen schützen (6 Seiten)
Medikamentöse Schmerztherapie: Schmerzen erfordern eine individuelle Therapie (6 Seiten) 360
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REISERECHT
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PSYCHISCHE ERKRANKUNGEN
Reisekataloge: Wie Sie die wohlklingenden Texte richtig lesen (6 Seiten)
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Absage einer Urlaubsreise: Wie Sie zu Ihrem Geld kommen (4 Seiten)
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Reiseversicherung: Sorglos in den Urlaub (8 Seiten) Pauschalreise: Wie Sie bei Mängeln reklamieren (7 Seiten)
Depressionen: Welche Symptome auftreten und was Angehörige tun können (7 Seiten)
366
296
Psychotherapien: Die unterschiedlichen Verfahren und für wen sie geeignet sind (5 Seiten)
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817
Angst: Symptome, Formen, Therapiemöglichkeiten der Angststörung (8 S.) 864
Inhaltsübersicht (0,14 ¤/Minute aus dem deutschen Festnetz, Mobilfunkpreise maximal 0,42 ¤/Minute): Medizin (5 Seiten) 0 18 05/77 71 87 Recht & Finanzen (5 Seiten) 0 18 05/77 71 86
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0 90 01/87 00 88**– (+ Nachwahlziffern)
AKTIEN- UND RENTENFONDS . . . bei einer Performance von einem Jahr (3 Seiten)
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**1,24 Euro pro Minute aus dem deutschen Festnetz, abweichende Preise aus dem Mobilfunk
ZINSEN . . . bei einer Performance von drei Jahren (3 Seiten) . . . bei einer Performance von fünf Jahren (3 Seiten)
Baugeld:
130
Festgeld: (3 Seiten)
112 113
Sparbriefe: (3 Seiten)
114 115 116
Tagesgeld: (3 Seiten)
TARIFE
(3 Seiten)
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R E POR TAG E
Kaliforniens grüner Milliardenumsätze, Berufsakademien, Fernsehshows: An der West„Heilpflanze“, dem Cannabis. Bald stimmt das Volk über die völlige
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Traumfabrik: An einem geheimen Ort in Nordkalifornien hegen und pflegen Cannabis-Bauern, die weder genannt noch erkannt sein wollen, Marihuanapflanzen im Wert von mehreren Millionen Dollar
Rausch küste der USA blüht das Geschäft mit einer Freigabe seiner Droge ab Von STEFAN WAGNER und JOHN MCDERMOTT (Fotos)
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Geld wie Gras: Die 75 Angestellten des Harborside Health Center in Oakland nehmen täglich 50 000 Dollar ein. Ein
Paradies für Kiffer: 50 Sorten bietet das Health Center an. Die Abkürzung THC steht für den Hauptwirkstoff der Droge. 92
S Cannabis-Setzling für Hobbypflanzer kostet zwölf Dollar
Je höher der Wert, desto higher wird der „Patient“ F OCUS 11/2010
chlecht geschlafen habe er, klagt Luke Tacini. Auch das Knie schmerze. Ein bisschen zumindest. Wahrscheinlich vom Joggen. Seine Leiden waren jedenfalls hinreichend gravierend, um ihm das Rezept einzubringen, das er nun in der Hand hält. Der 24-Jährige steht vor der Glasvitrine einer sehr eigentümlichen Apotheke, des Harborside Health Center im kalifornischen Oakland. Dort muss er sich entscheiden zwischen Baba Kush, Hindu Skunk oder Pink Panther. Der Kundenberater erklärt ihm Geschmacksnoten und Wirkweisen dieser „Arzneien“. Tacini nimmt schließlich eine achtel Unze Granddaddy Purple zum Sonderpreis von 55 Dollar. „Gedanken anregend, mit einem moderaten High-Feeling“, kommentiert der Verkäufer, „eine gute Wahl.“ Tacini bezahlt mit Kreditkarte, und der Verkäufer verpackt vier Gramm getrocknetes Grün in ein Plastiktütchen. „Komm bald wieder“, grinst er Tacini an. „Have a great day.“ Sich mit Cannabis einzudecken ist in Kalifornien für Kiffer wie den Kellner Luke Tacini spielend einfach geworden. Unter dem Vorwand, „medizinisches Marihuana“ zu benötigen, lässt er sich von einem Arzt eine „Empfehlung“ verschreiben. Im vergangenen Jahr hat die Bundespolizei die Verfolgung von Produktion und Konsum der Droge in 14 Bundesstaaten nahezu eingestellt. Viele Städte und Gemeinden ahnden Hundekot auf dem Gehweg strenger als Marihuana-Kriminalität. Im November dürfte, so die Prognose der Meinungsforscher, der Stoff bei einer Volksabstimmung vollends legalisiert werden. Dann wären die Drogengesetze in Kalifornien liberaler als in den Kifferparadiesen Niederlande oder Jamaika. Dort werden Kleinhandel und Genuss zwar toleriert, bleiben jedoch weiterhin illegal. Die Lockerung der Vorschriften hat im Golden State einen neuen Goldrausch ausgelöst. Cannabis ist Big Business, „Cannabusiness“. In Kalifornien wird im Jahr Marihuana im Wert von 14 Milliarden Dollar umgesetzt. Etwa drei Millionen Menschen lassen sich „medizinisches Marihuana“ verordnen. In Los Angeles gibt es mehr Marihuana-Dispensarien als Starbucks-Filialen. Hinterhof-Dealer verwandeln sich in respektable Geschäftsleute. In Fernsehsendungen wie „Cannabis Planet“ diskutieren Drogenköche die besten Rezepte und geben kauzigen Hanfbauern Anbautipps. „Gras“ ist das lukrativste landwirtschaftliche Produkt des wichtigsten Agrar-Bundesstaats der USA. 50 000 neue Jobs und 1,4 Milliarden Dollar Steuereinnahmen erwarten die Legalisierungsbefürworter. „Die Medizin nicht auf dem Parkplatz einnehmen“, warnen Schilder vor dem Harborside Health Center. Luke Tacinis Ausgabestelle liegt am Jachthafen von Oakland, in einem flachen Gebäude, neben einem Supermarkt für Anglerbedarf. Drei Sicherheitsleute kontrollieren den Eingang, ein Metalldetektor hält Waffenträger fern, 22 Kameras überwachen das Gelände. Drinnen wirkt das Health Center wie eine Mischung aus Wellness-Tempel, Boutique und Edel-Gartencenter. In den Ecken thronen Buddhastatuen, umstreut mit frischen Blütenblättern. Süßlicher Geruch hängt in der Luft. Im Hintergrund läuft sanfter Reggae. Die Kunden stehen vor acht Verkaufsvitrinen geordnet Schlange. Gut gelaunte Berater bieten ihnen „Heilpflanzen“-Produkte in berauschender Vielfalt – vom einfachen Gras über Kaugummis bis zu Tinkturen, Salatdressings, Sprays, Plätzchen und Haschisch. An einer großen Theke können sich Hobbypflanzer mit Cannabis-Setzlingen für zwölf Dollar pro Stück eindecken. „Friede all denen, die durch diese Türe treten“, steht über dem Eingang zu einem Nebenzimmer. Hier sitzt der Direktor. Steve DeAngelo ist 51. Sein Haar hat er akkurat in zwei lange Zöpfe 93
geflochten, dazu trägt er dicke Ohrringe und einen braunen Hut. „20 Millionen Dollar“, sagt er und reibt sich das Kinn, „20 Millionen Dollar nehmen wir im Jahr ein, mehr als 50 000 Dollar am Tag.“ 75 Vollzeitangestellte versorgen mehr als 35 000 „Patienten“. Sein Laden sei ein Ort der Heilung: „Respektabel, hell, heiter.“ Der Drogendealer ist begeistert von sich. Er versteht sich als Wohltäter, er versorge Bedürftige mit Gratismedizin, spende für soziale Zwecke und zahle Abgaben und Steuern. „Wir sind Musterbürger.“ DeAngelo ist natürlich selbst Patient. In einer Ecke seines Büros steht ein Trimmrad. Auf dem Sattel liegt Staub. „Das da brauche ich nicht mehr“, sagt er verächtlich. „Gegen meine Rückenschmerzen nehme ich selbst angebaute Medizin.“ Er verzieht keine Miene. Stolz führt er durch die mit biometrischen Schlössern gesicherten Ankaufräume, durch Labors zur Qualitätskontrolle und ins Allerheiligste, das Marihuana-Lager, wo Cannabis im Wert von mehreren Millionen Dollar in luftdichten Plastikcontainern auf Käufer wartet. „Diese Art hier, Pineapple Kush, ist so etwas wie der Bordeaux unter unseren Heilpflanzen“, prahlt DeAngelo. Die Behandlung von Krankheiten mit Marihuana ist erwiesen erfolgreich. In der Schmerztherapie, bei Aids, multipler Sklerose, Rheuma, Krebs oder Magersucht hat die Pflanze vielen Patienten geholfen. Die medizinischen Studien bahnten den Kiffern einen Weg aus ihrer Heimlichkeit. Nun kommen die MarihuanaFreunde wegen vager Rückenschmerzen zu den Cannabis-Ärzten, wegen Menstruationsproblemen, trockener Haut oder sogar wegen Schreibblockaden und allgemeiner Reizbarkeit.
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as Geschäft mit der Droge begreifen in der Wirtschaftskrise viele als berufliche Rettung. Neu gegründete Ausbildungsstätten wie das Cannabis Career Institute machen fit für eine Karriere in der neuen Branche: Anbau, Handel, Beratung, Verkauf, Betrieb einer Ausgabestelle. Die Oaksterdam University (der Name ist ein Wortspiel aus Oakland und der Hasch-Metropole Amsterdam) hat bereits vier Filialen eröffnet. Ein paar Meilen vom Harborside Health Center entfernt, in der heruntergekommenen Innenstadt Oaklands, sitzen 38 Marihuana-Studenten in einem Hörsaal. Jeder von ihnen hat 650 Dollar für ein Semester gezahlt. „Nennen Sie mich John Smith“, sagt ein vollbärtiger Kommilitone. „Mein echter Name tut nichts zur Sache.“ Smith war einst Software-Entwickler in Silicon Valley, dann arbeitslos. Marihuana hat der 52-Jährige 15 Jahre lang illegal in einem Zimmer seines Einfamilienhauses angebaut. Nun will er Profi werden und „das Produkt“ in einer Halle kultivieren. Dafür hat er Fachbücher wie „Der Cannabis-Blütenstand“ studiert, Vorlesungen über Gartenbau und die Geschichte des Haschisch gehört, Kochund Jura-Seminare besucht, an Rollenspielen für den Umgang mit der Polizei teilgenommen und gelernt, Schimmelpilze zu bekämpfen. „Nun noch die Abschlussprüfung, dann werde ich das machen, wovon ich schon immer träume.“ 100 000 Dollar Verdienst im ersten Jahr sind sein Ziel. Andere wollen in fünf Jahren Millionär sein. „Ich bleib auf dem Boden der Tatsachen“, wiegelt Smith ab. „Wie jeder andere Bauer weiß ich, dass mit Pflanzen immer mal was schiefgehen kann.“ Mehr als 7000 Absolventen haben die Oaksterdam University seit 2007 verlassen. Es gibt Wartelisten. „Die Zeiten, in denen sich nur Hippies für Marihuana interessierten, sind definitiv vorbei“, sagt die Oaksterdam-Sprecherin Salwa Ibrahim, 32. „Wir bilden eine Generation von Trendsettern für eine Zukunftsindustrie aus.“ Ach ja, erklärt sie, auch sie sei Patientin: Konzentrationsstörungen.
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Lernen für den Ernst des Lebens: Die Oaksterdam University Rollenspiel bereitet Studenten auf Konflikte mit der Polizei
Hanf Dampf: Großhändler Steve DeAngelo sagt, mit den Steuereinnahmen aus dem CannabisGeschäft könne Kalifornien seinen maroden Staatshaushalt sanieren. Er berät Kunden individuell: „Eine Kindergärtnerin sollte natürlich andere Sorten nehmen als ein Lastwagenfahrer“
bildet Tausende für Jobs in der Cannabis-Industrie aus. Ein vor. Nach der Legalisierung sind diese Kenntnisse wohl unnötig
Ein letzter Widersacher: Scott Kirkland, Ex-Polizeichef der Stadt El Cerrito, sorgt sich um berauschte Jugendliche und Autofahrer. Er sagt: „In Kalifornien ist die Cannabis-Lobby sehr mächtig.“ Wenn er bei Diskussionsrunden auftrat, wurde er häufig ausgebuht
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Vor allem die Präsidenten Nixon und Reagan führten in den Siebzigern und Achtzigern einen Milliarden Dollar teuren Krieg gegen Drogen, auch gegen das „weiche“ Marihuana. Millionen Dealer und Konsumenten landeten im Gefängnis. Bill Clinton gab im Wahlkampf zu, Joints geraucht zu haben. Inhaliert habe er aber nicht, wand er sich vor fast 20 Jahren. Barack Obama war ehrlicher. Ja, er habe geraucht, und, ja natürlich habe er inhaliert, darum sei es doch letztlich gegangen. Kaliforniens republikanischer Gouverneur Arnold Schwarzenegger, der sich in den Siebzigern mit Joint in der Hand ablichten ließ, sagt nun, die Zeit sei reif für eine Debatte. „Marihuana ist keine Droge“, scherzt er, „sondern ein Blatt.“ In der Redaktion des Marihuana-Magazins „Grow“ stehen Dutzende Pappkartons zwischen halbvollen Bierflaschen und zerbröselten Cannabis-Blättern. Ein paar Computer laufen noch. Auf einem zerschlissenen Sofa dösen drei Katzen. Chefredakteur Eric Sligh, 31, ist gestresst. Seine Bewegungen sind fahrig, unter seinen Augen hängen dunkle Ringe. Der Erfolg hat ihn überrollt. Der Marihuana-Farmer und „Grow“-Gründer zieht um vom Dorf Redwood Valley im legendären Anbaugebiet des „smaragdgrünen Dreiecks“ nördlich von San Francisco nach West Hollywood bei Los Angeles. „Da ist der Markt, Baby“, jubiliert er. „Es gibt in L. A. 1000 Ausgabestellen und Millionen Patienten. Die lieben unser Heft!“ Die Auflage seines Magazins ist innerhalb von zwei Jahren von 3000 auf 10 000 geschossen. Anzeigenkunden betteln darum, inserieren zu dürfen. Die Zeitschrift präsentiert Luftaufnahmen der schönsten Cannabis-Felder, Tipps für den Knospenschnitt, Rezepte für Marihuana-Butter und Bauanleitungen für Gewächshauslampen. Eric Sligh druckt Erntereportagen, einen Marihuana-Tattoo-Wettbewerb und die Lebensgeschichte einer „Cannabis-Mama“. Sie beschreibt, wie erfüllend es ist, ihr Leben ganz der Kindererziehung und der Hege von CannabisPflanzen im Garten zu verschreiben. Besonders stolz ist Sligh auf die Anzeige des Sheriffs von Mendocino County. Darin fordert der Polizist Marihuana-Bauern auf, sich auf das geduldete Limit von 25 Pflanzen zu beschränken. „Der Sheriff inseriert im Marihuana-Magazin: unglaublich, oder?“ Sligh nimmt einen tiefen Zug von seinem Joint und bläst den Rauch in die kalte Luft. Dann dreht er sich um und trägt den nächsten Karton zu seinem Pick-up-Truck.
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cott Kirkland ist müde. Der drahtige Polizeichef von Oaklands Nachbarstadt El Cerrito sitzt in seinem Büro und klagt: „Jeder, der heute in Kalifornien Marihuana will, kann es ohne Probleme bekommen.“ Kirkland, 56, ist einer der letzten vehementen Kritiker der Drogenpolitik in seinem Bundesstaat. „Es ist mir egal, wenn irgendein 50-Jähriger sich in seinem Haus etwas reinpfeift“, sagt er und nimmt einen lustlosen Schluck aus seiner Kaffeetasse, „aber es geht um die Jugendlichen, die durch Marihuana an andere Drogen herangeführt werden. Es geht um die Konsumenten, die bekifft Auto fahren. Und es geht um die Folge- und Beschaffungskriminalität.“ Ein Vielfaches der Steuereinnahmen werde, so fürchtet er, für die Behandlung des Missbrauchs benötigt werden. Bei Veranstaltungen buhen Legalisierungsfans Kirkland aus. „Es ist, als wenn man mit einem Zahnstocher einen grünen Tsunami aufhalten will. Diese Leute haben sehr viel Geld und sehr viel Macht.“ Kurz nach dem Interview mit FOCUS geht Kirkland frühzeitig und überraschend in Ruhestand. Er wolle sich, schreibt die Lokalzeitung, mehr um seine Familie kümmern. ■ 95
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Persischer Bilderreichtum Illustration eines Dorfes – die prächtige Ausgabe des Geschichtsepos „Schahname“ entstand um 1540
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Museen mit Mission Weltweit investieren Kunsthäuser Millionen in ihre islamischen Sammlungen. Aga Khan IV. gibt ein Gastspiel in Berlin – und auch deutsche Institutionen entdecken den muslimischen Besucher
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anada“, lobt Prinz Karim Aga Khan IV., „ist ein Modell für die Welt.“ Die Integrationskultur im Einwandererland imponiert dem 73-jährigen Milliardär so, dass er Toronto statt wie zunächst geplant London ein Museum für islamische Kunst spendiert. Der Grundstein soll dieses Jahr gelegt werden, die Eröffnung ist für 2013 angekündigt. Bis dahin schickt der Islamwissenschaftler mit Harvard-Abschluss seine begehrte Sammlung auf Tournee. In Deutschland hat der Berliner Gropiusbau als einzige Station den Zuschlag erhalten (17.3.–6.6.). „Bei islamischen Themen wollen wir Bewegung in die Landschaft bringen“, begründet Gereon Sievernich, Chef des Ausstellungshauses, das gerade erst türkische Gegenwartskunst gezeigt hat, das Interesse an den Schätzen.
Fotos: Aga Khan/Trust for Culture/Genf/Schweiz (2)
Die Preise für islamische Preziosen sind explodiert Es ist eine klassische Sammlung, die Seine Hoheit seit den 80er-Jahren meist auf Auktionen zusammengetragen hat – bei den explodierenden Preisen für islamische Preziosen ein recht kostspieliges Unterfangen. Besondere Raritäten sind die eleganten Kalligrafien wie der „Blaue Koran“ in goldener Kufi-Schrift aus dem 9. Jahrhundert. Zu den Prunkstücken zählt außerdem das älteste arabische Manuskript des „Kanons der Medizin“. Das Werk des persischen Arztes Ibn Sina ist zudem, erklärt Sievernich, F OCUS 11/2010
Rechenschieber des Himmels Das Messing-Astrolabium stammt aus Spanien, vermutlich aus Toledo, 14. Jahrhundert – außergewöhnlich ist an dem Exemplar aus der Sammlung des Aga Khan die Beschriftung in drei Sprachen: Arabisch, Lateinisch und Hebräisch
ein konkretes Beispiel für „die langen Traditionen des Wissensaustauschs zwischen Ost und West“. Denn in lateinischer Übersetzung diente die umfangreiche Abhandlung Medizinern im Abendland fast 500 Jahre lang als wichtigstes Lehrbuch. Am Klischee des bilderfeindlichen Islam kratzen fünf hinreißende Miniaturen aus dem Luxusexemplar des „Schahname“ von 1540. Jahrhundertelang wetteiferten Schahs und Sultane darum, die prächtigste Ausgabe des persischen Nationalepos zu besitzen, das der Dichter Firdausi 1010 vollendet hatte. Aga Khans Sammlung ist auch ein Schnellkurs zur Kunst der Fatimiden, Mamluken, Safawiden, Kadscharen und Moguln – die Objekte dokumentieren die Ausdehnung einer Welt, die sich einst von Andalusien im Westen bis nach Indien im Osten erstreckte. Dorthin waren die Vorfahren des Prinzen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem Iran emigriert. Der persische Schah hatte dem Oberhaupt der Ismailiten zuvor den Titel Aga Khan verliehen. Bis heute verehrt die schiitische Minderheit ihren religiösen Führer als direkten Nachkommen des Propheten. Etwa 18 Millionen Ismailiten leben in aller Welt verstreut, auch in Kanada, was die Museumsentscheidung des Aga Khan für Toronto befördert haben dürfte. Sein neues Kunsthaus plant der Philanthrop als modernen Bildungstempel. Der Prinz, der einst vor allem als Lebemann und Rennpferdzüchter in den Gazetten auftauchte, wirbt seit Jahren für einen 97
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Erste Adresse Das Emirat Qatar eröffnete 2008 in Doha auf einer Insel ein Museum für islamische Kunst – zwei Milliarden Euro soll den Scheich die Sammlung gekostet haben
Der Aufklärer Prinz Karim Aga Khan IV. beklagt die Wissenslücken über den Islam – der 73-jährige Milliardär engagiert sich seit Jahren weltweit in der Kulturvermittlung
toleranten Islam. Besorgt registriert er jedoch große Wissenslücken im Westen über die islamische Kultur. Angesichts der aktuellen Konflikte befürchtet er, „dass wir es hier nicht mit einem ‚Clash of Civilizations‘, sondern mit einem Kampf der Unwissenheit auf beiden Seiten zu tun haben“. Für seine Bildungsmission hat Aga Khan IV. zahlreiche Kulturinitiativen gestartet, so fördert er in Kairo und Sansibar Museumsprojekte, stiftet in Harvard und London Professuren für islamische Kunst. Bereits seit 1977 vergibt er einen mit 500 000 Dollar dotierten Architekturpreis für beispielhafte Gebäude und Stadtsanierungen in muslimischen Ländern. Für sein Torontoer Haus hat er jedoch einen japanischen Baumeister verpflichtet. Museen mit islamischer Kunst haben derzeit allgemein Konjunktur. Am Golf legen sich die Scheichs erlesene Privatsammlungen zu, die sich stolz dem eigenen Erbe widmen. Das Emirat Qatar ließ sich sogar 2008 in Doha auf einer aufgeschütteten Insel von Ieoh Ming Pei ein spektakuläres Schatzhaus errichten, eine der ersten Adressen für islamische Kunst. Ebenso sind in Istanbul, einer der Kulturhauptstädte Europas in diesem Jahr, mehrere neue Museen gegründet worden; besonderen Zulauf verzeichnet der Palast der Familie Sabanci am Bosporus.
Spektakuläres Entree Der Louvre in Paris baut für seine islamischen Abteilungen unterhalb des Cour Visconti ein eigenes Museum – die Eröffnung der neuen Säle ist 2012 geplant
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Aber auch die alten Sammlungen versuchen, sich neu zu profilieren. Kairo eröffnet dieses Jahr sein frisch renoviertes Haus für islamische Schätze wieder. Das Victoria and Albert Museum in London sowie die David Collection in Kopenhagen haben ihre exquisiten Abteilungen bereits überholt und setzen auf eine populärere Präsentation, die ein neues Publikum anziehen soll. Der Louvre in Paris übertrumpft all diese Aktivitäten: Er baut für seine islamischen Abteilungen sogar einen eigenen Flügel aus – ein ambitioniertes architektonisches Projekt für rund 90 Millionen Euro. Und auch das Metropolitan Museum in New York investiert rund 35 Millionen Euro in die Vergrößerung und Neuordnung seiner islamischen Sammlungen. Das Rampenlicht, in das die Kunstwerke F OCUS 11/2010
Fotos: imago, Sipa Press, Mario Bellini-Rudi Ricciotti/Musée du Louvre
Aga Khan IV. hofft auf Museen als Integrationshelfer
Christoph Metzelder recycelt leere Druckerpatronen. Der Erlös fließt in soziale Hilfsprojekte seiner Stiftung. Einer von 23 Millionen für alle.
w w w.kom-stuttgar t.de
nun gerückt werden, wirft auch Probleme auf: So hat sich das Metropolitan Museum vorerst entschlossen, bei der Wiedereröffnung im nächsten Jahr auf Bilder von Mohammed zu verzichten – aus Rücksicht auf konservative Muslime. Die Kunsthäuser werden im Westen quasi als Integrationsorte entdeckt, die islamischen Exponate aus ihrem bisherigen Nischendasein hervorgeholt. Die Sammlungen sollen sich neu erfinden und in der Kulturvermittlung eine gewichtige Rolle spielen. Der Aga Khan glaubt, dass gerade in den Museen „ganze Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit erhalten können, sich auf intelligente und fantasievolle Weise kennen zu lernen“.
Metzelder ist kein Job zu dreckig. engagement-macht - stark.de
Berlin etabliert „Die Nächte des Ramadan“ als Kulturfest Auch Berlin plant den promuslimischen Aufbruch. Ab 2019 kann das im Pergamonmuseum angesiedelte islamische Museum über den dreifachen Platz verfügen und erfährt allein deshalb eine enorme Aufwertung. Mit 50 000 Artefakten zählt die Sammlung zu den größten der Welt, in Deutschland ist sie ohnehin einzigartig. Der gesellschaftspolitische Auftrag der Erweiterung ist für den Direktor Stefan Weber selbstverständlich: „Bei uns sollen die deutschen Muslime eine symbolische Heimat finden können.“ Im vergangenen Jahr organisierte das Museum erstmals „Die Nächte des Ramadan“ – ein Kulturfest für Muslime und ihre Familien, das fortgesetzt werden soll. In seiner Neukonzeption der Kollektion will Weber vor allem betonen, dass es nicht allein um den Islam als Religion geht, sondern um die kulturellen Wurzeln der Muslime: „Dass islamische Kulturen die Erben der Antike sind, dieses Wissen ist heute leider verlorengegangen.“ Der in London lebende Sammler Edmund de Unger schätzt das 1904 gegründete Berliner Museum seit Langem. So hat der 91-Jährige bereits vereinbart, dass nach seinem Tod etwa 1500 Kostbarkeiten als langfristige Leihgaben nach Berlin kommen. Unter dem Titel „Sammlerglück“ bereitet Weber gerade eine Vorschau vor – auch die eröffnet diese Woche in der Hauptstadt. ■ GUDRUN MEYER
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s liegt nicht daran, dass er so oft und zu den unmöglichsten Zeiten ganz schrecklich furzen muss. Es hat auch nichts damit zu tun, dass er ungeheuer unbeholfen ist im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Jedenfalls laufen ihm die Freundinnen alle davon, bevor sie wirklich zu Freundinnen geworden wären. Und alle landen sie beim Kumpel Jouri, diesem durchtriebenen Charmeur mit seinen unerhört faszinierenden Augen. Es ist ein perfides Spiel, von dem der Niederländer Maarten ’t Hart in seinem neuen Buch „Der Schneeflockenbaum“ (Piper Verlag) erzählt. Ein Spiel unter Freunden. Wann immer sich der Ich-Erzähler dieses Schelmenromans für ein Mädchen interessiert, spannt Jouri es ihm aus. Es scheint sogar so, als würden Mädchen überhaupt nur dann für Jouri interessant, wenn der Freund sich zuerst für sie begeistert hat. Schon im Sandkasten fängt es an, als die Spielgefährtin unaufhörlich zu Jouri hinüberrutscht,
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Tierexperte und Menschenfänger: Maarten ’t Hart ist studierter Verhaltensforscher. Seiner Arbeit als Schriftsteller kommt das sehr zupass: Seine verschrobenen Geschichten findet er in der Familie und unter den Nachbarn – nicht immer zu deren Freude
und es setzt sich fort die ganze Schul- und Studienzeit hindurch. Böse kann der Erzähler seinem Freund aber nicht sein, dazu mag und bewundert er Jouri zu sehr. Er nimmt es mit erstaunlichem Gleichmut hin, dass es bei ihm mit einer festen Beziehung nichts werden kann – sobald der andere von der Liaison erfährt, ist es um die Angebetete geschehen. Gewinn aus der Konstellation kann er erst ziehen, als die beiden schon reiferen Alters sind. Um Jouri nicht zu verlieren, macht dessen Frau sich an den Erzähler heran. Nur wenn der sie begehrt, wird Jouri bei ihr bleiben wollen. Ein Ränkespiel, das selbstredend nicht gutgehen kann. Maarten ’t Hart ist der große Sonderling der niederländischen Literatur. Mit seinen Büchern kämpft er an gegen die Spießergesellschaft seiner Heimat. 1944 wird er im Hafenstädtchen Maassluis bei Rotterdam geboren. Der Vater ist Totengräber, die Mutter kann alle 150 Psalmen auswendig. Maarten flieht in die Musik, auch wenn die im streng calvinistischen Elternhaus verpönt ist. Heute stehen zwei Flügel im Wohnzimmer seines Landhauses in der Nähe von Leiden, und es vergeht kein Tag, an dem er nicht Stücke seiner Götter spielt – Bach, Händel, Mozart. „Die Musik, sie hat mich gerettet“, sagt er freimütig. Gemeinsam mit der Wissenschaft. 1962 geht Maarten ’t Hart zum Biologiestudium nach Leiden und wird ein erfolgreicher Verhaltensforscher. Die Stelle an der Uni gibt er in den 80er-Jahren auf, als seine Romane zu Bestsellern werden. „Als Autor bin ich aber natürlich Verhaltensforscher geblieben“, sagt er. Ein unbestechlicher. Durchaus liebevoll, aber auch ohne Schonung beschreibt er in seinen Romanen das Kleinstadtleben um ihn herum. Die Familie, die Nachbarn erkennen sich wieder in seinen Büchern – was ihm nicht nur Sympathien einbringt. Im neuen Roman aber kommt vor allem einer ungünstig weg: der Autor höchstpersönlich. Der Ich-Erzähler, dem die Freundinnen abspenstig gemacht werden, sei er im Großen und Ganzen selbst, gesteht ’t Hart. Inklusive nervösem Verdauungstrakt und einer angeborenen Schüchternheit dem anderen Geschlecht gegenüber. ■ JOBST-ULRICH BRAND
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Foto: C. van Houts
Im neuen Roman erzählt Bestsellerautor Maarten ’t Hart von einem Spiel unter Freunden – niederträchtig zwar, aber auch höchst amüsant
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Jahrgang 1970 Stammt aus Boston/Massachusetts. Holte 1998 den Drehbuch-Oscar zusammen mit seinem Freund Ben Affleck für „Der gute Will Hunting“. Kinodebüt in „Pizza, Pizza“ (88).
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Filmhits Damon schafft den Spagat zwischen Charaktermime („Der talentierte Mr. Ripley“, „Der gute Hirte“, „Invictus“), Comedy-Star („Ocean“-Trilogie) und Action-Held („Bourne“-Trilogie).
„Die Kacke am Dampfen“ „Bourne in Bagdad“: Action-Held Matt Damon über den Verschwörungsthriller „Green Zone“, der als erster Irakkriegs-Film auch als Kassenschlager funktionieren soll
Irgendwie werden wir da wohl schon wieder rauskommen, in Jahren allerdings. Aber die Situation dort ist natürlich ein ziemlich guter Ausgangspunkt für einen Verschwörungs-Thriller, wie wir ihn im Sinn hatten. Jeder kann diesen Soldaten, den ich spiele, nachempfinden, der im Irak nach Massenvernichtungswaffen sucht und sie nicht findet. Etliche Leute glaubten ohnehin nicht, dass sie existieren, speziell nach dem UN-Bericht von Hans Blix. Viele andere wiederum dachten, zumindest irgendwas davon müsste schon da sein. Als sich also herausstellte, dass es sie nicht gab, war die Kacke am Dampfen. Was ist da hinter den Kulissen passiert? – Das ist die spannende Frage, mit der wir uns beschäftigen.
Und was ist passiert, wo ist die große Lüge denn anzusiedeln – ganz oben?
Wohl schon. Die klassischen Nachrichtendienste wie die CIA ließ man ja mit ihren Erkenntnissen außer vor, stattdessen fischte man im Trüben irgendwelcher anderer Spezialquellen. Nachdem der Beschluss zur Irak-Invasion feststand, galt es nur noch, Argumente dafür zu finden – so fragwürdig diese Informationen auch sein mochten. Wo lag der Kardinalfehler?
Dass wir wahnsinnig wenig verstanden von den kulturellen und historischen Bedingungen der Region. Am besten zeigt das ja die „Grüne Zone“ selbst, die ist wie eine Insel innerhalb von Bagdad und dem Irak, weit entfernt von der Wirklichkeit. Und dort prallten die Gegensätze aufeinander – wie auch im Film. Da ist die CIA, die in etwa weiß, was gespielt wird, und die auch mit hohen Offizieren der früher regierenden Baath-Partei in Verhandlungen steht. Und auf der ande-
ren Seite sind die Erfüllungsgehilfen der Bush-Regierung, die den Geheimdienst kaltstellt. Den relativ sympathischen CIAOberen spielt Brendan Gleeson, ein Ire. War das eine bewusste Besetzung mit einem Nichtamerikaner?
Ich glaube nicht, dass Regisseur Paul Greengrass damit ein Statement abgeben wollte. Brendan war einfach der beste Darsteller für diese Rolle. Aber andererseits ist es ja eher verwunderlich, dass die CIA mal nicht der Hort des Bösen ist. Und ihr Einwand gegen die Ent-Baathifizierung war ja auch wirklich wichtig und stichhaltig. Man hat da 300 000 Soldaten, und die soll man einfach so davonjagen – alles schwer bewaffnete Männer. Das ist doch klar, dass die dann im Untergrund landen! Paul Greengrass sagte, das sei kein Film über den Krieg im Irak, sondern ein Thriller. Das ist wohl die Sprachregelung, da kein Irakkriegs-Film bisher Erfolg hatte im Kino?
Klar, das sind so die Rücksichtnahmen, die man bei der Vermarktung eines Films machen muss. Wenn man zu Ihnen sagen würde: „Wollen Sie einen Film über den Drogenhandel in den 70ern in New York sehen?“, denken Sie wohl eher, das klingt deprimierend. Aber wenn es heißt, es geht um die French Connection, dann hört sich das gleich spannend an. Wir haben hier einen großen, teuren Film, der auch für ein großes Publikum gemacht wurde – dem muss man bei der Vermarktung natürlich auch Rechnung tragen. Es ist ja ein Thriller mit einem Helden, mit dem sich jeder Normalbürger identifizieren kann. Haben Sie ihn denn dem Studio als „Bourne in Bagdad“ verkauft?
Feuertaufe US-Army-Offizier Roy Miller (Damon) gerät bei der Suche nach Massenvernichtungswaffen zunehmend in die Bredouille – und sieht sich bald als Opfer einer Verschwörung F OCUS 11/2010
Das mit dem Verkaufen war Pauls Job, aber ich glaube nicht, dass er das Projekt so präsentiert hat. Sonst hät103
Fotos: J. Olley/Universal Studios (2)
„Green Zone“ ist jetzt nach „Mut zur Wahrheit“ und „Syriana“ Ihr dritter Film, der sich mit den Krisen und Kriegen im Nahen Osten und im Irak beschäftigt. Was meint der Experte: Kommt der Westen dort jemals aus dem Schlamassel wieder heraus?
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Warum wurde der Filmstart dann um ein halbes Jahr verschoben?
Ein wenig mag es mit dem Managementwechsel zu tun haben, den es in der Filmabteilung von Universal gab. Das offizielle Statement des neuen Chefs war, dass sie nicht im Kielwasser von „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ nach Oscars fischen wollten. Weil es eben kein Arthouse-Drama sei, sondern ein großer Action-Thriller.
ja unser Ausgangspunkt: zu beweisen, dass man auch einen großen erfolgreichen Film darüber machen kann. Wir werden’s ja nun sehen! War es denn jemals ein Thema für Sie, dass bei diesem Thriller jeder bereits das Ende kennt?
War das bei „Titanic“ nicht auch so? Klar, der klassische Einwand – aber „Titanic“ war eine Liebesgeschichte, ein Melodram.
Ja, aber hier geht es dann durchaus in fiktive Welten, mit einem Antagonisten, den es so nicht gegeben hat, wo deutlich die Spannung und das Genre das Geschehen diktieren. Da gibt es noch genügend Überraschungsmomente! Für Ihre Figur gibt es indes ein reales Vorbild. Man fragt sich allerdings, ob ein Soldat wirklich so unabhängig entscheiden kann wie im Film – oder ob da nicht eher ein „Bigger than life“-Hollywood-Held Pate stehen musste?
Durch die richtige Brille Damon am Set mit seinem Regisseur Paul Greengrass
Was für eine Begründung!
Tja – aber wissen Sie, wir hatten wirklich alle Freiheiten, diesen Film zu machen. Dann muss man am Schluss auch den Experten für die Vermarktung trauen. Warum haben denn all die bisherigen Irakkriegs-Filme an der Kasse nicht funktioniert? Selbst „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ mit all den Preisen und sechs Oscars hat ja bei Weitem seine Kosten nicht eingespielt . . .
Ich weiß es nicht, vielleicht weil der Krieg auch im Fernsehen so präsent war und ist . . . Das war der Vietnamkrieg ebenfalls, der gilt ja als erster „TV-Krieg“ . . .
Vielleicht auch, weil wir immer noch dort sind. Stimmt, die meisten Vietnamkriegs-Filme sind ein gutes Stück nach Kriegsende bzw. dem Rückzug der USA entstanden.
Tja, das sind alles so Theorien, genau weiß das keiner. Aber gerade das war 104
Man muss wissen, dass „Monty“ Gonzales, der meine Figur inspiriert hat, kein normaler kleiner Soldat war. Er war Chef einer besonderen Einheit, und als solcher hatte er schon eine gewisse Entscheidungsbefugnis und konnte auch auf eigene Faust initiativ werden. Wir hatten ihn am Set, und andere Veteranen spielen sogar mit, damit das alles möglich realistisch rüberkommt.
Zahnfee auf Bewährung USA 2010, REGIE: Michael Lembeck DARSTELLER: Dwayne Johnson, Julie Andrews, Ashley Judd u. a. Als Eishockey-Profi, der im Engelskostüm Strafdienst als Zahnfee leistet, schlägt sich Dwayne „The Rock“ Johnson wacker durch fade Gags und schale Scherze.
Waffenstillstand D/SCHWEIZ 2009, REGIE: Lancelot von Naso DARSTELLER: Matthias Habich Thriller um einen Trupp internationaler Idealisten, der während einer 24-stündigen Waffenruhe im Irak alles riskiert, um Hilfsmittel ins umkämpfte Gebiet zu bringen.
Everybody’s Fine USA 2009, REGIE: Kirk Jones DARSTELLER: Robert De Niro, Kate Beckinsale, Drew Barrymore, Sam Rockwell u. a. Beim beherzten Vorstoß zum so entfremdeten wie weit entfernten Nachwuchs
Aber ein bisschen mussten Sie schon dem Kino und dem Genrefilm Tribut zollen?
Na klar. „Es gibt einen bestimmten Schauspielstil, der gern ausgezeichnet wird. Aber das ist nicht das, was ich mache“, haben Sie mal gesagt. Enttäuscht, dass Sie für Ihre superbe Leistung als „Der Informant!“ keine Hauptdarsteller-Nominierung bei den Oscars bekommen haben und als nominierter Nebendarsteller keine Chance hatten?
Nein, diese Preise sehe ich ohnehin mehr als unberechenbares Spiel. Ich würde mir statt oder neben den Oscars so eine Art „Hall of Fame“ für Filme wünschen. Im Baseball gibt es die zum Beispiel, da können Spieler fünf oder zehn Jahre nach Beendigung ihrer Laufbahn hineingewählt werden. Mit so etwas könnte man auch im Kino Leistungen würdigen, die wirklich von Dauer sind, jenseits all der Marketingmaßnahmen beim Kinostart. ■
Verlorene Tochter Papa Frank (Robert De Niro) mit Rosie (Drew Barrymore) bringt ein einsamer Witwer Bewegung in die verhärteten Familienverhältnisse.
Troubled Water NORWEGEN 2008, REGIE: Erik Poppe DARSTELLER: Trine Dyrholm, Pal Sverre Zwischen wuchtiger Tragödie und raffiniert eingefädeltem Melodrama spürt der Film den Folgen eines Kindermords nach.
Legion USA 2010, REGIE: Scott Charles Stewart DARSTELLER: Paul Bettany u. a. Bei der trashig inszenierten Belagerung eines American Diner kämpfen konkurrierende Engel um die Zukunft einer in Ungnade gefallenen Menschheit.
INTERVIEW: HARALD PAULI
F OCUS 11/2010
Fotos: Universal Studios, Miramax Films
ten wir ein noch größeres Budget bekommen. Aber mit dem Studio hatten wir keinerlei Probleme, die haben uns sehr unterstützt.
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GALERIE
Blutige Flut Nicht preiswürdig? Norbert Leithold präsentiert Goertz-Papiere, die er entdeckt hat
Zweierlei Maß Die Jury des Preises der Leipziger Buchmesse war begeistert und hob Norbert Leitholds Biografie über den Grafen Goertz – ein großer Unbekannter der Goethe-Zeit (FOCUS 8/10) – in die Sachbuch-Shortlist. Doch während das Skandalbuch von Helene Hegemann (FOCUS 7/10) auf der LiteraturShortlist verblieb, macht die Jury bei Leithold einen Rückzieher: Das Werk sei „formal nicht richtig gelungen“. Verleger
Wolf-Rüdiger Osburg ist empört. Denn ihm wurde bedeutet, der Autor sei wegen seines Vorlebens „nicht preiswürdig“. Hintergrund: Als naiver Pornoproduzent hatte Leithold Ende der 90er-Jahre eine Strafe kassiert, weil er Jugendliche beschäftigt und bezahlt hatte. Unter seinem früheren Namen Bleisch verbuchte er aber beachtliche literarische Anerkennung, so rs 1991 den Alfred-Döblin-Förderpreis.
Der Amerikaner Josh Bazell ist medizinisch vorgebildet – und hat nun einen aberwitzigen Arztroman geschrieben. Ein ehemaliger Mafia-Killer wird Doktor, aber seine Vergangenheit nicht wirklich los. „Schneller als der Tod“ (S. Fischer) ist einer der besten Krimis der Saison. Als Hörbuch, gelesen von Chef-Zyniker Christoph Maria Herbst, ist er sogar noch besser (Hörverlag). Nachprüfbar auf FOCUS Online – in voller Länge als Vorab-Premiere.
Boot voller Wracks Tausende Arbeitnehmer klagen über Burn-out. Punktgenau zur Debatte über die Härten der Jobwelt kommt Sibylle Bergs Drama „Hauptsache Arbeit!“ zur Uraufführung. Am 20. März kommt die Groteske über einen Betriebsausflug am Schauspiel Stuttgart heraus.
Reif für die Insel
Wie guter Rotwein benötigen Helmut Dietls Filmpläne Zeit zu reifen. Fünf Jahre nach seinem letzten Kino-Opus und mehreren neuen Anläufen ist es wohl geschafft: Im Mai soll der Dreh der „Kir Royal“-Fortsetzung „Berlin Mitte“ starten. Bis dahin sollen letzte Finanzierungs- und Förderungslücken geschlossen sein. Lange schrieb Dietl mit CoAutor Benjamin von StuckradBarre an der Medien- und Neue-Markt-Satire. Das Skript 106
war allerdings so dürftig, dass alle Produzenten samt seines Hausverleihs Constantin abwinkten. Von der fortgeführten Baby-Schimmerlos-Figur wollte auch Franz-Xaver Kroetz nichts mehr wissen. Dietl speckte das 15-Millionen-Euro-Projekt ab, konzentriert sich nun auf Bully Herbig in der Hauptrolle als zufällig zu Internet-Chefredakteursehren gekommenen Ex-Chauffeur – und beerdigt Schimmerlos gleich in der ershap ten Szene.
Den Bach rauf Großer Rummel in der Ostmetropole: Vom 18. bis 21. März öffnet die Leipziger Buchmesse für lesefreudiges Publikum und Fachleute ihre Pforten. Ebenfalls in diesem Zeitraum feiert das Gewandhausorchester den 325. Geburtstag Johann Sebastian Bachs. Mit zwei großen Konzerten am 18. und 19. März, die der Brite Roger Norrington dirigiert.
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Fotos: S. Loos/ddp, Inter foto
Bye-bye Baby Schimmerlos
Wiedersehen in Berlin Während Kroetz’ Schimmerlos beerdigt wird, spielen Senta Berger (l.) und Dieter Hildebrandt (r.) in der „Kir Royal“-Fortsetzung wieder mit und machen die Hauptstadt unsicher
Vor Zypern soll sie dem Meer entstiegen sein: die griechische Liebesgöttin Aphrodite. Das Hildesheimer Roemer- und PelizaeusMuseum widmet dem Geburtsort der antiken Schönheit die Sonderschau „Zypern“. Unter den Leihgaben ist auch der berühmte Torso von Paphos.
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Mein Sohn, der
Psychopath Chile, Haiti: Die Nachfrage nach Auslandsadoptionen steigt. Was, wenn das Wagnis scheitert?
Letzter Ausweg In der Wildnis des USBundesstaats Montana, wo sich Kojote und Rind gute Nacht sagen, liegt die „Ranch for Kids“. 30 Adoptivkinder lernen hier zu leben
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enn Philip nachdenkt über die Sache mit der Oma, dann dauert das. Es ist, als müsse er tief in seinem Gehirn kramen. Er stützt die Ellenbogen auf den Tisch, lässt sein Kinn in die verschränkten Hände sinken. Er verdreht den Kopf, guckt verträumt an die Decke. „Ach ja“, schaufelt er den Gedanken sichtlich in Schwerarbeit ins Bewusstsein. „Als ich fünf Jahre alt war, wollte ich der Oma den Schädel einschlagen. Mit einem Backstein.“ Es ist der Tag, an dem Mike Harding eines lernt über sein Adoptivkind Philip: „Unser Sohn, unser fünfjähriger Sohn, muss ein Psychopath sein.“ Die Hardings waren nicht naiv. Sie hatten sich ihre Adoption nicht hollywoodreif vorgestellt, nicht wie bei Brad Pitt und Angelina Jolie, multikulti, und alle strahlen dazu. Sie wussten: Bei Philip war Zwergenwuchs diagnostiziert. Seine Schwester Anastasia hatte eine Hasenscharte. Solche Adoptionen gingen schnell in Russland. Wer wollte schon Krüppelkinder? Im Jahr 2009 wurden in die USA 13 000 ausländische Kinder adoptiert. Das sind mehr als beim Rest der Welt zusammen.
Fotos: Gilles Mingasson/Getty Images/F OCUS -Magazin
Gefangen in der Leere Nur der Karate-Elch auf dem T-Shirt schafft den Ausbruch. Matthew, 11, hat erfahren, dass ihn seine Adoptivfamilie nie wieder zu Hause haben will
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Adoption bedeutet lebenslange Verantwortung. Oder: Darf man ein Kind zurückgeben? Die Ranch der Umtauschkinder liegt am Ende der Welt. Eine Holperstraße schlängelt sich vom Dörfchen Eureka im US-Bundesstaat Montana vorbei an Pferdekoppeln und Rinderweiden, sie führt immer weiter in Richtung Grenze nach Kanada. Hier eine Abzweigung, dort eine Gabelung. Nirgendwo ein Schild. Das Handy hat vor 50 Meilen schon das Netz verloren. Ein Kojote schiebt sich unter einem Stacheldrahtzaun hindurch. 112
Kinder, die zu Psychopathen gesoffen worden sind. Im Bauch ihrer Mütter Auch Joyce Sterkel ist brutal, brutal ehrlich. „Kinder mit fetalem Alkoholsyndrom kennen keinerlei Mitgefühl“, sagt sie über einige ihrer kleinen Ranch-Bewohner. „Die Gehirne dieser Kinder sind von den Müttern während der Schwangerschaft löchrig gesoffen, sie sind wie Schweizer Käse. Sie erkennen keinen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung.“ Nach der Anklage folgt die Verteidigung in einem einzigen Satz: „Die Kinder können nichts dafür.“ Joyce Sterkel ist eine patente 63-Jährige mit kurzen schlohweißen Haaren und zahllosen Lachfältchen um die Augen. Sie ist der Typ Trümmerfrau, der anpackt, weil es sonst ja keiner tut. Bis zu zehn Prozent der Auslandsadoptionen in den USA gehen schief, doch niemand fühlt sich für die Umtauschkinder zuständig. Die US-Jugendämter kümmern sich nur um einheimische Waisen. 30 Kinder therapieren Sterkel und ihre 15 Erzieher derzeit. Das jüngste ist sechs, das älteste 17 Jahre. Acht Kandidaten haben sie allein vergangene Woche ablehnen müssen. Kein Platz. F OCUS 11/2010
Foto: Gilles Mingasson/Getty Images/F OCUS -Magazin
Zum Vergleich: 2008 kamen nach Deutschland 1137 adoptierte Kinder aus dem Ausland (s. Seite 116). Seit den Naturkatastrophen von Haiti und Chile ist die Nachfrage wieder enorm. Die Hardings waren eine funktionierende Familie. Sie hofften, das Leid der beiden Kleinen weglieben zu können. „Wir wussten, worauf wir uns einlassen“, sagt der Vater. Die beiden eigenen Kinder waren schon fast erwachsen. „Wir waren erfahrene Eltern.“ Es kamen völlig neue Erfahrungen. Philip schlug seinen Kopf gegen Wände und Fußboden, bis Blut floss. Er aß seinen Kot. Er spuckte, schlug und kratzte. Wenn ein Fremder ihn ansprach, übergab er sich vor Angst. Das erste psychiatrische Gutachten brachte kein Resultat, abgesehen von den 10 000 Dollar Kosten, die in den USA die Krankenkasse nicht übernimmt. Gratis hagelte es Erziehungstipps von Freunden und Nachbarn, Lehrern und Polizisten. Mehr Strenge. Mehr Liebe. Mehr Geduld. Zuweilen auch: mehr Schläge. Der Arzt einer geschlossenen Jugendpsychiatrie riet: „Sperren Sie Philip zu Hause in einen Käfig. Zu Ihrer eigenen Sicherheit.“ „Da haben wir zum ersten Mal darüber nachgedacht, ihn wieder zurückzugeben“, sagt Mike Harding.
Es ist leicht, auf dem Weg zu dieser Ranch die Orientierung zu verlieren – ganz wie im Leben selbst. Im Oktober 2008 gibt Mike Harding seinen Sohn Philip hier ab. Er fühlt sich schuldig. Als miserabler Vater. Als Versager. Als schlechter Mensch. Er ist überrascht, dass ihn die Leiterin der „Ranch for Kids“ erst einmal in die Arme nimmt. „Danke“, sagt Joyce Sterkel, „dass Sie Philip das Leben gerettet haben. Ohne Sie wäre er längst tot. Fahren Sie nach Hause, und reparieren Sie Ihre Familie. Wir kümmern uns um Philip.“ Eineinhalb Jahre später sitzt der Junge, den sein Vater Psychopath nennt, in der Caféteria der Ranch-Schule und schaufelt sich selig Nudeln mit Hackfleischsoße in den Mund. Neben ihm hat Matthew* Platz genommen, ein Elfjähriger aus China mit verstörend leerem Blick. Alec, 11, aus Weißrussland könnte mit einem Lächeln, das mit den blauen Augen um die Wette strahlt, für Kinderschokolade Werbung machen. Vergangene Woche ist er mit der Eisenstange auf einen Erzieher losgegangen. „Ich bring dich um!“, hat er gebrüllt. Und: „Ich schaue zu, wie du langsam verblutest!“ Alec sitzt ein wenig abseits. Er muss allein essen.
*Schutzname
Lernziel Körperkontakt Nach Schulschluss umarmt die Lehrerin ihren Schüler Phil. Der Elfjährige soll lernen, körperliche Nähe zu ertragen
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Der lange Weg zurück Mit fünf Jahren hat Philip versucht, die neue Großmutter zu erschlagen. Trotzdem will ihn seine Adoptivfamilie zurückhaben. Bis heute. Inzwischen ist der Junge elf
Joyce Sterkels „Ranch for Kids“ ist eher „Unsere kleine Farm“ als „Einer flog über das Kuckucksnest“. Wer aufmuckt, kommt in keine Zwangsjacke, sondern in die Ecke. Wer austickt, wird von den Erziehern körperlich überwältigt und einigermaßen sanft zur Ruhe gebracht. Lediglich „mit einer Handvoll Kindern“ ist Sterkel bis jetzt nicht zurechtgekommen. „Das Mädchen, das Glasscherben, Batterien und Nägel geschluckt hat, haben wir nach fünf Tagen wieder rausgeschmissen.“ Selbst in der Welt der Kinderflüsterin gibt es offenbar noch Nuancen. Der Ranch-Alltag gibt den Bewohnern vor allem eins: Sicherheit durch feste Strukturen. Zum Beispiel, dass es jeden Morgen um acht Uhr Frühstück gibt. Und das, ohne dass man darum betteln muss, sich prostituieren oder prügeln. Es folgen Schule, Hausaufgaben, Ranch-Arbeit. Zweimal pro Woche steht Pferdetherapie an. Wenig Abwechslung ist Programm. Für Kinder, die in den ersten Lebensjahren nie stimuliert wurden, ist fast alles Überstimulierung. Ein Besuch bei Disneyland wäre der reinste Horrortrip. Matthew, der Junge mit dem leerem Blick, sitzt auf der unteren Etage seines Stockbetts. Er trägt Jeans, dazu ein „Cool As A Moose“-T-Shirt mit einem Comic-Elch. Selbst wenn er in die Augen schaut, bleibt das Gefühl, dass er durch einen hindurchblickt. Als wäre niemand zu Hause, oben im Kopf. Kinder wie er sind hochgradig bindungsgestört. Sie haben ihre Babyjahre im Waisenhaus verbracht, häufig festgezurrt an die Gitterstäbe ihres Kinderbetts. Viele sind geschlagen worden oder sexuell missbraucht. Oder beides.
Die Ranch kostet so viel wie eine Elite-Uni. Doch die Kinder kehren nie als Arzt oder Anwalt heim
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Bindungsgestörte Kinder schenken ihren Eltern nie einen Kuss. Sie geben ihnen nie eine Umarmung, egal, wie viel Liebe in sie investiert wird. Es ist ein Investment ohne Auszahlung. Nie etwas zurückzubekommen muss für Eltern die Hölle sein. Joyce Sterkel hat diese Hölle selbst erlebt. Nachdem sie zwei Jahre in Russland als Krankenschwester gearbeitet hatte, adoptierte die Mutter zweier Kinder dort noch drei Kinder mit fetalem Alkoholsyndrom. Sie spricht auch von ihrer eigenen Erfahrung, wenn sie sagt: „Adoptionen sind etwas Wunderbares, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber die Realität ist eben nicht nur rosarot.“ Dennoch hat die 63-Jährige gerade das acht MoF OCUS 11/2010
RICHTIG EINGETEILT KÖNNTE SO
Foto: Gilles Mingasson/Getty Images/F OCUS -Magazin
EIN GLÜCKSTAG nate alte ungewollte Baby eines ehemaligen Ranch-Mädchens angenommen. Lilia ist ihre Sonne. 300 Kinder haben Sterkels Programm bisher durchlaufen. Ein Drittel davon ist nach ein bis zwei Jahren so weit resozialisiert, dass es nach Hause kann. Für ein weiteres Drittel werden neue Adoptiveltern gefunden. Die Kinder, die abgegeben und nie mehr abgeholt werden, wechseln in ein staatliches Ausbildungsprogramm, sobald sie volljährig sind. Nicht wenige gehen anschließend direkt ins Gefängnis. Seit geschlossene psychiatrische Anstalten in den 60erJahren in den USA quasi abgeschafft wurden, gelten 30 Prozent der US-Gefängnispopulation als psychisch schwer krank. „Für uns war die Ranch die letzte Hoffnung”, sagt Philips Vater Mike Harding. Dem Inhaber einer Container-Firma machen die 3500 Dollar im Monat für die Unterbringung seines Sohnes zu schaffen. Für 42 000 Dollar im Jahr schicken andere Eltern ihr Kind auf eine Elite-Uni. Nur, dass dann der Sprössling aus Harvard oder Yale irgendwann als Anwalt zurückkommt oder als Arzt. Irgendwann wird er Philip heimholen. Davon ist Mike Harding überzeugt. „Er ist mein Sohn“, sagt er. „Ich liebe ihn.“ Philips Kumpel Matthew hingegen wird nie zu seiner Adoptivmutter nach Florida zurückkehren. Sie will ihn nicht mehr haben. Sie sei mit ihrer Kraft am Ende, sagt sie. „Deine Familie ist der Meinung, dass du einen neuen Anfang brauchst“, eröffnet ihm Joyce Sterkel eines Tages behutsam sein weiteres Schicksal. Kein Schock. Keine Wut. Keine Tränen. ■ Matthew nickt nur und guckt durch sie hindurch.
AUSSEHEN.
D
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„Psychische Amputation“
Kinder-Anwalt Bernd Wacker, 58
Der katholische Theologe und Vater zweier Adoptivkinder ist für die Kinderhilfsorganisation Terre des hommes tätig
Berater Bernd Wacker warnt davor, die Belastung durch eine Adoption zu unterschätzen
Die Zahl der Adoptionen in Deutschland ist seit Jahren rückläufig, die Zahl der Auslandsadoptionen hingegen steigt. Weshalb?
Da etwa zwölf Bewerber auf ein in Deutschland geborenes Kind kommen, erscheint eine Auslandsadoption vielen als Hoffnung, bedeutet aber einen zusätzlichen Schritt. Die Kosten sind oft erheblich, die Wartezeit beträgt nicht selten mehrere Jahre. So lange kann es jedenfalls dauern, wenn man sich an eine anerkannte Stelle wendet, wie es das Adoptionsvermittlungsgesetz vorschreibt. Was halten Sie von unbegleiteten „Privatadoptionen“, wie sie Prominente wie Angelina Jolie oder Ex-Bundeskanzler Schröder betrieben haben?
Höchst problematisch, manchmal indiskutabel. Eltern sind oft nicht lange genug vorbereitet, möglicherweise nicht überprüft und kennen oft nicht die Herkunftsgeschichte des Kindes. Die deutschen Behörden sind hier nicht in der Lage, wirklich Kontrolle auszuüben. Wiegt die Chance für das Kind diese Risiken nicht auf?
Eine neue Familie @]jcmf^l\]j9\ghlancaf\]jaf<]mlk[`dYf\ 2008 Deutschland
*1-(
sonstige )-/ EU Russland *,/ Ukraine
-.
Afrika
).0 Kolumbien 1* Nordamerika, Sdamerika )(+ Asien
+),
4201 Adoptionen verzeichnet die Statistik für das Jahr 2008. Mehr als die Hälfte der Kinder wurden von Stiefeltern oder Verwandten adoptiert Quelle: Statistisches Bundesamt, 2009
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Das heißt?
Man braucht Geduld, Zähigkeit und Kraft für die Probleme, mit denen manches Kind wegen erlebter Vernachlässigung, Gewalt und Missbrauchs jahrelang zu kämpfen hat. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass eine Adoption kein Verfahren zur Komplettierung kinderloser Paare ist. Was raten Sie adoptionswilligen Paaren?
Ein Muss ist die Zusammenarbeit mit seriösen Vermittlungsstellen, Landesjugendämtern oder anerkannten freien Trägern. Sie bieten Nachbegleitung und Beratung. Außerdem haben sie Gewissheit, dass das Kind nicht vielleicht seiner Mutter abgekauft wurde. Von Unicef wissen wir, dass manche Länder überschwemmt werden mit Anträgen. Das verleitet immer wieder skrupellose Vermittler dazu, künstlich für Nachschub auf dem Adoptionsmarkt zu sorgen. ■ INTERVIEW: KERSTIN HOLZER
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Fotos: WENN, terre des hommes
Gutmensch-Glamour: Angelina Jolie adoptierte drei Kinder (hier mit Partner Brad Pitt)
Das denken viele, die von Katastrophen wie in Haiti erschüttert sind und ein Kind aufnehmen wollen. Der Glaube, man müsse ein Kind nur aus der kritischen Situation herausholen und alles werde gut, geht aber an der Realität vorbei. Eine Auslandsadoption bedeutet für ein Kind eine psychische Amputation und kann nur Ultima Ratio sein: Es ist bei Verwandten im Heimatland wahrscheinlich besser aufgehoben. Wenn ein von Gewalt oder Katastrophen traumatisiertes Kind zu einem Paar kommt, dessen Motiv eher ein unerfüllter Kinderwunsch ist, treffen unter Umständen zwei Probleme aufeinander. Das kann nur schiefgehen. Das Kind ist bedürftig, und man muss immer vom Kind her denken.
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Paris, 1969: Die Sängerin Patti Smith mit 22 Jahren. Das Bild ist dem Buch „Just Kids“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch) entnommen, das dieser Tage erscheint
Liebe, Kunst, Tod Die Memoiren der Patti Smith: Chris Dercon, Direktor des Münchner Hauses der Kunst, über die Magie seiner Freundin
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atti Smith habe ich gerade erst in New York getroffen. Wir sind Freunde, seit Anfang der 80er-Jahre, als ich in New York lebte. Jetzt kündigte sie mir stolz an, sie werde in diesem Sommer in Berlin sein, denn sie gehe noch mal auf Tour. Sie sagte: „Ich muss Geld verdienen für meine Band“, und diese Loyalität umfasst alles, was sie ausmacht, künstlerisch wie persönlich. „I have to make money for my band.“ Patti Smith hat angefangen als einsames, widerspenstiges Kind, aber wer „Just Kids“ liest, spürt, dass sie in ihrem künstlerischen Leben eine erweiterte Familie um sich geschart hat, eine BohemeDynastie. Vielleicht handelt „Just Kids“ überhaupt nur von Familie. Es erzählt von der Vergangenheit der Punk-Rebellin der 70er-Jahre, angefeuert von toten Heroen wie Arthur Rimbaud oder William Blake. Geprägt haben sie Jim Morrison, William
Burroughs, Bob Dylan und, natürlich, der Fotograf Robert Mapplethorpe, große Liebe und wichtigster Komlize. Wer Patti zu Hause besucht, dem zeigt sie Fotos und Erinnerungsstücke. Die Vergangenheit fließt in ihre Gegenwart ein mit Zitaten, die sich auch in den Zeichnungen und Werken finden, die wir im Haus der Kunst zeigten. „Ich lebte für die Kunst, ich lebte für die Liebe“, heißt es in der Arie von „Tosca“, mit der ihr Buch beginnt. Patti liebt Oper, dieses Motto verbindet sie mit ihrer künstlerischen Familie, und diese Fackel reicht sie weiter an Freunde der jüngeren Generation wie Ann Demeulemeester und Johnny Depp. So reicht dieses Buch bis in die Zukunft. Als 20-Jährige kam Patti nach New York und verliebte sich in Robert Mapplethorpe. Sie hatten kein Geld, und nachts hockten sie in ihrer ärmlichen Bude, zeichneten und hörten Musik. Viele Künstler logierten im „Chelsea Hotel“. Salvador Dali nannte Patti eine „Krähe“, Warhols Entourage trank nebenan Tequila. Patti vermengt mädchenhafte Erinnerungen mit distanzierten Beobachtungen, auf ihre spröd-poetische Weise. Sie schreibt sehr gut. Sie begann als Dichterin, bevor sie als Musikerin die Massen erreichte. Diese ritualisierte Boheme – es gibt sie nicht mehr. In Berlin sitzt die neue Boheme mit Laptop im Café. Beschreibt Patti ein romantisches Künstlerbild? Ja – aber sie schildert auch, wie sie und Robert den Durchbruch ersehnten, wie sie erkannten, dass der symbolische Wert von Kunst nicht erreichbar ist ohne den finanziellen. Das zynische Milieu von Kunst und Markt allerdings hat Patti nicht mitbekommen, sie lebte einen wahrhaft reinen dilettantischen Kunstbegriff. Nie war sie weiblicher als auf den Bildern von Mapplethorpe. Sein Cover der Platte „Horses“. Das Polaroid von Patti und ihrem Baby. Patti mit weichen Zügen und geflochtenem Haar. Eine Schamanin nennt man sie. Ich empfinde sie als katholisch. Diese Schüchternheit, mit der sie über ihren Schock spricht, als Mapplethorpe sein homosexuelles Coming-out erlebte! Diese Selbstverständlichkeit, mit der sie Tod und Krankheit ins Leben integriert. Sie hat viele geliebte Menschen verloren, Robert an Aids, später ihren Mann Fred. Geliebte kranke Menschen gehören zu ihrem Leben. Vielleicht hat sie deshalb Christoph Schlingensief als Alter Ego Roberts erkannt, sich platonisch ihn verliebt und mit ihm gearbeitet. Für mich ist „Just Kids“ nicht nur ein Jugendroman über eine unmögliche Liebe. Es ist ein Buch darüber, wie man Künstler wird, und ein Buch über Gemeinschaft. Wie man weitermacht, und warum. Wie Patti sagen würde: „I have to make money for my band.“ Lesen Sie es auf Englisch, wenn Sie ■ können. Sie können Patti hören. F OCUS 11/2010
Foto: Mit freundlicher Genehmigung des Patti Smith Archiv © Linda Smith Bianucci
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Überleben für Anfänger Was tun, wenn das Hotel brennt oder kein Wasser mehr aus der Leitung kommt? In einem Katastrophen-Kurs trainiert FOCUS-Redakteur Thomas Röll für den Krisenfall
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Not- und Krankheitszeiten“ allen Grund, bucht. In acht einstündigen Kursen brinpanisch zu werden. Von Schmier- und gen mir Sanitäter und Katastrophenhelfer bei, was ich über Wundversorgung, Tröpfcheninfektionen spricht Seminarleials Ersthelfer bei einem Verkehrsunfall ter Reimund Wagenseil, von Sekreten und oder zum Thema „Bevorratung in NotzeiAusscheidungen, von Krankheiten wie ten“ wissen muss. Ebola, Tuberkulose und Gelbsucht. Im Moment steht „Überleben im Brand„Der Feind ist unsichtbar“, lautet Wafall“ auf dem Programm. Nach meinem ungenseils Botschaft. Wasserhähne, Teletauglichen Versuch, den Flammen zu entkomIch habe Druckverbände angelegt und mit Sand, men, zeigt uns FeuerKies, Holzkohle und einigen Haushaltsutensilien wehrmann Schüler, wie einen provisorischen Wasserfilter gebaut sich ein Profi in so einer fone, Tastaturen – an jedem Ort warten Situation verhält. Mit der flachen Hand prüft er die Temperatur der Tür. Dann Keime darauf, uns zu infizieren. „Oder kauert sich Schüler auf den Boden und haben Sie schon einmal gesehen, dass ein Geldautomat desinfiziert wird?“ drückt mit einem Finger die Klinke nach Nicht alle Kurse halten, was sie verunten. Behutsam zieht er die Tür einen sprechen. „Steak trotz Stromausfall – Wir kleinen Spalt weit auf. Die vielen konkreten Tipps und zeigen, wie man’s richtig macht“ steht Übungen sind eindeutig die Stärke des auf einem der Plakate, mit denen das Katastrophenseminars. Wann hat man MHW für seine Veranstaltungen wirbt. die Gelegenheit, die unterschiedlichen Doch anstatt mit uns am selbst entfachWirkungsweisen von Wasser-, Schaumten Lagerfeuer saftiges Rindfleisch zu und Pulverlöschern kennen zu lernen? grillen, liefert der Dozent dieses Seminars Und wer hat sich schon einmal Gedaneinen Überblick über die auf dem Markt ken darüber gemacht, wie viel Lebensbefindlichen Campingkocher. Immerhin mittel ein 4-Personen-Haushalt braucht, weiß ich jetzt, dass es mit einem billigen Esbit-Brenner kaum möglich ist, auch nur um 14 Tage ohne SuperAls Notvorrat für einen 4-Personen-Haushalt markt zu überleben? Für Teewasser zu erhitzen. Ihren nächsten Einkauf: Fühle ich mich nach diesem anstrenbraucht man: 18 Kilo Getreide, je 8 Kilo Gemüse, genden Tag für Notfälle gewappnet? 18 Kilo Getreide, je acht Obst und Fleisch sowie 84 Liter Getränke Könnte ich mich und meine Familie in KriKilo Gemüse, Obst und Katastrophen-Hilfswerks Deutschland senzeiten schützen? Zumindest wäre ich Fleisch, zwei Kilo Fett, 18 Liter Milch und (MHW) in die oberbayerische Provinz nicht mehr vollkommen hilflos. Ich habe 84 Liter andere Getränke. nach Eisenbartling, Gemeinde TuntenDer Nachteil des intensiven ÜberleDruckverbände angelegt, mit Sand, Kies, hausen, gekommen. benstrainings: Die Welt erscheint einem Holzkohle und einigen HaushaltsutensiSeit einem Jahr bietet hier, auf einem plötzlich als bedrohlicher Ort voller Gelien einen Wasserfilter gebaut und einen ehemaligen Bundeswehrgelände, der fahren. Ständig ist in den Seminaren simulierten Zimmerbrand gelöscht. Dachverband der privaten Rettungsdiensvon sensibler Infrastruktur die Rede, von Und wenn Sie demnächst am GeldauStromnetzen, die zusammenbrechen, und te seine Überlebenskurse an. Unter dem tomaten hinter einem Mann stehen, der Eindruck der jüngsten Erdbebenkatasvon einer nicht mehr funktionierenden akribisch das Eingabefeld desinfiziert, trophen und aufgeschreckt vom Chaos, Wasserversorgung. Und wer wie ich latent wundern Sie sich nicht. Das bin nur ich, hypochondrisch veranlagt ist, der hat nach das der Sturm „Xynthia“ angerichtet hat, bevor ich weitere Notrationen für meine einer Stunde „Allgemeiner Hygiene in ■ habe ich das 112 Euro teure Seminar geFamilie kaufe.
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ein Versuch, am Leben zu bleiben, scheitert kläglich. Ich bin Gast in einem Hotel, der Feueralarm hat mich aus dem Schlaf geschreckt. Weißer Rauch quillt zwischen Tür und Rahmen in mein Zimmer. Vorsichtig will ich erkunden, ob der Fluchtweg über den Hotelflur frei ist. So lautet das Szenario, das Kursleiter Klaus Schüler, ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, skizziert hat. „Wie machen Sie das?“ Ich drücke beherzt die Klinke nach unten, öffne die Tür einen Spalt breit und strecke vorsichtig meinen Kopf hinaus. „Stopp!“, unterbricht der Feuerwehrmann mein Unterfangen. „Jetzt haben Sie sich gerade die Hand an der heißen Türklinke verbrannt und eine Menge giftigen Rauch eingeatmet. Und wenn Sie Pech haben, hat Ihnen auch noch eine Stichflamme das Gesicht versengt.“ Damit genau das nicht passiert, bin ich hier, beim „Selbsthilfekurs für die Bevölkerung“. Wie verhält man sich im Unglücksfall? Wie hilft man sich und anderen in einer Krise? Um das zu lernen, bin ich an diesem kalten März-Samstag ins Trainigszentrum des Medizinischen
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F O C U S - SC H U L E . W E R D I E FA K T E N K E N N T , I S T B E S S E R U N T E R R I C H T E T. F OCUS 11/2010
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KOLUMNE
Hier schreibt Harald Schmidt
K
inder, wie das Geld vergeht! Vor ziemlich genau zehn Jahren erreichte der Nemax-50 den höchsten Stand seiner Geschichte. Die dann insgesamt allerdings ziemlich kurz war. Zur Erinnerung: Im Nemax-50 waren damals die 50 wichtigsten Firmen des Neuen Marktes notiert. Dieser Neue Markt war eine coole Gelegenheit, am Vormittag Millionär zu werden und vor Sonnenuntergang die Altersvorsorge zu versenken. Es war das goldene Kurzzeitalter, in dem man sich nicht die Einschaltquoten, sondern die Prozente übern Flur rief. Der Steigerung pro Stunde, zum Beispiel von Yellow Bubble. Es war die Zeit, in der 40 Prozent Zuwachs pro Monat beim Aktienkurs schlechte Laune machte. Bilanzen und Produkte interessierten niemanden. Man überließ sie den Spießern der Old Economy. Wichtigste Geschäftsgrundlage war ein gemeinsames Foto mit Bernie Ecclestone. Dann sagte der Neue Markt nicht sehr leise Servus. Wer gerade noch in Cannes auf zwei Jachten gefeiert hatte, vermietete schon wenig später in München Flugzeuge. 2003 wurde der Neue Markt geschlossen. Der ideale Zeitpunkt, um mit dem Restgeld beim lange belächelten Dax
einzusteigen. Der kannte nur die Richtung von links unten nach rechts oben. Bis zum Absturz im März letzten Jahres. Zwischenfazit: In den vergangenen zehn Jahren konnte man sich also mindestens zweimal finanziell komplett ruinieren. Dank eines funktionierenden Sozialstaats bleibt aber immer noch was. Wer vor einem Jahr in die beiden solidesten Branchen investierte (Halbleiter und Medien), darf sich jetzt über mehr als 1000 (i. W. tausend) Prozent Wertsteigerung seiner Aktien freuen. Bei Infineon dank erstklassiger Produkte und kluger Geschäftspolitik. Bei ProSiebenSat.1 auf Grund zukunftsträchtiger Schnäppchen auf dem Moderatorenmarkt. Selbst das Papier der Commerzbank hat im selben Zeitraum um 194 Prozent zugelegt. Gut, da ging’s vorher schon mal von 37 auf zwei Euro runter. Aber da sind Sie ja sicher rechtzeitig raus. Zusammenfassung: gerade mal wieder ein perfekter Zeitpunkt, um bei Aktien einzusteigen. 60 Prozent hat der Dax seit letztem Jahr zugelegt, mehr als 2000 Punkte hat er noch Luft bis zum einstigen Allzeithoch. Welche Werte empfehlenswert sind? Das können Sie in einem Jahr nachlesen.
„Gerade mal wieder ein perfekter Zeitpunkt, um bei Aktien einzusteigen“
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Composing: F OCUS -Magazin
Aktien-Hausse
SCHLESWIGHOLSTEIN
BOULEVARD BREMEN
Monti Lüftner kam tragisch ums Leben. Sein Besitz kommt nun unter den Hammer
Er war als Produzent und Musikmanager über viele Jahre einer der wichtigsten Pop-Männer des Landes. Voriges Jahr verunglückte Monti Lüftner auf traurige Weise. Wie der überzeugte und fröhliche Junggeselle lebte, wenn er nicht nach Talenten wie Whitney Houston fahndete oder beim Golfen gute Laune verbreitete, lässt sich nun ein wenig erahnen: Der Nachlass aus des Impresarios Wohnung in München-Bogenhausen wird am 23. März im Auktionshaus Neumeister versteigert. Porzellan, Flachmänner aus Silber, farbenfrohe Gemälde, Uhren, Pokale und liebenswerter Nippes zeugen von einem beschwingten Leben.
HAMBURG BERLIN NIEDERSACHSEN
Ausverkauf einer Legende NORDRHEINWESTFALEN
MECKLENBURGVORPOMMERN
SACHSENANHALT
BRANDENBURG SACHSEN
HESSEN THRINGEN
RHEINLANDPFALZ
SAARLAND
BADENWRTTEMBERG
Quelle: Statistisches Bundesamt
DAS IST DEUTSCHLAND [ 8 ]
BAYERN
Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung unter zehn Jahren 2008 in Prozent
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Kinder, Kinder
In Berlin, Hamburg und Bremen haben bei den Kindern unter zehn Jahren inzwischen mehr als 40 Prozent Migrationshintergrund, ebenso in Teilen Nordrhein-Westfalens und Baden-Württembergs. Auf den geringsten Migrantenanteil bei Kindern kommen neben den neuen Bundesländern die nordbayerischen Regierungsbezirke und Schleswig-Holstein.
Anna Loos kam, sang und siegte. Die ehrwürdige und zu DDR-Zeiten politisch relevante Pop-Band Silly hatte deutsche Sängerinnen zur Qualitätsprobe geladen, um die 1996 verstorbene Frontfrau Tamara Danz zu ersetzen und mit wechselnden Gastinterpretinnen den Motor der Band neu zu starten. Eine schwer zu füllende Lücke! Die Schauspielerin Loos, 1970 in Brandenburg geboren, war schon als 15-jähriges Mädchen Fan der Band: Anders als ihre Mitstreiterinnen musste sie nicht auf die Texte sehen, sie kannte jedes Wort auswendig. Während die drei Musiker noch überlegten, wie die Band in Zukunft in Erscheinung treten sollte, bat Loos leidenschaftlich um die vakante Stelle – für im-
mer. Für diesen Traum wollte sie auch Filmparts sausen lassen. Das Trio nahm sie auf. Zusammen haben die vier nun ein neues Album aufgenommen – Titel „Alles rot“. Loos’ Ehemann, Schauspieler Jan Josef Liefers (ebenfalls eingefleischter Silly-Fan), will am Tag der Veröffentlichung (19. März) in einen Plattenladen fahren, die CD kaufen, auf dem Motorrad nach Hause düsen und ganz allein das Album hören: „Da werden sich Synapsen wild verschalten, Botenstoffe chaotisch übereinanderstolpern.“ Gut möglich: Dem Quartett ist ein erstklassiges, musikalisch bestechendes DeutschPop-Album gelungen – mit bewegender Lyrik und einer Tigerin am Mikrofon. knb Alt/neu Ritchie Barton, A. Loos, Uwe Hassbecker, Jäcki Reznicek (v. l.)
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Fotos: U. Düren/dpa, O. Heine/Universal Music
Drei alte Haudegen und eine Tigerin
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S POR T
VW TOUAREG Diesel V6, 240 PS/V8, 340 PS Hybrid 333 + 46 PS Länge x Breite 4,80 x 1,94 m Gewicht ab 2099 kg Höchstgeschw. 218–242 km/h Verbrauch* 7,4/8,2 l/100 km CO2-Emission* 195/193 g/km Preis ab 50 700 Euro
Durchkommer Im Gegensatz zu manchen Konkurrenten ist der Touareg tatsächlich ein vollwertiger Geländewagen
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fahraktiv, geländetauglich, sparsamer Diesel
–
relativ hoher Verbrauch der Hybridversion
*V6 Diesel/Hybrid
Üppige Antriebswelle Als erster deutscher Geländewagen rollt der VW Touareg mit Hybridantrieb an. Für europäische Kunden bleibt der Diesel die bessere Wahl
M
artin Winterkorn geht vor seinem neuen Auto in die Knie und streicht mit dem Zeigefinger über den Stoßfänger. „Die Linien müssen ineinanderübergehen. So sieht ein Volkswagen aus!“, begeistert sich der VW-Chef: „Der Wagen soll athletischer wirken als der Vorgänger.“ Das ist beim neuen Touareg zweifellos gelungen. Der SUV geriet scharfkantig, gestalterisch klar und gleichzeitig gefälliger. Winterkorn ließ dafür den quasi schon fertigen Entwurf von Wolfgang Bernhard, ungeliebter Vorgänger als Markenvorstand bei Volkswagen, einstampfen. Vier Zentimeter plus bei Radstand und Innenraum hieven die Platzverhältnisse des hochwertigen Innenraums endgültig auf Oberklasseniveau. Dank verschiebbarer Rückbank ist der üppige Raum besonders flexibel nutzbar; eine dritte Sitzreihe ist allerdings nicht zu haben. Klare Vorstellungen hatte der studierte Ingenieur Winterkorn auch von der Technik: Ein Hybridmodell war fest eingeplant. Und es sollte im Normzyklus nicht mehr als 8,5 Liter verbrauchen. Es wurden
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schließlich 8,2 Liter – für sich betrachtet ein beeindruckender Wert für die bis zu 380 PS starke Kombination aus Verbrennungsmotor (333 PS) und zusätzlicher Elektromaschine. Der im Vergleich zur japanischen Hybridkonkurrenz recht hohe Verbrauch entsteht aus der Summe vieler Details. So bleiben trotz einer 200-KilogrammDiät beträchtliche 2,3 Tonnen Leergewicht. Nicht optimal erscheint auch die Wahl des Verbrennungsmotors, der die Hauptarbeit im Hybridstrang leistet: VW entschied sich für den per Kompressor aufgeladenen Audi-V6. „Eine Turbo-Aufladung wäre hinsichtlich des Verbrauchs die bessere Lösung gewesen“, räumt Projektleiter Jochen Böhle ein. Für noch mehr Sparsamkeit hätten „wir ein ganz anderes Auto bauen müssen“, erklärt Böhle, „aber das wäre dann kein echter Offroader mehr gewesen“. Immerhin gehörte die volle Geländetauglichkeit zur Produktbeschreibung schon des ersten Touareg – und sollte auch dem Nachfolger erhalten bleiben.
„Touareg-Fahrer benutzen häufig Anhänger. Etwa für Sportboote oder auch gewerblich“, sagt Böhle und verweist auf die beachtlichen 3,5 Tonnen Anhängelast. Entsprechend üppig müssen Antriebswellen und Verteilergetriebe konzipiert werden. Dazu kommen Gelände-Gänge und Differenzialsperren: Das wiegt und verursacht auch mehr Reibung als filigrane Antriebsstränge von Allradautos, die nur optisch ins Gelände gehören. Auf Asphalt gibt sich der Touareg trotzdem handlich und fahraktiv. Die meisten Kunden dürften ihn als langstreckentauglichen Großkombi einsetzen. Und während die Hybridversion in erster Linie eine Fingerübung für den US-Markt darstellt, wo diese Fahrzeugart derzeit boomt, werden Europäer eher zum Diesel greifen. Der V6 TDI schluckt im Schnitt nur 7,4 Liter, allerdings emittiert er einen Hauch mehr CO2. Verglichen mit dem Hybrid ist er trotzdem der leichtere, sparsamere und preiswertere Touareg – nur eben nicht so angesagt. ■ MARTIN VOGT
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Gegen alle Widerstände Revolutionsstimmung bei Jaguar: Mit dem XJ streifen die
Briten ihre mythenumrankte Vergangenheit endgültig ab Grimmig-große Erscheinung Der mächtige Kühlergrill ist ein Markenzeichen des XJ
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s regiert Bibberkälte, als 40 Kilometer nordwestlich von Paris Tradition und Moderne aufeinanderprallen. Dörfer, die im Mittelalter festgefroren scheinen, schmiegen sich mit bildschönen Kirchen an romantische Hügel. Sandsteinhäuser samt Fensterläden, Châteaus und Crêperien glänzen im Abendlicht. Und er fegt mitten rein: ein großreifiger Brite, der die mythenumrankte Historie abgestreift hat wie die Schlange ihre abgenutzte Haut. XJ heißt das Auto, es ist der Nachfolger eines Jaguar-Klassikers, aber seine Herkunft bleibt äußerlich verborgen, wenn das Auge nicht gerade die im Sprung befindliche Raubkatze auf dem Heck erfasst. Früher starrte solch ein rollender
Engländer aus Doppelscheinwerfern in die Welt. Er besaß ein Stufenheck, im Innern flauschiges Mobiliar und an den Wänden überall Wurzelholz. Am Steuer saß ein bemützter älterer Herr im karierten Sakko und zog am Pfeifchen. Das Festhalten an Althergebrachtem hat Jaguar in die Verluste und in den Besitz des indischen Magnaten Ratan Tata getrieben. Um rund 30 Prozent sank der Absatz von 2008 auf 2009 – zuletzt fanden nur noch rund 50 000 Exemplare einen Käufer. ExFirmenmutter Ford kooperiert auf Grund von Verträgen noch bei der Motoren- und Kleinteile-Nutzung. „Wir sehen keine Zukunft mehr in der Vergangenheit“, sagt Jaguar-Chefdesigner Ian Callum.
JAGUAR XJ Diesel V6; 275 PS Benziner V8; 385–510 PS Länge x Breite 5,12 x 1,89 m Gewicht ab 1755 kg Höchstgeschw. 250 km/h Verbrauch*7,0 /11,4 l/100 km CO2-Emission* 184/264 g/km Preis ab 76 900 Euro
Neon statt Retro Leder, Blau, ein rundes Anzeigentrio in der Armatur und ein sich erhebender Silberknopf in der Mittelkonsole prägen das Interieur
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schnell, sicher, bietet viel Platz und Technik
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nach hinten unübersichtlich
Deshalb nun: alles neu. Der XF war kürzlich Teil eins der Jaguar-Revolution. Der XJ vereint einen Riesenkühlergrill, bumerangförmige Rücklichter und eine sanft ausschwingende Dachlinie zu einem vielfach kritisierten und gleichwohl imposanten Auftritt. Der Wagen ist als Kurz- oder Langversion und mit vier Aggregaten erhältlich. Ein Diesel ist dabei – Teamarbeit mit Peugeot. Die Karosserie besteht aus genietetem Aluminium, was ein in dieser Klasse vergleichsweise niedriges Gewicht von unter zwei Tonnen ergibt. Gas und Bremse sprechen sofort an. Gute Dämpfung garantiert Ruckelfreiheit. Nach Betätigung der Zündung fährt wie in einem 007-Spannungsszenario ein Knopf aus der Mittelkonsole. Schaltet man auf Sportmodus, zieht der Gurt per Ruck an. Ein Signalfähnchen leuchtet in der Armatur. Die Beschleunigung beeindruckt, das kommode Gefühl bleibt. Jaguar 2010 – ein Hauch von ScienceFiction in der Hand eines Inders. „Modernität ist ein großer Teil unseres Erbes“, sagt Designboss Callum und hofft, dass er es beim startenden Verkauf im Mai mit Nostalgikern zu tun hat, die er überzeugen kann. Mit Gegnern, die er kontrollieren kann. Bei Präsentationen in Paris und Siena standen Callum & Co. mit ihren Gästen plötzlich im Dunkeln. In den Ho■ tels war der Strom ausgefallen. FRANK LEHMKUHL
*Diesel/Otto 385 PS
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Der Menschen-Forscher Psycho-Rollen und Krimi-Poesie, Schulprügel und Todesangst: Schauspieler Dieter Pfaff analysiert sich und seine TV-Figur „Bloch“
Machen Sie es sich doch gemütlich auf der Couch, Herr Pfaff. Sie dürfen uns alles anvertrauen, was Sie schon immer loswerden wollten.
Das könnte Ihnen so passen! Man kann es ja mal probieren. Also: Wie viel Pfaff steckt in Bloch?
Eine ganze Menge. Der Pfaff und der Bloch schauen nämlich auf die Menschen. Entstellte Leichen oder ineinanderkrachende Autos interessieren sie nicht. Mätzchen, die künstlich Spannung erzeugen, verbieten wir uns. Bei meinem ersten Sperling-Film . . . . . . Ihrer früheren Kommissar-Rolle im ZDF . . .
. . . habe ich gesagt: Das bin ich. Natürlich nicht der Dieter Pfaff, den ich lebe, aber eine andere Ebene von mir, die meine Träume und Albträume, Sehnsüchte und Wünsche vermittelt. Wie viel Bloch steckt in Pfaff?
Mit Anfang 30 stieß ich in einem Buch des Psychiaters Ronald D. Laing auf den Satz: „Meine Generation hat es fantastisch verstanden, alles zu beschreiben, was nicht funktioniert. Wir haben aber vergessen festzuhalten, wo Menschen versuchen, begehbare Wege zu finden.“ Das Finden begehbarer Wege in all den Verrücktheiten des menschlichen Miteinanders – genau das ist eins der Grundthemen des Dieter Pfaff. Und auch des Maximilian Bloch, denn die Figur habe ich ja mitentwickelt. Wer sich als junger Mensch mit Psychologie befasst, will oft rausfinden, ob er selbst . . .
. . . einen an der Klatsche hat. Das haben Sie gesagt.
Ist ja was dran. Ich habe mich gefragt: Was macht dich eigentlich aus? Weil ich körperlich so bestimmt bin, wollte ich zeigen, wie verschiedenartig ich in meinen Rollen sein kann. Das war aber falsch. Ich lernte, stattdessen meinen eigentlichen Kern aufzuspüren und ihn zu zeigen. Dann merken die Zuschauer: Der ist wirklich so, dieser Mensch. 128
Sie bekommen nur gute Kritiken, und Sie spielen seit einiger Zeit nur gute Menschen, die anderen helfen. Reizt Sie das Böse nicht?
Oh doch! Aber bitte nicht die primitiven Dumpfbacken. Ich mag Typen, denen die Bösartigkeit Spaß macht, Gestalten also, die perfide und intelligent sind. Oder wären Sie lieber „Tatort“-Kommissar?
Ich wollte immer beim WDR der Nachfolger von Götz George alias Schimanski werden. Aber ich hatte ja den Sperling, und dann ging das nicht mehr. Ihr großes Ermittler-Vorbild ist . . .
Maigret. Noch immer. Diese Figur hat mich geprägt. Auch weil sie etwas birgt, was in Krimis meistens fehlt: Poesie. Darum bemühe ich mich auch. Ich habe nämlich eine Sehnsucht nach Poesie. Ihre aktuelle Bloch-Episode greift das sehr aktuelle Thema Stalking auf. Haben Sie selbst einschlägige Erfahrungen machen müssen?
Nein. Ich kenne aber Kolleginnen, denen so etwas widerfahren ist. Es muss für sie grauenhaft gewesen sein. Frage an den Psycho-Fachmann Bloch: Wieso ist Stalkern so schwer beizukommen?
Das weiß ich auch als Pfaff, dass das Hauptproblem das fehlende Schuldbewusstsein der Täter ist. Die glauben sich einfach im Recht und verweigern deshalb konsequent jede Hilfe. Offenbar nehmen die Fälle deutlich zu. Woran liegt das?
Am Internet. Die ideale Plattform für Diffamierungen. Auch via Mail und SMS kann man Leute terrorisieren. Sie selbst machen sich rar in der virtuellen Welt, betreiben keine eigene Website und sind bei Facebook nicht zu finden. Wahrscheinlich ist Ihnen auch Twittern kein Begriff.
Doch. Damit kann ich der Welt mitteilen, dass ich gerade aufs Klo gehe. Sie sind kaum in Promi-Quizshows oder anderen Unterhaltungssendungen zu sehen. Bekommen Sie keine Einladungen?
Ich meide solche Auftritte ebenso wie den Gang über den roten Teppich. Der
Hörsaal und Kamera Dieter Pfaf f, 62 ❙
Die Bühnenkarriere mündete in die Professur für Schauspiel an der Universität Graz.
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Die Fernsehkarriere begann in „Der Fahnder“ (ARD). Es folgten u. a. „Bruder Esel“ und „Sperling“.
Plasberg wollte mich zum Thema „Körperkult“ in seine Talkshow einladen. Da weiß ich doch, was der will. Diese Reduktion lasse ich mir nicht gefallen. Da bin ich hart, aber fair. Etliche Ihrer Kollegen steigern so ihren Marktwert.
Wer’s braucht . . . Ich muss das nicht. Meine Einschaltquoten stimmen. Ich kann mir den Luxus leisten, nur die Projekte zu realisieren, von denen ich überzeugt bin. Nur fürs Portemonnaie habe ich schon lange keinen Film mehr gemacht. Dabei liegt Ihr aktueller Rentenanspruch knapp über der 1000-Euro-Grenze, haben Sie mal verraten. Wollten Sie die Ausfallzeiten zwischen Ihren Filmen nie dem Arbeitsamt melden?
1100 Euro sind es jetzt. Aber soll ich da wirklich hingehen und am nächsten Tag in der „Bild“ lesen: „Fernsehstar kassiert auch noch Arbeitslosengeld?“ Nein danke. Mir geht’s momentan auch so gut. Die Produktionsbedingungen sind allerdings in der Tat härter geworden. Kollegen wie Maskenbildner oder Regieassistenten sind viel schlimmer dran. Die Drehzeiten – nur für diese Tage werden sie ja bezahlt – schrumpfen nämlich. Viele haben Probleme, von ihrem Beruf noch leben zu können.
Spiegel-Reflexion Pfaff in der Bibliothek des Hamburger Hotels „The George“
Foto: Olaf Ballnus/F OCUS -Magazin
Für RTL spielten Sie den Franziskanermönch „Bruder Esel“. Was würde der zu den fast täglich auftauchenden neuen Missbrauchsfällen in katholischen Internaten und Schulen sagen?
Dasselbe wie ich: Dass so etwas vorgekommen ist, war mir klar. Das Ausmaß hätte ich mir nicht vorstellen können. Es werden derzeit auch die brutalen Erziehungsmethoden in den fünfziger und sechziger Jahren diskutiert. Haben Sie die kennen gelernt?
Und ob. Mit dem Rohrstock gab’s was auf die Finger. Ein Lehrer stellte uns 129
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vor die Wahl: entweder drei Seiten aus dem Lesebuch auswendig lernen – oder drei Schläge mit dem Gummischlauch auf den Hintern. Das hat sch. . .wehgetan. Die schmerzhaften Erfahrungen machten Sie aber nicht zum 68er?
Nö, das war ja eher politisch bedingt. Heute sehe ich viele Dinge übrigens ein bisschen anders. Ich glaube, wir waren mindestens genauso ignorant und überheblich, wie wir das unseren Eltern vorwarfen. Das hat mich im Nachhinein sehr bedrückt.
Eigentlich sind Sie doch auch ein Feindbild bestimmter Populisten.
Ich? Als was denn? Als Besserverdiener.
Seh ich anders. Ich verdiene gut und habe überhaupt kein Problem damit, meine Gagen auch ordentlich zu versteuern. Mein Geld steckt auch nicht in der Schweiz, sondern in einem Haus in Hamburg, in dem meine ganze Familie wohnt. Keine Aktien, keine Fonds?
Mit Nichtstun Geld zu machen, halte ich für pervers. Wenn die Weltwirt-
Der aktuelle politische Streit um Hartz IV verläuft allerdings kaum weniger emotional als die 68er-Debatten.
schaft zum großen Teil auf dubiosen Finanzgeschäften basiert, ist das nicht nur absurd, es kann auch auf Dauer nicht gutgehen. Die Chefs der großen Aktiengesellschaften und die Fondsmanager sollten sich mal vor Augen halten, dass das wichtigste Kapital eines Unternehmens immer noch gute Mitarbeiter sind. Es ist unmöglich, dass große Banken sich mit Staatshilfe selbst sanieren, an mittelständische Unternehmen aber keine oder überteuerte Kredite vergeben. Das macht mich wütend. Vielleicht lassen Sie sich mit dem Thema Musik wieder besänftigen: Wie gefiel dem Gelegenheitssänger und Gitarristen Pfaff die neue ARD-Strategie zur Kandidatenfindung für den Eurovision Song Contest in Oslo?
Was Herr Westerwelle oder die NRW-Spitzenkandidatin der SPD, Frau Kraft, dazu beitragen, ist Gut. Ich erlebte junge Menvom Inhalt ja keineswegs schen mit bemerkenswerten neu. Nur: Es ist die Gier nach Sensationen, die Talenten. Ob die für Oslo richtig sind, weiß ich nicht. solche Politiker antreibt. Und die Medien greifen Dort zählt wahrscheinlich das begeistert auf. ja nicht allein die Stimme. Ich habe in meinem Leben Stefan Raab und seine Jury nicht CDU gewählt. Ich gingen mit den Kandidaten finde es aber äußerst berespektvoll um, sie ließen ihnen ihre Würde. Angenehm ruhigend und angenehm, dass Frau Merkel offenanders als das Haudraufbar die Souveränität beEruption Pfaff alias Bloch mit TV-Partnerin Ulrike Krumbiegel in prinzip in den einschlägig sitzt, zu diesem Quatsch bekannten Sendungen. der neuen Episode „Verfolgt“ (Mittwoch, 20.15 Uhr im Ersten) zu schweigen. Sie und Es heißt, Sie träumten mal von Frau von der Leyen sind einer Karriere als Rocksänger. Das stimmt. Ich sah aber bald ein: derzeit die einzigen Politiker, die mich Andere konnten das besser als ich. beeindrucken. Das bekennt jemand, der aus der Da habe ich mich nicht getraut.
Es erstaunt mich ja selbst. Aber die einst monolithischen Blöcke der Parteien erodieren doch längst. Die Kanzlerin hat mal gesagt: Wo es notwendig ist, sozialdemokratisch zu sein, bin ich sozialdemokratisch. Wo es notwendig ist, liberal zu sein, bin ich liberal. Wo es notwendig ist, konservativ zu sein, bin ich konservativ. Das ist in unserer zunehmend komplizierter werdenden Welt ein gute Aussage. Wo werden sie misstrauisch?
Bei Politparolen, die mit vermeintlich einfachen Wahrheiten Stimmen fangen wollen: „Ausländer nehmen euch die Arbeitsplätze weg“ zum Beispiel. 130
4 Mio.
Zuschauer erleben Pfaff als Bloch. Der Name ist eine Verbeugung vor dem Philosophen Ernst Bloch
5 Mio. Zuschauer sehen Pfaff als Rechtsanwalt Ehrenberg in „Der Dicke“
Dafür sollen Sie gern und oft beim Drehen singen.
Eigentlich ständig. Damit ich nicht verkrampfe. In einer Phase blieb ich allerdings stumm. Meine Maskenbildnerin fragte: „Was ist los?“ Ich ging damals auf die 58 zu. In diesem Alter starben mein Vater und mein Großvater. Da kamen Ängste auf: Droht mir das auch, weil meine genetische Veranlagung genau so ist? Wie haben Sie das überwunden?
Mit einem rauschenden Fest zu meinem 60. Geburtstag. Aber mehr will ich dazu nicht sagen. Ich muss nicht alles ■ preisgeben. INTERVIEW: ULI MARTIN
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Foto: S. Schweiger t/SWR
„Herzkammer der Sozialdemokratie“ – nämlich Dortmund – stammt?
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MEDIA-BOX 192 Minuten Radio pro Tag
„Mei Mann freut „Mein diebisch, sich diebis wenn di die Bayern gewinnen – und ich dies verkünden muss“ HSV-Fan Judith Rakers, 34, über ihre Arbeit als „Tagesschau“Sprecherin der ARD
Einzelsender nach Hrern in Millionen und Vernderung zum Sommer 2009 in % 1,21 (+13,8) 1,15 (+5,8) 1,07 (+7,7) 0,97 (+15,1) 0,95 (+20,6) 0,79 (Ð1,5) 0,67 (+7,1) 0,66 (+12,5) 0,58 (+2,5) 0,56 (+12,8)
Quelle: ag.ma
SPRUCH DER WOCHE
Immer mehr Menschen in Deutschland hören Radio: Nach der neuesten MediaAnalyse (ma 2010 Radio I) schalten wochentags 57,87 Millionen ihr Gerät ein – also 2,9 Millionen mehr als bislang. Bei der Erhebung wurden erstmals auch deutschsprachige Ausländer nach ihrer Radionutzung befragt. Die durchschnittliche Hördauer liegt pro Tag bei 192 Minuten. Besonders beliebt bei Jugendlichen ist mit 159 Minuten das Radio per Internet, auch Webcast genannt. Erfolgreichster Einzelsender ist Antenne Bayern. Mit einer Rekordreichweite von 1,21 Millionen Hörern zog das Programm wieder an Bayern 1 vorbei. ru
Hörerzuwachs Fast alle privaten und öffentlichrechtlichen Radiosender legen zu
TV-Kabel: Börsengang bringt Chefs Millionen
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Millionen Euro). Geschäftsführungsmitglied Manuel Cubero, 46, kommt wohl auf über sechs Millionen Euro (Darlehen: 960 000 Euro). Beide haben Optionen auf weitere Anteile. Profitieren kann auch Ex-Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber, 74, der als Aufsichtsratschef Anteile hält, die mehr als eine Million Euro wert sein dürften (Darlehenshöhe: 449 000 Euro). Kabel Deutschland wollte dazu auf Anfrage nicht Stellung nehmen. cb/ff/sh Fotos: J. Rakers, F. Wagner/beide Ag. Focus
Bis zu 32,1 Millionen Euro können Manager und Aufsichtsräte von Kabel Deutschland (KDG) kassieren, wenn Deutschlands größter TV-Kabelanbieter am 22. März an die Börse geht. Die KDG-Eigentümer hatten ihren Führungskräften in den vergangenen Jahren Millionendarlehen zu Sonderkonditionen angeboten (Jahreszins zwischen 3,0 und 5,5 Prozent) – offenbar, damit sie Unternehmensanteile erstehen konnten. Zum Börsengang dürfen sie laut KDG ein Viertel davon verkaufen. Größter Nutznießer wird wohl Aufsichtsratsmitglied Tony Ball, 54, sein, dessen Paket je nach Ausgabekurs deutlich mehr als 50 Millionen Euro wert sein dürfte (er erhielt ein Darlehen über elf Millionen Euro). Der Vorsitzende der Geschäftsführung, Adrian von Hammerstein, 56, besitzt danach Anteile im Wert von mehr als zwei Millionen Euro (Darlehen: 1,2
Im Vorwärtsgang KDG-Chef Adrian von Hammerstein vor der Firmenzentrale
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Die Starken müssen den Schwachen helfen – aber wie? Ein neuer Geldtopf und Kontrollen sollen verhindern, dass ein EU-Staat unkontrolliert bankrottgehen kann
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olfgang Schäuble ist unruhig. Der Finanzminister (CDU) weiß genau, dass das nächste Wirtschaftsbeben unmittelbar bevorsteht. Er weiß aber auch, dass sich niemand ausreichend darauf vorbereitet hat. Bisher nicht. Denn: Was könnten Deutschland und andere EuroLänder schon tun, wenn etwa ein restlos überschuldetes Land wie Griechenland oder Portugal kollabiert? Zu wenig, um Schaden von der deutschen Wirtschaft abzuhalten. Weil trotz gemeinsamer Währung Mittel und Mechanismen fehlen. Das soll sich ändern. Schäuble ist zwar als Patient im Krankenhaus, hat sein Zimmer aber zum Büro umgebaut. Auf dem Bett liegt der Laptop, auf dem Nachttisch das abhörsichere Regierungs-Handy – und einmal täglich lässt sich Wolfgang Schäuble frische Akten bringen. Eine Routineoperation hat den Rollstuhlfahrer wegen der längeren Wundheilung („Ich bin eben kein Fußgänger“) etwas länger ans Hospital gebunden als erwartet.
Und das mitten in der GriechenlandKrise. Zwar scheint Ministerpräsident Giorgos Papandreou sein Land erst einmal vorläufig stabilisiert zu haben – dank eines frischen 5-Milliarden-Kredits Anfang März. Doch die nächste Eskalationsstufe kommt bestimmt. Und darauf will Schäuble vorbereitet sein. Schon vor Wochen trommelte der Finanzminister eine kleine Einsatztruppe seines Ministeriums zusammen. Ihre Aufgabe: Wie kann man schwachen EuroStaaten helfen – bevor sie unkontrolliert in den Bankrott rutschen und das restliche Euro-Land mit in den Abgrund reißen? Die Zeit drängt. Wie eilig vor allem die südlichen Länder des Euro-Gebiets frisches Geld benötigen, ist kein Geheimnis: Allein Griechenland muss sich bis Ende Mai 43 Milliarden Euro zusammenpumpen – die alten Staatsanleihen laufen aus. Die gesamten Schulden der Hellenen steigen dieses Jahr auf 304 Milliarden Euro. „Die Verbindlichkeiten sind
Gigantische Schuldenbomben
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Quelle: Europäische Union
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Explosive Mischung Vor allem diese fünf EU-Staaten haben in der Vergangenheit viel mehr Geld ausgegeben, als sie sich leisten konnten – ihre Finanzprobleme könnten die Euro-Zone platzen lassen
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Illustration : Thomas Kuhlenbeck/F OCUS -Magazin
Not-Fonds für den Euro
Bittsteller Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou – hier in einer karikierenden Foto-Illustration – muss in den nächsten beiden Monaten Milliardenanleihen ausgeben
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Deutschland – Sparvorbild in der Krise 11,1 Deutschland 10
Nettosparquote in Prozent des Bruttoinlandsprodukts
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2000
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2002
2003
2004
2005
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Portugal –6,8 2007 2008
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2010
Quelle: Europäische Union
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Prognose
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2011
Nichts zu holen Die Griechen und Portugiesen haben schon in der Vergangenheit mehr konsumiert als gespart – wie sollten sie höhere Steuern bezahlen?
höher als die der Hypo Real Estate und der Investmentbank Lehman Brothers zusammen“, rechnete Schäuble schon Mitte Februar in vertrauter Runde vor (FOCUS 7/2010). Der portugiesische Staat steht 2010 mit 139 Milliarden in der Kreide, Nachbar Spanien mit 693 Milliarden und Italien sogar mit 1835 Milliarden Euro. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung war für Schäuble klar: „So können wir nicht weitermachen.“ Täglich telefonierte Schäuble vom Krankenbett aus mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie waren sich einig, den Spardruck auf Griechenland zu erhöhen. Mehr Haushaltsdisziplin, strengere Auflagen, härtere Sanktionen wollen Merkel und Schäuble aber auch in allen anderen EU-Ländern – einschließlich Deutschland – durchsetzen. Schäuble denkt aber auch über finanzielle Hilfen nach: „Wer heute Realitäten nicht wahrnehmen möchte, weil sie vernünftigerweise nicht hätten eintreten dürfen, beschränkt seine Handlungsmöglichkeiten gerade in schwierigen Lagen“, schrieb Schäuble vergangenen Freitag in einem Gastbeitrag für die „Financial Times“. „Das werde ich nicht tun.“ Seine Idee: Europa braucht eine eigene Finanzfeuerwehr. Schnell, effektiv und 136
unabhängig. Eine Art Europäischen Währungsfonds (EWF) – nach dem Vorbild des Internationalen Währungsfonds (IWF). Eine Institution, die Geld für schlechte Zeiten anspart, Schuldensünder bestraft, aber auch den möglichen Bankrott eines Staates geordnet abwickelt oder ihn mit Finanzhilfen abwendet. Der Vorschlag ist nicht ganz neu. Bereits im Februar hatten die beiden Wirtschaftswissenschaftler Daniel Gros und Thomas Mayer das Modell eines solchen Europäischen Währungsfonds entwickelt. Gros, Direktor der Brüsseler Denkfabrik CEPS: „Aktuell können bankrotte Nationen immer damit drohen, dass ihr Absturz den Finanzmarkt destabilisieren und andere mitreißen würde.“ (Interview S. 138). Aber auch solidere, weniger stark verschuldete Staaten fühlen sich von Wolfgang Schäuble überrumpelt. Er hatte niemanden in seine brisanten Pläne eingeweiht. Nicht das engste Euro-Partnerland Frankreich. Nicht die europakritischen Briten. Und auch nicht die mächtige Bundesbank. Kein Wunder, dass sich deren Begeisterung in Grenzen hält. Die französische Finanzministerin Christine Lagarde lässt sich nur ein schnippisches „interessante F OCUS 11/2010
„Ein Europäischer Währungsfonds könnte Euro-Mitgliedsstaaten Liquiditätsnothilfen gewähren“ Wolfgang Schäuble Bundesfinanzminister
„Es ist nicht hilfreich, sich auf die Institutionalisierung von Nothilfen zu konzentrieren“
Fotos: H. Schacht/action press, C. Thiel/imago
Axel Weber Bundesbank-Präsident
Idee“ entlocken. Ihr britischer Kollege Alistair Darling lehnt brüsk „jede weitergehende institutionelle Veränderung“ der EU ab. Und der ebenfalls nicht informierte Bundesbank-Präsident Axel Weber hält Schäubles Plan „zum jetzigen Zeitpunkt für vollkommen kontraproduktiv“: Man solle sich lieber darauf konzentrieren, dass die Euro-Länder die bereits bestehenden Schuldengrenzen einhalten – das gelte gerade auch für Deutschland. Die heftigste Kritik kommt von den Deutschen selbst: Woher soll das viele Geld für den Euro-Rettungs-Fonds kommen? Wer zahlt wie viel ein? Und muss die Bundesrepublik – die bei Weitem stärkste Wirtschaftsmacht Europas – wieder einmal den größten Anteil tragen? Zumindest die letzte Frage lässt sich mit einem klaren Ja beantworten. Die deutsche Wirtschaft funktioniert auch in der Krise am besten, sie profitiert am meisten vom vereinten Europa und hat daher das stärkste Interesse, dass die gemeinsame Währung nicht zerbröselt. Nur: Auch Deutschland ächzt unter hohen Schulden. Woher sollen die für den deutschen Anteil am Fonds nötigen zehn, 20 oder 50 Milliarden Euro kommen? Sollen etwa die Bürger höhere Steuern bezahlen, damit Griechen, Portugiesen, Spanier und Italiener weiter über ihre Verhältnisse leben können? Ein derartiger Beschluss wäre politischer Selbstmord, glaubt Bundeskanzlerin Merkel. Sie hat deshalb schon den Versuch ihres Finanzministers abgeblockt, für eine Griechenland-Hilfe im Haushalt 2010 vorzusorgen. Schäubles Experten denken aber über eine Geldquelle nach, die Steuerzahler zunächst nicht belastet: die Goldreserven der früheren Notenbanken aller Euro-Länder. Immerhin verfügt selbst Griechenland noch über etwa 112 Tonnen Gold. Die Deutsche Bundesbank lagert sogar noch 3407 Tonnen – aktueller Marktwert: 90 Milliarden Euro. Der Schatz, so die Überlegung, ließe sich „buchhalterisch“ in einen Stabilisierungsfonds einbringen. Das Gold stünde als Reserve – eine Art Bürgschaft – für den Notfall aller Notfälle bereit: den drohenden Bankrott eines Euro-Landes. Diese Erwägungen mögen kühn sein. Vielleicht sogar clever. Auf jeden Fall müsste Finanzminister Wolfgang Schäuble erst Bundesbank-Chef Axel Weber mitsamt Kollegen überzeugen.
Das Bundesfinanzministerium wollte auf FOCUS-Anfrage derartige Gedankenspiele weder bestätigen noch dementieren. Schäubles Sprecher Michael Offer: „Für uns ist jetzt die weitere Abstimmung mit unseren europäischen Partnern, insbesondere Frankreich, wichtig. Dann sehen wir weiter.“ Die Bundesbank will sich von der Politik bei der Verwendung des deutschen Goldes jedoch nicht unter Druck setzen lassen und pocht auf ihre gesetzlich garantierten Rechte: „Der Vorstand der Deutschen Bundesbank trifft die Entscheidungen über die Verwendung der Goldreserven.“
Wer die Deutsche Bundesbank herausfordert, verliert immer Schäuble wäre nicht der erste Finanzminister, der einen Machtkampf mit der Bundesbank riskiert – und unterliegt. Vorgänger Peer Steinbrück (SPD) wollte das Institut 2006 drängen, Gold zu verkaufen. Nach heftigen Protesten von Bundesbank und Öffentlichkeit ließ er seinen Plan fallen. Schon in den 90er-Jahren hatte der damalige CSU-Finanzminister Theo Waigel vergeblich versucht, die Goldreserven höher bewerten zu dürfen. Nach all diesen Erfahrungen überlegt jede Bundesregierung stets sehr genau, ob sie die Hüter des Goldes herausfordert. Und sei es auch nur für ein Planspiel. Viel wichtiger ist Wolfgang Schäuble daher sein eigentliches Ziel: die Finanzfeuerwehr für den Euro. Selbst wenn ihr Aufbau nach jahrelanger Diskussion in 27 EU-Mitgliedsstaaten gelingen sollte, für einen Einsatz in der Griechenland-Krise kommt sie zu spät. Der Poker um das Überleben des Mittelmeerstaates zeigt die Schwächen des Euro-Verbunds. Die Europäer haben ihre gemeinsame Währung einst auf zwei Säulen gestützt, die nun aber beide wackeln: • Kein Staat darf einen Schuldenberg auftürmen, der 60 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung übersteigt. Die Schulden der Griechen sind jedoch bereits jetzt doppelt so hoch. Aber auch die meisten anderen Euro-Länder haben die Kreditobergrenze längst gerissen. • Kein Land darf seine Schulden auf die gesamte Europäische Union abwälzen. Wörtlich heißt es im EU-Vertrag: „Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen . . . 137
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• Die EU-Staaten könnten sich auf eine „unverschuldete Notlage“ des Schuldnerstaats berufen. Und für akute Finanzprobleme das Wirken von Spekulanten verantwortlich machen.
Bürger sind bei juristischen Tricks hilflos – sie können nicht klagen Rechtlich ist das alles umstritten. Wenn sich aber EU und Bundesregierung dazu entschließen sollten, können einfache Bürger nicht dagegen klagen: weder vor dem Europäischen Gerichtshof noch vor dem Bundesverfassungsgericht. Das glauben jedenfalls die Regierungsjuristen. Politisch bleibt der Poker um Finanzhilfe heikel: Macht die Bundesregierung Geld locker, bekommt sie Probleme im eigenen Land. Erhöht sich der Spardruck auf Griechenland noch weiter, stehen die Deutschen dort am Pranger. Dieses Problem könnte ein Europäischer Währungsfonds entschärfen: Wenn
Vordenker Daniel Gros arbeitet als Direktor der Brüsseler Denkfabrik CEPS
Vorbild IWF Die Behörde besitzt große Erfahrung in der Sanierung maroder Länder. ❙
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Globaler Aufseher Aufgabe des in den USA sitzenden Internationalen Währungsfonds (IWF) ist es, die Wirtschaftspolitik der angeschlossenen 186 Länder zu überwachen und ihnen im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten mit Krediten beizustehen. Dabei handelt er bisweilen rigoros: Frisches Geld gibt es nur, wenn die Länder klare Sanierungsfortschritte nachweisen. In Euro-Land unerwünscht Europäische Regierungen, vor allem aber die Zentralbank, sind dagegen, dass der IWF im Falle Griechenlands einschreitet. Sie wollen vor allem vermeiden, dass die Viel-Länder-Behörde, in der die USA besonders starken Einfluss haben, in den EuroWährungsraum hineinregiert.
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die anonymen Beamten einer unabhängigen europäischen Behörde ein Land zum Sparen zwingen, könnten sich deutsche – aber auch griechische – Politiker leicht hinter dem Rat der Experten verstecken. Kanzlerin Merkel betont zwar: „Die Griechen haben noch um keinen Cent gebeten.“ Doch die griechische Regierung kann viel subtiler Druck ausüben. Sie umgeht die EU und wendet sich an den Internationalen Währungsfonds (IWF), dessen Mitglied Griechenland ist. Genau das möchte die EU verhindern: Was, wenn der Fonds das Geld zu Bedingungen leiht, die weniger hart sind als nötig? „Wenn das Schule macht, könnte ein Euro-Land über den IWF den Stabilitätspakt aushebeln“, heißt es in der Bundesregierung. Der aktuelle Wirbel um den Europäischen Währungsfonds (EWF) könnte somit sogar Absicht sein: Die Öffentlichkeit soll sich schon einmal an den Gedanken gewöhnen, schwächelnden Euro-Ländern finanzielle Hilfen zu gewähren.
„Eine geregelte Staatspleite muss möglich werden“ Ökonom Daniel Gros verteidigt seine Idee von einem EU-Währungsfonds.
Herr Gros, Sie sind einer der geistigen Väter der Idee eines Europäischen Währungsfonds (EWF). Was empfinden Sie angesichts der Kritik an Ihrem Vorschlag?
Mich amüsiert, dass ich mit den meisten der Kritikern einer Meinung bin. Sie wenden sich in aller Regel gegen Dinge, die ich nie vorgeschlagen habe. Zum Beispiel?
Ich habe nie behauptet, die Krise in Griechenland wäre mit der Gründung eines EWF lösbar. Was zählt, ist das Manage-
ment der nächsten Krise. Ich will auch keinen Schuldenfonds schaffen, der den Stabilitätspakt aufweicht. Im Gegenteil. Ein EWF müsste mit starken Sanktionsinstrumenten ausgestattet sein, die im Defizitverfahren konsequent angewendet werden. Ein Beispiel wäre die schrittweise Reduktion von EU-Fördermitteln. Wäre das nicht auch jetzt schon möglich?
Ja, so etwas ist im Stabilitätspakt in schwacher Form vorgesehen. Ich bleibe aber dabei: Das aktuelle DefizitverfahF OCUS 11/2010
Foto: L. Johannssen/photothek
und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein.“ Deutsche Steuergelder für die Finanzprobleme anderer EU-Staaten riskieren, das will auch Schäuble nicht. Aber seine Beamten bereiten sich auf den Notfall vor. Schäuble hat Europarechtler bereits prüfen lassen, wie sich das Heraushauen eines verschuldeten Landes durch die anderen („Bail out“), trotz des Verbots im EU-Vertrag, rechtfertigen lassen könnte. Sie fanden drei Möglichkeiten. • Die erste gab Jurist Schäuble selbst vor: Bezieht sich der Begriff „Verbindlichkeiten“ denn nicht auf Altschulden? Ist der Sachverhalt nicht anders zu beurteilen, wenn die EU bei einem Neustart eines Pleitelandes neue Mittel gegen strenge Auflagen ermöglicht? • Statt staatlicher Stellen könnten „Kreditinstitute in öffentlichem Eigentum“ – wie die staatseigene KfW-Bank – tätig werden. Sie werden nach dem EURecht wie Privatbanken eingestuft.
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Experten raten, zusätzlich zum geplanten Fonds die Regeln des Stabilitätspakts zu verbessern. Auch Schäuble sieht Finanzhilfen eines EWF nur als „Ultima Ratio – als letztes Element einer Handlungskette, um das europäische Währungssystem stabilisieren zu können“. In der Tat. Der Europäische Währungsfonds muss nicht schon morgen stehen. Denn nach aller Erfahrung geht ein Land nicht über Nacht pleite. Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, erinnert an den letzten große Staatsbankrott 2002: „In Argentinien zog sich der Prozess bis hin zur Zahlungsunfähigkeit des Landes über mehr als 18 Monate hin.“ In diesen eineinhalb Jahren könne ein Fonds schon einiges Geld einsammeln. Ganz gleich, ob für Portugal, Spanien, Italien – oder doch für Griechenland. Bloß: Bislang war die EU noch nie so schnell. ■ ULI DÖNCH / FRANK THEWES / STEFAN BORST / BERND JOHANN / IMKE HENKEL
Trotz Heiserkeit nicht sprachlos D
ie Rolle unserer Stimme wird häufig unterschätzt. Dabei unterstreicht sie unsere Persönlichkeit und trägt in vielen Situationen zu unserem Erfolg bei. Um so wichtiger ist es, die Stimme zu pflegen und vor Angriffen zu schützen. Hals-Nasen-Ohren-Ärzte sind besorgt: Entzündungen im Hals- und Rachenbereich (Pharyngitis) nehmen stark zu – jährlich gibt es bis zu 6 Mio. Neuerkrankungen! Betroffene klagen über Symptome wie Trockenheitsgefühl in Hals und Rachen, Räuspern, Halskratzen und Heiserkeit. Dabei sind die Ursachen vielfältig: räumliche Begebenheiten (Heizungsluft, Klimaanlagen), hohe Beanspruchung der Stimme, Rauchen, eingeschränkte Nasenatmung (z. B. bedingt durch Erkältungen). Das ist nicht nur unangenehm, sondern kann auch Folgen haben: durch das Austrocknen der Schleimhaut haben Viren und Bakterien leichtes Spiel. Oft bleibt dann die Stimme sogar ganz weg.
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ren ist nicht streng genug. Politische Erwägungen spielen eine zu große Rolle. Was müsste ein EWF denn idealerweise leisten können?
Zentral wäre eine geregelte Insolvenz von Staaten. Eine Pleite muss möglich werden. Aktuell können bankrotte Nationen immer damit drohen, dass ihr Absturz den Finanzmarkt destabilisieren und andere mitreißen würde. Sie wissen, am Ende werden sie gerettet. Fehlt dieser Joker, wird es auch attraktiver, die Haushaltsdisziplin zu wahren. Sind Sie eigentlich stolz darauf, dass Ihre Idee inzwischen von der Bundesregierung unterstützt wird?
Es ist nicht alleine meine Idee gewesen. Ich habe sie mit Thomas Mayer von der Deutschen Bank entwickelt. Aber natürlich ist es ein Erfolg für das CEPS, wenn unsere Vorschläge Eingang in den politischen Entscheidungsprozess finden. Jetzt aber kommt es darauf an, was die Politik am Ende daraus macht. Darauf ■ bin ich sehr gespannt. INTERVIEW: STEFAN BORST F OCUS 11/2010
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„Wir haben auf sie gespuckt“
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tephen Nodine kann sich kaum zügeln. „Airbus wollte bei uns in Mobile 2500 neue Arbeitsplätze schaffen und entlang der Golfküste sogar 10 000 Jobs“, rechnet der führende Regionalpolitiker (County Commissioner) der 400 000-Einwohner-Stadt im US-Bundesstaat Alabama vor. „Und was machen wir? Wir spucken auf sie und jagen sie wieder nach Hause. Dafür sollten wir Amerikaner uns schämen.“ So empört sich ein Mann, der drei Jahre in Koblenz Militärdienst tat. In Alabama wird nun kein Airbus-Werk errichtet. Vergangene Woche zogen sich die Europäer aus dem Rennen um die Jahrhundertbestellung der US-Luftwaffe über 179 Tank-Jets zurück. Damit bewirbt sich nur noch Rivale Boeing um den 35 Milliarden Dollar schweren Deal. Nicht weil die Amerikaner die besseren oder günstigeren fliegenden Tankstellen anbieten, mit denen die Jets aus den 50erund 60er-Jahren ersetzt werden sollen. Im Gegenteil: „Die jetzige Ausschreibung ist klar maßgeschneidert auf den kleineren und weniger leistungsfähigen Flieger der Konkurrenz“, rügt AirbusChef Tom Enders. „Die eigentlichen Verlierer sind die US-Luftwaffe, die die zweitbeste Lösung bestellen muss, und der amerikanische Steuerzahler, denn der wird am Ende mehr zahlen.“
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Der resignierte Rückzug der Europäer ist die jüngste und finale Wendung in einem neun Jahre währenden Wirtschaftskrimi, der sämtliche Klischees über Korruption und Verrat in den Chefetagen von Militär, Politik und Wirtschaft bedient. Als zwischenzeitlich eine ehemalige Chefeinkäuferin der amerikanischen Luftwaffe sowie ein Boeing-Finanzvorstand wegen Korruptionsvorwürfen hinter Gittern landeten, sah es so aus, als würde Airbus zum Zuge kommen. Dafür hatte sich besonders der republikanische Politiker und Obama-Rivale John McCain starkgemacht. Doch eine Beschwerde von Boeing beim US-Rechnungshof und der Machtwechsel im Weißen Haus führten dazu, dass der 2008 erteilte Auftrag den Europäern entrissen und neu ausgeschrieben wurde. „Politische Bewertungen überlasse ich anderen“, kommentiert Enders diplomatisch, um sich die Türen für künftige Rüstungsaufträge offen zu halten. „Für mich ist nur klar, dass unter den derzeitigen Bedingungen ein Antritt von uns ökonomisch nicht sinnvoll ist.“ In Washington sei es „allein um Parteipolitik“ gegangen, erläutert US-Branchenanalyst Richard Aboulafia. „Das Airbus-Flugzeug sollte in republikanischen Staaten gebaut werden, während Boeing
in demokratisch regierten Regionen produziert. Und die Demokraten haben die Waffeneinkäufe nun unter Kontrolle.“ Für Airbus ging es um mehr als um ein großes Rüstungsgeschäft. Der deutschfranzösisch-spanisch-britische Konzern wollte in der geplanten Tankerfabrik auch Frachtflugzeuge auf Basis des Langstreckenmodells A330 produzieren, erläutert Airbus-Sprecher Stefan Schaffrath in Toulouse. Auf diese Weise sollte der nach Auslieferungen weltgrößte Jet-Hersteller sein ausschließlich europäisches Image verlieren und in den USA als heimischer Produzent wahrgenommen werden. „Manche in den USA“, so Schaffrath, „halten Airbus für ein rein europäisches Unternehmen, obwohl wir mit Zulieferern aus aller Welt zusammenarbeiten. Diese Wahrnehmung hätte sich grundlegend geändert, wenn wir ebenso eine Fertigung in den USA aufgebaut hätten wie Daimler, BMW, Nissan oder Toyota.“ Diese Pläne hat Boeing mit Hilfe von Verbündeten in Pentagon und Kongress nun durchkreuzt. „Es ging ihnen nicht darum, das beste Tankflugzeug für unsere Soldaten anzuschaffen. Da hat Airbus mit seinem Partner Northrop dem BoeingProjekt in jeder Hinsicht komplett den Rang abgelaufen“, resümiert Regionalpolitiker Nodine. „Boeing wollte auf jeden F OCUS 11/2010
Foto: P. Frischmuth/argus
Mit harten Methoden hintertrieb Airbus-Konkurrent Boeing den Versuch der Europäer, eine Jet-Produktion in den USA aufzubauen
Weggebissen Airbus-Chef Thomas Enders wollte in Übersee das Image vom rein europäischen Hersteller abstreifen
Fall verhindern, dass ein Konkurrent auf amerikanischem Boden Fuß fassen kann. Und das ist ihnen gelungen.“ Airbus-Chef Enders beeilt sich zu versichern, dass sein Unternehmen in den USA aktiv bleibe: „Daran gibt es keinen Zweifel.“ So existiere in Mobile ein Ingenieurzentrum, und im Bundesstaat Mississippi unterhalte die Sparte Eurocopter eine bedeutende Fertigung. „Vor wenigen Wochen haben wir erst die Auslieferung des 100. Hubschraubers im Programm für die US Army gefeiert – und viele unserer Systeme finden sich bei der Navy, der Air Force und der Coast Guard“, beschwichtigt der Chefmanager. Europas Politiker dagegen machen keinen Hehl aus ihrer Verärgerung. „Für ein Land, das sich als Musterknabe des freien Welthandels darstellt, ist es eine regelrechte Katastrophe, so brutal einen Wettbewerber aus dem Rennen zu wer-
fen“, ereifert sich Michael Fuchs, stellvertretender Chef der CDU-Bundestagsfraktion. Die französische Regierung hat bereits „Konsequenzen“ angekündigt. Paris werde zusammen mit der EU-Kommission „die neue Entwicklung und ihre möglichen Folgen untersuchen“, erklärte das französische Außenministerium. In anderem Sinne konsequent verhält sich US-Präsident Barack Obama. Der demokratische Hoffnungsträger hatte sich stets gegen Protektionismus und für Freihandel ausgesprochen. Nun will er in fünf Jahren den Export verdoppeln und die Wirtschaftsflaute überwinden. Einen Tag nach dem Rückzug von Airbus sickert in Washington durch, wen der Präsident in seinen Exportrat berufen will: Xerox-Chefin Ursula Burns sowie Boeing-Chefmanager Jim McNerney. ■ MATTHIAS KIETZMANN
Die Sparpreise der Bahn: Ab 29 Euro durch ganz Deutschland.
Ab 39 Euro in viele europäische Nachbarländer.
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„Ich misstraue Marken“ Eine Internet-Firma hat enorme Pläne: Myfab-Chef Stéphane Setbon sagt, wie er Möbelgrößen wie Ikea das Leben schwermachen will. Und dann der Modebranche. Und dann . . .
S
téphane Setbon ist ein Revoluzzer. Der Franzose will den Online-Handel neu erfinden. Er liefert seine Sessel, Tische und Stühle nicht ab Lager. Er lässt europäische Designer Möbelstücke entwerfen, stellt sie dann im Internet zur Abstimmung und sammelt für die beliebtes-
ten anschließend Bestellungen, die er an meist chinesische Fabriken weiterreicht. Zwei bis drei Monate später kommt die Ware per Container in Deutschland an. „On demand“ (auf Verlangen) nennt sich das Geschäftsmodell, weil nur das in Produktion geht, was nachgefragt wird.
Monsieur Setbon, wie kam Ihnen die Idee zu Myfab?
Der Auslöser war, dass ich Marken misstraue. Ich halte sie für überheblich. Bekannte Möbelmarken verkaufen ihre Ware fürs Zehn- bis Fünfzehnfache der Herstellungskosten. Da stimmt die Relation überhaupt nicht mehr. Im Gegensatz zu Ihnen haben die Kunden dieser Marken damit anscheinend kein Problem.
Der Ex-Banker Stéphane Setbon, 35 ❙
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Zwölf Jahre lang arbeitete Setbon bei der Pariser Rothschild-Bank und betreute Wachstumsunternehmen beim Börsengang, bevor er Anfang 2008 Myfab gründete. Heute zählt Myfab 180 Mitarbeiter, davon 160 in Shanghai. Dort befindet sich auch Setbons Büro. Offizieller Firmensitz ist Hongkong.
Ich glaube, dass vielen Konsumenten einfach nicht bewusst ist, wie viel sie fürs Image bezahlen und für unnötige Zwischenschritte wie Lager und Verkaufsräume. Teil Ihrer Sparstrategie ist, fast ausschließlich in China produzieren zu lassen. Fürchten Ihre möglichen Kunden nicht, dass Fernost-Sofas krank machen könnten?
Ich glaube ganz sicher, dass das so ist und dass deshalb viele noch nicht bei uns kaufen. Aber das liegt nur daran, dass die Leute schlecht informiert sind. Praktisch die gesamte Möbelbranche ist inzwischen in Fernost, einfach weil chinesische Anbieter inzwischen in der Lage sind, sehr gute Qualität zu niedrigen Kosten zu liefern. Auch unsere bekannten Markenkonkurrenten lassen dort fertigen. Sie sprechen nur nicht darüber. China ist groß. Vielleicht arbeiten Ihre Konkurrenten mit hochwertigeren Herstellern.
Ich kann Ihnen versichern: Unsere Möbel kommen oft aus exakt denselben Fabriken. Neulich habe ich mir eine Anzug-Fertigung angeschaut. Die Sakkos und Hosen waren absolut identisch, nur die Etiketten, die am Ende eingenäht wurden, waren verschieden. Mit der Folge, dass der eine Anzug im Laden später 1200 Dollar kosten sollte und der andere, gleichwertige nur ein Viertel. Vorerst misstrauen Konsumenten aber weniger den großen Marken, sondern vielmehr Ihnen. Was tun Sie dagegen?
Wir lassen erste Produkte vom TÜV prüfen, beispielsweise unsere Sitzsäcke. Da geht es um Themen wie Brandschutz 142 14 1 42
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oder Schadstoffe. Und wir kontrollieren unsere Lieferanten dreistufig: beim eingekauften Material, im Produktionsprozess und bei den fertigen Waren. Stück für Stück. Wir wissen, dass chinesische Geschäftsleute es ausnutzen, wenn man ihnen nicht genau auf die Finger schaut. Dann verwenden sie statt des vereinbarten Massivholzes beispielsweise nur eine Holzfaserplatte. Ganz ohne schlechtes Gewissen. Das gehört in China zu einem smarten Kaufmann. Aber Ihre Kunden wären unzufrieden – und das wäre für Myfab ein echtes Problem.
Richtig. Viele Möbel-Rücksendungen können wir uns überhaupt nicht leisten. Wir können die Ware unsererseits nämlich nicht an die Fabrik in China zurückschicken, sondern bleiben im Zweifel darauf sitzen. Und? Wie hoch türmen sich die sogenannten Retouren?
Ihr Anteil beträgt ein Prozent. Das ist sehr wenig und mag auch daran liegen, dass wir Qualität liefern und unsere Hersteller nicht bis auf den letzten Cent drücken. Wir bezahlen im Schnitt zehn Prozent mehr als Massenabnehmer. In Deutschland startete Myfab vergangenen September. Wie läuft das Geschäft an?
Sehr gut. Seitdem haben wir 30 000 Bestellungen verbucht. An guten Tagen sind es 500. In Frankreich, wo wir 2008 online gingen, sind es bislang 150 000 Bestellungen. Wie viel geben die Kunden aus?
Im Schnitt 150 Euro. Die Leute testen uns. Beim ersten Mal bestellen sie etwas sehr Günstiges, beim nächsten Mal wagen sie einen teureren Kauf. Sie arbeiten ohne Geschäfte, in denen man Ihre Produkte befühlen und ohne Marke, in die man sich verlieben kann. Sind Konsumenten wirklich so rational, wie Myfab glaubt?
Ich bin überzeugt davon, dass sie es mehr und mehr werden. Konsumenten verlangen zunehmend eine bestimmte Qualität, zum bestmöglichen Preis. Und nicht einen bestimmten Namen. Es gibt schon erste Verfolger wie Fashion4home, die ein identisches Geschäft aufziehen wie Sie.
Ja, aber wir haben einen großen Vorsprung. Und den werden wir auch behalten. Wie groß soll Myfab einmal werden?
Wir haben vor, unser Modell in jedem Land zu vervielfältigen, in dem dies möglich ist. Eben sind wir in den USA gestartet. Und wir wollen jedes Jahr eine weitere Produktkategorie hinzufügen, die sich für Myfab eignet. Mode beispielsweise. Aktuell wachsen wir mit 300 Prozent pro Jahr. Sehen wir mal. ■ INTERVIEW: JOACHIM HIRZEL
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Der
Stör-Fall Der Düsseldorfer Finanzprofi Frank Schaefer versprach Anlegern Traumgewinne mit Kaviar. Nun sitzt er in U-Haft
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ie Geschichte war zu schön, um wahr zu sein. Der Finanzprofi Frank Schaefer wollte nicht nur den bedrohten Stör vor der Ausrottung bewahren, sondern gleichzeitig Millionen Euro verdienen. In einem Imagefilm seiner Firma Caviar Creator inszenierte sich der Düsseldorfer mit dem stets zurückgegelten Haar als Retter. Tote Fische treiben im seichten Wasser, sterbende zappeln in Netzen. Schnitt. Geigen erklingen, Wissenschaftler in weißen Kitteln mit dem goldenen Schriftzug „Caviar Creator“ schreiten aufmerksam an Wasserbecken vorbei. Der Stör soll überleben: in Hallen im mecklenburg-vorpommerischen Demmin, fernab der überfischten und von Chemikalien belasteten Meere – dank Schaefer. Mit dem Film wollte der ehemalige Banker keineswegs unter Umweltschützern reüssieren. Er war auf Kundenfang. Über Fonds oder Aktien sollten sich Anleger an seiner Firma beteiligen. Die Fischfarm in Demmin sollte bald bis zu 33 Tonnen Kaviar im Jahr produzieren. Anlegern stellte Caviar Creator Ausschüttungen von bis zu 34 Prozent ihres Kapitals jährlich in Aussicht. Schaefer verhieß: „Wir starten mit der Verschiffung von Stören zu einer Anlage in Amerika.“ Alles Zukunftsmusik. Als gewiefter Vertriebler wusste er: Verkaufen ist wie Angeln. Mit dem richtigen Köder beißt die Beute. Gut 3000 Anleger lockte er, die ihm 47 Millionen Euro anvertrauten. Das Geld ist massiv in Gefahr: Die Staatsanwaltschaft
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Düsseldorf hat Anklage gegen Schaefer erhoben – wegen Anlagebetrugs. In Untersuchungshaft wartet er auf seinen Gerichtstermin. Die Anklageschrift umfasst zwei Aktenordner. Danach hat Schaefer Anleger jahrelang systematisch belogen. Penibel haben die Staatsanwälte angebliche Info-Briefe von Schaefer überprüft. Im Newsletter 21 von Juni 2006 etwa wurde über drei Großinvestoren informiert, eine
47 Mio. Euro sammelte Schaefer von gutgläubigen Privatanlegern für seine Störzucht
Anlage im Iran und Investments von 300 Millionen Euro. Laut Staatsanwaltschaft war das alles erfunden. Die Newsletter 22, 23, 24 melden ähnliche Großtaten. Die Anklage beschränkt sich auf die Jahre seit 2006. Schon damals soll Caviar Creator insolvenzreif gewesen sein. Nur durch das Geld neuer Anleger habe sich die Firma über Wasser gehalten. Caviar Creator wollte auf FOCUS-Anfrage keine Stellungnahme abgeben.
Aber auch schon in den Jahren zuvor sind Schaefer und seine Crew durch ein legeres Verhältnis zum Geld ihrer Kunden aufgefallen. 2003 sammelten sie Kapital für eine damals noch in der Stadt Köthen geplante Aquakultur. Der Verkaufsprospekt des „1. Kaviarfonds“ erweckte den Eindruck, als sei die Anlage kurz vor Baubeginn und die Finanzierung aus Darlehen und Fördermitteln in greifbarer Nähe. Tatsächlich gab es mit der Kreissparkasse Köthen kein abschließendes Gespräch und das Land Sachsen-Anhalt hatte keine Förderung bewilligt. Das Projekt scheiterte – die Anlegergelder hatte Caviar Creator schon eingesammelt. Schaefer wirtschaftete munter weiter. In Demmin taten sich erneut Probleme auf: Auch Mecklenburg-Vorpommern verweigerte die Förderung – weil Schaefer die Finanzierung seines Projekts nicht fristgerecht hinbekam. Der Unternehmer indes sieht sich als Opfer einer Intrige. Vor einem Jahr wütete er in einem Schreiben, die Staatsanwaltschaft würde „haltlos“ gegen ihn ermitteln und ihm so seine Geschäfte verhageln. 100 Millionen Euro habe er bereits verloren. Er sei Geschädigter eines „Justizskandals“ und registriere einen „Angriff des Rechtsstaates“. Über diese angebliche Ungerechtigkeit kann er in U-Haft grübeln. Und die Störe, die muss ■ nun ein anderer retten. ALEXANDRA KUSITZKY
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Foto: J. Büttner/dpa
Ein Mann mit Hang zum Drama Schaefer belog laut Staatsanwaltschaft Anleger systematisch über das Geschäft seiner Firma. Er selbst sieht sich als Opfer eines „Justizskandals“
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TUI Cruises denkt wie wir: Erfolg braucht Kommunikation. Die Kommunikation in Ihrem Business ist unser Business. www.vodafone.de/business
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Trotz Finanzkrise springt die Konjunktur in vielen wichtigen Volkswirtschaften an. Das hilft mit Verzögerung auch Deutschland
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ergangene Woche meldete das Statistische Bundesamt für Januar einen Exporteinbruch von 6,3 Prozent. Zuvor waren die Ausfuhren vier Monate in Folge gestiegen. Ist der Aufschwung schon wieder vorbei? Experten sagen nein. Die Geschäfte mit dem Ausland dürften bald wieder anziehen. Immerhin wachsen sieben der größten 20 Volkswirtschaften der Welt (G20) mit vier bis 10,2 Prozent (s. u.).
Das dürfte auch das deutsche Wachstum (Prognose 2010: 1,4 Prozent plus) fördern. Für hiesige Firmen optimistisch ist jedenfalls Anton Börner, Chef des Groß- und Außenhandelsverbands BGA: „Die Schwellenländer sind die Gewinner der Krise und bleiben auf absehbare Zeit die Wachstumstreiber für die Weltwirtschaft.“ ■
Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Prozent Katar 2009 11,5 2010 18,5 Turkmenistan 4,0 15,3 Republik Kongo 7,4 12,2 Quelle: IWF
Sieben Wachstumsriesen
Kleine Überflieger
Angola 0,2 9,3 Afghanistan 15,7
A. KÖRNER/N. MATTHES
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Foto: R. Harding/Mauritius
Die stärksten Zuwächse verzeichnen Länder mit international wenig bedeutenden Volkswirtschaften
Reicher Wüstenstaat Katars Wirtschaft wächst weltweit am stärksten – mit Erdöl, Gas und Düngemitteln
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China – neue Wirtschafts-Weltmacht
Indien – Konjunktur-Programmierer
Das Reich der Mitte baut seine Ökonomie strategisch aus.
Besonders mit EDV-Diensten punktet das Land weltweit.
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on einfachen Konsumartikeln wie Spielzeug oder Kleidung zu immer höherwertigen Produkten – Chinas
Wachstumsrate Wachstumsrate (2009) BIP (in Mrd. US-Dollar) Fläche (in Mio. km2) Bevölkerung (in Mio.) *2010 OECD-Schätzung
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10,2 % 8,3 % 7916 9,6 1330
Staatsökonomen bauen ihr Reich planmäßig aus. Dazu gehören massive Investitionen etwa in den Automobilbau, auch für Elektro-Kfz, oder in die Solartechnik. Die hohen Devisenreserven von etwa zwei Billionen Dollar bieten noch viel Potenzial. Die Löhne, ein wichtiger Wettbewerbsfaktor, steigen zwar, sind im Ländervergleich aber noch niedrig.
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ährend China als Werkbank der Welt gilt, setzt der zweite asiatische Milliardenstaat verstärkt auf Soft-
Wachstumsrate Wachstumsrate (2009) BIP (in Mrd. US-Dollar) Fläche (in Mio. km2) Bevölkerung (in Mio.)
7,3 % 5,6 % 3288 3,3 1166
ware- oder Buchhaltungsdienste für internationale Unternehmen (Outsourcing). Daneben ist Indien stark bei Pharmaprodukten und profitiert von einer jungen Bevölkerung, die großenteils die wichtigste Wirtschaftssprache Englisch spricht. Investitionen in die Infrastruktur tragen noch längerfristig zum Wachstum bei.
*2010 OECD-Schätzung
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W I R T S C HAF T
3
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Indonesien – starker Binnenmarkt
Russland – aufholen nach der Krise
Die Inselrepublik kann aus eigener Kraft wachsen.
Das Land muss die Rückschläge von 2009 verdauen.
D
as asiatische Land hat die weltweit viertgrößte Bevölkerung, die rasch wächst – und einkauft. Der
Wachstumsrate Wachstumsrate (2009) BIP (in Mrd. US-Dollar) 2
Fläche (in Mio. km ) Bevölkerung (in Mio.)
5,3 % 4,5 % 519 2,0 230
D
ie russische Wirtschaft ist 2009 dramatisch geschrumpft. Die wichtige Rohstoffindustrie litt stark,
Inlandskonsum macht etwa 70 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Der Einbruch der Weltökonomie hat das Land daher nicht so stark getroffen. Indonesien ist reich an Rohstoffen wie Erdgas, Nickel, Kupfer oder Gold und exportiert Agrarprodukte wie Tee und Tabak. Außerdem florieren die Textilund die Schuhindustrie.
Wachstumsrate Wachstumsrate (2009) BIP (in Mrd. US-Dollar) Fläche (in Mio. km2) Bevölkerung (in Mio.)
*2010 OECD-Schätzung
4,9 % –8,5 % 1200 17,1 142
da in der Krise die Nachfrage nach Energie und Metallen einbrach und die Preise sanken. Bereits kleine Verbesserungen der Weltwirtschaft schlagen jetzt positiv durch. Obwohl weniger Aufträge vorliegen, haben vor allem Staatsbetriebe ihr Personal gehalten. Der Kreml fördert etwa 300 „systembildende“ Firmen, u. a. mit Krediten.
*2010 OECD-Schätzung
5
Brasilien – Wirtschaft tanzt Samba Rohstoffe und die junge Bevölkerung stützen den Aufschwung.
D
er Staat ist nach den USA die zweitgrößte Ökonomie Amerikas. Er ist reich an Rohstoffen wie
Wachstumsrate Wachstumsrate (2009) BIP (in Mrd. US-Dollar)
Schöne Aussichten In Brasilien – hier Rio de Janeiro – pulsieren das Nachtleben und die Konjunktur
Fläche (in Mio. km2) Bevölkerung (in Mio.)
4,8 % 0,0 % 1980 8,5 192
Eisenerz, aber auch Zucker zur Biospritherstellung spielt eine zunehmende Rolle. In jüngster Vergangenheit wurden vor den Küsten große Ölvorkommen entdeckt. Für weiteres Wachstum sprechen auch der starke Dienstleistungssektor sowie die eigene Produktion höherwertiger Güter wie Automobile und Flugzeuge.
*2010 OECD-Schätzung
7
Südkorea – bei High Tech weit vorn
Saudi-Arabien – alles hängt am Öl
Der Tigerstaat investiert massiv in Zukunftstechnologien.
Das Königreich ist der weltgrößte Produzent des Rohstoffs.
D
ie technikbegeisterten Koreaner sind führend bei Flüssigkristallanzeigen (LCD) und im Schiffbau, der
Wachstumsrate Wachstumsrate (2009) BIP (in Mrd. US-Dollar) Fläche (in Mio. km2) Bevölkerung (in Mio.) *2010 OECD-Schätzung
148
4,4 % 0,1 % 929 0,1 49
jedoch in der Wirtschaftskrise gelitten hat. Jetzt setzen Werften auf Spezialbauten wie Bohrschiffe. Die Regierung schob ein 60 Milliarden Euro schweres Öko-Programm an. Ziel: Das Land soll sich als Anbieter von grüner Technologie profilieren – auch international. Stärken: Solar-, LED-Technologie, Hybrid- u. Elektroautos.
E
rholt sich die Weltwirtschaft weiter, steigt auch der globale Ölverbrauch – und damit die Einnahmen
Wachstumsrate Wachstumsrate (2009) BIP (in Mrd. US-Dollar) Fläche (in Mio. km2) Bevölkerung (in Mio.)
4,0 % –0,9 % 415 2,2 26
Saudi-Arabiens. Der Ölreichtum finanziert einen riesigen staatlichen Sektor, der den Großteil der Jobs stellt. Die Arbeitslosigkeit liegt dennoch nach inoffiziellen Schätzungen bei 30 Prozent. Schon seit Jahren investiert das Land viel Geld, um weitere Wirtschaftszweige aufzubauen, zum Beispiel eine chemische Industrie.
*2010 OECD-Schätzung
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Foto: Corbis
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Lotus weiß, dass heute für Sie etwas Spannendes im Wirtschaftsteil steht. Lotus Notes bietet Ihnen eine anpassungsfähige Plattform, auf der Sie z. B. E-Mail mit RSS-Feeds kombinieren können. So sind Sie jederzeit auf dem neuesten Stand – bei allem, was für Sie und Ihr Unternehmen wichtig ist. Intelligente Software für einen smarten Planeten.
ibm.com/lotusknows/de IBM, das IBM Logo, Lotus, Lotus Notes, ibm.com und das Bildzeichen des Planeten sind Marken oder eingetragene Marken der International Business Machines Corporation in den Vereinigten Staaten und/oder anderen Ländern. Andere Namen von Firmen, Produkten und Dienstleistungen können Marken oder eingetragene Marken ihrer jeweiligen Inhaber sein. © 2010 IBM Corporation. Alle Rechte vorbehalten. O&M IBM NC 5/10
GELDMARKT NOTIZEN AUS DER WIRTSCHAFT Die Deutsche Telekom … hat ein Zinspapier ausgegeben, das die Landesbank Baden-Württemberg für attraktiv hält. Die Anleihe läuft bis zum 16.3.2020 und wirft jährlich 4,25 Prozent ab (ISIN XS0494953820). Viele Finanzberater … wollen derzeit Kunden neue, langlaufende Sparverträge verkaufen: Das Bürgerentlastungsgesetz böte dafür Spielraum. Sparer sollten aber bedenken, dass wegen hoher Staatsschulden künftig Steuererhöhungen wahrscheinlich sind. Der Staat Frankreich … will Anleihen mit einer sehr langen Laufzeit von 50 Jahren emittieren (bis zu fünf Milliarden Euro).
Teures Intermezzo Die Zockerbörse Neuer Markt existierte von März 1997 bis Juni 2003
Was Gutes vom Neuen Markt übrig blieb
Vor zehn Jahren, im März 2000, begann der Abstieg der deutschen Wachstumsbörse Neuer Markt. Bis zu deren Einstellung im Frühjahr 2003 lösten sich gut 200 Milliarden Euro Anlegergelder in Luft auf.
Zuvor hatte sich der Index der am 10. März 1997 gegründeten Börse, der Nemax, verachtfacht. Am 10. März 2000 erreichte er mit 8583 Punkten seinen Höchststand. Der folgende Einbruch drückte den
KUNST-TIPP
Schwergewichte wie ein 27 Meter hoher Obelisk in Berlin sind die Markenzeichen des Bildhauers Karl Schlamminger. Der 74-jährige Wahl-Münchner lässt beim spontanen Zeichnen und Malen aber auch expressive Bilder entstehen. Spielerische Kleckse auf Pappe formt
er zu lebendigen Figuren. Für den Prestel Verlag gibt der Künstler in einem Buch Einblick in seine Werkstatt. Der Verlag bietet den Band „Vom Himmel gefallen“ zusammen mit einer limitierten Edition Schlammingers an (Information: Tel. 0 89/2 42 90 83 00).
Kreative Kleckse Karl Schlammingers handkolorierte Grafik „Ohne Titel“, 2009, 32 x 38 cm; Auflage: 120, Preis: 280 Euro
Stahlaktien: Hoffnung auf Wende Stahlaktien scheinen langsam Fahrt aufzunehmen. Luft nach oben besteht: Teils notieren sie immer noch um mehr als die Hälfte unter ihren Kursen von 2007. Inzwischen lässt die Erholung der Weltwirtschaft die Aufträge der Stahlkocher wieder ansteigen. Zwar liegen die Bestellungen immer noch unter dem Niveau vor der Krise. Für 2010 erwartet die Branche aber bereits eine merkliche Zunahme der Produktion. ThyssenKrupp (ISIN DE0007500001) arbeitete sich mit einem Vorsteuerplus von 313 Millionen Euro im vergangenen Quartal deutlich aus den roten Zahlen. Das Bankhaus Lampe stufte die Aktie jetzt auf „kaufen“ hoch. Der Kurs zog bereits leicht an. Die Aktie des zweiten großen deutschen Stahlkochers, Salzgitter (DE0006202005), pendelt dagegen seit Mai 2009 zwischen 60 und 72 Euro. Die bessere Konjunktur sollte die Notierungen nun auch hier allmählich anschieben.
F OCUS 11/2010
BB Biotech, eine Beteiligungsgesellschaft mit Anteilen an 23 Biotech-Firmen weltweit, notiert derzeit gut 20 Prozent unter dem Wert ihrer Beteiligungen. Beta Systems schrieb Geschichte mit der ersten Gewinnwarnung am Neuen Markt bereits 1998. Inzwischen sind die Berliner, die Software für die Verarbeitung großer Datenmengen anbieten, etabliert und schafften auch im Krisenjahr 2009 schwarze Zahlen. LPKF Laser & Electronics steigerte, unbeeindruckt von der Wirtschaftsflaute, 2009 seine Erträge zweistellig. 2010 erwartet der Laserspezialist ähnliche Wachstumsraten.
DEN FLEGELJAHREN ENTWACHSEN Quelle: Bloomberg
Name
Kurs
ISIN
BB Biotech Beta Systems Software LPKF Laser & Electr.
CH0038389992 DE0005224406 DE0006450000
Hoch/Tief
in Euro
52 Wochen
50,81 2,55 5,84
51,80/39,71 4,00/1,91 5,95/1,55
Munich Re: Grundsolide Gewinne Vergangene Woche hat die Munich Re für 2009 einen Gewinnsprung auf 2,56 Milliarden Euro gemeldet (2008: 1,58 Milliarden). Weiteren Spielraum sieht Unternehmenschef WIDERSTAND GEKNACKT Kurs in Euro
Quelle: Bloomberg
Munich Re
1/09
7/09
12/09
115 110 105 100 95 90 85 80 75 3/10
Stabiles Geschäft Bei Munich Re decken Versicherer ihre Risiken ab F OCUS 11/2010
Nikolaus von Bomhard bei der Erstversicherungs-Tochter Ergo. Sie soll als Marke im Versicherungsmarkt stärker gefördert werden. Zu potenziellen Kursgewinnen kommt eine ordentliche Ausschüttung: Der Dax-Konzern erhöht die Dividende von 5,50 auf 5,75 Euro je Papier. Die Rendite beträgt nun 4,9 Prozent. Zudem spricht für die Aktie, dass der erfolgreiche US-Investor Warren Buffett im Februar seinen Anteil an der Munich Re auf gut fünf Prozent aufgestockt hat. Er kennt die Versicherungsbranche bestens und gilt als geduldiger DauerAktionär.
KÖRNER KALKULIERT FOCUS-Finanzredakteur und ExWertpapierhändler Andreas Körner zu Geld- und Börsen-Themen
Die neuen, unfairen Geld-Speicher Einige Großbanken legen sich derzeit eigene Lagerhäuser zu. Das taten die bodenständigen Volks- und Raiffeisenbanken auf dem Land schon früher. Deren Kunden konnten so nach dem Schalterbesuch gleich einen Sack Getreide oder etwas Baumaterial mitnehmen. Wenn jetzt Geldgiganten wie J.P. Morgan oder Goldman Sachs bei großen, internationalen Lagerkonzernen einsteigen, ist das nicht ganz so heimelig und harmlos. Diese Spezialfirmen – etwa Metro International Trade Services oder Henry Bath Inc. – wickeln für die wichtigen Rohstoffbörsen die Aufbewahrung der Waren ab. Beispielsweise für die größte Metallbörse der Welt, die London Metal Exchange (LME). Die Notierungen dort beeinflussen massiv die Kosten von Unternehmen und die Preise für Konsumenten. Erwerben Industrieverbraucher oder Spekulanten an der LME eine bestimmte Menge Aluminium oder Kupfer, muss die Börse diese vorhalten. Nur so kann sie die spätere Lieferung garantieren. Informationen zu diesen Lagerbeständen sind bares Geld wert. Sie ermöglichen Rückschlüsse auf den tatsächlichen Bedar f in der Wirtschaft oder auf das aktuelle Interesse der Zocker. Müssen gar Metallbarren auf dem Hof zwischengelagert werden, weil im Gebäude kein Platz mehr ist? Solch wichtige Hinweise auf hohe Nachfrage er fährt niemand – außer den Lagerbetreibern natürlich. Und die gehören jetzt genau den Banken, die gleichzeitig munter mit Rohstoffen spekulieren. Wer aber die wertvollen Fakten über Angebot und Nachfrage früher als andere oder gar als Einziger kennt, kann ein Vermögen verdienen. Und das bei reduziertem Risiko. Die Zeche zahlen alle anderen Verbraucher oder Kleinanleger, die gegen einen übermächtigen Gegner wetten. Die Banken selbst weisen derlei Befürchtungen natürlich weit von sich. Man betreibe das Lagerhaus-Geschäft selbstverständlich nur, weil es so schöne stabile Gebühren abwer fe.
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Foto: F. May/dpa
Index bis Oktober 2002 auf 318 Punkte – ein Verlust von rund 96 Prozent. Überlebt haben immerhin 200 der einst am Neuen Markt notierten 356 Firmen. Rund 100 gingen pleite, mehr als 50 wurden übernommen. Einige der Pioniere von damals wie BB Biotech, Aixtron oder Qiagen sind heute Schwergewichte im Technologie-Index TecDax. Mit Chancen für risikobereite Anleger. So haben sich die Kurse von Aixtron oder Teleplan in den vergangenen zwölf Monaten mehr als verfünffacht. Auch andere Aktien vom ehemaligen Neuen Markt schüren heute Hoffnungen auf Kursgewinne:
MARKTPLATZ MIETPREISE
Enge Großstädte
Zukunft in Magenta Die Bonner wollen per Quote mehr Frauen in leitende Positionen bringen
Die Telekom soll weiblicher werden
Weil extrem wenig Wohnungen gebaut werden, kommt es in einigen Großstädten zu deutlichen Engpässen auf dem Mietmarkt. Obwohl die Zahl der Einwohner weiter wächst, stagniert hier das Wohnungsangebot. So etwa in Hamburg, Aachen, Stuttgart, Freiburg oder München – beobachteten die Immobilienforscher des Instituts Empirica. In diesen Städten zog der Mietpreis seit 2004 deutlich an.
Die Deutsche Telekom plant, als erster Dax-Konzern eine Frauenquote einzuführen. Nach FOCUS-Informationen wird das Bonner Unternehmen an diesem Montag bekannt geben, den Anteil der Frauen im Konzern auf mindestens 30 Prozent zu steigern. Dies soll nicht nur für Führungsposten, sondern für alle Neueinstellungen gelten, um langfristig mehr Frauen in leitende Positionen zu bringen. Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger hatte derartige Pläne bereits Mitte 2009 angedeutet: „Alle Firmen krebsen mit einer Frauenquote von deutlich unter 20 Prozent
bei Führungskräften herum. Das muss anders werden. Wenn alle Stricke reißen, werde ich mit meinen Kollegen über Quoten diskutieren.“ Die Telekom liegt mit ihrem Vorstoß im europäischen Trend. Das französische Parlament brachte im Januar ein Gesetz für eine Frauenquote in Aufsichtsräten auf den Weg. Anlass war, dass nur acht Prozent Frauen in den Kontrollgremien sitzen. Deutschland steht mit zwölf Prozent kaum besser da. Selbst diese Zahl wird nur erreicht, weil viele Arbeitnehmervertreter kiz/sb weiblichen Geschlechts sind.
Online-Banking oft nur noch mit Handy
Welchen monatlichen Preis würden Sie für sichere Transaktionen beim Online-Banking bezahlen? nur kostenlos in Prozent
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einmalige Anschaffungsgebhr
67
6 13 Rest = keine Angaben
Möglichst gratis möchten die meisten ihr InternetBanking ausführen.
eingeführt – die Postbank will ab Mai folgen. Deren Kunden sollen zuvor ihre Mobilfunknummer angeben, was bei Weitem nicht alle wollen. Der Düsseldorfer Anwalt und Verbraucherschützer Markus Feck kritisiert: „Auch das neue Verfahren bleibt angreifbar. Ich kann Kunden gut verstehen,
die ihre Handy-Nummer nicht herausgeben wollen.“ Was bei einigen Geldinstituten Pflicht ist, bieten SpardaBank und Deutsche Bank bisher freiwillig als Wahlmöglichkeit an. Dafür verlangen sie aber auch Gebühren. Pro Transaktion werden neun bis mfr zwölf Cent fällig.
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Foto: M.S. Unger
bis 2 Euro
Ab pro Quadratmeter zahlen Neumieter in München.
7
bis 50 Cent
Immer mehr Banken ändern das Verfahren beim OnlineBanking: Sie senden die für Überweisungen benötigten Transaktionsnummern (TANs) den Kunden nur noch aufs Handy. Volksbanken und die HypoVereinsbank haben diesen Prozess ab einer Betragshöhe von 1000 Euro bereits
10% 12 €
Um stiegen die Mieten in insgesamt elf Städten.
HYBRID IST FÜR ALLE DA. JETZT.
Hybridtechnologie von Honda, das IMA-Antriebssystem, verbindet Effizienz, Gewissen und Fahrspaß. Das ist Zukunft zu einem Preis, den sich jeder leisten kann. Mit dem Honda Insight und dem Civic Hybrid stehen Ihnen zwei Modelle zur Verfügung, die beweisen, wie viel Spaß Vernunft machen kann. Und in naher Zukunft werden wir die Palette noch um weitere Fahrzeuge erweitern. Alle Informationen unter: www.honda-cleanmove.de
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AU SLA ND
Wenn das Licht ausgeht Energieunternehmen wie dieses in Dallas könnten in den düsteren Szenarien westlicher Sicherheits
Der Feind im Netz Militärs versuchen, sich weltweit auf den Krieg mit digitalen Mitteln vorzubereiten. Im Fadenkreuz von Hackern könnten besonders die zentralen Versorgungsnetze sein
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D
ie drei Herren, alle uniformiert, versammeln sich im schmucklosen Empfangsraum des Cyber Defence Centre of Excellence, um über ein delikates Thema Auskunft zu geben. Nicht mal ein Computer steht in der Nähe. Auf den Gängen des Gebäudes, einem trutzigen, ehemals zaristischen Militärbau, kein Laut. Nur Kühle strahlt von den mächtigen Steinmauern, ein einzelner Soldat hält höflich die Türe auf. Dass hier, vor den Toren Tallinns, NatoStrategen über den Krieg der Zukunft nachdenken – bleibt sorgfältig verborgen. Rund 30 Offiziere, Wissenschaftler und Juristen arbeiten an Analyse und Abwehr einer weltweit wachsenden Bedrohung: den immer ausgeklügelteren Angriffen von Cyber-Kriegern. Immer häufiger versuchen Hacker, wichtige Wirtschafts- und Militärinformationen auszuspionieren, F OCUS 11/2010
Foto: B. Loper/Corbis
experten bevorzugte Angriffsziele ausländischer Cyber-Krieger werden
doch mehr und mehr dringen sie auch weltweit in zentrale Strom- und Kommunikationsnetze ein – offenbar mit Rückendeckung ihrer Regierungen. Als gefährdet gelten ebenso Wasser- und Transportsysteme, Öl- und Gaspipelines. „Wir müssen erst mal eine Datenbasis schaffen, um zu wissen, wen welche Schadens-Software trifft“, gibt sich Christian Czosseck, einer der beiden deutschen Mitarbeiter des Think-Tanks, bei der Frage nach der konkreten Arbeit zurückhaltend. Besonders Estland forcierte die NatoEinrichtung in seiner Hauptstadt, seit es vor drei Jahren Opfer der ersten landesweiten Hacker-Attacke wurde. Im April und Mai 2007 legte eine Roboterarmee von infizierten Computern mit einer Flut von Anfragen die Server von Parlament, Ministerien, Banken und Medien lahm. Am Werk F OCUS 11/2010
1,8
Mrd.
Mal pro Monat stehen hochsensible amerikanische Regierungscomputer unter feindlichem Sperrfeuer aus dem Internet
war ein sogenanntes Botnetz, das Computer mit einer Schadens-Software infiziert und aktiviert, ohne dass deren Besitzer dies merken. Die gekaperten Rechner waren weltweit verteilt, trotzdem glauben estnische Experten bis heute, dass der digitale Überfall vom Erzfeind Russland ersonnen wurde, nachdem der Streit um ein Soldatendenkmal eskaliert und auf russischen Web-Seiten die entsprechende schädliche Software herunterzuladen war. Mit der Cyber-Kampagne brach auch die heile Fortschrittswelt Estlands zusammen, das sich bis dahin als eine Art Silicon Valley des Ostens stilisiert hatte. Sie zeigte, wie verwundbar ein Land sein kann, das seinen Alltag und seine Volkswirtschaft auf Informationstechnologien stützt. Regierungssitzungen laufen papierlos ab, 91 Prozent der Esten wickeln ihre Steuererklärungen, 98 Prozent ihre Bankgeschäfte über das Internet ab. Bei jeder Wahl steigt die Zahl der Online-Abstimmungen, und seit Anfang des Jahres sind sämtliche Patientendaten über das Internet abrufbar. Die Abwehr gegen Cyber-Angriffe ist jetzt Bestandteil der nationalen Verteidigungsstrategie. „Man muss Kriege künftig auch in der fünften Dimension denken – nicht nur zu Land, Luft, See und im Weltraum, sondern auch im Cyberspace“, ist Heli Tiirmaa-Klaar, IT-Expertin im estnischen Verteidigungsministerium, überzeugt. Der frühere US-Geheimdienstdirektor Michael McConnell vergleicht die heutige Situation sogar mit dem Beginn des Kalten Krieges. „Wir brauchen eine Verteidigungsstrategie wie damals, als die Sowjetunion und deren Atomwaffen eine existenzielle Bedrohung für die USA und die Alliierten darstellten. Nur müssen wir uns heute vor Cyber-Schlägen schützen.“ Hochsensible Regierungscomputer im Weißen Haus, Kongress und anderen Regierungsbehörden geraten durchschnittlich pro Monat 1,8 Milliarden Mal in virtuelles Sperrfeuer. Vor zwei Jahren waren es nur acht Millionen Mal. Im Juli 2009 überfiel zeitgleich eine Armee von Zombie-Computern die Netze von 26 amerikanischen und südkoreanischen Staatsinstitutionen. Die Attentäter wurden in Nordkorea vermutet. Beweise gibt es nicht. Nur: Wie soll man sich gegen einen Feind verteidigen, der unsichtbar im Netz lauert? Der nicht nur seine wahre Identität verschleiert, sondern die Tat auch noch anderen in die Schuhe schiebt? Hacker werben offen auf Web-Seiten für ihre 155
Dienste, für das Ausspionieren von Wirtschafts- und Militärgeheimnissen lassen sich versierte Cyber-Söldner anheuern. „Wir waren ahnungslos wie die Hühner“, räumt ein Teilnehmer einer Simulationsübung des US-Verteidigungsministeriums ein, die Anfang des Jahres stattfand. Weder ließen sich die Angreifer ausmachen noch eine aktive Gegenwehr entwickeln. Und selbst wenn sich Spuren zurückverfolgen lassen, verurteilt wurde bisher so gut wie kein Hacker. „Sie nutzen es aus, wenn es keine Kooperation von Ermittlungsbehörden gibt“, sagt Cyber-Experte Czosseck. So bat Estland Moskau 2007 vergeblich um Aufklärung. Auch in China haben Hacker wenig zu befürchten. Als Modellfall künftiger Kriege gilt der Schlagabtausch 2008 zwischen Georgien und Russland um die abtrünnigen Gebiete 156
Übungsfeld künftiger Kriege Moderne Kämpfer müssen nicht nur Schusswaffen, sondern auch Computertastaturen beherrschen. Hier simulieren amerikanische Soldaten einen Kampfeinsatz am Bildschirm. Künftig verteidigen sie sich möglicherweise auch per Computer gegen feindliche Cyber-Angriffe
GUDRUN DOMETEIT / PETER GRUBER
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Fotos: CCDCOE (2), A. Weigel/dpa
Hinter dicken Mauern Hier in Tallinn residiert das Cyber Defence Centre – eine Nato-Denkfabrik für Abwehrmaßnahmen gegen digitale Attacken
Südossetien und Abchasien. Auch dort setzten Hacker Regierungsserver schachmatt. Das Besondere: Sie waren mit physischen Angriffen der russischen Armee koordiniert. „Die Attacken begannen größtenteils wenige Stunden vor den russischen Militäroperationen, und sie endeten kurz danach“, stellte der US-Internet-Experte Scott Borg fest. Angriffsprogramme wurden zum Herunterladen über soziale Netzwerke verbreitet, einige Server und Botnetze waren zuvor von russischen kriminellen Organisationen benutzt worden. Moderne Konflikte, glauben Sicherheitsexperten, werden künftig sowohl mit konventionellen als auch mit virtuellen Waffen, die Unruhe und Chaos verursachen sollen, ausgetragen. Einige Staaten sollen bereits über offensive Cyber-Waffen verfügen: Nach Aussagen von US-Experten wäre Israel in der Lage, die iranischen Urananreicherungsanlagen mit Computerviren zu infizieren. Terroristengruppen wie al-Qaida tummeln sich dagegen noch nicht auf dem virtuellen Schlachtfeld. Das könnte sich jedoch ändern, je mehr Netzwerke von Versorgungsunternehmen, Scada genannt, in das weltweite Web integriert werden, glaubt Suleyman Anil, Chef der NatoAbteilung für IT-Sicherheit in Brüssel. „In vier bis fünf Jahren könnten sie für Terroristen attraktiv werden.“ Für umso dringlicher hält der gebürtige Türke Investitionen privater Firmen in die Internet-Sicherheit. Viele sähen aber das Risiko noch nicht. Das trifft auch auf einige Nato-Staaten zu, von denen nur 22 an einer gemeinsamen Cyber-Übung im vorigen Jahr teilnahmen. „Wenn sich die internationale Zusammenarbeit nicht verbessert, wird die IT-Sicherheit zu einer ernsten globalen Herausforderung“, glaubt Anil. So lange will Estland nicht warten. ITSpezialisten touren durchs Land, um den Esten zu zeigen, wie sie sich vor Viren, Würmern und Trojanern schützen können, Estlands Bürgerwehr, 1991 wiederbegründet, um die neue Unabhängigkeit zu schützen, präpariert sich mit 10 000 Mitgliedern für einen möglichen Cyber-Gau. „Die beste Verteidigung besteht darin, die Zahl der Menschen zu erhöhen, die sich um den Schutz des eigenen Computers kümmern“, betont Verteidigungsexpertin Tiirmaa-Klaar. „Damit schafft man die ■ breiteste Widerstandsfront.“
„Angst ist eine starke Waffe“ Der Chef des Nato-Cyber-Abwehr-Zentrums, Ilmar Tamm, glaubt nicht an Superabschreckungswaffen im Cyber-Krieg
Wie kann man sich vor Cyber-Angriffen schützen? Entwickeln Sie wie im Kalten Krieg Massenvernichtungswaffen?
Nein, wir entwickeln keine neuen Waffen, nicht mal spezielle Software. Das wäre auch zu ambitioniert, den Unternehmen da Konkurrenz zu machen. Unsere Arbeit ist eher mentaler Art. Man muss Informationen teilen und einen gemeinsamen Weg finden, wenn man die gleichen Werte verteidigen will. Ob man in Estland, Deutschland oder Japan Auto fährt, da gibt es im Prinzip gleiche Regeln. So muss es auch beim Internet sein. Das ist weniger die Frage einer Superabschreckungswaffe. Ich wüsste auch nicht, welche das sein sollte. Aber die Nato sollte Abschreckungswaffen haben?
Ja, aber wie man sie gebraucht, ist eine andere Sache. Es gibt eine sehr feine
Linie zwischen Verteidigung und Angriff, gerade im Cyberspace. Und was ist mit präventiven Schlägen?
Das geht zu weit. Dann müsste man klar wissen, wer der Angreifer ist und was er will. Jemand muss dafür ja die Verantwortung übernehmen, und die kann man nicht auf dem IT-Spezialisten abladen. Wie heftig muss ein Cyber-Angriff auf ein Mitgliedsland sein, damit die Nato-Staaten ihn als Bündnisfall nach Art. 5 betrachten?
Gute Frage. In zehn Jahren wissen wir mehr. Wenn es politischen Willen gibt, ist nichts unmöglich. Das hängt nicht von Art. 4 oder 5 ab. Wenn die Situation sehr kritisch ist, wird die Nato es als kollektiven Verteidigungsfall betrachten. Welches sind die verwundbarsten Infrastruktursysteme?
Energie- und Verkehrskontrollsysteme. Würden Sie mit einem Flug-
zeug fliegen, wenn Sie wüssten, dass die Flugkontrolle nicht mehr sicher ist? Besser geschützt werden sollten auch Gesundheitssysteme. Wenn man die Herausgabe neuer Medikamente zum Beispiel manipuliert, würden die Leute den Ärzten nicht mehr trauen. So etwas erzeugt Angst, damit kann man Regierungen unter Druck setzen. Angst ist eine starke Waffe. Ist die Gefahr des Cyber-War denn wirklich so groß? Manche meinen, das sei nur ein guter Marketingtrick von Sicherheitsfirmen.
Man sollte in der Tat das Problem nicht übertreiben. Aber definitiv nimmt die Spionage ständig zu. Das ist doch die bequemste Weise, um Daten zu sammeln, Ideen zu klauen und Profite zu machen. Die Geschwindigkeit, mit der sich das Internet weiterentwickelt, steigert die Bedrohung und den Missbrauch. Aber wir sind auf dem Holzweg, wenn wir glauben, dass das alles ohne mehr Sicherheit geht. Dann haben wir irgendwann gar nichts mehr. Ist Estland nun sicher, oder könnten sich die Ereignisse von 2007 wiederholen?
Niemand nutzt das gleiche Mittel zweimal. Estland wäre jetzt besser präpariert, die gleiche Attacke zurückzu-
„Die Verbesserung der IT-Sicherheit ist eine tägliche Übung“
Oberster Cyber-Schützer Der Este Tamm, 37, leitet den Nato-Think-Tank in Tallinn seit dessen Gründung 2008
Ilmar Tamm
schlagen. Aber es existieren noch so viele andere Möglichkeiten. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Die Verbesserung der IT-Sicherheit ist eine tägliche Übung, so wie man eine Tür oder ein Fenster schließt, wenn man das Haus verlässt. Es geht weniger um Firewalls als um Prinzipien. Ein ITSpezialist kann auch nicht die schlechten Angewohnheiten von 100 Usern kompensieren. Fühlen Sie sich als Cyber-Ninja?
Nein, dazu sind wir nicht da. Ich bin der Manager einer Organisation mit sehr unterschiedlichen Leuten. Es ist nicht immer einfach, die gleiche Sprache zu finden. Aber unsere Aufgabe ist, gemeinsame Lösungen zu finden. ■
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AU SLA ND
In humanitärer Mission Ashton besuchte Anfang März Überlebende des Erdbebens in Port-au-Prince – zu spät, sagen Kritiker
Falsche Zeit, falscher Ort B
rüssel ist eine Baustelle. Im EU-Viertel lärmen die Presslufthammer, es wird abgerissen, renoviert, gebaut. Die Bürokratie wächst und mit ihr der Bedarf an Büros: Die Beamten, die im Glaspalast am Boulevard Charlemagne arbeiten, müssen wohl schon bald ihre Schreibtische räumen. „Charly“ nennen sie liebevoll den Bau, benannt nach Karl dem Großen, dem berühmtesten Herrscher des Abendlands. Ob der stolz wäre auf die Behörde, die hier einziehen soll? Ihr Name: Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD), die Zentrale der EU-Diplomatie des 21. Jahrhunderts. Unter Leitung der britischen Baroness Catherine Ashton sollen mehr als 8000 Mitarbeiter Europa in der Welt repräsentieren – erst einmal parallel zu den Diplomaten, die die 27 Mitgliedsstaaten Europas bereits beschäftigen. In 130 Ländern sollen die EU-Gesandten London,
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Stockholm, Budapest oder Berlin gleichzeitig vertreten. Eine Stimme Europas in der Welt, eine Telefonnummer für die Staats- und Regierungschefs in Moskau, Washington oder Peking – das war die Vision. Zehn Jahre kämpfte Europas Politelite mit den Details und präsentiert sich am Ende von ihrer peinlichen Seite.
Catherine Ashton ist Europas kleinster gemeinsamer Nenner Weil die Granden der Nationalstaaten keinen Prominenzverlust hinnehmen wollten, darf der „Hohe Repräsentant für Außen- und Sicherheitspolitik“ nicht Außenminister heißen. So berühmt wie Tony Blair sollte er auch nicht sein. Als kleinsten gemeinsamen Nenner installierten Europas Anführer Frau Ashton, eine 53-jährige Sozialistin.
Unscheinbar, unbekannt und unbedarft fand sich die Britin auf einem Macher-Posten wieder, den sie nie gewollt hatte. „Vieles ist kompliziert, aber eben auch aufregend“, heißt eines ihrer spannendsten Zitate. Die Baroness übt sich in Zurückhaltung. Sie fehlte beim Treffen der EU-Verteidigungsminister in Palma de Mallorca und redete EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bei der Entscheidung über den Chef der EU-Delegation in Washington nach dem Mund. Das EU-Insiderblatt „European Voice“ unkt bereits: „Ashton muss bald Tritt fassen, sonst drohen Europas Sicherheit und Rolle in der Welt zu leiden.“ In der vergangenen Woche versuchte Ashton, die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg zu überzeugen. Die Chef-Außenpolitikerin braucht diesen Rückhalt. Die 736 Parlamentarier entscheiden mit über die F OCUS 11/2010
Foto: E. Abramovich/Getty Images
In Brüssel wächst eine Megabehörde: der Europäische Auswärtige Dienst. 8000 Beamte will Chefdiplomatin Catherine Ashton beschäftigen. Aber ihr fehlt ein schlüssiges Konzept
WENN ES UM DARMKREBS GEHT, HÖRT BEI MIR DER SPASS AUF. Rentner Herbert Görgens alias Ingolf Lück, Comedian
Darmkrebs ist zu 100 % heilbar, wenn er rechtzeitig entdeckt wird. Deshalb geht auch Ingolf Lück zur Vorsorge. Die tut nicht weh, dauert nur 20 Minuten und danach hat man die nächsten 10 Jahre Sicherheit. Mehr Informationen unter www.felix-burda-stiftung.de S pendenkonto: Felix Burda Stiftung | Kontonummer 7 300 323 01 | BLZ 68080030 | Commerzbank Offenburg
AU SLA ND
tiker Elmar Brok und die Liberale Silvana Koch-Mehrin urteilen fast deckungsgleich: „Ihre Antworten auf die Herausforderungen überzeugen noch nicht.“ Doch wie soll sich die Dame aus Upholland auch durchsetzen, wenn ihr Politprofis wie Angela Merkel oder Nicolas Sarkozy keinen Zentimeter Spielraum lassen? „Da verlangt man eigentlich Unmögliches von ihr“, sagt CSU-Mann Markus Ferber. Beispiel Uno: Die EU-Mitglieder
Frau unter Druck Ashton plaudert in Brüssel mit den Außenministern von Spanien (r.) und Belgien (l.). Eigenes Profil hat sie bislang kaum entwickelt. Sie will es allen recht machen
Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) Baroness Catherine Ashton (53)
Vizepräsidentin
der EU-Kommission
Hohe Repräsentantin
der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik
Vorsitzende im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“
Gremium der 27 EU-Außenminister 13-köpfiges Kabinett
sowie ein Berater
So funktioniert die neue Behörde Von der Zentrale in Brüssel aus will Chefdiplomatin Ashton ihren weit verzweigten Apparat lenken.
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Generalsekretär des Auswärtigen Dienstes der EU
Er ist Manager sowie politischer Kopf der Behörde und bekommt zwei Stellvertreter.
Sechs Generaldirektoren
sind als oberste Beamte zuständig für bestimmte Regionen oder Themenbereiche.
Direktoren/Abteilungsleiter/Berater
noch unbekannte Anzahl an leitenden Fachbeamten und Experten
8000 Beamte sollen weltweit die Interessen der EU-Bürger vertreten. Sie verwalten Milliarden – und sie kosten Milliarden
Frankreich und Großbritannien verfügen über einen ständigen Platz im Sicherheitsrat, die Europäische Union nicht. Werden Paris oder London den Sessel räumen? Werden sie in New York so abstimmen, wie es dem Rest der EU-Familie gefällt? Wohl kaum.
Die EU ist eben nur ein Staatenverbund und kein Staat Natürlich könnten auch die EU-Außenvertretungen eines Tages nationale Botschaften in Kinshasa, Buenos Aires oder Neu-Delhi ersetzen. Aber die EUGesandten besitzen bislang keine Konsular- und Visakompetenz. Die EU ist eben nur ein Staatenverbund und kein Staat. Das Anwerben des neuen Personals in der EU-Kapitale gestaltet sich ebenfalls mühsam in einem Gebilde, das seit mehr als 50 Jahren von Proporzdenken bestimmt wird. Zu einem Drittel aus den Mitgliedsstaaten und zu zwei Dritteln aus Rat und EU-Kommission sollen sich die Mitarbeiter der Außenbehörde rekrutieren. Wobei der größte Anteil von 5000 Stellen auf die EU-Kommissionsbeamten entfallen dürfte. Für die Profidiplomaten aus den Botschaften der Mitgliedsstaaten ist der Wechsel zur EU-Vertretung denkbar unattraktiv – nach vier Jahren, so heißt es in den Konzepten, sollen die Diplomaten wieder in ihre Heimatbehörden zurückkehren. Top-Leute schreckt das ab. Denn die Jahre im Dienste der EU bringen die Karriere nicht voran und fehlen ihnen im Zweifel für die Laufbahn zu Hause. Brüsseler Kandidaten sind leichter zu finden. Als stellvertretende Generalsekretärin oder Generaldirektorin ist Helga Schmid im Gespräch, früher einmal Büroleiterin des grünen Außenministers Joschka Fischer und seit vielen Jahren in der EU-Kapitale bestens verdrahtet. Chefdiplomatin Ashton rüstet unterdessen auf. Sie scheint sich vorgenommen zu haben, die politischen Stellungskriege in Zukunft besser zu meistern. Am Donnerstag sicherte sich die Britin die Unterstützung der Kommissarskollegen. „Kompetenzüberschreitungen der Außenminister werden wir in Zukunft nicht mehr hinnehmen“, lautet die An■ sage an die Hauptstädte. OTTMAR BERBALK / STEFAN BORST
F OCUS 11/2010
Foto: W. Dabkowski/dpa
Milliardenausgaben des Diplomatendiensts und sein Personalstatut. Die Britin mit der Vorliebe für papageienbunte Kostüme hat sich viel vorgenommen. Sie lobte die Parlamentarier für ihr außenpolitisches Interesse, berichtete vom Aufbau des Machtapparats für die 500 Millionen EU-Bürger und spannte den Bogen künftiger europäischer Außenpolitik weit: vom Westbalkan über Georgien bis zum Horn von Afrika. Doch die Resonanz bleibt verhalten. CDU-Poli-
Kapital
braucht
Bilanz.
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AU SLA ND
Das Ehegeflüster Ein Gerücht aus Frankreich ergötzt britische Blätter: Haben Carla Bruni und Nicolas Sarkozy Affären? Oder nicht? Und mit wem?
E
in kokettes Senken der Augenlider, ein gespielt-mädchenhaftes Lächeln, die Hände fahren langsam durch die langen braunen Haare, die blauen Katzenaugen funkeln: „Ich habe Monogamie vorher noch nie kennen gelernt“, gesteht Carla Bruni der Reporterin des britischen Privatsenders Sky News. Ob ihre Ehe mit Nicolas Sarkozy dann ewig währen werde, will deshalb die britische Journalistin wissen. Carla lässt den Blick zur Decke schweifen: „Wer weiß, was passieren wird?“ Wenige Tage später passiert es prompt: Ein paar Gerüchte, die mit einer lakonischen Notiz im Internet-Portal Twitter begonnen hatten („Carla Bruni schläft mit Biolay – Gerücht – Sarkozy betrogen“), wachsen an zu einer Flut wilder Spekulationen auf französischen Blog- und Twitter-Seiten. Sie schaffen es schließlich in die respektable Online-Ausgabe der Sonntagszeitung „Le Journal du Dimanche“. Carla Bruni, 42, heißt es dort, soll eine Affäre mit dem 37-jährigen Sänger Benjamin Biolay haben. Ehemann und Frankreichs Präsident Nicolas Sar-
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kozy, 55, tröste sich derweil in den Armen seiner Umwelt-Staatssekretärin Chantal Jouanno, 40, einer zwölfmaligen Karatemeisterin. Zwar entfernt „Le Journal du Dimanche“ den Artikel schon einen Tag später wieder von seiner Web-Seite: Nach französischem Presserecht gilt das Privatleben von Politikern als tabu. Doch da ist es bereits zu spät: Die britische Presse hat längst angebissen. Während französische Blätter diskret und eisern schweigen, schwelgen Zeitungen in Großbritannien ausgiebig in jedem noch so spärlichen Klatschdetail. Etwa die Preisvergabe beim französischen Gesangswettbewerb „Victoires de la Musique“: Als Biolay gewann, sei Carla als Erste aufgesprungen und habe ihm gratuliert. „Ja, sie sind sich sehr nahe, bei Künstlern ist das so, vor allem wenn sie gut aussehen“, zitiert die Zeitung „Daily Mail“ einen „Freund“. Der Wendepunkt in der Ehe des Präsidenten sei gekommen, verrät der „Mail“ außerdem eine andere „Freundin“, als Nicolas das von seiner Frau verordnete Diät- und Fitnessprogramm offenbar zu
viel wurde und er beim Joggen zusammenbrach. „Ist dies das Ende für Herrn und Frau Sarko?“, fragt die „Daily Mail“ auf dem Titel. Die Zeitung „Daily Telegraph“ zeigt auf Seite eins ein Bild Brunis neben dem ihrer vermeintlichen Rivalin Chantal Jouanno und fragt: „Sticht sie Carla aus?“ Die Briten seien nun mal „unverbesserlich versessen auf Tratsch“, erklärt Cassandra Jardine im „Daily Telegraph“. Ihr französischer Kollege Guy Birenbaum, sonst ein scharfer Kritiker der Medienmanipulation durch Sarkozy, nimmt diesmal den Präsidenten gegen den Einbruch in seine Privatsphäre in Schutz: „Da hat jemand im Internet mit Gerüchten gezündelt“, schimpft der Medienspezialist. Carla Bruni jedenfalls zeigte in dem TV-Interview mit Sky volles Vertrauen in die Diskretion französischer Journalisten. Auf die Frage, ob sie an die Treue ihres Mannes glaube, gab sie resolut zurück: „Haben Sie je Fotos gesehen, die ihn bei ■ einer Affäre zeigen?“ IMKE HENKEL / MANFRED WEBER-LAMBERDIÈRE
F OCUS 11/2010
Fotos: S. Thomas/laif, C. Guibbaud/dpa, F. Durand/Getty Images
Gefahr im Anmarsch Boulevardblätter spekulieren darüber, ob Carla ihren Sarko (M.) noch fest im Griff hat oder ob die beiden inzwischen eine offene Beziehung führen. Der Präsident soll angeblich Gefallen an der flotten Chantal finden, seine Gattin am Musikerkollegen Benjamin
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Gastronomische Grausamkeit Die kanadischen Senatorin Céline HervieuxPayette verteidigt ihr Mittagessen. Was gab’s bei Ihnen heute in der Parlamentskantine?
Robbenfleisch. Hat’s denn geschmeckt?
Es war köstlich. Der Chefkoch hat das Fleisch in Speckmantel gehüllt. Ob es wohl reichen wird? Fünf Jahre lang hätte der Dieb jeden Tag neue Schuhe anziehen können
Die Leidenschaft des Herrn Park In Südkorea, wo man vor dem Betreten von Privathäusern, Restaurants oder auch Aussegnungshallen seine Schuhe auszieht, haben Diebe leichtes Spiel. Nun aber ging der Polizei ein regelrechter Profi ins Netz: 1700 Paar teure Designer-Schuhe fand man bei einem Mann, der in den vergangenen fünf Jahren bereits zweimal wegen Schuhdiebstahls verurteilt worden war. Der Wiederholungstäter, ein gewisser Herr Park, wurde überführt, als er als Trauergast verkleidet eine Aussegnungshalle mit immer neuem Schuhwerk verließ. Den Diebstahl von drei Paaren hat Park zugegeben. Die restlichen, sagt er, seien sein Eigentum. ach
Etwa weil es sonst zu trocken gewesen wäre?
Leckerbissen? In Europa ist Robbenfleisch verpönt; den Kanadiern schmeckts
Wo dürfen Autofahrer sich richtig freuen, wenn die Polizei sie zu einer Straßenkontrolle rauswinkt? In der zentralpolnischen Stadt Radom. Statt Strafzettel verteilen nämlich die Ordnungshüter dort des öfteren Geschenke – zuletzt Gutscheine für Massagen und Wellness-Behandlungen. „Wir sind der Meinung, dass gutgelaunte Fahrer umsichtiger fahren“, erklärt Polizeisprecher Rafal Jezak: „Und wenn uns mal Prominente helfen, wie etwa RealMadrid-Torwart Jerzy Dudek, dann fährt plötzlich die ganze mz Stadt mustergültig.“ 164
Genau. Man muss das Fett sorgfältig vom Fleisch trennen, weil es einen sehr starken Eigengeschmack hat. Tierschützer halten diese Idee für gastronomische Grausamkeit.
Meine Gäste jedenfalls haben alles aufgegessen und ihre Solidarität mit den kanadischen Robbenjägern gezeigt. Wir lassen uns von den Europäern nicht vorschreiben, was wir jagen dürfen. Servieren Sie zu Hause auch Robbenfleisch?
Zu Weihnachten gab’s bei uns Karibu. sur Freund und Helfer Star-Fußballer Jerzy Dudek (l.) im Einsatz F OCUS 11/2010
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Massagen statt Knöllchen? Gibt’s in Polen von der Polizei
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Michael Schumacher und Mercedes-Benz: Die Formel 1 hat ein neues Dream-Team. In diesem MERIAN Extra werden die Fahrer und die Macher in Stuttgart vorgestellt, wird die Geschichte der Silberpfeile vom ersten Rennen bis heute erzählt. Wie immer in MERIAN: spannende Reportagen, beeindruckende Bilder und ein ausführlicher Service mit Reisetipps zu allen Rennstrecken und über die Sehenswürdigkeiten in der Umgebung. Plus: Großes Schumacher-Poster.
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„Das wird knallharte Arbeit“
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Michael Ballack, Kapitän der FußballNationalelf, über Sexskandale, Testspielpleiten, die Podolski-Ohrfeige und seine ganz persönlichen Erwartungen an die WM in Südafrika
Nach dem 1 : 0 in Russland und der perfekten WM-Qualifikation dachten Deutschlands Fußballfans, die Nationalmannschaft könne sich hochkonzentriert auf die WM in Südafrika vorbereiten. Aber der Suizid von Torwart Robert Enke, der Wettskandal, das Löw-Bierhoff-Vertragstheater und der Schiedsrichter-Sexskandal haben den Deutschen Fußball-Bund, so scheint’s, in ein Chaos gestürzt. Gefährden die Wirren im Umfeld das deutsche WM-Projekt?
Ich spreche nicht gerne über Projekte, ich spreche lieber über Fußball und das bevorstehende Turnier. Die genannten Punkte sind Begleiterscheinungen, die beschäftigen den einen etwas mehr, mich etwas weniger. Nein, es interessiert mich nicht wirklich, ob einer einen neuen Vertrag hat oder nicht, ob einer homosexuell ist oder nicht, das beeinflusst meine Leistung nicht. Es gibt aber laute mediale Begleitmusik . . .
Das kann ein Problem werden. Wenn diese Themen ohne Ende in den Medien gespielt und diskutiert werden, kann das sehr störend für die Vorbereitung werden und bei manchem Spieler dazu führen, dass er abgelenkt wird, nicht mehr 100-prozentig konzentriert ist. Man wird dauernd gefragt und konfrontiert, man muss antworten und automatisch darüber nachdenken.
Gezeichneter Kämpfer Im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Inter Mailand, das Michael Ballacks Club Chelsea London 1 : 2 verlor, verpasste Gegenspieler Thiago Motta dem 33-jährigen deutschen Mittelfeldstrategen per Fußkick ein blaues Auge. Am Dienstag bestreiten die „Blues“ in der britischen Metropole das Rückspiel gegen den italienischen Meister
Sie erleben bei Chelsea London auch gerade skandalumwitterte Zeiten. Ihr Kollege John Terry, abgesetzter Kapitän der englischen Nationalmannschaft, hatte offenbar ein Verhältnis mit der ehemaligen Lebensgefährtin von Wayne Bridge, einem ExKollegen, der jetzt bei Manchester City spielt. Ein großes Thema in den Medien . . .
Schwierige Situation. Auch für den Verein. Aber da müssen wir durch – und schnell zurück in die Erfolgsspur. Wie hoch ist Ihre Anspannung vor den unmittelbar bevorstehenden neuen Höhepunkten mit Chelsea London in der europäischen Königsklasse und dem WMTurnier in Südafrika mit der Nationalelf?
Sehr hoch. Besonders, weil wir mit Chelsea im Achtelfinale der Champions League mit Inter Mailand gleich den schwierigsten Gegner gezogen haben und nach dem 1 : 2 im Hinspiel unbedingt das Ergebnis zu Hause korrigieren müssen. Wir stehen in einer sehr frühen Phase dieses Wettbewerbs gewaltig unter Druck. Das spürt man
schon sehr deutlich. Es ist allerdings eine Anspannung, die ich als positiv empfinde. Sie haben 98 Länderspiele absolviert, nur etwas weniger oft in der Champions League gespielt, die vergangenen zehn Jahre ununterbrochen. Wie hilfreich ist für Sie der Faktor Erfahrung?
Unser Co-Trainer Ray Wilkins (Ex-Nationalspieler, d. Red.) bei Chelsea hat mir glaubhaft versichert, dass ein Fußballer von hoher Qualität seine besten Jahre zwischen dem 30. und 36. Lebensjahr hat, was ich für mich auch so einschätze. Gerade, wenn man so viele Spiele auf höchstem internationalen Niveau absolviert hat, bringt das erhebliche Vorteile. Man hat eine Masse von kritischen Spielsituationen durchlebt, die im Unterbewusstsein gespeichert sind – und mit denen man neue Entscheidungen permanent abgleicht. Das minimiert Fehler und falsche taktische Entscheidungen. Auch in puncto Vorbereitung und Team-Building, also wenn neue Spieler zu einer Mannschaft dazukommen, kann man die Dinge besser lenken und einordnen. Drei Monate vor der WM stecken etliche Nationalspieler in der Formkrise. Profis wie Lukas Podolski, Miroslav Klose, Mesut Özil, Arne Friedrich oder Thomas Hitzlsperger, dazu ist Simon Rolfes länger verletzt. Ist Ihnen als Kapitän, auch nach dem 0 : 1 im letzten Test gegen Argentinien, nicht langsam angst und bange?
Es sind ja noch ein paar Tage hin bis Südafrika. Und vor vier Jahren hatten wir ja auch im März diese 1 : 4-Niederlage in Florenz gegen Italien, nach der jeder dachte, jetzt bricht alles zusammen. Im Endeffekt war’s dann nicht so. Deshalb: Viele Spieler haben nun mal Leistungsschwankungen, und ich würde mir mehr Sorgen machen, wenn es nicht Mitte März wäre. Bis Juni fließt noch viel Wasser die Elbe runter – oder hoch. Haben Sie als Kapitän die Schieflage mit Joachim Löw diskutiert?
Nein. Der Bundestrainer bespricht mit dem wichtigsten Abteilungsleiter keine Personalien?
Nur wenn es mal einen wirklich schwierigen Fall gibt. Dann fragt er schon mal nach meiner Meinung, wie ich die Situation einschätze. 167
S POR T
Leichte Formschwankungen müssen wir nicht diskutieren. Was ist mit der Strategie?
Im Laufe eines Turniers gibt es schon mal die Situation, dass wir taktische und personelle Möglichkeiten besprechen. Wie ist Ihr Verhältnis zu Löw?
Sehr gut, wirklich sehr gut. Im deutschen Team gibt es wenige Konstanten – und eine Masse von unerfahrenen Talenten. Ein Nachteil?
Die Jungen darf man jetzt nicht anzweifeln, nur weil sie jung sind. Die haben sich ihre Nominierungen durch harte Arbeit und gute Leistungen in der Liga verdient. Natürlich ist es so, dass nach Miro Klose und mir gewissermaßen eine Generation fehlt, etwa sechs Jahre von der Altersstruktur her. Dann kommen Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Per Mertesacker – und dann die Jungen. Aber worüber sollen wir uns beklagen? Nein, die hohe Zahl und die Qualität dieser Nachwuchsspieler gibt Hoffnung auf eine gute Zukunft, das verspricht gute Jahre. Löw hat dem komplett formlosen Hitzlsperger fast einen Freifahrtschein ausgestellt. Bremens Kapitän Torsten Frings aussortiert, der in all seinen WM- oder EMTurnieren ausnahmslos starke Leistungen ablieferte. Nominiert Löw nach Sympathie oder, wie er sagt, nach Leistung?
Der Bundestrainer würde sich ja ins eigene Fleisch schneiden, wenn er nicht die Leistungsstärksten auswählt. Deswegen gehe ich fest davon aus, dass er das nach bestem Wissen und Gewissen macht. Hat Löw Sie vor dem Frings-Kaderausschluss im Januar nach Ihrer Meinung gefragt, wen Sie in der Zentrale am liebsten an Ihrer Seite hätten?
Der Bundestrainer kennt ja meine Meinung. Ich habe mit Torsten sehr lange und sehr erfolgreich zusammengespielt. Der Bundestrainer hat jetzt eine andere Sicht. Ich habe diese Entscheidung von Joachim Löw akzeptiert. Würden Sie sich mehr Kommunikation mit Ihrem Chef wünschen?
Nein, das hat nichts mit Kommunikation zu tun. Wir hatten nur eine andere Einschätzung, was Torsten Frings betrifft. Und er ist der Trainer. Es geht hier ja nicht darum, wer gerne mit wem spielen würde. 168
Lotse und Kapitän Bundestrainer Joachim Löw mit Michael Ballack, seinem wichtigsten Führungsspieler für die am 11. Juni beginnende WM in Südafrika
Löw hatte den Schalker Kevin Kuranyi beim Länderspiel in Dortmund auf die Tribüne verbannt, daraufhin ist er vor Spielschluss aus dem Stadion geflüchtet. Kuranyi, aktuell ein Torgarant in Top-Form, darf nicht mehr kommen. Podolski, der Sie als Kapitän einmal während des Spiels ohrfeigte, ist trotz saisonübergreifender Minusform gesetzt. Stellt Löw vielleicht doch nach Sympathie auf?
Wiederum: Das ist eine Entscheidung des Trainers, dafür bin ich als Kapitän nicht zuständig. Aber eine klare Linie ist das nicht gerade?
Wieso? Joachim Löw hat doch eine klare Linie: Der Bundestrainer sagt, den Kevin Kuranyi lade ich nicht mehr ein, und den Lukas Podolski lade ich ein. Sehr komisch . . .
Ich muss das nicht bewerten. Hätten Sie als Trainer auch so entschieden?
Die Frage stellt sich nicht, ich bin nicht der Bundestrainer. Vielleicht sollten Sie nach Ihrer Fußballkarriere in den diplomatischen Dienst wechseln, so elegant, wie Sie mit Problemen umgehen – oder mit Watschen von Mitspielern . . .
Nun gut, dazu muss man sehen, dass ich bei Podolski ja eine betroffene Partei war, deswegen hätte ich das sicher anders bewertet und entschieden als der Bundestrainer. Kommen wir zum Thema Respekt. Obwohl Ihre Trainer wie Hitzfeld, Daum, Magath, Mourinho, Hiddink oder jetzt Ancelotti Sie über den grünen Klee loben, sagte Löw
nach der EM 2008, Sie hätten keinen Stammplatz. Vermissen Sie in der Nationalmannschaft manchmal Respekt?
Ich kann gut mit Druck umgehen, habe mich auf allen Stationen durchgesetzt. Und wie mein Lebensweg zeigt, habe ich auch immer die größten Herausforderungen gesucht. Für mich ist das kein Problem, sonst hätte ich in der Nationalmannschaft auch nichts zu suchen. Überraschend hat Sie gerade Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge geadelt, der mit Ihnen schon mal über Kreuz lag. Sie seien intern und extern ein „totaler Leader“, unersetzlich bis mindestens zur EM 2012.
Ist natürlich schön zu hören. Wir hatten während meiner Münchner Zeit ja mal ein paar Reibereien, insgesamt aber – glaube ich – gegenseitig eine sehr hohe Meinung voneinander. Und Karl-Heinz Rummenigge hat ja auch Ahnung vom Fußball. Wie behagt Ihnen eigentlich das zu erwartende Ambiente bei der anstehenden WinterWM? In Südafrika geht im Juni, Juli noch vor 18 Uhr die Sonne unter, die Temperaturen können zur Nacht gen Gefrierpunkt pegeln. Wegen der erheblichen Kriminalität sollen Spieler, wenn überhaupt, nur in geschützten Gruppen das Quartier verlassen . . .
So wie Sie das beschreiben, klingt das ja nicht gerade einladend, zumindest nicht zu dieser Jahreszeit im afrikanischen Winter. Grundsätzlich wird es sicher eine andere Situation als 2006 in F OCUS 11/2010
FINALE Wie sehr leiden Sie als Profi mit manchmal mehr als 60 Pflichtspielen in einer Saison eigentlich unter dem Familien- und Kinderentzug?
„Deswegen hätte ich das sicher anders bewertet und entschieden als der Bundestrainer“ Michael Ballack zur Ohrfeige von Mitspieler Lukas Podolski, der von Joachim Löw nach dieser Entgleisung nicht aus dem Kader entfernt wurde – anders als Kevin Kuranyi nach dessen Stadionflucht
Nun, ich sehe meine Frau und Kinder schon sehr oft. Das Gute bei Chelsea ist zudem, dass wir vor Heimspielen nicht so wie in der Bundesliga schon am Vorabend ins Hotel gehen. Das ist ein Tag mehr und viel Zeit für mich und meine Familie. In meiner Situation muss man eben auch andere Hobbys wie Golf oder Tennis hintenanstellen. Und ich genieße es sehr, nahezu die komplette Freizeit mit meiner Frau und den Kindern zu verbringen – die ihren Papa natürlich kräftig in Beschlag nehmen, wenn er zu Hause ist. Freuen Sie sich schon auf die Zeit nach Ihrer aktiven Karriere? In drei, vier Jahren – wenn Ihre ältesten Söhne langsam pubertieren, sind Sie präsent. Und können notfalls den Daumen draufhalten . . .
Deutschland oder auch bei der Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz werden. Deswegen müssen wir uns schon rechtzeitig damit beschäftigen. Es wird vieles anders sein. Irritiert Sie das?
Nein. So ein Turnier ist ja auch kein Event für uns wie für die Fans. Das ist knallharte Arbeit. Ob da die Sonne scheint oder ob es regnet, hat nicht den größten Einfluss. Obwohl, es wäre natürlich schöner, wenn die Sonne scheint. Ich habe allerdings auch vor zu gewinnen, wenn es regnet oder schneit. Droht der gewaltige Lagerkoller?
Da bin ich echt ein bisschen überfragt. Ich habe ja, allen Erfahrungen zum Trotz, so etwas noch nicht erlebt. Ich werde alles langsam auf mich zukommen lassen. Wird Ihre Familie Sie nach Südafrika begleiten, Ihre Frau Simone und Ihre Söhne Louis, 8, Emilio, 7, und Jordi, 4?
Foto: S. Loos/ddp
Weiß ich nicht, wie das gehen soll und kann. Auch, weil die Kinder da noch keine Ferien haben und zur Schule müssen. Zudem ist da die erhebliche räumliche Distanz. Nach Südafrika kann man ja nicht mal eben hinfliegen wie nach Österreich. Ex-Bundestrainer Berti Vogts plädierte ja ohnehin auf Familien- und Frauenverzicht. Sein Motto: Ein Taxifahrer hat ja auch nicht ständig seine Frau auf dem Beifahrersitz.
Da hat er wohl Recht. F OCUS 11/2010
Ich freue mich auf die ganze Zukunft. Vielleicht nicht ganz so doll darauf, mal als Profi aufzuhören. Ich habe davor keine Angst, aber es ist eben eine unvorhersehbare Situation, etwas nicht mehr zu haben, was das ganze bisherige Leben bestimmt und bewegt hat. Aber im Moment kann ich noch gar nicht dahinfühlen. Ich weiß, dass irgendwann Schluss ist, aber zurzeit bin ich noch so fest in meinem Beruf verwurzelt, sehr intensiv in dieser Leidenschaft Profifußball gefangen. Ihr Vertrag bei Chelsea London läuft im Sommer aus – werden Sie verlängern oder wechseln?
Darüber werden wir in den nächsten Wochen und Monaten reden. Im Moment ist es so, dass ich hier zufrieden und gerne bin und dass Chelsea mit mir zufrieden ist. Alles Weitere wird sich finden. Wie bewerten Sie Ihren Werdegang, Ihre Stationen Kaiserslautern, Leverkusen, Bayern München, Chelsea London?
Ich habe überall viel mitgenommen, habe mich überall sehr wohl gefühlt – und eigentlich immer zur richtigen Zeit die richtigen Schritte gemacht. Für meine menschliche und sportliche Entwicklung. Ich kann also nicht klagen, ■ bislang ist alles super gelaufen.
Eliteschulen als Garant für goldene Früchte Die Verschmelzung der Sportausbildungssysteme für Talente scheint 20 Jahre nach der Wiedervereinigung geschafft: 84 Prozent der 30 deutschen Medaillen bei Winter-Olympia in Kanada wurden von Athleten gewonnen, die an einer Eliteschule des Sports ausgebildet wurden oder werden. Zudem stieg gegenüber Turin 2006 der Eliteschüler-Anteil im Olympiateam von 48 auf 54 Prozent. Sämtliche – aktuell 40 – Eliteschulen werden in den nächsten Monaten trotzdem evaluiert, um, nach Möglichkeit, den Standard cw weiter zu verbessern.
Glorreiche Alpinisten Bei den am vergangenen Wochenende gestarteten Paralympischen Spielen gelten die 20 deutschen Teilnehmer in Vancouver als heiße Medaillenkandidaten. Sechsmal Gold errangen 2006 in Turin die Herren in den alpinen Skidisziplinen. In jedem zweiten Rennen dieser Sportart fuhr somit ein Deutscher zum Sieg. Insgesamt erfolgreicher war nur awo Russland. Paralympics Turin 2006 Vergebene Gold-, Silber und Bronzemedaillen Nation Russland
13
13
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Deutschland
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Ukraine
7
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9
Frankreich
7
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6
USA
7
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Italien
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INTERVIEW: CHRISTIAN WITT
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MENSCHEN
Riecher für Geld, Mutter aus Hamburg In Brasilien ist er die Nummer 1. In der Welt die Nummer 8 – also sechs Plätze hinter Bill Gates, sieben hinter dem reichsten Menschen der Welt, Carlos Slim Helú, und zwei Plätze vor dem vermögendsten Deutschen, Karl Albrecht. Eike Batista, 53, hat es in Brasilien zu 27 Milliarden Dollar gebracht – dank eines besonderen Riechers für Geschäfte. So gelang es ihm, inmitten der Finanzkrise seine Ölfirma für vier Milliarden Dollar an die Börse zu bringen, obwohl er nicht einmal Probebohrungen vorweisen konnte. Deutschland liegt Batista nahe, und das nicht nur auf
der „Forbes“-Liste der reichsten Menschen in Form des Aldi-Unternehmers Albrecht. Batistas Mutter stammt aus Hamburg. Seine Jugend verbrachte er teilweise in Düsseldorf. Geschäftstüchtig war er schon damals. Um sein Studium zu finanzieren, zog er als Versicherungsvertreter von Haus zu Haus – bis er in den lukrativeren Diamantenhandel wechselte. Jetzt will Batista Investoren aus Deutschland begeistern. Er versteht nicht, warum Mercedes im aufstrebenden Brasilien nicht kompakte Autos produziert. Batistas Botschaft: Aufwachen, Deutschland! nam
D-D-Dorothy bald in 3-D Alice macht’s möglich: Tim Burtons „Alice im Wunderland“Hit beschleunigt die Pläne dreier Hollywood-Studios, auch den Klassiker „Der Zauberer von Oz“ in 3-D wiederaufleben zu lassen. Die Ideen reichen von modernen Märchen-Versionen über düstere Mystery-Trips bis zur Vorgeschichte oder einem neuen Musical. Als Dorothy-Erben Judy Garlands (Foto) gehanhap delt: Miley Cyrus, Dakota Fanning und Abigail Breslin.
Abwärts, nach 23 Sie mischt Fanta-Lippenstift mit Cola-Gloss – und nennt das Freitagnacht ihren „Mezzo Mix“. Dass Lena Meyer-Landrut nicht nur ein süßes Mädel ist, bewies die Siegerin von „Unser Star für Oslo“ im Finale, wo sie interpretierte, als würde Björk Lieder von Kurt Weill singen. Vielleicht wird ihr „Satellite“ beim Eurovision Song Contest ja aufsteigen. Ihrer persönlichen Blüte gibt die 18-jährige Abiturientin höchstens fünf Jahre. „Mit 23 ist es noch gut. Danach geht’s abwärts.“ cap
Erfolgreich in Rio Eike Batista, der reichste Mann Brasiliens
Dribbeln nur auf dem Platz Auf dem Platz kann er schon alles: Er ist zweikampfstark. Er ist ballsicher. Und bei seiner Champions-League-Premiere gegen den AC Florenz kam er als Linksverteidiger auf die meisten Ballkontakte aller Spieler. Nur nach dem Abpfiff ist Schluss mit Unbekümmertheit. Da hat David Alaba, 17, bis auf Weiteres Interviewverbot. Das Dribbeln zwischen den Mikrofonen der Reporter will der FC Bayern dem gebürtigen Wiener mit der Mutter von den Philippinen awo und dem Vater aus Nigeria noch nicht zumuten.
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F OCUS 11/2010
Fotos: P. Friedman/Corbis, AKG, A. Staccioli/nordphoto, A-way, G. Sharp/Bounremouth News&Pictures, G. Napolitano/AFP, T. Thorimber t/Picture Press, R. Stötzl/Babirad
Horch, Kind! Vielleicht hat Papa Simon Le Bon sein Töchterlein zu oft ermahnt, zu gehorchen. Jedenfalls mag ihn Amber Le Bon, 20, nicht mehr hören. Songs des Sängers der Pop-Band Duran Duran suche man auf ihrem iPod vergeblich, hat das Model ausjs geplaudert. C’est bon?
Prinzsoldat unterm Hammer
„Gras ist so eine nette Droge, aber sie bekommt mir überhaupt nicht“ Hungerattacken nach MarihuanaKonsum hätten ihn fett gemacht, glaubt Robbie Williams, 36
Er spricht mit Blumen. Er malt Aquarelle. Er ist bekannt für die eher sanften Lebensdinge. Und doch musste sich einst auch Prinz Charles, 61, der Tradition im britischen Königshaus beugen und Soldat werden. Unbekannte Fotos dieser Militärzeit kommen am 26. März bei einer Auktion in Sherborne unter den Hammer. Auf den meisten wirkt der Prinzsoldat wie ein Pfadfinder. Die sanften Dinge eben. imk
Des Teufels Zweitwohnsitz Gemeinhin gilt die Hölle als Haupt- und Dienstwohnsitz des Teufels. Doch ist der Antichrist nicht allein dort zu Hause, wo es raucht und brodelt. „Im Vatikan haust der Teufel“, zitiert die italienische Zeitung „La Repubblica“ Don Gabriele Amorth, 84. Der Mann, der den „Rauch des Satans“ auch in den heiligen Räumen wittert, ist nicht nur der Exorzist der Diözese Rom. Er ist eine Art Akkordarbeiter wider das Böse und rühmt sich, in 70 000 Fällen den Teufel ausgetrieben zu haben.
Don Gabriele drückt dabei die Nachwuchssorge. Er fordert einen Exorzisten für jede Diözese, denn er hat erkannt: „Ich kann nicht überall sein.“ Da ist es für einen hochbetagten Teufelsaustreiber hilfreich, sein Geschäft in Rom gewissermaßen in Heimarbeit betreiben zu können. js 171
BESTSELLER KINO-HITLISTE
BESTSELLER – LITERATUR
*Besucher: Zahlen vom vergangenen StartDonnerstag/**unter 2000 Besucher
*(Rang Vorwoche/Anzahl der Wochen)
Ja, das war Flipper Vom Delphintrainer zum militanten Tierschützer: Ric O’Barry
Helena Bonham-Carter, Anne Hathaway. Besucher*: 55 499/Gesamt: 787 704
⯡
Shutter Island (2)
3. W. Regie: Martin Scorsese, mit Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Emily Mortimer, Ben Kingsley. B.: 16 854/G.: 821 940
die auf Ziegen starren (3) ⯢ Männer, Regie: Grant Heslov, mit George
DVD-TIPP
Doku-Thriller
2. W.
Als Thriller ist „Die Bucht“ kaum zu schlagen. Generalstabsmäßig plant ein Filmteam um den Ex-Trainer des berühmten TV-Delphins „Flipper“ die Dokumentierung eines geheimen alljährlichen Delphinschlachtens in der japanischen Küstenstadt Taiji. Ric O’Barry, der seinen alten Job nun als Tierquälerei sieht, kämpft heute weltweit und militant für die überaus intelligenten Meeressäuger. Und gibt es grausamere und vor allem wirksamere Bilder als sterbende Kleinwale, als jene sich blutrot färbende Bucht? Folglich holte sich der Film gerade den Doku-Oscar, auch wenn er es sich in seiner Anklage etwas arg leicht macht (viele Extras/Eurovideo).
Clooney, Ewan McGregor, Jeff Bridges, Kevin Spacey. B.: 13 606/G.: 249 465
– ⯣ Avatar Aufbruch nach Pandora (4)
13. W.
Regie: James Cameron, mit Sam Worthington, Zoe Saldana, Sigourney Weaver. B.: 12 465/G.: 10 022 477
NEU
⯥ NEU
⯦ NEU
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172
Auftrag Rache Regie: Martin Campbell, mit Mel Gibson, Ray Winstone. B./G.: 7588
Teufelskicker Regie: Granz Henman, mit Diana Amft, Kaan Aydogdu, Cosima Henman. B./G.: 7336
Jerry Cotton Regie: Cyrill Boss/Philipp Stennert, mit Christian Tramitz, Christian Ulmen, Mónica Cruz. B./G.: 6541
Unsere Ozeane (6)
3. W. Regie: Jacques Perrin/Jacques Cluzaud. B.: 5581/G.: 266 526
BESTSELLER – JUGENDBUCH *(Rang Vormonat)
Die Friseuse (5)
4. W. Regie: Doris Dörrie, mit Gabriela Maria Schmeide. B.: 4812/G.: 247 536
Bis(s) zum Abendrot ⯠ Meyer: Carlsen, 10,90 Euro Bis(s) zum Ende der Nacht (3)* ⯡ Meyer: Carlsen, 24,90 Euro
NEU
Hier kommt Lola (12)
2. W. Regie: Franziska Buch, mit Meira Durand, Julia Jentsch, Nora Tschirner. B.: 3562/G.: 105 823
Percy Jackson 1. ⯢ Riordan: Diebe im Olymp
NEU
Up in the Air (8)
6. W. Regie: Jason Reitman, mit George Clooney, Vera Farmiga. B.: 3329/G.: 682 746
Boxhagener Platz (–)
2. W. Regie: Matti Geschonneck, mit Meret Becker, Jürgen Vogel, Milan Peschel. B.: 2396/G.: 36 651
Der Ghostwriter (10)
4. W. Regie: Roman Polanski, mit Ewan McGregor, Pierce Brosnan, Olivia Williams. B.: 2197/G.: 248 026
Vorstadtkrokodile (–)
8. W. Regie: Christian Ditter, mit Leonie Tepe, Manuel Steitz. B.: 2105/G.: 611 229
Rock It! (14)
4. W. Regie: Mike Marzuk, mit Emilia Schüle, Daniel Axt. B.: **/G.: 339 598
Carlsen, 8,95 Euro Copyright by media control GfK INTERNATIONAL GmbH, Baden-Baden
⯤
Gezeichnet. ⯣ Cast/Cast: House of Night 1
NEU
Fischer, 16,95 Euro
⯤ NEU
⯥
Smith: Im Zwielicht. Tagebuch eines Vampirs cbt, 7,95 Euro
Meyer: Bis(s) zur Mittagsstunde (4) Carlsen, 9,95 Euro
⯦
Meyer: Bis(s) zum Morgengrauen (2)
⯧
Gier: Saphirblau
NEU
⯨ NEU
Carlsen, 9,95 Euro
Hummeldumm ⯠ Jaud: Scherz, 13,95
(1/3) *
⯡
(2/7)
cbt, 7,95 Euro
Diogenes, 21,90 Euro
Eisige Nähe ⯢ Franz: Knaur, 16,95 Euro
(3/3)
Ausgelöscht ⯣ McFadyen: Lübbe, 19,99 Euro
NEU
⯤
Adler-Olsen: Erbarmen
⯥
Meyer: Bis(s) zum Ende der Nacht
(5/23)
dtv, 14,90 Euro (4/55)
Carlsen, 24,90 Euro
⯦ NEU
⯧
Roth: Die Demütigung Hanser, 15,90 Euro
Cast: House of Night – Gezeichnet
(8/10)
Fischer, 16,95 Euro
⯨
Young: Die Hütte
⯩
Gavalda: Ein geschenkter Tag
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Hegemann: Axolotl Roadkill
(10/38)
Allegria, 16,90 Euro (9/5)
Hanser, 12,90 Euro (6/7)
Ullstein, 14,95 Euro
⯫ NEU
Lark: Das Gold der Maori Lübbe, 14,99 Euro
⯬
Nesbø: Leopard
⯭
Goosen: Radio Heimat
⯮
Brown: Das verlorene Symbol
(7/6)
Ullstein, 21,95 Euro (11/8)
Eichborn, 14,95 Euro (14/21)
Lübbe, 26 Euro
⯯ ⯰ ⯱ ⯲
Schätzing: Limit
(13/22)
Kiepenheuer & Witsch, 26 Euro
Müller: Atemschaukel
(18/21)
Hanser, 19,90 Euro
Gier: Saphirblau
(16/10)
Arena, 15,95 Euro
Seghers: Die Akte Rosenherz
(15/2)
Wunderlich, 19,95 Euro
Arena, 15,95 Euro
Smith: Bei Dämmerung. Tagebuch eines Vampirs
Suter: Der Koch
⯳
Riordan: Percy Jackson 2. Im Bann des Zyklopen
(20/4)
Carlsen, 14,90 Euro
F OCUS 11/2010
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im Wunderland (1) 2. W. ⯠ Alice Regie: Tim Burton, mit Johnny Depp,
Heftige Brise Laura Marlings aufregendes Folk-Album „I Speak Because I Can“ erscheint am 26. März
BESTSELLER – RATGEBER *(Letztplatzierung)
In der Mitte des Lebens ⯠ Käßmann: Herder, 16,95 Euro
Schuhbeck: Meine Küche der Gewürze (2) Zabert Sandmann, 24,80 Euro
CD-TIPP
(4) ⯢ Pape/Schwarz/Trunz-Carlisi/Heßmann: Schlank im Schlaf. Das Kochbuch
Sturm & Klang
Gräfe und Unzer, 14,90 Euro
⯣ Pape/Schwarz/Trunz-Carlisi: Schlank im Schlaf für Berufstätige
(3)
Man mag es schwer glauben, aber diese große, betörende Stimme stammt von einem sehr schüchternen englischen Landmädchen: Wenn die 20-jährige Laura Marling zu singen anfängt, erheben sich in Kopf und Herz des Hörers Stürme – mal rau-heftig, mal magisch zausend. Die Kettenraucherin ist der Star des sogenannten Nu-Folk-Genres, und auf ihrem zweiten Album „I Speak Because I Can“ lässt sie in ihren glasklaren, aber tiefwühlenden Songs die Emotionen nur so flackern. Besser kann ein Twen, der gerade von einem Mann verlassen wurde und am liebsten einsame Spaziergänge übers Land unternimmt, die Nervositäten und Überzeugungen eines jungen Lebens nicht vertonen.
Gräfe und Unzer, 14,90 Euro
⯤
Pape/Schwarz/Trunz-Carlisi/ Gillessen: Schlank im Schlaf
(5)
Gräfe und Unzer, 19,90 Euro
⯥
Lafer: Der große Lafer
⯦
Oertel/Otto: Vancouver 2010. Das Olympiabuch
⯧ ⯨
Das Neue Berlin, 19,95 Euro
Lafer: Meine Kochschule
(13)
Bassermann, 14,95 Euro
Byrne: The Secret – Das Geheimnis
(7)
Goldmann, 16,95 Euro
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Oetker: Landfrauen backen von A–Z (12)
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Reichelt/Sommer: Die magische 11 der Homöopathie
⯫ NEU
⯬
Oetker, 9,95 Euro
(–)
Gräfe und Unzer, 12,90 Euro
SINGLE-CHARTS
Juul: Pubertät – Wenn Erziehen nicht mehr geht
*(Rang Vorwoche/Anzahl der Wochen)
Kösel, 16,95 Euro
Kinslow: Quantenheilung erleben
(6)
VAK, 12,95 Euro
⯭
Poletto: Polettos Kochschule
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Pape/Quadbeck: Die Hormonformel (11)
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Oetker. Fleisch von A–Z
⯰ NEU
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Zabert Sandmann, 19,95 Euro Gräfe und Unzer, 19,99 Euro
(–)
Oetker, 9,95 Euro
Fröhlich: Und ewig grüßt das Moppel-Ich Krüger, 14,95 Euro
Müller-Urban: Schnelle Brote plus Backform
(15)
Gräfe und Unzer, 12,99 Euro
⯲
Lützner: Wie neugeboren durch Fasten
(17)
Gräfe und Unzer, 12,90 Euro
⯳
Cramm: simplify Diät Campus, 19,90 Euro
(18)
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NE U
(9)
Gräfe und Unzer, 39,90 Euro
Alors On Danse ⯠ Stromae: Universal
(3/5)*
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(5/5)
Unheilig: Geboren, um zu leben Universal
Hilson: I Like ⯢ Keri Universal
(2/12)
Tik Tok ⯣ Kesha: Sony
⯤
(1/8)
Cherly Cole: Fight For This Love
NEU
Universal
⯥ NEU
Amy Macdonald: Don’t Tell Me That It’s Over Universal
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Frauenarzt & Manny Marc: Disco Pogo Edel
(4/9)
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OWL City: Fireflies
(6/6)
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Timbaland & Katy Perry: If We Ever Meet Again Universal
NEU
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Universal
Lady Gaga: Bad Romance Universal
(8/14)
Copyright by media control GfK INTERNATIONAL GmbH, Baden-Baden
⯡
(1)*
Ein Buchstabe kann Leben retten. Spenden Sie für Schulen in Afrika. Helfen Sie, Stück für Stück eine bessere Zukunft durch Bildung zu ermöglichen.
Das ABC der Menschlichkeit.
www.christian-liebig-stiftung.de Christian-Liebig-Stiftung e.V. Kontonr. 700 3 700 • BLZ 700 700 24 • Deutsche Bank München
inspiriert von Marcel Proust, Georg Hensel, Sigmund Freud, Max Frisch
FRAGEBOGEN
Wie können Sie am besten entspannen? Pferdestall ausmisten. Was ist für Sie eine Versuchung? Mich vor dem Ende einer langatmigen Fernsehpreis-Verleihung aus dem Hinterausgang zu schleichen.
Pferdeflüsterin: Schauspielerin Brennicke züchtet im Nebenberuf arabische Vollblüter
Was war Ihr schönster Lustkauf? Ich verspüre bei so manchen Dingen Lust im Leben, aber ganz sicher nicht beim Einkaufen. Welches Lied singen Sie gern? „Beast of Burden“ von den Rolling Stones. Schenken Sie uns eine Lebensweisheit . . . Ich erinnere mich nicht daran, geboren worden zu sein. Das muss während einer meiner Blackouts passiert sein! (Jim Morrison) Für welchen Maler würden Sie viel Geld ausgeben? Gabriel von Max. Wo hätten Sie gern Ihren Zweitwohnsitz? In meinem Vorstellungsvermögen. Was können Sie besonders gut kochen? Bayrischen Schweinebraten! Was wäre Ihre Henkersmahlzeit? Für das einzigartige Gefühl meines allerersten Zungenkusses würde ich auf jede Henkersmahlzeit verzichten.
NADESHDA BRENNICKE
Mit wem würden Sie gern einen Monat lang tauschen? Mit Jim Morrison.
ı Ihre Kinopremiere hatte sie in „Manta – Der Film“. Für ihr Spiel in „Das Phantom“ erhielt Brennicke den Adolf-Grimme-Preis. In dem ZDF-Krimidrama „Liebe ist nur ein Wort“ (kommenden Mittwoch, 20.15 Uhr) ist sie in einer Hauptrolle zu sehen. ı Als Sängerin ist die 36-Jährige im vor Kurzem angelaufenen Hollywood-Thriller „Fall 39“ zu hören, in dem Filmstar Renée Zellweger die Hauptrolle gibt. ı Sie lebt mit ihrem Sohn Nikita auf einem Bauernhof im Oderbruch bei Berlin.
Was gefällt Ihnen an sich besonders? Dass mir das Lachen nicht vergangen ist. Welches politische Projekt würden Sie beschleunigt wissen wollen? Die neue Betrachtung der Risiken bei der unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid. Sie ist – ähnlich wie das Endlagern von Atommüll – unkalkulierbar. Was treibt Sie an? Die Kraft, mir meine Wünsche und Lebensträume selbst zu er füllen, und nicht auf ein Wunder von oben zu warten. Wem würden Sie mit welcher Begründung einen Orden verleihen? Meinem Sohn. Dafür, dass er sich jedem unserer Lebensumstände immer per fekt angepasst hat. Auf welche eigene Leistung sind Sie besonders stolz? Immer noch da zu sein. Als Kind wollten Sie sein wie . . .? . . . E.T.
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Hier können Sie drei Bücher loben ... Alex Garland, „The Tesseract“; Günter Eich, „15 Hörspiele“; Moritz von Uslar, „Deutschboden“ (obwohl ich keine Ahnung habe, was da rauskommen wird). Wo bleiben Sie beim Zappen hängen? Bei Max von Thun. Wo zappen Sie immer weg? Bei ganz, ganz vielem. Ihre Lieblingsschauspielerin? Katharine Hepburn. Ihr Lieblingsschauspieler? Jean-Paul Belmondo. Ihre Lieblingsfigur in der Geschichte? „Banklady“ Gisela Werler, die von 1965 bis 1967 19 Banken ausgeraubt hat. Was sagt man Ihnen nach? Fragen Sie das die Welt da draußen. Was mögen Sie an sich gar nicht? Dass ich einen zunehmenden Isolationsdrang habe. F OCUS 11/2010
Foto: Roba Press
Schauspielerin
1,8 MILLIONEN ANGEBOTE. UND EINES GENAU FÜR SIE.
HIER IST ALLES AUTO. 1,8 Millionen Angebote sind die eine Sache. Was man bei uns alles über diese Autos erfahren kann, die andere. Zum Beispiel was andere Autofahrer in unserem Forum über die Pannenanfälligkeit zu sagen haben. Oder was unsere eigene Redaktion alles an Hintergrundwissen bietet. Oder aber: Erfahren Sie’s doch einfach selbst. www.autoscout24.de
Berger Baader Hermes