Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 219
Die Unterwelt von
Varlakor
Unter Häschern, Händlern und Halsabschneidern - der ...
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Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 219
Die Unterwelt von
Varlakor
Unter Häschern, Händlern und Halsabschneidern - der Kristallprinz sucht ein Raumschiff von Kurt Mahr Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überra schende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge gangen. Auch jetzt, nach seiner abenteuerlichen Rückkehr aus dem Mikrokosmos, ist der Kristallprinz natürlich sofort bereit, den Kampf gegen Orbanaschol, den Usurpator, weiterzuführen. Doch die Möglichkeit dazu ist Atlan und seinen Gefährten gegenwär tig nicht gegeben. Sie, die dem Untergang von Yarden entronnen sind, müssen sich jetzt unter Händ lern, Häschern und Halsabschneidern ihrer Haut wehren und versuchen, ein Wettren nen gegen die Uhr zu gewinnen und ein Raumschiff zu erreichen, das ihnen zur Flucht von Varlakor, dem arkonidischen Flottenstützpunkt, verhelfen soll. Aber Atlan und seine Gefährten sind hoffnungslos im Hintertreffen, denn noch durchstreifen sie DIE UNTERWELT VON VARLAKOR …
Die Unterwelt von Varlakor
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz und seine Gefährten suchen eine Passage.
Fartuloon - Der Bauchaufschneider gibt ein Versprechen.
Yukkar - Ein Informationsräuber.
Kaljorr - Ein todkranker Mann.
Ogloth del Parim und Phogymar - Zwei angebliche Freihändler.
1. Der Angriff erfolgte ohne jede Warnung. Ich hatte die Tür zu einem finsteren Gelaß geöffnet. Aus der Dunkelheit ertönte ein wü tendes Fauchen, und dann flog etwas auf mich zu, ein gedrungener, haariger Körper. Die Wucht des Aufpralls riß mich zu Boden. Benommen hörte ich Fartuloons wütenden Schrei: »So haben wir nicht gewettet …!« Ich hörte einen Blaster fauchen, und gleich darauf blendete mich ein greller Blitz. Fartuloon gab ein ächzendes Geräusch von sich. Danach hörte ich den Fall eines schwe ren Körpers und das Hasten eiliger Schritte, wie von den Tatzen einer Großkatze. Das alles hatte sich in zwei oder drei Au genblicken abgespielt. Ich war nicht verletzt, nur ein wenig durcheinander von dem Sturz. Kopfschüttelnd richtete ich mich auf. Vor mir, auf dem glatten Boden, lag Fartuloon und rührte sich nicht. Den Blaster hielt er noch in der Hand. Er hielt die Augen ge schlossen. Das beruhigte mich; denn es be deutete, daß er nur bewußtlos war. Von dem fremdartigen Geschöpf war kei ne Spur mehr zu sehen. Fartuloon und ich befanden uns in einem dreieckigen Raum. In die Decke waren Leuchtplatten eingelassen, die ein mattes, rötliches Licht verbreiteten. In jeder Dreiecksseite mündete einer der Gänge, die das unterirdische Gelände in die Kreuz und in die Quer durchzogen. Aus ei nem dieser Gänge waren wir gekommen. Außer den drei Mündungen gab es eine Me talltür … nämlich die, die ich unvorsichti gerweise geöffnet hatte. Ich zog den Blaster aus dem Gürtel und nahm ihn in die Rechte. Mit der Linken faß
te ich die Lampe und schaltete sie ein. Eine breite Lichtbahn stach in die Finsternis des geheimnisvollen Gelasses. Es war leer. Auf dem Boden hatte es, wie überall in diesen Gängen, eine dünne Staubschicht gegeben. Jetzt war sie zerrissen von den Spuren des Bestie, die hier auf der Lauer gelegen hatte. Fartuloon kam stöhnend zu sich. Ich half ihm auf. »Was … was war das?« ächzte er und griff sich an den Schädel. »Was es auch immer war … es war viel zu schnell, als daß ich es hätte erkennen können«, antwortete ich. Fartuloon, mein väterlicher Freund, war ein Mann, der selten den Überblick verlor. Nichts haßte er mehr, als sich in einer Lage zu finden, in der er sich nicht auskannte. So etwas machte ihn wütend. So auch jetzt. Er fluchte. »Es hat mindestens sechs Beine!« stieß er hervor. »So groß wie anderthalb Männer! Bunt gefleckt! Ein Vieh, wie ich es niemals zuvor gesehen habe!« »Du schössest«, erinnerte ich ihn. »Was geschah dann?« »Ich hatte nicht viel Zeit zum Zielen«, knurrte der Bauchaufschneider. »Aber ich bin sicher, daß ich getroffen hätte. Das Ding ließ sich jedoch nicht treffen. Es leuchtete plötzlich auf, ich bekam einen fürchterlichen Schlag vor den Schädel, und dann …« Ich konnte nicht anders: ich mußte lachen. Fartuloon in seiner hilflosen Wut bot einen erheiternden Anblick. Er jedoch nahm mir meine Heiterkeit übel. »Dir wird das Lachen noch vergehen, mein Kristallprinz!« sagte er ärgerlich. »Zweitausend Meilen bis nach Elkinth, dazu vier Tage Zeit! Es wird Schwierigkeiten ge nug geben … auch ohne daß wir uns oben
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drein noch mit sechsbeinigen Bestien einlas sen!«
* Wir hatten uns einiges vorgenommen. Nach der Flucht aus dem Gefängnis waren wir im unterirdischen Labyrinth des Stütz punktplaneten »Varlakor« untergetaucht. Die Flucht des Beiboots der ZENTAR RAIN glaubten wir, so bewerkstelligt zu ha ben, daß uns Daftokan Jalvor, der Komman dant des Stützpunkts, für tot hielt. Denn das Beiboot war unmittelbar nach unserer Flucht robotisch gestartet. Jalvor hatte es unter Feu er nehmen und vernichten lassen. Varlakor war eine Welt, die einen grausen machte. Einziger Planet einer düsteren roten Sonne, war sie nichtsdestoweniger einstmals – wie Fartuloon zu berichten wußte – ein kleines Paradies gewesen. Dann hatte die ar konidische Flotte sich ihrer angenommen und sie in einen Stützpunkt verwandelt. Von der Natur war nichts mehr übriggeblieben. Auf der Oberfläche von Varlakor gab es kei ne Überreste des einstigen Paradieses mehr. Lande- und Startflächen reihten sich anein ander. Abwehrforts reckten ihre Kuppeln in den düsteren Himmel, gewaltige Fertigungs anlagen wechselten mit riesigen Docks. Kli ma und Atmosphäre wurden auf künstliche Weise erhalten. Varlakor war in drei Sektionen eingeteilt: Garthak, das Kommando- und Kontrollzen trum, Samorth, die Wohngegend, und El kinth, der Freihafen. Bei einem Vorstoß nach Samorth hatten wir Kontakt mit einem Handelsfahrer namens Basnorek aufgenom men. Basnorek, der auf mich nicht den intel ligentesten Eindruck machte, hatte sich überreden lassen, uns an Bord seines Schif fes zu nehmen. Er war knapp an guten Leu ten, und unsere Bitte schien ihm eher gele gen zu kommen. Die Sache hatte allerdings einen Haken: Von Garthak, wo wir uns da mals befanden, bis nach Elkinth waren es rund zweitausend Meilen. Basnorek aber würde in vier Tagen starten. Wie wir nach
Elkinth kamen, war unsere eigene Sache. Basnorek konnte uns dabei nicht behilflich sein. Uns fiel also die Aufgabe zu, zweitau send Meilen in vier Tagen zurückzulegen. Und davon einen großen Teil zu Fuß! Denn die planetarischen Verkehrsmittel waren uns wegen der scharfen Kontrollen, denen sich jeder Fahrgast unterziehen mußte, versperrt. Varlakor war eine Welt, die aus vielen Etagen bestand. Die Flotte hatte sich nicht darauf beschränkt, die Oberfläche nahtlos mit Beschlag zu belegen, sie hatte sich auch ins Innere des Planeten gegraben. Hier unten gab es weitläufige, menschenleere Anlagen, die zumeist von Robotern gewartet wurden. Durch dieses Labyrinth der Roboter und selbstgesteuerten Maschinen führte unser Weg nach Elkinth. Es war knapp einen Tag her, seitdem wir uns auf den Weg gemacht hatten. Wir waren auf eine Robotbahn gesto ßen, die sich durch Fartuloons sachverstän diges Zureden hatte bewegen lassen, uns knapp einhundert Meilen weit in Richtung Elkinth zu transportieren. Viel mehr als die se einhundert Meilen hatten wir am ersten Tag nicht zurückgelegt, und das war ein ziemlich niederdrückendes Resultat. Zu unserer Gruppe gehörten außer Fartu loon und mir Ischtar mit dem Neugebore nen, die Prinzessin Crysalgira da Quertama gin, der Jäger Corpkor und Eiskralle, der Chretkor. Gewöhnlich arbeiteten wir so, daß Fartuloon und ich vorausgingen und das Ge lände ausspähten, während die übrigen zu rückblieben und auf unsere Nachricht warte ten. Eiskralle war von Natur aus ein friedlie bendes Geschöpf, das seine tödliche Bega bung nur dann einsetzte, wenn es ernsthaft bedroht wurde. Als solches war er zum Be schützer der Frauen wie geschaffen. Corpkor wäre wohl ein besserer Späher gewesen als Fartuloon oder ich, aber die Eisnarben, die er sich bei unserem Ausbruch aus Yarden zugezogen hatte, machten ihm noch zu schaffen. Er mußte sich schonen, auch wenn er das von sich aus nicht einsehen wollte. Immerhin war es uns gelungen, Waffen, Kleidung, Kommunikationsgeräte und eini
Die Unterwelt von Varlakor ge sonstige Dinge zu beschaffen. In den Tie fen von Varlakor gab es Magazine, in denen alle Arten von Ausrüstungsgegenständen la gerten. Technisch waren wir vorzüglich aus gestattet. Wenn ich unseren seelischen Zustand hät te beschreiben wollen, so wäre mir das schwergefallen. Wir waren uns wohl darüber im klaren, daß wir so gut wie keine Aussicht hatten, Elkinth innerhalb von vier Tagen zu erreichen. Trotzdem gab es keine Mutlosig keit, und jeder tat sein Bestes, um unser Vorwärtskommen zu beschleunigen.
* Weder Fartuloon noch ich wußte, wohin das sechsbeinige Ungeheuer sich gewendet hatte. Als wir den dreieckigen Platz verlie ßen; um weiter in Richtung Elkinth vorzu stoßen, waren wir nicht sicher, ob wir nicht gerade den Spuren der Bestie folgten. Um die vereinbarte Zeit setzte ich über das Meldegerät, das ich am linken Handge lenk trug, eine Nachricht an die Zurückge bliebenen ab. Ich sprach mit Corpkor. In ih rem Versteck war alles ruhig. Ich erwähnte nichts von der Begegnung mit dem sechsbei nigen Geschöpf. Der Stollen, durch den wir vordrangen, zog sich schier endlos. Mehr als eine Stunde waren vergangen, da blieb Fartuloon plötz lich stehen. »Es wird kühler«, sagte er. Ich hatte es schon wahrgenommen. Die Temperaturen tief unter der Oberfläche von Varlakor waren alles andere als gemütlich. Mir troff der Schweiß von der Haut, und Eiskralle hatte bereits mehrmals die Be fürchtung geäußert, er werde zerfließen, wenn es nicht bald kühler würde. Gleichzeitig bemerkte ich etwas anderes. Aus den Tiefen des Geländes vor uns drang ein leises, vibrierendes Summen, das sich dem Boden mitteilte und mir durch den Stie fel hindurch an den Sohlen kitzelte. Kein Zweifel: Wir näherten uns dem Bereich akti ver Maschinen. Das Sinken der Temperatur
5 deutete darauf hin, daß sie in klimatisierter Umgebung arbeiteten. Wir waren nicht überrascht, daß der Gang schließlich in eine geräumige Klimaschleuse mündete. Auf der anderen Seite lag eine weite Halle, in der die Temperatur für unse re an übermäßige Wärme gewöhnten Körper fast ungemütlich niedrig war. Hier war die Quelle des unaufhörlichen Summens. Im dü steren Licht der Leuchtplatten erkannten wir lange Reihen quaderförmiger Maschinen klötze, die die Halle durchzogen. »Datenspeicher«, sagte Fartuloon. »Das Rechenzentrum der arkonidischen Flotte.« Es lag eine gewisse Genugtuung in seiner Stimme, und ich glaubte zu wissen warum. Wo immer Maschinen aufgestellt waren, gleich welcher Art sie sein mochten, da hat ten die Architekten des Stützpunkts Zu fahrtsstraßen angelegt, über die Ersatzteile herbeigebracht und schadhaftes Gerät ent fernt werden konnten. Wir brauchten uns nur umzusehen, um eine dieser Straßen zu finden. Wir durchstreiften die Halle. Es gab meh rere Ein- und Ausgänge. Uns interessierten in erster Linie diejenigen, die in Richtung Elkinth lagen. Fartuloon hatte in einem der Magazine ein kleines Orientierungsgerät aufgespürt. Es benützte den Drehimpuls der Negativkorpuskeln in einem tiefgekühlten Eiskristall aus Magneteisen, um Anzeigen zu liefern, die sich veränderten je nach dem, wie man das kleine Gerätekästchen hielt. Die Anzeige bestand aus einer winzigen Leuchte, die in der Helligkeit variierte. Far tuloon hatte das Meßgerät auf die Richtung Elkinth kalibriert. Wenn die Markierung, die sich auf einer der Seitenflächen des Käst chens befand, in Richtung Elkinth zeigte, er losch die Leuchte. Fartuloon nannte das Ge rät einen elektronischen Pfadfinder. Es war nicht unser Fehler, daß wir die falsche Tür probierten. Sie wies genau in die Richtung, die uns am liebsten war. Der Raum, der dahinter lag, war im Vergleich zu der großen Speicherhalle winzig klein. Er enthielt einige Maschinen, die sich von den
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Speichern draußen unterschieden. Das Sum men war hier intensiver. Ich erkannte eine Batterie von Prozessoren. Fartuloon trat durch die Öffnung. Ich folgte ihm. Es war unwahrscheinlich, daß es hier einen weiteren Ausgang gab, aber wir wollten unserer Sache sicher sein. Es wäre besser gewesen, wir hätten uns weniger auf die Systematik des Suchens versteift. Es gab tatsächlich keine zweite Tür. Wir kehrten zum Eingang zurück. Fartuloon schritt noch immer vor mir. Ich sah, wie er plötzlich zu sammenzuckte und stehenblieb. Gleichzeitig hörte ich draußen, aus der Halle, ein klap perndes Geräusch. »Verdammte Feinmeßtechnik …!« hörte ich Fartuloon knurren.
* Es dauerte eine Zeitlang, bis ich begriff, was er meinte. Die Prozessoren waren be sonders kritische Geräte. Ohne sie funktio nierten die Hunderte von Speichern nicht, die draußen in der Halle standen. Die Pro zessoren waren deswegen in einem abseits gelegenen, kleinen Raum untergebracht, da mit das Klima besser kontrolliert werden konnte. Anscheinend hatte unsere Anwesen heit eine geringfügige Erhöhung der Raum temperatur bewirkt. Feinfühlige Meßinstru mente hatten darauf angesprochen und die Roboter alarmiert, die jetzt auf uns zuka men. Es waren keine gefährlichen Roboter, das erkannte ich sofort, als ich einen Blick durch die offene Tür warf. Ich sah drei Räumma schinen, die auf staksigen Metallbeinen den Korridor zwischen zwei Maschinenreihen entlang kamen. Sie hatten jede ein halbes Dutzend gelenkiger Greifarme, mit denen sie Gegenstände packten, die es abzuräumen galt. »Rühr den Blaster nicht an!« zischte Far tuloon mir zu. Das war unser Problem. Wir hätten die drei Räummaschinen einfach abschießen können. Aber die Blaster erzeugten zusätzli-
che Hitze, und dadurch mochte ein Groß alarm ausgelöst werden, der uns vollends den Weg abschnitt. Ich maß den Abstand zu den Robotern. Es blieb uns keine Zeit mehr zu entkommen. Von der Tür fort führte nur der Korridor zwischen den Speicherreihen, durch den die Räummaschinen herankamen. Sie hatten uns erspäht. Ihre baumelnden Greifarme erwach ten zum Leben. »Ich hoffe, du bist beweglich!« sagte Far tuloon. Er trat von der Tür zurück. Hinter den Blöcken der Prozessoren entschwanden wir den Blicken der drei Roboter. Noch wußte ich nicht, was der Bauchaufschneider vor hatte. Ich selbst hatte mir vorgenommen, eher den Blaster zu gebrauchen und den Großalarm zu riskieren, als mich von dem Räummaschinen schnappen zu lassen. Denn was sie einmal in den Klauen hatten, das lie ßen sie erst wieder los, um es in den Füll schacht der Desintegrationsanlage zu wer fen. Mit blechernen Schritten kam einer der Roboter an der Reihe der Prozessoren ent lang. Fartuloon und ich hatten uns gegen die Verkleidung der hintersten Maschine ge preßt. Ich sah einen glitzernden Metallarm über der Prozessorenbatterie auftauchen. Er schwankte unsicher und schien nicht zu wis sen, wo er suchen sollte. Schließlich aber senkte er sich auf uns herab. Da hatte der Bauchaufschneider plötzlich den Blaster in der Hand. Er hielt ihn beim Lauf, und als die stählerne Klaue des Grei farms nahe genug gekommen war, schlug er mit dem Kolben voller Wucht gegen das empfindliche Drehgelenk, in dem die Klaue sich bewegte. Es gab einen scheppernden Knall. Der Arm wurde hastig zurückgezogen. Die Ma schine stieß ein schrilles Pfeifen aus, was bedeutete, daß sie beschädigt war. Der klei ne Prozessorraum war plötzlich voller Ge räusche. Der Räumroboter hatte wohl in be schränktem Maße die Fähigkeit, sich selbst zu reparieren. Indem er das tat, setzte er je
Die Unterwelt von Varlakor doch Aggregate in Tätigkeit, die selbst wie der dazu beitrugen, die Temperatur in die sem Raum zu erhöhen. Die anderen beiden Maschinen eilten herbei, um ihren in Not ge ratenen Genossen vor allen Dingen erst ein mal in die Halle hinauszuzerren. Fartuloon und ich nutzten das Durchein ander, um uns unbemerkt zu entfernen. Manch ein stählerner Greifarm sauste uns unmittelbar über die Köpfe; aber schließlich waren wir draußen in der Halle. Die Roboter folgten uns nicht. Ihre Aufgabe war, die Ur sache der Temperaturerhöhung im Prozes sorraum zu entfernen, und die war im Au genblick eine der drei Räummaschinen selbst. Fartuloon prüfte den elektronischen Pfad finder, um die Richtung von neuem festzule gen. Es gab dort insgesamt vier Ausgänge, von denen einer von besonderer Breite war. Wir gingen darauf zu. Die Metalltür öffnete sich auf dieselbe Weise wie alle anderen Tü ren in diesem Teil des unterirdischen Stütz punkts: Die Sensoren registrierten unsere Annäherung, die Tür teilte sich in zwei Hälf ten, und je eine Hälfte verschwand zur Rechten und zur Linken in die Wand hinein. Der erste Blick durch die weite Öffnung belehrte mich, daß wir gefunden hatten, wo nach wir suchten. Jenseits der Tür lag das weite Rund des Wendepunkts einer Robot bahn. Mehrere Fahrzeuge, mit breiten Lan deplattformen ausgestattet, standen zum Transport bereit. Die Strecke führte nach rechts in einen düster beleuchteten Stollen hinein. Das war zwar nicht ganz die Rich tung, die wir einzuschlagen gedachten, aber immerhin brachte sie uns der Sektion El kinth näher. Über das Meldegerät, das er wie ich am linken Handgelenk trug, gab Fartuloon den Zurückgebliebenen die Nachricht unseres Erfolges. Er forderte sie auf, unserer Spur zu folgen, und teilte ihnen mit, daß ich ihnen auf halbem Wege entgegenkommen würde.
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7 Mir war leichter ums Herz, als ich sie den langen, matterleuchteten Stollen entlang kommen sah, den Fartuloon und ich vor mehr als sechs Stunden durchquert hatten – lange, bevor wir dem sechsbeinigen Mon strum begegneten. Voran schritt Corpkor. Er hatte es sich trotz seiner Verletzungen nicht nehmen lassen, die Gruppe anzuführen. Hin ter ihm kam Ischtar. Für Chapat hatten wir aus der Beute des letzten Magazineinbruchs eine Art Tragschlinge gefertigt. Ischtar trug sie um die Schulter. Der Neugeborene ruhte friedlich an ihrer Seite. Ich wollte ihr die Bürde abnehmen, aber sie winkte ab. Ich wußte nicht, was ich mehr an ihr bewundern sollte: ihre Schönheit oder ihre Gelassenheit. Selbst in der schlechtsitzenden Montur, die wir aus dem Magazin erbeutet hatten, bot sie einen Anblick, der jedes Mannes Herz schneller schlagen lassen mußte. Die matte Beleuchtung brachten den wundervollen Kontrast zwischen der bronzefarbenen Haut und dem Gold des Haares erst richtig zur Geltung. Ich ertappte mich dabei, wie ich sie anstarrte. Sie bemerkte es und reagierte mit einem kleinen Lächeln. Neben ihr stand Crysalgira, die Prinzessin aus der Familie Quertamagin, hochgewach sen, von vollendeter Schönheit und kühl. Die Göttin der Liebe und die Göttin der Jagd, verglich ich die beiden Frauen. Crysal gira war schön, aber Ischtar war hinreißend. »Wir werden heute noch ein ganzes Stück weiterkommen«, verkündete ich. »Das haben wir auch nötig«, brummte Corpkor. Seine Eisnarben waren wieder aufgebro chen. Ich wußte, daß er Schmerzen emp fand. Aber sein Gesicht war nicht verbisse ner als sonst. Er hatte viel Ähnlichkeit mit Fartuloon. Aber wo der Bauchaufschneider manchmal schon behäbig wirkte, da war Corpkor, der Kopfjäger, nur Muskeln und Spannkraft. Eiskralle, zierlich, mit durchsichtigem Körper, als sei er als Lehrstück für eine Schule aus Glas hergestellt worden, bildete den Abschluß des kleinen Trupps.
8 »Weiter vorne wird es kühl, Eiskralle!« sagte ich. Er blickte zu mir auf. Sogleich trat der Ausdruck von Besorgnis in seine Augen. »Wahrscheinlich so kalt, daß ich sofort erfriere, nicht wahr?« fragte er hastig. »Nicht annähernd«, behauptete ich mit Nachdruck. »Nur schön angenehm kühl, so daß man freier atmen kann.« Das beruhigte ihn ein wenig. Unter mei ner Führung setzte sich der Trupp wieder in Bewegung. Ich schritt neben Corpkor und erzählte ihm von dem sechsbeinigen Unge heuer. Er hörte sich die Geschichte an, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Da nach machte er die Geste des Unglaubens. »Das ist entweder ein ganz merkwürdiges Geschöpf, wie ich noch nie eines gesehen habe … oder ihr habt euch getäuscht!« lau tete seine Analyse meiner Darstellung. »Niemand hat sich getäuscht!« »Was sollte ein Tier hier unten anfan gen?« hielt er mir entgegen. »Ein Tier lebt von anderen Tieren … oder Pflanzen. Hier unten gibt es keines von beiden.« »Es gibt steinfressende Tiere, nicht wahr?« erinnerte ich ihn. »Ja, auf Wasserstoffwelten gibt es Wesen, die sich nur von Gestein ernähren. Varlakor ist aber eine Sau erstoffwelt.« Ich wußte leider nichts zu sagen. Corpkor, das erkannte ich, dachte über unser seltsa mes Erlebnis nach. In raschem Tempo pas sierten wir den Dreieckplatz, auf dem die Begegnung mit der Bestie stattgefunden hat te. Ich wies den Kopfjäger auf die Tür hin, hinter der sich das sechsbeinige Ungeheuer verborgen gehalten hatte. Aber er interes sierte sich merkwürdigerweise nicht dafür. Wir durchquerten den Stollen, der zur Spei cherhalle führte, und erreichten schließlich die Halle selbst. Wir betraten die Halle und schickten uns an, sie zügig zu durchqueren. Da summte plötzlich mein Meldegerät. Ich hob den Empfänger in Ohrnähe und hörte Fartuloons Stimme sagen: »Achtung … Roboter!«
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* Wenige Augenblicke später sah ich sie. Sie waren in der Nähe des kleinen Raums beschäftigt, in den Fartuloon und ich aus Versehen eingedrungen waren. Die zentrale Überwachung hatte unseren Trick also nicht geschluckt. Wir hatten ihr weiszumachen versucht, daß die Temperaturerhöhung im Prozessorraum von einem der Räumroboter verursacht worden war, den man ausge schickt hatte, um die Ursache der Tempera turerhöhung zu beseitigen. Es nahm mich nicht ernstlich wunder, daß der Überwa chung die Unlogik aufgefallen war. Um so unangenehmer war mir die Art und Weise, wie sie reagiert hatte. Hier ging es um Augenblicke. »Ischtar, Corpkor, Crysalgira … nach rechts ausweichen!« sagte ich hastig. »Fartuloon wartet im Hintergrund der Halle. Eiskralle und ich lenken die Roboter ab!« Wir waren aufeinander eingespielt. Es gab keine unnützen Fragen. Die Frauen und der Kopfjäger suchten sich den nächsten nach rechts führenden Korridor und verschwanden hinter den Klöt zen der Speichermaschinen. Meine Anwei sung war keinen Atemzug zu früh gekom men. Im nächsten Augenblick nahmen die Roboter uns wahr. Ich versuchte, die Chancen abzuschätzen, die sich uns boten, wenn wir im Gewirr der Speichergeräte zu entkommen versuchten. Ich war noch zu keinem Schluß gekommen, da erkannte ich, daß die Roboter mehr Schlauheit besaßen, als ich ihnen zugestehen wollte. Vielleicht wurden sie auch gesteuert. Auf jeden Fall fächerten sie aus und kamen in breiter Front, deren Flanken leicht nach vorne gebogen waren, auf uns zu. »Eiskralle … Ich hoffe, du weißt, was das heißt!« sagte ich. »Wir werden kämpfen«, antwortete er. Das war seine Art: von Natur aus ein friedlicher Typ. Aber wenn Friedliebe ihm nicht mehr weiterhalf, dann wurde er zum
Die Unterwelt von Varlakor Kämpfer. Ich lockerte den Blaster im Gürtel. Ich nahm an, daß Fartuloon die Fahrzeuge der Robotbahn inzwischen untersucht und einen Weg gefunden hatte, sie in Bewegung zu setzen. Wenn es uns die Bahn ermöglichte, sofort zu fliehen, dann gab es keinen Grund mehr für uns, darauf zu achten, daß die Sal ven unserer Blaster die Temperatur in die sem Raum nicht erhöhten. Ich erhob deswe gen keinen Einwand, als ich sah, wie der Chretkor seinen Blaster zur Hand nahm. Diesmal hatten wir es mit mehreren Ro bottypen zu tun. Es gab darunter Räumma schinen und Meßroboter, die mit sensitiven Spürgeräten ausgestattet waren. Es gab aber auch – und das beunruhigte mich zutiefst – schwerbewaffnete Kampfroboter, die hinter den übrigen Maschinen herschritten und ein zugreifen bereit waren, sobald die Räumer oder Spürer auf aktiven Widerstand stießen. Die Anordnung der Speichermaschinen bot uns einen gewissen Vorteil. Die Roboter waren in ihren Bewegungen behindert. Die Korridore zwischen den Speicherbänken wa ren schmal. Wir würden es niemals mit mehr als vier Robotern zur gleichen Zeit zu tun haben: einem aus jeder Himmelsrichtung. »Wir nehmen die Kampf maschinen zu erst!« raunte ich dem Chretkor zu. Er machte lautlos das Zeichen der Zustim mung. Ich nahm mir eine der Kampfmaschi nen aufs Korn, die hinter einem Räum- und einem Meßrobot durch einen geradeswegs zu unserem Standort führenden Korridor auf uns zukam. Die Salve meines Blasters übertönte mü helos die klappernden Geräusche, die die Roboter bei der Fortbewegung erzeugten. Der Schuß faßte die Kampfmaschine im Mittelteil des metallenen Körpers. Es gab ei ne donnernde Explosion, die zwei Speicher klötze aus ihren Befestigungen hob und zur Seite schleuderte. Schrilles Gepfeife lag plötzlich in der Luft. Das waren akustische Signale, die die Roboter einander gaben. Ich sah, wie die Räum- und Meßmaschinen plötzlich zur Sei
9 te auswichen. Sie wollten nichts mehr mit uns zu tun haben. Von einem Augenblick zum andern sahen wir uns einer halbkreis förmigen Front von Kampfrobotern gegen über, die durch die Korridore zwischen den Speicherblöcken auf uns vorrückte. Wir waren so gut wie eingekeilt. Eiskralle und ich konnten uns nur nach zwei Seiten hin wehren, aber die Roboter griffen aus vier Richtungen an. Es sah nicht so aus, als ob es für uns überhaupt noch eine Überleben schance gäbe. In diesem Augenblick startete der Chret kor zum Gegenangriff.
* Er zwängte sich zwischen zwei Speicher blöcken hindurch und geriet dadurch in einen Korridor, den die Roboter nicht be setzt hatten. Ich verlor ihn ein paar Augen blicke lang aus der Sicht, aber dann sah ich ihn weiter hinten wieder auftauchen, jenseits des Einschließungskreises, den die Kampfroboter um uns geschlossen hatten. Die Aufmerksamkeit der Kampfmaschi nen war ausschließlich nach vorne gerichtet. Eiskralle schaffte es mühelos, sich an einen der Roboter von hinten her anzuschleichen. Trotz der Entfernung sah ich seine Augen glühen. Das bedeutete, daß er zum äußersten entschlossen war. Er sprang den Robot an und landete auf seinem blechernen Rücken. Die Maschine blieb sofort stehen. Sie erschien wie gelähmt und unternahm keinen Versuch, den Angrei fer von sich abzuschütteln. Nach kurzer Zeit sprang Eiskralle wieder ab. Ich glaubte zu verstehen, was er im Sinn hatte. Er besaß die Fähigkeit, durch physische Berührung jedem Gegenstand, ob belebt oder nicht, den ge samten Wärmeinhalt zu entziehen. Das geschah in diesem Augenblick mit dem Kampfroboter. Die Elektronik in sei nem Innern versagte, und die Stromwege wurden für kurze Zeit supraleitend. Die Kampfmaschine drehte durch. Eiskralle hat te kaum Zeit, sich vom Rücken des Maschi
10 nengeschöpfs zu lösen, da begann der Robo ter mit seinem Zerstörungswerk. Seine schweren Waffen begannen zu fauchen. Wahllos trafen die grellen Energiestrahlen die Speicherbänke, andere Roboter, Decke, Boden und Wände des Raums. Die Kampf maschine torkelte unter unkontrollierten Be wegungen einher. Die weite Halle verwan delte sich in eine Szene des Schreckens. Der Chretkor war zu mir zurückgeeilt. Wir wichen zur Seite hin aus, wie es kurz zuvor Corpkor, Ischtar und Chapat getan hatten. Im Schutz der klobigen Speicherge räte waren wir vor dem außer Rand und Band geratenen Kampfroboter einigermaßen sicher. An der Wand der Halle entlang eilten wir bis zum Ende. Von der Ecke aus war der Ausgang, hinter dem der Wendepunkt der Robotbahn lag, etwa zweihundert Schritte entfernt. Ich sah eine winkende Gestalt und erkannte Corpkor. Sie hatten es also ge schafft! Der Lärm war ein wenig hinter uns zu rückgeblieben. Der durchgedrehte Kampfro boter fuhr mit seinem Zerstörungswerk fort, aber wir waren schon ziemlich weit von ihm entfernt. Ohne Mühe erreichten wir den Ausgang. Corpkor hatte auf uns gewartet. Fartuloon hatte sich inzwischen offenbar erfolgreich mit einem der Robotfahrzeuge beschäftigt. Eines der Gefährte stand bereit. Ischtar hatte es sich auf der Plattform bequem gemacht, Chapat ruhte an ihrer Seite. Der Bauchauf schneider hatte die Verkleidung des Kon trollaggregates gelöst und bastelte an den Schaltungen herum. Crysalgira war an seiner Seite. »Du hättest auch etwas früher kommen können«, knurrte er, als er mich sah. »Sind wir fahrbereit?« fragte ich. »Immer …«, brummte der Bauchauf schneider. »Ihr müßt nur zusteigen!« Corpkor, Eiskralle und ich nahmen auf der Plattform Platz. Durch den offenen Ein gang drang gedämpft der Lärm, den der au ßer Kontrolle geratene Kampfroboter drin nen vollführte. Ein paar Sekunden vergin-
Kurt Mahr gen. »Warum fahren wir nicht?« fragte Eis kralle zaghaft. Fartuloon stieß einen erbitterten Fluch aus. »Das verdammte Ding bewegt sich nicht mehr!« grollte er. Wir alle sahen ihn an. Nur Corpkor besaß genug Umsicht, die Umgebung zu beobach ten. Er war es, der plötzlich einen halblauten Warnruf ausstieß. Wir fuhren herum. Mein Blick fiel auf die breite Öffnung, die zur Speicherhalle führte. Unter der Öffnung sah ich die Gestalten dreier Arkoniden. Sie tru gen die schmuck- und farblose Montur der arkonidischen Flotte. Außerdem trugen sie Waffen, und deren Läufe waren auf unser Fahrzeug gerichtet. »Sie bemühen sich umsonst«, sagte einer von ihnen. »Die Fahrzeuge sind vorläufig stillgelegt. Strecken Sie die Arme weit von sich und steigen Sie aus!«
* Aus Mangel an anderen Möglichkeiten hätte ich der Aufforderung wahrscheinlich einfach Folge geleistet. Nicht so aber Fartu loon. Er sah von seiner Arbeit auf – ganz so wie ein Mann, der sich über die Störung är gerte und überzeugt war, daß er sie schnell abwimmeln könne. »Dann setzen Sie eben die Wagen wieder in Betrieb!« fauchte er die drei Arkoniden an. »Sehen Sie nicht, daß wir ein Kind bei uns haben? Wir haben keine Zeit zu verlie ren!« Einer der Arkoniden trat unter der Öff nung hervor und kam ein paar Schritte auf uns zu. Er war ein junger Mann, schlank und hochgewachsen. Die Markierungen auf der Montur wiesen ihn als Offizier aus. Er machte einen entschlossenen Eindruck. »Schau mal an!« meinte er spöttisch: »Der Herr Informationsräuber hat es eilig.« »Was soll ich sein!« fauchte Fartuloon wütend. »Informationsräuber?« Er sprang vom Fahrzeug ab auf die glatte
Die Unterwelt von Varlakor Bodenfläche, die sich bis an den Bahnstollen erstreckte. Er hielt weder die Arme zur Seite gereckt, wie es die Arkoniden verlangt hat ten, noch bewegte er sich sonderlich vor sichtig. »Was bin ich?« fragte er nochmals. »Ein Informationsräuber?« Der Offizier wahrte mit Hilfe seines Bla sters den nötigen Abstand. Fartuloon war nicht so dumm, ihm so nahe auf die Haut zu rücken, daß er von der Waffe Gebrauch ma chen mußte. Der Bauchaufschneider blieb in gebührendem Abstand stehen. »Versuchen Sie nicht, mir Theater vorzu spielen!« sagte der Offizier ernst. »Sie und Ihre Gruppe sind für den Zirkus verantwort lich, der sich in der Speicherhalle abspielt.« »Ich weiß nicht, was ein Informationsräu ber ist«, schrie Fartuloon in höchstem Zorn. »Sie nehmen wahrscheinlich an, daß wir ir gend etwas Geraubtes bei uns führen. Gut! Durchsuchen Sie uns! Und dann, wenn Sie sich vergewissert haben, daß wir nichts Un erlaubtes an uns haben, setzten Sie diese Fahrzeuge wieder in Betrieb und lassen uns dorthin fahren, wo wir Nahrung für das Ba by bekommen!« Der Bauchaufschneider spielte seine Rolle vorzüglich. Aber alle Schauspielkunst reich te nicht aus, um den jungen Offizier irre zu machen. Seine Stimme klang merkwürdig ernster und schärfer, als er zu Fartuloon sag te: »Ich bin nicht hierhergekommen, um mit Ihnen zu diskutieren! Legen Sie Ihre Waffen ab und befehlen Sie Ihren Leuten, das glei che zu tun. Dann kommen Sie mit mir, und der Sicherheitsdienst wird feststellen, ob Sie wirklich so harmlos sind, wie Sie tun.« Fartuloon tat so, als setze er zu einer letz ten Erwiderung an. Dann jedoch gab er auf. Er wandte sich zu uns um. Seine Stimme klang niedergeschlagen, als er sagte: »Ich glaube, wir müssen dem jungen Nar ren zu Willen sein. Vielleicht können wir uns irgendwo über ihn beschweren, aber im Augenblick, fürchte ich …« Was dann kam, war überraschend.
11 Irgendwo hinter uns geriet etwas in Bewe gung. Ich hörte ein dumpfes Rollen, als be wege sich ein schwerer Gegenstand über den Boden. Ich sah den arkonidischen Offizier die Blickrichtung wechseln und erstarren. Aus unnatürlich großen Augen blickte er auf etwas, das sich hinter mir befand. Ich wollte mich umdrehen; aber die Ereignisse began nen, sich zu überstürzen. Ich hörte das charakteristische, helle Sum men eines Schockstrahlers. Fartuloon stieß einen gellenden Schrei aus und vollführte einen Satz, der einem Akrobaten alle Ehre gemacht hätte. Er hatte einen Streifschuß be kommen. Die drei Arkoniden dagegen be fanden sich voll im Wirkungsbereich der Salve. Ich hörte sie halberstickte Schreie ausstoßen, dann gingen sie bewußtlos zu Boden. Schließlich brachte ich es fertig, mich umzuwenden. Auf der anderen Seite des Raumes, am Rande des Stollens, in dem sich die Fahrzeuge bewegten, war in der Wand eine breite Öffnung entstanden. Unter der Öffnung erschien eine Gruppe abenteuerlich gekleideter Gestalten. Sie turnten an den ab gestellten Wagen vorbei und sprangen auf die Plattform unseres Fahrzeugs. Ich griff unwillkürlich nach der Waffe, aber mein Ex trasinn riet mir, die Fremden nicht für Fein de zu halten. Ein kleines, dickes Individuum mit ver wachsenem Rücken baute sich vor mir auf. Der Mann war in ein wallendes Gewand ge kleidet, dessen grellbunte Muster ins Auge stachen. Er hatte einen Kahlkopf, und die Farbe seiner Iris war ein fast stechendes Rot. »Ich bin Yukkar, das Rotauge«, krächzte er mich an, »und, wie es scheint, gerade im letzten Augenblick noch rechtzeitig zur Ret tung Eurer Majestäten erschienen!«
3. Meine erste Reaktion war Schreck. Kann te er mich? Er schien die Sorge in meinem Blick zu lesen und mißdeutete sie. »Keine Angst!« versuchte er, mich zu be
12 ruhigen. »Wir sind gewappnet gegen alle Schnüffler, die womöglich durch jenes Tor kommen können.« Dabei deutete er zum Ausgang der Speicherhalle hinauf. »Sie ha ben die Robotbahn lahmgelegt, als der Auf ruhr begann. Wir bemerkten das und kamen hierher, um nachzusehen. Denn die Bahn ist gewissermaßen unser Lebensnerv, und wir können es nicht dulden, daß die Schnüffler sie abschalten.« Er hatte eine helle, krächzende Stimme, die dem Ohr Schmerz bereitete. Außerdem begleitete er seine Worte mit heftigen Gri massen. Er war ein merkwürdiger Kauz. Sein Arkonidisch hatte einen harten Akzent, was darauf hinwies, daß er von den Außen kolonien kam. »Und was wird jetzt weiter?« fragte ich. Er machte eine ehrerbietige Geste in Richtung der Öffnung, durch die er mit sei nen Genossen gekommen war. »Wenn die Majestäten sich dorthinein be mühen wollen«, krächzte er, »so wollen wir gern darüber beraten, wie wir Ihnen weiter helfen können.« Fartuloon hatte sich inzwischen von dem schmerzlichen Streifschuß erholt und war herbeigetreten. Ich warf ihm einen fragen den Blick zu. Die Geste, mit der er mir ant wortete, besagte, daß er auch nicht geschei ter war als ich. Die beiden Frauen waren bereits von der Plattform gestiegen und schritten zwischen den reglos verharrenden Gestalten der Bunt gekleideten hindurch auf die Öffnung zu. Es blieb uns nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen. Ich warf einen letzten Blick auf die drei bewußtlosen arkonidischen Offiziere. Yukkar und seine Leute kamen hinter uns drein. Es sah nicht so aus, als wollten sie sich an den Arkoniden vergreifen. Jenseits der Öffnung befand sich ein brei ter Gang, dessen unbehauenen Wänden ich ansah, daß er nicht ursprünglich zur Anlage gehört hatte, sondern später entstanden war. Auch die aus einer Felsplatte bestehende Tür, die beim Öffnen und Schließen das rol lende Geräusch verursachte, machte den
Kurt Mahr Eindruck, als sei sie erst vor kurzem und nur unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßig keit der Anlage hinzugefügt worden. Wir blieben ein paar Augenblicke stehen und warteten, bis Yukkar die Öffnung wie der verschlossen hatte. Zu diesem Zweck hantierte er an einer primitiven Schalttafel, die in die Seitenwand des Ganges eingelas sen war. Als er fertig war, kam er auf mich zu und erklärte: »Wenn die Schnüffler wieder zu sich kommen, werden sie ein paar hundert andere Schnüffler herbeirufen und diesen Gang zu stürmen versuchen. Aber sobald sie durch die Tür brechen, gehen hier ein paar Minen los, die erstens den Gang zum Einsturz brin gen und zweitens soviel betäubendes Gas verbreiten, daß die Schnüffler zwei oder drei Tage lang nicht wieder zu sich kommen.« Deswegen also hatte er so umständlich geschaltet. »Bedeutet Ihnen dieser Gang nichts?« fragte ich. »Wie kommen Sie zur Robot bahn, wenn die Öffnung nicht mehr exi stiert?« Er feixte, wobei sein Gesicht mehrere Au genblicke lang in wilder Bewegung war. »Es gibt viele solcher Gänge, und jeder hat eine verschließbare Öffnung an seinem Ende.« Es klang ausgesprochen fröhlich. »Unsere Organisation ist vorzüglich ausge stattet … mit allem. Wenn wir zu einer Eini gung kommen, Euer Majestät, will ich Ihnen darüber gerne mehr berichten.« Meine Sorge, daß er mich vielleicht er kannt haben mochte, wurde bald darauf zer streut. Ich hörte ihn mit Crysalgira sprechen, auf die er ein Auge geworfen zu haben schi en. Die Prinzessin behandelte ihn mit Zu rückhaltung und ein wenig von oben herab. Ich hörte, wie Yukkar sagte: »O doch … wir sind eine mächtige Orga nisation, Euer Majestät, und die Schnüffler wissen das. Sie haben Angst vor uns.« Es war also seine Eigenart, jedermann mit »Euer Majestät« anzusprechen. Ich brauchte mir deswegen keine weiteren Sorgen zu ma chen. Statt dessen begann ich mich zu fra
Die Unterwelt von Varlakor gen, wohin unser Weg führte. Der breite Gang schien unendlich, und die Beleuchtung war hier wesentlich besser als draußen in den eigentlichen Räumen des Stützpunkts. Hier waren die Leuchtkörper auf das Seh vermögen von Menschen abgestimmt, wäh rend sie draußen in erster Linie den opti schen Organen der Roboter zu dienen hat ten. Ich fragte Yukkar, wohin er uns führe. Er aber antwortete ausweichend. Auch als Far tuloon ihn ziemlich grob anfuhr, daß er kei nen Schritt weitergehen werde, wenn ihm nicht sofort das Ziel unseres Marsches ge nannt würde, gab Rotauge keine Auskunft. Statt dessen redete Yukkar freundlich auf den Bauchaufschneider ein. Bis dieser er kannte, daß es ihm nichts einbringen werde, seine Drohung wahrzumachen. Nach langer Zeit endete der breite Stollen schließlich in einem quadratischen, kahlen Raum, der keinem anderen Zweck als dem zu dienen schien, den Abschluß des Stollens zu bilden. Wir blieben stehen und sahen uns ratlos um. Mehr am Rande fiel mir auf, daß Yukkar und seine Leute sich plötzlich alle samt hinter uns befanden. Auch Fartuloon schien die Umgruppierung bemerkt zu ha ben. Wenigstens hörte ich den leicht besorg ten Unterton in seiner Stimme, als er Rotau ge fragte: »Und wie geht es jetzt weiter?« Yukkar hatte nichts von seiner unterwür figen Freundlichkeit verloren. »Es stehen uns einige schwierige Ver handlungen bevor«, antwortete er, ohne zu erklären, wen er mit »uns« meinte. »Wir sind der Ansicht, daß man dafür erst das richtige Klima schaffen muß. Dieses sind wir bereit zu tun.« Ich versuchte noch, in seinen Worten einen Sinn zu erkennen, als mein Extrasinn signalisierte: Gefahr! Aber da war es schon zu spät. Yukkars Leute hatten auf einmal ihre Lähmstrahler in der Hand. Ich hörte ein helles Summen, dann traf mich etwas mit der Wucht einer
13 einstürzenden Mauer, und danach war vor läufig nichts mehr … Nur zögernd kehrte das Bewußtsein zu rück. Die Nachwirkungen des Treffers aus dem Lähmstrahler waren unverkennbar: po chender Kopfschmerz und würgende Übel keit. Ich spürte, daß ich mich einigermaßen frei bewegen konnte, und richtete mich auf. Ich befand mich in einem engen Raum. Vor mir saß eine der buntgekleideten Gestalten aus Yukkars Gefolge. Der Mann grinste mich an und stand auf. Mit leicht verschwommenem Blick erkannte ich, daß sich in einer der Wände meines Gelasses, das im übrigen völ lig kahl war, eine Öffnung auftat, durch die der Buntgekleidete verschwand. Ich war, bis auf die Nachwirkungen der Lähmsalve, unbeschädigt, wie ich mich rasch überzeugte. Und die Lähmung hatte ich bald von mir abgeschüttelt. Inhaber des dritten Grades der ARK SUMMIA wußten, wie man mit so etwas fertig wurde. Mein Gelaß maß rund fünf Schritte im Quadrat und bestand ringsum aus kahlem Felsge stein. Die Leuchtplatte in der Decke war äl teren Kalibers und verbreitete eine weniger als zureichende Helligkeit. Was war aus den anderen geworden? Ischtar … Chapat … Mein Zorn auf Yukkar war ohne Grenzen und um so schlimmer er tragbar, als ich keine Möglichkeit hatte, ihm Luft zu verschaffen. Sie hatten mir selbst verständlich alles abgenommen, was ich zu meiner Verteidigung hätte benützen können: die Waffen, sämtliches Kleingerät und selbst den Kommunikator, den ich ums linke Handgelenk getragen hatte. Die Öffnung tat sich von neuem auf. Mein Wächter kehrte zurück, begleitet von Rotau ge selbst. Yukkars Gesicht befand sich in wilder Bewegung, und seine Grimassen machten meinen Zorn noch größer. Es juck te mich in den Fingern, mich auf ihn zu stür zen und ihm mit den Fäusten eine derbe Lektion zu erteilen. Yukkar aber war kein Dummkopf. Sein Begleiter mußte sich mit schußbereiter Waffe so postieren, daß er
14 mich ständig im Auge hatte. Yukkar selbst hielt gebührenden Abstand. »Diese Entwicklung muß Eurer Majestät ein wenig überraschend gekommen sein«, eröffnete er die Unterhaltung. Ich antwortete nicht. Die Feststellung war zu trivial, als daß ich darauf etwas hätte sa gen wollen. »Aber es gibt eine Erklärung«, fuhr er fort. »Eine höchst plausible Erklärung, von der ich annehme, daß Sie Ihnen einleuchten wird.« Noch immer kein Grund zum Antworten, obwohl Yukkar mich auffordernd ansah. Als von meiner Seite nichts kam, nahm er einen dritten Anlauf: »Sie werden sich denken können, um wen es sich bei mir und meinen Leuten handelt, nicht wahr?« Da hatte er recht. Ich erinnerte mich an die Beschuldigungen, die der arkonidische Offizier Fartuloon entgegengeschleudert hatte. »Ihr seid Informationsräuber!« erklärte ich. Yukkar verzog schmerzlich das Gesicht. »Die Schnüffler nennen uns so«, verbes serte er mich. »Wir selbst nennen uns Infor mationshändler. Sie glauben nicht, welchen Wert …« »Ihr könnt euch nennen, wie ihr wollt!« fiel ich ihm wütend ins Wort. »Lumpengesindel seid ihr allemal! Wo sind meine Begleiter? Welch hirnverbrannter Plan hat dich bewogen, uns in einen Hinter halt zu locken?« Da schien er auf einmal um eine Hand breit zu wachsen, das unruhige Zucken in seinem Gesicht verlor sich, und seine tief ro ten Augen leuchteten zornig auf. In diesem Augenblick erkannte ich, welch gefährlicher Mann Yukkar in Wirklichkeit war. »Sie sprechen eine harte, ungerechtfertig te Sprache!« schleuderte er mir entgegen. »Wenn die Gesetze in diesem Reich so wä ren, wie sie sein sollten, gäbe es keinen In formationshandel! Mein Plan, den Sie hirn verbrannt nennen, hängt unmittelbar mit
Kurt Mahr dem Handel an Informationen zusammen. Und Ihre Begleiter werden Sie erst zu sehen bekommen, wenn Sie auf meine Bedingung eingegangen sind.« Durch seine unerwartete Heftigkeit ver blüfft, fragte ich: »Und welche Bedingung ist das?« »Sie bringen eine Ladung Information zu unserem Kontaktmann in Elkinth!«
* Ich hatte Zeit genug, darüber nachzuden ken. Der Wächter hatte anscheinend nur die Aufgabe gehabt, Yukkar mein Erwachen zu melden. Jetzt war er nicht mehr da. Die trü be Platte blakte vor sich hin. Ich hatte die Wände in der Nähe des Ausgangs unter sucht, aber den Mechanismus nicht gefun den, mit dem sich die Geheimtür öffnen ließ. Ich hatte mit den Fäusten gegen den Fels ge trommelt, um zu erfahren, ob irgend jemand den Lärm, den ich dabei vollführte, hören konnte. Vielleicht gelang es mir auf diese Weise, mit Fartuloon oder Corpkor in Ver bindung zu treten. Aber auch hier war mir kein Erfolg be schieden. Ich hockte mich in eine Ecke, lehnte mich gegen das kühle Gestein und dachte nach. Varlakor war ein Flottenstützpunkt. Die Daten, die in den unterirdischen Speicher hallen aufbewahrt wurden, befaßten sich mit militärischen Dingen. Yukkars Kunde konn te niemand anders sein als die maahksche Kriegsleitung. Yukkar, der Arkonide, ver diente sein Geld damit, daß er sein Volk an den Feind verriet! Es gab keinen Zweifel für mich, daß ich mich für den Transport von Yukkars Infor mationen nicht hergeben konnte. Ich stand mit dem Regime des arkonidischen Reiches auf Kriegsfuß. Aber Arkon war nicht iden tisch mit Orbanaschol III. und Arkon gehör te alles, was ich besaß: Leben, Ehre, Ge sundheit. Was also blieb für mich? Ich würde Yuk kars Bedingung ablehnen. Und dann? Einer,
Die Unterwelt von Varlakor der sein Volk verriet, kannte vermutlich auch keine Skrupel gegenüber denen, die sich weigerten, ihm zu Diensten zu sein. War es wirklich unvermeidlich, daß ich mei ne Laufbahn in der Unterwelt von Varlakor beschloß? Würde Orbanaschol, der macht gierige Bruder meines Vaters, auf so lächer lich einfache Weise zu dem Ziel gelangen, den letzten Gonozal-Sproß zu liquidieren? Auf keinen Fall wollte ich meine Ent scheidung kundtun, bevor ich mich mit Far tuloon und den anderen besprochen hatte. Als Yukkar schließlich zurückkehrte, um meine Antwort zu hören, tat ich ihm meinen Entschluß kund. Er verzog das Gesicht zu einer bösartigen Grimasse und erklärte: »Hier unten ist Yukkar, das Rotauge, der einzige, der Bedingungen stellt! Sie bleiben hier, und wenn Sie ein paar Tage ohne Nah rung und Trunk verbracht haben, werden Sie wohl geneigt sein, die Lage nach meinen Vorstellungen zu interpretieren.« Er machte seine Drohung wahr. Ich ver brachte die Zeit in bissigem Grübeln und un ruhigem Schlummer. Von Stunde zu Stunde wuchs meine Sorge um die anderen, beson ders um Ischtar und Chapat, aber auch um Crysalgira und den Chretkor. Der Mangel an Nahrung machte mir vor läufig nicht sonderlich zu schaffen. Auf Lar gamenia hatte ich Schlimmeres erduldet. Ich fing an, Übungen zu treiben, die das Be wußtsein in Bewegung hielten und es daran hinderten, sich auf die Hoffnungslosigkeit der gegenwärtigen Lage zu konzentrieren. Yukkar kam zweimal, um sich zu erkundi gen, ob sich meine Ansicht geändert habe. Er ließ nicht erkennen, ob ihn meine Stand haf tigkeit beeindruckte. Ich rechnete damit, daß er uns brauchte. Womöglich hatte er nicht Leute genug, um die geraubte Information selbst nach Elkinth zu bringen. Wenn er aber auf uns angewie sen war, dann würde er einlenken und mich nicht verhungern lassen, nur weil ich mich weigerte, meine Entscheidung ohne die Freunde zu treffen. Und dann erlebte ich den Augenblick des
15 Erfolges! Yukkar trat in meine Kammer. »Ihre Genossen warten auf Sie!« verkün dete er und trat zur Seite, so daß ich die Öff nung passieren konnte.
* Die Beratung fand in einem Raum statt, dessen Behaglichkeit mich überraschte. Es gab Mobilar hier, das ich in den Tiefen von Varlakor nicht zu finden erwartet hätte. Far tuloon, Crysalgira, Ischtar, der Neugebore ne, Corpkor und Eiskralle waren anwesend. Sie starrten mir wortlos entgegen. Sie hatten gelitten, das sah ich ihnen an. Mein Zorn wuchs. Ich wandte mich um. Yukkar stand fünf Schritte hinter mir, aber jetzt hatte er einen Wächter an seiner Seite, der die Mün dung der Waffe auf mich gerichtet hielt. »Es hat keinen Sinn, sich zu erregen!« sagte er mit schneidender Schärfe. »Uns al len ist eher damit gedient, wenn wir nüch tern und sachlich über die Dinge sprechen.« Nur eines milderte meine Wut: Chapat sah nicht so aus, als habe man auch ihn Not leiden lassen. »Ich kann nicht sprechen!« röhrte Fartu loon plötzlich. »Mir ist der Mund zu trocken!« »Sie erhalten zu trinken und zu essen!« erklärte Yukkar. Er hielt sein Versprechen. Seine Leute brachten Proviant und Getränke. Wir achte ten nicht der Männer, die ihre Waffen auf uns gerichtet hielten, sondern veranstalteten ein Festmahl, obwohl die Nahrung, die Yuk kar uns vorsetzen ließ, alles andere als deli kat war. Danach begann die Verhandlung. Yuk kars Leute hatten die Eß- und Trinkgefäße abgeräumt. Außer uns und Rotauge befand sich nur noch ein Wächter hier, der darauf achtete, daß wir uns nicht an seinem Herrn vergriffen. »Sie kennen meine Bedingung!« begann Yukkar. »Äußern Sie sich dazu!« Mein Blick war auf Fartuloon gerichtet.
16 Ich sah ihn mir auffordernd zunicken. »Wir sind Arkoniden!« beantwortete ich Yukkars Aufforderung. »Wir haben nicht die Absicht, durch den Transport deiner In formationen zum Untergang des Reiches beizutragen.« Er bedachte mich mit einem langen, ern sten Blick. »Sind die übrigen Mitglieder Ihrer Grup pe derselben Meinung?« fragte er schließ lich. Ich blickte in die Runde. Ischtar und Eis kralle hatten mit Arkon wenig, wenn über haupt etwas gemeinsam. Konnte ich wirk lich für sie sprechen? Aber ich begegnete nur zustimmenden Blicken. »Sie sind!« antwortete ich dem Informati onshändler. »Ungeachtet der Folgen, die sich aus die ser Weigerung für Sie ergeben?« Diesmal brauchte ich mich nicht mehr umzusehen. »Ungeachtet der Folgen!« Da geschah etwas Seltsames. Yukkar, das Rotauge, begann zu lächeln. Der bittere Ernst war von seinem Gesicht gewichen. Er winkte dem Wächter zu, die Waffe zu sen ken. Dann sagte er: »Sie sind eine tapfere Gruppe. Ich glaube, wir werden doch noch zu einer Einigung kommen. Sie gehen von falschen Vorausset zungen aus. Sie glauben, daß ich hier gehei me Informationen raube, die ich an die Kriegsleitung der Methans vermittle. So sehr mich dieser Verdacht schmerzt, so bin ich doch gezwungen, anzuerkennen, daß Sie zu keinem anderen Schluß kommen konnten. Die Wahrheit aber sieht ganz anders aus. Der Imperator hat die Freizügigkeit des Informationsaustauschs unter Berufung auf das Kriegsrecht drastisch eingeschränkt. Zum Teil dient diese Einschränkung seinen privaten wirtschaftlichen Interessen. Denn er arbeitet mit gewissen Industrieunternehmen zusammen, die für die Flotte fertigen. Die sen Unternehmen kommen alle Informatio nen zu, die sie brauchen, um ihre Fertigung
Kurt Mahr noch weiter nach dem Bedarf der Flotte aus zurichten und mit der Flotte gute Geschäfte zu machen. Konkurrierende Industrieunter nehmen haben dagegen keine Aussicht mehr, mit der Flotte jemals ins Geschäft zu kommen, weil sie keine Informationen über den Bedarf der Flotte besitzen und daher nicht wissen, auf welchen Zweig der Ferti gung, auf welche Sparte der Forschung und Entwicklung sie die Schwerpunkte legen sollen.« Er schwieg, um uns Zeit zum Verstehen zu geben. Er behauptete nicht mehr und nicht weniger, als daß er und seine Leute nicht wirklich Verräter, sondern vielmehr Informanten seien, die weiter nichts taten, als einem von der Regierung benachteiligten Zweig der Industrie zu ihrem Recht zu ver helfen. »Ich bin bereit, den Beweis für meine Be hauptung anzutreten«, erklärte Yukkar, als er sah, daß seine Worte auf einigermaßen fruchtbaren Boden gefallen waren. »Die In formation, die wir den Speichern entneh men, wird auf kleine Spulen überspielt. Die Sendung, die ich Sie mitzunehmen bitte, be steht aus ingesamt vierzig solcher Spulen. Sehen Sie sich alle an, oder wählen Sie aufs Geratewohl einige davon zum Betrachten aus … Mir ist es gleichgültig. Sie mögen das, was ich tue, industrielle Spionage oder sonst irgendwie nennen. Auf keinen Fall ist es Spionage zugunsten des Feindes.« Er schwieg. Man sah ihm an, daß er alles gesagt hatte, was er sagen wollte. Er wartete auf unsere Entscheidung. Ich war bereit, auf seine Bedingung einzugehen … vorausge setzt, wir konnten uns durch Rückspielen der Spulen von seiner Aufrichtigkeit über zeugen. Bevor ich aber meine Antwort noch for mulieren konnte, meldete sich Fartuloon. »Sag uns, Rotauge!« rief er: »Wer ist der Kontaktmann, an den wir die Ladung abzu liefern haben?« Ein müdes Lächeln huschte über Yukkars Gesicht. »Er heißt Basnorek und ist der Kapitän ei
Die Unterwelt von Varlakor nes alten Handelsschiffs.« Und dann fügte er mit halblauter Stimme hinzu: »Aber ich glaube, das wußtest du schon vorher, du schlauer, alter Mann!«
4. Wir hatten uns überzeugt: Yukkars Infor mation würde dem Feind, selbst wenn sie ihm in die Hände fiel, nichts nützen. Ich will nicht sagen, daß ich inzwischen Rotauge, den Informationsräuber, zu achten begonnen hatte. Aber auf jeden Fall war meine Einstellung zu ihm eine andere ge worden. War er schließlich nicht, wie ich, einer, der gegen die Ungerechtigkeit Orba naschols kämpfte? Wir hatten uns geeinigt. Fartuloon, Corp kor, Crysalgira und ich nahmen je zehn der insgesamt vierzig Mikrospulen an uns. Da nach eröffnete uns Yukkar, der inzwischen veranlaßt hatte, daß uns all unser Besitztum zurückgegeben wurde, daß es in der Unter welt von Varlakor einen geheimen Schmugglerpfad gab, der gefährliche Stellen umging und dennoch auf ziemlich geradem Wege nach Elkinth führte. Zum Teil benutz te dieser Pfad Robotbahnen und Antigrav stollen, die von der Flotte als stillgelegt be trachtet, von den Informationsräubern je doch wieder aktiviert worden waren. Der Pfad war markiert. An gewissen Orten wa ren kleine Impulsstrahler installiert, deren Sendungen man empfangen und zum Festle gen der Marschrichtung verwenden konnte, wenn man geeignete Geräte besaß, die nur auf die Strahlung dieser Sender ansprachen. Yukkar händigte uns drei dieser Geräte aus. Mit fünf seiner Getreuen brachte er uns durch einen langen, breiten Korridor bis zu einem Ausgang, der unmittelbar auf den Stollen einer Robotbahn mündete. Es war, wie er uns erklärte, dieselbe Bahn, an deren Wendepunkt uns die Informationsräuber ge gen die arkonidischen Soldaten beigestanden hatten, nur eben zweitausend Schritte bahn abwärts. Ich hatte von Yukkar eine Karte er halten, die die unterirdischen Anlagen und
17 den Verlauf des Schmugglerpfads in eini gem Detail beschrieb. Der Verlauf der Bahn betrug rund dreihundert Meilen. Mit ihrer Hilfe würden wir unserem Ziel in kurzer Zeit um ein beträchtliches Stück näher kom men. Auf dem Weg durch den langen Korridor hörte ich, wie Corpkor den Informationsräu ber ins Gespräch nahm. »Gibt es hier unten Tiere?« hörte ich ihn fragen. Yukkar wußte zunächst nicht, was er mit der Frage anfangen sollte. »Große Tiere, meine ich«, erläuterte Cor pkor. »Sechsbeinige, bunte Bestien!« Yukkar sah ihn an, als zweifle er an der Gesundheit seines Verstandes. »Nein, solche Tiere gibt es hier nicht«, antwortete er. »Ich habe überhaupt noch kei ne größeren Tiere gesehen. Es gibt Insekten, auch ein paar Würmer …« Mehr hörte ich nicht. Aber ich wußte, daß Corpkor sich noch immer um das sechsbei nige Ungeheuer sorgte, das Fartuloon und mir begegnet war. Im Stollen der Robotbahn stand ein Platt formwagen für uns bereit. Die Informations räuber beherrschtten die Bahn mittels klei ner Fernsteuermechanismen, die sie selbst entwickelt hatten. Die beiden Frauen nah men zuerst Platz. Dann kam der Chretkor. Nach ihm suchte sich Corpkor, der ehemali ge Kopfjäger, einen Sitzplatz. Fartuloon und ich blieben am Rand des Stollens zurück. Yukkars Begleiter waren nicht bis an den Stollen herangekommen. Sie warteten in et wa zwanzig Schritten Entfernung. Ich machte die Geste des Abschieds. »Unser Zusammentreffen war getrübt, und unser Abschied leidet noch unter dieser Trübung«, sagte ich. »Aber ich bin sicher, daß wir in Zukunft einander begegnen könn ten, ohne uns an das Unangenehme unserer ersten Begegnung zu erinnern.« Sein faltiges Gesicht hellte sich auf. »Ich bin glücklich, daß Sie so denken«, sagte er, und man merkte, daß ihm die Freu de aus dem Herzen kam. »Ich werde die Eh
18
Kurt Mahr
re in meinem Innern bewahren, die mir zu teil wurde, als ich mit dem Kristallprinzen von Arkon zusammentraf!« Ich hatte Mühe, meine Haltung zu wah ren. Er kannte mich also doch? Welche Druckmittel hätte er anwenden können, um mich zum Eingehen auf seine Forderungen zu zwingen! Wie leicht wäre es für ihn ge wesen zu sagen: Wenn du meinen Wunsch nicht erfüllst, liefere ich dich den Häschern des Imperators aus! Mein Abschied gestaltete sich daraufhin ein wenig verwirrt. Ich erinnere mich, daß ich auf der Plattform des rasch an Ge schwindigkeit gewinnenden Fahrzeugs stand und noch lange Zeit dorthin zurückblickte, wo ich Yukkar, das Rotauge, infolge der un zureichenden Beleuchtung schon längst nicht mehr sehen konnte.
* Die Fahrt war nicht eben bequem. Der Wagen bewegte sich mit bedeutender Ge schwindigkeit. Den Gütern, die er üblicher weise beförderte, mochte der Fahrtwind we nig ausmachen. Wir aber empfanden ihn als unangenehm. Die dreihundert Meilen lagen binnen we niger als zwei Stunden hinter uns. Fartuloon bildete die Vorhut unserer Gruppe. Ich hielt mich in Ischtars Nähe. Gesprochen wurde wenig. Es ging jetzt in erster Linie darum, herauszufinden, ob wir uns auf das verlassen konnten, was Yukkar, das Rotauge, uns mit auf den Weg gegeben hatte. Die kleinen Pulsempfänger taten ihre Schuldigkeit, darüber waren wir uns binnen kurzem im klaren. Sie gaben halblaute, quä kende Geräusche von sich, deren Lautstärke sich veränderte, wenn man sie hin- und her drehte. Sie verhielten sich, auch wenn sie nach einem anderen Prinzip funktionierten, wie unsere elektronischen Pfadfinder. Von der Wendestelle der Robotbahn aus führten mehrere Stollen in die Tiefen des unterirdischen Stützpunkts. Mit Hilfe der »Quäker«, wie Fartuloon sie nannte, fanden
wir ohne Mühe den Schmugglerpfad, und die Pfadfinder bestätigten uns, daß er annä hernd in Richtung Elkinth führte. Nach Yuk kars Beschreibung würden wir wenige Mei len später abermals auf eine stillgelegte Ro botbahn treffen. Es konnte uns keine Schwierigkeiten bereiten, eines der Fahrzeu ge in Bewegung zu setzen. Wenn Basnorek wirklich der Mann war, an den wir die ge schmuggelten Informationen abzuliefern hatten, dann erschien es glaubhaft, daß Yuk kar uns den Weg gewiesen hatte, der uns in nerhalb der gebotenen Frist zur Freihafen-Sek tion bringen würde. Wir alle beschäftigten uns mit diesem Ge danken. Und als wir sahen, daß die Quäker wirklich funktionierten und sich unserem Marsch kein Hindernis in den Weg legte, da begann unsere Zuversicht zu wachsen. Wir würden es trotz allem noch schaffen, redeten wir uns ein. Wir wußten inzwischen, daß nur unsere gereizte Phantasie uns vorgegaukelt hatte, wir seien in Yukkars Sträflingsgelas sen mehrere Tage lang gefangen gewesen. In Wirklichkeit handelte es sich kaum um einen Tag, den wir durch die Begegnung mit den Informationsräubern verloren hatten. Und diesen Tag, dessen waren wir sicher, würden wir mit Hilfe der Weisungen, die wir von Yukkar erhalten hatten, mühelos wieder einholen. Wir bewegten uns munter und vergnügt dahin. Es war ziemlich warm, aber außer Eiskralle, der ständig vor dem Zerfließen Angst hatte, merkte niemand etwas davon. Nur noch anderthalb Meilen, und wir waren an einem Ort, von dem uns die nächste Bahn weitere Hunderte von Meilen in Richtung Elkinth transportieren würde. Es war, wenn man unsere Lage betrachte te, eine gefährliche Stimmung, in der wir uns befanden. Nur ein einziger von uns nahm nicht daran teil: Corpkor. Er schritt vor uns her, seitdem Fartuloon die Führung der Gruppe abgegeben hatte. In jeden Sei tengang spähte er mißtrauisch hinein. Seine Vorsicht war mir übertrieben. Ich wußte nicht, wonach er Ausschau hielt.
Die Unterwelt von Varlakor Bis mir auf brutale Weise klargemacht wurde, daß wir uns noch längst nicht in Si cherheit befanden. Wir kamen auf einen unterirdischen Platz, auf dem sich insgesamt acht Gänge kreuz ten. Der Platz war auf der Karte, die Yukkar uns gegeben hatte, verzeichnet. Wir wußten genau, in welcher Richtung wir ihn zu über queren hatten. Da gab Corpkor plötzlich einen warnenden Laut von sich. Wir wandten uns nach ihm um. Corpkor stand an der Mündung eines der acht Gänge. Ich sah ihn mit einem gewaltigen Satz bei seite springen. Und dann kam es aus dem Stollen hervor gerast: ein langgestreckter, bunter Körper, sechs Tatzen, die den felsigen Boden in trommelndem Rhythmus schlugen. Jemand stieß einen schrillen Schrei aus. Ich hörte Fartuloon schreien: »Nicht darauf schießen!« Die Bestie stürzte sich auf Crysalgira. Sie mußte sich dazu aufrichten, und ich sah, daß sie sich auf dem hinteren Beinpaar allein recht flink bewegen konnte. Die vier dicht behaarten Pranken faßten die Prinzessin und rissen sie von den Beinen. Das Untier wandte sich um und schoß da von. Blitzschnell, fast lautlos, verschwand es in der Tiefe des Stollens, aus dem es gekom men war.
* Ich muß gestehen: Ich verlor nicht weni ger die Fassung als meine Gefährten. Ein paar hastige Atemzüge lang stand ich starr vor Schreck, die Hand am Kolben der Waf fe, und starrte in den finsteren Stollen hin ein, in den die Bestie mit Crysalgira ver schwunden war. Ich glaubte, noch das schleifende Schlagen der Tatzen zu hören; aber das war nur mehr eine Reaktion des überreizten Gehörs. Das Ungeheuer war längst verschwunden. Nur einen gab es, der an der allgemeinen Fassungslosigkeit nicht teilnahm: Corpkor, der Kopfjäger. Wie einen Blitz hatte ich ihn
19 in den Stollen hinein verschwinden sehen. Jetzt, da meine Überraschung wich, wollte ich ihm folgen. Aber Fartuloon hielt mich zurück. »Du bringst ihm keinen Nutzen!« sagte er. »Laß ihn gewähren!« Ich gehorchte. Chapat hatte zu weinen be gonnen. Der Chretkor stand mitten auf der Gangkreuzung und starrte aus großen Augen vor sich hin. Der Schreck war ihm in die Glieder gefahren. Corpkor kündete seine Rückkunft durch keinerlei Geräusch an. Plötzlich glitt er aus der Mündung des Stollens, und sein vernarb tes Gesicht zeigte ein grimmiges Lächeln. »Kommt mit, wenn ihr etwas sehen wollt!« forderte er uns auf. Ohne zu beachten, ob jemand der Auffor derung folgte, wandte er sich um und war einen Augenblick später wieder im Stollen verschwunden. Ich war der erste, der sich ihm auf die Fersen heftete. Er bewegte sich so gut wie geräuschlos, und ich versuchte, es ihm nachzutun. Nach einiger Zeit tauchte in der Ferne vor uns ein winziger Lichtfleck auf. Er wurde heller, und schließlich sah ich, daß der Stollen in einen kleinen, kreisrunden Raum mündete, der durch eine matte Lampe erleuchtet wurde. Corpkor bewegte sich jetzt noch vorsichtiger als zuvor, und durch einen Wink gab er mir und denen, die hinter mir kamen, zu verstehen, daß wir dem Ziel nahe seien. Er trat schließlich zur Seite und ließ mich durch die Mündung des Stollens in den run den Raum blicken. Da hatte ich zum ersten Mal Gelegenheit, die Bestie in aller Ruhe zu betrachten. Sie kauerte auf dem Boden, den schlanken Körper lang ausgestreckt, und ne ben ihr lag Crysalgira, immer noch bewußt los. Das Tier war gut fünf Schritte lang. Dort, wo die Beinpaare aus dem Körper rag ten, war dieser leicht eingeschnürt. Die Ex tremitäten waren kurz, aber kräftig, und en deten in krallenbewehrten Tatzen. Das Fell war kurzhaarig und vielfarbig. Ein tiefes Grau herrschte vor, aber dazwischen gab es gelbe, rote, grüne und blaue Flecken. Der
20 Schädel der Bestie war im Vergleich zu der Schlankheit des Körpers fast unförmig, ein grob geformter Klotz, aus dem die großen, facettenartig gemusterten Augen hervor quollen. Ein weißer Strich, der sich quer durch das bunte Fell zog, deutete vermutlich das Maul an. Riech- und Hörorgane waren nicht zu erkennen. Das Tier hatte uns ausgemacht. Er hob den Schädel und hielt ihn witternd in Rich tung der Stollenmündung. Corpkor schob mich beiseite und trat mit vorsichtigem Schritt in den Raum. Ich hörte ihn dunkle, beruhigende Laute ausstoßen. Ich kannte seine übernatürliche Fähigkeit, sich die Zu neigung sämtlicher Tiere zu erwerben und sie sich zu seinen Freunden zu machen. Als so unfehlbar hatte sich der Kopfjäger in die ser Hinsicht bisher erwiesen, daß ich keinen Augenblick zweifelte, er werde auch mit diesem Ungeheuer zurechtkommen. Es kam jedoch anders, als ich erwartet hatte. Corpkor war noch drei Schritte von dem bunten Ungeheuer entfernt. Er war ste hengeblieben und schien seiner Sache nicht mehr allzu sicher zu sein. Die Bestie beob achtete ihn scharf, aber bisher hatte sie noch keinen einzigen Laut von sich gegeben. Cor pkor streckte die Hand aus … langsam und vorsichtig, um das Tier nicht zu erschrecken. In diesem Augenblick geschah es. Das Tier fuhr mit einem Satz in die Höhe. Es schnellte sich förmlich vom Boden ab. Der haarige Körper prallte gegen den völlig überraschten Corpkor und schleuderte ihn beiseite. Das Tier bewegte sich mit unglaub licher Geschwindigkeit. Schneller, als mein Blick ihm zu folgen vermochte, erreichte es die Mündung des Stollens und schoß an mir vorbei. Von hinter mir erschollen teils ent setzte, teils wütende Schreie derer, die dem lebendigen Geschoß nicht rechtzeitig hatten ausweichen können. Danach trat Ruhe ein. Corpkor erhob sich fluchend vom Boden. Ich kniete neben der Prinzessin, die der Lärm aus der Bewußtlo sigkeit geweckt hatte. Verwirrt blickte sie sich um.
Kurt Mahr Und dann sagte sie etwas Erstaunliches. »Laß mich in Ruhe!« fuhr sie mich an. »Ich weiß nicht, wo unser Ziel ist!«
* Die Bestie war spurlos verschwunden, da von hatte sich Corpkor überzeugt. Und Cry salgira war inzwischen vollends zu sich ge kommen, hatte mich erkannt und bedauerte, daß sie so grob zu mir gewesen war. Sie kauerte auf dem Boden des runden Raumes und hatte den Rücken gegen die Wand gelehnt. Ich wiederholte, was sie un mittelbar nach dem Erwachen zu mir gesagt hatte. »Warum sagtest du das?« wollte ich wis sen. Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Ihre Augen waren in die Ferne gerichtet. »Ich weiß nicht«, antwortete sie nach ei ner Weile, ohne mich dabei anzublicken. »Ich hatte … ich hatte die ganze Zeit über das Gefühl, daß ich ausgefragt werden soll te.« »Die ganze Zeit über …?« »Ja, das klingt merkwürdig, nicht wahr?« Jetzt sah sie mich an, und ein kleines, hilflo ses Lächeln huschte über ihr Gesicht … »Während ich bewußtlos war. Irgendwo in meinem Schädel saß etwas, das fortwährend Auskünfte von mir forderte.« Corpkor näherte sich. »Das ist kein Tier!« knurrte er. »Wie meinst du das?« Er hockte sich neben mir auf den Boden. Fartuloon, Eiskralle und Ischtar mit dem Neugeborenen standen in der Nähe des Aus gangs und unterhielten sich halblaut. »Ich kenne alle Tiere«, antwortete Corp kor. »Und alle Tiere kennen mich. Die Natur hat mich so geschaffen, daß ich alle Tiere verstehen kann … die großen wie die klei nen, die hochentwickelten wie die primiti ven. Aber dieses Tier hier war mir fremd.« Er schwieg und starrte finster vor sich hin. Ich kannte ihn und seine Weise, mit Tieren umzugehen. Darum nahm ich seine Worte
Die Unterwelt von Varlakor ernst. »Was ist es also?« fragte ich. Er machte die Geste des Widerwillens. Dann stand er auf und brummte dazu: »Ich weiß es nicht.« Mürrisch ging er fort. Crysalgira sagte: »Ich weiß wirklich nicht, wie das gekom men ist.« Ich dachte zuerst, sie bezöge sich auf Cor pkor, und war etwas verwirrt. Dann bemerk te ich, daß sie über ihren eigenen Fall sprach. Ich stand auf und ließ sie alleine. Ich fand es schwierig, mit meinen Gedanken ins reine zu kommen. Fartuloon und Ischtar blickten mir entgegen, als ich auf sie zutrat. »Laß uns weitergehen!« sagte ich zu Far tuloon. »Diese sechsbeinige Bestie ist mir unheimlich.« »Sie hat sich das richtige Opfer ausge sucht, um ihre Unheimlichkeit unter Beweis zu stellen«, antwortete Ischtar an seiner Stel le. Ihre Stimme klang gehässig. Verblüfft sah ich sie an. »Jeder andere von uns hätte aus dieser Si tuation mehr herausgebracht als eine mit merkwürdigen Eindrücken untermalte Ohn macht«, erläuterte sie ihren Standpunkt. Ich sah das harte Glitzern in ihren Augen. Das Bild Fernathias tauchte plötzlich vor mir auf, die sie erschossen hatte. Ich fragte mich unwillkürlich, wie wirklich die Liebe war, die sie für mich empfand … Vorläufig, erschien es mir, war es besser, mit Fartuloon zu verhandeln. »Wir brechen auf!« wiederholte ich meine Aufforderung. »Als Wissender gebrauche ich diese Redewendung ungern, aber es bleibt mir nichts anderes übrig: Hier ist es nicht geheuer.« Er machte die Geste der Zustimmung und gab den entsprechenden Befehl. Ich beob achtete Crysalgira. Sie erhob sich zögernd und mit sichtlichen Schwierigkeiten. Der Zwischenfall war nicht spurlos an ihr vor beigegangen. Ich sah, wie sie auf die Zähne biß und die vollen Lippen zu einem schma len Strich wurden. In diesem Augenblick be
21 wunderte ich sie und empfand zugleich tie fes Mitleid. Crysalgira war meine Gefährtin gewesen während der unwirklichen Aben teuer in Mikrokosmos. Und wir waren Freunde geworden, gute Freunde. Ischtar hatte keinen Anlaß, abfällig über die Prinzessin zu sprechen. Wir brachen auf.
5. Nach kurzer Zeit erreichten wir den Stol len der Robotbahn und fanden ohne lange Suche ein Fahrzeug, das genug Ladekapazi tät besaß, um uns alle aufzunehmen. Fartuloon und ich beschäftigten uns mit der Elektronik des Fahrzeuges. Sie war ein fach genug. Es kostete uns geringe Mühe, den Wagen in einen Stand zu versetzen, in dem er unseren Befehlen gehorchen würde. Ich bemerkte, daß sich Fartuloon trotz der Einfachheit der Aufgabe ziemlich viel Zeit ließ. Inzwischen machten es sich die andern im Innern des Fahrzeugs bequem. Erst als er sicher war, daß niemand uns hören konnte, sprach der Bauchaufschneider: »Ich möchte sie mit meinen Gedanken nicht unnötig erschrecken. Ich bin nämlich der Ansicht, daß wir auf das sechsbeinige Vieh ein scharfes Auge haben müssen.« Der Ansicht war ich allerdings auch; es wunderte mich nur, warum er so geheimnis voll tat. »Ich hörte, wie Corpkor zu dir sagte, das Sechsbeinige sei kein Tier«, fuhr er fort. »Das gab mir zu denken. Denn Corpkor kennt sich mit Tieren aus.« Daran gab es nichts zu rütteln. Worauf aber wollte der Alte hinaus? »Ich erinnere mich noch an unsere erste Begegnung«, sagte Fartuloon. »Ich bekam die Waffe gerade noch in die Hand. Zum Zielen hatte ich nicht viel Zeit, aber ich bin sicher, daß die Mündung irgendwo auf den Leib des Sechsbeinigen zeigte. Und was ge schah, als ich abdrückte? Es gab einen grel len Blitz. Ich wurde von irgend etwas getrof fen und verlor für kurze Zeit das Bewußt
22 sein. Es war mir, als hätte der Körper des Sechsbeinigen die Energie meiner Waffe aufgesogen und in geballter Form auf mich zurückgeschleudert.« Das gab mir zu denken. Es war möglich, daß die Natur Wesen erschaffen hatte, die sich auf diese Weise gegen ihre Feinde schützten; indem sie die Energie, die der Feind zu ihrer Vernichtung einsetzte, auf den Feind selbst zurückschleuderten. Aber ich war bei allen meinen Fahrten noch kei nem solchen Tier begegnet – und Fartuloon offenbar auch nicht. Wie aber wäre es dann zu erklären, daß ausgerechnet ein solch exo tisches Geschöpf, daß weder Fartuloon noch ich – und vor allen Dingen auch Corpkor nicht! – kannte, sich in das Gewirr der Gän ge, Hallen, Räume, Stollen und Schächte un ter der Oberfläche des Stützpunktplaneten Varlakor verwirrt hatte? »Denk an Crysalgira!« fuhr Fartuloon mit einemmal fort. »Das Sechsbeinige nahm sie auf. Ich bin sicher, daß sie in diesem Augen blick das Bewußtsein verloren hat. Und nicht wieder zu sich kam, bevor du dich zu ihr hinknietest. Woher hat sie dann den Ein druck, daß sie in der Zwischenzeit ausge fragt werden sollte?« Er hatte natürlich recht. Dieser Gedanke lag mir auf der Seele, seitdem ich mit Crys algira gesprochen hatte. Es war mir unmög lich gewesen, eine plausible Antwort zu fin den. Deswegen hatte ich die störende Über legung allmählich beiseite geschoben – eine Haltung, die eines Inhabers des dritten Gra des der ARK SUMMIA wahrscheinlich un würdig war. »Ist es möglich, daß das Sechsbeinige in Wirklichkeit gar kein Tier ist, sondern ir gend etwas anderes. Ein abgerichtetes Ge schöpf, vielleicht auch mit Intelligenz verse hen, das die Aufgabe hat, unseren Weg aus zukundschaften?« Ähnliche Gedanken hatten auch mich schon bewegt, aber ich hatte sie als über spannt und unbegründet zurückgewiesen. Jetzt aber kam Fartuloon, dessen Weisheit für mich außer allem Zweifel stand, und hat-
Kurt Mahr te dieselben Bedenken. »Du hast recht«, sagte ich: »Wir müssen ein scharfes Auge auf das sechsbeinige Vieh haben!«
* Die Fahrt mit der Robotbahn zerstreute unsere Bedenken und richtete unser Selbst vertrauen wieder auf. Jede Meile, die der Wagen dahineilte, ruhig, schwankungsfrei, auf fast geräuschlosen Luftkissen gleitend, brachte uns Elkinth näher. Aus der Karte, die Yukkar uns mitgegeben hatte, war zu entnehmen, daß der Verlauf der Bahn annä hernd achthundert Meilen lang war. Aller dings mußten wir unsere Fahrt etwa in der Mitte unterbrechen. Dort befand sich das Gebiet der Werften, und auf einer Strecke von rund zehn Meilen wurde der Bahnstol len auch heute noch von der arkonidischen Flotte benutzt. Kurz vor der kritischen Zone hatten die Informationsräuber einen Stollen durch das Naturgestein gebrochen. Der Stol len umging die Gegend, in der die Techniker der Flotte aktiv waren, tauchte unter Korri doren hindurch oder überquerte sie. An einer Stelle hatten die Informations räuber einen Abgasschacht benützt, um sich die Arbeit etwas leichter zu machen. Es han delte sich um den Schacht eines Docks, in dem die Triebwerke von Großraumschiffen getestet wurden. Der Stollen mündete von Westen her auf die Sohle des Schachtes und führte auf der anderen Seite, im Osten, wei ter. Vier Meilen später vereinigte er sich wieder mit dem Stollen der Robotbahn, und von da an hatten wir freie Fahrt bis ans Ende der Bahn. Crysalgira war mit ihren eigenen Gedan ken beschäftigt. Man sah ihr das an, auch beteiligte sie sich nicht an unserer Unterhal tung. Ich ließ sie gewähren. Ich kannte sie. Wenn sie zu einem Schluß gekommen war, würde sie mit mir darüber sprechen. Ischtar gegenüber verhielt ich mich vorläufig zu rückhaltend. Ich verzieh ihr die abfällige Art nicht, in der sie über Crysalgira gesprochen
Die Unterwelt von Varlakor hatte, und ich glaube, sie bemerkte das. Was die Prinzessin anbelangte, so erwies sich schließlich, daß ich sie richtig beurteilt hatte. Sie sah plötzlich auf, dann rückte sie näher zu mir heran. »Ich kann es mir noch immer nicht erklä ren«, sagte sie ohne Übergang, »aber als ich zu mir kam, hatte ich das Gefühl, ich sei die ganze Zeit über verhört worden.« »Auch ich habe keine Erklärung«, ant wortete ich, »aber es würde uns womöglich weiterhelfen, wenn du dich erinnertest, wor über du ausgefragt worden bist.« Sie strich sich über die Stirn. »Ich habe nur noch eine dumpfe Erinne rung. Es ist alles so … unwirklich.« »Als du erwachtest, fuhrst du mich an: ›Laß mich in Ruhe – ich weiß nicht, wo un ser Ziel ist!‹« versuchte ich, ihr zu helfen. »Ja … das war das eine«, fiel ihr ein. »Jemand wollte von mir wissen, wohin wir gingen. Außerdem wollte er erfahren, wer wir seien und wer uns diesen Weg gewiesen hat.« Ich dachte darüber nach, aber es gab alles keinen Sinn. Ich konnte mir leicht vorstel len, daß es einen Unbekannten gab, der sich für unsere Belange interessierte. Aber wer war dieser Unbekannte? Das sechsbeinige Geschöpf selbst? Kaum anzunehmen. Dafto kan Jalvor, der Kommandant? War er dahin tergekommen, daß wir uns nicht an Bord des zerstörten Beiboots befunden hatten? Aber warum würde er, der fast unumschränkte Herrscher dieser Welt, auf eine solch ausge fallene Methode verfallen, uns auszuspionie ren?
* Als wir uns der Gegend näherten, in der wir den Bahnstollen nicht benützen durften, wurden die Pulsempfänger, die Yukkar uns mitgegeben hatte, plötzlich aktiv. Ihre Wir kungsweise war einfach: Je näher sie dem geheimen Impulssender waren, desto lautere Geräusche gaben sie von sich. Wir fuhren ein Stück weit über die Stelle hinweg, an der
23 die Signale am deutlichsten waren. Dann je doch brachten wir den Wagen rasch zum Halten und kehrten zurück. Die Stelle, an der sich der Eingang zum Umgehungsstollen befand, war vorzüglich getarnt. Es kostete uns einige Mühe, die ge heime Tür zu finden. Der Stollen selbst war finster und nur roh aus dem Gestein ge brannt. Yukkars Leute hatten keinen Wert auf Bequemlichkeit gelegt. Der Boden war nicht einmal annähernd eben. Corpkor schritt vorläufig vorweg und benützte unsere einzige Lampe, um ab und zu einen kurzen Lichtschein auf den Boden fallen zu lassen, damit wir wenigstens vor den gröbsten Hin dernissen gewarnt waren. An den Wänden zu beiden Seiten waren noch die Brandspu ren der Blaster zu sehen, mit denen die In formationsräuber gearbeitet hatten, um die sen Stollen zu schaffen. Die Luft war dumpf und stickig. Wir schlugen wie von selbst ei ne ziemlich flotte Gangart ein, um diesen Ort der Finsternis so bald wie möglich hinter uns zu lassen. Nach einiger Zeit übernahm Fartuloon die Führung. Corpkor und Eiskralle folgten ihm dichtauf. Dann kamen Ischtar und Chapat. Crysalgira und ich bildeten den Abschluß. Da der Stollen jedoch so eng war, daß wir nicht nebeneinander gehen konnten, war meist Crysalgira die letzte in unserer Grup pe. Wortlos tappten wir durch die Finsternis. Nur von vorne kam ab und zu ein verbisse ner Fluch, wen Fartuloon oder Corpkor ir gendwo angestoßen waren, oder ein unter drücktes Stöhnen, wenn der Chretkor sich die vermeintlichen Gefahren ausmalte, die in der stickig heißen Finsternis auf ihn lauer ten. Nach meiner Schätzung näherten wir uns in diesen Augenblicken dem Abgasschacht. Nach Yukkars Darstellung wurde er kaum mehr benutzt. Der Schacht war nach oben offen. Über diesem Teil von Varlakor mußte es nach unseren Uhren gegenwärtig Nacht sein. Wir konnten uns also ungesehen über den Boden des Schachtes bewegen und wür
24 den ein wenig frische Luft schnappen kön nen. Ich verließ mich darauf, daß einer der vor mir Gehenden uns darauf aufmerksam machen würde, wenn wir den Schacht er reichten. Das war, wie sich herausstellte, eine Be quemlichkeit, auf die ich besser verzichtet hätte. Heute noch, wenn ich an jene Augen blicke zurückdenke, mache ich mir Vorwür fe, daß ich nicht den Prinzipien der Ark Sum-MIA gehorchte, die von jedem ver langt, daß er ständig selbst über seine Lage im klaren sei und deren Beurteilung nicht anderen überlasse. Es wurde plötzlich noch wärmer und stickiger ringsum. Schweiß troff von der Stirn und rann in die Augen. Eiskralle stöhnte und jammerte in einem fort. Vorne, an der Spitze der Gruppe, war Fartuloon wegen der Nähe des Schachts so vorsichtig geworden, daß er die Lampe kaum noch aufflammen ließ. Da glaubte ich plötzlich zu spüren, daß das Echo meiner Schritte anders geworden war. Ich legte den Kopf in den Nacken und blickte in die Höhe. Wenn wir uns im Schacht befunden hätten, wären Sterne zu sehen gewesen. Ich sah jedoch keinen einzi gen Lichtpunkt, also befanden wir uns noch immer im Stollen. Ein paar Schritte weiter stolperte ich über ein Hindernis, das mir im Weg lag. Ich kam aus dem Gleichgewicht und warf mich un willkürlich nach vorne, um nicht gegen eine der scharfen Zacken zu prallen, die aus der Stollenwand ragten. Ich stürzte, kam federnd wieder auf die Beine und horchte nach Ischt ars Schritten, die mir den Weg wiesen. Sie kamen von links von mir. Hatte der Stollen die Richtung geändert? »Langsam voraus!« rief ich. Meine Stimme hatte einen eigenartigen, flachen Klang. Und dann kam das Echo mei ner Worte aus weiter Entfernung zu mir zu rück. Ich stand starr, und ein Gefühl eisiger Kälte verbreitete sich in mir. Ich erfaßte in stinktiv die fürchterliche Gefahr, in der wir uns befanden … ohne daß mein Verstand
Kurt Mahr sich noch mit ihr hatte beschäftigen können. Nur mein Extrasinn war wach. Er raunte mir zu, was der Instinkt schon wußte. »Oh, ihr Narren!« schrie ich aus vollem Hals. »Wir sind mitten im Schacht und ha ben es nicht gemerkt! Vorwärts!«
* Weit vorne flammte Fartuloons Lampe auf, und da zeigte sich, daß wir den Stollen tatsächlich schon längst verlassen hatten. Die Lampe war ein schwächliches Instru ment. Mit Mühe nur erfaßte sie die gegen überliegende Schachtwand und die finstere Öffnung, von der aus unser Stollen weiter führte. Ich aber wußte genau, warum ich vorhin keine Sterne erblickt hatte, als ich nach oben sah: Die Öffnung des Schachts wurde vom Rumpf eines Raumschiffs verschlossen! Das Dock war in Benützung! Auch Fartuloon hatte die Gefahr erkannt. »Lauft, Leute!« gellte sein Schrei. »Die Hitze verspricht nichts Gutes!« Als er sich in Bewegung setzte, begann der Lichtkegel seiner Lampe zu schwanken und zu zucken und war als Orientierungshil fe kaum mehr zu gebrauchen. Ich hatte mir gemerkt, wo sich die gegenüberliegende Stollenmündung befand, und eilte darauf zu. »Rasch, Prinzessin!« schrie ich Crysalgira zu, deren Schritte ich irgendwo hinter mir hörte. Sie antwortete nicht, oder ich konnte ihre Antwort über dem Keuchen meiner Lunge nicht hören. Einen Atemzug lang sah ich den Schein der Lampe über eine graue, rissige Wand huschen, die vor mir in die Höhe wuchs. »Hier ist der Stollen!« rief jemand von links her. Ich änderte die Richtung. Das war der Au genblick, in dem es hoch über mir zu rumo ren begann. Die nackte Angst griff nach mir. Blasser Lichtschein fiel plötzlich aus der Höhe herab. Ein Schwall atemberaubender Hitze erfüllte den Schacht. Ich torkelte. Die
Die Unterwelt von Varlakor Lampe glomm vor mir auf, kaum noch wahrnehmbar in der blitzartig stärker wer denden Helligkeit, die von oben kam. Eine kräftige Hand griff nach mir, packte mich am Arm. »Nichts wie weg von hier!« hörte ich Cor pkor dicht neben mir keuchen. Wir hasteten durch den Stollen. Vor uns tanzte Fartuloons Lampe. Der Fels hatte zu beben begonnen. Staub rieselte auf uns her ab, als der Feuerorkan der Raumschiffstrieb werke seine volle Stärke entfachte. Ein paar Dutzend Schritte weit schien es, als könnten wir der entsetzlichen Heißluftwelle nicht mehr entkommen, die von der Stollenmün dung her hinter uns herfauchte. Aber dann beschrieb der Gang eine scharfe Biegung nach rechts. Von einem Augenblick zum an dern wurde das dumpfe Dröhnen leiser. Die Hitze ließ nach. Es sah so aus, als befänden wir uns vorerst in Sicherheit. Fartuloon war stehengeblieben. Die Lam pe erzeugte einen kleinen Lichtkreis. Ich sah Ischtar, den Neugeborenen in der Schlinge tragend, die Augen weit vor Angst, die Haa re von Schweiß verklebt. Und den Chretkor, dessen Gesicht zu einer Grimasse der Furcht verzerrt war. Fartuloons Miene war grimmig und verschlossen wie immer. Hinter mir stand Corpkor und brummte bösartig vor sich hin. Da durchzuckte es mich siedend heiß. Das Entsetzen war so intensiv, daß ich mehrmals zum Sprechen ansetzen mußte, bevor mir das erste Wort über die Lippen kam: »Crysalgira … Sie ist nicht hier!«
* Zwei … vier … sechs Hände hielten mich fest. Ich hatte nur noch einen Gedanken: hinaus zu Crysalgira! In das wummernde Dröhnen des Raumschiffstriebwerks misch ten sich gellende Stimmen. »Draußen ist der Tod …!« hallte es mir in den Ohren. Mein Extrasinn warnte mich vor den Ge fahren meines Vorhabens. Ich hätte seine
25 Mahnung diesmal wahrscheinlich außer acht gelassen. Es waren die kräftigen Fäuste, die meinen selbstmörderischen Plan vereitelten. Wie lange ich so tobte, weiß ich heute nicht mehr. Mir erschien es wie eine Ewig keit. Ich weiß auch nicht, was zuerst kam: das Erlahmen der Kräfte oder die Erkenntnis der Unsinnigkeit meines Vorhabens. Auf jeden Fall wurde es plötzlich ruhig ringsum. Die Fäuste zerrten nicht mehr, sie hielten nur noch. Und das dumpfe Dröhnen hatte aufgehört. Die Triebwerke des Raumschiffs waren verstummt. »Jetzt!« stieß ich hervor. »Wir können nicht länger warten!« »Warte!« knurrte Fartuloon. Er schritt an mir vorbei, um die Krüm mung des Stollens herum. Wenige Augen blicke später war er wieder zurück. Seine Augen tränten, und die Gesichtshaut hatte eine rötliche Farbe angenommen. »Noch zu heiß …« keuchte er. »Wir müs sen noch warten!« Seine Lampe lag auf dem Boden und strahlte gegen die Stollenwand. Im Augen blick waren es nur noch Corpkors Fäuste, die mich hielten. Ich straffte mich blitz schnell. Corpkors Griff löste sich. Mit einer raschen Bewegung hatte ich die Lampe ge packt. »Wartet hier!« schrie ich. Dann sprang ich um die Biegung des Stol lens. Kochendheiße Luft schlug mir entgegen. Ich erkannte rasch, daß ich in dieser Hölle nicht lange am Leben bleiben würde, wenn ich mich nicht an einige der Regeln erinner te, die ich auf Largamenis für alle Zeiten ge lernt hatte. Ich mußte Kräfte sparen. Ich mußte mich ohne große Anstrengung vor wärtsbewegen und dennoch die Fußstellung so oft wie möglich wechseln, weil das heiße Gestein mir sonst die Sohlen meiner Sanda len verbrannt hätte. Ich mußte mit halbge öffnetem Mund atmen, weil ich nur so die mörderische Wirkung der heißen Luft auf Mund und Nase verteilen konnte. An all das erinnerte ich mich, all das
26 nahm ich mir zu Herzen, während ich bren nend vor Eifer und Ungeduld durch den Stollen tappte und das Gehäuse der Lampe, sobald es heiß genug geworden war, mir die Haut auf den Fingern zu verbrennen begann. Der Schmerz galt mir nichts. In mir war die brennende Angst um Crysalgira … und zu gleich die niederschmetternde Gewißheit, daß ich ihr nicht mehr helfen konnte. Ich fand sie wenige Schritte von der Stelle entfernt, an der der Stollen in den Abgas schacht mündete. Der Lichtkegel der Lampe erfaßte das armselige Häuflein Geschöpf, das dort am Boden lag … auf dem heißen Boden, auf dem ich meine Füße keinen Atemzug lang ruhig halten konnte aus Sor ge, meine Sohlen verbrannten. Jetzt aber war ich gegen Schmerzen taub. Ich blieb stehen. Ich beugte mich zu der reg losen Gestalt hinab. Ich berührte sie und fühlte das versengte Gewand unter den Fin gern zu Staub zerfallen. Ich sah das von Brandblasen bedeckte Gesicht. Die Kehle war mir zugeschnürt, und die Tränen schos sen mir haltlos in die Augen. Für einen winzigen Augenblick beseelte mich wilde, zügellose Hoffnung, als ich spürte, daß noch Leben in dem geschunde nen Körper war. Crysalgira gab ein halblau tes Stöhnen von sich. Dann öffnete sie die Augen. An ihrem Blick sah ich, daß alle Hoffnung umsonst war. Der Mund der Prinzessin versuchte, Wor te zu formen. Ich beugte mich tief hinab, um den Hauch zu erfassen, der ihr über die Lip pen kam. »Sagt Chergost … Ich liebe …«, hörte ich. Dann spürte ich den Körper in meinen Händen schlaff werden. Crysalgira da Quertamagin, die Prinzes sin, meine treue Gefährtin in zahllosen Ge fahren, hatte die Welt der Sterblichen verlas sen. Ich weiß nicht, wie lange ich noch dort hockte, den leblosen Körper in den Armen haltend. Sehr lange kann es nicht gewesen sein, sonst hätte die Hitze mich aufgefres-
Kurt Mahr sen. Fartuloons gedrungene Gestalt tauchte aus der Finsternis des Stollens auf. Kräftige Fäuste packten mich unter den Armen und zogen mich in die Höhe.
6. Die Ereignisse der nächsten Stunden nahm ich nicht bewußt wahr. Man kümmer te sich um mich. Fartuloon gab sich alle Mü he, mich mit den geringen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, zu verarzten. Ich er innerte mich dumpf, daß mir Fetzen um die Füße gewickelt wurden, um die verbrannten Sohlen zu schützen. Irgendwann später wur de der Vormarsch fortgesetzt. Was aus Crys algiras Leiche wurde, weiß ich bis zum heu tigen Tag noch nicht. Allmählich jedoch begann mein Verstand, sich am Ablauf der Geschehnisse wieder zu beteiligen. Wir hatten das Ende des Umge hungsstollens erreicht und schickten uns an, mit der Robotbahn weiterzufahren, die wir zehn Meilen bahnaufwärts hatten verlassen müssen. Mir fiel jede Bewegung schwer. Die Brandwunden schmerzten. Jeder Schritt jagte mir feurige Schauer durch den Körper. Ich fieberte. Nicht zuletzt meinetwegen ord nete Fartuloon an, daß wir am Ende des Stollens ein paar Stunden ausruhen sollten. Auch den anderen kam dies zugute. Denn abgesehen von der kurzen Ruhepause bei Yukkar, dem Rotauge, hatten wir seit unse rem Aufbruch von Garthak nur wenig Gele genheit zum Verschnaufen gehabt. Fartu loon trug ein paar Medikamente bei sich, die er in einem der Magazine erbeutet hatte. Sie halfen uns, ohne Schlaf auszukommen. Aber mittlerweile ging zweierlei zur Neige: der Vorrat an Drogen und unsere Fähigkeit, auf das Aufputschmittel in der gewünschten Weise zu reagieren. Ich schlief trotzdem nicht. Phantasiebilder des Grauens hielten mich wach. Inmitten des Entsetzens tauchte immer wieder Crysalgi ras geschundenes Gesicht auf, eine Maske des Todes. Der Extrasinn wies mich darauf hin, daß dies die Art sei, wie mein Unterbe
Die Unterwelt von Varlakor wußtsein mit dem schrecklichen Erlebnis fertig zu werden versuchte. Ich sträubte mich nicht dagegen; aber die Stunden, die ich schlaflos in der Finsternis des Stollens verbrachte, gehören mit zu den schrecklich sten meines Lebens. Es gab später Leute, die mich einen harten Mann nannten. Wenn Fartuloon davon hör te, dann pflegte er sie darüber aufzuklären, daß es das Erlebnis vom Tode der Prinzessin gewesen sei, das mir diese Härte verliehen hatte. Ich weiß heute, daß auch das Empfin den der Schuld eine gewichtige Rolle dabei gespielt hat. Als ich die Gefahr erkannte, die uns von den Triebwerken des über uns lie genden Raumschiffs drohte, hatte ich nur daran gedacht, mich selbst in Sicherheit zu bringen. Ich hatte Crysalgira sich selbst überlassen, obwohl ich wußte – oder mich daran hätte erinnern müssen – daß sie infol ge des Erlebnisses mit der sechsbeinigen Be stie noch immer verwirrt war. Atlan, der Feigling! hämmerte es in mei nem Bewußtsein. Atlan, der Mörder! Als wir aufbrachen, stellte sich heraus, daß wenigstens meine Brandwunden von der mehrstündigen Ruhepause profitiert hatten. Es schmerzte nicht mehr so höllisch, wenn ich den Fuß aufsetzte. Auch im Gesicht hatte ich nicht mehr das Gefühl, es wolle mir je mand die Haut bei lebendigem Leibe abzie hen. Stumm setzten wir uns in Bewegung. Aus dem Stollen gelangten wir in den Bereich der Robotbahn. Wir hatten einige Meilen zu marschieren, bevor wir einen auf der Strecke abgestellten Wagen erreichten. Fartuloon manipulierte den Steuermechanismus. Schließlich setzte das Fahrzeug sich in Be wegung.
* Einen Teil der Fahrt verbrachte ich schla fend, nachdem der gequälte Geist den Wi derstand gegen den seine Rechte fordernden Körper endlich aufgegeben hatte. Man weckte mich, als wir das Ende der Strecke
27 erreichten. Yukkars Karte besagte, daß es von hier aus acht Meilen zu Fuß weitergehe, bis wir den Beginn eines großen Lasten schachts erreichten, durch den Transportge genstände mit Hilfe eines horizontal ange legten künstlichen Schwerefeldes befördert wurden. Dieser Schacht war von beträchtli cher Länge und endete einige Meilen inner halb des Gebietes der Sektion Elkinth. Am Ende des Schachtes endete auch Yukkars, des Rotauges, Schmugglerpfad. Meine Brandwunden zwangen die Gruppe noch immer zu langsamer Gangart. Ich riet Fartuloon, mit Corpkor, Ischtar, Chapat und dem Chretkor vorwegzumarschieren und sich durch mich nicht aufhalten zu lassen. Der Bauchaufschneider jedoch hielt mein Angebot nicht einmal einer Antwort wert. Die Korridore, durch die wir uns jetzt be wegten, gehörten zur ursprünglichen Anlage der Flottenbasis Varlakor. Daß sie nicht mehr benützt wurden, wies darauf hin, daß die arkonidische Flotte ihre Präsenz auf der Stützpunktwelt verringert hatte. Dies wie derum hatte einerseits damit zu tun, daß Varlakor für die Zwecke des Methan-Krie ges strategisch nicht sonderlich günstig lag. Andererseits aber war die Flotte durch den langwierigen Krieg mit den Maahks erheb lich geschwächt worden, und ein Teil der Verlassenheit im Innern des Stützpunkts Varlakor ging auf das Konto der Verluste, die die Methanatmer uns zugefügt hatten. Unseren Zwecken war die Einsamkeit un ter Varlakors Oberfläche nur dienlich. Weni ger unsere körperliche als vielmehr unsere seelische Verfassung war nicht danach, daß wir uns mit einem halbwegs entschlossenen Gegner mit Aussicht auf Erfolg hätten her umschlagen können. Vor allen Dingen lag uns daran, Daftokan Jalvor in seinem Glau ben zu belassen, wir seien an Bord des Bei boots des ZENTARRAIN umgekommen. Denn Orbanaschols Befehl »Bringt mir sei nen Kopf« galt noch immer. Wer diesen Be fehl befolgte, war höchster Ehren sicher, und das wiederum war ein Ansporn, dem auch Daftokan Jalvor sich nicht widersetzen wür
28 de. Der Kopf aber, um den es ging, war mei ner. Nach etwa drei Meilen mündete der Kor ridor, durch den wir uns bewegten, in eine runde Felsenhalle. Diese Halle war erstaun lich wegen ihrer Höhe, die wenigstens fünf zig Schritte betrug, und wegen der Intensität ihrer Beleuchtung. Denn die Anlagen von Varlakor waren im allgemeinen so ausge leuchtet, daß die Helligkeit den Bedürfnis sen der Roboter genügte. Da Roboter jedoch im allgemeinen im Bereich roten Lichts am schärfsten sahen, empfanden menschliche Augen die Beleuchtung im Innern der Flot tenbasis als unzureichend. Hier war es anders. Unter der hohen Decke brannten ein halbes Dutzend grell weiße Leuchtplatten. Die Helligkeit ent sprach der eines sonnigen Tages. Das war verwunderlich, aber es gab noch anderes, worüber wir uns wundern mußten. Es gab nämlich anscheinend nur einen einzigen Zu gang zu dieser Halle: den, durch den wir ge kommen waren. Yukkars Karte wies einen Stollen auf, der von der anderen Seite der Halle aus weiterführte. Diesen Stollen konn ten wir jedoch nicht finden. Fartuloon befragte seinen Quäker. Das Gerät reagierte nicht. Offenbar befand sich keiner der geheimen Impulssender in der Nähe. Das wiederum entsprach den Anga ben der Karte, auf der die Standorte der Sen der mit kleinen Zeichen markiert waren. In der Nähe dieser Halle aber gab es keine sol che Markierung. Wir alle waren kampferfahren genug, um zu wissen, daß diese Unstimmigkeit Gefahr bedeutete. Wir griffen zu den Waffen. Mein Blick flog rundum, und als ich an der Rund wand der Halle hinaufsah, bemerkte ich eine Öffnung, die sich etwa in halber Höhe gebil det hatte. Ich gewahrte Bewegung. Der Lauf meines Blasters stach in Richtung der Öffnung. Ich war bereit zum Abdrücken, aber die Bewe gung war nur flüchtig gewesen, und noch immer zeigte sich dort oben niemand. Dafür hörte ich eine Stimme. Sie sagte:
Kurt Mahr »Es muß Rotauge schlechtgehen. Jetzt verwendet er sogar schon Frauen und Kinder als Boten!«
* Fartuloon schritt auf die jenseitige Wand der Halle zu. Aber kaum hatte er ein paar Schritte getan, da gellte von oben herab eine Stimme: »Bleib stehen, Alter!« Gleichzeitig fauchte der Energiestrahl ei nes Blasters herab, schlug wenige Schritte vor Fartuloon in den Boden und brachte das Gestein zum Glühen. Der Lauf meiner Waf fe war noch immer nach oben gerichtet. Aber so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte dort oben niemand sehen. »Wer seid ihr … und was wollt ihr?« schrie Fartuloon wütend. Von oben antwortete zunächst ein meckerndes Gelächter. Dann hörten wir die Stimme rufen: »Das hat Yukkar euch wohl verschwie gen, daß auf diesem Weg ein Zoll zu ent richten ist, wie?« Wir antworteten nicht. Daraufhin befahl uns die Stimme: »Werft eure Waffen fort! Wir wollen nichts Schlimmes von euch … nur den übli chen Zoll. Aber es hat schon Narren gege ben, die lieber mit ihrem Leben bezahlten als mit Geld!« Mir war klar, worum es hier ging. Es gab auf Varlakor einige Leute, die dahinterge kommen waren, daß Yukkar, das Rotauge, mit gestohlenen Informationen einen schwunghaften Handel betrieb. Sie wußten auch, daß die Informationshändler einen Schmugglerpfad hatten, auf dem sie das ge stohlene Gut nach Elkinth brachten. Das Tun der Informationshändler war ungesetz lich. Was leichter, als ihnen irgendwo ein Hindernis in den Weg zu legen und sie zu erpressen? Zoll nannten sie das! Und Geld hatten wir keines, abgesehen von ein paar Münzmar ken, die Fartuloon noch bei sich haben muß
Die Unterwelt von Varlakor te. »Wieviel verlangt ihr?« rief ich in die Hö he. »Werft die Waffen fort!« drängte die Stimme. Uns blieb keine andere Wahl. Von oben herab beherrschten sie die Halle. Wir stan den mitten auf einer Zielscheibe. Mein Bla ster war der erste, der zu Boden fiel. Den Lähmstrahler, den ich unter der Kleidung trug, würden die Wegzöllner womöglich nicht bemerken. Wenigstens hoffte ich das. Die anderen folgten meinem Beispiel. Wir verstanden einander, ohne daß es der Worte bedurfte. Fartuloon, Corpkor, Eiskralle – so gar Ischtar schienen erkannt zu haben, daß ich die Verhandlung mit den Erpressern wei terzuführen gedachte. »Tretet zurück!« befahl die Stimme aus der Höhe. Wir gehorchten, jedoch ohne übertriebe nen Eifer. Für das, was ich im Sinn hatte, kam es darauf an, daß ich mich nicht allzu weit von den weggeworfenen Waffen ent fernte. Ich mochte sie nötig haben. »Jetzt zieht das Geld aus den Taschen und werft es ebenfalls auf den Boden!« lautete der nächste Befehl. »Wieviel verlangt ihr?« fragte ich. »Den üblichen Satz.« »Den kenne ich nicht!« »Wieviel Information habt ihr bei euch?« »Fünf Spulen«, antwortete ich, ohne zu zögern. Wir besaßen insgesamt dreißig Mikrospu len. Die zehn Spulen, die Crysalgira getra gen hatte, waren verloren. Von oben her gellte spöttisches Gelächter. »Du willst den Preis niedrig halten, Bur sche, nicht wahr? Yukkar schickt keinen Treck von vier Männern, einer Frau und ei nem Kind, um fünf Spulen transportieren zu lassen.« Ich lauschte aufmerksam. Bislang hatte ich nur eine einzige Stimme gehört. Entwe der war der Mann alleine, oder seine Beglei ter waren von der schweigsamen Art. Auf keinen Fall, glaubte ich, hatten wir es mit ei
29 nem zahlenmäßig starken Gegner zu tun. »Das ist müßiges Gerede«, rief ich hinauf. »Wir tragen ohnehin kein Geld bei uns!« Oben war es eine Zeitlang still. Mit einer so dreisten Behauptung war den Wegzöll nern wohl noch nie zuvor die Abgabe ver weigert worden. Schließlich rief es von oben herab: »Bleibt stehen, wo ihr seid! Wir werden euch durchsuchen.« Es sah so aus, als sollte mein Plan Erfolg haben. Oben, hinter der Öffnung, waren scharrende Geräusche zu hören. Dann wurde es eine Weile still. Schließlich öffnete sich dort, wo wir den Beginn des Stollens vermu teten, die Wand der Felsenhalle. Ein hochge wachsener, schlanker Mann in der Arbeits montur der Flottentechniker trat hervor. Er blieb ein paar Augenblicke stehen und mu sterte uns mißtrauisch. Ich benützte die Ge legenheit, um einen raschen Blick in die Hö he zu werfen. Da sah ich den Lauf eines Bla sters, der aus der Öffnung hervorragte und auf uns wies. Ich schloß daraus, daß sich oben nur noch ein Mann befand. Die Gruppe der Erpresser bestand wahrscheinlich also nur aus zwei Leuten. Ich warf dem Chretkor einen unauffälli gen Blick zu. Eiskralle verstand mich sofort. Er trat zwei kleine Schritte nach vorne und war somit der vorderste in unserer Reihe. Die Entscheidung stand unmittelbar be vor.
* Der Hochgewachsene fühlte sich in seiner Haut nicht wohl. »Tretet zurück!« herrschte er uns an. »Ich will dieses Glasmännchen als erstes untersu chen!« Meine Taktik hatte Erfolg! Eiskralle bot mit seiner durchsichtigen Körperhülle zwar einen fremdartigen Anblick, aber gleichzei tig war er der kleinste von uns allen und mochte dem Arkoniden daher als der am wenigsten gefährliche vorkommen. Wenn er gewußt hätte, wie falsch diese Überlegung
30 war! Die Stimme des Hochgewachsenen war nicht die, die die ganze Zeit über zu uns ge sprochen hatte. Es gab dort oben also wenig stens noch einen weiteren Mann. Ich konnte nur hoffen, daß es nicht mehr waren! Behutsam näherte sich der Arkonide dem Chretkor. Eiskralle stand starr. »Heb die Arme zur Seite!« verlangte der Arkonide. Eiskralle gehorchte. Der Hochgewachsene begann, das etwas füllig geratene Gewand zu durchsuchen. Keiner von uns sah, wie der Chretkor es zuwege brachte, den Arkoniden mit der Hand zu berühren. Aber die Berüh rung fand statt, ihre Wirkung wurde noch im selben Augenblick sichtbar. Der Arkonide erstarrte. Mit seinem Ge sicht ging eine fürchterliche Veränderung vor sich. Es verzerrte sich zu einer Grimasse des Entsetzens, die Grimasse aber gefror, als Eiskralles tödlicher Griff sämtliche Wärme aus dem Körper des Arkoniden entzog. Ein röchelndes Stöhnen war alles, was der Er presser noch hervorbrachte. Von einem Atemzug zum andern hatte sich seine Haut bläulich-schwarz gefärbt. Er stürzte, und beim Aufprall erzeugte sein erstarrter Kör per einen klirrenden Laut. Aus der Höhe gellte ein entsetzer Schrei. Ich hatte mich abseits gehalten. Der Kolben des Lähmstrahlers glitt mir wie von selbst in die Hand. Oben, in der Öffnung, sah ich die Mündung des Blasters eine ruckartige Schwenkung vollführen. Der Strahler summte hell, als ich den Auslöser betätigte. Aus der Höhe gellte ein zweiter Schrei. Ein Mann erschien, taumelnd und mit den Ar men um sich schlagend, unter der Öffnung. Mein erster Schuß hatte ihn nur gestreift, der peinigende, sengende Schmerz ihn auf die Beine gerissen. Die zweite Salve traf ihn voll. Er stürzte vornüber und prallte zwanzig Schritte unterhalb des Loches auf den Fels boden der Halle. Blitzschnell hastete ich zu den weggewor fenen Waffen. Ich ergriff meinen Blaster und richtete die Mündung hinauf zu dem
Kurt Mahr Loch. Dort aber blieb alles ruhig. Corpkor hatte sich ebenfalls bewaffnet und hastete zum Ausgang. Wenige Augenblicke später erschien er oben unter der Öffnung. »Es ist niemand mehr hier!« rief er uns zu. »Wir haben es nur mit zwei Leuten zu tun gehabt!« Die beiden Erpresser waren tot. Früher hatte ich beim Anblick von Menschen, die durch mein Dazutun ums Leben gekommen waren, einen Schauder empfunden. Der Tod der beiden Wegelagerer ließ mich jedoch völlig kalt. Crysalgiras entsetzliches Schick sal hatte mir der Herz verhärtet. In den Taschen der beiden Toten fanden wir Geld. Es war nicht viel, aber es würde ausreichen, uns in Elkinth eine anständige Mahlzeit und eine Unterkunft für eine Nacht zu verschaffen. Wir verließen die Halle. Von dem Stollen aus führte eine primitiv in den Felsen gebrannte Rampe im Boden zu der Öffnung hinauf, in der die Erpresser auf der Lauer gelegen hatten. Ich fragte mich, wie lange sie ihr schändliches Handwerk schon betrieben hatten und ob Yukkar etwas davon gewußt hattte. Fünf Meilen weiter erreichten wir den Eingang des großen Schwerkraftschachts. Es war etwas ungewöhnlich, wie sich die Welt, sobald wir uns in den Einflußbereich des künstlichen Schwerefelds begaben, plötzlich zur Seite zu neigen schien. Wir jedoch ge wöhnten uns rasch an die veränderte Umge bung. Das Feld trug uns rasch dahin: Wir waren etwa zwei Stunden unterwegs, und in diesem Zeitraum legten wir mehrere hundert Meilen zurück. Am Ende des Schachtes war das Feld umgepolt, so daß eine bremsende Wirkung entstand. Wir landeten sanft in einer Halle, von der aus eine breite Rampe in die Höhe führte. Die Rampe war mit Rollbändern belegt, die sich jetzt jedoch nicht mehr bewegten. Wir machten uns an den Aufstieg. Die Rampe brachte uns etwa eine halbe Meile weit bis in das Innere eines Gebäudes, dessen einzi ger Raum eine riesige, leere Lagerhalle mit staubbedecktem Boden war. Dicht unter der
Die Unterwelt von Varlakor Decke aber gab es schmale Lichtdurchlässe, durch die von einer Seite her heller Sonnen schein hereinfiel. Fartuloon öffnete eines der weiten Tore, durch die in früheren Zeiten Lagergüter in die Halle gebracht worden waren. Wir blick ten hinaus auf eine breite, leere Straße. Am Rand der Straße wuchs verkümmertes Ge büsch, und weit im Hintergrund ragten die charakteristischen Silhouetten arkonidischer Trichterhäuser in die Höhe. Wir waren in Elkinth …
7. Vorerst waren wir weiterhin auf die Füße als einziges Transportmittel angewiesen. Die Landschaft ringsum war ein häßliches Ge misch aus zerfallenen Industrieanlagen und kümmerlichem Pflanzenwuchs. Varlakors rötliche Sonne brannte nichtsdestoweniger mit erheblicher Intensität, und der Chretkor hatte wieder einmal Angst, er müsse zerflie ßen. Wir schritten die Straße entlang, von der wir am Stand der Sonne erkannten, daß sie nach Osten führte – in die Richtung, in der das Tauschbecken lag, bei dem wir uns mit Basnorek verabredet hatten. Es blieb uns fast noch ein Tag, um die Verabredung ein zuhalten. Wir waren erst ein paar Meilen gegangen, als wir abseits der Straße in einem Gebüsch ein Fahrzeug bemerkten und gleich darauf auch lärmende, menschliche Stimmen hör ten. Wir gingen auf das Gebüsch zu. Das Fahrzeug war ein Luftkissengleiter älterer Bauart, und ziemlich heruntergekom men. Einen ähnlichen Eindruck machten die merkwürdig gekleideten, mit dichtem Haarund Bartwuchs ausgestatteten Männer, de nen das Fahrzeug anscheinend gehörte und die hier heraus in die Einöde gekommen wa ren, um eine Art Picknick zu veranstalten. Es war kein allzu erfreulicher Anblick, der sich uns bot. Die Bärtigen waren offenbar Raumschiffer. Irgendwo in Elkinth hatten sie ein paar Frauen aufgegabelt, die für ge
31 ringes Entgelt jedweder Beschäftigung nach zugehen bereit waren. Die Picknickszene war ein Platz voller Unrat und halbbetrunke ner Menschen. Fartuloon wollte umkehren, noch bevor die Betrunkenen uns gewahrten. Aber ich stand hinter ihm und versperrte ihm den Weg. Zimperlichkeit bedeutete mir nichts mehr. Einer der Bärtigen sah uns schließlich. Es war erstaunlich, mit welcher Vehemenz er aufsprang – besonders wenn man beobachte te, wie schwer es ihm fiel, das Gleichge wicht zu wahren, als er auf uns zutorkelte. Er baute sich vor mir auf und schien Schwierigkeiten mit dem Fokussieren der Augen zu haben, denn er öffnete und schloß die Lider in rascher Folge. »Wer sei … seid ihr?« lallte er in holpri gem Arkonidisch. Er stank nach billigem Fusel. »Wir haben uns verirrt und suchen nach einer Fahrgelegenheit zum Tauschbecken«, antwortete ich. Unsicheren Blicks überflog er unsere Gruppe. Inzwischen hatten auch seine Ge nossen unsere Ankunft bemerkt. Sie kamen taumelnd auf die Beine, schüttelten die krei schenden Weiber von sich ab und traten her bei, um uns aus der Nähe zu betrachten. Ich sah gierige Blicke, die sich auf Ischtar rich teten. »Da … das ließe sich vielleicht einrich ten«, stammelte der nach Fusel Stinkende. »Wieviel zahlt ihr?« »Wir haben nicht viel bei uns.« Ich zog ein paar Münzen aus der Tasche und ließ sie ihn sehen. Er schenkte ihnen nicht sonderlich viel Beachtung und erklär te: »Das ist in Ordnung. Wir fahren euch. Aber zuerst kommt her und labt euch an ei nem Trunk!« Die Bereitwilligkeit, mit der er auf mein billiges Angebot einging, war mir ein Be weis, daß wir uns vor diesen Burschen in acht nehmen mußten. Ihrem eigenwilligen Aufzug nach zu schließen, waren sie Frei händler. Freihändler waren dafür bekannt,
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daß sie von moralischen Grundsätzen nichts hielten und den Begriff »Skrupel« nicht kannten. Offenbar hatten sie es auf Ischtar abgesehen. Sie waren betrunken und daher nicht in der besten Form für eine Auseinan dersetzung. Trotzdem mußten wir ein Auge auf sie haben. »Einen Trunk brauchen wir nicht, aber wir danken dir für deine Einladung«, ant wortete ich so höflich, wie es mir eben ge lang. »Noch dankbarer aber wären wir dir, wenn du uns gleich jetzt zum Tauschbecken brächtest.« Er warf seinen Leuten einen fragenden Blick zu. Ich sah sie die Geste der Zustim mung machen, und wieder wanderten ihre brennenden, gierigen Blicke zu Ischtar zu rück. »Auch das ist in Ordnung«, sagte der Stinkende, der mit jedem Augenblick nüch terner zu werden schien. »Ich werde euch auf dem schnellsten Weg zum Tausch becken bringen, so wahr ich Phogymar der Roßtäuscher bin.«
* Der Aufbruch geriet zum Drama. Das Fahrzeug hatte nämlich nicht genue Platz für alle. Also entschieden sich die Freihändler, die verlotterten Weiber zurückzulassen. Das wiederum behagte diesen wenig, und es kam zu einer unappetitlichen Szene, in der ange trunkene Männer und Frauen einander ver prügelten. Schließlich jedoch waren wir die Weiber los. Wir pferchten uns in den alten Gleiter. Phogymar selbst übernahm das Steuer. Ich drängte ein paar seiner Leute bei seite, um ganz in seiner Nähe zu sitzen. Far tuloon blieb dicht hinter mir. Corpkor und Eiskralle dagegen hielten sich in Ischtars Nähe und hinderten die Freihändler daran, sich allzu dicht an sie heranzudrängen. Fartuloon wußte ebenso gut wie ich, daß wir auf der Hut sein mußten. Der Bauchauf schneider trug Yukkars, des Rotauges, Kar te, auf der auch der Weg vom Ende des Schmugglerpfades bis zum Tauschbecken
noch skizzenhaft eingezeichnet war. Phogy mar bugsierte den Gleiter zunächst auf die Straße und ging auf Ostkurs. Die Sonne neigte sich allmählich dem Horizont entge gen. »Wie weit ist es bis zum Becken?« fragte ich den Freihändler. »Kaum mehr als achtzig Meilen«, antwor tete er. Ich tat so, als nähme ich es einfach zur Kenntnis. Aber ein paar Augenblicke später suchte ich Fartuloons Blick. Er hatte die Karte in der Hand und machte eine vernei nende Geste. Lautlos formte er mit den Lip pen das Wort: »Drittel!« Da wußte ich, daß Phogymar uns herein legen wollte: Das Tauschbecken war höch stens dreißig Meilen entfernt. Wenig später kamen wir in bewohnte Ge genden. Ich erinnerte mich an Arkon, und das Herz krampfte sich mir im Leibe zusam men, als ich die kümmerlichen, halb zerfal lenen Trichterhäuser sah, die sich aus halb totem, verdorrtem Dornbusch erhoben. Wo war Arkons Herrlichkeit geblieben? Wir kamen an eine Straßenkreuzung. Pho gymar bremste die Fahrt des Gleiters und bog nach links, also nach Norden, ein. Ein Blick auf Fartuloon belehrte mich, daß wir den Kurs zum Tauschbecken verlassen hat ten. Es war an der Zeit, auf eine Entschei dung zu drängen. »Warum fährst du nicht den kürzesten Weg?« fragte ich den Piloten. Phogymar hatte meine Ortskenntnis of fenbar nicht richtig eingeschätzt. Er kam einen Augenblick lang aus dem Gleichge wicht. »Aber … Es ist doch der kürzeste Weg!« behauptete er. »Nein! Der kürzeste Weg hätte geradeaus geführt!« »Die Straße ist dort unterbrochen«, stieß er hervor. »Dieses Fahrzeug ist nicht mehr das jüngste. Ich bin darauf angewiesen, einen ebenen Straßenbelag unter mir zu ha ben.«
Die Unterwelt von Varlakor Ich tat so, als ließe ich ihn gewähren. Aber mein Blick ging rundum. Fartuloon war bereit. Auch Corpkor signalisierte mit den Augen, daß es nur noch der Aufforde rung zum Zuschlagen bedurfte. Ich nahm den Lähmstrahler zur Hand. »Geh zum Teufel!« sagte ich und drückte ab. Die Salve traf Phogymar voll. Er sackte zur Seite, ohne einen Laut von sich zu ge ben. So schnell ich konnte, griff ich ins Steuer und hinderte das Fahrzeug, von der Straße abzuweichen. Hinter mir gab es ein paar Augenblicke lang wüsten Lärm. Fartuloon, Corpkor und Eiskralle waren am Werk. Die angetrunke nen Freihändler waren uns nicht gewachsen. Binnen kurzer Zeit hatten wir sie überwäl tigt. Nur einer von ihnen war noch bei Be wußtsein. Ich setzte das Fahrzeug auf der Straße ab. Beim Ausladen der Freihändler verfuhren wir nicht sonderlich behutsam. Wir warfen die schlaffen Körper durch die geöffnete Lu ke hinaus in das dürre Gras am Rande der Straße. Der eine, der noch bei Bewußtsein war, sprang vor lauter Angst aus eigenem Antrieb hinaus. »Ihr findet das Fahrzeug beim Tausch becken!« schrie ich ihm nach. »Das nächste Mal, wenn ihr auf Planetenurlaub seid, haltet euch an die bezahlten Weiber und laßt die Augen von Frauen, die nicht für euch ge macht sind!« Dann schloß ich die Luke und übernahm selbst das Steuer. Ich glaubte, die lüsternen Freihändler ein für allemal hinter mir gelas sen zu haben. Aber ich täuschte mich.
* Das Tauschbecken war ein weitläufiger Talkessel, dessen Sohle tatsächlich die leichtgewölbte Form eines Beckens oder ei ner Schüssel hatte. Das Tauschbecken war der Treffpunkt aller, die in Elkinth zu tun hatten, ohne hier zu wohnen. Die Mann
33 schaften der Handelsschiffe also, die Varla kor nicht anders anfliegen durften als über den kleinen Raumhafen Elkinth. Im Tauschbecken gab es alles, was das Herz eines Raumschiffers begehrte, der den größten Teil des Jahres zwischen den Ster nen zubrachte: Händler mit fremdartigen Waren, Kneipen, Freudenhäuser, Spielplät ze, Wechselstuben … und vor allen Dingen ein Publikum, das so gemischt war wie nir gendwo sonst in diesem Sektor des Arkoni denreichs. Gerade dieser letztere Umstand war ein Vorteil für uns. Ischtar und Chapat, beson ders aber Eiskralle, der Chretkor, fielen un ter arkonidischem Volk immerfort auf. Das Vielvölkergemisch des Tauschbeckens von Elkinth bewahrte uns vor neugierigen und womöglich gefährlichen Blicken, denn unter denen, die sich hier bewegten, gab es für ar konidische Augen soviel Groteskes, daß die Menschen es längst verlernt hatten, sich nach andern umzudrehen, nur weil sie ein ungewöhnliches Äußeres zur Schau trugen. Wir parkten den Gleiter am Rand der Hü gelkette, die das Tauschbecken einschloß. Die Freihändler mochten sich ihn hier abho len. Dann mischten wir uns in das bunte Ge dränge, das den mehr als eine Meile weiten Talkessel erfüllte. Basnorek hatte uns keinen bestimmten Treffpunkt genannt. Wir aber glaubten, seine Gewohnheiten zu kennen, und suchten ihn in erster Linie in den zahllo sen Kneipen, die sich hier angesiedelt hat ten. Ihre Architektur war atemberaubend exotisch bis schäbig oder erbärmlich. Es gab arkonidische Trichterbauten, an denen man außen über eine Leiter hinaufklettern mußte, weil das Innere des Trichterstiels baufällig geworden war. Es gab Kasten-, Keller- und Wabenhäuser, und ein Kaschemmenwirt hatte einen riesigen künstlichen Baum er richtet und bewirtete seine Gäste auf Bän ken, die aus von Ast zu Ast geschlagenen Brettern bestanden. Er machte ein Riesenge schäft; aber es hieß, daß er Schwierigkeiten habe, seine Bedienung zu halten. Den Schankmädchen war das Umherturnen im
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Baum zu anstrengend und zu gefährlich. Wir suchten bis gegen Mitternacht. Die Genossenschaft der Händler und Wirte hatte den Talkessel mit einem Netz von Masten überzogen, von denen grelle Sonnenlampen leuchteten. Im Tauschbecken wurde es nie dunkel, ging das Gerede. Aber so unerträg lich hell es dort auch sein mochte: Basnorek kam uns nirgendwo unter die Augen, und die paar Händler, die wir nach ihm zu fragen wagten, hatten seinen Namen nie gehört. Schließlich gaben wir uns geschlagen. Es gab auch Unterkünfte, Gästehäuser, im Tauschbecken. Sie waren nicht das, was un serem Geschmack entsprach, eher Ausnüch terungslöcher für diejenigen, die den Weg zurück zu ihrer eigentlichen Behausung oder ihrem Raumschiff nicht mehr finden konn ten. Andererseits aber waren auch unsere Fi nanzmittel nicht danach, daß wir besonders wählerisch hätten sein können. Wir fanden schließlich ein einigermaßen passables Haus, in dem wir drei Räume für eine Nacht mieteten. Zu ebener Erde gab es eine Schen ke, die die Nacht mit Lärm erfüllte. Uns machte es nichts aus. Die Mühen der ver gangenen Tage hatten uns so erschöpft, daß wir im Haus des Donners selbst hätten schlafen können. Ich sage »wir« – und dennoch bildete ich eine Ausnahme. Seit Crysalgiras Tod hatte das Unterbewußtsein die Kontrolle über mein Ich übernommen. Der Körper kam nicht mehr zu seinem Recht. Auch der Zu stand akuter Erschöpfung brachte keinen Schlaf über meine Lider. Ich wartete, bis die anderen zur Ruhe ge gangen waren. Dann ging ich hinab in die Schenke und betrank mich. Das half. Ich wankte nach oben, fiel auf mein Lager und war einen Atemzug später eingeschlafen.
* Am nächsten Morgen leistete ich die ent sprechende Buße: Mir war nie übler gewe sen. Fartuloon polterte in meine Kammer. Der Lärm, den er dabei vollführte, ließ mir
die Haare zu Berge stehen. »Corpkor ist verschwunden!« dröhnte er. Der donnernde Klang seiner Stimme ließ mich vom Lager in die Höhe fahren. Ich schloß unwillkürlich die Augen, so wild war der Kopfschmerz. Als ich wieder aufzu blicken wagte, stand Fartuloon vor mir und musterte mich mit besorgtem Blick. »Hier stinkt's wie im Innern eines alten Weinfasses«, bemerkte er in so strengem Tonfall, wie ich ihn seit den frühesten Tagen unserer Freundschaft nicht mehr gehört hat te. »Ich weiß«, krächzte ich. »Der Schlaf kam nicht. Ich ging, um mich zu betrinken!« »Du bist durch die Schule von Largame nia gegangen«, antwortete er, wesentlich sanfter. »Du wirst dir keinen Schaden zuge fügt haben.« »Ganz bestimmt nicht«, wehrte ich ab. »Was war das mit Corpkor?« »Er hat sich über Nacht davongemacht«, sagte Fartuloon. Ich hörte das Mißtrauen aus seinen Wor ten. Es schien mir absurd. »Er wird wiederkommen«, behauptete ich. »Das hoffst du!« Ich blickte dem Bauchaufschneider gera de in die Augen. »Nein, das weiß ich!« antwortete ich mit soviel Bestimmtheit, wie mir meine misera ble Konstitution zugestehen wollte. Fartuloon gab ein knurrendes Geräusch von sich. Es war keine Zustimmung, soviel konnte ich mühelos erkennen. Wir wurden abgelenkt. Draußen auf dem Gang, an dem Gang, an dem unsere Kammern lagen, hörte ich laute Stimmen. Das Organ des Chretkors war unter Tausenden herauszuerkennen. »Wen hast du da?« hörte ich ihn schreien. Das Pochen im Schädel hinderte mich nicht mehr. Ich sprang auf und trat auf den Gang hinaus. Das Gästehaus war alles ande re als modern eingerichtet. Die Verbindung zwischen den einzelnen Stockwerken be sorgte eine Treppe mit breiten, ausgetrete nen Stufen. Über diese Treppe sah ich ein
Die Unterwelt von Varlakor Individuum heraufkommen, dessen Anblick mich erschreckte. Der Mann war hoch aufgeschossen, nach Haut- und Augenfarbe ohne Zweifel ein Ar konide. Dabei war er so entsetzlich dürr, daß man meinte, er müsse jeden Augenblick aus einanderbrechen, zumal er sich mit einer schlingernden Gangart bewegte, bei der der Oberkörper ständig hin- und herschaukelte. Hinter dem Mann, auf dessen fahlem, einge sunkenen Gesicht die Angst stand, schritt Corpkor. Er wirkte grimmig entschlossen, und der Dürre sah sich immer wieder nach ihm um, als fürchtete er, daß der Jäger auf ihn einprügeln werde. Ich warf Farttfloon einen triumphierenden Blick zu; aber der Bauchaufschneider ge wahrte ihn nicht. Corpkor trieb den Dürren vor sich her, bis er unmittelbar vor mir stand. Ich sah, daß der Mann zitterte. Er war so ausgemergelt, daß ihm die Gesichtshaut in langen, schlaffen Falten über die Wangen hing. Ich sah, daß Fartuloon ihn mit großer Aufmerksamkeit musterte. »Dies ist Kaljorr, ein Händler am Rande des Tauschbeckens«, sagte Corpkor. »Ich war zufällig in der Nähe, als ich ihn mit ei nem seiner Kunden über Basnorek reden hörte. Darum brachte ich ihn hierher.«
* Das waren einfache Worte, wie Corpkor, der Bescheidene, sie zu sprechen pflegte. Dabei hatte er sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, um nach Basnoreks Spur zu suchen. Niemand hatte ihn damit beauf tragt. Aus eigenem Antrieb hatte er sich auf den Weg gemacht. »Du weißt von Basnorek, Kaljorr?« wandte ich mich an den Dürren. Ich sprach freundlich zu ihm; denn er be fand sich in einem Zustand höchster Angst, und es erschien mir gut, ihn zuerst zu beru higen. Nur dann würden wir Zusammenhän gendes erfahren. »O Herr, das ist wahr!« antwortete er übereifrig. »Aber ich habe nichts mit Basno
35 reks verwerflichen Tätigkeiten zu tun!« »Aber wir wissen nichts davon, daß er Verwerfliches tut«, hielt ich für geraten zu behaupten. »Wir trafen ihn in Samorth, und er versprach uns eine Passage auf seinem Raumschiff, wenn wir bis zum heutigen Tag in Elkinth einträfen.« »O Herr, er wird euch auf seinem Schiff nicht mehr mitnehmen können«, antwortete Kaljorr. »Warum nicht?« »Weil sich die Nachrichtenpolizei seiner angenommen hat«, erläuterte der Dürre. »Es heißt, daß Basnorek mit den Informations räubern zusammenarbeitete.« »Was hat man mit ihm vor?« »Nichts weiter, o Herr, denn Basnorek ist tot. Die Polizei behauptet, er habe zu fliehen versucht und sei auf der Flucht erschossen worden.« Ein mattes Grinsen huschte über sein Gesicht. »Wir aber, die Zunft der Händ ler aus dem Tauschbecken, kennen die Me thoden der Nachrichtenpolizei und sind si cher, daß Basnorek einfach aus dem Weg geräumt wurde.« »Was wurde aus seinem Raumschiff?« »Die Besatzung ist darin eingeschlossen, und das Schiff wird von der Polizei bewacht, o Herr!« Das waren schlechte Nachrichten. Basno rek tot, seine Mannschaft gefangen, das Raumschiff in Quarantäne. Wir hatten die zweitausend Meilen nach Elkinth umsonst zurückgelegt. »Kaljorr«, sagte ich: »Wir brauchen ein Raumschiff, das uns von Varlakor zu einer Welt bringt, auf der wir eine wichtige Ver abredung einzuhalten haben. Du wirst uns helfen, und wir werden dich dafür bezah len!« Sein Gesicht wurde aschgrau vor Furcht. »O Herr, ich bin ein armer, unbedeutender Händler!« jammerte er. »Ich lebe noch, weil ich der Nachrichtenpolizei niemals aufgefal len bin. Wenn ich jetzt umhergehe und nach einer Passage für euch suche, dann wird die Polizei im Nu auf meiner Spur sein, und dann ist es aus mit mir!«
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In diesem Augenblick griff Fartuloon in die Unterhaltung ein. »Es wird ohnehin bald aus mit dir sein!« behauptete er in grobem Tonfall. Kaljorr erschrak. »Wie meinst du das, o Herr?« »Ich sehe es dir an. Du bist zuviel mit Freihändlern zusammen gewesen. Die VaVormo-Krankheit wird dich höchstens noch ein Jahr leben lassen!« Da fing Kaljorr von neuem an zu zittern. Er schien den Halt zu verlieren und wäre um ein Haar in die Knie gegangen. Corpkor je doch stand hinter ihm und stützte ihn. »O Herr, woher weißt du …« jammerte der Dürre. »Ich war des Imperators Bauchaufschnei der«, antwortete Fartuloon würdevoll. »Ich kenne alle Krankheiten, auch die Va-Vormo. Ich bin einer der wenigen, der sie heilen kann. Und ich sage dir: Besorge uns eine Passage, gib deinen Handel auf, komm mit uns … und ich werde deine Auszehrung hei len!«
8. Wir alle waren schweigsam. Ich hatte von der Va-Vormo-Auszehrung gehört. Sie wird durch winzige Parasiten ausgelöst, die sich in der Hauptsache an Bord von Handels schiffen finden. Wahrscheinlich nehmen die Schiffe die winzigen Erreger auf irgendeiner Handelswelt auf; aber man weiß bis auf den heutigen Tag nicht, welche Welt das ist. Einmal im Körper eines Arkoniden – andere Völker scheinen nämlich nicht davon betrof fen zu sein – vermehrt und verbreitet sich der Va-Vormo-Parasit und frißt mit der Zeit seinen Wirtskörper auf. »O Herr … ich glaube dir!« stammelte Kaljorr, und ein Schimmer der Hoffnung leuchtete aus seinen hellroten Augen. »Du kannst deine Freunde bringen, damit sie mein Gelübde hören … oder ich will es dir schriftlich geben: Wenn du uns ein Raumschiff besorgst, das uns an den Ort un serer Verabredung bringt, dann will ich dich
binnen weniger Tage von der Va-Vor mo-Auszehrung heilen!« Kaljorr hatte plötzlich Tränen in den Au gen. »O Herr, ich werde tun, was du von mir verlangst. Ich brauche keine Zeugen und kein Schriftstück, denn in deinen Augen wohnt die Treue, und ich glaube dir!« Fartuloon traf die nötigen Vereinbarungen mit Kaljorr. Deren Bestandteil war unter an derem, daß wir über keinerlei Finanzmittel verfügten und den Kapitän des Raumschiffs erst nach Ankunft auf der Zielwelt würden bezahlen können. Ich konnte diese Sache ge trost dem alten Bauchaufschneider überlas sen. Er würde mit Kaljorr keine Vereinba rung treffen, die uns Schaden oder Nachteile verursachte. Derweil hatte ich Zeit, über die Grausam keit unserer Gesellschaft nachzudenken. Je dermann wußte, daß die Va-Vor mo-Auszehrung unweigerlich zum Tode führt. Jedermann wußte ebenso, daß es eine Handvoll Ärzte gab, die die Auszehrung zu heilen vermochten. Die Mehrzahl der Ärzte jedoch war unwissend, was die Va-Vormo anging, und hielten sie für unheilbar. Es gab im arkonidischen Imperium kein Gesetz, keine Verpflichtung, nicht einmal moralischen Druck auf die wenigen Ärzte, die die Heilmethode kannten, ihre Kenntnis se an andere Ärzte weiterzuvermitteln und auf diese Weise den Fluch der Va-Vormo zu bannen. Die wenigen, die die Auszehrung zu behandeln vermochten, hüteten ihr Wissen wie ihren Augapfel. Denn es sicherte ihnen eine Art Monopol, und zusammen mit dem Monopol einen stetigen Fluß horrender Ein künfte. Wer sich gegen Va-Vormo behan deln lassen wollte, der mußte einen der we nigen Spezialisten aufsuchen und ihn ent sprechend bezahlen. Den Armen – zu denen Kaljorr sicherlich gehörte – blieb nur der Ausweg: zu sterben. Kaljorr machte sich schließlich auf den Weg. Am späten Nachmittag sahen wir ihn wieder. Schon glaubten wir, es sei ihm in nerhalb solch kurzer Zeit gelungen, eine
Die Unterwelt von Varlakor Passage für uns ausfindig zu machen. Er aber näherte sich Fartuloon mit unterwürfi gen Gebärden und brachte aus den Taschen seines schäbigen Gewandes eine Rolle mit bunten Münzmarken hervor. »O Herr, ich habe mich an eure Not erin nert«, sagte er. »Da ich mit euch gehen wer de, damit du mich heilen kannst, habe ich mein Geschäft verkauft und ein wenig Geld daraus erlöst. Dieses aber bringe ich euch, weil ihr ohne Geld seid und keine Nahrung für euch kaufen könnt, nicht einmal für das kleine Kind, das die herrliche Frau in der Schlinge trägt!« Ich hätte ihm am liebsten umarmen mö gen. Fartuloon aber nahm die Rolle entge gen und gebärdete sich so, als habe er gar nichts anderes erwartet. Kaum, daß Kaljorr ein dürftiges Lob von ihm erntete.
* Ein weiterer Tag verging. Wir bekamen Kaljorr nicht zu Gesicht. Corpkor wollte auf Kundschaft gehen und erfahren, ob der Dür re sich wirklich für uns bemühte. Ich aber verbot es ihm. Ich hatte Vertrauen zu Kal jorr, ebenso wie dieser Fartuloon vertraute. Er würde uns nicht im Stich lassen. Für uns freilich bedeutete jeder Tag, den wir uns länger auf Varlakor aufhielten, zu sätzliche Gefahr. Denn wenn auch das Viel völkergemisch in der Sektion Elkinth die Menschen dazu erzogen hatte, ihren Mit menschen keinerlei Neugierde entgegenzu bringen, so waren doch Fartuloon und ich infolge der Fahndungsbefehle, die Orbana schol erlassen hatte, überaus bekannte Per sonen. Es mochte sich leicht jemand finden, der unsere Bilder gesehen hatte und die Be lohnung begehrte, die auf unsere Einbrin gung gesetzt war. Auch mochte sich die Nachricht verbreitet haben, daß Atlan sich in der Begleitung einer Frau von fremdartiger Schönheit befand, und Ischtars Aussehen war danach, die Aufmerksamkeit selbst ei nes uninteressierten Elkinthers zu erregen. Es kam für uns also darauf an, daß Kaljorr
37 so schnell wie möglich Erfolg hatte … und außerdem, daß wir uns so wenig wie mög lich in der Öffentlichkeit sehen ließen. Obwohl ich diese Notwendigkeit erkann te, hielt es mich nicht in der Enge meiner Kammer. Am frühen Nachmittag, als die rötliche Sonne auf dem Land brannte und das Leben im Tauschbecken für kurze Zeit einschlief, schlich ich mich aus dem Gä stehaus. Ich wandte mich nicht dem Becken zu, sondern den Hügeln, in die es eingebettet war. Abseits der Straßen wuchs schütterer Buschwald. Dort wollte ich umherwandem, bis die Dunkelheit einbrach, und mit meinen Gedanken alleine sein, da sie mir ohnehin keine Ruhe gaben. Das Gebüsch war trocken und dornig. Mehr als einmal riß ich mir durch das Ge wand hindurch die Haut auf. Da meine Brandwunden noch nicht völlig verheilt wa ren, verursachten die Dornenstiche beißende Schmerzen. Ich aber achtete nicht darauf, im Gegenteil: ich empfand jeden Stich mit Ge nugtuung, denn der Schmerz war meine Bu ße für das, was ich an Crysalgira getan hatte. Tief in Gedanken versunken, trat ich auf eine Lichtung, deren Boden aus heißem, staubigem Sand bestand. So heiß war der Sand, daß er durch die Sohlen der Sandalen brannte. Ich blieb stehen und konzentrierte mich auf den Schmerz. Dabei blickte ich auf und gewahrte eine Gestalt, die ein paar Schritte vor mir am gegenüberliegenden Rand der Lichtung kauerte. »Ischtar …!« stieß ich hervor. Dunkle Trauer lag in ihren Augen. »Ich habe auf dich gewartet, Atlan«, sagte sie. Ich ging zu ihr. »Du bist mir fremd geworden, Atlan«, fuhr sie fort. »Ich bin ein dummes Weib. Ich sah nicht – oder wollte nicht sehen –, daß du der Prinzessin gehörtest!« Sie wußte es nicht … aber ihre Worte schmerzten heftiger als der Stich der Dornen und die glühende Hitze des Sandbodens. »Deine Gedanken gehen in die falsche Richtung«, antwortete ich. »Crysalgira war
38 meine Gefährtin in vielen Gefahren. Es war tiefe Freundschaft, aber nicht Liebe zwi schen uns. Ich gehörte nicht der Prinzessin, und sie gehörte nicht mir. Jeder zweite ihrer Gedanken galt Chergost, dem Sonnenträ ger.« Ich kauerte neben ihr. Sie blickte starr auf die Lichtung hinaus. »Warum dann«, sagte sie, »behandelst du mich mit Kälte, seitdem die Prinzessin nicht mehr bei uns ist?« Ich dachte lange darüber nach, was ich darauf antworten sollte. »Mein Herz ist stumm, und mein Ver stand erschauert vor dem, was ich an Crysal gira getan habe«, sagte ich schließlich. »Du brachtest dich in Sicherheit, was je der andere Mensch auch getan haben wür de«, hielt Ischtar mir entgegen. »Die Prin zessin aber war ein intelligentes Wesen. Sie hätte sich selbst in Sicherheit bringen müs sen … ohne auf deine Hilfe zu warten!« Das war es, was ich mir selbst oft genug eingeredet hatte. Aber es war weniger als die Hälfte dessen, womit mein Bewußtsein seit Crysalgiras Tod rang. Ich hatte mich darauf verlassen können, daß Crysalgira aus eige ner Kraft die Mündung des rettenden Stol lens fand. Mich traf keine Schuld deswegen, weil ich nicht zurückgeblieben war und ihr geholfen hatte. Aber das andere … Ich stand auf. »Du kennst die Zusammenhänge nicht«, sagte ich, und meine Stimme mußte hart und unfreundlich geklungen haben, denn Ischtars Blick war plötzlich feindselig. »Ich bin sicher, daß du mir sie eines Ta ges erklären wirst«, antwortete sie bitter. Sie sprang auf und verschwand im Dickicht des dornigen Buschwaldes. Ich folgte ihr nicht. Ich blieb stehen, wo ich war. Ich mußte lange dort gestanden ha ben, denn als ich mich wieder in Bewegung setzte, stand die Sonne schon tief. Mehr mit dem Instinkt als mit Hilfe der Erinnerung fand ich den Weg zurück zum Rand des Tauschbeckens. Mittlerweile wurde es dun-
Kurt Mahr kel; aber dennoch bewegte ich mich mit Vorsicht, sobald ich die Straße erreichte. Vor unserem Gästehaus gewahrte ich eine Gestalt, die im Schatten eines Nebengebäu des kauerte. Ich dachte mir nichts Besonde res dabei, schritt aber dennoch auf den Kau ernden zu, denn in unserer Lage konnte man nicht vorsichtig genug sein und mußte auf jede Kleinigkeit acht geben. Der Lauscher bemerkte mich erst im letzten Augenblick. Er sprang auf und hetzte über den hell er leuchteten Platz, der vor dem Gästehaus lag, davon. Ein langer Bart wehte hinter ihm her, und als er einen halben Atemzug lang in das Licht einer Laterne geriet, erkannte ich Pho gymar, den Roßtäuscher.
* An diesem Abend war ich zum ersten Mal seit langer Zeit rechtschaffen müde und fiel in Schlaf, ohne mich vorher zu betrinken. Am nächsten Morgen erzählte ich Fartuloon von der Beobachtung, die ich am Abend bei der Rückkehr gemacht hatte. »Freihändler sind rachsüchtig«, antworte te er. »Der Kerl will sich wahrscheinlich an uns rächen. Wir sollten die Augen offen hal ten, aber mehr brauchen wir nicht zu tun.« Es fiel mir nicht schwer, seine Ansicht an zunehmen. Wir hatten Phogymar beleidigt, in seinen Augen womöglich sogar geprellt. Er war hinter uns her, um uns dafür zu be strafen … das war alles. Kurz vor Mittag erschien Kaljorr, der sich gestern den ganzen Tag nicht hatte sehen lassen. Er strahlte über das faltige, eingefal lene Gesicht. Bezüglich der Hierarchie in unserer Gruppe schien es für ihn keine Un klarheit zu geben: Er wandte sich direkt an Fartuloon. »O Herr, ich komme, um den Erfolg zu melden!« rief er voller Begeisterung. Fartuloon erhob sich gemächlich von sei nem Lager, auf dem er die Zeit der Mittags hitze zu verbringen gedacht hatte. »Wenn du die Wahrheit sprichst, kann ich
Die Unterwelt von Varlakor dir meine Anerkennung nicht versagen«, er klärte er würdevoll. »Was für ein Schiff ist es, dessen Kapitän uns an den Zielort brin gen will?« »Kein besonders schönes Schiff, o Herr«, antwortete Kaljorr aufrichtig. »Aber du mußt verstehen, daß es schwierig ist, auf dieser Welt eine Passage zu bekommen, und es werden sich nur diejenigen Kapitäne be reit finden, Passagiere mitzunehmen, die nicht auf andere Art und Weise ein besseres Geschäft machen können.« »Du sprichst, was ich schon lange weiß«, wies der Bauchaufschneider ihn zurecht. »Aber ich brauche ein Schiff, das weite Strecken fliegen kann, und bei mir befindet sich ein Neugeborenes, das gewisse Be quemlichkeiten braucht.« »All das ist mir klar, o Herr«, beteuerte Kaljorr. »Ich habe darauf geachtet. Ogloths Fahrzeug gehört nicht zu den jüngsten, und von außen macht es keinen vornehmen Ein druck, aber Ogloth versichert mir, daß es …« »Ogloth …?« erkundigte sich Fartuloon. »Ogloth del Parim, o Herr!« beeilte sich Kaljorr zu antworten. »Wenn du willst, füh re ich ihn sogleich zu dir!« Fartuloons Blick begegnete dem meinen. Ein Freihändler mit einem halbwracken Raumschiff – denn wir wußten Kaljorrs eu phemistische Beschreibung wohl zu deuten – der einer arkonidischen Adelsfamilie an gehörte? »Ich will den Mann sehen!« forderte Far tuloon. »Ich bringe ihn dir sofort, o Herr!« bot Kaljorr an. »Nein, nicht hier! Wo befindet er sich im Augenblick?« »Er sitzt unten in der Kneipe, o Herr!« Fartuloons Augen sprühten zornige Fun ken unter dichten Brauen hervor. »Du hast ihn hierhergebracht?« dröhnte seine Stimme. »Weiß er, daß wir hier woh nen?« Kaljorr lächelte ein wenig.
»Natürlich nicht, o Herr. Ich hatte den
39 Eindruck, daß du deine erhabene Identität als ein Geheimnis betrachtet haben wolltest. Deswegen lockte ich Ogloth unter einem Vorwand hierher und sorgte dafür, daß ihm ordentlich eingeschenkt wird.« Abermals begegneten mein und Fartulo ons Blick einander. »Ich werde mir den Mann ansehen«, ent schied der Bauchaufschneider. »Du zeigst ihn mir … aber so, daß er mich vorerst noch nicht sehen kann!« Kaljorr machte eine Verneigung. »Ich werde tun, was du mir befiehlst, o Herr!« Er führte Fartuloon und mich durch einen der rückwärtigen Eingänge in die Schenke. Hinter einer Säule hervor bezeichnete er uns einen stiernackigen, vierschrötigen Mann, der allein an einem Tisch saß, den Kopf in die Hände gestützt hielt und einen riesigen Becher vor sich stehen hatte. Die Schenke war voll. Am Tisch des Vierschrötigen standen fünf leere Stühle. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, da erfuh ren wir, wie Ogloth del Parim es fertigbrach te, inmitten dieser Fülle so alleine zu sein. Zwei Männer näherten sich seinem Tisch. Sie trugen bunt zusammengestückelte Mon turen, wie es unter den Freihändlern üblich ist. Der eine erkundigte sich höflich: »Dürfen wir an Ihrem Tisch sitzen, mein Freund?« Er bediente sich der Sprache der gehobe nen Schichten. Ogloth tat das nicht. »Schert euch zum Teufel!« knurrte er. »Aber es gibt hier noch viel Platz!« be schwerte sich der höfliche Frager. Daraufhin stand Ogloth del Parim auf. Er tat es ganz gemächlich, als führte er nichts Böses im Schild. Dabei sah ich, daß seine Größe der Breite seiner Schultern entsprach. Er stand fast sieben Fuß hoch. »Ich habe gesagt, ihr sollt euch zum Teu fel scheren!« röhrte er. Und dann, schneller als die Augen folgen konnten, griff er nach den beiden Freihänd lern. Er bekam sie bei den Hälsen zu fassen, schlug ihnen die Köpfe gegeneinander und
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Kurt Mahr
schleuderte sie sodann von sich, daß sie ein paar Schritte weit zwischen die Tische der übrigen Gäste fielen. Ogloth setzte sich wieder hin, als sei nichts geschehen, und nahm einen ausgiebi gen Schluck aus seinem Becher. Fartuloon aber sagte zu mir: »Das wird eine lustige Fahrt werden, mein Kristallprinz!«
* Wir gaben Kaljorr den Befehl, im Schat ten der Säule zu warten. Dann schritten wir auf Ogloths Tisch zu. Er sah uns kommen und musterte uns mit einigem Interesse. Ich beobachtete ihn scharf. Wenn er uns erkannt hätte, wäre seine Reaktion eine andere ge wesen. Es gab keinen Zweifel: Er wußte nicht, wer wir waren. Wir fingen es anders an als die beiden Freihändler. Ehe Ogloth es sich versah, sa ßen wir an seinem Tisch. Ich sah, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. Er hatte eine grobgeschnittene, finstere Visage, und was uns daraus entgegenblickte, verhieß uns nichts Gutes. Er stemmte die Fäuste auf den Tisch und schickte sich an aufzustehen. »B1eib ruhig sitzen, o Mann!« rief ich ihm zu. »Wir haben gesehen, wie du mit den Freihändlern umgesprungen bist. Aber die Stühle, auf denen wir sitzen, gehören dem Wirt und nicht dir.« Er war verblüfft, daß jemand so mit ihm zu reden wagte. Aber die Überraschung dau erte nicht lange. »Sieh her, mein feines Bürschchen!« ver spottete er mich. »Wenn du dich mit deinem Großvater nicht alsbald von meinem Tisch entfernst, dann schleudere ich euch beide in die Luft, daß ihr den Schwerekreis dieses Planeten verlaßt und im Weltraum elend er sticken müßt!« »Oho!« lachte ich. »Ogloth del Parim … du bist ein lästerliches Großmaul, und wenn du weiter nichts kannst als große Reden schwingen und harmlose Gäste belästigen, dann wollen wir nicht mit dir fahren!«
Das brachte ihn vollends aus dem seeli schen Gleichgewicht. »Du kennst meinen Namen, Bürschchen …?« röhrte er. »Und du wülst …« »Wenn du mich noch einmal Bürschchen nennst, zeigte ich dir einpaar SiimaLey-Griffe«, fiel ich ihm in die Rede. Siima-Ley war die Selbstverteidigungs kunst, die jeder arkonidische Stabsoffizier, aber sonst niemand, beherrschte. Unsere Unterhaltung begann, ringsum Aufmerksamkeit zu erregen. Das lag nicht in unserem Sinn. Ich winkte Kaljorr, und er kam hinter der Säule hervor. Als Ogloth del Parim ihn erblickte, spiegelte sein grobes Gesicht plötzlich Verstehen wieder. »Aha … daher bläst der Wind!« knurrte er. Wir bestellten für uns Wein und ließen auch Ogloth einen neuen Becher kommen. Der Grobschlächtige hatte sich inzwischen beruhigt. »Wieviel verlangst du?« fragte Fartuloon. »Das kommt darauf an, wohin ihr wollt«, antwortete Ogloth. »Das Ziel sagen wir dir, sobald wir im Raum sind«, gab ich ihm zu verstehen. »Es ist halb soweit von hier entfernt wie Arkon und liegt nicht in Richtung des Kontrollbe reichs der Methans.« Er machte die Geste der Zustimmung, be sonders als er die zweite Hälfte des Satzes hörte. Dann nannte er seinen Preis. »Wenn du nicht sofort sagst, daß du auch mit einem Drittel zufrieden bist«, fuhr Fartu loon ihn wütend an, »stehen wir auf und su chen uns einen anderen Kapitän!« Ein breites Grinsen erschien auf Ogloths Gesicht. »Das würde dir nicht so leicht fallen, Großvater!« spottete er. »Ich sehe euch an, daß ihr Leute seid, denen es darauf an kommt, diesen Planeten möglichst rasch und unerkannt zu verlassen. Es würde euch teuer zu stehen kommen, wenn ihr die FALSE RATH ausschlüget!« Er besaß die Klugheit, mit gedämpfter Stimme zu reden, so daß seine Worte an an
Die Unterwelt von Varlakor deren Tischen nicht verstanden werden konnten. Und er fügte sogleich hinzu: »Also gut … ein Drittel! Seid ihr fahrbe reit?« Fartuloon nahm die Frage nicht einmal zur Kenntnis. »Hat Kaljorr dir gesagt, daß du das Geld erst am Ende der Reise bekommst?« »Das hat er gesagt«, bestätigte Ogloth. »Gibt es an Bord deines Schiffes genug bequeme Unterkünfte für uns?« »Es gibt sie.« »Kannst du heute nacht starten?« »Ich kann.« »Gut«, sagte Fartuloon und stand auf. »Dann wollen wir uns jetzt dein Raumschiff ansehen.«
9. FALSERATH hieß das Schiff, wie wir schon wußten. Kein sehr schönes Schiff war es, hatte Kaljorr uns berichtet. Er hatte un tertrieben. Die FALSERATH, die in einem Randsektor des kleinen Raumhafens von El kinth vor Anker lag, war das baufälligste Raumschiff, das ich je vor Augen bekom men hatte. »Das Ding hält nicht einmal die erste Transition aus!« sagte ich zu Ogloth del Pa rim, der uns mit einem gemieteten Luftkis sengleiter zum Raumhafen gebracht hatte. »Wie wäre es dann hierhergekommen, mein Herr?« fragte er mich. »Im Umkreis von zehn Parallaxensekunden gibt es keinen Planeten, den ein Freihändler wie ich anflie gen würde.« Er sprach seit neuestem mit sehr viel Re spekt zu uns. Er bediente sich sogar der ge hobenen Sprache und nannte uns »Sie«. Was diese Sinneswandlung bewirkt hatte, das war mir unklar. »Vielleicht ist es hier gebaut worden«, meinte Fartuloon. »Und gleich danach wur de es als Ausschuß verworfen und als Denk mal für fahrlässige Raumschiffbauer am Rande des Raumhafens aufgestellt.« »Alter Mann, Sie beleidigen mich!«
41 knurrte Ogloth. Wir gingen an Bord. Drinnen allerdings machte die FALSERATH einen wesentlich besseren Eindruck als von draußen. Wir in spizierten insbesondere die Triebwerkssekti on und überzeugten uns, daß das Schiff we nigstens noch ein Dutzend Transitionen überdauern würde. Bei dem Rundgang begegneten wir eini gen Besatzungsmitgliedern. Sie machten den Eindruck wildverwegener Gesellen, wie man es von Freihändlern erwartete. »Ist das deine ganze Mannschaft?« fragte Fartuloon, der im Gegensatz zu Ogloth sich noch immer der Sprache des Volkes bedien te. »Natürlich nicht, alter Mann«, antwortete der Vierschrötige. »Die Mehrzahl meiner Leute ist auf Urlaub.« »Aber sie werden bei Anbruch der Dun kelheit zurück an Bord sein?« »Ich sende Boten aus, sobald Sie mir sa gen, daß Sie mit mir fliegen wollen.« Fartuloon sah mich an. Ohne Zweifel hat te er sich seine Meinung längst gebildet. Sein fragender Blick war nur eine Reverenz dem Kristallprinz gegenüber. Ich machte das Zeichen der Zustimmung. Daraufhin sagte Fartuloon zu Ogloth: »Halte dich bereit! Denn wir werden eine Stunde vor Mitternacht hier sein, und nicht später als Mitternacht sollst du starten!« Ogloth del Parim deutete eine Verbeu gung an. »Es soll an nichts fehlen, alter Herr!« be teuerte er.
* Es bereitete uns keine Mühe, uns auf den Abflug vorzubereiten. Wir hatten wenig Ge päck. Die Frage war, was wir mit den drei ßig Mikrospulen anfangen sollten, die Yuk kar, das Rotauge, an Basnorek abzuliefern uns aufgetragen hatte. Ich entschied, daß wir sie bei uns behalten sollten. Yukkar war im großen und ganzen ehrlich mit uns verfah ren. Wenn sich irgendwann doch noch ein
42 mal eine Möglichkeit ergab, würden wir die Spulen weitergeben. Ein paar Stunden nach Sonnenuntergang machten wir uns auf den Weg. Kaljorr war bei uns. Das Geld, das wir von ihm bekom men hatten, ermöglichte es uns, einen Miet wagen zu nehmen. Auf der Fahrt zum Raumhafen saß ich neben dem Dürren. »Es erscheint mir merkwürdig«, sagte ich zu Kaljorr, »daß Ogloth sich bereit erklärt hat, uns für einen so geringen Preis zu beför dern.« Denn das, was Ogloth zuerst verlangt hat te, war gewiß übertrieben gewesen. Aber ein Drittel davon entsprach kaum dem Preis, den wir hätten bezahlen müssen, wenn wir auf regulärem Weg eine Passage über diese Entfernung gebucht hätten. Als Kaljorr nichts sagte, fuhr ich fort: »Es erscheint mir um so merkwürdiger, als Ogloth nicht weiß, ob wir am Zielort wirklich bezahlen können.« Da fühlte er sich denn doch zu einer Äu ßerung veranlaßt. »Du darfst nicht glauben, o Herr«, sagte er, »daß Ogloth del Parim unvorsichtig oder gar uneigennützig handelt. Ich weiß, daß der mächtige alte Herr meine Heilung bewirken wird. Dafür, daß ich meine Gesundheit wie dererhalte, ist mir kein Preis zu hoch. Ich sa ge euch, daß ich mein Geschäft verkauft ha be. Es war ein glücklicher Verkauf. Einen kleinen Teil des Erlöses gab ich euch, da ihr kein Geld hattet. Den Rest aber bezahlte ich Ogloth del Parim. Mit dem, was ihr ihm noch zahlen werdet, hat er soviel, wie noch niemals jemand für eine solche Fracht be zahlt hat.« Ich empfand Dankbarkeit und zugleich Befriedigung. Denn es hatte mich gewun dert, daß Ogloth bereit war, uns für einen vergleichsweise geringen Preis an einen Ort zu bringen, den er nicht einmal kannte. Die Angelegenheit wurde nun verständlicher, da ich wußte, daß Kaljorr den größeren Teil seines Vermögens für uns geopfert hatte. Für uns und seine Heilung, versuchte mein Verstand, die Größe des Opfers zu ver-
Kurt Mahr ringern. Aber Kaljorr wußte nicht wirklich, ob ihm Heilung zuteil werden würde. Um so höher war sein Vertrauen einzuschätzen. Wir näherten uns dem Raumhafen, da beugte sich Fartuloon zu mir und sagte in der Sprache des arkonidischen Hofes, die Kaljorr nicht verstand: »Man darf Ogloth auf keinen Fall die Ko ordinaten von Kraumon angeben, bevor wir seiner sicher sind.« Ich war ohne weiteres damit einverstan den. Kraumon war unsere letzte Hoffnung. Fartuloons einzig sicherer Stützpunkt. Wenn wir seine Koordinaten Ogloth del Parim preisgaben, bevor wir wußten, ob er es ehr lich mit uns meinte, dann verstießen wir ge gen das Gesetz der Vorsicht, das wir uns selbst auferlegt hatten. Kurze Zeit später kam der Raumhafen in Sicht, und Ischtar seufzte beim Anblick der FALSERATH.
* Wir wurden freundlich empfangen. Ogloth selbst war zugegen, um uns in die Kabinen zu geleiten, die für uns bereitet worden waren. Man hatte uns nicht zuviel versprochen: Die Bequemlichkeit war aus reichend … größer jedenfalls als in dem Gä stehaus, in dem wir die vergangenen Tage verbracht hatten. »Wann werden wir starten?« fragte ich Ogloth. Er blickte auf seine Uhr. »In weniger als einer Stunde«, antwortete er. »Wir werden bei dir auf der Brücke sein«, erklärte ich ihm. Er hatte anscheinend nichts dagegen, denn er reagierte nicht darauf. Wir richteten uns ein, so gut es ging. Man hatte uns zwei Ka binen zur Verfügung gestellt. In die eine teilten sich Corpkor, Fartuloon und ich, die andere fiel an Ischtar mit Chapat, Kaljorr und Eiskralle. Ich konnte mir keinen besse ren Schutz für Ischtar wünschen als den Chretkor.
Die Unterwelt von Varlakor »Ist dir etwas aufgefallen?« fragte mich Fartuloon, während wir unsere kargen Hab seligkeiten verstauten. Mir war nichts aufgefallen. Ich äußerte mich dementsprechend. »Er hat noch immer ebensowenig Leute an Bord wie zuvor«, erklärte der Bauchauf schneider. Jetzt, da er mich darauf aufmerksam machte, kam es auch mir zu Bewußtsein, daß ich nicht mehr Leute der Mannschaft zu sehen bekommen hatte als am Morgen. »Meinst du, daß es ihm schwerfällt, genug Leute zu bekommen?« fragte ich Fartuloon. Er machte die Geste der Unentschlossen heit. »Ich weiß nichts«, sagte er dazu. »Aber es kann nicht schaden, wenn wir wachsam sind.« Ich vergewisserte mich, daß es auch Ischt ar an nichts fehlte. Chapat, dem es heute an Nahrung nicht gemangelt hatte, war bereits zur Ruhe gebettet und schlief wie Neugebo rene zu schlafen vermögen: tief und sorglos. Ischtar verhielt sich mir gegenüber zurück haltend. Sie hatte mir die gestrige Unterhal tung noch nicht vergeben. Zusammen mit Fartuloon ging ich zur Brücke. Ogloth hatte dort das Kommando, außer ihm waren noch fünf seiner Leute an wesend. Die FALSERATH hatte Starter laubnis erhalten. Wir kamen eben zurecht, um den Aufbruch mitzuerleben. Die FAL SERATH mochte ein verkommenes Raum schiff und ihr Kapitän ein großmäuliger Raufbold sein … aber beim Start ging es streng nach den Vorschriften der Flotte zu. Knapp und präzise kamen die Kommandos. Rasch blieb die zernarbte Oberfläche des Stützpunktplaneten Varlakor unter uns zu rück. Auf den Bildschirmen wölbte sich das Dunkel des freien Raumes, bestückt mit Tausenden von Sternenfunken. Ein Gefühl abgrundtiefer Erleichterung kam über mich. Abermals hatten wir eine gefährliche Weg station hinter uns gelassen. Es war Daftokan Jalvor nicht gelungen, uns zu fassen. Wir
43 waren unterwegs in die Freiheit, unterwegs … ja, wohin eigentlich? Ogloth del Parim vergewisserte sich mit einem letzten Blick, daß alle Meßgeräte die richtigen Werte zeigten. Dann löste er den Gurt, stand auf und kam auf uns zu. »Wohin geht es eigentlich?« fragte er. »Ich will dir die Koordinaten geben«, sag te Fartuloon. »Hast du ein Merkgerät?« Wortlos führte Ogloth uns zu dem Schalt pult, an dem er bis vor wenigen Augen blicken gearbeitet hatte. Er deutete auf ein kleines Datengerät. Fartuloon nannte die Koordinatenwerte, und Ogloth tippte sie Zif fer für Ziffer in die Tastatur. Die Zahlen er schienen gleichzeitig auf einem kleinen Bildschirm, so daß Fartuloon sie überprüfen konnte. Er nickte befriedigt, als die Übertragung beendet war. »Das sind die richtigen Werte«, brummte er vor sich hin. »Ortanoor, die Paradies welt.«
* Die FALSERATH war nicht das schnell ste Raumschiff, daß wir je geflogen hatten. Aber sie war ein zuverlässiges Fahrzeug, das eine Transition nach der andern hinterlegte, ohne daß es in den Fugen ächzte und knarr te. Die Gesamtflugzeit schätzte Ogloth del Parim auf fünfeinhalb Tage. Ortanoor war mir eine unbekannte Welt. Ich erkundigte mich bei Fartuloon danach. »Ein Gehetzter wie ich«, antwortete der Alte, »ist darauf angewiesen, an möglichst vielen Orten in der Weite des Weltalls klei ne Verstecke zu haben, in denen er sich ver bergen kann. Du kennst bereits Kraumon und eine Reihe anderer Stützpunkte. Auch Ortanoor gehört dazu.« Er sprach bescheiden und beiläufig. Kein Wort darüber, woher er die unermeßlichen Summen beschafft hatte, die der Ausbau von Stützpunktwelten erforderte. Fartuloon, einst der berühmteste Arzt des Reiches, dessen Ruf zur Legende geworden war, als er in die
44 Verbannung ging, war ein wohlhabender Mann. Aber so reich, daß er ein Dutzend Planeten in private Verstecke verwandeln konnte …? Es gab vieles an Fartuloon, das mir selbst heute, nach so vielen Jahren unserer Freund schaft, rätselhaft und geheimnisvoll war. Manchmal beunruhigte es mich, daß Fartu loon auf seinem Recht bestand, sich mir nicht gänzlich zu offenbaren. Aber dann wiederum dachte ich an die vergangenen Jahre zurück und erinnerte mich daran, daß der Bauchaufschneider niemals etwas getan hatte, woraus mir Schaden erwachsen wäre. Er war mein Freund. Mochte er seine Ge heimnisse behalten! Kaljorr, der sich mit Ischtar, Chapat und Eiskralle in eine Kabine teilte, war begierig, daß mit seiner Va-Vormo-Kur begonnen wurde. Fartuloon jedoch machte ihm klar, daß er damit warten müsse, bis wir das Ziel erreicht hatten. An Bord fehlten ihm die me dizinischen Mittel, die er brauchte, um den Dürren zu behandeln. »Gibt es sie denn auf Ortanoor?« fragte ich den Alten später, als wir unter uns wa ren. »Es gibt genug, daß ich mit der Kur be ginnen kann«, antwortete Fartuloon. »Außerdem werden wir uns auf Ortanoor nicht lange aufhalten. Ortanoor ist nur der Prüfstein, an dem es sich erweist, ob wir uns auf Ogloth verlassen können. Er bekommt dort sein Geld … und das Angebot, uns für den doppelten Preis weiter an unser eigentli ches Ziel zu befördern.« Am fünften Tag führte die FAL-SERATH ihre letzte Transition aus. Der Schmerz, den dieser Vorgang im menschlichen Körper auslöste, war kaum verebbt, da sandte Ogloth einen Boten – denn mit Sprechanla gen war das alte Raumschiff nur in wenigen Räumen ausgestattet – der Fartuloon und mich auf die Brücke bat. Auf dem großen Bugbildschirm bot sich uns ein zauberhafter Anblick. Die Sichel ei nes grünblauen Planeten, dessen Oberfläche mit den blütenweißen Flecken von Wolken-
Kurt Mahr feldern bedeckt war. Ich erkannte die Sil houette einer Küstenlinie. Fartuloon hatte nicht übertrieben, als er Ortanoor eine Para dieswelt nannte. »Sind wir richtig?« erkundigte sich Ogloth. »Genau richtig«, bestätigte der Bauchauf schneider. »Wo soll ich landen?« Fartuloon wies Ogloth auf eine markante Ausbuchtung der Küstenlinie hin und be zeichnete den Meridian, der sie durchkreuz te, als den Nullmeridian. Danach gab er Länge und Breite des Landeortes an. Ogloth rechnete schnell und runzelte die Stirn. »Das ist mitten auf der Nachtseite, alter Herr«, bemerkte er. »Die FAL-SERATH ist ein tüchtiges Fahrzeug, aber die Landung auf einem völlig unbekannten Planeten möchte ich doch lieber zur Tageszeit ausfüh ren.« Fartuloon hatte nichts dagegen einzuwen den. Das bedeutete, daß wir bis zur Landung noch etwa zehn Stunden zu warten haben würden; den Ortanoor drehte sich nicht be sonders rasch um seine Achse. »Ich möchte den Planeten für unbewohnt halten«, sagte Ogloth. »Wenigstens gibt es keine Anzeichen von Zivilisation. Mit wem wollen Sie sich dort treffen, alter Herr?« »Das, mein Sohn«, antwortete Fartuloon väterlich-spöttisch, »wirst du erfahren, so bald wie gelandet sind!«
* Auf dem Rückweg zu unseren Quartieren schritten wir einen langen Korridor entlang. Als wir uns dem Ende näherten, glaubte ich, dort eine schattenhafte Bewegung wahrzu nehmen. Ich wollte Fartuloon darauf auf merksam machen, aber was immer sich dort bewegt hatte, war ziemlich schnell. Der Bauchaufschneider bekam nichts mehr zuge hen. Am Ende des Korridors führte der Gang zu unseren Kabinen nach rechts. Mir aber ließ die Neugierde – und womöglich die Ah
Die Unterwelt von Varlakor nung drohender Gefahr – keine Ruhe. Wäh rend Fartuloon zu den Quartieren zurück kehrte, wandte ich mich nach links. Zur Si cherheit nahm ich den Lähmstrahler in die Hand. Der Gang war schmal und unzulänglich beleuchtet. Der Richtung nach zu urteilen führte er zur Triebwerkssektion. Zur Linken gab es eine Reihe von Schotten, die alle ge schlossen und verriegelt waren. Ich ging et was vierzig Schritte weit und gelangte an ein weiteres Schott, das das Ende des Ganges bildete. Es war mir niemand begegnet. Ich hatte niemand gesehen. Halb beruhigt wandte ich mich um und machte mich auf den Rückweg, da wuchs aus dem Halbdunkel vor mir plötzlich eine breitschultrige Gestalt. Sie stand mitten im Gang und bewegte sich nicht, als ich auf sie zuschritt. Ich hatte den Finger auf dem Aus löser des Lähmstrahlers. Das erste, was ich erkannte, war der lan ge, zu mehreren Strähnen geflochtene Bart, den der Mann trug. Als ich näher trat, wand te er sich mir vollends zu, so daß ich auch sein Gesicht zu sehen bekam. Ich blieb ste hen und lauschte auf den Alarmimpuls mei nes Extrasinnes. Der Impuls blieb jedoch aus. »Phogymar, der Roßtäuscher!« sagte ich. »Du bist der letzte, den ich an Bord dieses Schiffes zu sehen erwartet hätte.« Er zeigte ein verlegenes Lächeln. »Wenn es nach Ogloth gegangen wäre, hättest du mich auch nicht zu Gesicht be kommen«, antwortete er. »Der Kapitän weiß von unserem Streit, und als er hörte, daß ihr an Bord kommen würdet, schickte er mich und meine Leute auf das unterste Deck mit dem Befehl, unsere Gesichter nicht zu zei gen.« Er machte einen harmlosen Eindruck. Ich glaubte nicht, daß er auf seine Rache ver zichtet hatte. Aber an Bord der FALSE RATH waren wir vor ihm sicher, so nahm ich an. »Du kannst mir schaden, wenn du Ogloth von dieser Begegnung erzählst«, fuhr Pho
45 gymar fort und lächelte noch verlegener. »Tritt zur Seite und laß mich vorbei!« for derte ich ihn auf. »Ich habe dich nicht gese hen.« Er tat, wie ich ihn geheißen hatte. Als ich weiter schritt, hörte ich seine Stimme hinter mir: »Du bist ein edler Mensch, Arkonide!« Täuschte ich mich … oder lag Spott in seinen Worten? Ich berichtete Fartuloon von meiner Begegnung, und zum ersten Mal wischte der Alte meine Besorgnis nicht ein fach beiseite, sondern machte ein bedenkli ches Gesicht und brummte: »Phogymar also gehört zur Besatzung der FALSERATH! Das sind mir schon beinah zuviel Zufälle …«
* Ich hatte wach bleiben wollen; aber schließlich hatte mich der Schlaf doch über mannt. Ich fuhr in die Höhe, als ich einen halblauten Ruf hörte. Das Nachtlicht brannte in der Kabine. Fartuloons und Corpkors La ger waren leer. Ich war alleine. Wer hatte gerufen? Da vernahm ich den Ruf ein zweites Mal. »Gefahr …!« Es war nicht wirklich ein Ruf. Ein Gedan ke, von außen kommend, hatte sich in mei nem Bewußtsein gebildet. Chapat! fuhr es mir durch den Sinn. Das Kind besaß die Fä higkeit, mit seinen Eltern auf telepathischem Wege zu verkehren. Als Telepath entwickel te es Fähigkeiten und Kenntnisse, die weit über sein Alter hinausgingen. Ohne Zweifel: Es war Chapat gewesen, der zu mir gespro chen hatte, und er befand sich in Gefahr! Ich hatte in voller Kleidung geschlafen. Die Waffen lagen neben mir auf dem Tisch. Ich raffte sie auf und schob sie in den Gür tel. Dann öffnete ich das Schott. Der Korri dor draußen lag ruhig im Halbdunkel. Ich wandte mich nach rechts. Das Schott der Kabine, in die sich Ischtar, Chapat, der Chretkor und Kaljorr teilten, stand offen. Der Raum war leer.
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Ich hetzte den Gang entlang. Das Schiff schien wie ausgestorben. Dort, wo der breite Hauptkorridor begann, zögerte ich einen Au genblick. Wohin sollte ich mich wenden? Geradeaus, dorthin, wo ich Phogymar be gegnet war? Oder nach links in Richtung Brücke? Die Entscheidung fiel für links. Ich warte te, während ich durch den Gang hetzte, auf ein Signal meines Extrahirns. Es besaß die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, die dem Normalbewußtsein verborgen blieben. Aber gerade jetzt ließ auch der Extrasinn mich im Stich. Er spürte mein ungeduldiges Drängen und antwortete: Die Information reicht noch nicht aus! Auch auf dem Weg zur Brücke begegnete ich niemand. Ich versuchte, das Schott zu öffnen, das in den Kommandostand führte. Aber es war verriegelt worden und wider stand meinen Bemühungen. Ich überlegte, ob ich den Blaster einsetzen sollte. Chapats telepathische Rufe waren vor kurzer Zeit ab gebrochen. Das konnte nur bedeuten, daß Chapat das Bewußtsein verloren hatte … oder nicht mehr am Leben war! Plötzlich hörte ich hinter mir ein Ge räusch. Ich wirbelte herum, den tödlichen Blaster schußbereit. Auf der anderen Seite des Ganges hatte sich ein Schott geöffnet. Der Raum dahinter war matt erleuchtet. Vorsichtig trat ich auf die Öffnung zu. Da sah ich das Unglaubliche! Der unförmige Schädel, das kurzhaarige, graue Fell mit den bunten Sprenkeln, der vielfach eingeschnürte Leib, die hervorquel lenden Facettenaugen … Die sechsbeinige Bestie hatte uns einge holt! Ich riß den Lauf des Blasters in die Höhe. Schon krümmte sich der Finger um den Auslöser, da explodierte eine Bombe in mei nem Gehirn und löschte mein Bewußtsein augenblicklich aus.
10. Als ich zu mir kam, saß ich in einem Ses-
sel. Ich konnte nur den Kopf bewegen. Der Rest des Körpers war mit soliden Metallbän dern an das Möbelstück gefesselt. Es pochte und hämmerte in meinem Schädel, die un verkennbaren Nachwirkungen eines Lähm strahls. Ich hatte Mühe, die Augen zu fokus sieren, aber schließlich gelang es mir, die Umgebung zu erkennen. Ich befand mich auf der Brücke des FAL SERATH. Neben mir, ebenso gefesselt wie ich, saßen Fartuloon, Corpkor, Eiskralle, Ischtar mit Chapat und Kaljorr. Der Chret kor war noch immer bewußtlos. Die andern dagegen hatten den Blick auf mich gerichtet, als sie bemerkten, daß ich zu mir kam. Vor uns stand Ogloth del Parim, und ne ben ihm Phogymar, der Roßtäuscher. Auf dem Boden aber lag die sechsbeinige Bestie, merkwürdig schlaff und leblos, die großen Facettenaugen ohne Glanz. Ich blickte auf und sah, daß der große Bildschirm erloschen war. Auch fiel mir auf, daß ich das Geräusch der Triebwerke nicht mehr hörte. Die FALSERATH war also gelandet …! Ogloth musterte uns mit kühlem Blick. »Sie kennen meinen Namen«, sagte er förmlich. »Er ist echt. Den Beruf des Frei händlers allerdings habe ich Ihnen vorge spiegelt. Ich bin Offizier des arkonidischen Nachrichtendienstes, und Phogymar ist mein Stellvertreter.« Eisiger Schreck fuhr mir in die Glieder. Ogloth del Parim, Offizier des Nachrichten dienstes! War es denkbar, daß er mich nicht kannte? Und Fartuloon? »Wir sind dem Informationshandel auf Varlakor seit langem auf der Spur«, fuhr Ogloth fort. »Aber der durchschlagende Er folg blieb uns versagt, bis ich die Erlaubnis erhielt, diese Maschine zu bauen und in den unterirdischen Räumlichkeiten des Planeten einzusetzen!« Dabei gab er der sechsbeinigen Bestie mit dem Fuß einen Stoß. »Ein phantastisches Kunstwerk, wenn man es genau betrachtet«, sagte er dazu nachdenklich. »Von den besten Technikern gefertigt. Ausgestattet mit Seh- und Hörver
Die Unterwelt von Varlakor mögen, durch Funk leitbar. Das Phanta stischste aber ist der energetische Schutz schirm, in den die Maschine sich hüllen kann. Er besitzt Reflektierfähigkeit. Energie schüsse prallen von ihm ab und auf den An greifer zurück.« Er lächelte ein wenig. »Sie haben das einmal am eigenen Leib erfahren, wie ich mich erinnere. Der Prallschirm war eine Notwendigkeit bei der Konstruktion der Maschine. Sie kostete nämlich so unver schämt viel Geld, daß ich es nicht darauf an kommen lassen konnte, daß der erste beste Informationsräuber sie mir über den Haufen schoß.« Er betrachtete das leblose Gerät mit einem fast liebevollen Blick, dann fuhr er fort: »Mit Hilfe der Maschine erkundete ich das unterirdische Gelände und erforschte Meile um Meile des Schmugglerpfades, den die Informationsräuber benützen. Schließ lich wurde ich auf Sie aufmerksam. Ich be schloß, die Maschine Ihnen folgen zu lassen. Als es mir günstig erschien, ließ ich die Ma schine ein Mitglied Ihrer Gruppe ergreifen und fortschleppen. Die Maschine verfügt über einen Mechanismus, mit dessen Hilfe sie meine Stimme übertragen kann. Ich hatte diesen Mechanismus ursprünglich als Über raschungseffekt einbauen lassen – man den ke sich: ein sprechendes Tier! –, aber jetzt kam er mir plötzlich auf andere Weise zugu te. Ich wollte die Frau, die die Maschine ge fangen hatte, aushorchen. Leider kam ich nicht zum Erfolg. Sie kennen die Geschichte selbst: Sie waren zu schnell für mich. Mittlerweile hatten Phogymar und seine Leute an der Grenze von Elkinth, am Ende des Schmugglerpfades, ihr Lager aufge schlagen. Sie sollten Sie in Empfang neh men und dafür sorgen, daß Sie mir nicht mehr entkommen konnten. Leider spielten die Männer ihre Rolle ein wenig zu echt. Daher kam es, daß sie von Ihnen übertölpelt werden konnten. Wir verloren jedoch Ihre Spur nicht, und als ruchbar wurde, daß dieser dürre Mensch in Ihrem Auftrag nach einer Passage suchte, da boten wir uns an. Denn Basnorek war in
47 zwischen festgenommen worden – nicht von meiner Abteilung, wohlgemerkt, und zu ei nem für mich nicht gerade günstigen Zeit punkt … aber man kann nicht verlangen, daß die Koordination immer bis ins letzte klappt.« Sein Blick wanderte zu einem Tisch. Ich sah unsere Waffen dort liegen und die drei ßig Mikrospulen, die man uns abgenommen hatte. »Trotz aller Zwischenfälle«, sagte Ogloth, »stellte sich der Erfolg schließlich doch ein. Ich habe eine Bande von Informations schmugglern festgenommen, ich kenne den unterirdischen Schmugglerpfad von Varla kor, ich habe gestohlene Informationen si chergestellt … und ich hoffe, auf dieser Welt die Verbindungsleute zu finden, für die die geraubte Information bestimmt ist.« Er wirkte selbstbewußt und zufrieden. Auf einmal war er nicht mehr der lärmende, polternde Tölpel, dessen Rolle er in Elkinth so vorzüglich gespielt hatte. Seine Sprache war die der oberen Klassen, und wenn die Geschichte wahr war, die er uns erzählt hat te, dann war er einer der besten Taktiker, de nen ich je Auge in Auge gegenübergestan den hatte. »Und was wird aus uns?« fragte ich. Er machte eine verächtliche Geste. »Sie gehen den üblichen Weg. Es gibt kein Gericht im arkonidischen Reich, das Sie nicht aufgrund der Beweislast für schul dig befinden würde. Es kommt auf die Art der gestohlenen Informationen an, ob man Sie am Leben läßt oder zum Tode verur teilt.« Ohne daß er es wußte, erleichterte er mir mit dieser Antwort das Herz. Wenn er ge wußt hätte, daß ich der Kristallprinz war, auf dessen Kopf der Imperator die höchste aller Belohnungen ausgesetzt hatte, dann hätte er nicht so leichtfertig davon gesprochen, daß er mich den Gerichten überantworten wolle. »Sie täuschen sich«, sagte Fartuloon plötzlich, »wenn Sie glauben, daß uns mit den Informationsräubern mehr als eine zu fällige Bekanntschaft verbindet. Und vor al
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len Dingen täuschen Sie sich, wenn Sie glauben, Sie könnten hier auf Ortanoor den Pfad des Informationsschmuggels weiter verfolgen.« »So …« machte Ogloth spöttisch. »Vor allen Dingen lassen Sie sich vor den Gebäuden warnen, in deren Nähe Sie wahr scheinlich gelandet sind … das heißt: wenn Sie sich nach meinen Koordinaten gerichtet haben.« Fartuloon sprach mit eindringli chem Ernst. »Ich selbst habe diese Gebäude errichten lassen. Es gibt Sicherheitsvorkeh rungen, die für jeden Uneingeweihten un weigerlich den Tod bedeuten, wenn er sich Zutritt verschaffen will. Lassen Sie uns frei, und ich verspreche Ihnen …« »Sie reden zuviel, alter Herr!« fiel ihm Ogloth del Parim schroff ins Wort. Ein befehlender Blick auf Phogymar, der Bärtige raffte die Waffen zusammen, die auf dem Tisch lagen, die beiden Männer verlie ßen den Kommandoraum. Das Schott schloß sich hinter ihnen. Wir waren alleine.
* »Verfluchte Niedertracht!« knurrte Corp kor. Eiskralle war noch immer bewußtlos. Aus den Schilderungen der andern erfuhr ich, wie die Männer des Nachrichtendienstes es fertiggebracht hatten, unsere ganze Gruppe zu überwältigen. Während ich schlief, hatte man Fartuloon die Nachricht überbracht, daß auf der Nachtoberfläche von Ortanoor eine eigenartige Erscheinung beobachtet worden war. Fartuloon war daraufhin zur Brücke ge gangen, und Corpkor hatte sich ihm ange schlossen. Sie hatten mich ursprünglich wecken wollen, den Versuch jedoch aufge geben, weil ich zu tief schlief. In Ischtars Kabine war anscheinend ein betäubendes Gas eingeblasen worden. Denn Ischtar und Kaljorr erinnerten sich nur dar an, daß sie eingeschlafen und später gefes selt wieder aufgewacht waren. Anscheinend hatte Chapats Bewußtsein der Wirkung des Gases eine Zeitlang widerstanden. Er war
auch jetzt wieder wach und blickte mit großen, unschuldigen Augen um sich. Daß Ogloth uns allein gelassen hatte, be wies, wie sicher er sich fühlte. Mein Blick suchte ungeduldig den Chretkor. Wenn er nur zu sich käme, dann wollte ich dem Nachrichtendienstler gerne beweisen, wie unrecht er hatte. »Es bleibt uns nicht viel Zeit«, sagte Far tuloon plötzlich. »Ogloth wird bald zurück kehren. Und er wird einen von uns mit sich nehmen, damit er die Sicherheitsvorkehrun gen an den Gebäuden entschärft. Ich werde euch nicht erklären, wie das zu machen ist, dazu ist die Zeit zu kurz, und ein einziger Fehlgriff kann Unheil bringen. Aber wenn der Chretkor rechtzeitig erwacht, dann will ich euch so behandeln, daß euch die Lähm strahlen nichts anhaben können. Aber weiter: die Gebäude stehen nur zum Schein dort. Die eigentliche Anlage auf Ort anoor ist unterirdisch. Die Gebäude, insge samt fünf, bezeichnen die Ecken eines regel mäßigen Fünfecks. Die ganze Anlage befin det sich in einem weiten Tal. An der Spitze des Fünfecks, die talaufwärts weist, steht das Gebäude, von dem aus ein direkter Zugang zur unterirdischen Waffenkammer führt. Es gibt dort Lähmkanonen. Wenn einer von euch dort hinabkommt, wird er wissen, was er zu tun hat!« In diesem Augenblick gab Eiskralle ein stöhnendes Geräusch von sich. Wir riefen ihm aufmunternd zu. Er kam zögernd zu sich. Verwirrt und erschreckt blickte er sich um. Zuerst verstand er nicht, was wir von ihm wollten. Aber dann begriff er. Plötzlich zersplitterte das Metallband, das seine Hände auf den Lehnen des Sessels festgehalten hatte. Eiskralle griff weiter um sich. Wo seine Hände zupackten, da verwan delte sich Metall in splitternde, berstende Eiskristalle. Im Nu war der Chretkor frei. Mit uns freilich durfte er nicht auf dieselbe Weise verfahren. Wir hatten körperlichen Kontakt mit den Stahlfesseln und wären selbst zu Eis erstarrt, wenn Eiskralle das Metall berührt hätte.
Die Unterwelt von Varlakor Er sah sich um und fand ein Werkzeug, mit dem er unsere Fesseln beseitigen konnte. Wenige Augenblicke später waren wir alle frei. Mein Blick fiel auf die Kommandokon sole. »Wer hindert uns …«, begann ich, aber Fartuloon schnitt mir das Wort ab. »Keine unnützen Phantastereien!« sagte er grob. »Der Weg in die Freiheit führt an derswo entlang. Komm her, mein Junge!« Ich war ziemlich verblüfft, als er mich zu massieren begann. Während seine geschick ten Finger meine Schultern bearbeiteten, sprach er halblaut auf mich ein: »Es gibt nur Lähmstrahlen in den Gebäuden. Eine physische Vorbehandlung der Hauptnerven des menschlichen Körpers er zeugt Resistenz gegen die Wirkung der Strahlen. Wenn die verborgenen Waffen zu feuern beginnen, wirst du nur ein leichtes Schwindelgefühl verspüren. Deine Begleiter jedoch verlieren das Bewußtsein. Das gibt dir Zeit, in die Waffenkammer vorzudrin gen.« Nach mir behandelte er Corpkor, denn wir wußten nicht, wen Ogloth zu seinem Beglei ter bestimmen würde. Allerdings blieb uns die Möglichkeit zu behaupten, daß nur Far tuloon, Corpkor und ich uns mit den Sicher heitsvorrichtungen auskannten. Corpkors Behandlung war eben beendet, als sich das Schott öffnete. In der Öffnung erschien Ogloth del Parim mit fünf schwerbewaffne ten Männern. Er überflog die Szene mit einem zornigen Blick. Die Mündungen der Waffen waren auf uns gerichtet. Niemand wagte es, sich zu bewegen. »Ihr werdet mir immer unbegreiflicher!« knurrte Ogloth, in die primitive Sprache zu rückfallend. »Bevor ich euch ausliefere, werdet ihr mir das Geheimnis zeigen, wie man Stahlfesseln bricht. Vorläufig aber«, er wandte sich dabei an Fartuloon, »muß ich diesem alten Mann seine Aufrichtigkeit be scheinigen. Der Versuch, in eines der Ge bäude einzudringen, hat mich meinen besten Mann gekostet, Phogymar. Ich weiß nicht,
49 ob er tot oder nur bewußtlos ist … Auf jeden Fall wird man nicht vergessen, euch auch für diese Hinterlistigkeit zur Rechenschaft zu ziehen.« Er musterte uns der Reihe nach. Auf mir blieb sein Blick haften. »Sie kommen mit mir, junger Mann!« be fahl er. »Die Götter von Arkon mögen Ihnen gnädig sein, damit Sie die geheimen Mecha nismen auch finden, mit denen man die An lage ausschaltet!«
* Ich ging vor ihm her. Er hielt ständig drei Schritte Abstand, nicht mehr und nicht we niger, und die Mündung seiner Waffe war auf meinen Rücken gerichtet. Die Landschaft war so, wie Fartuloon sie beschrieben hatte. Ein weites, grünes Tal, die Berghänge zur Rechten und Linken mit dichtem Wald bestanden. Helles Sonnenlicht lag auf dem Land, hoch über der FALSE RATH zogen große Vögel ihre Kreise und gaben dabei kurze, kreischende Laute von sich. Die Gebäude waren eingeschossig und langgezogen. Das Schiff war seitswärts der Anlage gelandet. Das Gebäude, das Fartu loon bezeichnet hatte, lag der FALSERATH nicht am nächsten. Als ich mich dennoch dorthin wandte, fragte Ogloth: »Warum dorthin?« »Weil sich dort der Abschaltmechanismus befindet!« Er knurrte nur. Ich konnte mir vorstellen, daß er sich in seiner Haut nicht wohl fühlte. Er war auf mich angewiesen, ohne mir ver trauen zu können. Schritt um Schritt näher ten wir uns dem Gebäude. In der schmalen Stirnwand gab es eine Tür, die sich bereit willig öffnete, als ich auf sie zutrat. Auf der Schwelle zögerte ich einen Augenblick. Das Innere des Gebäudes bestand aus ei nem einzigen Raum. Es gab nur wenige Fen ster, so daß hier ein dämmriges Halbdunkel herrschte. Auf dem Boden lag Staub. Ein paar leere Lagergestelle standen wahllos
50 herum. Im Hintergrund bemerkte ich eine Unebenheit des Bodens, die eine Art Falltür zu sein schien. Zur linken Hand gab es an der Wand einen Metallkasten. »Worauf warten Sie?« knurrte Ogloth. »Wo ist der Abschaltmechanismus?« Ich deutete auf den Kasten. »Bis Sie dorthin kommen, sind Sie ein to ter Mann!« spottete der Nachrichtendienst ler. Ich aber hörte nicht auf ihn, sondern schritt vorwärts. Ich empfand das prickelnde Schwindelgefühl, vor dem Fartuloon mich gewarnt hatte, und schüttelte es mühelos wieder von mir ab. Ich öffnete den Kasten und tat so, als machte ich mich im Innern zu schaffen. Dann wandte ich mich nach Ogloth um, der noch immer unter der Tür stand. »Kommen Sie!« forderte ich ihn auf. Zögernd betrat er das Innere des Gebäu des. Er tat zwei Schritte, dann schien ihn ein unsichtbarer Blitz zu treffen. Er brach laut los zusammen. Ich lief zur Tür hinüber und warf einen Blick hinaus. Bei der FALSE RATH war alles ruhig. Mit weiten Schritten hetzte ich quer durch die Halle und öffnete die Falltür. Eine enge, gewundene Stiege führte in einen hellerleuchteten Raum hinab, der fast dieselbe Größe wie das Gebäude hatte. Einen Atemzug lang war ich verwirrt von der Fülle der Waffen und Geräte, die sich hier unten befanden. Ich identifizierte mehrere Lähmkanonen modernster Bauart. Ein stetiges Summen bewies mir, daß die Waffenkammer ständig mit Energie versorgt wurde. Es kam mir zustatten, daß ich diesen Ka nonentyp kannte. Der Zielbildschirm flamm te auf. Ich drehte an der Einstellung, bis die FALSERATH auf der kleinen Bildfläche er schien. Dann gab ich Feuer, und das Ge schütz entlud sich mit hellem, zornigem Summen. Ich traute meinem Glück nicht ganz und bediente mich auf dem Rückweg zur FAL SERATH äußerster Vorsicht. Vor allen Din gen hatte ich Ogloths Blaster an mich ge-
Kurt Mahr nommen. Ein zweites Mal wollte ich mich nicht überrumpeln lassen. An Bord des Schiffes herrschte die Ruhe des Todes. Auf dem Weg zur Brücke fand ich die bewußtlosen Gestalten der Mann schaft. Im Kommandoraum selbst lagen Ischtar, Corpkor, Chapat, Eiskralle und Kal jorr gemeinsam mit ihren Wächtern reglos am Boden. In der Nähe der Kommandokon sole aber stand Fartuloon und rieb sich äch zend das Genick. »Gegen eine volle Salve hilft die beste Massage nichts, mein Junge!« stöhnte er. Dabei war er nicht einmal bewußtlos ge worden! Er kam auf mich zu. »Ich will dir sagen, wie es jetzt weiter geht«, erklärte er. »Dieses Schiff ist tüchtig genug, um uns nach Kraumon zu bringen. Ogloth und seine Leute sind unsere Gefan genen. Wir werden uns später überlegen, was mit ihnen zu tun ist. Wenn wir sie mit nach Kraumon nehmen – und ich sehe im Augenblick keine andere Möglichkeit – dann müssen wir sie entweder für immer dort behalten oder später einen Teil ihrer Er innerung löschen.« Er lächelte plötzlich. »Aber das sind geringfügige Sorgen im Vergleich zu denen, die wir bisher hatten, nicht wahr? Kaljorr wird geheilt werden, er hat es verdient. Kraumon ist ein Hort des Friedens. Auch du, mein Kristallprinz, brauchst diese Ruhe. Die Varganin fühlt sich deiner Liebe nicht mehr sicher, und doch weiß ich, daß sie nichts dergleichen zu fürchten braucht. Es ist etwas anderes, das den Kristallprinzen bedrückt …« Er war jetzt todernst. »Du weißt …«, kam es mir über die Lip pen. Er machte langsam und bedächtig die Ge ste der Zustimmung. Dann griff er in die Falten seines Gewandes und brachte ein winziges Kästchen zum Vorschein. Ich trau te meinen Augen nicht. »Du … du hast …« stammelte ich. »Ich stahl es dir, als du mit uns kämpftest
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und in den Abgasschacht zurückeilen woll test, um Crysalgira zu helfen. Das Elixir ist ein ungeheuer wertvolles Besitztum. Ich fürchtete, du würdest das letzte Quantum, das dir noch bleibt, an Crysalgira … ver schwenden!« Das Wort traf mich wie ein Peitschenhieb. Ich zuckte zusammen. Fartuloon reichte mir das Kästchen. Es schien mir in den Fingern zu brennen. Ich öffnete das winzige Behält nis und sah drinnen die letzte Kapsel jener geheimnisvollen Substanz, die die Fähigkeit hatte, Tote zum Leben zu erwecken. »Verschwenden!« Das Wort hallte im Innern meiner Seele nach. Und doch war es dasselbe, das auch mir durch den Kopf geschossen war, als ich neben Crysalgira kauerte und ihr Leben vor meinen Augen entschwand. Nicht daß ich mich im Abgasschacht zu wenig um sie ge kümmert hatte, sondern daß ich nicht wil
lens war, die letzte, kostbare Kapsel des Le bens auf sie »zu verschwenden« … Das war die Last, die ich seitdem mit mir herumtrug. Seitdem hatte ich die Berührung des Käst chens vermieden. Ich hatte mir einzureden versucht, es existiere überhaupt nicht. Des wegen hatte ich nicht bemerkt, daß ich es längst nicht mehr bei mir trug. Ich fühlte Fartuloons schwere Hand auf meiner Schulter. »Es wird der Tag kommen, an dem du er kennst, daß du richtig gehandelt hast, mein Kristallprinz«, sagte er mit ernster Stimme. »Mittlerweile, mein Kristallprinz … lerne, daß das Leben schwer ist!«
E N D E
ENDE