E. C. TUBB
Die verbotene Stadt Original: CITY OF NO RETURN (1969/84)
Science Fiction Abenteuer - 12
Die Jagd nach de...
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E. C. TUBB
Die verbotene Stadt Original: CITY OF NO RETURN (1969/84)
Science Fiction Abenteuer - 12
Die Jagd nach den Schätzen des Mars Die Gier nach Reichtum läßt sie nicht los. Sie finden zueinander, zwei Männer und eine Frau, und sie beschließen, Klaglan, die legendäre Stadt in der Marswüste, zu erforschen. Das Unternehmen gelingt, obwohl viele Expeditionen vor ihnen an den Gefahren der Suche gescheitert sind. Aber die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen erst beim Betreten der Stadt. Die Menschen müssen erkennen, daß sie nicht in der Lage sind, die Dinge zu bewältigen, die sie erwarten.
1. Es war ein kleiner unbedeutender Mann mit schütterem, grauem Haar und schwachen Augen, die durch die dicken Gläser einer altmodischen Brille spähten. Er trug einen zerknitterten Anzug aus Synthoseide, eine Art Tropenanzug, der einstmals sehr teuer gewesen sein mußte. Doch jetzt schlotterte er um die gebrechliche Gestalt, war mit dunklen Schweißflecken bedeckt und sah aus, als ob sein Besitzer schon nächtelang darin geschlafen hätte. Ein wenig schwankend stand er da, ein schlankes Glas mit grünem Wein in einer krallenartigen Hand, und seine Augen folgten mit fiebrigem Glanz dem Rotieren der weißen Roulettkugel. Er gab hier inmitten des lärmenden Nachtlebens einer venusianischen Spielhölle eine seltsame Gestalt ab und hatte etwas Rührendes, Hilfloses, ja beinahe Lächerliches an sich. Der Alkohol zeigte bei ihm bereits recht deutlich seine Wirkung. Als die rollende Kugel ihren Lauf beendete, schluckte er aufgeregt, und seine Hand zitterte, als er in seine Tasche griff. Smith beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen. Ein seltsamer Mann, dieser Smith, nicht besonders groß, aber breit und knochig gebaut.
Er war nicht mehr jung, besaß aber das undefinierbare Alter eines Gewohnheitsspielers, und sein gerötetes Gesicht zeigte nicht die geringste Gefühlsregung. Lässig setzte er die Kugel in Bewegung und forderte mit eintöniger, gefühlloser Stimme die Spieler zum Einsatz auf. "Faites votre jeu!" Er wartete, bis die Chips und gefalteten Scheine auf das grüne Spielfeld geschoben wurden, einige mit lässiger Gebärde, andere wieder zögernd oder mit so verzweifelter Entschlossenheit, als müßten die Spieler ihr Herzblut opfern. Der kleine Mann nestelte an seinen Taschen, ließ einige Chips durch die Finger gleiten und warf sie mit zitternder Hand auf das rote Feld. "Rien ne va plus!" Totenstille herrschte, als die weiße Kugel wieder zu rollen begann. Sie zögerte, tanzte und fiel mit leichtem Klappern in ein Feld. "Zwanzig. Schwarz." Ein Seufzen ging um den Tisch, während Smith die Chips einstrich und die Gewinne auszahlte. "Faites votre jeu!" Der kleine Mann fuhr mit fast verzweifelter Gebärde wieder in seine Tasche und warf einige Chips auf das schwarze Feld. Er handelte wie im Fieber. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn, und das vergessene Weinglas zitterte in seiner zuckenden Hand. "Fünfzehn. Rot." Ein Mann fluchte wild vor Enttäuschung. Es war ein stämmiger Raumfahrer mit harten Augen und rissiger Haut, und während er sich heftig vom Spieltisch abwandte, stieß er mit dem Arm gegen das Weinglas des kleinen Mannes. Der grüne Wein ergoß sich über die speckige Lederjacke und bildete dann eine klebrige Lache auf dem Fußboden. "Du." Der Raumfahrer fuhr herum. Wut sprühte aus seinen Augen, und er ballte die Fäuste. Er suchte Streit, um die Enttäuschung über seine Spielverluste abzureagieren. Rauferei war jetzt gerade das Richtige für ihn, um die Spannung abzuschütteln, die ihn während der letzten Minuten erfüllt hatte, als er sein sauer verdientes Geld abgenommen bekam. Er glotzte den kleinen Mann wütend an. "Paß gefälligst auf! Was fällt dir ein, mir dieses eklige Zeug über den Rock zu gießen?" "Es tut mir leid", stammelte der kleine Mann ängstlich. "Ich bitte um Entschuldigung, aber es ist ja kein größerer Schaden entstanden." "Kein Schaden?" Der harte Mund verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. "Du verdammter kleiner Halunke! Auf die Knie mit dir, wenn ein Mann mit dir spricht. Los, wird's bald?" Er grinste böse, und der kleine alte Mann schrie auf, als ein eiserner Griff die Knochen seiner Schulter umklammerte. "Bitte", wimmerte er. "Es tut mir leid. Ich ..." " Laß den Alten in Ruhe", schrie ein Mann aus der Menge herüber. Es war ein hochgewachsener helläugiger Swamper, und während er den Raumfahrer anstarrte, fiel seine Hand wie zufällig auf ein langes Messer, das an seinem Gürtel steckte. "Wenn du Streit suchst, dann wähle dir gefälligst einen Mann von deiner Größe aus." "Dich, zum Beispiel?"
"Klar, wenn du darauf so erpicht bist." Sekundenlang starrten sich die beiden Männer an. Der kleine Mann, der die Ursache ihrer Feindseligkeiten war, stand wie verloren in einer Ecke, und die Menge verzog sich ringsum in weiser Voraussicht einer plötzlichen Schlägerei. Doch da trat der Spieler zwischen sie. Seine kalte Stimme bemühte sich, einen versöhnlichen Klang anzunehmen, doch das Lächeln auf seinem geröteten Gesicht täuschte nicht über das kalte Glitzern in seinen Augen hinweg. "Immer sachte, Freunde", sagte er ruhig. "Ihr wollt doch hier keine Schlägerei anstiften. Wie wäre es mit einer Runde auf meine Rechnung?" Der Swamper zögerte, starrte den Raumfahrer wütend an, dann zuckte er die Achseln und schob sich zur Bartheke vor. Der große Mann starrte ihm nach. Seine Kinnmuskeln schwollen vor Zorn an, und seine Hand fuhr mit einer blitzschnellen Bewegung unter seine Jacke. Der Spieler riß seinen Arm herunter. Seine Finger gruben sich in die Haut genau über dem Ellbogen, und der große Mann zuckte zusammen, als sein Arm starr wurde. "Zum Teufel, was soll das?" "Hinaus mit dir!" "Wie?" "Hast du mich nicht verstanden?" flüsterte Smith drohend. "Gehst du freiwillig, oder soll ich dir Beine machen?" "Wie ist es mit der freien Runde?" "Du hast sie dir verscherzt. Also los! Hinaus, oder ich werfe dich eigenhändig hinaus!" Der große Mann zögerte einen Augenblick. Sein zerfurchtes Gesicht war von kalter Wut verzerrt, doch als Smith einigen Männern zunickte, knurrte er und riß seinen Arm los. "Das wirst du noch bereuen", fauchte er. "Eines Tages komme ich zurück und dann ... "Smith hob geringschätzig die Schultern und wandte sich ab. Der kleine alte Mann packte Smith am Arm, als er an ihm vorbeikam. Dieser runzelte unwillig die Stirn. Er starrte in das zerknitterte Gesicht mit den blanken Augen. "Ja?" "Bitte. Ich möchte einen Scheck einlösen. Ich habe mein ganzes Bargeld verloren und muß es zurückgewinnen." Er schluckte aufgeregt, so daß sein Adamsapfel unter der welken Haut auf und ab hüpfte. "Wollen Sie ihn für mich einlösen?" "Einen Scheck?" Smith schüttelte den Kopf. "Kein Papier, Alter. Nur Bargeld." "Aber der Scheck ist gedeckt! Ich bin Professor Scaron von der Aphrodite Universität. Hier, ich kann mich ausweisen." Mit bebenden Händen zog er einige Papiere aus seinem abgewetzten Rock. "Da, sehen Sie! Meine Adresse, Meldepapiere, Urkunden und Vollmachten. Sie können mir trauen. Sie müssen mir trauen." "Muß ich das wirklich?" Smith blickte auf die abgegriffenen Papiere. "Warum?" "Weil ich viel Geld gewinnen muß. Vielleicht ist das meine letzte Chance. Ich bin ein alter Mann, und mein Herz ist auch nicht mehr so gut, wie es sein müßte, wenn ich noch länger warte, sterbe ich während des Abflugs. Ich muß aber zum Mars. Ich muß einfach!" "Warum?" "Weil ..." Der alte Mann sprach nicht weiter, sondern fuhr sich nervös mit der Zunge über
die Lippen. "Das tut nichts zur Sache. Werden Sie meinen Scheck annehmen?" "Vielleicht." Smith begleitete den Alten an einen Tisch und schnippte mit den Fingern einen Kellner herbei. "Bring uns Wein - eine Flasche." Er blickte den alten Mann an. "Immer mit der Ruhe, Pop. Die Nacht ist noch jung, und es bleibt noch eine Menge Zeit, um eine Million zu gewinnen - oder zu verlieren. Weshalb willst du denn unbedingt zum Mars?" "Ach, es ist nichts von Bedeutung." Scaron schüttelte den Kopf, und Smith wartete, bis der Wein gebracht wurde. Er öffnete die Flasche, goß zwei Gläser voll und schob eins dem Professor hin. "Trink erst mal einen, Pop, und ruhe dich eine Weile aus. Der Spieltisch ist jetzt ohnehin zu besetzt. Wir wollen lieber warten, bis die Vorstellung vorbei ist. Wie hoch ist der Scheck?" "Tausend Kredit. Das ist alles, was ich noch besitze, aber es reicht nicht." "Für einen Flug zum Mars?" Smith runzelte die Stirn. "Ich kenne da einige Skipper, die dich für diesen Betrag mitnehmen würden. Es wäre zwar keine besonders bequeme Reise, aber du bekämst etwas zu essen und würdest immerhin ans Ziel kommen." "Doch damit ist es nicht getan." Scaron nahm einen kräftigen Schluck von dem grünen Wein. "Ich brauche noch mehr. Eine Ausrüstung, Geld für Waffen und einen Führer. Tausend Kredit sind nicht annähernd genug. Deshalb will ich ja versuchen, im Spiel Geld zu gewinnen. Mein Gehalt ist so gering, daß es lange gedauert hat, bis ich so viel zusammengespart habe, und jetzt habe ich bereits die Hälfte verloren." "Ich verstehe." Smith starrte in sein Glas. "Du weißt, was dir blüht, wenn der Scheck nicht gedeckt ist, nicht wahr, Pop?" "Ich würde bezahlen. Ich ..." Der alte Mann schluckte aufgeregt, als er bemerkte, daß er sich verraten hatte. Der Spieler lächelte. "Du hast keine tausend Kredit mehr, wie, Pop? Ich habe dich beobachtet, und ich weiß genau, wenn einer bis auf einige Kredit abgebrannt ist. Diese Reise muß dir äußerst wichtig sein, wenn du ein solches Risiko eingehst." "Sie ist wichtig", flüsterte der alte Mann, und der grüne Wein tropfte über sein Kinn, als er ungeschickt das Glas an die Lippen hob. "Aber wenn Sie meinen Scheck annehmen, werden Sie es nie zu bereuen haben. Ich werde Ihnen alles zurückzahlen, das Zehnfache der eingelösten Summe, aber Sie müssen mir vertrauen." "Wie lange?" "Nicht lange, vielleicht einige Monate, um zum Mars und zurück zu kommen." Er blickte bittend in das rote Gesicht des Spielers. "Wollen Sie mir vertrauen?" "Ich weiß nicht", sagte Smith langsam. "Ich ..." Er brach ab, als die Kapelle in einen zügellosen Rhythmus überging und eine Frau auf den Tanzboden wirbelte. Die Tänzerin war eine schlanke Frau, nicht mehr ganz jung, aber von biegsamer Gestalt und natürlicher Anmut. Sie bewegte sich in rhythmischen Bewegungen, und auf den vollen Lippen lag ein gefrorenes Lächeln. Aber es ging etwas Eigenartiges von ihr aus, eine große Müdigkeit und verborgene Scham. Sie tanzte so, als ob sie ihren Beruf und die Blicke der umsitzenden Männer haßte. Sie
tanzte wie auf glühenden Kohlen, als ob ihr jede Bewegung Schmerzen bereitete, keine körperlichen Schmerzen, aber eine innerliche Pein, weil sie etwas tat, was ihr widerstrebte, was sie aber tun mußte. Der Tanz ging zu Ende, und einige Noten und klirrende Münzen wurden ihr zu Füßen geworfen. Schnell bückte sie sich und hob das Geld auf. Ihr Lächeln war jetzt verschwunden, und in ihren Augen war nur noch Verachtung gegen sich selbst zu lesen. Smith winkte ihr zu, und nach kurzem Zögern setzte sie sich zu den beiden Männern an den Tisch. "Wein, Lorna?" "Nein, danke." Sie schüttelte den Kopf und starrte den Spieler an. "Warum hast du mich hergewinkt?" "Ich möchte dich mit einem Freund bekannt machen, Professor Scaron von der Aphrodite Universität - Lorna, unsere Tänzerin." Smith lehnte sich in seinem Stuhl zurück und warf der Frau einen bedeutungsvollen Blick zu. "Scaron möchte zum Mars fliegen", sagte er leise. "Es liegt ihm soviel daran, daß er mir angeboten hat, auf eine Anleihe von tausend Kredit neuntausend Kredit Zinsen zu zahlen. Meinst du, ich soll seinen Scheck annehmen?" "Wie steht es mit der Sicherheit?" "Ich weiß es nicht. Ich vertraue ihm, aber werden das andere auch tun? Tausend Kredit sind keine Kleinigkeit, die man ohne weiteres verschmerzen könnte. Wenn ich seinen Scheck annehme, und er platzt, muß ich bezahlen." Er sah den alten Mann an. "Das siehst du doch ein, nicht wahr? Wenn ich einen ungedeckten Scheck von dir annehme, bin ich allein der Leidtragende." "Ich werde alles zurückzahlen", sagte der alte Mann eifrig. "Vielleicht gewinne ich im Spiel und kann ihn schon vor Morgengrauen einlösen." "Vielleicht." Smith lächelte nicht, aber in seinen Augen lag ein seltsamer Glanz. "Es ist schon möglich, daß du gewinnen könntest. Sagen wir, mit derselben Wahrscheinlichkeit, wie sich draußen die Wolkenschicht über Nacht verziehen kann. Aber diese Möglichkeit ist wohl sehr gering." "Ich muß gewinnen", beharrte der Alte. "Zwanzig Jahre warte ich nun schon, und ich kann nicht länger warten! Wenn ich jetzt meinen Plan nicht ausführte, wird es mir niemals gelingen, diesen Schatz ..." "Schatz?" Lorna lehnte sich vor. Ihr Interesse war erwacht. "Was für ein Schatz?" "Millionen", lallte Scaron, und die Frau bemerkte, daß er völlig betrunken war. Ungeduldig schob sie sein Glas weg, als er wieder danach tastete. "Wo liegt dieser Schatz? Auf dem Mars?" "Auf dem Mars", sagte er und blinzelte. "Er liegt in der Wüste und wartet nur darauf, geborgen zu werden. Ein Schatz, der das menschliche Begriffsvermögen übersteigt - der aus Gold und Edelsteinen besteht, aber er liegt verlassen dort, und ich muß dorthin zurück." "Warst du früher schon einmal dort?" "Einmal, vor zwanzig Jahren. Ich überflog mit einem Hubschrauber dieses Gebiet und sah ihn unter mir liegen. Ein zauberhafter Anblick! Ich hatte Meßinstrumente bei mir, und was sie aufzeigten, kann ich euch gar nicht beschreiben! Seltsame Energiequellen und unbekannte Strahlungen, ein riesiges
Lager unermeßlicher Schätze. Ich muß dorthin zurück und es ausbeuten. Ich muß einfach!" "Natürlich", sagte sie beschwichtigend, doch ihre Augen drückten Zweifel aus, und sie blickte Smith fragend an. Er nickte unmerklich und machte ein Zeichen mit Daumen und Zeigefinger, an dem sie erkannte, daß er an der Wahrheit dieser Behauptung nicht zweifelte. Lorna nickte leicht zurück und legte ihre schlanken Finger auf die Hand des alten Mannes. "Du sagtest, daß das vor zwanzig Jahren war. Das ist eine sehr lange Zeit. Woher willst du wissen, daß dieser Schatz noch dort ist?" "Warum nicht? Wodurch sollte er auch weggekommen sein?" "Da gibt es viele Möglichkeiten", sagte sie ungeduldig. "Oder liegt er vielleicht an einem verborgenen Ort?" "Verborgen?" Der alte Mann zuckte die Achseln und griff nach seinem Weinglas. "Das könnte man nicht behaupten. Es ist natürlich schwierig, dorthin zu gelangen, und deshalb brauche ich Geld, aber viele Leute kennen den Ort." "Aber ..." Lorna schüttelte verständnislos den Kopf und blickte Smith hilflos an. "Da komme ich nicht mehr mit. Wenn es auf dem Mars wirklich einen Schatz gibt, und wenn viele Menschen davon wissen, wie willst du dann behaupten, daß er noch dort ist?" "Wollt ihr mir das Geld leihen?" Scaron spähte zwischen ihnen hindurch zum Roulettetisch. "Ich möchte soviel wie möglich gewinnen, bevor es zu spät ist." "Trink noch ein Glas Wein." Smith ergriff die Flasche und goß die grünliche Flüssigkeit in das Glas des alten Mannes. "Warum machst du dir Gedanken um einige Kredit? Wenn du auf den Mars kommst, wirst du Millionär, einer der reichsten Männer im System, ein Mann, der sein Geld zum Feueranzünden benutzen kann. Trink noch ein Glas mit uns und erzähle deinen Freunden mehr über den Schatz." "Freunde?" Scaron blinzelte, nippte an seinem Wein und kicherte. "Das seid ihr doch wohl, wie? Du hast mich vor diesem wilden Bullen beschützt, der mich zusammenschlagen wollte." Er kicherte in sich hinein. "Ich weiß ein Geheimnis, ein komisches Geheimnis, obwohl es in Wirklichkeit gar keins ist. Viele Menschen wissen von dem Schatz, aber sie wissen darüber nicht so viel wie ich." Er grinste und wirkte ein wenig lächerlich. "Ich bin darüber hinweggeflogen. Ich hatte Meßgeräte bei mir, und ich habe etwas festgestellt, was noch keinem bekannt ist. Energie, Kraftquellen, unbekannte Strahlung," - Seine Stimme war nur noch ein Lallen, seine kleinen Augen wurden glasig, und er lachte töricht. "Er ist jetzt so betrunken, daß er nicht mehr weiß, was er redet", flüsterte Lorna. "Weißt du auch genau, was du tust, Smith?" "Und ob ich das weiß", versicherte er grimmig. "Er ist kein von Strahlen verseuchter Raumfahrer, kein aufgeblasener großmäuliger Tramp. Ich habe seine Papiere gesehen und kenne seinesgleichen. Er ist echt." "Dann ist dieser Schatz ..." "Es muß auf Wahrheit beruhen, was er darüber sagt. Er glaubt zumindest daran." "Und du auch?"
Er schwieg einen Augenblick. Sein gerötetes Gesicht blieb ausdruckslos, seine kalten Augen starrten in das bleiche Gesicht der Tänzerin. Dann flog sein Blick zum Roulettetisch, wo die Männer mehr einsetzten, als sie sich leisten konnten, und fluchten, wenn sie verloren, streifte die betrunkene Menge an der Bartheke, die sich aus Menschen aller Schichten und Berufe zusammensetzte, und irrte dann hinaus in die schwüle venusianische Nacht. "Ich will daran glauben", sagte er langsam. "Ich will es einfach. Es gibt eigentlich nur eins, was ich mir brennender wünsche." "Von der Venus wegzukommen?" "Ja." Sie nickte, und ein nachdenklicher Ausdruck verdunkelte ihre großen Augen, dann wandte sie sich wieder dem alten Mann zu. Ihr bleiches Gesicht verriet wilde Entschlossenheit. "Aufwachen!" zischte sie. "Scaron! Wach auf!" "Wie?" Er blinzelte und rieb sich sein stoppeliges Kinn. "Was sagten Sie?" "Du erzähltest uns von einem Schatz", drängte sie. "Wo liegt er?" "Auf dem Mars." "Das weiß ich, aber wo auf dem Mars? Der Planet ist groß." "In den Blauen Bergen", sagte er zerstreut. "Ich bin einmal darüber hinweggeflogen, und ich muß wieder hin." Er bewegte sich unruhig, als seien seine Kräfte zurückgekehrt, und seine Augen blickten klarer. "Ich muß dorthin, ehe es zu spät ist. Ich könnte das Geheimnis lüften und den unermeßlichen Schatz bergen." Er blickte Smith an. "Du mußt mir das Geld leihen." "Ich werde es dir leihen", versprach der Spieler. "Ich gebe dir Chips im Wert von tausend Kredit wenn du mir sagst, wo der Schatz liegt." "Wo? In Klaglan natürlich. In der verbotenen Stadt." Der alte Mann bemerkte nun Lornas verständnislosen Blick. "Haben Sie denn überhaupt noch nie davon gehört?" "Nein." "Nein?" Scaron blickte den Spieler an. "Und du?" "Ich denke schon. Eine Ruinenstadt, nicht wahr? Ein Denkmal alter marsianischer Geschichte. Ein Raumfahrer erzählte mir davon." Er zeigte deutlich seine Enttäuschung. "Und dort soll dein sogenannter Schatz liegen?" "Ja", sagte der Alte, und seine Betrunkenheit schien von ihm abzufallen. Eine seltsame Erregung brannte in seinen Augen. "Klaglan, die verbotene Stadt, die geheimnisvolle Stadt, die Stadt ohne Wiederkehr. Sie liegt in der Marswüste, und keiner weiß, welche Schätze und Reichtümer sie birgt. Wie gesagt, ich flog einmal darüber hinweg, und ich weiß, wenn ich jemals wieder dorthin komme, werde ich unermeßliche Reichtümer bergen. Ich muß wieder hin. Ich muß!" "Wegen des Goldes?" Smith zuckte die Achseln. "Wenn diese Stadt bekannt ist, warum sind die Menschen noch nicht dorthin gezogen und haben sie ausgeplündert? Mittlerweile werden sie alles Wertvolle fortgeschleppt haben." "Glaubst du?" Scaron hob die Schultern und griff nach seinem Weinglas. "Du irrst dich. Oh, die Menschen sind wohl bis zu dieser Stadt vorgedrungen, das ist jedenfalls mit
Bestimmtheit anzunehmen, denn die Kunde hat die Menschen schon vor langer Zeit erreicht. Die Menschen sind in diese Stadt eingedrungen - sie sind aber nie zurückgekehrt." "Nie zurückgekehrt?" Lorna schüttelte den Kopf. "Das verstehe ich nicht. Warum sind sie nicht zurückgekehrt?" "Wer weiß?" Der alte Mann zuckte die Achseln, und sein Blick wurde wieder gläsern. "Vielleicht sind sie gestorben", flüsterte er. "Die Wüsten sind endlos, und es gibt dort wenig Wasser. Vielleicht kamen sie auch bis zur Stadt. Vielleicht ..." Er seufzte, und der grüne Wein tropfte an seinem Kinn herunter. "Vielleicht haben sie dort etwas gefunden, etwas so Schönes, daß sie nicht wieder fort wollten. Es gibt tausend Möglichkeiten, aber eine Tatsache bleibt bestehen: Klaglan ist Wirklichkeit. Klaglan wartet in der Marswüste und - Klaglan ist eine Stadt ohne Wiederkehr." Er grinste und taumelte auf seinem Stuhl hin und her. Eine krallenartige Hand griff nach der Flasche, verfehlte sie, zuckte und tastete dann müde über die beschmutzte Tischplatte. Scaron starrte darauf, als ob er seine eigene Hand nicht erkennen könnte, dann schoß er plötzlich wie aufgezogen vor, und sein Kopf schlug krachend auf der hölzernen Tischplatte auf. Sein Atem ging pfeifend und stoßweise. Lorna starrte den Betrunkenen mit unverhohlener Verachtung an. "Dieser Narr", sagte sie angewidert. "Dieser betrunkene Narr." "Betrunken, ja, aber ein Narr?" Smith starrte nachdenklich auf den bewußtlosen Alten. "Er war ein Narr, jemals hierher zu kommen, und ein noch größerer Narr zu glauben, daß er am Spieltisch gewinnen würde, wo die Kugel gelenkt wird, aber sonst?" "Glaubst du immer noch, daß er die Wahrheit sagt?" "Ja." Seufzend sah sich Smith in der überfüllten Kneipe um; "Ich habe schon viele Gerüchte über diese Stadt gehört. Die Blauen Berge müssen ein geheimnisvoller Ort auf dem Mars sein, glaube ich. Wenn der alte Mann recht hat - und das möchte ich fast glauben -, können dort unermeßliche Schätze verborgen liegen. Vielleicht Gold, Edelsteine, seltener Schmuck? Reichtum von ungeheurem Ausmaß könnte dort verborgen sein und nur darauf warten, daß jemand kommt und sich diesen aneignet." "Aber wenn das so ist, warum haben das nicht schon andere Menschen versucht?" "Vielleicht wissen sie nicht genau, wo der Schatz liegt. Vielleicht ..." Smith zuckte etwas verärgert mit den Schultern. "Er nannte den Ort ,Stadt ohne Wiederkehr'. Vielleicht wollten diejenigen, die dorthin gelangten, das nicht wahrhaben." Er blickte die Frau an. "Weißt du, woran ich denke?" "Das ist nicht schwer zu erraten." Sie schüttelte sich, während ihr Blick durch die Kneipe flog. "Ich würde mein Leben dafür geben, diese Bude und diesen stinkenden Planeten zu verlassen. Aber wohin soll ich? Und womit? Du weißt, daß ich arm bin, Smith. Weshalb also über unerfüllbare Träume sprechen?" "Ich kann uns Geld besorgen", sagte er langsam. "Ganz gleich wie, aber ich kann es. Ich kenne einen Skipper, der uns hinüberfliegen würde, ohne lästige Fragen zu stellen." Wieder blickte er sie forschend an. "Du weißt, was ich vorhabe, Lorna. Also?"
"Keine Bindung, Smith", sagte sie schnell. "Wenn ich mit dir komme, dann nur als dein Geschäftspartner, sonst nichts." "Das weiß ich", sagte er ruhig. "Aber kommst du überhaupt mit, Lorna? Ich kann uns Geld verschaffen und unseren Flug zum Mars damit bezahlen. Dort werden wir uns einen Führer nehmen und uns auf den Weg zur Stadt machen. Ich würde es allein wagen, aber ich weiß, wie elend du dich hier fühlst, und außerdem kann eine Frau auf dieser Reise ganz nützlich sein." "Wieso?" "Die Führer sind Männer, und wir wollen doch nicht, daß der unsere zuviel errät. Wenn es dir gelingt, seine Aufmerksamkeit abzulenken, dann ist das für uns um so günstiger." Er holte tief Luft, starrte auf die zusammengekrümmte Gestalt des alten Mannes und lächelte dann die Frau an. "Also, Lorna? Machst du mit?" Sie zögerte, doch als ein betrunkener Raumfahrer sie begehrlich anglotzte, schüttelte sie sich und streckte die Hand aus. "Ich mache mit", sagte sie entschlossen. "Jeder bekommt genau die Hälfte von allem, was wir finden. Du sorgst für Geld, und ich werde den Führer ablenken." Sie hielt inne. "Wie ist es eigentlich damit?" fragte sie langsam. "Mit dem Führer, meine ich. Nehmen wir an, er schöpft Verdacht, oder will einen Anteil haben, oder ..." "Damit werden wir schon fertig, wenn es soweit kommen sollte." Smith drückte ihre schlanken Finger und erhob sich vom Tisch. Sein gerötetes Gesicht war wieder ausdruckslos. "Ich werde die Überfahrt arrangieren. Pack deine Sachen und halte dich für einen plötzlichen Aufbruch bereit." "In Ordnung." Sie wies mit dem Kopf auf den schlafenden Alten. "Was wird mit ihm?" "Kümmere dich nicht um ihn", sagte er roh. "Einer meiner Leute wird ihn nach Hause bringen." Er lehnte am Tisch, und zum ersten Mal an diesem Abend zeigte sein Gesicht ehrliche Bewegung. Er ergriff die Weinflasche, schenkte zwei Gläser ein, gab der Frau das eine und hob das andere hoch. Mit grimmiger Entschlossenheit starrte er auf die grüne Flüssigkeit. "Wir trinken auf die Stadt und alles, was sie in ihren Mauern verborgen hält", flüsterte er. "Auf die Stadt", wiederholte sie und hob das Glas an die geschminkten Lippen. "Auf Klaglan, die Stadt ohne Wiederkehr." Schweigend tranken sie.
2. Wie ein schimmernder Edelstein, der auf einer riesigen Handfläche ruht, lag die Stadt Klaglan in den Blauen Bergen eingebettet. Die Stadt war uralt. Sie mußte schon seit vielen Jahrhunderten bestehen, und die Zeit und der Wind hatten an dem grauen Gemäuer und den gezackten Türmen genagt und ihr einstmals glänzendes Gewand stumpf und unansehnlich gemacht. Eine seltsame Stadt, die einmal märchenhaft und vertraut und dann auch wieder macht. Eine seltsame Stadt, die einmal märchenhaft und vertraut und dann auch wieder verwirrend fremd und unheimlich anmutete. Schweigend und leblos
ruhte sie in den Blauen Bergen, als träume sie von einer ruhmreichen Vergangenheit. Träumend lag sie unter den dahinjagenden Monden des Mars. Halmar bewegte sich ein wenig. Er lag lang ausgestreckt auf dem Sand und starrte durch ein riesiges Fernglas auf die Stadt. Neben ihm saß Smith und schlug fluchend die Sandläuse tot. Lorna zog nervös an einer funkensprühenden Zigarette. "Weshalb diese Verzögerung?" fauchte sie. "Warum, zum Teufel, steigen wir nicht einfach hinunter?" Halmar antwortete nicht, aber seine großen Hände umklammerten noch fester das Fernglas. Smith brummte. "Nur keine Aufregung. Lorna. Halmar weiß schon, was er tut." "Glaubst du?" Ein höhnischer Unterton ließ ihre Stimme hart und unangenehm erscheinen. "Wir bezahlen ihn tageweise, vergiß das nicht. Je länger er diese Wanderung ausdehnt, um so mehr verdient er." Sie blitzte den hageren Mann wütend an, als er sein Fernglas sinken ließ. "Nun? Ist alles in Ordnung? Oder sollen wir noch einige Wochen hier lagern, nur um sicherzugehen?" "Hör auf, Lorna! " Smith wischte sich über sein erhitztes Gesicht und blickte den anderen offen an. "Du darfst nicht auf sie hören, Halmar. Sie ist ein wenig gereizt, glaube ich." Er fuhr mit der Zunge über die Lippen und blickte auf die seltsame Stadt. "Können wir jetzt hinabsteigen?" "Nein." Halmar steckte das Fernglas in die Gürteltasche zurück. "Vielleicht heute nacht, aber jetzt nicht." "Warum nicht?" "Ich habe Spuren eines Drylander-Lagers entdeckt. Es könnte sein, daß die Ureinwohner in der Stadt sind. Es wäre nicht gerade angenehm für uns, von ihnen gefangen zu werden." "Wir haben ja schließlich Waffen, oder nicht?" Lorna drückte ihre Zigarette aus. "Wir können uns mit Gewalt den Zugang erzwingen." "Und wie sollen wir wieder herauskommen?" Halmar blickte sie mit seinen grauen Augen ausdruckslos an. "Die nächste Siedlung ist über dreihundert Meilen von hier entfernt. Selbst wenn es uns gelänge, in die Stadt einzudringen, hätten wir keine Möglichkeit, wieder herauszukommen. Nicht, wenn sich die Drylander an unsere Fersen heften." Er seufzte ein wenig, als er ihren unwilligen Blick bemerkte. "Hör mal zu", sagte er ruhig. "Mir gefällt das alles ganz und gar nicht. Ich habe euch gewarnt, bevor ihr aufbracht. Klaglan ist einer der wenigen Orte auf dem Mars, zu dem die Terraner keinen Zutritt haben. Die Drylander betrachten diese Stadt als Heiligtum und töten jeden, der sie betreten will. Wenn sie uns fangen, töten sie uns, und ihr könnt mir glauben, daß das ein langsamer qualvoller Tod sein wird." "Folter?" Smith sah nicht gerade glücklich aus. Halmar nickte. "Ja. Sie haben nichts für uns übrig, diese Drylander. Wir haben ihnen einen Frieden aufgezwungen, und sie halten sich an die Regeln, aber sie erwarten auch von uns, daß wir uns daran halten. Klaglan ist ihre heilige Stadt, und wenn sie uns dort fangen, müssen wir
dafür büßen. Nicht einmal der Militärgouverneur würde es wagen, etwas zu unserer Rettung zu unternehmen. Wenn er vielmehr erführe, daß wir ihr Tabu gebrochen haben, würde er uns den Drylandern übergeben. Was wir auch unternehmen, wir sind auf jeden Fall dem Untergang geweiht." "Und doch bist du mit hierhergekommen!" Lorna sah den Führer mit einem seltsamen Ausdruck in ihren dunklen Augen an. Halmar zuckte die Schultern. "Warum nicht? Auch ich kann mich nicht von Neugier freisprechen, und außerdem bezahlt ihr mich ja für dieses Unternehmen." Er blickte auf die gespenstischen Türme der alten Stadt. " Keiner weiß, was sich hinter den Mauern von Klaglan verbirgt, nicht einmal die Eingeborenen. Aberglauben, Sagen und Wundermärchen kursieren unter ihnen, aber sie wissen nichts." "Wenn das alles so wichtig ist, warum haben wir nicht schon vorher daran gedacht?" "Warum nicht?" Der große, hagere Mann lächelte. "Eine logische Frage. Wir könnten das schon tun. Wir könnten alle Marsbewohner um uns versammeln, sie bewaffnen und uns gewaltsam den Zugang zur Stadt erzwingen. Wir könnten diese Stadt erforschen, ihr Geheimnis lüften und unsere eigene Neugier befriedigen. Aber wenn wir das täten, hätten wir auch den Mars für immer verloren. Mit den Drylandern ist nicht zu spaßen, sie verstehen überhaupt keinen Spaß in unserem Sinn, und sie haben dem Gouverneur unverblümt gesagt, was ihn erwartet, wenn er es jemals wagte, ihre heilige Stadt zu betreten. Sie würden jeden Terraner auf dem Planeten vernichten und ebenso jeden Neuankömmling. Sie würden die Farmen verwüsten und die Siedlungen niederbrennen und das sind nicht nur leere Drohungen." "Unsinn!" Lorna zündete sich wieder eine Zigarette an. "Was können diese Wilden schon gegen unsere Strahlpistolen unternehmen?" "Es gibt nicht viel mehr als zwanzigtausend Terraner auf dem Mars", sagte Kalmar ruhig. "Keiner weiß aber, wieviel Eingeborene es hier gibt. Mit Strahlpistolen könnte man eine ganze Menge vernichten, aber es blieben immer noch genug übrig, und wir haben nur eine begrenzte Menge von Munition und Waffen. Ich bin der Meinung, daß sie ihre Drohung wahrmachen können. Der Gouverneur ist derselben Ansicht, und deshalb hat er das Gebiet um und in Klaglan zur verbotenen Zone erklärt." "Ich verstehe." Lorna nahm die Zigarette zwischen die vollen Lippen und wollte sie mit dem Feuerzeug anzünden. Halmar beugte sich vor, riß ihr die Zigarette aus dem Mund und zerdrückte sie im Sand. "Nicht rauchen!" befahl er. "Jetzt nicht." "Du!" Ihr bleiches Gesicht war vor Wut verzerrt und ihr Mund zu einem schmalen Strich zusammengepreßt. "Vergiß nicht, wer du bist! Ein bezahlter Diener. Ein auf den Hund gekommener Führer, den wir in der Siedlung auflasen und der nur zu froh war, sich wieder einmal einige Kredit zu verdienen, um etwas in den Magen zu bekommen. Ein Tramp bist du! Wie kannst du es wagen, mir vorschreiben zu wollen, was ich tun und lassen soll?" "Dann rauche doch, zum Teufel! " Zorn flammte in seinen grauen Augen auf. "Rauche doch, und wenn dich die Drylander gefunden und gemartert haben und du den
Sandläusen zum Fraß überlassen wirst, dann kannst du ja einmal darüber nachdenken, wie teuer dich diese Zigarette zu stehen kam." Er blickte auf die untergehende Sonne, kroch von seinem Beobachtungsposten zurück und erhob sich. "Wohin gehst du?" Smith starrte dem Mann nach. "Warte, ich komme mit." Halmar beachtete ihn nicht. Er ging mit langen Schritten zu ihrem Lagerplatz zurück. Die vier Marsmulis wieherten ihm entgegen und warfen den Kopf hoch. Er streichelte das dicke Fell der gekreuzten Mutanten. Es waren die einzigen Tiere, die von dem kärglichen Futter auf dem roten Planeten leben konnten, und seine Augen waren finster, als er über die endlose Wüste blickte. Smith zupfte ihn am Ärmel. "Vergiß, was sie gesagt hat, Halmar, sie hat es nicht so gemeint." "So?" Der hagere Mann zuckte die Achseln. "Sie hat es jedenfalls ausgesprochen, und sie ist ein erwachsener Mensch. Sie weiß, was sie will." "Sie ist nervös. Verdammt noch mal, Mann, was kannst du anderes erwarten? Ein Mädchen wie sie in dieser Einöde ..." Er erschauerte. "Ich selbst fühle mich auch nicht gerade wohl in meiner Haut." "Warum gibst du es dann nicht auf? Was ist so wichtig in Klaglan, daß du unbedingt dorthin mußt?" Ein Schleier schien sich über die Augen des anderen zu senken, und er lächelte verstohlen, während er den Kopf schüttelte. "Es geht mich also nichts an. Nun gut. Ich wurde angestellt, um euch hierherzubringen. Das habe ich getan. Jetzt verlasse ich euch. Ich nehme mir, was ich brauche und ein Muli dazu. Ich werde eure Sachen im Büro des Agenten in der Siedlung zurücklassen - du kannst sie dir holen, sobald du mich ausgezahlt hast." "Nein!" Smith packte den großen Mann am Arm. "Das kannst du uns nicht antun, Halmar. Du kannst uns jetzt nicht im Stich lassen!" "Dann kommt doch mit mir." "Nein. Ich ..." Smith biß sich auf die Lippe und runzelte die Stirn. "Hör mal zu. Wie wäre es, wenn sich Lorna entschuldigte? Würdest du dann bleiben?" "Nein. Ich bin keiner von der empfindlichen Sorte, Smith. Was sie sagte, kam der Wahrheit zu nahe, als daß ich es als Beleidigung aufgefaßt hätte. Das macht mir nichts aus." "Was hat dich dann verstimmt?" "Ich liebe es nicht, im dunkeln zu tappen." Halmar starrte den anderen an. "Du möchtest nach Klaglan. Nun, warum nicht, du mußt wissen, was du willst, aber du kannst mir nie mit Geld bezahlen, was uns zustößt, wenn uns die Drylander fangen. Nein, Smith. Meine Aufgabe ist erfüllt. Ich habe euch hierhergeführt. Ich habe gesehen, was die Eingeborenen mit ihren Gefangenen machen. Es ist scheußlich, und für eine Frau ist es sogar noch schlimmer. Du hast Klaglan gesehen, Smith, laß uns zurückgehen." "Was geht hier vor?" Lorna trat zu ihnen und steckte dabei ihr welliges schwarzes Haar unter den Schutzhelm. "Hat unser großer Junge kalte Füße bekommen?" "Ja." Smith spie in den Staub.
"Was will er denn? Mehr Geld?" "Nein." Halmar blickte sie gleichgültig an. "Ich habe meine Pflicht getan und euch hierher geführt. Ich verlasse euch jetzt." "Was du nicht sagst." Sie lächelte böse und verzog ihre vollen roten Lippen. "Das tust du besser nicht, Halmar. Meinst du wohl, der Agent wäre hocherfreut, wenn du ohne uns zurückkehrst? Er könnte doch denken, du hättest uns ermordet und im Sand verscharrt." Sie beugte sich ein wenig vor, und ein zarter Parfümduft schlug ihm entgegen. "Das wäre doch nicht das erste Mal, Halmar, wie? Wir sind doch nicht die ersten Leute, die du nach Klaglan führst." "Du weißt es also." Der große Mann seufzte und starrte auf seine Hände. "Warum hast du mich dann angeworben?" "Weil du der beste Führer warst, den wir bekommen konnten. Weil du der einzige warst, der uns nach Klaglan und wieder zurückbringen konnte. Du kannst uns jetzt nicht verlassen, Halmar. Wenn du das tust, lasse ich dich über den ganzen Mars mit Hunden hetzen." "Sieh mal an." Zorn flammte in seinen grauen Augen auf, und sie wich entsetzt einen Schritt zurück. "Drohe mir nicht, Mädchen! Tu das nicht! Ja, ich bin schon einmal hier gewesen und allein zur Siedlung zurückgekehrt. Ich brachte vor zwei Jahren eine Gruppe hierher. Es waren zwei Männer und ein Mädchen. Sie wollten nach Klaglan, und das gelang ihnen auch." Er lachte bitter und schneidend, so daß sich ein Muli entsetzt im Sand aufbäumte. "Ich war damals jünger, und mir erschien das Ganze wie ein verlockendes Abenteuer. Ich war stolz auf meine Fähigkeit, die Menschen sicher durch die Wüste zu führen und ihnen über die Zustände hier erzählen zu können. Ich führte sie zur Stadt." "Was geschah dann?" Sie kam einen Schritt näher, und er blickte erstaunt auf. Ihre Stimme hatte einen ungewöhnlich sanften Klang. "Wir lagerten ebenfalls hier, und dann gingen sie allein zur Stadt." Er seufzte. "Sie wollten es so, und ich war nur ihr Führer und mußte mich fügen." Er blickte über die Wüste. Die untergehende Sonne warf seltsame Schatten über sein düsteres Gesicht. "Die Drylander nahmen sie gefangen, bevor sie noch die Tore der Stadt erreichten." "Und?" "Sie wehrten sich natürlich. Ich sah das Mündungsfeuer ihrer Strahlwaffen und hörte das Bellen der Schüsse, aber es half ihnen nichts. Die Eingeborenen waren ihnen überlegen." Er schüttelte sich, und Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn. "Ich hätte zu ihnen gehen können. Ich hätte versuchen können, ihnen zu helfen. Ich hätte sonst was tun können - aber ich hatte Angst. Ich versteckte mich. Ich wartete die ganze Nacht hindurch, und als der Morgen graute, versuchte ich, sie zu finden." Er leckte sich die Lippen, und seine großen Hände zitterten bei der Erinnerung an Vergangenes. "Ich fand die drei tot. Sie waren grausig zugerichtet von diesen unmenschlichen Lebewesen. Dann begann ich wie ein Verrückter zu laufen, und die Drylander waren mir auf den Fersen. Ich hatte Glück. Ich entkam, aber ich ritt auf dieser Flucht drei Mulis zu Tode. Die Erinnerung an diese Jagd auf Leben und Tod wird mich bis an mein Lebensende verfolgen."
"Und jetzt hast du Angst vor ihnen?" "Ja." Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Ich werde immer Angst vor ihnen haben. Dieses Mädchen ..." "Warum bleibst du dann auf dem Mars? Warum hast du uns hierher geführt?" "Warum?" Bitterkeit lag in seiner Stimme. "Ein Mann muß doch etwas zu beißen haben, Mädchen, das ist der Grund. Man muß doch noch Achtung vor sich selbst haben und auf eigenen Füßen stehen können. Du weißt, was der Agent von mir dachte, als ich zurückkam. Du hast es mir ja eben gesagt. Ein Führer, der seine Schützlinge im Stich läßt, um seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen, verdient keine Achtung mehr. Man verachtet mich in der Siedlung. Auf dem Mars braucht man mich nicht, aber ich bin pleite und kann mir einen Flug zu einem anderen Planeten nicht mehr leisten." Er blickte der Frau in die dunklen Augen. "Hast du dich nicht gewundert, daß ich für so wenig Geld zu haben war?" "Ich konnte es mir denken." Sie drückte seinen Arm. "Aber wir brauchen dich, Halmar. Vergiß, was vorhin war und was ich gesagt habe. Wir müssen in die Stadt, und wir wollen, daß du uns dorthin führst." "Wirklich?" "Du wirst es tun, Halmar." Ihre Augen wurden hart und unterstrichen die harte Entschlossenheit in ihrer Stimme. "Du wirst uns nach Klaglan führen und wieder zurück zur Siedlung." "Und wenn ich es nicht tue?" "Dann stirbst du!" Sie trat zurück. Ihre Hand sank auf die Halfter an ihrer Hüfte, und er starrte in die gezückte Öffnung einer schweren Strahlwaffe. Neben ihm zog Smith pfeifend den Atem ein und lief hastig aus der Feuerlinie. Halmar lächelte. "Du drohst mir also", sagte er, und seine Stimme klang belustigt. "Du Närrin. Wenn du mich erschießt, ist das so gut, als hättest du auch dich selbst erschossen. Wie willst du denn zur Siedlung zurückfinden? Kennst du die Wasserstellen? Kannst du dich nach den Sternen richten? Wenn sich nun ein Sturm erhebt, bist du imstande, ihn zu überleben?" Er kicherte. "Los, drück doch ab und warte dann auf die Drylander! Sie haben ein scharfes Gehör, weißt du. Sie werden dem Geräusch nachgehen, und dann ist es um euch geschehen." "Wirst du uns in die Stadt bringen?" Er trat einen Schritt vor, und seine Hand riß ihr blitzschnell die Pistole aus den Fingern. "Es war töricht von euch, hierherzukommen, und ein Verbrechen von mir, euch hierher zu bringen." Halmar blickte auf die Pistole in seiner Hand. "Aber schließlich muß man ja leben, und ihr habt mir keine andere Wahl gelassen. Wollen wir nun zurückgehen?" "Nein!" Smith sah das Mädchen finster an und wandte sich dann dem anderen zu. "Wir sind jetzt hier, Halmar, vor den Mauern der Stadt Klaglan. Wir müssen hinein. Wir müssen einfach!" "Warum?" "Das kann ich dir nicht sagen. Zum Teufel, Mann! Glaubst du denn, wir hätten die lange
Reise von der Venus nach hier gemacht, unser ganzes Geld ausgegeben und die Gefahren dieser Wüste und die Bedrohung durch die Eingeborenen auf uns genommen, nur um einen Blick auf die Stadt zu werfen und dann wieder zurückzugehen?" "Warum seid ihr hier? Was gibt es in der Stadt besonderes?" "Ich kann es dir nicht sagen. Ich ..." "Gut, dann gehen wir zurück." Halmar beschäftigte sich mit den Marsmulis und hantierte mit dem Gepäck. Smith blickte die Frau fragend an, und sie nickte mit einer fast unmerklichen Bewegung des Kopfes. "Sag es ihm." "Aber?" "Sag es ihm, wird's bald?" Smith schluckte aufgeregt und leckte sich die Lippen. "In der Stadt ist etwas", sagte er langsam. "Etwas, das ich haben will." Halmar zuckte die Schultern. "Ein Edelstein", sagte Smith. "Ein Edelstein von unermeßlichem Seltenheitswert. Ich habe auf der Venus davon gehört und ..." "Warum willst du mich unbedingt zum Narren halten?" Kalmar ging wieder zu den Mulis und schnürte ein Bündel auf. "Wenn du auf der Venus ein solches Gerücht gehört hast, glaubst du denn, ich wüßte hier auf dem Mars nichts davon? Fang noch mal von vorn an, Smith, und sage diesmal die Wahrheit." "Es ist die Wahrheit!" Lorna trat vor. Ihr bleiches Gesicht war ernst. "Nicht ein Edelstein oder etwas, was man sich bei einem Glas Wein in einer Sumpfkneipe zusammenträumt, sondern etwas sehr Wertvolles. Denke doch einmal darüber nach. Die Stadt ist uralt und seit unzähligen Jahren von keinem Menschen betreten worden. Welche unermeßlichen Schätze kann sie bergen! Wir sind pleite, Halmar. Wir haben nicht einmal genug Geld, um dich auszuzahlen, und wir sind verzweifelt. Ich weiß, daß diese Stadt etwas Wertvolles birgt, und ich will es haben." Sie hielt inne, blickte ihn mit ihren dunklen Augen starr an und rang in der dünnen Luft mühsam nach Atem. "Jetzt weißt du es!" "Ich weiß überhaupt nichts." Der Führer rollte sein Bündel auf und wühlte darin herum. "Ich weiß nur, daß du ein weitverbreitetes Gerücht nachredest. Natürlich gibt es Werte in Klaglan. Soviel steht fest, aber was sollen wir damit? Hat es Sinn, einen ganzen Planeten der Zerstörung auszusetzen, nur um einem Phantom nachzujagen? Denn darauf läuft es doch hinaus. Wenn wir die Stadt plündern, werden sich die Drylander erheben und die Terraner ausrotten. Das möchte ich nicht. Keiner möchte das." Er zog seine Hand zurück und schnallte sich einen breiten Gurt um die Hüften. Er war mit breiten zylindrischen Gegenständen behangen. Er lächelte, als er das Stirnrunzeln der Frau bemerkte. "Granaten. Ich habe das Gefühl, daß wir sie gebrauchen können." "Gegen die Drylander?" "Ja." Kalmar blickte mit zusammengekniffenen Augen auf die untergehende Sonne, die jetzt fast den Horizont berührte, und auf die dahinjagenden Monde. "Bald wird es stockdunkel sein, und wir können uns nur noch nach dem Licht der Sterne orientieren. Dann brechen wir auf."
"Zur Stadt?" "Nein. Zurück zur Siedlung. Ich habe genug von euren Lügen und dummen Gefasel." Er blickte in das bleiche Gesicht der Frau. "Und ich habe auch genug von deinen Drohungen. Wir gehen zurück." "Ich ..." Sie ließ mutlos die Schultern sinken. "Wahrscheinlich kann ich dir erzählen, was ich will, du änderst deine Meinung doch nicht." "Nein." "Du willst uns also nicht in die Stadt führen?" "Nein." "Also gut." Sie trat zurück, und wieder machte ihre Hand eine blitzschnelle Bewegung. Halmar starrte abermals in die Öffnung der Strahlwaffe, die sie ihm geschickt wieder entwendet hatte. Er seufzte. "Ich habe dir doch gesagt ..." "Nichts hast du mir gesagt." Sie nickte Smith befehlend zu. "Du weißt, was du jetzt zu tun hast." "Aber, Lorna!" "Los!" Die schwere Waffe zitterte in ihrer Hand. "Es tut mir leid, Halmar, aber es gibt keine andere Möglichkeit. Eine Bewegung, und ich töte dich." "Was hast du vor?" Ohne sich zu bewegen, blickte er sie an. Er wußte, daß sie zum Äußersten entschlossen war. "Ich gehe nach Klaglan!" Sie nickte, und der große Mann fuhr in plötzlicher Panik herum. Er hob seinen Arm schützend über den Kopf. Aber zu spät. Ein schwerer Schlag traf seinen Kopf, ein Schlag mit einem harten, metallischen Gegenstand - dem Kolben einer Strahlwaffe. Er fuhr über seinen erhobenen Arm hinweg, zerbrach die schützende Hülle seines Helmes und warf ihn auf die Knie. Ein stechender Schmerz durchflutete ihn, und ihm wurde übel. Er schlug um sich und versuchte, sein Gleichgewicht zu behalten. Da traf ihn ein zweiter betäubender Schlag. Er fühlte das Scheuern des Sandes, als er auf den heißen Boden fiel. Undeutlich, wie aus weiter Ferne, vernahm er hastige Atemzüge und die Stimme einer Frau. Es war eine hohe Stimme, die verächtlich lachend ausstieß: "Schlaf wohl, Halmar. Wir gehen weiter. Folge uns, wenn du kannst, Halmar. In die Stadt. Nach Klaglan." Dunkelheit umfing ihn, und er sank tiefer ... immer tiefer. Dann schwanden ihm die Sinne.
3. Es war bitter kalt. Die schneidende Kälte einer Marsnacht und die Dunkelheit eines wolkenlosen Planeten umgaben ihn. Halmar stöhnte, wälzte sich im Sand und blickte mit stumpfen Augen über die sternenbeglänzte Wüste. Er runzelte die Stirn, rieb sich den schmerzenden Hinterkopf und sprang dann in plötzlicher Angst auf. Das Lager war verlassen. Die Marsmulis waren verschwunden.
Jetzt fluchte er wild. Er verachtete sich selbst wegen seiner unverzeihlichen Dummheit und raffte schnell seine persönliche Habe zusammen. Das Fernglas war noch da und auch der breite Gurt mit der Strahlwaffe, den Granaten und dem Messer. Er hob seinen Wasserbehälter hoch, schüttelte ihn und runzelte unwillig die Stirn, weil er sehr leicht geworden war. Dann setzte er sich wieder hin. Übelkeit überkam ihn wieder, und sein Kopf dröhnte von den harten Schlägen. Er war dreihundert Meilen von der nächsten Siedlung entfernt, besaß kein Reittier, keine Nahrung und nur wenig Wasser. Wenn er Glück hatte, konnte er den Drylandern entkommen, aber es gehörte mehr als Glück dazu, in seiner Verfassung den Rückweg zu überstehen. Er brauchte Nahrung, Schutz und mehr Wasser. Er wußte, daß es für ihn keine Rettung gab. Eine Weile saß er bewegungslos da, um sich von der Wirkung der Schläge zu erholen, dann erhob er sich vorsichtig und kroch zu der seichten Mulde, in der sie gelagert hatten. Er warf sich flach in den Sand, riß das Fernglas aus der Hülle, stellte es ein und blickte zu den schimmernden Mauern der geheimnisvollen Stadt hinüber. Draußen in der Wüste bewegten sich einige Gestalten. Sie waren dünn, biegsam und vielgliedrig und schwärmten wie ein Nest aufgescheuchter Ameisen durcheinander - es waren die Drylander des Mars! Er brummte verzweifelt, als er sie erkannte, und suchte mit seinem Glas das ganze Gebiet nach den beiden Menschen ab. Ein Feuerblitz zuckte an einer Stelle in der Nähe der Stadtmauern auf, fuhr wie eine Flammenzunge über den Sand und beleuchtete die heranstürmende Horde. Er erstarb, und ein donnerndes Geräusch hallte durch die dünne Luft wie das unterdrückte Grollen freiwerdender Energie. Das war unverkennbar das Aufbellen einer Strahlwaffe. Es wiederholte sich immer wieder. Die Feuerzungen zerrissen die Luft mit Donnern und Blitzen. Halmar knirschte mit den Zähnen, als er durch das Glas die Szene erfaßte. Eine Gänsehaut überlief ihn, als er erkannte, was es damit auf sich hatte. Die Marsmulis lagen im Sand, der sich unter ihnen blutigrot gefärbt hatte. Ringsum drängten die Drylander hüpfend und gestikulierend näher. Ihre gepanzerten Körper schillerten gespenstisch in dem nächtlichen Spiel von Licht und Schatten. Im Schutz der toten Mulis hockten zwei Gestalten und feuerten verzweifelt um sich. Durch das Glas erschienen sie sehr nahe, so nahe, daß Kalmar die entsetzliche Angst auf dem Gesicht der Frau und die breite häßliche Blutbahn, die unter dem Helm des Mannes hervorquoll, erkennen konnte. Beide hielten Strahlwaffen in den Händen und feuerten unaufhörlich auf die angreifenden Eingeborenen. Übelkeit überkam Halmar. Das gleiche hatte er schon einmal erlebt. Er hatte sich wie jetzt verkrochen, hatte dem hoffnungslosen Kampf zugesehen und die gepanzerten Körper der Drylander unter den tödlichen Feuerstößen der Strahlwaffen zusammenbrechen sehen. Sie lösten sich in hoch aufschießenden Flammen auf, verglühten und wurden zu Asche, aber ihre Zahl belief sich auf viele Hunderte - und sie waren bewaffnet. Ihre Waffen bestanden aus selbstangefertigten Speeren, Äxten, Keulen und seltsam geformten Steinen. Sie waren primitiv, aber ein Stein konnte den Kopf eines Menschen tödlich treffen und ein Speer ebenso unbarmherzig töten wie ein Energiestrahl.
Sie warfen ihre Waffen mit erstaunlicher Kraft auf die verzweifelt um sich feuernden Terraner. Und noch während Halmar seine Beobachtungen anstellte, endete der Kampf. Eine Keule schmetterte gegen den Arm von Smith. Er taumelte. Die Strahlwaffe entfiel seinen starren Fingern, und als er mit der linken Hand danach greifen wollte, durchbohrte ein Speer seine Schulter. Halmar konnte das tödliche Entsetzen im Gesicht des Mannes erkennen, als er taumelnd zu Boden fiel und die insektenähnlichen Gestalten über ihn hinwegschwärmten. Lorna kroch dicht an ein totes Muli heran. Ihre dunklen Augen stachen von der gespenstigen Blässe ihres Gesichts ab. Die Strahlwaffe in ihrer Hand spie unaufhörlich tödliches Verderben, bis ihr Lauf zu glühen begann und der Boden ringsum mit der schwarzen Asche der toten Körper bedeckt war. Dann verstummte die Waffe plötzlich. Die Energie war verpufft, und die Eingeborenen überwältigten die Frau. Halmar ließ das Glas sinken. Ihn fröstelte in der eisigen Kälte der Marsnacht. Noch war er in Sicherheit. Er konnte den Rückzug antreten, und wenn er einmal die verbotene Zone hinter sich hatte, war er gerettet. Es würde ein beschwerlicher Weg ohne Nahrung und mit sehr wenig Wasser sein, aber mit Hilfe der geringeren Schwerkraft bot sich ihm eine winzige Chance. Wenn er nur eine Wasserstelle finden konnte ... Er zuckte die Achseln, als ihm bewußt wurde, welche unsinnigen Gedanken ihn bewegten. Dreihundert Marsmeilen entsprachen etwa einhundert Erdenmeilen. Hundert Meilen durch Sandwüsten und kahle Felsen bei trockener Atmosphäre und kärglicher Vegetation. Tagsüber war es glühend heiß. Die Sonne brannte von dem wolkenlosen Himmel herab und gleißte auf dem heißen Sand. Dann konnten Stürme kommen, die bittere Kälte der Nacht und überall die lauernde Gefahr des Todes durch gefährliche Insekten. Ohne Nahrung und Wasser war es aussichtslos, Und ihm fehlte beides. Grimmig hob er wieder das Fernglas an die Augen und starrte auf die Leichen der Mulis. Die ganze Ausrüstung lag über die Wüste verstreut. Die Bündel waren aufgerissen, und kostbare Nahrungs- und Wasserbehälter verschwunden. Natürlich hatten die Drylander sie an sich genommen, sie machten das immer so. Und die übrige Ausrüstung ... Halmar zuckte die Achseln, als er die zerrissenen Schutzhüllen und aufgebrochenen Kästen sah. Die Eingeborenen würden nicht einen einzigen nützlichen Gegenstand zurückgelassen haben. Ihr tief verwurzelter Haß gegen jeden, der ihr Tabu übertrat, verstieg sich sogar dazu, daß sie alle damit zusammenhängenden leblosen Gegenstände zerstörten. Und so wandte sich seine Sorge den beiden Terranern zu. Nach einer Weile fand er sie durch das Glas. Gefesselt und hilflos lagen sie im Sand. Ihre bleichen Gesichter glänzten im nackten Licht der Sterne. Noch hatte man sie verschont, aber Smith lag platt auf dem Boden, und seine nackte Brust war mit einer gelben Substanz überzogen. Halmar starrte zu ihm hinüber, und als er schließlich das Glas senkte, zitterten seine Hände, und seine Stirn war mit Schweißperlen bedeckt. Sorgfältig überprüfte er die Ladung seiner Strahlwaffe, rückte den Gurt mit den Granaten zurecht und lockerte das Messer in der Scheide. Er blickte hinauf zu dem sternenübersäten
Himmel, dann bewegte er sich wie ein großer Schatten quer über die Wüste. Mit langen Schritten eilte er auf die schimmernde Pracht von Klaglan zu. Drei Stunden später hatte er Lorna erreicht. Er schlängelte sich hindurch, schlüpfte an der zusammengekrümmten Gestalt eines Drylanders vorbei, und sein Messer blitzte auf, als er sich der gepanzerten Gestalt näherte. Der Eingeborene erstarrte, seufzte und fiel dann in den Wüstensand. Dann legte Halmar seine große Hand auf den Mund der Frau und flüsterte ihr ins Ohr. "Ich bin es, Halmar. Keine Bewegung!" Geräuschlos schnitt er ihre Fesseln durch. "Da." Er schob ihr eine Strahlwaffe in die starre Hand. "Noch nicht feuern." "Halmar!" Sie schluckte, als er ihren Mund freigab. "Dem Himmel sei Dank, daß du gekommen bist." "Ruhe bewahren." Er bemerkte, wie ein Zittern durch ihren Körper lief, als sie den Wunsch, aufzuspringen und fortzulaufen niederkämpfte. "Ich habe überall Granaten ausgelegt. Sobald die Explosionen beginnen, laufen wir los. Bewege dich nicht, bis ich dir ein Zeichen gebe, und dann folge mir. Verstanden?" "Ja." "Gut. Bleibe noch eine Weile hier liegen und bewege dich nicht." Er drückte ihren Arm und schlüpfte hinüber zu Smith. "Halmar!" krächzte der Mann, und seine Augen spiegelten das Sternenlicht wider. "Halmar!" "Ruhig bleiben!" Schnell hatte der große Mann die Fesseln des anderen zerschnitten und beugte sich über die nackte Brust. Irgend etwas kroch über die rotfleckige Haut. Es war eine graue Masse, ein Schwarm von gepanzerten Körpern, die ihre Glieder in das warme Fleisch einbohrten. Millionen von Sandläusen waren durch die gelbe Substanz angelockt worden, welche die Drylander auf die nackte Haut geschmiert hatten. Sorgfältig schabte Halmar sie mit seinem Messer weg. Smith erstarrte unter seinen Händen. Ein Stöhnen drang zwischen den zusammengepreßten Lippen hervor, und ein Schauer lief durch seinen gequälten Körper. "Nur die Ruhe bewahren", flüsterte der große Mann. "Ich habe sie alle entfernt." Er entspannte sich und wischte das Messer am Stiefelschaft ab. "Du hast etwas Haut und ein bißchen Fleisch eingebüßt, aber du wirst es überstehen. Da." Er gab dem Mann ebenfalls eine Strahlwaffe und wiederholte seine Anweisungen. "Ruhe dich noch eine Weile aus. Wenn wir einmal laufen, gibt es kein Anhalten mehr." "Danke," Smith nahm die Waffe an sich und zwang sich zu einem Grinsen. "Wo hast du die Waffen her?" "Ich habe einen kleinen Beutezug unternommen. Gehe sparsam mit der Energie um. Wir haben nicht mehr viel übrig." "Ich werde darauf achten. Wie geht es Lorna?" "Sie ist unverletzt. Man hat sie verschont. Mach dich jetzt fertig." Halmar blickte zum Himmel empor und runzelte die Stirn. Ringsum ging eine Bewegung durch die Drylander, als ob sie Verdacht geschöpft hätten. Der große Mann kroch weiter. Schweiß brach ihm aus allen Poren, als er daran dachte, was ihnen blühte, wenn diese
insektenähnlichen Lebewesen jetzt aus ihrem tranceähnlichen Schlaf erwachten. Ein Donner grollte am Rand der Wüste. Dieses knatternde Geräusch freigewordener Energie hallte durch die Berge und über die Ebene. Bläulichweiße Feuersäulen stiegen auf, und einen Augenblick lang wurden die Türme der alten Stadt grell angestrahlt. Dann erlosch die Helligkeit wieder, und sekundenlang trat im Lager und in der Wüste Stille ein. Dann ertönte ein weiteres Donnern, diesmal viel näher, und in dem Flammenstoß hoben sich die Insektenkörper gespenstisch gegen den grellen Schein ab. Halmar sprang auf und erteilte knappe Befehle. "Schnell jetzt. Lauft. Nicht schießen, wenn ihr nicht müßt. Mir nach." "Die Granaten!" Lorna schreckte vor dem Donnern der Explosionen zurück. "Was wird mit den Granaten?" "Ich weiß, wo sie liegen, Keine Sorge, bleibe nur dicht hinter mir. Fertig? Los!" Er warf sich auf eine undeutliche Gestalt. Der Eingeborene brach unter dem tödlichen Stoß seines Messers zusammen, dann eilte der große Mann weiter und bahnte sich einen Weg auf die kunstvollen Türme der alten Stadt zu. Ringsum erfüllten die Zeitzünder die Nacht mit ihrem Donnern. Sie explodierten in regelmäßigen Abständen über das ganze Lager verteilt, warfen die gepanzerten Körper wild durcheinander und überzogen das ganze Gebiet mit einem bläulichweißen Schleier. Die Drylander wirbelten in wilder Panik durcheinander, klapperten mit ihren Beißzangen und rasselten etwas in einer Sprache herunter, die eine Parodie auf die menschliche hätte sein können. Sie jagten von einer Explosion zur anderen und rannten blindlings in ihr Verderben. Halmar nutzte ihre Verwirrung aus und jagte in direktem Weg auf Klaglan zu. Eine Weile sah es so aus, als ob sie unbehelligt entkommen würden. Zu beiden Seiten explodierten Granaten und wirbelten die Gestalten der Eingeborenen in die Luft. Sie hatten fast die Hälfte der Strecke hinter sich, als die letzte Granate Tod und Verderben über die Wüste spie. Dann trat Stille ein, eine Stille, die nur durch das Geräusch ihrer Schritte und ihre keuchenden Atemzüge unterbrochen wurde. Lorna stolperte, fing sich und kam wieder ins Stolpern. Fluchend half ihr Halmar auf die Beine. "Weiterlaufen. Sie können uns jeden Moment einholen." Sie nickte und erschauerte, als sie ein knisterndes Rascheln hinter sich vernahm. "Die Eingeborenen!" Halmar riß ihr die Waffe aus der Hand. "Rennt auf diesen Turm zu. Schnell." "Was wird mit dir?" "Smith soll mir Feuerschutz geben. Ich kann schneller laufen als ihr und sie eine Weile abhalten. Beeilt euch!" Sie nickte. Ihre langen Beine wirbelten den Sand auf, als sie auf den anderen Mann zueilte. Halmar wartete, aufs äußerste gespannt und beide Waffen schußbereit, auf den ersten Ansturm der Drylander.
Mit raschelnden Chitinpanzern kamen sie näher. Wie die Schreckgestalten aus einem Gespenstermärchen hüpften sie heran und schleuderten ihre primitiven Waffen auf ihn. Halmar ließ sich in den Sand fallen, zuckte zusammen, als ein Geschoß dicht über seinen Kopf hinwegschwirrte, und kniff die grauen Augen zusammen, als er seine beiden Waffen auf die anstürmende Horde richtete. Behutsam drückte er ab. Ein Feuerstrahl schoß den gespenstischen Gestalten entgegen. Die Chitinkörper lösten sich auf und zerfielen zu Asche. Immer wieder sandte er seinen Feuerstrahl auf sie. Dann erhob er sich und rannte auf die Stadtmauer zu, während hinter ihm schwarze Asche den Sand bedeckte. Vor ihm waren die beiden anderen vor der Mauer stehengeblieben, blickten hinauf und dann zu ihm. Smith trat vor und feuerte seine Waffe ab. Der Strahl versengte fast Halmars Haut, so dicht zischte er an ihm vorbei auf seine Verfolger. Er geriet ins Stolpern, als ihn etwas in die Schulter traf. Ein Speer zerrte an seiner Ferse, und eine mächtige Axt pfiff über seinen Kopf hinweg. "Lorna!" rief er. "Lorna!" Sie starrte mit bleichem Gesicht zu ihm hin und ballte die leeren Fäuste. Halmar sah, wie sie sich unter einer sausenden Keule hinwegduckte, die neben ihr gegen die Mauer schmetterte. Dann fiel er zu Boden, und während des Falls warf er ihr noch eine seiner Waffen zu. Sie fing sie auf, zielte und feuerte auf die nachdrängende Horde. Grimmig raffte sich Halmar wieder auf, biß die Zähne zusammen, als ihn ein stechender Schmerz in der Schulter zu überwältigen drohte, und stolperte weiter, geschützt durch das wütende Feuer der beiden Waffen. "Die Mauer", keuchte Lorna. "Sie ist sechs Meter hoch. Wir können sie nicht erklimmen." "Ihr seid doch auf dem Mars", sagte Halmar. "Gib mir Feuerschutz, wenn du oben bist." Er beugte sich vor, umfaßte ihre schlanke Taille, hob sie hoch und warf sie mit gewaltigem Schwung zur Mauer hinauf. Er blickte Smith an. "Jetzt kommst du. Wirf ihr die Waffe nach." Der andere nickte, sein gerötetes Gesicht war vor Schmerz verzerrt. Halmar bildete mit seinen Händen einen Steigbügel für den Fuß des Gefährten. "Was wird mit dir?" keuchte Smith. "Schaffst du es allein?" "Fange mich auf, wenn ich springe. Beeil dich jetzt!" Smith nickte, stellte seinen Fuß auf Halmars Hände, stieß sich ab und landete sicher oben auf der Mauer. "Gut. Wirf mir deine Waffe herauf." "Da." Halmar schleuderte ihm seine Waffe zu. "Schafft mir Raum zu einem Anlauf." Er ging einige Schritte zurück. Das Donnern der drei Waffen dröhnte in seinen Ohren, dann nahm er Anlauf und sprang hoch in die Luft. Hände griffen nach ihm, und er zog sich die Mauer hoch. In Sicherheit! Brummend nahm er dem Mädchen die Waffe ab. "Jetzt hinein. Aber schnell." Er duckte sich, als ein Speer auf ihn zugeflogen kam, und knurrte, als eine Keule ganz nahe an seinem Fuß vorbeisauste. Schnell warf er die langen Beine über die Mauer und ließ sich auf einen schmalen Sims drei Meter weiter unten fallen. Die anderen taten es ihm
nach. Sie blieben dort stehen, lehnten sich an die Mauer und rangen nach Atem. "Sind wir in Sicherheit?" Lorna lehnte sich erschöpft an die glatte Kristallfläche und erschauerte, als sie die klaffende Wunde auf Smiths Brust erblickte. Halmar nickte. "Sie werden uns nicht weiter verfolgen, wenn du das damit meinst. Innerhalb der Mauern sind wir sicher. Ihr Tabu hindert sie daran, die Stadt zu betreten, aber ..." "Aber was?" Smith wischte sich den Schweiß von der Stirn und biß sich auf die Lippen, als der stechende Schmerz in seinen Wunden wieder einsetzte. "Sie wissen, daß wir hier drin sind, und werden warten, bis wir wieder herauskommen. Wir haben keine Mulis, keine Nahrung und nur wenig Wasser. Wir sind dreihundert Meilen von der nächsten Siedlung entfernt und haben nur noch wenig Munition. Das sind keine erfreulichen Aussichten." "Aber wir leben noch", sagte die Frau, "und wir sind in der Stadt." Sie blickte den großen Mann an. "Ich danke dir für deine Hilfe. Du hast uns das Leben gerettet." "Nein, Ich habe nur euren unvermeidlichen Tod etwas aufgeschoben, das ist alles. Wir können dieses Unternehmen nicht lebend überstehen." "Glaubst du?" Sie zuckte die Achseln. Ein seltsamer Ausdruck lag in ihren Augen, als sie den großen Mann ansah. "Ich bin wohl ein unverbesserlicher Optimist. Der Mensch hofft, solange er lebt, und so geht es mir. Ich war nahe dran, die Hoffnung aufzugeben, als wir als Gefangene der Drylander gefesselt in der Wüste lagen. Ich erinnere mich deiner Worte, und wenn ich eine Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich mich selbst getötet." Sie lächelte. "Ein Glück, daß ich es nicht getan habe, wie?" "Das war anders", sagte er barsch. "Da hattest du noch eine Chance." "Aber das wußte ich nicht, Halmar. Ich wußte doch nicht, daß du Kopf und Kragen riskierst, um jemanden zu retten, der dich kurz zuvor niedergeschlagen und im Stich gelassen hatte." Sie blickte zu ihm auf, und das Sternenlicht spiegelte sich in ihren ausdrucksvollen Augen. "Nicht der Rede wert", sagte er barsch. "Jedenfalls sitzen wir jetzt ganz schön in der Patsche." "Vielleicht, aber es könnte schlimmer sein, Halmar. Wir könnten tot sein - oder uns wünschen, schnell sterben zu können, aber so ist es nicht." Sie holte tief Luft. "Wir sind in der Stadt." Und sie starrten beide auf die sternenüberglänzte Pracht von Klaglan.
4. Unter ihnen fiel die Mauer etwa zehn Meter tief auf einen gepflasterten Platz. Gebäude erhoben sich auf diesem Platz, etwa zwanzig Meter von der Stadtmauer entfernt, so daß ein breiter Ring die ganze Stadt umgab. Halmar blickte auf das seltsame Stadtbild, kniff die Augen nachdenklich zusammen. Doch dann zuckte er die Achseln und sah die Frau
an. "Hier können wir nicht bleiben. Wir wollen uns lieber nach unten fallen lassen und versuchen, ins Zentrum der Stadt zu gelangen." Er blickte nach unten. "Ich springe zuerst, dann Smith, und dann werden wir beide dich auffangen, wenn du kommst." Sie nickte, und er stieg über den Sims, hielt sich noch mit den Händen daran fest und ließ sich fallen. Unter dem heftigen Aufprall schmerzte seine verwundete Schulter, und er zuckte zusammen. Smith folgte ihm. Stöhnend wälzte er sich im Staub, und Halmar trat vor, um das Mädchen aufzufangen. "Und was nun?" Sie blickte ihn an. Ihr Atem dampfte in der kühlen Luft. "Das bleibt dir überlassen. Du wolltest in die Stadt. Sicher hattest du eine ganz bestimmte Vorstellung, wohin du dort wolltest?" "So ist es." Sie blickte auf die Giebelgebäude. "Wir müssen weiter in die Stadt vordringen. Es muß doch irgendwo einen Eingang geben. Die Erbauer dieser Stadt werden bestimmt einen Zugang vorgesehen haben. Wir wollen uns einmal umsehen." Sie fanden den Eingang auf halber Strecke um die äußere Mauer. Es war ein großer, tunnelartiger Durchgang von dreifacher Mannshöhe. Er führte durch die aufragenden Gebäude hindurch zu einem zweiten Stadtring. Halmar starrte die ringförmig angeordneten Gebäude mit einem Ausdruck von Widerwillen an, dann blickte er auf Smith, der aufstöhnend aufs Pflaster fiel. "Was ist los mit ihm?" Lorna blickte ängstlich auf den stöhnenden Mann, und brummend beugte sich Halmar über die sich windende Gestalt. Behutsam fühlte er den Puls, strich über die schweißbedeckte Haut, hob ein Augenlid und starrte auf den verfärbten Augapfel. "Sandlausfieber." Er hockte sich auf die Fersen und zog sein kleines Bündel von der Schulter. "Nichts Ernsthaftes, wenn es behandelt wird, aber er muß Wärme haben und wird sich eine Weile lang nicht sehr wohl fühlen." Er wühlte in seinem Bündel und zog eine Metallschachtel heraus. "Ich werde ihm etwas geben, das seine Schmerzen lindert." Er entnahm einer Phiole drei blaue Kapseln und reichte sie dem Mädchen. "Ich werde seinen Mund öffnen, und du steckst sie hinein. Fertig?" Sie nickte, beugte sich über den zusammengekrümmten Mann und steckte ihm die drei Kapseln in den Mund, als Halmar gewaltsam die Kiefer auseinanderdrückte. "Jetzt müssen wir uns nach einem Unterschlupf umsehen." Der große Mann fröstelte. "Mir ist kalt, und das wird vermutlich noch schlimmer. Wenn Smith nicht irgendwo Unterschlupf findet, muß er sterben." Langsam zog er seine Strahlwaffe, und starrte auf die Kristallmauer des Gebäudes, direkt neben ihnen. "Was hast du vor?" "Ich will mir den Zugang erzwingen." Er zielte, und ein Flammenstoß schoß aus der Öffnung der Pistole. Das Donnern hallte an den Gebäuden wider, grollte und vibrierte in tausendfältigem kristallenem Echo. Ein heller Lichtschein tauchte die Türme in flackernde, farbenprächtige Beleuchtung. Dort, wo der Energiestrahl auf das Kristall aufgetroffen war, ertönte ein grelles Singen. Von der intensiven Hitze entstand eine glühende Stelle, aber sie verglühte schnell und sah völlig unversehrt aus. Halmar fluchte und feuerte wieder.
"Es hat keinen Zweck", sagte Lorna, als der dritte Schuß verklang und die glatte Oberfläche der Mauer immer noch unversehrt blieb. "Du kannst sie nicht niederbrennen." "Nein." Halmar steckte die Pistole in die Halfter Zurück. "Die Erbauer dieser Stadt waren darauf bedacht, für eine Ewigkeit zu bauen." Er blickte auf die schweigenden Gebäude, dann kniff er plötzlich die Augen zusammen und starrte auf das staubbedeckte Pflaster. "Sieh!" "Wo?" Lorna runzelte angestrengt die Stirn. "Ich kann nichts sehen." "Nein?" Er lächelte und trat vor. "Siehst du die Stelle, wo der Staub durch das Abfeuern der Strahlwaffe zur Seite gefegt wurde? Da ist eine Falltür. Man kann nur eine schwache Andeutung im Staub erkennen." Er ließ sich auf die Knie fallen und fegte die Stelle sauber. "Kannst du sie öffnen?" "Ich will es versuchen. Wir können nicht die ganze Nacht hindurch umherirren, vor allem nicht Smith in seinem Zustand." Er beugte sich über die Falltür, und seine starken Finger bohrten an der glatten Oberfläche. "Feure sie auf", schlug die Frau vor. "Vielleicht kannst du sie niederbrennen?" "Vielleicht, aber sie scheint aus demselben Material zu bestehen wie die Gebäude." Er runzelte die Stirn und zog sein Messer aus dem Gürtel. "Vielleicht ..." Ein metallisches Klirren ertönte, als die Stahlklinge abbrach. Der große Mann knurrte in unterdrücktem Zorn, während er auf die dichtverschlossene Tür starrte. "Es muß doch einen Eingang in diese Gebäude geben!" Er blickte finster auf die Kristalloberfläche der hoch aufragenden Türme. "Und wir müssen ihn finden." Er fröstelte in der kalten Nachtluft, und ein schwacher Wind, der von den gefrorenen Wüsten der Polargegenden herüberkam, heulte leise um die hohen Türme. Smith stöhnte und bewegte sich unruhig. Er hatte vor Kälte eine Gänsehaut, und doch bedeckte der Schweiß des schleichenden Fiebers seine Haut. "Wir wollen weiter ins Zentrum vordringen", schlug Lorna vor. "Vielleicht finden wir dort eine Tür oder so etwas Ähnliches." "Vielleicht", spottete Halmar wild. "Vielleicht irren wir auch solange umher, bis wir vor Durst und Erschöpfung tot zu Boden sinken." Er starrte wütend auf die Falltür, und seine grauen Augen blickten düster. "Du verdammtes Ding!" fauchte er. "Öffne dich! Öffne dich!" Lautlos öffnete sich die Falltür in unsichtbaren Angeln. Sekundenlang starrte er darauf und traute seinen Augen nicht, dann sprang er mit einem Satz vor, lehnte seine breiten Schultern gegen die offenstehende Tür und blickte in die Öffnung hinunter. Eine kurze, breite Treppe führte in das schlecht beleuchtete Innere, und eine dichte, modrig riechende Luftwelle, die jedoch warm war und das Atmen ermöglichte, stieg zu ihm hoch. "Schnell!" rief er. "Bringe Smith mit und steige mit ihm hinunter." Er bemerkte ihr bleiches Gesicht. "Beeil dich! Dieses Teufelsding kann jeden Augenblick wieder zugehen." Aufs äußerste angespannt wartete er, bis der stöhnende Mann und die blasse Frau die Treppe hinabgestiegen waren, dann drückte er sich von der Tür ab und sprang hinab. "Jetzt kann sie sich schließen", sagte er. "Wir sind drin, mehr wollten wir nicht." Lorna hielt den Atem an, als sich die Falltür schloß, und blickte Halmar mit großen, dunklen Augen an.
"Was geht hier vor? Du verfluchtest sie, und sie öffnete sich. Wir stiegen ein, und sie schloß sich wieder. " Sie trat zu ihm heran und umklammerte seinen Arm. "Glaubst du, daß man uns beobachtet?" "Wer denn? Die Drylander?" Er schüttelte den Kopf. "Die Erbauer der Stadt? Sie müssen sich schon vor zwanzigtausend Jahren in Staub aufgelöst haben." Er lächelte über ihr verdutztes Gesicht, bückte sich und hob den Verwundeten, hoch, als sei er ein Kind. "Zerbrich dir nicht weiter den Kopf. Wir müssen uns jetzt einen Unterschlupf suchen, wo wir die Nacht verbringen können. Übernimm die Führung, Lorna, und halte deine Waffe schußbereit." Sie nickte. Die Waffe gab ein schwaches Geräusch von sich, als sie aus der Halfter gezogen wurde. Wie ein blitzender Metallfinger ruhte sie drohend in der Hand des Mädchens, das die kleine Gruppe in das Innere des geheimnisvollen Gebäudes führte. Staubige Stille eines jahrtausendealten Gemäuers umgab sie, und ihre Schritte hallten dumpf wider, als sie sich auf ihren beschwerlichen Weg durch seltsame Wandelgänge und riesige Räume begaben. Lorna fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen, und die Pistole zitterte in ihrer Hand. Halmar schwitzte unter seiner Last und knirschte vor Schmerz mit den Zähnen. Er versuchte, das Prickeln, das zwischen seinen Schulterblättern hochkroch, zu unterdrücken. "Versuche, einen Weg nach oben zu finden", sagte er, und seine Stimme hallte dumpf zwischen den glitzernden Wänden wider. "Suche eine Treppe - einen Lift - oder irgend etwas, das nach oben führt." "Ich habe bis jetzt noch nicht die geringsten Anzeichen einer Treppe gesehen." Sie blieb stehen, und Halmar entledigte sich brummend seiner Last. "Ich auch nicht", sagte er langsam. "Aber sie müssen die Einrichtung einer Treppe kennen, denn es führte doch eine solche von der Falltür abwärts." "Wir können hier wochenlang umherirren", sagte sie verzweifelt. "Ich habe mich verirrt und schäme mich nicht einmal zuzugeben, daß ich nicht mehr die Stelle finden würde, wo wir hereinkamen." "Ich kann sie finden", sagte er und wies auf den Boden. "Siehst du? Hier unten liegt über allem eine dünne Staubschicht. Wir können jederzeit unsere Spuren wiederfinden, aber wozu?" Stirnrunzelnd blickte er auf die glitzernden Wände ringsum. "Wir müssen einmal scharf nachdenken. Angenommen, alle diese Gebäude haben unterirdische Eingänge. Wir sind durch eine außerhalb angebrachte Falltür eingestiegen und müssen jetzt nur noch Stufen finden, die nach oben führen." "Sehr einfach", spottete sie. "Also suche welche." "Ja", sagte er ruhig. "Ich denke schon, daß das möglich ist." Er blickte sie an. "Fällt dir nicht etwas auf, wenn du darüber nachdenkst, auf welche Weise sich die Falltür öffnete? Wir versuchten alles, erinnerst du dich? Und ich habe sogar mein Messer abgebrochen, als ich versuchte, sie hochzuheben. Sie wich und wankte nicht, aber als ich sie verfluchte, öffnete sie sich." "Was willst du tun? Die Treppe verfluchen?" "Aber es ist doch keine da, die ich verfluchen könnte." Er zuckte die Achseln. "Jedenfalls hast du noch nicht erkannt, worum es geht. Nicht mein Fluchen hat die Falltür geöffnet."
"Nein?" Lorna ließ sich erschöpft auf den Boden fallen. "Teufel, bin ich müde. Können wir nicht einfach hierbleiben?" "Ja, aber bist du nicht durstig? Meinst du nicht, daß wir etwas zu essen brauchen? Wie lange sollen wir hier bleiben?" "Nur so lange, bis wir ausgeschlafen haben." Sie gähnte. "Ich kann nicht mehr weiter. Ich bin völlig erledigt." "Reiß dich zusammen, Lorna! Wir dürfen hier unten keine Zeit vertrödeln." Kalmar blickte sich um, und seine grauen Augen verengten sich, als er nichts als lange Gänge und riesige Räume sah. "Wir müssen nach oben steigen. Vielleicht gibt es dort Wasser und etwas zu essen. Ich weiß es nicht, aber hier können wir auf keinen Fall bleiben. Wir würden verhungern." Beunruhigt blickte er die Frau an, die jetzt zustimmend nickte, und ging dann mit ungeduldigen Schritten voran. Er folgte einem Gang, bis sich dieser in einem endlosen Gewölbe verlor. Hier blickte er sich um, runzelte nachdenklich die Stirn und rümpfte die Nase über die muffige Luft. Er musterte die dünne Staubschicht auf dem Fußboden, dann die Wand sehr aufmerksam und ging dann langsam um eine Ecke des Gewölbes. Zunächst bemerkte er nichts, doch als er ein zweites Mal die Runde machte, fand er die schwache Andeutung eines Risses in der glatten Oberfläche. Sorgfältig betrachtete er diesen, grub seine Finger in die glitzernde Wand und trat dann einen Schritt zurück. Angestrengt konzentrierte er sich auf einen Gedanken. Die Tür öffnete sich. Er grinste, trat ein und blickte in einen leeren Schacht. Er blickte nach oben und betrat dann mit leisem Zögern den Schacht. Nichts geschah. Er knurrte, sprang auf dem glatten Fußboden auf und ab und klopfte die Wände nach verborgenen Öffnungen oder Türen ab. Er runzelte die Stirn, dann fuhr er plötzlich erschreckt herum, seine Hand glitt zur Waffe, und seine Augen suchten die glatten Wände ab. Die Tür hatte sich wieder geschlossen. Sekundenlang ergriff ihn Panikstimmung. Dann grinste er, zwang sich zu völliger Ruhe und runzelte in angestrengter Konzentration die Stirn. Die Tür ging auf, und er verließ den Schacht. Er machte drei Schritte, blieb dann mit bebenden Nasenflügeln stehen, während die schwere Waffe an seinem Handgelenk zerrte. Ein Raum breitete sich vor ihm aus. Es war ein breiter, in zartes Licht und angenehme Wärme getauchter Raum. Kalmar lächelte befriedigt und ging wieder in den Schacht zurück. Die Tür schloß und öffnete sich wieder, und er trat in das riesige Gewölbe, von dem er ausgegangen war. Hastig trat er den Rückweg an und ging auf seinen eigenen Spuren zu der Stelle zurück, wo die Frau und der Verwundete auf ihn warteten. Plötzliche Müdigkeit drohte ihn zu überwältigen. Lorna war eingeschlafen und hatte den Kopf auf die Arme gelegt. Er blickte zu ihr hinunter und war überrascht, wie entspannt und jung ihr Gesicht im Schlaf wirkte. Der Schlaf hatte alle Bitterkeit und Härte, die sich in ihrem Gesicht eingegraben hatten,
geglättet. Sie sah wieder aus wie in der Blüte ihrer Jugend, bevor der unerbittliche Konflikt mit einer feindlichen Umwelt ihrem Gesicht den Stempel aufgedrückt hatte. Sanft rüttelte er sie wach. "Was ..." Sie wand sich, und ihre Hand fuhr zur Hüfte. Als sie Halmar erblickte, entspannte sie sich. "Ach, du bist es." Sie gähnte. "Hast du etwas gefunden?" "Ja. Ich habe einen Weg nach oben gefunden. Eine Art Lift." Brummend hob er den Bewußtlosen auf. "Komm mit." "Warte!" Sie blickte ihn plötzlich hellwach an. "Was ist dort oben?" "Ein Raum. Vielleicht gibt es da auch Wasser; ich habe mich nicht damit aufgehalten, danach zu suchen." Er ging den Gang hinab, und nach kurzem Zögern folgte sie ihm in das riesige Gewölbe. "Wie machst du das nur?" Sie blickte erstaunt auf die offene Tür. "Was steckt da für ein Geheimnis dahinter?" "Tritt ein", fuhr er sie ungeduldig an. Die Tür schloß sich lautlos hinter ihr. Halmar lächelte, dann runzelte er wieder die Stirn, und Lorna preßte die Lippen zusammen, als die Tür wieder aufging. "Das gefällt mir nicht", knurrte sie. "Du weißt zuviel, Halmar." "Wirklich?" Er zuckte gleichmütig die Achseln und verließ den Schacht. "Vielleicht sollten wir uns bald gegenseitig aufklären?" Er lächelte, als sie unwillkürlich einen erstaunten Schrei ausstieß und sich in dem luxuriös ausgestatteten Zimmer umsah. "Sehr komfortabel, wie?" Er legte den Bewußtlosen behutsam auf den glatten Fußboden. "Sieh dich mal hier um. Vielleicht kannst du eine Wasserstelle entdecken." "Was wirst du inzwischen tun?" "Ich werde mich um Smith kümmern." Er kniete auf dem Boden nieder und öffnete sein Bündel. Dann blickte er zu der Frau auf. "Nun? Worauf wartest du noch? Vorwärts!" "Ich verbitte mir diesen Ton. Vergiß nicht, mit wem du sprichst." Ihr Mund war vor Wut verzerrt, und ihre Stimme klang drohend. Müde blickte er zu ihr auf. "Ach ...", sagte er gleichgültig. "Und merk dir eins, ich bin nicht mehr euer bezahlter Diener. Keineswegs! Sei vernünftig, und wir werden gut miteinander auskommen. Wenn du dich aber so aufspielst, wirst du es bereuen." "Du ..." "Schluß jetzt!" Er blickte sie scharf an, und etwas in seinen Augen ließ sie verstummen. "Ich bin kein Swamper, mit dem du umspringen kannst, wie es dir paßt. Spar dir die Worte und tu, was ich dir gesagt habe. Los!" Behutsam entblößte er die Brust des bewußtlosen Mannes und erschauerte, als er die tiefen Wunden erblickte. Er wusch sie sorgfältig aus und benutzte dafür etwas Wasser aus seinem Behälter. Stöhnend wälzte sich Smith im Schlaf. Halmar blickte auf, als Lorna wieder zu ihm trat. "Glück gehabt?" "Nein." Sie kniete sich neben den Bewußtlosen nieder. "Kann ich helfen?" "Ja." Er reichte ihr eine flache Flasche und einen Wattebausch. "Hier. Deine Hände
können zarter zufassen als meine. Wasche seine Wunden damit aus, bedecke sie ganz damit, aber berühre niemals zweimal dieselbe Stelle." "Was ist das?" "Ein Plastikverband, der die Wunde bedeckt und wie eine örtliche Betäubung wirkt." Er runzelte die Stirn. "Wir müßten diese Verbände eigentlich mit einem Drucksprüher auftragen, aber diese Sachen sind alle mit den Mulis vernichtet worden." "Ja", sagte sie ruhig. "Es tut mir leid." "Schon gut. Es ist nun einmal geschehen, aber solltest du wieder einmal auf solche Gedanken kommen, laß sie sofort fallen." "Ganz bestimmt", versprach sie, und ihre Hand zitterte leicht, als sie die dicke, grünliche Plastikmasse auf die frischen Wunden auftrug. "Wird er wieder gesund werden?" "Smith?" Halmar hob die Schultern. "Das sollte man annehmen, aber es hat ihn arg erwischt, und wir können ihm nicht helfen. Sandlausfieber kann tödlich sein." "Aber du hast sie doch weggekratzt?" Sie schüttelte sich, als sie die Wunden sah. "Ich habe sie weggekratzt; aber sie haben ihre Eier schon in seinen Körper gelegt. Diese bewirken nun das Fieber." Er blickte sie ernst an. "Wir müssen mit allem rechnen, Lorna. Es ist möglich, daß er stirbt." "Können wir ihm nicht irgendwie helfen?" "Nein, unsere Medikamente sind zusammen mit den Mulis verlorengegangen." Er blickte auf den Verwundeten. "Bedeutet er dir etwas?" "Nein." "Seid ihr befreundet?" "Gewissermaßen." "Geschäftspartner?" "So könnte man es nennen." Sie war betont kurz angebunden. Halmar zuckte die Achseln. "Hat es Sinn, wenn ich danach frage, welche Art von Geschäft euch verbindet?" "Nein." Sie stöpselte die Flasche zu und erhob sich. "Ich bin müde. Wie wäre es, wenn wir uns jetzt etwas Ruhe gönnten?" "Warum nicht?" sagte Halmar und sah zu, wie sie versuchte, es sich in einer Ecke bequem zu machen. "Hier, nimm das als Kissen." Er zog seinen dicken Mantel aus und warf ihn ihr zu. Sie lächelte. "Danke." Er nickte nur und starrte lange Zeit auf die leuchtenden Wände des Zimmers. Seine Augen blickten gedankenschwer. Dann streckte er sich neben dem bewußtlosen Mann aus, zog seinen Strahler aus dem Gürtel und schlief bald ein. Er versank in einen tiefen, langen Schlaf der Erschöpfung.
5. Er erwachte durch ein Gemurmel von Stimmen und lauschte mit geschlossenen Augen dem Gespräch der Frau und des verwundeten Smith. "Wie geht es dir jetzt? Kannst du laufen?" "Einigermaßen." Smith stieß einen Strom von
Flüchen aus, wie sie von den Swampern auf der Venus verwendet wurden. "Diese verdammten Läuse! Ich werde niemals, solange ich lebe, vergessen, was uns hier passiert ist." "Dann kannst du auch gehen. Wenn du schon wieder fluchen kannst, kannst du dich auch bewegen." "Wohin?" "Zum Zentrum. Dort soll ja nach den Angaben des Professors das Geheimnis liegen." "Was wird mit Halmar?" "Ich weiß nicht." Lornas Stimme klang beunruhigt. "Er ist sehr brauchbar und findet sich in jeder Situation zurecht. Wie wäre es, wenn wir ihn beteiligten?" "Mir recht. Wir können die ganze Sache ohnehin nicht allein bewältigen. Dieser Mann kennt den Mars in- und auswendig. Wenn wir auf der Venus wären ..." "Aber das sind wir nun einmal nicht." Die Stimme der Frau klang gereizt. "Wir sind hier fremd und können die Hilfe eines Einheimischen gut gebrauchen. Vergiß nicht, daß er uns das Leben gerettet hat." "Das werde ich nie vergessen", sagte Smith. "Wecke ihn auf und weihe ihn in unser Geheimnis ein." Halmar grinste verstohlen, dann wälzte er sich herum, rieb sich die Augen und tat so, als sei er eben aufgewacht. Lorna blickte ihn an, und Smith stöhnte, als er seine Brustmuskeln zu bewegen versuchte. "Du bist also wach. Gut." Er blickte die Frau an. "Sage es ihm, Lorna." "Was soll sie mir sagen." Er gähnte herzhaft, griff nach seinem Wasserbehälter und trank einen kleinen Schluck. "Möchtest du etwas?" "Danke." Smith kippte den Behälter und reichte ihn dann der Frau. Sie trank und gab ihn Kalmar zurück. Er schüttelte ihn, hob die Schultern und trank die letzten Tropfen aus. "Damit wäre unser Wasservorrat zu Ende. Wenn wir nicht bald welches finden, brauchen wir uns auch um die Nahrungsfrage keine Sorgen zu machen - wir werden tot sein, bevor wir richtigen Hunger verspüren." Er blickte die Frau an. "Was wolltest du mir sagen?" "Hör zu, Kalmar", sagte sie knapp. "Wir sind mit einem ganz bestimmten Vorsatz nach Klaglan gekommen. Du wirst dir das schon gedacht haben. Gut, wir sind jetzt in der Stadt und können uns holen, was wir haben wollen. Willst du dich daran beteiligen?" "Vielleicht." Er rieb sich sein Stoppelkinn. "Ich kann dir diese Frage erst beantworten, wenn ich weiß, worauf du hinauswillst." "Ich will Reichtum", sagte sie, und ihre dunklen Augen leuchteten. "Geld. Dieses Zaubermittel, das eine Hölle auf Erden in ein Paradies verwandeln kann und das die Menschen brauchen, um anständig zu bleiben. Nun?" "Ich kann Geld gebrauchen", sagte Kalmar langsam. "Ich könnte es dazu verwenden, einen Flug zurück zur Erde zu bezahlen. Ich könnte mich irgendwo niederlassen, eine Farm kaufen, ein Haus bauen, heiraten und Kinder großziehen. Geld kann man immer gebrauchen." Er blickte sie an. "Und du hoffst, hier welches zu finden?" "Ja." "Und du?" Er blickte Smith an. "Bist du auch der Meinung?" "Ja." "Soso." Kalmar nickte, dann entspannte er sich und starrte auf die schimmernden Wände.
"Wie kommt ihr darauf, daß ihr diesen Reichtum in Klaglan finden könnt?" "Warum nicht?" warf sie ungeduldig ein. "Diese Stadt ist uralt und muß einige Dinge enthalten, die ein Vermögen wert sind." Hastig erhob sie sich und ging zu einem niedrigen Tisch. Wie alles hier in diesem Gebäude, bestand er aus blitzendem Kristall. Kleine Lichtflecken schimmerten unter der Tischplatte, und der ganze Gegenstand erstrahlte in indirekter Beleuchtung. "Sieh dir das an! Dieser Tisch allein wäre auf den Kunstmärkten der Erde sein Gewicht in Gold wert! Die reichen Sammler würden für einen echten Kunstgegenstand aus Klaglan jeden Preis zahlen, das weißt du so gut wie ich." "Ja", sagte Kalmar ruhig, "das weiß ich, aber glaubst du denn, du bist der erste Mensch, der so gedacht hat?" Er schüttelte den Kopf. "Die Wüste ist mit den Gebeinen von Menschen übersät, die versuchten, Klaglan zu plündern. Sie sind gescheitert, und selbst wenn es ihnen gelang, in die Stadt einzudringen und sich einiger wertvoller Gegenstände zu bemächtigen - was hatten sie davon? Der Agent der Siedlung würde den Militärgouverneur benachrichtigen. Die Plünderer würden verhaftet und den Drylandern übergeben. Die Beute würde diesen ebenfalls zurückgegeben." "Glaubst du?" grinste Smith. "Fast alle Menschen sind bestechlich, Halmar." "Aber nicht diese! Sie haben zuviel zu verlieren. Ihr Leben, ihre Familie und ihre Heimat stünden auf dem Spiel. Selbst wenn sie sich gern bestechen ließen, kämen sie nicht durch. Die Zollbeamten auf den Flugplätzen würden die Beute entdecken, und dann wäre es um sie geschehen. Nein, Smith, wenn du Einrichtungsgegenstände aus der Stadt mitnehmen möchtest, brauchtest du ein Privatschiff und eine eigene Armee, und dann wäre bestimmt einer darunter, der dich verraten würde." "Wir haben es nicht auf die Einrichtungsgegenstände abgesehen", sagte Smith, dann biß er sich auf die Lippe, als hätte er schon zuviel gesagt. Halmar lächelte. "Das weiß ich. Wollt ihr mir nun endlich sagen, was ihr hier sucht?" "Ich habe es dir doch gesagt", zischte die Frau. "Reichtum!" "Und wie?" "Indem wir das Geheimnis von Klaglan aufdecken." "Aha." Er nickte. "Ihr seid doch von der Venus, nicht wahr? Woher habt ihr überhaupt von der Existenz dieser Stadt erfahren?" "Wir trafen einen Professor. Im Sumpfland trifft man alle möglichen Menschen. Er war betrunken oder vielleicht berauscht, ich weiß es nicht, aber er erzählte viel - und ich hörte ihm zu." "Gerüchte?" "Nein. Tatsachen." Sie hockte sich im Schneidersitz auf den Fußboden. "Er gehörte der ersten Expedition an, die diese Stadt entdeckte. Sie waren mit einem Hubschrauber darüber hinweggeflogen und hatten die Stadt mit Meßinstrumenten und Detektoren untersucht. Er erzählte von erstaunlichen Entdeckungen, Halmar, und daraufhin entschloß ich mich, hierherzugehen." "Ein Hubschrauber?" Der große Mann runzelte nachdenklich die Stirn. "Das muß vor zwanzig Jahren gewesen sein. Jetzt darf kein Flugobjekt mehr diese Stadt überfliegen,
deshalb mußten wir auch die Marsmulis benutzen." Er blickte die Frau an. "Was hat er dir erzählt?" "Jedenfalls genug, um sich vorstellen zu können, daß hier ein Dorado von ungeahntem Reichtum zu finden sein muß. Sie entdeckten Urillium, Uranium und andere seltene Schwermetalle. Ihre Instrumente zeigten seltsame Energien und Wellenformen an. Der alte Mann sagte, daß in diesen Mauern etwas verborgen liege, das demjenigen, der es entdeckt, zum reichsten Menschen in der bisherigen Geschichte der Menschheit machen würde!" Halmar lachte auf. "Findest du das so spaßig?" Smith ballte die Fäuste und funkelte den großen Mann beleidigt an. "Glaubst du denn, wir sind von der Venus hierhergekommen, um uns von dir auslachen zu lassen?" "Wirklich nicht?" Halmar warf dem Verwundeten einen kalten Blick zu. "Was erwartet ihr denn von mir? Soll ich euch einen Orden verleihen?" "Hört auf, euch zu streiten", sagte Lorna stirnrunzelnd. "Glaubst du denn, der alte Mann habe gelogen, Halmar?" "Nein. Er hat die Wahrheit gesagt. Was er dir erzählte, war keine Lüge, aber ihr habt seine Erzählung auf eure Weise ausgelegt. Selbstverständlich gibt es hier unermeßliche Schätze, aber habt ihr denn erwartet, ihr könntet hier hereinspaziert kommen und diese einfach auflesen? Ich möchte wetten, daß er von Gold und Reichtümern in nie erträumtem Ausmaß gesprochen hat und von Dingen, die die bekannten Welten völlig verändern könnten." Er blickte in das gespannte Gesicht der Frau. "Stimmt's?" "Ja." "Und du hast geglaubt, er meint es wörtlich." Halmar zuckte die Achseln. "Als du ihn von Reichtum sprechen hörtest, dachtest du sofort, er meint damit eine Diamantenmine. Wie konntest du nur so töricht sein!" "Aber du hast doch selbst gesagt, daß es hier Schätze gibt", protestierte sie. "Du hast das wörtlich gesagt." "Ja, und das stimmt auch." Halmar wies auf die leuchtenden Wände. "Du hast es doch gesehen, wie ich mit dem Strahler darauf schoß. Sie hielten den Schüssen stand, schienen aus einem Stück zu bestehen - und gespeichertes Licht auszustrahlen! Wenn du hinter das Geheimnis dieses Materials kommst, wirst du die reichste Frau der besiedelten Welten werden!" "Ich komme nicht mehr mit!" Smith blickte finster auf die Wände. "Woher willst du wissen, daß sie Licht aufspeichern?" "Das ist doch ganz einfach. Als wir in die unterirdischen Gänge der Stadt gelangten, war es dunkel und doch leuchteten die Wände. Ich kann mich irren, aber ich möchte wetten, daß das Kristallmaterial auf irgendeine Weise den Strom von Photonen verlangsamt, diese aufspeichert und in gewissen Abständen freigibt. Nur so kann ich eine Erklärung dafür finden, weshalb die Wände nachts leuchten und weshalb sie tagsüber nicht heller erscheinen." "Ich weiß, wie widerstandsfähig das Material ist", sagte Lorna nachdenklich. "Ich habe gesehen, wie du darauf gefeuert hast, aber könnte das Licht nicht durch irgendwelche
Maschinen hervorgerufen werden?" "Das bezweifle ich. Es könnte radioaktiv sein, aber das ist nicht sehr wahrscheinlich. Radioaktivität würde sich gesundheitsschädigend auswirken, und du darfst nicht vergessen, daß die Stadt einst bewohnt war. Nein, ich bin der Ansicht, daß der Kristall wie ein Schwamm wirkt. Er saugt am Tage das Licht auf, speichert die Photonen und gibt sie in längeren Abständen frei, so daß ein beständiges Leuchten entsteht." Er blickte die Frau an. "Das ist ein Geheimnis, das man ergründen und auswerten könnte. Ein weiteres sind die Türöffnungen." "Danach wollte ich dich gerade fragen. Wie hast du die Falltür geöffnet? Wie hast du den Lift in Bewegung gesetzt?" "Durch Gedankenkonzentration." Er lächelte über ihr verdutztes Gesicht. "Erinnerst du dich, wie ich die Falltür verfluchte? Ich verfluchte sie - und sie öffnete sich. Aber das bewirkten nicht meine Worte, sondern meine Gedanken. Ich hatte mich darauf konzentriert, wollte, daß sie sich öffnete, und irgendwie tat sie das auch. Der Lift funktioniert in derselben Weise. Man muß sich nur auf das Öffnen der Tür oder das Aufsteigen und Fallen des Liftes konzentrieren und schon geht es. Ganz einfach." "Wie ein Schallschloß", sagte sie nachdenklich. "Du sprichst hinein, und die Schwingungen deiner Stimme betätigen das Relais." "Ja, aber viel weiter entwickelt als ein Schallschloß." Er blickte sich in dem Zimmer um, und sein kantiges Gesicht zeigte einen gespannten, beunruhigten Ausdruck. "Ich möchte nur wissen, wer diese Stadt erbaut hat", flüsterte er. "Welche Art von Lebewesen waren das? Sie wußten alles über Gedankenkonzentration und ihre Anwendung. Sie benutzten das haltbarste Material, das es je gegeben hat. Wir wissen immer noch nicht, wie es hergestellt und bearbeitet wird. Sie sicherten es gegen niedere, nicht mit Intelligenz begabte Wesen ab, isolierten es und gaben es dem Verfall preis." "Was hältst du davon?" Stöhnend brachte Smith seinen gequälten Körper in eine andere Lage. "Woher wußten sie, daß die Drylander ihre Stadt bewachen würden?" "Das wußten sie nicht, und vielleicht bedarf es gar nicht eines Schutzes durch die Drylander." Stirnrunzelnd betrachtete Halmar die leuchtenden Wände. "Es gelang uns, in die Stadt einzudringen, weil ich mich zufällig auf eine ihrer Falltüren konzentrierte. Nehmen wir nun einmal an, ich wäre nicht mit Intelligenz behaftet gewesen, sagen wir, wie ein Marsmuli oder wie ein Drylander. Hätten dann meine Gedanken die Tür zum Öffnen gebracht? Ich möchte es bezweifeln. Die Wesen, die diese Stadt erbauten, müssen ihre Schlösser so eingerichtet haben, daß sie auf eine bestimmte Tiefe, Intensität oder vielleicht auch Wellenlänge von Gedanken reagieren. Wir hatten Glück. Uns gelang es, einzudringen, aber andere ..." "Ich verstehe, was du meinst", sagte Lorna langsam. Sie blickte Halmar lange an. "Gut, wir kamen hinein. Was wollen wir jetzt tun?" "Deinen ursprünglichen Plan ausführen." Er lächelte die Frau an. "Ich habe dir erklärt, worin der märchenhafte Reichtum besteht. Lüften wir das Geheimnis des Wandmaterials oder die Methode des durch Gedanken betriebenen Wandmechanismus, dann werden wir alle reich. Aber das ist dann etwas, was man nicht in die Taschen stecken und mitnehmen kann."
"Das könnten wir schon", warf Smith plötzlich ein. "Wenn wir den Wissenschaftlern erklärten, was wir wissen, würden sie eine bewaffnete Streitmacht einsetzen, um die Drylander auszurotten. Klaglan wäre das wert." "Und was hätten wir davon?" Lorna verzog verächtlich den Mund. "Sei doch vernünftig, Smith. Ich habe nicht die Absicht, die Taschen anderer Leute zu füllen." "Es war ja nur ein Vorschlag", sagte er mürrisch. "Ich bekomme die Hälfte von allen Schätzen, die wir finden, vergiß das nicht." "Nein. Ein Drittel." Halmar blickte den Mann prüfend an. Dann blieb sein Blick an den dunklen Augen der Frau haften. "Einverstanden?" "Natürlich." Sie zuckte geringschätzig die Achseln, als sei es nicht der Mühe wert, über die Teilung nicht vorhandener Schätze zu sprechen, und erhob sich. "Laßt uns weitergehen. Hier herumzusitzen, bringt uns nichts ein." "Wohin?" Halmar blickte zu ihr auf und blieb noch auf dem Fußboden sitzen. "Hast du einen Plan?" "Wir können versuchen, das Zentrum zu erreichen. Der alte Professor erwähnte, daß sie dort Urillium entdeckt hätten. Du kannst sagen, was du willst, Urillium besitzt großen Wert." "Ja", sagte Smith und leckte sich die Lippen. "Wenn wir uns einige hundert Pfund besorgen könnten ..." "Und tausend Kredit pro Unze bekommen?" Halmar nickte und sprang auf. "Du hast recht, Smith. Laßt uns gehen." Er bemerkte, wie sich das Gesicht des anderen vor Schmerz verzog, als er sich mühsam aufrichtete, und er trat vor und stützte ihn. "Wirst du es schaffen?" "Ja." Der Schweiß rann Smith über die Stirn, und sein Atem ging rasselnd, aber er grinste und schüttelte die helfende Hand ab. "Ich schaffe es allein." "Gut." Kalmar prüfte die Ladung seiner Strahlwaffe und steckte sie in die Halfter. "Wir gehen also in Richtung Stadtzentrum. Vielleicht können wir dort Wasser finden, wenn nicht ..." Seine Stimme wurde zu einem undeutlichen Murmeln. Loma benetzte die Lippen. "Ich habe Durst", sagte sie unvermittelt. "Du wirst noch mehr bekommen", sagte Halmar grimmig. "Versuche, nicht daran zu denken." Er blickte auf die leuchtenden Wände und die seltsam geformten Einrichtungsgegenstände des Zimmers. "Vielleicht hätten wir diesen Ort etwas sorgfältiger durchsuchen sollen." "Es gibt kein Wasser hier - ich habe mich doch umgesehen." Ihre Stimme klang vor Ungeduld scharf und gereizt. "Also vorwärts!" "Nicht so hastig, Lorna." Smith preßte vor Schmerz die Lippen zusammen. "Überlasse Halmar die Entscheidung. Er hat bisher immer recht gehabt, stimmt's?" "Ja, aber ..." "Dann überlasse es ihm." Er grinste den großen Mann an. "Wir wollen alles tun, was du für richtig hältst, Halmar. Sollen wir noch eine Weile hierbleiben?" "Nein. Vielleicht gibt es hier Wasser, aber ich möchte das bezweifeln. Am besten wäre es,
wenn wir uns nach einem Hauptwasserspeicher umsähen. Vielleicht gibt es Wassertanks oder Brunnen. Wir wollen es jedenfalls hoffen." "Wir bleiben also nicht hier?" "Wozu? Es gibt hier doch kein Wasser. Lorna hat sich ja umgesehen, und wir müssen so schnell wie möglich Wasser finden. Das Stadtzentrum ist der geeignetste Ort dafür." Kalmar trat einen Schritt vor und blickte die leuchtende Wand an. Stirnrunzelnd konzentrierte er seine Gedanken auf das Öffnen der Tür, und sie ging vor ihm auf und gab den Zugang zum Schacht frei. Er trat ein, dicht gefolgt von den beiden anderen. Die Tür schloß sich, öffnete sich gleich darauf wieder, und sie betraten ... Lorna hielt erstaunt den Atem an. Ihre großen Augen blickten entsetzt in die Runde, und ihre Finger bohrten sich in den Arm des großen Mannes. "Halmar! Wo sind wir? Das ist doch nicht der Ort, von dem wir ausgegangen sind." "Nein." Er holte tief Luft und unterdrückte das instinktive Verlangen, davonzulaufen. Seine Kinnmuskeln spannten sich und zitterten, als er die Augen zusammenkniff. Hinter sich hörte er Smith aufseufzen und einen Laut ausstoßen, der halb einem Fluch und halb einem Gebet glich. Halmar konnte sich gut vorstellen, wie dem Verwundeten zumute war. Schweigend blickten sie auf die seltsame Pracht vor ihnen.
6. Zunächst sah es so aus, wie ein in allen Farben schillerndes Lichtermeer, das einer riesigen Gemme glich. Doch als sich ihre Augen dann an den grellen Schein gewöhnt hatten, konnten sie vor dem gleißenden Hintergrund Einzelheiten erkennen. Der Raum war nicht sehr groß, aber er erschien unbegrenzt. Es war ein seltsamer Raum, durchzuckt von flackernden Linien und gleitenden Windungen und erfüllt von dem Aufblitzen und Sprühen gewaltiger Energiestöße. Es war, als ob sie in einer hohlen Muschel, einer sphärischen Muschel stünden, deren Inneres mit märchenhaften Edelsteinen übersät war, von denen jeder einzelne mehrfarbige Lichtblitze reflektierte. Kalmar starrte wie gebannt darauf und schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Smith stieß einen Fluch aus, nicht aus Wut, sondern aus ungläubigem Erstaunen, und Lorna umklammerte den Arm des großen Mannes so heftig, daß er vor Schmerz zusammenzuckte. "Was ist das, Halmar? Wo sind wir?" "Ich weiß es nicht." Er schluckte aufgeregt und blinzelte in die kaleidoskopartige Farbenpracht. "Vielleicht eine Kraftstation? Ein Energiebrennpunkt der Türme? Ein Reservoir? Ich weiß es beim besten Willen nicht." "Laß uns hier weggehen", murmelte Smith. "Mir gefällt dieser Ort nicht." "Mir auch nicht", flüsterte die Frau. "Meine Haut knistert, als stünde ich in der Nähe eines Atommeilers." Sie biß sich auf die Lippe. "Könnte es nicht eine Kraftstation sein? Wenn das der Fall ist, könnten uns die Strahlen töten, während wir hier herumstehen." "Das bezweifle ich", sagte Halmar. Er blickte sich im Raum um und versuchte, mit den
Augen dem rasenden Verlauf der zuckenden Linien zu folgen. Er brummte, rieb sich die Augen und taumelte ein wenig, als hätte ihn ein plötzliches Schwindelgefühl erfaßt "Was ist los? Bist du krank?" "Nein, Lorna. Aber versuche nicht, mit den Augen die Linien und Windungen zu verfolgen, sie ..." Er brach ab, als Smith ihn am Arm packte. "Laß uns hier weggehen, Halmar. Mir gefällt das Ganze nicht. Dieser Raum hat etwas Gefährliches, Unheimliches an sich, und ich möchte weg von hier." "Ja", sagte Halmar ruhig. "Mir geht es genauso." Sie betraten den Schacht, und Lorna seufzte erleichtert auf, als sich die Tür hinter ihnen schloß. "Wie sind wir nur hierhergekommen?" Sie blickte auf ihre zitternden Hände. "Was war das für ein Raum?" "Wir müssen an der falschen Stelle angehalten haben", sagte Halmar nachdenklich. "Vielleicht sind wir zu weit nach unten geraten." Er mußte sich unwillkürlich schütteln. Ihm war, als kröche ein unsichtbares Insekt seinen Rücken hoch, und er starrte angestrengt auf die Tür. "Wir wollen es noch einmal versuchen." Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn, als er seine Gedanken angestrengt darauf konzentrierte, daß der Lift vor dem bekannten Gewölbe anhielt. Er versuchte ein genaues Bild dieses unterirdischen Raumes vor seinem geistigen Augen erstehen zu lassen. Wie gewöhnlich, war auch jetzt weder eine Bewegung noch das Vibrieren einer verborgenen Maschine, noch sonst ein Anzeichen zu bemerken, daß sie überhaupt eine Strecke zurückgelegt hatten. Als sich die Tür öffnete, zögerte Loma. Halmar brummte unwillig und trat hinaus. "In Ordnung", sagte er. "Wir sind richtig." Sie betraten das bekannte Gewölbe und gelangten durch die staubbedeckten Gänge in die Nähe der Oberfläche der alten Stadt. Lorna zitterte, und Smith kratzte sich stöhnend auf der Brust. Kalmar blickte ihn fragend an. "Was ist los? Schmerzen deine Wunden?" "Nein, aber sie jucken wie verrückt." Gereizt riß der dicke Mann sein Hemd auf und blickte auf seine nackte Brust. "Zum Teufel, seht euch das an!" Kalmar erstarrte, und sein Mund wurde trocken. Lorna hielt den Atem an, und ihre Finger gruben sich schmerzhaft in den Arm des großen Mannes. Sie zitterte wie zuvor in dem unheimlichen, grell erleuchteten Raum. Die verwundete Brust von Smith war völlig geheilt! Ungläubig starrte er an sich herunter, zog die Plastikverbände ab, und darunter kam rosige, neue Haut zum Vorschein. Er blickte Kalmar verwirrt an. "Es ist alles verheilt! Was hat sich nur unten zugetragen?" "Ich weiß es nicht. Es könnte mit dem Licht oder den Strahlen zusammenhängen, vielleicht haben sie eine für uns unerklärliche Heilkraft." Er berührte seine Schulter, wo der Speer einen Muskel zerrissen hatte. Glatte, makellose Haut bedeckte die Stelle. Auch seine Wunde war verheilt. Smith stellte bei seiner verwundeten Schulter dasselbe fest. "Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich denken soll", sagte Lorna. "Wir betreten den Schacht
und landen, ohne daß wir es wollen, in einem seltsamen Raum, der von grellem Licht angefüllt ist. Wir bleiben eine Weile dort, und während dieser kurzen Zeit bewirkt eine unbekannte Kraft, daß eure Wunden heilen." Sie runzelte die Stirn und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. "Komisch, ich bin auch gar nicht mehr durstig." "Die Wunden wären auf jeden Fall eines Tages verheilt", sagte Kalmar nachdenklich. "Vielleicht haben wir uns länger dort aufgehalten, als wir annahmen. Vielleicht sind wir mehrere Tage dort gewesen. Damit ließe sich doch die Heilung der Wunden erklären." "Aber ließe sich damit auch erklären, daß ich nicht mehr durstig bin?" Lorna schüttelte den Kopf. "Wir waren nicht lange dort. Das möchte ich mit Sicherheit behaupten." "Nein." Halmar rieb sich nachdenklich das Stoppelkinn. "Du magst recht haben. Dann müßte ich ja inzwischen einen Vollbart haben, und wie du ganz richtig sagst, wir wären dann vor Durst umgekommen." Er seufzte. "Wir wollen versuchen, das Zentrum der Stadt zu finden. Vielleicht finden wir dort eine Erklärung für diese seltsame Erscheinung." "Wie wollen wir gehen?" Lorna blickte auf den staubbedeckten Fußboden, auf dem sich jetzt ihre Fußstapfen abzeichneten. "Sollen wir zur Oberfläche gehen und es von dort aus versuchen?" "Nein." Halmar schüttelte den Kopf. "Es wäre leichter, wenn wir von hier aus losgingen. Hier ist es erträglich warm, und die Luft ist gut. Wenn wir diesen Ort einmal verlassen, wissen wir nicht, ob wir jemals hierhin zurückfinden." "Warum nicht? Du hast doch die Falltür schon einmal geöffnet, warum sollte dir das nicht wieder gelingen?" "Ich glaube, Lorna hat recht", sagte Smith. Er blickte den langen Gang entlang. "Wir könnten uns hier unten verirren und tagelang umherwandern, ohne daß wir weiterkommen. Warum sollen wir es nicht oben versuchen?" "Was erhofft ihr euch davon? Wir könnten schon auf diese Weise das Zentrum finden, aber vermutlich ist es wie die übrige Stadt versiegelt. Wir brauchen Wasser und Nahrung, und beides finden wir ganz bestimmt nicht auf der Oberfläche." "Aber wie wollen wir dann den Weg finden?" "Mit gesundem Menschenverstand." Halmar lächelte. "Als Führer habe ich einen gut ausgeprägten Orientierungssinn. Die Stadt ist nicht groß, etwa eine Meile im Durchmesser, und wir müßten uns schon zurechtfinden. Wenn wir deutlich unseren Weg markieren, damit wir später wissen, wie wir zurückkommen, halte ich es für besser, hier unten zu bleiben." "Vielleicht", sagte Smith zweifelnd. "Aber ich habe mich einmal auf der Venus verirrt. Das möchte ich nicht noch einmal durchmachen." Er schüttelte sich. "Wenn mich nicht eine Gruppe Swamper gefunden hätte ..." "Ich muß Smith beipflichten", sagte Lorna plötzlich. "Wir können versuchen, die obere Route zu benutzen, und wenn es uns nicht gelingt, weitere Türen zu öffnen, gehen wir hierher zurück. Es kann ja nicht weit sein." "Wie ihr wollt", sagte Halmar bereitwillig. "Wir wollen es jedenfalls versuchen, aber ich bin immer noch der Ansicht, daß die untere Route besser wäre." Entschlossen führte er sie durch den Gang zu der verborgenen Falltür. Die Decke über ihnen war glatt und ohne jeden Riß oder Spalt. Der große Mann runzelte
die Stirn und blickte aufmerksam auf die Fußspuren im Staub. "Hier muß es gewesen sein", murmelte er. "Oder war es dort, nein ..." Er blickte ratlos die Frau an. "Kannst du die Stelle wiederfinden?" "Ich bin nicht sicher", sagte sie langsam und nagte an der Oberlippe. "Diese Gänge gleichen sich alle. Kannst du nicht einfach daran denken?" "Wir wissen nicht, wie weit die Gedankenübertragung reicht. Wir könnten direkt unter der Falltür stehen, aber sie kann auch mehrere Meter von hier entfernt sein." Er spähte auf die Spuren im Staub. "Ich glaube, es muß hier gewesen sein." "Dann versuche es, sie zu öffnen. Was haben wir schon zu verlieren?" "Nichts", gab er zu, und runzelte in angestrengter Konzentration die Stirn. Nichts bewegte sich. Er fluchte und versuchte es noch einmal. "Vielleicht bist du doch nicht an der richtigen Stelle?" gab Lorna zu bedenken. "Versuche es doch weiter unten." "Ich habe eine bessere Idee", brummte Kalmar. "Lorna! Smith! Konzentriert eure Gedanken ebenfalls darauf. Denkt an die Falltür und konzentriert euch mit aller Kraft. Fertig? Los!" Sie starrten zu der schimmernden Decke empor und dicke Schweißtropfen erschienen auf der Stirn des großen Mannes. "Öffne dich, du verdammtes Biest!" flüsterte er. "Öffne dich! Öffne dich!" Plötzlich fiel völlig unerwartet ein Stück der Decke zu ihnen herab und blieb auf dem Fußboden liegen. Ein kurzer Treppenaufgang wurde sichtbar. Darüber glitt die Falltür auf, und ein leichter Luftwirbel umgab sie, als die warme Luft aus den unteren Regionen nach oben entwich. "Geschafft!" keuchte Kalmar. "Jetzt schnell, bevor sie wieder zugeht." Er sprang auf die Treppe, und die anderen folgten ihm. Sie atmeten die dünne, frische Marsluft tief ein. Es war Spätnachmittag. Die Giebelgebäude warfen lange Schatten, und der dunkelblaue, fast schwarze Himmel zeigte schon einige flimmernde Sterne. Smith brummte und deutete auf die offene Tür. "Sollen wir sie festklemmen, damit sie offen bleibt?" "Womit?" Halmar zuckte die Achseln, und die Tür hatte sich auch bereits geschlossen und war wieder fugenlos mit der glatten Kristallfläche verschmolzen. "Wir können sie jederzeit wiederfinden. Da." Er stieß sein abgebrochenes Messer neben die Öffnung. "So. Nun wollen wir uns auf den Weg zum Stadtzentrum machen." "In welcher Richtung?" Lorna starrte auf die dichtgedrängten, ringförmig angeordneten Gebäude. Halmar runzelte die Stirn. "Wenn die Stadt genauso angelegt ist wie der Außenbezirk, dann muß sie in Form konzentrischer Kreise erbaut worden sein, wobei jeder mit dem anderen durch einen Durchgang verbunden ist. Wir wollen nach rechts gehen und uns immer rechts halten. Auf diese Weise müßten wir ohne Schwierigkeiten den Rückweg finden." Er blickte zum Himmel, empor zu den purpurglühenden Türmen.
"Wir haben nicht mehr viel Zeit. Bald wird es dunkel, und wir können die Nacht nicht hier draußen verbringen." "Dann wollen wir lieber losgehen." Smith fröstelte, als er sich vorstellte, daß sie der eisigen Kälte einer Marsnacht ausgesetzt sein könnten. Halmar nickte und ging mit langen Schritten über die glatte Kristallfläche. Auf halbem Weg rund um die Stadt fanden sie den Verbindungsgang. Es war ein Tunnel, der durch die massiven Gebäude führte und in einem weiteren freien Ring endete. Halmar hielt sich wieder rechts, seine Schritte hallten von den hohen Gebäuden wider, während er weiterschritt. "Weiß du", sagte Lorna und rannte fast, um mitzukommen, "dieser Ort muß uralt sein. Sieh doch nur, wie rissig die Wände und wie verfallen einige Türme Sind. Wir müßten doch irgendwo Trümmer finden." "Vielleicht." Er blickte nachdenklich auf die verwitterte Mauer. "Ich möchte wissen, wie der Verfall entstanden ist. Und du erwähnst ganz richtig das Vorhandensein von Trümmern. Doch statt dessen ist alles wie sauber gefegt. Selbst der Raum, in dem wir heute nacht geschlafen haben, war weder schmutzig, noch lag irgend etwas herum. Er enthielt nur die Einrichtungsgegenstände, und sie bestanden alle aus Kristall, aber keine Teppiche, kein Holz, nichts, was man normalerweise in einem Zimmer erwartet." "Vielleicht hat es einen Krieg gegeben? Könnte man damit nicht die Risse in den Mauern erklären?" "Vielleicht." "Vielleicht Strahlwaffen. Oder könnten nicht die Drylander einen Angriff versucht haben?" Sie blickte auf die verwitterten Mauern. "Aber das kann nicht von Speeren oder Keulen herrühren." "Und auch nicht von Strahlwaffen", sagte der große Mann grimmig. "Wir haben es ja versucht." "Ich weiß, aber es gibt doch wenig Dinge, die der Hitze einer Strahlwaffe standhalten können. Wie war das hier möglich, Halmar?" "Der Strahl besteht aus nahezu reiner Energie - meist Hitze - und einigen Licht- und Gammapartikeln. Wenn diese Mauern die Fähigkeit besitzen, Licht zu absorbieren, dann könnten sie auch Energie absorbieren. Ich bezweifle, daß eine Strahlwaffe ihnen etwas anhaben kann, jedenfalls nicht die Arten, die uns geläufig sind, außer vielleicht einer Atombombe. Und selbst das möchte ich bezweifeln. Die Erbauer dieser Stadt planten ein, daß sie dauerhaft war." "Und Raketenwaffen oder Schnellfeuergewehre?" "Schon möglich, aber dazu wäre eine gewaltige Anzahl und höchste Geschwindigkeit erforderlich. Der Aufprall eines Hochdruckgeschosses verwandelt sich beim Aufprall auf ein durchdringliches Ziel zu Energie. Seine kinetische Energie verwandelt sich in Hitze und
explodiert als Leuchtgas - und diese Mauern können Hitze absorbieren." Er ging nach links in den Durchgang und bog dann rechts in einen freien Zwischenraum ein. Diese ringförmigen Zwischenräume zwischen den Gebäuden waren jetzt kleiner geworden, und die Kurven schärfer, je mehr sie sich dem Kern der Stadt näherten. Aber sonst streckten sich die hohen Gebäude unverändert zum sternbesäten Himmel empor. Auch hier zeigten ihre Mauern keine Anzeichen von Türen und Fenstern. "Wie weit ist es noch?" Smith fröstelte, als die erste Kältewelle der hereinbrechenden Nacht Schauer über seine Haut jagte. "Diese verdammten Eingeborenen haben mir meinen dicken Mantel genommen, und ich bin dieses Klima nicht gewöhnt." "Es ist nicht mehr weit." Halmar bog in einen weiteren Durchgang ein und dann nach rechts in den leeren Zwischenraum. "Ich würde sagen, nach der nächsten oder übernächsten Biegung müßten wir da sein, es kann jedenfalls nicht mehr weit sein." "Hoffentlich finden wir dort etwas zu essen", murmelte Smith, "und auch Wasser. Ich bin wie ausgedörrt." "Schon wieder?" Halmar blickte zu der Frau an seiner Seite. "Wie ist es mit dir, Lorna?" "Ich bin auch durstig" gab sie zu. "Du darfst nicht vergessen, daß wir von der Venus kommen und diese trockene Luft nicht gewöhnt sind. Sie scheint jeden Tropfen Feuchtigkeit im Körper auszudörren. Auf der Venus ist Wasser die geringste Sorge, es kann dort vielmehr eher zu einem Fluch werden, aber ich wünschte, ich hätte jetzt welches." "Versuch, nicht daran zu denken. Nehmt eine Münze in den Mund oder sonst was. Es ist ohnehin zum größten Teil Einbildung, denn ihr könnt jetzt noch nicht derart durstig sein." "Das hast du dir gedacht", fauchte die Frau, verstummte aber sofort, als Halmar sie kurz anblickte. Mit langen Schritten gingen sie weiter. Zwanzig Minuten später, als die Schatten fast verschwunden waren und die Zwillingsmonde des Mars über den glänzenden Himmel jagten, erreichten sie das Stadtzentrum.
7. Vor ihnen erstreckte sich eine niedrige Kuppel, die das Licht der fernen Sterne reflektierte, sich vor ihnen aus der glatten Fläche erhob und im niedrigen Bogen bis zu den gegenüberliegenden Gebäuden verlief. Sie war glatt, aus mattem Metall und mit dem unverkennbaren graublauen Schein von Urillium. Halmar blickte darauf, ging um die Kuppel herum und konnte keine Unterbrechung der glatten Oberfläche erblicken. "Helft mir hinauf", befahl er. "Ich möchte mir mal ansehen, was es da oben gibt." Sie versuchten es, und seine schweren Stiefel klirrten, als sie vom Metall der Kuppel abglitten. Es war sinnlos. Das Metall war zu glatt und geschwungen, und er konnte keinen Halt finden. Er rutschte die wenigen Meter, die er hinaufgeklettert war, sofort wieder hinunter und schüttelte den Kopf.
"Nichts." "Das nennt sich also das Zentrum", sagte Smith bitter. "Keine Nahrung, kein Wasser, nur eine blödsinnige Kuppel inmitten der Stadt." "Ja", sagte Halmar resigniert. Er blickte um sich und verkroch sich bei der zunehmenden Nachtkälte immer tiefer in seinen dicken Mantel. "Könntest du nicht versuchen, einen Eingang freizufeuern?" Lorna stieß mit dem Fuß an die Kuppel. "Das ist nicht dasselbe Material wie die Mauern." "Nein", gab der Mann verbittert zu. "Das nicht, aber wir können keine Munition vergeuden, nur um einen sinnlosen Versuch anzustellen." "Warum nicht?" Smith zog seine Strahlwaffe. "Es ist doch Metall, oder nicht? Also?" "Es ist Urillium. Eine Strahlwaffe kann ihm nichts anhaben. Nichts kann ihm etwas anhaben, deshalb benutzen wir es auch zum Verkleiden von Raketendüsen. Es kann nur kalt bearbeitet werden und wird unter ungeheurem Druck in die gewünschte Form gebracht. Deshalb ist es auch so wertvoll." "Urillium!" Smith fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, als er auf die Kuppel starrte. "Mann! Bei tausend Kredit pro Unze hätten wir so viel Geld, daß wir es zum Feueranzünden benutzen könnten. Hier müssen Tonnen von diesem Zeug lagern." "Mehr noch. Viel mehr. Aber wie willst du es bergen?" "Das ist kein Problem", sagte Smith ungeduldig. "Wir wissen jedenfalls, daß es hier welches gibt. Ich kenne ein Dutzend Männer, die eine private Expedition finanzieren würden, um die Bergung vorzunehmen." "Auch eine private Truppe und alles?" "Ja, und auch Privatschiffe." Er starrte den großen Mann an. "Weißt du überhaupt, was das bedeutet? Mann, ein riesiges Vermögen steht uns in Aussicht. Tausend Kredit pro Unze! Denk' doch nur! Und hier muß es Hunderte von Tonnen geben." Er starrte auf die schimmernde Kuppel und Schwelgte in diesen verlockenden Aussichten. Halmar zuckte die Achseln und wandte sich der Frau zu. "Wie ist es mit dir? Möchtest du hierbleiben und dich ebenfalls in Träume einspinnen?" "Wie meinst du das?" "Wir haben das Stadtzentrum erreicht. Wir haben diese Kuppel gefunden, aber das ist auch alles - kein Wasser, keine Nahrung, keinen Unterschlupf. Wir können nicht hier bleiben. Wir können nicht in das Innere des Gebäudes gelangen. Soweit ich es beurteilen kann, bleibt uns nur noch eine Möglichkeit." "Zurückgehen?" "Ja, und zwar auf dem schnellsten Weg. Es ist jetzt schon dunkel, und es wird immer kälter." Er rüttelte den in Gedanken versunkenen Gefährten an der Schulter. "Komm, Smith. Wir müssen aufbrechen." "Und das alles im Stich lassen?" Smith schüttelte unwillig die Hand des anderen ab. "Nein." "Bist du wahnsinnig?" Halmar riß den Dicken gewaltsam von der Kuppel weg. "Es wird
dir nicht davonlaufen. Seit Tausenden von Jahren ruht es hier und wird auch noch länger bleiben. Beeile dich, Mann. Willst du vielleicht erfrieren?" "Nein." Smith fröstelte und riß sich zögernd von dem faszinierenden Anblick der graublau schimmernden Kuppel los. "Was sollen wir denn nun tun?" "Zurück in die unterirdischen Gänge gehen. So schnell wie möglich zu der Falltür rennen, ehe wir alle erfrieren. Fertig?" Sie nickten und folgten dem großen Mann durch das Labyrinth der Gänge. Als sie endlich die Falltür erreicht hatten, klopften ihre Herzen wild gegen die Rippen, und ihre Lungen brannten, als sie keuchend nach Atem rangen. Ihre Körper waren durch die schneidende Kälte wie erstarrt. Halmar kniete sich neben den Messerstumpf, mit dem er die Stelle markiert hatte, und seine Lippen bewegten sich, als er einen Fluch ausstieß, der fast wie eine flehende Bitte klang. "Öffne dich! Öffne dich, du ..." Die Falltür glitt auf, und sie stolperten hinunter in die schützende Wärme der unteren Regionen. Später, als sie sich von den Strapazen des Gewaltmarsches erholten, bemerkte Halmar, daß der Dicke eingeschlafen war. Er runzelte die Stirn. "Bist du müde, Lorna?" "Ein wenig." Sie gähnte. "Warum?" "Smith ist eingeschlafen." "Na und?" "Wir haben erst vor wenigen Stunden ausgiebig geruht und sind seitdem nur wenige Meilen gelaufen. Das sollte ihn nicht so ermüdet haben, daß er sich nicht mehr wachhalten kann." "Wir waren in diesem unheimlichen Raum", gab sie zu bedenken. " Dem Raum mit den vielen Lichtern." "Ich weiß, aber ..." Er verstummte und betrachtete stirnrunzelnd die leuchtende Wand. "Dieses Licht muß seine Wunden geheilt haben", sagte er langsam. "Das bedeutet, daß irgendeine Kraft die natürlichen Heilungsmöglichkeiten unseres Körpers beschleunigt haben muß und ..." "Das verstehe ich nicht", sagte Lorna stirnrunzelnd. "Was hat das mit seiner Müdigkeit zu tun?" "Vielleicht eine ganze Menge, aber mir ist noch unbegreiflicher, weshalb wir danach keinen Hunger verspürten und du auch keinen Durst mehr hattest." Er zuckte die Achseln und blickte auf den schlafenden Mann. "Was bedeutet er dir?" "Smith? Nichts. Ich bin nur mit ihm befreundet." Sie schwieg, setzte sich auf den Fußboden und lehnte sich an die Wand. "Ich traf ihn auf der Venus. Er war ein Spieler. Natürlich wurde auch falsch gespielt, aber was kannst du anderes auf einem Planeten erwarten, wo jeder eine offene Hand für Bestechungsgelder hat? Er haßte das Leben dort, und mir ging es ebenso." Sie blickte auf den schlafenden Mann, und für einen Augenblick hatte ihr Gesicht einen weichen, beinahe zärtlichen Ausdruck.
"Ich glaube, er trug sich auch mit dem Gedanken, mich zu heiraten. Er hat es mir nie gesagt, aber man fühlt das als Frau. Ich war froh, daß er nie darüber sprach. Wir wurden gute Freunde. Als ich den Professor kennengelernt hatte, arrangierte er für uns beide die Überfahrt zum Mars." "Wie?" "Ist das wichtig?" Sie blickte den großen Mann offen an. "Wenn du es unbedingt wissen willst, er bestahl seinen Arbeitgeber. Ich erfuhr das erst, als es zu spät war, denn da hatte er schon die Flugkarten gekauft, und wir waren startklar." Sie zuckte die Achseln. "Ich. konnte mich nicht mehr damit aufhalten. Ich war viel zu froh, von dem verhaßten Planeten wegzukommen." "Ich verstehe." Er lächelte sie an. "Und du?" "Was soll das alles? Beichte?" "Vielleicht." Halmar lehnte sich an die Wand und blickte fest in ihre dunklen Augen. "Du willst besonders hart erscheinen, aber das bist du im Grunde gar nicht. Nicht tief in deinem Innern. Ich konnte das feststellen, als du Smiths Wunden behandeltest. Wonach sehnst du dich, Lorna? Was hofftest du in Klaglan zu finden?" "Geld." "Ist das alles? Oder waren es nicht vielmehr die Dinge, die man mit Hilfe von Geld erwerben kann? Ein schönes Heim, Anständigkeit, Behaglichkeit, ein Leben ohne Furcht? Habe ich recht, Lorna?" "Vielleicht." Sie blickte ihn an. "Warum fragst du?" "Nur zum Zeitvertreib", sagte er leichthin. "Wir können nichts unternehmen, bis Smith ausgeschlafen hat." "Lügner", sagte sie lächelnd und dann verschleierten sich ihre dunklen Augen, als sie an ihre Vergangenheit dachte. "Ich war jung und leichtgläubig, eine Tänzerin mit maßlosem Ehrgeiz und wenig Talent, die bereit war, alles zu tun, um sich einen Namen zu machen. Mein Agent vermittelte mir eine Stelle in einer Truppe, die eine Gastspielreise zur Venus unternahm. Ich sagte zu, und wir landeten in Aphrodite." Sie lachte bitter. "Warst du schon jemals auf der Venus? Hast du eine Vorstellung, wie es dort aussieht? Regen und Sümpfe, ein ungeheurer Alkoholverbrauch und unerträgliche Hitze. Wenn du einmal dort gelandet bist, kannst du von Glück reden, wenn du jemals wieder wegkommst." "Was geschah dann?" "Natürlich flog die Truppe auf. Ich hätte das vorher wissen müssen. Einige Mädchen suchten sich schnell einen Mann und wurden seßhaft. Die Männer versuchten sich als Händler oder Bartender. Doch ich war anders. Ich hatte immer noch meinen Ehrgeiz. Ich tanzte weiter in Kneipen und Spelunken und hoffte auf eine glückliche Gelegenheit, zur Erde zurückkehren zu können." "Und dann?" "Traf ich den Professor. Ich war am Rand der Verzweiflung, und da erzählte er mir von Klaglan. Es erschien mir wenig wahrscheinlich. Eine ganze Stadt sollte nur darauf warten, daß jemand kam und sich der Reichtümer bediente. Ich hätte wissen sollen, daß da etwas nicht stimmte, aber ich hatte das Leben auf der Venus so satt, daß ich mich an jeden Strohhalm klammerte. Smith ging es genauso." Sie seufzte und blickte auf ihre schlanken
Finger. "Das übrige weißt du ja." "Ja", sagte er und blickte auf den schlafenden Mann. "Wie heißt er richtig?" "Ich weiß es nicht. Ich nenne ihn Smith, und allen anderen war er auch unter diesem Namen bekannt. Selbst wenn ich seinen richtigen Namen wüßte, würde ich ihn nicht verraten." "Das verlange ich auch nicht." Halmar lächelte sie freundlich an. "Jetzt bist du an der Reihe", sagte sie. "Erzähle mir von dir." Er hob die Schultern. "Ich war ein junger Bursche mit dem Kopf voll von Abenteuern und einer Tasche voller Geld. Ich kam zum Mars. Ich hätte ebensogut zur Venus fliegen können, aber ich wählte den Mars. Eine Zeitlang trieb ich Handel und lernte den Planeten und die Eingeborenen kennen. Dann führte ich einige Jahre später eine Gruppe in die Polargegend. Sie schätzten mich, und ich hatte Arbeit in Hülle und Fülle. Sie machte sich gut bezahlt, ich liebte meinen Beruf. Dann übernahm ich Narr die Aufgabe, eine Gruppe nach Klaglan zu führen." "Was geschah?" "Ich erzählte es dir bereits. Die Eingeborenen überfielen uns. Ich hatte Glück und konnte fliehen. Manchmal wünschte ich, es wäre mir nicht gelungen." "Warum?" "Auf dem Mars ist ein Führer erledigt, wenn er die ihm anvertraute Gruppe im Stich läßt, um seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Es gibt zu viele Möglichkeiten, zu morden, und zu viel Wüstenland, um eine Leiche zu verscharren. Als ich zur Siedlung zurückkehrte, heuerte mich niemand mehr an. Ihr wart die ersten, die ich seit zwei Jahren wieder führen durfte." "Ich verstehe." Sie seufzte und lehnte sich gegen die Wand. "Was waren es für Menschen?" Die anderen, meine ich." "Was für Menschen?" Er zuckte die Achseln. "Zwei Männer und eine Frau, ziemlich alt. Sie sprachen nicht viel, und ich glaube nicht einmal, daß sie sich untereinander näher kannten. Es hatten sich einfach drei Menschen zusammengefunden, die nach Klaglan wollten." "Warum?" "Ich weiß nicht. Vielleicht aus Neugier? Weshalb stürzen sich die Menschen in Abenteuer? Weshalb sind wir hier? Ich war nur ihr Führer und stellte keine Fragen." "Und sie starben?" "Ja. Sie starben einen qualvollen Tod, fern von der Heimat, unter einem fremden Himmel - und wofür? Für einen Traum? Ein sehnsüchtiges, unbestimmtes Verlangen nach dem Unbekannten? Ich weiß es nicht." Er stieß ein kurzes gequältes Lachen aus. "Ich rede zuviel. Ich hätte Vernunft annehmen sollen, aber tat ich das? Tat ich das, zum Teufel? Einmal war nicht genug. Ich mußte es noch mal durchmachen, obwohl ich wußte, was uns erwartete. Trotzdem mußte ich die Aufgabe übernehmen, euch zur Stadt zu führen. Ich muß verrückt sein!" "Ich bin froh, daß du bei uns bist", sagte sie weich. "Wir verdanken dir unser Leben. Du
bist der starke Mann in unserer Gruppe. Allein hätten Smith und ich es nicht geschafft. Und es sah so leicht aus! Wir brauchten nur die Stadt zu betreten und uns an den Schätzen zu bereichern. Wie konnte ich so dumm sein, das auch nur einen Augenblick lang zu glauben? Ich hätte wissen sollen, daß man längst von der Stadt Besitz ergriffen hätte, wenn es so leicht wäre." "Vielleicht wäre das auch schon längst geschehen", gab Halmar trocken zu, "wenn die Drylender nicht wären." "Du sagst, daß sie diesen Ort bewachen. Warum? Betrachten sie ihn als Heiligtum?" "Nicht als heilig, sondern tabu." Der große Mann streckte sich behaglich aus. "Natürlich ist es schwer, ihre Sprache zu verstehen. Sie erzeugen ein Vibrieren in der Luft, indem sie ihre Beißzangen bewegen, und sie sind intelligent. Sie sprechen einige Brocken Terranisch, und einige unserer Dolmetscher vermögen ihrer Unterhaltung zu folgen, aber es treten natürlich die üblichen semantischen Schwierigkeiten auf. Selbst wenn sie genau dasselbe Wort aussprechen wie wir, so messen sie diesem doch eine andere Bedeutung bei als wir. Nehmen wir zum Beispiel den Unterschied zwischen ,heilig' und ,tabu'. Sie wenden sie so an, als ob sie beide dieselbe Bedeutung hätten, und trotzdem bezeichnen diese Ausdrücke nicht genau das, was die Drylander für die Stadt empfinden." "Ich kann das verstehen." Lorna nickte. "Auf der Venus gibt es dieselben Verständigungsschwierigkeiten mit den Eingeborenen. Sie scheinen ganz anders zu denken als wir. Manchmal gibt es drollige Mißverständnisse, doch manchmal kann es auch peinlich werden." "Auf dem Mars ist es schon mehr als peinlich", sagte der große Mann grimmig. "Die Drylander hassen die Stadt, und doch töten sie jeden, der sie zu betreten versucht. Sie töten auf furchtbare Weise, nicht weil sie die Menschen hassen, sondern weil ihr Tod als abschreckendes Beispiel dienen soll. Normalerweise kommen die Terraner ganz gut mit ihnen aus, treiben mit ihnen Handel und arbeiten sogar zusammen, obwohl ihre Ameisenkultur schwer zu begreifen ist. Aber Klaglan steht auf einem ganz anderen Blatt. Deshalb hat der Militärgouverneur auch verboten, die Stadt zu betreten." "Aber es läßt sich nicht übersehen, daß sie voller Geheimnisse ist. Und dann dieses Urillium! Würden sie die Sitten der Eingeborenen auch respektieren, wenn sie von dem Urillium wüßten?" "Das bezweifle ich. Ganze Nationen sind aus viel nichtigeren Gründen vernichtet worden, und was bedeutet schon der Mars, wenn es um ein Riesenvermögen geht? Nein. Vielleicht haben die Eingeborenen eine Ahnung, was die Stadt birgt, aber der Militärgouverneur weiß nichts davon, das ist gewiß." "Vielleicht hassen sie deshalb die Stadt? Wäre es möglich, daß sie ahnen, daß wir einen ganzen Planeten opfern würden, wenn wir von dem Urilliumvorkommen erführen?" "Sie benutzen Steinäxte und Speere", entgegnete er. "Was sollten sie schon über Urillium wissen? Nein. Sie benehmen sich eher wie ein gebranntes Kind, welches das Feuer scheut. Sie fürchten sich vor der Stadt, und sie hindern jeden daran, sie zu betreten. Es leuchtet ihnen nicht ein, daß ein Erwachsener selbst auf sich achten kann - und sie sind starke Kinder." Er lachte. "Ein schlechter Vergleich, aber vielleicht verstehst du, was ich damit sagen will."
"Ich glaube schon, aber wie lange wird dieser Zustand anhalten, Halmar? Ich meine, die Umlagerung der Stadt durch die Drylander?" "Nicht mehr lange. Er wird nur solange anhalten, bis wir den Planeten fest in die Hände bekommen haben. Dann wird eines Tages jemand in die Stadt eindringen und das Urillium entdecken. Wenn das geschehen ist, werden sie die Stadt in Stücke reißen." Er gähnte und blickte auf den schlafenden Spieler. "Ich bin müde. Wir wollen ein wenig schlafen." Sie nickte und machte es sich bequem. Er zog die schwere Strahlwaffe aus der Halfter und streckte sich ebenfalls auf dem Boden aus. "Gute Nacht", lächelte sie. "Angenehme Ruhe." "Gute Nacht." Er betrachtete ihre langen Wimpern, die auf den zarten Wangen ruhten. Bald atmete sie tief und regelmäßig. Dann schloß auch er ermüdet die Augen.
8. Als sie erwachten, brannte der Durst wie ein Höllenfeuer in ihnen. Selbst Halmar, der an die feuchtigkeitsarme Luft gewöhnt war und lange ohne Wasser auskommen konnte, fühlte das. Er wußte, daß es für die anderen noch schlimmer sein mußte. Smith taumelte gegen die Wand und fuhr sich mit seiner geschwollenen Zunge über die ausgedörrten Lippen. Seine Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen. "Wasser! Ich muß sofort Wasser haben!" "Wir haben kein Wasser", knurrte ihn Halmar an. Er zwang sich, zu schlucken, und seine Kehle brannte wie Feuer. Lorna wimmerte und klammerte sich an ihn. "Halmar! Dieses Zimmer! Das Zimmer mit den Lichtern." "Ja?" "Bevor ich es das letzte Mal betrat, war ich durstig. Danach war mein Durst verschwunden. Wenn wir dorthin gingen ..." "Was hätten wir davon?" Er runzelte die Stirn, als ihm wieder einfiel, wie ihnen zumute gewesen war, als sie das Zimmer entdeckten. Ihre Wunden waren verheilt, vielleicht "Kommt mit", befahl er knapp. "Wir wollen es versuchen." Er mußte Smiths schlaffe Gestalt halb zum Gewölbe tragen. Die Tür glitt auf seinen gedanklichen Befehl hin auf, und sie betraten den Schacht. Als sich die Tür wieder geschlossen hatte, gab Halmar mit angespanntem Gesicht den gedanklichen Befehl "nach unten". Er entspannte sich, und die Tür ging auf. Im Laufschritt verließ Lorna den Schacht. "Halmar! Es hat nicht geklappt!" Er blickte sich in dem bekannten Gewölbe, aus dem sie eben gekommen waren, um, und Lorna wandte ihm ihr geisterhaft bleiches, verzweifeltes Gesicht zu. Mit ihrer geschwollenen Zunge konnte sie nur noch mühsam einige Worte hervorbringen. "Was ist passiert?" "Ich weiß es nicht. Steig wieder ein, ich will es noch mal versuchen."
Er runzelte die Stirn, die Tür öffnete und schloß sich wieder, aber auch diesmal scheiterte es. Plötzlich dämmerte es ihm, als Smith zu stöhnen begann und an seinen Hals griff. "Smith! Als wir das erste Mal in diesen Raum gelangten, woran hast du da gedacht?" "Was?" "Verdammt, Mann! Hör gefälligst zu." Er packte den Dicken bei der Schulter und starrte in das gerötete Gesicht. "Als wir damals den Schacht betraten, woran hast du da gedacht? Schmerzte deine Brust?" "Ja, sie schmerzte wie verrückt." "Dachtest du an diese Schmerzen?" "Natürlich." Smith streckte sich und blickte den anderen trotzig an. "Ich mußte einfach daran denken. Es tat so weh, sage ich dir." "In Ordnung." Halmar ließ den Mann los und wandte sich wieder der Türöffnung zu. Er biß sich heftig auf die Unterlippe und konzentrierte sich nur auf den Schmerz, den ihm seine verwundete Lippe bereitete. Er biß noch fester zu und der Schmerz verdrängte alle anderen Gedanken aus seinem Hirn. Schmerz! Schmerz! Die Tür glitt auf, und sie betraten den gleißenden, grell erleuchteten Raum. Einen Augenblick lang brachte keiner ein Wort heraus. Loma blickte Halmar an. "Es hat gewirkt! Ich habe keinen Durst mehr!" "Ja", sagte er und zwang sich, nicht auf die wild tanzenden Lichtpunkte und Linien zu blikken. "Es hat gewirkt." "Aber wie?" Smith fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, schluckte und rieb sich die Kehle. Er war wie gelähmt vor ungläubigem Erstaunen, und Halmar konnte sich vorstellen, wie ihm zumute war. Es war unfaßbar. Es überstieg einfach das menschliche Begriffsvermögen, daß Durst durch farbige Lichtreflexe gelöscht werden konnte und doch ... Er spürte keinen Durst mehr. Sie hatten alle keinen Durst mehr. Er war auch nicht hungrig, und seine verletzte Lippe schmerzte nicht mehr. Er fuhr mit dem Finger darüber und erwartete, daß dieser eine Blutspur aufwies, aber nichts war zu sehen. "Ich kann es einfach nicht glauben", flüsterte Lorna. Sie starrte auf die farbigen Lichtreflexe, und ihre Augen wurden groß, als sie versuchte, die Linien und Punkte zu verfolgen. Halmar drehte sie zu sich herum. Sie taumelte wie betrunken. "Sieh nicht auf die Lichter", warnte er. "Auch nicht auf die tanzenden Linien und Punkte. Sie scheinen sich zu verbinden und in anderen Dimensionen zu verlieren. Es könnte gefährlich sein, ihnen dahin folgen zu wollen." "Ich will es nicht wieder tun", versprach sie und erschauerte. Smith ging zu der offenen Tür. "Ich gehe hier heraus. Mir gefällt es hier immer noch nicht, obwohl mein Durst hier gelöscht wurde, und ich habe das Gefühl, daß wir es bereuen würden, wenn wir länger hier blieben." Halmar nickte. Sie betraten den Schacht. Bald gelangten sie wieder in die leuchtende vertraute Stille des Gewölbes. "Was nun?" Lorna blickte den großen Mann fragend an. Ihre Stirn war schweißnaß. "Soweit ich es beurteilen kann, landen wir immer wieder an derselben Stelle. So kommen
wir nicht weiter." "Nein", pflichtete ihr Smith bei. "Wollen wir uns nicht etwas Urillium besorgen?" "Wollen wir uns nicht lieber Wasser besorgen und dann den Rückweg antreten?" Halmar blickte den Dicken finster an. "Ich will sogar die Gefahren durch die Drylander, die Wüste und die Nachtkälte auf mich nehmen, wenn ich nur weiß, wohin ich mich wenden muß, aber dieses Umherirren wie eine gefangene Ratte macht mich krank. Es behagt mir nicht hier. Ich wünschte, ich hätte Klaglan nie gesehen." "Wir können es nicht ohne Urillium verlassen." "Wir werden weggehen, sobald wir Wasser gefunden haben", sagte der große Mann in grimmiger Entschlossenheit. "Du kannst ja hierbleiben, wenn du willst." Er blickte die Frau an. "Und du?" "Ich bin ganz deiner Meinung", sagte sie erstaunlicherweise. "Aber wenn wir nun einmal hier sind, können wir doch auch etwas mitnehmen. Wir müssen ja etwas zum Leben haben, sobald wir wieder in der Siedlung sind, und wir sind völlig pleite." Sie lächelte zu dem großen Mann auf. "Ich weiß, wie dir zumute ist. Du bist durch Zufall hier hereingeraten, aber wir sind mit einem ganz bestimmten Zweck hierhergekommen. Ich weiß jetzt, daß das töricht war, aber nun sind wir einmal hier und könnten doch die günstige Gelegenheit wahrnehmen. Aber zunächst brauchen wir natürlich Wasser." "Ja", sagte Halmar. "Wir brauchen Wasser." "Wo?" Smith schluckte und rieb sich das Kinn. "Der Raum mit den vielen Lichtern gefällt mir nicht, aber Durst mag ich noch viel weniger. Vielleicht sollten wir lieber nicht zu weit weggehen, denn es könnte sein, daß wir dorthin zurück müssen." "Glaubst du denn, es ist in der Nähe?" Kalmar schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht genau, wo es ist, aber ich möchte fast mit Bestimmtheit behaupten, daß es nicht dort ist, wo du vermutest." "Unten, meinst du?" Lorna runzelte die Stirn. "Wo ist es dann?" "Ich weiß es nicht, aber ich hatte meine Gedanken darauf konzentriert, daß der Lift uns nach unten bringen sollte und nichts geschah. Erst als ich mich auf körperlichen Schmerz konzentrierte, fanden wir den Raum wieder." "Aber wir haben ihn doch das erste Mal gefunden." "Das geschah, weil Smith nur an seine schmerzenden Wunden dachte. Er muß selbst meinen gedanklichen Befehl noch übertroffen haben, denn er führte uns direkt in das Hospital." "Hospital?" wiederholte Lorna verdutzt. "Warum nennst du es so?" "Ist das nicht offensichtlich? Wir betraten den Schacht, und Smith dachte an seine Schmerzen. Wir gelangten in ein fremdes Zimmer, und er wurde geheilt. Wir versuchten es noch einmal, aber erst als ich mich auf körperliche Schmerzen konzentrierte, fanden wir es wieder. Meine Lippe ist geheilt, und wir sind nicht mehr durstig. Ich nehme an, daß dieser Raum eine Art Hospital darstellt, eine automatische Heilstätte für Wunden und körperliche
Unpäßlichkeiten. Was sollte es sonst sein?" "Ich weiß nicht", sagte sie langsam. "Aber ein Hospital! Es klingt unwahrscheinlich." "Das stimmt", brummte Smith. "Ich weiß nicht, was es ist, aber auf keinen Fall ist es mit einem Hospital vergleichbar." "Warum nicht?" fragte Halmar ruhig. "Stellt euch doch nur einen Raum voller elektronischer Instrumente vor. Sie sind auf einen bestimmten Punkt gerichtet. Wenn dort ein Lebewesen steht, prüfen sie es und stellen von ihm ein elektronisches Bild auf. Wir haben ja im kleinen dasselbe Verfahren. Denn ein Röntgenapparat beruht doch auf demselben System. Wir können von jedem gebrochenen Knochen ein Röntgenbild herstellen und nach diesem Bild die Heilung vornehmen. Wir können das bei Hunden und Pferden, Marsmulis und Vieh anwenden. Was würden sie wohl von diesem Apparat halten? Ihnen würde das wie Zauberei erscheinen - und genauso ist es mit den Eingeborenen. Eine Maschine, die Knochenbrüche heilt, ein Hospital, das mit Instrumenten und unbekannten Lebewesen ausgestattet ist. Warum sollte eine fortschrittliche Rasse nicht auch fortschrittliche Heilungsniethoden entwickelt haben?" "Es wäre möglich", sagte Lorna langsam. "Glaubst du, daß das die Erklärung dafür ist?" "Vielleicht, aber mich beschäftigt noch eine andere Frage, und diese beunruhigt mich." "Weshalb?" "Ich möchte es einmal so formulieren: Wollen wir davon ausgehen, daß die Erbauer der Stadt auch das Hospital errichtet haben? Es muß ja wohl so gewesen sein, und wir brauchen diesen Punkt nicht weiter zu erörtern. Nehmen wir weiter an, daß sie in ihren Heilapparat das Bild eines vollendeten Wesens, eines vollkommenen Mannes oder einer vollkommenen Frau einsetzten. Wenn nun einer von ihnen Schmerzen verspürte, ging er in den Raum und wurde dort durch die elektrischen Apparate durchleuchtet. Das so erscheinende Bild wurde mit dem vollkommenen, bereits bekannten Bild verglichen und auf diese Weise korrigiert und berichtigt. Der kranke Mann würde repariert, so wie wir eine defekte Maschine reparieren. Seine Knochen und seine Fleischwunden wurden geheilt, sein Blut von Gift gereinigt und sein Gewebe erneuert." Er blickte in ihre gespannten Gesichter. "Versteht ihr, was ich damit sagen will?" "Ich denke schon", hauchte Lorna, und Smith runzelte die Stirn. "Wenn ich richtig vermute - und das muß nicht unbedingt der Fall sein -, dann kann man daraus nur einen Schluß ziehen." Er schwieg und das Echo seiner Stimme verhallte. "Es bedeutet, daß die Erbauer dieser Stadt Menschen waren!" "Unmöglich!" Smith schüttelte ungläubig den Kopf. "Diese Stadt existiert seit Tausenden von Jahren, lange, bevor Menschen zum Mars gelangten. Diese Idee ist absurd!" "Sie ist gar nicht so absurd", sagte Halmar ruhig. "Wir haben noch andere Anhaltspunkte. Die Gedankenschlösser reagieren auf unsere Gehirnwellen. Wir können sie öffnen,
vielleicht nicht so rasch, wie es sein sollte, aber immerhin gelingt es uns. Das bedeutet doch, daß wir mit den Erbauern von Klaglan etwas gemeinsam haben. Vielleicht bin ich zu weit gegangen; ich bin vielmehr der Ansicht, daß es nicht Menschen in unserem Sinn gewesen sein können. Aber ihr Gedankenaufbau glich dem unseren, und ihre Heilapparate wirken auch bei uns." Er schwieg, und plötzlich erschien ein entsetzter Ausdruck in seinem kantigen Gesicht. "Wirken bei uns!" keuchte er. "Ist es denn möglich?" "Was?" Lorna blickte ihn besorgt an. "Was willst du damit sagen?" "Nichts." Er zuckte die Achseln. "Es war mir ein verrückter Gedanke. Zerbrich dir nicht darüber den Kopf." "Also, was tun wir jetzt?" knurrte Smith. "Wollen wir hier herumsitzen, bis wir an Altersschwäche sterben?" "Nein." "Was schlägst du also vor?" "Wir gehen noch einmal bis zum Stadtzentrum, aber diesmal auf dem Weg, den ich ursprünglich vorschlug - durch die unterirdischen Gänge." "Aber wie ist es mit Wasser?" Smith fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. "Wir dürfen uns nicht zu weit von diesem Raum entfernen." "Das werden wir auch nicht tun. Ich möchte wetten, daß wir ihn erreichen können, wann immer wir wollen. Jedes dieser Gewölbe muß einen verborgenen Schacht enthalten, und da wir jetzt wissen, worauf es ankommt, werden wir diesen auch immer finden. Ich glaube, daß uns jeder Schacht zum ,Hospital' bringt." "Hospital!" Smith rümpfte die Nase, doch dann nickte er. "Es ist ja gleich, welche Bezeichnung wir dem Raum geben. Also gut, gehen wir. Ich möchte einmal feststellen, was sich unter der Urilliumkuppel befindet." Mit ungeduldigen Schritten ging er voran.
9. Sie kamen sich vor wie in einem riesigen Labyrinth. Alle Gänge schienen sich aufs Haar zu gleichen und in einem riesigen Gewölbe zu enden, von dem weitere Gänge abgingen. Nach drei Stunden hatten sie sich hoffnungslos verirrt. Selbst ihre Spur im Staub war verwischt. Der glatte, schimmernde Fußboden war wie sauber gefegt, und Halmar lehnte sich erschöpft gegen eine Wand. "Der Staub muß durch die schlecht schließende Falltür eingedrungen sein", sagte er müde. "Wir hatten Glück, sie überhaupt zu finden." "Wirklich?" Lorna ließ sich auf den Fußboden fallen und lehnte sich an die Wand. "Sollen wir ewig hier herumirren? Wir wissen doch, daß die Stadt nicht so groß sein kann." "Das stimmt, aber anscheinend bewegen wir uns dauernd im Kreis." Stirnrunzelnd betrachtete er die leuchtenden Wände. "Es läßt sich an nichts feststellen, in welche Richtung wir gehen.
Diese Gänge müssen sich unter der ganzen Stadt hinziehen." "Ich dachte, du findest dich immer zurecht?" Verärgert ließ sich Smith neben Loma zu Boden sinken. Halmar zuckte die Achseln. "Das dachte ich auch, aber ich habe mich getäuscht." "Ich bekomme schon wieder Durst", sagte Smith und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. "Nein, das stimmt gar nicht", herrschte ihn der große Mann an. "Das ist nur Einbildung. Denke einfach nicht mehr daran." "Ich bin müde", sagte Lorna. Sie gähnte. "Mir ist, als könnte ich eine ganze Woche durchschlafen." "Das liegt an der Luft." Halmar öffnete den Kragen seines dicken Mantels. "Sie ist zu warm und zu stickig." Er blickte die beiden scharf an. "Vorwärts. Hoch mit euch, wir müssen weiter." "Warum?" Smith gähnte. "Warum bleiben wir nicht einfach hier sitzen und gehen ins Hospital, wenn wir durstig sind?" "Steht auf!" Halmar blieb stehen, packte den Mann am Kragen und zog ihn hoch. Er blitzte Lorna wütend an. "Du ebenfalls! Bißchen schnell!" "Weshalb diese Eile?" Langsam erhob sie sich. "Außerdem wissen wir ja gar nicht, wohin wir gehen sollen. Wir werden uns wieder verirren." "Das werde ich verhindern." Halmar nahm seinen dicken Mantel ab und zerriß ihn in Stükke. "Wir werden einen Fetzen an den Anfang und das Ende eines jeden Ganges legen, den wir passieren. Auf diese Weise können wir feststellen, ob wir diesen Weg schon einmal gegangen sind." Er blickte sie gereizt an. "Reißt euch gefälligst zusammen. Wollt ihr vielleicht hier sterben?" "Ich bin müde", klagte Smith. "Ich möchte schlafen." "Du kannst schlafen, soviel du willst, wenn ich nicht mehr mit dir zusammen bin, aber jetzt tust du das, was ich dir sage. Vorwärts jetzt, aber dalli!" "Zum Teufel mit dir!" fauchte der Spieler. "Für wen hältst du dich eigentlich?" "Das tut nichts zur Sache. Vorwärts!" "Du ... !" Ein Strom von Flüchen drang über die Lippen des Spielers. "Ich gehe nicht weiter, wenn du Grünschnabel es mir befiehlst! Ich möchte schlafen und werde das auch tun!" "Smith!" Lorna trat auf ihn zu. "Was ist los mit dir?" "Du hast dich überhaupt nicht einzumischen." Er funkelte Halmar wütend an. "Ich habe mich lange genug von dir herumkommandieren lassen. Du hast mir also das Leben gerettet. Na und? Hier gibt es so viel Urillium, daß ich den Rest meines Lebens in Wohlhabenheit verbringen kann. Ich brauche dich nicht mehr! Geh zum Teufel!" "Du verrückter Idiot! Du weißt ja gar nicht, was du sagst. Was ist in dich gefahren?" "Nichts." Smith taumelte und schüttelte den Kopf. "Ich gehe nicht zur Venus zurück", murmelte er. "Du verdammter Besserwisser, lieber bringe ich dich um - lieber bringe ich euch alle beide um." "Er ist übergeschnappt!" Halmar blickte die Frau fragend an. "Hast du ihn schon jemals
so erlebt?" "Einmal", sagte sie angespannt, "auf der Venus. Er tötete einen Mann. Er handelte in Notwehr, und sie ließen ihn laufen. Ein Arzt sagte mir, daß bei ihm da oben etwas nicht gestimmt hat." Sie wies auf ihre Schläfe. "Ich glaube, ein Knochensplitter, der von einer alten Wunde herrührt, drückt auf sein Gehirn. Ich dachte, er hätte es inzwischen überwunden." "Nun, das ist etwas, was das ,Hospital' nicht ausgeheilt hat", sagte Halmar grimmig. Er trat auf den glasig um sich glotzenden Spieler zu. "Smith! Reiß dich zusammen! Wir müssen weiter!" "Du ... !" Blitzschnell fuhr seine Hand zur Halfter, und der Führer warf sich zur Seite, als der Spieler die schwere Strahlwaffe auf ihn richtete. Ein Feuerstoß donnerte hervor und hallte in tausendfachem Echo zwischen den Gängen wider. Hitze sprühte von der angestrahlten Wand und versengte ihnen die Haut und das Haar. Halmar stieß einen knurrenden Laut hervor, und seine Waffe glänzte in seiner Hand. "Nein!" Lorna hielt seinen Arm fest. "Nicht. Er weiß nicht, was er tut!" "Geh mir aus dem Weg", knurrte er und warf sie mit einer einzigen Armbewegung zur Seite. Smith fluchte und sprang auf ihn zu. Halmar duckte sich, als die Waffe ein zweites Mal aufbellte. Gebückt sprang er vor, und der schwere Lauf seiner Waffe sauste krachend auf das Handgelenk von Smith. Polternd fiel dessen Waffe zu Boden, und er taumelte zurück. Halmar bückte sich, hob die Waffe auf und steckte sie in seinen eigenen Gürtel. "So", sagte er scharf. "Jetzt kannst du meinetwegen hierbleiben und verfaulen. Oder du kommst mit uns. Die Entscheidung liegt bei dir, aber eins will ich dir ein für allemal sagen: Versuche nicht noch einmal, mich zu töten!" Smith wimmerte und hielt sich sein Handgelenk. Er blickte wie benommen um sich, als sei er soeben aus einem tiefen Schlaf erwacht, und Lorna trat neben ihn, riß einige Stoffstreifen aus ihrem Mantel und verband ihm die verletzte Hand. "Du hättest das nicht tun dürfen", sagte sie zornig. "Er wußte ja nicht, was er tut." "Hättest du es lieber gehabt, wenn er uns umgebracht hätte?" Halmar zuckte die Achseln und steckte seine Pistole wieder ein. "Laß mal sehen." Behutsam verband er das gebrochene Handgelenk, umwickelte es mit mehreren Stoffschichten und band eine provisorische Schlinge zusammen. "So! Das dürfte genügen." Er blickte in die schmerzerfüllten Augen des Spielers. "Ich behalte deine Waffe. Es könnte sein, daß du wieder einmal überschnappst und sie auf uns abfeuern willst, und dann habe ich vielleicht nicht so viel Glück wie diesmal." "Danke." Smith fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. "Was ist passiert? Habe ich etwas gesagt?" "Du hattest einen Anfall und nicht ein Wort gesprochen." "Gut." Er lächelte Halmar an. "Es tut mir leid. Manchmal hakt es bei mir aus. Du mußt mich angeschrieen und versucht haben, mich zum Weitergehen zu bewegen. Ich ..." Er zögerte.
"Es tut mir leid." "Schon gut." Halmar hob die Stoffreste seines Mantels auf. "Wir wollen nun weitergehen." Mit langen Schritten eilte er voraus. Eine Zeitlang schwiegen sie. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Halmar ließ an jedem Gangende einen Stoffetzen fallen und überlegte angestrengt, wie er weitergehen sollte. Wenn die Gänge in gerader Richtung verlaufen wären, könnte man sich leicht zurechtfinden, aber sie verliefen in Kurven, Ecken, Höhlen und vielen Nebengängen, so daß unter der Oberfläche der Stadt ein Labyrinth entstanden war. Lorna holte ihn ein, als er in eine leuchtende Höhle starrte. "Was wird mit Smith, Halmar?" "Wieso? Nichts." "Er hat Schmerzen. Kannst du ihn nicht zum Hospital bringen?" "Nein." "Warum nicht? Macht es dir Spaß ihn leiden zu sehen?" "Glaubst du das wirklich?" Er zuckte zusammen, als seine versengte Haut schmerzhaft brannte. Lorna schüttelte den Kopf. "Nein. Aber du mußt doch einen Grund haben, weshalb du ihn nicht dorthin bringen willst. Sag ihn mir." "Ich traue diesem Raum nicht", sagte er langsam. "Ich kann nicht erklären, weshalb, aber das Gefühl ist da." Er blickte die Frau fest an. "Wie kommt es, daß Smiths Kopfverletzung nicht ausgeheilt wurde, obwohl wir zweimal dort waren?" "Vielleicht hat er sich nicht lange genug aufgehalten?" "Wie lange sollte er denn dortbleiben?" "Ich weiß nicht, aber erinnerst du dich, was er sagte? Er sagte, daß ihm unbehaglich zumute sei, daß es ihm nicht gefiele und daß er hinauswolle. Vielleicht bearbeiten diese unbekannten Kräfte sein Gehirn? Daraus könnte man seine Gefühle erklären." "Vielleicht, aber mir war auch unbehaglich zumute, und ich habe keinen Knochensplitter, der gegen mein Hirn drückt." Er blickte sie an. "Und du?" "Ich auch nicht", erwiderte sie. "Aber wir können ihn nicht einfach diesem Zustand überlassen! Dieses gebrochene Handgelenk muß ihm höllische Schmerzen bereiten." "Das weiß ich, aber ich möchte nicht in diesen Raum zurück, wenn es nicht unbedingt sein muß." Er blickte sie prüfend an. "Warum übernimmst du das nicht einmal? Du brauchst dich nur zu konzentrieren. Nein, nicht einmal das brauchtest du zu tun. Seine eigenen gedanklichen Befehle wären stark genug, um den Lift in Bewegung zu setzen." "Und wie soll ich dich wiederfinden?" Sie sah ihn mit einem seltsamen Ausdruck in ihren dunklen Augen an. "Wenn wir uns einmal getrennt haben, kann man nie wissen, ob wir uns wiederfinden. Ich habe keine Erfahrung darin, den Lift gedanklich zu lenken." "Dann muß er eben warten, bis wir auch dorthin müssen." "Wann wird das sein?"
"Ich fürchte sehr bald. Wenn wir Durst und Hunger bekommen oder unsere Verbrennungen zu stark schmerzen." Sie nickte, und sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Nur das Hallen ihrer Schritte und der keuchende Atem des Verwundeten unterbrachen die Stille. Halmar fluchte, als sie in einen Gang einbogen und er am Anfang einen Stoffetzen fand. "Wir sind im Kreis herumgelaufen!" Mit zusammengepreßten Lippen starrte er auf die leuchtende Höhle. "Nun, wir werden uns hüten, denselben Gang wieder entlangzugehen. Wir werden einen nehmen, der quer durch den Raum führt." "Warum haben sie nur die Stadt in dieser Weise errichtet?" Lorna blickte zu ihm auf. Der leuchtende Schein von den Wänden verschönte die etwas scharfen Züge ihres Gesichtes. "Es erscheint so sinnlos." "Warum nicht?" sagte Halmar bitter. "Sie haben die Stadt nicht für uns erbaut, sondern für sich selbst." Er ließ einen Stoffetzen fallen, und sie stapften den Gang entlang. "Stell dir doch einen prähistorischen oder neolithischen Menschen vor, ein Geschöpf, das sich noch wenig vom Tier unterscheidet. Seine Kenntnisse erschöpfen sich in der Anfertigung von Steinwerkzeugen und der Anwendung des Feuers. Seine Kleidung besteht aus Fellen, und er lebt in einer Höhle. Vielleicht glaubt er an Zauberei, aber er weiß ganz bestimmt nichts von Naturwissenschaften. Nun stell dir einmal vor, ein solcher Mensch gerät in eine unserer Erdenstädte." "Ich verstehe, was du damit sagen willst", sagte sie. "Er würde sich verirren." "Mehr als das. Was verstünde er von dem, was er sieht? Wie sollte er es begreifen? Vielleicht würde er zufällig in einen Lift geraten, unabsichtlich auf einen Knopf drücken und sich dann wundern, wieso er damit gefahren ist. Er könnte inmitten von Bergen von Lebensmittelkonserven verhungern, weil er nicht wußte, daß darin etwas Eßbares war. Er könnte vor Durst dahinsiechen, weil er nicht weiß, daß er nur einen Wasserhahn aufzudrehen braucht, um seinen Durst zu löschen. Er würde mit seiner Steinaxt gegen eine Stahlwand schlagen, und der Stahl würde ihm natürlich völlig unzerstörbar erscheinen." "Aber wir sind keine prähistorischen Menschen, Halmar." "Wirklich nicht? In unseren Augen nicht, aber vielleicht in den Augen der Erbauer dieser Stadt? Vielleicht irren wir auch umher wie der neolithische Mensch und merken gar nicht, daß wir uns in den Kellern der Stadt befinden. Vielleicht haben wir schon hundertmal die Rettung vor Augen behabt und sind achtlos daran vorbeigegangen, weil wir nicht wußten, was es war. Es könnte sein, daß alles, was wir so dringend brauchten, in Hülle und Fülle rings um uns vorhanden ist - und wir sterben, weil wir es nicht zu erkennen vermögen." "Nein, Halmar. Wir sind doch intelligente Menschen. Wir sind mit Vernunft begabt. Du hast das bewiesen. Du hast das Geheimnis der Gedankenschlösser gelüftet und den unheimlichen Raum mit den grellen Lichtern entdeckt. Du bist kein Wilder, Halmar." "Du sagst das, weil wir gelernt haben, wie man eine Klinke herunterdrückt und eine Tür öffnet. Denn darauf kommt es ja hinaus. Genauso, wie ein primitiver Mensch stolz sein würde, wenn er gelernt hätte, wie eine Tür geöffnet und geschlossen wird. Nein, Lorna. Wir mögen mit Vernunft begabt sein, aber was nützt uns das, wenn wir sie nicht richtig
anzuwenden wissen? Wir können diese Stadt nicht aus unserer Perspektive beurteilen. Sie wurde genauso wenig für uns erbaut, wie Neu-London für den primitiven Menschen. Woher sollte er Wissen, was man mit einem Videophon anfängt? Oder mit den unterirdischen Transportwegen? Den beweglichen Straßen? Es ging ihm einfach nicht in den Kopf. Er würde sich in eine Ecke verkriechen, bis Hilfe käme oder bis er stirbt." "Und unsere augenblickliche Lage ist ähnlich der dieses primitiven Menschen?" "Ja. Was haben wir denn weiter getan, seit wir nach Klaglan kamen, als in einer Ecke gekauert? Obwohl wir fast annehmen können, daß uns ein Gedanke zum Zentrum führen würde und ein anderer zu Nahrung und Wasser und wieder ein anderer zu einem Transportmittel verhelfen würde, das uns zur Siedlung zurückfliegt. Ein Gedanke, Lorna, vielleicht gar nichts weiter - aber es könnte jahrzehntelang dauern, bis wir entdecken, welche Art von Gedanke das sein muß und in welcher Richtung er sich zu bewegen hat." Er wandte sich um, als Smith zu stolpern begann und beinahe hinfiel. Der Spieler lehnte stöhnend an der Wand, und seine Haut zeigte eine ungesunde Farbe. "Mir ist schlecht", wimmerte er. "Mir ist noch nie so schlecht gewesen. Hilf mir, Halmar. Hilf mir!" "Was ist los mit dir?" "Ich weiß nicht. Mein Kopf tut weh und mein Handgelenk. Ich verbrenne innerlich." Er sah den Führer verzweifelt an. "Muß ich sterben?" "Warum denn?" Halmar zwang sich zu überzeugenden Worten. "Du hast schon Schlimmeres erlebt als ein gebrochenes Handgelenk. Ich weiß, daß es schmerzhaft ist, aber du wirst es überstehen." "Das ist es auch nicht." Der Spieler preßte die Lippen zusammen, als er sich an der Wand aufzurichten versuchte. "Ich bin kein Baby, das über einen gebrochenen Knochen wimmert. Es ist ein Brennen, ein Feuer in mir, und ich vergehe fast vor Durst. Ich kann es nicht mehr aushalten, Halmar. Ich kann einfach nicht mehr." "Was ist los mit ihm?" Lorna blickte besorgt auf Smith. "Ist es Sandlausfieber?" "Das könnte sein, aber ich dachte, er sei davon geheilt." Halmar fühlte den Puls des Kranken und runzelte die Stirn, als dieser unregelmäßig klopfte. "Das gefällt mir nicht. Smith lügt nicht, er ist schwer krank, und wir können nichts dagegen unternehmen." Halmar drehte sich um und ging den Gang hinunter. Am Ende blieb er stehen, starrte auf die Wand und zählte sorgfältig seine Schritte bis zurück zu ihnen. Er blieb stehen, betrachtete stirnrunzelnd die leuchtende Wand - und lautlos glitt vor ihm eine Tür auf. "Beeil dich, Smith", rief er. "Du auch, Lorna. Führ ihn hier herein." "Wirst du ihn zum Hospital bringen?" "Du kommst mit. Ich möchte nicht, daß wir uns trennen, wenn es sich vermeiden läßt." "Weißt du, was mit ihm los ist?" "Nein, aber ich habe eine Ahnung."
Er blickte sie an, während sich die Tür hinter ihnen schloß. "Sollen wir es ,unterbrochene Behandlung' nennen? Es fällt mir kein besserer Ausdruck ein. Jedenfalls muß Smith im Hospital bleiben, bis er wieder gesund ist - oder tot." Die Tür glitt auf, und sie betraten den mit gleißenden Lichtern angefüllten Raum. Smith stöhnte und fiel auf den glatten Fußboden. Halmar fing ihn auf und legte ihn behutsam nieder. Er blickte auf den Kranken nieder und vermied es, in die grellen Lichter zu schauen. Lorna trat neben ihn. "Er ist eingeschlafen", sagte sie erstaunt. "Ganz fest eingeschlafen." "Wir wollen ihn hierlassen", sagte der große Mann und seufzte. "Nun zurück zum Schacht." "Ihn hierlassen?" Lorna schüttelte den Kopf. "Das können wir nicht tun." "Wir haben keine andere Wahl. Wir können in kurzen Abständen zurückkommen und nachsehen, wie es ihm geht." Er blickte die Frau ungeduldig an. "Was bleibt uns anderes übrig? Wir müssen Wasser finden. Wir müssen eine Möglichkeit suchen, um nach der Siedlung zurückkehren zu können." Er nahm ihren Arm. "Es wird ihm nichts geschehen, davon bin ich fest überzeugt, aber wenn er nicht hierbleibt, stirbt er." "Aber einfach im Stich lassen!" "Er schläft. Wir können nicht warten, bis er aufwacht, und ich bezweifle, daß wir ihn aufwecken könnten, wenn wir das wollten." Er zog sie zum Schacht. "Schnell. Wir haben viel zu tun und können keine Zeit vertrödeln. Wir müssen das Zentrum suchen, denn dort liegt für uns der einzige Hoffnungsschimmer." "Wird ihm hier nichts geschehen?" "Hier wird es für ihn besser sein, als wenn wir ihn mitschleppen. Nun aber schnell. Wenn wir Glück haben, können wir hier weg, wenn er aufwacht." Er riß sie mit sich zum Schacht. Schweiß glänzte in seinem angespannten Gesicht. Sie blickte ihn verstört an. Lautlos glitt die Tür hinter ihnen zu, und Halmar seufzte erleichtert auf. "Und jetzt zum Zentrum", murmelte er. "Zur Stadtmitte, zum Zentrum, zum Zentrum ..." Seine Stimme ging in ein undeutliches Murmeln über. Er hatte die Augen geschlossen, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepreßt, und seine Kinnmuskeln schwollen vor Anstrengung an. "Glaubst du ..." Sie verstummte und trat vor, als die Tür aufging. "Ich.." Sie stieß einen gellenden, entsetzten Schrei aus, und Halmar zuckte nervös zusammen. Er sprang vor und riß die Waffe aus der Halfter. "Was ... ?" Sie schrie wieder auf, und fluchend feuerte er die Waffe ab. Das Donnern freigewordener Atome grollte durch die Luft, und ein Feuerstoß blitzte auf.
10. Vor ihnen stand ein Wesen. Es war riesengroß und gepanzert, mit mächtigen Kiefern und flackernden Augen. Auf dem Schöpf erhoben sich Stacheln, und Barthaare sprossen aus dem Unterkiefer. Es griff mit klauenartigen Gliedern nach ihnen, wobei sein mächtiger Körper auf vier stämmigen Beinen und einem riesigen Schwanz ruhte. Der züngelnde Flammenstoß der Strahlwaffe zischte direkt gegen die mächtigen Kiefer, ein Energiestrahl, der jedes Wesen von der Größe eines Pferdes in Asche auflösen konnte. Doch das Wesen blieb drohend aufgerichtet vor ihnen sitzen - unverletzt und unbeweglich. Lorna lachte plötzlich erleichtert auf. "Es ist tot, Halmar, in einer Art Kristall konserviert. Es ist tot." Als Reaktion auf ihren Schock schlug ihr Gelächter in Hysterie um. Halmar brummte unwillig, steckte seine Waffe in die Halfter zurück. "Lorna! Reiß dich zusammen! Lorna!" Sie blinzelte, schluckte und biß sich auf die Unterlippe. Dann schüttelte sie den Kopf. "Tut mir leid", murmelte sie. "Es war nur der Schock." Sie blickte auf den großen Körper des konservierten Wesens. "Wo sind wir jetzt, Halmar? Wo sind wir bloß?" "Das muß das Zentrum sein. Ich hatte eine Idee, und sie war richtig." Er blickte in ihre fragenden Augen. "Ich konzentrierte mich auf das Zentrum der Stadt, als wir das Hospital verließen. Ich dachte unaufhörlich daran, und so kamen wir her." "Bist du sicher?" "Nein, aber was soll es anderes sein? Wir sind fast in der ganzen Stadt umhergeirrt und haben noch nie so etwas entdeckt." Er lachte bitter auf. "Und ausgerechnet ich muß von dem primitiven Menschen sprechen, der in unseren Städten umherirrt. Wir verfügten über deutliche Hinweise und vermochten sie nur nicht anzuwenden. Die Gedankentüren hätten darüber aufklären müssen. Wir können überall hin in der Stadt, wenn wir nur unsere Gedanken darauf konzentrieren. Dieser Lift war überhaupt kein Lift, jedenfalls nicht in unserem Sinn, sondern eine Art Sendezentrale. Wir treten ein, schließen die Tür, denken an unser Ziel, und wir sind da. So einfach ist das - aber wir vermochten das nicht zu erkennen." Er blickte auf die schweigende, drohende Gestalt des unheimlichen Raubtiers. "Kein Wunder, daß du geschrieen hast! Das muß ein Terlig von der Venus sein. Ich habe schon über sie erzählen hören." "Ich habe noch nie einen gesehen", sagte Lorna. "Aber ich habe davon gehört und sah eine Rekonstruktion im Interplanetarischen Zoo, bevor ich die Erde verließ." Er nickte, starrte auf das Tier und ging dann näher darauf zu. "Wenn wir nun einmal hier sind, wollen wir uns ein wenig umsehen." Er stützte eine Hand auf den makellosen Kristall. "Da schau! Dieser Block muß massiv sein, und der Terlig wurde hineinversenkt, wie Fliegen in Bernstein auf der Erde." "Und da ist noch einer", sagte sie. "Ich weiß nicht, was er enthält, aber es scheint eine
ganze Reihe davon hierzustehen, die einen geschlossenen Kreis bildet." "Ja", sagte er und blickte sich mit zusammengekniffenen Augen um. Hinter ihm stand der glatte Zylinder des "Aufzuges". Vor ihm breitete sich eine ringförmige Reihe solcher Kristallblöcke aus. Er ging an dieser Reihe entlang, am Lift vorbei und blickte in das Herz von Klaglan. Es wirkte fast wie ein Wald, ein Wald mit dicken graublauen Metallbäumen. Oder vielmehr wirkte es eher wie eine Säulenhalle, wobei die Säulen in konzentrischen Ringen um einen Mittelpunkt angeordnet waren. Er blickte näher hin und bemerkte den unverkennbaren Schimmer von Urillium, dann begann er fast zögernd auf den Mittelpunkt zuzugehen. Erst auf halbem Weg dorthin bemerkte er das Licht. Es war ein gelber Schein, ein ruheloser Schimmer zuckender Strahlen, fast als ob er aus Nebel oder einem dünnen Gas bestünde. Es pulsierte, wand sich, zuckte und züngelte. Es dehnte sich kräuselnd wie Zigarettenrauch aus und ballte sich zu einer fast massiven Kugel zusammen. Halmar stand am Rand des Säulenplatzes und starrte gebannt darauf. Von seinem Platz aus senkte sich der glatte Urilliumfußboden sanft auf den gelben Schein zu, so daß dieser wie auf einer Schale in dem massiven Metall ruhte. Ringsum standen kunstvolle Kristallsäulen. Das Licht züngelte gegen diese Säulen und kroch wieder zurück, als sei es auf eine unüberwindliche Barriere gestoßen. Innerhalb des zuckenden Lichtes war eine undeutlich wahrnehmbare Bewegung, als ob sich jedes Molekül einzeln um seine Achse drehte und das Ganze derart schnell rotierte, daß es wie bewegungslos erschien. Es züngelte, fiel zusammen, wirbelte und lockte ... Halmar stöhnte plötzlich vor Schmerz auf. Er blinzelte und spürte warmes Blut über sein Gesicht rieseln. Dann erblickte er direkt vor sich eine der Kristallsäulen. Er runzelte die Stirn, betastete seine Nase und betrachtete seine blutbeschmierten Finger. Dann packte er die Frau, die an ihm vorbeigehen wollte. "Lorna! Was tust du?" "Was?" Sie blinzelte. "Halmar! Ich habe doch dort hinten zwischen den Säulen gestanden und in das Licht geblickt. Ich ..." Sie runzelte die Stirn. "Wie komme ich nur hierher?" "Ich weiß nicht. Vielleicht hat dich das Licht hypnotisiert oder in irgendeiner Weise angelockt. Mir ist es ebenso gegangen." Er blickte auf die pulsierende gelbe Kugel. "Laß uns von hier weggehen." Während sie zurückgingen, blickte er prüfend auf die Urilliumsäulen und dann zu dem flachen Dach empor. "Das muß die Kuppel sein, die wir von außen gesehen haben. Sie geht unter unseren Füßen noch weiter. Das Ganze ist wie eine Kugel, die man in zwei Hälften zerteilt hat. Diese beiden Hälften werden von den Säulen gestützt." "Aber warum müssen sie aus Urillium bestehen, Halmar? Warum benutzten sie nicht Kristall?" "Ich weiß nicht. Vielleicht, weil der Kristall Energie absorbiert und sie etwas brauchten, das isolierend wirkte. Diese gelbe Flamme da hinten ..." Er schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht. Eins ist jedenfalls gewiß, Wasser gibt es hier nicht." "Was sollen wir tun?"
Er zuckte die Achseln, und sein Gesicht blieb finster, bis sie den Kreis der Kristallblöcke wieder erreicht hatten. Er blickte sie genau an und ging von einem zum anderen. Lorna hielt den Atem an, als sie sah, was diese enthielten. "Sie sind schrecklich", flüsterte sie. Halmar schüttelte den Kopf. "Nicht schrecklich", verbesserte er, "nur ein ungewohnter Anblick." Er blieb vor einem Gebilde stehen, das etwa einer Kreuzung zwischen Seepolyp und Spinne glich. "Lebewesen", sagte er nachdenklich. "Eingefaßt und konserviert. Woran erinnert dich das, Lorna?" "An einen Zoo." "Ja, aber welche Art von Zoo?" Er ging weiter die durchsichtigen Kristallblöcke entlang. "Ein Terlig, einst die vorherrschende Lebensform auf der Venus." Er blickte auf den nächsten Block. "Da schau. Ein Drylander, nicht wie er heute aussieht, sondern wie er vor vielen Jahren ausgesehen haben muß. Siehst du die Beißzangen, den Chitinpanzer?" Er blickte nachdenklich auf den Behälter. "Sie haben sich seitdem nicht sehr verändert. Der Panzer ist vielleicht ein wenig dicker und die Beißzangen sind härter geworden mehr den gegenwärtigen Lebensbedingungen angepaßt." "Es ist wie im Interplanetarischen Zoo", flüsterte Lorna. "Ob es so etwas Ähnliches darstellt?" "Vielleicht, aber ich glaube, es ist noch mehr als das. Ich würde sagen, es ist ..." Er verstummte und starrte auf einen Kristallblock. Lorna zog pfeifend den Atem ein. Ein Mensch stand in der durchsichtigen Umhüllung des konservierenden Stoffes. Er war stämmig gebaut, hatte eine zottige Mähne und einen Bart. Seine Arme waren lang und muskulös, seine nackten Beine voller Schwielen. Er war mit Fellen bekleidet, rauhen, ungegerbten Fellen, und in einer Hand trug er eine Steinkeule. Seine Augen saßen tief in den Höhlen unter buschigen Brauen, aber seine Stirn war breit und sein Schädel gut entwickelt. "Ein Cromagnon", stieß Halmar hervor. "Einer unserer ältesten Vorfahren, der die Neandertaler ablöste. Sie bearbeiteten Steine und ,erfanden' das Feuer. Sie jagten und betrieben schon Ackerbau. Sie kamen vom Norden und begründeten unsere eigene Rasse." "Was hat das zu bedeuten?" Zitternd umklammerte Lorna seinen Arm. "Halmar! Ich habe Angst!" "Sie müssen ihn gefangengenommen und als Muster konserviert haben. Aber wie lange liegt das zurück? Zwanzigtausend Jahre? Oder noch länger?" Er blickte auf die schimmernden Behälter. "Das hier ist mehr als ein; gewöhnlicher Zoo. Die Bewohner der Stadt, wer sie auch waren, wählten nur die herrschende Lebensform jeder Welt aus." Er schätzte die Anzahl der Behälter. "Sie müssen sich auch schon außerhalb des Solsystems bewegt haben. Dieser Zoo enthält auch Lebewesen von fernen Sternen. Ein interstellarer Zoo. Lorna. Stell dir das einmal vor." "Ich sehe es ja vor mir", sagte sie bitter. "Und es gefällt mir gar nicht. Alles hier mißfällt mir. Ich fürchte mich, vor der Stille, dem Licht und der ganzen unheimlichen Umgebung. Das ist keine gewöhnliche Stadt. Hier haben nie Menschen gewohnt: Vielleicht Götter, aber niemals Menschen. Ich möchte fort von hier, Halmar. Ich möchte zu den Menschen
zurück und zu einem geregelten Leben. Ich möchte nach Hause." "Das möchte ich auch", sagte er weich. "Aber wie? Wir müssen dreihundert Meilen Wüste durchqueren und haben kein Wasser, ganz abgesehen von den Drylandern, die wahrscheinlich draußen auf uns warten. Möchtest du von ihnen gefangengenommen werden?" "Nein, aber ich würde das Risiko auf mich nehmen. Ich würde alles riskieren, nur um von hier wegzukommen." "Wir gehen bald", versprach er. "Sobald wir Wasser gefunden haben." "Das sagst du dauernd", fauchte sie. "Aber wann? Wann?" "Ich weiß es nicht, aber eins ist sicher: Wenn wir kein Wasser mitnehmen, kommen wir in der Wüste um. Wir können nicht ohne Wasser hier weggehen, Lorna. Das weißt du doch." "Ja", sagte sie und blickte stumpf vor sich hin. "Wir waren Narren, Halmar, aber die meisten Menschen sind wohl so. Wir wollten etwas erreichen, Geld und die Macht, andere für uns arbeiten zu lassen. Nichts schien uns wichtiger als das. Und jetzt? Jetzt würde ich Sklavenarbeit verrichten und hungern und alles tun, nur um von hier fortzukommen. Dieses Klaglan!" Sie verzog verächtlich den Mund. "Eine Falle! Ein leerer Wahn, der die Dummen und Habgierigen anlockt. Zum Teufel damit!" "Niemand hat uns dazu gezwungen, hierher zu kommen", gab er ruhig zu bedenken. "Die Drylander tun ihr Bestes, um die Menschen davon abzuhalten. Du kannst nur dir selbst Vorwürfe machen." "Das weiß ich, und das ist ja das Schlimme! Ich wollte hierher und wofür? Um durch die Straßen einer toten Stadt zu irren, einer Stadt, die Geheimnisse und Reichtümer birgt, mit denen ich nichts anfangen kann. Gibt es eine größere Ironie des Schicksals? "So etwas hat es schon immer gegeben", sagte er ruhig. "In Sagen und Märchen. Die Geschichte von Tantalus ist das beste Beispiel." "War das der Mann, der von köstlichen Speisen umgeben war, die zu Staub zerfielen, wenn er danach griff?" "Ja." "Aber das ist doch nur eine Sage. Das hier ist Wirklichkeit." "Ich bin nicht ganz so sicher", sagte er langsam. "Ich habe über diese Stadt und alles, was wir in ihr gefunden haben, nachgedacht. Ich bin fast zu der Überzeugung gekommen, daß wir alle einem grundlegenden Irrtum erlegen sind." "Indem wir hierher kamen? Das weiß ich." "Nein. Indem wir annahmen, Klaglan sei eine Stadt." "Was?" Sie sah ihn verblüfft an. "Das kann doch nicht dein Ernst sein." "Ich meine es sehr ernst", sagte er ruhig. "Ich möchte es einmal so formulieren: Warum sollte hier überhaupt eine Stadt sein? Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund. Hier gab es niemals einen Fluß, oder einen Meeresstrand, nicht einmal Wege und Straßen. Die Blauen Berge liegen weit von den alten Kanälen und den ausgetrockneten Flußbetten entfernt. Städte werden nur dort erbaut, wo die natürlichen Voraussetzungen gegeben sind. Meistens entstehen sie aus Dörfern und Kleinstädten, und von den verschiedenen Baustilen kann man die jeweiligen Entwicklungsstufen ableiten. Einige Städte, wie Aphrodite auf der Venus, überspringen diese Entwicklungsstufe, aber es gibt immer einen
triftigen Grund für ihre Existenz. Für Klaglan gibt es keinen." "Woher wollen wir das wissen? Die Stadt ist uralt. Sie ruht hier seit Jahrtausenden, und der Grund für ihre Errichtung könnte in Vergessenheit geraten oder heute nicht mehr erkennbar sein." "Zugegeben. Aber es spricht noch mehr für meine Annahme. Klaglan ist eine geschlossene Einheit, eine Stadt ohne Fenster, ohne Türen, ohne Marktplätze oder öffentliche Plätze. Eine versiegelte Stadt, völlig abgeriegelt und aus unzerstörbarem Kristall gebaut, der auf Gedankenwellen reagiert." Er starrte das Mädchen an. "Sagt dir das gar nichts? Errätst du nicht, was das bedeuten kann?" "Nein." "Denke doch nach", drängte er. "Denke an eine geschlossene Einheit mit eigener Luft, Kraft und eigenem Transportwesen. Eine Einheit ohne Verbindung mit der äußeren Welt, eine Einheit, die völlig abgeriegelt und verlassen inmitten einer Gebirgskette daliegt. Das kann doch nur eins bedeuten." "Nein", flüsterte sie. "Es ist zu phantastisch! Es kann nicht wahr sein!" "Es muß wahr sein!" "Dann glaubst du ... ?" "Ich glaube, daß Klaglan überhaupt keine Stadt ist", sagte er leichthin. "Ich glaube, daß diese sogenannte Stadt ein verlassenes Raumschiff ist!" Schweigend blickte er in ihr entsetztes Gesicht.
11. "Es erscheint ganz logisch, wenn man länger darüber nachdenkt", fuhr Kalmar ruhig fort. "Viele Anzeichen sprechen dafür, die kristallisierten Lebewesen aus anderen Welten, ja sogar von anderen Sternen. Die Risse in den äußeren Gebäuden und das Fehlen von Ruinen. Vielleicht entstanden die Risse durch den Aufprall von Meteoren oder während einer interstellaren kriegerischen Auseinandersetzung. Wir werden das niemals erfahren, aber stell dir das doch einmal vor, Lorna! Ein Raumschiff, das die Form und den Umfang einer ganzen Stadt aufweist! Es ist fast unglaublich!" "Ich kann es immer noch nicht glauben", sagte sie langsam. "Warum hätten sie dann überhaupt Gebäude? In Raumschiffen unternimmt man nur Raumfahrten, aber man wohnt doch nicht darin." "So denken wir, aber weshalb sollten sie nicht anders gedacht haben? Warum sollten sie es sich nicht in einem Raumschiff gemütlich eingerichtet haben, wenn sie das Material dazu hatten? Vielleicht waren die Erbauer Nomaden, die in ihren fliegenden Städten von einer Welt zur anderen reisten und unter Umständen viele Generationen lang von Stern zu Stern flogen. Gelegentlich landeten sie einmal auf einem Planeten, jagten, betrieben Forschung oder amüsierten sich einfach, bevor sie weiterflogen."
"Sich amüsieren? Wie kommst du darauf?" "Warum nicht? Sie waren vielleicht von ihren langen Reisen gelangweilt, und die Versuchung, sich in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen, war doch einigermaßen verlockend." "Das ist ja lächerlich." Lorna schüttelte den Kopf. "Sich in die Angelegenheiten der Menschen einmischen! Wie sollten sie das? Und außerdem wäre es uns bekannt." "Das ist es auch." Halmar seufzte und lehnte sich gegen die schimmernde Fläche eines Behälters. "Das glaube ich nicht!" "Das mag schon sein, aber denke doch an unsere Sagen, an die Märchen und Mythen. Wie ist es mit dem Olymp und den Göttern der griechischen Mythologie? Sie wohnten auf einem Berg und verfügten über übermenschliche Kräfte und Künste. Wenn sich diese ,Stadt' nun auf dem Gipfel eines Berges niedergelassen hat? Die Bewohner verfügten über wissenschaftliche Erkenntnisse und konnten die Barbaren der damaligen Zeit in ehrfürchtiges Staunen versetzen. Was hätten sie über unsere technischen Errungenschaften gedacht? Über ein Video? Einen Hubschrauber? Würden sie nicht denken, die Götter hätten Blitz, Wind und einen schrecklichen Vogel unter ihre Gewalt gebracht? So würden sie doch denken!" "Aber, Halmar, überlege dir doch, was du sagst! Wie könnten sie einen CromagnonMenschen fangen, wenn sie zur Zeit der alten Griechen gelebt hätten?" "Das ist natürlich nicht möglich, aber was hinderte sie daran, später wieder aufzutauchen?" Halmar seufzte und betrachtete die leuchtenden Behälter und schimmernden Säulen, die zu der pulsierenden gelben Flamme führten. "Es gibt so viel, was wir nicht wissen", murmelte er. "Das Märchen von Aladins Höhle könnte im ,Hospital' entstanden sein. Was würde ein ungebildeter Barbar von einem solchen Raum denken? Nach seiner Vorstellung kämen die Lichter von riesigen Gemmen. Und der Jungbrunnen, der so viele Menschen angelockt und in Verzweiflung gebracht hat, könnte er nicht demselben Ort entstammen? Was würde ein Wilder von einem Raum halten, der Wunden heilt? Dann die Sagen über die ,überirdischen Wesen', gottähnliche Wesen, die von den Himmeln herabstiegen, um ..." Er brach ab, ein entsetzter Ausdruck lag in seinem harten Gesicht. Lorna beendete seinen Satz. " ... um die Töchter der Menschen zu ehelichen. Glaubst du das, Halmar? Glaubst du, daß wir in gewisser Hinsicht mit den Erbauern der Stadt verwandt sind?" "Es könnte sein", sagte er langsam. "Es ist ein Teil unserer Geschichte, der vielleicht mit der Zeit immer verworrener und weniger glaubhaft dargestellt wurde, aber er ist nicht wegzuleugnen. Nehmen wir an, die Stadt landete auf der Erde, und dann vermählten sich die Bewohner aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen mit den halbwilden Vorfahren des Menschen. Damit könnte man unsere Fähigkeit erklären, die Gedankenschlösser zu bedienen. Damit ließe sich erklären, daß unsere Wunden im Hospital geheilt wurden. Wir sind im Prinzip genauso beschaffen wie die Erbauer von Klaglan." "Selbst wenn ich das alles einsehen würde - und ich tue es nicht -, könnte man damit
immer noch nicht erklären, weshalb die Stadt auf den Mars kam und dort verlassen wurde." Lorna schüttelte den Kopf. "Nein, Halmar. Du nimmst zuviel als gegeben an. Du legst eine Sage zugrunde und verwandelst sie in konkrete Tatsachen. Was berechtigt dich dazu? Warum sollte die Stadt nicht nur kurz mit der Erde in Berührung gekommen sein? Und selbst wenn alles, was du sagst, der Wahrheit entspräche, warum verließ man sie? Und warum blieb sie ausgerechnet hier zurück?" Sie blickte auf die schweigenden Behälter und die gelbe Flamme, die um die Kristallsäulen tanzte. "Wenn du diese Frage nicht beantworten kannst, hast du überhaupt noch nichts bewiesen." "Ich bin überzeugt, daß die Stadt ein Raumschiff ist", beharrte er. "Alles deutet darauf hin. Es gibt keine andere Erklärung für die abgedichteten Gebäude und das Stadtbild als geschlossene Einheit. Siehst du es immer noch nicht ein, Lorna? Als wir zwischen den Gebäuden hindurchgingen, spazierten wir auf der Hülle des Schiffes." "Möglich, aber was gibt es sonst noch für Beweise?" "Die Luft. Sie ist stickig, aber das ist auch alles. Im übrigen ist sie warm, fast ein wenig zu warm, und du magst es vielleicht noch nicht bemerkt haben, der Druck ist etwas höher als anderswo auf dem Mars. Es ist Erdenluft!" "Zufall." "Wird damit auch der ungewöhnliche Wärmegehalt erklärt?" "Warum nicht? Wenn die Wände Lichteffekte ausstrahlen, so werden diese innerhalb von Jahrtausenden die Luft erwärmen." Halmar seufzte. "Du bist schwer zu überzeugen, Lorna. Kannst du mir auch folgendes beantworten? Wie kommt es, daß wir die Gedankenschlösser bedienen können?" "Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß Gedanken ein Allgemeingut sind. Vielleicht wurden die Schlösser einer weiten Gedankenskala angepaßt, so daß sich jedes intelligente Wesen ihrer bedienen kann. Ich weiß es nicht! Ich weiß es einfach nicht! Quäle mich doch nicht dauernd mit deinen Fragen." Sie biß sich auf die Lippe, und dann warf sie sich plötzlich fast wild in seine Arme, und ein verzweifeltes Schluchzen schüttelte ihren Körper. "Ich habe Angst", klagte sie. "Ich will nicht länger hierbleiben. Hilf mir, Halmar. Hilf mir." Er drückte sie fest an seine Brust und fuhr mit seinen großen Händen beruhigend über ihr dunkles Haar, bis sich ihre Erregung wieder gelegt hatte. Sie schluckte, trocknete ihre nassen Augen und richtete sich wieder völlig gefaßt auf. "Es tut mir leid", sagte sie. "Du wirst mich für närrisch halten." "Nein, ich halte dich für sehr tapfer. Einmal mußte aber nach allem die Reaktion kommen." "Was sollen wir tun, Halmar? Wir können nicht länger hier bleiben, und du sagst, wir können auch nicht weg. Was sollen wir tun?" Er hob die Schultern. "Den Mut nicht sinken lassen. Vielleicht haben wir Glück und finden Wasser." "Glaubst du, das wird uns gelingen?" "Nein", gab er offen zu. "Eigentlich nicht. Anfangs glaubte ich schon daran, es schien so logisch. Eine Stadt mußte doch Wasser haben, vielleicht Zisternen oder einen Brunnen,
aber jetzt weiß ich, daß es hier niemals einen Brunnen gegeben hat." "Vielleicht Wasserbehälter?" Lorna blickte ihn erwartungsvoll an. "Alle Raumschiffe haben Wasser bei sich." "Wenn die Mannschaft welches braucht", sagte er ruhig. "Wenn sie keins brauchte, warum sollte man sich damit belasten? Vielleicht benutzten die ,Überirdischen' das Hospital, um ihre Bedürfnisse zu stillen. Vielleicht kannten sie eine Methode, diese direkt aus Energiequellen zu befriedigen. Ich weiß es nicht. Aber ich glaube nicht, daß wir hier Wasser finden." "So ist das also." Langsam ging sie mit gesenktem Kopf zu den durchsichtigen Kristallbehältern. Ihre schweren Stiefel schlurften über die glatte Oberfläche des Kristallfußbodens. Halmar blickte sie mit wehem Gefühl im Herzen an. Sie blieb stehen. "Das ist also das Ende? Wir müssen hier bleiben, bis an unser Ende." "Wir könnten es über die Wüste versuchen, aber dort ist uns der Tod gewiß. Hier ..." Er brach ab, und ein Hoffnungsschimmer trat in ihre dunklen Augen. "Glaubst du, daß es noch einen Ausweg gibt?" Halmar nickte. "Wenn das ein Raumschiff ist - und davon bin ich fest überzeugt - muß es auch eine Kontrollkabine besitzen. Vielleicht verfügten sie über einen Sender, über Waffen oder eine Signalvorrichtung. Wenn wir diese finden könnten, wären wir vielleicht imstande, damit die Siedlung zu benachrichtigen. Wenn wir ihnen unsere Neuigkeiten preisgeben, werden sie es riskieren, uns Lebensmittel abzuwerfen. Jedenfalls ist es einen Versuch wert." "Natürlich!" Doch sie wurde sofort wieder mutlos. "Wie sollen wir sie finden?" "Auf die einzig mögliche Weise", sagte er mit grimmiger Entschlossenheit und ging auf den "Lift" zu. "Indem wir dieses Ding dazu bewegen, uns hinzubringen." Gespannt beobachtete Lorna, wie der große Mann die Augen schloß, sich im Geist auf ein Bild konzentrierte, wie er sich die Kontrollkabine vorstellte. Er runzelte die Stirn, und seine Kinnmuskeln zitterten unter der Intensität seiner gedanklichen Konzentration. Er seufzte, entspannte sich und Lorna sprang auf die offene Tür zu. Sie blickte auf die unheimliche Gestalt des eingekerkerten Wesens. "Nichts zu machen, Halmar. Wir sind noch an derselben Stelle." "Ich will es noch einmal versuchen. Komm herein!" Wieder glitt die Tür zu. Wieder zwang er seine Gedanken, sich auf seine Vorstellung von der Kontrollkabine zu konzentrieren, und wieder seufzte die Frau verzweifelt, als sie dieselben Kristallbehälter erblickte. Immer wieder versuchte er es. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn, und sein Kopf schmerzte von der unheimlichen Anstrengung. Sie hatten sich immer noch nicht von der Stelle bewegt. "Vielleicht geht es auf diese Weise nicht", sagte Lorna. "Könntest du nicht irgendeinen Test anstellen?" Er nickte. Die Tür ging zu und öffnete sich wieder. Sie befanden sich in dem leuchtenden Gewölbe. Er runzelte die Stirn, und als sich die Tür wieder öffnete, erblickten sie die drohende Gestalt in Kristall wieder. "Es funktioniert noch", sagte er erschöpft. "Nur wenn ich an die Kontrollkabine denke, geht es nicht. Vielleicht findet mein Gedanke nicht die richtige Wellenlinie, oder wir
versuchen, in verbotenes Gebiet einzudringen. Ich verstehe das nicht. Wir hätten doch dorthin kommen müssen. Wir ..." Er verstummte und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. "Ich Narr! Daß ich daran nicht gedacht habe! Wie können wir zur Kontrollkabine gehen, wenn wir bereits dort sind?" "Das soll die Kontrollkabine sein?" Lorna blickte den großen Mann ungläubig an und verließ dann den Schacht. "Wenn das der Fall ist, wo sind dann die Kontrollhebel? Die Sichtschirme? Die Instrumente? Ich sehe hier nichts als die Behälter, die Säulen und jenes gelbe Licht. Das kann unmöglich die Kontrollkabine sein." "Wieso? Wir befinden uns im Zentrum der Stadt, und dort müßte sich doch logischerweise die Kontrollkabine befinden. In diesem Fall brauchten sie keine Hebel, Skalen, Sichtschirme und Instrumente. Vielleicht setzten sie sich einfach hin und konzentrierten ihre Gedanken." "Vielleicht", sagte sie zweifelnd. Er nickte zustimmend, blickte dann auf die schimmernden Säulen und die unheimliche gelbe Flamme. Sie hatte recht. Das sah nicht nach einer Kontrollkabine aus, auch nicht nach einer, die mit Gedankenübertragung arbeitete. Tief in seinem Innern nagte der Zweifel. Etwas stimmte nicht. Etwas mußte er übersehen haben, und er wurde das Gefühl nicht los, daß nicht alles so einfach war, wie er es sich vorstellte. "Angenommen, sie haben die Kontrollkabinen umgebaut", sagte er langsam. "Die Maschinen und Instrumente herausgerissen und dafür die Säulen und die gelbe Flamme eingebaut. Überall in der Stadt haben sie zum Bauen den Kristall benutzt, warum hier nicht auch?" "Wer weiß?" Lorna fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. "Ich bekomme schon wieder Durst, Halmar. Mir kommt es so vor, als ob ich jetzt ständig durstig sei. Dieser Raum löscht den Durst nicht sehr lange." "Wenn sie den Mechanismus ausbauten, um diese Urilliumkuppel zu errichten, könnte man daraus ableiten, daß die Stadt hier seßhaft wurde und nicht mehr zu fliegen beabsichtigte. Aber warum wurde sie verlassen?" "Ich weiß nicht", stieß Lorna unwillig hervor. "Was macht es schon aus? Ich habe Durst und möchte trinken." "Ich auch", sagte er und zuckte zusammen, als Seine geschwollene Zunge die rissigen Lippen berührte. "Aber wir dürften eigentlich noch gar nicht durstig sein, wir haben ja erst vor kurzer Zeit etwas getrunken." "Das war vor einigen Tagen", verbesserte sie ihn. "Ich zähle nicht mit was im Hospital geschah - ich spreche von richtigem Wasser." Sie hatte recht, und plötzliche Panik überkam Halmar, als er seine trockenen Lippen spürte. Immer häufiger mußten sie zu dem Raum mit dem gleißenden Licht gehen. Sie kamen fast um vor Durst, und die glänzenden Lichter im Hospital dienten nur zur vorübergehenden Verminderung dieses Gefühls, nicht aber zu seiner Beseitigung. Sie verloren jegliches Gefühl für Schmerzen, ihre rissigen Lippen verheilten, und ihre Zungen nahmen ihre normale Gestalt an, aber ihre Körper verlangten nach wie vor nach Wasser.
Wenn sie sich von den heilenden Strahlen entfernt hatten, überfiel sie der Durst unheimlich schnell wieder. Er überlegte sich, wie lange das noch so weitergehen würde. Eines Tages mußten sie immer in diesem Raum bleiben - oder sterben. Die konservierten Körper der fremden Wesen starrten sie in schweigendem Spott an. Für kurze Zeit gelang es Kalmar, seinen brennenden Durst zu unterdrücken. Er ging zwischen den schimmernden Säulen hindurch, betrachtete stirnrunzelnd ihre glatte Oberfläche und versuchte sich vorzustellen, weshalb sie errichtet worden waren. Einmal geriet er in gefährliche Nähe der pulsierenden gelben Flamme, und die Zeit schien stillzustehen, während er in dieses wirbelnde Strahlenbündel starrte und sich seine Sinne dem Rhythmus dieses Wirbels anpaßten. Lorna packte ihn am Arm, als er gerade auf die Flamme zugehen wollte. "Halmar! Was tust du?" "Was?" Er schüttelte den Kopf und riß seinen Blick von dem hypnotischen Glanz los. Taumelnd ging er zu den durchsichtigen Behältern zurück. "Ich überlegte mir, wozu sie da sind. Es ist mir nicht bewußt, daß ich darauf zuging." "Wenn ich dich nicht zurückgerissen hätte, wärst du direkt hineingelaufen", sagte sie schaudernd. "Was ist das für eine Erscheinung, Halmar? Weshalb zieht sie uns magisch an, wie Motten vom Licht angezogen werden?" "Ich weiß es nicht." Er lachte bitter auf, als er sich der Ratlosigkeit seiner Antwort bewußt wurde. "Es gibt verdammt viel, was ich hier nicht verstehe. Beunruhigend viel. Vielleicht ist es eine Art elektromagnetischer Wirbel, eine subatomare Umbildung des normalen Raumes. Es könnte eine Art Unterbrechung der Kontinuität von Raum und Zeit sein, wobei Energie aus höheren Sphären unseres Universums einströmt. Es gibt viele Möglichkeiten." Er fuhr sich mit der Zunge über die ausgedörrten Lippen und blickte in ihre gequälten Augen. "Du leidest, nicht wahr?" sagte er weich. "Du möchtest trinken, und ich kann mir vorstellen, wie dir zumute ist." "Ich würde alles tun, um etwas zu bekommen", sagte sie schlicht. "Halmar, wohin versteigen wir uns noch?" "Ich weiß es nicht, Lorna", sagte er ruhig und haßte sich selbst, weil er ihr keinen Trost spenden konnte. "Ich komme mir vor wie eine Ratte in der Falle, eine Ratte, an der man Versuche macht. Das alles übersteigt mein Begriffsvermögen. Vielleicht fände ein Wissenschaftler eine Erklärung, aber ich finde keine. Ich kann schießen, einen Weg durch die Wüste finden und vermag dort noch zu leben, wo andere dahinsiechen, aber hier bin ich ratlos. Klaglan hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht." Er schluckte, und seine Kehle brannte vor Trockenheit. "Wir können auch gleich ins Hospital zurückgehen", sagte er mutlos. "Die Lichter werden uns wenigstens für kurze Zeit von unserer Qual erlösen." "Ich bin gespannt, wie es Smith geht." Lorna rannte fast zum Lift. "Er müßte eigentlich jetzt geheilt sein." "Vielleicht." Halmar runzelte angestrengt die Stirn und entspannte sich wieder, als sich die Tür schloß. Er gab sich völlig seinem Schmerzgefühl hin und seufzte, als die Tür
aufglitt und Licht in den Schacht eindrang. Lorna trat hinaus. "Smith", rief sie. "Bist du wach? Smith!" "Wie geht es ihm?" Hahnar verließ den Schacht und blinzelte in das grelle Licht. "Ist er aufgewacht?" "Ich weiß nicht", sagte Lorna. "Ich ..." Sie verstummte, und der große Mann hörte, wie sie nach Atem rang, als er ihrem Blick folgte. Er erstarrte, seine Nerven waren bis aufs äußerste gespannt, und in einer Reflexbewegung glitt seine Hand zur Halfter. Mit halbgezogener Waffe blieb er stehen. Lorna gab einen gequälten Laut von sich, preßte sich an ihn, und ihr bleiches Gesicht zeigte einen Ausdruck tödlichen Entsetzens. Halmar schluckte und blickte auf das Wesen vor sich. Es war Smith. Er mußte es sein, und noch während sein Inneres sich gegen diese Feststellung aufbäumte, wußte Halmar, daß er sie akzeptieren mußte. Es war der Spieler von der Venus, der Mensch namens Smith, aber - Smith war kein Mensch mehr!
12. Er war genausowenig ein Mensch, wie ein Affe ein Mensch ist, der sich von Baum zu Baum schwingt, oder die Vögel, die schleimigen Gewächse in warmen Tümpeln, aus denen alles Leben entstand, mit Menschen vergleichbar waren. Er besaß zwei Augen, einen Mund, zwei Arme und zwei Beine, einen Kopf und eine Nase. Er war noch humanoid, aber damit hörte auch schon die Ähnlichkeit mit dem Homo sapiens auf. Hahnar durchfuhr ungläubiges Staunen, sein Verdacht schien bestätigt, und mit einem sonderbaren Gefühl der Ehrfurcht starrte er das Wesen an, das einst der Mensch Smith gewesen war. Es waren die Lichter, dachte er. Die gleißenden Strahlen, die aus den leuchtenden Wänden hervorbrachen und dieses unheimliche Zimmer hell erleuchteten. Er erinnerte sich seiner eigenen Theorie über die Auswirkung dieser Lichter, und er wußte, daß er recht hatte. In den Strahlungsmaschinen, die in die Wände eingebaut waren, hatte man das elektronische Bild eines vollkommenen Mannes und einer vollkommenen Frau eingesetzt. Sie hatten das schwache, hilflose Wesen, das in ihrem Brennpunkt lag, durchstrahlt und mit unsichtbaren Ionenströmen, Elektronenwellen, elektrischen Seziermessern und Strahlungssonden daraus eingewirkt. Sie hatten die Grundbestandteile des menschlichen Körpers durch Angleichung und Veränderung in etwas anderes verwandelt. Dieses neue Wesen war schön und sonderbar, beinahe gottähnlich. Halmar starrte auf dieses Wesen vor sich und vergaß Raum und Zeit, körperliche Schmerzen und kleinliche Furcht. Es war noch größer als er selbst, hatte eine glatte makellose Haut, die schimmerte, als sei sie mit explodierenden Atomen bearbeitet worden. Unter der Haut zeigten sich Muskeln, die nicht verkrampft waren, sondern glatt, fließend und kräftig. Das Knochengerüst war geblieben, das Haar zeigte einen silbernen
Glanz, und die Augen ... Halmar konnte es nicht ertragen, direkt in diese Augen zu sehen. Lange Zeit sprach keiner ein Wort, und die grellen Lichter des sonderbaren Raumes umspielten sie und vertrieben Müdigkeit, Durst und Schmerzen. Sie tauchten sie in leuchtende Strahlen ein, wirkten auf sie ein - und veränderten sie. "Ich habe euch erwartet." Diese Worte wirkten fast unvereinbar mit der in einen Glorienschein gehüllten vollkommenen Gestalt vor ihnen. Sie drangen matt in ihr Ohr, und Kalmar fuhr sich mit der Zunge über die verheilten Lippen. "Du bist Smith", sagte er und wußte, daß er sich nur selbst vergewissern wollte. "War ich das? Doch jetzt, jetzt weiß ich nicht mehr genau, wer ich war." Nachdenkliche Falten bildeten sich auf der glatten Stirn. "Ich fühle, daß ich euch kennen müßte und doch erscheint ihr mir - fremd." " Dein Name ist Smith", sagte Hahnar verzweifelt. "Du bist mit uns nach Klaglan gekommen. Du warst krank, und wir brachten dich in diesen Raum. Du bliebst längere Zeit hier, du warst allein. Entsinnst du dich?" "Ja." "Dann weißt du auch, daß ich Halmar heiße und diese Frau Lorna. Wir versuchen Wasser zu finden, damit wir diesen Ort verlassen können. Wir kamen zusammen hierher, wir drei, und wir werden auch zusammen fortgehen." "Nein." "Nein?" Halmar wich dem Blick dieser Augen aus, die einst Menschenaugen gewesen waren. "Was meinst du damit?" "Ich darf nicht fort von hier, jedenfalls spüre ich das ..." Wieder erschienen die Falten auf der glatten Stirn. "Alles ist so sonderbar, ich kann vieles noch nicht verstehen. Ich - ich muß noch viel lernen." Halmar nickte, und Verstehen dämmerte in ihm auf, als er die schimmernde Gestalt betrachtete. Smith war verwandelt worden, so daß er als Mensch nicht mehr existierte. Seine Knochen, sein Blut, seine Haut, seine Körperzellen, Nerven - und sein Hirn hatten sich gewandelt und waren zu dem vollkommenen Bild umgeformt worden, das in den Mechanismus der Wände eingelegt war. Das war die eine Seite, aber Wissen stand auf einem anderen Blatt. Erfahrung, Weisheit, die Grundzüge des Geistes konnten nicht in Duplikaten hergestellt werden, denn dann würden die Maschinen ständig Kopien der Originalmatrize herstellen und das individuelle Moment ginge verloren. Bildung mußte von außen kommen, durch Erfahrung und behutsame Anleitung. Denn wenn das nicht geschah, würde das wahre Ich verschlungen, und die Kraft der Vernunft ginge verloren. Das Wesen vor ihm glich einem trockenen Schwamm, einem riesigen Reservoir, das sich mit Fakten und Daten füllen wollte und fähig war, diese Fakten besser zu verarbeiten als jedes menschliche Hirn. Vielleicht vermochte es sogar die Kräfte der Natur zu beherrschen und die paraphysikalische Wissenschaft anzuwenden, von der die Menschen bisher nur
eine undeutliche Vorstellung hatten. Halmar dachte an den gelben Wirbel tief im Herzen der Stadt, den gelben, leuchtenden Strudel, der nicht nur einer Dimension angehörte. Er dachte an die Rasse, die die Galaxis gesehen und sich auf einer Vielzahl von Planeten die Zeit vertrieben hatte, deren Spuren sich in Tausenden von Sagen wiederfanden, und ... Weshalb hatten sie die Stadt verlassen? Warum waren sie aus dem Universum verschwunden und hatten unbewohnbare Gebäude zurückgelassen? Welche kosmische Kraft hatte ihr müßiges Nomadenleben gestört? Halmar hob die Schultern und bemerkte, daß Lorna ihn am Ärmel zupfte. "Laß uns hier weggehen", flüsterte sie, und er hörte die Panik in ihrer Stimme heraus. "Ich möchte nicht verwandelt werden. Ich möchte nicht so werden wie Smith. Laß uns gehen, bevor es zu spät ist." "Ja", sagte Halmar, und er wußte, wie ihr zumute war. Die Vorstellung einer Verwandlung hatte etwas Abstoßendes an sich. Sie kam in gewisser Hinsicht dem Tod gleich, dem Verlust aller kleinen Dinge, die das Leben lebenswert machten. Speisen, die Gesellschaft von Freunden, das Zugehörigkeitsgefühl zu den anderen Menschen. Dieses Wesen, das einst der Mensch Smith war, hatte in dieser Umgebung keinen Platz mehr. Es würde als Ausgestoßener, Verdächtiger und Eindringling gehaßt und gefürchtet. Vielleicht würde man es sogar ein wenig beneiden, und dieser Neid würde in Verachtung und Unbeliebtheit umschlagen, denn die Menschen hassen alle, die sie beneiden und nicht begreifen. Mitleidig blickte er auf die schimmernde Gestalt, die einst ein Mensch gewesen war. Trotz seiner göttergleichen Intelligenz, einer vollkommenen Gestalt und seiner offenkundigen Überlegenheit über die Rasse des Homo sapiens war es zur Einsamkeit verurteilt. Man hatte keine Verwendung für ein solches Wesen, außer vielleicht in einer Raritätenschau oder als Testobjekt für neugierige Wissenschaftler. Es würde niemals die Liebe einer Frau erringen, denn welche Frau könnte neben einem solchen strahlenden Wesen leben? Die Menschen würden es anstarren und die Kinder es in ihrer kalten, herzlosen Art verhöhnen. Langsam wandte er sich der offenen Tür und der Frau zu, die ihn dort erwartete. Es wurde ihm erst gar nicht bewußt, daß die schimmernde, einst menschliche Gestalt sich ihnen angeschlossen hatte, und als er es gewahr wurde, ging auch schon die Tür auf und vor ihnen hockte die unheimliche Gestalt des sechsfüßigen Tieres. Erschöpft lehnte sich der große Mann an den durchsichtigen Kristallblock und wartete darauf, daß sein brennender Durst wieder einsetzte und ihn zurück in das grell beleuchtete Zimmer trieb. Smith erblickte die wirbelnde gelbe Kugel. Lange Zeit starrte die schimmernde Gestalt darauf, nachdenkliche Falten gruben sich in die Alabasterhaut seiner Stirn, und eine große Frage brannte in den leuchtenden Augen. Schritt für Schritt ging er darauf zu. Dann packte ihn Lorna am Arm. Verzweiflung lag in ihrem Blick, als sie versuchte, die vollkommene Gestalt zurückzuhalten. "Halmar! Halte ihn auf! Halte ihn auf!" "Nein." Der große Mann schüttelte den Kopf. "Laß ihn gehen. Vielleicht weiß er, was er tut."
"Wie sollte er das? Smith hat diesen Ort noch nie gesehen, und er weiß nicht, welche Anziehungskraft das Licht ausübt. Hilf ihm, Halmar. Ich kann ihn nicht mehr halten!" "Halt!" Mit langen wiegenden Schritten ging Halmar an der Frau vorbei und holte die schimmernde Gestalt ein. Er stellte sich direkt vor sie, knirschte mit den Zähnen und zwang sich, direkt in die fragenden Augen zu blicken. Das versetzte ihm fast einen Schlag, durchzuckte sein Inneres, und einen Augenblick spürte er den Drang, niederzuknien. Er bezwang sich, indem er sich erinnerte, wer vor ihm stand, aber der Geist von zehntausend Ahnen bäumte sich in ihren vergessenen Gräbern auf, als er sich weigerte, ihre Göttlichkeit anzuerkennen. "Smith", sagte er und fühlte, daß es eine Beleidigung war, das göttliche Wesen vor ihm mit diesem gewöhnlichen Namen anzusprechen. "Dieses Licht ist gefährlich." "Ich muß dorthin." "Aber ich sage dir doch, es ist gefährlich! Ich weiß es." "Es hält mich nichts mehr hier, und sie erwarten mich. Ich muß zu ihnen." Wieder das Stirnrunzeln, als hätte ein Kind diese Worte ausgesprochen, die es nicht ganz verstand. "Es hält mich nichts mehr hier." "Ich weiß das, aber was kann dir das Licht bedeuten? Was ist es? Weißt du das? Smith! Hörst du mich? Was bedeutet das Licht?" "Ich muß gehen. Es hält mich nichts mehr hier. Ich muß gehen." Langsam ging die schimmernde Gestalt weiter, und Halmar, der zunächst Anstalten machte, sie zurückzuhalten, gab es auf. Er und die Frau beobachteten, wie das Wesen auf die gelbe Flamme zuging. Sie sahen, wie er zwischen den glänzenden Säulen hindurchging und direkt auf die Flamme zuschritt. Einen Augenblick lang verharrte er inmitten der gleißenden Pracht, sein Körper wurde von dem gelben Wirbel umspült, dann begann er wie eine Nebelgestalt zu zittern, zu verblassen, und sein schimmernder Körper zerfloß wie Gas und vermischte sich mit der gelben Flamme. Dann war er verschwunden. Lorna zitterte und verbarg ihr Gesicht an der Brust des großen Mannes. Halmar preßte sie an sich und strich über ihr dunkles Haar. Ein prickelndes, lange vergessenes Gefühl wurde in ihm wach. Lange hatte er es nicht mehr empfunden. Zu lange hatte er das natürliche Verlangen des Menschen in sich bekämpft. Er war einem Phantom nachgejagt, dem ewig neuen und lockenden Phantom des Reichtums und des Abenteuers. Er versuchte, in fremden Welten das Glück zu finden, aber er war zu der Überzeugung gelangt, daß Romantik nur anderen vorbehalten war. So war er zynisch geworden, und sein natürliches Verlangen hatte sich in trügerische Goldgier verwandelt. Aber jetzt wußte er, was wahres Glück bedeutete. Jetzt wußte er, daß kein Reichtum der Welt ihm diese verlorenen Jahre ersetzen konnte. Kein materieller Reichtum konnte ihm das geben, was er in seinen Armen hielt. Jetzt wurde ihm bewußt, daß er diese Frau von der Venus, diese Frau, die das Geheimnis von Klaglan lüften wollte, liebte. Zärtlich sprudelte er ungewohnte, sehnsüchtige Worte hervor, als er ihr seine Liebe gestand. Sie blickte zu ihm auf. In ihrem blassen Gesicht glänzten Tränen, und der gelbe Schein der wirbelnden Flammen erleuchtete es. Sie schluckte, und sekundenlang flammte Hoffnung in ihren Augen auf, doch dann schüttelte sie abwehrend den Kopf.
"Nein, Halmar". flüsterte sie. "Du weißt nicht, was du sagst." "Ich liebe dich", sagte er fast wild. "Es ist mir gleichgültig, wer du warst oder bist. Ich liebe dich, und das ist das einzig Wichtige." Er hob ihr Gesicht zu sich auf und blickte in ihre leuchtenden Augen. "Sage mir, daß ich mein Gefühl begraben soll, oder daß ich ein Narr bin. Doch damit kannst du die Tatsache nicht mehr ändern. Ich weiß nur, daß ich dich liebe. Was du für mich empfindest, ist unwesentlich. Du könntest mich hassen, verachten oder mir den Tod wünschen. Das ist mir gleichgültig. Ich würde dich nicht einmal berühren, aber du kannst mein Gefühl nicht unterdrücken." Er drückte sie zärtlich an sich und streichelte ihr Haar. "Vielleicht haben wir nicht mehr lange zu leben", sagte er ruhig. "Ich fühlte, daß ich es dir sagen mußte - bevor es zu spät ist." "Danke", flüsterte sie. "Ich danke dir dafür. Aber ich tauge nichts, Halmar. Ich bin habgierig und habe immer nur nach Geld und Reichtum gestrebt. Deshalb kam ich auch nach Klaglan, aus Geldgier. Nur davon war ich bisher besessen." "Und jetzt?" "Jetzt liebe ich dich auch. Gott stehe uns bei, Halmar. Warum müssen wir uns gerade jetzt finden? Warum konnte das nicht vorher geschehen, als noch Hoffnung war?" "Das ist unwesentlich", sagte er weich. "Alles ist unwesentlich geworden, seit ich dich gefunden habe." "Es ist wichtig", sagte sie heftig. "Ich will nicht sterben, jetzt nicht. Ich will leben, leben, Hahnar!" "Glaubst du, ich will sterben?" Er stieß ein bitteres Lachen aus. "Ich bin kein Fatalist, Lorna. Ich kämpfe bis zum letzten Atemzug, aber ich muß dazu Gelegenheit haben, einen Gegner finden. Hier ..." Er blickte finster auf die schweigenden Gestalten in den Behältern, auf die Urilliumsäulen, die allein einen Menschen unermeßlich reich machen konnten, und auf die glatte leuchtende Kristallfläche. "Ich kann keine Geister bekämpfen, Lorna. Ich kann nicht eine verlassene Stadt, seltsame Maschinen oder eine verlorene Zivilisation bekämpfen. Hier sind mir die Hände gebunden. Ich habe versucht, was ich konnte, und du weißt, mit welchem Ergebnis. Kein Wasser, keine Nahrung, nichts, womit man die Drylander bekämpfen könnte, nichts, womit man dreihundert Meilen durch die Wüste lebend überstehen könnte." Er blickte auf die starren Gebäude der alten Stadt. "Eine Falle", sagte er bitter, "eine Falle für geldgierige Narren." "Könnte nicht in einem der anderen Räume Wasser sein?" Lorna blickte ihn in verzweifelter Hoffnung an. "Wir haben sie noch nicht gründlich durchsucht. Es gibt noch Hunderte von Orten, wo wir noch nicht nach gesucht haben. Irgendwo muß doch Wasser sein." Er nickte langsam, als fürchte er, sie zu einer falschen Hoffnung zu verleiten. "Wir könnten es versuchen", sagte er. "Wir wissen jetzt, wie die Gedankenübertragung funktioniert, und wenn wir der Verzweiflung nahe sind, können wir jederzeit ins Hospital zurück und dort neue Kraft sammeln. Es kommt auf einen Versuch an."
"Ja", sagte sie ruhig, "wir wollen es noch einmal versuchen. Aber, Halmar, ich möchte nicht wieder in diesen Raum zurück." "Vielleicht müssen wir." "Ich will es nicht." Sie schauderte. "Ich muß immer an Smith denken und was mit ihm dort geschah. Ich will nicht so verwandelt werden. Ich will bleiben, wie ich bin warmblütig, lebensfähig und liebebedürftig." Sie lächelte ihn an, und ihm wurde warm ums Herz. "Wir werden nicht wieder dorthin gehen", versprach er ihr, "und wenn wir vor Durst fast sterben und der Hunger uns quält. Ich möchte auch nicht, daß du verwandelt wirst, Lorna. Ich liebe dich so, wie du bist, und wenn ich daran denke, was Smith passiert ..." Er schauderte, aber gleichzeitig überkam ihn wieder das überwältigende Gefühl, daß etwas Wunderbares für immer von ihm gegangen war. Er hätte vor der schimmernden Gestalt des verwandelten Menschen in Ehrfurcht niederknien können, und doch wußte er gleichzeitig, daß das nur der tief in den Menschen verwurzelte Aberglauben war. Kein Wunder, daß die "Überirdischen" in den Sagen der Menschen erhalten geblieben waren! Primitiven Stämmen mußten sie wie Götter erscheinen, und es überlief ihn kalt, als ihm einige Zeilen aus einer uralten Sage in den Sinn kamen: "Und die Söhne des Himmels stiegen herab zur Erde, erblickten die Töchter der Menschen ..." Aber welcher Mann wollte denn schon eine Göttin zu seiner Frau? Langsam folgte er Lorna zum Lift.
13. Die Räume glichen einander alle aufs Haar. Wenn er nicht ständig die Zuverlässigkeit des Liftes überprüft hätte, so hätten sie annehmen können, daß sie ständig in demselben Raum ankamen, aber er hatte sich die Einrichtungsgegenstände eines Zimmers gemerkt, und sie kehrten nicht wieder dorthin zurück. Keiner der Räume trug irgendwelche Spuren von Behaglichkeit; keine Stoffe, Felle, Wollsachen oder sonstige Gewebe waren darin enthalten. Alles bestand aus dem leuchtenden Kristall, der glitzerte, als bestünde er aus winzigen Lichtteilchen, die von der festen Masse umgeben waren, sonderbare Formen aufwiesen und doch von eigenartiger Schönheit waren. Sie fanden Tische und Stühle, die unmerklich von denen der Menschen abwichen, ferner geschwungene Gefäße - alle leer - und erhöhte Podeste, die als Betten gedient haben mochten. An den Wänden wirkten die leuchtenden Lichtpunkte sehr dekorativ. Nirgends fanden sie die geringsten Anzeichen einer Küche, eines Restaurants oder eines Kinderzimmers. Nirgends fanden sie einen Raum, der als Speisekammer, Waffenraum oder Wasserquelle erkennbar gewesen wäre. Aber Halmar entdeckte etwas Neues. Ganz durch Zufall stieß er darauf, während er müde an einer Wand lehnte und Lorna jede Ecke eines Zimmers durchsuchte. Er hatte sie beobachtet, und dann war ihm plötzlich eingefallen, daß keiner der Räume ein Fenster aufwies. Er hatte darüber nachgedacht und das unwiderstehliche Verlangen verspürt,
etwas von der Welt außerhalb der Stadtmauern sehen zu können, etwas anderes als die leuchtenden Wände und das glitzernde Kristall der toten Stadt. Er hatte sich überlegt, ob da draußen jetzt wohl Tag oder Nacht war, und welchen Blick er von diesem Raum auf die Wüste haben würde. Er hatte sich auf diese Gedanken konzentriert und ein Teil der Wand war durchsichtig wie Glas geworden. Lorna trat zu ihm, als er in den schwindenden Marstag hinausblickte. "Wir müssen uns fast in der Spitze eines Turmes befinden", murmelte er. "Und zwar einem der äußeren Türme." Er blickte auf die untergehende Sonne. "Auf diese Weise gelangten wir hierher und könnten auch so wieder zurückgehen, wenn wir nur Wasser hätten." "Da unten bewegt sich etwas", sagte sie und kniff die Augen zusammen, um deutlicher sehen zu können. "Da schau! Kannst du es erkennen?" "Nein. Ich ..." Er brummte überrascht, als das Bild näher kam. "Eingebaute Fernrohre", bemerkte er trocken. "Wir wissen vieles noch nicht über die Gedankenkontrolle. Kein Wunder, daß es hier keine Fenster gibt, wenn der Kristall auf Wunsch durchsichtig gemacht werden kann." Er verzog den Mund, als er das Bild klar erkannte. "Da schau", sagte er ruhig, "Drylander." Sie warteten draußen in der Wüste. Ihre braunen Chitinkörper waren fast nicht von der Farbe des Sandes zu unterscheiden, und während sie hinsahen, vermehrte sich ihre Zahl, und eine lange Reihe eilte am Horizont entlang. "Warten sie auf uns?" Lorna schluckte und fuhr sich nervös mit der Hand an die Kehle. Halmar nickte und versuchte, ihre rissigen, geschwollenen Lippen nicht zu beachten. "Ja, diese lange Reihe dort wird die Ablösung sein. Das werden sie noch lange beibehalten." "Dann können wir die Stadt überhaupt nicht verlassen, selbst wenn wir Wasser fänden", sagte sie langsam. "Diese Eingeborenen würden uns in Stücke reißen, sobald wir von der Mauer herabgesprungen sind." "Vielleicht könnten wir sie überlisten", sagte Halmar ohne Überzeugung. "Sie werden nachts in ein Koma versetzt, und dann ist es möglich, direkt über sie hinwegzusteigen. Wir könnten eine günstige Gelegenheit abwarten, die Stadt verlassen, wenn Sonne und Monde hinter dem Horizont verschwunden sind, und uns in den Blauen Bergen verstecken. Das wäre eine Chance für uns." "Eine verheißungsvolle Chance", sagte sie bitter. Halmar starrte schweigend durch das durchsichtige Kristall zur fernen Siedlung hin. "Dreihundert Meilen", knirschte er. "Wir könnten es in einer Woche schaffen, wenn nichts dazwischen käme und wir Wasser hätten. Eine Woche, und wir wären wieder in der Siedlung und in Sicherheit!" "Könnten wir es nicht riskieren?" bettelte sie. "Ich kann eine Woche ohne Wasser auskommen, ganz bestimmt." "Aber nicht auf dem Mars", sagte er fest. "Du könntest sechs Liter am Tag trinken, wenn du sie hättest; Vier, wenn du nur begrenzte Mengen hast. Kurze Zeit hieltest du es vielleicht mit einem Viertelliter pro Tag aus." "Ich kann mit weniger auskommen. Auf der Venus habe ich fast nie etwas getrunken." "Auf der Venus hat die Luft einen starken Feuchtigkeitsgehalt, aber hier ist die Luft so
trocken, daß man kaum schwitzt, denn der Schweiß verdampft sofort. Deshalb ist es tagsüber auch so heiß. Es gibt keine Wolken, die die Sonne abschirmen, keinen Wasserdampf, der die Luft abkühlen, keinen Nebel, der die Hitze ausgleichen könnte. Auf der Erde hält man es drei Tage ohne Wasser aus, vielleicht sogar länger. Es kommt ganz darauf an, in welcher Gegend du dich befindest. Auf dem Mars würdest du es gerade einen Tag aushalten." "Ich würde es schaffen", beharrte sie. "Ich weiß, daß ich es könnte." "Du könntest es nicht, Lorna, und du weißt das genau." Er seufzte, und der durchsichtige Kristall nahm wieder seine ursprüngliche Gestalt an. "Es ist genauso, als ob man etwas riskieren wollte, dabei aber Tatsachen außer acht ließe. Wenn wir nur einige Liter Wasser hätten, würde ich dir zustimmen. Es gibt draußen genügend Wasserstellen, und ich könnte sie jederzeit finden. Aber wir müßten erst aus der verbotenen Zone heraus sein. Das würde zwei Tage dauern." "Länger nicht?" Sie blickte ihn voller Hoffnung an. "Sagtest du nicht eine Woche? Ich kann zwei Tage ohne Wasser auskommen und überhaupt nicht daran denken." "Und was wird mit den Drylandern?" "Wir haben drei Waffen", sagte sie heftig. "Wir werden uns eine Gasse durch sie hindurchfeuern, wenn es sein muß." Langsam schüttelte er den Kopf. "Warum nicht, Halmar? Warum sollen wir es nicht versuchen? Was haben wir schon zu verlieren?" "Unser Leben", sagte er grimmig. Er faßte sie bei der Schulter und blickte ihr fest in die großen Augen. "Um mich habe ich die wenigste Sorge. Ich kann kämpfen. Selbst wenn sie mich gefangennehmen, ist das Schlimmste, was mir passieren kann, daß sie mich den Sandläusen zum Fraß hinwerfen. Aber bei dir wäre das etwas anderes. Du würdest Qualen erleiden, Lorna." "Warum sollen wir etwas erörtern, das vielleicht nie eintreten wird?" fragte sie. "Und außerdem, haben wir überhaupt eine andere Wahl? Wenn wir hierbleiben, sterben wir vor Durst. Wenn wir die Stadt verlassen, können wir entweder durch die Drylander oder vor Durst sterben, aber wir haben auch eine Chance, durchzukommen." "Es gibt nicht nur eine Alternative", sagte er langsam. "Wir könnten hier warten, bis eine andere Gruppe versucht, die Stadt zu erreichen." "Glaubst du denn, daß eine Entsatzgruppe kommt? Sagtest du nicht ..." "Ich habe nicht von einer Entsatzgruppe gesprochen", sagte er barsch. "Aber es haben auch noch andere von Klaglan gehört. Es gibt auch noch andere, die von Habgier geblendet sind und wie die Narren in die verbotene Stadt eindringen. Eure Gruppe war nicht die erste, und sie wird auch nicht die letzte sein." "Ach so." Sie verlor wieder alle Hoffnung und ließ sich kraftlos gegen die Wand sinken. Ihre Augen waren glanzlos, und ihre geschwollene Zunge versuchte vergebens, die rissigen Lippen zu befeuchten. "So wollen wir also hier auf eine vielleicht niemals eintretende Gelegenheit warten. Die Stadt ist verbotenes Gebiet. Welcher Führer wurde sein Leben und seinen guten Ruf aufs Spiel setzen, um eine Gruppe hierherzubringen?" "Ich habe es getan", sagte er. "Ich bin nicht nur einmal, sondern sogar schon zweimal hier gewesen, und es gibt noch andere, die es für gute Bezahlung wagen würden."
"Wer?" "Gregson, zum Beispiel. Er ist ein guter Führer und würde es riskieren. Dann ist noch Le Roy und ..." Er verstummte, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. "Was bezweckst du nur damit, Halmar? Hältst du mich für ein Kind, das dir diese Märchen glaubt? Sicher werden auch andere Gruppen kommen und versuchen, Klaglan auszuplündern. Es wird auch immer Männer geben, die sie führen. Aber wann? Wie lange sollen wir denn auf die nächste Gruppe von Narren warten?" Sie schüttelte den Kopf. "Und wie sollen wir uns bis dahin am Leben erhalten?" "Wir wollen durchhalten", sagte er ruhig. "Wir haben uns so lange am Leben erhalten und können das auch noch länger. Es kann Tage, Wochen, ja Monate dauern, aber eines Tages wird eine Gruppe die Stadt erreichen, und wir sind in Sicherheit." "Meinst du - durch das Zimmer?" "Ja." Er zuckte zusammen, als er die Ablehnung in ihren Augen sah und versuchte, sie mit einem Redestrom umzustimmen. "Wir brauchen nur hinzugehen, wenn wir unbedingt müssen, und dann auch nur für ganz kurze Zeit. Jeden Tag einige Minuten lang. Das kann uns nicht schaden. So können wir es monatelang hier aushalten, wenn es sein muß, und warten, bis die nächste Gruppe kommt. Sie werden uns mit zurücknehmen, oder wenn sie sich weigern, nehmen wir ihnen ihr Wasser weg und begeben uns allein auf den Rückweg. Das können wir tun, Lorna. Wir können es lange aushalten, wenn wir den Raum mit Vorsicht genießen." "Nein." "Aber ..." "Ich habe nein gesagt, und ich bleibe dabei!" Sie blickte zu dem großen Mann auf. "Ich gehe nie wieder in diesen Raum, und wenn ich vor Durst sterben müßte. Es ist mir ernst damit, Halmar. Ich hasse diesen Raum, und wenn ich daran denke, was mit Smith geschah ..." Sie schauderte. "Sprich nie wieder davon." "Du mußt mit hineingehen", sagte er verzweifelt. "Du bist jetzt schon halbtot vor Durst. Deine Lippen sind gesprungen, und deine Zunge ist geschwollen. Wie lange willst du es denn noch ohne Wasser aushalten?" "Ich gehe nicht wieder in diesen Raum." "Doch, du wirst es tun." Er trat vor sie hin und blickte sie ernst an. "Warte nur noch eine Weile, bis du fühlst, wie dein Magen austrocknet, wie deine Knochen schmerzen und dein Hirn sich umnebelt. Du bettelst nach Wasser, dürstest danach, dann stirbst du, Lorna. Du mußt sterben!" "Ich werde sterben", gab sie zu, "aber ich werde nicht verrückt." "Fünf Minuten in dem Raum, und du fühlst keine Schmerzen mehr, keinen Durst und kein Verlangen nach Wasser. Drei Minuten. Zwei. Bitte, Lorna, ich kann dich nicht so leiden sehen." "Glaubst du denn, es fällt mir leicht, mich zu weigern?" Sie blickte ihn starr an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Aber kannst du denn nicht begreifen, was passiert? Wir sind jetzt durstig, aber wie lange ist es her, seit wir das letzte Mal in dem Raum waren? Jedes Mal wird der Abstand zwischen den einzelnen ,Heilkuren' kleiner. Wie lange wird es dauern, und wir können überhaupt nicht mehr außerhalb des Raumes existieren? Und
was wird dann? Wir müssen dort unter all diesen grellen Lichtern bleiben und werden von sonderbaren Maschinen bearbeitet, bis wir so aussehen wie Smith!" Sie verstummte, atmete keuchend und biß sich in den Handrücken. "Und ich möchte nicht, daß du so wirst, Halmar. Ich möchte nicht, daß du zu einem fremden, kalten und übermenschlichen Wesen wirst. Ich möchte, daß du das bleibst, was du bist. Ein Mann. Ein menschliches Wesen. Jemand, den ich liebhaben und bis zu meinem Lebensende an meiner Seite haben kann. Und wenn morgen schon mein letzter Tag gekommen ist, dann sei es drum! Was wäre ein Leben als ein Wesen wie Smith? Welche Hoffnung oder Zukunft bliebe uns dann - dann möchte ich lieber sterben." Jetzt weinte sie, und große Tränen rollten über ihre Wangen. Ihre Schultern bebten vor Angst und innerer Spannung. Halmar beobachtete sie mit sachlichen Augen, dann nahm er sie sanft in die Arme und wartete geduldig, bis ihre Erregung abgeklungen war. "Wir werden nicht in den Raum gehen", versprach er ihr, aber in seinen Augen stand ein verborgener Entschluß. "Aber es sieht auch nicht so aus, als könnten wir etwas anderes unternehmen." "Wir können beten", sagte sie und blickte ihn mit seltsamen Augen an. "Ich habe noch nie zuvor gebetet, und ich weiß gar nicht, wie ich es machen soll, aber ..." "Draußen warten die Drylander auf uns, um uns einen qualvollen Tod zu bereiten. Und wenn wir einmal von ihnen absehen, dann wartet die Wüste auf unsere Gebeine, wenn wir vor Durst dahingesiecht sind. Innerhalb der Stadt ist der Raum mit den grellen Lichtern, der uns das Weiterleben ermöglicht, aber dafür müßten wir dann alles opfern, was uns als Menschen auszeichnet. Es gibt nicht eine Möglichkeit mehr. Keinen Ausweg. Kein ..." Er verstummte plötzlich, und als die Frau zu ihm aufblickte, war er tief in Gedanken versunken. "Woran denkst du?" fragte sie. "Hast du ... ?" "Smith fand einen Ausweg", flüsterte er. "Er brauchte nicht durch die Drylander hindurch und mußte nicht vor Durst in der Wüste sterben. Er fand einen Weg, um die Stadt zu verlassen." "Die gelbe Flamme?" "Ja, die gelbe Glut im Herzen der Stadt. Er ließ sich nicht davon abhalten. Als er sie sah, ging er direkt darauf zu, als wüßte er, wohin sie führt." "Aber er wußte doch nicht, was er tat. Er war nicht einmal mehr ein Mensch, er war in Trance. Halmar, du willst doch nicht sagen ... ?" "Warum nicht? Erinnerst du dich, was er sagte? Er murmelte etwas, daß er gehen müsse, daß jemand auf ihn wartet und daß ihn hier nichts mehr hält. Ich beachtete es erst nicht, weil ich wie du der Ansicht war, daß er in Trance wandelte, nicht wußte, was er tat und durch seine Verwandlung jeglicher Vernunft beraubt worden war. Aber angenommen, wir taten ihm unrecht? Vielleicht wußte er genau, was er tat?" "Die gelbe Flamme", sagte sie nachdenklich. "Du sagtest, sie hätten wahrscheinlich die Kontrollkabine ausgebaut, um sie hier einzusetzen. Warum sollten sie das getan haben?" "Ich bin nicht ganz sicher", gab er zu, "aber ich habe eine Vermutung. Stellen wir uns einmal eine Rasse vor, die so alt ist und über so fortgeschrittene Wissenschaft verfügt, daß sie ihre Stadt in Form eines Raumschiffs erbaute, damit sie gemütlich zwischen den
Sternen hin und her pendeln konnte. Sie waren mit allen Geheimnissen der Gedanken und Strahlungen vertraut. Sie hatten schon Tausende von Jahren gelebt und waren vielleicht unsterblich. Sie waren gelangweilt. Was mußten sie dann logischerweise tun?" "Selbstmord begehen?" Sie zuckte die Achseln. "Ich weiß nicht, was sie tun mußten." "Wenn sie Menschen gewesen wären, dann könnte deine Vermutung zutreffen. Wenn sich die Menschen langweilen, dann verlangen sie nach Aufregung, um das ewige Gleichmaß zu unterbrechen. Sie stürzen sich in Abenteuer, zetteln Kriege an, treiben gefährlichen Sport. Aber wir haben es hier mit Wesen zu tun, die intelligenter sind als wir und deren hohe Intelligenz wir vielleicht gar nicht zu erfassen vermögen. Der Steinzeitmensch in dem Kristallbehälter beweist uns, daß sie auf der Erde waren. Während der Zeit der alten Griechen waren sie wieder dort. Dazwischen haben sie vielleicht die Galaxis durchquert doch das werden wir nie erfahren." Er verstummte, blickte auf die leuchtenden Wände, und als er wieder zu sprechen begann, lag in seiner Stimme ein sonderbar bestimmter Ton. "Keine Kinderzimmer", murmelte er. "Kein Ort, wo Kinder aufgewachsen sein könnten. Unsterblichkeit? Warum nicht? Im Hospital wurden sie ja ständig erneuert, weshalb sollten sie dann sterben? Aber die Unsterblichen sind bald übersättigt und suchen nach neuen Abwechslungen. Sie hatten Götter gespielt und waren zwischen den Sternen gereist. Sie hatten alles erreicht, was es gab, und deshalb ..." Er seufzte. "Unsterbliche suchen Abenteuer. Sie kannten alle Geheimnisse des Universums. Was sollten sie tun? Was taten sie?" "Vielleicht können wir das feststellen? Vielleicht könnten wir dem einstigen Menschen Smith folgen, wenn wir den Mut dazu hätten." Er blickte die Frau starr an. "Wie weit reicht dein Mut, Lorna? Wie groß ist deine Verzweiflung, diese Falle um jeden Preis zu verlassen? Würdest du mir folgen?" "In die gelbe Flamme?" "Ja", sagte er ruhig, "in die gelbe Flamme." "Aber das bedeutet den Tod, Halmar! Tod!" "Oder Leben!" Er wandte sich um und packte sie an der Schulter. Seine Finger gruben sich in ihre weiche Haut. "Hör mich an, Lorna. Was bleibt uns anderes übrig? Wenn wir aus der Stadt zu fliehen versuchen, müssen wir sterben. Wenn wir noch länger hier warten, müssen wir sterben. Wenn wir Smith folgen ..." Er hob die Schultern. "Vielleicht müssen wir dann auch sterben, aber vielleicht auch nicht." Er gab sie frei und trat einen Schritt zurück. "Jedenfalls will ich den Versuch unternehmen", sagte er ruhig. "Ich hätte es sehr gern, wenn du mit mir kämest, Lorna; du weißt, weshalb. Aber wenn du Angst hast, wollen wir zusammen hier warten. Ich bin stärker als du. Ich werde warten, bis ..." Er schluckte. "Ich hätte dann keinen Grund mehr, weiterzuleben", sagte er ruhig. "Und vielleicht ist die gelbe Flamme des Rätsels Lösung." "Glaubst du wirklich, daß wir eine Chance haben?" Sie trat auf ihn zu, und Hoffnung flammte in ihren Augen auf.
"Ja", sagte er bestimmt. "Ich weiß nicht, wieso, aber ich bin davon überzeugt." Sie lächelte. "Ich vertraue dir, Halmar", sagte sie und hob die Hände. "Ich glaube, wir gehen in den Tod, aber solange du bei mir bist, macht mir das nichts aus." Sie hielt mühsam die Tränen zurück. "Außerdem haben wir gar keine andere Wahl, nicht wahr?" "Nein", sagte er ruhig. "Wir haben keine andere Wahl." Er umfaßte ihre Hände, und lange sahen sie sich schweigend in die Augen. Er seufzte erleichtert auf, und sie umklammerte lächelnd seine Finger. Eng aneinandergeschmiegt gingen sie zu der Öffnung des Aufzugs und zum Zentrum der Stadt, wo die magische gelbe Flamme ihre gleißenden Strahlen aussandte.
14. Sie erglänzte vor ihnen und wirbelte lockend in der gelben Farbe des Goldes. Sie hüpfte und strudelte, schlug gegen ihren unsichtbaren Käfig und übergoß ihre Gesichter mit überirdischem Leuchten. Halmar blickte starr darauf, und wieder hatte er das Gefühl subatomarer Beschleunigung, wirbelnder Moleküle und der lähmenden Kraft freigewordener Energie. Sie glühte still wie die züngelnde Flamme einer Kerze, aber als er genau dar auf blickte, fühlte er ein vibrierendes Singen. Er vermutete, daß eventuelle Geräusche, die sie verursachte, außerhalb des menschlichen Hörbereichs lagen. Langsam, Hand in Hand mit der Frau, ging er auf die gelbe Flamme zu. Sie sprachen kein Wort, sie hatten sich alles gesagt. Halmar wußte auch, daß jeder Versuch, die Frau zu trösten, sie vielleicht aus ihrer entschlossenen Starre lösen würde, so daß sie zurückschreckte und im letzten Moment den entscheidenden Schritt ins Ungewisse nicht wagen würde. Das wollte er nicht. Die glänzenden Urilliumsäulen schlossen sie ein und waren so nahe, daß er die Hand nach ihnen ausstrecken konnte, um sie zu berühren, diese Säulen, die mehr Reichtum bargen, als er sich je erträumt hatte und deren Reichtum ihm aber so fern gerückt war wie der entfernteste Stern. Im Unterbewußtsein spürte er die Bewegung seiner Füße, die an den Säulen vorbei auf die leuchtende Flamme zustrebten. Sie gingen an den Kristallsäulen vorüber, dann betraten sie die flache Schale, auf der die gelbe Flamme loderte. Sanft schlug sie über ihnen zusammen. Sekundenlang verspürte Halmar einen durchdringenden Schmerz. Er schrie qualvoll auf, und wie aus weiter Ferne vernahm er einen ähnlichen Schrei. Er griff mit den Händen um sich, ohne zu bemerken, daß er von der Frau getrennt worden war, und um ihn herum und durch ihn hindurch drang die strudelnde Gewalt der gelben Flamme. Er hob sich mit ihr, löste sich in ihr auf und verlor in der zunehmenden Helligkeit der Strahlen das Bewußtsein. Er kämpfte, instinktiv rebellierte sein Selbsterhaltungstrieb gegen die Auflösung, dann schien er in die warme Flut des Vergessens zu tauchen, entspannte sich und schloß ergeben die Augen. So schnell es begonnen hatte, war es auch vorüber. Halmar öffnete die Augen, und undurchdringliche Dunkelheit umgab ihn, die mehr zu
sein schien, als bloßes Fehlen von Licht. Er hatte vielmehr den Eindruck, daß seine Augen die Beleuchtung des Raumes nicht zu erfassen vermochten. Vielleicht waren es ultraviolette Strahlen oder infrarotes Licht, oder ein Gebiet des elektronischen Spektrums, das außerhalb des normalen Sehbereichs lag. Er dachte an den Menschen Smith, der sich in ein schimmerndes Wesen verwandelt hatte, und entsann sich der Leuchtkraft seiner Augen. In diesem Augenblick überfielen ihn zum ersten Mal Zweifel und Furcht. Stimmen flüsterten um ihn herum. Es war kein Geräusch, keine durch den Mund erzeugten Schwingungen, die gegen das Trommelfell schlugen. Diese Stimmen hatten nichts Warmes, Verständliches an sich. Ihr Flüstern drang in sein Unterbewußtsein ein und wurde durch seine Gehirngänge verdeutlicht. Es waren völlig herablassende gleichgültige Worte: "Was?" "Primitive. Nicht vorbereitet." "Urteilsspruch?" "Abgelehnt." Halmar sträubte sich gegen die niederschmetternde Bedeutung dieses einen Wortes. Er protestierte, schrie in voller Wut seines Herzens, doch seine Lippen und seine Zunge verweigerten die Tätigkeit, und kein Ton seines Widerspruches kam über seine Lippen. Abgelehnt! Es war eine Beleidigung! Es war die völlige Negierung von allem, was er repräsentierte. Die Menschen waren die Herren der Schöpfung! Die Eroberer des Raumes, die Beherrscher des Sonnensystems. Die Menschen waren die höchstentwickelten Lebewesen der vier inneren Welten. Man konnte, man durfte sie nicht - ablehnen! Er nahm keine Bewegung wahr. Kein Rauschen, keinen stechenden Schmerz, oder grell durcheinandertanzende Lichter. Einen Augenblick lang verharrte er in völliger Dunkelheit, und sein Inneres war noch erfüllt von dem Zorn über seine Verurteilung, als nächstes ... fand er sich auf einer Sanddüne liegen. Er konnte es erst gar nicht glauben. Der Wandel hatte sich zu plötzlich, zu schnell vollzogen, als daß er im vollen Umfang erkennen konnte, was geschehen war. Dann bewegte sich etwas neben ihm, und er entsann sich der Frau. "Wo sind wir?" flüsterte sie. "Was ist geschehen? Halmar! Was ist geschehen?" "Wir wurden abgelehnt", sagte er niedergeschlagen. "Wir genügten ihren Ansprüchen nicht." "Abgelehnt? Wo? Von wem?" Sie blickte ihn mit erregten Augen an, und ihm wurde warm ums Herz. "Halmar! Wir sind nicht tot. Wir leben!" Sie starrte auf den Sand und blickte dann zum Himmel empor. "Aber wo sind wir?" "Auf dem Mars. Irgendwo in der Wüste, das beweist der Sand und der Himmel über uns. Ich ..." Er verstummte und allmählich fiel seine Benommenheit von ihm ab. "Lorna! Wir sind nicht mehr in der Stadt! Wir sind in Freiheit!" Er sprang auf und spähte zu dem niedrigen Horizont. "Ich glaube, ich weiß, wo wir sind. Wenn ich richtig vermute, ist die Siedlung nur zwanzig Meilen von hier entfernt und in einem raschen Tagesmarsch zu erreichen." Er blickte die Frau an. "Wir sind in Sicherheit, Lorna! Frei!"
"Aber wie kamen wir hierher? Was ist geschehen?" Sie schüttelte verwirrt den Kopf; "Ich kann das alles nicht verstehen. Noch vor kurzem waren wir in der Stadt und stiegen in die gelbe Flamme. Ich glaube mich zu erinnern, daß ich Stimmen hörte und in einem dunklen Raum war. Dann landeten wir hier." Sie blickte den großen Mann neben sich fragend an. "Weißt du, was geschehen ist?" "Ich ahne es", sagte er langsam und blickte auf seine zitternden Hände. Einen Augenblick lang saß er schweigend neben ihr, um seine große innere Erschütterung zur Ruhe kommen zu lassen, und als er dann zu sprechen begann, schien er mehr mit sich selbst als mit der Frau neben sich zu reden. "Ein Torweg", murmelte er, "eine Öffnung zwischen den Dimensionen. Ein Pfad aus unserem Universum weg - wohin? Vielleicht zum Himmel? Oder zur Hölle? Wir können es nicht einmal ahnen. Aber die Erbauer der Stadt, sie wußten es, und als sie ihr Werk vollendet hatten, als sie die Stadt erbaut hatten, was war dann?" Er bemerkte den entsetzten Blick der Frau. "Vielleicht war der Mars damals gar nicht wüst und trocken? Vielleicht wurde durch die Errichtung des Torwegs eine Energieflut freigelassen, die den ganzen Planeten abbrannte und verwüstete." Er schloß die Augen und ließ die verstaubte Vergangenheit vor seinem geistigen Auge vorüberziehen. "Keine organischen Wesen innerhalb der Stadt. Energie, die von einem zentralen Punkt ausgeht und alles vernichtet außer Urillium, den Kristall und die Körper der Überirdischen. Kein Wunder, daß die Drylander diese Stadt hassen. Die Erinnerung an diesen verheerenden Brand muß sich von Generation zu Generation tief in ihnen verwurzelt haben. Das würde viel erklären." "Aber warum, Halmar? Warum haben sie dann ihre Stadt verlassen? Warum sollten sie denn die gelbe Flamme aufstellen und fast einen ganzen Planeten vernichten?" "Sie langweilten sich", flüsterte er. "Sie hatten zu lange gelebt und schon zu viel erreicht. Sie hatten dieses Universum satt und suchten nach Abenteuern in einem anderen. Vielleicht hatten sie eine Mutation durchgemacht, hatten sich verändert und ihre Heimat verlassen, um neue Gebiete zu erschließen, in denen sie ihre Kräfte entfalten konnten. Oder vielleicht experimentierten sie auch nur und fanden eine Region, in der sie sich wohler fühlten. Wir werden es niemals erfahren - jetzt nicht mehr." "Warum betonst du das so?" "Weil wir ihnen gefolgt sind. Wir gingen durch die gelbe Flamme und wurden irgendwohin gebracht. Dort fanden sie uns. Sie fanden uns und lehnten uns ab." Seine Lippen preßten sich in schmerzlicher Erinnerung zusammen. "Wir waren ihnen nicht gut genug - und sie warfen uns hinaus." "Aber was wurde mit Smith? Warfen sie ihn auch hinaus?" "Wie?" Er blickte sie starr an, und in seinem Kopf wirbelte alles durcheinander. "Natürlich", flüsterte er. "Smith - daß ich darauf nicht gekommen bin! Wir sind beide nicht darauf gekommen." "Nun?" wiederholte sie. "Warfen sie ihn hinaus?" "Nein", sagte er ruhig. "Sie warfen ihn nicht hinaus, das Wesen, das einst der Mensch Smith war, wurde aufgenommen. Er bestand die Prüfung. Er ist jetzt dort. Und wir sind wieder auf dem Mars, während er in den Genuß dessen kommt, an dem wir achtlos
vorübergingen." "Wir sind in Sicherheit", sagte sie, und echt weibliche Vorsicht war in ihrer Stimme. "Du sagtest, daß wir die Siedlung in einem Tagesmarsch erreichen können?" "Ja." "Wollen wir dann nicht lieber aufbrechen?" "Einen Augenblick." Halmar zog seine Strahlwaffe aus der Halfter. "Energie", murmelte er. "Vielleicht Transmutation? Ich bin gespannt." Er zog den Stecher durch. Nichts geschah. Kein grollender Feuerstoß. Kein Donnern tödlicher Vernichtung. Die Waffe klickte trocken, und das war alles. "Was tust du?" Ihre Stimme war schrill vor Angst. "Halmar! Was tust du?" "Meine Theorie testen", sagte er ruhig und brach das Magazin auf. Er schüttete die kleinen Patronen auf seine Hand. Sie schimmerten jetzt graublau und zeigten die unverkennbare Färbung des Urilliums. Er blickte in ihre entsetzten Augen. "Eine normale Ladung besteht aus zusammengepreßten Atomen, deren Energie sich in den Feuerlauf ergießt, wenn die Masse durch Beigabe des Katalysators den kritischen Punkt erreicht hat. Sie sind unbeständig, und manchmal explodieren sie ohne triftigen Grund. Wir haben Glück gehabt." "Was meinst du damit?" "Die Strahlenenergie der gelben Flamme hätte sie zur Explosion bringen und uns in Asche verwandeln können. Aber das trat nicht ein. Das Schicksal entschied zu unseren Gunsten. Die Ladung explodierte nicht, sondern sie stabilisierte sich. Sie wurde in Urillium umgewandelt." "Urillium", stieß sie hervor. "Das bedeutet ja, daß wir reich sind!" "Ja", sagte er niedergeschlagen. "Wir sind reich. Wir haben Geld. Aber um in seinen Besitz zu kommen, haben wir etwas viel Wertvolleres achtlos zur Seite geworfen." "Was bedeutet das jetzt schon?" Ihre Augen leuchteten, als sie auf das Urillium blickte und dann zu ihm aufsah. "Wir haben Geld, Halmar. Wir können zur Erde zurück, uns ein Haus kaufen, heiraten, Kinder bekommen und seßhaft werden." "Ja", sagte er, und die kleinen Urilliumröhrchen rollten verloren in seiner Hand. Da überfiel sie eine Angst, das Leuchten in ihren Augen erlosch, und sie packte plötzlich seinen Arm. "Halmar. Du willst mich doch heiraten, nicht wahr? Du hast es doch ernst gemeint?" Er sah sie an und steckte die kleinen wertvollen Patronen in die Tasche. Seine Augen waren überschattet und weilten in einer Traumwelt. "Natürlich will ich dich heiraten", beruhigte er sie und wußte, daß er die Wahrheit sprach. "Aber ..." "Aber was, Halmar? Woran denkst du?" "An Smith", brach es aus ihm hervor, und sie biß sich auf die Lippe. "An Smith? Aber weshalb?"
"Weißt du das wirklich nicht?" Er blickte sie offen an, und seine Augen leuchteten jetzt verträumt. "Lorna. Du weißt doch, was geschehen ist. Smith ging in das Zimmer mit den grellen Lichtern - das Hospital, wie wir es nannten. Er blieb dort und wurde verwandelt. Er stieg in die gelbe Flamme und kam nicht wieder heraus." Er packte sie bei der Schulter, daß sie einen leisen Schmerzensschrei ausstieß. "Lorna! Verstehst du nicht, was das bedeutet?" "Nein, ich ..." Sie schüttelte seine Hand ab. "Halmar! Du tust mir weh." "Verzeihung." Er ließ seine Hände fallen. "Wir waren Narren", sagte er bitter. "Wir hatten die Möglichkeit, in den Himmel zu kommen und fürchteten uns, sie wahrzunehmen. Und jetzt?" Er blickte über die Sandwüste. "Wollen wir am besten zur Erde zurückfliegen, heiraten und uns niederlassen, dick und alt werden, dem Geld nachjagen und uns Sorgen machen, was unsere Kinder werden, mit einem Wort, ein Rattendasein der Zivilisation verbringen - wenn ..." "Wenn, was?" "Wenn wir nicht zurückgehen wollen, Lorna. Wenn wir es nicht noch einmal versuchen wollen." Er lehnte sich an sie, und sie runzelte die Stirn, als sie seinen Augenausdruck bemerkte. "Wir können für das Urillium Geld bekommen und uns einige Männer suchen - ich kenne mindestens ein Dutzend -, die es wagen würden, mit uns nach Klaglan zurückzugehen. Denke einmal darüber nach, Lorna. Wir könnten uns Waffen und Mulis genug kaufen, um uns die Drylander vom Hals zu halten. Wir könnten eine ganze Armee anwerben, über die Wüste marschieren und in die Blauen Berge eindringen. Wir könnten innerhalb von drei Monaten zurück nach Klaglan." "Bist du wahnsinnig?" Sie rückte von ihm ab. "Hast du nicht von dem einen Mal genug? Gib dich zufrieden, Kalmar. Wir haben genug Urillium." "Urillium!" Er spie verächtlich in den Sand. "Ich will kein Urillium." "Was dann?" "Ich möchte in die Stadt zurück. Ich möchte in das Zimmer mit den grellen Lichtern und solange dort bleiben, bis ich wie Smith verwandelt bin. Dann möchte ich wieder in die gelbe Flamme steigen und dorthin gelangen, wo die Überirdischen sind. Verstehst du das nicht, Lorna? Kannst du das nicht begreifen?" "Ich glaube, du bist übergeschnappt", sagte sie bitter. "Warum solltest du dein Leben aufs Spiel setzen? Und was wird mit mir?" "Wir können zusammen gehen, und zwar nicht in den Tod, Lorna, ich weiß das genau." "Für mich ist das der Tod", sagte sie. "Ich entsinne mich, wie Smith aussah, und ich möchte nicht ein solches Wesen zum Mann." "Bitte, Lorna, versuche doch, mich zu verstehen." Er lächelte sie an und ergriff ihre schlanken Hände. "Ich verstand nur nicht, worum es ging, während wir in der Stadt waren, aber jetzt begreife ich. Stell dir das doch einmal vor, Lorna: Die Erbauer der Stadt
öffneten den Torweg und verließen unser Universum - aber sie ließen ihre Stadt hier zurück. Sie verließen sie, wie wir einen alten Wagen oder eine Stadt verlassen, die uns nicht mehr behagt. Sie verließen die Stadt und ihre Maschinen, aber sie mußten auch die gelbe Flamme zurücklassen, denn sie ließ sich nicht auslöschen." Er verstummte, und ihr Atem brach keuchend durch die Stille. "Entsinnst du dich des Zimmers, Lorna? Entsinnst du dich, was dort mit Smith passierte? Es verwandelte ihn. Es formte ihn in ein Wesen um, das kein Mensch mehr war. Es veränderte ihn in einen Überirdischen. Dann stieg er in die gelbe Flamme, und sie nahmen ihn bei sich auf. Sie nahmen ihn auf, Lorna! Sie warfen ihn nicht zurück in sein Universum, wie ein Junge einen Fisch in den Fluß zurückwirft, der ihm zu klein ist. Sie behielten ihn bei sich - und was für ein Leben erwartet ihn dort!" "Ich verstehe." Sie lächelte ihn an, es war etwas Mütterliches in diesem Lächeln, wie das einer Mutter für ihren jungen, ungestümen Sohn. "Und nun willst du dorthin zurück und zu ihm." "Ja." "Ist dieser Wunsch sehr stark in dir, Halmar? Und mußt du gleich gehen?" Wieder lächelte sie und drückte seine Hand. "Warum willst du nicht einige Jahre warten? Warum willst du nicht vorher mit mir zur Erde zurück? Die Stadt kann warten, Halmar. Sie wartet seit Jahrtausenden und kann auch noch länger warten." "Aber ich kann nicht warten, Lorna!" Er sah sie unwillig über ihr Unverständnis an. "Begreifst du denn nicht? Der Raum mit den hellen Lichtern wurde absichtlich unzerstört zurückgelassen, weil dort jeder intelligente Organismus, der zufällig eindrang, für die Reise durch die gelbe Flamme vorbereitet wurde. Die Stadt ist keineswegs eine Falle, sie ist ein Intelligenztest - und wir haben ihn nicht bestanden!" "Was bedeutet das schon?" Sie zuckte die Achseln, und ihre Hand drückte die seine noch fester. "Wir sind jetzt weit weg davon." "Ich verstehe", sagte er langsam, und sein Blick streifte ihr Gesicht. "Möchtest du nicht mit mir kommen, Lorna?" "Noch nicht", log sie. "Vielleicht später, wenn wir genossen haben, was unser Leben bietet. Aber jetzt möchte ich erst alle die Dinge besitzen, die jede Frau erstrebt. Ich möchte dich ganz allein für mich haben, Halmar, ich möchte ein Haus haben und eigene Kinder. Danach habe ich mich schon immer gesehnt. Die Stadt kann warten. Sie kann warten, bis wir alt sind und nichts mehr zu verlieren haben." Plötzlich lag sie in seinen Armen, und Tränen liefen über ihre Wangen. "Verlaß mich nicht, Halmar! Bitte, verlaß mich nicht!" "Nein", sagte er bestimmt. "Ich werde dich nicht verlassen, Lorna. Noch nicht." Sie legte ihren Kopf an seine breite Brust und lächelte siegessicher. Sie wußte, daß sie das Spiel gewonnen hatte. Halmar wollte zur Stadt zurück, aber er begehrte sie noch viel mehr, und sie hatte ganz richtig gesagt, daß die Stadt warten konnte. Schweigend erhob er sich und zog sie mit hoch. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter, während er über die Wüste
starrte. "Wollen wir jetzt gehen, Liebster?" Zum ersten Mal sprach sie ihn mit einem Kosenamen an, und ihm wurde ganz warm ums Herz. "Ja", flüsterte er und legte seinen Arm fest um ihre Schultern. "Wir wollen jetzt gehen." Lange blickte er noch über die Wüste zu den Blauen Bergen hinüber, dann riß er sich gewaltsam von diesem Anblick los und lenkte seine Schritte in Richtung der Siedlung, zurück zu der vertrauten Umgebung der Zivilisation. Lächelnd ging Lorna an seiner Seite. Sie wußte, wie ihm zumute war. Sie wußte, daß er ganz in seinem Innern den Wunsch unterdrücken mußte, sich umzudrehen und davonzulaufen, zurück zu der Stadt, zurück zu den strahlenden Abenteuern eines großen Jungen und dem verlockenden Unbekannten. Aber sie würde ihm das bald austreiben. Wenn sie einmal auf der Erde waren, würde er seßhaft werden und seine Träume vergessen. Er würde in seiner Familie und seinen Geschäften aufgehen, und die Ereignisse der vergangenen Tage würden in seiner Erinnerung immer mehr verblassen. Mit sicheren Schritten ging sie neben ihm her, und hinter ihnen versank die Sonne wie ein magisches Auge von glühender, orangener Färbung hinter dem glatten Horizont. Und in die Blauen Berge eingebettet wie ein schimmernder Edelstein, lag träumend die jahrtausendealte Stadt Klaglan, während die Monde des Mars über sie hinwegjagten. Das verlorene Paradies!
ENDE