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© Klaus Hess Verlag / Publishers Göttingen / Windhoek, 1998 All rights reserved. ISBN 3-933117-10-0 Klaus Hess Verlag Göttingen: Klaus Hess Publishers Windhoek: ISBN 99916-747-5-6
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Malan, Johan S.: Die Völker Namibias / Johan S. Malan. [Aus dem Engl, übers, von Kuno F. R. Budack]. - Göttingen ; Windhoek : Hess, 1998 Einheitssacht.: Peoples of Namibia
ISBN 3-933117-10-0
Johan S. Malan
Die Völker Namibias
Für Kuno Budack In Würdigung Deiner aufrichtigen Freundschaft und Bereitwilligkeit, Deine gründliche Kenntnis der Kulturen namibischer Völker mit anderen zu teilen - besonders auch mit mir. Johan Malan, 7. November 1995
Klaus Hess Verlag / Publishers Göttingen / Windhoek
Inhalt Vorwort
5
Danksagung
6
1. Demographie
7
2. Ethnizität
11
3. Die Owambo
20
4. Die Kavangostamme
41
5. Die Fwe und Subia vom Caprivi
61
6. Die Herero
72
7. Die Himba
91
8. Die San
108
9. Die Nama
120
10. Die Damara
134
11. Andere Gruppen
144
12. Kulturwandel
148
Bibliographie
153
4
Vorwort Namibia ist ein multikulturelles Land. Innerhalb einer Grenzziehung, die von den früheren europäischen Kolonialmächten nach eigenem Gutdünken und ohne jede Beteiligung der Betroffenen festgelegt worden war, leben verschiedene afrikanische Völker und Nachfahren der europäischen Kolonisatoren. Seit der Unabhängigkeit 1990 ist die namibische Regierung bemüht, über die früher (insbesondere während der südafrikanischen Verwaltungszeit von 19151989) betonten ethnischen Abgrenzungen hinweg ein gemeinsames namibisches Nationalbewußtsein zu fördern. Wie in anderen Afrika-Staaten auch, will man trotz aller möglichen Problematik der aufoktroyierten Grenzziehungen den gemeinsamen Staat auch gemeinsam weiter aufbauen. Daß dieser Weg weiterhin so friedlich und demokratisch wie bislang verlaufen möge, kann man den Bürgern des jungen Staates nur von Herzen wünschen. Dennoch stellt die ethnische und damit auch kulturelle Vielfalt Namibias ein besonderes Merkmal des Landes dar. Nicht zuletzt viele Besucher sehen darin einen besonderen Reiz, aber die Vielfalt an Traditionen, Sitten und Gebräuchen ist vor allem ein Stück Reichtum für das Land selbst. Und so, wie die Zusammengehörigkeit als Namibier für das Gemeinwesen wichtig ist, sind auch die menschlichen Wurzeln der Geschichte, Sprache und Traditionen des Individuums wichtig. Namibias Geschichte ist vor allem die Geschichte der verschiedenen Völker und Sprachgruppen, die heute dort leben; und die Zukunft gemeinsam zu gestalten heißt auch, gewachsene und bewährte Traditionen in angepaßter Weise fortführen zu können. Die Anfang 1998 erfolgte staatliche Anerkennung traditioneller Häuptlings- und Führungsrollen - wenngleich klar getrennt von der verfassungsmäßigen Struktur der parlamentarischen politischen Willensbildung des Staates - ist ein Ausdruck hierfür. Johan S. Malan, südafrikanischer Professor für Anthropologie, hat aufgrund langjähriger Forschungsarbeiten in und über Namibia und Einbeziehung profunden Quellenmaterials im Jahre 1995 dieses Buch verfaßt, das vor allem dem „interessierten Laien“ einen verständlichen Überblick über die verschiedenen Völker Namibias und Einblick in ihre Eigenarten, Geschichten und Traditionen gibt. Ziel ist ein besseres Verständnis für die kulturelle Vielfalt des Landes. Denn jedes Volk überall auf der Welt hat seine eigene Geschichte und hat Glaubens- und Lebensformen entwickelt, die ihm wichtig waren und sind. Mit Dr. Kuno Budack hat nun der wohl kenntnisreichste Ethnologe Namibias die deutsche Übersetzung besorgt. Einige Arbeiten von ihm sind Quellenmaterial, und Johan Malan konnte in früherer Zusammenarbeit viel von ihm lernen, weshalb er seinem Werk auch eine Widmung vorangestellt hat. Juli 1998
Klaus A. Hess 5
Danksagung Die schöpferische Beteiligung und Mithilfe verschiedener Einzelpersonen und Organisationen spielten bei meinen langfristig geplanten ethnographischen Studien in Namibia eine Schlüsselrolle. Dieses Programm nahm 1968 mit dem Beginn der Arbeit an meiner Dissertation über das System der doppelten Abstammungsrechnung bei den Himba seinen Anfang. Ich bin meinem Doktorvater, Prof. H. O. Mönnig von der Rand Afrikaans University in Johannesburg, zu Dank verpflichtet, besonders für seine Bemühungen, mir die theoretischen Grundlagen der Systeme doppelter Abstammungsrechnung verständlich zu machen. Mein Feldassistent, Kasita Mburura, führte mich geschickt bei dem Himbavolk ein und teilte mir geduldig seine Geschichten und Erklärungen mit. Ich bin auch meiner Frau und meinem Sohn sehr dankbar, die meine „AfrikaErfahrung“ in einem abgelegenen Teil des nördlichen Kaokolandes, wo ich mein Forschungslager aufgeschlagen hatte, mit mir teilten. Wenn man einmal dort gewesen ist, kann man Namibia nicht so leicht vergessen oder aufgeben. Meinem ersten Besuch von 2 1/2 Jahren folgte ein neuerlicher Aufenthalt von sechsjähriger Dauer zwischen 1972 und 1978. Ich wurde als Ethnologe am Staatsmuseum in Windhoek angestellt und führte verschiedene Forschungsprojekte im Kaoko- und Owamboland durch [Malan 1973, 1974(a), 1974(b), 1978]. Meinen Kollegen am Museum schulde ich dafür Dank, besonders dem Direktor, Neels Coetzee, und Garth Owen-Smith. 1976 wurde ich als Regierungsethnologe im Ministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung (Department of Co-operation and Development) für Owambound Kaokoland angestellt. Der frühere Leiter der Ethnologischen Abteilung, Dr. K.F.R. Budack, ist gegenwärtig der beste Kenner der Kulturen und der Ethnohistorie Namibias. Meine Zusammenarbeit mit ihm hat meinen Einblick in die namibische Völkerkunde wesentlich erweitert. Ich bin ihm dankbar für alle Ansichten und Informationen, an denen er mich teilhaben ließ, und besonders für die wertvollen Aufzeichnungen über die Kulturen der Khoisanvölker und der Damara. Zum Schluß möchte ich der University of the North, Südafrika, meine Anerkennung aussprechen, an die ich 1978 als Leiter des Instituts für Anthropologie berufen wurde. Das Forschungskomitee finanzierte mehrere Besuche in Namibia und versetzte mich dadurch in die Lage, mein Forschungsprogramm durchzuführen (Malan 1980, 1982, 1986, 1990, 1993, 1994). Die vorliegende Veröffentlichung stellt eine Zusammenfassung dieser Arbeit dar. Mai 1995
Johan S. Malan
6
1. Kapitel
Demographie Namibia ist ein weitgestrecktes Land mit einer Fläche von 823.145 km2, die 1993 eine Bevölkerung von schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen beherbergten. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte des Gebietes beträgt 1,8 Personen pro km2, verglichen mit 15,5 für Afrika und 32,5 für die Erde. Die durchschnittliche Wachstumsrate der Bevölkerung steht für Namibia bei 2,7%, während sie für Afrika auf 2,9% und für die Erde auf 1,8% berechnet wurde. Obwohl Namibia eine der am dünnsten besiedelten Regionen im südlich der Sahara gelegenen Afrika darstellt, findet die reiche Vielfalt seiner Völker in bezug auf Kultur, Sprache und Herkunft kaum ihresgleichen. Diese Verschiedenheit bietet ausgezeichnete Gelegenheit zum Studium des Menschen innerhalb eines weiten Bereichs kultureller und umweltbedingter Zustände. Der marginale Lebensraum, verbunden mit der trockenen Halb-Namib im Westen und der ausgedehnten Halbwüstenregion der Kalahari im Osten, erfordert einen ungeheuren Grad von Findigkeit, um wirtschaftlich überleben zu können. Vom ethnologischen Standpunkt aus bieten die verschiedenen Wirtschaftsformen, die vom Jagen und Sammeln bis zum Ackerbau und Hirtentum reichen, eine ideale Gelegenheit zu vergleichenden Feldstudien. Die Unterschiede der sozialen Strukturen, politischen Systeme und der Religion sind ebenfalls bedeutend und veranschaulichen die höchst unterschiedlichen Lebensformen in diesem Gebiet. Tabelle 1 Volkszählung 1991: Bevölkerungszahlen in den Distrikten
Distrikt Bethanien Buschmannland Caprivi Damaraland Gobabis Grootfontein Hereroland-Ost Hereroland-West Kaokoland Karasburg Karibib Kavango Keetmanshoop Lüderitz
Bevölkerung Distrikt 2 931 3 851 71 033 32 986 28 094 34 334 25 405 19 441 26 176 11 294 12 200 136 219 20 998 17 492
Maltahöhe Mariental Namaland Okahandja Omaruru Otjiwarongo Outjo Oshakati Ondangwa Rehoboth Swakopmund Tsumeb Windhoek Gesamt
7
Bevölkerung 4 190 24 799 16 307 21 246 7 466 23 525 12 573 384 815 233 302 34 083 20 593 22 578 162 024 1 409 920
Nach der letzten amtlichen Volkszählung von 1991 umfaßte die Gesamtbevölkerung Namibias 1.409.920 Menschen (die amtliche Schätzung für 1993 liegt bei 1.511.600). Tabelle 1 stellt die damalige Verbreitung der Bevölkerung in den verschiedenen Distrikten dar. Nach der Unabhängigkeit Namibias am 21. März 1990 wurde eine neue regionale Einteilung eingeführt, nach der die früheren Distrikte zu 13 Regionen zusammengefaßt wurden (siehe Abb. 1). Das Zentrale Statistische Büro (Central Statistical Office, CSO) in Windhoek stellte eine vorläufige Bevölkerungstabelle der verschiedenen Regionen auf, siehe Tabelle 2. Der prozentuale Anteil der Bevölkerung jeder Region im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung des Landes wird darin ebenfalls angegeben. Tabelle 2 Volkszählung 1991: Bevölkerungszahlen in den Regionen
Region Caprivi Erongo Hardap Karas Kavango Khomas Kunene Ohangwena Omaheke Omusati Oshana Oshikoto Otjozondjupa Gesamt
Bevölkerung
Anteil in %
90 402 55 376 66 488 61 156 116818 167 057 64 011 179 840 52 782 189 899 134 836 128 729 102 526 1 409 920
6,41 % 3,93 % 4,72 % 4,34 % 8,29 % 11,85 % 4,54 % 12,76% 3,74 % 13,47% 9,56 % 9,13% 7,27 % 100,00%
Die ethnische Zusammensetzung der Landesbevölkerung kommt in den Zensusangaben von 1991 nicht vor, weil die ethnische Identität der Menschen als Unterscheidungskennzeichen nicht berücksichtigt wurde. Die letzte amtliche Schätzung auf ethnischer Grundlage, die vom Zentralen Statistischen Büro in Windhoek vorgenommen wurde, stammt von 1989. Der relative Umfang aller ethnischen Gruppen wurde damals so angegeben, wie es Tabelle 3 zeigt. Es ist wichtig zu wissen, daß die in Tabelle 3 genannten ethnischen Gruppen als solche auf sehr allgemeiner Grundlage klassifiziert wurden. Mit wenigen Ausnahmen - so vor allem die Rehobother Baster - dürfen diese Gruppen nicht als homogen angesehen werden, weil die meisten durch einen hohen Grad interner kultureller und sprachlicher Unterschiede gekennzeichnet sind. 8
Abb. 1: Regionen und Wahlbezirke in Namibia
9
Im Kavangogebiet sprechen die Kwangari und die Mbunza die gleiche Sprache, während die von den Gciriku und Mbukushu gesprochenen Dialekte so verschieden sind, daß zwei verschiedene Schriftsprachen entwickelt werden mußten. Im Owamboland wiederum wird die vorherrschende Ndongasprache von den Kwanyama nicht als lingua franca akzeptiert, was in diesem Gebiet die amtliche Anerkennung von zwei einheimischen Sprachen zur Folge hatte. Diese Vielfalt zeigt sich auch in bezug auf andere Teilaspekte der Kultur. Bei den Khoikhoin werden eine große Anzahl von Nama- und Oorlamstämmen zusammengruppiert. Auch unter den San (oder Buschleuten) bestehen sehr große Unterschiede, weil die !Kung und jede der vier übrigen Gruppen sich faktisch als Fremdlinge gegenüberstehen, soweit es die Verständigung zwischen ihren grundverschiedenen Dialekten betrifft. Die vielseitige ethnische und linguistische Orientierung der Bevölkerung Namibias hat bestimmte Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Gruppen und die Schaffung einer Nation. Vom Grad der Berücksichtigung und Anwendbarkeit des ethnischen Faktors wird es abhängen, in welchem Maße die „Einheit in der Verschiedenheit“ so erreicht werden kann, daß weder die bestehenden ethnischen Unterschiede noch die beabsichtigte nationale Einheit ernsthaft gefährdet werden. Tabelle 3 Relative Größe der ethnischen Gruppen (1989)
Ethnische Gruppe
Anteil in %
Owambo Kavanqo Damara Herero Weiße Nama Mischlinge Caprivianer San Rehobother Baster Tswana Andere Gesamt
49,8 % 9,3 % 7,5 % 7,5 % 6,4 % 4,8 % 4,1 % 3,7 % 2,9 % 2,5 % 0,6 % 0,9 % 100,0%
10
2. Kapitel
Ethnizität Die Bedeutung der Ethnizität in Namibia, und besonders ihre starke Ausstrahlung nach der Unabhängigkeit, fällt mit einem weltweiten Wiederaufleben ethnischer Loyalität zusammen. Wenn eine Gemeinschaft als Folge sich verändernder oder zerfallender geopolitischer Strukturen, wegen einer ökonomischen Rezession oder aus irgendeinem anderen Grunde unbeständig wird, neigen die Menschen dazu, sich wieder ihren Abstammungsgruppen zuzuwenden und bei ihnen Zuflucht gegen wachsende Spannung, ideologische Polarisation und alle anderen Unsicherheitsfaktoren innerhalb der größeren Gemeinschaft zu suchen. In Abhängigkeit von den herrschenden Zuständen und dem ideologischen Klima in einem bestimmten Lande, einer größeren Region oder sogar einem ganzen Subkontinent oder Kontinent können zwei unterschiedliche Tendenzen wirksam werden: Eine ist die Schaffung von Bündnissen und föderativen Superstrukturen, in denen ethnische Gruppen im Interesse nationaler oder regionaler Einheit untergehen, während die andere angesichts der Uneinigkeit und zerfallender Strukturen eine erneute Betonung ethnischer Gruppierungen darstellt. Beispiele für beide Arten finden sich in Osteuropa - die Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) fand am Anfang dieses Jahrhunderts statt, dann folgte der Warschauer Pakt nach dem II. Weltkrieg, während ein umgekehrter Prozeß der Auflösung und des Zusammenbruchs seit 1988 stattfand. Glazer und Moynihan (1975:1-26) erklären den Ursprung der Ethnizität als analytischen Begriff und verweisen auf ihre wachsende Bedeutung innerhalb der Gesellschaftswissenschaften. Howard (1986:270) sagt, daß die Sozialforscher früher glaubten, Ethnizität in der westlichen Industriegesellschaft und in anderen Entwicklungsländern sei eine langsam verschwindende Erscheinung. Es wurde behauptet, daß Verstädterung und Industrialisierung für diese Gruppen das Ende bedeuten würde, weil sie nach allgemeiner Erwartung in der Entwicklungssituation bald zur Bedeutungslosigkeit herabsinken müßten: „Sowohl für Industrie- als auch für Entwicklungsländer haben sich Voraussagen über das Absterben des Rassismus und der Ethnizität als falsch erwiesen. Wenn man überhaupt davon reden kann, hat die Ethnizität eine Periode der Neubelebung erfahren. Sogar Gruppen, von denen man schon gedacht hatte, daß sie ihr ethnisches Identitätsbewußtsein verloren hätten, verkünden schon wieder ihren Stolz auf die Mitgliedschaft einer besonderen ethnischen Gruppe mit eigenen Kulturtraditionen.“ (1986:270)
Isaacs verweist auf den „gegenwärtig überall vorhandenen Zustand der Zersplitterung in Gruppen in unserer ganzen Tagespolitik .... Dieser Zustand läuft im Ergebnis auf eine massive Retribalisierung hinaus, die allen Globalisierungseffekten der modernen Technologie und Kommunikation kraß entgegengesetzt 11
ist“ (1975:30). Er fügt dem hinzu, daß die meisten Völker noch in ethnischen Strukturen leben und beschreibt die Bedeutung dieser Strukturen wie folgt: „Dies ist der Zufluchtsort, auf den große Menschenmassen zurückweichen und wohin sie sich angesichts des Zusammenbruchs oder der Unzulänglichkeit aller größeren Zusammenhänge oder Systeme von Macht und sozialer Organisation zurückziehen. Um ein besseres Verständnis seines enormen Überlebens- und Beharrungsvermögens zu erlangen, war es notwendig, ... die Elemente, aus denen ein Stammesgefüge besteht, herauszufiltern und zu prüfen, um zu erkennen, ... was ihm denn seine ungewöhnliche Stärke verleiht. Wenn dies als grundlegend wichtig erscheint, so könnte dies daran liegen, daß unser bisheriges Bewußtsein für dieses Gruppenidentitätsphänomen uns eindeutig nicht auf die Formen und Rollen vorbereitet hat, die es in unseren aktuellen Angelegenheiten annimmt“ (1975:30-31). Erwerbung der Identität Isaacs nennt die grundlegenden Faktoren, die für die Herausbildung der eigenen Identität eines Menschen verantwortlich sind, und beginnt mit seiner oder ihrer Geburt innerhalb einer bestimmten Gruppe: „Das Baby erwirbt einen Namen, einen individuellen Namen, einen Familiennamen, einen Gruppennamen. Es erwirbt die Geschichte und die Abstammung der Gruppe, in die es hineingeboren ist. Die kulturelle Vergangenheit der Gruppe stattet es unter anderem automatisch mit seiner Nationalität und anderen Gegebenheiten nationaler, regionaler oder stammesmäßiger Zugehörigkeit aus, mit seiner Sprache, seiner Religion und seiner Werteordnung... Dieses Erbe kommt über das Kind, das die gewaltige Last der ganzen Vergangenheit trägt, so wie sie seine Familie erhalten hat. Es bildet das einzig Reale in seinem Dasein und wird zum Teil seiner selbst, ehe es überhaupt irgendein Bewußtsein hat. Dies erfolgt formal und rituell schon bei der Geburt oder kurz danach, wie etwa bei Taufe, Beschneidung oder ähnlichen Einführungsriten in die Welt der Gruppe, und dann wieder nach der Prägung der Kindheitsjahre, in den verschiedenen Arten von Pubertäts- oder Initiationsriten, durch die junge Menschen voll zugelassene Mitglieder der Gruppe werden. Das neue Mitglied der Gruppe erhält nicht nur seinen Erbteil an der Vergangenheit, sondern auch an allen prägenden Gegebenheiten der Gegenwart: die Statusvoraussetzungen, die dieses Vermächtnis mit sich bringt oder auch nicht, relativen Reichtum oder Armut seiner Familie, deren relative Stellung innerhalb der größeren Gruppe, zu der die gehört, und die Position der eigenen Gruppe in Beziehung zu anderen Gruppen in ihrer Umwelt - all' die politiko-sozio-ökonomischen Umstände, die auf die Familie und die Gruppe einwirken.“ (1975:32)
Durch einen Prozeß der Enkulturation wird die grundlegende Identität des Individuums geschaffen und im kulturellen Rahmen der Gruppe gefestigt, wobei 12
zugleich auch seine relative Stellung in der Gruppenrangordnung bestimmt wird. Es wird immer so handeln und entscheiden, wie es das Wertesystem seiner Herkunftsgruppe vorschreibt, wenn es nicht sehr starken gegenteiligen akkulturativen Einflüssen ausgesetzt ist. Selbst dann bleiben die Traditionen und Loyalitäten, die mit seiner ursprünglichen Identität verbunden sind, unter Umständen entscheidend und können zu jeder Zeit wieder belebt werden, um zweitrangige kulturelle Bindungen zu verdrängen. Ethnizität und nationale Einheit Länder mit einer ethnisch heterogenen Bevölkerung haben es schwer, nationale Einheit zu erlangen, so daß viele von ihnen gezwungen sind, eine Art Regionalismus einzuführen, der den ethnischen Gruppen ein bedeutendes Maß an Selbstbestimmung erlaubt. Parsons sagt: „... das Problem der ethnischen Unterschiede und die durch sie verursachte Bedrohung einer Art .nationaler Einheit' stellt bei fast allen neuen Nationen ein weit verbreitetes Problem dar“ (1975:81). Glazer und Moynihan bestätigen die Existenz ethnischer Konflikte in unabhängigen Staaten, fügen jedoch hinzu, daß sich trotz dieses Problems die politischen Grenzen nicht leicht ändern: „Seit dem II. Weltkrieg begann fast jede Nation (und es waren weit mehr als die alten) ihre Existenz mit einer Anzahl ernster ethnischer Konflikte, die gleichsam darauf warteten, zum Brennpunkt des politischen Lebens nach der Unabhängigkeit zu werden. ... Nehmen Sie dazu die Tatsache der noch erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde -, daß in einer Welt, in der jede Gesellschaft ethnisch immer mannigfaltiger wird, seit dem II. Weltkrieg aus irgendeinem Grunde ein erstaunliches Vorurteil gegen Grenzveränderungen besteht. ... Seit 1948 wurden bemerkenswert wenige internationale Grenzen verändert, und dort, wo das geschehen ist, blieben sie sehr unsicher.“ (1975:24-25)
Herskovits (1947:283) sagt, daß die kommunalen Landrechte in traditionellen Gesellschaften im Besitz der ethnischen Gruppen sind, von denen jede ihre eigenen Regeln für die Landnutzung aufstellt. Land und die damit verbundenen natürlichen Hilfsquellen sind in der Tat die entscheidenden Elemente für den Eigentumsbegriff. Wir werden jetzt prüfen, in welchem Maße das allgemein verbreitete Phänomen der neu belebten Ethnizität mit seinen wichtigsten Symptomen und Forderungen die sozialpolitische Situation in Namibia beeinflußt. Erscheinungsformen der Ethnizität in Namibia Namibia erlangte am 21. März 1990 seine Unabhängigkeit. Nach drei Jahren des Aufbaus einer Nation mit dem Ziel, eine gemeinsame namibische Identität zu schaffen, tauchten verschiedene ethnisch motivierte Forderungen nach Einsetzung von Königen und Landrechten auf. Die folgenden gehören zu den wichtigsten: 13
•
Das aus 18 Mitgliedern bestehende Komitee für die Wiedereinsetzung des Königs der Kwanyama gab bekannt, daß es am 16. Oktober 1993 einen König für diesen Stamm einsetzen würde. Wegen Meinungsverschiedenheiten über den Nachfolger des Königs Mandume, der 1917 gestorben war, wurde die Einsetzung jedoch abgesagt. Die Angelegenheit wird gegenwärtig weiter untersucht (New Era, Jahrg. 1, Nr. 113, 23.-29.9.93, S. 27; New Era, Jahrg. 1, Nr. 117, 21.-27.10.93, S. 2. Siehe auch Williams, 1991).
•
Am 6. November 1993 wurde Justus Garoeb zum König der Damara eingesetzt (New Era, Jahrg. 1, Nr. 113, 23.-29.9.93, S. 7).
•
Gruppen von San beanspruchen umfangreiche Landrechte in Namibia, einschließlich des Etoscha-Nationalparks, „to go back into the bush to regain our independence and self-sufficiency“ (New Era, Jahrg. 1, Nr. 113, 23.-29.9.93, S. 1-2; New Era, Jahrg. l,Nr. 118, 28.10.-3.11.93, S. 31).
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Die Rehobother Bastergemeente beantragte die Rückerstattung ihrer Besitzurkunden aus der Zeit der früheren Kolonialverwaltung. Die Legalisierung der Landrechte ist Teil des Strebens nach mehr Selbstbestimmung einer eigenständigen Kulturgruppe in ihrem eigenen Gebiet (The Windhoek Advertiser, Jahrg. 4, Nr. 730, 23.10.93, S. 8-9).
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Bei den Herero und Mbanderu äußerten die Königshäuser von Tjamuaha, Zeraua und Kahimemua ihren Wunsch, Könige einzusetzen, um sich von ihnen regieren zu lassen. Sie fordern auch mehr Land (New Era, Jahrg. 1, Nr. 111,9.-15.9.93, S. 21; New Era, Jahrg. 1, Nr. 117, 21.-27.10.93, S. 27).
•
Zwischen den Gemeinschaften der Mbunza und Shambyu am Kavango bestehen Streitigkeiten über die Stammesgebiete (New Era, Jahrg. 1, Nr. 111,9.-15.9.93, S. 2).
Die Stellungnahme der Presse Die Stellungnahme der Presse zu der plötzlichen Flut ethnischer Forderungen war höchst unterschiedlich und in mancher Hinsicht ziemlich überraschend. Als extreme Meinung der einen Seite wurden diese Erscheinungen verurteilt, weil sie eine wirkliche Bedrohung der namibischen Einheit darstellen würden. Auf der anderen Seite wurden Ethnizität und traditionelle Regierungen als überlieferte afrikanische Einrichtungen verteidigt, die die langandauernde Periode der Kolonialherrschaft im Lande überlebt hätten. Die amtliche Anerkennung ethnischer Rechte während der Kolonialzeit wird immer noch als böswillige Bekundung einer Politik des divide et impera betrachtet, aber das Wiederaufleben der Forderungen nach den gleichen Rechten unter einer unabhängigen namibischen Regierung wird als rechtmäßiger Anspruch vorkolonialer afrikanischer Gemeinschaften angesehen. Diese widersprüchliche Haltung kommt im offiziellen Or14
gan der namibischen Regierung deutlich zum Ausdruck. In einem Kommentar analysiert die New Era die Situation folgendermaßen: „Die Frage der Könige und Häuptlinge ist in Namibia zu einer umstrittenen Angelegenheit geworden. Seit der Unabhängigkeit lagen die verschiedenen einheimischen Stämme miteinander im Rennen, um ihre eigenen Häuptlinge und Könige zu bekommen. ... Unter Namibiern begannen widerstreitende Meinungen über die Einrichtung der Monarchie, ihre Rolle und die ihrer Vertreter aufzutauchen. Neben anderen Gründen führen die Gegner des Häuptlings- oder Königstums als Hauptgrund für ihre Ablehnung seine Möglichkeiten an, die Stammesfeuer wiederanzuzünden. Es wird auch behauptet, daß die Existenz von Häuptlingen und Königen zur Zerstückelung des Landes führen würde. Lassen Sie uns hier feststellen, daß traditionelle Machtträger, ob man sie Häuptlinge oder Könige nennt, in der afrikanischen Kultur und Gesellschaft verwurzelt sind. Sie repräsentieren geradezu ihre Struktur und Ordnung. Sie sind ein wichtiger Maßstab für ihre Zivilisation und ihren sozialen Fortschritt. Häuptlinge oder Könige stellen die Macht in bestimmten Gemeinschaften dar und tun dies auch heute noch. Dies setzt sich weiter unten bei Vormännern (headmen), ihren Ratsleuten, indunas oder den Dorfältesten fort. Sie bilden einen wichtigen Machtblock, der in der Vergangenheit seine Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Sozialordnung, Durchsetzung des Rechts und des Friedens unter Beweis gestellt hat. Stellen Sie sich vor, was in einem Dorf ohne Regierungsbeamten oder Polizeistation geschehen würde! Der notwendige Zusammenhalt würde aufhören. Unordnung und Chaos würden herrschen. Deshalb ist es unrealistisch und sogar gefährlich, wenn man vorschlägt, daß ganze Stämme ohne ihre traditionelle Führerschaft existieren sollten. Obwohl wir darin übereinstimmen, daß Tribalismus mit Klauen und Zähnen bekämpft werden muß, betrachten wir das Häuptlingstum nicht als Erscheinungsform des Tribalismus. Das Häuptlingstum in Namibia ist der Inbegriff unseres reichen Kulturerbes und unserer Verschiedenheit. Die Häuptlinge spielten während des Unabhängigkeitskampfes eine sehr bedeutende Rolle. Ihre Macht blieb den südafrikanischen Kolonisatoren nicht verborgen, die Pläne machten, um sie auf ihre Seite zu locken. Wo dies keinen Erfolg hatte, planten die Südafrikaner die offene Einmischung und setzten ihre eigenen Marionetten ein. Dies alles geschah in Anerkennung ihrer Macht und Fähigkeit, um die Entwicklung zu beeinflussen. ... Auch heute haben die Häuptlinge und die von ihnen vertretenen Einrichtungen noch diese Macht und haben sie zum Guten angewandt, um zu den Entwicklungsbestrebungen des Landes beizutragen. Einige haben sie auch mißbraucht, um die Beziehungen zwischen Menschen zu polarisieren. Deshalb können Häuptlinge und Könige ohne Zweifel den Kern bilden, um den herum ganze Gemeinschaften für unsere Entwicklungsbestrebungen belebt und aktiviert werden können. Sie sind ein wichtiges Verbindungsglied zwischen der Regierung und den Gemeinschaften und sollten nicht als Konkurrenten betrachtet werden. Die Irrtümer des kolonialen Erbes begleiten uns jedoch noch immer, und das muß angespro-
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chen werden, wenn es sich um das Häuptlingstum handelt. Wir müssen das Häuptlingssystem entpolitisieren und demokratisieren. Wir müssen die Stammesregierungen in Übereinstimmung mit der namibischen Verfassung zum Schutze der menschlichen Grundrechte erziehen. Diese Zeitung vertritt nicht die Schaffung einer Scheinmacht für die Häuptlinge. Wir glauben, daß die Häuptlinge möglichst gestärkt werden sollten, um sich mit wirklichen Problemen zu beschäftigen - eines dieser Probleme ist die Kriminalität -, solange sie sich im Rahmen unserer Verfassung bewegen. ... Wir glauben, daß nach der endgültigen Festlegung der Befugnisse von Häuptlingen die wertvollen Beiträge, die sie geleistet haben und noch leisten können, nicht aus Furcht vor dem Tribalismus unter den Teppich gekehrt werden.“ (Jahrg. 1, Nr. 114, 30.9.-6.10.93, S. 10)
Die oppositionelle Presse (Die Republikein, Jahrg. 16, Nr. 204, 30.9.93, S. 4) schiebt die Verantwortung für die ethnische Polarisation im Lande ganz und gar der Regierung zu. Ihrer Meinung nach flößt die Art und Weise, in der die Swapo das Land regiert, den Menschen kein Vertrauen ein, deshalb suchen sie Stabilität und Sicherheit innerhalb ihrer ethnischen Herkunftsgruppen. Die Aufwertung der politischen Stellung dieser Gruppen wird von ihnen als Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit betrachtet, mit der Zentralregierung über mehr Land und andere Zugeständnisse zu verhandeln. Man wirft der Swapo auch Vetternwirtschaft und die Stärkung der eigenen Machtgrundlage vor; infolgedessen fühlen sich andere Gruppen bedroht und scharen sich um ein Symbol wie den König, um ihre Interessen, die von der Swapo-Regierung Namibias mißachtet und gefährdet werden, zu schützen. Einstellung der Regierung zur Ethnizität Die lebendige öffentliche Debatte über die Forderungen verschiedener ethnischer Gruppen führte zu einer Konferenz zum Thema Ethnizität, Aufbau einer Nation und Demokratie in Namibia vom 15.-17. Oktober 1993, organisiert vom Namibia Institute for Democracy und der Konrad-Adenauer-Stiftung. Während dieser Konferenz griff der namibische Premierminister, Hage Geingob, die Ethnizität als schädlichen und trennenden Faktor in der namibischen Gesellschaft scharf an. Er gestand der Ethnizität zögernd eine untergeordnete Rolle zu, aber wies sofort daraufhin, daß sie voller Probleme sei: „Ethnizität als Verschiedenheit, Aufbau einer Nation als Ziel zur Verbesserung des Lebens aller Bürger und Demokratie als das von uns gewählte politische System könnten als drei wichtige Elemente aufgefaßt werden, die zur Formierung einer Nation beitragen. Diese Elemente könnten ohne Zweifel auf die nationale Entwicklung hin ausgerichtet werden, aber gleichzeitig könnten einige von ihnen Konflikte mit sich bringen, vor denen wir uns schützen müssen. Das Konzept der Ethnizität fällt in diese Kategorie.
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Ethnizität ist gewiß einer der mißverständlichsten und am meisten mißbrauchten Begriffe. Sein Geltungsbereich mag sich auf Rassen, Stämme, Minderheiten oder besondere rassische, linguistische usw. Gruppen beziehen. Was auch immer der Umfang dieses Begriffes sein mag, sind sich die meisten Nationen darüber im klaren, daß ethnische Unterschiede ... für die Verschiedenheit des Nationalcharakters verantwortlich sind und gleichzeitig eine verborgene Saat der Uneinigkeit, des Mißklangs und der Tragödie in sich tragen. Die Geschichte war Zeugin dieser Tragödie zu allen Zeiten und auf allen Kontinenten. Sogar heute hat Ethnizität Jugoslawien in einem der sicherlich blutigsten Bürgerkriege seit dem II. Weltkrieg auseinandergerissen. Ethnische Bürgerkriege fordern in Georgien und vielen anderen Republiken nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion immer noch ihre Opfer. Ähnliche Konflikte können im Mittleren Osten beobachtet werden. ... Auch hier in Afrika hatten wir viele Probleme mit der hochgespielten Ethnizität und haben sie immer noch. ...“ (1993:1314)
Geingob gab offen seiner Furcht und Enttäuschung über die Spaltung der namibischen Nation durch das Anschwellen der Ethnizität Ausdruck: „Bedauerlicherweise gibt es heute Beweise, daß in unserem Lande zentrifugale Kräfte im Spiel sind, die auf die Trennung der Nation hinarbeiten. Sie trennen die Menschen aus ethnischen Gründen. Schauen Sie sich z.B. an, wie den verschiedenen Bevölkerungsgruppen von einigen rechtmäßigen Interessenten sogenannte .Könige' aufgezwungen werden. Diese rechtmäßigen Interessenten wissen sehr gut, daß dort, wo Könige sind, auch Königreiche sein müssen, und wo Königreiche sind, muß es Gebiete geben, und wo es Gebiete gibt, gibt es Grenzen, und wo Grenzen sind, da besteht die Notwendigkeit, sie zu schützen, wenn nötig, mit Gewalt.“ (1993:14)
Trotz all dieser Probleme wurde die erstrebenswerte Seite ethnischer Bindungen nicht völlig ausgeschlossen. In seiner Ansprache versuchte der Premierminister offensichtlich, eine kontrollierte und reduzierte Form der Ethnizität unter der Bedingung anzuerkennen, daß dem höchsten Ziel einer namibischen Identität für alle Landesbewohner immer der Vorrang gebührt: „Mißverstehen Sie mich nicht, ich weiß, daß der Tribalismus eine weltweite Erscheinung ist. ... Wir alle brauchen ein Gefühl der Zugehörigkeit, die Notwendigkeit, zu einer Lokalgemeinschaft zu gehören. Das bedeutet jedoch nicht, daß wir Königreiche brauchen. Was wir nötig haben, ist ein Zugehörigkeitsgefühl im sozialen und kulturellen Zusammenhang. Mit diesem Gedanken im Mittelpunkt steht die Notwendigkeit der Zugehörigkeit zu einer Kultur nicht im Widerspruch mit der Notwendigkeit, zu einer Nation zu gehören. Deshalb können Sie ein Herero und ein Namibier sein oder Owambo und Namibier oder Nama und Namibier. Ich selbst bin stolz darauf, Damara und Namibier zu sein. Konflikte entstehen nur, wenn diese beiden Konzepte unvereinbar werden. ... Wir haben uns schon viel zu lange als Hereros, Namas, Afrikaaner, Deutsche, Owambos betrachtet. Nun müssen wir anfangen, uns auch als Namibier zu sehen. Diese Hervorhebung muß sich sowohl auf politischem als auch auf wirtschaftlichem
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Gebiet bemerkbar machen. Wenn wir nicht anfangen, so zu denken, könnten wir das politische und wirtschaftliche Leben dieser Nation im Chaos versinken lassen. ... Dies erfordert eine nationale Identität, die alle anderen Identitäten beseitigt. In diesem Sinne müssen wir deshalb dafür sorgen, daß Ethnizität niemals hochgespielt werden darf, um die nationale Identität als die wichtigste von allen zu verdrängen.“ (1993:14-15)
Das ganze Kernproblem der traditionellen Führerschaft in Namibia ist noch nicht endgültig gelöst. In diesem Zusammenhang sagte Geingob, daß die Frage der traditionellen Regierungseinrichtungen zu gegebener Zeit auf dem Wege der Gesetzgebung geregelt werden wird. Ansichten von Wissenschaftlern Prof. Joshua B. Forrest von der University of Vermont sprach auf der Konferenz ebenfalls über Ethnizität. Er machte einen Unterschied zwischen ethnischer Mobilisierung auf dem Niveau der Elite und der Masse und fügte hinzu: „... Es sei angemerkt, daß die intensivste und gefährlichste Art der Mobilisierung eine Kombination aus Elite- und Massenmobilisierung ist, wenn sich also ethnische Eliten und Angehörige der ethnischen Gruppe zusammenschließen und eine gemeinsame Bewegung gegen den Staat formen. Dann haben Sie einige ernste Überlegungen anzustellen“ (1993:25). Forrest erwähnte vier mögliche Ziele, die durch ethnische Mobilisierung verfolgt werden könnten: „Ethnische Mobilisierung zu wirtschaftlichen Zwecken, um einen größeren Anteil an den staatlichen Hilfsquellen zu bekommen. Zweitens Mobilisierung zu Vertretungszwecken: die Leute auf dem Lande fühlen sich oft von dem, was in der großen, mächtigen Hauptstadt, dem urbanen Zentrum der Nation, vor sich geht, ausgeschlossen. Sie möchten im Mittelpunkt der nationalen politischen Macht eine bessere Vertretung haben oder wollen nur wirkungsvoller in den nationalen Verwaltungsapparat integriert werden. Drittens die Mobilisierung zur Abtrennung, wenn Leute ihre Verbindungen zur Nation ganz und gar ablehnen und sagen: ,Das ist genug, wir trennen uns von der Nation und gründen unseren eigenen Separatstaat!' Viertens die gewalttätige Mobilisierung, bei der es sich für den Staat um die herausforderndste Form der ethnischen Mobilisierung handelt, wenn nämlich ethnische Gruppen beschließen, mit militärischen Mitteln gegen die Staatsautorität aufzutreten. Der gewalttätige Widerstand gegenüber dem Staat kann mit anderen Zielen der ethnischen Gruppen verbunden werden.“ (1993:26)
Als Lösung des Problems der ethnischen Mobilisierung empfiehlt Forrest (1993:30-33) eine Strategie der Anpassung, die den Staat und die Führer der ethnischen Gruppen miteinander verbinden soll: „Ethnizität ist stets etwas sehr Unfaßbares und nicht Vorhersagbares ... doch mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf unheilvolle, zerstörerische Weise mobilisierbar, wenn gemeinsame Strukturen geschaffen und institutionalisiert werden. Dies erscheint mir eine positivere 18
Alternative zu sein, als den ethnischen Aktivismus zu ignorieren oder danach zu trachten, die ethnische Mobilisierungen zu unterdrücken, oder sich auf gleichermaßen überzogen interventionistische staatliche Strategien zu verlassen ... Es kommt darauf an, ethnische Führer ungeachtet ihrer politischen Herkunft in gemeinsame staatliche Strukturen einzubinden.“ Auf diese Weise würde die nationale Einheit gefördert und dadurch das Potential ethnischer Zwistigkeiten entschärft. Andrew Murray (1993:17-21), ein Soziologe der University of Namibia, warnte vor dem einseitigen Versuch, Namibia nur westliche Entwicklungsmodelle aufzuzwingen. Die typischen Eigenschaften und Bedürfnisse der namibischen Gesellschaft sollten ebenfalls berücksichtigt werden. Der Wirtschaftswissenschaftler Nelson Murangi lenkte die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, daß ethnische Unterschiede in schwierigen wirtschaftlichen Situationen besonders hervorgehoben werden. Die Regierung solle sich deshalb den ökonomischen Problemen des Landes zuwenden, wenn sie ethnische Spaltung zu vermeiden wünsche (Die Republikein, Jahrg. 16, Nr. 217, 19.10.93, S. 5). Die folgende Übersicht der größeren ethnischen Gruppen Namibias wird mit der Absicht vorgelegt, den Leser in die allgemeinen Grundlagen und Eigentümlichkeiten der betreffenden Kulturen einzuführen. Damit verbindet sich die Hoffnung, daß diese elementaren Informationen zu intensiverer Beschäftigung mit dem reichen kulturellen Erbe dieses großartigen Landes führen werden.
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3. Kapitel
Die Owambo Das traditionell als Owamboland bekannte Gebiet liegt im äußersten Norden des Landes zwischen dem Etoscha-Nationalpark und der angolanischen Grenze. Im Westen hat es eine gemeinsame Grenze mit Kaokoland und im Osten mit dem Kavangogebiet. Für die Zwecke der Volkszählung von 1991 wurde das Gebiet in die Distrikte Oshakati und Ondangwa unterteilt. Damals wurde eine Bevölkerungszahl von 618.117 festgestellt (die Schätzung für 1994 betrug 670.000). Nach der Unabhängigkeit Namibias wurde das Gebiet in Regionen eingeteilt. Was vorher als Owamboland bekannt war, fiel nun in die folgenden Regionen: Omusati, Oshana, Ohangwena und Oshikoto. Einschließlich der Erweiterung der Oshikoto-Region, die jetzt auch den Distrikt Tsumeb einschließt, wird die Gesamtbevölkerung dieser vier Regionen für 1994 auf 690.000 Menschen geschätzt, das sind 44,3% der Einwohnerzahl Namibias. Es handelt sich hier um das bei weitem am dichtesten bevölkerte ländliche Gebiet Namibias. Die demographische Untersuchung des Gebietes zeigt, daß wegen des Mangels an genügend Oberflächenwasser nur etwa 60% davon ständig bewohnt sind. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte der bewohnten Teile beträgt 20,9 Menschen pro km2, aber wegen der höchst ungleichmäßigen Verteilung der Siedlungszonen schwankt die wirkliche Zahl von weniger als 10 bis über 60 Menschen pro km2 - dabei ist die Oshakati-Ondangwa-Ohangwena-Zone am dichtesten bevölkert. Die natürliche Umwelt Mit Ausnahme des felsigen Gebietes im äußersten nordwestlichen Zipfel bei Ruacana besteht das gesamte Gebiet aus einer ausgedehnten sandigen Ebene, die einen Teil des Kalaharibeckens bildet. Die Ebene liegt zwischen 1090 und 1150 Meter über dem Meeresspiegel - was ein Gefälle von nur 60 Metern ausmacht - und neigt sich allmählich zur Etoschapfanne. Zwischen Ondangwa und der Pfanne beträgt das Gefälle 1:2500, aber im Norden Ondangwas nur 1:5000. Der mittlere Teil des Gebietes wird von einem Netz flacher Wasserläufe durchzogen, die oshanas genannt werden. Durch diese Kanäle ergießen sich die Fluten der sommerlichen Überschwemmung aus einem großen Auffanggebiete in den angrenzenden Teilen Angolas und fließen in die Etoschapfanne ab. Die Flut wird efundja genannt und überschwemmt oft große Landstriche im Gebiet des Etaka-Cuvelai-Deltas in der zentralen Ebene des Owambolandes. Viele Dörfer und Ländereien auf den höhergelegenen Stellen zwischen den oshanas werden auch während schwerer Regenfälle in Südangola überflutet. Die Fische in den oshanas bilden einen wichtigen Teil der Nahrung für die Owambo, während die Überschwemmungsgebiete nach dem Abfließen des Wassers gute Weide bieten. 20
In den nordöstlichen Landesteilen beträgt der jährliche Regenfall mehr als 550 mm, im Südwesten dagegen fällt er regelmäßig auf weniger als 350 mm. Im dichtbevölkerten oshana-Gebiet schwankt die durchschnittliche Regenmenge zwischen 400 und 550 mm. Die Vegetation der westlichen Hälfte des Owambolandes wird als MopaneSavanne bezeichnet - Colophospermum mopane ist dort die vorherrschende Art. Man sieht auch häufig große Affenbrotbäume (Adansonia digitata), Manila (Sclerocarya cqffra), Vogelpflaume (Berchemia discolor), Transvaal-Ebenholz oder „Jakkalsbessie“ (Diospyros mespiliformis) und Wildfeigenbäume (Ficus cordata und F. sycomorus), die besonders geschützt sind, weil es sich um Fruchtbäume handelt. Im zentralen Gebiet um Oshakati und Ondangwa sind Makalanipalmen (Hyphaene ventricosa) häufig. Die östliche Hälfte des Owambolandes bildet einen Teil der Baumsavanne der nördlichen Kalahari, wo schöne Bestände der Burkea africana (Rote Syringa), Pterocarpus angolensis (Dolfholz) und Ricinodendron rautanenii (Mangettibaum) auftreten, wie auch verschiedene Arten von Commiphora, Acacia, Terminalia und Combretum. In den dichtbevölkerten zentralen Landesteilen hat das Abholzen für den Hüttenbau, die Einfriedungen für Rinder und die Zäune jedoch zu extensiver Entwaldung geführt. Allein in unmittelbarer Nähe von Ondangwa wurden zu diesem Zweck mindestens 100.000 Bäume gefällt, und so verwandelte sich das ehemalige Waldgebiet zu einer dürftigen Savanne mit wenigen vereinzelten Palmen und geschützten Fruchtbäumen. Früher wurden auch viele Palmen von Leuten vernichtet, die einfach die Kronen abschlugen, um den Saft aus den Stämmen abzuzapfen.
Herkunft und Ansiedlung Die Owambostämme gehören zu den Südwest-Bantu, sind aber kulturell eng mit den matrilinearen Ackerbauern Zentralafrikas verwandt. Sie haben die undeutliche Überlieferung einer gemeinsamen Herkunft von einem See irgendwo in den östlichen Regionen Zentralafrikas. Von dort aus zogen sie als geschlossene Gruppe in westlicher und später in südwestlicher Richtung weiter, bis sie endlich den Kavangofluß erreichten. Nach Vedder (1938:154-155) überschritten sie den Kavango und folgten einem seiner Nebenflüsse, der in die Etoschapfanne floß. (Vedder gibt an, daß dieser Nebenfluß später nach einem Erdbeben zu fließen aufhörte.) Sie fanden verschiedene kleine Seen, die dieser Fluß gebildet hatte, und ließen sich an einem davon, den sie Osimolo nannten, nieder. Am Osimolo lebten sie hauptsächlich vom Fischen, aber es entstand ein Streit über die Fischereirechte, und die Leute begannen, in verschiedenen Gruppen wegzuziehen, von denen jede ihren eigenen Führer hatte.
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Abb. 2: Man braucht viel Holz, um ein Palisadendorf der Owambo zu bauen.
Andere Konflikte folgten und verursachten weitere Aufgliederungen, und schließlich kam es zur Bildung unabhängiger Stämme mit eigenen Territorien und politischen Strukturen. Sie alle ließen sich auf der großen Ebene nördlich der Etoschapfanne nieder, wo die Bedingungen für die Ausübung des Ackerbaus ziemlich günstig sind. Diese Ansiedlung fand in der Mitte des 16. Jahrhunderts statt. Als seßhafte Bauern ließen sich die Owambo nie wieder auf weitere Wanderungen ein. Die gegenwärtige Stammeseinteilung der Owambo sieht folgendermaßen aus (in Klammern der Prozentanteil): Kwanyama (36,6 %) Mbalanhu (7,4 %) Ndonga (28,7 %) Kwaluudhi (5,0 %) Kwambi (11,8%) Eunda und Ngandjera (7,7 %) Nkolonkadhi (2,8 %) 22
Die beiden letztgenannten Stämme, die Eunda und Nkolonkadhi, bewohnen das gleiche Stammesgebiet und besitzen eine gemeinsame Stammesregierung. Die Grenze zwischen Namibia und Angola verläuft geradewegs durch das Gebiet der Kwanyama, so daß etwa ein Drittel der Stammesangehörigen Bürger von Angola sind. Andere Owambostämme, die im benachbarten Cunene-Distrikt in Südangola wohnen, sind die Ndombothola, Mbadya oder Kwamatwi, Kafima und Vale. Zu den ersten dokumentierten Kontakten zwischen Owambo und Europäern im heutigen Namibia kam es 1851, als Sir Francis Galton und Charles John Andersson Ondonga besuchten. 20 Jahre später (1870) begann die Finnische Mission mit der intensiven Erziehung und Christianisierung, und nach dem Ersten Weltkrieg begann die missionarische Tätigkeit der Katholiken und Anglikaner. Während der Zeit der deutschen Herrschaft von 1884 bis 1915 wurden die Owambo nicht in die direkte Verwaltung einbezogen und blieben praktisch politisch unabhängig. Von 1907 an verließ eine ständig wachsende Zahl von Wanderarbeitern die Heimat, um weiter südlich Arbeit zu suchen. Dadurch wurden sie einer intensiveren Akkulturation unterworfen. In der Zeit nach 1915, als Südwestafrika ein Mandatsgebiet unter südafrikanischer Kontrolle wurde, führte man im Owamboland Kommissare mit begrenzten Rechts- und Verwaltungsbefugnissen ein. Nach 1950 wurden umfangreichere öffentliche Dienste eingeführt, und 1967 begannen Konsultationen mit den sieben Stammesregierungen in der Absicht, eine Zentralregierung für ganz Owamboland einzuführen. Das wurde am 17. Oktober 1968 erreicht, als Owamboland ein Gebiet mit Selbstverwaltung und eigener Gesetzgebender Versammlung wurde. Während der Übergangsperiode vor den Wahlen zur Unabhängigkeit Namibias wurde die Gesetzgebende Versammlung für Owambo aufgelöst. Nach der Unabhängigkeit entstanden vier Regionen. Die Sprache Jeder der acht Stämme hat seinen eigenen Dialekt, und es gibt keine lingua franca für das gesamte Gebiet, trotz häufiger Erwähnung einer solchen Sprache, die dann OshiWambo genannt wird. Literatur, die als OshiWambo bezeichnet wurde, erwies sich als in OshiNdonga verfaßt. Man sprach wahrscheinlich deshalb von OshiWambo, weil zwischen den verschiedenen Dialekten eine enge Verwandtschaft besteht und außerdem alle Stämme mit Ausnahme der Kwanyama OshiNdonga (Nd.) in ihren Schulen und Kirchen als Schriftsprache angenommen haben. Die bedeutenden Unterschiede zwischen OshiKwanyama (Kw.) und den anderen Dialekten wurden von Sprachwissenschaftlern als hinreichende Begründung für die Entwicklung einer eigenen Schriftsprache für den Kwanyamateil der Bevölkerung angesehen. 23
Die Sozialordnung Die bei den Owambo bestehende Abstammungsrechnung ist grundsätzlich matrilinear. Blutsverwandtschaft wird von der Mutter her bestimmt, und deshalb gehören die Kinder nur zur Lineage (Abstammungslinie) und zum Klan der Mutter. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, wer de facto oder de jure der Vater ist. Früher wurden Kinder aus einer Verbindung zwischen einer freien Owambofrau und einem Sklaven in der Gesellschaft immer als Freie anerkannt. Die nach der matrilinearen Abstammungsrechnung gebildeten Blutsverwandtschaftsgruppen heißen omopata (Sing, epata), d.h. „Herd“ oder „Kochplatz“. Dieser Terminus bezeichnet gleichzeitig die verschiedenen Abteilungen eines Dorfes, weil in einer polygamen Familie jede der Frauen ihre eigene Hütte mit der dazugehörigen Feuerstelle bewohnt. Jede epata ist deshalb mit einer Frau und ihren Kindern verbunden, und diese bilden das kleinste Teilstück einer Matrilineage. In einer patrilokalen Familie teilt man diese Verwandtschaftsbeziehung mit keinem anderen Dorfbewohner, wenn der Dorfhäuptling nicht eine Sororats-(Schwestern-)ehe eingegangen ist, indem er zwei oder mehr Schwestern geheiratet hat. Die beiden wichtigsten matrilinearen Verwandtschaftsgruppen sind der Klan und die Lineage. Der Klan (epata) ist eine nichttotemistische (totemistisch = sich mit einem Tier identifizierend) Gruppe mit eigenem Namen, die von einer lange verstorbenen Ahnin abstammt. Jeder Stamm hat zwischen 20 und 30 derartige Klans. Meistens ist die Gründerin der epata unbekannt, aber durch den gemeinsamen Klannamen erkennen alle ihre Nachkommen die gemeinsame Herkunft an und beachten die Klanexogamie, indem sie untereinander nicht heiraten. Sie bezeugen ihre verwandtschaftlichen Bande auch durch den Gebrauch der klassifikatorischen Verwandtschaftsterminologie, nach der sich Leute auf der gleichen Generationsebene gegenseitig als „Bruder“ und „Schwester“ bezeichnen. Alle in der nächsthöheren Generation werden als „Vater“ und „Mutter“ klassifiziert, während die Alten des Klans als „Großvater“ und „Großmutter“ angesprochen werden. Das wird auch dann getan, wenn Klangenossen ihre genaue genealogische Verwandtschaft nicht mehr angeben können, es sei denn, sie gehören zufällig zur gleichen Lineage in einem Klan. Die Lineages sind miteinander verbundene Klansegmente und bestehen aus Menschen, die von unlängst verstorbenen weiblichen Vorfahren abstammen. Typisch für derartige Gruppen ist die mangelnde genealogische Tiefe. Sie umfassen Angehörige von drei lebenden Generationen und zwei aufsteigende Generationen von Voreltern. Die genauen genealogischen Beziehungen zwischen Einzelpersonen werden durch deskriptive Verwandtschaftsbezeichnungen ausgedrückt, wodurch auch der höchst funktionelle Charakter der Verwandtschafts24
bände betont wird. Es gibt keinen besonderen Namen für eine Matrilineage außer der Bezeichnung „unsere Leute“ (Nd. aakwetu, Kw. ovakwetu). Die Kontrolle des Eigentums als Klanfunktion wird in der Lineage ausgeübt. Die Rinder und der größte Teil des übrigen Besitzes eines Mannes werden nach dem Tode seinem jüngeren Bruder übergeben, dann fällt das Erbe an seinen Schwestersohn, aber niemals an seine eigenen Kinder, weil diese ja zur epata ihrer Mutter gehören. Wenn ein Mann sich entschließen sollte, seinen Kindern besondere Geschenke zu machen, muß er vorher die Erlaubnis der älteren Mitglieder seiner Lineage einholen. Diese Kontrollmaßnahme verhindert größere Verluste an Klaneigentum, sonst würden derartige Handlungen den Verwandten innerhalb der Lineage das Verfügungsrecht über die Rinder und anderen Besitz ihrer epato-Genossen entziehen. In allen matrilinearen Gesellschaften sind nicht Frauen Träger der Macht, sondern Männer, die in einer matrilinearen Beziehung zu ihren Blutsverwandten stehen. Deshalb bekleidet nicht der Vater, sondern der Mutterbruder die wichtigste Stellung gegenüber den Kindern. Die Söhne sind die zukünftigen Erben ihres Onkels an Mutterseite. Sie unterwerfen sich deshalb willig seiner Autorität und lassen sich möglicherweise nach ihrer Heirat in seiner Nachbarschaft nieder (avunkulokal). Eine direkte avunkulokale Wohnweise ist unbekannt. Wenn der Onkel Oberhaupt der Matrilineage wird, führt er auch wichtige religiöse Pflichten aus, die das verwandtschaftliche Band zwischen ihm und seinen matrilinearen Verwandten noch zusätzlich stärken. Die heute geltende Wohnweise nach der Eheschließung ist neolokal. Der Mann wohnt nach der Heirat weder bei seinen patrilinearen noch matrilinearen Verwandten, sondern gründet seinen Haushalt an einem neuen Ort. Die Veränderung der Wohnweise entspricht nicht den Grundsätzen der matrilinearen Abstammungsrechnung, sondern stellt tatsächlich einen Schritt innerhalb der sozialen Entwicklung zu einer stärker patrilinear ausgerichteten Gesellschaft dar (siehe Malan, 1978). Als Folge der neuen Wohnweise leben Mitglieder der Matrilineagen weit verstreut an verschiedenen Orten, was eine Schwächung der Blutsverwandtschaftsbande mit sich bringt. Unter diesen Bedingungen besitzt der Vater größere Autorität gegenüber seinen Kindern. Er übernimmt die Verantwortung für ihre wirtschaftliche und religiöse Versorgung. In Abwesenheit seiner matrilinearen Neffen beteiligt er sie auch in viel größerem Maße an der Betreuung seines Viehs und übrigen Besitzes. Die starke Bindung an die väterliche Seite wird auf diese Weise gefördert und stellt eine wachsende Herausforderung für die bestehende matrilineare Tradition dar. Das gelegentliche Vorkommen patrilokaler Großfamilien ist ein sicherer Beweis für diese neue Tendenz innerhalb der Owambogesellschaft. Bei den reichen headmen verläßt besonders der älteste Sohn nach der Heirat oft nicht gern das 25
Dorf seines Vaters. Die Folge ist eine ausgedehntere soziale, wirtschaftliche und religiöse Bindung an den Vater, und diese Bindung fördert wiederum seine politische Stellung und die Erkenntnis seitens der Einwohner des ganzen Bezirks, daß er eigentlich der natürliche Nachfolger seines Vaters im Amt des headman ist. Die starken patrilinearen Bindungen bleiben jedoch nicht unangefochten und verursachen weitverbreitete und merkbare soziale Unsicherheit. Die widerstreitenden Interessen der patrilokalen und matrilinearen Gruppen kommen oft bei Erbteilungen zum Ausbruch. Dann treffen die Söhne eines Verstorbenen auf ihre matrilinearen Neffen, die von auswärts kommen, um sich das Erbe ihres Onkels anzueignen. Es ist allgemein üblich geworden, daß die Söhne das Geld ihres verstorbenen Vaters vergraben, um es den matrilinearen Erben zu entziehen. Manche verstecken sogar ein paar Rinder oder behaupten, daß ihr Vater sie ihnen vor seinem Tode verkauft habe. Auf diese Weise können durch Erbteilung ernste Meinungsverschiedenheiten und Familienstreitigkeiten entstehen. Wegen derartiger Angelegenheiten werden oft scharfe und langandauernde Prozesse geführt. Brower (1959:61-62) bezeugt, daß es bei den Vätern schon vor über vierzig Jahren üblich war, ihren Kindern mehr als die nach traditionellem Recht erlaubten Rinder zu geben und dadurch die Spannungen zwischen patri- und matrilinearen Verwandten zu verschärfen. Die gegensätzlichen Interessen dieser beiden Verwandtengruppen bilden eine Triebkraft für den Prozeß kultureller Reform, die unaufhörlich die Stellung patrilinearer Gruppierungen begünstigt. Die Owambogesellschaft entfernt sich deshalb langsam von ihren matrilinearen Traditionen. Wohngemeinschaften Bei den traditionell orientierten Owambo leben die Familien in runden, von Palisaden umgebenen Heimstätten auf dem höhergelegenen Gelände zwischen den oshanas. Das Oberhaupt und seine Familie wohnen in einem Gehöft (ongandjo), das von einigen Hektar kultivierten Landes umgeben ist. Wegen dieser Siedlungsweise liegen die verschiedenen Gehöfte verstreut und bilden keine Dörfer. Williams sagt: „Die meisten Schriften über die soziale und politische Ordnung der Owambo neigen dazu, die Worte village und homestead zu verwechseln oder zu ungenau anzuwenden. Obwohl er richtig darauf hinwies, daß es in Owamboland keine Dörfer gibt, beschrieb Loeb (1962) die Heimstätte wegen der dem Viehkraal (oshigunda) ähnlichen Palisadenwände (ongandjo) fälschlich als einen Kraal. Bruwer (1966) verwies einfach danach als Dorf. ... Der Aufbau einer Heimstätte umfaßt mehrere Hütten, die voneinander durch hölzerne Palisaden oder einen Zaun aus Hirsestrünken getrennt sind. Die hölzerne Palisade zur Befestigung der Heimstätte schützt ihre
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Bewohner vor Kriegen und Rinderraubzügen und unterscheidet die Owamboarchitektur von der ihrer Nachbarn. ... Man kann an der Struktur erkennen, daß die Owamboheimstätte sich von einem Dorf unterscheidet, nicht nur wegen der Kompliziertheit ihres Aufbaus, sondern auch wegen ihrer Bewohner. ... Jede Heimstätte besteht gewöhnlich aus einem Ehemann als Oberhaupt, verschiedenen Frauen oder einzigen Frau und deren Kinder, die so eine zusammengesetzte Familie bilden. ... Der Ehemann ist immer das Oberhaupt der Heimstätte, braucht aber nicht Oberhaupt des Bezirks zu sein, der aus 15-20 oder mehr Heimstätten besteht.“ (1991:4849)
Als Folge des schnellen Bevölkerungswachstums, des Mangels an anbaufähigem Land in der Nähe dauerhafter Wasservorräte, der sich wandelnden sozialökonomischen Lebensverhältnisse und der Verstädterung leben viele Owambo nicht mehr in traditionellen Gehöften. Während der vergangenen 20 Jahre sind in der Nähe der Hauptstraßen große Dörfer entstanden. Die Leute wohnen in rechteckigen Häusern, die aus Pfählen, Wellblech und anderem Material erbaut wurden. Ihre Bewohner sind meistens monogame Familien mit neolokaler Wohnweise. Sie leben vom Handel, lokaler Lohn- oder Wanderarbeit. Eine andere moderne Erscheinung ist die Gründung von Städten in den Ballungsgebieten, wie z.B. Ondangwa, Oshakati, Ohangwena und Ombalantu. Neben Regierungshäusern werden in diesen Städten auch viele Privathäuser gebaut. Die Größe und das Erscheinungsbild dieser Häuser richten sich nach den finanziellen Mitteln ihrer Eigentümer. Man praktiziert die neolokale Wohnweise, weil die Familien an neuen Orten leben und nicht mehr danach streben, bei ihren patri- oder matrilinearen Verwandten zu wohnen. In der folgenden Übersicht (nach Loeb, 1962:128-138) werden die traditionelle Wohnweise und der Grundplan eines Owambogehöftes behandelt: Ein ongandjo hat einen annähernd runden Grundriß, dessen Durchmesser zwischen 15 und mehr als 50 Metern wechseln kann. Die Palisaden werden aus Baumstämmen errichtet. Wenn ausgewachsene Bäume selten sind, nehmen die Leute Hirsestroh oder Zweige von Büschen und kleineren Bäumen. Manchmal bestehen die äußeren Palisaden aus Doppelreihen, die mit Lehm von Termitenhaufen ausgefüllt sind. Es gibt auch einen kreisförmigen äußeren Zaun um das Gehöft herum, aber nicht für den Garten und den Hirseacker. Dieser Zaun besteht meist aus aufgeschichteten Dornbüschen. Er hat zwei Hauptöffnungen, gewöhnlich eine an der Ost- und eine an der Westseite. Innerhalb des Zaunes liegt ein breiter Durchgang, der Raum für verschiedene Tätigkeiten bietet. An diesem Durchgang steht in der Nähe der beiden Eingänge je eine Wachhütte (nur im Falle großer Gehöfte). Außerhalb des östlichen Eingangs liegt eine breite, ebene Lichtung, die durch einen Zaun vom umliegenden Hirsefeld abgegrenzt ist. Hier finden Tänze und Festlichkeiten statt, und auch die Kinder spielen regelmäßig auf diesem Platz. Während der Erntezeit wird er zum Dreschplatz des Gehöftes. 27
In der breiten Passage innerhalb des äußeren Zaunes liegt nahe am Haupteingang der ovale Mahlplatz, wo Körnerfrüchte gestampft werden. Dies ist gleichzeitig der Ort, wo die Frauen plaudern und singen. Auf der dem Haupteingang gegenüberliegenden Seite befinden sich die Schlafhütten der Jungen. Dicht daneben und mit dem inneren Gehöft verbunden liegt ihr Koch- und Wohnraum (epata lakula). Fremde und Gäste kommen durch den Haupteingang herein und gehen dann bis zur Abteilung der Jungen. Von dort aus gehen sie außen am Wohnraum der Jungen vorbei und benutzen einen engen Gang ins Innere. Gäste dringen nicht weiter als bis zum Warteraum (okasila kovaenda) vor, der dicht neben dem Eingang zur Passage liegt. Dann benachrichtigt einer der Jungen das Familienoberhaupt, das dann seine Gäste hereinbittet. Von diesem Warteraum aus führen in manchen großen Gehöften nicht weniger als sieben Eingänge zu den inneren Räumen eines ongandjo. Die labyrinthischen Gänge eines Gehöftes mögen sich nach innen oder außen schlängeln, um Fremde oder böse Geister zu verwirren, aber sie führen alle zu dem Gang, der den runden zentralen Versammlungsplatz umgibt, den olupale. Man führt auch die Gäste zu diesem Versammlungsplatz. Der Innenraum besteht aus getrennten Abteilungen als Wohnquartieren, je nach der Zahl der Ehefrauen, die ein Familienoberhaupt hat. Das können bis zu vier Abteilungen sein: je eine für das Familienoberhaupt, die erste und zweite Frau und eine weitere für die übrigen Frauen. Die Wohnquartiere gruppieren sich um einen zentralen Hof oder Versammlungsplatz, der olupale genannt wird. Das Familienoberhaupt bewohnt die von allen am sorgfältigsten ausgebaute Abteilung. Neben seiner eigenen Unterkunft hat er getrennte Besucherräume für Männer, Frauen und Mädchen. Er verfügt auch über einen Vorratsraum, eine erhöhte Plattform für Fleisch, einen Bierraum, eine Milchkammer und den olupale. Jedes der Frauenquartiere hat mindestens drei Hütten und besteht aus einem Arbeitsplatz mit Schutzdach, einem Vorratsraum mit nahegelegener Kochstelle, einer Schlafhütte und gewöhnlich einer kleinen Hütte für Gäste. Unverheiratete Mädchen haben nach der Pubertät in der Frauenabteilung ihre eigenen Hütten. Jede Frau stellt innerhalb der Großfamilie eine unabhängige wirtschaftliche Einheit dar. Sie bearbeitet ihren eigenen Garten und muß arbeiten, um ihre Familie zu ernähren. Auch das Familienoberhaupt besitzt einen eigenen Garten, in dem alle seine Frauen arbeiten müssen. Die Rinder kommen durch die breite Passage an den Schlafhütten der Jungen vorbei herein und gelangen an die Rückseite des ongandjo, wo der Gang selbst in eine Anzahl separater Kräle für Ochsen, Jungvieh, Kühe und Kälber unterteilt ist. Diese Einfriedungen schützen die Rinder vor Dieben und verschaffen den Bewohnern außerdem Plätze zum Melken und Schlachten. In der breiten Passage befinden sich an der rechten Seite des rückwärtigen Eingangs die Vorratskörbe für das Getreide des Familienoberhauptes. Die Owambo sind für ihre großen Kornkörbe auf Stelzen bekannt. 28
Abb. 3: Gehöft der Kwanyama (nach Loeb, 1962:336)
1 Haupteingang 2 Hauptgang 3 Stampfplatz 4 Rinderkraal 5 Eingang für Rinder 6 Rinderdurchgang 7 Ochsenkraal 8 Jungrinderkraal 9 Kälberkraal
10 Kuhkraal 11 Nebeneingang 12 Kornspeicher 13 Hütte des Wächters 14 Schlafhaus für Jungen 15 Kochplatz 16 Warteraum 17 Versammlungsraum 18 Heiliges Feuer
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19 Schlafraum Hauptfrau 20 Schlachtraum 21 Milchraum 22 Brauerei 23 Wohnraum Familienoberhaupt 24 Wohnraum der Hauptfrau 25 Wohnraum zweite Frau 26 Wohnräume weiterer Frauen 27 Besucherraum
Die Familie stellt ein verkleinertes Abbild der ganzen Gesellschaft dar, weil die meisten Funktionen der letzteren auch für die Lokalgruppe charakteristisch sind: •
Sie ist eine soziale Einheit mit formalisierten Beziehungen und verwandtschaftlichen Verpflichtungen unter Mitgliedern.
•
Sie ist eine politische Einheit mit festgelegten Verhaltensnormen und einer klar bestimmten Senioritätsordnung unter der höchsten Gewalt des Familienoberhaupts.
•
Sie ist eine religiöse Einheit unter Führung des Familienoberhaupts, das im Interesse der gesamten Gruppe Ritualhandlungen verrichtet, um ihr religiöses Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen.
•
Sie ist eine autarke Wirtschaftseinheit und befriedigt die materiellen Bedürfnisse aller Gruppenmitglieder. Die wirtschaftlichen Beziehungen in Produktion und Verbrauch sind formell geregelt.
Wirtschaftsleben Die Owambo betreiben sowohl Ackerbau als auch Viehhaltung. Ihre gemischte Wirtschaftsform erhellt viele Erscheinungen im gegenwärtigen Prozeß der sozialen Revolution. Loeb (1962:314) sagt: „Die Owambo leben am Rande des von matrilinearen, ackerbautreibenden Zentral-Bantu bewohnten Gebietes. Ihre Nachbarn, die Okavangoleute, ... sind die typischen Vertreter dieser Kultur. Weil die Owambo Vieh hatten, sind sie keine typischen Ackerbauer; aber sie besitzen immer noch einige wichtige Kennzeichen der grundlegenden negroiden Hackbaukultur. Die Frauen setzen die landwirtschaftliche Tradition fort, die zugleich ihre wichtigste Tätigkeit ist; die Matriklans sind für eine frühe AckerbauGesellschaft charakteristisch.“
Loeb (1962:vii) nimmt auch an, daß „sich Paternalismus und ViehzüchterKulturen miteinander vermischen und eine spätere Entwicklung sind als Maternalismus und frühe Pflanzer-Kulturen.“ In dieser Hinsicht stimmt er mit Murdock (1949:206) überein, der in seiner Übersicht vieler Kulturen zu folgendem, gut begründetem Ergebnis gelangt: „Die patrilokale Wohnweise scheint durch Kulturwandel oder Lebensumstände, die den Status, die Bedeutung und den Einfluß der Männer in bezug auf das andere Geschlecht bedeutend steigern, gefördert zu werden. Besonders einflußreich ist jede Veränderung der wirtschaftlichen Grundlage, wodurch männliche Tätigkeiten innerhalb der geschlechtlichen Arbeitsteilung die Grundlage des Lebensunterhalt erbringen. ... Die Übernahme des Hirtentums hat fast überall zur patrilokalen Wohnweise geführt.“ (Hervorhebung von mir, J. M.)
In Anbetracht dieser Entdeckung ist es offensichtlich, daß die Einführung des Rinderhirtentums in der früher matrilinear strukturierten, gartenbautreibenden 30
Owambogesellschaft durch die Übernahme der neolokalen Maritalresidenz einen Prozeß der sozialen Entwicklung eingeleitet hat, der den Weg zur patrilinearen Abstammungsrechnung vorbereitet.
Abb. 4: Ein traditionelles Owambodorf inmitten von Hirsefeldern. Die Verminderung der Bäume hat zur Verwendung von Hirsestroh als Baumaterial geführt.
Innerhalb der Mischwirtschaft der Owambo stehen Ackerbau und Rinderzucht sehr genau im Gleichgewicht zueinander. Die Hauptnahrung der Menschen ist 31
Fingerhirse (omahangu), die zur Herstellung von Brei und zum Bierbrauen benutzt wird. Andere Anbaupflanzen sind Sorghum, Mais, Bohnen, Kürbisse, Wassermelonen und Erdnüsse. Die Felder werden auf den Bodenerhebungen zwischen den oshanas angelegt, um eine Überschwemmung durch das Flutwasser zu verhindern. Der arme, sandige Boden wird mit Kraalmist gedüngt, und die meiste Arbeit wird von den Frauen verrichtet, die kleine Hacken benutzen. Viehzucht ist ein ebenso wichtiger Wirtschaftszweig. Man hält sehr viele Rinder, Ziegen und Schafe und auch Pferde, Maultiere und Esel. Großvieh wird nur sehr selten geschlachtet und in der Hauptsache als Statussymbol betrachtet. Dies steht im Einklang mit der Subsistenzwirtschaft der Owambo, die nicht auf Produktion und Vermarktung über die Grenzen der unmittelbaren Familienbedürfnisse hinaus ausgerichtet ist. Andere wichtige zweitrangige Nahrungsquellen sind die Jagd, Fischerei und das Sammeln von Feldnahrung (Loeb, 1962:162-165). In den bewohnten Gebieten ist das Wild sehr selten geworden, und die Jagd wird in nennenswertem Maße nur von den Kwanyama und Ndonga im äußersten Osten des Gebietes ausgeübt. Das Fröschefangen hat noch immer Bedeutung, weil es zwischen Aussaat und Fischfangsaison eine wichtige Nahrungsquelle darstellt. Die beste Zeit für das Fröschefangen ist der Beginn der Regenzeit im November, während die Fischereisaison im März und April liegt, wenn die Flut zurückgeht. In den oshanas fängt man mit Fischfallen, Harpunen, Speeren, Fischkörben, Angeln und Gift verschiedene Fischarten. Der omuhongo-Rusch enthält einen ätzenden, giftigen und milchigen Saft, den die Fische nicht vertragen können. Die Frauen und Kinder schneiden Zweige dieses Busches ab und rühren damit im flachen Wasser herum. Wenn die Fische dann tot auf dem Rücken liegen, sammelt man sie ein. Sollte der Fang zu groß sein, hängt man die Fische zum Trocknen auf. Manchmal verwendet man das gleiche Gift zum Töten von Fröschen. Bevor Frösche gegessen werden, entfernt man die Eingeweide und vergräbt sie. Man glaubt, daß es nicht regnen wird, wenn man diese Vorsichtsmaßnahme unterläßt. Darüber hinaus wird während der Saison eine große Vielfalt von Feldfrüchten gesammelt. Manilas und wilde Feigen sind ziemlich häufig, wie auch die Früchte des Affenbrotbaumes, des Ebenholzes und der Elfenbeinpalme. Der Mangel an genügend Oberflächenwasser in großen Teilen des Owambolandes hat zu der hohen Bevölkerungsdichte in den nördlichen und zentralen Gebieten mit ihren vielen Pfannen und flachen Wasserläufen beigetragen. In diesen übervölkerten Gegenden kann die traditionelle Subsistenzwirtschaft unmöglich alle Menschen versorgen; als Folge davon haben sich viele Männer seit Jahren 32
dem Arbeitsmarkt auf Farmen und in Industriegebieten zugewandt. Von faktisch jeder Familie ist immer wenigstens ein Angehöriger als Wanderarbeiter abwesend. Ein großer Prozentsatz des Barverdienstes wird ins Owamboland gebracht und dort ausgegeben.
Abb. 5: Hirseernte. Der Hut auf dem Stock dient als Vogelscheuche.
Die Einführung der westlichen Geldwirtschaft ins Owamboland hat ungeheuren Einfluß auf den traditionellen Tauschhandel, den Anbau und das Sammeln von pflanzlicher Nahrung, die Herstellung von Kleidung und Geräten, den Hausbau und viele andere Tätigkeiten ausgeübt. Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln 33
und modernen Waren führte zur Errichtung zahlreicher Läden und Handelszentren im gesamten Gebiet. Es gibt im Owamboland eine Anzahl reicher Ladenbesitzer, die große Unternehmen gegründet haben. Der Handel ist eine sehr beliebte Beschäftigung. Nur wenige Familien bieten gar nichts zum Verkauf an auch wenn es nur Nahrungsmittel oder Bier sein sollte. Wenn ein Tier geschlachtet wird, verkauft man immer einen Teil des Fleisches am Wegesrand. Die Owambo besitzen einen außergewöhnlich stark entwickelten Geschäftssinn, und alle dadurch angeregten Bedürfnisse und Wünsche gehören zu den wichtigsten Ursachen des schnellen Kulturwandels, der gegenwärtig in dieser Region offensichtlich ist. Religion Die Owambo glauben an die Existenz eines Höchsten Wesens, das sie Kalunga nennen. Als Schöpfergott besitzt er höchstes Ansehen und Macht über die gesamte Schöpfung, einschließlich der Geister der übernatürlichen Sphäre. Man glaubt jedoch, daß das Interesse Kalungas am täglichen Leben der Menschen sehr begrenzt ist, deshalb wird er nicht wirklich angebetet. Er wird als ein verschwommenes, weit entferntes Wesen betrachtet, auf das man sich nur unter sehr ungewöhnlichen Umständen beruft. Die wirkliche Religion der traditionellen Owambo konzentriert sich auf die Bekämpfung der Zauberei durch magische Praktiken und auf die Verehrung der Ahnengeister (Kw. ovakwamungu). Von diesen Geistern glaubt man, daß sie ihre lebenden Nachkommen auf verschiedene Art beeinflussen können. Sie können sie durch Krankheiten und anderes Mißgeschick bestrafen, wenn sie ihre religiösen Pflichten vernachlässigen oder wichtige Stammestraditionen nicht beachten. Man glaubt, daß die Geister Schatten oder Doppelgänger haben (oipumbu), die oft in menschlicher Gestalt erscheinen, um Leuten Mitteilungen zu überbringen. Sie erscheinen gewöhnlich in der Dämmerung in der Nähe der Ansiedlungen, und ihr Auftreten wird immer als Vorzeichen gedeutet. Früher wandte man sich bei Opferhandlungen an die matrilinearen Ahnen, aber in jüngerer Zeit werden infolge der sozialen Entwicklung auch patrilineare Ahnen verehrt. Im Ergebnis wird die lineare Verbindung mit den Geistern innerhalb einer Deszendenzgruppe allmählich geschwächt. Diese Neuerung wird von Bruwer (1959:146) bestätigt, der sagt, daß die Geister nicht als Einzelwesen, sondern eher als Gruppe von Geistern betrachtet werden. Wenn jemand am Grab oder im Hofraum eines Dorfes Opfer bringt, wählt er gewöhnlich nicht einen bestimmten Ahnen aus, sondern spricht sie alle als „Geister des Ostens und Westens“ an. Loeb (1962:135) sagt, daß bei den Kwanyama die Ahnengeister des Ostens als hilfreich betrachtet werden. Die des Westens, wo die Sonne untergeht, werden als gefährlich eingeschätzt, weil sie Wahnsinn und Tod verursa34
chen. Nur wenn ein Wahrsager (onganga) bestimmte Geister als für die Krankheit oder das Mißgeschick eines Menschen verantwortlich bezeichnet hat, wird das Beschwichtigungsritual ihnen persönlich gewidmet. In derartigen Fällen scheinen matrilineare Geister häufiger beteiligt zu sein. Kräuterdoktoren und Wahrsager arbeiten auf vier verschiedenen Leistungsebenen, die von ihrer Ausbildung und Reputation abhängen. Der niedrigste Grad kann nur einfache Diagnosen stellen und pflanzliche Heilmittel für einige Krankheiten verschreiben (dies sind die omasenge). Weitere Ausbildung führt im zweiten Grade zur Geistbesessenheit des onganga und zu seiner Fähigkeit, Hexenzauber zu brechen oder durch Opfer zu neutralisieren. Im dritten Grade können stärkere magische Kräfte erworben werden, die eine Spezialisierung auf einem bestimmten Gebiet erlauben. Einige sind Spezialisten für die Entdeckung von Dieben und verlorenen Gegenständen. Andere verrichten Ritualhandlungen zur Reinigung verseuchter Gebäude. Das sind die „Öffner der Wohnstätte“ (omapatululi). Wieder andere in dieser Kategorie sind die Schlangendoktoren (ovafipi), die Schlangenbisse behandeln können und das Gift an die Pfeilspitzen schmieren. Ein traditioneller Doktor des vierten und höchsten Grades hat alle niederen Grade bereits absolviert und wird zum Lehrer magischer Fähigkeiten (omupuliki). Er bildet alle Wahrsager der niederen Grade aus und beaufsichtigt ihre Amtseinführung. Außerdem kann er Amulette herstellen. Die ovapuliki sind die obersten Sachverständigen in Fragen der überlieferten Religion, der guten und bösen übersinnlichen Kräfte, der Wahrsagerei und der Medizin (Loeb, 1962:123). Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß der Einfluß des Unterrichts und der Christianisierung, neben dem Prozeß der internen kulturellen Neuordnung, die Ursache für eine gewaltige Abwendung von den traditionellen Ideen über Religion und Magie war. Die Gründung der unabhängigen „Evangelisch-Lutherischen Owambo-Kavangokirche“ unter der Leitung von Bischof L. Auala (die 1985 in „Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia“, ELCIN, umbenannt wurde), wurde zum Höhepunkt einer hundertjährigen Arbeit der Finnischen und Rheinischen Mission. Die große Mehrheit der Owambo gehört einer Kirche an, wodurch der hohe Christianisierungsgrad dieser Gesellschaft hervorgehoben wird. Politische Ordnung Im Idealfall steht an der Spitze einer Stammesregierung ein erblicher Häuptling (Nd. omukwaniilwa; Kw. ohamba), dessen Amt innerhalb der regierenden Familie nach matrilinearen Regeln weitervererbt wird. Sein Erbe ist der nächstfolgende Bruder. Wenn er keine Brüder hat, fällt das Häuptlingsamt an den ältesten Sohn seiner ältesten Schwester. Seine eigenen Söhne dürfen niemals seine Stel35
lung einnehmen, denn sie gehören zu einem anderen Matriklan. Auch Frauen werden nicht zu Häuptlingen gemacht. Bei der Verwaltung des Stammes steht dem Häuptling ein Rat von Vorleuten (headmen, omalenga) zur Seite. Eine neuere Entwicklung stellt die deutliche Unterscheidung von senior headmen und sub-headmen dar. Der senior headman (Nd. elenga enene; Kw. elenga lakula) ist Oberhaupt eines Distrikts (Nd. oshikandjo; Kw. oshitopolwa), während der sub-headman (Nd. elenga eshona; Kw. elenga linini) für einen Unterdistrikt (omukunda) ernannt wird, der Teil eines Distrikts ist. Die sub-headmen werden auch als Unterdistriktshäuptlinge (Nd. ooyene yomikunda; Sing, omwene womukunda) bezeichnet, und es gibt manchmal mehr als hundert davon in einem einzigen Distrikt. Das gesamte Stammesgebiet wird oshilongo genannt. Die Ernennung von senior headmen wird oft als Maßnahme der früheren südafrikanischen Verwaltung gegenüber der Despotie früherer Häuptlinge hingestellt. Die Einführung neuer politischer Strukturen wurde jedoch in erster Linie vom Prozeß der sozialen Evolution unter den Owambostämmen bestimmt. So führte die Trennung der früher bestehenden engen Bindungen zwischen Machtträgern und ihren zukünftigen matrilinearen Erben durch die veränderte Maritalresidenz zu einer Dezentralisierung der politischen Macht in der größeren Gemeinschaft. Während der Übergangsperiode können nichterbliche headmen politische Ämter bekleiden, wobei die Entwicklung patrilinearer Erbfolge wahrscheinlich ist. Die evolutionären Veränderungen verlaufen so langsam, daß matrilineare Bindungen noch lange wirksam sind. Deshalb kann es sogar zu einer Bewegung zugunsten der Wiederherstellung matrilinearer Häuptlingsschaften kommen, aber es ist unwahrscheinlich, daß sie Erfolg haben wird. Stämme, die bereits ihre erblichen Häuptlingsschaften verloren haben, sind die Kwanyama, Kwambi und Mbalantu, während die Eunda/Nkolonkadhi diese Einrichtung wahrscheinlich niemals besaßen. Diese Stämme werden alle von Räten regiert, die aus senior headmen bestehen. Man muß jedoch betonen, daß Faktoren wie Unterricht, Christianisierung, Kolonial- und Mandatsverwaltung diese politischen und sozialen Veränderungen zweifellos beschleunigt haben; doch sind sie für die Initiierung des Entwicklungsprozesses, der von der matrilinearen Erbfolge der Häuptlingsschaft hinwegführt, nicht von grundlegender Bedeutung. Die Entwicklung starker patrilinearer Bindungen in den verschiedenen Stämmen kommt darin zum Ausdruck, daß vielen headmen der eigene Sohn im Amte folgt, obwohl diese Erbfolgeregel formell noch nicht anerkannt wird. Die Abwesenheit des matrilinearen Neffen durch die Aufgabe der avunkulokalen Maritalresidenz erklärt die Tatsache, daß er nicht in der Lage ist, im Dorf oder Unterdi36
strikt seines Onkels eine politisch führende Persönlichkeit zu werden. Deshalb ist er im Wettbewerb um die Erbfolge kein starker Kandidat. In der zweiten Hälfte des Jahres 1993 wurden von den Kwanyama gemeinschaftliche Versuche zur Wiederherstellung des Amtes eines Königs (ohamba) unternommen, das zuletzt 1917 von Mandume bekleidet worden war. Ein aus 18 Mitgliedern bestehendes Komitee für die Wiederherstellung des KwanyamaKönigreiches sollte einen Nachfolger finden. Die Einsetzungsfeierlichkeit war am 16. Oktober 1993 geplant, fand aber nicht statt, weil verschiedene Kandidaten ihre Ansprüche anmeldeten. Daraufhin hat das Komitee die Untersuchung der Angelegenheit fortgesetzt.
Abb. 6: Headman Valombola der Kwanyama in seinem Palast bei der Anbetung seiner Ahnengeister.
In jedem Stammesgebiet wird Recht auf drei gerichtlichen Ebenen gesprochen. Dies geschieht in den Unterbezirken, Distrikten und auf der Stammesebene. 37
Schwerwiegende Fälle werden höheren Gerichten übertragen, wie es auch mit Berufungen von niederen Instanzen geschieht. Bei den Unterbezirksgerichten ist der sub-headman der Vorsitzende Beamte, dem einige prominente Dorfhäuptlinge und oft auch ein oder zwei sub-headmen aus benachbarten Unterbezirken zur Seite stehen. Auf Distriktsebene ist der senior headman Vorsitzender, dem ein Ausschuß von sub-headmen aus den Unterbezirken seines Distrikts assistiert. Das Stammesgericht steht unter dem Vorsitz des Häuptlings und ist außerdem mit senior headmen und sub-headmen besetzt. In den Stämmen, die keinen Häuptling haben, liegt die Jurisdiktion auf Stammesebene in den Händen eines Rates der senior headmen. Weil die Owambo nicht zwischen Zivil- und Strafsachen unterscheiden, wird die Strafe immer so festgesetzt, daß der Kläger entschädigt und die Gerichtskosten bezahlt werden. Wenn Vieh als Strafe gerichtlich eingezogen wird, läßt man gewöhnlich eines der Tiere schlachten, um die Mitglieder des Gerichts zu beköstigen. Die Funktionäre der Stammesregierung gewinnen einen bedeutenden Teil ihrer Einkünfte durch das System des Landbesitzes. Der Häuptling tritt als eine Art Treuhänder für das Stammesgebiet auf und weist die verschiedenen Distrikte seinen senior headmen zu. In diese Stellungen wählt man prominente und wohlhabende Stammesmitglieder, einschließlich gewisser Angehöriger der königlichen Familie - bemerkenswerterweise die Brüder des Häuptlings. Die Zuteilung des Landes gibt dem senior headman lebenslanges Gebrauchsrecht, aber verleiht kein persönliches Eigentum. Das wird dadurch bewiesen, daß Grund und Boden nach dem Tode eines elenga niemals Teil des Erbgutes ist, sondern an den Häuptling zurückfällt, der dann nach eigenem Gutdünken über die Neuzuteilung entscheidet. Bei dezentralisierten Gemeinschaften, d.h. bei den Stämmen ohne Häuptling, wird dem neugewählten headman das Besitzrecht über einen Distrikt übertragen. Distrikte bestehen aus Unterdistrikten (omikunda), von denen jeder für etwa sechs Rinder oder ihren Gegenwert in Bargeld an einen sub-headman verkauft wird. Der sub-headman darf nicht mehr als einen Unterdistrikt kaufen, und nach seinem Tode fällt dieser an den senior headman zurück. Angesichts dieser Beschränkungen des Landbesitzes und der Tatsache, daß Grund und Boden niemals zum Privateigentum von Funktionären der Stammesregierung oder ihrer Familien wird, kann man nicht behaupten, daß die Owambo in bezug auf ihre Landbesitzordnung ein Feudalsystem praktizieren. Jeder Unterdistrikt besteht aus zehn oder mehr Gehöfen, von denen jedes eigene Gärten besitzt. Diese Ländereien werden für ca. zwei Rinder pro Einheit ver38
kauft, fallen jedoch nach dem Tode des Familienoberhauptes mit den Hütten und allen anderen Verbesserungen an den sub-headman zurück. Sie können aber vom Nachfolger des Verstorbenen noch einmal gekauft werden. Der Preis der Ländereien bleibt, ohne Rücksicht auf die Zeitdauer der Bewirtschaftung, immer gleich. Wenn ein bestimmtes Stück Land länger als ein Jahr unbearbeitet daliegt, wird es enteignet und an jemand anderen verkauft. Der Aufstieg der SWAPO Der außerordentliche Aufstieg der SWAPO (South West Africa People's Organisation) unter den Owambo kann, wenigstens teilweise, dem Prozeß der sozialen und kulturellen Entwicklung innerhalb der traditionellen Gesellschaft zugeschrieben werden. Swapo nutzte erfolgreich die drei folgenden Bereiche des Kulturwandels aus, die sich aus der allmählichen Abkehr von den matrilinearen Einrichtungen ergaben: Politischer Wandel Im Zuge der Neuordnung der Gesellschaft hatten vier der sieben Stämme bereits ihre erblichen matrilinearen Häuptlinge verloren. Dadurch entstand Bewegungsfreiheit für neue (untraditionelle, moderne) politische Zusammenschlüsse. Die Swapo nutzte dieses politische Vakuum aus, indem sie sich der ganzen Owambonation als alternative Macht anbot. 1957 wurde der Ovamboland People's Congress (OPC) gegründet, der 1958 in Ovamboland People's Organisation (OPO) umbenannt wurde. Der Präsident der OPO, Sam Nujoma (der heutige Präsident von Namibia), wurde von Mburumba Kerina, einem Herero-Bittsteller bei den Vereinten Nationen, dazu überredet, die OPO von ihrer tribalen Form zu lösen und sie als South West Africa People's Organisation (SWAPO) neu zu konstituieren. Kerina schlug auch den Namen Namibia anstelle von Südwestafrika vor. Nujoma nahm seinen Rat an und fuhr in den folgenden Jahren fort, die politische Basis der SWAPO zu verbreitern. Im Innern kam es bald zur Polarisation zwischen der SWAPO und der südafrikanischen Verwaltung im Owamboland. SWAPO war darauf bedacht, sich als nationale Befreiungsbewegung zu etablieren, während die Planer der konstitutionellen Entwicklung des Owambolandes kein Verständnis für die schwächer werdenden traditionellen Mächte aufbrachten. Zum Schaden der gesamten politischen Entwicklung behinderten sie die Bildung alternativer Strukturen. Dadurch entfremdeten sie sich einen großen Teil der modernen Elite, wie die Lehrer, die Geistlichen und die Geschäftsleute. Die Lücke zwischen den unterschiedlichen Auffassungen vergrößerte sich, und SWAPO wandte sich 1966 dem Befreiungskampf zu, der bis zum Beginn der Verwirklichung des Friedensplanes der Vereinten Nationen für Namibia im April 1989 anhielt. Der Sieg 39
der SWAPO bei den Wahlen zur Unabhängigkeit kann größtenteils der Tatsache zugeschrieben werden, daß eine starke traditionelle Führerschaft fehlte und SWAPO als populäre Befreiungsbewegung die überwältigende Unterstützung der Owambo erhielt. Die Partei bekam 92,3 % der Stimmen im Owamboland, verglichen mit 46,3 % am Kavango, 14,4 % im Hereroland und nur 10 % im Kaokoland. Sozio-ökonomischer Wandel Die Auflösung der matrilinearen Abstammungsgruppen als Folge der neuen Regeln der Maritalresidenz verursachte schnelle Veränderungen des sozioökonomischen Lebensstils in Owamboland. In vielen Fällen gaben Leute die traditionelle Wohnweise und wirtschaftliche Betätigung ihrer Stammesgenossen vollkommen auf. Sie wandten sich in großer Zahl dem Arbeitsmarkt außerhalb des Owambolandes zu, und einige wanderten sogar endgültig in ihre Arbeitsgebiete ab. Die SWAPO nutzte diese Situation für ihre eigenen Ziele aus. Sie organisierte die Owamboarbeiter politisch, indem sie sich ihrer Beschwerden über das Kontraktarbeitersystem, niedrige Löhne und erzwungene Umsiedlung aus der alten Windhoeker Eingeborenensiedlung ins neue Katutura annahm. Später wurde sie auch die treibende Kraft bei der Gründung von Gewerkschaften. Religiöser Wandel Der Verlust des täglichen Zusammenlebens mit den matrilinearen Verwandten zerriß auch die religiösen Beziehungen zu ihnen und machte die Owambo für eine andere Religion wie das Christentum viel empfänglicher. Auch auf diesem Gebiet benutzte die SWAPO die neuen Institutionen zum eigenen Vorteil. Zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia (ELCIN) wie auch zu anderen Denominationen innerhalb des Namibischen Kirchenrates (CCN) wurde eine enges Verhältnis geschaffen. Die Verbreitung der Befreiungstheologie von vielen Kanzeln förderte stark die dem Befreiungskampf der SWAPO zugrundeliegende Ideologie. Es ist deshalb deutlich, daß die Stammesloyalität den Owambo infolge des evolutionären Veränderungsprozesses keine starre kulturelle Struktur aufzwingt, in der Neuerungen von außen normalerweise mit starkem Widerstand traditioneller Einrichtungen zu rechnen haben. Statt dessen wurde eine Atmosphäre der Offenheit gegenüber neuen Ideen geschaffen, die von der SWAPO geschickt genutzt wurde, um sich als Träger der Modernisierung und alternativen Machtfaktor darzustellen - nicht nur für das Owambogebiet, sondern für das ganze Land.
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4. Kapitel
Die Kavangostämme Die Bewohner des Kavangogebietes teilen sich in fünf politisch getrennte Stammesgruppen, die beträchtliche kulturelle und sprachliche Unterschiede zeigen. Sie sind Flußbewohner, die alle an den Ufern des Kavangoflusses leben, wo sie ihre Subsistenzwirtschaft betreiben, die sich auf Ackerbau gründet, der durch Hirtentum, Fischerei und Jagd ergänzt wird. Sie teilen sich dieses Gebiet mit zwei Gruppen von San - den !Xu und den Mbarakwengo. Obwohl diese beiden Gruppen ihrer Tradition nach Jäger sind, arbeiten viele !Xu als Hausangestellte von schwarzen Familien. Im Jahre 1994 betrug die geschätzte Bevölkerungszahl dieser Region 140.000. Als 1991 die Regionen abgegrenzt wurden, schlug man das Stammesgebiet der Mbukushu und einen kleinen Teil des Gciriku-Stammeslandes zur benachbarten Caprivi-Region. Diese Regelung verursachte bei den betroffenen Leuten viel Unzufriedenheit. Weil die Mbukushu wie auch die Gciriku, Shambyu, Mbunza und Kwangali Flußbewohner sind, an den Ufern des Kavangoflusses wohnen und außerdem viele kulturelle Besonderheiten mit diesen Stämmen gemein haben, gehören sie in Wirklichkeit zu den Okavangoleuten und werden deshalb hier in diesem Zusammenhang behandelt. Natürliche Umgebung Das Kavangogebiet hat einen Umfang von 43.417 km2 und liegt im nordöstlichen Teil Namibias. Im Norden bildet der Kavangofluß in einer Länge von 430 km die internationale Grenze zu Angola. Im Osten hat das Gebiet gemeinsame Grenzen mit Botswana und dem Caprivi, im Süden mit der OtjozondjupaRegion, und im Westen grenzt es an die Regionen Oshikoto und Ohangwena. Der dauernd wasserführende Kavangofluß stellt das wichtigste natürliche Merkmal dieser erstaunlich ebenen Region dar, die durchschnittlich 1100 m über dem Meeresspiegel liegt. Der Fluß entspringt auf der wasserreichen zentralen Hochebene von Angola und folgt dann einem südöstlichen Lauf bis in die Okavangosümpfe Botswanas. Er fließt durch ein breites Flußtal, das jährlich vom Hochwasser überschwemmt wird und deshalb während der Trockenzeit gute Weide bietet. Ein schmaler Streifen fruchtbaren Bodens, der selten breiter als 3 km ist, erstreckt sich an den Ufern des Kavango entlang. Im östlichen Teil des Flusses findet man zahlreiche Inseln, besonders zwischen Mukwe und Bagani. Einige dieser Inseln werden von Mbukushu oder Mbarakwengo bewohnt. Das riesige Hinterland ist Teil der nördlichen Kalahari-Region, die von zahlreichen Wasserläufen (omiramba, Sing, omuramba) durchschnitten wird. Sie lau41
fen alle in nördlicher Richtung zum Kavango hin. Die wichtigsten sind die Dikwaya-, Mpungu- und Namungundo-omiramba im Stammesgebiet der Kwangali, der Löwen-omuramba, der im Mbunzagebiet in den Kavango mündet, der bekannte omuramba waMatako, der im Distrikt Otjiwarongo seinen Anfang nimmt und Hereroland-West und das Gcirikugebiet des Kavango durchläuft, und schließlich der Katere und andere, kleinere weiter im Osten. Obwohl diese omiramba nur nach Regenfällen Wasser führen, zeichnen sie sich durch einen hohen Grundwasserspiegel aus, und man kann Wasser finden, wenn man im Flußbett Löcher gräbt. Neben einigen omiramba kommen hier und dort auch Gegenden mit fruchtbarem Boden vor. Diese erlauben, wenn genügend Wasser vorhanden ist, die Ansiedlung von Subsistenzfarmern. Die Vegetation wird als „Kalahari-Waldland“ (Giess, 1971:13-14) bezeichnet, das durch schöne Vorkommen von Pterocarpus angolensis (Dolfholz), Baikiaea plurijuga (Rhodesisches Teakholz), Burkea africana (rote Syringa), Ricinodendron rautanenii (Mangetti), der hohen Acacia nigrescens (Knopfdorn) an den Flußufern, Hyphaene ventricosa (Makalanipalme) vorwiegend in den omiramba und verschiedenen Arten von Acacia, Lonchocarpus, Combretum, Bauhinia u.a. gekennzeichnet ist. Das Klima des Gebietes ist subtropisch und weist einen durchschnittlichen Regenfall von 560 mm im Jahr auf. Der meiste Regen fällt zwischen Januar und April, während die jährliche Überschwemmung gegen Ende März kommt, wenn der Kavango über seine Ufer tritt und sein Flußtal überflutet. Herkunft und Ansiedlung Nach ihrer Überlieferung kommen die Okavangovölker ebenso wie ihre Owambonachbarn von den großen Seen in Ostafrika. Von dort wanderten sie in südwestlicher Richtung ab und ließen sich schließlich bei Mashi am oberen Kwandofluß nieder, bevor sie in ihr heutiges Wohngebiet einwanderten. Diese letzte Wanderung fand zwischen 1750 und 1800 statt und fällt auch in die Zeit, in der sich die vier westlichen Gruppen - die Kwangari, Mbunza, Shambyu und Gciriku - als politisch unabhängige Stämme formierten. Zu dieser Zeit waren die Mbukushu schon lange von den übrigen Gruppen getrennt. Sie nahmen viele der örtlichen Khoe, die zu den San oder Buschmännern gehören, in ihre Reihen auf. Die verschiedenen Gruppen ließen sich zu beiden Seiten des Flusses nieder. Deshalb werden ihre Stammesgebiete durch die internationale Grenze zwischen Namibia und Angola in zwei Hälften geteilt. Abgesehen von dieser Trennung lebt ein Teil des Mbukushustammes auch im benachbarten Botswana und im östlichen Caprivizipfel. Nur etwa 20 % der Gesamtbevölkerung des Okavango zogen vom Fluß weg und ließen sich an einigen der omiramba nieder, an denen 42
günstige Bedingungen für den Ackerbau bestehen. Im Rest des Inlandes ziehen nomadische San-Gruppen umher und praktizieren ihre Jäger- und Sammlerform des Lebensunterhalts. Sprache In diesem Gebiet spricht man vier verschiedene Bantusprachen bzw. -dialekte. Sowohl die Kwangari wie auch die Mbunza, ihre unmittelbaren Nachbarn im Osten, sprechen RuKwangari, während der alte Mbunzadialekt praktisch ausgestorben ist. Weiter östlich werden zwei eng verwandte Sprachen, Shishambyu und RuGciriku, gesprochen. Im äußersten Osten spricht man ThiMbukushu, eine der beiden Schriftsprachen des Okavango - die andere ist RuKwangari -, das nur die Mbukushu gebrauchen, weil es sich stark von den anderen Sprachen unterscheidet. Sozialaufbau Bei den fünf Okavangostämmen wird die Grundstruktur der Gesellschaft durch die matrilineare Deszendenzordnung bestimmt. Alle wichtigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Aufgaben der Gesellschaft werden im Rahmen der matrilinearen Verwandtschaftsgruppen verrichtet, die aufgrund dieser Abstammungsregeln entstanden. Die wichtigsten sozialen Gruppierungen sind der Klan und die Linie. In den westlichen Dialekten werden die Klans makoro (Sing, ekoro oder likoro) und im ThiMbukushu mako (Sing, diko) genannt. Ein Klan besteht aus Leuten, die ihre gemeinsame Herkunft auf eine längst verstorbene Ahnin zurückführen, die meistens entweder unbekannt ist oder eine bloße mythologische Figur darstellt. Der Klanname bezeichnet den vermuteten gemeinsamen Ursprung der Mitglieder, da direkte genealogische Verbindungen zwischen ihnen nicht hergestellt werden können, außer innerhalb der Grenzen einer einzelnen Linie eines solchen Klans. Wegen dieser verwandtschaftlichen Bande betrachten sich alle Menschen auf der gleichen Generationsebene als Brüder und Schwestern. Die Regel der Klanexogamie wird streng eingehalten. Klannamen leiten sich von gewissen Tieren und anderen Naturerscheinungen ab, sie haben jedoch keine totemistische Bedeutung. Jeder Okavangostamm besteht aus einer begrenzten Anzahl von Klans - die Kwangari und Mbukushu haben neun, die Mbunza und Shambyu acht und die Gciriku sieben. Ein Matriklan teilt sich in einige Segmente oder Familiengruppen, die man mazimo (Sing, ezimo), dira (Sing, lira) oder mora (Sing, dira) nennt, je nach Dialekt. Diese Linien sind durch geringe genealogische Tiefe gekennzeichnet und bestehen aus drei lebenden Generationen und zwei aufstei43
genden Generationen von Ahnengeistern. Nur in der Häuptlingsfamilie und einigen anderen prominenten Familien - besonders unter den masimbi (den Oberhäuptern der Klans und Linien), die erbliche Stellungen einnehmen - wird die Abkunft weiter zurückverfolgt, um Stellung und politische Vorrechte zu begründen. Die Klangenossen wohnen über das ganze Stammesgebiet verstreut und bilden keine territoriale, politische oder religiöse Einheit. Da sie keine korporative Einheit sind, wird niemals eine gemeinschaftliche Aktion im Namen aller Mitglieder unternommen. Die einzige Aufgabe des Klans ist die Beachtung der sozialen Begleiterscheinungen der gemeinsamen Abkunft, d.h. der Gebrauch der klassifikatorischen Verwandtschaftsterminologie und die Beachtung der Klanexogamie. In diesem Zusammenhang ist der Klanname wichtig. Wenn jemand über die Mitglieder eines bestimmten Klans spricht, wird er sie z.B. Hakanyime („Löwenmenschen“) nennen. Wenn er den sozialen Kontext der Klanmitgliedschaft hervorheben will, kann er sagen: diko dya Hakanyime („die eine große Familie des Löwen“). Die Linien sind die korporativen Segmente der Klans und stellen die wirklichen sozialen Gruppierungen dar, in denen die Aufgaben eines Klans ausgeführt werden. Eine Linie besteht aus männlichen und weiblichen Mitgliedern, aber die Abstammung wird nur auf der weiblichen Seite berücksichtigt. Die Linie kann sich jedoch nicht aus sich selbst heraus fortsetzen, indem sie Nachkommen hervorbringt, die zur gleichen Linie gehören. Die Kinder eines Mannes gehören zur Linie ihrer Mutter, die wegen der Exogamieregel eine andere als die des Mannes ist. Ein Kind hat die gleiche Linien- und Klanzugehörigkeit wie seine Mutter, seine Brüder und andere Mitglieder der matrilinearen Gruppe, aber eine andere als sein Vater. Weil der Vater zu einem anderen Matriklan und einer anderen Linie gehört, können seine Kinder auch nicht seinen Besitz oder seine verwandtschaftliche Stellung erben - nur die Mitglieder seiner eigenen Linie (seine jüngeren Brüder und Schwesterkinder) haben das Recht, von ihm zu erben. Durch Beobachtung der avunkulokalen Maritalresidenz wird die relative Bedeutung des Mutterbruders gegenüber dem eigenen Vater eines Mannes deutlich gezeigt. Der Onkel mütterlicherseits hat umfangreiche soziale, wirtschaftliche und religiöse Verpflichtungen gegenüber seinen Schwesterkindern. Wenn er eine erbliche politische Stellung bekleiden sollte, wird die Verbindung mit dem ältesten Sohn seiner Schwester sogar noch wichtiger. Die ausgeprägte korporative Rolle, die eine Matrilinie durch ihre vielfältigen sozialen Aufgaben spielt, stellt den stärksten Anreiz für die Einrichtung der avunkulokalen Residenz dar. Die Bevorzugung der Kreuzkusinenheirat muß ebenfalls in diesem Zusammenhang beurteilt werden. 44
Abb. 7: Die bevorzugte Kreuzkusinenheirat.
In diesem Skizze sind b, c, e, i und j wegen ihrer gemeinsamen Abstammung von b Mitglieder der gleichen Matrilinie. Die Kinder von c, d.h. g und h, gehören nicht zur Linie ihres Vaters, weil ihre matrilineare Verwandtschaft von der Mutter d her bestimmt wird. Deshalb ist deutlich, daß h und i nicht miteinander verwandt sind, weil sie nicht zum gleichen Matriklan gehören. Die erste aufsteigende Generation mußte die Regeln der Klanexogamie einhalten, deshalb wird c keine Frau innerhalb seiner eigenen Sippe geheiratet haben. Der Haupterbe von c ist i, der nach der Eheschließung auch ins Dorf seines Onkels ziehen wird. Aus diesem Grunde würde der Onkel c auch gerne sehen, daß i seine eigene Tochter h heiratet, so daß sie im Dorfe ihres Vaters bleiben kann, wo er dafür sorgen kann, daß sie von i gut behandelt wird. Der letztgenannte steht unter der direkten Gewalt seines Onkels und wird deshalb niemals wagen, seine Frau schlecht zu behandeln. Die bevorzugte Ehefrau für g wäre die Tochter seines Mutterbruders, zu dem er ebenfalls seinen Haushalt verlegen würde. Die kleinste soziale Einheit innerhalb eines Klans ist die elementare oder Kernfamilie. Sie besteht aus einem Mann, seiner Frau und deren unverheirateten Kindern. Im Falle von Polygynie schließen sich zwei oder mehrere Kernfamilien zu einem Familienverband zusammen. Dann ist der Ehemann gleichzeitig das Oberhaupt mehrerer Kernfamilien. Jede Kernfamilie wird von anderen durch den Hinweis auf die Feuerstelle einer Frau (didhiko) unterschieden. Bei den Mbukushu nennen sich die Angehörigen einer Kernfamilie twa kadidhiko dyofotji („wir von der gleichen Feuerstelle“). 45
Im Zentrum der gesellschaftlichen Struktur steht die Unterscheidung sozial wichtiger Funktionen. Dies ergibt eine soziale Schichtung, die wiederum eine Ordnung hervorbringt, in der Mitgliedern der Gemeinschaft je nach Wertschätzung ihrer unterschiedlichen sozialen Stellung und Tätigkeit höherer bzw. niederer Status zuerkannt wird. Van Tonder sagt in bezug auf die Mbukushu folgendes: „Die soziale Abstufung in der Gesellschaft der Hambukushu ... wird besonders deutlich, wenn man sieht, wie jemand in den rites de passage von einer Statusposition in eine andere übergeht. Man hat während der Kindheit, vor der Initiation, nach der Initiation, nach der Heirat, nach der Geburt eines ersten Kindes, während der Menopause und im hohen Alter verschiedene Rangstellungen inne und erfreut sich eines unterschiedlichen Ansehens. Dann gibt es noch die sehr wichtige Unterscheidung zwischen den Geschlechtern, den Fachleuten und Laien, den Tapferen und Feigen, dem Schwächling und dem Mann mit hervorragenden persönlichen Eigenschaften und den Armen und Reichen. Auf politischem Gebiet ist der Häuptling der am meisten ausgezeichnete, besitzt die höchste Rangstellung und das höchste Ansehen, dann folgen seine nächsten Verwandten und kleine Häuptlinge, der als katapa bekannte Haupt-nduna, dann die übrigen manduna, dann die Dorfoberhäupter und schließlich die gewöhnlichen Leute, die Sklaven (hapika) des Häuptlings. Auch das Verhältnis der sozial niedrigen und höheren Verhaltensmuster zwischen den verschiedenen Generationen ist sehr bemerkenswert und wird streng durchgesetzt. Jede untergeordnete Stellung erfordert, daß die niedriger stehende Person den nötigen Respekt gegenüber Höhergestellten zeigt. Dies ist die allgemein akzeptierte Regel in allen sozialen Beziehungen der Hambukushu.“ (1966:83-84)
Man kennt drei wichtige Verwandtengruppen, die mit Sozialstruktur und Verwandtschaftsterminologie eng verknüpft sind. Es sind die folgenden: 1. 2. 3.
Verwandte mütterlicherseits (hapange). Verwandte väterlicherseits (didhiko dyatate). Angeheiratete Verwandte (hanyekera dhange).
Unter diesen drei Kategorien sind die Verwandten an Muttersseite die wichtigsten, weil die meisten sozialen Institutionen und Verwandtschaftsgruppen auf matrilinearer Grundlage beruhen. Über die Verwandtschaftsbezeichnungen sagt van Tonder: „Das Verwandtschaftssystem der Hambukushu wird von seinem klassifikatorischen Charakter geprägt. Durch die Anwendung der gleichen Verwandtschaftsbezeichnung auf einen nahen und einige entferntere Verwandte, wie Vater und Vaterbruder oder Kind des Bruders der Frau und Kind der Schwester der Frau, kann der Einzelne das Verwandtschaftsfeld, in dem er lebt, abgrenzen. Es zeigt ihm auch, welche herkömmliche Verhaltensweise er gegenüber einer umfangreichen Men-
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schengruppe einhalten muß, indem er sie alle mit der gleichen oder einer diminutiven Verwandtschaftsbezeichnung anspricht.“ (1966:87)
Oft ist es notwendig, in der klassifikatorischen Terminologie geringe Unterschiede zu machen, um einen Status zu erhöhen und einen anderen herabzusetzen. Der Vater heißt zum Beispiel tate, aber alle seine Brüder und die Ehemänner seiner Schwestern werden tateghana („kleiner Vater“) genannt. Ähnlich heißt die Mutter nawe, aber alle Schwestern der Mutter und des Vaters nennt man naweghana („kleine Mutter“)- Hierdurch werden unterschiedliche Verhaltensnormen gegenüber diesen Leuten angedeutet. Allgemein gesagt sollte das Verhalten im alltäglichen gesellschaftlichen Verkehr identisch sein; wenn jedoch wichtigere Angelegenheiten wie Heirat, Erbschaft und Todesfälle auf dem Spiel stehen, wird deutlich, daß soziales Verhalten und relative Bedeutung der klassifikatorischen Verwandten ausgeprägter und deutlich differenziert werden. Es wird auch beschreibende Terminologie verwandt. Das bezeichnendste Beispiel in dieser Kategorie ist der für den Mutterbruder verwandte Terminus: „Wegen der besonderen sozialen Funktion, die der Mutterbruder in dieser matrilinearen Gesellschaft ausführt, wird er nicht mit einer klassifikatorischen Bezeichnung belegt, sondern mwedyange genannt. Er steht in Wirklichkeit den mit der Linie verbundenen Obliegenheiten, Rechten und Pflichten viel näher als der wirkliche oder der klassifikatorische Vater. In vielen Fällen ist er weitaus einflußreicher und wichtiger als der wirkliche Vater. Das ist besonders deutlich, wenn es zur Vererbung wichtiger Habseligkeiten und zur Nachfolge in Rangstellungen kommt, und auch im Bereich der Glaubensvorstellungen und -praktiken.“ (van Tonder, 1966:68)
Wirtschaftsleben Die Okavangostämme sind in hohem Grade an den Fluß gebunden. Wegen ihrer Wirtschaftsform haben sich die meisten Menschen am Flußufer niedergelassen, wo sie auf dem schmalen Streifen fruchtbaren Bodens Landwirtschaft betreiben, ihre Rinder auf den Überschwemmungsniederungen weiden lassen und im Fluß ausgiebig fischen. Die hauptsächlichste wirtschaftliche Tätigkeit ist der Gartenbau, der fast ausschließlich von Frauen betrieben wird, die dabei Hacken benutzen. Männer verrichten die schwere Arbeit wie Rodung der Ländereien, Pflügen, Ernten und Dreschen. Die wichtigsten Anbaufrüchte sind Fingerhirse (mahangu), Sorghum (virya oder tumbi) und Mais (lipungu oder mundere). Erdnüsse, Bohnen, Kürbisse, Flaschenkürbisse und Tabak werden in geringerem Maße angebaut. Die Ernteergebnisse hängen weitgehend vom Regen ab, und manchmal kommen Mißernten vor. Traditionell wurde keine Methode entwickelt, das reichlich vor47
handene Kavangowasser zu nutzen. Von der südafrikanischen Verwaltung des Gebietes und einigen Missionsstationen wurden jedoch verschiedene Bewässerungsprojekte geschaffen. Der intensive Bewässerungsanbau brachte gute Resultate. Kleinfamilien, die schwierige Arbeiten wie Rodung des Landes und Pflügen nicht allein schaffen, organisieren ein Arbeitskollektiv (ndjambi). Durch diese Art der Zusammenarbeit kann jeder helfende Hände für seine Arbeit bekommen, wenn er die nötige Vergütung in Form von Bier und Fleisch liefert. Nachdem ein Mann Bier zubereitet oder ein Tier geschlachtet hat, macht er den Leuten in benachbarten Dörfern bekannt, daß er ndjambi - Arbeit gemacht haben will. Früh am nächsten Morgen kommen dann die Leute, die sich daran beteiligen wollen. Sie arbeiten gewöhnlich bis etwa 2 Uhr nachmittags, dann gehen sie zum Hause des Besitzers und trinken dort soviel Bier wie sie wollen oder empfangen ihr Fleisch und gehen dann nach Hause. Danach bleibt der Besitzer sich selbst überlassen. Wenn er noch mehr Hilfe braucht, muß er ein neues ndjambi arrangieren (van Tonder, 1966:216-217). Die Okavangostämme haben eine Subsistenzwirtschaft, die nur genug Nahrung für die Dauer eines Jahres produziert. Alle Anbaupflanzen sind vom Regen abhängig, und die Menschen vertrauen auf Nyambi (Gott) und ihre Ahnen, daß sie ihnen genug Regen schicken, um Nahrung für ein weiteres Jahr zu gewinnen. Van Tonder (1966:218) sagt, daß „je mehr sie in guten Jahren ernten, um so besser und oft um so verschwenderischer leben sie später im Jahr.“ Es gibt keine Neigung zum Sparen für zukünftige Bedürfnisse. In ihrem Weltbild kommt wirtschaftliche Planung nur im Rahmen eines jahreszeitlichen Zyklus vor. Viehzucht spielt im Wirtschaftsleben der Okavangoleute eine wachsende Rolle. Als sie in das Gebiet einwanderten, hatten nur wenige Familien Rinder, aber heute gibt es viele Dörfer mit Rindern und Kleinvieh. Rinder werden wegen ihrer Milch, ihres Fleisches und ihrer Felle gehalten; man spannt sie zum Pflügen ein, und sie haben einen sehr hohen gesellschaftlichen Wert als Statussymbol. Außerdem sind Tieropfer für die Ahnengeister ein charakteristischer Teil der Ausübung verschiedener ritueller Handlungen. Für die Versorgung der Rinder sind Männer verantwortlich, was in Verbindung mit ihrer wachsenden Beteiligung an landwirtschaftlichen Arbeiten durch die Einführung des Pflugbaus eine größere Veränderung in der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern darstellt. Die Stärkung der wirtschaftlichen Stellung und des Ansehens der Männer hat in einer matrilinearen Gesellschaft weitgehende Konsequenzen, weil dadurch die Entwicklung der patrilinearen Bande zwischen einem Mann und seinen Kindern gefördert wird. Dies geschieht in der Tat heute im Okavangogebiet. Eine weitere wichtige wirtschaftliche Tätigkeit ist die Fischerei, die der Bevölkerung einen bedeutenden Teil ihrer Eiweißnahrung zuführt. Die am meisten 48
gefangenen Arten sind Tigerfische, Flußbarbe, Gelbfische und Brassen. Man baut Fischwehre im Fluß und gebraucht auch Fischkörbe und Angelschnüre mit Haken. Manchmal werden Fische mit Pfeil und Bogen erlegt oder in flachem Wasser sogar gespeert. Die Leute stellen auch Boote aus ausgehöhlten Baumstämmen her, die häufig auf dem Fluß benutzt werden.
Abb. 8. Fische im Kavangofluß werden oft mit langen Pfeilen geschossen. (Foto: Wolfgang Schatz).
Von den verschiedenen Methoden des Fischfangs wird nur eine von Frauen angewandt, nämlich die Verwendung des trichterförmigen Fischkorbes. Die Frauen bilden im flachen Wasser eine dichte Reihe. Sie halten die Körbe mit dem offenen Ende ins Wasser, wobei sie anderen Frauen gegenüberstehen, die vor den Korbhalterinnen einen weiten Halbkreis bilden und langsam die Lücke schließen, wobei sie mit den Füßen stampfen, während sie sich den Körben nähern. Auf diese Art werden die Fische in die Körbe gejagt. Wenn beide Gruppen dicht beieinander sind, werden die Körbe aus dem Wasser gehoben. Der Okavango zeichnete sich durch einen reichen Wildbestand aus, und die Jagd stellte traditionsgemäß einen wichtigen Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten der einheimischen Menschen dar. Die Mbukushu waren hauptsächlich ein Jägervolk, das die Landwirtschaft nur nebenbei betrieb. Gegenwärtig gibt es im be49
wohnten Gebiet jedoch kein Wild mehr, während die Jagd im Hinterland nur während der Jagdsaison und mit besonderer Erlaubnis gestattet ist. Das meiste Wild wird mit verschiedenartigen Fallen erlegt. Man legt auf den Wildwechseln auch große Fallgruben an. Sie heißen dikwina dyokupagha yikorama („Loch zum Töten des Wildes“). Das Loch bedeckt man mit dünnen Zweigen, Blättern und Gras, die unter der Belastung leicht zusammenbrechen. Kleinwild und Vögel werden in Schlingen gefangen. Die für kleine Antilopen verwendete heißt mughodhi. Affen, Gänse und Enten werden mit Pfeil und Bogen erlegt. Stachelschweine, Ameisenbären, Warzenschweine und Dachse tötet man mit Rauch in ihren Bauten. Am Eingang des Loches zündet man ein großes Feuer an, während alle übrigen Nebeneingänge blockiert werden. Dann wird das tote Tier ausgegraben. Springhasen fängt man mit einer dünnen Stange von sechs bis sieben Metern Länge, die an der Spitze einen Haken hat. Diese Stange wird in das Loch eingeführt, bis der Springhase am Haken hängt. Danach wird von oben ein Loch gegraben, und zwar etwa an der Stelle, wo sich das Ende der Stange befindet. Dann zieht man das Tier durch das Loch heraus (van Tonder, 1966:225-226). Krokodile fängt man mit einem großen Haken an einem Strick, der an einem starken Brett befestigt ist. Am Haken wird rohes Heisch aufgespießt, und man legt ihn am Wasser an einer Stelle aus, wo gewöhnlich Krokodile liegen. Wenn ein Krokodil das Fleisch annimmt, verschluckt es dieses und kehrt ins Wasser zurück, wobei es den Strick und das Brett mit sich zieht. Das Brett schwimmt oben und ermüdet schließlich das Tier, das immer wieder an die Oberfläche gezwungen wird. Dort wird es von den Jägern getötet. Das Sammeln von Feldkost im Okavangogebiet ist während des ganzen Jahres ebenfalls ein wichtiger Wirtschaftszweig. Neben Früchten, Beeren, Wurzeln und Knollen werden auch verschiedene Insektenarten gesammelt. Diese schließen Heuschrecken, fliegende Ameisen, Mopaniwürmer und eine andere Art der Baumraupen ein. Der Bevölkerungsanstieg innerhalb des Gebietes, verbunden mit den durch Erziehung und Ausbildung geschaffenen Bedürfnissen, führte zum Anwachsen der Wanderarbeit. Viele junge Männer nehmen daran teil, wenn auch noch in viel geringerem Maße als im Owamboland. Wegen dieser Tätigkeit hat sich der Prozeß des Kulturwandels in den konservativen Gemeinschaften des Okavangogebietes außerordentlich verstärkt. Der Übergang zur Geldwirtschaft hat zahlreiche Läden und Handelszentren entstehen lassen. Eine große Auswahl moderner Waren fand auf diese Weise Eingang in die Okavangogesellschaft und führte auch zu einer stärkeren Unterstützung der Händler auf der angolanischen Seite des Flusses. Die Einführung dieser Waren hat ihrerseits wieder das Ver50
langen nach mehr Geld und der Bildung eines Marktes stimuliert, wo man Vieh, landwirtschaftliche Produkte und handwerkliche Erzeugnisse verkaufen kann. Eine weitere erwähnenswerte ökonomische Tätigkeit ist die Holzschnitzerei, die sich bereits zu einer wichtigen Heimindustrie entwickelt hat. Diese Kunst wird hauptsächlich von Immigranten aus Angola ausgeübt, die sich unter den Stämmen der Kwangari und Mbunza niedergelassen haben. Sie benutzen Dolfholz (Pterocarpus angolensis), das sie zu Masken, Stühlen, Trommeln und verschiedenen Skulpturen verarbeiten. Diese Artikel werden in der Hauptsache in den Souvenirgeschäften der Städte verkauft, werden aber auch in die Republik Südafrika ausgeführt.
Abb. 9: Kavango-Holzschnitzerei aus Dolfholzstämmen (Pterocarpus angolensis). Die fertigen Artikel werden an der Straße nach Rundu angeboten.
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Politische Struktur Die fünf Stämme treten als unabhängige Einheiten auf, von denen jede ihre eigene interne politische Ordnung besitzt. An der Spitze der Struktur steht ein erblicher Häuptling, dessen Stellung innerhalb der herrschenden Linie der Häuptlingssippe matrilinear vererbt wird. In der Erbfolge stehen an erster Stelle seine jüngeren Brüder, dann kommt der älteste Sohn seiner ältesten Schwester. Der Häuptling ist der Treuhänder des gesamten Stammesgebietes, und sein Amt stellt den Mittelpunkt des Stammeslebens in all seinen Ausprägungen dar. Dezentralisierung der Verwaltungsfunktionen und die Übertragung von Machtbefugnissen findet nur in sehr begrenztem Maße statt. Der Häuptling (hompa oder fumu) wird als Verkörperung der gesetzgebenden, ausführenden und administrativen Macht in der Gesellschaft angesehen. Das Häuptlingsdorf (mbara) ist der Mittelpunkt der Stammesverwaltung und der Rechtsprechung. Hier werden die wichtigen Gerichtsfälle verhandelt einschließlich der Berufungen gegen Entscheidungen von Bezirksgerichten. Der Häuptling übernimmt die letzte Verantwortung für die Ordnung in seinem Jurisdiktionsgebiet. Stammesversammlungen und Gerichtssitzungen werden immer außerhalb des Hofraumes abgehalten. Ein Umstand, der Status und Ansehen des Häuptlings bedeutend stärkt, ist seine religiöse Stellung. Er spielt im rituellen Leben des Stammes eine wichtige Rolle, weil man glaubt, daß er Zugang zur übernatürlichen Welt habe - manche behaupten sogar, daß er selbst mit übernatürlichen Kräften ausgestattet sei. Eine seiner religiösen Pflichten besteht darin, zwischen dem Stamm und den verstorbenen Häuptlingen zu vermitteln, um Erfolg und Wohlergehen aller Stammesgenossen zu sichern. Er beachtet auch gewisse Tabus zu seinem eigenen Schutz und dem des gesamten Stammes. Er gibt den Anstoß zu allen landwirtschaftlichen Tätigkeiten wie auch zum Neujahrsfest, während der Mbukushuhäuptling außerdem noch die herkömmliche Regenzeremonie durchführt. Darüber hinaus wird er als das Große Feuer oder das Leben des Stammes betrachtet. Bei seinem Tode werden alle Feuer innerhalb des Stammes gelöscht. Der neue Häuptling zündet ein neues Feuer an, und alle seine Untertanen holen sich einen Brand von seinem Großen Feuer. Der gesamte Stamm stirbt symbolisch mit dem Häuptling. Nur wenn der neue Häuptling das neue Stammesfeuer angezündet und jeder Haushalt sein neues Feuer von ihm erhalten hat, wird der Stamm zur Ergebenheit gegenüber dem neuen Häuptling wiedergeboren. Van Tonder (1966:171-172) sagt, daß der Mbukushuhäuptling niemals eines natürlichen Todes sterben durfte. Wenn er offensichtlich beinahe tot war und keine Hoffnung auf Genesung bestand, wurde er von der Schwester seiner Mutter erstickt. Der Grund dafür ist, daß die übernatürlichen Kräfte des Häuptlings, die sich im gesamten Leben deutlich zeigen wie das Große Feuer, der Regen, 52
Erfolg und Fruchtbarkeit, ihm vor dem Tode abgenommen werden müssen. Sollte er eines natürlichen Todes sterben, würde er alles Leben mit sich nehmen und seine Leute hilflos zurücklassen. Van Tonder beschreibt Respekt und Gehorsam der Stammesgenossen gegenüber dem Häuptling wie folgt: „Alle Menschen sind Sklaven des Häuptlings. Ihre ganze Existenz hängt von ihm ab. Er beherrscht den Regenfall und das Erscheinen des Neuen Jahres. Er allein hat durch Gebet und Opfer Zugang zu den verstorbenen Häuptlingen, die ihrerseits das Wohlergehen der Menschen überwachen. Es ist diese einfache, doch allumfassende Tatsache, die Menschen dazu bringt, sich dem Häuptling vollständig zu unterwerfen und ihm preisgegeben zu sein. Sie sind die Sklaven des Häuptlings und müssen tun und geben, was er will, weil ihr Leben von seiner Gesundheit und seinem Wohlwollen für seine Leute abhängt. ... Nur wegen seiner Gunst können sie überhaupt am Leben bleiben. ... Die dem Häuptling entgegengebrachte Ehrung und Achtung wird deshalb von der Sitte streng vorgeschrieben und kommt im täglichen Leben des Stammes deutlich zum Ausdruck. ... Der Häuptling steht immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und Achtung.“ (1966:172-173)
Die hierarchische Ordnung von Führerschaft, Macht und Status umfaßt viele verschiedene Funktionäre und Mitglieder des Häuptlingsklans. Der Häuptling nimmt die zentrale Stellung ein. Innerhalb seiner eigenen Linie sind seine Mutter, ihre Schwestern, seine eigenen Schwestern und Brüder, seine Kinder und Enkelkinder alle eng mit ihm verbunden. Die Mutter des Häuptlings erfreut sich eines sehr hohen Ansehens. Hinter den Kulissen ist sie die einflußreichste Persönlichkeit des Stammes. Die meisten Entscheidungen des Häuptlings erfordern ihre Zustimmung. Sie hat auch die Unterstützung ihrer Schwestern. In der Ausführung seiner Verwaltungsfunktion wird der Häuptling von seinen Hauptratgebern, nämlich dem Boten und Leibdiener, den älteren indunas, anderen indunas und den „kleinen Häuptlingen“ (hafumughana - die jüngeren Brüder des Häuptlings) unterstützt. Als Brüder des Häuptlings sind sie alle mögliche Nachfolger des regierenden Häuptlings, wenn dieser sterben sollte. Sie stellen für den Häuptling eine potentielle Gefahr dar und werden deshalb scharf beobachtet und von politischen Ämtern ausgeschlossen. Bei den Mbukushu sind die drei dem Häuptling am nächsten stehenden Amtsträger der ngambera, der katapa und der mukamarombe. Der ngambera ist der persönliche Botschafter des Häuptlings, dem er am meisten vertraut. Er erfreut sich eines hohen Ansehens, und sein Wort trägt großes Gewicht. Wenn der Häuptling ein Problem hat, erfährt er als erster davon. Der katapa ist neben dem Häuptling der mächtigste Mann im Stamm. Wenn der Häuptling sich nicht wohlfühlt, übernimmt er die Herrschaft. Er bekleidet unter allen Untertanen des 53
Häuptlings die höchste Stellung. Der katapa ist gewöhnlich ein weiser und hochangesehener älterer Mann. Oft wurde er als ngambera des vorigen Häuptlings ausgebildet. Der mukamarombe ist der männliche Leibdiener des Häuptlings. Er schlachtet Rinder, bereitet die Mahlzeiten und das Bier für den Häuptling vor, versorgt seine Kleidung, steckt ihm die Pfeife an und hält die mbara in Ordnung. Man sagt, daß er die einzige Person ist, die mit dem Häuptling argumentieren und seine Stimme gegen ihn erheben darf. „Er darf reden und reden, bis der Häuptling still bleibt.“ (van Tonder, 1966:176). In jedem Stamm werden eine Anzahl Amtsträger (marenga im Kwangari und manduna im Mbukushu) ernannt. Abstammung spielt dabei keine Rolle. Keiner der gegenwärtigen Inhaber dieser Posten besitzt eine erbliche Stellung. Faktoren, die auf die Wahl der marenga Einfluß haben, sind ihre Loyalität gegenüber dem Häuptling, persönliche Integrität, Treue und Intelligenz. Sie werden als die Augen und Ohren des Häuptlings bezeichnet, und einige von ihnen werden in abgelegenen Teilen des Stammesgebietes stationiert, um den Häuptling über wichtige Lokalereignisse zu informieren. Die meisten marenga sind jedoch mit Pflichten im Häuptlingsdorf beschäftigt, wo sie als Diener, Leibwächter und Boten tätig sind. Die Klanoberhäupter (masimbi) sind eine weitere Kategorie von Leuten, die politischen Status haben. Nach Budack (1976:40) gab es in früheren Zeiten nur einen esimbi für jeden Matriklan, womit er die Existenz einer ranghöchsten Linie andeutet, in der die Leitung des Klans erblich war. Diese Tradition wurde jedoch verändert, um mehrere Senioren eines Klans in die Reihen der masimbi aufnehmen zu können. Das Ergebnis ist, daß gegenwärtig jeder Klan aus einer Anzahl prominenter Linien besteht, innerhalb derer die Stellung eines esimbi matrilinear vererbt wird. Diese Männer stammen gewöhnlich aus vornehmen und wohlhabenden Familien und haben in der Gemeinschaft beträchtlichen Einfluß. Da sie die ranghöchsten Mitglieder ihrer unterschiedlichen Linien sind, bekleiden sie immer auch die Stellung von Dorfhäuptlingen. Die masimbi innerhalb eines Stammes bilden keinen formellen Rat mit genau festgelegten Funktionen und Pflichten. Sie treten als informelle Ratgeber des Häuptlings auf und besuchen in ihn unregelmäßigen Abständen. Auf der anderen Seite hört der Häuptling in gewissen Angelegenheiten gern auf ihren Rat und bestellt eine Anzahl masimbi zur mbara, wenn er es für nötig hält. Je nach Art der Angelegenheit können diese Besuche auch im geheimen stattfinden und die Besprechungen in der Nacht abgehalten werden. Eine neuere Entwicklung in der politischen Struktur der Kavangostämme ist die teilweise Dezentralisierung der Stammesverwaltung durch die Ernennung von Distriktshäuptern mit begrenzter Jurisdiktion. Diese Funktionäre, die man foromani nennt (abgeleitet von dem Wort foremen), sind für die Verwaltung be54
stimmter Distrikte (nomukunda, Sg. mukundd) im Stammesgebiet verantwortlich. Sie untersuchen nur Trivialfälle, und alle Bußen werden fast vollständig an den Häuptling abgeführt. Die foromani bekleiden keine erblichen Stellungen, deshalb kann der Häuptling sie zu jeder Zeit entlassen oder durch einen anderen ersetzen. Die hierarchische Ordnung der Gerichte (ndsango) in der Mbukushugesellschaft, die Rechtsstreitigkeiten und strafbare Handlungen je nach Schwere des Falles untersuchen, ist wie folgt: 1. Das Gericht des Dorfhäuptlings (nyami). 2. Das Gericht des headmen (nduna). 3. Das Gericht des Hauptratgebers des Häuptlings (katapa). 4. Das Gericht des Häuptlings (fumu). Religion Das Gotteskonzept Die Kavangoleute glauben an ein Höchstes Wesen namens Karunga. Nur bei den Mbukushu wird es Nyambi genannt. Larson sagt: „Die Mbukushu kennen einen Gott (Nyambf}, der über allen Geschöpfen und Dingen steht. ... Er steht in der Rangordnung hoch über allen anderen, allen lebenden Kreaturen und unbelebten Dingen, er wurde nicht geschaffen, noch wurde er geboren; er existiert einfach. ... Nyambi lebt im Himmel (Diwiru), und zwar in seinem östlichen, Kudiwa genannten Teil, wo die Sonne aufgeht. Auch der Mond geht in diesem östlichen Himmelsteil auf. Der westliche Himmel ist als Mutokero, Platz des Sonnenuntergangs, bekannt. Dies ist ein schlechter Ort, weil jemand in diese Richtung blickt, wenn er in sein Grab gelegt wird. Von Ost nach West erstreckt sich die Länge des Himmels und von Nord nach Süd seine Breite. Die ganze Welt heißt Ditunga, und die meisten Mbukushu glauben, daß sie flach ist.“ (1984:9)
Nach van Tonder (1966:307-310) wird die Verehrung Nyambis durch die Mbukushu von ihrem Wunsch ausgelöst, das Leben zu erhalten und Tod und Unglück abzuwehren. Die Bedeutung von Nyambi wird aus ihrer Kosmologie deutlich. Sonne und Mond werden als „Nyambis Helfer“ (haghamweni waNyambi) angesehen, um die Menschen auf der Erde zu leiten und zu schützen. Die Sonne schützt die Menschen während des Tages vor dem Bösen und vor Unglück, weil sie ihnen Licht gibt, um sehen zu können, was sie tun, ohne in Schwierigkeiten zu geraten. In der Nacht erfüllt der Mond die gleiche Funktion, indem er Leuten den Weg zeigt und dadurch ihr Leben beschützt. Sonne und Mond stellt man sich in ihrem Wesen als Licht eines von Nyambi herstammenden Feuers vor. Durch sie gibt Nyambi den Menschen auf der Erde Licht und Leben. Während des Tages brennt dieses Feuer stark und verbreitet ungeheure 55
Hitze, aber in der Nacht wird das Feuer nur gerade am Leben erhalten, um Licht, aber keine Hitze zu spenden und den Menschen damit Zeit zur Ruhe zu schenken. Die Sterne (ntungwedhi) sind Nyambis Glühwürmchen (tutemwesi) und Helfer des Mondes in der Nacht. Manchmal versammeln sie sich in Gruppen (Milchstraße), um mehr Licht zu spenden, wenn der Mond sehr schwach ist. Sternschnuppen sind Glühwürmchen, die nur ihren normalen Platz am Himmel wechseln. Diese Erscheinung wird kudhiruka genannt. Der Wind (mpepo) ist Nyambi selbst, in dem Sinne, daß er sich im Winde zeigt. Nyambi ist überall, wie auch der Wind überall ist. Wenn Nyambi im Herbst einen kalten Wind bläst, schütteln die Bäume ihre Blätter ab; wenn er aber im Frühjahr einen warmen Wind bläst, beginnen die Bäume auszuschlagen. Im Wind sammeln sich die guten Geister um Nyambi und begleiten ihn auf all seinen vielen Reisen. Sturmwinde verkörpern Nyambis Zorn. Wenn ein Mann auf Jagd geht und der Wind dauernd seine Richtung wechselt und das Wild verjagt, ist es Nyambi, der auf Empfehlung der Ahnen gegen diesen Mann handelt, weil er etwas falsch gemacht hat. Der Regen (mvura), der mit den Wolken (mavuyi) kommt, wird vom Wind gebracht, in dem Nyambi und die Totengeister immer anwesend sind. Regen kommt mit Zustimmung der Ahnen von Nyambi. Wenn Nyambi jedoch von den Geistern beeinflußt wird, keinen Regen zu schicken, weil ihre lebenden Nachkommen unrecht gehandelt haben, bläst er einfach alle Wolken weg oder zieht sich ganz zurück, so daß kein Wind weht, um Wolken heranzubringen. Regen wird als natürlicher Zyklus aufgefaßt. Er dringt in die Erde (muve) ein. Im Winter beginnt das Wasser in die Luft aufzusteigen. Ein Beweis dafür ist der frühe Morgennebel (mbundu), der auf dem Boden und über dem Kavangofluß beobachtet wird. Der Nebel bereitet sich auf die Sommerregen vor und bildet weit entfernt Wolken, wo sie anfänglich nicht zu sehen sind. Die ersten Winde im Frühsommer blasen dann die Wolken aus ihrem Versteck und bringen Regen. Obwohl Nyambi eine Schlüsselrolle als Regenbringer spielt, werden an ihn keine Gebete gerichtet oder Opfer gebracht. Er handelt nur auf Bitten der guten Geister, die ständig um ihn sind. Ihrerseits reagieren die Geister auf das Verhalten ihrer lebenden Nachkommen. Wenn die Menschen ihre Ahnen durch schlechtes Benehmen ärgern, kann Nyambi nichts daran ändern. Nur durch an die Ahnen gerichtete Gebete und Opfer können die Menschen deren Wohlwollen sichern und den Segen der Geiste sowie die Zusammenarbeit Nyambis erlangen. Van Tonder sagt über ein besonderes Regenopfer der Mbukushu folgendes: 56
„Um Regen, diese für alles Leben so notwendige Substanz, zu bekommen, muß man rituell rein sein, und das kann nur durch Gebet und Opfer erreicht werden. Um all diese heiligen Segnungen des Lebens zu empfangen, muß man ein Leben geben, denn das Leben kann nicht fortbestehen, ohne Leben zu geben und zu empfangen. Um Leben zu empfangen, muß man bereit sein, Leben zu geben. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung wurde am Anfang jeder Regenzeit das neugeborene Baby der Regenfrau geopfert.“ (1966:309-310)
Shadipinyi - der Böse Die Mbukushu glauben auch an die Existenz eines bösen Wesens, Shadipinyi (dieser Glaube kommt bei den anderen Okavangoleuten nicht vor). Es ist der böse Diener Nyambis, dessen Aufgabe es ist, den Tod der Menschen zu verursachen und ihre Geister von der Erde in den Himmel zu bringen. Shadipinyi und Nyambi werden als gleich mächtig angesehen. Wenn Shadipinyi Verderben und Tod bringen will, können Nyambi oder irgendein Ahne nichts daran ändern. Keine Gebete oder Opfer können seine üblen Taten abwenden oder ungeschehen machen. Wenn man für den Regen ein Leben geopfert hat und es trotzdem nicht regnet, gibt man Shadipinyi die Schuld. Van Tonder sagt: „Kein Gebet oder Opfer ist jemals an Shadipinyi gerichtet worden. Denn gleichgültig, wie gut die Absichten eines Menschen sind, um Shadipinyis Gunst zu erlangen - er wendet alles Gute in etwas Schlechtes oder Böses. Es ist daher zwecklos, ihn anzubeten, denn er erfährt dadurch nur die Schwächen eines Menschen und nutzt sie zu seinem eigenen Vorteil.“ (1966: 310) Shadipinyi ist der „Entdecker der Sünder“. Manchmal tötet er Menschen oder verzaubert sie und verführt sie, andere umzubringen. Er benutzt verschiedene Methoden, um seine Zwecke zu erreichen: Es war Shadipinyi, der den Menschen zuerst das Bier und die Versuchung brachte. Er gab ihnen das Bier, um sie betrunken zu machen, damit sie miteinander in Streit geraten. Wenn Frauen zuviel Bier tranken, wurde ihre gegenseitige Eifersucht geweckt (Larson, 1984:11). Shadipinyi erscheint in verschiedener Gestalt, nämlich als Tier mit Hörnern, einem roten Schwanz und roten Nägeln, als Löwe oder als ein Mensch mit Hörnern. Ahnenverehrung Der Glaube an die Existenz der Ahnengeister (vadimu), die Macht haben, ihre lebenden Nachkommen zu beeinflussen, ist die Grundlage der praktischen Religion dieser Leute. Den vadimu werden regelmäßig Bittgebete und Opfer gewidmet, um ihr Wohlwollen und ihren Schutz zu sichern. Die auf diese Weise 57
erworbene Sicherheit kommt allen Mitgliedern einer besonderen Matrilinie zugute. Die Ritualhandlungen werden gewöhnlich vom ältesten männlichen Mitglied vorgenommen, das zwischen den Vorvätern und ihren lebenden Nachkommen vermittelt. Aber auch Witwen und geschiedene Kraalbesitzerinnen können an die vadimu gerichtete Rituale ausführen. Vernachlässigung dieser Opfer und die Verachtung der von den Vorvätern begründeten Stammestraditionen rufen den Zorn der vadimu hervor und veranlassen sie, ihre ungehorsamen Verwandten zu bestrafen. Dies geschieht normalerweise durch die Auferlegung von Krankheiten und anderem Mißgeschick, die entweder ein einzelnes oder mehrere Mitglieder der betreffenden Familie befallen. Verstorbene Häuptlinge haben augenscheinlich mehr Macht als gewöhnliche Verstorbene und können durch Verursachung von Trockenheiten und anderen nationalen Übeln den ganzen Stamm bestrafen. Deshalb wird die Regenzeremonie am Grabe eines der Häuptlinge veranstaltet. Die Mbukushu sind für die Durchführung dieser Zeremonie besonders berühmt, und andere Stämme warten in Trockenzeiten darauf, daß sie mit den erforderlichen Handlungen beginnen. Die Notwendigkeit genügenden Regens in Ackerbaugesellschaften ist offensichtlich, deshalb sind diese Zeremonien auch so wichtig. Magie und Zauberei Die Magie ist ein wichtiger Teil des täglichen Lebens der Menschen. Unpersönliche übernatürliche Mächte werden wegen ihres Nutzens von Wahrsagern und Medizinmännern eingespannt, aber es gibt auch Hexen und Zauberer, die im geheimen arbeiten und ihre magischen Kräfte darauf richten, Menschen zu schaden oder sie zu töten. Darüber hinaus findet sich eine lange Reihe religiöser Verbote, die von den Leuten eingehalten werden müssen, z.B. Speiseverbote, das Inzesttabu und verschiedene andere Verbote. Diese Regeln sind mit übernatürlichen Sanktionen verbunden. Wenn sie verletzt werden, bringt eine verderbliche magische Kraft (tama) dem Missetäter Schaden. Ein Wahrsager kann mit Hilfe seiner (oder ihrer) Ahnengeister Ursprung und Grund für übernatürliche Handlungen, die sich gegen eine oder mehrere Personen gerichtet haben, feststellen. Dabei benutzt er ein Wahrsagegerät, das bei den Mbukushu hanga und bei den westlichen Stämmen katemba genannt wird. Der Wahrsager kann die übernatürlichen Handlungen nicht beherrschen. Er kann höchstens an die Geister appellieren, seinem unglücklichen Kunden beizustehen. Wenn jemand krank wird, geht die Familie zuallererst zum Wahrsager, um „ihre Augen zu öffnen“. Die Krankheit und das Mißgeschick könnten von Nyambi und einem guten Geist herrühren oder von einem Zauberer bzw. einer Hexe (murodi) und Geistern. Wenn Nyambi und ein guter Geist als für das Problem verantwortlich festgestellt werden sollten, wird die Krankheit oder das Unglück 58
immer der Vernachlässigung der Beziehungen zu den Ahnengeistern der Leute zugeschrieben. Dann muß das Familienoberhaupt die Geister durch Opfer und Gebet besänftigen. Wenn ein murodi und böse Geister für das Unglück verantwortlich waren, muß ein Medizinmann konsultiert werden, um magische Handlungen gegen Zauberei auszuführen. Der Medizinmann (nganga) handelt oft (aber nicht immer) aufgrund von Informationen, die er vom Wahrsager bekommen hat. Bei den Mbukushu nimmt er an einem großen abendlichen Feuer eine Ritualhandlung vor. Ein Topf mit seiner Medizin (hapo) wird auf dem Feuer vorbereitet. Während die Medizin kocht, tanzt er und singt magische Lieder. Wenn der Topf zu kochen beginnt, wird der hapo-Brei dem Patienten vorgesetzt, wobei über ihn und den Topf eine Decke geworfen wird. Der Patient fängt bald an zu schwitzen, und man glaubt, daß die Medizin nun „in seinen Körper eindringt“. Die Behandlung und die begleitenden Tänze des nganga, in denen er verschiedene Tiere nachahmt, dauern oft die ganze Nacht hindurch an. Wenn der Patient am Morgen stirbt oder keine eigentliche Besserung eintritt, wird das einfach Shadipinyi und den bösen Geistern zugeschrieben, die sich eingemischt und das hapo des nganga wertlos gemacht haben. Die Familie nimmt das dem nganga nicht übel, weil man machtlos ist, wenn Shadipinyi sich einmischt - er ist wie Nyambi, und seine Macht ist größer als die irgendeines Irdischen. Der nganga (wie auch der Wahrsager) erfreut sich einer hohen Stellung wegen seiner Fachkenntnis und seiner Fähigkeiten, zu heilen und Übel abzuwenden. Die hapo ist der ureigenste Besitz jedes einzelnen nganga, und niemand darf sie berühren. Sie wird immer in einem geheimen Versteck aufbewahrt. Man glaubt, daß die herausragenden Eigenschaften gewisser Tiere und Menschen durch Hinzufügung von Teilen ihrer Körper zur hapo-Medizin auf diese übertragen werden können. Auch Stärkungsgetränke werden für die Leute bereitet. Man gewinnt die Stärke eines Löwen oder den Mut eines Leoparden durch den Gebrauch einer Medizin, die Teile dieser Tiere enthält (van Tonder, 1966:325328). Der Zauberer (murodi) wird sehr gefürchtet, weil er die Macht besitzt, Böses zu tun und Menschen willkürlich umzubringen. Er bringt den Menschen nur Schaden und tut niemals etwas Gutes. Seine Macht kommt von Shadipinyi und den bösen Geistern. Die Leute glauben, daß es genauso viele harodi wie Medizinmänner gibt. Van Tonder sagt: „Wenn ein Mann mit einem murodi in Berührung kommt, glaubt man, daß er tot ist, bevor er jemandem erzählen kann, wer der murodi ist. Aber durch Träume kann man einen murodi fangen. Das kann einen Mann das eigene Leben kosten, oder er kann selbst zum murodi werden. Wenn jemand träumen sollte, daß ein murodi ihm die Kehle durchschneidet, wacht er auf, spürt aber kein Blut. Er erzählt dann sofort sei-
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ner Frau, daß er den murodi gesehen hat und nennt seinen Namen. Durch die Erwähnung des Namens des murodi kann er jedoch sein eigenes Todesurteil aussprechen. Dann schießt ihm das Blut aus der Nase und er stirbt. Aber dann weiß man, wer der Mann ist, und forscht nach ihm. Er wird dann vor den Häuptling gebracht und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Wenn dies jedoch geschieht, bevor der Träumer stirbt, ist er gerettet. Der Träumer kann jedoch auch, nachdem er von dem murodi als Halsabschneider geträumt hat, schweigen und später zum murodi gehen und ihn bitten, sein Leben zu retten. Dann muß er selber zu einem murodi gemacht werden und wird unfähig, jemals zu erzählen, was geschehen ist. Alle von einem murodi getöteten Menschen werden Geister. Er hat freie Verfügung über diese Geistwesen, die er zum Töten von Menschen aussenden kann. Ein Wirbelwind ist das Werk eines murodi. Sollte er ein Haus oder einen Menschen treffen, muß sofort ein ngange gerufen werden, sonst muß jemand sterben.“ (1966:329-330)
Ein murodi tötet aus der Entfernung, ohne daß er mit seinem Opfer persönlichen Kontakt zu haben braucht. Weil er im Verborgenen und unter dem Schutz der Dunkelheit handelt, fürchtet man die Fremden und ist auch voller Mißtrauen gegen gewisse Leute in der Gemeinschaft. Stammesgenossen, die plötzlich reich und einflußreich werden, hält man oft für harodi, die gelernt haben, böse übernatürliche Kräfte zum eigenen Vorteil und zum Nachteil ihrer Gegner und Konkurrenten zu nutzen. Akkulturation Durch Akkulturation sind während dieses Jahrhunderts auf religiösem Gebiet grundlegende Veränderungen eingetreten. Diese Veränderungen können hauptsächlich den Bemühungen der Katholischen und der Finnischen Mission zugeschrieben werden. Die letztgenannte begann 1926 mit ihrer Arbeit, und 1957 wurde die unabhängige Evangelisch-Lutherische Ovambo-Kavangokirche (ELOK) gegründet (diese Kirche ist inzwischen in Evangehcal Lutheran Church in Namibia - ELCIN umbenannt worden). Katholische Missionare wurden 1910 aufgenommen, nachdem die ersten Sendboten dieser Kirche wegen ablehnender Haltung viele Rückschläge erlitten hatten. Wie zu erwarten ist, stellt die Mission in diesem Gebiet neben den Gesundheitsdiensten und dem Erziehungswesen einen der Hauptfaktoren im Prozeß der Kulturveränderung dar. Budack (1976:39) berichtet, daß sich die Sozialorganisation dieser Menschen gegenwärtig in einem Übergangsprozeß befindet. Nach seinen Aussagen ist die traditionelle Kreuzkusinenheirat selten geworden, die Polygynie fast ausgestorben und verliert die Stellung des Onkels mütterlicherseits ihre Bedeutung. Dieser Umstand wird der wachsenden Prominenz des Vaters zugeschrieben, der im Leben der Kinder allmählich an die Stelle des Mutterbruders tritt. 60
5. Kapitel
Die Fwe und Subia vom Caprivi Der Osten des Caprivizipfels ist die Heimat der beiden Stämme der Subia und Fwe, von denen der letztere einige Gruppen von Yeyi, Totela und Lozi einschließt. An den Ufern des Kavangoflusses im Westen leben die Mbukushu, deren Kultur im 4. Kapitel zusammen mit den übrigen Kavangostämmen behandelt wurde, zu denen sie früher gezählt wurden. Die Bevölkerung des Gebietes zählte 1993 92.000 Seelen. Natürliche Umgebung Der Caprivi ist ein schmaler Landstreifen, der sich vom Kavango im Westen bis zum Sambesi im Osten erstreckt. Im Norden hat er gemeinsame Grenzen mit Angola und Sambia und im Süden mit Botswana. Diese Region ist eben und sandig und umfaßt 19.532 km2. Sie bildet einen Teil des nördlichen Kalahari beckens, hat genug Wasser und einen jährlichen Niederschlag von durchschnittlich 625 mm. Der Regenfall nimmt zum Westen hin etwas ab. Der Caprivi wird im Westen vom Kavango durchflössen und in seiner Mitte vom Kwandofluß, während er im Nordosten bis zum Sambesi und im Südosten bis zum von Schwemmland umgebenen Chobefluß reicht. Der Pflanzenwuchs ist subtropisch und entspricht dem „Kalahari-Waldland“ des Okavangogebietes, obwohl die Bäume wegen des günstigeren Klimas höher wachsen. Hier kommen sehr hohe Mopanebäume (Colophospermum mopane), Dolfholz (Pterocarpus angolensis), rote Syringa (Burkea africana), Rhodesisches Teakholz (Baikiaea plurijuga) und Affenbrotbäume (Adansonia digitatä) vor. Geschichte der Besetzung Verschiedene mit dem Einfall und der Besetzung des Caprivi durch die Lozi aus Sambia verbundene Ereignisse und danach die Okkupation durch die Kololo aus Südafrika haben das Schicksal der ortsansässigen Bevölkerung und zu einem bedeutenden Grade auch die Art ihrer Kultur bestimmt. Die matrilinearen Traditionen der Lozi verbreiteten sich unter den Fwe, Subia und den mit ihnen verbundenen Gemeinschaften und machten deren Kulturen zu einer einzigartigen Mischung von Matri- und Patrilinearität. In groben Umrissen gab es die folgenden Perioden der Besetzung und intensiven Akkulturation: Das erste Lozireich Die Ausbreitung und Festigung des ersten Lozi-(oder Luyi-)reiches während des 17. und frühen 18. Jahrhunderts führte zur Unterwerfung der Mbukushu- und 61
Subiastämme am Sambesi und zu ihrer Verdrängung in andere Gebiete. Man ernannte in der eroberten Capriviregion südwestlich des Sambesi Lozi-Indunas, und die dortigen Stämme unterwarfen sich der Loziherrschaft und zahlten Tribut. Dieser Zustand hielt an, bis die Lozi von den nach Norden ziehenden Bafokeng, einem auf der Wanderschaft befindlichen Südsothostamm, besiegt wurden. Das Kololoreich Die Bafokeng unter Sebetwana, ein Südsothostamm aus dem heutigen Oranjefreistaat, sollten in den auf das erste Lozireich folgenden Jahren einen bedeutenden Einfluß auf das Leben der Caprivistämme gewinnen. Der Grund für ihre ausgedehnten Wanderungen kann auf die Zulukriege zurückgeführt werden. Van Warmelo sagt: „Alle diese (Südsotho) Stämme lebten bis 1822 friedlich und ziemlich ungestört, als die ersten flüchtigen Ngunihorden aus Natal über die Drakensberge in ihr Gebiet einbrachen und ein neues Zeitalter eingeleitet wurde. Wie anderswo, wurden diese Stämme aus ihrer Heimat vertrieben und begannen umherzuwandern. Politisches Chaos und Hungersnot regierten. Die Tlökwa unter Mantatise begaben sich auf den Weg des Raubes und der Eroberung. ... Sebetwane und seine Anhänger zogen nordwärts durch Bechuanaland (Botswana) und die Kalahari, bis sie den Oberlauf des Sambesi erreichten. Hier gründeten sie das sogenannte Königreich der Kololo von Barotseland, in dem Südsothosprache und -gebrauche noch in bedeutendem Maße fortbestehen.“ (1937:5859)
Nachdem er das Subiagebiet durchzogen und den Sambesi überschritten hatte, begab sich Sebetwane ins Toka-Hochland und unterwarf das Lozireich, das damals wegen innerer Streitigkeiten und Bürgerkriege bereits ziemlich geschwächt war. Unter seiner Führung wurde das Kololoreich gegründet, das sich über die Grenzen des früheren Lozireiches hinaus ausdehnte. Alle Stämme, die unter der Herrschaft der Lozikönige gestanden hatten, einschließlich der Fwe und Subia des Caprivi, wurden nun Teil des Kololoreiches. 1850 zog Sebetwane über den Sambesi zurück und ließ sich in Linyanti am Linyanti-(oder Chobe)fluß nieder, der die heutige Grenze zwischen dem Caprivi und Botswana bildet. Ein Jahr danach starb er. Im politischen Bereich paßte Sebetwane die bestehenden Lozitraditionen den Einrichtungen der Südsotho an. Das Reich wurde in vier Regionen unter der Herrschaft von Senioren der regierenden Kololo-Dynastie aufgeteilt. Das lila/oSystem der Lozi wurde fortgesetzt, weil es dem Bezirksbegriff der Südsotho stark ähnelte. In vielen Bezirken wurden loyale Lozi-manduna ernannt. Die bestehenden Verpflichtungen unterworfener Stämme zur Tributzahlung an die regierenden Gewalten des Reiches wurden beibehalten. Eine von Sebetwanes 62
Neuerungen war die Einführung des mephato-Sy&tems, in dem sich militärische Regimenter auf Initiationsgruppen stützten. Das überlieferte mafcoZo-System der Lozi wurde abgeschafft (Maritz, 1988:16). Sebetwanes Tochter Mmamochisane war seine Nachfolgerin. Sie dankte zugunsten ihres Halbbruders Sekeletu ab. Gegen seine Regierung regte sich überall Widerstand. Nach seinem Tode im Jahre 1863 wurde das Hauptquartier des Kololoreiches nördlich des Sambesi nach Sesheke zurückverlegt. 1864 wurden die Kololo jedoch von einem gut organisierten Loziaufstand überwältigt. In Säuberungsaktionen wurden alle Kololomänner aufgespürt und umgebracht, während ihre Frauen und Rinder in die Lozigemeinschaft integriert wurden. Das zweite Lozireich Die Lozi stellten ihre Macht über einige der kleineren Stämme wieder her und führten auch ihre Territorialverwaltung wieder ein, die starke Züge des Kololoeinflusses verriet. Auch der heutige Caprivi wurde in Bezirke unterteilt. Ihre Herrschaft, die durchgreifenden kulturellen und sprachlichen Einfluß auf die lokale Bevölkerung im Caprivi hatte, dauerte tatsächlich bis 1909, als Hauptmann Streitwolf, der Vertreter der deutschen Kolonialregierung in Südwestafrika, im Gebiet ankam. Deutsche und südafrikanische Herrschaft Nach einem Abkommen zwischen Großbritannien und Deutschland im Jahre 1890 erhielt das letztgenannte Land die Herrschaft über einen Zugangsstreifen von nicht weniger als 32 Kilometern, der sich von Südwestafrika bis zum Sambesi erstreckte. Er sollte als Caprivizipfel bekanntwerden. Bis 1909 waren jedoch keine Deutschen in diesem Gebiet. Als Hauptmann Streitwolf im Caprivi ankam, war das Gebiet dünn bevölkert, und alle Rinder wurden auf Befehl des Lozikönigs Lewanika über den Sambesi gebracht. In Linyanti traf er den alten Lozirepräsentanten Simataa Kabende (in Mamili umbenannt) und bestätigte seine Stellung als Stammesoberhaupt des Nichtsubia-Teiles der Bevölkerung (Fwe, Yeyi, Totela, Lozi und Mbukushu). Streitwolf erläuterte dann den Einwohnern die neue Lage, d.h. daß die Lozi in Zukunft im Caprivi keine Jurisdiktion mehr haben würden. Den Untertanen von Seluka, der während des ersten Lozireiches Repräsentant gewesen war, stellte er frei, entweder über den Sambesi nach Nordrhodesien (heute Sambia) zu ziehen oder im Caprivi zu bleiben und sich unter die Herrschaft von Mamili zu begeben. Sie beschlossen zu bleiben. Von hier aus zog Streitwolf ostwärts und ernannte einen früheren Häuptling der Subia zu ihrem Stammesoberhaupt. Er brachte auch die Rückgabe der abgetriebenen Rinder zustande (Maritz, 1988: 20-21). 63
Die südafrikanische Herrschaft über das Gebiet wurde 1919 eingeführt. Die traditionelle Stammesordnung wurde nicht nur anerkannt, sondern ihr wurde 1972 durch die Gründung von Stammesregierungen für die Fwe und Subia sogar eine feste Form gegeben. Ethnische Verschmelzung Die aufeinanderfolgenden Perioden der Lozi- und Kololoherrschaft im Caprivi brachten einen hohen Grad kultureller Homogenität mit sich. Während dieser Zeit wurde Silozi zur lingua franca aller Gruppen der Region und zur Schulsprache. An öffentlichen Orten wie Katima Mulilo sprechen die Leute im allgemeinen miteinander Silozi. Innerhalb der eigenen Gruppe gehen sie jedoch schnell zu ihrer Haussprache über, sei es Sisubia, Sifwe, Sitotela, Siyeyi oder Simbukushu. Die künstliche Schaffung eines größeren Fwe-Stammes, der nicht nur die eigentlichen Fwe, sondern auch Totela, Yeyi, eine lokale Mbukushu-Gemeinschaft, einige Lozifamilien und sogar Leute mit Kwengoherkunft umfaßt, war erfolgreich und führte zu einem Prozeß ethnischer Verschmelzung und der Bildung einer gesunden Grundlage für ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Fwe. Alle diese Gruppen akzeptierten Mamili, den früheren Repräsentanten des Lozireiches im Caprivi, als ihren gemeinsamen Häuptling. Gegenwärtig behaupten sie sogar, daß die Häuptlingsfamilie Mamili von Fwe, Yeyi oder Totela abstammt und sich schon „immer“ ihrer heutigen Stellung erfreute (Maritz, 1988:42-59). Politische Ordnung Die folgenden Einrichtungen sind die wichtigsten innerhalb der politischen Ordnung der Fwe und Subia: Das Stammesoberhaupt Die höchste Gewalt kommt dem Häuptling als Stammesoberhaupt zu. Im Sifwe wird er mfumu genannt, und im Sisubia simwine oder munitenge. Der Titel munitenge stammt aus dem früheren Häuptlingstum Itenge der Subia. Das Wort ist von mwina Itenge (Eigentümer von Itenge) abgeleitet. Noch heute benutzen die Subia gelegentlich diesen Titel, wenn sie ihren Häuptling ansprechen. Der Häuptling nimmt eine umfassende Führungsstellung ein, da er zugleich das politische, rechtliche, militärische, ökonomische, rituelle und zeremonielle Oberhaupt des Stammes ist. Er verfügt jedoch nicht über diktatorische Macht und handelt im Rahmen religiös sanktionierter Stammesüberlieferungen sowie unter den wachsamen Augen einer Hierarchie von Ratgebern und Funktionären, 64
die ihm nicht nur beistehen, sondern als Vertreter der öffentlichen Meinung auch sein Verhalten kontrollieren. Sein Hauptratgeber heißt ngambela, während der kuta genannte Stammesrat ihm bei vielen der ihm übertragenen Aufgaben hilft, besonders in bezug auf die Rechtsprechung. Ihre Vorschläge und Entscheidungen wird der Häuptling nicht einfach übergehen oder ablehnen. Für das Häuptlingsamt sind zwei Merkmale kennzeichnend: Herkunft und Befähigung. Zunächst muß der Kandidat ein männliches Mitglied des Häuptlingshauses innerhalb einer patrilinearen Abstammungslinie sein - diese Tradition kommt offensichtlich von den Kololo. Zum zweiten werden auch Persönlichkeit, Fähigkeiten und Eignung gebührend berücksichtigt. Wenn die Söhne des verstorbenen oder abgesetzten Häuptlings den Anforderungen nicht entsprechen, kann ein anderer Kandidat aus der Häuptlingsfamilie, zum Beispiel ein jüngerer Bruder, Neffe oder Cousin des vorigen Häuptlings, zu seinem Nachfolger ernannt werden. In dieser Hinsicht prüfen der Hauptratgeber (ngambela), der Stammesrat (kuta) und die Distriktsoberhäupter (manduna ya lilalo) die Meinung des gesamten Stammes. Die endgültige Entscheidung trifft man auf einer öffentlichen Versammlung der erwachsenen Männer des Stammes. Danach wird das Datum für die Amtseinführung des neuen Häuptlings bestimmt. Der Hauptratgeber Der Hauptratgeber (ngambela) nimmt als Mittler zwischen Stamm und Häuptling eine sehr wichtige Stellung ein. Maritz (1988:34) sagt, daß er die Wünsche des Häuptlings gegenüber dem Stamm und die des Stammes gegenüber dem Häuptling interpretiert und ausspricht. Weil er den Stamm beim Häuptling repräsentiert, darf er unter keinen Umständen zur Häuptlingsfamilie gehören, da er eine andere Interessengruppe vertritt. Die andere Seite seines Amtes ist seine Eigenschaft als persönlicher Berater, Vertrauter und Vormund des Häuptlings, dem er Mut macht und dessen Arbeit bei der Führung und Leitung des Stammes und bei der Bestrafung von Rechtsverletzern er erleichtert. Außerdem benutzt der Häuptling den ngambela in der Stammesverwaltung als seinen wichtigsten Exekutivbeamten. Er ist der Vorsitzende der kuta, obwohl alle dort gefällten Entscheidungen vom Häuptling bestätigt werden müssen. Ein neuer Häuptling ernennt gewöhnlich auch einen neuen ngambela. Der Häuptling, die kuta und die rangälteren manduna ya lilalo stellen eine Liste der möglichen Kandidaten auf Diese wird dann auf einer Volksversammlung besprochen und eine Entscheidung gefallt. Die Pflichten eines ngambela werden ihm öffentlich erläutert. Damit gibt man dem Stamm die Versicherung, daß dieser Mann genauso ihr Vertreter beim Häuptling ist wie der Verbindungsbeamte des Häuptlings beim Stamm. Ein ngambela kann nur im Extremfall vom Häuptling abgesetzt werden und auch dann nur nach intensiver Beratung zwi65
sehen Häuptling, kuta und den Bezirks-manduna. Wenn die Stammesvertreter im Rat die Handlungen des ngambela aber nicht verurteilen, kann der Häuptling nichts gegen ihn unternehmen, ohne den ganzen Stamm zu beleidigen und seine eigene Zukunft zu gefährden. Der Stammesrat Die kuta ist ein Stammesrat, der sich aus gewählten manduna der verschiedenen Bezirke zusammensetzt. Manchmal vertritt ein induna ya kuta zwei Bezirke. Vorsitzender der kuta, die im Stamm als höchste gesetzgebende, administrative und rechtliche Einrichtung gilt, ist der ngambela. Die Entscheidungen und Befunde sind in den meisten Fällen der endgültigen Genehmigung durch den Häuptling unterworfen. Von den manduna ya kuta wird erwartet, daß sie sofort zur Verfügung stehen, wenn Häuptling oder ngambela sie benötigen. Deshalb ist es für sie üblich, in der Nähe des Stammesbüros in dem Bezirk zu wohnen, wo der Häuptling residiert. Da sie auch in ständigem Kontakt mit den von ihnen vertretenen Bezirken bleiben müssen, treffen sie sich regelmäßig mit den manduna ya lilalo. Entweder bekommen sie Erlaubnis vom ngambela, ihren silalo zu besuchen, oder der induna ya silalo kommt zu ihnen (Maritz, 1988:36). Die Bezirke Die Stammesgebiete der Fwe und Subia sind in Bezirke unterteilt. Diese Bezirke (lilalo, Sg. silalo) sind die territorialen, verwaltungsmäßigen, rechtlichen und politischen Einheiten des Stammes. Jeder Bezirk besteht aus einer Anzahl Dörfer (minzi) sowie aus gemeinschaftlichem Weideland. Der Bezirk ist ein Stamm im kleinen und funktioniert auf der gleichen Grundlage, nur auf niedrigerer Ebene. Ein silalo steht unter der Herrschaft eines induna ya silalo, dem ein Bezirksrat (kuta ya silalo) zur Seite steht. Die Mitglieder dieser kuta sind die verschiedenen Dorfschulzen (manduna ya minzi). Der Rat tritt nur von Zeit zu Zeit zusammen, deshalb brauchen seine Mitglieder sich nicht jeden Tag zur Verfügung zu halten. Der Bezirksrat erledigt untergeordnete Gerichtssachen, hält Recht und Ordnung im Bezirk aufrecht und verleiht auf Empfehlung des Stammesrates neu hinzuziehenden Familien Wohnrechte. Wie schon früher angedeutet, wird ein silalo auf dem zentralen Stammesrat (kuta) durch einen gewählten induna ya kuta vertreten. Er erfreut sich eines höheren Ansehens als der induna ya silalo. Der erstgenannte hat die Pflicht, den Bezirks-induna von den Entscheidungen des Stammesrates in Kenntnis zu setzen, so daß sie am Orte durchgeführt werden können. Auch die Ankündigungen von allgemeinen Stammesversammlungen werden vom induna ya silalo nach 66
Mitteilung von Seiten des induna ya kuta den Dorfschulzen übermittelt (Maritz, 1988:38-39). Das Dorf Das Dorf (munzi, Pl. minzi) wird von Bluts- und angeheirateten Verwandten bewohnt. Dorfschulze (induna ya munzi) ist der höchstrangige Mann aufgrund von Alter und Herkunft. Deshalb wird er nicht gewählt. In großen minzi können ihm ältere Familienmitglieder in seinen Führungsaufgaben beistehen und ihn beraten. Als ranghöchste Persönlichkeit der Familie besitzt der Dorfschulze das größte Ansehen; als politisches Oberhaupt der Familie (oder erweiterten Familie) fällt er Entscheidungen, schlichtet Streitigkeiten unter den Angehörigen und vertritt die Familie auf dem Bezirksrat und bei Stammes Versammlungen; als wirtschaftliches Oberhaupt trifft er die wichtigsten Anordnungen für Produktion und Verbrauch; als rituelles Oberhaupt führt er die Aufsicht bei Familienzeremonien, und als religiöses Oberhaupt hält er die guten Beziehungen mit den Ahnengeistern durch ehrenvolle Behandlung aufrecht, während er auch Schritte unternehmen kann, das munzi oder einzelne Bewohner desselben gegen Zauberei zu schützen. Sozialordnung Die langen Perioden der Lozi- und Kololoherrschaft über die Caprivistämme haben auf ihre Kulturen einen ungeheuren Einfluß ausgeübt. Pretorius (1975:55) sagt, daß die Fwe ursprünglich eine matrilineare Sozialordnung besaßen. Die Reiche der Lozi und Kololo förderten alle beide patrilineare Einrichtungen. Gluckman sagt: ... die Lozi und ihre verwandten Unterstämme sind überwiegend patrilinear und patrilokal, obwohl die Stämme in der Umgebung matrilinear und oft matrilokal sind.“ (1950:167) Die sechs Matriklane (zilongo, Sg. chilongo) der Fwe haben die meisten ihrer Funktionen verloren und überleben gerade noch als verschiedene Verwandtschaftsgruppen. Die Linien sind durch geringe genealogische Tiefe gekennzeichnet und leben infolge der patrilokalen Maritalresidenzregel verstreut. Pretorius definiert Klan und Linie folgendermaßen: „In scharfem Gegensatz zu anderen matrilinearen Stämmen in Zentralafrika gibt es für Angehörige des gleichen Klans kein Verbot, einander zu heiraten. Die Aufnahme in einen chilongo beruht auf Abstammung. Diese wird in mütterlicher Linie berechnet. Leute mit gemeinsamem Klannamen erwarten nicht unbedingt die Feststellung einer genealogischen Beziehung; die Fwe verfolgen ihre genealogische Verwandtschaft von den Erwachsenen aus nicht weiter als über drei oder vier Generationen. Jeder Klan ist weit verstreut; in jedem Dorf ist eine
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beliebige Anzahl der Klane vertreten. Die Fwe bauen sich also aus breitgefächerten unilinearen Gruppen auf, aber diese Gruppen, die Klane, scheinen keine erkennbaren Funktionen zu haben, weder im Hinblick auf die politische Ordnung, noch auf die Religion, Erb- und Nachfolge oder die Nutzung und den Besitz des Landes.“ (1975:56-57)
Die grundlegende soziale Einheit der Fwe- und Subiagesellschaft ist die erweiterte patrilokale Familie. Einige dieser Familien schließen sich zusammen und wählen einen Dorfhäuptling. Durch Heirat bilden sich neue Familien. Obwohl die Zahl polygynischer Ehen abnimmt, werden sie doch immer noch geschlossen. Früher war es bei wohlhabenden und einflußreichen Männern allgemeiner Brauch, viele Frauen zu haben. Mamili, der erste Häuptling der Fwe, hatte 25 Frauen. Die kombinierte Wirkung ökonomischer Faktoren, westlicher Erziehung und der Christianisierung war die Ursache für den starken Rückgang polygynischer Ehen zugunsten monogamer Verbindungen. Die Bezahlung von Heiratsgütern (marobolo) ist in diesen Gemeinschaften eine Neuerung, da in früheren Zeiten der Bräutigam einige Jahre für die Eltern der Braut arbeiten mußte. Gegenwärtig bezahlt er nur lobola in bar oder in Form von Rindern (Shamukuni, 1972:170). Die Wohnweise nach der Heirat ist patrilokal. In vielen Fällen wird jedoch von dem Jungverheirateten Paar noch erwartet, in den ersten Wochen nach der Hochzeit matrilokal zu wohnen. Während dieser Zeit kann der Mann die Familie seiner Frau besser kennenlernen, und auch die Brauteltern können sich davon überzeugen, daß ihr Schwiegersohn ein guter Mensch ist. Danach steht es dem Mann frei, seine Frau in seinen eigenen Bezirk und sein eigenes Dorf mitzunehmen. Nach Shamukuni gibt es bei den Subia immer noch Beispiele für matrilokale Maritalresidenz: „Einige Männer müssen unter bestimmten Umständen ständig bei ihren Brauteltern wohnen. Die Eheform, in der ein Mann ständig bei den Eltern oder Verwandten seiner Frau wohnt, heißt die umbwa mu/Zz/'-Heirat. Früher betraf diese Eheform hauptsächlich Fremde oder Leute, die Töchter eines Häuptlings heirateten. Ein Fremder, der im Stamm weder einen Wohnbezirk noch eine Familiengruppe besaß, wurde durch die sozialen' Verhältnisse gezwungen, im Bezirk seiner Frau zu wohnen. Wenn jemand tapfer oder ein guter Jäger war, erlaubte man ihm, die Häuptlingstochter zu heiraten, ob er ein Fremder oder Mitglied der Häuptlingsfamilie war oder nicht.... Häuptlingstöchter wurden meistens von Fremden geheiratet.“ (1972:170)
Das Ehepaar muß seine eigene Unterkunft bauen. Eine Familienwohnung besteht aus mindestens zwei Hütten, von denen eine als Küche und die andere als Schlafzimmer benutzt wird. Mit der Familie wächst dann auch die Heimstätte. 68
Unter den Übergangsriten gibt es keine Initiationszeremonie für Jungen, sondern nur für Mädchen. In dieser Hinsicht sagt Shamukuni: „Die Subia haben keine Initiationszeremonien für Jungen, aber halten Pubertätszeremonien für Mädchen ab. Wenn ein Mädchen seine erste Menstruation (kufulumana) bekommt, wird es zwei Monate lang isoliert gehalten. Früher dauerte das noch länger. Während dieser Absonderungsperiode darf das heranwachsende Mädchen (kamwale) von keinem Mann gesehen werden. Die ziemlich ausführlichen Zeremonien werden ausschließlich von älteren Frauen durchgeführt. Mädchen vor der Pubertät dürfen ihnen nicht beiwohnen. Charakteristisch für die Zeremonien sind Gesänge, Tänze und von Händeklatschen begleitetes Geschrei. Das heranwachsende Mädchen erhält Unterricht über die Rolle einer Frau in der Gesellschaft, einschließlich der Familienbetreuung. Sie wird während der Instruktionen gewöhnlich geschlagen. Als früher noch Kinderverlobung stattfand, heiratete das heranwachsende Mädchen gleich nach dem Abschluß ihrer Initiationszeremonien. Dies hatte oft zur Folge, daß junge Mädchen doppelt so alte Männer heirateten. Heutzutage werden Ehen zu einer Angelegenheit des Paares selbst, und die beiderseitigen Eltern werden informiert, wenn die beiden sich einig sind.“ (1972:170-172)
Die Zahlung der lobola legalisiert den Ehevertrag zwischen den beiden Familien. Danach wird der Tag für das Hochzeitsfest bestimmt. Die Heirat ist für die Familien der Braut und des Bräutigams eine öffentliche Angelegenheit. Auch Freunde und Nachbarn werden eingeladen. Man schenkt an alle Anwesenden Bier aus, und in vielen Fällen wird ein Rind geschlachtet. Während des Hochzeitstanzes stellt man Braut und Bräutigam der Öffentlichkeit vor, und sie erhalten Geldgeschenke. Nach der Hochzeit und einem kurzen Aufenthalt bei der Brautfamilie zieht das Paar in sein eigenes Heim in den Bezirk des Ehemannes. Damit übernehmen beide unter den wachsamen Augen der Älteren ihre neuen Rollen in den festgelegten Verwandtschafts- und Territorialstrukturen sowie in der politischen und wirtschaftlichen Ordnung ihrer Gesellschaft. Wirtschaftsleben Die Fwe und Subia betreiben eine Mischwirtschaft aus Hackbau, Hirtentum, Jagd, Sammelwirtschaft und Fischerei. Die geographische Isolierung des Caprivi, der weit von Städten, Metropolen und industriellen Wachstumszentren entfernt liegt, führte dazu, daß sich die Leute für ihren Lebensunterhalt in der Hauptsache auf ihre traditionelle Subsistenzwirtschaft stützen müssen. Die von Regierungsstellen im Caprivi angebotenen Arbeitsgelegenheiten sind bei weitem nicht zahlreich genug, um den Bedarf auf dem lokalen Arbeitsmarkt befriedigen zu können. 69
Das Rückgrat der traditionellen Wirtschaft dieser Leute ist der Ackerbau. Die von ihnen kultivierten Feldfrüchte umfassen Mais, Sorghum, Hirse, Kürbisse, Erdnüsse, Bohnen, Maniok, Süßkartoffeln, Melonen und chinesisches Zuckerrohr. Ihre Hauptnahrung besteht aus dickem Maisbrei (inkoko), der mit Fisch oder Milch gegessen wird. Viehzucht wird ebenfalls betrieben, aber in der Vergangenheit wurden die Herden oft durch Viehkrankheiten stark dezimiert. Die Lage hat sich in jüngerer Zeit beträchtlich verbessert, und viele Leute farmen jetzt mit Rindern, Schafen und Ziegen. Man benutzt Ochsen, um Sandschlitten und Pflüge zu ziehen, und Esel zum Transport von Lasten. In den Heimstätten und ihrer näheren Umgebung hält man Hühner. In den meisten Dörfern werden Hunde gehalten, um Raubtiere abzuschrecken, die auf Haustiere Jagd machen. Zur Bekämpfung von Mäusen und Schlangen in den Hütten gibt es auch Katzen. Die Jagd, Sammelwirtschaft und Fischerei zählen ebenfalls zu den wichtigen Wirtschaftszweigen, besonders die Fischerei. Bevor die heutigen Jagdgesetze eingeführt wurden, erlegte man sehr viele Flußpferde und anderes Wild. Flußpferdfleisch wird mehr als alles andere geschätzt. Im Vertriebssystem der Waren wie Nahrungsmittel spielen traditionelle Märkte eine wichtige Rolle. Alle Anstrengungen der Behörden, diese zur Aufrechterhaltung hygienischer Normen einzuschränken, zu kontrollieren oder zu verändern, waren fruchtlos. Der folgende Beitrag aus der amtlichen namibischen Regierungszeitung New Era (Band 1, Nr. 11, 9.-15.9.93, S. 31) gibt eine lebhafte Beschreibung eines solchen Marktes im Caprivi und hebt gewisse wirtschaftliche Probleme der Straßenhändler hervor: „Katima Mulilo - man wird von einem scharfen Gestank nach faulender Substanz begrüßt, wenn man durch das Tor tritt. Aber die Menschen aller Schichten lassen sich durch den Duft nicht beirren. Willkommen auf dem offenen Markt des Ngwezi Stadtteils dieser Stadt im Nordosten! Früher haben die Behörden schon oft versucht, diesen Markt zu schließen, den sie als ekelhaft bezeichneten, aber die Verkäufer gruppierten sich schnell um und machten ihre Geschäfte wie üblich. Obwohl die Sache unhygienisch und eine Quelle vieler möglicher Krankheiten ist, wurde diese Art der wirtschaftlichen Tätigkeit jetzt von den Behörden als notwendiges Übel anerkannt. Der Markt blüht; aber das für die Unterbringung der Verkäufer errichtete Gebäude ist zu klein geworden, und die meisten haben sich über das umliegende Gelände ausgebreitet. Obwohl der Beitrag dieses Zweiges der nationalen Wirtschaft nicht genau bestimmt werden kann, kann man sehen, daß hier sehr viel Geld den Besitzer wechselt. Der Markt bietet eine Vielfalt verderblicher und nichtverderblicher Waren an. Er ist weitbekannt für seine verschiedenen Fischarten, besonders
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die frischen Brachsen und Flußbarben. Man findet auch alle Arten von Trockenfisch. Saure Milch wird verkauft ... Nahrungsmittel schließen Trockenbohnen, Maniok und Kohl ein. Der Markt ist auch für den Verkauf von Innereien, Hufen und Tierköpfen bekannt. Man verkauft auch alte Kleidung und afrikanische bedruckte Stoffe. Seit der Unabhängigkeit hat sich die Zahl der Verkäufer auf dem Markt vergrößert, was die Konkurrenz verstärkt. Nach Charity Pelekelo, die seit den späten siebziger Jahren in Ngwezi ist, gehen die Geschäfte nicht mehr so gut wie früher. Um 1988 verdiente sie auf dem Markt etwa R200 pro Tag, und mit diesem Betrag konnte sie ihre fünf Kinder und ihren arbeitslosen Mann ernähren. Heute, sagt sie, bekommt sie kaum R20 pro Tag. Pelekelo ist nicht die einzige Marktfrau, die über die flaue Geschäftslage klagt. Für Beatrice Lifuma ist das größte Problem die Überschwemmung des Marktes durch Leute, die keine Namibier sind: ,Der Markt ist von Sambiern übernommen worden, die jetzt Dreiviertel der Verkäufer stellen. Wir dürfen auf dem offenen Markt der Sambier nicht verkaufen, weshalb dürfen die dann bei uns verkaufen?' fragte sie.... Trotz der unhygienischen Verhältnisse sagen die Leute, daß der Markt einen wertvollen Dienst leistet: ,Den Markt sollte man florieren lassen, weil er für einige unserer Leute die einzige Möglichkeit zum Überleben bietet.' Der Geruch von faulenden Innereien und Flußbarben und das Fliegengesumm über den Sauermilchbehältern haben die Aufmerksamkeit der Gesundheitsinspektoren und des Stadtrates nicht erregt. So lebt der Volksmarkt weiter.“
Soweit es die materielle Kultur und Technologie betrifft, haben die Leute verschiedene Fertigkeiten entwickelt. Früher mußten sie selber für alle materiellen Bedürfnisse sorgen, weil keine Fertigprodukte zum Verkauf angeboten wurden. Obwohl Kleidung, die meisten Haushaltsartikel und viele andere Waren heute gekauft werden, übt man immer noch bestimmte traditionelle Handwerke aus. Frauen stellen gebrannte Tontöpfe verschiedener Formen und Größen für den Hausgebrauch her. Mit Material wie Palmblättern und Gras fertigen sie kegelförmige Körbe (matundu), Biersiebe (mituto), Schlafmatten (masasa), Vorratsbehälter für Korn (mayanga) und andere Haushaltsartikel an. Die Männer stellen aus Baumstämmen Kanus, Musiktrommeln, Stampfblöcke, Eimer, Schüsseln und Hackenstiele her und machen auch Eisenarbeiten, wie Äxte, Messer und andere Waffen. Einige sind geschickte Schmiede. Der Hüttenbau ist ein gemeinsames Unternehmen von Männern und Frauen. Sie bauen runde oder viereckige Hütten mit einer Grundstruktur aus Pfählen und Lattenstützen. Die Wände werden mit einer Mischung aus Schlamm und Kuhdung verputzt, die Dächer mit Gras gedeckt. Rund um die Hütten errichtet man eine Umzäunung aus Schilfrohr (irapa). 71
Religion Die Religion der Fwe und Subia ist in ihrem Kern Ahnenverehrung. Die verstorbenen Ahnen werden als Schutzgeister der Familie angesehen. Sie strafen diejenigen, die sie nicht respektieren und die außerdem die Stammesüberlieferungen außer acht lassen. Man glaubt, daß die Geister mit dem Schöpfer (Shandandulo oder Ireezd) in Verbindung stehen. Die Ahnengeister leiten die Bittgebete ihrer lebenden Nachkommen an Shandandulo weiter, der dann Regen gibt, dem Jäger Erfolg schenkt und die Menschen vor verschiedenen Mißgeschicken schützt. Während es zur Verantwortlichkeit jedes Familienoberhaupts gehört, zwischen lebenden und toten Angehörigen seiner Gruppe zu vermitteln, ist der Häuptling das Verbindungsglied zwischen dem ganzen Stamm und den verstorbenen Häuptlingen aus der regierenden Familie. Man glaubt, daß den Stamm Unheil befallen würde, wenn er seine religiösen Pflichten vernachlässigt. Unter diesen Stämmen besteht auch ein starker Glaube an magische Kräfte. Wahrsager und Medizinmänner machen sich diese Macht zum Wohle der Menschen zunutze, während die Zauberer eine üble Veranlagung haben und nur danach trachten, die Leute zu schädigen und zu töten. Einige traditionelle Heiler und Wahrsager besitzen höheres Ansehen als andere. Im Fwestamm ist man allgemein der Ansicht, daß die besten Medizinmänner und Regenmacher bei den Mbukushu zu finden sind.
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6. Kapitel
Die Herero Nachdem sie in der Mitte des 18. Jahrhunderts ihre Südwanderung aus dem Kaokoland begonnen hatten, zogen die Herero als nomadische Hirten durch weite Landstriche. Zahlreiche Kriege gegen die Nama wie auch gegen die deutschen Truppen trugen noch mehr zu ihrer Verbreitung über ein riesiges Gebiet bei, das sich vom Damaraland im Westen bis zur Botswanagrenze im Osten und noch darüber hinaus erstreckt. Es liegt auf der Hand, daß diese Ereignisse, verbunden mit der durch engen Kontakt mit verschiedenen anderen Völkern verursachten Akkulturation, einen ungeheuren Einfluß auf alle Bereiche ihres nationalen Lebens ausübten. Natürliche Umgebung Das frühere „Hereroland“ mit seinen weniger als 50.000 Einwohnern umfaßt ein ausgedehntes Gebiet von 44.756 km2. Das als „Hereroland-Ost“ (Otjinene, Otjozondjou und Omongwa) bekannte Gebiet bildet einen Teil der gegenwärtigen Omaheke-Region im mittleren Osten des Landes, während „Hereroland-West“ (die Gegend um Okakarara) in der Region Otjozondjupa liegt. Topographisch gehört Hereroland zur Zone der nördlichen Kalahari, die ein flaches, sandiges Gelände mit permanenten Sanddünen in ihren östlichen Teilen ist. Das Gebiet senkt sich über die ganze Entfernung von 380 km von Okakarara im Westen bis zur Botswanagrenze allmählich von 1300 bis 1050 m über dem Meeresspiegel ab. An vielen Stellen beträgt das durchschnittliche Neigungsverhältnis nur 1:5000, und das genügt nicht zur Bildung von Flüssen. Einige breite, aber flache Wasserläufe (omiramba) führen die periodischen Fluten in nordöstlicher und östlicher Richtung ab. Der bedeutendste davon ist der Omuramba waMatako, der östlich von Rundu in den Kavango mündet. Obwohl in einigen omuramba-Betten Wasserlöcher gegraben werden können, sind große Teile des mittleren und nordöstlichen Hererolandes wegen des Mangels an genügend Oberflächenwasser noch unbewohnt. Der jährliche Regenfall wechselt zwischen 400 und 500 mm. Die Temperaturen sind typisch für eine inländische Halbwüste mit heißen Tagen und kühlen Nächten. An durchschnittlich 150 Tagen im Jahr übersteigt die Temperatur 30°, während sie in etwa 10 Nächten unter Null absinkt. In den niedriger liegenden omiramba kommen Temperaturen unter Null jedoch häufiger vor. Im größten Teil der Region bilden Dornbusch und Kameldornsavanne die Vegetationstypen, mit Acacia mellifera ssp. detinens und A. erioloba als vorherr73
sehenden Arten. Andere sehr verbreitete Arten sind A. reficiens, A. ßeckii, A. erubescens, A. hebeclada, A. ataxaeantha, A. nebrownii, Lonchocarpus nelsii, Boscia albitrunca, Ziziphus mucronata, Dichrostachys cinerea ssp. africana, Tarchonanthus camphoratus, Grewia flava, Bauhinia macrantha und Combretum mechovianum. Combretum imberbe und Cataphractes alexandri sowie Acacia nebrownii kommen im Osten oft zusammen mit an die Oberfläche tretendem Kalkstein vor. In der sandigen Kalahariregion findet man auch schöne Bestände der Terminalia sericea. Eine beachtliche Zahl von Hereroleuten lebt außerhalb der traditionellen Siedlungsgebiete in städtischen Zentren, besonders in den folgenden Distrikten: Windhoek, Okahandja, Otjiwarongo, Gobabis, Grootfontein, Karibib und Omaruru. Diese Leute halten die enge Verbindung mit ihren Verwandten auf dem Lande aufrecht und besuchen sie oft. Besiedlungsgeschichte Nachdem die Herero fast zwei Jahrhunderte lang im Kaokoland und benachbarten Teilen Angolas gewohnt hatten, zwangen schwere Trockenperioden sie dazu, weiter nach Süden zu wandern. Ihr marginales Wohngebiet in den halbwüstenartigen Grasflächen des Kaokolandes war seiner Natur nach den schädlichen Folgen der Überweidung und Übervölkerung nicht gewachsen, und das trug noch mehr zur Notwendigkeit der Auswanderung bei. Nach der mündlichen Überlieferung hatten sich die eng verwandten Mbanderu aus Hereroland-Ost schon vor der Einwanderung der Hauptgruppe der Herero ins Kaokoland von letzteren getrennt. Ungefähr 1750 trafen die ersten Gruppen der Herero in der Umgebung des Swakopflusses auf Khoi-khoin. Da immer mehr Herero sich in den zentralen Teilen des Landes niederließen, wurde der Konflikt mit den Oorlam, die von der Kapprovinz aus in nördlicher Richtung zogen, unvermeidlich. Im Jahre 1830 ereignete sich der erste Zusammenstoß zwischen Herero und dem Oorlamhäuptling Jonker Afrikaner in der Nähe des heutigen Windhoek. Jonker und seine Gefolgsleute, denen Mitglieder anderer Khoi-khoi-Stämme zur Seite standen, hatten vor ihren Gegnern einen großen Vorteil, da sie mit Gewehren bewaffnet waren. Sie trieben die Herero nach Okahandja zurück, schlössen aber später unter dem Einfluß des Missionars Hugo Hahn einen Friedensvertrag mit ihnen. Jonkers Traum eines mächtigen Reiches nördlich von Windhoek veranlaßte ihn schließlich 1850, den Vertrag zu brechen. In diesem Kampf starben viele Menschen und wurde eine große Anzahl Rinder geraubt. Während der darauffolgenden Jahre mußten die Überfalle fortgesetzt werden, weil Jonker seine hohen Schulden für Alkohol und Waren mit Hererorindern bezahlte. 74
Der Hererohäuptling Tjamuaha starb 1861, Nachfolger wurde sein zielstrebiger Sohn Maharero. Dieser baute seine Stellung bald aus und war entschlossen, die Herero von Jonkers Tyrannei zu befreien. Auch Jonker starb 1861, und sein Sohn Christian Afrikaner folgte ihm im Amt. Der letztgenannte wurde von Maharero gefangengenommen, eine Zeitlang festgehalten und dann nach Otjimbingwe geschickt. Christian war darüber so wütend, daß er ins Namaland reiste, um dort Unterstützung für einen Angriff auf Maharero zu suchen. Die Entscheidungsschlacht, in der die Nama eine vernichtende Niederlage erlitten, wurde am 15. Juni 1863 in Otjimbingwe geschlagen. Christian fiel, und ihm folgte als Häuptling sein Bruder Jan Jonker. Die darauffolgenden sieben Jahre waren mit endloser Gewalt, Strafexpeditionen und Viehraub zwischen Khoi-khoin und Herero erfüllt. Maharero stellte eine sehr wirkungsvolle Militärmacht auf, und der Feind erlitt beträchtliche Verluste. Die Herero verlegten viele Rinder auf Viehposten im Norden, um sie den Oorlamund Nama-Abteilungen der Khoi-khoin zu entziehen. Durch Vermittlung der Missionare wurde ein Friedensvertrag geschlossen, der von 1870 bis 1880 Bestand hatte. Während dieser Zeit dehnte sich die Missionsarbeit unter den Herero stark aus. Die religiöse und erzieherische Besserung der Menschen wurde geplant und auf weiter Front begonnen. Im Jahre 1880 stahlen die Nama 1500 Ochsen, die Maharero speziell für sein eigenes Begräbnis reserviert hatte. Der Häuptling war dadurch so aufgebracht, daß er die rücksichtslose Ausrottung aller Oorlam und Nama in Okahandja und anderen Hererogebieten anordnete. Diese Taten führten zu einer neuen Welle der Gewalt und des Blutvergießens. Die Spannung zwischen den beiden Gruppen wuchs mit jedem weiteren Vorfall - besonders nachdem Mahareros Sohn Wilhelm, ein christlicher Lehrer, gefallen war. Bei den Nama zeichnete sich der Häuptling Hendrik Witbooi aus und übernahm die Führung von Jonker Afrikaner, dem Häuptling des Afrikanerstammes. Am 6. August 1884 wurde in Angra Pequena (später in Lüderitzbucht umbenannt) die deutsche Flagge gehißt, und kurz danach wurden Verträge mit Namaund Hererohäuptlingen abgeschlossen. Hendrik Witbooi weigerte sich, die Bedingungen der Deutschen anzunehmen, und schloß statt dessen 1892 Frieden mit den Herero, um einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden. Kurz danach wurde er von den deutschen Truppen unterworfen und zog sich nach Gibeon zurück, wo er bis 1903 friedlich wohnte. Während der Friedenszeit von 1894 bis 1903 wurden in Namibia (damals Südwestafrika) große Entwicklungsprojekte verwirklicht einschließlich des Eisenbahnbaus von Swakopmund nach Windhoek. Immer mehr Farmer und Händler 75
ließen sich in verschiedenen Landesteilen nieder. Samuel Maharero, der seinem Vater 1890 als Häuptling gefolgt war, verkaufte viele Farmen in den gut mit Wasser versorgten Regionen des von den Herero bewohnten Landes an deutsche Siedler. Das verursachte große Unzufriedenheit bei seinen Leuten, aber er war hinter dem Geld her und setzte diese Praxis fort. Seine Gefolgsleute wurden mit dem Versprechen beruhigt, daß sie sich das Land später zurückholen würden. Gegen Ende 1903 erhoben sich die Bondelswarts im äußersten Süden der Kolonie gegen die deutschen Behörden. Sofort wurde ein Truppenverband ins Namaland gesandt, um den Frieden wiederherzustellen, und zu diesem Zweck wurde Hereroland zeitweilig von allem Militär entblößt. Diese Gelegenheit ergriff Samuel Maharero und verwirklichte seine Pläne. Im Januar 1904 wurden Geheimbefehle für den Mord an allen deutschen Farmern, Händlern und anderen Siedlern ausgeschickt. Die Missionare und alle Frauen und Kinder sollten jedoch von diesem Befehl ausgenommen sein. Mehr als 150 Deutsche wurden während der darauffolgenden Rebellion umgebracht. Diese verhängnisvolle Entscheidung Samuel Mahareros erwies sich für die südlichen Herero fast als nationaler Selbstmord. Durch die deutschen Vergeltungsmaßnahmen wurde die Macht der Herero vollständig gebrochen. Ihre Streitkräfte zogen sich von Okahandja und den umliegenden Orten zum Waterberg zurück, wo sie den deutschen Vormarsch erwarteten. Im August 1905 wurde hier die Entscheidungsschlacht geschlagen. Die wirkliche Zahl der Gefallenen ist unbekannt, auch kennt man die große Zahl der Flüchtlinge nicht, die im wasserlosen Kalahari-Sandfeld auf ihrer Flucht ins Ngamigebiet im früheren Bechuanaland (heute Botswana) zugrunde gingen. Die einzige zuverlässige Zahlenangabe bezieht sich auf die 3000 Kriegsgefangenen. Rheinische Missionare richteten drei Lager ein, in denen 12.000 halbverhungerte Flüchtlinge aus verschiedenen Landesteilen und die 3000 Kriegsgefangenen untergebracht und versorgt wurden. Viele von ihnen wandten sich dem christlichen Glauben zu und wurden später von Händlern und Farmern als Arbeiter eingestellt. Am 26. Oktober 1905 beschlagnahmten die deutschen Behörden alles Land, das früher den Herero gehört hatte, und bestimmten, daß niemand von ihnen Rinder halten dürfe. Ihre einzige Alternative war, den Arbeitsmarkt zu betreten und sich in den weißen Gebieten niederzulassen, entweder auf Farmen oder in den Städten, wo auch immer sie eine Anstellung finden konnten. Samuel Maharero starb während seines selbstauferlegten Exils im Bechuanaland und wurde am 26. August 1923 neben Tjamuaha und Maharero auf dem Häuptlingsfriedhof in Okahandja beerdigt. Jahr für Jahr versammeln sich am Jahrestage dieses Ereignisses die Herero aus allen Himmelsrichtungen in Okahandja und veranstalten ein Gedenkfest zu Ehren ihrer früheren Führer. 76
Abb. 10: Ein Hereromann mit seinen Rindern. Hirtenvölker können sich keine sinnvolle Art der Existenz ohne Rinder vorstellen.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Südwestafrika der damaligen Südafrikanischen Union als C-Mandat anvertraut. 1920 ernannte man die Native Reserves Commission. Nach ihren Empfehlungen wurden eine Anzahl Reservate als Wohngebiete für Herero geschaffen. Diese waren Ovitoto, Otjituuo, Aminuis, Epukiro, Waterberg-Ost, Otjohorongo und ein Teil des Kaokofeldes. Dadurch wurden die Herero in die Lage versetzt, ihre nationale Eigenart neu zu beleben und noch einmal ihre auf das Hirtentum gegründete traditionelle Subsistenzwirtschaft zu betreiben. Auch die politische Restauration war ein Teil dieses Prozesses, und in allen Reservaten wurden nichterbliche Vorleute (headmen) und Ratsmänner gewählt, um die Verantwortung für Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten zu übernehmen. Im späteren „Hereroland“ in den 60er Jahren wurden viele der früheren Reservate unter Hinzufügung weiterer Gebiete in einem zusammenhängenden Block konsolidiert. Diesem Vorgehen lag die Absicht zugrunde, mehr Menschen in ihren traditionellen Gebieten ansiedeln zu können. Sozialorganisation Das auffallendste Merkmal der Sozialstruktur der Herero ist die Anwendung der doppelten Abstammungsrechnung. Nach dieser Einrichtung ist jedes Mitglied der Gemeinschaft mit zwei unterschiedlichen Verwandtschaftsgruppen verbunden, von denen man entweder einlinig durch den Vater oder durch die Mutter verwandt ist. Die patrilineare Gruppe wird oruzo (PI. otuzo) genannt und die matrilineare eanda (PI. omaanda). Dieses System der Abstammungsrechnung erscheint auf den ersten Blick als sehr widersprüchlich, weil man nicht erwartet, daß auf patri- und matrilinearen Prinzipien beruhende Einrichtungen nebenein77
ander existieren können. Bei näherer Untersuchung wird jedoch bald offenbar, daß oruzo und eanda zwei völlig verschiedene funktionelle Interessen repräsentieren, weil Wohnweisen, religiöse Aktivitäten und die Machtausübung in der Familie sich nach patrilinearen Grundsätzen richten, wohingegen die wichtigste wirtschaftliche Tätigkeit, d.h. die Kontrolle und Vererbung des beweglichen Eigentums, auf die matrilinearen Gruppierungen beschränkt ist. Obwohl die Bedeutung der Abstammung von Vatersseite von den Herero nicht unterschätzt wird, wird allgemein die Ansicht vertreten, daß die Mitgliedschaft in einer matrilinearen Gruppe in der Gesellschaft grundlegende Bedeutung hat. Diese Ansicht gründet sich auf die Überlieferung einer allgemeinen matrilinearen Herkunft aller hererosprechenden Völker - ein Glaube, der besagt, daß sie alle von einer einzigen Urmutter abstammen. Die matrilinearen Gruppierungen Bei allen hererosprechenden Gruppen findet man die sechs folgenden Matriklans: Omukwendata, Omukweyuva, Omukwenambura, Omukwauti (auch Omukwandongo genannt), Omukwatjivi und Omukwendjandje. Eine siebente eanda, Omukwenatja, kommt nur in den Gemeinschaften der Himba und Tjavikwa vor. Aus den mythologischen Berichten über den Ursprung der Klane wird deutlich, daß die Urmutter der sieben omaanda nicht nur nahe verwandt sind, sondern auch von der gleichen Ahnin abstammen. Einige omaanda teilten sich später in Unterklane. Einer von diesen, Omukwendata wondjuwo onene (Omukwendata des großen Hauses), wurde als Häuptlingsklan eingesetzt, in dem die erblichen Führungsstellungen matrilinear vererbt wurden. Dieser Unterklan wird auch Omukwendata wozongombe - d.h. Omukwendata der Rinder genannt, um anzudeuten, daß er über große Rinderherden verfügt. Es leuchtet ein, daß Reichtum in Form von Rindern als starkes Statussymbol in einer Hirtengesellschaft ein charakteristischer Zug des Häuptlingsklans sein muß. Eine andere eanda, die hohes politisches Ansehen besaß, war Omukweyuva. Mit der darauffolgenden Einführung der Patriklane verloren die Herero jedoch ihre matrilinear vererbbaren Häuptlingsschaften und entwickelten sich zu dezentralisierten, staatenlosen Gemeinschaften (Malan, 1973:84-93). Gegenwärtig stehen die sieben Matriklane in keiner Rangordnung zueinander und können nach ihrer politischen Seniorität nicht unterschieden werden. Die Auswahl der headmen und auch eines nationalen Führers wird deshalb nicht auf der Grundlage der Abstammung getroffen. In diesem Zusammenhang ist die einzige Bedingung, daß der Kandidat zu einer der sieben omaanda gehören muß, das bedeutet nicht mehr als eine grundsätzliche Zugehörigkeit zur Hereronationalität. Jedes Einzelwesen erhält die Mitgliedschaft eines Matriklans durch Geburt und wird auf diese Art mit Verwandten verbunden, die einseitig nach der mütterlichen Linie bestimmt werden, 78
Die wirklichen genealogischen Beziehungen zwischen allen Angehörigen des gleichen Klans können nicht ermittelt werden, weil die Verwandtschaft sich auf gemeinsame Abkunft von einer entfernten imaginären Stamm-Mutter gründet. Diese Art der Abstammungsrechnung beruht ihrer Natur nach auf einer Fiktion, denn die Genealogien sind zu lückenhaft, um eine direkte Abstammung von der erwähnten Stamm-Mutter beweisen zu können. Klanangehörige der gleichen Generation betrachten sich trotzdem gegenseitig als Brüder und Schwestern und benutzen die klassifikatorische Verwandtschaftsterminologie, wenn sie Angehörige älterer Generationen ansprechen, z.B. Vater, Mutter, Großvater und Großmutter. Aus dieser verwandtschaftlichen Bindung entsteht auf natürliche Weise die Regel der Klanexogamie, wenn sie auch nicht immer streng durchgesetzt wird. Heiraten zwischen Klangenossen kommen vor, wenn es sich nicht gerade um Angehörige der gleichen Linie innerhalb des Klans handelt. Alle Klane sind in kleinere Einheiten gleicher Zusammensetzung, aber geringerer genealogischer Tiefe unterteilt. Diese einlinigen Verwandtschaftsgruppen sind Klansegmente und bilden den sozialen Rahmen, in dem die Mitglieder handeln und die Aufgaben des Klans erfüllen. Im Gegensatz zum Klan ist die Abstammungsrechnung innerhalb dieser Gruppe nicht fiktiv, weil eine Matrilinie aus Leuten besteht, deren Verwandtschaft auf der gemeinsamen Herkunft von der gleichen bekannten Stamm-Mutter beruht. Die Linien stellen deshalb verschiedene Familiengruppen dar, die alle den gleichen Klannamen tragen und dadurch ihren gemeinsamen Ursprung anzeigen. Wegen der langen Zeit, die seit der Entstehung der Klane vergangen ist, können die genauen genealogischen Verbindungen zwischen den dazugehörigen Linien oder Familiengruppen nicht mehr bestimmt werden. In jeder Linie wird die Abstammung nur über fünf Generationen berechnet - das sind die drei lebenden Generationen und zwei aufsteigende Generationen von Vormüttern. Die Linien sind streng exogam. Infolge der patrilokalen Maritalresidenz ist die Matrilinie eine geographisch verstreute Abstammungsgruppe, deren wichtigste soziale Veranstaltungen Hochzeiten und Begräbnisse ihrer Mitglieder sind. Die eanda verrichtet ihre Aufgabe der Eigentumsüberwachung vor allem wirksam während dieser unregelmäßig stattfindenden Ereignisse. In einer Hirtengesellschaft geht es bei dieser Aufgabe um viele Rinder, so daß der Matrilinearität große praktische Bedeutung zukommt. Junge Männer nutzen oft die wirtschaftliche Verbindung zwischen Mitgliedern der gleichen eanda aus. Wenn sie Rinder oder Geld haben wollen, wenden sie sich an ihren Onkel mütterlicherseits und nehmen dadurch Mittel in Anspruch, deren rechtmäßige Erben sie sind. Selten stellt jemand derartige Forderungen an seinen Vater, weil der zu einer anderen eanda gehört und keine Rinder seiner eigenen Matrilinie veräußern darf, wenn es sich nicht um unmittelbare Bedürfnisse seiner Familie handelt. Wenn man berücksichtigt, daß Frau und Kinder eines Mannes nicht zu seiner eanda gehören, kann man sich leicht vorstellen, daß er angesichts der Beschränkungen, ihnen größere Geschenke zu machen, in einer Klemme steckt. 79
Abb. 11: Hererofrauen in ihrer Tracht der Viktorianischen Zeit, die von den ersten Missionaren nach Namibia gebracht wurde.
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Die patrilinearen Gruppierungen Die Herero berücksichtigen auch die patrilineare Abstammung, und das führte zur Gründung von etwa zwanzig exogamen Patriklans (oruzo), die keine Rangordnung oder Überlieferung eines gemeinsamen Ursprungs haben. Jede oruzo besitzt einen Satz magisch-religiöser Verbote, die von allen Mitgliedern beachtet werden müssen. Die meisten davon sind Speiseverbote. Ihrer Struktur nach teilt sich die oruzo in eine Anzahl Linien mit einer durchschnittlichen Tiefe von fünf Generationen. Die beiden ältesten Generationen bestehen aus männlichen Ahnen, und ihre lebenden Nachkommen bilden die drei folgenden Generationen. Der älteste Mann der Gruppe bekleidet die Stellung eines Dorfoberhauptes und tritt als Mittler zwischen den lebenden und toten Angehörigen der Linie auf. Er ist für die Opfer und Gebete am Heiligen Feuer (okuruwo) verantwortlich, die hauptsächlich seinem verstorbenen Vater und Großvater gewidmet sind. Die letzteren werden als hervorragende und aktive Mitglieder der oruzo angesehen, obwohl sie nur von der Welt der Geister aus handeln. Die Patrilinien haben einen festen Wohnsitz und erfreuen sich eines guten Zusammenhalts. Sie ordnen das Leben des Einzelnen auf örtlicher Ebene. In diesen Zusammenhang gehört die Durchführung politischer, religiöser und wirtschaftlicher Aufgaben. Man könnte die Frage stellen, weshalb die Regel avunkulokaler Maritalresidenz durch die der patrilokalen Maritalresidenz ersetzt wurde, wodurch sich die Tür zur Einführung weiterer patrilinearer Einrichtungen öffnete. Die eigentliche Begründung für diese Veränderungen liegt in der Wirtschaftsordnung, weil die Einführung des Hirtentums in matrilinearen Gemeinschaften fast unfehlbar zur Übernahme der pakilokalen Maritalresidenz führte (Murdock, 1949:206). Bei den Herero sind die Lokalgruppen oder Dörfer (ozongandä) tatsächlich nach patrilinearen Grundsätzen geordnet. Aus mythologischen Berichten über den Klanursprung ist offenkundig, daß die Gründer neuer Gruppen Beschränkungen in bezug auf den Genuß gewisser Nahrungsmittel einführten und außerdem die Haltung von Tieren einer gewissen Art und Farbe vorschrieben. Alle Mitglieder einer Haushaltung, einschließlich der bei ihnen wohnenden verheirateten Söhne, waren diesen Tabus unterworfen. Nach dem Tode des Dorfoberhaupts wurden die Tabus religiös bekräftigt und dadurch die Notwendigkeit geschaffen, sich an einen patrilinearen Vorfahren zu wenden, falls eine Krankheit auf die Übertretung dieser Regeln zurückzuführen war. Auf diese Weise führte die Bildung patrilokaler Gruppierungen zur Gründung patrilinearer Klane in der Gesellschaft, die sich durch eine starke Betonung der mit ihnen verbundenen religiösen Funktionen auszeichnen. 81
Wirtschaftsleben Nach der Überlieferung führten die Hererohirten mit ihren großen Rinderherden eine nomadische Lebensweise, wie es einige ihrer Verwandten im Kaokoland immer noch tun. Im Hereroland sind nomadische Wanderungen jedoch außerordentlich eingeschränkt, weil die meisten Menschen heutzutage permanente Wohnsitze errichtet haben. Veränderungen der Wasser- und Weideverhältnisse begegnet man mit der Einrichtung verlegbarer Viehposten. Die jungen Männer ziehen oft mit dem Vieh herum, um saisonbedingte Weide nutzen zu können, kehren aber nach einigen Monaten immer zum Hauptdorf zurück, wenn die Weideverhältnisse sich verbessert haben.
Abb. 12: Eine Frau beim Buttern mit einem Flaschenkürbis.
Da Rinder wirklich als Lebensinhalt der Herero bezeichnet werden können, hält man strenge Kontrollmaßnahmen zum Schutz der Interessen aller Beteiligten ein. Zweckentfremdung von Vieh in größerem Umfang ist nicht erlaubt, weil es Menschen gibt, deren materieller Wohlstand davon abhängt, und andere, die in der Hoffnung leben, genug Rinder zu erben, um eine angemessene Existenz führen zu können. Die Verwaltung der Viehherden folgt dem Grundsatz, daß es 82
im eigentlichen Sinne des Wortes keinen Privatbesitz an Rindern gibt. Das bedeutet, daß niemand ein unbeschränktes Recht hat, seine Rinder über seine unmittelbaren Bedürfnisse hinaus zu veräußern. Die Rinder gehören der Linie, deren Mitglied er ist und von der er den größten Teil seines Besitzes durch Erbschaft erhalten hat. Weil der Großteil allen Besitzes matrilinear vererbt wird, bleibt produktives Eigentum hauptsächlich unter Kontrolle der gleichen eanda. Obwohl der Haupterbe die meisten geerbten Rinder für sich behalten darf, ist er verpflichtet, den Besitz mit seinen Brüdern und den Söhnen der jüngeren Schwestern seiner Mutter zu teilen, weil sie alle im gleichen Verhältnis zu dem Verstorbenen stehen, der ihr Onkel mütterlicherseits war. Das Teilungsprinzip wird unter Aufsicht des Linienoberhaupts bestimmt und hängt u.a. von der Größe des Nachlasses ab. Mit dem Antritt des Erbes übernimmt der Erbe gewisse Verpflichtungen für die materielle Wohlfahrt der Frauen und Kinder des Verstorbenen. Der Unterhalt der Familie wird fortgesetzt, bis die Frauen gestorben, die Söhne wirtschaftlich unabhängig und die Töchter verheiratet sind. Obwohl die patrilinearen Familienmitglieder eines Verstorbenen ein unbestrittenes Recht zur wirtschaftlichen Versorgung aus seinem Viehbestand haben, können sie doch nie ein Eigentumsrecht darüber beanspruchen, weil es sich um Produktiveigentum handelt, das auf matrilinearer Grundlage von einer anderen eanda verwaltet wird. Bei Erbteilungen taucht gegenwärtig ein neues Erbprinzip auf, und zwar gibt man den Kindern des Verstorbenen förmlich ein paar Rinder und etwas Kleinvieh aus dem Nachlaß ihres Vaters. Hier handelt es sich um eine bedeutungsvolle Tendenz innerhalb des bestehenden Wettbewerbs zwischen den eandaund orMzo-Gruppierungen in der Gesellschaft, die sicher darauf hindeutet, daß den lokalisierten Patrilinien noch mehr Funktionen übertragen werden. Ein externer Umstand, der auf das Wirtschaftsleben der südlichen Herero weitreichenden Einfluß ausübt, ist der hohe Akkulturationsgrad, dem sie ausgesetzt sind. Tatsächlich ist ihre gesamte Technologie durch die europäische Kultur, mit der sie nun ein Jahrhundert lang in Berührung waren, weitgehend umgeformt worden. Die meisten Hererofrauen tragen noch immer die Kleider im viktorianischen Stil, die von den Frauen der deutschen Missionare eingeführt wurden, und die Möblierung und Konstruktion ihrer Häuser hat sich radikal verändert. Trotz aller neuen Möglichkeiten zum Erwerb des Lebensunterhalts, die ihnen durch Erziehung und Ausbildung in industriellen Berufen eröffnet wurden, schätzen die Herero immer noch mehr als alles andere das Ideal des Rinderfarmers. Deshalb bieten sie sehr selten ihre Dienste auf dem Arbeitsmarkt an und überlassen es den Owambo und anderen Leuten, diese freien Stellen zu besetzen. 83
Politisches System Die Herero sind ihrer Überlieferung nach eine segmentierte oder staatenlose Gesellschaft. Die Praxis der doppelten Abstammungsrechnung führt geradewegs zum Fehlen einer zentralisierten politischen Struktur in der Gesellschaft. Daß jemand zwei Erben hat, einen auf der väterlichen, den anderen auf der mütterlichen Seite, bringt unvermeidlich die Bildung verschiedener Parteien mit sich, die miteinander um die Stellung des Verstorbenen wetteifern. Als einziges mit der Tradition der doppelten Abstammungsrechnung zu vereinbarendes System erwies sich die Wahl nichterblicher Führer. Während der vielen Jahre ihrer Wanderungen und Nomadenzüge beschränkten sich die verschiedenen hererosprechenden Völker fast ausschließlich auf die Sozialstrukturen ihrer verstreut lebenden Matrilinien und die politisch-religiösen Strukturen ihrer lokalisierten Patrilinien. Erst als sie seßhafter wurden, schufen sie eine politische Ordnung unter Leitung von nichterblichen headmen. Danach zeigte sich die Notwendigkeit einer nationalen Führung, um die ganze Nation betreffende, schwierige Fragen anzusprechen. Nationale Führerschaft Von den Herero durchlebte nationale Krisen, wie ihre Zusammenstöße mit Namastämmen und später mit deutschen Truppen, führten zur Notwendigkeit nationaler Aktionen und erforderten folgerichtig auch einen nationalen Führer. Es war unter diesen Umständen, daß Tjamuaha zur Stellung eines ombara (Oberhäuptling oder König) aufstieg. Als solcher wurde er jedoch nie von allen Herero und schon gar nicht von den Mbanderu anerkannt. Durch patrilineare Erbfolge übernahm sein berühmter Sohn Maharero sein Amt, dem später dessen Sohn Katjikumua (Samuel Maharero) folgte. Nach Samuels Tode wurde sein Sohn Frederick Tjamuaha nicht zum Oberhäuptling ernannt. Hosea Kutako, eine volkstümliche Wahl nur aufgrund von Verdienst, wurde der neue nationale Führer. Als er 1970 starb, folgte ihm Clemens Kapuuo, und nach ihm kam 1976 der heutige Oberhäuptling Kuaima Riruako. Keiner von ihnen stammt aus dem Hause Tjamuaha, und sie sind auch nicht eng miteinander verwandt. Angesichts der obengenannten Ereignisse ist es offensichtlich, daß bei der Ernennung eines nationalen Führers pragmatische Gesichtspunkte gelten. Patrilineare oder matrilineare Verbindungen mit der Häuptlingsfamilie bedeuten für den Kandidaten zwar einen entschiedenen Vorteil, aber die Abstammung ist nicht das einzige Kriterium. Soweit es Verwandtschaft angeht, ist die einzige Bedingung, daß der Kandidat ein Hereromann aus irgendeinem der bestehenden matrilinearen Klane sein muß. Die entscheidenden Anforderungen sind seine Führungsqualitäten wie eine starke Persönlichkeit, Intelligenz, Organisationstalent und gute Erziehung. 84
Einige Herero und Mbanderu zeigen jedoch starke Neigung, die nationale Führungsposition Riruakos in Frage zu stellen. Sie versuchen, die Häuptlingshäuser von Tjamuaha (zentrale und östliche Herero) und Kahimemua (Mbanderu im äußersten östlichen Teil des Hererolandes) aufs neue zu beleben. Viele andere unterstützen zwar die Bewegung zur Wiedereinsetzung dieser Häuptlingshäuser, wollen aber die Oberhäuptlingschaft Riruakos über alle Gruppen beibehalten. Die Anhänger von Tjamuaha gründeten die „Vereinigung der roten Fahne“ (Otjira tjotjiserandu), die ihre Ahnen während einer jährlichen Feier in Okahandja verehrt, wo Tjamuaha und seine Söhne, die Mahareros, begraben wurden. Die Mbanderu bildeten die „Vereinigung der grünen Fahne“ und versammeln sich von Jahr zu Jahr auf zwei Farmen im Bezirk Gobabis und am Grab des Häuptlings Kahimemua in Okahandja, während die Anhänger von Zeraua eine „Vereinigung der weißen Fahne“ haben. Riruako bemüht sich gegenwärtig (1993) eifrig um die Sicherung der Einheit aller Herero und Mbanderu unter seiner Führung und um ihre Mobilisierung für eine nationale Aktion gegen die angebliche Benachteiligung der Herero in Namibia. Im Oktober 1993 wurde eine große, von 1000 Hereroabgeordneten aus allen Gemeinschaften besuchte Versammlung in Otjinene in Hereroland-Ost abgehalten. Über das Hauptanliegen dieser Versammlung wurde wie folgt berichtet: „Die am letzten Wochenende hier abgehaltene Versammlung aller Herero beschloß die Gründung eines aus 50 Mitgliedern bestehenden Komitees zum Kampf für das Überleben und die Entwicklung der hererosprechenden Gemeinschaften. Die Idee zur Gründung des Komitees folgt auf öffentliche Behauptungen traditioneller und politischer Hereroführer, daß die Regierung zum Nachteil aller anderen alle Entwicklungshilfe in die Gebiete der Ovambosprachigen lenke. Der Herero-Oberhäuptling Kuaima Riruako sagte der Versammlung, daß es für die Herero höchste Zeit sei, für ihr Überleben und ihre Entwicklung einzutreten, weil die Regierung sich angeblich nicht darum kümmere. Er sagte, daß die Regierung seit der Unabhängigkeit nichts für die Besserung der Misere unter den Herero getan habe, die Landlosigkeit und Armut einschließe .... Er fügte hinzu, daß das Komitee eine Stiftung gründen würde, die Hosea-Kutako-Stiftung genannt werden sollte, um alle Entwicktungsinitiativen in den von hererosprechenden Menschen bewohnten Gebieten zu koordinieren... Das Komitee beschloß außerdem, Frauen in die Geschäftsführung und die Organisation dieser Stiftung aufzunehmen... Die sechs Hererohäuptlinge, die Riruakos Anspruch auf die Oberhäuptlingschaft in Frage stellen, und Häuptling Munjuku Nguvauva II von den Mbanderu wurden zur Versammlung eingeladen, versagten jedoch ihre Unterstützung. ...“ (New Era, Jahrg. 1, Nr. 118, 28.10.-3.11.93, S. 8)
Der Oberhäuptling der Herero hat keine diktatorische Macht und muß bei allen bedeutenden Angelegenheiten und grundsätzlichen Fragen zuerst die Meinung 85
und Zustimmung des Hererorates (Ombongarero yomuhoko) einholen, bevor er einen endgültigen Standpunkt einnimmt. Der Rat ist eine repräsentative Einrichtung, die aus Häuptlingen, headmen und anderen prominenten Männern aller größeren Hererogemeinschaften besteht. Als Körperschaft genießt er in der Hereropolitik höchstes Ansehen und entscheidet über die Ernennung eines nationalen Führers. In seinen Verhandlungen wird der Grundsatz der Übereinstimmung befolgt. Deshalb sind ausgedehnte und oft sehr emotionelle Debatten die allgemeine Praxis. Wenn derartige Versammlungen wegen absichtlichen Boykotts durch andersdenkende Gruppen nicht gut besucht werden, könnte die Einheit der Herero ernsthaft darunter leiden. Headmen Alle Herem-headmen, die für die verschiedenen Distrikte des Herero- und Kaokolandes eingesetzt wurden, wie auch diejenigen, die ihr Amt in den ländlichen Gebieten von Aminuis, Ovitoto und Otjohorongo ausüben, bekleiden nichterbliche Stellungen. Wenn sie sich bei ihren Anhängern unbeliebt machen sollten, können sie jederzeit durch jemand anderen ersetzt werden. Eine derartige Entscheidung kann auf einer Versammlung der Dorfoberhäupter des betreffenden Distrikts gefällt werden. Vor diesem Hintergrund ist deutlich, warum die HereTo-headmen und andere Abgeordnete bei Verhandlungen mit der Regierung und anderen Stellen sehr vorsichtig sind, bevor sie klare Entscheidungen treffen. Sie brauchen Zeit, um nach Hause zu fahren, wo sie die Sache mit ihren Anhängern (omuhoko) besprechen können, bevor sie eine endgültige Stellungnahme abgeben. Wenn dieser zeitraubende Prozeß der Rückmeldung sich nicht durchführen läßt, nehmen sie gleich soviel ihrer Ratsleute (ovahungure) wie möglich und auch andere prominente Leute aus ihrer Gemeinschaft zu den Verhandlungen mit. Ein nichterblicher Führer, der versäumt, sich den Anforderungen einer ständigen politischen Abstimmung mit seinen Anhängern zu stellen, bringt seine Stellung ganz gewiß in Gefahr. Eine der wichtigsten Aufgaben der Herem-headmen ist die Rechtsprechung. Infolge der widerstreitenden Interessen der eanda und oruzo kommt es zu besonders vielen Gerichtssachen wegen Erbteilung. Von Jahr zu Jahr wird es schwieriger, diese Fälle zu lösen, weil auch die Nachzucht der strittigen Rinder Streitgegenstand ist. Die headmen sind im allgemeinen nicht in der Lage, ihre Urteile durchzusetzen, und deshalb geschieht es oft, daß eine Partei das Urteil mißachtet. In einer nichtzentralisierten Gesellschaft gibt es keine höheren Gerichte, an die jemand appellieren kann. Eine Lösung, zu der man in einigen der schwierigeren Fälle Zuflucht nimmt, ist die Berufung einer Anzahl prominenter headmen und 86
Ratsleute, in der Hoffnung, daß ihr Urteil mehr Gewicht haben wird. Die kompliziertesten Fälle sind die, an denen Angehörige verschiedener hererosprechender Gemeinschaften beteiligt sind, z.B. zwischen Leuten der Herero und Mbanderu oder zwischen Herero und Tjimba-Herero usw. Die auseinanderstrebenden politischen Loyalitäten und widerstreitenden Gruppeninteressen scheinen oft entscheidenden Einfluß auf die Urteilsfindung zu haben und sich über das Wesentliche der Sache hinwegzusetzen. Auf solchen Gerichtssitzungen, die immer zwanglos und allgemein zugänglich sind, ist das Forum der headmen und Ältesten wegen eigener subjektiver Beteiligung Einzelner oft geteilter Meinung und findet deshalb nur sehr schwer einen Konsens. Soziale Kontrolle Ein weiteres Merkmal der staatlosen Gesellschaft ist, daß ohne ein gut entwikkeltes Gerichtssystem viele Streitigkeiten im sozialen Zusammenhang der Abstammungsgruppen geschlichtet werden. Wenn jemand einen Streitfall hat, nutzt er zunächst die höchste Autoritätsstellung innerhalb seiner Verwandtschaftsgruppe für sich, d.h. den Großvater. In jeder Gemeinschaft leben drei aufeinanderfolgende Generationen, die untereinander gewisse vorgeschriebene Verwandtschaftsbeziehungen einhalten. Im Hererodorf bekleidet das älteste männliche Mitglied, das gewöhnlich auch Großvater ist, die höchste Stellung. Er ist der angesehenste Mann in der Gruppe, und seine Entscheidungen werden nie angefochten. Er schlichtet Streitigkeiten unter den Dorfgenossen. Wenn das Dorfoberhaupt selbst oder irgendein anderer Mann, dessen Großvater bereits verstorben ist, in einen Streit verwickelt wird, wendet er sich für Orientierung und zur Konfliktlösung an seinen soziologischen Großvater. Der soziologische Großvater ist der matrilineare Abkömmling von Egos biologischem Großvater und wird immer als mukururume (Großvater) angesprochen, obwohl er in einigen Fällen jünger als Ego selbst sein kann. Auf diese Weise wird durch Übertragung auf seine matrilinearen Nachkommen die Autorität des Großvaters in der Gesellschaft aufrechterhalten. Im folgenden Diagramm ist a der verstorbene Großvater von Ego. Nach dem Tode von a übernahm sein matrilinearer Erbe b die Verantwortung für die wirtschaftliche Versorgung seiner Familie. Während dieser Phase wurde b von g als Vater angesprochen. Gleichzeitig würde b von Ego als Großvater angesprochen worden sein. Diese Stellung wurde matrilinear auf c und schließlich auf d übertragen, der sich auf der gleichen Generationsebene wie Ego befindet, aber trotzdem noch immer als Großvater geehrt und respektiert wird. Sollte auch d sterben, wendet sich Ego an e und dann an /, wenn es Familienkrach oder andere Probleme geben sollte.
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Abb. 13: Die genealogische Stellung des soziologischen Großvaters.
Der soziologische Großvater von Ego befindet sich in einer denkbar günstigen Lage, wenn es um die Beurteilung irgendeiner Familienangelegenheit geht. Als Erbe von a vertritt er die Stellung der patrilinearen Autorität, die a gegenüber Ego innehatte. Deshalb wird er die wechselseitigen Rechte und Pflichten der patrilinearen Verwandten voll anerkennen und in keiner Weise die rechtmäßigen Forderungen der oruzo-Verwandten untergraben. Er wird eher dazu neigen, sie zu unterstützen. Auf der anderen Seite hat d diese Stellung der patrilinearen Autorität gegenüber den Enkelkindern von a nach dem Prinzip des matrilinearen Erbrechts erworben. Auf diese Weise ist er auch unbedingt verpflichtet, die Rechte der eanda-Mitgliedschaft in der Gesellschaft zu beachten und zu respektieren. Ein anderer Grund für die günstige Stellung von d in bezug auf die Regelung von Familienangelegenheiten, die Ego betreffen, ist die Tatsache, daß niemals die Gefahr direkter Verwicklungen mit den Patri- und Matrilinien von Ego besteht. Es ist offensichtlich, daß d nicht zur gleichen eanda wie Ego gehört, weil diese Bande über ihre verschiedenen Mütter laufen; sie gehören auch nicht zur gleichen oruzo, weil i, der Vater von d, keine verwandtschaftliche Verbindung mit der Patrilinie von Ego hat; d befindet sich deshalb in einer idealen Position, um alle Umstände objektiv abzuwägen, während er außerdem noch den Vorteil der formellen Autorität über Ego hat. In dieser Lage muß Ego sich dem Urteil seines soziologischen Großvaters d unterwerfen. Wenn headmen über Familienstreitigkeiten zu Gericht sitzen, konsultieren sie auch die soziologischen Großväter. 88
Militärorganisation Seit der Jahrhundertwende ahmten Hererokrieger in vieler Hinsicht die deutschen Truppen nach. Man exerzierte und verteilte militärische Ränge. Korporale und Sergeanten wurden nach der Anzahl der Streifen benannt, die sie auf den Ärmeln trugen, z.B. omunavihako vivari (der mit den zwei Streifen) usw. Die Offiziersränge werden sämtlich mit Lehnwörtern aus dem Deutschen bezeichnet, wie oloitnanta und ooverloitnanta für Leutnants, ohaupmana für einen Hauptmann und ofeldmarshala für einen Feldmarschall. Die Soldaten waren in 100 Mann starke Abteilungen unter dem Befehl eines Majors (omajora) eingeteilt. Während des Aufstandes trugen die Hereroführer auch deutsche Uniformen oder Uniformteile. Seit 1938 wird diese Truppenspieler-Bewegung die „Vereinigung der roten Fahne“ (Red Band Organisation; Otjira tjotjiserandu) genannt. Sie besteht noch heute unter der Führung von zwei Feldmarschällen - einer aus der Maharero-, der andere aus der Zeraua-Gruppe. In jedem Jahr am 26. August beteiligt sie sich an einer Groß Versammlung in Okahandja, um feierlich ihrer verstorbenen Führer zu gedenken. Kleinere Zusammenkünfte werden an anderen Orten veranstaltet. Die Mbanderu haben ihre eigenen Truppenspieler und tragen grüne Bänder. Seit Ende des Aufstandes nahmen die Truppenspieler an keinerlei militärischen Aktionen teil, sondern entwickelten sich vielmehr zu einer sozialen und politischen Bewegung. Sie halfen notleidenden Menschen und hatten einen wichtigen Anteil an der Wiederherstellung der Selbstachtung und des Nationalstolzes der Herero. Nach all der Zerstörung und dem menschlichen Leid aufgrund der langanhaltenden Kriegführung, besonders nach dem verhängnisvollen Aufstand von 1904-1905, bestand ein himmelschreiendes Bedürfnis nach einem derartigen Dienst. Religion Das religiöse Leben der Herero wird im nächsten Kapitel in größerem Umfang behandelt, da die Himba noch die traditionelle Religion der Herero ausüben, von denen sie abstammen. Es sollte jedoch berücksichtigt werden, daß viele dieser Vorschriften von den zentralen Herero nicht mehr eingehalten werden, vor allem wegen der Missionstätigkeit. Anscheinend bemühen sich auch viele von denen, die noch Heilige Feuer haben, nicht darum, diese am Brennen zu halten. Sie legen einfach ein paar Steine zwischen die Haupthütte und den Rinderkraal, wo die Dorfbewohner für Opferhandlungen und die Durchführung verschiedener anderer Zeremonien zusammenkommen. Einige Dorfoberhäupter ziehen es immer noch vor, während solcher Gelegenheiten ein brennendes Feuer zu haben. Für diesen Zweck dürfen sie nur Holz des omusaona oder Hakendorns 89
(Acacia mellifera) benutzen. Dies ist eine interessante Veränderung, weil die Gruppen im Kaokoland auf dem okuruwo nur Mopaneholz verbrennen. Als die zentralen Herero jedoch aus dem Mopanefeld auswanderten, mußten sie sich an eine ganz andere Umwelt der Dornbuschsavanne anpassen. Auch in diesem Falle fiel ihre Wahl auf die vorherrschende Art, um eine gut erreichbare Holzquelle für alle Leute zur Verfügung zu haben. Eine letzte Bemerkung zur Herero-Religion gilt der Gründung einer unabhängigen Kirche im Jahre 1955, der Ongereki Yevangeli Yoruuano (auch als „The Protestant Unity Church“ bekannt). Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet man sie einfach als Oruuano. Diese synkretistische Bewegung verbindet verschiedene Elemente der christlichen Religion mit Ahnenverehrung und magischen Praktiken, motiviert von politischen Bestrebungen der Herero. Sie macht sich auch starke, gegen Weiße gerichtete Gefühle zu eigen, einschließlich der Opposition gegen die frühere Rheinische Mission. Verschiedene Hereroführer traten innerhalb der Oruuano hervor, und viele Leute wurden dazu gebracht, sich dieser Kirche anzuschließen, sogar durch Einschüchterung. Bald erschienen Propheten auf der Bildfläche. Sie behandelten die Leute mit Epsomer Bittersalz und Essig, beteten für sie und weissagten. Die Menschen wurden jedoch wegen der Ungenauigkeit und Falschheit ihrer Voraussagen schnell ernüchtert, und die Unterstützung der Oruuano-Kuche ließ nach. Heute stagniert sie, und viele Menschen wenden sich der Evangelisch-Lutherischen Kirche und anderen christlichen Denominationen zu, werden dort Mitglied und besuchen die regulären Gottesdienste.
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7. Kapitel
Die Himba Das Land und seine Völker Die westliche Zivilisation übt auf die Völker Namibias einen ungeheuren Einfluß aus. Überall weicht die alte Ordnung unter dem Druck neuer Ideen und moderner Gewohnheiten zurück. Materielle Kultur, Religion, soziales und politisches System, Erziehungsformen - buchstäblich jeder Lebenszweig - werden bei der Anpassung an die Forderungen der modernen Gesellschaft von Grund auf neu geordnet. Wie bei den meisten Regeln, gibt es jedoch auch hier Ausnahmen. Einige Gesellschaften haben sich entweder gegen neue Ideen gewehrt oder wurden infolge anderer Umstände den Herausforderungen der Veränderung und Entwicklung nicht so intensiv ausgesetzt. Eine solche Gesellschaft ist die der Himba des Kaokolandes und in geringerem Maße auch die ihrer anderen hererosprechenden Nachbarn. Der natürliche Konservatismus der Leute, verbunden mit der geographischen Isolierung und der marginalen Ökologie ihres Wohngebietes, hat sehr viel zur Beschränkung der Verbreitung europäischer Kultur bei ihnen beigetragen. Um diese Situation richtig einschätzen zu können, braucht man mehr Kenntnis über die Hintergründe des Landes und seiner Bevölkerung. Natürliche Umgebung Kaokoland ist ein ausgedehntes Gebiet von 50.000 km2, das im Norden eine gemeinsame Grenze mit Angola hat, im Osten mit dem Owamboland und dem Etoscha-Wildpark und im Süden mit Damaraland, während der Skelettküstenpark entlang des Atlantischen Ozeans die Westgrenze bildet. Innerhalb der heutigen Regionaleinteilung bildet Kaokoland einen Teil der Region Kunene. Die geringe, weit verstreute Bevölkerung, die 1994 etwa 28.500 Menschen umfaßte, besitzt hier einen sicheren und angemessenen Wohnsitz und kann sich in den ausgedehnten Weidegebieten der Hochflächen noch frei bewegen, ohne die Notwendigkeit einer Ausbildung zu empfinden oder zur Arbeit in industriellen Zentren gezwungen zu sein. Das Gebiet besitzt viele interessante und einmalige Züge. Topographisch kann man die inneren Hochflächen und die westlichen Ebenen der Namib-Randzone unterscheiden, die von einem zerklüfteten und tief eingeschnittenen Steilabbruch getrennt werden. Zwischen 60 und 90 Kilometer von der Küste entfernt, besteht der Westrand der Hochflächen aus zerklüfteten Bergketten, die steil zu den tiefer liegenden Ebenen der Namib abfallen. Weiter im Westen geht die Vor-Namib in die Geröll91
und Sandflächen der Wüste über, wo die meisten kleineren Trockenflüsse in den hohen Sanddünen versickern, bevor sie das Meer erreichen. Obwohl der Regenfall sehr niedrig und unsicher ist, verändern sich die scheinbar leblosen Flächen der Namib nach ein bis zwei guten Schauern in ein wogendes Grasland. Im übrigen Teil wird der dürftige Pflanzenwuchs dieser Region hauptsächlich von den dicken Seenebeln aufrechterhalten, die sich regelmäßig vom Atlantik heranwälzen. Der einzige dauernd wasserführende Fluß im Gebiet ist der Kunene, der die Nordgrenze zu Angola bildet. Nach seinem Eintritt ins Kaokoland, etwa 32 Kilometer westlich der Ruacanafälle, durchschneidet der Kunene die Zebraberge, bevor er die Epupa-Fälle hinunterstürzt, um dann seinen Lauf durch die rauhen Baynes- und Otjihipa-Bergketten zu erzwingen. Nach dem Austritt aus den Ongeya- und Hartmannbergen windet er sich dann durch die NamibEbenen, bis er an der verlassenen Skelettküste in den Atlantik mündet. Das innere Plateau wird auch von einigen großen Trockenflüssen entwässert, die entweder im Norden in den Kunene münden oder in westlicher Richtung zum Atlantik laufen. Obwohl diese Trockenflüsse nach Regenfällen nur an der Oberfläche laufen, haben sie während des ganzen Jahres eine untergründige Strömung, und man kann oft Wasser gewinnen, indem man im sandigen Flußbett danach gräbt. Im Gebiet kommen auch zahlreiche Quellen vor, aber im allgemeinen ist dauerhaftes Wasser selten. Die mittlere jährliche Regenmenge beträgt in Opuwo etwa 350 mm, während der Regen zum Westen hin abnimmt, bis er unterhalb des Steilabfalls auf durchschnittlich weniger als 100 mm absinkt. In dem herrschenden Trockenklima wird die Verbreitung des Menschen, der Tiere und Pflanzen im wesentlichen von der Verfügbarkeit des Wassers bestimmt. Die Vegetation der Hochflächen kann allgemein als Mopanesavanne klassifiziert werden, obwohl im Norden ziemlich große Waldstücke vorkommen. Unterhalb des Steilabfalls sind die Ebenen baumlos oder nur leicht bewaldet, während die Trockenflußläufe von hohen Kameldornbäumen (Acacia erioloba), Anabäumen (A. albida), Mopane (Colophospermum mopane) und Ahnenbäumen (Combretum imberbe) umsäumt sind. Das Genus Commiphora ist im Kaokoland ebenfalls gut vertreten. Der Wildbestand der Region ist noch vielseitig und reich. Elefanten kommen im gesamten Gebiet vor, und man trifft oft große Herden an der Grenze zum Owamboland. Ziemlich häufig sind Zebras, Kudus, Oryxantilopen, Impalas und Springböcke. Einige Antilopenarten versammeln sich häufig in großen Herden auf den Ebenen der Namib-Randzone. Von den Raubtieren sind Leoparden weitverbreitet, auch Löwen findet man noch in einigen abgelegenen Gebieten. Geparden und Wilde Hunde sind anzutreffen; sowohl die Gefleckte wie auch die Braune Hyäne sind noch häufig. Alle größeren Raubtiere machen bis zu einem gewissen Grade Vieh zu ihrer Beute und werden deshalb von den Herdenbesitzern gejagt und vergiftet. 92
Abb. 14: Ein verheirateter Himbamann unterwegs. In der Randzone des Kaokoiandes werden die nomadischen Rinderhirten oft mit Wasser- und Weidemangel konfrontiert. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, das Vieh an andere Orte zu bringen.
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Besiedlungsgeschichte Die Herero kamen ungefähr in der Mitte des 16. Jahrhunderts im Kaokoland an, kurz nach Ankunft der Owambo- und Hererovölker in Namibia. Sie wanderten aus der Mocamedes-Provinz Angolas ein und überschritten den Kunene nach der Überlieferung östlich von Ruacana. Zuerst versuchten die Herero, in die grasreichen Flächen im Norden der Etoschapfanne einzudringen, aber der starke Widerstand der dort ansässigen Owambo zwang sie, sich westwärts in das trokkenere und bergige Kaokoland zurückzuziehen. Hier blieben sie etwa zwei Jahrhunderte lang, bevor sie ihre Wanderung in den mittleren Teil Namibias fortsetzten. Ein Stammesteil beschloß, im Kaokoland zurückzubleiben. Von Anfang an ließen sich die Herero des Kaokolandes sehr weit verstreut nieder und zogen während des folgenden Jahrhunderts mit ihren Rindern zwischen den weit auseinanderliegenden Wasserlöchern und Quellen umher. Auf diesen Nomadenzügen legten sie beträchtliche Entfernungen zurück und gelangten in abgelegene Gebiete des Steilabfalls und sogar in die Ebenen des Namib-Randes. Im Laufe der Zeit wurden Kaokoland-Herero zu Opfern von räuberischen Banden der Swartbooi- und Topnaar-Nama, die nach Norden strebten und in Sesfontein einen Stützpunkt gründeten. Von dort aus raubten sie zwischen 1850 und 1870 die meisten Rinder innerhalb des Gebietes. Infolge ihrer verstreuten Niederlassungen war es für die Herero sehr schwer, sich der Eindringlinge aus dem Süden wirksam zu erwehren. Verarmung durch Rinderraub zwang große Gruppen von Menschen zu einem Leben als Jäger und Sammler. In den Augen eines Rinderhirten ist diese Existenzform minderwertig, deshalb wurden sie als Tjimba oder Tjimba-Herero beschimpft. Die Bezeichnung Tjimba ist von ondjimba-ndjimba abgeleitet, was „Erdferkel“ bedeutet. Der Sinn ist, daß ein solcher Mensch ein Sammler ist, der seine Nahrung (Feldkost) wie ein Erdferkel ausgräbt und deshalb als minderwertiges Wesen betrachtet wird. Als die Raubzüge am schlimmsten waren, flohen sehr viele Tjimba-Herero über den Kunene nach Angola, wo sie bei dem Stamm der Ngambwe Zuflucht suchten. Die Ngambwe verachteten diese verarmten Wanderer und nannten sie ovahimba (Bettler), weil sie gekommen waren, um Unterkunft und Nahrung zu erbetteln. (Der Name Himba hat deshalb die gleiche Bedeutung wie Fingo, eine Bezeichnung, die während der Zulukriege den Flüchtlingen aus Natal von den Xhosa beigelegt wurde.) Der Aufenthalt der Himba im Ngambwegebiet sollte jedoch nicht von langer Dauer sein, weil ein prominenter Herero namens Vita (d.h. „Krieg“) durch kriegerische Taten die meisten Himba wieder im Kaokoland ansiedelte. Der Hereromann Vita wurde 1863 in Otjimbingwe am Swakopfluß geboren und war ein Sohn von Häuptling Manasses Schwester. Noch als Jüngling entschied 94
er sich, seinem Vater zu folgen, der den Entdeckungsreisenden Frederick Green auf einer Expedition nach Angola begleitet hatte. Hier traf er mit den Flüchtlingen aus Kaokoland zusammen, die schon damals ovaHimba genannt wurden, und machte aus ihnen bald eine militärische Einheit. Diese „Bettler“ waren mehr als bereit, dem kriegerischen Vita zu folgen, weil sie sich dadurch eine bessere Zukunft erhofften. Anfang 1906 schloß sich eine weitere Hererogruppe in Angola Vita an. Diese bestand aus Flüchtlingen, die durch die vernichtende Niederlage der südlichen Herero im Kampf gegen die deutschen Truppen während des Aufstandes 1904-1905 ihren gesamten Besitz verloren hatten. Nach der Niederlage beschlossen ein paar hundert Mann, zu Vita zu gehen, weil sie glaubten, daß man in seiner Nähe immer ein gutes Leben führen könne. Unter der Führung Vitas wurden seine Anhänger zu einer schlagkräftigen Militärmacht, die während der zehn folgenden Jahre in Südwestangola schwere Verwüstungen anrichtete. Vita verbündete sich höchst geschickt mit portugiesischen Kolonisten und half ihnen, aufständische Gruppen zu unterdrücken. Die Portugiesen versorgten ihn und seine Anhänger mit Gewehren und Munition, die in den Zusammenstößen eine entscheidende Rolle spielen sollten. Während jedes Kriegszuges wurden viele Rinder erbeutet, die Vita unter seinen Leuten verteilte. Auf diese Art wurden große Herden zusammengebracht, die später mit den Himba und Herero zogen, als Vita sich 1920 entschloß, den Kunene zu überschreiten und wieder ins Kaokoland zurückzukehren. Der Hauptgrund seines Entschlusses war die Nachricht, daß die deutsche Verwaltung Südwestafrikas nach dem Ersten Weltkrieg beendet und 1919 durch eine südafrikanische ersetzt worden sei. Die Hereroanhänger, denen sich danach viele ihrer Verwandten anschlössen, zogen ins zentrale und südliche Kaokoland. Die Himba ließen sich in der nördlichen Hälfte des Gebietes nieder, obwohl viele in Südwestangola zurückblieben. Einige Tjimba-Hererofamilien wurden von der Himbagesellschaft assimiliert, während die übrigen noch immer als getrennte Gruppe mit eigenen Bezirken und headmen fortbestehen. Die Himba haben wie die anderen hererosprechenden Völker das System der doppelten Abstammungsrechnung und eine dezentralisierte politische Ordnung. Ihre traditionelle Wirtschaftsform beruht auf dem Hirtentum, ergänzt durch Jagd, bescheidenen Gartenbau und das Sammeln von Wildfrüchten. Die grundlegenden Merkmale ihres Systems der doppelten Abstammungsrechnung und ihrer politischen Ordnung wurden bereits im 6. Kapitel behandelt und brauchen deshalb hier nicht wiederholt zu werden. Der Rest dieses Kapitels soll einer Erörterung der Himbareligion und ihrer Durchgangsriten gewidmet sein, weil sie dafür bekannt sind, wie sie mit dem Heiligen Feuer verbundene Gebräuche beachten. 95
Heilige Feuer der Himba Unter den vielen interessanten Kulturmerkmalen der hererosprechenden Völker des Kaokolandes sind die Heiligen Feuer der Himba am faszinierendsten. Da viele der traditionellen religiösen Gebräuche von den zentralen Herero des Hererolandes heute nur noch halbherzig eingehalten werden, kann die hier folgende Beschreibung der Heiligen Feuer nur in bezug auf die Himba und andere Gruppen im Kaokoland als gegenwärtig gültig gelten. Für die zentralen Herero hat sie historischen Wert, weil sie Verhaltensmuster früherer Generationen widerspiegelt. Ahnenverehrung Grundlegend für das religiöse Denken ist der Glaube an ein Höchstes Wesen, das man Ndjambi-Karunga oder Mukuru nennt. Es wird allgemein als Schöpfer aller Dinge betrachtet. In den Gedanken der Leute ist Mukuru jedoch bestenfalls eine vage und weit entfernte Gestalt, deshalb wird ihm auch keine wirksame religiöse Verehrung dargebracht. Im Gegensatz dazu ist der Glaube an die Existenz der Ahnengeister sehr viel klarer umrissen, obwohl er noch mit dem allgemeinen Konzept des Monotheismus verbunden bleibt. Von diesen Geistern glaubt man, daß Mukuru sie mit übernatürlichen Eigenschaften ausgestattet und sie dadurch in die Lage versetzt habe, Einfluß auf ihre lebenden Nachkommen auszuüben. Die Geister als solche vermitteln zwischen den Menschen und Mukuru und nehmen damit eine Stellung ein, die auf die Erhaltung harmonischer Beziehungen innerhalb der Geisterwelt angewiesen ist. Diese Vorstellungen begründen ein religiöses System, in dem sich die meisten Aktivitäten um die Verehrung und Konsultation der Ahnengeister drehen. Obwohl Ahnenverehrung bei Schwarzen sehr weit verbreitet ist, wird die spirituelle Verbindung zwischen Lebenden und Toten selten so anschaulich gezeigt wie bei den mit dem Heiligen Feuer der Herero verbundenen Ritualhandlungen. Unter den Völkern des Kaokolandes findet man diese Feuer noch allgemein, weil sie von jedem Dorfoberhaupt unterhalten werden müssen, der gleichzeitig das älteste Mitglied seiner eigenen oruzo oder patrilinearen Verwandtschaftsgruppe ist. Das Heilige Feuer (okuruwo) darf nur mit Hilfe der ozondume genannten Heiligen Feuerstöcke entzündet werden, von denen jedes Oberhaupt einer Linie einen besonderen Satz aufbewahrt. Die ozondume sind runde Stöcke, die in flachen Vertiefungen eines weicheren Holzbrettes gequirlt werden. Mit der in diesen Löchern erzeugten Glut wird das besondere oruzo-Feuer entfacht, das zwischen den Eingängen der Haupthütte und des Rinderkraals ständig am Brennen gehalten werden muß. Das Feuer ist von einigen Steinen umgeben, und daneben ist Mopaneholz zum Gebrauch im okuruwo aufgestapelt. 96
Abb. 15: Lageplan eines Himbadorfes
1. Zaun aus Zweigen 2. Rinderkraal 3. Otjoto-Schutzdach zum Gebrauch bei Ritualhandlungen 4. Verschlag für Lämmer. 5. Heiliges Feuer 6. Brennholz für das Heilige Feuer, auf einem besonderen Stein aufgestapelt 7. Haupthaus (otjizero) 8. Omuvanda: Korridor zwischen dem Haupthaus und dem Rinderkraal. Dieser Raum darf von Nichtmitgliedern der ozuro nicht durchschritten werden. Sie müssen um die Rückseite des Haupthauses herumgehen. 9. Schutzdach für rituelle Gegenstände 10. Hütte des Nachfolgers des Dorfhäuptlings, die ebenfalls auf das Heilige Feuer gerichtet ist 11. Die übrigen Hütten sind nicht auf das Heilige Feuer hin ausgerichtet 12. Vorratsraum
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Das Heilige Feuer besteht aus einem einzigen, in der Asche schwelenden Baumstumpf und wird nur dann zur Flamme angefacht, wenn wichtige Zeremonialhandlungen ausgeführt werden. In der Nacht trägt man einen kleineren brennenden Stumpf, mit dem das Außenfeuer am Morgen wieder angezündet werden kann, in die Haupthütte. Das Feuer in der Haupthütte läßt man am Tage ausgehen. Das brennende Feuer symbolisiert dauernde Verbindung zwischen den lebenden und toten Familienmitgliedern, deshalb würde es eine grobe Nachlässigkeit des Dorfoberhauptes bedeuten, wenn das Feuer ausgehen sollte. Die Ahnen würden sich dadurch beleidigt fühlen und die Verantwortlichen bestrafen. Dies würde die spirituelle Sicherheit des Übeltäters und aller anderen Mitglieder der Linie gefährden und erfordert eine schnelle Wiederherstellung des Feuers mit Hilfe der besonderen Feuerstöcke. Zuerst zündet man das Feuer in der Haupthütte an und bringt dann ein brennendes Scheit nach draußen zum okuruwo. Dieser Vorgang wird oft mit einem Opfer verbunden, um die Vorväter für die durch Nachlässigkeit ihrer lebenden Nachkommen abgebrochene Verbindung zu versöhnen. Man glaubt, daß das Feuer rituellen Wert hat, weil es die patrilineare Verwandtschaftsgruppe mit ihren verstorbenen Angehörigen identifiziert und selbst einen Berührungspunkt mit der Geisterwelt darstellt, mit der die Verbindung nicht unterbrochen werden darf. Am Heiligen Feuer verehrt man die Ahnen durch Gebete und Opfer und hält hier auch verschiedene Initiationszeremonien ab, die alle Angehörigen der Lokalgruppe betreffen. Außerdem werden hier regelmäßig die alltäglichen Zeremonialhandlungen durchgeführt, von denen die wichtigste das rituelle Beschmecken der Milch der heiligen Kühe ist. Durch diese Handlung, okumakera genannt, reinigt das Dorfoberhaupt die Milch von ihren rituellen Beschränkungen und macht sie dadurch für andere Leute genießbar. Zur besseren Veranschaulichung der wichtigen Rolle des Heiligen Feuers werden im folgenden einige der bedeutenden Übergangsriten im Leben eines Individuums kurz behandelt: Geburt und Namengebung Himbafrauen dürfen niemals irgendwo innerhalb des Dorfzaunes gebären. Wenn sie es aber tun sollten^ verspotten die Leute sie und sagen: „ u kwata otjongombo motjunda!“ („Du gebärst im Kraal wie eine Ziege!“). Während der letzten Wehen verläßt die Schwangere das Dorf und begibt sich in Begleitung anderer Frauen zu einem etwa 200 bis 300 Meter außerhalb gelegenen Platz. Nach der Geburt werden Mutter und Kind ins Dorf zurückgebracht, wo man sie unter einem Schutzschirm aus Mopanezweigen unterbringt, der sich an die Seitenwand der Haupthütte lehnt. 98
Abb. 16: Das Heilige Feuer (okuruwo) ist ein wichtiger Platz im Dorf und wird oft aufgesucht, um mit den Ahnengeistern in Verbindung zu treten. Mopaneholz wird aufgestapelt, um im Feuer verbrannt zu werden.
Abb. 17: Das Heilige Feuer liegt zwischen dem Haupthaus und dem Rinderkraal. Es wird als religiöser Grundstein des Dorfes betrachtet, weil es das spirituelle Wohlbefinden aller Gruppenmitglieder sichert.
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Die Haupthütte heißt otjizero, d.h. „Ort der Taburegeln“, weil hier alle rituellen Gegenstände aufbewahrt werden. Da der gesamte Raum zwischen Rinderkraal und Haupthütte als heilig angesehen wird, erfreuen sich Mutter und Kind dort des besonderen Schutzes der Geister, die schlechte Einflüsse abwehren. Ihr Aufenthalt in der Hütte dauert etwa eine Woche. Der Ehemann darf das Kind nicht berühren, bevor es den Ahnengeistern vorgestellt wurde. Bei dieser Gelegenheit versammeln sich verschiedene Verwandte des Kindes am Heiligen Feuer, und das Kind wird dem Dorfoberhaupt übergeben. Er ruft den Namen des Kindes aus und betet zur Sicherung einer glücklichen Zukunft des neuen Familienmitgliedes um den Schutz der Geister. Danach wird das Ereignis in festlicher Stimmung mit der Schlachtung eines Ochsen oder einer Kuh gefeiert. Die erste Portion des gekochten Fleisches muß am okuruwo „beschmeckt“ werden, wodurch der religiöse Charakter des Ereignisses noch mehr betont wird. Das Kind kann gleichermaßen auch von seinen übrigen Verwandten Namen erhalten, besonders auf der matrilinearen Seite, wo es dann wiederum an den Heiligen Feuern der betreffenden Dörfer den Ahnen vorgestellt wird. Das Ausschlagen der Zähne Das Ausschlagen der vier unteren Schneidezähne ist Nationalbrauch der Herero und verwandter Stämme, und Leute, die ihm nicht nachkommen, werden verspottet. Die Entfernung dieser Zähne findet im Alter von zehn bis zwölf Jahren statt. Dies stellt im Leben des Kindes ein Ereignis von beträchtlicher religiöser und sozialer Bedeutung dar und wird von einigen vorgeschriebenen Zeremonialhandlungen begleitet. In der Nacht davor schlafen die Jungen und Mädchen alle in der Haupthütte. Der Grund dafür ist die Sicherung des schützenden Einflusses der Ahnen und dadurch die Abwehr schlechter und gefährlicher Mächte. Man glaubt, daß ernste Folgen eintreten, wenn diese Vorschrift nicht befolgt wird. Früh am nächsten Morgen geht das Dorfoberhaupt zum Heiligen Feuer, ihm folgen dabei die Kinder. Er betet für den Segen der Geister bei der Durchführung der Zeremonie, damit die Zähne sich leicht entfernen lassen und auch keine übermäßige Blutung oder Infektion eintritt. Das eigentliche Ausschlagen der Zähne wird bewerkstelligt, indem man einen besonders geschärften Mopaneholzspan an jeden einzelnen Zahn drückt und mit einem schweren Gegenstand leicht dagegen schlägt, bis er durch das Zahnfleisch bricht und mit den Fingern herausgeholt werden kann. Wenn alle vier Zähne entfernt worden sind, werden sie dem Kind überreicht, das sie in ein Mopaneblatt einwickeln und in Richtung auf seinen Geburtsort wegwerfen muß. Dabei spricht es die Worte „Mayo wanje, yaruka kotjirongo kumba kwaterwa!“ („Meine Zähne, geht zurück zum Ort meiner Geburt!“). Am Ende der Zeremo100
nie wird das verletzte Zahnfleisch des Kindes behandelt, und zwar durch Erhitzen eines Mopaneblattes an einer glühenden Holzkohle, das an die Wunde gepreßt wird, um sie zu schließen. Sollte jedoch eine ernsthafte Entzündung eintreten, wird eine rotglühende Pfeilspitze an die Wunde gelegt. Initiationsriten für Jungen In hererosprechenden Gemeinschaften werden die Initiationsriten für Jungen in unregelmäßigen Abständen abgehalten. Infolgedessen fallen sie selten mit dem Eintritt der Pubertät zusammen. Wenn die Bildung einer neuen Altersklasse genehmigt ist, werden alle unbeschnittenen Jungen und jungen Männer eines Dorfes zur Initiation gerufen. Man wählt einen geeigneten Platz unter einem Schattenbaum in der Nähe des Dorfes aus und reinigt ihn gründlich. Am folgenden Morgen werden die Jungen zum Heiligen Feuer geschickt, wo der Dorfhäuptling meditiert und mit seinen Vorvätern spricht. Er informiert sie über den Grund der Zusammenkunft und bittet sie um ihren Segen dafür. Dann entkleidet er die Jungen, wonach sie nackt zum Baum außerhalb des Dorfes getragen werden. Bei der Ankunft werden sie von einem erfahrenen Mann beschnitten, der eine angeschärfte Pfeilspitze (oheö) oder ein Messer (oruvyo) benutzt. Das Problem der Blutung wird auf folgende Art gelöst: Man kaut Mopaneblätter, bis nur die groben weißen Fasern übrigbleiben, die dann auf die Wunde gelegt werden. Die mattenartigen Fasern saugen das Blut auf und fördern die Gerinnung wie ein Gazeverband. Man meint, daß die Blätter auch antiseptische Eigenschaften haben. Eine Ziege oder ein Schaf wird ge-
Abb. 18: Ein unverheirateter junger Mann als Rinderhirte. Zopf und Halsring deuten seinen Sozialstatus als unverheirateter Jüngling an.
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schlachtet, um das Ereignis zu feiern, und die Jungen bleiben drei Tage unter dem Baum, bevor sie ins Dorf zurückkehren, um ihre Arbeit wiederaufzunehmen.
Abb. 19: Wenn ein junger Mann als heiratsfähig angesehen wird, ist ihm erlaubt, zwei Zöpfe (ozondato) zu tragen.
Pubertätsriten für Mädchen Die Himba und Herero halten keine gemeinschaftlichen Initiationsriten für Mädchen ab. Wenn die erste Menstruation eintritt, wird das Mädchen in seinem eigenen Dorf in den gesellschaftlichen Stand des Erwachsenenalters versetzt. 102
Während des Vorganges wird sie als rituell unrein angesehen und verläßt deshalb das Dorf, wenn die erste Blutung beginnt. Wenn das Mädchen von den anderen Frauen zurückgebracht wird, bringt man sie zum otjiranda-Schutzdach neben dem Haupthaus. Hier steht sie während ihrer Unreinheit unter dem notwendigen spirituellen Schutz. Ihre Freunde besuchen sie und schaffen eine festliche Atmosphäre. Sie erhält viele Geschenke. Nach ein paar Tagen wird sie ans okuruwo gebracht, wo die Geister über ihre Statusänderung, mit der sie heiratsfähig geworden ist, informiert werden. Sie werden um Schutz gebeten, bis sie ihr erstes Kind zur Welt gebracht hat und auch danach.
Abb. 20: Junge Himbamädchen mit Haartrachten und Schmuck, die ihren verschiedenen sozialen Stufen entsprechen. Wenn die Pubertät herannaht, werden die dicken Zöpfe eines Mädchens gelöst und in Strähnen geteilt, die ihm über die Augen hängen. Nach der Initiationszeremonie, die dem Erreichen der Pubertät folgt, müssen die Haarsträhnen am Hinterkopf hängen und zeigen dadurch die Erreichung des heiratsfähigen Alters an.
Heirat Die Heiratszeremonien der Himba sind ebenfalls mit religiösen Praktiken verbunden. Am bedeutendsten sind die folgenden: In der letzten Nacht vor dem Abschied der Braut von ihrer Familie und ihrem Dorf wird ihr und ihrem Bräutigam das Vorrecht zugestanden, im Haupthause zu schlafen. Dadurch demonstriert der Dorfhäuptling seine Zustimmung zur Heirat, und das junge Paar erfreut sich der spirituellen Vorteile, die von der heiligen Umgebung ausgehen. Wenn sie ins Dorf des Ehemannes zurückgekehrt sind, schlafen die beiden wieder im Haupthaus. Am nächsten Tage ziehen sie unter ein Schutzdach neben 103
dem Hause, während am Zaun des Rinderkraals ein weiteres großes, otjoto genanntes Schutzdach für Gäste errichtet wird. Der Dorfhäuptling informiert sofort die Geister über die Ankunft der Braut und vollführt die Beschmeckungszeremonie in bezug auf alle geschlachteten Rinder und das geschlachtete Kleinvieh. Dann wird eine besondere Handlung vorgenommen, durch welche die Braut rituell in die patrilineare Gruppe ihres Ehemannes aufgenommen wird. Die religiösen Verbote ihrer durch Geburt erworbenen oruzo werden damit aufgehoben und die neuen unmittelbar auferlegt. Die Frauen am Ort bringen die Braut ins Haupthaus und schmieren ihren ganzen Körper mit dem Fett eines besonderen Schafes ein, das vorher für diesen Zweck ausgewählt und geschlachtet wurde. Sie ist nun in vieler Hinsicht ein neuer Mensch geworden, indem sie nicht nur ihre alte Heimstätte und ihren Familiennamen verloren, sondern sich auch mit einer grundsätzlich anderen sozialen, politischen und religiösen Gruppierung innerhalb der Gesellschaft verbunden hat. Sogar ihre alten Schutzgeister blieben im Dorf ihres Vaters zurück. Sie kommt nicht einmal mehr ihren Verbotsregeln nach, weil sie nun eine neue und ganz andere Verbindung mit der Welt der Geister gefunden hat. Tod und Begräbnis
Abb. 21: Eine junge Mutter, die einen hölzernen Milcheimer mit seinem kostbaren Inhalt trägt.
Das Heilige Feuer spielt offensichtlich in den Begräbnisriten eine bedeutende Rolle, besonders bei Tod und Begräbnis eines Dorfhäuptlings. Bei einem solchen Ereignis ist die gesamte religiöse Organisation der oruzo tief betroffen, weil der Mann, der das Verbindungsglied zwischen den lebenden und toten Mitgliedern der Lokalgruppe war, gestorben ist. Die folgende Darstellung bezieht sich auf den Tod eines solchen Mannes.
Wenn ein Dorfhäuptling vorgerückten Alters und unheilbar krank ist, streift er sein erenge-Armband ab und überreicht es seinem patrilinearen Erben, der entweder sein jüngerer Bruder oder sein ältester Sohn ist. Dieser wird ihm als religiöses Oberhaupt der oruzo folgen und das Dorf, einschließlich des Heiligen 104
Feuers und der Heiligen Rinder, in seine Obhut nehmen. Das meiste Vieh wird jedoch Eigentum des matrilinearen Erben. Nach dem Tode des Mannes wird er in Hockstellung stramm auf einer Tragbahre festgebunden und neben das okuruwo gestellt. Die trauernde Familie, einschließlich der Verwandten von nah und fern, versinkt in Wehklagen, die den ganzen Tag und die nächste Nacht hindurch bis lange nach Mitternacht anhalten. Der durch den Tod des Dorfoberhauptes verursachte ernste Bruch der religiösen Ordnung wird durch die völlige Entweihung der Haupthütte und des Heiligen Feuers anschaulich gemacht. In diesem Vorgang müssen alle wirklichen Hinweise auf die Verbindung der lokalen oruzo mit der Geisterwelt zerstört werden. Man zieht alle am okuruwo aufgestapelten Zweige auf den einen schwelenden Stumpf und läßt sie in Flammen aufgehen. Die Herdsteine werden willkürlich herumbewegt, und jeder darf auf ihnen sitzen. Das Feuer verliert seine rituellen Eigenschaften und wird zum allgemeinen Versammlungsplatz für alle Trauergäste. Die Leute sitzen am Feuer und bereiten dort sogar ihr Essen vor. Die Profanisierung der oruzo ist damit jedoch noch nicht zuende. Auf scheinbar verächtliche Art bricht man den Stützpfahl der Haupthütte heraus, wirft ihn ins Feuer und läßt damit die Hütte einstürzen. Das gleiche geschieht mit den Hütten, in denen andere Frauen des Verstorbenen wohnen, während Pfähle und Zweige des Rinderkraals und der äußeren Umzäunung ebenfalls im Feuer landen. Im Licht der flackernden Flammen tanzt man den Trauertanz, wobei die guten Taten des Verstorbenen in einem Lied besungen werden. Die Leute werden erst in den frühen Morgenstunden ruhiger, und die Tänzer sind dann so erschöpft, daß sie einfach umfallen und neben dem brennenden Feuer einschlafen. Am nächsten Morgen blickt man auf ein trübes Bild, und die Frauen fangen im Angesicht des zerstörten Dorfes wieder zu klagen an. Die Leiche liegt noch neben der Asche des ausgebrannten Feuers, als stummes Zeugnis der rituellen Unreinheit aller Leute, die an der Entweihung des Heiligen Feuers und der Haupthütte teilgenommen haben. Jetzt folgen die letzten Vorbereitungen für die Beerdigung, die oft sehr weit vom Dorfe entfernt stattfindet. Die Hörner der am Anfang der Trauerzeit geschlachteten Rinder werden mitgenommen, um am Grabe zur Schau gestellt zu werden. Kurz bevor der Verstorbene ins Grab gesenkt wird, trägt man ihn zu jedem der Anwesenden, die sich mit den Worten „karepo nawa!“ („Bleibe gut!“) von ihm verabschieden. Auf dem Rückweg findet eine wichtige Reinigungszeremonie statt, durch die man die bösen Wirkungen der rituellen Unreinheit beseitigt und sich den Segen der Vorväter sichert. Die Verbindung mit den Ahnen wird hergestellt, indem man feingehackte Stücke einer Wurzel des omwve-Busches (Grewia flavescens) in einem kleinen Napf rührt. Dieses symbolische Opfer dient dazu, die Geister auf die Abwesenheit eines Menschen vom okuruwo aufmerksam zu machen. 105
Abb. 22: Man gräbt in sandigen Flußläufen oft tiefe Brunnen, weil der Wasserspiegel während der Trockenzeit schnell sinkt.
Jeder Anwesende kostet die Mixtur und gewinnt dadurch den Vorteil übernatürlichen Schutzes. Nach der Rückkehr ins Dorf verstärkt man diese Reinigungszeremonie durch das punguha-Ritual, in dem die Trauergäste sich an den Resten des alten Heiligen Feuers wiederum an ihre Ahnen wenden. Danach dürfen die Gäste nach Hause gehen. Nun beginnt der zweite Abschnitt der Trauer, der einen Monat oder länger dauern kann, wenn der Verstorbene ein einflußreicher und wohlhabender Mann war. Es werden noch viel mehr Rinder geschlachtet, deren Hörner an Pfählen in Grabesnähe befestigt werden. Während dies am Grab geschieht, wird der Verstorbene angeredet und mit dem Zweck des Besuches bekanntgemacht. Im Dorf wird dann wieder ein Rind oder auch mehrere geschlachtet, um das Heilige Feuer und das Haupthaus zu erneuern. Das Fleisch wird zuerst zeremoniell beschmeckt und dann unter die Verwandten verteilt. Nun wird die Asche von der Feuerstelle entfernt, und dabei legt man einige glühende Kohlen frei, mit denen ein grüner Mopanestrunk angezündet wird. Zweige und Steine werden gesammelt und an die richtigen Stellen gelegt. Der neue Dorfhäuptling tritt nun als Bindeglied zwischen den lebenden und verstorbenen Mitgliedern der oruzo auf und redet die Geister von seinem Sitzstein am erneuerten okuruwo aus an. Ausdrücklich wird die Stellung des verstorbenen Dorfhäuptlings in der Rangordnung der Ahnengeister gewürdigt. 106
Besuch am Grabe Etwa acht bis zwölf Monate nach dem Begräbnis machen der Nachfolger des verstorbenen Dorf Oberhauptes und einige andere Verwandte einen besonderen Besuch am Grabe. Am okuruwo wird den Geistern der Zweck des beabsichtigten Besuches mitgeteilt und ein Ochse oder eine Kuh für sie geschlachtet. Teile des Fleisches vergräbt man an der Kochstelle und an den Torpfählen des Rinderkraals, so daß die Geister die Beschmeckungszeremonie vollführen können. Nachdem auch das Dorfoberhaupt vom Fleisch gekostet hat, teilt er es mit allen anderen anwesenden Verwandten. Am Grabe wird der Ahnengeist wieder angesprochen. Man weiht ihm einen besonderen Ochsen als Opfer, der nach der Rückkehr im Dorf geschlachtet werden wird. Das neue Haupt der oruzo zündet mit Hilfe seiner rituellen Feuerstöcke am Grab auch ein Heiliges Feuer an. Ein brennender Stumpf wird zum Dorfe zurückgetragen, wo man alle Feuer löscht und dann mit einem Brand vom neuen Heiligen Feuer wieder ansteckt. Auf diese Art wird der Verstorbene verehrt, und die besondere Handlung an seinem Grabe dient dazu, seine Stellung als jüngstes Verbindungsglied in der Rangordnung der Ahnengeister darzulegen. Ein Jahr oder 18 Monate später wird eine ähnliche Zeremonie abgehalten, nach deren Ablauf nur die patrilinearen Nachkommen des Verstorbenen noch aktive Beziehungen mit ihm am Heiligen Feuer unterhalten. Mit dem Heraufkommen neuer Generationen wird seine Stellung als Ahnengeist schließlich von seinem Sohn und Enkel übernommen, die dann von den lebenden Nachkommen angesprochen werden. Er wird dann nur noch gemeinsam mit den übrigen Geistern genannt und gerät im Laufe der Zeit in Vergessenheit.
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8. Kapitel
Die San Die San, auch Buschleute genannt, leben in zerstreuten Gruppen in den ausgedehnten halbwüstenartigen Regionen der Kalahari (die verschiedenen Bezeichnungen für diese Gruppe und die Gründe für eine Bevorzugung des Terminus San werden von Lee 1979:29-31 behandelt). Diese urzeitlichen Jäger und Sammler haben sich ihrer ariden und unfreundlichen Umgebung außerordentlich gut angepaßt. Ihre einfache Technologie und Bewaffnung werden durch scharfes Wahrnehmungsvermögen und Kenntnis der Umgebung ergänzt, die unter afrikanischen Völkern einmalig sind. Natürliche Umgebung Vor mehr als drei Jahrhunderten lebten Sangruppen über weite Teile des südlichen Afrika verstreut, wo Wild und Feldnahrung reichlich vorhanden waren. Die Ankunft der bantusprechenden Stämme aus Nordostafrika und der Weißen aus Europa zwang sie jedoch zu einer abgesonderten Lebensform in den ariden Teilen der Kalahari. Seitdem zogen die Sanjäger und -Sammler in den weiten Räumen der Kalahari umher. Diese ebene und sandige Region umfaßt das östliche Namibia, das mittlere und westliche Botswana, Südangola, das südwestliche Sambia und die nördliche Kapprovinz Südafrikas im Norden des Oranjeflusses. Die Geologen nennen sie das Kalahari-Becken. Die gesamte Region ist praktisch ein riesiges Becken, das an manchen Stellen bis zu einer Tiefe von 100 Metern mit rotem und weißem Sand gefüllt ist. Die Kalahari liegt durchschnittlich 1000 Meter über dem Meeresspiegel. Unterschiede zwischen 650 und 1200 Metern kommen vor. Der Regenfall reicht von 150 mm im Süden bis zu über 600 mm im Norden. Die halbwüstenartige Natur des Gebietes wird deshalb nicht in erster Linie von der niedrigen Regenmenge bestimmt, sondern vom Mangel an Oberflächenwasser, das wegen des sandigen Bodens schnell versickert. Dauernd wasserführende Flüsse wie der Okavango, Kwando und Sambesi fließen durch die Nordkalahari. Die Zentral- und Südkalahari wird von einigen Trockenflüssen durchquert wie dem Nosob, Auob, Molopo und Kuruman. Die Südkalahari besitzt einen ausgeprägteren Wüstencharakter als die nördlicheren Gebiete. Große Teile von ihr werden durch in Längsrichtung verlaufende, rote Sanddünen mit festerem Boden in den Dünentälern gekennzeichnet. Der Vegetationstyp ist die dünn bewachsene Baum- und Buschsavanne. Kameldorn (Acacia erioloba), grauer Kameldorn (Acacia haematoxylon) und der wilde Granatapfel oder Dreidorn (Rhigozum trichotomum) zählen zu den vorherrschenden Arten. Die Zentralkalahari wird als Kameldornsavanne klassifiziert 108
(Giess, 1971:12-13). Hier kommen üppige Grasflächen vor und auch schöne Bestände des Kameldornbaumes (Acacia erioloba), der Silber-Terminalia (7erminalia sericea) und des Schwarzdorns (Acacia mellifera). Die Nordkalahari besteht aus Baumsavanne und Waldland. Der hohe Blut- oder Dolfholzbaum (Pterocarpus angolensis), die Rote Syringa (Burkea africana), der Rhodesische Teakholzbaum (Baikiaea plurijuga) und Mangettibäume (Ricinodendron rautanenii) fallen in diesem Waldland deutlich ins Auge. Hier gibt es auch mehr Wild als in der Zentral- und Südkalahari. Lokale Sangruppen Die San stellen 2,9 % der Gesamtbevölkerung Namibias dar, ihre Zahl wurde 1994 auf 45.000 Menschen geschätzt. Im Lande gibt es eine Anzahl unterschiedlicher Gruppen. Diese sind (die Zeichen !, |, || stehen für besondere Schnalzlaute): Die !Xu (in der Literatur auch als !Khû oder !Kung bezeichnet). Bei ihnen handelt es sich um die größte einzelne Sangruppe, die wiederum aus den drei folgenden Untergruppen besteht: • Die !Xu oder !Õ-!Xu. Sie leben in den Wäldern Südostangolas und in den benachbarten Teilen der Kavangoregion Nordnamibias. Wegen der Anpassung an ihren bewaldeten Lebensraum nennt man sie !Õ-!Xu, was wörtlich „Busch-!Xu“ oder „Wald-!Xu“ bedeutet. • Die Zû-|hoasi. Ihr Wohngebiet erstreckt sich vom Kavango aus südwärts durch das Buschmannland ins Hereroland-Ost hinein. • Die ||Kx'au-||'en, die auf Farmen im Distrikt Gobabis leben. Viele von ihnen trifft man auch im angrenzenden Ghanzi-Bezirk Botswanas an. Die Naró Sie findet man im Distrikt Gobabis der Omahekeregion Namibias wie auch im Ghanzi-Bezirk Botswanas. Die Kxoe oder Mbarakwengo Hier handelt es sich um die sog. „schwarzen Flußbuschleute“, die im Caprivi und benachbarten Gebieten der Kavangoregion, Angolas und Botswanas leben. Die Hai-||om
Nach ihrer Tradition schweiften die Hai-Ilom früher in dem Gebiet herum, das heute die Distrikte Tsumeb, Otavi und Outjo sowie den Etoscha-Nationalpark und die südlichen und westlichen Teile des Owambolandes umfaßt. Die |Auni und |Nû-||en Ein kleiner Rest der zu den fast ausgestorbenen Kapbuschleuten gehörenden |Aunigruppe findet sich auf Farmen am unteren Nosob, während ein paar |Nû||en am Oberlauf des Auobflusses leben. 109
Gruppenzusammenhalt und Landrechte Die verschiedenen Sangruppen hatten in der Vergangenheit sehr wenig oder gar keinen Kontakt miteinander. Dieser Zustand ändert sich jedoch schnell, weil sich durch Förderung der Sanbelange über Partikulargrenzen hinaus in Namibia und Botswana ein wachsender Gruppenzusammenhalt zeigt, auch wenn er sich noch in einem frühen Stadium befindet. Die folgende Zeitungsmeldung ist in diesem Zusammenhang höchst bedeutsam: „Gaborone - Die Landfrage sorgte hier auf der viertägigen Versammlung der südafrikanischen Sangemeinschaften wieder einmal für Schlagzeilen. Land wurde als Grundlage des Lebensunterhalts und Fortbestandes der Völker identifiziert, und es wurde festgestellt, daß alle Gemeinschaften einschließlich der San und Basarwa es besitzen und beaufsichtigen und freien Zugang zu ihm haben müßten, um ihre kulturelle Identität zu bewahren und ihr Überleben durch Ackerbau, Jagd und Sammelwirtschaft zu fördern. Dies, so wurde beschlossen, würde das Eigentum an identifizierbaren Gebieten und ihre Vererbung an zukünftige Generationen sichern. Die Zweite Regionalkonferenz über die Entwicklungsprogramme für die Sanbevölkerung Afrikas führte Abgeordnete von Sangemeinschaften in Namibia und von Basarwa in Botswana zusammen. Die Konferenz, die im Rahmen des Jahres der Einheimischen Völker der Vereinten Nationen abgehalten wurde, stellte fest, daß die geltende Gesetzgebung in Namibia und Botswana die Landnutzungsrechte und -praktiken der San und Basarwa nicht genügend schützt. Die Nationalregierungen wurden deshalb dringend aufgefordert, die Jagd- und Sammelwirtschaft als legitime Form der Landnutzung anzuerkennen. Die Resolutionen wiederholten noch einmal die Ansichten der vorigen Konferenz, die im vergangenen Jahr in Windhoek stattfand, und die einer Meinung war, daß die Landrechte der benachteiligten Gemeinschaften und Gruppen, speziell der San, besonderen Schutz genießen müßten. Die San in Namibia haben nun schon lange gefordert, daß ihnen ihr /V!ore-Konzept, eine dezentralisierte Bewegung, die ,geh zurück in den Busch, um wieder Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit zu erlangen’ bedeutet, gegeben werde. Diese Gebiete wurden von Einzelnen durch Herkunft, Heirat oder Namenverwandtschaft erworben. Zusammen bildeten sie Teil eines größeren kommunalen Territoriums, das kxa/ho hieß. Diese Gemeinschaften kämpfen dafür, auf diesem Land ihre Rechte kulturell und verfassungsmäßig geltend zu machen, um eine gemischte Wirtschaftsform von Jagd und Sammeln, Viehzucht in kleinem Maßstab und handwerklichen Arbeiten zu fördern, damit sie sich selbst versorgen und der rezenten Verkleinerung ihrer Landbasis und ihrer natürlichen Hilfsquellen entgegenwirken können. Die San behaupten, daß im Lande lebende Leute es am besten kennen. Das Land zu pflegen bedeutet, daß ein Teil davon für die Züchtung des Wildes und ein anderer für das Sammeln der Feldkost reserviert werden muß. Gegenwärtig ist das größte Problem dieser Leute, die Hirten vom
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Betreten ihrer Gebiete abzuhalten.“ (New Era, Jahrg. 1, Nr. 118: 28.10.3.11.93, S. 31)
Vor dieser Konferenz hatte eine Delegation der Hai-||om in Namibia eine Petition an das Ministerium für Landfragen, Wiederansiedlung und Rehabilitierung gerichtet, in der ihr Anrecht auf den Etoscha-Nationalpark und umliegende Gebiete in den Distrikten Grootfontein, Tsumeb und Outjo, die ihren Vorfahren gehört hätten, festgestellt wurde. Zur Erläuterung ihrer Forderungen bemerkten die Sprecher der Hai-||om, William Aib und David Peters, daß ihre Leute schon so lange ihres Landes beraubt seien und nun die Regierung bitten wollten, dessen Rückgabe zu fördern. Ohne Land, sagte Aib, wären seine Leute gezwungen gewesen, sich um Gelegenheits- und Lohnarbeiten für andere zu bemühen, oft unter sklavenmäßigen Bedingungen. Der Landmangel hätte außerdem zur Zerstreuung seiner Sippengenossen über das gesamte Namibia geführt. In einem Interview sagte Aib: „Wir möchten, daß die Regierung uns das Land unserer Ahnen gibt, uns als von den übrigen San verschiedene ethnische Gruppe anerkennt und uns Schutz für unsere kulturelle Identität gewährt. Wenn die Regierung nicht in der Lage ist, das Land zu übertragen, sollte sie uns Farmen im Süden der Etoscha oder im Osten der staatlichen Erweiterungsfarm im Distrikt Outjo kaufen. Es gibt etwa 10.000 Hei-||om in Namibia. Ohne einen Platz, den sie als ihre Heimat bezeichnen können, und ohne eine Form von sozial-kultureller Ordnung fürchten unsere Leute, daß sie ihre kulturelle Identität verlieren könnten. Unsere Menschen sind gegenwärtig in Namibia verstreut und benutzen die Sprache ihrer Herren statt ihrer eigenen Muttersprache. Wir haben keine Heimat, wo wir hingehen können, wie andere ethnische Gruppen im Lande. Wenn wir erst wiederangesiedelt sind, wird das eine Zwischenstufe zur Ordnung unseres Hauses sein. Wir fühlen, daß dieses Land frei ist, und möchten auch die Früchte der Unabhängigkeit genießen.“ (New Era, Jahrg. 1, Nr. 113, 23.-29.9.93, S. 2)
Sozialpolitische Ordnung Traditionell bestanden alle Sanvölker aus Jagdscharen unter Vorleuten. Diese Gruppen haben keine genau festgelegten Führungsorgane und geben im Gegensatz zur Entwicklung einer Machthierarchie der egalitären Gemeinschaft den Vorzug. Trotz ausgeprägter Tendenz zur Befolgung patrilinearer Sitten in der Gesellschaft sind die Jagdscharen meist nicht absolut patrilinear, patrilokal, exogam oder streng territorial. Schapera (1930) war sehr vorsichtig und vermied eindeutige Aussagen über Abstammungsrechnung und Zusammenstellung der Gruppen. Viele Jagdscharen sind unzweifelhaft bilateral, da ihre Mitglieder nach der Heirat verschiedenartige Wohnweisen praktizieren. Steyn sagt: 111
„Exogamie unter den Jagdscharen ist eher die Ausnahme als die Regel. In vielen Fällen gehören die Eltern eines verheirateten Paares zur gleichen Jagdschar, so daß die Wohnweise dann natolokal ist. In Wirklichkeit schließt die strukturelle Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit der Nutzungs- und Wohngruppen, verbunden mit dem hohen Grad der sozialen Mobilität (neben anderen Gründen wegen der häufigen Besuche zwischen den Jagdscharen) alle Formen einer vereinfachenden Einteilung der Wohnweisen aus. Diese Tatsache gab Anlaß zu Lees (1968) Versinnbildlichung der !Kung als pragmatilokal, um dadurch auf das Recht der Wohnungswahl und die Veränderlichkeit hinzuweisen. Im gleichen Sinne könnte man auch von adaptilokal sprechen.“ (1980:11)
Die grundlegende soziale Einheit ist die Familie. Verwandtschaftliche Bande stellen das stärkste Bindemittel zur Festigung der internen Gruppensolidarität dar und werden auch dazu benutzt, Kontakte zu verschiedenen Jagdscharen aufzunehmen, mit denen Heiratsbeziehungen bestehen. Ein Bräutigam braucht bei den Brauteltern keine Dienstleistungsperiode zu absolvieren, was dazu führt, daß die Männer sich zeitweilig anderen Jagdscharen anschließen. Währenddessen müssen sie immer noch ihre normalen Pflichten erfüllen und sich um ihre Eltern, jüngeren Brüder und Schwester sowie andere Verwandte kümmern. Diese Abhängigen begleiten gewöhnlich den Mann zur anderen Jagdschar, und das führt für längere Perioden zum Anschluß großer Teile einer Jagdschar an eine andere. Zwischen solchen Jagdscharen entwickeln sich starke soziale und wirtschaftliche Bande. In Trockenzeiten kommt es oft vor, daß die Wasserstellen in einem bestimmten Gebiet versiegen. Dann könnte sich eine Jagdschar vorübergehend oder gar ständig einer anderen anschließen. Ein anderes starkes Bindungselement in der Sangeseilschaft ist die Namenverwandtschaft. Menschen gleichen Namens unterhalten ein unmittelbares oder vermeintliches Verwandtschaftsverhältnis, was auch immer der Fall sein mag, und besuchen einander. Bei den Jagdscharen der San ist die Gegenseitigkeit ein Hauptmerkmal. Lee sagt, daß es kein ausschließliches „Eigentumsrecht“ über die Hilfsquellen gibt, ob die Führer der Jagdscharen nun patrilineal oder bilateral verwandt sind: „Ungeachtet der Ideologie von Landrechten lassen alle Jäger- und Sammlergruppen regelmäßig Besuche von anderen Gruppen zu und machen Gegenbesuche bei deren Gruppen.“ (1979:118-119) Mit dem Führungsamt in einer Jagdschar sind, außer dem Privileg der Wahl des besten Wohnplatzes, keine besonderen Vorrechte verbunden. Der Führer hat außerdem die Ehre, bei der Gründung eines neuen Lagers das erste Feuer anzuzünden. In der egalitären !Xu-Gemeinschaft zögern die Menschen, in der sozialen Rangordnung aufzusteigen, weil sie den Neid der übrigen Mitglieder der Jagdschar fürchten. 112
Abb. 23: !Xu-Manner in der nördlichen Kalahari.
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Die Hauptaufgabe des Führers liegt in der Überwachung der Sammlung von Feldnahrung und des Wasserverbrauchs innerhalb des Gebietes seiner Jagdschar. Er muß auch Eindringlinge ausweisen, die diese Hilfsquellen ohne seine Zustimmung benutzen und nach eigenem Belieben die Aufnahme in seine Gruppe beantragen, ohne Verwandtschaftsbeziehungen zu einem der Mitglieder zu haben. Diesen Aufgaben entspricht bei den !Xu seine Bezeichnung kxau („Eigentümer“). Die Hai-||om nennen ihn nur gai-khoeb („Großmann“). Der Führer hat gegenüber seinen Anhängern keine festgelegte Rechtsmacht und kann ihnen seine Autorität deshalb nicht aufzwingen. Es gibt keinen formellen Rat, da alle Probleme von der gesamten Gruppe oder interessierten Leuten besprochen werden. Einseitige Entscheidungen des Führers bei der Lösung eines Problems werden zugunsten der Einstimmigkeit aller vermieden. Sollte kein Konsens erreicht werden, verfolgen die Beteiligten ihre Sache weiter, indem sie das „Recht“ in eigene Hände nehmen. Lee sagt: „... wir können sagen, daß die Existenz von Privilegien, Statusunterschieden und Rangordnung in einer Gruppe von Wildbeutem weit weniger entwickelt zu sein scheint als in jeder anderen Form von menschlicher Gesellschaft.“ ( 1979:119) Bei allen Gruppen gibt es keine festgelegten Erbfolgeregeln. Die !Xu haben patrilineare, die Hai-||om matrilineare Erbfolge. Keine der Sangruppen hat irgendeine Form zentralisierter Macht über die einzelnen Jagdscharen hinaus entwickelt, um der Gruppensolidarität in größerem Umfang Ausdruck zu geben. Hier handelt es sich um segmentäre Gesellschaften, die den sozialen Zusammenhang im Gruppenverband auf der Basis gegenseitig anerkannter gemeinsamer Herkunft und auch durch den Gebrauch der gleichen Sprache aufrechterhalten. Lokalgruppen und Territorialrechte Jede Jagdschar hat ihr eigenes Schweifgebiet mit seinen Wasserlöchern und Feldkostvorkommen. Man betrachtet das Sammeln von Feldkost im Gebiet einer anderen Jagdschar als ein Vergehen. Was die Jagd betrifft, scheint es für die verschiedenen Gruppen keine deutlich abgegrenzten Jagdreviere zu geben wenigstens nicht bei den !Xu. Wild gehört niemandem, bevor es nicht erlegt ist. Lee beschreibt die Lokalgruppen wie folgt: „Das Wort für Lokalität, Land oder Gebiet in !Kung, n!ore, bezeichnet ein Landstück, das jedes Wasserloch umgibt und die Hilfsquellen darstellt, von denen die Menschen des Wasserloches abhängen. Jedes nlore ist mit einer Kerngruppe von Eigentümern, den k"ausi, verbunden.... Innerhalb eines n!ore gehört das Wasserloch selbst und das Gebiet in seiner unmittelbaren Nähe ganz klar der k"ausi-Gruppe, und dieses Eigentum wird von einer Generation auf die nächste vererbt, solange die Nachkommen weiter dort leben. Dieses Kerngebiet ist jedoch von
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einem breiten Landgürtel umgeben, den man sich mit Nachbargruppen teilt. ... die !Kung legen keine festen Grenzen zwischen den n!ores fest. Pflanzliche Hilfsquellen werden genauer bestimmt, aber auch hier bleibt ein wenig Zweideutigkeit. ... Die Lokalgruppen der !Kung befriedigen ihre Unterhaltsbedürfnisse mit erstaunlich wenig Reibung mit ihren Nachbargruppen. Wir haben gesehen, daß der Raum für den Lebensunterhalt begrenzt ist, aber diese Grenzen sind vage und werden nicht verteidigt. Gruppen mit n!ore-Eigentum sorgen gut für die Nutzung der Hilfsquellen ihres Landes durch Besucher und erwarten die gleiche Höflichkeit, wenn sie bei ihren Nachbarn Gegenbesuche machen.“ (1979: 334,350-51)
Die Erbfolge innerhalb dieser Gruppen wird durch Abstammungsregeln nicht eingeschränkt. Jemand kann ein n!ore von der Familie seines Vaters erben, von der Familie seiner Mutter, von beiden Eltern oder von keinem Elternteil. Nach Lee ( 1979:338) ist der patrilineare Erbgang am häufigsten. Ein solcher Erbe hat starkes Anrecht auf die Führerschaft. Wirtschaftsleben Die San erwerben ihren Lebensunterhalt als Wildbeuter durch die Jagd wilder Tiere und das Sammeln von Feldkost. Nach Lee (1979:117) sind die wichtigsten Merkmale einer Gesellschaft mit dieser Produktionsweise die folgenden: 1. 2. 3.
4. 5.
Sie muß beweglich sein und ein großes Gebiet durchstreifen, um genug Nahrung zu finden. Die Umgebung setzt eine Obergrenze für die Größe der Gruppe. Wegen der jahreszeitlichen und regionalen Schwankungen der Hilfsquellen muß die Struktur einer Jäger- und Sammlergruppe flexibel genug sein, um sich den wechselnden Möglichkeiten anzupassen. Die Notwendigkeit des Umherziehens setzt dem materiellen Besitz einer Familie Grenzen. Trotz verschiedener Ideologien über Landrechte haben die Jäger sorgfältig durchdachte Regeln für den wechselseitigen Zugang zu Hilfsquellen entwickelt.
Das Sammeln von Feldkost ist eine wichtigere wirtschaftliche Tätigkeit als die Jagd, da durch das Sammeln die meisten Nahrungsbedürfnisse der San befriedigt werden. Sie müssen oft lange Zeit ohne Fleisch auskommen, können aber höchstens ein paar Tage ohne Feldkost überleben. Pflanzen dienen nicht nur zur Nahrung, sondern liefern auch Feuchtigkeit. Dies ist sehr wichtig, weil die Trockenzeit in der Zentralkalahari neun Monate oder länger dauern kann. Die Frauen unternehmen jeden Tag Sammelzüge, um nach Feldkost zu suchen. Während der heißen Sommermonate gehen sie am frühen Morgen und noch einmal am Spätnachmittag los. Mit Beginn des Frühlings beginnen die Tsamas 115
(Citrullus vulgaris), eine Melonenart, reif zu werden. Dann kann die ganze Familie mit geringen Anstrengungen ernährt werden. Die !Xu kennen mehr als 80 eßbare Pflanzenarten, Früchte, Beeren, Nüsse, Zwiebeln und Knollen. Die wichtigste auf ihrer Speisekarte ist die Mangettinuß (Ricinodendron rautanenii Schinz). Es handelt sich um ein reichlich vorhandenes Hauptnahrungsmittel mit hohem Nährwert. Fleisch aller möglichen Art ist eine wichtige Nahrungsquelle der San. Fourie sagt: „Unter anderem Insekten, Heuschrecken, Ameisen, Skorpione, junge Bienen und Honig werden sehr gerne verzehrt, auch Frösche, Eidechsen, Schlangen etc. werden gegessen. Eigentlich werden alle vorhandenen Tiere gegessen mit Ausnahme von Maulwurf und Hyäne; der erstere, weil seine Winter-Vorratskammer voller Feldzwiebeln eine wertvolle und leicht zugängliche Ergänzung für die Versorgung der Buschmänner darstellt, und die letztere, weil sie auch Leichen frißt.“ (1928:99) Man verwendet verschiedene Jagdmethoden, die von Jahreszeit, Umgebung und Wildart abhängen. Dem Schlingenstellen wendet man sich während der Trokkenzeit zu, wenn Tiere wie Perlhühner, Trappen, Erdferkel, Strauße und anderes Kleinwild erlegt werden. Hasen und Kleinwild fängt man in Fallgruben. Springhasen und Schlangen werden mit Hilfe eines mit Widerhaken versehenen Stokkes gefangen, mit dem man in ihren Höhlen herumstochert. Wenn das Tier am Haken hängt, wird es ausgegraben. Großwild erlegt man entweder mit vergifteten Pfeilen auf der Pirschjagd oder durch Hetzjagd zu Fuß, wobei man das Tier mit Speeren oder Keulen tötet. Bogen und Giftpfeile sind die verbreitetsten Waffen. Man verwendet verschiedene Giftarten. Einige werden von Pflanzen wie Euphorbia subsala und Adenium boehmianum gewonnen. Schlangengift, besonders von der Puffotter und Cobra, wird ebenso benutzt wie auch das aus den Larven der Polyclada- und Diamphidia-Käfer hergestellte Gift. Man bewahrt die Pfeile in walzenförmigen Köchern auf, die aus der Wurzelrinde des Dornbaumes Acacia reficiens verfertigt sind. Die Bogen bestehen meistens aus den biegsamen Zweigen des Rosinenbusches (Grewia flava), während die Bogensehnen aus dicken Tiersehnen bestehen. Wenn ein wundes oder vergiftetes Tier bei Nachteinbruch noch nicht eingegangen ist, geht der Jäger ins Lager zurück. Am nächsten Morgen nimmt das ganze Lager an der Nachsuche teil. Man folgt der Spur. Auch mag die Anwesenheit von Geiern die Lage des toten Tieres anzeigen. Wenn das Stück Wild gefunden ist, wird es von den Männern aufgebrochen. Sie entfernen die Eingeweide und reinigen sie und machen aus dem Magen Behälter, in denen das Blut aufgefangen wird. Bei den Hai-||om wird die Leber geröstet und von den Männern gegessen, nachdem das Tier zerteilt worden ist. Fourie sagt: 116
„Jedes Teil eines Tieres wird gegessen oder für den einen oder anderen Zweck verwandt ... sogar die Knochen werden aufgebrochen und gegessen. Wenn bei kleinen Antilopen aus irgendeinem Grunde das Fell für andere Zwecke ungeeignet ist, wird es mit dem Tier geröstet und gegessen. Kleine Felle verwendet man als Karosse, Beutel für Nahrungsmittel oder Tabak, Köcher, Lendenschurze usw. Aus den Fellen des Großwildes werden Sandalen, Decken, Köcher und Bogensehnen gemacht. ... Die Sehnen benutzt man zum Anfertigen von Bogensehnen, zum Verstärken der Bogen und Pfeilschäfte und als Garn zum Nähen der Felle. Daraus macht man auch die Stricke der Netze, in denen die Kalaharigruppen ihre Habseligkeiten tragen. In der Kalahari werden die Vorschäfte und Spitzen der Pfeile aus den langen Straußenknochen und verschiedenen Großwildarten hergestellt. Aus Knochen macht man auch Messer, Ahlen, Pfeifen usw. Die Hörner werden zu Löffeln, Flöten und kleinen Köchern für den Transport von Pfeilspitzen während der Regenzeit verarbeitet. ... Wenn der Magen der großen Tiere nicht zur Nahrung benötigt wird, wird er zu Taschen zum Auffangen des Blutes und zum Wassertragen verarbeitet. Straußeneierschalen werden zum Tragen und Aufbewahren von Wasser und zur Herstellung von Eierschalenperlen verwandt. ...“ (1928:103)
Die zum Lebensunterhalt notwendige Technologie der San kann in drei Gruppen eingeteilt werden: 1. Jagdgeräte: Pfeil und Bogen, Rindenköcher, Ausrüstung für die Herstellung von Pfeilgiften, Hakensonden für Springhasen, Keulen und Schlingen. 2. Geräte zum Sammeln und Tragen: Grabstöcke, Karosse, Ledertaschen, Tragnetze, Tragstöcke und Wasserbehälter, wie z.B. Straußeneierschalen. 3. Geräte zur Nahrungszubereitung: Knacksteine zum Aufbrechen der Nüsse, Feuerstöcke, Töpfe, Eßgeräte und Einrichtungen zur Aufbewahrung der Nahrung. Lee bemerkt, daß der kollektivistische Charakter der Wildbeuterproduktion bei der Verteilung und dem Verbrauch der Hilfsquellen deutlich hervortritt: „Eßbares wird niemals allein von einer Familie verzehrt, es wird immer (tatsächlich oder potentiell) mit den Mitgliedern einer bestehenden Gruppe von bis zu 30 (oder mehr) Angehörigen geteilt. Auch wenn täglich nur ein Teil der dazu fähigen Jäger und Sammler ausziehen, wird das Tagesergebnis an Fleisch und Feldkost so geteilt, daß jeder im Lager einen gerechten Anteil erhält. Die Jagdgruppe oder das Lager ist eine Anteilsgemeinschaft, und wenn das Teilen nicht mehr funktioniert, hört es auf, ein Lager zu sein. Dieses Prinzip der allgemeinen Gegenseitigkeit im Lager kennt man von allen Jäger-Sammler-Gemeinschaften auf jedem Kontinent und in jedem Umfeld.“ (1979:118) Obwohl das Land und seine Hilfsquellen gemeinsamer Besitz sind und die Nahrung von allen in gleicher Weise geteilt wird, gehören Werkzeuge und andere Sachen dem Besitzer. Die Produktionsmittel gehören also dem Besitzer. Diese materiellen Güter sind wichtige Handelswaren. Handelsnetze werden geknüpft und dadurch soziale Beziehungen hergestellt. (Lee, 1979:119) 117
Bei der Bewirtschaftung der Hilfsquellen wenden gewisse Sangruppen zwei primitive Methoden an. Eine ist das Abbrennen des Feldes am Ende der Trokkenzeit, um das Wachstum des jungen Grases und der Feldkost zu fördern. Durch die frische Weide wird auch das Wild angelockt und dann gejagt. Leider werden auf diese Weise die Bäume schwer geschädigt. Die zweite Methode ist die Säuberung der Stellen, an denen Tsamas wachsen. Religion Die Vorstellungen von einem Höchsten Wesen sind bei den San sehr vage. Es gibt Leute, die an ein gutes Wesen namens !Khutse und ein böses namens Gãua glauben. Über die Art und Tätigkeit dieser Wesen ist wenig bekannt, weil man der Ansicht ist, daß sie auf das Schicksal der lebenden Menschen keinen direkten Einfluß haben. Bestimmtere Vorstellungen hat man jedoch von den Geistern der Verstorbenen. Menschen, die eines guten Todes sterben, gehen angeblich zu !Khutse, wo es ihnen bei reichlicher Feldkost und vielem jagdbaren Wild gut geht. Wer jedoch eines schlechten Todes stirbt, geht zu Gäua, wo er Hunger und Pein leidet. Die Totengeister können ihren lebenden Nachkommen unerfreuliche Erfahrungen verschaffen, deshalb müssen gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden: Fourie sagt: „... von einem Verstorbenen glaubt man, daß er sich nachts als Geist umherbewegt. Folglich wird buchu (tsã) auf das Grab gesprenkelt, um den Geist des Verstorbenen glücklich zu machen, so daß er in der Nacht nicht zurückkommt, um andere zu belästigen; außerdem gießt man Wasser auf das Grab oder läßt es dort zurück, damit der Geist nicht den Regen beeinflußt, und Bogen, Köcher und Pfeile des Verstorbenen werden ans Grab gelegt, um den notwendigen Besuch seines Geistes, der zurückkommt, um danach zu sehen, überflüssig zu machen.“ (1928:104)
Die San glauben außerdem an eine überall gegenwärtige magische Kraft. Verschiedene Zeremonien und rituelle Verbote (Tabus) werden eingehalten, um negative Offenbarungen dieser Kraft zu verhindern. Es gibt eine Überlieferung, daß der erste San (Tji-tji) von der bösen Gottheit (Gãna) in die Kunst der Anwendung des kleinen Zauberköchers eingeführt wurde: „Tji-tji hatte eine Oryxantilope getötet. Gãua kam an der Stelle an und sagte: ,lch bin zu Dir gekommen; Du brauchst keine Angst zu haben; wir beide können hier schlafen!'. Nachdem er das Tier aufgegessen und geschlafen hatte, bemerkte Tji-tji zu Gãua: ,Gib mir dieses Zeug (//ai).’ Der letztere antwortete: ,Wenn ich Dir das //ai gebe, was wirst Du mir dann bezahlen?' Tji-tji antwortete: ,lch werde Dir die Hörner geben!' Da nahm Gãua die Hörner, machte kleine Pfeile daraus und stattete sie mit //ai aus. Bevor er wegging, lehrte er Tji-tji den //ai Tanz. Seit dieser Zeit wußten die Buschleute, wie man die Zauberei nutzen kann.“
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Eine gewisse, wenn auch nicht sehr deutliche, religiöse Bedeutung wird dem Mond zugeschrieben. Estermann (1976:12) sagt, daß bei den !Xu von Südangola das Erscheinen des Neumondes mit Freudenkundgebungen begrüßt wird: „Verschiedene Informanten erzählten mir, daß diese Kundgebungen nicht mehr seien als ein natürlicher Ausdruck der Freude nach der Dunkelheit der mondlosen Nächte. Von den !Kung sagt man, daß sie seltsame Tänze veranstalten, in denen sie so tun, als ob sie Waldtiere nachahmen, wie z.B. die Giraffe oder das Gnu.“ Ein anderer Gewährsmann erklärte ihm gegenüber jedoch, daß die religiöse Bedeutung des Mondes sich von Auffassungen ableite, die eine Urform des Monotheismus darstellen: „Der Mond ist wie unser Gott. Wenn er erscheint, begrüßen wir ihn und sagen: ,Kleiner Vater (oder Kleine Mutter), Du bist gekommen, uns zu besuchen'.“ Nach einer weiteren Erklärung wird der Mond zeremoniell angebetet: „Bei Vollmond oder etwas später, wenn ein Jäger eine große Antilope erlegt hat, macht er aus Schilfrohr einen Bogen, wobei er eine Bastfaser als Bogensehne verwendet. Dann spannt er seinen Bogen und bringt ihn zu der Stelle, wo das Tier stand oder lag, als es vom Pfeil getroffen wurde. Dort macht er ein Feuer und legt den Bogen darauf. In wenigen Minuten verbrennt das Feuer die Sehne, und der Bogen wird entspannt. Dann wartet der Jäger auf den Mondaufgang. Wenn der Mond erscheint, nimmt er ein Stück Holzkohle aus dem Feuer, zerdrückt es und reibt seinen Kopf und seine Nase damit ein, wobei er die rituellen Worte spricht: |Nui ma |sû (,Der Mond ist aufgegangen!')-“ Estermann faßt dann diese unterschiedlichen Versionen zusammen: „Wie können wir die gleichzeitige Existenz eines gewissen primitiven Monotheismus mit dem Ahnenkult und der Mond,Verehrung' in Einklang bringen? Die beiden letzten Erscheinungsformen des Kultes können leicht miteinander verbunden werden, wenn die Beobachtung von H. Vedder (1934:92) sich bestätigt und wenn sie auf das ganze von IKung bewohnte Gebiet ausgedehnt werden kann. Dieser Forscher kam praktisch zu der Schlußfolgerung, daß die IKung den Mond als Aufenthaltsort der Totengeister betrachten. Was als Erscheinungsform eines Mondkultes erscheint, würde dann tatsächlich den Ahnen gelten, die den Mond bewohnen. Deshalb sollten wir zu zwei Komponenten der IKungreligion gelangen: einen mehr oder weniger verblaßten Monotheismus und .Ahnenverehrung'....“ (1976:12-13)
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9. Kapitel
Die Nama (Vorbemerkung: Die Zeichen |, ||, ‡ und! stehen für Schnalzlaute der Nama-Sprache.)
Die Nama sind die „roten Menschen'„ (|awa-khoin) Namibias. Viele von ihnen leben in den Stammesgebieten des Namalandes, das Teile der Regionen Hardap und Karas umfaßt. Andere Namastämme ließen sich so weit entfernt wie im Kuisebtal in der Namibwüste und in Sesfontein im Nordwesten nieder. Alle diese Gebiete sind extrem trockene Landesteile. Die Gesamtbevölkerung dieser Gruppe wurde 1994 auf 80.000 Menschen geschätzt. Die folgende Übersicht der Nama stützt sich hauptsächlich auf Budack (1972, 1977, 1979, 1983 und 1986 sowie Aufzeichnungen von ihm aus dem Jahre 1990). Ergänzende Informationen stammen von Vedder (1928), Hoernle (1985) und Hoff (1993). Herkunft Historisch schloß der einheimische Sammelname „Khoi-khoin“, früher fälschlich „Hottentotten“ genannt, die folgenden Untergruppen ein: Südliche Kapkhoen, Khoen des Ostkaps (beide ausgestorben), |Girigwa (Griqua), !Khorana, Naman und die sogenannten „Oorlam“. (Nach einer Übereinkunft der Bantuisten, die Präfixe bei Stammesnamen wegzulassen, wird von Khoisanisten ein analoges Verfahren in bezug auf die Suffixe der Khoi-Stammesnamen angewandt, so daß von Khoi, Nama, !Khora etc. die Rede ist.) Mit Ausnahme einiger weniger Nachkommen von |Giri oder !Khora gehören alle Khoi innerhalb der Grenzen Namibias zu den Nama. Ein besonderer Ausnahmefall sind die Namadaman von Vaalgras und Umgebung im Distrikt Keetmanshoop. Sie sind Nachkommen von ehemaligen Herero-Kriegsgefangenen, die als Gruppe zusammenhielten und im Laufe der Zeit allmählich die Sprache und Kultur der Nama übernahmen. Die Unterscheidung zwischen einheimischen (Nama) und eingewanderten (Oorlam) Stämmen aus dem Kap, die in der Vergangenheit von Autoren manchmal übermäßig hervorgehoben wurde, ist heute fast gegenstandslos geworden. Gegenwärtig muß „Nama“ als gültige und eingebürgerte Bezeichnung aller von Khoi abstammenden Menschen im Lande angesehen werden, während „Khoi-khoin“ aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden ist. Zu Beginn der Oorlam-Einwanderung mögen die Immigranten wegen ihrer überlegenen Ausrüstung (Pferde, Feuerwaffen, europäische Kleidung usw.) und ihrer Kenntnis europäischer Sprachen (Kapholländisch und Englisch) für die einheimischen Stämme noch ein beneidenswertes Vorbild gewesen sein. Inzwischen hat sich die integrative Kraft der Namakultur und -sprache jedoch als stärker erwiesen. Wir sind gegenwärtig Zeugen des Höhepunktes in diesem Verschmelzungsprozeß - der Entstehung einer Nama-Nation. 120
Abb. 19: Ein Topnaarjunge bei der Ernte von Naramelonen {Acanthosicyos horrida) im trockenen Kuisebflußbett bei Walvis Bay. Dies ist eine wichtige Nahrungsquelle in der ariden Namibwüste.
Stammeseinteilung Gegenwärtig gibt es in Namibia 14 Namastämme. Einige davon haben mehr als einen Namen, aber in den meisten Fällen sind sie am besten unter ihrer afrikaansen Bezeichnung bekannt. Es handelt sich um die folgenden: 121
Nr. Eigenname
Beiname
Afrikaanser Name / Deutscher Name
1. Gai-||khaun
||Khauben
Rooi Nasie / Rote Nation
2. ‡Aonin
Naranin, Hurinin
(Südl.) Topnaars
3. !Gomen
(Nördl.) Topnaars
4. !Gami-‡nûn
Bondelswarts
5. !Khara-khoin
!Khara-gai-khom
Fransmanne / Simon-Koper-Leute
6. ||Haboben
Veldskoendraers / Feldschuhträger
7. ||Õ-gain
Groot Doden
8. ||Khau-|gõan
‡Khari-||khaun
Swartboois
9. Kharo-!oan
Tsain
Keetmanshoopers
10. !Aman
!Amain
Bethaniens / Bethanier
11. |Hõa-|aran
||Aixa-||ain, Toroxa-||ain
Afrikaners / Afrikaner
12. Gai-|khauan
Lamberts, Amraals / Khauas
13. |Hai-|khauan
‡Khan-|khauan
Bersebaers / Bersebaleute
14. |Khobesin
!Uri-gamn
Witboois
Körperliche Merkmale Die Khoi sind physisch tief in Afrika verwurzelt. Boskopoide und sanoide Züge, die sie mit ihren Verwandten unter den San gemein haben, gab es im südlichen Afrika schon sehr lange, das gleiche gilt vom gerontomorphen Typus. Zusätzlich hatte noch ein viertes Element Anteil an ihrer rassischen Zusammensetzung. Während einiger Jahrtausende drangen erythroide Merkmale in den Süden Afrikas ein. Vor 2000 bis 3000 Jahren brachten die Träger wahrscheinlich Langhornrinder und Fettschwanzschafe in diese Region sowie andere Elemente der Hirtenkultur. Eine der letzten Einwanderungen von Erythroiden aus dem Norden brachte die Kakamasleute, die kurz nach Beginn der christlichen Zeitrechnung im Oranjetal anlangten. Die Hirtenkultur verbreitete sich weit über die Grenzen der Erythroiden hinaus und wurde allmählich von einer ständig wachsenden Zahl der Wildbeutergruppen übernommen. Während dieser umwälzenden Veränderungen wurden frühere physische und kulturelle Unterschiede zwischen Wildbeutern und Hirten vollständig verwischt. Bis zum heutigen Tage hat sich 122
bei den Khoihirten im allgemeinen und den Nama im besonderen eine starke Komponente ihres uralten Wildbeutererbes erhalten. Es ist erstaunlich, daß vielen frühen europäischen Besuchern des Kaplandes und der Atlantikküste des südwestlichen Afrika die angeblich starke Häßlichkeit der dortigen Bevölkerung auffiel. In Wirklichkeit handelt es sich bei den Khoi um wohlproportionierte Menschen mittlerer Körpergröße - im Durchschnitt zwischen 1,58 und 1,63 m - mit grazilen Gliedmaßen. Die schmalen und feingeschnittenen Hände und Füße ihrer Frauen werden in traditionellen Preisgedichten besungen. Ihre hohen, etwas hervortretenden Wangenknochen rufen in Verbindung mit dem spitzzulaufenden Kinn den Eindruck eines Dreiecks hervor. Ihre ziemlich flachen Nasen betonen das geringe Profil ihrer Gesichter. Ihre schwarzen oder dunkelbraunen Augen scheinen wegen einer besonderen Augenfalte des oberen Lides mandelförmig zu sein. Dieses Merkmal hat früher zu der Hypothese eines rassischen Verwandtschaft zwischen Khoi und Mongoloiden Anlaß gegeben. Trotz gewisser Ähnlichkeiten ist die genetische Ausstattung der beiden Gruppen sehr verschieden. Das sogenannte „Hottentottenauge“ deutet deshalb nicht auf eine physische Verbindung mit Asiaten hin. Eine weitere auffallende Eigenschaft der Nama ist die außergewöhnlich starke Ansammlung des Unterhautfettes am Gesäß (Steatopygie), besonders bei weiblichen Personen. Diese Eigenschaft entspricht dem Schönheitsideal der Nama. Stammeseinteilung und Stammesland Die Nama teilen sich in geopolitische Einheiten mit eigenen Namen, die trotz der Ablehnung dieses Terminus durch manche Leute am besten als Stämme (!haoti, Sing. !haos) bezeichnet werden. In seinen Aufzeichnungen erwähnt Budack die Tatsache, daß Krönlein (1889:156) die Namabezeichnung Ihäus mit „die Felsbank (in Schichten liegend)“ übersetzt, was gleichzeitig auch „das Geschlecht, der Stamm“ bedeutet. Man kann annehmen, daß die Wahrnehmung der genealogischen Strata zum Vergleich mit der hierarchischen Sippenrangordnung innerhalb eines Stammes Anlaß gab. Jeder Stamm führt einen Eigennamen, der ihn von anderen Stämmen abgrenzt. Außerdem gibt es Fremdbezeichnungen, die von Angehörigen fremder Gruppen benutzt werden, um Nachbarstämme zu benennen. Diese Namen, ob rein deskriptiv, spöttisch oder sogar leicht abfällig, drücken das Bewußtsein eigener und fremder Identität aus. Bisher konnten noch nicht alle Namen etymologisch erklärt werden. Man erkennt jedoch einige Leitgedanken wie genealogische Abstammung (||Khau-|gõan, Kharo-!oan), handwerkliche Fähigkeiten (IIHaboben), geographische Lage des Stammesgebietes (‡Aonin), Name des Stammeszentrums (Bersebaleute, Bethanier, Keetmanshooper), Hauptnahrung 123
(!Naranin), Häuptlingsname oder Name der Häuptlingssippe (Fransmanne, Simon-Koper-Leute, Swartboois, Lamberts, |Hõa-|aran, möglicherweise auch !Gami-‡nûn), bestimmte Charaktereigenschaften in den Augen Fremder (||Aixa||ain), ein besonderer Dialekt (!Gomen) und historische Ereignisse (||Õ-gain, |Khobesin, vielleicht auch !Aman). Ein weiteres Kennzeichen ist die Identifizierung des Stammes mit einem bestimmten Gebiet. Manchmal wurden Trockenflüsse und Bergketten als Grenzen betrachtet, wie z.B. der Unterlauf des Fischflusses als gemeinsame Grenze zwischen den Bondelswarts (!Gami-‡nûn) und den Bethaniern (!Aman). Dies muß jedoch als Ausnahme betrachtet werden. Im allgemeinen spielt der Besitz bestimmter Wasserstellen eine viel wichtigere Rolle als die Demarkation fester Grenzen. Wenn man nach der Ausdehnung eines Stammesgebietes fragt, werden meistens die Namen bekannter Quellen, Grabwasserstellen bei Viehposten, Pfannen und Vleys (Niederungen, in denen sich während der Regenzeit Wasser sammelt) genannt. Alle bedeutenden Wasserstellen im Namaland gehören irgendeinem Stamm. Budack (1972:36-52) rekonstruierte einige dieser Territorien, wie sie während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor Errichtung der deutschen Schutzherrschaft bestanden. Alles Weideland, das von den Wasserstellen aus genutzt werden konnte, wurde als das eigentliche Stammesgebiet betrachtet. Zwischen den Stammesgebieten befand sich ein Streifen Niemandsland von sehr unterschiedlicher Ausdehnung, wenn keine natürliche Grenzlinie bestand. Es ist bemerkenswert, daß gegenwärtig vertretene Gebietsansprüche sich im allgemeinen auf Besitzverhältnisse gründen, die nach dem Abschluß der „Oorlam“Immigration, doch vor Beginn der Kolonisierung bestanden. Jagdzüge fanden manchmal außerhalb der Stammesgebiete statt, da es zwei Arten des Jagdfeldes gab: stammeseigene Jagdfelder in wasserarmen Außenbezirken der Stammesgebiete und die ausgedehnten Jagdgründe der Kalahari im Osten, die sich sogar bis zum Ngamisee erstreckten. Politische Ordnung Im Laufe des 19. Jahrhunderts bildeten sich bei den meisten Namastämmen feste Zentren, wo der Häuptling und die Stammesregierung ihren Sitz hatten. Eine schon in vorkolonialer Zeit fühlbare Neigung zur Konzentration wurde durch den Einfluß der Mission noch verstärkt. Während der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wurden die folgenden Stammeszentren gegründet: !Hoaxa-!nas (Hoachanas) bei den Gai-||khaun, |Aixa-aibes (Warmbad) bei den !Gami-‡nûn, |Awa-!haos (Rooibank) bei den ‡Aonin, !Nani-|ous (Sesfontein) bei den !Gomen, !Gõxas (Gochas) bei den !Khara-khoin, |Khoës (Koës) bei den ||Haboben, ‡Hãe-!aosib (Schlip oder Slip) bei den ||Õ-gain, |Anis (Rehoboth bis 124
1864; später Salem, Ameib und Franzfontein) bei den ||Khau-|gõan, ‡Nu-‡goaes (Keetmanshoop) bei den Kharo-!oan, |Ui-‡gantes (Bethanien) bei den !Aman, |Ai-||gams (Windhoek) bei den |Hõa-laran, ||Nao-sanabis (Naosanabis bei Leonardville, bis 1855), ‡Khoabes (Gobabis, seit 1855) bei den Gai-|khauan und Khaxa-tsûs (Gibeon) bei den |Khobesin. Vor Beginn der Kolonialzeit hatten alle Namastämme unabhängige Regierungen. Einige davon bestehen bis heute und sind noch immer im Amt. Das ist wirklich erstaunlich, wenn man an die verheerenden Auswirkungen der Kolonialkriege gerade auf das traditionelle politische System denkt. Auch später, während der Mandatsperiode, wurde den Stammesregierungen innerhalb der sogenannten „Polizeizone“ die volle gesetzliche Anerkennung versagt. Sie blieben aber trotzdem hinter der Fassade der gesetzlich vorgeschriebenen Reservatsräte bestehen. Im Jahre 1975 trat eine bedeutungsvolle Änderung ein mit dem Erlaß der „Proclamation to provide for the establishment of a Nama Council, tribal authorities and village management boards of Namaland“ (Nr. 160, 1975). Leider wurde auch in dieser Proklamation keine vorbehaltlose Anerkennung der traditionellen Stammesregierungen ausgesprochen. Heute haben mehrere Stämme funktionierende Stammesregierungen. Das gilt an erster Stelle für die IKhobesin unter Häuptling Hendrik Witbooi. Eine Stammesregierung besteht im wesentlichen aus einem erblichen Häuptling und einem gewählten Rat. Gegenwärtig haben noch neun der 14 Namastämme Häuptlinge. Dies sind die Gai-||khaun, !Gami-‡nûn (Regentin), !Khara-khoin (in Lokgwabe, Botswana), ||Khau-|gõan, !Aman, |Khobesin, |Hai-|khauan (zwei Häuptlinge rivalisierender Stammesteile) und |Hõa-|aran. Der Stammesrat (|abema-|haos) besteht traditionell aus einer Anzahl erwachsener Männer. Budack stellte 1971 als Durchschnittsalter der Ratsleute bei den Gai-Ikhaun und IKhobesin 59 bzw. 62 Jahre fest. In jüngerer Zeit hat sich das jedoch insofern geändert, als eine wachsende Zahl junger Männer in diese Räte gewählt wird. Einige der Ratsleute haben besondere Pflichten, wie der Unterhäuptling (!nagamã gao-aob), der Ankläger (!nuri-!gã-aob), Verteidiger (gowaba-aob) und der Stammesbote (szî-!gab). Titel und Funktionen von Amtsträgern, die von der holländischen und britischen Verwaltung am Kap übernommen wurden, schließen magistraat, kommandant, veldkornet und korporaal ein. Alle diese Funktionäre, mit Ausnahme des Häuptlings, werden für eine begrenzte Amtszeit entweder vom Rat oder der Stammesversammlung (!haos di |hûs) gewählt. Das charakteristische Merkmal eines Stammes (!haos) ist also die Existenz einer politischen Gemeinschaft, die sich von anderen Gruppen abgrenzt, von Fremden als eigenständige Einheit anerkannt wird und sich durch Ergebenheit gegenüber Häuptling und Rat auszeichnet. 125
Sozialordnung Sippen Jeder Namastamm besteht aus einer Anzahl patrilinearer Verwandtschaftsgruppen, die !hao-!nati genannt werden, d.h. wörtlich „Stamm-in (Dinge)“. Alle Sippen leiten sich über eine unbestimmte Anzahl Generationen von einem gemeinsamen legendären oder historischen Stammvater ab. Die Sippen standen früher in einer festen Rangordnung zueinander, diese wird jedoch nicht mehr allgemein eingehalten. Nur die Seniorität der Häuptlingssippe (gaosib khoiri) wird nirgends in Frage gestellt. Angehörige der älteren Sippen geben im öffentlichen Leben noch immer den Ton an, wie es sich in der Zusammensetzung der Stammesräte und bei der Ernennung von Funktionären zeigt. Die Sippenrangordnung hat außerdem Bedeutung für die Häuptlingsnachfolge. Wenn die Häuptlingssippe aussterben sollte, geht die Nachfolge an die nächsthöhere Sippe über. Dies geschah bei den Gai-||khaun und ‡Aonin. Reste der alten Sippenrangordnung zeigen sich auch in einigen Siedlungsanlagen, wie z.B. in Hoachanas und Berseba. Dort besteht der Ortskern aus einem weiten Kreis, in dem die einzelnen Häusergruppen nach der Sippenfolge angeordnet sind. Nach der Herkunft lassen sich in jedem Namastamm drei Arten von Sippen unterscheiden: 1. Blutsverwandte Sippen. Ihre Angehörigen behaupten, daß sie alle in väterlicher Linie von der Häuptlingssippe abstammen. Zusammen bildet diese Gruppe Blutsverwandter im weitesten Sinne, die durch vermeintliche Abstammung von einem entfernten Ahnen verbunden ist, den Kern des Stammes. 2. Zugewanderte Sippen aus anderen Namastämmen. Sie haben sich nach eigener Überlieferung von ihren ursprünglichen Häuptlingen getrennt und sich einem neuen Häuptling angeschlossen. 3. Fremdvölkische (Nicht-Khoi) Gruppen, die in die Stammesstruktur integriert wurden. Manchmal wurden die Nachkommen kriegsgefangener Herero oder verstreuter Damara gruppenweise in den Stammesverband aufgenommen und bildeten entweder eine eigene Sippe oder Linie (om-ams). Familienleben Hoernle (1985:51) sagt: „Früher waren die Hottentotten mit mehreren Frauen verheiratet, obwohl nicht im gleichen Maße wie die sie umgebenden Bantustämme. Gegenwärtig sind sie angeblich monogam, aber ihr moralisches Niveau ist äußerst niedrig. Jede Familie hat ihr eigenes Mattenhaus, wo die Kinder bis zu ihrer Heirat wohnen. Ich fand eine Anzahl junger Mädchen, die zusammen in einem Hause wohnten, und es mag sein, daß auch Jungen sich eine Hütte teilen, aber das ist bei den Nama keine allgemeine Regel. Es ist weitaus übli126
eher, daß die Familie zusammenbleibt, bis nach der Heirat ein neuer Haushalt entsteht.“ Obwohl die Sippen streng exogam sind, hat man heute praktisch alle alten Heiratsregeln aufgegeben. Die Heirat mit einer Parallelcousine ersten Grades (Tochter des Vaterbruders oder Tochter der Mutterschwester) ist nun erlaubt. Nach der Überlieferung bestimmte das Verhältnis zur angeheirateten Verwandtschaft, daß ein Mann sich gegenüber der Schwester seiner Frau im allgemeinen so verhielt wie zu seiner Frau, während eine Frau die jüngeren Brüder ihres Mannes als ihre Ehemänner betrachtete (Hoernlé, 1985:55). Daraus folgt, daß die Heirat zwischen Parallelcousin und -cousine als Blutschande angesehen worden wäre. Es gibt Hinweise, daß in früheren Zeiten bei bestimmten Stämmen Kreuzcousinenheiraten bevorzugt wurden. Die traditionelle Wohnweise der Familien bestimmte, daß die verheirateten Söhne des Oberhauptes einer Großfamilie sich zur rechten Seite seiner Hütte niederlassen mußten - der älteste am weitesten nach rechts und der jüngste seiner väterlichen Hütte am nächsten. Auf der linken Seite könnte eine verheiratete Tochter wohnen, die noch nicht zur Familie ihres Mannes gezogen war, oder andere Abhängige des Dorf Oberhauptes, wie z.B. eine Mutter oder verwitwete Schwester. Hoernle fügt hinzu: „Andere Abhängige verschiedener Art sollten auch zur Linken der Hütte eines Mannes wohnen. Das wären hauptsächlich die !Gan oder Diener, die man kaum Sklaven nennen konnte, im allgemeinen Angehörige des Bergdamararasse, eines Volkes mit negroiden Zügen, das den Hottentotten lange unterworfen war. Viele Bergdamara sind noch heute als Abhängige mit Hottentottenfamilien verbunden. Diese Leute können heiraten, wen sie wollen, und werden niemals gekauft oder verkauft, aber bleiben im allgemeinen für lange Zeit mit der gleichen Familie verbunden. Der beste Name für sie ist vielleicht .Familienbedienstete'. Viele von denen, deren Geschichte ich untersucht habe, wurden nach einem der zahlreichen Kriege, in denen Familien auseinandergerissen und Kinder hilflos im Feld zurückgelassen wurden, als kleine Kinder von den Hottentotten weggenommen oder aufgelesen und in der Familie aufgezogen, wo sie als Hirtenjungen arbeiteten und sich im allgemeinen als Familienmitglieder betrachteten. Vermischung dieser schwarzen Rasse mit den Nama findet gegenwärtig statt, aber es gibt wenig Anzeichen dafür, daß sie früher häufig war.“ (1985:51)
Was die Hochzeitszeremonien betrifft, sind traditionelle Bräuche entweder außer Gebrauch gekommen oder wurden synkretistisch mit christlichen Riten verschmolzen, denen die meisten Nama folgen. Die Missionare haben auch Familiennamen eingeführt, die den Nama früher unbekannt waren. Diese Namen stammen aus der Namasprache und sind von den Namen des Groß- oder Urgroßvaters eines Menschen abgeleitet, den er als Familiennamen annahm. 127
Nur die „Oorlam“-Stämme haben Familiennamen, die ihnen von ihren Herren am Kap gegeben wurden, wie z. B. Teapot, Vlermuis, Afrikaner usw. (Vedder, 1928:137). Die Stellung der verheirateten Frau in der Namagesellschaft scheint sich verschlechtert zu haben. Wirtschaftliche Veränderungen in der Art des Hausbaus und in bezug auf den Anteil der Erbauer führten nach Vedder zu folgendem Ergebnis: „Die Stellung der Frau bei den Nama ist auf keinen Fall die einer unterwürfigen Dienerin des Mannes. Nach alter Sitte gehört ihr die Hütte, und sie verfügt über alles, was darin ist. Wenn der Mann etwas braucht, muß er sich bittend und nicht anmaßend an seine Frau wenden. Seitdem die altmodischen Hütten, die von den Frauen mit Binsenmatten gedeckt wurden, jedoch mehr und mehr durch moderne Häuser, die der Mann mit von ihm erarbeiteten Baustoffen errichtet, ersetzt wurden, wird die Frau allmählich in den Hintergrund gedrängt. Das Wohnhaus wird nun Eigentum des Mannes, und es besteht die Gefahr, daß eine schlechte Behandlung der Frau die Folge sein wird.“ (1928:135)
Soziale Zusammenkünfte sind bei den Nama sehr häufig. Vedder sagt: „Der Nama neigt entschieden zur Geselligkeit. Er liebt es, abends auf einem niedrigen Stuhl am Feuer zu hocken oder zu sitzen und die Tagesnachrichten bis zur kleinsten Einzelheit zu erzählen und zu besprechen. Man geht auch nicht vor dem sehr späten Abend auseinander. Die Christen sitzen abends gern am Feuer und singen unermüdlich ihre Lieder und Hymnen. Sie haben in hellen Mondnächten immer noch große Freude am Riedtanz. Bei solchen Gelegenheiten machen Männer mit Riedflöten die Musik, und die Frauen und Mädchen führen alte Nationaltänze auf, wobei sie in die Hände klatschen, singen und mit den Füßen stampfen.“ (1928:137-138) Wirtschaftsleben Die traditionelle Ernährung der Nama beruht auf der Viehzucht, ergänzt durch Jagd und Sammeln. Sie haben die Tierhaltung in einem extremen Randgebiet eingeführt, das früher nur das Reich der Jäger und Feldkostsammler war. Als die ersten Europäer in dieses Land kamen, durchzogen große Rinder- und Schafher,den die weiten Ebenen des Namalandes. Später erwarb man von den Tlhaping und anderen Tswana-Stämmen Ziegen. Neben dem Hirtenleben widmeten sich die Leute immer noch dem gemeinsamen Khoisanerbe der Wildbeuterei. Wasser (||gami), Weideland (!û-ais), Jagdfeld (!oub) und Feldkost (!garob ‡ûn) wurden als die wichtigsten natürlichen Hilfsquellen betrachtet. Die Hauptnahrung der Nama sind Fleisch und Milch, ergänzt durch Feldkost. Sie essen häufiger Fleisch als die Herero. Weil das Fleisch in dem heißen Klima 128
schnell verdirbt, schlachten sie lieber Kleinvieh. Deshalb liegt der Nachdruck auf dem Halten von Schafen und Ziegen. In früheren Zeiten wurden Rinder hauptsächlich wegen der Milch gehalten und auch als Reit- und Packochsen. Vedder sagt, daß „ein Nomadenleben ohne diese fast unmöglich gewesen wäre, weil nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen während ihrer langen Wanderungen auf Ochsen ritten; außerdem mußten die Pfähle und Matten für den Hausbau und ihre Möbel auf Packochsen transportiert werden“ (1928:127). Die Nama benutzten auch Pferde als Reittiere. Das Konzept des gemeinschaftlichen Landbesitzes herrscht immer noch bei allen Stämmen mit Ausnahme der ‡Aonin (Topnaar), deren !nara-Felder einzelnen Geschlechtern gehören. Im Gegensatz zu den Bantu Südafrikas, die traditionell „mit dem Rücken zum Meer“ leben, haben die Nama das Meer immer als wichtige Nahrungsquelle angesehen. Das ist auch heute noch so bei den ‡Aonin (Topnaar) bei Walvis Bay und einigen !Aman in Lüderitzbucht, während die Inlandstämme etwas Flußfischerei betreiben.
Abb. 25: Ein Topnaarmann neben seiner Hütte im Kuisebtal.
,,‡Aonin“ bedeutet „Menschen des Randgebietes“. Sie leben im unteren Kuisebtal bei Walvis Bay. Diese Topnaars werden auch „!Naranin“ (!Naramenschen) genannt, weil sie eifrig die !Naras (Acanthosicyos horrido), eine im Kuisebflußbett und auf den Dünenhängen der Namib wachsende Art wilde Melone ernten. Die Pflanze hat sich dem Überleben im vollständig trockenen Sand angepaßt, indem sie die Feuchtigkeit der regelmäßig vom Atlantik hereinkommenden dicken Seenebel aufnimmt. Nach der Überlieferung gewannen die Topnaar 129
einen beträchtlichen Teil ihrer Nahrung aus dem Meer. Sie speerten Fische im flachen Wasser und jagten Robben, Vögel und Meeresschildkröten. Außerdem sammelten sie am Strand Muscheln und ernährten sich von allem Eßbaren, von Walen bis zu toten Robben und vom Meer angespülten Fischen. Budack sagt, daß „die Vertreter dieser alten Meereskultur am Atlantik oft Strandläufer genannt wurden“ (1983:12). Als nomadisches Hirtenvolk kannten die Nama in ihrer Überlieferung keinen Ackerbau. Wegen ihrer gegenwärtigen seßhaften Lebensweise und der Erschöpfung der Feldkostquellen beginnt sich das zu ändern. Viele Familien haben in bescheidenem Rahmen den Gartenbau eingeführt, während in einigen Fällen sogar organisierte Landbauprojekte entstanden. Kommunale Ackerbauprojekte wurden in Hoachanas und bei Gibeon initiiert. Viele Namamenschen wenden sich auch dem Arbeitsmarkt auf den Farmen, in den Städten und in industriellen Zentren wie Windhoek zu, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. In bezug auf die traditionelle Einstellung zur Arbeit macht Vedder die folgenden Bemerkungen: „Der Nama hat sich immer als Gebieter betrachtet und Arbeit als unter seiner Würde angesehen. Seine schwachen Gliedmaßen und sein zarter Körperbau machen ihn für schwere Arbeit ungeeignet, so daß er möglichst Hirten und Hausdiener anstellt. In alter Zeit wurden auf diese Weise Buschleute, Bergdama und sogar Hererogefangene in Dienst genommen. Obwohl solche Diener keinen Lohn erhielten, kannten die Nama niemals Sklaverei. Sie wurden als zur Familie gehörig betrachtet, und ziemlich oft standen ihre Herren auf gutem Fuß mit ihnen.“ (1928:127-128)
Die materielle Kultur der Nama war niemals hoch entwickelt, aber zweckmäßig und nur auf die Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse von Hirtennomaden ausgerichtet. Sie hatten auch wenig Gelegenheit, permanente Strukturen zu errichten. Ihre bienenkorbförmigen Mattenhäuser aus Binsen (|haru-omti) waren für ihre Bedürfnisse ideal geeignet. Eine Anzahl solcher Hütten sind noch in Berseba und an anderen Orten zu sehen. Während der Sommerzeit schrumpfen die Binsen in der Tageshitze zusammen und lassen die Luft ungehindert durch das Gebäude wehen. Wenn es regnet, schwellen die Binsen und halten den Innenraum vollkommen trocken. Diese Hütten konnten leicht abgebrochen, auf einen Ochsen geladen und anderswo wiederaufgerichtet werden. Wegen des Mangels an Binsen sieht man die traditionellen Namahütten heute nur noch sehr selten. Es werden zwar viele Hütten in dieser Form gebaut, aber statt der Binsen verwenden die Leute zur Bedeckung des Gerüsts Säcke, Plastik, Segeltuch oder verzinktes Eisenblech. Rechteckige Häuser mit zwei oder mehr Räumen sind heute am beliebtesten. 130
Religion Während des vergangenen Jahrhunderts waren die meisten Namastämme einer intensiven Christianisierung durch Missionare unterworfen. Obwohl sich viele von ihnen christlichen Konfessionen anschlössen, vor allem der EvangelischLutherischen Kirche (ELK), bestehen bis zu einem gewissen Grade immer noch traditionelle religiöse Auffassungen. Die synkretistische Verschmelzung der beiden Religionen in den Ansichten und Praktiken vieler heutiger Nama kommt allgemein vor. Um die Art des Akkulturationsprozesses zu verstehen, sollte man sich möglichst einen Überblick über die grundlegenden Voraussetzungen der traditionellen Religion und Weltanschauung der Nama verschaffen. Die folgenden Informationen stammen von Vedder (1928:129-134) und Hoff (1993:1-9). Der gute Gott Tsui-||Goab In der Rangordnung der übernatürlichen Wesen nimmt der gute Gott Tsui||Goab die entscheidende Stellung ein. Sein Wohnort wird als der östliche oder rote Himmel angegeben - der Ort, wo die Sonne aufgeht. Er wird als Schöpfergott verehrt, der Erde, Menschen und alle anderen lebenden Wesen geschaffen hat. Alle guten Dinge werden ihm zugeschrieben. Er läßt die Sonne aufgehen und erhält menschliches, tierisches und pflanzliches Leben durch den von ihm gesandten Regen. Tsui-||Goab wird als der erste Khoi betrachtet, von dem alle anderen Khoi abstammen. In ihren Ursprungsmythen nimmt er die Stelle des ersten Stammeshäuptlings und des obersten Magiers der Khoi ein. Er hatte die Macht der Prophetie, konnte Menschen heilen und ihnen die Zukunft voraussagen. Er besiegte den Tod, weil er mehrmals starb und wieder vom Tode auferstand. Alle Zauberer und gutartigen Geister sind mit seinen lebenspendenden Eigenschaften und Heilkräften verbunden. Tsui-||Goab ist noch immer aktiv mit seiner Schöpfung beschäftigt. Man verehrt ihn auch, betet regelmäßig zu ihm und bringt zu seinen Ehren Opfer. Dadurch zeigt man seine Abhängigkeit von ihm und sichert sich seine fortgesetzte Versorgung mit Regen und andere gute Lebensumstände. Der böse Gott ||Gâunab ||Gâunab ist der böse Gott, der im direkten Gegensatz zu Tsui-||Goab steht. Sein Wohnort ist der westliche Himmel, der nach dem Sonnenuntergang in Dunkelheit versinkt. Er wird als Quelle böser Mächte angesehen, die für Unglück, Krankheit und Tod verantwortlich gemacht werden. Erscheinungen wie schlechte Vorzeichen (Wirbelwinde usw.), böse Geister, große Schlangen mit übernatürlichen Kräften, Hexen und Zauberer werden mit IIGäunab in Verbindung gebracht. Als böse Gottheit wird ihm von den Menschen keine Verehrung 131
dargebracht. Sein Einfluß auf Gesellschaft und Natur kann durch magische Schutzpraktiken abgewehrt werden. Der Naturgott Haitsi Aibeb Nur wenige Nama haben noch Kenntnis vom Naturgott Haitsi Aibeb. Er ist weniger bedeutend als Tsui-||Goab und ||Gâunab, und sein Wohnort ist in Gräbern, unter Steinhaufen und in Höhlen. Er kommt dort heraus und wandert im Feld umher. Haitsi Aibeb wird eng mit der Natur in Verbindung gebracht, aber die Nama verehren ihn nicht. Leute, die Jagdglück oder Erfolg beim Sammeln haben wollen, treten jedoch an seinem Grabe oder in seiner Höhle in den Bergen an ihn heran. Ahnengeister Die Nama kennen zwei Arten von Ahnengeistern: wohlwollende und bösartige. Wenn jemand stirbt, wird er ein böser oder guter Geist und erhält die übernatürliche Fähigkeit, auf seine Nachkommen Einfluß zu nehmen. Beide Geisterarten können gegenüber Menschen negativ auftreten, aber derartige Aktionen eines guten Geistes rühren nicht von einer böswilligen Einstellung her. Die Züchtigung wird vom Fehlverhalten der befallenen Person hervorgerufen, die bestraft werden muß. Über Begräbnis und den Glauben an ein Leben im Jenseits sagt Vedder: „Der Unsterblichkeitsglaube der Nama ist kaum stärker als ihre Furcht vor Geistern. Überall erzählen sie von den abgeschiedenen Seelen der alten und neuen Zeit, die in der einen oder anderen Gestalt wiedererschienen sind. Es ist deshalb kein Wunder, daß (sie) ihre Gräber niemals nebeneinander anlegten, sondern ihre Toten irgendwo an einer einsamen Stelle begruben und das Grab mit schweren Steinen sicherten. Das geschieht nicht zum Schutz der Leiche gegen Beschädigung durch die Tiere der Wüste, sondern tatsächlich auch, um sie am Wiederaufstehen zu hindern. Heiseb ... bat seine Anhänger deshalb flehentlich, ihn nach seinem Tode mit leichten Steinen zu bedecken, weil er die Absicht hatte, wieder aus dem Grab zu steigen und von schweren Steinen daran gehindert worden wäre.“ (1928:133)
Geisteranbetung findet bei Beerdigungen statt und danach nur gelegentlich, wenn die Geister darauf bestehen, indem sie ihre Unzufriedenheit mit bestimmten Handlungen ihrer Nachkommen zu erkennen geben. Durch christliche Einflüsse gehen diese Gebräuche jedoch allmählich zurück, wie auch die Wahrsager, Hexen und Zauberer aus der Namagesellschaft verschwinden.
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Kulturelle Wiederbelebung Budack (1979:115) vertritt über die zukünftige Entwicklung innerhalb der Namakultur folgende Ansichten: „Während frühere Stammeskämpfe und Kriege gegen vordringende Schwarze und Weiße den Nama großes Leid brachten, wurde ihr Lebensraum allmählich auf eine Anzahl sogenannter Reservate reduziert. Trotz ihres heroischen Widerstandes gegen die weit überlegenen Kolonialmächte und der eifrigen Bemühungen zur Erhaltung ihrer Identität blieb von ihrer traditionellen Kultur nur noch ein Schatten früherer Lebensfülle. Ihre Helden leben jedoch immer noch in eindrucksvollen Erzählungen und Preisgedichten fort, wie llOaseb, das berühmte Oberhaupt der Roten Nation, das zeitweilig auch Führer des Stammesbundes der Nama war, Häuptling ‡Arisemab der ||Haboben, der in der Schlacht bei ‡Hatsamas so tapfer kämpfte, der kluge tHobexab (Paul Goliath) aus Berseba und die in Krieg und Frieden hervorragenden Persönlichkeiten eines |Hara-mûb |Hõa-|aramab (Jonker Afrikaner) und !Nanseb gaib |Gâbemab (Hendrik Witbooi). In jüngerer Zeit spürt man jedoch starke Anzeichen einer Neubelebung. Eine Neigung zu engerer Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Stämmen macht sich deutlich bemerkbar und läßt auf eine Renaissance des einmaligen Kulturerbes der Nama hoffen. ... Ich möchte diesen bescheidenen Beitrag mit einem Gedicht in der Sprache meiner Freunde und einer freien Übersetzung abschließen: Gai-||khaun di gares
Preisgedicht der Roten Nation
‡Gobatse, tgobatse ||Khauxa mûse !Hamtse !hanahexatse Gai-||ganae ||nõuxae Tsoue tsomxae ||Eib au- ‡ui hã |gõabi Ge ‡nabasi a ‡gãhetse
Der du schwer zu zähmen bist Trotzbietendes Auge du Freigebiger, der viel verleumdet wird Du großer Kameldorn mit vielen Ästen Zertrampelter Brunnen Von deinem eigenen Pflegekind Wirst du unter die Felsplatte gedrückt.“
133
10. Kapitel
Die Damara Die Damara, die von den Nama Dama genannt werden und die sich selbst als ‡Nû-khoin (Schwarze Leute) bezeichnen, sind negroiden Ursprungs, aber ihre Sprache ist ein dem Nama nahestehender Dialekt. Sprachlich und kulturell haben sie keine Beziehung zu den bantusprechenden Völkern (Owambo, Herero und andere). Die Bantustämme bilden eine Untergruppe der schwarzen (negroiden) Rasse und sind eine Mischung von ackerbautreibenden Negroiden aus Westafrika und hamitischen Hirten, die durch das Niltal nach Afrika kamen. Die Damara scheinen jedoch rein negerischer Herkunft zu sein. Sie verließen ihre Wohnsitze in Westafrika, lange bevor die Bantu an den großen Seen Ostafrikas zu ihrer Südwanderung aufbrachen. Die Wanderwege der Damara bleiben bis heute ein Rätsel, wie auch die Art ihrer ursprünglichen Sprache und Kultur. Gruppeneinteilung und Besiedlungsgeschichte Die Damara bestehen historisch aus einer Anzahl Untergruppen oder Scharen. Wegen des Fehlens institutionalisierter Führungsorgane kann man diese Gruppen kaum Stämme nennen. Die einzige Ausnahme sind möglicherweise die |Gobanin. Sie waren wahrscheinlich in vorkolonialer Zeit ein Stamm mit eigenem Häuptling. Die traditionellen Gruppierungen der Damara sind: 1.
|Gobanin (Sanddünenmenschen). Ursprünglich lebten sie in den Dünen zwischen Rehoboth, Seeis und Hoachanas. Ihr Name kommt von |gobas (Sanddüne).
2.
|Khomá-daman oder |Khománin (Khomashochland-Damara).
3.
Hago-daman (Damara der Hakosberge).
4.
Tsoa-xau-daman (Swakop-Damara). Ihr Wohngebiet war der Unterlauf des Swakopflusses.
5.
IKhuise-daman (ÜChuiseb-Damara).
6.
!Oe-‡gãn (Erongo-Damara). Sie lebten in den Erongobergen, die von den Damara !Oe-gãs genannt werden.
7.
Dãore-daman oder Däoren (Brandberg-Damara), abgeleitet von Dãores, dem Namen dieses Berges.
8.
|Gaiö-daman (Paresis-Damara). Sie wohnten auf den Paresisbergen zwischen Outjo und Otjiwarongo. ||Huruben. Sie streiften in der Namib und Halbnamib zwischen den Flüssen Uniab und Huab umher.
9.
134
10. ‡Ao-daman. Diese wohnten zwischen den heutigen Städten Outjo, Kamanjab und Khorixas. 11. Ao-guwun. Eine kleine Gruppe, die in Sesfontein (!Nani-|ous) im südlichen Kaokoland wohnt. In der Vergangenheit waren die Damara sehr lange den Nama und Herero unterworfen. Viele von ihnen suchten in den Bergen, in halbwüstenartigen und anderen unbewohnten Gebieten Zuflucht. Einige zogen sich auf den zerklüfteten und unwirtlichen Brandberg zurück, andere auf die dicht mit Buschwerk bewachsenen Berge bei Otavi, ein paar verstreute Gruppen zogen in den Faltenbergen des Khomashochlandes umher, während noch andere die ariden Ebenen der Halbnamib zum Wohnort wählten. Der lange Aufenthalt einiger dieser Gruppen in den Bergen gab Anlaß zu der Bezeichnung Bergdamara. Es gab Zeiten, in denen Damaragemeinschaften von den Herero so geschädigt und gehetzt wurden, daß sie nicht wagen konnten, ihre Verstecke in den Bergen tagsüber zu verlassen. Einige von ihnen verständigten sich sogar durch typische Tierlaute, um nicht die Aufmerksamkeit ihrer Verfolger zu erregen. Die Damara als Jäger und Sammler machten sich bei den Nama und Herero verhaßt, weil sie den letzteren Groß- und Kleinvieh stahlen. Vedder sagt: „... die Hottentotten und Hereros betrachteten in alter Zeit die Bergdamaras in ihrer Nähe als ihre rechtmäßigen Diener. Die frei in den Bergen lebenden Bergdamara waren für sie eine Quelle des Verdrusses. Die Hottentotten betrachteten sie als unverbesserliche Viehdiebe. Die Abneigung der Hereros, deren Rinder sie nicht so oft stehlen, war auf die jährlichen Feldbrände zurückzuführen, für die Damara verantwortlich waren. Es ist wahr, daß auch die Hereros große Teile ihres Weidelandes abbrannten, damit ihre Rinder im August und September grünes Gras hätten. ... Die Bergdamara brannten jedoch wahllos große Weidegebiete ab, ohne die Bedürfnisse der Hereros zu beachten. Der Grund dafür war, daß sie für ihre Jagdzüge ein offenes Gelände haben, mit dem hervorsprießenden Gras das Wild anlocken und eine bessere Honigernte erreichen wollten. Weil die Hereros wegen dieser unterschiedslosen Behandlung des Feldes oft mit ernstem Weidemangel zu kämpfen hatten, verfolgten sie die Bergdamara zu allen Zeiten gnadenlos und machten sie im günstigsten Falle zu ihren Hirten. Es konnte geschehen, daß ein guter Hirte nach vorschriftsmäßiger Durchführung gewisser Zeremonien als Angehöriger in die Hereronation aufgenommen wurde.“ (1928:42-43)
Die Periode der Namaherrschaft über die Damara begann viel früher als die späteren Konflikte mit den Herero und ist für den vollständigen Verlust der ursprünglichen Damarasprache und -kultur verantwortlich. Viele der heutigen Damara bestehen darauf, daß ihre gegenwärtige Sprache („Damara“) älter als 135
die der Nama sei, und bestreiten, daß sie diese von den letzteren übernommen hätten. Sie haben schon lange alle Überlieferungen über ihre Herkunft und frühere sprachliche und kulturelle Verbindungen verloren. Das Zeitalter der Erneuerung wurde für die Damara durch Missionare der Rheinischen Missionsgesellschaft eingeleitet. Auf ihre Bitten hin gab der Hererohäuptling Zeraua den Damara das als Okombahe bekannte Gebiet. Im Jahre 1906 erklärte die deutsche Kolonialverwaltung von Südwestafrika Okombahe zum Damarareservat. Die Politik der Übertragung von Land für Siedlungszwekke an verschiedene einheimische Gruppen wurde von der südafrikanischen Administration des Gebietes weitergeführt. 1964 wurde die Schaffung eines Damara homelands empfohlen. Die Regierung kaufte 223 Farmen von weißen Farmern auf, um die bestehenden Wohngebiete Okombahe, Franzfontein, Sesfontein und Otjohorongo zu einem einzigen Gebiet von mehr als 500 Kilometer Länge zusammenzuschließen. Es grenzt im Norden an Kaokoland und erstreckt sich im Süden bis nach Arandis, dem von der Rössing-Uranmine in der Ebene der Namib-Randzone gegründeten, 70 Kilometer von Swakopmund entfernten Städtchen. 1973 wurde das neuerweiterte Gebiet zum „Damara Homeland“ proklamiert. Topographisch beinhaltet „Damaraland“ einen Teil des westlichen Hochlandes, einige großartige Bergketten am Steilabfall - die den höchsten Berg Namibias, den Brandberg, mit seiner berühmten Felsmalerei der „Weißen Dame“ einschließen -, der ausgedehnten Weiten der Namib-Randzone und der eigentlichen Namib. Seine Westgrenze bildet der Skelettküstenpark. Das Gebiet wird von einigen Trockenflüssen durchzogen, wie dem Omaruru, Ugab, Huab und Uniab. Obwohl der Regenfall zur westlichen Wüste hin bedeutend abnimmt, ist das höhergelegene Gelände in den zentralen und östlichen Teilen hervorragend zum Farmen mit Vieh geeignet. Früher war das Gebiet reich an Wild. In einigen abgelegenen Teilen sind Oryxantilopen, Springböcke und Zebras immer noch ziemlich häufig. Außerdem verfügt das Gebiet über abbauwürdige Vorkommen von Mineralien, vor allem Zinn und Halbedelsteine. Die Damarabevölkerung beträgt etwa 8% der Gesamtbevölkerung Namibias. Ihre Zahl wurde 1994 auf 132.000 Menschen geschätzt. Die meisten davon leben außerhalb des Damaralandes hauptsächlich auf Farmen und in Städten, wo sie eine Anstellung gefunden haben. Bemühungen zur Förderung eines starken Gruppenbewußtseins durch Zusammenschluß der verschiedenen Teile zu einer vereinigten sozialpolitischen Körperschaft haben während der vergangenen Jahrzehnte allmählich Wirkung gezeigt. Diese Entwicklung hat sie in die Lage versetzt, merklichen Einfluß auf die nationale Politik Namibias auszuüben.
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Abb. 26 (oben): Damarakinder beim Melken einer Ziege.
Abb. 27 (rechts): Ein Damaramann neben seiner Hütte.
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Politische Ordnung Früher bildeten eine Anzahl patrilokaler Großfamilien zusammen eine Territorialgruppe, die man „Schar“ oder „Stamm“ (!haos, PI. !haoti) nannte. Mit Ausnahme der |Gobanin hatte sie weder einen Häuptling noch Stammesrat oder -gericht. Unter den verschiedenen Häuptern der Großfamilien waren gewöhnlich ein oder zwei fähige Leute, deren Rat im Konfliktfall oder vor gemeinsamen Aktionen der Gruppe eingeholt wurde. Auf den Rat der Rheinischen Mission hin wurde bei den Damara von Okombahe und Umgebung von der deutschen Verwaltung Südwestafrikas das Amt des Häuptlings (im Nama gao-aob) eingeführt. Kornelius Goreseb wurde zu diesem Amt ernannt. In späteren Jahren beanspruchte Kornelius, mit Unterstützung seiner Anhänger, die Oberhäuptlingsschaft über alle Damara. „Oberhäuptling“ war eigentlich eine falsche Bezeichnung, weil es keine anderen Häuptlinge oder Stammesführer gab, zu deren Haupt er ernannt werden konnte. Trotzdem wurde das Amt eines Oberhäuptlings von einigen Damara als Symbol nationaler Einheit akzeptiert. Sie fühlten sich anderen ethnischen Gruppen gegenüber unterlegen, weil diese Häuptlinge hatten, die in ihrem Namen auftreten und verhandeln konnten. 1949 wählte eine Abordnung von 315 Damara David Goreseb, einen Nachfahren von Kornelius, zum Oberhäuptling der Damara. 1954 wurde er von der Regierung anerkannt. Man hielt jährlich „Stammesversammlungen“ ab, an denen Damara-Abordnungen aus anderen Reservaten und städtischen Gebieten teilnahmen. Auf diese Weise wurde das Gefühl der nationalen Einheit unter den Damara gefördert. Während der sechziger Jahre wurden diese Versammlungen jedoch eingestellt. Im Jahre 1971 wählten die Einwohner aller Bezirke einen „Vormann“ (headman) und drei Ratsleute. Aus ihrer Zahl wurde der „Damararat“ als höchste politische und administrative Behörde im Damaraland gewählt. Die Gründung der ersten politischen Partei unter den Damara fand 1974 statt. In zukünftigen Jahren sollten diese Menschen politisch in hohem Maße polarisiert werden. Parteipolitische Unterschiede führten zu ernsthafter Verstimmung und sogar offener Feindschaft zwischen verschiedenen Anhängern. Swapo erhielt bei den Damara großen Zulauf, und das mag der Grund sein, weshalb Angehörige dieser Gruppe in den höheren Rängen der gegenwärtigen Regierung sehr gut vertreten sind. Die Bewegung zugunsten interner Solidarität und Einheit unter den Damara wurde 1993 stark belebt und fand ihren Höhepunkt in der Einsetzung Justus Garoebs zum ersten König der Damara am 6. November 1993. Wegen des Fehlens einer traditionellen monarchischen Ordnung war es keine leichte Aufgabe, 138
einen geeigneten Kandidaten zu finden. Die amtliche Zeitung der namibischen Regierung, New Era, berichtete über diese wichtige Angelegenheit folgendes: „Über die kürzliche Wahl des früheren Häuptlings Justus Garoeb zum König der Damara gärt ein Meinungsstreit. Einige Angehörige des Königshauses der Damara sind über die Entscheidung des Königsrates erbittert, einen neuen König außerhalb der königlichen Familie zu wählen. Als Gegner der Wahl verurteilte der Bürgermeister von Omaruru und Angehörige des Damara-Königshauses, Crusi Goreseb, diese Entscheidung und sagte, daß der Rat niemals die gesamte Damarabevölkerung über die Ernennung eines neuen Königs konsultiert habe. Die Bestätigung Garoebs als König der Damara folgte auf einen Beschluß der Mitglieder des Damara-Königsrates vom vergangenen Monat, daß Damarakönige sowohl aus Angehörigen des Königshauses als auch gewöhnlichen Damaramenschen gewählt werden könnten. Garoeb, der seit 1976 das Königsamt verwaltet hatte, wurde auf einer von etwa 400 Menschen besuchten Versammlung zum vollwertigen König gewählt. ... Der Königsrat forderte Justus Garoeb dringend auf, sich von der aktiven Politik fernzuhalten, um so die Einheit unter den Damara zu sichern.“ (Jahrg. 1, Nr. 113, 23.-29.9.93, S. 7)
Sozialorganisation In alten Zeiten war die wichtigste soziale Gruppierung bei den Damara die patrilokale Großfamilie (!hais, Pl. !haiti). Sie bestand aus einem Mann, seiner Frau oder mehreren Frauen, seinen Söhnen, deren Frauen und Kindern sowie seinen unverheirateten Töchtern. Meistens waren auch die jüngeren Brüder des Dorfoberhaupts mit ihren Frauen und patrilinearen Nachkommen ein Teil der gleichen Lokalgruppe. Außerdem pflegten die Schwiegersöhne nach der Heirat zeitweilig in den !haiti ihrer Frauen zu wohnen, um als Teil des Ehevertrages ihrer Dienstpflicht bei den Eltern der Frau zu genügen. Das Dorfoberhaupt (!hais di tanakhoeb), auch als „Großmann“ (gai-khoeb) bezeichnet, war die wesentlichste Autoritätsperson in der Gesellschaft. Vedder sagt folgendes über den Aufbau eines traditionellen Damaradorfes: „In einem Bergdamaradorf gibt es selten mehr als zehn Hütten, und diese bilden gewöhnlich einen Kreis um einen großen Baum, der als Dorfbaum bekannt ist. Im Osten liegt die Hütte der ,Großfrau' ... Alle Türen der Hütten öffnen sich zum inneren Dorfplatz hin ... (Zur Rechten der) Hütte der Großfrau liegen die Hütten der Söhne und der nächsten Verwandten des Dorfältesten, während zur Linken die Hütten der anderen Frauen und der Töchter stehen ... (Das Dorfoberhaupt) verbringt seine Nächte nach festem Turnus in der Hütte der Großfrau und bei den übrigen Frauen. ... Die Neuzeit hat in den Bergdamaradörfern durchgreifende Veränderungen gebracht. Man findet das runde Familiendorf nur noch in unzugäng-
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liehen Gegenden. In der Nähe der größeren Siedlungen sind die Dörfer in langen Reihen angelegt. In solchen Ansiedlungen kommen Nachahmungen moderner Stile neben dem alten Hüttentyp vor. Es gibt Bergdamara, die ihre Häuser nach Art der Herero bauen, andere ziehen den Typ der Bechuana vor, und wieder andere versuchen, das europäische Haus mit vier Wänden durch primitive Strukturen aus Holz, Eisen oder Säcken nachzuahmen. Manchmal trifft man auf wirklich hübsche Häuser, und Anlage sowie Inneneinrichtungen des Bergdamarahauses weisen auf sein Verlangen nach Fortschritt hin.“ (1928:48-49)
In späteren Jahren lösten sich die meisten Großfamilien der Damara als Folge wirtschaftlicher und anderer Faktoren auf. Die Männer zogen an ihre Arbeitsplätze, und solche, die nicht Wanderarbeiter sein wollten, nahmen nur ihre Frauen und Kinder mit. Auf diese Art wurde die Großfamilie (!hais) in Kernfamilien (omti) aufgeteilt. Das Oberhaupt einer Kernfamilie heißt oms di |hon-khoeb. Wirtschaftsordnung Die Damara waren traditionell ein Jäger- und Sammlervolk. Nach Ankunft der bantusprechenden Hirtenstämme erwarben einige Damara Ziegen und Schafe und wurden Kleinviehfarmer. Wegen dieser wirtschaftlichen Veränderung trennten sich die Viehfarmer von den wildbeuterischen Gemeinschaften in den Bergen und ließen sich in den Baum- und Buschsavannen nieder. Der Erwerb von Großvieh ist bei den Damara eine viel spätere Entwicklung. Die Herero waren verblüfft, weil sie nicht glauben konnten, daß ihre früheren Sklaven und Diener zu selbständiger Arbeit mit Rindern in der Lage seien. Die ersten Missionare gaben sich viel Mühe, bei den Damara Gartenbau und Landwirtschaft einzuführen, besonders an den Ufern des Omaruru - eines Trokkenflusses, der nur nach schweren Regenfällen oberhalb seines Sandbettes fließt. Heute gibt es im Damaraland viele Gärten, in denen die Leute Mais, Weizen, Gemüse und Tabak anbauen. Eigentlich sind alle Familien im Damaraland zu Landwirtschaft und Viehfarmerei übergegangen, da Wild und Feldkostvorkommen für den Lebensunterhalt unzureichend geworden sind. Viele Damara haben sich dem Arbeitsmarkt zugewandt - besonders in Zentren wie Windhoek, Okahandja, Omaruru, Otavi, Tsumeb, Swakopmund und Walvis Bay. Sehr viele arbeiten auch überall in Namibia auf Farmen. Bei einigen wenigen Bergwerken im Damaraland bestanden bzw. bestehen Arbeitsmöglichkeiten, bis 1990 vor allem bei der großen Zinnmine in Uis, die dann allerdings geschlossen wurde - heute leben die Menschen dort von privater Zinngewinnung in kleinstem Rahmen und vom Tourismus. Dicht an der Südgrenze des Damaralandes liegt die Rössing-Uranmine, und viele ihrer Arbeitnehmer wohnen im nahegelegenen Städtchen Arandis innerhalb des Damaralandes. 140
Religion Während der langen Zeit ihrer Dienstbarkeit unter den Nama hatten die Damara ihre alte Religion fast verloren. Später nahmen sehr viele von ihnen den christlichen Glauben an. Folgendes sind die Hauptzüge ihrer traditionellen Religion, wie sie von Vedder rekonstruiert wurden: Ahnengeister Die Toten wurden immer weit von den Dörfern entfernt an einer einsamen Stelle im Feld begraben. Man schnürte die Leiche mit Riemen zur Hockerstellung zusammen, bedeckte sie mit einem Schlaffell und beerdigte sie in einem 1-1,5 m tiefen Grab. Dann wurde das Grab mit schweren Steinen bedeckt. Über die Vorstellungen von den Totengeistern sagt Vedder folgendes: „Den Toten begegnet man mit großem Mißtrauen. Von ihnen wird gesagt, daß sie unter gewissen Umständen zurückkehren und dann einen geliebten oder verhaßten Menschen mitnehmen könnten. Deshalb sucht man Wiederauferstehung und Rückkehr der Toten zu vermeiden, indem man die Leiche verschnürt und das Grab mit Steinen bedeckt. Außerdem müssen die Stellen, wo der Verstorbene lag oder welche ihm gut bekannt waren, gemieden werden. Von jetzt an steht seine Hütte leer. Wenn möglich, wird das ganze Dorf verlegt, um dem zurückkehrenden Toten auszuweichen. Wenn das Haus so viel Arbeit gekostet hat, daß man es nicht leicht unbewohnt läßt, schließt man wenigstens die Tür und macht auf der anderen Seite eine neue. Manchmal geschieht es auch, daß ein Sterbender aus der Hütte hinaus in eine Laubhütte außerhalb des Dorfes gebracht wird, um das Haus zu retten. Die Totengeister besuchen zuerst die Stelle, wo ihre Körper zuletzt gelegen haben. Man glaubt, daß die Seele des Toten später im Grabe lebt und auch im Bergdamarahimmel wohnt.“ (1928:56-57)
Gottesvorstellung Vedder sagt, daß „die höchste Gottheit der Bergdamara im Himmel wohnt und als IIGamab bekannt ist. Da der Stamm dieses Wortes mit dem Wort Wgami, d.h. passer', identisch ist, und angesichts einiger bekräftigender Legenden und besonderer Gebräuche kann man annehmen, daß ||Gamab ursprünglich der Gott der aufsteigenden Wolken, des Donners und der Quellen war.“ (1928:61) ||Gamab ist kein Schöpfergott, da die Damara nach ihrer Überlieferung nicht glaubten, daß die Welt einen Anfang habe. Für sie genügte eine gute Regenzeit, Wild im Überfluß auf dem Jagdfeld und nachwachsende, reifende Feldkost. Die jahreszeitliche Erneuerung der Natur und die Erhaltung allen Lebens wurde als Werk ||Gamabs betrachtet. 141
IIGamab wurde jedoch nicht nur als Gott des Lebens, sondern auch als Todesgott angesehen. Es ist sein Vorrecht, von seinem Sitz im Himmel aus seinen scharfen Todespfeil auf menschliche Körper abzuschießen, so daß diese erkranken und sterben. Wer auch immer ||Gamabs Pfeil in sich fühlt, verliert den Mut und hört auf zu essen. Er wird von seinen Verwandten aufgegeben und nicht mehr versorgt, weil nun jede Versorgung und Behandlung für nutzlos gehalten wird. Die einzige Folge könnte sein, daß ||Gamab den Versuch zur Rettung eines verwirkten Lebens als Widerstand ihm gegenüber betrachtet. Die von nahen Verwandten bei schwerer Krankheit offen gezeigte Gleichgültigkeit muß auf diese religiöse Vorstellung zurückgeführt werden. Die Reise der abgeschiedenen Seele wird von Vedder treffend beschrieben: „Wenn der letzte Atem ausgehaucht ist und das Herz stillsteht, verläßt die Seele den Körper und verschwindet durch die offene Haustür. Sie findet vor sich eine breite Straße, der sie folgt und die zu ||Gamabs Dorf führt. Denn ||Gamab versammelt die Seelen der Verstorbenen um sich. Es ist unmöglich, diese Straße zu verfehlen, obwohl von ihr ein schmaler Weg abzweigt, dessen Ziel unbekannt ist. Es gibt eine Gefahr, vor der man auf der Hut sein muß: an einer bestimmten Stelle am Wege ist ein Abgrund. Wenn man über ihn hinblickt, sieht man weit unten ein Leuchten und Glühen wie von einem gewaltigen Feuer. Ein Unvorsichtiger fällt in den Abgrund hinein und ist rettungslos verloren. Nachlässigkeit genügt bereits zur Vernichtung der Seele. Es gibt keinen Glauben an den auf diese Weise verursachten Untergang des Bösen oder die Erreichung des Zieles durch die Guten. ||Gamab ist keine moralische Persönlichkeit. Er ist der Mittelpunkt, um den sich alle verstorbenen Bergdamara, die guten wie auch die bösen, versammeln. Jeder, der sich der Umgebung des Dorfes nähert, wird von einigen Geistern empfangen, die ihn ins Dorf führen.“ (1928:62)
Das Leben im Himmel entspricht dem eines freien Damara auf der Erde. Jagd und Sammeln von Feldkost setzen sich dort genau wie auf der Erde fort. Nur liefert das Feld mehr Früchte, und die Jagd ist erfolgreicher. ||Gamabs Dorf ist genauso angelegt wie ein Damaradorf auf der Erde. Dort stehen einige kleine Hütten im großen Kreis. In der Mitte befindet sich ein großer Feigenbaum, unter dem ein Heiliges Feuer brennt. ||Gamab, der Dorfälteste, sitzt am Heiligen Feuer oder ruht sich in seinem Dorf aus. Die anderen Ältesten, die früher einmal auf der Erde lebten, sitzen ebenfalls am Heiligen Feuer. Ein Neuankömmling setzt sich zu ihnen. Die erste freundliche Geste ihm gegenüber ist die Erlaubnis, aus einer mit flüssigem Fett gefüllten Schüssel zu trinken. Die Ältesten am Heiligen Feuer sind auf Menschenfleisch versessen. Sie haben das Recht, das Fleisch der Verstorbenen zu essen. Deshalb findet man später vom Verstorbenen im Grabe nur noch die Knochen ohne Fleisch. Wenn im Himmel ein Mangel an dieser Delikatesse eintritt, wird ||Gamab gebeten, seinen 142
Bogen und Pfeil zu nehmen und Leute auf der Erde zu töten. Manchmal will er auf ihre Bitten nicht eingehen, dann helfen sich die Ältesten selbst. Auf mysteriöse Weise bringen sie es fertig, kleine Steine, Dornen, winzige Messer, Skorpione, kleine Schlangen oder andere Dinge in die Körper von Menschen einzuführen. Diese Dinge oder Gifttiere lassen das Opfer krank werden. Dann wird ein Wahrsager konsultiert, um festzustellen, ob die Krankheit auf ||Gamabs Pfeil oder auf die Tätigkeit der verstorbenen Ältesten zurückzuführen ist. Sollte der letztgenannte Grund angegeben werden, können magische Praktiken die Krankheitsgründe beseitigen und den Tod des Patienten verhindern. In derartigen Fällen jubelt der Medizinmann und ruft aus, daß IIGamab ihm geholfen habe, die Absichten der Ahnen und ihre dauernde Gier nach Menschenfleisch abzuwehren. Das Heilige Feuer Das Heilige Feuer brennt in der Nähe des Dorfbaumes und ist der Mittelpunkt der Ansiedlung. Wenn man einen solchen Baum gefunden hat, wird ein Schnitt in seine Rinde gemacht. Dann gießt man das Blut eines erlegten Tieres in den Schnitt und weiht dadurch den Dorfbaum. In Zukunft wird an seiner Ostseite das Heilige Feuer brennen. An ihm werden die Ältesten sitzen und die Teile des Wildfleisches essen, die ihnen allein zukommen. Am Feuer halten sie auch ihre Beratungen ab. Wenn das Dorf verlegt wird, muß die Hauptfrau einen Brand vom Heiligen Feuer mitnehmen. Er wird unterwegs am Brennen gehalten, indem sie die Lagerfeuer mit ihm anzündet und von dort wiederum einen brennenden oder glimmenden Stumpf mitnimmt. Am neuen Dorfplatz wird das Heilige Feuer mit diesem, von der Hauptfrau getragenen Brand angesteckt. Sie macht auch in ihrer eigenen Hütte ein Feuer und achtet darauf, daß es immer weiterbrennt. Wenn das Heilige Feuer draußen ausgeht, zündet sie es mit Glut von ihrem Hüttenfeuer wieder an, falls nötig. Sollten alle Feuer ausgegangen sein, wird ein neues mit Hilfe von Feuerstöcken entfacht. Verschiedene Regeln und Verbote gelten für das Verhalten am Feuer. Die Nama kannten keine Heiligen Feuer, was auf die Möglichkeit hindeutet, daß diese Einrichtung von den Herero übernommen wurde.
143
Kapitel 11
Andere Gruppen Andere Gruppen mit fundierten Rechten in Namibia sind die Tswana, Rehobother Baster, Farbigen und Europäer.
Die Tswana Eine kleine Anzahl Tswana hat sich in Namibia niedergelassen. Sie bilden ungefähr 0,6% der Gesamtbevölkerung und wurden 1994 auf 9000 Menschen geschätzt. Die meisten dieser Leute stammen von einer kleinen Tswanagruppe ab, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus den Distrikten Kuruman und Vryburg der nördlichen Kapprovinz Südafrikas auswanderte. Ihr Zug ging durch Botswana, und schließlich kamen sie im Distrikt Gobabis in Namibia an. Sie ließen sich im Gebiet von Aminuis nieder und erhielten später einige Farmen zwischen Aminuis und der Botswanagrenze als Wohngebiet. Die meisten der hier lebenden Tswana gehören zum Stamm der Tlharo, andere sind Tlhaping und Rolong. Ihnen schlössen sich später einige Tswana-Einwanderer aus dem nahegelegenen Botswana an. Die Tlharo leben im traditionellen Stammesverband und haben einen eigenen erblichen Häuptling. Die anderen Tswana innerhalb ihres Stammesgebietes unterwerfen sich ebenfalls der Jurisdiktion des dortigen Häuptlings. Die Kultur der Tswana, die ein patrilineares, bantusprechendes Volk sind, das hauptsächlich in Botswana und Südafrika lebt, wurde bereits ausführlich dargestellt. Es ist deshalb nicht nötig, hier eine getrennte Kulturübersicht dieses kleinen Seitenzweiges der Tlharo und verwandter Gruppen in Namibia zu geben (siehe Schapera, 1953 et al.).
Die Rehobother Baster Die Bezeichnungen Baster, Rehobother Bürger und Bastergemeente (Bastergemeinschaft) werden bevorzugt und von den Menschen selber benutzt. Die meisten von ihnen stammen von weißen Vätern und Namamüttern ab. Die Vorfahren dieser Gruppe kommen aus der Kapprovinz in Südafrika. Unter Führung ihres Kapitäns Hermanus van Wijk und eines deutschen Missionars Heidmann zogen sie 1869 nordwärts. Sie ließen sich 1870 im Gebiet von Rehoboth nieder, das sie vom Namastamm der IIKhau-lgöan oder Swartboois kauften. Gegenwärtig (1994) werden die Baster in Namibia auf 39.000 Menschen geschätzt. Das sind 2,5 % der Gesamtbevölkerung. 144
Abb. 28: Johannes und Elisabeth Engelbrecht aus Rehoboth.
Über die Identität einzelner Basterfamilien sagt Budack in seinen unveröffentlichten ethnographischen Notizen: „Die meisten Basters tragen afrikaanse Familiennamen. Zu dieser umfangreichen Gruppe gehört z.B. der Adel von Rehoboth, d.h. die Kapitänsfamilie van Wyk und die Familien Beukes, Diergaardt, Mouton und Olivier. Von den 37 ursprünglichen Stammvätern waren ungefähr ein Drittel deutscher Abstammung, wie die Familiennamen Bok, Engelbrecht, Kruger, Vrey und Wimmert andeuten. Während der deutschen Zeit entstanden weitere Familien, wie Dentlinger, Henckert, Freygang und Polster. Daneben finden sich auch einige Familien von englischer oder schottischer Herkunft, wie die Alcocks, Fords, Lawrences und MacNabs.... Die Umgangssprache fast aller Angehöriger des Bastervolkes ist Afrikaans.“
Bei der sog. Bastergemeente handelt es sich um eine eng verbundene Gemeinschaft mit typischer westlicher Kultur, deren Mitglieder sich der Beachtung christlicher Normen im Gesellschaftsleben stark verpflichtet fühlen. Sie gehen nur monogame christliche Ehen ein und bestehen auf einer christlichen Erziehung für ihre Kinder. Auf politischem Gebiet verfügen sie über eine stabile Führung, die auf einer Anzahl „vorväterlicher Gesetze“ (voorvaderlike wette) beruht, nach denen sich auch die Rechtsordnung richtet. Sie sind ein Volk mit 145
patriotischer Gesinnung, das schon immer das Ideal der Selbstbestimmung vertreten hat. Obwohl die Machtbefugnis ihres traditionellen Oberhaupts durch die Anstellung eines Magistrats für das Rehobother Gebiet im Jahre 1924 ausgeschaltet wurde, gelang es ihnen, seine frühere Stellung wiederherzustellen. Die bei der Unabhängigkeit Namibias in Kraft getretene Verfassung läßt über die Machtstellung von Herrn Diergaardt als kaptein des Rehobother Gebietes einige Zweifel aufkommen, wie auch über den Grad der Selbstbestimmung, den die Rehobothgemeente unter der neuen Verwaltung erlangen kann. Diese Fragen wurden im Oktober 1993 vom Windhoeker Obergericht untersucht. Über das Ergebnis des Rechtsstreites berichtete eine Windhoeker Zeitung wie folgt: „Vor dem Obergericht gab es am Freitag Jubelszenen, nachdem ein vollbesetzter Senat den Antrag der Regierung abgelehnt hatte, die das Recht der Baster-Gemeente und des Kapteins Hans Diergaardt, ihre früheren Besitzurkunden aus der Zeit der ehemaligen Kolonialverwaltung zurückzufordern, bestritt. Ansammlungen von Basters waren schnell dabei, ihrem Führer Glück zu wünschen, und viele Frauen, die sich offensichtlich vor Freude kaum fassen konnten, umarmten und küßten Herrn Diergaardt. ... Der Streitfall über den locus standi war von äußerster Wichtigkeit. Wenn nämlich entschieden worden wäre, daß die Gemeente nicht das Recht habe, den Antrag zu stellen, wäre die ganze Angelegenheit gegenstandslos geworden. Das hätte für die Rehobother Gemeinschaft, die während der ganzen Kolonialzeit, der südafrikanischen Verwaltung des früheren Südwestafrika und sogar nach der Unabhängigkeit Namibias auf ihr kulturelles Erbe leidenschaftlich stolz und sehr besorgt war, schlimme Folgen gehabt. Auf der ganzen Welt gab es Führer traditioneller Gemeinschaften, nicht zuletzt auf dem afrikanischen Kontinent. Obwohl viele schon lange ihre politische Macht verloren haben, haben einige noch immer wichtige Rollen in den inneren Angelegenheiten ihrer jeweiligen Gemeinschaften zu spielen. Die Behauptung, daß das Amt eines traditionellen Führers nach dem Verlust seiner politischen Rolle automatisch aus der Rangordnung der Gemeinschaft verschwinde, ist nach Meinung des Gerichts irrig. Im Falle des Kapfe/nsamtes der Rehobother Basters gab es nach Meinung des Gerichts eine Reihe von Hinweisen auf seine fortgesetzte Existenz in seiner traditionellen unpolitischen Eigenschaft. ... Es wurde entschieden, daß die .Väterlichen Gesetze' die Unabhängigkeit Namibias überlebt hätten, wenn auch in einer stark eingeschränkten Form.“ (The Windhoek Advertiser, Jahrg. 4, Nr. 730, 23.10.93, S. 8-9)
Die Bewegung zur besseren Selbstverwirklichung und zum Schutze ihres Kulturerbes unter den Basters geht unvermindert weiter. Mit ihren ständigen Bemühungen, ihre Gruppeninteressen auf lokaler und regionaler Ebene zu fördern, schließen sie sich verschiedenen anderen Gruppen in Namibia an, die auf ähnli146
che Weise versuchen, beständigere und annehmbare Lebensumstände für ihre Mitglieder zu schaffen. Auf diese Art leisten sie auch einen bedeutungsvollen Beitrag zum Ideal des Friedens und der Stabilität innerhalb der Nation, das schließlich nur von glücklichen und zufriedenen lokalen Gemeinschaften erreicht werden kann.
Die „Farbigen“ („Coloureds“) Schätzungsweise 4% der Bevölkerung Namibias (im Jahre 1994 ungefähr 64.000 Menschen) sind sog. „Farbige“. Sie stellen eine bunte Vielfalt von Menschen dar, die enge Beziehungen zu einigen anderen Bevölkerungsgruppen haben. Obwohl die Entstehung dieser Gruppe ursprünglich auf einen Prozeß der Rassenmischung zurückzuführen ist, sind die allermeisten ihrer gegenwärtigen Mitglieder Kinder von farbigen Eltern. Die lange Tradition der Farbigensiedlungen und Farbigenschulen in Namibia hat zusätzlich zur Entwicklung eines für diese Menschen typischen Gemeinschaftslebens beigetragen. Fast alle benutzen Afrikaans als Umgangssprache und fühlen sich den Grundprinzipien einer christlichen Zivilisation verpflichtet.
Die Europäer Die weiße Bevölkerung Namibias macht etwa 6% der Gesamtbevölkerung aus. Das waren im Jahre 1994 rd. 100.000 Menschen. Die größten Gruppen bestehen aus Menschen, die Afrikaans, Deutsch oder Englisch als Muttersprache haben. Vertreter der europäischen Kultur sind bereits seit mehr als einem Jahrhundert im Lande. Viele von ihnen wurden hier geboren und kennen keine andere Heimat als Namibia. Als Folge der Unverträglichkeit einiger Aspekte afrikanischer und europäischer Kulturen und Wertsysteme kam es in der Vergangenheit zu zahlreichen Konflikten, die auf beiden Seiten ernste Mißverständnisse und Überreaktionen hervorriefen. Aus der Kontaktsituation ergaben sich jedoch auch viele positive Aspekte. Die Beiträge der verschiedenen Gruppen haben gemeinsame Ressourcen erschlossen, die dem ganzen Lande zum Nutzen gereichen. Die Völker Namibias sind in der Tat voneinander abhängig. Mit einer positiven Einstellung zueinander können sie es bei der Schaffung gegenseitigen Vertrauens weit bringen. Einheit in der Verschiedenheit ist für sie kein unerreichbares Ideal. Die ethnischen Unterschiede im Lande sind eine Tatsache und können nicht wegdiskutiert werden. Mit etwas mehr Toleranz können alle verschiedenen Gruppen in Sicherheit leben und durch Verfolgung gemeinsamer Ziele zum Nutzen der Gemeinschaft engere Verbündete werden. 147
12. Kapitel
Kulturwandel Die Entwicklung eines Landes führt unvermeidlich zu einem Prozeß des intensiven Kulturwandels. Überflüssige Gebräuche müssen aufgegeben und veraltete Praktiken durch neue ersetzt werden. Nicht alle Menschen und Gemeinschaften reagieren auf das Angebot neuer Ideen in gleicher Weise, und sie legen ihre Prioritäten auch nicht nach den gleichen Grundwerten fest. Ihre Lebensumstände mögen auch sehr unterschiedlich sein, weil jede Gemeinschaft im Prozeß des Kulturwandels eine einmalige Kombination hemmender und anregender Faktoren erfährt. Deshalb gibt es in der Welt keine zwei Länder auf genau gleichem Entwicklungsstand. Obwohl in vielen Gesellschaften typische Probleme wiederkehren können, ist jede von ihnen einmalig und muß im Rahmen ihrer eigenen Wirklichkeit betrachtet und bewertet werden. In der gegenwärtigen Übergangssituation gibt es eine Reihe wichtiger Fragen, die von Politikern und Meinungsmachern im unabhängigen Namibia sorgfältig durchdacht werden müssen, um ernsten Hindernissen auszuweichen und das Land stabil und entwicklungsfähig zu erhalten. Vom Standpunkt dieser Übersicht aus gesehen, brauchen die Berücksichtigung ethnischer Interessengruppen in der Gesellschaft durch die Verfassung, die Verbindung traditioneller Belange mit denen moderner politischer Parteien und das Endziel der Bildung einer Nation hier nicht behandelt zu werden. Ethnizität in der Gesellschaft Wenn im Prozeß des Kulturwandels Orientierungshilfen gegeben werden sollen, müssen die Regierung und ihre amtlichen Organe Stellung und Befugnisse der ethnischen Gruppen im Lande genau bestimmen. Die gegenwärtige Einstellung zu diesem Problem ist auffallend zweideutig. Auf der einen Seite ist offensichtlich, daß noch beträchtliche Vorurteile gegenüber Stämmen bestehen. Sie werden als unglückselige Klassifizierungen früherer Kolonialregime geschildert, die angeblich von der Politik des divide et impera veranlaßt wurden, um die Gesellschaft auf ethnischer Grundlage zu fragmentieren. Auf der anderen Seite gibt es die Tendenz, Stämme als vorkoloniale afrikanische Gemeinschaften neu zu definieren, die den Auswirkungen kolonialer Herrschaft, wirtschaftlicher Ausbeutung und der Christianisierung widerstanden und bis heute überleben konnten (Williams, 1991:168-169). Die Windhoeker Konferenz über Ethnizität, Bildung einer Nation und Demokratie untersuchte die Frage der Ethnizität vom politischen, sozialen, wirtschaft148
liehen, juristischen und pädagogischen Standpunkt aus, um ihre Stellung in der Gesellschaft zu bestimmen. Am Ende ihrer Beratungen nahmen die Teilnehmer folgende Resolutionen an: Ethnizität, Aufbau einer Nation und Demokratie „Ethnizität schließt Geschichte, Kultur, Sprache, Literatur, Religion, Gebräuche, Überlieferungen und soziale bzw. moralische Werte einer Gruppe von Menschen ein, die miteinander ganz einfach versuchen, dies alles zu erhalten und fortzusetzen, und zwar ohne irgendwelche politischen Absichten oder Hintergedanken und in vollständiger Übereinstimmung mit unserer Verfassung. Die Regierung sollte eine Politik der Harmonisierung interethnischer Beziehungen, der Förderung nationaler Belange und der Demokratie im Sinne von Einheit in der Verschiedenheit verfolgen. Mit möglichst geringer Verzögerung sollten gesetzliche Vorschriften über traditionelle Machtorgane, ihre Rolle in der namibischen Gesellschaft und ihre Amtsbezeichnungen (in nichtwestlicher Terminologie) vorgelegt werden.“ Muttersprache im Erziehungswesen „Daß die Erziehung eines Kindes in der Muttersprache (Umgangssprache) beginnen und wenigstens drei Jahre lang fortgesetzt werden sollte, ist ein weltweit akzeptierter pädagogischer Grundsatz, da er das solideste Fundament für die zukünftige Ausbildung und Karriere eines Kindes legt. ...“ Gewohnheitsrecht „Das Gewohnheitsrecht hat seinen Platz, wo es von Stammesregierungen auf traditionelle Art angewandt wird, deren Jurisdiktion allerdings Kriminalfälle ausschließen sollte, die vor die ordentlichen Gerichte des Landes gehören. Der rechtmäßige Platz des Gewohnheitsrechts ist dort, wo es historisch tiefe Wurzeln hat, die zur Durchsetzung festbegründeter Stammesbräuche im Bereich des Rechtswesens, der Moral usw. beitragen und dadurch die bürgerliche, soziale und wirtschaftliche Stabilität sichern. Es besteht die Notwendigkeit, es mit einem hohen Grad von Einfühlungsvermögen zu kodifizieren und den von ihm erfaßten Rechtsraum zu definieren.“ (Namibia Institute for Democracy 1993:64)
Die Förderung eines namibischen Nationalgefühls Die Anstrengungen zur Schaffung eines gemeinsamen namibischen Nationalgefühls, dem sich alle dazugehörigen ethnischen Gruppen unter einem geopolitischen Feldzeichen freiwillig unterwerfen, erfordern ernsthaftes Nachdenken über Art und Triebkräfte der Nationalidee. In einer Besprechung dieses Themas schließt sich die der Swapo nahestehende Zeitung The Namibian der Ansicht an, daß ein Nationalstaat in seiner Idealform kulturell homogen sein sollte: 149
„Nationalgefühl ist der Treibstoff der Unabhängigkeitskämpfe in der ganzen Welt, wie auch das Band, das ein Land zusammenhält. Seit unvordenklichen Zeiten haben Menschen für die Schaffung festumrissener Nationen gekämpft, um ihre Angelegenheiten und Einrichtungen zu ordnen und mit ihren Nachbarn friedlich zusammenleben zu können. Bestandteile des Nationalgefühis schließen den Wunsch ein, von anderen als Nation respektiert zu werden, Loyalität zu einer Zentralregierung, Gehorsam gegenüber ihren Einrichtungen und Symbolen, Vaterlandsliebe und Bindung an nationale Grenzen und Sicherheit. Die Idee des Nationalgefühis als politische Bewegung entstand in seit langer Zeit bestehenden europäischen Gemeinschaften. Kleine Gruppen mit gleicher Sprache und Religion, einem ähnlichen Kulturerbe und anderen gemeinsamen Eigenschaften setzten sich für die Bildung von Nationen ein. Im Bestreben nach Anerkennung als eigenständige Einheiten schufen diese Gemeinschaften den Nationalstaat als höchsten Ausdruck des Volkswillens. So wurde die Idee, daß jedes Volk das Recht habe, sein eigenes gemeinsames Schicksal zu ordnen, als Grundrecht akzeptiert. ... Europäische Nationen traten mit der Macht des Nationalstaates auf, als sie Afrika kolonisierten und ihren Willen anderen, die in Vorformen des Nationalstaates lebten, aufzwangen. Der Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit von der Kolonialherrschaft in Afrika brachte ein Nationalgefühl hervor, das sich mit dem Wunsch zur Übernahme der Staatsmaschinerie verband, um innerhalb der Kolonialgrenzen die neue Gesellschaft zu schaffen.“ (Jahrg. 3, Nr. 275, 22.10.93, S. 8)
Gegen Ende seiner Diskussion des Nationalgedankens macht The Namibian die sehr wichtige Bemerkung, daß die in Afrika gezogenen Kolonialgrenzen geographische Trennungslinien seien, die ethnische Gegebenheiten vollständig außer acht gelassen hätten. Abgesehen davon, daß sie verschiedene Völker zwangsweise zusammengefügt hätten, wären viele Stammesgebiete von internationalen Grenzen entzweigeschnitten worden, während andere von ihren Verbündeten und nahe verwandten Nachbarn getrennt worden wären. Namibische Gruppen, die dadurch ernstlich betroffen wurden, sind die Himba, Kwanyama, die fünf am Fluß lebenden Kavangovölker, die Mbanderu und einige Sangruppen. In diesem Zusammenhang schreibt The Namibian: „Während neue afrikanische Nationen jubelnd ihre politische Freiheit durch Niederholung der Kolonialflaggen und Hissung ihrer eigenen feierten, wurden die neuen Führer Afrikas mit schwierigen Problemen konfrontiert. Erstens war die Umwandlung von Kolonialverwaltungen in Nationalstaaten schwieriger, als die antikoloniale Beredsamkeit vorausgesagt hatte... Zweitens erbten die neuen Staaten Grenzen, die von den Europäern willkürlich gezogen worden waren, ohne Rücksicht auf die Art der überlieferten Ordnung afrikanischer Gemeinschaften. Diese neuen Grenzen zerschnitten sprachliche Einheiten, trennten autarke Wirtschaftsregio-
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nen und brachten unterschiedliche Völker zwangsweise zusammen, während Familien und Nachbarn auseinandergerissen wurden. Wegen der Künstlichkeit dieser Grenzen kamen nach der Unabhängigkeit uralte Rivalitäten wieder zum Ausbruch und bedrohten die Träume von afrikanischer Einheit und Harmonie. Der Streit um die Herrschaft zwischen verschiedenen Cliquen verursachte Unsicherheit, und die neuen Regierungen übernahmen koloniale Verhaltensweisen, um die politische Kontrolle aufrechtzuerhalten. Drittens verfielen die neuen Staaten in die Fehler der Kolonialregierungen: Sie behandelten heterogene Gemeinschaften, als ob es sich um homogene handelte, und unterließen es, sozialpolitische Ordnungen zu entwickeln, um Einheit zu schaffen und zu erhalten, wo sie vorher nicht bestand.“ (Jahrg. 3, Nr. 275, 22.10.93, S. 8)
Die oben angeführten Bemerkungen über Probleme, denen sich ethnisch heterogene Länder bei der Schaffung eines stabilen, allgemein anerkannten und geopolitisch begründeten Nationalgefühls gegenübersahen, bekräftigen vollständig die Ansicht Parsons, daß „das Problem der ethnischen Verschiedenheit und die Gefahren, die es für eine Art nationaler Einheit' birgt, bei fast allen jungen Nationen gegenwärtig ist“ (1975:81). Diese Probleme sollten jedoch als Herausforderung zur Planung einer außergewöhnlichen Lösung betrachtet werden, die den besonderen Bedürfnissen und Gegebenheiten Namibias angemessen ist, das sich in vieler Hinsicht von anderen Ländern unterscheidet. Im weiteren Sinne ist die Lage Namibias typisch für viele andere Länder dieses Kontinents. Von seiten der Regierung erfordert es sehr viel Einsicht und Klugheit, die geopolitische Einheit zu fördern, ohne die notwendigen Voraussetzungen für ein Weiterbestehen ihrer reichen Verschiedenheit ethnischer Gruppen zu behindern oder zu bedrohen.
Möglichkeiten ethnischer Studien Nach dieser Übersicht der Völker Namibias ist offensichtlich, daß Ethnizität ein Faktum und eine Kraft darstellt, mit der man rechnen muß. Man sollte deshalb im Rahmen der Kulturanthropologie und anderer Sozialwissenschaften ständig sachliche Forschung betreiben, um neue Informationen über dieses dynamische Studiengebiet zu gewinnen. Zur Unterstützung von Pädagogen, Verwaltungsbeamten und Kirchen bei der Überwachung und sogar Leitung des kulturellen Wandlungsprozesses braucht man auf den neuesten Stand gebrachte Berichte von den verschiedenen Kulturen. Alle Kulturen besitzen die Kraft zur Veränderung, wenn sie akkulturativen Einflüssen ausgesetzt sind. Oft gehören Konflikte und Spannungen zu diesen Vorgängen, deshalb sollten derartige Probleme von genügend qualifizierten Leuten angesprochen und gelöst werden. 151
Manchmal wird fälschlich behauptet, die Notwendigkeit einer Veränderung deute darauf hin, daß Ethnizität überflüssig sei; die Leute sollten sich angeblich von ihren traditionellen Kulturen lösen und in eine nicht genau definierte, aus verschiedenen Quellen zusammengesetzte Weltkultur eingeführt werden. Eher sollten Modernisierungsprozesse innerhalb der unterschiedlichen kulturellen Gruppierungen einer Gemeinschaft eingeleitet werden, um die Lebensqualität aller Gruppenmitglieder zu verbessern. In einem Lande mit großen ethnischen Unterschieden, einer wahrhaft multikulturellen Gesellschaft, muß das Ziel des Aufbaus einer Nation gut geplant und gut ausgeführt werden. Wenn man dieses Ziel zu Lasten der ethnischen Einrichtungen anstrebt, könnte sich diese Politik bald auf einem Kollisionskurs mit den Führungsstrukturen und rechtmäßig empfundenen Interessen der traditionellen Gruppierungen befinden, die man abschaffen will. Wenn man jedoch ein geopolitisch begründetes Nationalgefühl begünstigt und gleichzeitig die Belange der dazugehörigen ethnischen Gruppen fördert, könnte Harmonie zwischen beiden Identitätsformen wirklich erreicht werden. Eine derartige Handlungsweise setzt eine klare Stellungnahme gegenüber dem Regionalismus voraus, um dadurch geeignete Strukturen für den Schutz und die Weiterentwicklung des sittlichen Gehalts, der Sprache und des Lebensstils jeder Kulturgemeinschaft zu schaffen. So brauchen sich die verschiedenen Gruppen nicht bedroht zu fühlen, sondern sollten eher die Herausforderung annehmen, bei der Förderung nationaler Interessen außerhalb ihrer eigenen Lokalbelange gegenüber anderen Gruppen eine ergänzende Rolle zu spielen.
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