Die Voodoo-Witwe
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 130 von Jason Dark, erschienen am 28.01.1992, Titelbild: J.K. Pott...
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Die Voodoo-Witwe
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 130 von Jason Dark, erschienen am 28.01.1992, Titelbild: J.K. Potter
Monte Carlo - schillernd, superedel und mondän. Eine Stadt wie auf dem Silbertablett. Und auf einem Silbertablett im vornehmsten Hotel lag auch der Männerkopf. Das war der Beginn eines Falles, der uns alles abverlangte. Die Spur führte zu einer geheimnisvollen Frau, der Voodoo-Witwe. Sie gab Feste vom Feinsten, bei ihr war die Glitzerwelt zu Gast. Leider auch ein Killer, den man den Häuter nannte. Er tat der Voodoo-Witwe jeden Gefallen. Er tötete für sie und sorgte dafür, daß sie, die Lebende, zu einem weiblichen Zombie wurde, der es ausgerechnet auf mich abgesehen hatte...
Das Grauen bewegte sich auf leisen Sohlen durch die prächtige Hotelhalle. Niemand nahm von ihm Notiz, denn wer von diesen Herrschaften interessierte sich schon für einen Pagen? Er durchschritt die Halle mit gemessenen Schritten. Sein Gesicht zeigte einen starren Ausdruck. Die dunkle Uniform saß wie angegossen. Der junge Mann wußte genau, wo er hinzugehen hatte. Er wollte ins Zentrum der Halle. Das war die Stelle unter der gewaltigen Glaskuppel. Durch dieses architektonische Meisterwerk war das Hotel weltberühmt geworden. Genau unter der Kuppel stand der große runde Tisch mit einem außergewöhnlichen Blumengebinde, das sich aus der mächtigen Vase hervorstreckte. Davor fand der Page noch genügend Platz, um das Silbertablett abzustellen, das er auf seinen ausgestreckten Armen getragen hatte. Was sich auf dem Tablett befand, war nicht zu sehen, weil es von einer ebenfalls aus Silber bestehenden Halbkugel verdeckt wurde. Kaum hatte der Page es abgestellt, drehte er sich, zupfte noch seine hellen Handschuhe zurecht, warf einen Blick in die Halle und stellte erfreut fest, daß ihn keiner beobachtete. Kurz nur lächelte er. Seine Augen leuchteten, als hätte er etwas Besonderes vor. Er war zufrieden, drehte sich abermals und umfaßte den Griff der Halbkugel. Sekundenlang zögerte er noch, dann hob er sie ab und eilte davon. Noch immer kümmerte sich niemand um ihn, auch nicht, als er die Halle wieder durchquerte und das Hotel verließ. Zurück blieb das Tablett. Diesmal ohne Deckel und für die Dauer ungefähr einer Minute völlig unbeachtet. Dann aber kam eine Frau. Weit und rüschig gekleidet, mit einem hellen Strohhut auf dem Kopf, einer bunten Brille, einen Pudel an der Leine führend. Eben eine typische reiche Amerikanerin, wie man sie oft auf Witzzeichnungen sah. Ihr Hund fing an zu kläffen. Lauf und böse, dabei schrill und gleichzeitig ängstlich. Es hörte sich an, als wollte jemand richtig durchhusten, ohne es allerdings zu können. Und der Hund zerrte an der Leine, deren Halsband mit funkelnden Diamanten besetzt war. Er rannte, die Frau hatte Mühe, ihn zu halten. Er zog sie hinter der Treppe in eine Kurve, auf dem glatten Boden hatte er dabei Mühe, die Balance zu halten. Sein Kläffen wurde noch wütender, und dann stand die Frau plötzlich unbeweglich. Vielleicht wollte sie schreien, aber das klappte nicht. Ihr Gesicht war hochrot angelaufen, der Mund stand offen.
Es drang kein Schrei aus ihm hervor, sondern würgende Geräusche, abgehackt und keuchend. Sie wollte es nicht wahrhaben, sie konnte es einfach nicht fassen, aber es stimmte. Das war kein Trugbild. Da stand ein Tablett aus Silber, und auf dem Tablett sah sie den Kopf des Schwarzen, säuberlich vom Rumpf getrennt... *** Es war nicht zu fassen, es war das Grauen pur, so etwas hätte sich die Frau nicht einmal in ihren kühnsten und schrecklichsten Träumen vorstellen können. Sie schaute direkt auf die Augen. Sie erinnerten sie an helle Glasperlen, die jemand in die dunklen Höhlen hineingedrückt hatte. Beide Augen waren verdreht, sehr starr, das Weiße war kaum noch zu erkennen. Das dunkle Kraushaar auf dem Kopf glänzte ölig. Der Mund stand offen, die hellen Zähne blinkten, und die Haut sah so grau aus wie dunkle Asche. Die Frau konnte nicht sprechen, sie würgte noch immer. Der kleine Pudel hatte den Kopf zur Seite gedreht, er winselte erbarmungswürdig. Die Umgebung schien zu vereisen, langsam, aber sicher, und ebenso langsam löste sich die Starre bei der Frau. Das Grauen und der Schock dieses Anblicks mußten sich einfach freie Bahn verschaffen. Sie schrie. Und sie schrie wie noch nie in ihrem Leben! Es war ein Schrei, wie ihn die vornehmste Hotelhalle Monte Carlos noch nie zuvor erlebt hatte... *** Und der Schrei machte mobil. Die sehr distinguiert wirkenden Herren an der Rezeption zeigten innerhalb weniger Sekunden, wie schnell ihre Sonnenbräune verschwinden konnte. Sie wußten zuerst nicht, was geschehen war, aber sie sahen die Frau in der Halle, sie schauten an ihr vorbei, und dann traf sie das blanke Entsetzen. Sie, die in jeder Situation gelassen blieben und eigentlich nie den Überblick verloren - schließlich wohnten in ihrem Hotel die berühmtesten Gäste —, wußten nicht, wie sie reagieren sollten. Sie waren wie vor den Kopf geschlagen; die kalte Furcht nagelte sie fest. Und noch immer durchdrang der schrille Schrei der Frau die vornehme Halle. Er war so laut, daß er nicht nur hoch bis gegen die Kuppel drang, sondern auch über die Rundgalerie hinwegwehte, die sich in Höhe der ersten Etage
hinzog und gern von den zahlungskräftigen Gästen als Aussichtsspunkt benutzt wurde. Da die Schreie so weit zu hören waren, liefen auch andere Menschen zusammen. Plötzlich war das Personal da, das sonst unsichtbar im Hintergrund arbeitete. Die Menschen versammelten sich auf der Galerie und starrten in die Tiefe. Sie alle sahen den schrecklichen Anblick, sie alle konnten es nicht fassen, und in ihnen fraß sich das kalte Entsetzen fest. In die blau gekleideten Männer an der Rezeption kam Bewegung. Keinen hielt es mehr an seinem Platz. Auf einmal, als hätten sie einen Befehl bekommen, strömten sie von ihren Arbeitsplätzen weg und stießen hinein in die Halle. Sie alle hatten nur ein Ziel, und sie sahen den Schädel des Schwarzen auf dem Tablett liegen, und sie spürten das starre Glotzen der Augen, wobei jeden das Gefühl überkam, als würde der Schädel nur ihn anglotzen. Noch schrie nur die Frau, das änderte sich, als weitere Gäste zusammenliefen. Und plötzlich war die Panik da. Entsetzen, Angst, Schreie. Keiner wußte, was er unternehmen sollte. Die Frau mit der Brille wankte zurück. Der Pudel sprang kläffend an ihr hoch. Plötzlich verdrehten sich die Augen hinter der Brille und bekamen einen glasigen Ausdruck. Der Schrei verstummte. Dafür kippte die Person nach hinten. Es hatte eine Weile gedauert, aber es traf sie trotzdem. Sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Ihre Knie gaben nach, sie kippte, und sie wäre gefallen, wenn nicht einer der Angestellten dicht hinter ihr gestanden und sie aufgefangen hätte. Er hielt eine Ohnmächtige in den Armen. Niemand tat etwas. Niemand konnte oder wollte etwas tun. Alle waren geschockt, und so dauerte es Minuten, bis eine relativ gespannte Ruhe eintrat. Der Chefportier, ein Mann namens Hugo Fontaine, reagierte dann als erster. Er trug die Verantwortung, und er wußte, daß er jetzt Mut zeigen mußte. Die Aufgabe konnte er keinem seiner Mitarbeiter überlassen. Er war derjenige, der jetzt alles in die Waagschale werfen mußte. Er marschierte los. Die Menschen machten ihm bereitwillig Platz. Niemand wollte zu nahe an dem Schädel stehen, diesem makabren Objekt, von dem niemand wußte, ob er wirklich echt war. Wenn nicht, dann hatte sich jemand einen makabren Scherz erlaubt. Der Chefportier zitterte selbst, als er gegen den Blumentisch stieß. Er brauchte nur mehr die Hand auszustrecken, um den Schädel berühren zu können.
Das tat er auch. Mit den Fingern strich er durch das dichte Haar. Es fühlte sich weich an, dennoch glaubte er, Drahtfäden zu berühren. Er holte tief Luft. Sein Schnaufen kam ihm doppelt so laut vor wie sonst. Der Schweiß strömte über sein Gesicht. Nicht nur an den Händen zitterte er. Die Mundwinkel zuckten, sein gesamter Körper befand sich in Bewegung, dann berührte er die Haut. Sie war kalt, aber sie >lebte<. Es war wohl nicht der richtige Ausdruck dafür, aber der leise stöhnende Mann fand keinen anderen für dieses furchtbare Phänomen. Er konnte es auch anders sehen. Dieser Kopf auf dem Tablett war keine Imitation, er war echt. Jemand hatte ihn vom Rumpf getrennt und auf das Tablett gestellt. Die Blicke des Chefportiers wanderten nach unten. Er suchte nach der roten Lache, die sich eigentlich auf dem Silber hätte ausbreiten müssen, aber sie war nicht oder kaum vorhanden. Seine Hände zitterten noch stärker, als er die Arme ausbreitete, um die Finger auf die Ränder des Tabletts zu legen. Es blieb ihm nichts anders übrig, als das Tablett wegzuschaffen, das war die einzige Lösung. »Gehen Sie . . . Sie . . . aus . . . aus dem Weg!« Er stotterte nie, jetzt ließ es sich nicht vermeiden. In seiner Hoteluniform kam er sich vor wie in einer Sauna. Alles klebte an ihm, seine Handflächen waren glatt, so daß er befürchten mußte, daß ihm das Tablett entfiel. Die Umstehenden wußten, was sie zu tun hatten, sie traten zurück, schufen einen größeren Kreis. Keiner schrie mehr. Wenn gesprochen wurde, dann nur flüsternd. Zwischen ihnen hing die Angst wie ein dichtes, unsichtbares Netz. Auch Fontaine hatte Angst. Doch hier mußte er Mut zeigen. Er hatte alles Schreckliche so weit wie möglich verdrängt, er wollte jetzt Nerven zeigen, er würde als Held in die Annalen des Hotels eingehen, die Medien würden sich um ihn reißen. Monte Carlo hatte, seine Sensation, aber anders als sonst die Dinge, die in der Presse standen und nur von den Eskapaden der >Pro-mis< berichteten. Er hob das Tablett an. Silber ist schwer, der Kopf fiel dabei kaum ins Gewicht. Kaum schwebte es über dem Tisch, als er daran dachte, daß er nicht einmal wußte, wohin damit. Es gab eigentlich keinen Ort, an den er das Tablett hätte schaffen können. Zudem konnte er den Kopf nicht einfach nehmen und durch die Eingangstür rollen. Aber er konnte nicht mehr zurück. Bis sich mit dem Auftreten der Frau alles änderte. Bisher hatte sie im Hintergrund gestanden, sich nicht gerührt und alles mit einem kalten Lächeln auf den Lippen beobachtet. Ansonsten blieb ihr Gesicht starr. Sie trug einen dunklen Hosenanzug aus dünnem Stoff. Den Kragen hatte
sie im Nacken hochgestellt, er bildete den Halt für das an der Rückseite des Kopfes länger wachsene mahagonifarbene Haar, das über der Stirn kurz geschnitten war. Die Frau hatte mitbekommen, was direkt am Tisch geschah. Als sie die Zeit für günstig hielt, ging sie vor, Sie setzte ihre Schritte langsam, fast gemächlich. Ihre Augen blieben dabei auf einen bestimmten Punkt gerichtet, und als sie sich der Gruppe der Zuschauer näherte, da war es so, als würden diese etwas von der Ausstrahlung spüren, die die Frau begleitete. Ohne daß sie ein Wort hätte zu sagen brauchen, schuf man ihr Platz. Es entstand eine Gasse, durch die sie schreiten konnte, und sie sah jetzt den Rücken des Chefportiers direkt vor sich. Genau das hatte sie gewollt. Dicht hinter dem Mann blieb sie stehen. Der hatte das Tablett bereits angehoben, atmete schnaufend und ließ es wieder fallen, als ihm die Frau auf die rechte Schulter klopfte. Er hatte sich erschreckt, der Kopf auf dem Tablett wackelte durch den Aufprall, dann fuhr der Chefportier herum. Die Frau blickte in sein schweißnasses und überanstrengt wirkendes Gesicht. »Darf ich?« fragte sie. »Was . . . was wollen Sie denn?« »Ich möchte Ihnen eine Arbeit abnehmen.« Der Mann begriff nicht sofort. »Welche Arbeit?« flüsterte er dann. »Was wollen Sie denn . . .?« »Den Kopf«, erwiderte sie und lächelte dabei, was Fontaine irritierte. Er bewegte seine Augen hektisch, holte wieder tief Luft, schluckte, dann verzogen sich seine Lippen. »Wie meinen Sie das denn?« »Ich will ihn haben.« Fontaine strich über seine Stirn. Er hatte das Gefühl, in einen irren Traum hineingeraten zu sein. Er war völlig von der Rolle und begriff nicht, daß sich jemand freiwillig um den Schädel kümmern wollte. Das packte er einfach nicht. »Haben Sie mich verstanden, Monsieur?« »Ich . . .ich . . .«, er mußte sich räuspern. »Ich glaube schon, daß ich Sie verstanden habe.« »Dann treten Sie bitte zur Seite.« Der Mann stellte keine Frage. Er ging nach rechts und schuf den nötigen Platz. Aber er blieb in unmittelbarer Nähe, um zu sehen, ob die Frau ihn nicht auf den Arm nehmen wollte. Sein Gedächtnis war blockiert. Er wußte nicht einmal, ob sie ein Hotelgast war oder nicht. Es lief nach seinem Geschmack alles verkehrt, zu verkehrt, und er schaffte es trotz
intensiven Nachdenkens nicht, zu einem konkreten Ergebnis zu kommen. Aber er ließ ihr den Vortritt. »Haben Sie eine Decke?« »Wie bitte?« »Eine Decke, Monsieur. Ich hätte gern eine Decke. Den Kopf braucht nicht jeder zu sehen.« Fontaine rieb über seine nasse Stirn. Er mußte den Auftrag erst nachvollziehen. Dann drehte er sich um. »Eine Decke!« rief er. »Ich möchte, daß jemand eine Decke holt.« Zwei Angestellte liefen weg. Sie holten beide eine. Fontaine nahm die hellere entgegen und reichte sie der ungewöhnlichen Frau. Die bedankte sich und drapierte die Decke über den Schädel. Dann hob sie die Unterlage leicht an, damit sie die Decke unter der Platte zusammenlegen konnte. So war ein fast optimaler Transport gesichert. Von den umstehenden Gästen sprach niemand. Sie alle bewunderten die fremde Frau, die das Tablett anhob, als läge etwas völlig Normales unter der Decke, jedenfalls kein abgeschlagener Kopf. »Darf ich mal?« fragte sie höflich, als sie sich drehte. Sofort spritzten einige Zuschauer zur Seite. Sie wollten auf keinen Fall stören. Und die Frau schritt zum Ausgang. Ihr Gesicht wirkte wie eine kühle Maske. Erst als sie den großen, wertvollen Teppich verließ, waren ihre Schritte zu hören. In der relativen Stille hallten sie sehr laut nach. Die Echos hörten sich an, als wäre jemand dabei, mit einem kleinen Hammer auf einen Totenschädel zu schlagen. Hinter der breiten Eingangstür aus Glas strahlte die Sonne. Sie gab ihren hellen Schein kostenlos ab, und das war wohl auch das einzige, was in Monte Carlo nichts kostete. Die Frau verließ das Hotel und trat in die Sonne hinein. Es sah so aus, als würde ihr Körper von den Strahlen aufgelöst. Sehr bald schon war sie nicht mehr zu sehen, dafür hörten einige Gäste, wie ein Automotor angelassen wurde. Erst jetzt fand Hugo Fontaine seine Sprache wieder. »Kennt einer von Ihnen die Frau?« Er bekam dann eine Antwort, sie bestand aus Kopfschütteln . . . Eigentlich hätte man Suko und mich um diesen Job beneiden können. Wir befanden uns nicht mehr in London, sondern in Monaco, dem Paradies der >Pro-mis<, der härtesten Zocker, der gelangweiltesten Nichtstuer. Patricia Highsmith hatte mal behauptet, daß man sich in Monaco immer jünger fühlte, weil eigentlich fast jeder älter war als man selbst.
Für Normalverdiener würde es immer ein Traum bleiben, es sei denn, man erschien als Bustourist, wurde durch die engen Straßen geschleift, stand staunend vor den Fassaden der Luxushotels und versuchte einen Zipfel der Fürstenfamilie zu entdecken, die in einem prächtigen Schloß hoch über der Stadt lebte. Aber die Grimaldis hielten sich fast immer zurück, und so konnten die Touristen sich nur an den überall aufgeteilten Bildern der Grimaldis erfreuen, die auch zahlreiche Andenken zierten, von denen die Geschäftsleute unzählige verkauften. Auch das Casino war zur Besichtigung freigegeben, aber hinein traute sich niemand. Man stand, staunte, fotografierte, denn dieses Hobby überwand Grenzen. Wer eine Kamera vor sein Gesicht hielt, war gleich. Da spielte es auch keine Rolle, welche Hautfarbe der Kameraträger hatte. Natürlich wußten auch wir davon, aber danach stand uns bei Gott nicht der Sinn. Wir waren nicht hier, um Urlaub zu machen und all die reichen Nichtstuer oder Steuerflüchtlinge zu beobachten, für uns ging es wieder um einen knochenharten, brutalen Job. Um verflucht harte Arbeit, denn wir jagten eine Person, die nur der Häuter genannt wurde. Häuter deshalb, weil dieser Mann, oder, besser gesagt, diese Bestie, es tatsächlich fertiggebracht hatte, Menschen die Haut vom Körper zu ziehen. Das war etwas Unvorstellbares, so daß sich unser Gehirn zunächst geweigert hatte, dies aufzunehmen. Aber es stimmte. Der Name des Häuters war Basil Coc. Er war ein Mischling, stammte aus der Karibik und war irgendwie nach England gekommen, wo er seine blutige Spur hinterlassen hatte. Zunächst hatten sich die Kollegen um die Mordfälle gekümmert. Als sie dann nicht weiterkamen, waren wir eingeschaltet worden, um den Häuter zu stellen. Fast wäre es uns gelungen, aber der Killer hatte Wind bekommen und war kurz vor seiner Festnahme geflüchtet. Ausgerechnet nach Monaco, nach Monte Carlo, diesem Kleinod der Reichen, >Promis< und Gelangweilten. Warum er gerade diesen Ort gewählt hatte, wußten wir nicht, gingen aber davon aus, daß er Helfer gehabt hatte. Der Fall brannte auch unserem Chef, Sir James, auf den Nägeln, deshalb hatte er uns ans Herz gelegt, nach Monte Carlo zu fliegen und den Häuter zu stellen. Trotz der nicht geringen Spesen. Drei Tage befanden wir uns bereits in Monaco, hatten vieles kennengelernt und auch gelernt, uns lässig zwischen all den Typen zu bewegen, ohne als Menschen mit weniger Geld aufzufallen. Die monegassische Polizei wußte eigentlich nicht Bescheid. Informiert worden war nur ihr Chef, und der wiederum hatte Furcht, daß sich
unsere Aufgabe herumsprechen und die Reputation des Steuerparadieses weiteren Schaden erleiden würde. »Bitte, führen Sie die Nachforschungen behutsam und rücksichtsvoll durch.« Diesen Satz hatten wir oft genug zu hören bekommen, aber darum würden wir uns nicht kümmern. Darauf wollten wir pfeifen, allerdings hatten wir dem Polizeichef dies nicht so deutlich gesagt. Natürlich war er schockiert gewesen, als er von den Verbrechen des Häuters hörte. Einen derartigen Menschen in dem kleinen Monaco zu wissen, wo man sich kaum aus dem Weg gehen konnte, war mehr als harter Stoff für ihn, aber er hatte uns auch erklärt, daß er sich kooperativ zeigen und uns unterstützen wollte. Wir brauchten eine Spur, einen Hinweis, das stand für uns an erster Stelle. Die zweite Frage drehte sich um das Motiv. Sir James und wir hatten uns natürlich Gedanken darüber gemacht. Niemand häutete Menschen grundlos, er mußte etwas damit im Sinn haben, auch wenn mein Vorstellungsvermögen nicht ausreichte, um dies begreifen zu können. Und das, obwohl wir schon verdammt viel erlebt hatten. Suko war es ebenso ergangen. Auch er konnte sich nicht erinnern, etwas Derartiges gehört zu haben. Es war uns einfach unbegreiflich, es gab keine Erklärung. Und doch waren die Taten geschehen. Vier Tote in London! Und wir fragten uns natürlich, wie viele es hier werden würden. Möglicherweise war Monte Carlo für ihn so etwas wie ein Ziel, wo er das verwerten konnte, was er in London begonnen hatte. Natürlich hatten wir uns umgeschaut. Offiziell gab es keine Unterwelt in diesem kleinen Land. Dafür im nahen Nizza. Aber nicht alles in Monaco bestand aus Glanz und Glamour. Es gab auch gewisse Kanäle, über die zum Beispiel Rauschgift an den Mann gebracht wurde, und wir hatten erfahren, daß es auch einen Mann gab, der über einige Dinge, die hier nicht offiziell liefen, sehr gut Bescheid wußte. Der Mann wohnte am Hafen. Nicht dort, wo sich die Steilküste erhob und das ozeanische Museum in den Fels gebaut worden war, sondern weiter westlich, wo die Molen in das Meer hineinführten und die Yachten der Großkotze lagen. Der Mann hieß Bouque und war jemand, der sich auskannte und der alles besorgen konnte. Wir hatten ihn besucht und mit ihm lange geredet. Er hatte uns zugehört, dabei sieben Filterlose gequalmt, war gegangen, war dann wiedergekommen und hatte uns einen Namen gesagt. »Esmeralda . . .« »Und?« hatte Suko gefragt. »Ein Schiff.«
»Schön, aber wo?« »Im Hafen, dort, wo auch die Einheimischen ihre Boote liegen haben.« »Was ist damit?« »Ihr solltet es euch anschauen«, sagte Bouque, und damit waren wir entlassen. Eine Spur, keine Spur? Wir beschlossen, es als eine Spur anzusehen, und erkundigten uns, wem das Schiff gehörte. Das wußte selbst der Polizeichef nicht, versprach uns aber, sich darum zu kümmern, und fand etwas heraus. Die Esmeralda gehörte einer Frau. Sie war Witwe und hieß Surenuse. »Was ist über diese Person bekannt?« erkundigte ich mich. »Nichts Negatives.« »Ist sie Monegassin?« »Das allerdings.« »Und sie fiel nicht weiter auf?« »Nein, denn sie ist erst seit zwei Monaten wieder hier. Sie hat eine Weltreise hinter sich, wie ich hörte.« Er räusperte sich. »Sie glauben doch nicht, daß Madame Surenuse etwas mit diesen schrecklichen Vorfällen zu tun hat. Doch nicht sie, die Witwe.« »Es spielt keine Rolle, ob sie Witwe ist oder nicht. Wir werden ihr auf jeden Fall einen Besuch abstatten.« »Tun Sie mir bitte einen Gefallen. Seien Sie diskret.« »Immer, Monsieur. Wir sind sehr diskret. Wir lieben die Diskretion, da brauchen Sie keine Sorgen zu haben.« »Dann muß ich Ihnen noch etwas sagen. Wie ich hörte, gibt Madame Surenuse heute abend ein Fest auf ihrer Yacht. Einen karibischen Abend. Sie wird kaum in der Lage sein, sich mit Ihnen zu unterhalten. Zudem müßten Sie eingeladen sein . . .« Ich lachte in den Hörer und unterbrach ihn. »Bei Ihren Beziehungen, Monsieur, müßten Sie doch Karten kriegen.« »Hm«, machte er. Dann seufzte er einmal, danach noch einmal. »Sie haben Glück gehabt, denn ich kann Ihnen meine Karten überlassen. Eigentlich hätten meine Frau und ich auf die Yacht gehen sollen, aber mir ist etwas Dienstliches dazwischengekommen.« »Phantastisch für uns. Die Karten . . .« » . . . lasse ich Ihnen ins Hotel bringen. Noch etwas: Sie brauchen nicht auf eine bestimmte Kleiderordnung zu achten. Es soll alles sehr locker zugehen.« »Keinen Smoking?« »Nein.« »Wie beruhigend. Gibt es noch etwas, das wir wissen müßten?«
»Ja, Sie werden abgeholt, denn die Esmeralda liegt nicht mehr an der Mole. Sie hat abgelegt. Die Gäste werden zur Esmeralda gefahren und auch wieder zurückgebracht.« »Wunderbar.« »Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß.« »Wünschen Sie uns lieber Glück, Monsieur, daß wir den verfluchten Häuter auch finden.« »Aber doch nicht bei Madame . . .« »Das kann man nie wissen. Oft ist das, was besonders glitzert, innen faul und hohl.« Er lachte gequält und legte auf. Suko hatte in der Hotelhalle auf mich gewartet und nuckelte an einem alkoholfreien Drink. »Wie ist es gelaufen?« wollte er wissen. Ich ließ mich neben ihm nieder. »Super. Sogar unser heutiger Abend ist gerettet.« »Wieso?« Ich erzählte ihm von der Einladung und wunderte mich darüber, daß Suko nicht jubelte. »Hast du Probleme?« erkundigte ich mich, als ich sein verschlossen wirkendes Gesicht sah. »Nicht direkt.« »Indirekte sind oft die wichtigeren.« »Na ja . . .« Er trank, hob die Schultern und deutete in die Halle hinein, wobei er seinen Arm halbkreisförmig bewegte. »Du weißt, daß ich hier gesessen und auf dich gewartet habe . . .« »Richtig.« »Man bemüht sich zwar um Diskretion, doch wer gute Ohren hat, bekommt trotzdem etwas mit.« »Aha.« »Ja, ich habe etwas gehört. Kann Unsinn sein, der reine Nonsens. Wenn es allerdings stimmt, ist es ein Hammer.« »Los, raus mit der Sprache!« »In einem anderen Hotel, im Ersten Haus am Platz, hat man in der Hotelhalle etwas gefunden.« »Einen Hundehaufen?« fragte ich grinsend. »Nein, das wäre ja schön gewesen. Man fand einen Kopf. Den Kopf eines Mannes, eines Schwarzen.« Ich schluckte. »Wie bitte?« Suko schaute in mein bleich gewordenes Gesicht. Ich sah es seinen Augen an, daß er keinen Spaß gemacht hatte. »Da hat jemand einen Kopf in eine Hotelhalle gelegt?« »Ja.« Ich bekam das Kratzen im Hals, der Magen drückte plötzlich, weil er sich erweitert hatte, und über meinen Rücken rann ein Schauer. »Verdammt, davon hat mir der Polizeichef nichts gesagt.« »Vielleicht weiß er es nicht. Kann aber sein, daß er mehr als diskret ist.« »Daran glaube ich eher.«
»Jedenfalls hat es sich blitzschnell herumgesprochen. Es ist die flüsternd gehandelte Sensation hier in Monaco.« Ich schaute zu Boden und nickte. Auf meinen Handflächen merkte ich den feuchten Schweißfilm. Es war warm in der Halle, draußen brannte die Sonne, und auch ich hätte mich lieber in die Fluten der Cöte d'Azur gestürzt, als hier in der muffigen Hotelhalle zu hocken, denn wir konnten uns keinen der Luxusschuppen leisten. »Ich habe auch darüber nachgedacht, John, ob das etwas mit dem Häuter zu tun hatte.« »Vielleicht ist aus ihm ein Köpfer geworden.« »Welchen Sinn sollte das gehabt haben?« »Kann ich dir auch nicht sagen.« »Eben.« »Weiß man, was mit dem Kopf geschehen ist?« »Ja. Jemand brachte ihn hinaus. Es war kein Angestellter des Hotels, sondern eine Fremde.« »Ich habe richtig gehört? Du hast von einer weiblichen Person gesprochen?« »Richtig, einer Fremden.« Ich dachte sofort an die Witwe und sprach ihren Namen aus. »Ist sie fremd?« fragte Suko. »Eigentlich nicht.« »Eben. Dann liegen wir auf dem falschen Dampfer. Mir ging dieser Gedanke auch durch den Kopf.« »Ich werde dies trotzdem im Auge behalten. Wenn ich in London an einem bestimmten Platz bin, wo mich niemand kennt, dann bin ich für die Menschen dort auch ein Fremder. So ähnlich sehe ich es bei Madame. Suko, ich bin der Überzeugung, daß wir beide es mit einer außergewöhnlichen Frau zu tun bekommen werden.« »Das streite ich nicht ab.« Als ein Polizist das Hotel betrat und einen Umschlag in der Hand hielt, wußten wir sofort, daß wir gemeint waren. Ich stand auf, ging ihm entgegen. Er grüßte zak-kig und überreichte mir den Umschlag mit einem Gruß von seinem Chef. »Merci.« Er ging sofort wieder, als hätte man ihm den Auftrag gegeben, keinesfalls mit uns zu reden. Mir war es egal, ich hatte andere Sorgen. »Rein kommen wir«, sagte ich, als ich neben Suko stand, »und wir werden uns auf eine kleine Bootsfahrt freuen können.« »Wieso das?« »Die Esmeralda hat abgelegt. Die karibische Nacht soll draußen auf dem Meer stattfinden.« »Wie schön.« Suko erhob sich. »Und als Stargast tritt der Häuter auf, wie?« Ich winkte hastig ab. »Mal den Teufel nicht an die Wand, Alter . . .« Er war unterwegs!
Er wirkte wie eine Mischung aus Fisch und Mensch, , denn so elegant bewegte ersieh dicht unter der Wasseroberfläche. Nur selten tauchte er auf, dann erschien ein kantiges nasses Gesicht an der Oberfläche mit einem weit aufgerissenen Maul, durch das er die Luft tief in seine Lungen saugte, um Nachschub zu bekommen. Bis auf einen Lendenschurz trug er kein Kleidungsstück und erinnerte irgendwie an Tarzan, den Helden des Dschungels. Leider war er keine Comicfigur, sondern verdammt echt. Und er war unterwegs, um zu töten. Noch bewegte er sich durch das warme Wasser, und er hatte sich eine gute Zeit ausgesucht. Es war die Stunde zwischen Tag und Traum. Da wußte der Tag noch nicht so recht, ob er sich verabschieden sollte oder nicht. Jedenfalls stand er auf der Kippe, und gerade zu dieser Stunde atmete Monaco auf. Da verließen die Busse das kleine Land, und die sonnenhungrigen >Promis< hielt auch nichts mehr an den Hotelpools oder den schmalen, künstlich aufgeschütteten Stränden. Da wollten sie sich umziehen, sich schick machen, um den Abend und die Nacht genießen zu können. Es war eine gute Zeit, und das wiederum wußte auch der Schwimmer, der sich immer mehr den breiten Anlegemolen näherte und, wenn er seinen Kopf aus dem Wasser streckte, bereits auf die mächtigen Rümpfe der Boote und Yachten schauen konnte. Wieder tauchte er unter. So kam er besser voran, er war sehr schmal geworden, wenn er schwamm, er streckte sich und glitt wie ein Torpedo der Mole entgegen. Als er wieder auftauchte, hatte er bereits den Schatten eines Bootsrumpfes gesehen. Er trat Wasser und schaute sich um. Der Platz, den er sich ausgesucht hatte, war mehr als gut. Er sah ihn sogar als ideal an. Niemand würde ihn sehen können, wenn er aus dem Wasser kletterte. Im Schatten des Bootes schwamm er so weit vor, bis er die Mole erreicht hatte. Seine Hand klatschte gegen den Beton. Er befand sich jetzt zwischen zwei Schiffen. Bei höherem Wellengang hätten sie ihn in dieser Lage erdrücken können. Dann schnellte er hoch, stemmte sich auf und betrat die Mole. Seine mächtige, fast nackte Gestalt glänzte. Geduckt bewegte er sich nach vorn, den Blick auf die Lichterkette von Monto Carlo gerichtet. Sobald die Sonne untergegangen war, legte dieser Ort seinen künstlichen hellen Schleier an. Aber nicht alle Stellen waren erleuchtet, und diese dunklen Flecken nutzte er aus. Auf seinen nackten Füßen schob er sich vor. Unter der Haut zeichnete sich das Spiel seiner mächtigen Muskeln ab.
Auf den Booten bewegten sich nur wenige Menschen. Wer noch dort war, räumte auf, er gehörte zur Mannschaft, aber nicht zu den Eignern oder deren Gästen. Die Mole hörte an der Felswand auf. Künstlich angelegte Treppen führten hoch, und es gab sogar private Fahrstühle, die sich die Leute leisten konnten, die genügend Geld zur Verfügung hatten. Das alles war für ihn wichtig, denn er mußte diesen Weg nehmen. Zuvor aber lief er auf eine bestimmte Stelle in der Felswand zu. Wie eine große Nase stand ein Stein über. Er war zudem noch gebogen, und unter dieser Nase verdichtete sich der Schatten. Der Halbnackte bückte sich. Er kroch unter das Felsstück und grub mit beiden Händen, wobei er einige Steine zur Seite schaufelte, um an einen bestimmten Gegenstand heranzukommen. Als er ihn gefunden hatte, drang aus seinem Mund ein kehliges Lachen. Dann berührten seine Lippen den Gegenstand, als wollten sie ihm durch den Kuß Leben einhauchen. Der Gegenstand war lang, erglänzte matt, und er war für ihn ungemein wichtig. Es war ein machetenähnliches Messer. Eines, mit dem man Haut abschneiden konnte... *** Ein lauer Sommerabend, ein Himmel wie gemalt, unzählige Sterne, das leise Rauschen der Wellen, Geräusche, die von der höher gelegenen Stadt in Richtung Meer brandeten und seltsamerweise nicht mehr störten, weil sie längst nicht so laut klangen wie am Tag und sich irgendwie harmonisch in die Umgebung einpaßten. Es gefiel uns . . . Plötzlich überkam mich das Gefühl, einen außergewöhnlichen Urlaub zu erleben. Ich dachte nicht mehr an den Häuter und seine schrecklichen Taten, ich schaute mich um, >trank< den Anblick der Gegend in mich hinein und wirkte ebenso gelöst wie die anderen. Und das war schon eine bunte Gesellschaft, die uns auf das Schiff begleiten sollte. Ob >Promis< oder nicht, jedenfalls konnte sich so etwas nur an der Cöte d'Azur zusammenfinden. Frauen, die ganze Topfinhalte von Schminke auf ihren Gesichtern trugen. Umgeben von Begleitern, die um eine Generation jünger waren als sie, aber es gab auch die umgekehrten Fälle, wo die Herren mit dem Silberhaar sich um die blutjungen Begleiterinnen kümmerten, die oft mehr Schmuck als Kleidung trugen.
Man gab sich locker, man gab sich aufgekratzt, man lachte und man trank jetzt schon Rose-Champagner, der sich zu einem Modegetränk hochstilisiert hatte. Wir kamen uns ziemlich überflüssig vor. Das mochte auch an der Kleidung liegen, denn die meisten männlichen Gäste waren schon sehr elegant erschienen. Auf mich wirkten sie in ihren weißen Dinner-Jacketts zwar wie verkleidet, aber man ging eben so. Sogar manch junger Lover hatte sich in diese Kleidung hineinzwängen müssen, und ich mit meiner schwarzen Leinenjacke stach ebenso ab wie Suko, der ein violettes Hemd trug, das wie eine Jacke geschnitten war. Ich schaute auf das Wasser hinaus. Es war bereits dunkel geworden, aber in der Ferne, wo sich der rollende Teppich ebenfalls bewegte, da schaukelten über der Oberfläche Lichterketten, die aussahen, als würden sie in der Luft schweben und nur vom Wind getragen werden. Dabei gehörten sie zur Beleuchtung der dort ankernden Schiffe. Ich konnte mir gut vorstellen, daß sich auch die Esmeralda darunter befand, wollte aber nicht fragen, um mich nicht noch stärker als Außenstehender zu erkennen geben. Suko und ich hatten den Gesprächen gelauscht und herausgefunden, daß die Surenuse bekannt für ihre Feste war. Wenn sie rief, hatte man ihr zu folgen, das war gewissermaßen eine heilige Pflicht an der PromiKüste. Monte Carlo hatte ebenfalls sein nächtliches Kleid übergestreift und präsentierte sich bereits im vorabendlichen Glanz zahlreicher Lichter. Keine Postkarte hätte dieses Bild besser wiedergeben können als die Natur selbst. Und trotzdem mochte ich dieses Zwergland nicht. Da gab es einiges, was mich störte, abgesehen von den Angebern und Schaumachern. Es waren die hohen Häuser mit den sündhaft teuren Wohnungen darin, gemietet oder blockiert von zahlreichen Steuerflüchtlingen, die allesamt bekannte Namen aufwiesen. Sie nahmen eben in Kauf, die wenigen Wochen im Jahr, die sie hier weilten, in diesen Hochäusern wohnen zu müssen, denn der Platz war in Monaco kostbarer als Gold. Man konnte eben nur in die Höhe bauen. Schön war es nicht. Doch dem Wirtschaftsboom hatte man eben Tribut zollen müssen. Wir warteten auf das Boot. Zwei pendelten hin und her, damit die Gäste nicht zu lange warten mußten. Als die Gespräche verstummten und sich die Köpfe der meisten Gäste dem freien Wasser zuwandten, da drehten auch wir uns um und sahen das sich herschie-bene Boot, dessen Bug von einer weißen Welle umspielt wurde.
Es war ein breites Schlauchboot mit einigen Sitzbänken, auf denen sich die Besucher zusammenpferchten, um die viertelstündige Fahrt zum Ziel hinter sich zu bringen. Der Mann am Heckruder trug einen blauweiß gestreiften Pullover, legte sicher an, warf eine Leine um einen Poller, dann konnten wir einsteigen. Sie drängten sich wie die Hühner um den Futtertrog. Wir waren die letzten, die auf das Schiff gefahren werden sollten. Man kicherte, lachte und nahm auch den Champagner mit. Einige sprachen schon davon, in den Pool der Yacht springen zu wollen, was keine schlechte Idee war, denn die Schwüle des Tages war an diesem Abend kaum weniger geworden. Sie hing wie eine dichte, unsichtbare Decke über allem, und ich hatte das Gefühl, als würde sie sich in jeder Sekunde ein Stück nach unten bewegen. Suko und ich gehörten zu denen, die als letzte das Boot enterten. Der Steuermann schaute uns erstaunt an. Wahrscheinlich kamen wir ihm vor wie Paradiesvögel, nicht die anderen. Er wollte sogar unsere Karten sehen und war zufrieden, als wir sie ihm präsentierten. Zwei Minuten später — jeder hatte seinen Platz gefunden, auch wir — legten wir ab. Kaum hatten wir die schützende Molengegend verlassen, erfaßte uns der mächtige Wasserteppich der Dünung und schaukelte uns in die Höhe. Da einige Damen oder Dämchen ausgerechnet jetzt Champagner eingössen, floß ein Großteil des teuren Zeugs daneben und benetzte die Kleider. Aber man nahm es nicht so tragisch. Man freute sich auf das Fest, auf die große Schau, auf Schicki und Micki, nur nicht auf uns, denn wir wurden angeschaut wie Aussätzige. Zudem saßen wir nicht bei den >Beautiful people<, sondern auf zwei Notklappen am Heck, neben dem Steuermann, der all die Dinge mit einem stoischen Grinsen über sich ergehen ließ. Er regte sich auch dann nicht, als ihn ein quietschendes Girl mit Champagner bespritzte. Da bekamen auch wir einige Tropfen ab. Die Kleine stand, schüttelte die Flasche, lachte grell und künstlich, kümmerte sich nicht darum, daß ihre linke Brust aus dem Ausschnitt gerutscht war, und wollte noch einmal spritzen. Eine weite Welle ließ das Boot schaukeln. Die Kleine verlor das Gleichgewicht und fiel kreischend rücklings auf die Schöße der in der Nähe sitzenden Gäste. Auch die anderen hatten ihren Spaß, im Gegensatz zu uns, denn wir blieben ernst, was auch dem Steuermann auffiel, denn er fragte, ob es uns nicht gutging. »Doch, schon, sehen Sie nicht, wie wir uns freuen?« Der Knabe starrte mich an, als wollte er mir im nächsten Augenblick an die Kehle fahren.
Und Suko murmelte: »Wenn das mal gutgeht, John...« *** Der Häuter hatte es geschafft. Seine dünnen Turnschuhe hatte er anbehalten. Ihre geriffelten Sohlen sorgten dafür, daß er auf dem manchmal doch glatten Fels nicht zu schnell abrutschte. Er hätte auch eine der beleuchteten Treppen nehmen können, aber darauf verzichtete er bewußt, denn sehen sollte ihn niemand. Er hatte einen bestimmten Auftrag zu erledigen, mehr eine Bestrafung, denn gewisse Dinge paßten ihm überhaupt nicht in den Kram. Er hatte daran gedacht, sie los zu sein, als er sich von England nach Monte Carlo hin absetzte, aber die Spur war nicht verwischt worden. Zwei Männer waren eingetroffen und hatten unangenehme Fragen gestellt, die ihm überhaupt nicht paßten. Sie waren auch an die Person gelangt, die ihnen einen Hinweis gegeben hatte. Obwohl er keinen hundertprozentigen Beweis dafür besaß, konnte nur dieser Mann in Frage kommen, dem er nun einen Besuch abstatten würde. Auch jetzt huschte er die Steilküste hoch. Man sah ihm an, daß er diesen Weg nicht zum erstenmal ging. Er fand zielsicher Halt an den kleinen Vorsprüngen, er setzte seine Füße in Mulden, stieß sich ab, griff nach knorrigen Gewächsen und änderte immer dann die Richtung, wenn ihn die Stimmen aus den über ihm liegenden Gärten der Prachtvillen erreichten. Hier wohnten einige Superreiche, die sich die Käfigwohnungen in den Hochhäusern ersparen konnten. Das letzte Stück mußte er klettern. Einmal hing er über dem Abgrund, mit einem Klimmzug aber schaffte er auch diese Klippe und lief dorthin, wo sich der Parkplatz eines Clubs befand, der von einer dichten Hecke umgeben war. Sie gab ihm Schatten, und auch das Licht der Parkplatz-Laternen erreichte ihn nicht. Er wartete einige Sekunden, bis sich die Anspannung gelöst hatte, und ging dann weiter. Jetzt aufrecht und zügig, und er entdeckte schließlich ein dunkel angestrichenes Fahrrad, das jemand abgestellt hatte. Es war für ihn dort geparkt worden. Er stieg in den Sattel und radelte los. Niemand hatte ihn gesehen, und in der Stadt selbst fiel ein Radler mit nacktem Oberkörper auch nicht weiter auf. Der Mann, den er besuchen wollte, lebte in einem Haus, das er zweigeteilt hatte. Im kleineren Teil wohnte er, im größeren war sein Geschäft untergebracht, ein Laden, in dem man alles kaufen konnte, was das Herz begehrte.
Trödel, Krimskrams - von der Angel bis zum Kochtopf war eigentlich alles vorhanden. Aber man konnte auch Stoff kaufen, denn Boque war ein Mann mit glänzenden Verbindungen zur Unterwelt von Nizza. Der Stoff hätte den Häuter nicht weiter gestört, überhaupt war ihm der Mann egal, er hätte sich nur nicht in seine Angelegenheiten einmischen sollen. Dafür mußte er sterben! Im überbevölkerten Monte Carlo gibt es viel Verkehr. Doch den Weg, den der Häuter nahm, der konnte als ruhig bezeichnet werden. In den Gassen roch es nach Essen. Das flache Haus stand quer zum Verlauf der Straße. Davor befand sich ein schmaler Parkstreifen, was äußerst selten war, und nur ein Wagen stand dort. Es war ein Geländewagen, der dem Besitzer gehörte. Zur Verfügung standen dem Häuter zwei Türen. Eine führte in den Laden, die andere in das Haus. Sowohl im Geschäft als auch im Haus brannte Licht. Der Killer konnte wählen. Er entschied sich für den Laden, weil er davon ausging, daß Boque noch einiges aufräumen und sortieren würde. Vielleicht hatte er auch noch nicht abgeschlossen. Sicherheitshalber bewegte sich der Häuter auf eines der Fenster zu. Darunter duckte er sich erst zusammen, dann schraubte er sich langsam hoch und lugte durch die Scheibe. Er sah nichts, was ihn befriedigt hätte. Nur lange, mit Waren vollgestellte Tische, zahlreiche Regale. Hatte Boque den Laden verlassen? Der Häuter wollte es nicht glauben. Seine Handfläche glitt streichelnd über den Griff des Messers hinweg. In der Kehle lag das leichte Kratzen, das Rauschen des Bluts in seinem Kopf war ebenfalls vorhanden, ein Zeichen, das immer dann eintrat, wenn eine Tat dicht bevorstand. Dann sah er ihn. Boque kam von links. Ein vorstehendes Regal hatte dem Häuter bisher die Sicht genommen. Das war nun anders. Sein Lächeln war grausam, als er auf die Tür zutrat, zweimal klopfte und darauf wartete, daß Boque öffnete. Er ahnte nichts. Vielleicht dachte er an einen späten Kunden oder war noch verabredet gewesen, jedenfalls kam er ziemlich schnell und zog die Tür auf. Der Häuter schlug zu. Der Hehler stieß nicht einmal einen Schrei aus, so sehr hatte ihn der Treffer überrascht. Er flog zurück in den Laden und landete krachend zwischen zahlreichen Töpfen.
Der Häuter aber schloß gemächlich die Tür. Erst dann zog er seine mörderische Waffe... *** Boque wunderte sich, als er das Klopfen hörte. So früh waren die beiden Geschäftspartner aus Nizza noch nie gekommen. Wenn sie ihre Zeiten nicht einhielten, riefen sie normalerweise an. Da sie es nicht getan hatten, rechnete der Hehler zunächst einmal mit einem gewissen Ärger. Er ging trotzdem hin und öffnete. Der Hieb erwischte ihn wie ein Donnerschlag. Boque hatte das Gefühl, ihm wollte jemand den Kopf von den Schultern schlagen. Er merkte nur noch, wie er zurückflog, krachend zwischen irgendwelchen Gegenständen landete, der Schmerz durch seinen Kopf pulverte und er die normale Welt zunächst einmal vergaß, obwohl er nicht bewußtlos geworden war und die Umgebung noch einigermaßen wahrnahm, wenn auch nur durch einen dichten Schleier, der ihn ausschließlich Umrisse erkennen ließ. Aber er hörte etwas. Und das waren Schritte. Schwer und wuchtig, dabei sehr zielstrebig, bewegten sie sich in seine Richtung. Trotz der Schmerzen in seinem Kopf konnte er noch denken und wußte jetzt genau, daß es nicht seine Geschäftspartner waren, die ihn besucht hatten. Das war nur einer .. . Dicht vor ihm verstummten die Schritte. Etwas legte sich für einen Moment auf seine Brust nieder. Zuerst dachte er an einen Stein oder an den Druck eines Fußes, aber es war eine Hand, die sein Hemd zusammenknüllte und ihn dann in die Höhe zerrte, als wäre er kein Mensch, sondern ein weggeworfener Gegenstand. Er stieß mit dem Kopf gegen die von der Decke hängenden Köpfe, spürte erneut Schmerzen, aber darum kümmerte sich der andere nicht. Er riß ihn zur Seite. Dann zerrte er Boque in den Hintergrund des Ladens und schien sich verdammt gut auszukennen, denn er wußte sogar, wo der Händler sein Büro und das Lager besaß. Im Büro schleuderte der Häuter den Mann auf einen hölzernen Drehstuhl, der durch die Wucht des Aufpralls zurückrollte und erst von der Wand gestoppt wurde. Dann machte er Licht. Es war kalt. Es floß von der Decke, gespeist von einer Leuchtstoffröhre. Alles war zu erkennen. Der Aktenschrank, der Besucherstuhl, der Computer, der kleine Monitor, das Telefon, die mechanische Schreibmaschine und auch der dunkle Holzboden mit den zahlreichen
Flecken. Auch das schmale Regal mit den Weinflaschen sah der Häuter, aber das alles interressierte ihn nicht. Er stand vor dem Metallschreibtisch und schaute sein Opfer an. Boque hing in seinem Stuhl regelrecht fest. Sein Gesicht war blaß. Nur dort, wo ihn der Treffer erwischt hatte, schimmerte es dunkel. Der Fleck sah aus, als hätte man ihn auf die Wange gemalt. Der Häuter ließ sich Zeit. Er machte es sich sogar bequem und nahm auf dem Schreibtisch Platz. Eine oder zwei Minuten wollte er Boque geben, damit sich dieser erholen konnte, um seine Fragen zu beantworten. Danach gab es kein Pardon mehr. Und Boque stöhnte. Er hatte sich wieder einigermaßen gefangen und nach vorn gebeugt. Seine Hände hielt er gegen die Wangen gepreßt, der Atem drang pfeifend aus seinem Mund. Der Häuter räusperte sich. Boque schaute auf. Er hatte Mühe, den Besucher zu erkennen, dann aber schaffte er es doch. »Sie sind es?« »Ja.« »Was wollen Sie?« »Dich töten!« Eine klare Antwort, die Boque trotzdem nicht so recht begriff. Sein Gehirn war nach wie vor vernebelt, die Stimme hatte auch verzerrt geklungen, und den plötzlichen Schwindel, der ihn packte, konnte er nur mühsam ausgleichen. Die Situation kam dem fünfundvierzigjährigen bärtigen, dunkelhaarigen Mann so unbegreifbar vor. Da wartete er nichtsahnend auf zwei Kunden, und plötzlich besuchte ihn ein Killer. Fast hätte er gelacht. Der Schlag in sein Gesicht aber riß ihn wieder zurück in die verdammte Realität. Er öffnete die Augen, seine linke Wange brannte, dann schwebte eine hellere Fläche vor ihm. Es war die Fratze des Eindringlings. Sein Blick war furchtbar, er versprach den Schrecken, den Tod und das Grauen. Er nagelte den Mann auf seinem Stuhl fest, die Augen schienen einzig und allein aus geschliffenen Dolchklingen zu bestehen. Er konnte nicht sprechen. Seine Lippen kamen ihm doppelt so dick vor wie sonst, der Hals war zu, und er mußte mit ansehen, wie der Eindringling ein Stück zurücktrat. »Schau genau her, mein Freund!« Boque bemühte sich, den Kerl anschauen zu können. Er dachte dabei an seine Luger, die nicht weit von ihm entfernt in der Schublade seines Schreibtisches lag. Ein Griff nur, dann das Zupacken, und er würde die Waffe haben, denn der andere hatte noch keine Pistole gezogen. Statt dessen hing etwas an seiner linken Seite herab, das aussah wie ein zu kurz geratenes Schwert. Oder ein langes Messer.
Boque wagte es. Er konnte nicht anders. Er mußte sein Leben verteidigen, und das klappte am besten, wenn er eine Waffe in der Hand hielt. Deshalb warf er sich nach vorn. Er riß die Lade auf, zerrte die Luger hervor - und hörte das Pfeifen. Es ist der Tod, dachte er noch, bevor er den harten Schmerz an seinem rechten Arm spürte. Die Waffe wurde so schwer wie eine Kanone. Er konnte sie nicht mehr festhalten, sie entglitt seinen Fingern und blieb auf dem Boden liegen. Und plötzlich merkte er, während er gleichzeitig das leise Lachen des Eindringlings hörte, daß er seinen rechten Arm nicht mehr bewegen konnte. Er sah auch kein Blut, hatte dennoch Schmerzen im Arm und so ein merkwürdiges taubes Gefühl. Der Häuter kam noch einen Schritt vor. Beinahe berührte er den Schreibtisch. Er hielt sein langes Messer fest und drehte es so, daß Boque auf die Klinge schauen konnte. »Es war die stumpfe Seite, mein Freund. Noch war es die stumpfe. Beim nächstenmal nehme ich die andere.« Der Hehler holte keuchend und saugend Luft. Er schüttelte den Kopf, er konnte sich nicht vorstellen, was er getan hatte, damit dieser Eindringling ihn tötete. »Was habe ich denn gemacht, verflucht? Ich habe Ihnen nie . . .« »Nur nicht persönlich werden. Du hast uns verraten. Einfach verraten, und das reicht. . .« »Aber . . .« »Die beiden Fremden. Erinnerst du dich?« Der Häuter ließ den anderen nicht ausreden. »Sie waren es doch, die sich nach gewissen Dingen erkundigt hatten. Und du hast geredet, gern und auch sehr lange. Du hast zuviel gesagt. . .« »Nein, das waren Bullen. Ich mußte sprechen. Die hätten mir sonst das Geschäft verdorben.« »Jetzt verderbe ich es dir.« Boque ignorierte seine Schmerzen. Er dachte nur noch an sich und daran, wie er sich aus dieser Lage wieder herauswinden konnte. »Du machst einen Fehler, wenn du mich hier killen willst. Einen verdammt großen Fehler sogar. Ich erwarte Besuch und . . .« »Wieder die Bullen?« »Nein, aber . . .« Der Häuter schüttelte den Kopf. Er blieb so schrecklich gelassen, und nur in seinen Augen stand ein fürchterliches Versprechen und lag das Glitzern einer gewissen Vorfreude. Er war kein Mensch, er war auch kein Tier, er war viel schlimmer. Er war ein Teufel, ein Dämon, der nur ein menschliches Gesicht und einen ebensolchen Körper bekommen hatte.
Tiere töteten nur, wenn sie Hunger hatten, er aber killte nicht allein aus Berechnung, sondern auch, weil es ihm Spaß bereitete. Das alles erkannte Boque im Blick des Mannes, und er wußte plötzlich, daß sein Leben keinen Pfifferling mehr wert war. Es war wie ein Schnitt, eine Zäsur, da half auch kein Flehen oder Bitten, denn dieser Mann war gekommen, um zu killen. Und das auf eine schlimme Art und Weise. »Fehlt dir die Sprache?« flüsterte der Hauter. Mit der Kuppe seines linken Zeigefingers strich er über die Schneide des Messers. Er ritzte eine winzige Wunde in das Fleisch, und augenblicklich quoll ein Blutstropfen hervor, den der Häuter lächelnd betrachtete, sich dann blitzartig bewegte und bei Boque war. Bevor dieser sich versah, schmierte der Häuter sein Blut in dessen Gesicht. Der Hehler ekelte sich, aber er schaffte es nicht, sich zu wehren. Der Durchtrainierte drückte gegen ihn und schob den Stuhl zurück, auf dem der Mann saß. Wieder prallte er gegen die Wand. »Weiter geht es nicht!« flüsterte der Häuter und legte die Klinge flach auf den Kopf des Opfers. »Du bist verrückt, Mann! Du bist irre. Ich weiß auch, wer du bist, du . . .Tier . . .« »Ach ja? Wer denn?« Boque wußte nicht, weshalb er plötzlich kichern mußte. Aber er tat es und schüttelte dabei sogar den Kopf. »Der Kopf. . . der Kopf, der im Hotel gefunden wurde und wo die Polizei beide Augen schließt. Niemand soll ja Angst bekommen, nicht. . .« »Ach ja?« »Das warst du, nicht?« »Möglich.« Der Häuter bleckte die Zähne. »Sag es!« Boque wollte es wissen, und gleichzeitig wollte er den anderen hinhalten. »Du hast recht, ich war es.« »Und warum?» Boque lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Er zitterte wie Espenlaub, er wollte einfach nicht wahrhaben, daß es sein Ende sein sollte. »Das brauchst du nicht mehr zu wissen. Du bist tot, Boque, ja, du bist tot, und ich rede schon mit einem Toten, auch wenn du noch atmen kannst. Aber nicht mehr lange, mein Freund. Wirklich nicht mehr lange, das verspreche ich dir.« »Nein, verdammt. . .« »Wie der Page, der den Kopf brachte. Auch er mußte sterben, denn ich mag keine Zeugen.« »Verdammt!« »Du hast geredet, Boque. Du bist ein Schwätzer, ein verdammter Schwätzer, ein toter Schwätzer.«
Nach diesen Worten hob der Häuter sein verfluchtes Messer an. Boque merkte, daß der Druck nicht mehr vorhanden war. Er hob den Blick, er wollte sehen, was mit der Klinge geschah. Die hatte der Mann gekantet. . . Jetzt zeigte die geschärfte Seite nach unten. Auf ihr brach sich das Licht und huschte wie ein Reflex über Boques Gesicht. Es war das letzte, was er in seinem Leben sah. Der Häuter schlug zu. Ein Hieb reichte aus, dann aber warf er die Leiche zu Boden und machte sich an sein eigentliches Werk... *** Wir legten an! Es war zwar ein Schiff, trotzdem kam es mir vor wie ein beleuchtetes, schwimmendes Kunstwerk, das auf dem dunklen Wogenteppich schaukelte und dessen farbige Lampions wie Sterne wirkten, die es im weiten All nicht mehr ausgehalten hatten und wesentlich tiefer gefallen waren, um über der Wasserfläche stehenzubleiben. Ich hörte die Stimmen, die Musik und das Gelächter oben an Bord der Esmeralda und mußte zugeben, daß diese Yacht nicht gerade zu den billigsten gehörte. Sie war ein langgestrecktes, schnittiges Schiff, weiß angestrichen, sicherlich mit allem Komfort ausgestattet und natürlich auch mit einem Fallreep, das von Bord aus nach unten gelassen wurde, sich automatisch einhakte und nun von den Passagieren aus dem Boot als Gang benutzt werden konnte. An Deck knallten die Champagnerkorken. Karibische Musik wehte über das Wasser. Tänze stampften über die Planken. Mambo, Limbo, selbst der Lambada wurde später noch hervorgeholt. Suko und ich ließen den anderen den Vortritt. Manche von ihnen benahmen sich wie kleine Kinder. Da gebärdeten sich die Herren im Silberhaar schlimmer als die Schuljungen. Jeder wollte als erster an Deck sein und sich unter die Gäste mischen. Unser Steuermann verzog verächtlich die Lippen. Als er sah, daß wir ihn dabei beobachtet hatten, grinste er und fragte, ob wir wirklich an Deck gehen wollten. »Sicher.« »Aber Sie passen nicht dazu.« »Wir werden es schon lernen«, sagte ich und wollte dann mehr über Surenuse wissen. Um ihm die Antworten schmackhaft zu machen, lockte ich mit einem Geldschein. »Die Frau ist etwas Besonderes, selbst hier in diesem verrückten Monte Carlo.«
»Wieso? Weil sie Witwe ist?« »Nein, das nicht.« »Sondern?« Er schabte über sein Kurzhaar. »Ist schwer zu sagen, wissen Sie. Wenn die Surenuse einlädt, dann kommt man eben. Die hat Macht, die hat Einfluß, die kennt jeden.« »Und sie hat Geld.« »Und ob.« »Wie verdient sie es denn?« wollte Suko wissen, der neben mir stand und den Gästen zuschaute, die hochkletterten und an Deck von Helfern in Empfang genommen wurden. Der Mann fing an zu lachen. Er stand uns nicht mehr so distanziert gegenüber und hatte herausgefunden, daß wir nicht zu den angeblichen >Promis< zählten. »So etwas dürfen Sie mich nicht fragen. Hier in Monaco ist alles anders. Man hat die Kohle, man spricht nicht darüber, man lächelt höchstens, trinkt auf den Fiskus, dem man entwischt ist, und verwandelt sein Leben in ein Spiel. Monaco ist ein einziges Fest aus überschäumender Freude und Depressionen oder Tränen. Nicht grundlos wird es Gambling-City oder Las Vegas sur mer genannt. Das Knistern der Geldscheine übertönt hier das Plätschern der Wellen.« »Was gefällt Ihnen denn an Las Vegas sur mer?« fragte ich den Bootsfahrer amüsiert. »Wollen Sie das wirklich wissen?« »Wäre nicht schlecht.« Wir hatten noch etwas Zeit, denn die Gäste kletterten auch weiterhin an Deck. »Ich bin Monegasse«, erwiderte er. »Monaco ist ein Dorf, eine Stadt und ein Land. Für mich ist das Hafenviertel Condamine mein Monaco. Da gibt es noch die kleinen Gassen und den täglichen Markt auf der Place d'Armes.« »Nicht der Fürst und seine Familie?« Der Mann winkte ab. »Die thronen nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes hoch oben. Ist alles zu weit weg, wissen Sie. Genau wie diese Gesellschaft hier.« Er biß sich auf die Zunge, weil wir ja auch dazugehörten. Ich lachte nur. »Keine Sorge, wir sind gewissermaßen beruflich hier eingeladen.« »Hatte ich mir fast gedacht.« Er gab mir den Schein zurück. »Hier, Monsieur, wir kleinen Leute müssen zusammenhalten.« Bevor ich ihn nehmen konnte, hatte er ihn schon in meiner Jackettasche verschwinden lassen. »Um noch mal auf die Surenuse zu sprechen zu kommen. Sie hat Geld, sie ist eine Witwe, und alle hier nehmen an, daß sie das Vermögen ihres verstorbenen Mannes nun verpraßt. In den Klatschgazetten stand etwas von einhundert Millionen Dollar.« »Das ist eine Menge.« »Klar, dafür muß eine alte Frau lange stricken.«
Suko wollte wissen, wann er zurückkäme, um die Gäste wieder abzuholen. Der Bootsführer schaute auf seine Uhr. »Ich fahre erst mal zurück zur Anlegestelle, dann komm' ich wieder und werde hier festmachen. Ich warte praktisch darauf, daß die Fete zu Ende ist. Der Kollege mit dem zweiten Boot kommt auch nachher wieder.« »Übernachten auch welche?« Der Mann grinste Suko an. »Was man so übernachten nennt. Die Pärchen, die nicht aus den Betten kommen, bleiben dann auch die Nacht über und zischen am nächsten Mittag wieder ab. C'est la vie, mes amis. Wir leben hier locker und lässig.« »Das haben wir auch schon festgestellt.« »Es wird Zeit für Sie, an Bord zu gehen.« Wir nickten ihm zu. »Und danke für die guten Tips.« Er winkte ab. »War ja froh, mal mit normalen Menschen reden zu können. Aber Reporter sind Sie nicht — oder?« Sein Gesicht zeigte einen mißtrauischen Ausdruck. »Nein, keine Sorge.« Über die Reling hinweg beugten sich zwei Männer, die zur Besatzung der Yacht gehörten. Sie winkten uns zu, denn wir waren die letzten. Suko ging vor. Als ich ihm folgen wollte, bekam ich noch eine letzte Information. »Dieser verstorbene Mann der Surenuse war kein Franzose, nicht einmal Europäer. Der stammte aus der Karibik, und den Tick hat sie behalten. Die Frau steht irre auf die Karibik.« »Inwiefern?« »Werden Sie rasch merken. Die macht doch hier eine Karibik-Party . . .« Der Mann tippte gegen seine Stirn, dann ließ er mich gehen. Suko stand bereits an Deck, wo noch einmal seine Karte kontrolliert wurde. Mit mir machte man dasselbe. Ein bärtiger Seemann in weißer Operettenuniform kümmerte sich darum, war zufrieden und wünschte mir anschließend viel Spaß. Wir waren noch zu früh gekommen, denn die Zeremonie der Begrüßung war noch nicht beendet. Und wie sie das machte! Da kamen wirklich alle Vorurteile zusammen. Jeder Gast wurde von ihr willkommen geheißen, als wäre gerade er der beste Freund der Witwe. Und all dies geschah mit einem Überschwang, der schon unnatürlich wirkte. Aber das wollte man hier, das war man gewöhnt, das verlangte man. Wäre es anders gewesen, hätte die Gastgeberin ihre Fete wohl allein feiern können. Sie war dabei, ihre Küßchen zu verteilen wie ein umherstreunender Straßenköter seine Flöhe.
Die Schmatzer klatschten links und rechts auf die Wangen der Gäste, die Stimmen schrillten überfröhlich, und mir schwante bereits Übles, als ich daran dachte. Aus dem Hintergrund erklang Musik. Es waren tatsächlich karibische Rhythmen, die locker über das festlich beleuchtete Deck der Yacht flössen. Das Schiff war so groß, daß ein Pool bequem Platz hatte. Seine Fläche war allerdings noch abgedeckt, wahrscheinlich konnten die Gäste dort tanzen. Ich ging davon aus, daß der Pool zu fortgeschrittener Stunde geöffnet wurde. Suko stand noch immer vor mir. Als er dies ändern wollte, schüttelte ich den Kopf. »Nein, nein, bleib mal da, wo du bist. Du bekommst schon deine Küßchen.« »Kameradenschwein!« flüsterte er mir zu. »Du hast dich auch vorgedrängt.« Die Schlange vor uns wurde kürzer. Ich konnte die Frau jetzt besser sehen. Tja, wie sollte man sie beschreiben? Okay, sie war eine Frau, nicht zu übersehen, gleichzeitig aber auch ein Ereignis. Das hatte mit der Körpergröße nichts zu tun, obwohl sie für eine Frau sehr groß war. Ihr Haar war füllig und trotzdem kurz geschnitten. Das Licht warf rötliche Reflexe auf den Kopf und verfing sich in den mahagonifarbenen Strähnen. Sie war eine Weiße. Ich schätzte sie auf ungefähr fünfunddreißig. Ihr Gesicht war schmal geschnitten, perfekt geschminkt mit großen, dunklen Augen. Sie trug ein enges, knallrotes Kleid, natürlich schulterfrei, wobei der Stoff sich in Höhe der Knie glockenförmig ausbreitete. Schmuck bedeckte den Hals bis zum Ansatz der halb freiliegenden Brüste, und alles an Haut, was sie präsentierte, zeigte eine nahtlose Bräune. Im Haar steckten zwei kleine Kämme, die mit Diamanten verziert waren. Der breite Mund zeigte ein Dauerlächeln, das sich plötzlich verlor, als sie damit anfing, Suko zu begrüßen. Sie ging einen Schritt zurück. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Jetzt war ich gespannt, wie Suko sich aus der Affäre ziehen würde. Die Surenuse machte es geschickt. »Oh — welch eine Überraschung. Seien Sie herzlich willkommen an Bord.« »Danke sehr.« Sie gab Suko die Hand, zog ihn dann näher, und er bekam seine Küßchen rechts und links, wobei sich der Gesichtsausdruck der Frau nicht änderte, ziemlich ernst und nachdenklich blieb, denn sie dachte sicherlich darüber nach, wo sie Suko einsortieren sollte.
Als ich an die Reihe kam, reagierte sie ähnlich, schaute mich zuerst an, bewegte ihre Augenbrauen, und ich sah den skeptischen Ausdruck, bevor sie tief Luft holte. »Hi, ich bin John«, sagte ich und beugte mich ihr entgegen. Nach den beiden Küssen hielt sie mich fest, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. »Wer sind Sie?« »Wir kommen aus London.« »Und?« Ich flüsterte den Namen des Polizeichefs, der verhindert war. »Er gab uns die Karten.« »Ah ja«, sagte sie, und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie gejubelt hätte. »Jetzt ist mir alles klar. Sie sind seine Freunde, denen er alles überlassen hat.« »Sehr richtig.« »Dann herzlich willkommen.« Ob sie es tatsächlich so herzlich meinte, wollte ich dahingestellt sein lassen, aber ich machte das Spiel mit und fragte, ob es eine karibische Nacht werden würde. »Und ob, meine Freunde.« Sie lachte laut. »Eine karibische Nacht mit allem, was dazugehört.« »Was gehört denn dazu?« »Musik, Tanz«, zählte sie auf. »Schöne Mädchen, viel Haut, die laue Sommernacht. . .« Ich unterbrach sie. »Auch Voodoo?« Plötzlich war das Lächeln verschwunden. Dafür blickten die Augen kalt wie Sterne. »Wie kommen Sie ausgerechnet darauf, John?« Wir hatten beide unsere Namen gesagt. »Das fiel mir zur Karibik ein.« »Kennen Sie sich denn aus?« »Nein, das nicht. Aber ich habe davon gehört, wissen Sie. Selbst war ich noch nie dort, aber es soll sehr schön dort sein. Ich hörte, daß Sie die Karibik kennen?« »Ja, sehr gut sogar.« »Habe ich dann übertrieben?« Sie lachte und legte beide Hände auf meine Schultern. »Nein, das haben Sie nicht.« »Danke.« Es folgte der Satz, auf den ich schon gewartet hatte. »Das Schiff gehört Ihnen. Amüsieren Sie sich, wir sehen uns dann.« Sie drehte sich um, nahm eine Blume und steckte sie in ihr Haar. Suko hatte auf mich gewartet. »Hast dich ja gut mit der Dame unterhalten, Alter.« »Kann man sagen.« »Und?« Ich lehnte mich gegen die Reling und schaute über das Meer in Richtung Monaco. Es war ein traumhaftes Bild, das sich meinen Augen bot. Der Zwergstaat schien in der Dunkelheit zu schweben. Er wirkte irgendwie wie ein
gewaltiges Schiff, das vom Boden abgehoben hatte und sich durch die Lüfte bewegte. Selbst die Kulisse der Hochhäuser störte nicht, weil sie von der Dunkelheit gnädig verdeckt wurde. Ich sah nur die Lichter, von denen manche geometrische Formen zeigten und sich andere wiederum wie Wellen durch die Nacht bewegten, um von den im Hintergrund aufragenden Bergen gestoppt zu werden.Selbst das Meer hatte in Küstennähe etwas von dem großen Glanz mitbekommen. Zumindest verteilte er sich im Hafen, wo zahlreiche größere und kleinere Schiffe ankerten. Das war ein Traum. »He, schlaf nicht ein.« Suko tippte mir auf die Schulter. »Ich hatte dich etwas gefragt.« Ich nahm den Blick nicht von der Kulisse. »Das ist so eine Sache, weißt du. Ich werde aus ihr nicht schlau. La Surenuse war sehr freundlich, gab sich locker und cool zugleich. Das allerdings verschwand, als ich den Begriff Voodoo erwähnte.« »Ach nein.« Ich lachte leise. »Da schienen Ihre Augen zu vereisen. Sie waren plötzlich mit einer erschreckenden Kälte gefüllt. Die kann auch anders, als nur freundlich sein.« »Voodoo«, murmelte Suko. »Wahrscheinlich hast du, ohne es zu wollen, in ein Wespennest gestochen.« »Kann gut sein.« »Und weiter?« »Wir werden uns umschauen. Wobei ich mir eigentlich nicht vorstellen kann, daß es zu irgendwelchen Ritualen kommt und hier plötzlich lebende Leichen erscheinen.« »Ich rechne mit allem.« »Wo sollen die Zombies denn sein?« Suko grinste mich an. »Vielleicht lauern sie im Wasser. Lebende Wasserleichen, die . . .« Ich schlug ihm auf die Schulter. »Hör auf, sonst bekomme ich davor noch Angst.« »Brauchst du nicht, Alter, ich bin ja bei dir.« »Wie beruhigend.« »Willst du hier stehenbleiben?« »Nein, wir stürzen uns in den Trubel. Oder hast du keinen Durst?« »Doch — auf Rum.« »Dann gib nur acht, daß er dich nicht von den Beinen haut.« Ich drehte mich und nahm vom Tablett eines lächelnden Kellners zwei gefüllte Longdrinkgläser. Eines davon bekam Suko. »Worauf trinken wir?« fragte er und beäugte mißtrauisch den Zucker am Glasrand. »Vielleicht auf die Gastgeberin?«
Suko grinste. »Ja, auf die Witwe. Nein, noch besser, trinken wir auf die Voodoo-Witwe.« »Bitte sehr.« Ich hob mein Glas. »Cheers.« Danach bereute ich den Schluck, weil der Zucker zwischen den Zähnen knirschte. Der Begriff Voodoo-Witwe blieb in meinem Gedächtnis haften. Ich glaubte, daß Suko damit ins Schwarze getroffen hatte, drehte mich um und schaute zu ihr hinüber. Auch sie blickte zufällig in meine Richtung. Und wieder hatte ich den Eindruck, kaltes Sternenlicht in ihren Augen zu sehen... *** Als der Häuter den Schalter an der Tür mit dem Ellbogen antippte, ging das Licht über dem Waschbeckenspiegel an. Da betrat die große, breitschultrige Gestalt den kleinen Waschraum. Er nahm ihn völlig ein. Daß er nicht mit dem Kopf gegen die Decke stieß, glich einem Wunder. Er brauchte nur einen Schritt zu gehen, um das Waschbecken zu erreichen. Dabei konnte er sich im Spiegel betrachten und grinste seinem Ebenbild zu. Ein kantiges und trotzdem breites Gesicht. Dunkles Haar, das sehr kurz geschnitten war, ein Mund mit dik-ken Lippen, eine von der Sonne gebräunte Haut. Er hob die Arme an. Seine Hände erschienen auf der Spiegelfläche und damit auch der blutige Schmier, der sie bedeckte und sich bis über die Handgelenke ausgebreitet hatte. Er hatte seine Arbeit getan . . . Mit der Linken drehte er den Kran auf, wusch sich das Blut von den Händen. Er stöhnte dabei und genoß das Gefühl der Kälte, die ihm das Wasser brachte. Es war für ihn einfach herrlich. Er fühlte sich besser, fast wie im siebten Himmel, und abermals war er froh, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Froh und auch dankbar der Person gegenüber, die ihm dies alles ermöglicht hatte. Er schnaubte, bückte sich tiefer und bewegte seine Arme seitwärts aufeinander zu. Das Wasser war herrlich erfrischend, eine Wohltat. Die Kälte hinterließ sogar eine Gänsehaut auf den Armen. Etwa eine Minute genoß er dieses Gefühl. Allmählich nahm auch seine Erregung ab, die ihn stets bei seiner Arbeit überfiel. Er mußte es tun, er konnte nicht anders. Nur dieser maßlose Schrecken garantierte ihm ein Weiterleben. Der Häuter drehte den Krahn wieder zu und wandte sich um. Es war still in diesem Teil des Hauses. Wenn er etwas hörte, dann waren es einzig und allein seine Schritte.
Dennoch ging er auf leisen Sohlen in den schmalen Flur zurück und von dort aus in das Büro. Er hatte das große Licht gelöscht, dafür die Schreibtischlampe eingeschaltet. Auch ihr Licht reichte aus, um das Schreckliche erkennen zu können, denn das Zimmer sah aus wie eine grausame Filmkulisse, die die Nerven der Zuschauer blanklegen wollte. Das Blut hatte sich verteilt. Es war praktisch überall, und direkt neben dem Schreibtisch lag die Leiche. Auf ihm stand eine Segeltuchtasche mit einem Inhalt, den der Häuter mitnehmen wollte. Er hatte sie in dem Laden gefunden und war damit zufrieden. Stille umgab ihn. Und gleichzeitig ein fürchterlicher Geruch, der bei normalen Menschen einen Ekel hätte hochkommen lassen. Nicht bei dem Häuter. Er hatte sich nicht nur an diesen Geruch gewöhnt, er liebte ihn sogar. Er brauchte ihn, denn es war wie damals auf der Insel, als er seine Rituale durchführte. Oh, er hatte viel gelernt, und er hatte nichts, aber auch gar nichts vergessen. Im Gegenteil, seine Kenntnisse waren immer vollkommener geworden, und er liebte es, sie einzusetzen. Er und die Frau — sie beide bildeten ein Team, das unschlagbar war. Es würde diese Stadt mit Angst und Schrecken übersäen, was ihnen in London nicht mehr gelungen war, denn da war man ihnen auf die Spur gekommen. Er hatte nicht aufhören wollen, und die Frau war seiner Meinung gewesen, denn auch sie wußte viel, weil sie lange genug auf den Inseln gelebt hatte. Es reichte jetzt. Es war genug Haut vorhanden, obwohl er sich den letzten Rest gern in London besorgt hätte. Der Häuter verließ das Büro. Es war ihm egal, ob die Leiche gefunden wurde. Er hatte seinen Auftrag erledigt. Plötzlich kicherte er, weil er an den Schädel dachte, den man im Hotel gesehen hatte. Gern wäre er dabeigewesen, aber er konnte nicht alles haben. Jedenfalls lebte der Mann nicht mehr, der ihnen schon so lange auf den Fersen gewesen war. Im Dunkeln blieb der Häuter stehen. In dem Laden fiel er nicht auf. Der Trödel und die Regale gaben ihm genügend Deckung. Er schaute nach vorn, weil er sehen wollte, ob die Luft rein war, denn niemand sollte ihn entdecken, wenn er den Laden verließ. Sie war nicht rein. Nur mühsam verschluckte er den Fluch, als er den Wagen sah, der auf den Parkplatz einbog. Es war ein großer Citroen, dessen
Scheinwerferlicht auch durch die Scheibe drang und das Innere des Geschäfts mit einem gespenstischen Flair übergoß. Blitzschnell trat der Häuter zurück und drückte sich in eine Lücke zwischen zwei hohe Regale. Sie waren mit allerlei Vasen, Schalen und Andenken vollgestopft, standen sehr günstig im Hintergrund des Geschäfts, so daß er von der Tür her nicht sofort gesehen werden konnte. Der Häuter erinnerte sich. Hatte Boque nicht davon gesprochen, daß er Besuch erwartete? Ja, das stimmte. Der Häuter aber hatte es für einen Bluff gehalten, mit dem der Mann sein Leben retten wollte, doch die beiden Männer, die den Wagen verließen, waren keine Geister. Sie trugen dunkle Anzüge und ebenfalls dunkle Hemden, so daß sie in der Nacht kaum zu sehen waren, als sie sich auf die Eingangstür zubewegten. Auch der Häuter hatte sie nicht abgeschlossen, und als die Männer den Laden betraten, klingelte die alte Glocke über der Tür. Der Mann zwischen den beiden Regalen hatte längst seine Waffe gezogen. Er hielt das lange Messer in der rechten Hand. Die Klinge berührte seinen nackten Oberschenkel. Für ihn stand fest, daß die beiden Kerle den Laden nicht mehr lebend verlassen durften, denn die Leiche sollte nicht zu früh entdeckt werden. Es waren zwar normale Männer, für den Hauter jedoch waren sie es nicht, denn sie erinnerten ihn an Raubtiere, die eine bestimmte Witterung aufgenommen hatten. Die beiden schauten sich an, flüsterten miteinander und lösten sich dann, um in verschiedene Richtungen wegzugehen, weil sie mißtrauisch geworden waren. »Er müßte doch da sein.« »Sein Wagen steht draußen.« »Er wußte, daß wir kommen.« »Vielleicht steckt er in seinem Büro.« »Das hat er nie getan.« »Trotzdem. Ich schaue mal nach.« »Warte noch, Jules.« »Wieso?« »Das riecht nach einer Falle.« Jules schwieg. Er ging einen Schritt zurück und schraubte dann einen Schalldämpfer auf seinen Waffenlauf. Wenn er jetzt schoß, war so gut wie nichts zu hören. Der Häuter rührte sich nicht. Wie angenagelt stand er in seinem Versteck zwischen den beiden Regalen. Wer ihn sehen wollte, mußte schon sehr dicht herankommen, und das würde der Mann nicht überleben. Noch war
es nicht soweit. Der Häuter konnte sich zunächst an der Unsicherheit der Eindringlinge erfreuen. Was sie von Boque gewollt hatten, interessierte ihn überhaupt nicht. Bestimmt hatten sie mit ihm irgendwelche Geschäfte gemacht, die nicht ganz astrein waren. Die Drogen hatten auch vor dem Zwergstaat nicht halt gemacht, galten bei vielen als schick, und so konnte man in Monte Carlo genügend absetzen. Er wußte es nicht, doch er konnte sich Boque sehr gut als Dealer vorstellen. Das Licht schalteten die Männer nicht ein. Sie orientierten sich in der Dunkelheit, kannten sich auch aus, stießen kaum irgendwo gegen, als sie den Laden durchsuchten. Sie gingen geschmeidig, dämpften ihre Schritte, und einer von ihnen passierte die beiden Regale, ohne aber den in der Lücke stehenden Häuter zu entdecken. Jules war es leid. Er stand nicht weit von der Tür zum Gang und damit zum Büro entfernt. »Ich schau' doch dort mal nach. Vielleicht ist ihm was passiert.« »Boque?« »Wem sonst?« »Hör auf, Jules. An den traut sich keiner ran. Jeder weiß, daß er Ärger bekommen würde, wenn er . . .« »Ich gehe.« »Gut, dann bleibe ich hier.« Jules blieb noch stehen. »Könnte es sein, daß die Bullen von Boques Job Wind bekommen haben?« »Glaube ich nicht.« »Du schließt es aber nicht aus.« »Geh schon. Wenn es eine BullenfaLle wäre, hätten die längst zugeschlagen. Außerdem weiß diese Operettenpolizei sowieso nicht, wie sie sich bei harten Einsätzen verhalten soll.« »Es gibt auch Sonderkommissionen.« »Aber hier ist nicht Frankreich. Außerdem hätte Boque uns bestimmt davor gewarnt.« Sie hatten flüsternd gesprochen, waren aber von dem lauernden Häuter verstanden worden. Der wartete darauf, daß Jules endlich verschwand, damit er sich um den Zurückgebliebenen kümmern konnte. »Los, schau nach! Um so schneller bist du wieder zurück. Ich fühle mich auch nicht gerade wohl.« Jules ging endlich. Der Häuter hörte, wie seine Schritte im kleinen Flur verklangen. Er war zufrieden . . . Mit der Zunge leckte er über seine Lippen. Er spürte bereits die Vorfreude, die Erregung, die in ihm hochstieg. Der Zurückgebliebene wandte ihm das Profil zu. Er war dabei, einen Schalldämpfer auf den Lauf zu schrauben.
Leise pfiff er vor sich hin. Nur wer völlig ahnunglos war, konnte so reagieren. Aber er war noch zu weit vom Versteck des Häuters entfernt. Der mußte ihn heranlocken. Mit einer Klinge schabte er über die Regalwand. Der Mann erstarrte, als er das fremde Geräusch hörte. Er wußte nicht, wo er es einordnen sollte. Dann duckte er sich leicht und drehte sich genau in die entsprechende Richtung. Der Häuter bewegte sich nicht. Auch der andere blieb stehen. Sein Atem war deutlich zu hören. Er schnaufte, denn es mußte ihm unheimlich geworden sein, und von Jules war auch nichts zu hören. Der aber konnte jeden Augenblick die Leiche entdeckt haben. Warum kam er nicht? »Jules? He, bist du da?« Der Frager bekam keine Antwort, ging aber zwei Schritte vor und bewegte sich auf die Bürotür zu. Das wiederum war gut für den Killer. Wenn der andere noch einen Schritt weiterging, konnte er zuschlagen. Und er kam. Genau da sprang der Häuter vor. Er war blitzschnell und riß auch mit der gleichen Schnelligkeit seinen rechten Arm in die Höhe. Die Messerklinge funkelte wie ein dunkler Stern, der sich mit einem Schweif auf den Mann niedersenkte. Er wollte schießen, aber das Messer war schneller. Es hackte zu. Der Mann spürte keinen Schmerz, weil er einfach zu geschockt war. Er stierte nur auf das, was vor ihm auf dem Boden lag und einmal zu seinem Körper gehört hatte. Die Hand mit der Waffe, die die Finger noch umklammert hielten. Es war klar, der Schock würde nach einigen Sekunden vergehen, dann kam der Schmerz, doch den spürte er nicht mehr. Der zweite Schlag tötete ihn. Er brach vor dem Regal zusammen und war nicht mehr als ein dunkles Etwas, um das sich der Häuter nicht mehr kümmerte, denn er hatte andere Sorgen. Der zweite Kerl war wichtig. Auf leisen Sohlen betrat der Häuter den Flur, wobei er das Knarren des Bodens nicht vermeiden konnte. Zu seinem Glück wurde es von einem anderen Geräusch übertönt, mit dem er zunächst nichts anfangen konnte, sich darauf konzentrierte und feststellen mußte, daß im Büro jemand hockte und weinte. War noch einer da?
Er blieb stehen. Eine Gänsehaut legte sich auf seinen Rücken. Der innere Druck breitete sich aus und sorgte für Spannung in seinem sprungbereiten Körper. Er ging weiter. Im Büro brannte Licht. Der Streifen fiel durch die offene Tür, durch die auch das Geräusch drang. Jemand weinte . . . Der Häuter öffnete den Mund. Er lachte lautlos, und nur die Haut an seinem Hals bewegte sich dabei. Seine Augen glänzte ebenso kalt wie die Messerklinge. Dann riß er die Tür auf. Jules hatte die Leiche gesehen und auch das Blut. Der Anblick war zuviel für ihn gewesen. Er hockte mit angezogenen Knien an der Wand, hatte den Kopf gesenkt und das Gesicht in beide Hände vergraben. So saß er da und weinte. Menschen reagieren eben unterschiedlich auf verschiedene Szenen. Er konnte sich nicht mehr zusammenreißen. Der Häuter ging in den Raum. Er tat es nicht einmal leise, Jules hätte ihn hören müssen, der aber rührte sich nicht. Er schaute auch nicht auf, als der Häuter vor ihm stehenblieb und auf ihn niederschaute. Eine leichte Beute . . . Der Mörder hob sein Messer. Er zielte genau. Dann schlug er zu. Er setzte zwei Schläge ein, damit war seine Arbeit getan. Dem Toten warf er nicht einen Blick zu, als er das Büro verließ. Und auch die zweite Leiche interessierte ihn nicht. Nur die gefüllte Segeltuchtasche nahm er mit. Sie war am wichtigsten. Dann verließ der Mann, der drei Leichen hinterlassen hatte, den Tatort, als wäre nichts geschehen... *** Die Stimmung war wie Wasser in einem engen Gefäß, wenn es zu schnell bewegt wurde. Sie schwappte über, und die Yacht erbebte unter der Lust der Partygäste. Daß die Band nicht umsonst engagiert worden war, stellten zahlreiche Gäste unter Beweis, denn sie drehten sich auf der Tanzfläche, als gelte es, einen Weltmeistertitel zu erringen. Suko und ich hatten uns abgesprochen. Jeder sollte seinen Weg gehen und versuchen, etwas in Erfahrung zu bringen. Wir trafen ja zwangsläufig immer wieder zusammen und konnten Erfahrungen austauschen. Die Seeluft und das Trinken hatten mich hungrig gemacht. So fanden meine Füße den Weg zum Büffet fast automatisch. Es war nicht voll, die
meisten Gäste hatten sich schon die Mägen vollgeschlagen, aber es war noch immer alles da. Das Büffet bestand aus einem Mix zwischen karibi-scher und kreolischer Küche. Ich konnte lernen, daß sich die beiden Geschmäcker (süß und scharf) vorzüglich ergänzten. Bis ich alle Soßen durchprobiert hatte, verging viel Zeit. An Deck einen ruhigen Platz finden, war nicht ganz einfach. Zwar war die Yacht ziemlich groß, doch die Zahl der Gäste nicht gerade klein. Einige Male schon hatte ich Suko gesehen. Als Chinese war er hier tatsächlich ein Exot. Schadenfroh registrierte ich, daß dies gerade den weiblichen Anwesenden gefiel, die sich intensiv um meinen Freund kümmerten und ihn immer wieder in Gespräche verwickelten, die ihm doch etwas unangenehm waren, wie ich seinem gequält wirkenden Lächeln entnehmen konnte. Ich beschäftigte mich mit sehr großen Scampis, die ich zu kleinen Stücken zerschnitten hatte und in verschiedene Soßen tunkte, mit Weißbrot zwischendurch meinen Geschmack neutralisierte und jede Soße köstlich fand. Die Band lief zur Hochform auf. Drei Männer und eine Frau waren engagiert worden. Ihrer Hautfarbe nach konnten sie durchaus aus der Karibik stammen. Während die drei Männer spielten, bewegte sich die Frau schlangengleich vor dem Mikrofon und sang Lieder, für die Harry Belafonte schon weltberühmt geworden war. Die Dame hatte keine schlechte Stimme, sie sah auch gut aus in ihrem hautengen Kleid aus Silberstoff, der die prallen Formen kaum bändigen konnte. In ihren lackschwarzen Haaren schimmerten helle Perlen wie weißer Schnee. Die Sängerin konnte sich schlangengleich bewegen. Ab und zu sah sie aus, als wollte sie den Mikrofonkopf mit ihrem großen Mund regelrecht verschlingen. Ich hatte den Teller leer. Jemand kam, nahm ihn mir ab und erkundigte sich, was er für mich tun könne. »Haben Sie ein Bier?« Der Kellner schluckte. »Ja, auch das.« »Dann hätte ich es gern.« Er ging und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war ich der einzige, der Bier trank, aber ich hatte Durst, denn das Essen war verflucht scharf und für mich auch ungewohnt gewesen. Er kehrte nach einer Weile mit einer kalten Flasche und einem Glas zurück. Beides stand auf einem Tablett. Ich bedankte mich und schenkte das Glas voll. Der Inhalt der Flasche paßte hinein. Sie gab ich dem Kellner wieder zurück. Als er ging, drehte ich mich um. Dem großen Trubel wandte ich den Rücken zu.
Mein Blick glitt über das Meer. Es herrschte kaum Wind, und die See lag relativ ruhig. Bei Dunkelheit verirrte sich von den kleineren Booten keines hinaus, durch die Nacht steuerten nur die großen Yachten, auf denen wilde Feten gefeiert wurden. Bis auf eine Ausnahme! Ein Schlauchboot glitt über die lange Dünung, tauchte mal hinein in ein nicht sehr tiefes Wellental, kam dann wieder hoch. Ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch, was ich auch in dieser Nacht wieder unter Beweis stellte, denn ich wollte sehen, ob das kleine Boot unsere Yacht anlief. Ein anderes Ziel befand sich nicht in der Nähe und war auch nicht zu entdecken. Wenn ja, bekamen wir Besuch. Ungebetenen? Ich bin nicht nur neugierig, sondern auch mißtrauisch. Das liegt natürlich an meiner Arbeit, bei der ich immer wieder neue Überraschungen erlebte, die nur selten positiv waren. Zudem stand ich hier nicht zum Vergnügen. Es ging darum, furchtbare Morde und Taten aufzuklären, und mein Verdacht gegen die Besitzerin der Yacht war auch durch das Essen nicht entkräftet worden. Eine weibliche Stimme riß mich aus meinen Gedanken. »Gefällt es Ihnen, John?« Ich drehte mich um und schaute in das lächelnde Gesicht der Gastgeberin, die mich mit ihren ungewöhnlichen Augen anschaute, als wollte sie mich hypnotisieren. »Ja, es ist toll.« »Aber Sie lieben das Meer — oder?« »Weil ich hinausgeschaut habe?« »Ja.« »Ja, das mag ich.« Ich trank das Glas leer. »Wissen Sie, Madame, wenn ich auf die Wellen schaue, habe ich immer den Eindruck, als würden diese meine Gedanken forttragen.« »Möchten Sie das denn?« »Manchmal schon.« Sie lachte mich an. Ihr Atem wehte gegen mein Gesicht. Er roch nach Rum. »Aber doch nicht in dieser Nacht, John! Ich bitte sie. So etwas muß man genießen! Der Sommer ist nicht mehr lang. Bald kommt der Herbst, dann werden die Nächte kühler. Die Blätter fallen, und die traurige Jahreszeit beginnt.« »Die auch ihre Reize hat.« »Das kann nur ein Engländer sagen«, behauptete sie lachend und umfaßte meinen Arm. »Wissen Sie eigentlich, daß Sie heute abend noch nicht ein einziges Mal getanzt haben?« »Stimmt.« »Ich als Gastgeberin sehe es als meine Pflicht an, mit jedem meiner männlichen Gäste zu tanzen. Ich habe alle durch, bis auf einen . . .«
»Ich bin Ihr letztes Opfer?« Sie zuckte mit dem Kopf zurück. »Opfer sagen Sie? Wieso das denn? Wie können Sie sich als Opfer ansehen?« »Vielleicht nicht direkt ich. Aber Sie könnten es werden, Madame. Ich bin nämlich der Weltmeister im schlechten Tanzen. Versichern Sie zuvor Ihre Füße, dann bin ich gern bereit, mich Ihrem charmanten Wunsch zu fügen.« »Alles andere hätte ich als Beleidigung empfunden.« »Dann bitte.« Ich folgte der Frau, warf aber im Weggehen noch einen Blick über Bord und suchte das Schlauchboot. Es war nicht mehr da! »Haben Sie was?« »Nein, überhaupt nicht. Ich interessiere mich nur für das Meer. Den Grund kennen Sie ja.« »Hoffnungslos romantisch, wie?« fragte sie lachend. »Darf man das nicht als Mann sein?« »Doch, das entspricht sogar dem neuen Trend.« »Damit kenne ich mich nicht aus.« »Das glaube ich Ihnen nicht, John. Sie kommen mir eher wie ein Mann vor, der es faustdick hinter den Ohren hat.« Ich gab keine Antwort, denn wir schritten nicht nur der Musik entgegen, dem Zentrum der Fete, wo sich die meisten Gäste aufhielten und den Drinks zusprachen, daß es mir schwindlig werden konnte. Doch sie alle waren partyerfahren, selbst die jungen, die an den Armen ihrer älteren Kavaliere hingen und oft so laut und schrill lachten, daß es mehr als unnatürlich klang. Auf der Tanzfläche bewegten sich jetzt mehr Paare, denn die Band spielte einen langsamen Blues. Da klebten die Frauen an ihren Begleitern, da wurde geknutscht, gekichert und gefummelt, zwischendurch getrunken, denn viele Paare hielten Gläser in den Händen. Zwei Hände umschlangen meinen Nacken. Ein gut gebauter Körper, nur von einer hauchdünnen Schicht aus Stoff bedeckt, drängte sich gegen mich. Schon bei der ersten Berührung erfuhr ich, daß für die Gastgeberin der Tanz so etwas wie pure Erotik war, denn wie sie ihren Körper über den meinen hinweggleiten ließ, war eindeutig. Als höflicher Mensch wehrte ich mich nicht dagegen, außerdem fing ich an, es zu genießen . . . Ihr Gesicht schwebte dicht vor mir. Erst jetzt sah ich den Silberpuder in ihren Wimpern und auf ihren Wangen. Sie hatte meinen Blick gesehen und fragte: »Gefällt es dir?« »Ja, es ist gut.« »Ich liebe es.« Sie schlang ihre Arme noch fester um meinen Nacken. Dann strichen plötzlich ihre Lippen über meinen Mund.
Diese Witwe war ein Vulkan ohne Feuer, der einen Mann trotzdem in Brand stecken konnte, wie ich an mir selbst feststellte. Auch ich blieb nicht ruhig, ließ meine Hände wandern und spürte die warme Haut unter dem Stoff. Es gefiel ihr, denn sie lehnte ihre Wange gegen die meine. »Daß die Nacht noch lang ist, weißt du - oder?« Sie flüsterte dicht an meinem Ohr, so daß nur ich ihre Worte hören konnte. »Das glaube ich dir gern.« Ich mußte achtgeben, daß ich meinen Job nicht vergaß, denn diese Person war dabei, mich einzufangen wie eine Spinne die Fliege. Ich hatte die Augen geöffnet und wollte meine Umgebung nicht ganz vergessen. Für einen Moment sah ich Suko am Rand des Pools stehen. Dreckig grinste er zu mir herüber, bis plötzlich ein blondes Wesen erschien und in wegzerrte. Jetzt grinste ich. »Mehr sagst du nicht dazu?« hörte ich wieder ihre Stimme. Zwei Finger kraulten dabei mein Nackenhaar und fuhren auch unter dem Kragen entlang in Richtung Rücken. »Was willst du hören?« »Ob du Zeit hast?« »Wofür?« »Rate mal.« Sie gurrte in mein Ohr, und ich mußte mich räuspern. Dann sagte sie: »Wir sollten es jetzt oder gleich tun, denn kurz nach Mitternacht beginnt das große Spektakel, die Voodoo-Schau, die wir zu Ehren der Tageswende feiern.« »Oh, das wußte ich nicht.« Mit dieser Antwort hatte ich nicht einmal gelogen. »Es ist eine karibische Nacht, John. Da gehört das einfach dazu. Oder meinst du nicht?« »Ich bin mir nicht sicher . . .« »Aber du kennst den Voodoo-Zauber?« »Nein, nicht direkt. . .« »Du lügst«, flüsterte sie. »Du bist ein ganz erbärmlicher Lügner. Natürlich weißt du Bescheid. Das sehe ich dir an, das spüre ich sogar. Du versteckst dich -weshalb nur?« »Ich weiß es nicht. Aber Voodoo ist nicht mein Fall. Gehören da nicht Beschwörungen dazu?« »Und ob.« »Auch lebende Leichen, hörte ich.« »Stimmt. Die Gräber öffnen sich, die Toten verlassen die feuchte Erde, um die Lebenden zu besuchen.« Ich lachte leise. »Ein tolles Thema haben wir hier. Und das alles zu weicher Bluesmusik.« »Ich wollte dich nur vorbereiten.« Ihre Finger kreisten auch weiterhin durch mein Nackenhaar. Sie tanzte noch immer sehr eng und bewegte
sich dabei von links nach rechts, um ihre Brust über meinen Körper gleiten zu lassen. Mehr als einmal hob sie ein Bein höher an, als es erforderlich gewesen wäre, und die Innenseite meines Schenkels bot ihr die perfekte Reibungsfläche. »Worauf wolltest du mich denn vorbereiten? Auf die lebenden Leichen, die Zombies?« »Meinst du?« »Ich bitte dich, Surenuse. Wo sollen hier denn lebende Leichen herkommen?« »Rate mal«, hauchte sie und kitzelte mit ihrer Zungenspitze mein rechtes Ohr. »Ich weiß es nicht. Vielleicht aus dem Wasser?« »Welch eine Frage, John. Nein, bestimmt nicht. Aber ich liebe den Voodoo-Zauber. Weißt du eigentlich, wie man mich nennt?« »Wie sollte ich?« »Man hat mir den Namen Voodoo-Witwe gegeben, John. Interessant, nicht wahr?« »Zumindest ungewöhnlich.« Sie knabberte weiter an meinem Ohr und sprach dabei noch. »Voodoo ist alles für mich.« »Jeder hat sein Hobby.« Ich riß mich mit Gewalt zusammen, um ihr nicht vollends zu verfallen, schaute in die Höhe und sah, wie sich die bunten Lichter über mir in der leichten Brise bewegten. Alles war perfekt, so romantisch, hätte wunderbar sein können, nur paßte das Thema nicht zu dieser Stunde. »Es ist kein Hobby, John, es ist eine Leidenschaft, verstehst du? Und es ist mein Leben.« »Seit wann?« »Schon immer.« »Hat dein Mann auch so gedacht?« »Er ließ mir meine Freiheiten. Das haben wir abgemacht. Jeder von uns ist seinen Hobbys nachgegangen.« »Sehr löblich, aber Voodoo ist ein außergewöhnliches Hobby. Ich habe noch keine Frau bisher kennengelernt, die sich damit beschäftigt. Man muß sehr viel wissen, nehme ich an.« »Stimmt, ich weiß es auch. Ich kann beschwören. Ich kenne die alten Zeichen, ich kenne die Ingredienzien, die wichtig sind, um die Geister der Erde zu wecken. Ich bin fast eine Meisterin, denn ich hatte einen guten Lehrmeister.« »Aber nicht deinen Mann?« »Nein, wo denkst du hin?« »Wen dann?« »Einen alten Priester. Ich lernte ihn in Port-au-Prince kennen. Er hat mich in die Geheimnisse dieses Kults eingeweiht. Es hat Jahre gedauert, das sage ich dir.«
»So alt bist du nicht!« Da lachte sie laut auf. »Du Schmeichler«, rief sie. »Mein wahres Alter verrate ich nicht. . .« Mit einem letzten Stöhnen beendete die dunkelhäutige Sängerin ihren Song, und es war so, als würden die Gäste aus einem Traum erwachen und sich zunächst verwirrt zeigen. Dieser Tanz hatte tatsächlich die Emotionen angeheizt. Davon konnte keiner verschont bleiben, ich eingeschlossen. Ich schwitzte mehr, als ich mir hätte zugestehen wollen. »Danke sehr«, sagte die Sängerin, »gönnen Sie der Band und mir eine kurze Pause.« Keiner widersprach. Es fiel auch nicht weiter auf, denn die Musik lief jetzt vom Band. Surenuse zog mich in den Schatten des Niedergangs. Wir gingen nicht unter Deck, wie es einige Pärchen taten, sondern blieben stehen. Von einem Tablett nahm die Gastgeberin zwei Drinks. Ein kaltes Glas drückte sie zwischen meine feuchten Finger. »Cheers sagt man doch bei Ihnen.« »Ja, cheers.« Der Drink erfrischte. Ananas, Limonen, etwas Rum und Eis waren miteinander verquirlt worden. Ich trank in kleinen Schlucken und schaute die Frau vor mir an, die mit ihren zahlreichen Reifen spielte, die an beiden Handgelenken klimperten. »Du hast doch etwas auf dem Herzen, John.« »Stimmt.« »Und was?« Ich gab mich etwas verlegen und hob auch die Schultern. »Weißt du, es ist so, wir haben ja über Voodoo gesprochen, und ich muß dir ehrlich sagen, daß ich nicht viel weiß, aber ich habe immer gehört, daß Zombies mit dieser Magie in Verbindung gebracht werden. Also lebende Leichen, Untote, wie man auch sagt.« Sie tippte mich an. »Da hast du bestimmt nicht unrecht. Laß mich weiter nachdenken und raten. Du gehst sicher davon aus, daß bei einer Voodoo-Feier plötzlich lebende Leichen erscheinen werden. Stimmt's?« »Ja.« »Das ist dein gutes Recht.« »Habe ich auch recht?« Sie legte den Kopf schief und dachte nach. Als sie dann die Antwort gab, klang ihre Stimme verändert. Nicht mehr so weich, lockend, sexy oder liebenswürdig. Sie paßte sich den Worten an, die sie mir zuflüsterte: »Ich habe mitterweile den Eindruck, daß du mehr über den alten Zauber weißt, als du zugeben willst.« »Nein«, erwiderte ich staunend. »Wie kommst du denn darauf? Ich fand es nur einfach ungewöhnlich. Und meine Kenntnisse habe ich aus Filmen.«
»Und du bist nicht abergläubisch?« »Wieso?« »Du trägst unter dem Hemd ein Kreuz. Ich habe es genau gespürt. Es ist doch ein Kreuz — oder?« »Ja, du hast recht. Das hat aber mit Aberglauben nichts zu tun. Ich trage es, weil ich es von meiner Mutter bekam.« »Ach so ist das.« Sie leckte über ihre Lippen. Wieder leuchtete in ihren Augen der kalte Sternenglanz. »Dann trägst du deine Waffe auch nur, weil du sie von deinem Vater geerbt hast?« Klar, daß sie meine Beretta gespürt hatte. Schließlich hatten wir sehr eng getanzt. »Nein, das hat damit nichts zu tun. Ich gehe nie ohne Waffe, zur Sicherheit. Ich besitze zudem einen internationalen Waffenschein. Hier werde ich die Waffe bestimmt nicht einsetzen müssen.« »Wer weiß . . .« Ich stellte mein Glas weg und wollte mich von der Frau abwenden, aber das hatte sie gar nicht gern. Hastig zog sie mich zurück. »So haben wir nicht gewettet, John. Kneifen gilt nicht.« »Was meinst du damit?« »Ganz einfach, unter Deck ist noch genügend Platz. Die Stunde bis Mitternacht sollten wir nutzen. Hier wird sowieso einiges umgebaut, die meisten verschwinden dann.« »Du sprichst von deiner Kabine?« Sie lachte mich aus. »Kabine ist gut. Ich denke eher an meine Suite.« »Das glaube ich auch. Aber ich hätte noch eine Frage«, sagte ich lächelnd. »Bitte.« »Wie kommt es, daß du ausgerechnet mich unter all deinen Gästen ausgesucht hast? Der schönste bin ich wirklich nicht. Wenn ich mich umschaue, sehe ich zahlreiche andere Männer, die wesentlich besser aussehen. Wenn ich Frau wäre . . .« »Das bist du zum Glück nicht.« »Das ist aber auch keine Antwort.« »Gut, ich will es dir sagen. Du bist neu hier. Ich kenne die anderen bereits.« Ich stellte eine unverschämte Frage. »Hast du mit all diesen Männern schon geschlafen?« Sie lachte, und diesmal klang es echt. Zum Glück war sie nicht beleidigt. »Nein, das bestimmt nicht. Aber es ist eben etwas Besonderes, wenn jemand zu einer Party kommt, der nicht zur Szene gehört. Du bist es.« »Stimmt.« »Was hindert dich daran, mit mir zu kommen?«
Eine ganze Menge, wollte ich sagen, behielt die Worte aber für mich. Ich traute dieser Person nicht über den Weg und beschloß, mich auf nichts einzulassen. Hoffentlich klappte das . . . Wieder nahm sie meinen Arm. »Und jetzt sollten wir keine Minute mehr verlieren. Wenn wir später die Suite verlassen, sieht hier oben alles anders aus.« »Wie denn?« »Laß dich überraschen, John.« Von gewissen Überraschungen ging ich allerdings aus. In dieser so weichen, milden Nacht konnte noch einiges passieren. Die Treppe war mit einem dicken Teppich belegt. La Surenuse und ich gingen gerade, völlig normal, was man von anderen nicht so behaupten konnte, die die Stufen hinabschwankten, wobei sich die Pärchen gegenseitig stützen mußten. Ich dachte auch an meinen Freund Suko. In den letzten Minuten hatte ich ihn nicht gesehen. Sollte er auch mit der Blonden unter Deck verschwunden sein? Das wäre ein Klopper gewesen! Wir liefen sehr locker. Ich roch wieder ihr Parfüm, dessen Marke ich nicht herausfinden konnte. Aber der Duft korrespondierte mit ihrem Faible für die Karibik, er roch irgendwo wild, nach Limonen, nach Rauch und nach Meer. Noch immer hielt sie meinen Arm, swingte die Stufen hinab. Dabei summte sie einen Song und wir tauchten gemeinsam ein in die andere Welt, die sich unter Deck ausbreitete. Mir fiel der Begriff plüschig ein. Es mußte an dem dunkelroten Stoff liegen, mit dem die Wände bespannt waren und der nur von einigen wertvoll aussehenden Holzleisten unterbrochen wurde, an denen auch die Lampen hingen. Imitierte, rote Kerzen, deren Schein natürlich zu der Bespannung paßte. Die Kabinen verteilten sich auf zwei Decks. Wir blieben in dem ersten und gingen fast bis zum Bug durch. Dort endete der Gang in einer künstlich geschaffenen Rundung, die in der Mitte den Ausschnitt einer ebenfalls halbrunden Tür zeigte. »Hier ist es«, sagte sie und reichte mir eine schmale Karte. »Sie brauchen sie nur in den Schlitz zu schieben.« »Danke, ich kenne mich aus. So etwas gibt es inzwischen in jedem zweiten Hotel.« Ich drückte die Karte hinein. La Surenuse lehnte sich an mich, summte den Song weiter, lächelte dabei und betrat als erste die Suite, als die Tür offen war. Ich folgte ihr, blieb stehen — und staunte.
Was sich da vor meinen Augen ausbreitete, hätte ich nicht erwartet. Ja, es war eine Sui te, das konnte man mit Fug und Recht behaupten, und mich interessierte auch nicht die Größe oder die Türen, die zu verschiedenen anderen Räumen führten, es war viel mehr die Einrichtung, die mich baff werden ließ. Schwarz! Es herrschte die Farbe Schwarz vor. Schwarze Betten, schwarze Lackmöbel, wie man sie aus China kannte und in den entsprechenden Restaurants oft sah, eine ebenfalls schwarze Decke wie ein Nachthimmel, der allerdings von zahlreichen kleinen Lampen unterbrochen wurde, so daß es aussah, als würden dort unzählige Sterne auf mich niederblinken. Deshalb war es trotz der dunklen Farbe nicht finster, sondern es herrschte eine graubleiche Atmosphäre vor, für mich nicht gemütlich oder erotisch, sondern eher kalt. La Surenuse war neben dem runden Bett mit der dunklen Decke stehengeblieben. Sie breitete ihre Arme aus. »Na wie gefällt es dir hier, John?« »Ich bin überwältigt.« »Habe ich mir gedacht. Schau dich ruhig um, ein derartiges Zimmer wirst du kaum ein zweites Mal finden.« »Das glaube ich auch!« Selbst die Wände waren mit dem schwarz lackierten Holz verkleidet und enthielten ebenfalls zahlreiche Lampen, die in den Raum hineinstrahlten. »Gehört das alles zu deinem VoodooHobby?« Sie strich über mein Haar und hauchte einen Kuß auf meine Wange. »Nein, das ist mein Geschmack.« Sie schaute mich an und hatte dabei einen Blick bekommen, der mir sagte: Greif zu und wirf mich auf das Bett, ich bin zu allem bereit. Ich tat es nicht, auch wenn mir meine Zurückhaltung schwerfiel, denn diese Frau strahlte eine für meinen Geschmack ungewöhnliche Erotik aus. Obwohl sie eine Weiße war, schien sie auch einiges von einer wilden Inselschönheit aus der Karibik zu haben. In ihr loderte ein Feuer, das auf einen Löscher wartete. »Trink einen Schluck«, sagte sie plötzlich und deutete auf die freistehende Hausbar. »Und du?« Sie lachte mich rauh an. »Sei nicht so neugierig. Wie sieht man es immer in den Filmen? Da geht die Dame des Hauses für einen Moment ins Bad, und das werde ich auch tun.« »Okay, ich warte.« Sie hauchte einen Kuß auf ihre Fingerspitzen und blies ihn mir dann zu. Danach drehte sie sich blitzschnell um und ging einer der Türen entgegen. »Willst du Musik?« »Nein.«
»Okay, bis dann!« Ich schaute ihr hinterher, wie sie die Tür öffnete. Für einen Moment erhaschte ich den Blick ins Bad, das ebenfalls mit schwarzen Kacheln ausgelegt worden war. Aber ich sah auch etwas Weißes, konnte jedoch nicht feststellen, ob es sich dabei um Handtücher oder die Dusche handelte. Sie zog die Tür zu. Ich hatte schon mit dem alten Trick gerechnet, daß ich ihr ein Handtuch reichen sollte, aber das passierte wohl in Wirklichkeit nicht. Umgesehen hatte ich mich schon, und ich dachte daran, was sie von der Bar gesagt hatte. Die Flaschen und Gläser waren auf einem fahrbaren Tisch untergebracht worden. Sehr teure Spirituosen entdeckte ich, aber danach stand mir nicht der Sinn. Für mich war es wichtig, daß ich etwas Alkoholfreies zu mir nahm, und da kam mir das Sodawasser gerade recht. Es war zwar nicht eiskalt, aber es tat seine Pflicht und löschte bei mir den Durst. Mit dem halbleeren Glas in der Hand begann ich mit dem Rundgang durch die Suite. Ich wußte nicht, was La Surenuse von mir erwartete, eines aber war sicher: Auch ich würde nicht so handeln, wie es der schöne Filmheld laut Drehbuch tat, sich auszog, um seine Geliebte schon im Bett zu erwarten. Ich blieb angezogen, mißtrauisch, denn ich dachte über das um Mitternacht beginnende Voodoo-Fest nach. War das die Lösung des Rätsels? Kam ich durch das Fest dem geheimnisvollen Häuter auf die Spur? Ich wußte es nicht. Ich konnte es nur hoffen, denn er durfte mir auf keinen Fall entwischen. Für mich war er kein Mensch mehr, ich sah ihn als eine Bestie an. Eine widerliche, mordlüsterne, furchtbare Bestie, der alles Menschliche fremd war, obwohl sich der Killer auf zwei Beinen bewegte. Die Voodoo-Schau um Mitternacht schien neu zu sein. Es konnte ein Spaß werden, es konnte aber auch in blutigen Ernst ausarten, und davor hatte ich Angst. Gern hätte ich Suko Bescheid gegeben, damit er ebenfalls die Augen offenhielt, aber mein Partner >amüsierte< sich bestimmt woanders oder suchte bereits nach mir. Ich hatte mich vom Bett entfernt und ging an der schwarzlackierten Wand entlang. Sie bestand zwar aus sehr breiten, glatten Flächen, aber die waren nicht aus einem Stück gefertigt. Bei genauerem Hinsehen konnte ich erkennen, wo sie aneinander lagen. Und da sah ich noch etwas.
Eigentlich etwas völlig Normales, denn aus der Wand schaute ein winziger Griff hervor. Er war gerade so breit, daß ich ihn mit zwei Fingern umfassen konnte. Ich zog daran. Eine Klappe sank mir entgegen. Dahinter, in die Wand eingebaut, befand sich ein Fach. Auch etwas völlig Normales. Bis auf den Inhalt. Es war der Kopf aus dem Hotel! *** Er lag sogar noch auf dem Tablett, und ich entdeckte die Blutreste, die sich auf dem Silber verteilt hatten. Ich sah den Kopf nicht nur, ich roch ihn auch, denn er verweste bereits. Verwesungsgeruch hatte ich leider schon zu oft wahrgenommen. Auf alten Friedhöfen, in modrigen Grüften, und ich dachte daran, daß sich die Frau tatsächlich ein außergewöhnliches Liebesnest ausgesucht hatte. Ich glaubte natürlich nicht daran, daß sie nichts von dem Kopf gewußt hatte. Wer so etwas verbarg, mußte einen bestimmten Plan verfolgen, der vor allen Dingen mit dem Voodoo-Zauber um Mitternacht zusammenhing. Ich fragte mich, was der Kopf mit dieser alten Magie zu tun hatte. Wie konnte man da eine Verbindung herstellen? Bisher war mir das unbekannt gewesen. Sie hielt sich noch im Bad auf. Ich hörte das leise Geräusch des laufenden Wassers durch die geschlossene Tür, hatte also Zeit, mich näher mit dem Kopf zu beschäftigen. Ich schaute direkt in sein Gesicht, wo die Augen einen fürchterlichen Ausdruck zeigten. Eigentlich überhaupt keinen. Sie wirkten wie Kugeln aus Glas, und selbst die Pupillen, die einmal dort gewesen waren, konnte ich nicht mehr sehen. Unheimlich sah der Schädel aus. Sein Mund stand offen. Er war ein Farbiger, keiner aus Afrika, das war gut zu erkennen, sondern jemand, der einmal in der Karibik gelebt hatte. Er sah schlimm aus. Die Haut besaß Flecken, das Haar erinnerte mich an eine schmutziggraue Masse. Auf dem Schädel war ein Teil der Kopfhaut aufgeplatzt und hatte dort schorfige Wunden hinterlassen. Auch aus den breiten Nasenlöchern war eine Flüssigkeit gedrungen, die mich an einen farblosen Schleim erinnerte. Um den Geruch nicht voll mitzubekommen, atmete ich nur durch den Mund. Am liebsten hätte ich mir ein Taschentuch vor den Mund gepreßt, das alles kam nicht in Frage, denn meine Gedanken hatten sich längst mit einem anderen Plan beschäftigt. Ich wollte auf keinen Fall, daß la Surenuse etwas von meiner Entdeckung merkte. Ich würde ihr nichts sagen. Wenn sie zurückkehrte,
würde sie die Klappe wieder geschlossen finden. Mich allerdings mit ihr zusammen auf der Lustwiese auszutoben, danach stand mir beim besten Willen nicht der Sinn. Meine Fragen würden sie schon sehr genau treffen, und dann war ich auf die entsprechenden Antworten gespannt. Mir fiel etwas auf. Nicht einmal sehr bewußt, mehr im Unterbewußtsein. Irgendwas stimmte nicht mehr, hatte sich verändert. Was denn? Plötzlich fiel es mir ein. Das Wasser rauschte nicht mehr. Blitzschnell schloß ich die Klappe, drehte mich um — da stand sie und lächelte. Sie hatte die Spange aus dem Haar genommen und es mit den Fingern wild hochgekämmt. Sie trug einen flauschigen, weißen und sehr weich wirkenden Bademantel, deren Gürtel die beiden Hälften nur locker hielten, so daß sie mir einen Teil ihrer prallen Brüste präsentierte. Aber sie trug noch mehr. Es war ein Revolver, und auf dessen Lauf hatte sie einen Schalldämpfer geschraubt... *** Fast wäre Suko gefallen, so heftig hatte ihn die Kleine vom Rand der Tanzfläche gezerrt und in eine Ecke gedrängt, die ziemlich dunkel war und gerade Platz für zwei Personen bot. Dort hängte sie sich dem Inspektor an den Hals, bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Er roch ihren leicht alkoholisierten Atem und versuchte vergeblich, sie von sich wegzuschieben. Mit Suko hatte sich die Kleine den Richtigen ausgesucht. Nicht daß er ein Klotz gewesen wäre, aber er mochte nun mal keine Frauen, die angetrunken waren und unbedingt für die Nacht so etwas Ähnliches wie einen Beschützer brauchten. »Hör mal, Kleine, ich möchte gern etwas trinken.« Sie küßte weiter und murmelte. »Gleich, gleich kannst du es. Ich bin nicht deine Kleine, ich heiße Denise.« »Also gut, Denise«, sagte er und hielt ihre Handgelenke fest. »Kannst du denn nicht verstehen, wenn man Durst hat?« Sie schmollte. »Ja, schon . . .« »Na bitte.« Suko wollte sich aus der Nische drehen, aber sie stützte beide Hände gegen seine Brust. »Nein, jetzt nicht!« »Ich kann doch nicht. . .« Sie schaute ihn an. Denise hatte ein süßes Gesicht, rund, schmollmündig und blauäugig. Ihr Make-up war etwas verlaufen, aber
das machte nichts. In das hochgesteckte blonde Haar hatte sie sich als kleinen Gag Konfetti gestreut. Sie trug knallbunte enge Leggins, glitzernde Goldschuhe und als Oberteil ein Seidentop, das oben herum zwar wenig Stoff besaß, an seinem Ende aber bis über die Hüften reichte. Wenn die dünnen Träger mal verrutschten, dann konnte es passieren, daß ihre knackigen Brüste hervorhüpften, was ihr aber nichts ausmachte. Denise war das, was man in Californien Beach Girl nannte. Sie stammte aus der Normandie, dorthin ging sie in der kälteren Jahreszeit auch wieder, aber im Sommer machte sie die Cöte unsicher. Da war sie heiß, hungrig nach dem Leben, da wollte sie etwas erleben und bekam nicht mit, daß die Männer sie nur ausnutzten und oft schon nach einer Nacht zur Seite legten wie ein Handtuch. Suko hatte versucht, mit ihr darüber zu reden, war aber nur ausgelacht worden. Denise wollte, solange sie jung war, das Leben kennenlernen. Und das sah an diesem Abend so aus, daß der Mann, der sie mitgenommen hatte, sich längst um eine andere kümmerte und Denise bei Suko hatte Trost suchen wollen. »Ich will auch was trinken«, sagte sie plötzlich, trat zurück und schaute Suko völlig normal und sehr nüchtern an. »Und danach zeige ich dir etwas.« »Wie schön. Was denn?« »Etwas Schlimmes.« Sie bekam eine Gänsehaut. »Etwas Fürchterliches, glaub mir.« Suko machte ein Gesicht, als würde er sie nicht ernst nehmen. »Ehrlich?« fragte er. »Ja.« »Sag schon.« Sie schüttelte den Kopf und lief weg. Suko blieb noch einen Moment stehen. Die Band spielte nicht mehr, dafür drang die Musik jetzt aus dem Lautsprecher. Keine karibischen Rhythmen mehr, sondern normale Partymusik im Big-Band-Sound. Er dachte über die Worte der Blonden nach, während zahlreiche Gäste das Deck verließen und zu den Kabinen gingen. Hatte Denise nur gescherzt, oder wollte sie ihm tatsächlich etwas Schreckliches zeigen? Suko dachte zudem daran, daß er und John nicht zum Vergnügen nach Monaco gekommen waren. Sie jagten einen fürchterlichen Killer, und da war jeder Hinweis wichtig. Es konnte durchaus sein, daß Denise etwas entdeckt hatte, das nur für gewisse Augen bestimmt war, aber nicht für die eines Partygastes.
Er würde jedenfalls bei ihr weiterfragen, hörte dann ihre Schritte, und sie erschien mit zwei gefüllten Longdrink-Gläsern. »Was ist das denn?« fragte Suko und deutete auf die leicht trübe Flüssigkeit. »Das heißt Tropical Dream.« »Aha — und?« »Nichts und. Er soll angeblich so richtig scharf machen. Da sitzt was hinter.« Sie trank zwei große Schlucke und holte dann tief Luft. »Da, nimm auch einen Schluck.« Suko wollte kein Spielverderber sein, außerdem mußte er die Kleine bei Laune halten. Das Zeug war ihm zu süß. Es schmeckte nach Ananas und Banane. »Sag mal, Denise, du hast mir vorhin etwas erzählt, über das ich nachgedacht habe.« »Was meinst du denn?« »Dieses ach so Schlimme.« Denise erwiderte zunächst nichts. Sie starrte nur aus glasigen Augen auf ihren Drink und hob die Schultern. »War doch nur ein Scherz — wie?« »Nein!« rief sie fast schon zu laut. »Nein, das war es nicht.« »Sondern?« Sie trat dicht an Suko heran und bewegte sich dabei so heftig, daß sie etwas von ihrem Drink verschüttete. »Ich habe die Wahrheit gesagt, die reine Wahrheit. Hier ist nicht alles Gold, was glänzt. Hier geht etwas Schlimmes vor.« »Was denn?« »Das kann ich dir nicht sagen!« flüsterte sie. Selbst bei diesen Lichtverhältnissen sah Suko, daß Denise eine Gänsehaut bekommen hatte. Sie zitterte. Dieses andere, von dem sie noch nicht gesprochen hatte, mußte sie ungemein tief getroffen haben. Suko ließ nicht locker. »Was ist es denn?« Denise drehte den Kopf. Forschend schaute sie ihn an. »Bist du eigentlich stark, Suko?« »Es kommt darauf an.« Er lächelte. »Ich meine es ernst, Suko, todernst. Ich will wissen, ob du stark bist und ob du mich beschützen kannst.« »Es kommt darauf an, vor wem.« Er strich über ihre Wange. »Mit einem oder zweien nehme ich es schon auf, und . . .« »Es ist nur einer«, sagte sie. »Noch besser. Und wer?« »Gar nicht gut, Suko, das ist nicht gut. Dieser eine ist unheimlich gefährlich. Er ist ein . . . ein Teufel. Er hat Blut an den Händen, das weiß ich.« »Dann müßte er ein Mörder sein«, sagte Suko. »Ja, so ähnlich«, flüsterte sie. »Er ist ein Mörder. Ein verfluchter Killer.« »Und das weißt du?«
»Nicht genau. Aber ich weiß, daß es in seiner Nähe so komisch riecht, verstehst du?« »Nein.« Bevor sie etwas sagte, schaute sie sich um, ob jemand in der Nähe stand. Dann flüsterte sie: »Hast du schon mal Leichen gerochen, Suko?« Er räusperte sich. »Da müßte ich überlegen, wirklich. Also, du kommst mir ja mit Sachen.« »Sie sind wahr.« »Du meinst, hier wären Leichen?« »Ja, auf dem Schiff. Ich . . . ich habe bisher mit keinem Menschen darüber gesprochen, aber dir kann ich es sagen. Dir muß ich es sagen, weil ich einfach Vertrauen zu dir habe. Es gibt hier einen Raum, in dem es nach Leichen riecht. Das ist so eine Art Schleuse.« »Das verstehe ich nicht. Wie kommst du darauf?« »Ganz einfach. Ich bin eben zu neugierig.« Sie zog beide Träger des Tops hoch. »Schon als Kind bin ich überall dorthin gelaufen, wo ich nicht hinsollte. Und es gab viele seltsame und verwunschene Orte bei uns auf dem Land. Ich habe Höhlen entdeckt und bin hineingelaufen, wobei andere Angst gehabt hätten. Ich habe mich einmal so versteckt, daß mich meine Eltern eine ganze Nacht suchen mußten. Das ist nicht vergangen, die Neugierde ist geblieben, und so war es nur natürlich, daß ich auch dieses Schiff hier untersucht habe, denn ich bin nicht zum erstenmal auf einer Fete. Da habe ich einen Raum entdeckt, der nicht verschlossen war. In ihm stank es wirklich wie nach alten Leichen. Den Geruch kenne ich seit meiner Kindheit, weil die Toten oft lange über der Erde standen und im Sommer anfingen zu stinken.« »Hast du denn eine Leiche in diesem Raum gesehen? Lag dort ein Toter?« »Nein.« »Und trotzdem roch es?« »Ja.« Suko atmete ein und räusperte sich. »Das ist natürlich schwer nachvollziehbar. Gehen wir davon aus, daß du dich nicht geirrt hast. Was könnte denn so gerochen haben?« »Der Koffer.« »Welcher Koffer?« »Er stand in der Ecke des Raumes.« »Okay, und wo finde ich ihn?« »Unten, also tief unter Deck, wo auch die Maschinen sind. Wenn wir jetzt auf dem Meer ankern, hält sich dort niemand auf. Erst wenn wir Fahrt machen.« Suko nickte. »Gut, Denise, sehr gut. Aber warum sagst du mir das gerade heute? Weshalb ist dieses Datum denn so wichtig für dich? Du hättest auch schon früher mit jemandem darüber reden können.« »Habe ich aber nicht. Und dafür gibt es auch Gründe.« »Welche?«
»Weil noch nie so ein Fest war wie heute. Um Mitternacht beginnt die große Voodoo-Schau . . .« »Was fängt da an?« »Die Voodoo-Schau. Hast du das nicht gewußt?« Denise war sehr erstaunt über Sukos Reaktion. »Nein, das ist mir neu.« »Dabei ist unsere Gastgeberin doch ein Voodoo-Fan. Man nennt sie sogar die Voodoo-Witwe. Sie hat lange in der Karibik gelebt und von dort alles mitgebracht.« »Was denn?« »Na alles, glaube ich. Rituale und so. Die Musik, die Trommler. Und um Mitternacht geht es los. Bis dahin möchte ich Bescheid wissen — bitte.« »Worüber denn?« »Über den Geruch.« »Was hat der mit Voodoo zu tun?« Denise verdrehte die Augen. »Himmel, ich habe doch den Falschen gefragt, scheint mir. Weißt du das denn nicht? Zum Voodoo gehören Zombies und das sind lebende Leichen.« »Stimmt.« Denise trat einen Schritt näher an Suko heran. »Und deshalb denke ich, daß dieser Geruch von den lebenden Leichen ausgeht. Ist doch logisch, oder nicht?« »Irgendwo schon.« »Und was stört dich noch?« Suko lächelte. »Daß sich hier auf dem Schiff Zombies bewegen sollen, meine Liebe.« Denise wiegte den Kopf. »Ich habe ja nicht gesagt, daß sie sich hier bewegen. Ich meine nur, daß es so sein könnte, verstehst du? Ich habe sie nicht gesehen, ich habe sie gerochen, muß aber zugeben, daß Zombies und Voodoo einfach zusammengehören. Du hast doch bestimmt auch mal darüber gelesen oder einen Film gesehen.« »Mehrere.« »Ich auch.« Suko gab sich zwar nach wie vor etwas ungläubig, in seinem Innern jedoch schrillte längst die Alarmsirene. Und er nahm dieser Denise auch ab, daß sie den Leichengeruch gerochen hatte. Auch wenn Suko sich mit ihrem Lebenswandel nicht identifizieren konnte, irgendwo aber war sie nett und etwas naiv. Möglicherweise war das auch die Mischung, um recht zu haben. Hinzu kam die gehörige Portion Neugierde. Sie schaute den Inspektor so forschend und direkt an, daß dieser lachen mußte. »Was hast du?« fragte er. »Oder habe ich etwas an mir?« »Nein, das nicht.« »Aber . . .« »Ich möchte gehen.« Sie nickte. »Natürlich nur, wenn du einverstanden bist. Im Moment ist das eine ruhige Zeit, weil sie alles vorbereiten. Erst um Mitternacht geht es weiter. Da ... da fängt dann das große Fest an.
Da wollen sie die Voodoo-Trommeln schlagen. Und es sollen sogar echte Feuer entzündet werden.« »Was ist, wenn man uns entdeckt?« Denise schlug Suko auf die Schulter. »Sei doch nicht so ängstlich, Mann. Sie werden uns nicht sehen. Ich habe das Schiff erkunden können. Es geht schon alles in Ordnung. Und die Mannschaft hat andere Dinge zu tun. Kommst du mit unter Deck oder nicht?« Suko zögerte noch ein wenig, stimmte dann zu und sah, wie die Kleine aufatmete. »Finde ich stark, daß du dich traust.« »Was bleibt mir denn anderes übrig?« Sie kicherte. »Da hast du recht.« Selbstverständlich hätte Suko seinem Freund John Sinclair gern Bescheid gegeben, aber das ließ er zunächst einmal bleiben. Er hätte zu lange nach ihm suchen müssen, zudem wollte er auf keinen Fall auffallen. Denise kannte sich wirklich aus. Sie führte den Inspektor in den Bauch der Yacht, wo tatsächlich alles vom Feinsten war, was die technische Ausrüstung anging. Es gab auch keinen Schmutz, keinen Schmier, nicht einmal schlechte Luft, selbst die Beleuchtung reichte aus, und nicht einmal die Tür zum Maschinenraum knarrte, als die Kleine sie aufzog, aber noch stehenblieb und den Kopf drehte. »Wir müssen jetzt aufpassen. Kann ja sein, daß sich jemand hier aufhält, obwohl sie ankern.« »Ist schon gut.« Denise bekam große Augen. »Ich gehe vor«, wisperte sie. »Verlaß dich einzig und allein auf mich.« »Gern.« Das Mädchen ging, als würde es durch Wasser waten. Auch Suko bewegte sich so leise wie möglich in diese für ihn fremde Welt der Technik hinein. Die Luft hatte einen anderen Geruch bekommen. Sie roch scharf, beinahe ätzend oder so klar, daß es schon unnatürlich war. Sie sahen tatsächlich keinen Menschen, die Notbeleuchtung brannte und legte einen schwachen Schimmer auf die Maschinen. Der Boden glänzte. Staub war nicht zu sehen. Suko empfand es schon als klinisch sauber. Das gehörte eben zu dieser tollen Yacht dazu. Sie befanden sich schließlich nicht auf einem Seelenverkäufer. Nach wenigen Schritten blieb Denise stehen. Sie drehte sich lächelnd zu Suko um. »Ist wohl niemand da.« Der Inspektor wollte ihr schon recht geben, als beide plötzlich das Pfeifen hörten. Danach die Schritte, und die beiden rührten sich nicht von der Stelle. Denise nickte nur, wollte einen Kommentar geben, aber Suko legte ihr einen Finger auf die Lippen. Dann drückte er sie zurück in die Deckung einer Türkabine, von der ein leichter Ölgeruch abstrahlte. »Die Tür zu
dem Raum ist aber woanders«, wipserte sie noch und stellte sich dann starr hin. Suko wartete auf den Fremden. Er wußte, daß er kommen würde. Die Trittgeräusche bewegten sich in seine Richtung. Suko bekam die Chance, ihnen sehr genau zu lauschen, und er wunderte sich jetzt über den Klang, denn so bewegte sich kein normaler Maschinist oder Matrose. Er hatte den Eindruck, als würde die für ihn unsichtbare Person durch den Raum schleichen und versuchen, so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen. Außerdem änderte er die Richtung. Die Echos waren sehr bald schon von einer anderen Seite zu hören. Und dann nicht mehr . . . Weg — wie fortgeblasen. Suko stieß die Luft durch die Nase aus. Mehrere Sekunden verstrichen, und es tat sich nichts. Als er das Schleifen der Sohlen hörte, sah er sehr bald seine neue Freundin, die ihr Versteck verlassen und sich sehr schmal gemacht hatte. Neben Suko blieb sie stehen. »Ist es vorbei?» hauchte sie. »Ich glaube schon.« »Und wer war es?« Suko hob die Schultern. »Ich habe ihn nicht gesehen, nur gehört.« Denise hatte eine Gänsehaut bekommen und zitterte leicht. »Ist denn eine Tür zugefallen?« »Nein.« »Dann ist er auch nicht dort, wo wir hinwollen.« Suko gefiel die ganze Sache immer weniger. Er schlug seiner Begleiterin vor, wieder an Deck zu gehen. Den Rest hier unten würde er schon allein erledigen. »Aber weshalb denn? Traust du mir nicht?« »Das hat damit nichts zu tun. Ich will dich nur nicht in Gefahr bringen.« »Dann gehst du allein weiter?« »Ja.« Sie nickte, war einverstanden, erklärte Suko aber noch, wo er den Raum finden konnte. »Er ist durch eine Eisentür gesichert«, hauchte sie. »Du mußt sehr vorsichtig sein.« »Das bin ich. Wir sehen uns dann an Deck.« Denise nickte heftig. Sie drückte noch einmal Sukos Hand und schaute zu, wie er sich beinahe geräuschlos in die entsprechende Richtung bewegte. Da war er einfach genial, und das wiederum bewunderte sie an ihm. Sie selbst hätte das nie geschafft, und sie war davon überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben. Eigentlich hätte sie jetzt verschwinden müssen, doch sie wollte erfahren, ob ihr Begleiter auch tatsächlich den richtigen Weg eingeschlagen hatte.
Denise hörte nichts, bis auf ein leises Schaben und auf ein ebenso leises, singendes Geräusch, das entstand, als zwei metallene Gegenstände aufeinander stießen. Sie war erleichtert, drehte sich um, wollte gehen, tat auch den ersten Schritt, danach den zweiten, und urplötzlich durchschoß es sie wie ein heißer Schreck. Denise erinnerte sich. Das Geräusch fiel ihr ein. Sie hatte es gehört, aber nicht aus der Richtung, in die Suko verschwunden war und von wo hätte es kommen müssen, was nicht der Fall gewesen war. Warum nicht? Sie war nicht dumm, die zweite Möglichkeit fiel ihr ein, dann bohrte sich eine Faust in ihren Magen, ihr wurde mit einemmal übel, denn das konnte nur bedeuten, daß sie und Suko nicht allein hier unten gewesen waren und sich daran auch nichts geändert hatte. Da gab es noch eine dritte Person! Auf einmal hatte sie Angst! Dieses Gefühl setzte sich wie der Körper einer Riesenspinne in ihrem Magen fest. Die Spinne blieb, sie streckte die Beine aus, sie drang in Richtungen vor, von denen sich eine sogar bis hoch in ihre Kehle zog. Suko war weg, der andere nicht. Sie drehte sich um. Schnell und hastig, denn sie wollte sehen, wenn sich jemand in ihrer Nähe bewegte. Umgeben war Denise von stummen, kalten Zeugen. Maschinen redeten nicht, und wenn, dann war es eine Sprache, die Denise bestimmt nicht verstand. Sie war keine Freundin der Technik, sie sah die Maschinen als seelenlos an, als stumme und stumpfe Zeugen, glatt poliert, manchmal wie Spiegel wirkend, die ihre Flächen allein auf sie gerichtet hielten und in denen sie sich abmalte. Wo war er? Verschwunden — oder . . .? Nein, er war nicht weg. Sie hörte ihn wieder. Und dies aus einer Richtung, die ihr überhaupt nicht gefiel. Er hielt nämlich den Weg zum Ausgang unter Kontrolle, denn vor der Tür befand sich eine schmale Metalltreppe mit Gitterstufen. Von dort also war das Geräusch an ihre Ohren gedrungen, und sie wußte auch, daß er da lauerte. Nur — wer konnte es sein? War es ein Mitglied der Besatzung, oder hatte sich jemand auf die Yacht verirrt, der nicht dazugehörte? Einer, der etwas von ihr wollte, der unmittelbar und auf schreckliche Art und Weise mit dem um Mitternacht beginnenden Fest zu tun hatte. Denise dachte wieder an den widerlichen Leichengeruch. Bilder aus ihrer
Kindheit stiegen in dieser stressigen Situation wieder vor ihrem geistigen Auge hoch. Sie sah sich durch das kleine Dorf wandern, hineingehen in die alte Leichenhalle, wo die zumeist offenen Särge standen. In einem lag ihre Großmutter. So kantig, hölzern und bleich. Es war damals heiß gewesen, sie hatte schon gerochen. So wie jetzt. . . Aber der heutige Geruch war stärker, intensiver als der frühere. Es mußte sich jemand in ihrer Nähe bewegen, vielleicht doch eine lebende Leiche, ein Zombie. Sie zitterte am ganzen Leib. Kalter Schweiß bedeckte ihr Gesicht, die Angst ließ sie frösteln. Noch wartete sie . . . Den Kopf hatte sie dabei nach rechts gedreht. Die Treppe konnte sie nicht sehen, dafür jedoch einen Ausschnitt der Tür, die ihr allerdings meilenweit entfernt vorkam. Denise glaubte plötzlich daran, sie niemals mehr erreichen zu können. Für sie lag der Ausgang meilenweit entfernt. Vielleicht war es besser, wenn sie auf Suko wartete, oder noch besser, wenn sie ihm nachging. Das konnte dann . . . Der nächste Laut unterbrach ihre Gedanken. Ganz in der Nähe war er aufgeklungen. Und er war für sie so etwas wie ein Startsignal. Denise wußte nicht, wieviel Zeit seit dem Weggehen ihres Begleiters vergangen war, sie wollte nur noch eines: Raus aus dieser Falle! Und sie entschied sich für die Treppe. Es waren ja nur ein paar Schritte, es war eine lächerliche Distanz, die würde sie schon schaffen, wirklich kein Problem . . . Sie kam nicht weit. Urplötzlich war er da. Und er war von links herangeschlichen, geschwebt, und er war so glatt, sicher und schnell, daß sie nichts tun konnte. Er hielt in der linken Hand einen Koffer. In der rechten aber etwas Langes, Scharfes, dessen Spitze nach unten wies. Ein Messer. Denise hatte diese Person noch nie zuvor gesehen. Sie wußte nicht, daß es der Häuter war, doch ihr Instinkt sagte ihr, daß sie aus dieser Lage nicht herauskam. Und deshalb überfiel sie die kalte Todesangst! ***
Für Suko war es kein Problem gewesen, die Tür zu finden, auch wenn sie sich nur schwach an der Wand abzeichnete. Suko hatte einen schwarzen Knauf entdeckt, der wie ein angeklebter Klumpen auf dem Metall festklemmte. Bevor er ihn drehte, schaute er sich noch einmal um. Ein menschliches Wesen war in diesem Maschinenraum nicht zu sehen. Auch Denise verhielt sich still. Jedenfalls waren ihre Schritte nicht zu hören. War sie bereits weg, oder wollte sie warten? Suko hatte sich entschlossen, und diesen Entschluß führte er auch durch. Er öffnete die Tür. Sie knarrte nicht einmal, alles ging glatt und sauber, beinahe schon zu glatt. Suko duckte sich zusammen. Kaum hatte er einen Schritt in den Raum hineingemacht, glitt er nach links und drückte die Tür hinter sich zu. In der Finsternis wartete er ab. Es war tatsächlich so dunkel wie in einem geschlossenen Sarg. Nur unter dem Türspalt drang ein wenig Licht aus dem Maschinenraum, auch nicht mehr als ein fahler Streifen, der schon nach wenigen Zentimetern von der Finsternis verschluckt wurde. Suko atmete nur sehr flach. Er spürte die Kälte auf seinem Nacken, die Handflächen waren feucht geworden, und er schnupperte die Luft. Denise hatte von einem Leichengeruch gesprochen, der sich innerhalb des Raumes ausgebreitet hatte, und irgendwo hatte sie schon recht gehabt, denn Suko wehte tatsächlich ein ungewöhnlicher Geruch entgegen, beinahe schon ein Gestank. Aber nach einer alten Leiche roch das nicht. . Anders, auch nicht schlimmer. Vielleicht süßlicher und dumpfer, so daß Suko ein bestimmter Verdacht kam. Vielleicht Blut. . .? Er schluckte, denn dieser Blutgeruch war ihm ebenfalls bekannt. Seine kleine Leuchte ließ er noch stecken, weil er sich nicht vorstellen konnte, daß es in diesem Raum kein Licht gab. Auf der Stelle drehte er sich um und tastete mit der flachen Hand die Wand ab. Das Hindernis war rasch zu spüren. Ein Kippschalter, den Suko mit der Fingerspitze nach unten kickte. Es wurde hell. Blitzschnell schaute er sich um. Er hatte seine Beretta gezogen, aber die Mündung fand kein Ziel. Außer ihm befand sich niemand mehr in dem relativ kleinen viereckigen Raum. Er entdeckte auch eine Klappe am Boden und erinnerte sich daran, daß Denise von einer Schleuse gesprochen hatte, durch die man von hier aus ins offene Wasser gelangen konnte. Es stimmte also alles. Nur die Leiche war nicht da!
Suko schaute sich die glatten Metallwände an. An einer standen zwei schmale Stahlschränke, daneben lagen Sauerstoffflaschen, bedeckt mit Taucheranzügen. Suko öffnete die Türen der Schränke. Der Geruch verstärkte sich. Es lag nicht an den in den Schränken liegenden Werkzeugen, er hatte einen anderen Grund. Auf dem Boden des zweiten Schranks lag etwas, das ihn an eine zusammengedrückte Zeltplane erinnerte. Als er sich bückte, stellt er fest, daß der Geruch zugenommen hatte. Es stank nach Blut. Er berührte die Plane, zerrte sie hervor und aus dem Schrank heraus. Sie fiel zu Boden. Suko breitete sie nicht ganz aus, er blickte zunächst auf seine Hand, die hellrot geworden war. Dann wieder auf die >Plane<. Nein, das war sie nicht. Es war etwas anderes. Die frische Haut eines Menschen, abgezogen und versteckt worden von einer irren Bestie. Suko fror plötzlich... *** Der Fremde starrte sie an! Es war ein Blick, der Denise weiche Knie bescherte, der ihre Angst noch mehr steigerte. Der Blick eines Monsters! Sie konnte mit dieser Person nichts anfangen, sie hatte sie noch nie gesehen, und sie wußte nicht einmal genau, ob nun ein Weißer oder ein Farbiger vor ihr stand. Alles war so fremd, so anders und wie ein Schock über sie gekommen. Er war größer als sie, viel größer, auch wesentlich breiter in den Schultern. Seinen Hals zierten dicke Muskelstränge. Die Augen blickten so kalt, grausam und ohne Gefühl. Obwohl er seine Hände nicht frei hatte und zu Fäusten geballt hielt, wußte sie doch, daß es gewaltige Pranken waren, deren Kraft sie nichts entgegenzusetzen hatte. Dieser Mann war ein Unhold, ein Töter, das war kein Mensch mehr. Der strömte etwas aus, das sie noch nie zuvor erlebt hatte. Und Denise hatte das Gefühl, schon Stunden in dieses verwüstete Gesicht geschaut zu haben, nicht zur Sekunden. Er wollte ihren Tod. Er hatte es zwar nicht gesagt, doch Denise las es an seinen Augen ab. Ihren Tod, nur ihn . . . Und trotzdem rührte er sich nicht.
Das Mädchen dachte an seinen Beschützer. Es machte sich Vorwürfe, nicht mit ihm gegangen zu sein, doch dazu war es jetzt zu spät. Die Kontrolle besaß einzig und allein der Hüne vor ihr. Die Treppe würde sie nicht mehr erreichen. Ihr blieb nur der Weg zurück, dorthin, wo auch Suko verschwunden war, und sie wollte ihn schon vorher warnen, durch einen Schrei. Das schaffte sie nicht. Alles in ihr war verklebt, wie eingeschmiert. Die Furcht hatte zugedrückt und sie eiskalt erwischt. Der Fremde hatte noch immer nicht gesprochen und sie nur angeschaut. So musterte man eine Ware, wenn man prüfen wollte, ob sie noch verkauft werden konnte oder nicht. Das war schlimm, das war tödlich . . . Sie atmete heftig. Die Stöße drangen keuchend aus ihrem halboffenen Mund, doch zu einem Schrei kam sie nicht. Sie mußte aber weg - und warf sich plötzlich auf dem Absatz herum. Da war sie einer Eingebung gefolgt, einer plötzlichen . . . Ihre Gedanken stockten, sie rannte, hörte ihre Tritte und bekam den Hammerschlag in den Rücken. Der Treffer raubte ihr die Luft. Sie wurde mitten im Lauf zerrissen, zerstört. Denise erlebte die folgenden Sekunden wie als Darstellerin in einem Zeitlupenfilm. Sie sah sich fallen und dachte daran, daß ihr Leben jetzt vorbei war. Der harte Boden federte sie nicht ab. Wieder durchschossen sie die Schmerzen. Sie wühlten sich hinein bis in ihr Gehirn. Sie waren böse und grausam, sie vernichteten, sie rissen ihre Gedanken auseinander, sie überspülten sogar die Todesangst. Blut war gespritzt. Es drang aus ihrer Nase, sie schmeckte es auf den Lippen, und sie spürte die Kälte des Bodens, der aus Metallplatten bestand. Denise hörte auch die Schritte. Wie das Echo dumpfer Todestrommeln drang es durch ihre Gedanken und machte ihr klar, daß die letzte Sekunde in ihrem Leben nicht mehr weit entfernt lag. Dieser Unhold besaß ein Messer. Er konnte sie lautlos töten. Sie wußte, daß ihr nicht einmal ein Schrei gelingen würde. Dieses Leben konnte sie abhaken. Sie lag auf dem Bauch. Sie atmete, sie schmeckte Blut und Metall auf ihrer Zunge. Und sie hörte noch immer die Schritte. Dann aber stoppten sie. Er war da, er stand dicht neben ihr. Denise konnte ihn sogar riechen. Für sie stank er nach Friedhof, Tod und Grab . . .
Sie schaute nicht mehr hin. Sie wollte sich auch nicht auf den Rücken wälzen und wußte nicht einmal, ob sie es auch geschafft hätte. Aber sie merkte die Bewegung über sich. Ein Luftzug nur . . . Er kündete ihren Tod an. Und dann hörte sie ein anderes Geräusch. Vor ihr, überlaut, weil in dieser Sekunde kurz vor dem Tod ihr Verstand und auch das Wahrnehmungsvermögen noch einmal geschärft worden waren. Jemand öffnete eine Tür. Schritte! Von vorn und von hinten. Die letzten gehörten dem Unhold, der keine Zeugen gebrauchen konnte und flüchtete... *** Suko dachte an den Häuter. Er dachte an den Killer, den er und sein Freund John Sinclair von London aus gejagt hatten. Sie waren ihm auf die Spur gekommen, doch er hatte sich nach Monaco abgesetzt, wo sich seine Spur verlief. Nun aber hatte er sie gefunden. Menschenhaut als Beweis. Er roch auch das Blut, es war ein schlimmer, widerlicher Gestank. Er wußte nicht, wer das Opfer gewesen war, aber es stand für ihn fest, daß sich der Häuter in der Nähe befand, wenn nicht sogar auf dem Schiff. Diese Folgerung verursachte bei Suko eine Gänsehaut, die über den gesamten Körper kroch. Er kam sich vor wie in einem Gefängnis, wie eingekreist. Es fiel ihm sogar schwer, Luft zu holen. Er richtete sich auf, drehte sich und starrte die Luke an. Wenn sich darunter eine Schleuse befand, war es für den Killer der ideale Ein- und Ausstieg. Suko spielte mit dem Gedanken, die Luke zu öffnen und dort nachzuschauen; das allerdings kam für ihn nicht mehr in Frage. Er hätte zuviel Zeit verloren. John Sinclair mußte unbedingt Bescheid wissen, denn noch war er ahnunglos. Suko konnte nicht anders, als sich die Zukunft sehr düster auszumalen. Er wollte nicht daran denken, was passierte, wenn dieser verfluchte Killer sein Versteck verließ, über das Deck irrte und dort einen Amoklauf begann. Da waren die Menschen wie Gefangene. Sie befanden sich auf einer Yacht, sie konnten nur ins Wasser springen, doch auch dort besaßen sie keine Sicherheit, denn die Strecke bis zum Land zog sich hin. Das schafften nur gute Schwimmer.
Suko mußte seiner Arbeit nachgehen, deshalb leuchtete er beide Schränke noch einmal aus, ohne allerdings weitere Spuren finden zu können. Diese von innen blutende Haut blieb die einzige. Er schluckte. Der Geschmack von altem Blut lag auch in seinem Mund, und er wollte ihn einfach nicht hinnehmen. Mit schleifenden Schritten bewegte er sich auf die Tür zu. Das Zittern in seinen Knien blieb, aber es verschwand, als er die Tür weit aufgezogen hatte und in den Maschinenraum hineinlauschte. Er ging noch vor — und hörte die anderen Tritte. Schnell und fluchtartig. Das war nicht Denise, das mußten einfach die Schritte von einem Mann gewesen sein. Die Angst um das Mädchen schoß heiß in ihm hoch. Er war gleichzeitig davon überzeugt, alles falsch gemacht zu haben. Wenn Denise nicht überlebte, lag das auch an ihm. Er sah sie, er fand sie, und er sah sie liegen. Ja, sie lag auf dem Boden, und sie rührte sich nicht, so daß Sukos Angst sich noch mehr steigerte. Er dachte nicht mehr an den Flüchtling, der für ihn sowieso unsichtbar war, doch er ging mittlerweile davon aus, daß es der Häuter war, der hier unten gelauert hatte. Denise hob den Kopf. Das sah Suko in dem Moment, als er in die Knie ging, und er schaute in ein blutverschmiertes Gesicht. Dennoch durchwehte ihn Erleichterung, denn Tote bewegten sich nicht mehr. Er faßte sie an, er hob sie etwas höher, drehte sie dann auf den Rücken. Sie stöhnte und verkrampfte sich, weil sie dort Druck spürte, wo sie der Koffer getroffen hatte. Suko drehte sie behutsam zur Seite und setzte Denise so hin, daß sie sich an ihm abstützen konnte. »Kannst du mich hören?« »Ja.« »Was ist geschehen?« Mit einer Hand fummelte Suko nach seinem Taschentuch. Er zerrte es hervor, wartete die Antwort der jungen Frau aber noch ab. »Einer war da. Ein . . . ein Kerl. Riesig, glaube ich. Den kannte ich nicht, er trug einen Koffer und ein langes Messer. Es war schrecklich. Er war der Tod auf zwei Beinen. Ich . . . ich hatte fürchterliche Angst. Ich rannte weg, wollte zu dir. Er warf mir was in den Rücken, ich fiel, schlug mir das Gesicht auf. Der Rücken brannte . . .« »Aber er tötete dich nicht«, sagte Suko. »Das stimmt. Er wollte es. Ich hörte seine Schritte, wie sie immer näher kamen. Sie waren so dumpf, so endgültig. Er hatte bestimmt auch schon das Messer gehoben, aber dann hörte ich dich.« »Und der andere rannte weg, wie?« »Ja, ja, er flüchtete.«
Suko nickte. »Da hast du mehr als Glück gehabt, Denise. Verdammt großes Glück sogar. Es hätte sehr leicht anders für dich kommen können.« Suko tupfte das Gesicht ab. Es war irgend etwas mit ihrer Nase geschehen, aus ihr strömte das meiste Blut. Suko entdeckte an der linken Wange ebenfalls eine Wunde. Sie sah aus, als wäre die Spitze eines Nagels durch das Fleisch gezogen worden und hätte dort eine tiefe Schramme hinterlassen. »Aber sonst bist du okay — oder?« »Ich hoffe es. Nur der Rücken, Suko.« Denise klammerte sich jetzt an ihn, und er ließ es zu, weil er wußte, daß ihr die Berührung guttat und Vertrauen weckte. »Ich habe das Gefühl, als wäre dort etwas gebrochen oder einfach zerrissen.« »Nein, das ist bestimmt nur der Aufprall gewesen. Du wirst einen Bluterguß bekommen, eine Beule, aber in ein paar Tagen bist du wieder auf den Beinen.« Denise überlegte einen Moment. Dann gab sie eine Antwort, die Suko erschreckte. »Oder tot«, flüsterte sie. »Wenn ich ihn noch einmal sehe, komme ich nicht mehr lebend weg. Das weiß ich, das weiß ich verdammt genau, Suko, da bin ich mir sicher!« »Wir werden sehen. Zumindest versuche ich, immer in deiner Nähe zu bleiben.« Sie schaute ihn an. Erst staunend, dann zweifelnd. »Nein, Suko, nein, das kannst du nicht sagen. Das darfst du nicht sagen. Das ist unwahrscheinlich, denn du hast ihn nicht gesehen. Ich will dir nichts, aber er ist dir überlegen. Der Mann kam mir vor wie ein Felsen, so wahnsinnig groß. Wir können nichts gegen ihn tun. Keiner auf dem Schiff würde es schaffen, ihn zu stoppen. Und er hat ein Messer.« In Erinnerung daran verzog sie das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Es ist so schrecklich lang, so furchtbar scharf, so schlimm.« »Das weiß ich, Denise.« »Nein!« schrie sie, »Du weißt nichts, gar nichts!« Dann fing sie an zu weinen. Sie drückte ihren Kopf vor und legte das Gesicht gegen Sukos Hände. Er spürte das Zucken ihrer Haut, er merkte, wie der Tränenstrom floß und seine Haut befeuchtete. Er ließ sie weinen, er gab ihr die Zeit, obwohl er es eilig hatte und John Sinclair finden mußte. Doch diese Reaktion brauchte Denise einfach, denn sie mußte sich von dem Grauen erholen, das sie mit der Wucht eines Orkans getroffen hatte. Er sprach ihr langsam und beruhigend zu, hoffte, daß es bald vorbei sein würde, denn er wollte auf keinen Fall hier unten noch länger sitzen bleiben. Irgendwann ebbte das Weinen ab. Suko hatte nicht auf die Uhr geschaut, er tat es, als Denise den Kopf hob und ihn aus tränenumflorten Augen anschaute. »Ich . . . ich bin eine Heulsuse, nicht? Ich bin ein Schwächling, ich bin . . .«
»Du bist gut, Kleine«, sagte Suko, ihr ein Taschentuch reichend. »Es hat so kommen müssen. Das Weinen war in diesem Augenblick die beste Medizin für dich.« »Meinst du?« »Ja, das ist sogar ehrlich.« »Und was jetzt?« Suko stand bereits auf den Beinen. Er half Denise ebenfalls hoch, die aufstöhnte und nach ihrem Rücken faßte. Dann aber biß sie die Zähne zusammen und sagte mehr lachend als weinend: »Meine Großmutter hat mir immer gesagt, daß man manchmal hart sein muß. Härter als das Leben, und nur so kommt man durch.« »Sie war eine sehr kluge Frau«, lobte Suko. »Ja, das war sie.« »Ich nehme nicht an, daß man dir hier eine Kabine oder einen anderen Raum gegeben hat — oder?« »Stimmt.« »Du kennst das Schiff bestimmt besser als ich. Wo könntest du denn sicher sein?« »Sicher?« Denise lachte auf. »Ich bin nirgendwo sicher. Der Unhold wird mich immer finden. Er muß das Schiff kennen wie seine Westentasche. Er ist durch die normale Tür geflohen, er wird mit seinem Messer . . .«, sie konnte nicht mehr sprechen, senkte den Kopf und schüttelte ihn. Suko nahm sie mit. Es hatte keinen Sinn, noch länger über Dinge zu diskutieren, die sich so nicht durchführen ließen. Der Maschinenraum war kein guter Ort, sie mußten wieder auf das Deck gehen. Dort waren sie sicherer, wenn auch nicht außer Gefahr. Von allein konnte Denise die Stufen nicht hochgehen. Sie mußte von Suko gestützt und gezogen werden, und sie bewegte ihre Beine nur rein mechanisch, wobei sie mit den Fußspitzen immer wieder gegen die Stufenkante stieß. An der Tür blieb Suko stehen und zog seine Waffe. Denise sah zum erstenmal, daß Suko eine Pistole mit sich führte. Sie erschrak darüber, enthielt sich jedoch eines Kommentars. Suko öffnete die Tür. Er war gespannt, der Finger lag am Abzug. Sollte der Häuter in der Nähe lauern, würde er ihn mit Blei vollpumpen. Aber er war nicht da. Suko schaute in den leeren, schwach erleuchteten Gang, dessen Metallwände das Licht leicht widerspiegelten. »Komm«, sagte er nur. »Du trägst eine Pistole, wie ich gesehen habe. Du bist kein normaler Gast, Suko. Gib es zu.« »Stimmt.« »Wer dann?« »Ich bin Polizist und jage zusammen mit meinem Freund den Mann, der dich töten wollte. Deshalb sind wir hier. Wir wollen und wir müssen ihm das Handwerk legen.«
Sie schaute ihn an. Zuerst nicht sehr freundlich, eher mißtrauisch. Dann bekamen ihre Augen einen gewissen Glanz des Vertrauens, und sie fing an zu lachen. »Ist das wirklich wahr, Suko?« »Ich kann es leider nicht leugnen.« »Wieso leider?« »Weil ich annehme, daß du mit Polizisten nicht viel im Sinn hast. Oder irre ich mich?« Sie warf sich ihm gegen den Hals und küßte ihn. »Reicht das als Antwort, Suko?« »Bestimmt.« Denise strahlte ihn an. »Und mir geht es jetzt besser, viel besser sogar. Ich sehe dich mit anderen Augen. Ich bin davon überzeugt, daß du es schaffen kannst.« »Hoffentlich.« »Doch, Suko, das packst du! Ich gehe davon aus. Ich sehe es dir an. Ich lese es in deinen Augen, ich . . .« »Laß uns nach oben gehen.« »Und dann?« »Werden wir uns ein Versteck auf dem Deck suchen. Dort wird sich mittlerweile einiges verändert haben, schätze ich.« »Davon kannst du ausgehen.« Suko war und blieb auch vorsichtig. Er steckte seine Waffe nicht weg, aber der Häuter ließ sich nicht blicken. Suko kannte ihn zwar nicht genau, doch wie er ihn einschätzte, ging er davon aus, daß er nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, um weitere Untaten zu begehen. Eine wichtige Frage aber stand nach wie vor offen. Wozu brauchte er die Menschenhaut? Sie war Feuer und Kälte in einem. Die heiße Verlockung und der kalte Tod. Und sie wußte genau, wie sie wirkte. Das sagte sie mir zwar nicht, aber ich erkannte es in ihren Augen. In ihnen lag ein bestimmter Ausdruck, den ich nur bei bestimmten Frauen bisher gesehen hatte, wenn sie sich als Siegerinnen sahen. La Surenuse war eine Siegerin. Zumindest bisher. Ohne ihre Waffe auch nur um einen Millimeter zu bewegen, nickte sie mir zu. »Ich hätte es mir denken können«, sagte sie leise. »Ja, ich hätte es mir denken können.« »Was, bitte?« »Daß du schnüffelst.« Ich lachte, obgleich es mir schwerfiel. »Das war kein Schnüffeln, sondern mehr ein Zufall, wenn du verstehst. Ich bin wirklich . . .«
»Hör auf mitdiesen Ausreden! Ich habe beim Tanzen deutlich die Umrisse deiner Kanone gespürt, die du bei dir trägst. Ich bin nicht so dumm und einfältig.« »Das habe ich nie behauptet.« »Nein!« zischte sie mir zu. »Ich bin besser, John. Ich bin viel, viel besser.« »Wenn du es meinst!« »Es ist meine Überzeugung, und du wirst gleich erleben, wie gut ich bin, Partner.« »Willst du mich erschießen?« Sie hob die Schultern. »Das ist zwar eine Alternative, wäre aber zu einfach für mich. Ich kenne bessere Wege, um dich auszuschalten. Das kannst du mir glauben.« »Den Kopf abschlagen?« 1 »Unter anderem! Es ist immer noch die beste und sicherste Methode, einen Menschen ins Jenseits zu befördern.« Sie sprach so locker darüber, als würde sie mir ein Kochrezept erklären, und das erschreckte mich wiederum zutiefst. Diese Frau war für mich kein Mensch mehr, auch wenn sie so aussah. Sie war kalt, grausam und berechnend. »Gefällt dir nicht, wie?« »Richtig.« »Mir gefällt an dir auch einiges nicht. Zum Beispiel deine Waffe. Hol sie mit spitzen Fingern hervor und wirf sie auf das Bett. Und keine unkontrollierte Bewegung. Ich würde sofort abdrücken. Durch den Schalldämpfer hört man den Schuß kaum.« »Das weiß ich.« »Was weißt du denn noch?« »Sollte ich etwas wissen?« »Es wird sich herausstellen. Erst einmal weg mit dem Schußeisen, Monsieur.« Mir war klar, daß ihre Worte keine leere Drohung darstellten. Für diese Person ging es um alles oder nichts. Wenn sie mit dem Häuter unter einer Decke steckte, wovon ich ausging, würde es ihr auf die eine oder andere Leiche nicht ankommen. Außerdem war ich nicht lebensmüde und wollte zusätzlich noch mehr über den Fall wissen. Es tat mir schon leid, die Beretta hervorzuziehen und sie so zu halten, daß alles in Ordnung war und La Surenuse keinen Verdacht schöpfte. Am liebsten hätte ich es darauf ankommen lassen, aber schneller als eine Kugel war ich nicht. Ich bewegte meine rechte Hand ein wenig, gab ihr so den nötigen Schwung und schleuderte die Beretta auf das schwarze Bettlaken, wo sie unerreichbar für mich liegenblieb. , »Zufrieden?« »Zum Teil.« »Okay, was fehlt noch?«
Sie lächelte knapp und eisig. »Mir fehlt eine Erklärung von dir, Partner. Wer bist du wirklich?« »John Sinclair.« Die Antwort hatte sie wütend gemacht. Für einen Moment preßte sie die Lippen hart zusammen. »Ich weiß, daß du nicht Smith heißt, aber was steckt hinter dem Namen?« »Schau mich an!« »Verdammt noch mal, ich will es von dir wissen. Du kommst mir vor wie ein verfluchter Bulle.« »Habe ich vier Beine?« Da schoß sie. Ich hätte der Kugel nicht ausweichen können, sie war viel zu schnell und auch zu gut gezielt. Mit diesem Schuß allerdings hatte mir die Frau bewiesen, wie gut sie mit einer Waffe umgehen konnte. Haarscharf nur war die Kugel an meiner Stirn vorbeigesaust und mit einem klatschenden Laut in die Wand gedrungen. Obwohl mich der Schreck durchflutet hatte, blieb ich gelassen. Was ich innerlich erlebte, ließ ich mir äußerlich nicht anmerken. Wie ein Denkmal stand ich da. Das gefiel ihr auch nicht. »Nur abgebrühte Bullen reagieren so wie du, mein Freund. Du bist ein Bulle, ein verdammter Hundesohn.« »Kann sein.« »Wenn mir deine Antworten nicht gefallen, Sinclair, wirst du deinen Kopf zwar behalten können, aber mit einem Loch darin. Ich weiß nicht, ob es das ist, wovon du träumst.« »Kaum.« »Wer also schickte dich?« »London.« »Schön, da ist Scotland Yard.« »Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich komme von Scotland Yard und bin auf der Suche nach einer Person, die in London und Umgebung eine Spur des Schreckens hinterlassen hat. Sie werden diese Person bestimmt gut kennen . . .« Da lachte sie. Ja, sie lachte, und es kam mir vor, als wollte sie mich auslachen und mir alles ins Gesicht schleudern, was sie an Haß für mich empfand. Ihr Lachen klang schadenfroh und war gleichzeitig wie ein böses, wütendes Bellen. »Du willst den Häuter stellen?« »Genau ihn.« »Das schaffst du nicht, Sinclair. Der ist besser. Der ist besser als alle anderen. Der Häuter ist nicht zu stellen und nicht zu stoppen. Das solltest du eigentlich schon gemerkt haben. Du hast keine Chance.« »Sie kennen ihn also.« »Sehr gut sogar.« »Befindet er sich hier auf dem Schiff?« »Was denkst du?« »Ja.«
»Du hast recht, John! Er befindet sich hier. Und er ist eine wichtige Person. Nein, ich habe mich geirrt. Er ist die wichtigste Person. Um ihn dreht es sich, ohne ihn läuft nichts. So und nicht anders sind die Grenzen gesteckt.« »Dann hat er den Mann geköpft?« »Ja.« »Warum?« »Er war ein Feind. Er ist uns aus der Karibik nachgereist, um uns zu vernichten. Er war eigentlich unser Lehrmeister, ein Medizinmann, einer, der viel wußte, ein Hougun, der den Schrecken ahnte. Aber er hat es nicht geschafft, wir waren schneller.« »Und nicht gerade rücksichtsvoll, wenn ich daran denke, daß der Kopf in einem Luxushotel gestanden hat.« »Es war nicht meine Schuld. Ich konnte den Häuter nicht davon abhalten, zu groß war sein Haß auf ihn. Er mußte sich freie Bahn verschaffen, er wollte allen zeigen und beweisen, daß er da ist, daß man mit ihm wieder rechnen muß.« »Ja, ich habe mit ihm gerechnet. Darf ich dann fragen, wie es weitergehen wird?« »Mit einem Fest.« »Die Voodoo-Schau?« »Sicher.« Sie bewegte sich, trat an das Bett heran und nahm mit der freien Hand meine Beretta an sich. »Es ist das Fest für mich, Sinclair, nur für mich.« »Darf ich Näheres wissen?« »Nein, denn du wirst es nicht erleben. Aber ich kann dir versprechen, daß es ein Fest sein wird, wie es die Leute hier noch nie zuvor erlebt haben.« »Was ist daran so Besonderes? Klar, ich kann mir vorstellen, daß bei einer Voodoo-Fete lebende Leichen erscheinen. Voodoo und Zombies gehören zusammen und . . .« »Du irrst wieder, Sinclair. Es dreht sich hier nicht unbedingt um Zombies, es geht um mich, allein um mich, um den Häuter und um dessen Beute.« Mehr sagte sie nicht, denn sie zog sich zur Tür hin zurück. Und dabei war die Waffenmündung stets auf mich gerichtet. »Ich werde dich jetzt verlassen, wahrscheinlich sehe ich dich noch einmal wieder. Dann aber als Leiche, John Sinclair.« Sie öffnete die Tür und schoß noch einmal. Wieder mit ihrer Waffe, meine steckte in ihrem Bademantel, wo sie die rechte Seitentasche ausbeulte. Und diesmal warf ich mich zu Boden. Ich wußte nicht, ob die Kugel gezielt gefeuert und ich schneller gewesen war, jedenfalls erwischte mich das Blei nicht. Es hieb in einen der schwarzen Sessel.
Ich rollte mich zur Seite, zog die Beine an und sprang auf. Die Tür war bereits geschlossen, keine Spur mehr von der Frau, und als ich an der Klinge rüttelte, stellte ich fest, daß dieses Weib sie auch abgeschlossen hatte. Ich war der Verlierer! Wütend drehte ich mich um, trommelte noch einmal gegen die Tür und stellte fest, daß ihr Holz unnatürlich dick und hart war. Als wäre es von innen verstärkt worden. Da kam ich mit bloßen Fäusten nicht durch. Und die Fenster oder Bullaugen? Bisher hatte ich keine gesehen, konnte mir aber nicht vorstellen, daß es keine gab. Sie waren tatsächlich vorhanden, bisher allerdings nur durch dunkle Tücher abgedeckt worden. Als ich sie zur Seite zog, entdeckte ich die Rechtecke in der Wand. Das Glas war schußsicher und dementsprechend dick, aber ich sah noch mehr. Sie ließen sich nicht öffnen. Es gab weder einen Griff noch einen Knauf. Man hatte aus dieser Luxuskabine eine Zelle für mich gemacht. Ich verbiß mir einen Fluch und schloß auch die Klappe, weil ich den Kopf nicht mehr sehen wollte. Er hatte also dem Mann gehört, der den Häuter hatte stellen wollen. Ihm war es nicht gelungen, und auch ich schätzte meine Chancen ziemlich realistisch und weniger optimistisch ein. Zwar besaß ich mit Suko noch ein Eisen im Feuer, nur wußte er nicht, wo ich mich befand, und ich konnte ihn ebenfalls nicht erreichen. Oder über Telefon Alarm schlagen? Der tragbare Apparat stand neben der ebenfalls schwarzen Couch. Ich hob ihn an, doch die Leitung war tot. Vor Wut hätte ich das Ding beinahe in die Ecke geworfen, blickte gegen den schwarzen, künstlichen Himmel mit seinen zahlreichen kleinen Glühbirnen und überlegte, wie dick die Decke wohl sein konnte. Während ich noch nachdachte, passierte etwas anderes. Das Licht wurde schwächer. Hatte ich zunächst noch an eine Täuschung geglaubt, ' so änderte sich dies sehr bald. Die Dunkelheit fiel zuerst als graue Dämmerung über den Raum, und ich kam mir vor wie im Kino, wo das Licht vor Beginn des Films langsam dunkler wurde. Hier aber verschwand es ganz! Im Dunkeln blieb ich stehen. Sekunden vergingen, in denen ich nichts sah, dann hatten sich meinen Augen an die neue Umgebung gewöhnt. Da ich die Vorhänge nicht wieder gerichtet hatte, sah ich deutlich die beiden Vierecke der Fenster. Sie kamen mir vor wie Mäuler, die mich einfach auslachen wollten.
Das schwache Licht einer düsteren Nacht schimmerte durch. Es ließ die Fenster aussehen wie graue Flecken. Ich trat an eines heran, schaute hinaus und konnte in der Ferne den hellen Küstenstreifen sehen, dessen Lichterglanz sich als gestaffeltes Gemälde in die Höhe zog, um sich irgendwo zu verlieren. Dort lag Monaco. Nicht einmal weit entfernt, für mich jedoch so weit wie der Mond. Ich wollte nicht mehr hinschauen, denn so etwas nahm mir auf die Dauer den Mut. Deshalb drehte ich mich um. Ich erkannte die einzelnen Einrichtungsgegenstände der Kabine als Schatten. Und auch die Tür zum Bad. Mir fiel ein, daß La Surenuse aus dem Bad gekommen war. Ob es dort noch einen zweiten Ein- oder Ausgang gab, wollte ich mal dahingestellt sein lassen, viel Hoffnung jedenfalls hatte ich nicht, aber ich ging hin, um nachzuschauen, und holte unterwegs noch meine kleine Stableuchte hervor, die ich immer bei mir trug. Ihr scharfer Strahl zerschnitt die Finsternis, wanderte mit mir zusammen weiter und blieb an der Badezimmertür haften. Ich stieß sie sehr vorsichtig auf. Sie schwang nach innen. Nichts war zu hören, ich spürte nur den leichten Luftzug. Danach wunderte ich mich schon über die Größe des Bads. Es war doch sehr geräumig und — wie konnte es anders sein — mit schwarzen Fliesen ausgelegt. Im Gegensatz dazu leuchteten Wanne, Bidet, Dusche und Waschbecken in hellen cremigen Farben, während die Armaturen aus schlichtem Metall bestanden. Das alles interessierte mich auch nicht, auch nicht der Hauch des Parfüms, der sich als unsichtbarer Schleier ausgebreitet hatte, ich suchte nach einer zweiten Tür. Diese Mühe hätte ich mir sparen können, es gab sie nicht. Ein Fenster war ebenfalls nicht vorhanden. So blieb mir nichts anderes übrig, als kehrtzumachen und wieder zurück in den düsteren Raum zu gehen, wo ich mich hinsetzte und damit begann, über meine neue Lage nachzudenken. Was brachte es der Frau, wenn sie mich hier für eine gewisse Zeit festhielt? Einiges, zum Beispiel. So würde ich ihr Voodoo-Fest oben an Deck nicht mit meinem Besuch beehren und stören können. Da hatte sie dann freie Bahn, auch wenn Suko sicherlich mißtrauisch wurde und ihr einige Fragen stellen würde. Doch da gab es noch den Häuter!
Als ich an ihn dachte, überlief es mich kalt. Die Yacht war groß und geräumig genug, um ihm ein Versteck zu bieten. Da konnte er sich stundenlang aufhalten, ohne entdeckt zu werden. Das zum einen. Zum zweiten aber — und diese Möglichkeit sah ich als noch schlimmer an — bewegten sich zahlreiche Menschen an Deck. Da hatte dieser Unhold genau das, was er brauchte. Schon jetzt lagen einige Morde hinter ihm. Es würde ihm nichts ausmachen, die eine oder andere Schreckenstat zu begehen und wieder Blut fließen zu lassen. Meine Gedankenkette riß, weil ich etwas gehört hatte, das mich in diesem Fall störte. Es waren nicht die weit entfernten Geräusche oben an Deck, die als Summen meine Ohren erreichten, sondern Laute, die ziemlich in meiner Nähe aufgeklungen waren. In diesem Raum? Ich stand auf. Sehr langsam, wobei ich versuchte, mich möglichst lautlos zu bewegen. Mein Blick war nach vorn gerichtet, wo sich die Tür zum Bad hin abzeichnete. Genau dort war etwas ... Ich wurde zu >Eis<. Meine Gesichtszüge erstarrten. Ich spürte den Schauer, der mir eine Gefahr ankündigte. Ich wußte, daß etwas passieren würde, ich merkte es mit jeder Faser meines Körpers. Wer hielt sich dort auf? Noch sah ich nichts, ging einen Schritt zur Seite, damit der Blickwinkel besser wurde. Die Tür war zur Hälfte geöffnet. Dahinter lag die Finsternis des Raumes. Die dunklen Kacheln, die den Raum zu einer Höhle machten, die eigentlich hätte leer sein müssen. Sie war es nicht. Jemand bewegte sich durch diese Höhle. Eine Gestalt, ein Mann, der auch die Tür weiter aufdrückte. Obwohl es finster war und ich ihn noch nie zuvor richtig gesehen hatte, wußte ich augenblicklich, um wen es sich handelte. Er mußte es einfach sein, es gab keine andere Möglichkeit für mich. Es war der Häuter! *** Bevor sie das Deck erreichten, hörten sie bereits die andere Musik, und sie rochen auch, daß sich da oben etwas verändert hatte. Zudem war es längst nicht mehr so hell.
Sie hatten nicht den normalen Weg genommen, sondern einen, der eigentlich nur für die Mannschaft war, doch schon jetzt drang der scharfe, auch würzige Geruch gegen ihre Nasen und brannte förmlich in sie hinein. Suko blieb stehen. Denise schaute ihn an. Sie wirkte verlegen und unsicher, wußte auch nicht Bescheid. »Ich habe keine Ahnung«, flüsterte sie, bevor Suko noch eine Frage stellen konnte. »Ich weiß wirklich nicht, was hier gespielt wird, verdammt. Das habe ich noch nicht erlebt.« »Ist ja gut. Ich möchte nur nicht, daß du mit an Deck gehst. Wenn dich der Häuter sieht. . .« Sie faßte Suko so hart an, daß es beinahe schon schmerzte. »Ich habe mich entschlossen, bei dir zu bleiben. Du kannst mich nicht mehr loswerden. Du mußt mich . . .« »Ich kann mich nicht um dich kümmern. Nicht in jeder Sekunde, Denise. Begreife das doch.« »Trotzdem, ich komme mit.« Suko seufzte. Er schaute gegen das trübe Licht einer Lampe. Niederschlagen konnte er sie nicht, und er hatte auch festgestellt, daß Denise nicht so ängstlich war, wie sie von ihm eingeschätzt wurde. Sie wußte durchaus, was sie wollte, auch hatte sie es geschafft, ihre Angst zu überwinden, und es machte ihr durchaus nichts aus, mit einem blutverschmierten Gesicht umherzulaufen. »Das steh' ich durch!« flüsterte sie. Dabei ballte sie eine Hand zur Faust. »Das packe ich, darauf kannst du dich verlassen. Das stehe ich durch. Ich habe die Kraft!« Suko schaute in ihre Augen. Dann nickte er und streichelte ihre Wange. »Ja, Denise, ich glaube dir. Ich bin sogar davon überzeugt, daß du es schaffen wirst.« »Dann nimmst du mich mit?« »Sicher!« Sie lächelte, atmete tief aus und ging sogar vor. So schnell, daß Suko Mühe hatte, Schritt zu halten. Selbst die Schmerzen im Rücken schien sie nicht zu spüren. Da sie das Deck an der Heckseite betreten hatten, blieb ihnen die Sicht zum Bug durch die Aufbauten versperrt. Aber sie konnten hören und auch riechen, denn der Trommelklang wehte ihnen als dumpfe Echos entgegen, als wollte er eine Botschaft vermitteln. Dann sahen sie in den Lücken ein bekanntes Flakkern. Dunkles Rot und Schatten bewegten sich, sie flossen ineinander, und so etwas passierte eigentlich nur, wenn Feuer angezündet worden waren und der Wind die Flammen bewegte. »Feuer an Deck«, flüsterte Denise. »Verdammt, ich kann es kaum fassen! Ist das nicht verboten?«
»Wer kümmert sich darum?« Denise schaute sich um. »Und sonst keine Lichter mehr. Keine Lampions, keine bunten Strahler, nur die Sterne am Himmel. Weißt du, an was mich das erinnert, Suko?« »Nein.« »An die Natur draußen in der Karibik. Dort kann es kaum anders sein, wenn sie ihre Beschwörungen durchführen. Sie haben die Atmosphäre wirklich hierher gebracht.« »Das könnte stimmen.« Sie hörten Schritte. Jemand bog um die Ecke einer der Aufbauten und wollte eine weiße Metalltreppe hochgehen, als er die beiden sah und stehenblieb. »Das ist der Kapitän«, wisperte Denise. Der Mann kam näher und zupfte an seiner hellen Uniform. Er grüßte sehr höflich und erkundigte sich dann, ob er etwas für die Herrschaften tun könne. »Nicht direkt«, meinte Suko. »Aber sagen Sie, ist Feuer an Bord nicht verboten?« Der Mann wiegte den Kopf. »Eigentlich schon, aber es gibt eben genügend Menschen, die anders darüber denken. Wir sind hier in Monaco einiges gewohnt, das können Sie mir glauben. Die Leute hier amüsieren sich eben anders oder origineller, doch wir sind da auch tolerant.« »Wie läuft das Fest denn ab?« Der Kapitän lachte. »Da fragen Sie mich zuviel, Monsieur. Auch ich erlebe es zum erstenmal. Diese Voodoo-Nacht ist für mich ebenfalls absolutes Neuland.« »Aber die Besitzerin der Yacht kennen Sie schon länger.« »Ja, sie heuert uns hin und wieder an. Aber jetzt entschuldigen Sie mich, ich muß auf die Brücke. Und viel Spaß noch.« Er tippte an seine Mütze und verschwand. »Wollte oder konnte er nichts sagen?« fragte Denise. »Wahrscheinlich trifft beides zu.« »Angst um den Job, wie?« »Durchaus möglich.« Sie lachte auf und warf dabei den Kopf zurück. »Weißt du, Suko, die Menschen sind alle nicht locker genug.« »Bist du es denn?« Denise verzog das Gesicht, weil heftige Schmerzen ihren Rücken durchtosten. »Kann ich dir nicht sagen. Noch vor zwei Stunden war ich es. Heute sehe ich die Welt und auch meine Mitmenschen mit anderen Augen an. Es ist einfach nicht zu fassen, nicht zu erklären. Für mich kommt das alles nicht mehr in Frage. Ich bin ... ja, was bin ich eigentlich? Ich habe mich gewandelt.«
»Das ist nicht immer gut.« »Für mich schon! Wenn ich hier heil herauskomme, werde ich mir einen Job suchen. Es gibt an der Küste genügend Läden, in denen Verkäuferinnen gesucht werden. Damit fange ich an. Zeit, um richtig zu leben, finde ich auch noch.« Suko lächelte. »Ich gönne es dir.« Dann gingen sie, und es fiel beiden auf, daß sie so gut wie keine Stimmen hörten. Die zahlreichen Gäste schienen alle unter einem Bann zu stehen, der ihnen die Stimme geraubt hatte. Sukos rechte Hand befand sich in Griffweite der Beretta. Er rechnete mit dem Schlimmsten, ebenso wie Denise, denn sie schaute sich ständig um, als sie neben Suko herschlich. Beide atmeten auf, als sie die Aufbauten hinter sich gelassen hatten. Auch auf der Brücke brannte nur mehr die Notbeleuchtung. Nichts sollte das andere, das unheimliche Licht stören. Und als unheimlich empfanden sie die Szenerie auch, als sich ihr Blickfeld öffnete. Die Stelle am Heck, wo noch vor kurzer Zeit die Fete abgelaufen war, hatte sich völlig verändert. Die alkoholschwangere Fröhlichkeit war einer beklemmenden und gespenstischen Atmosphäre gewichen, ausgelöst durch die lodernden Feuer, die den Eindruck von Scheiterhaufen hinterließen. Die beiden zählten vier Feuer. Sie waren so angelegt, daß sie ein Quadrat bildeten, in dessen Mitte eine kreisrunde Matte lag, die mit weißem Pulver bedeckt war, das durch bestimmte Zeichnungen — den Veves — eine magische Kraft bekommen hatte. Denise konnte es nicht begreifen. Sie drückte Sukos Hand. Als dieser schaute, sah er, wie sie etwas sagen wollte. Er aber schüttelte schnell den Kopf. Niemand sollte wissen, daß sie sich in der Nähe befanden, denn von den Gästen waren sie noch nicht bemerkt worden. Sie drehten ihnen entweder ihre Rücken, die Profile, aber auch die Vorderseiten zu, wobei letztere die Blicke gesenkt hielten und gegen die Flammen starrten. Keiner kümmerte sich um den anderen, jeder schien alles, was sich ereignete, mit sich selbst auszumachen. Suko fiel auch die veränderte Kleidung der Gäste auf. Ob Mann oder Frau, sie alle hatten dunkle, sehr weite Tücher bekommen, die über ihren Schultern hingen und bei den Frauen noch die Köpfe bedeckten. Suko erinnerten sie an düstere Leichentücher. Manchmal bewegten die Männer ihre Hände und schleuderten irgendein Pulver in die Flammen. Immer dann, wenn das Zeug hineinrieselte, leuchteten sie grün auf. Gleichzeitig bildeten sich Wolken, die wie Nebel in die Lücke zwischen den Feuern hineintrieben und den ätzenden Geruch ausströmten, den beide schon auf dem Weg zum Ziel wahrgenommen hatten. »Was soll das bedeuten«, wisperte Denise.
Suko hob die Schultern. »Es kann sein, daß sie einen bestimmten Dämon anrufen wollen.« »Was ist das? Aber die Leute waren vorhin doch noch normal. Das kann ich einfach nicht glauben.« »Leider ist es so.« »Hat das andere denn eine so große Macht über die Menschen, daß es sie dermaßen radikal verändern kann?« »Magie läßt vieles anders erscheinen. Sie kann auch verändern, Denise, sehr sogar.» »Kennst du dich aus?« »Ein wenig.« Sie schüttelte den Kopf. »Was bist du nur für ein Mensch, Suko? Ich kann dich nicht begreifen.« »Vergiß es einfach.« »Das kann ich nicht.« Sie mußte einfach sprechen und erkundigte sich mit leiser Stimme, ob ihm aufgefallen war, daß die Trommeln nicht mehr schlugen. »Sicher.« »Und was kann das bedeuten?« »Ich weiß es nicht.« Er warf einen raschen Blick auf die Uhr. Noch zwei Minuten, dann war die Tageswende erreicht. Dann würde das große Voodoo-Fest beginnen. Suko stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die Köpfe der Gäste schauen zu können. Dabei entdeckte er die Trommler. Es waren die drei Musiker von der Band. Nur hatten sie jetzt ihre Instrumente gewechselt. Sie hockten auf dem Boden, hatten die Beine gespreizt, um die Trommeln dazwischen stellen zu können. Ihre Hände lagen flach auf den Bespannungen der Instrumente. Die Ruhe vor dem Sturm, so kam es ihnen vor. Und wieder wunderten sie sich über die Partygäste. Sie schienen hypnotisiert zu sein, denn sie benahmen sich wie Marionetten, die den Befehl bekommen hatten, sich nicht zu regen und still zu sein. Ihre Blicke waren gegen die tanzenden Flammen gerichtet. Der leichte Wind strich über das Deck, spielte mit den Feuerzungen und ließ sie anfangen zu tanzen. Und dann hörten sie Schritte. Suko und Denise, die sich im Hintergrund aufhielten, drehten die Köpfe. Die anderen Gäste jedoch taten nichts. Sie blieben starr stehen, vielleicht wurden ihre Haltungen noch steifer als zuvor, denn durch manche Gestalten fuhr ein kurzer Ruck. Suko zog Denise zur Seite. Er wollte nicht unbedingt gesehen werden. Als sie zurückgingen und mit den Schatten außerhalb des Flammenscheins verschmolzen, hoben die Musiker ihre Hände und begannen, auf die Bespannungen der Trommeln zu schlagen.
Die ersten dumpfen Geräusche durchbrachen die gespannte Stille und glichen sich dem Rhythmus der Schritte an, so daß diese nicht mehr zu hören waren. Aber der Ankömmling war zu sehen. Er tauchte plötzlich auf, und Suko erkannte, daß es La Surenuse war. Und sie war fast nackt. Sie trug nur einen Bademantel, den sie locker über ihre Schultern gelegt hatte, der vorn aber offenstand. Wie zwei steife Aale baumelten die Gürtelseiten rechts und links ihres Körpers herab und schleiften fast über den Boden. Denise hatte Sukos Hand nicht losgelassen. Als sie die Frau sah, da drückte sie die Finger fester. »Meine Güte, sie ist es doch. Bisher habe ich daran gezweifelt, aber nun . . .« »Still!« Denise schwieg. Aber sie stand unter Spannung, sie war erregt, sie spürte ihren Herzschlag stärker als gewöhnlich und empfand die Furcht als wildes Tier, das bereits sein Maul geöffnet hatte, um das Opfer zu verschlingen. Auf der anderen Seite bewunderte sie einen Mann wie Suko, daß dieser so ruhig bleiben konnte. Zunächst geschah nichts. Sie ging einfach weiter, kümmerte sich nicht um ihre Gäste, sondern steuerte eines der Feuer an, das genau in ihrem Weg brannte. Es sah so aus, als wollte sie durch die Flammen schreiten, aber dicht davor blieb sie stehen, ließ den Bademantel mit einer oft geübten Bewegung über ihre Schultern nach hinten rutschen, so daß er sich auf dem Boden zusammenfalten konnte. Nackt stand sie vor dem Feuer, schaute hinein, gab sich einen Ruck — und ging vor. In die Flammen! Mit bloßen Füßen, mit nackter Haut. Und zahlreiche Zeugen schauten zu, unter ihnen auch die junge Denise, die ein Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Zum Glück war es so leise, daß es nicht gehört wurde. Die anderen Zuschauer zeigten keine Regung. Für sie schien dieser Gang normal zu sein. Sie hatten La Sure-nuse längst als Königin akzeptiert. Und ebenso stolz durchschritt sie die Flammen, betrat den hellen Kreis und blieb dort stehen. Hochgereckt und stolz. Bis auf die Zehenspitzen richtete sie sich auf, drehte sich dann sehr langsam um die eigene Achse, damit jeder die Chance bekam, ihren Körper zu bewundern. Ihr tadelloser und makelloser Körper glänzte rot im Widerlicht der Flammen. Sie wollte bewundert werden, und sie ließ sich bewundern, aber lautlos und trotzdem genußvoll, denn keiner der Umstehenden
wagte es, einen Kommentar abzugeben. Sie alle standen da und genossen nur ihre innere Freude. Dreimal drehte sie sich. Zweimal nach links, einmal nach rechts. Dann stoppte sie mitten in der Bewegung. Gleichzeitig verstummte der Trommelklang. Suko und Denise hatte es nicht mehr im Schatten gehalten. Auf leisen Sohlen waren sie vorgeschlichen. Natürlich interessierte die beiden das Geschehen an Deck, aber Sukos Gedanken waren nicht bei der Sache. Sie drehten sich mehr um seinen Freund John Sinclair, den er hier oben noch nicht entdeckt hatte. Wo mochte er stecken? Und wo verbarg sich der Häuter? Eine schreckliche Vision entstand vor Sukos Augen. John war auf den Häuter getroffen, hatte mit ihm gekämpft und war besiegt worden. Und danach hatte der Killer dann seinem Namen alle Ehre gemacht. . . Er bekam einen Schauer, als er daran dachte. Andererseits mußte er sich mit dieser Möglichkeit abfinden. Ihm wäre die Bestie auch beinahe über den Weg gelaufen. Warum nicht auch John? Eine wußte bestimmt Bescheid - La Surenuse. Sie aber konnte und wollte Suko nicht fragen, denn das unheimliche Ritual sollte auf keinen Fall unterbrochen werden. Urplötzlich fing sie an zu sprechen. Und sie redete mit einer leisen, zischenden Stimme, als würde in ihrem Mund eine Schlange stecken, die menschliche Worte noch mit ihrem Zischen begleitete. »Meine Freunde«, begann sie, »ich danke euch allen, daß ihr euch hier bei den magischen Feuern versammelt habt, um mit mir zu feiern. Es ist eine besondere Nacht, denn ich habe die dunklen Kräfte der Karibik hierher auf mein Schiff holen lassen. Sie waren es, die mich in den letzten Jahren geleitet haben, als mein Mann starb. Doch er hat mir etwas hinterlassen, das sich erst später als ungemein wertvoll herausgestellt hat. Ich werde es euch noch nicht sagen, aber ihr werdet es sehen, denn ihr seid mittlerweile reif dafür geworden. Ihr habt in euren Kabinen gewartet, ihr habt meine Kraft getrunken, die als Gas in eure Räume geblasen wurde, was nun euer Sinnen und Trachten einzig und allein auf einen Punkt konzentriert und gleichzeitig euren Geist für die wichtigen Dinge geöffnet hat.« Jetzt wußte Suko Bescheid, weshalb die Gäste so anders und auch lethargisch reagierten. Sie hatten in den Kabinen das Gas einatmen müssen und waren dadurch verändert worden. Welch ein Glück hatten sie gehabt, daß sie zu diesem Zeitpunkt woanders gewesen waren. Welch ein Glück!
Auch Denise hatte die Worte sehr wohl verstanden. Sie schluckte und faßte Suko noch einmal an. »Die ist verrückt«, hauchte sie. »Diese Frau ist einfach irre.« »Nein, so nicht.« »Wie denn?« »Sie hat es geschafft, einige Kanäle der schwarzen Magie zu durchschwimmen. Sie weiß Bescheid, sie hat in der Karibik viel über Voodoo und dessen praktische Anwendung gelernt. Ich würde sie nicht als verrückt ansehen, beinahe schon als genial.« »Das kann ich nicht glauben. So etwas . . .« Suko legte einen Finger auf seine Lippen, und sie verstand. »Ihr werdet erleben, wie man groß werden kann. Ihr werdet die Feier der Nacht genießen können, und ihr werdet mit dabeisein, wie ich versuche, unsterblich zu werden.« Das war ein hartes Wort, und Denise schüttelte den Kopf, während ihr Gesicht einen entsetzten Ausdruck angenommen hatte. Sie bekreuzigte sich sogar, danach ging es ihr besser, denn ihre Gesichtszüge entspannten sich wieder. Suko war sehr gespannt, wie La Surenuse versuchen würde, ihr Ziel zu erreichen. Er glaubte nicht daran, daß sie es allein durch eine Beschwörung schaffte. Aber sie fing damit an, hob den rechten Arm und schnippte mit den Fingern. Das Geräusch war ziemlich laut. Es wurde auch von der Person gehört, die es anging. Das war die dunkelhäutige Sängerin, die hinter den drei Trommlern stand und nur auf das Zeichen gewartet hatte. Als einzige der Frauen trug sie kein schwarzes Tuch, aber sie setzte sich mit gemessenen Schritten in Bewegung und kam auf den Mittelpunkt des Feuerquadrats zu, verfolgt von den Blicken der Anwesenden. Auch das Gesicht der Sängerin geriet in den Schein des Feuers. Suko konzentrierte sich auf die Augen. Sie waren starr und ohne Leben. Für Suko ein Beweis, daß diese Frau ebenfalls unter einer Kontrolle stand. Und La Surenuse lächelte. Wie eine Göttin sah sie aus. Ihr Alter war schwer zu schätzen, auch wenn sie das vierte Jahrzehnt bereits erreicht hatte, war ihre Figur top. Es gab kein Fett, kaum Falten, ein straffer Körper eben. Sie ließ sich bewundern. Das Haar schimmerte leicht golden im Schein der Feuer. Reflexe huschten darüber hinweg, als hätte jemand Goldpuder gestreut. Die Sängerin konnte ihr Ziel nicht auf dem direkten Weg erreichen. Sie drückte und wand sich an den Zuschauern vorbei, drehte Denise und
Suko hin und wieder ihr Profil zu, und Suko merkte, wie Denise neben ihm erstarrte. Er schaute sie an. Ihr Gesicht hatte einen starren Ausdruck angenommen. Sie schüttelte leicht den Kopf, als könne sie nicht glauben, was sie mit eigenen Augen zu sehen bekam. »Was hast du?« »Suko, sie hat. . .sie trägt den Koffer!« Sie ballte ihre linke Hand zusammen, mit der anderen fuhr sie über ihren Rücken. »Da hat er mich getroffen. Es ist der Koffer von dem Killer. Ich kenne ihn, ich weiß es. Aber warum nur?« Die Frage stellte sich Suko auch. Eine Antwort würde ihnen wohl erst La Surenuse geben. Sie erwartete die Sängerin mit ausgestreckten Armen. Die dunkelhäutige Person lief die letzten Schritte und blieb dicht vor der Voodoo-Witwe stehen. Als würde sie etwas ungemein Kostbares in den Händen halten, so vorsichtig setzte sie den Koffer ab, verbeugte sich und ging davon. La Surenuse wartete noch einige Sekunden, bevor sie sich niederbeugte, den Koffer anhob, ihre Finger über die Schlösser gleiten ließ, damit der Deckel aufschnellen konnte. Freie Sicht für sie. Nicht aber für die anderen Zuschauer. Nur sie war wichtig. Denise räusperte sich. »Weißt du oder kannst du dir vorstellen, was in dem Koffer ist?« »Nein, nicht einmal raten.« »Ja, das glaube ich auch.« Die Feuer brannten ruhig, auch wenn sie leicht fauchten. Das Meer war ein gewaltiger Teppich, der mit seiner weiten Dünung die Yacht trug und sie nur leicht bewegte. Ein rötlicher Schein lag über dem Schiff. Hin und wieder bekam er ein grünes Schimmern, wenn wieder Pulver in die Flammen geworfen worden war. La Surenuse hatte kein Wort gesprochen. Sie machte den Eindruck einer Zauberin, die sich dem Publikum stellte und es nur durch Gesten überzeugte. Denise konnte es kaum aushalten. Sie wollte sich nach vorn drängen, aber Suko hielt sie fest. »Nein, Mädchen, du mußt bei mir bleiben. Es ist erst der Anfang.« »Aber was kann sie uns denn . . .?« »Da!« Dieses eine Wort unterbrach die Frage. Denise schaute nach vorn, sie reckte sich, um besser erkennen zu können, was La Surenuse aus dem offenen Koffer hervorgeholt hatte.
Es sah aus wie ein breites und langes, sehr steifes Tuch, das sie erst auseinanderfalten mußte. Dabei war es ziemlich dünn, und es erinnerte an Leder. Sie hatte nicht mit einem Wort erklärt, weshalb sie dieses Tuch hervorgeholt hatte. Sicherlich wußten die meisten auch keinen Bescheid, aber Sukos Hirnzellen arbeiteten bereits auf Hochtouren. Er war dabei eins und eins zu addieren. Sie reckte ihre Gestalt. Das ungewöhnliche Tuch hielt sie so, daß es die Vorderseite ihres Körpers bedeckte. La Surenuse schaute mit dem Kopf über dem oberen Rand hinweg, der untere befand sich in Höhe ihrer Fußknöchel. Die Arme hatte sie so lang ausgestreckt wie möglich, wartete noch und nickte ihren Anhängern zu. »Ihr werdet die Zeugen sein«, sagte sie mit lauter Stimme, damit sie auch jeder hörte. »Ihr werdet die Zeugen dafür sein, daß ich nun einen Anlauf nehme, um neue Wege zu gehen. Ich stamme aus der Karibik, ich habe dort viele Jahre verbracht. Ich gehöre zu den Menschen, die sich nicht über andere gestellt haben. Ich habe genau zugehört, und ich habe gelernt. Ich konnte mich mit den alten Ritualen beschäftigen, ich habe das Vertrauen der Einheimischen gewonnen, ich war mit einigen von ihnen liiert, und habe sogar einen Sohn, der nicht von meinem Ehemann stammt. Der Gute war nicht kräftig genug, er war einfach zu alt, und er starb ja auch sehr bald. Ich aber blieb noch, ich kümmerte mich um meinen Sohn, den ich mit achtzehn Jahren bekam. Und er war etwas Besonderes. Halb weiß, halb schwarz, er gehörte zu keiner Seite, aber er besaß einen Willen, den ich als unzerstörbar ansehe. Und ich schaffte es, ihn zu faszinieren, zu begeistern. Wir reisten viel durch die Welt. Er wurde älter und stellte Fragen, die Antworten gab ich ihm gern, denn ich merkte sehr genau, wie stark er sich für die Dinge interessierte, die in einem unmittelbaren Zusammenhang zur Magie des Voodoo standen. Und dann kam die Zeit, wo ich ihn in den erlauchten Kreis einführen konnte und er zu meinem wichtigsten Helfer gemacht werden konnte. Er tat das, was getan werden mußte. Ein alter Medizinmann, ein Lehrer, weihte uns ein. Er gab uns bekannt, daß es noch neue Wege gibt, die gegangen werden müssen. Ich war dazu bereit, mein Sohn ebenfalls, und wir würden keine Rücksicht nehmen. Ich war die erste, die die ganze Kraft des Voodoo erleben sollte, und zwar auf eine sehr raffinierte und außergewöhnliche Art und Weise. Schaut mich an, schaut, was ich hier habe. Seht auf das, was meinen Körper bedeckt. Es ist das Neue, es ist das Wichtige, es ist einmalig, denn ich bin die erste, die es ausprobiert. Dank meines Sohnes ist es mir gelungen . . .« Die Zuschauer schwiegen. Sie starrten die Frau an, aber Denise schüttelte den Kopf. »Was bedeutete das?« hauchte sie. »Die Frau redet in Rätseln, Suko - oder?« »Für mich nicht.«
»Dann weißt du Bescheid?« »Ja. Aber schau selbst.« Er rechnete mit einem bestimmten Vorgang, der sicherlich noch kommen würde, allerdings nicht sofort, denn La Surenuse war mit ihrer Rede noch nicht am Ende. Sehr laut hallte ihre Stimme über das Deck. »Dieses Teil, das so aussieht wie eine Decke, ist das, was mir mein Sohn als Erbe schon jetzt hinterlassen hat. Es ist wunderbar, sie ist wunderbar, sie ist einmalig, denn sie besteht aus einem bestimmten Material, in das ich mich gleich einwickeln werde. Ich sage nur: Haut auf Haut, denn diese Decke besteht aus Menschenhaut...« *** Was sollte ich tun? Ich wußte, daß der andere angetreten war, um mich zu zerstören, zu vernichten, zu töten. Ich dachte darüber nach, welche Waffen mir blieben. Die Beretta hatte ich abgeben müssen. Es blieben mein Kreuz und der Dolch, dessen Klinge in einer weichen Scheide aus Leder steckte. Beim Tanzen hatte La Sure-nuse von diesen Waffen nichts bemerkt. Aber der andere besaß das Messer! Diese verfluchte Klinge, mit der er seine Opfer gehäutet hatte. Er würde mit dieser Waffe perfekt umgehen können, das stand für mich fest. Wohin? Ich konnte mir zwei Sessel aussuchen, die als Dek-kung dienten. Und ich mußte mich dabei lautlos bewegen, denn das geringste Geräusch hätte den anderen mißtrauisch werden lassen. Ich tauchte unter. Die Kleidung raschelte, schon dieses leise Geräusch störte mich. Ich hoffte, daß der andere es nicht vernommen hatte. Es war sehr still geworden. Auch über uns an Deck waren die Geräusche eingeschlafen. Die Band spielte nicht mehr, auch die Musik aus den Lautsprechern war verstummt. Es gab nur ihn und mich. An der rechten Seite des Sessels peilte ich vorbei. Die Tür zum Bad lag haargenau in meiner Blickrichtung. Und davor - möglicherweise sogar innerhalb des Spalts - zeichnete sich die Gestalt des Häuters ab. Er stand dort wie eine Statue, die Arme hingen rechts und links seines Körpers nach unten. Das lange Messer bildete die Verlängerung seiner rechten Hand. Selbst im Finstern glänzte die Klinge wie ein matter Spiegel. Ich fragte mich, wie oft sie schon den Tod gebracht hatte. Auch ich war nicht von Gefühlen gefeit und bekam eine Gänsehaut, die über meinen Körper rieselte. Der Magen drückte, aber ich mußte cool
bleiben, ich mußte abwarten, ich durfte auf keinen Fall die Nerven verlieren. Einen Vorteil hatte ich ihm gegenüber. Ich wußte, wo er sich befand, der Häuter aber mußte mich noch suchen. In derartigen Situationen fallen einem oft Lächerlichkeiten ein. Mir erging es nicht anders. Ich dachte daran, daß ich nicht einmal den Namen des Häuters kannte. Wenn der mich umbrachte, war ich von einem Namenlosen gekillt worden. Ich schluckte. Nur nicht verrückt machen lassen, schärfte ich mir ein. Um Himmels willen, keine Panik! Immer die Nerven behalten, sonst lief alles quer. Der Häuter blieb nicht an der Tür stehen. Er bewegte sich in den Raum hinein. Schon bei seinem ersten Schritt erkannte ich, was mit ihm los war. Dieser Mann konnte sich bewegen, er war geschmeidig, er ging wie ein Tänzer und wie ein Raubtier. Da steckten zwei Seelen in seiner Brust, und ich hörte ihn plötzlich atmen. Es war ein zischendes Geräusch, das er ausstieß und gleichzeitig so etwas wie ein Startsignal war, denn er hob die Waffe an, so daß ich sehen konnte, wie lang die Klinge war. Furchtbar lang . . . Dann ging er weiter. Er bewegte sein Messer, er fächerte damit. Einmal nach links, dann wieder nach rechts, als wollte er gewisse Dinge kurzerhand aus dem Weg räumen. Er wußte, daß ich mich in dieser Suite befand, aber er wußte nicht wo. Das war mein Vorteil, denn ich konnte ihn sehen, er mich aber nicht. Er würde sich erst umsehen müssen und ... Nein, es war anders. Ich hatte ihn unterschätzt, denn plötzlich blieb er stehen. Seine Bewegungen waren erstarrt. Aber ich hörte ihn sehr deutlich, und er tat etwas, das mich irritierte. Er schnüffelte . . . In kurzen, hektischen Stößen saugte er die Luft ein, als wollte er genau schmecken, was an ihr Besonderes daran war. Das tat er sicherlich zum Spaß, da steckte etwas dahinter, und mir kam der Verdacht, daß er versuchen würde, seinen Gegner zu riechen. Es gab Menschen, die so etwas konnten. Sie rochen ihre Feinde, sie waren sehr empfindlich, und jeder Mensch — da machte auch ich keine Ausnahme — strömte einen bestimmten Geruch aus. Wer nun sehr empfindlich ist, der kann herausfinden, wo sich der andere im Dunkeln verbirgt. Ich geriet ins Schwitzen, obwohl ich es nicht wollte. Er stand noch immer an derselben Stelle und schnüffelte.
Ich hatte meine rechte Hand auf den Dolchgriff gelegt. Er war bereits schweißnaß geworden, und ich dachte daran, was mich eigentlich davon abhielt, die Waffe zu ziehen und sie sofort danach auf das wunderbare Ziel zu schleudern. Die Antwort wußte ich auch. Ich war nicht wie er. Ich war dem Gesetz verpflichtet, ich konnte mich nicht mit ihm auf eine Stufe stellen, obwohl es manchmal besser gewesen wäre. Denn ich war ehrlich genug, um dies einzusehen. Aber nicht jetzt, nicht in dieser verfluchten Kabine, die mit zahlreichen Schatten gefüllt war. Allesamt atmeten sie den Hauch der Gefahr aus, schienen mir klarmachen zu wollen, wie gering doch meine Chancen waren. Sein Schnüffeln verstummte. Er ging zur Seite. Da ich hockte, kam er mir noch größer vor. Beinahe wie ein gewaltiger Berg, der sich in Bewegung gesetzt hatte. Sein Ziel war der zweite Sessel. Wollte er ihn etwa als Deckung benutzen? Ich glaubte nicht daran und sah mich in der nächsten Sekunde voll bestätigt. Blitzschnell faßte er mit einer Hand zu, kippte den Sessel, um ihn dann so anzufassen, daß er ihn in die Höhe stemmen konnte. Er schleuderte ihn, als er sich gedreht hatte, um seine Richtung zu ändern. Das Möbelstück flog auf meine Deckung zu. Beide Sessel prallten zusammen, und der Geworfene räumte meine Deckung zur Seite. Er wollte mich frei haben, er wollte zuschlagen und jagte mit einem gewaltigen Sprung auf die Stelle zu, wo ich gelauert hatte. Sein Messer fauchte durch die Luft. Er schlug ungemein wuchtig, von oben nach unten, setzte den Hieb schräg an, und die Klinge hätte mich brutal zerstört, wenn ich nicht schneller gewesen wäre als sie. Ich hatte mich nicht nur zur Seite geworfen, ich war auch auf die Füße gekommen und gerannt, bis mich die Wand stoppte. Ich hörte ihn fluchen. Er riß seine Waffe zurück und fuhr sofort herum. Auch ich hielt jetzt meinen Dolch in der Hand. Er lag in der Rechten, mit der linken aber hielt ich die kleine Stableuchte fest. Sie war zwar keine Waffe, konnte aber sehr gut zu einer werden, wenn sie richtig eingesetzt wurde. Alles kam auf den Häuter an. Der wußte sehr genau, wo ich stand. Da er sich in der Düsternis abzeichnete, mußte mit mir einfach das gleiche geschehen. Ich berührte noch immer mit dem Rük-ken die Wand, spürte in meinem Nacken eine Haut aus dünnem Eis und sah ihn kommen. Er ging dü-ekt auf mich zu. Sollte ich die Waffe werfen?
Nein, ich dachte an meine Lampe, an diese ungewöhnliche Waffe, und über meine Lippen huschte ein eisiges Grinsen. Plötzlich war ich die Ruhe selbst, irgendwo hatte ich mich an die tödliche Gefahr, die er ausströmte, schon gewöhnt. Ich ließ ihn kommen. Den ersten Schritt, den zweiten. Sie waren ziemlich klein, was mir zum Vorteil gereichte. Dann schaltete ich die Leuchte ein. Ich hatte sehr genau gezielt. Der Strahl durchbrach wie ein Blitz die Finsternis und stach direkt gegen sein Gesicht und gegen seine Augen. Das genau hatte ich vorgehabt, ich wollte ihn blenden, irritieren. Ich sah die breite Stirn, die aschgrau wirkende Haut, die Augen, die plötzlich zwinkerten. Daß dieser Zustand nicht lange andauern würde, war mir klar. Diese Sekunden mußte ich ausnutzen. Links die Lampe, rechts den Dolch. Ich hob den rechten Arm. Und dann warf ich. Ungemein hart und zielsicher. Verfehlen konnte ich ihn kaum. Er hatte auch nicht damit gerechnet, daß ich noch eine Waffe trug, denn La Surenuse würde ihn da nicht richtig aufgeklärt haben, und deshalb reagierte er auch zu spät. Zwar zuckte er noch zurück, aber der geweihten Silberklinge konnte er nicht entwischen. Sie traf ihn nicht in die Brust. Durch seine Bewegung hatte sich das Ziel verändert, aber sie bohrte sich wuchtig und auch sehr tief in seine linke Schulter hinein, leicht schräg auftreffend, so daß sie beinahe schon seine Brust erwischte. Zum erstenmal hörte ich seine Stimme. Es war kein Wort, sondern ein krächzender Schrei, der mir da entgegendrang. Er geriet ins Trudeln, hielt sein verdammtes Messer noch immer fest, schlenkerte den rechten Arm und taumelte endlich zurück. Sollte ich nachsetzen? Ich war mir nicht sicher, denn ein Mann wie er war auch angeschossen noch verflucht gefährlich. Der gab nicht auf, der würde weitermachen, wenn er konnte. Er fing sich wieder. Die Lampe hielt alles fest. Er fluchte, er knurrte tief in der Kehle — und rannte plötzlich vor. Es sah so aus, als würde er mitten in den Strahl hineinrennen, der zuckend und lautlos auf Brust, Hals und Gesicht explodierte. Er wirkte so wie ein tanzender Derwisch, sein Gesicht war eine haßerfüllte, schweißverklebte Fratze, und er schaffte es tatsächlich, seine furchtbare Klinge auf die Reise zu schicken.
Dabei war er nicht so dumm, sie aus der Hand zu geben. Sein rechter Arm wurde nur sehr lang, ich sah die Klinge, ich sah ihn und hechtete von ihm weg. Das war genau der richtige Moment gewesen. Über mir hinweg schlug das mörderische Messer so hart, daß ich den fauchenden Laut noch mitbekam. Dann hörte ich ihn wüten, als er gegen die Wand prallte. Was weiter geschah, sah ich nicht, weil ich mich aus der unmittelbaren Gefahrenzone wegdrehte. Ich kam wieder auf die Füße, lief geduckt in die Kabinenmitte, ging aber rückwärts und prallte gegen den viereckigen Tisch. Er rutschte ein Stück weiter. Dadurch wäre ich beinahe auf den Rücken gefallen, hörte einen röhrenden Laut, dann klatschte etwas in meiner Nähe auf. Zum Glück drehte ich den Kopf zur anderen Seite, sonst wären mir die Scherben der zerbrochenen Vase ins Gesicht gespritzt und nicht im Nackenhaar gelandet. Ich kam wieder hoch. Seine Schritte stampften, als er auf mich zurannte. Die Lampe hatte ich verloren. Sie leuchtete auf dem Boden weiter, und ihr Strahl war in Richtung Bad gerichtet. Er erreichte sogar die Tür, aber das gab mir kaum Sicht. Mir geriet eine Lampe zwischen die Finger. Es war ein helles, ovales Ding. Ich wuchtete es ihm entgegen. Wieder entstanden Splitter, denn er hatte die Leuchte mit einem blitzschnellen Hieb zerstört. Und dann bewegte er sich nach rechts. Ein Drehsprung brachte ihn in diese Richtung. Wie ein Irrwisch huschte er durch den Lichtstrahl, und einen Moment später sah ich seine Gestalt an der Tür zum Bad und hörte auch seine Stimme. »Ich komme, Mutter!« Dieser Satz irritierte mich, ich kam mit ihm nicht zurecht, war eigentlich zu lange abgelenkt, denn das nächste Geräusch hörte sich an, als wäre eine Tür zugefallen. Sie knallte auch zu. Es war die zum Bad. Was wollte er dort? Sich einschließen und auf seine Mutter warten? Oder zu ihr gehen? Ich nahm mir einige Sekunden Zeit. Der Kampf war noch nicht beendet, nur in eine Pause eingetreten. Er würde bis zur bitteren Neige gehen, und es konnte nur einen Sieger geben. Ich stolperte durch die Dunkelheit auf meine Lampe zu, hob sie auf, leuchtete den Boden vor mir ab und sah dort etwas Helles liegen, das auch Reflexe warf. Da lag mein Dolch!
Ob er aus der Wunde herausgerutscht war oder ihn der Häuter hervorgezogen hatte, konnte ich nicht sagen. Wichtig war erstens, daß ich ihn überhaupt zurückhatte, und es kam noch etwas dazu. Ich wußte jetzt, daß er kein Dämon war, denn die geweihte Klinge hätte ihn sonst zerstört und wäre nicht einfach so in seiner Schulter steckengeblieben. Ich hatte es mit einem >normalen< Menschen zu tun, der anderen die Haut vom Körper zog. Ein Wahnsinn . . . Ins Bad war er geflohen. Ich erinnerte mich daran, daß es dort kein Fenster gab. Er hatte sich meiner Ansicht nach den falschen Fluchtweg ausgesucht. Es sei denn, er wollte sich bewußt in einem engen Raum aufhalten, wo die Ausweichchancen nicht sehr günstig waren. Ich beging nicht den Fehler, auf direktem Weg in Richtung Bad zu gehen, denn ich mußte immer wieder an seine Klinge denken, die lang und hart genug war, um eine Badezimmertür mit einem Hieb durchschlagen zu können. Wer dann dicht dahinter stand, wurde auch noch erwischt. Der Häuter hatte Blut verloren. Dicke, rote Flecken waren zu Boden geklatscht. Vielleicht war er auch in das Bad gelaufen, um seine Wunden zu verbinden. Ich rechnete bei ihm mit jeder Möglichkeit und ging gleichzeitig davon aus, daß ich nicht ewig und drei Tage auf ihn warten konnte. Es mußte etwas geschehen. Wieviel Zeit verstrichen war, konnte ich nicht sagen. Jedenfalls lauerte ich an der Seite der Tür, an der sich auch die Klinke befand, und da brauchte ich nur den Arm auszustrecken, um sie zu erreichen. Noch tat ich es nicht. Ich hütete mich auch davor, mein Ohr gegen das Holz zu legen. Wenn er irgendwelche Geräusche verursachte, bekam ich sie möglicherweise auch so mit. Leider hörte ich ihn nicht. Aber er mußte da sein. Er konnte sich nicht in Luft aufgelöst haben. Ich gab ihm noch eine halbe Minute, bevor ich mich rührte, die Klinke nach unten drückte und die Tür ins Bad stieß. Eine Öffnung entstand. Sie war breit genug, um den Häuter hereinzulassen, und ich hätte ihm dann die Klinge in den Leib gerammt. Nur kam er nicht. Er blieb still. Die Ruhe im Bad empfand ich schon als schrecklich bedrückend. Ich kam mir vor wie ein Rennwagen auf der Startlinie. Ich stand unter Strom. Ich wartete darauf, daß im nächsten Augenblick alles anders werden und die Welt um mich herum regelrecht explodieren würde. Nichts davon trat ein. Das kleine Badezimmer war nach wie vor eine leere Höhle für mich, in der sich Schatten ballten, die das Grauen und den Tod ausatmeten. Er
war nicht hervorgekommen, dennoch fürchtete ich mich davor, es schon jetzt zu betreten. Ich rechnete mit allem. Der Häuter war schlau. Er würde es auch verstehen, in diesem kleinen Raum eine Deckung zu finden. Er konnte sich in der Badewanne verstecken, er konnte hinter der Tür hocken . . . Aber hielt jemand so lange den Atem an? Es war nicht möglich. Ich hörte nichts, und da er ein Mensch war, hätte er Luft holen müssen. Ich ging einen Schritt nach vorn. Dabei kam es mir vor, als hätte ein Band mein Bein umschlungen, das von jemandem gehalten wurde, der mich zurückzerren wollte. Nichts tat sich. Ich ging weiter, stand dann auf der Schwelle. Der Lichtstrahl blitzte auf. Ich bewegte meine Hand sehr rasch und ließ den Strahl durch das Bad huschen. Es war leer! Auch in der Wanne hockte niemand, und hinter der gläsernen Wand der schiebbaren Dusche zeichnete sich ebenfalls kein Umriß ab. Hatte er sich tatsächlich in Luft aufgelöst? Ich wollte es einfach nicht glauben. Das konnte und durfte nicht sein, da mußte es eine andere Möglichkeit geben. Ich wollte mich nicht zum Narren machen lassen. Und es gab sie. Ich brauchte mich nur nach rechts zu drehen und mit den Blicken dem Lichtfinger der Lampe zu folgen, dann sah ich genau die Stelle, die ein vierek-kiges Loch in der Wand zeigte. Genau quadratisch ausgeschnitten. Eine Klappe, eine Öffnung, relativ groß. Vergleichbar mit einem kleinen Aufzug, über den Dinge von einer Etage in die andere transportiert wurden. So etwas gab es noch in Hotels und Gaststätten und auch in diesem Badezimmer. Ich leuchtete hinein. Der Aufzug selbst war natürlich nicht da, weil sich der Häuter damit in die Höhe gezogen hatte, aber ich sah den Strick, der über einige Rollen lief. Man mußte ihn also mit der Hand betätigen. Ich steckte meinen Kopf durch das Loch und drehte ihn so, daß ich in die Höhe schauen konnte. Die Länge des Schachts war nicht zu erkennen. Er verschwand irgendwo in der Dunkelheit. Ich hörte auch kein Geräusch. Der Häuter hatte Zeit genug gehabt, seinen Weg zurückzulegen, um an Deck des Schiffes Angst und Schrecken zu verbreiten.
Für mich stand jetzt schon fest, daß ich zu spät kommen würde. Die einzige Hoffnung blieb Suko, der sicherlich darüber Bescheid wußte, was über mir ablief. Ich prüfte das Seil, das wie der Körper einer hellen, starren Schlange schimmerte. Es war okay. Wenn es das Gewicht des Häuters gehalten hatte, würde es auch meines schaffen. Hand über Hand zog ich daran und hörte über mir das Schaben, als sich die schmale Plattform des primitiven Aufzugs nach unten bewegte. Sie kam, ich stoppte sie und mußte zu einem Schlangenmenschen werden, um mich durch die Öffnung zwängen zu können. Mit Geschick und gutem Willen klappte auch das. Geduckt und mit angezogenen Beinen hockte ich auf dem dicken Holzviereck, die Seile des Aufzugs in Reichweite. Sie waren rauh, ich würde mir möglicherweise die Hände aufscheuern, das alles war sekundär, wenn ich es schaffte, den Häuter endlich zu stellen. Ich zog mich hoch. Und es störte mich auch nicht, daß manche Stellen des Seiles blutbefleckt waren... *** Denise hob eine Hand, preßte sie gegen den Mund, um so einen Schrei zu unterdrücken. Was sie eben von dieser Frau gehört hatte, war so unglaublich, daß sie nicht daran glauben und es auch nicht fassen konnte. Das war der reine Wahnsinn, das war für sie eigentlich so, daß es kein Mensch hätte sagen können. Zu verrückt, viel zu verrückt. . . Sie schaute auf die anderen Gäste. Sie hatten die Nachricht emotionslos über sich ergehen lassen. Denise kamen sie vor, als wären sie nur Staffage oder Statisten für den großen Auftritt der Voodoo-Witwe. Aber Suko mußte den Satz auch verstanden haben. Er mußte doch reagieren, er mußte etwas tun. Der Inspektor tat nichts. Er stand wie festgefroren neben ihr und schaute auf die Frau, deren Gesicht noch über dem Rand der Haut schwebte und zu einem Lächeln verzogen war. Sie stieß ihn an. Suko drehte den Kopf, und Denise nahm ihre Hand wieder von den Lippen weg. »Du hast es gehört?« »Sicher.« Die Antwort hatte sie irritiert, weil sie einfach emotionslos abgegeben worden war. »Und da sagst du nichts? Da gehst du nicht hin, um das Grauen zu stoppen?«
»Hätte es denn Sinn? Ich kann daran nichts mehr ändern. Was geschehen ist, das ist passiert, und ich kann die Toten leider nicht mehr lebendig machen.« »Jaaa«, stöhnte Denise, »das sehe ich ein. Wir müssen eben abwarten. Ich hoffe nicht, daß es zu schlimm wird. Kannst du dir denn vorstellen, was sie vorhat?« »Ja, Denise, das kann ich. Sie wird heute ihren großen Auftritt haben, und sie wird das ausnutzen, was man für sie vorbereitet hat. Es hörte sich schlimm an, aber du wirst es bald erleben. Sie wird sich in die Haut einwickeln und sie dann tragen wie einen Mantel.« Das Mädchen hatte genau zugehört. Es konnte sich nicht bewegen. Es stand da und war geschockt. Aber hinter ihrer Stirn rasten Denises Gedanken, sie formulierte sie auch zu einer flüsternd gestellten Frage. »Was kann sie denn damit erreichen?« »Macht.« »Nein, das ist. . .« »Doch, Denise, Macht. Daran mußt du dich eben gewöhnen. Es ist eine magische Macht. Es ist ja nicht nur dieser Mantel aus Menschenhaut, in ihm stecken noch andere Mächte und Kräfte. Die bösen Dämonen des Voodoo. Sie hat es gelernt, sie hat genau zugehört, und sie wird auch wissen, was sie tut.« »Du später auch?« »Das hoffe ich.« Suko zeigte ihr bereits, was er vorhatte, denn er zog seine Dämonenpeitsche hervor, schlug einmal den Kreis, so daß die drei Riemen hervorrutschen konnten und mit ihren Spitzen auf dem Deck liegenblieben. Denise staunte. Schaute Suko an, dann die Peitsche und wollte wissen, was sie bedeutete. »Es ist eine Waffe, Denise.« Sie hatte mitgedacht. »Gegen Dämonen oder die anderen gefährlichen Mächte?« »Genau.« Sie holte Luft, schluckte und wollte wissen, was Suko nur für ein Mensch wäre. »Ein guter«, erwiderte er lächelnd und nickte dann zu dem Mittelpunkt zwischen den Feuern hinüber, denn dort tat sich etwas. La Surenuse hatte sich einige Male gedreht, so daß jeder erkennen konnte, was sie mit dem Mantel aus Menschenhaut vorhatte. Sie hob ihn noch einmal an und stöhnte dabei wohlig auf. Die vier Feuer beleuchteten flackernd die ungewöhnliche Szenerie. Sie hatten diesen Teil des Decks zu einer schaurigen Landschaft gemacht, die mehr an eine Filmkulisse erinnerte. Suko schaute sich jetzt öfter um, denn er begann damit, sich Sorgen um seinen Freund John Sinclair zu machen. Seit zu langer Zeit hatte er einfach nichts mehr von ihm gehört. Es bestand die Gefahr, daß es nicht gutgegangen war, denn auch der verfluchte Häuter war nicht erschienen.
Daß er und John zusammengetroffen waren, lag eigentlich auf der Hand, und daran wollte Suko kaum denken. Was passierte noch? Wann würde der Häuter erscheinen, dieser Mann mit dem Messer? Vorerst konzentrierte sich alles auf La Surenuse, die sich in ihren ungewöhnlichen und makabren Mantel einwickelte. Sie bewegte sich dabei wie eine Tänzerin, sie genoß diesen Umhang, sie lächelte, sie fühlte sich so wohl wie andere Damen, die sich in einen Pelzmantel einwickelten und dabei nicht an die getöteten Tiere dachten. Es war ihre Nacht, es war ihre Stunde, und sie würde keinen Zentimeter davon abweichen. Sie freute sich, sie stöhnte beinahe wollüstig auf. Die Haut war so groß, daß sie sie zweimal um ihre nackte Gestalt schlingen konnte. Dann war sie fertig. Nur mehr ihr Kopf schaute aus der Öffnung. Eigentlich sah sie aus wie jemand, der in einen Teppich gewickelt und dann auf die Füße gestellt worden war. Allerdings schauten bei ihr die Füße noch hervor, denn sie brauchte einen gewissen Stand. Und so wartete sie, bewegte den Kopf, die Augen schauten in den Himmel, als würde sie von dort die Lösung all ihrer Probleme erwarten. Und dann klangen die Schritte auf. Zuerst wurden sie nur von Suko und Denise gehört, weil sie vom Heck herkamen. Einen Moment später aber reagierte die Frau. Sie schrie aus ihrem Hautmantel hervor die Trommler an, die sofort reagierten und mit ihrer Musik begannen. Die ersten dumpfen Laute entstanden . . . Als unheimliche Klänge wehten sie über das Deck, und sie begleiteten die Schritte des Ankömmlings. So geschockt, als daß ihre Gedanken völlig ausgeschaltet waren, zeigte sich Denise nicht. Sie wußte auch, wer sich da dem Zentrum näherte. »Das muß er sein!« keuchte sie Suko zu, »das muß der verdammte Kerl sein, der Häuter.« »Das glaube ich auch . . .« »Willst du jetzt etwas tun?« »Abwarten.« Denise schwieg. Sie drehte den Kopf, denn Schritte waren in ihrer Nähe zu hören. Und dann sahen sie ihn. Denise hatte Mühe, einen Schrei zu unterdrücken, denn schreckliche Erinnerungen peitschten in ihr hoch. Allein der Anblick des Häuters war furchteinflößend, vielleicht auch deshalb, weil er die meisten Menschen um einen Kopf überragte.
Er war nackt bis auf einen Lendenschurz. Er trug nicht einmal Schuhe, aber sein Gesicht zeigte einen verbissenen Ausdruck, als wäre er dabei, Schmerzen zu unterdrücken. Und daran stieß sich Suko. Der Mann bewegte sich zudem nicht so geschmeidig, wie er es erwartet hätte. Sein Gang wirkte eher schwerfällig, schon leicht müde, und der Atem drang rasselnd aus seinem Mund, vor den Schaum trat. Er drehte den beiden seine rechte Seite zu. Die Haut war aschgrau. t Um die Feuer und damit auch den Mittelpunkt zwischen ihnen zu erreichen, mußte er sich drehen. Als er das tat, weiteten sich Sukos Augen. Sehr deutlich zeichnete sich der breite, nach unten hin verlaufende Fleck an seiner linken Schulter und auf einem Teil der Brust ab. Der Fleck war Blut. Und dieses Blut quoll noch immer aus einer Wunde an der Schulter. Der Hauter war verletzt. Suko konnte sich vorstellen, daß er sich diese Verletzung bei einem Kampf zugezogen hatte. Gegen John? Plötzlich trocknete sein Hals aus. Die Augen brannten, sie schienen aus den Höhlen quellen zu wollen. Wenn er sich im Kampf gegen John Sinclair verletzt hatte und jetzt diesen Weg hier über Deck nahm, konnte es bedeuten, daß es einem John Sinclair nicht mehr möglich war, sich auf den eigenen Beinen zu bewegen. Dann hatte er gewonnen . . . Suko bewegte seine Hände. Der Schweiß brannte förmlich auf seinen Handflächen. Er spürte den rasenden Herzschlag, und die Sorge um seinen Freund fraß ihn beinahe auf. Es war ein Unding, es durfte nicht wahr sein, aber die Ereignisse zwangen ihn dazu, sich darauf zu konzentrieren, was vor ihm ablief. »Mein Sohn!« rief die Frau. Beim letzten Wort verstummte der Trommelklang. Nur die Schritte des Häuters waren zu hören. Schwer und schleifend. Sein Gesicht wurde vom Widerschein der Feuerzungen umtanzt. Es glich dabei einer schaurigen Voodoo-Maske, und sein verfluchtes Mordmesser trug er in der rechten Hand, die Spitze der Klinge allerdings nach unten gerichtet. Er blieb stehen. Mutter und Sohn schauten sich an. Kurz nur, aber die Frau hatte sofort gemerkt, was mit ihrem Sohn los war. »Du bist verletzt?« Er nickte. »Wieso?« Ihre Stimme klang schrill, sie hatte plötzlich Angst. »Was ist dir passiert?« »Es war nichts, Mutter. Nichts, was ich nicht hätte regeln können.«
Suko wollte der Magen hochkommen, als er hörte, wie dieser widerliche Verbrecher das Wort Mutter in den Mund nahm. Er sah es als eine Beleidigung für alle Mütter der Welt an. Gern hätte er erfahren, was tatsächlich geschehen war und weshalb sich der Häuter die Verletzung zugezogen hatte. Er aber wollte über dieses Thema nicht mehr sprechen, sondern bückte sich direkt vor der VoodooWitwe. Es sah so aus, als wolle er sie anbeten, statt dessen aber suchte er im offenen Koffer herum. Es war sehr ruhig geworden. Deshalb drang jedes Geräusch doppelt so laut durch die Stille. Auch das leise Klirren, das die Gegenstände verursachten, die der Häuter im Koffer durcheinanderwirbelte. Er ließ sich Zeit damit, und Suko nutzte die Gelegenheit, um seinen Standort zu wechseln. Er wollte näher an das Feuer heran, allerdings nicht so nahe, als daß die Flammen seine Gestalt aus der Dunkelheit gerissen hätten. Noch im Schatten ging er in die Knie nieder. Er wirkte wie ein Kurzstreckenläufer vor dem Start. Denise war von seinem Vorhaben überrascht worden. Sie hatte noch hinter ihm herrufen wollen, dann eingesehen, daß es wohl der falsche Weg war. Sie verhielt sich still. Der Häuter richtete sich auf. Noch immer war nicht zu erkennen, was er aus dem Koffer hervorgeholt hatte, bis er seinen Arm anhob und die Hände dabei so drehte, daß die Blicke der Zuschauer genau darauf fallen konnten. In den Handflächen lag etwas Glitzerndes. Manchmal schimmerte es rötlich im Widerschein der Flammen, und die in Menschenhaut eingewickelte Frau stieß ein zufriedenes Lachen aus. »Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen!« rief sie so laut, daß es jeder hören konnte. »Jetzt werde ich die Macht des Voodoo am eigenen Leibe erleben, und ihr sollt meine Zeugen sein. Ihr werdet mitbekommen, wie ich sterbe, aber ihr werdet auch erleben, wie ich wieder zu dem werde, was ich jetzt bin, zu einer lebenden Person nämlich. Tod und Leben, Sterben und Widerauferstehen gehören zusammen. Es ist einfach wunderbar, und die Magie des alten Voodoo-Kults hat uns Menschen die Erkenntnis gegeben. Wenn ihr aus eurer Trance erwacht, werdet ihr nichts, aber gar nichts vergessen haben. Jeder Vorgang, jede Sekunde wird in euren Köpfen und in eurem Gedächtnis eingebrannt sein, und ihr werdet euch immer wieder daran erinnern, so gut und stark, daß ihr von diesem Zauber nicht mehr loskommt. Ihr lernt in Trance, und ihr werdet es später an andere weitergeben und mithelfen, die Macht des Voodoo zu vergrößern. Es sind sehr viele Nadeln, die mit meinem Blut befleckt werden, und jede dieser Nadeln ist für eine Person bestimmt. Ihr werdet sie bekommen, ihr werdet sie mitnehmen und der Welt damit beweisen, zu was ihr fähig seid. Die Nadeln sind es, die euch die gewaltige Macht geben, nur die Nadeln . . .« Ihre Stimme sank ab. Dann nickte sie.
Der Häuter hatte begriffen. Er wußte, was er tun mußte, nahm die erste Nadel zwischen Daumen und Zeigefinger, als wollte er einen kleinen Speer nach vorn rammen. Und er fing an. Haargenau stieß er die Nadel dorthin, wo der Hals der Frau aufhörte und die Brust begann. Alle schauten zu, auch Denise, nur konnte sie nicht hinsehen, sie zuckte zusammen und öffnete die Augen erst wieder, als sie das Stöhnen der Frau hörte und sah, daß die Nadel die Menschenhaut durchdrungen hatte und mit ihrer Spitze im Körper der Voodoo-Witwe steckte. »Die erste!« keuchte sie. Es war kein Keuchen der Angst, eher ein Ruf des Glücks. »Mach weiter, bitte!« Er nahm die zweite. Er rammte sie durch die Haut. Die Frau zuckte zusammen, forderte die dritte Nadel, und jeder der Umstehenden konnte miterleben, wie die Frau von oben nach unten mit Nadeln bestickt wurde. Keiner tat etwas. Auch Suko nicht. Denn für ihn war die Zeit noch nicht reif... *** Ich kam mir vor wie ein Fisch in der Dose. Anders konnte der sich auch nicht fühlen. Nur mußte ich im Gegensatz zu einem Fisch noch arbeiten, mich bewegen und mich selbst in die Höhe hangeln, was verflucht nicht einfach war, denn ich merkte, daß ich irgendwie zuviel wog. An Aufgabe dachte ich dabei nicht. Was der Häuter mit seiner Verletzung geschafft hatte, das würde ich auch noch in die Reihe bringen, davon war ich fest überzeugt. Und so kämpfte ich mich weiter vor. Immer höher, Stück für Stück, das Seil dabei mit meinen schweißnassen Händen umklammernd und von meinem eigenen Keuchen angetrieben. Daß eiserner Wille Berge versetzen kann, wurde mir immer stärker bewußt. An Aufgabe war einfach nicht zu denken. Ich machte weiter, ich kämpfte weiter. Ich schabte an den Schachtwänden entlang, die doch ziemlich rauh waren, und hatte mir an einigen Stellen meine Handrücken bereits blutig gescheuert. Mein Ziel war der helle Streifen über mir. Ein Lockvogel, der mich aus dem Gefängnis herausführte. Es klappte, es war auf den letzten Yards verflucht schwer geworden, doch dann kroch ich aus einer offenen Luke ins Freie und befand mich an einer völlig anderen Stelle der Yacht.
Es war keine Kabine, auch kein eleganter Salon, sondern ein schmaler Lagerraum, der aber eine Tür hatte. Auf sie ging ich zu. Meine Hände zitterten, die Armmuskeln schmerzten, ich war eben kein Arnold Schwarzenegger. Die Tür war offen! Ein gewaltiger Felsblock rollte von meiner Seele, und ich stieß sie nach außen. Ein schmaler Gang, zu beiden Seiten Griffleisten, damit man sich bei hohem Wellengang dort festklammern konnte. Alles wie gehabt, denn so sah es eben auf einem Schiff aus. Der Boden war mit einem schlichten Läufer bedeckt. Ich sah eine Tür, über der eine Birne leuchtete. Sie erhellte auch den Boden vor dem Ausgang, und genau dort zeichneten sich wieder die dunklen Blutflecken ab. Demnach hatte auch der Häuter diesen Weg genommen. Ich zerrte die Tür auf. Augenblicklich erlebte ich eine andere Atmosphäre. Ich trat in einen runden Salon, der eine gläserne Decke aufwies. Sie war dort als Kreis eingezeichnet, und meine Füße versanken im Floor eines dicken Teppichs. Er paßte zu den eleganten Sesseln und den zierlich wirkenden Tischen. An den Wänden gaben die Lampen einen warmen Schein ab, und trotz allem fehlte hier etwas. Es waren die Menschen. Da konnte der Salon noch so elegant sein. Wenn er menschenleer war, wirkte er wie eine tote Kulisse. Mich interessierte die breite, mit einem roten Teppich ausgelegte Treppe viel mehr. Wenn ich mich nicht sehr irrte, würde sie mich an Deck bringen. Genau dort wollte ich hin. Jenseits der Treppe gelangte ich in einen Gang. Er führte an Deck. Irgendwo standen Türen oder Fenster offen, denn mich umschmeichelte hin und wieder ein weicher Windstoß. Ich freute mich darüber, wenn er mein erhitztes Gesicht kühlte. Niemand war mir bisher begegnet, was sich auch nicht änderte, als ich das Freie erreichte. Ich hatte das Deck betreten — und blieb stehen. War das noch die Yacht, die ich kannte, die ich vor einigen Stunden betreten hatte? Natürlich, aber sie hatte sich verändert. Es brannten keine Lichter mehr. Was an Helligkeit abgegeben wurde, das stammte von einem oder mehreren Feuern, die am Bug des Schiffes loderten. Voodoo-Feuer! Sie hatte es also geschafft. La Surenuse hatte nicht zuviel versprochen, ihre schaurige Karibik-Party lief auf vollen Touren. Ein Irrsinn war das!
Von der Besatzung ließ sich niemand blicken. Entweder befanden sich die Männer unter den Gästen, oder sie hatten den Befehl bekommen, sich zurückzuziehen. Ich sah die Glut einer Zigarette wie einen roten Punkt in der Dunkelheit leuchten. Nicht weit entfernt hielt sich jemand im Schatten auf, ich ging zu ihm und erkannte, daß es der Kapitän war. Er schaute mich an. Ich schüttelte den Kopf. »Können Sie mir sagen, was hier abläuft?« fragte ich ihn. Er starrte ins Leere. Seine Wangenmuskeln bewegten sich. »Wir alle haben Angst«, sagte er schließlich. »Diese Frau ist ein Teufel. Sie ist einfach zu grausam. Sie hat ihre Gäste unter Kontrolle bekommen und sich nun in Menschenhaut eingewickelt.« »Was sagen Sie da?« »Ja, verdammt, ich habe es selbst gehört, wie sie davon sprach. Die ist verrückt geworden, die ist einfach nicht mehr zurechnungsfähig. Da komme ich nicht mit.« »Was ist sonst noch passiert?« »Ich weiß es nicht.« »Sie haben keinen Fremden gesehen, halbnackt und mit einem langen Messer bewaffnet?« »Nein, das habe ich nicht.« »Schon gut«, sagte ich, nickte ihm zu und setzte meinen Weg fort, denn ich wollte so schnell wie möglich das Zentrum des Geschehens erreichen. Allerdings war ich vorsichtig. Ich hielt mich im Schatten der Aufbauten, ich ahnte, daß der Höhepunkt dieser grausamen Schau erst noch bevorstand. Es berührte mich schon seltsam, zahlreiche Menschen auf dem Deck zu wissen und dabei keine einzige Stimme zu hören. Oder? Doch, jemand rief etwas. Es war La Surenuse. Und was sie sagte, verursachte bei mir einen Schauer... *** Der Häuter stand vor seiner Mutter. Er ließ seine Blicke über die in Haut eingewickelte Gestalt gleiten und tastete dabei prüfend und sehr genau jede Stelle ab. In der Haut und damit auch in seiner Mutter steckten zahlreiche Nadeln. Der Reihe nach hatte er sie hindurchgerammt, Löcher geschaffen, danach die Spitzen in den Körper gebohrt, kleine Wunden geschaffen, aus denen das Blut drang, sich seinen Weg bahnte und durch die Löcher in der Haut wieder nach vorn quoll. So sah sie aus, als wäre sie von unzähligen Wunden bedeckt worden, und die schmalen Blutstreifen rannen an der Haut entlang nach unten wie dünne rote Fäden.
Noch eine Nadel. Der Häuter nahm Maß, als wollte er sie an einen bestimmten Punkt setzen. Sie waren überall verteilt, nur das Gesicht der Frau lag noch frei. Er visierte die Stirn an. Dann stieß er zu. Die Frau aber lachte. Und sie lachte noch, als sich die Nadel zwischen ihre Augen bohrte. Die Hand des Häuters zuckte zurück. Es war wie ein Zeichen, denn gleichzeitig begannen die Trommler damit, gegen die Bespannung zu schlagen. Ein dumpfes, grollendes Rollen wehte über das Deck. Eine schaurige Musik, als würde in der Ferne ein Gewitter seinen grummelnden Gruß über das Meer schicken. Niemand bewegte sich. Auch Suko rührte sich nicht von der Stelle. Er hatte instinktiv erfaßt, daß dies noch nicht das Ende des magischen Zaubers war, sondern gewissermaßen ein Beginn. Die letzte Nadel steckte wie ein Pfeil in der Stirn der Frau. Sie bewegte sich nicht. Sie fiel auch nicht. Sie stand da, umschnürt von der menschlichen Haut, und sie wurde von ihrem Sohn angestarrt, der sich ebenfalls nicht rührte. Er brauchte eine gewisse Zeit. Ja, er mußte sie sogar haben, denn die alten Kräfte brauchten eine Weile, um ihre Kräfte zu verteilen und wirken zu lassen. Der Trommelklang war wieder verstummt. Stille breitete sich aus. Suko hockte im Schatten. Noch immer zögerte er, denn bisher hatte der Häuter keine Unschuldigen angegriffen. Er stand vor ihm, den Rücken zugewandt, das Messer in der rechten Hand haltend, den Arm nach unten gestreckt, so daß die Klingenspitze beinahe den Deckboden berührte. Alles konzentrierte sich auf die Voodoo-Witwe. Sie war die Hauptperson, sie war durch den letzten Stich gestorben, aber hatte sie nicht auch von einem neuen Anfang gesprochen? Bedeutete das Sterben für sie nicht auch Leben, einen neuen Anfang, zum Beispiel? Noch tat sie nichts. Unbeweglich stand sie auf dem Fleck. Sie kippte weder vor noch zurück. Es schien so zu sein, als wären unsichtbare Hände da, die sie abstützten. Aber sie wartete . . . Suko konzentrierte sich auf das Gesicht. Es zeigte einen leeren, einen toten Ausdruck. Ebenso sahen die Augen aus.
Auch aus ihnen war jegliches Leben gewichen. Sie wirkten so, als würden sie nicht zum Körper gehören, sondern einfach nur hineingemalt worden sein. Sie brauchte Zeit. Und die Zeit verrann . . . Suko wußte nicht, ob es Sekunden oder Minuten waren. Auch er konnte sich dieser Szenerie nicht ganz entziehen. Sie hatte etwas Besonderes an sich. Sie atmete etwas aus, das man als den Hauch einer fremden Welt ansehen konnte. Den Odem des Todes . . . Den Atem der lebenden Leichen, der Hölle, der Glut und des Teufels. Der Teufel stand als lachendes Monstrum hinter allem und spielte mit Tod und Leben der Menschen. Plötzlich bewegte sie sich. Der Körper blieb zwar starr, aber ihre Augenbrauen zuckten, der Mund ebenfalls, und in die Augen kehrte so etwas wie Leben zurück, was aber auch eine Täuschung sein konnte, weil der Widerschein des Feuers ebenfalls darüber hinwegschwang und dem Gesicht ein unheilvolles Aussehen verlieh. Sie war erwacht, sie genoß es, sie probierte es aus, sie regte sich innerhalb der Haut, sie lachte plötzlich, und all die Zuschauer schraken zusammen. Dann fing sie an zu sprechen. Und sie sagte einen Satz, wie er schauriger nicht sein konnte. »Ich bin von den Toten zurück. Habt ihr gehört? Ich bin von den Toten zurück...« *** Ja, sie hatten es gehört. Alle hatten sie es vernommen, natürlich auch Suko. Er konnte mit dieser finsteren Botschaft noch nichts anfangen, im Gegensatz zu dem Häuter, der seine freie Hand in die Luft stieß, eine Faust machte und einen wilden Schrei von sich gab, der sich sehr stark nach Triumph anhörte. Er hatte gewonnen. Durch die Magie der Nadeln war die von ihm getötete Frau wieder ins Leben zurückgekehrt. Als was? Nicht als normale Person. Was immer sie auch zu sein vorgab, wie immer sie sich auch bewegte, niemals hätte sie wieder in die normale menschliche Gemeinschaft eingegliedert werden können, denn sie war eine Untote, eine lebende Leiche, ein Zombie. Die Haut des Menschen und die Magie der alten Nadeln hatten sie zu dem gemacht, aber die Haut erwies sich jetzt als hinderlich, den sie saß so stramm, daß sie sich aus eigener Kraft nicht würde befreien können.
Trotzdem ging sie vor. Sie schaffte es, sehr kleine Schritte zu machen, vergleichbar mit denen eines Kleinkindes. Und sie sprach ihren Sohn dabei an. »Du weißt es, du weißt, was du zu tun hast. Zieh die Nadeln aus der Haut. Sie sind mit meinem Blut getränkt. Gib sie weiter. Jeder Gast soll eine Nadel erhalten. Befindet sie sich erst in seinem Besitz, wird alles anders werden. Dann können es die anderen nicht mehr schaffen, sich von meinem Bann zu lösen.« »Ja, Mutter«, sagte der Häuter. Im Gegensatz zu ihr klang seine Stimme normal. Die Frau dagegen hatte monoton gesprochen. Es war eben keine menschliche Stimme mehr, sondern die eines Wesens, das sich viel besser in einem Grab gemacht hätte. Der Häuter ging vor. Seine Mutter drehte sich ihm zu. Er sollte sie direkt anschauen können. Und Suko richtete sich auf. Die Dämonenpeitsche steckte in seinem Gürtel, die Beretta aber hatte er gezogen. Er richtete die Mündung auf den Rücken des Häuters und ging einen Schritt auf ihn zu. »Keine Bewegung mehr, sonst bist du tot!« *** Der Inspektor hatte nicht besonders laut gesprochen, doch er wurde gehört. Der Häuter stand, als wäre er vor einen harten Gegenstand gelaufen. Selbst die Voodoo-Witwe bewegte sich nicht. Auch die drei Trommler rührten sich nicht von der Stelle, die Sängerin ebenfalls nicht, und die übrigen Partygäste blieben auch starr. Vielleicht bis auf eine Ausnahme. Es war Denise, die den rechten Handballen vor ihre Lippen gepreßt hielt, um einen Schrei zu unterdrücken, denn sie zitterte um Suko. Sie fürchtete um sein Leben, wobei sie gleichzeitig seinen Mut bewunderte. Suko hatte sich bisher im Schatten gehalten. Er verließ diesen Ort und geriet ebenfalls in den Lichtschein der Feuer, die seine Gestalt verzerrten und sie zu einem tanzenden Etwas machten, dessen Umrisse über den Boden streiften. Die Mündung blieb auf den Rücken des Häuters gerichtet, der es noch nicht wagte, sich umzudrehen. Aber über die dünne Haut seines Nackens rann ein Zucken, und das breitete sich aus, wobei es den rechten Arm erfaßte und ebenfalls die Hand, die den Griff des langen Messers umklammert hielt.
Das sah Suko, und er rechnete damit, daß der Häuter nicht aufgeben würde. Solange er noch sein verfluchtes Messer hielt, würde er immer versuchen, es einzusetzen. »Laß das Messer fallen!« befahl Suko. »Laß es los!« Der Häuter tat es nicht. Statt dessen drehte er sich um. Er tat es mit zeitlupenhaften Bewegungen. Seine Mutter wartete im Hintergrund ab. Sie hielt den Mund weit offen, ein leises Stöhnen drang daraus hervor, und die kleinen Löcher innerhalb der Menschenhaut füllten sich auch weiterhin mit ihrem Blut. Der Häuter schaute Suko an. Er sah auch in die Mündung, und er hörte die Stimme des Inspektors, die ihn noch einmal aufforderte, die Waffe endlich fallen zu lassen. »Sofort weg damit!« Er schüttelte den Kopf. Und dann hob er sie langsam an. Suko konnte es nicht fassen, zudem kümmerte sich der Mann auch nicht um die Wunde in seiner Schulter. Er schien es gewohnt zu sein, die starken Schmerzen zu ertragen. »Ich habe keine Angst vor einer Kugel!« »Auch nicht vor einem Dolch?« meldete sich plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund, und Suko fiel ein Stein vom Herzen, als er hörte, wer da gesprochen hatte... *** Lange genug hatte ich nur zugehört. Lange genug war ich nur inaktiv gewesen, das aber sollte und mußte sich ändern. Der Häuter wollte nicht aufgeben, und ich war mir auch nicht sicher, ob er trotz seiner Verletzung nicht doch noch gewann. Einem Berserker wie ihm traute ich alles zu. Ich sah es meinem Freund auch an, wie erleichtert er war, von mir zu hören. Er hatte sich bestimmt die gleichen Sorgen um mich gemacht wie ich um ihn. Der Häuter wurde nervös. Mit unserem Eingreifen hatte er nicht gerechnet. Er stand vor Suko und wußte nicht, was er machen sollte. Sein Kopf bewegte sich nach rechts und links. Einmal schaute er in meine Richtung, dann wieder versuchte er, im Gesicht meines Freundes zu forschen, der aber ließ sich nicht beirren oder von seiner Position abbringen. Nach wie vor zielte die Mündung der Waffe auf den Häuter. Dann sah ich etwas. Es war ein völlig normaler Gegenstand, den es in jeder Familie wohl gibt. Hier aber kam er mir vor wie ein Gruß vom Himmel. Noch allerdings konnte ich nicht weg, denn der Häuter drehte seinen Kopf und suchte Kontakt mit der Mutter.
Sie wartete. Sie bewegte sich nicht. Sie war eingepackt worden, aber in ihrem Gesicht stand die Gier, stand der Wille, es endlich zu versuchen und nicht aufzugeben. Ich konzentrierte mich wieder auf diesen völlig normalen Gegenstand. Die Surenuse hatte ihn in der Kabine getragen. Nur locker über den nackten Körper geworfen, und dann hatte sie meine Beretta in die Tasche des Bademantels gesteckt. Ob sich die Waffe darin noch befand? Ich wußte es nicht genau, es war auch nichts zu erkennen. Nur der Mantel lag zusammengerollt auf dem Boden. Mit einem langen Schritt löste ich mich von meinem Platz. Ich geriet in die Nähe des Feuers und spürte den Gluthauch der Flammen, der über meine Haut hinwegstrich. Mich hielt niemand auf. Der Bann der Voodoo-Witwe war einfach zu stark. Wahrscheinlich würde er sich erst lösen, wenn sie nicht mehr war, oder er würde beim Beginn des Tages zerbrechen. Sie schaute mich an. Sie verfolgte jeden meiner Schritte, beobachtete ihren Sohn, der starr vor Suko stand, sein Messer so angehoben hatte, daß die Spitze auf meinen Freund zeigte. Ich sagte kein Wort. Und als ich näher an die Voodoo-Witwe herankam, da wehte mir der eklige Geruch der Haut entgegen, die nicht verwest war, aber stank. Neben dem Bademantel blieb ich stehen, wollte mich bücken, als sich die Voodoo-Witwe drehte. Ich überlegte mir die Bewegung noch, blieb zunächst einmal abwartend stehen, bevor mir ein anderer Gedanke kam. Ich schob meine rechte Hand provozierend langsam in die Hosentasche, denn dort hinein hatte ich mein Kreuz gestreckt. Sie lebte nicht mehr, sie war eine Untote, ich würde es mit dem Kreuz schaffen. Jede meiner Bewegungen wurde von ihr kontrolliert. Sehr genau schaute sie hin. »Du hast keine Chance mehr«, sagte ich und schüttelte den Kopf. Ich hatte die Hand frei, drehte sie in ihre Richtung, aber sie war noch zur Faust geballt. Dann öffnete sie sich. Das Kreuz lag frei. La Surenuse schrie gellend auf. Sie dachte nicht mehr daran, daß sie in Haut eingepackt war, warf sich mir aus dem Stand heraus entgegen ... Der Häuter hatte den Schrei seiner Mutter gehört und in seinem Hirn einen Riß entstehen lassen. Er überlegte nicht mehr, er dachte an sie,
an den Befehl, an den Kampf und nicht an die Waffe, die genau auf ihn zielte. Er wollte vernichten. Der Hauter stach zu. Und Suko schoß. Er brauchte nur den Finger zu krümmen, eine kleine, winzige Bewegung, um den Tod auf die Reise zu schik-ken. Der Hauter hatte es da schlechter, obwohl er die Waffe stoßbereit in der Hand hielt, mußte er eine gewisse Distanz zurücklegen. Die Kugel war schneller. Sie klatschte gegen seinen nackten Körper, bohrte sich in seinen Brustkasten, hob ihn fast in die Höhe und ließ ihn torkeln. Die lange Messerklinge bewegte sich dabei unkontrolliert von einer Seite zur anderen. Er riß den Mund auf, Blut floß hervor und stürzte ebenso nach vorn wie er. Der Häuter fiel auf die Knie. Suko war ein Stück zur Seite gegangen. Er hörte hinter sich Schritte, drehte sich um und sah, daß Denise es nicht mehr auf ihrem Platz ausgehalten hatte. Sie rannte auf ihn zu, rief seinen Namen und wollte sich in seine Arme werfen. Die Szene war fast filmreif. Suko konnte nicht anders, er mußte Denise auffangen, sie war schon zu nah. »Du hast es geschafft!« jubelte sie. »Du und dein Freund, ihr beide habt es geschafft. . .« Es waren genau die Worte, die auch der Häuterhörte. Er kniete noch immer. In seinem Körper steckte eine wahnsinnige Energie, eine Mordlust, wie sie kaum beschrieben werden konnte. Aus seinem Mund sickerte noch immer Blut. Die Schmerzen tobten sich in ihm aus. Um überhaupt diese Haltung einnehmen zu können, hatte er sein langes Messer senkrecht gekantet, die Spitze gegen den Boden gestemmt und beide Hände aufgestützt. Er wollte wieder hoch, die Sätze brannten in seiner Seele wie Säure. Er konnte und wollte den Sieg nicht hinnehmen. Diesmal wollte er töten, keine Haut, nur vernichten, so wie er es vor Stunden auch getan hatte. Was niemand für möglich hielt, passierte mit dieser halbnackten Mischlingsgestalt. Er kam hoch. Es kostete ihn eine wahnsinnige Mühe, aber er schaffte es, und er wußte auch, daß er sterben mußte. Aber zuvor sollte der Chinese daran glauben, der damit nicht mehr rechnete, es zudem auch nicht sehen konnte, weil er ihm den Rücken zudrehte und er von einer blonden Frau umklammert wurde. Auch sie kannte der Häuter.
Wenn möglich, wollte er beide vernichten. Das wäre ihm sehr recht gewesen. Erstand. Er umfaßte die Klinge an ihrem Griff mit seinen beiden Pranken. Noch einmal peilte er sein Opfer an. Dann ging er vor . . . Den ersten Schritt, den zweiten, nur langsam und schwankend, trotzdem höllisch gefährlich. Denise sah ihn. Sie bekam ihre Umwelt erst jetzt richtig mit, und dann schrie sie gellend auf. . . Die Voodoo-Witwe kippte mir entgegen. Ich tat nichts, um zur Seite zu weichen, ich hielt ihr nur mein Kreuz entgegen, das im Widerschein des Feuers einen besonderen Glanz bekommen hatte. Sie starrte es an. Zwischen ihren Augen und genau in der Stirn steckte noch immer der letzte Nagel, am Wundrand umgeben von einem rötlichen Kranz. Darunter - rechts und links verteilt - die beiden Augen, in denen sich die Angst abzeichnete. Das Kreuz war tödlich für einen Zombie! Sie bekam es mit. Ich spürte ihr Gesicht. Ich spürte aber auch das geweihte Silber, das ich hart gegen die Haut preßte, die plötzlich aufzischte wie Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte. Und dann knickte sie zusammen. Das heißt, richtig einknicken konnte sie nicht, sie schwankte zurück, sie trat mit den Füßen, und ich konnte zuschauen, wie aus der Öffnung an ihrem Hals ein grünlich-grauer Rauch hervorquoll. Jetzt war es klar. Dieses Wesen verging, verbrannte, zerstäubte von innen, und die Haut verweste gleich mit. Ich wußte, daß sie es nicht mehr schaffen konnte, und deshalb tat ich nichts mehr, als sie es schaffte, mit sehr kleinen Trippelschritten zurückzuweichen und sich der Reling zu nähern. Sie war sogar sehr schnell, prallte dagegen, und im selben Augenblick schössen aus ihrem Hals die stinkenden, dunklen Flammen hoch, während sie Übergewicht bekam, nach hinten fiel und mit einem lauten Klatschen im Meer verschwand. Für die Voodoo-Witwe war es vorbei. Sie würde nichts mehr erreichen können, keine Parties mehr feiern und . .. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Ich drehte mich um, wollte nach Suko sehen und entdeckte das Grauen. Er hatte es geschafft, er war noch nicht tot. Er hatte sich wieder aufgerafft, um meinem Freund den Todesstoß zu geben. Eine Niederlage konnte er nicht hinnehmen. Ich flog auf den Bademantel zu. Ich mußte mich einfach darauf verlassen, daß die Beretta noch in der Tasche steckte, schleuderte das
flauschige Stück in die Höhe, das noch immer nach dem Parfüm der Voodoo-Witwe roch, und plötzlich rutschte mir die Waffe entgegen. Ich griff daneben, sie landete auf den Planken. Bevor sie weiterrutschte, packte ich zu, riß sie hoch und hörte den Schrei der Blonden, die Suko umklammert hielt. Ich schoß. Einmal, zweimal, auch dreimal. . . Ich lag dabei schräg auf dem Boden und kaum aufgestützt, und die Kugeln jagten aus dem Lauf. Sie erwischten den Unhold, der sein Häutermesser bereits stoßbereit erhoben hatte. Die Einschläge brachten ihn aus der Richtung. Ein Treffer fetzte ihm die Stirn auf, die anderen Kugeln drangen in den Körper, der auf die Planken geschmettert wurde. Er rutschte noch ein Stück weiter, blieb nahe eines Feuers liegen, so daß seine Haare beinahe verbrannt wären. Es war vorbei, endgültig. Nur das verfluchte Messer hielt er selbst noch im Tod umklammert, als wollte er es als Andenken mit in die kalte Erde nehmen. Zwei Menschen kamen auf mich zu. Suko und die Blonde. Im Hintergrund rannte die Mannschaft zusammen, ich hatte nur Blicke für die beiden. »Verdammt«, flüsterte Suko nur und schüttelte den Kopf. »Das hätte ins Auge gehen können; zur Hölle noch mal!« Ich lachte auf und sagte: »Zum Teufel mit der Hölle, Alter. Wir haben es geschafft.« »Das kannst du laut sagen«, erwiderte er und schlug mit seiner Hand gegen meine erhobene Rechte. *** Wir hatten zwar nicht zu den Top-Gästen der Madame Surenuse gehört, waren aber plötzlich sehr gefragt. Die Menschen litten noch unter den Einwirkungen des Giftes, die Besatzung allerdings hatte Fragen über Fragen, auf die wir kaum eingingen. Ich wollte so schnell wie möglich wieder in den Hafen von Monte Carlo. Als wir Fahrt aufnahmen, stand ich am Bug, schaute der Lichterkette entgegen und dachte daran, daß das Leben auch schön sein konnte. Wie schön erfuhr ich Sekunden später, als mich weiche Arme umschlangen, mich drehten und mir einen Kuß auf die Lippen drückten. »He, was ist das denn?« fragte ich. Denise trat zurück. Sie lächelte mich an. »So bedankt man sich in Monte Carlo, Monsieur . . .«
»Wenn das so ist«, sagte ich und lächelte ebenfalls. »Wird mir diese Stadt immer sympathischer...«
ENDE