Die Abenteuer der Time-Squad XIII
Peter Terrid
Die Zeit-Gruft
Peter Terrid · Die Zeit-Gruft
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Die Abenteuer der Time-Squad XIII
Peter Terrid
Die Zeit-Gruft
Peter Terrid · Die Zeit-Gruft
Peter Terrid Die Abenteuer der Time-Squad 13. Heft
Terra Astra 390
Peter Terrid Die Zeit-Gruft
Der Kampf mit dem Ungeheuer von Llallwyn
1979
Peter Terrid - Die Zeit-Gruft
»Wir haben Zeit«, sagte Demeter Carol Washington. »Wenn wir auch sonst nicht viel haben – an Zeit fehlt es uns nicht.« Sie lächelte, während sie sprach. Im Grunde war ihre Bemerkung tatsächlich zum Lachen, denn das wichtigste Hilfsmittel unserer Arbeit, die Zeitmaschine, besaßen wir nicht mehr. Die Time-Squad hatte sich gleichsam von der Menschheit verabschiedet. Fraglich war nur, ob es ein Abschied auf Zeit oder auf Dauer sein würde. Ich sah nach oben. Die Sonne, die auf uns herabschien, war nicht jener gelbe Stern, den wir kannten; der Boden, auf dem wir standen, war nicht der der Erde was wir sahen, fühlten, hörten und rochen gehörte zum Planeten Delta Rebecca. »Es gibt wie immer zwei Möglichkeiten«, setzte D. C. ihre Erklärung fort. »Entweder kommen die Gegner bald, oder sie lassen sich Zeit. An diesen Möglichkeiten können wir nichts ändern. Die Entscheidung liegt beim Gegner. Wir müssen uns nur damit abfinden.« »Ich war noch nie sehr gut, wenn es ans Warten ging«, behauptete Inky. »Wir müssen irgend etwas unternehmen, etwas, das uns vorwärtsbringt. Wenn wir immerzu nur auf der Flucht leben, wird es bald aus sein mit der Time-Squad.« Einstweilen sah es nicht so aus, als wäre es bald mit uns aus. Im Gegenteil, wir machten Fortschritte, allerdings nicht auf den Gebieten, für die die Time-Squad eigentlich bestimmt war. Aus dem Wald erklang das Kreischen der Motorsägen, die seit vier Wochen nicht zur Ruhe gekommen
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waren. Unsere Leute fällten Bäume, um daraus Balken und Bretter zu gewinnen. Aus Forschern waren Holzfäller geworden, Schreibkräfte hantierten mit Hobel und Stecheisen, ein nobelpreisverdächtiger Physiker war damit beschäftigt; Zement anzurühren. Auf diesen Gebieten waren wir zweifelsohne erfolgreich. Die Stadt der Time-Squad begann langsam zu wachsen. Wir hatten sie Delta-City getauft. Daraus ergab sich naturgemäß die Abkürzung D. C., und damit war es uns einmal mehr gelungen, den Namen unserer Chefin zu verewigen. Demeter hatte sich zu diesem Namen bisher nicht geäußert. Es war später Nachmittag. Ich wußte, daß die Arbeit bis tief in die Nacht weitergehen würde – weitergehen mußte. Eineinhalbtausend Menschen waren vor vier Wochen auf dem Planeten angekommen. Diese Menschen brauchten Unterkünfte, Möbel, Hausgerät. Sie brauchten praktisch alles. Nachschub würde es nicht geben soviel stand fest. Ein Teil der Mannschaft der Time-Squad mußte daher umsatteln. Wir mußten Felder anlegen und Vieh züchten. Wir mußten uns Brennstoffe besorgen und Rohstoffe für Kleidung. Eine Heerschar von Robinsons – so hatte Inky die Time-Squad einige Tage nach dem Umzug getauft. Nun, wir hatten immerhin einiges retten können, als wir von der Erde geflohen waren von einer Erde, deren Menschen zur Stunde eine erbitterte Abwehrschlacht nach der anderen lieferten, um die Invasoren aus dem Weltraum zurückzuwerfen. Auf der Erde waren die Nokther im Vormarsch. Für die Menschheit hatte ein neuer Leidensweg begonnen – und dieser Weg würde
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mit Sicherheit noch länger, noch grausamer, noch blutiger werden als die vielen Leidesgänge, die die Menschheit bereits hinter sich gebracht hatte. Der Unterschied bestand lediglich darin, daß zum ersten Mal nicht Menschen gegen Menschen kämpften. Die Nokther waren Echsenwesen – aber auch sie starben gewiß nicht gern, und das machte diesen Krieg genauso widerwärtig wie alle Kriege zuvor. »Ich wollte gerade darauf zu sprechen kommen«, sagte Demeter. In dieser Umgebung wirkte ihre Standardbekleidung – Jeans, Baumwollhemd und Stiefel – geradezu professionell. Mit der ruhigen Selbstverständlichkeit, die für sie typisch war, hatte Demeter Carol Washington auch auf Delta Rebecca den Befehl übernommen. Ihre Kompetenz war von niemandem in Frage gestellt worden. Demeter nahm einen Schluck Tee. Mir fiel dabei ein, was wir alles zu tun hatten, um diese scheinbar nebensächliche Handlung auch in ein paar Jahren ausführen zu können. Dazu würden wir eine Porzellanmanufaktur einrichten müssen, eine Farm, auf der Milchvieh gezüchtet wurde, eine Plantage für Zuckerrohr oder Zuckerrüben, eine Plantage für Tee – und das alles nur, damit Demeter ihren gewohnten Tee mit Dosenmilch und Zucker genießen konnte. »Sollen wir den Tempel bereits jetzt untersuchen, oder wollen wir warten, bis die Siedlung fertig ist?« Ich überlegte nicht lange. »Wenn wir wirklich warten wollen, bis wir in Delta City das Gröbste und nur das, nicht mehr – geschafft haben, dann werden wahrscheinlich erst unsere Enkel das Geheimnis des Tempels lösen.«
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Inky schielte mich böse an, weil ich bei dem Wort »unsere Enkel« etwas zu intensiv zu Demeter hinübergesehen hatte. »Und noch etwas: Ich könnte mich niemals hier wohl fühlen, wenn dieser Tempel einfach so in der Gegend herumstünde. Ich sehe in dem Gemäuer nicht nur eine Herausforderung – ich sehe darin auch eine Bedrohung.« Demeter nickte langsam. »Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte sie. »Auf der anderen Seite kenne ich eine alte irdische Redensart – man sollte keine schlafenden Hunde wecken.« Ich meldete mich zu Wort. »Entweder stoßen wir auf Feinde«, sagte ich, »dann haben wir halt Pech gehabt. Oder wir finden Freunde und wir brauchen wahrlich nichts so sehr wie Freunde.« Diese letzte Bemerkung stieß auf keinerlei Widerstand. Wir wußten viel zu genau, wie schwach und hilflos wir waren. Wir würden alle unsere Kraft brauchen, um auf Delta wenigstens zu überleben. Unsere technischen Hilfsmittel im Kampf gegen die Nokther waren mehr als dürftig. Wenn wir die Gesamtenergie der Landefähre, die jetzt leer und verlassen am Strand stand, auf eine Unternehmung konzentrierten, dann waren wir vielleicht – wohlgemerkt, vielleicht – in der Lage, einen Mann zurückzuschicken in die Zentrale der TimeSquad, die zu dieser Zeit wahrscheinlich längst von den Nokthern erobert worden war. Mehr konnten wir nicht leisten, ob wir wollten oder, nicht. »Abstimmung«, schlug Divorsion vor. Der Jaynum kicherte ein wenig. »Stimmen wir über den Vorschlag ab.« 10
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Wir brauchten eine Stunde, um alle zu befragen, dann stand das Ergebnis fest die Mehrheit der Bewohner des Planeten Delta Rebecca war dafür, daß ein Kommando zusammengestellt wurde, das den geheimnisvollen Tempel in der Ruinenstadt untersuchen sollte. Wir waren zu dritt. Inky, der eigentlich Anastasius Immekeppel hieß und sich daher recht gern Inky nennen ließ. Er war lang, hochaufgeschossen und ziemlich dürr. Das minderte aber keineswegs seine Qualitäten als Kämpfer. Inky hatte in seiner Zeit – wir hatten ihn aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in unsere Zeit gerettet – einige Erfahrung im Kämpfen sammeln können. Charriba White Cloud, von Inky aus unerfindlichen Gründen immer wieder mit Winnetou angeredet. Charriba war Indianer, ebenso groß wie breitschultrig und der anerkannt beste Mann der Time-Squad im Umgang mit Naturwaffen, also mit Messern, Pfeil und Bogen, selbstgefertigten Keulen und dergleichen. Er war ein wenig wortkarg – das kleine, mausgraue Pony, von dem er sich nicht trennen. wollte, und eine kleine Kollektion von Stirnbändern, die. er nach Anlaß und Laune zu wechseln pflegte. Ich war der dritte Mann in diesem Team. Tovar Bistarc, Angestellter der Time-Squad und ziemlich in die Chefin dieses Unternehmens verliebt – aber das konnte man von jedem zweiten Junggesellen in der Time-Squad sagen. Wo meine speziellen Fähigkeiten lagen, hatte ich noch nicht herausfinden können. Immerhin, es mußte wohl einen Grund geben, den beispielsweise D. C. dazu bewog, mich zu jedem Einsatz abzustellen, der beson11
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ders gefährlich zu werden versprach. Ich konnte mich nicht erinnern, in der letzten Zeit einen Einsatz mitgemacht zu haben, der nicht lebensgefährlich gewesen war. In den vergangenen Monaten war die Time-Squad zu einer geradezu hektischen Geschäftigkeit gezwungen gewesen – der Gegner hatte uns keine andere Wahl gelassen. Und wir hatten es wahrlich nicht mit minderen Gegner zu tun. Da waren zunächst einmal die Nokther, jene Echsenwesen, von denen wir nur wußten, daß sie zur Zeit damit beschäftigt waren, die Erde abschnittsweise zu erobern. An dieser Front würde es noch allerhand zu tun geben, da war ich mir sicher. Da waren die Oberen, die eigentlichen Drahtzieher all der Ereignisse, die uns in der letzten Zeit viel Kopfzerbrechen gemacht hatten. Wir wußten, daß es die Oberen gab – Divorsion hatte uns eindringlich und überzeugend davon berichtet – aber wir wußten nicht einmal, wie diese Wesen aussahen. Offenbar waren sie in der Lage, ihre Körperformen beliebig zu ändern. Wenn das stimmte … dann dachte man besser gar nicht darüber nach, wenn man seinen Verstand behalten wollte. Von bislang unbekannter Gestalt waren auch die Fern, die sogenannten Zeit-Zauberer. Ein Vertreter dieser Spezies, ein gewisser Valcarcel, hatte der Time-Squad in einer Art und Weise zu schaffen gemacht, die noch heute einige Leute schlecht schlafen ließ. Auch bei mir – und ich hielt mich keineswegs für überdurchschnittlich feige – reichte es aus, bloß seinen Namen zu nennen, um mich wachsbleich werden zu lassen. Und das hatte ein 12
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Fern fertiggebracht; was uns blühte, wenn sich eine ganze Gruppe dieser Wesen auf uns stürzte, wagte ich mir nicht auszumalen. Um die ganze Angelegenheit noch komplizierter zu machen, schienen sich einige Fern entschlossen zu haben, sich auf unsere Seite zu schlagen. Und zu guter Letzt hatten wir es auch noch mit uns selbst zu tun – mit den Bewohnern des Planeten Erde. Zwar mußten noch acht Jahrzehntausende vergehen, bis es jene Terraner gab, die wir bereits kennengelernt hatten – harte, unerbittliche Kämpfer und der Schrecken der Galaxis –, aber das änderte nichts daran, daß wir auch gegen diese Entwicklung anzutreten haben würden. Wenn das alte Sprichwort stimmte – »Viel Feind, viel Ehr« dann hatten wir über einen Mangel an Ehre wahrlich nicht zu klagen. Im Grunde war die Aufgabe mit den bescheidenen Mitteln gar nicht zu lösen, und nach dem Rückschlag, der zu unserer Flucht nach Delta geführt hatte, waren die Aussichten auf Erfolg noch geringer geworden – aber wir wollten es wenigstens versucht haben. Möglich, daß man diese Aufgabe überhaupt nicht lösen konnte – doch wir wollten uns nicht dem Vorwurf aussetzen, nicht das Äußerste gewagt zu haben. Und jetzt, am Abend eines langen, anstrengenden Tages, waren wir nur noch wenige, allerdings beschwerliche Kilometer von einem Gebäude entfernt, an das ich nur mit gelindem Entsetzen zu denken vermochte. »Wir rasten«, sagte Charriba. Er parierte seinen Grauen durch, stieg ab. Seine Führerrolle war unbestritten. Der Wald, den wir durchquerten, hatte seit Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden kein Lebewesen 13
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mehr gesehen, das man mit Menschen hätte vergleichen Können. Dies war kein Wald, wie ich ihn kannte – mit sorgfältig angelegten Wegen, Hinweisschildern, markierten Bäumen, Futterstellen, an denen man dem fett gewordenen Wild beim Fressen zusehen konnte, mit überquellenden Papierkörben und überall verstreuten Bier- und Cola-Dosen dies war Urwald im buchstäblichen Sinne. Und in einem derartigen Gebiet kam Charriba von uns dreien am besten zurecht. Er sah, was uns entging, die Fährten und Wechsel, die Baue und Nester, über die Inky und ich hätten stolpern können, ohne sie zu finden. Einmal mehr wurde mir bewußt, wie sehr das städtische Leben einen Menschen der Natur entfremden konnte. Während wir uns auf mühsame Weise einen Weg suchten und bahnten, gab es auf der Erde Kinder, die sich – nicht zu Unrecht – vorstellten, daß Kühe hübsche Plastikbeutel voll pasteurisierter, homogenisierter, entfetteter Supersondervorzugsmilch legten, so wie die Hühner Eier, und die sich darüber wunderten, daß die mexikanischen Kühe Beutel mit englischem Aufdruck legen konnten. Ich stieg ziemlich lahm von meinem Pferd. Das Tier hatte den größeren Teil der Arbeit hinter sich. Es hatte zusätzlich noch Ausrüstung schleppen müssen, denn uns Menschen konnte man nicht zumuten, was für die Pferde eine Selbstverständlichkeit war. Wir konnten nicht einfach so eine Nacht in der freien Wildbahn verbringen. Wir brauchten Zelte, wir brauchten Decken, und ohne Zigaretten fühlten wir uns ebenfalls nicht wohl – von dem Kaffee zu schweigen, auf den ich mich abends bereits freute, weil er die Morgenkühle aus den Gliedern trieb. Charriba nahm den Bogen von 14
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der Schulter und verschwand im Dickicht. Inky sah ihm mit einem müden Lächeln nach. »Preisfrage: Ist unser Freund Winnetou primitiv – oder sind wir schon völlig degeneriert?« Was sollte ich auf diese Frage antworten? Besser nichts – die Wahrheit wäre für ihn und mich schmerzlich gewesen. Nach einer halben Stunde kehrte Charriba – lautlos wie der Mond erschien er – mit zwei buntgefiederten Vögeln zurück. Ich hatte es unterdessen fertiggebracht, ein leidlich zünftiges Feuer anzuzünden. Daß meine Feuerstelle mehr Funken versprühte und weiter zu riechen war als ein Feuer, das Charriba angelegt hatte, verstand sich fast von selbst. Während Inky das Zelt aufbaute und die Pferde versorgte, rupfte ich die Vögel. Nüsse gab es in großen Mengen, zusammen mit der Leber, ein paar Gewürzen und einigen Eiern als Bindemittel ergab das eine vorzügliche Farce. Ein Grill war rasch improvisiert, und nach kurzer Zeit verbreitete sich ein Aroma, daß selbst Charriba sichtlich das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. »Ich bin gespannt, wie der Tempel jetzt aussieht«, murmelte Inky. Er hatte seine Arbeit beendet und es sich in der Nähe des Feuers bequem gemacht. Sehr frohgemut sah er nicht aus, und ich wunderte mich nicht darüber. Der Tempel in der Ruinenstadt zählte zu den scheußlichsten Erinnerungen, die ich hatte – und dank der Mitwirkung einiger Fern, vor allem der Valcarcels, waren meine Erinnerungen ohnehin nicht sehr erfreulich. Ich wußte jedenfalls noch sehr gut, wie knapp wir am Tode 15
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vorbeigekommen waren. »Friedlich«, gab Charriba zur Antwort. Er hatte seinen Bogen entspannt, um das Holz in der Wärme des Feuers ölen zu können. Charribas Bogen war eine Waffe, die es in seinen Händen durchaus mit unseren modernen Waffen aufnehmen konnte. Charriba beendete seine Arbeit, legte den Bogen zur Seite und zog sich zum Abendessen um – er wechselte das Stirnband. Wir aßen schweigend. Die Vögel schmeckten gut, die Farce war nicht ganz durch, ließ sich aber essen. Am Himmel standen zwei Monde, entschieden kleiner als der irdische Begleiter, aber lichtstark genug, daß man des nachts wenigstens die eigene Hand erkennen konnte. Das Bild hätte nicht friedlicher sein können, aber dieser erste Eindruck trog. Nur einige Wegstunden von unserem Lagerplatz entfernt lauerte der Tod. Inky deutete, ein Bein des gebratenen Vogels in der Hand und als Zeigestock benutzend, auf die beiden Monde. »Ob es dort Leben gibt?« Ich zuckte mit den Schultern. »Eingeborene mit Sicherheit nicht«, antwortete Charriba. »Jedenfalls kein Leben, das mit unserer Lebensform vergleichbar wäre. Die Monde sind zu klein, um eine genügend dichte Atmosphäre bilden zu können – und ohne Atmosphäre kein Leben.« Ich schwieg. Ich dachte an die Station, die wir auf dem Mond Demeter des Planeten Ceres gefunden hatten. Demeter, nach dem der Mond wohl benannt worden war, war ziemlich groß gewesen, und jemand, vermutlich war es Valcarcel gewesen, hatte dort nicht nur 16
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eine sublunare Station in der Größe einer irdischen Kleinstadt angelegt, sondern auch in einer erstaunlich großen Plantage auf dem künstlich bewässerten Boden dieses Mondes riesige Mengen eines Gewächses herangezüchtet, das wissenschaftlich auf den Namen Allium sativum hörte, normalerweise sehr eindeutig roch und als banaler Knoblauch jedem besseren Hausmann geläufig und ans Herz gewachsen war. Noch heute überkam mich ab und an ein Kichern, wenn ich mir die Situation ins Gedächtnis rief – ein paar Raumfahrer stürzen auf einen Mond ab … und landen in einer riesigen Knoblauchplantage. Absurd, einfach absurd – und doch ebenso real wie der Tempel in der Ruinenstadt, der auf uns wartete still, geduldig und mörderisch.
»Es hat sich nichts geändert«, stellte Inky fest. Der Augenschein bewies, daß er recht hatte. Jenseits einer unsichtbaren Grenze hörte in der Ruinenstadt alles höhere Leben auf. Es gab keine Tiere, nicht einmal Insekten, und das wollte angesichts der Fähigkeit der Gliedertiere, selbst die winzigsten ökologische Nische auszunutzen, einiges heißen. Auch unsere Pferde fühlten sich in den zerfallenen Mauern nicht wohl. Sie waren unruhig, sehr unruhig sogar. Wir banden sie auf einem ehemaligen Marktplatz am Geländer eines Brunnens an. Daß es sich um einen Marktplatz handelte, war unsere Vermutung. Ich konnte mir kaum einen anderen Verwendungszweck für die große Fläche zwischen den Gebäuden vorstellen. Aller17
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dings war das steinerne Pflaster zum weitaus größten Teil mit Moos bedeckt, auch von den Häusern war nicht mehr viel zu sehen. Die Zeit hatte ihre Arbeit gründlich geleistet. Was Wind und Wetter verschont hatten, war den Pflanzen erlegen. Bäume wuchsen in den Mauern. Wir hatten die Pferde so angebunden, daß sie sich notfalls befreien konnten. In der näheren Umgebung der Ruinenstadt würden sie genügend Futter finden, und an Wasser fehlte es ebenfalls nicht. »Auf in den Kampf«, murmelte Inky, als wir uns auf den Weg machten. Was wir an Gepäck nicht tragen konnten, hatten wir in einem halb eingestürzten Gewölbe untergebracht und somit vor Witterungseinflüssen geschützt. Wir waren hauptsächlich mit Waffen versorgt. An der linken Hüfte hing der Laser, rechts stak der Nadler im Holster. In den Gürteln waren Messer und Reservemagazine für die Waffen untergebracht. Charriba trug zusätzlich seinen Turk-Bogen und einen perlenverzierten Köcher, der mit Pfeilen gespickt war. Komplettiert wurde unsere Ausrüstung durch Feldflaschen, Nahrungskonzentrate, Medizinkasten und den übrigen Krempel, den man üblicherweise mitschleppte und nie brauchte. Wir hatten nicht weit zu gehen, um unser Ziel zu erreichen. Er stand da, als könne er kein Wässerchen trüben, freundlich glänzend im Sonnenlicht, einladend – das Idyll konnte nicht perfekter sein. Wir wußten schon, was für ein Tempel das war. Wir wußten vor allem, was wir von den Bäumen zu halten hatten, die in einem sechsfach gestaffelten Ring den 18
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Tempel umstanden. Die kreisförmige Mulde, in der die gefährlichen Bäume wuchsen, schien leer zu sein. Ich riß vom nächsten Gebüsch einen Zweig und tunkte ihn in die Mulde. Als ich ihn wieder zurückzog, waren die Blätter von einem sehr feinkörnigen, grauen Staub bedeckt. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Als wir diesen Baumring zum letzten Mal durchquert hatten, war kurz zuvor aus den Blättern der Bäume ein Säureregen niedergegangen, der die Mulde in einen mit ätzendem Schlamm gefüllten Sperrgürtel verwandelt hatte. Kein bekanntes Material hatte dieser Säure standhalten können. Nur mit viel, sehr viel Glück hatten wir es geschafft, aus dem Tempel herauszukommen und in unser Lager zurückzukehren. Nun, diesmal wußten wir wenigstens, was auf uns wartete. Ich stieg als erster in die Vertiefung hinab, und wie beim ersten Mal versank ich bis an die Kniegelenke in dem pulvrigen Material. Einen Augenblick lang hatte mich die Furcht gequält, die Mulde könnte nicht völlig ausgetrocknet sein. Meine Furcht schien unbegründet, denn ich kam vorwärts, langsam zwar nur und recht mühsam, aber ich spürte keine Säure an meinen Füßen. Dennoch war ich erleichtert, als ich die Mulde durchquert und die ersten Stufen des Tempels erreicht hatte. Den Gesichtern meiner Gefährten konnte ich entnehmen, daß sie die gleichen Gedanken wie ich gehegt hatten. »Und nun … ?« murmelte Inky. »Wir machen das Experiment«, sagte ich. »Was hilft es, wenn wir damit warten. Bringen wir es hinter uns.« 19
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Ich ging voran, die Stufen zum Eingang des Tempels hinauf, quer durch die TempeLlalle, auf den Thronsessel zu. Wir hatten das Gebilde aus Marmorplatten so genannt, weil es eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit dem Thronsessel des Kaisers Karolus Magnus hatte. Allerdings bestand dieser Sessel in der TempeLlalle aus einem schwarzen Marmor, einem Gestein, das mit weißen und goldenen Einsprengseln durchsetzt war. Vor dem Sessel gab es eine Öffnung im Boden. Stufen führten in den felsigen Untergrund hinab. Mir war keineswegs wohl, als ich die Stufen hinabschritt. Ich wußte, welchen Weg wir zu nehmen hatten. Es ging einen langen Stollen entlang. Erhellt wurde der Weg von den Fackeln in unseren Händen. Wir hatten sie dem Vorrat am Beginn des Stollens entnommen. Auch das Ziel unseres Weges kannten wir bereits. Die Zeitgruft. Das Portal war geschlossen. Nachdem wir den Tempel verlassen hatten, waren die beiden riesigen Steinblöcke in ihre ursprüngliche Stellung zurückgeglitten. In der Mitte dieses Portals gab es ein Relief, das Porträt eines alten Mannes. Wir wußten, daß man nur die Stirn des Mannes zu berühren brauchte, um das Portal zu öffnen. Ich führte diese Berührung aus. Wie beim ersten Mal erklang das markerschütternde Mahlen von Stein auf Stein, als sich das Portal öffnete. In dem Raum dahinter wurde es schlagartig hell. Der Befehl zum Öffnen hatte gleichzeitig die Leuchtkörper im Innern des Grabes eingeschaltet. Zum zweiten Mal sah ich den steinernen Sarkophag. Er bestand aus dem gleichen Marmor wie auch der Thronsessel, schwarz mit weißen und goldenen Ein20
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schlüssen. Noch immer schwebte der tonnenschwere Sarg achtzig Zentimeter über dem grauen Fels des Bodens. Noch immer starrten meisterlich gefertigte, aber nichtsdestotrotz scheußliche Tierporträtköpfe auf uns herab. Noch immer war der Deckel des Sarkophags halb zur Seite geschoben. Noch immer war der Sarg leer. Das allerdings sollte sich bald ändern. »Wer geht als erster?« fragte Inky. Niemand von uns dreien hatte große Lust, das Versuchskaninchen abzugeben, aber einer würde schließlich die undankbare Aufgabe übernehmen müssen. Als Leiter dieses kleinen Einsatzkommandos war es meine Aufgabe, tapfer voranzugehen. Ich trat an den Sarkophag heran. Mir war alles andere als wohl zumute. Nur zu gut erinnerte ich mich an die Gegenstände, die bei unserem ersten Besuch in dem Sarg gelegen hatte – ein Kissen, auf dem noch der Abdruck eines Schädels zu sehen gewesen war, und ein hölzerner Pflock, wie er allgemein üblich war, wenn es galt, Vampire ein für allemal auszuschalten. Die Vorstellung, daß auf der anderen Seite der Transmitteranlage entweder Vampire auf uns warteten oder aber Wesen, die uns vielleicht für Vampire hielten, hatte nichts Angenehmes an sich. Ich schluckte. Es gab keinen anderen Weg als diesen. Ich mußte die Reise ins Ungewisse wagen. Langsam schob ich den Sargdeckel so weit zur Seite, daß ich mich in den Hohlraum legen konnte. Der Mar21
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mor war kühl und glatt, und mir schien, als grinsten die Marmorköpfe der Monstren an der Decke hämisch auf mich herab, als wüßten sie, was mich erwartete, und freuten sich darauf. »Halt die Ohren steif«, riet Inky mir. Ich lachte freudlos. Die letzte Entscheidung hatte ich allein zu treffen. Ich brauchte dazu nur eines zu tun – Ich mußte den Deckel des Sarkophags schließen. Alles Weitere war dann Arbeit für einen Maschinenpark, den wir unterhalb der Gruft vermuteten und zu dem wir bislang keinen Zugang gefunden hatten. Mir war alles andere als wohl in meiner Haut. Was wartete auf der anderen Seite auf mich? Wohin verschwand ich, wenn ich die Reise in Ungewisse riskierte? Auf diese Fragen gab es viele mögliche Antworten, aber es gab nur ein Verfahren, zu diesen Antworten zu kommen – ich mußte die Reise machen. Ich griff mit beiden Händen nach dem schweren Stein des Deckels. Er knirschte vernehmlich, als der Deckel sich über den Sarkophag schob. Einen letzten Lichtschimmer konnte ich noch sehen, dann wurde es dunkel. Es gab nicht viel, was jetzt passieren konnte. Ich konnte mir sogar sehr genau vorstellen, was sich nun außerhalb meines Grabes abspielte. Ich hatte diesen Vorgang bereits einmal erlebt. Der Sarkophag war das Gegenstück zum Transporttisch, wie er von der Time-Squad verwendet wurde. Die gesamte Zeitgruft stellte eine Zeitmaschine dar – wobei es noch unbekannt war, ob der Transport durch Raum 22
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und Zeit durchgeführt wurde oder ob es sich um eine rein räumliche oder eine rein zeitliche Versetzung handelte. Ich würde es erleben, wenn ich ankam. Wenn ich überhaupt ankam. Ich fühlte mein Herz wie rasend schlagen. Die Stille wurde nur durch meine hastigen Atemzüge unterbrochen, Atemzüge, die so schnell aufeinanderfolgten, daß ich meine Erregung buchstäblich hören konnte. Lebendig begraben. Es war ein scheußliches Gefühl, ein Gefühl, das selbst dem Abgebrühtesten Angstschauer über den Rücken jagen konnte. Ich wußte, daß jetzt tief unter mir Maschinen anlaufen würden. Ich wußte, daß die Monstrenköpfe an der Decke der Zeitgruft die gleiche technische Funktion hatten wie die Projektoren in der Time-Squad-Zentrale. Diese ganze Zeitgruft, wie wir sie getauft hatten, war nichts weiter als eine auf Horror-Effekte frisierte Zeitmaschine. Das sagte mir mein nüchterner, logisch denkender Verstand. Meine Gefühle waren von anderer Art. Sie ließen sich am besten in einem Satz zusammenfassen: Nichts wie weg von hier. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, ohne daß etwas geschah. Ein Juckreiz entstand an meinem linken Knie, und ich konnte mich nicht kratzen. Ein satanisches Gefühl – nichts war leichter geeignet, einen Menschen in kurzer Zeit um den Verstand zu bringen als solche Lappalien, gegen die sich nichts machen ließ. Dann spürte ich, wie die Wirkung des Zeitfeldes einzusetzen begann. Ich wurde müde, sehr müde sogar, und gleichzeitig verlor ich jedes Körpergefühl. Es war durchaus dem vergleichbar, was ich von der Time23
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Squad kannte, nur dauerte dieser Prozeß hier viel länger. Und das machte ihn qualvoll. Zwar wurde ich immer schläfriger, aber nicht schnell genug, um nicht mit einem Gefühl steigenden Entsetzens spüren zu können, wie ich meinen Körper verlor. Bei den Anlagen der Time-Squad dauerte dieser Teil einer Zeitreise nur einen Sekundenbruchteil – hier schien er ins Endlose hinausgezögert. Etwas anderes kam dazu: Ich spürte plötzlich, wie sich der Körper, den ich gar nicht mehr besaß, zu verändern begann. Es war nicht mehr als eine vage, flüchtige Empfindung, aber sie genügte, um mich in Angst und Schrecken zu versetzen. Ich war allein, völlig hilflos. Ich konnte mich nicht rühren, und ich hätte mir die Lungen aus dem Leib schreien können, niemand hätte mich gehört. Das Gefühl des Lebendigbegraben-Werdens steigerte sich von Augenblick zu Augenblick, und was die Sinne nicht an Informationen lieferten, um dieses Gefühl ins Unerträgliche zu steigern, das bewirkte ohne Mühe die Phantasie. Die Atemluft begann mir auszugehen – war diese Atemnot echt, oder war dies das Resultat der bei Zeittransporten üblichen Müdigkeit? Ich wußte es nicht. Es änderte auch nichts an dem Gefühl, daß mir ein Fels auf der Brust lag, dessen Gewicht beständig zunahm. Und mit jedem Augenblick, der verstrich, steigerte sich meine Benommenheit. Zugleich wuchs in mir die Überzeugung, daß dieser tiefe Schlaf der letzte Schlaf sein würde, daß es aus der Nacht, in die ich zu versinken begann, kein Erwachen mehr geben würde. Ich kämpfte dagegen an, gegen dieses peinigende Gefühl, gegen meine immer stärker werdende Körperlosigkeit, gegen die Ermattung … 24
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Ich unterlag dem Kampf. Übergangslos verlor ich das Bewußtsein. Ebenso übergangslos, wie ich die Besinnung verloren hatte, kam ich wieder zu mir. Und ich fühlte mich so müde und zerschlagen, als hätte ich einige Tage härtester körperlicher Arbeit hinter mir und bestenfalls einige wenige Stunden geschlafen. Sehen konnte ich nichts. Ich konzentrierte mich auf meinen Körper. In meinen Fingerspitzen kribbelte es. Ich lebte noch, und vorläufig genügte mir dies. Ich streckte die rechte Hand aus und berührte Stein, harten, rauhen Fels, ein Material, das an Basalt erinnerte. In der Zeitgruft befand ich mich demnach nicht. Ich hatte die Reise hinter mich gebracht. Jetzt galt es, herauszufinden, wo ich herausgekommen war – und wann! Ich griff in die Höhe. Eine Elle oberhalb meines Gesichts stieß meine Hand auf Fels. Ich verstärkte den Druck meiner Finger. Der Fels bewegte sich. Unwillkürlich stieß ich einen erleichterten Seufzer aus. Im Grunde meines Herzens hatte ich nie daran gezweifelt, daß der Transport klappen würde – ich hatte nur eine entsetzliche Angst gehabt, an einem Ort herauszukommen, der womöglich noch scheußlicher und gefährlicher war als die Zeitgruft, obwohl ich mir das eigentlich nicht vorstellen konnte. Mit einer kräftigen Muskelanspannung schob ich die Platte zur Seite. Sie wog einiges, und ich mußte mich anstrengen, um sie zu bewegen. Dabei stellte ich fest, daß unter meinem Kopf ein Kissen lag und daß ein länglicher Gegenstand in der Höhe meines Herzens gegen 25
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meine Rippen drückte – das Kissen und der hölzerne Pflock, den wir bei unserem ersten Besuch in der Zeitgruft im Sarkophag gefunden hatten. Draußen war es dunkel, aber dabei blieb es nicht lange. Einige Sekunden nach dem Verrücken der Platte wurde es ganz langsam hell. Es war ein rötliches Licht, das sich langsam steigerte. Nach etwa einer Minute war der Raum hell erleuchtet. Ich ahnte, daß ich einem ähnlich unerfreulich aussehenden Behältnis wie dem Sarkophag auf Delta herausgekommen war, daher blieb ich zunächst einmal ruhig liegen. Falls es Eingeborene am Zielort gab, wollte ich sie nicht erschrecken – ich jedenfalls konnte mir lebhaft genug ausmalen, wie ich mich fühlen würde, müßte ich mitansehen, wie sich ein Sargdeckel bewegte und jemand aus dem Sarg herausgeklettert kam. In der unheimlichen Atmosphäre der Zeitgruft mußte dieser Anblick selbst den Abgebrühtesten an die Nerven gehen. Nichts rührte sich. War ich allein in diesem Raum? Ich richtete mich langsam auf. Der Raum war tatsächlich leer. Man mußte allerdings die Büsten vergessen, die auf einem Sims standen und auf mich herabsahen. Es waren humanoide Gesichter, Menschen; die Gesichter verrieten aber auch, daß es sich keineswegs um besonders freundliche Gesichter handelte. Die meisten sahen recht grimmig auf mich herab, und dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch die Augen. In diesem Raum hatten sich die Konstrukteure offenbar dazu entschlossen, die Projektoren für die Zeitmaschine in den Köpfen der Büsten unterzubringen, genauer gesagt in den Augen dieser Büsten. Diese Augen leuchteten in einem düsteren Rot, und das paßte her26
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vorragend zu den Mienen, in denen sich alles widerspiegelte, was es an üblen Charakterzügen gab – Bosheit und Niedertracht, Neid und Mißgunst, Haß und Ekel … »Ein reizender Empfang«, murmelte ich. Ich kletterte aus dem Sarg. Der Raum, in dem ich gelandet war, erinnerte verblüffend an die Zeitgruft auf Delta. Hier wie dort lag der Raum tief im felsigen Untergrund. Hier wie dort diente ein Sarg als Transportbehälter. Nur war der Sarkophag in dieser Station nüchterner. Er bestand aus schlichtem Felsgestein aber auch dieser Behälter schwebte annähernd achtzig Zentimeter über dem Boden. Hier wie dort starrten Gesichter auf einen Besucher herab, und ich wußte nicht, welcher Anblick scheußlicher war die monströsen Fratzen in der Zeitgruft oder die ekelhaften Masken in diesem Raum. Die Beleuchtung war indirekt, ich konnte die Leuchtkörper nicht sehen. Erkennbar war allerdings die Tür, durch die ich gehen mußte, wenn ich ans Tageslicht wollte. Ich zögerte einen Augenblick lang. Die Sache war mir nicht geheuer, und es hätte der schaurigen Accessoires nicht bedurft, um mich vorsichtig zu stimmen. Ich war auf einem fremden Planeten, vielleicht auch in einer fremden Zeit. Dort draußen konnten Hunderte von Überraschungen auf mich warten gut Überraschungen und böse. Und noch war ich allein, auf mich selbst gestellt und meine nicht sehr eindrucksvolle Bewaffnung. Auf der anderen Seite, so sagte ich mir, würde ein Mann mehr in einer bewaffneten Auseinandersetzung wenig Unterschied machen – und was hatte ich davon, wenn außer mir noch einer meiner Gefährten den Tod fand? 27
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Ich hielt die Hand am Kolben des Nadlers. Bis jetzt hatte sich diese Defensivwaffe der Time-Squad als außerordentlich wirksam erwiesen. Sie verschoß kleine, sehr dünne Nadeln aus Hartgelatine, die sich im Körper des Getroffenen blitzschnell auflösten und ein hochwirksames Narkotikum an das Blut abgaben. Der entscheidende Vorteil dieser Waffe bestand darin, daß es praktisch unmöglich war, das Narkotikum zu überdosieren. So schnell und zuverlässig es wirkte, so wenig gefährlich war es selbst dann, wenn jemand ein ganzes Magazin in den Leib bekam. Ich hoffte, daß ich die Waffe nicht brauchen würde, als ich die Tür öffnete. Die hölzerne Tür hing in gleichfalls hölzernen Angeln, die vernehmlich kreischten, als der Flügel zur Seite schwang. Ein Stollen erschien, eine langgestreckte Höhlung im Fels mit feuchten, glatten Wänden. Ein Lufthauch wehte auf mich zu und trug einen feinen Modergeruch zu mir herüber. Ich machte mich auf den Weg.
»Das ist eine Lüge!« In der Runde wurde es still. Niemals seit der Gründung der Tafelrunde von Galyan – und dieses Ereignis lag immerhin sechs Jahrhunderte zurück – waren diese Worte ausgesprochen worden. Es galt als ungehörig, einen Ritter der Tafelrunde von Galyan der Unwahrheit zu bezichtigen. »Ich wiederhole – eine faustdicke Lüge!« Die Herren am Tisch sahen sich betreten an. Nicht nur, daß einer von ihnen der mangelnden Wahr haftigkeit gescholten wurde, die Ungeheuerlichkeit war 28
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zudem von einem Mitglied ausgesprochen worden, das genaugenommen mehr gnadenhalber am Tische saß und tafelte. Pheldor quat Rhynar setzte den Zinnhumpen hart auf dem hölzernen Tisch auf. Herausfordernd sah er sich in der Runde um. Pheldor quat Rhynar war es, der die Ungeheuerlichkeit ausgesprochen hatte – ein Ritter sechsten Grades. Die Herren am Tisch schwiegen noch immer – teils betreten, teils wütend. Eigentlich hätte man den vorlauten Sprecher auf der Stelle um einen Kopf kürzer machen müssen, aber niemand verspürte Lust dazu, seinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen. Denn Pheldor quat Rhynar zu erschlagen, war wahrlich kein Ruhmesblatt. Zum einen genoß der Ritter selbst keinen guten Ruf. Die Herren von Rhynar waren noch nie von sonderlich guter Reputation gewesen. Das quat in ihrem Sippennamen besagte, daß der Träger zwar adlig war, daß aber – peinlich für jeden, es auch nur anzuhören – mehr als ein halbes Duzend derer zu Rhynar mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten hatten. Erst in zehn Generationen würde es einem Herren von Rhynar gestattet sein, sich wieder var Rhynar zu nennen. »Na?« »Treibt die Angelegenheit nicht auf die Spitze, mein lieber Ritter Rhynar.« Der Elderman versuchte die Sache zu vertuschen, niederzuschlagen. Was blieb ihm anderes übrig? Pheldor quat Rhynar setzte den Humpen wieder an die Lippen. Mit der Kunstfertigkeit, für die die Herren von Rhynar seit alter Zeit berühmt gewesen waren, schüttete er das warme Bier in sich hinein. Die Rhynars 29
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waren als trinkfeste Gesellen überall bekannt gewesen, aber Pheldor war der mit weitem Abstand größte Saufaus, der jemals einen Humpen gehoben. Dem entsprach das Äußere des Ritters. Zwar brachte es Pheldor quat Rhynar auf die sieben Fuß, die als ritterliches Mindestmaß galten; er brachte es aber auch auf sieben Steine Lebendgewicht, und auf diese Leibesfülle wäre manche Zuchtsau stolz gewesen. Alles an dem Ritter war rund, Bauch, Beine, Brust und Antlitz. »Ich sage es noch einmal, für jedermann zu hören«, widerholte der Ritter, nachdem er den Krug geleert. Eilfertig füllte der Page das Gefäß nach. »Was der Ritter Gheryn gher Huqual erzählt hat, ist eine faustdicke Lüge.« Man hätte ihn liebend gern der Tafel verwiesen und außer Landes getrieben. Indes gehörte das Land ihm, man tafelte zu Rhynarstein, und die Blüte der Ritterschaft, an diesem Abend an dieser Tafel versammelt, war so herzzerreißend pleite, daß sich kein Widerspruch regte. Die Rhynars erfreuten sich zwar eines bemerkenswerten schlechten Leumundes, waren aber auf der anderen Seite so reich, daß selbst der schlechteste Ruf ihrer Beliebtheit keinen Abbruch tun konnte. Der Adel des Landes, ebenso nobel wie verarmt, drängte sich um Pheldors Tafel. »Wollte Ihr in Zweifel ziehen, was ich sagte?« fragte der betroffene Ritter und erhob sich feierlich. »Daß es keinem Ritter je gelingen werde, das Monstrum von Llallwyn zu bezwingen?« »Und das ist nicht wahr«, beharrte Pheldor. Er sprach undeutlich, zum einen, weil vier Liter heißen Bieres der Geschmeidigkeit seiner Zunge nicht eben för30
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derlich gewesen waren, zum anderen, weil ihm ein Hühnerschenkel zwischen den blendend weißen Zähnen stak und beim Sprechen zermalmt wurde. »Es ist möglich, das Monstrum zu besiegen!« Gheryn gher Huqual, von so altem Adel, daß bereits seinem Namen der Moderduft der Jahrtausende zu entströmen schien, verzog das längliche Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. »Seid Ihr vielleicht der Held, der diese Kreatur zur Strecke bringen wird?« »In der Tat«, behauptete Pheldor mit breitem Grinsen. Fett und Bratensaft liefen auf seine Brokatweste, dazu rülpste er genießerisch. »Ich sann darüber nach, wie meine Reputation aufzubessern sei – und dabei fiel mir das Ungeheuer ein.« Der Elderman sah Pheldor mit ehrlichem Entsetzen an. Es war dem Ritter anzusehen, daß er seine Worte ernst meinte. Nach der vorangegangenen Beleidigung war eine andere Deutung seiner Worte schlechterdings nicht möglich. Die Gesichter der Tafelrundenritter verrieten Betroffenheit. Das Monstrum von Llallwyn genoß einen Ruf, der es durchaus mit dem des dicken Ritters aufnehmen konnte. Selbst für ein Monstrum war diese Kreatur bemerkenswert scheußlich ausgefallen. Bekannt war vor allem die ungeheure Gefräßigkeit des Ungeheuers, nur vergleichbar mit der Gefräßigkeit der Tafelrunde – aber wo hätte es dazu eine Vergleichsmöglichkeit gegeben? Nun stand zu befürchten, daß der Hunger des Monstrums auf Kosten der Tafelrunde gestillt wurde, und das allein hätte genügt, die Ritter der Tafelrunde von Galyan erbleichen zu lassen. Was sie noch mehr entsetzte, war die Tatsache, daß der edle Herr zu Rhynar bislang unbeweibt und folglich auch kinderlos war. Sein Lehen mußte infolge31
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dessen bei seinem Ableben – und damit war zu rechnen, trat er wirklich gegen das Monstrum von Llallwyn an – an die Krone zurückfallen. Das hieß: Land, Leute und Burg verfielen dem König im Osten, der nur deshalb einige Wertschätzung genoß, weil er so weit entfernt lebte. Nun aber, da seine Hausmacht um solche Werte erweitert wurde, würden die königlichen Truppen mit Sicherheit bald Quartier beziehen. Und vermutlich würde der König, anders als der dicke, gutmütige Ritter von Rhynar, darauf bestehen, daß die Herren der Tafelrunde baldmöglichst ihre horrenden Schulden bezahlten. »Nicht doch«, stammelte der Elderman. »Solcher Heldentaten bedarf es nicht. Euch unser allerhöchste Wertschätzung einzutragen. Ihr wißt, wie teuer Ihr uns seid.« Pheldor nickte lächelnd. »Ich weiß«, sagte er sanft. »Ich weiß genau, welcher Wertschätzung ich mich erfreue. Indes läßt meine Ehre keine andere Handlungsweise zu. Morgen werde ich aufbrechen.« Er hob den Humpen, prostete der Runde zu und setzte ihn an die Lippen. Über den Rand hinwegschielend, konnte er die Gesichter seiner Gäste sehen. Sie wirkten wie eine Meute hungriger Wölfe, denen im letzten Augenblick das Wild entkommen war. »Wir werden Euch begleiten«, versprach der Elderman. Während Pheldor trank und trank, sah der Elderman der Reihe nach die Mitglieder der Tafelrunde an. Es gehörte viel Phantasie dazu, aus diesen säuerlichen Mienen begeisterte Zustimmung herausinterpretieren zu wollen. »Wir werden nicht zulassen, daß Ihr diesem schauerlichen Monstrum allein gegenübertretet.« Schmatzend setzte Pheldor quat Rhynar den Humpen wieder an. Sein rundliches Gesicht verzog sich zu ei32
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nem fröhlichen Grinsen. Seine kleinen Augen zwinkerten vergnügt. »Es würde mich freuen«, sagte er liebenswürdig. »Wie gesagt, morgen früh breche ich auf. Zum Wohle, die Herren!« Und er hob den nächsten Humpen. Als am nächsten Morgen der Hahn krähte, war Pheldor quat Rhynar der einzige Ritter der Tafelrunde von Galyan, der sich erhob, ankleidete und sich zum ersten Frühstück in der großen Halle einfand. In der Nacht hatten die Dienstboten die Spuren des Gelages beseitigt, und auf dem Gitterrost loderte ein großes Feuer. Pheldor quat Rhynar wärmte sich äußerlich durch das Feuer, innerlich durch ein großes Stück Braten mit einer feurigen Tunke und einer flüssigen Stärkung in Gestalt zweier Humpen Bier, dann fühlte er sich für die bevorstehende Reise gerüstet. In der Rüstkammer des Schlosses vervollständigte er seine Kleidung. Er zog die silberglänzende Rüstung über, gürtete sich das Schwert um und wählte aus den reichhaltigen Beständen einige andere Waffen aus – Armbrust und Bolzen, Morgenstern und ein kräftiges Jagdmesser. Auf eine Lanze verzichtete der Ritter. Klirrend schritt er die steinernen Stufen zum Burghof hinunter, wo sein Phärt bereits auf ihn wartete, ein stabiles Tier, das sogar die beträchtliche Masse des Ritters zu Rhynar zu transportieren vermochte. Das Phärt ächzte zwar, als Pheldor in den Sattel kletterte, aber es brach nicht zusammen. »Laßt die edlen Herren ausschlafen«, befahl Pheldor seinem Majordomus. »Sobald sie aber erwacht sind, schickt ihr sie nach einem kräftigen Imbiß auf den Heimweg. Bis zu meiner Rückkehr wünsche ich keinen von 33
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diesen … edlen Herren auf meiner Burg zu wissen. Verstanden?« »Eure Befehle werden pünktlich befolgt werden, Herr!« Die Gesichter des Gesindes verrieten ehrliche Betroffenheit. Die Dienstboten wußten, welches Ziel sich der Ritter gesteckt hatte und daß die Wahrscheinlichkeit groß war, daß ihr Herr niemals mehr zu ihnen zurückkehrte. Und bei einem Wechsel des Lehnsverhältnisses konnte es dem Gesinde nur schlechter ergehen. Pheldor quat Rhynar galt weithin als der angenehmste Herr, den sich ein Dienstbote nur wünschen konnte. Die Zugbrücke rasselte herunter. Mit hallenden Hufschlägen stapfte das Phärt über die hölzerne Brücke, dann stieg die Brücke unter lautem Kettenrasseln wieder in die Höhe. Pheldor ritt einige hundert Meter weit, dann sah er sich noch einmal um. Rhynarstein erhob sich auf einem Berg, dessen Spitze man abgetragen hatte. Dafür ragte die Burg sieben Stockwerke in die Höhe, steil und unbezwingbar. Fast lotrecht fiel der Fels unter der Burg ab. Der einzige Zugang zur Burg bestand in der Zugbrücke, die Rhynarstein mit einer benachbarten, leichter erreichbaren Felsnadel verband. Es war ein schmuckes Anwesen, der ganze Stolz derer zu Rhynar, und es würde berühmt werden, falls es Pheldor tatsächlich gelang, das gefürchtete Ungeheuer zu überwinden. Mit dieser Glanztat ließen sich mindestens vier Schandflecke auf dem Familienwappen tilgen – Gehängte, Verfemte, Feiglinge, Straßenräuber und Hochverräter, wie es sie in der Familiengeschichte der Rhynars zuhauf gegeben hatte. 34
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Der Ritter wußte allerdings auch, worauf er sich eingelassen hatte. Das Monstrum von Llallwyn galt als absolut unüberwindlich. Bislang hatten es bereits mehr als siebzig Ritter mit ihm aufzunehmen versucht und kein einziger war je zurückgekehrt. Dem Bezwinger des Monstrums war versprochen worden, daß er die Tochter des Königs zur Frau bekommen sollte. Der König hatte nur diese eine Tochter gehabt, und das Gelübde war ziemlich lange her. In den letzten zwölf Jahren jedenfalls hatten sich der Ruf des Monstrums und das Aussehen der Prinzessin beinahe die Waage gehalten, so daß niemand auch nur auf die Idee gekommen war, es mit der Prinzessin aufzunehmen. Inzwischen aber war, und das wußte der Ritter von Rhynar, der alte König gestorben, und die Innere Runde hatte einen neuen König erwählt. Dieser neue König hatte das Gelübde erneuert – und seine Tochter war noch jung und liebreizend. So hieß es jedenfalls. Pheldor quat Rhynar war es nicht um die Prinzessin zu tun, aber er hatte es dennoch vorgezogen, abzuwarten, bis auf den Tod des Monstrums von Llallwyn eine Belohnung und nicht eine Strafe folgte. Pheldor pfiff leise vor sich hin und übertönte so den schweren Atem seines Reittiers. Auf dem Gipfel des Nachbarberges ließ Pheldor das Tier ein wenig rasten, danach führte der Weg hinab in die Ebene. Beim Abstieg konnte Pheldor weite Teile seines Lehens übersehen. Es war gutes, fettes Land, fruchtbar und ertragreich wie kaum ein zweites Lehen im ganzen Königreich, und von alters her Besitz derer zu Rhynar. Es war viel, was Pheldor aufs Spiel setzte, aber er wollte endlich den Makel tilgen, der seiner Familie anhaftete. Dazu war ihm jedes ehrenhafte Mittel recht. 35
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Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, war Burg Rhynarstein bereits außer Sicht. Pheldor kehrte in einem Gasthof ein, wo er seine Kräfte mit Hilfe eines Spanferkels und drei Liter besten Bieres wiederherstellte. Nach dem Imbiß fühlte er sich so gut, daß er für die Mahlzeit sogar bezahlte – zur Freude des Wirtes, der als Hintersasse mit solcher Gnade nicht hatte rechnen dürfen. Zufrieden und gestärkt machte sich der Ritter wieder auf den Weg. Sein Ritt führte ihn nach Norden. Dort hauste das Ungetüm von Llallwyn in einem Gemäuer, das früher einmal der Wohnsitz der Königsfamilie gewesen war – vor einigen Jahrhunderten. Pheldor quat Rhynar setzte seinen Ritt fort, bis die hereinbrechende Nacht ihn zwang, ein Nachtlager aufzuschlagen. Er suchte sich zur Nacht eine Lichtung im Wald aus, groß genug, um ihm einen ruhigen Schlaf und seinem Phärt ausreichendes Futter zu sichern. Pheldor fachte ein Feuer an und briet darüber einen Hasen, der sich in die Reichweite seiner Armbrust gewagt hatte. Die Rüstung hatte der Ritter ausgezogen. In der Nähe von Lagerfeuern erwiesen sich solche Rüstungen als außerordentlich lästig. Vorn leitete sie die Hitze des Feuers bis auf die Haut, hinten ließ sie die Kälte durchdringen. Sein Schwert lag griffbereit neben Pheldor auf dem Boden. Noch fühlte sich der Ritter sicher. Er war weit von Llallwyn entfernt und hielt sich noch auf eigenem Grund und Boden auf. Niemand würde es wagen, den Ritter anzugreifen – es hatte auch niemand einen Grund dazu. Pheldor quat Rhynar war beliebt. 36
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Daher streckte sich Pheldor nach dem Essen auf dem Boden aus. Er zog sich die Wolldecke über den Kopf und war dank des monotonen Knisterns des kleinen Feuers sehr bald eingeschlafen. Es war der sichere Instinkt des Ritters, der ihn erwachen ließ. Pheldor war gewitzt genug, sich nicht zu rühren. Er atmete ruhig weiter, konzentrierte sich auf sein Gehör. Er hatte Besuch bekommen. Das Knistern des Feuers hatte aufgehört. Zu hören waren das regelmäßige Atmen des Phärts und das Scharren der beschlagenen Hufe. Und das leise Geräusch, das von einem Menschen stammte. Atemzüge und der dumpfe Schall von Tritten. Der Mann – Pheldor war sich sicher, daß sich um diese Zeit nur ein Mann in der Wald wagen würde – war entweder barfuß, oder er trug sehr weiche, absatzlose Lederschuhe. Pheldor rülpste laut und ungeniert und drehte sich auf die andere Seite. Er konnte hören, wie der Besucher erstarrte. Dennoch behielt Pheldor die Augen geschlossen. Wenn der Fremde ihm ans Leben wollte, hätte er längst ein Stück kalten Stahles im Herzen gehabt. Der Ritter wartete einige hundert Herzschläge lang, dann öffnete er sehr langsam und vorsichtig die Augen. Er grinste zufrieden. Er hatte sich nicht geirrt. Es war ein Mann, und dieser Mann trug lederne Schuhe. Er war von Kopf bis Fuß in Leder gekleidet, in dunkles, fast schwarzes Leder. Auch der größte Teil des Gesichts war von einer sehr dünnen Maske aus dunklem Leder bedeckt. Nur das Weiße der Augen war im Mondlicht gut zu erkennen. 37
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Der Fremde war damit beschäftigt, Pheldors Felleisen zu durchwühlen, wohl in der Hoffnung, darin gemünztes Geld zu finden. Er mühte sich vergebens, der Ritter führte kein Geld mit. Pheldor quat Rhynar konnte eine Reise von mehreren Monaten machen, ohne auch nur ein einziges Mal Geld zu benötigen – wohin er auch reiten mochte, er hatte überall Schuldner wohnen. Pheldor streckte langsam die linke Hand aus. Er bekam den Kolben der Armbrust zu fassen. »Ich würde mich nicht umdrehen!« sagte Pheldor laut. Der Schwarze reagierte beim ersten Geräusch, fuhr herum und ließ sich fallen, als er die auf sich gerichtete Armbrust erkannte. Der Bolzen landete in der linken Schulter. Zufrieden mit seinem Treffer griff Pheldor nach seinem Schwert. Die Armbrust hatte er fallen lassen. Der Schwarze ließ ihm keinerlei Zeit zu langen Überlegungen. Obwohl verwundet, gab er keinen Laut von sich. Im Licht des vollen Mondes sah Pheldor, wie die Hand des Mannes zum Gürtel ging, dann nach vorn geschnellt wurde. »Nicht übel!« kommentierte Pheldor. Mit hellem Singen sauste das Messer zur Seite und landete im Gebüsch. Pheldor hatte die Waffe im Flug mit einem Schwerthieb getroffen. Beides, Angriff und Abwehr, waren kleine Meisterstücke, die beiden Kämpfer zeigten, daß sie auf der Hut sein mußten. Indes hatte der Schwarze die Partie so gut wie verloren. Er trug noch ein Schwert im Gehänge, aber bis er die Waffe gezogen haben würde, konnte Pheldor ihm ein halbes Dutzend Mal die Gurgel durchschneiden. 38
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»Bleibe stehen, Bube«, sagte Pheldor grimmig. »Laß die Finger vom Schwert, und nimm die Maske ab. Ich will sehen, wen ich da gefangen habe. Der Schwarze rührte sich nicht. Pheldor machte einen Schritt. Die Spitze seines Schwertes berührte die Kehle des Schwarzen. »Ihr werdet nicht zustoßen«, sagte der Schwarze. Er hatte eine dunkle, rauhe Stimme. »Ich kenne Euch. Ihr seid der Herr von Rhynarstein.« »Richtig beobachtet«, sagte Pheldor. Er verstärkte den Druck ein wenig. »Also …« Der Schwarze hob langsam die Hände … Er packte blitzschnell zu, aber Pheldor hatte das Schwert bereits zurückgezogen. Dennoch hatte der Schwarze die Waffe einen Augenblick lang zu fassen bekommen, aber es war ihm nicht gelungen, sie Pheldor zu entreißen, er hatte sich nur aufgeschnittene Hände geholt. Pheldor sah das Blut auf der Innenfläche der Handschuhe glänzen. »Nun gut«, sagte der Schwarze. Er zog sich die Maske vom Kopf. »Ich bin Shandrak«, sagte er. »Shandrak der Schwarze.«
Ich kam mir vor, als sei ich in der Requisite einer Horror-Produktion gelandet. Das Gemäuer, in dem ich mich bewegte, erinnerte mich sehr stark an die Gänge und Stollen, wie sie früher auf den Burgen Mitteleuropas üblich gewesen waren. Lange, feuchte Gänge im Fels, von Moderduft durch39
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weht. Ich passierte zwei Räume, deren Türen offenstanden. Es waren Verliese, Gefängniszellen. Die Ketten an den Wänden sahen beängstigend neu aus, das Stroh auf dem Böden war in der kalten Feuchtigkeit allerdings schon weitgehend verrottet. Ich fand zu meiner Beruhigung keine Skelette, von lebenden Gefangenen zu schweigen. Dennoch war mir alles andere als wohl zumute. Die Waffe schußbereit in der Hand, schlich ich durch die Gänge. Ich suchte zum einen nach den Bewohnern dieser Burg, zum anderen nach der Steuerstation der Zeitmaschine. Der nächste Raum, den ich betrat, war keine Schaltzentrale. Die Geräte, die dort zu sehen waren, hatten nichts gemein mit den Schaltanlagen einer Zeitmaschine. Ich war in einer Folterkammer gelandet. Es fehlte nichts. Spanische Stiefel und die Eiserne Jungfrau, das Streckbrett, Kohlebecken, in denen man Brandeisen erhitzen konnte. Seile und Gewichte, Peitschen, Stricke, Messer, Quetschen – das Arsenal war sehr reichhaltig. Auf diesem Gebiet hatten Menschen stets Hervorragendes geleistet. Ich betrachtete die Gerätschaften etwas genauer. Sie sahen nicht so aus, als seien sie in letzter Zeit benutzt worden. Die Eiserne Jungfrau jedenfalls war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Zudem verriet mir die Dame mit den Stacheln im Innern, daß ich es vermutlich mit Menschen zu tun haben würde – Humanoiden. Die Figur war etwas kleiner als ich, unverkennbar weiblich. Das Gesicht war eine widerliche Fratze, die keinen Schluß darauf zuließ, wie die Gesichter der Planeten40
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bewohner aussahen. Ich hütete mich jedenfalls, meine Kombination zu weit zu treiben – wer aus afrikanischen oder mikronesischen Tanzmasken auf die Physiognomien der Erzeugen schließen wollte, erlebte böse Überraschungen. Als ich den Raum verließ, wußte ich jedenfalls, daß ich auf der Hut sein mußte. Die Foltermaschinen waren zwar staubbedeckt, aber das hieß nicht, daß man sie nicht in kürzester Zeit wieder gebrauchsfähig machen konnte. »Nie gehört«, behauptete Pheldor. »Hast du Hunger?« Der Schwarze nickte. Er zog mit den Zähnen die Handschuhe aus. Die Wunden in den Handflächen schienen nicht sehr tief zu sein, bluteten aber stark. Shandrak spuckte die Handschuhe auf den Boden. »Man bekommt nicht sehr gut zu essen, wenn man von den Bütteln gejagt wird.« Murmelte er. »Wessen Büttel?« fragte Pheldor, Er steckte sein Schwert in die Scheide zurück. Shandrak war als Gegner vorläufig ausgeschaltet. Pheldor war allerdings kampferfahren genug, dem Schwarzen nicht zu trauen. »Eure«, brummte der Schwarze. »Und die der anderen Herren. Jeder ist hinter mir her.« Pheldor deutete, während er seine Armbrust spannte, auf das Stück Braten, das von dem Hasen übriggeblieben war. »Nimm und iß«, sagte er. »Und erzähle mir, weshalb du gejagt wirst. Ich jedenfalls kenne dich nicht.« Shandrak setzte sich auf den Boden. Während er nach dem Hasenbraten griff, entfachte Pheldor das Feuer von neuem. 41
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Die auflodernden Flammen beleuchteten ein hageres, sonnenverbranntes Gesicht. Shandrak hatte dunkel Augen und dunkles Haar, und finster war auch sein Gesichtsausdruck. Er aß gierig, allerdings verriet sein Bemühen, sich die Finger nicht allzu schmutzig zu machen, daß er Zeiten erlebt hatte, in denen er es noch nicht nötig gehabt hatte, den Wegelagerer zu spielen. »Warum wirst du gejagt? Hast du gestohlen?« Shandrak grunzte verächtlich. »Geraubt? Getötet? Einen Hintersassen? Einen Freisassen? Was denn, einen Ritter?« Shandrak zuckte abschätzig die Schultern, dann hob er die rechte Hand. »Vier!!« Pheldor quat Rhynar war betroffen. Shandrak mochte früher ein anderes Leben geführt haben, aber er war mit Sicherheit nicht von Adel. Es war unerhört, daß ein Mann aus dem Volk vier Adlige getötet haben sollte. Ein Ritter hätte sich niemals auf einen normalen Kampf mit einem Rangniederen eingelassen – folglich mußte der Schwarze seine Gegner gemeuchelt haben. Eine Vorstellung, die Pheldor erschreckte. Offenbar war er nur um Haaresbreite dem Schicksal entgangen, der fünfte hinterrücks getötete Ritter zu werden. »Was soll die Aufregung?« fragte Shandrak. »Ich habe sie ehrlich bekämpft und ebenso ehrlich besiegt.« »Ich habe nie davon gehört.« »Ich habe es nicht an die große Glocke gehängt«, erklärte Shandrak. Er stand auf, ohne sich um die auf ihn gerichtete Armbrust zu kümmern. Shandrak sah sich eine Weile um, dann sammelte er einige Kräuter zusam men. Zum ersten Mal hörte Pheldor einen Laut des 42
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Schmerzes von dem Schwarzen – als er die Kräuter auf die Wunden in seinen Handflächen streute. »Übel«, murmelte Shandrak. »Ich hätte besser aufpassen müssen. Jetzt werde ich wohl doch baumeln müssen.« Er sprach, als handele es sich nur um eine geringfügige Schwierigkeit. »Wartet der Strick auf dich?« »Wenn ich Glück habe, ja. Wenn nicht, kann die Sache übel werden. Es gibt einige Leute, die mich am liebsten lebend auf kleinem Feuer schmoren würden, wüßten sie, wer ich bin.« Pheldor kniff die Augen zusammen. »Warum hast du die vier getötet?« »Meine Sache.« »Ich kann dich hängen lassen. Also antworte.« Shandrak spuckte aus. »Es ist mein Hals«, sagte er kalt. »Und meine Sache, wofür ich ihn wage. Aaah.« Pheldor kannte die Heilwirkung des Kräutersaftes, er wußte auch, daß jeder Tropfen der milchigen Flüssigkeit in einer offenen Wunde ärger brannte als der weißglühende Stahl in einer Folterkammer. »Und was hast du jetzt vor?« Shandrak sah Pheldor nachdenklich an. »Habt Ihr einen Vorschlag, Pheldor quat Rhynar?« »Du könntest mich begleiten, als Knappe. Ich reite nach Llallwyn.« Shandrak pfiff, leise durch die Zähne. »Wenn wir die Sache überleben, werde ich dich begnadigen. Du kannst dann auf meinem Land deinem Gewerbe nachgehen, frei und unter meinem Schutz. 43
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»Welches Gewerbe? Die Wegelagerei?« »Was tatest du, bevor du die Wälder unsicher zu machen begannst.« »Ich war Fischer«, sagte Shandrak. Sein Blick wurde verschwommen. Er schien förmlich durch Pheldor hindurchzusehen. »Ich war ein guter Fischer«, sagte er halblaut. »Viel besser als Wegelagerer. Und ich bin wahrhaftig kein schlechter Räuber.« Pheldor lächelte verhalten. »Also?« Shandrak zuckte wieder mit den Schultern. »Was bleibt mir anderes? Kann ich mir meine Waffe holen?« »Nur zu.« Pheldor hatte erwartet, Shandrak werde nach dem Wurfmesser suchen. Statt dessen verschwand der Schwarze zwischen den Bäumen. Nach kurzer Zeit kehrte er zurück. An seiner Hüfte hing ein dünnes Seil aus geflochtenem Leder, fast unzerreißbar. Und in der Hand hielt er eine Harpune mit doppeltem Widerhaken. Das eine Ende des Lederseils war an Shandraks Hüfte befestigt, das andere führte zur Harpune. Pheldor kannte sich in diesen Dingen aus. Er wußte sofort, daß dies eine mörderische Waffe war, vor allem im Einsatz gegen die gepanzerten Ritter. Shandrak konnte die Harpune aus sicherer Entfernung schleudern. Entweder schlug die stählerne Spitze durch oder der Gegner überlebte den Treffer. In diesem Fall konnte Shandrak seinen Feind mit dem Lederseil zu sich heranschleifen und ihm aus nächster Nähe den Garaus machen. Jetzt wun44
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derte sich Pheldor nicht länger, jetzt verstand er, wie der Schwarze es fertiggebracht hatte, vier Ritter zu besiegen. »Kannst du damit umgehen?« fragte Pheldor. Einen Herzschlag später schlug die Harpune in einen Baum in seiner Nähe ein. Die Spitze war eine Handbreit in das harte Holz eingedrungen. Pheldor nickte anerkennend. »Ich glaube«, murmelte er. »ich habe da einen guten Fang gemacht.« Shandrak der Schwarze schwieg. Aber er lächelte. Am nächsten Morgen konnte Pheldor feststellen, daß Shandrak nicht nur gut mit seiner Harpune umgehen konnte. Er war auch ein vorzüglicher Reiter. Seinen Fachverstand brauchte er Pheldor nicht zu beweisen – der Ritter mußte entgeistert feststellen, daß seine beste Stute, die er seit einigen Wochen vermißt hatte, ihren neuen Besitzer in Shandrak gefunden hatte. Der Bursche hatte damit eines der besten Tiere gestohlen, das sich in diesem Landstrich finden ließ. »Allein dafür müßtest du baumeln«, murmelte Pheldor erbittert, als Shandrak das Tier auf die Lichtung führte. Shandrak winkte gelangweilt ab. »Wenn man schon ein Phärt stiehlt und dafür aufgehängt wird«, sagte er kalt, »dann sollte man wenigstens das beste Phärt stehlen, das überhaupt zu finden ist.« »Auch eine Philosophie«, meinte Pheldor, nun amüsiert. Shandrak zog prüfend die Luft durch die Nase. »Wir sollten von hier verschwinden«, sagte er ruhig. »Es kommt nämlich ein ganzer Trupp durch den Wald, ein Haufen Männer und eine Frau, eine edle Frau.« 45
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»Woher willst du das wissen?« »Benutzt Eure Nase. So riecht nur ein Weib, und arme Weiber haben weder die Zeit noch das Geld, sich derart zu parfümieren.« Pheldor schnupperte, und wirklich, er fand einen feine, kaum spürbaren Hauch in der Luft. Indes war von dem Trupp noch nichts zu hören. Erst einige Minuten später erklang fernes Hufgetrampel, vom weichen Waldboden stark gedämpft. »Du stehst unter meinem Schutz«, sagte Pheldor. »Niemand wird es wagen, dich anzurühren.« Shandrak machte ein Gesicht, das seinen Zweifel mehr als deutlich ausdrückte, blieb aber stehen. Es gab nur diesen einen Weg durch den Wald, der Trupp mußte also an Pheldor und Shandrak vorbei. Minuten vergingen, in denen sich Pheldor vorzustellen versuchte, welche Frau von Adel da angeritten kam. Er konnte sich nicht erinnern, eine Frau eingeladen zu haben, und ein anderes Reiseziel als Rhynarstein war weit und breit nicht zu finden. Endlich wurde der erste Reiter sichtbar. Er trug das Kettenhemd der Königsgarde, und auch das Wappen auf dem Schild, der an der Flanke des Phärts hing, bewies, daß er zur Garde des Königs zählte. Der Reiter ließ sein Tier anhalten. Er musterte Pheldor streng. Der Ritter konnte sein Erstaunen nicht verbergen. Was machten Königstruppen in dieser Landschaft? Waren die Reiter gekommen, um den Lehnsherr von Rhynarstein abzusetzen? Pheldor quat Rhynar war sich keiner Schuld bewußt. Er hob seinen Schild ein wenig an, damit der Soldat das Wappen derer zu Rhy46
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narstein erkennen konnte, den doppelt geschwänzten Milan. »Macht den Weg frei«, forderte der Soldat mürrisch. Daß er einen Mann von Geblüt vor sich hatte, schien ihn nicht zu interessieren. »Zügelt Eure Zunge«, gab Pheldor zurück. Shandrak musterte den Königssoldaten ungeniert. Das Ergebnis schien ihn nicht zu befriedigen; er grinste verächtlich, behielt aber die rechte Hand an der Harpune. »Dies ist mein Land«, sagte Pheldor sanft. Die Reiter, die nun nacheinander auf den Plan traten und anhielten, konnten ihn nicht beeindrucken. Die Königssoldaten waren nur Leichtbewaffnete. Ein gepanzerter Ritter konnte es sehr wohl mit einem Dutzend aufnehmen, besonders dann, wenn es sich bei diesem Ritter um einen Kämpfer vom Schlage eines Pheldor quat Rhynar handelte. Während der Anführer der Soldaten drohend die Augen zusammenkniff, erschien ein weiterer Darsteller auf der Bühne. Vier hünenhafte Sklaven aus den Dunkelländern schleppten eine prunkvolle Sänfte. »Absetzen«, befahl eine klare Frauenstimme. Pheldor quat Rhynar schluckte. Die Farbkombination der Stoffe, mit denen die Sänfte verhängt war, galt als einmalig – blau, dunkelbraun und gold. Sie war der königlichen Familie vorbehalten. Nach diesem überdeutlichen farblichen Hinweis benötigte Pheldor keinen großen Scharfsinn mehr, um den Mann identifizieren zu können, der in einer schmucklosen aber hervorragend gearbeiteten Rüstung auf die Lichtung geritten kam. Asgarn Edler von Gynhall, König des Landes und als solcher Herr über Leben und Tod eines jeden Bewoh47
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ners, konnte auf Abzeichen verzichten. Er war von imponierendem Wuchs, ein Mann in mittleren Jahren, die Muskeln gestählt in langem Kriegsdienst, im Streite so erprobt und bewährt wie im Rate. An den Schläfen war das Haar, sonst dicht und schwarz, dünn geworden unter dem Druck des Helmes. »Pheldor quat Rhynar«, sagte der König. Während Pheldor vom Phärt stieg, wie es die Höflichkeit gebot, trieb der König sein Phärt näher an ihn heran. »Verfügt Ihr über die Gabe der Weissagung? Vor einigen Stunden erst schickte ich eine Taube auf die Reise, die Euch meine Ankunft verkünden sollte.« »Zufall«, sagte Pheldor. »Reiner Zufall. Ich bin auf dem Weg nach Llallwyn.« Im Innern der Sänfte wurde ein spitzer Schrei ausgestoßen. Pheldor spähte hinüber und sah, wie die dichten Schleier für einen Augenblick zur Seite geschoben wurden. Offenbar wollte sich die Person, die in der Sänfte getragen wurde, mit eigenen Augen überzeugen, wer sich zu diesem selbstmörderischen Unterfangen verstiegen hatte. »Dann haben wir das gleiche Ziel«, sagte Asgarn lächelnd. »Auch ich wollte nach Llallwyn.« Pheldors Unterkiefer klappte herunter. »Wollt Ihr etwa Eure eigene Tochter … ?« »Keineswegs, mein Lieber. Ich wollte nur vermeiden, daß sie eine alte Jungfer wird, wie ihre Vorgängerin. Mir wollte scheinen, als überträfe der schlechte Ruf des Monstrums den guten Ruf meines Kindes in einem besorgniserregenden Maße.« »Hmm«, machte Pheldor. »Wenn Ihr das Mädchen versteckt …!« 48
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»Niemand versteckt sich hier!« bekam er zu hören. Die Vorhänge der Sänfte wurden zur Seite gezogen. Das Mädchen war noch jung, höchsten sechzehn Sommer alt, schlank und wohlgewachsen. Was Pheldor sofort ins Auge stach, war das dunkle, fast schwarze Haar des Mädchens, das stark mit ihrem hellen Gesicht kontrastierte. »Ich bitte um Vergebung«, sagte Pheldor zerknirscht. »Es war nicht meine Absicht, Euch zu nahe zu treten.« »Aber Ihr wollt nach Llallwyn, nicht wahr?« Pheldor schielte, während er mit seinem Lehnsherrn sprach, ziemlich auffällig zu der Sänfte hinüber. »Ich wollte meinem Namen verbessern«, sagte er offen. »Das war mein Trachten, als ich diese Fahrt begann … aber jetzt …« »Wir können den beschwerlichen Weg gemeinsam machen«, schlug Asgarn vor. »Und der schwarze Schelm an Eurer Seite? Ich meine, ihn schon einmal gesehen zu haben. Er erinnert mich an diesen Spitzbuben Shandrak.« »Ich bin Shandrak«, sagte der Schwarze mit steinernem Gesicht. Der Oberst der Leibgarde griff sofort zum Schwert, aber der König fiel ihm in den Arm. »Er steht unter meinem Schutz«, gab Pheldor bekannt. »Ich versprach ihm Erlaß jeglicher Strafe, wenn er mir hilft, das Monstrum zur Strecke zu bringen.« »Ihr handelt vorschnell«, grollte der Gardist. »Ich handelte frei«, gab Pheldor zurück, »als Vertreter des Königs in diesem Land, und Königswort gilt.« »Ihr werdet gewußt haben, was Ihr tatet«, mischte sich der König ein. »Wenn es dich nach dem Kopf des Schwarzen gelüstet, Kipher, dann mußt du ihn dir schon selbst besorgen.« 49
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»Pah«, machte Shandrak. »Er würde den eigenen verlieren.« »Das bleibt abzuwarten«, zischte der Gardist. »Eines Tages wirst du mir vor die Klinge kommen, das verspreche ich dir.« »Wir sollten unsere Kräfte an dem Monstrum erproben«, sagte Pheldor, den es ein wenig reute, den Schwarzen begnadigt zu haben. Vor allem aber erstaunte es ihn, daß der König Shandrak kannte, er selbst aber nie von ihm gehört hätte. »Wenn wir ohne Verzug reiten, können wir Llallwyn in vier Tagen erreicht haben.« »Ihr könnt es wohl kaum erwarten, das Monstrum vor Eure Klinge zu bekommen?« Pheldor lächelte vielsagend.
Irgendwo in diesem Labyrinth mußte es Vorrichtungen geben mit denen sich die beiden Zeitmaschinen steuern ließen – sowohl die Maschine, die ich gerade verlassen hatte, als auch die Anlage auf Delta, wo meine Freunde auf mich warteten. Von irgendeinem Schaltpult aus wurden diese Maschinen kontrolliert und gelenkt. Wenn ich wieder heil nach Hause kommen wollte, mußte ich diese Bedienungselemente finden und das möglichst schnell. Denn eines stand für mich fest: Die Anlage, die ich vor wenigen Minuten betreten hatte, war bestimmt ebenso gut – und das hieß: ebenso mörderisch – gesichert wie der Tempel auf Delta. Und hier kam mir niemand zu Hilfe. Es war abgemacht, daß ich die Lage erkunden sollte. Erst wenn feststand, auf welchem Weg 50
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ich wieder nach Delta zurückkehren konnte, sollten meine Gefährten folgen. Mit aller gebotenen Vorsicht schlich ich durch die Gänge. Ich suchte nach einem Raum, der weniger mittelalterlich aussah, der technische Geräte enthielt, mit denen man die Zeitmaschine umschalten konnte. In jedem Fall mußte es in der näheren Umgebung der Zeitmaschine einen Energieerzeuger geben. Einstweilen war davon nichts zu sehen. Ich erreichte eine Wendeltreppe und begann hinaufzusteigen. Die Stufen waren aus dem Fels herausgemeißelt worden. Es waren die Spuren der Werkzeuge zu sehen. Ersichtlich war auch, daß dieser Weg nicht sehr oft gegangen worden war. Die Stufen waren noch gerade. An einer Schießscharte hielt ich an. Ich spähte hinaus. Ich sah Land, weites, grünes Land mit saftigen Weiden. In der Ferne war ein Gebirge mittlerer Höhe zu erkennen. Die Sonne – präziser formuliert: eine Sonne – schien. Das Land gefiel mir auf den ersten Blick. Ich stieg weiter die Treppe hinauf. In regelmäßigen Abständen erreichte ich neue Schießscharten. Nach einigen Minuten war ich so hoch hinaufgeklettert, daß ich die nähere Umgebung betrachten konnte. Das Gebäude, in dem ich mich bewegte, war offenbar völlig verwildert. Von einer genau erkennbaren Grenze ab war der Boden nicht mehr bestellt, wuchs nur noch Gestrüpp. Es sah aus, als habe es vor kurzer Zeit noch eine Belagerung gegeben – ich konnte breite Brandschneisen sehen. Auf das verwilderte Land folgte ein breiter Streifen, der mit einer dichten Dornenhecke bestanden war. Ich fühlte mich sofort an das alte Märchen 51
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von der Schlafenden Schönheit erinnert, die hundert Jahre lang hinter einer undurchdringlichen Dornenhecke in tiefem Schlaf gelegen hatte. Mich hatte an dieser Geschichte früher immer die Behauptung gestört, daß angeblich sehr viele junge Männer versucht hatten, diese Hecke zu durchdringen, um einer Hundertjährigen einen Kuß zu geben. Zwei Treppenabsätze höher konnte ich dann den breiten Wassergraben sehen, der die Burg umgab. Und endlich sah ich auch ein Stück der Burgmauer. Es war nicht viel, genügte aber, um mir die Wehrhaftigkeit dieser Befestung vor Augen zu führen. Und noch immer hatte ich kein lebendes Wesen gesehen. War ich zu spät gekommen? Waren die Bewohner der Burg bei der letzten Belagerung, deren Spuren ich so deutlich erkennen konnte, gefangengenommen oder getötet worden? Dieses Gemäuer barg einige Rätsel. Ich ahnte, daß es nicht leicht sein würde, diese Rätsel zu lösen. Und keinesfalls ungefährlich. Pheldor und Shandrak wären zweifelsohne schneller vorangekommen. Aber sie mußten, wie jeder in dem kleinen Trupp, Rücksicht auf die Sänftenträger und deren Last nehmen. Smerdis, wie die Prinzessin hieß, war zwar durchaus gewohnt, zu reiten, aber das höfische Protokoll verbot es ihr. Sie mußte in einer Sänfte getragen werden, und diese Tatsache hemmte das Fortkommen der Reiter. Am Abend des dritten Reisetages erreichte die Gruppe den Rand des Bezirks von Llallwyn, die weite Ebene, eines der ertragreichsten Gebiete des Königsreichs. 52
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»Wenn ich Euch auch noch dieses Stück Land als Lehen übergeben müßte, mein lieber Rhynar, wärt Ihr reicher und mächtiger als ich selbst.« Asgarn deutete mit der Hand über die Landschaft. Die Sonne begann unterzugehen und beschien hauptsächlich die Hügelkämme. Auf einem dieser Hügel hatte der König dem Trupp Halt geboten. »Es wird sich nicht ändern lassen«, versetzte Rhynar gleichmütig. »Und wahrlich, mir liegt nicht viel an dem Land.« Der König lächelte verständnisvoll. Von der Spitze des Hügels aus war das Land gut zu überblicken. Man sah die weiten Felder, die schmalen Wege dazwischen, die verstreuten Gehöfte mit ihren Dächern aus bemalten Holzschindeln. Aus den meisten Schornsteinen stiegen Rauchfahnen in die Höhe. Den Menschen, die in der Ebene von Llallwyn lebten, ging es nicht schlecht. Das traf aber nur auf diejenigen zu, die weitab von der Burg wohnten, in der das Monstrum hauste. Früher einmal – so hieß es jedenfalls in den Märchen und Sagen des Volkes hatten große, mächtige Zauberer in der Burg gelebt, die viel zum Wohle des Volkes getan hatten. Dann aber hatte sich – viele Jahrhunderte waren seitdem vergangen – alles zum Schlechten gewendet. Verschwunden waren die Zauberer, und an ihre Stelle waren die scheußlichen Monstren getreten, die das Land bedrückten und ihre Bewohner peinigten. »Von hier aus sieht die Burg ganz harmlos aus«, sagte Pheldor. »Ich habe die Berichte der Sänger sammeln lassen«, entgegnete Asgarn. »Sie klingen anders. Und seht Ihr die 53
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Hecken, die verbrannten Stellen, den tiefen Graben … Es gehört Mut dazu, sich mit den Herren dieser Burg einzulassen.« »Bisher wurde früher oder später jedes Monstrum getötet«, antwortete Pheldor gleichmütig. »Also wird auch dieses sein Leben lassen müssen.« »Es heißt«, mischte Shandrak ein, »daß jeder Ritter, der mit einem Monstrum kämpfte, ebenfalls den Tod fand – früher oder später, und meist auf sehr geheimnisvolle Art.« »Jeder muß sterben, früher oder später.« Die Bemerkung kam von dem Gardisten, mit dem sich Shandrak bereits in den ersten Minuten des gemeinsamen Rittes verfeindet hatte. Die Stimme des Soldaten war giftgetränkt. Ihn verdroß es sichtlich, daß Shandrak nicht daran dachte, sich im Hintergrund zu halten. Daß er in jedem Lehnsbereich des Königsreichs gesucht wurde, schien ihn keineswegs zu bedrücken. »Richtig«, sagte Shandrak kalt. »Und manch einer stirbt erheblich früher, als er angenommen.« Wem diese Bemerkung galt, lag auf der Hand. Pheldor hatte bei einigen Wechselreden dieser Art den König beobachtet. Asgarn schien seinen Spaß an dieser Auseinandersetzung zu haben, also unterließ es Pheldor, sich zwischen die Kampfhähne zu stellen. »Ich frage mich vor allem«, sagte Shandrak, ohne den Gardisten eines Blickes zu würdigen, »woher das Monstrum von Llallwyn kommt.« Pheldor sah seinen Begleiter entgeistert an. »Wie meinst du das, Bursche?« »Es gibt männliche Phärts und weibliche Phärts. Es gibt Männer wie Euch und Frauen wie die Prinzessin. Es 54
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bedarf eines Mannes und eines Weibes, um ein Kind in die Welt zu setzen. Das war so und wir immer so sein.« Daß Pheldor bei der Erwähnung der Prinzessin ein klein wenig rot angelaufen war, hatte niemand außer Shandrak wahrgenommen, und der Schwarze hielt zu dergleichen Dingen den Mund. »Ja, und … ?« »Ich habe immer nur von dem Monstrum von Llallwyn sagen hören«, erklärte Shandrak. »Das ist ein Monstrum, gleichgültig, ob es ein weibliches oder ein männliches Monstrum ist – wo ist das zweite Monstrum? Und wo sind die Eltern dieses einen Monstrums?« Pheldors Unterkiefer klappte herunter. Der König faßte Shandrak schärfer ins Auge. »Du hast recht«, sagte Asgarn mit hörbarer Verwunderung. »Ich weiß, daß das letzte Monstrum getötet wurde – und daß wenig später ein neues Monstrum zur Stelle war. Von Eltern hat man nie gehört.« »Vielleicht ist es eben deswegen ein Monstrum«, vermutete Pheldor »Außerdem …« Er hatte sagen wollen, daß die Frage, woher letzten Endes die Monstren stammten, vergleichsweise nebensächlich war, verglichen mit der Frage, wie die Menschen auf diesem Planeten entstanden waren. Auch wenn auf diesem Ritt kein Priester des letzten Geheimnisses die Reisenden begleitete, hütete sich Pheldor, offen davon zu sprechen. Zum einen würde er ohnehin keine Antwort bekommen, zum zweiten galt es als unschicklich, diese Fragen überhaupt nur anzusprechen – und zum dritten hätte es wenig genutzt, bei dieser Frage stehenzubleiben. Jedes weitere Fragen allerdings hätte den Vorwitzigen sehr rasch zu religiösen Problematiken geführt, und 55
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wer sich als Laie mit Religion beschäftigte, nahm in der Regel ein rasches und unerfreuliches Ende. »Wir werden eine Antwort auf diese Frage finden«, sagte Asgarn. Er gab seinem Phärt die Sporen. »Dort drüben, in der Behausung des Monstrums!« Der Trupp setzte sich wieder in Bewegung. Pheldor musterte weiter die Umgebung. Wenn es ihm gelang, das Wesen zu töten, das die Burg von Llallwyn in Besitz genommen hatte, würde dieses Land ihm gehören. Außerdem … Es gab da noch andere Möglichkeiten. Denkbar war, daß der König den Tod des LlallwynUngeheuers zu einer Frage des persönlichen Ruhmes machte und sich – das war sein königliches Vorrecht – den ersten Kampf vorbehielt. Fand der König dabei den Tod und gelang es Pheldor … Er sah zur Seite, auf die Sänfte. In diesem Fall wäre er nicht nur der Bräutigam der Prinzessin geworden – er hätte damit auch das erste Recht auf den freien Thron des Königsreichs erworben. Ein Gedanke, der den Ritter schwindeln machte. Binnen weniger Tage vom Ritter sechsten Grades zum König aufgestiegen von einer solchen Karriere hatte man noch nie gehört, seit der Planet bestand. Ein Seitenblick auf Asgarn belehrte Pheldor allerdings, daß es gar nicht so einfach sein würde, diese Karriere zu machen. Asgarn sah nicht so aus, als könne er es mit dem Ungeheuer nicht aufnehmen. Er war nicht zuletzt deswegen König geworden, weil er eine berühmte Klinge schlug. Asgarn zu Gynhall war als Schädelspalter schon berühmt gewesen, bevor man ihn auf den Schild gehoben hatte. 56
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Warum sich Asgarn auch beim gemeinen Volk großer Beliebtheit erfreute, zeigte sich wenig später. Obwohl er das Recht gehabt hätte, quer durch die Felder zu reiten, hielt er sich auf den Wegen und zwang auch sein Gefolge, sich an die gebahnten Pfade zu halten. Es dämmerte bereits sehr stark, als der Trupp eine Ansammlung kleiner Katen erreichte. Trotz der späten Stunde kam die gesamte Bevölkerung gelaufen, um die Ankömmlinge zu bestaunen. Die Kinder vor allem kamen aus dem Gaffen nicht heraus. So viele Fremde auf einmal hatte keiner der Dorfbewohner gesehen. Die Hauptstraße – wenn man den Weg aus gestampftem Lehm so nennen wollte – erklang vom Hufestampfen der Phärts, vom Klirren der Waffen und dem entsetzten Heulen des Dorfkretins, der sich ein Wettrennen mit einem der Jagdhunde lieferte. Dem Hund machte es sichtlich Spaß, den Dorfdebilen spielerisch zu jagen. Erst als der wichtigste Mann des Dorfes erschien – er hatte Zeit gebraucht, die Abzeichen seiner Würde hervorzukramen –, wurde es still. Der Bürgermeister trat mit weitausgreifenden Schritten näher, sehr feierlich, damit jeder die kupferne Kette auf seinem Bauch sehen und würdigen konnte. Ansonsten unterschied er sich in nichts von den anderen Bewohnern der kleinen Siedlung. Auch er war barfuß und trug als einziges Kleidungsstück ein verschlissenes, tunikaähnliches Gewand aus grobem Flachs. Die Haare der Dorfbewohner waren völlig verfilzt, und bei den Alten hatte niemand mehr ein normales Gebiß. Das lag daran, daß sich beim Mahlen des Getreides in den schweren Mühlen abgeriebenes Gestein von den Mühlsteinen ins Mehl verirrte. Dieser feine Gesteinsstaub geriet dann natürlich auch in das 57
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Fladenbrot und schliff im Laufe der Jahre die Zähne der Esser ab. Die Dorfbewohner waren sichtlich beeindruckt, als ihr Bürgermeister vortrat, katzbuckelte und mit einer langen, umständlichen Ansprache begann, die zum Leidwesen der Besucher kein Ende zu nehmen schien. Pheldor konnte sich eines Grinsens nicht erwehren, als er bemerkte, daß der Bürgermeister seine Rede dem Grafen des Landstrichs gewidmet hatte – eine ranghöhere Person kannte er offenbar nicht. Noch nie hatte sich ein leibhaftiger König in diesem Bezirk sehen lassen. Asgarn ließ den feierlichen Sermon geduldig über sich ergehen. Dergleichen gehörte zu den unausweichlichen Bürden seines hohen Amtes. »Wir sind gekommen«, sagte er laut, als der Bürgermeister endlich geendet hatte, »um das Ungeheuer von Llallwyn zu töten. Ich hoffe, die Bestie lebt noch.« »Sie lebt, Herr, und wie sie lebt. Gestern erst hat sie ein Rind geschlagen. Es ist einfach entsetzlich mit diesem Ungeheuer. Dieses ist noch schlimmer als die vorangegangenen.« »Wir werden ihm den Garaus machen«, versprach Asgarn. Die Menge der Dorfbewohner hatte sich um den Trupp Reiter gedrängt. Die gesamte Einwohnerschaft des namenlosen Dorfes war auf den Beinen. Plötzlich entstand Bewegung in der Menge. Ein Ruf wurde laut. »Shandrak!« Der Schwarze reagierte sofort. Er richtete sich im Sattel auf und hielt nach dem Rufer Ausschau. 58
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Der Mann, der den Namen des Schwarzen genannt hatte, war rasch gefunden. Rücksichtslos stieß er alle zur Seite, die ihm im Wege standen. Shandraks Augen weiteten sich. Das Knirschen seiner Zähne war deutlich zu hören. In Gedankenschnelle hielt er seine Harpune in der Hand. Er holte aus, zögerte dann, weil ihm ein Kind in die Schußbahn lief. »Zurück!« rief Asgarn. Der Flüchtige hatte das letzte Haus erreicht. Er brauchte noch eine Sekunde, um abbiegen zu können. Wieder holte der Schwarze aus. Pheldor fiel ihm in den Arm, und er mußte alle Kraft aufbieten, um den zum Wurf bereiten Arm des Schwarzen halten zu können. Shandraks Augen sprühten vor Haß, seine Züge waren verzerrt. »Zurück, Shandrak!« rief Asgarn. Der Schwarze stöhnte auf vor Wut und Enttäuschung. Er war außer sich vor Haß, aber er wagte es nicht, dem Befehl des Königs zu trotzen. Zudem wäre es ihm kaum gelungen, die Mauer zu durchbrechen, die sich inzwischen aus den Leibern von Menschen und Tieren vor ihm gebildet hatte. Langsam ließ Shandrak den Arm sinken: »Ich werde ihn bekommen«, sagte Shandrak. Seine Stimme klang undeutlich; sie verriet, wie sehr er sich beherrschte. »Ich werde ihn bekommen, wie ich auch die anderen bekommen habe. Niemand entwischt Shandrak öfter als einmal!« Die Dorfbewohner wichen zurück. Der Name des Schwarzen schien ihnen nicht unbekannt zu sein. »Warum wolltest du jenen Mann töten?« »Meine Sache«, antwortete Shandrak. 59
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Es war eine Ungeheuerlichkeit, eine Frage des Königs so knapp zu beantworten. Genaugenommen hatte der Schwarze sogar die Antwort verweigert. Es waren in diesem Land Männer für weit weniger gehängt worden. »Hast du eine Fehde mit jenem Mann?« »Ich werde ihn töten«, sagte Shandrak. »Er wird mich noch einmal zu sehen bekommen, und danach wird er die Augen für immer schließen.« Asgarn wandte sich an den Bürgermeister. »Was weißt du über den Flüchtigen?« Der Dorfhäuptling machte ein furchtsames Gesicht. Sein Blick wanderte von Shandrak zum König und wieder zurück. Ihm gefiel die Angelegenheit überhaupt nicht, das war deutlich zu sehen. »Nun«, begann der Bürgermeister langsam, »ich kenne diesen Flüchtling nicht so genau. Er kam vor drei Jahren in unser Dorf, ein Einsiedler. Er haust in einer Klause tief im Wald. Mich wundert, daß er heute überhaupt im Dorf ist. Er läßt – Verzeihung, ließ – sich hier nur sehr selten sehen.« »Drei Jahre, das kann stimmen«, hörte Pheldor den Schwarzen murmeln. Laut sagte Shandrak, und seine Stimme war kalt dabei: »Er trägt eine Narbe am linken Unterarm, eine lange, rote, gezackte Narbe, nicht wahr.« »Es ist, wie Ihr sagt, Herr.« Der Gardist, mit dem Shandrak seinen Privatkrieg ausfocht, hätte. den Dorf oberen für diese Anrede am liebsten geprügelt. »Man munkelt«, fuhr der Bürgermeister fort, »daß dieser Eremit einmal ein Gefolgsmann der Goldenen Sieben gewesen sein soll.« 60
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Shandrak verzog keine Miene. Asgarn und sein Gefolge ließen verwunderte Pfiffe hören. Das war eine bedeutsame Nachricht – wenn sie stimmte. »Was sagst du dazu, Shandrak?« Der Schwarze beantwortete die Frage seines Herrschers mit einem Schulterzucken, dann erklärte er: »Sehe ich aus, als würde ich versuchen, es mit den Goldenen Sieben aufzunehmen?« Allgemeines Gelächter folgte dieser Frage. Nur zwei lachten nicht oder nur wenig – der König und Pheldor. Der Ritter konnte sich eines leisen Schauderns nicht erwehren. Er spürte, daß er an ein Geheimnis rührte, von dem er besser die Finger ließ. Plötzlich empfand er fast ein wenig Angst, wenn er Shandrak den Schwarzen ansah. Shandrak selbst verhielt sich ruhig. Mit keiner. Miene verriet er, ob die Vermutung des Dorfoberen zutraf oder nicht. Sein Gesichtsausdruck aber verriet, daß er, um seine Rache vollziehen zu können, nicht einmal davor zurückschrecken würde, die Hölle selbst zu stürmen.
Es war angenehm warm draußen, und ein leichter Wind strich über das Land, dessen Namen ich nicht kannte. Ich stand auf der oberen Plattform eines Turmes, von dem aus ich die Landschaft überblicken konnte. Der Turm war Teil einer Befestigung, die in ähnlicher Form sehr gut auf der Erde hätte stehen können. Nur war diese Burg kein Hotel, kein Sanatorium, keine SpieLlalle – sie diente dem gleichen Zweck, dem die ir61
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dischen Burgen ursprünglich einmal gedient hatten. Es waren Wehranlagen, Zufluchten für die Bewohner der Umgebung. Jene Bewohner, die den Schutz der Burgen dauernd genießen wollten und sich daher im Schatten der Befestigungen angesiedelt hatten, waren späterhin nach diesen Burgen Bürger genannt worden. Die ersten irdischen Burgen, die diesen Namen verdient hatten, waren von mittelalterlichen Kaisern und Königen gebaut worden hauptsächlich, um die streifenden Nomadenvölker der Ungarn daran zu hindern, die Bewohner des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zu dezimieren. Wer spielte die Rolle der Angreifer auf dieser Welt? Ich sah auf das Land hinab. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß es erst vor kurzem zu einem Kampf gekommen war. Die Brandschneisen waren nicht zu übersehen. War die Belagerung erfolgreich gewesen? Hatten die siegreichen Belagerer die Bewohner der Burg getötet, in die Sklaverei verschleppt? Nichts rührte sich. In beträchtlicher Entfernung stiegen einige Rauchfäden in die Höhe. Die Regelmäßigkeit und gleichbleibende Stärke dieser Rauchsäulen ließen nur den einen Schluß zu, daß es sich dabei nicht um Vorboten eines Waldbrandes handelte, sondern um den Rauch von Herdfeuern. Der Anblick trug wesentlich dazu bei, mich zu beruhigen. Der Planet war also bewohnt. Tiere pflegten keine Herdfeuer anzufachen. Wenn ich mich mit den Eingeborenen in Verbindung setzen wollte, dann mußte ich als erstes von dem Turm herunter. Obwohl die gesamte Burg unbewohnt zu sein schien, behielt ich meinen Nadler schußbereit in der Hand. 62
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Ein Blick in die Tiefe belehrte mich, daß ich an der Außenwand des Turmes nicht herabklettern konnte. Der Turm war Krönung und Abschluß einer Befestigung, die auf einem Felsrücken erbaut worden war. An der Außenwand des Turmes ging es mindestens fünfzig Meter in die Tiefe, und die Turmwandung bot für einen Kletterer nicht den geringsten Halt. Charriba wäre an dieser Wand vielleicht in die Höhe gekommen, ich mit Sicherheit nicht. Theoretisch hätte ich versuchen können, an den Mauervorsprüngen herunterzuklettern, aber ich erinnerte mich, daß man diese Vorsprünge Pechnasen nannte. Sie dienten dazu, eventuelle Angreifer mit flüssig gemachtem Pech zu übergießen, oder mit kochendem Wasser, oder mit geschmolzenem Blei … es gab da einige Möglichkeiten. Die Altvordern hatten es beim Austüfteln infamer Mordpraktiken zu erstaunlichen Ergebnissen gebracht. An Niedertracht standen sie ihren Nachkommen, die auf Atomphysik und Petrochemie zurückgreifen konnten, nur wenig nach. Auf der Innenseite führte eine sehr steile, steinerne Treppe zu einem überdachten Wehrgang hinab, der den oberen Abschluß der Burgmauer bildete. Die Treppe war mit Moos bewachsen und daher ziemlich glitschig. Ich brauchte einige Zeit, bis ich die Stufen überwunden hatte. Die Überdachung des Wehrgangs bestand aus hölzernen Balken, die mit gleichfalls hölzernen Schindeln gedeckt waren. Das Holz war imprägniert, daher ließ sich nicht feststellen, wie alt diese Anlage war oder wie lange man sie nicht benutzt hatte. Einige Monate schienen allerdings vergangen zu sein, seit letztmalig ein Wächter den Wehrgang abgeschritten hatte, es gab eine be63
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achtliche Sammlung von Spinnweben, in denen sich viel Staub gefangen hatte. Bereits nach wenigen Metern war ich ziemlich verdreckt. Eine weitere Steintreppe führte auf den Burghof hinab. In der Mitte des Hofes erkannte ich einen steinernen Brunnen, und natürlich bekam ich im gleichen Augenblick Durst. »He, holla!« rief ich laut. »Mägde, mich dürstet … !« Ich hatte nicht damit gerechnet, daß sich jemand meldete. Nichts rührte sich. Der Rand des hölzernen Eimers, den ich auf dem Brunnenrand stehend fand, war mit Staub bedeckt. Die Welle der Rolle kreischte laut, als ich den Eimer in die Tiefe sinken ließ. Das Seil, an dem der Eimer hing, sah allerdings ziemlich neu aus. Der Brunnen war sehr tief. Das Klatschen, mit dem der Eimer den Boden des Brunnenschachts erreichte, konnte ich nicht hören ich merkte nur, daß das Seil schlaff wurde. Ich wartete einige Augenblicke, dann leierte ich den Eimer wieder in die Höhe. Der Brunnen führte Wasser, frisches, klares, sauberes Wasser. Es schmeckte nicht im mindesten muffig oder abgestanden. Ich trank, bis mein Durst gestillt war, dann schüttete ich den Rest des Wassers über den Kopf, um die Spinnweben und den Staub abzuwaschen. Viel half die Maßnahme nicht. Ich sah mich um. »Ein Königreich für einen guten Rat«, murmelte ich. Zwei Dinge waren für mich zu tun. Zum einen wollte ich mit den Bewohnern des Planeten Kontakt anknüpfen, zum anderen mußte ich zusehen, daß ich die Schaltzentrale fand, von der aus die 64
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Zeitmaschine bedient wurde. Daß es in einer mittelalterlichen Burg überhaupt eine Zeitmaschine gab, mochte unerfahrene Gemüter verwirren – wir von der TimeSquad fanden derlei fast schon normal. Welche dieser beiden Aufgaben war vordringlich? Auf diese Frage gab es nur eine Antwort: Die Schaltzentrale hatte zweifelsohne Vorrang. Schließlich mußte ich irgendwie zu meinen Freunden zurückkehren, die in dem Tempel auf Delta auf mich warteten. Wo mochte diese Zentrale stecken? Den Berchfrit hatte ich beim Aufstieg bereits untersuchen können. Tief im Keller des Turmes stand die Zeitmaschine – aber dort gab es keine Bedienungselemente. Üblicherweise war der Berchfrit – auch Bergfried – der am stärksten befestigte, der sicherste Teil der Burg. Wenn die Zentrale, von der aus die Zeitmaschine bedient wurde, dort nicht zu finden war, wo sonst konnte sie versteckt sein? In der Kemenate, den Frauengemächern? Im Palas, in der Dürnitz, im Zwerchhaus? Es gab viele Möglichkeiten. Mir erschien am wahrscheinlichsten, daß die Zentrale irgendwo unter dem Burghof zu suchen war, gut versteckt und gesichert. Ich hatte einen Einfall. Ich selbst verstand von Burgen nicht allzuviel. Mir waren die groben Details einigermaßen geläufig, die Feinheiten kannte ich nicht. Rechnete ich noch dazu, daß Burgen etwas anderes waren als Reihenhäuser aus Fertigteilen und daß ich mich nicht auf der Erde befand, dann war es wenig wahrscheinlich, daß ich diese Schaltzentrale ohne fremde Hilfe fand. Und das hieß, daß ich mich erst einmal um die Bewohner dieses Landstrichs kümmern mußte. 65
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Die Zugbrücke der Burg war hochgezogen. Das Fallgatter hing in halber Höhe. Einmal mehr erklang ein bösartiges Kreischen, als ich nach dem großen hölzernen Hebel griff und ihn bewegte. Es folgte ein deutlich hörbares Kettenklirren. Irgendwo im Boden des Torhauses wurde durch diese Hebelbewegung ein schweres Steingewicht freigegeben, das sich langsam senkte und dabei über ein System von Rollen und Ketten die hölzerne Zugbrücke absenkte. Das Fallgatter blieb weiter in halber Höhe. Die Spitzen sahen beängstigend aus. Ich wartete einige Augenblicke, dann schlüpfte ich unter dem Gatter durch. Polternd fand das andere Ende der Zugbrücke auf dem gegenüberliegenden Ufer des Grabens Halt. Ich stieß ein leisen Pfiff aus. Der Graben war nur zur Hälfte mit Wasser gefüllt, daher waren die Spitzen der darin verankerten Pfähle deutlich auszumachen. Ich hatte dergleichen schon einmal gesehen damals, als mich ein Auftrag nach Frankreich geführt hatte, in die Normandie des Jahres 1944. Seinerzeit hatten die Deutschen weite Gebiete der Normandie mit ähnlichen Hindernissen gespickt und sie mit dem liebenswürdigzynischen Humor des erfahrenen Soldaten »Rommelspargel« getauft. Genutzt hatten die Spargelfelder den Deutschen wenig, sie hatten den Krieg dennoch verloren, ganz abgesehen davon, daß man bei den Metzeleien der Vergangenheit ohnehin nicht von einem Sieger reden konnte. Die Spitzen der Pfähle im Burggraben sahen verwittert aus, aber ich verspürte keine Lust, das genauer zu überprüfen. 66
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Die Burg wirkte wie die Bedrohung selbst. Jeder Winkel erschien bösartig und abstoßend. Vermutlich war dies auch der eigentliche Sinn dieses Architekturstils. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es sein würde – mit Rüstungen und Kettenhemd, mit Schwertern, Spießen und Pfeilen gegen ein solches Bollwerk anzurennen. Die Antwort konnte nur lauten: grauenhaft, es sei denn, man war der Feldherr, der selbstmörderische Aktionen dieser Art zwar befehligte, wohlweislich aber nicht selbst durchführte. »Und wo stecken nun die Leute?« Irgendwo mußten Menschen sein. Irgend jemand mußte schließlich dieses abstoßende Gemäuer erbaut haben, und die Spieße im Burggraben waren gewißlich nicht als Zierstücke gedacht. Zwar hatte ich keinerlei Lust, in eine kriegerische Auseinandersetzung verwickelt zu werden, aber irgendwie mußte ich zu den Bewohnern dieses Landstrichs Kontakte herstellen. In weitem Umkreis um die Burg gab es kein höheres Leben, nur Pflanzen. In dieser Beziehung wies die Burg eine fatale Ähnlichkeit mit dem Tempel des Grauens auf. Ich suchte noch einmal den Horizont ab. Von meiner derzeitigen Warte aus waren die Rauchfäden weit schlechter auszumachen, aber sie waren zu erkennen. Ich suchte mir eine Stelle am Horizont aus, an der besonders viele dieser Rauchfäden zu sehen waren. Ich vermutete, daß es dort ein Dorf gab, oder eine Stadt – jedenfalls eine Ansiedlung. Vorsichtshalber überprüfte ich noch einmal meine Ausrüstung. Laser und Nadler waren intakt, mein Kampfmesser bestand aus einem Spezialstahl und war praktisch 67
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unzerstörbar. Meine Ausrüstung war komplett, meinem Marsch in die Wildnis dieses Planeten stand also nichts mehr im Wege. Eigentlich hätte ich mich völlig sicher fühlen können. Die Burg in meinem Rücken gab einen ziemlich deutlichen Hinweis auf den technischen Stand der Zivilisation auf diesem Planeten – ausgehendes Mittelalter, schätzte ich. Mit meiner Bewaffnung mußte ich selbst einem kleinen Heer überlegen sein. Ein Feuerstoß aus meinem Nadler mußte genügen, um eine ganze Kavallerieschwadron schlagartig außer Gefecht zu setzen. Auf der anderen Seite aber stand die Überlegung, daß in der primitiv anmutenden Burg eine technische Anlage existierte, die weit über das Mittelalter hinausragte, eine Zeitmaschine nämlich, zu deren Beherrschung Kenntnisse nötig waren, über die – zumindest auf der Erde – kein mittelalterlicher Mensch verfügt hatte. Außerdem – es gab Hinweise, daß dieser Planet von Menschen besiedelt war. Die Fratzen im Keller der Burg deuteten jedenfalls darauf hin. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß die Natur zweimal das gleiche Geschöpf erschaffen haben sollte. Es mußte also, wenn hier tatsächlich Menschen lebten, eine Verbindung zwischen diesem Planeten und der Erde geben. Verbindung hieß aber in jedem Fall zumindest Raumfahrt, wenn nicht mehr. So betrachtet, beherrschten mich ziemlich gemischte Gefühle. »Alter Feigling«, munterte ich mich selbst auf. Der Ansporn fiel etwas kläglich aus. Ich überquerte einen schmalen Bach, der klares, kühles Wasser führt, das später auch den Burggraben durch68
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floß. Gleichzeitig lieferte der Bach das Wasser für das ausgedehnte Grasland, durch das ich wandern durfte. Und als ich mich ein wenig umsah und die Ohren spitzte, bemerkte ich auch die anderen Dinge einer frischfröhlichen Wanderung. In der Luft bewegten sich einige kleinere schwarze Punkte, und aus einiger Entfernung war Vogelgezwitscher zu hören. »Fehlt nur noch der Fremdenführer und der Parkplatz für die Touristenbusse«, stellte ich sarkastisch fest. Alles, was mich umgab, sah nach Idyll aus. Ich war allerdings von der Erfahrung genügend gewitzigt, um hinter dem Bild der Friedfertigkeit die weit weniger angenehme Wirklichkeit sehen zu können. Dieser Frieden trog, oder ich wollte nicht länger Tovar Bistarc heißen. Ich marschierte mit ruhigen, gleichmäßigen Schritten. Auch das hatten wir üben müssen, damals, in der Time-Squad-Abteilung in San Francisco. Dort hausten jetzt vielleicht schon die Nokther – man durfte den Gedanken nicht zu Ende denken. Nach zwei Stunden Wanderung durch dichtes, knöchelhohes Gras erreichte ich den Rand eines Wäldchens. Die Bäume sahen nicht ganz so aus wie irdische Gewächse, aber eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Auch hier gab es feste Stämme mit brauner Rinde und weit auslandende Äste mit grünem Laub daran. Mir fiel auf, wie unglaublich klar die Luft war – nicht die geringste industrielle Beimischung. Dergleichen war man auf der Erde nicht gewohnt. Ich überlegte kurz, dann entschloß ich mich, am Rand des Waldgebietes entlangzugehen. Wenn meine Vermutung stimmte, daß es sich bei den Rauchfäden um Herd69
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feuer handelte, dann mußte es auch zwischen den Einzelgehöften und dem Dorf Wege geben. Ich hatte keine Lust, mir den Weg selbst zu suchen. Urwald und Urwald war nämlich zweierlei. Es gab den typischen tropischen Regenwald, in dem die Vegetationsprozesse so rasend schnell abliefen, daß von einem gestürzten Baumriesen zwei Wochen später nichts mehr zu finden war. Es gab aber auch den Urwald mitteleuropäischen Zuschnitts, bei dem solche Prozesse einige Jahre Zeit brauchten – mit dem Ergebnis, daß diese zweiter Art Urwald erheblich schwieriger zu durchqueren war als der tropische Dschungel. Ich hoffte darauf, daß die Bewohner des Planeten mir die Arbeit abgenommen hatten, einen solchen Weg zu finden, und ich hatte mich nicht getäuscht. Einige hundert Meter weiter entdeckte ich tatsächlich einen Pfad. Er war nicht mehr als eine ausgetretene Rinne, allerdings so breit, daß darauf auch ein Wagen fahren konnte. Es mußte vor kurzem geregnet haben, ich konnte keine Spuren mehr entdecken. Nicht zu übersehen waren allerdings die beiden parallelen Vertiefungen, die Spuren, die vermutlich – Wagenräder im weichen Untergrund hinterlassen hatten. Nunmehr brauchte ich nur diesem Weg zu folgen, um früher oder später auf einen Einwohner dieses Planeten zu stoßen. Während dieses Marsches konnte ich mir dann auch einen Namen für diese Welt aussuchen. Es hätte auf der Hand gelegen, wieder einmal D. C. nach Namen abzugrasen, aber man sollte derlei Aufmerksamkeiten nicht übertreiben, sagte ich mir. Ich sah noch einmal über die Schulter, zurück auf die schwärzlichen Mauern der Burg, die zu mir herüber70
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drohten. Von hier aus waren die Brandschneisen sehr gut zu erkennen. Ich wunderte mich, daß die Burg nicht bewohnt war. Nach wenigen Metern hatte mich der Wald aufgenommen. Um meine Laune zu bessern, begann ich zu pfeifen. Die Töne klangen seltsam in der Stille, die mich umgab, und das lag nicht allein daran, daß ich als Musiker nicht viel zuwege brachte. Irgendwie stimmten die Bäume nicht mit der Vorstellung von Wald überein, die sich in meinem Schädel festgesetzt hatte. Es gab eine Fülle kleiner und großer Abweichungen von dem gewohnten Bild, und dies alles ergab zusammengenommen eine Atmosphäre des Unwirklichen, Fremden. Ich konnte mich gegen die Gefühle nicht wehren, die dieser Anblick in mir hervorrief, und daran änderte auch das Flötenkonzert von Vivaldi nicht viel, das ich mehr schlecht als recht pfiff. Irgend etwas stimmte nicht mit diesem Wald, mit dieser Burg, mit dieser Welt – ich hatte sie unterdessen Monsalvasch getauft. Der Name der Gralsburg erschien mir ziemlich passend angesichts des Gemäuers, das ich als ersten Eindruck von diesem Planeten zu Gesicht bekommen hatte. Ob der Rest von Monsalvasch dem romantischen Ideal entsprach, das mit dem Namen verbunden war, stand auf einem anderen Blatt. Der Weg stieg ein wenig an. Er war leicht zu gehen, obwohl er offenbar seit einiger Zeit nicht mehr benutzt worden war. Dis letzten heftigen Winde hatten einige größere Äste auf den Boden fallen lassen, und diese Hindernisse waren nicht fortgeräumt worden, obwohl sie den Wagenverkehr zum Erliegen bringen mußten. 71
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»Vielleicht hat es etwas mit der Burg zu tun«, überlegte ich halblaut. Ich sah auf meine Uhr. Seit sechs Stunden hielt ich mich schon auf Monsalvasch auf. Insgeheim bedauerte ich meine Gefährten, die jetzt in der Gruft auf Delta Rebecca hockten und nichts anderes tun konnten als warten, und das in einer so bemerkenswert scheußlichen Umgebung wie dem Tempel des Grauens. Ich nahm mir vor. Demeter Carol Washington den Vorschlag zu machen, die Time-Squad ein zweites Mal umsiedeln zu lassen. Auf Monsalvasch schien es zumindest so etwas wie eine Infrastruktur zu geben, auf die wir uns stützen konnten. Ich konnte mir vorstellen, daß beispielsweise die an Büroarbeiten gewöhnten Mitglieder unseres unfreiwilligen Expeditionskorps heilfroh gewesen wären, hätten sie in der düsteren Burg Quartier beziehen können. Zudem sah das Land, soweit ich es kennengelernt hatte, nicht nur gut aus für das Auge – es schien auch landwirtschaftlich gesehen sehr wertvoll zu sein. Es gab ausgedehnte Rasenflächen, große Wälder, klares Wasser … was wollten wir mehr? Ich blieb stehen. Ich hatte etwas gehört. Etwas Metallisches. »Parzival?« flüsterte ich amüsiert. Es hörte sich tatsächlich an, als habe da gehärteter Stahl auf gehärtetem Stahl geklirrt – und das sprach für Waffen. Dazwischen mischte sich ein heftiges Schnauben. Ich versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung die Geräusche kamen. Es hörte sich an, als ritte mir jemand entgegen, und dieser jemand war, wenn mich mein Ohr nicht trog, nicht allein. Im Gegenteil. Der 72
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Lärm verstärkte sich, als wäre ein ganzes Heer im Anzug. Ich hatte nichts gegen eine Begegnung einzuwenden, aber Heerzüge wurden in der Regel von Militärs organisiert, und die höchst eigentümlichen Gedankenstrukturen von Berufsmilitärs waren mir durch alle Zeiten hindurch zuwider gewesen. Ich drehte mich um. Zunächst einmal wollte ich mir die anderen Reisenden ansehen, bevor ich mich zeigte. Für soviel Rücksichtnahme war es ein wenig spät. Viel zu spät. Als ich mich umdrehte, stand der Bursche bereits vor mir.
Er sagte kein Wort. Um so deutlicher aber war die Sprache seiner Waffen. Der Mann war von Kopf bis Fuß in Leder gekleidet, in dunkles, fast schwarzes Leder. Auch das Gesicht wurde davon bedeckt, nur Augen und Mund waren zu sehen – ein zusammengepreßter Mund und drohend zusammengezogenen Augen. In der Hand hielt der Schwarze ein ausgesprochen widerliches Stück Waffe, eine Harpune mit einem Seil daran. Bevor ich auch nur eine Hand an eine meiner Waffen brachte, hatte ich die Harpune mit Sicherheit bereits in der Magengrube sitzen. »Hallo!« sagte ich lahm. Mir war nicht ganz klar, wie ich mit dem Schwarzen reden sollte, der stumm und drohend vor mir stand wie das verkörperte Unheil selbst. »Hierher!« rief der Schwarze plötzlich. Er ließ kein Auge von mir. Ich bemühte mich, möglichst friedfertig dreinzusehen. 73
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Der Schwarze sprach englisch, ein ziemlich seltsam verfärbtes Englisch, aber verständlich. Er sah mich eine Bewegung machen. Die Harpune schnellte ein Stück nach vorn. Mit der Sicherheit eines geübten Kämpfers stoppte der Schwarze die Bewegung erst, als es beinahe zu spät war. Höchstens zwei Finger breit vor meinem Solarplexus kam der schwärzliche Stahl zum Stillstand. »Nur mit der Ruhe«, versuchte ich dem Schwarzen zu erklären, während hinter mir der Wald lebendig zu werden schien. Der Lärm kam sehr rasch näher. »Ganz ruhig, Mister!« Ich selbst war alles andere als ruhig. Das lag nicht allein daran, daß ich mich in der Hand des Schwarzen wußte. Das lag vor allem an der Tatsache, daß ich ihn verstand. Die Situation war einfach absurd. Ich war mit der Time-Squad zweitausend Jahre – räumlich wie zeitlich – gereist, um Delta Rebecca erreichen zu können. Dann war ich ein weiteres Mal gereist, ohne allerdings zu wissen, wie weit – ebenfalls räumlich wie zeitlich betrachtet. Daß ich am Ende einer solchen Reise ausgerechnet auf einen Menschen stoßen würde, den ich zudem verstand, erschien mir schlechterdings irrsinnig. Ich hatte keine Halluzinationen. Der Schwarze stieß kurz zu, nicht sonderlich heftig, nur ein bißchen wahrscheinlich wollte er mir klarmachen, daß es jetzt ernst wurde. Die Spitze der Harpune durchdrang mühelos meine Jacke, und es flossen auch ein paar Tropfen Blut. Ich rührte mich nicht. Die Verletzung war zu geringfügig, um großes Aufheben zu machen. »Dreh dich um!« fuhr mich der Schwarze an. 74
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Ich gehorchte. Sie hatten sich hinter mir auf der Straße aufgebaut. Es waren insgesamt zehn Reiter und vier Träger. Zwei der Reiter trugen Panzer, nicht unähnlich den Rüstungen des ausgehenden Mittelalters. Die acht übrigen Reiter trugen Kettenhemden, die sie vor Verletzungen schützen sollten. Die Träger der Sänfte, deren Insassen ich nicht sehen konnte, starrten sehr verdrießlich drein. Die beiden Ritter hatten die Visiere hochgeschlagen. Einer der beiden – er führte Blau, Braun, Gold im Schilde – war mittelalt und von durchschnittlicher Gestalt. Sein Gefährte – im Wappen einen bösartig funkelnden Raubvogel – war ein verfetteter Hüne. Beritten waren die Gestalten mit Tieren, die an eine Kreuzung aus Pony und Hirtenhund erinnerten. Unter dem hellen, zottigen Fell war die eigentliche Gestalt des Reittiers kaum zu erkennen. Sie schnauften laut und bewegten sich unruhig hin und her. »Wer ist dieser Mann, Shandrak?« Es war der ältere der beiden Ritter, der gefragt hatte. Der hünenhafte Jüngere musterte mich finster. »Ich traf ihn, als er sich gerade in die Büsche schlagen wollte«, berichtete der Schwarze. Shandrak, kein übler Name für einen Mann, der es an kaltblütiger Gefährlichkeit durchaus mit einem Hai aufnehmen konnte. Ich wußte, daß er nicht eine Zehntelsekunde zögern würde, mir seine Harpune zwischen die Schulterblätter zu jagen, falls ich eine falsche Bewegung machte. »Vielleicht ein Räuber?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Kleinmütigkeit half in dieser Lage wenig. 75
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»Mein Name ist Tovar Bistarc«, stellte ich mich vor. »Und wie nennt ihr euch?« Dem Älteren klappte der Unterkiefer herunter. »Ich bin der König dieses Landes«, rief er und rollte mit den Augen. Offenbar hatte ich mich erheblich danebenbenommen. »Was suchst du hier, Kerl?« »Freunde«, sagte ich wahrheitsgemäß. Der König zog fragend eine Braue in die Höhe. »Woher kommst du?« Ich deutete über die Schulter. »Von der Burg.« Als ich ein Stück kalten Metalls zwischen meinen Schulterblättern fühlte, wußte ich, daß ich irgend etwas Falsches gesagt hatte. »Aus Llallwyn?« »Ich weiß nicht, wie das Gemäuer heißt«, antwortete ich schnell. »Es war unbewohnt.« Die beiden Ritter sahen sich entgeistert an. Ich begriff nicht ganz, was sie so erregte. Ich hatte auf jeden Fall etwas sehr Aufregendes gesagt, auch wenn ich nicht begriff, was. Jedenfalls wurde der Vorhang an der Sänfte zur Seite geschoben, und ein Mädchenkopf wurde sichtbar. Sie war höchstens sechzehn, das Gesicht war sehr hübsch. Sie hatte dunkle Augen und fast schwarzes, reiches Haar. Mit D. C. konnte sie es nicht aufnehmen, aber das verlangte auch niemand. Was mir an dem Mädchen nicht gefiel, war ihr Blick. Sie sah mich an wie ein unartiges Kind, dem plötzlich – entgegen aller Vernunft – tatsächlich der Schwarze Mann über den Weg läuft. Sie schien Angst vor mir zu haben, fürchterliche Angst sogar. 76
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»Habt Ihr das Monstrum getötet?« Aha, dachte ich. Die Anrede wurde ein wenig höflicher. »Ich weiß von keinem Monstrum«, sagte ich wahrheitsgemäß. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten. An was für einer Gefahr war ich da, ohne es zu ahnen, vorbeigetappt wie der Reiter über den Bodensee? »Seid Ihr sicher?« Ich zuckte mit den Schultern. »Wir können nachsehen«, schlug ich vor. Das harte Training der Time-Squad machte sich einmal mehr bezahlt. Fast automatisch registrierte ich die Unterschiede zwischen der Sprache der Ritter und den mir bekannten Varianten des Englischen, leitete daraus ein System ab und übertrug es auf meinen Wortschatz. Von Minute zu Minute kam ich mit dem Dialekt besser zurecht. »Er sucht nur nach einer Möglichkeit, sich davonschleichen zu können.« Das war der Schwarze in meinem Rücken. »Ich mache mich nie davon!« erklärte ich. »Ach!« Mehr sagte der Schwarze nicht. Ich drehte mich langsam um und breitete die Arme aus. Der Schwarze grinste höhnisch. Er warf die Harpune zur Seite und machte einen Schritt auf mich zu … Ich brauchte eine knappe Minute, um ihn zu erledigen. Er war ein tapferer, überaus gefährlicher Kämpfer, aber gegen asiatische Kampfsportarten kam er naturgemäß nicht an. Er tat mir fast schon leid, als ich ihn mit einem Schulterwurf durch die Luft sausen ließ. Halbbetäubt krachte er neben einem Baumstumpf auf den Bo77
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den. Ich brauchte nur zwei Schritte zu machen und ihm sein eigenes Messer an die Kehle zu setzen. Er sah mich furchtlos an, als er wieder klar sehen und denken konnte. Mit keinem Wimperzucken verriet er Angst. »Wir werden zusammen ein wenig üben müssen«, sagte ich freundlich. »Hier, dein Messer!« Ich drückte ihm das Heft in die Hand, drehte mich um und ging auf den König zu. Es wäre dem Schwarzen leichtgefallen, mir das Messer nachzuwerfen, aber er tat es nicht. Ich hatte es nicht anders erwartet. Der König musterte mich interessiert. »Was tragt Ihr da am Gürtel?« Offenbar wußte er nicht, was er mit den beiden Faustwaffen anfangen sollte. »Spezialwaffen«, sagte ich knapp. Ich mußte – psychologisch gesehen – die Herrschaft gewinnen, das Gespräch an mich reißen. »Was hat es mit dem Monstrum von Llallwyn auf sich?« »Ihr habt nie davon gehört?« Ich beantwortete die Frage des Mädchens mit einem Kopfschütteln. Gesichtszüge und die Farben der Stoffe verrieten, daß sie zum König gehörte. Vermutlich die Tochter oder eine Geliebte – bei Königen war man da nie sicher. »Nie«, beteuerte ich. Ich machte eine dramatische Pause, dann fuhr ich fort: »Ich stamme nämlich nicht von dieser Welt.« König und Ritter rührten sich nicht. Dafür wurde das Mädchen sehr bleich, und die Begleiter der beiden Ritter machten grimmige Gesichter. Ich konnte mir gratulieren zielsicher war ich von einem Fettnäpfchen zum nächsten gestolpert. 78
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»Das ist Blasphemie!« stieß einer der Reiter hervor. Sein Gesicht war wutverzerrt. Offenbar hatte ich es mit einem Fanatiker zu tun. »Ruhig, Kipher!« sagte der König. Er sah mich streng an. »Wißt Ihr überhaupt, was Ihr da sagt?« »Das weiß ich wohl«, gab ich zurück. »Ich kann meine Behauptung beweisen.« »Und Ihr seid gekommen, das Monstrum von Llallwyn zu töten?« Es war der große Ritter, der diese Frage gestellt hatte. Er wirkte besorgt, sehr besorgt sogar. Auch die Prinzessin sah mich ziemlich merkwürdig an. Ich witterte Unheil. »Wenn es not tut«, versetzte ich. »Aber ich habe kein Monstrum irgendeiner Art in der verlassenen Burg gesehen.« Die Ritter wechselten einen raschen Blick. »Ob die Bestie eines natürlichen Todes gestorben ist?« sagte der König halblaut. Der Ritter sah aus, als habe man ihm den gefüllten Humpen im letzten Augenblick von den Lippen gerissen. »Unmöglich«, warf der Schwarze ein. Er hatte sich aufgerappelt und stand nun neben mir. »Das Monstrum ist bekanntlich unsterblich.« Ich wiegte zweifelnd den Kopf. »Sehen wir einfach nach!« schlug ich vor. Der König zögerte einen Augenblick, dann nickte er. »Geht voran!« forderte er mich auf. »Ich sage euch, die Burg ist unbewohnt«, versicherte ich ein weiteres Mal. Wir konnten die Burg sehen, wir hatten den Wald bereits verlassen. Auch die Brand79
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schneisen zeichneten sich auf dem Grün des Rasens sehr deutlich ab. »Ich traue dem Braten nicht«, murmelte der Schwarze. Während des gesamten Marsches hatte er sich stets an meiner Seite aufgehalten. Ob das ein Freundschaftsbeweis war, würde die Zukunft zeigen. Die ganze Szenerie war mehr als unwirklich. Auf meine Behauptung, daß ich von einer anderen Welt stamme, war niemand eingegangen. Irgendwie hatte ich mir den Kontakt anders vorgestellt, ganz anders. Nicht so gleichsam beiläufig. »Was meint Ihr, Ritter Pheldor quat Rhynar?« Der Hüne zögerte einen Augenblick. »Es wird bald dämmern«, sagte er dann. »Ich schlage vor, daß wir ein Lager aufschlagen und uns im Morgengrauen mit dem Monstrum beschäftigen. Ich möchte dem Monstrum nicht gerne im Dunkeln entgegengehen.« »Dann lagern wir«, entschied der König. »An dieser Stelle.« Er streckte die linke Hand in die Höhe. Die feinen Kettenglieder des Handschutzes klirrten leicht. »Haaalt!« rief er laut. Der Zug stoppte. Der Vorteil bei diesem Herrschaftssystem war, daß die Hohen Herren keinen Finger krumm zu machen brauchten. Es war den Begleitern vorbehalten, die Zelte aufzubauen, ein Lagerfeuer anzumachen und das Abendessen vorzubereiten. Ich war gespannt, wie die Küche dieses Landstrichs aussah – für Anregungen war ich stets dankbar. Mit der Sicherheit und Routine, die Zeichen langjähriger Übung war, machten sich die Soldaten an die Ar80
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beit. Schnell hatte sie das große Zelt des Königs aufgerichtet, danach wurde ein kleineres Zelt aufgestellt, zierlicher und reicher geschmückt folglich für das Mädchen, das bis zu diesem Zeitpunkt den Mund nicht mehr geöffnet hatte. Die Begleiter des Königs konnten schlafen, wo es sie gelüstete – der Rasen war weich und groß. Es gab Platz genug. Am Horizont sah ich einen beachtlich großen Mond auftauchen. Daß es sich nur um einen Mond handelte, bewies mir, daß ich weder auf der Erde noch auf Delta Rebecca stand. Monsalvasch war ein bislang unbekannter Planet, und ich hatte den zweifelhaften Ruhm, der erste Mensch zu sein, der diesen Planeten betreten hatte. Dabei blieb allerdings die Tatsache unberücksichtigt, daß Monsalvasch menschliche Einwohner besaß. Es war ähnlich wie bei der sogenannten Entdeckung Amerikas – wie konnte man ein Land entdecken, das Einwohner hatte? Dabei verschlug es wenig, ob man nun Kolumbus oder Leif Erikson als Entdecker feierte – beide waren auf Indianer gestoßen, auf Menschen also, die den Kontinent schon einige Jahrzehntausende früher »entdeckt« hatten. Und ähnlich wie die Spanier sich bald daran gewöhnt hatten, mit Kaziken am Feuer zu sitzen, Kartoffeln zu essen und Tabak zu rauchen, so hatte ich mich schon nach sehr kurzer Zeit daran gewöhnt, mit einigen närrisch kostümierten Männern durch ein weites Land zu reiten und vor einer mittelalterlich aussehenden Burg im Freien zu kampieren. Ich verfolgte mit stillem Vergnügen, wie sich die beiden Edelleute aus ihren Rüstungen schälten. Ich nahm mir vor, auf diesem Planeten eine Büchsenöffnerfabrik zu gründen, die mich sicherlich zum reichen Mann machen mußte. 81
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Ernsthaft betrachtet kam ich zu der Schlußfolgerung, daß Monsalvasch eine Welt war, die in ihrem technischen Standard dem europäischen Mittelalter entsprach. Sie war gekennzeichnet von krassen Klassenunterschieden, materieller Not und einer Geisteshaltung, die zwischen fanatischer Frömmigkeit und wüstem Aberglauben schwankte. Es lag auf der Hand, daß man die Time-Squad nicht einfach nach Monsalvasch umsiedeln konnte. Wir mußten uns den Gebräuchen des Landes und der Zeit anpassen, jede andere Lösung verbot sich von selbst. Eine Kultur bestand aus einem ebenso dichten, wie feinen Netzwerk von Gesetzen, Regeln, Bräuchen und Traditionen. Eine Vielzahl dieser Regeln war, wie die Fachleute es nannten, internalisiert – verinnerlicht, bis zu einem Ausmaß, das ein Umlernen völlig unmöglich machte. Es gab auf der Erde genügend Beispiele für die verheerenden Folgen, die es nach sich zog, wenn zwei extrem verschiedene Kulturen aufeinanderprallten. Ein beachtlicher Teil der chaotischen Verhältnisse im beginnenden einundzwanzigsten Jahrhundert hatte seine Ursache in der Praktik der Kolonialländer gehabt, die Kultur der kolonisierten Länder rücksichtslos zu zerschlagen – ohne den haltlos gewordenen Menschen ein neues, funktionstüchtiges Gesellschaftsleben als Ersatz zu geben. Eines der besten Beispiele dafür war der Brauch der Blutrache. Geboren worden war er aus der völligen Rechtsunsicherheit jener Landstriche, in der Blutrache praktiziert wurde. Sie war zudem wirkungsvoll verknüpft mit dem Sozialprestige des Betroffenen, mit seiner Ehre, seinem Ansehen. In vielen Fällen war diese fürchterliche 82
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Tradition so sehr verinnerlicht worden, daß die Blutrache selbst dann noch praktiziert wurde, wenn längst ein funktionierendes Rechtssystem installiert war. »Stimmt es, daß du von einer anderen Welt kommst?« Ich nickte. Der Schwarze hatte seine Maske abgenommen, desgleichen die Handschuhe. Ich sah eine frische, kaum verheilte Wunde in der Innenhand, als habe er sich an einem Messer geschnitten. »Warum fragst du?« Der Schwarze starrte in die Nacht. »Ich habe«, sagte er langsam, »eine Rache zu vollziehen. Ich habe diesen Planeten umreist, ich kenne jeden Winkel darauf. Aber ich habe das Ziel meiner Rache nicht gefunden. Es hat Leute gegeben, die behauptet haben, es gebe noch andere Welten. Ich dachte mir, daß meine Feinde vielleicht diese Welt verlassen haben. Gibt es viele andere Welten?« Die Nacht war sternenklar, und schon jetzt, am Ende der Dämmerung, waren Tausende von Sternen zu sehen. Ich erkannte keine einzige der Konstellationen, offenbar war ich weit, sehr weit von der Erde entfernt. »Es gibt mehr Welten, als du Sterne zählen kannst.« Ich sah, wie Shandrak die Kiefer zusammenpreßte. »Ich werde sie finden«, sagte er leise. »Ich werde jeden einzelnen finden, wo immer er sich auch verbergen mag. Du mußt mir zeigen, wie du mich heute besiegt hast. Ich will lernen, was du kannst.« Ich sah den Schwarzen an. Er erinnerte mich an Charriba. Der Indianer war größer und breitschultriger. Beide Männer aber zeigten die gleiche Nervenstärke, Zähigkeit und ein unerschütterliches Selbstvertrauen. 83
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Ich streckte die Hand aus. Die Geste war auf Monsalvasch bekannt. Shandrak ergriff meine Hand und schüttelte sie. »Freunde?« »Freunde!« Ich wußte, daß ich mich auf Shandrak würde verlassen können. Ich ahnte aber noch nicht, daß ich mich sehr bald auf ihn würde verlassen müssen.
Das Monstrum von Llallwyn erwachte. Es hatte nicht sehr lange geschlafen, aber es fühlte sich nicht im mindesten müde. Müdigkeit war eines jener Dinge, die das Monstrum nicht kannte, Begriffe, die es nicht erfassen konnte. Das Monstrum reckte und streckte sich, prüfte die Funktionsfähigkeit seiner Glieder. Zufrieden stellte es fest, daß die Wunden des letzten Kampfes verheilt waren. Dazu hätte es allerdings des Schlafes nicht bedurft. Das Monstrum war zwar verwundbar, aber praktisch nicht zu töten. Das Monstrum wußte dies, auch wenn es nicht begriff, worum es sich dabei handelte. Es verstand nur eines: daß es immer wieder angegriffen wurde, daß es immer wieder leiden mußte, wenn man mit Spießen und Schwertern seinen Leib attackierte und ihm Schmerzen zufügte. Seit langem war das Monstrum aufgrund dieser Erfahrung dazu übergegangen, mit den Angreifern ein wenig zu spielen, bevor es sie tötete. Das Monstrum von Llallwyn barst förmlich vor Haß. Es begriff nicht, weshalb es immer wieder angegriffen wurde. 84
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Der immer wache Instinkt hatte das Monstrum geweckt. Sie kamen wieder, ein ganzer Trupp. Das Monstrum war erfüllt von einer stillen Heiterkeit, die ihre Quelle hatte in dem sadistischen Vergnügen, das es sich mit den Angreifern machen wollte. Mochten sie nur kommen. Das Monstrum von Llallwyn würde sie besiegen – alle, jeden einzelnen. Es würde sich einen Spaß daraus machen, auch diesen Angriff abzuschlagen. Einen Augenblick lang zögerte das Monstrum. Tief in seinem Innern spürte es, daß irgend etwas nicht stimmte. Da war etwas geschehen, etwas, das von großer Wichtigkeit für das Monstrum war. Es erinnerte sich aber nicht daran. Überhaupt hatte es Schwierigkeiten, sich zu erinnern, seit damals – und es konnte sich nicht einmal erinnern, was damals überhaupt geschehen war. Die Angreifer kamen langsam näher. Das Monstrum machte sich kampfbereit. »Ich wüßte wirklich gerne, worum es sich bei dem Monstrum überhaupt handelt.« »Das wißt Ihr nicht?« Ich schüttelte den Kopf. Es war früher Morgen. Die Gefolgsleute des Königs hatten bereits ein Feuer angezündet, über dem ein Braten gedreht wurde. Eine ziemlich schwere Kost um diese Zeit des Tages. Kaffee oder Tee gab es nicht. Monsalvasch hatte auch seine Nachteile. »Es ist ein Drache, ein gewaltiger Drache, fürchterlich anzusehen und gefährlicher als jede andere Bestie dieser Welt.« 85
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Ich hätte am liebsten laut losgelacht. War es schon ziemlich absonderlich, unversehens in ein mittelalterliches Kostümstück zu geraten, so wirkte es völlig absurd, daß in diesem Stück nun auch noch ein Drache auftreten sollte. »Ein Drache also«, wiederholte ich, aus der Fassung gebracht. »Speit diese Bestie auch Feuer?« »Selbstverständlich«, erwiderte der hünenhafte Ritter. Ich wußte inzwischen, daß er Pheldor quat Rhynar hieß und einer der gefürchtetsten Schlagetots dieses Planeten war. Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Wahrlich, hier wurde mir etwas geboten. Dann aber erinnerte ich mich an die Brandschneisen in unmittelbarer Nähe der Burg Llallwyn, und bei diesem Gedanken war mir weit weniger heiter zumute. Zwar wirkte dies alles sehr unwirklich, aber ich begann zu ahnen, daß ich sehr bald erfahren würde, wie ernst und handfest diese Daten waren. Wir hielten uns noch eine knappe Stunde am Lagerplatz auf, dann waren die Kämpfer nicht nur gesättigt; auch der morgendliche Nebel war verschwunden. Im Frühlicht lag die Burg vor unseren Augen. Die Reiter schwangen sich auf ihre Tiere, die sie Phärts nannten. Diese zottigen Kreaturen waren vermutlich planetengeborene Geschöpfe, nicht eingewandert wie ihre Reiter. Daß meine Begleiter Menschen waren, stand für mich fest – sie mußten irgendwann in der Vergangenheit nach Monsalvasch verschlagen worden sein und waren dann kulturell zurückgefallen. Eine andere Interpretation konnte ich mir nicht vorstellen. Ich durfte zu Fuß gehen. Der König und Pheldor quat Rhynar führten den Trupp an, dann folgten die 86
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Wachen, dazwischen durften Shandrak und ich traben. Die Prinzessin blieb im Lager zurück, zusammen mit einer Schar von Bediensteten, die in der Nacht zu uns gestoßen waren. Ich nutzte die Zeit, um mit Shandrak zu sprechen. Das war kein leichtes Unterfangen, der Schwarze war womöglich noch wortkarger als mein Freund Charriba. Ich verstand, daß er eine Rache zu vollziehen hatte, über deren Einzelheiten er sich ausschwieg. Weit wichtiger waren die anderen Informationen. Von ihren Bewohnern wurde der Planet Shyftan genannt, die Sonne hieß Shyft. Woher der Name stammte – er gehörte in keine mir bekannte Sprache –, blieb ungeklärt. Über ihre Vergangenheit wußten die Bewohner des Planeten nicht viel, sie lag in rätselhaftem Dunkel. Ich bekam weiter heraus, daß es auf Shyftan zwei bewohnte Kontinente gab, den einen, auf dem wir uns befanden, und einen zweiten, auf dem das Kastell der Goldenen Sieben stand, ebenfalls eine höchst geheimnisvolle Sache, von der die Shyftaner nur im Flüsterton sprachen. Unser Kontinent – Hirath genannt wurde von dem Mann beherrscht, der die Farben Blau, Braun, Gold im Schilde führte. Wenn also für das Königreich ein Feind existierte, dann war es der Kontinent der Goldenen Sieben, aber dieses Reich war so mächtig, daß jeder Versuch, sich mit den sieben Rittern in ihren goldenen Rüstungen oder ihren Gefolgsleuten anzulegen, von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Ich konnte allerdings spüren, daß es zumindest einen Shyftaner gab, der es liebend gerne mit den unüberwindlichen Sieben aufgenommen hätte – Shandrak, 87
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der Schwarze. Ich nahm mir vor, zusammen mit dem schweigsamen Mann einen Ausflug auf den Nachbarkontinent zu unternehmen, sobald das Ungeheuer von Llallwyn getötet und die Verbindung zwischen Delta Rebecca und Shyftan hergestellt war. »Die Herrschaften beginnen zu zögern«, stellte Shandrak sarkastisch fest. Er hatte recht. Die Reiter hielten ihre Tiere tatsächlich zurück. Das Monstrum von Llallwyn genoß einen bemerkenswert schlechten Ruf. »Könnt Ihr etwas sehen?« fragte der König. Pheldor quat Rhynar verneinte. »Es sieht aus, als habe er recht«, sagte er mit einem Hinweis auf mich. »Von dem Monstrum ist nicht eine Schuppe zu sehen.« »Und das dort?« Shandrak deutete auf die Brandspuren in der Nähe der Burg. »Spuren des letzten Kampfes«, meinte Asgarn achselzuckend. Man ahnte die Bewegung mehr, als daß man sie unter dem Panzer sah. Beide Ritter trugen schwere Plattenpanzer, während die Soldaten lediglich mit Kettenhemden ausgestattet waren. Ich hatte mehr Vertrauen zum synthetischen Spezialgewebe meiner Kleidung. Mit normalen Messern konnte man den Stoff nicht durchdringen. Ich ging weiter, auf den Eingang der Burg zu. Shandrak folgte mir auf dem Fuße. »Bleib bei uns, Halunke!« hörte ich eine Stimme fauchen. Ich wußte sofort, daß es sich um Kipher handelte. Shandraks Intimfeind. Der Schwarze kümmerte sich nicht um den Zuruf. Er drehte sich auch nicht um. 88
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Dafür konnte ich hören, wie ein Schwert aus der Scheide fuhr, dann ertönte ein unterdrückter Schmerzenslaut. Irgend jemand war dem Soldaten in den Arm gefallen, und das offenbar mit erheblicher Kraft. Ich tippte auf den Ritter quat Rhynar. Er sah zwar mehr als nur wohlgenährt aus, aber unter der Fettschicht steckten Muskeln aus Stahl. Wer sich von dem Äußeren des Ritters täuschen ließ, lief Gefahr, einen fürchterlichen Irrtum zu begehen. »Ich wette zehn Krüge Wein, daß die Bestie noch lebt«, sagte Shandrak neben mir. »Gibt es so etwas auf deiner Welt?« Ich zögerte einen Augenblick. Was war meine Welt? Die Erde? Ich würde sie sobald nicht wiedersehen. Oder Delta Rebecca, das vorläufige Exil der Time-Squad? »Es gibt hervorragenden Wein auf meiner Welt«, sagte ich. »Die Wette gilt. Auf der Burg …« Ich brachte den Satz nicht weiter. Ich hatte die Wette bereits verloren. Das Monstrum von Llallwyn lebte. Es stand unmittelbar vor uns. Es war ein Drache, ein richtiger Drache. Er schien geradewegs aus einem Märchenbuch entsprungen zu sein. Das erste, was ich von ihm sah, war ein gewaltiger Schädel, vergleichbar dem eines riesigen Krokodils, gekrönt von einem schuppigen Kamm. Das Maul war ein wenig geöffnet, man konnte die Zähne sehen – drei Reihen hintereinander – die Perfektion einer Mordmaschine. »Es müssen mehrere sein«, rief ich aus. 89
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Der größte Schädel war im Torbogen der Fallbrücke aufgetaucht, rechts und links von dem Tor schoben sich drei weitere Schädel über die Brüstung, etwas kleiner, aber nicht minder furchterregend. Ich sah, daß das Fallgitter hochgezogen war. Der Drache schien entschlossen, den Kampf mit uns auf freiem Feld auszutragen. Der Drache öffnete das Maul. »Deckung!« rief ich instinktiv. Ich warf mich zur Seite, und im Fallen sah ich, wie sich auch Shandrak blitzschnell in Sicherheit brachte. Einen Sekundenbruchteil später stand der Platz, an dem wir uns befunden hatten, in lodernden Flammen. Die Bestie trug im Maul einen Flammenwerfer mit sich herum. Es war kaum zu glauben, aber furchtbare Wirklichkeit – wir hatten es mit einem feuerspeienden Drachen zu tun. Wieder öffnete die Bestie das Maul, diesmal stieß sie ein schreckerregendes Gebrüll aus, das die Phärts der Ritter vor Angst wahnsinnig machte. Ehe sich die Reiter versahen, waren sie abgeworfen. »Verdammte Bestie!« konnte ich einen Mann brüllen hören. Der Stimme nach zu schließen handelte es dich um Pheldor quat Rhynar. Ich robbte zur Seite. Mit dieser Kreatur war nicht zu spaßen. Langsam kroch das Ungetüm aus seinem Versteck. Es schob den langen, schuppenbedeckten Leib über die Zugbrücke. Irgendwo auf dem Burghof mußte der Rumpf des Monstrums stecken. Was wir zu sehen bekamen, war nicht mehr als ein langer Hals. Der Kopf am Ende dieses Halses hatte die Größe eines ausgewachsenen Ochsens. 90
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»Bleib liegen. Shandrak!« rief ich dem Schwarzen zu. Meinen Laser einzusetzen, wagte ich nicht. Noch war mir der Drache nicht nahe genug auf den Pelz gerückt, als daß ich zu so drastischen Mitteln greifen wollte. Das Monstrum ließ sich Zeit. Ich hatte fast augenblicklich den Eindruck, der Drache spiele mit seinen Opfern. Die Bestie schien nicht die geringste Furcht zu kennen, sie konnte ihre eigene Leistungsfähigkeit und die der Angreifer genauestens abschätzen. Shandrak und ich schienen für das Monstrum nicht von großen Interesse zu sein. Es kümmerte sich nicht mehr um uns. Ich rollte mich auf den Rücken und hob den Kopf, um nach den Gefährten sehen zu können. Die beiden Ritter hatten sich ein Stück zurückgezogen. Ihre schweren Rüstungen mußten ihnen unter diesen Umständen mehr als beschwerlich sein. Die Gardisten hatten es ganz offenkundig mit der Angst zu tun bekommen. Sie hielten sich in sicherer Entfernung. »Angreifen!« brüllte Asgarn. »Überschüttet das Monstrum mit Pfeilen!« Die Gardisten nahmen ihre Bögen zur Hand. Wenig später schwirrten die Sehnen. Pfeile jagten dem Drachen entgegen, drangen in seinen Körper ein. Die Bestie brüllte auf. Jetzt erst waren die langen Arme des Drachen zu erkennen. Krallenbewehrte Pranken fuhren durch die Luft. Ich bedeutete Shandrak mit Gesten, auf den Burggraben zuzurobben. Die Kämpfer bezogen Stellung. 91
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Asgarn und der Herr zu Rhynarstein hatten ihre Schwerter gezogen und standen mit heruntergeklappten Visieren auf dem Rasen. Ungefähr zwanzig Meter hinter ihnen hatten die Gardisten Position bezogen. Von dort aus versuchten sie, den Drachen von Llallwyn mit Pfeilen zu bekämpfen. Angesichts der dichten Schuppenpanzerung des Ungetüms ein aussichtsloses Unterfangen. Nacheinander brachte die Bestie ihre Leiber zum Vorschein. Insgesamt sieben Teildrachen erschienen auf dem Plan, und ich war mir sicher, daß mit diesem Aufmarsch der Scheußlichkeit die Möglichkeiten der Bestie noch lange nicht erschöpft waren. Sieben Köpfe, einer groß wie ein Ochse, die anderen um ein Drittel kleiner, gestützt auf einen mit dichten Schuppen gepanzerten Leib. Vierzehn Pranken mit Krallen, die im Sonnenlicht metallisch blitzten. Sieben Mäuler, die Feuer spien. »Wohin?« fragte Shandrak. Er hatte sich neben mich geschoben. Wir krochen weiterhin auf dem verbrannten Boden entlang. Mein Ziel war die Dornenhecke, die die Burg umgürtete. Ich deutete auf das Gestrüpp. Shandrak hob fragend die Brauen, folgte mir dann aber. Ich zog mein Messer. Nach kurzer Zeit hatte ich die Hecke erreicht. Die häßlichen Schädel des Drachen pendelte dreißig Meter neben mir an den biegsamen Hälsen. Um uns kümmerten sich weder der Drache noch die Ritter. Ich begann eine Lücke in das Gestrüpp zu schneiden. Zu meiner Erleichterung ließ sich die Arbeit gut an. Die Hecke war nicht so zäh, wie ich befürchtet hatte. 92
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»Hilf mir!« forderte ich den Schwarzen auf. »Wir müssen ins Innere der Burg!« Shandrak sagte nichts, er rollte nur mit den Augen, dann griff er zum Messer, um mich zu unterstützen. Mit vereinten Kräften hackten und schnitten wir uns durch die Dornenhecke. Sobald die Lücke groß genug war, schlüpfte ich durch. Auf der anderen Seite gab es einen schmalen Streifen Grasland, dann folgte der Graben mit seinen mörderischen Verzierungen. Ich ahnte, daß der Boden des Grabens aus zähem Schlick bestand und das Durchqueren des Grabens zur Qual werden würde. Shandrak tauchte neben mir auf. Er sah mich erwartungsvoll an. Ich deutete auf die Mauer auf der anderen Seite des Grabens. »Wir müssen dort hinauf«, erklärte ich. Shandrak stieß einen leisen Pfiff aus. »Herrlich!« hörte ich Pheldor quat Rhynar schreien. »Das war der erste Kopf.« Shandrak schüttelte nur den Kopf. Er vermochte die Gefährlichkeit der Bestie weit besser abzuschätzen als die beiden Ritter, die ihr Heil im direkten Angriff suchten. So war dem Monstrum nicht beizukommen, dessen war ich mir sicher. Ich glitt die Böschung hinab und landete im Graben. Meine Füße versanken im Schlick. Zum Glück war der Morast nicht sehr tief, außerdem fand ich an den Spießen genügend Halt. Langsam zog ich mich vorwärts. »Wir haben Zuschauer!« sagte Shandrak plötzlich und deutete mit der Spitze seiner Harpune auf einen Kopf, der plötzlich über der Brüstung aufgetaucht war. Der achte Schädel der Kreatur von Llallwyn, und es hat93
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te den Anschein, als sei dieser Kopf der Spaßmacher des Drachens. Eine Zeitlang äugte das Monstrum auf mich herab, und ich konnte nicht mehr tun, als meinen Weg fortsetzen. Dann blies mir der Drache eine meterlange Flamme entgegen. »Das Vieh spielt mit dir«, kommentierte Shandrak trocken. Das Spiel trieb mir die Luft aus der Lunge. Meine Haare verschmorten zum Teil, den Rest konnte ich gerade noch löschen. Shandrak hatte natürlich recht – der Drache hätte mir ohne Mühe den Garaus machen können. Er spielte mit mir, ein grausames, widerliches Spiel. Ich nahm mir vor, dieses Spiel zu gewinnen. Es kostete Mühe, die Hand an den Nadler zu bekommen, aber mit einigen Verrenkungen schaffte ich es, die Waffe zu fassen. Der Nadler funktionierte auch unter Wasser. Ich brauchte also nur zu zielen und abzudrücken. Aus der Mündung schlug dem Drachen ein Hagel von Nadlergeschossen entgegen. Ich konnte nur hoffen, daß die nadelspitzen Geschosse in der Lage waren, den Schuppenpanzer des Drachens zu durchschlagen – taten sie das nicht, dann war ich verloren. »Er verschwindet!« rief Shandrak. Ich sah wieder nach oben. Der Drachenkopf verdrehte die blutunterlaufenen Augen und fiel dann zurück. Der Weg war frei. Vorerst.
Ich winkte dem Schwarzen zu, mir zu folgen. Shandrak zögerte keinen Augenblick. Die Harpune fest umklammernd, ließ er sich in den Graben gleiten. Nach wenigen Minuten hatte er mich erreicht. 94
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»Was ist das für eine Waffe?« fragte er schweratmend, als er neben mir am Fuß der Burgmauer angelangt war. »Später«, vertröstete ich ihn. Die Bestie von Llallwyn war offenkundig ein Ungeheuer mit vielen Köpfen und einem gigantischen Rumpf. Einen der Köpfe hatte ich ausgeschaltet, für den gesamten Leib konnte die Dosis nicht ausreichen. Früher oder später würde dieser Teil des Drachens wieder erwachen. Wir mußten uns beeilen. »Schaffst du es, die Harpune so zu schleudern, daß sie sich in den Zinnen verfängt?« »Pah«, machte Shandrak nur. Er stand auf, nahm Maß. Ein kraftvoller Schwung ließ die Harpune in die Höhe steigen. Der Schwarze hatte präzise gezielt, die Harpune landete einen Meter hinter den Zinnen. Das Glück war – vorläufig – auf unserer Seite. Schon bei diesem ersten Versuch blieb die Harpune zwischen zwei Zinnen hängen. Shandrak zog und zerrte prüfend an dem Lederseil. Es hielt. »Ich klettere als erster!« bestimmte ich. Ich griff nach dem Seil und begann, daran in die Höhe zu turnen. Dies war einer der gefährlichsten Augenblicke meines Angriffs. Zum Klettern brauchte ich beide Hände. An Gegenwehr war nicht zu denken, wenn der Drache wieder erwachte. Ich sah das grüngeschuppte Ungeheuer auf dem Wehrgang liegen, reglos, die schwärzliche Zunge hing ihm aus dem Maul. »Ich ziehe dich hoch, Shandrak!« 95
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Der Schwarze nickte. Während ich Shandrak zu mir hinaufzog, schielte ich ab und zu auf den Burghof. Eine gewaltige, grünliche Masse bedeckte den Boden. Der Leib des Drachen war gigantisch. Vom Burgtor her erklang Jubelgeschrei, offenbar hatten die beiden Ritter dem Drachen einen weiteren Kopf abgeschlagen. Ich wußte instinktiv, daß dies nichts fruchten würde. Schnaufend schwang sich Shandrak über die Brüstung. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel, als er das Ungeheuer sah. Ich holte nur tief Luft und versuchte, das Harpunenseil wieder aufzurollen. »Wir müssen in das Innere der Burg«, stieß ich hervor. Wir hasteten den Wehrgang entlang. Ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte. Die Zeitmaschine aufzusuchen, versprach wenig. Ich konnte sie nicht bedienen, ich wußte nicht einmal, wo die Bedienungselemente steckten. Auf der anderen Seite aber war mir schlagartig klargeworden, daß das Monstrum von Llallwyn die Aufgabe hatte, die Anlagen der Zeitgruft zu bewachen. Der Drache hütete das Geheimnis der Zeitmaschine. »Ich hoffe, du weißt, was du tust?« stieß Shandrak im Laufen hervor. Wir jagten die Stufen hinunter, die vom Wehrgang auf den Burghof führten. »Ich hoffe es auch«, antwortete ich stoßweise. Es gab nur eine Chance für uns. Ich rechnete mir aus, daß der Wächter sich in unmittelbarer Nähe des wertvollen Gutes aufhielt, das zu bewachen er beauftragt war. Wir mußten also nur herausfinden, woher der Drache gekommen war, wo er seinen gewaltigen Leib verborgen 96
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hatte dann mußten wir auch die Bedienungselemente der Zeitmaschine finden. Und war uns das erst einmal gelungen … gegen die Laser der Time-Squad waren auch Drachen nicht gefeit, dessen war ich mir sicher. Wir erreichten den Burghof. Vom Leib des Drachen, der unförmig auf dem Boden lag und ab und zu zuckte, stieß ein widerlicher Verwesungsgeruch auf. Eine Echse war das nicht. Das Monstrum von Llallwyn mochte Ähnlichkeiten mit den sagenhaften Lindwürmern haben, aber das galt nur für Hals und Kopf. Der restliche Leib war nichts weiter als eine unförmige, grünliche Masse, die mit feinen Schuppen bedeckt war, aber keinerlei körperliche Gliederung erkennen ließ. »Kein Wunder, daß sich niemand an das Viech herantraut«, murmelte Shandrak. Er versetzte dem Drachen einen Fußtritt. Das Monstrum reagierte nicht darauf. »Wir folgen dem Leib des Drachen!« bestimmte ich. »Hier, nimm!« Ich drückte dem Schwarzen meinen Nadler in die Hand. Ich selbst griff nach dem Laser. »Die Waffe bedient man so …« Ich zeigte ihm den Abzug. Einem Kämpfer vom Schlage eines Shandrak brauchte man keine langen Vorträge zu halten. Er verstand zwar, wie sein Gesichtsausdruck verriet, absolut nichts von der Technik der Waffe – aber er wußte nach einem kurzen Feuerstoß, wie er damit umzugehen hatte. Es war nicht einfach, an diesem ungeschlachten, monströsen Körper Anfang und Ende auszumachen. Das einzige, was wir mit Sicherheit wußten, war die Tatsache, daß sich am Burgtor ein Ende dieser scheußlichen 97
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Kreatur mit den Rittern von Hirath herumstritten – wie das Jubelgeschrei bewies, wähnten sich die Ritter auf der Straße des Erfolgs. Aber wo steckte das andere Ende? Wo waren lebenswichtige Organe dieses Monstrums zu finden? Ich drehte mich zu Shandrak um. »Hat das Monstrum von Llallwyn eigentlich einen Namen?« »Hydra!« sagte der Schwarze knapp. »Es wird Hydra genannt.« Nun wußte ich genug. Der Name besagte, daß das Monstrum von Llallwyn unsterblich war, daß die Köpfe, die ihm die Ritter mit viel Arbeit und noch größerem Mut abschlugen, nachwachsen würden. Ich stellte fest, daß sich ein Ausläufer des riesigen Leibes in jenem Teil der Burganlage befand, die auf irdischen Burgen als Kapelle diente. Ich deutete auf das Tor, aus dem heraus sich der grünliche Leib wand. Shandrak nickte. Er trug den Nadler schußbereit in der Hand – in der linken. In der rechten Hand hielt er noch immer seine Harpune, Waffe und Markenzeichen in einem. Ich ging voran. Ab und zu schielte ich über die Schulter, um festzustellen, womit sich die Hydra beschäftigte. Das Monstrum von Llallwyn schien uns beide nicht bemerkt zu haben. Die bösen Augen der Köpfe waren auf den Platz vor der Burg gerichtet. Ab und zu konnten wir das heisere Fauchen hören, mit dem der Drache sein Feuer verschoß. Ich erreichte das Tor. Mir schlug eine Geruchswolke entgegen, die in dieser Konzentration schon als aromatische Waffe zu bezeichnen war. Der Fäulnisgestank war kaum zu ertragen. 98
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Shandrak verzog angewidert das Gesicht. Ich schob mich an dem schuppigen Leib vorbei ins Innere der Kapelle. Einen Herzschlag später fand ich eine Fackel. Sie steckte in einer Halterung links neben dem Eingang. Ein Handgriff genügte, um ein Feuerzeug zu ergreifen. Sekunden später loderte die Fackel auf. Es war eine Kapelle. Eine Kapelle des Grauens. Im Hintergrund stand ein Altar, ein Quader aus Marmor. Es war der gleiche Marmor, aus dem auch der Sarkophag der Zeitgruft bestand, ein schwarzes Gestein mit goldenen und weißen Einsprengseln. Der Drache wuchs förmlich aus dem Altar heraus. Er schien über den Rand einer Kiste zu quellen, die keinen Boden hatte. Es war ein gespenstischer Anblick. Ich hörte, wie Shandrak neben mir würgte. Über dem Altar, an der Wand dahinter, hing ein Bildnis. Es war das gleiche Männergesicht, das ich aus der Zeitgruft kannte. Hier aber war der Ausdruck nicht erhaben, nicht majestätisch – uns grinste eine diabolische Fratze an. Und bei diesem Grinsen entblößte die Maske oder das Relief ein Gebiß … »Daher also«, murmelte ich. Diese gewaltig vergrößerten Eckzähne sprachen eine deutliche Sprache. Sie bestätigten, was die schauerlichen Instrumente in der Gruft bereits angedeutet hatten – die Time-Squad hatte es mit Vampiren zu tun, mit Menschen, an denen sich eine schauerliche Wandlung vollzogen hatte, die in die Hände einer Macht gefallen waren, die sich unserem Verständnis entzog. Ich preßte die Kiefer zusammen. 99
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Die Fratze hohnlachte. »Weg von hier!« hörte ich Shandrak murmeln. »Laß uns verschwinden.« Ich schüttelte den Kopf. Ich roch förmlich, daß es sich um einen Psychotrick handelte. Dies war Blendwerk, schauerliches Blendwerk, dazu bestimmt, die Bewohner dieser Welt in Angst und Schrecken zu versetzen. Den Ritter wollte ich sehen, der nach einem mörderischen Kampf mit der Hydra diesen Raum erreichte und dann noch Fassung behielt. »Laß uns verschwinden«, wiederholte Shandrak drän gend. Ich mußte mich überwinden, aber ich ging auf den Al tar zu. Irgendwo mußte der Eingang sein, irgendwo in diesem Raum gab es einen versteckten Gang. Ich machte einen Bogen um die schwarze Kiste mit ihrer Maserung. Ich trat auf die Maske zu. Sie schien aus Holz zu bestehen, aber in dem unsicheren Licht der Fackel ließen sich solche Details nur schwer ausmachen. Ich erinnerte mich an die Unterwasserhöhle von Port Royal, dem ersten Versteck des Zeit-Zauberers Valcarcel, das wir hatten aufspüren können. Dort war der Zugang ebenfalls durch grauenhafte Bilder versperrt worden. Man mußte dem Teufel in den Rachen … Ich stockte. War das die Lösung? Beherzt griff ich zu. Ich konnte ein triumphierendes Grinsen nicht unterdrücken, als ich spürte, wie die Fangzähne der Maske unter dem Druck meiner Finger zurückwichen. 100
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Es klickte leise, dann erklang ein feines Summen, Der Schwarze stieß einen erschreckten Schrei aus. Der gesamte Altar bewegte sich samt seinem schauerlichen Inhalt ein Stück zur Seite. Stufen wurden sichtbar, die in die Tiefe führten. Ich winkte Shandrak zu. »Vorwärts«, sagte ich, »Jetzt geht es ums Ganze!« Pheldor quat Rhynar wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er stützte sich auf sein Schwert und sah auf das. Schlachtfeld. Neben ihm schnappte der König nach Luft. Beide hatten ihre Rüstungen zum Teil abgelegt. Ihre Haare waren versengt, die Gesichter. rauchgeschwärzt. Die Männer waren erschöpft. »Wir werden es schaffen«, stieß Pheldor hervor. »Ganz sicher, wir werden es schaffen.« Atemlos deutete der König mit der Spitze seines Schwertes auf die vier Köpfe auf dem verbrannten Boden. Das Ungeheuer von Llallwyn hatte viel einstecken müssen. »Dieser Spitzbube ist geflohen«, stellte der König fest. »Und der Fremde, der behauptet, er käme von einer anderen Welt, hat sich gleichfalls abgesetzt.« Pheldor hob sein Schwert. Mit der Spitze deutete er auf ein Loch in der Dornenhecke. »Ich sah sie dort durchschlüpfen«, keuchte er. »Danach konnte ich nichts mehr erkennen.« »Feiglinge sind sie, alle beide.« Die beiden Ritter drehten sich um. Ein Gardist kam herangehumpelt, es war Kipher, der Anführer der Gardisten. 101
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»Herr«, sagte er grimmig, »gestattet, daß wir die beiden am nächsten Baume henken, sobald wir sie zu fassen bekommen.« Asgarn nickte nur. Es war Mittagszeit. Heiß brannte die Sonne auf die Kämpfer herab. Viel Schweiß war geflossen und noch mehr Blut. Zwei der Gardisten waren schwer verletzt worden. Sie lagen abseits im Gras und ließen sich die Wunden von ihren Gefährten kühlen und verbinden. Ab und zu erklang schmerzliches Wimmern zu den beiden Rittern herüber. Pheldor nahm einen Schluck aus dem Wassersack. Der Lederbeutel war am Morgen gefüllt worden, das Wasser war zwar ein wenig warm geworden, schmeckte aber noch nicht muffig. »Ich begreife jetzt«, sagte Asgarn, »warum jedermann diese Bestie fürchtet. Noch nie ist mir ein solches Ungeheuer vor die Klinge gekommen. Fast könnte man den Sagen glauben, die behaupten, das Ungeheuer sei unsterblich.« »Nun«, sagte Pheldor gedehnt. »Stellt Euch vor. Herr, ich käme mit diesen Köpfen an Euren Hof gereist und zeigte sie zum Pfande, daß ich den Drachen getötet. Würdet Ihr mir glauben?« »Wahrscheinlich«, entgegnete der König. »Sie kommt zurück!« rief Kipher aus. »Die Bestie kommt zurück.« »Sie hat uns zu Atem kommen lassen«, sagte Pheldor grimmig. »Das wird sie nun bereuen. Wir werden sie töten, jeden einzelnen Kopf werden, wir ihr abschlagen, und wenn es ein Dutzend wäre.« Die beiden Ritter griffen zu den Schwertern. In einem Abstand von einigen Metern gingen sie auf die Zugbrücke zu. Die Gardisten folgten langsam, die Bögen gespannt. 102
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»Schießt, Männer!« Die ersten Pfeile zischten über die Köpfe der beiden Ritter hinweg. Die Bestie brüllte schmerzerfüllt auf. Seit geraumer Zeit war sie nicht mehr in der Lage gewesen, Feuer zu speien. Das sollte ihr nun nach dem Willen der Ritter zum Verhängnis werden. Die Klingen der Schwerter blitzten in der Sonne, als die beiden Ritter auf die Zugbrücke traten. Sie hatten die Kiefer zusammengepreßt. Ihre Gesichter verrieten die Entschlossenheit, dem fürchterlichen Gegner nunmehr den Garaus zu machen. Ein zweites Mal entbrannte der Kampf. Das Monstrum setzte sich mit Prankenhieben zur Wehr. Gierige Kiefer schnappten nach den Männern. Mit wuchtigen Schwerthieben wehrten die Ritter die Angriffe ab. Immer wieder hieben und stachen sie auf die Pranken ein, die nach ihnen griffen, rammten sie ihre Klingen in die weitgeöffneten Rachen, die sie zu verschlingen drohten. Aus sicherer Deckung heraus bedachten die Gardesoldaten die Bestie mit Pfeilen. »Vorwärts!« schrie Pheldor. Mit einem kraftvollen Hieb trennte er eine Tatze der Bestie ab. Wieder schrie das Monstrum auf. Blut strömte aus der Wunde und floß über das Holz der Zugbrücke. »Meine Lanze!« rief der König. »Man bringe mir meine Lanze!« Einer der Gardisten übernahm es, die Waffe zu seinem Herrscher zu schleppen. Asgarn bekam die Waffe mit der linken Hand zu fassen. Er brauchte nur wenige Augenblicke, das Schwert in die Linke und die Lanze in die Rechte wechseln zu lassen. Der König nahm einen kurzen Anlauf, dann rammte er der Bestie die scharfgeschliffene Spitze der Lanze in den Hals. 103
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»Weiter so!« schrie Pheldor begeistert. »Sie weicht, die Bestie weicht!« Tatsächlich zog sich das Monstrum von Llallwyn zurück. Die Zugbrücke war nun frei, das Monstrum wich auf den Burghof aus. »Hierher, Gardisten!« befahl der König mit Donnerstimme. »Hierher, setzt nach!« Nun, da die Bestie geschlagen schien, erwachte in den Gardisten der Mut. Sie warfen ihre Bögen zur Seite, zückten die Schwerter. Mit lautem Rufen stürmten sie auf die Zugbrücke. Es fehlte nicht viel, und sie wären auf dem Schlüpfrigen Boden ausgerutscht. Einer der Männer konnte sich nur mit viel Glück davor retten, in den Burggraben zu stürzen und dort in den Spießen ein unrühmliches Ende zu finden. »Nicht nachlassen«, brüllte Pheldor. Seine Stirn troff vor Schweiß. Er schwang sein Schwert mit gewaltiger Stärke, und wohin er traf, drang der gehärtete Stahl tief in den Leib des Monstrums. Und immer weiter zog sich die Bestie zurück. Sie räumte den Torbogen, wand sich und krümmte sich. Bald war das Burgtor freigekämpft, drangen die Angreifer in den Burghof vor. Mit Jubelgeschrei begleiteten die Gardisten den Fall eines weiteren Schädels. Der König selbst hatte ihn mit einem Schwertstreich vom Rumpf getrennt, und Pheldor strengte noch einmal alle seine Kräfte an, um nicht hintanzustehen. Dann aber sah er etwas, das ihm das Blut in den Adern gerinnen ließ. Mit der Geschwindigkeit eines Blitzes streckte die Bestie einen langen, dünnen Arm aus, und dann ging das 104
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Fallgitter nieder – hinter den Gardisten, die vor Schreck wie erstarrt waren. Und dann richtete sich die Bestie auf dem Burghof auf, und aus dem scheußlichen Rumpf wuchsen neue Schädel und neue Pranken, und die Bestie brüllte laut, und Pheldor wußte, daß dies der Tod war, der ihm ins Gesicht schrie. Es gab keinen Ausweg mehr. Die Männer waren gefangen. Übertölpelt, überlistet, hereingelegt – von einem wilden Drachen, dessen Rachen nun wieder Feuer und Rauch spien und der sich nun daran machte, sein grausames Spiel mit den Angreifern zu einem langen, grauenvollen Ende zu bringen.
Ich hastete die Stufen hinab. Am liebsten hätte ich vor Freude laut aufgeschrien. Ich hatte das Ziel erreicht. Die Apparaturen, die ich sehen konnte, waren mir bestens bekannt. Ich stand in der Steuerzentrale einer Zeitmaschine. »Bei allen guten Geistern«, stammelte Shandrak, der mir gefolgt war. »Was ist das?« Ich hatte keine Zeit, ihm den Zusammenhang des langen und breiten zu erklären. Es gab Wichtigeres zu tun. Wichtig war zunächst, eine Verbindung zwischen Shyftan und Delta Rebecca herzustellen. Mit den Waffen und Hilfsmitteln der Time-Squad mußte es ein leichtes sein, das Ungeheuer von Llallwyn auszuschalten. Auszuschalten. Das Wort paßte; genauer, als ich angenommen hatte. Jetzt erst sah ich, wie das Monstrum wirklich beschaffen war. 105
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Der Drache war ein Maschinenprodukt. Eine grünschwarze Masse wallte und zuckte hinter einer dicken Glaswand. Und aus einer Öffnung in einer Maschine, die mit dieser Glaswand verbunden war, wuchs der Leib des Scheusals. Jetzt verstand ich auch, warum diese Kreatur unsterblich war. Im günstigsten Fall konnte man das Monstrum für einige Tage und Wochen ausschalten, aber der Maschinenpark lieferte dann sehr rasch Ersatz. Fortwährend wurde das Monstrum neugebildet – aussichtslos, es mit normalen Mitteln angreifen zu wollen. »Unglaublich«, staunte Shandrak. Es war tatsächlich einem Bewohner des Planeten gelungen, bis in diesen Raum vorzudringen. Der Mann mußte einen unglaublichen Mut besessen haben. Wir konnten von ihm nur zweierlei sehen – die mattglänzende Rüstung mit einem Skelett darin, und als zweites den Speer des Gepanzerten. Er hatte den Speer einfach in die Maschine gerammt, aus der das Monstrum entstand. Das war nicht ohne Folgen geblieben. Starke elektrische Entladungen wanderten aus der Maschine an dem Speer entlang, zuckten über die Rüstung und verschwanden im Boden. Der Strom hatten den tapferen Mann getötet, er hatte aber auch das Monstrum von Llallwyn verändert. Ich konnte sehen, wie die grünliche Masse unter den Entladungen pulsierte. »Können wir das da zerstören?« fragte Shandrak beklommen. Ich zuckte mit den Schultern. Ich wollte es versuchen. Ich nahm dem Schwarzen den Nadler ab und eröffnete das Feuer auf jenen Teil der Maschinerie, aus der das Ungeheuer hervorquoll. Zu rabiateren Mitteln wagte ich nicht zu greifen, vielleicht ließ sich aus dem Maschi106
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nenpark allerhand entnehmen, das für die Time-Squad von Bedeutung sein konnte. In rascher Folge verließen die Nadeln den Lauf des Nadlers. Dort, wo die Masse aus der Maschine quoll, war sie noch wenig strukturiert. Die Nadeln verschwanden im Körper des Monstrums, das noch keine dichte Schuppenhaut besaß. Ich sah, wie der Leib konvulsivisch zu zucken begann, aber ich nahm den Finger nicht vom Abzug. Ich hörte erst auf, als ich der Bestie das gesamte Magazin in den fürchterlichen Leib gejagt hatte. »Es rührt sich nicht mehr«, sagte Shandrak. Ich atmete auf. Jetzt konnte ich mich dem eigentlichen Ziel meines Vorstoßes widmen. Die Schaltanlage der Zeitmaschine war unerhört simpel. Sie war ganz offenkundig für schlichtere Gemüter bestimmt. Es gab keine Hinweise, nur Symbole und Piktogramme. Den Hauptschalter fand ich ziemlich bald, und ich stellte auch fest, daß die Energiezufuhr zur Zeitmaschine stark gedrosselt war. Mit einem Griff aktivierte ich die Maschine. Es gab insgesamt siebzehn Symbole, die kreisförmig auf einer Tafel angeordnet waren. Zwei dieser Symbole waren eindeutig – ich sah eine verkleinerte, symbolhafte Darstellung der Zeitgruft auf Delta Rebecca. Und ich sah eine stilisierte Burg. Die Symbole sagten aus, daß es eine einseitige Verbindung zwischen Delta Rebecca und Shyftan gab. Es kostete mich nicht mehr als einen Handgriff, diese Verbindung zweigleisig zu machen. »Und jetzt in den Turm!« rief ich. Die Zeit drängte. Ich stürmte die Treppen hoch, zurück in die Kapelle. Von dort aus ging es auf den Burg107
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hof, dann zum Turm. Shandrak folgte mir. Das Monstrum von Llallwyn zuckte nur noch, es war weitestgehend ausgeschaltet. Nur vom Burgtor her war noch Kampflärm zu hören. Es würde die Ritter nicht sehr anstrengen, dem beinahe völlig betäubten Monstrum den Garaus zu machen. »Mir nach!« rief ich und eilte die Treppen hinab, die zu der Zeitmaschine tief im Innern der Burg führte. Shandrak blieb an meiner Seite. Ich brauchte nur wenige Minuten, um die Zeitmaschine zu erreichen. Der Schwarze stöhnte unterdrückt auf, als er die entsetzliche Dekoration der Maschine sah, aber er beherrschte sich. »Bleib hier«, befahl ich ihm. »Ich kehre sehr bald zurück. Und wundere dich über nichts, gar nichts. Verstehst du?« Shandrak nickte, aber er log. Er verstand gar nichts. In seinen Augen stand Entsetzen geschrieben, als ich mich in den Sarg legte und den Deckel darüber schob. Ich spürte sofort, daß es eine Veränderung gegeben hatte. Die Zeitmaschine arbeitete prompt und perfekt. »Wir sind verloren«, stieß Pheldor hervor. »Verloren!« Die Männer drängten sich in einer Ecke des Burghofs zusammen. In ihren Gesichtern spiegelte sich die Angst wider, die sie in der letzten Viertelstunde auszustehen gehabt hatten. Das Monstrum hatte mit ihnen gespielt, ein böses, grausames Spiel, an dessen Ende ein furchtbarer Tod stand. Als die Bestie plötzlich zurückgewichen war, hatten die Angreifer gehofft, das Spiel gewonnen zu haben. 108
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Um so schrecklicher war jetzt ihre Niedergeschlagenheit – um so größer der Haß auf die Bestie, die grausam genug war, das unvermeidliche Ende erbarmungslos in die Länge zu ziehen. Es bereitete dem Monstrum Vergnügen, den Männern seinen Feueratem entgegenschlagen zu lassen und es hütete sich dabei, den Männern so nahe zu kommen, daß sie schwere Brandverletzungen davontragen konnten. »Es will uns langsam rösten«, knurrte Asgarn. »Ein unwürdiger Tod für einen König.« »Nicht nur für ihn«, stieß Pheldor hervor. Er war am Ende seiner Kräfte. Der völlig überraschende Umschwung hatte ihn erschüttert. Er war zu keinem Widerstand mehr fähig. Er hoffte nur, daß die Bestie ihn vielleicht doch schnell töten würde, ohne große Schmerzen. Es sah aber nicht so aus, als würde das Monstrum von Llallwyn ihm diesen Gefallen tun. Einer der Gardisten sprang vor, das Schwert hoch zum Schlag erhoben. Eine Pranke der Bestie fegte heran, riß den Mann von den Beinen und schleuderte ihn in einen Winkel, wo er verkrümmt liegenblieb. Einer der häßlichen Schädel näherte sich dem Mann, die riesigen Kiefer schlossen sich um ein Bein des Gardisten. Der Schmerz brachte den Soldaten wieder zur Besinnung. Sein entsetztes Schreien gellte über den Burghof. Plötzlich ließ die Bestie wieder los. Sekunden danach begann sie den Gardisten mit Feuer und Rauch zu bearbeiten. Schreiend vor Angst und Schmerz kroch der Soldat über den Burghof. Pheldor erkannte mit stiller Wut, daß der Drache den Mann nur wenig verletzt hatte. Keiner der mörderischen Zähne hatte den Kettenpanzer des Gardisten durchbohrt. 109
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Die Bestie spielte. Sie kostete die Qual ihrer Opfer aus. »Wir sollten ein Ende machen«, wimmerte einer der Gardisten. »Herr, erschlagt uns, damit wir nicht so leiden müssen. Besser vom eigenen Herrn erschlagen mit der Schärfe des Schwertes, als von dieser Bestie langsam zu Tode gequält zu werden!« Asgarn preßte die Kiefer zusammen. Pheldor quat Rhynar holte tief Luft. Was blieb zu tun? Nichts. Es gab nicht einmal eine Möglichkeit, den Tod, der unausweichlich schien, ehrenvoll zu gestalten. Oder doch? Der Ritter zu Rhynarstein erinnerte sich der Streitaxt, die er im Gürtel trug. Er zerrte die schwere Waffe aus ihrer Halterung. Vielleicht war sie die einzige Chance, im Kampf zu sterben. Der Ritter rannte los, und die Bestie war grausam genug, ihn laufen zu lassen. Der Hauptschädel, der, den alle für den unsterblichen Kopf hielten, folgte dem Ritter. Ja, das Monstrum war widerwärtig genug, den Rennenden mit dem Kopf anzustoßen, ihn zu größerer Geschwindigkeit anzuspornen. Pheldor hätte am liebsten aufgeschrien, so schmerzte ihn dieser Hohn, aber dazu hatte er keine Luft mehr. Er erreichte die Treppe zum Wehrgang, hastete hinauf. Er stolperte mehr, als daß er ging. Pheldor erreichte den Wehrgang. Er drehte sich um. Vor ihm pendelte der Schädel des Drachen, nur einen halben Meter von ihm entfernt bleckten die Kiefer. Die Zähne waren schwarz, und ein Pesthauch wehte dem Ritter aus dem Schlund entgegen. Pheldor hob die Axt. 110
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Er wußte hinter sich den Burggraben, die entsetzlichen Spieße darin. Er hoffte, der Drache werde ihn mit einem Schlag seiner grauenvollen Pranken in diesen Graben schleudern, in die Spieße, die ihm einen schnellen Tod bereiten konnten nicht mußten. Mit aller Kraft ließ er die Schneide der Streitaxt auf den Schädel des Monstrum herabsausen. Wie vom Blitz gefällt brach die Bestie zusammen. Pheldor ächzte. Er war so außer Atem, daß die Luft förmlich in seinen Lungen brannte. Er begriff nicht, was er sah. Das Monstrum lag auf dem Burghof und rührte sich nicht mehr. Im Schädel stak die Streitaxt des Ritters zu Rhynarstein. »Tot«, murmelte Pheldor. Er spürte, daß Tränen über seine Wangen liefen. »Tot, sie ist tot.« Er sah verschwommen seine Begleiter, zusammengedrängt in einem Winkel des Burghofs, noch fürchtend, daß sich das Monstrum wieder regte. Und dann sah Pheldor quat Rhynar, daß im Schädel des Monstrum auch noch eine andere Waffe stak – die Harpune des Spitzbuben Shandrak. Pheldor rieb sich über die Augen. Sein Blick wanderte umher und blieb schließlich an der Zinne des Berchfrit haften. Zwischen den Zinnen erkannte er Gestalten. Pheldor quat Rhynar, der Bezwinger des Monstrums von Llallwyn, wankte den Weg zurück, den er vor einer Ewigkeit – wenigstens schien es ihm so – hinaufgehetzt war. Er sah, wie verschiedene Personen den Turm hinabstiegen und ebenfalls auf den Burghof traten. Er sah, wie seine Gefährten, nun mutiger geworden, ihren Winkel 111
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verließen. Während die Gardisten ihrer Wut freien Lauf ließen, ging Asgarn aufrecht den Besuchern entgegen. Pheldor erkannte im Näherkommen den merkwürdigen Fremden, der behauptet hatte, er stamme von einer anderen Welt. Neben ihm ging der Schwarze, Shandrak der Spitzbube. Es waren noch zwei andere Männer zu sehen, gekleidet in merkwürdige Gewänder. Seltsam gekleidet war auch die fünfte Person, unverkennbar eine Frau, und, wie Pheldor auf den ersten Blick feststellte, die schönste Frau, die jemals auf Hirath zu sehen gewesen war. Pheldor hörte, wie Asgarn sagte: »Willkommen auf Burg Llallwyn.« Dann verließen den Ritter seine Sinne. »Wer hat nun das Monstrum wirklich getötet?«‘ Diese Frage beschäftigte jeden, der in der Nähe des Feuers saß. Dazu gehörte Asgarn, er hatte das Monstrum sicherlich nicht auf dem Gewissen. Aber er war der Vater von Smerdis, deren Hand dem Bezwinger des Monstrums zugesichert worden war. Wir von der Time-Squad hatten darauf verzichtet, den Bewohnern des Planeten erklären zu wollen, daß das Monstrum, genau betrachtet, noch lebte. Wir hatten lediglich dafür gesorgt, daß die Maschine, der es sein Leben verdankte, einstweilen keine Energie bezog. Wir brauchten die Apparatur nur einzuschalten, und das Monstrum von Llallwyn erwachte zu neuem Leben. Da war der hünenhafte Ritter, der am Feuer saß und Fleischportionen hinunterschlang, mit denen ich drei Tage ausgekommen wäre. Dazu schüttete er Starkbier gleich kübelweise hinunter. 112
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Da war Shandrak, der vom Turm aus seine Harpune geschleudert und auch getroffen hatte. Er saß schweigsam in der Nähe des Feuers. Durch die Flammen beäugte er einen weiteren Schweiger – Charriba White Cloud. Neben dem Indianer saß Inky, dem die Lagerfeuerromantik sichtlich behagte. Ich konnte mich erinnern, daß beide fast gleichzeitig mit ihren Lasern auf den Schädel des Ungeheuers gefeuert hatten. Ich selbst hielt mich zurück. Ich hatte schließlich nicht mehr getan, als einen Hebel bewegt. Diese Bewegung hatte der Maschine, die aus einem absonderlichen Plasmabrei ein Monstrum erzeugen konnte, die Energie entzogen. »Das Monstrum wird niemals wieder erwachen«, sagte Demeter Carol Washington mit ihrer leicht rauchigen Stimme. Der König wandte kein Auge von ihr. Ich hatte erfahren, daß er Witwer war. Auch das noch. »Ich bitte um die Erlaubnis, daß wir uns hier ansiedeln dürfen«, sagte Demeter. Asgarn seufzte leise. »Das hat der neue Lehnsherr von Burg und Grafschaft Llallwyn zu entscheiden«, gab er bekannt. »Und wer das sein wird, steht leider noch nicht fest.« Inky hatte mir verraten, daß bereits einige Stunden nach unserer Ankunft in der Zeitgruft D. C. aufgetaucht war. Sie hatte es in Delta City nicht länger ausgehalten. Mein Transport in die Zeitgruft auf Delta Rebecca war schnell und sicher abgewickelt worden, und mit dem gleichen Tempo waren wir – D. C., Inky, Charriba und ich – nach Shyftan zurückgekehrt, gerade noch rechtzeitig, Um verhindern zu können, daß die wieder113
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erwachte Bestie von Llallwyn die Ritter und Gardisten massakrierte. Demeter zögerte einen Augenblick. »Ich will ehrlich sein«, sagte sie dann. »Ich bin nicht allein. Ich erwarte mehr als tausend Männer, Frauen und Kinder. Sie alle haben den Wunsch, sich hier anzusiedeln.« Shandrak kicherte hinter vorgehaltener Hand. »Das wird die Goldenen Sieben freuen«, versprach er. Er bemerkte Demeters fragenden Blick. »Die Goldenen Sieben in ihrem Kastell sind die wahren Herrscher dieses Planeten«, fuhr er fort. »Ich bin sicher, daß sehr bald einer ihrer Abgesandten auftauchen wird, wenn hier so viele Fremde ankommen.« »Wir werden auch diesen Besuch zu überstehen wissen«, sagte Demeter. Der König war völlig hingerissen. In meinen Augen war er viel zu alt für Demeter. Pheldor – nunmehr kyr Rhynar meldete sich. »Ich für meinen Teil, verzichte auf das Lehen Llallwyn«, gab er bekannt, »sofern mir der Sieg über das Monstrum zuerkannt wird.« »Oho«, machte Shandrak. Offenbar hatte auch er ein Auge auf die Prinzessin geworfen. »Wer das Monstrum getötet hat, wird sich noch herausstellen. Sollte ich derjenige sein, dann verzichte ich allerdings ebenfalls auf das Lehen.« »Sehr großzügig«, spottete Pheldor. »Ich bin der König, ich habe zu entscheiden. Ich übertrage das Lehen …« Asgarn zögerte. Er sah sich hilfesuchend um. Ich begriff sehr bald, in welcher Klemme er steckte. Unmöglich konnte er das Lehen einer Frau übertragen. 114
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Frauen galten auf diesem Planeten wenig. Auf diesem Gebiet – ich kannte D. C. gut genug, um das vorhersagen zu können – würde sich in den nächsten Jahren einiges ändern. Die Frauen und Mädchen, die für die TimeSquad arbeiteten, waren es nicht gewohnt, sich als Menschen zweiter Klasse behandeln zu lassen. Auf der anderen Seite aber war Demeter unverheiratet. Daß sie ein Kind hatte, ahnte der König noch nicht. Es war also auch kein Mann da, dem man das Lehen hätte übertragen können – denn eines war Asgarn sehr bald klargeworden. In unserem Haufen hatte Demeter Carol Washington das Sagen, und wir dachten nicht daran, das zu ändern. »Ich nehme das Geschenk an«, sagte Demeter lächelnd. »Ich verspreche dafür Waffenhilfe, sofern sie nötig wird.« Asgarns Gesicht strahlte. Er hatte mitbekommen, über was für Waffen wir verfügten. Die Aussicht, solche Kämpfer seinem Heer unterstellen zu können, mußten ihn entzücken. »Damit wir uns richtig verstehen …« Demeter lächelte ihr berüchtigtes Lächeln. Der König von Hirath sah ihr ins Gesicht und hatte schon verloren. »Ich denke nicht daran, irgend jemandem Untertan zu sein«, verkündete Demeter mit der ihr eigenen Freundlichkeit; ich sah, wie der Unterkiefer des Königs herunterklappte. »Ich werde hier, in dieser Burg, das Reich der TimeSquad begründen. Wir werden Freunde unserer Freunde und die erbitterten Gegner unserer Feinde sein.« Pheldor kyr Rhynar starrte Demeter wie ein Gespenst an. 115
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»Werdet Ihr die Königin dieses Reiches sein?« erkundigte sich Asgarn. »Chefin«, sagte ich hastig. »Chefin, und das ist mehr.« D. C. zwinkerte belustigt. »Seid Ihr einverstanden, König Asgarn?« Der Angesprochene machte ein säuerliches Gesicht. Ich sah, daß er auf den Nadler schielte, den Demeter an der Hüfte trug. Was blieb dem König anderes übrig, als sich mit Demeters Vorschlag einverstanden zu erklären?« »Ich heiße Euch willkommen … Chefin!« Ich konnte mit Mühe ein Grinsen Unterdrücken. Das hatte Demeter sehr geschickt eingefädelt. Sie lächelte freundlich, dann wandte sie sich an Inky. »Geben Sie die Nachricht an unsere Leute weiter«, sagte sie halblaut. »Wir sollten uns mit der Übersiedlung beeilen. »Ich fürchte nämlich, daß wir uns schon bald um das Kastell der Goldenen Sieben werden kümmern müssen.« »Die Oberen?« fragte ich dazwischen. Ich wußte, daß Demeter eine unglaubliche Instinktsicherheit hatte, was diese Dinge betraf. Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin sicher, daß wir es mit Freunden zu tun haben werden. Ich habe erfahren, daß das Monstrum von Llallwyn erst seit neuester Zeit seine Opfer tötet – es sieht so aus, als habe dies der Speer bewirkt.« Der einzige in der Runde, der wußte, wovon die Rede war, war Shandrak. Aber der Schwarze schwieg. Er trug ein Holster aus den Beständen der Time-Squad und darin einen Nadler. Ich war mir allerdings sicher, daß 116
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er auch ohne dieses Geschenk geschwiegen hätte. Mit Charriba schien er sich – obwohl die beiden kein Wort gewechselt hatten vorzüglich zu verstehen. »Das bedeutet, daß die Bestie früher erheblich umgänglicher war?« Demeter nickte. »Die Kreatur war zwar als Wächter der Zeitgruft gedacht«, sagte sie. Wir sprachen spanisch. Die Shyftaner konnten kein Wort verstehen. Hoffentlich. »Aber dieser Wächter sollte nur abschrecken, für Ruhe sorgen. Wir werden die Programmierung der Maschine genau untersuchen. Ich bin sicher, daß die Apparatur sozusagen defensive Aufgaben hat. Und diese Einstellung paßt wenig oder gar nicht zu dem Bild, das wir von unseren Gegnern haben. Übrigens, haben Sie eine Ahnung, in welcher Zeit wir uns befinden? Oder wo man diesen Planeten räumlich anzusiedeln hat?« Ich zuckte mit den Schultern. »Nicht den kleinsten Anhaltspunkt, Chefin«, antwortete ich. »Wir haben viel Arbeit vor uns.« »Ich weiß«, antwortete Demeter nachdenklich. Sie wandte sich erneut dem König zu. Asgarn produzierte wieder ein Lächeln. Er schien verkraftet zu haben, daß die Time-Squad ihn seines ertragreichsten Lehens beraubt hatte. »Chefin«, sagte er. Es hörte sich völlig normal an. »Ich habe noch ein Problem. Ich versprach dem Bezwinger des Monstrums die Hand meiner Tochter. Und jetzt weiß ich nicht …« »Ich bin der Bezwinger des Monstrums«, rief Pheldor. »Wer sonst erhebt Anspruch auf diese Ehre?« »Ich!« 117
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Shandrak sah dem Ritter freundlich lächelnd ins Gesicht. »Anmaßung!« schnaubte der Ritter. »Und was ist mit mir?« mischte sich zu allem Überfluß auch noch Inky ein. Asgarn breitete in einer Geste der Hilflosigkeit die Hände aus. »Was soll ich tun, Chefin?« klagte er. »Ich weiß nicht, wer das Monstrum erledigt hat.« Demeter schielte einen Augenblick lang zu mir hinüber. Wenn man es ganz genau nahm, ging der sogenannte Tod der Bestie auf mein Konto. Nun, die Prinzessin gefiel mir, aber es gab jemand, der mir weit besser gefiel. Ich schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Wie würdet Ihr entscheiden, Chefin?« fragte Asgarn. »Welchen Rat könnt Ihr mir geben.« Ich sah im Hintergrund die Prinzessin auf einem weichen Fell sitzen. Sie starrte ziemlich niedergeschlagen auf den Boden. Es mußte entsetzlich für sie sein; den Schacher um ihre Person anhören zu müssen. »Nun«, sagte Demeter gedehnt, »was haltet Ihr davon, die Prinzessin einmal selbst um ihre Meinung zu fragen – und ihre Entscheidung dann auch zu akzeptieren?« Als erster lachte Pheldor, dann fiel der König ein, und eine halbe Minute später lachten alle. Selbst der schweigsame Shandrak bog sich vor Lachen, und über seine Wangen liefen Tränen der Heiterkeit. Einzig die Prinzessin lachte nicht. Sie hatte aufgesehen und betrachtete Demeter. »Prachtvoll, dieser Witz«, kicherte der König. »Einfach prachtvoll.« 118
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Ich wechselte einen raschen Blick mit Demeter. Den Shyftanern würde das Lachen noch vergehen, dessen war ich mir sicher. Uns allen würde das Lachen noch vergehen. Noch war die gewaltige Aufgabe der Time-Squad nicht abgeschlossen. Wir standen erst am Anfang.
ENDE
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