Olaf Kühne Distinktion – Macht – Landschaft
Olaf Kühne
Distinktion – Macht – Landschaft Zur sozialen Definition von ...
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Olaf Kühne Distinktion – Macht – Landschaft
Olaf Kühne
Distinktion – Macht – Landschaft Zur sozialen Definition von Landschaft
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16213-3
Danksagung
Die vorliegende Arbeit ist nicht (allein) das Ergebnis eines einsamen Reflexionsprozesses, sondern steht im Zusammenhang mit Diskussionen, gemeinsamen Überlegungen, Abstraktionen und Hinterfragungen der Alltagspraxis. Somit möchte ich einigen Personen danken, ohne die dieses Buch in dieser Form nicht entstanden wäre. Für anregende gemeinsame wissenschaftliche Reflexionen zum Thema Landschaft und Gesellschaft möchte ich zunächst Annette Spellerberg, Harald Hullmann, Vera Denzer und Klaus Sachs danken. Insbesondere danke ich aber Jochen Kubiniok und Barbara Neumann, die im Sommer 2007 auf unserer gemeinsamen Frankreich-Exkursion, mit den teilnehmenden Studenten (auch ihnen gilt mein Dank für die Gesprächs- und Kritikbereitschaft) wesentliche Thesen dieser Arbeit diskutiert und reflektiert haben. Bedanken für die anregenden Gespräche und konstruktiven Anmerkungen aus meinem berufspraktischen Kontext möchte ich mich in besonderer Weise bei Holger Zeck, Detlef Reinhard, Hanns Albert Letter, Reinhard Guth, Volker Wild, Bertold Huwig, Kurt Kniebe, Jörn Wallacher, Gangolf Rammo, Gerd-Rainer Damm sowie bei den Kolleginnen und Kollegen meines Referates C/2 ± Landsplanung, aber auch bei zahlreichen anderen Kolleginnen und Kollegen im Umweltministerium. Für zahlreiche für meine Arbeit wertvolle Anregungen danke ich Andrea Hartz und Delf Slotta. Für die Beschaffung der (durchaus umfangreichen) Literatur danke ich Sarah Köster, Nolwenn Blanchard und Marion Gobin. Für die Beratung hinsichtlich der Auswahl des Fallbeispiels zur Darstellung des Themas Landschaft in Schulbüchern danke ich Oberschulrat a.D. Karlheinz Lau, für die kritische Durchsicht meiner Ausführungen zum Thema Kartographie Peter Fischer-Stabel, zur Kunstgeschichte Christina Berger und zu rechtlichen Fragen Christopher Wolf. Darüber hinaus gilt mein Dank Herrn Jens Falk, der in gewohnt kompetenter und langmütiger Weise das Lektorat des Buches übernahm. Mein besonderer Dank gilt meiner Lebensgefährtin Sibylle Berger, die den Entstehungsprozess der vorliegenden Arbeit stets konstruktiv, ideenreich und kompetent begleitete, gemeinsam mit meiner Mutter, der ich ebenfalls herzlich danke, das Korrekturlesen übernommen und die größeren und kleineren Krisen des Entstehungsprozesses einer solchen Arbeit mit Souveränität ge- und ertragen zu haben. 5
Inhalt
Einführung.................................................................................................... 13 1
Grundzüge des gesellschaftlichen Landschaftsverständnisses ............. 19 1.1 Zur Entwicklung des Landschaftsbegriffs......................................... 19 1.2 Zum Verhältnis von Gesellschaft und Raum..................................... 24 1.2.1 Anthropozentrischer Raum, Behälterraum, relationaler Ordnungsraum, Zeit-Raum-Kontinuum ........................................ 24 1.2.2 Das Raumkonzept von Bourdieu .................................................. 26 1.3 Gesellschaftliche Bezüge von Landschaft ± Grundzüge einer Landschaftssoziologie ..................................................................... 28 1.3.1 Grundzüge einer Landschaftssoziologie ....................................... 28 1.3.2 Konzeptionelle Zugänge zu Landschaft und Gesellschaft.............. 33 1.3.3 Das Verhältnis von gesellschaftlicher Landschaft, individuell aktualisierter gesellschaftlicher Landschaft, angeeigneter physischer Landschaft und physischem Raum .............................. 40 1.3.4 Landschaft als Forschungsgegenstand von Geographie und Ästhetik....................................................................................... 42 1.4 Zur Selektivität der Konstruktion von Landschaft ± die sensorische Vieldimensionalität von Landschaft ................................................. 54
2
Sozialisation, Macht und soziale Distinktion ± einige Vorüberlegungen................................................................................... 59 2.1 Anmerkungen zum Begriff der Sozialisation .................................... 59 2.2 Dimensionen der Macht................................................................... 61 2.2.1 Grundüberlegungen zu Macht ...................................................... 61 2.2.2 Macht und Wissen ....................................................................... 63 2.2.3 Herrschaft.................................................................................... 65 2.2.4 Macht, symbolisches Kapital und Habitus .................................... 67 2.3 Ästhetik, Geschmack und soziale Distinktion................................... 71 2.4 Sozialisation, Macht und soziale Distinktion: ein vorläufiges Fazit ... 75
3
Gesellschaftliche Landschaft und Sozialisation .................................... 77
7
3.1
Das Erlernen von gesellschaftlicher Landschaft ± grundsätzliche Überlegungen zu Wahrnehmung und Stereotypisierung.................... 77 3.2 Landschaftssozialisation .................................................................. 79 3.2.1 Primäre Landschaftssozialisation ± die Entstehung der Normallandschaft und der stereotypen Landschaft ........................ 80 3.2.2 Sekundäre Landschaftssozialisation ............................................. 90 3.3 Zur Genealogie eines schwierigen Verhältnisses: Primäre und sekundäre Landschaftssozialisation.................................................. 93 3.3.1 Unterschiede der Beurteilung angeeigneter physischer Landschaft durch Laien und Experten .......................................... 93 3.3.2 Die Vermittlung einer positivistisch-normativen gesellschaftlichen Landschaft....................................................... 95 3.3.3 Der Laie im Experten................................................................... 98 3.3.4 Landschaft zwischen Lebenswelt und System............................. 101 3.4 Die Entstehung von gesellschaftlicher Landschaft ± sozialisatorische Aspekte von Landschaft: ein vorläufiges Fazit ..... 109 4
Eine rekursive Koevolution: Angeeignete physische Landschaft als Nebenfolge und Folge gesellschaftlicher Entwicklung und die Entstehung gesellschaftlicher Landschaft in der Kunst ..................... 113 4.1
Die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft als Folge und Nebenfolge der Evolution der Gesellschaft .................... 113 4.1.1 Einige Grundüberlegungen zur gesellschaftlichen Entwicklung .. 113 4.1.2 Einige Grundüberlegungen zu gesellschaftlichen Eingriffen in die angeeignete physische Landschaft ........................................ 116 4.1.3 Angeeignete physische Landschaft in der Vormoderne ............... 121 4.1.4 Angeeignete physische Landschaft in der frühen Moderne.......... 126 4.1.5 Angeeignete physische Landschaft in der fordistischen Moderne.................................................................................... 135 4.1.6 Angeeignete physische Landschaft in der Postmoderne .............. 144 4.2 Zur Konstitution der gesellschaftlichen Landschaften ± die Geschichte der Darstellung von Landschaft in der Kunst ................ 151 4.2.1 Zur Darstellung von Landschaften in der Vormoderne................ 152 4.2.2 Zur Darstellung von Landschafen in der beginnenden Moderne .. 154 4.2.3 Zur Darstellung von Landschaften zwischen Moderne und Postmoderne.............................................................................. 161 4.2.4 Die neue Vielfalt III ± Computererzeugte Landschaften als neue Einfalt ....................................................................................... 169 4.3 Die Welt der Vorstellung einer idealen Landschaft ± die Semiotik des Naturschutzes.......................................................................... 171
8
4.4
Fallbeispiel 1: Die Europäische Landschaftskonvention und die neuen ÄLeitbilder und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland³ ................................................ 177 4.4.1 Die Europäische Landschaftskonvention .................................... 177 4.4.2 Die neuen ÄLeitbilder und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland³ (BMVBS/BBR 2006)........... 179 4.5 Fallbeispiel 2: Das rekursive Verhältnis von gesellschaftlicher und angeeigneter physischer Landschaft: Gärten und Parks................... 181 4.6 Eine rekursive Koevolution: Genese von angeeigneter physischer Landschaft als Nebenfolge gesellschaftlicher Entwicklung und die Entstehung gesellschaftlicher Landschaft in der Kunst ± ein vorläufiges Fazit............................................................................ 185 5
Landschaft und soziale Distinktion..................................................... 191 5.1 Ästhetisierung von Landschaft und soziale Distinktion................... 191 5.1.1 Das Distinktionspotenzial von Landschaft im Zuge der Modernisierung der Gesellschaft ................................................ 191 5.1.2 Das Distinktionspotenzial von Landschaft im Zuge der DeIndustrialisierung und des Aufkommens der ökologischen Kommunikation......................................................................... 197 5.1.3 Soziale Distinktion von Landschaftsexperten und die Ästhetisierung des Alltäglichen ± die Ästhetik des Zwischenstädtischen .................................................................. 201 5.1.4 Gesellschaftliche Landschaft und Distinktion in der Kunst ......... 203 5.1.5 Ästhetisch begründete Distinktion und Planung.......................... 205 5.2 Angeeignete physische Landschaft als Repräsentanz sozialer Distinktion .................................................................................... 207 5.2.1 Grundüberlegungen zu angeeigneter physischer Landschaft als Repräsentanz sozialer Distinktion............................................... 208 5.2.2 Die multisensorische Dimension von angeeigneter physischer Landschaft für die Symbolisierung sozialer Distinktion .............. 211 5.3 Kontingenz und gesellschaftliche Landschaft ± Paradigmen zum Umgang mit angeeigneter physischer Landschaft ........................... 214 5.3.1 Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft als Ähistorische Kulturlandschaft³....................................................................... 214
9
5.3.2 Alternative Paradigmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Ãhistorischen Kulturlandschaft¶: Das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung, der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft und der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft ..................................................... 223 5.4 Landschaft und soziale Distinktion ± ein vorläufiges Fazit.............. 228 6
Landschaft und Macht........................................................................ 231 6.1
Angeeignete physische Landschaft und die Inszenierung der Macht des ökonomischen Feldes .............................................................. 232 6.2 Suburbanisierung in ihrer landschaftlichen Bedeutung zwischen sozialer Distinktion und Macht ...................................................... 235 6.3 Symbolische Kommunikation: Sprache, Macht und Landschaft...... 240 6.4 Grundzüge des Verhältnisses von angeeigneter physischer Landschaft und Macht: Experten und Laien ................................... 243 6.5 Die Landschaftsdefinitionsmacht der Expertinnen und Experten in der Landschaftsbewertung und kartographischen Darstellung ± zwei Fallbeispiele.......................................................................... 247 6.5.1 Fallbeispiel 3: Die Objektivation von angeeigneter physischer Landschaft durch numerische Landschaftsbewertungssysteme durch Landschaftsexperten......................................................... 247 6.5.2 Fallbeispiel 4: Die Daten setzende Macht im rekursiven Prozess des Handelns von Landschaftsexperten ± Geographische Informationssysteme (GIS) und Kartographie............................. 250 6.6 Landschaft und Macht im Spannungsfeld von Politik, ihrer Administration und Wissenschaft................................................... 256 6.6.1 Zum Wandel des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik..... 256 6.6.2 Landschaft, Macht und Administration....................................... 261 6.7 Landschaft, soziales Kapital und Macht ......................................... 270 6.7.1 Soziales Kapital im akademischen Diskurs um Landschaft ......... 270 6.7.2 Soziales Kapital in der informellen Hierarchie............................ 279 6.8 Fallbeispiel 5: Die Inkorporierung eines positivistischen Landschaftsbegriffs in Kinder- und Jugendsachbüchern sowie Schulbüchern................................................................................. 281 6.8.1 Die Vermittlung von Landschaftsbegriffen durch Schulbücher ... 282 6.8.2 Der Landschaftsbegriff in Schulbüchern und die Perpetuierung gesellschaftlicher Machtstrukturen ............................................. 288 6.9 Landschaft und das Handeln von Mindermächtigen........................ 291 6.10 Fallbeispiel 6: Kleinbürgerlicher Habitus und Landschaft ± Expertentum bei Modellbahnlandschaften...................................... 298 10
6.11
Governance als neues Planungsparadigma ± Überwindung von Machtstrukturen oder deren Perpetuierung? ................................... 301 6.12 Landschaft und Macht ± ein vorläufiges Fazit ................................ 305 6.12.1 Arten stereotyper Landschaften.................................................. 305 6.12.2 Landschaft im macht- und distinktionsdeterminierten rekursiven Kontext von Laien und Experten ................................................ 308 7
Von Sehnsucht und ihrer Erfüllbarkeit: Stereotyp, Macht und Distinktion zwischen Heimat und Fremde.......................................... 313 7.1 7.2
8
Landschaft und Tourismus............................................................. 313 Landschaft als Heimat ................................................................... 318
Distinktion, Macht, Landschaft ± ein Fazit......................................... 327 8.1 8.2
Gesellschaft und Landschaft ± zusammenfassende Reflexionen...... 327 Perspektiven für einen machtreflexiven Landschaftsbezug ............. 330
Quellen........................................................................................................ 333 Literatur.................................................................................................... 333 Kinder-, Jugendsach- und Schulbücher (zu Abschnitt 6.8).......................... 375 Literatur zu Modellbahnlandschaften (zu Abschnitt 6.10) .......................... 376
11
Einführung
Landschaft ist ein komplexes Objekt mit einem großen Äsemantischen Hof³ (Hard 1969a: 10) aus ÄAssoziationen, Emotionen, Evokationen³ (Hard 1983: 178), der es erlaubt, Landschaften selbst in Innenräumen wahrzunehmen, Ädie in irgendeiner Weise den Eindruck erwecken oder erwecken sollen, aufeinander abgestimmt und als Gesamtheit erlebbar zu sein³ (Schrage 2004: 63). Landschaft ist ± Hauser/Kamleithner (2006: 74) zufolge ± Äeines der zentralen, vielfach verwendeten und daher äußerst unklaren Konzepte der europäischen Politik- und Geistesgeschichte des letzten Jahrtausends³. Im Begriff der Landschaft mischen sich ästhetische, territoriale, soziale, politische, ökonomische, geographische, planerische, ethnologische und philosophische Bezüge, er ist also ± wie Ipsen et al. (2003: 13) feststellen ± ein Äkompositorischer Begriff³. Damit wird Landschaft ein Objekt der wissenschaftlichen Betrachtung aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen von der Philosophie bis hin zur Raumplanung, von der landeskundlichen Geographie bis hin zur Soziologie, von der Ethnologie bis hin zur Sprach- und Kunstwissenschaft, jeweils in unterschiedlicher Intensität. Die Frage, ob und inwiefern die sozialwissenschaftliche Befassung mit Raum, Objekten und Landschaft mittlerweile mit hinreichender Intensität geführt wird, findet in der aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskussion eine durchaus differenzierte Beantwortung. Einerseits wird ein spacial turn, ein neues Interesse der Kulturwissenschaften am Gegenständlichen, diskutiert. Diese Position wird durch mittlerweile zahlreiche sozialwissenschaftliche Monographien und Sammelbände (z.B. Sturm 2000, Ahrens 2001, Löw 2001, Kaufmann 2005, Funken/Löw 2003, Schroer 2006; kritisch hierzu Belina 2007) belegt. Andererseits wird noch immer die Raum- und Objektferne der theoretischen Soziologie beklagt (vgl. z.B. Herlyn 1990, Berking 1998, Kuhm 2003): Schließlich fokussiere die Äsoziologische Theorie [«] an anderem Verhalten orientiertes eigenes sinnhaftes Verhalten, könnte aber auch ebenso gut den objektivierten und inkorporierten Sinn einbeziehen. Sie konzentriert sich auf die Interaktion zwischen Menschen, vernachlässigt dabei die ebenso relevante Interaktivität mit Objekten³ (Rammert 2006: 83).
Eßbach (2004: 17) beschreibt diese Ferne zu naturalen und artifiziellen Alteritäten sogar als eine ÄSelbstideologisierung der Soziologie als Theorie reiner Sozialwelt³ (vgl. auch Ahrens 2006). Die vorliegende Arbeit befasst sich mit natura13
len und artifiziellen Alteritäten, die sich als Landschaften bezeichnen lassen, und versteht sich damit als Beitrag zur Vermittlung von Physischem und Sozialem in den Sozialwissenschaften. Gehört Landschaft nicht zu den bevorzugten Gegenständen sozialwissenschaftlicher Forschung, gilt dies umso mehr für den Begriff der Macht. Bereits die Platzierung des Begriffes der Macht innerhalb der Systematik der ÄSoziologischen Grundbegriffe³ bei Max Weber verdeutlicht ± so Treiber (2007) ± seine Bedeutung in der Konstitution von Sinnzusammenhängen. Macht ist dabei ein widersprüchliches, umstrittenes und vieldeutiges Konzept der Beschreibung der Beziehung von Personen in sozialen Prozessen geblieben. Ihre Einschreibung in soziale Prozesse bis ins Körperliche hinein, ihre Distinktivität, ihre zunehmende Wissensgebundenheit, aber auch ihre Revidierbarkeit und ihre Omnipräsenz machen sie zu einem zentralen sozialwissenschaftlichen Forschungsgegenstand. Landschaft in ihrer vielfältigen Bedeutung am Begriff der Macht zu spiegeln ± schließlich bildet Bourdieu (1991a: 30) zufolge, die ÄHerrschaft über den Raum eine der privilegiertesten Formen von Herrschaftsausübung³ ± reflektiert die Bedeutung der Macht in sozialen Beziehungen und ihren räumlichen Materialisierungen auf unterschiedlichen Ebenen: der Ebene des physischen Raumes, der Ebene der sozialen Konstruktion von Landschaft und den vermittelnden sozialen Beobachtungen von physischem Raum, aber auch seiner sozial geleiteten Veränderung. Einerseits wird ÄLandschaft heute [«] von Naturästhetik ebenso bestimmt, wie sie in subtilster Form Besitzverhältnisse und Machtstrukturen widerspiegelt³ (Franzen 2003: 124), andererseits bedeutet die Erlangung von Macht über Natur auch Macht über Menschen (Althusser/Balibar 1972, Hickel 1984) ± auch wenn Natur nur teilweise mit Landschaft gleichzusetzen ist (vgl. z.B. Haber 2006). Im Kontext der zunehmenden Sensibilität großer Teile der Gesellschaft für die Belange der natürlichen Umwelt lassen sich die seit den 1970er Jahren vielfach beklagten Veränderungen der Landschaft Äals Landschaftsverlust, als Verplanung, Verkauf, Verbrauch, Verschandelung, Verunreinigung oder Zerstörung³ (Kaufmann 2005: 10) als Ergebnis eines ungleich verteilten Machtdeposits, sowohl auf die Ebene der Verfügbarkeit über Flächen als auch die Definitionsmacht über Diskurse über Landschaft interpretieren (vgl. auch Krebs 2005). Der enge Bezug des Landschaftlichen zum Ästhetischen macht Landschaft darüber hinaus zu einem materiellen wie sozialen Gegenstand, in dem sich gesellschaftliche Distinktionsprozesse symbolisieren lassen (vgl. Bourdieu 1987, Duncan/Duncan 2004): Diese Symbolisierungsprozesse lassen sich sowohl auf der Ebene der Frage, wie Landschaft wahrzunehmen und (ästhetisch) zu bewerten sei, als auch auf der Ebene, wie sich Distinktion im physischen Raum (z.B. in Form der Wahl des Wohnviertels einzelner sozialer Gruppen, Schichten und Klassen) beziehen. 14
Landschaft hat dabei neben ihrer (offensichtlichen) räumlichen auch eine zeitliche Dimension. Bourdieu (1983: 49) beschreibt die gesellschaftliche Welt als Äakkumulierte Geschichte³, eine Sichtweise, die Horkheimer bereits 1977 (17; zuerst 1937) mit der Koevolution von Gesellschaft und (physischem) Raum vertritt: ÄDie Tatsachen, die uns die Sinne zuführen, sind in doppelter Weise gesellschaftlich präformiert: durch den geschichtlichen Charakter des wahrgenommenen Gegenstandes und den geschichtlichen Charakter des wahrnehmenden Organs³. Oder anders formuliert: Akkumulation von Geschichte lässt in materialisierter Form Landschaft entstehen, denn Äjede Phase und Form der gesellschaftlichen Modernisierung schafft eigene Organisationsformen des Raumes, verändert Teile seiner Gestalt und wirkt sich so auf die Wahrnehmung des Raumes aus³ (Ipsen 2006: 13). Die Akkumulation von Geschichte lässt sich also im physischen Raum, den die Gesellschaft seit Jahrtausenden verändert, verorten und ablesen (Bourdieu 1991a, vgl. Rammert 1982). Darüber hinaus ist die Akkumulation von Geschichte auch im Zugang der Gesellschaft, wie sie zu welchem Zeitpunkt welche Objekte im physischen Raum beobachtet, um sie dann im Begriff ÄLandschaft³ einer Synthese zu unterziehen, zu verfolgen. Menschen machen ± so Werlen/Weingarten (2005: 184) ± nicht nur ihre Geschichte (als zeitliche Dimension ihres Tuns), Äsondern auch ihre Geographie bzw. Geographien (als eben der räumlichen Dimension ihres Tuns)³. Landschaft lässt sich also ± latent oder manifest ± als historisch-gesellschaftliches Projekt verstehen. Somit unterliegt Landschaft den universalen Eigenschaften von Gesellschaftssystemen aus Produktion und Sozialisation, aus Sollwerten der Steuerung von Produktion und aus der gesellschaftlichen Lernkapazität (Habermas 1973)1. Die vorliegende Arbeit knüpft zum einen an der Tradition der Cultural Landscape Studies an, deren Forschungsprogramm von Sauer bereits 1925 (9192) als ÄEtablierung eines kritischen Systems gesehen [wird], das die Phänomenologie der Landschaft umfasst, um so Bedeutung und Bandbreite der verschiedenen Erdschauplätze begreifen zu können³. Zum anderen steht sie in der Tradi1 Nach Habermas (1973) lassen sich diese universalen Eigenschaften von Gesellschaftssystemen folgendermaßen charakterisieren: Der Austausch von Gesellschaftssystemen mit ihrer Umwelt läuft in Produktion (Aneignung der äußeren Natur) und Sozialisation (Aneignung der inneren Natur) über das Medium wahrheitsfähiger Äußerungen sowie rechtfertigungsbedürftiger Normen, d.h. über diskursive Geltungsansprüche, wobei in beiden Dimensionen die Entwicklung in rational nachkonstruierbaren Mustern folgt. Gesellschaftssysteme verändern ihre Sollwerte in Abhängigkeit vom Stand der Produktivkräfte und vom Grad der Systemautonomie. Die Variation der Sollwerte wird durch die Entwicklungslogik von Weltbildern beschränkt, auf die Imperative der Systemintegration keinen Einfluss haben. Die vergesellschafteten Personen bilden eine unter Steuerungsgesichtspunkten paradoxe innere Umwelt. Das Entwicklungsniveau einer Gesellschaft bestimmt sich nach der institutionell zugelassenen Lernkapazität, im Einzelnen, ob theoretisch-technische und praktische Fragen als solche differenziert werden und ob diskursive Lernprozesse stattfinden können.
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tion der Kritischen Theorie (insbesondere in der Interpretation von Bourdieu), schließlich ist sie von dem Bemühen geprägt, herrschende Denkgewohnheiten insbesondere hinsichtlich ihrer implizierten macht- und herrschaftsstützenden Funktion zu hinterfragen (vgl. Horkheimer 1977, Bourdieu 1982a). Dabei versteht sich die Arbeit ± auf dem disziplinären Feld von Raum- und Landschaftssoziologie2 und Sozialgeographie3 basierend ± im Sinne von Schimank (2006: 79) als Beitrag zu einer Äneu verstandenen Ideologiekritik³. Diese Ideologiekritik dringt mit Äaller Penetranz darauf, dass sich die gesellschaftlichen Akteure ihre Entscheidungen nicht zu einfach machen³. Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Arbeit liegt in besonderer Weise darin, dazu beizutragen, die Stereotypen und Interpretationsmuster von Experten und Laien in ihren machtspezifischen Bedeutungen zu hinterfragen und zu dekonstruieren4, um so einen Beitrag zur aktiven und vorurteilskritischen Aneignung von Landschaft zu leisten (vgl. Lacoste 1990). Methodisch basiert die vorliegende Arbeit ± auch im Sinne der Cultural Landscape Studies (vgl. Franzen/Krebs 2005) ± neben der Auswertung vorliegender wissenschaftlicher Abhandlungen vor dem Hintergrund soziologischen und sozialgeographischen Interesses auch auf standardisierten Befragungen, qualitativen formellen und informellen Interviews, auf der Analyse von Schulbüchern, Modelleisenbahnliteratur und anderen Dokumenten der sozialen Konstruktion des Landschaftlichen (vgl. Hauser 2001a, Asmuth 2005, Krebs 2005). Nicht zuletzt fußt sie aber auch auf Äder mobilen Strategie der teilnehmenden Beobachtung³ (Paris/Sofsky 1994: 19), wobei diese in besonderer Weise dazu geeignet ist, Deutungsmuster und Sichtweisen von Akteuren im Feld der sich mit Landschaft professionell bzw. laienhaft Befassten zu erfassen, indem die Praxis5 des Umgangs mit Landschaft im wissenschaftlichen, verwaltungsmäßigen, gestalterischen und lebensweltlichen Kontext begleitet und beobachtet wurde (vgl.
2 Inhaltliche Bezüge finden sich in der vorliegenden Arbeit insbesondere zu den raumsoziologischen Arbeiten Löws (2001) und Schroers (2006) sowie zu den landschaftssoziologischen Arbeiten Ipsens (2002 und 2006) und Kaufmanns (2005), insbesondere aber Burckhardts (1979a, 1988, 1990a und b, 1991a, 1994 und 1998). 3 Neben dem indikatorischen Ansatz Hartkes (1948 und 1956) finden sich in der vorliegenden Arbeit implizite und explizite analytische Bezüge auf die sozialgeographische Tradition des systemtheoretischen Ansatzes Klüters (1986) und den Ansatz der alltäglichen Regionalisierungen im Sinne von Werlen (1997, 2000a und 2000b). 4 Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf dem rekursiven Selbstbestätigungsprozess des Expertendiskurses zum Thema Landschaft liegen. 5 Wie Bourdieu (1987) feststellt, geschieht der Erwerb von Kompetenzen in der Praxis und durch die Teilnahme an der Praxis, sodass diese auch ± bei aller Schwierigkeit der teilnehmenden Beobachtung durch das eigene Eingebunden-Sein ± zum Gegenstand der vertieften kritischen Reflexion eignet.
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hierzu auch Latour 2002)6. Die Problematik und methodischen Ansprüche der Thematisierung einer sozialen Welt, deren Teil der Autor selbst ist ± sowohl in der Dimension der praktischen Raum- und Landschaftsplanung als auch in der wissenschaftlichen Welt ± konfrontiert den (Unter)Suchenden unweigerlich ± wie Bourdieu (1992a: 31) feststellt ± Ämit einer Reihe grundlegender epistemologischer Probleme, die alle im Zusammenhang mit der Frage des Unterschieds von praktischer und wissenschaftlicher Erkenntnis stehen, nicht zuletzt mit der eigentümlichen Schwierigkeit, sowohl mit Erfahrung des unmittelbar Beteiligten zu brechen als auch eine um den Preis dieses Bruchs gewonnene Erkenntnis wiederherzustellen³. Zugleich gilt es für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler7 bei der Erforschung der Praxis, Äden Umweg über eine Kritik der eigenen Sicht zu nehmen und sich zu fragen, was sie auf die Objekte und die Praktiken projizieren bzw. in sie hineinlegen³ (Lippuner 2005: 145). Die vorliegende Arbeit richtet sich an all jene, die sich mit dem Verhältnis von physischem Raum und Gesellschaft befassen, also an Soziologen, die sich mit den Materialisierungen sozialen Handelns und deren sozialer Beobachtung befassen, an Geographen, Landschaftsplaner und -architekten wie auch Raumplaner. Sie gliedert sich wie folgt: Nach dieser Einführung werden im zweiten Kapitel wesentliche Grundzüge des gesellschaftlichen Landschaftsverständnisses erläutert. Neben einer Einführung zur Entwicklung des Landschaftsbegriffs werden das Verhältnis von Gesellschaft und Raum mit besonderer Berücksichtigung des für diese Arbeit zentralen Bourdieuschen Raumkonzeptes und gesellschaftlicher Bezüge zur Landschaft behandelt, wobei ein für die weitere Arbeit grundlegendes Landschaftskonzept entwickelt wird. Das dritte Kapitel befasst sich mit den neben der Landschaft für diese Arbeit konstitutiven Begriffen Macht, soziale Distinktion und Sozialisation und deren innerer Verbindung, insbesondere auf Grundlage der Soziologie Bourdieus8, aber auch den Überlegungen zu Macht von Popitz, Paris und Foucault. Im vierten Kapitel werden die Prozesse der Sozialisation des Landschaftsbegriffs untersucht. Dabei wird auf Stereotypisierungen ebenso eingegangen wie auf die Unterschiede der primären und der sekundären Sozialisation des Begriffs der Landschaft. Die rekursive Koevolution des physi6 Die vorliegende Untersuchung stellt somit das Ergebnis der Anwendung eines Methodenmixes dar. Dieser Methodenmix bedeutet einerseits eine hohe Validität der Daten, andererseits auch Sensitivität und Reflexivität der Forschungskommunikation (vgl. Sofky/Paris 1994). 7 Dar Autor ist darum bemüht, ebenfalls stets die weibliche Form zu verwenden, werden Sätze allerdings dadurch sprachlich überfrachtet, wird auf diese zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet, auch wenn die weibliche Form dann ebenfalls gemeint ist. 8 Diese liegt ± wie Lippuner (2005: 136) feststellt ± Ämerkwürdig quer [«] zu den postmodernen, poststrukturalistischen oder postkolonialen Ambitionen³, hier der Ãneuen Kulturgeographie¶, die eine Perspektivverschiebung der Anthropogeographie von sozial- zu kulturwissenschaftlichen Ansätzen vollzieht.
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schen Ausgangssubstrats, das unter bestimmten Bedingungen in der Zusammenschau als Landschaft bezeichnet wird, und den sozialen Landschaftsbegriffen, insbesondere in der Kunst, erfolgt in Kapitel fünf, bevor im sechsten Kapitel die Bedeutung von Landschaft in sozialen Distinktionsprozessen behandelt wird. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den unterschiedlichen Objekten der landschaftlichen Ästhetisierung und den wissenschaftlichen Paradigmen zum Umgang mit Landschaft. Kapitel sieben befasst sich mit dem Zusammenhang von Landschaft und Macht. Darin werden die Mechanismen der Einschreibung von Machtverhältnissen in die Welt der physischen Objekte und ihre Anordnung ebenso behandelt wie die Frage, wie es gelingt, bestimmte (häufig stereotype) Soll-Vorstellungen von Landschaft gesellschaftlich zu verankern. In Kapitel acht werden zwei charakteristische Komplexe des sozialen Landschaftsbezugs untersucht: die Landschaften des Tourismus und die Landschaften der Heimat. Ein Fazit wird in Kapitel neun gezogen, in dem auch Perspektiven für einen stärker Macht reflektierenden Umgang mit Landschaft aufgezeigt werden. Eine Besonderheit dieser Arbeit liegt in sechs Fallbeispielen, die jeweils bestimmte Aspekte des Verhältnisses von Macht und sozialer Distinktion einerseits und Landschaft andererseits illustrieren, verdeutlichen und dokumentieren.
18
1 Grundzüge des gesellschaftlichen Landschaftsverständnisses
Das Wort Landschaft weist in seiner Herkunft bis ins Mittelalter zurück, wobei sich ± wie einführend angesprochen ± ein großer Äsemantischer Hof³ (Hard 1969a: 10) gebildet hat, der bis heute die eindeutige Bestimmung als Terminus einer Landschaftswissenschaft unmöglich gemacht hat. Raum und Landschaft sind in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft in vielfacher Weise reflektiert und theoretisiert worden, sowohl in der Soziologie als auch in der Ästhetik und der Geographie. Somit erscheint es Ziel führend, an dieser Stelle wesentliche Überlegungen zum Verhältnis von Gesellschaft und Landschaft zu konkretisieren, da diese für die weiteren Überlegungen zu Distinktion, Macht und Landschaft konstitutiv sind. Dies gilt in besonderer Weise für das Raumkonzept von Bourdieu (1991a), dessen Reflexion insbesondere in der (kritischen) Anthropogeographie (z.B. Lee 1997, Harvey 2000, Ley 2003, Eiter 2004, Lippuner 2005, Dirksmeier 2007), dies gilt auch für die Weiterentwicklung des auf systemtheoretischen Überlegungen fußenden Konzeptes der gesellschaftlichen, der individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft, der angeeigneten physischen Landschaft und dem physischen Raum von Kühne (2005b und 2006a). 1.1 Zur Entwicklung des Landschaftsbegriffs Das Wort Landschaft ± so alltäglich und allseits verständlich es heute erscheint ± hat in seiner historischen Entwicklung ± wie andere Worte auch ± eine deutliche begriffliche Wandlung erfahren. Seinen Ursprung hat das Wort Landschaft in den germanischen Sprachen, die ein von skapjan (Ãschaften¶) abgeleitetes Verbalabstraktum *skapi-, *skapja- und *skafti- ausgeprägt hatten. Trotz dieser erheblichen Varianz der Wortbildungsmittel waren diese Ableitungen durch ein relativ einheitliches Bedeutungsspektrum geprägt: Gestalt, Form, Beschaffenheit, Natur, Zustand, Art und Weise. Die substantivistischen schaft-Ableitungen lassen sich im Wesentlichen in drei Gruppen zusammenfassen (Müller 1977): Erstens Abstrakta wie Meisterschaft und Herrschaft, zweitens Kollektiva (genauer: Personengruppenbezeichnungen) wie Mannschaft, drittens Raumbezeichnungen wie Grafschaft oder Landschaft. Im Althochdeutschen bezeichnete das, im frü19
hen 9. Jahrhundert erstmals nachgewiesene Wort (Gruenter 1975 ± zuerst 1953) lantscaf etwas, Äwas in den allermeisten Fällen die Qualität eines größeren Siedlungsraumes besitzt³ (Müller 1977: 6). Einen naturräumlichen Bezug hat das Wort zu dieser Zeit jedoch noch nicht, es bezog sich vielmehr ± als Ableitung von Personen- bzw. Personengruppenbezeichnungen ± auf eine Grundbedeutung von den in einem Gebiet üblichen Verhaltensweisen und sozialen Normen der Bewohner. Daraus ergab sich eine Bedeutungsentwicklung von den Äsozialen Normen in einem Land³ zu dem ÄLand, in dem solche Normen Gültigkeit haben³ (Müller 1977: 7). Diese Bedeutungen wurden im Laufe des 12. Jahrhunderts durch eine doppelte politische Bedeutungskomponente ergänzt: Einerseits wurde ein politisch-rechtlich definierter Raum als Landschaft begriffen, der wiederum Teil einer größeren politischen Einheit war (Müller 1977), andererseits wurden darüber hinaus die politisch Handlungsfähigen einer Region als ÄRepräsentanten der Ãganzen Landschaft¶³ (Hard 1977: 14) zusammengefasst. Der Landschaftsbegriff des Hochmittelalters umfasste über diese Bedeutungen hinaus auch die von einer Stadt bewirtschaftete und beherrschte Zone (Müller 1977, vgl. auch Haber 2000, Jessel 2000), von der sich jedoch der Wald absetzte, der vom Menschen (noch) nicht gerodet worden war, der aber dennoch zur Kulisse des Ringens des Menschen mit der Natur ± in Form der (herrschaftlichen) Jagd ± wurde, die Burckhardt (1989a: 49) als ein Vergnügen, Äaber auch ein immer wiederholtes Ritual des Sieges über Natur³ bezeichnet9. Im 15. und 16. Jahrhundert erfolgte ein erneuter Bedeutungswandel des Wortes Landschaft, der ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung zu der heutigen Wortbedeutung einer ästhetisierten Raumbetrachtung war (vgl. Andrews 1989): Er wurde zum Terminus Technicus der Tafelmalerei und bezeichnete Bilder, auf denen ländliche Raumausschnitte dargestellt waren. Diese Bedeutung fand sich zunächst in Süddeutschland, dann im niederländischen, später zudem im italienischen, französischen und englischen Sprachraum. Voraussetzung für diesen Wandel des Wortes Landschaft zu einem Terminus Technicus der Tafelmalerei war einerseits seine vielfältige Verwendbarkeit zur Bezeichnung räumlicher Einheiten, andererseits die Ausgrenzung der Stadt aus dem Bezeichneten. Dadurch wurde das Wort verwendbar zur Bezeichnung von Natur. Diesen konstitutiven Zusammenhang akzentuiert Burckhardt (1994: 94) folgendermaßen: ÄDie Spannung des Übergangs von der Stadt zum Lande erzeugt das Land-
9 Der Grad der Ritualisierung und Distinktionsfähigkeit dieses Ringens mit Natur zeigt sich in den Nutzungskonflikten des Wilden Waldes zum durch Energieknappheit gekennzeichneten Ende des Hölzernen Zeitalters (Radkau/Schäfer 1987): In jener Zeit musste der herrschaftliche Jagd-Urwald durch Verbote, Mauern und Torhäuser vor den Bestrebungen der ansässigen Untertanen geschützt werden, sich des Primärenergieträgers Holz zu bemächtigen.
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schaftsbild. Land ist Landschaft aufgrund des Osterspaziergangs der Städter, und Stadt ist Stadt aufgrund der staunenden Marktfrauen und Brennholzlieferanten³. Erst zwei Jahrhunderte nach der Entstehung der Landschaftsmalerei entwickelte sich ± in Anlehnung an diese ± ein ästhetisierender Blick auf nichtstädtische Teile der physischen Landschaft (Hartmann 1982). Es vollzog sich also eine Entwicklung vom bildlichen Repräsentanten auf den Gegenstand der Repräsentation selbst, sowohl auf der Ebene der Syntax, als auch auf jener der Semantik (Kaufmann 2005): Infolge der Distanzierung der Gebildeten von dem physischen Raum als Ort der täglichen Arbeit auf dem Feld und der Bedrohung von Missernten waren diese im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in der Lage, Ädie Realität mit den Augen des Malers und so auch die Natur mit den Augen des Landschaftsmalers zu sehen; unter dem Einfluss solcher Sehgewohnheiten wurde in den [«] Ãgehobenen Sprache und Stillleben¶ die Bezeichnung ÃLandschaft¶ auch auf die Realität, den Ãmalerischen Naturausschnitt¶ übertragen³ (Hard 1977: 14). Auch die Übertragung der Ästhetik der Landschaftsmalerei auf den physischen Raum infolge der sogenannten Gartenrevolution des 18. Jahrhunderts, die die Einführung des Landschaftsgartens beschreibt, leistete einen nicht zu unterschätzenden Beitrag auf die ÄSinnkonstitution von ÃLandschaft¶³ (Kehn 1995: 1) als weiteres Element der in der Landschaftsmalerei begonnenen Äaktiven Produktion von Wirklichkeit³ (Schmitz-Emans 2005: 10; vgl. auch Sieferle 1984, Cosgrove 1985, Groh/Groh 1991, Daniels 1991, Zutz/Kazal 2005). Ein wesentlicher Schritt in der Konstruktion des heutigen Begriffs von Landschaft war das Konzept der Kulturlandschaft. Dieses wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts durch den konservativen Volkskundler und Sozialtheoretiker Wilhelm Riehl (1854) entwickelt (Lekan/Zeller 2005). Er stellte die These auf, es gäbe eine unentwirrbare Verbindung zwischen Volk und Landschaft. Die Bedeutung der Entwicklung des Begriffes der Kulturlandschaft fassen Lekan/Zeller (2005: 3; Übers. O.K.) wie folgt zusammen: ÄBevor das deutsche Kulturlandschaftsideal in seiner Vereinigung mit dem Sozialdarwinismus und Nationalsozialismus verdorben wurde, wurden in ihm die regionale Vielfalt und die Alltagslandschaften [Orig.: Ãvernacular landscapes¶] als die Grundlagen deutscher Kultur und des Umgangs mit Landschaft in das 20. Jahrhundert übersetzt³.
In diese vor-nationalsozialistische Tradition definierte die im Oktober 1993 stattgefundene Expertentagung10 der UNESCO zum Thema ÄKulturlandschaften als Welterbe³ Kulturlandschaften folgendermaßen:
10 Die Problematik des Expertentums bei der Definition von Landschaft ist ein zentraler Aspekt dieser Arbeit und wird umfassend in Kapitel 6 (Landschaft und Macht) erörtert.
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ÄSie illustrieren die Evolution der menschlichen Gesellschaft und Besiedlung in der Zeit, unter dem Einfluss physischer Beeinträchtigungen und/oder Möglichkeiten der natürlichen Umgebung sowie unter dem Einfluss aufeinander folgender und sowohl von außen wie von innen wirkender sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Kräfte. Sie sollten auf der Grundlage sowohl ihres herausragenden universellen Wertes als auch ihrer Repräsentativität hinsichtlich einer klar bestimmten geographischen Region wie auch für ihre Eignung ausgewählt werden, die wesentlichen und eigenständigen Elemente dieser Region zu verdeutlichen³11.
Wesentliche Elemente von Kulturlandschaften sind demnach ihre Abgrenzbarkeit, die aus einer spezifischen Verbindung kultureller und natürlicher Gegebenheiten herrühre. Eine weitere wesentliche Verbreiterung des Landschaftsbegriffs erfolgt seit den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Galten bis dato Stadt und Landschaft als konstitutive Gegensätze, wird nun das Städtische, das Rand- bzw. Zwischenstädtische in die begriffliche Bestimmung von Landschaft einbezogen (Breuste 1995, Kleyer 1996, Kühn 2001, Hauser 2004, Hartz/Kühne 2007). Die Suburbanisierung12 der Landschaften Nordamerikas, Europas und Ozeaniens hat die Grenze zwischen städtischem und ländlichem (bzw. landschaftlichem) Raum verschwimmen lassen. Die Konstruktion von Stadtlandschaft nimmt Abschied von der Dichotomie von Stadt als kompakte, vom Menschen besiedelte und bebaute Fläche, und von Landschaft als spärlich oder unbesiedeltem Raum (Hertzsch et al. 2006: 2): ÄDie Gegensätzlichkeit zwischen beiden [Konstruktionen; Anm. O.K.] verschwindet immer mehr, eine wird Teil der anderen. In wirtschaftlich aufstrebenden Regionen wird die umgebende Landschaft von den Siedlungen vereinnahmt, in wirtschaftlich schwächeren Regionen mit sinkenden Bevölkerungszahlen vollzieht sich dieser Prozess umgekehrt³.
Natur wird dadurch nicht mehr begrifflich aus der Stadt externalisiert, sondern in die Stadt integriert (Ipsen et al. 2003, vgl. auch Höfer 2004, Sikiaridi 2005). Damit stellt das Konzept der Stadtlandschaft die ÄAntithese der traditionellen Stadtauffassung der Europäischen Stadt mit ihrem Gegensatz zur Landschaft³ (Kühn 2002: 95).
11 Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Begriff der Kulturlandschaft mit ihren normativen Implikationen findet sich in Kapitel 5.3 ± Kontingenz und gesellschaftliche Landschaft ± Paradigmen zum Umgang mit angeeigneter physischer Landschaft). 12 Friedrichs (1995: 99) versteht unter Suburbanisierung die ÄVerlagerung von Nutzungen und Bevölkerung aus der Kernstadt, dem ländlichen Raum oder anderen metropolitanen Gebieten in das städtische Umland bei gleichzeitiger Reorganisation der Verteilung von Nutzungen und Bevölkerung in der gesamten Fläche des metropolitanen Gebietes³.
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Hinsichtlich des gegenwärtigen Sprachgebrauchs von Landschaft lassen sich ± so Jessel (2005: 581) ± vier Bedeutungsmuster unterscheiden, Ädie sich in verschiedenen Stufen von der am konkreten Topos fassbaren zumindest qualitativ beschreibbaren Wirklichkeit bis hin zur abstrakten Idee erstrecken³: 1. Landschaft wird als eine auf unterschiedlichen maßstäblichen Ebenen abgrenzbare physisch-räumliche Einheit interpretiert, die sich aus einzelnen biotischen und abiotischen Bestandteilen, unter differenziertem Einfluss des Menschen, relativ einheitlicher Ausprägung Ämitsamt den zwischen ihnen bestehenden stofflichen und energetischen Wechselwirkungen zusammensetzt³ (Jessel 2005: 581). Physische Landschaft wird also analytischer Weise als physische Struktur mit ihren funktionalen Wechselbeziehungen beschrieben. 2. Landschaft dient in der integrierenden Beschreibung eines physiognomischen Gestaltcharakters eines Teils der Erdoberfläche als integrierendes Deutungsmuster. Die Charakterisierung von Landschaft beschränkt sich nicht auf die in Einzelheiten zergliedernde Beschreibung von Strukturen und Funktionen, sondern wird einer Abstraktion unterworfen, die ihren Ausdruck in der Verallgemeinerung von angeeigneten physischen Landschaften mit ähnlicher klimatischer, geologischer, geomorphologischer, pedologischer Ausstattung und ggf. anthropogener Überformung in Landschaftstypen (Gaulandschaft, Geestlandschaft etc.) findet. 3. Landschaft wird als ästhetische Kategorie und als bildhafter (Ideal-)Zustand beschrieben, Äder über die Wahrnehmung der materiellen Gegebenheiten hinaus in diese hineininterpretiert wird³ (Jessel 2005: 581), wobei bereits die Wahrnehmung durch Vermutungen und Schlüsse durchzogen wird und so Ädas Wahrgenommene ständig ohne scharfe Trennlinie in Wahrnehmungsurteile übergeht³ (Gleiter 2003: 88). Die Erhaltung Äeiner kleinteiligen Kulturlandschaft³, die in Landschaftsprogrammen und -plänen als SollZustand definiert wird, ist vielfach in der ästhetischen Kategorisierung von Landschaft begründet. 4. Landschaft wird zudem als abstrakter Ausdruckswert einer komplexen Ganzheit aufgefasst, der sowohl als Schema des Fühlens und Erlebens als auch als subjektiver Erlebnisraum (beispielsweise als Gefühls- oder Seelenlandschaft) gekennzeichnet wird. Darüber hinaus wird das Wort Landschaft metaphorisch in andere Interpretationsbereiche ± zur Beschreibung eines komplexen, aber dennoch von einer gewissen Struktur geprägten Phänomens ± übertragen (wie z.B. bei Parteienlandschaft oder Medienlandschaft).
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1.2 Zum Verhältnis von Gesellschaft und Raum 1.2.1 Anthropozentrischer Raum, Behälterraum, relationaler Ordnungsraum, Zeit-Raum-Kontinuum Raum wird in der Alltagssprache als etwas selbstverständlich und gegenständlich Gegebenes verstanden, als Äeine Eigenschaft der materiellen Natur³ (Läpple 1991: 36). Dieses Verständnis ist als eine kulturelle Abstraktionsleistung zu charakterisieren. Die Raumauffassung des Menschen ist schließlich zunächst (sowohl historisch als auch entwicklungssoziologisch) mensch- bzw. gruppenzentriert und durch einen Bezug zur unmittelbaren gegenständlichen (und sozialen) Umwelt charakterisiert (Smith 1984). Dieser anthropozentrische Bezug zu Raum manifestiert sich einerseits in alten Maßeinheiten wie Elle, Fuß, Morgen und Tagwerk, andererseits auch in der etymologischen Herkunft des Wortes ÄRaum³ als Lichtung, die zwecks Urbarmachung in die Wildnis geschlagen wird (Bollnow 1963, Läpple 1991). Damit wird das problematische Verhältnis von Ort und Raum deutlich: Raum ist nicht unmittelbar wahrnehmbar, er stellt eine Leistung der Abstraktion von unterschiedlichen Elementen dar, die in einen Gesamtzusammenhang gebracht werden. So war der Raumbegriff des europäischen Mittelalters noch durch ein hierarchisiertes Ensemble von Orten bestimmt (Foucault 1991: 66): Äheilige Orte und profane Orte; geschützte Orte und offene, wehrlose Orte; städtische und ländliche Orte: für das Leben der Menschen³; während die himmlischen und überhimmlischen Orte diesen entgegengesetzt waren. Der gegenüber dem Raum dominierende Ortsbezug im Mittelalter äußerte sich auch in der geringen Bedeutung territorialer Herrschaftsorganisation; Orte mittelalterlicher Herrschaft waren Pfalzen, Städte und Burgen (vgl. Schneider 2004)13. Die Raumauffassung des Behälterraumes der westlichen Kultur hingegen fußt auf den Vorstellungen der klassischen Physik eines dreidimensionalen euklidischen Raumes. Dieses naturwissenschaftliche (Behälter)Raumkonzept geht zwar in seinen Grundzügen auf die griechische Antike zurück, erlebte jedoch zwischen dem 13. und dem 17. Jahrhundert seine Reifephase. Der Behälterraum stellt dabei eine Vereinfachung des Newtonschen Raumverständnisses dar. Newton definierte den absoluten Raum als einen unendlichen Raum. Das Behälterraumkonzept beschreibt den Raum als eine von materiellen Körpern unabhängige Realität. Dieser von materiellen Körpern unabhängige Raum kann mit materiellen Körpern gefüllt werden oder eben auch nicht (vgl. Sturm 2000, Schroer 2006). Dennoch ist ± Löw (2001: 63) zufolge ± das euklidische Denken,
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So nennt Foucault (1991: 66) den mittelalterlichen Raum einen ÄOrtungsraum³.
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Äwelches in Sozialisations- und Bildungsprozessen vermittelt wird, [«] für die Konstitution vieler Räume ohne Zweifel eine kulturell notwendige Leistung, um Gegenstände, sich selbst oder andere Menschen in ein Raster einordnen zu können. Diese ordnende Aktivität wird unterlegt und stärkt die Vorstellung, Ãim Raum zu leben¶³.
Ein zum Behälterraumkonzept alternatives Raumkonzept ist der relationale Ordnungsraum. Dieser ist ohne physische Objekte nicht denkbar (Läpple 2002, Ipsen 2002). Raum entsteht ± gemäß dem Konzept des relationalen Ordnungsraums ± als relationale Anordnung körperlicher Objekte. Die Anwesenheit von physischen Objekten bedeutete demgemäß die Abwesenheit von Raum, denn Raum entsteht nur dadurch, dass physische Objekte einzig in ihrer relationalen Lage zu anderen physischen Objekten existieren. Mit dem Relativitätsprinzip von Albert Einstein konstituiert sich die Auflösung der Vorstellungen von absolutem Raum und absoluter Zeit in einem RaumZeit-Kontinuum. Raum wird nun als Beziehungsstruktur zwischen sich ständig im zeitlichen Kontext bewegenden Körpern (Löw 2001: 34; Hervorh. im Original): ÄRaum ist demnach nicht mehr der starre Behälter, der unabhängig von den materiellen Verhältnissen existiert, sondern Raum und Körperwelt sind verwoben³. Dabei bildet sich ± Fohler (2004: 39) zufolge ± die menschliche Selbsterkenntnis zunehmend weniger in Abgrenzung zum Tier heraus, Äsondern vielmehr in der Diskussion der Grenzen, Schnittstellen und Transformationen zum Anderen, das die uns umgebenden Dinge bildet³. Raum wird ± als raumzeitliche Anordnung von Objekten ± Äabhängig vom Bezugssystem der Beobachter³ (Löw 2001: 34; Hervorh. im Original). Raum und Zeit existieren nicht als getrennte Größen, sie werden so jeweils zu immanenten Kategorien. Elias (1994: 75) fasst dieses geänderte Verhältnis von Raum und Zeit in folgender Weise zusammen: ÄJede Veränderung im ÃRaum¶ ist eine Veränderung der ÃZeit¶, jede Veränderung in der ÃZeit¶ ist eine Veränderung im ÃRaum¶³. Dabei zerfällt Zeit ± den Einheitsmetaphern der Geschichte und der Zeit zum Trotz ± infolge der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft in teilsystemische Eigenzeiten, womit eine qualitative Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen14 verbunden ist (Nassehi 1999).
14 Die Kategorie der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wurde bereits in den 1930er Jahren von Bloch (1985) zur Charakterisierung von verschiedenen, aber zeitgleich auftretenden Entwicklungsstadien in den wissenschaftlichen Diskurs am Beispiel der industriell entwickelten Stadt gegenüber dem rückständigen agrarischen Land eingeführt.
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1.2.2 Das Raumkonzept von Bourdieu Raum lässt sich nicht allein territorial-physisch, sondern auch sozial denken. Als einer der ersten unterschied Sorokin (1959) den sozialen und den geometrischen Raum. Als Hauptdifferenzierungen des sozialen Raumes lassen sich die horizontale (in Gruppen) und die vertikale Differenzierung (die Position, die einzelne Personen in Gruppen einnehmen) vornehmen (Sorokin 1959). Die auf Sorokin zurückgehende Trennung von geometrischem und sozialem Raum lässt jedoch unberücksichtigt, Ädass kein sozialer Raum existiert, der sich nicht auch über materielle Aspekte konstituiert, sowie umgekehrt kein materieller Raum bestehen kann, der nicht sozial interpretiert wird³ (Funken/Löw 2002: 85). Noch deutlicher formuliert Lipietz (1991: 130) die materielle Bedingtheit des Sozialen, wenn er feststellt: ÄAlle gesellschaftlichen Prozesse, alle sozialen Praktiken sind stoffliche Prozesse³. Eine Verbindung der Raumkonzepte von physischem und sozialem Raum vollzieht Bourdieu (1991a). Er unterscheidet ± an Sorokin anknüpfend ± den sozialen Raum, der als eine Metapher für Gesellschaft entwickelt ist, den angeeigneten physischen Raum, den er auch als reifizierten sozialen Raum benennt und den physischen Raum. Im sozialen Raum, der sich in einzelne Teilräume ± auch Felder15 genannt ± gliedert, sind objektiven Positionen Äin ihrer Existenz und auch in den Determinierungen, denen die auf ihnen befindlichen Akteure oder Institutionen unterliegen, objektiv definiert, und zwar durch ihre aktuelle und potentielle Situation (situs) in der Struktur der Distribution der verschiedenen Arten von Macht (oder Kapital), deren Besitz über den Zugang in diesem Feld auf dem Spiel stehenden spezifischen Profiten entscheidet, und damit auch durch ihre objektiven Relationen zu anderen Positionen (herrschen, abhängig, homolog usw.)³ (Bourdieu/Wacquant 1996: 127). 15 Unter Feldern sind in der Bourdieuschen Soziologie objektive, historisch gewachsene Relationen zwischen Positionen zu verstehen, die wiederum auf bestimmten Formen von Macht bzw. Kapital beruhen. Diese sozialen Felder Äbilden Kraftfelder, aber auch Kampffelder, auf denen um die Wahrung oder Veränderung der Kraftverhältnisse gerungen wird³ (Bourdieu 1985: 45). Ein Feld kann viele gesellschaftliche Bezüge beschreiben, ist aber von der Gesellschaft durch Konturen abgegrenzt. Die Felder, wie das politische, das wissenschaftliche, das ökonomische, das universitäre Feld, verfügen über eigene Funktionsgesetze: In dem ökonomischen Feld der wirtschaftlichen Beziehungen sind beispielsweise Verwandtschafts-, Freundschafts- und Liebesbeziehungen grundsätzlich ausgeschlossen. Entscheidend für das Fortbestehen von Feldern ist die Kenntnis von Rollen und Regeln der Spieler in diesen Feldern und deren Einhaltung. Welche Spielzüge der Spieler in dem jeweiligen Feld unternehmen kann, ist von der Art und Menge des ihm zur Verfügung stehenden Kapitals abhängig (vgl. auch Fuchs-Heinritz/König 2005, Schroer 2006). Zwar lassen sich in der Theorie der sozialen Felder Parallelen zur Luhmannschen Systemtheorie finden (Schroer 2006), doch sind die gesellschaftlichen Teilsysteme bei Luhmann mit ihren Funktionsmonopolen exklusivistisch gedacht, während es sich bei den Feldern Bourdieus um soziale Sonderbereiche handelt, die Ävon der Ordnungskonfiguration des sozialen Raumes strukturell überlagert³ (Kneer 2004: 40) werden.
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Der soziale Raum ist einerseits durch einen ständigen Kampf um Macht, also um Verfügungsmöglichkeiten über soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital, aus denen sich die Position innerhalb des sozialen Raumes ergibt, geprägt und somit in permanenter Bewegung, andererseits Äerfüllt er nicht nur eine Ordnungsfunktion, er ist auch Garant für die Stabilität der sozialen Ordnung³ (Schroer 2006: 84), schließlich bietet er einen sozialen Orientierungs- und Handlungsrahmen. Der Begriff des sozialen Raumes wird bei Bourdieu durch die Raumkategorien des physischen und des angeeigneten physischen Raumes ergänzt. Von einem physischen Raum lässt sich dann sprechen, Äwenn man willentlich davon absieht, dass Raum bewohnt und angeeignet ist, also zum Beispiel in der physischen Geographie³ (Funken/Löw 2002: 85). Der physische Raum wird für Bourdieu Änicht zum Raum durch die Anordnungen, sondern in ihm (mit anderen Worten: im absoluten Raum) werden die relationalen Anordnungen realisiert³ (Funken/Löw 2002: 86; Hervorh. im Original). Seine Bedeutung ist in der Bourdieuschen Theoriebildung allerdings gering (Schroer 2006), er stellt eher einer Art verfügbares Substrat für gesellschaftliche Prozesse dar: Soziale Bedeutung erlangt der physische Raum durch einen sozialen Zugriff auf die Objektivierungen und Naturalisierungen. In dem angeeigneten physischen Raum finden also selektiv Relationen des sozialen Raumes physisch ihren Niederschlag (Bourdieu 1991a: 29): ÄDer auf physischer Ebene realisierte (oder objektivierte) soziale Raum manifestiert sich als im physischen Raum erfolgte Verteilung unterschiedlicher Arten gleichermaßen von Gütern und Dienstungen wie physisch lokalisierter individueller Akteure und Gruppen (im Sinne von an einen ständigen Ort gebundenen Körpern beziehungsweise Körperschaften) mit jeweils unterschiedlichen Chancen der Aneignung dieser Güter und Dienstleistungen wie physisch lokalisierter individueller Akteure und Gruppen³.
Funken/Löw (2002: 86) fassen den Bourdieuschen Bezug von sozialem und physischen Raum folgendermaßen zusammen: ÄDas Soziale mit seiner Beziehungsstruktur schlägt sich im Physischen nieder³. Im angeeigneten physischen Raum lassen sich ± die Kenntnis des entsprechenden Codes vorausgesetzt ± die Verfügungsmöglichkeiten über soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital und ± damit rückgekoppelt ± die Geschmacksdispositionen ablesen, denn so der häufig zitierte Satz von Bourdieu (1991a: 32): ÄEs ist der Habitus, der das Habitat macht³. Der Habitus bildet bestimmte Präferenzen für einen Ämehr oder minder adäquaten Gebrauch des Habitats³ (Bourdieu 1991a: 32) aus (vgl. auch Löw 2001, Funken/Löw 2002). Dabei ist in der Soziologie Bourdieus Äder Akteur ein Produkt seines Habitus, der wiederum sozial strukturiert ein Ergebnis des modus 27
operandi wie des opus operatum ist³ (Dirksmeier 2007: 85)16. Der Ausgangspunkt für die Überlegungen zum Raum bei Bourdieu ist dementsprechend das Soziale, in diesem Fall der soziale Raum, der sich im Physischen, in diesem Fall dem physischen Raum, einschreibt17. Somit ist es möglich, aus den physischen Strukturen des Raumes Ädie sozialen regelrecht herauslesen zu können: Ob es um das kabylische Haus, die Struktur des schulischen oder städtischen Raumes geht ± stets sind diesen spezifischen Räumen soziale Strukturen eingeschrieben; sie erzählen gleichsam von den Machtverhältnissen, die durch sie zum Ausdruck kommen³ (Schroer 2006: 89; Hervorh. im Original)18.
Casey (2001) beschreibt den Habitus als Bindeglied zwischen dem Menschen in seiner physischen Leiblichkeit und dem gestalteten Ort (place) im Raum (space; vgl. auch Dirksmeier 2007). Manche Autoren (z.B. Lee 1997, Dangschat 2000, Lindner 2003) gehen so weit und erweitern im Anschluss an Bourdieu das Habituskonzept auf Orte und Städte auf Grundlage spezifischer Dispositionen als ÄGeschmack, Neigungen und Vorlieben³ (Lindner 2003: 52) ihrer Bewohner und Besucher. 1.3 Gesellschaftliche Bezüge von Landschaft ± Grundzüge einer Landschaftssoziologie 1.3.1 Grundzüge einer Landschaftssoziologie Landschaft lässt sich weder mit Natur noch mit Raum gleichsetzen. Sie hat zwar sowohl zu der einen als auch zu dem anderen Bezüge, doch weist sie bestimmte sozial vorgegebene Spezifika auf, die ihr eigen sind. Durch Äden teilenden und das Geteilte zu Sondereinheiten bildenden Blick des Menschen³ werden Objekte Äzu der jeweiligen Individualität ÃLandschaft¶ umgebaut³ (Simmel 1990 ± zuerst 1913: 69). Die bewusstseinsinterne Konstruktion von Landschaft vergleicht Simmel (1990: 71) mit der Entstehung eines Kunstwerkes: 16 Eine genauere Auseinandersetzung mit dem Habitus-Konzept von Bourdieu findet sich in Abschnitt 2.2.4 (Macht, symbolisches Kapital und Habitus). 17 Ähnliches gilt auch für den Körper des Menschen, was in Abschnitt 2.3 (Ästhetik, Geschmack und soziale Distinktion) genauer betrachtet wird. 18 Damit zeigt die raumbezogene Soziologie Bourdieus eine gewisse inhaltliche Nähe zum indikatorischen Ansatz der Sozialgeographie von Hartke (1948 und 1956), der im physischen Raum Anzeiger für gesellschaftliche Veränderungen suchte (wie z.B. die Sozialbrache, der Verbrachung von ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen infolge der Abwanderung von Landwirten in den industriellen Sektor) und geodeterministische Interpretationen strikt ablehnte (vgl. auch Werlen 1998).
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ÄDenn das Verständnis unseres ganzen Problems hängt an dem Motiv: das Kunstwerk Landschaft entsteht als die steigernde Fortsetzung und Reinigung des Prozesses, in dem uns allen aus dem bloßen Eindruck einzelner Naturdinge die Landschaft ± im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs ± erwächst. Eben das, was der Künstler tut: dass er aus der chaotischen Strömung und Endlosigkeit der unmittelbar gegebenen Welt ein Stück herausgrenzt, es als eine Einheit fasst und formt, die nun ihren Sinn in sich selbst findet und die Welt verbindenden Fäden abgeschnitten und in den eigenen Mittelpunkt zurückgeknüpft hat ± eben dies tun wir in niederem, weniger prinzipiellem Maße, in fragmentarischer, grenzunsicherer Art, sobald wir statt einer Wiese und eines Hauses und eines Baches und eines Wolkenzuges nun eine ÃLandschaft¶ schauen³19, 20.
Landschaft wird ± Hoppe-Sailer (2007: 136) zufolge ± bei Simmel Äals eine grundlegend ästhetische Kategorie [bestimmt], da sie ihre Konstitution einer visuellen Operation verdankt, die selbst ästhetische Qualitäten trägt³. Bei diesem Prozess ist die Vorstellung von Ganzheit von zentraler Bedeutung. Aus der nahezu unbegrenzten Vielgestalt der materiellen Welt wird also durch die Reduktion von Komplexität (im Sinne von Luhmann 1984), des Äunaufhörlich sprudelnden Quell[s] von Gegebenheiten³ (Hoeres 2004: 233), eine bewusstseinsinterne Konstruktion von Landschaft: ÄDer Mensch reagiert [...] nicht auf Flussterrassen, Bodentypen, Pflanzengesellschaften, Besonnungsdauer und naturräumliche Einheiten, er reagiert nicht auf Ãdie Wirklichkeit¶, sondern auf seine Wirklichkeit, d.h. die Wirklichkeit, wie er glaubt, dass sie sei³ (Hard 1970a: 16).
Das Ausgewählte wird so lange weiteren Prozessen der Reduktion unterworfen, Äbis es den Zugriff des ordnenden Verstandes zulässt³, wobei diese Reduktion von Komplexität auf dem erlernten Erkennen von Regelmäßigkeiten und deren Kategorisierung basiert. Ohne diese Komplexitätsreduktion von Landschaft wären wir nicht in der Lage, uns zu orientieren, Äsondern müssten jeden Baum von neuem kennen lernen, denn bekanntlich gleicht keiner dem anderen³ (EiblEibesfeldt 1997: 901) oder könnten mehre nahe beieinander stehende Bäume nicht als Wald, als Feldgehölz oder Hain entkomplexisieren (Nohl 1997)21. Dies 19 Wird Landschaft nicht positivistisch gesehen, sondern im Sinne von Simmel als Kunstwerk eröffnet sich dem Landschaftsforscher ein weites Feld kunsttheoretischer und philosophischer Reflexionen, insbesondere zur Ästhetik. 20 Vgl. zum Thema der Betrachtung von Landschaft und Kunstwerk auch Hoeres (2004), der den Zugang zu Landschaft und zu Kunstwerken in der Möglichkeit beider sieht, Stimmungen zu erzeugen. 21 Ohne die Verfügbarkeit des Codes, aus Objekten und gegebenenfalls Symbolen Landschaft zu entschlüsseln, haben diese Objekte keine gemeinsame oder bestenfalls ± wenn beispielsweise zwischen Hängigkeit einer Fläche und dem Fließen von Wasser ein Zusammenhang gekannt wird ± eine syntaktische Zeichendimension. Die semantische Zeichendimension erschließt sich erst jenem, der gelernt hat, Objekte (und Symbole) in ästhetisierender Weise in Beziehung zueinander zu setzen. Die
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bedeutet, dass bereits der Wahrnehmungsprozess von Objekten in mehrfacher Weise einer Selektivität unterliegt. In Anlehnung an Graumann (1966) lässt sich diese Selektivität als von folgenden Variablen beeinflusst nachvollziehen: Ein Wertesystem, das im Laufe der Kulturgeschichte entwickelt wurde, wird im Sozialisationsprozess internalisiert und stellt eine Basis zur Bestimmung und Verarbeitung von Umweltinformationen dar. Positive und negative Sanktionen tragen zur Steuerung von Wahrnehmung und insbesondere Handlungsmotivation bei. Einstellungen und Erwartungen tragen zur Steuerung von Bedürfnisintensitäten und somit der Wahrnehmung bei. Sozial vermittelte Muster zum Umgang mit lückenhafter Information und zur Stereotypisierung prägen Wahrnehmungen und ihre Bewertung vor. Die soziale bzw. bewusstseinsinterne Konstruktion von Landschaft lässt sich als ÄLandschaftsbewusstsein³ charakterisieren. Gemäß Ipsen (2002: 95-96) lassen sich unter ÄLandschaftsbewusstsein³ die implizit oder explizit im Bewusstsein Kognitive Dimension Ästhetische Dimension Biologie, Geologie, Naturästhetik, Geomorphologie, Klima u.a. Naturbeobachtung u.a.
Emotionale Dimension Naturliebe
Wahrnehmung der Landnutzungsformen Besondere Orte, besondere Personen, besondere Personengruppen u.a.
Nutzungsbildungen
Soziale Strukturierung
Landschaftsgeschichte, Standortwissen u.a. Eigentumsverhältnisse, rechtliche Regelungen u.a.
Kulturelle Bedeutung
Märchen, Literatur, Malerei u.a.
Symbolische Bedeutung besonderer Orte
Naturraum
Nutzung
Tabelle 1:
Soziale Netzwerke, soziale Milieus, Familie u.a.
Dialekt, Heimat, Identität
Schema des empirischen Feldes der unterschiedlichen Dimensionen des Landschaftsbewusstseins (verändert nach: Ipsen et al. 2003)
von Akteuren vorhandenen Ämateriellen und ästhetischen, die wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte einer Landschaft³ zusammenfassen. Grundlage jeden Landschaftsbewusstseins sind jedoch ± Burckhardt (1990a: 106-107) zufolge ± Kenntnisse des Zeichensystems der Ägesellschaftliche[n] Aussage der Landschaft³, die dem Naiven verborgen sind, weswegen dieser nicht in der Lage sei ± so Burckhardt (1990a) ± Landschaft zu sehen. Diese Grundausstattung von Kenntnissen lässt sich ± Ipsen (2002 und 2006) zufolge ± in die drei Dimensipragmatische Zeichendimension erschließt sich erst, wenn die Zeichen der Landschaft gekannt und deren Veränderlichkeit reflektiert wird. Das Lernen der semantischen und pragmatischen Zeichendimension von Landschaft wird in Form mehr oder minder willentlichem sozialem Handeln, dem Prozess der Sozialisation, vollzogen.
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onsbereiche des Kognitiven, des Ästhetischen und des Emotionalen gliedern (siehe Tabelle 1; vgl. auch Nohl 1981 und 2006). Die drei Dimensionen des Landschaftsbewusstseins können in sich und sozial differenziert und differenzierend auftreten: Die kognitive Komponente kann ± möglicherweise aufgrund eines expertenhaften Bezuges (etwa als Volks- und Landeskundler oder als Raumplaner) sehr groß sein, während die emotionale Identifikation mit der Landschaft und ein ästhetischer Bezug gering ausgeprägt ist. Landschaftsbewusstsein unterliegt dabei sowohl auf individueller als auch auf gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene verschiedenen Variabilitäten und Transformationen (vgl. Bourassa 1991, Ipsen 2002): Zeitliche Variabilitäten und Transformationen prägen sich individuell (wenn auch in der Regel sozial vermittelt) wie sozial vor dem Hintergrund geänderter Kenntnisse über und Anforderungen an Landschaft aus, so war der mittelalterliche Bezug stärker durch funktionale Interessen als durch eine Ästhetisierung und Ökologisierung geprägt als heute. Kulturelle Variabilitäten und Transformationen variieren hinsichtlich kultureller Hintergründe, so ist die Bewertung einer Weinbaulandschaft zwischen Personengruppen christlicher und muslimischer Tradition durchaus an verschiedene Konnotationen gebunden (Abbildung 1). Soziale Variabilitäten und Transformationen bestehen hinsichtlich der unterschiedlichen Konstruktion und Bewertung von Landschaft verschiedener Milieus, so erschwert bzw. verhindert die hinreichende Verfügbarkeit ökonomischen Kapitals die unmittelbare Wahrnehmung von Landschaften, deren Bereisung mit hohen Reisekosten verbunden ist. Ökonomische Variabilitäten und Transformationen bestehen hinsichtlich der wirtschaftlichen Verwendbarkeit von Landschaften, so werden Landschaften unterschiedlich nach ihrem touristischen Potenzial bewertet. Politische Variabilitäten und Transformationen bestehen beispielsweise hinsichtlich politischer Präferenzen ihrer Bewohner, aber auch ± durchaus vielfach damit in Rückkopplung ± hinsichtlich der regionalen Präferenz von Landschaften durch Politiker (vgl. auch Warnke 1992). Neben der Entwicklung des Landschaftsbewusstseins ist die Frage nach den unterschiedlichen gesellschaftlichen Regulationen des gesellschaftlichen Bezugs zu Landschaft von zentraler Bedeutung für die soziologische Landschaftsbefassung. Ipsen (2002a: 92) unterscheidet Ädrei miteinander verbundene, aber gleichwohl selbständig wirkende Regulierungscluster³ von Landschaft: 1. Die systemische Regulierung bezieht sich auf die spezifische Form von Akkumulationslogik und Steuerung von Produktion und Zirkulation sowie die politische Steuerung (wobei die ökonomischen und die politischen Dimensi-
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2. 3.
onen der Systemischen Regulierung auch als selbstständige Einheiten zu verstehen sind). Die kulturelle Regulation bezieht sich auf Werte und zeitspezifische Sichtweisen wie Begriffe, Bilder und Leitbilder. Die lebensweltliche Regulation beinhaltet die in einer bestimmten Periode entfalteten und wirksamen Lebensstile, Konsumpraktiken und sozialen Gruppierungen von Haushaltsformen, Interessensvertretungen, Vereinen, Freundesgruppen, sofern diese nicht völlig Teil des politischen Systems sind.
Abbildung 1:
Weinbauflächen, Dorf mit Kirche und Fluss (hier der zum Symbol des Deutschen stilisierte Rhein) ± eine liebliche (deutsche) Landschaft. Doch wie wird sie von Menschen einer anderen kulturellen Herkunft rekonstruiert? Hier ein Beispiel aus Rheinhessen.
Ähnlich der Raumsoziologie von Löw (2001) betont auch die soziologische Betrachtung von Landschaft von Ipsen (2002a: 88) den relationalen, sogar hybriden Charakter von Raum bzw. Landschaft: ÄLandschaft stellt sich [...] als ein Begriff dar, der eine Beziehung beschreibt. Die Beziehung konstituiert sich zwischen einem Menschen und einer durch Natur und Arbeit geformten Umwelt³.
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1.3.2 Konzeptionelle Zugänge zu Landschaft und Gesellschaft Das im Folgenden dargestellte Konzept der gesellschaftlichen Landschaft, der individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft und der angeeigneten physischen Landschaft sowie des physischen Raumes ist eine Weiterentwicklung des von Kühne (2005a, 2005b und 2006a) vorgeschlagenen Entwurfs. Es basiert im Wesentlichen auf den Überlegungen von Bourdieu (1991a) zum gesellschaftlichen, zum angeeigneten und zum physischen Raum, dem Konzept von Löw (2001) zur relationalen (An)Ordnung von Objekten sowie des Drei-Weltenkonzeptes (hier in seiner Ausprägung von Popper 1973, vor dem Hintergrund der Reflexionen von Hard 1987a) als materielle, individuelle und soziale Welt sowie dem AGIL-Schema von Parsons (1951) und dem Konzept der gesellschaftlichen Funktionsräume von Läpple (2002). Ist im Folgenden von Landschaft ohne die oben genannten Attribute die Rede, bezieht sich dieser Ausdruck auf alle konzeptionellen landschaftlichen Ebenen, also die gesellschaftliche, die individuell aktualisierte und die angeeignete physische Ebene. 1.3.2.1 Die gesellschaftliche Landschaft Im Begriff der gesellschaftlichen Landschaft lässt sich die soziale konstruktive Dimension von Landschaft zusammenfassen und gehört damit Äals sozial definierter Gegenstand und Ensemble von Zeichen [«] zur Welt 3³ (Hard 1987a: 237). Die gesellschaftliche Landschaft ist ± so Kühne (2006a) ± als ästhetisierte bewusstseinsinterne, sozial präformierte Zusammenschau räumlich-relational angeordneter Objekte und Symbole ± als Zeichenlandschaft also von sichtbaren und unsichtbaren Elementen und deren symbolischer Bedeutung (vgl. Bartes 1988) ± zu verstehen. 1.3.2.2 Die individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft Die individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft ist ± als Teil der Welt 2 (Popper 1973) ± durch eine persönliche Befassung mit dem Thema Landschaft auf Grundlage gesellschaftlicher Vorstellungen von Landschaft gekennzeichnet. In sie fließen individuelle Deutungen und Vorlieben, Gefühle und Wissensbestände, was individuell unterschiedliche Interpretationen von Landschaft impliziert (vgl. de Certeau 1988). Die individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft stellt also eine Modifikation der gesellschaftlichen Landschaft dar und nimmt eine Mittlerposition zwischen der physischen Welt (hier der angeeigneten physischen Landschaft) und der gesellschaftlichen Landschaft ein: Physische 33
Objekte werden beobachtet und unter Nutzung gesellschaftlicher Interpretationsmuster individuell und sozial interpretiert. Ebenso werden auf Grundlage gesellschaftlicher Landschaft physische Objekte und Symbole individuell selektiv zueinander in Beziehung gesetzt, wodurch sie synthetisierende ± sozial präformierte, aber dennoch individuell aktualisierte ± Bezeichnung erfahren. Bei der sozial präformierten individuellen Zusammenschau werden Einheiten als Gestalten gebildet, die das Ähnliche von dem davon verschiedenen abgrenzen (Ipsen 2006: 31): ÄDa die Gestaltbildung unbewusst ist, erscheint sie uns nicht als soziale Konstruktion, sondern als Wirklichkeit³. Das bewusstseinsinterne, sozial bestimmte Konstrukt der individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft kann dabei in fünf Ebenen gegliedert werden (vgl. Wagner 1997, Ipsen 2002, Kühne 2006a): 1. Individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft umfasst eine symbolische Dimension. Einzelnen physischen Objekten oder ganzen angeeigneten physischen Landschaften werden Bedeutungen zugeschrieben, die unabhängig von ihrer physischen Struktur und unmittelbaren ± insbesondere ökonomischen ± Inwertsetzung sind. 2. Individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft weist eine ästhetische Dimension auf. Landschaft wird insbesondere nach dem Schema schön/ hässlich hinsichtlich der wahrgenommenen Objekte und Symbole und in der Zusammenschau konstituiert. 3. Individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft umfasst eine kognitive Dimension, in Form mehr oder minder differenzierter Kenntnisse über Landschaft. 4. Individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft impliziert eine emotionale Dimension. Landschaft ist Projektionsfläche von Gefühlen (wie Heimatgefühl oder Fernweh), die insbesondere an Raumsymbole geknüpft sind. 5. Individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft beinhaltet die Konstruktion eines Ist- und eines Soll-Zustandes, hinsichtlich einzelner Objekte und Symbole, aber auch hinsichtlich der Synthese von Objekten und Symbolen zu Landschaft. Die Konstruktion des Soll-Zustandes einer angeeigneten physischen Landschaft ist von idealtypischen Vorstellungen von Landschaft geprägt, wie sie beispielsweise in den Panoramen der Landschaftsmalerei und literarischen Landschaftsbefassung angelegt sind (Hartmann 1982)22. Bei der Konstruktion von individuell aktualisierter gesellschaftlicher Landschaft werden physische Objekte und Symbole vor dem Hintergrund der individuellen 22 Auf die Bedeutung der Landschaftsmalerei für die Konstitution von gesellschaftlichen Landschaftssollzuständen wird noch an späterer Stelle (insbesondere in den Abschnitten 1.1 ± Zur Entwicklung des Landschaftsbegriffs) detailliert eingegangen.
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Kenntnisse gesellschaftlicher Landschaft zueinander in Relation gesetzt und erfahren eine synthetisierende Bezeichnung (beispielsweise als Äschöne Landschaft³, als Äschutzwürdige Landschaft mit Defiziten³ (BBR 2005: 208) oder als ÄBuntsandsteinlandschaft³). Da diese sozial präformierte individuelle Konstruktion als Wirklichkeit keiner Überprüfung unterzogen wird, wirkt sie individuell wie sozial stabilisierend und konservierend (Ipsen 2006). Dabei gehen die fünf oben genannten Dimensionen gesellschaftlicher Landschaft in unterschiedlicher Gewichtung in die Synthese ein: So überwiegt bei der Synthese unterschiedlicher Objekte und Symbole zu Äschöner Landschaft³ die ästhetische Dimension der Bewertung, wobei auch die (zumeist affirmative) emotionale Komponente bei der Bewertung wie auch die weitgehende Kongruenz der Konstruktion von Istund Soll-Zustand von Bedeutung sind, während die kognitive Dimension eine untergeordnete Rolle spielt. Bei der Synthese ÄBuntsandsteinlandschaft³ hingegen überwiegt die kognitive Dimension. Geologische, aber auch hydrologische, biogeographische, klimatologische Kenntnisse etc. dominieren hier weniger die ästhetische Dimension (die Zusammenschau ÄBuntsandsteinlandschaft³ unterliegt einer ästhetischen Komponente), mehr die emotionale Dimension und jene des Ist-Soll-Zustandsvergleichs. Bei der Synthese von Objekten und Symbolen zur Äschutzwürdige Landschaft mit Defiziten³ (BBR 2005: 208) dominiert die Dimension des Vergleichs von Ist- und Soll-Zustand. 1.3.2.3 Die angeeignete physische Landschaft Als angeeignete physische Landschaft lassen sich ± in Anlehnung an die raumbezogene Terminologie Bourdieus (1991a) ± diejenigen Objekte des physischen Raumes in räumlich-relationaler Anordnung bezeichnen, die für die Konstruktion von gesellschaftlicher Landschaft und ihrer individuellen Aktualisierung herangezogen werden. Bei diesen Objekten handelt es sich sowohl um Objekte, die durch menschliche Tätigkeit räumlich platziert wurden, als auch um Objekte, die durch natürliche Prozesse entstanden sind. Sie sind Teil der Welt 1. Die angeeignete physische Landschaft lässt sich Äals weitgehend instabil[e]³ (Mrass 1981: 29) Folge und Nebenfolge23 sozialen Handelns als ein ÄNebeneinander von langfristigen und kurzfristigen, von latenten und manifesten Entwicklungen³ (Békési 2007: 23, ähnl. Kühne 1985, Weingarten 2006) in vier unmittelbare und eine 23 In diesem Zusammenhang ist der Begriff der Instabilität auf die Variabilität der Materialisierungen bezogen. Eine weitere Instabilität der angeeigneten physischen Landschaft ergibt sich aus der Variabilität der gesellschaftlichen Landschaft, die die Auswahl der Objekte aus dem physischen Raum steuert, die in die angeeignete physische Landschaft einfließen. Dieser zweite Prozess ist einer der Hauptgegenstände dieser Arbeit und wird an späterer Stelle (ab Kapitel 3 ± Gesellschaftliche Landschaft und Sozialisation) ausführlich behandelt.
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mittelbare Einflussdimension gliedern (vgl. Abbildung 2; nach Parsons 1951, Läpple 2002, Kühne 2005b; vgl. auch Hoskins 1955): 0. Der topographisch-ökosystemische Raum stellt die Ausgangsbasis für gesellschaftlich bedingte Transformationen des physischen Raumes dar. Dieser topographisch-ökosystemische Raum kann als ökosystemimmanente Relation gelten, die bereits vor dem Einfluss des Menschen bestand (aber als Begriff letztlich auch auf dessen konstruktiver Leistung beruht). An den topographisch-ökosystemischen Raum nähern sich auch heute Räume an, die vom Agieren des Menschen weitgehend unbeeinflusst sind. 1. Die ökonomische angeeignete physische Landschaft ist ± weniger als Folge (wie bei Freizeitgroßeinrichtungen) und mehr als Nebenfolge ± durch ökonomisches Handeln der Gesellschaft entstanden. Das ökonomische Handeln ist darauf spezialisiert, das Verhältnis von Gesellschaft und Umwelt dauerhaft im Sinne der Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen, d.h. dem System (Gesellschaft) möglichst langfristig den Zugriff auf (natürliche) Ressourcen ± unter Einsatz des Mediums Geld mit dem über Besitzrechte kommuniziert wird ± zu sichern, um damit zunächst die physischen Grundlagen für die Funktionsfähigkeit des Systems sicherzustellen (z.B. Landwirtschaft, Industrie, Forstwirtschaft). 2. Die politische angeeignete physische Landschaft ist durch die Folgen und Nebenfolgen des raumrelevanten politischen Agierens, also der Bezeichnung von Zielrelationen zwischen Gesellschaft und Umwelt, entstanden. Eine herausragende Bedeutung hat hierbei die (vielfach willkürliche) politische Territorienbildung und deren Abgrenzung, die sich durch das Medium Macht äußert. Die Folgen und Nebenfolgen des politischen Handelns äußern sich in der angeeigneten physischen Landschaft beispielsweise in der Anlage von repräsentativen Regierungsgebäuden, Grenzwallanlagen, der Durchführung von Landschaftspflegemaßnahmen und von Rayon-Bestimmungen als direkte Folgen, sowie der Umsetzung von Landes-, Regional- und Bauleitplanung, der Landwirtschaftsförderung und der Forsteinrichtungsplanung als indirekte Folgen und den angeeignet-physisch-landschaftlichen Nebenfolgen politischen Handelns durch Zulassung oder Nichtzulassung von Privateigentum an Produktionsmitteln. 3. Das Agieren des Systems soziale Gemeinschaft, das mithilfe des Mediums Einfluss kommuniziert, manifestiert sich im angeeigneten physischen Raum beispielsweise in Form der angeeigneten physischen Landschaft. Verfallserscheinungen wie Brachen, Wüstung von Siedlungen aufgrund negativer Bevölkerungsentwicklung, deuten auf landschaftsbedeutsame Veränderungen im gesellschaftlichen Subsystem der sozialen Gemeinschaft. Aber auch die Durchsetzung von Regeln und Normen des Umgangs mit physischem Raum 36
4.
finden hier ihren Niederschlag: Dies lässt sich in Beharrungstendenzen, eine Feldflur in bestimmter Weise (z.B. in Form der Drei-Felder-Brachwirtschaft) und nicht anders zu bewirtschaften, feststellen, aber auch in aufkommenden Moden der Hausgestaltung (z.B. Fassadengestaltung mit Eternitplatten), in denen sich soziale Rollen (von Bauern, Hausherren etc.) im physischen Raum manifestieren. Die angeeignete physische Landschaft der kulturellen Treuhandbindung basiert auf den physischen räumlichen Folgen bzw. Nebenfolgen des Agierens des kulturellen Treuhandsystems. Dieses System der moralischen Bindung an Werte und Normen im Sinne einer Ägeneralisierten Fähigkeit und einem glaubwürdigen Versprechen, die Implementierung von Werten zu bewirken³ (Parsons 1980: 203). Das Medium des kulturellen Treuhandsystems, die Wertbindung, basiert auf der Internalisierung von Werten und Normen im
Abbildung 2:
Grafische Darstellung der Interferenzverhältnisse von Gesellschaft und (funktionaler) angeeigneter physischer Landschaft (in Anlehnung an: Kühne 2005b).
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Sozialisationsprozess, deren Missachtung mit persönlichkeitsinternen Sanktionen (z.B. Schuldgefühlen) verbunden ist. In den angeeigneten physischen Landschaften manifestiert sich das System der kulturellen Treuhandbindung in der Steuerung des Umgangs mit Landschaft, d.h. wie Ãman¶ angeeignete physische Landschaft (willentlich oder unwillentlich) gestaltet und wie Ãman¶ dies nicht tut24. Wird angeeignete physische Landschaft funktional als Folge bzw. Nebenfolge des Agierens der gesellschaftlichen Subsysteme verstanden, lassen sich ± aufbauend auf dem topographisch-ökosystemischen Raum ± vier systemische Ebenen gesellschaftlich manifestierter angeeigneter physischer Landschaft konstatieren. Der Einfluss der unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsysteme auf die angeeignete physische Landschaft kann dabei unterschiedlich sein, wobei sich in der Regel die Nebenfolgen des ökonomischen Handelns ± sie sind differenziert nach den drei ökonomischen Sektoren und der Interferenz mit der natürlichen und der gesellschaftssystemischen Umwelt ± am deutlichsten in der angeeigneten physischen Landschaft manifestieren. Infolge des Rückkopplungsverhältnisses entstehen die unterschiedlichen Ebenen der angeeigneten physischen Landschaft ± sofern der durch die gesellschaftlichen Teilsysteme modifizierte physische Raum als Landschaft rekonstruiert wird. Die angeeignete physische Landschaft ist dabei ± infolge gesellschaftlicher, ökonomischer, politischer, sozial-gemeinschaftlicher und kulturell-treuhänderischer Transformationen ± einem ständigen Prozess der Anpassung unterworfen. So führt die Durchsetzung technischer Neuerungen im ökonomischen System vielfach zu erheblichen Veränderungen der angeeigneten physischen Landschaft: War der Einfluss des Kohleabbaus mithilfe von Pingen (kleinen Tagebauen) auf die angeeignete physische Landschaft noch gering, vollzog sich mit dem Übergang zum Stollen- und insbesondere zum Schachtbau eine erhebliche Veränderung der angeeigneten physischen Landschaft, die Ablagerung von Bergematerial in Form von Bergehalden veränderte dauerhaft die Charakteristika der angeeigneten physischen Landschaft. Die Auswirkungen des Kultursystems auf die angeeignete physische Landschaft lassen sich somit als mittelbar beschreiben. Die Sinnsysteme des durch Symbolisierungen kommunizierenden Kultursystems manifestieren sich durch das Agieren der gesellschaftlichen Subsysteme Ökonomie, Politik, soziale Gemeinschaft und kulturelle Treuhand im physischen Raum. Sofern keine Störungen aus den übrigen gesellschaftlichen Subsystemen (Bevölkerungswechsel, Zusammenbruch der ökonomischen Grundlagen einer Region) oder der gesellschaftssystemischen Umwelt (beispielsweise Naturkatastrophen, Klimaverschie24 Werden diese systemischen Betrachtungen auf das soziale Alltagshandeln bezogen, lassen sich die angeeigneten physischen Elemente der Landschaft als Folgen und insbesondere Nebenfolgen alltäglichen Regionalisierens ± im Sinne Werlens (1997, 1998 und 2000a) ± begreifen.
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bungen) auftreten, wandeln sich ± aufgrund der systemimmanent langen Persistenz kultureller Erscheinungen ± die räumlichen Folgen oder Nebenfolgen des Agierens des Kultursystems mit geringer Geschwindigkeit. Angeeignet-physische Landschaften äußern sich in landschaftsspezifischen Ausprägungen kultureller gesellschaftlicher Spezifika und lassen sich insbesondere unter anderem anhand religiöser, ethnischer, weltanschaulicher Differenzen wahrnehmen, wobei sich diese Differenzen auf Systembildungen zurückführen lassen. Die zu angeeignet-physischen landschaftlichen Nebenfolgen führenden Prozesse sind häufig nicht offen erkennbar, sie basieren auf latenten Sinnsystemen, die durch ökonomische, politische, sozial-gemeinschaftliche und kultur-treuhänderische Prozesse transzendieren. Die Verhältnisse von Latenz, Manifestation und Transzendenz der unterschiedlichen gesellschaftsteilsystemischen Funktionen auf die angeeignete physische Landschaft sei nun am Beispiel der von ökonomischer Nutzung dominierten angeeigneten physischen Landschaft genauer ausgeführt: Abhängig von Bodenqualität und Relief, Verkehrsgunst, Bodenschätzen, klimatischen Gegebenheiten und anderem entwickeln sich beispielsweise agrarisch, forstwirtschaftlich, industriell dominierte oder ungenutzte angeeignete physische Landschaften. Durch das Agieren des ökonomischen Systems im physischen Raum transzendieren Einflüsse des politischen, des sozialgemeinschaftlichen und kulturelltreuhänderischen Systems. So modifiziert das politische System durch Ge- und Verbote und Anreizsysteme das ökonomische Agieren. Landesentwicklungspläne ordnen dem physischen Raum vorrangige Nutzungen (z.B. für Gewerbe, Landwirtschaft, Naturschutz) zu, rechtliche Regelungen für den Immissionsschutz vermindern die Externalisierung von Umweltkosten für Unternehmen (und ökosystemische Schädigungen). Das System der sozialen Gemeinschaft definiert den sozialen mainstream, in welcher Weise bestimmte Knappheitsprobleme der Gesellschaft aktuell zu lösen sind, ohne dass dabei der Verlust sozialen Ansehens droht, z.B. der Ackerbestellung mithilfe eines pflugversehenen Traktors anstelle eines Pflanzstocks. Durch das Agierens des ökonomischen Systems transzendieren die latenten Schichten des kulturellen Systems und werden (sofern physischer Raum modifiziert wird) in der angeeigneten physischen Landschaft manifest: Zwischen angeeigneten physischen Landschaftsteilen mit Privateigentum25 und jenen mit Gemeineigentum lassen sich erhebliche physische Unterschiede rekonstruieren, wie die Allmendeforschung zeigt; verfügen mehrer 25 Unter Eigentum, hier insbesondere Eigentum an Grund und Boden, lässt sich aus soziologischer Sicht keine feste Größe verstehen. Die Institution des Eigentums ist in hohem Maße durch Kontingenzen geprägt. Unter Eigentum sei Äeine kulturell und geschichtlich variable Summe von Verendungsrechten³ (Popitz 1992: 164) verstehen. Eine besondere soziale Bedeutung entfaltet das Eigentum in seiner Implikation als Verbotsnorm für die Nicht-Eigentümer.
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Akteure gemeinsam über eine knappe Ressource, ist die Neigung der Akteure groß, diese Ressource stärker als andere Nutzungsberechtigte zu nutzen und die Neigung gering, in den Erhalt der Ressource zu investieren. Dagegen ist die Neigung des dauerhaften Erhalts einer exklusiv durch einen Akteur genutzten Ressource durch verträgliche Nutzung und deren ausreichende Regeneration groß (vgl. Lloyd 1977, Kals 1996, Mosler/Gutscher 1996). 1.3.2.4 Der physische Raum Als physischer Raum lässt sich ± Kühne (2006a) in Anlehnung an Bourdieu (1991a) zufolge ± die räumlich-relationale Anordnung von Objekten im Allgemeinen ± unabhängig von der sozialen oder individuellen Beobachtung als Landschaft ± bezeichnen. Der physische Raum stellt als physisch-materielles Substrat die Welt 1 dar. Er ist das Ausgangssubstrat für die angeeignete physische Landschaft, indem Objekte in der gesellschaftlichen und der individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft als Landschaftselemente bezeichnet und einer zusammenschauenden Beobachtung unterzogen wurden. Er ist so lange nicht als Landschaft zu bezeichnen, bis selektiv physische Elemente von ihm als Landschaft beobachtet und beschrieben werden. 1.3.3 Das Verhältnis von gesellschaftlicher Landschaft, individuell aktualisierter gesellschaftlicher Landschaft, angeeigneter physischer Landschaft und physischem Raum Wie bereits ausgeführt, stellt der physische Raum eine von der Beobachtung als Landschaft unabhängig gedachte Basis räumlich-relational angeordneter Objekte dar, aus denen durch selektive Auswahl von Objekten Landschaft als gesellschaftliche Landschaft und als angeeignete physische Landschaft generiert wird (vgl. Kühne 2006a). Landschaft wird somit in dem hier vorgeschlagenen Konzeption nicht objektwissenschaftlich, als Äein Stück der außersymbolischen Welt³ (Hard 1969c: 148) konstituiert, sondern vielmehr ± im Sinne Hards (1969c: 148) ± als ÄStück einer gruppen- und zeitspezifischen Ãgeistigen Zwischenwelt¶³. Konstitutiv für die angeeignete physische Landschaft ist also nicht ein immanenter Bezug auf die Objektebene, sondern vielmehr die Ableitung aus der individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft. Die gesellschaftliche Landschaft bildet nicht lediglich eine Schnittmenge mit der angeeigneten physischen Landschaft und damit auch dem physischen Raum, da sich die Konstruktion der gesellschaftlichen Landschaft nicht allein auf physische Elemente bezieht, sondern sie bezieht sich auch auf sozial konstituierte Symbole, die in der ange40
eigneten physischen Landschaft verortet werden. Der Bezug der gesellschaftlichen Landschaft auf räumlich-relational angeordnete Objekte ist dabei nicht zwingend auf Objekte des physischen Raumes bezogen, vielmehr kann es sich bei gesellschaftlichen und individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaften auch um rein bewusstseinsinterne (z.B. Fantasielandschaften) bzw. auch fiktive mediale Konstruktionen (z.B. Landschaften des Cyberspace) handeln. Der gesellschaftslandschaftliche Zugriff auf den physischen Raum impliziert also zunächst eine Selektion und eine symbolische Besetzung von Teilen des physischen Raumes in einer synthetischen Zusammenschau, die allerdings in der Regel nicht auf einen bestimmten Ausschnitt aus dem physischen Raum begrenzt bleibt: Die Vielzahl von wahrgenommenen mehr oder minder scharf Äumrissenen, anschaulich und gefühlsmäßig bestimmten Raumfetzen und -teilen³ (Petsch 1975: 41 ± zuerst 1934) weist neben einem (durch das beobachtende Subjekt (re-)konstruierten) inneren Bezug auch Verbindungen auf, die Äüber sich selbst auf immer größere Einheiten³ (Petsch 1975: 41 ± zuerst 1934) verweisen. Die auf dem Konstruktionsvorgang gesellschaftlicher bzw. individuell aktualisierter gesellschaftlicher Landschaft basierende angeeignete physische Landschaft lässt sich also weder im physischen Raum exakt abgrenzen, noch im gesellschaftlichen Landschaftsbezug isoliert betrachten. Hier weisen insbesondere inkorporierte Interpretations- und Aneignungsmuster über den Bezug zum konkreten, zur angeeigneten physischen Landschaft werdenden, physischen Raum hinaus26.
26 Aus der Differenzierung von sozialem Raum, angeeignetem physischen Raum und physischem Raum einerseits und der ästhetisch begründeten Konstruiertheit von Landschaft andererseits leitet Kühne (2006a) das hier erweiterte Konzept von gesellschaftlicher, individuell aktualisierter gesellschaftlicher und angeeigneter physischer Landschaft sowie physischem Raum ab, das an dieser Stelle einer weiteren Differenzierung unterzogen wird. Die soziale Konstruktion von Landschaft vollzieht sich dabei ± worauf Aschauer (2001) hinweist ± auf zwei Ebenen: Die soziale Konstruktion von Landschaft (aber auch allgemein Raum bzw. Region) wird auf der Objektebene vollzogen, indem Landschaften und Regionen durch soziales Handeln im Sinne von Werlen (1997) erzeugt werden, indem ÄÃdas alltägliche Handeln¶ etwa von Wirtschaftunternehmen auch Distanzüberwindungen enthält (Lieferverflechtungen usw.) und so Regionen herausbildet³ (Aschauer 2001: 141) und somit als Nebenfolge dieses Handelns den physischen Raum verändert. Diese Ebene der sozialen Konstruktion von Landschaft, Raum bzw. Region nennt Aschauer (2001: 141) ÄReal-Konstruktivismus³. Auf der anderen Seite findet eine soziale Konstruktion von Landschaft (bzw. Raum und Region) auf der Ebene der systematisierten und synthetisierenden Zusammenschau von beobachteten Einzelobjekten statt. Diese Ebene bezeichnet Aschauer (2001:141) als ÄBegriffs bzw. Beobachtungskonstruktivismus³. Diese beiden Ebenen finden sich in einem gegenseitigen Beeinflussungsverhältnis, indem materielle Gegebenheiten die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster beeinflussen und zugleich die Grundlage zur Gestaltung des physischen Raumes sind (vgl. auch Pott 2007).
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1.3.4 Landschaft als Forschungsgegenstand von Geographie und Ästhetik Wie gezeigt wurde, wird Landschaft einerseits als reales räumliches Gebilde, als Objekt, andererseits als durch ein Subjekt konstruiertes abstraktes Phänomen begriffen. Darüber hinaus stehen naturwissenschaftlich-rationale Auffassungen bildhaft-ästhetischen Konzepten ebenso gegenüber wie analytisch-zergliedernde Zugänge holistischen Interpretationen27. An dieser Stelle sollen exemplarisch die Landschaftskonzeptionen zweier außersoziologischer Wissenschaften behandelt werden, die jedoch auf die Konstitution der modernen (und postmodernen) Landschaftsbegriffe erhebliche Einflüsse hatten und haben: jene der Geographie und jene der Ästhetik. 1.3.4.1 Zum Landschaftsbegriff in der Geographie Charakteristisch für die geographische Fachsprache ist ± Hard (1977) zufolge ± das teilweise Beibehalten des mittelalterlichen Bedeutungsinhaltes des Wortes Landschaft im Sinne von Region, der im 19. Jahrhundert sukzessive aus der Alltagssprache verdrängt wurde. In der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert findet in der Terminologie eine Amalgamierung der beiden Begriffsinhalte von Landschaft im Sinne von Region als politisch-territoriale Einheit, und Landschaft im Sinne von landscape, als ästhetischer Betrachtungsraum, wie er auf die Landschaftsmalerei des 15. und 16. Jahrhunderts zurückzuführen ist, statt. Dadurch gingen in den geographischen Landschaftsbegriff zwei Denktraditionen ein (Hard 1977: 15): Ä(1.) die aus Ãnaiver¶ Weltsicht und Ãlandschaftlichem Auge¶ kombinierte Ãphysiognomische¶ Tradition des vielseitig interessierten Reisenden und (2.) die Ãregionalistische¶ Tradition des ÃDenkens in Erdräumen¶ und Erdraumgliederungen³ 28,29. Dabei war der Begriff der Landschaft konstitutiv für 27 Aufgrund der Vielzahl an fachlichen (und innerfachlich differenzierten) Traditionen des Zugangs zum Thema Landschaft erscheint die Konstruktion eines einheitlichen und allgemeingültigen Landschaftsbegriffs ebenso wenig Ziel führend wie die Entwicklung einer umfassenden Landschaftswissenschaft (vgl. Trepl 1994a). 28 Eine detailliertere Auseinandersetzung mit dem Inhalt, den Begriffen und der Wirkungsgeschichte der Landschaftsgeographie und Landschaftskunde findet sich beispielsweise bei Hard (1971) und Aschauer (2001). 29 Den wissenschaftlich-geographischen Zugriff auf Landschaft ironisiert der Soziologe Burckhardt (1995b: 258-259) als Selektionsprozess: ÄDer Geograph ist auf der Suche nach dem ÃTypischen¶, er erschafft die Kriterien dessen, was eine Heide, ein Hochmoor oder eine Industrielandschaft sei.³ Dem Betrachter fällt daraufhin die Aufgabe der Subsumtion zu (Burckhardt 1995b: 259): Äer muss entscheiden, bei welcher Dichte der Erika- und Wacholdersträucher sich der Begriff der Heide noch rechtfertigt, oder ob es sich bei der beobachteten Ebene vielleicht um etwas anderes handele, eine Steppe oder eine Tundra oder was auch immer [«]³.
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die Begründung der Geographie als wissenschaftliche Disziplin im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, schließlich definierte sich zu dieser Zeit die Geographie als Länder- und Landschaftskunde (vgl. Wardenga 1989). In den 1920er Jahren trug Hettner (1927) mit dem von ihm entwickelten länderkundlichen Schema zur Systematisierung der Länder- und Landschaftskunde bei. Er definierte einzelne Schichten (später Geofaktoren genannt) als Beschreibungskategorien wie Klima, Boden und Vegetation ebenso wie Siedlungen, Kultur, Wirtschaft und Religion, die nach einer Einzelbetrachtung in das komplexe Wirkungsgefüge der Landschaft integriert werden sollten (vgl. auch Uhlig 1970), um sie dann später mit anderen Landschaften vergleichen und Landschaften aufgrund dieses Vergleichs typisieren zu können. Darin unterscheidet sich die Landschafts- von der Länderkunde. Letztere gilt als ideographisch, da sie Länder nicht als Raumtypen begreift, sondern als Individuen (vgl. Bathelt/Glückler 2003). Der Begriff der Landschaft gehört in der deutschsprachigen Geographie bis heute zu den am häufigsten diskutierten und methodologisch umstrittensten und umkämpftesten Begriffen 30. Unter dem Begriff der Landschaft wird heute einerseits ± in positivistischer Denktradition (vgl. z.B. Falter 2006) ± ein physischräumliches Objekt, als Lebensraum des Menschen, von Flora und Fauna (sowohl von wilder als auch vom Menschen kultivierter) verstanden, andererseits ± aus konstruktivistischer Perspektive ± auch Äeine Folie normativer Projektionen, ästhetischer Wahrnehmungen und sinnlich-symbolischer Aneignungen³ (Siekmann 2004: 29)31. Zur Verdeutlichung der psychischen Dimension von Landschaft führt Barthelmess (1988: 15) in Analogie zu dem, aus der naturwissenschaftlichen Landschaftsforschung stammenden Begriff des ÄBiotops³ jenen des ÄPsychotops³ ein. Dagegen versteht Neef (1967: 15) unter Landschaft Äeinen durch einheitliche Struktur und gleiches Wirkungsgefüge geprägten konkreten Teil der Erdoberfläche³. Der exklusivistische Anspruch des positivistischen Landschaftszugriffs wird deutlich, wenn Leser (1984: 75) erklärt, Landschaft sei sicherlich kein Äästhetisches Etwas im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft³32. Die Rigorosität der Argumentation Lesers lässt sich ± so Siekmann (2004) ± als 30 Paffen (1973) verweist darauf, dass die französische Geographie ebenfalls die wichtigen Raumbegriffe Ãpay¶ (Land) und Ãpaysage¶ (Landschaft) kenne, die ebenfalls der Alltagssprache entnommen seien, ohne jedoch eine langwährende Diskussion um deren Inhalte geführt zu haben. 31 In positivistischer Tradition deutet Lehmann (1950: 39-40) den Unterschied eines lebensweltlichen und geographischen Landschaftsbezugs: ÄDabei erschien jedoch nicht der optisch seelische Eindruck, also das ästhetische Phänomen ÃLandschaft¶ relevant, sondern das dahinter liegende objektive Gebilde³. 32 Mit dieser Position steht Leser auch in eklatantem Widerspruch zur geographischen Forschungstradition, da bereits der Begründer der (zu jener Zeit noch geodeterministisch ausgeprägten) deutschen Anthropogeographie, Ratzel (1904), in seiner Schrift über die Naturschilderung ausführlich über die Bedeutung ästhetischer Naturreflexion schreibt (vgl. auch Eisel 1980, Schultz 1980).
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Ausdruck der Jahrzehnte dauernden Dispute innerhalb der Geowissenschaften, insbesondere der Geographie, um den Begriff der Landschaft verstehen33. Insbesondere, dann wenn nachvollzogen wird, welche konstitutive Bedeutung der Geographie als Wissenschaft an der Landschaft als Selbstdefinitionsterminus beigemessen wurde, wie Schmithüsen (1963: 158) feststellt: ÄFür den Geographen ist es [die Teilantwort auf die Frage, was Landschaft sei; Anm. O.K.] ein wissenschaftlicher Grundbegriff von einem ähnlichen Rang wie Gestein für den Petrographen, Lebensgemeinschaft für den Biologen oder Epoche für den Historiker³.
Carol (1957: 155) geht in der Schlussbemerkung seines Aufsatzes ÄGrundsätzliches zum Landschaftsbegriff³ über die selbstdefinitorische Bedeutung von Landschaft für die Geographie hinaus, wenn auch ihre Operationalisierbarkeit dem Begriff der Landschaft anhängt: ÄJe mehr es der Geographie gelingen wird, vollwertige Wissenschaft von der Landschaft zu werden, um so mehr wird ihre Arbeit auch im praktischen Leben Nutzen bringen³. Neef kommentierte hingegen bereits 1967 die Definitionsbemühungen des Terminus Landschaft in der Geographie folgendermaßen (Neef 1967: 19)34: ÄAlle geographischen Vorstellungen axiomatischen Charakters ± darunter auch die Landschaftsvorstellung ± entziehen sich der Definition. Wie viel Kraft ist vergeudet worden, geographische Grundvorstellungen zu definieren, ohne damit zu einem anerkannten Ergebnis zu kommen³.
Ein zentraler Punkt der Diskussion um den Begriff der Landschaft bestand in der Frage, ob Landschaft (in länderkundlicher Tradition) als Individuum oder (wie in der klassischen Landschaftskunde) als Typ zu verstehen sei (siehe z.B. Paffen 33 Eine noch deutlichere und darüber hinaus noch persönliche Wertung findet sich bei Paffen (1973: XV), indem er sich über die Forschungen von Gerhard Hard äußert: ÄIn diesem Zusammenhang [dem der Diskussion um den Begriff der Landschaft in der deutschen Geographie; Anm. O.K.] sei auf den weniger sachlich als über den Autor aufschlussreichen Aufsatz von Hard (1969b) über ÃDie Diffusion der Idee der Landschaft¶ hingewiesen, den er als ÃPräliminarien zu einer Geschichte der Landschaftsgeographie¶ versteht. Ob seine statistischen Kurven aller Buch-, Zeitschriften- und Dissertationsliteratur der letzten 100 Jahre mit dem Wort ÃLandschaft¶ im Titel wirklich repräsentativ sein können für das tatsächliche Eindringen der Landschaftsidee in die verschiedenen Schrifttumsgattungen und Wissenschaftsdisziplinen, muss in vieler Hinsicht ernsthaft bezweifelt werden und erscheint im Hinblick auf die einschlägige geographische Literatur mehr als fragwürdig³. Heute gehört Hard zu den meistzitierten Geographen zum Thema Landschaft, während dem Schrifttum Paffens eher disziplingeschichtliche Bedeutung zukommt. Diese Thematik des Paradigmenwechsels in der Geographie und anderen landschaftsbezogenen Wissenschaften sowie des Konfliktes der Träger der jeweiligen Paradigmen wird insbesondere in den Kapiteln 5 (Landschaft und soziale Distinktion) und 6 (Landschaft und Macht) behandelt (vgl. auch Hard 1969c). 34 Was ihn freilich ± wie oben gezeigt ± nicht davon abhielt, der Definitionsversuchsfülle eine eigene Variante hinzuzufügen.
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1953, Neef 1955/56, Schmithüsen 1963, Gunzelmann 1987). Das individualistische holistische Konzept versteht unter Landschaft ein organisches Wirkungsgefüge der in einem konkreten Raum wirksamen Geofaktoren. Landschaft sei somit die Synthese vieler einzelner Landschaftselemente, eine Ansicht, die auf Alexander von Humboldt zurückgeht, dem die Definition von Landschaft als ÄTotalcharakter einer Erdgegend³ zugeschrieben wird (vgl. Wöbse 2002, Siekmann 2004). Wobei dieser Definition bereits vielfach ein systemischer Ansatz unterstellt wurde, der später für die Stoff- und Energieflüsse quantifizierende Landschaftsökologie charakteristisch wird. In der typisierenden Physiognomik wird hingegen die Auffassung vertreten, unter Landschaft sei der visuelle Ausschnitt der Erdoberfläche zu verstehen, wobei ökofunktionale Aspekte (in der Regel) unberücksichtigt bleiben. So erklärt Granö (1935: 11) ± stellvertretend für andere Vertreter der physiognomischen Landschaftsgeographie ± Äunter den Wesenszügen der Landschaft sind die Formen am wichtigsten³, woraus er für Landschaftstypologien folgert: ÄEin auf die Landschaften bezogenes Typensystem, das in erster Linie Art und Gruppierung der unbeweglichen Formen berücksichtigt, ist geographisch am zweckentsprechendsten³. Eine Vorstellung, die in der naturräumlichen Gliederung aufgegriffen wurde und bis heute für die landschaftsökologische Feldforschung und die Geomorphologie eine zentrale Bedeutung hat (vgl. Finke 1996). Beide landschaftlichen Forschungstraditionen, die holistische wie die physiognomische, gerieten Ende der 1960er Jahre in die Kritik von Teilen der jüngeren Forschergeneration35. Auf dem Kieler Geographentag 1969 kulminierte die Ablehnung beider Paradigmen (Blotevogel 1999): Der Holismus wurde mit seinem Allerfassungsanspruch als empirisch nicht belegbar, methodologisch kaum begründbar und unschwer ideologisierbar, die Physiognomik hinsichtlich ihres Geltungsanspruchs als zu beschränkt, beide gemeinsam hinsichtlich eines Äallzu schlichten Realismus³ (Kaufmann 2006: 102) kritisiert36. Folglich war es in den darauf folgenden Jahrzehnten aufgrund der Neuausrichtung des Ämainstreams in der Anthropogeographie wenig karrierefördernd [...], von Landschaft zu sprechen³ (Schenk 2006: 17)37. Neben der Frage, ob Landschaft 35 Paffen (1973) hält das Aufbegehren der jungen Geographengeneration um den Kieler Geographentag 1969 für keine Singularität. Er verweist auf die Äheftigen Fehden innerhalb der deutschen Geographie in den 1920er und 30er³ Jahren um eine Neuausrichtung des Fachs. 36 Wesentliche Forderungen, die insbesondere von studentischer Seite erhoben wurden, waren auch die Relativierung geographischer Lehrinhalte durch eine Orientierung an gesellschaftsrelevanten Themen, die organisatorische Trennung von Physischer Geographie und Anthropogeographie wie auch die Abschaffung der Landeskunde, die als unwissenschaftlich, problemlos und Konflikte verschleiernd sowie ohne Aktualitätsbezug bezeichnet wurde (vgl. Paffen 1973 und Werlen 2003). 37 Zurzeit finden sich zahlreiche Verwendungen der Geographie, die sich mit dem Menschen und seinem raumbezogenen Wirken befassen. Häufig werden diese in Äprogrammatischer Weise³ (Sedlacek 1998b: 57) gebraucht und sind mit fachspezifischen Traditionen verbunden. Am häufigsten Verwendung finden (Sedlacek 1998b):
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physiognomisch oder holistisch zu verstehen sei, wurde in der deutschen Geographie die Frage der Hierarchie von Raumeinheiten lange Zeit vor dem Hintergrund des jeweiligen Inhaltes (abiotisch, biotisch bzw. anthropogen) kontrovers diskutiert (vgl. Finke 1996). Unterschiedliche Konzepte von hierarchischen Landschaftskonzepten sind in Tabelle 2 aufgeführt. Beiden Schulen landschaftsgeographischer Forschung, der physiognomischen und der holistischen, ist die Verknüpfung der komplexen geographisch relevanten Gegenstände zu Landschaft einerseits und Landschaft selbst als Untersuchungsgegenstand andererseits zu betrachten (z.B. als Klima, Siedlungsform, Dimension
Paffen (1953)
Haase (1964)
Schmithüsen (1949)
klein
Landschaftszelle
Ökotop
Fliese
Ökotop
Fliesengefüge
Ökotopgefüge
Landschaftszellenkomplex Kleinlandschaft
Einzellandschaft Großlandschaft Großlandschaftsgruppe
Mikrochore Mesochore unterer Stufe Mesochore oberer Stufe Makrochore
Neef (1963)
Mikrochore
Naturräumliche Haupteinheit Naturräumliche Großeinheit Naturräumliche Region
Landschaftsunterregion
Mesochore Makrochore
Megachore
Landschaftsregion Landschaftsbereich Landschaftszone groß
Tabelle 2:
Geographische Zone
Georegion
Landschaftsgürtel
Hierarchische Landschaftskonzepte im Vergleich (nach: Leser 1978).
- ÃAnthropogeographie¶ bezieht sich primär auf den Forschungsansatz Mensch-Erde, behandelt die Fragen nach dem Verhältnis vom Menschen und seiner (natürlichen) Umwelt und lässt sich fachgeschichtlich zunächst auf den Determinismus (Einfluss Erde-Mensch), dann auf den Possibilismus (Einfluss Mensch-Natur) und zuletzt zu der Wechselwirkung zwischen beiden zurückführen. - ÃKulturgeographie¶ ist auf die regionale Kategorie der bewohnten Erde bezogen und wurzelt in der Kulturlandschaftskunde. In jüngeren Arbeiten wird dieser Bezug durch jenen der handlungsorientierten Geographie ergänzt und vielfach als ÄNeue Kulturgeographie³ bezeichnet. - ÃSozialgeographie¶ bezeichnet zunächst jene Tradition, die Ädie Bedeutung (wie auch immer bestimmter) menschlicher Gruppen als Landschaftsgestalter oder ÃGeofaktoren¶ hervorhob³ (Sedlacek 1998b: 57). In der aktuellen Geographie bezeichnet der Ausdruck auch eine sozialwissenschaftlich orientierte Geographie.
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Relief) gemeinsam. Diese Betrachtung von Landschaft ± so der Geograph Aschauer (2001) ± als Verknüpfung (Aschauer nennt dies 1Landschaft) und Untersuchungsgegenstand (dies wird von Aschauer als 2Landschaft bezeichnet) zeichnet sich durch folgende Grundannahmen und Zielsetzungen aus: Gegenstand der Geographie sind alle materiellen Objekte jenseits einer bestimmten Größe, diese Gegenstände werden in ihren wechselseitigen Beziehungen als Ãkomplex¶ untersucht, dabei werden diese Gegenstände nicht allein als verknüpft betrachtet, sondern bilden in der Verknüpfung das Realphänomen ÃLandschaft¶, der Geograph wird durch die komplexe Struktur der Realität gezwungen, diese als Komplex zu untersuchen. Gegenwärtig wendet sich die geographische Landschaftsforschung ± zumindest teilweise ± unter dem Eindruck der angloamerikanischen und französischen Geographie im Zuge des cultural und spatial turn der Sozial- und Geisteswissenschaften semiotischen und konstruktivistischen Konzepten zu (vgl. z.B. Wood 1996, Gebhardt/Reuber/Wolkersdorfer 2003, Kemper 2003). 1.3.4.2 Zum Landschaftsbegriff in der Ästhetik Gegenstand, Inhalt und Bedeutung von Ästhetik gehören zu den vieldiskutierten Begriffen der Moderne und Postmoderne. Die philosophische Befassung wurde mit dem Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen Buch ÄAesthetica³ von Baumgarten (1961 ± zuerst 1750) als sinnliche Erkenntnis begründet. Mit diesem Aufkommen der Ästhetik als ein neuer Disziplinbegriff Äwird das aus Antike und Mittelalter überkommene Paradigma einer ontologisch fundierten Theorie des Schönen immer mehr verdrängt, ja es gelangt, angesichts der neueren Entwicklungen obsolet geworden, an sein Ende³ (Schneider 2005: 7)38. Ein bis heute kontrovers diskutiertes Problem der Ästhetik ist jenes der Objekt-Subjekt-Polarität, also ± am Beispiel der Landschaft ± der Dichotomie der ÄLandschaft als ästhetischem Objekt und dem Menschen als wahrnehmendem Subjekt³ (Wöbse 2002: 115), letztlich die Frage, Äob Schönheit etwas Objektives, dem Objekt anhaftend und damit beweisbar oder doch Ãnur¶ etwas Subjektives, das individuell und emotional ist und somit nicht messbar sein kann³ (Wöbse 2002: 114-115; vgl auch Werlen 1995) ist. Die Position der objektiven ÄstheNeben diesen Bezeichnungen lassen sich auch die Ausdrücke ÃHumangeographie¶, ÃWirtschafts- und Sozialgeographie¶, ÃGeographie des Menschen¶, und ÃKultur- und Sozialgeographie¶ finden (Sedlacek 1998b: 57, vgl. auch Werlen 1998). 38 Die vormoderne Theorie des Schönen war weniger auf Kunst und Artefakte bezogen, sondern war als metaphysisches System eher universalistisch ausgerichtet (vgl. Schneider 2005).
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tik wird dabei von Plato formuliert. Er vertritt die Auffassung, jedem Gegenstande läge eine Idee zugrunde, die umso schöner erscheine, je mehr sich diese Idee materiell auspräge, während Immanuel Kant die Position der Auffassung der subjektiven Ästhetik vertritt: Schön sei das, was ohne Begriff allgemein gefalle39. In Bezug auf Landschaft konkretisiert Hellpach (1950) diese Position, indem er davon ausgeht, dass Natur nur dann als Landschaft erfahren werde, wenn sie ohne Nutzungszweck als Sinnenerlebnis erfahren würde. Neben einer subjekt-orientierten Ästhetik, auf Basis von Äsoziokulturellen Werten, erlernten Normen, persönlichen Erfahrungen, Charaktereigenschaften und Wunschvorstellungen³ (Frohmann 1997: 175), und einer objekt-orientierten Ästhetik, die auf Äobjektiven Gesetzmäßigkeiten³ basiert, formuliert Frohmann (1997: 175) einen intersubjektiven Ansatz, der eine Verbindung zwischen den beiden genannten Ansätzen darstellt, Äwenn in der Wahrnehmung der ästhetischen Wirkung einer Landschaft oder einzelner Elemente Subjekt und Objekt miteinander verschmelzen³. Womit Landschaft als ein hybrides Konstrukt verstanden wird, sowohl Objekt als auch Subjekt. Eine weitere Bruchlinie der Ästhetik neben der Polarität von Objektivität und Subjektivität besteht in dem Spannungsfeld von Schönheit und Erhabenheit. Die Quelle des Erhabenen ist ± Burke (1980: 108 ± zuerst 1757) zufolge ± alles, Äwas auf irgend eine Weise geeignet ist, die Ideen von Schmerz und Gefahr zu erregen, das heißt alles, was irgendwie schrecklich ist oder mit schrecklichen Objekten in Beziehung steht oder in einer dem Schrecken ähnlichen Weise wirkt³. Dasjenige ist also Quelle des Erhabenen, Äwas die stärkste Bewegung hervorbringt, die zu fühlen das Gemüt fähig ist³. Kant (1974) baut in seiner 1790 zuerst erschienenen ÄKritik der Urteilskraft³ dahingehend auf Burkes Untersuchungen zum Erhabenen auf, indem er zwei Grundbereiche des ästhetischen Urteils unterscheidet, in das Schöne und in das Erhabene. Im Gegensatz zu Burke, der das Schöne dadurch definiert, dass ein Gegenstand Liebe oder eine ähnliche Leidenschaft auslöse, sieht Kant das Schöne im bereits angesprochenen interesselosen Wohlgefallen (vgl. Casey 2006)40. Der Gegenstand der nach Kant (1974) als Ãerhaben¶ gilt, ist Ädie Natur in Bezug auf den Menschen betrachtet, und zwar näherhin in ihrer Fähigkeit, durch die Anschauung moralische Ideen im Menschen zu wecken³ (Gethmann-Siefert 1995: 90). Das Erhabene ist also in der Philosophie Kants das Resultat des Äfreien Zusammenspiels von Einbildungskraft und Vernunft³ (Gethmann-Siefert 1995: 90). Das Erhabene unterscheidet sich ± so Kant (1974) ± von dem Schönen dadurch, dass es auch in einem form39 Mit Ãohne Begriff¶ sei ohne Besitzanspruch und mit Ãallgemein¶ die Mehrheit der Wahrnehmenden zu verstehen (vgl. Wöbse 2002). 40 Rosenkranz (2007: 104 ± zuerst 1853) stellt hierzu in komplementierender Negation fest: hässlich sei also, Äwas ohne Interesse allgemein missfällt³.
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losen Gegenstand aufzufinden ist, sofern er auf Unbegrenztheit bzw. Totalität verweist. Erhabenheit ist also bei Kant ± im Gegensatz zu Burke ± nicht durch physische Größe ausschließlich bestimmbar, sondern kann über die physische Quantität eines Gegenstandes hinaus auf eine übergeordnete Qualität verweisen. Dadurch lässt sich das mathematisch-Erhabene vom dynamisch-Erhabenen unterscheiden: Das Mathematisch-Erhabene verweist auf die schiere Größe eines Gegenstandes, das Dynamisch-Erhabene auf seine Macht (vgl. Kant 1974)41. Die Macht der Natur, als dynamische Erhabenheit, wird (auch) in Landschaft konstituiert (Abbildung 3). Dabei ist die Macht der Natur von der Macht der Vernunft zwar verschieden, doch ist das erkennende Subjekt in seiner Fähigkeit zur Reflexion42 die wahre Quelle des Erhabenen (vgl. Casey 2006). Sie kann sich dynamisch mit der schieren Macht der Natur in Beziehung setzen, denn das Erhabene ist ± Kant zufolge ± nicht Teil der Dinge, sondern entspringt der menschlichen Schaffenskraft. Vor dem Hintergrund der fundamentalästhetischen Gedankengänge Immanuel Kants, der die ästhetische Wirkung der Natur zwar höher schätzt als die der Kunst, wobei das Ästhetische der Natur nur in Analogie zur Ästhetik der Kunst zu bestimmen sei (vgl. Schneider 2005), interpretiert Flach (1986: 17) den Bezug von Mensch und Landschaft: ÄIn der Landschaftsvorstellung geht es um die Natur in der Zuwendung eines Subjektes. Doch erfolgt in dieser Zuwendung keine Objektbestimmung. Die Natur ist in der Landschaftsvorstellung nicht Objekt der Erfahrung, sondern etwas, das in der Zuwendung des Subjektes mit Vergnügen aufgenommen wird und das in dieser Aufnahme der reflektierenden Beurteilung unterzogen wird³.
Diese reflektierende Beurteilung ziele auf das Verhältnis von Natur zum Subjekt, Ädas in dieser Beurteilung gleichermaßen sich selbst schätzt, als das anschauungs-, verstandes- und vernunftbegabte Gegenstück der Natur³ (Flach 1986: 17), wobei sich dieses Reflektionsverhältnis in der Landschaftsvorstellung äußere43. (vgl. auch Kirchoff 2005). Als ästhetische Kategorie lässt sich ± für Schiller (1970) ± auch das Pathos behandeln, das, als Würde im Leiden, gegen die Anmut, als Würde des Betragens, als Ethos, abgrenzt (vgl. Schneider 2005). Für Schiller (1970) bildet sich im Ästhetisch-Erhabenen eine Einheit der Begriffe von Pathos und Erhabenheit, während das Ästhetisch-Schöne in gedanklicher Nähe zur Anmut zu finden ist. 41 Schiller (1970) nennt das Dynamisch-Erhabene von Kant auch das Praktisch-Erhabene, mit dem die Vorstellung von Gefahr und Tod verbunden sei. 42 Judith Butler (2001: 27) bezeichnet Reflexivität als Mittel, Ädurch welches Begehren regelmäßig in den Zirkel der Selbstreflexion überführt wird³. 43 Rosenkranz (2007 ± zuerst 1853) fügt den Überlegungen zur Ästhetik noch Gedanken über das Hässliche hinzu, das er als das Negativschöne beschreibt, in dem es nur ein sekundäres Dasein als Negation des Schönen habe und somit lediglich ein Relatives sei.
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Eine konstitutive Bedeutung für Erhabenheit hat für Schiller (1970) die Freiheit des Menschen (auch die freie Entscheidung, falsch zu handeln), die über allem steht: ÄDenn alle Kreaturen müssen müssen, nur der Mensch ist das Wesen, welches will³ (Spanier 2006: 27). Dies bedeutet: Leiden müssen alle Kreaturen, allein der Mensch kann sich gegen sein Leid auflehnen. Der Ämoralische Widerstand gegen das Leiden³ (Schiller 1970: 58) wird neben der Darstellung der leidenden Natur das Kerngesetz der tragischen Kunst. Die Verbindung vom Leiden ± gegen das sich aufzulehnen, die moralische Pflicht des Menschen sei ± Äzum Erhabenen wird dadurch hergestellt, dass Friedrich Schiller postuliert, das Pathetische sei nur dann ästhetisch, wenn es erhaben sei³ (Spanier 2006: 27). Das Erleben von Erhabenheit bei Schiller lässt sich ± so Riedel (1989: 39) ± als durchaus ambivalente Empfindung charakterisieren, als inneren Spannungszustand eines Ägemischten Gefühls³.
Abbildung 3:
Der Wasserfall ± hier im französischen Aubrac, entstanden aufgrund der Härte eines Basaltstroms ± als dynamisch-erhabenes Element der Landschaft symbolisiert vielfach die Überlegenheit der Natur.
Ähnlich der Abgrenzung von Pathos und Ethos, unterscheidet Casey (2006) am Beispiel der Landschaftsmalerei zwei Formen des Erhabenen: das Apokalyptisch-Erhabene und das Kontemplativ-Erhabene. So bilden ± so Casey (2006: 77) ± das Apokalyptische und das Kontemplative Äzwei Aspekte der massiven Erhabenheit der Natur selbst³. Dabei gäbe es zwei mögliche Weisen, die Erhabenheit der Natur zur Darstellung zu bringen Äund damit eine Erhabenheit, die vom Zer50
klüfteten zum Beruhigenden, vom Aufgeregten zum Stillen, vom Immensen zum Diminutiven reicht³ (Casey 2006: 77; vgl. Abbildung 4). Unabhängig davon, ob mit Immanuel Kant das Ästhetische der Natur dem der Kunst übergeordnet gesehen oder mit Hegel (1970 ± zuerst 1835-1838: I, 14) das ÄHöhere des Geistes und seiner Kunstschönheit gegenüber der Natur³ zuge-
Abbildung 4:
Das Erhabene in einer lieblichen Landschaft ± eine allgemein als lieblich geltende Landschaft (das Foto zeigt einen Teil des Bliesgaus im südöstlichen Saarland) erhält durch eine bedrohlich wirkende Bewölkung und die damit verbundenen kontrastierenden Beleuchtungsverhältnisse auf der Erdoberfläche eine gewisse Erhabenheit.
wiesen wird, stellt Landschaft eine Synthese aus Objekten und Symbolen natürlichen und geistigen Ursprungs dar und lässt sich somit sowohl aus der Perspektive der Natur- als auch der Kunstästhetik gewinnbringend untersuchen. Auch Adorno (1970) befasst sich mit dem Verhältnis von Natur- und Kunstästhetik. Für ihn kann die künstlerische Tätigkeit eine herrschaftsfreie Annäherung an die Wirklichkeit, die Natur, ermöglichen, da sie zu einem gleichberechtigten Gegenüber einer kommunikativen Handlung wird. In seinen Ausführungen zur Verbindung von Naturschönem und Kunstschönem in der ästhetischen Erfahrung wird dies deutlich: ÄWie verklammert das Naturschöne und das Kunstschöne sind, erweist sich an der Erfahrung, die jenem gilt. Sie bezieht sich auf Natur einzig als Erscheinung, nie als Stoff von Arbeit und Reproduktion des Lebens. Wie die Kunsterfahrung ist die ästhetische Erfahrung von der Natur eine von Bildern. Natur als erscheinendes Schönes wird nicht als Aktionsobjekt wahrgenommen. In der Lossage von den Zwecken der Selbsterhaltung, emphatisch in der Kunst, ist gleichermaßen die Naturerfahrung vollzogen³.
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Die ästhetische Erfahrung von Landschaft kann ± nach Adorno (1970) ± also als herrschaftsfreie Aneignung von Natur vollzogen werden. Das naturästhetische Prinzip in der Wahrnehmung von Landschaft kulminiert bei Adorno (1970: 112) in folgenden Worten: ÄSo wahr es ist, dass ein jegliches in der Natur als schön aufgefasst kann werden, so wahr das Urteil, die Landschaft der Toskana sei schöner als die Umgebung von Gelsenkirchen³44. Die Aneignung der Natur als Landschaft kann jedoch nicht als voraussetzungslos angenommen werden. Ritter (1963) vertritt ± anders als Adorno ± die These, die spezifische Hinwendung des Menschen zu Natur und Landschaft stehe im Zusammenhang mit dem Verlust von ÃTheorie¶ als Anschauung des Ganzen von Natur45. Mit dem Beginn der Neuzeit sei die Welt infolge des Durchsetzens des naturwissenschaftlichen Denkens in Einzelobjekte zerlegt worden, sodass die Äästhetische Einholung und Vergegenwärtigung der Natur als Landschaft die positive Funktion [übernimmt], den Zusammenhang des Menschen mit der umruhenden Natur offen zu halten und ihm Sprache und Sichtbarkeit zu verleihen; er muss ohne ästhetische Vermittlung in der Objektwelt der Gesellschaft untersagt bleiben³ (Ritter: 1963: 29-30).
Auf Grundlage bislang publizierter landschaftsästhetischer Vorstellungen arbeitet Hunziker (2000) fünf Konzepte der Ästhetik von Landschaft heraus: 1. den Landschaftsbezug der klassischen Ästhetik, als interesselose ästhetische Erfahrung im Sinne Kants, 2. die biologische Dimension der Landschaftsästhetik, als einer Bevorzugung der die urmenschlichen Überlebensbedürfnisse am besten befriedigenden Landschaft, geprägt durch Verfügbarkeit von Wasser, Überblick und Schutz, 3. die soziale Dimension der Landschaftsästhetik, im Sinne einer Aneignung von Symbolen als ÄAusdruck gemeinsam geteilter, kollektiver Überzeugungssysteme³ (Ipsen 2006: 140) im Prozess der Sozialisation, 4. die individuelle Dimension der Landschaftsästhetik, im Sinne individueller Vorstellungen und Wahrnehmungen (diese charakterisiert Hunziker jedoch als nahezu unbedeutend), 44
Hauser (2000) betrachtet diese Ausführungen als antiquiert, da heute die Umgebung von Gelsenkirchen als Landschaft anzusprechen wäre, die die eindeutige Eigenart einer ausgeprägten Kulturlandschaft habe. 45 Als Zäsur der Entwicklung des Landschaftsbegriffs begreift Ritter (1963) die Besteigung des Mont Ventoux durch den italienischen Humanisten Petrarca am Morgen des 26. April 1335, der ausführliche Reflexionen über die Wanderung und die Aussicht auf die umgebende Landschaft fertigte. Ipsen (2006: 88) bezeichnet die Besteigung des Mont Ventoux als Äeine universelle, kulturell bestimmte These zur Strukturierung des Landschaftsbewusstseins³.
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5.
das integrierte Modell der Landschaftsästhetik, das die unter Punkt 1 bis 4 genannten Modelle zu integrieren trachtet. Die fortschreitende Verwissenschaftlichung der Beziehung von Mensch und Natur ± im Sinne einer ÄVerwissenschaftlichung der unwissenschaftlichen Welt³ (Beck/Bonß 1984: 382) ± habe dabei die Folge, dass einerseits das Bedürfnis einer ästhetischen Vermittlung von Natur in Form von Landschaft entstehe. Andererseits sei diese Verwissenschaftlichung auch Voraussetzung für die Vermittlung, da der Mensch erst, wenn er auch aus den undurchschauten Zwängen der Natur entlassen sei, sich ihr in ästhetischer Absicht nähern könne (vgl. auch Kortländer 1977, Kaufmann 2006). Siekmann (2004: 58) bezeichnet folglich die Konstitution des ästhetischen Landschaftsbegriffs als eine Entzauberung und zugleich als eine der Welt durch Wissenschaft und Technik entgegenwirkende Äästhetische Verzauberung³. Eine solche Äästhetische Wiederverzauberung³ der Welt ist konstitutiv für die, das funktionale Konzept der Moderne ablehnende Postmoderne, wodurch sich die Postmoderne als ÄZeichen des Wiederanknüpfens an die Romantik³ (Pohl 1993: 29; ähnl. Safranski 2007) interpretieren lässt. Wo in der Moderne das (möglichst reine) Aufklärungs- und Vernunftmodell galt, ästhetisiert die Postmoderne. Wirklichkeit wird zunehmend als Änicht Ãrealistisch¶, sondern als Ãästhetisch¶ konstruiert³ (Welsch 1995: 7) gesehen. Die Kultur der Postmoderne ist nicht linear, sondern vielmehr zyklisch. Sie ist keine Kultur des Neuen, sondern des reflexiv Umgestalteten, des Re-Zyklierten, des Zitierten, des Historisierten, des ÄPlaygiats³ (z.B. Federman 1991) und löst mit einem ironisierenden Zugriff auf Kitsch und Hochkultur die Dichotomie zwischen diesen beiden Konzepten (Fuller 1992, Janker 2002, Liessmann 2002, Dettmar/Küpper 2007) in subkulturellen ästhetischen Distinktionsmustern auf (vgl. Sontag 2007 ± zuerst 1964). Straße, Siedlung, Landschaft, Staat und Kontinent werden dabei von einer räumlichen Determinante zu einer Idee und deren Inszenierung, die gezielt organisiert und zelebriert wird (vgl. Beck 1997): Die Individualität des Urbanen wird zur Simulation. Landschaft wird mehrfach codiert (Kühne 2006a): Landschaft erhält die Aufgabe zugewiesen, zu bilden, zu ermahnen, zu erbauen, zu erstaunen, sie ist ein Ort der Einfühlung (womit in der Postmoderne das Konzept der ästhetischen Einfühlung von Lipps 1891 und 1902 eine Aktualisierung erfährt)46. Auch Landschaft wird in der Postmoderne zum Playgiat, sie wird mit einem ökonomisch vielfach funktionslos gewordenen Zustand bespielt, der kulturell historisierend gestaltend, bisweilen ironisch aufgeladen, und einer intuitiven Aneig-
46 Lipps grenzt sich mit dem Prinzip der ästhetischen Einfühlung gegen naturalistische Konzepte und empirische Methoden zur Erfassung des Ästhetischen ab. In seinem formorientierten Ansatz sind Formen für ihn Ädas Korrelat von Gefühlen³ (Schneider 2005: 136).
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nung (im Sinne von Croce 1930)47 zugänglich gemacht wird. Landschaft wird vom Gebrauchs- oder Tausch-, bisweilen auch Prestige- und Repräsentationsobjekt zum Sakralobjekt (vgl. Kohl 2003). 1.4 Zur Selektivität der Konstruktion von Landschaft ± die sensorische Vieldimensionalität von Landschaft Angeeignete physische Landschaft wird in einem rekursiven Prozess mit gesellschaftlicher Landschaft in der individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft konstruiert, wobei die Wahrnehmung der physischen Objekte an sensorische übermittelte Informationen gebunden ist. Auch wenn ± wie Nohl (2006: 122) feststellt ± die ÄErkenntnis von und das Wissen über Landschaft [«] auch dadurch gefördert [wird], dass an der Wahrnehmung meist mehrere Sinne beteiligt sind³, und Hellpach (1950) Landschaft als sinnlichen Gesamteindruck charakterisiert, bleibt die Wahrnehmung von angeeigneter physischer Landschaft stark auf die visuelle Dimension beschränkt. Industrieanlagen, Hügel, Wälder, Wolkenkratzer, aber auch nur kurzzeitig wahrnehmbare Phänomene wie Wolken, Abendrot oder schwarzer Rauch eines entzündeten Reifenstapels werden zunächst visuell wahrgenommen, da bei dem sensorischen Zugang zur bewusstseinsexternen Welt der Sehsinn dominiert 48. Die soziale Reduzierung von Landschaft auf das Visuelle ist auch in der Geschichte der Landschaftswahrnehmung begründet: Schließlich vollzogen sich Wahrnehmung und Gestaltung der angeeigneten physischen Landschaft auf Grundlage der Landschaftsmalerei. Auch die Welt der Wissenschaft ist stark auf optische Phänomene ausgerichtet. So sind ± wie Latour (2002: 165) feststellt ± optische Metaphern weit verbreitet und werden immer wieder verwendet, Äwenn man sagt, dass Wissenschaftler die Welt Ãdurch eine bestimmte Brille¶ sehen, dass sie Vorurteile haben, die ihre ÃSicht¶ eines Gegenstandes Ãverzerren¶, dass sie mit ihren ÃWeltanschauungen¶, ÃParadigmen¶, ÃVorstellungen¶ oder ÃKategorien¶ die Beschaffung der Welt Ãinterpretieren¶³49.
47 Croce (1930) formuliert die Intuition als eine eigenständige Form der Erkenntnis, die auf der Aktualwahrnehmung und dem Gedächtnishaft-Bewussten beruhe (vgl. auch Schneider 2005). 48 Rund 80 Prozent der Sinneseindrücke entfallen auf diesen Sinn (Rock/Harris 1967). 49 Ein Beispiel für die optische Metaphorik in der Geographie liefert Werlen (1998), wenn er in seinem disziplinhistorischen Aufsatz ÄLandschaft, Raum und Gesellschaft. Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte wissenschaftlicher Sozialgeographie³ schreibt: ÄForschungsansätze sind wie Brillen, anhand derer man die Wirklichkeit ± oder zumindest das, was man dafür hält ± unterschiedlich sieht. Jede Forschungsperspektive hat, je nach Zuständigkeitsbereich, in gewissem Sinne jeweils spezifische Sehschärfen und tote Winkel³.
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Hinsichtlich der wissenschaftlichen Bewertung der Ästhetik der Landschaft findet diese Zentrierung auf den Sehsinn in der Forderung von Buhyoff et al. (1994) ihren Ausdruck, eine Methode der Bewertung der visuell wirksamen Qualität von Landschaft müsse diese nicht nur einschätzen, sondern auch erklären können, warum eine angeeignete physische Landschaft visuell ansprechender sei als eine andere (vgl. auch Augenstein 2002). Die nicht-optischen Sinne unterliegen hier einer (wohl auch methodisch begründeten, wie im Folgenden ausgeführt wird) systematischen Nicht-Beachtung. Die systematische ± nicht allein metaphorische ± Minderbeachtung des Geruchssinns (wobei die Ausführungen auch auf die anderen nicht-visuellen Sinne in abgestufter Weise Geltung finden können) sieht Raab (1998) in den Forderungen der westlichen Wissenschaft nach Wertfreiheit, Allgemeinheit und Nachvollziehbarkeit der Aussagen und Forschungen, letztlich also dem Vorrang des Rationalen über das Emotionale und dem der Allgemeingültigkeit über das Individuelle. Die (Newtonsche) Naturwissenschaft sei ± so stellt Ginzburg (1988: 95; vgl. auch King 1997) fest ± Ävon Berufs wegen taub und blind gegenüber Geruch und Geschmack³. Während also Äz.B. in der visuellen Wahrnehmung sowohl optische Qualitäten (Farben) einer physikalisch messbaren Dimension (Wellenlänge des Lichts) zugeordnet werden können und auch ein überschaubares subjektives Kategoriensystem zur Klassifizierung dieser Qualitäten verfügbar ist (z.B. Grundfarben), sind im olfaktorischen Bereich weder konsistente Beziehungen zwischen den chemisch-physikalischen Merkmalen von Düften und ihrer Empfindungen erkennbar, noch systematische Klassifikationsgesichtspunkte, nach denen subjektive Duftqualitäten geordnet werden können, vorhanden³ (Raab 1998: 16)50.
Diese subjektive Gefasstheit des Geruchssinns beschrieb bereits Simmel (1908: 656-657): ÄDer Geruch bildet nicht von sich aus ein Objekt, wie Gesicht und Gehör es tun, sondern bleibt sozusagen im Subjekt befangen, was sich darin symbolisiert, dass es für seine Unterschiede keine selbständigen, objektiv bezeichnenden Ausdrücke gibt. Wenn wir sagen: es riecht sauer, so bedeutet das nur, es riecht so, wie etwas riecht, das sauer schmeckt. In ganz anderem Maße als die Empfindungen jener Sinne entziehen sich die des Geruchs der Beschreibung mit Worten, sie sind nicht auf der Ebene der Abstraktion zu projizieren³. 50 Die Messung von Luftschadstoffen als Indikator für den Grad an olfaktorischer Belastung ist nur teilweise verwendbar (vgl. Bischoff 2002a): Während einige Schadgase (Schwefeldioxid oder Schwefelwasserstoff) stark riechen, sind andere Schadgase (wie Kohlenmonoxid oder Ozon) völlig oder nahezu geruchlos, während die stoffliche Grundlage als unangenehm bewerteter Gerüche hinsichtlich ihrer chemischen schwer nachzuweisen sind (wie der Geruchsmelange von Bremsenabrieb von Eisenbahnen, Urin und angebranntem Pommesfett, wie sie für viele Bahnhöfe charakteristisch ist).
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Die Vernachlässigung des Geruchssinns in der zeitgenössischen Wissenschaft fußt auf einer gesellschaftlichen Diskreditierung des Olfaktorischen, so gilt Geruch mit den Bereichen der Animalität und ± seit Freud ± der Analität verbunden (Payer o.J.). Bereits Kant (1980 ± zuerst 1798) erklärte den Geruchssinn zum eindeutig entbehrlichsten und undankbarsten unter den Sinnen. Er sei deutlich stärker mit Gegenständen des Ekels als der Annehmlichkeit in Verbindung zu bringen. Während jedoch die gustatorische Dimension von Landschaft seltener in Reinform51 in die Wahrnehmung einfließt52, kann sich der Mensch dem Geruch in seiner Umgebung kaum entziehen (vgl. Bischoff 2003). Somit prägen ± so Payer (o.J.: 3) ± Düfte und Gerüche als omnipräsente Luft-Ingredienzien Landschaften ± insbesondere städtische ± unmittelbarer und Ävor allem auch nachhaltiger als die Sinneswahrnehmungen durch Auge oder Ohr. Sie prägen sich tiefer im Gedächtnis ein und ermöglichen so den Effekt der Wiedererkennung.³ So waren die Beschreibungen von olfaktorischen Reizen charakteristisch für die Reiseberichte des 17. bis 19. Jahrhunderts: Palermo rieche nach Zitrusfrüchten, Kairo nach billigem, gegerbtem Leder, Delhi nach feuchter Erde, Djakarta nach Blumen, Bangkok nach Baumharzen und Weihrauch (Faure 1993, Payer o.J.). Im Gegensatz zum Sichtbaren ist der Geruch zudem vielfach nicht unmittelbar einer konkreten und ortbaren Geruchsquelle zuzuordnen; die ÄZuordnung von Gerüchen findet zumeist unter Zuhilfenahme des Hörens und Sehens statt³ (Bischoff 2003: 45), Gerochenes wird mithilfe von Gesehenem und Gehörtem in Beziehung gesetzt. Im Gegensatz zum Gesehenen kann Duft, Gestank oder Geruch gerade nicht zwischen Gegenständen (beispielsweise Hochhäusern) verortet werden (vgl. Bischoff 2005a). Die Vernachlässigung der nicht-visuellen Sinne in der Wissenschaft findet sich auch in der wissenschaftlichen Geographie. So bezieht sich die Behandlung von Landschaft hier insbesondere in der physiognomischen Tradition unmittelbar auf das Sichtbare oder leitet ihre Erkenntnisse in der holistischen Schule aus der Reflexion des visuell Wahrnehmbaren ab. Kulturen werden ± so stellt King (1997: 239) fest ± so Äkonzeptualisiert, als seien sie nichts weiter als eine räumliche Anordnung, die dafür da ist, gesehen zu werden³. Zugleich arbeitet die Geographie (wie andere Wissenschaften auch) hinsichtlich der Präsentation ihrer Ergebnisse stark visuell orientiert, wobei neben der üblichen schriftlichen Vercodeung eine spezifisch topographisch-geographische tritt: die kartographische Aufarbeitung von Forschungsergebnissen. Es findet also bei der geographischen 51 Ein anderer Fall ist die Kombination von Geruch und Geschmack: Der Mensch nimmt Gerüche auch über den Geschmackssinn als schmeckendes Riechen wahr (vgl. Bischoff 2002a). 52 So neigt der erwachsene Mensch ± von einigen Ausnahmen wie Waldbeeren oder den Produkten von Currywurstbuden abgesehen ± selten dazu, sich Landschaft über den Geschmackssinn anzueignen.
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Landschaftsforschung häufig lediglich eine Transformation einer visuellen Wahrnehmung über eine Typisierung/Klassifizierung/Bewertung in eine kartographische Signatur, also ein visuell wahrzunehmendes Symbol, statt. Die Übersetzung beispielsweise eines olfaktorischen Reizes in eine Karte bedeutet hingegen eine zusätzliche Transformation von der olfaktorischen in die visuelle Sinnesdimension. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Granö aus dem Jahre 1929, in der statt instrumentell erfasster Felder (beispielsweise von Schall) Aktivitätsräume bezeichnet werden, die sich durch unterschiedliche Klang-, Duft- und Farbwirkungen unterscheiden. Die akustische Dimension von Landschaft lässt sich ± teilweise ± mithilfe von Schalldruckmessgeräten und Schallausbreitungsberechnungen sowie deren kartographischer Ausarbeitung quantifizieren. Aber ebenso wenig, wie sich die olfaktorische Dimension von Landschaft allein anhand der Messung von chemischen Verbindungen in der Atmosphäre darstellen lässt, lässt sich die akustische Landschaft auf die Lautstärke in Dezibel reduzieren (Burckhardt 1981b: 205): Selbst Lärm ist Ämehr als eine physische Einwirkung auf unser Gehörorgan; er ist eine Informationsquelle; und die Summe der Geräusche bildet unsere akustische Umwelt³. Bereits bevor Lärm physischen Schaden anrichtet, bedeutet er ein Ungleichgewicht Äin unseren Umweltinformationen³ (Burckhardt 1981b: 205). Ein wesentlicher Bestandteil der Wirkung von Lärm ist die Beziehung die zwischen Lärmquelle und Lärmrezipienten; die Selektion der ÄÃgemeldeten¶ Botschaften geschieht [«] nicht nur nach der Lautstärke, sondern ist gesteuert von Sympathien, Ärger, Angst, Neugierde³53. Allgemein gesprochen, ist die Erscheinung von Geräusch, Klang und Lärm vom Gesellschaftlichen geprägt, die ÄVielzahl und Widersprüchlichkeit der Akteure erzeugen das Große Rauschen, in das unsere Zivilisation eingetaucht ist³ (Bosshard/Winkler 2003: 59). Die Klanglandschaft, wie sie Winkler (2005: 85) beschreibt, erscheint, wenn angeeignete physische Landschaft als Chronik menschlicher Tätigkeit verstanden wird, flüchtig und Ädem beschreibenden und gestaltenden Zugriff entzogen³. Klanglandschaften erfordern, dass Äder Ort des Menschen als des Wahrnehmenden und Gestaltenden stets erkennbar bleibt³ (Winkler 2005: 86)54. Noch weniger als die olfaktorische und die akustische finden die haptische bzw. taktile und vestibuläre Dimension von Landschaft wissenschaftliche (aber auch nicht-wissenschaftliche) Beachtung. Die haptischen bzw. taktilen und 53
Hoeres (2004: 208) schreibt Lärm sogar eine landschaftszerstörende Bedeutung zu, Äweil er ihr wesenswidrig ist und ihren typischen Charakter aufhebt, der an die Stille gebunden ist³, wobei er sich in seiner Betrachtung auf stimmungsvolle stereotyp-schöne Landschaften bezieht und Stadtlandschaften, bei denen Klang und Lärm durchaus als konstitutives Element gelten kann, außer Acht lässt. 54 Deswegen fordert Winkler (2005) die Rücknahme einer kartographischen Verobjektivierung zugunsten einer perspektivisch-lebensweltlichen Betrachtung.
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vestibulären Dimensionen sind geprägt von ihrer Eigenschaft als Nahsinne: Sie wirken unvermittelt auf die Raum- und Landschaftskonstruktion ein. Während der Gleichgewichtssinn jedoch unbewusst über in der Regel beschrittene Oberflächenstrukturen, wie Relief oder deren Glattheit, Festigkeit oder Rutschigkeit, ermittelt, wird der Tastsinn häufiger bewusst zur Prüfung der Beschaffenheit von Objekten eingesetzt. Sowohl der Tast- als auch der Gleichgewichtssinn bilden eine wesentliche Grundlage hinsichtlich der Zugänglichkeit von angeeigneter physischer Landschaft. Häufig geschieht dies indirekt über visuelle Eindrücke, durch die Synthese von optischem Eindruck und zurückliegenden Erfahrungen hinsichtlich der Überwindung von steilen oder stark von Büschen bestandenen Oberflächen (vgl. hierzu Bürgin/Bugmann/Widmer 1985, Winkler 1992). Auch wenn die soziale Konstruktion von Landschaft durch das Visuelle dominiert wird, erschöpft sich die Spezifik von Landschaft nicht in jenen visuell wahrnehmbaren physischen Objekten: Die sich visuell präsentierende angeeignete physische Landschaft Äkorreliert zugleich mit einer akustischen, olfaktorischen, taktilen [, vestibulären; Ergänzung O.K.] und gustatorischen Dimension³ (Bischoff 2005b: 9). Gerade die olfaktorischen und die akustischen Dimensionen von angeeigneter physischer Landschaft sind eher durch Übergänge denn durch scharfe Grenzen geprägt.
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2 Sozialisation, Macht und soziale Distinktion ± einige Vorüberlegungen
Wird angeeignete physische Landschaft im Anschluss an die Überlegungen von Bourdieu (1991a) als Folge bzw. insbesondere Nebenfolge sozialen bzw. sozial präformierten Handelns aufgefasst, stellt sich die Frage nach den wesentlichen Bedingungen ihrer Herstellung. Solche Bedingungen, die in spezifischer Weise strukturiert und damit gesellschaftlich geordnet sind, sind die ihrer Herstellung zugrunde liegenden Machtbeziehungen und deren Sozialisationsprozesse. Damit verbunden ist die Frage, wie Gesellschaft jene Machtstrukturen konstituiert (Popitz 1992), die auf Landschaft symbolisch übertragen werden. Das wesentliche Ziel dieses Kapitels liegt darin, entscheidende Erkenntnisse über gesellschaftliche Macht- und Distinktionsbeziehungen (z.B. von Foucault 1977, Bourdieu 1987, Popitz 1992, Sofsky/Paris 1994, Paris 2005, Woodward 2005) sowie deren Sozialisation für eine spätere Reflexion an den Prozessen der Entwicklung von angeeigneter physischer, gesellschaftlicher und individuell aktualisierter gesellschaftlicher Landschaft verfügbar zu machen. 2.1 Anmerkungen zum Begriff der Sozialisation Menschen sind ± aufgrund ihrer Instinktarmut und des geringen Maßes angeborener Verhaltensschemata und der daraus resultierenden Weltoffenheit (Gehlen 1956, Pleßner 1924) ± auf eine Entwicklung von Erleben, Denken und Handeln in sozialen Lernprozessen angewiesen. Sozialisierung hat ± Fend (1981) zufolge ± dabei eine doppelte Funktion, die der Reproduktion der Gesellschaft (durch Reproduktion von Rollen, Werten und Normen) und jene der Herstellung der Handlungsfähigkeit des Subjekts in der Gesellschaft. Diese sozialkommunikative ÄSelbstprogrammierung³ (Mead 1968: 280)55 des menschlichen Bewusstseins umfasst die Prozesse, in denen sich der Mensch die gesellschaftlich vorgefundenen Werte und Normen, Gewohnheiten und Handlungsmuster aneignet und sie verinnerlicht (vgl. auch Durkheim 1984 ± zuerst 1912). Ein wesentlicher Aspekt 55
Zinnecker (2000) geht darüber hinaus und spricht sogar von ÄSelbstsozialisation³, das die Komponenten der Eigensozialisation und um die Sozialisation des Selbst enthalte, in einem Gegenentwurf zur Welt der Erwachsenen.
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dieses Sozialisationsprozesses ist die Aneignung von Alltagswissen, eines Wissen also, auf dessen Grundlage soziale Wirklichkeit erfahrbar und bewältigbar ist (Schütz/Luckmann 1975 und 1984). Das Alltagswissen ist dabei als eingewöhntes, unhinterfragtes und selbstverständliches Wissen nicht an objektiven Wahrheitskriterien, sondern an Handlungsfähigkeit ausgerichtet. Die mit den Bewertungen einhergehenden Typisierungen haben eine handlungsvereinfachende Wirkung. Durch das durch die Sozialisation internalisierte (Alltags-)Wissen werden die Handlungen von Personen geprägt (Horkheimer 1983: 8): ÄDas Individuum für sich allein ist eine Abstraktion. Es ist in die Gesellschaft verflochten; von den Besonderheiten der Verflechtung hängt zum Teil nicht bloß sein Schicksal, sondern auch sein Charakter ab³. Der Sozialisationsprozess umfasst ± Claessens (1979) zufolge ± drei Aspekte: 1. die Soziabilisierung als Prozess, der dem menschlichen Nachwuchs die Möglichkeit eröffnet, menschliche Eigenschaften und Weltvertrauen zu entwickeln, Weltverständnis aufzubauen und sich im Unterschied zu anderen als Ich-Identität zu konstituieren; 2. die Enkulturation als sukzessive Aneignung kulturspezifischer Werte, Normen und Regeln; 3. die sekundäre soziale Fixierung als Prozess der Vorbereitung der Person auf die Übernahme differenzierter und spezialisierter sozialer Positionen und Anforderungen. Dabei ist dieser Prozess der Sozialisation des Menschen ± nach Piaget (1983) ± von drei Bedingungen abhängig: 1. Organische, neuronale und hormonellen Reifungsprozesse sind konstituierende Voraussetzung für die zunehmende Teilhabe an (komplexen) sozialen Prozessen. 2. Soziale und materielle Erfahrungen können Ädie Entwicklung des Kindes anregen und unterstützen, aber auch hemmen³ (Zimmermann 2006: 37). 3. Die Äquilibration ± als Streben nach einem Gleichgewicht ± bedeutet das Bemühen des Menschen, Ungleichgewichte auszugleichen. Mit dem Prozess der Assimilation gestaltet der Mensch seine Umwelt nach seinen Vorstellungen, ist der Mensch nicht mehr in der Lage, mithilfe assimilatorischer Handlungen seine Bedürfnisse zu befriedigen, entwickelt er neue Muster der Wahrnehmung, der Deutung und des Handelns (Akkomodation). Sozialisation ist nicht mit dem Erreichen des Erwachsenenalters abgeschlossen, sondern vielmehr ein lebenslanger Prozess. Er lässt sich in zwei Phasen gliedern (Berger/Luckmann 1984): Erstens, in der Phase der primären Sozialisation wird der Mensch durch Interaktion mit anderen Menschen zum Mitglied der Gesellschaft. Dabei werden sowohl die milieuspezifischen Orientierungs- und Verhaltensmuster insbesondere in mikrosozialen Bezügen (Familie, Schule, peer-group 60
u.a.) als auch in makrosozialen Verhältnissen (soziale Strukturen) vom Kind gelernt (vgl. auch Hort 2007). Zweitens wird in der Phase der sekundären Sozialisation die bereits sozialisierte Person in neue Ausschnitte der sozialen Welt eingeführt. Dabei internalisiert die Person gesellschaftliches Spezial- und Rezeptwissen, also spezifisches Rollenwissen, das Ämit der Aneignung eines rollenspezifischen Vokabulars (Fachjargon) einhergeht³ (Hort 2007: 82)56. Die Übergänge zwischen primärer und sekundärer Sozialisation lassen sich als fließend charakterisieren. Die Trennung zwischen primärer und sekundärer Sozialisation vollzieht sich in dem subjektiven Erkennen, dass Ädie signifikanten Anderen als generalisierte Andere zu verstehen seien³ (Hort 2007: 81), eine Trennung die in westlichen Kulturen zeitlich in der Schulzeit verortet werden kann57. 2.2 Dimensionen der Macht Macht ist zwar ein nahezu allgegenwärtiger Begriff, doch oder gerade deswegen herrscht hinsichtlich seiner Definition Äimmer noch ein theoretisches Chaos³ (Han 2005: 7). Einerseits wird Macht mit Freiheit, andererseits mit Unterdrückung in Verbindung gebracht, hier steht Macht mit Ordnung, dort mit sozialem Zwang im Zusammenhang. Die einen assoziieren mit Macht Willkür, die anderen Recht. Macht ist also ein vielschichtiger, schillernder und widersprüchlicher Begriff (vgl. auch Imbusch 1998). 2.2.1 Grundüberlegungen zu Macht Macht ist ± wie Sofsky/Paris (1994: 11) feststellen ± eine Äzentrale Form der Vergesellschaftung³, schließlich gibt es zwischen Menschen keine Ämachtsterilen Verhältnisse³ (Popitz 1992: 272). Macht lässt sich nicht durch ein einfaches Ursache-Wirkungsschema erfassen, vielmehr entsteht sie in einem rekursiven Prozess (Sofsky/Paris 1994: 11): ÄWie in den Regeln des sozialen Verkehrs inkorporiert ist, so folgt umgekehrt der Machtprozess den Regeln des Sozialen³. Macht entsteht also aus sozialen Beziehungen, sie existiert allein in Verbindung zu anderen Menschen (Paris 2005; Imbusch 1998): Macht ist normal und stiftet Normalität, da sie Ordnung(en) schafft. Macht ist umkämpft und Machtkämpfe 56
Adorno (1987: 18) bezeichnet den Jargon als Berufskrankheit der Berufsgruppen, Ädie, wie das so heißt, geistige Arbeit verrichten, zugleich aber unselbständig und abhängig sind oder wirtschaftlich schwach³, ein Thema das in Kapitel 6 (Landschaft und Macht) intensiver untersucht wird. 57 In dieser Arbeit wird die Schulzeit der primären Sozialisation zugerechnet, da die Trennung zwischen primärer und sekundärer Sozialisation in der systematischen Anwendung einer fachspezifischen Sprache gesehen wird. Diese Fachsprache wird in der Schulzeit nur ansatzweise internalisiert.
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sind ein Teil Ädes schon immer stattfindenden Aushandelns von Normalität³ (Paris 2005: 7). Macht unterdrückt und strukturiert zugleich. Die Anthropogenese von Macht unterstreicht Popitz (1992: 12), wenn er schreibt: ÄMachtordnungen sind nicht gottgegeben, sie sind nicht durch Mythen gebunden, nicht naturnotwendig, nicht durch unantastbare Traditionen geheiligt. Sie sind Menschenwerk.³ Durch den Charakter des Menschenwerks sind Machtordnungen prinzipiell reversibel (Popitz 1992). Max Weber (1976 ± zuerst 1922: 29) bezeichnet Macht als Äsoziologisch amorph³, da alle Ädenkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen³ einen Menschen in die Lage versetzen können, Äseinen Willen in einer gegebenen Situation durchzusetzen³. Macht bedeutet für Weber (1976: 28 ± zuerst 1922) Äjede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichwohl worauf diese Chance beruht³58, also den Gegner direkt oder indirekt dazu zu zwingen, von seiner eigenen Zielsetzung abzulassen (Foucault 1983). Macht lässt sich nicht als Gegenstand oder Eigenschaft einer Person oder Personengruppe beschreiben. Auch ist Macht nicht stabil, sondern ± bisweilen hochgradig ± reversibel und situationsabhängig, zeitlich und räumlich vielfach stark diskontinuierlich und gelegentlich von dem potenziellen oder aktuellen Einsatz von Instrumenten abhängig, wie Latour (2002: 218) plastisch darlegt: ÄMit der Waffe in der Hand bis du jemand anderes, und auch die Waffe ist in deiner Hand nicht mehr dieselbe. Du bist ein anderes Subjekt, weil du die Waffe hältst; die Waffe ist ein anderes Objekt, weil sie eine Beziehung zu dir unterhält. Nicht länger handelt es sich um die Waffe-im-Arsenal oder die Waffe-in-der-Schublade oder die Waffe-in-der-Tasche, nein, jetzt ist es die Waffe-in-deiner-Hand, gerichtet auf jemanden, der um sein Leben schreit³.
Das soziale Feld, in dem sich der Erwerb, die Sicherung oder die Einbuße von Macht vollzieht, setzt sich üblicherweise aus mehr als den Instanzen der Mächtigeren und der Mindermächtigen zusammen (Sofsky/Paris 1994). Das bedeutet, dass ± Butler (2001) zufolge ± die handelnden Subjekte weder durch die Macht determiniert sind, noch Macht voll determinieren. Die Rollen der am Machtspiel Beteiligten sind unterschiedlich. Zum Beispiel gibt es jene, die das Machtspiel beobachten, oder jene, die sich mit einer Partei verbünden. Solche Machtfigurationen lassen sich ± nach Sofsky/Paris (1994: 14) ± beschreiben Äals komplexes Geflecht asymmetrischer und wechselseitiger Beziehungen, in dem mehrere Personen, Gruppen oder Parteien miteinander verknüpft sind und in dem Verände58 Der im Folgenden verwendete Machtbegriff ist somit gegenüber dem auf Parsons (1980) basierenden Machtbegriff als Kommunikationsmedium des politischen Systems, wie er in Abschnitt 1.3.2.3 vorgestellt wurde, erweitert. Macht lässt sich zwar als typisches Kommunikationsmedium des Politischen deuten, jedoch ist Macht auch im nicht-politischen Feld zu finden.
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rungen einer Relation auch die anderen Relationen verändern³. In Machtfigurationen lassen sich vier Grundtypen von Macht ausweisen (Popitz 1992): 1. Die Aktionsmacht als Macht, andere Menschen zu verletzten, basiert einerseits auf der Verletzbarkeit des menschlichen Körpers, andererseits auf der Macht des Entzugs von Subsistenzmitteln und sozialen Teilhabechancen. Das typische Machtverhältnis der Aktionsmacht ist die pure Gewalt. 2. Die instrumentelle Macht basiert als Unterwerfungsmacht auf der Verfügung über Bestrafungen und Belohnungen, dem Entzug oder dem Gewähren von Gratifikationen. Das typische Machtverhältnis der instrumentellen Macht ist die Erzeugung von Konformität mittels Angst und Hoffnung. 3. Die autoritative Macht steuert das Verhalten und die Einstellung anderer Personen. Sie erzeugt eine einwilligende Folgebereitschaft, sie ist verinnerlicht und somit in der Regel unbewusst. Das typische Machtverhältnis der autoritativen Macht ist die fraglose Autorität. 4. Die Daten setzende Macht ist die Objekt vermittelnde Macht technischen Handelns. Sie ergibt sich aus der Schaffung von technischen Artefakten und der daraus erwachsenden Möglichkeit, das Handeln anderer zu strukturieren. Das aus der Daten setzenden Macht erwachsende typische Machtverhältnis ist die technische Dominanz. Diese Machttypen sind hinsichtlich ihres Auftretens variabel: Sie können gemeinsam und in unterschiedlicher Dosierung auftreten. Im Zuge der Gesellschaftsentwicklung verschiebt sich die Anwendung der unterschiedlichen Machttypen. Mit der verringerten Bedeutung der Aktionsmacht und der instrumentellen Macht geht ein Bedeutungsgewinn der autoritativen und ± im Zuge der gesellschaftlichen Technisierung ± der Daten setzenden Macht einher59. 2.2.2 Macht und Wissen Macht ist in einem Bedingungsverhältnis an Wissen geknüpft. Macht lässt sich ± wie Deutsch (1969: 171) in seiner Äpolitischen Kybernetik³ feststellt ± als Ädie 59 Dieser von Popitz entwickelte und in dieser Arbeit verwendete Ansatz der Machtvermittlung durch Artefakte widerspricht sowohl jenen Ansätzen der ÄBanalisierung³ wie auch jenen der ÄDramatisierung³ (Fohler 2004: 42) von Artefakten. Eine Ãbanalisierende¶ Position nehmen Koelle (1822) und Kapp (1978 ± zuerst 1877) ein, wenn sie in der Hervorbringung technischer Artefakte ein Mittel der Selbsterkenntnis und der Vervollkommnung des Menschen und vielmehr Älediglich menschliche Organe und Funktionen nach außen³ (Fohler 2004: 40) projiziert sehen, eine Position, die auch Gehlen (1986) vertritt, wenn er den Menschen als Mängelwesen beschreibt. Die Ãdramatisierende¶ Position nehmen annimmt, Ädie beispiellose Entfesselung von Wissenschaft und Technik [drohe] [«] die Grundlagen der Gesellschaft zu zerstören³ (Fohler 2004: 40). Der Mensch habe mit der Entfesselung der Technik Objekte entwickelt, die sich unabhängig von ihm entwickeln können (vgl. z.B. Jünger 1946).
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Fähigkeit einer Person oder Organisation, ihrer Umwelt die Extrapolation oder Projektion ihrer inneren Struktur aufzuzwingen³ verstehen. Macht habe also derjenige, Äder es sich leisten kann, nichts lernen zu müssen³ (Deutsch 1969: 171). Wissen bedeutet dabei nicht per se Macht, Wissen lässt sich nur dann in Macht transformieren, Äwenn es sich um exklusives Wissen handelt: Wissen, das der eine hat und der andere nicht hat, aber braucht³ (Paris 2003b: 42). Durch die gesellschaftliche Differenzierung ist Macht an ein Wissens- und Informationsgefälle gebunden. wird Macht. Für Foucault (1983: 114) ist Macht Äder Wille zum Wissen³. Die Symbiose von Macht und Wissen entsteht durch das Nicht-Existieren von Machtbeziehungen ohne Wissensbeziehungen sowie das Nicht-Existieren von Wissensbeziehungen ohne Machtbeziehungen in einem rückgekoppelten Mechanismus: Das Machtsystem emergiert ein Wissenssystem, das Wissenssystem emergiert ein Machtsystem. Macht transformiert sich zum Willen des Beherrschten selbst (Foucault 1977), indem der panoptische Blick dazu führt, dass sich Menschen als Subjekte konstituieren (Hillebrandt 2000: 120): ÄNur durch die Subjektwerdung des Individuums über das eigene Selbst erlaubt es dem einzelnen zu erkennen, was der disziplinierende Blick erfasst, wenn er sich auf das Individuum richtet.³ Das Gefängnis wirkt dabei auch auf den Körper des Gefangenen ein, Äaber so, dass es den Häftling zur Annäherung an ein Ideal zwingt, an eine Verhaltensnorm, ein Modell des Gehorsams³ (Butler 2001: 82), wodurch der Gefangene zum ÄPrinzip der eigenen Unterwerfung³ (Foucault 1977: 260) wird. Macht ist weder räumlich noch funktional monozentriert, sondern vielmehr verästelt in einem omnipräsenten Geflecht von Machtkonflikten zwischen Herrschenden und Beherrschten (Bourdieu 2001). In Abgrenzung zum Weberschen Machtbegriff beschreibt Foucault (1983: 113) Macht als ÄVielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren³. Damit lässt sich Macht als ein Spiel beschreiben, Ädas in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kräfteverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kräfteverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten ± oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren³ (Foucault 1983: 113).
Dieses Gefälle lässt sich an den Grenzen von Wissensmilieus und teilweise zeitlich und räumlich begrenzter Wissensnetzwerke festmachen (vgl. Castells 2001, Matthiesen 2006). Matthiesen (2006: 167) nennt die hybride Mischung der Interaktionstypen aus Wissensmilieus und Wissensnetzwerken ÄKnowledgeScapes ± Wissenschaftslandschaften³. Diese lassen sich durch eine spezifische Topographie des Wissens verorten und sich im sozialen und selbst im physischen Raum
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einordnen60, auch wenn diese hochgradig fluktuierend sein können (vgl. Honneth 1989). Die differenzierte Monopolisierung von Wissen bedeutet den Aufbau einer differenzierten und kaum fassbaren Vervielfältigung von Hierarchie in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern (und deren Teilsystemen; vgl. Willke 2005). Da jedoch die Qualität einer kollektiven Willensbildung in einer Demokratie an der kollektiven Wissensbildung hängt, wirkt in ihr die Generierung und Sicherung von Herrschaftswissen disqualifizierend (vgl. Willke 2002), schließlich empfiehlt sich Demokratie als ÄSteuerungsform für kollektive Willenbildung, die Dissens kultiviert, also Diversität und Heterogenität fördert, also auf die Steigerung von gesellschaftlicher Komplexität ausgerichtet ist und nicht auf ihre Unterdrückung³ (Willke 2005: 48). 2.2.3 Herrschaft Aus systemtheoretischer Perspektive fasst Luhmann (1984: 37) Herrschaft als ÄModus der Systembeschreibung³, als eine bestimmte Art der ÄVerfügungsgewalt des Systems über sich selbst³ auf. Herrschaft stellt ± so Weber (1976 ± zuerst 1922: 541) ± einen ÄSonderfall von Macht³ dar: Im Unterschied zu Macht, definiert er Herrschaft als Chance für einen bestimmten Befehl, Gehorsam zu finden, das heißt, Äseine Zwecke zu den Zwecken anderer zu machen³ (Luhmann 1971: 92). Herrschaft wird durch das Anerkennen und Annehmen durch die Befehlsempfänger legitimiert. Das Anerkennen und Annehmen von Herrschaft kann ±Weber (1982) zufolge ± auf verschiedenen Motiven der Fügsamkeit beruhen, derer drei er benennt: erstens, Interessenslage, also eine zweckrationale Erwägung von Vor- und Nachteilen; zweitens, Sitte, also die Gewöhnung an das eingelebte Handeln; drittens, affektuelles Fügen, also eine persönliche Neigung. Da diese Grundlagen relativ labil sind, muss Herrschaft zudem den Glauben an die Legitimität der Herrschaft seitens des Beherrschten stabilisieren. Die drei Motive der Fügsamkeit ergänzt Weber (1982) durch drei Typen legitimer Herrschaft, die sich aus unterschiedlichen Legitimitätsgeltungen ableiten lassen: 1. Die rationale Legitimität beruht auf dem Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft Berufenen (legale Herrschaft). 2. Die traditionale Legitimität beruht auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen (traditionale Herrschaft). 60 Darüber hinaus ist die Bezeichnung ÃWissenslandschaft¶ ein Dokument für die weitläufige Verwendbarkeit des Begriffs der Landschaft im Sinne eines Hardschen (1969: 3) Äsemantischen Hofes³.
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3.
Die charismatische Legitimität beruht auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit, die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen (charismatische Herrschaft)61,62. Herrschaft zeichnet sich ± im Gegensatz zu Macht ± durch eine gewisse Dauerhaftigkeit aus, wodurch Herrschaft Äals ein institutionalisiertes Dauerverhältnis der Machtausübung einer übergeordneten Person oder Personengruppe gegenüber untergeordneten Gruppen verstanden [wird], das ohne ein Mindestmaß an Anerkennung und Gehorsam [«] nicht möglich wäre³ (Imbusch 2002: 172).
Herrschaft lässt sich als institutionalisierte Macht (Weber 1976) beschreiben. Den Prozess der Institutionalisierung von Macht zu Herrschaft fasst Popitz (1992) in drei Entwicklungssträngen: 1. Das Machtverhältnis unterliegt einem zunehmenden Entpersonalisierungsprozess: ÄMacht steht und fällt nicht mehr mit dieser einen Person, die augenblicklich das Sagen hat, sondern verbindet sich Äsukzessive mit bestimmten Funktionen und Stellungen, die einen überpersonalen Charakter haben³ (Popitz 1992: 233). 2. Das Machtverhältnis unterliegt einer zunehmenden Formalisierung; die Ausübung von Macht ist immer stärker an Regeln, Verfahrensweisen, Normen und Ritualen ausgerichtet. 3. Das Machtverhältnis unterliegt einer zunehmenden Integrierung in eine übergreifende Ordnung. Macht Äbindet sich ein und wird eingebunden in ein soziales Gefüge, das sie stützt und das durch sie gestützt wird³ (Popitz 1992: 234). In der Moderne stabilisiert sich ± gemäß Neuenhaus (1998: 78) in Anlehnung an Max Weber (1980) ±, gestützt auf Disziplin und Rationalität, das ÄSoziale bis zum Automatismus. Sie [die Herrschaft; Anm. O.K.] ist Selbstzweck ohne sinnhafte Orientierung und verlangt uniformen Gehorsam. Ihr ÃStahlhartes Gehäuse der Hörigkeit¶ [Weber 1980] stellt die Machtkämpfe still und führt zur Uniformierung sozialen Handelns³.
61 Empirische Formen der Herrschaft gestalten sich dabei stets als Übergangsformen aus. In demokratischen Systemen mischen sich Aspekte des legalen Typus mit dem des charismatischen: Als legal sind sie zu bezeichnen, weil sie feste Regeln der Gesetzgebung, der Verwaltung, der Machterlangung etc. aufweisen; die charismatische Komponente gewinnt dann an Bedeutung, wenn die zu wählenden Personen wichtiger werden als die Programme (vgl. z.B. Merkel 1999, Tänzler 2007). 62 Für eine genauere Betrachtung des Weberschen Herrschaftsbegriffs sei auf Neuenhaus (1998) und Wagner (2007) verwiesen.
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Hinsichtlich der Entwicklung des Begriffs der Herrschaft stellt Treiber (2007: 54-55) fest, Ädass die von Weber gewollte Präzisierung des Herrschaftsbegriffs darin besteht, dass die Machtbeziehung durch Institutionalisierung über Prozesse der Entpersonalisierung, Formalisierung und Integrierung auf Dauer zu stellen, was zur typischen Asymmetrie zwischen Befehlendem und Gehorchendem führt, dessen konditionale Programmierung im Erwartungshorizont eines probabilistischen Kausalitätsbegriffs gesichert wird³.
Insbesondere seitens der Kritischen Theorie wird eine prinzipiell herrschaftskritische Position eingenommen: Herrschaft impliziert für die Vertreter der Kritischen Theorie stets etwas Furchtbares, weniger aus den Erfahrungen mit gewaltsamen und terroristischen Auswüchsen von Herrschaft als vielmehr aus prinzipieller Kritik der Herrschaft, da diese, Äum sich als Herrschaft zu erhalten, die Tendenz zur Totalität ausbrütet³ (Adorno 1969: 105). Diese Auswüchse beziehen sich in besonderer Weise auf die sozialen Folgen von Herrschaft wie der Perpetuierung sozialer Ungleichheiten, der Vergrößerung der Unterschiede der Verfügbarkeit symbolischen Kapitals und der daraus resultierenden Ungleichheit von Lebenschancen (vgl. Dubiel 1992, Imbusch 1998). 2.2.4 Macht, symbolisches Kapital und Habitus Ein wesentliches Machtmittel, als konkretes Medium der Machtausübung, stellt die Verfügbarkeit von symbolischem Kapital dar. Als symbolisches Kapital lassen sich nach Bourdieu (1987) dabei die Chancen verstehen, die geeignet sind, soziale Anerkennung und soziales Prestige zu gewinnen und zu erhalten. Dabei tritt symbolisches Kapital Äals wahrgenommene und als legitim anerkannte Form³ (Bourdieu 1985: 11) von ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital auf (Bourdieu 1985 und 1987): Ökonomisches Kapital ist materieller Besitz, der in Geld getauscht werden kann. Soziales Kapital bezieht sich auf die Bildung sozialer Netzwerke, die sich in soziale Anerkennung transformieren. Kulturelles Kapital tritt in drei Formen auf: erstens in objektivierter Form (Bücher, technische Gerätschaften, Kunstwerke); zweitens in inkorporierter Form (Bildung, kulturelle Fertigkeiten); drittens, in institutionalisierter Form (Abschlusszeugnisse, Bildungstitel). Der Grad der Macht, der den Trägern der einzelnen Kapitalarten innerhalb der Felder und der sozialen Welt in Gänze verliehen wird, ist dabei abhängig: Äa) vom Volumen des Kapitals, b) von der Kapitalstruktur, d.h. von dem Verhältnis 67
der verschiedenen Kapitalsorten zueinander, c) vom Verhältnis von Startkapital zu aktuellem Kapital³ (Wayand 1998: 223). Aus diesem Verhältnis lässt sich schließen, ob sich die Kapitalträger auf einer auf- oder absteigenden sozialen Laufbahn befinden (Bourdieu 1987). Aus der unterschiedlichen Verfügbarkeit von symbolischem Kapital resultiert eine vertikale Differenzierung der Gesellschaft, die sich insbesondere in der Ausprägung eines klassenspezifischen Geschmacks äußert (dies wird im nächsten Abschnitt genauer ausgeführt). Die stärkere Übereinstimmung der Mitglieder einer Klasse im Vergleich zu den Mitgliedern einer anderen Klasse ist ± so Bourdieu (1976) ± das Resultat von Dispositionen durch die Verinnerlichung der gleichen objektiven Strukturen. Diese unitäre und systematische objektive Bedeutung transzendiert Ädie subjektiven Absichten und die individuellen oder kollektiven Entwürfe³ (Bourdieu 1976). Jede Klasse weist ihren spezifischen Habitus auf. Der Habitus ist für Bourdieu (1996) das in den Körper eingegangene Soziale. Er ist ± so Bourdieu (1982a: 33) ± Äein System von Grenzen³. Dies bedeutet: ÄWer den Habitus einer Person kennt, der spürt oder weiß intuitiv, welches Verhalten dieser Person verwehrt ist³ (Bourdieu 1982a: 33). Der Habitus lässt sich als Transmissionsmechanismus zwischen den geistigen und sozialen Strukturen der Gesellschaft und alltäglichen Handlungen beschreiben. Durch die Einschreibung des Sozialen in das Subjekt entsteht eine Entsprechung zwischen beiden, Äwelche nach Bourdieu dazu führt, dass die gesellschaftlichen Akteure spontan bereit sind zu tun, was die Gesellschaft von ihnen verlangt³ (Wayand 1998: 226). Demzufolge ist der Habitus ± insbesondere jener der unteren Klassen ± das wesentliche Element der Erhaltung politischer Herrschaft (Bourdieu 2001). Diese basiere ± Bourdieu (2001) zufolge ± auf der im Habitus angelegten Bereitschaft, der Unterwerfung zu folgen, die wiederum durch das Bildungswesen angelegt wird. Dieser soziale Mechanismus der Herrschaftssicherung ist nur deshalb in dieser Form wirksam, weil er ± so Bourdieu (1977) ± verkannt und unterschätzt wird: ÄDer Beherrschte findet sogar Geschmack an seinem an sich negativen Zustand. So wird Armut zu einem selbstgewählten Lebensstil. Zwang oder Unterdrückung wird als Freiheit erlebt³ (Han 2005: 56). Gerade ökonomisch benachteiligte Familien, deren Kinder aufgrund mangelnden sozialen und kulturellen Kapitals aus den höheren Bildungseinrichtungen gedrängt werden, glauben am stärksten daran, Ädass Begabung und Tüchtigkeit die einzig ausschlaggebenden Faktoren für den Schulerfolg sind³ (Bourdieu 1977: 16)63. Die soziale Funktion der Schule liegt in dem Ziel, einen Stillstand in der ÄDialektik von subjekti63 Diese Funktion kann Schule deswegen einnehmen, da sie ± auch aus strukturfunktionaler Perspektive ±einerseits die Aufgabe hat, ÄKomponenten der Bereitschaft und der Fähigkeit³ (Parsons 1968: 163) zu entwickeln, die zur Erfüllung von Erwachsenenrollen grundlegend sind, andererseits stellt Schule Äeine Instanz zur Verteilung von ÃArbeitskraft¶³ (Parsons 1968: 163) dar.
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ven Erwartungen und objektiven Strukturen³ (Wayand 1998: 226) zu erzeugen64. Sie lehrt ± so Althusser (1977: 112) zwar Fähigkeiten, Äaber in Formen, die die Unterwerfung unter die herrschende Ideologie oder die Beherrschung ihrer ÃPraxis¶ sichern³, die sich auch in der Einübung von Konkurrenzsituationen gegenüber formal Gleichgestellten (Bernfeld 1925) bei gleichzeitiger genereller Konformitätsorientierung in ein hierarchisches System der asymmetrischen Machtverhältnisse ausdrücken (Tillmann 1976). Schließlich kann ± Althusser (1977: 122) zufolge ± Äkeine herrschende Klasse dauerhaft die Staatsmacht innehaben, ohne gleichzeitig ihre Hegemonie über und in den ideologischen Staatsapparaten auszuüben³65. Die Schulstunden dienen somit (auch) Äder gezielten Beeinflussung, sind auf die Aneignung von gesellschaftlich erwünschten Kenntnissen, Fähigkeiten und Werthaltungen ausgerichtet³ (Tillmann 2007: 114). System stabilisierend wird einerseits durch das Ausbildungssystem ein Gebrauchswert verliehen (Qualifizierungsfunktion), andererseits werden die Verkehrsformen des Kapitalismus eingeübt, zu denen keine ernsthaften Kontingenzen reflektiert werden, wodurch das Ausbildungssystem eine Legitimationsfunktion erhält (vgl. Masuch 1972). Das sich Ähinter dem Mantel der Neutralität³ (Bourdieu 1973) verbergende Bildungssystem reproduziert so ± mit dem Machtmittel Sprache66 als ÄZeichenund Regelsystem³ (Werlen/Weingarten 2005: 192) ± die bestehenden Sozialstrukturen67. Dabei muss es nicht auf die Machtinstrumente der physischen Interaktion zurückgreifen, sondern erzeugt eine verinnerlichte und somit unhinterfragte Folgebereitschaft (Han 2005: 56-57): ÄDer Habitus leitet die Handlungen so, dass die herrschenden Machtverhältnisse sich diesseits einer rationalen Begründung auf eine fast magische Weise reproduzieren³. Die Inkorporierung von 64
Die herrschaftssichernde Funktion der Schule wird insbesondere dann deutlich, wenn festgestellt wird, dass Schule als Institution auch bedeutet, Ädass die organisierten Lernprozesse der nachwachsenden Generation in einen staatlich gelenkten Behördenapparat eingebunden sind, dass Lernen auf diese Weise administrativ kontrolliert und politisch beeinflusst werden kann³ (Tillmann 2007: 113). 65 Neben der Schule fasst Althusser (1977; ähnlich Gramsci 1991 als Ähegemoniale Apparate³) unter anderem die staatlichen und privaten Medien, die Kirchen, aber auch Kirchen und Vereine. 66 Sprache lässt sich als Machtmittel beschreiben, da sie Realität schafft, sie beeinflusst die Wahrnehmung und ist wiederum Ausgangspunkt für realitätsbeeinflussende Handlungen (Wittgenstein 1960). Sprache täuscht ± so Nietzsche (1956) ± eine Wahrheit vor, die es nicht gibt, mit Ausnahme in der Einbildung des Menschen. Das Wort dient nicht mehr der Erinnerung an Ädas einmalige ganz und gar individualisierte Urerlebnis, dem es sein Entstehen verdankt³ (Nietzsche 1956: 313), sondern wird vielmehr eigenständig und löst sich vom Erlebten, wird zum Begriff verfestigt, womit die Entstehung der Sprache mit dem Vergessen der Wirklichkeit einhergeht. 67 Die Schule Äbringt den Kindern der beherrschten Klassen den Respekt vor der herrschenden Kultur bei, ohne ihnen den Zugang dazu zu ermöglichen³ (Fuchs-Heinritz/König 2005: 42). Gerade im Bereich der Bildung wird die Kultur der unteren Klassen entwertet. Sobald ihre Vertreter Ädort ihre Sprache anbieten, bekommen sie schlechte Noten; da fehlt ihnen die richtige Aussprache, die richtige Syntax usw.³ (Bourdieu 1982a: 49).
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Machtstrukturen ist ± folgert Bourdieu (1992a: 90) ± nicht auf das Feld der Schule beschränkt, sondern setzt sich im universitären Feld fort, denn Ädas universitäre Feld reproduziert in seiner Struktur das Macht-Feld und trägt zugleich vermittels der ihm eigenen Auslese und Wissensvermittlung zur Reproduktion von dessen Struktur bei³68, 69. Dabei trägt das Bildungssystem ± unterstützt durch das Sozialisationshandeln und -verhalten der Eltern, Gleichaltrigen, Kollegen u.a. auf die Systemerfordernisse (vgl. Fromm 1936) ± wesentlich zur Umwandelung von Fremdzwängen zu Innenzwängen bei, wie sie Elias (1992) für charakteristisch für den Prozess der Entwicklung von Zivilisationen hält (vgl. auch Abschnitt 2.2.2 ± Macht und Wissen). Infolge der Soziogenese, der Zunahme gesellschaftlicher Komplexität, ist der Mensch gezwungen, Äsein Verhalten immer differenzierter, immer gleichmäßiger und stabiler zu regulieren³ (Elias 1992: 117). Diese Internalisierung von Normen bedeutet auch eine Internalisierung von zunächst auf äußerem Zwang basierender Herrschaft (Foucault 1974: 95): ÄDie Menschheit schreitet nicht langsam von Kampf zu Kampf bis zu einer universellen Gegenseitigkeit fort, worin die Regeln sich für immer dem Krieg substituieren; sie verankert alle ihre Gewaltsamkeiten in Regelsystemen und bewegt sich so von Herrschaft zu Herrschaft³.
Mit der Unterwerfung der äußeren Natur finden also ± so Horkheimer (1937) ± eine Beschränkung der Freiheitsmöglichkeiten des Einzelnen und eine Beherrschung der inneren Natur statt. Wie sich die Menschen denkend von der Natur distanzieren, Äum sie vor sich hinzustellen, wie sie zu beherrschen ist³ (Horkheimer/Adorno 1969: 36), so geht auch eine ÄVerleumdung der Natur im Menschen³ (Horkheimer/Adorno 1969: 61) einher, die in der ÄHerrschaft des Menschen über sich selbst³ (Horkheimer/Adorno 1969: 37) gipfelt, indem die Objektivation der Natur durch die Selbstobjektivation des Menschen begleitet wird (vgl. auch Honneth 1989).
68 Eine wesentliche Methode der institutionell sanktionierten Ablehnung von nicht-institutionellem Denken wurzelt ± so Bourdieu (1992a: 167) ± im Pathos der universitären Ernsthaftigkeit, Äjenem Normierungsinstrument, das zwar einen Anschein von Wissenschaft und von Ethik vermittelt, häufig genug aber nichts weiter darstellt als ein Hilfsmittel zur Verwandlung individueller und kollektiver Beschränktheiten in die Entscheidung für die wissenschaftliche Tugend³. 69 Dirksmeier (2005: 86) kritisiert die kollektive Bedingtheit des individuellen Habitus von Akteuren bei Bourdieu Ämit annähernd entsprechenden sozialen Positionen in seinem Konzept des Klassenhabitus³, das Ädie Entwicklung eines kohärenten Instrumentariums zur Erklärung von Modifikationen im individuellen Handeln³ vermeidet und schlägt die Füllung dieser ÄLeerstelle³ mithilfe der phänomenologischen Erweiterung durch das Konzept der ÄApperzeption und Typisierung³ vor.
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2.3 Ästhetik, Geschmack und soziale Distinktion In der Soziologie Bourdieus nimmt Geschmack eine zentrale Bedeutung in der Transformation von Macht ein. Geschmack, als wesentliche Ausdrucks- und Aktualisierungsform von Ästhetik (vgl. z.B. Kant 1974 ± zuerst 1790), ist bereits seit Jahrhunderten Gegenstand philosophischer und sozialwissenschaftlicher Überlegungen70. Dabei ist Geschmack Äsozial, räumlich und zeitlich bedingt³ (Illing 2006: 7); was als Ãguter¶ oder Ãschlechter¶ Geschmack beurteilt wird, ist davon abhängig, Ävon welchem so definierten Punkt aus andere Geschmäcker beurteilt werden³ (Illing 2006: 7). Gerade die Kenntnis und die Unterscheidung von Werten, die einer geschmacklichen Wertung unterliegen, sind von einer sozialen Definition abhängig, wie bereits Immanuel Kant (1974 ± zuerst 1790) feststellte. Schließlich sei es nur in Gesellschaft interessant, Geschmack zu haben, um diesen auch zu präsentieren, um als feiner Mensch zu gelten. Der Ämetaphorische Charakter, der auf einen näher zu bestimmenden Zusammenhang zwischen sinnlicher Empfindung und rationalem Urteil hinweist³ (Illing 2006: 25), ermöglichte eine vielfältige Begriffsverwendung, die sich anhand folgender Unterscheidungen verdeutlichen lässt: Erstens, Geschmack lässt sich im Verhältnis zu anderen Fähigkeiten wie Urteilskraft oder Verstand abgrenzen und kann ihnen überoder untergeordnet werden. Zweitens, Geschmack lässt sich dadurch charakterisieren, worauf sich das Geschmacksurteil bezieht. Drittens lassen sich Unterschiede hinsichtlich Konzeption der Bestimmung und Fundierung dieses Geschmacksurteils in Bezug auf die Frage feststellen, ob es sich um eine subjektive Qualität der beurteilenden Person, oder aber um eine Qualität des zu beurteilenden Objekts handelt. Auch wenn Geschmack ± im Gegensatz zu Macht und Herrschaft ± bis heute nicht zu den populären soziologischen Begriffen zu zählen ist (vgl. Grossberg 2000, Illing 2006), wurde er bereits in der Frühphase des Fachs zum Gegenstand der Reflexion: Im Jahre 1899 veröffentlichte Veblen seine Studie über die Entstehung von Prestige als eine Ableitung von Besitz. Um als soziale Distinktion, also als soziales Prestige wirken zu können, bedürfe Besitz ± Veblen zufolge ± 70 Bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Frage nach dem guten Geschmack in Zusammenhang mit der Beurteilung von Lebensformen behandelt. Kant (1974 ± zuerst 1790) analysiert das Geschmacksurteil als spezifisches Erkenntnisurteil. In diesem Zusammenhang bestimmt er die menschliche Urteilskraft als Vermögen, die rechte Wahl zu treffen. Das Geschmacksurteil wird als ÄErkenntnisurteil zur Grundlage zur Beurteilung des Schönen³ (Gethmann-Siefert 1995: 32). Kant, wie auch Schopenhauer, aber auch das vorherrschende Alltagsverständnis sprechen den (hoch-)kulturellen Gütern eine soziale Dimension ab: Geschmack ist für sie eine persönliche Eigenschaft (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005). Im frühen 18. Jahrhundert stellte der Theologe und Historiker A. L. Muratori eine solche Naturalisierung von Geschmack in Frage. Für ihn basiert das Geschmacksurteil (1672-1750; zit. nach Gethmann-Siefert 1995) auf zwei Voraussetzungen: dem Gefühl für das Schöne, der Kenntnis und Unterscheidung des Wertes von Wahrheiten, Wissenschaften und Künsten.
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einer symbolischen Vermittlung. Diese symbolische Vermittlung basiert ± Veblen (1899) zufolge ± auf zwei Mechanismen: 1. Demonstrativer Müßiggang (conspicious leisure) definiert sich durch eine möglichst große Ferne zu produktiver Arbeit. Die dabei ausgeübten Tätigkeiten (wie das Erlernen toter Sprachen) produzieren dabei Bildung und Kunst. Durch Demonstration werden diese in Distinktion umgewandelt. 2. Demonstrativer Konsum (conspicious consumption) definiert sich durch den Konsum teuerster Waren und Dienstleistungen. Dem demonstrativen Müßiggang vergleichbar, findet sich auch beim demonstrativen Konsum die Negierung von Nützlichkeit: Prestige wird durch Verschwendung erzeugt. Die Funktionslogik der Verschwendung ist mit Geschmacksnormen der Gesellschaft rückgekoppelt (Veblen 1899): Schön ist das, was teuer und nutzlos ist. Für Illing (2006: 14) resultiert aus der Verbindung der individuellen Fähigkeit des ästhetischen Urteils mit der Verwendung dieses Urteils in Form des Geschmacks der ethische Aspekt des Geschmacks, Äda dies die Fragen des angemessenen Verhaltens aufwirft³. Aufgrund des Changierens des Geschmacks zwischen Ästhetik und Ethik, Äwerden ästhetische Fragen zu Fragen der Ethik, wenn der Geschmack anderer als Indiz für deren Lebensführung erscheint und umgekehrt werden durch Hinweis auf den Geschmack ethische Urteile ins Ästhetische verlagert³ (Illing 2006: 14). Auch infolge der mangelnden sozialen Reflexion dieser ethischen Frage dient Geschmack zur Reproduktion der Klassenstruktur, indem er Menschen vergleichbarer Lebensstile zusammenführt und zudem als Grundlage der Abgrenzung gegenüber anderen Geschmäckern, insbesondere jenen der unteren Klassen, dient. Bourdieu (1987; vgl. auch Fuchs-Heinritz/König 2005) identifiziert drei Klassen des Geschmacks: 1. Der legitime Geschmack, auch ästhetische Einstellung genannt, betont die Form von kulturellen Gütern und Praktiken gegenüber ihrer Funktion, wodurch die Darstellung Vorrang gegenüber dem Dargestellten erhält. Dabei beruht die Ästhetik als ÄEinheit des Glaubens³ auf der entsprechenden Definition einer ÄOrthodoxie einer Gruppe³ (Bourdieu 1992a: 125), Objekte, so und nicht anders zu codieren71. Dieser Vorgang stellt eine Definition bestimmter ästhetischer Standards dar72, die durch den Apparat der Kulturin71 Eine Speise wird nicht danach beurteilt, ob sie sättigt, sondern wie Zutaten in welcher Weise kombiniert und angeordnet sind. Entscheidend für die Ausprägung des legitimen Geschmacks ist die Verfügbarkeit der entsprechenden Codes zum Verständnis von Kultur und eine distanzierte Haltung gegenüber der Welt. 72 Illing (2001 und 2006) leitet aus der Analyse der ästhetischen Funktion Jan Mukarovskys (1970 ± zuerst 1942) Beispiele ab, wie sich diese Ästhetisierung vollziehen kann: Durch verfremdende Wirkungen wird der vertraute Gegenstand neu beurteilt, beispielsweise nicht mehr unter dem Aspekt der praktischen Verwendung. Durch die Konzentration darauf, wie etwas gemacht wird, lässt sich ein Gegenstand ästhetisieren. Neue und ungewohnte Funktionsbezüge werden hergestellt. Durch einen
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dustrie als Strukturierung der Öffentlichkeit Verbindlichkeit insbesondere gegenüber dem mittleren, aber auch dem populären Geschmack, erhält (Resch 1999). 2. Der mittlere (oder prätentiöse) Geschmack ist durch das erfolglose Streben gekennzeichnet, dem legitimen Geschmack durch Imitation nachzueifern. Sobald jedoch legitime Kulturgüter (wie der Bolero) von den Trägern des mittleren Geschmacks angeeignet werden, wenden sich die Träger des legitimen Geschmacks anderen Objekten zu, der Distinktionsgewinn für den mittleren Geschmack ist somit nicht von Dauer. Die Aneignungsbemühungen des mittleren Geschmacks sind dabei durch falsche Objektwahl, Missdeutung und fehlinvestierten Glauben geprägt (vgl. auch Resch 1999). 3. Der populäre Geschmack bzw. die populäre Ästhetik ist dominiert durch schöne oder wichtige Erfahrungen und Ereignisse darstellende Motiv. Wesentlicher Bestanteil des populären Geschmacks ist die Erwartung von Konformität, die insbesondere auf Zweckhaftigkeit basiert, wobei die Extravaganz der Bourgeoisie akzeptiert, aber nicht imitiert wird. Begründet Veblen die Erzeugung von Prestige über Geschmack als eine Ableitung von Besitz, kommt Geschmack bei Bourdieu (1987) eine zentralere Bedeutung bei der Konstituierung von Gesellschaft zu. Geschmack wird hier zum zentralen Merkmal von Klassenzugehörigkeit: ÄDarin, wie Erworbenes zur Anwendung kommt, überdauert die spezifische Weise des Erwerbs³ (Bourdieu 1987: 18). Aufgrund der unterschiedlichen Verfügbarkeit der drei Kapitalien (vgl. Abschnitt 2.2.4 ± Macht, symbolisches Kapital und Habitus), die prinzipiell untereinander tauschbar sind, wobei insbesondere das ökonomische Kapital dazu geeignet ist, in die anderen beiden Kapitalien getauscht werden zu können, ergibt sich für Bourdieu (1987), im Zusammenspiel mit seinen Überlegungen zur sozialen Distinktion, eine Klassenstruktur der Gesellschaft. Dabei unterscheidet er in drei Grundklassen: 1. Die herrschende Klasse setzt sich aus Unternehmern (mit viel ökonomischem, aber wenig kulturellem Kapital) und den Intellektuellen (mit viel kulturellem, aber wenig ökonomischem Kapital) zusammen. Die herrschende Klasse ist Trägerin des legitimen Geschmacks, der sich durch Äden Sinn für Distinktion³ auszeichnet. 2. Die Mittelklasse (auch Kleinbürgertum) setzt sich aus der absteigenden Mittelklasse (vorwiegend ältere Kleinhändler und Handwerker), der neuen Mittelklasse (neue Berufe, die keine Bildungstitel voraussetzen, wie Verkäufer, Animateure etc.) und dem exekutiven Kleinbürgertum (insbesondere Angestellte, die viel Zeit in Bildung und den autodidaktischen Erwerb kultureller Appell an eine andere Wertung wird der Rezipient angehalten, Ädas ästhetische, also isoliert betrachtete Zeichen mit seinem eigenen Wertesystem in Beziehung³ (Illing 2006: 82) zu setzen.
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Kenntnisse investieren) zusammen73. Die Mittelklasse ist Trägerin des mittleren Geschmacks, der durch ÄBildungsbeflissenheit³ gekennzeichnet ist74. 3. Die beherrschte Klasse setzt sich aus der übrigen Gesellschaft zusammen. Sie ist Trägerin des populären Geschmacks, der sich an Äder Entscheidung für das Notwendige³ orientiert75. Geschmack ist demzufolge nicht einfach eine Eigenschaft, die beispielsweise als Ãschlechter¶ Geschmack Äauf ein Defizit an Selbstverwirklichung³ (Illing 2006: 23) verweist und in besonderen Situationen zur Geltung kommt und über den Ädie Intellektuellen [«] mit moralischer Verachtung sprechen³ (Gelfert 2000: 124). Geschmack äußert sich vielmehr ± wie Bourdieu (1987: 307) feststellt ± auch im Körperlichen: ÄDer Geschmack: als Natur gewordene, d.h. inkorporierte Kultur, Körper gewordene Klasse, trägt er bei zur Erstellung des ÃKlassenkörpers¶; als inkorporiertes, jedwede Form der Inkorporation bestimmendes Klassifikationsprinzip wählt er aus und modifiziert er³.
Der Körper als Ägesellschaftlich produzierte und einzige sinnliche Manifestation der ÃPerson¶³ (Bourdieu 1987: 310) dient als Projektionsfläche für den klassentypischen Geschmack76. Auch wenn im Gefolge der Bordieuschen Studien zum Geschmack von zahlreichen Entwicklungen einer differenzierteren gesellschaftlichen Struktur (z.B. der Milieus bei Schulze 1993) oder auch infolge der Entstehung von Subkulturen von der Entwicklung eigener Distinktionskodizes oder von der Entstehung einer eigenständigen Ämittleren Kultur³ wie bei Illing (2006: 159) gesprochen werden kann, Ädie nicht mehr in einer beflissenen Nachahmung der legitimen Kultur³ besteht, kann von einer Persistenz der grundlegenden Muster der Diffusionsmuster von Geschmack ausgegangen werden77, wobei diese 73 Bloch (1985 ± zuerst 1935: 117) stellt die Unbildung der Kleinbürger am Beispiel des Literaturkonsums unabhängig von ihrem Streben nach Bildung festÄsie mögen lesen so viel und so lange sie wollen³. 74 Ein ähnliches Motiv findet sich bei dem Psychoanalytiker Hanns Sachs (2007: 189) bereits im Jahr 1932, wenn er aus soziologischer Perspektive feststellt, Ädass die niedrigeren, unterdrückten Klassen, insoweit sie nicht zum selbständigen Klassenbewusstsein erzogen sind, die Ideale der höheren, sie beherrschenden Klassen annehmen und zähe festhalten³. Dabei unterscheidet Sachs ± im Gegensatz zu Bourdieu ± nicht zwischen Mittelklasse und beherrschter Klasse, der Bourdieu einen eigenen Geschmack attestiert. 75 Mit dieser konstitutiven Verbindung von Sozialstruktur und kulturellen Spezifika lässt sich mit Resch (1999: 144) feststellen, Ädass ein kulturelles Artefakt nicht die Folge von sozialen und institutionellen Arrangements [ist], sondern integraler Bestandteil solcher Arrangements³, Kultur und Sozialstruktur seien nicht zu trennen. 76 Im Sinne der Typisierung der heute beschriebenen Ästhetikkonzepte von Hunziker (2000), lässt sich der vorliegende Ansatz als auf der sozialen Konstruktion von Ästhetik basierend klassifizieren. 77 Daher erscheint der Ansatz von Bourdieu auch heute noch gewinnbringend für die grundlegenden Mechanismen der Entstehung von gesellschaftlicher Landschaft.
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nach den milieuspezifischen Anerkennungserteilungsmustern modifiziert sein können. 2.4 Sozialisation, Macht und soziale Distinktion: ein vorläufiges Fazit Macht entsteht aus Beziehungen von Personen in sozialen Prozessen, deren Funktionsweise im Prozess der Sozialisation erlernt werden muss. Dabei sind Machtverhältnisse nicht stabil, sondern reversibel und unterliegen einem ständigen Kampf. Macht lässt sich analytisch in Aktionsmacht, instrumentelle, autoritative und als Daten setzende Macht mit jeweils spezifischen Machtverhältnissen gliedern (Popitz 1992). Durch die soziale Differenzierung verschiebt sich die Machtanwendung von der Aktionsmacht hin zu Machttypen, die stärker an Wissen denn an physische Gewalt gebunden sind. Macht definiert sich also zunehmend durch Wissen, Macht ist Äder Wille zum Wissen³ (Foucault 1983: 114), und zwar zu einem exklusiven Wissen. Durch die Inkorporierung des Willens der Herrschenden wird dieser Wille zum Willen der Beherrschten selbst, wodurch die Stabilisierung und Institutionalisierung von Macht zu Herrschaft erfolgt (Imbusch 2002). Die im Habitus ± insbesondere der unteren Klassen ± angelegte Bereitschaft zur Unterordnung wird speziell im Bildungssystem angelegt (Bourdieu 1977). Ein wesentlicher Beitrag zur Aufrechterhaltung der vertikalen Struktur der Gesellschaft resultiert aus der klassenspezifischen Inkorporierung von Geschmack. Geschmack ist das zentrale Merkmal von Klassenzugehörigkeit (Bourdieu 1987) und repräsentiert somit das sozial differenzierte Machtdeposit auf Grundlage der unterschiedlichen Verfügbarkeit von ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital. Die in diesem Kapitel aufgezeigten Mechanismen der Macht, der Herrschaft und der sozialen Distinktion sollen im Folgenden hinsichtlich der Frage ihres Einflusses auf die Konstitution gesellschaftlicher, angeeigneter physischer und individuell aktualisierter gesellschaftlicher Landschaft, einschließlich ihrer Interferenzverhältnisse untersucht werden, als Element der Beherrschung der inneren und äußeren Natur (Horkheimer/Adorno 1969). Zudem stellt Helbrecht (2003: 156), an die Überlegungen von Bourdieu anknüpfend, knapp fest: ÄÄsthetik ist Macht³ und weist der Kulturgeographie die Rolle zu, die machtpolitische Bedeutung Ävon Ästhetik und Design in der Umweltgestaltung zu dechiffrieren³.
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3 Gesellschaftliche Landschaft und Sozialisation
Wird Landschaft nicht ± wie in der positivistischen Denktradition (beispielsweise bei Leser 1987) ± als objektiv gegeben betrachtet, sondern vielmehr wie hier vorgeschlagen als sozial konstruiert verstanden (ähnlich auch Burckhardt 1977a, Hard 1991a, Kühne 2006a und 2006b), ist das individuelle und soziale Erlernen dessen, was der verallgemeinerte Andere (d.h. die organisierte Gemeinschaft, innerhalb derer das Individuum seine Identität aufbaut; Mead 1980) unter dem Begriff Landschaft versteht, als ein Teil des Sozialisationsprozesses (bzw. Inkorporationsprozesses) zu verstehen. Jessel verdeutlicht die Bedingtheit der Anlage eines interpretatorischen Bezugs von physischen räumlichen Elementen in relationaler Anordnung zum komplexen Begriff der Landschaft auf Grundlage der Unmöglichkeit des voraussetzungslosen Sehens: ÄEs gibt kein voraussetzungsloses Sehen im Sinne eines vollständigen Registrierens all dessen, was überhaupt an Reizen aus der Außenwelt aufgenommen werden kann. Vielmehr müssen über Sinnesorgane aufgenommene Reize strukturiert, geordnet und zu Gestalten zusammengefasst werden, um zu bewusster Wahrnehmung zu werden³ (Jessel 2000: 149).
3.1 Das Erlernen von gesellschaftlicher Landschaft ± grundsätzliche Überlegungen zu Wahrnehmung und Stereotypisierung Sauder (1995: 133) weist in seiner Charakterisierung von Landschaft als Äeine Konstruktion, eine Fiktion und ein Vorurteil, gesteuert von ästhetischen Grundannahmen³ auf einen zentralen Mechanismus der Konstruktion von gesellschaftlicher und individuell aktualisierter gesellschaftlicher Landschaft hin: die Steuerung durch ästhetische Grundannahmen, die sich zum Vorurteil bzw. Stereotyp verdichten. Der Terminus Stereotyp ± 1922 von Lippmann aus der Druckersprache entlehnt ± beschreibt verschiedenartige Phänomene wie individuelle Voreingenommenheiten und Irrationalismen, historisch gewachsene Ideologien und kulturelle Traditionen, das Wirken von Normen in kleinen Gruppen und die Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen großen Institutionen auf ein einheitliches Wirkungsprinzip, ohne dabei trivial-monokausalistisch zu reduzieren. Dabei können komplexe Ursachensysteme zu einem einzigen Ergebnis führen, nämlich Äder prägnanten Akzentuierung ausgewählter Elemente der Umwelt in 77
einer einfachen, entscheidungserleichternden Formel, dem Stereotyp³ (Manz 1968: 2)78. Stereotype werden zudem von einer größeren Personenanzahl geteilt (Gast-Gampe 1993). Vorurteile und Stereotype79 lassen sich ± so Devine (1989) ± als Resultate der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität des Menschen charakterisieren, die aber zugleich die soziale Verarbeitung von Informationen beeinflussen. Die Formierung von Stereotypen ± insbesondere ästhetischen ± wird im Prozess der Sozialisierung bzw. Inkorporierung vollzogen. Stereotype bleiben ± auch wenn sie später reflektiert und gegebenenfalls revidiert werden ± Teil der subjektiven Wissensstruktur und können infolge bestimmter Reizkonstellationen wieder aktualisiert werden (Devine 1989). Die stereotype gesellschaftliche Aussage der Landschaft muss also ± wie die Bedeutung aller Zeichensysteme ± gelernt werden (Burckhardt 1977a: 20): ÄDer Naive kann die Landschaft nicht sehen, denn er hat ihre Sprache nicht gelernt³. Für den in die Sprache der Landschaft ± oder ihren Code (Bourdieu 1974) ± Uneingeweihten ist die Landschaft so unsichtbar, Äwie die Sprache unhörbar ist; sichtbar oder hörbar sind nur Farben und Laute, aber die Erscheinungen, die sie den Sinnen der Empfänger hervorrufen, müssen erst erforscht werden³ (Burckhardt 1977a: 20; ähnlich hierzu Augenstein 2002)80. Die Fähigkeit, aus räumlich angeordneten Objekten etwas als Text lesen zu können (Hugill 1995, Duncan 1990), das sich sozial akzeptiert als Landschaft beschreiben lässt, ist abhängig von der Verfügbarkeit des entsprechenden Codes: Landschaft wie ein Kunstwerk Äim Sinne eines symbolischen ± und nicht so sehr eines ökonomischen ± Gutes [...] existiert als Kunstwerk [bzw. als Landschaft; Anm. des Autors] nur für denjenigen, der die Mittel besitzt, es sich anzueignen, d.h. es zu entschlüsseln³ (Bourdieu 1974: 169; vgl. auch Hugill 1995).
Die Verfügbarkeit von Codes zur Entkomplexisierung einer Vielzahl von physischen Objekten mit unterschiedlichen (zugeschriebenen) Relationen untereinander ist an Äein kulturelles Paket [,] an frühere[n] Darstellungen³ gebunden, Ädenn nur in Ausnahmefällen vermag der Mensch etwas wahrzunehmen, was ihm nicht schon bildhaft oder literarisch vermittelt ist³ (Burckhardt 1995b: 257), also an 78 Eine Abgrenzung des Terminus Stereotyp zu verwandten Termini wie ÃVorurteil¶, ÃKlischee¶, ÃEinstellung¶, ÃImage¶, ÃAttitüde¶ usw. wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung nur teilweise vollzogen. Bisweilen werden die Termini synonym verwendet, teilweise voneinander abgegrenzt. Dies gilt in besonderer Weise für die sehr gebräuchlichen Termini ÃStereotyp¶ und ÃVorurteil¶ (vgl. Meyer 1993, Kühne 2001). 79 Devine (1989) unterscheidet die Begriffe Stereotyp und Vorurteil nicht durch Kenntnis, sondern durch Zustimmung. Demnach sind Vorurteile durch die individuelle Überzeugung der Zutrefflichkeit der gesellschaftlichen Stereotype bedingt (vgl. auch Hort 2007). 80 Burckhardt (1991a: 82) beschreibt Landschaft als einen ÄTrick unserer Wahrnehmung, der es ermöglicht, heterogene Dinge zu einem Bilde zusammenzufassen und andere auszuschließen³.
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die gesellschaftliche Landschaft81. Bei dieser Entkomplexisierung einer Vielzahl von Objekten in relationaler Anordnung zu individuell aktualisierter gesellschaftlicher Landschaft wird der Mensch ± so Rentschler (2003: 15) ± Ävon dem geleitet, was ihm wichtig ist, also von Werturteilen³. Dadurch, dass von dem Subjekt gelernt werden muss, was Landschaft bedeutet, ist auch das Erlernen gesellschaftlich akzeptierter Deutungs- und Emotionsmuster in Bezug auf Landschaft Teil des Prozesses der ÄSubjektivation³ (Butler 2001: 8), eines Prozesses also, der zugleich durch das Unterworfenwerden durch Macht und durch Subjektwerdung, durch eine gleichzeitige Formung und Reglementierung des Subjektes, gekennzeichnet ist. Dieser Prozess der (landschaftsbezogenen) Subjektivation zeigt eine rückgekoppelte Struktur: ÄDie Handlungsfähigkeit des Subjektes erscheint als Wirkung der Unterordnung³ (Butler 2001: 16) und jeder Versuch von Widerstand gegen diese Ordnung Äsetzt diese notwendig voraus und ruft sie erneut hervor³ (Butler 2001: 16). Das Subjekt lernt, was gesellschaftlich als Landschaft anzusprechen ist und welche Institutionen (insbesondere der Verfügungsrechte) mit dem Umgang mit Landschaft verbunden sind, deren Missachtung unterschiedlichste Sanktionen hervorruft. 3.2 Landschaftssozialisation Der Prozess der Sozialisation von Landschaft ist die Entwicklung der individuell angeeigneten physischen Landschaft unter der sozialen Vermittlung der gesellschaftlichen Landschaft (vgl. auch Janich 2005). Dieser Prozess als Element des Subjektivationsprozesses 82 lässt sich gemäß Kühne (2006a) in eine primäre und eine sekundäre Landschaftssozialisation gliedern. Während die primäre Land81 Burckhardt (1995b: 257) charakterisiert den Code zur Entschlüsselung von physischen Objekten in relationaler Anordnung zu Landschaft auch als eine Anleitung zur Selektion, Äalso zur Ausfilterung von Eindrücken³. 82 Allgemein gesprochen steht im Zentrum dieses ÄSozialisationsprozesses [«] die Entwicklung und Veränderung der menschlichen Persönlichkeit³ (Tillmann 2007: 11). Persönlichkeit lässt sich dabei als Ädas spezifische Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und Handlungskompetenzen³ umschreiben, das Äeinen einzelnen Menschen kennzeichnet³ (Tillmann 2007: 11). Die Entwicklung und Veränderung der menschlichen Persönlichkeit vollzieht sich stets in Abhängigkeit einer historisch-gesellschaftlichen Vermittlung (Geulen 1977). Dieser Sozialisationsbegriff enthält drei Implikationen (Zimmermann 2006): 1. Der hier verwendete Begriff der Sozialisation wendet sich gegen eine Äbiologistische Auffassung menschlicher Entwicklung und gegen eine Determinierung durch ÃAnlage¶ und ÃReifung¶³ (Zimmermann 2006: 12). 2. Der Mensch wird nicht als Äfreies Individuum³ gesehen, Ädas sich gesellschaftlichen Einflüssen und wissenschaftlichen Erklärungen entzieht³ (Zimmermann 2006: 12). 3. Sozialisation lässt sich nicht als deterministische Entwicklung eines ÄErzieher-Zögling-Verhältnisses³ (Zimmermann 2006: 12) beschreiben.
79
schaftssozialisation im Kindes- und Jugendalter (mit Ausnahme der Schule) weitgehend unsystematisch erfolgt, wird die sekundären Landschaftssozialisation durch eine systematische Vermittlung von landschaftsbezogenen Interpretationen in der Regel in einem Fachstudium vollzogen. 3.2.1 Primäre Landschaftssozialisation ± die Entstehung der Normallandschaft und der stereotypen Landschaft Die primäre Landschaftssozialisation stellt einen Prozess der Aneignung von landschaftsbezogenen Bedeutungen im Kindes- und Jugendalter dar. Manche Bedeutungen werden dabei aufgrund Äeigener Erfahrungen und Erlebnisse, andere durch die Vermittlung von Eltern und Freunden, durch Bücher und Filme, d.h. über Gebote und Verbote oder einfach durch bestimmte Etikettierungen als schön oder essbar, als hässlich oder ungenießbar³ (Kruse-Graumann 1996: 172)
beurteilt. Die primäre Landschaftssozialisation ist also einerseits durch die direkten Erfahrungen von physischer Landschaft, andererseits indirekt durch Sekundärinformationen (Schulunterricht, Erzählungen von anderen, Kinder-, Jugendund Schulbücher) vermittelt und stellt einen Teil der Konstitution von Alltagswissen dar. 3.2.1.1 Vorlandschaftliche räumliche Erfahrungen Die Konstruktion räumlicher Verhältnisse lässt sich ± so Piaget/Inhelder (1975) ± als entwicklungspsychologischer Prozess auffassen, der auf der Ebene der Wahrnehmung und der Ebene der Vorstellung abläuft. Dabei lernt das Kind, Äsich auf eine objektive Welt konstanter Gegenstände zu beziehen, indem es aus der Perspektive einer zweiten Person zu einer allmählichen Dezentrierung seiner eigenen, zunächst egozentrischen Perspektive gelangt³ (Honneth 2005: 47). Während ± gemäß der Terminologie von Piaget (1972) ± Wahrnehmung das Erkennen von Gegenständen durch einen direkten Kontakt mit ihnen bezeichnet, definiert sich Vorstellung entweder dadurch, nicht anwesende Gegenstände im Geist zu sehen, oder durch die Ergänzung von wahrgenommenen Gegenständen durch Bezugnahme auf andere, nicht wahrgenommene Gegenstände83.
83 Dabei wird deutlich, dass Landschaft ein Konstrukt ist, das deutlich über den wahrnehmenden Bezug hinausgeht, da eine (wertende) Zusammenschau von Objekten und eine Bezugnahme zu nicht wahrgenommenen Gegenständen zu leisten ist.
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Auf den sensomotorischen Situationsschemata84 der Mutter-Kind-Dyade (vgl. Piaget 1972, Piaget/Inhelder 1975) als erster Stufe der Symbolbildung aufbauend, entwickelt das Kind die Ebene der Äsprachlichen Symbolbildung als zweite Stufe, wobei es bestimmte Aspekte seiner Umwelt zu Bedeutungsträgern macht³ (Jüngst/Meder 1986: 5). Aus der Wahrnehmung von Gegenständen wird eine räumliche Vorstellung entwickelt. Dabei bilden zunächst diese Bedeutungsträger (als Spielgegenstände) Substitute für die Mutter, sofern diese nicht anwesend ist. Wird dieses Repertoire an sinnlich unmittelbar wahrnehmbaren Symbolen aus der Spielwelt des Kindes erweitert, Äso gehen der Wohnraum der Familie, der Garten, die Straße, das Dorf, die Stadt, Wald, Wiesen, Hügel etc. in das kindliche Erleben ein und erfahren damit zugleich über vorsprachliche Situationsschemata wie auch über zu ihrer Kennzeichnung verwandte symbolbesetzte Sprachfiguren eine Bedeutungszuweisung³ (Jüngst/Meder 1986: 6).
Ausgehend von einer sinnlichen Wahrnehmung konkreter Objekte und deren Bedeutungszuweisung entwickelt sich in der präoperationalen Stufe ein räumliches Vorstellungsvermögen, das die Fähigkeit des Menschen bezeichnet, Ädas Wahrgenommene gedanklich zu Vorstellungsbildern zu verarbeiten³ (Löw 2001: 74), indem symbolische Vorstellungen Äabwesende Dinge oder Ereignisse darstellen, die sie repräsentieren³ (Ginsburg/Opper 1998: 110). Diese erste Aneignung von räumlichen Vorstellungen (für ästhetisierte landschaftliche Zusammenschau von Raum fehlt dem Kleinkind noch die Fähigkeit der distanzierten Wertung) erfolgt mit allen Sinnen: Visuell (Raumelemente werden gesehen, erkannt, in Beziehung gesetzt), akustisch (Geräusche werden aufeinander, aber auch auf andere Sinneseindrücke bezogen), haptisch (Raumelemente werden ertastet und in das entstehende Wahrnehmungsmuster integriert), olfaktorisch (mit der Aneignung von Raum werden dessen Gerüche in Beziehung gesetzt und verortet), gustatorisch (an den Elementen dessen, was später einmal als Landschaft bezeichnet wird, wird geknabbert, gelutscht und gebissen), vestibulär (unterschied84 Nach Piaget (1972 und 1983) durchläuft das Kind vier Stufen bis zur vollständigen Entfaltung seiner Denkfähigkeit: - die sensomotorische Stufe (bis etwa zwei Jahre), geprägt durch Reflexe und deren Verfeinerung infolge von Übungen, - die prä-operationale Stufe (zwischen etwa zwei bis sechs/sieben Jahre), geprägt durch die Nutzung von Vorstellungen und Symbolen zur Zielerreichung, allerdings unter der Notwendigkeit, Handlungsvorstellungen unmittelbar umzusetzen, - die Stufe des konkreten Operierens (zwischen sechs/sieben bis elf/zwölf Jahre), geprägt durch die Ablösung von der unmittelbaren Anschauung, allerdings noch immer vor dem Hintergrund konkreter Ereignisse und Wahrnehmungen, - die Stufe des formalen Operierens (ab elf/zwölf Jahre), geprägt durch Operationen ohne konkrete Handhabungen.
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liche Raumwiderstände werden durch unterschiedliche Reliefneigungen, aber auch Hindernisse Teil des Raumkonstitutionsprozesses). 3.2.1.2 Die individuell aktualisierte gesellschaftliche Normallandschaft Auf der Grundlage der vorlandschaftlichen Raumerfahrung beginnt die Landschaftssozialisation in der Regel im Zusammenhang mit dem Wechsel von der prä-operationalen Stufe zur Stufe des konkreten Operierens (in Ausnahmefällen bereits früher; vgl. Nohl 2004, Kühne 2006a). Die landschaftlichen Wahrnehmungen des prä-operationalen Kindes sind dabei nicht auf logischen Verknüpfungen gegründet, sondern auf Kontiguitäten, dem zufälligen raumzeitlichen Zusammenfallen85 von Objekten und Ereignissen. Diese werden durch magische Erklärungen gedeutet, während das konkret operierende Kind anhand konkreter Erfahrungen in der Lage ist, logisch zu denken und andere als die eigene Perspektive zu übernehmen. In pädagogischen Prozessen, die die Aneignung von Landschaft in der Stufe des konkreten und formalen Operierens prägen, wird individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft ± als Spezialform des Raumes ± primär als Aneignung eines räumlichen ± und wertenden ± Vorstellungsvermögens entwickelt (vgl. Löw 2001). Die individuell aktualisierte gesellschaftliche Normallandschaft86 wird dabei insbesondere durch signifikante Andere im Sinne von Mead (1980; vgl. hierzu Kühne 2006a) vermittelt und durch individuelle und kollektive Aneignung erweitert. Hierbei ist sie in der Regel in einem ersten Schritt als Differenzerleben zum bisherigen räumlichen lebensweltlichen Umfeld des elterlichen Hauses und Gartens in der Regel durch Erkunden des Weiteren heimischen Umfeldes geprägt und vollzieht sich insbesondere in der Phase des konkreten Operierens (ähnl. hierzu Lehmann 1999, Nohl 2004). Nohl (2004: 39) charakterisiert die Land85
So wird ± nach eigenen Befragungen ± von Vier- bis Fünfjährigen in der Regel festgestellt, der Berg sei da, weil es regne. 86 Normalität lässt sich ± gemäß Paris (2004: 157) ± als Äein sozial vorgegebener mentaler Zustand fragloser Übereinstimmung mit situativ geltenden Rechts- und Sittennormen³ fassen, Äin dem sowohl die Kontinuität von Traditionen (Üblichkeiten) als auch die problemlose Fortsetzung eingeschliffener Gewohnheiten sichergestellt scheint³. Angeeignete physische Landschaft wird als ± nicht weiter reflektierter ± Ausdruck der geltenden Rechts- und Sittennormen akzeptiert: Eigentumsverhältnisse, Nutzungssysteme und Gestaltungsmerkmale sind in die Kontinuität der örtlichen Üblichkeiten integriert, das landschaftsbezogene Denken und Handeln vollzieht sich auf Grundlage der Idealisierungen des Äund so weiter³ und des Äich kann immer wieder³ (Schütz 1971: 153). Die physische Normallandschaft hat sich in ihrer gesellschaftlichen Dimension als gültige Bezugsgröße erwiesen und wird sich auch weiter als gültige Bezugsgröße erweisen (das Äund so weiter³). Darüber hinaus impliziert die zweite Idealisierung, dass alles, was zur Konstitution von Landschaft (in ihrer physischen wie auch gesellschaftlichen Dimension) geführt hat, wieder hervorgebracht werden könnte (vgl. Schütz 1991).
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schaft der frühesten Erinnerung, die ein wesentliches Element der Normallandschaft ist, als zumeist Äkein[en] landschaftlich spektakuläre[n] Ort. Sie liegt vielmehr im alltäglichen Wohnumfeld der Gärten, der Höfe, der wohnungsnahen Grünflächen und der hausnahen Landschaften³. Von besonderer Bedeutung für die Aneignung des Begriffs der Landschaft ist dabei die gemeinsame direkte Erfahrung, vermittelt durch signifikante Andere, wobei diese Vermittlung insbesondere durch die Väter vollzogen wird, wie Kühne (2006a) anhand einer qualitativen Studie feststellte. Die heimatliche individuell aktualisierte gesellschaftliche Normallandschaft ist Äerfüllt von ersten Erinnerungen an regionale Sprache, Geräusche, Gerüche, Farben, Gesten, Stimmungen und sprechende Dinge und tief im Gedächtnis verankert³ (Hüppauf 2007: 112) und bietet als Ämütterliche Landschaft doch immer Heimat und Geborgenheit³ (Hard 1969a: 11). Später wird der so entstandene Landschaftsbegriff durch selbstständige Aneignung, auch im Zusammenhang in der Gemeinschaft der Gleichaltrigengruppe (peergroup) etwa ab einem Alter von neun bis zehn Jahren, ergänzt und weiterentwickelt (vgl. Ahrend 1997)87. Die Aneignung des Begriffes der Landschaft vollzieht sich in der Gemeinschaft der Gleichaltrigengruppe nicht allein durch die Betrachtung von Raum,
Abbildung 5:
ÄNiemandsland³ (Burckhardt 1980: 140) ± zwischen Straßen, Eisenbahndamm und Schrebergärten angesiedelt, befindet sich dieser Raum im urbanen Kontext, der eine selbstständige Aneignung von Landschaft im Kindes- und Jugendalter ermöglicht.
87 Die Aneignungsprozesse von Raum und Landschaft weisen dabei einige geschlechtsspezifische Unterschiede auf: Sozialisationsprozesse produzieren für die Mehrzahl der Mädchen ein reduziertes für Jungen hingegen ein expandiertes räumliches Handeln. Jungen werden eher zu sportlichen ± in
83
sondern auch dessen offensiver Nutzung durch spielerische Erfahrungen (im Sinne von game nach Mead 1968). Dieser Prozess der sich räumlich erweiternden eigenständigen Aneignung von Raum (vgl. Muchow/Muchow 1935) vollzieht sich jenseits der Grenzen der Bebauung und insbesondere unter Nutzung von scheinbar un- oder gering genutzten Zwischenräumen, wie unbebaute Grundstücke, Ruinen, verwilderte Gärten etc., Flächen also, die Burckhardt (1980: 140) ÄNiemandsland³ nennt und als ÄLeerraum zwischen dem Stadtkörper und seinem zu groß geschneiderten Planungsanzug³ beschreibt (Abbildung 5; vgl. auch Lehmann 1999, Hauser 2001a, Steglich 2007). Bei der Aneignung von Landschaft in der peer-group wird das Profil der Normallandschaft, aber auch jenes der stereotypen Landschaft durch Konturierung an der Normallandschaft geschärft. 3.2.1.3 Die stereotype gesellschaftliche und individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft Die Integration stereotyper gesellschaftlicher Landschaft in die individuell aktualisierte gesellschaftliche stereotype Landschaft bedarf der Fähigkeiten des formalen Operierens, indem das hypothetische Denken über Landschaft an den Anfang der Betrachtung von Landschaft gesetzt wird und angeeignete physische Landschaften sowohl miteinander als auch mit funktionalen und ästhetischen SollZuständen verglichen sowie zahlreiche Einzelfälle zu Typen und Stereotypen abstrahiert werden (vgl. Ginsburg/Opper 1998, Nohl 2004, Kühne 2006a, Tillmann 2007). Zu einer stereotypen gesellschaftlichen mitteleuropäischen Landschaft gehören ± durch signifikante und verallgemeinerte Andere vermittelt und durch eigene Vergleiche und Reflexionen gefestigt ± Wälder, Wiesen, Bäche, Dörfer, Bauernhöfe, Düfte, Atmosphäre (im Sinne von Stimmung), Gebirge, Wolken und auch Landstraßen (Tabelle 3), seltener Regenschauer, einzelne Blumen; von minderer Bedeutung sind kleinere Städte, einzelne Menschen, Geräusche, Gruppen von Menschen, Industriebetriebe, Windräder, Autobahnen, Großstädte und Autos88. Es handelt sich also um eine Landschaft, die im Wesentlichen durch Eder Regel Raum greifenden ±, Mädchen hingegen zu künstlerischen, also zentrierten Aktivitäten ermuntert (Löw 1994, Nissen 1998). 88 In seiner empirischen Untersuchung zu Landschaft als semantischem Feld mit geschlossenen Fragen weist Ipsen (2006) folgende Elemente als zur Landschaft gehörend und wichtig für Landschaft (in absteigender Rangfolge) aus: Konsensual ± Baum, Wasser, Park, Dorf, Straßen und Aussichtsturm; mehrheitlich ± Feuerwehr und Bau- und Planungsrecht; uneinheitlich ± Städte, Flächenverband, Märchen, Fabriken und politische Parteien. Zusammenfassend stellt Ipsen (2006: 158) hierzu fest: ÄIn diesem Sinne kann man sagen, dass ein modulares Verständnis von Landschaft im Be-
84
lemente der vorindustriellen Ära gekennzeichnet ist. Diese vorindustrielle Landschaft wirkt ± Jackson (1984) zufolge ± deswegen attraktiv, weil sie mit Leichtigkeit symbolisch erfassbar ist.
Wälder Wiesen Bäche Dörfer Bauernhöfe Düfte Atmosphäre (Stimmung) Gebirge Wolken Landstraßen Regenschauer einzelne Blumen
Tabelle 3:
Anteil in Zahl der Prozent Nennungen 96,26 438 kleinere Städte 95,16 433 einzelne Menschen 91,21 415 Geräusche 83,08 378 Gruppen von Menschen 73,63 335 Industriebetriebe 61,54 280 Windräder 60,66 276 Großstädte 59,12 269 Autobahnen 51,65 235 Autos 44,84 204 anderes 41,10 187 weiß nicht 35,38 161
Anteil in Prozent 32,09 21,32 20,88 19,56 14,07 10,99 8,79 8,79 6,37 5,05 0,22
Zahl der Nennungen 146 97 95 89 64 50 40 40 29 23 1
Anteile der Antworten (mehrere Antworten waren möglich) zu der Frage ÄWas gehört Ihrer Meinung nach zu einer Landschaft³ an der möglichen Gesamtzahl der Nennungen pro Variable (n = 455; aus: Kühne 2006a).
Die Landschaftssozialisation der stereotypen gesellschaftlichen Landschaft wird in der Regel nicht durch die direkte Konfrontation mit angeeigneter physischer Landschaft vollzogen, sondern mithilfe von Sekundärinformationen. Bereits in frühester Kindheit werden landschaftliche Stereotype durch Kinderbücher inkorporiert, die später als landschaftliche Sollzustände formuliert werden (Burckhardt 1977a: 30): ÄNoch werden Kinder mit Lesestoff erzogen, in welchem das Pferd beschlagen, das Korn auf der Tenne gedroschen und das Vieh vom Hirten gehütet wird³. Industrie, Autobahnen, Windkraftanlagen, moderne Ställe oder landwirtschaftliche Maschinen u.ä. sind in diesen Büchern nicht oder lediglich als Bedrohung präsent. Autos werden randlich als Transportmedium in die heile Welt, aus der sie dann wieder verschwinden, erwähnt, schließlich soll hier der Begriff der (wahren) Landschaft inkorporiert werden und diese (wahre) Landschaft ist ± Hard (1969a: 10-11) zufolge ± Äweit und harmonisch, still, farbig, groß, mannigfaltig und schön. Sie ist primär ein ästhetisches Phänomen, dem Auge näher als dem Verstand, dem Herzen, dem Gemüt und seinen Stimmungen verwandter als dem Geist und dem Intellekt, dem weib-
wusstsein der Menschen eine Rolle spielt³. In Untersuchungen mit offenen Fragen dominieren ± sowohl Ipsen (2006) als auch Kühne (2006a) zufolge ± der Natur zuschreibbare Elemente wie Wiesen, Wälder, Gewässer u.a. (vgl. auch die Untersuchungen von Hoisl et al. 1987 und 1989, Ulrich 1977, Konold 1996b, Hunziker/Kienast 1999, Ipsen et al. 2003).
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lichen Prinzip näher als dem männlichen. Die wahre Landschaft ist etwas Gewachsenes, Organisches, Lebendiges³.
Die diesen Landschaftsbegriff transportierende Welt des Kinderbuches ist ± so Burckhardt (1978c: 179) ± Äein Wunschbild der Erwachsenen, eine Welt, die uns in einem nicht bewussten Maße beeinflusst, die eine soziale Welt hinmalt, nach der viele von uns, vielleicht wir alle, leben, ohne es zu wissen³ (ähnl. hierzu Nohl 2004). Die Welt des Kinderbuches ist klar gegliedert: in Rollen und Zonen. In den Kinderbüchern öffnen sich weite und sozial nicht umschriebene Zonen (Burckhardt 1978c: 179): ÄDie Großmutter wohnt mitten in der Stadt, aber sie hat ein riesiges Haus mit unendlich großem Dachboden, mit Scheunen, wo man im Regen spielen kann³. Den sozial unumschriebenen Zonen im Kinderbuch stehen klare Rollenstrukturen (Mutter, Vater, Kind, Großmutter, Kaufmann, Bauer etc.) gegenüber. Die gesellschaftliche Wirklichkeit hingegen weist eine umgekehrte Verteilung von klar und unklar umschrieben auf: ÄDie Zonen sind klar durch Zäune, durch gepflegt und ungepflegt, durch Schilder u.a. abgegrenzt, während die sozialen Zuständigkeiten, die auf Verfügung und Herrschaft³ (Ipsen et al. 2003: 13) verweisen, gelernt werden müssen. Die stereotype (= wahre) Landschaft als räumliches Synonym für Ãheile Welt¶ wird häufig von einer reliefierten angeeignet-physischen Halboffenlandschaft mit Gewässern repräsentiert89. Dabei werden insbesondere Elemente der angeeigneten physischen Landschaft emotional und symbolisch positiv besetzt, die einen hohen Grad zugeschriebener Natürlichkeit, die Augenstein (2002: 63; vgl. auch Vester 1988, Zierhofer 2003) Äwahrgenommene Naturnähe³ nennt90, aufweisen. Schließlich stellt ± Elias (1986) zufolge ± Natur ein Symbol für Freundlichkeit, Zuträglichkeit und Gesundheit dar: So symbolisierten ± Wagner (1997: 64) zufolge ± Äfrei mäandrierende Fließgewässer, ungefasste Quellen und Vegetationsbestände mit erkennbarer Eigendynamik³ Werte wie Freiheit, Frie89
Adam et al. (1989: 131) verdeutlichen diesen Zusammenhang zwischen stereotyper Landschaft und deren Symbolisierung wie folgt: ÄSo ist eine kleinteilige Kulturlandschaft für viele Menschen ein Symbol des Friedens oder eine naturnahe Landschaft ein Symbol der Freiheit und der Ungebundenheit³. 90 Hoisl et al. (1987) sehen das Gefallen einer angeeigneten physischen Landschaft als Funktion von Struktur, Vielfalt, Eigenart und Naturnähe, wobei unter Struktur die ÄOrdnung oder Einheit³ (Hoisl et al. 1987: 28) zu verstehen sei. Andere Autoren wie Adam et al. (1989) kommen mit den Funktionen Vielfalt, Struktur, Eigenart und Natürlichkeit oder Feller (1979) mit Natürlichkeit, Vielfältigkeit, Eigenart und Harmonie zu ähnlichen Ergebnissen. Der vom Autor gewählte Begriff der Anordnung lässt sich als Synthese der Begriffe ÄStruktur, Vielfalt und Eigenart³ verstehen. Allerdings wird im Begriff der Anordnung die konstitutive Leistung des menschlichen Bewusstseins stärker hervorgehoben (vgl. Löw 2001). Auch Harmonie lässt sich in dem Begriff der Anordnung synthetisieren, allerdings stellt Harmonie eine neue Emergenzebene gegenüber der Struktur, der Vielfalt und der Eigenart dar, dass zur Beurteilung der Harmonie die Beurteilung von Struktur, Vielfalt und Eigenart zugrunde gelegt wird.
86
den und Ungebundenheit (vgl. auch Duncan/Duncan 2004). Die Altstadt von Heidelberg steht dagegen Äfür das romantische Deutschland, eine vergangene aber noch nachwirkende Epoche³ (Ipsen 2006: 93). Die Semiotik der Landschaft lässt sich dabei nicht in Form eines Wörterbuches fassen; ÄZypressen sind traurig, Birken fröhlich, Felsen heroisch, blühende Obstbäume friedlich usw. wäre nicht nur beckmesserisch und abgeschmackt, sondern auch rasch konsumiert³ (Burckhardt 1977a: 21) und würden der räumlichen und zeitlichen Variabilität der landschaftlichen Symbolik nicht gerecht: ÄWie rasch hat sich beispielsweise die Bedeutung von Fels und Eis als äußerster Schrecklichkeit zerschlissen und aufgelöst in einer allgemeinen Lustbarkeit von Winterferien und Skigebiet!³ (Burckhardt 1977a: 21). 3.2.1.4 Zum Verhältnis von Normallandschaft und stereotyper Landschaft Die Konstruktion der landschaftselementar-anteiligen Zusammensetzung einer individuell aktualisierten gesellschaftlichen Normallandschaft kann dabei durchaus in einem relativ geringen Rahmen differenziert sein: In welcher Komplexität und mit welchen Anteilen Wälder, Wiesen, Bäche, Dörfer, Bauernhöfe, Düfte, Atmosphäre, Gebirge, Wolken und Landstraßen (wie auch andere Elemente) zu dem Konstrukt der individuellen Normallandschaft synthetisiert werden, ist primär abhängig von den Orten, an denen sich die primäre Landschaftssozialisation vollzogen hat: Fand die primäre Landschaftssozialisation in einer waldreichen Mittelgebirgslandschaft statt, wird diese zum Symbol landschaftlicher Normalität, fand sie in einer unreliefierten Offenlandschaft statt, gilt diese als Normallandschaft, auf deren elementare Zusammensetzung, Komplexität und Ästhetik als Basis für die Beobachtung von landschaftlichen Unterschieden dient, ähnliches gilt auch für einen stadtlandschaftlichen Kontext (vgl. Kühne 2006a). Die individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft ist als Äerlebter Raum³ (Bollnow 1962) jener physische Raumausschnitt, bei dessen Betrachtung als Landschaft unter Rückgriff auf die Deutungsmuster der gesellschaftlichen Landschaft rekonstruiert und ästhetisiert wird. Bei diesem Vorgang wird auf die internalisierten Interpretationsmuster der Normallandschaft und der stereotypen Landschaft zurückgegriffen. Hierbei wirken diese Interpretationsschemata potenziell, sie werden aktualisiert bzw. dienen als Bewertungsgrundlage: ÄWenn immer wir mit neuen Erlebnissen konfrontiert werden, vergleichen wir unwillkürlich die aktuellen Landschaftswahrnehmungen und -gefühle mit dem im Gedächtnis gespeicherten Erinnerungsgut³ (Nohl 2004: 37). Der lebensweltliche Zugang zum erlebten Raum ist von der Reichweite der Sinne begrenzt, denn Ädas Gegenwärtige schließt sich jederzeit zu einer anschaulichen Ganzheit zusammen³ (Bollnow 1962: 13; Abbildung 6). 87
Auf Grundlage der Erinnerung an ± so Job (1999: 48) ± Äzurück liegende räumliche zeitliche Erfahrungen, gelingt es dem Menschen, eine Art Bezugssystem zu erstellen (Ãmental map¶), in das spätere Eindrücke integriert³ und kontrastiert werden. Auf Grundlage einer durch Erziehende und Lehrende vermittelten 70
65,27
Anteil in Prozent (n = 455)
60 50 40 30 20 10
16,26 5,93 4,62 3,08 2,86 1,98
Abbildung 6:
et w
so
we it m an a se 10 he 0 et w Q n a ua ka 10 dr nn 00 at (n kil Q et = om ua wa 29 dr et ei 7) e a n r( t k Q ilo n ua w = m ie dr 74 et au er at ) ki fe (n lo in = m er 27 et Po er ) w ei (n st ß ka = ni rte 21 ch ) er t( si n ch = tli 1 4) ch (n an = de 13 re ) s (n = 9)
0
Die Begrenzung von Landschaft als Äerlebter Raum³ (Bollnow 1962): Anteile der Antworten (eine Antwort war möglich) zu der Frage ÄWenn Sie an eine Landschaft denken, welche Größe stellen Sie sich dafür am ehesten vor³ an der Gesamtzahl der Nennungen pro Variable (n = 455; aus: Kühne 2006a).
Vorstellung eines einheitlichen Raumes werden die durch eigene Wahrnehmung zu Landschaften synthetisierten Objekte (als verinselte Räume) in einen nicht aus eigener Anschauung gekannten räumlichen bzw. landschaftlichen Kontext integriert (vgl. Zeiher/Zeiher 1994), denn Ädie Geschwindigkeit des Reisens ist immer weniger erfahrbar und die Intensität zwischen wahrgenommener Landschaft und Reisendem verliert sich³ (Ahrens 2001: 28) ± so wird angeeignete physische Landschaft vielfach Älediglich als Zwischenraum gesehen oder als Entfernung empfunden, die es möglichst schnell zu überwinden gilt³ (Feldkamp 2004: 81-82). 88
Individuell aktualisierte gesellschaftliche Normallandschaft wird in besonderer Weise dann wert geschätzt, wenn diese Differenz bewusst reflektiert wird, wenn also beispielsweise während der primären Landschaftssozialisation durch biographische Veränderungen, Flexuren und Brüche veränderte landschaftliche Bezüge entstehen (Kühne 2006a): Wird die Konstitution einer heimatlichen Normallandschaft durch ein Abbrechen des Bezugs durch Wohnortverlagerung (insbesondere bei ± je nach Perspektive ± Vertreibungen und Umsiedlungen, ohne Möglichkeit die angeeignete physische Landschaft des ersten Teils der primären Landschaftssozialisation aufzusuchen) geändert, kann die heimatliche Normallandschaft ± vermittelt durch signifikante und verallgemeinerte Andere ± stark stereotype Züge annehmen, die im Sinne von Ott (2005) einer utopischen Sehnsuchtlandschaft gleicht (Kühne 2006a)91, 92. Dies lässt sich anhand der Landschaftsglorifizierungen von deutschen Bevölkerungsteilen verdeutlichen, denen infolge des Einmarsches insbesondere sowjetischer Truppen und der späteren Westverschiebung Polens die unmittelbare Konstruktion einer heimatlichen Normallandschaft verwehrt blieb (Beispiele finden sich hier in den Anthologien der sogenannten Vertriebenen). Bei individuellem und insbesondere kollektivem Erinnern an ein gesellschaftlich erzwungenes Verlassen der als normal konstruierten Landschaft der Kindheit sind Idealisierungen einer solchen ÃHeimatlandschaft¶ festzustellen. So wurde der ÃOsten¶ für die infolge der polnischen Westverschiebung von den dort verdrängten Deutschen als arkadische Heimatidylle93, als das verlorene Paradies einer heilen ± das heißt intakten ± Agrarlandschaft glorifiziert (Hahn/Traba 2007), verkitscht (vgl. auch Gelfert 2000) und zum überstereotypisierten Maßstab für die Bewertung von angeeigneten physischen Landschaften. Die Idee der angeeigneten physischen Landschaft, Ädie nach der Vertreibung der Deutschen verfiel, war in dieser Literatur [jener der sogenannten Vertriebenen] ein Gemeinplatz³ (Blackbourn 2007: 284), dessen Botschaft lautete: ÄDie Deutschen waren Opfer, wie das einst fruchtbare Land, das sie geschaffen hatten³ (Blackbourn 2007: 284). 91 Ein Prozess, der seine polnische Entsprechung im polnischen Kresy-Mythos findet, der sich um die nach dem Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion verlorenen ehemals polnischen Ostgebiete rankt. 92 Eine Konfrontation mit der angeeigneten physischen Landschaft in Ostmittel- und Osteuropa bedeutet häufig eine krasse Ablehnung der angeeigneten physischen Landschaft, das sie den stereotypen Soll-Vorstellungen der utopischen Sehnsuchtslandschaft nicht gleicht, wie Kühne (2006a) anhand qualitativer Interviews nachweisen konnte. 93 Arkadien ± heute eine der fünf Präfekturen der griechischen Verwaltungseinheit des Peloponnes ± wurde bereits in der Zeit des Hellenismus als Landschaft des Goldenen Zeitalters idealisiert, in der die Menschen als Hirten unbelastet von körperlicher Arbeit und gesellschaftlicher Zwänge in einer idyllischen Umgebung lebten. Ein Motiv, das über die römische Kunst bis ins Mittelalter die idealisiert-künstlerische Befassung mit Landschaft dominierte und erst in der Renaissance durch das Erhabene abgelöst wurde (Brandt 2005).
89
3.2.2 Sekundäre Landschaftssozialisation Die sekundäre Landschaftssozialisation (Kühne 2006a) vollzieht sich zumeist durch ein landschaftsbezogenes Fachstudium oder eine landschaftsbezogene Ausbildung. Solche landschaftsbezogenen sekundären Sozialisationen stellen ein Charakteristikum der Moderne dar, in der Ädie Suche nach Problemlösungen, berufsmäßig organisierten Spezialisten zugewiesen wird³ (Tänzler 2007: 125). Die sekundäre Landschaftssozialisation lässt sich in der Regel als analytischrationalistisch charakterisieren und ist als Professionalisierung ein Element der Differenzierung der sozialen Welt in Fachleute und Nicht-Fachleute. Dabei unterliegt die ÄAusübung solcher Professionen [«] einer berufsständischen Selbstkontrolle auf der Basis universalistischer, wissenschaftlich fundierter Geltungskriterien³ (Tänzler 2007: 125). Hierbei sind wissenschaftlich legitimierte Expertinnen und Experten Repräsentanten eines ± infolge der sozialen Differenzierung mit eigenständigen Funktionslogiken ± monopolisierten sozialen Feldes des problemlösenden Handelns (vgl. Larson 1977, Freidson 1986, Luhmann 1990, Hugill 1995, Stichweh 1997, Weingart 2001, Tänzler 2007). Mit dieser Monopolisierung von Wissen, die ± wie am Beispiel der doppelten Landschaftskonstruktion (sowohl hinsichtlich der Wahrnehmung als auch hinsichtlich der Modifikation der angeeigneten physischen Landschaft) gezeigt wird ± dem Kalkül der Erlangung und Sicherung von individueller und kollektiver Macht dient, geht ein Verlust kommunikativen Handelns in der Gesellschaft einher (vgl. Willke 2002). Die in der sekundären Landschaftssozialisation angeeignete zentrale Fähigkeit ist das analysierende ÄLandschaften-Lesen³94. Dies steht im Gegensatz zum emotionalen ÄLandschaften-Erleben³ jener Personen, die lediglich über eine primäre Landschaftssozialisation verfügen. Insbesondere im Fachstudium wird eine Normierung von Landschaftsinterpretationsschemata vollzogen (Kühne 2006a): Der Studienerfolg ist nicht zuletzt von deren Internalisierung abhängig. Neben (scheinbar) wertneutralen Interpretationen der Genese angeeigneter physischer Landschaften werden auch implizit oder explizit Landschaftsbewertungs94 Die konstitutive Bedeutung für die sekundärsozialisierte Landschaftsbefassung wird deutlich, wenn Hauser/Kamleithner (2006: 158) das Landschaftsverständnis der Kulturgeographie (sehr idealistisch) wie folgt charakterisieren: ÄFür sie [die Kulturgeographie; Anm. O.K.] ist die immer abgrenzbare, besondere Kulturlandschaft Gegenstand einer Lektüre, ein lebendiges und sich weiterentwickelndes Archiv der politischen und physischen, der sozialen und technischen Geschichte eines Gebietes mit besonderer Eigenart und von ästhetischem Reiz³. Die (distinktive) Verknüpfung des LandschaftLesens mit einem überdurchschnittlichen Landschaft-Wissen wird auch bei Gebhardt deutlich, wenn er mit Kritik angesichts der von ihm wahrgenommenen (und dem Mainstream der Landschaftsforscher eigenen) zunehmenden ÄGleichförmigkeit unserer Lebensräume³ (Gebhardt 2008: 250) feststellt: ÄGleichwohl bleibt für den Kenner auch heute noch vieles an regionaler Vielfalt in der Landschaft ablesbar³ (Gebhardt 2008: 245).
90
schemata vermittelt95. Eine fundamentale Unterscheidung der sekundären Landschaftssozialisierung bezieht sich auf deren Ausrichtung auf Planung oder Gestaltung: Gestaltung bedeutet, bezogen auf Landschaft ± Debes (2005: 117) zufolge ± Landschaft Äin einer Einheit von funktionalem und künstlerischem Ansatz absichtvoll zu verändern³, während Planung einen Äauf Nachvollziehbarkeit ausgerichteten Prozess³ darstellt, deren Ziel darin besteht, Lösungen unter vernünftiger ÄAbwägung von Interessensgegensätzen und unter Einsatz von objektivierenden Bewertungsschemata³ zu erzeugen (Tabelle 4; vgl. auch Bechmann 1981, Pütz 1995, Bökemann 1999, Langhagen-Rohrbach 2005). Erkenntnisprozess Ergebnis Ideale Anzahl der besten Ergebnisse Betrachtung einer Gegend als Profession
Tabelle 4:
Planung kausale Schlussfolgerung universelle Lösung
Gestaltung geschulte Intuition individueller Entwurf
eins
zahlreiche
Raum Raumplaner (Ingenieur)
Landschaft Landschaftsarchitekt
Prinzipielle Unterschiede zwischen Planung und Gestaltung (nach: Debes 2005).
Die sekundäre Landschaftssozialisation basiert auf der Vermittlung eines spezifischen Sach- und Fachwissens, die vielfach eine synthetische Zusammenschau einzelner ± in der Regel nicht durch eigene Beobachtung bzw. Erhebung gewonnener ± Einzel- oder bereits gruppierter Phänomene beinhaltet: die Typisierung als systematische Abstraktion. Die Typisierung tritt in expliziter (etwa in Form einer Landschaftstypologie oder von Lebensraumtypen wie in der Flora-FaunaHabitat-Richtlinie) oder impliziter (als Landschaftsgürtel, Klimaklassifikation dem Saprobiensystem96) Form auf und basiert dabei prinzipiell auf unterschiedlichen Typisierungs- und Klassifikationsschemata (geologischen, taxonomischen, klimatologischen, geomorphologischen, geometrischen, kartographischen u.a.)97. Das durch diese Typisierungen angeeignete Wissen wird im Zuge der sekundären Landschaftssozialisation inkorporiert und kommt bei Bedarf als ± in der Regel unhinterfragtes ± Deutungsmuster zur Anwendung. Die häufig unreflektierte, unge- und unüberprüfte, also ritualisierte Inkorporierung und Anwendung des 95 Diese Bewertungschemata werden u.a. in den Abschnitten 4.3 (Die Welt der Vorstellung einer idealen Landschaft ± die Semiotik des Naturschutzes), 5.3 (Kontingenz und gesellschaftliche Landschaft ± Paradigmen zum Umgang mit angeeigneter physischer Landschaft) eingehend thematisiert. 96 Der Saprobienindex stellt ein Maß für die organische Belastung von Fließgewässern aufgrund des Vorhandenseins bestimmter tierischer und pflanzlicher Indikatororganismen dar (Lange 2002). 97 Latour (2002: 45) beschreibt dies am Beispiel der naturwissenschaftlichen Referenzherstellung in der Feldarbeit: ÄJede Pflanze besitzt, was man eine Referenz nennt ± sowohl eine geometrische (durch Zuschreibung von Koordination) als auch eine Register mäßige (durch Zuschreibung einer bestimmten Nummer)³.
91
Deutungsmusters des Typischen lässt sich als das (Stereo)Typische bezeichnen. Die stereotypen Landschaften der primären Landschaftssozialisation unterscheiden sich von den sekundärsozialisierten (Stereo)Typischen hinsichtlich ihrer Entstehung: Dominieren bei der primärsozialisierten stereotypen Landschaft tradierte und affektuelle Zuschreibungen, basiert das sekundärsozialisierte (Stereo)Typische98 auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren methodischem Konsenskanon, wobei beide Konstitutionsmechanismen mit einer Objektivation (im Sinne von Berger/Luckmann 1982) verbunden sind (vgl. auch Hard 1970c, 1971 und 1991, Schneider 1989, Weingart 2003)99. Gemäß sekundärsozialisierter Differenzschemata ist Landschaft intentional auf bestimmte Relationalitäten von Elementen reduzierbar. Extensional wird sie jedoch sehr unterschiedlich gefasst, dabei besteht ein wesentlicher Unterschied sekundärer Sozialisationen in ihrer Natur- und Soziozentriertheit (vgl. auch Kaplan/Kaplan 1989, Kühne 2006b). Bei der Vermittlung sozialer und kognitiver Strukturen werden aus soziologischer Sicht zwei Mechanismen relevant (Weingart 2003): Neben dem Mechanismus der Sozialisierung handelt es sich um jenen der Institutionalisierung. Während durch den Mechanismus der Sozialisation das die spezialisierte soziale Gemeinschaft konstituierende Paradigma mithilfe von Ausbildung, Lehrveranstaltungen und Lehrbüchern vermittelt wird, vollzieht sich durch die Gründung von Fachzeitschriften und Lehrstühlen eine Institutionalisierung (Weingart 1976). Ein besonderes Charakteristikum bei der Konstruktion von Landschaft durch Expertinnen und Experten ist dabei die Kommunikation von Landschaft in unterschiedlichen, teilweise inkommensurablen Sprachspielen (z.B. zwischen Landwirten und Naturschützern, aber auch Raumplanern und Politikern) infolge der Differenzierung ± in systemtheoretischer Terminologie ± der gesellschaftlichen und auch wissenschaftlichen Codes (Luhmann 1984 und 1986): Unter Verzicht auf Redundanz hat das gesellschaftliche Handlungssystem Subsysteme (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Recht u.a.) ausdifferenziert, die zwar durchaus durch eine landschaftsrelevante Kommunikation gekennzeichnet sind, doch liegt ihre Hauptaufgabe nicht in dem Bezug zur Landschaft100. 98 Das Stereotype, aber auch das (Stereo)Typische, nimmt bisweilen den Charakter von Derivationen (Pareto 1962 ± zuerst 1916) an, Rationalisierungen also, die weniger auf einem wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt basieren, als auf der Mobilisierung von Residuen (als Sinnstrukturen wie Riten). 99 Eine genauere Thematisierung der Konstitutionsmechanismen des (Stereo)Typischen vor dem Hintergrund der Machtgenerierung und -sicherung durch Experten erfolgt in Abschnitt 6.7 (Landschaft, soziales Kapital und Macht). 100 Wie Luhmann (1986) allgemein für die Problematik der Kommunikation der Umweltbelastung feststellt, hat sich kein gesellschaftliches Subsystem ausdifferenziert, das sich auf die systeminterne Behandlung von Umwelt spezialisiert. Dis gilt auch für den Kommunikationsgegenstand der Landschaft. Das ökonomische System kommuniziert mit dem Code Haben/Nicht-Haben über das Thema
92
Die professionelle Befassung mit Landschaft beschränkt sich nicht auf das Lesen von Landschaft als interpretativen Akt, sondern erstreckt sich auf die Planung angeeigneter physischer Landschaft. Durch das auf Planung beruhende Arrangement der angeeigneten physischen Landschaft (als Folge und Nebenfolge des politischen oder verwaltungsmäßigen Handelns) schafft sich die ÄGesellschaft für eine bestimmte Zeit ihre Muster der räumlichen Orientierung³ (Ipsen 2006: 37). Diese physischen Strukturen als Orientierungsrahmen wiederum sind ÄVoraussetzung für gezieltes Handeln³ (Ipsen 2006: 37) sowie die Entstehung von einsichtigen Verhaltensmustern im Sinne von Bourdieu (1976; vgl. auch Ipsen 2006). Bei der Planung von angeeigneter physischer Landschaft (oder allgemein angeeignetem physischen Raum) beansprucht das Feld der professionell mit Landschaft Befassten für sich ± wie beispielsweise die Welt der Politik auch ± Äeine relative Autonomie mit eigenen Problemdefinitionen, eigener Sprache und spezifischen Interessen³ (Bourdieu 1977: 13). In der sekundären, auf Planung der Landschaft ausgerichteten Sozialisation erfolgt die Einübung der Reduktion des Problems auf das sogenannte Wesentliche durch die Anwendung des Mittels der Intuition. Die Intuition Äist ein Mittel, mit welchem man Gleichungen lösen kann, die mehr Unbekannte als Aussagen haben³ (Burckhardt 1970: 56). Womit sich der Planungsprozess als Prozess der Entkomplexisierung von Welt beschreiben lässt. 3.3 Zur Genealogie eines schwierigen Verhältnisses: Primäre und sekundäre Landschaftssozialisation 3.3.1 Unterschiede der Beurteilung angeeigneter physischer Landschaft durch Laien und Experten Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass Landschaft durch Laien und Experten unterschiedlich konstruiert wird. Die unterschiedlichen Charakterisierungen von Landschaft durch Landschaftsexperten und Landschaftslaien werLandschaft, also beispielsweise hinsichtlich der Frage, ob die Erhaltung einer Angeeigneten physischen Landschaft einen größeren monetären Aufwand mit sich bringt, als sich durch Einnahmen aus Landbewirtschaftung und landschaftsbezogenem Tourismus erzielen lassen. Während das politische System mit dem Code Macht/Nicht-Macht hinsichtlich der Frage kommuniziert, ob und inwiefern mit landschaftsbezogenen Themen Wahlen zu gewinnen sind, das Rechtssystem über die Rechtmäßigkeit von Landnutzungen entscheidet, kommuniziert das wissenschaftliche System mit dem Code wahr/nicht wahr über die ökosystemische Zusammenhänge oder die zugeschriebenen Attraktivität von angeeigneten physischen Landschaften (vgl. Kühne 2005b). Eine Übersetzung der Aussagen und Ansprüche an und über Landschaft ist häufig nicht möglich.
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den anhand der in Abbildung 7 dargestellten angeeigneten physischen Landschaft deutlich101: Während jene Personen, die sich nicht professionell mit Landschaft befassen, die dargestellte angeeignete physische Landschaft zumeist als ÃNatur¶ oder Ãnatürlich¶, Ãländlich¶ oder Ãharmonisch¶ beschreiben, wird sie von jenen, die sich professionell mit dem Thema Landschaft auseinandersetzen als Ãextensiv genutzt¶, Ãagrarlandschaftlich¶, Ãarm an Landschaftselementen¶, Ãzu siedlungsarm¶ oder Ãim Hintergrund durch Verbuschung geprägt¶ bezeichnet.
Abbildung 7:
Foto einer angeeigneten physischen Landschaft im Bliesgau (Saarland/Lothringen). Dieses Foto wurde Landschaftsexperten und Landschaftslaien mit der Bitte vorgelegt, sie möchten das Dargestellte mit drei Begriffen charakterisieren.
Während Laien eher Natürliches mit der dargestellten Landschaft assoziieren, dominiert bei Expertinnen und Experten die Beschreibung der anthropogenen Einflüsse. Darüber hinaus wird die angeeignete physische Landschaft durch Laien deutlich positiver bewertet als durch Experten102, die hier einen Ist-SollVergleich durchführen. Sie sind aufgrund ihrer sekundären Landschaftssozialisation in der Lage, Differenzen zwischen einer ideal(stereo)typischen ÃSoll-Landschaft¶ und der wahrgenommenen ÃIst-Landschaft¶ zu erkennen und gemäß der ± der eigenen Systemlogik folgenden und durch Überstrukturiertheit gekennzeich-
101
Bei dieser im Juli und August 2007 durchgeführten Untersuchung wurden 20 Laien und 17 Experten befragt. 102 Auf die wertenden Charakterisierungen seitens der Experten wird hinsichtlich der Wahrnehmungsfähigkeit von Komplexität noch in Abschnitt 3.3.4.1 (Attraktivität von angeeigneter physischer Landschaft zwischen Nutzungsintensität, Komplexität und Sozialisation) eingegangen.
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neten (Jackson 1984) ± Fachsprache zu benennen103. Die sekundärsozialisierte Beobachtung und Interpretation von angeeigneter Landschaft ist dabei hochgradig selektiv und fachspezifisch (vgl. auch Kühne 2006a): Landschaftsexperten mit einer agrarwissenschaftlichen sekundären Sozialisation beziehen sich bei ihren Charakterisierungen insbesondere auf landwirtschaftlich dominierte Elemente der abgebildeten angeeigneten physischen Landschaft, Personen mit fachlichem Naturschutzinteresse auf (zugeschriebene) ökosystemische Zusammenhänge, während Experten, die sich primär mit ländlicher Siedlungsentwicklung befassen, das Fehlen von ländlichen Siedlungen auf der Abbildung beklagen (vgl. auch Kaplan/Kaplan 1989, Hagerhall 2000). Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Begriffen der stereotypen Landschaft der primären Sozialisation und der (stereo)typischen Landschaft der sekundären Sozialisation liegt in der Bewertung der nicht-visuellen Dimensionen von Landschaft. Während die akustische Dimension eine konstitutive Bedeutung für die stereotype Landschaft hat (der olfaktorischen Dimension wird eine deutlich geringere Bedeutung beigemessen; siehe Tabelle 3), werden nicht-visuelle Landschaftsdimensionen von Landschaftsexperten nur in Einzelfällen als konstitutiv für Landschaft gewertet. Ähnliches gilt für die Atmosphäre einer Landschaft: Sie stellt einen entscheidenden Anteil an der Konstitution stereotyper Landschaft dar, während (insbesondere naturwissenschaftlich orientierte) Landschaftsexperten dieser keine oder eine untergeordnete Bedeutung beimessen. 3.3.2 Die Vermittlung einer positivistisch-normativen gesellschaftlichen Landschaft Eine Verbindung zwischen primär und sekundär sozialisierter Landschaft findet in der Phase des formalen Operierens, im späten Kindes- und Jugendalter in Form der Vermittlung einer positivistisch-normativen gesellschaftlichen Landschaft statt. Die positivistisch-normative gesellschaftliche Landschaft wird in der Schule durch Kinder- und Jugendsachbücher sowie Schulbücher und Lehrer vermittelt. Es handelt sich dabei um einen Landschaftsbegriff, der seine Wurzeln in der sekundären Landschaftssozialisation hat und dadurch gekennzeichnet ist, dass Landschaft etwas real existierendes, empirisch eindeutig Fassbares und Abgrenzbares zu sein hat. Die positivistisch-normative Landschaft ist durch ihre Visualität gekennzeichnet, selbst akustische Phänomene haben eine untergeordnete 103
Ein Beispiel für einen solchen Ist-Soll-Abgleich liefern Hauser/Kamleithner (2006:13), wenn sie feststellen: ÄDie ästhetische Banalität der urbanisierten Landschaften wird vor dem Hintergrund von Erwartungen empfunden, die sich aus älteren Vorstellungen und Erwartungen an Ãdie Stadt¶ und Ãdie Landschaft¶ speisen.³
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Anteil an den möglichen Nennungen in Prozent (n = 455)
Bedeutung104 (Abbildung 8). Die Vermittlung der positivistisch-normativen Landschaft stellt den Akt der Übung Äin der Kunst des Verlernens³ (Hüppauf 2007: 112) insbesondere von normallandschaftlichen Vorstellungen, aber auch stereotyp-landschaftlichen Vorstellungen, dar. Der stark auf die eigene Vorstellung bezogene Begriff der Landschaft (65,3 Prozent der in der Untersuchung von Kühne (2006a) 455 Befragten gab an, Landschaft sei so groß, wie man sie sehen könne) in seiner Dimension als individuell aktualisierte Normalität und individuell aktualisiertes Stereotyp wird durch Bildungsprozesse durch einen am Paradigma der Objektivität ausgerichteten Landschafts- (und auch Raum)Begriff ergänzt bis diskreditiert. So orientiert sich der in der Schule vermittelte Raumbegriff ± aus Sicht von Vermessung und Planung durchaus sinnvoll ± am Paradigma der Euklidik: Raum wird ± so Kruse (1974: 33) ± als dreidimensionaler Raum der Mathematik dargestellt, nicht allein weil er Gegenstand des Einübungsmechanismus in Bildungseinrichtungen war, 100 90
92,53
80 70 60 50
51,43 46,15
40 30 20 10
10,99 7,47
3,08 0,66 0,66
Abbildung 8:
104
Bü
G
Be o
ba ch
tu ng
(n = ch 42 er es 1) (n pr äc = 23 Fü h e 4) ( hr un n = 21 ge 0) In n (n Bi te = ld r n 7 un et 9) an gs ( de n = ei nr 50 ich res ) (n tu ng = 3 en 4) ga (n rn = 14 ic w ht ) ei (n ß = ni ch 3) t( n = 3)
0
17,36
Die Dominanz eines lebensweltlichen Zugangs zu Landschaft: Anteile der Antworten (mehrere Antworten waren möglich) zu der Frage ÄWie eignen Sie sich Wissen über Landschaft an³ an der möglichen Gesamtzahl der Nennungen pro Variable (n = 455; aus: Kühne 2006a).
Die Thematik der Konstitution einer positivistisch-normativen Landschaft in der schulischen Bildung wird diskursanalytisch in Abschnitt 6.8 (Fallbeispiel 5: Die Inkorporierung eines positivistischen Landschaftsbegriffs in Kinder- und Jugendsachbüchern sowie Schulbüchern) behandelt.
96
sondern auch, Äweil ein Großteil unseres praktischen Handelns diese objektiven räumlichen Beziehungen zugrunde legt, etwa wenn wir messend und berechnend unsere Umwelt bewältigen, ein Haus bauen, einen Plan für unser Zimmer entwerfen³. Im Prozess der primären Sozialisation werden euklidische Vorstellungen von Raum mit der Alltagserfahrung von Kindern in Verbindung gebracht und so inkorporiert (vgl. Bronfenbrenner 1981). Die primäre Landschaftssozialisation ist ein Teil eines Prozesses der ÄSozialisation und Internalisierung von objektiver Wirklichkeit als gesellschaftliches Wissen³ (Hort 2007: 78). Die Integration der positivistisch-normativen Landschaft bedeutet dabei einen Übergang vom Äerlebten Raum³ zum Äabstrakten Raum³ (Schrage 2004: 64) der Wissenschaft, Technik, Politik und Wirtschaft. Auch die ästhetische Präferenzierung von Landschaft ändert sich mit dem Stereotypisierungs- und Bildungsprozess: Werden in der Phase des konkreten Operierens bei der Präsentation von Dias noch Vorlieben für Savannenszenerien gegenüber heimischen Landschaften geäußert, verschwindet diese Präferenz in der Phase des formalen Operierens (Balling/Falk 1982, Lyons 1983)105. Die positivistisch-normative gesellschaftliche Landschaft basiert auf dem Konstrukt des sekundärsozialisierten (Stereo-)Typischen106. Die Konstruktion des (Stereo-)Typischen ist regional unterschiedlich und wird im Bildungsprozess inkorporiert, wie Burckhardt (1995b: 259) anhand des Beispiels des Ruhrgebiets im Schulunterricht darstellt: ÄBei unserem Geographielehrer lernten wir, dass die rauchenden Schlote, die Fördertürme und die blauen Schirmmützen der Schichtarbeiter Ãtypisch¶ seien für das Ruhrgebiet; konsequenterweise schützt die Denkmalpflege heute diese Objekte mit Ausnahme der Schichtarbeiter und der Rauchfahnen in der Ruhr, selbstverständlich nicht anderswo, wo es verboten wäre, plötzlich einen Schornstein oder gar einen Förderturm zu erstellen³.
Die sich aus den regional abgegrenzten Konstruktionen des Typischen ergebenden Handlungsnormen werden ebenfalls regional an dem Typischen ausgerichtet. Die Systematisierung der Raum- und Landschaftskonstruktion bedeutet aber nicht, dass dieser objektivistisch-mathematische Raumbezug Äauch das Fundament für den gelebten Raum ist³ (Kruse 1974: 33). Landschaft wird ± aller Sys105
Balling/Falk (1982) begründen dies mit einer angeborenen Präferenz der Savannen, die gegenüber der Erfahrung mit den heimischen Landschaften immer mehr zurücktrete. Die von Orians (1986) eingeführte sogenannte Savannenhypothese unterstellt einen Zusammenhang zwischen genetischer Strukturierung und bevorzugten Landschaften, nämlich halboffenen. Zurückzuführen sei diese Bevorzugung auf den zumeist besiedelten Lebensraum der vorgeschichtlichen Menschen in Savannen. 106 Im Zusammenhang mit der Untersuchung der sekundären Landschaftssozialisation wird diese Art der Konstruktion des Typischen durch Landschaftsexperten das (Stereo)Typische genannt (siehe Abschnitt 3.2.2 ± Sekundäre Landschaftssozialisation).
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tematisierungsbemühung zum Trotz ± primär unsystematisch auf der diffusen Bezugsbasis (heimatlicher) individuell aktualisierter gesellschaftlicher Normallandschaft, stereotyper gesellschaftlicher Landschaften und positivistisch-normativer gesellschaftlicher Landschaft konstituiert. Die unsystematische Konstruktion von landschaftlichen Stereotypen basiert in besonderer Weise auf der Vermittlung von Sekundärinformationen über Landschaft107. Die bewusste Konstituierung der Differenz von heimatlicher Normallandschaft und anderen Landschaften, aber auch der stereotypen und der positivistisch-normativen gesellschaftlichen Landschaft, vollzieht sich insbesondere durch Reisen, aber auch auf Grundlage von Sekundärinformationen (Schulbücher, Spiel- und Dokumentarfilme u.a.)108. 3.3.3 Der Laie im Experten Die sekundäre Sozialisierung von Landschaft ist (insbesondere in den naturwissenschaftlichen und planerischen Disziplinen) häufig explizit auf die Eliminierung primärsozialisierter Landschaftsdeutungs- und -erlebnismuster ausgerichtet (vgl. Schneider 1989, Kühne 2006a). Im historischen Kontext der Wissenschaftsund Forschungsentwicklung beschreibt Latour (2002: 123) dieses Verhältnis von vorwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Beziehungsstrukturen zu Welt: ÄWir vergessen gewöhnlich, dass Spezialisten einmal Amateure waren, so wie Militärs Zivilisten. Forscher und Wissenschaftler gab es nicht immer. Es bedurfte vieler Anstrengungen, aus dem Alchemisten den Chemiker, aus dem Juristen den Ökonomen herauszuziehen; oder durch subtile Vermischungen Biologen und Chemiker in Biochemiker oder Psychologen und Soziologen in Sozialpsychologen zu verwandeln³.
107 Doch auch eine Umweltpädagogik, Ädie vor allem Kinder und junge Menschen durch sinnliches Erleben an die Natur heranführen will³ (Körner 2005d: 20), produziert lediglich ein Stereotyp, nämlich das der Äewig empfindlichen und bedrohten Natur³, das letztlich eine Selbstausgrenzung des Menschen aus dem Kontext der Natur bewirke. 108 Ein radikaler Widerspruch der aktualisierten Landschaft mit der stereotypen Landschaft unter Einfluss der positivistisch-normativen Landschaft stellt die von Lewin (1917) beschriebene Kriegslandschaft dar: Die Bewertung des physischen Raumes unterliegt keinen (ästhetischen) Stereotypen mehr, sondern die Kriegslandschaft ist für Lewin eine Landschaft, Ädie in den Kategorien vorgestellt wird³ (Schrage 1994: 72). Landschaft wird nach der Eigenlogik des Krieges wahrgenommen, nach sicheren Verkehrsverbindungen, nach Einsehbarkeit durch den Feind, der Nähe zu Schützengräben etc. Schrage (1994: 73) konstatiert, dass Krieg und Frieden hier als Äzwei unterschiedliche Koordinatensysteme sozialer und individueller Denk- und Handlungskontexte gelesen werden können³. Während die Friedenslandschaft stärker durch das Stereotype strukturiert wird, dominiert in der Kriegslandschaft das Positivistisch-Normative.
98
Trotz der Eliminierungsbemühungen basiert die soziale Landschaftssozialisation hermeneutisch auf der primären Landschaftssozialisation, schließlich setzt ± so Habermas (1982: 36) ± die Forderung Äkontrollierter Beobachtung als Basis für die Entscheidungen über die empirische Triftigkeit von Gesetzeshypothesen [«] bereits ein Vorverständnis sozialer Normen³ und Deutungsschemata voraus. Der Versuch der Abgrenzung ± und insbesondere Aufwertung ± eines sekundärsozialisierten Landschaftsverständnisses kann also auch als Absicherung des systemischen (häufig (stereo)typischen)Wissens gegenüber lebensweltlichen (häufig stereotypen) Deutungsmustern verstanden werden, schließlich leben Experten ± in diesem Falle Geographen ± Äwenn sie sich ihrem ÃGegenstand¶ , der Ãgeographischen Landschaft¶ [nähern], zumindest im Geiste noch immer in Arkadien³ (Hard 1983: 187). Dabei erscheint den geographischen Landschaftsexperten Äihre wissenschaftliche Landschaft ± relativ zur außerwissenschaftlichen Landschaft ± aber unter anderem auch komplexer und gegenwärtiger zu sein³ (Hard 1983: 187). Die Soll-Zustandsdefinition des gegenwärtigen Paradigmas der Erhaltung von (Kultur)Landschaft ist dabei nicht frei von lebensweltlichen Bezügen. Ipsen (2006: 85) sieht eine Ungleichzeitigkeit der Entwicklung von Landschaftsbewusstsein und Landschaftsentwicklung. Diese Ungleichzeitigkeit lässt sich im Sinne von Ogburn (1964) als Teil der kulturellen Phasenverschiebung auffassen: Während die materielle Kultur (der Technik und Ökonomie) eine rasche Entwicklung erfährt, was sich auch in der Umgestaltung angeeigneter physischer Landschaft ausdrückt, wandelt sich die immaterielle Kultur (wie Familie, Recht und Ideologie) nicht (zwingend) in gleichem Maße. Aus dieser Ungleichzeitigkeit der Entwicklung von materieller Kultur und immaterieller Kultur ± im Sinne von Ipsen (2006: 85) (angeeignet-physischer) Landschaftsentwicklung und Landschaftsbewusstsein ± haben sich Äwichtige, die Landschaft prägende Programme wie der Naturschutz und der Landschaftsschutz entwickelt³ ± letztlich eine Transformation der Wertschätzung des Historischen von Laien mit dem Instrumentarium der Experten. Die Motivation des Übergangs vom Laien- in den Expertenstatus zum Thema Landschaft ist dabei durchaus unterschiedlich. Schneider (1989) identifiziert durch qualitative Untersuchungen mit Lehrenden und Studierenden der Landschaftsplanung fünf idealtypische Planer-Typen mit unterschiedlichen Identitätskonstrukten: 1. Der Auftraggebertyp verfügt als ÃMacher¶ über keine eigene Planungsphilosophie, denn Äer übernimmt nach seinem Selbstverständnis die Ideologie des Auftraggebers³ (Schneider 1989: 123). Durch diese Außenlenkung vollzieht der Auftraggebertypus seine Arbeiten mit großer technischer Perfektion und ist so anpassungsfähig, dass Ä(Fast) alle Aufträge gute Aufträge³ (Schneider 1989: 123) sind. 99
2.
Der Helfer-/Anwalt-Typus benötigt ein von ihm als solches wahrgenommenes Defizit, um zu handeln. Seine Identität setzt sich aus den Komponenten des Sozialarbeiters und des Experten zusammen, indem er nicht über sich, sondern über andere nachdenkt. Dabei ist sein Antrieb ein moralischer. 3. Die Handlungsmotivation des Lebensgeschichtler-Typus besteht in dem Willen, sich durch seine Arbeit seine Identifikation zu erklären und sich selbst zu verstehen (Innenlenkung). Auf Grundlage seiner Erfahrung wird ± bisweilen doktrinär ± Planung betrieben. 4. Der Entdecker-/Erfinder-Typus sucht nach ÄAnerkennung, indem er Neues produziert³, wobei die Äentdeckte Welt zur Kolonie (des Entdeckers)³ (Schneider 1989: 123) wird. Die Entdeckung des Neuen impliziert die Desavouierung des vorhandenen Wissens: Es werden immer neue Stile und Zugänge (auch) mit der Begierde kreiert, zu Ruhm und Ehren zu gelangen. 5. Der Handwerker-Typus Äverfolgt mit dem Handwerk ein eigenes Autonomiebestreben³ (Schneider 1989: 124), indem er stark auf die Objektebene bezogen ist und seine Handlungsschemata auf Traditionen und bewährten Vorbildern begründet sind. Gemein ist diesen Expertentypen, dass ÃNatur und Landschaft¶ für sie Mittel zum Zweck als Künstler, Wissenschaftler und Schützer sind, um für Äihre Taten Anerkennung, Selbstbestätigung³ (Schneider 1989: 128) zu generieren, wobei der Arbeitsgegenstand ÃLandschaft¶ ± so Schneider (1989: 123) ± als ÄQuelle der Anerkennung und Liebe libidinös besetzt³ sei. Eine Motivation, die im strengen Widerspruch steht Äzur propagierten emotionalen Neutralität des Wissenschaftlers, die er Objektivität nennt, zu der des Künstlers, der seinem Begehren den Namen Ãgöttliche Eingebung¶ gegeben hat und zu der des Schützers, der vom Schutzgegenstand Ãan sich¶ spricht³. Anhand der bereits angesprochenen Studie zur sozialen Konstruktion von Landschaft hat Kühne (2006a) Landschaftsexperten qualitativ hinsichtlich ihres Verhältnisses zur primären Landschaftssozialisation befragt. Dabei ließen diese fünf Umgangsstrategien erkennen: 1. Ausblendung des primärsozialisierten Landschaftsbegriffs bzw. Zuschreibung von Irrelevanz gegenüber diesem. 2. Bedrückung, ob der scheinbaren Widersprüchlichkeit des eigenen Landschaftsbegriffs, da es nicht gelungen sei, normallandschaftliche und stereotype Elemente zu eliminieren. 3. Gleichsetzung von (stereotyper) Schönheit von Landschaft mit ökosystemischen Bezügen. 4. Akzeptanz der Polyvalenz eigener Landschaftsbegriffe.
100
5.
Bemühung um Synthese von primär- und sekundärsozialisiertem Landschaftsbewusstsein109. Die konfliktären Verhältnisse von primärer und sekundärer Landschaftssozialisation bei Experten lassen sich anhand folgender Aussagen des Geographen Hard illustrieren: Hard (2002: 46) zufolge sei es erstrebenswert, die vorwissenschaftlichen Bezüge zum Gegenstand in seine Reflektionen zu integrieren, denn dann Äkann er zu seinem Gegenstandswissen auch noch etwas über sich und seine Wissenschaft erfahren (seinem Objektwissen auch noch Subjektwissen hinzufügen)³. Dadurch entstünde ein Wandel des Bezugs zum Gegenstand der wissenschaftlichen Tätigkeit: Äder ursprüngliche Umgang, die Art der Versachlichung und der Wissenschaftler selber, und alle drei können dabei gewinnen³ (Hard 2002: 46). In Reflexion des Artikels von Blotevogel/Heinritz/Popp (1986) ÄRegionalbewusstsein. Bemerkungen zum Leitbegriff einer Tagung³, in dem Blotevogel/Heinritz/Popp (1986: 197; zit. nach Hard 1987b) angaben, ihre Ausführungen auf ihre Äeigenen Lebenswelt auf[zu]bauen³, subsumiert Hard (2002: 46): ÄWas Geographen für ihre lebensweltliche Weisheit halten, ist leicht nur ihre spezifische déformation professionelle³. 3.3.4 Landschaft zwischen Lebenswelt und System Auch am Begriff der Landschaft lässt sich die im Prozess der Modernisierung nach Habermas (1981a und 1981b) angelegte Entwicklung der Rationalisierung der Lebenswelt und der Entkopplung von System und Lebenswelt nachvollziehen: Die Rationalisierung der Lebenswelt110 ± Habermas schließt hier an den von Max Weber geprägten Begriff einer kulturellen Entwicklung der Entzauberung der Welt an ± äußert sich in dem gesellschaftlichen Landschaftsbezug in kognitiv-instrumenteller, moralisch-praktischer wie in ästhetisch-praktischer Weise: Naturwissenschaft macht (insbesondere angeeignete physische) Landschaft zu 109
Ein Beispiel für die Integration des Stereotypen in das (Stereo)Typische liefert der Geograph Schmithüsen (1963: 156), wenn er die Frage, was eine Landschaft sei, folgendermaßen beantwortet: ÄEin in Obstgärten gebettetes Dorf am Rande einer mit Kuhweiden erfüllten Quellmulde, mit Ackerzelgen und ein paar Wegen an der angrenzenden Hochfläche, Niederwald auf dem Grauwackenfels steilhängiger Tälchen, mit Wiesenstreifen im Grund und einem Touristengasthaus in einer ehemaligen Lohmühle am erlenumsäumten Bach, dieses zusammen kann schon wesentliche Züge einer Landschaft ausmachen³. 110 Die Lebenswelt ist gemäß der Habermasschen Theorie des Kommunikativen Handelns aus mehr oder minder diffusen und stets unproblematischen Hintergrundüberzeugungen aufgebaut. Dieser lebensweltliche Hintergrund dient als Bezugspunkt für Situationsdefinitionen, die von den jeweils beteiligten Personen als unproblematisch angesehen werden (Habermas 1981a: 107): ÄDie Lebenswelt speichert die vorgetane Interpretationsarbeit voran gegangener Generationen; sie ist das konservative Gegengewicht gegen das Dissensrisiko, das mit jedem aktuellen Verständigungsvorgang entsteht³.
101
einem Objekt ihrer positivistischen Untersuchungen, in Form von Messungen und Klassifizierungen, (angeeignete physische) Landschaft wird einem mehr oder minder normativen (gesellschaftlich definierten) System rechtlicher Regelungen unterworfen und Landschaft in der Kunst metaphysischen Darstellungsverboten entzogen. Im Zuge der Rationalisierung der Lebenswelt wird angeeignete physische Landschaft der Institutionalisierung zweckrationalen Wirtschaftsund Verwaltungshandelns unterworfen111. Die Ausdifferenzierung der Funktionssysteme112 von Wirtschaft und Politik mit der Ausprägung der Kommunikationsmedien Geld und Macht bedeutet eine Technisierung des lebensweltlichen Zugangs zu Landschaft. Landschaft hat somit neben dem rückgekoppelten Verhältnis ihrer angeeignet-physischen und ihrer gesellschaftlich-konstruktiven Dimension auch eine lebensweltliche und eine systemische Dimension. Während die lebensweltliche Dimension als Teil der primären Landschaftssozialisation entwickelt werden kann, steht die systemische im Zusammenhang mit der sekundären Landschaftssozialisation: Die ÄTechnisierung der Lebenswelt³ (Habermas 1981b: 273), die mit dem zweckrationalistischen Zugriff auf den angeeigneten physischen Raum verbunden ist, entlastet zwar einerseits die Lebenswelt, indem sie sich ihrer symbolischen Reproduktion widmen kann, sie schränkt aber zugleich diese symbolische Reproduktion von gesellschaftlicher Landschaft durch die Durchsetzung systemischer Imperative der rationellen Nutzung von angeeignetem physischem Raum ein. Die Reflexion der Bedeutung der Schnittmenge von physischem Raum und den für die Konstituierung von gesellschaftlicher Landschaft selektierten physischen Objekten, also die Reflexion der Bedeutung der angeeigneten physischen Landschaft, könnte eine Verbindung zwischen der lebensweltlichen und der systemischen Dimension von Landschaft bzw. physischem Raum darstellen. Infolge der Kolonisierung der (normallandschaftlichen) Lebenswelt durch das (sekundärlandschaftlich geprägte) Systemische finden sich bisweilen auch geringe Unterschiede in der Präferenz landschaftlicher Soll-Zustände wieder. Das (Stereo)Typische dominiert hier das Stereotype, sodass auch in quantitativen Studien (z.B. Zube/Pitt/Anderson 1975, Jensen 1993, Yu 1995; eine Ausnahme 111 Mit einem zweckrationalen Zugriff auf Welt gehen ± so Lukács (1968 ± zuerst 1923) ± die Tendenzen einher, die Gegenstände der Welt nur noch als potenziell verwertbare Dinge anzusehen, das Gegenüber lediglich als ÃObjekt¶ einer ertragreichen Transaktion und das eigene Vermögen nur noch als Ressource vermarktbar anzusehen. 112 Den Unterschied zwischen Lebenswelt und System charakterisiert Habermas (1981b: 348) folgendermaßen: ÄWährend für die symbolische Reproduktion der Lebenswelt am sozialen Handeln vor allem der Aspekt der Verständigung relevant ist, ist der Aspekt der Zweckmäßigkeit wichtig für die materielle Reproduktion. Diese vollzieht sich durch das Medium von zielgerichteten Eingriffen in die objektive Welt³.
102
bildet hier Kaplan/Kaplan 1989) vielfach eine deutliche Übereinstimmung der Präferenzen von Experten und Laien gemessen wird. 3.3.4.1 Attraktivität von angeeigneter physischer Landschaft zwischen Nutzungsintensität, Komplexität und Sozialisation Die Ästhetik und Attraktivität von Landschaft ist Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen (z.B. Bollnow 1956, Ritter 1963, Seel 1991, Burckhardt 1991a, Beck 1996, Augenstein 2002, Wöbse 2002, Hoeres 2004, Hauser/Kamleithner 2006). Einen Ansatz der Zuschreibung von Attraktivität von angeeigneter physischer Landschaft liefert Burckhardt, der Attraktivität von angeeigneter physischer Landschaft in der kulturellen Aneignung von Wahrnehmungsmustern begründet sieht. Burckhardt (1978c) weist der Beschreibung einer Landschaft als Ãschön¶ zwei miteinander rückgekoppelte Signale zu: Landschaft ist erstens dort schön und hübsch, wo es undefinierte Zonen zwischen zwei Zonen gibt: Waldränder, niedrige Gebüsche, eine bestimmte artenreiche Vegetation. Es handelt sich bei diesen Zonen zwischen zwei bewirtschafteten Zonen, um nicht bewirtschaftete Zonen, deren primäres Signal ist: ÄHier könnt ihr Feuer machen, ohne dass der Bauer oder der Förster kommt und euch wegjagt³ (Burckhardt 1978c: 178). Landschaft ist zweitens dort hübsch, wo Bodenrente abwesend ist, denn hier ist ein Ort, Äder so wenig wert ist, dass sich niemand um ihn kümmert³ (Burckhardt 1978c: 178). Diese Art der Aneignung von Landschaft ist auf die direkte Aneignung bezogen, wie er in der formativen Phase für
Abbildung 9:
Der Zusammenhang zwischen Komplexität und Attraktivität gemäß der Komplexitätshypothese. Die zunehmende Schwarzsättigung der Linien stellt einen zunehmenden Grad landschaftsbezogener Kenntnisse dar (verändert nach: Ipsen 2006).
103
die Normallandschaft charakteristisch ist. Sie beinhaltet letztlich keine normative Definition wie eine angeeignete physische Landschaft auszusehen hat, sondern lässt angeeignete physische Landschaft dort attraktiv erscheinen, wo sie unmittelbar angeeignet werden kann. Einen anderen Ansatz zur Beurteilung der Attraktivität von Landschaft liefert Ipsen (2006), indem er auf die Komplexitätstheorie zurückgreift. Dieser Theorie gemäß ist ÄWahrnehmung [als] eine aktive Leistung zur Konstruktion der Wirklichkeit zu begreifen [«] und nicht im Sinne der Reiz-Reaktionstheorie (stimulus-response) als eine schlichte Reaktion auf Umwelteinflüsse³ (Ipsen 2006: 23). Dies bedeutet, dass das menschliche Bewusstsein zwar durch seine Umwelt angeregt werden kann, aber auf diese Reize der Umwelt nicht im Sinne eines linearen Reaktionsmusters reagiert. Dennoch existiert ein (nicht-linearer) Zusammenhang zwischen der Komplexität von Reizen und der Bewertung einer Situation ± in diesem Falle einer landschaftlichen Situation: Zunächst erhöht die Möglichkeit neue und komplexe Informationen aufzunehmen die Attraktivität einer Situation bis zu einem Optimumniveau; steigt nach Erreichen dieses Optimumniveaus die Komplexität weiter an, Äso verliert die Situation an Attraktivität
Abbildung 10:
113
Die bewusstseinsintern rekonstruierte Komplexität einer angeeigneten physischen Landschaft lässt sich anhand der Zahl der wahrgenommenen Elemente, der Vielfalt der Elementtypen sowie der Anordnung der Elemente modellieren. Jeweils mittlere Werte auf allen Achsen bedeuten eine hohe wahrgenommene Attraktivität113.
Eine ähnliche Quantifizierung ästhetischer Erfahrungen anhand von Symptomen findet sich bei Nelson Goodman (1992). Er benennt vier Kennzeichen für die ästhetische Erfahrung: syntaktische Dichte, semantische Dichte, exemplifikatorische Beziehung, relative syntaktische Fülle. Die semantische Dichte und die exemplikatorische Beziehung weisen dabei über das Angeeignet-Physische hin-
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und wird, insofern es möglich ist, gemieden³ (Ipsen 2006: 24; vgl. Abbildung 9)114. Für die Übertragung auf die Bewertung von Landschaft bedeutet dies: Einfach strukturierte Landschaften, die sich aus wenigen unterscheidbaren Formen und Elementen zusammensetzen, bieten wenige Möglichkeiten, neue Informationen aufzunehmen und wirken daher tendenziell weniger attraktiv als Land-
Abbildung 11:
Eine angeeignete physische Landschaft mit geringer Reizkomplexität: Wenige Elementtypen (Wiese, Hügel, Felsen, Büsche) sind auf wenige Einzelelemente verteilt und erscheinen somit auch hinsichtlich ihrer Anordnung geordnet: Das Beispiel der Causses im französischen Zentralmassiv.
schaften mit komplexeren Strukturen (d.h. zahlreicheren unterschiedlichen Elementen und Formen), wobei Landschaften wieder weniger attraktiv bewertet werden, wenn sie hochkomplexe Strukturen aufweisen, also eine große Zahl unterschiedlichster wahrnehmbarer Elemente kombinieren mit einer großen Zahl unterschiedlicher wahrnehmbarer Formen, wie Abbildung 10 im Zusammenhang von der Zahl der wahrgenommenen Elemente, deren Typ und Anordnung in einer angeeigneten physischen Landschaft zeigt115. aus und werden in der hier besprochenen komplexitätstheoretischen Betrachtung zunächst nicht berücksichtigt. 114 Diese Hypothese gründet sich auf die physiologische Erregung des zentralen Nervensystems. Ist die Erregung sehr gering, ist der Antrieb, sich mit der Umwelt zu befassen gleichfalls gering. Bei hohem Erregungsgrad wiederum werden diese Umweltsituationen gemieden, das bedeutet (Ipsen 2006: 24): ÄEine mittlere Erregung ist optimal³. 115 Lynch (1965) fasst die wahrnehmbaren Elemente in fünf Typen zusammen: Wege, Grenzlinien (z.B. Uferlinien), Bereiche, also Flächen, die aufgrund von Relief oder Flächennutzung einheitlich
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Angeeignete physische Landschaften mit einer geringen Vielfalt an Elementtypen, einer geringen Zahl an Elementen und einer geordneten Anordnung116 wirken relativ geringkomplex (Abbildung 11), angeeignete physische Landschaften mit einer Vielzahl an Elementen und Elementtypen in ungeordnet (scheinender) Anordnung hingegen komplex (Abbildung 12) ± jeweils unabhängig von ihrer objektspezifischen Genese117. Das Optimumniveau dokumentiert also einen gewissen Grad an geordneter bzw. reduzierter Komplexität, in dem
Abbildung 12:
Das Tal der Durance zwischen Avignon und Marseilles. Eine angeeignete physische Landschaft mit hoher Reizkomplexität: Eine Vielzahl von Elementtypen (Wiesen, Hügel, Felsen, Büsche, Straßen, Eisenbahnen, Brücken, Fließgewässer, Baumreihen, Siedlungen u.a.) sind auf viele Einzelelemente verteilt und erscheinen somit auch hinsichtlich ihrer Anordnung wenig strukturiert.
das Bedürfnis, sich in der Umgebung rasch zu orientieren, ebenso befriedigt wird, wie das Bedürfnis sich die Bedeutung dieser Information für die eigene Person rasch zu interpretieren und zur Grundlage eigenen Handelns machen zu können (Ulrich 1977, Kaplan/Kaplan 1982 und 1989, Augenstein 2002, Ipsen erscheinen (z.B. Siedlungen, Täler), Brennpunkte (z.B. Aussichtspunkte), Merkzeichen, also Objekte, die einen hohen Grad an Besonderheit, Kontrast- oder Fernwirkung aufweisen (z.B. Felsen, Tümpel). 116 Bereits Rosenkranz (2007: 69 ± zuerst 1853) stellt die Bedeutung der Anordnung als Einheit fest: ÄAls sinnliche Erscheinung der Idee bedarf es der Begrenzung, denn nur in ihr liegt die Kraft der Unterscheidung, Unterscheidung aber ist ohne sich absondernde Einheit unmöglich³. 117 Diese Genese ist auch in der in Abbildung 11 dargestellten angeeigneten physischen Landschaft aus geomorphologischer Sicht durchaus komplex: Es handelt sich um den Hang einer Polje, die durch Kalkverwitterung und Abdichtung des Grundes der Polje infolge der residualen Anreicherung an Tonen entstanden ist.
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2006). Dabei wirken ± Kaplan/Kaplan (1989) zufolge ± jene angeeignete physische Landschaften besonders attraktiv, die zwar eine Orientierung und Interpretation zulassen, aber nicht vollständig zu überblicken sind und somit nicht unmittelbar abschließend zu dechiffrieren sind. Die Wahrnehmungsfähigkeit bzw. -bereitschaft von Komplexität ist wiederum hinsichtlich soziodemographischer Variablen nicht gleich verteilt (vgl. Kühne 2006a): Die wahrgenommene Vielfalt von Landschaft ist bei Akademikern höher als bei Nicht-Akademikern, bei Jüngeren höher als bei Älteren, bei Personen mit Wohnsitz im ländlichen Raum höher als bei Bewohnern des suburbanen Raumes, wobei deren Wahrnehmung landschaftlicher Vielfalt wiederum größer als bei Städtern ist (vgl. auch Duncan/Duncan 2004). Darüber hinaus lässt sich konstatieren, dass Personen mit postmaterialistischer Wertorientierung Landschaft komplexer wahrnehmen als Personen mit materialistischer Wertorientierung. In ähnlicher Richtung deuten auch die Ergebnisse der Wahrnehmung des Waldes von Braun (2000): Während Personen mit mittlerer und geringerer Bildung Zeichen von zivilisatorischer Ordnung im Wald begrüßten und Wald wegen der Ãfrischen Luft¶ Bedeutung zuwiesen, präferierten Personen mit höherem Bildungsgrad Zeichen der Wildnis118 im Wald und wiesen ihm vorwiegend emotionale Qualitäten zu119,120. Die Komplexität von wahrgenommenen Elementen einer angeeigneten physischen Landschaft wird jedoch durch die Prägung von Begriffen verringert: So abstrahiert der Begriff der Schichtstufe unterschiedliche Einzelelemente wie Fußfläche, Stufenhang, Stufenstirn und Stufenfläche. Der Zusammenhang mit dem Bildungsniveau und der Wahrnehmungsfähigkeit bzw. positiver Bewertung komplexer angeeigneter physischer Landschaften wird dadurch deutlich: Personen mit einer höheren formalen Bildung sind tendenziell eher dazu in der Lage, komplexe Elementkonstellationen in einer angeeigneten physischen Landschaft zu abstrahieren und in einem komplexitätsreduzierenden Begriff zu synthetisieren. So wurden in der in Abbildung 7 dargestellten angeeigneten physischen Landschaft allein von Landschaftsexperten Defizite moniert, die sich auf eine zu 118
Kangler (2005: 239) interpretiert Unbeherrschbarkeit als wesentliches Element von Wildnis, wobei Wildnis ÄKultur von außen durch ihr Gegenteil³ konstituiere und somit erst von Kultur selbst (also von innen) verursacht werden könne. 119 Einen anderen Ansatz liefert Seel (1991), der sich allerdings auf die Ästhetik von Natur, nicht auf Landschaft bezieht. Seel weist Natur drei Grundattraktionen zu: 1. Natur gefällt durch ihre Variabilität, Veränderlichkeit, Mannigfaltigkeit, ihr Andersaussehen, 2. Natur gefällt durch ihre Selbstständigkeit, sie habe etwas Absehendes und In-sich-Ruhendes, 3. Natur gefällt durch ihre Distanz zur Kultur. 120 Rosenkranz (2007: 32 ± zuerst 1853) stellt fest, dass jede landschaftliche Form sowohl als schön als auch hässlich gelten kann, so verdiene Monotonie, Ädie im Ruf der Hässlichkeit steht, [«] denselben erst durch den Indifferentismus absoluter Gestaltlosigkeit, wie das bleifarbene, glattstagnierende Meer unter grauem Himmel bei völliger Windstille³.
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geringe Ausstattung an Strukturen bzw. Elementen bezogen (vgl. Augenstein 2002). Die Zuschreibung von Attraktivität einer angeeigneten physischen Landschaft ist also abhängig von der Verfügbarkeit von Landschaftsinterpretationsschemata. Angeeignete physische Landschaften mit einer geringen Strukturvielfalt hinsichtlich unterscheidbarer Formen und Elemente, die von Landschaftslaien als attraktiv wahrgenommen werden, werden von Landschaftsexperten als zu strukturarm bewertet. Kompexitätshypothetisch lassen sich diese Unterschiede zwischen Experten und Laien, aber auch zwischen Experten unterschiedlicher Profession auf Erregungsniveaus des zentralen Nervensystems zurückführen. Grundsätzlich lassen sich drei unterschiedliche Reizkomplexe nachweisen (Ipsen 2006: 24): 1. Residuale Reize werden wirksam, wenn mit einem Raum-Zeitpunkt Erinnerungen und Vorkenntnisse assoziiert werden. 2. Bei fokalen Reizen wird die Wahrnehmung auf einen Aspekt einer Situation fokussiert. 3. Kontextuelle Reize werden durch die verknüpfende Wahrnehmung unterschiedlicher Aspekte an einem Raum-Zeitpunkt wirksam. Ipsen (2006: 27) verdeutlicht seine These anhand von Leuchtreklamen im städtischen Kontext: ÄDie Kommerzialisierung der Stadtzentren führt dazu, dass jeder Anbieter von Waren oder Dienstleistungen auf sich aufmerksam machen will und sich als Fokus der Raumwahrnehmung anbietet³. Da aber jeder dieser Anbieter in ähnlicher Weise verfahre, werde in der Gesamtheit das Gegenteil bewirkt. Die Summe aller dieser Äintendierten Foci wird tendenziell zum Kontext des Raumes³ (vgl. auch Jackson 1957). Residuale Reize werden bei Experten und Laien durch unterschiedliche Vorkenntnisse und Bewertungsmuster in ungleicher Weise wirksam: Experten verfügen über differenzierte und fachspezifische und verallgemeinerte Vorkenntnisse, vor deren Hintergrund sie Landschaft bewerten, während Laien primär auf die Kenntnisse der Nulllandschaft und der stereotypen Landschaft zurückgreifen (wobei infolge der schulischen und außerschulischen Bildung Elemente einer fachspezifischen Beurteilung von Landschaft in die Landschaftsbewertung von Laien integriert sein können). Auch fokale Reize sind bei Personen mit primärer und sekundärer Landschaftssozialisation unterschiedlich ausgeprägt. Die Fokussierung erfolgt bei Experten in erster Linie gemäß fachspezifischer Differenzschemata, Laien primär gemäß stereotyper Differenzschemata (wobei partielle Aspekte überschneidend sein können). Hinsichtlich der Verknüpfungsaspekte findet bei Experten eine stärkere Interpretation statt, da sie über fachspezifische Vorkenntnisse und Beurteilungsroutinen verfügen (vgl. Kaplan/Kaplan 1982 und 1989, Jensen 1993, Nohl 2006).
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Landschaft kann auch ± wenn Äman sich auf einen anderen Menschen, auf Waren oder den Verkehr konzentriert³ (Ipsen 2006: 29) eine bloße Kontexterfahrung darstellen, oder aber, wenn man seine Aufmerksamkeit auf ihre Teilaspekte fokussiert und Vorkenntnisse damit in Verbindung bringt, auch wenn sie als Ãlangweilig¶ stereotypisiert sind, Äsehr aufregend sein, wenn man darin geschult ist, die Geschichte dieses Raumes zu entziffern³ (Ipsen 2006: 29). Die Ansätze von Burckhardt (angeeignete physische Landschaft ist dort attraktiv, wo es Zwischenräume gibt) und Ipsen (angeeignete physische Landschaft ist dort attraktiv, wo ihre wahrgenommene Komplexität ein individuell optimales Maß aufweist) bilden somit keine Widersprüche, sie lassen sich vielmehr einer synthetisierenden Betrachtung unterziehen: Die Schemata der Auswahl, welche Objekte und räumlich angeordneten Symbole zur Konstruktion von Landschaft herangezogen werden, sind weitgehend kulturell und durch das individuelle symbolische Kapital definiert. Die Beobachtungsfähigkeit von Komplexität und die Beurteilung von Landschaft sind weitgehend sozial vorgegeben und werden situativ aktualisiert. Welche Mechanismen jedoch dazu führen, welche Objekte ± dann in welcher Zahl ± über die unmittelbare individuelle und soziale Möglichkeit zur Aneignung hinaus als attraktiv gelten, lassen beide Theorien offen121. 3.4 Die Entstehung von gesellschaftlicher Landschaft ± sozialisatorische Aspekte von Landschaft: ein vorläufiges Fazit Eine Wahrnehmung von Landschaft, Ädie nicht einen unbewussten Code einschlösse³ (Bourdieu 1974: 162) existiere nicht: einem Code der durch Sozialisation verinnerlicht und bei Bedarf ± gemäß den sozial akzeptierten Deutungen ± aktualisiert und artikuliert werden müsse. In der Landschaftssozialisation, sowohl der primären als auch der sekundären, wird die Inkorporation der gesellschaftlichen Landschaft vollzogen. Menschen lernen, was zu einer Landschaft gehört und was nicht, sie lernen, wie die Symbolwelt Landschaft gestaltet ist. Die gesellschaftliche Landschaft lässt sich wie die individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft als Ausdruck ritualisierter Konstitutionsprozesse beschreiben. Bei der Konstitution der individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft finden sich neben normallandschaftlichen auch stereotype Einflüsse, die wiederum in Abhängigkeit von der ± stark milieubedingt122 ± unterschiedli121
Diese Mechanismen werden in Kapitel 5 (Landschaft und soziale Distinktion) thematisiert. Hinsichtlich des Milieubezuges ist festzustellen, dass die sich im Inkorporationsprozess entwickelnde Struktur ± wie bereits angesprochen ± eine zirkuläre ist: ÄDas Kind trifft auf die durch den Habitus der Eltern erzeugten Praxisformen; es nimmt mit zunehmender Dauer um so kompetenter an diesen Praxisformen teil; und es reproduziert in dem Maße, in dem es seine Kompetenzen entwickelt, die Praxisformen, in die es einsozialisiert worden ist³ (Liebau 1987: 83-84). Ein Prozess, der nicht 122
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chen Komplexitätsinterpretationsfähigkeit zur (Attraktivitäts)Beurteilung herangezogen werden. Die Materialität der angeeigneten physischen Landschaft ist ein Ergebnis eines ritualisierten Vollzugs durch die Sozialisation angelegter stereotyper und (stereo)typischer Handlungsschemata (Althusser 1977: 139): ÄDie Ideen als solche sind verschwunden (sofern sie eine ideale, geistige Existenz haben), und zwar in dem Maße, wie deutlich geworden ist, dass ihre Existenz in die Handlungen der Praxen eingeschrieben ist, die durch Rituale geregelt werden, die in letzter Instanz von einem ideologischen Apparat definiert werden³.
Stereotype und (stereo)typische Landschaften basieren nicht oder lediglich mittelbar auf systematischem Wissen, systematischer Beobachtung oder systematischer Reflexion, sondern auf der Funktionalität des Alltagswissens bzw. unhinterfragten wissenschaftlichen Ideologismen durch ständige Aktualisierung und konsensuale Validierung (Duncan/Duncan 2004) und amalgamieren bisweilen zu vorurteilsbelasteten und distinktiven Deutungsmustern eine Interpretation von ÄLandschaft als objektivierter Geist³ (z.B. Schwind 1964: 1, Denecke 1997: 36), wie Hard (1970b) anhand von Vergleichen geographischer Untersuchungen von pfälzischen und lothringischen angeeigneten physischen Landschaften 1932 und 1965 nachwies. Stereotype und (stereo)typische Landschaften dienen somit als Instrument der Reproduktion des herrschenden Systems, sie werden hingenommen und nicht ± oder nur selten ± hinterfragt. Dabei lassen sich unterschiedliche Einflussfaktoren sowohl auf die gesellschaftliche als auch auf die angeeignete physische Landschaft nachvollziehen, wie Abbildung 13 verdeutlicht (vgl. auch Loidl 1981). Der gesellschaftliche Zugriff auf Landschaft vollzieht sich im Spannungsfeld des Lebensweltlichen und des Systemischen: Ist die Normallandschaft primär lebensweltlich geprägt, dominiert in der positivistisch-normativen Landschaft der Experten das Systemische. Die stereotype Landschaft wiederum kann stärker lebensweltlich oder stärker systemisch geprägt sein ± in Abhängigkeit von der Frage, inwiefern durch Bildungsprozesse positivistisch-normative Elemente in die stereotype Landschaftskonstruktion eingeflossen sind. Die individuelle Ausprägung gesellschaftlicher Landschaft beinhaltet in der Regel normal-, stereotyp- und positivistisch-normative Elemente. Ob eine eher lebensweltliche oder eine systemische Sichtweise dominiert, ist von der dominierenden Art der landschaftsbezogenen Sozialisation abhängig. Die Forderung beispielsweise von Werner Nohl (2006), die lebensweltlich dominierten ästhetischen Wertungen der Laien (bei Nohl ÄIndividualästhetik³, die er der ÄPlanungsästhetik³ der Experten entgegensetzt) stärauf die primäre Sozialisation beschränkt bleibt, sondern auch charakteristisch für die sekundäre Sozialisation, hier in Bezug auf Landschaftsexperten, ist.
110
ker in das Planungshandeln zu integrieren, bedeutet letztlich keine Emanzipation vom (Stereo)typischen (und Stereotypen) durch Kontingenzbildung, sondern eine Perpetuierung bekannter Deutungsschemata mit ihren inhärenten Machtmechanismen (vgl. Cosgrove 1984, 1985 und 1988).
111
Abbildung 13:
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(vorherige Seite) Schematische Darstellung der Entstehung des physischen Raumes infolge der physischen Folgen und Nebenfolgen des ökonomischen, politischen, sozialgemeinschaftlichen und kulturell-treuhänderischen Agierens in Handlungssystemen sowie der sozialen Konstruktion von Landschaft auf Grundlage des physischen Raumes als Ergebnis selektiver Wahrnehmungen infolge sensorischer Beschränkungen sowie Beschränkungen der Wahrnehmung als Ergebnis der primären und sekundären Landschaftssozialisation. Der Modifikation des Ausgangssubstrates infolge des Handelns gemäß dem ökonomischen Kalkül (z.B. großflächiger Maisanbau) modifiziert durch politische (Verbot genmodifizierter Pflanzen) und sozialgemeinschaftliche Intervention (Ächtung intensiver Gülledüngung wegen Geruchsbelästigungen) sowie kulturell-treuhänderischer inkorporierter Normen (Mais- statt Chinaschilfanbau) steht die soziale Konstruktion der Objekte des physischen Raumes als gesellschaftliche Landschaft und als Selektion der angeeigneten physischen Landschaft gegenüber: Die Beschränkung der sensorischen Wahrnehmungsfähigkeit verhindert eine Einbeziehung des infraroten Strahlungsbereichs in das wahrzunehmende Farbspektrum, inkorporierte Landschaftskonstruktionsschemata lassen einzelne Maispflanzen aus der Konstruktion von Landschaft herausfallen, sekundärsozialisierte andschaftsbewertungsschemata lassen Maisanbau als bodengefährdend erscheinen ± was wiederum möglicherweise eine sozialgemeinschaftlich oder politisch vermittelte Änderung des Handlungsschemas des Landwirts zur Folge hat.
4 Eine rekursive Koevolution: Angeeignete physische Landschaft als Nebenfolge und Folge gesellschaftlicher Entwicklung und die Entstehung gesellschaftlicher Landschaft in der Kunst
Angeeignete physische Landschaft steht ± wie bereits angesprochen ± in einem rekursiven Verhältnis zur gesellschaftlichen und individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft (vgl. Massey 1992). In diesem Kapitel sollen grundsätzliche Mechanismen dieses Verhältnisses insbesondere vor dem Hintergrund sozialer Machtverteilungen behandelt werden. Als konstitutiver Beitrag zur Erfindung und Verbreitung der gesellschaftlichen Landschaft ist hierbei die künstlerische Befassung mit Landschaft von Bedeutung, die neben der Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft als Folge und insbesondere Nebenfolge sozialen und sozial vermittelten individuellen Handelns im Zentrum dieses Kapitels steht. 4.1 Die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft als Folge und Nebenfolge der Evolution der Gesellschaft 4.1.1 Einige Grundüberlegungen zur gesellschaftlichen Entwicklung Die Entwicklung der Gesellschaft ist vollziehender Prozess, der sich in Form von Phasen und Perioden beschreiben lässt. Diese sollen einen Ordnungsversuch darstellen, der das Verstehen der gesellschaftlichen Entwicklung erleichtern soll, nicht aber mit ihr identisch ist (Ipsen 2006). Seit dem Mittelalter entwickelte sich eine relativ einfach strukturierte, durch Stände geprägte Agrargesellschaft der Vormoderne über eine erst durch Klassen, später durch Schichten geprägte Industriegesellschaft der Moderne, eine durch Milieus geprägte Dienstleistungsund Wissensgesellschaft der Postmoderne, die als sehr stark durch ein Vordringen wissenschaftlichen (insbesondere technischen) Wissens in die Gesellschaft bestimmt ist (Weiß 2006). Insbesondere der Wechsel von Akkumulationsregimes (als Transformation charakteristischer Verhältnisse innerhalb und zwischen den gesellschaftlichen Teilsystemen) mit dem ökonomischen Teilsystem manifestiert 113
sich dabei in der angeeigneten physischen Landschaft, aber auch in der gesellschaftlichen und individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft. Gegenüber vormodernen gesellschaftlichen Ordnungen stellt Moderne eine neuartige Form des Gesellschaftlichen dar. Wesentliche Merkmale der modernen Gesellschaft sind ihre nationalstaatliche Gefasstheit, ihre funktionale Differenzierung123 mit der Ausprägung eines wissenschaftlichen Codes, die Differenzierung von Öffentlichkeit und Privatheit, die Entfernung des Rechts von der Politik, die Entkopplung der Wirtschaft von Religion und Moral bei gleichzeitiger Monetarisierung der ökonomischen Beziehungen und die Trennung sozialer Normen von religiösen Begründungen sowie die Industrialisierung (vgl. Bahrdt 1991 ± zuerst 1961, Luhmann 1988, 1989 und 1990, Schulze 1999). Dabei ist der Übergang von der vormodernen religiös begründeten Ordnung zur politisch (relativ) säkular verfassten Ordnung der Moderne Äwesentlich über ethnische und nationale Identifikationsfolien verlaufen³ (Nassehi 1999: 163), die Brücken der gesellschaftlichen Integration trotz struktureller Desintegration ermöglichten (Nassehi 1999), jedoch um den Preis der Exklusion des Fremden. Mit diesem Entwicklungsprozess der Modernisierung ist ± Habermas (1981b: 230) zufolge ± die Ausprägung der Sphären dem Systemischen und der Lebenswelt verbunden: ÄSystem und Lebenswelt differenzieren sich, indem die Komplexität des einen und die Rationalität der anderen wächst, nicht nur jeweils als System und Lebenswelt ± beide differenzieren sich gleichzeitig auch voneinander³, womit sich die systemischen Mechanismen zunehmend von den sozialen Strukturen lösen, Äüber die sich die soziale Integration vollzieht³. Die systemischen Mechanismen steuern dabei einen Ävon Normen und Werten weitgehend abgehängten sozialen Verkehr³. Mit der Ausbreitung der auf zweckrationalem Handeln begründeten Zunahme marktvermittelter Interaktionen ging ± Simmel (1989 ± zuerst 1900) zufolge ± wiederum eine Vergleichgültigung gegenüber dem Interaktionspartner einher. Der Andere wird dabei nicht mehr als Subjekt mit unverwechselbaren Eigenschaften, sondern lediglich als Rollenträger eines Ägeldvermittelten Tauschaktes³ (Honneth 2005: 95) wahrgenommen. Mit dem Übergang von der Moderne zur Postmoderne ist ein Bedeutungsverlust des sekundären und ein Bedeutungsgewinn des tertiären Wirtschaftssektors verbunden (Bell 1973 spricht von der postindustriellen Gesellschaft) und das System Ästandardisierter Vollbeschäftigung³ wandelt sich in ein ÄSystem flexi123
Auf das AGIL-Schema Parsons (1951) wurde bereits in Abschnitt 1.3.2.3 (Die angeeignete physische Landschaft) Bezug genommen. Die in ihm bezeichneten Teilsysteme der Gesellschaft Ökonomie, Politik, soziale Gemeinschaft und kulturelle Treuhand sind ± so Parsons ± Voraussetzung für die Modernisierung der Gesellschaft. Die systemtheoretische Gesellschaftstheorie beobachtet diese Differenzierung des Gesellschaftlichen in Hinblick darauf, wie sich die Teilsysteme differenzieren, wie diese Teilsysteme aufeinander bezogen sind und wie sie sich wechselseitig beobachten (Nassehi 1999).
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bel-pluraler Unterbeschäftigung³ (Beck 1986: 222). Dabei verschiebt sich die räumliche Bezugsdimension der Wirtschaft: Sie entwickelt sukzessive einen globalen Bezugshorizont. Damit unterläuft die ökonomische Globalisierung Ädie ökonomische Selbstdefinition³ (Beck/Bonss/Lau 2001: 23) des modernen nationalstaatlichen Containers und dessen politischer Steuerbarkeit. Nationale und subnationale Politik wird zum Medienereignis (Jain 2000: 423), in dem weder die zunehmende Komplexität der Gesellschaft (und ihre Steuerungsfunktionen) aufgegriffen wird (Tänzler 2007), noch die verbliebenen politischen Gestaltungsmöglichkeiten reflektiert werden, womit ÄSelbstverständlichkeitsverlust von Kategorien wie Authentizität, Originalität und Unmittelbarkeit³ (Landgraf 2004: o. S.) in der Politik und der Tendenz zur Entwicklung einer Entgrenzung von Politik und Unterhaltung zu ÄPolitainment³ (Dörner 2001) einhergehen. Ein wesentlicher Gegensatz zwischen Moderne und Postmoderne besteht im Bemühen der Moderne, Eindeutigkeiten zu produzieren, das Andersartige abzulehnen, Sloterdijk (1987) nennt diese Haltung den modernen Exklusivismus, während die Postmoderne hingegen bereit ist, Widersprüche und Mehrdeutigkeiten anzuerkennen und das Andersartige als Bereicherung zu beschreiben, eine Haltung des postmodernen Denkens, die Sloterdijk (1987) Inklusivismus nennt124. Rorty (1989) zufolge, ist die Absage an jeden Wahrheits-, Vernunftsund Moraluniversalismus der Moderne mit einer Anerkennung der radikalen Kontingenz verbunden. Demzufolge ist der Drang nach Ordnung und Reinheit ein konstitutives Element der modernen Kultur (Fayet (2003), wie Le Corbusier (1926: 243) programmatisch ausführte: ÄÜberall sieht man Maschinen, die dazu dienen, irgendetwas zu erzeugen, und ihre Erzeugnisse in Reinheit hervorzubringen und auf eine Art, die wir bewundern müssen³. Die Maschine wird also ± über die Ideologie der Reinheit ± zum Vorbild für den Menschen. Zum Wesen des Reinigens gehört dabei, Ädass sein Effekt nicht nur der eigentlich angestrebte ± nämlich die Herstellung von Reinheit ± ist, sondern dass es zu gleich zwei problematische ÃNebenerscheinungen¶ mit sich bringt: Erstens produziert es Abfall, der ja überhaupt erst anfällt, wenn gereinigt wird, zweitens tritt als Folge des Reinigungsprozesses eine Verarmung der akzeptierten Wirklichkeit, eine Verringerung ihres Reichtums und ihrer Fruchtbarkeit ein³ (Fayet 2003: 157; vgl. auch Hauser 2001a).
Diese Verringerung des Reichtums und der Fruchtbarkeit wird ± so Christian Enzensberger (1980: 55) ± durch Machtmechanismen in einem positiven Rück124 Lyotard (1979) definiert die Postmoderne als das Ende der ÄGroßen Erzählungen³ (oder ÄMetaErzählungen³). Die ÄGroßen Erzählungen³ (Lyotard 1987: 40) der Moderne widersprechen mit ihrem allseitigen, exklusivistischen Geltungsanspruch dem Toleranzprinzip der Postmoderne, die diese zugunsten der ÄKleinen Erzählungen³ mit inhaltlich, zeitlich wie räumlich begrenztem Geltungsanspruch aufhebt.
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kopplungsmechanismus vollzogen, denn je Ägewaltsamer der Machtanspruch, desto lauter erhebe sich daher nach fester Regel, der Ruf nach Ordnung. Dass sie eben dadurch neuen Schmutz erzeugt, verschweige die Macht geflissentlich³, schließlich führt dieser Ordnungsmechanismus zur Einschränkung der Toleranz gegenüber Andersartigem (als unordentlich Bezeichnetem) und damit wiederum zur Festigung der Ordnung der Macht bzw. der Macht der Ordnung. Die Beziehung zwischen Abfall und Ordnung lässt sich anhand modernistisch-dichotomer Unterscheidungen nach dem Code zugeschriebener Positivität-Negativität formulieren (Hauser 2001a: 22): ÄEine Ordnung und ihr Abfall scheiden sich an einer Grenze zwischen Differenziertem und Nicht-Differenziertem, Identischem und Nicht-Identischem, Bezeichnetem und Nicht-Bezeichnetem. Zwischen ihnen verläuft eine Grenze, die Sprechen und Schweigen, Wahrnehmen und Nicht-Wahrnehmen trennt³.
Gegenüber diesem modernistischen Abfall-Prinzip macht sich die Postmoderne Änun den Reichtum des historischen Abfalls zu nutze und praktiziert die laufende Rückführung von Beständen aus dem Bereich des Verworfenen in die Sphäre des Akzeptierten³ (Fayet 2003: 167; kritisch hierzu Flusser 1985125). Die De-Differenzierung des Städtischen und des Landschaftlichen hat sich auch im Gefolge der ÄDurchsättigung der Natur mit zivilisatorischen Giften³, die die Landschaft aus der Äzivilisationskompensierenden in eine zivilisationspotenzierende Symbolrolle gedrängt³ (Warnke 1992: 172-173) hat, entwickelt, wodurch auch Stadt als Landschaft lesbar und interpretierbar wurde. 4.1.2 Einige Grundüberlegungen zu gesellschaftlichen Eingriffen in die angeeignete physische Landschaft Das soziale und sozial vermittelte individuelle Handeln, das als Folge und Nebenfolge die physischen Grundlagen der angeeigenten physischen Landschaft produziert, ist mit der Herstellung und dem Gebrauch technischer Gegenstände vom Grabestock bis hin zum Kranwagen verbunden und gehört zur Ausstattung und zum Wissensvorrat der alltäglichen Lebenswelt (vgl. Schütz 1974). Technik ist dabei kein vom Sozialen unabhängiges Instrument, sondern sie modifiziert das Soziale, wie es vom Sozialen modifiziert wird. Den Mythos von der Technik als vom Sozialen unabhängig, charakterisiert Heidegger (1991: 32) wie folgt: ÄSolange wir uns die Technik als Instrument vorstellen, bleiben wir im Willen hängen, sie zu meistern. Wir treiben am Wesen der Technik vorbei³, wie wir 125
Bei aller Kritik, die Flusser (1985) an der Rezyklierung von Kultur zu Abfall zu Kitsch und dessen Wiedereinsickern in Kultur äußert, erscheint es bemerkenswert, dass bei Flusser ein linearer Kulturbegriff durch einen zyklischen ersetzt wird.
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auch am Wesen der Objekte vorbeitreiben, die durch den Einsatz technischer Objekte entstanden sind, wie die angeeignete physische Landschaft. Das technische Handeln ist ± so Popitz (1992: 160-161) ± stets Äauf ein Verwenden hin angelegt. Das Hergestellte soll brauchbar sein für bestimmte Zwecke. Technisches Handeln verändert das Vorgefundene; es schafft eine neue, eine andere Wirklichkeit. Technisches Handeln ist ein herstellendes Handeln, ein gekonntes Hervorbringen, eine Kunstfertigkeit, die erlernbar, differenzierbar und steigerungsfähig ist³ (Hervorh. im Original).
Dabei macht das Wirken des technischen Handelns als Objektivation subjektiver Äußerungen Äalle Handlungserzeugnisse zu gleichrangigen Elementen der sozialen Wirklichkeit³ (Rammert 2006: 89). Die Entwicklung angeeigneter physischer Landschaft ist dem technischen Handeln des Menschen in seinen Dimensionen Verwendung, Veränderung und Herstellung unterworfen. In diesem Abschnitt soll die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft vor dem Hindergrund des technischen Handelns in seiner Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Evolution unter Nutzung der Regulationstheorie als theoretischem Rahmen untersucht werden. Spezifische Akkumulations- und Regulationsregimes lassen sich dabei als Ausdruck spezifischer Machtstrukturen und Machtverteilungsmechanismen in bestimmten Evolutionsphasen der Gesellschaft verstehen. Einflüsse des Menschen Ähaben die Strukturen und Funktionen von [angeeignet-physischen; Anm. O.K.] Landschaften entscheidend verändert³ (Bork et al. 1998: 17). Dabei bestimmen vielfältige Folgen und Nebenfolgen menschlichen Handelns die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft. Gerade in Mitteleuropa hat sich unter dem Einfluss der Gesellschaft auf Grundlage deutlich verschiedener naturräumlicher Ausgangssubstrate eine differenzierte Entwicklung angeeigneter physischer Landschaften vollzogen. In den angeeigneten physischen Landschaften Mitteleuropas ist Ädurch Kultivierungs- und Schutzmaßnahmen (wie Düngung, Schädlingsbekämpfung oder Eindeichen von Flüssen) aus ökologischer Sicht in der Regel eine hohe Persistenz, d.h. ein über längere Zeiträume mehr oder weniger unverändertes Existieren, das durch menschliche Steuerung aufrechterhalten wird, an die Stelle der von Natur aus eigenen Resilienz getreten³ (Jessel 2005: 853).
Diese Fließstabilität der durch die Folgen und Nebenfolgen menschlichen Handelns angeeigneten physischen Landschaften und deren Elementen ist durch ein dynamisches Oszillieren um einen ± häufig nur hypothetisch anzunehmenden ± ÃNormalzustand¶ zu charakterisieren (vgl. Haber 1979, Jessel 2005). Die Veränderung der Hauptökosystemtypen seit der letzten Eiszeit zeigt eine erhebliche Verschiebung (Abbildung 14): Die in der Nacheiszeit dominierenden natürlichen
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Ökosysteme wurden sukzessive von stärker anthropogen beeinflussten verdrängt. Ein Prozess, der sich seit der Antike verstärkte.
Abbildung 14:
Geschätzte Veränderungen der Flächenanteile der fünf Haupt-Ökosystemtypen der mitteleuropäischen angeeigneten physischen Landschaften seit dem Ende der letzten Eiszeit (nach: Haber 1991 und Job 1999).
Die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft als Äkomplexem Artefakt³ (Hugill 1995: 22) ist ± wird der Geschichtsphilosophie von Max Horkheimer (1977 ± zuerst 1937) gefolgt ± ein Nebenprodukt des Emanzipationsprozesses von einem Zustand der Übermacht der Natur zu einer die Natur (scheinbar) beherrschenden und sich an ihr bereichernden Zivilisation geworden (ähnlich hierzu Popitz 1995). Die Intensität der anthropogenen Modifikation des physischen Raumes ist unterschiedlich deutlich ausgeprägt. So unterscheidet beispielsweise Succow (1992: 10; zit. nach Job 1999) vier Intensitätsstufen der Nutzung von Landschaft: 1. Naturlandschaft, ohne menschliche Beeinflussung, 2. extensive Nutzungslandschaft, geprägt durch historische Landnutzungsformen und naturnahe Erholung, 3. intensive Nutzungslandschaft, geprägt durch ökologischen Landbau, naturgemäßen Waldbau und Erholung,
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4.
Sielungs- und Industrielandschaft, als Siedlungs-, Produktions- und Dienstleistungsraum. Im Folgenden wird die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaften ± insbesondere Mitteleuropas ± in vier Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung dargestellt: Der Vormoderne, der frühen Moderne (im Sinne der Regulationstheorie126 als Phase der extensiven Akkumulation127), der fordistischen Moderne128 und der postfordistischen Postmoderne129. Dabei produziert die Ent126
Die Regulationstheorie unterscheidet zwischen Perioden (oder Formationen) wirtschaftlicher Funktionslogiken. Diese sind mit der übrigen gesellschaftlichen Entwicklung rückgekoppelt. Die Perioden lassen sich durch ein kohärentes Regime der Akkumulation und der Regulation unterscheiden (Ipsen 2000). Der Begriff des Akkumulationsregimes bezeichnet ein ± über eine bestimmte Zeit stabiles ± Verhältnis von Produktionsstrategien und Konsumnormen, während sich der Begriff der Regulation dagegen auf institutionelle Normen, Werte und Regeln sowie die daraus resultierenden Handlungsstile bezieht, durch welche die Interaktionen der beteiligten Akteure (Kapitalisten, Arbeiter, Angestellte, politische und kulturelle Eliten) geregelt werden. 127 In der Phase der extensiven Akkumulation, die sich aus regulationstheoretischer Sicht als erste Phase der Moderne bezeichnen lässt, konnte bei durchschnittlich gleich bleibender Technologie und Arbeitsorganisation der Mehrwert nur durch eine Verlängerung der Arbeitszeit bzw. durch eine Senkung der Arbeitslöhne gesteigert werden. Aufgrund fehlender Binnenkaufkraft war eine Steigerung der Vermarktung von Produkten auf Binnenmärkten ± wenn überhaupt ± nur in geringem Maße zu erzielen. Die Steigerung beschränkte sich zumeist auf eine Ausweitung der Absatzgebiete, z.B. indem andere Länder kolonisiert wurden. In der Phase der extensiven Akkumulation griff der Staat nur in relativ geringem Maße regulierend in die Produktion und deren Verteilung ein. Zeitlich ist diese Phase nach ganzen Volkswirtschaften, aber auch nach Regionen, unterschiedlich zu fixieren. Für Deutschland ist ein Einsetzen der Phase der extensiven Akkumulation auf die Mitte des 19. Jahrhunderts und deren Auslaufen nach dem Ersten Weltkrieg festzustellen (vgl. Hirsch/Roth 1986, Lipietz 1991, Ipsen 2000). 128 Das Akkumulationsregime des Fordismus basiert auf der Entwicklung der Massenkonsumgesellschaft. Auf Grundlage der wissenschaftlichen und zweckrationalistischen Betriebsführung des Taylorismus wurden durch Arbeitsteilung, Rationalisierung und hohe Losgrößen erhebliche Produktivitätssteigerungen erzielt, wodurch die Herstellung standardisierter, preiswerter Massenkonsumgüter möglich wurde. Verbunden war diese Produktivitätssteigerung allerdings mit der ÄPolarisierung der Qualifikationen und Verantwortlichkeiten zwischen Planenden und Ausführenden³ (Lipietz 1991: 132; vgl. auch Habermas 1968). Die Schaffung von Massenkaufkraft durch das Akkumulationsregime des Fordismus war durch Produktivitätssteigerungen antizipierende Lohnpolitik ± bei gleichzeitiger Verringerung der Arbeitszeiten ± bestimmt. In Deutschland setzt sich das fordistische Akkumulationsregime ± regional deutlich differenziert ± in den 1920er Jahren bis in die 1950er Jahre durch. Es gerät in den 1970er Jahren in eine Krise, die zur Phase des postfordistischen Akkumulationsregimes überleitet (Hirsch/Roth 1986, Moulaert/Swyngedouw 1989, Lipietz 1991, Ipsen 2000). 129 Das postfordistische Akkumulationsregime entsteht infolge des gesellschaftlichen Wertewandels in den Wohlstandsgesellschaften Ostasiens, Europas, Ozeaniens und Nordamerikas. Wesentliche Bestimmungsgrößen des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus sind die durch die fordistische Akkumulation und Regulation hervorgerufene Umweltkrise (z.B. Treibhauseffekt, Müllentsorgung) und eine Nachfrageverschiebung von standardisierten Produkten zu individuell (scheinenden) Produkten (vgl. Hirsch/Roth 1986, Moulaert/Swyngedouw 1989, Soja 1989, Lipietz 1991, Ipsen 2000). Dieser Bedeutungsverschiebung kommen Wirtschaftsunternehmen durch die Produktion kleiner flexibler Losgrößen auf Grundlage Rechner gestützter Produktionsverfahren nach, wodurch insbesonde-
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wicklung der Gesellschaft eine zunehmende technische Modifizierbarkeit der angeeigneten physischen Landschaft, deren Anwendung sich als (Versuch der) durch den menschlichen Körper vermittelten Disziplinierung der äußeren Natur in der Co-Evolution mit der Disziplinierung von Subjekt (als Prozess der zunehmenden Subjektivation) und Körper (vgl. Foucault 1977, Elias 1992, Butler 2001, Thrift 2005) jeweils in Abhängigkeit von der Wahrnehmung beschreiben lässt (vgl. Abbildung 15)130. Ideen der Subjekte existieren also eingeschrieben in Handlungen, die sich als durch Rituale geregelte Praxen ± in Bezug auf Raum und Landschaft: der Produktion, Kontrolle und Aneignung von Räumen und Landschaften ± beschreiben lassen, indem ein Subjekt nur dann handelt, indem es sich durch ein System bewegt, das sich wie folgt nachvollziehen lässt (Althusser 1977: 139): Äeine Ideologie, die innerhalb eines materiellen ideologischen Apparates existiert, materielle Praxen vorschreibt, die durch ein materielles Ritual geregelt werden, wobei diese Praxen wiederum in den materiellen Handlungen eines Subjektes existieren, das mit vollem Bewusstsein seinem Glauben entsprechend handelt³.
Noch weniger als sich die Phasen von Vormoderne, extensiver und fordistischer Moderne sowie Postmoderne im Gesellschaftlichen gegeneinander scharf abgrenzen lassen131, sind deren räumliche physisch manifeste Auswirkungen in Form der angeeigneten physischen Landschaft flächendeckend zeitlich voneinander zu unterscheiden: So persistieren in früheren gesellschaftlichen Entwicklungsphasen angelegte Raumstrukturen, ein Charakteristikum, das Böhme (1985: 61) treffend als ÄTrägheit³ angeeigneter physischer Landschaften beschreibt. In der angeeigneten physischen Landschaft finden sich (von Ausnahmen wie der planerischen Strukturierung von Neulandflächen einmal abgesehen) somit wahr-
Abbildung 15:
Prinzip der körperlichen Vermittlung zwischen Subjekt und angeeigneter physischer Landschaft durch Formung und Wahrnehmung.
re flexiblen Klein- und Mittelbetrieben verbesserte Absatzchancen eröffnet werden. Das postfordistische Akkumulationsregime setzt sich in westlichen Gesellschaften seit den 1970er Jahren zunehmend durch (Hirsch/Roth 1986, Moulaert/Swyngedouw 1989, Lipietz 1991, Ipsen 2000). Weitere Ausführungen zum Thema Postfordismus und Postmoderne finden sich z.B. bei Moulaert/Swyngedouw (1989), Vester (1993), Ipsen (2000), Welsch (2000), Wood (2003a und 2003b), Kühne (2006a), Kühne (2008). 130 Wird dieser Argumentation gefolgt, ließe sich die angeeignete physische Landschaft als den, den disziplinierten menschlichen Körper umgebenden, sozial gebildeten Körper interpretieren. 131 So weisen Gostmann/Wagner (2007: 70) darauf hin, dass bereits der absolutistische Staat Ädie Strukturen für den modernen zentralistischen Verwaltungsstaat geschaffen³ hatte.
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nehmbare Elemente, Elementtypen sowie deren Anordnungen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungsphasen, wobei diese als vergegenständlichte Relikte ehemaliger Nutzungsmuster oder durch die Fortführung tradierter, aber technisch überholter, Nutzungsmuster auftreten können (vgl. Becker 1998). 4.1.3 Angeeignete physische Landschaft in der Vormoderne Die angeeigneten physischen Landschaften in Mitteleuropa132 wurden seit der letzten Eiszeit auch vor Beginn der Moderne als Folge und Nebenfolge sozialen und sozial vermittelten individuellen Handelns zunehmend umgewandelt (vgl. Abbildung 14)133. Bereits die (teil-)nomadisierenden Jäger und Sammler vor der neolithischen Revolution griffen in deutlicher Weise in die lokalen und regionalen Artenbestände ein, sodass sich seitdem ökologische Fließgleichgewichtszustände verschoben. Mit der Sesshaftwerdung des Menschen, dem Übergang zu Ackerbau und Viehzucht, veränderte sich die (in retrospektivischer Betrachtung angeeignete physische) Landschaft deutlich: An die Stelle weitgehend homogener Waldgebiete trat ± an Gunststandorten in ebener Lage mit guten Böden und Wasserverfügbarkeit (also insbesondere in den Tälern von Flüssen) ± ein Mosaik von Acker-, Weide- und Waldflächen (vgl. Job 1999). Der Übergang zu Ackerbau und Viehzucht bedeutete zwar eine erhebliche Steigerung der Tragfähigkeit und eine neue Emergenzebene des menschlichen Bezugs zum physischen Raum, doch blieb der gemeinschaftliche soziale wie physische Raumbezug eng begrenzt, eine geplante großräumige Modifikation des physischen Raumes blieb aus134. Diese vorrömische Besiedlung Mitteleuropas war von Siedlungsdiskontinuität und einer geringen Bevölkerungsdichte geprägt135.
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Der Autor beschränkt sich in seinen Ausführungen weitgehend auf Mitteleuropa, schließlich ist es das Ziel dieses Kapitels, wesentliche Elemente des gesellschaftlichen landschaftsbezogenen Handelns und Verhaltens der Gesellschaft zu verdeutlichen, nicht eine Geschichte der Landschaftsentwicklung zu verfassen. 133 In der Vormoderne von angeeigneter physischer Landschaft zu sprechen, bedeutet eine ex-postZuschreibung, da die zeitgenössischen Beobachter nicht über den modernen Landschaftsbegriff verfügten. Der Autor ist sich dieser Problematik bewusst, hält aber aus Überlegungen der allgemeineren Verständlichkeit an der eingeführten Terminologie fest. 134 Den Einfluss des Ackerbaus auf die angeeignete physische Landschaft bezeichnet Bork (2006) in fünferlei Hinsicht als maßgeblich. Er verändert die zeitlichen und räumlichen Merkmale und Verbreitungen von Böden und oberflächennahen Gesteinen, die Zusammensetzung von Vegetation und Fauna, das bodennahe Klima, die Kreisläufe von Energie, Wasser uns anderen Stoffen, die Wirkungen extremer Witterungsereignisse. 135 Neben der Ausweitung der landwirtschaftlichen Fläche beschränkte sich eine dauerhafte keltische Modifikation des physischen Raumes auf die Errichtung weithin sichtbarer religiös motivierter Landmarken und von Oppida, wallbefestigten Siedlungen.
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Insbesondere die Römer waren ± in besonderer Weise infolge ihrer komplexeren gesellschaftlichen Organisation, d.h. hierarchischen Verteilung und Differenzierung von Macht ± nachhaltiger in der Lage, in die Struktur des physischen Raumes einzugreifen. Die römische Besiedlung unseres Raumes brachte eine Systematisierung der angeeigneten physischen Landschaft mit sich (Wightman 1970, Freis 1992, Schreg/Schwenk 2008): Städte, die durch ein gut ausgebautes Straßensystem miteinander verbunden waren, das neben militärischen Zwecken, dem Transport von Waren von Stadt zu Stadt und der Erschließung des Hinterlandes diente, ein Netz allein stehender Höfe (villae rusticae) und Vici, kleinen Landstädten136. Der Zerfall des weströmischen Reiches bedeutete einen deutlichen Einschnitt in die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft: erstens die Krise des europäischen Städtewesens. Bereits vor den Einfällen der ÃBarbaren¶ vom 3. bis 5. Jahrhundert wurde das städtische Gemeinwesen des Römischen Reiches durch die Übersiedlung von Großgrundbesitzern auf ihre ländlichen Patrozinien unterminiert137. Aufgrund der Umstellung von Markt- auf Eigenversorgung dieser Patrozinien war die Versorgung der städtischen Bevölkerung nicht mehr hinreichend gesichert. Die mit dem Rückzug der städtischen Oberschicht einhergehende Verarmung römischer Städte zeitigte Auswirkungen auf deren Verteidigungsfähigkeit und auch auf deren Selbstverwaltung: Anfang des 5. Jahrhunderts verfügen zahlreiche Städte über keinen Senat mehr. Diese solcherart geschrumpften, Äzu einem militärischen Zentrum gewordenen Städte sind nun von ihrem Territorium nicht de iure, aber de facto geschieden: durch die Mauer, durch die Übersiedlung der obersten Schicht aufs Land. Die klassische Einheit von Stadt und Land der civitas, der Charakter der Stadt als Wohnsitz der Großgrundbesitzer ging verloren; die Stadt hat viel von ihrer Bedeutung eingebüßt³ (Ennen 1987: 28).
Die De-Urbanisierung der spätantiken Gesellschaft implizierte also erhebliche Auswirkungen der Ent-Städterung der angeeigneten physischen Landschaft: der Rückbau und teilweise die Wüstung von Städten in der Völkerwanderungszeit138. Zweitens verringerte sich mit dem raschen Rückgang der Bevölkerungsdichte 136 Diese Landsiedlungen waren im gesamten west- und südwestdeutschen Raum ± abgesehen von den großflächigen Waldgebieten ± mit Abständen von 12 bis 18 km voneinander approximativ regelmäßig räumlich verteilt und die Hauptfunktion der vici bestand darin, das Umland mit Handelswaren zu versorgen bzw. als Etappenstandorte für Reisende zu dienen (Guth 2006, Quasten 2006, Schreg/Schwenk 2008). 137 Diese Patrozinien des 3. Jahrhunderts sind kleine Herrschaften im Gesamtstaat. Sie verfügen über eigene Söldner, eigene Gewerbebetriebe, eigenes Agrarpersonal und eigene abhängige Bauern. 138 Für viele römische Städte im westlichen und südlichen Mitteleuropa lässt sich bis heute lediglich eine Lage, nicht aber eine Siedlungskontinuität nachweisen. Für Mainz und Trier gilt eine kontinuierliche Besiedlung als sicher, für Regensburg als wahrscheinlich, für Köln und Xanten sind Besiedlungslücken anzunehmen (Schönberger 1975, Ennen 1989).
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der Produktionsdruck auf die Landwirtschaft: Die Erhaltung komplexer technischer Anlagen wie Drainagen waren ebenso für die Ernährung der verbliebenen Bevölkerung unnötig wie die Bewirtschaftung von ungünstigeren Standorten. Die angeeignete physische Landschaft im westlichen und südlichen Mitteleuropa verwaldete nach Abzug der Römer nicht etwa weitgehend, vielmehr wurde die Landwirtschaft extensiviert und die verbliebene Bevölkerung griff auf vorrömische Bewirtschaftungsmuster (Feld-Wald-Wechselwirtschaft, teilweise mit Siedlungswechsel) zurück ± und überprägte so das römische Agrar- und Siedlungssystem. Ausgehend von den poströmischen urbanen Restzentren und ähnlichen Siedlungen wurde die Neuorganisation des Mitteleuropas mit dem Merowingerreich vorangetrieben. Die Ausbreitung des Christentums von Westen wurde von Mönchen getragen, deren Ansiedlung dort erfolgte, wo Äsie sich Sicherheit vor instabil siedelnden Menschen erhofften³ (Küster 1999: 168), also insbesondere auf Inseln und Bergkuppen. Als Zentren der feudalen Macht entwickelte Burgen dienten als weithin sichtbare Manifeste weltlicher Macht und Schutzbedürftigkeit: ÄDer Blick von der Burg war jahrhunderte lang ein argwöhnischer Spähblick oder ein herrschaftlicher Verfügungsblick³ (Warnke 1992: 47; vgl. auch Schreg/Schwenk 2008). Ein anderer Siedlungstyp des Mittelalters entstand aus anderem Kalkül: Infolge der ostwärtigen Ausdehnung des Handels entstanden im nördlichen Europa und nördlichen Mitteleuropa Wik-Orte. Diese zunächst auf den Fernhandel ausgerichteten und an geistliche oder weltliche Machtzentren angelehnten Siedlungen (wie der Sitz von Erzbischöfen, Klöster oder kaiserliche Pfalzen), von denen sich die Händler einerseits Schutz erwarteten, die Abnahme ihrer Waren erhofften, aber die Nähe zur Obrigkeit und ihren landschaftlichen Symbolen andererseits ein Äsubmissives, trotziges oder gleichgültiges Untertanenbewusstsein³ (Warnke 1992: 50) förderte, entwickelten sich bisweilen zu dauerhaften multifunktionalen Siedlungen (vgl. Ennen 1989). Insgesamt zielten Äwirtschaftliche, staatliche und kirchliche Kräfte [«] allesamt darauf ab, Mitteleuropa zu einem Land ortsfester Siedlungen zu machen, denn nur eine ortsfeste Besiedlung war in einem Staats- und Wirtschaftssystem kalkulierbar³ (Küster 1999: 172). Sesshaftigkeit erleichtert darüber hinaus durch die Fixierung von Personen und Personengruppen im Raum, die Institutionalisierung von differenzierten Eigentums- und Besitzrechten (insbesondere an Produktionsfaktoren) und die Transformation von diffusen Machtkonstellationen in differenzierte und durchsetzbare zentralisierte Herrschaftsmechanismen. Im Zuge des Siedlungsausbaus im frühen und hohen Mittelalter führten mehrere Rodungsphasen zu einer deutlichen Reduzierung der Waldfläche Mitteleuropas auf etwa ein Drittel des vormaligen Bestandes (Kral 1992). Vor allem auf dem Herrenland wurde die Feldgraswechselwirtschaft ab dem 7. Jahrhundert 123
zunehmend durch die Dreifelderwirtschaft verdrängt. Auf dem von den Kleinbauern selbst bewirtschafteten Hintersassenland blieb die Feldgraswechselwirtschaft zunächst noch die vorherrschende Bodennutzungsform. Hinsichtlich der Flureinteilungen innerhalb der Zelgen kann davon ausgegangen werden, dass zunächst Blockgemengefluren oder geteilte Streifenfluren vorherrschten, aus denen sich im Verlauf des Mittelalters komplexe Gewannfluren entwickelten (vgl. Henning 1994), die durch außerhalb der Kernflure gelegene einzelne Felder, sogenannte Egärten, ergänzt wurden. Dieses Nebeneinander Ävon verschiedenen Ãalten¶ Flursystemen ist charakteristisch für das frühneuzeitliche Dorf³ (Küster 1999: 182). Die angeeinet-physisch-landschaftliche Trennung von Stadt und Land im Hochmittelalter durch unterschiedliche Besiedlungsdichte und insbesondere die Stadtmauer symbolisierte neben der urbanen Wehrhaftigkeit auch eine rechtliche Geschiedenheit: Es lassen sich die Rechtsräume des Städtischen und des Ländlichen ausmachen. Während Städter ± als Bürger ± durchaus differenzierte Selbstverwaltungs- und Freiheitsrechte (Ennen 1987, Blackbourn 2007) innehatten, aber auch Zwängen, wie dem Zunftzwang unterlagen, unterlagen weite Teile der ländlichen Bevölkerung einer weitgehenden persönlichen fremden Verfügungsgewalt139. Ein binnenfunktionales Charakteristikum der mittelalterlichen europäischen Stadt bestand in der Multifunktionalität innerhalb Gebäuden und von Bewohnern (Sieverts 2004: 86): ÄDie Bürger waren neben ihrem Handwerk auch Stadtsoldaten, Ratsherren, Kirchenvorstände, die Bauwerke gehörten immer mindestens zwei, meist aber mehreren Sphären an³. Bürgerhäuser bildeten mit ihren wohlgeordneten und geschmückten Fassaden auch einen Teil des öffentlichen Raumes, Kirchen waren neben Gotteshaus auch Alltagsraum, indem sie in ihren Seitenkapellen Orte für Gilden und Zünfte boten 140. Die Trennung von Stadt und Land in der mittelalterlichen Vormoderne manifestierte sich auch in der Ausprägung der Ökonomie: Richteten sich weite Teile der ländlichen Bevöl139 Erheblich für die hohe Bedeutung des spezifischen Rechtsraumes Stadt ist, dass das Wort ÃStadt¶ (stat) erstmals in hochmittelalterlichen Quellen etwa gleichzeitig mit der Formierung der mittelalterlichen Stadtbürgergemeinde und eines Stadtrechts erscheint (Kolb 2005). Zentrale Elemente des mittelalterlichen Stadtrechts waren das Zollrecht, das Marktrecht, das Münzrecht sowie das Stapelrecht (d.h. die Pflicht eines Händlers, seine Waren in der Stadt anbieten zu müssen), das für den Händler eher einem Stapelzwang glich. 140 Das Prinzip des ganzen Hauses war ebenfalls durch Multifunktionalität gekennzeichnet: Dieselben Räume werden für Arbeit, Schlafen, Erholung, Essen und Beten genutzt, und werden von Gesinde, Kindern, Mann und Frau betreten. Innerhalb des Hauses war es im Mittelalter selbstverständlich, dass fremde Menschen, Kinder und Erwachsene das Bett miteinander teilten. Anders als in der Moderne gab es im Mittelalter nahezu ebenso viele Hauseigentümer wie Hausgemeinschaften. Die eigene Behausung wurde durch Erbe, Dienstverhältnis oder durch eigenen Bau erlangt. Mietwohnungen dienten nahezu ausschließlich zur Unterbringung der Armen, jener also, die nicht Mitglied eines Haushaltes waren (Häussermann/Siebel 2000).
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kerung auf eine Existenzsicherung durch Subsistenzlandwirtschaft aus, die lediglich durch kirchliche bzw. weltlich-herrschaftliche (Zwangs-)Abgabensysteme modifiziert wurde, waren städtische Ökonomien durch Handwerker und Händler geprägt, auch wenn diese in der Regel durch eine mehr oder minder große Gruppe der Ackerbürger ergänzt wurden (Weber 1976)141. Es entwickelte sich ein System der wechselseitigen Abhängigkeit (Küster 1999): Infolge der Ausprägung der Geldwirtschaft übernahmen die Städte eine ökonomisch (und letztlich auch kulturell) führende Rolle, blieben allerdings weiterhin ± auch aufgrund der ein- oder eingeschränkten Fernhandelsmöglichkeiten von Massengütern ± von der regionalen Nahrungsmittelversorgung abhängig, wodurch auch die Zahl und Größe der mittelalterlichen Städte limitiert blieb. Infolge der Ausrichtung auf Handel ergibt sich für Städte eine Außenbezogenheit, die sich auch durch eine verkehrsgünstige Lage im physischen Raum manifestiert. Sie waren Kulminationspunkte einer beginnenden Intellektualisierung (z.B. durch die Gründung von Universitäten) und einer beginnenden Vergesellschaftung. Dabei ging mit der hohen physischen Dichte zwischen den Stadtbewohnern eine höhere soziale Distanz einher als dies im ländlichen Raum ± trotz der hier größeren physischen Distanz ± der Fall war. Dörfer waren darüber hinaus deutlich durch Binnenbezogenheit und (durchaus erzwungener) Vergemeinschaftung gekennzeichnet142. Das Spätmittelalter lässt sich siedlungsgeschichtlich als ÄZeitalter der Krisen³ (Schreg/Schwenk 2008: 198) bezeichnen: Zwischen der Mitte des 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts wurden Siedlungen teilweise oder gänzlich aufgegeben, die nach zeitgenössischen Quellen als Ãvilla desolata¶ bzw. Ãwustunge¶ bezeichnet wurden, wobei das Wort Ãwüst¶ die Perspektive der Herrschaft beschreibt, Äwonach eine Fläche keine geldlichen oder naturalen Abgaben mehr erbrachte³ (Schreg/Schwenk 2008: 198). Die Gründe für die Häufung der Wüstungen im späten Mittelalter sind vielfältig; bis heute existiert eine Vielzahl konkurrierender Theorien (Schreg/Schwenk 2008: 198): Kriegs- oder Fehdetheorie, gemäß derer, die von den zahlreichen Kriegen zermürbte Bevölkerung in andere Gebiete abwanderte; Fehlsiedlungstheorie, gemäß derer Siedlungen aus den Ungunstlagen des hochmittelalterlichen Landausbaus zurückgenommen wurden; Ballungstheorie, gemäß derer ländliche Bevölkerung aufgrund der größeren Attraktivität der Städte in diese abwanderten; 141
Hauser/Kamleithner (2006) weisen im Zusammenhang des vielfach komplexen Verhältnisses zwischen Stadt und Umland im Mittelalter auf die besondere Situation der Vorstädte hin: Diese seien nicht immer ein vollwertiger Teil der Stadt gewesen, sondern durchaus ein gesonderter Rechtsbereich, der beispielsweise einem Kloster unterstehen konnte. 142 Charakteristika, wie sie bis heute in vielen Vorstellungen für die Entwicklung für den ländlichen Raum (Stärkung der Ãdörflichen Gemeinschaft¶), aber auch städtische Landschaften (die Ãalte¶ bzw. die Ãeuropäische¶ Stadt), persistieren bzw. wiederbelebt werden (vgl. Kühne 2005a und 2007b).
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Klimatheorie, gemäß derer das Klima des 14. Jahrhunderts von einer Vorphase der Kleinen Eiszeit (16.-18. Jahrhundert) mit geringeren Lufttemperaturen, aber von höheren Niederschlägen, verbunden mit Ernterückgängen, geprägt war; Bevölkerungsrückgangstheorie, gemäß derer die Bevölkerungszahl infolge von Hungersnöten (besonders nach 1309) und Pestzügen (nach 1349) regional bis zu einem Drittel zurückging; Agrarkrisentheorie, gemäß derer die Preise für gewerbliche Güter im Vergleich zu landwirtschaftlichen Produkten stiegen, was die Abwanderung von Bauern in die Städte attraktiv machte. Wie gezeigt wurde, unterlagen die (retrospektiv so bezeichenbaren) angeeigneten physischen Landschaften einer vielfachen und dabei diskontinuierlichen Überformung infolge gesellschaftlicher Veränderungen und natürlicher Einflüsse. Die angeeigneten physischen Landschaften der (mittelalterlichen) Vormoderne lassen sich im Wesentlichen als Folge und Nebenfolge politisch feudaler Machtverhältnisse beschreiben und wurden aufgrund eines geringen technischen Innovationspotential (u.a. wegen Gilde- und Zunftordnungen) nur wenig umgestaltet. Aus heutiger Sicht ± denn zeitgenössisch war eine Ästhetisierung des physischen Raumes zu Landschaft erst zur Endphase der Vormoderne ein beginnender Prozess ± lässt sich die idealtypische angeeignete physische Landschaft zum Ende der Vormoderne unter Anwendung der Komplexitätshypothese (siehe Abschnitt 3.3.4.1) als unterdurchschnittlich bis durchschnittlich attraktiv beschreiben. Eine große Zahl der wahrnehmbaren Elemente, bei einer gleichzeitig vergleichbar unterdurchschnittlichen Vielfalt der Elementtypen (so kamen viele potenzielle Landschaftsmarken wie hohe Schornsteine noch nicht zur Anwendung oder waren noch nicht erfunden) wurde von einem eher geringeren Ordnungsgrad hinsichtlich der Elementanordnung begleitet: Großräumige und vereinheitlichende Planungen und deren physische Durchsetzung waren die Ausnahme, sodass die angeeignete physische Landschaft von dem Ringen der lokalen Bevölkerung um Lebenschancen ± insbesondere um Nahrungsmittel und Brennmaterial ± gekennzeichnet war.
4.1.4 Angeeignete physische Landschaft in der frühen Moderne Die erste Phase der Moderne bedeutete für die angeeigneten physischen Landschaften Mitteleuropas keinen grundlegenden Bruch mit den vormodernen Raumentwicklungen, vielmehr stellt sie eine Zeit der Vermittlung zwischen den vormodernen ± teilweise stark persistierenden ± und fordistischen gesellschaftlichen und physisch-räumlichen Strukturen und Funktionen dar. 126
Die gesteigerte Organisationsfähigkeit der Gesellschaft in ihrer stratifikatorischen Differenzierung (im Sinne von Luhmann 1984) bedeutete bereits in den Anfängen der ersten Phase der Modernisierung eine stärkere Rationalisierung des Militärwesens durch den Einsatz effektiver Kriegstechnologien, Truppenaushebungsorganisationen. Führungen kamen bereits im Dreißigjährigen Krieg mit erheblichen Folgen für die Gesellschaft und damit auch für die angeeignete physische Landschaft zur Anwendung: Dörfer wurden zerstört, ganze Landstriche nahezu menschenleer, Vieh verwilderte, ganze Gemarkungen fielen unter die Sukzession.
Abbildung 16:
Die Festungsstadt Saarlouis, von dem Festungsbaumeister Vauban angelegt, stellt eine physische Manifestation der Macht des Politischen durch gesteigerte Organisationsfähigkeit in der frühen Moderne dar (Quelle: Stadtarchiv Saarlouis).
Die Untauglichkeit mittelalterlicher Stadtbefestigungsanlagen, ihren Bürgern Schutz gegenüber frühmodernen Waffensystemen (insbesondere Kanonen) zu gewähren, wurde von einer systematischen Anlage von Festungsbauten abgelöst. Diese führte teilweise zum Auf- und Ausbau von Festungsstädten mit weit hinausgeschobenen Bastionen. Diese Festungsanlagen wurden nun zu Symbolen eines neuen herrschaftlichen Bezuges: Nicht mehr die einzelne Stadt stand im Fokus der Verteidigung, sondern der sich entwickelnde Nationalstaat, dem sich
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die Stadt unterzuordnen hatte143. Diese Unterordnung unter nationale Interessen bedeutete für die meisten Festungsstädte ein manifestes Entwicklungshemmnis; da sie aufgrund von Rayonbestimmungen das Schussfeld freizuhalten hatten, waren sie in ihren Außenentwicklungsmöglichkeiten beschränkt: Vorstädte konnten ± wenn überhaupt ± vor dem Schussfeld errichtet werden (Abbildung 16; Dorfs 1972, Hofmeister 1994). Die Nationalstaatenbildung vollzog sich auch in der Manifestierung exakter Grenzen. Waren die Verläufe zwischen Herrschaftsbereichen im Mittelalter eher durch Säume ausgeprägt, die durch Wälder, Gebirge, Öden, Moore, Seen oder Flüsse, in der Regel also durch geringe Bevölkerungsdichten, geprägt waren, wurden Grenzen144 nun exakt definiert, kartographisch und landschaftsbedeutsam im physischen Raum durch Grenzsteine, Grenzsäulen und Grenzgebäude dokumentiert (Warnke 1992), sodass heute aller Raum Äauf diesem Planeten staatlich geordneter Raum³ (Schroer 2006: 198; vgl. auch Habermas 1998) ist. Die wirtschaftliche Entwicklung der ersten Phase der Moderne war durch die Knappheit an Primärenergie geprägt: Die Zunahme der Siedlungsdichte mit der Ausdehnung der landwirtschaftlichen Flächen, die beginnende Industrialisierung mit ihrem Bedarf an thermisch bearbeiteten bzw. erzeugten Gütern (z.B. Metallgegenständen, Seifen, Glas, Ziegel, Salz) bei gleichzeitig extensiver Akkumulation bedeuteten eine sukzessive Steigerung des Holzbedarfs: Vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert Äsank der Waldanteil in den meisten deutschen Landschaften auf einen Tiefststand ab³ (Küster 1999: 233). Der aufgrund der Zunahme der Bevölkerungsdichte zunehmende Nutzungsdruck auf die landwirtschaftlichen Flächen trug zur Übernutzung der verbliebenen Wälder bei: Waldweiden einerseits und die Entnahme von Streu und Plaggen (letzteres insbesondere in Norddeutschland) zum direkten oder indirekten (über den Stall) Nährstofftransfer vom Wald zum Feld andererseits, bedeuteten eine Einschränkung der Regenerationsfähigkeit der Wälder (vgl. Radkau/Schäfer 1987). Die angeeignete physische Landschaft ländlicher Räume in der frühen Phase der Modernisierung war, dort wo die natürlichen Faktoren (insbesondere das Relief) dies zuließen, somit zunächst durch Dreifelderwirtschaft, Weideflächen sowie devastierte Wälder geprägt. In Gebieten mit Erzvorkommen und hohem Waldan143
Schneider (2004: 16) verweist auf die wechselseitige konstitutive Bedeutung der Kartographie für die sich bildenden Nationalstaaten, Äweil in diesem Prozess der Raum, das Territorium, als Ordnungsgrundlage des Staates an Bedeutung gewinnt³. Das Verhältnis von Macht und Kartographie wird in 6.5.2 (Fallbeispiel 4: Die Daten setzende Macht im rekursiven Prozess des Handelns von Landschaftsexperten ± Geographische Informationssysteme (GIS) und Kartographie) aufgegriffen. 144 Die geringe Bedeutung exakter Grenzziehung im Mittelalter dokumentiert auch die späte Reduktion der Staatsgrenze als sprachliches Zeichen: ÄDas Wort ÃGrenze¶ taucht im 13. Jahrhundert als polnisches Lehnwort auf; bis in das 16. Jahrhundert hinein ist noch die Bezeichnung ÃLandmarke¶ viel gebräuchlicher³ (Warnke 1992: 15).
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teil, also jenen Räumen, die sich aufgrund natürlicher Faktoren nicht oder nur in geringen Teilen für die Landwirtschaft eigneten, wurden die Waldflächen zur Metallerzeugung auf Holzkohlegrundlage gerodet und in primitiven Schmelzen eingesetzt, so lange bis der Holzvorrat erschöpft war und die Metallverhüttung in diesen sogenannten Rennöfen auf andere ± waldreiche ± Flächen verlagert wurde. Neben den lokalen und regionalen Holzbeständen ± nur bei günstiger Lage an Wasserwegen wurde Holz in nennenswerter Menge überregional bezogen, sofern die betreffende Siedlung über ausreichendes ökonomisches Kapital verfügte ± wurden auch andere Energiequellen genutzt: In windreichen Gegenden (also insbesondere in Küstennähe) wurden Windmühlen errichtet, in Gegenden mit Fließgewässern in reliefiertem Gelände auch Wasserkraft durch Schmieden und Mühlen genutzt. Die hierzu angelegten Teiche mit ihren Grabensystemen zur Regulation des energetischen Potenzials der Fließgewässer dominierten das Bild zahlreicher Täler. Die sich evolutionär vollziehende Umstellung von der holz- auf eine steinkohlenbasierte Ökonomie bedeutete eine sukzessive Differenzierung und Zentralisierung der Wirtschaft. Erzeugung von Metallen, insbesondere Eisen, verlagerte sich aufgrund von Transportkostenüberlegungen zu den Kohlenlagerstätten, womit sich die Eisen schaffende Industrie zunehmend aus ländlichen Räumen zurückzog bzw. diese verstädterte. Eine wesentliche Voraussetzung zur Modernisierung der Ökonomie und damit verbunden auch des Verstädterungsschubs der ersten Phase der Moderne wurde mit den bürgerlichen Reformen gelegt, Äwie sie etwa in Preußen ab dem ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts einsetzen und die Gewerbefreiheit und privatem Grundeigentum eine freie Standortwahl und mit Gewerbesteuer, Wahlrecht und Kommunalverfassung die eigenständige Stadtentwicklung ermöglichen³ (Brake 2001: 15), denn Ädamit sind alle Kräfte und Bedingungen entfaltet, die nun systematisch die Ausbreitung der Städte in Gang setzen³ (Brake 2005: 15)145, allerdings um den Preis der Freisetzung billiger und eigentumsloser Arbeitskraft (Rodenstein 1974), die Marx (1957) als doppelte Befreiung charakterisierte, denn einerseits war der freie Lohnarbeiter zwar frei von feudalem oder ständischem Zwang, aber anderseits auch frei von Boden als Existenzgrundlage. Der Übergang von der holzbasierten Wirtschaft zu einer auf fossilen Energieträgern (zunächst insbesondere auf Steinkohle) gegründeten Wirtschaft war also in dem Wunsch begründet, eine knappe Ressource durch eine weniger knappe Ressource zu substituieren. Doch dieser Substitutionsprozess vollzog 145
Zeitgleich beginnt eine Angleichung von Stadt und Land in den verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen: Im politisch-rechtlichen Bereich erhalten die Landbewohner denselben Rechtsstatus wie Städter (in Preußen beispielsweise durch die Steinsche Städteordnung von 1808, abgeschlossen mit der Weimarer Verfassung von 1918; vgl. Krabbe 1989).
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sich allmählich und weitgehend ungeplant und war noch einem Äprimitiven Kapitalismus³ (Sennett 2007: 22) zuzuordnen, der durch den Drang nach kurzfristigem Profit unter Vermeidung höherer Investitionen charakterisiert war: Der Bergbau erfolgte zunächst durch Pingen (kleine Tagebaue, die aufgegeben wurden, sobald sie voll Wasser liefen) oder durch primitive Stollen, die Erzverhüttung in einfachen Schmelzen, die Eisenverarbeitung in kleinen Schmieden, alles unter der weitgehenden Abwesenheit von Arbeitsschutzeinrichtungen, schließlich standen auch für die primitiven und unspezialisierten Arbeitsprozesse genügend potenzielle Arbeiter zur Verfügung. Die Modifikation der angeeigneten physischen Landschaft durch diese Betriebe der frühen Industrialisierung war entsprechend gering: Kleine Anlagen produzierten nur wenige Reststoffe ± auch Berge- und andere Reststoffhalden wurden in Nebentälern angelegt, sodass sie Landschaften nur in geringem Maße modifizierten. Die Einleitung von (ungeklärten) Abwässern in Fließgewässer bedeutete jedoch bereits zu dieser Zeit die Schädigung von Unterliegern, die die Abnahme des Fischbestandes und die Verringerung der Bodenfruchtbarkeit von Flussauen beklagten (vgl. z.B. Radkau 1989, Wild 2006). In der Regel wurden um alte kleinstädtische (Duisburg, Essen, Bochum u.a.) oder dörfliche Siedlungskerne (Neunkirchen/Saar, Oberhausen) Industriesiedlungen angelegt. Die Entwicklung der Industriesiedlungen erfolgte in der Regel zunächst weitgehend ungeplant und in der Regel im Vergleich zum Arbeitskräftebedarf zeitversetzt. Die Wohnraumbelegung wuchs rasch an146. Die aus diesen Wohnraumverhältnissen resultierende hygienische Situation war unzureichend, aufkeimende Epidemien waren die Folge (Parent 2005). Aufgrund des Fehlens eines kapitalkräftigen Bürgertums in den entstehenden Industriestädten, erreichte auch der Mietwohnungsbau nicht die Dimension stärker durch Bürgertum geprägter Städte wie Berlin. Auch die kommunalen Verwaltungsbehörden waren Änicht in der Lage und auch nicht bereit, die Folgen der Massenzuwanderung durch Lenkung und Planung zu kontrollieren, begannen hier Großunternehmer verstärkt seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbstständig, die für das Funktionieren der Produktion wichtige Unterbringung des Arbeitskräftepotenzials zu regeln³ (Reulecke 1985: 45).
Diese Siedlungsentwicklung ± auch der Aufbau von Krankenhäusern, Schulen, selbst von Kirchen und Friedhöfen erfolgte nach dem Kalkül der ökonomischen 146
So verdoppelte sich in Essen zwischen 1840 und 1871 die Bewohnerzahl pro Haus (Parent 2005). Viele Erwerbstätige in der Industrie der Saarregion pendelten täglich oder wöchentlich über größere Entfernungen zu den Gruben und Hütten des Verdichtungsraumes. Viele dieser ÃRanzenmänner¶, ÃHartfüßer¶ und ÃSaargänger¶ (Slotta 2002) genannten Pendler waren wochentags in Schlafhäusern untergebracht.
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Zweckmäßigkeit (Erhalt der aufgrund der durch die berufliche Differenzierung und Verknappung der Verfügbarkeit von Arbeitskraft ökonomisch wertvoll gewordenen Arbeiter und Angestellten), nur in Ausnahmefällen jedoch nach städtebaulichen oder urbanistischen Überlegungen. Die Persistenz rudimentär ländlich-kleinbäuerlicher Lebensstile (Hausgarten oder Schrebergarten, Halten einer ÃBergmannskuh¶) in den Bergmannssiedlungen und die Rückkehr in die ländlichen Herkunftsgebiete nach Pensionierung dokumentiert ebenso eine Äunvollständige Urbanisierung der Arbeiterschaft³ (Häußermann 1994: 124) im Ruhrgebiet, wie die Ausprägung des Arbeiterbauerntums im Saarrevier (Kühne 2007b)147. Zusammenhänge, die auf eine kulturelle Phasenverschiebung schließen (Ogburn 1964) lassen: Die sozial-kulturelle Entwicklung weist ein höheres Beharrungsvermögen auf als die ökonomisch-technische Entwicklung. Der entscheidende Faktor für die nach etwa 1850 einsetzende Intensivierung der Industrialisierung war für die Industriereviere an Ruhr, Oder und Saar neben dem Reichtum an Kohle die Möglichkeit, ihrer überregionalen Vermarktung mithilfe des ± selbst vielfach von der Kohle abhängigen (Treibstoff, Stahlproduktion für Schienennetz und rollendes Material) ± Eisenbahnsystems (Petzina 1992: 42): ÄDer Übergang zum Fabriksystem in den Verarbeitungszentren Deutschlands und Europas bedeutete den Einsatz von neuen Energie- und Antriebssystemen und damit steigende Nachfrage nach dem Schlüsselprodukt³ der Regionen. Zugleich war der Ausbau des Einsenbahnsystems ein Symbol für die Fähigkeit des modernen Staates seine Macht mittels Recht, Technik und dem Einsatz von Finanzmitteln im physischen Raum ± auch gegen lokale Widerstände ± zu manifestieren. Auch die Umstellung der Straßenbeleuchtung von Gas auf elektrisches Licht, mit dessen verringerter Komplexität der Zuleitung und verringerter Gefährlichkeit, macht die Ausleuchtung des öffentlichen Raumes nahezu omnipräsent und symbolisiert dessen prinzipielle Überwachungsfähigkeit durch den Staat. Im Laufe der ersten Phase der Moderne vollzogen sich auch in ländlichen Räumen deutliche Wandlungen: Die Dreifelderwirtschaft wurde von der sogenannten verbesserten Dreifelderwirtschaft abgelöst, diese wiederum von der Fruchtwechselwirtschaft mit ihren zahlreichen Fruchtfolgevarianten (Kühbauch 1993). Wissenschaftliche Erkenntnisse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, insbesondere die Mineralstofftheorie Justus von Liebigs, ermöglichten eine Intensivierung der Landwirtschaft. Diese war durch das rasche Bevölkerungswachstum jener Zeit nötig geworden, die sich als Ergebnis der Politik der Lan147 Im Saarrevier wurde die Landwirtschaft ± auch bei Beschäftigung in der Industrie ± zunächst nicht aufgegeben, sondern insbesondere von der Frau und den Kindern sowie von dem Arbeiterbauern am Wochenende betrieben. Im Gegensatz zu anderen Industrierevieren, wie dem Ruhrgebiet oder Oberschlesien, wurde der Arbeitskräftebedarf durch Arbeitskräfte aus der Region gedeckt (Horch 1990).
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desfürsten beschreiben lässt, nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts die Anzahl der Untertanen und der damit verbunden fiskalischen Einnahmen zu vergrößern (Abel 1967)148. Im Zuge dieser zweiten agrarischen Revolution wurde die ländliche angeeignete physische Landschaft z.B. durch Meliorationsmaßnahmen (wie die Trockenlegung von Feuchtgebieten) umgestaltet und durch die Nivellierung von ehemaligen Standortunterschieden durch Düngung, Be- und Entwässerung, Abschaffung der Allmende u.a. einem Vereinheitlichungsprozess unterzogen (z.B. Beck 1996, Konold 2006b, Häcker 1998, Job 1999, Gudermann 2005), der in dem Schachbrettmuster Äals ökologisch-ökonomisches und ästhetisches Ideal³ (Beck 1996: 239) und dem Ersetzen der Risiko minimierenden Polykultur zugunsten einer Gewinn maximierenden Monokultur (Beck 1996, Ganzert 1996) häufig allerdings erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seinen Kulminationspunkt fand ± verbunden mit dem Rückgang der Artenvielfalt auf landwirtschaftlichen Standorten (Sukopp 1981, Blackbourn 2007). Blackbourn (2007: 13) verweist auf die Machtkommunikation von Landgewinnungsprojekten am Beispiel des Preußens Friedrichs des Großen: ÄDie Trockenlegung von Sümpfen beseitigte die dunklen Schlupfwinkel, in denen Deserteure sich versteckt hielten. Sümpfe und Moore sollten die gut gedrillte Armee des Königs nicht länger beim Vormarsch behindern³149, die ÄVermessung durch die Katasterämter, die für die Festsetzung der Grundsteuer erforderlich war³ (Blackbourn 2007: 57) behindern und ein Ort der latenten Bedrohung epidemischer Krankheiten sein (Blackbourn 2007). Wie der Neubau von Straßen oder ÃChausseen¶, die neben dem Austausch von Gütern auch zur Abwicklung Ämilitärischer Transaktionen³ (Warnke 1992: 17) dienten, waren in jener Zeit Ädie Wege, die man auf urbar gemachtem Boden angelegt hatte, und die Meilensteine an ihrer Seite sichtbare Symbole für die Ordnung, die hier Einzug gehalten hatte³ (Blackbourn 2007: 57). Zugleich ermöglichte die zunehmende Deckung des Primärenergiebedarfs aus fossilen Quellen und die Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung bei zunehmendem Bedarf an Bau- und Grubenholz sowie ein rechtlich abgesicherter und durchsetzbarer staatlicher (aber auch kommunaler) Zugriff auf Waldflächen eine Wiederaufforstung von Standorten auf Grundlage forstwissenschaftlicher und ökonomistischer Erkenntnisse (vgl. Küster 1998, Radkau 2005, Blackbourn 2007) ± bei gleichzeitiger Ideologisierung des Waldes als Symbol der politisch verwehrt gebliebenen Einheit als ÃDeutscher Wald¶ (vgl. Imort 2005).
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Heinsohn/Steiger (1987) weisen darauf hin, dass diese Expansionspolitik insbesondere durch die Stigmatisierung und Ermordung weiser Frauen mit ihrem Verhütungswissen erfolgte. 149 Angesichts des urbar gemachten Oderbruchs verkündete Friedrich der Große: ÄHier habe ich im Frieden eine Provinz erobert³. Ein Ausspruch, der die Machtbezogenheit von Landschaft explizit verdeutlicht.
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Die Meliorationsmaßnahmen, aber auch die Maßnahmen der Landespflege, erforderten einerseits die Entwicklung eines ausgereiften bürokratischen Apparates, andererseits gründeten sie auf einem naturwissenschaftlichen Weltbild der Mess- und Quantifizierbarkeit von angeeigneter physischer Landschaft, als ÄMaßstab für politische Macht³ (Blackbourn 2007: 14), schließlich Äsei es notwendig, Dorf und Flur sorgfältig zu vermessen. Spezialkarten mit Angabe und Beschreibung der verschieden Bodenarten seien anzufertigen³ (Däumel 1963: 346). Die Ausübung von Herrschaft war im Deutschland vor der napoleonischen Restrukturierung sehr differenziert (Weber 2008: 220-221): ÄMit der bürokratischen Durchdringung ihrer Gebiete waren die kleinen Herrschaften oft ebenso überfordert wie mit dem Aufbau militärischer Macht oder höfischer bzw. adeliger Repräsentation³. So waren für die Begradigung des Oberrheins auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse, administrative Organisation, technische Apparate und die Verfügbarkeit von Arbeitskräften nicht ausreichend: Erst als Ädie Umwälzungen der Französischen Revolution das Heilige Römische Reich zerstört hatten und die politische Landkarte Deutschlands neu gezeichnet war³ (Blackbourn 2007: 103), konnte dieses Projekt, das die Länge des Rheins zwischen Basel und Worms von 345 auf 273 Kilometer ± freilich mit erheblichen ökologischen150 und auch ökonomischen151 Nebenfolgen ± verkürzte, aufgrund hinreichender Machtakkumulation in Angriff genommen werden (Blackbourn 2007). Mehr noch als in Europa lässt sich in den Vereinigten Staaten von Amerika die Durchsetzung des American Grid, der einheitlichen Einteilung des zu erschließenden Landes in einheitlich-quadratische Besitzparzellen, als Vorboten des fordistischen Prinzips der verwendungsspezifischen Aneignung von physischem Raum charakterisieren, die sich als strukturierende Regulation interpretieren lässt, in deren Grenzziehung der Landschaft eine politisch-administrative Gliederung eingeschrieben wurde, Äin deren expansivem Rahmen sich die zukünftige Nation selbstbestimmt entfalten konnte³ (Kaufmann 2001: 331), auf Grundlage einer Massenerziehung, die teile, um zu herrschen (Holm 2006). Technische und organisatorische Neuerungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen in einem engen Bedingungsverhältnis mit dem Wachstum der Städte in ihr Umland und deuten bereits mit ihrer physisch manifesten Zweckrationalität den Wechsel zum fordistischen Akkumulationsregime, verbunden mit der planerischen Rigorosität des modernistischen Prinzips, bereits an 150
Die Begradigung bewirkte u.a. eine zunehmende Eintiefung der Rheins mit der Folge des Absinkens des Grundwasserspiegels und dem Verlust von Ökosystemen, aber auch eine Veränderung der Flussfauna aufgrund der teilweisen Zunahme der Fließgeschwindigkeit und dem Bau von Staustufen, die die biologische Durchgängigkeit behinderten. 151 Beispielsweise das Verschwinden des Rheingolds, das seit zwei Jahrtausenden in den sich immer wieder verlagernden Sandbänken gewonnen wurde (Blackbourn 2007).
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(Kühne 2007b)152, nachdem bereits im 18. und frühen 19. Jahrhundert, getragen von den Ideen der Aufklärung, mittelalterlich anmutende Städte nach den Schönheitskriterien ÄRegelmäßigkeit, Proportion, Ordnung³ (Hauser/Kamleithner 2006: 105) umgebaut worden waren: Sternförmig-linear wird der stadtnahe Raum an Eisenbahnstrecken und den Linien der Straßenbahnen entlang verstädtert (vgl. Bertels 1997; vgl. auch Pred 1990). Diese Verstädterung bedeutete vielfach die Verdrängung agrarischer Flächen und symbolisierte die ökonomische Überlegenheit der neuen, industriekapitalistischen Art der Raumproduktion, gegenüber der infolge der zunehmend globalen Konkurrenz landwirtschaftlicher Produkte sozial wie ökonomisch zunehmend marginalisierten Landwirtschaft (Gregory 1994). Die Frischwasserzuleitung über ein großräumiges Leitungssystem bedeutet eine weitgehende Unabhängigkeit der Stadt von ihren lokalen Grundwasserressourcen, die Abwasserableitung mithilfe der Schwemmkanalisation ermöglicht den überlokalen Transport von Abwasser und die Organisation einer kommunalen Müllentsorgung enthebt den einzelnen Haushalt der Verantwortung einer eigenständigen Abfallentsorgung153. Die angeeignete physische Landschaft der frühen Moderne wies eine gegenüber dem Mittelalter stärkere Prägung durch die Effizienzsteigerung der Machtausübung und des Technikeinsatzes auf. Infolge der Modernisierung der angeeigneten physischen Landschaft sank die Zahl der wahrgenommenen Elemente gegenüber der idealtypischen angeeigneten physischen Landschaft der ausgehenden Vormoderne durch Rationalisierungsmaßnahmen ab, während der Ordnungsgrad der Elemente zunahm, die Vielfalt der Elementtypen stieg jedoch (aufgrund technischer Innovationen) deutlich an. Die Landschaft der frühen Moderne wirkte und wirkt ± vor dem Hintergrund der Komplexitätshypothese (siehe 152
Die Modernisierung des Verhältnisses von Stadt und Land mit der Industrialisierung verstärkte den Diskurs hinsichtlich der sozialen Wirkungen des Stadt- und Landlebens: Marx sprach von der ÄIdiotie des Landlebens³, für ihn galt das Proletariat als Motor für die Entwicklung des Sozialismus. Demgegenüber entwickelte Ferdinand Tönnies mit dem Konzept von Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung ein für lange Zeit in Forschung und öffentlicher Diskussion persistierendes dichotom angelegtes Konstrukt von Stadt und Land (IPSEN 2000): Die Vergesellschaftung der Großstadt basiere auf Arbeitsteilung und rationalem Kalkül, während die Vergemeinschaftung im Dorf durch kollektive Werte und personale Beziehungen getragen werde, die eine soziale Ausdifferenzierung verhinderten. Eine Position, die wiederum von Plessner (1924) kritisiert wurde: Plessner hebt die Bedeutung der Rolle gegenüber der qualitativen und quantitativen Begrenztheit aller gemeinschaftlichen, auf Intimität und Vertrautheit basierenden Beziehungen hervor: Indem der Mensch Rollen spiele, könne er sich verbergen, könne er sich selbst spielen und somit im Rollenspiel zu sich selbst finden. 153 Die Modernisierung der Stadt äußerte sich dabei nicht allein in der technischen Infrastrukturausstattung. Im Zuge der Modernisierung der Stadt und ihres Umlandes bildete sich der Konsumentenhaushalt ebenso heraus wie die betrieblich organisierte Berufsarbeit, das Geflecht der öffentlichen Infrastruktur und die marktförmige Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (Häußermann/Siebel 2000).
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Abschnitt 3.3.4.1) ± besonders attraktiv, da ausgewogen, und wurde so vielfach zum Leitbild landschaftserhaltender Maßnahmen. 4.1.5 Angeeignete physische Landschaft in der fordistischen Moderne Das exklusivistische Projekt der Moderne äußert sich auch in der angeeigneten physischen Landschaft: Die Prinzipien des Strebens nach Skalenvorteilen und der Funktionstrennung (z.B. gemäß der Charta von Athen) wurden auch im physischen Raum durchgesetzt. Die funktionalen Daseinsgrundfunktionen154 (Partzsch 1964) sind dem gemäß räumlich zu trennen: Räume werden (möglichst) einfach codiert (vgl. Kühne 2006a). Im Leitbild der Raumordnung der fordistischen Moderne sind Räume monofunktional fragmentiert, Gebietseinheiten sind monostrukturiert (vgl. Krier 1987) ± es entstehen monovalente Raum-
Abbildung 17:
Stadtgestaltung nach dem fordistischen Prinzip: Rationelle Bebauung mit normierten Elementen schafften eine skalenoptimierte Plattenhausbebauung wie hier in Clermand-Ferrand in der Auvergne als Ausdruck des Äbornierte[n] Bewusstsein[s] der naturwissenschaftlichen Intelligenz³ (Ullrich 1979: 224) mit dem Ziel der Erfindung eines Ämaschinenhaften Normmenschen mit Normbedürfnissen³ (Schneider 1989: 5).
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Gemäß dem funktionalistischen Paradigma wurde der Mensch in einen Katalog der Daseinsgrundfunktionen aufgegliedert (Partzsch 1964): Wohnen, Arbeiten, Sich-Versorgen, Sich-Bilden, SichErholen, Verkehrsteilnahme, In-Gemeinschaft-Leben. Diese Gliederung findet sich noch heute symbolisch vermittelt in den Bauleitplänen der Gemeinden.
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strukturen und letztlich auch ebensolche angeeignete physische Landschaften155 nach dem Prinzip der Reinheit wie folgendes Zitat Le Corbusiers (1926: 182) zur Aufgabe des modernen Architekten verdeutlicht: ÄDie Reinlichkeiten gestalten, das Werk mit einheitlichem Leben erfüllen, ihm eine Grund-Haltung geben, einen Charakter: reine Schöpfer des Geistes³. Die Moderne in der Architektur bedeutete eine Reduzierung des Baus auf geforderte Zwecke (Burckhardt 1968: 147): ÄDer Funktionalismus fordert das scharfe Programm, die rigorose Entscheidung für den einen und gegen den anderen Bauzweck³. Diese Architektur der Äangeblich abgeschafften Fassade³ (Burckhardt 1968: 147) ist Ausdruck extremster Reduktion auf einen einzigen Bauzweck (Abbildung 17), bei gleichzeitiger Durchsetzung des Prinzips für neue Nutzungen auch neue Gebäude zu errichten und alte, den funktionalen Anforderungen der Moderne nicht unmittelbar entsprechende (als Abfall) abzureißen (Hauser 2001a) ± die euphemistisch ÃFlächensanierung¶ genannten Abriss- und Wiederaufbauprogramme der 1950er bis 1970er Jahre zeugen von dieser modernistischen Geisteshaltung. Architektonisch wird das modernistische Prinzip der Funktionstrennung bis in die Wohnungen hinein verfolgt: Die Funktionen des Kochens, des Schlafens, des Sich-Entleerens und des repräsentativen Wohnens (als ÃGute Stube¶) werden voneinander abgegrenzt und unterschiedlichen Räumlichkeiten zugewiesen, wobei diese Funktionen um ± in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit von ökonomischem Kapital ± weitere spezialisierte Funktionen des Lesens, des Bücher-Aufbewahrens, des Raumes für Gäste, des Hobbys etc. ergänzt werden können156. Zu Symbolen der fordistischen Moderne wurde die 155
Kühne (2006a) unterscheidet in seiner Gliederung Landschaften nonvalente Räume, monovalente und polyvalente Landschaften: Polyvalente Landschaften und Teillandschaften umfassen polyfunktionale Nutzungen. Das bedeutet: Dieselbe Fläche unterliegt mehreren sozialen sich materialisierenden bzw. symbolischen Verwendungen, polyvalente Landschaften sind charakteristischerweise simultane Räume. Beispiele reichen von der mit Windkraftanlage versehenen landwirtschaftlichen Fläche bis hin zur Rütli-Wiese oder zur Golden Gate Bridge. Monovalente Landschaften und Teillandschaften sind durch ihre Monofunktionalität charakterisiert. Solche monofunktionale Bedeutung findet sich im städtischen (Banken-City, Einkaufs-City), im suburbanen Raum (Gewerbegebiete, Wohngebiete) wie auch im ländlichen Raum (Forste, landwirtschaftliche Flächen, musealisierte Dörfer). Nonvalente Räume und Teilräume sind gesellschaftssystemisch überflüssig, sie unterliegen weder einer materialisierten noch einer symbolischen Verwendung. 156 Die auf modernistischen Prinzipien der Eindeutigkeit und Reinheit beruhenden funktionalen Normen der räumlichen Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit, von Erwerbsarbeit und NichtErwerbsarbeit, spezialisierter und durch Wände und Türen getrennter Zimmer, von Männerrollenset und Frauenrollenset tragen dabei durchaus erhebliche ambivalente Züge (Häußermann/Siebel 2000): Die Beschränkung der Frau auf die Privatsphäre, in der Rolle als Hausfrau und Mutter, impliziert in Verbindung mit dem erschwerten bis verwehrten Zugang zur Sphäre der Öffentlichkeit ein Ausgeliefertsein gegenüber dem Ehemann, dessen Dimensionen sich ± aufgrund der strukturierten Gliederung der modernen Wohnung ± gegenüber Gästen und selbst eigenen Kindern als intransparent erweisen können.
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Herrschaft einer objektivierten Zeit: Uhren, Glocken und Werkssirenen, die den lebensweltlichen Rhythmus von Arbeitern, Angestellten und Händlern, losgelöst von religiösen Bedeutungen und natürlichen Bezügen bestimmten, definierten ein chronologisches Netz des Städtischen, das sich zunehmend über die Grenzen der Städte hinaus erstreckte. Die feste Struktur von Fahrplänen unveränderlicher Fahrtrouten zu festgelegten Fahrpreisen bedeutete eine Objektivierung und damit Vereinheitlichung ± von prinzipiell subjektiven Konstruktionen ± von Zeit und Raum (Harvey 1990 und 1991) mit dem Zweck, ÄDisziplin zu fabrizieren, Zwänge aufzulegen, Gewohnheiten auszubilden³ (Foucault 1976: 122)157. Ein wesentliches Element modernistischen Bezugs zu Räumlichkeit war die Hegemonie einer Konstruktion eines von subjektiven konstitutiven Bezügen unabhängigen, objektiven und funktionalen Raumes. Von zentraler Bedeutung einer modernistischen (für objektiv) gehaltenen Raumstruktur ist die Trennung von Orten der Produktion und der Reproduktion. Wesentliche Tendenzen fordistischmoderner Entwicklungen der angeeigneten physischen Landschaft lassen sich gemäß Meckelein (1965) durch drei Tendenzen charakterisieren: Erstens, der Tendenz zur Konzentration, die sich einerseits in der globalen Verstädterung äußerte, andererseits auch im agrarischen Bereich durch die Rücknahme der Kulturflächen. Zweitens, der Tendenz der Differenzierung und damit Spezialisierung, die sich neben einer ÄCitysierung³ (Meckelein 1965: 418; vgl. Hugill 1995) der Städte auch in der Herausbildung monofunktionaler Orte (Industriesiedlungen) und im ländlichen Raum in Entmischungsvorgängen äußerte. Drittens, der Tendenz zur Mobilisation, die durch neuzeitliche Wanderungen der Bevölkerung, besonders in Form des Pendlerwesens geprägt sei, was mit dem damit rückgekoppelten Ausbau technischer Infrastruktur (in Form von Autobahnen, Eisenbahntrassen u.a.) verbunden war (vgl. Zeller 2002). Der modernistische Funktionalismus in Architektur, Stadtplanung und Raumordung symbolisiert Ädie imaginären, weil anscheinend natürlich durch normative Trennungen geprägten Beziehungen der Individuen zu realen, unabdingbar arbeitsteilig miteinander verknüpften Lebensbedingungen³ (Prigge 1991: 105; siehe auch Ellin 1999). Das modernistische Denken manifestiert sich in einer normativen funktionalen Hierarchisierung der Orte, der planerischen Zuweisung bzw. Zulassung von Funktionen und Einrichtungen ± besonders deutlich trat das exklusivistische Denken dort physisch- und symbolisch-räumlich zutage, wo ein autokratisches Regime ohne Bindung an Gewaltenteilung und -hemmung die funktionalistischen Prinzipien durchsetzen konnte wie bei der Besatzung Ostmittel- und Osteruropas durch Nazi-Deutschland (vgl. Körner 1995 und 2005a, Fehn 1999). Der physische und symbolische Raum dieses fordisti157 Nassehi (1999: 57) bezeichnet die Zeit der Moderne als Macht, Ägegen die kein Kraut gewachsen ist, die weder angehalten noch umgekehrt werden kann³.
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schen Prinzips ist gekennzeichnet durch seine Serialität, Fraktionalität, Diskontinuität, Parzellierung, Zellenförmigkeit und Irreversibilität (Prigge 1991): Er besteht aus einer Reihe von Distanzen, Lücken und Fraktionierungen, aus Einfriedungen und Grenzen, weniger aus Rändern, aber er hat keine abschließende Begrenzung, da der kapitalistische Arbeitsprozess prinzipiell durch seine globale Ausdehnbarkeit definiert ist. Die fordistische Modernisierung der Stadt implizierte eine fundamentale Umgestaltung der Lebenswelt ihrer Bewohner, die Stadtbewohner wurden zwangsurbanisiert (Kühne 2008), indem sie dem modernistischen Prinzip der Funktionstrennung unterworfen wurden (Prigge 1991: 107): ÄIm Prozess der Modernisierung breiten sich die industriellen Prinzipien der betrieblichen Organisation von Zeiten und Räumen über das die Stadt bestimmende Dreieck Fabrik, Villa, Arbeitersiedlung hinaus aus, erfassen tendenziell die gesamte Gesellschaft und nivellieren die in Urbanität und Proletariat gespaltene Klassenstruktur der bürgerlichen Stadt³158.
Das das Prinzip der Subsistenz ablösende Prinzip des monetären Warentauschs bedeutete im Gefolge der Trennung der Rollen von Ernährer und Hausfrau, die durch eine Äsentimentale Auffüllung des innerfamiliären Bereichs³ (Weber-Kellermann 1976: 107) verbunden waren, eine doppelte Abhängigkeit: für die Frauen die Abhängigkeit und Unterdrückung durch die Männer und für die Männer wiederum die Abhängigkeit vom (Welt-)Markt (Schneider 1989, vgl. BennholdtThomsen 1983 und 1987, Häußermann/Siebel 2000). Dem Prinzip der Funktionstrennung unterlag auch die Separation militärisch genutzter Anlagen: Sie wurden aus dem besiedelten Kontext weitgehend entfernt und an Stadtränder oder in ländliche Räume verbannt, wo sie sich auch der Ääußerlich immer mehr der Landschaft³ (Warnke 1992: 75) anglichen und somit den Blicken einer verstädterten Bevölkerung zunehmend entzogen. Dadurch verschwand auch ein Machtsymbol des früh- und vormodernen Staates ± sie waren aufgrund der Umwandelung von Außen- in Innenzwänge im Prozess der Zivilisierung der Gesellschaft (Elias 1992) auch überflüssig geworden, auch wenn die Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen infolge der Übernahme fordistischer Prinzipien in 158
Mit der Ausgrenzung von nicht zur Kleinfamilie gehörenden Personen (wie Gesinde und entfernte Verwandte) aus dem Haushalt ging eine marktförmige Regelung personenbezogener Dienstleistungen und eine sukzessive Technisierung des Haushaltes (Gasherd, Küchengeräte, Waschmaschinen) einher. Durch Schulpflicht, gesetzliche Regelungen der Arbeitszeiten und Versicherungen veränderte sich der funktionale und strukturelle Zusammenhang der Familie: Die Modernisierung brachte neben einem gesellschaftlich oktroyierten Zeitregime in Rückkopplung mit den technischen Veränderungen die Differenzierung von Rollen als Vater, Mutter, Kind, Erwerbstätiger, Hausfrau, Rentner etc. hervor und formte die an Rollen und normativen Mustern der Lebensweise ausgerichteten Normalbiografien (Häußermann/Siebel 2000).
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das Militärwesen immer mehr Menschenopfer forderte und dieses in der angeeigneten physischen Landschaft in Form von nach fordistisch-geometrischen Mustern angelegten Soldatenfriedhöfen als Symbole für Ädas serielle Sterben³ (Warnke 1992: 76) manifestierten. Fordistische Prinzipien der Modifikation des physischen Raumes finden sich nicht allein in dicht besiedelten Räumen, sie griffen (und greifen) in dünn besiedelte physische Räume über und produzieren spezifische angeeignete physische Landschaften. Das exklusivistische Projekt der Moderne machte Stadt und Urbanität zur allgemeinen Norm der Gesellschaft. Ländliche Lebensweisen wurden als provinzialistisch, hausbacken und veraltet und gegenüber der urbanen Hochkultur kulturell minderwertig klassifiziert (vgl. Krabbe 1989, Henkel 1996, Ipsen 2000, Kühne 2005a). Der Bedeutungsverlust des (vormals) Ländlichen manifestiert sich in Ausdrücken wie Ãstrukturschwacher Raum¶ oder ÃAusgleichsraum¶ für städtische Entwicklung (vgl. Henkel 1996) und erhält in dem Stigma Äder Rückständigkeit des ländlichen Raumes³ (Henkel 1996) durch Urbanisierung des ländlichen Raumes (vgl. Lefèbvre 1972b, Häußermann/Siebel 1994, Hauser/Kamleithner 2006) eine quasi normative Funktion. Auf Grundlage des sich entwickelnden transnationalen Handlungsrahmens der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurden Förderprogramme der Rationalisierung der Landwirtschaft mit dem Ziel der Sicherung der Nahrungsmittelerzeugung, Arbeitskräfte für die städtische Ökonomie zu generieren und der Angleichung der Einkommenssituation der ländlichen an die städtischen Regionen aufgelegt159. Dieses bis in die 1980er Jahre vorherrschende Prinzip der Ädritten agrarischen Revolution³ orientierte sich an folgenden Handlungsnormen (Fink-Kessler/Häpke 1995): Senkung der Stückkosten, Substitution des Produktionsfaktors Arbeit durch den Produktionsfaktor Kapital, Steigerung der Arbeitsproduktivität und Senkung der realen und nominalen Erzeugerpreise. Das auf rationeller Arbeitsteilung basierende moderne Akkumulationsregime ± für industrielle Fertigungsprozesse entwickelt ± wirkte also auch im primären Wirtschaftssektor ± und somit auch in den eher ländlich strukturierten Räumen: Neben der rationellen Landwirtschaft auf flurbereinigten Großblockfluren und in Großställen mit verfahrensoptimierter Milch-, Eier- bzw. Fleischproduktion zeugt auch die Einführung der Altersklassenwirtschaft im Forst von den fordistischen Modernisierungsbemühungen außerhalb der industriellen Zentren (vgl. Beck 1996, 2003 159
Das Ziel der Angleichung der Einkommenssituation ist in besonderer Weise symbolhaft für das exklusivistische Prinzip der fordistischen Moderne: Das in den ländlichen Räumen auf Landbesitz, Familienzugehörigkeit und über Generationen tradierte Ortsansässigkeit weit verbreitete Statussystem wurde normativ ± quasi qua EWG-Verordnung ± durch das auf Einkommen und Freizeitaktivitäten basierende Statussystem der nivellierten Mittelschichtgesellschaft (Schelsky 1965) unterminiert (vgl. Henkel 2004, Kühne 2006d).
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und 2005, Kühne 2005a). Die Umstellung der Energieversorgung auf fossile Energieträger bedeutet eine weitgehende physisch-landschaftliche Invisibilisierung der Primärenergiegewinnung. Lediglich punkt- (Kraftwerke) und linienhaft (Stromleitungen) werden Energietransformation und -transport physischlandschaftlich erfahrber160. Darüber hinaus bedeutete die fordistische Modernisierung der StadtLandbeziehungen eine zunehmende ökonomische Abhängigkeit des Landes von der Stadt: Ländliche Räume werden zu Rohstoffproduzenten ± für die in die Nähe der städtischen Kundschaft verlagerten Veredelungsbetriebe (wie. Schlachthöfe und Molkereien) ±, zu nach Skalenvorteilen errichteten Energielieferanten (durch Talsperren, die auch der Sicherstellung der Transportfunktion von Flüssen und Kanälen dienten161; vgl. Blackbourn 2007), Entsorgungsräumen (z.B. durch Abfalldeponien) und Fertigwarenabnehmern, selbst von agrarischen Produktionsmitteln. Die fordistische Rationalisierung der Landwirtschaft bedingte neben der zunehmenden Abhängigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe von industriell gefertigtem Saatgut ± Schneider (1989: 77) nennt dies eine innere Kolonisation, da aus ÄBauern abhängige Vertragslandwirte gemacht³ würden ± auch eine Rationalisierung der ländlichen angeeigneten physischen Landschaft (Burckhardt 1977a: 29): ÄNach amerikanischem Vorbild wurden Jahrhunderte alte Traditionen und Wirtschaftsweisen in Frage gestellt und die Landwirtschaft bis hinein in die Lebensweise des Bauern neu gestaltet³. Diese Durchsetzung des fordistischen Akkumulationsregimes im ländlichen Raum bedeutete selbst für die Landwirtschaft treibenden eine Urbanisierung der Lebensweise (Burckhardt 1977a: 29): ÄWas der Hof nicht hervorbringt kauft die Bäuerin wie die Städterin im Laden³. Rückgekoppelt mit der Urbanisierung der Lebensweisen ist eine Verstädterung der ehemaligen Dörfer, die durch Gebietsreformen zu (Verbands-)Gemeinden zusammengefasst und zu unselbständigen Ortsteilen degradiert wurden162, sodass die Eigenentwicklung de facto auf die Wohnfunktion beschränkt 160
Eine ähnliche Situation entsteht auch in den Haushalten. Mussten vormals Öfen und Herde in den Wohnräumen von Hand bestückt werden, übernehmen nun weitgehend automatisierte Zentralheizungen die Primärenergiezufuhr. Eine sensorische Wahrnehmbarkeit des eigenen Energieverbrauchs ist somit nicht mehr möglich. 161 Bei der Nutzung von Talsperren für unterschiedliche Zwecke wird die Dominanz städtischer Interessen gegenüber ländlichen besonders deutlich: Das Ziel der Versorgung der Landwirtschaft wurde regelmäßig (mit wenigen Ausnahmen) gegenüber der Produktion von elektrischem Strom, der Aufrechterhaltung der Schiffbarkeit der Flüsse bzw. dem Hochwasserschutz zurückgestellt (Blackbourn 2007). 162 Das mit den Gebiets- und Verwaltungsreformen verbundene Ziel, eine effiziente Administration zu schaffen, konnte in ländlich strukturierten Regionen nicht erreicht werden: Die fachlich wie personell vielfach gering ausgestatteten Kommunalverwaltungen beschränken ihre Tätigkeit häufig auf
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blieb, zu konstatieren: Bürgersteige, Peitschenlampen, Vorstadtgärten, Verrohrungen und Begradigungen der Bäche lassen sich ebenso als physische Manifestationen modernistisch-exklusivistischen Denkens interpretieren wie auch die Modernisierung ehemaliger Bauernhäuser mit Eternitverkleidung, Aluminiumfensterrahmen und -türen und Glasbausteinen und die aus den monofunktionalisierten ländlichen Siedlungen gedrängten Aussiedlerhöfe, die aussehen Äwie Fabrikhalle plus Einfamilienhaus³ (Ipsen 2000: 142; vgl. Quasten 1997a, Stiens 1999 und Abbildung 18). Das Ergebnis der fordistischen Moderne für die ländlichen angeeigneten physischen Landschaften charakterisiert Jirku (2006: 63) knapp: ÄBauernhöfe wurden zu Agrarfabriken, die Landwirtschaft wurde rationalisiert und industrialisiert, was zu ausgeräumten Landschaften geführt hat³. Diese Entwicklung symbolisierte eine Befürwortung des modernistischen Prinzips der Arbeitsteilung, der Massenproduktion, des Konsumentenhaushaltes unter Verachtung der Subsistenzökonomie und Ablehnung des Handwerks (Ipsen 2006). Die Nebenfolgen der von durch den wirtschaftsliberalen Ansatz dominierten Agrarökonomie (Ganzert 1996) begründeten Rationalisierungen, Intensivierungen und Spezialisierungen der Landwirtschaft; dies bedeutete eine Zunahme der Umweltbelastung mit Auswirkungen für die angeeignete physische Landschaft (vgl. z.B. SRU 1985, Bauer 1994, Job 1999, Dreibrodt/Bork 2006): Die Ausbringung von Stickstoffdünger, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts Leguminosen, Salpeter und Guano als Stickstofflieferanten verdrängt hatten, und Gülle auf den landwirtschaftlichen Flächen hatte eine Nitratanreicherung, insbesondere des Grundwassers zur Folge, wodurch u.a. Trinkwasserbrunnen geschlossen werden und die Trinkwasserförderung in weniger belasteten Regionen intensiviert werden musste, mit der Folge der Grundwasserabsenkung und Veränderung der Vegetation in diesen Gebieten, der Einsatz von chemisch-synthetischen Stoffen (wie Herbiziden, Insektiziden und Fungiziden) und deren Konzentration in den Endstufen der Nahrungsketten, was direkt und indirekt mit einer Verringerung der Artenvielfalt auf den landwirtschaftlichen Flächen und darüber hinaus verbunden war, die Entstehung insgesamt negativer Energiebilanzen163 bei der Produktveredelung, insbesondere im Bereich der Massentierhaltung,
standardisierbare Pflichtaufgaben, selbst die Bauleitplanung ± wesentliches Kernelement der kommunalen Selbstverwaltung ± wird an freie Planungsbüros externalisiert. 163 Dies bedeutet, dass bei der Erzeugung von Lebensmitteln durch den Einsatz technischer Geräte, von Produkten, die auf dem Einsatz technischer Geräte beruhen (Düngemittel, Pestizide) und der ineffizienten Umwandlung pflanzlicher Produkte in tierische mehr Energie verbraucht wird als entsteht.
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die generelle Zunahme der Bodenerosion durch die Vergrößerung landwirtschaftlicher Schläge mit einheitlicher Bewirtschaftung, insbesondere durch den Anbau von Silomais.
Abbildung 18:
Die angeeignet-physisch-landschaftlichen Nebenfolgen der Anwendung des fordistischen Prinzips. Die Rationalisierung der Landwirtschaft ersetzte ± wie hier im französischen Aubrac ± die personal- und flächenintensive Weidehaltung durch eine rationelle und kapitalintensive Stallhaltung der Rinder. Die alten Höfe waren nun zu klein, wurden vielfach aufgegeben (wie der gewüstete Hof links im Bild zeigt) und durch fabrikhallenartige Ställe mit Einfamilienhaus (rechts im Bild) ersetzt. Die normative Vorstellung der Pariser Zentralregierung, dem Zentralmassiv ± verbunden mit dem Ziel, die als Ãgrüne Wüste¶ beschriebene angeeignete physische Landschaft zu attraktivieren ± neue ökonomische Potenziale zu eröffnen, äußert sich physisch in nun rund 30 Jahre alten, möglichst rechteckig konturierten Fichtenreinbeständen (wie rechts im Bild).
Durch die Massenmobilisierung wird in der fordistischen Ära die Suburbanisierung landschaftsprägend164,165. Diese Ausdehnung der Städte in ihr Umland weist zu den modernistischen Prinzipien des Exklusivismus und der Skalenvorteile ein ambivalentes Verhältnis auf: Einerseits stellt sie ein flächenhaftes physisches (und lebensweltliches) Eindringen der Stadt in den stadtnahen ländlichen Raum 164 Friedrichs (1995: 99) versteht unter Suburbanisierung die ÄVerlagerung von Nutzungen und Bevölkerung aus der Kernstadt, dem ländlichen Raum oder anderen metropolitanen Gebieten in das städtische Umland bei gleichzeitiger Reorganisation der Verteilung von Nutzungen und Bevölkerung in der gesamten Fläche des metropolitanen Gebietes³. 165 Hauser und Kamleithner (2006: 20) verdeutlichen die konstitutive Bedeutung der Massenmobilisierung für die Suburbanisierung, indem sie feststellen, dass Äohne die Automobilisierung die heutigen Agglomerationen nicht zu verstehen³ seien.
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dar ± und vollzieht somit die Norm des Städtischen ± andererseits widerspricht die durch einzelne Bauherren getragene Suburbanisierung dem modernen Prinzip der Einheitlichkeit, indem deutliche Anleihen nicht-städtischer Architektur mit dem Wunsch nach persönlicher Entfaltung (ein urbanes Prinzip) in einem ruhigen Umfeld und angenehmer Landschaft kombiniert werden (vgl. Spellerberg 2004)166, während eine Suburbanisierung nach Bauträgermodus dem Prinzip modernistischer Einheitlichkeit mit ihrer vielfachen Verwendung eines globalisierten Bungalow-Prinzips deutlich näher kommt (King 1984). Einerseits ist die Ästhetik der suburbanen Neubaugebiete (sofern sie nicht einheitlich entwickelt sind) von global orientierten Mustern geprägt, andererseits orientiert sich die vielfach vor Ort entwickelte Vielfalt der unterschiedlichen (allerdings normierten) Formensprachen nicht an der modernistischen ästhetischen Norm (im Sinne von Illing 2006)167 der Einheitlichkeit und dem lokalen (aber wiederum überlokalen) Skalenvorteilskalkül. Wie kaum ein anderes Element der Krise des Fordismus symbolisiert aus seinen Prinzipien erwachsende Umweltproblematik den Druck einer Veränderung des Akkumulationsregimes. Ein wesentliches Charakteristikum des fordistischen Umgangs mit der (natürlichen) Umwelt lag in ihrer exzessiven Inanspruchnahme als Konsumgut, als Produktionsmittel, als Produktionsstandort und zur Aufnahme von Schad- und Reststoffen168. Bedingt durch die ± aus der Norm der Skalenvorteile erwachsende ± Errichtung möglichst großer Produktionseinheiten entstanden sogenannte hot spots der Umweltbelastung der unterschiedlichen Umweltmedien. In der angeeigneten physischen Landschaft äußerte sich ein solcher Umgang mit der natürlichen Umwelt in Form von erheblichen Abweichungen von einem potenziell natürlichen Zustand: Schädigungen des Bodens durch den Eintrag von Säuren, Schwermetallen, Salzen und anderen Schadstoffen bewirkten die Veränderung der Vegetationszusammensetzung, aber auch der Nutzungsmöglichkeiten durch den Menschen; Tagebaue, Bergehalden, Mülldeponien, Siedlungsexpansionen, Zerschneidungen durch den Aufbau technischer Infrastruktur, Kahlschläge in der Forstwirtschaft, Großkraftwerke, Hüttenstandorte u.a. bedeuteten eine tief greifende Wandlung der angeeigneten physischen Landschaft (siehe hierzu Radkau 2000). 166
Becker (1997) wie auch Kühne (2006d) weisen empirisch nach, dass ein wesentlicher Anteil der Attraktivität des Eigentums eines Einfamilienhauses in weniger dicht besiedelten Räumen in der geringeren notwendigen Rücksichtnahme auf Nachbarn, insbesondere bei Feiern, begründet ist. 167 Illing (2006: 85) versteht unter einer ästhetischen Norm Äeine im kollektiven Bewusstsein vorhandene Regel des Ästhetischen, die Anspruch auf allgemeine Geltung erhebt³. 168 Diese exzessive Nutzung der Umwelt in der fordistischen Moderne lässt sich sowohl hinsichtlich der Entnahme von Rohstoffen (vor allem für ökonomische Prozesse), der Ausdehnung von gesellschaftlich (insbesondere ökonomisch) genutzten Flächen, der Entsorgung von Reststoffen und verbrauchten Gütern wie auch in dem Ignorieren von natürlichen Limitfaktoren feststellen.
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Die Umgestaltung der angeeigneten physischen Landschaft nach modernistischen Prinzipien bedeutete infolge der Ausrichtung auf die Prinzipien der Skalenvorteile und der Funktionstrennung eine deutliche Verringerung der Zahl der wahrgenommenen Elemente ± bei zwar prinzipiell möglicher, aber aufgrund der großen Dimension der einzelnen Elemente letztlich doch geringen Vielfalt der Elementtypen sowie einer stark geordneten Anordnung der Elemente ± sowie eine erhebliche Verringerung des Attraktiven der angeeigneten physischen Landschaft (vor dem Hintergrund der Komplexitätshypothese, siehe Abschnitt 3.3.4.1). 4.1.6 Angeeignete physische Landschaft in der Postmoderne Der Übergang vom modernistischen exklusivistischen Denken zum postmodernen inklusivistischen Denken manifestiert sich auch in der angeeigneten physischen Landschaft: Bestand das Ziel der Moderne darin, räumliche (bzw. landschaftliche) Monovalenzen durch Funktionstrennung und exklusive Raumnutzungen zu schaffen, hat die Postmoderne dieses Ziel zugunsten einer toleranten Haltung gegenüber räumlichen (und landschaftlichen) Polyvalenzen und räumlichen (wie auch landschaftlichen) Patchworks aufgegeben169. Bedeutete die Industrialisierung bereits eine Lockerung der ökonomischen Flächenbindung, ist der physisch-räumliche Bezug der postmodernen Ökonomie in hohem Maße durch Kontingenzen geprägt: Arbeitet die vormoderne Landwirtschaft mit der Fläche und die Industrie der Moderne auf der Fläche, können Dienstleistungen in einer vernetzten Welt nahezu ubiquitär erzeugt werden ± und zudem sind ihre Flächenansprüche vergleichsweise gering (Kühne 2006a). Eine Veränderung der Raumbeziehung zwischen fordistischer Moderne und Postmoderne vollzieht sich auch in der Präsenz militärischer Anlagen in der angeeigneten physischen Landschaft: Hatte die exklusivistische Funktionstrennung der fordistischen Moderne zu großen militärischen Anlagen und militärisch dominierten angeeigneten physischen Landschaften (insbesondere in Form von Truppenübungsplätzen) geführt, wandelt sich der räumliche Bezug des Militärs aufgrund der gewandelten globalen rekonstruierten Bedrohungsmuster. Die infolge der Aufhebung des globalen Blockgegensatzes und des Bedeutungsgewinns globalisierter regionaler Konflikte und scheinbar kulturell begründeter 169
Mit der Perforierung ehemals geordneter, funktionaler Eindeutigkeitsräume durch selektive Wachstums- und Schrumpfungsprozesse geht auch eine Veränderung des Verständnisses von Freiräumen einher: ÄFreiräume können nicht mehr als ÃReservate¶ einer Nutzungsart begriffen werden. Sie sind eher als ÃVermittlungszonen¶ zu begreifen: Hier sind Räume und Nutzungen, Nutzer und Interessenten, Funktionen und Bedeutungen sehr unterschiedlicher Art untereinander in Beziehung zu bringen³ (Selle 1997: 93).
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Motivlagen kriegerischer und sub-kriegerischer Auseinandersetzungen zurückgehende Bedeutung großer, mit standardisierter Waffentechnik ausgestatteter Armeen zugunsten kleiner, flexibler und hoch spezialisierter Einheiten impliziert auch Folgen für die angeeignete physische Landschaft: Große Militärgelände werden vielfach aufgegeben und zivilen Nutzungen bzw. der natürlichen Sukzession überlassen. Macht wird somit in der Postmoderne immer weniger im physischen Raum manifest symbolisiert ± sie emergiert vielmehr mit Wissen inkorporiert in sozialen Beziehungen ±, der Wille der Herrscher ist zum Willen der Beherrschten selbst geworden (Foucault 1977). Das polyvalente postmoderne Raumpastiche wird jedoch stark von Kontingenzen und Zufälligkeiten bestimmt: ÄDie Stadtentwicklung erfolgt an quasi zufälligen Standorten. Im Prinzip können alle Standorte gewählt werden, da sie durch Datenautobahnen miteinander verbunden sind³ (Dear 2005: 34). Es entstehen neue Siedlungsformen, die weder mit der dichotomen Konstruktion von Stadt und Land noch ± aufgrund ihrer hohen Dynamik ± durch einheitliche Gebiets- und Verwaltungseinheiten fassbar sind und deren wissenschaftliche und raumplanerische Bezeichnung hochgradig fluktuierend ist: Begriffe wie Metropolregionen170, Edge Cities171, Städtenetze172, Zwischenstadt173, Stadtlandschaft, schrumpfende Städte174 und kooperierende Zentren175 sind einerseits Ausdruck 170 Metropolregionen sind ± so BMVBS (2006: 10) ± Regionen in denen sich Äeuropäisch und global bedeutsame Steuerungs- und Kontrollfunktionen, Innovations- und Wettbewerbsfunktionen, Gateway- und Symbolfunktionen³ (wie die Bündelung ökonomischer und politischer Steuerungsfunktionen, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, eine gute Erreichbarkeit sowie historische Bausubstand und hohes internationales Ansehen) bündeln. 171 Der Begriff der Edge City wurde von Garreau (1991) geprägt. Als Edge Citys werden große, multifunktionale Zentren beschrieben. Ihre zentralörtliche Ausstattung ist jener eigenständiger Städte hinsichtlich ihres Angebotes an Arbeitsplätzen, Wohn-, Freizeit- und Einkaufsinfrastruktur vergleichbar, allerdings verfügen sie über keinen eigenständigen politischen Rechtsstatus. 172 Städtenetze sind ± wie Priebs (2000: 52) feststellt ± vom ÄGeist der Partnerschaft und Freiwilligkeit³ geprägt. Die charakteristischen Projekte der Stadt- und Regionalentwicklung durch Städtenetze sind gemeinsame Marketingstrategien und gemeinsame Flächenkonzepte. 173 Thomas Sieverts charakterisiert die Zwischenstadt als die ÄStadt zwischen den alten historischen Stadtkernen und der offenen Landschaft, zwischen dem Ort als Lebensraum und den Nicht-Orten der Raumüberwindung, zwischen den kleinen örtlichen Wirtschaftskreisläufen und der Abhängigkeit vom Weltmarkt³ (Sieverts 2001: 7). Eine genauere Betrachtung der Implementierung der Zwischenstadt erfolgt in Abschnitt 5.1.3 (Soziale Distinktion von Landschaftsexperten und die Ästhetisierung des Alltäglichen ± die Ästhetik des Zwischenstädtischen). 174 Der Begriff der Schrumpfung bezeichnet ± so Doehler-Behzadi (2005) ± den Zusammenhang zwischen natürlichen Bevölkerungsverlusten, Alterung, Wanderungsverlusten und die Folgen für die baulich-räumlichen und sozialen Strukturen wie auch die Infrastrukturen in den Städten und Regionen. 175 Bei kooperierenden Zentren handelt es sich um zentrale Orte, deren Ausstattung komplementär ist und die somit gemeinsam einen höheren Zentralitätsgrad erreichen als sie ohne Kooperation innehätten.
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der Vielfalt der Entwicklung von physischen und sozialen Räumen, andererseits auch der Schwierigkeit wissenschaftlicher und raumordnerischer Begriffsbildung hinsichtlich der Erfassung postmoderner Raumstrukturen und -funktionen. Die Frage, ob und inwiefern eine soziale Fokussierung von Funktionen und der Zuschreibung ästhetischer wie lebensweltlicher Qualitäten im Kontext der postmodernen Stadtlandschaft ± vor dem Hintergrund der Parallelität des Cyberspace ± gelingt, Äentscheidet darüber in welcher Dimension städtische postmoderne Agglomerationen innerhalb der verkümmernden Nationalstaaten gleichsam eine Enklave³ (Ellrich 2002: 99) technischer, wissenschaftlicher und kultureller Kreativität bilden. Dabei setzten sich diese Agglomerationen aus einem Raumpastiche von Zentren der ÄOrganisation der herrschenden Eliten³ (Castells 1994: 129), deren Herrschaft auf ihrer Dominanz bzw. Monopolstellung bei der Akkumulation und Verarbeitung von Wissen aufbaut, sie also als Wissenseliten gedacht werden können (Weiß 2006: 14), der ÄMesosphäre, in der sich das funktionsnotwendige Personal aufhält³ (Ellrich 2002: 99) und der ÄPeripherie, in der die Gescheiterten und ethnischen Migranten nach Nischen oder Aufstiegschancen suchen³ (Ellrich 2002: 99), zusammen ± jeweils mit einer Vielzahl von Binnendifferenzierungen (vgl. Kühne 2006a). Gerade die durch die Konzentration globaler Steuerungsfunktionen aus dem Feld der Metropolen herausgehobenen Global Cities sind sozial und kulturell Äsegmentiert, fragmentiert, dezentralisiert,
Abbildung 19:
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Ein Beispiel für den Versuch eines postmodernen Ausbruchs aus der funktionalistischen Einförmigkeit suburbaner Landschaft: ein eklektizistisches Wohngebäude in Kirkel/Saar.
amorph und außergewöhnlich vielfältig in Fragen der Kultur, der Politik und des Lebensstils³ (Soja 1993: 224; vgl. auch Dear/Flusty 1998, Soja 2000, Dear 2000 und 2005, Basten 2005). Neben den verorteten Lebenswelten der ökonomischen Eliten der central business districts, der shopping malls, der gated communitys und Appartmenthochhäuser in bester (weil einen hohen Sozialstatus symbolisierenden und somit teuerer) Lage finden sich die (häufig stigmatisierten) Quartiere der Verlierer des globalen Wettbewerbes (Sorkin 1992, Soja 1989, 1993 und 1994, Dear 2005). Personen also, die in ungeschützten Arbeitsverhältnissen der ± häufig bereits globalen ± Konkurrenz um gering qualifizierte Dienstleistungsbeschäftigungen ausgesetzt sind. Im Zuge der Entbettung (dis-embedding), des Heraushebens aus den tradierten und in ihrer Örtlichkeit gebundenen Interaktionszusammenhänge, die im Zuge der Ausprägung einer Weltgesellschaft mit einer Auflösung örtlicher Bezüge des Menschen führen (siehe Giddens 1995), entwickelt sich aber auch eine Neudefinition des Lokalen in der Postmoderne: Mit der Rückverortung (reembedding) im lokalen Kontext ist der Mensch bemüht, die Globalisierungstendenzen zu kompensieren: Er reduziert die weltgesellschaftliche Komplexität durch eine verstärkte Fokusverschiebung der Beobachtung auf Lokales und Bekanntes (Kühne 2005a): Heimat, Vertrautem und Gemütlichem wird eine stärkere Bedeutung zugewiesen. In städtischen wie in ländlichen Kontexten erfolgt eine Rückbesinnung auf vorfordistische Formensprachen und eine Abkehr vom städtebaulichen und architektonischen Funktionalismus, den Siebel (2004: 19) als Äeine Ingenieursutopie [bezeichnet], die darauf baute, dass die Prinzipien der Natur (Licht, Luft, Sonne) und der Rationalisierung der Industriearbeit ausreichten, um eine gute Stadt zu errichten³. Gründerzeitliche Stuckfassaden, verspielte Elemente ± in der Moderne als ÃKitsch¶ stigmatisiert ± werden als ästhetisch rehabilitiert und als wichtige Elemente der Identifikation mit dem lokalen Kontext akzeptiert. Postmoderne Neubauten werden wieder mit funktionslosen Ornamenten versehen, teils als historische Stilzitate, teils mit einer neuen phantasiereichen Formensprache (Moulaert/Swyngedouw 1989), um in der vermeintlichen Gleichförmigkeit suburbaner Landschaften (sozial präformierte) individuelle Vorlieben zu inszenieren (vgl. z.B. King 1984, Jackson 1984 und 1990; Abbildung 19). Die Inszenierung des Historischen in Architektur, Städtebau und Dorfentwicklung in der Postmoderne bedeutet jedoch stets eine Simulation: Bei der Neuerrichtung von Gebäuden, Siedlungsteilen oder ganzen Siedlungen (insbesondere Siedlungen des new urbanism176) wird die Simulation einer stereotypen 176 Der New Urbanism versteht sich als bewusste Abgrenzung zu einer fordistischen Suburbanisierung und verfolgt sowohl städtebauliche als auch zivilgesellschaftlich-emanzipatorische Ziele: ÄEin an den Prinzipien der historischen Stadt orientierter Städtebau, so die Grundannahme, dient dem Kampf gegen den Zerfall der Gesellschaft, fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt, stimuliert
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Historizität besonders deutlich, hier werden historische Formensprachen mit an gegenwärtigen Bedürfnissen ausgerichteten (technischen Infra-)Strukturen verwendet, beispielsweise in der Kombination Viktorianischer Architektur und gleichzeitiger Ausrichtung der Straßen auf den motorisierten Individualverkehr (wie in Celebration im Umland Orlandos, USA).
Abbildung 20:
Die Inszenierung von Ruralität, hier in Wochern/Saar. Im Zuge eines gestiegenen Bedürfnisses nach lokaler Selbstvergewisserung erfolgt eine an historischen Vorbildern und deren Stereotypen orientierte Dorferneuerung. Letztlich handelt es sich hierbei um eine Simulation von Historizität zur Steigerung des Wohlbefindens: Die Bauernhäuser beinhalten lediglich eine Wohnnutzung, in der Kappelle werden nur noch in Ausnahmefällen Gottesdienste abgehalten, der Teich in der Dorfmitte dient nicht als Wasserreservoir für den Brandfall und die Dorfbrunnen nicht mehr dem Tränken des Viehs.
Weniger deutlich ist die Simulation des Historischen bei einer Stadtsanierung bzw. Dorferneuerung, die bestrebt ist, die fordistisch-modernistische Überformung von Gebäuden, Siedlungsteilen und Siedlungen durch eine an der präfunktionalistischen Formensprache orientierten Zustand zu beseitigen, um sie in einen (idealisierten bzw. stereotypen) Ausgangszustand zu transformieren. Ergibt die Simulation des Historischen bei der Neuerrichtung von Gebäuden, Siedlungsteilen oder ganzen Siedlungen auch eine sowohl zeitliche als auch örtliche die Nachbarschaft und erweckt den allseits beschworenen Wert der community zu neuem Leben³ (Bodenschatz 2002; Hervorh. im Original).
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Diskonstanz, ist die Rückführung von Gebäuden, Siedlungsteilen oder ganzen Siedlungen in einen vor-fordistischen Zustand zwar durch eine örtliche, nicht aber eine zeitliche Konstanz geprägt, da hier die Transformation von Gebäuden, Siedlungsteilen oder ganzen Siedlungen durch eine Form-Funktions-Distanz gekennzeichnet ist: Eine historisierende Form, die eine historische Nutzung (beispielsweise als Bauernhaus) suggeriert, beinhaltet eine nicht-historische Funktion (beispielsweise als Wohnhaus); wobei selbst die historische Formensprache bisweilen durch die Nutzung aktueller Materialien und Techniken (Doppelverglasung statt Kassettenfenster) erreicht wird (Abbildung 20). Besonders deutlich wird die Distanz zwischen Form und Funktion bei der Ästhetisierung altindustrieller Objekte: Funktionslos gewordene Objekte werden nicht etwa entfernt und die Flächen einer erneuten Nutzung zugeführt, sondern als historische Objekte erhalten und einer Inszenierung beispielsweise durch kontextfremde Ausleuchtung unterzogen (wie beispielsweise in den Fotografien von Bernd und Hilla Becher; Sander et. al. 1997; vgl. auch Hauser 2001a, Hel-
Abbildung 21:
Die Ästhetisierung des Profanen ist ein Charakteristikum der Postmoderne, hier in Neunkirchen/Saar. Teile des ehemaligen Eisenwerkes sind erhalten worden und werden einer nächtlichen Illumination unterzogen (Hochofen im Vordergrund), andere Teile wurde umgenutzt und beherbergen nun einen Vergnügungskomplex aus Kneipen, Restaurants und einem Kino (Wasserturm im Hintergrund). Zwei Beispiele des Umgangs mit dem Historischen in der Postmoderne: Inszenierung und Umnutzung statt Abriss (mehr hierzu: siehe Hauser 2001a).
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brecht 2003, Kühne 2008; siehe Abbildung 21), Objekte, die ansonsten als banal und nichts sagend zurückgewiesen würden, werden geläutert und aufgehoben, Äund zwar weder durch hartnäckiges Nachdenken noch durch die Flucht in eine Welt der bloßen Sinnesempfindung, sondern durch Schaffung einer neuen Erfahrung³ (Dewey 1988: 155; vgl. auch Ellin 1999). Zentren postmoderner Landschaftsbildung können dabei insbesondere Räume werden, deren Flexur von der Moderne zur Postmoderne besonders deutlich ausfällt (Kühne 2006a): In Altindustrierevieren stehen ökonomisch (nahezu) wertlos gewordene Flächen, Artefakte als ehemalige Nebenfolgen einer modernen Gesellschaftslandschaftsentwicklung ± Abfall aus modernistischer Sicht (vgl. Hauser 2001a) ± einer kulturierten, ästhetischen, reflexiven Inwertsetzung zur Verfügung (Beispiele sind das Ruhrgebiet, das saarländische Industrierevier oder auch das oberschlesische Industrierevier). In Global Cities steht das ökonomische Potenzial als Grundlagen für eine Valorisierung von Landschaft zur Verfügung, um differenzierten und reflexiven Umgang mit Landschaft zu ermöglichen (beispielsweise London, Paris oder Los Angeles). In den Machtzentren der Politik, in denen räumlich fixiert, die Grundlage für die Internationalisierung von Politik gelegt sind. Im Gefolge der Zentrierung internationaler politischer Macht erfährt verdichteter Raum eine neue polyvalente Inwertsetzung (wie beispielsweise in Brüssel). Die angeeigneten physischen Landschaften der Postmoderne sind geprägt durch die differenzierte Durchsetzung unterschiedlicher Machtfelder. Eine besondere Bedeutung hat dabei die verstärkte Durchsetzung des Ökonomischen gegenüber dem Politischen. Die zunehmende soziale und kulturelle Differenzierung trägt zu einer Patchworkisierung der Landschaft bei, die immer weniger durch vereinheitlichende Wirkungen als durch die jeweils örtliche Konstellation von Machtfeldern des Ökonomischen, des Politischen, des Sozialgemeinschaftlichen und des Kulturell-Treuhänderischen geprägt ist. Besonders aufgrund der steigenden Energiepreise vollzieht sich eine Wandlung der ökonomischen physischen Landschaft, auch in dünn besiedelten Räumen: In besonderer Weise durch die Errichtung von Windkraftanlagen wird die Erzeugung von (elektrischer) Energie wieder nahezu omnipräsent177. Die Integration dieser Objekte in die ehemals durch 177
Insbesondere die Errichtung von Windkraftanlagen unterliegt einer heftigen politischen und emotionalen Diskussion. Die innere Widersprüchlichkeit dieser Diskussion charakterisiert Brücher (2001: 21) folgendermaßen: ÄEinerseits ist man sich bewusst, dass die herkömmliche Art und Weise der Stromerzeugung nicht aufrecht erhalten werden kann, andererseits sind die Menschen verunsichert und dankbar für jedes noch so zweifelhafte Argument gegen die Windenergienutzung³. Wesentliche Aspekte der Ablehnung von Windkraftanlagen beziehen sich dabei auf die Veränderung der angeeig-
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die moderne Planung in Innenbereich und Außenbereich dichotomisierte gesellschaftliche und angeeignete physische Landschaft bedeutet eine erhebliche Herausforderung für die Entwicklung einer postmodernen Landschaftsästhetik. 4.2 Zur Konstitution der gesellschaftlichen Landschaften ± die Geschichte der Darstellung von Landschaft in der Kunst Die Rezeption künstlerischer Darstellungen von Landschaften lässt sich als Teil einer Vermittlung von Eindrücken in Form von Sekundärinformationen, die nicht dem unmittelbaren Wahrnehmungsfeld entnommen sind, beschreiben. Diese Rezeption insbesondere von gemalter, aber auch literarisch beschriebener Landschaft, hat, wie bereits weiter vorne angedeutet, einen erheblichen Einfluss auf die Konstruktion des Begriffs von Landschaft. Hinsichtlich der literarischen und malerischen Darstellung von Landschaft sind zwei Möglichkeiten der Erfassung denkbar. Am Beispiel der Dichtung verdeutlicht Neis (1978: 7) diese beiden Möglichkeiten: ÄDer Dichter taucht in die Fülle der realen Wirklichkeit ein, versenkt sich in unmittelbarer Begegnung in die erlebte Stadt oder Landschaft uns sublimiert sie im Sprachlichen, im dichterischen Wort, oder Stadt und Landschaft werden ihm zum Mittel der Darstellung seiner selbst, zu Zeichen und Chiffren, zu Symbolen, die das dichterische Ich als Ausdruck seines Inneren oder seiner Gedanklichkeit darstellen³.
Beide Darstellungsformen haben zur kulturellen Aneignung des Landschaftlichen ± zeitlich durchaus differenziert ± beigetragen. Dabei gestaltet sich die künstlerische Präsentation gegenüber der physischen Landschaft in der Regel als eindrücklicher. Bei der Betrachtung der physischen Landschaft nach Konsum ihrer inszenierten Version stellt sich häufig ein Gefühl der Enttäuschung ein (vgl. z.B. Vester 1993) ± in einem Äaus der Balance geratenen Verhältnis von Erwartungshintergrund und Erwartungshorizont³ (Paris 2003b: 53) stehen den wachsenden ± medial geprägten ± Erwartungen ein immer geringerer Kern verlässlicher Eigenerfahrungen gegenüber178.
neten physischen Landschaft, von Biozönosen, die Erzeugung von Lärm, Schattenwurf und Sonnenreflexion (vgl. Egert/Jedicke 2001, Portz 2003, Hoffstetter 2008). 178 So auch die, aufgrund der (insbesondere filmischen) Inszenierung des Grand Canyon erzeugte, enttäuschten Erwartungshaltung bei dessen Betrachtung mit der Errichtung einer gläsernen Brücke reagiert, um dem Bedürfnis der Besucher nach Befriedigung ihrer ÄÜberhoffnungen³ (Paris 2003a: 53) nachzukommen, deren Enttäuschung sich nicht mehr mit Ernüchterung, sondern mit Panik und Wut auf die Organisatoren von Besichtigungstouren zu äußern drohte.
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4.2.1 Zur Darstellung von Landschaften in der Vormoderne179 In der Kulturgeschichte entstand eine poetische Konstruktion von Landschaft erst allmählich. Nach ersten Anklängen in der ägyptischen, mesopotamischen und israelitischen Kultur begann die Befassung mit Landschaft auch in der griechischen Antike mit Verzögerung (Baridon 2006). So wurde in der griechischen Antike die poetische Befassung mit Natur und Landschaft durch die Mythologie zunächst gehemmt, entwickelte dann aber Äeine ansehnliche Naturpoesie deskriptiver und idyllischer Art³ (Anderle 1986: 7), die ± wenn auch weniger intensiv und hinsichtlich ihrer Empfindsamkeit weniger abwechslungsreich ± in der römischen Antike wilde Gegenden einschloss. Die griechische wie auch die römische künstlerische Befassung mit dem Thema Landschaft war jedoch auf arkadische Motive wie Gärten, Felder und mit Weinreben bestandenen Flächen beschränkt, wilde Natur blieb weitgehend unberücksichtigt (Appleton 1986). Zentrales Element dieser antiken Landschaftsbefassung war die Beschreibung des locus amoenus, dessen Mindestausstattung in einem oder mehreren Bäumen, einer Wiese sowie einer Quelle oder einem Bach bestand, zu denen Vogelgesang und Blumen wie auch ein Windhaus treten konnten. Eine Formel, die sich mit unterschiedlicher Intensität bis in die Gegenwart erhalten hat und sich zum ÄInbegriff antiker und moderner Daseinswonne³ (Curtius 1954, zit. nach Hard 1965: 29; vgl. auch Giacomoni 2007) entwickelt hat. Auch eine malerische Darstellung von Landschaft lässt sich bereits für die Antike dokumentieren. Die ÃEigenart¶ von angeeigneten physischen Landschaften wurde mithilfe der Benennung mit Universalcharakteren, wie sie in den Götternamen dargestellt waren, vorgenommen, so wurde von Landschaften gesprochen, in denen Äz.B. das Dionysische dominiert³ (Falter 1999: 176). Die Darstellung von Landschaften in der antiken Malerei erfolgte in der Regel in der Raumgestaltung in Form von in Ornamentbändern gerahmten Wandgemälden eingebunden: ÄDie weißgrundigen Landschaftsszenarien waren auf diese Weise in einen architektonischen Rahmen eingebunden, innerhalb dessen sie den Eindruck von kostbar gerahmten Bildern evozierten³ (Büttner 2006: 26). Antike Landschaftswandmalereien stellten Ideallandschaften und idyllische Orte, aber auch mythische Welten dar. Die mittelalterliche Poetik ± dominiert von Weltflucht und Naturverachtung des Christentums ± stellte angeeignete physische Landschaft entweder als dem 179 Im Rückgriff auf die ± im Zusammenhang mit dem Landschaftsbegriff der Ästhetik dargestellte (siehe Abschnitt 1.3.4.2) ± Theorie Joachim Ritters von Landschaft als Spezifikum der Neuzeit lehnt Renate Fechner (1986) die Anwendung des Begriffs der Landschaft auf die künstlerische Raumbefassung vorhergehender Epochen ab. Im Folgenden wird der Landschaftsbegriff jedoch als retrospektivische Konstruktion im Bewusstsein des heutigen, nicht jedoch zeitgenössischen Beobachters der künstlerischen Befassung mit Landschaft verstanden. In diesem Bewusstsein erscheint der Begriff der Landschaft auch für die Vorzeit angemessen.
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Teufel nahe dar, oder Äals dem Gott begnadeten Menschen unterworfene Materie³ (Anderle 1986: 7). Eine literarische Neubefassung mit dem Thema Landschaft setzte sich erst in der Renaissance durch (vgl. Brandt 2005, Baridon 2006). Ähnlich der Darstellung von Landschaft in der früh- und hochmittelalterlichen Malerei war auch jene in der Dichtung stark beschränkt (Curtius 1975 ± zuerst 1942): Die Darstellung beschränkte sich weitgehend auf den Wechsel der Jahreszeiten und war geprägt von einer stereotypen Symbolik insbesondere des düstereren Zwangs des Winters, dem die Befreiung des Frühjahrs gegenüberstand (vgl. auch Erb 1997). In der mittelalterlichen Malerei trat das Motiv der Landschaft gegenüber der Darstellung von Szenen aus der Heilsgeschichte, biblischen Historien, Heiligenlegenden und Sinnbildern der Glaubenslehre zurück. Dabei galt es als opportun, Ädem Göttlichen in Werken der bildenden Kunst Ausdruck zu verleihen³ (Büttner 2006: 36). In der mittelalterlichen ± religiös dominierten Kunst ± stellten Historienbilder, symbolische und allegorische Darstellungen und Zeichen immer wieder Jesus Christus als Erlöser und das durch ihn gewährte Heil und sein ewiges Reich dar; und Ädieses Reich der ewigen Seligkeit wurde dann nicht selten in das Bild einer paradiesischen Landschaft gefasst³ (Büttner 2006: 36)180. Was im frühen und hohen Mittelalter Malerei genannt wird, Äist nicht aus dem Bestreben erwachsen, eine bunte Seinswelt in ihrer Mannigfaltigkeit und in ihrem Beziehungsreichtum zu objektivieren, sondern die Heilsgeschichte der Menschheit und die Symbole ihrer Erlösung darzustellen³ (Böheim 1930: 82), wobei landschaftliche Elemente die Funktion der Vergegenwärtigung des Ortes des Geschehens aufweisen, wie beispielsweise Wasser und Flussufer bei Christopherus-Darstellungen (Erb 1997). Auch wenn die theologisch motivierte malerische Darstellung von Landschaften ± insbesondere als Kulisse ± die mittelalterliche Kunst dominierte, so wurde gegen Ende des Mittelalters zunehmend die Landschaftsmalerei zu weltlich-dokumentatorischen Zwecken eingesetzt. Die Landschaftsmalerei des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit bezog sich auf die Darstellung von Teilen des räumlich fixierten städtischen Einflussbereichs, also im mittelalterlichen Wortsinn: der Landschaft, zur grundbuchhaften Dokumentation, wodurch sich der Begriff der Landschaft auf das gemalte Bild ausdehnte181, wodurch sich im 180
Häufig ist das Motiv des Jesuskindes auf dem Schoß von Maria in einer paradiesischen Landschaft, die häufig von einem Goldgrund als Widerspiegelung des Paradieses überhöht ist, zu finden. 181 Hinsichtlich des poetischen Zugriffs auf das Thema Landschaft sieht Burckhardt (1977a: 21-22) eine Durchgängigkeit von den Anfängen der Semiotik der Landschaft in der okzidentalen Kultur bis zum Mittelalter: ÄDie römische Dichtung der Kaiserzeit nimmt den von Homer geschaffenen Kanon auf und transportiert die sizilianische Kulturlandschaft in ein halbgöttliches Nirgendwo: Arkadien. Das Mittelalter nimmt den so etablierten Schatz der Anordnungen auf und verfestigt die Requisiten der Quelle, des schattigen Baumes, des Röhrichts, aus welchen der Hirte die Flöte schneidet, und der mittags schlafenden Herde, die so friedlich ist, dass selbst der Löwe ihr nichts antun will³.
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Landschaftsgemälde Änichts anderes als der Besitzerstolz und die Beschränktheit des Landinhabers³ (Warnke 1992: 65) widerspiegelten182. 4.2.2 Zur Darstellung von Landschafen in der beginnenden Moderne Im Verlauf des 16. Jahrhunderts Äwar die Reise nach Italien zu einem festen Bestandteil der Ausbildung nordalpiner Künstler geworden³ (Büttner 2006: 125). Die dort wahrgenommenen angeeigneten physischen Landschaften manifestierten sich in dem Entwurf von (arkadischen) Ideallandschaften. Diese idealisierten Landschaftsbilder waren ± so Burckhardt (1998: 116) ± stets komponiert, Äim Atelier nach ideellen Mustern zusammengestückt³. Diese gemalten Landschaften, wie es sie zwar nicht im physischen, aber im stereotypen Raum gab, gruben sich im kollektiven Gedächtnis ein. Dabei war die Erfindung der Landschaft als Gattung der Malerei im 16. Jahrhundert nicht ohne historische und weltanschauliche Bezüge: Sie war Äeine Folge der Rezeption antiker Ideale und der vielfältigen Interdependenzen zwischen Kunst und Kosmographie. Sie führten dazu, dass die Landschaft als bildwürdiger Gegenstand entdeckt wurde³ (Büttner 2006: 121; vgl. auch Dethloff 1995b). Mit der Entwicklung der Landschaftsmalerei vom Fokus auf das Außergewöhnliche auf das scheinbar Unspektakuläre ± wie Wiemann/Gaschke/Stocker (2005) am Beispiel der niederländischen Malerei im Vergleich vom 16. zum 17. Jahrhundert feststellen ± wurden aber auch ÄMotive prominent, deren objektive Bedeutung zunehmendes politisches Gewicht gewann; Straßen und Wege als Medien erobernder, handelnder, verbindender und erschließender Aktivität³ (Warnke 1992: 20) dienen in malerischer Übersetzung der Inkorporierung politischer und ökonomischer Gegebenheiten als Elemente physisch-räumlicher Normalität. Die Bewertung der angeeigneten physischen Landschaft der Alpen (beispielsweise durch englische Reisende) erfuhr im 17. Jahrhundert einen fundamentalen Wandel: Noch 1646 sah John Evelyn sie als schreckliche Unformen an, während sie John Dennis bereits im Jahr 1688 mit einer gewissen Bewunderung betrachtete. Im 18. Jahrhundert wurden Fußwanderungen durch die Alpen zu einer weit verbreiteten Mode, der auch Hölderlin im April 1791 mit einer Wanderung nach Zürich und zum Vierwaldstätter See folgte. Zu gleicher Zeit begann auch das Interesse der Malerei an den Alpen zuzunehmen: Im Gefolge der öko182
Clemens (2007) verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Wandlung der Wahrnehmung antiker Ruinen im späten Mittelalter. Unterlagen diese Monumente im Mittelalter Äkeine[r] bewusst reflektierende[n] Auseinandersetzung³ (Clemens 2006: 7) und wurden häufig als Baustoffreserve genutzt, begann nördlich der Alpen erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit der Ävon außen heran getragene[n] intellektuelle[n] Bewegung einer Rückbesinnung auf die Antike³ (Clemens 2006: 15) intensivere Auseinandersetzungen mit den Hinterlassenschaften des Altertums.
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nomischen Interessen des Handels und der aufklärerischen, inventarisierenden Disziplinen und des enttabuisierenden Wirkens der Naturwissenschaften und der Topographie183 wie auch im Zusammenspiel mit den philosophischen Reflektionen des Erhabenen und der literarischen Befassung mit dem Thema der Alpen entwickelt sich in der ± nun perspektivisch konstruierten (vgl. Panofsky 1974) ± Landschaftsmalerei die ÄEntdeckung der Alpen³ (Boerlin-Brodbeck 1995: 261). In der deutsprachigen Literatur begann die Zeit der Landschaftsdarstellung erst mit dem 18. Jahrhundert. Charakteristisch für diese Literatur ist die Überhöhung der (natürlichen) Landschaft gegenüber der zivilisationsgeschädigten Stadt, wie in dem 1729 entstandenen Gedicht ÄDie Alpen³ des Schweizer Naturforschers, Arztes und Dichters Albrecht von Haller (1708-1747), der in seinen langen und moralisierenden Reflexionen, Ädie in eine Beschreibung des Lebens der Älpler einmünden³ (Kortländer 1977: 37) und einen Kausalzusammenhang zwischen angeeigneter physischer Landschaft der Alpen als unabhängige und dem Charakter der Alpenbewohner als abhängige Variable nahe legen184 ± eine Verkopplung von Moral (und Ethik) und Ästhetik, wie sie für Geschmacksaussagen charakteristisch ist (Illing 2006). Boerlin-Brodbeck (1995: 261) identifiziert das Gedicht ÄDie Alpen³ als eine Äwichtige Schaltstelle³ für die Alpen- und Landschaftskonstitution im deutschsprachigen Raum. Dieses Gedicht verdanke ± so Boerlin-Brodbeck (1995: 261) ± seine das ganze 18. Jahrhundert anhaltende Wirkung zu einem großen Teil Äder tragfähigen Verbindung, welche hier das Thema Alpen, behandelt durch einen der bedeutenden Naturforscher der Aufklärung, mit dem an die Antike anknüpfenden Preis des einfachen Ãnatürlichen¶ vernünftigen Lebens in Freiheit eingegangen ist³185.
Sowohl in der Malerei als auch in der Literatur waren die Alpen zu einem nahezu modischen Schauplatz von Gefühlen wilder Erhabenheit geworden. Die Alpen 183
Zuvor galten die Alpen als Gott gegebenes Tabu, das durch Schrecklichkeit geprägt war (vgl. Boerlin-Brodbeck 1995). 184 Bereits Lessing (zit. nach Kortländer 1977) thematisierte hinsichtlich der Landschaftspoesie das Linearisierungsproblem. Denn sowohl beim Sprechen als auch beim Schreiben über Landschaft stehen Sprecher bzw. Schreiber Ästets vor dem Problem, dasjenige, worüber sie reden wollen, zu linearisieren beziehungsweise zu sequenzieren³ (Herrmann/Schweizer 1998: 38), dagegen sind Äzeitliche und kausale Abfolgen [...] weniger schwierig linear darzustellen³ (Jahn/Knauff 2003: 59). Sprechen oder Schreiben über Landschaft bedeutet die Auflösung einer räumlichen Struktur in eine zeitliche. 185 So enthält das Gedicht ÄDie Alpen³ folgenden Passus: ÄHier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet, Die, was ihr nöthig, sucht, und mehrers hält für Last. Was Epictet gethan, und Seneca geschrieben, Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen üben.³ (Haller 1959; zit. nach Boerlin-Brodbeck 1995: 261).
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lösten tiefe Ergriffenheit als auch intensive Empfindungen beim schaudernden Betrachter aus (Raymond 1993). Diese stereotypen Alpenvorstellungen wurden auf andere Räume mit besonderer Reliefenergie übertragen, wie Dinnebier (2005) anhand eines Raumes darstellte, der vormals als ÃMeißner Hochland¶, ÃPirnisches Sandgebirge¶, ÃHeide¶ über Sandschauà oder ÃBöhmische Wälder¶ bezeichnet wurde, und erst seit Ende des 18. Jahrhundert als ÃSächsische Schweiz¶ konstruiert wurde186. Kortländer (1977) deutet das Aufkommen eines emotionsgeladenen Landschaftsbezuges in der Literatur im Zusammenhang mit der Ãkopernikanischen Wende¶, dem Durchbruch zur Subjektivität, der Emanzipation des Subjekts und Äin ihrem Gefolge [der] Emanzipation des Gefühls aus den Zwängen des Verstandes³ (Kortländer 1977: 38). Somit lässt sich Ende des 18. Jahrhunderts eine Ablösung solcher ins Liebliche neigender Landschaftsidealvorstellungen durch das ästhetisch Erhabene feststellen: Schroffe Felsen, wilde Wasserfälle, vergletscherte Berge, Gewitterwolken u.ä. lösen die lieblichen Bilder der friedlichen und ruhigen Landschaft ab. Nicht (nur) die lieblichen angeeigneten physischen Landschaften Italiens waren nun für Maler darstellenswerte Objekte, sondern (auch) die wilden Alpen (vgl. Burckhardt 1989c, Dethloff 1995a und 1995b, Giacomoni 2007)187. Ende des 18. Jahrhunderts war Landschaft somit Äschon längst durch geschichtliche Ereignisse, dichterische Darstellung und die Wohnorte und Gräber berühmter Menschen bedeutend geworden³ (Anderle 1986: 9). Ein konstitutives Element der literarischen Neubefassung mit dem Thema Landschaft waren Reisebeschreibungen (Lobsein 1981, vgl. Hard 1969b, Spode 1993), deren Eindrücklichkeit aus der Schilderung von Gegensätzen resultierte, schließlich waren Bildungsreisende des 17. und 18. Jahrhunderts gezwungen, unwirtliche Gegenden zu passieren, deren Darstellung in Reiseberichten Änach Ausbrüchen des Schreckens über bedrohliche Landschaftsformen und kretinartige Einwohner schließlich doch [in] Begeisterung über die Schönheit und Erhabenheit der Landschaft³ (Anderle 1986: 9) gipfelte. Als konstitutiv für Reisebeschreibungen lassen sich drei Faktoren bestimmen (Bender 1982): das reisende Subjekt, der Raum und die Zeit. Dabei sieht sich das Subjekt, das mit dem Autor zumeist identisch ist, mit dem physischen Raum konfrontiert, in dem es zu einem bestimmten Zeitpunkt Beobachtungen sammelt, sie einer Bewertung unterzieht und 186
Etwa zeitgleich mit der literarischen und malerischen Befassung mit den Alpen im deutschsprachigen Raum beginnt in der skandinavischen Literatur der künstlerische Bezug zum Meer: Auch wenn die lebensweltliche Bedeutung des Meeres für die Bewohner Skandinaviens überaus groß war, blieb bis ins 18. Jahrhundert eine metaphorische und allegorische Behandlung des Themas aus (Grage 2000). 187 Wobei sich die Begeisterung von Künstlern ± und Geographen (wie Hard 1965 gezeigt hat) ± für die klassischen italienischen angeeigneten physischen Landschaften nie gänzlich gelegt hat und in Parallelen in den Landschaften Südwestdeutschlands aktualisiert werden.
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sprachlich wie schriftlich umsetzt: Ä(Natur-)Wahrnehmung, literarische und bildkünstlerische Tradition sowie die jeweilige Autorenphantasie³ waren also ± Jost (2005: 71) zufolge ± Äbei der Konstitution von Landschaft unauflöslich miteinander verbunden³188. Dabei erfuhren die Leser von Landschaftsbeschreibungen, wie Landschaft erfahrbar ist und Äwas sie im erfahrenden Ich bewirkt; wie landschaftliche Eindrücke zu Situationen des eigenen Inneseins werden, wie sie religiöse Erweckungen und persönliche Selbstfindung bringen können³ (Jäger 1995: 58). Literarische Landschaftsbeschreibungen ± auch von Reiseberichten ± boten also eine Struktur möglicher Landschaftserlebnismuster, derer sich das belesene, also dem gängigen Code der Landschaftswahrnehmung und -verarbeitung (vgl. Blackbourn 2007) vertraute Subjekt bedienen konnte. Dabei führt ± Lobsien (1981: 54-55) zufolge ± Ädie der Kunst eigene Tendenz zur Beseitigung von Kontingenz immer wieder zu einer metaphorisierenden oder allegorisierenden Transformierung des Pittoresken ins Schöne oder Erhabene³, ein Prozess, der zu einer Entkomplexisierung von Welt unter Rückgriff auf Interpretations- und Emotionsstereotype beiträgt. Reiseberichte dienten bisweilen als Projektionsflächen für die Selbstinszenierung der Autoren ± so des Fürsten Pückler-Muskau, der darum bemüht gewesen sei Äseinem Dasein einen neuen Sinn zu geben, sein Leben ästhetisch zu stilisieren³ (Bender 1982: 31) oder auch Goethes bei seiner Italienreise, die er selbst als Katharsis stilisierte. Reiseberichte dieser Zeit waren vielfach von Landschaftsbeschreibungen geprägt, die noch heute die stereotype Landschaft prägen: Hügel und Tal, See, Bach, Wald und Schatten, Kastanien, Weiden und Pappeln dominieren beispielsweise die Beschreibung der Landschaft bei Hölderlin (Anderle 1986). Ein entscheidender Aspekt der deutschsprachigen literarischen Befassung mit dem Thema Landschaft ist jener der Perspektive: Die Autoren der klassischromantischen Periode wählten eine primär verinnerlichte Perspektive, Ädie Gestaltung aus der Idee, aus dem Gefühl, der Stimmung heraus³ (Kortländer 1977: 37) und sie erhoben Landschaft Äüber ihre dekorative Funktion hinaus zum Seelensymbol³ (Jessel 2005: 580), Landschaft wurde also Ämit erhabenen Stimmungen und Emotionen ausgefüllt³ (Jessel 2005: 580)189. Hoeres (2004: 158) weist 188
Dinnebier (2005: 30) stellt hinsichtlich der Herausforderung der Versprachlichung von Landschaft fest: ÄSehr weit verbreitet ist die Floskel, es fehlten die Worte zur Schilderung des Gesehenen und Empfundenen. Sie drückt die Differenz zwischen Erleben und Kommunizierbarem aus³. In diesem Gegensatz zwischen der Unzulänglichkeit der Worte und dem Gesehenen und Empfundenen drücke sich die besondere Qualität des Äeben nicht Schilderbaren³ (Dinnebier 2005: 30) hinsichtlich der Kommunizierbarkeit aus. 189 Bollnow (1956: 33) charakterisiert Stimmungen als die unterste Schicht des seelischen Lebens: ÄSie stellen die einfachste und ursprünglichste Form dar, in der das menschliche Leben seiner selbst ± und zwar immer schon in einer bestimmt gefärbten Weise, mit einer bestimmt gearteten Wertung und Stellungnahme ± inne wird³. Sie seien ± im Gegensatz zu Gefühlen ± nicht auf einen Gegenstand
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Stimmungen über die Kunst hinaus für Landschaft sogar eine konstitutive Bedeutung zu, indem er feststellt: ÄSie [die Stimmungen; Anm. O.K.] hüllen das Ganze ein und machen es erst zu jener sublimen Einheit, die ohne sie nicht vorhanden wäre³. Das empfindsame ± sich von der Natur geschieden sehende ± Individuum entdeckte Äfür sich seine natürliche Umwelt als Erlebnisraum der IchErkenntnis und Selbstfindung³ (Dethloff 1995a: 7)190. Anhand von Untersuchungen des frühromantischen Romans Frankreichs charakterisiert Dethloff (1995b: 27) drei zentrale Elemente des romantischen Landschaftsbezugs: 1. ÄDie unberührte Landschaft als heilsamer Ort des Selbstvergessens und der Bewusstwerdung der Negativität gesellschaftlicher und kultureller Niederungen. 2. Das Naturerlebnis als ästhetische Erfahrung des Naturerhabenen. Die konkrete Landschaft löst die Transzendierung sinnlicher Erfahrung die Kontemplatio der göttlichen Ordnung und ihrer Harmonie aus.³ 3. Die Landschaft als ÄBeschreibung exotischer Landschafts- und Wuchsformen, in denen sich das Individuum der Ãharmonies de la nature¶ bewusst wird³ (Dethloff 1995b: 28). Während die Klassik (stellvertretend Schiller) darum bemüht war, Landschaft als Ãunbeseelte Natur¶ auf dem Wege der Vernunft mittels Ãsymbolischer Operationen¶ zum Gegenstand der schönen Kunst zu erheben191, bemühen sich die Dichter der Romantik, als charakteristisch hierfür gilt Eichendorff, um eine Verinnerlichung der Perspektive, eine Auflösung der empirischen Landschaft in Metaphern, Anspielungen und Vergleichen. Auch bei den Malern der Romantik erfährt sie Äihre höchste Aufwertung, indem mythologische und historische Inhalte in einem erweiterten Begriff von ÃLandschaft¶ aufgehen³ (Hohl 1977: 45)192, schließlich war für Caspar David Friedrich und die Künstler der Romantik Ädas Malen nicht mehr bloß eine Frage der künstlerischen Praxis, sondern eine der inneren und moralischen und religiösen Verfasstheit des Künstlers³ (Büttner 2006: 262). Dennoch lassen sich die Romantiker hinsichtlich ihrer Programmatik unintentional bezogen. Hoeres (2004) bescheinigt Stimmungen eine mehr oder weniger große Selbstständigkeit, weswegen sie geeignet seien, auf einzigartige Weise zusammengefasst und präsentiert zu werden. 190 Dieses Erleben des Geschieden-Seins unterscheidet die Romantik vom Mittelalter: Wird in der Romantik Landschaft aus der Distanz heraus konstruiert, ist für das Ämittelalterliche Denken dagegen [«] die Zugehörigkeit des Menschen zur Natur und die Tatsache, dass er deren Produkt ist, so selbstverständlich, dass dieser distanzierte Blick unmöglich wird³ (Zink 2006: 200). 191 Wobei auch diese Landschaftsbeschreibungen, wie der Spaziergang, durchaus Klischeehaft erscheinen konnten (Riedel 1989). 192 Von den Klassizisten, wie beispielsweise Cornelius, wurde die Landschaftsmalerei hingegen zutiefst abgewertet, ihnen galt Landschaft als vielfach bloßes Beiwerk der Historienmalerei (Hohl 1977) oder folgten wie Reinhart Äganz dem alten Rezept, nach genauem Studium das Edelste aus der Natur auszuwählen und daraus eine vollendete Komposition zu gestalten³ (Büttner 2006: 266).
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terscheiden: Während Runge in einem umfassenden Sinne als Landschaftsentwurf Ävisionäre Sinngebung als Schöpfung der Einbildungskraft³ (Hohl 1977: 46) konzipiert, geht Caspar David Friedrich Ävon der gesehenen und erlebten Landschaft aus, die er auf einen Bildgedanken konzentriert und zum Symbol verkürzt³ (Hohl 1977: 46), wobei beide Landschaft religiös deuten. Spanier (2006: 33) charakterisiert die Landschaftsmalerei Caspar David Friedrichs als Äsich gewissermaßen durch überschießendes Pathos³ auszeichnend, indem Äspirituelle und religiöse Gefühle in Landschaften (Seelenlandschaften)³ gekleidet seien, die ± so Prause (1999: 82) ± von einer ÄSehnsucht nach Sehnsucht³ zeugten. Caspar David Friedrich ± so stellt Noll (2006: 102) fest ± Äintendierte Bildaussagen von allegorischer Bestimmtheit und akzeptierte Rezipienten, die seinen Werken ihre jeweils eigenen Vorstellungen unterlegten; einen Gegenstand der Reflexion und der Gefühlsbewegung zu bieten, genügte ihm³. Eine eindeutige und exklusivistische Deutungsmatrix seiner Symbolik bestand also für Caspar David Friedrich nicht193. Allerdings wurde Landschaft durch ihren autopoietisch-innerweltlichen Bezug in Malerei und Literatur der Romantik auch zum Klischee (vgl. Kortländer 1977, Riedel 1989). Die Romantik wurde so Äfür manche Kritiker zum Inbegriff des schlechten Geschmacks, da ihre Werke überspannt, unwahrscheinlich, gesucht und willkürlich seien³ (Illing 2006: 47). Die romantische Perspektive wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einer (scheinbar) empirischexakten Erfassung verdrängt, Äbei der die genaue Beobachtung und Beschreibung der Phänomene wieder Vorrang gewinnt³ (Kortländer 1977: 37). Dabei lässt sich eine Interferenz zwischen Malerei und Dichtung feststellen (Gruenter 1975: 207 ± zuerst 1953): ÄDie dichterische Landschaft wird erst spät aus dem missverstandenen Wettstreit mit der Malerei, und ihrer dekorativen Funktion zum großartigen Seelensymbol erhoben wie bei Heinse, Goethe, Jean Paul, Hölderlin, Eichendorff und Stifter³. Dennoch lässt sich feststellen, dass sie Ägegen Ende des 18. Jahrhunderts zur leeren Routine geworden ist, die die Deskription als ein unterhaltsames Spiel von Fertigformulierungen³ (Lobsein 1981: 103) abwickelte, allerdings zum stereotypen Maßstab der Beurteilung von angeeigneter physischer Landschaft194.
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Neben Runge und Friedrich gilt Claude Lorrain als ein wesentlicher Repräsentant der romantischen Landschaftsmalerei. Seine Malerei ist mit jener Friedrichs und Runges insofern verwandt, Äals sie komponierte, ja gebaute Räume darstellt, welche die Ordnung des Weltganzen spiegeln³ (Hohl 1977: 47), unterscheidet sich jedoch von ihr, indem sie in der Verbindung von Natur und Architektur Äeine der räumlichen und zeitlichen Gegenwart enthobene archaisch-mythische Welt erdichtet³ (Hohl 1977: 47). 194 Ähnliches lässt sich auch zur malerischen Befassung mit Landschaft in der Romantik feststellen. Die Kritik an der romantischen Landschaftsmalerei ist Ausdruck einer aufkommenden eher realisti-
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Die Dichter der ersten nachromantischen Generation, jene des Biedermeiers wie Droste-Hülshoff, Gotthelf und Stifter, verbindet die Ablehnung des Äspekulativen Kunstverständnisses der klassisch-romantischen Periode einerseits und der verstärkte Rückgriff auf frühere, aus Aufklärung und Empfindsamkeit stammende Tradition andererseits³ (Kortländer 1977: 41). Die Ablehnung eines spekulativen Kunstverständnisses äußert sich im Verzicht auf Äausgedehnte und poetologische Reflexionen, im Fehlen eines Programms, an dessen Stelle die naive Lust zur Produktion, zur literarischen Praxis tritt³ (Kortländer 1977: 41), während sich der verstärkte Rückgriff auf die Landschaftsbeschreibungsmuster der Aufklärung in einer massiven Wiederaufnahme empirisch-beschreibender Darstellungen manifestiert, die ± wie Bloch (2004: 26) anhand der Dichtung, Zeichnerei und Malerei Adalbert Stifters ausführt ± durch das ÄSetzen einer Darstellungsinstanz, aus der heraus er [Adalbert Stifter; Anm. O.K.] Perspektiven zu entwickeln beginnt, als ob Realität entstünde³. Ähnlich der biedermeierlichen literarischen Landschaftsbefassung entwickelte die nachromantische Landschaftsmalerei Äein psychologisches und erzählerisches Element, das an das Mitgefühl des Betrachters appelliert³ (Hohl 1977: 49). So ist Ludwig Richters Bild mit dem Schäferpaar von 1844 durch die Konstruktion einer Übereinstimmung von Natur und Mensch geprägt, die sich in Darstellung der Frühjahrsszenerie in mildem Licht bei einem aufgehenden Mond manifestiert. Charakteristisch für die nachromantische Landschaftsmalerei ist die Abwendung von der ÃGedankenmalerei¶ und der Hinwendung zur lokalen angeeigneten physischen Landschaft, woraus sich die Bedeutung lokaler Kunstzentren im frühen Realismus ergibt (Hohl 1977). Charakteristisch für die Biedermeierzeit war das gestiegene Interesse am Exotischen, das bereits das Aufklärungszeitalter bewegte. Die politische Restauration und der fortschreitende Prozess der Zivilisation weckte die Sehnsucht nach einem einfachen und natürlichen Leben in einer ursprünglichen und unverfälschten Landschaft (Wuthenow 1980, Appleton 1986, Wood 1997a, Békési 2007). Im Biedermeier wird Landschaft zu einem Symbol für Humanität, Äwelche sie durch die zivilisatorische Entwicklung und ihre Tendenz zu technischer Verwertbarkeit, zum Nützlichkeitsdenken³ (Kortländer 1977: 43) insbesondere durch Verstädterung und Industrialisierung bedroht sieht ± ein Deutungsmuster, das bis heute die Diskurse um Landschaftsentwicklung und insbesondere Erhaltung dominiert. So zivilisationskritisch sich die künstlerische Inszenierung von Landschaft und deren Perzeption sowie deren individuelles und kollektives Nachempfinden auch gestaltete, basierte sie doch ± Cosgrove (1984 und 1985) zufolge ± auf strukturell denselben Wurzeln wie der szientistische Landschaftszugang. Die maschen Gesinnung, die das Werk der Romantiker Äals abstrakt und gedanklich überfrachtet³ (Hohl 1977: 49) ansahen.
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lerische Konstruktion von Landschaft der beginnenden Moderne basierte auf denselben geometrischen Verfahren der Raumrepräsentation wie die Landvermessung: der Zentralperspektive. Erst mit deren objektiviertem Raumbezug entwickelt sich eine detailliertere Darstellung physisch-räumlicher Phänomene und der Konstruktion von Stimmungen ± zu deren Erzeugung auch ein analytischer Zugriff auf Farb- und Schattenspiele notwendig war (vgl. auch Piepmeier 1980, Eisel 1982, Dinnebier 1996)195. 4.2.3 Zur Darstellung von Landschaften zwischen Moderne und Postmoderne Ende des 19. Jahrhunderts beginnen die sich die künstlerischen Konstruktionen und Rekonstruktionen von Landschaften zu diversifizieren. Mit dem Aufkommen und der Verbreitung von Fotographie und Film Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sowie knapp ein Jahrhundert später der Massencomputerisierung unter Nutzung des Internets treten neue Technologien zur ästhetischen Konstruktion von Landschaft an die Seite von Literatur und Malerei. Dabei gelten Fotographien (aber auch der Film) zwar einerseits als Äbesonders Ãrealistische¶ Darstellungen des jeweiligen Weltausschnitts, andererseits wird jedoch gerade bei der Photographie die Abhängigkeit des entstehenden Bildes von einem kontingenten Betrachterstandpunkt offenkundig³ (Schmeling/SchmitzEmans 2007: 23; vgl. auch Bätschmann 2007).
Das künstlerische Hinwenden zu neuen Landschaften bedeutet die Erweiterung der sozialen Konstruierbarkeit von Landschaft. Die Entdeckung von Worpswede durch die Künstlerkolonie lässt sich als klassisches Beispiel hierfür anführen, denn die Schaffung einer Ãschönen Landschaft¶ erfolgte Änicht etwa durch einen 195
Mit dem Impressionismus endeten die älteren Traditionen der Landschaftsmalerei, Ädie mit einer theologischen, moralischen oder wissenschaftlichen Belehrung verbunden war, oder einer spirituell angeleiteten Naturbetrachtung, die selbst in einem kleinen Stück Natur die Schöpfung verherrlicht sah³ (Büttner 2006: 316). Die dargestellte Landschaft war nur ein als schön wahrgenommener Ausschnitt des physischen Raumes. Der ganze Sinn und kulturelle Wert eines Bildes wurde darin gesehen, Ädass es eben ein Bild war und nichts anderes³ (Büttner 2006: 319), ein künstlerisches Paradigma, das zu seiner Zeit revolutionär war. Eine besondere Bedeutung für die Konstruktion des Exotischen in der gesellschaftlichen Landschaft hatten (und haben) die Bilder von Henri Rousseau (18441910). Der Maler, der sich selbst ± in der Zeit sich auflösender Stilrichtungen der Landschaftsmalerei ± als Realisten beschrieb, aber trotz Detailtreue seine Urwaldbilder Äohne jede Rücksicht auf unterschiedliche Größenverhältnisse nach verschiedenen Vorlagen³ (Büttner 2006: 339) kopierte. Die Änativen Urwaldträume³ (Büttner 2006: 340) Rousseaus wurden insbesondere vom Laienpublikum geschätzt, das den neuen abstrakter werdenden künstlerischen Richtungen verständnislos gegenüberstand, aber auch dem Fachpublikum, das die scheinbare Unbeeinflusstheit Rousseaus von anderen Malern, mit großem Interesse aufgenommen hat und trug so zu Stereotypisierung des Exotischen, hier insbesondere des Urwaldes, bewohnt von edlen Wilden, bei.
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Eingriff in dieselbe, sondern vielmehr dadurch, dass eine dort vorhandene, aber bisher als ärmlich und kaputt betrachtete Landschaftsform, das bewirtschaftete Torfmoor, plötzlich als malbar erkannt wurde³ (Burckhardt 1984: 47), aber erst, als diese Ämindestens seit 150 Jahren durch den Menschen nachhaltig³ (Blackbourn 2007: 227) veränderten ÄMoore zu verschwinden begannen³ (Blackbourn 2007: 11). Worpswede ist darüber hinaus aber auch ein Beispiel für die Perpetuierung eines Symbols: Schon lange nachdem die angeeignete physische Landschaft der Region Worpswede zu einer fordistischen Landschaft transformiert wurde, wird sie noch immer als malerische Landschaft touristisch vermarktet. Dadurch wird auch die Instrumentalisierung einer malerischen Landschaftsästhetik für kommerzielle Zwecke deutlich. Angeeignete physische Landschaft wird durch Malerei ± zunächst als Nebenfolge, später als Folge ± zu symbolischem Kapital einer Region: ÄEs tritt uns in Form von Zeichen, Bildern, Bedeutung und Vorstellungen entgegen und wir, einmal als beeinflussbar erkannt, Ziel von Image- und Marketingstrategien³ (Heitkamp 1998: 219), nicht nur städtische Landschaft, auch ländliche Landschaft wird nun festivalisiert (vgl. Häußermann/Siebel 1993).
Abbildung 22:
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Umstrittene Landschaftselemente: Windkraftanlagen in einer element-, elementtypen- und stark strukturierten angeeigneten physischen Landschaft. Gemäß der Komplexitätstheorie bedeuten die Windkraftanlagen eine Attraktivitätssteigerung der angeeigneten physischen Landschaft. Dennoch widersprechen sie stereotypen Vorstellungen von Landschaft, zumeist den Vorstellungen der Normallandschaft (weil Windkraftanlagen gehäuft erst in der formativen Phase des Landschaftsbewusstseins bei jüngsten Alterskohorten errichtet wurden) und den Soll-Vorstellungen der Landschaftsexperten, da sie (noch) nicht als (stereo)typisch klassifiziert sind. Hier ein Beispiel aus Rheinhessen.
Mit zunehmender zeitlicher Distanz ändern sich die Interpretations- und Zuschreibungsmuster der durch die Landschaftsmalerei fixierten Motive. Windmühlen auf holländischen Landschaftsgemälden werden vielfach als Dokumente einer weit entfernten romantischen Sehnsuchtslandschaft interpretiert bzw. vermitteln das Bild Äder stehen gebliebenen Zeit, der Zeit der ungeplanten Energieversorgung, der Zeit des noch tastenden Umgangs mit den Ressourcen³ (Burckhardt 1994: 92), doch stellten diese Windmühlen zu der Zeit, als sie gemalt wurden den aktuellen Stand der Windmühlentechnik dar, sodass sie auf den zeitgenössischen Betrachter gewirkt haben mussten, wie heute Bilder eines Windkraftanlagenparks oder einer Photovoltaikgroßanlage (Abbildung 22). 4.2.3.1 Die neue Vielfalt I ± Landschaften in Malerei und Literatur In der Zeit um 1900 wird die künstlerische Repräsentation von Landschaft durch die Differenzierung zweier Arten des Zugriffs geprägt: Während der Naturalismus die mimetische Darstellung von Landschaft zu perfektionieren trachtete, grenzen sich alle anderen Richtungen von diesem Prinzip ab, um neue Wege der Darstellung von Landschaft zu erkunden. Diese unterschiedlichen Verfahren des Zugriffs auf Landschaft lassen sich ± so Rüter (1999: 161) ± Äim Wesentlichen doch unter nur zwei Begriffe subsumieren, die die divergierenden Tendenzen bündeln: Subjektivierung und Abstraktion³. Unter Subjektivierung seien ± Rüter (1999: 161) zufolge ± dabei unterschiedliche Verfahren zu verstehen, Ädie Objektivität Natur und Landschaft in eine Folge von Eindrücken und Reflexionen auslösen oder durch Beseelung [«] entgrenzen oder gar durch imaginäre Bilder ganz [«] ersetzen³. Mit dem Begriff der Abstraktion hingegen lassen sich Techniken der ÄVerfremdung und Reduzierung des Gegebenen, also die Betonung von symbolischen Ordnungen, die Auflösung der Natur in ornamentale Gefüge oder die Zertrümmerung und Vernichtung der Landschaft³ (Rüter 1999: 161) beschreiben. Besonders der Surrealismus abstrahierte und destrukturierte Landschaften, um sie (wie bei Max Ernst, Salvador Dalí oder Giorgio de Chiricos) einer verzerrten, ungewohnten bzw. intertextuellen, unheimlich wirkenden Reorganisation zu unterziehen (Krysinski 2007). Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in Malerei und Literatur auch eine dichte, vielschichtige und vieldeutige Landschaftssymbolik. Unterschiedliche Landschaften werden in ihre Elemente fragmentiert und rekombiniert. So ist ± Starck-Adler (2004: 159) zufolge ± das Wüstenbild von Ingeborg Bachmann (1926-1973) nicht von Europa zu trennen, Äruht doch die Wahrnehmung und Beschreibung der Wüste auf europäischen Erfahrungen und Kriegserlebnissen, die hineinprojiziert werden³. Dabei werde der Versuch unternommen, Ädas althergebrachte Wüstenbild zu dekonstruieren³, um ihm gleichzeitig einen 163
neuen, Äutopisch-negativen Charakter³ zu verleihen. Aufgrund des synthetischen Vorhandenseins von neuer und traditioneller Wüste, von Heilung und Krankheit, Äkommt es zu einem siamesischen Gebilde, das die europäische Landschaft südostwärts versetzt³ (Starck-Adler 2004: 159). Die künstlerische Dekonstruktion von stereotypen Landschaftsdeutungsmustern und -zuschreibungsmustern stellt ein zentrales Motiv der Literatur des 20. Jahrhunderts dar, schließlich ± so stellt Janker (2002: 63) fest ± sei die ÄAblösung des Schönheitsbegriffs als zentrale Kategorie der Ästhetik [«] das Charakteristikum der Moderne³. So hinterfragt Bernhard den Hallerschen Alpenmythos des locus amoenus, in dem für Bernhard die Alpen weder als ÄOrt der Freiheit noch als Projektionsfläche zeitgebundener Wunschbilder, Gefühle oder Erkenntnisse³ (Hackl 2004: 185) sind, sondern in ihrer Lebensfeindlichkeit ein Ort der Gefährdung und des Scheiterns. Für ihn ist folglich die Konstruktion des Alpenmythos ein Synonym für Geisteskrankheit. Das Dilemma der zeitgenössischen künstlerischen Natur- und Landschaftsbefassung umreißt Priessnitz (1977: 28) in der Bedeutung von Natur und Landschaft als Funktionalraum für Arbeitsstätten, Erholungszentren, Reiseziele, Spekulationsobjekte und freizeitliche Erbauungsplätze einerseits und Ädie malerische in Prospekten gleichsam als Mythos festgehaltene Ästhetisierung bestimmter Interessenssphären, deren literarische Gestaltung niemals unter den Vorzeichen von Naturschilderung vor sich gehen könnte³. So lässt sich andererseits in der Literatur der Gegenwart zwar eine ÄRenaissance oder Adaptierung von Ästhetisierungs- und Mysthetisierungstendenzen³ (Wiesmüller 2004: 260) im Zuge einer neuen zum neuen künstlerischen Stereotyp avancierten Natursensibilität196 feststellen, doch lässt sich Äweiterhin ihre Zurückweisung beobachten³ (Wiesmüller 2004: 260). In der künstlerischen Befassung mit Landschaft und Natur funktioniere ± wie Wiesmüller (2004: 260) feststellt ± gegenwärtig die Äsympathische Anbiederung an die Natur nicht mehr³, das Eichendorffsche ÄÃGrüßen der Natur¶ hinterlässt keine nachhaltigen seelischen Wirkungen und das heißt auch keine poetischen Ergüsse mehr³, das moderne bzw. postmoderne kann ± wie D¶Angelo (2007) feststellt ± nicht wie das romantische Bewusstsein mit seinen Landschaften verschmelzen.
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Dieses neue Stereotyp der ausgebeuteten Natur und flachen, violetten und vergifteten Landschaft wird in der Anthologie von Silke Rosenbüchler aus dem Jahre 1998 zu den Landschaften der Zukunft deutlich. Die im Sammelband abgedruckten Texte stellen zumeist eine lineare Projektion der landschaftlichen Bedrohungsstereotype in die Zukunft dar. So werden eine Zunahme des Flugverkehrs, die steigende Luftbelastung, eine zunehmende Zersiedlung sowie die Ausbreitung des KFZ-Verkehrs und des Waldsterbens ± die die allgemeinen Debatten um Natur und angeeignete physische Landschaft in den 1980er und 1990er Jahren dominierten ± fortgeschrieben und zu einem neuen Stereotyp der lebensunwirtlichen Zukunftslandschaft zusammengefasst.
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Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird die These vom Ende der Kunst und damit auch der künstlerischen Befassung mit Landschaft virulent. Sie besagt, Ädass sich Kunst sowohl funktional (mit der Thematisierung ihrer selbst), als auch soziologisch (durch die Demokratisierung des Genie-Gedankens) ihres Gegenübers entledigt hat. Kunst erfüllt nach Einschätzung der Kritiker ihre Aufgabe nicht mehr, sog. Mythen zu stiften, also Übereinstimmung der Gefühle ohne intellektuelle Übersetzung³ (Janker 2002: 64).
Im Folgenden soll insbesondere der Einfluss dieser Demokratisierung, der postmodernen Aufhebung von Trivial- und Hochkultur, auf die Entstehung stereotyper Landschaften untersucht werden. 4.2.3.2 Die neue Vielfalt II ± (stereotype) Landschaften in Film und Fernsehen Film und Fernsehen ± zunächst von der herrschenden Klasse distinktiv als Dokumente des Ãschlechten Geschmacks¶ als ÃSchund und Schmutz¶ (vgl. Illing 2006) abgelehnt ± lassen sich als Äein spezifisches System der Gewinnung orientierender Erfahrung³ verstehen, Ädas die Erzeugung gesellschaftlichen Wissens und gesellschaftlicher Orientierungen entscheidend [prägt] und so einen integralen Beitrag zur Verfassung heutiger Lebenswelten³ (Keppler 2006: 220; vgl. auch Chambers 1997) leistet. Dabei besteht durch die mediale Inszenierung von Wirklichkeit die Gefahr der Entstehung von Meinungsmonopolen der ÄKulturund Bewusstseinsindustrie³ (Adorno 1972a: 364)197, die als Kulturindustrie kontingente Vorstellungen von Welt nicht in den durch sie kontrollierten öffentlichen Diskurs integrieren und nicht der kulturellen Weiterentwicklung der Menschheit, sondern kapitalistischen Interessen verpflichtet seien (vgl. auch King 1997). Bollhöfer/Strüver (2005: 28) benennen als wesentliche Instanzen der medienvermittelten Kultur im Rückgriff auf die Überlegungen der cultural studies einer ganzheitlichen Analyse kultureller Produkte (Hall 1999 ± zuerst 1980, Du Gay et al. 1997) als Äerstes die Produktion einzelner Medienprodukte bzw. Medientexte, die diskursive Repräsentation und drittens die aktive und produktive Aneignung dieser Kulturwaren³, die als zirkulärer Prozess Produktion und Rezeption wiederum als Grundlage neuer Produktionen zu denken sind. 197 Gelfert (2000: 62) wiederum bezeichnet die Sprache Adornos als ÄEinschüchterungskitsch³, es habe einen Zug Äunfreiwilliger Komik, dass ausgerechnet Adorno, der mit scharfsinniger Ideologiekritik das falsche Bewusstsein bis in den letzten Winkel des Spießerhirns verfolgte und das Heideggersche Raunen als ÃJargon der Eigentlichkeit¶ entlarvte, selber einen Jargon der Tüchtigkeit praktizierte, bei dem ein Außenstehender den Eindruck haben kann, als trommele sich ein Silberrückengorilla auf die Brust, dass der ganze Urwald widerhallt.³
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Insbesondere Spielfilme und Fernsehserien bilden dabei nahezu global ein wesentliches Element individueller und kollektiver Lebenswelten. Sie haben zudem eine zentrale Bedeutung in der Umwelt- und Wirklichkeitskonstruktion (Kühne 2006a). Insbesondere Spielfilme tragen in erheblichem Maße zur Verbreitung westlich-urbaner Lebensstile und Lebensstilfragmente bei (vgl. Ferchhoff/Neubauer 1997, Krätke 2002). Escher/Zimmermann charakterisieren die lebensweltliche Bedeutung von Spielfilmen treffend wie folgt (2001: 228): ÄSie kreieren Stereotype sowie Vorurteile und tragen zu deren Aufrechterhaltung bei. Außerdem stellen Spielfilme Informationen, Handlungsmuster, Orientierungen und Vorbilder sowie Regeln und Normen zur Verfügung³. Der kompetente Gebrauch von Fernsehsendungen, populären Filmen und Videoclips, Ädie die Funktion von ästhetischen Expertensystemen einnehmen³ (Winter 2001: 339), ist ein wesentlicher Beitrag der Regulierung des Alltags, der Änicht kognitiv, sondern ästhetisch organisiert ist³ (Winter 2001: 339). Dabei ist populären Filmen, Videoclips und Fernsehsendungen in ihrer ästhetischen Organisationsbedeutung eine erhebliche suggestive Wirkung eigen: ÄDas Verhältnis von Subjekt und Objekt [ist] zunehmend geprägt durch Bilder: Deren Intensität, Unmittelbarkeit und Identifikationsstrukturen bestimmen den Wahrheitsgehalt und die Gültigkeit³ (Elsaesser 2002: 49). Dabei folgt die Aneignungspraxis des Gebrauchs von Filmen und Fernsehen keinen unilinearen Prägungsmustern (Konsumenten werden durch den Konsum von Film und Fernsehen geprägt), sondern sie aktualisieren die Aussagen von Film und Fernsehen vor dem Hintergrund individueller (und milieuspezifischer) Wahrnehmungsmuster (vgl. de Certeau 1988, Bollhöfer/Strüver 2005). Filme vermitteln Wissen und Emotionen ± wie auch das Fernsehen (vgl. Bourdieu 1998) ± in der sozialen Praxis (im Sinne von Althusser 1977) in Form von Sekundär-, Tertiär- und teilweise Quartärinformationen; Informationen also, die nicht dem unmittelbaren Wahrnehmungsfeld entnommen sind, sondern einer ± teilweise mehrfachen ± impliziten und expliziten Interpretation unterworfen wurden und somit eine der sinnlichen Wahrnehmungswelt entzogene synthetische Wirklichkeit von immer stärkerer Wirkmächtigkeit erzeugen (Adorno 1977). Diese synthetische Wirklichkeit bezieht ihre Wirkmächtigkeit in vielen Fällen aus einem Reservoir an Stoffen und Motiven, das bereits in der Romantik entwickelt wurde und somit kulturell stereotyp verfügbar ist (Illing 2006), wie die wirkungsästhetisch gestalteten Grusel-, Geister-, Dämonen- und Gespenstergeschichten der Horrorfilme, die Welt künstlicher Wesen der Science-FictionFilme und die Fantasy-Filme, zu deren Herstellung Ädie Romantik [«] alle Vorlagen für halbmenschliche und vormenschliche Zauberwesen, die das Genre bis
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heute bevölkern³ (Illing 2006: 55; vgl. auch Verdicchio 2004, Safranski 2007), zeigen198. Die filmische Darstellung angeeigneter physischer Landschaften gehört seit den Anfängen der Filmkunst zu deren Gegenständen. Die Darstellung von Landschaft im Film hat ± so Sergei Eisenstein (1987) ± eine ähnlich zentrale Bedeutung wie Filmmusik. Neben Musik ist Landschaft Ädas freieste Element im Film, aber auch jenes, das am stärksten die Bürde zu tragen hat, erzählende Aufgaben und sich verändernde Stimmungen, emotionale Zustände und spirituelle Erfahrungen zu transportieren³ (Eisenstein 1987: 217; Übers. O.K.). Der Landschaft in Filmen (insbesondere in Spielfilmen, aber auch in Reportagen und Dokumentarfilmen) lassen sich sieben unterschiedliche Repräsentationsmuster zuweisen (Higson 1987, Escher/Zimmermann 2001, Kühne 2006a): 1. Landschaft bildet einen Handlungsrahmen und bietet so eine angemessene Verortung der Handlung in Form einer (vielfach austauschbaren) Kulisse (wie z.B. in High fidelity, hier wurde die Handlung von London nach Chicago verlegt). 2. Landschaft fungiert als Garant für Authentizität und Glaubwürdigkeit der Handlung, dabei wird ein Bezugsrahmen geschaffen, der eine räumliche bzw. zeitliche Kontextualität erzeugt199 (wie z.B. in Spartacus). 3. Landschaft wird eine metaphorische bzw. symbolische Bedeutung zugewiesen. Die Handlung findet ihre landschaftliche Entsprechung (Liebesdialoge im Rosengarten, wie häufig im indischen Film) oder verweisen auf einen anderen Kontext (die amerikanische Vorortsiedlung für den amerikanischen (Alp-)Traum, wie z.B. in American Beauty; der Urwald und die Rückkehr nach Europa als Teil der Symbolik der wiedergeborenen, in den Reigen der zivilisierten Staaten aufgenommenen Nation der Bundesrepublik in Liane, das Mädchen aus dem Urwald; Flintner 2005). 4. Landschaft wird mystifiziert bzw. transportiert einen Mythos. Dabei kann es sich um Landschaften des ÃWilden Westens¶ oder Landschaften der Ãheilen Welt der Berge¶ handeln (wie beispielsweise in Rio Grande oder jener von 198
Dirk Verdicchio (2004: 131) stellt hinsichtlich der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Monstern fest, dass diese Äals Methode betrachtet werden kann, Kulturen durch ihre Monster zu lesen³. So starte beispielsweise Dracula, durch seine Blutfixierung, ein Vertreter der archaischen Zeit, einen ÄGeneralangriff auf die Biopolitik der modernen Gesellschaft³ (Verdicchio 2004: 131), indem er Äein unkontrollierbares Element in den sozialen Körper³ (Verdicchio 2004: 131) einfüge und damit die Peuplierungspolitik jener Zeit (symbolisch) gefährde. Darüber hinaus stehe ± so Verdicchio (2004: 142) an Franco Moretti (1988) anknüpfend ± Dracula Äsinnbildlich für das monopolitische Kapital³, schließlich sei ± Marx (1957: 241) zufolge ± das ÄKapital verstorbene Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit, und je mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt³. 199 Dabei besteht durchaus die Möglichkeit, zeitliche Referenz dadurch zu verdichten, indem die Referenz an einen Äexistierenden Ort [...] unwichtig [ist]³ (Ruggle 1990: 21), wie häufig in den Filmen von Theo Angelopoulos.
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deutschen bzw. österreichischen, eine diffuse Sehnsucht nach einer Ävorindustriellen, vormodernen Welt³ (Hauser/Kamleithner 2005: 178) transportierenden Heimatfilmen der 1950er Jahre). 5. Landschaft wird zum Schauspiel bzw. zum Schauspieler. Sie wird Äum ihrer selbst Willen im Spielfilm präsentiert³ (Escher/Zimmermann 2001: 233) und rückt in das Zentrum der Betrachtung (wie z.B. bei der Schatz im Silbersee oder Waterworld). 6. Landschaft wird als Drehort (Ãlocation¶ oder Ãset¶) Gegenstand von Bedeutungszuschreibungen. Dabei wird die Konstruktion filmischer Geographien besonders deutlich: Handlungen häufig an anderen Orten angesiedelt als gedreht (Spanien statt amerikanische Prärie, argentinische Anden statt Tibet etc.). 7. Landschaft wird Ziel des Drehort- bzw. Location-Tourismus. Damit wird physische Landschaft zum Gegenstand der Transformation des indirekten Beobachtens via Film zur direkten Beobachtung (z.B. das Glottertal als Drehort der Serie Schwarzwaldklinik). 8. Landschaft wird zum Teil des Stadt- bzw. Regionalmarketings wie Björn Bollhöfer und Anke Strüver (2005) am Beispiel der ARD-Tatort- und ZDFWilsberg-Kriminalserien für die Stadt Münster zeigen. Spielfilme (aber auch andere Genres) erzeugen Landschaften und implementieren Landschaften in einen Kontext aus Geschichten und Bedeutungen. Filme erschaffen Landschaften, Äindem sie Städte, Länder und Regionen thematisieren sowie Geschichten und Begebenheiten erzählen³ (Escher/Zimmermann 2001: 228; vgl. auch Bollhöfer 2003). Die Rekonstruktion einer filmischen Landschaft durch den Betrachter unterliegt einer weiteren Einschränkung: Da der im Film dargestellte Landschaftsausschnitt durch die Kameraeinstellung determiniert ist, ist der Beobachter also der Möglichkeit beraubt, in dem dargestellten Raum alternative Raumausschnitte zu Landschaft zu rekonstruieren, um so eine Einbettung in einen größeren Kontext zu erzielen. Der Betrachter des Filmes gestaltet sich zwar Äaufgrund seiner Sozialisation, seiner lebensweltlichen Kenntnisse, seiner kulturellen Prägung und seiner bereits vorhandenen Prädisposition seine eigene Geographie des gesehenen Spielfilms, [...] und dennoch werden bei vielen Menschen im Großen und Ganzen ± ähnliche Vorstellungen erzeugt³ (Escher/Zimmermann 2001: 230). Dabei besteht in der filmischen Repräsentation von Landschaften die Möglichkeit Äder Nachahmung der idealen Vorbilder, die für die Landschaftsgestaltung bislang wesentlich waren³ (Krysmanski 1990: 137). Hierbei sind insbesondere Spielfilme bei der Produktion von landschaftlichen Stereotypen wesentlich beteiligt (vgl. auch Asmuth 2005): Sie greifen in der Vorauswahl der dargestellten Landschaftselemente auf allgemein als sozialisiert geltende Kontextualitätsmuster zwischen dargestelltem Raum und darge168
stellter Handlung zurück. Durch diese Beschränkung auf allgemein als sozialisiert geltenden Landschaftsfundus findet eine ständige Reproduktion der beschränkten Auswahl insbesondere global verfügbarer Landschaftsstereotypen statt: Die stereotype Landschaft der gemäßigten Breiten (z.B. in Grüne Tomaten), des Mediterranen (z.B. Gladiator), der Wüsten (Lawrence von Arabien, aber auch Mad Max), des Exotischen (insbesondere der Tropen wie beispielsweise im Film Fluch der Karibik), der heißen Offenländer (wie bei Karl-MayVerfilmungen, der Schuh des Manitu, aber auch Serengeti darf nicht sterben) und der kalten Klimate (wie in Wolfsblut; auch in ihren Spezialfällen der stereotypen Landschaft des ewigen Eises oder Hochgebirges). Der Zuschauer von (insbesondere kommerziellen) Filmproduktionen findet sich also in einem gegenseitigen Bestätigungszirkel zwischen Erwartetem und Präsentiertem. Die stereotypen Filmlandschaften stehen dabei in einem sich gegenseitig verstärkenden Rückkopplungsverhältnis zu den gesellschaftlichen stereotypen Landschaften: Filmische Landschaften werden in ± bewusstem oder unbewusstem ± Rückgriff auf sozialisierte Landschaftsstereotypen erzeugt und erzeugen oder verstärken wiederum die gesellschaftlichen stereotypen Landschaftsvorstellungen, indem sie sie mit Handlungen verknüpfen, symbolisieren bestimmte Landschaften (z.B. die Wüste, die Industrielandschaft) Gefahr, andere (beispielsweise der Garten) Ruhe und Geborgenheit, Zuschreibungen also, die sich im öffentlichen Diskurs um angeeignete physische Landschaften fortsetzen200. Filmische Landschaften weisen heute ± worauf Lefebvre (2006) hinweist ± eine ähnliche Bedeutung in der (Re-)Produktion landschaftlicher Stereotypen auf, wie im 18. und insbesondere 19. Jahrhundert Landschaftsgemälde. Die neue Vielfalt, wie sie im Titel dieses Abschnitts angesprochen ist, bezieht sich also eher auf das Medium des Films selbst als auch dessen landschaftsbezogene Inhalte, die (mit Ausnahmen) stark stereotyp ausgerichtet sind. 4.2.4 Die neue Vielfalt III ± Computererzeugte Landschaften als neue Einfalt Cyberspace201 lässt sich mit Lothar Bertels (1997: 47) als ein Ämit technischen Mitteln geschaffener, kybernetischer Raum [auffassen], der mit dem Betrachter durch Rückkopplung verbunden ist³, in dem Ädie Grenzen von Realität und Si200
Dosch/Beckmann (1999a: 291) zeigen die ökonomischen Bezüge der (sozial hergestellten) Sehnsucht nach ursprünglicher Landschaft, Äsei es im TV als heile Welt des Glottertals oder über die Bäuerin auf dem Sahneetikett, die vorgaukelt, das Produkt stamme nicht aus einem sterilen Industriebetrieb, sondern von der idyllischen Alm³. 201 Der Begriff des Cyberspace stammt ursprünglich aus der Science-Fiction-Literatur, der jedoch Äschnell Eingang in die Lebenswelt und verschiedene wissenschaftlich-technische Disziplinen fand³ (Schetsche 2001).
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mulation in einem bislang unbekannten Ausmaß³ (Löw 2001: 94) verwischen und die Differenz zwischen Anwesenheit und Abwesenheit in der ÄFernAnwesenheit³ (Ahrens 2004: 170) aufgehoben wird. Der Cyberspace bildet dabei keine Äeinheitliche allen gemeinsame Öffentlichkeit, sondern ein aus allen Nähten platzendes Geschehen. Der gebündelten Öffentlichkeit der Massenmedien tritt der fragmentierte Kommunikationsraum des Cyberspace gegenüber³ (Niedermaier/Schroer 2004: 135). Dieser Raum eines Ägeronnenen Verweisungshorizontes³ (Niedermaier/Schroer 2004: 139) sei konstituiert durch fragmentierte und nur Insidern zugängliche Foren. Mithilfe der Computertechnologie lassen sich Landschaften nicht allein als Kulisse von animierten Handlungen darstellen, Anwender sehen sich in die Lage versetzt, Ämit Landschaftsgeneratoren eigene Welten³ (Schürmann 2006: 22) zu erschaffen, als deren Norm wiederum die angeeignete physische Landschaft erklärt wird, schließlich ist es mit Landschaftsgeneratoren möglich Ämit nur wenigen Mausklicks möglichst realistische, dreidimensionale Planetenoberflächen auf den Bildschirm [zu zaubern]³ (Schürmann 2006: 22). Die bei Schürmann (2006) präsentierten Ergebnisse dieser virtuellen Landschaftsdarstellungen zeigen wiederum zahlreiche Bezüge zu landschaftlichen Stereotypen (wie beispielsweise der einsamen Tropeninsel, deren Darstellung mit folgender Bildunterschrift aufwartet: ÄTerraform: Mit den richtigen Einstellungen sind beeindruckende Landschaften möglich³). Mörtenböck (2003: 112) charakterisiert die Perspektive einer Konstruktion von Raum im Cyberspace wie folgt: ÄEine der beständigsten Fantasien um den Begriff des Cyberspace sieht in ihm einen Raum der Erfüllung unserer Wahrnehmungssehnsüchte, einem Idealraum, der uns in einen anderen, meist umfassenderen Sinnes- und Erkenntniszustand eintreten lässt. Daran gekoppelt sind ideologische und ästhetische Vorstellungen von restloser Erfahrbarkeit in diesen neuen, virtuellen Dimensionen³.
Hinsichtlich der klischeehaften Konstruktionsmuster von Landschaft ähneln sich ± so Franzen (2003: 122) ± die Landschaftsmalerei eines Lorrain oder Poussin und die heutigen Visualisierungen einer virtuellen Realität, aber auch die einer Rechner gestützten Gestaltung (CAD ± Computer Aided Design): ÄMit stereotypen Basiselementen wird Idealität simuliert³. Gleichzeit nimmt ± so Münker (1997) ± die Fähigkeit des Menschen proportional zur Steigerung der Kapazität des Rechners ab, Simulationen als solche wahrzunehmen: Personen, Gebäude, Landschaften werden stereotyp idealisiert und ± bei Bedarf ± virtuell neu arrangiert. Entgegen den prinzipiell vorhandenen Möglichkeiten eines kreativen Umgangs mit Landschaft in der virtuellen Welt der Computerspiele und des Cyberspace, sind diese virtuellen Landschaften also durch klischeehafte Repräsentationen einer vielfach futuristischen Idealwelt geprägt, Ädie mit homogenisierten und 170
stereotypen Visualisierungen veranschaulicht wird, oder von angeblich authentischen Rekonstruktionen vergangener Architekturen, die eigentlich nur blasse Abbilder einer bei weitem Facetten reicheren kulturellen Realität sind³ (Mörtenböck 2003: 112). 4.3 Die Welt der Vorstellung einer idealen Landschaft ± die Semiotik des Naturschutzes Der Begriff des Naturschutzes wurde 1888 von Ernst Rudorff (1840-1916), einem Mitbegründer der Heimat- und Naturschutzbewegung202, unter der Begründung der Verlusterfahrung als dem Hauptmotiv des Naturschutzes eingeführt. Ein Motiv, das in der Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert auch bei den Kunstreformbewegungen zu finden ist, deren Ziel in der Bewahrung der Äwahren Kultur³ durch ästhetische Erziehung, Geschmackskultivierung, Volksbildung und Konsumentenerziehung gegen die einsetzende Massenkultur lag (Maase 2001). Die Verbindung von beiden Bewegungen wird auch in den Äußerungen von Pazaurek (2007 ± zuerst 1912: 119), einem Kunstreformer des frühen 20. Jahrhunderts, deutlich, der feststellte, die Ergebnisse der Untersuchungen von Heimatforschern des Regionaltypischen, könnten für den Kunstgewerbetreibenden in Abgrenzung industriell hergestellter (also per se kitschiger) Produkte Äals Quelle reichster Anregung³ dienen (vgl. auch Trepl 1994b, Weber 2007). Rudorff (1897) greift die Ideen von Riehl (1854) der Verbindung von Natur und Kultur in der Kulturlandschaft auf. In der Kritik an einem abstrakten Vernunftglauben der Aufklärung und am formalen Individualismus des Liberalismus formuliert er eine Geschichts- und Staatsphilosophie der konkreten Vernunft und qualitativ gehaltvoller Individualität; gegen Ädie universelle Industrie und gegen den Gleichheitsgedanken der Demokratie wird von Rudorff die Idee Ãmonadischer¶, d.h. landschaftlicher Ganzheiten von einzelnen Erdräumen und Kulturen gesetzt³ (Körner 2006a: 6). Die Bestrebung Rudorffs lag grundsätzlich in einem Schutz der gesamten angeeigneten physischen Landschaft, wobei insbesondere die Zeugnisse der Heimatgeschichte erhalten werden sollten. Um ihre Struktur museal zu erhalten, lehnte er auch den Einsatz von Maschinen in der Landwirtschaft ab (vgl. Buchwald 1968); und begründete damit eine ± für den deutschen Naturschutz weithin charakteristische ± anti-modernistische (und anti-urbane) Tradition und war damit ± Knaut (1993) zufolge ± ein typischer Vertreter einer bürgerlichen Agrarromantik als Gegenströmung zur Aufklärung. 202
Rudorff war Musikwissenschaftler und besaß ein Landgut bei Hannover. Von diesem aus verfolgte er, Äwie radikal sich schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Modernisierung und Rationalisierung der Landnutzung die Landschaft veränderte³ (Haber 2006: 20).
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Eine andere Position im Bereich des Naturschutzes nahm Hugo Connwentz (1855-1922) ein: Er plädierte für einen Kompromiss zwischen Naturschutz und industrieller Entwicklung. Neben einzelnen besonderen Naturelementen wie alten Bäumen und Felsformationen sollten seiner Auffassung nach ganze Landschaften im Sinne eines Reservatsschutzes als Anschauungsgegenstände für die Bevölkerung und zu wissenschaftlichen Zwecken Erhaltung finden. Die klare terminologische Trennung zwischen Kulturlandschaft und ursprünglicher Landschaft findet bei ihm jedoch keine Operationalisierung. Naturschutz erscheint bei Connwentz Äals eine Sonderform der Denkmalpflege und wird auf das Seltene und das als etwas Besonderes Angesehene beschränkt³ (Neu 2006: 20; vgl. auch Raffelsiefer 1999)203. Im Jahre 1906 wurde der Naturschutz zwar zur Staatsaufgabe (vgl. Haber 1992) und erhielt mit der Reichsverfassung vom 11.8.1919 Verfassungsrang, blieb aber im Vergleich Äzur personell und finanziell viel mächtigeren Landwirtschaftsverwaltung, die die Landnutzungs-Modernisierung weiter vorantrieb³ (Haber 2006: 20), eine unterausgestattete staatliche Aktivität, die die kleinflächige Schutzstrategie einer ÃNaturdenkmalpflege¶ verfolgte. Die Bemühung um Schaffung von großen Naturschutzparken blieb privaten Initiativen vorbehalten. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeichnete sich eine zunehmende biologische Orientierung des Naturschutzes ab (Haber 2006: 20): Das Interesse wandte sich von jener angeeigneten physischen Landschaft ab, die ÄRudorff im Sinn hatte und die er eben fälschlich ÃNatur¶ nannte³, und immer mehr dem Schutz Äschön blühender Pflanzen und interessanter, seltener Tierarten³ (Haber 2006: 20) zu. Mit dem Abwenden von einem landschaftsbezogenen holistischen Ansatz verlor der Naturschutz auch die darin implizierte stark ästhetisch orientierte Motivation, die zum Teil inkommensurablen Naturschutzkonzepte erhielten (neue) Aktualität ± vom Schutz der Kulturlandschaften bis hin zum Schutz einzelner Phänomene oder dem Konzept der Wildnis (vgl. Soper 1999)204. Noch zu Beginn 203
Bereits im sich konstituierenden Naturschutz traten also unterschiedliche Zielvorstellungen auf (Haber 2006): Eine Richtung des Naturschutzes betrieb die Schaffung großflächiger Schutzgebiete für besondere Naturschönheiten nach dem Vorbild des 1872 in den Vereinigten Staaten von Amerika gegründeten Yellowstone-Nationalparks, während die andere Richtung nur einen kleinflächigen Schutz für einzelne Naturbestandteile als Naturdenkmale anstrebte. Die implizite Anthropozentrik des frühen Naturschutzes wird in den gewählten Bezeichnungen deutlich: der Begriff des Parks für das Gebiet von Yellowstone wurde Ävom beliebten Central Park in New York, also einer großen städtischen Grünanlage entlehnt und in die Ãwilde¶ Natur übertragen, und zwar mit der ähnlichen Zweckbestimmung Ãfor the enjoyment of the people¶. Ebenso hatte der Begriff ÃNaturdenkmal¶ seinen Ursprung im Denkmalbegriff der Kultur³ (Haber 2006: 20). 204 Wächter (2001) unterscheidet innerhalb der Ökologie drei Arten des Naturverständnisses: organizistisch-holistische Zugänge, systemische Zugänge, individualistische Zugänge. Während bei den ersten beiden Zugangstypen Lebensgemeinschaften als abgrenzbare Einheiten betrachtet werden, geht der dritte Ansatztyp davon aus, die an einem Standort vorkommenden Individu-
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des 20. Jahrhunderts konnten Naturschützer mit einer ästhetisch begründeten Kritik an den Staudammprojekten distinktiv argumentieren, indem sie gegen die Ähorizontale Linie des Wassers³ (Blackbourn 2007: 287) opponierten, die allerlei ÃVergnügungspöbel¶ anlockte, wie es in zeitgenössischen Publikationen des Naturschutzes hieß. Zwischen dem Naturschutz in Deutschland und dem Nationalsozialismus bestanden ± wie Blackbourn (2007: 341) feststellt ± Äunleugbare Affinitäten³: Der deutsche Naturschutz und der Nationalsozialismus teilten Äeinen Affekt gegen Großstädte und einen Ãkalten¶ Materialismus, machten einen ungezügelten liberalen Kapitalismus verantwortlich für die Bedrohung der Schönheit der Landschaft und waren sich sogar in einer ganzen Reihe von spontanen Abneigungen einig ± gegen Beton, das dies ein Ãundeutscher¶ Baustoff sei, Werbeplakate, die das Bild ländlicher Gebiete Ãverschandelten¶, die Anpflanzung Ãnichtbodenständiger¶ Bäume und Sträucher³ (Blackbourn 2007: 341; vgl. auch Körner 2006b).
In der Zeit des deutschen Nationalsozialismus erreichte die Verbindung der Begriffe Ãgrün¶ und Ãdeutsch¶ bzw. Ãdeutsche Heimat¶ ihre maximale Intensität in der landschaftlichen Begründung deutscher Überlegenheit durch Exklusion: ÄÃdeutsch und blühend¶ im Gegensatz zur slawischen ÃWüste¶ oder ÃWildnis¶³ (Blackbourn 2007: 17), die als Ãwilder Osten¶, durchaus von den Karl-MayRomanen inspiriert, die Aneignungsfantasien von Landschaftsplanern, Raumordnern und Politikern des Nationalsozialismus anregten. Die Amalgamierung der Landschaftsästhetik von grün und Ordnung, ökologischen Aspekten, Rassendünkel und tradierten Stereotypen (vom Ãmännlichen¶ und Ãtätigen¶ Deutschen gegenüber dem Ãuntätigen¶ und Ãweiblichen Slawen¶; vgl. Blackbourn 2007) wurde für weite Teile des Naturschutzes und der Raumordnung konstitutiv (vgl. Fehn 1999 und 2002, Blackbourn 2007): Landschaft wurde zum ÄSpiegel völkischer Kultur³, so der Geograph Grotelüschen (zit. nach Schultz 1980: 205), deklariert. Aus diesem Amalgam wurde die scheinbare Aufgabe der völligen Neuordnung der ostmitteleuropäischen angeeigneten physischen Landschaften nach planerischen Ideologien der Normativität zentraler Orte, der Struktur der Siedlungen bis hin zur Form der Felder (vgl. Blackbourn 2007) sowie deren schulische Inkorporierung abgeleitet (Fehn 2002). In der Nachkriegszeit wurde der deutsche Naturschutz durch konservative Stimmen geprägt, die Ädie ÃBeherrschung¶ der Natur ebenso [ablehnten], wie den en seien völlig autonom und kämen lediglich deshalb gemeinsam vor, weil sie ähnliche Standortansprüche hätten. Organizistisch-holistische Zugänge unterscheiden sich von systemischen Zugängen durch ein organisches Verständnis, sodass Lebensräume als Individuen erscheinen, die zu erhalten seien, während systemische Zugänge stärker von einer Veränder- und Steuerbarkeit von Naturprozessen ausgehen (vgl. auch Neu 2006).
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Kommunismus oder den amerikanischen Rock¶n Roll³ (Blackbourn 2007: 398). Die Befürchtungen dieser konservativen Naturschützer hinsichtlich der sogenannten natürlichen Landschaft, die durch die moderne Ämechanisierte³ und Äamerikanisierte Massengesellschaft³ gefährdet sei (vgl. z.B. Böhm 1955, Schwab 1958), fügten sich dabei Äin umfassende Besorgnisse ein: die Verteidigung der Familie, die Verteidigung der deutschen Heimat und die Verteidigung des Ãchristlichen Westens¶ gegen krassen Materialismus und sowjetischen ÃTotalitarismus¶³ (Blackbourn 2007: 398). Bereits in den 1950er, verstärkt seit den 1960er Jahren, setzte sich sukzessive eine Ökologisierung und Vernaturwissenschaftlichung des Naturschutzes durch (Blackbourn 2007), in der Semiotik des Naturschutzes trat der Schutz der Heimat gegenüber dem Schutz von Arten, Ökosystemen und Biozönosen zurück205. Diese Semiotik sei jedoch ± Körner (2005c: 112) zufolge ± bei aller Ökologisierung weiterhin unterschwellig durch eine kulturelle Orientierung geprägt, die sich dadurch äußere, Ädass die landschaftliche Eigenart und davon abgeleitet die spezifische Vielfalt der Arten und Biotope weiterhin eine zentrale Rolle bei der Bewertung von Biotoptypen³ spiele206. Weber (2007: 22) verweist auf einen inneren Widerspruch dieser Konzepte, schließlich sei die Konstruktion von Landschaft als schützenswerte Natur Ägerade als Gegenentwurf zur naturwissenschaftlich und damit rational zugänglichen Natur³ entworfen worden. Trotz zahlreicher Ansätze fehle ± wie Plachter (1995: 198) feststellt ± Äbis heute eine allgemein konsensfähige Definition des Begriffes³ des Naturschut205
Die soziale Bedingtheit des Schutzes von Natur verdeutlicht Burckhardt (1990: 67) folgendermaßen: ÄWir diskutieren heute unter dem Stichwort Ökologien verschiedene Strategien, die dazu dienen, Ressourcen zu sparen, Arten zu erhalten, natürliche Zyklen nicht zu zerstören; aber die obersten Ziele, an welchen wir uns orientieren sind nicht der Ökologie entnommen, sondern ästhetischer Natur³. Diese Vorstellungen werden im Begriff der Ãintakten Landschaft¶ zusammengefasst. Wobei Intaktheit nichts anderes ausdrückt, als die Übereinstimmung zwischen Beobachtetem und Erwartetem, oder in kybernetischer Terminologie: der Verringerung der Differenz von Ist-Wert und Soll-Wert gegen Null. Die Abgleichung des ästhetischen beobachteten Ist-Zustandes mit dem ästhetischen SollZustand stellt dabei die unmittelbare ästhetische Komponente des Ist-Soll-Abgleichs dar. Die mittelbare ästhetische Komponente bezieht sich auf die Deutung des Beobachteten als Ökotop und den ökosystemischen Ist-Soll-Abgleich. Hier sind die Soll-Kriterien nach Seltenheit bzw. Repräsentativität gefasst, die wiederum an sensorische Komponenten gebunden sind und somit eine ästhetische Bewertung implizieren. 206 Im Gegensatz zu amerikanischen Debatten zum Umgang mit Umwelt, die ± so Lekan/Zeller (2005) ± durch den Gegenstand der Wildnis geprägt seien, wurden in Deutschland bereits früh die Folgen menschlichen Handelns in die Landschaftsperzeption aufgenommen. Dieser Ansatz in Deutschland verband dabei die Konzepte des Naturschutzes und Heimatschutzes (vgl. Wiemer 1996) in einer modernisierungskritischen und (groß)stadtfeindlichen Ideologie (vgl. Herman 1993, Körner 2005c und 2006b, Gebhard/Geisler/Körner 2005b, Schröter 2007). Aspekte, die bis heute in der wissenschaftlichen Betrachtung von Kulturlandschaft und praktischer Landespflege von Bedeutung sind und durch die Diskussion um soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit (in Opposition zur technologisierten Zivilisation) aktualisiert wurden (Lekan/Zeller 2005).
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Abbildung 23:
Sektorale Leitbilder des Umgangs mit angeeigneter physischer Landschaft und ihre Genese (nach: Plachter/Reich 1994 und Haber 2006).
zes207. Daher ist er nur unscharf gegenüber den Begriffen Umweltschutz und Landschaftspflege abzugrenzen (Raffelsiefer 1999). Konstitutiv für den Naturschutz ist methodisch seine starke Maßnahmen- und Handlungsbezogenheit, inhaltlich die Ausrichtung auf Erhaltung und Förderung von frei lebenden Tieren und Pflanzen, ihrer Lebensgrundlagen in der gesamten Landschaft Äsowie der Erhaltung und Förderung von ± nach bestimmten Kriterien als schutzwürdig befundenen ± Landschaften, Landschaftsteilen und Landschaftselementen³ (Erz 1980: 560). Bisweilen wird der Maßnahmen- und Handlungsbezug auch auf ganze Ökosysteme ausgedehnt (Mader 1987: 419), wodurch ± so Raffelsiefer (1999) ± die Abgrenzung zum allgemeineren Umweltschutz weiter verschwimme. Andere Autoren (z.B. Haafke 1988 und Gellert 1993) beziehen die an den Maßnahmen treibenden in ihre Naturschutzdefinition ein (Abbildung 23). Trotz der Vielfalt der Ansätze des Naturschutzes hat der administrative Naturschutz in seiner Entwicklungsgeschichte deutlich an gesellschaftlicher Kontingenz verloren: War Naturschutz Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhun207
Dies gilt auch für den Wortteil ÃNatur¶. Eine wesentliche Bruchlinie des Naturbegriffs liegt in der Frage, ob der Mensch als Teil der Natur anzusehen sei oder, ob er außerhalb der Natur stehe (vgl. Heiland 1991/92), ein Thema, das im Zusammenhang mit der Frage des Kulturlandschaftsschutzes (Abschnitt 5.3 ± Kontingenz und gesellschaftliche Landschaft ± Paradigmen zum Umgang mit angeeigneter physischer Landschaft) genauer untersucht wird.
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derts geprägt von einer Opposition gegen die Industrialisierung und die Modernisierung wurde er durch Verwissenschaftlichung und insbesondere Bürokratisierung hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Alternativität stark eingeschränkt. Eine Popularisierung des Themas Landschaft in der Gesellschaft findet somit heute primär ästhetisch und nicht aus Sicht des Arten- und Biotopschutzes statt (vgl. Körner 2005b, 2005c und 2006a). Schließlich lässt sich Ästhetik (scheinbar) individuell erleben, eine strenge Normativität in Form von Richtig-FalschDichotomien ist weniger verbreitet als im wissenschaftlich begründeten und rechtlich durchgesetzten Naturschutz. Damit wird die Krisenhaftigkeit des Verhältnisses von Ökologie und Ästhetik deutlich, die noch durch die jeweilige innere Krisenhaftigkeit beider Prinzipien verstärkt wird: Beide sind verstrickt in unterschiedlichen Interessen und Zielvorstellungen. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die zurzeit empirisch fassbaren Paradigmen des Umgangs mit angeeigneter physischer Landschaft in ihrem Spannungsfeld von Kultur, Natur und Ästhetik darzustellen208. Ein Paradox ergibt sich aus der Begründung der Erhaltung von ÃNatur¶ aufgrund von Überlegungen des Naturschutzes: Es werden Ökotope geschützt, die es ohne den Eingriff des Menschen nicht gegeben hätte. Dies bedeutet, dass diese Ökotope ± bei sich verändernden Ansprüchen der Gesellschaft an den physischen Raum ± sowohl gegen die natürliche Sukzession als auch gegen diese geänderten (d.h. auch entfallenden) Nutzungsansprüche durchgesetzt werden müssen (vgl. Weber 2007). Beispielsweise fällt eine artenreiche magere Salbeiglatthafermähwiese wegen ihres geringen Heuertrages aufgrund ökonomischer Rentabilitätserwägungen infolge der Globalisierung des Marktes für landwirtschaftliche Produkte aus der Nutzung (Änderung sozialer Nutzungsansprüche), sodass diese Fläche ± aus Artenschutzperspektive ± durch die natürliche Sukzession (in 208
Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im städtischen Bildungsbürgertum entstandenen Überlegungen zum Schutz der Natur basierten ± so Haber (2006) ± auf drei prinzipiellen Fehleinschätzungen, die bis heute in den Vorstellungen von Naturschützern perpetuierten: Erstens wurde Kulturlandschaft mit ÃNatur¶ gleichgesetzt, womit eine zunehmende Einengung des Naturschutzes auf einzelne Biotope und Arten, teilweise sogar einzelne Individuen, einherging. Die durch den Naturschutz betrachtete angeeignete physische Landschaft wurde dadurch auf wenige Elemente der angeeigneten physischen Landschaft reduziert: So blieben Städte und intensive landwirtschaftlich genutzte Flächen außerhalb des naturschutzfachlichen Interesses. Zweitens wurde Landschaft als öffentliches Gut aufgefasst, das heißt, sie ist von jedem ohne Berechnung individueller Kosten konsumierbar und drittens wurde die Dynamik von Natur und Landschaft ignoriert. Insbesondere die FFHRichtlinie (92/43/EWG) der Europäischen Union bedeutet heute eine starke Ausrichtung auf statische, die Biodiversität erhaltende gegenüber dynamischen Elementen, die sich auch in Nutzungsänderungen manifestieren können. Bereits Schelling (1798) sprach sich ± in Abgrenzung zum mechanistischen Naturbegriff Fichtes ± gegen eine Vorstellung aus, Natur stünde dem Menschen als unbelebte Ressource zur freien Verfügung. Stattdessen entwirft er ein Modell, das der Natur ein Eigenrecht zuerkennt.
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einigen hundert Jahren) in den natürlichen (= artenarmen) Zustand zu verfallen Ãdroht¶. Hierbei handelt es sich um ein Prinzip des Doppelbinders: Sollte Landschaft ± in welcher Richtung auch immer ± verändert werden, muss stets eine Expertin oder ein Experte hinzugezogen werden, der das Maß der Änderung bestimmt und überwacht. Auffällig ist, wie Burckhardt (1991a) betont, dass auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgesprochene Vorlieben bei der Bewertung von Ökotopen haben, insbesondere von Orchideen sei häufig die Rede, in besonderer Weise von Frauenschuh; und zur Wiederansiedlung des Storchs (als Äschöner und sympathischer Vogel³; Burckhardt 1991a: 87) werden Programme aufgelegt, während andere Tier- und Pflanzenarten nahezu unbemerkt aus den angeeigneten physischen Landschaften verschwänden. Akzentuiert lässt sich ± unter Heranziehung der abendländisch-stereotypen Konstruktion der Dichotomie von Kultur und Natur (vgl. Zierhofer 2003, Weber 2007) ± die paradoxe Situation feststellen, dass aus Interesse des Schutzes der Natur, die Erhaltung besagter magerer Salbeiglatthafermähwiese kultürlich sowohl gegen die Kultur als auch gegen die Natur durchgesetzt wird. 4.4 Fallbeispiel 1: Die Europäische Landschaftskonvention und die neuen ÄLeitbilder und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland³ 4.4.1 Die Europäische Landschaftskonvention Die Europäische Landschaftskonvention stellt einen Handlungsrahmen dar, der der Vielfalt und menschlichen Prägung der angeeigneten physischen Landschaften Europas Rechnung trägt. Die im Oktober 2000 in Florenz unterzeichnenden, dem Europarat angehörenden 18 Staaten, Staaten (Deutschland gehört nicht dazu), verpflichten sich dazu, die angeeigneten physischen Landschaften ihres Hoheitsgebietes zu erfassen, zu analysieren und ± vor dem Hintergrund des Landschaftsbezuges der Gesellschaft ± zu bewerten. Für die infolge des Analyseprozesses identifizierten angeeigneten physischen Landschaften sollen Qualitätsziele formuliert und ± unter Einbeziehung der ansässigen Bevölkerung ± Instrumente zu Schutz, Pflege und Entwicklung erarbeitet werden. Begründet wird die Europäische Landschaftskonvention mit der Lebensqualität und Identität, die angeeignete physische Landschaft stifte. Die mangelnde rechtliche Operationalisierung der Europäischen Landschaftskonvention bemängelt Jessel (2005: 585), indem sie feststellt, es handele sich dabei lediglich um Rahmenbestimmungen, Äderen Nichtbefolgung mit keinen konkreten Sanktionen bewehrt³ sei. 177
Während das Bundesnaturschutzgesetz, aber auch das Raumordnungsgesetz, das Bundesimmissionsschutzgesetz und in besonderer Weise das Bundesbaugesetzbuch deutlich auf die angeeignete physische Landschaft ausgerichtet sind, die es zu bewahren gelte209, bezieht die Europäische Landschaftskonvention die Vorstellungen der ansässigen Bevölkerung hinsichtlich der Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaften stärker ein. Darüber hinaus bezieht die Europäische Landschaftskonvention, im Gegensatz zu den genannten anderen Rechtswerken, die weitgehend in der materiellen Dimension von Landschaft verhaftet bleiben210, in ihrer politischen Perspektive eine gesellschaftszentrierte Definition von Landschaft als Kulturgut. Dabei wird Landschaft in Artikel 5 (erstens) mit menschlichen Grundbedürfnissen und (zweitens) mit demokratischen Prinzipien in Verbindung gebracht211. Bruns (2006: 14) bewertet die Europäische Landschaftskonvention mit ihrer geringen Regelungsdichte als ein modernes Vertragswerk, an dem das Großartige Ädie mit klaren Worten vorgetragenen Ziele³ seien. Ein wesentliches Ziel ist die Demokratisierung des Bewertungs- und Planungsprozesses, was ein Umdenken überall dort erfordert, wo Äwie etwa bei der flächendeckenden Landschaftserfassung und -bewertung oder bei der Leitbildfindung, das Feld bisher von Experten beherrscht wurde und wo nun auch Laien mitwirken sollen³ (Bruns 2006: 17). Eine Einschränkung ihrer Macht, derer sich die in den Ministerialverwaltungen ansässigen Naturschutzexperten bis dato ± unter anderem unter Hinweis auf den (wohl vorgeblichen) zusätzlichen Verwaltungsaufwand (Bruns 2006) ± zu erwehren wussten: Die Europäische Landschaftskonvention ist bis dato von Deutschland ± im Gegensatz zur Mehrzahl der anderen Mitglieder der Europäischen Union ± nicht ratifiziert worden. Luik (2007) verweist auf ein anderes ± in der Sorge vor Machtverlust begründetes ± Begründungsmuster des amtlichen Naturschutzes zur Ablehnung der Europäischen Landschaftskonvention: Sie sei zu deutlich an die Terminologie und Logik der Raumordnung, die ± auch für Bauwesen und Straßenbau mitzuständig ± schließlich der natürliche Feind der Natur sei, angelehnt. Damit lehnen ± in der Terminologie von Habermas (1981a und 1981b) gesprochen ± die Repräsentanten des Systemischen einerseits den Versuch einer Integration lebensweltlicher Elemente in die Planung ab, andererseits verdeutlicht dieses Beispiel 209
Das Raumordnungsgesetz (ROG) bezieht sich im 13. von 15 Grundsätzen der Raumplanung explizit auf die Erhaltung von Ãgewachsenen Kulturlandschaften¶. 210 Geregelt wird der Umgang mit angeeigneter physischer Landschaft (bzw. deren Elementen), dem zumeist ein erhaltender Impetus innewohnt, eine Auseinandersetzung mit der sozialen Determiniertheit von Landschaft findet nur in Ansätzen statt. 211 Dies wird auch in der hybriden Definition von Landschaft in der Europäischen Landschaftskonvention deutlich: ÄLandschaft ist Teil eines Gebietes oder Raumes, so wie er von den Menschen wahrgenommen wird. Merkmale und Charakter ergeben sich aus wechselseitigen Einwirkungen natürlicher und kultureller Einflüsse³ (Europäische Landschaftskonvention, Artikel 1).
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die Konkurrenz unterschiedlicher administrativ institutionalisierter Sachdisziplinen (mit ihren (stereo)typischen Deutungsmustern und Ideologien) um Machtressourcen; nicht an den häufig proklamierten als objektiv deklarierten ökologischen Funktionen wird das eigene Handeln ausgerichtet, sondern vielmehr an Interessen der Gewinnung und Sicherung instrumenteller und autoritativer Macht für die eigene Gruppe. 4.4.2 Die neuen ÄLeitbilder und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland³ (BMVBS/BBR 2006) In den neuen ÄLeitbildern und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland³ (BMVBS/BBR 2006) ± Ergebnis eines mehrere Jahre dauernden Beratungsprozesses zwischen Bund und Ländern, Fachöffentlichkeit und Wissenschaft (Alltschekow/Eyink/Sinz 2006) ± wird dem bislang in der Raumordnung eher mit durchschnittlicher Intensität behandelten Thema der angeeigneten physischen Landschaften212 eine zentrale Bedeutung beigemessen. Mit dem Ziel, den veränderten räumlichen Rahmenbedingungen der Gegenwart ± Globalisierung, Wandel staatlicher Gestaltungsmöglichkeiten, Europäische Integration, demographischer Wandel und den damit einhergehenden räumlichen Veränderungen ± Rechnung zu tragen, wurden von der Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) am 30. Juni 2006 die neuen Leitbilder und Handlungsansätze für die Raumentwicklung in Deutschland verabschiedet (BMVBS/BBR 2006). Die die Pläne oder Programme Ädurch ein verstetigtes Koordinationsziel³ (Alltschekow/Eyink/Sinz 2006: 8) ergänzenden Leitbilder sind in drei Dimensionen gegliedert: Wachstum und Innovation, Daseinsvorsorge sichern, Ressourcen bewahren, Kulturlandschaften gestalten. Das Leitbild Drei ÄRessourcen bewahren, Kulturlandschaften gestalten³ ist dabei nicht allein auf die in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie geforderte Reduzierung der Flächeninanspruchnahme für Verkehrs- und Siedlungszwecke beschränkt, sondern bezieht sich auch auf Ädie Bewahrung schützenswerter Landschaften und Freiräume zwischen den Siedlungskörpern, sowie [«] die Weiterentwicklung des kulturlandschaftlichen Potenzials³ (Alltschekow/Eyink/Sinz 2006: 12). Dabei sei nicht der Wandel und die Ausdifferenzierung von Kultur212 So taucht der Begriff ÃLandschaft¶ im Raumordnungsgesetz (ROG in der Fassung vom 25.6.2005) lediglich zwölf Mal auf, der Begriff ÃNatur¶ 13 mal, jener des ÃStandortes¶ elf Mal, der der ÃSiedlung¶ neun Mal, während der die Raumordnung durchaus stark prägende Begriff der ÃStruktur¶ 23 Mal genannt wird.
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landschaften in urbane Vorstadtlandschaften, landwirtschaftliche Produktionsräume, Tourismusgebiete oder Flächen für regenerative Energien das eigentliche Problem, Äsondern die Gestaltung einer räumlichen Entwicklung, die kulturlandschaftlichen Ansprüchen und Entwicklungszielen gerecht wird³ (Alltschekow/Eyink/Sinz 2006: 12). Um diesen Zielen gerecht zu werden, fordert die Ministerkonferenz für Raumordnung (BMVBS/BBR 2006) einen Dialog, der folgende Themenfelder einschließt: (Kultur-)Landschaft als Ergänzung zur traditionellen, auf Raumnutzungskonzepten basierenden Raumordnungspolitik zu begreifen, (Kultur-)Landschaft als erlebbare Eigenheit aufzufassen, die der Förderung der Bewohner mit ihrem lokalen Umfeld diene, (Kultur-)Landschaft als Beitrag zur Stabilisierung ländlicher und stadtnaher Räume als Ãweichen Standortvorteil¶ zu begreifen, (Kultur-)Landschaftserhaltung und -entwicklung durch die Förderung von Regionalmanagements und regionaler Marketingstrategien zu fördern, wozu Partnerschaften und Kooperationen mit anderen Politikbereichen anzustreben sind. Hahne/Glatthaar (2007) kritisieren das Leitbild ÄRessourcen bewahren, Kulturlandschaften gestalten³ als zu wenig konkret, so würden keine Zielgröße der Flächeninanspruchnahme durch Verkehr und Siedlungen definiert, keine detaillierten Zielgrößen für urbane, semi-urbane und rurale Räume genannt, sodass nicht deutlich werde, Äwie denn die überall vorhandenen Konflikte des Ãharmonischen Nebeneinanders¶ aufzulösen³ (Hahne/Glatthaar 2007: 117) seien. Zudem basiere das Konzept der stadtnahen Erholungslandschaft auf einem stark anthropozentrischen Ansatz und nicht auf der Idee des Biotopverbundes. Neben diesen Punkten ist die Verbindung von (angeeigneter physischer) Landschaft und Identifikation ± u.a. aufgrund von sozialen Exklusionstendenzen (vgl. Abschnitt 7.2 ± Landschaft als Heimat) ± nicht unproblematisch, die Zuweisung der Funktion von Landschaft als weicher Standortfaktor bedeutet eine implizite Ökonomisierung von Landschaft. Darüber hinaus kann die verwendete Terminologie der Kulturlandschaft aufgrund ihres konservativen semantischen Hofes hinsichtlich einer Umdeutung der angeeigneten physischen und einer ideologiekritischen Reflexion der gesellschaftlichen Landschaft als durchaus problembehaftet eingeschätzt werden. Diesen kritischen Anmerkungen zum Trotz, bedeutet die Hinwendung der Raumordnung zur Landschaft einen wesentlichen Beitrag, Landschaft eine übergeordnetere Bedeutung beizumessen (vgl. auch Hahne/Glatthaar 2007).
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4.5 Fallbeispiel 2: Das rekursive Verhältnis von gesellschaftlicher und angeeigneter physischer Landschaft: Gärten und Parks Gärten und Parks lassen sich als Folgen an Idealtypen ausgerichtete menschlichen Handelns im physischen Raum beschreiben. In Gartenbau und Parkgestaltung Äformten und manifestierten sich die Ideen der Machbarkeit des Sozialen, wie auch die Idee, Vorstellungen vom guten Leben anzulegen³ (Kaufmann 2005: 49). Dabei handeln Gärten und Parks ± Burckhardt (1989a) zufolge ± stets von Natur und implizieren stets eine kompensatorische Funktion, sei es als Erholungsraum oder Frischluftproduktionsraum (vgl. Hauser 2001a, Boczek 2006, Hauser/Kamleithner 2006). Parks und Gärten Ävermitteln das, was nicht direkt wahrgenommen werden kann, als Bild³; insbesondere Gärten, aber auch Parks sind Orte der Ägestalteten Sehnsucht³ (Gerndt 1981: 7; vgl. auch Hugill 1986) und sind bisweilen ein Abbild Äen miniature von Utopia, [dem] Entwurf eines idealen Wunschareals³ (Dethloff 2005a: 31). Damit wird die Betrachtung der Geschichte der Planung und Anlage von Parks und Gärten eine Geschichte der Stellung der Gesellschaft zur Natur. Sie weisen als Kunstwerke eine spezifische, aber dennoch diffuse Symbolik auf, zu deren Entschlüsselung ein Code gelernt werden muss. Gärten und Parks reduzieren die räumliche Komplexität auf eine geplante und vorinterpretierte Alternative (vgl. Burckhardt 1989b). Als Archetypen der neuzeitlichen Garten- und Parkgestaltung lassen sich der Französische (oder Barocke) Garten und der Englische Garten (oder Landschaftsgarten) auffassen. Der Französische Garten ± idealtypisch in den Anlagen von Versailles umgesetzt ± symbolisiert ± so Burckhardt (1989a: 50) ± mit seinen geometrischen Formen in Grund- und Aufriss nicht die Macht des Menschen, in Versailles die Macht des Sonnenkönigs, sondern Ävielmehr das Verhältnis des (damals) Beherrschbaren zum Unbeherrschten, zum Gebiet des Abenteuers und der Jagd³. Der dem Französischen Garten konträr konstruierte Englische Garten symbolisiert einen höheren Ordnungszustand der ungeordnet scheinenden Natur gegenüber der durch den Menschen geschaffenen geometrischen Ordnung der Barockgartens. War der Französische Garten mit seiner geometrischen Struktur ein Symbol für die als hierarchisch definierte Struktur der Gesellschaft, wurde der Englische Garten als Verkörperung der Idee der Freiheit aufgefasst (Bender 1982; vgl. auch Dinnebier 1997). Die vordergründige Unordnung der Englischen Gärten mit ihrer Anspielung auf eine höhere natürliche Ordnung wird zum Symbol Äeiner künftigen besseren Gesellschaft³ (Burckhardt 1989a: 51). Wird ÃNatur¶ im Französischen Garten durch seine Inszenierungen zur konstruierten und konturierten Differenz eines wilden Außen, das von einem inszenierten Innen dichotomisch geschieden wird, wird ÃNatur¶ im Englischen Garten in das Innen geholt und aufwendig kultiviert, da in Mittel- und Westeuropa in181
folge des Bevölkerungsdrucks und des ± teilweise daraus resultierenden ± Primärenergiemangels das Außen des Urwalds, das nahe ÃAußen¶, ebenso sukzessive verschwand213 wie das mystifiziert-wilde ÃAußen¶ Afrikas, Südamerikas und Ozeaniens infolge der Weltumseglung Cooks, den Forschungsreisen Humboldts und Livingstons. Das Erforschte hatte gegenüber dem Unerforschten seine Grenze verloren (vgl. Burckhardt 1989a). Nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung des Englischen Gartens hat die Idee der Natürlichkeit des Paradieses, wie sie beispielsweise in John Miltons ÄParadise Lost³214 von 1667 deutlich wird: Ädie Natur in ihrem ursprünglichen Zustand ist vollkommen, erst der Mensch hat diesen paradiesischen Zustand durch seinen willkürlichen Eingriff zerstört³ (Bender 1982: 112). Die Wiederherstellung von einer scheinbaren (wilden) Natürlichkeit bedeutete den Versuch, das Paradies wiederherzustellen (Bender 1982, Dinnebier 2004), was auch durch die Integration (zumeist künstlicher) Ruinen in den Englischen Garten symbolisiert wurde (vgl. Hartmann 1981, Walpole 1994, Thacker 1995). Das im Englischen Garten zum Ausdruck kommende Stereotyp von der Ursprünglichkeit der vielfältigen und wilden Natur beruht dabei weniger auf der Beobachtung (artenärmerer) europäischer Urwälder, als vielmehr auf der Übernahme des verallgemeinerten Stereotyps artenreicher und vielfältiger tropischer Regenwälder, die in der Reiseliteratur als Paradiese auf Erden geschildert wurden (siehe auch Steinecke 2004)215, 216. 213
Oder aber zum geschützten herrschaftlichen Jagdrefugium wurde, das allerdings seiner Symbolik des Gefährlichen und schwer zu bändigenden verlustig ging, da eine systematische und großflächige Holzentnahme sowohl technisch als auch organisatorisch unschwer möglich gewesen wäre. 214 Ä[«] Thus was a happy place, A happy rural seat of various view: Groves whose rich Trees wept odorous Gums and Balm, Others whose fruit burnished with Golden Rind Hung amiable, Hesperian Fables true, If true, here only, and of delicious taste: Betwixt them Lawns, or level Downs, and Flocks Grazing the tender herb, were interpos¶d, Or palmy hillrock, or frow¶ry lap Of some irriguous Valley spread her stone, Flow¶rs of all hue, and without Thorn the Rose [«]´ (Milton 1957 ± zuerst 1667; zit. nach: Bender 1982) 215 So erklärte Forster (1989: 87) Ende des 18. Jahrhunderts über Tahiti: ÄOhnerachtet der späten Jahreszeit wegen Laub und Gras schon durchgehends mit herbstlichem Braun gefärbt war, so bemerkten wir doch bald, dass diese Gegenden in der Nähe nichts von ihren Reizen verlören, und dass Herr von Bougainville nicht zu weit gegangen sein, wenn er dies Land als ein Paradies beschrieben³. Dieser Ausschnitt verdeutlicht auch den im 18. Jahrhundert erzeugten und bis in die Gegenwart fortwirkenden Tahiti-Mythos, der sich auch in der stereotypen Konstruktion des in Einheit mit der Natur lebenden ÃEdlen Wilden¶ manifestiert. 216 Dieses Stereotyp der artenreichen, wilden und grünen Tropen wird auch durch aktuelle Kinderatlanten persistiert. Schneider (2004: 55) stellt für die Afrikakarte des 2004 in der zweiten Auflage er-
182
Die Konstitution des Landschaftseindrucks in Englischen Gärten erfolgt durch ihre Betrachtung als eine Folge von Bildern, die von dem Gartenplaner entlang eines Gürtelweges organisiert wurden. Durch die integrierende und abstrahierende Synthese dieser Bilder ergab sich der typisierende Eindruck der (stark idealisierend künstlich geschaffenen angeeigneten physischen) Landschaft (vgl. Burckhardt 1988). Eine Expansion des Prinzips des Englischen Gartens stellt die Landesverschönerung des späten 18. Jahrhunderts dar (Buchwald 1968). Diese Landschaftsverschönerung lässt sich als eine Art der romantischen, von der Komposition von Landschaftsgemälden inspirierten ÄGegenbewegung zur Rationalität der Aufklärung und der beginnenden Industrialisierung³ (Warner 2003: 11) interpretieren. Die Konstruktion des Englischen Gartens ± als physische Manifestierung der idealisierten Landschaften der Landschaftsmalerei, aber auch der Poesie (hier sei an der Einfluss Jean-Jacques Rousseaus auf den sentimentalen Garten in Erinnerung gerufen217; Clifford 1966) ± wirkte wiederum zurück auf die Sozialisierung eines stereotypen Soll-Zustandes von angeeigneter physischer Landschaft (Jessel 2005: 580): ÄEr prägte das gängige Idealbild einer schönen, harmonischen und naturnah scheinenden Landschaft ± und dies, obwohl gerade der englische Landschaftspark stark menschlich überformt und in seiner Anlage und in der Unterhaltung sehr arbeitsaufwändig ist!³
Der Höhepunkt der physischen Manifestation des Willens zur Gestaltung der angeeigneten physischen Landschaft zu einem Englischen Landschaftsgarten wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreicht. Hier bemühte sich Franz von Anhalt-Dessau (1764-1800) sein gesamtes Fürstentum in ein ÃGartenreich¶ umzuwandeln (Haber 2005), mit dem Ziel, nach englischem Vorbild eine Einheit von Ästhetik und Ökonomie zu erzielen (Hirsch 1995). Bereits der Begriff Gartenreich verdeutlicht den Territorialitätsanspruch eines Ideals: ÄDer dort zu realisierende Landschaftsbegriff ging von einer beliebigen Gestaltbarkeit eines Landschaftsausschnittes im Absolutismus aus³ (Franzen 2003: 122). schienen ÄMeyers bunter Atlas für Kinder³ fest: ÄDieser [der grüne Süden Afrikas; Anm. O.K.] unterscheidet sich kaum von einem Zoo, denn viel mehr als ÃNatur¶ können junge Leser in Afrika nicht entdecken. Im Gegensatz zu anderen Kontinenten gibt es im südlichen Afrika weder Autos noch Industrie oder Hochhäuser und nur wenige Menschen, lautet die Botschaft dieser Karte, die mit diesem Subtext keinen Einzelfall darstellt³. Ein Kontinent wird mit seinen angeeigneten physischen Landschaften so stereotypisiert. 217 Dies gilt in besonderer Weise für Rousseaus ÄJulie ou La Nouvelle Héloïse³. Hier wird ± so Dethloff (2005: 23) ± das ÄAntönen an Gemüt und Seele³ (Seel 1991: 98) durch die Landschaft in einer Form deutlich, Ädie auf seinem [Rousseaus; Anm. O.K.] normativen Naturbegriff und auf der historisch begründeten Opposition von nature und civilisation fußt³. In dem natürlich scheinenden Garten wird dabei jene unberührte Landschaft simuliert, die als Äheilsamer Ort des Selbstvergessens und der Bewusstwerdung der Negativität gesellschaftlicher und kultureller Niederungen³.
183
Beide Stile, der Englische wie auch der Französische Garten, sind nicht auf eine zeitliche Gebundenheit zu reduzieren, sie repräsentieren vielmehr zeitliche Ausdrucksbedürfnisse und Selbstdefinitionsbedürfnisse des Menschen (Burckhardt 1981a: 198): ÄSo manifestiert sich im Barockgarten der Wille zur Schaffung einer beherrschten Gegennatur, das Bedürfnis nach Grenze, Abschluss und Geborgenheit gegenüber dem Ansturm des Ungeordneten jenseits des Zaunes³. Der Englische Garten verkörpert dagegen Ädie Sehnsucht nach der Urtümlichkeit vergangener Zeiten, in welchen der Mensch als Hirte zwischen seinen Schafen lebte, das Wasser des frischen Quells trank und sich im Schatten eines Baumes erholte³ (Burckhardt 1981a: 198-199). Damit stellen der Französische und der Englische Garten auch Repräsentanten des sich in Dichotomien manifestierten abendländischen Denkens dar, hier der Inszenierung der Dichotomie von Natur und Kultur in der Gestaltung von Landschaft218. Dieses kontrastierende, dichotome Denken spiegelt sich in dem Verhältnis von Gebäude und Garten. Die Formalisierung des Barockgartens wurde von dem Auflösen der Grenzen von Innenund Außenraum des Manierismus kontrastiert, während die scheinbare Wildheit des Englischen Gartens dem stark formalistisch gestalteten klassizistischen Gebäude gegenüberstand (Burckhardt 1981a: 199). Schneider (1989: 14) konstatiert zwischen Barock- zum Landschaftsgarten einen Ideologiewechsel: ÄWar der Herrschaftsinhaber zuvor Machthaber und Ideologe in einer Person, der den Gärtner als Handwerker beauftragte, so wird beim romantischen Landschaftsgarten der Gartenkünstler zum Herrschaftsvertreter, Ideologen und auch Machthaber. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Gartenkünstler oder Grünplaner im Namen des ÃGemeinwohls¶ auftritt³.
Die angestrebte Symbolisierung einer künftig besseren Gesellschaft geht mit der Vereinnahmung der Landschaft einher, die ihre Bewohner in ihrer Lebenswelt zur Staffage macht und Ädem Kunstwerk ÃLandschaft¶ einverleibt und untergeordnet werden³ (Hülbusch 1981: 231). Der mit der Errichtung von Landschaftsparks verbundene Aufkauf von Flächen bedeutete Äfür die ländliche Bevölkerung die Vernichtung ihrer Produktionsgrundlage, nämlich der Acker- und Grünflächen, die Vertreibung klein(st)bäuerlicher Familien³ (Schneider 1989: 21, vgl. auch Hinz 1977). Die Archetypen der Gartenanlagen der offiziellen Gartenkunst haben sich seit der Entwicklung der Englischen Gärten im 18. Jahrhundert ± so Burckhardt
218
Diese Fudamentaldichotomie von Natur einerseits und Kultur/Gesellschaft/Mensch andererseits war Voraussetzung für die Konstruktion einer Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis, da sich Erkenntnis auf ein Objekt beziehen konnte, von dem das Subjekt fundamental unterschieden ist (vgl. Latour 1995, Viehöver 2005).
184
(1977: 132) ± nicht fundamental gewandelt, auch wenn sie sich auf mannigfache Weise vermengen: Äder malerische Stil, vielfach vermischter Erbe des englischen, japanischen und romantischen Gartens, und der architektonisch ebenso eklektische Nachfahre der Barockgärten, der Blumenbeete, der Frühromanik der Jugendstilgärten und mit einem Schuss des Ãnierenförmigen Stils¶ der fünfziger Jahre³
vereint, bilden hier die Ausgangspunkte, die noch durch zwei gärtnerische Sonderformen zu ergänzen sind: Ädes botanischen Gartens mit seinen seltenen Gewächsen und des Bauerngartens mit seinen fetten, überdüngten Blumen³ (Burckhardt 1977: 132). Aus Elementen dieser Stile setzten sich ± so Burckhardt (1977: 132) ± die aktuellen Entwürfe öffentlicher Gärten zusammen, verbunden mit differenzierten Zutrittsrechten für Besucher außerhalb der befestigten Wege ± insbesondere Kinder. In einer stark urbanisierten Landschaft vollzieht sich ein Teil der primären Landschaftssozialisierung häufig in öffentlichen Parks und Gärten, sodass sich eine Internalisierung der Verbotssymbolik vollzieht und eine unbefangene Aneignung von Landschaft eingeschränkt wird. 4.6 Eine rekursive Koevolution: Genese von angeeigneter physischer Landschaft als Nebenfolge gesellschaftlicher Entwicklung und die Entstehung gesellschaftlicher Landschaft in der Kunst ± ein vorläufiges Fazit Mit der gesellschaftlichen Entwicklung von Vormoderne, extensiver Moderne, fordistischer Moderne und Postmoderne fand eine ± zumindest potenzielle ± Intensivierung und Technisierung der Veränderung der physischen Bestandteile der angeeigneten physischen Landschaft statt. Zugleich haben sich die aus den unterschiedlichen Zugriffen der Gesellschaft auf den physischen Raum resultierenden angeeignet-physisch-landschaftlichen Veränderungen in diesen mit unterschiedlicher Persistenz ± machtvermittelt ± eingeschrieben (Tabelle 5). Gerade das exklusivste Projekt der (fordistischen) Moderne implizierte eine massive Umgestaltung des physischen Raumes: Der hohe technische Standard, die nahezu omnipräsente Ideologie der Modernisierung und der Dichotomien sowie ausgereifte politisch-administrative Machttransformationsinstrumente produzierten eine funktionalisierte und monovalente angeeignete physische Landschaft. Mit dem sowohl ökologisch als auch gesellschaftlich krisenhaften Übergang zur von inklusivistischem Denken geprägten Postmoderne ging eine tolerante Haltung gegenüber landschaftlichen Polyvalenzen und auch landschaftlichen Patchworks einher (Tabelle 6); sie ist geprägt von dem Zugleich 185
Vormo-derne Früh-moderne Fordistisch Elemente und Elemente und moderne Anord-nungen Anord-nungen Elemente und Anordnungen
PostmoBeispiele derne Elemente und Anordnungen
Fossile vormoderne angeeignete physische Landschaft Fossile vorfordistische angeeignete physische Landschaft
hoch
gering
gering
gering**
Almlandschaften
mittelhoch
mittelhoch
gering
gering**
Fossile frühmoderne angeeignete physische Landschaft Fossile fordistische angeeignete physische Landschaft
gering
hoch
gering
gering**
Wiederbewaldete Landschaften der vorfordistischen Industrie Erhaltung frühmoderner Teichlandschaften
gering
gering
hoch
sehr gering Sozialistische schwerindustrielle Landschaften
Rezente fordistische angeeignete physische Landschaft
gering
gering
hoch*
gering
Schwerindustriell dominierte Landschaften in Schwellenländern
mittelhoch
hoch
gering
Altindustrie-landschaften
mittelhoch
hoch*
gering
gering
gering
hoch*
gering
hoch
hoch*
Flurbereinigte ländliche Landschaft mit Aussiedlerhöfen Landschaften des Konsums (Shopping Malls) Altindustrielandschaf-ten mit teilweiser Umnutzung historischer
hoch*
Fossile fordistisch überprägte mittelhoch angeeignete physische Landschaft Rezente fordistische mittelhoch überprägte angeeignete physische Landschaft Postmoderne angeeignete gering physische Landschaft Postmodern überprägte fordistische angeeignete physische Landschaft
gering
Postmodern überprägte vorfordistische angeeignete physische Landschaft
mittelhoch bis mittelhoch bis hoch hoch
hoch
Interepochal überprägte angeeignete physische Landschaft
gering bis mittelhoch
mittelhoch bis mittelhoch Suburbane Landschaft hoch* bis hoch* mit alten Siedlungskernen
mittelhoch bis hoch*
Konservierte kleinstrukturierte arkadische ländliche
* Bildungsprozesse noch konstitutiv für die angeeignete physische Landschaft ** Erhaltungsprozesse aufgrund der postmodernen Wertschätzung des Historischen dominierend
Tabelle 5:
Idealtypen angeeigneter physischer Landschaften, abhängig vom Einfluss vormoderner, frühmoderner, fordistisch moderner und postmoderner gesellschaftlicher Einflüsse.
Ävon Selbsterkenntnis und Selbstbeschränkung: Einheit als Überblickspunkt, Objektivität und Allgemeinheit, Ganzheit und Normativität mit Universalanspruch schei-
186
nen durch Historismus, Ethnologie und post-traditionale Gesellschaften aus dem Blickfeld des Möglichen und Gewollten zu verschwinden³ (Asmuth 2005: 23).
Inszenierung des Historischen in Architektur, Städtebau und Dorfentwicklung in der Postmoderne, eine ± aus moderner Perspektive ± eklektizistische Verkitschung öffentlicher (und privater) Räume produziert polyvalente Landschaften. Macht muss in der Postmoderne nicht mehr symbolisch durch große und eindeutige nationalpolitische Materialisierungen vermittelt werden, sie ist zum Willen der Beherrschten selbst geworden (Foucault 1977) und ist zunehmend durch sich der Ästhetisierung bedienende Ökonomisierungen und Entpolitisierungen geprägt. Die Opportunität der Verschiebung des Machtdeposits in den Knoten globaler Ströme findet sich in städtischen und suburbanen Peripherien (Quartieren der Armut) ebenso wie in (ehemals) ländlichen (Abwanderungs-)Räumen. Moderne - Strikte Trennung von Natur und - Ausklammerung von Natur aus gesellschaftlichen Zusammenhängen. - Kontrollmethaphorik: Natur erscheint als Objekt der Beherrschung und
Natur und
Form der Vergesellschaftung
- Funktionale Diffferenzierung: - Systeme auf sich selbst bezogen und mit sich alleine bleibend. - Systemumwelt wird exkludiert.
Soziale Rationalität
- Selstreferenziell-narzisstische
Tabelle 6:
Postmoderne - Vernetzung von Natur und Gesellschaft. - Anerkennung der Hybridität von Natur und Mensch. - Schnittstellen und Hybridbereiche rücken in den Fokus der Reflexion. - Einsicht in die Nichtbeherrschbarkeit von Objekten. - Objekte werden im Modus der Vorsicht und Sorge hebandelt. - Hybride Steuerungsform: - Probleme der Differenzierung führen zu zunehmender Vernetzung und Koordination heterogener Aktanten. - Steuerungserfolge hängen davon ab, ob plurale Akteursinteressen in den Prozess integriert werden können. - Transversale Rationalität.
Das Verhältnis von Natur und Gesellschaft in Moderne und Postmoderne (ergänzt nach: Holzinger 2004).
Die zunehmend systemische Regulation von Lebenswelten zeigt sich auch in der Anwendung des Konzeptes der Dreiteilung der Lebenswelten in westeuropäischen Großstädten in den traditionellen ganzheitlichen Raum, den verinselten Raum sowie den synthetischen Raum (Cyberspace bzw. Landschaften des Films) von Bertels (1997) und seiner Übertragung auf die gesellschaftliche Konstitution von Landschaft durch Kühne (2006a): Die traditionelle ganzheitliche Landschaft ist das Grundsubstrat für die lebensweltliche Heimat bildende Landschaft. Sie wird als zusammenhängendes Raumgebilde aus persönlicher Anschauung und ergänzend durch das Studium von Karten (insbesondere Wanderkarten) größerer Maßstäblichkeit 187
gekannt und abstrahiert. Es ist die Landschaft des romantischen Spaziergängers, der sich, von seiner Heimatstadt ausgehend, die sie umlagernde Landschaft aneignet. Hier dominiert der lebensweltliche Zugriff auf die Landschaft, systemische Elemente finden sich lediglich in verhaltenen landschaftlichen Soll-Zuständen. Die verinselte Landschaft ist in der Nutzung technischer Hilfsmittel der Fortbewegung (insbesondere Flugzeuge und Untergrundbahnen, aber auch Autos, Eisenbahnen, Busse, Straßenbahnen etc.) begründet. Diese technischen Personenbeförderungsmittel verbinden Orte räumlicher fixierter Funktionstrennung und Spezialisierung miteinander. Durch die Rasanz des Durcheilens des physischen Raumes wird der landschaftliche Kontext des verinselten Raumes nicht oder nur ausschnitthaft wahrgenommen. Landschaft wird als stereotyper Ãguter Ausblick¶ (vgl. Vöckler 1998) vielmehr selbst zu einer funktionsgetrennten Rauminsel im Patchwork mehr oder minder angeeigneter Räume und Landschaften. Im Gegensatz zur traditionellen, ganzheitlichen Landschaft tritt die systemische Komponente gegenüber der lebensweltlichen hervor: Zwar ist die Konstitution der einzelnen verinselten Landschaften an die individuellen und kollektiven Lebenswelten gebunden, doch ist ihre Verfügbarkeit in mindestens doppelter Weise systembezogen. Einerseits ist sie an technische Hilfsmittel des Personentransports gebunden, andererseits unterliegt sie in der Regel einer sozialen, systematisierten Vordefinition, insbesondere von Ãschönem Ausblick¶ in Routenplanern, Reiseführern u.a. Die virtuellen Landschaften des Cyberspace, aber auch des Films, der Malerei, der Literatur u.a. erzeugen eine von der angeeigneten physischen Landschaft unabhängige landschaftliche Ebene, die jedoch in einem rückgekoppelten Prozess auf vielfach stereotype gesellschaftlich-landschaftliche Konstitutionen zurückgreift. Insbesondere der Cyberspace pointiert das einseitige Verhältnis von System und Lebenswelt. Aus einem dialektischen Verhältnis von System und Lebenswelt der verinselten Landschaft wird bei den virtuellen Landschaften des Cyberspace eine systemische Bedingtheit: Ein lebensweltlicher Bezug ist zwingend an die Verfügbarkeit des gesellschaftlich konstituierten Systemischen (hier in einer abstrahiert-technischen Emergenz) gekoppelt. Die Konstruktion gesellschaftlicher Landschaft greift als Reproduktion von Stereotypen zwar auf künstlerische Muster der Landschaftsinterpretation zurück, jedoch insbesondere in Zusammenhängen, in denen die traditionellen stereotypen Landschaften (romantische und biedermeierische Landschaften) oder aber die neuen stereotypen Landschaften (Landschaftszerstörung durch Technik, Industrie, Umweltbelastung etc.) aufgegriffen werden. Komplexe Deutungsmuster 188
künstlerischen Landschaftszugriffs (wie bei Ingeborg Bachmann oder Thomas Bernhard) bleiben außerhalb der stereotypen gesellschaftlichen Landschaftskonstruktion. Bei der Stereotypisierung von Landschaft findet durch kulturgeschichtliche Sedimentierung und individuelle und kollektive Aktualisierung eine Amalgamierung von Romantisierungen, biedermeierischer Modernisierungskritik, Natur- und Naturschutz sowie teilweise auch Heimatsemantik statt, die in der physischen Landschaft ihren Ausdruck in der Anlage von Landschaftsgärten bis hin zur Erhaltung (und Musealisierung) angeeigneter physischer Landschaften findet. Eine rekursive Festigung landschaftlicher Stereotype wird mit deren filmischer, fotografischer, computerprogrammbezogener etc. Vermittlung vollzogen: Erwartete Landschaftsstereotypen werden erzeugt und somit bestätigt und teilweise durch (trivial-)naturschützerische Interpretationsmuster in ein dichotomes Gut-Schlecht-Schema transformiert und dabei moralisch aufgeladen.
189
5 Landschaft und soziale Distinktion
Die soziale Konstruktion der Attraktivität angeeigneter physischer Landschaft lässt sich nicht allein als Maßzahl der Raumkomplexität (Ipsen 2006) oder als Folge der Zugänglichkeit und der Möglichkeit der individuellen bzw. gemeinschaftlichen Aneignung von Landschaftsteilen (Burckhardt 1978c) beschreiben (vgl. Abschnitt 3.3.4.1). Der sozialen Konstruktion der Attraktivität sind soziale Distinktionsprozesse inhärent, deren Manifestation sowohl in der gesellschaftlichen, der individuellen aktualisierten gesellschaftlichen als auch in der angeeigneten physischen Landschaft unter Nutzung innergesellschaftlicher Machtmechanismen vollzogen wird und die sich als Teil der Reproduktion der sozialen Hierarchie der Gesellschaft beschreiben lassen (vgl. Duncan 1999). 5.1 Ästhetisierung von Landschaft und soziale Distinktion 5.1.1 Das Distinktionspotenzial von Landschaft im Zuge der Modernisierung der Gesellschaft Durch die synthetisierende Zusammenschau von Symbolen und physischen Objekten zu Landschaft wird der Code der Landschaftsmalerei auf den physischen Raum übertragen. Gerade Kunst ± und damit Landschaft in der Kunst und auch verlandschaftete Kunst ± ist in besonderer Weise dazu geeignet, das Distinktionsbedürfnis des legitimen Geschmacks der herrschenden Klasse zu befriedigen, wie im Abschnitt 4.2.1 anhand der sich ablösenden literarischen und malerischen Prinzipien des Landschaftszugriffes in der Abfolge Aufklärung, Klassik, Romanik und Biedermeier gezeigt werden konnte. Schließlich bedeutet das Reden über Kunst bzw. Landschaft, sich einer bildlichen und kunstvollen Sprache zu bedienen (vgl. Resch 1999). Die distinktive Funktion wird insofern deutlich, da der Code zum Zugang der einzelnen Stilrichtungen differenziert anhand kleiner Unterschiede und Vorinterpretationen durch Experten zu erlernen ist, da dem Ungebildeten der landschaftliche Zugriff von Aufklärung, Klassik, Romanik und Biedermeier fremd bleiben muss, da letztlich all diese Stile in ihrer ÄParallelführung schöner und erhabener Aspekte³ dieser Natureingang auf ästhetische Wahrnehmungsmuster verweist, die Ämit unserer Vorstellung von einer idealen Land191
schaft unlösbar verbunden³ (Riedel 1989: 45) sind. Ein Bildtypus der stereotypen Landschaft also, Äder in der europäischen Malerei des siebzehnten Jahrhunderts geschaffen wurde und seine [«] verbindliche Ausformung durch Claude Lorrain erfuhr³ (Riedel 1989: 45), was auch in der typischen Redewendung des späteren 18. Jahrhunderts Äeine Landschaft sähe aus als hätte sie Lorrain erfunden³ (Hard 1983: 177) zum Ausdruck kommt. Letztlich bedeutet dies: Sowohl Schiller als auch Eichendorff und Droste-Hülshoff, Lorrain, Friedrich und Runge trugen zur Entstehung einer stereotypen gesellschaftlichen Landschaft bei, in Abgrenzung und Koevolution der Entwicklung einer gesellschaftlichen heimatlichen Normallandschaft (vgl. Manwaring 1965). Der Übertragungsweg des Landschaftserlebnisses von der Kunst ± insbesondere der Malerei, aber auch der Dichtung ± in den Bereich des physischen Raumes lässt sich anschaulich am Beispiel der sogenannten Claude-Gläsern verdeutlichen: Dabei handelt es sich um getönte Spiegel, Ädie man so lange hin und her bewegte, bis man eine ÃLorrainsche Landschaft¶ gleichsam gerahmt eingefangen hatte, wobei der Betrachter der Landschaft bezeichnenderweise den Rücken zukehrte³ (Kortländer 1977: 37; vgl. auch Groth/Wilson 2003). Bereits der Besitz, insbesondere aber der Gebrauch und das Beschreiben der gewonnenen Eindrücke trug zur distinktiven Demonstration der Landschaftskonstruktion bei219. Nach der Wiederentdeckung von Landschaft im Zuge der Aufklärung war diese nur selektiv verfügbar: Die Landschaftsgärten des 18. und 19. Jahrhunderts (wie auch die Französischen Gärten) waren Herrschaftsgärten mit höchst selektiven Betretungsrechten (vgl. auch Maier-Solgk/Greuter 1997). Auch die romantische Ästhetisierung von wilder bzw. agrarisch geprägter Landschaft folgt der Funktionslogik von Landschaft als Universalie (im Sinne von Veblen 1899), Nutzloses zu ästhetisieren, damit zu codieren, und als Instrument der sozialen Distinktion zu nutzen (vgl. Kühne 2006): Im Zuge des Übergangs von der Agrarzur Industriegesellschaft schwand die sozialgemeinschaftliche und ökonomische Bedeutung der Landwirtschaft und damit auch der unmittelbare Bezug zur angeeigneten physischen Landschaft. Neben diese ökonomisch bedingte Entfremdung des Menschen von seiner ursprünglichen Naturverbundenheit trat eine neue wissenschaftliche Naturerkenntnis und eine verstärkte Naturbeherrschung. Die Ästhetisierung von Natur fand Ausdruck in einer emotionalen Hinwendung zur Natur, des Naturgefühls und der Naturerfahrung, die sich im Betrachten und Genie219
Bereits in der Antike, in der die Grundlagen für die moderne Landschaftswahrnehmung gelegt wurden und anhand von Wandmalereien und literarischen Werken dokumentiert wurden, war einerseits die angeeignete physische Landschaft durch das Privateigentum von Landgütern durch eingeschränkte Betretungsrechte ± insbesondere in den durch Gärten gestalteten Nahbereichen um die Landsitze ± nur selektiv sozial konstruierbar, andererseits war die Darstellung lieblicher Landschaften und Jagdszenen Äbildlicher Ausdruck eines Lebensideals und ein Statussymbol, das in den Häusern der Reichen seinen Platz hatte³ (Büttner 2006: 30).
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ßen äußert (Haber 1992, Fuhrer 1997, Hoeres 2004). Grundlage dieser Zuwendung zu Natur wiederum war die aufklärerische Differenzierung von Natur in ÄOppositionspaare von Natur und Gott, Natur und Geist, Natur und Geschichte, Natur und Wissenschaft und nicht zu letzt von Natur und Kultur³ (Dethloff 1995a: 7)220 ± die zum Betrachtungsmaßstab von Welt für Gebildete wurde221. Aufgrund dieser Wiederverzauberung der durch die Aufklärung entzauberten Welt gilt Ädie Romantik als die dunkle Kehrseite der Aufklärung³ (Illing 2006: 48). Die Ästhetik des Erhabenen in der Natur wurde entdeckt und symbolisierte ein neues Weltbild (Hammerschmidt/Wilke 1990). Er, der aufgeklärte Mensch, konnte technische Leistungen ± in ruinierter Form ± in die liebliche Landschaft integrieren, Ruinen zeugten (und zeugen) von vergangenen Nutzungen, das Symbol der Ruine konnte (und kann) als ästhetisiertes Symbol für die ruinöse Welt der jeweiligen Zeit, aber auch nach der Sehnsucht nach den (scheinbar) unverfälschten Lebensweisen vergangener Zeiten, gedeutet werden (vgl. Burckhardt 1979b, Hartmann 1981, Sieferle 1984, Thacker 1995, Hauser 2001a), wobei sich insbesondere ein sentimentales Verhältnis der Romantik in scharfer Abgrenzung zur Aufklärung des Mittelalter entwickelte (Hegel 1970 ± zuerst 18351838, Illing 2006). In landschaftlicher Perspektive wurde die Burg ein Symbol Äfür die partikularen, feudalen Gegenkräfte³ (Warnke 1992: 54) des Mittelalters, sie wurde im Anschluss an die Gedanken von Novalis ein Symbol für Ädie Suche nach der verlorenen Zeit, im Spiegel der eigenen Kindheit und der des Menschgeschlechtes³ (Safranski 2007: 129), einer Zeit also in der ÄGlaube und Liebe [noch nicht] durch Wissen und Haben ersetzt³ (Safranski 2007: 129) waren. In dem romantischen Zugriff auf Landschaft verbinden sich ± so Dethloff (1995b: 27; Hervorh. im Original) ± Landschaft als Gegenbild der Gesellschaft und Landschaft als Offenbarung der Werke Gottes Äim intensiven Höhenrausch des promeneur solitaire³222. Doch dieser promeneur solitaire war der aufgeklärte Mensch des 18. und 19. Jahrhunderts, der in wilde und bäuerlich geprägte Landschaften ÄIdealvorstellungen eines Verhältnisses von Gesellschaft und Kultur 220
Diese aufklärerische Differenzierung bedeutete auch, dass Natur als Natur konstruiert wurde, und nicht mehr durch Äfremde Konnotate, durch religiöse oder moralische Bedeutungsansprüche³ (Warnke 1992: 137). Ein Deutungsschema also, dem die Romantik das Prinzip der Wiederverzauberung entgegensetzte. 221 Die Distanz zur scheinbaren Natur des städtischen Umlands (und den in ihm lebenden Menschen) konstituierte Landschaft, denn erst Äder Ãaufgeklärte¶ Mensch des 18. Jahrhunderts hatte sich so weit von der Natur entfernt, dass es ihm möglich war das Landschaftliche selbst in jenen Formen ästhetisch zu genießen, die bis dahin als schrecklich, Furcht erregend oder bedrohlich abgelehnt worden waren³. 222 Eine Übersetzung ins Deutsche könnte Ãeinsamer Wanderer¶ oder Ãeinsamer Spaziergänger¶ lauten.
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hineininterpretiert[e]³ (Jessel 2004: 22), nämlich jener vom ursprünglichen bäuerlichen Leben (Bray 1995), war nicht der Bauer, der sich mit den Folgen der zunehmenden Überbevölkerung der ländlichen Räume (und damit ländlicher Armut konfrontiert sah), auch nicht der Arbeiter in den neu entstehenden Industrien, sondern der städtische Bürger, der von einem zunehmenden Bildungsangebot und zunehmendem Wohlstand, also der Akkumulation von kulturellem und ökonomischem Kapital, profitieren konnte ± auch in der Erübrigung von Zeit, die nicht zur Sicherung des Lebensunterhaltes, sondern zur Kontemplation eingesetzt werden konnte (vgl. Haupt 1998, Pollard 1998, Greenberg 2007 ± zuerst 1939) 223. Die Träger der Landschaftsästhetisierung, die Adeligen und städtischen Bürger, waren als Wohlhabende, als Händler, Intellektuelle oder Industrielle nicht (unmittelbar) abhängig von den Erträgen der physischen Landschaft, sie verfügten über einen hohen Bildungsstand und den nötigen ökonomischen Abstand zur wilden, aber auch zur bäuerlich geprägten Landschaft, um diese zu ästhetisieren und somit als Element der sozialen Distinktion einzusetzen. Schließlich verfügten die gebildeten Adeligen und Bürger über die Codes der künstlichen Landschaftsbefassung in Äder Kunstliteratur, in den belletristischen, Ãgeographischen¶ und naturhistorischen Reisebeschreibungen und nicht zuletzt der Schönen Literatur (etwa der Idyllenliteratur) des 18. Jahrhunderts³ (Hard 1977: 14; vgl. auch Hard 1969b, Cosgrove 1988), aber auch der komplexen religiösmystischen Deutungsmuster der romantischen Landschaftsmalerei (vgl. Abschnitt 4.2). Das Naturschöne konnte also nur Äin bildungsgeleiteter Zurückhaltung und am besten schweigend aufrechterhalten³ (Zeller 2002: 25) werden. Landschaft wurde zur Weltanschauung der Gebildeten (vgl. Manwaring 1965, Hard 1969b, Hard 1977, Cosgrove 1988, Hugill 1986 und Haber 2000), oder wie es Piepmeier (1980: 32) formuliert: ÄDas Naturschöne ist nur in elitärer Absonderung³. Die Verbindung des gebildeten Städters, der Äden gesellschaftlichen Zwängen, der sozialen und räumlichen Enge der Stadt³ (Kaufmann 2005: 59) zu entfliehen trachtete, zu der die Stadt umgebenden Landschaft bezog sich auf die Äder Macht und des Geldes ± die Lebensmittel kommen als Tribute, Steuern, Zinsen, Pachten oder als Handelsware in die Stadt³ (Burckhardt 1995b: 272; ähnlich Cosgrove 1988). Den Rückkopplungseffekt zwischen sozialer Konstruktion von Landschaft und Planung von angeeigneter physischer Landschaft im
223 Das Motiv des promeneurs solitaire aus der Romantik kann in der abendländischen Gesellschaft als stark persistierend und handlungsleitend gelten: In Filmen als einsamer Reiter (ob im Western auf dem Pferd oder auf dem Motorrad), in Feuilletons und Essays als Flaneur, als einsamer Wanderer durch die nächtliche Stadt ± wenn schwere Entscheidungen anstehen, oder Schicksalsschläge drohen, oder sich ereignet haben, wird dieses Motiv mobilisiert.
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Zusammenhang mit diesem Entfernen von Natur fasst Burckhardt (1977a: 19) wie folgt: Landschaft Äist ein Konstrukt, das einer Gesellschaft zur Wahrnehmung dient, die nicht mehr direkt vom Boden lebt. Diese Wahrnehmung kann gestaltend und entstellend auf die Außenwelt zurückwirken, wenn die Gesellschaft beginnt, ihr so gewonnenes Bild als Planung zu verwirklichen³.
Achleitner (1997: 54-55) verdeutlicht die (teilweise bis heute vergebliche) Forciertheit der Bemühungen, den Produzenten vieler stereotyp schöner Landschaften, den Landwirten, diese Betrachtungsweise der physischen Repräsentanten ihrer Lebenswelt zu verdeutlichen, indem er feststellt, Ädass es in manchen alpinen Gegenden bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts dauerte, bis sich die Bauern, durch die harte Droge der Heimatfilme, dazu überreden ließen, ihre Arbeitswelt schön oder gar erhaltenswürdig zu finden³, wobei sich die Erhaltenswürdigkeit primär aus der Tatsache ergibt, Ädass es Leute gibt, die diese Welt für wenige Wochen im Jahr als begehrenswert empfinden³ und somit touristisch monetarisierbar ist (ähnl. Bätzing 2000). Im Verlauf des späten 19. und 20. Jahrhunderts wurde der Code der Landschaft popularisiert und damit einem Verschleiß unterworfen, er wurde trivialisiert (vgl. Burckhardt 1977a und Hard 1977): Der mittlere Geschmack, gekennzeichnet durch das erfolglose Streben, dem legitimen Geschmack nachzueifern, indem er ihn zu imitieren sucht (vgl. Bourdieu 1987), übernahm von diesem die Betrachtung von Räumen als Ãschöne Landschaften¶, ohne jedoch über die metapherngewaltige Sprache jener zu verfügen, die den ästhetisierten (insbesondere romantisierenden) und auch wissenschaftlichen Bezug zu Landschaft hergestellt hatten (vgl. Hard 1965)224. Diese Trivialisierung von Landschaft verdeutlicht Hard (1969c: 114), indem er feststellt, dass Landschaft in Poesie, Roman, Erzählung und Essay zwischen 1920 bis 1940 noch durchaus bedeutsam, in der Äschönen Literatur von Rang³ der späten 1960er Jahre Äkaum noch anders als parodistisch-ironsierend oder wenigstens in stark Ãverfremdeten¶ Varianten benutzt³ wurde und in Äungebrochener Form [«] bereits als Merkmal der Subliteratur gelten³ dürfte225. 224
Hard (1965: 16) sah bei zahlreichen Landschaftsforschern aus der Geographie des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (z.B. Rüstow, Hehn, Ratzel, Vischer, Ritter, Winckelmann) Untertöne einer Äseltsamen geographischen Prosa³, die geprägt sei von der ÄBegriffswelt und Vokabeln der klassischen Ästhetik³ , also in der Lage waren, doppelt distinktiv zu wirken: erstens, auf der Ebene der geographischen Inhalte, und zweitens, auf der Ebene der Wortwahl. 225 Einen ähnlichen Bedeutungsverlust der Landschaftsbeschreibung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellt Martina Schönenborn (2005) am Beispiel der Befassung mit der kubanischen Landschaft fest: Wird kubanische Landschaft bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch als Lebensraum dargestellt, wird sie danach zur Kulisse.
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Ein wesentliches Element der trivialisierten Verfügbarkeit von Landschaft ist die veränderte Relation von Reisepreis und -aufwand zur zurückgelegten Entfernung zunächst durch die Eisenbahn, später durch das private Kraftfahrzeug: ÄAls Reiseziel erscheint Landschaft nun so leicht erreichbar und zugleich ver-
Abbildung 24:
Auch die massenhafte stereotype Reproduktion der angeeigneten physischen Landschaft der Provence hat diese ihres Distinktionspotenzials weitgehend beraubt: Sie ist nun zum Ãgesunkenen Kulturgut¶ und massenhaft verfügbar geworden.
fügbar, dass sie gleichsam zum Produkt der Verkehrstechnologie wird. Das räumliche Näherrücken macht sie konsumierbar. Die Landschaft wird heimatlos³ (Vöckler 1998: 278). Allerdings mangelt es dem mittleren Geschmack (ebenso wie dem populären Geschmack) an der Verfügbarkeit des komplexen Codes (beispielsweise jenes der romantischen Landschaftsmalerei, der Erhabenheit des Hochgebirges, der Lieblichkeit Arkadiens; vgl. auch Sachs 2007 ± zuerst 1932), Landschaften gemäß ihrer legitimen Interpretation zu beobachten. Landschaft wird durch moderne Verkehrsmittel nahezu allgemein öffentlich zugänglich (Lippard 1991) und Äals Stimmungsbild erlebt, als Ãgute Aussicht¶ mithilfe der ADAC-Karte konsumiert³ (Vöckler 1998: 278; vgl. Lippard 1999 und Abbildung 24) und als röhrender Hirsch vor alpinem Panorama industriell reproduziert allerorts verfügbar gemacht. Für Bourdieu (1987: 108) sind im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts Ä, kitschige¶ Lieblingsmotive wie Berglandschaft, Sonnenuntergang am Meer und Wald³ Ausdruck der ÃÄsthetik¶ der unteren Klassen, die ± so Greenberg (2007 ± zuerst 1939: 206) durch Mechanisierung und Funktion nach festen Formeln geprägt sei, sie sei ± als Kitsch ± ÄErfahrung aus zweiter Hand, vorgetäuschte Empfindung³. Damit ist die trivialisierte (romantische) 196
Landschaft für den legitimen Geschmack ± zunächst seiner Distinktionsfähigkeit beraubt ± für eine ästhetisierte Betrachtung ± vorerst ± uninteressant geworden. 5.1.2 Das Distinktionspotenzial von Landschaft im Zuge der DeIndustrialisierung und des Aufkommens der ökologischen Kommunikation 5.1.2.1 Das Distinktionspotenzial der altindustriellen Landschaft War mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft die Möglichkeit einer distinktiv-romantischen Ästhetisierung wilder sowie durch Land- und Forstwirtschaft geprägter physischer Räume zu angeeigneten physischen Landschaften durch den legitimen Geschmack verbunden, finden sich im Zuge des gegenwärtigen Wandels von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft (Bell 1973) ähnliche strukturelle Voraussetzungen: Die ökonomische, aber auch politische, sozialgemeinschaftliche und kulturell-treuhänderische Bedeutung des sekundären Wirtschaftssektors schwindet, ähnlich jener des primären Wirtschaftssektors im Zuge der Industrialisierung. Mit dem Übergang vom modernen fordistischen Akkumulationsregime zum postmodernen postfordistischen Akkumulationsregime vollzieht sich eine Transformation von Zeichen und Symbolen vom Äindustrial-space³ zum Äpostindustrial-space³ (Lash/Urry 1994: 193). Von dieser Transformation sind derzeit in besonderer Weise die Altindustriegebiete Westeuropas und Nordamerikas geprägt. Dabei werden Altindustriestandorte durch eine mediale Ästhetisierung Äerneut mit Bedeutung gefüllt³ (Hoppmann 2000: 159) und somit einer reflexiven ± und distinktiven ± Rezyklierung zugeführt. Entwürfe postindustrieller urbaner Landschaften Äassoziieren barocke Ruinenästhetik mit zerfallenden Hochöfen und Erinnerungen an den pittoresken Garten des achtzehnten Jahrhunderts mit Restlöchern des Braunkohletagebaus oder verbinden Industriegerät mit dem Konzept der ÃKulturlandschaft¶³ (Hauser 2004: 154).
Dabei werden ± so Weilacher (2008: 94-95) in der Betrachtung der Landschaftsarchitektur von Latz und Partner ± Ruinen Äerhalten, um Spuren zu sichern, Informationen zu bewahren und damit Landschaft lesbar zu machen³, wobei ± ähnlich dem Englischen Garten ± Ruinen nicht allein Ägesichert, sondern teilweise neu gebaut³ werden. Eine solche Inwertsetzung altindustrieller Relikte und (neu errichteter) Ruinen lässt sich mit Burckhardt (1995a: 104) als eine Äparadoxe Konstatierung³ beschreiben, die dadurch charakterisiert sei, Ädass der verlorene
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Anspruch noch da ist, die Begründung aber nicht mehr im logischen Bereich, sondern nur noch durch Andenken, aus etymologischen Schichten zu führen ist³. Die Ästhetik altindustrieller Landschaften entsteht insbesondere aus der Spannung ihres Widerspruchs zur stereotyp schönen Landschaft (Burckhardt 1979a: 36): ÄDas Vergnügen an einem solchen Anblick besteht also in der hohen Integrationsleistung, die der Betrachter vollbringen muss, um diese Orte in das Schema des Lieblichen zu bringen³. Die alternative Ästhetisierung der Lieblichkeit besteht in jener einer neuen Erhabenheit: Das beobachtende Subjekt muss dabei die normativen Stereotypen der lieblichen oder natürlich-erhabenen gesellschaftlichen Landschaft durch ein erhabenheitsbezogenes Landschaftsbewertungsschema zumindest ergänzen oder ersetzen bzw. integrieren, wobei weder das Mathematisch-Erhabene noch das Dynamisch-Erhabenene nicht ± wie in der Philosophie Kants ± auf der Grundlage der Sich-In-Beziehung-Setzung mit der Natur, sondern in den Ausmaßen anthropogener Objekte (mathematisch-erhaben) oder dem Symbol der gesellschaftlichen Aufhebung des Gesellschaftlichen (dynamisch-erhaben) begründet ist. Die Fähigkeit für eine solche Integrationsleistung des unmittelbar auf menschlichem Wirken entstandenen Erhabenen ist abhängig von der Art und dem Maß der landschaftsrelevanten Sozialisation. Die Produktion von Symbolen auf Grundlage der Objekte altindustrieller Relikte lässt sich wiederum als Ausdruck des distinktiven Geschmacks der herrschenden Klasse interpretieren: Der legitime Geschmack hebt (nahezu willkürlich) das profane Objekte aus dem Gemenge der Funktions- und Wertlosigkeit und lädt sie mit Bedeutung auf (vgl. Bourdieu 1987). Mit dieser Sakralisierung des Profanen (Durkheim 1984) wird Landschaft (in Form der altindustriellen Landschaft) für die herrschende Klasse mit distinktiver Funktion erfüllt, da der mittlere und der populäre Geschmack in der Regel (noch) keinen Zugang zum Pathos (im Sinne von Friedrich Schiller 1970) der ästhetischen Erhabenheit altindustrieller Objekte entwickelt haben (Kühne 2006a). Das Muster der distinktiven Ästhetisierung des Altindustriellen als Symbole des Äeinfachen, harten Arbeiterlebens³ (Vicenotti 2005: 231) bedeutet eine Reproduktion des Bewertungsschemas des Äeinfachen, harten und gemeinschaftlichen Landlebens³ in der Phase der Industrialisierung (vgl. Höfer 2001), das im Zuge der Rezeption des Buches ÄRabelais¶ Welt ± Volkskultur als Gegenkultur³ von Bachtin (1987) in den 1980er Jahren eine Aktualisierung erfuhr (Illing 2006). Dem mittleren und populären Geschmack gelten altindustrielle Relikte hingegen eher als Symbole des ökonomischen ± wenn nicht gar gesellschaftlichen ± Scheiterns, die es zu beseitigen gilt (Kühne 2006a).
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5.1.2.2 Das Distinktionspotenzial der ökologisierten Landschaft Neben der sozialen Distinktion durch die Ästhetisierung altindustrieller Objekte ergibt sich neues Distinktionspotenzial durch Ökologisierung der Landschaft, insbesondere dann, wenn sich die ökologische mit der ästhetisierten Betrachtung von Landschaft amalgamisiert. Grundsätzlich sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass ± so Burckhardt (1995b) ± auch die Ökologie nichts anderes darstellt als ein gesellschaftliches Zeichensystem, ein wissenschaftliches Konstrukt226. Ökologie ist ± wie alle gesellschaftlichen Zeichensysteme ± ein Produkt gesellschaftlichen Handelns und unterliegt somit den ± dem Gesellschaftlichen inhärenten ± Machtbeziehungen, die wiederum (auch) Ästhetisierungen widerspiegeln, die ihre Wurzeln in der Romantik haben und durch eine naturwissenschaftliche Ökologisierung distinktiv aus dem Bereich des Wertlosen in den Bereich des Wertvollen gehoben werden konnten. Schließlich bot die Ästhetik der Landschaft gegenüber einer biologischen Landschaftssemiotik aufgrund ihres Absinkungsprozesses ± so werden selbst Talsperren nicht als ÄVerstoß gegen die Schönheiten der Landschaft³ (Blackbourn 2007: 288) gewertet, sondern vielmehr als landschaftsverschönerndes Element gewertet und romantisiert (vgl. Blackbourn 2007)227 ± ein geringeres Distinktionspotenzial für den Naturschutz. Vor diesem Hintergrund gelesen, wird das distinktive Potenzial der Charakterisierung des Ãtypischen¶ deutschen Gartens von Zillich (2004: 21) deutlich, die er im BUNDmagazin, der Verbandszeitschrift des BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland), vornimmt: ÄEin steriler Garten mit kurz geschorenem Rasen und einer Ansammlung hässlicher Koniferen reiht sich an den nächsten. Nicht genug, dass unsere Wälder mehr nadeln als rauschen, seit Fichte und Kiefer raschen Gewinn versprechen. Auch daheim umgeben wir uns gerne mit den Geschöpfen der Garten-Center, ob ÃTeddy-Thuja¶ (kugelförmig) oder Muschelzypresse (kohlförmig)³.
Der Autor setzt sich hier distinktiv gegen den fordistisch-vereinheitlichten Garten ab, indem er im Folgenden die von ihm favorisierte Vielfalt der heimischen Kulturlandschaft referiert, die durch Äsich über Jahrhunderte entwickelte Anpassungen an einen Landstrich³ (Zillich 2004: 21) geprägt sei und erzielt damit ± bei der für ihn relevanten Gruppe bestimmter Naturschützer ± einen Distinktionsgewinn228.
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ÄÖkologie ist unsichtbar³, wie Burckhardt (1995b: 278) feststellt. Heute wird von einer großen Deutschen Brauerei beispielsweise mit einem Stausee als Natursymbol in Presse und Fernsehen geworben. 228 Dieser Argumentation der Höherwertigkeit des Heimischen gegenüber dem Fremden wohnt eine ± zumindest latente ± Xenophobie inne (vgl. auch Körner 2005c). 227
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Anhand der romantischen Landschaftsmalerei zeigt Spanier (2006) Parallelen zur Kommunikation des Natur- und Landschaftsschutzes und zur Geschichte der Perzeption von romantischer Landschaftsmalerei auf. Ähnlich dem romantischen künstlerischen Zugang zu Landschaft sei die moderne Kommunikation zur Nachhaltigkeitsfrage ebenfalls um die Vermittlung starker Gefühle bemüht, Ädie in vielen Fällen pathetisch, getragen und die Emotionen ansprechend vorgetragen werden³, wobei die Nähe derartiger Umweltkommunikation Äin Sprache und Gestik zu Pathos, Leiden und Religion³ (Spanier 2006: 26) jener der Romantik offensichtlich sei. Die ± so Spanier (2006) ± durchaus pathetisch zu nennenden Werke Caspar David Friedrichs (1774±1840) hätten bemerkenswerterweise in jenen Zeiten eine Renaissance erlebt, in denen die Kommunikation über Umwelt- und Naturschutzprobleme besonders intensiv war bzw. ist (nach Spanier 2006): 1. Nach 60 Jahren des Vergessens ± seitens des legitimen Geschmacks ± wurden 36 Werke von Caspar David Friedrich in der berühmten ÃJahrhundertausstellung¶, die deutsche Malerei von 1775 bis 1875 in der Berliner Nationalgalerie zeigte, ausgestellt. In dieser Zeit entwickelten sich auch erste Heimat- und Naturschutzbestrebungen (Bund für Vogelschutz und Bund Heimatschutz), die im Land Preußen 1906 in der Schaffung der ersten Naturschutzbehörde gipfelten. 2. Erst in den 1970er Jahren erfuhren die Landschaftsgemälde von Caspar David Friedrich infolge des in der Nachkriegsepoche wachsenden Umweltbewusstseins (zunächst bei der Herrschenden Klasse der Intellektuellen) und der Formulierung eines Umweltprogramms durch die damalige sozialliberale Bundesregierung 1974 mit der großen Ausstellung der Hamburger Kunsthalle zum 200. Geburtstag des Künstlers einen Beachtungsgewinn. 3. Im Jahr 2006, also jenem Jahr, in dem die Bedrohung des Klimas und der biologischen Vielfalt zum Tagesgespräch geworden ist, Äerlebt Caspar David Friedrich mit einer umfassenden und großartigen Ausstellung im Folkwang Museum in Essen und in der Hamburger Kunsthalle seine dritte Wiedergeburt³ (Spanier 2006: 27). Natur ist angesichts der Heterogenität Äder Fülle der Veröffentlichungen aus zahlreichen Disziplinen und Perspektiven [«] im Zuge der Umweltdebatte zum umkämpften Simulakrum geworden³ (Hauser 2001a: 198)229.
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Im Sinne von Baudrillard (1978) verweisen Simulakra auf etwas Reales, das es nicht gibt, womit sie selbst zu Realitäten werden ohne dabei Lügen zu sein, da sie nicht als falsche Erzählungen bloß zu stellen sind, sie erzählen ihre Wahrheit, da es die Wirklichkeit nicht gibt.
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5.1.3 Soziale Distinktion von Landschaftsexperten und die Ästhetisierung des Alltäglichen ± die Ästhetik des Zwischenstädtischen Die postmoderne Pluralisierung von Landschaft erschließt sich in ihrem distinktiven Potenzial nicht allein auf altindustrielle Landschaften, sondern bietet auch Raum für die systematische, durch Landschaftsexperten getragene Ästhetisierung der übrigen Elemente des landschaftlichen Patchworks, insbesondere jenen, die dem modernen Reinheitsparadigma widersprechen, wie die Zwischenstadt (Sieverts 1999). Die Zwischenstadt ist ± Sieverts (2001: 7) zufolge ± Ädie Stadt zwischen den alten historischen Stadtkernen und der offenen Landschaft, zwischen dem Ort als Lebensraum und den Nicht-Orten der Raumüberwindung, zwischen den kleinen örtlichen Wirtschaftskreisläufen und der Abhängigkeit vom Weltmarkt³.
Die Zwischenstadt stehe damit zwischen dem einzelnen, dem besonderen Ort als räumlich-historischem Ereignis Äund den überall ähnlichen Anlagen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung, zwischen dem Raum als unmittelbarem Lebensfeld und der abstrakten, nur in Zeitverbrauch gemessenen Raumüberwindung, zwischen der auch als Mythos noch wirksamen alten Stadt und der ebenfalls noch tief in unseren Träumen verankerten alten Kulturlandschaft³ (Sieverts 2001: 14)230.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Zwischenstadt-Idee, also einer ästhetischen ÃAufwertung¶ jener Räume zwischen Stadt und Land, Zeit und Raum, erkennen das ästhetische Unbehagen an, Ädas zwischenstädtische Gebiete hervorrufen³ (Hauser/Kamleithner 2006: 13), wenn diese auf der Grundlage ästhetischer Paradigmen der alten Stadt und der historischen Kulturlandschaft beurteilt würden. Jedoch wird von ihnen dieser Bewertungsmaßstab nicht geteilt und stattdessen für die Entwicklung eines alternativen Bewertungsmaßstabs geworben. Gegenüber Raum- und Städteplanern, die am Leitbild er alten Stadt bzw. der historischen Kulturlandschaft festhalten, stellen Hauser/Kamleithner (2006: 62-63) fest, dass die heutige Situation des Zwischenstädtischen Ämit Billigung von vielen planenden Organen entstanden [ist], die jeweils in ihren territorial definierten Grenzen ihre Zuständigkeit ausüben und versuchen, ihre Perspektive zur räumlichen Materialisierung zu bringen³. Mit der Zwischenstadt Ägerieten die Ränder in die Debatte der Stadt- und Regionalplaner. Hybride Milieus und eine hybride Raumästhetik erschienen als Vorboten einer allgemeinen Veränderung des Modells der (europäischen) Stadt³ (Ipsen 2006: 118), wodurch die Ästhetisierung der Zwischenstadt ein distinktives 230
Zum Thema Mythos und Raum sowie Mythen als kollektive Symbolsysteme siehe Thabe (2002).
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Potential gegenüber der traditionellen Ästhetik der europäischen Stadt erhält, wie dies bei Hauser/Kamleithner (2006: 139) deutlich wird, wenn sie feststellen, dass sich neue Vorstellungen von Urbanität, Ädie mit zwischenstädtischen Gegebenheiten umgehen, [«] sich von den bekannten dadurch unterscheiden, dass sie den städtischen Raum abseits des Einzelhandels denken und nicht auf dauerhafte und durchgängige Dichten setzen³. Vielmehr bedeuteten diese neuen Vorstellungen einer zwischenstädtischen Urbanität die Entwicklung eines entspannteren Stadtbildes, Äeines zugänglicher Räume und intensiver Orte³ (Hauser/Kamleithner 2006: 139), denn schließlich sei Urbanität nicht mehr an die Stadt gebunden, denn vielmehr fänden sich urbane Qualitäten überall dort, Äwo die Erlebnisdichte als faszinierend empfunden wird³ (Hauser 2001b: 189). Hauser/Kamleithner (2005: 213) formulieren Forderungen zur ÄQualifizierung der Zwischenstadt³, wobei sie ± durchaus distinktiv ± feststellen: ÄSinnvolle Qualifizierungsstrategien setzen Qualifizierungsziele voraus³, die wiederum ± Boczek (2006: 230) zufolge ± auf einer Ästhetik im Sinne einer Äbewussten Wahrnehmung und verständlichen Anschauung³ basieren, Ädie vielen, in ihrer Sichtweise eingeschränkten Akteuren nicht mehr gegeben scheint³. Dabei wird die ÃVermehrung von Handlungsoptionen im Alltag¶ als Querschnittsziel betrachtet, das durch acht Qualifizierungsziele ergänzt wird: 1. Ädie Erhöhung ihrer [jener der verstädterten Landschaft; Anm. O.K.] Wahrnehmbarkeit durch sinnliche Erschließung, 2. die Ermöglichung verschiedener und wählbarer Geschwindigkeiten, 3. die Steigerung der Durchlässigkeit der räumlichen Strukturen, 4. die Verdichtung und Vermehrung von Funktionen und damit Steigerung der Brauchbarkeit, 5. die Erhöhung der Anschlussfähigkeit und Flexibilität im Hinblick auf die infrastrukturelle Versorgung, 6. die engagierte Gestaltung der architektonischen Elemente, 7. Angebote zur sozialen Vernetzung durch die Etablierung von lokalen Kommunikationsorten und -strukturen 8. und die Stärkung der Öffentlichkeit im zwischenstädtischen Raum³. Letztlich Forderungen, die mit einem doppelten Distinktionspotenzial ausgestattet sind: Erstens sind sie gegen das Paradigma der alten Stadt und der Kulturlandschaftserhaltung gerichtet, zweitens bedeuten sie, dass diese wissenschaftlichen Setzungen von Planern und insbesondere von Laien umzusetzen sind, was wiederum in einem hierarchischen System der Meta-Experten, Experten und Laien zu vollziehen ist231. 231
Ein ähnliches Konzept verfolgt Prominski (2006b), wenn er den Übergang von einer (reinen) Landschaft-Zwei- zu einer Landschaft-Drei-Ästhetik und somit den Übergang von arkadischen zu zwischenstädtischen Motiven in der Landschaftsästhetik fordert (vgl. Fußnote 277).
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5.1.4 Gesellschaftliche Landschaft und Distinktion in der Kunst Kunst, soziale Distinktion und Macht verbindet ein vielfältiges und teilweise widersprüchliches Verhältnis. Vordergründig kann Kunst Macht kritisieren und Kunst kann aber auch Macht verherrlichen (Resch/Steinert 2003) und auf beiderlei Arten ± abhängig von den sozialen Bezügen (ob zu Herrschern oder Dissidenten) ± distinktiv wirken. Kunst repräsentiert aber auch ± in ihrer Eingebundenheit in den gesellschaftlichen Kontext ± vielfach immanent gesellschaftliche Macht-, Herrschafts- und Distinktionsverhältnisse. Der gesellschaftliche Bezug zu Landschaft kann ± künstlerisch vermittelt ± einer fundamentalen Wandlung unterzogen werden, indem sich soziale Distinktions- und Machtprozesse und -strukturen manifestieren (vgl. Abschnitt 5.1 ± Ästhetisierung von Landschaft und soziale Distinktion). Diese bislang eher strukturell untersuchten Zusammenhänge von Kunst und Macht gilt es nun hinsichtlich des Inhaltes künstlerischer Interpretation von Landschaft zu verdichten. Die distinktiv vermittelten Macht- und Herrschaftsbeziehungen im späten Mittelalter fanden ihre künstlerische Repräsentation vielfach in Landschaftsgemälden. So entwickelte sich zunehmend das Bedürfnis, Äneben dem mit der Macht über ein Territorium verbundenen Prestige und den herrschaftlichen Privilegien auch die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse zu dokumentieren³ (Büttner 2006: 40)232. Der Gegenstandswandel in der Landschaftsmalerei dokumentiert eine sukzessive gesellschaftliche Säkularisierung: Der theologische Einfluss auf die Landschaftsmalerei (Landschaft als Hintergrund für theologisch begründete Szenerien oder Symbol und Allegorie für göttliches Wirken) schwand zugunsten der Darstellung Ädes irdischen Paradieses [«] mit der bildlich imaginierten Wirklichkeit der eigenen Domäne³ (Büttner 2006: 44) und des eigenen Reichtums. Charakteristisch für die spätmittelalterliche Darstellung von Landschaft im Sinne eines politischen und wirtschaftlichen Herrschaftsbereichs ist ihre inhaltliche Ferne zu einer naturalistischen Exaktheit. Sie stellt vielmehr symbolisch die politischen und ökonomischen Machtstrukturen dar: Die Gleichzeitigkeit von Säen, Ackern und Ernten auf exakt parzellierten Feldern dokumentiert die weltliche Ordnung und die Quelle von Reichtum, der Galgen die politische Macht, die Burg (bzw. ummauerte Stadt) ist ein Sinnbild für die Sicherheit, der Hirte mit seinen Schafen eines für den Frieden, der wiederum von den Herrschenden den Beherrschten gebracht wird. Darin soll die Legitimität von Herrschaft zum Aus232 So stellt beispielsweise das zwischen 1337 und 1339 entstandene Werk ÄDie Folgen des guten Stadtregiments³ von Ambrorigo Lorenzetti weniger die landschaftliche Umgebung seiner Heimatstadt Siena Äals vielmehr das Territorium seiner Auftraggeber und deren Einflussbereich³ (Büttner 2006: 44), nämlich der schmalen Land besitzenden und das Stadtregiment stellenden Oberschicht, dar.
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druck gebracht werden (vgl. Büttner 2006). In der Landschaftsmalerei des späten Mittelalters werden der soziale Raum und der physische Raum einer symbolischen Synthese unterzogen: Die Darstellung von Landschaft dient der bildhaften Darstellung von Herrschaftsverhältnissen und deren Perpetuierung durch symbolische Repräsentation und insbesondere Übersteigerung. Mit der Entwicklung einer Kartographie, die sich über den Zwischenschritt der Reliefdarstellungen von der perspektivischen (landschaftlichen) Darstellung eines physischen Raumes löste und diesen aus der Vogelperspektive rekonstruierte, wurde der Landschaftsmalerei ein wesentliches Begründungsmuster, nämlich die Darstellung eines beherrschten Territoriums, entzogen (vgl. Casey 2006). Mit dem Verlust des dokumentatorischen Anspruchs blieb der künstlerische Anspruch der Landschaftsmalerei. Der Kunstgenuss war jedoch in der frühen Neuzeit von jenem der Gegenwart aus ästhetischen oder gar psychologischen Motiven verschieden. Es galt allgemein Äals künstlerisches Ziel, zum Vergnügen oder zur Belehrung des Publikums beizutragen³ (Büttner 2006: 204), worin sich ein distinktiv wirkendes Machtgefälle zwischen Belehrendem und Belehrtem ausdrückte. In der Zeit der Romantik und des Klassizismus wurde die Dichotomie von Zivilisation (in Frankreich) bzw. Kultur (in Deutschland) und Natur ambivalent diskutiert, Äwobei man einerseits die schwindende Abhängigkeit von den Wechselfällen der Natur als Glück des Fortschritts pries und andererseits die zunehmende Entfernung von einer naturgemäßen Lebensweise als Verlust betrauerte³ (Büttner 2006: 266). Die Idealisierung und Ästhetisierung der Natur lässt sich dabei als Gegenreaktion zu dem objektivierten und instrumentalisierten Blick der Naturwissenschaften auf die Natur, aber insbesondere dem rationalisierten Zugriff der kapitalistischen Wirtschaft, deuten, die in der Natur lediglich einen Produktionsfaktor sah, der zur Knappheitsminderung und Gewinnmaximierung lediglich den Gesetzen ± und damit der Macht ± des Marktes unterlag. Dem dichotomen Denken der abendländischen Moderne gemäß, bedeutete die Trennung der Betrachtung von Natur und Landschaft in eine künstlerisch-ästhetische und eine naturwissenschaftlich-ökonomische den Beginn eines Kampfes um die Definitionshoheit von Landschaft, der sich bis heute durch die Diskussionen um einen intrinsischen oder anthropozentrischen Natur- und Landschaftsbegriff, um eine ökosystemische oder ästhetische Begründung von Natur- und Landschaftsschutz zieht. Die zunehmend aufeinander verweisenden Deutungsmuster in Poesie, Malerei sowie Gartenkunst (Lobsein 1981) produzierten im 18. und frühen 19. Jahrhundert einen ± zunächst durchaus paradigmatischen ± Wechsel233 hinsichtlich 233 Scheuplein (2003) weist in seiner kritischen Diskussion des Buches ÄWirtschaftsgeographie. Ökonomische Beziehungen in räumlicher Perspektive³ von Bathelt/Glückler (2002) darauf hin, dass der
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der Interpretation zwischen Innenwelt und Außenwelt, zwischen Mensch und Natur. Doch sklerotisierte der Natürlichkeitskult in einer stereotypen gesellschaftlichen Landschaft, in der etablierte Wahrheiten und bekannte Weltdeutungsmodelle amalgamierten (Lobsein 1981): ÄDie Erschließung ungesagten Sinns wird zur ästhetischen Reflexion ohne sagbaren Sinn³. Auch der zivilisationskritische Impetus der künstlerischen Landschaftsbefassung implizierte letztlich eine Herrschaft und Machtstrukturen sichernde Funktion: Sowohl der romantisierende, der deskriptive als auch der konservatorische Landschaftsbezug bedeutete eine Fokusverschiebung von den sozialen Herrschaftsverhältnissen zu allgemein zivilisationsreflexiven bzw. ästhetisch-kontemplativen Aspekten. Angeeignete physische Landschaft und deren virtuelle Repräsentanz in Form gemalter, literarisch beschriebener, fotografierter, gefilmter und im Cyberspace erzeugter Landschaften stehen in einem vielfachen Rückkopplungsverhältnis mit der Ebene der gesellschaftlichen Landschaft: Gemalte Landschaften sind zunächst einmal eine wesentliche Grundlage für die Wahrnehmbarkeit angeeigneter physischer Landschaften. Sie idealisieren angeeignete physische Landschaften, beschränken sie auf das für die Konstitution von Landschaft wesentliche, schaffen Interpretationsmuster für angeeignete physische Landschaften. Sie bilden in dieser Idealisierung die Vorlage für die Gestaltung angeeignetphysischer Landschaften, sie bilden aber auch ein Element der Ökonomisierung von Landschaften durch den Tourismus. 5.1.5 Ästhetisch begründete Distinktion und Planung Auch die Planung wird von distinktiven Mustern des Geschmacks geleitet. Die internalisierten Geschmacksnormen der Planerinnen und Planer werden bereits in der Opportunität sprachlicher Beschreibungen angelegt, wie Ratzel bereits 1904 (231) im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Präsentation ausführte: ÄDas Geschmacklose ist immer auch unrichtig. Wo Beschreibungen notwendig sind, werden Bilder gebraucht, und in der Wahl dieser Bilder zeigt sich sofort, ob Geschmack da ist; wo er fehlt, da gelingt auch nicht die Beschreibung³. Somit ist Sprache ± auch im wissenschaftlich-landschaftsbezogenen Kontext ± ein Mittel der sozialen Distinktion, in besonderer Weise aber auch zwischen Landschaftsexperten und Laien234, aber auch zwischen Landschaftsexperten unBegriff des Paradigmenwechsels als große Erzählung eingeschätzt werden kann. Bei Bathelt/Glückler (2002) basiere das als neu gewertete Paradigma der relationalen Wirtschaftsgeographie auf Annahmen neoklassischer Theoriebestandteile, die jedoch auch das theoretische Fundament der neoklassischen Raumwirtschaftslehre bildeten. 234 Ausdruck dieses distinktiven Verhältnisses zwischen Landschaftsexperten und -laien ist die Aufstellung von Forderungen, die über die Politik eine Allgemeinverbindlichkeit erlangen sollten. So
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terschiedlicher Profession, aber auch unterschiedlicher paradigmatischer Vorstellungen235. Die Grundlage der politischen (und auch planerischen) Selbstinszenierung liegt in der Annahme, eine Ãgute¶ Umwelt produziere auch eine (nach Maßstäben des am legitimen Geschmack orientierten mittleren Geschmacks) Ãgute¶ Gesellschaft und eine Ãgute¶ Gesellschaft wiederum eine Ãgute¶ Umwelt. Der Handlungsbezug der Planung ist dabei ein künftiger, ein Arbeiten für die Zukunft wiederum bedeutet ± Schneider (1989: 19) zufolge ±, Ädass die Arbeit einer Bewertung in der Gegenwart und nach historischer Erfahrung entzogen wird, dass sie als ein höheres Anliegen die Gegenwart entwertet³. Dadurch wird ein künftiger ästhetisch zu erreichender Zustand distinkt über den gegenwärtigen erhoben. Handlungsleitend für Planung allgemein ist in der Regel das Erstreben eines geordneten Zustandes im Sinne einer ÄÜbertragung des Vorsorgenden Vorausdenkens auf den Raum³236 (Spitzer 1996: 14), letztlich also die Durchsetzung eines modernistischen (vielfach ästhetisch-motivierten) Prinzips ± häufig über den Umweg des Funktionalen nach dem Leitsatz der Moderne form follows function. So hatte ± Schneider (1989: 101) zufolge ± die Landespflege/Landesverschönerung stets die Aufgabe, ÄReinlichkeit, Schönheit und Ordnung herzustellen³ und ist damit Äeine zutiefst ideologische Disziplin, die Herrschaft durchsetzt³. Diese Herrschaft ist ± wie später eingehender charakterisiert wird ± einerseits eine politisch-administrative, andererseits eine der Definitionsmacht von Expertinnen und Experten, was als funktional gleich rein gleich normativ (gleich ästhetisch) zu gelten habe (vgl. Haug 1986, Paris 1998a)237. Das Streben nach Ordnung wiederum ist ± auch in der Planung ± durchsetzt vom (Stereo)Typischen: Die Studie von Gans ÄDie Levittowners³ aus dem Jahre stellt Juan Manuel Wagner (1999) zehn Forderungen auf, die von der generellen Forderung nach Erhaltung der Kulturlandschaft über die Forderung nach Beibehaltung traditioneller Nutzungen (auch wenn diese dem ökonomischen Kalkül widerspricht) bis hin zur Forderung nach kompensierenden Maßnahmen bei der Veränderung kulturlandschaftlicher Elemente reicht. Ähnliche Forderungen finden sich u.a. auch bei Ermer/Kellermann/Schneider (1980) und Quasten (1983). 235 Für den Bereich der Kunst stellt Avenarius (2007 ± zuerst 1920) fest, dass die nachdrängende Künstlergeneration häufig das künstlerische Schaffen der vorangegangenen Generation als ÃKitsch¶ diskreditierte, ein Prozess der sich in ähnlicher Weise auch im paradigmatischen Umgang mit Landschaft feststellen lässt: Hier werden die Anhänger der Erhaltung der Ãhistorischen Kulturlandschaft¶ (in der Regel in deren Abwesenheit) von Anhängern alternativer Paradigmen als ÃMusealisierer¶ bezeichnet (vgl. Abschnitt 5.3 ± Kontingenz und gesellschaftliche Landschaft ± Paradigmen zum Umgang mit angeeigneter physischer Landschaft). 236 Gemeint ist der physische Raum im Sinne eines Behälterraumkonzeptes. 237 Bereits 1876 opponierte der Empiriker Gustav Theodor Fechner in seiner ÄVorschule der Ästhetik³ gegen eine solche ÃÄsthetik von oben herab¶, die aus begrifflichen Deduktionen von Experten aus nicht bewiesenen oder beweisbaren Setzungen operierte, der er ein empirisch ermitteltes Spektrum von ästhetischen Werten und Normen entgegen stellte; allerdings mit der Nebenfolge, so eine neue normative Ästhetik Ãvon oben¶, allerdings auf anderer Grundlage, entwickelt zu haben.
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1967 über das Wohnen in Vorstädten, Ävon denen wir Intellektuelle sagen, sie seien scheußlich, nicht für Geld bringt man uns dahin?³ (Burckhardt 1978b: 172), demaskierte das (stereo)typische Denken von Planern. Denn die Antwort auf die gestellte Frage ist ± gemäß Burckhardt (1978b) ± in der Orientierung auf die soziale, nicht die bauliche Umwelt der Bewohner zu suchen. Diese sozialen Umwelten sind unsichtbar und entziehen sich somit einer an Gegenständen ausgerichteten Ästhetik, sie sind gebildet Ädurch Verpflichtungen, Verträge, gesellschaftlichen Status, Nachbarschaft, Beziehung zu Institutionen am Ort; und keineswegs etwa durch den Kolonialstil dieser Häuser, den man schön finden kann oder, wenn man einen entwickelteren sogenannten Geschmack hat, weniger schön findet³ (Burckhardt 1978b: 172).
Die unintendierten sozialen Nebenfolgen des an den Vorteilen der herrschenden Klasse orientierten Planungshandelns in der funktionalistischen Stadtplanungsära macht Goodman (1971) deutlich: Die Führung von Verkehrstrassen durch solche Stadtteile, deren Bewohner sich ± mangels symbolischen Kapitals ± im politischen System am wenigsten artikulieren konnten, die Flächensanierung von Stadtteilen mit Wohnungen unterhalb des (von Planern definierten) Standards, der Bau von großflächigen Siedlungen des sogenannten sozialen Wohnungsbaus (der Gruppen mit unterschiedlichen Lebenslagen segregierte) u.a. ließ die Äohnehin benachteiligten Stadtbewohner am stärksten leiden³ (Burckhardt 1978b: 175), folgte aber dem Prinzip der geringsten Raumwiderstände, das sich nicht allein auf orographische, sondern auf soziale Hindernisse ± implizit bemessen an der Verfügbarkeit symbolischen Kapitals pro Flächeneinheit ± beziehen lässt. Dabei impliziert dieses Vorgehen der Veränderungen im physischen Raum dort, wo die geringsten physischen uns sozialen Raumwiderstände zu finden sind, eine weitere Präkerisierung der lebensweltlichen Situation jener, die mit symbolischem Kapital unterausgestattet sind: Der Mangel an ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital, so stellt Bourdieu (1997: 164) fest, Äverstärkt die Erfahrung der Begrenztheit: er kettet an einen Ort³, einen Ort, dessen symbolische Belastung durch die akustische, olfaktorische, aber auch optische Veränderung durch den Bau von Infrastruktureinrichtungen zunimmt. 5.2 Angeeignete physische Landschaft als Repräsentanz sozialer Distinktion Mit den im vorangegangenen Abschnitt besprochenen planerischen Distinktionsmustern wird die Rekursivität gesellschaftlicher, individuell aktualisierter gesellschaftlicher und angeeigneter physischer Landschaft deutlich. Diese werden 207
im Folgenden mit besonderem Fokus auf die angeeignete physische Landschaft behandelt. 5.2.1 Grundüberlegungen zu angeeigneter physischer Landschaft als Repräsentanz sozialer Distinktion Das soziale Distinktionsbedürfnis der herrschenden Klasse manifestierte und manifestiert sich unter Zuhilfenahme des gesellschaftlichen Machtgefälles auf vielfache Art im physischen Raum (Abbildung 25). Dabei werden die den aktuellen Bedürfnissen der herrschenden Klasse entsprechenden Konzeptionen des physischen Raumes bzw. der angeeigneten physischen Landschaft Mindermächtigen oktroyiert (vgl. Cosgrove 1993, Higley 1995, Duncan 1999, Duncan/Duncan 2004). Physischer Raum wird ± zunehmend in der Postmoderne ± in eine differenzierte relationale Sozialkategorie transformiert, die zur Symbolisierung und zur Kennzeichnung von sozialhierarchischen Strukturen wie auch von sozialen Distanzen taugt (vgl. Krämer-Badoni 2003): Die Ãfeinen Unterschiede¶ in der Verfügbarkeit symbolischen Kapitals (Bourdieu 1987) manifestieren sich in den Aufenthalts-, Zugriffs- und Verfügungsrechten räumlich: Die Ausprägung eines (vielfach differenzierten) teil-privaten und teil-öffentlichen Raumes hat Teilräume aus der Dualität von öffentlichem und privaten Raum, mit sozial selektiven,
Abbildung 25:
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Das weithin sichtbare physisch manifestierte Symbol ingenieurtechnischer Beherrschbarkeit der äußeren Natur und Sakralisierung stereotyper Männlichkeit in der angeeigneten physischen Landschaft: Der Funkturm auf dem Puy de Dôme im französischen Zentralmassiv. Die Internalisierung des nahezu omnipräsenten Prinzips der Vertikalen in technischen Prestigebauwerken führt zu dessen Verselbstverständlichung als einem Kontingenzabsentismus.
zeitlich wie auch räumlich begrenzten Zugangs- und Aufenthaltsrechten auf privatrechtlicher Grundlage, hervorgebracht. Shopping malls und gated communities sind zwei Beispiele für diese Ausdifferenzierung von Öffentlichkeit und Privatheit (vgl. hierzu Goss 1993, Selle 2002 und 2004)238. Eine physisch-räumliche Manifestation distinktiver Interessen und deren Durchsetzungsmacht ist die Besetzung von Orten mit einem besonderen Ausblick in die angeeignete physische Landschaft, wie auch deren (erzwungene) Umgestaltung nach ästhetisch-distinktiven Prinzipien. Dieses Distinktionsmuster äußert sich häufig in der Besetzung von Orten durch Personen und Gruppen mit einem hohen Ausstattungsgrad an symbolischem Kapital in höher gelegenen Stadtteilen (Oberstadt) und kulminiert mit einer (wahrgenommenen) höheren Umweltqualität. Sogenannte vornehme Wohngegenden ± nach Möglichkeit mit schöner landschaftlicher Aussicht ± sind auch ein Teil der Kontrolle über die Erzielung gewünschter Kontakte, die sich neben Orten auch auf Anlässe (Jagden, Kreuzfahrten, Bälle, Empfänge etc.) und Praktiken (vornehme Sportarten, kulturelle Zeremonien etc.) beziehen (Bourdieu 1983: 67): ÄAuf scheinbar zufällige Weise ermöglichen sie so das Zusammentreffen von Individuen, die im Hinblick auf alle für das Leben und Überleben der Gruppe wichtigen Gesichtspunkte so homogen wie möglich sind³. Bereits im Zusammenhang mit der Konstitution gesellschaftlicher Landschaft durch Ästhetisierung des physischen Raumes zu angeeigneter physischer Landschaft im 17. und 18. Jahrhundert befassten sich ÄStädtebauer, Festigungsingenieure, Bautheoretiker, Architekten und Landschaftsgärtner³ (Markowitz 1995: 121), also Intellektuelle, Äunter verschiedenen Aspekten mit dem Ausblick in die Landschaft³ ± und zwar von der Stadt aus. Eine Form der Schaffung eines inszenierten Blicks in die stadtnahe angeeignete physische Landschaft war die Schaffung von Blickachsen in Form von Alleen. Diese Alleen erschließen die angeeignete physische Landschaft im Sinne von Äherrschaftliche[n], die Landschaft in einer Bauidee gestaltende[n] Achsen³ (Markowitz 1995: 122). Sie symbolisieren als Äsymbolische Einheiten³ (Ipsen 2006: 37) einen absolutistischen Herrschafts- und Machtanspruch (wie die dreibahnige Lindenallee in Kleve, die Johann Moritz von Nassau-Siegen im 17. Jahrhundert anlegen ließ). Eine andere Form des Ausblicks von der Stadt in die sie umgebende angeeignete physische Landschaft war der von Stadtwällen aus, die in nicht unmittelbar bedrohten Städten durch die Auflassung von Festungsbauwerken, ihrer Einebnung bzw. Umges238
Noch weiter hinsichtlich der Beurteilung der Bedeutung von Gegenständen und Gegenstandskollektiven geht Latour (2002: 237), wenn er feststellt: ÄDurch Wissenschaft und Technik werden nichtmenschliche Wesen dazu sozialisiert, sich in menschlichen Beziehungen geltend zu machen³. Wird diesem Gedanken gefolgt, wird angeeignete physische Landschaft zum sozialen Akteur in Distinktions- und Machtprozessen.
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taltung zu Gärten entstand (dies gilt für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts beispielsweise für die Städte Düsseldorf, Wolfenbüttel, Celle, Braunschweig, Göttingen, Oldenburg und Hannover). Eine weitere Form des Ausblicks war die Schaffung von Aussichtsterrassen in Schlossgärten: Im Zusammenhang mit der Schaffung von Aussichtspromenaden auf den Stadtwällen wurden die Gartenanlagen der großen Residenzschlösser auf den aufgelassenen Zitadellen (beispielsweise von Mannheim, Würzburg und Münster) mit Aussichtsterrassen mit Blick in die angeeignete physische Landschaft umgestaltet. Eine weitere bauliche Form zum Landschaftsgenuss kam in den Villen der Städte Italiens (insbesondere Roms) seit dem 16. Jahrhundert auf: Terrassen, Altane, Dachgärten und offene Dachbelvedere, Loggien und Galerien, aber auch Schneckenberge und künstliche Hügel, die den Blick in Gärten und die offene angeeignete physische Landschaft ermöglichten, architektonische Formen also, die sich zunächst in ganz Europa, später ubiquitär verbreiten sollten und heute zum Kanon der aktuellen Architektur zählen (Markowitz 1995). Diesen Orten des Ausblicks ist eines gemeinsam: Es handelt sich um Orte, deren Zugang eine Privilegierung gegenüber jenen Orten bedeutete, auf die die Aussicht gerichtet war. Der Gegenstand der ästhetisierten Betrachtung war die angeeignete physische Landschaft jener, denen der Zugang zu eben dieser ästhetisierten Betrachtung von physischem Raum als Landschaft sozial verwehrt blieb, die aber ± insbesondere bei der physischen Umgestaltung von Raum ± die Lasten der Ästhetisierung der physischen Manifestationen ihrer Lebenswelt zu tragen hatten. Auch bebauter physischer Raum unterliegt einem Wandlungsprozess infolge der Abnutzung von Gebäuden, dem Veralten von Haustechnik und dem Bestreben des mittleren Geschmacks, zum legitimen Geschmack aufzuschließen, indem die Wohngebiete der herrschenden Klasse sukzessive zu den eigenen gemacht werden (dieser Prozess findet sich sowohl bei gründerzeitlich-bourgeoisen Villenvierteln in der nachgünderzeitlichen Ära, als auch in subkulturellen Szenevierteln der Intellektuellen der Gegenwart durch gentrification). Ähnlich baulich strukturierte Viertel können im Prozess sozialer Aneignung dabei sehr unterschiedliche symbolische Entwicklungen vollziehen, wie Burckhardt (1991b), in Anlehnung an das Buch ÄRubbish Theory³ von Michael Thompson (1979), anhand backsteinerner Reihenhäusern aus dem 18. Jahrhundert in Abhängigkeit von ihren Eigentümern charakterisiert. Diese Quartiere werden von drei unterschiedlichen Gruppen bewohnt: Werden die Häuser von Pakistanis gekauft, sinkt ihr ökonomischer Wert und ihre symbolische Distinktionsfähigkeit stark ab ± ohne dass sich zunächst an der Bausubstanz etwas verändert hätte (später wird ihre Außenund Fensterfarbe den Vorlieben der Eigentümer angepasst). Sie haben ihren
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ÄSnob Appeal³ (Burckhardt 1991b: 224) verloren. Sie werden von Personen mit geringem symbolischem Kapital bewohnt. Werden die Häuser von ÄHandwerker-Unternehmern, vom Typ Garagist, Drucker, Elektriker usw.³ (Burckhardt 1991b: 224) erworben, vollzieht sich die Entwertung schleichend. Zwar werden die Häuser gut gepflegt, doch entwertet diese Pflege, da die Insignien des Patrimonialen (z.B. Holztüre mit Messingknopf, Sprossenfenster mit Holzrahmen) sukzessive durch moderne (Massen-)Erzeugnisse (insbesondere aus dem Baumarkt) ersetzt werden. Bei dieser Bewohnerschaft dominiert der mittlere Geschmack bei mittlerer Ausstattung mit symbolischem Kapital. Werden diese Häuser allerdings von Intellektuellen, einer Gruppe mit hohem kulturellem und sozialem Wert sowie zumindest mittlerem ökonomischem Kapital, erworben und in ihrer Struktur bewahrend instand gesetzt, steigt ihr ökonomischer Wert und ihre symbolische Distinktionsfähigkeit. Unabhängig vom Gebrauchswert gibt es also ÄMeinungsmacher, die Werte schaffen können³ (Burckhardt 1991b: 225) ± ökonomische Werte; und es gibt Menschen, die keine Meinungsmacher sind, aber die ökonomischen Werte zerstören können. 5.2.2 Die multisensorische Dimension von angeeigneter physischer Landschaft für die Symbolisierung sozialer Distinktion Die soziale Dimension des Olfaktorischen wurde bereits im Jahre 1908 von Simmel (1999: 734-735) in seiner Soziologie der Sinne verdeutlicht. So war für Simmel die soziale Frage nicht nur auf eine ethische beschränkt, sondern implizierte auch eine olfaktorische Dimension: ÄDass wir die Atmosphäre jemandes riechen, ist die intimste Wahrnehmung seiner, er dringt sozusagen in luftförmiger Gestalt in unser Innerstes ein, und es liegt auf der Hand, dass bei gesteigerter Reizbarkeit gegen Geruchseindrücke überhaupt dies zu einer Auswahl und einem Distanznehmen führen muss, das gewissermaßen eine der sinnlichen Grundlagen für die soziologische Reserve des modernen Individuums bildet³239.
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Atmosphäre lässt sich weder im physischen Raum eindeutig verorten noch ist sie exakt messtechnisch bestimmbar. Vielmehr sind Atmosphären ± so Fuchs (2000: 213) ± Äganzheitlich räumliche Ausdrucksphänomene, die unbestimmt und diffus über die weite des Umraums gebreitet sind. Man tritt in eine romanische Kirche und spürt eine erhabene Stille der dunklen, kühlen Gasse; man taucht in die lärmende Fröhlichkeit eines Jahrmarkts oder spürt die drückende Schwüle über der Landschaft vor einem nahenden Gewitter³. Bei der Konstruktion von Atmosphäre spielen alle Sinnesmodalitäten zusammen (Bischoff 2003).
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Auch fungierte und fungiert die Nase als entscheidendes Distinktionsorgan: Die Forderung sozialer und räumlicher Distanz erfolgt vielfach darüber, dass Personen, an deren Existenz man möglichst nicht erinnert werden will, für stinkend erklärt und somit gesellschaftlich stigmatisiert werden (vgl. Payer o.J.). Damit wird der Bezug zwischen Macht und Olfaktorik deutlich: Derjenige, der die Macht über Gerüche hat, kann mit ihnen über die Aufenthaltsbefindlichkeit anderer bestimmen. Gerüche sind Ausdruck der angeeignet-physisch-landschaftlich verorteten Machtverhältnisse. So sind Mächtige ± also Personen mit einem hohen Status symbolischen Kapitals ± in der Lage, Orte mit einem hohen Grad negativ gewerteter olfaktorischer Reize zu meiden, indem sie sich den Gerüchen von U-Bahn, Fußgängertunneln, engen Bürgersteigen an viel befahrenen Straßen etc. durch die Nutzung des Autos, jenen von Fabrikanlagen durch den Rückzug in entferntere und teurere Wohngegenden240 entziehen ± um damit einen Distinktionsgewinn zu erzielen. Die Beseitigung von als unangenehm geltenden Gerüchen unterliegt dieser Logik folgend einem differenzierten Kalkül, wie Payer (o.J.) am Beispiel Wiens darlegte: Wurde die Belästigung mit Fäkalgerüchen durch den Bau von Schwemmkanalisationsanlagen zum Ende des 19. Jahrhunderts verringert, gab es aber auch Gerüche, deren Beseitigung ± aus Gründen des Interesses insbesondere jener mit einem hohen Maß an ökonomischem Kapital Ausgestatteten ± weit weniger energisch in Angriff genommen wurde: der Rauch der Fabrikschlote und der Abgasgestank des gerade aufkommenden Automobils241. Diesem konnte und kann man sich ± mit Distinktionsgewinn schließlich entziehen. Mit dem Aufkommen der Umweltbewegung seit den 1960er Jahren wurde es dem politischen System ± wird der Argumentation Niklas Luhmanns der ökologischen Kommunikation (1986) gefolgt ± möglich, aufgrund der gesellschaftlich wahrgenommenen Umweltbelastungen resonanzfähig zu werden: Eine politische Befassung mit dem Thema Umweltbelastung ermöglichte es, Macht zu generieren. Das daraus folgende Erlassen von rechtlichen Umweltnormen hatte wiederum deutliche Auswirkungen auf die akustische und olfaktorische Dimension der Landschaft. Die Schaffung bzw. Absenkung von Geräusch- und Schadstoffemissionsgrenzwerten sowie deren Überwachung und negative Sanktionierung verringerte zwar einerseits die jeweiligen Immissionen, jedoch wurde dadurch mit der Absenkung des Geräuschquantitätsniveaus die Geräuschqualität der angeeigneten physischen Landschaft weitgehend nivelliert: Wo früher In240
Wobei sich der Preis nicht zwingend allein im Mietzins oder den Kaufpreisen absolut oder relativ beschränkt, sondern auch Wegekosten einschließt, die in Zeiten steigender Energieknappheit von immer stärkerer ökonomischer (und sozialgemeinschaftlicher) Bedeutung sind. 241 Erst in den 1980er Jahren wurden im Zuge der Umweltschutzbewegung diese Gerüche massiv kritisiert und es kam letztlich zu einer erfolgreichen Reduzierung dieser Gerüche (vgl. Payer o.J.).
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dustriebetriebe durch eine eindeutige Geräusch- und Geruchsemission eindeutig in der physischen Landschaft verortbar waren, finden sich heute akustisch und olfaktorisch gekapselte Produktionsanlagen (sofern die Produktion nicht ohnehin gemäß dem Lohnstückkostengefälle verlagert wurde) und die olfaktorische und akustische Landschaft wird durch einen omnipräsenten Automobilverkehr dominiert242, 243. Doch diese olfaktorische Dimension der sozialen Segregation auf der physisch-angeeignet-landschaftlichen Ebene bildet lediglich eine Ebene des vermachteten gesellschaftlichen Bezugs zu olfaktorischer Landschaft: Einerseits bedeutet die Inkorporierung von olfaktorischen Bewertungsschemata im Zuge des Sozialisationsprozesses ein Element der sozialen Standardisierung von Soll-Zuständen244, andererseits bedeutet die Nichtbefassung, Geringbefassung oder einseitig vermeidende Befassung245 mit dem Thema olfaktorischer (aber auch akustischer) Landschaften seitens von Landschaftsexperten (insbesondere Planern) einen Beitrag zur Belastung (und letztlich auch Stigmatisierung) von Teilen der angeeigneten physischen (Geruchs)Landschaft und deren Bewohnern (vgl. Bischoff 2005b). Derzeit gelten den Planern der angeeigneten physischen Landschaft Geräusche wie Gerüche als Belästigungen, die mittels Schalldämpfung einerseits und Schornsteinen, Rohrleitungssystemen und Klimaanlagen andererseits (Bischoff 2005a) domestiziert werden müssen, und nicht als eigene Dimensionen einer angeeigneten physischen Landschaft. In dem Ungleichgewicht zwischen der faktischen Unhintergehbarkeit des Geruchssinns, denn über das Atmen 242
Dies wird auch in einem Textausschnitt aus der Untersuchung von Kühne (2006a: 214) deutlich, in dem die nicht professionell mit Landschaft befasste Interviewpartnerin zunächst allgemein darüber spricht, ob sie eine Wald- oder eine Offenlandschaft persönlich als reizvoller ansieht, dann aber recht unvermittelt auf die Omnipräsenz eines automobilverkehrsbedingten Geräuschhintergrundes zu sprechen kommt: ÄAlso, was man im Wald hat, und nicht in der Offenlandschaft, das ist, dass man keinerlei Besiedlung hat. Nichts, was vom Menschen geschaffen wurde. Man befindet sich richtig in der Natur. Da ist es dann so dunkel und so höhlig und so heimelig und ... ich weiß nicht ob es viel stiller ist, weil man im Saarland ja überall irgendwo `ne Autobahn hört [«]³. 243 Dabei ist ständige Absenkung von Emissions- und Immissionsgrenzwerten durchaus mit Mechanismen der Machterhaltung der Herrschenden Klasse von Politik und Experten (wie in Abschnitt 6.6 Landschaft und Macht im Spannungsfeld von Politik, ihrer Administration und Wirtschaft) ± zumindest teilweise ± nachvollziehbar. Experten legen Grenzwertvorschläge zur politischen Beschlussfassung vor, deren Einhaltung ebenfalls Experten überprüfen, wobei diese Experten wiederum erneuten Handlungsbedarf feststellen. 244 Bezogen auf den menschlichen Körper und dessen unmittelbares Umfeld (insbesondere innerhalb von Räumen) haben sich ganze Wirtschaftsbranchen entwickelt, deren Produkte als unangenehm bewertete (oder vielmehr zu bewertende) Gerüche überdecken (Deodorants, Parfüms, Seifen, Raumluftverbesserer etc.). Dabei werden insbesondere durch die olfaktorische Inszenierung von Innenräumen ÄUmkehrräume³ (Bischoff 2005: 273) geschaffen, die durch ein angenehmeres Duftklima charakterisiert sind als die durch Verkehr und Abluft belasteten Außenräume. 245 Eine Ausnahme bildet die Stadt München, deren Umweltatlas eine Karte der zeitweise auftretenden Geruchsbelästigungen aufweist (vgl. Bischoff 2003).
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Äkorrespondieren [«] Gerüche unmittelbar mit dem leiblichen Befinden³ (Bischoff 2003: 45), und seiner geringen Beachtung seitens der Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft ± oder noch allgemeiner des physischen Raumes ± drückt sich die latente bis manifeste Verweigerung der Mächtigen aus, sich mit der olfaktorischen Belastung der Mindermächtigen zu befassen ± schließlich sind sie ja nicht davon betroffen. 5.3 Kontingenz und gesellschaftliche Landschaft ± Paradigmen zum Umgang mit angeeigneter physischer Landschaft 5.3.1 Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft als Ähistorische Kulturlandschaft³ Ein konstitutives Element des Begriffs der Kulturlandschaft besteht in der Abgrenzung zu Naturlandschaft und zu Landschaft allgemein (vgl. Heiland 2006). Dabei bringt ± so Ewald (1996: 100) ± der Begriff der Kulturlandschaft Ädas ÃKultivierende¶ zum Ausdruck, nämlich das Urbanisieren der ehemaligen Naturlandschaft³. Kulturlandschaft entsteht also ± so die gängige Lesart ± durch raumbezogenes Handeln des Menschen, er wandelt also Naturlandschaft in Kulturlandschaft um. Der Begriff der Landschaft umfasst dabei sowohl die Kultur- als auch die Naturlandschaft (siehe z.B. Heiland 2006, Wöbse 2006). Wöbse (1999: 271) charakterisiert Kulturlandschaft stichpunktartig folgendermaßen: ÄKulturlandschaften sind positiv zu bewertende Landschaften. Nicht jede vom Menschen veränderte Naturlandschaft ist eine Kulturlandschaft. Kulturlandschaft ist materialisierter Geist. Kulturlandschaften gewähren Multifunktionalität. In der Kulturlandschaft stehen ökonomische, ökologische, ästhetische und kulturelle Leistungen und Gegebenheiten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Kulturlandschaften sind langfristig geeignet, Menschen als Heimat zu dienen³246. Den Begriff der historischen Kulturlandschaft fasst Wöbse (2002: 186) wie folgt: ÄEine historische Kulturlandschaft ist eine von Menschen vergangener Zeiten geprägte Landschaft. Sie gibt Zeugnis vom Umgang früherer Generationen mit Natur und Landschaft und lässt Rückschlüsse auf das Mensch-Natur-Verhältnis unserer 246
Ähnliche Charakterisierungen finden sich u.a. bei Denzer (1996), Denecke (1997), Quasten (1997b), Schenk (1997b), Wagner (1999).
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Vorfahren zu, sie gibt Ausdruck von deren Lebensstil, Bedürfnissen und Möglichkeiten. Historische Kulturlandschaften tragen in starkem Maße zur Eigenart und Schönheit von Landschaft bei³.
Becker (1998: 51) beschreibt eine (angeeignete physische) Landschaft als historisch, wenn in ihr ÄRelikte aus vergangenen Zeiten noch in der Gegenwart vorhanden sind³. Vergangenes werde ± so Becker (1998: 51) weiter ± dadurch bestimmt, Ädass die geschichtlichen Strukturen, die die Landschaft oder Landschaftsbestandteile hervorgebracht haben, selbst zur Historie geworden sind und nicht mehr den gegenwärtigen gesellschaftlichen, technischen und rechtlichen Strukturen entsprechen³247, die also ± wie es Soyez (2003: 31) in Anlehnung an Werlen (2000a) formuliert ± längst der Äraumzeitlichen Entankerung³ anheim gefallen sind. Die terminologische Trennung von Natur- und Kulturlandschaft spiegelt ± so Siekmann (2004: 32) ± ein, der okzidentalen Kulturgeschichte immanentes, dichotomes Verhältnis von Natur und Kultur wider, Ädas menschliches Wirken abgrenzt vom außermenschlichen, natürlichen Geschehen³ und lässt sich ± nach Holzinger (2004) ± als Projekt der Moderne verstehen (vgl. auch Zierhofer 2002 und 2003; aus literaturwissenschaftlicher Sicht: D¶hulst 2007). Haber (2000) widerspricht der Sinnhaftigkeit einer Trennung von Natur- und Kulturlandschaft, indem er unterstreicht, Landschaft sei ein Ausdruck von Kultur und sei es nur in ihrer Wahrnehmung, wodurch es für Spanier (2001: 81) keinen Gegensatz zwischen Kulturlandschaft und Naturlandschaft gibt, woraus er folgert: ÄEs gibt nur Kulturlandschaft³248. Ein wesentliches Element der modernen Konstruktion der Dichotomie von Kultur und Natur, von Subjekt und Objekt (Weber 2007), ist ein Naturkonzept, Ädas auf einer Ausblendung und Ausbeutung der Natur beruht³ (Beck/Bonss/Lau 2001: 20; ähnl. Zierhofer 2002 und 2003). Natur wird ± in der 247
Neben der Modernisierung der angeeignet-physisch-landschaftlichen Strukturen (insbesondere in der Landwirtschaft; vgl. Stiens 1999) gilt insbesondere der sogenannte Landschaftsverbrauch als Gefahr für Kulturlandschaften allgemein, insbesondere aber Ãhistorische Kulturlandschaften¶. Landschaftsverbrauch sei ± so Dosch/Beckmann (1999a: 291) ± nicht allein Ädie Umwidmung von Freifläche in versiegelte und umgestaltete Siedlungs- und Verkehrsfläche, sondern auch Landschaftsbeeinträchtigung durch Abnahme der Biodiversität und Landschaftsentwertung durch Verarmung von kultureller Vielfalt und Aussterben vitaler Überlieferungen³. 248 Es ist mit Konold (1996a: 5) festzustellen, Ädass in Mitteleuropa fast alle Landschaft Kulturlandschaft ist, vom Menschen geformt nach seinen Bedürfnissen und seinen jeweiligen Möglichkeiten³ ± also auch auf der Ebene des Objektes eine Unterscheidung von Kultur- und Naturlandschaft ± zumindest für Mitteleuropa ± zweifelhaft erscheint (ähnlich Hauser/Kamleithner 2005). Auch außerhalb Europas erscheint der Begriff der Naturlandschaft im Sinne einer sich durch den Menschen unbeeinflusst entwickelnden angeeigneten physischen Naturlandschaft angesichts der Modifikation der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre und dem daraus sich verändernden Strahlungshaushalt (Treibhauseffekt, Abbau stratosphärischen Ozons) schwer nachvollziehbar (vgl. Heiland 1992 und Dinnebier 1995).
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Denktradition der Aufklärung ± als ÄÃobjektiv¶ existierendes, großes Uhrwerk, das nach strengen, unabänderlichen Gesetzen in Raum und Zeit abläuft³ (Schafranski 2000: 182) konstruiert. Sie wird als eine neutrale Ressource betrachtet, die unbegrenzt verfügbar erscheint und zu einem beherrschbaren ÃAußen¶ der Gesellschaft degradiert wird (Beck/Bonss/Lau 2001)249 ± wobei außer Acht gelassen wird, dass selbst der Metabolismus des Menschen nur schwerlich dem kultürlichen Teil der Welt zurechenbar erscheint, also bereits der Mensch ein hybrides Natur-Kulturwesen ist. So erscheint es argumentativ schwer nachvollziehbar, dass ein Baum, der gemeinhin dem Bereich Natur zugeordnet wird, dadurch zum konstitutiven Teil der Kulturlandschaft wird, weil er von Menschen gepflanzt oder zumindest nicht gefällt wurde. Schließlich leitet sich Kultur konstitutiv aus menschlichem Handeln ab; Handeln wiederum lässt sich nach der klassischen Definition von Max Weber (1976 ± zuerst 1922) als äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden, mit dem der Handelnde oder die Handelnden einen Sinn verbinden, beschreiben ± womit eine unterlassene Kultivierung gleichsam ein Handeln darstellt, schließlich verbinden handelnde Objekte mit dem Unterlassen den Sinn, dass eine Kultivierung aufgrund ökonomischer, politischer, sozialgemeinschaftlicher oder kulturell-treuhänderischer Überlegungen nicht sinnvoll erscheint250. Die enge argumentative Verknüpfung des Begriffs der Kulturlandschaft mit einem konservierenden Impetus wird beispielsweise bei Zutz (2005: 39) deutlich: ÄWenn heute in der Landschaftsplanung von Kulturlandschaft die Rede ist, so wird zumeist gleichzeitig die Frage nach ihrer Erhaltung bzw. Pflege aufgeworfen³, schließlich sei ± so Wöbse (1994: 37) ± es Allgemeingut, Ädass Kulturlandschaft etwas Wertvolles ist, das man erhalten sollte³251, schließlich stelle ± so Wagner (1999: 36) ± die Nivellierung der angeeigneten physischen Land249 Ulrich Beck (1986: 9) charakterisiert die Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft als Äeine Konstruktion des 19. Jahrhunderts, die dem Doppelzweck diente, die Natur zu beherrschen und zu kontrollieren. Natur ist unterworfen und vernutzt am Ende des 20. Jahrhunderts und damit von einem Außen- zu einem Innen-, von einem vorgegebenen zu einem hergestellten Phänomen geworden. Im Zuge ihrer technisch-industriellen Verwandlung und weltweiten Vermarktung wurde Natur in das Industriesystem hereingeholt. Zugleich ist sie auf diese Weise zur unüberwindlichen Voraussetzung der Lebensführung im Industriesystem geworden³. 250 Heiland (2006: 49) hingegen hält dagegen an der Trennung der Begriffe Naturlandschaft, Kulturlandschaft und Landschaft mit der Begründung fest, es müsse zwischen den aktuellen physischräumlichen Gegebenheiten und der terminologischen Ebene unterschieden werden. Diese habe keineswegs ausschließlich aktuelle Zustände abzubilden, vielmehr sei es deren Aufgabe, Ävergangene und zukünftige oder auch nur denk- oder wünschbare Zustände und Phänomene abzubilden (ansonsten gäbe es wohl kaum die Begriffe des Guten, der Wahrheit, der Freiheit, Gottes usw.)³. 251 In diesem Zusammenhang verweist Burckhardt (1991b: 222) auf eine grundlegende Kalamität des Paradigmas der Ãhistorischen Kulturlandschaft¶, schließlich sei sie mit dem Begriff Ãalt¶ verbunden. Kulturlandschaftspflege befasst sich ± wie Denkmalpflege auch ± Ämit dem Alten, und Ãalt¶ hat eine doppelte Codierung: Alt ist das, was wir wegwerfen, und alt ist das, was wir verehren³.
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schaften im Zuge des Globalisierungsprozesses Äim Sinne der Aufhebung der regionalen Differenzierung [«] einen kulturellen Verfall dar, der gar nicht negativ genug bewertet werden kann³252, woraus sich die Zielsetzung der Kulturlandschaftspflege ableitet, Ädie regionale Differenzierung unterschiedlicher Kulturlandschaften zu erhalten, oder, gleichbedeutend, dem Prozess der regionalen Differenzierung der Kulturlandschaften entgegenzuwirken³ (Quasten 1997b: 19; siehe auch Henkel 1997, reflexiv hierzu Weber 2007). Somit zielt der Begriff der Kulturlandschaft nicht (allein) auf die Beschreibung einer Erdgegend, sondern impliziert (affirmative) Wertungen (vgl. Heiland 2006)253, zumeist getragen von einem melancholischen Grundton des Verlusts oder Bedroht-Werdens254. Melancholie lässt sich ± Butler (2001: 177) zufolge ± als eine ÄRebellion, die niedergeworfen wurde³ beschreiben, ohne etwas Statisches zu haben, sondern Äals eine Art Arbeit [weitergeht], die sich durch Ablenkungen vollzieht³. Die Melancholie über den Verlust von gesellschaftlich überkommenen Zuständen der angeeigneten physischen Landschaft vollzieht sich also durch Sublimation und Anerkenntnis der sozialen Machtverhältnisse ± schließlich vollzieht sich Melancholie nicht in der offenen Konfrontation mit den Strukturen der Macht. Die Semantik der ÃErhaltung von historischer Kulturlandschaft¶ offenbart ± insbesondere, wenn die Erhaltung von Kulturlandschaft mit der Erhaltung von Heimat verknüpft wird ± eine häufig dogmatische Grundhaltung. Das dargestellte Weltbild ist auf einen Kernbestand interdependenter und sich gegenseitig abstützender, reziprok definierender Aussagen mit selbstreferenzieller Verwei252
Hauser/Kamleithner (2006) weisen auf die Schwierigkeiten der Erhaltung von angeeigneten physischen Landschaften hinsichtlich der Abhängigkeit von gesellschaftlichen Prozessen hin, schließlich müssten auch die gesellschaftlichen Prozesse geschützt werden, deren Nebenfolge Entwicklungen in der angeeigneten physischen Landschaft seien. 253 So bedauert Güth (2006: 157), das Aussehen der gestalteten Umwelt sei weniger das Ergebnis von Kultur im Sinne eines Kontinuums als Ävielmehr eine Folge der Werbung und der Fremdbestimmung³. Das Fremde wird als das Bedrohliche empfunden. Die Überhöhung von angeeigneter physischer Landschaft als Kulturlandschaft wird auch in der Definition von Quasten (1982: 143) deutlich, wenn er feststellt: ÄKulturlandschaften sind als gestalteter Wirtschaftsraum Ausdruck der Selbstverwirklichung vieler Generationen³. Angesichts der marktmäßig oder vormals feudal vermittelten Zwangsmechanismen (vgl. Abschnitt 4.1 ± Die Entwicklung der angeeigneten physischen Landschaft als Folge und Nebenfolge der Evolution der Gesellschaft) von Selbstverwirklichung zu sprechen, bedeutet einen erheblichen ± die Herrschaftsverhältnisse ignorierenden ± Euphemismus. 254 Die Semiotik des (drohenden) Verlustes von Ãintakter¶ oder Ãhistorischer¶ Kulturlandschaft zeigt deutliche Parallelen zu Semiotik des Verlusts der ÃHeimatlandschaften im Osten¶ (vgl. Abschnitt 7.2): Beide Semiotiken mystifizieren die Verlusterfahrung, beide Semiotiken rekurrieren auf einen vergangenen landschaftlichen Zustand, beide Semiotiken unterstellen eine unmittelbare Verbindung zwischen angeeigneter physischer Landschaft und regionaler Gesellschaft in Form heimatlicher Bindungen her, beide Semiotiken arbeiten mit moralischen Gut-Böse-Dichotomien (hier die ÃVertreibenden¶, dort die ÃModernisierer¶), beide Semiotiken explizieren die Revision des aktuellen Zustandes und werden von einer melancholischen Grundstimmung getragen.
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sungsstruktur zurückführbar (vgl. Paris 1992). So argumentiert Thieleking (2006: 51), Menschen engagierten sich für Kulturlandschaft, sofern sie ein Heimatbewusstsein hätten und Heimatbewusstsein entstünde in Ägewachsenen historischen Kulturlandschaften³ (ähnlich z.B. auch Born 1995, Wagner 1997 und 1999, Güth 2004, Heringer 2005). Der besprochene Gegenstand der Ähistorischen Kulturlandschaft³ wird zu einer höheren Wahrheit sakralisiert und zur Grundlage einer Moralpolemik, so erklärt Wöbse (1999: 271): ÄDie Erhaltung historischer Kulturlandschaft ist eine Verpflichtung, ihre Entwicklung eine Aufgabe³. Eine Haltung, die keinen Widerspruch, keine Abstufungen oder Dosierungen duldet255. Moralische Expertise ist ± wie Bogner (2005: 172) feststellt ± Äheute Privatsache und öffentliche Angelegenheit zugleich³. Wenn es um Naturschutz und Nachhaltigkeit, aber auch die Erhaltung der Ähistorisch gewachsenen Kulturlandschaft³ geht, werden ± so Spanier (2006: 31) ± Äauffällig oft die ganz großen Gefühle bemüht. Und zwar sowohl in der Wissenschaft als auch in der Belletristik und Journalistik, sowohl im ehrenamtlichen als auch im professionellen Bereich. Angesichts der Größe der zu lösenden Aufgaben scheinen es wohl nur diese Ãganz großen Gefühle¶ sein zu können, die in der Kommunikation angemessen sind. Ob das wirklich so sein muss, verdient gut überlegt zu sein, denn ein Zuviel an Pathos und Emotionalität kann auch unangenehm berühren³256.
Die Kommunikation auf der Ebene der Ãganz großen Gefühle¶ um das Themenfeld Landschaft und Nachhaltigkeit ist durch eine Transformation einer ökologisch-konstruktiven (auf der Ebene der angeeigneten physischen Landschaft), einer ästhetisch-konstruktiven Veränderung, letztlich aber auch einer ökonomischen und politischen Veränderung auf die Ebene eines moralischen Problems ± im Sinne einer ethisch/moralisch-ästhetischen Amalgamierung (vgl. Illing 2006) ± geprägt. Mit der Zuspitzung von Risiken, der Produktion von Unsicherheiten und einem steigenden Grad an Unwissen steigt ± so Luhmann (1993: 332) ± Äder Moralpegel der öffentlichen Kommunikation³, der zwar durch die Transformation einer Veränderung in ein moralisches Problem eine breit zugängliche Kommunikation ± durch den Rückgriff auf den universal-systemischen Code gut/ schlecht257 ± ermöglicht, doch mit spezifischen Nebenfolgen verbunden ist, die 255
Eine solche Haltung lässt sich als charakteristisch für den Halbglauben beschreiben. So hat der Wissenschaftliche Beirat ÄGlobale Umweltveränderungen³, der von der Bundesregierung berufen wurde, 1999 sein Gutachten ÄErhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre³ veröffentlicht. Hier finden sich unter der Überschrift ÄDie Krise der Biosphäre³ folgenden apokalyptischen Ausführungen:ÄWir erleben gegenwärtig die 6. Auslöschung der Gen- und Artenvielfalt. Sie könnte die letzte große Krise, bei der vor 65 Mio. Jahren u.a. die Saurier ausstarben, an Wucht sogar noch übertreffen³ (WGBU 1999: 3). 257 Der hier beschriebene Moralcode ist als Teil des Systemischen und nicht als Teil der Lebenswelt zu verstehen, da er weder kommunikativ ausgehandelt noch den reversiblen Handlungsschemata der 256
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eine problemadäquate Kommunikation in der Regel zumindest erschweren (vgl. Bogner 2005): Moralisches Engagement kann nur schwer wieder zurück genommen werden. Schließlich bezieht sich der moralische Code nicht allein auf einzelne Rollen einer Person, sondern auf die Person in Gänze. Zudem ist moralische Kommunikation nicht auf Achtung, sondern auf Missachtung ausgerichtet, sodass mit Anwendung des moralischen Codes die Diskreditierung von Handlungen oder Ansichten einer Person und häufig die Diskreditierung der Person einhergehen (Luhmann 1993). Da der moralische Code eine gleichsam entdifferenzierende und nicht durch eine höhere Instanz kompensierbare Funktion aufweist, ist das Engagement von Personen ± insbesondere, da sie nicht allein in Rollen, sondern als Personen handeln ± in moralischen Diskursen besonders hoch (Luhmann 1989: 370): ÄMoral ist ein riskantes Unternehmen. Wer moralisiert, lässt sich auf ein Risiko ein und wird sich bei Widerstand leicht in der Lage finden, nach stärkeren Mitteln suchen zu müssen oder an Selbstachtung einzubüßen³. Daher wohnt der Anwendung des moralischen Codes die Tendenz inne ÄStreit zu erzeugen, aus Streit zu entstehen und den Streit dann zu verschärfen³ (Luhmann 1989: 370). Ein besonderes Problem der Anwendung eines Moralprogramms besteht darin, dass der Code gut/schlecht durchaus auf unterschiedlichen Vorstellungen von Moral basiert und bei moralischer Festlegung muss damit zu rechnen sein, dass sie aus der Perspektive eines anderen Moralprogramms beobachtet wird (Luhmann 1993, vgl. auch Kneer/Nassehi 1997). Die dogmatische Verteidigung258 der Ãhistorischen Kulturlandschaft¶ ist in mehrfachen Abgrenzungskomplexen entstanden: 1. Das Dogma der Erhaltung von Ãhistorisch gewachsener Kulturlandschaft¶ tritt in Abgrenzung zu anderen Paradigmen des Schutzes von physischer Landschaft, insbesondere gegen eine Beschränkung des Schutzes von ÃNaturlandschaften¶, wie sie ursprünglich in dem Konzept der Nationalparke zum Ausdruck kommt. Hier tritt es für den Schutz vom Menschen modifizierter physischer Landschaften ein. 2. In Abgrenzung zu den Paradigmen des Arten- und Biotopschutzes, der auf der Erhaltung einzelner gefährdeter Arten und deren Lebensräumen basiert, Lebenswelt entspricht. Er ist vielmehr Ausdruck eines systematisierten Mechanismus der Erringung von Einfluss. 258 Die Diskurse der Landschaftsexperten und der zuständigen Politiker hinsichtlich der Beschreibung sowie Erhaltungs- und Wiederherstellungsbezügen von physischen Landschaften nehmen vielfach den Charakter dessen an, was Bourdieu (2000) als Glauben, der sich als solcher nicht kennt, als Doxa, bezeichnet. Anerkannte Deutungen von Landschaft und ihrer Bedeutung für den Menschen werden ± als Teile von Natur und Sozialwelt ± fraglos perpetuiert, (stereo)typisiert und moralisiert. Die Doxa als Grundlagen des moralischen Urteils über andere Personen werden insbesondere dann in vollem Umfang und Konsequenz zur Anwendung gebracht, wenn der eigene Halbglauben eine ständige dogmatische Selbstvergewisserung voraussetzt.
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verschreibt sich der Kulturlandschaftsschutz einer größeren räumlichen Bezugsebene und der Integration der ästhetischen Dimension von Landschaft. 3. Das Dogma der Erhaltung von Ãhistorisch gewachsener Kulturlandschaft¶ grenzt sich von der Denkmalpflege ab, da diese zwar Boden- und Baudenkmäler berücksichtigt, nicht aber (oder in geringem Maße) biotische Elemente der physischen Landschaft. 4. Vielleicht die entscheidende Abgrenzung richtet sich gegen rezente Planungen259. Gegenüber gegenwärtigen Raumansprüchen sind die Vertreter der Ideologie der Erhaltung von Ãhistorisch gewachsener Kulturlandschaft¶ in besonderer Weise skeptisch bis feindlich eingestellt. Der Begriff der Kulturlandschaft im Allgemeinen und insbesondere der zusätzliche Verweis auf die historische Dimension im Besonderen suggeriert Ewigkeit, weswegen ihn Burckhardt (1994: 91) als Chimäre bezeichnet: ÄDie Höfe und Rieselfelder der Poebene, die Weingüter des Bordelais, die Büffelherden der römischen Campagna spiegeln uns die scheinbar zyklische Produktion und Reproduktion zeitloser Gesellschaften vor. ÃDie alten Kulturlandschaften¶ das klingt so wie Ãdie Wiege der Menschheit¶³. Doch ist angeeignete physische Landschaft eine Folge und Nebenfolge gesellschaftlichen Handelns, ÄKultur ist Tätigkeit, ist Erfindung, Fortschritt³ (Burckhardt 1994: 92). Angeeignete physische Landschaft ist also nicht ewig, sondern Äentspricht einer historischen Momentaufnahme³ (Burckhardt 1994: 92, ähnlich Jackson 1984). Sie befindet sich in fortschreitender Transformation, die nicht auf der gegenwärtigen Stufe abgeschlossen ist. Daraus schließt Burckhardt (1994: 93): ÄKulturlandschaft kann also auch aktuell, gegenwärtig, fortschrittlich sein. Nur heute ist das nicht mehr gestattet.³ Diese Überlegungen zugrunde legend definiert er Kulturlandschaft als Landschaft, Äin die man zu spät kommt, deren Reiz darin besteht, dass man darin gerade noch lesen kann, wie es einmal war; und wie es einmal war, das ist für uns so, wie es Ãeigentlich¶ sein müsste, also wie damals, als die Herren aus der Stadt kamen und, auf dem Wege zur Jagd, die Bauern besichtigten: ÃGlückliches Volk der Gefilde. Noch nicht zur Freiheit erwacht¶³ (Burckhardt 1994: 92). Im Begriff der Kulturlandschaft verschmilzt nicht nur Deskription und Normativität, er bildet ein Amalgam aus Analytik, Sehnsucht, Ideologie, Distinktion und Machtinteressen sowie Ethik und Moral260. Angeeignete physische Landschaften, die Le259
Ein Beispiel für die dichotome Abgrenzung zu aktuellen Entwicklungen der angeeigneten physischen Landschaft liefert Schroeder (1994: 79), wenn er schreibt: ÄFrüher flossen die Orte nicht in die Landschaft aus, sondern sie hielten zusammen, um sich gegenseitig zu schützen wie eine Herde Tiere. Obstbaumwiesen umsäumen und schützen die Siedlung, bilden den Übergang zur Landschaft³. 260 Ein interessantes Beispiel für dieses Amalgam aus Analytik, Sehnsucht, Ideologie, Distinktion und Machtinteressen sowie Ethik und Moral ist die Stellung der Kulturlandschaftsschützer zu Golfplätzen. Deren Gestaltung ist zumeist stark an das Ideal des Englischen Gartens angelehnt und entspricht damit dem Stereotyp von schöner Landschaft entspricht. Jedoch werden Golfplätze aus Sicht des
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wis (1979: 163) als gewöhnlich bezeichnet, Älassen sich von Natur aus schwer mit einem konventionellen, akademischen Instrumentarium erforschen und beschreiben³ und werden ± unter Einsatz des Machtmittels des legitimen Geschmacks ± diskreditiert, unabhängig von ihrer rekursiven Bedeutsamkeit hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung. Bereits der Begriff der Kultur ± so stellt Belina (2003: 91) fest ± stellt ein abstrahiertes und ideelles Konstrukt dar, dem durch Reifizierung eine Äunabhängige und wirkmächtige Existenz zugeschrieben wird³, wobei es mit Äallerlei Bedeutungen Ãaufgeladen¶ werden [kann], denen wiederum bestimmte Interessen zugrunde liegen³, wie beispielsweise die Erhaltung der angeeigneten physischen Landschaft und damit der eigenen Expertenmacht. Das Prinzip der Erhaltung der Ãhistorisch gewachsenen Kulturlandschaft¶ impliziert darüber hinaus eine ökologische und angeeignet-physische landschaftliche Fernwirkung: Die Erhaltung einer kleinteiligen, extensiven Agrarlandschaft bedeutet einen ± im Vergleich zur intensiven Landwirtschaft ± verringerten Ertrag landwirtschaftlicher Primärprodukte mit der Folge, dass ± infolge eines globalisierten Marktes ± diese Produkte in anderen Teilen der Erde angebaut, zu der dortigen massiven Modifikation angeeigneter physischer Landschaften führten. Ein Prozess, der durch die Ausweitung der Biomasseproduktion zur Gewinnung von Wärme- und insbesondere elektrischer Energie, infolge der marktvermittelten Anlage von Palmölplantagen durch Beseitigung tropischer Regenwälder bzw. Subsistenzlandwirtschaft, zusätzlich verstärkt wird, ein Prozess, den Schneider (1989: 89) am Beispiel des Anbaus von Viehfutter für den europäischen Markt in Indien als Äkolonialistische Besetzung der Ackerfläche³ bezeichnete: ÄStatt der Nahrungsmittel für die indischen Menschen wachsen Futtermittel für europäisches Vieh darauf, während sich die Nahrungsmittelversorgung, insbesondere der Ärmeren in Indien, verschlechtert³. Wird dem Argumentationsmuster der Erhaltung der Ãhistorisch gewachsenen Kulturlandschaft¶ gefolgt, bedeutet die Erhaltung der Ãhistorisch gewachsenen Kulturlandschaft¶ in Mitteleuropa letztlich die Zerstörung Ãhistorisch gewachsener Kulturlandschaft¶ bzw. von Naturlandschaft in weniger reichen Volkswirtschaften der inneren und äußeren Tropen. Die Erhaltung der Ãhistorischen Kulturlandschaft¶ lässt sich ± in der Terminologie Simmels ± mit dem Triumph des falschen Echten beschreiben. Angeeignete physische Landschaft wird zur Projektionsfläche normativer ästhetischer landschaftlicher Sollzustände, die einen vergangenen gesellschaftlichen Zustand Kulturlandschaftsschutzes und des vielfach damit assoziierten Heimatschutzes als Äamerikanisch³ sowie Älandschaftsstörend und landschaftszersetzend³ (Kaufmann 2004: 90) beschrieben. Der den Äzumeist städtischen³ Golfern zugeschriebene Distinktionswille wird durch den Willen zur Distinktion Kraft Kenntnis der kulturlandschaftlichen Entwicklung entgegengesetzt, wobei diese durchsetzt ist mit Macht- und Zugangsinteressen (vgl. Kaufmann 2004).
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repräsentieren261. Angeeignete physische Landschaft verliert ihre gesamtgesellschaftliche Authentizität. Ein gesellschaftliches Teilsystem ± in der Regel das politische ± oktroyiert den anderen gesellschaftlichen Teilsystemen die oligarchischen Offizialisierungsinteressen von Expertinnen und Experten, deren Ziel darin besteht, Ä,egoistische¶, private, individuelle Beweggründe und Interessen [«] in uneigennützige, kollektive, öffentlich vertretbare, kurzum legitime Beweggründe und Interessen zu verwandeln³ (Bourdieu 1976: 90). Diese Offizialisierung wird über rechtliche Vorschriften, aber auch die Sozialisierung des Prinzips von Ãschöner Landschaft¶ vollzogen. Wird Landschaft als ÃKulturlandschaft¶ beschrieben, bedeutet dies die Herstellung eines impliziten oder expliziten Bezugs auf das gesellschaftliche Kultursystem. Die Beschränkung auf die Rekonstruktion von gesellschaftlichen Symbolisierungen in der angeeigneten physischen Landschaft grenzt das Agieren der gesellschaftlichen Subsysteme Ökonomie, Politik, soziale Gemeinschaft und kulturelle Treuhand aus. Der Rekonstruierende läuft ± konzeptbedingt ± Gefahr, die in der angeeigneten physischen Landschaft manifestierten monetären Prozesse (Macht-, Einfluss und Wertbindungsprozesse) in ihrer konstitutiven Bedeutung nicht hinreichend zu erfassen und zu reflektieren. Anhand einer qualitativen Studie zum Landschaftsbewusstsein bei Laien und Experten hat Kühne (2006a) festgestellt, dass das Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft vorwiegend von Personen vertreten wird, deren Äußerungen auf ein exklusivistischfunktionales262 oder ein exklusivistisch-ästhetisches263 Landschaftsbewusstsein schließen lassen. Expertinnen und Experten, die das Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft vertreten, ver261
Ein Beispiel hierfür findet sich bei Slotta (1984: VI; zit. nach Hauser 2001a), der normativ argumentiert: ÄEs muss die Aufgabe und das Interesse einer Kulturnation sein, die Entwicklung der industriellen Tätigkeit sorgfältig und ausreichend zu dokumentieren. Da sich die Kultur eines Volkes nicht nur aus künstlerischen Leistungen zusammensetzt, sondern da auch die Technik neben anderen Kulturkomponenten unzertrennbar zur Kultur hinzugehört, versteht es sich von selbst und bedarf keiner weiteren Begründung, dass auch Industrien der verschiedenen Ausbildung zum kulturellen Faktor der Kultur eines Volkes gehören: Sie sind Teil des kulturellen Erbes, das es zu dokumentieren und zu bewahren gilt³. Die Norm der Dokumentation und Bewahrung von industriellen Objekten wird also axiomatisch begründet (ähnliche Beispiele finden sich z.B. bei Becher/Becher 1971). 262 Das exklusivistisch-funktionale Landschaftsbewusstsein basiert ± Kühne (2006a) zufolge ± nahezu ausschließlich auf einer sekundären Landschaftssozialisierung. Dabei werden primär-sozialisierte Elemente im eigenen Landschaftsbewusstsein geleugnet oder verdrängt, während die eigene Vorstellung einer ± funktional begründeten ± Landschaft auch gegen alternative funktionale Vorstellungen verabsolutiert wird. 263 Das exklusivistisch-ästhetische Landschaftsbewusstsein begründet sich in einer Verabsolutierung der eigenen ästhetischen Landschaftsvorstellung, wobei landschaftliche Alternativvorstellungen kategorisch abgelehnt werden. Dieser Typ des Landschaftsbewusstseins ist nicht auf Landschaftsexperten beschränkt, sondern auch bei Laien anzutreffen.
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weisen distinktiv häufig auf ihre, den Laien gegenüber (scheinbare) überlegene Stellung, wie auch aus folgendem Zitat deutlich wird: ÄIhr Verlust [jener, der Kulturlandschaft; Anm. O.K.], der sich weniger aus Vorsatz oder böser Absicht als vielmehr aus mangelnder Kenntnis oder nicht entsprechend ausgebildetem Bewusstsein vollzieht, ist Zerstörung von Kultur³ (Wöbse 1994: 40). Personen, deren Landschaftsbewusstsein exklusivistisch-funktional geprägt ist, rekurrieren dabei stärker auf das Deutungsmuster der Funktionalität, nach dem angeeignete physische Landschaften nach ihrer individuellen oder gesellschaftlichen bzw. ökologischen Funktionalität bewertet werden (Kühne 2006a). Personen mit einem dominant exklusivistisch-ästhetischen Landschaftsbewusstsein beziehen sich in besonderer Weise auf das Deutungsmuster der Entsprechung oder des Widerspruchs der klassischen Landschaftsästhetik, nach dem angeeignete physische Landschaften gemäß ihrer Kongruenz mit der klassischen Landschaftsästhetik, der stereotypen bzw. (stereo)typischen Landschaft, beurteilt werden. Das Ziel besteht in beiden Fällen in der die monovalente Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Eindeutigkeit von (angeeigneter physischer) Landschaft. Dabei erfolgt ± im Sinne von Kohlberg (1974) und Colby/Kohlberg (1978) ± in der Regel die Beurteilung von landschaftsbezogenen Normen auf konventionellem Niveau der moralischen Urteilsfähigkeit264,265: der konventionellen Erfüllung von Pflichten und Gesetzen. 5.3.2 Alternative Paradigmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Ãhistorischen Kulturlandschaft¶: Das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung, der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft und der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft Zwar dominiert das Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung der Ãhistorischen Kulturlandschaft¶ den fachlichen und öffentlichen Diskurs über die Entwicklung von Landschaft, doch lassen sich ± nach Kühne (2006a) ± drei alterna-
264 Moralische Urteilsfähigkeit lässt sich als Vermögen beschreiben, Äfür Lösungen sozialer Interessen-, Normen- und Wertekonflikte Begründungen zu finden, die man für sich selbst als auch für die übrigen Beteiligten als verbindlich ansieht³ (Lempert 1982: 114). 265 Kohlberg (1974) und Colby/Kohlberg (1978) unterscheiden zwischen der prä-konventionellen Moral des Kindes (Stufe 1: Orientierung an Strafe und Gehorsam; Stufe 2: naiver instrumenteller Hedonismus), der konventionellen Moral der Jugendlichen und zahlreicher Erwachsender (Stufe 3: Orientierung am Ideal Ãguter Junge, liebes Mädchen¶; Stufe 4: Orientierung an Recht und Gesetz) und post-konventioneller Moral (Stufe 5: Orientierung am Sozialkontakt, Anerkennung demokratischer Gesetze; Stufe 6: Orientierung an universellen ethischen Prinzipien oder am eigenen Gewissen; vgl. auch Zimmermann 2006).
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tive Paradigmen des sozialen Landschaftsbezugs aufzeigen. Diese sollen im Folgenden kurz charakterisiert werden266: Das Paradigma sukzessionistischer Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft weist der angeeigneten physischen Landschaft gegenüber gesellschaftlichen Transformationsvorgängen einen passiven Charakter zu (vgl. z.B. Vervloet 1999, Weber 2007). Sofern überhaupt von einem ange-
Abbildung 26:
Ein Beispiel für die Umgestaltung angeeigneter physischer Landschaft gemäß dem Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft: Himmelsspiegel auf einer Bergehalde im Regionalpark Saarkohlenwald. Die Wasserflächen bilden einen Kontrast zu dem dunklen Bergematerial, die Modellierung der Ränder der Fläche in Wallform erzeugt einen stark reduzierten Landschaftseindruck bei einer stark geordneten Anordnung. Damit kontrastiert die Landschaft der Himmelsspiegel stark mit der sie umgebenden angeeigneten physischen Landschaft des stark komplexen saarländischen Verdichtungsraumes.
strebten Soll-Zustand angeeigneter physischer Landschaft zu sprechen ist, wird jener formuliert, der sich aus den Folgen und Nebenfolgen der Entwicklung der Gesellschaft ergibt. Dies kann in Abhängigkeit von der ökonomischen Entwicklung eine Überlassung von angeeigneter physischer Landschaft der natürlichen Sukzession, eine veränderte oder eine intensivierte Nutzung bedeuten. Das Landschaftsbewusstsein der dieses Paradigma vertretenden Personen ist in der Regel inklusivistisch-tolerierend267 dominiert268. 266
Eine ausführlichere Darstellung und Herleitung findet sich bei Kühne (2006a). Das inklusivistisch-tolerierende Landschaftsbewusstsein ist dadurch geprägt, dass entweder keine landschaftlichen Präferenzen formuliert werden oder eigene landschaftliche Präferenzen gegenüber anderen angeeignet-physischen landschaftlichen (Soll-)Vorstellungen nicht prinzipiell als überlegen 267
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Das Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft hat zum Ziel, angeeignete physische Landschaft bewusst zu gestalten und ihr eine neue Symbolik zu vermitteln, um so eine neue Ästhetik durch eine verfremdete Wirkung (im Sinne von Mukarovsky 1970) zu erzielen. Der stärkere Bezug zu Gestaltungs- statt Wiederherstellungsprinzipien unterscheidet es von dem Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung angeeigneter physischer Landschaft, hier dominiert eine Umgestaltung bzw. Neugestaltung von angeeigneter physischer Landschaft. Eine zentrale Bedeutung hat dabei die ästhetisierende Inszenierung historischer Relikte ± insbesondere in Form offener Simulationen (Hartz 2003, Hartz/Kühne 2006; Abbildung 26). Polyvalenzen sind nicht nur zugelassen, sondern erwünscht ± sofern sie von der ansässigen Bevölkerung (mit)getragen werden; das Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft ist stark auf Partizipation der BürgerInnen ausgerichtet (vgl. Brown 1989, Michert 2000, Bezzenberger et al. 2003). Personen, die das Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft vertreten, weisen in der Regel ein inklusivistisch-synthetisierendes269 Landschaftsbewusstsein auf. Veränderungen der Landschaft werden sehr häufig mit semiotischen Deutungsmustern270 erklärt271. Das Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft ist dadurch geprägt, dass keine Umgestaltung angeeigneter physischer Landschaft, sondern vielmehr eine reflexive Veränderung der gesellschaftlichen
angesehen werden. Das inklusivistisch-tolerierende Landschaftsbewusstsein findet sich sowohl bei Laien als auch bei Experten (Kühne 2006a). 268 Kritisiert wird das Paradigma sukzessionistischer Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft einerseits darin, dass die angeeignet-physisch-landschaftliche Entwicklung als Folge bzw. Nebenfolge gesellschaftlicher (insbesondere ökonomischer) Transformationen die Entwicklungs- und Wandlungsfähigkeit von Ökosystemen überfordere, andererseits auch der Bedeutung einer vertrauten Kulturlandschaft als Heimat nicht gerecht werde (vgl. z.B. Schenk 1997b, Dosch/Beckmann 1999b, Härle 2004). 269 Das inklusivistisch-synthetisierende Landschaftsbewusstsein findet sich ausschließlich bei Landschaftsexperten. Charakteristisch für das inklusivistisch-synthetisierende Landschaftsbewusstsein ist das Anstreben einer Synthese von primär- und sekundärsozialisiertem Landschaftsbewusstsein und dessen reflexive Weiterentwicklung (Kühne 2006a). 270 Das semiotische Deutungsmuster ist dadurch charakterisiert, dass angeeignete physische Landschaften als Symbole für gesellschaftliche Strukturen und Funktionen in Rückkopplung mit angeeignet-räumlichen Strukturen und Funktionen interpretiert werden (Kühne 2006a). 271 Die Kritik am Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft bezieht sich auf seine Mehrdeutigkeit (bzw. seine mangelnde Eindeutigkeit), angeeignete physische Landschaft werde hinsichtlich der Lesbarkeit ihrer historischen Entwicklung verfälscht, die Eindeutigkeit historischer Relikte aufgrund deren häufiger Umgestaltung verwischt (vgl. z.B. Güth 2004), auf die Verfahrenspraxis bei der Bürgerbeteiligung, die eine Partizipation nur vordergründig betreibe (diese Argumentation wird in Abschnitt 6.11 ± Governance als neues Planungsparadigma ± Überwindung von Machtstrukturen oder deren Perpetuierung? genauer ausgeführt).
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Landschaft und der individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft angestrebt wird. Zentrales Ziel dieses Paradigmas ist, größere Modifikationen der angeeigneten physischen Landschaft (als Grundlage von Wohlbefinden) dadurch unnötig zu machen (vgl. auch Lacoste 1990). Die Bewertungskategorien von Landschaft wie funktional/unfunktional, schön/hässlich und positive symbolische Besetzung/negative symbolische Besetzung sollen modifiziert bzw. gänzlich gewandelt werden, stereotype und (stereo)typische Normvorstellungen von Landschaft überwunden werden (vgl. z.B. Piepmeier 1980, Höfer 2004, Prominski 2004 und 2006b)272. So plädiert Debes (2005: 124) für eine differenzierte und mehrschichtige Landschaftsbeurteilung, Ädie nicht bei traditionellen Denkmustern stehen bleibt³. Neben der Erhaltung reliktisch geprägter und schutzwürdiger angeeigneter physischer Landschaften plädiert Debes (2005: 124) für die Kultivierung von Ämehr oder weniger von moderner Nutzung geprägte[n] Gegenden³ nach anderen Maßstäben. Das Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft wird in der Regel von Personen vertreten, die zu semiotischen Deutungsmustern der Landschaftsentwicklung neigen und deren Landschaftsbewusstsein zumeist als inklusivistisch-synthetisierend zu beschreiben ist273. Im Vergleich zum Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung der Ãhistorischen Kulturlandschaft¶ weisen die in diesem Abschnitt vorgestellten landschaftsbezogenen Paradigmen eine geringere Normativität auf und zeugen in der Regel von einer post-konventionellen moralischen Urteilsfähigkeit (im Sinne von Colby/Kohlberg 1978). Auch die Äquilibrationsstrategien (im Sinne von Piaget 1983) der einzelnen dargestellten Paradigmen sind unterschiedlich: Basieren die Paradigmen der Erhaltung und Wiederherstellung der Ãhistorischen Kultur272 So stellt Höfer (2004: 33) fest: ÄLandschaft in Konversion ist Anstoß, sich von Klischees zu befreien, aber auch, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten: Landschaft ist in Bewegung, wir wissen noch nicht, wohin die Reise geht, aber wir sind aufgefordert, das Ziel zu erforschen³. Deutlich wird neben dem Innovationsgehalt der Überwindung von Stereotypen (Klischees) die Sorge, dem Landschaftsexperten könnte mit dem Wechsel des Paradigmas auch sein (Selbst)Definitionsgegenstand verloren gehen. 273 Die Kritik am Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft bezieht sich im Wesentlichen auf zwei Schwerpunkte (vgl. Kühne 2006a): Erstens, es handele sich bei dem Paradigma um ein Konstrukt von Experten, das in die Lebenswelt der Landschaftswahrnehmenden nicht integrierbar sei. Die Mehrzahl der Menschen sei weder bereit noch in der Lage, die stereotypen bzw. (stereo)typischen Vorstellungen von Landschaft aufzugeben. Zweitens, es handele sich um eine Argumentation, die wesentliche Elemente der Motivlagen der Experten verschleiere. Die Motivation für das Vertreten des Paradigmas der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft läge insbesondere in der Einsicht der Unmöglichkeit (infolge der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte, der Umsetzung des internationalen Freihandels), angeeignete physische Landschaften in einem allgemein als schön empfundenen (stereotypen) Zustand zu belassen.
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landschaft¶ und der sukzessionistischen Entwicklung von angeeigneter physischer Landschaft auf der Strategie der Assimilation, also der Anpassung der Umwelt an die eigenen Bedürfnisse, wird mit dem Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft eine Strategie der Akkomodation, also der Entwicklung neuer Wahrnehmungsmuster, Deutungen u.a., verfolgt, die ÃUnbestimmtheitsstellen¶ (im Sinne von Ingarden 1990) zulässt, Stellen also, die bei der Lektüre von Landschaft in dieser angelegte Kontingenzen einer individuellen Interpretation öffnen. Das Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft nimmt in diesem Zusammenhang eine Zwischenstellung ein: Mithilfe reflexiver Assimilationen wird eine Akkomodation angestrebt. Den dargestellten Paradigmen des Umgangs mit Landschaft ist ein unterschiedlich ausgeprägtes und in unterschiedlichen Basen begründetes Distinktionspotenzial eigen. Beziehen die Vertreter des Paradigmas der Erhaltung und Wiederherstellung angeeigneter physischer Landschaft ihre soziale Distinktionsfähigkeit (insbesondere als Expertinnen und Experten) aus der genauen Kenntnis der Benennung (und Bewertung) von Elementen der angeeigneten physischen Landschaft und deren Entstehungszusammenhängen, bietet dieses ± vielfach (stereo)typisch ausgeprägte ± Paradigma aufgrund der weitgehenden Übereinstimmung mit der stereotypen Landschaft konzeptionell nur wenig Distinktionspotenzial. Dieses konzeptionelle Distinktionspotenzial ist bereits bei dem Paradigma sukzessionistischer Entwicklung aufgrund des Abrückens von einem Status-quo-Konzept höher, noch höher ist es bei dem Paradigma der reflexiven Gestaltung, schließlich wird hier mit tradierten Wahrnehmungs- und Bewertungsstereotypen gebrochen (vgl. Kühne 2007c). Das höchste Distinktionspotenzial auf konzeptioneller Ebene weist das Paradigma der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft auf: Sein konstruktivistischer Ansatz bricht radikal mit bestehenden Stereotypen und (Stereo)Typiken und will sie durch neue Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster ersetzen. Die Diskussion der einzelnen Paradigmen des künftigen Umgangs mit ± insbesondere angeeigneter physischer ± Landschaft verdeutlicht die enge Beziehung zwischen wissenschaftlichem Wissen und anderen ± nichtwissenschaftlichen ± Wissensformen, wie Einflüssen aus der primären Sozialisation, ästhetischen Traditionen, persönlichen Landschaftsnutzungsansprüchen, primär also dem Alltagswissen. Trotz des wissenschaftlichen Anspruchs der unterschiedlichen mit Landschaft befassten Disziplinen bleibt auch dieses wissenschaftliche Wissen letztlich ± wie Zimen (2000) für die Wissenschaft allgemein feststellt ± ein Glaubenssystem (belief system) wie andere Glaubenssysteme (von Religion bis hin zum Fußballverein) auch. Damit folgt Wissenschaft (und ihre politische Operationalisierung) eher einem Aushandlungsprozess, als der Entdeckung ob-
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jektiver Gesetze. Dies bedeutet ± so Zimen (2000) ± letztlich, dass wissenschaftliches Wissen nicht als objektiv, sondern als reflektiv zu bezeichnen ist. 5.4 Landschaft und soziale Distinktion ± ein vorläufiges Fazit Kultur ist geprägt von Machtbeziehungen (Bourdieu 1977: 26): ÄIn jeder Hinsicht ist Kultur Ergebnis eines Kampfes. Das versteht sich von selbst, weil mit der Idee der Kultur immer die menschliche Würde auf dem Spiel steht³. Nassehi (1999: 219) beschreibt das Prinzip von Inklusion und Exklusion als einen ÄGeburtsfehler der Kultur³, der dadurch entsteht, dass Systeme kultureller Zugehörigkeit und Identität automatisch vergleichende Perspektiven hervorbrächten und damit Äkulturelle Nicht-Zugehörigkeit (von anderen, Fremden) und Differenz (zu anderen, Fremden) fast schon zur epistemologischen Möglichkeitsbedingung des Beobachtungsschemas Kultur³ gerönne. Dies bedeutet auch, wenn Landschaft als ÃKulturlandschaft¶ beschrieben wird oder eine neue ÃLandschaftskultur¶ (z.B. Haber 2000) gefordert wird, ist sie das Ergebnis von Macht- und Herrschaftsinteressen. Kultur ist Ähierarchisch organisiert und trägt zur Unter- und Überordnung von Menschen bei³ (Bourdieu 1977: 27), landschaftlich dokumentiert sich die soziale Hierarchie im Zugang zur Kultur der Landschaft, der Verfügbarkeit des Kommunikationscodes über Landschaft ebenso wie in den sozialen Verfügungsrechten auf physische Landschaft, insbesondere was deren Veränderung betrifft. Landschaft, sowohl in ihrer gesellschaftlichen als auch in ihrer physischen Dimension, ist kein wertfreies physisches Objekt. Ihre gesellschaftliche Bedeutung ± insbesondere ihre ästhetische ± lässt sich ± aus sozialwissenschaftlicher Sicht ± nicht als ein interesseloses Wohlgefallen beschreiben. Landschaft ist vielmehr physischer und symbolischer Ausdruck von Herrschafts- und Distinktionsverhältnissen: Landschaft wirkt, mithilfe des legitimen Geschmacks der herrschenden Klasse, distinktiv. Mithilfe der ästhetisierenden Konstruktion von Landschaft grenzt sich der legitime vom mittleren und populären Geschmack ab. Dadurch ist die gesellschaftliche Konstruktion von Landschaft ± insbesondere in ihrer ästhetischen Dimension ± ein Element der Perpetuierung bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse in der Gesellschaft. Dies galt in der Romantik in Bezug auf Ästhetisierung der wilden, aber auch der bäuerlich geprägten Landschaft. Dies gilt auch heute wieder hinsichtlich der altindustriellen Landschaft (Kühne 2006c). Die Sozialisierung des Landschaftsgenusses, aber auch der Erholung in der Landschaft, dienen der Erhaltung gesellschaftlicher Machtverteilung: Soziale Zwänge werden der Reflexion entzogen, die bewusste oder unbewusste Distanzierung zu den Anforderungen des Alltags erzeugt eine sensitive wie kognitive Entspannung. Auch gesellschaftliche Landschaft lässt sich als 228
Element der Disziplinierung des Menschen verstehen. In der primären Sozialisation erfährt der Mensch, welche (normierten) Empfindungen er bei der Betrachtung welcher Objekte, die wie als Landschaft zu synthetisieren sind, hervorzubringen hat, andererseits wird die Furcht vor dem ÃRichter-Landschaftsexperten¶ gelehrt, der ästhetische Interpretationen und ökologische Anforderungen definiert. Die aktuelle Vielfalt an konkurrierenden Paradigmen zum Umgang mit Landschaft lässt sich als Ergebnis der Vergrößerung der gebildeten Schicht durchaus auch als mit kulturindustriellen Mitteln ausgetragener ÄKampf um die Ãrichtige¶ Bildung und die Hegemonie der Ãgebildeten Lebensweise¶³ (Resch 1999: 263) interpretieren, in dem unterschiedliche Werte und Normen auf Ebene der physischen Objekte und der Metaebene der sozialen und individuellen Interpretation repräsentiert werden. Die postmoderne Auflösung des Gegensatzes von Populär- und Hochkultur bedeutet ± auch im Umgang mit Landschaft ± dabei keine verringerte Distinktionsfähigkeit, schließlich signalisieren die Intellektuellen, indem sie profane landschaftliche Objekte (Fördergerüste von Bergwerken oder suburbane Siedlungen) bzw. profane stereotype Vorstellungen von Landschaft (den Sonnenuntergang in der Südsee oder den röhrenden Hirsch vor Alpenkulisse) ästhetisieren, Ädass sie sich auch mit Ãpopulären Praktiken¶ auskennen und das im Zweifelsfall besser und jedenfalls zusätzlich³ (Resch 1999: 282), wodurch neben der Objektwahl die Frage nach der Art und Weise der Ästhetisierung (in der Regel die postmodern-ironische, bisweilen aber auch der bewusste Verzicht darauf; vgl. Liessmann 2002) an Distinktionspotenzial gewinnt. Ein zusätzliches Distinktionspotenzial ergibt sich durch die Abgrenzung vom Diskurs der Dichotomie von Hoch- und Massenkultur (Liessmann 2002: 17): ÄWer die Opposition von Kitsch und Kunst noch aufrecht erhalten wollte, entlarvte sich damit als zumindest gestrig, wenn nicht vorgestrig.³ Das Landschaftsbewusstsein der Postmoderne ± wie deutlich es auch immer distinktiv wirken mag ± bedeutet eine Äsublime Rache an den Zumutungen der avantgardistischen Moderne³ (Liessmann 2002: 73), indem das gehoben wird, was die radikale Moderne zu verweigern trachtete: ÄGegenständlichkeit, plakative Gefälligkeit, sinnliche Religiosität, sentimentale Stimmungen, Sonnenuntergänge, den C-Dur-Akkord, die Tränen des Glücks und eine ungebundene Lust am Exotischen³ (Liesmann 2002: 74; Abbildung 27), landschaftlich genossen in Spaßbädern, Shopping Malls, Englischen Landschaftsgärten, Alpenpanoramen, subtropischen Urlaubsidyllen, Breitbildfernsehlandschaften und Modelleisenbahnen. Landschaft lässt sich in der Postmoderne wieder durch Einfühlung (im Sinne von Lipps 1891 und 1902) und intuitiver Aneignung (im Sinne von Croce 1930) erfahrbar machen, ein kognitiver (möglichst naturwissenschaftlich-exper-
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tenhafter) Zugang ist nicht mehr Voraussetzung für den kompetenten (und damit distinktiven) Gebrauch der landschaftlichen Semiotik.
Abbildung 27:
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Gartenzwerge, einst als Äniedlicher Kitsch³ (Gelfert 2000: 31) Symbol für eine kleinbürgerliche Weltsicht, können ± sofern als Ausdruck des legitimen Geschmacks, denn nur der Kenner weiß, Äwelcher Kitsch als Kunst en vogue und welche Kunst als Kitsch indiskutabel ist³ (Liessmann 2002: 17) eingesetzt ± distinktiv als physische Objekte einer postmodernen Landschaftsgestaltung wirken.
6 Landschaft und Macht
Die Verbindung von Macht und Wissen lässt sich räumlich verorten, wobei diese Verortung ± als soziales Produkt ± dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen ist, wobei ± so Stehr (2006: 39) ± ÄWissen und Macht Alliierte³ sind, denn ÄErkenntnis und die Kontrolle von Handlungsbedingungen sind Verbündete, wenn es darum geht, etwas mithilfe von Wissen in Bewegung zu setzen³. War Macht in der modernen Gesellschaft fokussiert auf politische, ökonomische, soziale und kulturelle Zentren, wird die Topologie der Macht in der sich postmodernisierenden Gesellschaft dezentriert, sie bezeichnet nicht länger einen privilegierten Ort als Ursprung der Macht (Deleuze 1975). Diese Dezentrierung von Macht ist ± so Foucault (1983) ± ein wesentlicher Aspekt des Übergangs von der absolutistischen Gesellschaft zur Disziplinargesellschaft. Henri Lefèbvre (1972a) identifiziert im Städtischen das Prinzip dieser Dezentrierung von Macht: Nicht mehr die Lokalisation von Macht des Industriellen wirke konstituierend für die soziale Organisation, sondern die urbane Alltäglichkeit von Konsum, Planung und Spektakel (vgl. Prigge 1991). Das Urbane ist dabei eine reine Form, Äder Punkt der Begegnung, der Ort einer Zusammenkunft, die Gleichzeitigkeit³ (Lefèbvre 1972a: 127), ohne jedoch etwas selbst zu erschaffen zentralisiert die Stadt Schöpfungen durch Austausch, Annäherung, Nähe und Beziehungsnetzwerke. Gesellschaft bringt ± auf Grundlage sozialer Machtmechanismen ± Raum in einem rekursiven Prozess hervor: Sie erzeugt ihn, beherrscht ihn und eignet sich ihn an (vgl. Lefèbvre 1974). Im physischen Raum manifestieren sich die Verwendungs-, Produktions- und Reproduktionsmuster der Gesellschaft ebenso wie die unterschiedlichen Konzeptionen von physischem Raum, sowohl hinsichtlich der zeitlichen, kulturellen und ± mit beidem rückgekoppelt ± stratigraphischen und funktional differenzierten Variabilität des Gesellschaftlichen. Den Zusammenhang zwischen Organisation des (physischen) Raumes und Macht charakterisiert Harvey (1991: 158) folgendermaßen: ÄDie Kontrolle über die räumliche Organisation und die Macht über die Nutzung des Raumes werden zu zentralen Instrumenten der Reproduktion gesellschaftlicher Machtverhältnisse³. Angeeignete physische Landschaft ist nicht nur das Ergebnis von Machtfeldern, sie wirkt rekursiv auf die Gesellschaft zurück und wird ÄAkteurin sozialer, wirtschaftlicher und politischer Prozesse³ (Groth/Wilson 2003: 74), indem sie Deutungsund Handlungsmuster strukturiert (vgl. Harvey 1996). Dabei sind die unterschiedlichen Organisatoren des physischen Raumes (Staat, Kommunen, Immobi231
lienmakler, Hausbesitzer) darum bemüht, Äihren Einfluss auf die gesellschaftliche Reproduktion hinter ihrer scheinbar neutralen Macht über die Organisation des Raumes³ (Harvey 1991: 158) zu verbergen, indem sie ihn verselbstverständlichen. Die Entwicklung mitteleuropäischer angeeigneter physischer Landschaften lässt sich weitestgehend als Nebenfolge gesellschaftlichen Handelns, als verdinglichte Sozialität, charakterisieren (Kühne 2005b): Angeeignete physische Landschaften entstanden durch das Diktat des ökonomisch Notwendigen, modifiziert durch sozialgemeinschaftlich durchgesetzte Normen und Werte, die sich in Eigentümlichkeiten der landschaftlichen Gestalt einprägten274. 6.1 Angeeignete physische Landschaft und die Inszenierung der Macht des ökonomischen Feldes Die Entkomplexisierung der prinzipiell kontingenten Aneignungsmuster von Raum zu mit Eigentumsrechten belegten Flächen, zur Transformation von räumlichen Eigenschaften zu einer Ware also (Smith 1984), bedeutet eine Entpersonalisierung, Formalisierung und Integrierung und damit eine Erhöhung der Stabilität. Die Eigentumsordnung von angeeigneter physischer Landschaft wird fraglos geglaubt und verfestigt sich in der Verteilung von Verfügungsrechten (Popitz 1992: 234): ÄMacht setzt sich fest, nimmt feste Formen an, wird fester³. Denn bei jedem Machtkampf Äist die Kontrolle über den Raum ± das wissen Generäle und Geopolitiker ± von größter strategischer Bedeutung. [«] Jeder Manager eines Supermarktes weiß genau, dass Kontrolle über einen strategisch wichtigen Raum innerhalb des gesamten sozialen Raumes Gold wert ist³ (Harvey 1991: 158).
Die Grundrente eines Raumausschnittes wurzelt in der quantifizierten Bewertung in Einheiten ökonomischen Kapitals, die den zeitlich begrenzten Verfügungsrechten über ihn gesellschaftlich zugemessen werden. Diese Verfügungsmacht über physischen Raum bedeutet wiederum, eine (territorial begrenzte) Kontrolle über gesellschaftliche (Re)Produktionsfähigkeit (vgl. Lefèbvre 1974, Lacoste 1990, Wyckoff 1990; Harvey 1991: 166): ÄDer Erwerb privater Besitzrechte sichert das Exklusivrecht auf die Herrschaft über ein Stück Raum³. Dabei werden von Bourdieu (1991a) so benannte Okkupations- und Raumbelegungsprofite er274 Mit der Stiftung sozialer Ordnung geht die ÄKanalisierung der Kontingenzen der Freiheit³ (Paris 2003a: 28) einher. Impliziert die Stiftung sozialer Ordnung auch einen räumlichen Bezug, so kanalisiert sie auch die Kontingenzen der Entwicklung des physischen Raumes ± und damit auch jene Kontingenzen jener Teile des physischen Raumes, die als Landschaft rekonstruiert werden, im Sinne einer alltäglichen Geographie autoritativer Kontrolle als Teilbereich normativ-politischer Regionalisierung (Werlen 1995 und 1998).
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zielt. Raumbesitz stellt demgemäß nicht nur ein Prestigeobjekt dar, Äsondern erlaubt es auch, unerwünschte Eindringlinge abzuschrecken³ (Schroer 2006: 94), indem die Verfügungsmacht über Raum Äseinem Inhaber die Möglichkeit [verschafft], Dinge und Menschen auf Abstand zu halten, mit denen man keine Begegnung wünscht³ (Schroer 2006: 94).
Abbildung 28:
Landnutzungszonen in der Stadt nach dem Modell des Differenzialprinzips der Lagerrente. Demnach ist die Lagerrente umso höher, je näher sich ein Standort am Zentrum befindet. Da sich unterschiedlich hohe Gewinne pro Flächeneinheit erzielen lassen, sind also jene Nutzungen in Zentrumsnähe zu finden, die in der Lage sind, hohe Preise für zentrumsnahe Grundstücke zu zahlen. Dieses Prinzip wird jedoch durch Stadtteilzentren, Verbrauermärkte und Shopping Malls an nichtintegrierten Standorten, Satellitenstädte, Edge Citys u.a. modifiziert, wo die Lagerrenten ebenfalls höhere Werte erreichen (vgl. Heineberg 1989, Bathelt/Glückler 2003).
Flächeneinheiten des physischen Raumes lassen sich als wirtschaftlicher Produktionsfaktor für Güter und Dienstleistungen ebenso differenziert einsetzen wie für die Reproduktion. Gerade die Entwicklung der städtischen angeeigneten physischen Landschaft zeigt eine deutliche Differenzierung anhand der ökonomischen Bewertung relativer Raumpositionen (indiziert nach Quadratmeterpreisen; Abbildung 28): Eine hohe ökonomische Bewertung einer Grundfläche wird trotz hoher Baukosten durch eine vertikale Organisation der Nutzung relativiert, wodurch die nutzbare Fläche, in Form von verfügbarer Geschossfläche, vervielfacht wird (Alonso 1964, Heineberg 1989, Krätke 1995). Neben der ökonomischen Bedeutung hat das Streben in die Vertikale auch eine symbolische: Vertikalität (z.B. von Hochhäusern) wird als Machtgestus verstanden, aufgrund des alttestamentarischen Motivs des Turmbaus zu Babel, als Bewegung zum Göttlichen; Wolkenkratzer gelten aber auch als Ävon Menschenhand geschaffene, steinerne ÃNaturwunder¶, welche in der Lage sind, den Kräften der Natur (Windkräfte,
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Schwankungen des Bauuntergrundes, Wettergeschehen etc.) zu widerstehen³ (Bischoff 2002b: 120).
Abbildung 29:
Die vertikale Dimension von Gebäuden symbolisiert ökonomische Macht. Besonders deutlich tritt diese Symbolisierung in einem Umfeld hervor, das ansonsten durch eine horizontale Anordnung von Strukturen dominiert wird, wie hier in Downtown Los Angeles.
Wolkenkratzer sollen aber auch die technische und ökonomische Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft oder eines gesellschaftlichen Systems symbolisieren (Abbildung 29). Für die in einem Bürohochhaus Arbeitenden stellt ein Büro mit einem feldherrnhügelartigen Ausblick über die ihm zu Füßen ausgebreitet scheinende Stadt mit ihrem Umland ein erstrebenswertes Statussymbol ± mit die Machtverhältnisse anerkennender und damit stabilisierender Wirkung ± dar. Dabei ist mit dem Bau von Hochhäusern die Verdrängung von Mindermächtigen durch Mächtigere (Abbruch von zumeist durch eine geringe Ausstattung an symbolischem Kapital geprägten Gruppen bewohnten Vierteln) und einer Verringerung von Aufenthaltsqualität im unmittelbaren Umfeld der Hochhäuser verbunden, wie Rodenstein (2000: 66) feststellt: ÄDie Zentralisierung der Arbeitskräfte in Bürohochhäusern arbeitet ± so paradox es klingt ± der Lebendigkeit und Vielfalt der Stadt entgegen, weil die Bodenwertentwicklung in der Nähe der Hochhäuser in spekulative Höhen geht und deshalb dort für kleinteilige und vielfältige Nutzungen, die sich flexibel auf neue Bedürfnisse einstellen können, kein Raum ist³. Durch diese Entwicklung mangele es in der Nähe von Bü234
rohochhäusern an attraktiven Orten für Treffen nach der Arbeit, weswegen die Beschäftigten aus dem Umland auch wenig Grund [haben], sich nach der Arbeit länger als nötig in der Innenstadt aufzuhalten³ (Rodenstein 2000: 66). Auch Unternehmen sind in der Lage, ihr ökonomisches Kapital in Interferenzen mit dem politisch-administrativen Feld zur Inszenierung und damit zur Erlangung kulturellen Kapitals einzusetzen, um so von Bourdieu (1991a) bezeichnete Positionsoder Rangprofite, die sich aus einer renommierten Adresse ergeben, zu erzielen (vgl. Schroer 2006). Die Inszenierung organisationeller und ökonomischer ÄRaumgestaltung und -domestizierung³ (Drepper 2003: 118) beschränkt sich nicht auf Höhe und Gestaltung von Gebäuden, sondern bezieht sich auch auf die Adressierung: So wurde für den RWE-Turm in Essen (den sogenannten ÃPowerTower¶) eine Straßenkreuzung ± aus Imagegründen ± zum Platz umbenannt und der ÃPower-Tower¶ zum ersten Haus am Platze, womit die Adresse nun Opernplatz 1 lautet (Drepper 2003). 6.2 Suburbanisierung in ihrer landschaftlichen Bedeutung zwischen sozialer Distinktion und Macht Das Thema der Suburbanisierung wurde in den vergangenen Jahrzehnten in der Sach- und Fachöffentlichkeit ± in der Regel kontrovers, teilweise stark ideologisiert ± diskutiert (siehe z.B. Friedrichs 1995, Häußermann/Siebel 2004, Kühne 2007b). Für Bourdieu (1991b: 144) nimmt die Erforschung der die Suburbanisierung (in westlichen Gesellschaften) konstituierenden Expansion des Hauseigentums eine zentrale Bedeutung im soziologischen Verständnis dieser Gesellschaften ein: ÄDie massive Hinwendung zum Hauseigentum ist eines der wichtigsten Phänomene; dies muss man begreifen, wenn man verstehen will, was heute in der Gesellschaft und im politischen Leben vor sich geht [«]³. Suburbanisierung beschränkt sich somit nicht allein auf eine Expansion der Stadt in ihr Umland, sie umfasst vielmehr einen Prozess der Dekonzentration von Bevölkerung, Güterproduktion, Verwaltung und anderen Dienstleistungen. Allgemeine Bestimmungsgründe für die Suburbanisierung liegen, neben der Verfügbarkeit größerer Flächen und geringeren Bodenpreisen im Umland, auch in der zunehmenden Motorisierung der Bevölkerung. Mit der Suburbanisierung geht auch eine allgemein infrastrukturelle, insbesondere verkehrstechnische Erschließung der Flächen des Umlandes einher. Die Suburbanisierung verursacht eine erhebliche Umgestaltung der angeeigneten physischen Landschaft: Aus einer in der Regel durch Land- weniger durch Forstwirtschaft geprägten, zumeist mit kleineren Siedlungen durchsetzten angeeigneten physischen Landschaft wird eine Landschaft, die sich den an klassischen Dichotomien orientierten Landschafts235
beschreibungs- und Landschaftsbewertungsmustern entzieht. Der suburbane Raum ist eine Landschaft des Übergangs, weder eindeutig städtisch noch eindeutig ländlich. Im Vergleich zum ländlichen Raum ist diese ÄZwischenstadt³ (Sieverts 2001; vgl. auch King 1984) durch eine dichte Bebauung mit einer an städtischem Standard orientierten Infrastruktur gekennzeichnet, die deutliche Durchgrünung sowie das weitgehende Fehlen eines Geschosswohnungsbaus wiederum verweisen auf ländliche landschaftliche Kontexte. Die relevante Mitte, Ädie der Rand aufweist, ist das Haus, die Immobilie, der Ort, an dem man Eigentum hat und wo sich das privat-intime Leben abspielt³ (Hahn 2001: 230). Dabei zeichnet sich die Qualität des Randes durch seine Erreichbarkeit aus (Hahn 2001: 230): ÄDer Rand ist wie ein Sprungbrett, von dem aus die Welt jenseits der Privatheit und Intimität erobert werden kann, ein Tor, das Eintritt verschafft, sowohl in Richtung urbanes Feld als auch in Richtung landschaftliches [in diesem Sinne ländliches; Anm. O.K.] Feld³.
Die Suburbanisierung als sozialer wie auch als physisch-landschaftlicher Prozess ist die Nebenfolge symbolisch gesellschaftlich vermittelter Handlungsnormen und produzierter ÄBarrieren, Ausgrenzungen sowie selektiver Einschließungen³ (Hauser/Kamleithner 2006: 62). Zunächst ist sie Folge eines Abwägungsprozesses gemäß eines ± zur gesellschaftlichen Norm erhobenen (vgl. Bourdieu 2002) ± rationalistischen Kosten-Nutzen-Kalküls275. Dabei werden die gemeinhin niedrigeren Kosten für Mieten und Grundstücke im suburbanen Raum gegenüber längeren Fahrzeiten und höheren Fahrtkosten zum Arbeitsplatz (sofern dieser sich nicht auch im suburbanen Raum befindet) abgewogen. Suburbanisierung ist auch Nebenfolge des ± sozial als Handlungsnorm vermittelten ± Strebens nach Wohneigentum als Altersvorsorge, Statussymbol und einer Vergrößerung von physischer Distanz zu Nachbarn im Vergleich zum städtischen Kontext. Darüber hinaus ist Suburbanisierung die Nebenfolge des Strebens nach einem Wohnort mit wahrgenommener geringer ökologischer Belastung einer der stereotypen Landschaft nahe kommenden angeeigneten physischen Landschaft (vgl. Kühne 2006a und 2006d), wobei diese Motive besonders bei Eltern mit jüngeren Kindern, die einen beträchtlichen Anteil der Suburbanisierer ausmachen, ausgeprägt sind (vgl. Bucher/Losch/Rach 1982). Dabei hat die trivialisierende Vermittlung einer komplexen und häufig nur indirekt beobachtbaren ökologischen Bedrohung durch öffentliche Medien einen wesentlichen Anteil an der Ausprägung der symbolischen 275
Für Bourdieu (2002: 32) beruht das Modell des dem Kosten-Nutzen-Kalkül zugrunde liegenden Modells des homo oeconomicus auf zwei Postulaten, die von ihren Verfechtern für objektive und bewiesene Wahrheiten gehalten werden: ÄDie Ökonomie ist ein separater Bereich und wird von allgemeingültigen Naturgesetzen regiert, denen Regierungen nicht durch unangebrachte Interventionen zuwiderhandeln dürfen; der Markt ist das optimale Mittel, um Produktion und Austausch in den demokratischen Gesellschaften effizient und gerecht zu organisieren.
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Handlungsnorm der Suburbanisierung (vgl. Zierhofer 1998). Suburbanisierung lässt sich aber auch als ein anderes Ergebnis von symbolischer Herrschaft beschreiben (Bourdieu 1991b: 144): ÄDie von Frauenzeitschriften verbreiteten und durch die legitime Angst der Eltern als Programm übernommenen Vorstellungen insbesondere in Bezug auf die Schule und den Erfolg der Kinder (man muss ein Zimmer pro Kind haben, ein schönes Haus etc.) orientieren sich auf ökonomische Entscheidungen mit schwerwiegenden Folgen.³
Nicht allein die ökonomischen, sondern auch die sozialgemeinschaftlichen Folgen und Nebenfolgen des Hauserwerbs im suburbanen Raum sind insbesondere für Frauen erheblich, der Alltag in den suburbanen Siedlungen zeigt eine signifikante geschlechterspezifische Differenzierung (Menzl 2005)276: Der Alltag der Frauen, insbesondere der Mütter, ist mit einem zeitgleich erfolgenden mehrfachen Bruch in der Lebensführung verbunden. Neben der ökonomischen Belastung des Hauserwerbs, der Familiengründung und dem Ausstieg aus der Erwerbsarbeit ist auch der umzugsbedingte Verlust der gewohnten räumlichen und sozialen Bezüge zu bewältigen. Aufgrund einer häufig Äsehr weitgehenden Festlegung auf die Rolle als Mutter und Hausfrau, weisen die Alltagsmuster der betrachteten Frauen einen hohen Ortsbezug auf, der sie lokale Bindungen entwickeln lässt, aber auch in hohem Maße abhängig von den ortsspezifischen Möglichkeitsstrukturen (d.h. von den Optionsräumen und Rahmenbedingungen des Wohnorts) macht.³ (Menzl 2005: 2; vgl. auch Duncan/Duncan 2005). Die der Suburbanisierung zugrunde liegende Massenkonsumgesellschaft mit Massen(individual)mobilisierung ermöglichte die massenhafte physische Manifestierung des Strebens des Städters nach Land und Villa, nach Teilhabe am städtischen Leben und ländlicher Idylle des eigenen Gartens (vgl. Mitscherlich 1980, Hard 1985, Schneider 1989, Sieverts 2001; für den angloamerikanischen Raum Brunce 1994). Der eigene Garten, zur Natur erklärt, entworfen und gepflegt, dient bei ausgeschlossenem Gebrauch zur Lebensmittelerzeugung als quasi-luxuriöses Gewand der Beschaulichkeit (Schneider 1989) und symbolisiert eine konkurrenzlose Bejahung des Prinzips des monetären Austauschs von Gütern und Dienstleistungen, da eine selbst rudimentäre Subsistenz durch die massenhafte Ästhetisierung des nutzlosen Ziergartens als Universalie (Veblen 1899) ausgeschlossen wird ± und das Leben im Suburbium wiederum das vergebliche Streben eines exklusivistischen mittleren Geschmacks dokumentiert, dem legiti276
Das Leben der männlichen Bewohner suburbaner Siedlungen hingegen ist durch zwei Welten gekennzeichnet: Ihr Alltag wird (weiterhin) von der Erwerbsarbeit dominiert und gibt auch die Anforderungen an die Gestaltung der ÃGegenweltµ im Kreise der Familie vor: Die Männer erleben ± so Menzl (2005) ± den Bruch in der Lebensführung (wenn überhaupt) weniger intensiv.
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men Geschmack nachzueifern, wobei die ÄReinheit der Feierabendatmosphäre³ (Schäfer 1981: 258) durch keine physischen Repräsentanten von Arbeit gestört wird. Prinzipiell noch mögliche ÃSekundärnutzungen¶ werden sukzessive ausgeschlossen (Sieverts 2004: 87): ÄKein Kinderspiel mehr auf der Straße, kein Wohnen mehr im Gewerbe (und umgekehrt), kein Spiel mehr auf der Ackerbrache³. Eine wesentliche Nebenfolge der Suburbanisierung ist die soziale Segregation, die sich nach Bourdieu (1991a) aus Situationsrenditen resultierend beschreiben lässt, nämlich dem Streben nach Ferne zu unerwünschten Personen und Dingen und der Nähe zu erwünschten Personen und Dingen. Aufgrund der passiven Segregation, die sich dann vollzieht, wenn sich Haushalte Äaus einem Mangel an ökonomischen Ressourcen und aus sozialer Diskriminierung [«] in ähnlich marginalisierter Lage in benachteiligten Quartieren konzentrieren³ (Häußermann/Siebel 2004: 159; vgl. auch Dangschat 1997 und 2000), erzeugt der Prozess der Suburbanisierung ± stark akzentuiert ± einerseits sozial weitgehend homogene suburbane Wohnorte jüngerer Mittelstandseltern mit ihren Kindern, andererseits führt das Verlassen der jungen, wohlsituierten Familien in den Städten (aber auch im ländlichen Raum) zu einem Verbleiben von Bevölkerungsteilen, die nicht über ausreichende Ressourcen ökonomischen bzw. sozialen Kapitals verfügen, um die jeweilige Wohngegend zu verlassen (vgl. Schroer 2006). Gerade in städtischen Räumen sind die nun Zuziehenden häufig weniger sozial integriert und ökonomisch leistungsfähig als die Fortziehenden. Aufgrund eines solchen kollektiven Abstiegs, im Zusammenhang mit selektiver Mobilität, entstehen Milieus der Armut und Ausgrenzung (Häußermann/Kapphan 2000) und werden ± infolge einer territorialen und sozialen Gleichsetzung ± sowohl auf den Stadtteil (als Ãgefährlicher Stadtteil¶) als auch auf seine Bewohner (z.B. als Drogendealer, Diebe) stigmatisierend (vgl. auch Belina 2006). Durch diesen Prozess der sozialen und räumlichen Polarisierung werden die distinktiven Differenzen einzelner Siedlungsteile im räumlichen Patchwork verstärkt (Harvey 1990, Cosgrove 1993, Rose 1995, Soja 1993, Duncan/Duncan 2004). Die Nebenfolgen dieser sozialen und räumlichen Polarisierungsprozesse auf die angeeignetphysische Landschaft manifestieren sich in Verwahrlosung und Leerstand von Bausubstanz und Verunreinigung des öffentlichen Raums einerseits (vgl. Schnittger/Schubert 2005) und in der Entstehung der Äwww.suburbia³ (Kunzmann 2001: 218) andererseits, nämlich den attraktiveren Vorstädten, in denen vorwiegend einkommensstärkere Familien mit Kindern die Funktionen Wohnen mit Arbeiten und Erholen verbinden. Dabei gelingt es den Bewohnern Äbestimmter Arten kleiner, wohlhabender und relativ homogener Gemeinden ausreichend ökonomisches und kulturelles Kapital zu mobilisieren, um Landschaften zu
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schaffen, die die Macht haben, einige Identitäten zu assimilieren und inkorporieren, während andere ausgeschlossen oder eliminiert werden³ (Duncan/Duncan 2004: 25),
wobei die Grenzen dieser Gemeinschaften physisch-räumlich auch ästhetisch produziert und reproduziert werden (Duncan 1973, Harvey 1996). Bourdieu (1990) sieht in dem Erwerb des Eigenheims ein wesentliches Element der Verbürgerlichung der Arbeiterklasse. Die Bildung von Wohneigentum hat dabei disziplinierende und eine systemstabilisierende Wirkung: Einerseits wird das Prinzip des Privateigentums bejaht, andererseits schränkt der Zwang zur Rückzahlung von Krediten die Streikfähigkeit von Arbeitern deutlich ein. Der Hauseigentümer, der scheinbar der Nutznießer des Verbürgerlichungsprozesses ist, Äist durch den Kredit an das Haus gefesselt, das oft unverkäuflich geworden ist³ (Bourdieu 1990: 41). Der Äideale Kunde³ der Eigenheimproduzenten ist dabei weder der Kunde, der über viel ökonomisches und kulturelles Kapital verfügt, der seine Interessen und Rechte wie auch seine Möglichkeiten und Restriktionen gut kennt, noch ist es der Kunde, der, Ägleichermaßen ohne ökonomisches und kulturelles Kapital, zu allem bereit ist, um seine Träume Wirklichkeit werden zu lassen, und sich zu unhaltbaren Verpflichtungen hinreißen lässt³ (Bourdieu/Bouhedja/Givry 2002: 140). Der ideale Kunde ist vielmehr Äder kleine oder mittlere Beamte, der über gerade genug finanzielle Ressourcen verfügt, um ausreichende Sicherheiten zu bieten, seiner Zukunft gerade sicher genug ist, um vorausblickend sein zu können, ohne wohlhabend genug zu sein, um auf den Kredit verzichten zu können; der über gerade genug kulturelle Ressourcen verfügt, um die Forderungen der Bank zu verstehen und sich zu eigen zu machen, aber nicht genug, um deren Manövern einen organisierten Widerstand entgegensetzen zu können³ (Bourdieu/Bouhedja/Givry 2002: 140; Hervorh. im Original).
Dabei besteht zwischen dem potenziellen Käufer eines Eigenheims, der sein Anliegen als einzigartig erlebt, und dem Verkäufer eine erhebliche Kenntnis- und somit Machtasymmetrie (Bourdieu/Bouhedja/Givry 2002: 128): ÄStark aufgrund der Erfahrung, die Tausende von vergleichbaren Fällen geliefert haben, oft kodifiziert in Verkaufshandbüchern, die die richtigen Antworten auf alle Fragen und möglichen Situationen voraussehen [«], bewaffnet mit der Information, die ihm jeder Kunde unwissentlich liefert und die es ihm erlaubt, ihn in seine Klassifizierungen einzuordnen und seine Erwartungen, seine Vorlieben und sogar ein Abwehrsystem zu antizipieren, das völlig banal und vorhersehbar ist (wie etwa die Fangfragen und das Darstellen von Scheinkompetenz), kann der Funktionär den Kunden, der eine einzige Erfahrung lebt ± die umso beängstigender ist, je höher der Einsatz und je spärlicher die Information ist ± wie einen beliebigen, austauschbaren Irgendjemand, eine einfache ÃNummer¶ unter vielen behandeln³.
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Der Wunsch nach einem Eigenheim ist also nicht aus objektiven ökonomischen Bedingungen ableitbar, sondern ist vielmehr an soziale Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster gekoppelt (Kühne 2007b), er ist Ausdruck einer symbolischen Herrschaft. Dabei stößt dieser Wunsch auf das landschaftsbezogene Paradox, dass der Suburbanisierer die stereotyp schöne Landschaft, die er sucht, durch seine Ansiedlung (und die Gleichgesinnter) stört, er also ± wiederum das symbolische Herrschaftssystem stabilisierend ± nach einem Wohnsitz in noch größerer Abgeschiedenheit strebt. Zugleich spiegelt das Suburbium die zunehmende postmoderne Individualisierung wider, schließlich erfordern Ädas Wohnen und alle anderen Nutzungen [«] in den neuen Stadtlandschaften einen hohen Grad an Eigeninitiative und Selbstorganisation³ (Hauser/Kamleithner 2006: 113; vgl. hierzu auch Pred/Watts 1992), schließlich gilt es, das Äweitgehende Fehlen öffentlicher und anderer kollektiver Einrichtungen und Ausstattungen in der unmittelbaren Umgebung³ (Hauser/Kamleithner 2006: 113) durch die Nutzung des beweglichen Gehäuses der Privatsphäre (Auto) als Symbol der Möglichkeit des In-Kontakt-Tretens mit der Welt (Jackson 1990) zu kompensieren, wodurch das Suburbium zum Symbol und Leitbild einer auf individuelle Lebenschancen rekurrierenden Gesellschaft wird, auch wenn der Suburbanit durch die von ihm produzierten landschaftlichen Nebenfolgen jene idyllischen und idealisierten ländlich stereotypisierten angeeigneten physischen Landschaften (nach seinem eigenen Deutungsmuster) zerstört, nach denen er sich sehnt. Um diesem Szenario zu entgehen, ist ein distinktiv wirkendes Ausweichen auf andere exklusivere Standorte nötig, ein Handeln, das sich als implizit herrschaftssystemerhaltend erweist, da sich dieses Streben nach landschaftlicher Distinktion nach den Prinzipien des kapitalistischen Systems vollzieht, landschaftliche oder gar Kontingenzen der gesellschaftlichen Funktion nicht hinterfragt werden. 6.3 Symbolische Kommunikation: Sprache, Macht und Landschaft Wird der Zusammenhang von Landschaft und Macht untersucht, rücken also auch die gesellschaftliche Rolle des Wissens (Herrschaft kraft Wissen) und die Transformation und die Träger des Wissens (Experten, Intellektuelle und Eliten) in das Zentrum des wissenschaftssoziologischen Forschungsinteresses (Stehr 2006). Dabei bilden ± gerade bei einem transdisziplinären und lebensweltlich angelegten Forschungsfeld wie Landschaft ± wissenschaftliche Erkenntnisse keinen abgeschlossenen (und abschließbaren) Kanon, sondern stehen in einem begrifflichen, strategischen und inhaltlichen Rückkopplungsverhältnis mit anderen gesellschaftlichen Subsystemen, aber auch individuellen und kollektiven Lebenswelten. Dabei nimmt die ± so Giddens (1995) ± persönliche, Experten240
vermittelte Reflexivität zu: ÄIndividuen engagieren sich in ihrer Umwelt mithilfe von Informationen, die durch Spezialisten produziert werden ± Informationen, die diese routinemäßig interpretieren und als Grundlage ihrer Handlungen heranziehen³ (Knorr Cetina 2006: 110), wodurch dieses Engagement besonders anfällig für nicht an Wahrheit, sondern an Macht ausgerichtete Interessen von Experten ist, wie im Folgenden genauer zu untersuchen ist. Eine besondere Bedeutung in der symbolischen Kommunikation von Macht und Landschaft erhält die Definitionshoheit über Kommunikationscodes. Wird Sprache nicht als neutrales Instrument der Kommunikation betrachtet, sondern als Macht- und Machttransformationsmechanismus, wird es opportun, die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke über Landschaft zu betrachten (vgl. Pred 1990). Worte üben ± so Bourdieu (1982b: 83) ± Äeine typisch magische Macht aus: sie machen sehen, sie machen glauben, sie machen handeln³. Die Lesbarkeit von Landschaft ist eng an das Vermögen gekoppelt, über Landschaft in bestimmter Weise zu kommunizieren. Diese bestimmte Weise der Kommunikation ist wiederum ± will sich der Sprecher nicht hinsichtlich seiner landschaftsbezogenen Kenntnisse (vermeintlich) unzureichend gebildet offenbaren ± an eine bestimmte Semiotik gebunden. Wie jedes andere Sprachsystem ist auch jenes über Landschaft Äein Mittel des Ausdrucks, aber zugleich auch ein Mittel der Zensur. Paradoxerweise besteht eine Sprache immer aus jenen Dingen, die sie auszusprechen erlaubt, aber auch aus jenen, die sie auszusprechen und zu denken verbietet, wie sie aber von anderen Sprachsystemen [wie jenem der laienhaften Kommunikation über Landschaft; Anm. O.K.] wiederum zugelassen werden«³ (Bourdieu 1977: 19-20).
Sprache ist ± so Burckhardt (1982: 106) ± ÄDurchsetzungsinstrument für Maßnahmen; [denn] alle Herrschaft ist sprachlich³. Personen ohne landschaftsbezogene sekundäre Sozialisation bleibt häufig allein das Schweigen zu Themen der Landschaftsgestaltung- und Entwicklung, da sie, sofern sie mit Professionellen über Landschaften ± insbesondere bei rechtlich vorgeschriebenen oder freiwilligen Beteiligungsverfahren, beispielsweise bei der Bauleitplanung oder der Schutzgebietsausweisung ± kommunizieren wollen, nur die Wahl Äzwischen der ihnen fremden und aufgezwungenen Ãoffiziösen Sprache¶ und ihrer eigenen Umgangssprache³ haben (Bourdieu 1977: 27; vgl. auch Jackson 1990). Das Schweigen der nicht professionell mit Landschaft Befassten ist somit häufig auf eine Strategie des Vermeidungshandelns zurückzuführen: Von der Selbstsicherheit und dem fachlich präzise und somit sprachlich gewandt wirkenden Ausdruck der Professionellen ± wobei sich diese Sprache im Sinne von Gelfert (2000: 85) durch irrationale Mythen und hochtrabende Ausdrucksformen als ÄEinschüchterungskitsch³ beschreiben lässt ± werden sie eingeschüchtert und verzichten darauf, ihr Interesse kundzutun. 241
Die Dimension der Macht wird ± in diesem Falle landschaftlich ± durch das Maß der Komplexität der Änderung der Symbole deutlich: Einzelne Zeichen lassen sich leichter ändern als Symbolkomplexe (Ipsen 2006). So bedarf es eines geringen Einsatzes an Macht, einen einfachen Haselbusch im Zuge einer Wegebaumaßnahme zu entfernen, während die Entfernung einer mehrhundertjährigen Eiche (als rechtlich geschützter Landschaftsbestandteil) bereits den Widerstand des ehrenamtlichen und staatlichen Naturschutzes, von Heimatschützern und gegebenenfalls der ansässigen Bevölkerung hervorruft und mit rechtstaatlichen Mitteln nur in Abwägung mit überörtlichen Interessen durchgesetzt werden kann. Die komplexe Symbolik einer ganzen Stadt zu ändern, erfordert den Einsatz von herrschaftlichem Potenzial, das ± bei kurzfristiger Mobilisierung von Aktionsmacht und instrumenteller Macht ± die Grenzen der Rechtstaatlichkeit in der Regel überschreitet, so beim Bau der Haussmannschen Boulevards in Paris oder der Magistralen in sozialistischen Staaten ± beides Symbole für die (scheinbare) Überlegenheit der Moderne. Die Verschiebung des Einsatzes von Machtverhältnissen von Gewalt und Konformität erzeugender Angst zu fragloser Autorität und technischer Dominanz bedeutet bei der Änderung komplexer Symbole auch eine Expansion der zeitlichen Dimension: Die kurzfristige Durchsetzung eines Planungsziels wird durch eine langfristige, häufig von der ansässigen Bevölkerung zunächst unbemerkte bzw. nur schwach artikulierte Evolution ersetzt, wie bei einer marginalen Gentrifizierung eines städtebaulichen Sanierungsgebietes (vgl. Popitz 1992, Jordan 1996, Holm 2006, Ipsen 2006). Zwischen sozialer Distinktion und dem Komplex von Macht und Herrschaft besteht ein Zusammenhang, wenn auch kein linearer: Auch wenn machtvolles oder gar herrschaftliches Handeln stets distinktiv wirkt, wirkt distinktives Handelns nicht zwingend machtvoll oder gar herrschaftlich. Distinktiv wirkt die Kenntnis und Anwendung von Zeichen und Symbolen, für Macht und Herrschaft hingegen ist Produktion und Verfügbarkeit über Zeichen und Symbole Äin hohem Maße bedeutsam³ (Ipsen 2006: 45). Die Macht der Landschaftsplanung besteht nicht in ihrer Fähigkeit, Landschaften zu lesen, sie besteht darin, ihre Symbolik ± auch durch physische Manifestationen ± zu verändern und zwar nach der in den Entwürfen artikulierter Entscheidung darüber, Äwie unter den jeweils als gegeben angenommen Zuständen Lebensbedingungen für Menschen beschaffen sein sollen³ (Hauser 2001a: 41). Macht manifestiert sich in der Definitionshoheit über Kommunikationscodes durch eine kleine Gruppe von Fachleuten (vgl. Hugill 1995) im Sinne einer autoritativen Macht (Popitz 1995).
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6.4 Grundzüge des Verhältnisses von angeeigneter physischer Landschaft und Macht: Experten und Laien Die Entwicklung von Wissensgesellschaften basiert auf ÄExpertensystemen³, die Äin alle Bereiche des sozialen Lebens eingedrungen sind³ (Knorr Cetina 2002a: 11) und die spezielle Wissenskulturen ausgeprägt haben, als ÄPraktiken, Mechanismen und Prinzipien, die, gebunden durch Verwandtschaft, Notwendigkeit und historische Koinzidenz, in einem Wissensgebiet bestimmen, wie wir wissen, was wir wissen³ (Knorr Cetina 2002a: 11). Die Differenzierung der modernen Gesellschaft emergiert somit auch ÄSpezialisten des Raumes³ (Prigge 1991: 105) bzw. Spezialisten der Landschaft, die Teil einer solchen Wissenskultur sind. Ihre Funktion besteht darin, zur Selbstreferenzialität neigende Fachdiskurse zu objektivieren, die durch distinktive Selbsterhebung durch Verachtung Äfür den ungebildeten Geschmack der kapitalistischen Gesellschaft³ (Elias 2002: 157) abgesichert und perpetuiert wird. Die Modernisierung der Gesellschaft, die als wesentliche Dimension mit ihrer Bürokratisierung (Weber 1976 ± zuerst 1922) verbunden ist, bedeutete im Zusammenspiel mit verbesserten technischen Möglichkeiten (Eisenbahn, Dampfschiff, Bagger u.a.) einen verstärkten politisch-administrativen Zugriff auf die Gestaltung von angeeigneten physischen Landschaften (vgl. Gregory 1995). Die für die Moderne charakteristische funktionale Differenzierung der Gesellschaft ± nahezu idealtypisch in der Bürokratie ausgeprägt ± brachte die Differenzierung der berufsmäßig Landschaft Planenden und der Landschaftslaien mit sich, also die ÄTrennung der Menschen in solche, die kompetent sind und solche, die inkompetent sind³ (Bourdieu 1977: 13), was sich infolge des Informationsgefälles in der unterschiedlichen Akkumulation von Macht und somit ± in der Terminologie von Theodor Geiger (1947) ± in Form von Mächtigen und Mindermächtigen in Bezug auf die Planung bzw. Gestaltung der Landschaft äußerte. Der Bezug zur (angeeigneten physischen) Landschaft ist bei den Landschaftsexperten in hohem Maße rekursiv, wie der Landschaftsarchitekt Martin Prominski (2006a: 34) im Zusammenhang mit dem Diskurs mit Körner (2006d) um die Konzeption von ÃLandschaft Drei¶277 feststellt: ÄDa Landschaft unbe277 Landschaft Drei lässt sich nach Jackson (1984: 156) wie folgt charakterisieren: ÄLandschaft ist nicht Szenerie, sie ist nicht eine politische Einheit; sie ist nicht mehr als eine Sammlung, ein System Menschen gemachter Räume auf der Erdoberfläche. Egal, welche Form oder Größe sie hat, sie ist niemals nur ein natürlicher Raum, ein Bestandteil der natürlichen Umwelt; sie ist immer künstlich, immer synthetisch, immer unvorhersehbaren Veränderungen unterworfen. Wir gestalten sie und brauchen sie, denn jede Landschaft ist der Ort, wo wir unsere eigene, menschliche Organisation von Raum und Zeit etablieren. Dort werden die langsamen, natürlichen Prozesse von Wachstum, Reife und Verfall bewusst untergeordnet und durch menschliche Geschichte ersetzt. Eine Landschaft ist der Ort, wo wir das kosmische Programm beschleunigen, verlangsamen oder auseinanderdividieren und
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streitbar der Gegenstand der Profession [jener der Landschaftsarchitekten; Anm. O.K.] ist, stellt sie einen wesentlichen Baustein der professionellen Identität dar. Identität positioniert, sie dirigiert die Wahrnehmung und bestimmt damit die Handlungsmöglichkeiten³. Identität ist also an den selektiven und instrumentellen Handlungsmöglichkeiten der Mittel-Zweck-Rationalität der Expertinnen und Experten ausgerichtet, nicht an kommunikativem Handeln (Habermas 1970). Die Komplexitätsreduzierung durch Expertinnen und Experten bei der landschaftsrelevanten Planung infolge sekundärsozialisierter Handlungsmuster beschreibt Burckhardt bereits 1967 (44) in bildhafter Form: ÄWas schlägt der Gestalter oder Architekt vor, wenn man ihm ein Problem vorlegt? Was schlägt der Apfelbaum vor, wenn man ihm ein Problem vorlegt? ± Natürlich Äpfel; also der Gestalter schlägt immer Bauten vor, jedes Problem mündet in einem Bau [«]³.
Der gegenwärtigen wissenschaftssoziologischen Forschung zufolge, können Expertinnen und Experten weniger als ÄTräger von Wissen und Kompetenzen, sondern stärker als Vertreter der Interessen einer wissenschaftlichen oder technologischen Gemeinschaft³ (Saretzki 2005: 359) mit strategischen Macht-Interessen gelten, schließlich ist die wissenschaftliche Konstruktion ± Bourdieu (1992a: 39) zufolge ± Ädas Ergebnis eines langjährigen und schwierigen Prozesses der Sammlung verschiedener Indikatoren, deren Berücksichtigung aus praktischer Kenntnis der verschiedenen Machtpositionen [«], der als Ãmächtig¶ beziehungsweise Ãeinflussreich¶ erachteten Personen einerseits und der gewöhnlich als Kennzeichen von Macht ausgewiesenen oder angeprangerteren Eigenschaften andererseits nahe gelegt wird³.
Zur Durchsetzung der individuellen generalisierten Interessen (wobei durch diese die Interessen der Gruppe der Landschaftsexperten transzendieren) werden Offizialisierungsstrategien genutzt. Wissenschaftliche Arbeit ist ± Knorr Cetina (2002b: 175) zufolge ± Ädurch eine opportunistische Rationalität gekennzeichnet, die in transepistemische Argumentationszusammenhänge eingebettet ist³. So lässt sich beispielsweise die Postulierung eines intrinsischen Naturwertes als Sicherung ökonomischer, politischer, sozialgemeinschaftlicher und kultureller Machtressourcen für die Gruppe der Landschaftsexperten verstehen, die sich mit dem Schutz der Natur befassen (Kühne 2006c). Auch die vielen Natur- und Landschaftsschützern eigene Motivation des Helfens (in der Selbstdarstellung damit unser eigenes Programm aufstellen³. Dagegen stellt Jackson die Landschaft Eins, die er mit der mittelalterlichen Landschaft Europas identifiziert, die durch die Dualität von Lehnsherr und Leibeigenem und deren unterschiedlichen Bindung zum Land geprägt wird, während Landschaft Zwei seit der Renaissance entwickelt wird, die durch neue Ordnungen mit deutlichen Ein- und Ausgrenzungen geprägt ist (Jackson 1984; vgl. auch Prominski 2006b).
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des Naturschutzbundes (NABU; 2007a) heißt es: ÄSeit 1899 realisiert er [der NABU; Anm. O.K.] konkrete Naturschutzprojekte und meldet sich zu Wort, wenn die Natur einen Anwalt braucht³) ist nicht frei von Machtbeziehungen. Sie entfaltet infolge der Einhaltung internalisierter Moralitätsnormen eine spezifische Befriedigung, denn ÄHelfen ist Macht ohne Eigennutz, aber mit Selbsterhöhung³ (Paris 2003a: 25), wobei soziales Kapital gebildet wird (das wiederum bei Bedarf und bei geeigneten Umständen in ökonomisches Kapital getauscht werden kann)278. Die Ausbildung von Landschaftsexperten ± ausgewiesen durch inkorporiertes und institutionalisiertes kulturelles Kapital, auf einer sekundären Landschaftssozialisation basierend (vgl. Kühne 2006a) ± ist auch ein Element der Bildungsexpansion (vgl. Bell 1973). Während sich ein naturwissenschaftlicher Landschaftsbezug stark in einer ökosystemisch-quantitativen Zugangsweise äußert, bezieht sich der ästhetische Bezug stärker auf ± vielfach distinktiv wirkende ± Konzepte des romantischen Landschaftsbildes bis hin zu einem postindustriellreflexiven Umgang mit physischer Landschaft (vgl. Kühne 2006a, Kühne 2006c). Die Machtkommunikation von Expertinnen und Experten mit naturwissenschaftlicher sekundärer Landschaftssozialisation äußert sich in erster Linie in der Definition von ökologischen Standards. Deren Einhaltung wird durch die Definition von mehr oder minder rechtsverbindlichen Werten und Normen durch negative (weniger durch positive) Sanktionen gesichert. Die Machtkommunikation von Expertinnen und Experten mit einer deutlicher ästhetisch ausgerichteten sekundären Landschaftssozialisation hingegen ist subtiler und kognitiv weniger unmittelbar zugänglich. Hierbei wird durch die Mobilisierung des Distinktionsbewusstseins der herrschenden Klasse, insbesondere der Intellektuellen, auf das Streben des mittleren Geschmacks abgezielt, die distinktive Lücke zur herrschenden Klasse zu schließen. Damit werden ± durch die Affirmation zu den distinktiv-ästhetisierten Objekten (hier zu den als erhaltenswert und ästhetisch definierten Landschaften) ± die Machtstrukturen aufrechterhalten, die ± Bourdieu (1987) zufolge ± eine wesentliche Grundlage für die gesellschaftliche Schichtung ± und letztlich soziale Ungleichheit ± sind. Die in der sekundären Landschaftssozialisation erfahrene Inkorporation objektiver Strukturen erzeugt eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Landschaftsexperten: Begriffe, Ziele, Paradigmen und Konzepte des Umgangs mit physi278 Denn nicht nur Ädie Ãasoziale¶, exzessiv gesteigerte Macht, auch die sozial gebundene und mit altruistischen Motiven durchwirkte Macht genießt sich selbst³, wobei das Internet heute vielfältige Möglichkeiten bietet, diese Macht auch in soziale Anerkennung zu transformieren (Naturschutzbund, NABU 2007b): ÄHeute gehören dem NABU dort 34 Hektar, 300 weitere Hektar hat man gepachtet. Franz Debatin ist stolz: ÃEs ist uns gelungen, ein durch Umbruch zerstörtes großes Wiesengebiet wieder herzustellen¶. Die Wiesen werden nun vom NABU betreut.³
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scher Landschaft, selten der gesellschaftlichen Landschaft, transzendieren die individuellen Entwürfe und das individuelle Landschaftsbewusstsein. Dieses inkorporierte kulturelle Kapital der sekundären Landschaftssozialisation hat ± abhängig von der fachlichen Ausrichtung der sekundären Landschaftssozialisation ± eine naturwissenschaftliche bzw. ästhetische Komponente. In der Regel ist die sekundäre Landschaftssozialisation jedoch durch ein positivistisch-empirisches wissenschaftliches Paradigma geprägt279. Die häufig exklusivistische Haltung seitens der ± zumindest selektiv im naturwissenschaftlichen Bereich ± mit Landschaftsdefinitionsmacht ausgestatteten Expertinnen und Experten (vgl. Kühne 2006a) bedeutet zunächst die Definition Ävon Sache und Sachlichkeit³ (Paris 1998a: 114). Zur Rechtfertigung ihrer Überlegenheit, beruft sich die herrschende Klasse (hier jene der Landschaftsexperten) Äauf eine ihr eigene fachliche Kompetenz und manchmal sogar auf eine entsprechende Wissenschaftlichkeit; sie rühmt sich sogar einer eigenen ÃBegabung¶«³ (Bourdieu 1977: 14), die sich in einem Zuverlässigkeit bekundenden Jargon äußert, der mit einem vorschriftsmäßig wählerischen Klang ein Leumundszeugnis der Wissenschaftlichkeit vermitteln soll (Adorno 1978). Zum Symbol der formalisierten Fachsprache der Landschaftsexperten (insbesondere der planenden) ist das Text- und Kartenwerk der Pläne geworden (Burckhardt 1982: 103): ÄOftmals lächeln Planer über Laien, die Pläne angeblich nicht lesen können. Dabei sind Pläne zur Beschreibung der Wirklichkeit ein ungeeigneter Code; wenn es nicht möglich ist, den Laien mit Worten zu beschreiben, was auf dem Plan zu sehen ist, so liegt das eben am reduzierten Informationsgehalt der Pläne³280.
Dabei fallen professionell mit Landschaft befasste weniger unter den Typus der Äherkömmlichen Intellektuellen³ (Bourdieu 1977: 15), die sich reflexiv mit gesellschaftlicher Entwicklung auseinandersetzen, sondern eher unter den Typus der Experten, Äals Intellektuelle für irgendwelche Dienstleistungen³, die als Äeher Meister des Handelns als Meister der Reflexion³ (Bourdieu 1977: 15) zu beschreiben sind281. Ein im Vergleich zur Reflexion stark dominierender Umset279
Insbesondere in den Naturwissenschaften wird ein ästhetischer Landschaftsbezug abgelehnt, wie das Zitat von Hartmut Leser (1984: 75) zeigt, Landschaft sei sicherlich kein Äästhetisches Etwas im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft³. 280 Scheitern Planungen an unintendierten Nebenfolgen oder in der Planung nicht oder nicht hinreichend beachteten Einflüssen, so zeigt sich eine Sublimationsstrategie, die ± so Richard Sennett (1970) ± mit jener von Halbwüchsigen verwandt ist (Burckhardt 1982: 103): ÄAuch bei diesen hat, im Falle des Misserfolgs, die Modellvorstellung recht und die Wirklichkeit unrecht³. 281 Eine ähnliche Differenzierung von Experten findet sich bereits in den Wissenschaftskulturen von Snow (1959): Während die geisteswissenschaftlich orientierten literary intellectuals eine eher pessimistische Weltsicht verträten, seien die naturwissenschaftlich orientierten scientists eher optimistisch,
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zungsbezug bei gleichzeitig deutlich abgrenzender Definition der eigenen Kompetenz findet sich in der Selbstcharakterisierung der Landschaftsarchitekten in der Internetpräsenz des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten (BDLA, 2006a): ÄLandschaftsarchitekten heute. Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten tragen eine wesentliche gestalterische Verantwortung für den Zustand unserer natürlichen Lebensgrundlagen und deren Wechselspiel mit sozialer und gebauter Umwelt. Wie kein anderer Berufsstand verbinden sie die Kenntnis ökologischer Zusammenhänge mit planerischer Kompetenz und stehen damit für die Machbarkeit von Ideen und Projekten ein. Sie nehmen damit in der Landschaftsentwicklung sowie Freiraumplanung in Stadt und Land eine Schlüsselstellung ein³.
Das Entwickeln von angeeigneter physischer Landschaft und das Planen von Freiraum gestaltet sich dabei ± so Schneider (1987) ± in Form einer einseitigen (Liebes-)Beziehung und Befriedigung, die eine kritische Auseinandersetzung nicht toleriert, schließlich impliziert Kritik die Gefahr des Verlustes der Quelle der Anerkennung und eine Infragestellung des vom Künstler geschaffenen Paradieses. 6.5 Die Landschaftsdefinitionsmacht der Expertinnen und Experten in der Landschaftsbewertung und kartographischen Darstellung ± zwei Fallbeispiele 6.5.1 Fallbeispiel 3: Die Objektivation von angeeigneter physischer Landschaft durch numerische Landschaftsbewertungssysteme durch Landschaftsexperten In den vergangenen Jahrzehnten wurde ± insbesondere im Zuge einer verstärkten planerischen Befassung mit Landschaft ± eine Vielzahl von Bewertungsverfahren für Landschaft bzw. landschaftliche Elemente und Teilsysteme entwickelt. Ziel dieser Verfahren ist in der Regel eine Übersetzung landschaftlicher Spezifika in ein quantifizierendes, objektivierendes Darstellungsschema im Sinne einer systematischen Erfassung und Bewertung (vgl. z.B. Ruppert 1976, Wagner 1999). Die Wertzuordnungen basieren dabei auf dem Konstrukt von Werturteilen intersubjektiver Gültigkeit (Bechmann 1981, Harth 2006), z.B. auf Basis eines Landschaftsbezugs der klassischen Ästhetik oder zumindest als ÄAusdruck gemeinsam geteilter, kollektiver Überzeugungssysteme³ (im Sinne von Ipsen 2006: wobei es ± aufgrund immer geringerer Überschneidungsbereiche des Interesses und der zunehmenden Differenzierung der Wissenschaftsbereiche ± zu dramatischen Verständigungsprozessen käme.
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140). Die Bewertung von angeeigneter physischer Landschaft, der Michael Roth (2006: 57) Äunüberschaubare Methodenvielfalt³ attestiert, bedient sich dabei unterschiedlicher Bewertungsmedien: Während die ökonomische Bewertungskonstruktion auf den Code monetärer Einheiten zurückgreift, unterliegen ästhetische Bewertungsmatrixen häufig der Konstruktion von Punktbewertungssystemen. Deren Anbindung an sozialisierte Codes (wie dem des Geldes) wird nicht oder nur teilweise vollzogen (vgl. Kühne 2006a). Das klassische Bewertungsschema nach Kiemstedt (1967) bezieht sich auf die Berechnung des sogenannten Vielfältigkeitswertes. Eingangswerte hierfür sind Wald- und Gewässerränder, Reliefenergie, klimatische Bedingungen und die Eignung eines Gebietes für bestimmte Erholungsarten (z.B. Spazierengehen und Wandern), es stellt also eine Reduzierung der Komplexität landschaftlicher Ästhetik (nach der in Abschnitt 3.3.4.1 charakterisierten Komplexitätstheorie: Zahl der Elementtypen, Zahl der Einzelelemente, Art der Anordnung der Elemente) auf bestimmte Konstellation von Elementanordnungen, nämlich Ränder, ab (vgl. Augenstein 2002, Roth 2006)282. Seit den 1990er Jahren werden zunehmend leitbildorientierte indikatorgestützte Vorgehensweisen entwickelt (Roth 2006). Diese werden vielfach als Ausweg der Planungspraktiker aus den Äoft wenig nachvollziehbaren quantifizierenden Verfahren verstanden³ (Roth 2006: 56-57), ohne jedoch ein größeres Maß an ÄVergleichbarkeit, Nachvollziehbarkeit und Strukturiertheit³ (Roth 2006: 56) zu erreichen. Die unterschiedlichen Bewertungsansätze lassen sich als Ausdruck des von Bruchlinien durchzogenen Bezugs von Mensch und Landschaft und der Problematik der Landschaftsdefinitionsmacht des Systemischen (insbesondere durch Expertinnen und Experten) werten. Das Problem der Objektivierung von subjektiven Wertaussagen wird von Brunner/Wimmer (1999: 170) unter Rückgriff auf das Rechtssystem wie folgt vollzogen: ÄZunächst ist jede Wertaussage subjektiv. Sie wird Ãobjektiv¶, wenn eine intersubjektiv verbindliche Konvention (z.B. kodifiziertes Recht) die Werte 282
Hinsichtlich der unterschiedlichen Ansätze zur Bewertung der Ästhetik von Landschaft lassen sich jedoch deutliche Unterschiede in der Verfahrensweise feststellen. Franz Schafranski (1996) unterscheidet hierbei vier Typen der Klassifikation: - Die Klassifizierung nach Loidl (1981) unterscheidet informationsästhetische, neurophysiologische und neurophysiologische Ansätze sowie quantitative Analyseverfahren sowie subjektivdeskriptive Verfahren. - Die Klassifizierung nach Wöbse (1984) ist unterschieden in nutzerunabhängige und nutzerabhängige Verfahren. - Die Klassifizierung nach Hoisl et al.(1985) unterscheidet räumlich-normative und psychologischempirische Ansätze. - Die Klassifizierung nach Nohl (1991) differenziert in geographische, physiognomische und psychologisch-phänomenologische Verfahren. Eine genauere Charakterisierung unterschiedlicher Landschaftsbildbewertungssysteme findet sich beispielsweise bei Job (1999), Augenstein (2002) und Demuth (2006).
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festlegt. Die Gesamtheit der relevanten Wertzuordnungen bildet das ÃWertsystem¶³. Durch eine solche Objektivierung wird also ± bestenfalls aufgrund von parlamentarischen Mehrheitsentscheidungen, de facto aber häufig in Form von Verordnungen, Richtlinien, Expertengutachten u.a. ± ein Wertsystem konstituiert, auf dessen Basis die Bewertung von Landschaft möglich wird, der wiederum Eisel (2006: 105) am Beispiel der Vielfältigkeitsanalyse einen Mangel an Sinn attestiert: ÄVergewaltigt wird nicht das ästhetische Anliegen gegenüber der Landschaft und der Landschaftsbildanalyse, sondern die Sehnsucht nach Sinn³. Die quantifizierte Bewertung von Landschaften stellt letztlich den Versuch dar, qualitative Unterschiede quantitativ zu fassen, um ihnen die (scheinbare) Qualität von objektivierten Fakten zu geben283. Die quantifizierte Bewertung landschaftlicher Elemente erreicht somit allerdings lediglich eine (vordergründige) Objektivierung. Bei näherer Betrachtung handelt es sich dabei letztlich um eine doppelte ± durch den Expertendiskurs vorgefasste ± Subjektivierung: Zunächst werden in Form der Wertsetzung für bestimmte landschaftliche Objekte und Objektgruppen ± z.B. Äals potenziell schutzwürdige anthropogene Landschaftselemente und -bestandteile³ (Wagner 1999: 64)284 ± Zahlenwerte definiert. Diese sind letztlich Ausdruck der subjektiven Wertschätzung der einzelnen Objekte durch die Wertsetzenden bzw. durch deren internalisierte Deutungsschemata bestimmt. Im Schritt der Anwendung der Objekt-Bewertung durch die mindermächtige Bewerterin bzw. den Bewerter wird ein subjektiv-interpretierender Abgleich zwischen beobachtetem Objekt und Idealtyp des Objektes vollzogen. Dieser Vorgang lässt sich als Konstruktion der Konstruktion von Wirklichkeit interpretieren (Kühne 2005b): Der Bewerter konstruiert subjektiv mit der subjektiv konstruierten Matrix der ± an einem idealisierten Soll-Zustand orientierten (bei Kiemstedt ist es beispielsweise die arkadische Landschaft; vgl. Körner 2006c, Nolte 2004) ± Bewertungskriterien eine relationale Anordnung von Objekten im Raum. Der einer numerischen Landschaftsbewertung zugrunde liegende Bewertungsbogen bedeutet eine Filterung einer singulären Wahrnehmung in einem radikal entkomplexisierenden Schema und damit eine Reduzierung von Wahrnehmung (vgl. Paris 1998b). Die Offizialisierungsstrategie von Landschaftsexperten, die in solchen Bewertungsschemata zum Ausdruck kommt, ist Teil der Objektivation des sozialen 283
Zum Zusammenhang von Fakten und deren Vorinterpretation betont Brodbeck (1998: 7) Ädie Zweiteilung der Welt in eine unendliche Fülle von Fakten und die logischen Gesetze (Ãlogischer Empirismus¶) vergisst, dass sich die ÃFakten¶ immer schon in einer interpretierten Form, in einer gedachten Form zeigen³. 284 Wagner (1999) klassifiziert folgende Typen der potenziell schutzwürdigen Objekte: Zeugnisse traditioneller bzw. ehemaliger Wirtschaftstätigkeit, Zeugnisse rezenter Wirtschaftstätigkeit, Zeugnisse der territorialen und politischen Geschichte, Siedlungen, Infrastruktureinrichtungen, Kult- und Begräbnisstätten, Sonstige schutzwürdige Landschaftselemente und -bestandteile.
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Konstruktes Landschaft. Landschaft wird einer individualisierten Konstruktion und Bewertung enthoben und zu einem (vordergründig) objektivierten ± und politisch operationalisierbaren ± Zahlenwert entkomplexisiert, dessen Entstehung für den Laien nicht nachvollziehbar ist, und wird damit eine Distinktion von Expertinnen und Experten ± als Träger des inkorporierten kulturellen Kapitals ± gegenüber Laien vollzogen. Job (1999: 51) charakterisiert diesen Unterschied zwischen der Experten ± und der Laienmeinung zu Soll-Vorstellungen des Landschaftsbildes folgendermaßen: ÄBei der das Individuum umgebenden Lebenswelt und deren Niederschlag in Landschaftsbildern bestehen mitunter auffallende Bewertungsdiskrepanzen zwischen der ÃExperten-Meinung¶ und der Einschätzung durch ÃNormalbürger¶³. Ein herausragendes Charakteristikum der Objektivation (im Sinne von Berger/Luckmann 1982) von numerischen Landschaftsbewertungen ist die Institutionalisierung von nach wie vor (doppelt) subjektiven und interessengruppenspezifischen Leitbildern: Die Institutionalisierung erzeugt durch politische Operationalisierung in Herrschaftsmechanismen eine normative Verbindlichkeit von Verhaltens- und Wertschätzungsregeln von Landschaft, die wiederum zur Entstehung sozialer Strukturen führt, auch indem die habitualisierte ± scheinbare Exaktheit und Vergleichbarkeit ± des Quantitativen gegenüber dem Qualitativen aufgegriffen und weiter gefestigt wird. 6.5.2 Fallbeispiel 4: Die Daten setzende Macht im rekursiven Prozess des Handelns von Landschaftsexperten ± Geographische Informationssysteme (GIS) und Kartographie Geographische Informationssysteme ± kurz GIS ± sind Teil der Computertechnologie und verdeutlichen die Verschränkung technischer und gesellschaftlicher Erfordernisse (Popitz 1995). Geographische Informationssysteme lassen sich kurz als Systeme Äzum Erfassen, Verarbeiten und Präsentieren raumbezogener Daten mittels einer geeigneten Software³ (Zürl 2005: 8) definieren285. Die raumbezogenen (bzw. geographischen) Daten umfassen dabei einerseits über Lagekoordinaten exakt definierte geometrische Daten und andererseits die dazu gehörigen Sachdaten (Wagner 1999). Die Bedeutung der elektronischen Verarbeitung raumbezogener quantitativer Daten mittels GIS hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten derart zugenommen, dass Dickmann/Zehner (1999: 12) feststellen, dass Geographische Informationssysteme Ämittlerweile zum Zauberwort in den 285
Andere Definitionen weisen einen größeren Umfang auf, bei denen beispielsweise die mit dem GIS vollziehbaren Prozesse genauer erläutert werden: ÄEin Geo-Informationssystem ist ein rechnergestütztes System, das aus Hardware, Software, Daten und den Anwendungen besteht. Mit ihm können raumbezogene Daten digital erfasst und redigiert, gespeichert und reorganisiert, modelliert und analysiert sowie alphanumerisch und grafisch präsentiert werden³ (Bill 1999: 4).
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Geowissenschaften geworden [sind]. Mitunter drängt sich der Eindruck auf, als sei geographisches Arbeiten ohne GIS kaum noch möglich³. Eine Einschätzung, die Fragen nach den sozialen Nebenfolgen und insbesondere den EDVSystembedingtheiten dieser Daten setzenden Macht ± im Sinne von Popitz (1997) ± der sich verbreitenden Computerkartographie286 aufwirft (vgl. auch Crampton/Krygier 2006). Die Präsentation der mithilfe von ± vielfach auch durch ± GIS analysierten Daten erfolgt in der Regel durch Karten, unter denen nach allgemein gebräuchlicher Definition Ädas verebnete, verkleinerte und erläuterte Grundrissbild der Erdoberfläche³ (Arnberger 1993: 15) verstanden wird287. Entgegen dieser Definition stellen Karten jedoch nicht die Welt dar, so wie sie Ãist¶ (vgl. Glasze et al. 2005), vielmehr stellen Karten immer implizite oder explizite Interpretationen der materiellen oder immateriellen Welt dar (vgl. Sedlacek 1998a, Kühne 2005c), schließlich zwingt die Beschränkung Äauf graphische Zeichen und verhältnismäßig spärliche verbale Eintragungen [«] in starker Weise zur Abstraktion³, wie Oswalt (2006: 35) im Zusammenhang mit der ungewohnten Nutzung von Karten für Historiker feststellt. Karten sind als soziale Konstrukte abhängig von ihrem spezifischen gesellschaftlichen Kontext und unterliegen ± so Harley (1989) ± neben offenen (wie der Darstellung von Absolutzahlen als Diagramm und nicht in der Fläche) auch versteckten Konventionen (wie der Zentrierung der Karte auf den eigenen Kontinent bzw. der Verwendung bestimmter Maßstäbe288). Karten lassen sich ± ähnlich anderen Texten ± entziffern und stellen Machtmittel dar, da, indem Bilder der Welt geschaffen werden, die Wahrneh286 Der ± im Zusammenhang mit der vorliegenden Untersuchung zur Daten setzenden Macht von EDV-generierten Karten nicht bedeutsame ± Unterschied zwischen Geographischen Informationssystemen und anderen kartenorientierten Programmen liegt in der Fähigkeit von GIS, raumbezogene Analysen durchführen zu können, wie dies in der Definition von Dueker (1979: 106) deutlich wird: ÄEin Geographisches Informationssystem ist ein spezielles Informationssystem bei dem die Datengrundlage auf räumlich verteilten Einheiten basiert, die als Punkte, Linien oder Flächen definierbar sind. Ein GIS manipuliert Daten zu diesen Punkte, Linien und Flächen, um Daten für ad-hocAbfragen und Analysen zu erhalten³ (zit. nach Dickmann/Zehner 1999: 20; Übers. O.K.). Dickmann/Zehner (1999) zufolge, mache diese Fähigkeit von GIS dieses Äzu einem echten Werkzeug, das geeignet ist, wertvolle Hilfen bei raumbezogenen Entscheidungen anzubieten³. 287 In der Kartographie wird zwischen Karte und Kartogramm unterschieden. Unter einem Kartogramm wird Äeine zweidimensionale kartographische Ausdrucksform [verstanden], in welcher auf einer meist sehr vereinfachten topographischen Grundlage flächenhafte Aussagen derart vorgenommen sind, dass sich die kartographische Darstellungsfläche bzw. die rechnerische Bezugsfläche nicht mit dem tatsächlichen Verbreitungsraum deckt und ortsgebundene Aussagen ebenfalls nicht streng lagegetreu wiedergegeben sind³ (Arnberger 1993: 15). Während eine Karte durch eine maximale Lagegenauigkeit der Darstellungsinhalte gekennzeichnet ist, wird auf diese im Kartogramm verzichtet. 288 Die Zuordnung unterschiedlicher Aktivitäten zu bestimmten Skalen und deren kartographische Repräsentation lässt sich als Ädas Ergebnis sozialer Praxen, mittels derer Zwecke verfolgt werden³ (Belina 2006: 78), verstehen.
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mung der Welt gesteuert (Harley 1989, Wood 1992; siehe Abbildung 30) und (stereo)typisiert wird. Schließlich ± so stellt Monmonier (1996: 13) in der Einführung zu seinem Buch ÄEins zu einer Million ± die Tricks und Lügen der Kartographen³ fest ± sei es nicht nur leicht mit Karten zu lügen, es sei sogar notwendig: ÄUm die komplexe, dreidimensionale Welt auf ein ebenes Blatt Papier oder auf einen Bildschirm abzubilden, muss eine Karte zwangsläufig die Wirklichkeit verzerren³289. Die Bedeutung der Sedimentierung, Zusammenfassung und Bewertung von Wissen in Karten, eines (stereo)typischen Wissens, das nur selten hinsichtlich seiner Konstituierung und Konstruiertheit hinterfragt wird, verdeutlicht Latour
Abbildung 30:
289
Möglichkeiten der Manipulation von Wahrnehmung durch Karten am Beispiel der Arbeitslosenquote in der Europäischen Union. Gegenüber der linken Karte sind in der rechten Karte die Werteabgrenzungen verschoben und die Auswahl der Graustufen verändert, wodurch die Lage am deutschen Arbeitsmarkt dramatisch erscheinen soll (nach: Kühne 2005c, Datengrundlage: Fischer Weltalmanach 2004).
Potenzielle Möglichkeiten der bewussten oder unbewussten Manipulation von Karteninterpretationen resultieren ± so Monmonier (1996) ± aus der Maßstabswahl, der Wahl der Projektion, der Wahl
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(2002: 41), indem er die Szene einer aus Naturwissenschaftlern gebildeten, über Karten gebeugten Forschergruppe im Übergangsraum von Regenwald und Savanne in Brasilien beschreibt: ÄMan nehme die Karten weg, bringe die kartographischen Konventionen durcheinander, lösche die Zehntausende von Stunden aus, die in den Atlas von Radambrasil investiert wurden, störe die Radaranlagen der Flugzeuge, und unsere vier Forscher wären in der Landschaft verloren. Sie wären gezwungen, die ganzen Erkundungs-, Ortungs-, Triangulations- und Vermessungsarbeiten ihrer Hunderte von Vorgängern von neuem zu beginnen³. Damit wäre auch ein wesentliches Konstitutionselement von Karten erneut vorzunehmen: Benennungen. Diese von Kartographen gewählten Benennungen wirken raumkonstitutiv und sind implizit bisweilen auch explizit Ausdruck von Macht- und Herrschaftsbeziehungen. Am Beispiel ÃAmerika¶ lässt sich anschaulich darstellen, wie durch die Außerachtlassung der Bezeichnungen des Einheimischen Kartographen als Glottophagen wirken (Schneider 2004: 9). Die implizite und explizite Selektion und Interpretation bei der Herstellung von Karten wird bei der Nutzung von Geographischen Informationssystemen der Systemlogik des jeweils verwendeten Programms unterworfen. Bei der Nutzung von GIS lassen sich vier Arbeitsschritte ausweisen (vgl. Falk/Nöthen 2005290), die die gegenseitige Bedingtheit von Mensch und Technik (vgl. Popitz 1995) verdeutlichen: 1. Die Erhebung von Daten, in der Regel vor der Selektionsentscheidung, welche Daten GIS-verfügbar gemacht werden können, 2. die Eingabe und Bearbeitung der Daten, nach der Logik des GIS, 3. die Analyse und Interpretation der Daten, auf Grundlage der durch die Möglichkeiten des GIS selektierten Daten, 4. die Ausgabe der Daten, nach den kartographischen Möglichkeiten des GIS. Die Nutzung von Geographischen Informationssystemen und deren starke Verbreitung bedeutet also eine Bevorzugung quantitativer (scheinbar exakter) gegenüber qualitativer (scheinbar unexakten) Daten, da sich diese in der geometrisch definierten Behälterraumrepräsentanz des GIS technisch zurzeit nicht darstellen lassen. Die gegenwärtige Bevorzugung der Vektorbasierung291 gegenüber
des Zeichensatzes, der Generalisierung, aus Unwissenheit oder Nachlässigkeit, aus der zuspitzenden Verwendung von Signaturen u.a. 290 Genauere Hinweise zur Funktion Geographischer Informationssysteme liefern beispielsweise Bill (1994), Dickmann/Zehner (1999), Bartelme (2005) und Lang/Blaschke (2007). 291 Die Grundlage von Vektormodellen bilden präzise Lagekoordinaten von Punkten, die als ÄBasisträger der geometrischen Information³ (Wagner 1999: 160) dienen. Auf diesen bauen alle weiteren topologischen bzw. geometrischen Strukturen wie Linien, Flächen, Liniennetze und Flächenmosaike auf.
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der Rasterbasierung292 bei der Anwendung von Geographischen Informationssystemen bedeutet eine rekursive Festigung des Denkens in exklusivistischen (scheinbar exakten) Grenzen anstelle einer inklusivistischen und hybriden Übergangsräume zulassenden Konstatierung von Rändern293. Die Standardisierung von Wahrnehmung durch GIS wird durch das zurzeit noch immer eingeschränkte kartographische Signaturenrepertoire deutlich, das im Wesentlichen auf die Normsignaturen (beispielsweise der topographischen Kartographie und der Bauleitplanung) beschränkt ist, und dem Nutzer nicht oder nur unter Aufwendung eines deutlichen Mehraufwandes die Möglichkeit gibt, der thematischen Aussage gegenüber stärker korrespondierende Signaturen (z.B. Kreisdiagramme) zu entwerfen (vgl. Schuurman 2000). Die digitale Landschaftserfassung macht eine Normierung und standardisierte Erfassung von physischen Objekten notwendig (vgl. z.B. Wagner 1999, Jakobs 2005, Bender/Schumacher 2005). Dabei werden in einem thematischen
Abbildung 31:
Möglichkeiten der Bildung von Pseudoarealen auf Grundlage einer Punktverteilungskarte (a). Die Karten b), c) und d) zeigen unterschiedliche Interpretationen von Pseudoarealen aufgrund der Punktverteilung. Das Pseudoareal in Karte b) zeigt einen großzügigen, während Karte c) einen sparsamen Pseudoarealumriss mit ausgewiesenen Einzelstandorten (graugefüllte Kreise) zeigt. Administrative bzw. politische Entscheidungen auf Grundlage von Karte b) und c) könnten dabei erheblich voneinander abweichen. Karte d) zeigt die weitere Abstraktionsebene einer Pseudoarealkarte, bei deren Erstellung auf die Darstellung des konstitutiven Elementes der Punktsignaturen verzichtet wurde.
292 Bei Rastermodellen wird der jeweils interessierende Ausschnitt der Erdoberfläche in ÄTeilflächen mit homogener Thematik³ (Wagner 1999: 159) gegliedert. Die häufigste Form dieser Aufteilung ist die Anlage flächendeckender quadratischer Rasterfelder. 293 Macht ist häufig an Grenzen definiert, an rechtlichen, funktionalen, strukturellen wie auch räumlichen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte Simmel (1908: 467) fest, dass eine Grenze nicht eine räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen sei, Äsondern eine soziale Tatsache, die sich räumlich formt³. Dadurch ist die Grenze, die als konstitutiv für die Unterscheidung sich räumlich formierender sozialer Phänomene gelten kann, stets Ausdruck sozialer Hierarchisierungs- und Machtmechanismen.
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Datenmodell Äden als GIS-Objekte zu erfassenden Kulturlandschaftslelementen, -bestandteilen und -bereichen zuordnenbare Merkmale, Eigenschaften und Werte als Sachdaten erfasst³ (Plöger 2005: 154), ein Vorgang der sowohl auf Merkmale, Eigenschaften und Werte deutliche Interpretationsspielräume auch hinsichtlich Auswertung und Gewichtung (vgl. Walz 2000, Lang/Blaschke 2007) für den Inventarisierenden eröffnet (vgl. hierzu Abschnitt 6.5). Ein Beispiel für die computerkartographische Verfügbarmachung angeeigneter physischer Landschaft ist die Biotopkartierung, das heißt die ÄKartierung für den Naturschutz wertvoller Flächen³ (Primack 1995: 129). Bastian (1999: 157) definiert ein Biotop als den abgrenzbaren Lebensraum bzw. die Lebensstätte Äeiner spezifischen Lebensgemeinschaft (Biozönose) von Pflanzen und Tieren [«], die durch einheitliche Lebensbedingungen gekennzeichnet sind³294. Die Kartierung der Verbreitung von bestimmten Pflanzenarten bezeichnet Schneider (1989: 92) als ÄIdeologie der Biotopkartierung³, die Ädie Zurichtung der Natur auf einzelne Pflanzen³ bedeutete295, mit dem Ziel Äsie Ãatomisiert¶ über den Computer auffindbar, verwaltbar, verfügbar zu machen. Die Biotopkartierung macht aus den Pflanzen (Tieren) Ressourcen, indem sie sie aus der Geschichte des Ortes, der Nutzung, der sozialen und ökonomischen Geschichte der Menschen und ihrem handwerklichen Wissen herausgelöst³ und sie über GIS abrufbar und zum Gegenstand bürokratischen Handelns über binäre Ja-Nein-Entscheidungen gemacht werden. Dabei bedeutet die Übertragung von diskreten Daten der Standorte von Tier- und Pflanzenarten als Bildung von Pseudoarealen296 nicht nur eine latente Unterstellung einer kontinuierlichen Ausbreitung, sondern ist ein Akt der Abstraktion möglicher willentlicher oder unwillentlicher Vorinterpretationen (Abbildung 31). Die Anwendung der GIS-Technologie impliziert also letztlich die Perpetuierung modernistischer Inklusions- wie Exklusionsmechanismen mittels eindeuti294
Nach Sukopp/Weiler (1986) lassen sich drei Kategorien der Biotopkartierung unterscheiden: Erstens, die selektive Kartierung, die nur schutzwürdige, bisweilen auch potenziell schutzwürdige Biotope erfasst, was die Erstellung eines Bewertungsrahmens hinsichtlich der Schutzwürdigkeit voraussetzt. Zweitens, die repräsentative Kartierung, die (in der Regel landesweit) für alle flächenrelevanten Biotoptypen bzw. Biotoptypenkomplexe Beispielflächen untersucht, typisiert und ggf. bewertet. Drittens, die flächendeckende Kartierung, die alle Biotope des zu untersuchenden Raumes erfasst. 295 Zur Methodik der Biotopkartierung siehe beispielsweise Kratochwil (1980), Jeschke (1983), Sukopp/Weiler (1986), Buder (1997). 296 Bei Arealen handelt es sich um flächenhafte Erscheinungen (z.B. Wasserflächen, Grünland), Ädie von einem Objekt weitgehend gefüllt werden oder einer Funktion in ihrer Gesamtheit dienen³ (Arnberger 1993: 131), während Pseudoareale (bzw. Scheinareale) durch Grenzen von Verbreitungsräumen gestreuter Objekte definiert sind. Diese Pseudoareale besitzen mitunter einen Ästark hypothetischen Charakter, und zwar immer dann, wenn Lücken der Belegorte lediglich durch spekulative Überlegungen geschlossen werden müssen oder die Verbreitung und Dichte der Belege nicht repräsentativ für die tatsächliche Ausbreitung des dargestellten Objektes ist³ (Arnberger 1993: 132; vgl. Abbildung 31).
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ger Grenzziehungen wie auch die quantifizierte Erfassbarkeit von Welt (vgl. Harris 2006). Durch ihre technische Bedingtheit tragen sie zu einer dichotomen Trennung in Experten und Nicht-Experten bei (vgl. Harris 2006), indem sie Ausdruck der Daten setzenden Macht des technisch Möglichen (oder normativ Denkbaren) und des Nicht-Möglichen (oder des normativ Nicht-Denkbaren) sind. 6.6 Landschaft und Macht im Spannungsfeld von Politik, ihrer Administration und Wissenschaft Zwar hat das Machtpotenzial des Staates als territoriale Einheit u.a. infolge der Globalisierung abgenommen, dennoch ist er in der Lage, zahlreiche Machtverhältnisse zu besetzen und Ädie herrschenden Interessen durchzusetzen und auf Interessensgegensätzen basierenden gesellschaftliche Verhältnisse zu kontrollieren³ (Belina 2006: 13). Der Staat lässt sich ± trotz seines Bedeutungsverlustes ± als ÄÜberbau in Bezug auf eine ganze Serie von Machtnetzen, die die Körper, die Sexualität, die Familie, die Verhaltensweisen, das Wissen, die Techniken usw. durchdringen³ (Foucault 1978: 116) beschreiben, wobei der Staat nur in der Lage ist, diese Position der ÄÜber-Macht³ (Foucault 1978: 116) zu erhalten, weil er in einer Reihe vielfältiger und nicht definierter Machtverhältnisse verwurzelt ist, Ädie die notwendige Grundlage dieser großen Formen negativer Macht bilden³ (Foucault 1978: 116). Die Mechanismen der Erhaltung der Macht des Staates und seiner Bediensteten und externen intellektuellen Ressourcen als ÄMikroMächte³ (Foucault 1977: 39) in Bezug auf Landschaft stehen in diesem Abschnitt im Zentrum der Untersuchung. 6.6.1 Zum Wandel des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik Neben dem Zugriff des politischen Systems auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse von internen akademisch Gebildeten zu externen Sachverständigen297 hat sich auch das System der Wissenschaft und auch das prinzipielle Verhältnis von Wissenschaft und Politik fundamental gewandelt. Der Modus der Wissensproduktion von einer durch Modus 1, also durch die Trennung von Grundlagenund Anwendungsforschung, wurde zu einer durch Modus 2 geprägten Forschung, d.h. die Entwicklung systematischer Mischformen einer anwendungsbezogenen Grundlagenforschung (Gibbons et al. 1994, Nowotny/Scott/Gibbons 297
Paris (1998a: 116) charakterisiert den Sachverständigen als Person, die sich als jemand inszeniert, Äder, wenn er wollte, sich jederzeit legitimieren könnte, dies aber gar nicht nötig hat³.
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2001, Bender 2004, Nowotny 2005). Latour (2002: 31) konstatiert in diesem Zusammenhang einen Übergang von dem, was er Wissenschaft, zu dem, was er Forschung nennt: ÄWissenschaft besaß Gewissheit, Kühlheit, Reserviertheit, Objektivität, Distanz und Notwendigkeit, Forschung dagegen scheint all die entgegen gesetzten Merkmale zu tragen: Sie ist ungewiss, mit offenem Ausgang, verwickelt in die niederen Probleme von Geld, Instrumenten und Know-how und kann nicht so leicht zwischen heiß und kalt, subjektiv und objektiv, menschlich und nicht-menschlich unterscheiden³.
Nach Gibbons et al. (1994) und Nowotny (1999) bedeutet der Übergang zu Modus 2 einen grundlegenden Bruch der Epistemologie: Wissenschaft ergründet demnach nicht mehr grundlegende Naturgesetze, sondern produziert in interdisziplinären Anwendungskontexten Äsozial robustes Wissen³ (vgl. auch Viehöver 2005). Durch den Übergang von Modus 1 zu Modus 2 vollzieht sich eine Reflexion des Wandels des Verhältnisses von Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft: Wissenschaft wird als in einen rückgekoppelten Kontext von Mobilisierung der Welt298, Autonomisierung299, Allianzen300 und öffentliche Repräsentation301 eingebunden gesehen, in dem sie die Position eines Knotens einnimmt (Abbildung 32; Latour 2002). Dabei ist eine ausreichende Verknüpfung dieser Schleifen für die Gewinnung materieller und immaterieller Ressourcen (also symbolischem Kapital) für die einzelnen Wissenschaften Voraussetzung. Ohne Allianzen kann eine Wissenschaft zwar ein ausgeklügeltes und autonomes System theoretischen Zugriffs und über zahlreiche empirische Ergebnisse verfügen sowie in der Öffentlichkeit häufig wahrgenommen werden, doch mangelt es an der Durchsetzungsfähigkeit ihrer Ergebnisse in der Praxis.
298 Unter Mobilisierung der Welt versteht Latour (2002) Mittel, die die Einbindung von nichtmenschlichen Wesen in den Diskurs erfordern, beispielsweise technische Instrumente, Datenerhebungen, Befragungen oder Expeditionen mit deren Hilfe Informationen über die Welt außerhalb der Wissenschaft gesammelt werden. Zudem betrifft diese Schleife Äauch die Stätten, an denen alle hierbei [bei Expeditionen, Erhebungen u.a.; Anm. O.K.] mobilisierten Objekte der Welt versammelt und zusammen aufbewahrt werden³ (Latour 2002: 122). 299 Die Autonomisierung bezeichnet die Arbeit einer Disziplin, Profession oder Clique, sich von alternativen Bewertungskriterien unabhängig zu machen und sich ein eigenes Bewertungs- und Referenzsystem zu geben (Latour 2002). 300 Die Bildung von Allianzen beschreibt das Interessieren von Gruppen für spezifische wissenschaftliche Themen und Disziplinen (Latour 2002: 125): ÄMan muss Militärs für Physik, Industrielle für Chemie, Könige für Kartographie, Lehrer für Pädagogik und Abgeordnete für politische Wissenschaften interessieren. Ohne eine solche Anstrengung, Interesse zu wecken, bleiben die anderen Schleifen folgenlos wie Reisen mit dem Finger auf der Landkarte³. 301 Die Repräsentation in der Öffentlichkeit bezeichnet die Regelung des Verhältnisses von Wissenschaften und Journalisten und Äder Frau und dem Mann auf der Straße³ (Latour 2002: 127).
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Abbildung 32:
Modell der Einbindung von Wissenschaft und Forschung in den gesellschaftlichen Kontext (nach: Latour 2002).
Die Kopplung von politischem und externen wissenschaftlichem System (Luhmann 1997) in Form des Übergangs des Modus der Wissensproduktion von einer durch Modus 1 zu einer durch Modus 2 geprägten Wissenschaft bedeutet zwar eine Erweiterung der Rechenschaftsbasis von Wissenschaft (Nowotny 2005), kann aber auch ein brisantes Problem implizieren: Der wissenschaftliche Diskurs, eigens die Experten, die diesen Diskurs repräsentieren, hat einen erheblichen Einfluss auf politische Entscheidungen, Äund sei es nur in der Weise, dass es ihnen die zusätzliche Legitimität der Rationalität und der ÃObjektivität¶ verschafft³ (Weingart 2003: 92). Schließlich kommt ± Bourdieu (1992a: 71) zufolge ± den Wissenschaften Äim Kampf der Vorstellungen [«] der aus gesellschaftlicher Sicht als wissenschaftlich, das heißt als wahr anerkannter Vorstellung, eine spezifische Kraft zu, die demjenigen, der über wissenschaftliches Wissen ± über die soziale Welt ± verfügt oder zu verfügen scheint, das Monopol auf den legitimen Standpunkt zu, auf die sich selbsterfüllende Prophezeiung verleiht³302.
Damit werden wissenschaftliche Gesetze ± Bloor (1982) zufolge ± nicht aus Gründen, die im wissenschaftlichen Feld zu finden sind, etabliert und geschützt, sondern vielmehr aufgrund ihrer zugeschriebenen Nützlichkeit zur Rechtfertigung, Legitimation und sozialen Überzeugungstätigkeit. Bei solchen Prozessen besteht stets die Gefahr der ÄKolonisierung³ (Weingart 2003: 98) von Regierungen und Parlamenten durch eine einzige Gruppe von Expertinnen und Experten,
302
Dieses Monopol auf selbsterfüllende Prophezeiungen beinhaltet einen hohen Grad an Brisanz. Schließlich stellt ein Voraussagen über die Zukunft anderer stets ein Anmaßen über diese dar, schließlich bedeuten Prognosen, Äzugleich Empfehlungen für eine Entwicklung dorthin³ (Bourdieu 1977: 26).
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die eine einzige Perspektive (z.B. die des landschaftlichen Sukzessionismus303) auf das anstehende Problem vertritt und alternative Sichtweisen (z.B. die der Erhaltung von angeeigneter physischer Landschaft) außer Acht lässt. Damit wird die wissenschaftliche Politikberatung, die neben der Norm des Erkenntnisgewinns insbesondere anderen sozialen Einflussmechanismen unterliegt, Äeine ständige potenzielle Bedrohung der anderen, primären Legitimationsbasis [«], nämlich des durch Wahlen dokumentierten Willens des Volkes³ (Weingart 2003: 92)304. In Bezug auf den politisch motivierten Umgang mit Landschaft heißt dies: Nicht die von den Bürgerinnen und Bürgern gewünschte (vielfach stereotype) Anordnung physischer Objekte definiert die Zielgröße landschaftsbezogener Politik, sondern die Vorstellung von administrationsinternen und -externen Expertengremien, oder aber eine dritte Lösung, die aus den Diskrepanzen zwischen dem entsteht, was Experten als Erfolg versprechend raten, was der Entscheider als seine Legitimationsbasis verbreiternd ansieht und dem, was er Äaus seiner Beobachtung erfolgreicher Vorbilder schließt³ (Schimank 2006: 72). Der Beratungsprozess in den differenzierten Allianzen von Wissenschaft und Politik ist nicht linear: Die Wissenschaft kommuniziert ± auch über den Umweg der öffentlichen Repräsentation ± Themen, die von der Politik aufgegriffen werden (z.B. Klimawandel, demographischer Wandel, Biodiversität, Bodenerosion), Äsei es um Schaden abzuwenden oder um Legitimationsgefährdungen zu vermeiden³ (Weingart 2003: 94). Durch diesen Prozess ist die Wissenschaft (bzw. ihre prominenteren Vertreter) in der Lage, selbst Probleme auf die politische Agenda zu bringen, um dann von der Politik beauftragt zu werden, Lösungsvorschläge auszuarbeiten. Aufgrund der Kommunikation mit unterschiedlichen Codes (wahr/unwahr in der Wissenschaft; Macht-Haben/Nicht-MachtHaben in der Politik), müssen die politischen Probleme in wissenschaftliche Forschungsprogramme ebenso übersetzt werden, wie die wissenschaftlichen Antworten in die Sprache der Politik übersetzt werden müssen (vgl. Luhmann 1990, Luhmann 1997, Weingart 2003, Weingart/Engels/Pansegrau 2008). Dabei ist Expertise transgressiv, das bedeutet, Ädass alle Expertinnen ihre wissenschaftliche Kompetenz überschreiten müssen, weil ihnen Fragen gestellt werden, die 303
Die Vertreter des landschaftlichen Sukzessionismus verfolgen das Ziel, angeeignete physische Landschaft als Nebenfolge gesellschaftlichen Handelns entwickeln zu lassen, näheres siehe Abschnitt 5.3. 304 Der Vollständigkeit halber sei festgestellt, dass mit der Ausdifferenzierung und Spezialisierung von Wissenschaft mit der damit verbundenen Ausprägung von Fachsprachen, die Entstehung einer prekären Distanz zur Gesellschaft einhergegangen ist (vgl. Weingart 2003). Dies trifft in der landschaftsbezogenen Forschung sowohl auf die naturwissenschaftliche, die geistes- und sozialwissenschaftliche Landschaftsforschung als auch auf die landschaftsgestalterischen Vorgaben zu. Diese in der jeweiligen Fachtradition fußende jeweilige Spezialsprache impliziert, dass die Kommunikation zwischen den einzelnen mit Landschaft befassten Fachdisziplinen erheblich eingeschränkt ist.
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nicht ihre eigenen sind³ (Nowotny 2005: 37; vgl. auch Holzinger 2004, Levidow 2005). Wissenschaftliche Expertisen werden ± sofern die Machtasymmetrie zwischen Beauftragern und Beauftragten dies zulässt, was in der Regel der Fall ist305 ± unter der Voraussetzung beauftragt, dass sie eine allgemeinverständliche Zusammenfassung der Ergebnisse (präferiert mit Handlungsempfehlungen) enthalten müssen, die dann als Grundlage der Entscheidung Verwendung findet, während die Herleitung der Ergebnisse allenfalls als Legitimationsquelle der Entscheidung dient (vgl. Weingart/Engels/Pansegrau 2008) 306. Diese Übersetzungsleistung verlangt von den Expertinnen und Experten, den Rückgriff auf eine vorwissenschaftliche und unexakte Sprache, die sie ± da sie das Gelände der angestammten Fachterminologie verlassen ± angreifbar macht. Die in der Landschaftsplanung häufig Verwendung findenden umfangreichen Artenlisten finden sich ± sofern sie nicht in den Anhang der Expertise verbannt werden ± in den Handlungsempfehlungen und Beschlussvorlagen nicht wieder und werden dort zu allgemein verständlichen Begriffen wie ÃMähwiese¶ oder ÃMischwald¶ entkomplexisiert307. Dabei gestaltet sich insbesondere seit den vergangenen zwei Jahrzehnten das Problem der wissenschaftlichen Politikberatung, angesichts zunehmend unsicheren Wissens bei gleichzeitig erhöhter potenzieller Betroffenheit größerer Bevölkerungsteile, zunehmend komplexer (vgl. Beck 1986): Infolge der Komplexisierung der Gesellschaft ist auch das Verhältnis von Mensch und Umwelt einer Komplexitätssteigerung unterworfen, das ± trotz steigendem Forschungsaufwand ± zunehmend von Unsicherheit, Nicht-Wissen308 und Ähypothetischen
305
Sonderfälle wie politischer Druck auf den Entscheider oder eine überragende Sachkompetenz des Experten, dem keine Allgemeinverständlichkeit abverlangt wird, kommen zwar vor, sind aber eher die Ausnahme. 306 Wobei auch im öffentlichen ± und nicht allein im politischen ± Diskurs die Zahl der Seiten der Expertise respektive die Regalmeter der ausgedruckten empirisch erhobenen Daten als Qualitätsindikator dienen. 307 Der Rekursivität des Politik-via-Administration-Wissenschaftsverhältnisses durch die Beauftragung neuer Studien auf Grundlage alter Studien als prinzipiell infiniter Regress (da eine ein Thema behandelnde Studie durch eine oder mehrere Teilthemen umfassende Nachfolgestudie abgesichert oder diversifiziert werden muss) wird vielfach lediglich durch ein nachlassendes öffentliches Interesse, die Begrenztheit finanzieller Mittel (wodurch Opportunitätskosten wirksam werden, Studie A kann nur dann beauftragt werden, wenn Studie B nicht vergeben oder verschoben wird), persönliche Zerwürfnisse zwischen Politiker/Bedienstetem und Wissenschaftler, Tod, Abberufung u.ä. beendet. 308 Merton (1987) zufolge nimmt Wissenschaft in der Regel Nicht-Wissen als Vorstufe des Wissens als spezifiziertes Nicht-Wissen bzw. als Noch-Nicht-Wissen war. Nicht-Wissen, das weder spezifisch ist, noch sich im Forschungsgegenstand dem Forschenden verschließt, wird häufig ausgeblendet. Diese Arten wissenschaftlichen Nicht-Wissens wiederum können durch ÄMedien, soziale Bewegungen oder politische Institutionen thematisiert werden³ (Böschen 2005: 247).
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Risiken³309 (Fischer 2005: 111) dominiert ist. Das daraus erwachsende Expertendilemma erläutern Funtowicz/Ramirez (1990) landschaftsrelevant am Beispiel des anthropogenen Klimawandels: Aufgrund der komplexen und vielfach rückgekoppelten Mechanismen der Stabilisierung der Temperatur der Erdatmosphäre bei gleichzeitig Jahrzehnte dauernden Standardmessperioden (Klimadaten werden in 30-jährigen Beobachtungsintervallen gewonnen) treffen die Prognosen der Expertinnen und Experten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu. Ein öffentlicher Legitimitätsverlust der Wissenschaft ist wahrscheinlich: Wird die Gefahr der globalen Erwärmung verdeutlicht, und es treten innerhalb kürzerer Zeit keine Veränderungen auf, gilt die Prognose als unnötig alarmierend, wird seitens der Wissenschaft auf einen Rat verzichtet, gerät sie in Kritik, sie käme ihrer öffentlichen Verpflichtung nicht nach (Weingart 2001)310. 6.6.2 Landschaft, Macht und Administration Legislative und Exekutive311 stützen ihre Entscheidungen hinsichtlich der Gestaltung von Landschaft und ihre Entscheidungen, die landschaftsspezifische Nebenfolgen aufweisen, in den seltensten Fällen auf eigene sachbezogene Reflexionen oder Erkenntnisse. Vielmehr werden bereits wesentliche Auswahlen von Alternativen für Entscheidungen (fachlich, aber nicht demokratisch legitimierten) Expertengremien und ausführenden Organisationen überantwortet (Burckhardt
309
Definiert die klassische Risikoformel Risiko als Produkt von Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit, versteht Fischer (2005: 111) unter Ähypothetischen Risiken³ jene Risiken, Äbei denen sowohl Schadensausmaß als auch Eintrittswahrscheinlichkeit unbekannt sind³. 310 Das Expertendilemma, also das Wechselspiel von Expertise und Gegenexpertise (Nennen/Garbe 1996), wird von der Seite der Naturwissenschaft nicht als nicht-intendierte Selbstinfragestellung (im Sinne von Beck 1986) oder als Zeichen des Bedeutungsgewinns des Nicht-Wissens (im Sinne von Nowotny 2005) interpretiert, sondern als Versagen (ob aus Unfähigkeit oder Unwillen) der Entscheider und Fachverständigen, Ãdie wissenschaftliche Wahrheit¶ korrekt umzusetzen ± so vielfach auf der ÄFachtagung am 30. Oktober 2007 im Umweltforum Berlin zu Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel³ seitens der Naturwissenschaftler geäußert. Das Argumentationsmuster seitens der Klimatologen zeigte sich Änoch ganz vom Aufklärungsmuster der Naturwissenschaftler geprägt, etwa nach dem Motto: ÃWir wissen, wo es lang geht, und zunächst müsst ihr erst einmal auf ein Mindestniveau von wissenschaftlichem Wissen kommen, dann können wir weiter reden¶³ (Nowotny 2005: 40). Bezeichnenderweise wurde auch gegenüber den universitären Vertretern der Raumordnung seitens der Naturwissenschaftler zwischen ÃWissenschaftlern¶ und ÃPlanern und Politikern¶ unterschieden. 311 Von Arnim (2007: 271) stellt fest, dass auch auf der Seite der Politik das Eigeninteresse gegenüber dem Gemeinnutz dominiert. Dies geschehe nicht (immer) durch das Brechen von Gesetzen, vielmehr hätten sie dies Ägar nicht nötig, weil sie die Gesetze selbst machen, und zwar in ihrem Sinne³.
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1978a, Beck 1997)312. Gemäß dem klassischen ± vielfach bis heute als Modell des Wissenschaft-Politik-Verhältnisses vorherrschenden ± dezisionistischen Modell gelten also Planung und Entscheidung313 als voneinander getrennt (Burckhardt 1974: 72-73)314: ÄDie Regierung erteilt Aufträge, Forschungsaufträge oder Projektierungsaufträge, an den Fachmann; der Fachmann trägt die Resultate seiner Forschung oder seine alternativen Entwürfe der Regierung vor; die Regierung entscheidet, was ausgeführt werden soll ± so das Credo³.
Die Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Politik wird dabei im Rückgriff Äauf die rhetorische Figur der dichotomen Entscheidung von ÃFakten¶ und ÃWerten¶³ (Pregernig 2005: 272) vollzogen. Diese strikte Trennung von (gesellschaftlichen) Werten und (wissenschaftlichen) Fakten315 wurde in den vergangenen Jahren von politik- und sozialwissenschaftlicher Forschung in Frage gestellt (Pregernig 2005: 272). Faktisch ist der Prozess von Entscheidung und dessen Vorbereitung weniger in der beschriebenen Form strukturiert. Der im Folgenden behandelte, sich durchdringende Prozess von Beratung, Delegation und Entscheidung im Verhältnis von Politik und unterschiedlichen Expertinnen und Experten zeigt in Bezug auf Landschaft, wie deutlich das dezisionistische Modell
312
Diese Delegation fand bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts durch die Integration von akademisch ausgebildeten Personen in die Verwaltung, wo sie einen ressortbezogenen Fachverstand entwickelten ± mit Macht- und Loyalitätskonflikten ± statt. Mit zunehmender Spezialisierung der Wissenschaft, der zunehmenden Komplexität der gesellschaftsinternen und -externen Bezüge hat sich eine solche Rekrutierung von Wissen als nicht ausreichend erwiesen (Weingart 2003: 90): ÄSeither bedarf es des spezifischen Zugriffs auf wissenschaftlichen Sachverstand³. 313 Schimank (2006: 58) verweist auf die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung von Entscheidungen und diagnostiziert die Gesellschaft der Gegenwart als ÄEntscheidungsgesellschaft³. Immer mehr ÄHandlungen in sämtlichen gesellschaftlichen Teilbereichen³ geschehen entscheidungsförmig oder haben so zu geschehen. Dabei sind Entscheidungen Äsolche Handlungen, die das immer gegebene Alternativenspektrum nicht ± wie traditionales, routineförmiges oder spontan emotionales Handeln ± verdrängen, sondern umgekehrt sondieren und die schließlich gewählte Alternative im Hinblick auf die nicht gewählten Alternativen relativieren³, da Entscheidungen ihre eigene Kontingenz thematisierten. 314 Habermas (1964) grenzt drei Modelle des Verhältnisses von ± in diesem Falle administrativ gebundener ± Wissenschaft und Politik ab: Erstens, im dezisionistischen Modell gilt die Politik als Repräsentantin der Werte, deren Aufgabe in der Zielbestimmung besteht, während die Wissenschaft instrumentelles Wissen zur Zielerreichung liefert. Zweitens, im technokratischen Modell wird die Wissenschaft zum zentralen Entscheidungsträger, da sie die (vermeintlich) besten Wege der Entscheidungsfindung innehat. Drittens, im pragmatischen Modell stehen Wissenschaft und Politik in einem diskursiven Wechselverhältnis, in dem Wissen und Werte aufeinander bezogen werden können. 315 Die Problematik im Umgang mit Fakten charakterisiert Karin Knorr Cetina (2002b: 17) treffend wie folgt: Fakten sind Änicht der Fels [«] auf dem unser Wissen aufbaut. Fakten sind vielmehr problematisch und haben die Tendenz, sich in nichts aufzulösen, sobald man sie genau betrachtet³.
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insbesondere durch das technokratische und bisweilen auch das pragmatische Modell in Bezug auf den politischen Umgang mit Landschaft dominiert wird. Die Delegationen der Entscheidung(svorbereitung) lassen sich als Staffelungsprozesse charakterisieren. Sie stellen als Entlastungsmechanismen eine Delegation von Teilfunktionen dar und verschieben die Konfliktrisiken, zum Beispiel zwischen den Interessen der Landwirtschaft, auf neue Konfliktlinien, beispielsweise nachgeordnete Behörden, die mit der Ausweisung von Schutzgebieten betraut sind (vgl. Burckhardt 1967, Popitz 1992). Herr ist also, Äwer es sich leisten kann, die Drecksarbeit von anderen erledigen zu lassen. Oder für die Hervorbringung neuen Machtwissens Stäbe zu beschäftigen³ (Paris 2003a: 22)316. Dabei entstehen den Personen der mittleren Stufen der offiziellen (Amts-)Hierarchie erhebliche Autoritätspotenziale, die aus der Art der Erledigung der ÄDrecksarbeit³ (Paris 2003a: 22) resultieren. Das Autoritätspotenzial in den mittleren und unteren Ebenen der Offizialhierarchie wird durch dessen Linienaufbau noch ausgeweitet (vgl. Burckhardt 1967): Eine intensive Auseinandersetzung mit den 316
Die Ausübung von Macht und Herrschaft in sozialen Figurationen mit unterschiedlichem Landschaftsbezug lässt sich in unterschiedlichen Typen der formalen und personalen Autoritätsfigurationen, wie sie Sofsky/Paris (1994) empirisch ermittelt haben, nachweisen: 1. Die Amtsautorität einer Person definiert sich an den offiziellen Befugnissen einer Position. So übersteigt das Machtpotenzial eines für landschaftliche Fragen zuständigen Ministers eines Bundeslandes zur Definition und Durchsetzung eines normativen angeeignet-physischen landschaftlichen Zustandes jenes eines Sachbearbeiters einer nachgeordneten Behörde, der letztlich das politisch definierte Geflecht von rechtlichen Normen hinsichtlich dieses Soll-Zustandes zu exekutieren hat. 2. Organisationsautorität ergibt sich aus der erfolgreichen Organisation von Arbeitsabläufen. Unter Organisieren verstehen Sofsky/Paris (1994: 69) die Fähigkeit, Ädurch Zusammenführen, Anleiten durch Lenkung³ zu führen, also die Tätigkeit von Mitarbeitern so zu organisieren, dass diese weder über- noch unterlastet sind. 3. Die Sachautorität bezieht sich auf die Inkorporation kulturellen Kapitals. Sachautorität hat jemand, Äweil andere ihm ein überlegenes Fachwissen attestieren, das für die Aufrechterhaltung des normalen Arbeitsablaufs unerlässlich ist³ (Sofsky/Paris 1994: 51). Insbesondere in Ausnahmesituationen muss dieses inkorporierte kulturelle Kapital abrufbar sein. Sachautorität kann dabei nahezu unabhängig von der Position auf der offiziellen Hierarchie ausgeprägt sein. Sachautorität kann ein Sachbearbeiter aufgrund seiner dezidierten Kenntnisse regionaler Tier- und Pflanzenarten erwerben wie ein Abteilungsleiter. 4. Die Funktionsautorität bzw. operationelle Autorität bezieht sich auf die erfolgreiche Organisation von Prozessen. Funktionsautorität genießen Personen, die in der Lage sind, allgemeine Ziele in operationalisierbare Arbeitseinheiten zu operationalisieren, eine Aufgabe, der insbesondere die mittlere Führungsebene in größeren Organisationen obliegt. Bei dem Beispiel der Landesministerien sind dies diejenigen Personen, die die allgemeinen Vorgaben des Ministers zur Landschaftsentwicklung in Förderungsprogramme und rechtliche Regelungen umsetzen. 5. Auch durch Charisma lässt sich Autorität erzeugen. Durch persönliche Ausstrahlung und Statur können Führungsaufgaben erfolgreich wahrgenommen werden. Diese Art von Autorität hat eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Herstellung von Gruppenkohärenz. Charismatische Autorität kann prinzipiell auf allen Ebenen der offiziellen Hierarchie auftreten, wird jedoch von mindercharismatischen Vorgesetzten mit Argwohn beäugt.
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Konzepten der Landschaftsexperten und deren Umsetzung findet durch demokratisch legitimierte Organe aufgrund zeitlicher Restriktionen nicht oder nur in Ausnahmefällen statt. Die Definition von erhaltenswerter Landschaft mit dem Instrumentarium von Schutzgebieten, Denkmalschutz, Agrarförderung etc. ist weder mit den Beherrschten noch mit deren Repräsentanten in Legislative und Exekutive oder der Judikative rückgekoppelt ± zumal Rechtgrundlagen de facto durch jene Expertengruppen erarbeitet werden, die sie zur Anwendung bringen (Kühne 2006c)317. Nebenfolge der (notwendigen) Transmission ist jedoch eine Implementierung eigener Interessen in den Prozess der Transmission318. Sofsky/Paris (1994: 164) weisen darauf hin, dass diese Vertretung der Delegierten, hier der Landschaftsexperten, nicht in deren Neigung zum Verrat gründete, Äsondern in ihrer ambigen Mittelstellung, in der sie sich auf Dauer nur halten können, wenn sie sich selbstständig nach allen Seiten verhalten³. Ein wesentliches Merkmal der eigene (Macht)Interessen verfolgenden planenden Landschaftsexperten ist die Taktik der Konstruktion von ÃSachzwängen¶, die ± häufig unter Einbindung externer Expertinnen und Experten ± in (scheinbare) Fremdzwänge transformiert werden. So sei ± gemäß Burckhardt (1982: 106) der Diskurs der Planerinnen und Planer darauf ausgerichtet, Ädie Freiheitsgrade, da wo sie vorhanden sind, zu kaschieren und auf jene Stellen hinzuweisen, wo Entscheidungsfreiheit fehlt, und dieses Fehlen als ÃSachzwang¶ zu bejammern³. Eine sachgerechte Evaluation und Revision der in dieser Form vorentschiedenen Planung durch demokratisch legitimierte Gremien oder die Bürgerinnen und Bürger selbst ± ist aufgrund der Ermangelung des planerisches Codes ± nicht oder nur schwer möglich319. Landschaftsexperten definieren landschaftliche Soll-Zustände, von denen durchzuführende Maßnahmen abgeleitet werden ± wobei die Rechtfertigungsbedürftigkeit (Popitz 1992) bei der Machtanwendung bei der Maßnahmendurchfüh317
Bereits im Jahr 1922 beschrieb Mosca die Klasse von fachverständigen Experten ± Mosca sprach von Technokraten ± als eigentlich Äherrschende Klasse³. Sowohl die Herrschenden als auch die Beherrschten seien ± so Mosca (1992) ± auf diese Klasse angewiesen, schließlich gewährleistete diese Klasse der Delegierten die spezifische strukturelle Transmission von Herrschaft, ohne die eine geordnete Kommunikation zwischen Herrschern und Beherrschten nicht möglich sei (vgl. auch Tamayo 1998). 318 Tänzler (2007: 114) stellt fest, dass der ÄAkt der Machtausübung [«] in der Nomination eines Repräsentanten, an den die Macht in einem zweiten Ritual der Inauguration übergeben wird³, ein Akt ist, der die Enthebung des Repräsentanten aus der alltäglich-Ãrealen¶ Wirklichkeit symbolisiert. 319 In seiner Studie zu der Errichtung von Verkehrswegen und der Entwicklung von Landschaft in Deutschland zwischen 1930 und 1990 hat Thomas Zeller (2002: 411) auf die Verschiebung des Äideologischen Gehaltes der untersuchten Trassen³ vom Äpolitisch aufgeladenen, mythisch inszenierten und die Aneignung der Natur einschließenden Bauprojekt einer Diktatur zu einer vorgeblich politikfernen Sphäre der raschen, ungehinderten Zirkulation von Gütern und Personen unter der Vorherrschaft akademisch gebildeter Experten³ (ähnlich hierzu Illich et al. 1979, Dingler 1998) hingewiesen.
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rung häufig indifferent und intransparent sowie für Laien häufig schwer nachvollziehbar bleibt (z.B. das gezielte Auffinden von geschützten Flechtenarten auf geplanten Trassen von Bundesstraßen ± wobei eine flächendeckende Kartierung dieser Flechten unterbleibt). Neben durch die sekundäre Landschaftssozialisation und durch Berufspraxis erworbenen Handlungsmustern existieren auch andere problematische Bezüge zwischen Experten und Laien: So stehen einer demokratischen Planungskultur Ädie mittelständische Ideologie der PlanerInnen, die unreflektierten Mythen der Intuition und die ideologische Unterteilung in Ziele und Mittel³ (Fezer 2006: 13) als Haupthindernisse entgegen. Die Legitimierung der Expertinnen und Experten (sowohl auf der Fach- als auch auf der Sachebene) trägt stark selbstreferenzielle Züge: Diese Ordnung erscheint den Privilegierten zunächst selbst legitim; die Anerkennung vollzieht sich nach dem ÄGegenseitigkeitsprinzip in einem Austauschprozess der Privilegierten untereinander³ (Popitz 1992: 198; Hervor. im Original). Die Legitimität, den lokalen Gesellschaften Nutzungseinschränkungen aufzuerlegen, wird in einem gegenseitigen Bestätigungszirkel von (Landschafts-)Experten hergestellt, wobei die Sachexperten außerhalb der öffentlichen Verwaltung (oder anderer Institutionen und Organisationen) von den Fachexperten innerhalb der betreffenden Organisation beauftragt werden, um die gemeinsame ± seltener explizit oder häufiger implizit (durch die gemeinsame in der sekundären Landschaftssozialisation habitualisierte) ± im Vorfeld implizit (durch die Werte und Normen eines gemeinsamen fachlichen Paradigmas) oder explizit (durch Absprachen)320 konsensual validierte Position zu bestätigen. Diese Absprachen dienen dazu, den ÄRationalitätsmythos³ (Walgenbach 1999: 66)321 als Mittel eines Ausschlussmechanismus ungewollter Kontingenzen bei Entscheidungsvorlagen einzusetzen. Je größer die Diskrepanzen der Empfehlungen von Experten einer Profession (z.B. eines Kulturlandschaftspflegers und eines Sukzessionisten) oder unterschiedlicher Professionen (z.B. eines Biologen und eines Landschaftsarchitekten), Ädesto schwächer institutionalisiert ist eine Rationalitätsfiktion³ (Schimank 2006: 72) und desto größer ist die Verantwortung des Entscheiders für seine Entscheidung, da er diese Verantwortung nicht wirksam delegieren konnte. Somit entsteht eine Kongruenz des Interesses von Entscheider (hier Politiker), Fachverständigem (Mitarbeiter der Administration, z.B. Referatsleiter ÃLandschaftsplanung¶) und Sachverständigem (externem Wissenschaftler, z.B. Professor für Geographie), eine einheitliche (das
320
Diese Absprachen wiederum sind geprägt durch ein Machtgefälle zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. 321 Walgenbach (1999: 66) definiert ÄRationalitätsmythen³ als ÄMythen in dem Sinne, dass ihre Möglichkeit und Wirksamkeit von einem geteilten Glauben an sie abhängt, sie also nicht einer objektiven Prüfung unterzogen werden können³.
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heißt von vorne herein abgestimmte) Position zu finden322 (vgl. hierzu Dingler 1998).
Abbildung 33:
Dominiert in der traditionellen Theorie die Vorstellung, die Theorien seien aus den empirischen Ergebnissen generiert (Fall a), liegt die Lösung für das Problem eines Experimentes ± gemäß den Vorstellungen der Kritischen Theorie ± darin, Äes als Resultat zweier Kräfte zu betrachten, von denen die eine den Beitrag der empirischen Welt darstellt, die andere den eines gegebenen Glaubenssystems³ (Latour 2002: 162, Fall b)323. Die Maßgabe der Erzeugung von politisch umsetzbaren (in der Regel opportunen) Aussagen bedeutet bei anwendungsbezogener Forschung eine dritte Kraft auf die resultierende Aussage (Fall c)324 (In Anlehnung an: Horkheimer 1977 ± zuerst 1937, Habermas 1982, Latour 2002).
Die Verschiebung des Modus der Wissensproduktion von Modus 1 zu Modus 2 koevolutioniert mit der Verschiebung des Machtpotenzials der Parteien der Sachverständigen, Fachverständigen und Politiker: War der Sachverständige in der Zeit von Modus 1 existenziell und hinsichtlich seines sozialen Status in seinem Urteil weitgehend unabhängig von Fachverständigen und Politikern, wird er in der Zeit der Wissensproduktion nach Modus 2 vielfach existenziell wie auch hinsichtlich seines sozialen Status von Drittmittelgebern ± im Bereich der Land322
Hierbei sind mehrere Konstellationen der Abstimmung denkbar: 1. mit allen Beteiligten, was einen reibungsarmen Vollzug der Transformation von Wissen zu Macht verspricht , 2. zwischen Entscheider und externem Sachverständigen ± der Fachverständige dient nur als Abwickler, wobei dieser durch Ausnutzen seiner Amtsmacht den Abstimmungsprozess erschweren kann. 3. zwischen Fachverständigem und Sachverständigem und der Entscheider wird erst später einbezogen, mit dem Risiko, dass dieser die Expertenempfehlung aufgrund alternativer (z.B. politischer) Rationalitäten nicht befolgt. 323 Habermas (1982: 36-37) verweist darauf, dass als Basis für die Entscheidungen über die Interpretation empirisch gewonnener Daten bereits die Prüfung von bestimmten Normen vorausgesetzt ist. Es genüge nicht, Ädas spezifische Ziel einer Untersuchung und die Relevanz einer Beobachtung für bestimmte Annahmen zu kennen; vielmehr muss der Sinn des Forschungsprozesses im ganzen verstanden sein, damit ich wissen kann, worauf sich die empirische Geltung von Basissätzen überhaupt bezieht³. 324 Einstellungen hingegen sind ± in dem Paradigma der traditionellen Theorie ± für die Entstehung wissenschaftlichen Wissens ± da dieses als objektiv angesehen wird ± ohne Bedeutung (vgl. Horkheimer 1937).
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schaft in der Regel von der öffentlichen Hand, also faktisch von Fachverständigen und Politikern ± abhängig: Im Rahmen der Drittmittelfinanzierung von Forschungsprojekten sind Sachverständige nur für die Projektlaufzeit eingestellt, also stets auf Verlängerung der Projekte bzw. neue Projekte angewiesen, und der soziale Status eines Hochschullehrers bemisst sich neben seiner durch Publikationen nachgewiesenen Forschungstätigkeit und der Qualität der Lehre in landschaftsbezogenen Fächern insbesondere an der Einwerbung von Drittmitteln (was auch in Ausschreibungen für Professuren in Anforderungsprofilelementen wie Äeinschlägige Forschungserfahrung (einschließlich Einwerbung von Drittmitteln)³ explizit wird). Die Folge für die wissenschaftliche Aussage, die im Modus 1 nur zwischen empirischen Befunden und den herrschenden Einstellungen und Theorien abzustimmen war, ist im Modus 2 die Abstimmungsbedürftigkeit auch hinsichtlich der politischen Opportunität von Aussagen (Abbildung 33)325, sofern die Forscherin bzw. der Forscher nicht mit Drittmittelentzug sanktioniert werden will: Erscheint eine Art der Modifikation von angeeigneter physischer Landschaft politisch nicht opportun, wird sie nicht untersucht, entweder weil sie nicht beauftragt wird, oder weil der Beauftragte bereits im Vorfeld der Auftragsverhandlungen eine Befassung verwirft (vgl. auch Dingler 1998)326. Letztlich lässt sich die Definition von landschaftlichen Soll-Zuständen durch Experten und deren Durch- und Umsetzung durch Experten als oligarchisch-korporatistischer327 Herrschaftsdiskurs auf Grundlage der symbolischen Gewalt des Staates beschreiben. Der Zusammenhang von Landschaft und Macht lässt dabei Ausdrücke aller Dimensionen von Macht zu (vgl. Kühne 2006c): 1. Die Daten setzende Macht manifestiert sich unter anderem in der Definition von landschaftsbezogenen Standards (wie z.B. der Auswahl von Rote-ListeArten) deutlich, aber auch in der zunehmenden Fähigkeit des Menschen, durch technische Hilfsmittel Landschaften nach seinen (symbolisch Macht vermittelnden) Vorstellungen zu erschaffen (z.B. die Palmen-Insel in Dubai) oder zu verändern (Folgelandschaften des Braunkohletagebaus). Dies 325
Latour (2002: 211; Hervorh. im Original) weist darauf hin, dass im antiken Griechenland eine Unterscheidung gepflegt wurde zwischen dem geraden Pfad der Vernunft (episteme) und dem Äkrummen und raffinierten Pfad technischen Know-hows, metis³. Durch die öffentliche Hand finanzierte Forschung mit dem Ziel der Generierung von Handlungsempfehlungen ist somit eher dem Bereich der metis zuzurechnen. 326 Weist beispielsweise eine Forscherin bzw. ein Forscher entgegen dieser Opportunitätserwägungen zu deutlich auf mögliche Folgen unzureichender Maßnahmen des Grundwasserschutzes hin, läuft er Gefahr, bei weiteren Drittmittelprojekten seitens der öffentlichen Auftraggeber nicht mehr berücksichtigt zu werden. Aufgrund des Widerspruchs zu rechtlichen Regelungen der öffentlichen Ausschreibung werden diese Zusammenhänge allerdings in der Regel nur unmittelbar beteiligten Personen bekannt. 327 Auf die korporatistische Struktur des Herrschaftsdiskurses wird in Abschnitt 6.7 genauer eingegangen.
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führt Popitz (1992: 30) am Beispiel der Siedlungsentwicklung aus: ÄDie Planer und Entwerfer einer neuen Siedlung entscheiden über die Lebensbedingungen, über Freiräume und Zwänge vieler Menschen. Sie erbauen Welten für andere³, indem sie durch die explizite Ausweisung von Funktionsgebieten auch implizit zur Segregation von Bevölkerung (insbesondere nach Einkommen, aber auch Ethnien) beitragen (Duncan/Duncan 2004). 2. Die autoritative Macht manifestiert sich in der Inkorporierung von landschaftlichen Konzepten in der sekundären, aber auch in der primären Landschaftssozialisation. Beispielsweise in dem (zur Sakralisation neigenden) Konstrukt einer Äökologisch intakte[n], naturnahe[n], schöne[n] Landschaft³ (Wöbse 1991: 34), hier in dem Konstrukt der Ãschönen¶ Landschaft. 3. Die instrumentelle Macht manifestiert sich beispielsweise in der Ausweisung von Schutzgebieten mit ihren Nutzungseinschränkungen, aber auch in der Enteignung328. 4. Die Aktionsmacht manifestiert sich zum Beispiel in der polizeilichen Durchsetzung der Einschränkung von Nutzungsrechten in Schutzgebieten. Die administrative Durchsetzung der von Expertinnen und Experten definierten Soll-Zustände lässt sich auf zwei Machtmethoden zurückführen: Erstens, lassen sich mithilfe der Drohung landschaftliche Soll-Zustände durchsetzen. Dabei ist Drohen stets Ädas bedingte Androhen einer Strafe, die der Drohende selbst veranlassen oder ausführen kann, falls der andere an seinem Widerstand festhält³ (Paris 2003b: 39). Bei der Nutzung der Drohung als Methode der Durchsetzung des eigenen Willens in einer gegebenen Situation legt sich der Drohende fest und bindet sein weiteres Handeln zugleich an die Reaktion des anderen. Drohungen sind ± sofern sie Erfolg haben ± hinsichtlich des Einsatzes symbolischen Kapitals billig, und teuer, sofern sie fehlschlagen (vgl. Schelling 1960). Das Betretungsverbot eines Naturschutzgebietes bei Androhung einer Geldbuße beispielsweise, ist nur dann wirksam, wenn bei Zuwiderhandlung die Geldbuße auch eingetrieben wird, was wiederum an eine verstärkte Überwachung des Gebietes und hohe Verwaltungskosten bei dem Eintreiben der Geldbuße gekoppelt ist. Andererseits senkt eine Übertretung des Betretungsverbots bei ausbleibender Strafe die Glaubwürdigkeit der das Betretungsverbot verhängenden Stelle. Zweitens, lassen sich auch mithilfe von Anreizen landschaftliche Soll-Zustände durchsetzen. Anreizsysteme überwinden die negative Einstellung des Gegenübers Ädurch das InAussicht-Stellen von Belohnungen und Gratifikationen und kehren damit die Ressourcenökonomie des Machteinsatzes im Vergleich zu Drohungen geradezu um³ (Paris 2003b: 41), denn bedingte Versprechen sind dann billig, wenn das 328 Schneider (1989: o.S.) bezeichnet die Enteignung als ÄArbeitsergebnis und Ideologie der Landespflege³, da aus dem Kalkül der Sicherstellung für die (eigenen) Naturschutzzwecke gegen die Interessen der Grundeigentümer vorgegangen werde.
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Angebot angenommen wird, und teuer, wenn es abgelehnt wird. Grundsätzlich können Anreizsysteme die Loyalität der Mindermächtigen stärker binden als Drohungs-Bestrafungs-Systeme, jedoch bergen Anreizsysteme durchaus Schwierigkeiten: Sobald Gratifikationen zur Gewohnheit geworden sind und die Ressourcenbasis des Mächtigeren schwindet, können bereits geringe Einschränkungen der Gratifikationshöhe ein erhebliches Konfliktpotenzial bieten (vgl. Paris 2003b). Als landschaftsbezogenes Beispiel seien hier die unionseuropäischen Agrarsubventionen genannt: In den 1950er und in den 1960er Jahren hatten sie das Ziel, die Produktion von Nahrungsmitteln in Westmittel- und Westeuropa zu steigern, um die Versorgung der Bevölkerung zu angemessenen Preisen sicherzustellen329. Infolge der Überproduktion seit den 1970er Jahren wurde mit der sogenannten Agenda 2000 des Jahres 1999 und deren Fortsetzung und Beschleunigung infolge der Halbzeitbewertung der Programmplanungsperiode 1999 bis 2006 im Jahre 2003 eine mittelfristige Verringerung und Umstrukturierung der Agrarsubventionen beschlossen 330 ± unter in Teilen vehementem Prostest der Landwirtschaftsverbände331. 329
In den Römischen Verträgen (Konferenz von Stresa 1958) sind für die Landwirtschaft die Artikel 38 bis 47 von zentraler Bedeutung. Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach Artikel 39 sind (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1957): die Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren; - die Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der landwirtschaftlichen Bevölkerung; - die Stabilisierung der Märkte; - die Sicherstellung der Versorgung; - die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen. 330 Wesentliche Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) seit den Römischen Verträgen lassen sich zeitlich wie folgt einordnen (Europäische Union 2006): 1960 ± Einführung des Abschöpfungs- und Erstattungssystems zwischen der EWG und Drittländern; 1962 ± Verordnung über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik (Schaffung eines Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft ± EAGFL); Inkrafttreten des gemeinsamen Getreidepreises und freier Warenverkehr innerhalb der EG für Getreide und getreideabhängige Veredlungserzeugnisse (Schweinefleisch, Eier, Geflügelfleisch); 1992 ± Verabschiedung der Reform der GAP durch den Rat mit erheblichen Preissenkungen bei Getreide und Rindfleisch und Ausgleichszahlungen für die entstandenen Einkommensverluste, Förderung von Marktmechanismen und Maßnahmen des Umweltschutzes; Sicherung der Einkommen insbesondere durch Direktzahlungen; Stilllegung von Flächen zur Entlastung der Märkte; 1993 ± Einigung der EG und der USA auf einen Landwirtschaftskompromiss über die zukünftigen Agrarhandels- und Agrarsubventionspolitiken im Rahmen der GATT-Verhandlungen (UruguayRunde); Inkrafttreten des Europäischen Binnenmarktes; 1995 ± Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) als Nachfolgeorganisation des GATT; 1999 ± Einigung der Staats- und Regierungschefs der EU auf dem Gipfeltreffen in Berlin über die Agenda 2000 (Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch Preissenkungen, Einführung der Politik für den ländlichen Raum, Weiterentwicklung der Umweltmaßnahmen, Maßnahmen zur Sicherstellung der Lebensmittelqualität);
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6.7 Landschaft, soziales Kapital und Macht Die Sicherung des inkorporierten, aber auch des institutionalisierten und objektivierten kulturellen Kapitals seitens der Landschaftsexperten, als Teilmenge der ÄIntellektuellen der Staatsapparate³ (Ó Tuathail 1996: 61) als Produzenten von gesellschaftlicher Landschaft, erfolgt durch den Aufbau von dauerhaften, mehr oder minder institutionalisierten Netzwerken gegenseitigen Kennens und Anerkennens. Es handelt sich also um Ressourcen, Ädie auf der Zugehörigkeit einer Gruppe beruhen³ (Bourdieu 1983: 63), also um soziales Kapital. Zu den minder institutionalisierten Netzwerken zählen ritualisierte Gespräche über bekannte Expertenkollegen im Zusammenhang mit der Netzwerkerweiterung sowie Stammtische und informelle Gespräche am Rande von Fachtagungen und -konferenzen. Expertinnen und Experten der unterschiedlichen Professionen des Umgangs mit Landschaft verfügen also über eine erhebliche Privilegierung hinsichtlich der Generierung und Verteilung von Informationen. Sie haben ± im Vergleich zu Nicht-Experten (aber auch unorganisierten Experten) ± Ädie größere Chance, sich schnell und wirkungsvoll zu organisieren³ (Popitz 1992: 191). Gegenüber Nicht-Experten (und unorganisierten Experten) ist ihr gemeinsames Interesse Änicht notwendig intensiver, aber organisationsfähiger³ (Popitz 1992: 191; Hervorh. im Original). 6.7.1 Soziales Kapital im akademischen Diskurs um Landschaft Die Struktur des akademischen Feldes ist ± Bourdieu (1992a: 213) zufolge ± Änichts anderes als der zu einem jeweiligen Zeitpunkt vorliegende Stand des Kräfteverhältnisses zwischen den Akteuren, oder, genauer, zwischen den Machtformen, über die sie jeweils persönlich und vor allem unter Vermittlung der Institutionen verfügen, denen sie angehören³. Dieses Kräfteverhältnis rekrutiert sich ± wie bereits angemerkt ± aus der Verfügbarkeit symbolischen ± insbesondere sozialen ± Kapitals. Die landschaftsbezogenen Wissenschaften Geographie, 2003 ± Mid-term-Review als Fortsetzung und Beschleunigung der Agenda-2000-Reformen bei gleichzeitiger Begrenzung der EU-Agrarausgaben (Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion und Bindung an die Erfüllung von Umweltauflagen). 331 Ein Beispiel hierfür, eine Presseinformation des Thüringer Bauernverbandes (2002), in dem folgende Äußerungen gemacht werden: ÄEs kommt einer Kriegserklärung Fischlers [dem damaligen europäischen Agrarkommissar; Anm. O.K.] an die hiesigen Agrargenossenschaften gleich, wenn dieser die Frage stellt: ÃWollen wir die alten, aus der kommunistischen Ära stammenden Strukturen konservieren ± oder ist es nicht sinnvoller, dass ein 5 000 Hektar großer Betrieb aufgeteilt wird und wir mehreren Bauernfamilien eine Chance geben?¶ Was Fischler eine Chance für mehrere Bauernfamilien nennt, wäre zugleich ein Ruin für viele andere Bauernfamilien einer Agrargenossenschaft. Solchen Plänen setzt der Thüringer Bauernverband seinen energischen Widerstand entgegen. [«]³.
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Landschaftsplanung und -architektur, aber auch die Soziologie, nehmen in der Strukturierung der Wissenschaften nach Bourdieu (1992a) eine Stellung zwischen den theoretisch reinen naturwissenschaftlichen und philosophischen Disziplinen ein und sind durch Praxis, Anwendungsbezogenheit, Empirie und theoretische Unreinheit bestimmt (Abbildung 34). Schneider (1989: 3) charakterisiert in ihrer feministisch-psychonalytisch begründeten Studie ÄDie Liebe zur Macht ± über die Reproduktion der Enteignung in der Landespflege³ die Landespflege332 in Rückgriff auf den Adornoschen (1987) ÄJagon der Eigentlichkeit³ als unverstandene Disziplin, die daran kranke, das ihre Vertreter sie nicht verstünden und sich daher in einem Jargon Äder religiösen Verheißungen mit bösartigen Wirkungen³, insbesondere Enteignungen, entpuppten, die mit der ÄBasisprojektion der Landespflege³, nämlich der Ä(Wieder)Herstellung des verlorenen Paradieses³ (Schneider 1989: 4) einherginge333, eines durchaus kulturhistorisch bedingten Motivs der Garten- und Landschaftsgestaltung, das ± so Schneider (1989: 30) ± den Charakter einer ÄErlösungsreligion³ annehme, die mit dem, durch soziale Exklusivität als Akkumulation sozialen Kapitals der Fachgemeinschaft entstehenden, Ämoderne[n] Version der Unfehlbarkeit³ (Paris 1998a: 114) zu einer modernen Ersatzreligion amalgamiert. Dabei wird Landschaft als weibliches Objekt und der Landschaftsgestalter als männliches Subjekt rekonstruiert (ähnl. Weber 2007). Stark institutionalisierte Netzwerke sind Berufsverbände. Ein Beispiel hierfür ist der Bund Deutscher Landschaftsarchitekten (BDLA 2006b), der seine Aufgaben wie folgt beschreibt: ÄDer bdla betreibt Öffentlichkeitsarbeit für die Profession, vertritt ihre Interessen und Positionen gegenüber Politik, Verwaltung, Wirtschaft. Neben Aus- und Fortbildung geht es auf Bundes- und Länderebene um die Sicherung und Erweiterung der Aufgabenfelder sowie die Novellierung der Honorarordnung. Der bdla bietet seinen Mitgliedern eine Plattform für den Erfahrungsaustausch untereinander und das gemeinsame fachliche Engagement³.
Deutlich wird neben dem Ziel der korporativen Beeinflussung der Politik im Sinne des Verbandes auch das Ziel des Aufbaus sozialen Kapitals. Die Bildung von Akademien, Bünden, Genossenschaften, Zünften, Innungen und Verbänden trägt neben der Bildung von sozialem Kapital auch zu einer Akkumulation von Macht in der Hand derjenigen bei, die bevollmächtigt sind, die Gruppe zu vertreten und somit als Mittler zwischen Gesellschaft und Exper332
Landespflege lässt sich dabei als Oberbegriff der Disziplinen der Landschaftspflege, des Naturschutzes und der Grünordnung (Buchwald/Engelhard 1978) auffassen. 333 So führt Däumel (1961) zu den Aufgaben der Landespfleger aus: ÄNach den Mythen aller Völker sei die Erde früher ein Garten gewesen, ein Paradies. Unsere Aufgabe sei es nun, dieses verlorene Paradies neu- oder nachzuschaffen³.
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ten zu fungieren (Lahnstein 2000). Diese Macht der Bevollmächtigten, aufgrund des akkumulierten symbolischen Kapitals steht Äin keinem Verhältnis zu seinem persönlichen Gewicht³ (Bourdieu 1983: 68). Diese akkumulierte Macht wird häufig dazu eingesetzt, kontingente Vorstellungen von Entwicklungen ± hier von
Abbildung 34:
Die Stellung der neuen Disziplinen im Kanon der Wissenschaften. (Ergänzt (um Landschaftsplanung und -architektur) nach: Bourdieu 1992a).
Landschaft ± bereits im voröffentlichen Raum zu diskreditieren und somit die Loyalität der Verbandsmitglieder zu steigern. Dabei vermittelt und integriert der Träger der akkumulierten Macht die Relevanzen des Ziels und der Folgenden (Paris 2003b). Einen noch stärken Institutionalisierungsgrad als Verbände weisen Akademien mit Zugangsbeschränkungen auf. Netzwerke mit einem hohen Institutionalisierungsgrad wiederum wirken deutlich auf die Erhaltung des kulturellen Kapitals. In diesen Machtfigurationen sind sie alles andere als frei, denn Äsie unterliegen nicht nur den Bedingungen, die ihnen Organisation und Situation setzen, sondern auch der Grammatik der Macht selbst³ (Sofsky/Paris 1994: 16). So bedeutet Mitgliedschaft in einem Netzwerk, neben einem in der Regel geforderten Mindestumfang an institutionalisiertem kulturellem Kapital, auch die Akzeptanz eines gemeinsamen fachlichen Paradigmenkanons. Dieses wird in der Regel (bei Verbänden) durch Ausschlussregelungen in Satzungen sichergestellt, in Akademien bereits im Vorhinein durch restriktive Auswahlmuster neuer Mitglieder gewährleistet334. Die Aufnahme in den Kreis der Mitglieder ist sowohl bei Netz334
Häufig wird der Zugang zu Akademien auch im Zusammenhang mit einem hierarchisch gegliederten Statusprinzip organisiert: Die Mitgliedschaft der Deutschen Akademie für Landeskunde (DAL 2002) hat beispielsweise Ordentliche Mitglieder, Außerordentliche Mitglieder, Korrespondierende
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werken mit geringem als auch mit hohem Institutionalisierungsgrad mit ÄInstitutionalisierungsriten³ (Bourdieu 1983: 65) verbunden, sie kennzeichnen die wesentlichen Momente der Institutionalisierungsarbeit: Schriftstücke, die den erreichten Status darstellen und im Kurz-Lebenslauf auf der Homepage des Arbeitgebers verzeichnet werden können, feierliche Urkundenüberreichungen, die Einladung zu lange verwehrten internen Fachtagungen dokumentieren solche Momente und dienen dem Loyalitätszuwachs gegenüber der eigenen Profession und ihren Institutionen, die sich auch in der Aufnahme von Zitierkartellen äußert (Hard 1971). Zugleich bedeuten die Institutionalisierungsriten in Gruppen mit reglementiertem institutionellem Zugang (insbesondere Akademien) die Erhebung in einen elitären Status335. Abgesichert werden die Verpflichtungen gegenüber der eigenen Gruppe ± so Bourdieu (1983) ± durch subjektive Gefühle, wie Anerkennung, Respekt, Freundschaft, gegenseitige Zitate oder durch institutionelle Garantien (vgl. Hard 1971). Dabei beruht die Autoritätsbeziehung auf einem zweifachen Anerkennungsprozess (Popitz 1992: 29): ÄAuf der Anerkennung der Überlegenheit anderer als der Maßsetzenden, Maßgebenden und auf dem Streben, von diesen Maßgebenden anerkannt zu werden, Zeichen der Bewährung zu erhalten³. Für die Absicherung bestehender Hierarchien sind also Autoritätsbindungen, die auf dem Bestreben beruhen, von anderen anerkannt zu Mitglieder und Ehrenmitglieder (§ 3 der Satzung der DAL). Während Ordentliche und Außerordentliche Mitglieder bei der Erfüllung der Aufgaben der DAL mitwirken (gemäß § 2 der Satzung der DAL die Förderung der wissenschaftlichen Landeskunde und der geographischen Regionalforschung), sollen Korrespondierende Mitglieder sich an der Arbeit der DAL beteiligen und Ehrenmitglieder sich in herausragender Weise um die wissenschaftliche Landeskunde verdient gemacht haben. Die Exklusivität der DAL wird durch die Beschränkung der Höchstmitgliederzahl an Ordentlichen Mitgliedern auf 25, die geringe Abweichung von den Werten und Normen der Institution durch die Aufnahmekriterien gesichert: Die Aufnahme eines potenziellen Neumitgliedes muss schriftlich (!) durch mindestens drei Mitglieder beantragt werden und der Antrag auf Neumitgliedschaft darf nur von höchstens drei Mitgliedern abgelehnt werden. Diese Regelung ± eine Verpflichtung zur Begründung der Ablehnung von Neumitgliedern kennt die Satzung nicht ± verdeutlicht die Asymmetrie der Machtverhältnisse, die auch eine institutionelle Schließung implizieren kann. Die hierarchische Struktur ist keine Ausnahme im Bereich der landschaftsbezogenen Institutionenbildung. Auch die Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) kennt Ordentliche Mitglieder und Korrespondierende Mitglieder (Akademie für Raumforschung und Landesplanung 2006), die die Arbeit der ARL in den Bundesländern tragenden Landesarbeitsgemeinschaften der ARL unterscheiden wiederum in Mitglieder und Gäste. Allerdings ist die Tendenz zur institutionellen Schließung der ARL gegenüber der DAL deutlich geringer in der Satzung angelegt: Gemäß § 4 der Satzung der ARL werden die Ordentlichen Mitglieder von der Mitgliederversammlung mit zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gewählt. Die Ordentlichen Mitglieder sind verpflichtet, an der Erfüllung der Aufgaben der ARL mitzuwirken. Die Korrespondierenden Mitglieder werden gemäß § 5 lediglich vom Präsidium berufen. Sie können gemäß § 11 Absatz 2 der Satzung der ARL durch den Wissenschaftlichen Beirat zu Beratungen hinzugezogen werden. 335 Elite wird ± Paris (2003c: 83) zufolge ± Ävon oben rekrutiert, sie wird nicht wie die Autorität und letztlich auch der Führer, von unten gemacht³.
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werden, von besonderer Bedeutung (vgl. auch Bourdieu 1992a, Sofsky/Paris 1994). Die Anerkennungsbeziehungen sind dabei zugleich asymmetrisch und reziprok: Ädie Anerkennung der Überlegenheit anderer Personen, die Zuschreibung von Prestige, und daran anknüpfend die Fixierung unseres Anerkennungsstrebens auf solche überlegenen Personen oder Gruppen. Wir wollen von denen, die wir besonders anerkennen, besonders anerkannt werden³ (Popitz 1992: 115)336.
Diese reziproken und zugleich asymmetrischen Anerkennungsprinzipien wirken in hohem Maße konformisierend und disziplinierend, denn die Anerkennung einer Autorität bedeutet Ädie Anerkennung der Werte, die sie repräsentiert³ (Sofsky/Paris 1994: 26; Hervorh. im Original). Das Handeln des einzelnen professionell mit Landschaft Befassten wird sich ± zumindest so lange er einen untergeordneten Status aufweist ± an dem von Statushöheren definierten mainstream orientieren337; um die maßgebende Anerkennung jener hier mit Landschaftsdefinitionsmacht Ausgestatteten zu erringen, Äübernehmen wir ihre Perspektiven und Kriterien und bemühen uns zu tun, was sie von uns erwarten. Unser Selbstgefühl ist gefesselt an ihre Anerkennung und Anerkennungsentzüge³ (Popitz 1992: 133). Dieser Prozess der Fachelitenbildung lässt sich ± in Anlehnung an den Terminus der ständischen Schließung ± als institutionelle Schließung verstehen (vgl. auch Weingart 2003)338. Aus einem großen Umfang symbolischen, insbesondere sozialen und kulturellen Kapitals, resultiert in der Regel eine große ÄThematisierungsmacht³ (Paris 2003b: 31), nämlich Äwer das Sagen darüber hat, was in welchem Rahmen von wem mit welchen Folgen gesagt werden kann³ (Paris 2003b: 31). Bei der Wahl eines Issues, also eines durch Kontroversen charakterisierten Thematisierungsgegenstandes (vgl. Hard 1971, Burckhardt 1974), werden Gruppen bevorzugt und andere benachteiligt. Daher muss dieser Vorgang Ämit dem Schein der Notwendigkeit umgeben werden³ (Burckhardt 1970: 48). Die in einem auf Reputati336
Die Macht der akademischen Schüler- gegenüber der Lehrergeneration ist dagegen stark eingeschränkt und durchaus durch Eigennutzbestreben überlagert: Sie beseht in dem Bestreben, ÄSchüler mit guten Stellen zu haben³ (Bourdieu 1992a: 155). 337 Bei der Definition und Sicherung des Mainstreams ist der ÄMatthäuseffekt³ von besonderer Bedeutung. Die These vom ÄMatthäuseffekt³ besagt, Ädass Wissenschaftler[n] mit hoher Reputation oder auch solche[n], die an einer bekannten und angesehenen Institution arbeiten, Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil werden, die über ihre tatsächlichen Leistungen hinausgehen, sich von deren direkter Bewertung ablösen und sich verselbständigen³. Wenige Repräsentanten eines Paradigmas können ± aufgrund der durch den Matthäuseffekt generierten Reputation ± den wissenschaftlichen Mainstream definieren und ihn gegenüber alternativen Deutungsmustern durchsetzen. 338 Auf systemischer Ebene betrachtet, bedeutet die Kontrolle der Normeinhaltung ± hier im landschaftsbezogenen Diskurs ± zumindest die Aufrechterhaltung der Autonomisierung der Wissenschaft (vgl. Latour 2002).
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on beruhenden Vertretungsrecht der Vertreter der ÄDisziplinen des Raumes³ (Prigge 1991: 105) bzw. der Disziplinen der Landschaft definieren das Sag- und das Unsagbare des Raumes bzw. der Landschaft. Sie Äverleihen den spontanen Ideologien der angeeigneten Alltagsräume wissenschaftliche Kohärenz (sichern damit die Kohäsion der räumlichen Praxen) und formulieren in ihren Ausschließungsmechanismen (Wer spricht legitim über den Raum? [bzw. über die Landschaft; Anm. O.K.]) die herrschende Art und Weise der Repräsentation des Raumes und der Macht über ihn³ (Prigge 1991: 105). Die Thematisierungsmacht obliegt ± neben der politischen Exekutive ± insbesondere korporatistisch organisierten Gruppen, die mithilfe von ihnen herausgegebenen Fachzeitschriften und abgehaltenen Tagungen die Möglichkeit haben, bestimmte Themen (zum Beispiel das seit Mitte dieses Jahrzehnts sich zunehmender Beliebtheit erfreuende Thema ÃLandschaft und Heimat¶ ± in affirmativer Dimension) zu forcieren, kritische Beiträge zur eigenen Disziplin (z.B. der Landschaftspflege oder der Geographie) als berufsschädigend zu diskreditieren (vgl. Hard 1971, Böse et al. 1981 zur Frankfurter Bundesgartenschau), während den Protagonisten anderer (insbesondere kritischer) Themen von vornherein die Gelegenheit verwehrt wird, sich (fach)öffentlich zu äußern, was letztlich mit der Chance verbunden ist, begehrte Stellen mit jenen zu besetzen, die auch die Möglichkeit hatten, sich (fach)öffentlich zu äußern (vgl. Bourdieu 1992a)339. Der Auswahlcharakter des Zugangs bis hin zur Definition von fachspezifischen Anerkennungsmechanismen übt neben einem Auszeichnungs- auch einen Konsekrationseffekt aus: Hochschullehrer mit hohem symbolischen (insbesondere sozialem) Kapital verfassen synthetische Werke, die sich über die Lehrenden dann auch auf Studenten und Schüler auswirken (Bourdieu 1992a: 176): ÄAus Vorlesungen hervorgegangen und dazu ausersehen in solchen benutzt zu werden, schreiben sie häufig genug nur einen überkommenen Stand des Wissens fest³340. Diese Perpetuierung überkommenen Wissens kommt der Haltung der Lehrenden aller Stufen entgegen, Äin der Abwehr von Neuem einen Weg zu sehen, der sie der drohenden Deklassierung entkommen lässt³ (Bourdieu 1992a: 176). Offensichtlichstes Merkmal dieser Strategie ist der Bezug auf eine veraltete Datenlage und/oder Literatur (z.B. die lieb gewonnene Stereotype über die Sozialbrache der 1960er Jahre bis in die 1990er Jahre transportiert), aber auch subtiler die Verwendung neuerer Literatur, die lediglich ältere synthetisiert (beispielsweise in 339
Neben der Thematisierungsmacht über die behandelten Gegenstände von Tagungen und Kongressen obliegt den korporatistischen Organisationen in der Regel auch die Auswahl der Vortragenden und der Themen der Vorträge; ähnliches gilt auch für Veröffentlichungen in den von ihnen herausgegebenen Fachzeitschriften, Fach- und insbesondere Lehrbüchern. 340 Diese Aussage wird hinsichtlich der einschlägigen Schulliteratur zum Thema Landschaft in Abschnitt 6.8 (Fallbeispiel 5: Die Inkorporierung eines positivistischen Landschaftsbegriffs in Kinderund Jugendsachbüchern sowie Schulbüchern) konkretisiert.
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Form von Landeskunden), oder aber durch ÄPseudo-Kritik und PseudoGutachten und Pseudo-Stellungnahmen³ (Bourdieu 1992a: 176) den wissenschaftlichen Gehalt neuer Erkenntnisse und Theorien in Zweifel zu ziehen. Das knappe Gut der Publikationen in angesehenen Zeitschriften bzw. Fachund Lehrbuchreihen bestimmt als soziales Anerkennungsverfahren von Ävornherein die Struktur der Selbstanerkennung³ (Popitz 1992: 118) mit institutionalisiertem und teilweise anonymisiertem Machtgefälle. Die Gefahr, dass sich die in peer-review-Verfahren zum Ausdruck kommende Reputation der peers in illegitime Macht verwandelt, bezeichnet Weingart (2003) als das größte Risiko der Wissenschaft. Der Mechanismus des peer-reviews, dessen eigentliche Aufgabe darin besteht, die wissenschaftliche Kommunikationsgemeinschaft Ävor unsinnigen, falschen und auch betrügerischen Beiträgen³ (Weingart 2003: 33) zu schützen, führt unter anderem dann zu Fehlfunktionen, wenn die Vertreter eines alten, mit einem neuen inkommensurablen wissenschaftlichen Paradigma ihren Einfluss zur Ablehnung von Veröffentlichungen (aber auch Forschungsvorhaben) auf Basis des neuen Paradigmas nutzen (Weingart 2001), sodass Vertreter des neuen Paradigmas gezwungen sind, eigene Foren zu schaffen, alternative Beschäftigungsverhältnisse (auch außerhalb der Wissenschaft) zu suchen, nach dem Prinzip der vordergründigen Anpassung zu verfahren u.a. (vgl. Kuhn 1973)341. Ein Beispiel für einen solchen Paradigmenwechsel in der landschaftsbezogenen Wissenschaft ist jener von der klassischen geographischen Landeskunde zu einem Paradigma der (raumwissenschaftlichen) Wirtschafts- und Sozialgeographie infolge der Ereignisse auf dem Kieler Geographentag 1969 (Hard 1969c und 1971, Bahrenberg 1996, Werlen 1998)342 als Ausdruck der permanenten Revolutionen im wissenschaftlichen Feld (Bourdieu 1992a und 1998). Die auf illegitimer Machtausübung beruhende Ablehnung von kritischen bzw. ein neues Paradigma vertretenden Beiträgen bedeutet dabei eine Habitualisierung des Handelns im Sinne eines alten Paradigmas, das durch negative Sanktionen gestützt wird und letztlich dazu führt, dass (fach)kritische Fragen nicht oder verspätet behandelt werden (Beispiele der landschaftsbezogenen Forschung sind insbesondere die Auseinandersetzungen über die Bedeutung des eigenen Fachgebietes in der Zeit des Nationalsozialismus343). Dies bedeutet also einen Prozess, des dem der 341 Als Ausweg aus diesem Dilemma wird das Extended peer-review-Verfahren ± insbesondere bei größeren Expertisen ± diskutiert, in dem Laien in den Beratungsprozess einbezogen werden. Wobei trotz dieser Demokratisierung die Differenz von Experten und Laien nicht aufgehoben wird (Weingart 2003). 342 Angeregt wurden diese Ereignisse durch die Habilitationsschrift von Dietrich Bartels (1968) zur wissenschaftlichen Grundlegung der Geographie auf Grundlage eines kritisch-rationalen Wissenschaftsverständnisses. 343 So begann eine ernsthafte Diskussion über die Landschafts- und Raumplanung im ÃDritten Reich¶ erst in den 1980er Jahren.
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Wissenschaft impliziten Prinzips, neues Wissen zu produzieren (vgl. Luhmann 1990), zuwider läuft. Die hier zum Ausdruck kommende Daten setzende Macht basiert auf den vitalen Abhängigkeiten des Menschen (z.B. die Sorge um seine Zukunft) und seinen konstitutiven Handlungsfähigkeiten (z.B. die Fähigkeit Angst und Hoffnung zu erzeugen). In der Machtausübung seitens der Mächtigen in den sozialen Netzwerken der Landschaftsexperten (und nicht nur dort) ist wiederum an das Bindungspotenzial von Autorität geknüpft: Neben der Amtsautorität (als Akademiepräsident, Mitglied eines Beirates einer internationalen Fachzeitschrift o.ä.) treten hier die Organisationsautorität (zur Organisation von Fachtagungen, der Herausgabe von Fachbüchern), die Funktionsautorität (z.B. als Ergebnis der Fähigkeit die Ergebnisse von fachspezifischen Arbeitsgruppen im Diskurs der Fachwelt zu implementieren), die Sachautorität (infolge der Sachkenntnis in einer von der Fachwelt als relevant akzeptierten Teildisziplin) und die Autorität durch Charisma (als Fähigkeit durch Präsenz von den eigenen Thesen zu überzeugen) in unterschiedlicher Gewichtung in Erscheinung (vgl. Sofsky/Paris 1994). Wesentliche Elemente der Disziplinierung und Selbstdisziplinierung zur Erlangung sozialer Anerkennung seitens der Anerkannten und damit der SelbstAnerkennung fasst Popitz (1992) in fünf Typen sozialer Subjektivität, als die sozialstrukturell bedingten und differenzierten möglichen und erstrebten Anerkennungsbezüge, zusammen: 1. Das Bedürfnis, als Zugehöriger einer Gruppe anerkannt zu werden. Dieses Anerkanntsein zielt auf ein Sein wie andere, Äein Gleichsein als MitGliedsein, als Mit-Drinsein³ (Popitz 1992: 141). Dies trifft auf gemeinsame Bildungsabschlüsse (z.B. Diplom-Geographen, Diplom-Landschaftsplaner) ebenso zu, wie auf die Mitgliedschaft in einer berufsständischen Vereinigung (beispielsweise der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landsplanung; SRL) oder einer Akademie (z.B. des Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung; DASL). Die Erfahrung einer Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist eine Grundform sozialer Erfahrung, die als Gewissheit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit gemeinsamer Realitätsdeutung eine Grundform sozialer Selbstbestätigung liefert. 2. Das Bedürfnis, Anerkennung in einer zugeschriebenen Rolle zu erlangen. Dieser Typus sozialer Subjektivität ist in der Generierung landschaftsbezogenen sozialen und kulturellen Kapitals eher von indirekter Bedeutung. Alter, Geschlecht, Abstammung und gegebenenfalls sozialer Rang transzendieren das Verhalten und Handeln in Organisationen, so werden Ehrenvorsitzende (mit hohem Alter und Verdiensten um die Organisation) ernannt,
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Frauen eher zur Protokollführung von Sitzungen eingesetzt, Herren mit distinktivem Habitus eher zu Repräsentanten der Organisation gewählt. 3. Das Bedürfnis, in einer erworbenen Rolle ± insbesondere Berufsrolle ± anerkannt zu werden. Sowohl der Rollenerwerb als auch die Rollenbewährung ist in besonderem Maße von der Anerkennung und Förderung durch Statushöhere abhängig. Dies betrifft sowohl die Tätigkeit als Freiberufler hinsichtlich der Auftragerringung, als Bediensteter einer kommunalen oder staatlichen Organisation oder die Wahl in ein leitendes Amt einer berufsständischen Vereinigung bzw. Akademie. Diese Abhängigkeit verringert die Bereitschaft, vom Geforderten abweichende Aussagen zu machen oder zu unterstützen. 4. Das Bedürfnis, Anerkennung in einer öffentlichen Rolle zu erfahren. Diese öffentliche Rolle erfordert eine für ein Publikum (ob fachintern auf einer Tagung oder auf einem Scoping-Termin) sichtbar dargestellte Leitung. Der öffentliche Rollenspieler sucht nach akklamierender Zustimmung, von der sein Selbstwertgefühl abhängig ist. Ein zu starkes Abweichen von dem Erwarteten macht den öffentlichen Rollenspieler zum Objekt des Widerspruchs, was die Akkumulation von Selbstwert gebender Zustimmung einschränkt. 5. Das Bedürfnis, in der eigenen Individualität anerkannt zu werden. Dieses Bedürfnis steht im latenten, bisweilen manifesten Widerspruch zu den anderen genannten Rollen, da es auf die soziale Bestätigung einer ÄExistenz im Singular³ (Popitz 1992: 149) insistiert. Dabei muss der Grad an möglicher Abweichung der eigenen Positionen zu den übrigen Rollenerwartungen gekannt und eingehalten werden, da ansonsten Sanktionen drohen. So ist eine Position der sukzessionistischen Landschaftsentwicklung in einer Organisation, deren Ziel in der Erhaltung der Ähistorisch gewachsenen Kulturlandschaft³ besteht nur schwer ohne Sanktionen von Missbilligung bis hin zu faktischem Ausschluss durchzuhalten. Akzentuiert lässt sich also auch für den landschaftsbezogenen akademischen Diskurs mit Weingart (2003: 72) feststellen: ÄDer Erfolg von Wissenschaftlern, Wissen zu produzieren, ist nicht durch die ÃWahrheit¶ dieses Wissens und seine Überzeugungskraft zu erklären. Vielmehr bedarf es des geschickten Manipulierens des jeweils relevanten Netzwerks heterogener Einheiten, wie Personen, technischer Artefakte und natürlicher Objekte, um die ÃUnterstützung¶ für die eigenen Ziele zu sichern. Nur wenn das Netzwerk stabilisiert werden kann, erhält das als wahr behauptete Wissen (z.B. eine Theorie) soziale Geltung³.
Diese soziale Geltung manifestiert sich im landschaftsbezogenen Kontext sehr stark in der Frage, wie öffentliche Auftraggeber bereit sind, die durch Wissen278
schaftlerinnen und Wissenschaftler generierten und durch formale und informale Organisationen und Gruppen vertretene ÃWahrheiten¶ zur Grundlage politischen Handelns zu machen344. 6.7.2 Soziales Kapital in der informellen Hierarchie Das soziale Kapital von Landschaftsexperten (unterschiedlicher Profession) bildet auch innerhalb der formalen Hierarchien (beispielsweise der öffentlichen Verwaltung) eine parallele Organisationsstruktur, die zu Rollenkonflikten infolge der Vertretung korporativer bzw. fachlicher einerseits und offizieller Interessen andererseits führt345. Loyalitätskonflikte werden dabei häufig zugunsten des Verbandes bzw. der Fachdisziplin und zuungunsten der formalen Organisation geregelt, die bisweilen geäußerte Aussage Äich fühle mich als Interessenvertretung des XY-Verbandes im Ministerium³ mag als Beleg hierfür gelten. Informelle Netzwerke von Personen gleicher oder ähnlicher Profession validieren diese Haltung konsensual, auch in Form inoffizieller Abstimmungen auf Arbeitsebene ± zu politischen Entscheidungen gelangen somit ± wie bereits angesprochen ± in der Regel nur solche Vorlagen, die über Netzwerke abgestimmt, das kulturelle Kapital der Netzwerkbeteiligen nicht oder ± wenn nicht anders möglich ± zumindest in möglichst geringem Maße beeinträchtigen, schließlich erfolgt die Erfolgskontrolle im öffentlichen Bereich nicht über den Code des Geldes, sondern jenen der Meinungen (Buckhardt 1982: 105): ÄGemacht werden kann nur, was geht³. Und das ÃGehen¶ in einer Behörde bedeutet: Die vorgeschlagene Planung verletzt keine andere Planung, denn: ÄDie Planung eines Kollegen zu tangieren ist viel schwieriger als einige Privathäuser zu opfern, wenigstens auf dem Papier³ (Buckhardt 1982: 105). Durch solche informellen Abstimmungen auf den mittleren Instanzen der Bürokratie wird einerseits das Risiko minimiert, rechtsfehlerhafte oder fachlich nicht probate Vorlagen der politischen Führung zuzuleiten, andererseits entziehen sich diese Netzwerke der (demokratischen) Kontrolle und bergen die Gefahr einer korporativen Sklerotisierung. Beide Mechanismen wirken so lange herr344 Die in diesem Abschnitt vorgenommene Charakterisierung des universitären oder ± allgemeiner akademischen ± Feldes soll nicht die Vermutung nahe legen, es handele sich um eine dichotome Struktur von Fortschrittlichen und Konservativen, vielmehr existiert eine ÄKoexistenz mehrer unabhängiger Hierarchisierungsprinzipien³ (Bourdieu 1992a: 191). Diese beziehen sich u.a. auf die Akkumulation der unterschiedlichen Kapitalarten, nämlich des ökonomischen (Besoldung), des sozialen (Netzwerke zu relevanten Personen innerhalb und außerhalb des universitären Feldes) und kulturellen Kapitals (Veröffentlichungen, Vorträge u.a.). 345 Hierbei bezieht sich der Autor im Wesentlichen auf Erkenntnisse auf Grundlage der teilnehmenden Beobachtung in einer obersten Landesbehörde.
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schaftssystemstabilisierend, solange sie zumindest sub-optimal funktionieren. Für das Prinzip eines demokratischen Staates sind sie jedoch als problematisch zu betrachten: ÄPolitik im Sinne der normativen Willensbildung fällt aus diesem Raume eigentlich prinzipiell aus, sie sinkt auf den Rang eines Hilfsmittels für Unvollkommenheiten des Ãtechnischen Staates¶ herab³ (Schlesky 1965: 457, vgl. auch Bourdieu 1992b). Ein weiteres Element der Abweichung von Handlungsorientierungen zwischen offizieller Hierarchie und inoffiziellen Status- und Anerkennungssystemen der Experten besteht in der Handlungsorientierung der Expertinnen und Experten: Zwar ist das Handeln der Landschaftsexperten in die offizielle (in der Regel politische) Hierarchie mit ihren positiven und negativen Sanktionsmechanismen eingebunden und an den Bedürfnissen der Bevölkerung (oder zumindest an politischen Machtinteressen) ausgerichtet, doch erfolgt die Ausrichtung der Ausgestaltung der eigenen Aufgabe (bzw. sogar deren bisweilen freiwillige Erweiterung) an fachspezifischen Anerkennungssystemen, schließlich verfügen in der Regel weder Politiker noch Laien über den differenzierten und distinguierten Code der fachlichen Landschaftsbeobachtung. Diesen Zusammenhang macht Burckhardt (1978a: 89) am Beispiel der Architektur deutlich: ÄAuch der Bau selbst ist ein Informationsträger [wie der Bauplan auch; Anm. O.K.]; er drückt etwas aus, aber seine Botschaft ist recht diffus. Die öffentlichste aller Künste, die Architektur, wendet sich ähnlich wie die moderne Malerei, Literatur und Musik, an Kenner, an Kollegen, an Leser von Fachzeitschriften³.
Der Diskurs um Landschaft und ihre Gestaltung wird also ± getrennt nach Spezialgebieten ± mehr oder minder autopoietisch geführt. Wobei die Emergenzebenen der Bereitstellung der finanziellen Mittel als Input und die Erstellung physischer Objekte (bzw. Forschungsergebnisse) als Output der Allgemeinheit (als Gesamtsystem) überantwortet werden. Solche Systeme tendieren also ± so Burckhardt (1978a: 90) ± Äzur Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Gesamtsystem; sie befördern vornehmlich ihr eigenes Wachstum ohne Rücksicht auf Störung und Verschleiß. So bildet das Bauwesen ein System, das Neubauten erstellen will und schon deshalb existierende Bauten zerstören muss³.
Die Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparates unterliegt einer ständigen Gefahr der Ineffizienz durch die Konkurrenz unterschiedlicher Netzwerke von Landschaftsexperten, wie jener der Landwirtschaft, der Jagd, des Naturschutzes, der Raumplanung und anderer. Hier schürt die Nah-Distinktion, Äder zwanghafte Selbstvergleich Mindermächtiger mit anderen, vermeintlich bevorzugten Mindermächtigen³ (Paris 2003a: 23), das Ressentiment. Der Staffelungsprozess der Macht impliziert eine ständige Anstrengung, symbolisches Kapital zu erringen, 280
um einen noch so kleinen Distinktionsgewinn gegenüber anderen Netzwerken zu erzielen. Diese Konflikte werden auf unterschiedlichsten Ebenen ausgetragen: auf der fachlichen Ebene, beispielsweise, wenn es gilt, die Fachplanungen von Naturschutz, Landwirtschaft, Wasserbau etc. in eine Gesamtplanung zu überführen, auf der Ebene der Ressourcen an Personal, Haushaltsmitteln, EDVAusstattung und anderem, auf der Ebene der Darstellung der eigenen Tätigkeit in der Öffentlichkeit und auf der Ebene der Besoldungsstufen. Kann ein Übermaß an Ressentiments der Vertreter unterschiedlicher Netzwerke die Funktionsfähigkeit der formalen Organisation herabsetzen, wirken Distinktionen im NahBereich durchaus herrschaftssichernd: Grundsätzliche Widersprüche werden im täglichen Kampf um die Symbole der Distinktion nicht hervorgebracht. Die Konflikte der unterschiedlichen Netzwerke von Landschaftsexperten werden selten öffentlich ausgetragen, sie vollziehen sich vielmehr in der Regel im sub-politischen administrativen Raum der mittleren Führungshierarchiebene der Verwaltungen. In den politischen Raum gelangen sie erst dann, wenn ein Thema das soziale, ökonomische und kulturelle Kapital einer Gruppe fundamental zu entwerten droht bzw. eine Abstimmung auf der mittleren Ebene nicht, unzureichend oder ohne Kompromiss stattgefunden hat. Ein Beispiel hierfür sind die von der Ministerkonferenz für Raumordnung im Sommer 2006 verabschiedeten ÄLeitbilder und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland³346 (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2006), deren vermeintliche Metropolregionenlastigkeit die Agrarministerkonferenz dazu veranlasste, die nicht ausreichende Repräsentanz der ländlichen Räume in dem Konzept zu monieren; letztlich ein Konflikt um symbolische Ressourcen. 6.8 Fallbeispiel 5: Die Inkorporierung eines positivistischen Landschaftsbegriffs in Kinder- und Jugendsachbüchern sowie Schulbüchern Die gesellschaftliche Landschaft ist Ausdruck der Herrschaft über das Symbolische der Landschaft. Sie beschreibt die ± gesellschaftlich anerkannten ± erlebbaren und beschreibbaren Vorstellungen von Landschaft. Die Perpetuierung gesellschaftlicher Landschaft vollzieht sich im Prozess der Sozialisation. Der Schule kommt eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Sozialisation eines gesell346
In den Vorbemerkungen zu den Leitbildern wird auf die fachliche Grundlage der Ausführungen verwiesen, die den Einfluss von Landschaftsexperten dokumentierten (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2006: 1): ÄGrundlage waren die Ergebnisse und Anregungen eines zweijährigen fachlichen und politischen Diskussionsprozesses sowie die Analysen und Trends des Raumordnungsberichts 2005 des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung³.
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schaftlich akzeptierten Begriffs von Landschaft zu, schließlich erscheint Schulwissen den Schülern Äals ÃErgebnis¶, als gesicherter Kenntnisstand, als Paket richtiger Aussagen³ (Tillmann 2007: 179; vgl. auch Buttimer/Fahy 1999, Paasi 1999). Soll die Bedeutung von Landschaft im Prozess der Subjektivation untersucht werden, erscheint eine Analyse des von Experten und objektivierten Willens zur Perpetuierung der herrschenden Ideologie bzw. der Beherrschung ihrer Praxis (Althusser 1977) in Form von Schulbüchern nahe liegend. Der Prozess der Subjektivation bereitet die Schülerinnen und Schüler auch auf die Integration in die ÄGesellschaft des Richter-Professors, des Richter-Arztes, des RichterPädagogen, des Richter-Sozialarbeiters³, aber auch des Richter-Landschaftsexperten, vor, die Äalle für das Reich des Normativen³ arbeiten (Foucault 1977: 392-293). Dokumente, welche gesellschaftlich definierte Vorstellungen von Landschaft auf die heranwachsenden Generationen übertragen sollen, liefern Schulbücher. 6.8.1 Die Vermittlung von Landschaftsbegriffen durch Schulbücher Im Folgenden werden Kinder- und Jugendsachbücher sowie Schulbücher des Faches ÄErdkunde³ bzw. ÄGeographie³347 hinsichtlich ihrer landschaftsbezogenen Aussagen beispielhaft analysiert. Dabei lassen sich drei strukturelle Bezüge der Befassung mit dem Thema Landschaft in den Kinder-, Jugendsach- und Schulbüchern unterscheiden: 1. Kinder- und Jugendsachbücher sowie Schulbücher befassen sich in erster Linie mit dem Thema Landschaft in einem spezifischen Kontext, der bei Engelmann/Latz (1997) in ihrem Schulbuch ÄLandschaftsgürtel ± Ökologie und Nutzung³ auf das Thema ÄLandschaftsgürtel³ ausgerichtet ist, während das Sachbuch ÄDeutsche Kulturgeographie ± Werden, Wandel und Bewahrung deutscher Kulturlandschaften³ von Wiese/Zils (1987) explizit auf das Thema Kulturlandschaft ausgerichtet ist. Häufig bilden auch Landschaftszonen bzw. Landschaftsgürtel einen Ansatz der Befassung mit dem Thema der angeeigneten physischen Landschaft wie bei Degn et al. (1965a). 2. In Kinder- und Jugendsachbüchern sowie Schulbüchern bildet das Thema Landschaft einen von mehreren Schwerpunkten, wie im Schulbuch ÄLand347
Bei der vorliegenden Analyse wurden insgesamt 27 Kinder- und Jugendsach- und Schulbücher für unterschiedliche Alterskohorten untersucht. Aufgrund ihrer besonderen Repräsentativität für die übrigen betrachteten Publikationen hinsichtlich ihrer altersgemäßen Zielgruppen und der thematischen Aufarbeitung finden die Bücher von Wiese/Zils (1987), Dixon (1991), Parker (1996), Engelmann/Latz (1997), Bender et al. (2000) und Kowalke (2000) eine besondere Berücksichtigung. Neben den in diesem Abschnitt zitierten Publikationen wurden auch Degn/Eggert/Kolb (1963), Richter/Hausmann (1973), Jahn/Dorn/Kugler (1981), Barth (1981), Boyle (1995), Merty (1995) und Théry (2002) untersucht.
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schaftszonen und Stadtökologie³ für die Sekundarstufe II von Bender et al. (2000)348. 3. Das Thema Landschaft bildet keinen Schwerpunkt, sondern wird lediglich im Zusammenhang mit anderen Kontexten behandelt, wie in dem von Kowalke (2000) herausgegebenen Schulbuch ÄHeimat und Welt³ für die Oberstufe oder bei Richter/Freey/Funken (2001) in dem Schulbuch ÄGeografie 5³. Ähnliches gilt für die Kindersachbücher ÄPlanet Erde³ (Parker 1996) und ÄWie ist das? Land, Meer und Luft³ (Dixon 1991). Schulbücher mit einem Bezug auf Landschaftsgürtel bzw. Landschaftszonen (Engelmann/Latz 1997 und Bender et al. 2000) verzichten gänzlich auf eine Diskussion oder eine Definition des Terminus Landschaft ebenso wie auf eine allgemeine Hinführung zum Thema349. Engelmann/Latz (1997) beginnen das Kapitel ÄDie Landschaftsgürtel³ mit einer tabellarischen Übersicht über die Ägeoökologischen Zonen³ und einer Weltkarte, in der deren Verbreitung dargestellt ist. Bender et al. (2000) beginnen das Kapitel ÄLandschaftszonen³ ohne Tabelle oder Karte mit der Beschreibung der Tropen. Andere Schulbücher beschreiten einen anderen Weg: Bständig et al. (2002: 146) definieren im ersten Absatz ihres Abschnitts ÄKlima und Vegetation passen zusammen³ Landschaftszonen als Zonen, Äin denen Klima, Böden, Vegetation und landwirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten ähnlich sind³, bevor tabellarisch die Landschaftszonen vorgestellt werden350. In naturalistischer Tradition351 werden angeeignete physische Landschaften hier zunächst als Ergebnis des Wirkens von Klima, Böden und Vegetation beschrieben. Bständig et al. (2002: 146) beschreiben in ihrer Tabelle (die als repräsentativ für andere Darstellungen dieser Art gelten kann) auf den Seiten 148 bis 149 einzelne Klimazonen, denen einzelne Vegetationszonen zugewiesen werden. Neben den die Ãtypischen¶ Landschaften der einzelnen Klimazonen darstellenden Fotos, enthält die Tabelle die Rubriken Jahreszeiten, Jahresdurchschnittstemperatur, Niederschlag, mögliche Wachstumsperiode, Einschränkung des Pflanzenwachstums durch (« Kälte bzw. Trockenheit), Anbaumöglichkeiten, Anbauprodukte und Viehhaltung. In der Tabelle sind folgende Klima- und Vegetationszonen ausgewiesen (andere Kinder- und Jugendsachbücher sowie Schulbücher sprechen hierbei von Landschaftszonen): Polarzone (polare Kältewüste und Tundra), Subpolarzone (borealer Nadelwald), gemäßigte Zone (som348
Ähnliches gilt für Mühlberger et al. (2002), hier wird das Thema Landschaft und Kohleabbau behandelt. Jahn/Dorn/Kugler (1981) beschreiben in einem von fünf Kapiteln den physischen Aufbau von angeeigneter physischer Landschaft. 349 Gleiches gilt für Mühlberger et al. (2002). 350 Ähnlich beschreiben bereits Degn et al. im Jahre 1965a (98) Landschaftszonen als das Ergebnis eines Zusammenwirkens von Landschaftselementen anorganischer und organischer Natur. 351 Diese naturalistische Tradition lässt sich anhand von Degn et al. bereits im Jahr 1956 nachweisen. Auch hier werden die Landschaftsgürtel der Erde in vergleichbarer Weise charakterisiert.
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mergrüner Laub- und Mischwald und Steppe), Subtropen (mediterrane Vegetation sowie Halbwüsten und Wüsten), Tropen (Halbwüsten und Wüsten, Savannen, unterschieden nach Dornstrauch-, Trocken- und Feuchtsavanne, tropischer Regenwald). Ergänzt wird die Tabelle durch zwei Weltkarten, eine der Klimazonen, eine andere der Vegetations- bzw. Landschaftszonen. In beiden sind die unterschiedlichen Klima-, Vegetations- bzw. Landschaftszonen strikt voneinander abgegrenzt. Der (insbesondere wirtschaftende) Einfluss des Menschen wird in der Regel als Störung des ökologischen Gleichgewichtes dargestellt. Dies dokumentieren insbesondere bei Bender et al. (2000) bereits Überschriften wie ÄZerstörung des Tropischen Regenwaldes durch Holznutzung³ (62), ÄWechselwirkungen der Naturfaktoren in komplexen Ökosystemen: Das Beispiel Waldsterben in Mitteleuropa³ (100). Weniger wertend behandeln Engelmann/Latz (1997) diese beiden Themen unter den Überschriften ÄAuf dem Weg in die ökologische Krise?³ (51) und ÄEntstehung von Waldschäden³ (146). Zu erstem Problemkreis wird der Schutz von Regenwäldern vor Abholzung und der Übergang zur Bewirtschaftungsform der traditionellen Feld-Wald-Wechselwirtschaft der Tropen (shifing cultivation), zum zweiten Problemkreis der Einbau von Filteranlagen, die Anhebung von Kraftstoffpreisen und Abgasnormen sowie die Verwendung neuer Anlagentypen vorgeschlagen ± ohne jedoch eine genauere Diskussion von der Rückkopplung solcher Maßnahmen auf Wirtschaft und Politik zu führen oder anzuregen352. Auch bei Kindersachbüchern findet sich eine ähnliche Einführung des Themas Landschaft. Beautier/Derrien (1989) verzichten auf eine Hinführung zum Thema Landschaft und beschreiben die ÃLandschaftszonen¶, die Ätypische Landschaften³ genannt werden, der Erde aus der Perspektive zweier Außerirdischer mit den Namen Buld und Gorm. Durch Zeichnungsdarstellungen werden Landschaftsstereotypen von der Pampa, dem Regenwald des Amazonas, den Eisflächen am Südpol, von Tundra und Nadelwald in Skandinavien (deren Vorkommen in der dargestellten Kombination hochgradig unwahrscheinlich ist), einer Tiefebene in Europa u.a. angelegt. Eine ± die soziale Konstruiertheit von Landschaft zumindest implizit berücksichtigende ± Thematisierung findet sich in dem Schulbuch ÄDiercke Erdkunde. Klasse 11³ von Claassen et al. (2005). Das Thema Landschaft wird in dem Kapitel ÄLandschaftszonen ± unterschiedlich genutzt, gefährdet, geschützt³ zunächst klassisch anhand einer geoökologischen Zonierung eingeführt und dann (durchaus klassisch) hinsichtlich der landwirtschaftlichen Konsequenzen unter352
Bständig et al. (2002) verzichten auf weiter gehende Ausführungen zum Thema ökologische Gefährdung und beschränken sich auf den Hinweis, dass die Missachtung von Kälte- oder Trockengrenzen zu Ernteausfällen führen kann.
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schiedlicher ökologischer Potenziale behandelt. Der Abschnitt ÄTourismus ± ÃDeutschland, Mallorca und die Welt¶³ (ab Seite 156) befasst sich ± um Sachlichkeit bemüht ± neben den sozialen und ökologischen Folgen des Mittelstrecken- und Ferntourismus auch mit künstlichen Ferienwelten, in denen die ÄFreizeitindustrie [«] künstliche Landschaftszonen unter dem Hallendach³ (Claassen et al. 2005: 163), wie Hawaii oder die Alpen, gestaltete. Ein expliziter Bezug auf die Konstitution erfolgt zwar nicht, jedoch wird (zumindest implizit) gezeigt, dass (angeeignete physische) Landschaft durchaus nicht allein von dem Wirken der Geofaktoren abhängig ist. Die Konzentration auf Aspekte negativ bewerteter menschlicher Eingriffe in die angeeignete physische Landschaft wird bereits bei Kindersachbüchern deutlich. So kommt Parker (1996), nachdem er in dem Kapitel ÄDie Landschaft ändert sich³ Ausführungen zur physikalischen Genese von Landschaftselementen (insbesondere zu Temperatur, Regen, Frost, Eis, Wind und Wasser) gemacht hat, zu dem Kapitel ÄZerstörung der Landschaft³. Hier wird ± eindrücklich mit einer Bildfolie ausgestattet ± die Situation vor und nach dem Eingriff des Menschen in eine tropische Landschaft graphisch dargestellt und bewertet ± wobei der naturwissenschaftliche Kenntnisstand hinsichtlich der Tropenökologie bis zur Verfälschung verkürzt wiedergegeben wird353. Das von Kowalke (2000) herausgegebene Schulbuch ÄHeimat und Welt³ erscheint ± trotz seines nicht expliziten Landschaftsbezugs ± in dreifacher Weise interessant für die soziologische Analyse geographischer Schulbücher zum Thema Landschaft. Mit der Stichwortsammlung ÄGeographie in Übersichten³ von Kissner (1980) liefert es als einziges der untersuchten Schulbücher in seinem Glossar eine explizite Definition des Terminus Landschaft354. Demnach ist Landschaft ein Ägrundlegender Fachbegriff der Geo- und Biowissenschaften sowie Bezeichnung in der Umgangssprache für einen ÃErdraum¶. In der Geographie wird L. als Land353 Der Abschnitt ÄDer Boden ist ausgelaugt³ beginnt mit den Worten ÄDoch der Urwaldboden ist dünn³ (Parker 1996: 41). Dies entspricht nicht dem pedologischen Forschungsstand, sondern spiegelt ein Stereotyp wider. Viele tropische Böden weisen insbesondere (in Lagen ohne bedeutende Erosion oder große Höhenlagen) aufgrund ihres hohen Alters (im Gegensatz zu den Mittelbreiten war der Einfluss der Glaziale hier äußerst gering), der ganzjährig hohen chemischen Verwitterungsraten, der hohen Versickerungsraten von Niederschlägen (aufgrund des Niederschlagsüberschusses) große Mächtigkeiten auf (bis zu 2.000 m). Allerdings sind tropische Böden sehr nährstoffarm, da Nährstoffe, sofern sie nicht von Pflanzen aufgenommen werden, einer raschen Ausschwemmung unterliegen. 354 Bei dem Kindersachbuch von Kinney (2000: 10) findet sich ein Kastentext mit der Überschrift ÄLandschaft³, dessen erster Satz folgendermaßen lautet: ÄBerg, Tal, Ebene und Hochebene sind einige der Begriffe, mit denen wir verschiedene Landschaftsmerkmale bezeichnen³. Daran anschließend finden sich Beispiele zu Böschungen, Klima und Wüsten. Ein dezidiertes Eingehen auf den Begriff der Landschaft, insbesondere jenseits der physikalischen Elemente von angeeigneter physischer Landschaft, findet sich nicht.
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schaftsökosystem definiert, um auf den Funktionszusammenhang von Geosphäre, Biosphäre und Anthroposphäre hinzuweisen, der sich als ein Wirkungsgefüge im Raum darstellt und unterschiedlichen Betrachtungsmöglichkeiten unterliegen kann, z.B. als Natur und Kulturlandschaft³ (Kowalke 2000: 396)355.
Kissner (1980: 280) definiert Landschaft als ÄAusschnitt der Geosphäre, der sich durch Einheitlichkeit in der Struktur und im Wirkungsgefüge seiner Komponenten³ auszeichnet. Auf eine genauere Ausführung zur lebensweltlichen Bedeutung des Begriffes der Landschaft wird in beiden Definitionen verzichtet. Die Definition von Kissner (1980) zeichnet sich durch eine starke Ausrichtung auf eine (exklusivistisch zu denkende) und empirisch beschreibbare Einheitlichkeit aus. Sowohl bei Kissner (1980) als auch bei Kowalke (2000) wird auf eine Definition von Landschaft abgehoben, die einerseits die seit den späten 1960er Jahren geführte Diskussion um den Begriff ausblendet und andererseits stark naturalistisch geprägt ist, die allerdings bei Kowalke (2000) unter Hinweis auf die unterschiedlichen Betrachungsmöglichkeiten wieder eine Öffnung erfährt. Im Register wird bei Kowalke (2000) in zwei Textstellen auf das Thema Landschaft hingewiesen, die sich wiederum latent widersprechen. Auf Seite 290 wird die Stadt ± in Anführungszeichen ± als eine vom Menschen geschaffene ÃLandschaft¶ beschrieben. Die Anführungszeichen um den Begriff der Landschaft deuten auf eine dichotome Trennung von Stadt und Landschaft im Landschaftsbegriff des Autors hin ± mutmaßlich auch deswegen, weil die Stadt ökosystemisch definiert wird, und eine Systemkonstituierung (Stadt) nicht ohne Definition einer Umwelt (Landschaft) leistbar ist (vgl. Luhmann 1984). Dagegen wird auf einem Schaubild auf Seite 383 Landschaft mit den Komponenten Besiedlung, Allmende und ± als Subsystem der Besiedlung ± Gesellschaft dargestellt, Besiedlung also als Teil der Landschaft begriffen. Wird bei den bislang betrachteten Kinder- und Jugendsach- sowie Schulbüchern ein starker ökologischer Bezug des Landschaftsbegriffs deutlich, wird bei Wiese/Zils (1987) das Thema Landschaft unter dem prägenden Einfluss des Menschen als Kulturlandschaft diskutiert. Kulturlandschaft wird folgendermaßen charakterisiert (Wiese/Zils 1987: 9): ÄKulturlandschaft ist als sichtbare Ganzheit ein geschichtlich gewordenes und in ständiger Wandlung befindliches Gefüge regionaler bis nationaler Prägung³. Im Gegensatz zu den Schulbüchern insbesondere von Bender et al. (2000), aber auch von Engelmann/Latz (1997), wird nicht auf die ökolo355
Dieser naturwissenschaftlich-terminologische Landschaftsbezug zieht sich in den Lehrbüchern der Geographie/Erdkunde durch die unterschiedlichen Klassenstufen, so sprechen Richter/Freey/Funken (2001) in ihrem Schulbuch für die Klasse 5 bereits in der Einführung in das Thema Landschaft von ÄLandschaftsräumen³, einem Fachterminus der Landschaftsplanung mit durchaus vorhandener semantischer Fragwürdigkeit; da Landschaft im gegenwärtigen stets räumlich zu verstehen ist, kann der Terminus ÄLandschaftsraum³ als Pleonasmus gelten.
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gischen Nebenfolgen menschlichen Handelns (insbesondere Wirtschaftens) wertend eingegangen, sondern auf; die Entstehung und die Veränderung einer vom Menschen geprägten angeeigneten physischen Landschaft, die Pflege und Erhaltung von Kulturlandschaften ± auch städtische Agglomerationen werden unter diesem Begriff gefasst ± wird als Pflege des kulturellen Erbes Äals Zeichen der Kontinuität inmitten der dynamischen Umgestaltung als Aufgabe von europäischem Rang³ (Wiese/Zils 1987: 164) beschrieben. Auch Dixon (1991) wertet die menschlichen Einflüsse auf die angeeignete physische Landschaft nicht grundsätzlich: Er beschreibt in dem Kapitel ÄLandschaft im Wandel³ kurz die Motive des Menschen, angeeignete physische Landschaften zu verändern (Bevölkerungswachstum und Rohstoffsuche), und beschreibt sachlich ökologische Nebenfolgen. In ähnlicher Weise gehen auch zunächst Bständig et al. (2007: 108) auf das Thema Flächenverbrauch ein: Anhand der Stichworte Bodenversiegelung und Zersiedelung wird auf die ökologischen Folgen und Nebenfolgen des sogenannten Landschaftsverbrauchs unter der Überschrift ÄLandschaft im Stress³ hingewiesen. Allerdings wird implizit eine dichotome Konstruktion von Stadt und Landschaft vermittelt. In der Abbildungsunterschrift ÄStraßen, Autobahnen, Wohnhäuser und Fabriken sind ÃLandschaftsfresser¶ [«]³ erhält der Kontext von menschlicher Modifikation der angeeigneten physischen Landschaft die für ethisch-ästhetische Amalgamierung des Geschmacks nahezu konstitutive moralisierende Komponente356 . Eine ähnliche moralisierende Komponente findet sich bei Degn et al. bereits im Jahr 1965 (b: 161), allerdings nicht mit ökosystemischer, sondern ästhetischer (!) Begründung: ÄUm die schönsten Teile einer harmonischen Kulturlandschaft vor rücksichtsloser Verschandelung zu bewahren, galt es, die Kultur vor der Unkultur zu schützen³ (Hervorh. im Original), eine Interpretation, wie sie bereits im Grundschulalter angelegt wird: Pommerening/Ritter (1995) beschreiben anhand des Beispiels eines Baggersees, dass beim Abbau von Sand und Kies ÄLandschaft zerstört³ (Pommerening/Ritter 1995: 12) werde, indem an die Stelle Ävon Wiesen und Feldern [«] öde Kraterlandschaften³ träten. Einerseits wird hier das Stereotyp der Äintakten Kulturlandschaft³, das durch den Menschen bedroht sei, begründet bzw. verfestigt, andererseits 356 In ähnlicher Weise befassen sich auch Brants et al. (2004: 164) unter der Überschrift ÄÜberrollt und zersiedelt³ mit dem Thema der menschlichen Überformung angeeigneter physischer Landschaft. Eine Abbildungsunterschrift charakterisiert auch hier ÄStraßen, Autobahnen, Wohnhäuser und Fabriken³ als ÄLandschaftsfresser³ (Brants et al. 2004: 165). Etwas weniger vordergründig moralisierend befassen sich Frommelt-Beyer et al. (2003) mit dem Landschaftsverbrauch durch den Motorisierten Individualverkehr: Hier wird über den Vergleich der benötigten Fläche für parkende Autos der Landschaftsverbrauch im Vergleich zu der Fläche von Verwaltungseinheiten durchgeführt (die Fläche, die für alle geparkten Autos benötigt wird, entspricht der Fläche des Landkreises Gifhorn).Der kartographische Vergleich der Fläche eines Autobahnkreuzes und einer Kleinstadt (auf Seite 19) hingegen wirkt stark von einem ± nicht einlösbaren ± Beweisinteresse geprägt.
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spiegelt das Zitat die unreflektierte Widersprüchlichkeit des (sekundärsozialisierten) Landschaftsbegriffs wider: Ãgute¶ Landschaft (Wiesen und Felder) wird durch Ãschlechte¶ Landschaft (Krater) ersetzt ± wobei der Bewertungsmaßstab unklar bleibt357. 6.8.2 Der Landschaftsbegriff in Schulbüchern und die Perpetuierung gesellschaftlicher Machtstrukturen Die Reflexion der Untersuchung der ausgewerteten Schulbücher vor dem Hintergrund der Überlegungen von Bourdieu (z.B. 1973 und 2001) und Althusser (1977) zur Bedeutung von Schule im Prozess der Sozialisation verdeutlicht das Verhältnis von Macht und Mindermacht, von Herrschaft und Nicht-Herrschaft und seine Perpetuierung am Beispiel der Landschaft in mehrfacher Dimension: 1. Die bei nahezu allen untersuchten Kindersachbüchern verwendeten zeichnerischen Darstellungen stellen idealisierte Landschaften dar, die zu einer Stereotypisierung von Landschaft beitragen. Dadurch wird auch in Konfrontation mit physischem Raum Landschaft nach stereotypen, in Kindersachbüchern erlernten Landschaftsdeutungsmustern konstruiert, die dann in Jugendsach- und Schulbüchern verfestigt werden: Landschaften (besonders deutlich wird dies anhand von Landschaftszonen) sind demgemäß durch innere Einheitlichkeit geprägt und sind von anderen Landschaften scharf abzugrenzen (und nicht etwa durch Ränder geprägt)358. Hiermit wird am Beispiel der Landschaft ein exklusivistisches Weltbild vermittelt, das inklusivistisches (Sloterdijk 1987), hybrides Denken als nicht unzulässig sozialisiert (oder sozialisieren soll). 2. Den betrachteten Kinder- und Jugendsach- sowie Schulbüchern ist ein positivistischer Landschaftsbegriff inhärent359. Ein Hinweis auf die soziale Konstruiertheit des Begriffs wird nicht oder in Ausnahmefällen implizit gege357
Ähnliches gilt auch für Auer et al. (2002). Hier wird im Kontext der Aufgabe der alpinen Almwirtschaft festgestellt: ÄDie Höfe verfallen und die Almen werden nicht mehr beweidet und verwildern. Man erkennt, welche Bedeutung die Bergbauern für die Landschaftspflege haben³ (45). Eine Reflexion hinsichtlich der Ziele der Landschaftspflege wird anscheinend für obsolet gehalten. 358 Das Problem der scharfen Grenzen war interessanterweise der Landschaftskunde vergleichsweise früh bewusst (vgl. z.B. Granö 1935 und Maull 1936). Die Grenzgürtelmethode, mit deren Hilfe unterschiedliche Elemente einer Landschaft (von der Lage von Wasserscheiden bis hin zur Verbreitung von Siedlungsformen und ethnischen Gruppen) in einem mehr oder minder breiten Grenzgürtel zusammengefasst werden konnten, setzte sich jedoch in der Landschaftskunde nie durch. Als Grundlage für zahlreiche landschaftskundliche Untersuchungen wird in der Regel eher auf die ebenfalls genau definierten Grenzen beruhende naturräumliche Gliederung zurückgegriffen. 359 Besonders deutlich wird dies bei Jahn/Dorn/Kugler (1981: 89). Sie nennen folgende Komponenten der Landschaft: Ägeologischer Bau, Relief, Klima, Wasser, Boden und Bios³.
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ben. Damit trägt die Sozialisation des Begriffes der Landschaft im Schulfach Erdkunde/Geographie zur sozialen Definition eines positivistischen Weltbildes und somit der Inkorporierung bestehender Herrschaftsverhältnisse bei: Wird nur das positive als das Reale definiert, während subjektive lebensweltliche Zugänge zu Landschaft ± zumindest sentimental ± abgewertet werden ±, dient die Sozialisierung des Begriffs der (objektiven) Landschaft der Entwicklung kontingenter individueller landschaftlicher (und gesellschaftlicher) Vorstellungen. Diese Definition eines positivistischen Landschafsbegriffs stellt einen Beitrag zur Inkorporierung des hierarchischen Statusunterschiedes von Experten und Laien dar: Der laienhaft-lebensweltliche Landschaftsbegriff wird von dem systemisch-expertenhaften abgewertet. Durch die Fokussierung auf visuell wahrnehmbare Elemente der angeeigneten physischen Landschaft werden die anderen sensorischen Dimensionen (insbesondere jene mit kurzer Reichweite) systematisch aus dem Bereich der positivistisch-normativen Landschaftsdefinition exkludiert. Insbesondere der Begriff der multisensorisch erlebten lebensweltlichen Normallandschaft, aber auch Elemente des stereotypen Landschaftsbegriffs, werden durch die positivistisch-normative Landschaftsdefinition der Sekundärlandschaftssozialisierten in den Bereich des Wertlosen (Fayet 2003) verbannt. Insbesondere bei der Diskussion ökologischer Modifikation von angeeigneter physischer Landschaft wird teilweise implizit, teilweise auch explizit, eine dichotome Trennung von Landschaft und Stadt vollzogen. Siedlungserweiterungen werden folglich als Zerstörung von Landschaft stigmatisiert. Eine Diskussion, inwiefern Stadt nicht auch Landschaft sein kann, erfolgt ebenso wenig wie ein Hinweis auf den Artenreichtum von Stadt- und Vorstadtgärten. Das (implizite) Bemühen um eine Sozialisierung der Dichotomie von Stadt und Landschaft lässt sich als Beitrag der Schulgeographie deuten, das moderne abendländische Denken in inkommensurablen Fundamentaldichotomien (wie Kultur und Natur, Mann und Frau, gut und schlecht) zu perpetuieren. Die Thematisierung ökologischer Probleme ist zwar mit einer impliziten und teilweise expliziten Kritik des politischen oder des wirtschaftlichen Systems ± auch aus Sicht von Landschaftsexperten ± verbunden. Eine (kritische) Reflexion der Bedeutung von Experten allgemein erfolgt jedoch nicht. Damit erfolgt eine latente Erhöhung der Statuszuschreibung von (Landschafts)Experten gegenüber Politikern. Insbesondere bei einem Landschaftszugang aus naturwissenschaftlichökologischer Sicht wird die Modifikation von angeeigneter physischer Landschaft in der Regel mit einem deutlich moralisierenden Vokabular ge289
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wertet. Die Sozialisierung des ± auch im naturwissenschaftlichen Kontext vollzogenen ± Gebrauchs des moralischen Codes wiederum erschwert eine sach- bzw. fachgerechte Kommunikation, da weniger die Frage des subjektiven Sinns aus unterschiedlichen Perspektiven, als vielmehr die Frage von Schuld und Sühne im Vordergrund steht (vgl. Luhmann 1993). Die in den Kinder- und Jugendsach- sowie Schulbüchern diskutierten Problemlösungsvorschläge basieren auf einem linearen Ursache-Wirkungsdenken, sowohl in ökologischer Hinsicht als auch aus Sicht der Erhaltung von Kulturlandschaft. Zirkuläre Kausalitäten, also Rückkopplungseffekte zwischen Ursache und Wirkung, werden ebenso wenig diskutiert wie vernetzte Kausalitäten. Die vorgeschlagenen Problemlösungen, ohne die Berücksichtigung von Nebenfolgen gesellschaftlichen Handelns (hier im Bereich Landschaft), weisen dieselbe lineare Denkstruktur auf, wie jene Prozesse, auf die als Nebenfolge ökologische Probleme zurückgeführt werden. Solche (rezeptartigen) Problemlösungsvorschläge dienen der Perpetuierung des Vertrauens in die Allgemeingültigkeit linearer Kausalitäten und somit zum Machterhalt jener Experten, denen die Vorschläge linear (und somit aufgrund der Inkorporation des Glaubens daran) plausibel erscheinen. Eine gesellschaftssystemisch spezifische Interpretation von Landschaft ist nicht festzustellen. Sowohl Schulbücher in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Deutschen Demokratischen Republik behandeln das Thema Landschaft in vergleichbarer naturwissenschaftlich-positivistischer Weise als Ergebnis des Wirkens von natürlichen Geofaktoren (bis in die 1980er Jahre)360. Zeitlich lässt sich jedoch in den späten 1980er und insbesondere seit den 1990er Jahren eine ökologisch-systemische Betrachtungsweise vor dem Hintergrund des Einflusses des Menschen auf angeeignete physische Landschaften feststellen. Dieser Einfluss wird ± bis auf wenige Ausnahmen ± negativ stereotypisiert361. Die Änderung des Landschaftsparadigmas zugunsten einer stärker ökosystemischen Ausrichtung (in der westdeutschen Geographie seit den 1970er Jahren), erfolgte in der (dann gesamtdeutschen) Schulbuchliteratur mit einer Phasenverschiebung in den späten 1980er und den 1990er Jahren, so lange dauerte die Ablösung der mit dem alten Paradigma sekundärsozialisierten Schulbuchautoren durch jene mit der Sozialisation mit dem neuen Paradigma.
Eine Ausnahme stellt die Publikation von Degn et al. (1965b) dar. Hier wird explizit auf Kulturlandschaft Bezug genommen. 361 Die Ähnlichkeit der Schulbücher in West- und in Ostdeutschland vor dem Beginn der Wiedervereinigung lässt sich auf die inhaltliche Ähnlichkeit der westdeutschen (bis in die 1960er Jahre dominierenden) Vorstellungen von Landschaft (insbesondere geprägt von Schmithüsen) und der ostdeutschen Neef-Schule zurückführen.
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10. Neben dem stark naturwissenschaftlich geprägten Landschaftsbegriff wird bisweilen ± allerdings völlig unvermittelt ± (wie bei Degn et al. 1965b) der Begriff der Kulturlandschaft eingeführt und exklusivistisch-ästhetisch begründet. Ein Vergleich oder Abgleich der beiden Landschaftsbegriffe erfolgt in keinem der betreffenden Schulbücher bzw. der Schulbuchreihen. Wobei bei beiden rezente menschliche Eingriffe als Bedrohung angesehen werden. Ziel ist in beiden Fällen die Erhaltung angeeigneter physischer Landschaft oder ± nach tiefer gehenden Eingriffen ± deren Invisibilisierung (beispielsweise in Form von Renaturierungen von Baggerseen). Die Perpetuierung von gesellschaftlich-landschaftlichen Soll-Vorstellungen als Stereotype (vgl. auch Paasi 1999), unabhängig ob es sich dabei konstitutiv um ökologische oder kulturlandschaftliche Soll-Vorstellungen handelt, lässt sich als das Ergebnis der individuellen und kollektiven Investition von symbolischem Kapital seitens von Expertinnen und Experten begreifen. Mit der Inkorporation der von Experten definierten landschaftlichen Soll-Zustände im Prozess der Sozialisation mithilfe von Schulbüchern verfolgen diese Experten eine Strategie, die der Entwertung ihres akkumulierten symbolischen Kapitals vorbeugt. Wird die in diesem Abschnitt vorgenommene Untersuchung von Kinder- und Jugendsach- sowie Schulbüchern vor dem Hintergrund der Habermasschen (1981a und 1981b) Theorie der Kolonisierung der Lebenswelten durch das Systemische interpretiert, kann von dem Versuch einer Kolonisierung eines lebensweltlichen primärsozialisierten Normal- und stereotypen Landschaftsbegriffs durch einen systemischen insbesondere naturwissenschaftlich-ökologischen ± in der sekundären Landschaftssozialisation der Kinder- und Jugendsach- sowie Schulbuchautoren erworbenen ± Landschaftsbegriff ausgegangen werden. Primärsozialisierte Landschaftsbegriffe werden entweder ± aus naturwissenschaftlicher Sicht ± als unwissenschaftlich und unexakt verworfen und sollen in den Bereich des als trivial Stigmatisierten und somit für den gebildeten Gebrauch wertlosen sinken (vgl. Fayet 2003) oder sie werden in Form von Kulturlandschaft aufgehoben, ästhetisiert und sakralisiert, wobei eine spezielle Landschaftssemantik der Beschreibung und Überhöhung des Historischen zur Anwendung kommt. 6.9 Landschaft und das Handeln von Mindermächtigen Bei dichotomer Betrachtung haben Macht und Herrschaft Komplementärgrößen: Mindermacht und Beherrscht-Sein. Der Führung steht das Folgen gegenüber. Bei dieser dichotomen Betrachtung wird außer Acht gelassen, dass sich der in einer Figuration Mächtige zugleich ± in anderen gesellschaftlichen Figurationen ± als mindermächtig erweist: Auf dem Zahnarztstuhl oder in der Verkehrskontrolle 291
nutzt dem Landschaftsexperten auch die Akkumulation höchster institutioneller und internalisierter kultureller und sozialer Kapitalia wenig, er ist in dieser Situation der Mindermächtige. Insgesamt sind die Motivationen und Handlungsschemata des Folgens sowie die Arrangierungsmechanismen Mindermächtiger deutlich weniger erforscht, als die Mechanismen von Macht, Herrschaft und Führung. Eine Typisierung des Folgens hat Paris (2003d) vorgelegt. Als formales Typisierungskriterium findet der Ägrößere oder geringere Grad inneren Einverständnisses, also die Intensität der Folgebereitschaft³ (Paris 2003d: 104) Verwendung. Auf Basis dieser Überlegung unterscheidet Paris (2003d) sechs Typen des Folgens: 1. Das begeisterte Folgen der begeisterten Anhänger. Sie folgen einer Führungsperson oder einer Idee mit Leidenschaft bedingungslos und ohne Einschränkung. Zu finden sind diese begeisterten Anhänger häufig in mehr oder minder autonomen, lokalen Basisinitiativen (vgl. Brand 1999), insbesondere in der Konstituierungsära der Gruppe, die Kuphal (2006: 39) als Phase der Äheißen Liebe und des heiligen Eides³ beschreibt, seltener in den großen und traditionsreichen Umwelt-, Heimat- und Landschafts(schutz)organisationen. 2. Bei dem entschiedenen Folgen stehen rationale Interessenskalküle im Vordergrund. Diese entschieden Folgenden bilden häufig die administrative Basis von Organisationen, deren Ziel der Umgang mit Landschaft ist, sei es auf korporativer oder behördlicher Ebene (siehe hierzu Brand 1999). Der Übergang vom begeisterten Folgen zum entschiedenen Folgen lässt sich insbesondere bei der Professionalisierung von Vereinen und Verbänden nachvollziehen; die häufig zu findende Inanspruchnahme staatlicher Fördermittel zwingt zu einer Festigung von Strukturen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, was vielfach zu einer Relativierung emphatischer Begeisterung zwingt (Kuphal 2006). Andererseits bieten sich in professionalisierten Strukturen auch neue Möglichkeiten einer beruflichen Perspektive für die entschieden Folgenden. 3. Das habituelle Folgen prägt den klassischen Mitläufer. Das Folgen einer Person oder einer Idee ist für ihn Ävor allem Gewohnheit, am Erreichen des Ziels ist er nur mäßig interessiert³ (Paris 2003d: 105). Der Sektor der alten Naturschutzverbände und der neuen Generation ökologisch orientierter Umweltorganisationen, aber auch wahl- und parteipolitische Organisationen (Brand 1999) haben eine große Zahl habituell Folgender. Man kommt zu großen Jahresereignissen, wie Jahreshauptversammlungen, Jahreskonferenzen, nimmt an der einen oder anderen Aktion (z.B. der Landschaftspflege) teil; der habituell Folgende dosiert sein Engagement aber so, dass Äer nicht weiter auffällt und niemandem in die Schusslinie kommt³ (Paris 2003d: 292
105). Vielfach wurden aus begeisterten oder entschieden Folgenden durch Motivschwund habituell Folgende: Das einstige Engagement ist anderweitigen Interessen oder Verpflichtungen gewichen bzw. wurde von Enttäuschungen unterminiert. Viele örtliche Gliederungen großer Verbände oder Parteien werden, weil sie nun einmal vorhanden sind, weitergeführt, und je länger sie bestehen, Ädesto verpflichtender erscheint irgendwie ihre Fortführung³ (Kuphal 2006: 40). Auch in behördlichen Strukturen finden sich zahlreiche habituell Folgende, die ihren ÃDienst nach Vorschrift¶ ohne Empathie und ohne große Ambitionen absolvieren. 4. Das automatisierte Folgen ist durch Gedankenlosigkeit und das Ausführen eines fremden Willens ohne eigene Reflektion geprägt. Der automatisiert Folgende ist insbesondere in nach dem Liniensystem hierarchisierten Organisationen (wie Behörden) zu finden: ÄEr ist nicht ergeben, er funktioniert³ (Paris 2006e: 105). 5. Dem widerwillig Folgenden sind dagegen die eigenen Vorstellungen präsent, allerdings folgt er, weil Äihm nichts anderes übrig bleibt und jedes offensive Ausscheren hohe persönliche Kosten nach sich zöge³ (Paris 2006e: 106). Die widerwillig Folgenden sind sowohl in Vereinen, Verbänden als auch in Behörden zu finden. Insbesondere bei letzteren ist ihr Potenzial hoch: Durch Dienstverpflichtungen einerseits und (insbesondere bei Beamten) durch Pensions- und Zusatzversorgungsansprüche andererseits an den Dienstherrn gebunden, ergeben sich häufig erhebliche Divergenzen zwischen eigenen politischen und fachlichen Überzeugungen und dem Handeln der politischen Führung, beispielsweise hinsichtlich der Verwendung von Fördermitteln für die Landschaftspflege oder die Dorferneuerung, der Errichtung von Kraftwerksgroßprojekten oder Verkehrseinrichtungen, der Planung von Baugebieten etc. Aufgrund der engen Bindung an den Dienstherrn (und der Gewissheit der begrenzten Verweildauer politischer Mandatsträger) hat das Äständige Maulen und Meckern³ (Paris 2006e: 106) jedoch keine Konsequenzen. 6. Der unter Protest Folgende stellt seine Folgebereitschaft offen zur Disposition. Obwohl er den eingeschlagenen Weg für den falschen hält, folgt er, da er bereits zu viele Verpflichtungen dem Führenden, der Idee oder der Organisation gegenüber akkumuliert hat. Folgen unter Protest ist in allen Organisationsformen mit Landschaftsbezug möglich, doch fällt es in nur schwach hierarchisierten und institutionalisierten Kontexten weniger schwer als in formalen Linienorganisationen. Ein charakteristisches Merkmal des Bewusstseins der entschieden, der habituell, der widerwillig und der unter Protest Folgenden ist ein unterschiedlich ausgeprägter Grad an ÄHalbglauben³ (Paris 1992: 110). Halbglauben zeichnet sich da293
durch aus, dass Glauben und Nichtglauben in charakteristischer Weise verschränkt sind, Ädass der Halbgläubige das, was er glaubt, gleichzeitig glaubt und nicht glaubt³ (Paris 1992: 110)362. Ein wesentliches Charakteristikum des Halbglaubens ist eine ± zumindest im öffentlichen Diskurs vorgetragene ± Dogmatisierung der Glaubensinhalte. Halbglaube kann eine stark selektive Wahrnehmung und einer Dämonisierung von anderen Auffassungen, aber auch Abstufungen und Relativierungen implizieren: Die Komplexität des Phänomens Landschaft in seinen ökologischen und sozialen Dimensionen wird auf das eigene Interesse als Bauern-, Jagd-, Denkmalschutz-, Forst-, Tourismus- oder Naturschutzverbandsvertreter reduziert, andere Landschaftsansprüche nicht, als nachgeordnet oder bestenfalls als Hilfsfunktion (z.B. Landwirtschaft in der Funktion als Erhalterin von Glatthafermähwiesen), dann aber argwöhnisch beobachtet, zugelassen. Dabei finden die immer gleichen Floskeln zur gesellschaftlichen, landschaftsästhetischen bzw. ökologischen Bedeutung der eigenen Gruppe Verwendung, deren Bedeutung letztlich eine selbstreferenzielle ist: die Selbstbestätigung der eigenen Position, quasi eine öffentliche Selbstüberredung, deren Funktion letztlich in dem Ausräumen von Zweifeln liegt (vgl. Paris 1992). Die Vertreter der anderen Interessensverbände sind einerseits ebenfalls in ihren Selbstüberzeugungsroutinen verstrickt, andererseits sind sämtliche Floskeln hinreichend bekannt, sie werden schließlich bei jeder sich (häufig) bietenden Gelegenheit geäußert (bei Verbandsversammlungen, Ministergesprächen, Gesprächen auf Arbeitsebene, gemeinsamen Arbeitskreisen etc.). Ersatz für die mangelnde inhaltliche Auseinandersetzung mit eigenen Positionen und jenen der anderen Halbgläubigen bietet die Externalisierung von Verantwortlichkeit zu den weit entfernten und zugleich konturierten ÄZentren des Bösen³ (Paris 2003e: 14) und die Personalisierung (Paris 1992): die persönliche Diskreditierung der Vertreter landschaftsbezogener Verbände, Vereine und Behörden. Die Selbstreferenzialität des Halbgläubigen wird in der häufig verlautbarten Äußerung Äder hat ja keine Ahnung von Landwirtschaft/Forstwirtschaft/Jagd/Denkmalschutz, der ist ja kein Landwirt/Förster/Jäger/Denkmalschützer³ deutlich: Nur wer selbst Landwirt/Förster/Jäger/Denkmalschützer ist, hat das Recht über Landwirtschaft/Forstwirtschaft/Jagd/Denkmalschutz zu sprechen, womit die argumentative Basis der Selbstreferenz hergestellt wird363. Die mangelnde (stets eingeforderte, aber selten 362
Während der begeistert Folgende in vollem Umfang in allen Konsequenzen glaubt, glaubt der automatisiert Folgende nicht, aber er glaubt auch nicht nicht; er folgt einfach. Ist bei dem entschieden Folgenden der Glaube größer als der Nichtglaube, dominiert der Nichtglaube bei dem widerwillig und dem unter Protest Folgenden, während der habituell Folgende durchaus Glauben und Nichtglauben vereinigt, der inneren Dissonanz jedoch nur wenig Beachtung beimisst. 363 Latour (2002: 28) formuliert die Verallgemeinerung aus dieser Forderung nach Selbstbezüglichkeit: Äman stelle sich vor, diese Losung würde verallgemeinert: Nur Politiker dürfen über Politik
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selbst gewährte) Resonanz seitens der anderen Halbgläubigen wird durch Hyperaktivität kompensiert (vgl. Paris 1992). Einerseits lässt sich mit Aktivismus Engagement und Opferbereitschaft (für die eigene Gruppe, die Idee, den Führenden) suggerieren, andererseits lässt er keine Zeit für selbstzweifelnde Reflektion: Wer auch in seiner Freizeit die Bedeutung der gepflegten physischen Landschaft auf Exkursionen erklärt bzw. die ÃVerbuschung der Landschaft¶ durch Mähaktionen Ãbedrohter Wiesen¶ bekämpft, dem fehlt die Zeit darüber nachzudenken, ob er nicht auf den ausgetretenen Spuren Don Quichotes wandelt. Das Handeln von Bürgermeistern auf (Verbands-)Gemeindeebene weist ± auch infolge einer geringen identifikatorischen Wirkung ihrer Gebietskörperschaft ± Züge des Agierens von Halbgläubigen auf; es ist geprägt von stark floskelhafter Rede (die Bedeutung der eigenen Gemeinde betreffend), Personalisierung von Konflikten (gegenüber anderen Gemeinden und größeren Gebietskörperschaften, z.B. Ãder Minister¶), Moralismus (Empörung, wenn die eigene Gemeinde nicht, wohl aber die Nachbargemeinde überörtlich in Publikationen lobend erwähnt wird), Hyperaktivität (bei dem Besuch von Vereinen und Dorffesten) und Apathie (hinsichtlich den Folgen des demografischen Wandels; vgl. Paris 1992). Dabei eignet sich Landschaft ± für die in ihrer Machtfülle eingeschränkte politische Führung ± in besonderer Weise als Symbol für die eigene Tatkraft. Mit der Schaffung, Förderung, Zulassung, bzw. Erhaltung physischlandschaftlicher Elemente lässt sich allseits sichtbar der eigene Gestaltungswille demonstrieren. Denn für viele Politiker ± so stellt Bourdieu (1992a: 152) fest ± zählt Äeine Maßnahme nur, wenn sie angekündigt und für realisiert gehalten werden kann, sobald sie öffentlich bekannt gemacht worden ist³. Landschaft wird zur Kulisse der politischen Selbstinszenierung. Mindermacht äußert sich nicht allein in Form des Folgens und des Halbglaubens, sondern auch in der Ablehnung von landschaftlichen Ist- und Sollzuständen. Der Widerstand gegen Planungen und deren Umsetzung wurde Äzunächst als Mangel an Aufklärung verstanden. Man glaubte, die Bevölkerung müsse nur über die guten Absichten der Planung informiert werden, dann werde jedermann einsehen, dass gewisse nebensächliche Unzulänglichkeiten für das große Ziel in Kauf genommen werden müssten³ (Burckhardt 1978a: 97). Burckhardt (1978a) sieht ± wie bereits angesprochen ± die Ursachen des Widerstandes gegen Planungen hingegen in der Einteilung der technischen Maßnahmen in Ziele und Mittel und ihrer Austauschbarkeit begründet: Es besteht das Ziel darin, eine Straße zu verbreitern, wobei als Mittel hierfür, die die Straße umgebenden Häuser abgerissen werden müssen; es besteht allerdings auch das Ziel des Bauwesens darin, anstelle von Wohnhäusern, Geschäftshäuser zu bauen, wobei das sprechen; nur Geschäftsleute über Geschäfte. Oder schlimmer noch: Nur Ratten dürfen über Ratten sprechen, Frösche über Frösche, Elektronen über Elektronen³.
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Mittel hierfür der Bau einer verbreiterten Straße ist. Daraus folgert Burckhardt (1978a: 97): Macht hat offenbar, wer Dinge überzeugend als Mittel und Ziele etikettieren kann. Widerstand entsteht da, wo der ideologische Charakter der Einteilung in Ziele und Mittel durchschaut wird³. Auch wenn ein Mindermächtiger häufig nicht in der Lage ist, die Umsetzung bestimmter landschaftlicher Sollzustände zu verhindern, so kann er ihre Umsetzung doch aufhalten ± insbesondere durch das Bemühen um die Aufmerksamkeit der (veröffentlichten) Öffentlichkeit. Eine spezifische ablehnende Reaktion der Mindermächtigen (aber auch anderer Mächtiger) auf die Definition und Durchsetzung landschaftlicher Sollzustände ist der Rückgriff auf das Prinzip des Doppelbinders. Dabei handelt es sich um Äselbstwidersprüchliche und gleichzeitig jeweils sanktionsbedrohte Handlungsaufforderungen, sodass jede der vorgegebenen Reaktionen des Adressaten negativ sanktioniert wird³ (Paris 2003b: 45). Die Nutzung der Methode des Doppelbinders ermöglicht es, in affektiv geladenen und durch Ressentiments geprägten Situationen stets Recht zu behalten. So wird Politikern bisweilen jede Kompetenz und Verantwortlichkeit abgesprochen, zugleich wird von ihnen Vollbeschäftigung, unbegrenzter Altruismus, Authentizität und Glaubwürdigkeit gefordert (vgl. Paris 2003b, Tänzler 2007). Die Realitätskonstruktion des Doppelbinders immunisiert dabei gegen widerstreitende Argumente und Erfahrungen und ist in ihrer semantischen Struktur so angelegt, dass sie prinzipiell unfalsifizierbar ist.
Abbildung 35:
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Graffiti, wie hier am Bahnhof Saarbrücken Ost, stellt einen bewussten Kontrapunkt zur (modernen) Ästhetik der Ordentlichkeit dar und ist Ausdruck alternativer kultureller Muster in städtischen Landschaften.
Die Argumentation des Doppelbinders lässt sich in der Reaktion Mindermächtiger auf landschaftsbezogene Planung in unterschiedlicher Ausprägung feststellen: Die Regierung des Saarlandes plant im Südosten des Landes, im Bliesgau, mit den dortigen Kommunen ein UNESCO-Biosphärenreservat. Diese Planungen stoßen bei Landwirten auf Widerstand, da eine Verringerung der Nutzung natürlicher Ressourcen befürchtet wird (vgl. Hussong 2006). Der Hinweis, die Landesregierung plane keine zusätzlichen Nutzungseinschränkungen für die Landwirtschaft, wird mit dem Hinweis gekontert, die derzeitige Landesregierung nicht, aber möglicherweise eine künftige. Hier greift das Prinzip der grünen Kassandra, die das Unheil an die Wand malt und behauptet, es sei lediglich noch nicht eingetreten. Eine andere Argumentation bezieht sich auf die Glaubwürdigkeit von Politik im Allgemeinen: Politiker lögen immer, wieso sollte man ihnen in diesem Fall der Zusage nicht geplanter Nutzungseinschränkungen trauen? Ein Dilemma, das auch nicht durch Versachlichung aufgelöst werden kann, denn Versachlichung wird letztlich als Verharmlosung interpretiert ± und der Vorwurf der Unglaubwürdigkeit scheint bestätigt (vgl. Paris 2003b). Der Protest gegen die physisch-landschaftlichen Repräsentanzen symbolischer Macht beschränkt sich nicht allein auf eine diskursive Dimension, er äußert sich auch physisch-räumlich. Die physisch-landschaftlichen Manifestationen gegen als Instrumente symbolischer Macht definierte physisch-landschaftliche Soll-Zustände reichen von der Bepflanzung der Vorgärten mit Xenophyten (z.B. Thujen), entgegen eines diesbezüglichen Pflanzverbotes durch eine kommunale Gestaltungssatzung, bis hin zur Zerstörung von rechtlich geschützten Landschaftselementen (z.B. Natur- oder Baudenkmäler). Ein wesentliches physischlandschaftlich manifestiertes Symbol des Protests einer Gegenkultur ist das Anbringen von Graffiti im öffentlichen Raum, insbesondere in städtisch geprägten Landschaften (Abbildung 35). Graffiti stehen im schroffen Gegensatz zum Geschmack der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung und werden in der Regel als ästhetische Nötigung empfunden, die ± zwar mit einem gewissen, nicht mehrheitskompatiblen kreativen Anspruch ± im Gegensatz zur Kunst der Offizialkultur steht (Paris 2000: 138): ÄWährend Kunst dem Publikum freistellt, sich ihr zu nähern oder nicht, okkupiert Graffiti das Wahrnehmungsfeld und lässt den Passanten keine Wahl³. Graffiti übertritt die Normen der Gestaltung des öffentlichen Raumes, es symbolisiert ± ähnlich den Klanglandschaften der Rockersubkultur ± die schleichende Autorität allgemeiner Normen (Popitz 1992) und die Relativierung des Gemeinsamen.
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6.10 Fallbeispiel 6: Kleinbürgerlicher Habitus und Landschaft ± Expertentum bei Modellbahnlandschaften Der Eisenbahnmodellbau bietet wie kaum ein anderes Freizeitbetätigungsfeld die Möglichkeit der Beobachtung der individuellen, aber sozial präformierten, physischen Konstruktion von Landschaft. Die sozialen Vorgaben hinsichtlich der Gestaltung der angeeigneten physischen Modellbahnlandschaft werden im Folgenden anhand von 17 Publikationen zur Gestaltung der Bereiche jenseits der Modellgleisanlagen untersucht. Konstitutiv für eine modellbahnerische Selbststereotypisierung wirkt die Abgrenzung gegen das Spielzeughafte. So beginnt Hill (2007: 5) das erste Kapitel seines Buches mit den Worten ÄMit diesem Band, liebe Leser, soll Ihnen geholfen werden, vom ÃSpielbahner¶ zum ÃModellbahner¶ zu werden³ (ähnliche Beispiele finden sich auch bei Stein 1994, Hill 2000 u.a.). Die deutlich distinktiv wirkende Abgrenzung zur Spielbahn wird durch eine Semantik der ernsthaften Befassung und Aufgabe für Erwachsene deutlich. Diese wird durch die sukzessive Übernahme der Eisenbahnersprache (statt vom Spiel wird häufig vom Fahrbetrieb, der möglichst nach Fahrplan ablaufen solle, gesprochen)364 oder der Fachsprache der Landschaftsexperten dokumentiert (so belehrt Stein 1994 seine Leser über die Anordnung von ober- und unterschlächtigen Mühlrädern, Wasserkraftwerke, das Aussehen von Sandstein, die Funktionsweise eines Bahnbetriebswerkes)365. Der konstitutive Unterschied zwischen Spielbahner, dessen Anlage so wirke wie Äeine Materialanhäufung ohne erkennbaren Sinn³ (Hill 2007: 6), und dem ernsthaften Modellbahner äußert sich in (mindestens) vier Ansprüchen: 1. Dem Anspruch als rollendes Modell Äein möglichst exakt verkleinertes Abbild des Originals³ (Rieche/Rieche 2003: 3) einzusetzen. Der Idealtypus dieses Modellbahners wird als ÃNietenzähler¶ bezeichnet, der jedes Detail des Modells anhand von Fotos, Betriebsnummernarchiven, Konstruktionsskizzen etc. überprüft. 2. Dem Anspruch auf Epochenreinheit366, d.h. auf der Modellbahnanlage nur Material einzusetzen, das auch gemeinsam beim Vorbild anzutreffen gewe364 Noch 1959 konnte Otto Hübchen (4) feststellen: ÄAber auch der Eifrigste [Modelllandschaftsgestalter; Anm. O.K.] sollte niemals ganz vergessen: Das Wichtigste bleibt der Fahrbetrieb, das Spiel [!] mit der Modell-Eisenbahn!³ 365 Die Expertenorientierung der Modellbahnlandschaftsexperten äußert sich auch in der Konsultierung externen Sachverstandes, so beschreibt Wiss (2004: 36), das ihm Äein Geologe viele Informationen zu dieser Landschaft [des Monument Valleys; Anm. O.K.]³ gegeben hätte, die ihm Ädie realistische Umsetzung erleichterten³. 366 Gegenwärtig werden fünf Epochen unterschieden: Epoche I (Länderbahnen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg), Epoche II (Zeit der Deutschen Reichsbahn), Epoche III (Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre), Epoche IV (1970er und 1980er Jahre mit einheitlicher Farbgebung und UICNummerierung; UIC = Union internationale des chemins de fer) und Epoche V (Zeit der ICE- und
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sen sein könnte (ein ICE auf einer Modellbahn, die eine Lokalbahn der 1910er Jahre darstellt, ließe Zweifel an der hinreichenden Ernsthaftigkeit des Modellbahners zu). 3. Dem Anspruch, eine Anlage zu bauen, auf der die Züge nicht einfach im Kreise herumführen, sondern ein abwechslungsreicher Betrieb möglich sei, bei dem möglichst die Züge aus der Richtung zurückkehrten, in die sie zuletzt gefahren seien (vgl. z.B. Kiegeland 1981, Stein 1994, Hill 2000, Rieche/Rieche 2003). 4. Dem Anspruch auf die Gestaltung einer möglichst Ãrealitätsnahen¶ Modellbahnlandschaft. Am Beispiel des zum ÃNietenzähler¶ parallelisierten hypothetischen ÃBlätterzählers¶ verdeutlichen Rieche/Rieche (2003) den Anspruch an den ernsthaften Modellbahner, der Gestaltung der Modellbahnlandschaft eine ähnliche Bedeutung beizumessen, wie der Maßstäblichkeit der Fahrzeuge367. Das Vorbild für die Modelleisenbahn wird dabei als Wirklichkeit, große Eisenbahn, schlicht Vorbild, Realität, Bundesbahn, Äwie in echt³ oder auch Natur (wobei ± wie bei Hübchen 1959 ± auch Städte und Industriebetriebe als Natur bezeichnet werden368) bezeichnet und stellt den Ãernsthaften¶ Modellbahner vor das Problem der Verkürzung und Selektion. Balke (2003: 8) bezeichnet das Äeigentlich größte Problem, das es bei der Planung einer möglichst naturgetreuen Landschaft zu bewältigen gilt³ als das ÃKilometer-Problem¶ der Ãverkürzten Natur¶, also das Problem, Landschaft übermaßstäblich verkleinert369, aber dennoch Ãglaubwürdig¶, darzustellen. In der für viele der untersuchten Publikationen charakteristischen normativen (häufig durch Abbildungen verdeutlichten) dichotomen Darstellung von richtig und falsch erläutert Balke (2003: 11) zunächst den bei Anlagen Äoft zu beobachtenden Fehler³ des Ästörende[n] Nebeneinander[s] Neigetechnikzüge). Die Normierung der Epochen wurde im Jahre 1968 durch Redakteure unterschiedlicher europäischer Modellbahn-Zeitschriften mit dem Ziel angeregt, ÄModellbahnern und Industrie Anhaltspunkte zu geben, ihre Anlagen in bestimmten Epochen anzusiedeln und dafür auch die richtigen Fahrzeuge zu bekommen³ (Hill 2007: 17). 367 Rieche/Rieche (2003: 3) weisen am Ende ihrer Einleitung auch darauf hin, dass jeder seinen Weg zur subjektiv für ihn passenden Modellbahnlandschaft finden müsse, denn schließlich sollte nicht vergessen werden: ÄModelleisenbahn soll Spaß machen!³. Eine Äußerung, die sich auch in anderen Publikationen sinngemäß findet, nachdem die Bedeutung von Landschaft und ihrem fachgerechten Aufbau in der Modelleisenbahnanlage erläutert wurde (z.B. bei Kiegeland 1981). 368 Diese Bezeichnung deutet auf einen sehr weiten bzw. variablen Naturbegriff hin, der sich hier in Abgrenzung zum Modell konturiert. 369 Eine exaktmaßstäbliche Verkleinerung einer Erhebung mit einer Reliefenergie von 500 Metern, die durchaus als charakteristisch für die deutschen Mittelgebirge gelten kann, bedeutete in den gängigen Maßstäben für Modellbahnanlagen von 1:87 (Baugröße HO) im Modell eine Höhe von rund 5,75 Metern, von 1:160 (Baugröße N) 2,14 Metern und selbst im Maßstab 1:220 (Baugröße Z) von 2,27 Metern. Höhenanforderungen, die weder in durchschnittlichen Kellerräumen noch auf ebensolchen Dachböden zu finden sind.
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von zu vielen Bahnstrecken und Bahnhöfen zu kleiner Anlagenfläche³, um dann zu erläutern, dass Äden optischen Gesamteindruck störende sichtbare Strecken [«] Ãweggetarnt¶ werden [müssen] mithilfe von Dammeinschnitten, Tunnelstrecken oder durch das geschickte Verbauen von Gebäuden³, schließlich sei das Ziel der Gestaltung ± Kiegeland (1981: 7) zufolge ± Äeine Landschaft, die so wirkte, als sei sie zuerst dagewesen, und später die Eisenbahn³. Die Entwicklung einer Modellbahn(landschaft) verläuft dabei als Synthese der Beobachtungen der Ãrealen Wirklichkeit¶ und den Wünschen, einen möglichst abwechslungsreichen Fahrbetrieb mit möglichst komplexer Landschaft zur Ãrealen Modellbahnanlage¶ zu schaffen. Die nahezu allgegenwärtige, stark normative Sprache der ModellbahnLandschaftsexperten ± Äden Bau eines Tunnels muss man aber geschickt planen [«]³ (Balke 2003: 39), Ädie richtige ÃEpoche¶ auswählen³ (Hill 2007: 17) oder der Titel des Heftes von Koch (2007) ÄLinks und rechts der Gleise ± wie Modellbahn-Strecken richtig gestaltet werden³ ± ist Ausdruck einer ± im Sinne Bourdieus (1987) ± kleinbürgerlichen Ideologie. Die (modellbahnbezogenen) Normal-Biographien der Autoren sind geprägt durch die Stationen: SpielbahnerKindheit, mehrere Versuche des Aufbaus einer Ãernsthaften¶ Modellbahnanlage (begleitet von vielen Fehlschlägen), Beobachtung dessen, was ÃNatur¶, Ãreale Welt¶ u.a. genannt wird, bisweilen Konsultation von Landschaftsexperten, Aufbau einer Ãwirklichen¶ Modellbahnanlage. Dabei wächst sich die Normativität des für Bildung gehaltenen pedantisch, häufig autodidaktisch gelernten Wissens bisweilen in einen nahezu repressiven Rigorismus aus, der charakteristisch für den von Ernsthaftigkeit, Hingabe, Fleiß, Präzision von asketischer Prinzipienstrenge geprägten Habitus des Kleinbürgertums ist (Bourdieu 1987) und sich Morphologischer Charakter Anteil in Prozent 11,58 Hochgebirge 75,79 Mittelgebirge Flachland 7,37 Küste 3,16 Abstrakt 2,11
Wald-Offenlandverteilung Anteil in Prozent Waldlandschaft 15,79 Halboffenlandschaft 77,89 Offenlandschaft 4,21
Zeitliche Einordnung Anteil in Prozent Epoche I 0,00 Epoche II 3,16 Epoche III 68,42 18,95 Epoche IV (früh) Epoche IV (spät)/V 8,42
Siedlungsgrößen
Gewässer
Anteil in Prozent Großstadt 13,68 Kleinstadt 18,95 12,63 Dörfliche Siedlung Vereinzelte Gebäude 44,21 18,95 Industriegebäude keine Gebäude 8,42
Anteil in Prozent Meer 3,16 15,79 See(n) Fluss/Flüsse 18,95 Bach/Bäche 37,89 keine Gewässer 30,53
Technische Anlagen Anteil in Prozent Schienen 100,00 Bahnhof/-höfe 92,63 Brücken 88,42 Tunnel 91,58 Befestigte Straße(n) 83,16 63,16 Wege
Tabelle 7:
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Merkmale der Modellbahnlandschaften in den untersuchten Publikationen (siehe Anhang). Insgesamt wurden 95 Modellbahnlandschaften untersucht.
auch in der Motivwahl der Gestaltung der angeeigneten physischen Modellbahnlandschaft niederschlägt: Die als beispielhaft dargestellten Landschaften wiesen überwiegend den Charakter einer stereotypen halboffenen Mittelgebirgslandschaft, häufig durchsetzt mit stehenden oder fließenden Gewässern, auf (Tabelle 7). Eine weitgehende Beschränkung auf ländliche Landschaften ± lediglich 13,7 Prozent der untersuchten Anlagen zeigt auch großstädtische Motive ± ist ein weiteres Element der Beschränkung auf eine traditionelle landschaftliche Ästhetik, das durch das scheinbar technische Diktat der Realismusideologie noch verstärkt wird370, als Ausdruck einer Sehnsucht nach (scheinbar) idyllischer Gemeinschaftlichkeit bei gleichzeitiger latenter Modernisierungs- und Großstadtkritik371. Hinsichtlich der zeitlichen Einordnung dominiert die sogenannte Epoche III, also die 1950er und 1960er Jahre, eine Zeit also, die neben der Dampflokromantik auch in ihrer konservativen Heimeligkeit und Wirtschaftswundersymbolik eine Klimaxvorstellung kleinbürgerlicher Ideologien ist. Die Ideologie der möglichst Ãrealistischen Darstellung¶ der realen Welt im Modell vergibt zahlreiche Chancen eines kontingenten phantasievollen Entwurfs von angeeigneter physischer Landschaft und zeitlicher Synthesen. Ein solcher spielerischer Umgang mit Landschaft wird aber durch exklusivistisches Denken des mittleren Geschmacks verhindert. Die Konstruktion von Modellbahnlandschaften der untersuchten Anlagen stellt dagegen einen Beitrag der normativen Rekonstruktion landschaftlicher Stereotype dar. Die Möglichkeit die Freizeitbeschäftigung Modelleisenbahn als Refugium des Lebensweltlichen zu bewahren wird auch hier durch das Eindringen des Systemischen durch Expertinnen und Experten unterminiert. 6.11 Governance als neues Planungsparadigma ± Überwindung von Machtstrukturen oder deren Perpetuierung? Das modernistische Prinzip der Ordnung und Reinheit in der Landschafts- bzw. allgemeiner in der Raumplanung sowohl in der Methodik als auch hinsichtlich der physischen Objekte, gerät zumindest latent durch inklusivistisch-postmodernes Denken in die Krise. Auf der Ebene des Umgangs mit angeeigneter physischer Landschaft bedeutet dies eine Abwendung von exklusivistischen und eine 370
Die Realismusideologie erschwert die Darstellung von Flachland ebenso wie Hochgebirgen, da hier die Reliefenergie zu groß ist, um sie nach alltagsweltlicher Vorstellung glaubhaft in einem Kellerraum oder Dachboden darzustellen und da es im Flachland schwer möglich ist, den Bau von Tunneln zu motivieren. 371 Ein weiterer Grund für die seltene Darstellung städtischer Landschaften mag in den vergleichsweise hohen Preisen für städtische Modellbauwerke liegen, doch ließe sich Großstadt auch durch die Montage von Städte statt Hoch- oder Mittelgebirge abbildende Hintergrundfotopanoramen darstellen.
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Hinwendung zu inklusivistischen Konzepten372, die durchaus in sich widersprüchlich (im Gegensatz zu den meist in sich widerspruchsfreien Konzepten der Planerinnen und Planer) ausfallen können (Ipsen et al. 2003). Auf der Ebene der Methodik bedeutet dies einen Bedeutungsverlust einer unmittelbaren administrativ-vermittelten Expertenplanung zugunsten einer stärkeren Integration von Laien in den Planungsprozess. Der institutionelle Rahmen eines ÃRepublikanischen Modells¶ dient der gemeinsamen Willensbildung von Bürgerinnen und Bürgern, aber auch unterschiedlichen Interessensvertretern (Simmen/Walter 2007). Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung, also die Beteiligung von Laien, ist Ägleichzeitig Ziel und konstitutive Bedingung (conditio sine qua non)³ (Gmeiner 2005: 140; vgl. auch Ipsen et al. 2003)373. Diese Integration von Laien in den Planungsprozess vollzieht sich im Kontext der fordistischen Krise mit dem damit verbundenen verringerten fiskalischen Handlungsspielraum des politisch-administrativen Feldes, dem Bedeutungsverlust des Nationalstaates, der Differenzierung und Pluralisierung von Lebensstilen und der damit verbundenen Schwächung der an großen gesellschaftlichen Kollektiven ausgerichteten Werte und Normen wie auch der fundamentalen Krise des räumlicher Planung Äzu Grunde liegenden Rationalitätsbegriffs³, der auf Änaturwissenschaftlich basierten Modellen einer Ãoptimalen Raumordnung¶ gegründet war³ (Wood 2003b: 142-143; vgl. auch Reichert/Zierhofer 1993). Die Integration von Laien in den Planungsprozess stellt eine Forderung vielfach postmodern orientierter Planerinnen und Planer dar (vgl. Brown 1989, Hartz/Kühne 2007). Sutter (2005: 222) diagnostiziert, Partizipation sei Äin den letzten Jahren zum Weg zwischen Scylla und Charybdis der Legitimationsdefizite von dezisionistischen und technokratischen Verhältnissen von Wissenschaft und Politik geworden³374. Die Demokratisierung von Expertise ist primär mit der Erwartung verbunden, die Motivation der Beteiligten zu steigern, die Werte- und Wissensbasis zu verbreitern, Konflikte zu vermeiden bzw. zu regeln und die Le372
Ein Beispiel für die Manifestierung der Krise der Ideologie von Ordnung und Reinheit in der Planung sind die in Abschnitt 5.3 (Kontingenz und gesellschaftliche Landschaft ± Paradigmen zum Umgang mit angeeigneter physischer Landschaft) vorgestellten Konzepte der reflexiven Gestaltung physischer Landschaft und der Umdeutung von gesellschaftlicher Landschaft. 373 Neben dem kurz vorgestellten Republikanischen Modell lassen sich als Kommissionsmodelle auch das ExpertInnenmodell (das sich aus Fachleuten aus den unterschiedlichen Wissensdisziplinen zusammensetzt) und das Stakehoder-Modell (die aus Experten und Interessensvertreten gebildet werden) nachweisen. Während bei diesen beiden Modellen die Gefahr der Instrumentalisierung der jeweiligen Kommission für die jeweiligen gruppenspezifischen Interessen nahezu konstitutiv ist, besteht bei dem Republikanischen Modell die Möglichkeit der Steuerung durch die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und die Festlegung der Agenda. Jedoch ist hier die Steuerungsmöglichkeit deutlich indirekter (vgl. Gmeiner 2005). 374 So stellt Weingart (2001) fest, dass es dezisionistischen Entscheidungen, sofern sie durch eine Rationalitätslücke geprägt sind, an der öffentlichen Zustimmung mangelte (siehe auch Sutter 2005).
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gitimität politischer Entscheidungen zu steigern (vgl. Heinelt 1997, Kropp 2002, Abels/Bora 2004). Diese Verbreiterung der Basis von Expertise stellt eine Form von governance dar und grenzt sich somit gegen die hierarchischen, dirigistischen und zentralistischen Verfahren traditioneller staatlicher Steuerung, dem government, ab375. Die Einbeziehung der Bevölkerung bedeutet in einem zirkulären Planungsprozess auch eine weitere Entmachtung von gewählten Politikern und hierarchisch organisierten öffentlichen Verwaltungen. Gemäß der Habermasschen Theorie des Kommunikativen Handelns (Habermas 1981a und 1981b) lässt sich der Versuch der Integration von Laien in den Planungsprozess als Versuch interpretieren, lebensweltliche Bezüge in das Systemische zu integrieren (oder zumindest eine Wiederannäherung zu erreichen), was aus postmoderner Sicht als eine Dedifferenzierung der gesellschaftlichen Subsysteme zu verstehen wäre (vgl. Kühne 2006a). Ein Beispiel für ein neues Planungsverständnis liefert Brown (1989), indem er als theoretischen Rahmen von Planung den postmodernen symbolischen Realismus vorschlägt, dessen Erkenntnis leitender Ansatz die textuelle Metapher ist und der methodisch auf hermeneutischem Verstehen (der Motive und Handelnden) einerseits, und der strukturalen Analyse (der von den Handelnden nicht reflektierten Beschränkungen ihres Handelns) andererseits liegt376. Das Planungsverständnis des symbolischen Realismus kontrastiert Brown (1989) an dem positivistischen Modell: Während das positivistische Modell davon ausgeht, mithilfe der Erstellung eines auf der objektiven Realität basierenden rationalen Plans unter Ausschluss von Alternativen einen Soll-Zustand zu definieren, wird im symbolisch-realistischen Modell die Realität als konstruiert und die auf dieser Erkenntnis aufbauende Planung als Prozess verstanden, der auf verhandelbaren Schritten, nicht auf der Definition eines finalen Soll-Zustandes basiert. Werden im positivistischen Modell die Rollen der fach- und sachkompetenten Eliten von den wertkompetenten Bürgern getrennt, wird symbolischrealistische Planung auf Grundlage des Prozesses des gegenseitigen Lernens praktiziert. Formuliert das positivistische Modell eine Unabhängigkeit von Zielen von den wertneutralen Mitteln, fordert der symbolische Realismus eine Kontrolle von Zielen und Mitteln durch die Bürger.
375 In diesem Zusammenhang wird auch häufig von der Ablösung von Top-down- zugunsten von Bottom-up-Modellen gesprochen. 376 Eine genauere Charakterisierung des Ansatzes von Brown (1989) findet sich auch bei Preglau (2001).
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Während sich die positivistische Planung an der Perfektion ihrer Zielerreichung misst, wird die Qualität symbolisch-realistischer Planung an dem Grad der Integration der von der Planung betroffenen gemessen. Orientieren sich positivistische Planerinnen und Planer bei ihren Entscheidungen an Kriterien, die sie während seiner sekundären Sozialisation internalisiert haben, orientieren sich symbolisch-rationalistische Planerinnen und Planer an der Aushandlung des Handlungsrahmens. Werden in der positivistischen Planung politische Entscheidungen von Sachentscheidungen getrennt und dort von Politikerinnen und Politikern, hier von Expertinnen und Experten getroffen, lassen sich in der symbolischrationalistischen Planung technische und politische Entscheidungen nicht trennen, da diese Entscheidungen auf beiden Ebenen von Bürgern mitentschieden werden. Gilt es in der positivistischen Planung, die Planungsrationalität zu steigern, muss diese symbolisch-rationalistisch durch ästhetische Elemente ergänzt werden377. Aufgrund der Zirkularität des Planungsprozesses mit zahlreichen Planungsbeteiligten, die unterschiedliche Raumansprüche vertreten, ist ein einheitlicher und sorgsam komponierter Gesamtentwurf bei governance-basierten Planungsverfahren die Ausnahme. Aus einer monovalenten Landschaft mit in sich geschlossener Symbolik (wie einer absolutistischen Stadt) wird eine polyvalente Landschaft mit offener Symbolik. Ein auf symbolisch-rationalistischer Basis beruhender Planungsprozess setzt allerdings nicht allein bei Planern ein hohes Maß an Bereitschaft voraus, die eigene Rolle zu reflektieren und zum Teil neu zu definieren, vielmehr gilt es auch für den Bürger, seine Rolle als bourgeois, also des Besitzbürgers, zu verlassen und durch die des citoyen zu ersetzen, dessen Entscheidungen nicht primär am persönlichen Wohlergehen, sondern vielmehr an den Überlegungen zum Gemeinwohl, orientiert sind (Skorupinski/Ott 2002). Holm (2006: 30) kritisiert Beteiligungsverfahren in ihrer disziplinierenden Wirkung als eine herrschaftsstabilisierende: ÄIhre disziplinierende Kraft liegt in den Verfahren selbst, die einem geheimen Lehrplan gleich, bestimmte Verhaltensweisen und Denkmuster fordern und fördern³. Durch die Vermeidung einer restriktiven Anwendung rechtlicher Instrumentarien durch Aushandlungsprozesse zwischen öffentlichem und priva
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Preglau (2001) nennt dieses Vorgehen Browns deswegen postmodern, weil es die modernen Dichotomien von Rationalität und Irrationalität, Objektivität und Subjektivität, Faktizion und Fiktion u.a. ebenso unterläuft wie die modernen Hierarchien von Experte und Laie, Wissenschaft und Alltagswissen etc. und statt dessen eine prinzipielle Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung pluraler Perspektiven fordert. Darüber hinaus negiert ± so Preglau (2001) ± die symbolisch-rationalistische Planung einen universellen Planungshorizont zugunsten der Möglichkeit der Artikulation partikularer Zukunftsperspektiven in einem offenen Planungsprozess.
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tem Interesse, werden die rechtlichen Instrumente nicht außer Kraft gesetzt, sondern Äals Drohkulisse in die Verhandlungen eingebracht und dienen eher indirekt der Durchsetzung der angestrebten Ziele³ (Holm 2006: 100). Aufgrund der Internalisierung der Sanktionskulisse wird Macht nicht mehr von dem Herrschenden durchgesetzt, sondern von dem Beherrschten selbst gestaltet (vgl. Lemke 1997). Darüber hinaus ist es selbst fachlich qualifizierten Bürgerinnen und Bürgern nur selten möglich, Ämit den zeitlich beschränkten Ressourcen ihres Feierabendengagements eine dauerhafte und gleichberechtigte Partnerschaft in den Aushandlungs- und Diskussionsprozess einzugehen³ (Holm 2006: 134); andere Laien, insbesondere solche, deren Artikulationsmöglichkeiten aufgrund sozial oder kulturell verminderter Teilhabemöglichkeiten eingeschränkt sind, werden als nicht kommunikationsfähig von dem Verfahren der kollektiven Meinungsbildung ausgeschlossen ± womit die Ansprüche an Landschaft von Mindermächtigen (zum Beispiel der Armen und Ausländer) nicht hinreichend repräsentiert und auch nicht untersucht werden. Eine prinzipielle Verminderung expertenbasierter Macht findet durch die Implementierung gouvernementaler Strukturen nicht statt: Den Fach- und Sachverständigen treten vielfach Expertinnen und Experten der Vermittlung des Bürgerwillens zur Seite. 6.12 Landschaft und Macht ± ein vorläufiges Fazit Allgemein lässt sich das Spannungsfeld von Landschaft, Macht, Expertentum und Laien mit Horkheimer/Adorno (1969: 15) folgendermaßen beschreiben: ÄDie Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie Macht ausüben. Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren kann. Dadurch wird ihr An sich Für ihn. In der Verwandlung enthüllt sich das Wesen der Dinge immer als je dasselbe, als Substrat von Herrschaft³.
6.12.1 Arten stereotyper Landschaften Die stereotypen Landschaften von Literatur, Malerei, Filmen, Fotografie, Computerspielen und Cyberspace einerseits sowie die Landschaftszonen der Schulgeographie (bzw. der Kinder- und Jugendsachbuchautoren) amalgamieren zu der stereotypen Konstruktion Ãtypischer¶ Landschaften. Diese stereotypen Landschaftskonstruktionen stehen in einem positiven Rückkopplungsverhältnis: Filmemacher, Programmierer von Computerspielen und Cyberspace-Landschaften, aber auch Fotografen, Maler und Autoren greifen auf ein Repertoire stereotyper Landschaftskonstrukte zurück, die durch die schulische und außerschulische 305
Vermittlung klar abgegrenzter und klar durch Expertinnen und Experten definierter geographischer (stereo)typischer Landschaftszonen scheinbar exakt und wissenschaftlich abgesichert zu den diffusen Alltagskenntnissen sedimentiert wurden und durch Fotos (insbesondere Postkarten), Gemälde, Reisekataloge (vgl. Nohl 2004), Spielfilme (auch Reportagen und Dokumentarfilme), Romane und Reiseberichte (aber auch Sachbücher) sowie die Kulisse von Computerspielen, Second World und virtuelle Landschaftsbauprogramme, aber auch Zoos, bei denen nicht mehr Tiere allein, sondern deren spezifische (stereo)typische Lebensräume ausgestellt werden (Grotmann/Fuchs 2004, Wauschek 2004, Vogt 2007), abgesichert werden. Der rekursive Verstärkungsprozess dieser landschaftlichen Stereotype ist in besonderer Weise wirkungsvoll, da das Systemische, repräsentiert durch die Konzipierung (stereo)typischer Landschaften, durch das scheinbar Lebensweltliche der Filme, Computerspiele und Fotos das Lebensweltliche kolonisiert und die scheinbar lebensweltlichen Landschaftsstereotype durch die von Expertinnen und Experten getragene Institutionalisierung in Schulen und Hochschulen stabilisiert werden (vgl. Dreitzel 1962). Im Einzelnen lassen sich acht klassische Landschaftsstereotype benennen: 1. Die stereotype Landschaft Mitteleuropas, deren wesentliche Elemente Hügel, Wälder, eine kleinparzellige Landwirtschaft mit Obstbäumen, mäandrierende Flüsse und Bäche, Bauernhöfe sowie kleine Dörfer (Ãin die Landschaft eingepasst¶) sind und die klimatisch durch den Wechsel von vier Jahreszeiten geprägt ist, deren stereotype Ausprägung in heißen, trockenen Sommern, stürmischen Herbsten, schneereichen Wintern und blühenden Frühjahren bestimmt ist. Ästhetisch ist diese stereotype mitteleuropäische Landschaft in den Bereich des lieblich-arkadischen einzuordnen, wobei dieses als durch eine industrielle Landwirtschaft, die Expansion von Siedlungen (außer des eigenen Hauses im Grünen), Verkehrsflächen, insbesondere Industrie, sauren Regen, aber auch durch die Begradigung von Fließgewässern gefährdet gesehen wird. 2. Die stereotype Landschaft des Mittelmeerraumes, die archetypisch auf der arkadischen Landschaft Italiens (angelegt durch Malerei, Reiseberichte und eigene Reisen) fußt. Die wesentlichen Elemente der stereotypen Landschaft des Mittelmeerraumes sind Hügel, Akazien, Strände, kleine (auch hier: Ãin die Landschaft eingepasste¶) Fischer- und Bauerndörfer, Hügel, Hitze bei unbewölktem Himmel, alternativ bei Lavendelblüte, also das stereotyp stark Sommerlastige. Ästhetisch wirkt diese stereotype Landschaft lieblich-arkadisch, deren Gefährdung insbesondere durch Waldbrände, Verkarstung und ÃHotelburgen¶ (außer derer, die selbst bewohnt werden) gesehen wird. 3. Die stereotype Landschaft der Wüsten, deren Archetyp (zumindest in Mitteleuropa) die Sahara darstellt und deren prägende Elemente Sand, Dünen 306
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(insbesondere Wanderdünen), extreme Trockenheit und Hitze darstellen und die ± wenn überhaupt ästhetisiert ± durch Erhabenheit gekennzeichnet ist. Diese Landschaft wird gemeinhin nicht als gefährdet stereotypisiert, vielmehr wird sie eher als Gefährdung wahrgenommen, entweder individuell durch ein potenzielles Geworfen-Sein (dem man sich lediglich durch die ebenfalls stereotyp belastete Oase entziehen kann) oder kollektiv durch Wüstenexpansion, hervorgerufen durch den Klimawandel, als Bedrohung der stereotypen lieblich-arkadischen Landschaften des Mittelmeerraumes. Die stereotype Landschaft des Exotischen (insbesondere der Tropen) ist geprägt durch undurchdringliches Dickicht und feucht-heißes Klima, zu deren ästhetischer Erhabenheit ein nahezu dialektischer Kontrapunkt das Stereotyp des lieblichen Strandes bildet. Auch die stereotype Konstruktion der Gefährdung trägt dialektische Züge: Auf individueller Ebene dominiert die Furcht vor eigener Gefährdung (wilde Tiere und Menschen), auf kollektiver Ebene die Gefährdung durch Abholzung (oder allgemeiner: Ausbeutung). Die stereotype Landschaft der Offenländer besteht aus einem gemeinsamen in der Regel nicht nach Genese differenzierten Stereotyp für Steppen und Savannen. Archetypisch sind hier die russische Steppe und die Serengeti (insbesondere infolge der Dokumentationen von Bernhard Grzimek). Die stereotype Landschaft der Offenländer ist geprägt durch spärliche Vegetation, sie ist flach, trocken und heiß (Serengeti) oder kalt (Ãrussische Steppe¶). Hinsichtlich der Ästhetik dominiert das Motiv der erhabenen Weite. Eine Gefährdung der stereotypen Landschaft wird ± wenn überhaupt ± in der Bejagung von Tieren gesehen, während das Gefährdungspotenzial für den Menschen entweder durch wilde Tiere oder durch klimatische Ungunst (Hitze und Kälte Ãrussischer Winter¶) stereotypisiert wird. Die stereotype Landschaft der kalten Klimate lässt sich geographisch auf Sibirien, aber auch Kanada und Alaska (letztere insbesondere filmisch vermittelt) beziehen. Als stereotype Grundlandschaftsausstattungselemente sind Wälder (ÃTannen¶) und Offenländer (ÃGras¶) in entweder un- (ÃEbene¶) oder stark reliefiertem Gelände (ÃGebirge¶), bisweilen auch Gewässer zu finden. Als ästhetisches Erfahrungsmuster dominiert die Erhabenheit. Als stereotypes Gefährdungspotenzial steht für die Landschaft die Abholzung (Kanada), für den Menschen wilde Tiere und die Konfrontation mit Kälte gegenüber. Die stereotype Landschaft des ewigen Eises gilt als lebensfeindlich und ästhetisch durch Erhabenheit erlebbar. Die Gefährdung durch den Klimawandel wird ob der zugeschriebenen Lebensfeindlichkeit sehr indirekt und distanziert wahrgenommen.
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Die stereotype Landschaft der Hochgebirge wird anhand der Archetypen Alpen ± kulturell insbesondere sedimentiert durch Malerei, Dichtung, Reiseliteratur, (Heimat-)Filme ± und Rocky Mountains ± insbesondere durch Spielfilme us-amerikanischer Provenienz. Konstitutive Elemente dieser stereotypen Landschaft sind schroffe Felsen, große Reliefenergien, Eis, Schnee und Gewässer, die als erhaben stereotypisiert werden, aber bisweilen an lieblich-romantischen Bergdörfern und Almen kontrastieren. Die Wahrnehmungsmuster der Gefährdung beziehen sich für die Landschaft auf die globale Erwärmung (Gletscherschwund) und Tourismus, auf der individuellen Ebene auf Wetterumschwünge, Hangrutsche und Lawinen. Diesen acht klassischen Landschaftsstereotypen lässt sich im Zuge der distinktiv wirkenden Ästhetisierung der physischen Manifestationen moderner wirtschaftlicher Tätigkeit eine stereotype Landschaft der (Alt-)Industrie als symbolische Verallgemeinerung des Wirtschaftlichen, insbesondere wirtschaftlicher und allgemein menschlicher Vergänglichkeit gegenüberstellen. Diese Landschaft wird als hässlich, Umwelt belastend, als Endzeitlandschaft stereotypisiert, die eher sozial und ökologisch gefährdend als gefährdet (dies ohnehin vorwiegend durch Intellektuelle) ± wenn überhaupt ± ästhetisch erhaben wahrgenommen wird378. 6.12.2 Landschaft im macht- und distinktionsdeterminierten rekursiven Kontext von Laien und Experten Im gesellschaftlichen Landschaftsbezug findet häufig eine von Machtinteressen geleitete Amalgamierung von Analyse und Normativität statt: Die Konstruktionen des Stereotypen, des (Stereo)Typischen und des Typischen in der gesellschaftlichen Landschaftsbefassung stellen zunächst einmal abstrahierte Beschreibungen physischer Räume dar. Diese werden jedoch dann handlungsleitend, wenn sie ± undifferenziert ± mit einer normativen Komponente mit dem Ziel der Erhaltung verknüpft werden379. Die distinktive Ästhetisierung von angeeigneter physischer Landschaft in ihrer Bedeutung zur Sicherung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse und die Ablenkung von sozialen Zwängen stellen le378
Die die stereotypen Landschaften interpenetrierenden (stereo)typischen Landschaften sind in der Regel differenzierter konstruiert, dennoch lassen sich bisweilen auch hier implizite Rückgriffe auf die genannten acht klassischen globalen Landschaftsstereotype feststellen. So fasst Köppen (1923) in seiner klassischen Klimaklassifikation die Trockenklimate unabhängig ihrer Genese und Ausprägung als Jahres- oder Tageszeitenklima zusammen. Dabei werden die Trockensavannen als Steppen klassifiziert (vgl. auch Büthgen/Weischet 1980). 379 Ein Vorgang, der in der Praxis der Planung des physischen, aber auch des ökonomischen Raumes durchaus tradiert ist: So dient das deskriptive Modell der Zentralen Orte als Norm wie die Amalgamierung von zentralörtlichem Ist-Zustand (Ãxy¶ ist mittelzentraler Ort) und Soll-Zustand (Ãxy¶ sei mittelzentraler Ort, indem er durch die Raumordnung in seiner Zentralität gestärkt wird).
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diglich zwei Elemente des Systems von Macht und Landschaft dar. Angeeignete physische Landschaft ist zudem Ausdruck von gesellschaftlichen Verfügungsrechten. Sie ist physisches Manifest ökonomischer, politischer, sozialgemeinschaftlicher und kultureller Macht- und damit auch sozialer Über- und Unterordnungsverhältnisse. Oder stark verkürzt ausgedrückt: Angeeignete physische Landschaft ist verdinglichte Macht. Darüber hinaus stehen soziale Distinktion und die Manifestation von Macht in der physischen Landschaft in einem rückgekoppelten Verhältnis: Die physischen Manifestationen von Macht symbolisieren das latente oder manifeste Streben zur sozialen Distinktion und soziale Distinktion wiederum manifestiert sich durch differenzierte Eigentums-, Besitz-, Zutrittsund Nutzungsrechte von angeeigneter physischer Landschaft, die durch Machtkommunikationen gesellschaftlich durchgesetzt werden. Letztlich findet sich auch bei dem gesellschaftlichen Bezug zu Landschaft ein (experten)herrschaftsstützender und (scheinbar legitimierender) Rückkopplungsmechanismus: Was (angeeignete physische) Landschaft ist und wie (angeeignete physische) Landschaft auszusehen hat wird von Expertinnen und Experten definiert und durch das Bildungssystem (und durch signifikante Andere) sozialisiert. Die Soll-Vorstellungen von Landschaft sind somit allgemein sozialisiert. Der Wille der Herrschenden (in diesem Falle der Expertinnen und Experten) wird aufgrund der um exklusivistische Interpretationen bemühten Inkorporierung zum Willen der Beherrschten selbst (Foucault 1977). Werden die Bürgerinnen und Bürger in den Prozess der Landschaftsplanung als Grundlage der Landschaftsentwicklung integriert, wird wiederum (außer bei Intellektuellen mit Landschaftsbezug) auf die sozialisierten landschaftlichen Interpretationsmuster und auf von Expertinnen und Experten definierte Landschaftssollvorstellungen zurückgegriffen. Der Diskurs der Expertinnen und Experten scheint demokratisch legitimiert, zumal implizit die Zuschreibung von Problemlösungskompetenz von Experten gegenüber von Politikern ± aber auch von Bürgerinnen und Bürgern ± bereits in der Schule (im Zusammenspiel mit signifikanten Anderen, peer-groups u.a.) inkorporiert wird. Ein zentraler Mechanismus der Sicherung der Macht von Expertinnen und Experten (sowohl von Sach- als auch von Fachverständigen) sind ÄRationalitätsfiktionen³ (Schimank 2006: 79), die einerseits Äals Handlungsorientierungen schlicht unentbehrlich³ sind, aber andererseits Ädie chronische Gefahr eines unbemerkten Rationalitätsverlustes gesellschaftlichen Handelns³ bergen: Einmal als richtig erkannte Landschaftserhaltungsparadigmen werden ± auch in geändertem gesellschaftlichen Kontext ± unhinterfragt fortgeschrieben, Kontingenz desavouiert380. 380
Insofern stellt auch der Ausdruck der Kulturlandschaft einen Euphemismus dar (Kühne 2006c). Die Machtverhältnisse wirken als Daten setzende Macht (Popitz 1992) in doppelter Weise: Die in der angeeigneten physischen Landschaft zum Ausdruck kommenden Folgen und Nebenfolgen des tech-
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Die der Produktion der physischen Landschaft zugrunde liegenden Machtstrukturen wurden und werden im Zuge der Modernisierung der Gesellschaft zunehmend von bürokratisierten Organisationen reglementiert. Die Bürokratisierung wiederum stützt sich ± als Teil der allgemeinen funktionalen Differenzierung der Gesellschaft ± auf Landschaftsexperten. Deren individuelle Entwürfe der Begriffe, Ziele, Paradigmen und Konzepte des Umgangs mit physischer Landschaft transzendieren die Interessen der Sekundärsozialisationsgruppe, die in Form sozialer Kapitalisierung informell die formalen Organisationsstrukturen der öffentlichen Verwaltung durchziehen. Die Umsetzung der auf diese Art gewonnenen Soll-Vorstellungen physischer Landschaft vollzieht sich wiederum nicht, oder aber stark abgeleitet, demokratisch legitimiert, mithilfe des technischen Staates (Schelsky 1965). Die stellvertretende Befassung mit Landschaft durch Expertinnen und Experten ist also auch ein Element des Prozesses, den Michels bereits 1911 in seinem Äehernen Gesetz der Oligarchie³ als scheinbar universales Schicksal jeder kollektiven Politik beschrieb: ÄDie Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wählenden, der Beauftragten über die Auftraggeber, der Delegierten über die Delegierenden³ (Michels 1911: 384). Insbesondere organisierte Stellvertretungen (auch deren Selbstorganisationen) entziehen den Delegierenden und Beauftragenden ein erhebliches Machtpotenzial, da diese organisierten Stellvertretungen keine bloße ÄSummierung individueller Vertreter³ (Sofsky/Paris 1994: 178) darstellen. Aufgrund der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft ist es Landschaftsexperten gelungen, die Landschaftsdefinitionshoheit zu erringen und die Sicherung ihres Standes dadurch abzusichern, dass jeder Transformationsprozess, sei es infolge von gesellschaftlichen Wachstums-, Schrumpfungs- oder sogar Stagnationsprozessen (Beispiele sind eine Intensivierung oder Extensivierung landwirtschaftlicher Nutzung, die Zunahme oder Abnahme von Bevölkerung), als Problem kommuniziert wird, das nur unter Anwendung von unterschiedlichen Steuerungsmodellen (von Anreizen bis hin zu Ge- und Verboten) lösbar sei. Nebenfolge (bzw. Folge) dieser Problemlösung ist dabei die Sicherung von Machtressourcen für die jeweiligen Experten durch die Institutionalisierung von Maßnahmen. Die in den unterschiedlichen Milieus akzeptierten Landschaftskonzeptionen definieren einen Handlungs- und Interpretationsrahmen, der eine alternative Landschaftskonstruktion, also Kontingenz, einschränkt und das (Stereo)Typische zur Norm erhebt, nischen Handelns sind die Manifestation zum Einen der Macht über die Kräfte der Natur und zum Anderen der Objekt vermittelnden Entscheidungsmacht über die Lebensbedingungen anderer Menschen (vgl. Popitz 1992). Die Sakralisierung dieses Ergebnisses als ÃKultur¶ wiederum ist Äeine der großen europäischen Imaginationen, der einer möglichen Harmonie von Mensch und Natur³ (Hauser 2001a: 240) und damit eine Verschleierung der sozialen Tatsachen und dient somit wiederum einer unreflektierten Erhaltung dieser Machtstrukturen.
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ein Vorgang, der sich als Ideologisierung charakterisieren lässt. Für das Normativ-(Stereo)Typische gibt es nicht ± wie für Ideologien ± Äkomplizierte Prozesse der Wechselwirkung, vielschichtige Sozialstrukturen usw., sondern sie folgen den Gesetzen der naiven Eindruckbeurteilung, indem sie zunächst eine Primärstellung der Welt nach Sympathie und Antipathie, positiv und negativ vornehmen und dann den ÃSündenbock¶ etikettieren³ (Bergler 1976: 84).
Im Verhältnis von Politik und Wissenschaft hat wissenschaftliche Expertise die Funktion der Legitimationsquelle, sie ist die Grundlage der Entkomplexisierung von Welt für die politischen Entscheider und bedeutet zugleich eine Externalisierung von Verantwortung von der Politik zu den Experten. Trotz der derzeitigen Wissenschafts- und Expertenskepsis bleibt Äwissenschaftliche Expertise nach wie vor die wichtigste Ressource für die Politik, wenn es um riskante und kontroverse Entscheidungen geht³ (Bogner/Torgersen 2005: 7). Dennoch ist es von zentraler Bedeutung in einem demokratischen Gemeinwesen, die Eigeninteressen und unterschiedlichen Kommunikations- und Bezugscodes von Entscheidern, Fachverständigen und Sachverständigen zu reflektieren und somit das jeweilige Handeln in diesem komplexen Mehrebenensystem zu betrachten und vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Wirkungen kritisch zu hinterfragen (vgl. Saretzki 2005). Die zentrale Frage nach der Eigenlogik der Kommunikation der einzelnen Felder darf dabei nicht zu einem dichotom-moralischen Gut-SchlechtSchema simplifiziert werden, sondern muss vielmehr die Zunahme der Komplexität im Gefüge von Nicht-Wissen, unsicherem Wissen, Risiko, Fach- und Sachverständigen, Entscheidern sowie Bürgerinnen und Bürgern reflektieren (vgl. Paris 1998a). Prinzipiell besteht seitens der Mindermächtigen ± also der Laien ± die von Hirschman (1981) so formulierte Exit-Option, also der Aufkündigung der Loyalität seitens der Laien und deren Wechsel in die Kommunikationsmuster des politischen Systems, in welchem sie dann durch Initiativen, Petitionen, Eingaben und Demonstrationen Äihre Ansprüche an die Wissenschaft stellen und so Einfluss auf die Gesetzgebung und damit auf die Regulierung der Forschung nehmen könnten³, doch erscheint das Einlösen dieser Exit-Option vergleichsweise unwahrscheinlich. Einerseits wird seitens der Expertinnen und Experten auf Mikro-Ebene von Gutachten und Fallstudien und auf Meso-Ebene der Institutionen der Kontakt zur Öffentlichkeit (Nowotny 2005) gesucht (u.a. durch Tage der offen Tür), andererseits sind die Austauschbeziehungen des symbolischen Kapitals zwischen Entscheidern, Fachverständigen und Sachverständigen derart intensiv, dass nur eine massive Transformation der Generierung sozialer Statusund Hierarchiebeziehungen hier eine nachhaltige Modifikation bewirken könnte. Weitere Bestimmungsgründe für die Unwahrscheinlichkeit der Wahl der ExitOption ist das in der primären (Landschafts)Sozialisation angelegte Verhaltens311
muster des Vertrauens in Experten und eine ± infolge der Bildungsexpansion ± deutliche Expansion des Expertentums; Personen, die mit einem hinreichenden Maß symbolischen Kapitals ausgestattet sind, um in ihrer Kritik des Expertentums Gehör zu finden, sind in der Regel selbst auf einem Gebiet Experten und neigen somit ± um die Entwertung ihres symbolischen Kapitals zu vermeiden ± nur in Ausnahmefällen zu einer grundsätzlichen Kritik des Expertenwesens.
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7 Von Sehnsucht und ihrer Erfüllbarkeit: Stereotyp, Macht und Distinktion zwischen Heimat und Fremde
Heimat und Fremde lassen sich als Polaritäten eines dialektischen Prozesses der nicht allein physisch-raumbezogenen, sondern auch der zeitlichen und sozialen Identitätsbildung und -absicherung verstehen. Dabei entstehen kulturelle Praxen in Bezugnahme auf, aber auch in Abgrenzung zur Globalisierung, zwar ortsgebunden, aber weniger im Sinne einer territorialen Spezifik, als vielmehr in Form kontextspezifischer lokaler Platzierungen und Verknüpfungen (Berking 1998). Anhand der Untersuchung von Selbstzeugnissen stellt Piltz (2007: 61) biographisch die Bedeutung von Fremde für die Konstitution von Heimat fest, denn es sei zunächst auffällig, Ädass die Reflexion über das, was Heimat bedeuten soll, immer wieder angestoßen wird durch diejenigen, die sich nicht in der Heimat befinden³. 7.1 Landschaft und Tourismus Im Zuge des Ansteigens des allgemeinen Lebensstandards (auch wenn ökonomisch und sozial Benachteiligte auch weiterhin ausgeschlossen bleiben), der Zunahme der Freizeit sowie der Auflösung traditioneller biographischer Muster nimmt ± Schulze (1993) zufolge ± die Erlebnisorientierung als Ausdruck der Suche nach (individuellem) Glück zu. Das Handeln sei dabei weniger auf äußere Ziele, sondern vielmehr auf innere Erlebnisse ausgerichtet. Diese Erlebnisorientierung ± vormals ein Privileg von Adel und Großbürgertum ± expandiert zunehmend und nimmt immer größere Anteile des individuellen Zeitbudgets ein. Ein wesentlicher Ausdruck dieser ÄErlebnisgesellschaft³ (Schulze 1993) ist die zunehmende Bedeutung des Tourismus, der ± wie Pott (2007: 49) feststellt± Äals Phänomen hochentwickelter kapitalistischer Gesellschaften zu deuten [sei], in denen es die arbeitsfreie Zeit und das hohe wirtschaftliche Niveau möglich machen, den Ortswechsel warenförmig als Urlaubsreise durchzukapitalisieren³. Mit dem durch die Urlaubsreise vollzogenen Ortswechsel geht auch ein Rollenwechsel einher (Kreisel 2004: 75): ÄOrtswechsel macht den räumlichen Abstand zum Alltag möglich, Rollenwechsel erlaubt, die zumindest zeitweise Distanzierung 313
von Alltags- und Haushaltspflichten³. Darüber hinaus liegt ein wesentliches Motiv für das Reisen in den Prestige- und Distinktionsbedürfnissen, die sich sowohl auf das heimische persönliche soziale Netzwerk (z.B. durch Berichte über die Reise, um damit die Aneignung kulturellen Kapitals und den Ausstattungsgrad ökonomischen Kapitals zu demonstrieren) als auch auf die am Urlaubsort eingenommene, Rolle des Zu-Bedienenden beziehen (Böhm 1962, Hartmann 1967). Besondere Aufmerksamkeit seitens der Reisenden erfahren angeeignete physische Landschaften, die unterschiedliche Elemente auf kleinem Raum kombinieren (Bartl et al. 1994, Benthien 1997): Neben Küsten und Inseln sind dies insbesondere Gebirge, wobei eine klimazonale Differenzierung hinzutritt. So weisen Strände im Bereich der Wendekreiswüsten ein ganzjährig hohes Potenzial für den Badetourismus auf, während dieses in der gemäßigten Klimazone auf das Sommerhalbjahr beschränkt bleibt, wobei diese unterschiedlichen angeeigneten physischen Landschaften eine unterschiedliche Erlebnisanschlussmöglichkeit bieten (Schober 1993). Der Tourist bewegt sich durch diese physischen Räume in der Erwartung des Bestätigt-Werdens in den spezifischen Landschaftsstereotypen (Resch 1999; vgl. auch Meyer 1981, Neater 1981, Lilli 1983, Meyer 1993, Klemm 2004). Der Landschaftsgenuss des Touristen Äist das Gefühl der Erfüllung jener Bilder, jener Redewendungen, die im Laufe unserer Kulturgeschichte, durch Dichtung und Malerei, aber auch durch die abgesunkenen Kulturgüter, Umschlagbilder von Dreigroschenromanen, Kino, Fernsehen und Tourismus-Werbung in uns aufgebaut werden³ (Burckhardt 1990b: 70; ähnl. Hartmann 1982; vgl. auch Enzensberger 1962),
ein Gefühl der Erfüllung, das sich häufig auch auf die Konstruktion der Heimat anderer erstreckte, indem es deren heimatliche Verwurzelung glorifizierte (vgl. Achleitner 1997, Hauser/Kamleithner 2005). Gerade Ansichtskarten sind dazu geeignet, landschaftliche Stereotypen zu fördern (Schneider 1993); sie Äbieten in der Regel fotographische Klischees, die in ihrer Vertrautheit tröstlich sind³ (Lippard 1999: 113) und Äliefern die Linse, die Ersatzerfahrungen fördert und verstärkt³ (Lippard 1999: 113). Die Normung des Motivs der massenhaft reproduzierten und somit zum Symbol der Moderne gewordenen Ansichtskarte (Enzensberger 1962) ist die Sehenswürdigkeit, also das Äwas man offiziell gesehen haben muss³ (Schneider 1993: 428) und distinktiv den Zurückgebliebenen das ÄIdealbild der Ferienreise³ (Schneider 1993: 430) vermittelt. Die Rekursivität von Tourismus und stereotypen Erwartungen charakterisiert Lewis (1979: 166; Hervorh. im Original) am Beispiel New Orleans: ÄGroße Teile des French Quarter in New Orleans wurden [«] saniert und Ãaufgewertet¶, um den Erwartungen der Touristen zu genügen. Diese Erwartungen leiten sich natürlich aus der Werbung ab, die sich an Touristen wendet. Werbung wird so zur self-fullfilling prophecy³.
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Landschaft und Tourismus also stehen dabei vielfach in einem ambivalent rückgekoppelten Verhältnis zueinander, wie Burckhardt (1977a: 27) im Zusammenhang mit der touristischen Erschließung der Alpen zeigt: ÄNeue Symbole entstehen: die Alpenrose, das Edelweiß; die Sympathie wendet sich von der siegreichen Art ab und der bedrohten zu; der Tourist verursacht das Aussterben des Edelweiß und bewahrt dieses gleichzeitig davor³ (vgl. hierzu auch Andrews 1989).
Burckhardt (1977a) zeigt die darin von Enzensberger (1962) entdeckte Dialektik des Tourismus: Der Tourist zerstört durch seine Anwesenheit die Einsamkeit, aber auch die Ãunberührte¶ und Ãunzerstörte¶ Natur (und Kultur) nach der er strebt (vgl. auch Vogel 1993, Benthien 1997, Stiens 1999), wobei was denn Ãunberührte¶ und Ãunzerstörte¶ Natur (und Kultur) sei, sozial präformierten und kulturell sedimentierten ästhetischen Stereotypen unterliegt: So gilt ein durchforsteter Wirtschaftswald als attraktive und sehenswerte Natur, eine nach einer Überschwemmung unaufgeräumte Wiese aber nicht (Hartmann 1982, Vogel 1993). Der touristische Zugriff auf Landschaft hat sich in den vergangenen Jahrhunderten dabei deutlich gewandelt (Burckhardt 1988, Vogel 1993): Abstrahierte der Spaziergänger und der Reisende der Romantik eine Abfolge von Bildern in
Abbildung 36:
Ein dem sukzessiven Verfall preisgegebenes Jugendstilhaus in La Bourboule in der Auvergne. Der in der Glanzzeit des französischen Bädertourismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgebaute Ort am dynamisch-erhabenen Mont-Dore-Massiv repräsentiert eine vergangene Art des Reisens in Form eines Ziel-Tourismus.
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der geplanten (Landschaftspark) oder ungeplanten angeeigneten physischen Landschaft zu einem Landschaftseindruck und ertrug Äextreme Unannehmlichkeiten [des Reisens; Anm. O.K.] mit innerer Gefasstheit³ (Lippard 1999: 122), erwartete der Tourist des Eisenbahnzeitalters, der sich in der Regel von einem Wohnort zu einem Zielort bewegte, die ± möglichst in einem Panorama fokussierten ± durch Bildbände und Postkarten erzeugten stereotypen landschaftlichen Zuschreibungen der gesamten Region bei größtmöglichem Reise- und Aufenthaltskomfort (Lippard 1999). In den Alpen sollte das Panorama (möglichst vom Hotelzimmer aus) Berge, Seen, Dörfer, Gletscher, Felsen und Wald bieten, an der See malerische Küstenlandschaften, die mit Booten und Ausflugsdampfern Äerobert³ (Blackbourn 2007: 207) wurden. Sowohl die touristische Aneignung der Mittel- und Hochgebirge als auch jene der Küsten symbolisierten die ÃBändigung¶ der Natur durch den Menschen durch staatliche Organisation, naturwissenschaftliche Kenntnis und technische Eingriffe (Blackbourn 2007). Dieser touristische Zugang zu Landschaft erfuhr mit der Massenmotorisierung einen Wandel: Die auf stereotypen Landschaftsvorstellungen basierenden ÃSehenswürdigkeiten¶ werden nacheinander mit dem Auto, geleitet von Reiseführern, angesteuert und in ein großräumiges Landschaftsstereotyp integriert381. Die in den unterschiedlichen Zeiten zum Ausdruck kommenden Aneignungsmuster von Landschaft lassen sich durch unterschiedliche Weg-ZielGewichtungen verdeutlichen: Dominiert bei dem Spaziergänger der Weg gegenüber dem Ziel, tritt der Weg bei dem Zugreisenden gegenüber dem Ziel zurück ± wodurch sich auch die hohe Bedeutung des Ziel-Landschaftspanoramas ergibt. Der Autoreisende wiederum absolviert eine Weg-Ziel-Weg-Ziel-Weg-Ziel-WegZiel-Verkettung, die eine wechselnde Priorisierung von Weg und Ziel bedeuten kann und die Integrationsfähigkeit des Autoreisenden überfordert. Zugleich ersetzten Ämoderne Hotels und Motels die großzügigen viktorianischen Hotels und Bäder³ (Lippard 1999: 111; Abbildung 36 und Abbildung 37). Reiseführer orientieren sich an den durchschnittlichen stereotypen Erwartungen der Landschaftskonsumenten ± eine Differenz von Erwartung und Wahrnehmung bedeutet in der Regel Unbehagen ±, sodass mit der Bereisung eine Stärkung des Stereotyps erfolgt und Abweichungen von diesem landschaftlichen Stereotyp als Bedrohung wahrgenommen werden (vgl. Bauman 1999) bzw. der Wandel der angeeigneten physischen Landschaft beklagt wird ± die nun nicht mehr der stereotypen Vorstellung entspricht. Dieser stereotype Idealzustand wird wiederum der Vergan-
381 Ein Beispiel für einen eigens auf das Auto ausgerichteten Reiseführer ist das Buch ÄAutoparadies Queralpenstraße³ von Strache (1950); es verdeutlicht diesen gewandelten Bezug bei gleichzeitiger Technikbegeisterung: ÄDiese Straße unserer Träume, die wie eine kostbare Kette die erlesensten Höhepunkte einer großartigen Landschaft gleich Perlen aufreiht, wurde gebaut³.
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genheit zugeschrieben, sodass das Geschmacksurteil Ädie Schweiz ist auch nicht mehr das, was sie einmal war³ gefällt wird.
Abbildung 37:
Eine stereotype exotische Tourismuslandschaft: El Gouna (Ägypten an der Küste des Roten Meeres). Auf (künstlich angelegten) Inseln der Lagune finden sich an weiten Sandstränden Palmen mit Hotelkomplexen in landes(stereo)typischer Architektur.
In der Postmoderne wird Landschaft zunehmend fragmentiert wahrgenommen, so ist zum Beispiel Äseit etwa 1980 das einheitliche Alpenbild der Moderne in tausend einzelne Alpenbilder spezialisierter Nutzer- und Interessentengruppen³ (Bätzing 2000: 199) zerfallen. Die soziale Verortung des postmodernen Menschen impliziert eine ÄInterpretation und Wahrnehmung der natürlichen Umwelt unter Bezug auf die Weltentwürfe der jeweiligen Lebensstile³ (Dollinger 2004: 7; ähnl. Hallertbach 2004). Ein solcher radikaler Wechsel zur fragmentierten Landschaftswahrnehmung hat auf die Tourismuswirtschaft erhebliche Auswirkungen (Dollinger 2004: 8): Ädie Austauschbarkeit der Standorte führt dazu, dass sich die Destinationen an die potentiellen jungen Gäste anzubiedern beginnen und sich für eine Gruppe entscheiden müssen³, denen sie die Bühne zur (auch distinktiven) Inszenierung von postmodernen ÄPatchwork-Identitäten³ (Keupp 1992: 176) im Spannungsfeld globaler, lokaler und glokaler kultureller Versatzstücke bieten (vgl. Winter 1997, Bachleiner/Penz 2000). Dabei müssen diese touristischen Destinationen zunehmend mit spezialisierten Themenparks und Kunstwelten konkurrieren (Steinecke 2004), bei denen die Wahrscheinlichkeit 317
des Bestätigt-Werdens eigener stereotyper Landschaftsvorstellungen aufgrund deren Gestaltung nach stereotypen Landschaftssollvorstellungen erheblich größer ist. 7.2 Landschaft als Heimat Der Themenkomplex Heimat und Heimatbewusstsein, aber auch Ortsbezug, lokale und regionale Identität wird aus unterschiedlichen Perspektiven (so in den Sozialwissenschaften, den Regionalwissenschaften, aber auch dem Naturschutz) einer intensiven Diskussion unterzogen (vgl. z.B. Weichhart 1990, Pohl 1993, Ipsen 1994, Gebhardt et al. 1995, Ipsen 1997, Blotevogel 2001, Rohler 2003, Jung 2003). Hauser/Kamleithner (2005: 173) verweisen in diesem Zusammenhang auf ein bemerkenswertes Phänomen hin: Sowohl konservative Kulturkritik als auch Ãlinker¶ Fortschrittsglaube setzten in ähnlicher Weise auf die Äpositive Kraft des Lokalen³, verbunden allerdings mit unterschiedlichen Hoffnungen, einerseits der Wiederverheimatung im Gemeinschaftlichen, andererseits in der die globale kapitalistische Raumproduktion unterlaufenden Emanzipation des Lokalen. Heimat ist ein Äsehr schillerndes, ein sehr gefühlsbetontes kulturelles Phänomen, das Bedeutungsschichten aus vielen Jahrhunderten transportiert³ (Kazal 2005: 61) und sich ± im Rückblick auf das 20. Jahrhundert ± als kein harmloses Konzept erwiesen hat (vgl. Hüppauf 2007). Im Althochdeutschen hatte das Wort heimôte/heimôti eine theologische Bedeutung und bezog sich auf die Sehnsucht nach dem Himmelreich (Piltz 2007). Erst ab dem 12. Jahrhundert erfährt der Begriff Heimat eine weltliche Wandlung, indem er Äauf Heim, Einöde, Armut und auch Familie, Vertrauen bezogen³ (Bertels 1997: 65; vgl. auch Piechocki 2006) wird. Bis in das 19. Jahrhundert bestand keine sentimentale Einfärbung, vielmehr bezog sich Heimat in jener Zeit vorwiegend auf ein materielles Recht (Bertels 1997: 65): ÄDie Ortsbürgerschaft, An- und Abmeldepflichten, Recht auf Geschäftseröffnung, Versorgung im Notfall, waren hierunter kodifiziert³. Der Wandel zu einer gefühlsdominanten Raumbindung vollzog sich ± vergleichbar der Konstitution eines ästhetischen Landschaftsbegriffs ± erst durch eine romantische verklärende Absetzungsbewegung gegen Industrialisierung, Rationalisierung, Verstädterung und Urbanisierung, insbesondere durch (nach Distinktion strebenden) Bildungsbürger (vgl. Bausinger 1990, Dinnebier 1996, Bertels 1997, Kropp 2004)382: ÄRegionale Identität ist ein Produkt ihres Gegenteils, der Her382
Aschauer (1990: 14) beschreibt den gefühlsbetonten Heimatbegriff als provinziellen Topos, der Äfür Gemütlichkeit, Harmonie zwischen Mensch und Umwelt, für Unveränderlichkeit und für Sinnfindung nicht im Handeln, sondern im Erleben³ steht.
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ausbildung nationaler und internationaler Räume und der damit einhergehenden Modernisierungsprozesse³ (Ipsen 1994: 232). Heimat wird für die Romantiker zur ÄWunschkategorie des Elementaren³ (Schmitz 1999: 230): dem ÄWunschort absoluter Geborgenheit³ (Hüppauf 2007: 116). Dabei durchziehen bis heute immer wieder drei Dimensionen der Deutung die Konzeptionen von Heimat (Gebhard/Geisler/Schröter 2007): die Dimension des Raumes, die Dimension der Zeit und die Dimension der Identität. So lässt sich Heimat vielfach im physischen Raum bestimmen, doch ist der Ort noch nicht Heimat, zur Heimat Ägehört notwendig die Imagination. Die räumliche und zeitliche Bestimmung des Wortes Heimat überschreitet das Faktische³ (Hüppauf 2007: 112; vgl. auch Sachs 1995), sie stellt ± wie es Sloterdijk (1999a: 997) ausdrückt ± eine ÄKonvergenz von Ort und Selbst³. Erst affektiv besetzte Vorstellungen im Sinne einer signifikativ-informativen Regionalisierung (Werlen 1997 und 1998) produzieren Heimat. Parallel zur Terminologie der angeeigneten physischen und der gesellschaftlichen Landschaft sowie des physischen Raumes lässt sich auch von der gesellschaftlichen Heimat (als den affektiven sozial präformierten individuellen und kollektiven Vorstellungen von Heimat), der angeeigneten physischen Heimat (als jenen Objekten des physischen Raumes, denen eine symbolische Bedeutung als Heimat stiftend zugeschrieben wird) und dem physischen Raum (als physisches Ausgangssubstrat für die angeeignete physische Heimat) sprechen. Der sich physisch räumlich heimatlich definierende Mensch erhebe ± Sloterdijk (1999b: 24) zufolge ± den Anspruch Äwie eine Pflanze zweiter Ordnung unter den Gewächsen heimischen Bodens gedeihen zu dürfen: Der heimatlich definierte Mensch möchte ein Tier sein, das sich das Pflanzenprivileg, Wurzeln schlagen zu können, zu eigen gemacht hat³. Für Paris (2004) lässt sich Heimat auch als Teil einer gelungenen Sozialintegration begreifen. Sozialintegration lässt sich als Bezug auf die Äeinheitsstiftenden, kollektive Zugehörigkeitsgefühle verbürgenden Wirkungen kultureller Traditionen, Werte und Gemeinschaftserfahrungen³ (Paris 2004: 161-162; ähnl. Twigger-Ross/Uzzell 1996) interpretieren, wobei ± so Cordula Kropp (2004: 151) am Beispiel Ostfrieslands ± Ädie üblichen Stereotype, wie Platt sprechen und Tee trinken [«], nun zu verhaltenssichernden Identifikationspotenzialen³ herangezogen werden. Insbesondere normale Landschaften dienen hier als Kulisse, aber auch als physisches Manifest kultureller Identitäten, sie stellen Zurechnungspunkte für gesellschaftliche Akteure dar und Älimitieren ihren Möglichkeitshorizont, fungieren als Kontingenzunterbrecher und ermöglichen damit den Aufbau regionaler Identitäten³ (Ahrens 2006: 237)383. 383 Die Semiotik der Landschaft als Heimat impliziert jedoch die Schwierigkeit der Änichtintendierbaren Erfolgsbedingungen³ (Paris 2003b: 42). Darunter sind ± Paris (2003b: 42) zufolge ± jene Tücken und Probleme zu verstehen, Ädie sich für die Akteure in Machtkonfigurationen systematisch daraus
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Heimatliche Bindungen ergeben sich aus bestimmten ± nicht nur landschaftlichen ± Bindungen, sozialen (stereotypen) Interpretationsmustern und sind dem kognitiven Zugriff so lange entzogen, bis sie reflexiv hinterfragt werden. Heimatliche Bindungen sind vorrangig Nebenfolgen sozialen Handelns, nicht ihr Zweck, insofern unterliegen sie ± da in der Regel nicht reflektiert ± der Gefahr der bewussten Manipulation (vgl. Kropp 2004, Piechocki 2006). Somit birgt die Entwicklung heimatlicher Zugehörigkeitsgefühle mit der latenten prinzipiellen Höherschätzung des Autochthonen gegenüber dem Allochthonen384 zur Befriedigung des Distinktionsbedarfs auch die Gefahr einer exkludierenden und auf ÄReinigung³ gegenüber dem Fremden und Neuen beruhenden Politik (Kühne 2006d, Gebhard/Geisler/Schröter 2007). Die Überhöhung der eigenen Tradition, mit der konservierenden Arbeit von Denkmalschutz, Brauchtumspflege, der Förderung des regionalen Kunsthandwerks und des Landschaftsschutzes, birgt passiv die Gefahr einer sozialen Sklerotisierung. Soyez (2003) fragt nicht zu Unrecht, wessen (angeeignet-physische) Landschaft angesichts einer zunehmenden Multikulturalität eigentlich geschützt werden solle385 (hierzu siehe auch Eiter 2004). Aktiviert kann sich ein exklusivistischer Heimatbezug begleitet von Notwehr- und Verteidigungssemantiken zur Fremdenfeindlichkeit bis hin zu physischen Übergriffen auf Fremde auswachsen (vgl. Rommelspacher 1995, Krumeich 1997, Piechocki 2006, Hüppauf 2007). Andererseits finden sich Einflussfaktoren von heimatlicher Bindung und Raumentwicklung, so sieht Pankoke (1993: 763) zwischen regionaler Identität und persönlichem Engagement eine Verbindung: ÄWer sich mit einem Raum persönlich identifiziert, wird eher interessiert sein, sich hier produktiv einzubringen³. Der sich positiv mit einem Raum Identifizierende werde sich Ävielleicht auch engagieren: nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im kulturellen und öffentlichen Leben. Wir können die damit unterstellte Relation auch dahin wenden: Wer sich in seiner Identität kulturell angesprochen sieht, könnte eher bereit sein, auch in anderen Bereichen, etwa wirtschaftlichen, aktiv zu werden³.
Ein Zusammenhang, auf den die unionseuropäische Strukturpolitik baut, wenn sie die Stärkung der regionalen Identitäten und die Mobilisierung endogener Poergeben, dass sie in ihrem zweckrationalen Handeln oftmals auf mentale und affektive Voraussetzungen, Gefühlszustände und Stimmungen rekurrieren müssen, die sich einer bewussten Steuerung und Einflussnahme entziehen, ja durch alle Versuche dazu elementar blockiert werden können³. 384 Ein Beispiel im Naturschutz hierfür ist das Zitat von Zillich (2004) zum Thema Neophyten in heimischen Gärten in Abschnitt 5.1.2 (Das Distinktionspotenzial von Landschaft im Zuge der DeIndustrialisierung und des Aufkommens der ökologischen Kommunikation). 385 Immanuel Wallerstein (1987) stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der Minoritätenstatus (beispielsweise der Fremden) nicht unbedingt auf eine numerische Minderheit zu beziehen ist, sondern sich auf das Maß der sozialen Macht bezieht.
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tenziale (insbesondere finanziell) fördert, die Ädurch Massenmedien, soziale Bewegungen und pädagogische Kampagnen verstärkt werden³ (Hard 1987a: 230)386. Dabei stellen die ÄInhalte solcher landschaftlich-vaterländisch-heimatlich-ökoidyllischer Raumabstraktionen³ (Hard 1987a: 230) simplifizierte Programme und Ordnungsbilder mit dem Ziel der Emotionalisierung und Akzeptanzsteigerung von Macht- und Herrschaftsmechanismen dar. Diese Akzeptanzsteigerung wird ± so Hard (1987b: 326; Hervorh. im Original) ± auch dadurch erreicht, dass Äder Blick von den wesentlicheren sozialen und regionalen Disparitäten weg auf vergleichsweise belanglose regionale Varietäten³ gelenkt wird und Ädie in modernen Gesellschaften machtvollen Raumabstraktionen hinter relativ belanglosen verschwinden³. Die regionalisierte soziale Selbstdefinition als Geflecht von Handlungsfolgen (vgl. Werlen 2000, Aschauer 2006) lässt sich ± im Anschluss an die Definition des Deutschen von Rommelspacher (1992: 208) ± als hegemonial bezeichnen: ÄDeutsch sind [«] die, die in Deutschland die Macht haben³, woraus sich die Motivation ableitet, warum die regionale und nationale Politik stark auf eine Semantik der regionalen bzw. nationalen Einheit ausgerichtet ist. Heute lassen sich die Bedürfnisse nach Heimat, Heimatbewusstsein, Ortsbezug, lokaler und regionaler Identität± wie Anthony Giddens (1995) feststellt ± als mit der Globalisierung387 verknüpft betrachten. Diese führe in ihren ökonomischen, kulturellen, sozialen und politischen Ausprägungen zu einem disembedding, einer Ortslosigkeit des Menschen, ÄLebenswelten verlieren durch Globalisierung ihre Zentrierung³ (Luckscheiter 2007: 181; vgl. auch Werlen 1997 und 2003). Die Ortslosigkeit dieser globalisierten Welt wird vielfach durch ein re-embedding, eine Rückverortung, zu kompensieren versucht (vgl. auch Massey 1991, Krämer-Badoni 2003). Die Rückverortung ist vielfach an konkrete Orte und angeeignete physische Landschaften ± und weniger an soziale Bezie-
386 Zwar sind bei Verhandlungen über die Vergabe von Strukturfondsmitteln die nationalen ± verhandlungsführenden ± Ebenen darum bemüht, ihre Machtposition gegenüber den regionalen ± vielfach umsetzenden ± Ebenen auszubauen (Marks 1996), doch wird durch die verstärkte Integration der sogenannten Wirtschafts- und Sozialpartner auf nationaler und insbesondere regionaler Ebene die Schwächung der staatlichen Verwaltungen vollzogen (z.B. im Vergleich der Verordnungen für die Entwicklung ländlicher Räume für die Programmplanungsperiode 2000-2006 und 2007-2013: VO 1257/1999 und VO 1698/2005). Dies bedeutet eine weitere Verlagerung von Macht an nicht demokratisch legitimierte Organisationen, die nun auch formal Einfluss auf die Förderpolitik ± die aus systemtheoretischer Sicht eine Abkehr von dem binären Code Macht/Nicht-Macht zugunsten des ökonomischen Codes Besitz/Nicht-Besitz bedeutet ± der Staaten bzw. Regionen erhalten, um ihre i.d.R. lokal und regional definierten Interessen durchzusetzen. 387 Globalisierung lässt sich als ÄProzess der Herausbildung einer Weltgesellschaft und einer globalen Kultur, in der transkontinentale Vernetzungen und Mobilitäten einen strukturellen Wandel einleiten³ (Castles 1991: 130), verstehen.
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hungen ± gebunden388. Während dabei Ädie ÃEntbettung¶ des modernen Selbst als Angelegenheit des Verlusts menschlicher Beziehungen³ (Knorr Cetina 2006: 101), als ÄSinnverlust erfahrene Ausdifferenzierung und Aufsplittung einer Welt in multiple Wirklichkeiten³ (Tänzler 2007: 121) verstanden wird, erfolgt die Wiedereinbindung vielfach als Kompensation Ädurch die Expansion von Objektzentrierten Umwelten³ (Knorr Cetina 2006: 101). Diese Objekt-zentrierten Umwelten Äsitutieren und stabilisieren das Selbst und definieren die individuelle Identität ebenso wie menschliche Gesellschaften dies getan haben³ (Knorr Cetina 2006: 101). Exkurs: Bislang wenig reflektiert wurden die möglichen Wiederverheimatungen durch die globalisierte Ökonomie. So kann das Betreten des aus der Herkunftsheimat vertrauten Gepräges einer McDonalds-Filiale durchaus zu einer Entkomplexisierung im Sinne einer heimatlichen Wiedererkennung führen, wenn der von zuhause bekannte BigMac mit Pommes Frites und Coca Cola einen bekannten Orientierungspunkt im Kontext fremdländischer Küche darstellt.
Die Konstruktion einer regionalen bzw. nationalen Identität basiert auf der Vorstellung einer gemeinsamen politischen Solidargemeinschaft. Damit sich diese Solidargemeinschaft Äihrer selbst bewusst werden und bleiben kann, muss Identitätsbildung betrieben werden³, bei der ihren Angehörigen Äklar gemacht werden muss, dass sie Teil eines Kollektivs sind, das im Wandel der Zeit ein und dasselbe geblieben ist, auch wenn es mehrere Namen gehabt haben sollte (numerische Identität)³ und darüber hinaus muss den Angehörigen dieser Solidargemeinschaft klar gemacht werden, Äworin sie sich gleichen (qualitative Identität)³ (Gostmann/Wagner 2007: 69). Sofern ein Staat, möglichst auch bildlich (sprich kartographisch), ein- und festgeschrieben abgrenzbar (Schneider 2006), vorhanden ist, kann auf die staatsbürgerliche Gleichheit als Begründung für die kollektive Identität verwiesen werden (Staatbürgernation), ist kein gemeinsamer Staat vorhanden, Ädann muss auf kulturelle, ethnische oder soziale Gemeinsamkeiten verwiesen werden, was die Nation zur Kulturnation, ethnischen Nation oder Klassennation macht³ (Gostmann/Wagner 2007: 69). Dabei sind es Intellektuelle, die die unterschiedlichen Aspekte miteinander verbinden und in Form von einer Erzählung einer Nation (oder auch Region) als Identifikationsangebot unter388
Dies soll nicht als die Gleichsetzung von Heimat mit physischen Orten und angeeignet-physischer Landschaft verstanden werden. So unterscheidet Ott (2005) fünf Dimensionen des Heimatbegriffs: 1. die Herkunftsheimat als natale Kontingenz; 2. die Wahlheimat als Ort des (freiwilligen) Wohnens; 3. die Heimat des ÄBeieinander-Seins³ als gemeinschaftliches Erleben; 4. die geistige Heimat als Zuhause in der eigenen Sprache, in der eigenen Kultur und in normativen Institutionen; 5. die Heimat als utopischen Sehnsuchtsbegriff.
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breiten, das ± sofern es akzeptiert wird ± Ursprung eines Identitätsbewusstseins Äim Sinne eines Wir-Gefühls³ (Gostmann/Wagner 2007: 69) ist und zu kollektivem Handeln motiviert389. Die Äästhetische Bewegung³ (Kaufmann 2006: 100) von Intellektuellen Äsucht nach individueller Typik, die sich als Ganzheit von Mensch und Natur interpretieren lässt, nach Traditionen und Umgangsformen, in denen man eine Verbindung von Natureigenschaften einer Gegend und den ÃCharakter¶ ihrer Bewohner zu erkennen glaubt³.
Damit bringe ± so Kaufmann (2006: 100) ± diese ästhetische Bewegung zwei Formen von gesellschaftlichen Landschaften hervor: ÄÃbildreligiöse Ideallandschaften¶, die häufig außergewöhnliche Naturerscheinungen vorstellen und zu Ikonen des Nationalen stilisiert werden können, und regional-heimatlich aufgeladene Landschaften³ (Abbildung 38).
Abbildung 38:
Die Saarschleife ± eine bildreligiöse Ikone des Regionalen; anders als die Umräume von Nationaldenkmäldern (wie Carlton Hill bei Edinburgh, der Teutberg am Teutoburger Wald, der Niederwald bei Rüdesheim, das Deutsche Eck u.a.) rückt hier durch Sakralisation die angeeignete physische Landschaft allein zum Symbol für das Regionale bzw. Nationale auf und erhält so identitätsstiftende Bedeutung (vgl. auch Warnke 1992).
Demzufolge lassen sich bei der nationalen (oder auch regionalen) Selbstvergewisserung und -definition wesentliche Bestimmungsgründe in der künstlerischen 389
Die Konstruktion eines solchen Wir-Gefühls auf Basis eines Heimatbegriffs fand auch in sozialistischen Staaten statt, worauf Irene Kazal (2005: 59) am Beispiel der DDR hinweist. Hier wurde zum Ende der 1950er Jahre Äder Versuch unternommen, den vielschichtigen und politisch belasteten Heimatbegriff unter sozialistischen Vorzeichen neu zu bestimmen³. Im Zentrum dieses Konstruktes stand die ÃKlassenheimat¶ der ÃWerktätigen¶ beim ÃAufbau des Sozialismus¶.
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Befassung mit Landschaft feststellen (Behschnitt 2006, Büttner 2006), wie sie Büttner (2006: 274) anhand der russischen Landschaftsmalerei beschreibt: Hatten russische Maler zunächst vorwiegend italienische angeeignete physische Landschaften als darstellenswert erachtet, wurde die heimische Landschaft Äerst in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als russische Intellektuelle sich verstärkt für die kulturelle Unabhängigkeit Russlands einsetzten und ein nationales Selbstbewusstsein beschworen [«] zum bildwürdigen Gegenstand³390. Die Deutschland und Dänemark hinsichtlich der Bedeutung der landesbeschreibenden Texte des 19. Jahrhunderts vergleichende Studie von Behschnitt (2006) zeigt den erheblichen Einfluss der literarischen Landschaftsbeschreibung auf die nationale bzw. regionale Identität. Im Gegensatz zu den landesbeschreibenden Texten der 1830er und 1840er Jahre in Dänemark, die durch eine nationale Perspektive und eine Fokussierung auf den Grenzraum gekennzeichnet sind, zeichnen sich die zeitgleich erschienenen Texte in Deutschland durch die Beschreibung landschaftlicher und historischer regionaler Eigentümlichkeiten aus (beispielsweise bei den Beschreibungen Westfalens von Droste-Hülshoff und Freigrath/Schücking). Die landesbeschreibende Literatur stellt die Aneignung des Territoriums als Sekundärinformationsprozess als einen erheblichen Beitrag zum regionalen und nationalen Bildungsprozess dar (Behschnitt 2006): Die eigene Region bzw. Nation wird hinsichtlich ihrer landschaftlichen und kulturellen Charakteristika ± in Deutschland zunehmend in symbiotischer Form der Kulturlandschaft (Lekan/Zeller 2005) ± von anderen Regionen und Nationen geschieden und stereotypisiert, sowohl in landesund volkskundlichen wie auch in schönliterarischen Texten391. Sowohl schönliterarische Darstellungen von Nationen und Regionen und ihrer Bewohner als auch die landesbeschreibende Literatur leisten ± wie auch entsprechende Filme, Gemälde und Fotografien ± einen Beitrag zur Konstitution einer nationalen (oder regionalen) Bildungsgemeinschaft392 auf Grundlage der Erweiterung der Lan390
So stellten die Landschaftsgemälde von Iwan Iwanowitsch Schischkin einen nachhaltigen Beitrag zur Ausprägung einer nationalen Identität dar. 391 Jedoch bestehen hinsichtlich Sach- und fiktionalen Texten Differenzen hinsichtlich der Art und der Intensität der vergleichenden Darstellung (Behschnitt 2006: 491): ÄWährend in landesbeschreibenden Sachtexten das Territorium auch in seiner Fremdartigkeit durch die Doxa des Nationalen und die Ordnung der wissenschaftlichen Diskurse eingehegt bleibt, kann in fiktionalen Erzähltexten das Land als Grenzraum erscheinen, in dem sich die Ordnungen des Eigenen und des Anderen überkreuzen³. Dabei kann sich die Aneignung des Nationalen (bzw. auch des Regionalen) in schönliterarischen Texten als Bildungsprozess des Subjekts gestalten, das Äsich in der Auseinandersetzung mit dem Fremdartigen in Natur und Bevölkerung selbst verändert³ (Behschnitt 2006: 491; vgl. auch Imort 2005). 392 Ein weiteres Element dieser Konstruktion der deutschen Kulturnation im 19. Jahrhundert war die Hochschätzung und Kanonisierung der deutschen Klassiker in den Lehrplänen der Schulen (Illing 2006).
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deskenntnis und eines imaginativen Nachvollzugs des Gelesenen bzw. Gesehenen, letztlich auch zur Konstruktion gemeinsamer Fremd- und Autostereotype, die sich auch in der Erfindung von national oder regional bedeutsamen Traditionen (Suter 1999) ausdrückt, die auf vormoderne Ursprünge zurück gehen393, von deren Aktualisierung Fremde aufgrund sprachlicher (und sei es nur ein anderer oder kein Dialekt), ethnischer, ökonomischer, sozialer bzw. kultureller Unterschiede ausgeschlossen werden, also die Teilhabe verweigert wird, was spezifische Auswirkungen auf die Identitätsentwicklung von Fremden hat (Rommelspacher 1995: 186): ÄMachtlosigkeit drückt sich auch darin aus, dass einem/einer eine Identität verweigert wird, in der die eigenen Erfahrungen und Lebenszusammenhänge adäquat zu Ausdruck kommen³. Die Gleichsetzung von einem abgegrenzten kongruent konstruierten physischen und sozialen Raum als Nation bzw. Region sowie einem politischen Führer und der Ausschluss des Fremden gipfelt in der Aktivierung eines erhabenen Elementes, eines Berges für ein Herrscherbild (Warnke 1992: 112): ÄEine in den Berg gehauene Bildnisbüste bietet eine Naturbegründung für einen persönlichen Herrschaftsanspruch und eine Symbiose von Herrscher und Land³394. Wird die heimatliche Zuwendung zu angeeignet-physischen Landschaften als ÄObjektualisierung³ im Sinne von Knorr Cetina (2006: 131-132) in der Hinwendung zu Objekten Äals Quellen des Selbst, relationaler Intimität, sowie geteilter Subjektivität und sozialer Integration³ und damit eine Substitution der interpersonalen Beziehungsrisiken verstanden, hat die Veränderung angeeigneter physischer Landschaft eine desillusionierende Wirkung. Um diese Desillusionierung, die auch eine weitere gesellschaftliche Desintegration bedeutet, zu verhindern, wird die Veränderung angeeigneter physischer Landschaft abgelehnt und ein landschaftlicher ± sublimiert-sozialer ± Status Quo implizit oder explizit gefordert.
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Auch Adorno (1972b: 104-105) schätzt diese, auf die Vormoderne zurückgehenden Bezüge stärker als die kulturindustriellen Erzeugnisse: ÄUnbildung als bloße Naivität, bloßes Nichtwissen, gestattete ein unmittelbares Verhältnis zu den Objekten und konnte zum kritischen Bewusstsein gesteigert werden kraft ihres Potenzials von Skepsis, Witz und Ironie ± Eigenschaften, die im nicht ganz Domestizierten gedeihen³. 394 Das bekannteste Beispiel hierfür sind sicherlich die Monumentalbüsten Washingtons, Jeffersons, Lincolns und Th. Roosevelts im Mount Rushmore. Andere Beispiele sind das Bergdenkmal für den Sioux-Häuptling Crazy Horse in South Dakota, das Lenindenkmal auf der Krim, das Monument Marcos bei Baguio auf den Philippinen.
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8 Distinktion, Macht, Landschaft ± ein Fazit
8.1 Gesellschaft und Landschaft ± zusammenfassende Reflexionen In der vorliegenden Arbeit wurden wesentliche Aspekte der Entstehung und Wirkung des Begriffs der Landschaft und seines Äsemantische[n] Hof[es]³ (Hard 1969a: 10) hinsichtlich ihrer macht- und distinktionsbezogenen gesellschaftlichen Bedeutungen untersucht. Für diese Untersuchung ist die Trennung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Bezüge zu Landschaft von Bedeutung. Diese lassen sich als gesellschaftliche Landschaft, also gesellschaftliche Vorstellungen von Landschaft, individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft, also die persönliche Lesart von Landschaft gemäß sozialisierter Deutungsmuster, und angeeignete physische Landschaft, also jene Elemente des physischen Raums, die gemäß gesellschaftlicher oder individuell aktualisierter Deutung Teil von Landschaft sind, zusammenfassen. Die soziale Konstruktion gesellschaftlicher Landschaft vollzieht sich differenziert nach primärer und sekundärer Landschaftssozialisation (und hier wiederum deutlich nach unterschiedlichen fachlichen Zugriffen und beruflichen Stellungen unterschieden) vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Stereotype, also allgemein unhinterfragter tradierter und affektueller Zuschreibungen; Zuschreibungs- und Deutungsmuster, die vielfach durch das (Stereo)Typische, als ritualisierte Inkorporierung und Anwendung des Deutungsmusters des wissenschaftlich konstruierten Typischen, der Landschaftsexperten modifiziert und sogar geprägt sind. Wesentliche Motive der gesellschaftlichen stereotypen, aber auch (stereo)typischen Konstruktion von Landschaft sind dabei: Die arkadische Landschaft als Ort des einfachen Lebens im Einklang mit der Natur. Die mittelalterliche Verbindung von Region und Landschaft, wie sie beispielsweise in zahlreichen geographischen Landschaftsbegriffen persistiert. Die romantische Konstruktion von Landschaft als Gegensatz zu Kultur, Ort des Göttlichen und der kontemplativen Erbauung des promeneurs solitaire, wie sie den Kern des abendländischen Landschaftsgefühls darstellt und in Literatur und Film persistiert. Die biedermeierische Konstruktion von Landschaft als gegen die Nebenfolgen der Modernisierung zu schützendes Kulturgut der Identifikation, wie sie in der Kulturlandschaftspflege bis heute tradiert ist. 327
Damit verbunden: Die Landschaft als Heimat, die in der komplexer werdenden Welt das Bekannte symbolisiert. Die Landschaft der Fremde als stereotype Kontrastlandschaft zur heimatlichen Normallandschaft und als Gegenstand typisierender und (stereo)typisierender Synthesen. Die Landschaft als gefährdetes Ökosystem, das alternativ vor dem Eingriff des Menschen oder vor der natürlichen Sukzession geschützt werden muss. Die Landschaft als Kulisse für die eigene Bedürfnisbefriedigung bei sportlichen Betätigungen oder Spaziergängen und -fahrten. Die individuelle Beurteilung von Landschaft vollzieht sich zunächst über deren Möglichkeit zur Aneignung (Burckhardt 1978c): Attraktive Teile der angeeigneten physischen Landschaft sind jene, die für die individuelle und gemeinschaftliche Aneignung infolge eines geringen exklusivistischen Interesses (insbesondere einer ökonomischen Nutzung) ± Burckhardt (1980: 140) spricht hierbei von ÄNiemandsland³ ± ohne starke negative soziale Sanktionen verfügbar sind. Darüber hinaus wird die Beurteilung von angeeigneter physischer Landschaft ± über den individuellen Zugriff hinaus ± aufgrund ihrer Komplexität hinsichtlich der Zahl der wahrgenommenen Elemente, der Vielfalt der Elementtypen und deren Anordnung beurteilt. Angeeigneten physischen Landschaften, deren Komplexität (gemessen an den genannten drei Indikatoren) sich im mittleren Bereich befindet ± wobei dieser je nach Verfügbarkeit von kulturellem Kapital (also je nach Sozialisationsumfang zum Thema Landschaft) differieren kann ± wird dabei eine hoher Attraktivitätsgrad zugeschrieben (vgl. Ipsen 2006). Darüber hinaus werden die Landschaft konstituierenden Objekte auf Grundlage der individuellen Aktualisierung gesellschaftlicher Landschaft distinktiv unterschiedlich gewertet: Landschaft wird ein Teil der symbolischen Vermittlung von Distinktion. Allgemein als attraktiv empfundene angeeignete physische Landschaften haben ihr Distinktionspotenzial verloren, sofern nicht in Details eine (z.B. umweltwissenschaftliche bzw. ästhetische) Neuinterpretation erfolgen kann. Angeeignete physische Landschaften, deren Attraktivitätsgrad allgemein gering eingestuft wird, weisen wiederum ein hohes Distinktionspotenzial für Intellektuelle auf: Anhand der Ästhetisierung dieser Landschaften lässt sich ein Distinktionsgewinn gegenüber dem mittleren Geschmack manifestieren. Durch diese distinktiv wirkenden Ästhetisierungen von Landschaft wird deutlich, dass Landschaft kein macht- und herrschaftsfreier Raum der ästhetischkontemplativen Flucht vor sozialen Macht- und Herrschaftsverhältnissen ist (die wiederum durch ihre kompensatorische Funktion herrschaftssystemstabilisierend wirkt). Sie ist vielmehr darüber hinaus in mehrfacher Hinsicht Ergebnis von Macht- und Herrschaftsverhältnissen: Angeeignete physische Landschaft ist ein physisches Manifest ökonomischer, politischer, sozialgemeinschaftlicher und
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kultureller Macht- und damit auch sozialer Über- und Unterordnungsverhältnisse. Die als Konsequenz aus der Dialektik der Aufklärung von Adorno (1970: 240) in seiner ÄÄsthetischen Theorie³ genährte Hoffnung der ÄIdee der Rettung unterdrückter Natur³ als Schritt zur Befreiung der zivilisatorischen Herrschaft lässt sich in dreifacher Beziehung als gescheitert betrachten: 1. Angeeignete physische Landschaft (in Mitteleuropa) ist stets durch den Menschen umgestaltet, ist also nicht mehr im ursprünglichen Sinne natürlich. 2. Angeeignete physische Landschaft ist (insbesondere) das Ergebnis herrschaftlichen Handelns, schließlich ist auch Unterlassen (im Sinne Max Webers) als Handeln zu verstehen und dieses Unterlassen ist (beispielsweise in Naturschutzgebieten) in der Regel herrschaftlich vermittelt. 3. Der Gedanke der Naturbefreiung kann ± aufgrund der Kolonisierung der Lebenswelten durch das Systemische des durch Expertinnen und Experten definierten normativen Natur- und Landschaftsbegriffs ± als (zunächst) gescheitert angesehen werden. Die Normen- und Wertsysteme der Landschaftsexperten fügen sich in den systemischen tradierten Herrschaftsapparat ein ± und wirken wie gezeigt wurde ± sogar systemstabilisierend. Eine lebensweltliche Sakralisierung von angeeigneter physischer Landschaft als Ort der Kompensation zum Systemischen des Alltags verkennt die systemischkolonisierenden, also Macht erhaltenden und Macht vermittelnden Interessen, die in der gesellschaftlichen wie in der angeeigneten physischen Landschaft implementiert sind (vgl. Warnke 1992): Landschaft ± sowohl gesellschaftliche Landschaft als auch individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft und auch angeeignete physische Landschaft ± ist das Produkt einer Geschichte, Äals Resultat einer von Macht und Herrschaft bestimmten Situation³ (Hauser/Kamleithner 2006: 168; vgl. auch Jackson 1984 und 1990). Auch im durch Expertinnen und Experten rationalisierten, durch Politik (scheinbar) legitimierten und durch Schulen und Hochschulen sozialisierten (stereo)typischen Begriff der Landschaft zeigt sich eine Tendenz, Ädas Selbstverständnis der Gesellschaft vom Bezugssystem des kommunikativen Handelns und von den Begriffen symbolisch vermittelter Interaktionen abzuziehen und durch ein wissenschaftliches Modell zu ersetzen³ (Habermas 1968: 81). Im Begriff der Landschaft kulminieren also zwei Sphären (im Sinne von Horkheimer/Adorno 1969) der Herrschaft: Zum einen, die instrumentelle Verfügungsgewalt über die äußere Natur in Form der angeeigneten physischen Landschaft, zum anderen, in der Macht der Definition von gesellschaftlicher Landschaft und den daraus abgeleiteten Distinktionsmechanismen. Der Begriff Landschaft dient somit der Systemstabilisierung und Herrschaftsperpetuierung. Durch die Inkorporation des landschaftlich Stereotypen und (Stereo)Typischen in Bildungsprozessen wird der Wille der Herrschenden 329
(in diesem Falle der Elite der Expertinnen und Experten) zum Willen der Beherrschten selbst (vgl. Foucault 1977). Dadurch wird deutlich, dass auch der Ausdruck der Kulturlandschaft einen Euphemismus darstellt (Kühne 2006c). Die Machtverhältnisse wirken als Daten setzende Macht (Popitz 1992) in doppelter Weise: Die in der angeeigneten physischen Landschaft zum Ausdruck kommenden Folgen und Nebenfolgen des technischen Handelns sind die Manifestation zum Einen der Macht über die Kräfte der Natur und zum Anderen der Objekt vermittelnden Entscheidungsmacht über die Lebensbedingungen anderer Menschen (vgl. Popitz 1992, Althusser/Balibar 1972). Die Sakralisierung dieses Ergebnisses als ÃKultur¶ wiederum ist Äeine der großen europäischen Imaginationen, der einer möglichen Harmonie von Mensch und Natur³ (Hauser 2001a: 240) und damit eine Verschleierung der sozialen Tatsachen und dient somit wiederum einer unreflektierten Erhaltung dieser Machtstrukturen. 8.2 Perspektiven für einen machtreflexiven Landschaftsbezug Grundlage für eine kritische Landschaftswissenschaft ist die Reflexion von in gesellschaftlichen, individuell aktualisierten gesellschaftlichen und in der angeeignet physischen Landschaft latenten und manifesten, distinktiv wirkenden Machtmechanismen. Eine solche wissenschaftliche Betrachtung von Landschaft kann in einer wissensbasierten Gesellschaft nicht als Monopol von ± durch Selbstreferenzialität gekennzeichneten ± Wissenszirkeln mit ihren (stereo)typischen Landschaftsdeutungsmustern bestehen. Vielmehr ist es das Ziel, den Zugang zu dem wissenschaftlich erzeugten Wissen zu öffnen, die Kriterien von Relevanz und Qualität von Wissen von dessen Anwendern definieren zu lassen. Dies bedeutet eine Demokratisierung von (landschaftsbezogener) Forschung, eine Kontrolle der Experten durch die Bevölkerung (Funtowicz/Ravetz 1993). Hinter dieser Position steht die Hoffnung, die Trennung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu überwinden, den landschaftsbezogenen Diskurs in der Gesellschaft zu verankern, um nichtintendierte Nebenfolgen und (gesellschaftlich unreflektierte) intendierte Folgen des landschaftbezogenen Handelns von Experten ± die letztlich zu einem Legitimationsverlust von Landschaftsexperten führen ± zu vermeiden (vgl. Weingart 2003). Eine solche wissenschaftliche Position ist geprägt von der Akzeptanz angeeigneter physischer Landschaft als Manifestation einer pluralen Gesellschaft, der Sozialisierung eines inklusivistischen, nicht eines exklusivistischen Landschaftsbegriffs der Fundamentaldichotomien (gut vs. schlecht, Stadt vs. Land), der auch von der Dominanz des Visuellen abrücken und auch Einfühlung (im Sinne von Lipps 1891 und 1902) und Intuition 330
(im Sinne von Croce 1930) einschließen kann und die Gleichberechtigung der unterschiedlichen Landschaftsdiskurse postuliert. Landschaft lässt sich ± in der Habermasschen Denktradition (1981a und 1981b) ± sowohl als Gegenstand der Welt des Systemischen als auch der Lebenswelt deuten. In der angeeigneten physischen Landschaft, aber auch in der gesellschaftlichen und individuell aktualisierten gesellschaftlichen Landschaft, werden Verbindungen zwischen rationalistisch-systemischer Raumplanung der Landschaftsexperten und der individuellen und kollektiven lebensweltlichen Landschaftskonstruktion der Landschaftslaien hergestellt. Insofern ist es Aufgabe eines, die individuellen und kollektiven Lebenswelten berücksichtigenden Umgangs mit Raum, die Befassung mit angeeigneter physischer Landschaft als herrschaftsfreien Diskurs in den Mittelpunkt der Reflexionen zu stellen. Eine komplexer werdende Gesellschaft manifestiert diese Komplexität ± als Folge oder Nebenfolge ihres sozialen Handelns ± zunehmend im physischen Raum. Komplexität der Strukturen im physischen Raum bedeutet, dass das räumliche Patchwork nicht allein hinsichtlich der einzelnen Nutzungsansprüche und -intensitäten vielfältiger wird, sondern dass auch zunehmend eine Fläche zeitlich gestaffelt oder simultan unterschiedlichen Nutzungen unterliegen kann (Matzdorf/Artner/Müller 2005). Diese Polyvalenz ökonomischer, politischer, sozialgemeinschaftlicher oder kulturell-treuhänderischer Nutzungen und ökologischer Funktionen ist Teil eines inklusivistischen Umgangs mit Landschaft, denn die Ädeterminierenden Programme haben die Tendenz, zu eindeutigen Nutzungen zu führen³ (Burckhardt 1967: 39)395. Angeeignete physische Landschaft und ihre Teile müssen Äso gestaltet sein, dass sozial mögliche Rollen vorgesehen sind³ (Burckhardt 1978c: 185), dies bedeutet: Sie müssen in ihrer Unvollkommenheit ± auch als ÄNiemandsland³ (Burckhardt 1980: 140) ± unterschiedlichen Personen und Gruppen Anknüpfungspunkte bieten, wie sie sich auf ihrer Grundlage die jeweils individuelle Ideallandschaft ausmalen.
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So sperren sich eindeutige Nutzungen beispielsweise gegen Wiedernutzungen, sobald sie ihren Nutzungszweck verloren haben (z.B. durch Bankrott eines Unternehmens). Darüber hinaus ist Urbanität an Polyvalenz gebunden, sich überschneidende, ergänzende, konkurrierende Raumansprüche und Nutzungen erzeugen bei hinreichender Dichte Urbanität. Eine funktionalistische Entzerrung von (inner)städtischer Nutzung gefährdet somit das spezifisch Städtische.
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