Cherif Soliman
DIVAN D’AMOUR
Nach der französischen Übersetzung ins Deutsche übertragen von Christine Anders
BASTEI ...
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Cherif Soliman
DIVAN D’AMOUR
Nach der französischen Übersetzung ins Deutsche übertragen von Christine Anders
BASTEI LÜBBE
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Band 10243 © Copyright by Gala GmbH, Hamburg Lizenzausgabe: Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach Printed in Western Germany 1983 Einbandgestaltung: Manfred Peters Titelbild und Illustration: Siegfried Oehle Gesamtherstellung: Ebner Ulm ISBN 3-404-10243-6
Aus dem Inhalt: Solimans Selbstporträt • Blut auf den Rosen • Aischa, das Blumenmädchen • Ohnmächtige Liebe • Abschiedslied • Das Haus mit den sieben Frauen • Der Todeswunsch • Allumfassende Wollust • Alya, die Wohltäterin • Die Frau des Kaufmanns • Solimans Gebet • Die beiden Schwestern • Senet mit den schönen Armen • Mein letzter Wunsch Ein zauberhaftes Porträt exotischer Erzählkunst.
EINLEITUNG
Algier lag schläfrig nach einem heißen Tag des Mi-Ramadhan. Ich arbeitete in der Nationalbibliothek unter den Augen eines Angestellten, den das Fasten reizbar machte. Der Konservator sprach mich an, und als zum Pariser gewordener Marokkaner gab ich ihm eine flüssige Antwort. Wir sprachen über die Verbindung der Rassen und über die Franco-Muselmanische Dichtung. Als wir dieses Thema beendet hatten, grüßte mich ein muselmanischer Geistlicher, der neben mir las, und sagte: »Du bist Iskandar-al-Maghribi, der Mann, den ich suche. Ich habe von deiner doppelten Erziehung, der arabischen und der französischen, sprechen hören. Ich stelle fest, daß du die Leichtigkeit eines Parisers hast, wenn du mit einem Franzosen sprichst. Hier handelt es sich um folgendes: Mein Nachbar in Süd-Oran, der Cherif Soliman – möge Gott seine Tage vervielfachen – hat mir das Manuskript seiner Liebesgedichte anvertraut und mich beauftragt, sie für die Europäer der Elite übersetzen zu lassen. Du, o Iskandar-al-Maghribi, bist der Mitarbeiter, den wir brauchen.« Man muß einem Vorfahren des Propheten gehorchen. Der Autor des ›Divan d’amour‹ hat in seinen Versen eine Fülle biographischer Einzelheiten übermittelt. Fügen wir nur hinzu, daß er 1897 der Sultan der Jugend von Algier war, daß er seine zahlreiche Nachkommenschaft gut untergebracht hat und daß drei bedeutende verstorbene Männer, der Oberst Prinz Ludwig de Polignac, der Oberstleutnant Henri de Vialar und der türkische Philologe von Albanien, Samy Bey Fraschery, seine intellektuellen Verdienste sehr hoch schätzten.
Lebt Cherif Soliman noch? Auf jeden Fall kannte niemand mehr seine Adresse in den Städten von Algier, und ich habe den Moslempriester, der mir den Auftrag brachte, nicht wiedergesehen.
ERSTES BUCH Küsse in Algier
SOLIMANS SELBSTPORTRÄT
Mein Großvater ritt zur Rechten von Abd el Kader. Er hat sich gegen die Franzosen gut geschlagen. Ich, für meine Person, glaube an Allah, aber ich bin ein Sohn Frankreichs. Ich studiere Latein in der Schule mit den unbändigen Jungen der Vorstadt Bab Assoun und Moustafa, und ich rufe am Abend des 14. Juli vor der großen Moschee mit den unzähligen Lampions: ›Es lebe die Republik. ‹ Ich stamme vom Propheten ab. Ich bin ein junger Cherif eines ruhmreichen Stammes des Djebel-Amour, der durch die Sahara von Oran galoppiert. Wenn ich wollte, könnte ich Ansprüche auf den Thron von Marokko erheben. Aber ich ziehe es vor, Zigaretten zu rauchen, oder ich träume bei Versen von Vergil, versunken in den Anblick des grünen Meeres und der kabylischen Berge. Ein ägyptischer Magier hat mich in der Kunst des Schönschreibens unterwiesen: ich könnte den Koran kopieren, der sich in der Pfirsichbaummoschee befindet. Aber lieber schreibe ich, was ich selber fühle, und formuliere meine eigenen Gedanken. Unsere göttliche arabische Sprache hat so viel an Geschmeidigkeit; der Feder des Cherif Soliman gehorchend, wird sie alle modernen Nuancen ausdrücken. Meine Kindheit habe ich in einem kleinen Haus in der Straße der Lotophagen verbracht. Ein alter Diener erzählte mir Geschichten aus der Zeit der Eroberung, leidenschaftliche, fanatische, blutige Geschichten. Aber jetzt wohnen wir in einer neuen Wohnung in der Hauptstraße. Mein Onkel Abdallah ist überhaupt nicht streng. Er läßt mich nach der Schule umherlaufen, denn er mißt nur den Stunden in arabischer Grammatik, Prosodie und Literatur Bedeutung bei. Wenn mein Lehrer aus Kairo mit meinem Fortschritt zufrieden
ist, lächelt der gelehrte Abdallah mir zu und gibt mir viel Taschengeld. Ich bin fünfzehn Jahre alt, und mein schöner Körper ist ebenso frühreif wie meine Intelligenz. Ich habe eine schlanke und biegsame Taille, die Brust eines Ringkämpfers und Beine eines Zentauren. Die Treuherzigkeit meines ovalen Gesichts kontrastiert mit meinen nachtschwarzen Augen und meinen Haaren, die dunkler sind als homerischer Opferwein. Ich bin der einzige meiner Rasse, der keine fliehende Stirn hat. Eines Morgens im Gymnasium verschlingt mich mein Freund Lucien geradezu mit seegrünen Augen. Er wurde fast ohnmächtig, kraft seines Begehrens, als er meine weißen Arme am Barren sieht, er verfärbte sich und sank um wie eine verliebte Jungfrau; der Aufseher mußte ihn in die Krankenstube schicken. Jeden Abend machen mir die reichen Moslems mit schneeweißem Burnus und goldbestickten Westen Zeichen auf dem Regierungsplatz, unter den Arkaden von Bab-Assoun, ja selbst auf der Hafenmole, wo ich geduldig die Rückkehr der Sirenen erwarte. Gestern, während ich im türkischen Cafe in der Straße der Seeleute Oliven aß, setzte sich der junge maurische Prinz, der träge Sidi-Yousef, Abkömmling der Argonauten, direkt zu mir und verwickelte mich in eine Unterhaltung. Er versuchte, mich mit seinen veilchenfarbenen Augen zu bezaubern, er zeigte mir Edelsteine und lud mich ein, ihn in sein Haus in der Kasba zu begleiten, um mir die schönsten auszusuchen. Er wiederholte mit der sanften Stimme eines Priester-Propheten, der seinem Lieblingsschüler schmeichelt: »Komm, Soliman! Alle schönen Engländer, die hier den Winter verbringen, gehören mir. Folge ihrem Beispiel, und du wirst glücklich sein! Ich werde dich in Geheimnisse einweihen, die deine europäischen Kameraden nicht einmal ahnen. Komm!« Aber ich lehne alles ab. Ich verschmähe solche Liebhaber wie Lucien, und ich bewahre mir meine rückwärtige Unschuld. Es muß schon eine Frau sein, die mein Kreuz liebkosen darf.
MIMI
Ich bin zu Besuch bei meinem Freund, dem jungen Tabakkaufmann am Malakoffplatz. Es ist gerade die Stunde der wollüstigsten Dämmerung der Welt. Moustafa beobachtet schwermütig zwei Tauben beim Liebesspiel. Ich genieße die Brise, die feucht und parfümiert herüberweht, als habe sie alle schönen, jungfräulichen Mädchen, die auf der anderen Seite des Meeres leben, durchdrungen. Es läutet die sechste Stunde. Die Frauen entsteigen jetzt dem Bade in der Straße des ›Etat Major‹. Ich hatte sie nicht bemerkt. Unter ihrer weiten Hose, dem Mantel und dem doppelten Umhang sieht sie aus wie ein verpacktes Stoffbündel, wie all die kleinen, sehr frommen Mädchen. Aber sie wendet sich nun zu Moustafas Laden, wirft mir, mir allein einen langen Blick zu und löst den gelben Schleier, der ihr Gesicht verbirgt. Diese Gazelle mit der Smaragdkette und dem kristallenen Teint würde selbst einen der abgestumpften Bewohner vom Berge ›Kaf‹ entflammen. Glücklicherweise hat sie auf ihren Lippen, ich errate es, den Honig, der alle Leiden des Herzens heilt. Die Negerin, die sie begleitet, wirft mir das aufmunternde Lächeln einer Kupplerin zu. Moustafa sagt so nebenher: »Ich kenne sie, sie heißt Mimi. Sie hat noch keinen Liebhaber gehabt und ist Waise. Mimi schläft in der Kasba, gegenüber dem plätschernden Brunnen.« Ich danke dem Tabakhändler und folge meiner Eroberung.
BLUT AUF DEN ROSEN
Die gute Alte hat ihre Goldmünzen gezählt. Sie wirft sie in ihre Tasche und hebt den blauen Vorhang. Ich verstehe. Mimi erwartet schon den Cherif Soliman, sie liegt völlig nackt zwischen schmeichelnden Kissen und Stoffen, auf einem breiten roten Diwan. Sie fällt mir um den Hals, küßt mir die Augenlider, beißt zärtlich in meine Wange, saugt an meinem Mund und beginnt, mich mit vielen Liebkosungen zu entkleiden. Dabei erzählt sie mir ihre Geschichte: Mimi wurde vor fast zwölf Jahren in Bou-Sada, unter einer Palme am Rande des durchsichtigen Meeres, geboren. Da sie hübsch war, ging man nach Algier, um ihr Glück zu suchen. Die Amme benutzte ihre letzten Ersparnisse für die Aussteuer und für die Ausschmückung des Raumes. Ich plündere die Körbe und schütte Rosenblätter auf den roten Diwan. Dann nehme ich meine süße Geliebte in die Arme. Unter seidiger Haut fühle ich festes Fleisch, frische spitze Brüste, pralle Hinterbacken, die durch mein Streicheln schwellen und noch härter werden. Nun liege ich nackt auf der nackten Mimi. Ich sehe auf dem weißen Hals einen braunroten Schönheitsfleck, der mich entzückt. Der hochzeitliche Brautschrei klingt auf in der Dämmerung. Hinter dem Vorhang belauscht uns die Negerin. Sie eilt zu Mimi und schenkt ihr mütterliche Hilfe. Die kleine Verwundete weint schon nicht mehr, sie lächelt und scheint sogar stolz, von einem Cherif entjungfert worden zu sein.
Ich rauche eine türkische Zigarette und sehe auf einem schwefelgelben Blumenblatt einen Tropfen roten, trocknenden Blutes.
MEINE FEHLER
Soliman möchte Schiffbruch erleiden auf dieser Insel der Frauen, die ein kleines goldenes Buch beschreibt: es heißt »Die Wunder Indiens«. Er fühlt sich stark genug, um Tausende von Amazonen zu sättigen. Es ist immer die gleiche Komödie. Mimi schluchzt, protestiert und sagt: »Genug, du zerreißt mich ja, du bist stark und zu furchtbar, o Cherif. Ich werde mich beim Friedensrichter beklagen!« Dann erzürnen wir uns darüber und kehren uns den Rücken zu. Schließlich strecken wir uns aus, jeder auf seiner Seite, voneinander abgewandt. Aber es vergeht keine halbe Stunde, ohne daß mich ein lebhafter Lendenstoß erneut zum Reiten einlädt. Dann steigere ich mich zum Äußersten, und die Amme, die mich bewundert, erinnert sich an den Kameltreiber, der sie vor fünfzig Jahren vergewaltigte, damals auf dem brennenden Sand, an einem Tage des Schirokko.
GEGENSEITIGE GEFÄLLIGKEITEN
Das Ende meiner Zunge hat die Farbe einer Mandarine, und im Munde habe ich einen Geschmack nach Henna. Es handelte sich darum, Mimi dazu zu bringen, mir denselben Gefallen zu tun, den mir anzubieten mein Kamerad Lucien sich nicht schämte. Zuerst habe ich sie lange mit der zärtlichsten aller Zärtlichkeiten geliebkost, wie es die jungen Eunuchen im Harem von Mekka tun. Dabei entzückte mich ein leiser Duft von Pfefferminz oder Majoran, und die Spitze meiner Zunge befeuchtete sich, ohne sich zu besudeln. Aber dann mußte der arme Soliman nacheinander die Fingernägel, die Handflächen, die Zehen und die Fußsohlen dieser Grausamen lecken, die mich immer noch ablehnte. Auf einmal lacht sie laut auf vom kitzelnden Liebkosen und murmelt: »Laß mich, o Sultan der Liebenden, du tötest mich! Nun hast du deine Belohnung verdient. Sieh: Ich liege vor dir, wie deine Begierde es verlangt!« Sogleich beginne ich mit der notwendigen Durchdringung. Jedes neue Vorstoßen entreißt der Novize ein Wimmern, aber je mehr sie leidet, um so mehr steigt meine Lust, bis wir beide den Höhepunkt erleben.
DIE TÄNZERIN
Ich habe die Bekanntschaft von Ftohma unter einem japanischen Mispelbaum in einem Garten von El-Biar gemacht. Sie ist die Nichte des Orangengärtners von Ben-Sahnoun. Alle die flinken Knaben des kleinen Gymnasiums machen ihr bei Gelegenheit den Hof. Sie streckt ihnen die Zunge heraus und lehnt ihre Vorschläge ab. Aber keineswegs etwa, weil sie die Torheit begeht, keusch zu sein: sie hat seit ihrer frühesten Kindheit so viele Liebhaber gehabt, daß sie sich ihrer Jungfräulichkeit gar nicht mehr erinnert. Aber sie hat Angst vor Roumi. Sie erschauert, als ob der Morgenwind sie streife. Blumen, die sich verschließen. Ftohma erscheint, bekleidet mit einem zarten, mal-yenfarbenen Hemd, das ärmellos und dekolletiert ist. Sie zeigt in aller Freiheit ihre länglichen Brüste, wie ich sie bevorzuge. Schnell folgt sie mir in die Wirklichkeit und spricht über die Trockenheit, die leeren Brunnen, vom Regen, den Gott schickt, von einem kabylischen Falschmünzer, von einem Negerdiener, der den bösen Blick hat, und einem Priester aus Quargla, der alle Krankheiten heilt. Mein Lächeln ermutigt sie. Dann improvisiert sie nur für mich einen Bauchtanz, der die noch schlafenden Brüste erwachen läßt. Sie öffnet ihre Lippen und zeigt mir ihre schimmernden Zähne. Ich werfe ihr eine Handvoll Goldstücke hin. Sie wiegt und biegt sich mit solcher Glut, daß sie dabei zwei- oder dreimal vergeht, bevor sie nahe vor mir auf die Knie fällt, völlig nackt in den Resten ihres Hemdes. Aber sie sagt: »Oh, Cherif, gib mir einen Mispelzweig!« Soliman ahmt die sprichwörtliche Generosität von Hatim-Tai nach. Ich ziehe Ftohma auf meinen Schoß, belohne sie sogar mit zwei Mispelzweigen und schenke ihr außerdem eine große Banane.
MOUNI
Wie schön ist dieser Maiensonntag in Sidi-Ferredy mit der Erinnerung an die Landung der französischen Armee. Ich lerne die Inschrift über dem Portal der Festung auswendig. Ich denke nach bei diesem erneuerten Datum – 14. Juli 1830 – und beschwöre mir jene fröhliche Invasion herauf, in dieser Einsamkeit, die sich so fern der Welt glaubte. Ich billige König Karl X. und seinem General von Bourmont zu, dem Meere die Freiheit wiedergegeben zu haben. Ich vergesse ihnen nicht, daß sie dieses Werk begonnen haben, dem ich, der Cherif Soliman, meine Existenz als überzeugter Franzose verdanke. Aber ein junges Mädchen mit purpurrot gefärbten Locken lenkt mich von der Politik ab. Sie grüßt mich im Vorübergehen und zeigt mir ihre Schenkel. Sie dreht sich um; ihr Lachen fasziniert mich. Ich sehe nichts mehr als das Henna-Rot ihres Zahnfleisches. Ist sie die Königin im Tal der Rosen? Oder eine entwichene Haremsfrau aus dem geheimnisvollen Garten von Cheddad-ibn-Ad? Sie ist eher eine Bettlerin. Aber ein Moslem mit Geschmack gäbe für einen Kuß von ihr alle Schätze des glücklichen Arabien. Oh, Ambra, aus der Tiefe Indiens hervorgegangen. Oh, Perle, welche die Kaufleute mit den kleinen Augen noch nicht mit groben, gemeinen Händen berührten. Ich bin das lachende Kind am Gestade. Wir kauern uns hinter die Dünen im Angesicht der unbeweglichen Bucht. Gott allein und unsere neugierigen Schutzgeister betrachten uns. Es kommt mir vor, als wären wir auf eine verlassene polynesische Insel ausgewandert.
Mouni würde sogar einen alten persischen Schah amüsieren! Sie sah die kabylischen Weinpflücker nicht mehr als elfmal. Sie hat noch kaum Brüste, aber sie ist schon alles andere als unberührt. Das Wasser ist warm, wie ich es mir wünsche. Wir nehmen ein Bad. Mouni neckt mich, sie ist ein Kobold, und ich berühre sie wollüstig. Sie läuft als erste aus dem Wasser und rettet sich auf den Sand. Aber ich hole sie schnell ein und werfe mich mit solcher Heftigkeit über sie, daß sie sich die linke Schulter an einem Kaktus verletzt. Mouni und ich setzen uns Hand in Hand auf die höchste Spitze der Küste, nahe dem Abgrund. Eine falsche Bewegung, eine Sekunde des Schwindels oder der Tollheit, und wir würden hinunterfallen auf den Felsen, zwei zerstörte Körper. Ich frage feierlich: »Mouni, willst du, daß wir zusammen sterben?« »Nein, nein, o Cherif, mein süßer Herr. Ich bin deine Dienerin, die dich anbetet, und ich will, daß du mich in die Stadt entführst, um mir das Kleid und die Perlen zu geben, die du mir versprachst!« Ich breche auf meine Weise in Gelächter aus und bemächtige mich von neuem des kleinen, zitternden Körpers, ganz nahe am Rande des Abgrundes.
KHREDOUDJA
Man zähmt das widerspenstige Kamel, indem man ihm einen Ring durch die Nase zieht. Man triumphiert über die Weigerung von Khredoudja, wenn man ein hartes Stück Gold in die schwarze Pfote ihrer Amme steckt. Meine neue Freude wohnt in Bab-el-Oued, in einer jener Gassen, wo die ernsten Männer nicht vorbeigehen, ohne daß ihnen aus einem hohen Fenster irgendein Wurfgeschoß nachfliegt. Verkleidet bin ich in diesen heiligen Ort eingedrungen. Die barmherzige Negerin hatte mir ihr altes indisches Gewand geliehen. So hielt man mich für die Tochter des Pantoffelverkäufers. Ich verstecke mich wie ein Einbrecher unter dem Diwan. Khredoudja kommt nach Hause, sie entkleidet sich, während sie wie eine kleine Bachstelze hierhin und dorthin springt. Wenn sie eine der Gazellen des Cherifs von Mekka gewesen wäre, hätte sie den Rang einer Herdenleiterin. Ihre Wangen leuchten wie eine Fackel in der Nacht. Sie hat sehr feste Brüste, man könnte sagen, sie gleichen zwei umgestülpten Kaffeetassen. Die schmale Taille und die fleischigen Hinterbacken scheinen sich übereinander lustig zu machen, und dabei verschönen sie sich gegenseitig. Ein Schönheitsfleckchen, das die Form eines Halbmondes hat, lächelt über ihrem runden Leib, rechts von ihrem Geheimnis. Khredoudja geht ins Bett, bedeckt sich mit einem Kaschmirschal und tut, als ob sie schläft. Ich schlüpfe leise aus meinem Versteck und entkleide mich heimlich. Dann stürze ich mich auf die Schelmin. Sie schreit mir, halb in Arabisch, halb in Spanisch, Beleidigungen zu, kratzt, beißt und spielt zum Schein die Vergewaltigte. Dank meines immer
wieder rückfälligen Zepters sind wir dann bald die besten Freunde der Welt. Khredoudja berührt mit ihrer linken Hand ausgelassen die einzige Stelle meines Körpers, die nicht enthaart ist, und sagt, sich mit dem Ellenbogen auf das Kissen stützend: »Deine Sklavin ist nicht über deine Liebe entrüstet, o Cherif, mein edler Falke. Mein Großvater war ein berühmter Herr, der fünfzehntausend Palmen in der Oase von Larouat besaß. Doch leider ist meine Familie jetzt verarmt.« Khredoudja kann weder schreiben noch lesen. Aber sie erzählt die Abenteuer von Antar mit der Routine eines Erzählers aus Kairo, und sie hat so viel Intelligenz, daß sie es verdiente, den ganzen Koran auswendig lernen zu dürfen. Habe ich einen Anfall von schlechter Laune? Es genügt, daß sie mich in ihre Arme zieht – an ihre mit Flaum bedeckte Haut. Sogleich kehrt meine gute Laune wieder. Ja, die Polizei müßte sie bestrafen wegen unerlaubter Ausübung der Heilkunst: Sie heilt alle Krankheiten einzig und allein dadurch, daß sie dich auf ihren Körper nimmt und ihr Hinterteil im Rhythmus der Wüste bewegt!
MERIEMS FINGER
Heute morgen flüsterte mir Luden während einer Freistunde vor dem Gymnasium in die Ohren: »Ich habe heute nacht an dich gedacht, o Soliman, und dann habe ich dem Gott der einsamen Liebe dreimal geopfert!« Armer Lucien! Wenn er doch lieber zu Meriem, der Ägypterin, gehen würde! Das würde ihm solche Dummheiten ersparen. Meriem ist zwölf Jahre, sie hat den Körper einer Leopardin, so graziös wie schön, Beine des Eros, und diese Stimme der Maria, die selbst jeden Propheten bezauberte. Sie wurde irgendwo in Nubien geboren, am Ufer des Nils. Sie war dreizehn Monate alt, als ihre Mutter Saknah, die Tänzerin, mit einem Kavallerieleutnant nach Algerien auswanderte. Jetzt ist Saknah an einem Brustleiden gestorben. Wenn man mich fragte, wer die raffinierteste Kurtisane der Kasba sei, antwortete ich: ›Meriem.‹ Während ich die Epigramme von Martial lese, erwarte ich meine feine, scharfsinnige Meriem. Ich liege völlig nackt auf dem Diwan, in einem Zimmer voller rosa Kerzen und schwül duftender Blumen. Auch Meriem erscheint nackt auf ihre Weise. Sie trägt Rubinen an den Knöcheln, Smaragde an den Handgelenken, ein Perlenkollier und einen Keuschheitsgürtel, der mit einem Amulett verschlossen ist und in den man das unverletzliche Siegel meines ruhmreichen Namensvetters eingravieren müßte: ›Der große König Soliman-ben-Daoud‹, denn Meriem hat gelobt, sich als Jungfrau zu vermählen. Sie prostituiert sich nur mit den Händen. Meriem mit ihren schlanken und reinen Händen ist auf den schwarzen Diwan gestiegen, sie nimmt ihre Lieblingsstellung ein, einen Arm um meinen Hals geschlungen, den anderen hat sie frei, gibt mir einen schwesterlichen Kuß auf den Mund und geht ans Werk. Die
Wachslichter tropfen. Die Blütenblätter fallen. Ich singe der tätigen Meriem Litaneien auf ihre schmeichlerische Kunst. Meriem mit den lieblichen Händen, Meriem mit den aufwühlenden Fingern, Meriem, deine Hand wird langsamer und berührt kaum noch ihren entzückten Gefangenen! Meriem, deine Finger streicheln ihre geschwächte Beute und lassen den Sperling nicht frei, trotz seiner Tränen. Meriem mit der leichten Hand. Oh, Meriem mit deinen trägen Fingern! Meriem, deine Hand gleicht dem honigfarbenen Vogel, der erregt eine weiße Rose umflattert. Meriem, deine Finger pressen mich in süßer Umarmung, Meriem, du Trösterin, Meriem, du Quälerin, Meriem, habe Mitleid mit mir! Meriem, dein kleiner Soliman dankt dir so sehr, aber im Namen Allahs, halt ein, mich mit deinen Augen zu durchbohren. Du schwächst mich, entleerst mich, nimmst mir meine Kraft und meine Jugend. Meriem, o du meine ägyptische Taube, laß uns so bleiben, Stunden, oh, Stunden. Ich segne deine trockne und behutsame Hand, die immer frischen Finger. Ermüde nicht, meine nubische Jungfrau! Denn du läßt mich vergessen alle meine Schmerzen und meine Gedanken an den heranwachsenden Cherif. Ich mußte schweigen, aber Meriem plappert auf ihre Weise, ohne den Gegenstand ihrer Bemühungen einen Augenblick zu vernachlässigen. Sie singt Lieder aus der Libyschen Wüste, die Saknah auf seinem Totenbett sang. Sie fragt mich nach den Mumien und der großen Sphinx mit der Ernsthaftigkeit der Frau eines Patriarchen, der ein Orakel in der Nähe einer Quelle befragt, während die Sonne untergeht. Meriem zwitschert noch, aber am Ende wird ihr Arm müde. Sie läßt mich einschlafen, und ich träume, daß ich verdammt bin, mir bis zum Jüngsten Gericht
Tropfen um Tropfen lauen Wassers auf die Brust fallen zu lassen. Aufspringend erwache ich mit dem Wunsch nach Rache. Aber der Keuschheitsgürtel verhöhnt mich. Ich küsse Meriems Grübchen, das sie auf der Mitte der rechten Wange trägt, und enteile dann zu Mimi.
AISCHA, DAS BLUMENMÄDCHEN
Ich kann meine linke Seite nicht mehr von der rechten unterscheiden. Den ganzen Tag irre ich unentschlossen umher. Bald schluchze ich sogar, und ich leide derart unter meiner zornigen Eifersucht, daß ich erstaunt bin, am nächsten Morgen kein Greis zu sein. Selbst im Wein von Syracus finde ich einen Geschmack von Galle, und die schönste, am Spieß gebratene Hammelkeule hat keinen Reiz mehr für mich. Eine Schlange tötet mein Herz. Ich verrate meine Geheimnisse: Das alles ist die Schuld von Aischa, dem Blumenmädchen! Wie ein Kristallblock leuchtete sie vor dem Regentschaftsgebäude. Eine Taube gurrte, und ich wetteiferte mit diesem seelenlosen Tierchen. So gewann ich ein Lächeln von Aischas klarem Gesicht. Noch am selben Abend kam sie zum Rendezvous. Ich mag Aischas Brüste nicht so sehr, sie sind zu groß, fast wie Granatäpfel. Aber – während ich ihr auf Pariser Art den Hof mache, peitscht sie mich mit ihrem Haarschopf auf, und ihr Zittern auf der Höhe der Lust erregte die noch junge Negerin so stark, daß sie mich demütig bittet, ihr mit einem karmesinroten, ledernen Priap, der nahe am Kamin hängt, Erleichterung zu verschaffen. Ich füllte das aristophanische Gerät mit Kamelmilch und erhörte die Bitte dieser Zouzou. Aischa lachte wie eine kleine Irre. Sie verlor nichts durch das Warten, denn ich versah sie mit Fleisch statt mit Leder. Kurz – als sie mich verließ, versprach sie mir, dreimal in der Woche zu kommen. Aber schon am anderen Tag war sie verschwunden. Ich hörte, daß sie mit einem alten Sklavenhändler nach dem Süden gereist sei. Seitdem hat sie mir auch keine Nachricht gesandt. Im Selbstgespräch rief ich ihr zu: »Aischa! Dein Körper ist
durchsichtig und leuchtend, aber dein Herz ist falsch wie diese Meereswellen, denen jeder gute Moslem mißtraut. Komm dennoch zurück, du liebliches Blumenmädchen, das du süßer duftest als alle Blumen. Der einzige Trunk, der meinen Durst stillen kann, ist der Nektar deines Kusses. Die Erinnerung, einst davon getrunken zu haben, beruhigt nicht den Durst des verirrten Pilgers. Denn Soliman kann nicht wie die Gazellen leben, ohne zu trinken. Aber nein! Du bist keinen Zwirnsfaden wert! Die Eifersucht spannt meine Augenbrauen zu einem einzigen schwarzen Bogen. Am liebsten bestiege ich morgen zur Dämmerstunde meine Stute, würde dich wieder einfangen und deinen alten Türken mit einem einzigen Schlag meines krummen Säbels enthaupten.« Ich spreche so laut, daß ich die Fischer störe. Sie beschimpfen mich, und ich, der Cherif Soliman, verschwinde wie ein geschlagener Hund.
BEDRA, DIE BETTLERIN
In Indochina warten vor den französischen Kasernen kleine Jungen, um für einen Sou das zu tun, was man von ihnen verlangt, und noch mehr. Sie verstehen es, alle Männer, die von Übersee kommen, zu schwächen. Sie sind katzenhaft, geschickt, gefräßig und unendlich geduldig. Viele Soldaten sind daran gewöhnt, sich dieser tückischen, immer willigen Affen zu bedienen. So viele brennende Blicke aus großen Augen in ausgemergelten Gesichtern! Bedra, die Bettlerin, ähnelt diesen kleinen asiatischen Monstren. Da sie nicht älter ist als sechs Jahre, spielen ihre Brüste noch keine Rolle. Aber ihr olivenfarbener Körper mit seinen drei Öffnungen ist schon da, ihre fleischigen Hände, ihre Achselhöhlen, die nach roten Nelken duften. Sie weist weder Kleingeld noch Goldstücke zurück, das ist selbstverständlich, aber für einen Sou ist sie zu allen Gefälligkeiten bereit. Sie erfindet sogar für diesen Preis etwas, und wenn man ihr einen Franc gäbe, dann würde sie selbst einen irländischen Lord in Erstaunen setzen. Alle diese hustenden Jünglinge kommen aus Amerika und Europa, um Heilung zu finden oder zumindest Linderung und eine Verlängerung ihres Lebens: Unsere Sonne erregt sie, und Bedra, die kleine Mörderin, beschleunigt ihren Todeskampf. Diese Bedra mit den frohen Augen amüsiert mich. Wir begegnen uns das erste Mal auf dem Hügel in einem Walde, den alle Liebenden kennen. Sie sprang aus einem Busch heraus. Ein heftiger Hustenanfall kontrastierte mit der wollüstigen Ruhe der Dämmerung. »Psst«, flüsterte sie mir zu, »dort ist ein russischer Prinz, der aus Paris kommt.« Die Terebinthensträucher strömten einen zu Kopf steigenden Duft aus.
Nun, in einem benachbarten Gebüsch bewies ich Bedra die Überlegenheit meines cherifischen Zepters und meiner gesunden Brust.
DAS LACHEN VON HAOURI
Der Maure Abd-er-Rahman und ich sitzen in seinem neuen Laden an der Passage der Republik und spielen eine Partie Schach. Mein Freund besitzt einen sehr weichen, liebenswürdigen Charakter, einen reichen schwarzen Bart und eine fast weiße Haut. Er ist sehr religiös. Er verkauft mit gewichtigem Ernst kabylischen Schmuck, alte Waffen, die von Saint-Denis stammen, Flitter, gestickte Tücher und die niedlichsten Pantoffeln aus gelbem und rotem Saffianleder. Wir jagen Fliegen mit dem Fächer. Der einzige Sohn meines Wirtes, ein rachitisches und trübsinniges Kind, das nicht auf Fragen antwortet, starrt gebannt aufs Schachbrett. Ich sage: »Matt!« Ein perlendes Lachen antwortet mir. Das ist Haouri, die Waise, die vom Einkauf einiger Kleinigkeiten zurückkommt. Sie untersucht eine Filigranbörse, als mein Ausruf sie den Kopf heben läßt. Sie trägt ihr schönstes Kleid, ein Kollier aus komplizierten gläsernen Amuletten, eine veilchenblaue Korsage, die mit Silberfäden bestickt ist, dreifache Armreifen, eine Hose aus weißem Baumwollstoff, schwarze Strümpfe, vielfarbene Ketten im Haar und perlgraue Pantoffeln. Man kennt weder das Land, aus dem sie stammt, noch ihre Familie. Man weiß nur, daß sie sorgfältig vergrabenes Gold besitzt und nicht mit jedermann schläft. Haouri lacht weiter, während sie mich mit ihren Augen herausfordert, Augen, noch lachender als ihre Lippen. Ich gehorche: Ich biete der entzückten Waise die schönsten Stücke aus dem Schaufenster meines Freundes Abd-el-Rahman und entführe sie in eine Junggesellenwohnung, die ich am Vortage gemietet habe – hoch oben in der Kasba.
Wie breit und bauschig sind doch die Hosen der lachenden Haouri; es wäre Platz darin für ein Dutzend Wassermelonen. Aber die fleischigen, festen Hinterbacken füllen allein schon die Hälfte aus. Ein Pascha aus Stambul würde sein Vergnügen an einer solchen Frau haben! Ich entkleide Haouri, die fortwährend lacht, drehe sie um und behandle sie so, wie es der arme Lucien im Bad der Straße ›Etat Major‹ so oft von einem zarten kabylischen Masseur erbettelt. Die Waise hat Tränen in den Augen, aber sie lacht noch immer! Die großen Geschenke verfehlen ihre Wirkung nicht. Ich wechsle unsere Lage in der Dämmerung und sorge für die Rückkehr ihrer Fröhlichkeit. Bald lacht sie wieder aus vollem Halse.
HALIMA UND DER PARADIESVOGEL
Mein Vetter Hadschi Ali, der ein ebenso großer Reisender vor Allah ist wie Tavernier selbst, hat soeben einen Paradiesvogel in seinen Garten in ›Bou-Zarea‹ mitgebracht. Dieses Kleinod aus Smaragd, Braun, Schwarz-Grün, GoldGrün, Blau-Grün, Gelb, Weiß, Orange und Zart-Purpur bewohnt einen Ebenholzkäfig mit massiven Goldstäben. Das Tier ist ein Gedicht aus Farben und Nuancen. Es vereinigt in sich allein allen Zauber aller Vögel. Jeder seiner Haltungen, jeder seiner kleinsten Bewegungen entspringt neue Schönheit. Seit der Morgenröte begrüßt er mit einem fröhlichen Flügelschlagen das Meer und die Berge. Dann macht er Toilette. Er reinigt auf das sorgfältigste mit dem Schnabel sein ganzes Gefieder. Er badet zweimal am Tage in seinem Schwimmbassin. Übrigens fliegt er nur zum Bad auf den Boden seines Käfigs, denn er hat Angst, sein Federkleid zu beschmutzen. Ständig ist er auf seinen eigenen Glanz bedacht. Wenn er auch nur einen Makel bemerkt, und wäre es auf der äußersten Spitze seiner längsten Feder, so beseitigt er ihn sofort. Er betet sich an, und er will, daß man ihn bewundert. Er betrachtet sich mit Leidenschaft im Spiegel, dieser Narziß. Die gefangene Halima gleicht dem Paradiesvogel meines Vetters. Sie bewohnt ein öffentliches Haus in der Straße ElAkhdar. Sie ist das schönste Mädchen von Algier, und sie weiß es genau! Sie ist um ihre Haut besorgt wie ein Bildhauer um sein soeben beendetes Meisterwerk. Wenn man nach ihr gefragt hat, und wenn sie euch leise lächelnd empfängt, die Ellbogen aufgestützt zwischen zwei Säulen auf der maurischen Galerie des ersten Stocks, glaubt man eine Wiederkehr der schönen Tage von Granada zu sehen, und man denkt an den Harem der Alhambra.
Ich lasse sie an einem heißen Sommermorgen für viel Geld herauskommen und entführe sie in den Gülistan von Hady-Ali. Mein Vetter ist in Marokko, aber die Neger haben Auftrag, Haus und Garten zu meiner Verfügung zu halten. Ich bekränze mich mit scharlachroten Rosen und flechte in das schimmernde Haar von Halima eine Girlande aus Teerosen. Nackt tollen wir auf einem Bett von weißen Rosen angesichts des Ebenholzkäfigs mit den goldenen Stäben. Der Paradiesvogel beobachtet uns. Aber bald wendet er sich ab und duckt sich schmollend in die Ecke seines kleinen Palastes. Ich sage zu Halima: »Sieh, er ist eifersüchtig auf dich!« Sie lächelt vor Glück, dann beugt sie sich über mich und gibt mir zwischen den aufgehäuften Rosen so tyrannisch den Kuß der Ahalanta an Meleagre, daß ich glaube, mein innerstes Leben zu verlieren, Tropfen um Tropfen.
EINWEIHUNG
Im Süden bedeutet die Ankunft eines jungen Rekruten der Fremdenlegion eine angenehme Abwechslung. Häufig lädt ein geschwätziger, schöner Araber den Armen in ein maurisches Cafe ein. Man verwöhnt ihn, man umarmt ihn, man stachelt ihn auf, man geht von Datteln zu Bananen über. Kurz, ein halbes Dutzend von Nichtstuern, abgestumpft für alle einheimischen Hinterbacken, genießen aus vollen Zügen das Vergnügen einer Neuerwerbung. Während der Vorbereitungen hat man das Los gezogen. Am nächsten Morgen und an den folgenden Tagen zeigt der Rekrut eine seltsame Art zu gehen, und seine erfahrenen Kameraden beobachten ihn verstohlen grinsend. Einen unverhofften Fund ähnlicher Art, aber von besserem Geschmack, haben soeben Cherif Soliman und seine Bande gemacht. Wir sind sechs: mein lieber Lucien, der endlich klüger geworden ist, vier höfliche Unterprimaner und ich; wir waren bei der Negerin Tombu in ihrem berühmten Salon in der Straße Hammam-Hommier. Tombu ist hinter ihrem ewigen blauen Schleier der Teufel in Person. Zugleich Hexe mit bösem Blick, Bereiterin von Zaubertränken und Wahrsagerin, zeichnet sie sich vor allem in der Kuppelei aus. Ihre Spezialität ist die Vermittlung von Jungfrauen. Ihr Ruf ist bis in die tiefste Sahara gedrungen. Selbst die Lieferanten des türkischen Sultans versetzt sie in Erstaunen. Für diesen Sonntag hat uns Tombu eine Überraschung versprochen. Wir warten nackt, auf Kissen liegend, und rauchen ägyptische Zigaretten, vor uns etwa zehn geschminkte Maurinnen, die sich beim Tanze nach und nach entkleiden. Ein Negerkind von fünf Jahren begleitet sie mit rasenden
Kastagnetten. Weihrauchkörner und Benzoe knistern auf einem Kohlenbecken. Aber wir zeigen noch nicht die Symptome des großen Verlangens. Plötzlich teilt sich der grüne Vorhang auf seiner Stange. Tombu erscheint, fester verschleiert denn je. An ihrer Hand führt sie, nackt und glatt wie eine kleine Aphrodite, Anadyomene, eine lebende Tanagrafigur. Die Merkmale männlicher Erregung werden augenscheinlich. Die verschmähten Tänzerinnen ziehen sich still zurück. In feierlichem Ton spricht Tombu: »Sie ist sieben Jahre alt, o Cherif. Ihr Name ist Khreira. Sie kommt aus der Sahara, aus Constantine. Niemals hat ein Mann sie berührt. Heute ist der Tag ihrer Hochzeit mit der Liebe. Genießt sie nacheinander, du und deine Freunde! Ich habe Vertrauen zu deiner Gebefreudigkeit, o Soliman.« Tombu streichelt sie und legt die kindliche Braut, die schweigsam und gelehrig wie eine Marionette ist, auf einen mit Veilchen bestreuten Diwan. Während dieser Zeit verständigen wir uns; meine Kameraden fühlen sich ihrer selbst noch nicht sicher genug, sie treten mir den ersten Platz ab und lassen das Los nur unter sich entscheiden. Khreira schreit und blutet stark. Später, nach einer Pause – mein Ruf verpflichtet mich zu einer Wiederholung – lacht sie sechsmal nacheinander unter Tränen.
DJOHARS ZUNGE
Siehst du diesen Skorpion auf der Jagd? Man könnte ihn einen Zwerghummer nennen. Er hat im Verhältnis Scheren von der gleichen Größe. Sein langer, ausdrucksvoller Schwanz erhebt sich drohend über seinem Körper und streckt seinen hakenförmigen Stachel heraus. Er bemerkt einen Käfer, sticht ihn und frißt ihn auf. Aber er hat noch Hunger, schnell ergreift er eine Heuschrecke. Mißtraue ihm! Er ist der Emir der schwarzen Skorpione. Sein Stich schmerzt mehr als der einer Hornisse. Seine gelben, braunen, weißen, rosenroten oder gestreiften Brüder sind neben ihm nur einfache Stechmücken. Und die Angehörigen seiner Rasse töten jeden Sommer in Ägypten viele Kinder. Gib acht! Er schläft gerne im Kühlen, unter Steinen, in den Ritzen alter Mauern. Aber die menschliche Wärme weckt ihn sofort. Laufend verläßt er sein Versteck und sticht alles, was er trifft. Djohar, die Saugerin mit dem palisanderfarbenen Teint, ist noch viel schrecklicher als der Emir der schwarzen Skorpione. Der Stachel dieser schwarzen Mörderin junger Männer ist ihre Zunge. Wenn Djohar einen jungen Araber, Kabylen oder Europäer unter ihren Lippen hat, dann macht sie ihn mit ihrer tödlichen Brunst verrückt, zieht ihm die Haut ab und träufelt ihm tödliches Gift ins Blut. Der Emir der schwarzen Skorpione wird in einem Anfall von Raserei durch einen Stich seines eigenen Stachels enden und daran sterben, leider! Aber selbst wenn Djohar genug Geschmeidigkeit hätte, sich an ihrer empfindlichsten Stelle zu lecken und zu beißen, dann würde sie sich nicht weniger wohl befinden.
Glücklicherweise haben die Kupplerinnen der Kasba keine Geheimnisse für einen Kunden wie den Cherif. Ich biete mich Djohar an, denn ich brauche sie alle. Ich liebkose sie, während ich ihr von ihrem Heimatort Darfour erzähle, aber eingedenk ihres fragwürdigen Gesundheitszustandes lehne ich jede Umarmung ab, untersage jeden Kuß und lasse mich nur von ihrer leichten Hand berühren. Kaltblütig betrachte ich das provozierende Herausstrecken der rosigen und spitzen Zunge.
DIE SECHS KLEINEN KABYLENMÄDCHEN
Eben habe ich auf dem Gouvernementsplatz meine Freunde beim Spazierengehen getroffen. Jeder ist anders, doch alle sind zum Anbeißen schön! Sie haben mich jedoch nicht verwirrt. Einige haben sich nach mir umgedreht, ›Soliman der Prächtige!‹ (das ist mein Spitzname im Gymnasium) hat ihre verstohlenen Blicke nicht erwidert. Es ist die Zeit für amouröse Abenteuer. Ich besteige meine Berberstute Al-Borak, deren schwarze Mähne funkelnde Lichter sprüht, und träumend reite ich meinen Lieblingsweg von El-Biar nach Ben-Sahnoum, welchen die Fußgänger fast niemals wählen. Al-Borak trabt elegant und hochmütig zwischen den Blumen und Kräutern. Der Weg ist so wunderschön, daß man fast erwartet, an seinem Ende den intimen Garten eines Märchenprinzen zu finden, und man würde sich nicht wundern, hier dem göttlichen Sheikh Sadi inmitten der Elite seiner Schüler philosophierend zu begegnen. Zur Linken haben die Eigentümer ein Warnschild aufgestellt: »Vorsicht, Fallen!« Aber ganz von selbst fällt der Cherif Soliman in eine Herzensfalle und ergötzt sich daran. In der Tat, es ist meine zweite holde Begegnung, die dort an der Wegkreuzung auftaucht. Sechs kleine Mädchen marschieren im Gänsemarsch der Größe nach hinter der Ältesten der Schar. Dieses Mal habe ich Eile, mich verfuhren zu lassen. Jedes der sechs kleinen Mädchen ist mit einem kurzen Hemdchen bekleidet, das seitlich große Schlitze hat. Alle sechs haben leuchtende Zähne, die wie Perlen schimmern, und ihre Beine sind gelbbraun wie Topase. Die erste trägt ein braunes Hemd und einen persischen Türkis auf dem Busen, als Talisman. Die zweite, im malvenfarbenen Hemd, hat auf der rechten Schulter, wenn ich mich nicht täusche, ein Kußmal. Die dritte trägt ein rotes Hemd und auf dem linken Schenkel ein sehr
schwarzes Zeichen. Die vierte hat ein braunrotes Hemd und ein eigensinniges Grübchen am Kinn. Die fünfte hat ein blaues Hemd und eine kleine Stupsnase, die sechste ein grünes Hemd und roten Mohn im Haar. Al-Borak bleibt stehen und die kleinen Mädchen ebenso. Alle sechs lächeln mir zu. Ich nehme sie ins Verhör: »Wer seid ihr?« Es ist die dritte, die aufgeweckteste, die mir antwortet: »Oh, Herr, wir kommen aus den Bergen. Wir sind Kabylinnen, alle aus dem gleichen Dorf. Ein feindlicher Volksstamm hat sämtliche Hütten verbrannt, die Männer sind geflohen. Da hat uns die Frau unseres Onkels bis Ben-Sahnoum begleitet und uns geraten, wir sollen betteln gehen. Wie heißt du, schöner Mann? Mein Name ist Yamina!« Der buhlende Wind hebt ihr rotes Hemd, und ich antworte mit froher Stimme: »Ich bin der Cherif Soliman, oh, meine verwaisten Täubchen, ich nehme euch mit mir.« Dann wende ich die Zügel, und die sechs kleinen Mädchen folgen Al-Borak mit munteren Schritten im Gänsemarsch. Ich habe in der Nähe des Cafes Hydra eine Villa gemietet, in der kürzlich ein eigenbrötlerischer Lord starb. Sie liegt in einer Art von Dschungel, wo die Eukalyptusbäume und Platanen sich mit riesigen Trauerweiden mischen und das Haus völlig verdecken. Während ein Sudanese für Al-Borak sorgt, wäscht und parfümiert eine irländische Wärterin die sechs kleinen Mädchen. Ich warte mit einer Zigarette im Mund in einem großen, weiten Raum, der außer meinem Schaukelstuhl nur noch einen scharlachroten Diwan und Spiegel enthält. Die sechs Mädchen kommen im Gänsemarsch herein, der Größe nach, mit der Ältesten an der Spitze. Jetzt sind sie völlig nackt. Die erste duftet wie geschnittenes Heu, die zweite wie Rosen, die dritte, meine Freundin Yamina, wie Maiblumen, die vierte nach Reseden, die fünfte wie Parmaveilchen und die sechste nach Iris. Ich läute. Fünf schöne nackte Dienerinnen erscheinen. Ich entkleide mich auch. Ich wähle Yamina, meine Dienerinnen
lehren die anderen fünf kleinen Mädchen die Liebe. Die Spiegel werfen uns drei Stunden lang bezaubernde Spiele zurück. Danach stärken wir uns mit Wein, üppigem Couscous und frischer Butter. Dann hänge ich jedem der Mädchen einen Beutel voll Gold um den Hals und schicke sie zurück zur Frau ihres Onkels.
DER BESIEGTE HASCHISCH
Ein gewisses kleines Cafe Ouled-Mendil, am Rande des Sahel, ist das Lieblingsziel meiner einsamen Spaziergänge. Ich setze mich in den Schatten einer Sykomore zwischen meine Brüder, die den ganzen Tag Siesta halten, Seite an Seite hingestreckt, und ich entfliehe in die Selbstbetrachtung. Ouled-Mendil ist mein Belvedere, wo ich mir Vergangenheit und Zukunft meines Vaterlandes ins Gedächtnis rufe. Bald betrachte ich den Einschnitt von Chiffa und den Paß von Muzaia, zwei Schlachtfelder, auf denen mein Großvater unter der Standarte unseres glorreichen Emirs Abd el Kader ben Mahi-edDine glänzend gekämpft hat, bald schaue ich auf die paradiesische Ebene von Mitidja, die Frankreich fruchtbar gemacht hat. Aber an diesem frühlingshaften Herbstmorgen beschäftigen andere Bilder mein Denken. Ich bin an meinem gewohnten Platz, im arabischen Gewand, den Rücken gegen die Sykomore gelehnt. Aber ich habe soeben einige Seiten Sueton gelesen und rauche in einer persischen Pfeife eine Mischung syrischen Tabaks und junger Haschischblätter. Die Orangenhaine meiner teuren Blida verschwimmen vor heiteren Bildern. Bald ist es der aufgedunsene Caligula, der sich zum Gott erhebt und der Statue seiner Scheußlichkeit einen Flamingo oder eine numidische Taube opfert und den Mond bittet, mit ihm zu schlafen. Bald ist es Domitian mit roten Wangen, der sich einschließt, um Staatsgeschäfte zu erledigen, und Stunden damit verbringt, Fliegen wie auf einen Bratspieß auf eine lange Nadel zu reihen – ekelhaftes Chichkebab! Ich atme einen letzten Zug ein, um meine Lungen zu füllen, dann huste ich und lache lauthals. Ich richte groteske oder obszöne Gesten an die kaiserlichen Erscheinungen. Einige von
meinen Brüdern waren eingeschlummert. Ich wecke sie auf mit dem Ruf: »Cäsar, Cäsar, göttlicher Cäsar!« Sie beobachten meine Absonderlichkeiten, um sie mir eines Tages wiederzuerzählen, aber sie tun so, als ob sie mich nicht beachten. Schwere Müdigkeit ergreift mich. Ich hülle mich in meinen Burnus, strecke mich zwischen meine nachsichtigen Brüder und falle in einen Schlaf ohne Ende. Die Kühle der Dämmerung hat meine Nachbarn verjagt. Ich schlafe allein unter meiner Sykomore, während das kleine Cafe sich belebt, sich erhellt und ein Märchenerzähler meinen aufs höchste erstaunten Brüdern die Heldentaten von Antar vorsingt. Plötzlich fühle ich, wie sich zwei dünne nackte Arme gleich dem Ring eines Schlangenkörpers um meinen Hals schlingen, und ein kindlich schmaler Mund reizt meine Lippen mit honigsüßen Küssen. Ich öffne die Augen, entziehe mich sanft der Umarmung und setze mich aufrecht hin. Ein kabylisches Kind steht mir gegenüber, hübsch und ganz sauber. Ich kann es beurteilen, weil die Risse unter den staubfarbenen Lumpen es zeigen. Das Kind mit dem Honigkuß fängt an zu plappern: »Ich nenne mich Rosa, o Cherif, ich bin die Tochter des Korbmachers Achmed. Mein Onkel Omar macht Geschmeide in einem Dorf der Djurdjura. Er ist reich, aber mein Vater ist arm. So bin ich den Herren wie dir gefällig…« Mein schrilles Haschischlachen gellt in den meergrünen Abend. Ich gebe Rosa ein Goldstück, das sie in ihr Hemd knüpft, dann lege ich sie an meine Seite und ziehe ihren katzenhaften Kopf an meine Schenkel. Rosa reizt, belebt und stärkt meine Schlaffheit mit der heißhungrigen Kunst einer erfahrenen Pariserin, während ich mit vergrößerten Augäpfeln die Landschaft betrachte. Der Kälte erzeugende Einfluß des Haschisch ist besiegt. Niemals hat sich der Cherif Soliman so reichlich ergossen wie an diesem Sonntagabend.
Ein sinnbetörender Vollmond, der gleiche, den Ibykos und Sappho anbeteten, liebkost mit violetten Strahlen unten am Rand des Horizonts den Berggipfel von Chenoua.
GEFÜHLVOLLE SPAZIERGÄNGE
Trotzdem gibt es nur Mimi! Dieses junge Mädchen mit den frischen, spitzen Brüsten und den prallen Hinterbacken bleibt die Favoritin meines Harems. Ich bin Student der ›Ecole des Lettres‹, und mein guter Onkel Abdallah läßt die Zügel vollkommen locker. Davon machen wir Gebrauch, meine Sultanin und ich, um unsere lasziven Zärtlichkeiten ein wenig in Algier und Umgebung herumzuführen. Wir verbringen freiwillig den Mittwochmorgen in ›SeptFontaines‹. Das ist der Tag, an welchem die sehr weisen Negerinnen den Geistern Hühner opfern. Mimi und ich, wir wiegen uns umschlungen in der Hängematte eines gastlichen Gartens. Unsere Augen folgen bald den Wellen des Meeres, bald den Vorbereitungen zur Hexerei, und man verständigt sich, um zusammen in dem Augenblick auf den Höhepunkt zu gelangen, wenn die geopferten Hühner uns die gute oder schlechte Zukunft weissagen, je nachdem, ob sie bis in die Wogen flattern oder auf dem Sande sterben. Mimi hat eine geschiedene Cousine, die Pilgerfahrten nach ›Frais Vallon‹ macht, zur Quelle von Sidi-Djehbar, um wieder einen Gatten zu finden. Zum dritten Mal nehmen wir sie unter unsere Obhut, und ich genieße einen Granatapfel unter einem blühenden Mandelbaum; während Mimi mit ihrer unsichtbaren rechten Hand einen Vorgeschmack auf die bevorstehende mündliche Lektion gibt, erzählt sie der entzückten Zina, die sie mit dunkel umränderten Augen ansieht, alle Raffinessen der Liebe, in die Cherif Soliman sie einweihte. Dann fahren wir in einer englischen Kutsche zurück, die mit einem farbigen, wiehernden Pony bespannt ist; wir wollen einen
Imbiß zu dritt einnehmen, nahe dem Cafe Hydra, im Hause des eigenbrötlerischen Lords. Dort lindert Mimi allein ihren Schmerz auf einem von Myrten, Thymian, Salbei, Lavendel und Rosmarin bestreuten Diwan, während ich der hingespreizten Zina den Gatten ihrer Träume ersetze, und mehr als das. Ich gehe niemals aus, ohne in der Innentasche meiner Weste ein Buch zu haben. Die Choreographie des Spaniers Homponis Mela begleitet mich zu dem angeblichen Grab der Christin. Mimi, strahlend wie die Jugend und unwissend wie das Glück, entblättert Rosen über mich. Ich vertiefe mich in meine Lektüre. Die Tacitus-Prosa des seltsamen Spaniers beschwört nacheinander die afrikanischen Satyrn, die Agipas und Syphax, den König der Massäsylier, der vielleicht mit seiner ganzen Familie in diesem Mausoleum schläft. Die Hypothese entspricht einer Textstelle bei Mela. Man spricht auch von Juball und der Cleopatra Selene. Welcher der drei ist wohl der Hauptgast in diesem Hause? Ich überlasse mich meinen Gedankenverbindungen: Syphax läßt mich an Masinissa denken, dieser an Jugurtha und der letztere an die wollüstigen Gärten des Sallust. Ein aufreizender Kuß führt mich in die Gegenwart zurück, in die heiße Stunde, die so schnell flieht, und die man pflücken muß, denn morgen sind wir tot! Wir sind allein in dem aphrodisischen Abend eines Junitages. Ich nehme Mimi, lege sie auf den mütterlichen Boden an meine Seite, und ich besitze sie langsam und tief vor dem geheimnisvollen Grabmal. Kennst du die duftenden Obstgärten von Larouat? Sie haben uns in allen Stellungen gesehen, aber sie werden nichts erzählen. Mimi und ich haben gebadet und getollt im Wadi Mzi; aber Wasser ist diskret. Einmal, auf dem Wege nach Sidi Makhlouf, hat mich eine Tarantel in den Rücken gestochen. Meine Sultanin hat mich
sofort mit einem Pflaster aus Schwefel, Harz und Olivenöl geheilt. Ich habe es ihr mit gleichem vergelten können, als ich auf unserer letzten Reise nach Larouat in der Nähe eines Johannisbrotbaums mit einem einzigen Schlag eines Knüppels eine Hornviper tötete, die ihr linkes Bein angriff. Blida! Kleine Liebesrose! Weiße, duftende Geliebte des französischen Afrika! Du wirst immer in meinem Gedächtnis schimmern, mitten unter deinen Orangen- und Zitronenbäumen! Öfchen, das die verlebten Emire wieder erwärmt! Blida! Betörerin der lebhaften, jungen Leutnants! Mimi und ich waren nur eine kurze Woche deine Gäste – Blida – o Mandarine des Propheten! Aber du bewahrst dir mehr von unseren Erinnerungen, als wenn wir ein ganzes Jahrfünft in unserem alten Haus in der Oberstadt bei der Tochter von Mousad, der Tochter des Burnusschneiders, gelebt hätten, soviel haben wir an köstlicher Intensität in diesen sieben Tagen und Nächten erlebt! Niemals werde ich die Begegnung vergessen, die wir in einem Eichenwald auf dem Berge im Lande der Mouzaia hatten. Die Mastixbäume dufteten durch die Dämmerung des Abends; eine junge Frau schritt vorüber, sie hatte die anmutige Würde einer Königin des Ophir, sie war noch schöner als Mimi, ich schlug die Augen nieder aus Angst, daß Mimi eifersüchtig würde. Doch die Bewunderung tötete alles böse Gefühl in dem Herzen meiner Gefährtin: Mimi näherte sich der Fremden, grüßte sie im Namen Allahs, des alleinigen Gottes, und küßte sie auf den Mund. Aber in Bou-Sada hatte Mimi einen Anfall von Zorn. Wir hielten vor der rauchigen Bude eines Alchimisten: die kokette Mimi hustete, um die Aufmerksamkeit des Fälschers auf sich zu lenken. Vergebliche Liebesmüh! Der abscheuliche Zauberer, niedergekauert auf dem Boden seiner Höhle, pustete weiter in sein Lötrohr. Da wegen der glühendheißen Sonne niemand auf der Gasse war, forderte Mimi, daß ich sie im Stehen nähme, neben der Küche des Alchimisten. Wir seufzten, wir tauschten
heiße und zarte Worte; der scheußliche Gaukler ließ sich nicht eine Sekunde in seiner dunklen Beschäftigung stören. Schließlich wurde Mimi böse, beugte sich über den Alchimisten und schrie ihn an mit Kraftausdrücken wie ein Bademasseur. Der Alchimist lächelte und bot uns mit vollendeter Unterwürfigkeit seine Ware an.
EINE FIEBERVISION IN DEN RUINEN
Wir bummeln durch Tipasa, Oherchel und die Spuren von Caesarea. Ich gebe Mimi, die alles versteht, entsprechende Erläuterungen. Wir sind in unserer Neugier und Spürsucht so weit gelaufen, daß die Beine uns nicht mehr gehorchen. Wir setzen uns vor eine Kirchenmauer, wo das Alpha und Omega des Propheten Jesu sich im afrikanischen Licht abhebt. Ein Säulenstumpf aus grünlichem Granit dient uns als Rückenlehne. Mimi schlummert. Ich lese wieder die zwei Satyre von Juvenal, und mit Herzklopfen beschwöre ich eine Orgie der römischen Verfallszeit als Fresko auf die Mauer. Dann denke ich nacheinander an die Statue des Hermaphroditen, die meine Gefährtin zum Träumen verführte, an die ewige Herrin dieses Landes, Cleopatra Selene, an ihren banalen Vater Antonius und dann an ihre große Mutter Cleopatra, die Liebende, die zu sterben wußte. Das ist zuviel! Ich beuge mich, und unser Hauch vermählt sich in einem Kuß, dessen düstere Gier Mimi in Erstaunen setzt.
MIMI WIRD STERBEN
Mein erster Gram hat mich gestern abend überrascht wie ein Dieb in der Nacht, der dir mit dem Knüppel einen Schlag hinter die Ohren versetzt. Ich ruhe Körper und Geist in einem Bade in der Straße SidiRamdan aus. Noch nie hat der Bademeister seine Arbeit des Abseifens, der Massage und der Enthaarung so sorgfältig durchgeführt. Noch niemals war mir die Siesta im Herrenraum so angenehm auf der nach Lavendel duftenden Matratze mit dem dreifachen Genuß von Sorbet, marokkanischem Tee und der Zigarette. Aber der Vorhang hebt sich, und Massrour steht vor mir, die Hände auf dem Bauch gekreuzt in der Haltung eines Dieners, der respektvoll wartet, bis sein Herr ihn anspricht. Massrour ist der Eunuche meines Vertrauens. Er wurde in der Nähe von Khartum, am Ufer des blauen Flusses, geboren und ähnelt mit seinen langen Beinen und seiner spindelförmigen Taille einer Hieroglyphenfigur. Aber er trägt mit moderner Eleganz das Gewand seiner Amtsbrüder von Yildiz Kiosk, und sein Kopf – bedeckt mit einem türkischen Fez – erstaunt durch seinen regelmäßigen Schnitt rein griechischen Typs. Ich gab ihm den Namen Massrour zu Ehren der mir so lieben ›Tausendundeinen Nacht‹. Seine intelligente Treue ließ mich ihn zum Wächter Mimis auswählen: er wacht über meinen Schatz mit der starrsinnigen Klarsicht eines Greifen in unserer Veilchenvilla, am Abhang des Hügels von Moustafa. Ich halte mich an die Etikette der Paschas mit den drei Roßschweifen und rauche einige Minuten weiter. Aber eine Träne beginnt über das unbewegliche Gesicht von Massrour zu rollen. Jetzt breche ich das Schweigen.
»Mimi Hanin ist gesund, nicht wahr? Ich werde diese Nacht in der Veilchenvilla schlafen.« Eine zweite Träne steigert meine Angst. Massrour wird steif und antwortet: »Gott möge Mimi Hanin retten. Komm schnell, o Cherif! Unsere beiden Pferde treten unruhig auf der Stelle am Eingang des Bades. Meine geliebte Herrin fiebert seit heute früh. Gestikulierend erzählt sie alle möglichen Geschichten, und die Franziskanerschwester, die ich kommen ließ, kann sie kaum daran hindern, sich aus dem Bett zu stürzen oder sich die Stirn an der Wand zu zerschlagen. Komm schnell, o Soliman!« Massrour und ich galoppieren auf dem Weg von Moustafa zur Veilchenvilla.
DER ABSCHIED
Der Arzt hat mich verlassen, ohne ein neues Rezept zu schreiben. Er schüttelt den Kopf mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck und drückt mir dabei die Hände. Die Gelehrten der Städte verstellen noch nichts von gewissen Krankheiten, welche die Kinder der Wüste so blitzartig befallen. Ich gehe in das Sterbezimmer zurück. Das Fieber hat einen Augenblick nachgelassen. Mimi lächelt blaß aus der Mulde ihres roten Kissens. Die Krankenschwester vom Franziskanerorden flüstert mir etwas ins Ohr und zieht sich dann mit schamvoller Diskretion zurück. Sie ist fünfzehn Jahre alt und soll sterben! Wächserne Blässe ist an die Stelle des kristallenen Teints getreten, aber das Schönheitsmal meiner Träume ist immer noch das Grübchen an dem weißen Busen. Dieser Mund, der mir vielleicht das letzte Mal zulächelt! Und ihre Augen sind noch wollüstiger als in unserer Hochzeitsnacht. Mimi schlingt ihre dünn gewordenen Arme um meinen Hals und murmelt: »Nicht wahr, o Cherif! Du wirst für meine Seele beten, wenn du in meine Heimat Bou-Sada kommst, unter den Palmen am Ufer des klarschimmernden Wahdi.« Ich verspreche zu beten. Mimi spricht leise weiter, nimmt meine Hand, die sich nicht zu rühren wagt, und führt sie an ihrem glühenden Körper entlang: »Morgen werde ich einen Rückfall haben und daran sterben, ich fühle es. Aber heute bin ich liebebedürftiger als selbst an dem Tag, an dem du mich entjungfert hast. Erinnerst du dich, o Cherif, unserer ersten Umarmung? Öffne das Fenster und lege dich zu mir, mein süßer Soliman. Laß uns ein letztes Mal Küsse und Zärtlichkeiten tauschen vor der großen Trennung.«
Ich gehorche! Wir atmen mit vollen Lungen den starken Duft des Kiefernwaldes ein. In dieser letzten Stunde umfassen wir noch einmal mit wilder Intensität alle Erinnerungen unserer Liebe. Die Schauer des tödlichen Fiebers beleben unsere gemeinsamen Entzückungen. Unsere Seelen durchdringen sich in einer Vorahnung ewiger Hochzeit!
MEINE TRAUER Wir haben sie begraben, Massrour und ich, in Bou-Zarea am Meer. Sie schläft unter der siebenten Zypresse der Allee, die zum Ibisteich führt, im Garten meines Vetters Hadschi-Ali. Die Tränen Solimans fließen rot wie die Körner des Granatapfels.
ZWEITES BUCH Liebesspiele in Oran
DIE NEGERIN MIT DEM GOLDENEN HERZEN
Der schönste Spahi der Afrikaarmee ist der Cherif Soliman. Als Folge davon amüsiere ich mich in Oran und Umgebung, wie ein kurdischer Räuberhauptmann es in dem Harem eines Palastes am Bosporus tun würde. Der keusche Moslem-Priester Sidi-Mohammed-al-Haouri, geistiger Bruder des heiligen Johannes des Täufers, hatte recht: Oran ist die Stadt des Ehebruches und der Kuppelei. Man reizt mich vom Morgen bis zum Abend. Bald bietet mir eine bucklige Jüdin, die in einen blutroten Schal eingehüllt ist, aus dem nur die Nase wie ein Papageienschnabel und zwei große schwarze Augen herausschauen, die aufreizendste ihrer Glaubensgenossinnen an, diese Judith mit dem Gewand aus Brüsseler Seidendamast, die ich kurz zuvor beim Militärkonzert auf der Promenade von Letang bewundert hatte. Bald beugt sich, unter dem Gewölbe der Straße von Orleans, ein Andalusier in ehemals weißer Rohseide, ein durchlöchertes Taschentuch als Kopfbedeckung, aber von feierlicher Erscheinung wie ein siegreicher Toreador, an mein Ohr und flüstert mit honigsüßer Stimme: »Komm mit mir, o Cherif. Ich werde dich zu einer Senorita aus Cadiz bringen; sie ist vierzehn Jahre alt und hat für Eure Hoheit ihre doppelte Jungfernschaft bewahrt.« Neulich, als ich ein Elfenbeinstück aus Guinea und drei Straußenfedern von einem marokkanischen Händler erhandelte, der filziger war als sein eigener Bart, da wagte doch dieser komische Kerl, mir von einem griechischen Jüngling mit jungfräulichem Hintern zu reden. Daraufhin ohrfeigte ich ihn mit solcher Kraft, daß er seine schwarze Mütze verlor. Dann lief ich zu Bambara, meiner Lieblingsnegerin.
Ich liebe die Kinder von Cham. Sie haben eine dunkle Haut, aber ein Herz von Gold. Sie sind Kupplerinnen von Geburt. Sie beschäftigen sich voller List und Aufopferung mit dem Glück großherziger Liebhaber. Sie sind Feinde der Trennung. Sie lassen auf beinahe magische Weise jeden unerlaubten und zärtlichen Handel zum Erfolg kommen. Diese Bambara zieht eine Grimasse wie eine Vogelscheuche, aber sie ist ein Engel, denn sie hat mir Safia verschafft.
IDYLLE
Ich werde den Augenblick wohl nicht vergessen, als ich Safia das erste Mal zurückbog und sie auf die Lippen küßte. Paare fliegender Vögel schrien vor Liebe; eine junge Stimme sang im gegenüberliegenden Hause Strophen von Hafis mit so wollüstigen Modulationen, daß sie im Zusammenhang mit unserer beginnenden Umarmung zu stehen schienen. Ganz mechanisch hielt ich inne, um zu sehen, ob wir auch wohl versteckt wären, und die empörte Safia fragte mich, ob ich schon müde sei. Dann fühlte sie das Gegenteil an meiner ununterbrochen wachsenden männlichen Kraft. Dieses Kind von neun Jahren genügt für mein Glück. Der Winter macht mich mürrisch, und ich werde melancholisch, wenn der Frost den Himmel rötet. Aber jetzt, da Safia erschien, bin ich froh wie zur Zeit der Ernte. Safia von Oran vereinigt die Grazie von Maria mit dem Charme der Hagar und der Schönheit von Joseph. Sie hat die Biegsamkeit eines Weidenzweiges. Ihre schwarzen, lockigen Haare fließen herab bis zu den Waden, die so schön sind wie die des Antinous. Der Glanz ihrer Augen gleicht denen ausgesuchter Edelsteine, die der reichste Goldschmied von Souk einem einzigen, auserwählten Kunden zeigt. Im übrigen hat sie einen so sanften Charakter, daß ihre Liebe wohltuend ist wie der Schlaf nach durchwachter Nacht. Gestern saßen wir zur Stunde der Siesta unter einem Orangenbaum. Wir dachten an nichts, aber wir betrachteten einen klaren Bach, der in kleinen Kaskaden durch die frischen Büsche floß, und während wir die Schönheit des Bildes bewunderten, atmeten wir mit Wonne den höllischen Kuß des Schirokko ein.
Plötzlich sehen wir in der Ferne einen Wald brennen, der Wind bläst die Flammen an; heute abend wird der Hügel kahl sein. Da fängt Safia aus Liebe zu ihren Brüdern, den schlanken Bäumen, zu weinen an, und die Tränen rollen bis in das Tal ihrer kleinen, harten Brüste unter dem türkisfarbenen Amulett, das sie vor dem bösen Blick schützt. Aber ich trockne ihre Augen mit meinen Küssen und sage, ihre Begierde mit meinem Finger weckend: »Bah, die Eifersucht des Schicksals wird uns ebenso schnell hinwegraffen. Beklagen wir die armen Bäume, verlieren wir aber deshalb nicht die Zeit, die der Liebe gehört!« Die Teufel schlafen auf dem Bauch, und die Engel auf dem Rücken. Safia, wieder aufgeheitert und entzückt über meine Worte, macht es wie die Engel. Meine Finger und dann meine cherifische Zunge nutzen die Gelegenheit. Beim ersten Mal wacht Safia nur lächelnd auf, um sofort wieder einzuschlafen. Aber das zweite Mal entlockt mein intimes Streicheln ihr ein tolles Lachen, und trunken vor Wollust taumelt sie auf dem Rückweg so drollig, daß meine Vernunft mich zwingt, sie in meine Arme zu nehmen.
NELLA AUS SORRENT
Die untergehende Sonne hat mir ein Zeichen gegeben: Ich bete sie an, während ich über den neuen Hafendamm schlendere, und träume von der Fahrt der Argonauten, von der Heimkehr des Odysseus und dem Gesang der Sirenen. Aber ein Segler, der gestern zur gleichen Stunde noch nicht hier war, stört mich bei meinen stillen Meditationen. Er kommt aus Italien und trägt eine Madonna als Gallionsfigur. Sein Name ist Argo und sein Heimathafen Castellamare-diStabia. Ein Matrose singt ein Volkslied aus Neapel oder Sizilien. Verstehst du den Grad meiner Bewegung? Ich habe sein schönes Land nicht gesehen und werde es auch kaum bereisen, denn ich bin zu sehr Afrikaner, um das Mittelmeer zu überschreiten. Aber Frankreich, meine holde Mutter, hat mich mit romanischer Kultur genährt, und nichts Italienisches kann mir begegnen, ohne mir Sympathie einzuflößen, die mit Bedauern gemischt ist. Der Matrose auf dem Heck der Argo singt noch immer. Jetzt antwortet ihm eine mädchenhafte Stimme aus dem Innern des Schiffs. Ich lausche diesen weichen Tönen von so nah, daß ich mit einem einzigen Sprung auf das Deck der Argo gelangen könnte. Die beiden Stimmen schweigen, aber ein junges Mädchen erscheint. Sie ist vielleicht vierzehn Jahre alt, hat eine stolze Stirn und den Schritt einer Göttin. Sie trägt einen meergrünen Schal und ein flammendrotes Kleid. Sie geht zum Heck, wo der seefahrende Sänger ihr mit seinen weißen Zähnen zulacht. Plötzlich bemerkt sie mich, den vorgebeugten, schweratmenden Träumer. Dann wirft sie mir einen Blick voller Haß zu, dreht sich um und verschwindet in der Luke.
Schade, ich werde Nella aus Sorrent nie besitzen. Sie ist die einzige Tochter von Orlando, dem Kapitän des Seglers. Nella ist einem hübschen Burschen aus Capri versprochen, und die ganze Besatzung der Argo wacht über ihre Keuschheit, das Messer in der Faust.
OHNMÄCHTIGE LIEBE
Ich liebe Nella von Sorrent, und ich werde sie noch einige Wochen lieben. Ich muß mich aber darauf beschränken, alle meine wollüstigen Wünsche im Bett Safias zu erfüllen. Unser Nest, dem Fort St. Andre benachbart, beherrscht die Maurenstadt. Es ist ein kleines, viereckiges Häuschen, ebenerdig, mit karmesinroter Tünche. Der Hof gehört einem blauen Angorakater, aber der duldet unsere Siesta im Schatten des Weinstockes. Am Abend, wenn ich Nachturlaub habe, verspäte ich mich auf der Terrasse im Mondlicht, und Safia klettert auf meine Knie, um meine Träume zu beleben. Aber oft sehe ich als Vision Nella von Sorrent, nackt und stöhnend vor Lust unter den Stößen der Lenden ihres Geliebten aus Capri, der nackt ist wie sie. Meine Brauen ziehen sich zusammen, die Eifersucht verzehrt mich und sogar in dem Augenblick, als es der schmeichlerischen Safia gelingt, meinen Schmerz durch Wollust zu verringern, drücke ich ihren Hals mit beiden Händen, bis sie fast die spanische Todesstrafe des Erwürgens erleidet. Sie weint und streckt in mitleiderregender Art ihre Zunge heraus. Aber sie beklagt sich nicht und wundert sich kaum. Eben befreit, lächelt sie mir zu, ohne ein Wort zu sagen, und legt die Wange wie eine willige Sklavin gegen meine Brust. Bin ich nicht der Herr, eine Naturgewalt, der man , gehorchen muß, ohne auch nur zu versuchen, sie zu begreifen? Aber die Sterne blinzeln uns zu: Wir gehen ins Bett, und die gutmütige Safia, deren zarter Hals noch die Würgemale von meinen mörderischen Händen trägt, zeigt sich als besonders unterwürfige Dienerin der Liebe.
SÜSSE SCHERZE
Wir schlendern durch die Stadt, Safia und ich. Barbaren haben den Baum getötet, der die Quellen an der Philippstraße beschattete; trotzdem gefällt mir der Platz, denn dort finde ich im Gespräch mit den alten Leuten die Erinnerung an den Tabakhändler Hassan wieder, der dort seinen kleinen Laden hatte und dann, bis zur Besetzung durch die Franzosen, Bey von Oran wurde. Später hatte er das erlesene Glück, in Mekka zu sterben. Diese Geschichte aus ›Tausendundeiner Nacht‹ versetzt Safia in höchste Verwunderung. Sie öffnet die Augen auch nicht mehr, wenn ich sie nackt in einen Empiresessel setze und ihr auf den Knien die Morgenliebkosung der Erinna aus Rhodos für ihre Lehrerin Sappho erweise. Die Schelmische vergleicht lügnerisch mein Zepter mit dem Minarett der Paschamoschee, das dagegen verschwindet. Nun brechen wir beide in ein so lautes Gelächter aus, daß einer unserer Brüder, der unter der Galerie hinter der Mauer schläft, aufwacht und uns zur Ruhe mahnt. Wir haben Durst und löschen ihn am Place d’Orleans. Ich erkläre Safia das Wappen von Oran: die Schnauze eines schreitenden goldenen Löwen, darüber die strahlende Sonne. Mein Kommentar entspringt meiner Phantasie: Der goldene Löwe ist das Zepter des Cherifen Soliman, und die Sonne ist das Geheimnis von Safia. So habe ich meine Rache für das Minarett. Das zarte Kind seinerseits begreift den Spaß. Sie nimmt mit einer ausgelassenen Geste mein linkes Handgelenk und legt ohne Zögern meine weiche Handfläche auf die fragliche Sonne.
TLEMCEN AM HORIZONT
Die Umgebung von Oran kennt uns gut! Wenn die Zwergpalmen, die ›Halfas‹, und die wilden Brustbeerenbäume sprechen könnten, würden sie endlos von unseren wilden und raffinierten Liebkosungen erzählen. Ich rufe die Schatten der grünen Schlucht, den großen Salzsee, den erhabenen Platz, wo in der Römerzeit ein Osiristempel stand, den Marmorbruch des Sultans von Tlemcen und das Bad der Königin, wo ich einen beginnenden Rheumatismus behandle, zu Zeugen an, nicht ohne daß ich meine Gefährtin zwinge, mich zu reizen, was bald danach meine Schmerzen neu hervorruft. Aber an keiner Stelle habe ich meine gelehrige Safia so ungestüm besessen wie auf dem Plateau, von dem man Tlemcen in der Ferne liegen sieht. Wenig kümmert mich der Isser, der dort in seinem Schilfbett fließt. Was ich mit geistigem und leiblichem Auge erblicke, was mich nicht weniger erregt als die wogenden Brüste der glücklichen Safia in dem Augenblick, als ich in ihr vergehe, das ist Tlemcen, das Meisterwerk der Kalifen, das Tor des R’arb, der Schlüssel zum Okzident. Oh, Tlemcen sehen, wie es weiß und kaiserlich aus den Schatten der Nacht entsteigt, und dann nicht sterben, sondern sehr lange leben, um es jeden Tag unter der aufgehenden Sonne am Fuße der Berge zu bewundern! Nichtsdestoweniger wende ich mich schnell ab, helfe der freudestrahlenden Safia, sich wieder zu verschleiern, und gebe den Negern das Signal zur Rückkehr; die Stunde ist noch nicht gekommen, um nach Tlemcen hinabzusteigen. Die mystische Stadt im Osten ist eine Freude, die ich mir aufspare. Hüten wir uns davor, sie zu entschleiern. Bald werde ich in das Zivilleben zurückkehren und aufs neue meine ganze Bewegungsfreiheit haben.
Dann will ich, wenn es Gott gefällt, ein ganzes Jahr im Schmuck von Tlemcen zubringen, um dort als junger Herr der alten Zeit zu leben.
EHE ZU DRITT
Zhora, die zärtliche Freundin und Cousine meiner Safia, hat endlich, dank der magischen Quelle von Hammam-bou-R’ara, den Sohn bekommen, den sie ersehnte. Als sie ihren kleinen Youssef nicht mehr nährt, ist sie aufs neue zur Liebe bereit. Oran schillert unter der Zärtlichkeit des Frühlings. Wir machen zu dritt Spaziergänge des Wiedererwachens. Gestern haben wir Gott gedankt zwischen den blühenden Lianen in der Oase, wo die Quelle der Fruchtbarkeit fließt. An diesem Morgen besuchen wir Lalla-Mar’nia am Eingang der Wüste von Angad, der Grenze zum feindlichen Marokko. Die beiden Freundinnen haben mich verlassen, um am Grabe der heiligen Lalla-Mar’nia zu beten, die, wenn ich dem Gesang des schwarzen Korbmachers glauben kann, in diesem kriegerischen Land eine Art goldenes Zeitalter begründete. Vor dieser ruhmreichen historischen Ebene denke ich über Marschall Bugeaud nach, über den Sieg von Isly, über Bewässerungskanäle, über Oudjda, das so benachbart ist, daß man es bald erobern muß, und über den großen Tag der Einnahme von Fez durch die französisch-algerische Armee. Ich finde Safia und Zhora in einem Zimmer der Herberge wieder, ganz nackt, Seite an Seite, ihre schwarzen Haare in einen Zopf zusammenflechtend. Zhora raucht eine türkische Zigarette, die wachsame Safia setzt kleine, beißende Küsse auf die Lippen unserer Freundin. Kaum erscheine ich, klatscht Zhora in die Hände und ruft: »Sei willkommen, o Soliman, du Großmütiger! Wir haben schon sechsmal Cherif und Jungfrau gespielt. Jede hat dreimal die Braut und dreimal den Bräutigam gemimt. Aber das ist ja nicht die Wirklichkeit. Wir haben uns beide mit einem gewissen Ding
versehen, das in den Harems von Ägypten so beliebt ist, doch diese Kleinigkeiten haben uns aufgeregt, ohne uns zu befriedigen. Wir haben vom Hors-d’œuvre gekostet. Unser Appetit ist dadurch nur stärker geworden!«
ABSCHIEDSLIED
Tropisches Nedroma mit dem durchbrochenen Minarett! Der bewegliche Hals von Safia, die sich mir hingibt! Moschee der Seeräuber, Leuchtturm, der die europäischen Argonauten zu dem Goldenen Vlies der barbaresken Vergangenheit leitet. Brüste der Zhora, frisch im Sommer, wie ein Likör von Alcarazas. Palast von Sidi-Brahim, wo sich unser frommer Emir dem General Lamoriciere ergab. Kindlicher Blick von Safia, die sich an meine Schulter lehnt. Nemours, wo Abd-el-Kader seine schöne schwarze Stute dem Herzog von Aumate anbot. Geschwungener Rücken von Zhora, der närrisch ist vor Kitzligkeit! Leuchtende Wasser vom Tal des Ouled-Mimoun! Elastische Brüste von Safia, die fest bleiben, während ich bei ihr verströme. Die Platanen und Brunnen von Sidi-bel-Abbes! Wohl enthaarte und erfahrene Achselhöhlen von Zhora, die so reich ist an Einfällen! Tal Maskara des Hachem und grünende Terrasse von Chareber-Rih! Süßes Blut Safias, das man aussaugen kann beim Stich eines Kaktusstachels. Hohlweg von Mazouna, wo meine beiden Freundinnen umschlungen im Mondlicht wanderten, um mich zwischen zwei Blumenhecken zu treffen. Fächer der Zhora, mit dem sie während der brennenden Julihitze lachend mein Zepter erfrischte.
Ouaran-Senis, o Sultan, der du als Vezire die blauen Gipfel des Atlas hast und die Ebene von Chelif als Favoritin. Zehen des linken Fußes von Safia, die das Verlangen eines Toten wiedererwecken würden! Wacholdersträuche von Dahra, voller Quellen! Die Arme von Zhora, wenn sie sich mit den Ellenbogen aufstützt. Die kleine Waage des Feigenkaufmanns, der die Muskeln eines Apolls hat. Lebt wohl! Der Cherif Soliman ist kein Soldat mehr. Er hat soeben Safia und Zhora die Geschenke der Trennung in Freundschaft überreicht. Jetzt ist er frei wie der Schirokko oder der Löwe in der Wüste. Lebt wohl! Ich verlasse euch, um meine Lieblingsträume zu verwirklichen: ein Jahr der Liebe in Tlemcen! Ich täusche mich nicht, wenn ich sage: ›Ich verlasse euch.‹ Die Geographen haben unrecht, wenn sie Tlemcen als eine einfache Stadt der Provinz Oran aufführen. Tlemcen, die Stadt mit einer einzigartigen Seele, ist weit mehr als das alles.
DRITTES BUCH Die lieblichen Frauen von Tlemcen
DAS HAUS MIT DEN SIEBEN FRAUEN
Die Jugend flieht ebenso schnell wie eine aufgescheuchte Gazelle. Sie zurückhalten zu wollen hieße den Narren nachahmen, der einen Sturzbach mit dem Mantel aufhalten möchte. Darum muß man jede Minute auspressen wie eine süße Zitrone und die Wollust bis zum letzten Tropfen auskosten. Mein Haus in Tlemcen ist ein Schmuckstück aus der Epoche der Almohaden: Es stand baufällig und zerbröckelt in einer sterbenden Straße, als Beispiel alter Bollwerke; ich ließ es von einem französischen Architekten, der Granada kannte, restaurieren. Am Morgen betrachte ich, mit einer Wasserpfeife allein auf meiner Terrasse sitzend, abwechselnd die kriegerischen Felsen von Lella-Setti und einen Wald von Terebinthensträuchern, aus denen ich glaube, in einer Art von Halluzination, aphrodisischen Duft einzuatmen. Dann klopfe ich siebenmal in die Hände. Der Gehilfe von Massrour, ein Eunuche aus dem Sudan, der aussieht wie eine Hermesbüste, erscheint, grüßt mich militärisch und setzt eine Maschinerie in Bewegung, die meine Terrasse in einen mit gelbem Damast überdachten Pavillon verwandelt. Während dieser Zeit ziehe ich langsam weiter an meiner türkischen Pfeife. Der Neger beendet das Arrangement meines Sommerharems: Er breitet Kissen, Teppiche, Musselinschals und entfaltete Blüten aus, die ihre Blätter auf den Stoff streuen. Dann ahmt er das Gurren der Tauben in den Palmen nach. Ich steige hinab, um meine Waschungen vorzunehmen. Als ich zurückkomme, finde ich meine sieben kleinen Freundinnen aus Tlemcen vor: Khadidja, Amina, Rokaia, Zainab, Djoouairia, Hafsa und Lili. Sie sind mit dem Vorspiel beschäftigt,
mit kleinen Fingerkünsten, mit spielerischem Bohren und Umschlingen. Es sind drei weibliche Paare. Die Siebente begnügt sich mit dem schönen Negerknaben, dessen Augen seltsam leuchten, als wenn er, geläutert durch die Entmannung, die Wollust im Gehirn verspüre. Der Eunuche zieht sich rückwärts gehend zurück. Es gibt bis zum Abend immer drei weibliche Paare, aber sie achten genau darauf, daß ich für die Dauer einer Stunde jedes der Mädchen besitze. Lili, Hafsa, Djoouairia, Zainab, Rokaia, Amina und Khadidja gehören mir vor dem Gesetz und wohnen unter meinem Dach. Trotzdem stört niemals der Lärm eines Streites meine Siesta: Der Schmeichler Massrour schreibt dieses Wunder der energischen Unparteilichkeit meines cherifischen Zepters zu.
EIN KAUF IM GHETTO
Wenn ich an die Hüften von Khadidja denke, wie sie über den Platz der Waffen schreitet, stockt mein Fuß, und die ahnungslosen Europäer glauben, ich sei trunken vom Haschisch. Wenn ein Pilger die träumerische Khadidja mit aufgestützten Armen auf der Terrasse meines Hauses bemerkt, verläßt er den Weg nach Mekka und schwört dem Islam ab, um dieses Götterbild anzubeten. Dem buckligen Daoud wird viel vergeben werden, denn er hat mir Khadidja verschafft. Welch eine Unternehmung! Eine unbekannte Alte, die mich beim Verlassen der großen Moschee angeredet hatte, führte mich durch das Labyrinth des Ghetto. Die Luft roch nach Schweiß und allen Fäulnissen. Ich mußte mich tief bücken, um mit meinem Kopf nicht gegen die Balken zu stoßen. Endlich kamen wir an. Die Mauer war mit einem einzigen Loch durchbrochen, als Ersatz für ein Fenster, und mit Kuhmist bedeckt. Wir stiegen in den Bau hinab wie in einen Kerker. Bei meinem Anblick begann Daoud theatralisch zu zittern, aber ich beruhigte ihn mit einem Lächeln. Dann zeigte er mir die Fotografie eines neunjährigen Mädchens, das eine Familie aus den Bergen durch seine Vermittlung verkaufen wollte, und es schien mir, als ob die Sonne den unterirdischen Bau erhelle. Ich schickte Massrour zum Bezahlen, und am selben Abend brachte die Alte mir Khadidja, die mir derart gefiel, daß ich sie vor den erstaunten Augen des Eunuchen vergewaltigte, ohne sie zu entkleiden.
DIE UNTERBROCHENE GESCHICHTSSTUNDE
Amina, Tochter meiner Nachbarin, ist die stolze Gazelle, die einsam auf dem Pfad der Liebe wandelt. Ich konnte noch so viele Seufzer ausstoßen, zahlreich wie die Halme des Strohs, über das der Wind weht, wie Pulverblitze in der Schlacht oder tote Menschen seit Adam, sie gefiel sich darin, mich zu übersehen. Aber ein Beutel Gold verführte ihre Mutter, die Witwe des Pantoffelmachers. Im Grunde Jag der weisen Amina nur daran, sich eine Stellung zu verschaffen; jetzt, da ich sie für ihr Gewicht in Gold gekauft habe, ist sie wunderbar. Amina mit den strahlenden Augen liebt die Geschichte über alles. Ich schätze es, im Schatten des Granatapfelbaumes zu sitzen, um in einer lateinischen Übersetzung das meiner Meinung nach schönste der antiken Gedichte zu lesen, den Argonautenzug des Apollonios. Aber allmählich schläfert mich das Murmeln des Brunnens ein. Doch plötzlich springt Amina mit der weichen Bewegung einer Katze auf meine Knie, weckt mich mit Küssen auf die Augenlider und stellt mir Fragen: Sie will wissen, ob Tlemcen auch früher sieben Mauern und dreizehn eiserne Tore gehabt habe, ob der schwarze Sultan furchtbar ausgesehen habe und ob der sehr gelehrte Abd-er-Rahman-ibn-Khaldoun wirklich ganz allein in seiner Einsiedelei Sidi-bou-Medine geschlafen habe. Ich antworte nach bestem Wissen. Die Spitzbübin räkelt sich und schlingt ihre nackten, graziösen Arme, die nach indischer Narde duften, um meinen Nacken. Aber plötzlich stelle ich fest, daß meine so angenehme Last sich hebt: Das ist mein kleiner Bruder, Soliman mit dem roten Kopf, der ungeduldig seine Rechte fordert.
Die Geschichtslektion ist bis morgen unterbrochen. Der Brunnen untermalt andere Übungen, für die Amina schon keinen Lehrer mehr braucht.
DIE BESTRAFTE SCHWÄTZERIN
Rokaia mit den grauen Augen ist eine begeisterte kleine Anhängerin des Islam. Schmal, mit steigenden Brüsten, mit einer glänzend weißen Stirn, mit Blicken, die Gott im Himmelsblau suchen, begleitet sie mich zu den Moscheen und zu den Gräbern der großen MoslemPriester. Rokaia mit den goldbetupften Augenlidern kennt alle mystischen Geschichten der alten Frauen von Tlemcen, der heiligen Stadt. Bald sieht sie in Gedanken die Sonne des Adels und der Weisheit, Ahmed-ben-Hassan-el R’omari, bald den unsteten Helden, Abou-Ichak-Ibrahim, bald den ewigen Schutzpatron von Tlemcen, den Freund Gottes, den Pol und Retter Sidi-bouMedine. Wir sitzen im Hof der Koubba, Hunderte von Vögeln zwitschern in den Käfigen, die an den Mauern und Säulen hängen. Wir haben kraftspendendes Wasser aus dem heiligen Brunnen getrunken: Rokaia erzählt mit ernster Stimme vom Leben und Tod des Sidi-el-Haloui. Die Szenen werden wieder lebendig: Der Begeisterte kommt aus seiner Vaterstadt Sevilla, um Tlemcen zu bekehren. Er verkauft Kuchengebäck auf den öffentlichen Plätzen und reißt Possen. Wenn sich dann eine Menge um ihn versammelt hat, läßt er die Maske fallen, ergreift ernsthaft das Wort, bespricht die Streitfragen und erläutert die klassischen Kommentare des Korans. Bald dringt sein Ruf in den Palast, und der Sultan vertraut ihm die Erziehung seiner beiden Söhne an. Aber der Großvezir, eifersüchtig auf den Lehrer, klagt ihn der Hexerei an. Der Sultan glaubt ihm und läßt Sidi-el-Haloui köpfen. Aber da wird der böse Vezir selbst von einem seiner Rivalen angezeigt.
Man begräbt ihn lebendig in einem Block von gestampfter Erde, auf demselben Platz, wo das fromme Haupt des Gelehrten fiel. Heute ist der Name des Vezirs vergessen, und Sidi-el-Haloui hat sein hochverehrtes Grabmal unter einem großen Johannisbrotbaum, in dessen Schatten ich gestern, in der Stille vor Sonnenaufgang, der plappernden Rokaia Schweigen auferlegte. Die Sitzung ist noch nicht beendet. Wir steigen zweiundneunzig Stufen auf ein Minarett. Von dort hat man das Glück, das Meer zu sehen, wenn die eifersüchtigen Berge es nicht verhüllen. Die unerschöpfliche Rokaia führt mir, nicht ohne naive und naturalistische Details, den heiligen Simeon, den Styliten und den Ziegenhirten Sidi-bou-Djema vor Augen, der, einer Engelsstimme gehorchend, auf einem Felsen vor dem Tor ElGuechout lebte. Diese Rokaia mit den schönen Lippen ist die Scheherezade meines Harems von Tlemcen. Die Fülle ihrer Bilder und Worte kennt keine Grenzen. Manchmal muß ich doch, um sie zum Schweigen zu bringen, das alleinige, unfehlbare Mittel des Königs Chahriar anwenden. Im Augenblick langweilt sie mich mit ihrem Bou-Djema, der sich niemals wusch, der seinen Bart ohne Ende wachsen ließ und dessen Lumpen auf seinem struppigen Körper verfaulten. Ich gehorche der Ideenverbindung, die das Minarett mir eingibt, und lasse die arme Erzählerin vor mir niederknien. Trotzdem lachen die funkelnden Augen von Rokaia mir zu, denn ihrem beredsamen Mund gefällt auch dieses Liebesspiel.
DER GEKNEBELTE SOLIMAN
Die schweigsame Zainab ist eine türkische Prinzessin. Ihre Wangen, die den Schimmer des Frühlingsmondes über dem Bosporus haben, stehen im Kontrast zu dem Ernst ihrer großen schwarzen Augen. In der Gesellschaft von Zainab bin ich es, der schwatzt. An dem Tage, als ich sie aus Stambul empfing, machten wir einen Spaziergang am Teich von Ain-el-Hout. Die vielfarbigen Fische aus Gold, Perlmutt und Silber entzückten das junge Mädchen. Dann habe ich ihr die Geschichte der Tochter vom Herrn dieses Platzes erzählt: ›Sie hatte sich entkleidet und war im Begriff, ein Bad im Teich zu nehmen, als Djafar erschien, der Sohn des Sultans von Tlemcen, der eine Gazelle verfolgte. Der schöne nackte Körper führte Djafar in Versuchung. Aber Aicha bat Gott, ihre Jungfräulichkeit zu retten, und tauchte unter. So wurde sie in einen Fisch aus Silber, Perlen und Gold verwandelt.‹ Zainab lächelte. Wir nahmen zusammen ein Bad, beim Heraussteigen aus dem Wasser tat ich mitten in den Blumen der Oase das, was Djafar der armen Aicha antun wollte. Es kommt vor, daß mein Geschwätz Zainab belästigt, weil es ihre türkischen Träumereien stört. Dann bin ich es, dem man Schweigen gebietet. Eines Tages saßen wir einige Minuten vor der Abenddämmerung ganz allein auf der Terrasse eines maurischen Cafes. Zainab betrachtete das kaiserliche Profil von Tlemcen. Ich neckte sie, indem ich ihr bis ins einzelne ein Abenteuer von Sindbad, dem Seefahrer, erzählte. Plötzlich sprang sie stehend auf meine Knie und legte mir einen seltsamen Knebel an.
DER TODESWUNSCH
Der Sultan Yakoub-al-Mansour l’Almohade hatte den berühmten Marabout von Andalusien, Abou-Median, denselben, der unter dem Namen Sidi-bou-Medine der Schutzherr von Tlemcen blieb, kommen lassen. Als der Alte sich der Königin des Mar’reb näherte, entdeckte er die gastliche Oase Al-Eubbad, voll von Olivenbäumen, wildem Efeu, Feigenbäumen, Granatäpfeln, wildem Wein und rieselndem Wasser zwischen den Blumen. Da rief er aus: »Wie schön wäre es, in diesem kleinen Eden bis zum Tage der Auferstehung zu schlafen!« Gott erhörte ihn. Er starb beinahe auf der Stelle mit den Worten: »Allah ist unermeßlich!« Und seine Gefährten begruben ihn an dem Platz, den er sich erwählt hatte. Hafsa mit den kalten Händen, die jung sterben möchte, äußert den gleichen Wunsch wie unser Schutzherr Sidi-bou-Medine. Sie liebt sich selbst bis zur Vernichtung im blumigen Grün von AlEubbad, während ich vor ihren Augen Zainab oder Khadidja liebkose. Aber wir machen uns lustig über ihr Heimweh, und Rokaia prophezeit ihr das lange Leben eines Storches auf dem Minarett.
DER VERRAT VON DJOOUNIRIA
Während es regnet und der Tag sich plötzlich verdunkelt, dränge ich mich nackt gegen Djoouniria, um mich zu erwärmen. Der samtene Schimmer ihres Antlitzes übertrifft die Blumen des Paradieses. Sie ist ganz Licht; wenn sie des Nachts einem in den Gäßchen des Ghettos verirrten Moslem erschiene, würde sie ihn seinen Weg wiederfinden lassen. Trotzdem hat die Djoouniria, deren Leib mich verbrennt, wenn ich meine müde Wange an ihn lehne, mehr Melancholie im Herzen und in ihrer träumerischen Seele als selbst Hafsa mit den kalten Händen. Schwester eines Künstlers, der die Flintenkolben verziert, Tochter eines Sattlers und einer Christin, spricht sie Französisch und liest Romane. Gestern sagte sie mir in einem Olivengarten: »Oh, Cherif, ich möchte diesen Herbst sterben, im Anblick eines Sonnenunterganges an einem italienischen See.« Für diesen doppelten Verrat gegen das Leben und gegen unser Afrika habe ich sie bestraft. Wie ein Eroberer bin ich über sie hergefallen. Ich habe die verräterische Bastardin unter einen Olivenbaum meines Tlemcen geworfen und ihr einen Schrei entrissen, lauter, schmerzvoller und mitleiderregender als der unserer Hochzeitsnacht!
DIE VERGESSENE LILI
Morgen werde ich Tlemcen durch das Tor der Streitrosse verlassen. Heute morgen mache ich meinen letzten Spaziergang. Ich habe die kleine Lili mit den überseeischen Augen, die jüngste meiner sieben Lieblinge, mitgenommen. Das Kind lacht, glücklich über mein schönes Abschiedsgeschenk, das sie erhalten hat. Sie lacht über die Quellen, über die Bäche, die von den Bergen rauschen, über die Häuser aus dunklem Ziegel, über die Türme mit Schießscharten der alten Bollwerke, über den Waldgürtel, der die Sultanstadt umgibt. Sie lacht über die Quellen des Bois de Boulogne und über die Aloen am bergigen Wege, der mich zur Abschiedspilgerschaft an die Grabmäler von Al-Eubdad führt. Ich verharre in Stillschweigen und Betrachtung, denn ich möchte mir eine lebhafte und starke Erinnerung an den Zauber von Tlemcen bewahren. Ich nehme keinen Abschied. Der Cherif Soliman wird diese heilige Metropole nicht verlassen, ohne daß ihn ein Bild, ein Duft, eine Harmonie von nun an begleiten wird, um ihn veredelt zu Gott zu bringen. Die kleine Lili rühre ich nicht an.
VIERTES BUCH Wollüstige Freuden in Constantine
DAS FEST DER NARREN
Luftiges Constantine, o Cirta der Numider! Oh, Stadt der Schluchten, der Leiden und des französischen Heldentums! Ich bin als Besucher bei meinem jungen Freund, dem Stoffhändler in der Rue Combes. Eben plauderten wir mit dem Anwalt der Auktionatoren und dem Kontrolleur der Wertgegenstände. Nun sind sie zum Karawanenplatz gegangen, wo sie den Verkauf von Edelsteinen leiten wollen. Wir sind jetzt allein im Laden und trinken schweigend unseren Kaffee. Ich denke an den Sturm vom 13. Oktober 1837, an Oberst Lamoriciere, der schwer verwundet fiel, und an Oberst Combes, der, von zwei Kugeln getroffen, sein Leben aushauchte, als er seinen Sieg dem Herzog von Nemours meldete. Was Ismail und mich interessiert, sind die Mädchen von heute. Mitten in der Menge, zwischen schwarzen Schwestern, Hausierern, Wasser- und Ölverkäufern, Spahis, Turcos, Richtern und Koranauslegern, erkennen wir bald eine dieser Jüdinnen, die hier viel schöner sind als irgendwoanders, bald eine Maurin, die uns trotz ihres blauen Schleiers in Versuchung führt. Gestern saßen wir im Türkensitz auf einem Smyrnateppich in der Moschee Sidi-el-Akhdar und träumten von dem wollüstigen Palast des Königs Micipsa und seinen griechischen Lustknaben. Im Gegensatz dazu erregt uns am Abend ein Ausbruch von Freude, das gegenwärtige Leben ganz zu genießen. Wir improvisieren mit verschiedenen Freunden eine Art Narrenfest, durchstreifen die einheimischen Bordelle und verprügeln die kabylischen Lüstlinge.
MEINE ORTHODOXIE
Mein Cherifhaus ist aus einfachem Backstein mit einer hölzernen Tür. Aber es steht auf römischen Grundmauern und hat über dem Eingang den Abdruck einer gespreizten Negerhand, in Hammelblut getaucht, als Abwehr gegen den bösen Blick. Hier ist das Haus des wollüstigen Glücks. In der Jahreszeit der Regenfälle oder des Schnees verbringe ich dort ganze Tage, völlig nackt, in Begleitung von Omm-Aimane, mit den sinnbetörenden Locken, Omm-Habiba, mit den gierigen Lippen, Omm-Djamal, mit den erfahrenen Achselhöhlen, Omm-Kolthoum, mit den engen und streichelnden Brüsten, Omm-Hana, mit den heißhungrigen Lenden, Omm-Mabed, mit den eigensinnigen und zuckenden Schenkeln, Omm-Sirine, mit den erfinderischen Zehen. Aber andererseits schicke ich, trotz seines Verlangens, meinen lieben Ismail mit den frischen Wangen fort: Soliman bleibt seinem Prinzip der Orthodoxie in der Liebe treu.
SAOUDAS SPIELZEUG
Bei Sidi-Abd-er-Rahman! Möge die Blindheit mich schlagen, wenn ich für den Blick, das Gefühl, das Hören, den Geschmack, den Geruch und für den ungenannten sechsten Sinn, für den die Dichter das Privileg haben, etwas so Köstliches kenne wie den dreifachen Garten im Palast von Hadj-Ahmed! Dieser letzte Bey von Constantine hatte eine freundliche und zartfühlende Seele. Ich verweile Stunden um Stunden in diesen Galerien mit der kleinen Saouda, die den Körper eines wiegenden Bambusrohres hat und Finger, die weicher sind als Kaschmir. Wir sind allein. Ich erkläre Saouda mit den dunkel umränderten Augen die Fresken, wo die menschliche Figur aus religiösen Gründen fortgelassen ist, die Seeschlacht, Stambul, Mosr, Iskandaria. Saouda tut so, als ob sie aufmerksam wäre und alles begriffe. Es scheint, als hefte sie ihren schmachtenden Blick auf die schönen Bilder. Aber während ich zerstreut an Don Juan d’Austria, an die Langeweile des Sultans, an die scharlachrote Zunge eines jungen schwarzen Eunuchen, der vor einer nackten weißen Jungfrau kniet, an alle Geheimnisse des ägyptischen Harems denke, sucht diese schelmische Saouda Soliman den Kleinen, Soliman den Tollen, erweckt ihn, befreit ihn aus seiner Umhüllung, zieht ihn heraus und liebkost ihn zärtlich.
DIE GEFAHR VON DEN AFFEN
Man wird bis zum letzten Gurren der letzten Taube in diesem Lande leben, wo so viele römische Bürger hundertjährig gestorben sind. Ich habe gerade eine numidische Heilkur im Natursanatorium von Ain-Kerma gemacht: die Grabinschriften bezeugen bei den göttlichen Vorfahren das Alter von hundertzwanzig Jahren des Marius Cassius Gracilis, von hundertfünfundzwanzig Jahren des Julius Gaetula und von hunderteinunddreißig Jahren des M. Julius Abdeus. Sie flößen mir große Hoffnung ein. Im übrigen bin ich klug genug, um nur eine einzige Frau mitzunehmen und gründlich auszuruhen. Henda mit den niedergeschlagenen Augen wurde als Tochter einer muselmanischen Dirne und eines Korsen griechischen Ursprungs geboren, der einst der schönste Bursche des Dorfes Sidi-Merouan war. Ihr Onkel Khaireddin, der sie mir verkauft hat, handelt in Constantine, Rue Vieux, mit Kaiks für die Leute aus den Bergen, mit Ganduras für die Städter, sogar mit Aphrodisiaka und den monströsen Instrumenten der Wollust zum Vergnügen der Herren, die im scherzhaften Ton feilschen. Der gute Khaireddin hat mich nicht betrogen: Sein feiner Burnus aus Soussa sitzt wunderbar, und seine Henda ist wirklich eine Perle als Gefährtin für den etwas überanstrengten Cherif. Im Bett tut Henda bewunderungswürdig und freiwillig alles, was ich von ihr verlange, aber sie reizt mich weder durch Worte, durch Blicke, durch tückische Entkleidungen noch durch heimliche Berührungen. Sie hat begriffen, daß ich meine Kräfte wieder sammeln muß, und sie hilft mir dabei mit Zartgefühl. Unglücklicherweise haben wir heute morgen zusammen die Schluchten von Chabet-el-Akhra besucht.
Während ich lauschte, wie der Wadi Agrioun im Grunde der Schlucht rauschte, gab eine Affenherde meiner Henda die schlechtesten Beispiele. Ich fürchte sehr für heute nacht!
DIE WEINE AUS BORDEAUX
Heute feiern wir in meinem Haus das Fest des Bacchus, des Sorgentöters! Wir sind zwölf: Omm-Aimane, Omm-Habiba, Omm-Djamal, Omm-Kolthoum, Omm-Hana, Omm-Mabed, Omm-Sirine, Henda, Saouda, Ismail, mein treuer Massrour und ich, sitzend auf einem weiten Purpurdiwan in Hufeisenform bei einem Gastmahl, das Maecenas gefallen hätte. Eben hat jeder feierlich ein Glas Falerner zu Ehren meines alten lieben Horaz getrunken. Aber dieses Getränk aus der Campagna schien mir ›irgendwie‹, und Ismail, der gerade aus Bordeaux zurückgekommen war, sprach es aus: ›Kratzer!‹ Wir gehen zu ernsteren Dingen über. Wir kosten nacheinander einen Yquem von 1876, einen Chateau-Latour, einen Chateau Laffite und le Contet, einen Chateau-Margaux und Rieussec, den Haut-Brion und den Mirat, den Leoville-Poyferre von 1874 und den Royne-Vigneau. Die neun Mädchen schlafen, zu Tode betrunken, zwischen den Kissen. Massrour spricht in seinem Rausche zu sich selbst: Er sieht eine Sintflut ankündigende Gewitterwolken um den Berg Edough kreisen und Trauben von Gold, die sich in den Zweigen des Weins der Oase von Salah-Bey wiegen. Er hört die Pforte der Pisans sich in ihren Angeln drehen, und er verkündet, indem er mit seiner Faust einen Korb voller Rosen verwüstet, daß weder Kairo noch Bagdad sich mit En-Naceria vergleichen können. Dann will er sich aufrichten, schwankt, fällt und liegt zwischen den Schläferinnen, die Füße in den Locken von Omm-Aimane, das Gesicht zwischen den nackten Schenkeln von Saouda.
Indessen diskutieren Ismail und ich ganz ruhig über die Unsterblichkeit der Seele, indem wir uns Tropfen für Tropfen eines trockenen, topasfarbenen Teneriffa einflößen, der dreißig Jahre alt ist.
ALLUMFASSENDE WOLLUST
Diese kleine Saouda ist unersättlich. In der Tat vergewaltigt sie mich mit der Hand, mit den Lippen, mit der Liebespforte oder mit ihrer Rückseite. Noch ist es Tag. Im Sande sitzend, versuche ich durch mein heimliches Gebet den Sonnenuntergang zu verzögern. Ich vergesse Saouda: Aber mit ihren Fingern erkundet sie meinen Burnus, öffnet meine Hose und besprengt mit meinem Liebesquell den trockenen Boden. An der Steilküste stehend, bewundere ich von ferne die meergrüne Silhouette des Landes von Djidjelli und denke daran, daß Ismail und ich dort morgen philosophieren werden, unter dem Schatten einer legendenumwobenen Platane. Saouda gleitet zwischen meine Schenkel. Ich strecke mich in Lamdase zwischen den Ruinen des Äskulaptempels aus, und ich erinnere mich des keuschen Marc Aurel, der dieses Heiligtum bauen ließ. Aber Saouda, das Kleid bis zu den Achselhöhlen heraufgezogen, stürzt sich gebieterisch in meine Träumerei. Wir schlendern durch Msila mit den zehn schiefen Minaretts. Ein verlassenes Haus zieht mich an, wir treten ein. Plötzlich führt Saouda mit Hüften und Hinterbacken einen Tanz auf, das Kleid bis zum Hals hochgeschlagen, und legt sich schließlich flach auf den Bauch. Die Herausforderung ist zu stark. Saouda, ganz Wollust, antwortete den Stößen meiner Lenden im Rhythmus der großen Prediger, ohne zu sehen, daß sich in einem alten Mauerriß, ganz nahe ihrer brennenden Wange, ein Skorpion aufhält, dessen Stich tödlich ist.
DER ÜBERTROFFENE GOLDENE ESEL
Wir erfüllen das Gelübde einer Pilgerfahrt nach Mdaourouch, dem Madeira der Römer, der Heimat des Magiers Apulejus. Ich liebe diese Dichter Afrikas brüderlich: Tertullian, Arnobe, Apulejus in ihrer Großartigkeit, ihrem Überschwang, ihrem Ungestüm und ihrer Trunkenheit. Meine Gefährtin ist meine Frau von gestern, Satiha, Tochter der Strickerin Thououaiba und eines Korallenfischers von Calle: letzte Nacht um zehn Uhr habe ich sie mit einem einzigen Stoß zur Frau gemacht. Der Herbsttag stärkt und steigert uns. Eine empfindliche Seele strahlt aus. Glücklich lächelnd beschaut sich Satiha am Horizont die Zahnreihe der tunesischen Berge. Ich, auf einem Stein des byzantinischen Palastes ausgestreckt, lese in den ›Metamorphosen‹ das Abenteuer des Lucius, der, in einen Esel verwandelt, eine dieser Matronen liebte, für die der stärkste Knüppel noch ein ungenügendes Zepter sein würde. Ich amüsiere mich über die Einzelheiten einschließlich der Stelle, die schamhafte Philologen als gefälscht bezeichnen. Satiha unterbricht mich neugierig: »Oh, Cherif mit den starken Muskeln, warum lachst du?« Ich erzähle ihr alles und frage sie im Scherz, ob sie vielleicht vor einem weißen Esel aus Bagdad Angst haben würde. Da bricht Satiha ihrerseits in Lachen aus und antwortet: »Warum kannst du solche Fragen an mich richten, oh, Cherif mit den starken Gliedern? Wenn man Soliman, dem Roten, fröhlich Gastfreundschaft gewährt hat, dann könnten drei gebündelte Eselszepter mich nicht mehr erschrecken!«
ABGESANG
Leb wohl, Constantine! Leb wohl, Algier! Leb wohl, Oran! Leb wohl, Tlemcen! Leb wohl, Zivilisation! Noch bin ich jung und sehr reich! Aber ich mache mich über alles lustig, außer über meinen plötzlichen Entschluß, der unumstößlich ist. Mir gehören das freie und stolze Leben in der Sahara, die Ritte zwischen den Sandstürmen, die kriegerischen Liebesabenteuer, das Nachdenker und die Meditation bis zum Tode!
FÜNFTES BUCH Das Paradies der Wüste
ALYA DIE WOHLTÄTERIN
Wie gern würde ich seltene Worte auf den fröhlichen Rhythmus meiner Einfälle aufziehen, wie die Perlen auf der Schnur von Alya, der Wohltäterin. Vorgestern kam sie, um mich unter den Dattelpalmen von Ouargla zu treffen. Ihre Wangen glänzten durch ihren Schleier. Ihr Hemd war von gelber Seide: trotzdem mußte es sich bei jedem Windhauch gegen diese so zarte Haut pressen. Ich murmelte: »Guten Tag.« Sie antwortete: »Geh deines Weges, oh, Cherif, ich habe zu tun.« Dann zeigte sie mir ihr geschwungenes und goldfarbenes Hinterteil, das wie eine Miniaturdüne aussah. Meine Gegenwart völlig ignorierend, machte sie einer Negerin in blauen Lumpen Zeichen, die auf einer schneeweißen Terrasse eine rote Spindel drehte. In der folgenden Nacht zählte ich die Minuten. Würde ich noch weiße Haare bekommen? Aber beim Morgengrauen entführte ich Alya mit zwei mutigen Begleitern auf einem edlen, mit einer roten Decke gesattelten Kamel. Alya hat weiter nichts zu tun, als meine Cherifenträume zu erfüllen. Sie ist der gute Geist meines Zeltes. Ihr Armreif aus Korallen ist mir eine Standarte, die mich in die Seligkeit führt. Trotz meiner großen Erfahrung bewundere ich ihre kleinen, steigenden Brüste und ihre Haarflut, die bis zu den Knöcheln reicht. Sie ist zugleich Kairo in seinem Glanz, eine zarte Mokkatasse, in die ich zerstoßenen Kardamom hineintat, eine erfrischende Quelle und das Lieblingssternbild meiner nächtlichen Träume.
DER GLÜCKLICHE GEGENSATZ
Mein Freund Kassim leidet sehr: man könnte einen Pilger tränken mit der Tränenflut dieses Scheichs. Sein Herz zittert zwischen seinen Rippen; ein Dämon schlägt das Tamburin in seinem Schädel, und ein anderer hämmert Nägel in seine Brust. Denn seine Schöne, mit den gefärbten Handflächen hat ihn in der letzten Nacht verlassen. Sie entfloh in das Meer der Wüste, und ihr Kamel mit den schwieligen Brustriemen rollt wie eine Barke. Ich tröste den armen Kassim, so gut ich kann. Dann sehe ich meine Alya wieder. Sie gleicht den geheiligten gelben Antilopen des Berges Kaf, wenn sie nicht im Gespräch mit mir diese melodiöse Stimme hätte, in der die ganze menschliche Zärtlichkeit seufzt. Sie hat eine so edle Haltung, als ob sie zur Familie Noah gehörte. Dennoch bietet sie mir ohne Zögern, mit der Ergebenheit eines Sklaven von Geblüt, unablässig den Einschnitt ihres purpurnen Mundes, Schwester der prächtigen Kamillenblüte, die unter dem häufig wiederkehrenden Platzregen glänzt. Man ist Soliman, dem Prächtigen, nicht untreu.
DIE BEIDEN COUSINEN
Ich bin sehr zufrieden mit Alya und ihrer Base Raihana. Sie umschlingen ihren Herrn wie Weinreben die Mandelbäume oder Pfirsiche von Tiout. Sie haben die gedankenvolle Weisheit eines Priesters von Ain-Sefra und die Frömmigkeit des Ältesten von Oulad-Sidi Scheikh. Trotzdem sind sie zusammen noch keine siebzehn Jahre alt. Ihre Frische genügt, um es überall Frühling werden zu lassen. Die Haarflut von Alya wellt sich wie der Zweig eines Dattelbaumes, und die geflochtenen Locken von Raihana gleichen den großen Flügelfedern eines Straußenhahnes. Ihre Augen sind die Fürsten der schwarzen Magie. Ihre Wangen haben den Schimmer des Mondes im Herbst. Ihr Hauch hat den Geruch von Majoran und ihre Haut den Duft von Ambra. Wenn sie auf ihrem Pferd über die Hügel hintereinander herjagen, könnte man es ein Spiel der Sternschnuppen nennen. Aus Mitleid verschleiern sie sich vor Fremden, denn ihr weißer Hals würde den Schlaf aus der Oase verbannen. Wenn Raihana oder Alya sich aus dem Zelt entfernten, würden meine Tränen wie der Regen sprudeln, wenn ein Blitz kommt und die Wolke aufreißt. Und Massrour würde mich seufzen hören wie der Beduine, dem sein Schenkel durch eine Kugel zersplittert ist bei Beginn des Gefechts. Noch eine Minute würde ich erstarrt liegen, voller törichter Gedanken, und schon die Würmer an meinen Knochen nagen fühlen. Aber plötzlich springe ich mit angezogenen Knien auf mein Rennkamel. Ich werde meinen Rivalen erwarten, grausam wie Djenoun von Kreneg-al-Melh, und würde meine lange Lanze, die mit Geierfedern geschmückt ist, ganz in seine Brust bohren. Glücklicherweise haben die beiden Cousinen entzückende Charaktere.
Eines Tages fing ich zwei junge, schlafende Gazellen, indem ich sie mit meinem Burnus bedeckte: Beim Erwachen zitterten sie vor Soliman, aber sie schmiegten sich an ihn. Raihana und Alya zeigen die gleiche schüchterne Zärtlichkeit. Sie beben von Kopf bis Fuß, während ich meine Blicke auf den Sand hefte. Ich blinzele mit einem Auge, und die Angst entflieht. Also heißen sie mich willkommen, und diese Begrüßung ist köstlicher als die Milch einer Kamelstute, die sich von aromatischen Kräutern nährt. Lob diesen beiden kleinen Kleinoden! Weder die Wunder der Schöpfung noch die Gebete der Menschen seit Adam und Eva, noch die Klagen der ungeduldig saugenden Kamelkälber, noch die Wassertropfen des Ozeans, noch der süßliche Geruch von Gazellenlosung in der Wüste, noch die Verse der Dichter, noch der Windstoß in den Palmenkronen, noch die Donnerschläge aus dunklen Wolken gleichen an Zahl den Küssen innerhalb unserer Familie zu dritt.
DER MOKKA IM ZELT
Es ist die feierliche Stunde der Bereitung des Kaffees vor meinem offenen Zelt, im Schimmer des sommerlichen Mondes. Oh, ihr Granatbäume von El-Asla! Oh, ihr goldenen Sanddünen, Mund der Wüste! Oh, ihr Palmen von Biskra! Meine beiden Frauen und mein lieber Massrour werden sich eurer heute nacht erinnern, während ich ihnen die schönsten Geschichten erzähle. Denn ich bin es, der uns allen das Getränk bereitet, das unsere Intelligenz und unser Gefühl belebt. Ich wähle die besten der Bohnen aus und entferne die unreinen. Ich röste langsam die auserlesenen Früchte, zerstoße sie und lasse sie mit Quellwasser kochen. Der Mokka färbt sich braun, er beginnt zu dampfen und hat den Duft der Chrysolitpflanze. Er erheitert unsere Blicke und breitet über die ganze Oase den Duft von Ambra. Schaumblasen schwimmen darauf, die einander gleichen. Die kleinen schimmern wie Smaragde und die großen wie erstaunte Kinderaugen. Der Schaum verdichtet sich. Unser Kaffee ist fertig. Ich gieße ihn in ein Gefäß mit Safran, Muskatnuß, dem Kopf einer Gewürznelke, Schnittlauch und Kardamom. Da ich die ärgerliche Bitterkeit fürchte, schütte ich ihn eilig in den Kaffeetopf zurück. Raihana, Alya und Massrour hören erfreut das Rieseln des Nektars. Ich serviere den Kaffee in Tassen von Faghfour, die mir ein türkischer Pascha schenkte. Kann man ihn nicht das Herzblut eines verliebten Dichters nennen? Welches Wachsein in der schweigsamen Nacht! Die jungen Mädchen schwatzen. Alya vergleicht die Wüste mit dem Fell
eines Panthers, und Raihana, die schon auf Reisen war, vergleicht die Sandwellen mit denen des Mittelmeers. Massrour, den ich im Verdacht habe, von der Haschischpaste gegessen zu haben, macht uns eine Enthüllung: Saint-Abd-elKader-ed-Djilani ist ihm in Biskra erschienen, in der großen Moschee auf dem Rand des mit Intarsien eingelegten Brunnens. Er habe ihm Satzungen einer Brüderschaft diktiert, welche die Ungläubigen verjagen soll. Ich hebe die Schultern und besinge in langen anekdotischen Versen die siebzig Varianten der Datteln des Landes Ziban. Aber plötzlich unterbreche ich mich, um auszurufen: »Raihana und Alya – ihr fröhliches Taubenpaar, ihr koketten Gazellen, nehmt euch in acht! Wenn ihr euch je aus meinem Zelt entfernt – mit einem kühnen Jüngling oder einem dickbäuchigen Kaufmann – dann werde ich die Hilfe des Allmächtigen anrufen, der die sieben Himmel baute, und euch wiederfinden, selbst wenn ihr das Meer überschrittet oder das Kaiserreich von China. Mein Hengst steigt und erhebt seinen grauen Schwanz. Meine rote Kamelstute ist ungeduldig und kann es nicht erwarten, einen Feind zu verfolgen. Mein glänzender Säbel wird pfeifen, und eure enthaupteten Körper sollen nicht bestattet werden!« Über Massrours Gesicht breitet sich ein Hohnlächeln, die beiden Cousinen schluchzen, ihre Brüste beben unter ihren buntbemalten Hemden. Da setze ich mich zwischen die beiden und verabreiche einer jeden von ihnen den Trost meiner einschmeichelnden Größe… Dann erwarten wir das Morgenrot und trinken persischen Wein, der nach Rosenblättern schmeckt.
KHESNA
Möge Gott dich segnen, o Dattelbaum! Daß du deine Krone ins Feuer hebst und den Fuß ins Wasser. Denn im Schatten deiner Blütenzweige machte ich die Bekanntschaft von Khesna. Ich kam von der Falkenjagd zurück und sah drei lachende junge Mädchen unter dem Dattelbaum der guten Verheißung. Da ging ich auf sie zu und sagte: »Ich bin ein Fremder und habe Durst. Würde eine von euch geruhen, mir zu trinken zu geben?« Das schönste der drei Mädchen, schlank, graziös, zarter Stern von Algier, erhebt sich und antwortet: »Khesna gibt dir alles, was du brauchst, o Cherif, außer den Dingen, die der Prophet verboten hat.« Aber während sie es sagt, lacht sie die ganze Zeit und entschleiert sich. Nun, ich tränke mich lange an ihren Lippen, an ihrer Zunge, an ihren Zähnen. Ich fühle zwei kleine Brüste, die hart werden, ich brenne! Wenn ein Stein auf meine Brust fiele, so würde er schmelzen. Ein Araber tauscht nicht das Schlechte für das Gute. Ich entführte Khesna, die Erfrischende, und auf dem Wege nehme ich sie auf meinem galoppierenden Hengst mit Gewalt. Soliman ist der erste Geliebte von Khesna, niemand vor ihm hat dieser Stute die Kandare angelegt. Khesna ist der Magnet, und ich bin der Nagel. Ich berge sie unter dem Zelt im Walde der Tamarisken, wo meine Begleiterinnen lagern. Mit einem fürstlichen Geschenk kaufe ich sie los vom blinden Vater aus Lidi Okba. Wir sind bis aufs äußerste ausgelassen auf dem leuchtenden Teppich von Lichana, in Gesellschaft der beiden Cousinen.
IM VORÜBERGEHEN
Eine Tochter von Oulad-Nail reizt mich in Tougourt, auf dem Hügel von Poux. Sie besitzt weder Schönheit noch ein Lächeln. Sie ist traurig unter einer Fülle nicht zueinander passender Gewänder und barbarischen Schmuckes. Aber sie hat den unbeweglichen Blick und den Genius des lasziven Tanzes. Würfe sie ihren Mantel auf einen Turnierplatz, würden die Kämpfer beider Seiten sich bis zum Tode darum streiten. Hals über Kopf werfe ich dieses Mädchen von Oulad-Nail im Vorübergehen um, dann beeile ich mich, in die Wüste zurückzukehren. Diese Dirnen stoßen mich ab. Ich ziehe es vor, meinen Hargan mit zitternden Knien zu reiten. Der Cherif von Mekka bietet mir ein Vermögen für ihn. Aber ich weigere mich, ihn zu verkaufen. Denn Soliman und Hargan bilden einen unbesiegbaren Centauren wie Djoudj und Madjoudj.
DIE FRAU DES KAUFMANNS
Das leuchtende Morgenrot erhebt sich wie ein schönes Mädchen, das ihrem schwarzen Sklaven zulächelt. Hargan und ich galoppieren nach Tougourt. Die Wüste ist kahl wie die Höhlung eines Schildes. Man könnte sagen, daß mein Pferd und ich die einzigen Lebewesen in dieser gelben Unendlichkeit seien. Soliman gewinnt immer das Spiel der Liebe, wurde er nicht in der göttlichen Nacht von Donnerstag auf Freitag geboren, in der glückbringenden Nacht? Wir kommen in Tougourt an, und ich schlendere umher, die Augen zum Himmel gerichtet. Plötzlich schnürt sich mir die Brust zusammen. Gerade bemerke ich auf der Terrasse eines reichen Kaufmanns eine Frau, die im Begriff ist, einen Wasserschlauch auf den Haken zu hängen. So wie meine Mokkakanne ein Meisterwerk aus Damaskus ist, so ist diese Frau die schönste Schöpfung Gottes. Ohne Zweifel hat sie nie den Weg des Häßlichen beschritten, diese Antilope des Paradieses, niemals hat sie den Schöpfer irre gemacht. Sie hätte es verdient, sich ›Stamboul‹ oder ›Fez‹ zu nennen. Aber plötzlich entfalten sich alle Knospen meines Herzens: Die Unbekannte hat mir einen Blick zugeworfen. Meine Eroberung ist verschwunden. Leichte Wolken verschleiern einen Augenblick die Sonne. Ich seufze wie der gute Joseph im Gefängnis von Ägypten. Ich moduliere meine Sehnsucht wie eine Nachtigall. Eine heitere Negerin gesellt sich zu mir mit dieser wunderbaren Botschaft: Der Unglückskaufmann und sein Wanst sind auf dem Wege nach Algier. Die Schöne bittet um ein sofortiges Rendezvous.
Ich habe nicht genug seltene und kostbare Worte, um zu beschreiben, was folgt. Aber ich versichere, wir tauschten in dieser Nacht mehr Küsse, als Israel in allen Generationen seit Adam geerntet hat, auch wenn es dem verdammten Kaufmann mißfiel.
SALAMA
Tog, der Herr der benachbarten Oase, ist Vater von sieben Töchtern. Heute morgen ging ich in den Garten meines Gastgebers, um Wasser aus der Quelle zu schöpfen. Salama mit den blauen Augen, die Jüngste der sieben Schönen, lauerte mir auf. Stürmisch fiel sie mir um den Hals und umarmte mich. Ich zauderte… Aber Salama erklärte ihr Tun: »Nimm, was dir gehört, o Cherif. Zwölf Scheichs haben mich schon um meine Hand gebeten, aber ich bin unschuldiger als die neugeborenen Tauben von Mekka oder ein Wickelkind, und ich will dich lieben bis zur Stunde, da der Engel Israfil in seine Trompete stößt.« Aber ernst antwortete ich: »Salama mit den azurenen Augen, verzeih mir! Ich wagte es nicht. Meine Zärtlichkeit für dich gleicht jenen Inschriften in dem harten Stein, die weder das Wasser noch der Wind noch die Zeit auslöschen können.« Die kleine Jungfrau errötet und senkt die Lider, aber sie spiegelt sich im Bach. Ich gebe ihren Kuß zurück. Tog hat mir Salama zur Frau gegeben. Möge Gott das Alter dieses guten Gefährten in Jugend verwandeln!
SCHLAFLOSIGKEIT
Wie köstlich muß diese Nacht für wohlgesättigte Kaufleute sein, die schlafen können! Was mich betrifft, ich wache und leide. Ich habe die Krankheit, bei der unsere ganze Menschheit zusammengenommen nicht imstande wäre, auch nur ein Zehntel davon zu ertragen. Es ist ein Leiden, das mich lächerlich macht: Das Bildnis einer Frau durchbohrt mich wie ein indisches Schwert, sägt mein Herz in Stücke und zieht mir die Seele wie mit einer Garnwinde aus dem Körper. Ich träume, der Glücksvogel trägt mich zu den Plejaden, aber plötzlich schlägt er seine Krallen in meine Flanke und läßt mich mit der Schnelligkeit einer Spinne bis ans Ende ihres Fadens stürzen. Ich bin zwischen Zange und Traubenbohrer. Mein Körper wird vor Qual schmal wie der scharfe Strich feines Schönschreibers. Bald heule ich wie ein verhungernder Wolf, bald schreie ich wie ein altes Kamel, das im Stall eingesperrt ist. Massrour weist mich zurecht, ich schicke ihn spazieren: »Sei still, die große Chinesische Mauer trennt mich von deinem Geschwätz!« Verdammt sei ein jeder, der mich tadelt oder mich für verrückt hält. Oh, daß ein böser Geist ihn forttrüge über sieben Länder, so weit, daß man sieben Jahre lang nicht mehr von ihm sprechen hört. »Oh, Massrour, ist es einer schönen Frau erlaubt, einen Cherif zu töten? Findet sie das Recht dazu in den Worten Mohammeds oder in einem klassischen Kommentar des Korans? Wahrhaftig, ich sage dir, Massrour, es gibt einen Gott, und Wadha, die Rebellin, ist seine Prophetin. Das alleinige Heilmittel meiner Qualen sitzt unter dem Schleier dieser Wadha, die ich will!
Und selbst wenn alle Töchter der Beduinen und der vornehmen Seßhaften sich mir nackt darböten, ich wählte Wadha, diese Wadha mit dem Starrsinn einer Tigerin, die mir den Schlaf gestohlen hat. Wenn du kein Esel bist, verschaffe mir Wadha!«
LOBREDE AUF WADHA
Oh, braune Wadha, weiß und rosig, endlich die Meine! Du bist geschmeidig wie ein Gepard und viel schöner als Joseph. Selbst der Prophet würde sich am Duft deines Atems und am Geschmack deines Kusses erfreuen. Die Koketterie deines Blickes ist höchste Zauberei. Deine Wange hat die Frische der Rosen im Morgenrot und die Pracht der Farben, die den Sonnenuntergang begleiten. Wenn du lächelst beim Heben deines blauen Schleiers, entfaltet sich dein Duft. Auf dem Rücken hast du ein Schönheitsmal vom Glanze einer Dattel. Dein lebhafter Schritt überholt den Morgenwind. Du bist ein Garten, in dem alle Früchte reif und saftig sind. Ich bin ein Pilger zum Glanze deiner Zähne, oh, Gazelle Algeriens mit der vollkommenen Taille! Ich ritt im Traum ein rothaariges Kamel auf der Suche nach dem Glück: ich habe die Deiche Alexandriens mit den zwei Buchten gesehen, Gog und Magog, und den Fisch, der Jonas verschlang. Ich habe die sieben Länder und die sieben Meere betrachtet, habe den Berg Kaf bewundert, den der stürmische Ozean umspült. Aber alles das ist nichts gegen einen Kuß aus deinem Munde, o bezaubernde Wadha! Komm, trinken wir aus diesem mit Perlen eingelegten Becher den Purpurwein mit Ingwer, der in seiner Amphora alt geworden ist. Neige dich meinen Lippen zu, umarme mich, und ich schenke dir ein Gewand, das zweitausend Dinare kostet! Setze dich auf meine Knie, und ich singe dir Lobgesänge, so lange, daß die beiden Sterne immer wieder leuchten werden!
LIBNA
Oh, Biene, du glaubst die auserlesensten Blumen zu kennen? Aber die Blüte, die den süßesten Honig schenkt, ist der Mund von Libna. Ich machte einen Weg durch die Nacht, und der Polarstern führte mich. Mein Kamel hatte fröhlich hundert Sanddünen erklommen. Plötzlich bemerke ich im Morgenrot, inmitten einer Gruppe wurstlippiger Kaufleute, diese Schöne aus guter Familie, diese Prinzessin aus dem Tal, wo die strahlenden Gazellen ihre Gürtel lösen. Nun, ich fühle mich schlimmer als Autar und Adchvad, als Chebib und Mikdad. Ich stürze mich auf diesen Haufen, und sie rennen auseinander wie eine Hammelherde, in die der Wolf fährt. Libna bedient mich jetzt als Mundschenk. Sie kredenzt mir berauschenden Wein, gewonnen aus dem ersten Saft kaum gepreßter Trauben. Wir sind im Monat April, jeder Tag bringt ein neues Gelage.
DIE LAUNISCHE OMM-AKAB
Was uns bestimmt ist, erreicht uns auch, und wären wir in einem Kasten verborgen! Omm-Akab hatte keine Furcht vor Gott. Sie sagte mir nein! Die Sonne trat in das Sternbild des Zwillings; die Vögel, die Blumen, die heißen Kieselsteine, selbst die Käfer, die vor meiner schwarzen Stute flüchteten, oder mein Kamel mit dem Hahnenhals sahen aus, als machten sie sich über mich lustig. Gestern führte mir eine mitleidige Negerin plötzlich diese Jungfrau zu, die halsstarrig auf ihrer Weigerung beharrte. Die nun entschleierte Omm-Akab leuchtet wie die Fackel des Wegweisers, der die Karawane leitet. Sie duftet wie eine Wiese in einem Tal, das von Beduinen noch nicht betreten wurde. Ihre Haut hat die Frische des Fells einer Gazelle, über die der Ostwind weht. Ihr zarter Blick erreicht sein Ziel mit der Unfehlbarkeit einer Sternschnuppe. Diese Omm-Akab ist keineswegs ohne Fehler. Ihre Launen sind so wechselnd wie das Gefieder eines Pfaus. Dennoch komme ich zu ihr zurück wie der Falke auf die Faust seines Herrn; wenn sie mir schmollend den Rücken zuwendet und ihre Locken flicht, um mir ihre nackten Lenden zu zeigen, kann sie ruhig die Hinterbacken zusammenpresse, ich strafe oder belohne sie durch das süßeste Liebesspiel der Welt.
SOLIMANS GEBET
Dehama mit den schön geschminkten Augen beunruhigt mein Innerstes Sein. Sie hat ein pralles Hinterteil, und doch sind ihre Schritte so leicht, daß sie nicht einmal auf frischer Butter Spuren hinterlassen würden. Ihre Wangen gleichen dem Mondstrahl, der in der Nacht die Ränder der schweren Regenwolken umsäumt. Ihr Duft regt mich zum Zerspringen auf. Ich heiße sie willkommen und flüstere ihr ins Ohr: »Stille meinen Durst mit einem Kuß deiner spitzen Zähne, ich will nichts anderes.« »Ich habe Angst, du redest, o Cherif.« »Ich schwöre dir, ich werde niemandem ein Wort von uns sagen! Gott allein sieht uns, und er verzeiht den Liebenden.« Der Muezzin aus der Moschee Ksar ruft mich umsonst zum Gebet, denn zwischen den Brüsten meiner neuen Geliebten mache ich meine Gebetsübungen. Meine geliebte Dehama, du bist zugleich eine Turteltaube, ein Duft des Mokkas vom Sultan, ein Korb, voll von Früchten, und ein wunderbares Kamel für sehr lange Reisen.
SCHWÄRMEREI
Khaizourane mit den Augen einer einsamen Gazelle hat sich so sehr verdient gemacht, daß man sie den Koran lehrte wie einen Jüngling, der eine Zukunft hat. Ich habe den besten Honig Frankreichs geschmeckt, aber noch nie habe ich Süßeres probiert als die Feuchtigkeit im Munde von Souheija. Wenn Ena ihre Haare auflöst, gurrt meine Taube im Schatten eines Gebüsches. Aber noch lieber habe ich Gadir, weil sie eine kleine Jägerin Dianens ist. Um es genau zu sagen: Es sind Wochen verstrichen seit meinem letzten kriegerischen Ritt in die Wüste. Wenn die Schlange des Wassers beraubt ist, steigert sich die Schärfe ihres Giftes; ich bin wie eine Viper, die lange im trockenen Sande schlief. Komm, Gadir, man sattle unsere weißen und roten Kamele, gib meinen fünfzig Gefährten das Signal des Aufbruchs. Gäbe Gott, daß wir nicht den Beduinen mit dem Charakter einer Fledermaus und der Tasche voller falscher Schlüssel träfen. Er reitet die kastanienbraune Stute mit dem kupierten Schweif. Dieser Witzbold hat gesagt, daß meine Schläfen grau würden und daß ihr alle anfingt, mich zu betrügen. Möge sein Schicksal ihn von meinem Wege fernhalten. Ich würde ihm schnell meine lange Lanze mit der doppelten Schneide in die Leisten stoßen.
PHILOSOPHIE
Die Jugend hat mir den Rücken gewandt, ohne mir ›Lebewohl!‹ zu sagen. Soll ich ihr nachlaufen? Das wäre genauso dumm, wie in ein erloschenes Feuer zu blasen. Der Strang der Prüfungen schnürt nach und nach den Hals aller Lebewesen ein. Mir hat das drohende Alter schon die ersten Bisse versetzt. Wie waren sie schön, meine vergangenen Jahre! Ist es denn möglich, daß Soliman nichts Ähnliches mehr erleben soll? Die grauen Haare an meinen Schläfen scheinen immer mehr zu werden. Der heiße Wind läßt diese gelben Vögel in eine Fata Morgana stürzen. Die Sonnenhitze schießt alle ihre Pfeile ab. Das ist die Stunde der erdrückenden Ruhe. Ich mache mich darüber lustig. In den Sattel, Kameraden! Ich bleibe einer glühenden Kohle gleich, die im Feuer kaum zerbröckelt. Ich werde erst im Paradiese da oben Ruhe finden – wenn ich dort erschöpft ankomme –, aber hier unten, in meiner so geliebten algerischen Sahara, beschäftige ich mich ohne Ende mit den Schönen und ihren schwingenden Hüften. Meine Kraft und meine Schönheit bestehen weiter. Ich will fortfahren in meiner Lieblingsbeschäftigung. Ich überlasse den Dichtern von Übersee ihr wehmütiges Selbstbedauern. Der Falke hat sein Ehrgefühl. Er erniedrigt sich nicht, wenn er im freien Himmel geschwebt hat. Gestern, im Abendrot, haben mir die Turteltauben von OmmHamda erzählt, die den besonderen Vorzug hat, gleich süß im Stehen und Sitzen zu sein; eine Karawane entführt sie gerade gen Süden. Unterwegs! Mein graublaues Kamel, das Abzeichen an den Vorderbeinen trägt, wird diese feigen Kaufleute bald einholen.
Ich brauche die Lippen von Omm-Hamda, die sorgfältig mit Indigo gedunkelt sind, und ihre rechte Wange mit den Schönheitsflecken, die wie ein Sternbild aussehen.
ASBA
Wir haben die ganze Nacht auf sieben Tamburinen gespielt, Massrour, meine Frauen und ich. Kann ich schlafen? Bah! Jetzt ist die Stunde der türkisfarbenen Morgendämmerung, des Klanges des Pilgerhorns, des Erwachens der bunten Tauben und die meines jungen Freundes Fadil, der ein Kamel von der Farbe der Wüste besteigt. Die roten Augen des Tieres leuchten, und es trabt so schnell, daß der Staub seinen schönen Reiter ganz bedecken wird. Vorwärts! Ich baue einen Bewässerungskanal für meinen Obstgarten. Ein Mädchen im violetten Hemd erscheint. »Wer bist du?« »Mein Name ist Asba. Ich bin die Nichte des Kochs Madjid.« »Ah, den kenne ich allzu gut, er verwendet für den Dattelkuchen Hammelfett statt frischer Butter; möge er in einer anderen Welt mit den Ungläubigen auferstehen! Aber du – du gefällst mir! Komm, schäkern wir zusammen!« »Ich bin nicht schön, o, Cherif! Kein Beduine würde etwas von mir wollen, selbst wenn ich mich nackt auf einen Pilgerweg legte.« »Lügnerin! Hast du nicht eine ebenso zarte Taille wie meine türkische Kaffeekanne? Spiegle dich im Bach und komm in den Schatten dieses Dattelbaumes.« »Ich habe Angst, daß mein Onkel uns überrascht!« »Er würde vom Graben in die Zisterne fallen. Er ist sowieso schon der größte Hahnrei der Wüste. Soll er uns nur sein verkrüppeltes Rückgrat zeigen. Massrour, bewaffnet mit einer Bürste und einem geschärften Messer, würde ihn abschaben wie ein räudiges Kamel. Du wirst sehr lachen, wir würden ihn mit Arsenik, Schwefel und syrischem Pech einreiben.«
Asba schweigt. Ich wende ihren Hals zu mir und küsse ihre Zähne. Ich berausche mich an dem Duft ihrer Locken und hauche Rosen auf ihre eben noch so weißen Wangen. Ich habe mich immer im Schachspiel der Liebe ausgezeichnet. Mein Zepter trifft ebenso genau wie eine französische Jagdflinte – aber sie hat mehr als zwei Schüsse. Ich will einen kleinen Ausritt machen. Asba, die sich unter dem Dattelbaum auf mich gelegt hat, schäkert mit mir. »Gib mir sofort acht Küsse auf die Spitze meiner linken Brust! Und dann versprich mir, am frühen Morgen in den Obstgarten zu kommen und keine Liebschaft mit einer meiner Schwestern oder Cousinen anzufangen.« »Ich schwöre es dir bei der Kaaba und bei dem, der diese Berge geschaffen hat. Seit meiner Kindheit habe ich keine andere geliebt als dich und weiß, daß die strahlendsten Insassen der grünen Gärten von El-Haza mich nicht untreu machen würden!« Asba lacht mir ins Gesicht und spielt mit der noch feuchten Öffnung meines Zepters.
DER AUSGLEICH
Wie köstlich ist die Dattelernte! Die Zweige biegen sich unter den farbigen Früchten im Rhythmus der leichten Herbstbrise. Die Turteltauben singen in den Palmen. Die Waisenkinder streiten sich um die herunterfallenden Früchte. Nur ich bin traurig inmitten des Festes. Das letzte Mädchen, das ich entjungfert habe, die letzte meiner Favoritinnen, die älteste Tochter des Bortenwirkers Sadoun, Mey, mit den schlangengleichen Hüftbewegungen, ist diese Nacht verschwunden, während Massrour und ich eine Orgie voller Wein und Poesie feierten. Die Spur der Flüchtigen fehlt uns. Unmöglich, sie wiederzubekommen, um Mey an den Haaren zu ergreifen und den Räuber zu bestrafen. Ich bin eine ganze Stunde traurig und beunruhigt. Ein Wasserrad dreht sich in meinem Herzen, und ich wiederhole unter dem fröhlichen Dattelbaum: »Wenn die Schlange mir Sandalen und ein Hemd anziehen würde, um ihre Haut vor Stacheln und scharfen Kieseln zu schützen, würde ich auf diese Liebe verzichten. Möge Gott uns aufs neue vereinen. Möge Mey, die Königin des Bettanzes, zurückkommen, um mein Zelt zu erleuchten!« Aber die schalkhafteste der Fruchtsammlerinnen mit den ebenholzfarbenen Brustspitzen, Rebab, bringt mir ihren Korb. Lachend zeigt sie mir die Wölbung ihres Schenkels. Bah. Diese Rebab hat festes Fleisch wie eine Wachtel erster Wahl. Ich kaufe sie. Oh, daß ein Neger diese Mey mit dem schwarzen Herzen von hinten vergewaltigte! Ich bin getröstet.
»Komm, Rebab. Unsere Hochzeitsnacht wird einem Sturzbach gleichen, der die verdorrten Pflanzen wiederbelebt und die Steppe grünen läßt.«
DIE BEIDEN SCHWESTERN
Der Frühling liebkost die Sahara. Djolbane und Djinane spielen Ball mit Bambusstäben. Djinane hat hyazinthenfarbene Haare, und die Augen ihrer Schwester Djolbane zeigen den Schimmer der tiefsten Dunkelheit. Ich bete die beiden jungen Mädchen gleichermaßen an. Das Haar von Djinane ist meine Sonne, und der Augapfel von Djolbane ist der schwarze Stein, vor dem ich ehrfurchtsvoll niederknie. Wenn ich mein Herz teilen könnte, würde ich einer jeden die Hälfte geben. Ich stachele meinen Berberfuchs zum Galopp an und denke fröhlich: ›Die Lösung des Problems ist sehr einfach: Ich werde heute abend alle beide in mein Bett nehmen.‹
SENET MIT DEN SCHÖNEN ARMEN
Der Schirokko und die Heuschrecken zerstören die Ernte. Die Wunde meines Herzens ist die brennende Senet mit den bezaubernden Armen, die Tochter des Führers Meammar. Sie quält mich durch ihre Abwesenheit. Glücklicherweise hatte ich die Idee, eine Flasche Palmwein, ein Riechkissen und eine Börse an die Amme von Senet, OmmNaisil, die gute alte Kupplerin, zu schicken. Omm-Naisil hat mich in das Zelt von Senet gebracht und mich hinter einem Vorhang versteckt. Ich erschien gerade in dem Augenblick, als die Jungfrau träumte, ich sei da. Mit aufgelösten Haaren, beinahe nackt, stößt sie den letzten Schleier mit den Knien fort, schützt ihre Brust mit den bezaubernden Armen und murmelt: »Oh, Amme, ich habe Angst. Der Cherif Soliman, dem kein Mädchen widersteht, ist hier. Ein Geist hat es mir ins Ohr gesagt, als er mich umarmte.« Fünf Minuten später war Senet meine Frau geworden. Sie lacht unter Tränen, und ein Kamel mit goldenen Steigbügeln trägt uns fort in die Nacht, schneller als der Greif Abyssia.
SAHALA
Die Jungen der Löwen und der Falken ähneln ihren Vätern. Sahala, einzige Tochter von Madrid, dem Schmied, hat einen energischen und heißen Charakter. Man wollte sie an einen Fürsten der Neger verheiraten; dieser Plan machte mir Pein. Mein Herz empfand Wespenstiche! Aber Sahala, die edle Rebellin, beklagte sich bei Massrour. Daraufhin, obgleich man schon die Hammel für das Hochzeitsmahl schlachtete, suchte ich Streit mit diesem pechschwarzen Dämon, und ich ließ seinen Kopf fünfzehn Schritte fliegen mit einem einzigen Schlag meines Krummsäbels. Jetzt gibt mir Sahala Ohrfeigen, seitdem ich sie ein wenig vernachlässige.
WEISHEIT
Ich bin glücklich mit meinen Frauen in meiner Wüste. Ich rauche nicht mehr. Dem besten türkischen Tabak ziehe ich die Verse von Horaz vor, die das menschliche Leben zusammenfassen. Im übrigen, wenn ich nicht liebe oder Verse lese, feiere ich die Freundschaftsgelage mit einem Märchenerzähler, der von weither kommt.
MEIN LETZTER WUNSCH
Wieder ist ein Herbst mit dem Winde hinter den Dünen vergangen. Wie viele Male werde ich die Dattelernte noch erleben? Wo ist das wundervolle Afrika des Pomponius Mela und des Solinius? Wo sind die Bewohner des Atlas, welche die Sonne verfluchten und keine Träume hatten? Die Blemyer ohne Kopf, die Lotophagen, die Ägipaner, die Satyren, die Gamphasanten, die nackt flohen, die astronomischen Elefanten, die Hyänen, welche die Magie kannten? Glücklicherweise überdauert die Wüste alles! Ich überlasse mich mit begeistertem Herzen dem Willen Gottes! Dies ist mein letztes Wort: »Man sagt, daß Pindar in den Armen seines jungen Freundes Theoxen starb, dessen Augen wie Marmor leuchteten; der Cherif Soliman wünscht, seinen Geist unter dem lächelnden Kuß einer kleinen Algerierin aufzugeben!«