Nr. 270
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Nr. 270
Doppelgänger des Mächtigen Orbanaschols Duplo an der Macht nur ein Terraner kann Arkon retten von H. G. Francis
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine rund 12.000 Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III., den Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. Atlans geheime Zentrale, von der aus alle seine Aktionen gegen Orbanaschol ihren Anfang nehmen, ist der Planet Kraumon. Aber auch in Arkon selbst, wo es im Volke gärt und der Usurpator sich nur noch mit Gewalt am Ruder halten kann, sind Männer und Frauen insgeheim für die Sache des Kristallprinzen tätig. Einer dieser Männer ist S. M. Kennon alias Lebo Axton, der USO-Agent, der in die ferne Vergangenheit verschlagen wurde. Er spielt inzwischen im Geheimdienst des Imperators eine führende Rolle und schwächt Orbanaschols Position, wann immer er nur kann. Um ein mögliches Zeitparadoxon zu verhindern, muß Kennon diesmal jedoch zugunsten des verhaßten Imperators eingreifen, denn es geht um den DOPPELGÄNGER DES MÄCHTIGEN …
Doppelgänger des Mächtigen
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Die Hautpersonen des Romans: S. M. Kennon alias Lebo Axton - Der Terraner kämpft für das Imperium. Kelly - Kennons seltsamer Roboter. Orbanaschol III. - Der Usurpator wird gekidnappt. Avrael Arrkonta - Kennons bester Freund erfährt dessen Geheimnis. Poolpok Treibarkoron und Waramayl Grishkan - Ein Verbrecher und ein Duplo.
1. Ermed Trelgron legte überrascht den Löffel aus der Hand, als er durch die großen Scheiben des Raumhafenrestaurants hindurch den Dreifachen Sonnenträger Waramayl Grishkan sah, und erhob sich. Grishkan bemerkte ihn nicht. Er schob sich durch die Menschenmenge in der Abfertigungshalle. In beiden Händen trug er schwere Koffer. Deutlich konnte Trelgron die Aufkleber von Mekra-Titula erkennen. Schon vor mehr als einem Jahr hatte Grishkan ihm gesagt, daß er eine vollrobotische Satellitenüberwachung für diesen Planeten einrichten sollte. Damit sollte eine bessere Absicherung für die alljährlichen Jagdausflüge des Imperators nach Mekra-Titula erreicht werden. Offenbar hatte der Dreifache Sonnenträger diese Aufgabe erledigt und kehrte nun nach Arkon I zurück. Ermed Trelgron wollte den Freund nicht aus den Augen lassen. Er eilte quer durch das Lokal, wurde jedoch am Ausgang durch einige Offiziere behindert, die sich hereindrängten. Trelgron wartete ungeduldig ab, bis der Weg frei war. Er mußte vorsichtig sein und durfte nicht auffallen. Mit Hilfe einer raffinierten Maskentechnik war sein Äußeres zwar verändert worden, dennoch durfte er kein Risiko eingehen. Er wurde nach wie vor von der Militärpolizei der arkonidischen Raumflotte gesucht. Als Trelgron in die Halle hinaustrat, war Grishkan verschwunden. Etwa fünfhundert Menschen befanden sich zwischen Trelgron und dem Ausgang der Abfertigungshalle. Unter ihnen mußte der Gesuchte sein. Der ehemalige Kommandant von Karaltron stürzte sich in die Menge. Er wollte Grish-
kan auf gar keinen Fall verfehlen. Von ihm erhoffte er sich weitere Hilfe. Außerdem war Grishkan der geeignete Mann, Verbindung zu Delgola, seiner Frau, aufzunehmen. Plötzlich entdeckte Trelgron den Sonnenträger. Er hatte seine Koffer vor einem robotischen Zeitschriftenkiosk abgestellt und suchte sich einige Informationsschriften heraus. Trotz moderner Videound 3-D-Technik waren Zeitschriften immer noch beliebt, weil in ihnen Nachrichten geboten wurden, die kein anderes Medium bringen konnte. Grishkan blätterte in einer Zeitschrift. Offensichtlich hatte er etwas gefunden, was ihn ganz besonders interessierte, denn er setzte sich auf einen seiner Koffer und las konzentriert. Ermed Trelgron war noch etwa zwanzig Meter von ihm entfernt. Er kam nur langsam voran, weil die Menschenmenge zu dicht stand und er durch abgestellte Gepäckstücke immer wieder behindert wurde. Als Trelgron sich vergeblich bemühte, an einem jungen Pärchen vorbeizukommen, das sich ungeniert in der Öffentlichkeit küßte, beobachtete er, wie ein bärtiger Arkonide von hinten an Grishkan herantrat. Der Fremde beugte sich zu dem Sonnenträger hinab. Grishkan blickte erstaunt hoch. Die Zeitschrift entfiel seiner Hand. Sein Kopf sank nach unten. Es sah aus, als ob er eingeschlafen sei. Der Bärtige drehte sich gelassen um. Trelgron schien es, als ob der Fremde ihn für einen kurzen Moment prüfend ansehe. Er hatte diesen Mann nie zuvor gesehen. Der Bärtige kam direkt auf ihn zu. Trelgron blieb voller Unbehagen stehen. Er blickte sich suchend um, doch er stand so unglücklich zwischen Gepäckstücken und Reisenden, daß er nicht ausweichen konnte.
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H. G. Francis
Sekunden später merkte er, daß das auch gar nicht notwendig war. Der Bärtige hatte ihn nur zufällig angesehen. Jetzt eilte er an ihm vorbei und verschwand in der Menge. Aufatmend wandte sich Ermed Trelgron wieder dem Dreifachen Sonnenträger zu. Er erstarrte. Grishkan kippte langsam vornüber. Eine grüne Flamme rollte vom Gürtel her über den Rücken hoch und hüllte den Kopf für einige Sekunden ein. Trelgron beobachtete voller Entsetzen, wie die Hitze Haar und Gesicht Grishkans versengte. Der Freund stürzte auf den Boden und blieb in verkrümmter Haltung liegen. Er war tot. Aus einer Wunde im Rücken sickerte Blut. Ermed Trelgron drehte sich um. Seine Augen tränten. Bemüht, kein Aufsehen zu erregen, entfernte er sich von dem Robotkiosk. Er wußte, daß er nur noch Sekunden hatte. Dann würde fraglos alles abgesperrt werden, so daß niemand mehr entkommen konnte. Als er die Laufbänder erreicht hatte und damit in den Tunnel zu den Taxigleitern geriet, vernahm er einige gellende Schreie. Der Tote war entdeckt worden. Ihm erschien es, als sei inzwischen eine Ewigkeit vergangen. Er wunderte sich darüber, daß niemand früher Alarm geschlagen hatte. Wenig später startete er in einem Gleiter und ließ den Raumhafen hinter sich. Die Spannung fiel von ihm ab, und jetzt erst kam er dazu, seinen Gefühlen über den Tod des Freundes freien Lauf zu lassen.
* Lebo Axton zapfte sich roten, zähflüssigen Tsan-Saft aus dem Servomaten und kehrte zum Tisch zurück. Er setzte sich. Ihm gegenüber saß Gentleman Kelly, der Roboter. »Du bist dran«, sagte der Terraner. Auf dem Tisch lag ein Imperatorspiel, ein Spiel, das ein hohes Maß an Intelligenz, Entschlußkraft, Konzentration und Einfühlungsvermögen erforderte. Das Spiel war außeror-
dentlich schwierig. Das war der Grund dafür, daß es nur von einem kleinen Kreis von Arkoniden gespielt wurde. Mit dem Großen I, wie es auch genannt wurde, konnte die hohe Politik des Imperiums nachvollzogen werden. Das bedeutete, daß innenpolitische Kenntnisse ebenso vorausgesetzt wurden wie außenpolitische Weitsichtigkeit sowie das Geschick, einen drohenden Krieg zu vermeiden, oder den Mut, einen Angriffskrieg zu führen. Da die Variationsmöglichkeiten bei diesem Spiel unbegrenzt waren, verlief jede Auseinandersetzung mit einem Kontrahenten anders. »Du bist dran«, wiederholte Axton ungeduldig. »Warum entscheidest du dich nicht?« »Die Situation ist ungünstig für mich«, erwiderte Kelly. »Das ist kein Grund, beleidigt zu sein«, stellte Axton fest. »Du mußt etwas tun.« Das intellektuelle Duell mit dem Roboter dauerte nun schon zwei Stunden. Lebo Axton-Kennon war mit sich und seiner Leistung zufrieden. Er hatte Kelly förmlich niedergekämpft. Von den nächsten Spielzügen mußte es abhängen, wer siegte. Der Terraner zweifelte nicht mehr daran, daß er es sein würde, denn alle Voraussetzungen sprachen für ihn. Das Positronenhirn Kellys hatte sich im Kosmopsychologischen Denken als unterlegen erwiesen. »Also gut«, sagte Gentleman Kelly mit gedämpfter Stimme. »Ich bestelle den Dreifachen Sonnenträger und erstrangigen Politfaktor des Planeten R-5536 zum Hof.« »Ein hervorragender Spielzug«, sagte Axton lobend. »Du zwingst mich damit zum Umdenken. Damit hat sich die Situation für mich geändert. Aber das wird dir nichts helfen. Warte mal …« Er beugte sich nach vorn und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, und ein eigenartiges Kribbeln machte sich im Nacken bemerkbar. Zunächst machte er sich keine Gedanken darüber. Er versuchte, sich zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht.
Doppelgänger des Mächtigen Er wurde durch das körperliche Unbehagen abgelenkt. Dabei wußte er, daß der nächste Spielzug Kelly endgültig erledigen mußte. So gut war die Entscheidung des Roboters doch nicht gewesen. Aber was war zu tun? Kelly blickte auf. Das Organband am Kopf des Roboters glänzte im Lichtschein der Leuchtplatten an der Decke. Bewegten sich die Antennen? Unwillkürlich horchte der Terraner in sich hinein. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Gentleman Kelly sandte Signale im Ultraschallbereich aus, um ihn zu stören und abzulenken. »Hör auf damit«, schrie Axton. »Ich verstehe nicht«, entgegnete der Roboter. »Was meinst du, Liebling?« »Du kannst nicht verlieren, du Blechbestie«, kreischte der Verwachsene in ohnmächtigem Zorn. »Du hast erkannt, daß du das Spiel nicht mehr gewinnen kannst, wenn alles regulär zugeht, und jetzt versuchst du es mit einem dreckigen Trick.« »Aber, Schätzchen, wie kommst du auf so etwas?« fragte Kelly und gab seiner Stimme einen beleidigten Beiklang. »Hör auf damit«, forderte Axton, dem erneut ein Schauer über den. Rücken lief. »Ich weiß wirklich nicht, was du …«, begann Kelly. Doch er kam nicht weiter. Lebo Axton griff nach seinem Glas Tsan-Saft und schleuderte es dem Roboter an den Kopf. Gentleman Kelly wich nicht aus. Das Glas zerplatzte, und der Saft verteilte sich über seinen Kopf. Im gleichen Augenblick schlug das Türsignal an. »Das war das letzte Mal, daß ich mit dir gespielt habe«, erklärte Axton zornig. »Verdammter Betrüger! Geh endlich zur Tür und öffne. Los, oder soll ich dir noch ein paar Tritte versetzen?« Axton wies auf das Roboterbein, das er an der Wand befestigt hatte. Gentleman Kelly erhob sich. »Ich beuge mich der Gewalt und dem Terror«, antwortete er würdevoll. Er schritt
5 zur Tür und öffnete sie. Ermed Trelgron trat ein. Befremdet musterte er den Roboter, dessen Kopf über und über mit dem roten Saft beschmiert war. Lebo Axton tat, als sei überhaupt nichts Ungewöhnliches passiert. Lächelnd ging er Trelgron entgegen. »Kommen Sie näher«, bat er. »Was führt Sie zu mir?« Er verzichtete auf Kritik, die durchaus angebracht gewesen wäre. Ermed Trelgron hatte die Anweisung bekommen, sich nur dann in der Wohnung Axtons sehen zu lassen, wenn besondere Umstände dies erforderten. »Verzeihen Sie mir, daß ich hierher komme«, sagte Trelgron und warf Kelly erneut einen flüchtigen Blick zu. »Ich wurde Zeuge, wie ein Freund von mir heimtückisch ermordet wurde. Er kam von dem Planeten Mekra-Titula. Sie sagten, alles sei extrem wichtig, was …« »Schon gut«, entgegnete der Verwachsene besänftigend. »Sie haben keinen Fehler gemacht. Nehmen Sie Platz.« Er drehte sich zu Kelly um. »In die Hygienekabine mit dir«, schrie er. »Säubere dich.« »Mit Wasser?« fragte der Roboter. »Womit sonst?« »Wasser könnte meinem Teint schaden!« Lebo Axton wandte sich stöhnend an Trelgron. »Haben Sie eine Waffe dabei, Ermed?« fragte er. »Wenn ja, dann geben Sie sie mir. Das Maß ist voll. Ich werde diesen Blechkretin vernichten.« Gentleman Kelly schüttelte in menschlich anmutender Gebärde den Kopf, drehte sich um und ging in die Hygienekabine. »Entschuldigen Sie, Ermed«, sagte Axton und setzte sich. »Hin und wieder habe ich Schwierigkeiten mit Kelly. Sie sollen uns nicht ablenken. Erzählen Sie, was vorgefallen ist. Jede Einzelheit interessiert mich.« Ermed Trelgron berichtete. Axton hörte konzentriert zu. »Sie sind sicher, daß es wirklich Grishkan
6 war?« fragte der Kosmokriminalist, als er alles vernommen hatte. »Absolut.« Lebo Axton überlegte. Trelgron tat ihm leid, weil er hatte zusehen müssen, wie einer seiner Freunde getötet wurde. Doch der Tod Grishkans ließ Axton ansonsten kalt. Er hatte den Dreifachen Sonnenträger nicht gekannt. Für ihn war allein wichtig, daß Grishkan von dem Planeten Mekra-Titula gekommen war. »Ich danke Ihnen, Ermed«, sagte er. »Ihre Entscheidung, mich sofort zu verständigen, war richtig. Sie können hier in der Wohnung bleiben, wenn Sie wollen.« »Wohin werden Sie gehen?« »Ich werde mich mit der Untersuchungsbehörde in Verbindung setzen. Die Mordkommission wird den Tod Grishkans untersuchen. Warten Sie, bis ich zurück bin.« »Danke«, entgegnete Trelgron schlicht. Gentleman Kelly kehrte gesäubert aus der Hygienekabine zurück. Er drehte sich vor Axton hin und her. »Gefalle ich dir so, Schätzchen?« fragte er. Trelgron verfolgte verblüfft das Geschehen. Er wußte nicht, was er von dem Benehmen des Roboters halten sollte. Er hatte eine ganz andere Einstellung zu Robotern als Lebo Axton, und er kannte die psychischen Schwierigkeiten nicht, die Axton im Umgang mit Robotern zu bewältigen hatte. »Sie wollten mir eine Schußwaffe geben, Ermed«, sagte Axton und streckte die Hand aus. Gentleman Kelly kniete sich eilig nieder und gab dem Verwachsenen so Gelegenheit, auf seinen Rücken zu steigen. Axton grinste. Er winkte dem Arkoniden flüchtig zu und verließ die Wohnung. Ermed Trelgron war überrascht und verwirrt. Er hatte sich die Begegnung mit Axton ganz anders vorgestellt. Er glaubte, daß der Kosmokriminalist seinen Bericht nicht so ernst nehme wie er selbst. Doch Trelgron täuschte sich. Tatsächlich war Axton-Kennon wie elektrisiert. Dies war das Zeichen, auf das er gewartet hatte.
H. G. Francis Er ließ sich von Kelly bis zu seinem Gleiter tragen, übernahm das Steuer der Maschine selbst und raste mit der höchsten erlaubten Geschwindigkeit zu dem von Trelgron genannten Raumhafen. Er landete auf dem öffentlichen Parkplatz, stieg wieder auf den Rücken des Roboters und begab sich zum Hafenkommandanten. Sein Weg endete vorläufig an einem Robotportier, der ihn nicht sofort in das Büro des Kommandanten vorlassen wollte. »Ich komme in der Mordangelegenheit Grishkan«, erklärte Axton ungehalten. »Deshalb ist es wichtig, daß ich mit dem Kommandanten spreche. Und zwar jetzt sofort.« »Eine Mordsache Grishkan ist unbekannt«, antwortete der Automat nach wenigen Sekunden, in denen er die Informationen des Zentralcomputers abgefragt hatte. »Das ist unmöglich«, entfuhr es Axton. »Ich weiß, daß der Dreifache Sonnenträger vor etwa einer Stunde in der Abfertigungshalle ermordet worden ist.« »Das ist ein Irrtum«, erwiderte der Roboter. »Das muß ich klären. Öffne die Tür. Ich muß zum Kommandanten.« Axton hielt dem Roboter erneut seine Identifikationskarte hin, erzielte damit jedoch keinen Erfolg. Die Tür glitt nicht zur Seite. »Kelly, versuch du es«, befahl er seufzend. Gentleman Kelly bemühte sich mit Hilfe seiner Funkgeräte, den Automaten auszuschalten, doch das gelang ihm nicht. Der Türroboter war offensichtlich gegen solche Versuche abgesichert. »In die Halle«, sagte der Verwachsene heftig. Kelly gehorchte und trug ihn zu einem Antigravschacht. In diesem ging es nach unten bis direkt in die überfüllte Abfertigungshalle. Hier verlief alles wieder völlig normal, so als sei überhaupt nichts geschehen. Wahrscheinlich wußten die wenigsten Menschen in der Halle, was passiert war. Axton begab sich zu einem öffentlichen Vi-
Doppelgänger des Mächtigen deosprecher und wählte den Raumhafenkommandanten. Eine Robotstimme meldete sich. »Ich habe den Mord in der Halle gesehen«, log Axton. »Ich weiß, wer der Mörder ist. Deshalb möchte ich den Kommandanten sprechen.« »Wenden Sie sich an Leitarkran von der Mordkommission«, empfahl der Automat und schaltete ab. Lebo Axton fluchte laut und anhaltend. Er hatte nicht damit gerechnet, auf derartige Schwierigkeiten zu stoßen. Er stieg wieder auf den Rücken Kellys, ließ sich zum Gleiter bringen und flog zu einem nahen Trichterbau. In diesem arbeitete die für diesen Bereich verantwortliche Mordkommission. Axton wäre gleich dorthin gegangen, wenn er nicht davon hätte ausgehen müssen, daß die Untersuchung des Mordes in diesem Fall über den Raumhafenkommandanten lief. Das war der Normalfall. Von dieser Regelung nahmen die Behörden nur Abstand, wenn es sich um ein besonders prominentes Opfer handelte oder um jemanden, der nicht identifiziert werden konnte. Beides traf bei Grishkan nicht zu. Der Leiter der Mordkommission, Leitarkran, befand sich in seinem Büro, als Axton sich anmeldete. Er führte jedoch gerade ein Verhör durch und wollte nicht gestört werden. Axton blieb keine andere Wahl. Er mußte warten. Eine Stunde verstrich, dann war es mit der Geduld des Terraners vorbei. »Holen Sie Leitarkran aus seinem Büro«, forderte er den jungen Offizier auf, mit dem er bisher gesprochen hatte, »oder ich gehe zu ihm.« Der Arkonide schüttelte hochmütig den Kopf. »Sie müssen sich gedulden«, erklärte er. »Leitarkran hat zu tun. Da kann nicht jeder herkommen und ihn stören.« »Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich umgehend danach zu erkundigen, wer ich bin«, erwiderte Axton zornig. Er gab Kelly einen Wink. Der Roboter marschierte los. Der Ar-
7 konide stellte sich ihm in den Weg, doch Kelly wischte ihn mit einer Armbewegung förmlich zur Seite. Sekunden später stand Axton im Büro des Leiters der Mordkommission. Leitarkran plauderte mit einem anderen Beamten. Er lachte gerade schallend auf, als Axton hereinkam. Doch dann sprang er auf, und sein volles Gesicht verzerrte sich. »Das werden Sie bereuen«, sagte er drohend. »Hier herrscht Ordnung. Krüppel haben zu warten.« Axton lächelte kalt. »Die Zeit, in der man mich einen Krüppel schimpfen durfte, ist vorbei«, entgegnete er. »Fragen Sie ganz schnell beim Hof nach, wer ich bin, sonst könnte es sein, daß Sie sich in einigen Tagen auf einem höchst ungemütlichen Planeten bei äußerst unangenehmer Arbeit wiederfinden.« Leitarkran gab den anderen Arkoniden ein Zeichen. Sie zogen sich zurück. Axton blieb auf dem Rücken Kellys. »Ich komme wegen des Mordanschlags an dem Dreifachen Sonnenträger Grishkan in der Abfertigungshalle des Raumhafens«, erklärte er. »Kommen Sie mir nun nicht mit der Behauptung, Grishkan sei nicht getötet worden. Ich weiß mit absoluter Sicherheit, daß ich mich nicht irre.« Einer der Offiziere kehrte zurück. Er machte Leitarkran ein Zeichen mit der Hand und ging wieder hinaus. Von diesem Moment an wurde das Verhalten des Leiters der Mordkommission deutlich respektvoller. »Sie irren sich dennoch«, antwortete er und erhob sich. »In der Halle des Flughafens ist jemand ermordet worden. Das ist richtig. Der Mann konnte jedoch nicht identifiziert werden. Der Dreifache Sonnenträger Grishkan ist es auf gar keinen Fall. Wir haben das bereits überprüft, weil ein Zeuge die gleiche Behauptung aufgestellt, hat wie Sie.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Der Dreifache Sonnenträger Grishkan nimmt zur Zeit an einer Konferenz mit dem Imperator teil. Genügt das?« »Was ist mit der Leiche geschehen?«
8 »Wir haben alles getan, was eventuell zu einer späteren Identifizierung führen kann. Danach wurde die Leiche desintegriert.« »Vergleichen Sie die Fingerabdrücke mit denen von Grishkan.« Der Arkonide schüttelte ablehnend den Kopf. »Das ist mir nicht erlaubt. Grishkan ist ein Offizier, der ein hohes Ansehen genießt. Es wäre eine tödliche Beleidigung für ihn, wenn wir einen derartigen Vergleich vornehmen würden. Außerdem ist das völlig überflüssig, weil er ja nicht der Tote sein kann. Grishkan lebt, und er hat den besten Zeugen dafür, den es im Imperium gibt.« Axton nickte versonnen. »Schon gut, Leitarkran«, sagte er. »Sie haben mir eine wichtige Auskunft gegeben.« Damit verabschiedete er sich und verließ den Raum. Er war fest davon überzeugt, daß Ermed Trelgron sich nicht geirrt hatte. In der Halle des Raumhafengebäudes war wirklich Grishkan ermordet worden. Der Mann, der zur Zeit mit Orbanaschol III. konferierte, war sein Doppelgänger, hergestellt nach einer Atomschablone. Grishkan II konnte sich also in Sicherheit wiegen. Es gab keine Möglichkeit, ihn zu überprüfen, da der echte Grishkan nicht mehr existierte. Die arkonidische Mordkommission hatte ihrem Gegner ahnungslos in geradezu perfekter Weise in die Hände gespielt. Jetzt stellte sich die Frage: War Orbanaschol III. auch schon gegen einen Doppelgänger ausgetauscht worden, oder war der Imperator, mit dem Duplo-Grishkan gerade sprach, der echte Orbanaschol? Lebo Axton schwindelte. Seit Tagen hatte er auf ein solches Ereignis gewartet. Er hatte gewußt, daß früher oder später so etwas oder so etwas Ähnliches passieren mußte. Er hatte alles getan, was ihm möglich war, Orbanaschol III. zu überwachen, doch viel war das nicht. Er gehörte nicht zur Leibwache des Usurpators und konnte ihn daher nicht ständig kontrollieren. So ergaben sich zwangsläufig immer
H. G. Francis wieder Situationen, in denen der Tausch vorgenommen werden konnte. Mit Grauen dachte Axton daran, was geschehen würde, wenn der OrbanascholDoppelgänger erst einmal an der Macht war. Er konnte das arkonidische Imperium in den Abgrund führen und es völlig vernichten. Einige falsche politische Entscheidungen, ein paar falsche Befehle für die Raumflotte Arkons konnten die totale Katastrophe schon einleiten. Axton wußte nicht, was er tun sollte. Die Last der Verantwortung war größer denn je zuvor. Er mußte etwas tun, denn er war der einzige im gesamten Imperium, der sich den Duplo-Figuren der MdI entgegenstellen konnte. Die Arkoniden waren völlig ahnungslos, denn er durfte ihnen nicht eröffnen, was geschah. Tat er es dennoch, dann mußte er erklären, woher er sein Wissen hatte. Das aber war gleichbedeutend mit dem Ende seiner Existenz im Arkon dieser Zeit. Axton spürte, daß er der Anspannung seiner Nerven kaum noch gewachsen war. Er begann sich zu überlegen, wie sein Abenteuer Alt-Arkon zu Ende gehen würde, und ob es überhaupt jemals enden würde. Was würde sein, wenn er in seine Zeit zurückkehrte, in die Zeit Perry Rhodans und des terranischen Imperiums? Würde es das überhaupt noch geben, oder hatte er es vielleicht durch seine Maßnahmen unmöglich gemacht? Die Furcht vor einem alles entscheidenden Fehler lähmte ihn.
2. Als Axton in seine Wohnung zurückkehrte, befand sich auch Avrael Arrkonta dort. Der Industrielle war der beste Freund, den er im Arkon dieser Zeit gefunden hatte, und der einzige Mensch, der ihm neben Ronald Tekener wirklich etwas bedeutete. Axton schilderte dem fassungslosen Arkoniden, was ihm begegnet war. »Ich möchte versuchen, Verbindung mit Grishkan aufzunehmen«, schlug Trelgron
Doppelgänger des Mächtigen vor, als der Terraner seinen Bericht beendet hatte. Axton schüttelte den Kopf. »Das wäre ein Fehler«, erwiderte er. »Nein, es gibt nur eine Lösung. Grishkan muß weg.« »Wie können Sie so sicher sein, daß der echte Grishkan ermordet wurde?« fragte Trelgron. »Könnte es nicht auch so sein, daß der Doppelgänger getötet wurde, weil man ihn für den echten Grishkan gehalten hat?« »Das wäre durchaus möglich, aber äußerst unwahrscheinlich«, erwiderte der Kosmokriminalist. »Ich werde das jedoch herausfinden. Ich werde mich mit Grishkan befassen. Sicherlich gibt es auch in seinem Leben irgendwo schwache Stellen. Ich werde sie aufspüren und dort den Hebel ansetzen.« »Ich kenne Grishkan als sauberen Charakter. Er ist eine absolut einwandfreie Persönlichkeit«, erklärte Trelgron. Lebo Axton lächelte nur. »Wir haben die Erfahrung gemacht, daß es hier auf Arkon und im Bannkreis des Hofes kaum jemanden gibt, der wirklich sauber ist«, bemerkte Avrael Arrkonta. »Unser Vorteil ist, daß der Grishkan-Doppelgänger sich in Sicherheit wiegt. Er ahnt nicht, daß jemand versucht, ihn zu beseitigen. Das verbessert unsere Chancen ganz erheblich.« »Ich möchte keine Zeit verlieren«, sagte Axton. »Avrael, nehmen Sie Trelgron mit. Ich möchte eine mobile Kampftruppe aufbauen. Ermed ist der richtige Mann, um das zu organisieren.« Die Augen des ehemaligen Stützpunktkommandanten leuchteten auf. »Sie können sich auf mich verlassen«, erklärte er. Lebo Axton flog zum Innenministerium, als die beiden Freunde sich von ihm getrennt hatten. Im gleichen Gebäude befand sich auch sein Büro. Von hier aus nahm er seine Arbeit auf. Er zog Erkundigungen über Grishkan ein und nutzte dabei sämtliche Verbindungen und Informationsmöglichkeiten, die er als hochgestellte Persönlichkeit im Rahmen des Geheimdiensts hatte. Doch sosehr
9 er sich auch bemühte, irgend etwas Nachteiliges über ihn zu finden, es war vergeblich. Grishkan war tatsächlich eine so integre Persönlichkeit, daß sich nirgendwo eine schwache Stelle bot, an der Axton hätte einhaken können. Axton stand vor einer scheinbar nicht lösbaren Aufgabe. Die Situation verschlechterte sich noch dadurch für ihn, daß er Orbanaschol überwachen mußte. Dadurch wurde er in seiner Beweglichkeit eingeengt. Mehrere Male rief der Imperator ihn zu sich, um etwas mit ihm zu besprechen. Bei dieser Gelegenheit versuchte Axton vorsichtig, Grishkan ins Gespräch zu bringen, doch es gelang ihm nicht. Orbanaschols größtes Problem war nach wie vor der außerordentliche Prestigeverlust, den er bei den mißlungenen Wahlen hatte hinnehmen müssen. Nach wie vor sprach man über die Blamage. Selbst eine konsequent durchgeführte »Säuberungsaktion« hatte Orbanaschols Ansehen nicht wieder aufgewertet. Im Gegenteil. Sie hatte der Öffentlichkeit nur noch deutlicher gezeigt, was sie von diesem Imperator zu halten hatte. Jetzt bemühte der Imperator sich, durch politische Schachzüge seine Position zu verbessern. Er leitete auf allen erdenklichen Gebieten Maßnahmen ein, die den mittleren und unteren Gesellschaftsschichten dienten, baute aber gleichzeitig auch die Privilegien des Adels aus, um sich die Unterstützung dieser Kreise zu sichern. Dabei achtete er sorgfältig darauf, daß es keine Pannen gab. Axton hatte ihn nie zuvor so konzentriert arbeiten und so vorsichtig taktieren sehen. Für den Terraner war die Versuchung groß, einzugreifen und Orbanaschol auf diese Weise weitere Pannen unterzuschieben. Doch der Imperator sicherte sich bei allem, was er tat, vorsorglich ab. Auf diese Weise gelang es ihm, Punkte zu sammeln. Hier und dort wurden bereits Stimmen laut, die sich für Orbanaschol aussprachen. Noch zeichnete sich kein Stimmungsumschwung ab. Axton hielt es jedoch
10 für möglich, daß der Imperator auf lange Sicht sein Ziel erreichte, wenn er so intensiv an seinem Ansehen weiterarbeitete. Dem Terraner gefiel diese Entwicklung überhaupt nicht, zumal sie sich für den Grishkan-Doppelgänger als positiv erwies. Dann aber fiel bei einer Besprechung mit dem Imperator der Name Poolpok Treibarkoron. Axton horchte auf. Der Name kam ihm bekannt vor, er wußte jedoch nicht, ihn unterzubringen. Daher ging er sofort nach Abschluß der Konferenz ins Hauptarchiv des Innenministeriums und suchte die entsprechenden Unterlagen über Treibarkoron heraus. Treibarkoron gehörte, wie Axton nun erfuhr, zu den wichtigsten Männern der Verbrecherorganisation SENTENZA. Zu dieser Organisation unterhielt Orbanaschol III. recht gute Beziehungen. Er duldete sie, weil er durch sie ebenfalls beträchtliche Summen verdiente. Außerdem konnte er sie benutzen, unbequeme Gegner beseitigen zu lassen. Axton hatte herausgefunden, daß der Imperator einige seiner Feinde durch berufsmäßige Mörder hatte töten lassen. Es wäre ihm unmöglich gewesen, dazu Mitglieder seiner Leibwache, der Abwehr oder des Geheimdiensts zu nehmen, obwohl es auch hier Männer gab, die bereit waren, nahezu alles für den Imperator zu tun. Doch dabei hätte Orbanaschol immer riskieren müssen, daß etwas an die Öffentlichkeit drang. Anders bei der SENTENZA. Orbanaschol erteilte einen anonymen Auftrag, der dann prompt erledigt wurde. Beide Seiten wußten Bescheid, aber keine konnte es sich leisten, der anderen Schwierigkeiten zu machen. Poolpok Treibarkoron, der in den Akten als schillernde Persönlichkeit geschildert wurde, dachte jedoch nicht daran, die Taschen des Imperators zu füllen. Er war einer der ganz wenigen SENTENZA-Verbrecher, die ausschließlich für den eigenen Reichtum arbeiteten. Das war alles, was Axton aus den Unterlagen ersehen konnte. Zu wenig für einen
H. G. Francis Mann wie ihn. Er verließ sein Büro zusammen mit Gentleman Kelly und flog in seinem Gleiter zu einem Trichterbau, der einige Kilometer entfernt war. Hier betrat er ein mit modernsten Gerätschaften eingerichtetes Laboratorium, in dem zwanzig Männer und Frauen arbeiteten. Hier wurden von anderen Planeten eingeführte alkoholhaltige Getränke auf ihren Reinheitsgrad und ihre Unbedenklichkeit geprüft. Doch das war nicht der Grund, weshalb Axton es aufgesucht hatte. Ihn interessierte nur der Leiter des Labors. Trapa Golque war ein alter, gebeugter Mann, der auf den ersten Blick gebrechlich wirkte. Seine lebhaften Augen ließen jedoch erkennen, daß er über einen wachen Geist verfügte. Er kam Lebo Axton lächelnd entgegen, als dieser auf dem Rücken seines Roboters eintrat. »Was kann ich für Sie tun, Axton?« fragte er. »Ich möchte mich in Ruhe mit Ihnen unterhalten«, erwiderte der Verwachsene. Golque nickte. Er hatte verstanden. »Warten Sie einen Moment. Ich komme mit Ihnen«, sagte er, legte seinen grünen Laboranzug ab und begleitete Axton zu seinem Gleiter. Gentleman Kelly übernahm das Steuer und startete. Trapa Golque war ein wertvolles Mitglied der Untergrundorganisation Gonozal VII. Axton wußte, daß er sich auf ihn verlassen konnte. »Golque«, sagte er. »Sie sind am besten von uns allen über die SENTENZA informiert.« »Das ist richtig«, antwortete der Arkonide. »Ist es soweit? Haben Sie vor, die SENTENZA zu zerschlagen? Ich verfüge über alle Unterlagen, die dafür notwendig sind.« »Nein, noch nicht«, erwiderte der Kosmokriminalist. »Das werden wir tun, wenn Atlan hier auf Arkon I ist. Vorläufig geht es mir nur um einen Mann, und ich hoffe, daß Sie mir mehr über ihn sagen können, als ich bisher erfahren konnte. Ich meine Poolpok Treibarkoron.«
Doppelgänger des Mächtigen »Den Mann kenne ich gut«, antwortete der Alte. Seine Augen leuchteten auf. Er schien froh darüber zu sein, Axton endlich einmal einen Dienst leisten zu können. An Einsätzen hatte er bisher nie teilnehmen dürfen. »Was wollen Sie wissen?« »Ich glaube, daß Orbanaschol III. irgend etwas gegen Treibarkoron im Sinn hat«, erklärte Axton. »Es könnte sein, daß er ihn verhaften lassen oder ihm auf andere Weise das Genick brechen will.« »Das ist ziemlich wahrscheinlich«, entgegnete der Arkonide. »Treibarkoron hat in letzter Zeit einige wirklich gute Geschäfte gemacht, und er denkt nicht daran, dem Imperator die Provision zu zahlen. Dennoch wird es für Orbanaschol nicht leicht sein, ihn auf legalem Wege fertigzumachen, denn Treibarkoron ist so geschickt, daß es bisher nie ausreichende Beweise gegen ihn gegeben hat.« »Könnte es sein, daß Orbanaschol nun etwas gegen ihn in der Hand hat?« »Treibarkoron ist ein Mann, der mehr verbrochen hat als jeder andere SENTENZAMann, den ich kenne. Die Zahl der Gesetze, die er mißachtet hat, ist höher als die, an die er sich gehalten hat. Ich habe erfahren, daß Treibarkoron vor wenigen Wochen einen Doppelmord begangen hat. Angeblich soll es auch Zeugen geben. Es könnte also sein, daß Orbanaschol ihn dieses Mal erwischt.« Axton überlegte. Er spürte, daß er den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Sein kriminalistischer Instinkt hatte ihn nicht verlassen. Treibarkoron war der Hebel, den er ansetzen mußte, um Grishkan zu beseitigen. Bei ihm brauchte er nicht die geringsten Skrupel zu haben. Treibarkoron hatte sich zu sicher gefühlt. Mit seiner Weigerung, einen Teil seiner aus Verbrechen erzielten Gewinne an den Imperator abzuführen, hatte er Orbanaschol vermutlich schon seit längerer Zeit herausgefordert. Für Axton war nur schwer verständlich, daß ein offensichtlich so intelligenter Mann wie Treibarkoron einen so schweren Fehler machen konnte. Wer sich in dieser Weise
11 mit Orbanaschol verfeindet, mußte früher oder später damit rechnen, daß der Imperator tödlich zuschlug. Jetzt war die Stunde gekommen. Orbanaschol war angeschlagen. Er brauchte spektakuläre Erfolge, um sich selbst in der Öffentlichkeit aufzuwerten. Die Verurteilung und Hinrichtung eines bedeutenden SENTENZA-Mannes war ein Ereignis, das im ganzen Imperium Aufsehen erregen mußte. Daß Orbanaschol bestechlich war und die SENTENZA aus egoistischen Gründen tolerierte, wurde auf allen Planeten des arkonidischen Imperiums behauptet. Dieses Gerücht hielt sich hartnäckig, und alle Dementis Orbanaschols waren wirkungslos geblieben, weil keine Verhaftung von wichtigen SENTENZA-Mitgliedern erfolgt war. Axton sah klar. Orbanaschol plante den großen Schlag gegen die SENTENZA. Dabei hatte er sich längst mit anderen Mitgliedern dieser Verbrecherorganisation abgesprochen. Vermutlich hatte er sich mit ihnen darüber geeinigt, daß Treibarkoron geopfert werden mußte, und die SENTENZA hatte diesem Opfer zugestimmt. »Ich danke Ihnen, Trapa Golque«, sagte er. »Sie ahnen gar nicht, welch wertvollen Dienst Sie mir geleistet haben.« Er gab Gentleman Kelly ein Zeichen, den Arkoniden wieder in das Labor zurückzufliegen. Nachdem er Golque abgesetzt hatte, kehrte er in sein Büro zurück. Er hatte von Golque noch Namen von einigen Verbindungsleuten Treibarkorons bekommen und suchte sich deren Karteikarten aus dem Archiv heraus. Über sie arbeitete er sich langsam näher an Treibarkoron heran und kreiste ihn allmählich ein. Dann eilte er zu einer Konferenz mit Frantomor, dem Chef des Geheimdienstes, und einigen anderen einflußreichen Offizieren des Imperators. Es gelang ihm, Treibarkoron zu erwähnen, indem er ihn als Beispiel nannte. Frantomor merkte die geschickt aufge-
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stellte Falle nicht und tappte hinein. »Der Vergleich hinkt«, erklärte er. »Treibarkoron ist ein toter Mann. Warten Sie ab, in ein paar Tagen legt ihm der Hinrichtungsroboter die Hände um den Hals.« Axton lenkte schnell ab und ging über diese Bemerkung hinweg, als sei sie nicht gefallen. Er wußte, was er hatte wissen wollen. Er hatte sich nicht geirrt. Treibarkoron sollte im Mittelpunkt einer großangelegten Propagandaaktion stehen, bei der Orbanaschol sich von dem Verdacht reinwaschen wollte, mit der SENTENZA zusammenzuarbeiten. Axton war fest entschlossen, dem Imperator einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen.
* Noch am gleichen Tage liefen weitere Informationen von dem Jagdplaneten MekraTitula ein. Axton erfuhr, daß Grishkan mit dem Arzt Ophray Mirkatt in Verbindung gestanden hatte. Damit wurde für ihn zur Gewißheit, daß Grishkan dem Gegenspieler arglos in die Falle gelaufen war. Zugleich schwanden auch die letzten Zweifel darüber, daß der echte Grishkan ermordet worden war, und daß sein Doppelgänger nunmehr in unmittelbarer Nähe des Imperators agierte. Axton stürzte sich in die Arbeit. Er wußte, daß die Zeit drängte. Orbanaschol konnte in jeder Stunde gegen einen Doppelgänger ausgetauscht werden, und dann konnte es schon zu spät sein. Der Terraner beschaffte sich alle Informationen, die er über Grishkan und über den Gangster Treibarkoron bekommen konnte. Dabei kam es ihm hauptsächlich darauf an, wie der normale Tagesablauf dieser beiden Männer aussah. Sein Problem war, daß er beide Männer zusammenführen und dann zuschlagen mußte. Axton brauchte nur wenige Stunden, um herauszufinden, daß beide Männer ein so unterschiedliches Leben führten, daß beide praktisch nie nahe genug aneinander heran-
kamen. Grishkan verkehrte nur in den höchsten Adelskreisen und nur mit Persönlichkeiten, die als absolut integer und unbestechlich galten. Es gab nur wenige Männer im Zentrum des Imperiums, die so sehr darauf bedacht waren, allem auszuweichen, was dem eigenen Ruf schaden konnte. Wäre Grishkan wirklich noch er selbst gewesen, hätte Axton diese Tatsache nur mit Bewunderung aufnehmen können. Grishkan hatte zu jenen Männern gehört, die eigentlich auf der Seite Atlans standen. Treibarkoron hatte nichts mit jenen Kreisen zu tun, in denen Grishkan verkehrte. Er kam noch nicht einmal in die Nähe jener Luxuswohnungen, Parkanlagen oder Restaurants, in denen Grishkan erschien. Im Gegensatz zu diesem war sein Tagesablauf jedoch klar und übersichtlich. Er suchte beispielsweise jeden Tag zur gleichen Stunde ein teures Restaurant in einem fünfhundert Meter hohen Trichterbau auf, verzehrte hier stets teure Gerichte, für die er jedoch nicht bezahlte, und verließ das Lokal jedesmal wieder zur gleichen Minute. Er war so pünktlich, daß man die Uhr danach hätte stellen können. Der Besitzer des Restaurants sah diesen Gast keineswegs gern, obwohl durch ihn zahlreiche andere Gäste kamen, weil sie den berühmten Gangster Treibarkoron sehen wollten. Axton fand relativ leicht heraus, daß der Besitzer des Lokals von Treibarkoron erpreßt wurde und mit den täglichen Mahlzeiten bezahlte. Beweisen ließ sich das allerdings nicht. Axton glaubte erkennen zu können, wo er ansetzen mußte. Kurz nach Mitternacht verließ er seine Wohnung auf dem Rücken Kellys. Er verzichtete bewußt auf seinen Gleiter. So konnte er sich unauffälliger durch die Nacht bewegen. Es war nicht weit bis zu dem Trichterbau, in dem sich das Restaurant befand. Axton erreichte die Dachterrassen nach etwa einer halben Stunde Flug. Auf der riesigen, kreisförmigen Fläche befanden sich Gartenrestaurants, private Parks und Sportanlagen der verschiedensten Art. Einige von ihnen
Doppelgänger des Mächtigen waren taghell erleuchtet, andere waren dunkel. Axton pirschte sich vorsichtig an das Dach heran. Er wußte, daß es mit allerlei Alarmanlagen versehen war, so wie es bei allen Trichterbauten auf Arkon der Fall war. Mit Hilfe der besonderen technischen Einrichtungen Gentleman Kellys fand Axton jedoch die Lücken, die er suchte. Der Roboter landete in einem Garten, der dunkel war und in dem sich niemand aufhielt. Von hier aus führte ein Abgang zu einer Wohnung, die direkt unter dem Dach lag. Gentleman Kelly schwebte an einem Schwimmbecken entlang auf die gläsernen Türen zu, während Axton zu erkennen suchte, welchen Weg er von hier aus zum Restaurant einschlagen mußte. »Die Tür hat nur eine einfache Sicherung«, teilte der Roboter mit. »Kannst du sie öffnen, ohne einen Alarm auszulösen?« »Mühelos.« »Dann zeig, was du kannst.« Gentleman Kelly streckte die stählernen Hände aus. Einige Spezialinstrumente, die fein wie Nadeln waren, glitten aus seinen Fingerspitzen hervor und versenkten sich in das Schloß der Tür, das für die Hände Axtons viel zu kompliziert gewesen wäre. Daß Gentleman Kelly wieder einmal übertrieben hatte, merkte Axton, als der Roboter die Tür nach einigen Minuten immer noch nicht geöffnet hatte. Er vernahm das leise Klirren und Klicken, das anzeigte, daß die positronischen Sperren zurücksprangen. Diese Geräusche verrieten ihm, daß Kellys äußerst aktiv war. Daher wartete der Terraner geduldig ab. Nach etwa sieben Minuten glitt die Tür zur Seite. Gentleman Kelly hob mahnend den rechten Arm. Er zeigte Axton damit an, daß er nicht sprechen durfte, weil Sensoren vorhanden waren, die auf akustische Signale ansprachen. Der Roboter hob ab und schwebte lautlos durch die Tür. Er drehte sich um und schloß sie wieder. Eine zweite Tür glitt zur Seite, und dann befand sich Axton in der Wohnung. Er ließ sich zu einem Videogerät tragen und tippte
13 den Orientierungscode in die Tastatur, den es in fast jedem Haus gab. Auf dem Bildschirm erschien ein Abriß des Gebäudes. In verschiedenen Farben wurde angezeigt, welche Einrichtungen sich wo befanden. So hatte Axton keine Schwierigkeiten, seinen Standort zu ermitteln und von hier aus den weiteren Weg festzulegen. Sein Problem war, daß es später keine Zeugen geben durfte, die ihn gesehen hatten. Nichts durfte darauf hindeuten, daß er hier in diesem Gebäude gewesen war und irgend etwas mit Treibarkoron oder Grishkan zu tun hatte. Die Wohnung lag drei Stockwerke über dem Restaurant. Einer der Antigravschächte führte direkt an ihr vorbei. Das war einer der Gründe gewesen, daß Axton sich diese Wohnung ausgesucht hatte. Er stieg vom Rücken Kellys herunter und trennte mit einem Spezialinstrument die Platten der Wandverschalung ab. Dahinter wurde ein Schacht sichtbar, in dem allerlei Rohre und Kabel verlegt worden waren. »Also dann«, sagte Axton seufzend. »Du zuerst, Kelly.« Der Roboter schaltete sein Antigravaggregat ein und schwebte mit den Füßen zuerst in den Schacht, der ihm gerade genügend Platz bot. Er glitt nach unten und wartete kurz unter dem Einstieg. Ächzend kletterte Axton hinterher. Er stellte sich auf die Schultern des Roboters. »Du weißt, wie weit«, sagte er. »Abwärts.« Der Roboter ließ sich sinken. Er kam nur langsam voran, weil er immer wieder auf Hindernisse stieß, an denen er sich vorsichtig vorbeischieben mußte, um nichts zu beschädigen. So benötigte er fast eine Stunde, bis er endlich das etwa fünfzig Meter tiefer gelegene Ziel erreichte. Für ein nicht geschultes Auge war nicht zu erkennen, daß hier irgend etwas anders war als anderswo im Schacht. Axton sah jedoch auf den ersten Blick, daß Kelly ihn exakt an die richtige Stelle geführt hatte. »Ich bin heute großzügig«, sagte er. »Deshalb will ich dich ausnahmsweise lo-
14 ben. Du hast deine Sache gut gemacht.« »Meine Augen werden tränenfeucht«, erwiderte der Roboter. Axton fluchte. »Das war das letzte Mal, daß ich dich gelobt habe«, sagte er ärgerlich. »Ich bin deine dämlichen Bemerkungen leid.« »Das war eine derbe Antwort für eine empfindliche Roboterseele«, erklärte Kelly mit stockender Stimme. »Du bist eben kein Robotpsychologe, Schätzchen, sonst würdest du mich hin und wieder mit ein paar netten Worten aufheitern.« »Schalte deine verkorksten Lautsprecher ab«, befahl Axton ungehalten, »sonst verpasse ich dir einen Stromschock, daß dir sämtliche Sicherungen durchknallen.« »Unter diesen Umständen werde ich den Schacht augenblicklich verlassen«, sagte Kelly drohend. »Ich werde nach unten verschwinden.« »Untersteh dich«, sagte Axton und trampelte auf den Schultern des Roboters herum. »Sei still jetzt. Ich muß arbeiten.« Für einen kurzen Moment schien es so, als wolle der Roboter seine Drohung wahrmachen. Er ließ sich etwa drei Zentimeter ruckartig abfallen. Axton kehrte sich fast der Magen um. Er setzte zu einem wütenden Protestgeschrei an, als er Stimmen vernahm, die sich ihm näherten. »Still«, flüsterte er hastig. »Kein Wort.« Gentleman Kelly hob Axton sanft wieder an, bis er sich wieder auf der ursprünglichen Höhe befand. Nun konnte der Terraner deutlich die Stimmen von zwei Männern und einer Frau hören, die sich scherzend miteinander unterhielten. Es klickte leise vor ihm, als die Antigravschaltung betätigt wurde. Dann stiegen die drei in den Schacht. Ihre Stimmen entfernten sich nach unten. Axton begann nun damit, die positronische Schaltung am Antigravschacht zu verändern und zu manipulieren. Er legte feine Stromschlingen, fügte positronische Bauteile an und schloß seine Arbeiten mit einer Überhitzungsschlinge ab. Diese würde später dafür sorgen, daß die Zusatzgeräte sich
H. G. Francis selbst vernichteten, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hatten. »Das wär's«, sagte Axton schließlich erschöpft. »Aufwärts, Kelly.« Der Roboter gehorchte wortlos. Er trug Axton vorsichtig bis zu der Wohnung zurück, in die sie vor Stunden eingestiegen waren. Als sie sie erreichten, stellte Axton besorgt fest, daß sich bereits ein erster Silberstreif am Horizont zeigte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es hell wurde. »Wir müssen uns beeilen«, sagte er, während er die Vertäfelung wieder in Ordnung brachte und alle Spuren beseitigte, die er hinterlassen hatte. Danach stieg er auf den Rücken Kellys und ließ sich zum Ausgang tragen. Wiederum benötigte der Roboter mehrere Minuten, bis es ihm gelang, die Tür zu öffnen, ohne einen Alarm dabei auszulösen. Danach schwebte Axton auf dem Rücken Kellys in die Nacht hinaus. Unbemerkt kehrte er in seine Wohnung zurück. Das große Spiel konnte beginnen. Jetzt kam es nur noch darauf an, Treibarkoron und Grishkan zusammenzuführen.
3. Zwei Tage später war Axton keinen einzigen Schritt weitergekommen. Grishkan verhielt sich extrem vorsichtig. Axton konnte sich noch nicht einmal bis in seine Nähe vorarbeiten. Er begegnete ihm zwar einige Male im Arbeitsbereich des Imperators, es gelang ihm jedoch nicht, allein mit ihm zu sprechen. Schließlich sah der Terraner ein, daß er seine Taktik ändern mußte. Dieses Mal durfte er nicht versuchen, von vornherein alle Risiken auszuschalten, er mußte versuchen, Grishkan mit einem frechen Bluff aus der Reserve zu locken. Doch bevor er alles auf eine Karte setzte, sicherte er sich noch besser ab. Er arbeitete bis in die Nacht hinein in seinem Büro. Dann, als er sicher sein konnte, daß nur noch ein paar Wachen im Geheimdienstbereich
Doppelgänger des Mächtigen anwesend waren und sich auch in den anderen Dienstbereichen des Innenministeriums niemand mehr aufhielt, verließ er sein Büro. Er ließ sich von Kelly bis in ein Robotrestaurant tragen, das an der Peripherie des Gebäudes lag und mit einer Fensterfront nach außen hin abschloß. Wie erwartet, hielt sich niemand darin auf. Axton trennte eine der Scheiben heraus und ließ sich von Kelly abheben. Dann schwebte er auf dem Rücken des Roboters ins Freie hinaus. Gentleman Kelly hängte die Scheibe provisorisch wieder in die Halterungen, um eine zufällige Entdeckung der Aktivität auszuschließen. Danach stieg er mit Axton auf dem Rücken drei Stockwerke höher. Hier lag das Büro von Grishkan. Es war wesentlich geräumiger als das von Axton und auch luxuriöser eingerichtet. Auch hier drang der Terraner ein, indem er eine Scheibe herauslöste. Dabei gab es keinerlei Schwierigkeiten. Auch den Arbeitstisch Grishkans mit der darin enthaltenen Kartei zu öffnen, war leicht. Der Kosmokriminalist sah sich die einzelnen Karteiblätter an. Auf ihnen waren die Personen aufgeführt, denen Grishkan Lizenzen für den Import von extraplanetarischen Produkten erteilt hatte. Bei den Waren handelte es sich stets um Problemimporte, mit denen eine Gefahr für die Arkoniden verbunden war, wenn sie nicht mit größter Sorgfalt behandelt wurden. So war beispielsweise der Import von Gewürzen strengsten Kontrollen unterworfen, weil hier bereits Spuren von toxischen Stoffen verheerende Folgen auslösen konnten. Als Axton die Karten durchsah, erinnerte er sich an eine Seuche, die auf Arkon II durch die unsachgemäße Behandlung von exotischen Pelzen verursacht worden war. Es war nicht leicht gewesen, die Ausdehnung über den ganzen Planeten zu verhindern. Grishkan trug eine hohe Verantwortung. Gleichzeitig bedeutete ein feindlicher Agent in seiner Position aber auch höchste Gefahr für die innere Sicherheit Arkons. Der Doppelgänger hatte auch in den letzten Tagen
15 Importlizenzen erteilt. Sie schienen jedoch einwandfrei zu sein. Offensichtlich taktierte Grishkan II vorläufig äußerst vorsichtig, um nicht aufzufallen. Lebo Axton füllte mit den semirobotischen Schreibgeräten Grishkans eine Karteikarte aus, die er auf den Namen Poolpok Treibarkoron ausstellte. Sie besagte, daß Treibarkoron eine Lizenz für den Import von Drogen erteilt wurde, die für die Produktion von pharmazeutischen Produkten unentbehrlich waren – aber auch die Möglichkeiten erheblichen Mißbrauchs in sich bargen. Einem Mann mit dem Ruf eines Treibarkoron eine solche Lizenz zu erteilen, bedeutete, sich über zahlreiche Sicherheitsbestimmungen hinwegzusetzen. Diese Karte würde später ein seltsames Licht auf Grishkan werfen. Doch damit ließ Axton es nicht genug sein. Er fügte eine handschriftliche Notiz auf einem Sonderzettel hinzu, bei der er die Schrift des Arkoniden perfekt nachahmte. Diese Notiz ergänzte er durch die Angabe eines Sonderkontos, das Grishkan gehörte. So mußten die Angaben den Eindruck erwecken, als habe Grishkan in diesem Fall Bestechungsgelder angenommen. Danach kehrte Axton in sein Büro zurück, nachdem er wiederum alle Spuren mit größter Sorgfalt beseitigt hatte. Er war mit sich und seinem Werk zufrieden. Am nächsten Morgen rief er von einem öffentlichen Videosprecher aus Grishkan an, verdeckte jedoch das Objektiv seines Geräts, so daß sein Gesicht nicht auf dem Bildschirm Grishkans erschien. Er konnte dagegen den Doppelgänger sehen, der verwirrt und beunruhigt ins Objektiv seines Apparats blickte. »Sonderbefehl«, erklärte Lebo Axton mit gedämpfter Stimme. »Stellen Sie keine Fragen. Die Anweisung kommt vom Faktor. Sie haben heute exakt um 14.15 Uhr im Treulan-Gebäude vor dem PENKA-Restaurant zu sein. Dort erhalten Sie weitere Instruktionen.« Grishkan wurde von diesen Worten voll-
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kommen überrascht. Axton sah ihm an, daß er nicht damit gerechnet hatte, in dieser Weise angesprochen zu werden. »Haben Sie verstanden?« fragte der Terraner scharf. Grishkan fuhr zusammen. Er nickte. »Ich habe verstanden«, antwortete er mit stockender Stimme. Axton schaltete ab und kehrte zu seinem Gleiter zurück, in dem Gentleman Kelly auf ihn wartete. Er war davon überzeugt, daß sein Bluff die beabsichtigte Wirkung erzielen würde.
* Um 14 Uhr bezog Axton Posten. Er landete mit seinem Gleiter, der mit zahlreichen Spezialgeräten ausgerüstet war, in einer Parknische auf dem gleichen Stockwerk, auf dem sich das PENKA-Restaurant befand. Er schaltete sich in das Videonetz des Gebäudes ein. Auf dem Bildschirm seines Videogeräts erschien wenig später das Bild des Restaurantvorplatzes. Axton konnte den Ausgang des Restaurants sehen, ein Stück des Ganges mit Werbeplakaten und die beiden Öffnungen für die Antigravschächte. Einige Minuten verstrichen, dann erschien Grishkan. Er kam aus dem abwärts gepolten Antigravfeld. Unruhig und nervös blieb er vor dem Restaurant stehen. Er blickte sich suchend um. Ihm war anzumerken, daß er der Situation nicht traute. Er schien zu spüren, daß etwas nicht in Ordnung war. Axton hatte kein Mitleid mit ihm. Er wußte, daß Grishkan eher als biologischer Roboter denn als Mensch zu bezeichnen war. Der echte Grishkan war längst tot. Dieser Mann, der vor dem Restaurant stand, war nichts als eine Hülle ohne Seele. Mitleid hatte Axton auch nicht mit dem Verbrecher Treibarkoron, der in wenigen Minuten sterben würde. Dieser Mann hatte den Tod hundertfach verdient und war durch Orbanaschol auch schon zum Tode verurteilt worden. Axton haßte es, in dieser Weise eingreifen zu müssen, aber ihm blieb keine an-
dere Wahl. Er blickte auf sein Chronometer. Eine Minute blieb noch. Auch Grishkan überprüfte die Zeit. Er wurde zusehends nervöser, und für einen kurzen Moment schien es so, als wolle er weglaufen. Axton drückte eine Taste an einem handgroßen Apparat, der neben ihm auf dem Sitz lag. In der gleichen Sekunde erschien auf den Zugängen der Antigravschächte ein rotes Warnlicht. Nur das Licht über den beiden Schachtöffnungen, vor denen der GrishkanDoppelgänger stand, änderte sich nicht. Es leuchtete weiterhin in beruhigendem Blau. Pünktlich um 14.15 Uhr verließ Poolpok Treibarkoron das PENKA-Restaurant. Im gleichen Augenblick näherten sich drei Männer und eine Frau Grishkan. Sie gehörten der Organisation Gonozal VII. an. Treibarkoron, der wie stets allein war, ging an dem Grishkan-Doppelgänger vorbei, ohne ihn zu beachten. Er blickte auf sein Chronometer und betrat den nach unten führenden Antigravschacht. Im gleichen Moment schrie er gellend auf. Er stürzte ins Nichts. Grishkan reagierte instinktiv und so, wie jeder andere Arkonide an seiner Stelle es auch getan hätte. Er schlug die flache Hand blitzschnell auf die Sicherungsplatte an der Wand neben dem Antigravschacht. Normalerweise hätte er damit ein Notaggregat aktiviert, das den abstürzenden Treibarkoron mit einem Antigravfeld aufgefangen hätte. Jetzt passierte jedoch überhaupt nichts. Die Schreie verhallten in der Tiefe. »Mörder«, rief einer der hinzugekommenen Arkoniden. »Ich habe genau gesehen, daß er den Mann in den Schacht gestoßen hat.« Der Grishkan-Doppelgänger blickte die Zeugen des Vorfalls entsetzt an. »Aber das ist doch gar nicht wahr«, entgegnete er stammelnd. »Ich habe versucht, den Mann zu retten.« »Sie haben ihn in den Schacht gestoßen, obwohl das rote Warnlicht brannte«, behauptete das Mädchen.
Doppelgänger des Mächtigen »Ich rufe die Polizei«, erklärte einer der anderen Männer und eilte ins PENKA-Restaurant. Der Grishkan-Doppelgänger stand wie erstarrt da. In seinem Gesicht ging eine eigenartige Veränderung vor. Grishkan erkannte, daß er in eine Falle gelockt worden und blind hineingetappt war. Er wehrte sich nicht. Er schüttelte hilflos den Kopf und lehnte sich an die Wand. So stand er auch noch, als Minuten später zwei Polizisten erschienen. Axton schaltete die Videoverbindung aus und startete. Er wollte nicht gesehen werden.
* Wie stets in den letzten Tagen, nutzte Axton auch jetzt jede sich bietende Gelegenheit, in die Nähe des Imperiums zu kommen. Da er das Vertrauen Orbanaschols genoß, hatte er dabei kaum Widerstände zu überwinden. An diesem Tage suchte er eine Konferenz über Sicherheitsfragen auf. Er betrat den Besprechungsraum erst, als Orbanaschol bereits mit seinen Mitarbeitern zusammensaß. Der Imperator blickte nicht auf, als der Kosmokriminalist in den Raum kam und sich an einen Tisch in der Ecke setzte. Orbanaschol hörte den Bericht eines hochgestellten Polizisten von der Mordkommission. Er war bleich. Ihm war anzusehen, daß er sich maßlos ärgerte. »… scheint der Fall klar zu sein«, erklärte der Polizist, während Axton sich setzte. »Grishkan hat Treibarkoron eine Importlizenz für Stoffe erteilt, die einem Mann wie ihm eigentlich nicht zugänglich sein dürften. Wir können nur vermuten, daß Treibarkoron Grishkan dafür eine private Gegenleistung hat zukommen lassen.« Axton hatte Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken, als er hörte, wie vorsichtig der Polizist das Wort »Bestechung« umging. »Aus den Notizen, die wir vorgefunden haben, geht hervor, daß Treibarkoron Grishkan daraufhin erpreßt hat. Er wollte das
17 Geld zurückhaben, daß er Grishkan gezahlt hatte. Grishkan wußte sich in dieser Situation nicht zu helfen. Er, der sonst stets untadelige Mann, hatte einen schweren Fehler gemacht. Er war dem Verbrecher Treibarkoron nicht gewachsen. In seiner Not hat er ihn umgebracht. Er hat ihn in den Antigravschacht gestoßen, der außer Betrieb war. Als Zeugen hinzukamen, versuchte er, Treibarkoron durch die Notschaltung zu retten, aber diese versagte. Wir sind noch dabei zu klären, wie das möglich war.« »Was sagt Grishkan?« fragte Orbanaschol mit leiser Stimme. »Er leugnet alles ab, aber die Beweise sind eindeutig.« »Dieser Wahnsinnige«, sagte Orbanaschol zornig. »Er mußte doch wissen, wie wichtig Treibarkoron für mich war. Er mußte es wissen. Und dennoch hat er ihn umgebracht. Welchen Sinn hatte diese Tat? Grishkan war darüber informiert, daß Treibarkoron verhaftet und verurteilt werden sollte. Hätte er nicht warten können, bis der Hinrichtungsroboter sein Werk getan hat?« »Wir vermuten, daß Grishkan fürchtete, Treibarkoron könnte ihn bei den Verhören verraten.« Orbanaschol nickte. »Das muß es gewesen sein«, sagte er. Er richtete sich auf, und sein Gesicht verzerrte sich. »Jetzt will ich nicht mehr wissen, was Grishkan getan hat. Bringt ihn zum Hinrichtungsroboter. Er soll die Stelle Treibarkorons einnehmen.« Orbanaschol wischte mit wütender Gebärde die schriftlichen Berichte über den Vorfall vom Tisch. »Und jetzt reicht es«, erklärte er. »Ich will nichts mehr davon hören.« Lebo Axton-Kennon beobachtete ihn genau. Jede kleine Geste war ihm wichtig. Er wollte wissen, ob Orbanaschol noch immer der echte Orbanaschol war, oder ob er bereits gegen einen Doppelgänger ausgetauscht worden war. Da das cholerische Temperament des Imperators nicht durchbrach, zweifelte er einen Moment. Dann
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aber wurde alles klar. Orbanaschol verurteilte Grishkan zum Tode. Das hätte ein Doppelgänger niemals getan. Im Gegenteil. Ein Orbanaschol-Doppelgänger hätte alles versucht, seinen Mitstreiter im Kampf um die Macht über das Imperium zu retten.
* »So beruhigend mir zunächst die Tatsache erschien, daß Orbanaschol noch nicht gegen einen Doppelgänger ausgetauscht worden ist, so bedeutungslos ist sie auch«, erklärte Lebo Axton. Er nippte an dem eiskalten Fruchtsaftgetränk, das er sich von einem Bedienungsroboter des Dachgartenrestaurants hatte bringen lassen. Er blickte Avrael Arrkonta an, der ihm gegenüber saß. »Das verstehe ich nicht«, erwiderte der Arkonide. Axton lächelte flüchtig. In einer hilflos wirkenden Geste hob er die Arme und ließ sie wieder sinken. »Meine Arbeit wäre wesentlich leichter gewesen, wenn ich gewußt hätte: Es ist passiert! Aber jetzt? Ich liege auf der Lauer, muß ein hohes Risiko eingehen und warten.« »Risiko?« fragte Arrkonta. »Sie sind doch nicht in Gefahr. Der Imperator ist es.« »Orbanaschol wird höchst ungehalten sein, wenn er herausfindet, daß ich ihn auf Schritt und Tritt überwache, ohne vorher eine Genehmigung dafür eingeholt zu haben. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Austausch irgendwann in diesen Tagen stattfinden wird, und ich habe Angst davor, daß ich es nicht bemerke.« Arrkonta nickte. »Vermutlich haben Sie recht. Auf dem Planeten Mekra-Titula ist nur die Atomschablone Orbanaschols hergestellt worden, nach der der Doppelgänger des Imperators präpariert werden wird«, sagte der Industrielle. »Dann haben Ihre Gegenspieler aber noch
ein Problem. Sie müssen den Doppelgänger nach Arkon I bringen und hier durch die Kontrollen schmuggeln. Dann müssen sie eine Situation herbeiführen, in der Orbanaschol allein, unbewacht und zugleich außerhalb des Kristallpalasts ist. Das alles ist äußerst schwierig und bedarf einer generalstabsmäßigen Planung, bevor es durchgeführt werden kann.« »Der Doppelgänger Orbanaschols ist keinesfalls maskiert, Avrael«, sagte Axton. »Ich sollte Ihnen vielleicht ein wenig mehr von der Wahrheit preisgeben. Verlangen Sie aber nicht von mir, daß ich Ihnen erkläre, woher ich das alles weiß. Akzeptieren Sie, daß ich es weiß, sonst muß ich schweigen.« »Ich werde nur die Fragen stellen, die Sie beantworten wollen.« »Das Gerät, mit dem der Doppelgänger geschaffen wird, basiert auf dem Transmitter-Prinzip. Auch bei einem Transmitter wird ein Objekt bis in seine atomare Struktur hinein zerlegt. Es wird dann in eine Energiespirale umgewandelt und abgestrahlt, um im Empfangsgerät dann wieder zu genau festgelegter materieller Struktur zusammengesetzt zu werden.« »Das ist mir alles klar.« »Nun, das Gerät, das meine Gegenspieler verwenden, wird mit der erwähnten Atomschablone versehen, worauf das Objekt sich nicht in seiner ursprünglichen Form erstellt, sondern in der in der Schablone festgelegten.« Avrael Arrkonta erbleichte. Er hatte verstanden. »Das würde bedeuten, daß Original und Doppelgänger nicht voneinander zu unterscheiden sind«, stellte er fest. »Genau das«, bestätigte der Terraner. »Der Doppelgänger verrät sich nur durch sein Verhalten.« »Ich beginne zu verstehen, welche Konsequenzen es haben kann, wenn es tatsächlich gelingt, Orbanaschol gegen einen Doppelgänger zu vertauschen. Der andere könnte das Imperium in den Untergang führen.« »Das dürfte die Absicht meines Gegen-
Doppelgänger des Mächtigen spielers sein.« Axton trank sein Glas aus. »Ich muß zurück in mein Büro. Ich habe die elektronischen Bildaufzeichnungen der letzten Stunden noch nicht kontrolliert.« Er erhob sich und verabschiedete sich von Arrkonta, der noch in dem Restaurant blieb. Axton flog direkt in sein Büro im Innenministerium zurück. Zusammen mit Gentleman Kelly kontrollierte Axton die Bildaufzeichnungen. Enttäuscht stellte er fest, daß Orbanaschol nur auf einem kleinen Teil der Bänder zu sehen war. Er konnte nichts Verdächtiges feststellen. In den nächsten Tagen hatte Axton wachsende Schwierigkeiten, Orbanaschol zu überwachen. Es gab immer größere Lücken bei den Aufzeichnungen. Oft bemühte sich der Terraner vergeblich, in der Nähe des Imperators zu bleiben, zumal seine Arbeit weiterging. Dennoch ließ die Wachsamkeit Axtons nicht nach. Zufällig erfuhr er, daß er bei seiner Intrige gegen den Grishkan-Doppelgänger nicht sorgfältig genug gearbeitet hatte. Ein offenbar äußerst fähiger Mann der Mordkommission stellte fest, daß Grishkan das Opfer von gefälschten Beweisen geworden war. Es gelang ihm, ein nahezu lückenloses Bild der Vorgänge um Grishkan und Treibarkoron zu erstellen. Bei der Suche nach dem Drahtzieher versagte seine kriminalistische Kunst jedoch völlig. Für Grishkans Doppelgänger war es allerdings schon zu spät. Auf Anweisung des Imperators hatte der Hinrichtungsroboter sein Werk getan. Axton hielt sich vorsichtig zurück. Er war froh, daß offenbar noch nicht einmal der Schatten eines Verdachts auf ihn fiel. Deshalb mied er die Nähe der Mordkommission und stellte keinerlei Fragen. Zugleich machte er sich heftigste Vorwürfe, weil er unter Zeitdruck gegen den Grishkan-Doppelgänger vorgegangen war und damit gegen ein Grundprinzip seines Handelns verstoßen hatte. Seine Unruhe legte sich erst, als er nach einigen Tagen wiederum zufällig erfuhr, daß die Fahndung nach dem Täter eingestellt
19 worden war, weil es keinerlei Spuren gab, die zum Täter führten. Am gleichen Tage kontrollierte Axton die Aufzeichnungsbänder, die von den automatischen Kameras von Orbanaschol hergestellt worden waren. Alles schien in Ordnung zu sein. Doch dann äußerste sich ein Minister in der Anwesenheit Orbanaschols über die Abstimmung, die mit der absoluten Blamage für den Imperator zu Ende gegangen war. Orbanaschol, der strikt verboten hatte, diese Abstimmung in seiner Anwesenheit zu erwähnen, reagierte überhaupt nicht auf die Bemerkung. Der wütende Ausbruch, auf den Axton wartete, blieb aus. »Das paßt nicht zu dir«, sagte der Terraner. Er blickte auf und wollte sich an Gentleman Kelly wenden. Er erkannte jedoch, daß der Roboter in diesem Fall überfordert war. Kelly konnte das Verhalten des Imperators nicht beurteilen. Axton ließ das Band zurücklaufen und sah sich die Szene erneut an. Danach zweifelte er nicht mehr. Orbanaschol war ausgetauscht worden. Der Mann, den er auf dem Magnetband hatte, war nicht der echte Imperator, sondern ein Doppelgänger. Die Erkenntnis traf Axton wie ein Schock, obwohl er seit Tagen mit einem solchen Ereignis gerechnet hatte. Er glaubte, sich entsprechend vorbereitet zu haben, doch nun wußte er nicht, was er tun sollte. Er verwarf alle Pläne wieder, die er mühsam entwickelt hatte, denn ein Rest von Zweifel blieb. Voller Unsicherheit fragte sich Axton, was geschehen würde, wenn er gegen den Orbanaschol-Doppelgänger vorging und sich dabei herausstellte, daß er sich doch geirrt hatte. Immer wieder sah er sich den Bildstreifen an, aber dadurch stieg seine Sicherheit nicht. Die Zweifel wurden vielmehr noch ausgeprägter. Er rekonstruierte die vergangenen Tage, um herauszufinden, wo der Austausch vorgenommen worden sein konnte. Dabei stellte er fest, daß der Imperator bei einem Besuch in einer Ausstellung für einige Se-
20 kunden allein in einem Raum gewesen war. Axton suchte die Ausstellung auf und sah sich den betreffenden Raum an. Zunächst fiel ihm dabei nichts auf, doch dann stieß er auf eine versteckt angelegte Tür, die in einen Nebenraum führte. Mit der Unterstützung Kellys suchte er weiter, griff feinste Spuren auf und kam schließlich zu dem Schluß, daß der Austausch hier durchgeführt worden war. Eindeutige Beweise ließen sich nicht finden, aber die Indizien waren am Ende so zahlreich, daß Axton kaum noch zweifelte. Er beschloß, nunmehr bei allen weiteren Aktionen von der Voraussetzung auszugehen, daß er es nicht mit dem echten Orbanaschol, sondern mit einem Doppelgänger zu tun hatte. Deshalb hielt er die Kameraüberwachung aufrecht, so gut es eben ging. Zugleich bemühte er sich, so oft wie möglich in die Nähe des Doppelgängers zu kommen, um alle Entscheidungen, die getroffen wurden, sofort analysieren zu können. Der Doppelgänger war vorsichtig. Er überstürzte nichts, sondern wartete offensichtlich auf eine optimale Möglichkeit, seine Pläne durchzuführen. Seine Befehle waren bisher vernünftig und unbedingt im Sinne des Imperiums. Es schien, als habe sich nichts verändert. Axton wurde bewußt, daß diese Technik bestens geeignet war, die ahnungslosen Mitarbeiter Orbanaschols gründlich zu täuschen. Je länger der Doppelgänger sich zurückhielt, desto besser wurden seine Chancen. Axton diskutierte häufig mit Avrael Arrkonta darüber, was er tun sollte, aber er konnte sich nicht mit ihm einigen. Gleichzeitig versuchte Axton herauszufinden, wo der echte Orbanaschol war. Aber dabei entdeckte er nicht die geringste Spur. Erschwert wurde die Arbeit Axtons dadurch, daß er praktisch keine Helfer einsetzen konnte. Wie hätte er Geheimdienstmitarbeitern auch erklären sollen, daß sie nach Orbanaschol suchen sollten? Für sie gab es nur einen Imperator, und der befand sich im Kristallpalast. »Wissen Sie eigentlich inzwischen schon,
H. G. Francis wer den echten Grishkan ermordet hat?« fragte Arrkonta eines Tages. Axton blickte ihn bestürzt an. »Bei allen Göttern«, sagte er mit tonloser Stimme. »Ich habe nicht eine Sekunde lang an diesen Mann gedacht. Ich begreife nicht, daß mir eine derartige Unterlassungssünde unterkommen konnte.« Er verließ die Wohnung des Arkoniden, in der er sich mit ihm getroffen hatte und eilte zu der Wohneinheit, die Ermed Trelgron bezogen hatte. Der ehemalige Kommandant von Karaltron war völlig überrascht, als der Verwachsene bei ihm eintrat. »Axton, ich hatte nicht erwartet, Sie hier zu sehen«, sagte er und eilte mit ausgestreckter Hand auf den Terraner zu, der sich von Gentleman Kelly tragen ließ. »Was kann ich für Sie tun?« »Ich habe einen Fehler gemacht, der mir unbegreiflich erscheint«, erklärte Axton. »Ich habe versäumt, mich um den Mann zu kümmern, der Grishkan ermordete.« Trelgron nickte. »Darüber habe ich mich allerdings schon gewundert«, entgegnete er. »Ich dachte allerdings, Sie würden den Mann auch ohne meine Hilfe finden können.« »Wir müssen ein gewisses Risiko eingehen«, sagte Axton. »Wir werden ins Ministerium gehen und dort die Suche aufnehmen. Sind Sie einverstanden?« »Ich habe keine Bedenken. So wie ich jetzt aussehe, erkennt mich niemand.« Trelgron folgte Axton zu seinem Gleiter und betrat wenig später das Innenministerium. Er geriet damit in den Bereich jener Macht, die ihn verfolgte, und die ihn ebenso wie das Raumfahrtministerium sofort hinrichten lassen würde, wenn sie seiner habhaft werden konnte. Allzu deutlich hatte sich Trelgron auf die Seite Atlans geschlagen und sich gegen den Imperator gestellt. Axton sorgte dafür, daß Trelgron die allgemeinen Kontrollen umging. Er führte ihn auf komplizierten Wegen durch Büros und Archive so zum zentralen Computer, daß der Arkonide nicht von den unbestechlichen Ro-
Doppelgänger des Mächtigen botlinsen erfaßt wurde, die den Geheimdienstbereich überwachten. Dabei war unvermeidlich, daß sie einigen anderen Mitarbeitern des Geheimdiensts begegneten, doch niemand hielt sie auf oder kümmerte sich um sie. »Was soll ich tun?« fragte Trelgron, als er in einem Sessel vor der Hauptpositronik saß. »Sie sollen mir den Mann beschreiben, so gut es eben geht. Schließen Sie die Augen und schildern Sie ihn.« Trelgron tat, was Axton ihm empfohlen hatte, obwohl er nicht recht wußte, was damit erreicht werden sollte. Als er alles gesagt hatte, woran er sich erinnerte, blickte er Axton an. »Ich glaube, das ist alles«, sagte er. Der Verwachsene drückte eine Taste, und auf einem der Videoschirme der Positronik erschien das Bild eines bärtigen Arkoniden. Trelgron richtete sich verblüfft auf. »Das ist der Mann«, sagte er. »Woher konnten Sie das wissen?« »Ich habe überhaupt nichts gewußt«, erwiderte der Kosmokriminalist lächelnd. »Sie haben ihn beschrieben, und danach hat die Positronik das Bild zusammengestellt. Stimmt es wirklich mit dem des Gesuchten überein.« »Nahezu perfekt«, erwiderte Trelgron. »Vielleicht bestehen kleine Abweichungen in der Mundgegend und an den Schläfen, aber sie sind nicht wesentlich.« »Dann wollen wir mal sehen, ob wir den Mann irgendwo in unserer Kartei erfaßt haben«, sagte Axton. Er drückte zwei weitere Tasten, und schon wenige Sekunden später erschien das Bild des Gesuchten erneut auf dem Videoschirm. Dazu wurden einige Zahlen und Schriftzeichen eingeblendet. »Das ist er«, rief Trelgron. »Ich bin ganz sicher, daß er es ist.« »Ein SENTENZA-Mann«, stellte Axton fest. »Wir werden ihn bald haben. Kommen Sie. Hier ist alles erledigt.« Der Verwachsene kletterte wieder auf den Rücken Kellys, und dann führte er Trelgron wiederum auf Umwegen aus dem Geheim-
21 dienstbereich. Axton kannte hier jeden Winkel. Er wußte, wo Kameras versteckt waren und wo sich geheime Kontrolleinrichtungen befanden. Trelgron blieb bei ihm, als er mit einem Gleiter zu der Adresse flog, die er aus dem Archiv erhalten hatte. Der Mörder Grishkans wohnte etwa einhundert Kilometer vom Kristallpalast entfernt in einem alten Trichterbau, der von der Raumverteilung und vom Aufbau her veraltet war und nur von den unteren Bevölkerungsschichten Arkons in Anspruch genommen wurde. »Glauben Sie wirklich, den Mann hier zu finden?« fragte Trelgron zweifelnd. »Er wird gesucht, weil er Verbrechen begangen hat. Es wäre doch geradezu grotesk, wenn er unter der Adresse zu finden wäre, unter der er im Archiv angegeben ist.« »Bestimmt ist er nicht hier«, antwortete Axton lächelnd, »aber irgendwo müssen wir schließlich mit der Suche beginnen. Vielleicht finden wir Hinweise, die uns verraten, wo er jetzt ist.« Sie landeten in einer Parknische und erreichten kurz darauf die Wohnung des Gesuchten. Auf ihr Rufzeichen meldete sich niemand. Axton stieg vom Rücken Kellys herunter. »Öffne«, befahl er. Der Roboter hantierte kaum zwanzig Sekunden lang an der Tür. Dann sprang sie auf. Er stürmte in die Wohnung, doch niemand stellte sich ihm entgegen. »Es scheint keiner da zu sein«, sagte Trelgron, als alles ruhig blieb. »Warten wir es ab«, bemerkte Axton und folgte dem Roboter. Gentleman Kelly erwartete sie in einem kleinen, schmutzigen Wohnzimmer. Auf dem Boden lag die Leiche eines Mannes. Trelgron griff sich würgend an den Hals, als er ihn sah. Axton trat nahe an den Toten heran. »Er ist es«, sagte er. Er hatte nicht damit gerechnet, den Mörder Grishkans so schnell zu finden, sondern sich auf eine mühselige und langwierige Suche eingestellt.
22
H. G. Francis
»Zu spät«, stellte Trelgron fest. »Der hilft uns auch nicht weiter.« Axton untersuchte den Toten. Schließlich hob er einige kleine Stahlsplitter auf, die mit Blut bedeckt waren. »Er ist mindestens seit acht Tagen tot«, sagte er. »Sehen Sie sich das an. Jemand hat ihm eine Zeitbombe in den Nacken gepflanzt. Sie hat ihn getötet, nachdem er sein Werk vollendet hatte. Das ist der passende Lohn für einen Mann wie ihn.« »Sie scheinen zufrieden zu sein, obwohl Sie doch praktisch nichts erreicht haben«, sagte Trelgron verwundert. »Das bin ich auch«, erwiderte Axton. »Jetzt weiß ich, daß meine Gegenspieler alles auf eine Karte gesetzt haben. Ich kann mich nun völlig auf Orbanaschol konzentrieren.« Trelgron blickte ihn verwirrt an. Er wußte nicht, was Axton meinte, da dieser ihm noch nicht berichtet hatte, daß der Imperator gegen einen Doppelgänger ausgetauscht worden war. Axton schwieg auch jetzt. Er wollte Trelgron nicht mehr sagen als unbedingt notwendig, obwohl er ihm vollkommen vertraute. Um Fragen auszuweichen, sah er sich im Zimmer um, obwohl er nicht glaubte, daß er hier wesentliche Hinweise finden würde, die ihm helfen konnten, seine Probleme zu lösen. Doch er irrte sich. Er geriet an einen vollautomatischen Kalender. Er stutzte, als er die Jahreszahl, den Monat und den Tag sah. Trelgron stellte eine Frage. »Bitte – lassen Sie mich einen Moment«, bat Axton erregt. Er drückte sich die Fingerspitzen gegen die Schläfen und konzentrierte sich. Und dann kam plötzlich die Erinnerung. Axton erinnerte sich an die Zukunft. Wie elektrisiert fuhr er herum. »Schnell«, sagte er. »Wir verschwinden hier.«
4.
Er war erregt und verängstigt. Das spürten die drei Tefroder Gyal Rykmoon, Fkontha Herschon und Lafgon Kankral schon, als er eintrat. Sie erfaßten, daß irgend etwas passiert sein mußte, das seine Pläne gefährdete oder durchkreuzte. Gyal Rykmoon erhob sich aus dem Sessel, in dem er gesessen hatte. »Ist etwas Unangenehmes geschehen?« fragte er: »Die anderen Mitglieder meiner Machtgruppe haben etwas bemerkt«, erwiderte der MdI. »Sie sehen die Aktionen als separatistisches Abenteuer an. Sie haben vor weiteren Unternehmungen gewarnt. Deshalb muß Ruhe sein. Sie dürfen auf keinen Fall etwas gegen Arkon in die Wege leiten.« »Ich fürchte, dafür ist es zu spät«, entgegnete Rykmoon. »Die beiden Doppelgänger sind aktiv geworden. Die Verbindungen sind befehlsgemäß abgebrochen worden. Sie stehen allein und werden handeln.«
* Sinclair Marout Kennon alias Lebo Axton hatte die Geschichte der altgalaktischen Völker studiert. Schwerpunkt seines Studienprogramms war die Geschichte des alten Arkon gewesen, des Imperiums, in dem er jetzt lebte. Daher wußte der Kennon des Jahres 2844, als er in die Traummaschine Ischtars ging, mit welchen historischen Ereignissen er im alten Imperium konfrontiert werden würde. Als Lebo Axton erinnerte er sich an das, was er während seines Studiums erfahren hatte. Eine große Niederlage stand Arkon bevor. Das Imperium würde den Verlust von nahezu einhundert Raumschiffen hinnehmen müssen und dadurch im Kampf gegen die Methans für eine lange Zeit in die Defensive gedrängt werden. Axton setzte Trelgron ab und flog zu seiner Wohnung. Er brauchte Ruhe, um nachdenken zu können. Die Raumschlacht im Gebiet der ovalen Sonnen war eine ge-
Doppelgänger des Mächtigen schichtliche Tatsache. Er konnte sie nicht verhindern, und er mußte auch hinnehmen, daß Arkon dabei eine verheerende Niederlage erlitt. Doch wie würde diese Niederlage zustande kommen? Axton vermutete, daß sie eine direkte Folge des Austauschs Orbanaschols gegen einen Doppelgänger sein würde. Der Doppelgänger würde falsche Befehle erteilen und damit für die Niederlage verantwortlich sein. Axton war wie gelähmt. Er konnte nicht klar denken. Wieder einmal stand er vor der Frage, welche Rolle er selbst in diesem Geschehen spielte. Für ihn war ganz klar, daß er nicht eingreifen durfte, weil er sonst ein Zeitparadoxon auslösen würde. Darüber hinaus war die Raumschlacht im Gebiet der ovalen Sonnen ein historisches Ereignis mit so weitreichenden Folgen, daß bereits die kleinste Manipulation an dem Geschehen eine Katastrophe für die Zukunft Arkons und für die der Erde auslösen konnte. Mußten diesem ersten wirklich bedeutenden geschichtlichen Ereignis, von dem er tangiert wurde, nicht weitere folgen, an denen er nichts ändern konnte? Er durfte die Flotte nicht warnen, weil er damit die Niederlage vielleicht verhindern würde. Das wäre gleichbedeutend mit einem Zeitparadoxon gewesen. Was aber würde geschehen, wenn er den Doppelgänger Orbanaschols beseitigte? Und was würde dieses Duplikat noch alles anrichten und zu geschichtlichen Tatsachen werden lassen? Lebo Axton war völlig durcheinander. Er hatte das Gefühl, vor einer auf ihn herabstürzenden Lawine zu stehen. Er verfluchte die Tatsache, daß er mit niemandem über sein Problem sprechen konnte. Selbst Avrael Arrkonta, sein bester Freund, ahnte nicht, wer er wirklich war, und woher er kam. Als Axton seine Wohnung betrat, wartete Avrael Arrkonta auf ihn. Es war, als habe der Freund geahnt, daß er in dieser Situation jemanden brauchte, mit dem er sprechen konnte. Das glaubte Axton jedenfalls, als er den Arkoniden sah. Er begrüßte ihn erfreut,
23 doch schon nach wenigen Minuten hatte er das Gefühl, der Boden breche unter seinen Füßen ein. Das war, als Avrael Arrkonta sagte: »Mein Sohn Arron hat Arkon heute verlassen. Er ist unterwegs zum Gebiet der ovalen Sonnen, wo er sich einem größeren Flottenverband anschließen soll. Wir hoffen, daß er Gelegenheit haben wird, sich auszuzeichnen. Was haben Sie, Lebo?« Der Industrielle stutzte. Lebo Axton war bleich geworden. Er stieg mühsam in einen Sessel und setzte sich. »Nichts, Avrael«, erwiderte er. »Es ist alles in Ordnung.« Axton-Kennon fühlte das Herz in seiner Brust wild schlagen. Die Kehle schnürte sich ihm zu. Er wußte, daß Avrael Arrkonta nur einen Sohn hatte, an dem er mit abgöttischer Liebe hing. Was sollte er jetzt tun? Durfte er Arron retten? Durfte er ihm einen Hinweis geben und ihn dazu verleiten, sich abzusetzen? Über hundert Raumschiffe würden im Gebiet der ovalen Sonnen vernichtet werden. Über hundert von insgesamt etwa einhundertzwanzig Raumern. Die Chance Arrons, das Debakel zu überleben, war äußerst gering. Arrkonta spürte, wie Axton sich quälte. Er beugte sich besorgt vor und blickte ihn forschend an. »Ich weiß, daß etwas nicht stimmt, Lebo«, sagte er eindringlich. »Wollen Sie mir nicht sagen, was los ist? Vielleicht kann ich Ihnen helfen.« »Nein, nein«, sagte Axton abwehrend. »Sie täuschen sich. Mir war nur für einen Moment nicht wohl.« Die Augen des Arkoniden verdunkelten sich. »Ich wünschte, Sie hätten mehr Vertrauen zu mir«, bemerkte er leise. »Das habe ich, Avrael. Ich würde nicht zögern, Ihnen mein Leben anzuvertrauen. Keine Sekunde. Glauben Sie mir, es ist nichts.« Der Arkonide lehnte sich wieder zurück.
24 Er schüttelte den Kopf. Zaghaft lächelnd sagte er: »Ich respektiere, daß Sie schweigen wollen. Vermutlich sind Sie dazu gezwungen. Dennoch mache ich mir meine Gedanken.« »Nun gut«, entgegnete Axton und gab vor, einzulenken, »Sie wissen, daß ich über einige Dinge einfach nicht sprechen darf. Zu niemandem. Wenn es für Sie, die Organisation Gonozal VII. oder sonst jemanden von uns um etwas Wichtiges ginge, dann würde ich offen sein.« Axton war der Verzweiflung nahe. Es fiel ihm unsagbar schwer, dem Freund die Unwahrheit zu sagen. Ihn quälte die Frage, ob es denn wirklich auf den einen Offizier ankam, ob Arron in der bevorstehenden Schlacht eine so große Rolle spielte, daß alles anders verlaufen würde, wenn er nicht dabei war. Das konnte der Terraner ohne sorgfältige Recherchen nicht herausfinden. Und selbst wenn er alles über Arron und seine Aufgaben an Bord wußte, blieb noch die Frage offen, was Arron während der Schlacht tun würde. Diese Frage konnte niemand beantworten. Axton blickte den Arkoniden an. Er wußte, was es für Arrkonta bedeuten würde, wenn er seinen Sohn verlor. Ein derartiger Verlust wäre für ihn eine persönliche Katastrophe, die er vielleicht selbst nicht überleben würde. Er versuchte, abzulenken. »Waren Sie in der letzten Zeit am Hof?« fragte er. »Haben Sie mit Orbanaschol gesprochen?« Er wußte genau, daß Arrkonta das nicht getan hatte. Das wäre ihm aufgefallen, da er den Imperator auf Schritt und Tritt überwacht hatte. Arrkonta schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte er. »Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Ich hätte auch keinen Grund dazu gehabt. Außerdem war der Imperator ja gar nicht hier.« Axton blickte überrascht auf. »Ach«, sagte er. »Das ist mir entgangen. Wo war er denn?«
H. G. Francis »Ein Bekannter von mir hat ihn bei Seyblak gesehen.« Axton schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, Avrael. Das ist unmöglich. Orbanaschol ist die ganze Zeit hier gewesen. Er hat sich nie weiter als zwanzig Kilometer vom Kristallpalast entfernt.« »Aber ich bin ganz sicher, daß mein Bekannter sich nicht irrt. Er war furchtbar aufgeregt, weil es das erste Mal war, daß er dem Imperator begegnet ist.« Die Augen des Arkoniden erweiterten sich und füllten sich mit Tränen der Erregung. »Lebo, jetzt begreife ich. Wenn mein Bekannter Orbanaschol wirklich gesehen hat, dann muß es der Doppelgänger gewesen sein, der zum Austausch mit dem echten Imperator geflogen ist.« »Vielleicht«, entgegnete der Kosmokriminalist. »Ich muß den genauen Zeitpunkt wissen. Den müssen Sie erfragen. Wenn ich weiß, wann Ihr Bekannter Orbanaschol gesehen hat, dann kann ich feststellen, ob es der echte oder der falsche war, weil ich weiß, wann der Imperator gegen einen Doppelgänger ausgetauscht worden ist.« Avrael Arrkonta saß wie betäubt vor Axton. »Dann ist es bereits geschehen?« fragte er. Axton nickte. »Was werden Sie tun?« fragte Arrkonta sogleich. »Ich werde versuchen, den Doppelgänger zu beseitigen und den echten Orbanaschol zu retten«, erklärte der Terraner entschlossen. Avrael Arrkonta sprang auf. Er eilte zum Fenster und blickte hinaus, wie er es meistens tat, wenn er erregt und mit den Überlegungen Axtons nicht einverstanden war. »Sie wollen Orbanaschol retten? Das verstehe ich nicht. Es ist selbstverständlich, daß wir den Doppelgänger zu Fall bringen müssen, aber …« »Warum ist das selbstverständlich?« unterbrach ihn Axton. »Weil ein feindlicher Agent aus der Position des Imperators heraus das Imperium
Doppelgänger des Mächtigen vernichten kann. Ich dachte, darüber seien wir uns längst einig?« »Das sind wir«, entgegnete der Terraner nachdenklich. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, und er konnte kaum noch verstehen, daß er die Lösung des Problems übersehen hatte. Die Niederlage in der Raumschlacht bei den ovalen Sonnen war eine historische Tatsache, an der nichts geändert werden konnte. Der katastrophale Niedergang des arkonidischen Imperiums durch die Schuld Orbanaschols war keine. Das bedeutete, daß er nicht nur gegen den Doppelgänger Orbanaschols vorgehen durfte, ohne ein Zeitparadoxon befürchten zu müssen. Er mußte es tun, weil dieses Double nicht zu einer historischen Persönlichkeit werden durfte. »Gehen Sie, bitte, Avrael«, sagte er. »Beschaffen Sie mir die Zeitinformation, die ich benötige.« »Ich werde mich beeilen«, versprach der Arkonide und verabschiedete sich. Axton begleitete ihn zusammen mit Kelly zu seinem Gleiter. Als Arrkonta gestartet war, bestieg er seine eigene Maschine und flog zum Kristallpalast.
* Als Axton-Kennon den Konferenzraum im Kristallpalast betrat, saß der Orbanaschol-Doppelgänger mit dem Verteidigungsminister und den führenden Militärs des Imperiums zusammen an einem ovalen Tisch. »Deshalb schlage ich vor, Tremlon Pirrabo das Kommando über diese Flotte zu übertragen«, sagte der Doppelgänger gerade. Seine Worte riefen erhebliche Unruhe hervor. Axton war Pirrabo nicht bekannt. Er hatte jedoch von ihm gehört. Er verneigte sich vor Orbanaschol und setzte sich in einen Sessel an einem Seitentisch. Der Adjutant Orbanaschols hatte ihn vorgelassen. Das bedeutete, daß der Imperator nichts gegen die Anwesenheit Axtons bei dieser Konferenz einzuwenden hatte. »Ich muß davor warnen, Pirrabo das
25 Kommando über die Flotte bei den ovalen Sonnen zu geben«, sagte der Verteidigungsminister. Er erhob sich. Sein Gesicht war gerötet, und seine Augen wurden feucht, vor Erregung. »Bedenken Sie die militärpolitischen Folgen. Pirrabo gilt als nicht besonders fähig. Viele bessere Männer würden sich übergängen fühlen. Diese Entscheidung kann die Flotte in zwei Lager spalten.« »Es handelt sich um ein vorübergehendes Kommando. Die Flotte ist nicht gefährdet, wie Sie mir soeben erklärt haben. Pirrabo kann also gar nichts falsch machen. Wenn wir ihn als Oberkommandierenden einsetzen, zeichnen wir nicht nur ihn aus, sondern auch seine Familie. Und darauf kommt es mir an. Das ist mein politisches Ziel. Und aus diesem Grund wird meine Entscheidung auch nicht geändert«, erwiderte der Orbanaschol-Doppelgänger. Axton hörte fasziniert zu. Er wußte, was diese Entscheidung bedeutete und welch fürchterliche Konsequenzen sie für die Flotte und das Imperium haben würde. Er durfte jedoch nicht eingreifen. Er fragte sich lediglich, ob der Agent der MdI Pirrabo bewußt einsetzte, um auf diese Weise die Katastrophe einzuleiten. Doch das erschien kaum denkbar. Selbst wenn der Doppelgänger darüber informiert sein sollte, daß ein Überfall auf die Flotte stattfinden würde, konnte er die Schlagkraft der Flotte bei den ovalen Sonnen so nicht herabsetzen. »Das wär's, meine Herren«, sagte Orbanaschol. Er stand auf und beendete damit die Konferenz. Der Verteidigungsminister und die Militärs verließen den Raum. Der Doppelgänger wandte sich Axton zu. Er blickte auf den Verwachsenen herab. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Axton fühlte, wie es ihm kalt über den Rücken herablief. Dieser Mann sah aus wie Orbanaschol, wie dieser bewegte er sich, wie dieser sprach er, aber er war es dennoch nicht. Der Kosmokriminalist konnte den Unterschied nicht beschreiben. Er konnte nicht sagen, was anders war an diesem Mann, und dennoch gab
26 es für ihn nicht den geringsten Zweifel, daß dies nicht der wirkliche Orbanaschol war. In diesem Moment, in dem er dem Doppelgänger gegenüberstand und sich ihre Blicke kreuzten, erhielt er die allerletzte Bestätigung. Dieser Mann empfand keine Sympathien für ihn. Im Gegenteil. Der Doppelgänger wußte, daß er der gefährlichste Gegner für ihn war. Feindselig blickte er ihn an. »Mir mißfällt, daß noch immer nicht geklärt ist, wer Grishkan ermordet hat«, sagte Orbanaschol mit heiserer Fistelstimme. Mehrere Minister traten zu der sich anschließenden Konferenz ein. Sie hörten die Worte des vermeintlichen Imperators. »Ich bin nicht dafür verantwortlich«, entgegnete Axton ruhig. »Soweit ich weiß, sind die Nachforschungen eingestellt worden, weil sich keine Spuren ergeben haben.« Das Gesicht des Orbanaschol-Doppelgängers verzerrte sich. Die Augen schienen aus den Fettwülsten hervorzuquellen. »Das ist Ihre Handschrift, Lebo Axton«, sagte der Doppelgänger. Der Kosmokriminalist erschrak. Er erkannte, daß das Double einen Vorwand suchte, ihn zu beseitigen. Der Doppelgänger fühlte sich durch ihn bedroht. Er schien zu spüren, daß er ihn nicht täuschen konnte. »Dieser Anschlag gegen Grishkan, Treibarkoron und schließlich auch gegen mich könnte von Ihnen durchgeführt worden sein«, erklärte Orbanaschol II. Seine Stimme steigerte sich und wurde schrill. Axton lächelte. Er verneigte sich ironisch. »Ich danke Ihnen für dieses Kompliment, Imperator«, sagte er. »Es zeigt mir, daß Sie eine hohe Meinung von mir haben.« Der Innenminister, der einige Schritte hinter Orbanaschol stand, klatschte lächelnd mit den Händen. »Hervorragend pariert, Axton«, lobte er. Der Orbanaschol-Doppelgänger fuhr herum. »Und wenn er es wirklich gewesen wäre?« fragte er.
H. G. Francis »Unmöglich«, erwiderte der Innenminister. »Lebo Axton hat häufig genug bewiesen, daß er Ihr Vertrauen verdient. Dieser Verdacht ist beleidigend für ihn.« Das waren mutige Worte. Selten hatte Axton den Innenminister so sprechen gehört. Der Orbanaschol-Doppelgänger erkannte, daß er zu weit gegangen war. Gar zu plump hatte er den Angriff auf Axton vorgetragen. Er lächelte gequält. »Ich habe nur einen Scherz machen wollen«, behauptete er. »Selbstverständlich weiß ich, daß Axton nie gegen mich arbeiten würde.« Er entließ Axton mit großzügiger Geste. »Sie können gehen, Axton. Vergessen Sie meine Worte«, sagte er. Der Terraner verließ den Konferenzraum mit einem Gefühl des Unbehagens. Schlagartig war ihm klargeworden, daß er unter Zeitdruck stand. Er mußte den echten Orbanaschol möglichst bald finden, denn der falsche Imperator würde alles versuchen, sich den Rücken frei zu machen. Das bedeutete, daß Axton von nun an damit rechnen mußte, daß ein Anschlag auf ihn verübt wurde. Der Orbanaschol-Doppelgänger hatte seine Krallen gezeigt. Er hatte ihm zu verstehen gegeben, daß er es sich nicht leisten konnte, ihn leben zu lassen.
* Als Axton in seine Wohnung zurückkehrte, stand Avrael Arrkonta am Fenster und blickte auf die parkähnliche Landschaft unter dem Trichterbau hinaus. Langsam drehte er sich um. Seine Wangen waren tränenfeucht. Axton konnte ihm ansehen, daß er außerordentlich erregt war. »Sie haben es gewußt«, sagte der Arkonide mit heiserer Stimme. Er trat auf Axton zu, der von dem Rücken Kellys herunterkletterte und zu einem Sessel ging, wobei er sich Mühe gab, gelassen zu erscheinen. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, erwiderte er. »Was ist denn passiert?« »Sie haben es noch nicht gehört?« fragte
Doppelgänger des Mächtigen Arrkonta. »Sie wollen mich täuschen, aber das wird Ihnen nicht gelingen.« »Avrael«, bat der Terraner behutsam, »bitte sagen Sie mir, was los ist. Ich komme gerade vom Imperator und habe noch keine Nachrichten gehört.« »Lügen Sie nicht«, schrie der Industrielle. »Sie wissen es schon längst, daß die Flotte bei den ovalen Sonnen in ihr Verderben geflogen ist.« Erschüttert schloß Axton die Augen. Er konnte Arrkonta nicht ansehen. »Ich wußte es nicht«, sagte er leise. »Ich glaube Ihnen kein Wort. Sie lügen. Sie haben schon vorher gewußt, was bei den ovalen Sonnen passieren würde. Sie hatten Informationen, die auf diese Katastrophe hindeuteten. Deshalb haben Sie so eigenartig reagiert, als sie erfuhren, daß mein Sohn Arron dabei ist. Ich habe Sie für meinen Freund gehalten, aber Sie haben meinen einzigen Sohn in den Tod gehen lassen, ohne auch nur den Versuch zu machen, ihn zu retten. Sie sind der Mörder meines Sohnes.« »Das sind schwere Beschuldigungen, Avrael.« »Ich verbiete Ihnen diese vertrauliche Anrede«, brüllte der Arkonide außer sich vor Zorn. »Ich bin hier, um mit Ihnen abzurechnen.« Axton schüttelte den Kopf. »Sie tun mir unrecht«, erklärte er. »Sie haben gewußt, daß es bei den ovalen Sonnen zu einer Raumschlacht mit vielfach überlegenen Kräften der Methans kommen würde. Lange genug haben Sie mich getäuscht, nun aber ist es vorbei, Axton. Ich bin überzeugt davon, daß Sie die Katastrophe zugelassen haben, weil Sie das Imperium schwächen wollten. Sie kämpfen nicht wirklich für Atlan, sondern für eine andere, nichtarkonidische Macht. Sie haben uns alle mißbraucht, um mit unserer Hilfe Ihre Pläne durchführen zu können.« »Mäßigen Sie sich«, forderte der Terraner in schneidend scharfem Ton. Er war zutiefst verletzt. Mit derartigen Beschuldigungen hatte er nicht gerechnet.
27 »Sie vergessen sich«, sagte er und blickte Arrkonta offen an. »Irgendwo ist eine Grenze.« »Ich will die Wahrheit wissen«, entgegnete der Arkonide. Er ballte die Hände zu Fäusten. »Axton, ich werde die Wohnung nicht eher verlassen, bis ich die ganze Wahrheit kenne.« Lebo Axton lehnte sich in seinem -Sessel zurück. Er nickte. »Also gut, Avrael«, sagte er. »Sie sollen wissen, wer ich bin, woher ich komme, und was meine Ziele sind. Bitte, setzen Sie sich.« Er wartete, bis der Arkonide Platz genommen hatte. »Zunächst will ich Ihnen gestehen, daß Sie recht haben. Ich habe tatsächlich schon vor Tagen von der Raumschlacht bei den ovalen Sonnen gewußt.« »Sie wagen es, mir das zu sagen?« Arrkonta sprang impulsiv auf. »Wenn Sie nicht ruhig zuhören, werde ich nichts mehr über mich erzählen«, sagte Axton drohend. Der Arkonide sah ein, daß es keinen Sinn hatte, dem Kosmokriminalisten Vorwürfe zu machen. Er ließ sich wieder in den Sessel sinken. »Ich habe von der Raumschlacht und von der verheerenden Niederlage gewußt«, fuhr Axton fort. »Diese Raumschlacht ist ein historisches Ereignis von weittragender Bedeutung für das Imperium. Eben aus diesem Grunde durfte ich nichts tun. Ich durfte die Katastrophe nicht verhindern, weil ich damit ein Zeitparadoxon ausgelöst hätte.« Avrael Arrkonta blickte ihn an, als habe er den Verstand verloren. »Sie wollen ernsthaft behaupten, daß Sie aus der Zukunft kommen?« fragte er. »Ich komme aus der Zukunft. Das ist die ganze Wahrheit. Ich habe mehr als zehntausend Jahre übersprungen. Es würde zu weit führen, Ihnen zu erklären, wie das möglich war. Versuchen Sie, mir zu glauben.« »Ich weiß nicht, ob ich es kann.« »Versuchen Sie es«, bat Axton lächelnd. »Mein richtiger Name ist Sinclair Marout
28 Kennon. Ich bin Terraner und ein Freund Atlans, eines Atlans, der in meiner eigentlichen Zeit immer noch lebt. Er verfügt über einen Zellaktivator, der sein Leben erhält. Ich habe die Geschichte der altgalaktischen Völker studiert, die Geschichte jener Zeit, die für uns beide jetzt Gegenwart ist. Daher kenne ich die Entwicklung des Imperiums. Ich weiß, wie Orbanaschol enden wird, und ich weiß, daß Atlan nicht Imperator von Arkon werden wird – jedenfalls nicht in dieser Zeit.« »Er wird scheitern?« fragte Arrkonta entsetzt. »Wenn es wirklich so ist, warum kämpfen Sie dann für ihn?« »Er wird nicht scheitern«, erwiderte der Terraner lächelnd. Er erläuterte dem Freund, welch abenteuerliches Leben Atlan noch bevorstand und welche Rolle er in der Politik des arkonidischen Imperiums spielen würde. Avrael Arrkonta stellte viele Fragen. Er ließ sich immer wieder von Axton beteuern, daß er die Wahrheit sprach. »Sie hätten meinen Sohn retten können«, sagte der Arkonide schließlich voller Bitterkeit. »Sie irren sich«, erwiderte Axton geduldig. »Die kleinste Warnung an die Flotte hätte vielleicht die Schlacht verhindert oder ganz anders verlaufen lassen. Das hätte ein Zeitparadoxon ausgelöst.« »Das ist Theorie.« »Vielleicht. Dennoch ist es so, daß ich nichts tun durfte. Aus der Niederlage wird Arkon neue Kraft schöpfen. Gerade die Niederlage wird die Entwicklung neuer Waffen, den Aufbau einer moderneren und beweglichen militärischen Führung und schließlich auch politische Umgruppierungen auslösen. Hätte ich eingegriffen, dann hätte das vielleicht bedeutet, daß Arkon von den Methans vernichtend geschlagen wird. Alles wäre möglich gewesen. Sogar das absolute Ende des Imperiums, und Atlans Weg in die Zukunft wäre vielleicht versperrt gewesen. Sie müssen einsehen, daß ich nichts tun konnte. Ich glaube aber, daß Ihr Sohn lebend zurückkehren wird.«
H. G. Francis »Ist das auch eine geschichtliche Tatsache?« fragte Arrkonta müde. »Nein. Ihr Sohn wird niemals eine geschichtliche Persönlichkeit werden, so enttäuschend das für Sie sein mag.« Avrael Arrkonta erhob sich und ging zum Fenster. Axton schwieg, weil er dem Freund Zeit lassen wollte, alles in Ruhe zu überdenken. Als der Arkonide sich umwandte, hatte sich sein Gesicht entspannt. »Ich glaube Ihnen, Lebo«, erklärte er. »Oder soll ich Sinclair sagen?« »Bleiben Sie bei Lebo. Das ist einfacher.« »Ich möchte wissen, welche Bedeutung Sie für die Geschichte Arkons haben. Entwickelt sich das arkonidische Imperium so, wie Sie es aus Ihren Studien kennen, weil Sie eingegriffen haben? Oder weil Sie nicht eingegriffen haben? Sind Sie integrierter Bestandteil der Geschichte oder nicht?« »Jetzt haben wir den Punkt erreicht, an dem ich auch nicht mehr antworten kann«, erwiderte der Terraner. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß wir den echten Orbanaschol retten müssen.« »Wir? Sie werden niemanden finden, der Ihnen hilft.« »Es muß sein, Avrael. Der Doppelgänger muß so schnell wie möglich ausgeschaltet werden. Orbanaschol muß befreit werden.« »Er lebt schon längst nicht mehr.« »Daran glaube ich nicht. Einen so wichtigen Mann wie ihn bringt man nicht einfach um.« »Wenn er aber doch tot ist? Was dann?« »Dann wüßte ich nicht, was ich tun sollte«, erklärte Axton. »Uns bliebe dann nur noch, den Orbanaschol-Doppelgänger an seiner Position zu belassen. Das gäbe ein unvorstellbares Durcheinander.« »Niemand wird Ihnen helfen. Wenden Sie sich an Frantomor, den Chef des Geheimdiensts. Vielleicht können Sie ihn davon überzeugen, daß eine Suchaktion eingeleitet werden muß.« »Frantomor würde mich augenblicklich in eine Irrenanstalt sperren«, antwortete Axton kopfschüttelnd. »Nein, die Organisation Go-
Doppelgänger des Mächtigen nozal VII. muß eingeschaltet werden.« »Unmöglich«, sagte Arrkonta. »Diese Organisation hat die Aufgabe, Orbanaschol zu bekämpfen, wo immer das möglich ist. Sie werden niemanden in der Organisation finden, dem Sie das Problem überhaupt nur erklären können, und schon gar keinen, der bereit wäre, den Imperator aus seiner mißlichen Lage zu befreien.«
5. »Es bleibt nur ein Weg«, sagte Lebo Axton einige Stunden später, als er sich erneut mit Avrael Arrkonta in einem Restaurant auf dem Dach des Gebäudes traf, in dem er seine Wohnung hatte. »Wir müssen die Organisation täuschen. Wir müssen sie über die Person, die es zu finden und dann zu befreien gilt, im unklaren lassen.« »Wie wäre das möglich?« fragte der Arkonide überrascht. »Das weiß ich auch noch nicht«, antwortete Axton. »Vorläufig weiß ich noch nicht einmal, wie ich Orbanaschol finden soll. Haben Sie inzwischen ermittelt, wann Ihr Bekannter ihn gesehen hat?« Arrkonta hatte sich sorgfältig erkundigt. Er nannte Axton Datum und Uhrzeit. »Zu diesem Zeitpunkt war der Doppelgänger im Kristallpalast«, erwiderte der Terraner. »Dann flog der echte Orbanaschol in Richtung Süden«, stellte Arrkonta fest. »Es wäre möglich, daß man ihn irgendwo im Südpolgebiet versteckt hält.« »Dort gibt es genügend Verstecke, die geeignet wären. Ich werde mit der Suche in dieser Gegend beginnen. Sobald ich weiß, wo er ist, müssen wir ein Kommando zusammenstellen. Wir werden diesen Männern sagen, daß es um eine hochgestellte Persönlichkeit geht, die wir befreien müssen. Sobald es uns gelungen ist, Orbanaschol herauszuschlagen, werden wir mit der Wahrheit herausrücken. Wir werden zu verhindern haben, daß die Männer den Imperator bei dieser Gelegenheit, die ihnen günstig erschei-
29 nen muß, erschießen.« »Sie nehmen sich mal wieder etwas Unmögliches vor.« »Ich hoffe nicht, daß sich die Aktion als unmöglich erweisen wird.« »Mikrowellen«, meldete Gentleman Kelly plötzlich, der schweigend hinter Lebo Axton gestanden hatte. Der Terraner fuhr auf. Avrael Arrkonta blickte ihn verwirrt an. »Was ist los?« fragte der Arkonide. »Wir werden beobachtet«, erwiderte Axton. »Jemand versucht, unser Gespräch abzuhören.« »Erneute Ortung«, teilte Kelly mit leiser Stimme mit. »Weg hier. Schnell«, rief Axton. Er sprang auf, kletterte auf die Sitzfläche seines Sessels und schwang sich auf den Rücken des Roboters. Avrael Arrkonta eilte einige Schritte zur Seite, bis er im Dunkeln stand. In diesem Moment blitzte es etwa hundert Meter von ihnen entfernt an einem Springbrunnen auf. In rasend schneller Folge flogen zehn Leuchtspurgeschosse durch die künstliche Gartenlandschaft. Die Geschosse schlugen an der Stelle ein, an der Axton und Arrkonta vor kaum zwei Sekunden noch gesessen hatten. Gentleman Kelly warf sich herum. Axton hörte, daß einige Splitter gegen seinen stählernen Körper prasselten. Gentleman Kelly überstand den Angriff unbeschädigt. »Avrael«, rief Axton. »Wo sind Sie?« »Hier«, antwortete der Arkonide und richtete sich hinter einer kleinen Ziermauer auf. »Bleiben Sie hier. Ich werde versuchen, den Schützen zu erwischen.« »Ich hole den Gleiter«, erklärte der Industrielle und rannte davon. Erst jetzt schrien die anderen Gäste entsetzt auf. In Panik stürzten einige von ihnen davon, während andere starr auf ihren Sitzen blieben und sich in ihrer Angst lediglich duckten. Gentleman Kelly hob vom Boden ab und beschleunigte scharf. Er flog auf den Springbrunnen zu, warf sich jedoch plötzlich erneut zur Seite, wobei er seine Arme nach hinten streckte und schützend um Axton leg-
30 te, damit dieser bei der überraschenden Richtungsänderung nicht heruntergeschleudert wurde. Keine Sekunde zu spät, denn der Attentäter feuerte erneut. Wiederum rasten zehn Leuchtspurgeschosse jaulend durch die Luft. Axton sah sie wie zuckende Blitze an sich vorbeifliegen. Er preßte sich an den Rücken Kellys. Seine Hände krallten sich um die Haltebügel auf dem Rumpf des Roboters. Kaum hatte er sich jedoch abgefangen, da zerrte er schon seinen Energiestrahler hervor und feuerte ihn ab. Der Blitz erhellte die Nacht. Axton erkannte zwei Männer, die hinter Bäumen standen. Sie hielten Waffen mit langen Läufen in den Händen. Der Energiestrahl verfehlte sie. Als es wieder dunkel wurde, sah Axton gerade noch, daß die beiden Mordschützen sich zur Flucht wandten. Er zögerte kurz, bevor er sich für einen von ihnen entschied. »Nach rechts«, befahl er und klammerte sich an Kelly fest. Der Roboter drehte sich herum und änderte die Flugrichtung. »Kannst du ihn ausmachen?« »Selbstverständlich, Schätzchen«, erwiderte der Roboter. »Für mich ist es hell wie am lichten Tag.« »Dann ist es gut. Los, beeile dich.« »Vorsicht!« Axton klammerte sich noch fester an den Roboter, als der Warnruf ertönte. Für einen kurzen Moment schien es so, als habe Kelly sich geirrt, doch dann blitzte es an einem Abgang zu den unteren Stockwerken auf. Ein Energiestrahl raste auf Axton zu. Der Terraner schrie gellend auf vor Schmerz. Der Energiestrahl streifte ihn, und ein Gurt aus kochender Glut schien sich um seine Hüften zu schlingen. Eine blauschimmernde Aureole bildete sich um ihn. Seine Hände lösten sich von den Haltebügeln. Axton bäumte sich auf und versuchte, nach seinen Hüften zu greifen, doch eine unsichtbare Kraft stemmte sich ihm entgegen und hielt ihn davon ab. Bruchteile von Sekunden später schien der Kosmokriminalist in einen Raum eisiger
H. G. Francis Kälte zu stürzen. Die Schmerzen verschwanden schlagartig, der blaue Lichtschein verflüchtigte sich, und Ruhe kehrte ein. Axton fühlte, daß er schwebte. Er hörte seinen eigenen, röchelnden Atem und eine Stimme, die von fern kam und ihn rief. »Liebling, was ist mit dir? Warum sagst du nichts? Solltest du einen Kurzschluß in deinem Biopositron-System erlitten haben?« »Was soll der Blödsinn?« fragte Axton. »Ich bin hundertprozentig in Ordnung.« Seine Augen weiteten sich. In der Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen. Immerhin wurde ihm klar, daß er sich noch immer auf dem Rücken des Roboters befand, der den flüchtenden Attentäter verfolgte. Axton drehte sich zur Seite, als ihm dämmerte, daß er es nicht mit zwei, sondern mit drei oder vielleicht noch mehr Gegnern zu tun hatte. Er hatte sich wie ein Anfänger benommen und war blind hinter einem der Flüchtenden hergeflogen, ohne die Falle zu sehen, die man ihm gestellt hatte. Er wollte Kelly instinktiv den Befehl zurufen, senkrecht aufzusteigen und die Flucht von oben zu beobachten. Im letzten Moment unterdrückte er ihn, weil er blitzartig begriff, daß die Attentäter vielleicht gerade das von ihm erwarteten. »Landen«, befahl Axton. »Verfolgung abbrechen.« Kelly gehorchte kommentarlos. Er ließ sich zwischen die Büsche der parkähnlichen Anlage fallen und setzte am Rand eines künstlichen Teiches auf. »Was passiert über uns?« fragte Axton, während seine Hände unter seine Kleidung glitten und über das blau schimmernde Gebilde strichen, das seine Hüften umschlang. Er war überzeugt davon, daß es dieser geheimnisvolle Gürtel war, der ihm das Leben gerettet hatte. Bestand es aus Energie oder einem energieverzehrenden Material? Er wußte diese Fragen nicht zu beantworten. Auch wußte er nicht, ob dieses kristallin aussehende Gebilde lebte oder nur tote Materie war. Oft hatte er das Gefühl, daß es lebte, mehr noch, daß es sogar intelligent
Doppelgänger des Mächtigen war. »Avrael Arrkonta kommt mit einem Gleiter. Direkt über uns ist eine zweite Maschine. Sie zieht jetzt langsam ab.« »Gib Avrael Bescheid, daß er zu uns kommen soll.« Gentleman Kelly strahlte den Befehl über Funk ab, erreichte den Arkoniden und veranlaßte diesen, die Verfolgung abzubrechen. Der Gleiter senkte sich langsam herab und blieb in etwa zwei Meter Höhe über Axton schweben. Arrkonta beugte sich seitlich aus der Kabine. »Ich hätte ihn erwischt«, behauptete er. »Oder er und die anderen Sie«, entgegnete Axton. Er stieg mit Kelly auf und schwang sich von seinem Rücken in die Sitze hinüber. Als er saß, schwebten die ersten Polizeimaschinen ein. Die Ordnungskräfte schirmten das gesamte Dachgelände ab. »Das ist es, womit ich gerechnet habe«, sagte Axton. »Wir leben immerhin in einer zivilisierten Gesellschaft, in der eine Schießerei sofort Alarm auslösen muß. Das wußten auch die Männer, die auf mich geschossen haben. Sie hofften, mich entweder sofort erledigen oder mich aber zu einer Verfolgung verlocken zu können, so daß ich das Gebiet verlasse, das früher oder später von Polizeikräften umstellt werden mußte. Irgendwo hätte dann ein weiteres Kommando auf mich gewartet, das mich aus nächster Nähe hätte abschießen können. Der Anschlag war genau auf meine Mentalität abgestellt.« »Und doch hat sich jener geirrt, der den Anschlag organisiert hat«, stellte Avrael Arrkonta befriedigt fest. »Es hat nicht viel gefehlt, und ich wäre blind in die Falle getappt. Eigentlich habe ich nur anders reagiert als sonst, weil ich mit einem Anschlag gerechnet habe. Der Orbanaschol-Doppelgänger hat mich als seinen gefährlichsten Gegner identifiziert. Das ist keine Überraschung. Da er nach der Atomschablone Orbanaschols hergestellt worden ist, weiß er alles, was Orbanaschol bis zu diesem Zeitpunkt auch gewußt hat. Während
31 der echte Orbanaschol glaubt, meine Dienste schätzen zu müssen, weiß der falsche, daß er mich fürchten muß. Und damit hat er verdammt recht.« Axton zeigte zu einem hellerleuchteten Restaurant hinüber. »Wir wollen dorthin gehen, wo es hell ist«, sagte er. »Es könnte unter den Polizisten jemand sein, der zu den Attentätern gehört. Wir würden es ihm hier im Dunkeln zu leicht machen.« Avrael Arrkonta lenkte den Gleiter zu dem Restaurant hinüber, auf das Axton gewiesen hatte. Als er dort landete, wurde die Maschine von sieben Polizisten umringt. Sie alle hielten ihre Waffen in den Händen. Lebo Axton stieg aus und hielt ihnen seinen Ausweis hin. »Ich bin es, auf den geschossen wurde«, erklärte er. »Ich hoffe, ich muß nicht auch noch die Waffen der Ordnungskräfte fürchten.« Ein junger Offizier nahm den Ausweis, reichte ihn sogleich wieder zurück und salutierte respektvoll. »Ich freue mich, daß wir rechtzeitig gekommen sind«, sagte er.
* Kurz nachdem der Gleiter gestartet war, wies Gentleman Kelly auf eine andere Maschine hin, die sich ihnen näherte, dann aber seitlich abschwenkte und sich entfernte. »Der Mann in diesem Gleiter war dabei«, erklärte er. »Bist du sicher?« fragte Axton überrascht. »Wir sind ziemlich weit entfernt.« »Und ich habe ein ziemlich gutes optisches System und ein ziemlich gutes Speicherhirn«, erwiderte Kelly in einem Tonfall, der Axton anzeigte, daß ihm die kritische Frage nicht gefiel. »Wieder ein Lockvogel?« Avrael Arrkonta nahm eine Waffe aus einem Spezialfach seines Gleiters. »Vielleicht«, entgegnete der Terraner. »Es könnte aber auch sein, daß der Mann nichts
32 weiter wollte als die Lage ausspähen. Wir folgen ihm. Sind Sie dabei, Avrael?« »Natürlich«, sagte der Arkonide entrüstet. »Sie glauben doch nicht, daß ich Sie im Stich lasse.« Axton gab Kelly ein Zeichen. Der Roboter hatte das Steuer des Gleiters übernommen, damit Axton und Arrkonta sich ungestört unterhalten konnten. Jetzt beschleunigte er mit Höchstwerten. Gleichzeitig erkannte der Arkonide in der anderen Maschine, daß er verfolgt wurde. Er beschleunigte ebenfalls und versuchte, sich in Sicherheit zu bringen. Er ließ die Maschine steil abfallen und führte sie um den Sockel eines anderen Trichtergebäudes herum. Kelly reagierte viel schneller und präziser, als es ein menschlicher Pilot hätte tun können. Er holte deutlich auf. Axton und Arrkonta konzentrierten sich nicht auf ihn, sondern nur auf die Umgebung, die der Verfolgte bei seiner Flucht passierte. Sie konnten in der Dunkelheit nur wenig erkennen. Beide hielten Energiestrahler schußbereit in den Händen, um notfalls sofort feuern zu können, wenn der Gleiter angegriffen wurde. Doch schon bald zeigte sich, daß der Attentäter nicht versuchte, sie in einen Hinterhalt zu locken. Seine Bemühungen, ihnen zu entkommen, erschienen verzweifelt. Er wandte sich mal nach dieser, mal nach jener Richtung wie jemand, der in höchster Not einen Unterschlupf sucht. Der Gleiter Arrkontas war schneller als die andere Maschine. Unter der geschickten Führung des Roboters rückte er immer mehr auf, bis er nur noch wenige Meter entfernt war. »Vorsicht«, rief Axton, als er sah, daß der Flüchtende sich umwandte und dabei eine Waffe hob. Im nächsten Moment schon platzte die Rückscheibe der Maschine auseinander. Leuchtspurgeschosse rasten durch das Fenster hinaus, jagten aber über das Dach von Arrkontas Maschine hinweg, weil Kelly sie blitzartig hatte abfallen lassen. Avrael Arrkonta beugte sich zum Seiten-
H. G. Francis fenster hinaus, stemmte sich gegen den scharfen Fahrtwind und schoß seinen Energiestrahler gegen das Heck der anderen Maschine ab. Ein blauer Blitz zuckte aus der Antriebskammer. Der Gleiter schwankte, verlor an Fahrt und stürzte ab. Er flog in einer Höhe von etwa hundert Metern. Innerhalb weniger Sekunden sackte er ab, bis er nur noch etwa fünf Meter über dem Boden flog. Kelly blieb unerbittlich bei ihm, so als sei der Gleiter, den er steuerte, durch ein unzerreißbares Kabel mit ihm verbunden. Flammen schlugen aus dem Heck der beschädigten Maschine. Axton beobachtete, daß der Arkonide darin verzweifelt versuchte, sich zu retten. Doch dazu war es zu spät. Die Flugkabine berührte den Boden, überschlug sich und blieb auf dem Dach liegen. Der Pilot wurde herausgeschleudert und landete in einem Busch. Kelly landete. Axton und Arrkonta sprangen mit schußbereiter Waffe aus der Maschine und eilten zu der Stelle, an der der Attentäter lag. Er lebte noch. Arrkonta entriß ihm die Schußwaffe und tastete ihn blitzschnell nach weiteren Waffen ab. »Nichts mehr«, sagte er. Der Mordschütze hatte sich die Beine gebrochen. Blut lief ihm aus mehreren Wunden am Kopf. Ängstlich blickte er Axton an. »Wir hätten es wissen müssen«, sagte er röchelnd. »So kann man Sie nicht erledigen.« »Es war schon ganz ordentlich, was ihr gemacht habt«, entgegnete Axton kühl. »Mit ein bißchen mehr Glück hättet ihr es vielleicht geschafft. Wer war denn dafür verantwortlich?« Das Gesicht des Verletzten verzerrte sich. Er schwieg verbissen. Axton konnte nicht erkennen, wie es um den Mann stand, ob er lebensgefährlich verletzt war oder nicht. Er bluffte, ohne auf die Gefühle des Mannes Rücksicht zu nehmen, der bereit gewesen war, ihn zu ermorden. »Sie haben nicht mehr lange zu leben«,
Doppelgänger des Mächtigen behauptete er. »Ihre Verletzungen sind tödlich. Es hilft Ihnen also nichts, wenn Sie schweigen. Wer sind die anderen? Wer hat den Auftrag erteilt?« Der Verletzte zögerte. Er atmete mühsam. »Der Auftrag kam direkt vom Hof«, verriet er endlich. »Ich weiß nicht, von wem, aber es muß einer von ganz oben sein.« »Orbanaschol«, flüsterte Axton Arrkonta zu. »Ich hatte nichts zu verlieren«, fuhr der Verletzte fort. »Mit mir ist es ohnehin vorbei. Sie haben uns aus dem Tekayl-Gefängnis geholt und uns gesagt, daß unsere Familien versorgt würden, wenn wir es tun.« Lebo Axton begriff. Der Mann war also ein zum Tode verurteilter Gefangener, dem man die Chance gegeben hatte, wenigstens seine Familie zu retten und vor einer Verelendung zu bewahren. »Ich kenne diese Leute, die Ihnen das alles versprochen haben«, erwiderte er. »Es tut mir leid für Sie, aber Ihre Familie wird keinen Vorteil davon haben, daß Sie mitgemacht haben. Diese Leute halten ihr Versprechen nicht. Das haben sie noch nie getan.« Der Verletzte schloß die Augen. Er stöhnte leise. Axton bemerkte, daß er starb. Er kniete neben ihm nieder. »Wer sind die anderen?« fragte er eindringlich. »Waren es alles Gefangene aus dem Tekayl-Gefängnis?« Der Arkonide öffnete die Augen und schüttelte den Kopf. »Nein, einer war dabei, der aus dem Süden kommt. Ein Offizier. Er sagte, er sei von den Leitstationen im Süden.« »Leitstationen? Was für Leitstationen? So sprechen Sie doch.« Axton rüttelte den Mann an der Schulter. Avrael Arrkonta zog ihn sanft zurück. »Es ist zu spät«, sagte er. »Der Mann ist tot.« Axton richtete sich auf. Er kletterte auf den Rücken Kellys. Seine Hände krallten sich um die Haltebügel. »Verstehen Sie denn nicht, Avrael? Die-
33 ser Offizier kommt aus dem Süden. Das kann bedeuten, daß er etwas von dem verschwundenen Orbanaschol weiß. Vielleicht kann er uns sagen, wo man den Imperator versteckt hält.« Avrael Arrkonta ließ sich nicht von der Erregung anstecken, die Axton erfaßt hatte. »Vielleicht haben Sie recht«, bemerkte er ruhig. »Dann aber können Sie das bestimmt nicht von einem Toten erfahren. Sie müssen versuchen, diesen Offizier zu erwischen.« Axton bekam sich fast augenblicklich in die Gewalt. Er wurde ruhig und ausgeglichen. »Ich habe mich hinreißen lassen«, gestand er ein. Er lächelte selbstsicher. »Die Situation hat sich schlagartig für uns gewandelt. Ich habe das gespürt und bin ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Dies war eine fast laienhafte Aktion des OrbanascholDoppelgängers, wie sie absolut der Mentalität Orbanaschols entspricht. Sie war überhastet, erfolgte zu früh und wurde nicht genügend abgesichert. Der Doppelgänger hatte nicht die Geduld, noch ein paar Tage abzuwarten, weil er Angst hat. Und dazu hat er auch allen Grund.« »Sie wissen also schon, welche Gegenmaßnahmen Sie ergreifen werden?« »Selbstverständlich, Avrael. Es wird noch nicht einmal eine Stunde dauern, bis ich weiß, welche Gefangenen aus dem TekaylGefängnis ausgewählt wurden. Ebenso schnell werde ich herausfinden, wer der Offizier war und von welchen Leitstationen er gekommen ist. Es gibt ja nicht allzu viele Stationen, die nicht vollrobotisch arbeiten.« Die beiden Männer blickten sich an. Axton sprach den letzten Gedanken, der sich logisch an diese Kette anschloß, nicht aus, aber Avrael Arrkonta wußte auch so, was er meinte. Der Terraner wandte sich an Gentleman Kelly. »Mein kleiner Blechliebling«, sagte er ironisch. »Ich sehe, daß du mit verträumten Linsen in der Gegend herumstehst. Denkst du an hübsche Robotmädchen, oder hältst du
34 nach Leuten Ausschau, die uns nicht wohl wollen?« »Wie sprichst du mit mir, Schätzchen?« entgegnete Kelly. Er drehte ihm das Gesicht zu und blickte ihn in beklemmend menschlich wirkender Haltung über die Schulter hinweg an. »Ich dachte selbstverständlich nur an deine Sicherheit. Sie ist nicht gefährdet, denn weder Polizei noch sonst jemand ist in der Nähe. Niemand ist aufmerksam geworden.« »Das ist gut. Dem Burschen hier können wir doch nicht mehr helfen. Es genügt, wenn ich in einigen Stunden die Behörden benachrichtige. Bis dahin weiß ich vielleicht schon, was ich wissen muß.« Er lenkte den Roboter in den Gleiter. Auch Arrkonta stieg ein. Kelly startete die Maschine, nachdem Axton von seinem Rücken gerutscht und sich in die Polster gesetzt hatte. Der Arkonide legte dem Kosmokriminalisten die Hand auf den Arm. »Bitte, Lebo«, sagte er eindringlich. »Bemühen Sie sich herauszufinden, welche Raumschiffe die Schlacht bei den ovalen Sonnen unbeschadet überstanden haben. Ich muß wissen, ob Arron noch lebt.« »Selbstverständlich«, erwiderte Axton. »Ich gebe Ihnen noch heute nacht Bescheid, wenn ich etwas erfahre. Ich verspreche es Ihnen.« Kelly flog zum Innenministerium, wo er und Axton den Gleiter verließen, während der Arkonide zu seiner Wohnung zurückkehrte. Der Terraner rechnete nun auf Schritt und Tritt mit einem erneuten Überfall. Er befand sich in der Höhle des Löwen. Mittlerweile wußte der Orbanaschol-Doppelgänger, daß der Anschlag ohne Erfolg geblieben war. Es fragte sich jedoch, ob er es wagen würde, so schnell erneut anzugreifen. Die Aktion war ohnehin mit einem erheblichen Risiko für ihn verbunden. Die Minister und die Sicherheitsoffiziere in den verschiedenen Abwehrund Geheimdienstorganisationen des Imperiums kannten Axton, und sie wußten, was er geleistet hatte. Viele standen ihm ableh-
H. G. Francis nend und eifersüchtig gegenüber, aber alle wußten, wie hoch er in der Gunst Orbanaschols stand. Wenn eben dieser Orbanaschol seinen Günstling nun ermorden ließ, dann mußte das zwangsläufig viele intelligente und scharf denkende Männer und Frauen argwöhnisch machen. Darüber mußte sich auch der Doppelgänger im Klaren sein. Axton hoffte es wenigstens. Der Kosmokriminalist ließ sich zu einem Archiv tragen. Es wurde nur durch Robotanlagen abgesichert. So hatte er keine Mühe, darin einzudringen. Er suchte sich die Unterlagen über die Einlieferungen des TekaylGefängnisses heraus. Es waren nicht viele. Einige der Männer waren bereits hingerichtet worden. Darunter auch der GrishkanDoppelgänger. So blieben nur noch fünf Männer übrig, die zum Tode verurteilt waren, aber noch lebten. Darunter war jener Arkonide, den Axton gestellt und abgeschossen hatte. Blieben nur noch vier. Axton suchte sich die privaten Adressen dieser Männer heraus und verließ das Archiv wieder. Zehn Minuten später landete er mit einem Gleiter des Innenministeriums auf dem Parkdach eines kleinen Trichterbaus. Er stieg aus, kletterte auf den Rücken Kellys und lenkte diesen zu einem Eingang hinüber. Auf halbem Weg machte der Roboter ihn auf einen abgestellten Gleiter aufmerksam. Es war noch immer dunkel. So konnte Axton nicht viel erkennen. »Was ist denn?« fragte er. »In dem Gleiter sitzt ein Mann. Er scheint zu schlafen.« Im ersten Moment dachte Axton an einen Betrunkenen, der es gerade noch geschafft hatte, das Parkdach zu erreichen, dem aber die Kraft gefehlt hatte, nun auch noch bis zu seiner Wohnung zu gehen. Doch dann lenkte er Kelly zu dem betreffenden Gleiter hinüber. Der Roboter öffnete die Tür. Das Innenlicht der Kabine erhellte sich. Der Arkonide auf dem Sitz hinter dem Steuer war tot. Er hatte eine Stichwunde am
Doppelgänger des Mächtigen Hals. Es war einer der Gefangenen aus dem Tekayl-Gefängnis. Ihn hatte Axton bei seiner Familie zu finden gehofft. »Zurück zum Gleiter. Schnell«, befahl Axton. Gentleman Kelly rannte los. Er sprang in die Kabine. Axton rutschte über die Rücklehne nach hinten und Kelly startete. Der Terraner gab ihm die Daten des nächsten Zieles an. Es war nur etwa zwanzig Minuten entfernt. Auch dieser Trichterbau war nicht groß. Er erhob sich bis in eine Höhe von nur etwa zweihundertfünfzig Metern. Ein Teil des Daches stand als Parkfläche zur Verfügung. Als der Gleiter zur Landung ansetzte, erfaßten die Scheinwerfer die Gestalt eines Mannes, der in verkrümmter Haltung auf dem Rücken lag. »Halt«, befahl Axton. Der Gleiter setzte auf, so daß der Tote im Licht der Scheinwerfer blieb. »Ist jemand in der Nähe?« »Nur der Tote«, antwortete Kelly. »Deine dämlichen Antworten sorgen dafür, daß ich früher oder später Magengeschwüre bekomme«, entgegnete Axton. Er kletterte aus der Maschine und eilte mit schleifenden Füßen zu dem Arkoniden hinüber. Auch dieser Mann war durch einen Stich in den Hals getötet worden. Neben seiner verkrampften Hand blitzte etwas Metallisches auf dem Boden. Axton kniete sich hin und nahm es auf. Es war ein Stück von einer militärischen Auszeichnungsbrosche. Er steckte es ein und kehrte zum Gleiter zurück. »Starten«, befahl er. »Wohin?« erkundigte sich Kelly, nachdem sie einige Minuten lang geflogen waren. »Zur nächsten Adresse der TekaylGefangenen?« »Nein«, erwiderte Axton. »Das ist nicht notwendig. Der Leiter der Gruppe hat inzwischen ganze Arbeit geleistet. Ich glaube nicht, daß noch einer von den Todeskandidaten lebt. Er hat sie alle umgebracht, damit sie nichts verraten können.«
35 »Du glaubst, daß es der Offizier der Leitstelle ist?« »Davon bin ich überzeugt. Er ist offenbar der einzige Mann, dem der OrbanascholDoppelgänger vertraut.« Axton überlegte kurz, dann befahl er: »Ins Büro.« Als der Terraner seinen Arbeitsraum im Geheimdienstbereich betreten hatte, holte er das Stück Metall hervor, das er neben dem Ermordeten gefunden hatte. Er legte es unter ein Elektronenmikroskop, wählte allerdings nur eine hundertfache Vergrößerung, die er auf einen Videoschirm projizierte. Dann setzte er sich in einen Sessel und sah sich das Bild genau an. Axton kannte alle militärischen Orden und Ehrenzeichen, dieses aber hatte er noch nicht gesehen. Er hatte zunächst geglaubt, es zu kennen, doch in der Vergrößerung zeigten sich Linien, die sich nicht zu bekannten Zeichen ergänzen ließen. Er rief alle Ehrenzeichen der Raumflotte aus dem elektronischen Archiv ab, fand aber auch darunter nicht, was er suchte. Verwirrt und beunruhigt eilte er zu einem Getränkeautomaten und zapfte sich selbst ein Getränk ab. Das tat er normalerweise nie. Er ließ sich sonst von Kelly bedienen. Jetzt glaubte er, sich bewegen zu müssen, um sich anschließend besser konzentrieren zu können. Danach rief er Rang- und Ehrenzeichen der Bodentruppen ab, aber auch darunter war kein Zeichen, zu dem das Bruchstück paßte. Nun ging Axton sämtliche militärischen und paramilitärischen Organisationen durch, ohne sein Ziel zu erreichen. »Was bleibt denn nun noch?« fragte er Gentleman Kelly schließlich. »Polizei, Brandschutz, Bioingenieure im Umweltschutz, Sportler und Parasportler.« »Parasportler? Was soll der Unsinn?« fragte Axton unwillig. Er fürchtete, daß Kelly wieder zu seinen eigenwilligen Darstellungen und Diskussionen ansetzen würde. »Bei den Parasportlern denke ich an Sieger der KAYMUURTES«, erwiderte der Roboter. Die Kinnlade des Terraners sackte nach unten. Axton war so überrascht, daß er zu-
36 nächst nichts sagen konnte. Dann beugte er sich voller Argwohn vor. Er wußte nicht, wie die Worte Kellys gemeint waren. »Willst du damit behaupten, daß die Sieger der KAYMUURTES Ehrenzeichen erhalten?« »Sie bekommen zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen«, erklärte der Roboter. »Sieger werden auf Arkon stets mit dem größten Aufwand gefeiert. Es ist möglich, daß man ihnen auch solche Orden überreicht wie diesen da.« »Kelly, wenn ich mal reich bin, werde ich dir einen ganzen Schrottplatz kaufen, damit du dir ein paar edle Körperteile darauf zusammensuchen kannst«, versprach Axton. »Ich bin zu Tränen gerührt, Liebster.« »Übertreibe nicht. Das, was da aus deinem Rumpf kleckert, ist Öl. Es wird höchste Zeit, daß du dir ein paar neue Dichtungen verpassen läßt. Sprich nicht von Tränen. Roboter haben so etwas nicht.« »Wie schade. Ich werde darüber nachdenken, ob ich eine Tränenanlage bei mir einbauen kann. Das würde meine Ausdruckskraft erhöhen.« »Tu das«, riet Axton stöhnend, »aber laß mich bitte in Ruhe.« Er rief die gewünschten Daten über die KAYMUURTES aus dem Archiv ab und fuhr schon wenig später wie elektrisiert auf. Eine goldene Metallbrosche erschien auf dem Videoschirm. Das gefundene Metallstück ließ sich einwandfrei als Teilstück dieses Ehrenzeichens identifizieren. Es war die Auszeichnung für den Sieger der Amnestieklasse. Das bedeutete, daß der Mörder als Ausgestoßener, Verbrecher oder Entehrter an der KAYMUURTES teilgenommen und sich durch den Sieg in der Gesamtgruppe rehabilitiert hatte. »Dadurch hat sich an seinem Charakter jedoch nichts geändert«, kommentierte Axton. Der Orbanaschol-Doppelgänger hatte von diesem Mann gewußt. Vielleicht war ihm sogar bekannt gewesen, daß der KAYMU-
H. G. Francis URTES-Sieger nach seiner Rehabilitierung abermals gegen die Gesetze verstoßen hatte. Dadurch konnte sich eine Möglichkeit ergeben haben, ihn zu erpressen. »Ein äußerst gefährlicher Mann«, sagte Axton respektvoll. »Wer bei den KAYMUURTES siegt, der muß schon etwas können.« Ihm wurde bewußt, daß er unglaubliches Glück gehabt hatte. Bei diesem Gegner hätte auch schon der erste Schuß aus dem Hinterhalt voll treffen können. Vielleicht war das sogar der Fall gewesen. Axton wußte es nicht genau. Er wußte nur, daß der geheimnisvolle blaue Gürtel, der sich um seine Hüften schlang, ihm das Leben gerettet hatte, indem er die aufprallende Energie offenbar in eine übergeordnete Dimension abgeleitet hatte. »Und was nun?« fragte Kelly. »Jetzt schnappen wir uns den Mann«, erwiderte Axton. »Es dürfte unter den im Süden in irgendwelchen Leitstationen beschäftigten Offizieren nicht gerade viele geben, die KAYMUURTES-Sieger sind.« Es gab nur einen. Lebo Axton hatte seinen Namen zwei Minuten später, nachdem er ein paar Knöpfe gedrückt und die Informationen aus dem Archiv abgerufen hatte.
6. »Nur drei Stationen kommen in Frage«, erläuterte Lebo Axton. Er blickte sich in der Runde um. Vier Mitglieder der Organisation Gonozal VII. sollten an dem Stoßtruppunternehmen teilnehmen. Er wollte es leiten. Da waren Avrael Arrkonta, der Industrielle, und Ermed Trelgron, der ehemalige Stützpunktkommandant von Karaltron. Dazu kamen Peget Berantog und Senkt Honkryx, beide erfahrene Männer, die sämtliche Kampftechniken beherrschten. Nur Arrkonta wußte, daß es galt, Orbanaschol III. zu finden und zu befreien. Den anderen hatte Axton gesagt, daß es um eine hochgestellte Persönlichkeit ging, deren Leben unter allen Um-
Doppelgänger des Mächtigen ständen zu schützen war. »Der Offizier und KAYMUURTES-Sieger Kar Obon kontrolliert eine Hyperkomsammelstelle, eine Satellitenüberwachung und die Radarzentrale für das Südpolgebiet. Ich kann mich nur auf Vermutungen stützen. Ich weiß nicht, ob sich der Gesuchte wirklich in einer dieser drei Stationen befindet, aber ich hoffe es. Kar Obon hat das Attentat auf mich organisiert. Er hat auf Befehl Orbanaschols gehandelt. Eben das läßt die Vermutung zu, daß er die entführte Persönlichkeit ebenfalls im Auftrag des Imperators versteckt hat, und zwar in einem Bereich, der ständig von ihm kontrolliert wird.« Axton blickte einen nach dem anderen an. »Sonst noch Fragen?« Die Arkoniden schwiegen. Axton stieg auf den Rücken Kellys und gab ihm den Befehl, ihn zum Gleiter zu tragen. Wenig später startete die Maschine Axtons. Der neue Tag dämmerte herauf. Der Terraner hatte keine Zeit verloren. Er war müde, aber er handelte dennoch. Bis zu ihrem ersten Ziel im Südpolgebiet würden sie fast zehn Stunden unterwegs sein. Das war Zeit genug für einen erholsamen Schlaf.
* Die Hyperkomsammelstelle lag in einem verwilderten Wald aus verkrüppelten Nadelbäumen, die sich mühsam in dem vereisten und steinigen Gelände hielten. Die Station erhob sich kugelförmig aus einem kreisförmig angelegten Unterbau. Axton landete mit dem Gleiter etwa fünfhundert Meter von der Station entfernt. Näher konnte er mit der Maschine nicht heranfliegen, ohne gleichzeitig auf ausreichende Deckung zu verzichten. »Den Rest müssen wir zu Fuß gehen«, sagte er. »Ich denke, wenn wir vorsichtig genug sind, erreichen wir die Station, ohne daß man uns sehen kann. An einigen Stellen müssen wir kriechen.« »Wieviel Mann Besatzung gibt es hier?« fragte Arrkonta.
37 »Keine Ahnung«, antwortete der Terraner. »Das ist geheim. Auch ich komme nicht an diese Informationen.« »Wir werden es schon schaffen«, bemerkte Arrkonta zuversichtlich. Sie verließen die Maschine und pirschten sich behutsam näher, wobei sie sich ständig bemühten, in der Deckung von Felsen oder Bäumen zu bleiben. Axton lag flach auf dem Rücken Kellys, der dicht über den Boden dahinglitt. Für ihn war der Vorstoß am wenigsten anstrengend. So konnte er sich ganz auf die Station konzentrieren und sie ständig beobachten. Nichts deutete darauf hin, daß man sie dort bemerkt hatte. Weder Arkoniden noch Roboter waren zu sehen. Es schien, als sei die Station völlig unbesetzt. »Wie alt ist eigentlich dieser Kar Obon?« fragte Arrkonta keuchend, als sie bis auf wenige Meter an eine aufgeschichtete Steinmauer herangekommen waren. »Er muß zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt sein«, erwiderte Axton. »Es ist etwa dreißig Jahre her, daß er die KAYMUURTES gewonnen hat.« Trelgron, Berantog und Honkryx waren aufgerückt. »Kelly und ich zuerst«, entschied Axton. »Sie bleiben als Rückendeckung hier, bis wir die Tür geöffnet haben.« Der Roboter glitt lautlos über die Mauer hinweg und schoß mit scharfer Beschleunigung auf den Eingang zu. Axton preßte sich an den Stahlkörper. Er spähte nach oben, weil er befürchtete, dort könne sich irgendein Schott öffnen, und von dort könne ein Angriff erfolgen. Doch alles blieb ruhig. Kelly erreichte die Tür und richtete sich auf. Mit Hilfe seiner Spezialinstrumente untersuchte er den Verschlußmechanismus. »Kein Problem«, sagte er dann. Axton gab den Arkoniden ein Zeichen. Sie sprangen über die Mauer und rannten geduckt zu ihm herüber. Als sie ihn erreicht hatten, öffnete der Roboter das Türschott. Es glitt leise quietschend zur Seite. Kelly schnellte sich nach vorn in den dahinterliegenden Gang
38 hinein. Er prallte mit einem Wachroboter zusammen und schleuderte diesen bis an eine Wand zurück. Der Aufprall kam so überraschend und war so heftig, daß Axton aufschreiend vom Rücken des Roboters herabstürzte und auf den Boden fiel. Aufblickend bemerkte er, daß der Wachroboter einen Waffenarm auf Gentleman Kelly richtete. Er kam jedoch nicht mehr zum Schuß, weil Kelly ihm mit einem Energiestrahler den ovalen Kopf zertrümmerte. Der Wachroboter kippte um und knallte scheppernd auf den Boden. »Au«, sagte Gentleman Kelly. Lebo Axton richtete sich auf. »Du spinnst wohl?« fragte er. »Seit wann verspürt ein Roboter Schmerzen?« »Körperliche Schmerzen kenne ich selbstverständlich nicht«, antwortete Gentleman Kelly würdevoll. Er hob seine rechte Hand. Am Handgelenk; hatte sich der Abstrahlprojektor für den Energiestrahler befunden. Die Hand war völlig deformiert. »Die Hand ist unbeweglich geworden, und das muß selbstverständlich psychische Folgen für mich haben.« »Kümmern Sie sich nicht um ihn«, bat Axton. Er blickte die Arkoniden an, die ratlos und verwirrt aussahen. »Ich hatte schon lange den Verdacht, daß seine Hauptpositronik nicht mehr ganz in Ordnung ist.« Er griff nach der Hand Kellys und untersuchte sie flüchtig. »Wenn du die Querversteifung herausziehst, kannst du die Hand wieder bewegen.« »Das würde bedeuten, daß sie locker sitzt. Ich könnte sie jederzeit verlieren.« »Tu, was du willst, mir ist es egal.« Axton wandte sich ab und ging zu einer weiteren Tür. Kelly zog die Querversteifung aus dem Metallhandgelenk und warf sie weg. Er konnte die Hand wieder bewegen. Schnell schloß er zu Axton auf, der die Tür bereits geöffnet hatte. Die Arkoniden sicherten ihn ab, als er die positronische Überwachungszentrale der Station betrat. Sie war unbesetzt.
H. G. Francis »Außer dem einen Wachroboter scheint es hier keine Sicherungen mehr zu geben«, sagte Axton. »Ich schlage vor, daß ich hier bleibe und von hier aus versuche, Informationen einzuziehen, während Sie und Kelly die Station untersuchen. Es muß hier noch zahlreiche Räume geben. In jedem von ihnen könnte der Gesuchte gefangenengehalten werden.« »Wollen Sie uns nicht endlich sagen, wer der Mann ist, den wir herausholen sollen?« fragte Trelgron. »Wenn Sie ihn sehen, werden Sie sofort begreifen, weshalb ich es Ihnen nicht gesagt habe«, antwortete Axton und begann mit einer intensiven Untersuchung der technischen Einrichtungen. Damit gab er eindeutig zu verstehen, daß das Thema für ihn abgeschlossen war. Die Arkoniden blickten sich kurz an und akzeptierten seine Haltung. Lediglich Avrael Arrkonta schien nicht mit Axton einverstanden zu sein. Er zögerte lange, bevor er sich den anderen anschloß und den Raum verließ. Der Terraner stellte schon bald fest, daß er keine sensationellen Entdeckungen machen würde. Die Station war das, wofür sie gedacht war, und sie enthielt auch nur die dazu notwendigen Apparaturen. Wenn jemand etwas finden würde, dann konnten es nur die Arkoniden sein. Als er bis zu diesem Gedanken gekommen war, hörte er, wie sich hinter ihm die Tür öffnete. Er drehte sich um und setzte bereits zum Reden an, weil er Avrael Arrkonta erwartete. Doch die Worte blieben ihm buchstäblich im Halse stecken. In der Tür stand ein untersetzter Arkonide, der ihn drohend anblickte. Er hatte ein abstoßendes Äußeres und wirkte auf den ersten Blick unsympathisch. Häßliche Narben verunzierten das Gesicht. Der Mann zielte mit einem Energiestrahler auf den Terraner. Axton hob langsam die Hände. Er wußte, daß die kleinste unbedachte Bewegung tödlich sein konnte. Jetzt kam es nur darauf an, Zeit zu gewinnen. »Sie sind Kar Obon«, sagte der Kosmo-
Doppelgänger des Mächtigen kriminalist. »Ich hoffe, Sie wissen, daß ich das Recht habe, Sie zu erschießen, weil Sie hier eingebrochen sind«, erwiderte Obon mit einem zynischen Lächeln. »Auf eine solche Gelegenheit habe ich gewartet.« »Und Sie haben sich vorher soviel Mühe gemacht, mich auf andere Weise auszuschalten«, sagte Axton spöttisch. »Wieviel einfacher wäre es doch gewesen, wenn Sie nur gewartet hätten.« Kar Obon hob den Energiestrahler und zielte damit auf den Kopf des Terraners. Verzweifelt suchte Axton nach einem Ausweg. Er verstand nicht, warum weder Kelly noch einer der anderen Arkoniden sich sehen ließ. Hatte Obon sie bereits ausgeschaltet? »Es hilft Ihnen nichts, wenn Sie mich töten«, sagte Axton. »Das Komplott ist aufgedeckt. Der Orbanaschol-Doppelgänger ist zu dieser Zeit bereits erledigt. Sie können Ihren Kopf nur noch dadurch retten, daß Sie sich für den echten Imperator einsetzen.« Der Finger senkte sich auf den Auslöser des Energiestrahlers. Axtons Augen weiteten sich. Er erkannte, daß er nicht mehr die Spur einer Chance hatte. War sein ArkonAbenteuer nun zu Ende? Plötzlich sah er, daß Gentleman Kelly hinter Kar Obon auftauchte, doch der Roboter stand so ungünstig, daß er nicht schießen konnte, ohne Obon und ihn gleichzeitig zu treffen. Axton warf sich zur Seite, als er bemerkte, daß der Arkonide abdrücken wollte. Der Energiestrahl zuckte zentimeternah an ihm vorbei. Er spürte die ungeheure Hitzeausstrahlung und schrie vor Schmerz auf. Im Fallen sah er, wie Gentleman Kelly seinen Arm hob und kraftvoll nach vorn schwang. Die stählerne Hand löste sich von seinem Handgelenk und wirbelte durch die Luft. Kar Obon merkte buchstäblich erst im letzten Moment etwas. Er schnellte sich zur Seite, konnte aber dem Wurfgeschoß nicht mehr ganz ausweichen. Die Hand flog mit einem dumpfen Dröhnen gegen seine rechte
39 Schulter. Axton hörte, daß ein Knochen brach. Dann fuhr Obon herum. Er schwankte und schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Die Waffe entfiel seiner Hand. Axton sprang auf, rutschte jedoch aus und fiel wieder hin. Kar Obon machte einige Schritte auf Gentleman Kelly zu, begann plötzlich zu rennen, duckte sich und warf sich gegen den Roboter. Axton hörte den Arkoniden brüllen, dann vernahm er hastige Schritte. Irgendwo bewegte sich eine Tür, und dann trat Kelly auf ihn zu. Der Terraner blickte ihn an wie eine Erscheinung. »Du?« fragte er fassungslos. Das Blut schoß ihm ins Gesicht. »Was machst du hier?« schrie er. »Deine verdammte Pflicht ist es, Kar Obon zu verfolgen und zu fangen. Was fällt dir ein, es nicht zu tun?« »Ich war in Sorge um dich, Liebling.« »Du bist wahnsinnig. Du hast den letzten Rest deines Verstandes verloren.« Die Stimme des Terraners überschlug sich nahezu. »Der Mann darf uns nicht entkommen. Er weiß als einziger, wo Orbanaschol ist.« »Du wärest beinahe getroffen worden. Du hast dich verbrannt, mein Schatz.« Axton fuhr sich mit zitternder Hand über den Kopf. Die Reste von verbrannten Haaren blieben an seiner Hand kleben. »Ob ich da oben ein paar Haare mehr oder weniger habe, spielt keine Rolle«, sagte er und winkte den Roboter zu sich heran. Er sah ein, daß Kelly ein gutes Motiv hatte, Obon laufenzulassen. Es war richtig gewesen, daß er sich zuerst um ihn, Axton, gekümmert hatte. Sein Zorn verrauchte schnell, doch brachte er es nicht fertig, Kelly ein Lob auszusprechen. »Wo sind die anderen?« fragte er. Kelly deutete mit seinem Armstumpf über die Schulter zurück. »Sie kommen gerade.« Avrael Arrkonta erschien als erster auf dem Gang. Aufgeregt fragte er, was geschehen sei. Axton erläuterte es ihm, während er
40 auf den Rücken Kellys kletterte und diesen zur Verfolgung antrieb. »Ich bin überzeugt davon, daß Kar Obon uns direkt zu dem Mann führen wird, den wir suchen. Wir müssen uns nur beeilen, damit wir ihn nicht aus den Augen verlieren«, rief Axton. »Ich nehme an, daß Sie nichts gefunden haben, was wichtig für uns wäre?« »Nichts«, bestätigte Arrkonta. Sie verließen die Station. Während die Arkoniden zum Gleiter stürmten befahl Axton dem Roboter, steil aufzusteigen. Kelly gehorchte. Er raste fast senkrecht in die Höhe, und schon nach wenigen Sekunden entdeckte Axton einen Gleiter, der sich mit hoher Geschwindigkeit entfernte. »Kannst du erkennen, ob Kar Obon darin sitzt?« fragte er. »Ich kann es erkennen«, erwiderte Kelly. »Satan!« brüllte der Verwachsene. »Ich will eine klare Antwort. Ist Obon in dem Gleiter oder nicht.« »Er ist darin.« »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« »Weil du dich nach dem Leistungsvermögen meines optischen Systems erkundigt hast, nicht aber nach dem Insassen des Gleiters.« Axton atmete einige Male tief durch. »Wenn wir jetzt nicht in einer Höhe von etwa dreihundert Metern wären«, sagte er, »dann würde ich dich glatt abschießen.« Er gab Avrael Arrkonta mit dem Arm ein Zeichen, als er sah, daß der Freund mit dem Gleiter startete. Dann erteilte er Kelly den Befehl, Kar Obon zu verfolgen. Der Roboter ließ sich abfallen, bis er nur noch wenige Meter über die Hindernisse hinwegglitt, die die Landschaft bot. Manchmal raste er zwischen mehreren Felsbrocken hindurch oder streifte die Wipfel der Bäume. Auf diese Weise wurde es für Kar Obon extrem schwer, wenn nicht gar unmöglich, festzustellen, ob er verfolgt wurde. Avrael Arrkonta paßte sich der Taktik Kellys an, schloß aber nicht so dicht zu dem Verfolgten auf wie dieser, da er nicht in der Lage war, unter diesen Umständen so schnell zu flie-
H. G. Francis gen. Bald war das Ziel für Axton klar. Kar Obon flüchtete zu einer Radarstation, von der aus das gesamte Arkon-System überwacht werden konnte. Die Station war vollrobotisch wie die meisten dieser Art. Wurden verdächtige Objekte erfaßt, erfolgte eine Meldung an die Zentrale, und diese beobachtete die betreffenden Objekte dann weiter, so daß man sich an der entscheidenden Schaltstelle auf wenige Objekte konzentrieren konnte. Als die Radarstation in Sicht kam, verlor Axton Kar Obon vorübergehend aus den Augen. Er entdeckte ihn erst wieder, als der Arkonide mit seinem Gleiter unmittelbar vor dem Hauptschott der Station gelandet war. »Los, Kelly. Wir dürfen ihm keinen Vorsprung lassen«, schrie Axton. Er war noch etwa zweihundert Meter von dem ehemaligen KAYMUURTES-Sieger entfernt. Der Roboter beschleunigte und raste mit Höchstgeschwindigkeit auf Kar Obon zu. Dieser blickte sich um und entdeckte die Verfolger. Axton sah, daß er instinktiv zu seinem Gürtel griff, doch dort steckte kein Energiestrahler mehr. Obon fuhr herum und hämmerte die Faust gegen den Öffnungsmechanismus der Tür, die sich nun quälend langsam öffnete. Der Arkonide wartete nicht ab, bis sie ganz offen war, sondern schob sich durch den Spalt, als dieser breit genug für ihn war. Dann setzte bereits eine Gegenbewegung ein. Als Axton und Kelly die Tür erreicht hatten, schnappte sie klickend ins Schloß. Der Terraner preßte seine Hand gegen die elektronische Öffnungsscheibe, erzielte jedoch keinerlei Reaktion. »Obon hat den Motor zerstört«, teilte Kelly mit. »Ich kann den Wärmeherd orten. Hier.« Er zeigte mit seinem Armstumpf auf die Wand. »Aufstemmen«, befahl Axton. Er sprang vom Rücken des Roboters herab. Avrael Arrkonta landete mit seinem Gleiter wenige Meter von ihm entfernt. Er stieg aus und zog
Doppelgänger des Mächtigen seinen Energiestrahler. »Ich könnte die Waffe nehmen«, schlug er vor, als Kelly bereits zum Angriff ausholte. Axton entschied sich blitzschnell für ihn. »Schießen Sie«, rief er. Der Arkonide löste seine Waffe aus. Axton wandte sich ab und hielt den Arm schützend vor die Augen. Krachend platzte die Tür auseinander. Im gleichen Moment zuckte ein Energiestrahl aus dem Innern der Station hervor. Er traf Peget Berantog, der ungedeckt neben dem Gleiter stand. Sterbend brach der Arkonide zusammen. Gentleman Kelly beantwortete das Energiefeuer. Er schoß mit seinem unbeschädigten Energiestrahler, der in das linke Handgelenk integriert war. Eine dumpfe Explosion erschütterte den Unterbau der Radarstation. Trümmerstücke wirbelten durch die offene Tür heraus. Der Torso eines Kampfroboters kroch Bruchteile von Sekunden darauf aus Qualm und Feuer heraus. »Los doch, Kelly! Worauf wartest du noch?«, schrie Axton, der hinter dem Gleiter in Deckung gegangen war. Gentleman Kelly ließ sich nach vorn fallen. Gleichzeitig schaltete er sein Antigravtriebwerk an. Waagerecht raste er auf die Tür zu und stieß hinein, wobei er die angewinkelten Arme schützend vor den Kopf hielt. Axton vernahm ein donnerndes Bersten und Krachen. »Hinterher«, befahl er. Keuchend und wild nach Atem ringend, rannte er auf die Tür zu. Avrael Arrkonta und Senkt Honkryx waren wesentlich schneller als er. Sie überholten ihn, sprangen über den kriechenden Torso hinweg, der keine Gefahr mehr für sie darstellte, und verschwanden in der Radarstation. Der Terraner erreichte den Eingang erst, als sich drinnen kein Widerstand mehr zeigte. Gentleman Kelly erhob sich aus Staub, Schmutz und Asche. Zu seinen Füßen lag ein zertrümmerter Kampfroboter. Glutflüssiger Kunststoff rann die Wände herunter. Er wurde von der Löschanlage, die weißen
41 Schaum versprühte, gebremst. Die Luft war schier unerträglich heiß. »Wo ist Kar Obon?« fragte Axton keuchend. »Er muß im Antigravschacht nach oben geflüchtet sein«, erwiderte Gentleman Kelly. »Ich habe etwas nach oben steigen gesehen. Es kann nur Obon gewesen sein.« Axton eilte zum Antigravschacht. »Obon ist in einer verdammt guten Position«, stellte er unzufrieden fest. »Er kann von oben her alles abschießen, was ihm in die Quere kommt.« »Wir müssen uns beeilen«, sagte Ermed Trelgron. »Der Kerl könnte den Gefangenen umbringen.« »Das wird er nicht tun«, erwiderte Axton. »Der Gefangene bietet ihm die letzte Möglichkeit, sich zu retten. Mit ihm kann er uns erpressen.« Er streckte die Hand aus. »Geben Sie mir Ihren Energiestrahler«, bat er Trelgron. »Sie haben selbst eine Waffe«, stellte der ehemalige Kommandant von Karaltron fest. Er runzelte die Stirn und blickte Axton kopfschüttelnd an. »Ich würde meinen Strahler gern behalten.« Der Terraner zog seine Waffe aus dem Gürtel. »Diese hier ist kleiner und weniger beeindruckend, aber wenn Sie darauf bestehen, Ihre Waffe zu behalten, werde ich es hiermit versuchen.« Ohne ein weiteres Wort stieg er in den nach oben gepolten Antigravschacht. Avrael Arrkonta sprang blitzschnell zu ihm hin und versuchte, ihn zurückzuhalten, doch er griff am Bein Axtons vorbei. »Schnell. Ihm nach«, rief der Industrielle, doch bevor er dem Terraner folgen konnte, war Gentleman Kelly bereits im Antigravschacht. Doch auch er wäre zu spät gekommen, wenn Kar Obon geschossen hätte. Der ehemalige KAYMUURTES-Sieger hatte sich eine Waffe besorgt. Er stand hinter Orbanaschol III. und preßte ihm den Abstrahlprojektor in den Nacken, als Lebo Axton das nächste Stockwerk erreichte.
42
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7. Der Kosmokriminalist stieg aus dem Antigravfeld und blieb stehen. Orbanaschol blickte ihn mit geweiteten Augen an. Der feiste Imperator zitterte am ganzen Körper. Sein schweißüberströmtes Gesicht war wachsbleich. »Ich halte keine Waffe in den Händen«, erklärte Axton und zeigte Kar Obon die leeren Handflächen. Er trat einen Schritt vor, um Gentleman Kelly Platz zu machen. »Bleiben Sie, wo Sie sind«, rief Kar Obon mit sich überschlagender Stimme. Die roten Augen des Offiziers waren tränenfeucht vor Erregung. »Wenn Sie nicht tun, was ich sage, stirbt der Imperator.« »Das wäre auch Ihr Tod«, antwortete Axton ruhig. »Das weiß ich, aber das spielt dann keine Rolle mehr. Sie wären schuld am Tod Orbanaschols, und das würden Sie ebenfalls nicht überleben.« Ermed Trelgron, Avrael Arrkonta und Senkt Honkryx kamen aus dem Antigravschacht. »Werfen Sie Ihre Waffen in das Antigravfeld. Schnell«, befahl Kar Obon. »Tun Sie, was ich sage. Ich habe keine Wahl mehr. Entweder Sie gehorchen, oder wir sterben alle gemeinsam.« Sein Gesicht verzerrte sich vor Angst und Zorn. Lebo Axton erkannte, daß dieser Mann kurz vor dem totalen Zusammenbruch stand. Er hatte Schmerzen, und er war der psychischen Belastung nicht mehr lange gewachsen. »Bleiben Sie ruhig«, bat Axton. »Wir legen unsere Waffen ab. Das Leben des Imperators bedeutet uns alles.« Vorsichtig zog er seinen kleinen Energiestrahler aus dem Gürtel und warf ihn in das Antigravfeld, das nach unten gepolt war. Die Waffe verschwand. Axton beobachtete Trelgron und Honkryx. Die beiden Männer waren vollkommen verwirrt. Ihnen war anzusehen, daß sie mit allem gerechnet hatten, nur
nicht damit, den Imperator hier anzutreffen. Ermed Trelgron blickte Axton mit einem Ausdruck an, der ihn erschreckte. Offenbar glaubte der ehemalige Kommandant von Karaltron sich verraten. Der Terraner signalisierte ihm mit den Augen, daß er ruhig bleiben sollte, doch er spürte, daß Trelgron einfach nicht begriff. Ähnlich sah es mit Senkt Honkryx aus, und es schien, als sei es ein Fehler gewesen, diese Männer nicht früher einzuweihen. Nun standen sie vor vollendeten Tatsachen. Sie hatten sich den Weg bis zu dem Gefangenen freigekämpft und erfaßten erst jetzt, daß sie ihr Leben für ihren ärgsten Feind aufs Spiel gesetzt hatten. »Ich werde Ihnen alles erklären. Es ist alles in Ordnung. Verlassen Sie sich darauf«, flüsterte er. »Seien Sie still«, brüllte Kar Obon. »Oder ich schieße.« Auch Arrkonta, Trelgron und Honkryx legten ihre Waffen ab und warfen sie in den Antigravschacht. Nun war nur noch Kelly mit einem Energiestrahler ausgerüstet. »Der Roboter soll verschwinden«, forderte Obon. »Er bleibt«, antwortete Axton. »Ohne ihn kann ich mich nicht bewegen. Sie sehen doch, daß ich ein Krüppel bin.« Kar Obon überlegte und kam dann offenbar zu dem Schluß, daß der Roboter nicht schaden konnte. »Er soll seinen Waffenarm ablegen und in den Schacht werfen.« »Du hast es gehört, Kelly«, sagte Axton. »Tu, was man von dir verlangt.« Er blickte den Roboter an und wußte, daß dieser jeden Laut von ihm aufnehmen, ja, ihm jedes Wort von den Lippen ablesen würde. »Gift!« teilte er ihm lautlos mit. Gentleman Kelly schraubte seinen Waffenarm ab. »Nach oben oder nach unten?« fragte er mit schriller Stimme. »Nach unten«, erwiderte Kar Obon. Er glaubte, daß seine Gegner nun völlig unbe-
Doppelgänger des Mächtigen waffnet seien. »Sie werden hierbleiben«, erklärte er, »während Orbanaschol und ich die Station verlassen.« »Einverstanden«, erwiderte Axton. »Ich bestehe jedoch darauf, daß Sie den Imperator so behutsam wie möglich behandeln. Wenn Sie ihm auch nur ein Haar krümmen, werden Sie dafür teuer bezahlen.« »Das ist eine Forderung, die ich mit besonderem Vergnügen erfüllen werde«, sagte Kar Obon höhnisch. »Sie haben recht, es wäre schade, von diesen jämmerlich wenigen Haaren eines zu krümmen. Darüber hinaus werde ich ausgesprochen nett zu Orbanaschol sein.« Er krümmte das rechte Bein und stieß dem Imperator das Knie mit voller Wucht ins Hinterteil. Orbanaschol breitete kreischend die Arme aus und stürzte der Länge nach Axton vor die Füße. »Kelly«, rief der Verwachsene. Im Rumpf des Roboters öffnete sich ein kaum sichtbarer Spalt. Ein nadelfeiner Kristallsplitter jagte mit hoher Geschwindigkeit heraus und bohrte sich Kar Obon in die Wange. Der Offizier zielte mit dem Energiestrahler auf Axton. Er griff sich an den Kopf, als er den Einstich spürte. »Wenn Sie einen Trick versuchen, bringe ich Sie um«, sagte er drohend. »Erlauben Sie mir, dem Imperator auf die Beine zu helfen«, entgegnete Axton höflich. Er beugte sich zu Orbanaschol herab, streckte ihm die Hände entgegen und stützte ihn, als er aufstand. Der Imperator stöhnte und keuchte. Kurzatmig wandte er sich an Kar Obon und wollte etwas sagen, doch der ehemalige KAYMUURTES-Sieger stand wie zur Statue erstarrt da. Der Energiestrahler entfiel seiner erschlaffenden Hand, und dann kippte er langsam nach vorn. Er fiel auf das Gesicht. Ein Schauer überlief seinen Körper. Dann lag er still. »Was ist mit ihm?« fragte Orbanaschol mit kneifender Fistelstimme, in dem sich aller Schrecken spiegelte, den er in den vergangenen Tagen erlitten hatte.
43 »Er ist tot«, antwortete Axton. »Mein Roboter hat ihm ein schnell wirkendes Gift verabreicht.« »Davon habe ich nichts bemerkt.« »Kar Obon auch nicht. Eben das ist unser Erfolgsgeheimnis«, erklärte der Terraner lächelnd. »Imperator, Sie sind frei und können in den Kristallpalast zurückkehren.« »Das ist nicht wahr«, rief Ermed Trelgron empört. Er trat drohend auf Axton zu. »Mit einer Einschränkung«, sagte der Kosmokriminalist rasch. »Das ist richtig.« »Wovon sprechen Sie?« fragte Orbanaschol befremdet. »Ich darf wohl von der Voraussetzung ausgehen, daß Sie Ihren Doppelgänger gesehen haben, als Sie entführt wurden«, erklärte Axton. »Allerdings.« »Dann wissen Sie, daß im Kristallpalast nun ein Mann die Rolle des Imperators spielt, der Ihnen so ähnlich ist, daß selbst Ihre Frauen und Ihre engsten Freunde keinen Unterschied feststellen können«, fuhr Axton fort. »Das ist das Problem. Wenn Sie jetzt sofort zurückkehren, werden Sie beweisen müssen, daß Sie wirklich der echte Orbanaschol sind und Anspruch auf die Macht haben.« »Das ist doch … das ist doch …«, sagte der Imperator stammelnd. Er ließ sich in einen Sessel sinken. Es war bezeichnend für ihn, daß er den toten Kar Obon überhaupt nicht mehr beachtete. Für ihn war er nicht mehr vorhanden. Orbanaschol hatte begriffen, daß er die gefährlichste Krise seiner Existenz zu bewältigen hatte. »Und niemand hat bemerkt, was geschehen ist«, sagte Orbanaschol nach einer Weile. Er blickte Axton anerkennend an. »Nur Sie, Axton! Nur Sie haben Ihre Augen offengehalten.« Er musterte nacheinander Avrael Arrkonta, Ermed Trelgron und Senkt Honkryx. »Wer sind diese Männer?« fragte er. »Freunde«, behauptete Axton. »Männer, die ihr Leben für Sie riskiert haben, ohne überhaupt nachzudenken.«
44 »Das ist …«, begann Ermed Trelgron erregt, doch der Terraner ließ ihn nicht aussprechen. »Das ist die einfache Wahrheit. Es gibt Männer in Ihrer Nähe, Imperator, die nur an das Wohl des arkonidischen Imperiums denken, und die wissen, daß Sie der Repräsentant unserer Zukunftschancen sind.« Orbanaschol schluckte mehrmals. »Ich muß nachdenken«, sagte er dann mühsam. »Wir lassen Sie allein. Nur Arrkonta wird zu Ihrer Sicherheit bei Ihnen bleiben, wenn Sie einverstanden sind.« »Ich werde Sie nicht stören«, versprach der Industrielle. Axton drängte Trelgron und Honkryx zum Antigravschacht. Sie leisteten keinen Widerstand, doch kaum war er mit ihnen in einem Raum im unteren Geschoß allein, als sie wütend über ihn herfielen. »Was fällt Ihnen ein, uns in dieser infamen Weise zu betrügen«, brüllte Ermed Trelgron. »Sie wissen genau, daß ich niemals auch nur einen Finger gerührt hätte, wenn ich gewußt hätte, wer der Gefangene ist.« »Eben«, erwiderte Axton lächelnd. »Sie wußten also genau, was Sie taten«, stellte Senkt Honkryx verächtlich fest. »Sie wußten, wie wir reagieren würden, und deshalb haben Sie dieses schmutzige Spiel inszeniert. Es hat einem Atlan-Kämpfer das Leben gekostet. Peget Berantog hat sein Leben für einen Schuft wie Orbanaschol geopfert.« »Das ist nicht richtig. Es geht einzig und allein um die Zukunft des Imperiums«, entgegnete Axton. »Ich würde Orbanaschol auf der Stelle erschießen, wenn ich wüßte, daß damit etwas gewonnen wäre. Vorläufig aber sitzt ein Doppelgänger Orbanaschols an der Macht und führt das Imperium dem Abgrund entgegen. Ich brauche den echten Orbanaschol, um dieses Monstrum erledigen zu können, ohne mich selbst und die Organisation Gonozal VII. dabei zu vernichten.« Die beiden Arkoniden beruhigten sich et-
H. G. Francis was, hatten jedoch noch immer nicht akzeptiert, was Axton getan hatte. »Wie wären Sie denn an meiner Stelle vorgegangen?« fragte der Kosmokriminalist. »Wären Sie an Frantomor, den Geheimdienstchef, herangetreten? Hätten Sie ihn um Hilfe gebeten? Er hätte Sie für verrückt erklärt. Wäre er aber mitgekommen und hätte er Orbanaschol befreit, dann hätte er die ganze Dankbarkeit des Imperators für sich beansprucht.« »Ich verstehe, daß der Doppelgänger unschädlich gemacht werden muß«, erwiderte Trelgron nachdenklich. »Mir wird jedoch schlecht bei dem Gedanken, daß ich den echten Orbanaschol gerettet habe.« »Mit ihm geht es zu Ende«, sagte Axton. »Er verliert immer mehr an Ansehen in der Öffentlichkeit. Wir haben unsere Positionen inzwischen gut ausgebaut. Wir sind bereit, bald zuzuschlagen. Wir würden aber alles aufs Spiel setzen, wenn wir zu früh handelten. Damit würden wir der Clique, die zusammen mit Orbanaschol III. die Macht innehat, Gelegenheit geben, sich neu zu formieren. Dazu aber darf es nicht kommen. Vertrauen Sie mir. Ich kämpfe für Atlan und das Imperium. Der Kristallprinz wird in naher Zukunft auf Arkon erscheinen, und das wird unsere Stunde sein.« »Woher wissen Sie, daß Atlan kommt?« fragte Trelgron. Axton lächelte geheimnisvoll. »Ich weiß es«, beteuerte er.
* »Das ist purer Wahnsinn«, sagte Avrael Arrkonta. »Warum wollen Sie Orbanaschol in den Kristallpalast bringen und dieses Risiko eingehen?« »Weil ich ihm diese letzte Demütigung nicht ersparen will«, antwortete Lebo Axton lächelnd. Er stand in den Haltebügeln auf dem Rücken Kellys und blickte auf den Freund hinab, der neben ihm stand. Senkt Honkryx und Ermed Trelgron führten Orbanaschol in die Wohnung Axtons, von wo aus
Doppelgänger des Mächtigen der Vorstoß in den Kristallpalast vorgenommen werden sollte. Es war dunkel. Bis zum Morgengrauen würden noch einige Stunden vergehen. Die Zeit war daher für Orbanaschol III. ungünstig. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Gerade das aber behagte ihm überhaupt nicht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann wäre er in den Kristallpalast gestürmt und hätte dort aufgeräumt – so jedenfalls hatte er sich Axton gegenüber ausgedrückt. »Nach meinen Informationen hält der Orbanaschol-Doppelgänger am Vormittag eine Konferenz ab. Daran nehmen die Minister teil. Außerdem werden Frantomor, einige der besten Freunde Orbanaschols, die führenden Militärs und einige Presseleute anwesend sein. Es geht darum, wie Orbanaschol sein ramponiertes Ansehen in der Öffentlichkeit verbessern kann«, erläuterte Axton. »Selbstverständlich hat der Doppelgänger gar nicht die Absicht, sich aufzuwerten. Im Gegenteil. In einem raffiniert angelegten Psychospiel wird er versuchen, die Führung des Imperiums bloßzustellen und zu entmachten. Er will das innen- und außenpolitische Chaos, um den Untergang des Imperiums zu ermöglichen. Das habe ich auch dem echten Orbanaschol erklärt. Er hat begriffen, und er spielt mit.« »Hoffentlich geht das gut, Lebo«, sagte Arrkonta. »Ein einziger Fehler kann alles verderben.« »Mir wird kein Fehler unterlaufen.« »Ihnen nicht, aber Orbanaschol vielleicht.« »Seien Sie nicht so pessimistisch«, bat Axton. Er trieb Kelly weiter bis in die Wohnung, in der Orbanaschol III. wie ein gefangenes Tier auf und ablief.
* Orbanaschol III. war bleich. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, und sein fast lippenloser Mund zitterte. Lebo AxtonKennon beobachtete ihn ständig. Ebenso Avrael Arrkonta und Ermed Trelgron, die
45 bis zum Morgengrauen in der Wohnung geblieben waren. »Es ist soweit«, sagte der Verwachsene und winkte Kelly herbei. »Wir werden jetzt zum Kristallpalast fliegen.« Er konnte Arrkonta und Trelgron ansehen, daß diese ihn mittlerweile verstanden und sich seiner Meinung angeschlossen hatten. Dies war die vielleicht schwerste Stunde für den Mörder Gonozals VII. Orbanaschol war sich während der Nacht bewußt geworden, was für ihn auf dem Spiel stand. Wenn es ihm nicht gelang, seine Identität zu beweisen, stand er vor dem Nichts. Axton kletterte auf den Rücken des Roboters und verließ wortlos die Wohnung. Orbanaschol III. schloß sich ihm an. Der Imperator bemühte sich, selbstbewußt zu erscheinen. Es gelang ihm nicht besonders gut. Axton wußte jedoch, daß sich die Haltung des Arkoniden bald ändern würde. Er dirigierte Orbanaschol auf den Rücksitz des Gleiters. Arrkonta und Trelgron verabschiedeten sich, indem sie sich respektvoll verneigten. Ihnen war nicht anzusehen, was sie empfanden. Axton übernahm das Steuer des Gleiters. Er beschleunigte scharf und flog auf der höchsten Leitlinie, um anderen Maschinen möglichst auszuweichen. Der Tag war hell, und der Himmel wolkenlos. Als der Gleiter in einer Parknische des Kristallpalastes landete, stieß Orbanaschol die Tür auf. Schnell stieg er aus. »Bitte«, rief Axton. »Zerstören Sie nichts. Wir müssen ungesehen bis in Ihren Wohnund Arbeitsbereich kommen.« Orbanaschol preßte die Lippen zusammen. Er nickte. Axton wußte, daß er am liebsten bis ins Zentrum des Palasts gestürmt wäre, um seinen Doppelgänger hinwegzufegen, denn er hatte offenbar noch immer nicht akzeptiert, daß der Duplo-Orbanaschol von ihm nicht zu unterscheiden war. Er fühlte sich als absoluter Herrscher über den Kristallpalast, über Arkon und über das Imperium und konnte sich nur schwer vorstellen, daß irgend jemand ihn nicht als solchen an-
46 erkennen könnte. Und dennoch war eine gewisse Unsicherheit da. »Können Sie sich nicht ein bißchen schneller bewegen?« fuhr er den Verwachsenen an, als dieser auf den Rücken kletterte. »Ich gebe mir Mühe«, erwiderte Axton gelassen. Er lenkte den Roboter bis zu einer Tür und ließ ihn sie öffnen. Dahinter lag ein Gang, der um den Wohnbereich des Dienstpersonals herumführte. Dieses war zur Zeit nicht hier, weil es den Imperator und seine Mitarbeiter zu versorgen hatte. Dadurch bot sich Axton eine Chance, Orbanaschol unbemerkt in den Palast zu schleusen. Gentleman Kelly eilte den Gang entlang. Axton hörte den Imperator hinter sich keuchen. Das Tempo strengte ihn an, aber er gab nicht nach. Erst als sie einen nach oben gepolten Antigravschacht erreicht hatten, hielten sie an. »Unglaublich«, sagte Orbanaschol, »daß jemand wirklich ungesehen in den Palast kommen kann. Warum haben Sie nicht längst dafür gesorgt, daß so etwas unmöglich ist?« »Ich habe dafür gesorgt, daß nur heute so etwas möglich ist«, erwiderte Axton lächelnd. Orbanaschol schien gar nicht auf den Gedanken zu kommen, daß der Kosmokriminalist die Unwahrheit gesagt haben könnte. Sein Gesicht glättete sich. Er nickte Axton anerkennend zu. »Wir müssen vorsichtig sein«, sagte der Terraner leise. »Ich gehe zuerst nach oben. Folgen Sie mir erst, wenn ich Ihnen ein Zeichen gebe.« Kelly trug Axton in den Schacht und schwebte mit ihm nach oben. Als sie vier Stockwerke überwunden hatten, gab Axton Orbanaschol zu verstehen, daß keine Entdeckungsgefahr bestand. Der Arkonide folgte. »Da drüben geht es durch die Bibliotheken zu den Konferenzräumen«, erklärte Axton. »Ich weiß«, entgegnete Orbanaschol grimmig. »Ich bin hier zu Hause.«
H. G. Francis »In der Bibliothek arbeiten zwei Beamte. Ich habe sie eben gesehen. Bitte, warten Sie hier, bis ich sie weggeschickt habe.« Orbanaschol bebte vor Ungeduld. Die Unsicherheit fiel von ihm ab. Er wurde wieder zu der dynamischen und ungemein gefährlichen Persönlichkeit, die alle seine Gegner das Fürchten gelehrt hatte. »Was spielt das für eine Rolle, ob die beiden mich sehen?« fragte er ärgerlich. »Warum ein Risiko eingehen? Das haben wir nicht nötig. Wir brauchen den totalen Überraschungseffekt, und den erreichen wir nur auf meine Weise.« »Also gut«, stimmte Orbanaschol zu. »Beeilen Sie sich.« »Das werde ich.« Axton lenkte Kelly in die Bibliothek. Die beiden Beamten blickten überrascht auf, als sie ihn hereinkommen sahen, da er aus einer Richtung kam, die dem Dienstpersonal vorbehalten war. »Ich muß Sie bitten, die Bibliothek für einige Minuten zu verlassen«, sagte Axton. »Bitte, stellen Sie keine Fragen. Dies ist eine Anweisung, die von höchster Stelle kommt.« Die beiden Arkoniden blickten auf die große Tür, die zum anliegenden Konferenzraum führte. Damit zeigten sie Axton unbewußt an, daß die von ihm zitierte »höchste Stelle« sich dort aufhielt. Sie zögerten. Der Terraner blickte auf sein Chronometer. »Dies ist ein dienstlicher Befehl«, sagte er schneidend scharf. »Wenn Sie nicht augenblicklich gehen, werden Sie die Konsequenzen zu tragen haben.« Sie beugten sich seiner Autorität und eilten davon. Axton kehrte zu der Tür zurück, durch die er hereingekommen war. Orbanaschol stand ungeduldig davor. »Kommen Sie«, rief Axton. Während der Arkonide vor Zorn förmlich bebte, war er völlig ruhig. Er stieg vom Rücken Kellys. »Ein letzter Test ist noch notwendig«, bemerkte er. »Wir müssen wissen, ob Ihr Doppelgänger auch wirklich nebenan ist. Der
Doppelgänger des Mächtigen Roboter wird das feststellen.« Er gab Kelly einen Wink, und der Robot schwebte zur Haupttür hinüber. Orbanaschol stürmte so schnell hinter ihm her, daß der Terraner ihm kaum folgen konnte. Unmittelbar bevor der Imperator die Tür erreicht hatte, drehte Kelly sich um. »Er ist da«, teilte er mit. »Er spricht gerade.« »Das trifft sich gut«, sagte Orbanaschol wütend. Sein Gesicht verfärbte sich. Er preßte seine Hand gegen den Öffnungskontakt der Tür und stürzte sich mit geballten Fäusten in den Konferenzraum. Er kam zwei Schritte weit. Dann blieb er wie angewurzelt stehen. Der Orbanaschol-Doppelgänger stand ihm gegenüber. Zwischen ihnen befand sich an langer Tisch, an dem hohe Militärs und Staatsbeamte Platz genommen hatten. Die meisten von ihnen sprangen auf und blickten bestürzt und verwirrt von einem Orbanaschol zum anderen. »Verhaftet ihn«, brüllte der echte Imperator. Er wollte noch mehr sagen, aber die Stimme versagte ihm. Axton sah, daß er bleich geworden war. Es schien, als seien die Wangen plötzlich eingefallen. Orbanaschol stand unter einem Schock. Erst in diesen Sekunden war ihm voll bewußt geworden, daß es keine Unterschiede zwischen ihm und dem Doppelgänger gab. Er verlor die Fassung. Alles, was Axton ihm vorher geraten hatte, war vergessen. Er riß seinen Energiestrahler aus dem Gürtel und richtete ihn auf den Doppelgänger. Axton sprang hinzu und schlug die Waffe zur Seite. »Sie wagen es …?« rief Orbanaschol keuchend und schleuderte den Terraner zur Seite. »Nicht schießen, Imperator! Tun Sie es nicht!« Axton stürzte zu Boden. In diesem Moment verlor der Doppelgänger die Nerven. Er fuhr herum und flüchtete aus dem Raum.
47 »Begreifen Sie denn nicht?« schrie der echte Orbanaschol die Militärs und Beamten an. »Das ist ein Verräter!« Er stürmte hinter dem Flüchtenden her. Lebo Axton kletterte auf den Rücken Kellys und trieb diesen an. Der Roboter flog im hohen Bogen über die Arkoniden im Raum hinweg und erreichte noch vor Orbanaschol den Ausgang, durch den der Doppelgänger geflüchtet war. Der Nebenraum war leer. Die Tür zum nächsten Raum stand offen. »Er will durch den Transmitter fliehen«, rief Axton. »Schnell, Imperator!« Der feiste Orbanaschol raste wie ein angreifender Stier los und stürmte noch vor Axton in den Transmitterraum. Beide sahen, daß der Doppelgänger in den aktivierten Transmitter sprang und im Transportfeld verschwand. Orbanaschol schrie zornig auf. Er fuhr herum und zerrte Lebo Axton vom Rücken Kellys herunter. In diesen Sekunden entwickelte er unglaubliche Kräfte. »Du erbärmlicher Verräter«, sagte er keuchend. »Du hast ihn entkommen lassen.« Seine Hände legten sich um den Hals des Kosmokriminalisten und drückten gnadenlos zu. Axton quollen die Augen aus den Höhlen. Vergeblich zerrte er an den würgenden Fingern des Imperators. Er versuchte, etwas zu sagen, doch er schaffte es nicht. Seine Kräfte ließen ungemein schnell nach. Die Hände fielen schlaff nach unten. Sein Widerstand brach zusammen. Er sah über sich das von Haß und Enttäuschung verzerrte Gesicht des Imperators. Es verschwamm vor seinen Augen. Dann verlor er das Bewußtsein.
* »Axton! So wachen Sie doch auf«, rief eine heisere Fistelstimme. Sie drang von fern an das Bewußtsein des Terraners. Sinclair Marout Kennon-Axton hatte das Gefühl zu schweben. Eine Hand berührte ihn.
48 War er in die Traummaschine Ischtars zurückgekehrt? War sein Abenteuer in AltArkon zu Ende? Jemand träufelte ihm eiskaltes Wasser auf Stirn und Wangen. Er schlug die Augen auf und blickte direkt in das Gesicht Orbanaschols. »Bei allen Göttern, er lebt!« sagte der Imperator erleichtert. Er lachte und packte Axton bei den Schultern. Er schüttelte ihn. »Sie leben, Axton! Sie ahnen ja nicht, in welcher Sorge ich um Sie war, mein Freund.« Der Terraner griff sich an den Hals und würgte. Mühsam richtete er sich auf und sah sich um. Die Arkoniden standen dichtgedrängt um ihn herum. »Sie nennen mich Freund? Eben noch wollten Sie mich umbringen.« »Es tut mir leid, Axton. Glauben Sie mir. Da wußte ich ja noch nicht, daß der Transmitter auf keine Gegenstation justiert war.« Axton stand auf. Dankbar nahm er ein Glas Wein entgegen und trank es aus. »Mein Doppelgänger hat Selbstmord begangen«, erklärte Orbanaschol. »Das war die einzige Möglichkeit«, erwiderte der Kosmokriminalist. »Ich war fest davon überzeugt, daß er das tun würde. Es kam darauf an, ihn zu überrumpeln. Das ist uns gelungen. Er sah mich an Ihrer Seite, und er mußte zu dem Schluß kommen, daß sein Spiel verloren war. In dieser Situation hätten Sie gekämpft. Er konnte es nicht mehr. Er wußte, daß er der Schwächere war. Damit war seine Aufgabe erfüllt. Er vollzog den letzten Befehl, den er erhalten hatte. Er beging Selbstmord.« »Warum haben Sie mich daran gehindert, ihn zu erschießen?« fragte Orbanaschol und legte Axton sofort beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will Ihnen nichts vorwerfen. Ich möchte nur wissen, warum.« »Wenn Sie ihn getötet hätten, dann hätten Sie Ihren Mitarbeitern und Freunden beweisen müssen, daß Sie der echte Orbanaschol sind. Das haben Sie nun nicht mehr nötig. Ihr Doppelgänger hat allzu deutlich gezeigt,
H. G. Francis daß er hier nichts zu suchen hatte.« »Sie haben recht«, erwiderte Orbanaschol anerkennend. »Das war genial, Axton.« Er blickte sich im Kreise um. Einige seiner Mitarbeiter und Freunde wichen seinem forschenden Blick aus. Das war die letzte Bestätigung für ihn. Orbanaschol begriff endgültig, wie schwer er es gehabt hätte, seine Identität zu beweisen, wenn der Doppelgänger ihm harten Widerstand entgegengesetzt hätte. »Mitarbeiter! Freunde!« rief er zornig. »Seit Jahren arbeite ich mit Ihnen eng zusammen. Fäst täglich sehen wir uns. Sie kennen meine Entscheidungen und meine politischen Ziele. Sie kennen meine militärischen Überlegungen. Und doch lassen Sie sich von einem Doppelgänger täuschen und sich Befehle aufzwingen, die das Imperium in seinen Grundfesten erschüttern können. Hinaus mit Ihnen. Ich will Sie nicht mehr sehen.« Einer der Dreifachen Sonnenträger versuchte, etwas zu sagen, doch Orbanaschol III. schrie ihn nieder. Er warf alle Arkoniden aus dem Raum und duldete nur noch Lebo Axton in seiner Nähe. Der Terraner hatte Mühe, seinen Triumph zu verbergen. Der Usurpator akzeptierte ihn, seinen ärgsten Feind, als seinen Freund. Und er begriff nicht, warum es sein Doppelgänger so leicht gehabt hatte, verhängnisvolle Befehle durchzusetzen. Er erkannte nicht, daß er selbst oft genug gegen die Interessen des Imperiums gehandelt und nur an seine eigene Macht gedacht hatte. Ihm wurde nicht bewußt, daß er viele Befehle mit brutaler Gewalt durchgesetzt und durch Terror den Widerstand seiner Mitarbeiter gebrochen hatte. Niemand hatte es gewagt, sich gegen den Doppelgänger zu behaupten, weil alle gewußt hatten, daß ihre Karriere oder gar ihr Leben auf dem Spiel stand, wenn sie allzu hartnäckig gegen ihn opponierten. »Kommen Sie, Axton«, rief Orbanaschol. Er schüttelte allen Ärger von sich ab und legte dem Verwachsenen freundschaftlich
Doppelgänger des Mächtigen die Hand auf die Schulter. »Kommen Sie. Das muß gefeiert werden.« Er führte den Kosmokriminalisten in seine Privaträume und befahl seiner Dienerschaft, Speisen und Getränke zu servieren. Dann rief er einige seiner Freunde an, denen er nach wie vor vertraute. »Wer sind die Drahtzieher?« fragte er, während die Diener Getränke brachten. »Das habe ich noch nicht herausgefunden«, antwortete Axton, »aber ich bin sicher, daß ich das bald wissen werde.« »Das glaube ich auch«, sagte der Imperator. Axton hatte unglaublich an Boden gewonnen. Er war der einzige, der überhaupt bemerkt hatte, daß Orbanaschol gegen einen Doppelgänger ausgetauscht worden war, und der Imperator wußte, was das bedeutete. »Warten Sie nur, bis Frantomor kommt«, sagte er. »Ich werde meinen Hohn über ihn ausschütten.« Er prostete Axton zu. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es nicht tun würden«, entgegnete der Kosmokriminalist. »Frantomor ist ein aufrechter Mann, der sicherlich alles getan hätte, Sie zu retten. Ihm ist lediglich vorzuwerfen, daß er nicht scharf genug beobachtet hat.« »Wie wahr«, rief Orbanaschol. Er beugte sich vor. »Ich möchte Sie belohnen, Axton. Ich werde Ihnen einen wertvollen Planeten schenken. Er soll Ihnen ganz allein gehören.« »Ich danke Ihnen, Imperator.« Die Tür öffnete sich. Einige Freunde Orbanaschols kamen herein. Durch sie wurde der Imperator abgelenkt. Axton war froh, daß er für einen kurzen Moment Zeit für sich und seine Gedanken hatte. Ihm war das angekündigte Geschenk hochwillkommen, und er überlegte bereits, was sich auf einem eigenen Planeten alles an Geheimstationen, Produktionsstätten und Laboratorien einrichten ließ. Der Planet konnte zum Ausgangspunkt für einen Brückenschlag Atlans nach Arkon werden. Er konnte die Basis einer neuen Macht wer-
49 den.
* »Wünschen der Herr Planetenfürst noch geduscht zu werden, oder möchte er gleich ins Bett?« fragte Gentleman Kelly, als der Gleiter in der Parknische von Axtons Wohnung landete. »Planetenfürst! Kelly, benimm dich. Ich habe keine Lust, so etwas zu hören.« »Liebling, deine Stimme klingt so anders.« »Das liegt am Alkohol, Blechkamerad.« Lebo Axton stieg ächzend aus dem Gleiter. Er blickte zu dem Roboter auf, der ihn weit überragte. »Weißt du was, Kelly? Wenn ich den Planeten erst habe, werde ich dir einen riesigen Schrottplatz einrichten, auf dem du dich nach Herzenslust austoben kannst.« »Herzenslust? Was ist das? Hat das etwas mit meiner Atombatterie zu tun?« »Ich hätte Lust, dir einmal kräftig gegen die Beine zu treten«, erwiderte Axton. »Ich tu's nur nicht, weil ich den kürzeren dabei ziehen würde. Los, ab in die Wohnung.« Gentleman Kelly öffnete die Tür. Axton trat ein und blieb überrascht stehen. In den Sesseln im Wohnsalon saßen Avrael Arrkonta und sein Sohn Arron. Sie erhoben sich lächelnd. Der Terraner eilte auf Arron Arrkonta zu und ergriff seine Hand. »Sie glauben gar nicht, wie ich mich freue, Arron«, sagte er. »Ich bin schlagartig nüchtern geworden.« »Halb besoffen ist 'rausgeworfenes Geld«, bemerkte Gentleman Kelly. Axton fuhr herum. »Sei still, du Ungeheuer«, rief er. »Das geht dich gar nichts an. Außerdem habe ich nicht bezahlt.« »Das ist dann ja noch schlimmer«, entgegnete der Roboter. Avrael Arrkonta lachte. »Ich muß Kelly ausnahmsweise recht geben, Lebo«, sagte er. »Daher schlage ich
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H. G. Francis
vor, daß Sie uns einen Schluck kredenzen.« »Das lasse ich mir nicht nehmen, Avrael. Die Rückkehr Ihres Sohnes muß gefeiert werden.« ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 271: Das Seuchenkommando von Peter Terrid Alarm für Pejolc – die großen Spiele sind gefährdet