Nr. 280
Agentenschule Cerrgoor Der Magnortöter ergreift Atlans Partei - die Umwelt hat ihn verstoßen von Kurt Mahr
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Nr. 280
Agentenschule Cerrgoor Der Magnortöter ergreift Atlans Partei - die Umwelt hat ihn verstoßen von Kurt Mahr
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft erbittert um seine bloße Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe von Arkon, mit seinen rund 12.000 Helfern bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Seine geheime Zentrale, von der die meisten Aktionen gegen Orbanaschol ihren Anfang nehmen, ist Kraumon. Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen längst bekannt, daß es mit Orbanaschol nicht mehr zum Besten steht. Daher rechnet sich Atlan eine reelle Chance aus, den Usurpator zu stürzen. Um dieses Zieles willen hatte Atlan ein Spiel mit höchstem Einsatz begonnen – und verloren, ohne allerdings sein Leben einzubüßen, wie es üblicherweise das Schicksal der Unterlegenen in den Amnestie-KAYMUURTES zu sein pflegt. Wieder nach Kraumon zurückgekehrt, sinnt der Kristallprinz nach neuen Wegen, wie Orbanaschol beizukommen sei. Klinsanthor, der Magnortöter, verhilft dem Kristallprinzen dabei zu einem neuen Vorstoß gegen den Usurpator. Dieser Vorstoß führt über die AGENTENSCHULE CERRGOOR …
Agentenschule Cerrgoor
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Kristallprinz zeigt Anflüge von Pessimismus. Klinsanthor - Der Magnortöter meldet sich erneut. Mana-Konyr - Der KAYMUURTES-Sieger wird übernommen. Orbanaschol III. - Der Imperator ist ungehalten. Grek-1 - Chef der Agentenschule Cerrgoor. Nithrea - Eine Frau, für die sich Mana-Konyr interessiert.
1. Die energetische Entladung erschütterte ihn bis in die Grundfesten seiner Existenz. Es war, wie wenn ein organisches Wesen in vollem Lauf gegen eine stählerne Wand geprallt wäre. Halb benommen sammelte er seine Sinne und blickte sich um. Ihn umgab ein fremder Raum, eine fremde Zeit. Er war seinem Ziel um keinen Schritt näher gekommen. Dies war der zwölfte Versuch. Mehr als zwölf Versuche waren nicht erlaubt. Da erkannte er, daß er gescheitert war. Er hatte gegen die Gesetze des Unseins verstoßen, denen er von Beginn seiner Existenz an unterworfen war. Er hatte gezaudert, er hatte sich zulange in der Fremde umhergetrieben. Und was noch schlimmer war: Er hatte begonnen, Gedanken des Seins zu denken, und damit gegen die eigene Natur verstoßen, die dem Unsein entstammte. Zum ersten Mal empfand er Angst. Er war ein Ausgelieferter, ein Fremdkörper in diesem Universum, das von den Gesetzen des Seins beherrscht wurde. Wohin er sich wandte, er würde zurückgestoßen werden. Schon jetzt glaubte er zu spüren, wie der fremde Kosmos seine Kräfte in sich aufsog. Er wurde schwächer. Irgendwann in naher Zukunft würde er aufhören zu existieren. Er schwebte im Nichts zwischen den Kontinuen und kämpfte gegen die Furcht. Er bezwang sie, indem er sich klarmachte, daß sein Schicksal unabänderlich sei. Angst vor etwas Unabänderlichem aber ist sinnlos. Furcht ist die Triebkraft, die Alternativen entwickelt. Gibt es keine Alternativen, dann kann es auch keine Furcht mehr geben.
Schließlich wurde er ruhig. Die Gesetze des Unseins hatten ihn verdammt. Er würde niemals zur Skärgoth zurückkehren. Er hatte nur noch kurze Zeit zu existieren. Er konnte hierbleiben und warten, bis das fremde Universum den letzten Rest seiner Kräfte aufgesaugt hatte und nichts mehr von ihm übrig war. Oder er konnte die Kraft, die noch in ihm stak, nützen, um Taten zu vollbringen. Er entschloß sich für das letztere. Er war konsequent. Gedanken des Seins waren es, die ihm den Rückweg zu den energetischen Gärten der Skärgoth verschlossen. Gedanken des Seins waren der Grund, warum der Kosmos des Unseins ihn nicht mehr aufnahm. Gedanken des Seins würde er bis an das Ende seiner Existenz von nun an denken. Er, Klinsanthor, der Magnortöter, wollte Gutes tun!
* Sie saßen auf der obersten Terrasse des Hauses, das Fartuloon gehörte. Es war Nacht, die samtene, von den Lauten der Insekten erfüllte Nacht von Kraumon. Sie hatten oft hier gesessen. Mancher ihrer Pläne war auf dieser Terrasse entwickelt worden. Es gab freundliche Erinnerungen an diese höchste Rampe des Trichterhauses, deren Brüstung so viele Blumen und Ranken und Lianen trug, daß das Material des Bauwerks darunter verschwand. Dieser Abend würde sich niemals in Gestalt einer freundlichen Erinnerung wiederfinden. Die Stimmung war gedrückt. Atlans Becher stand unberührt. Nur der Bauchaufschneider führte den seinen ab und zu zum Mund.
4 »Betrübnis ist gesund«, sagte der Alte. »Sie reinigt die Seele.« »Da gibt es nichts mehr zu reinigen«, antwortete Atlan mit dumpfer Stimme. »Ich habe versagt.« »Du hast eine Schlacht verloren, mein Junge. Aber der Krieg geht weiter.« »Ich bin ein Schwächling gewesen!« widersprach der Kristallprinz. »Ich bin von Mana-Konyr besiegt worden. Ich bin ausgezogen, um die KAYMUURTES zu gewinnen. Ich wollte in den Genuß der Amnestie kommen, nach Arkon zurückkehren und den Mörder Orbanaschol vom Thron stürzen.« Er blickte den Alten an und spreizte die Hände. »Und was habe ich jetzt?« fragte er. »Du hast einen mächtigen Stützpunkt, von dem aus du den Kampf gegen den Usurpator fortsetzen kannst. Und du hast Freunde.« Atlan senkte den Kopf. »Wie lange noch?« fragte er. »Wer folgt einem Feldherrn, der nichts als Niederlagen bezieht?« Fartuloon ließ sich Zeit. Erst nach einer Weile sagte er: »Ich bin ein alter Mann, mein Junge. Ich habe gelernt, mich nicht über jeden Unsinn aufzuregen. Aber jetzt, bei allen Göttern«, seine Stimme war mit einemmal zornig geworden, »möchte ich dich am liebsten bei den Schultern packen und solange schütteln, bis wieder Verstand in dein verdüstertes Gehirn kommt. Kennst du deine Freunde so schlecht? Empfindest du keine Scham, wenn du ihnen vorwirfst, sie würden dich verlassen, nur weil du einen Fehlschlag erlitten hast?« Atlan machte eine abwehrende Geste mit beiden Händen. »Verzeih«, bat er. »Ich wollte niemand Übles nachsagen.« Er ergriff den Becher und nahm einen tiefen Zug. »Es geht weiter!« sagte Fartuloon mit beschwörender Stimme. »Der Tyrann muß gestürzt werden!« »Wie geht es weiter, frage ich dich?«
Kurt Mahr »Es ist erst ein paar Stunden her, seit wir auf Kraumon gelandet sind«, hielt Fartuloon ihm vor. »Große Pläne entstehen nicht in Stunden. Warte, bis die Betrübnis dir die Seele gereinigt hat, dann wird dir schon von selbst einfallen, wie es weitergehen soll!«
* Auf dem Raumhafen von Hirc stand das Riesenschiff LASEER. Energiebarrieren und Kordons von Kampfrobotern schützten den Startplatz des Raumschiffs. Jenseits der Absperrung lagerte die erregte Menge, die gekommen war, um den Sieger der AmnestieKAYMUURTES zu feiern, Mana-Konyr, den »Töter mit der Fingerspitze«, wie er auf Hirc nun genannt wurde. An verschiedenen Stellen waren Bildflächen errichtet worden, auf denen die hagere Gestalt des KAYMUURTES-Kämpfers zuweilen erschien. ManaKonyr selbst befand sich längst an Bord der LASEER. Er feierte dort das Fest seines Abschieds. Morgen früh würde das Raumschiff starten – Kurs Arkon. Auf der Heimatwelt der Arkoniden, mit einer Umarmung durch den Imperator, würde Mana-Konyrs Ruhm einen weiteren Höhepunkt erreichen. Mana-Konyr, der einstige Gefangene, hatte sich erstaunlich rasch in das freie Leben und die Genüsse des Ruhms gefunden. Von einem Tag zum andern entwickelte er eine fast weltmännische Art, die nur dann einen Knacks erlitt, wenn er in die Nähe eines positronischen Geräts kam. Dann packte ihn von neuem die unbeherrschte Wut, die Teil seiner Seele war. Dann bedurfte es Dutzender von kräftigen Wächtern, die ihn zurückhalten mußten, und manch einer der Wächter war unter Mana-Konyrs nervenlähmenden Griffen schreiend vor Schmerz zusammengebrochen. Der Sieger der KAYMUURTES hatte rasch begriffen, daß er einen Vertrauten brauchte, der ihn vor Unheil bewahrte und ihn auf den komplizierten Pfaden des Lebens in der Freiheit führte. Hunderte von Männern und Frauen hatten sich ihm als Be-
Agentenschule Cerrgoor schützer, Berater, Agenten und dergleichen angeboten. Mana-Konyr hatte sich schließlich für Pedar dom Khaal entschieden. Pedar, einem alten Adelsgeschlecht entstammend, war eine äußerst würdevolle Erscheinung, von mittlerem Alter, hochgewachsen, mit lang herabwallendem Weißhaar und leuchtend roten Augen: der Urtyp des adligen Arkoniden, ein Mann, der überall Eindruck machte. Kaum einer wußte, daß der Zweig der Familie, dem Pedar angehörte, schon vor Jahrhunderten vom Geschlecht der dom Khaals ausgestoßen worden war. Abgeschnitten vom Ruhm und den Machtmitteln des Klans, hatten die Ausgestoßenen ihr Leben mehr recht und schlecht zu fristen verstanden und waren dabei in Beschäftigungssparten übergewechselt, in denen man arkonidische Adlige normalerweise nicht findet. Pedar dom Khaal war berufsmäßiger Intrigant, Schwarzhändler, Waffenschieber, Spion und noch einige andere unrühmliche Dinge mehr. Unter seinem würdevollen Gebaren verbarg sich ein eiskalt berechnender Verstand. Pedar war mit den Wassern der Unterwelt gewaschen. Mana-Konyr wußte davon. Trotzdem hatte er aus den Hunderten Pedar dom Khaal als seinen Vertrauten ausgewählt. An diesem Abend sah Pedar zu, daß sein Schützling nirgendwo in die Nähe einer Positronik geriet. Er sorgte für einen ordentlichen Verlauf des Abschiedsfestes an Bord der LASEER und bewirkte, daß ManaKonyr in regelmäßigen Abständen vor die Aufnahmegeräte trat, um sich der Menge am Rand des Raumhafens zu zeigen. Als aber Mana-Konyr, der plötzlich seine Liebe für Frauen und berauschende Getränke entdeckt hatte, in angetrunkenem Zustand eine Berichterstatterin der staatlichen Nachrichtenagentur aus dem Kreis der Feiernden zu entführen suchte, da war Pedar ebenfalls zur Stelle. Er drängte den Töter ab und zog ihn mit sich hinaus in einen leeren Korridor. Die Maske der Würde war ihm vom Gesicht geglitten. Die Augen sprühend, die Fäuste
5 geballt, herrschte er seinen Schützling an: »Willst du uns alles verderben, du besoffenes Stück Vieh? Du kannst Wein und Frauen haben, soviel du willst. Aber nur dann, wenn ich sie dir bringe!« Das Merkwürdige geschah: Mana-Konyr ließ die Arme hängen und senkte den Blick schuldbewußt zu Boden. Von da an verlief das Fest ohne Zwischenfälle.
* Der feiste Mann, in kostbare Gewänder gekleidet, an den Händen mit einer Überzahl funkelnder Ringe geschmückt, musterte aus kleinen Augen die Schar der Höflinge, die in untertäniger Haltung vor ihm verharrten. Der Anblick tat ihm gut. Zu oft hatte er in letzter Zeit spüren müssen, daß die Welt draußen keineswegs nur mit Ehrfurcht seiner gedachte, als daß ihn das Bild der vornübergeneigten Höflinge nicht mit Befriedigung hätte erfüllen müssen. »Horfiz, du Fettwanst von einem Nichtsnutz«, keifte der Feiste, »was weißt du über die LASEER?« Einer der Männer richtete sich auf und begegnete dem Blick des Fragers mit unverhohlener Furcht. Er war nicht annähernd so korpulent wie der, der ihn einen Fettwanst genannt hatte. »Die LASEER wird in wenigen Stunden starten, Erhabener«, antwortete er mit zitternder Stimme. »Sie hat Anweisung, so schnell wie möglich …« »Warum erst in wenigen Stunden?« fiel ihm der Feiste wütend ins Wort. »Warum ist sie nicht schon längst unterwegs?« »Der Sieger, Mana-Konyr, bestand darauf, noch ein Abschiedsfest zu feiern, Erhabener«, antwortete Horfiz. »Wessen Wort gilt hier?« schrie der Feiste mit sich überschlagender Stimme. »Das des Imperators, oder das eines Namenlosen, der vor ein paar Wochen noch im Kerker war?« Horfiz war in die Haltung der Unterwür-
6 figkeit zurückgesunken und betrachtete die Frage nicht als an sich gerichtet. Bevor ihn der Imperator eines Besseren belehren konnte, meldete sich ein anderer Höfling zu Wort, ein alter, hochgewachsener Mann, dem der Schmerz über die Würdelosigkeit seines Daseins im Gesicht geschrieben stand. »Deine Güte erlaube, erhabene Majestät, daß ich das Wort an dich richte«, bat der Alte. Der Imperator blickte den Sprecher überrascht an. Entrüstung spiegelte sich in dem feisten Gesicht, dessen Hauptbestandteil ein Paar hellrot geäderter Hängebacken bildete. Trotzdem gestattete er dem Alten zu sprechen. »Das Wort des Imperators hat immer und überall Gewicht«, erklärte der Höfling. »Das Wort des Imperators steht über allem. Aber es war dein Plan, Erhabener, dem Volk den unübertrefflichen Glanz deiner Gnade dadurch zu zeigen, daß du dich herabließest, den Sieger der Amnestie-KAYMUURTES wie einen Bruder zu empfangen. Deswegen, erhabene Majestät, muß man unterlassen, was so aussieht, als wollest du Mana-Konyr im Augenblick seines höchsten Triumphes Befehle erteilen.« »So, man muß!« keifte der Imperator mit verletzendem Hohn. »Nur deinem Alter und deinem Schwachsinn hast du es zu verdanken, Kuuzmir, daß du nicht schon längst in einem Desintegratorofen verschwunden bist! Was wagst du, mich in meiner eigenen Politik zu unterweisen? Glaubst du nicht, ich hätte das alles gewußt? Ich wollte die Antwort von Horfiz hören. Aber der Fettwanst weiß nicht, warum er den Start der LASEER nicht schon längst erzwungen hat. Er handelt richtig, aber er weiß nicht, warum.« Dem Herrscher ging bei seiner Tirade die Luft aus. Er hielt kurz inne, dann fuhr er mit wütender Stimme fort: »So aber seid ihr alle, geistlos, dumm, überheblich und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Schert euch fort, bevor mir von eurem Anblick übel wird!«
Kurt Mahr Sie wandten sich um und schlichen gebückt hinaus. Orbanaschol aber feixte hämisch hinter ihnen drein. Derartige Auftritte, früh am Morgen genossen, stärkten ihn für den Rest des Tages. Klinsanthor … Atlan … Mana-Konyr … Orbanaschol … Sie waren über die unendlichen Weiten des Kosmos verteilt. Aber das Schicksal hatte begonnen, Fäden zu spinnen. Wenn die Zeit reif war, würden sich die Fäden zu einem Netz verdichten, in dem sie sich alle fingen.
2. »Atlan …!« Sanft drang der Ruf aus dem Empfänger des Bildsprechgeräts und schreckte den Kristallprinzen aus dem ohnehin unruhigen Schlaf. Er fuhr auf und blickte auf die Ziffern der Leuchtuhr. Der Morgen brach an. Er schaltete das Sprechgerät ein. Auf der Bildfläche erschien Corpkors besorgtes Gesicht. »Verzeih, daß ich dich wecke«, bat der ehemalige Kopfjäger, »aber es ist etwas Wichtiges im Gang.« »Was ist es?« wollte Atlan wissen. »Dein Vater wird unruhig.« Da sprang Atlan von seinem Lager auf. Die Beleuchtung flammte auf. »Ich komme!« rief der Kristallprinz. Wenige Minuten später war er unterwegs. Mit einem kleinen Gleiter verließ er die Stadt, die sie Gonozal genannt hatten, und flog das breite Tal entlang. Etliche Kilometer nördlich der Stadtgrenzen bog er nach Westen ein und flog in ein schmales Seitental, das sich schließlich zu einem Talkessel mit steil ansteigenden, dichtbewaldeten Wänden weitete. In diesem Kessel war in jüngster Zeit ein Hospital mit medizinischen Forschungseinrichtungen entstanden. Die Bevölkerung des Stützpunkts Kraumon nahm ständig zu. Mit der Zahl der Bewohner wuchsen auch die Anforderungen, die an die
Agentenschule Cerrgoor Versorgung Kranker zu stellen waren. Dieser Entwicklung hatten Atlan und Fartuloon durch die Errichtung dieser Anlage Rechnung getragen. Die rote Sonne schickte ihre ersten Strahlen über die Kämme der Berge, als Atlan vor einem niedrigen, aber geräumigen Anbau an das Hauptgebäude des Hospitals hielt. Corpkor kam ihm entgegen. Atlan überschüttete ihn mit Fragen, aber Corpkor wiegte nur den Kopf. »Drinnen sind Ärzte«, sagte er. »Sie werden dir berichten.« Durch einen Korridor gelangte der Kristallprinz in einen weitläufigen Raum, in dem ein angenehm warmes Licht herrschte. Der innere Teil des Raumes war auf traditionelle Weise eingerichtet. Die Anlage eines arkonidischen Trichterhauses wurde dadurch simuliert, daß man auf der einen Seite des Gelasses hellere, sonnenähnliche Lampen installiert und Zierpflanzen angebracht hatte. Das war der Raum, in dem der kranke Gonozal sich tagsüber aufhielt. Was er nicht wußte, war, daß die rückwärtige Wand seines Gemachs nicht wirklich eine Wand, sondern eine einseitig durchsichtige Energiebarriere war, von der aus die Ärzte ihn unbemerkt beobachten konnten. Seit Monaten kümmerten sich die Fachleute intensiv um den ehemaligen Imperator. Gonozal aber, durch eine Lebenskapsel vom Tod zurückgeholt, zeigte nicht die geringste Spur von Besserung. Er war ein lebender Leichnam, eine Hülle ohne Inhalt, ein Körper ohne Seele. Er verhielt sich den ganzen Tag über reglos und starrte aus blicklosen Augen vor sich hin. Wenn ihn Müdigkeit befiel, dann erhob er sich und ging in sein Schlafgemach – mit den mechanischen Schritten einer Maschine. Drei menschliche Diener standen ihm zur Verfügung, die ihn an- und auskleideten, fütterten und wuschen. Er nahm ihre Gegenwart überhaupt nicht wahr. Atlan trat hinter die Energiebarriere. Die anwesenden Ärzte wandten sich ihm zu und begrüßten ihn respektvoll. Atlans Blick aber
7 war in das Innere des Gemachs gerichtet. Er erkannte sofort, daß sich eine drastische Änderung vollzogen hatte. Sein Vater kauerte nicht wie üblich in einem der bequemen Sessel, die in der Mitte des Raumes zu einer Gruppe aufgestellt waren. Er war aufgestanden und schritt hin und her, wie von einer inneren Erregung beseelt. Er bewegte den Mund und gab Laute von sich, die dumpf und gequält klangen und keinen Sinn ergaben. Manchmal blieb er stehen, ballte die Fäuste und blickte in die Höhe. Seine Augen waren nicht mehr tot. Ein unheimliches, fremdartiges Leben beseelte sie. Atlan wandte sich an die Ärzte. »Seit wann ist er so?« fragte er knapp. »Seit etwa zwei Stunden«, antwortete einer der Fachleute. »Habt ihr eine Erklärung für die Veränderung?« »Nein. Wir ließen dich rufen und warten auf deine Entscheidung. Wenn wir Näheres erfahren wollen, müssen wir zu ihm hinein.« »Ich gehe mit euch«, entschied der Kristallprinz.
* Gonozal war erwacht – aber er nahm seine Umgebung noch immer nicht wahr. Die Ärzte umringten ihn. Sie brachten winzige Sonden auf seiner Haut, besonders am Schädel, an. Gonozal bemerkte von alldem nichts. Wenn er ausschritt, mußten sich die Ärzte mit ihm in Bewegung setzen, wenn er stehenblieb, hielten auch sie an. Mit Hilfe kleiner Monitoren, die die Meßergebnisse der Sonden registrierten, verfolgten sie den Verlauf des Experiments. Atlan hielt sich zunächst im Hintergrund. Schließlich kam einer der Ärzte auf ihn zu. »Wir stellen eine überaus intensive Gehirntätigkeit fest«, sagte er. »Aber es läßt sich nicht ermitteln, wodurch sie ausgelöst wird.« »Besteht die Möglichkeit, daß mein Vater zu sich selbst zurückkehrt?« wollte Atlan
8 wissen. Ein Schatten fiel über das Gesicht des Arztes. »Man darf sich keine falschen Hoffnungen machen, Kristallprinz«, antwortete er. »Wir sind noch nicht in der Lage, den jetzigen Zustand deines Vaters zu beurteilen. Aber er macht eher den Eindruck eines Geisteskranken.« Atlan richtete den Blick auf Corpkor. Der Kopfjäger verstand die unausgesprochene Bitte. »Ich bin dazu ungeeignet, Atlan«, erklärte er. »Mir gehorchen die Tiere. Ich kann sie beeinflussen und lenken. Mein menschliches Bewußtsein gebietet ihren kleinen, engen tierischen Bewußtseinen. An Menschen versage ich. Besonders aber an dem Imperator.« »Warum besonders an ihm?« »Weil er – weil er überhaupt kein Bewußtsein hat!« Fast schroff wandte der Kristallprinz sich ab. Er trat auf die Gruppe der Ärzte zu. In diesem Augenblick blieb sein Vater stehen, ballte die Hände und richtete den Blick in die Höhe. Ein Strom unverständlicher Laute quoll ihm über die Lippen. Atlan drängte die Ärzte auseinander und trat vor den Kranken hin. »Vater, hörst du mich?« fragte er mit lauter Stimme. Da ging eine merkwürdige Veränderung mit dem Imperator vor. Die geballten Hände entkrampften sich. Der Blick wurde unstet und richtete sich schließlich auf den Kristallprinzen. Der unaufhörliche Strom der Laute versiegte. Eine Zeitlang waren die Lippen still. Dann aber begannen sie sich von neuem zu bewegen. Gonozal hatte seinen Sohn scharf ins Auge gefaßt. Er musterte sein Gesicht, und in seinem Blick spiegelte sich die verzweifelte Anstrengung, zu erkennen, was er sah. Schließlich begann er von neuem zu reden. Er sprach schnell und hastig, spie die Worte nur so hervor, als wohne in ihm eine Kraft, die ihm die Laute über die Lippen trieb.
Kurt Mahr Aber die Worte waren die einer fremden Sprache. »Bringt mir einen Translator!« rief Atlan.
* Corpkor eilte davon und kehrte wenige Augenblicke später mit einem kleinen Translatorgerät zurück. Atlan befestigte es um den Hals. Inzwischen sprach Gonozal weiter. Der Translator blieb aber still. Der Kristallprinz nahm eine Reihe von Neueinstellungen vor. Manchmal geschah es, daß das Gerät eine vertraute Lautfolge zu erkennen glaubte und die entsprechende arkonidische Übersetzung von sich gab. Aber es ergaben sich nur wenige solcher Gelegenheiten, und die Worte, die der Translator hervorbrachte, hatten keinen Zusammenhang. Ratlos gab Atlan schließlich auf. Er trat zurück und überließ den Ärzten das Feld. In dem Augenblick, in dem er dem Blick des Kranken entschwand, ballte dieser von neuem die Fäuste und blickte in die Höhe. Da sagte eine vertraute Stimme neben dem Kristallprinzen: »Kommt dir der Fall nicht bekannt vor?« Atlan fuhr herum. Fartuloon stand neben ihm. Atlans erstaunten Blick beantwortete der Bauchaufschneider mit den Worten: »Corpkor benachrichtigte auch mich.« »Was erscheint dir bekannt?« entfuhr es Atlan. »Gonozal erwachte schon einmal plötzlich zum Leben, erinnerst du dich?« Der Kristallprinz erinnerte sich. Schon einmal war sein Vater unversehens aus seiner Starre erwacht und aktiv geworden. Mit Bitterkeit erinnerte er sich der Begeisterung, die damals in ihm erwacht war. Er hatte geglaubt, daß Gonozal die Grenzen des Todesreiches endgültig hinter sich gelassen habe und sich nun zu seinem ursprünglichen Selbst zurückentwickeln werde. Die Enttäuschung war niederschmetternd gewesen. Nicht Gonozal war es, der durch Gonozals Mund sprach, sondern ein Fremder. »Du glaubst, er sei zurückgekehrt?« fragte
Agentenschule Cerrgoor er Fartuloon. »Es hat den Anschein«, bejahte der Alte. »Warum aber?« »Wir wissen es nicht. Wir müssen es erfahren.« »Wie?« »Schick die Ärzte fort«, sagte Fartuloon. »Und du geh mit ihnen!« »Warum ich? Ich bin der erste, der ein Recht hat, hier zu sein.« »Es geht hier nicht um Recht. Irgendwo im Gehirn deines Vaters gibt es einen winzigen Rest Eigenbewußtsein. Normalerweise schläft dieser Rest. Erst wenn eine fremde Macht in Gonozal eindringt, erwacht er zum Leben. Dann streitet er sich mit dem Fremden. Er macht Wahrnehmungen und sieht, daß er von Unbekannten umgeben ist. Niemand aber kennt deinen Vater besser als ich – nicht einmal du selbst. Wenn ich allein ihm gegenüberstehe, wird er sich beruhigen. Dadurch erhält der Fremde Gelegenheit zu sprechen.« Widerwillig sah Atlan ein, daß der Bauchaufschneider Recht hatte. Er wies die Ärzte an, zu ihren Stationen zurückzukehren, und verließ selbst den Raum.
* Knapp eine Stunde verging. Dann kam Fartuloon zum Vorschein. Die Sorge stand ihm im Gesicht geschrieben. »Es ist Klinsanthor, wie ich vermutete«, sagte er. »Er kann hier nicht sprechen. Er möchte, daß wir an Bord eines Raumschiffs gehen und uns ein paar Lichtstunden weit von Kraumon entfernen.« »Was dann?« »Er hat eine wichtige Botschaft. Er klingt nicht mehr so, wie wir es gewöhnt sind. Er scheint am Ende seiner Kräfte.« »Warum zögerst du? Wir können in einer halben Stunde starten! Die PFEKON ist heute nacht gelandet.« Fartuloon machte die Geste des Mißbehagens. »Es könnte eine Falle sein«, gab er zu be-
9 denken. »Vergiß nicht, daß Orbanaschol den Magnortöter gerufen hat.« »Er hat sich von Orbanaschol losgesagt, nicht wahr?« hielt Atlan ihm erregt entgegen. »Er nimmt den Auftrag des Mörders nicht an!« »Woher wissen wir das? Aus seinem eigenen Mund. Oder vielmehr dem deines Vaters, durch den er spricht. Er bezeichnet sich selbst als ein Geschöpf der Unwelt, als einen Diener des Unseins. Wie sollen wir glauben, daß wir uns auf seine Worte verlassen können?« »Wir können Sicherheitsvorkehrungen treffen«, antwortete der Kristallprinz nach kurzem Überlegen. »Du weißt nicht, was du sagst!« erwiderte Fartuloon grimmig. »Er ist in den Körper deines Vaters gefahren. Wenn du ihn ausschalten willst, mußt du Gonozal töten. Bist du bereit dazu?« Atlan hielt dem forschenden Blick stand. »Ja«, antwortete er. Und als er das Erstaunen im Gesicht des Alten erkannte, fuhr er fort: »Wie lange haben sich die besten Ärzte um meinen Vater bemüht? Welchen Erfolg haben sie erzielt? Keinen. Ich habe oft darüber nachgedacht. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es falsch war, Gonozal von den Toten zurückzuholen. Er wird, solange seine körperliche Hülle existiert, ein leeres Gefäß sein, ein Schatten ohne eigenes Bewußtsein. Wir müssen unseren Fehler eines Tages wiedergutmachen. Wir haben kein Recht, dem Reich der Toten einen der seinen vorzuenthalten.« Fartuloons Staunen wuchs eher noch, als daß es geringer wurde. »Du sprichst große Worte, Kristallprinz«, sagte er ernst. »Und richtige Worte. Aber vielleicht wirst du dich eines Tages eines anderen besinnen. Du bist bereit, den Tod deines Vaters in Kauf zu nehmen, falls Klinsanthor Verrat plant?« »Ich bin es!« »Dann laß uns die Vorbereitungen zum Start treffen!«
10
Kurt Mahr
* Fünfzehn Mann Besatzung gingen an Bord des Einhundertmeterschiffs PFEKON. Die PFEKON hatte den Sträfling Darbeck, hinter dessen Maske sich Atlan verbarg, zu den KAYMUURTES im Dubnayor-System gebracht. Auf dem Strafplaneten Setamuur, von dem Darbeck angeblich kam, gab es in der Tat einen Gefangenentransporter dieses Namens. Eines Tages würde dieses Raumschiff den Namen wieder annehmen, den es getragen hatte, bevor es Atlan zu den Spielen brachte. Einstweilen aber trug es noch die Bezeichnung seines Doppelgängers. Die PFEKON ging auf Fahrt, ließ Kraumon hinter sich und materialisierte nach einer kurzen Transition an einem Ort, der mitten im Nichts lag – elf Lichtstunden von der Stützpunktwelt entfernt. Kraumons rote Sonne war nur noch ein heller Lichtpunkt unter Millionen anderen. In einem mittelgroßen Raum abseits vom Kommandostand befanden sich Fartuloon, Atlan und Gonozal. Zu diesem Raum gab es drei Zugänge. An jedem hatte der Bauchaufschneider zwei Schwerbewaffnete postiert – draußen, jenseits der geschlossenen Schotte. Es bedurfte nur eines Signals, dann flogen die Schotte auf, und sechs Mann traten gegen Klinsanthor an – falls dieser Verrat im Sinn führte. Gonozal hatte die Transition auf einer Liege ruhend verbracht. Als er hörte, daß die Triebwerke des Schiffes auf Minimallast gefahren wurden, richtete er sich auf. Der Blick der roten Augen war klar und zielbewußt. Der ehemalige Imperator bewegte sich ursprünglich steif, gewann jedoch bald eine gewisse Gewandheit. Er musterte zunächst Atlan, dann den Bauchaufschneider. »Ich kenne euch«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Wir sind einander früher begegnet!« Ein Stich fuhr dem Kristallprinzen durchs Herz. Einen unvernünftigen Atemzug lang hatte er gehofft, es werde vielleicht doch
sein Vater sein, der sich da von der Liege aufrichtete und mit unsicheren Schritten auf ihn zukam. Die Stimme brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Es war eine fremde Stimme – die Stimme eines Wesens, das einst gewohnt war, kraftvoll zu sprechen, aber den größten Teil seiner Kraft bereits verloren hatte. »Du hast eine Botschaft für uns«, erinnerte Fartuloon das fremde Bewußtsein, das in Gonozals Körper lebte. »Ich habe eine wichtige Botschaft für euch«, drang es aus dem Mund des Imperators. »Klinsanthor, der Magnortöter, ist zur Auflösung verdammt. Ich habe gezaudert und wider meinem Auftrag gehandelt. Ich habe wirkliche Gedanken gedacht, nicht die unwirklichen der Unwelt. Ich habe gegen die Gesetze des Unseins verstoßen. Der Weg zur Skärgoth ist mir versperrt. Ich bin kein Geschöpf dieses Universums. Wenn ich gezwungen bin, mich hier aufzuhalten, wird meine Substanz von dem Fremden ringsum aufgezehrt.« Betroffen und zugleich erschüttert hörte Atlan die Worte des Magnortöters. »Warum berichtest du uns das?« fragte er. »Weil ich dem. Sein dienen will – von jetzt an bis zum Augenblick des Todes!« Atlan glaubte zu verstehen. Das Unsein – das war die Welt, aus der Klinsanthor kam. Das Unsein, das Böse. Gegen die Gesetze des Unseins hatte der Magnortöter verstoßen. Zum Beispiel damals, als er sich weigerte, Orbanaschols Auftrag auszuführen. Er hatte das Gesetz des Bösen verleugnet und damit – automatisch – etwas Gutes getan. Das Gute: Er nannte es das. Sein. Ihm wollte er sich von nun an verpflichten, obwohl eben die verbotenen Gedanken des Seins es waren, die ihm den Rückweg zu seiner Welt versperrten. Die Götter mochten wissen, was in einem Bewußtsein wie dem Klinsanthors vorging. Aber auf mystische Art und Weise hatte der Wahnsinn, dem er sich hingab, Methode. »Wie kannst du dem. Sein dienen?« wollte Atlan wissen.
Agentenschule Cerrgoor »Indem ich dem Unsein schade. Indem ich mich an demjenigen räche, der mich zuletzt von den Skärgoth fortgeholt hat.« »Das ist Orbanaschol!« rief der Kristallprinz. »Er ist es!«
* »Orbanaschol lebt in der Festung Arkon«, wandte Fartuloon ein, nachdem er sich von der Überraschung erholt hatte. »Es ist schwer, sich an ihm zu rächen.« »Ich werde zu ihm gelangen!« versprach Klinsanthor. »In der Gestalt eines Vertrauten, den er nicht verdächtigt.« »Es gibt viele Vertraute. Ein paar kann ich dir nennen«, schlug der Bauchaufschneider vor. »Längst nicht jeder kommt in Frage«, schränkte der Magnortöter ein. »Der Mensch, in dessen Gestalt ich erscheine, muß ein Knecht des Unseins oder ein Geschöpf ohne Bewußtsein sein – wie das, aus dem ich zu euch spreche!« Ein Mensch, der vom Bösen erfüllt war, oder ein Seelenloser, übersetzte Atlan. Plötzlich kam ihm ein aberwitziger Gedanke. »Orbanaschol selbst bietet sich als Zielgestalt!« entfuhr es ihm. »Orbanaschol ist tabu«, widersprach Klinsanthor. »Die Gestalt dessen, der mich gerufen hat, kann ich nicht annehmen.« »Du machst uns die Sache schwer!« beklagte sich Fartuloon. »Die Wahl ist euer«, wehrte Klinsanthor den Vorwurf ab. »Ich stelle mich in den Dienst des Seins. In wessen Gestalt ich es tun soll, ist eure Entscheidung.« »Wir können Huccard nach Arkon schicken«, überlegte der Bauchaufschneider. »Es muß Bessere geben«, meinte Atlan. »Huccard kann man wohl kaum einen Vertrauten des Imperators nennen.« Huccard war der verräterische Agent, der Atlans Betreuung bei den KAYMUURTES übernommen hatte. Zwar hatte er seinen
11 Schützling bei den gefährlichen Spielen von Sieg zu Sieg geführt, aber im letzten, entscheidenden Kampf war Atlan durch Huccards Machenschaften Mana-Konyr unterlegen. Man hatte bald erkannt, was hinter Huccard steckte. Er arbeitete für den kaiserlichen Geheimdienst. Des Kristallprinzen hatte er sich nur angenommen, weil er ihn nach seiner Niederlage gegen Mana-Konyr nach Arkon bringen wollte, um sich den Kopfpreis zu verdienen, den Orbanaschol III. auf seinen Neffen ausgesetzt hatte. Im letzten Augenblick war es Fartuloon und Karmina Arthamin gelungen, die DOPESTON, Huccards Schiff, aufzubringen und Atlan zu befreien. Der Verräter war mitsamt seinem Fahrzeug nach Kraumon gebracht worden. Auf Kraumon hielt man Huccard gefangen. Atlan meinte, man werde sich seiner eines Tages für einen wichtigen Zweck bedienen können. Beim Nachdenken über Huccards Eignung war dem Kristallprinzen ein neuer Gedanke gekommen. Eine Idee entstand in seinem Bewußtsein, faszinierend und Erfolg versprechend zugleich. Es gab einen, der wie kein anderer dazu geeignet war, Klinsanthor als Wirt zu dienen. »Ich habe den Mann«, verkündete er entschlossen. »Mana-Konyr!« Fartuloon gab einen beifälligen Laut von sich. »Wer ist das?« fragte der Magnortöter. Atlan erklärte ihm, wer Mana-Konyr war. »Wir wissen, daß er sich bis vor kurzem noch auf Hirc aufgehalten hat«, fügte er hinzu. »Orbanaschol will ihn auf Arkon begrüßen – um sein Ansehen bei der Bevölkerung aufzubessern. Er hat Mana-Konyr ein Raumschiff gesandt, das ihn zur Residenz bringen soll. Soviel wir wissen, ist es die LASEER.« Klinsanthor zögerte eine Weile. Dann ließ er Gonozal die Geste der Zustimmung machen. »Mana-Konyr ist mein Ziel«, sagte er. »Deine Beschreibung war gut, Kristallprinz. Ich werde den Mann ohne Mühe finden. Sobald sich eine Möglichkeit bietet, breche ich
12
Kurt Mahr
auf.«
* Die PFEKON kehrte nach Kraumon zurück. Die Mannschaft ging von Bord, auch Fartuloon. Nur Atlan und der Magnortöter blieben zurück. »Empfindest du die Bewußtseine derer, in deren Körper du eindringst?« fragte der Kristallprinz das mächtige Wesen von der Unweit. »Ich empfinde sie«, bestätigte Klinsanthor. »Sie wehren sich gegen mich, wenn ich sie unterwerfe.« »Was für ein Bewußtsein empfindest du in dem Körper, in dem du dich jetzt befindest?« »Dieser Körper ist seelenlos«, lautete die Antwort des Magnortöters. Die Enttäuschung drohte, Atlan zu übermannen. Er raffte sich zu einer letzten Frage auf: »Ganz und gar seelenlos?« Mit Spannung erwartete er Klinsanthors Antwort. Der Magnortöter begann: »Es gibt einen winzigen Rest von Seele. Er kauert im hintersten Winkel des Gehirns und kann sich aus eigener Kraft nicht bemerkbar machen. Erst wenn …« Die Stimme brach plötzlich ab. Eine merkwürdige Veränderung ging mit Gonozal vor. Vor einem Augenblick zum anderen verloren die Augen ihren Glanz. Die Arme sanken an den Seiten herab, die Schultern sanken ein, die Gestalt wurde starr. Dann wandte sie sich um und bewegte sich mit mechanischen Schritten in Richtung der Liege, auf der sie sich niederließ. Da wußte Atlan, daß der Magnortöter sich auf den weiten Weg gemacht hatte.
3. Pedar dom Khaal registrierte mit Befriedigung, daß seine Taktik sich Erfolg versprechend anließ. Am Morgen nach der Abschiedsfeier, als die LASEER bereits unter-
wegs war, erinnerte sich Mana-Konyr an eine junge Frau, die ihm am vergangenen Abend aufgefallen war. Er hatte sich eine Zeitlang mit ihr unterhalten, ihren Namen infolge der Trunkenheit jedoch vergessen. »Gefiel sie dir?« wollte Pedar wissen, als Mana-Konyr die Sache bei der Morgenmahlzeit zur Sprache brachte. Der Töter mit der Fingerspitze lächelte – ein wenig töricht, ein wenig verlegen. »Weißt du, ich erinnere mich nicht mehr an viel«, antwortete er. »Aber ich glaube, sie hat mich fasziniert.« »Wie sah sie aus?« »Etwa fünfeinhalb Fuß groß, weißes, langes Haar mit einem unbeschreiblichen kupfernen Schimmer, große Augen, großer Mund …« »Hm«, machte Pedar. »Weißt du, wer sie ist?« fragte ManaKonyr eifrig. Pedar antwortete nicht direkt. »Trug sie einen Ring an der rechten Hand? Ein auffällig großes Stück mit einem grünblauen Thaspis-Stein?« erkundigte er sich. Mana-Konyr fürchte die Stirn. »Ich glaube, ja. Sie trug aber nicht einen Ring, sondern zwei! Beide mit großen Thaspis-Steinen. Einen an der linken und einen an der rechten Hand!« Pedar dom Khaal war zufrieden. Die Identifizierung war eindeutig. »Das war Nithrea«, erklärte er. »Wer ist sie?« »Eine reiche Frau, die sich mit Reisen beschäftigt.« Mana-Konyr sah aus träumenden Augen vor sich hin. Pedar hütete sich, seinen Traum zu stören. Er hatte sich dem Töter mit der Fingerspitze als Agent, als Manager angeboten, weil er sich davon Gewinn versprach. Mana-Konyr war im Handumdrehen zu einer Berühmtheit geworden. Er würde Reichtümer sammeln, von denen Pedar dom Khaal seinen Teil haben wollte. Es ließ sich leicht ausrechnen, wie lange Mana-Konyrs Ruhm dauern würde: bis zu den nächsten
Agentenschule Cerrgoor KAYMUURTES. Solange mußte ihn Pedar an sich ketten, wenn er das Potential ausschöpfen wollte. Er mußte der Gefahr vorbeugen, daß Mana-Konyr ihn kurzfristig aus seinen Diensten entließ. Zum Abschiedsfest des gestrigen Abends hatte Pedar mehr als ein Dutzend junger, hübscher Frauen eingeladen, die ihm verpflichtet waren. Er hatte gehofft, daß ManaKonyr sich in eine von ihnen vernarren würde. Pedars Rechnung war aufgegangen, nachdem er die Berichterstatterin kaltgestellt hatte. Er sah die Sehnsucht in Mana-Konyrs Augen. Der Töter fragte: »Kannst du Verbindung mit ihr aufnehmen? Ich möchte sie wiedersehen.« »Ich werde sehen, was sich tun läßt«, antwortete Pedar unverbindlich. Es fiel ihm leicht, seinen Triumph zu verbergen: Er war es gewöhnt, eine Maske zu tragen. Nithrea war ihm – aus Gründen, die niemand etwas angingen – hörig. Sie würde sich dem Töter hingeben oder sich ihm versagen, wie Pedar es verlangte. Es kam jetzt nur noch darauf an, Mana-Konyrs Begierde zu schüren, bis sie zur Besessenheit wurde. Dann würde Pedar niemand mehr aus seiner Position verdrängen können. Kurze Zeit später ging die LASEER durch die erste Transition. Mana-Konyr hatte sich in seine Schlafkammer verkrochen. Für ihn war die vorübergehende Entstofflichung noch immer ein furchterregender Vorgang. Er barg das Gesicht in den Polstern der Liege und blickte erst wieder auf, als die letzten Nachwehen des Transitionsschmerzes verebbt waren. Da hörte er das Summen des Türmelders. Er stand auf und fragte verwundert: »Wer ist da?« Er bekam keine Antwort. Da trat er auf die Tür zu, die in sein Wohngemach führte, bis sie sich von selbst vor ihm öffnete. Sprachlos vor Staunen musterte er die Frau, die vor ihm stand. Er streckte die Hand aus und berührte sie an der Schulter, um sich zu überzeugen, daß er nicht nur ein Traumbild
13 vor sich hatte. »Nithrea …!« stammelte er, als er die Sprache wiederfand.
* Danach wurde Mana-Konyr, der Töter mit der Fingerspitze, einen halben Tag lang nicht mehr gesehen. Die LASEER vollführte inzwischen eine zweite Transition und geriet in ein Gebiet hyperenergetischer Wirbel, die sie zu einem aufwendigen Ausweichmanöver zwangen. Die Fahrt nach Arkon, deren Dauer ursprünglich auf zweieinhalb Tage veranschlagt war, würde sich dadurch um wenigstens vierzig Stunden verlängern. Pedar dom Khaal konnte es nur recht sein. Je mehr Zeit der Töter hatte, sich mit Nithrea abzugeben, desto enger würde sie ihn an sich fesseln. Nithrea war eine Frau, die sich in den Künsten der Liebe auskannte. Unterdessen genoß Mana-Konyr das, was er als Sträfling so lange hatte entbehren müssen, in vollen Zügen. Schließlich fiel er in einen tiefen Schlaf. Aber so heftig war seine Begierde, daß er nach wenigen Stunden aus lauter Angst, Nithrea könne ihn inzwischen verlassen haben, wieder erwachte. Erleichtert atmete er auf, als er die Kupferhaarige zu Füßen seines Lagers kauern sah. Er streckte die Arme nach ihr aus. Sie erhob sich und kam auf ihn zu. Aber noch bevor er die Umarmung vollziehen konnte, geschah etwas Merkwürdiges. Es fuhr wie ein Ruck durch Mana-Konyrs Bewußtsein. Er fühlte sich benommen. Die gewohnte Umgebung hatte plötzlich ein fremdartiges Aussehen. Die Arme, die sich Nithrea entgegengereckt hatten, sanken herab. Die junge Frau blieb stehen und musterte den Töter irritiert. Mana-Konyr fragte sich verwundert, was das Weib hier zu suchen habe. Er versuchte, sich zu erinnern, wie sie hierhergekommen war. Aber sein Gedächtnis war blockiert. Irgend etwas Fremdes hatte sich in sein Bewußtsein eingeschlichen und hinderte ihn am Denken.
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»Was tust du hier?« kam es ihm über die Lippen. Nithrea wurde ärgerlich. »Ich bin deine Geliebte«, antwortete sie. Der Gedanke war Mana-Konyr widerwärtig. Was hatte er mit einer Frau zu schaffen? »Scher dich davon!« fuhr er sie an. Nithrea wich zurück, als hätte sich eine Schlange vor ihr aufgerichtet. »Was sagst du?« rief sie schrill. Mana-Konyr stand auf. Nithrea rührte sich nicht. Die Wandlung kam ihr zu überraschend. Sie begriff die Gefahr nicht, in der sie schwebte. Mana-Konyr packte sie am Arm und drückte ihr den Daumen in die Achselhöhle. Der Schmerz war so intensiv, daß Nithrea zu Boden ging und einen Augenblick das Bewußtsein verlor. Als sie wieder zu sich kam, stand Mana-Konyr neben der geöffneten Tür und wies mit ausgestreckter Hand hinaus. »Geh – und laß dich nie mehr blicken!« herrschte er sie an. Nithrea richtete sich zögernd auf. Sie war überzeugt, daß der Töter den Verstand verloren hatte. Vorsichtig bewegte sie sich auf die offene Tür zu und ließ Mana-Konyr dabei nicht aus den Augen. Dann sprang sie mit einem wilden Satz durch die Öffnung und rannte schreiend davon. Mana-Konyr trat von der Tür zurück, so daß sie sich wieder schloß. Er hockte sich auf den Rand der Liege. Er begriff nicht, was mit ihm vorging. Eine Frage drängte sich ihm auf die Lippen. »Wer bist du?« Gleich darauf kam die Antwort. Derselbe Mund sprach sie aus. »Ich bin Klinsanthor, der Magnortöter. Du bist mir Untertan!«
* Klinsanthor begriff, daß er einen Fehler begangen hatte. Als er in Mana-Konyrs Erinnerung eindrang, las er, daß der Töter voll Begierde nach der jungen Frau namens Nithrea gewe-
sen war. Es ließ sich vermuten, daß sein Verhältnis zu Nithrea auch anderen an Bord der LASEER bekannt war. Um so mehr mußte die heftige Reaktion auffallen. Man würde sich fragen, warum Mana-Konyr die Frau plötzlich verstoßen hatte. Der Begriff der Liebe entstammte der Domäne des Seins. Im Reiche des Unseins gab es keine derartige Emotion. Klinsanthor hatte, als er in Mana-Konyrs Körper eindrang, instinktiv reagiert. Er hatte das, was der KAYMUURTES-Sieger empfand, für widerlich und abscheulich gehalten. Seine Reaktion war durch lange Gewöhnung an die Gesetze der Umwelt konditioniert. Er mußte danach trachten, den Fehler wiedergutzumachen. Wenig später wurde Pedar dom Khaal angemeldet. Der Magnortöter ließ ihn ein. Aus Mana-Konyrs Bewußtseinsinhalt wußte er, welche Rolle Pedar spielte. »Was fällt dir ein?« fuhr Pedar ihn an. »Ich reiße mir einen Arm aus, um dir die Frau deiner Träume zu beschaffen – und du bringst sie fast um!« Klinsanthor verteidigte sich in ManaKonyrs Rolle. »Die Abscheu kam plötzlich über mich. Ich wollte sie nicht verletzen. Der Griff geschah unabsichtlich.« »Du wirst sie um Verzeihung bitten!« forderte Pedar wütend. Klinsanthor wägte ab. In Mana-Konyrs Bewußtsein gab es keinen klaren Hinweis, wie der Töter seinem Vertrauten gegenüber gestanden hatte. War es denkbar, daß der von aller Welt bewunderte Sieger der KAYMUURTES sich einen solchen Ton gefallen ließ? »Ich werde tun, was ich für richtig halte«, antwortete Klinsanthor durch Mana-Konyrs Mund. »Dazu gehört nicht, daß ich mich bei Nithrea entschuldige.« »Du wolltest sie haben!« geiferte Pedar. »Ich hab's mir anders überlegt«, erklärte Klinsanthor kühl. Pedar trat einen Schritt zurück und musterte sein Gegenüber. Klinsanthor versuch-
Agentenschule Cerrgoor te, in seinem Blick zu lesen. Aber Pedars Gesicht war wie aus Stein. Es war nicht zu erkennen, was er dachte. Der Zorn, der ihn noch vor wenigen Sekunden beseelt hatte, war verdrängt. »Ich bin in deinen Dienst getreten, um dich in der Art der gebildeten Welt zu unterweisen. Du aber bestehst darauf, dich wie ein Barbar zu benehmen. Du läßt dich entweder von mir belehren, oder du wirst zum Gespött der arkonidischen Gesellschaft!« Klinsanthor hielt es für besser einzulenken. »Ich lasse mich belehren«, sagte er. »Aber halt mir die Weiber vom Leib!«
* Pedar dom Khaal war sehr nachdenklich, als er Mana-Konyr verließ. Zu einem Zeitpunkt, da er alles Recht gehabt hatte, an den Erfolg seines Planes zu glauben, war ein entscheidender Fehlschlag eingetreten. Er hatte Mana-Konyr falsch beurteilt. Dabei hielt Pedar sich auf seine umfassende und durchdringende Menschenkenntnis einiges zugute. Die Frauen an Bord zu bringen und den Kommandanten der LASEER zu veranlassen, daß sie die Reise nach Arkon mitmachen durften, hatte ihn einen Großteil seiner Finanzmittel gekostet. Zum Beispiel hatte er den Frauen zugesagt, daß er für ihre Passage von Arkon aus aufkommen werde. Aus dem guten Dutzend, hatte er geglaubt, würde sich Mana-Konyr eine aussuchen, die ihm gefiel. Wenn er Manns genug war, womöglich sogar zwei oder drei. Der Rest mußte wieder in die Heimat transportiert werden. Die Kosten gingen in die Zehntausende. Pedar hatte sich darauf eingelassen, weil er sicher war, daß er auf dem Weg über die Frau, für die sich Mana-Konyr entschied, das Geld zurückerhalten würde. Wie aber sah die Sache jetzt aus, da der KAYMUURTES-Sieger sich entschlossen hatte, alle Frauen für widerwärtig zu halten? Ein solcher Fall war Pedar dom Khaal in
15 seiner langen Praxis noch nicht vorgekommen. Er war ratlos. Im Geist ging er noch einmal die Überlegungen durch, die er angestellt hatte, bevor er sich Mana-Konyr als Agent anbot. Er hatte den Mann mehrere Tage lang studiert. Er war zu dem Schluß gekommen, daß es sich bei Mana-Konyr um den typischen Fall des spezialisierten Primitiven handele. Der Mann, der einstmals Arzt hatte werden wollen, war darauf verfallen, das menschliche Nervensystem zu studieren. Die Erkenntnisse, die er aus dem ursprünglich aus reiner Neigung betriebenen Studium gewann, setzte er alsbald in praktische Anwendungen um. Er wurde zum Kämpfer, der seine Gegner besiegte, indem er mit tausendfach geübten Griffen Nervenreaktionen auslöste, die den Körper des Widersachers lähmten. Abgesehen von seiner Besessenheit war Mana-Konyr, so hatte Pedar zu erkennen geglaubt, ein einfacher Charakter. Geistig gesund und durchschaubar. Nur aufgrund dieser Erkenntnis hatte Pedar sich entschlossen, in den Töter mit der Fingerspitze erhebliche Summen zu investieren – zum Beispiel mit den Frauen, die er an Bord der LASEER gebracht hatte und für deren Rücktransport von Arkon er würde bezahlen müssen. Er war fest überzeugt gewesen, seinen Schützling so lenken zu können, daß er das Investierte hundertfach wieder wettmachte. Und jetzt das! Pedar fragte sich, ob er, der Menschenkenner, sich wirklich so sehr habe irren können. Je länger er darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher kam es ihm vor. Ein absurder Gedanke schoß ihm durch den Kopf. Mana-Konyr war ausgetauscht worden! Es gab keinen vernünftigen Grund, warum irgend jemand einen solchen Austausch hätte vornehmen sollen. Und dennoch kam Pedar dom Khaal von dem Gedanken nicht mehr los. Er beschloß, Mana-Konyr auf die Probe zu stellen.
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* Mit einer unplanmäßigen Transition entkam die LASEER der Randzone des hyperenergetischen Wirbels. Sie war jetzt weiter von Arkon entfernt als im Augenblick des Starts. Der Kommandant verfluchte die Tücke des Schicksals und ließ seine Leute und den Bordrechner auf Hochtouren arbeiten, um wenigstens einen Teil der verlorenen Zeit wieder wettzumachen. Wenige Minuten nach der Transition suchte Pedar dom Khaal seinen Schützling auf. »Wir müssen miteinander sprechen«, sagte er würdevoll. »Mir scheint, die hastige Entwicklung der vergangenen Tage hat dich ein wenig durcheinander gebracht. Bevor wir auf Arkon landen, mußt du bis in die letzte Einzelheit wissen, worum es geht.« Klinsanthor, der Mana-Konyrs Bewußtsein inzwischen vollends unterjocht hatte, war mißtrauisch. Andererseits sah er keinen Grund, Pedars Anliegen zurückzuweisen. »Setz dich und sprich!« forderte er den Agenten auf. »Nicht hier«, wies Pedar das Angebot zurück. »Ich habe in meinem Quartier eine kleine Präsentation vorbereitet. Du solltest mit mir kommen.« Jetzt war Klinsanthor vollends sicher, daß der Arkonide Heimtücke im Sinn hatte. Aber wiederum gab es keinen plausiblen Grund, warum er sich hätte sträuben sollen. »Ich bin bereit«, antwortete er. »Laß uns gehen, wenn es dir jetzt paßt.« Pedar dom Khaals Quartier lag auf der Backbordseite des Hauptdecks. Zwischen Mana-Konyrs Suite und der Unterkunft des adligen Arkoniden befand sich der Kommandostand. Der kürzeste Weg führte unmittelbar durch die Zentrale. Klinsanthor erkannte, daß Pedar diesen Weg einschlug. Mana-Konyr, dessen Bewußtsein der Magnortöter in einen abgelegenen Sektor des Gehirns zurückgedrängt und dort abgekapselt hatte, wurde unruhig. Aber die Abkapse-
lung war so kräftig, daß Klinsanthor nicht erkennen konnte, was der Anlaß der Erregung war. Sein Mißtrauen erreichte den Höhepunkt. Wie immer die Falle aussehen mochte, die Pedar dom Khaal für ihn bereitet hatte – er befand sich unmittelbar vor ihr. Würde er sie erkennen können? Das breite Schott des Kommandostands öffnete sich vor den beiden Männern. Pedar trat als erster ein. Er wandte sich halb zur Seite, und Klinsanthor bemerkte seinen stechend scharfen Blick. Mana-Konyrs Bewußtsein rebellierte in dem abgelegenen Gehirnsektor. Es strahlte harte Impulse der Aggressivität aus, aber der Magnortöter wußte nicht, worauf sich die Impulse richteten. In der Kommandozentrale herrschte der übliche Betrieb eines modernen Raumschiffs auf Fernfahrt. Niemand schien von den beiden Männern Notiz zu nehmen. Aus den Augenwinkeln aber sah Klinsanthor, daß mancher respektvolle Blick den Töter mit der Fingerspitze streifte. Nahe dem gegenüberliegenden Ausgang stand eine Steuereinheit des Bordrechners. Klinsanthor hatte soviel mit Mana-Konyrs rebellischem Bewußtsein zu tun, daß er vorübergehend der Umgebung nicht mehr soviel Beachtung schenken konnte, wie er es gerne getan hätte. Er schloß den Kreis um das abgekapselte Fremdbewußtsein noch enger und machte die Kapsel so undurchdringlich, wie er konnte. Danach hatte er Ruhe. Inzwischen aber hatte Pedar dom Khaal den gegenüberliegenden Ausgang erreicht. Anstatt ihn zu öffnen, blieb er stehen und wandte sich dem Magnortöter zu. Sein Blick war eisig. »Du bist nicht Mana-Konyr«, sagte er. Es war eine Feststellung, keine Frage. Klinsanthor bewegte Mana-Konyrs Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. »Du solltest weniger trinken«, riet er Pedar. »Wer sollte ich sonst sein?« Pedar blieb kalt. »Mana-Konyr kann keine Positronik sehen, ohne sich auf sie zu stürzen. Er haßt Positroniken, wie die Götter die Teufel has-
Agentenschule Cerrgoor sen. Du aber stehst kaum zwei Schritte vor einer positronischen Steuereinheit und zeigst keinerlei Reaktion. Wer bist du?« Klinsanthors Verstand arbeitete fieberhaft. Jetzt, da es zu spät war, hatte er die Falle erkannt. Niemand durfte ahnen, daß sich ein fremdes Bewußtsein in ManaKonyrs Körper breitgemacht hatte. Er mußte Pedar hinhalten. Er durfte es nicht zulassen, daß einer der Männer im Kommandostand diese Unterhaltung mithörte. »Dir ist anscheinend der Verstand abhanden gekommen«, beantwortete er Pedars Fragen scheinbar gelassen. »Vielleicht sollten wir uns darüber in deinem Quartier unterhalten.« Pedar verlor allmählich die Beherrschung. »Wer bist du?« zischte er. Der Magnortöter war bereit, ihn einfach stehenzulassen und vorauszugehen. Da trat ein Ereignis ein, das ihn vorläufig aller Sorgen enthob – obwohl es auf lange Sicht seine Erfolgsaussichten drastisch verringerte. Jaulend und kreischend erwachten die Alarmsirenen zum Leben. Klinsanthor fuhr herum und sah auf einem der großen Orterschirme ein halbes Dutzend grünlich leuchtender Punkte, die sich um den Mittelpunkt der Bildfläche gruppierten. Über den Lärm der Sirenen hinweg dröhnte eine Stimme: »Die Methans greifen an!«
4. Chaos folgte. Die LASEER war ein Kriegsschiff; aber niemand hatte damit gerechnet, daß dieser Flug Feindberührung bringen würde. Der Kurs der LASEER war ursprünglich auf solchen Routen geplant, die fest in der Hand des Großen Imperiums waren. Erst das Ausweichmanöver vor dem hyperenergetischen Wirbel hatte das Raumschiff in Gegenden verschlagen, in denen von Zeit zu Zeit auch der Gegner aktiv wurde. Für die große Menge der Passagiere an Bord der LASEER war die Fahrt nach Ar-
17 kon ein Vergnügen. Das unerwartete Auftauchen feindlicher Raumschiffe versetzte sie in Panik. Sie stürmten schreiend durch die Decksgänge und behinderten die Besatzung, die sonst womöglich noch eine Chance gehabt hätte, die LASEER in einen verteidigungsbereiten Zustand zu versetzen. So jedoch gelang nichts mehr. Als der erste Funkspruch der Methans eintraf, der den Kommandanten der LASEER aufforderte, ein Prisenkommando an Bord zu nehmen, da war noch nicht einmal das Kraftwerk weit genug hochgefahren, daß man die Schirmfelder hätte anlegen können. Der arkonidische Kommandant versuchte zu verzögern. Er erkundigte sich nach der Identität der fremden Einheiten. Die Methans aber durchschauten seine Taktik. Sie setzten der LASEER einen Schuß vor den Bug, der das Schiff zum Schwanken brachte und im peripheren Triebwerkssektor eine Reihe kleiner Explosionen auslöste. Da gab die LASEER klein bei. Der Kommandant erklärte sich zur Übernahme eines Prisenkommandos bereit. Man sah, wie eine der Methan-Einheiten ein Beiboot ausschleuste, das wenige Minuten später in einen der Hangars der LASEER einflog. Klinsanthor hatte die Verwirrung genützt, um sich zu entfernen. Er besaß genug Informationen über den immerwährenden Krieg zwischen Arkoniden und Maahks, um zu wissen, daß seinem Vorhaben hier ein ernsthaftes Hindernis in den Weg gelegt wurde. Er hielt es für angebracht, die weitere Entwicklung im Verborgenen abzuwarten. Es gab für ihn keinen Zweifel, daß die Methans Besatzung und Passagiere der LASEER gefangen nehmen würden. Für ihn ging es darum, diesem Schicksal vorerst zu entgehen. Danach würde er weitersehen. Die Panik an Bord war so groß, daß niemand des berühmten Siegers der AmnestieKAYMUURTES achtete, der sich gegen den Strom der Dahineilenden stemmte. Während die entsetzten Passagiere zumeist in Richtung der Gemeinschaftsräume hasteten, suchte Klinsanthor die entlegeneren Teile
18 des Schiffes auf. Er gelangte schließlich in die Nähe des Kraftwerks. In einem Ersatzteillagerraum suchte er sich ein Versteck zwischen zwei Lagergestellen. Unmittelbare Gefahr bestand für ihn nicht. Er war jederzeit in der Lage, ManaKonyrs Körper zu verlassen und an anderem Ort Zuflucht zu suchen – zum Beispiel bei Gonozal. Das aber würde bedeuten, daß er den Plan, für den Rest seines Daseins Gutes zu tun, indem er Orbanaschol III. beseitigte, fürs erste aufgeben mußte. Danach stand ihm nicht der Sinn. Er hatte Mana-Konyrs Identität angenommen und wollte sie behalten, solange noch die geringste Aussicht bestand, daß er unter dieser Maske nach Arkon und in die Nähe des Imperators gelangen konnte. Indem er sich versteckte, ging er ein Risiko ein. Darüber war er sich im klaren. Was, wenn die Methans die Gefangenen von Bord brachten und die LASEER danach zerstörten? Dann blieb ihm immer noch der Ausweg in einen anderen Körper. Aber ManaKonyr würde mit dem Schiff zugrunde gehen. Er wartete. Manchmal hörte er Geräusche aus anderen Teilen des Schiffes. Aber sie waren zu verworren, als daß er ihnen hätte entnehmen können, was an Bord der LASEER vor sich ging. Er bedachte die Möglichkeit, kurzfristig in einen anderen Körper zu schlüpfen, um besser beobachten zu können. Pedar dom Khaal war, soweit er das beurteilen konnte, ein Mensch, der den Forderungen des Unseins in nahezu idealer Weise entsprach. Pedar war ohne Zweifel ein geeigneter Zielkörper. Schließlich aber verwarf der Magnortöter den Gedanken wieder. Wenn er Mana-Konyr verließ, mochten Komplikationen entstehen, die ihn daran hinderten, die Rolle des KAYMUURTES-Siegers ein zweites Mal anzunehmen. Allmählich wurde es ruhig an Bord der LASEER. Klinsanthor wartete gespannt auf ein Anzeichen, daß das Raumschiff sich in Bewegung setzte. Oder daß die Methans das Feuer eröffneten. Aber es geschah nichts. Es
Kurt Mahr blieb ruhig, über zwei Stunden lang. Dann aber öffnete sich plötzlich das Schott des Lagerraums. Aus seinem Versteck hervor gewahrte der Magnortöter die riesigen Gestalten von drei Methans in ihren unförmigen Raumanzügen, die sie vor der giftigen Sauerstoffatmosphäre der LASEER schützten. Hinter den Maahks kam eine menschliche Gestalt – hager und hochgewachsen, und dennoch nur ein Zwerg im Vergleich zu den zyklopischen Fremden: Pedar dom Khaal. Er warf einen Blick in die Runde, dann kam er geradeswegs auf Klinsanthors Versteck zu. Triumphierend wies er in die Lücke zwischen den beiden Gestellen und verkündete: »Hier ist er – wie ich es gesagt habe!« Einer der drei Methans schob sich nach vorne. Hinter der Sichtscheibe des mächtigen Helms sah Klinsanthor einen monströsen, mit vier grünlichen Augen bewehrten Schädel mit schuppiger Haut. Die Atmosphäre im Innern des Raumanzugs war neblig-trüb. Sie bestand, wie der Magnortöter wußte, in der Hauptsache aus Wasserstoff mit Beimengungen von Methan, Ammoniak und anderen Gasen. Der Koloß trug irgendwo einen Translator. Aus einem Sprechgerät ertönte auf Arkonidisch die Frage: »Bist du Mana-Konyr?« »Der bin ich«, bestätigte der Magnortöter. »Er ist einer der Vertrauten des Imperators!« mischte Pedar sich ein. »Ist das wahr?« wollte der Methan wissen. »Nein.« Der Maahk war nicht beeindruckt. »Aus dem Verhör wird sich die Wahrheit ergeben. Du kommst mit uns.« Klinsanthor kam aus einem Versteck hervor. Die Methans waren bewaffnet. Er wußte, daß er fürs erste alles über sich ergehen lassen mußte. Pedar dom Khaal musterte ihn mit haßerfülltem Blick. Der Magnortöter schritt dicht an ihm vorbei. Dabei sagte er: »Du weißt besser als jeder andere, daß ich nicht der Vertraute des Imperators bin. Ich
Agentenschule Cerrgoor warne dich: Eines Tages werde ich mit dir abrechnen!«
* Die beiden Arkoniden mußten Raumanzüge anlegen und wurden in ein Beiboot der Maahks gebracht. Auf dem Weg zum Hangar sah Klinsanthor, daß eine Gruppe von Gegnern den Kommandostand der LASEER besetzt hatte. Anscheinend sollte das Schiff als Beute mitgenommen werden. An Bord des Beiboots herrschte eine mörderische Schwerkraft, wie sie die Methans gewohnt waren. Pedar dom Khaal sank alsbald zu Boden und verlor wenige Augenblicke später das Bewußtsein. Klinsanthor gelang es mit einiger Willensanstrengung, wach zu bleiben. Das Beiboot flog eines der Methanraumschiffe an. Fremde Roboter erschienen und transportierten die beiden Arkoniden ab – Pedar, weil er ohnmächtig war, und Klinsanthor, weil dessen Gastkörper unter der entsetzlichen Gravitation nicht mehr genug Kraft hatte, sich zu bewegen. Die Tortur hatte jedoch bald ein Ende. Das Raumschiff war für die Aufnahme arkonidischer Gefangener eingerichtet. Durch eine Schleuse wurden die beiden Männer in einen Gang gebracht, in dem normale Schwerkraft herrschte. Daß es hier auch eine atembare Atmosphäre gab, erfuhr Klinsanthor, als die Roboter ihm den Raumanzug abnahmen, indem sie ihn einfach aufschnitten. Durch ein schweres, stählernes Schott wurde der Magnortöter in einen engen, grell erleuchteten Raum gestoßen. Bevor sich das Schott wieder schloß, sah er, daß man den bewußtlosen Pedar dom Khaal weiterbeförderte. Im hintersten Winkel der Kammer erblickte er eine in sich zusammengesunkene Gestalt. »Heh, wer bist du?« fragte er. Die Gestalt richtete sich auf. Er erkannte Nithrea. Sie sah ihn zornig an. »Es konnte den Maahks nichts Besseres einfallen, als ausgerechnet uns zwei zusam-
19 menzusperren!« zischte sie ihn an. Plötzlich empfand er die Lage als komisch. Er fing an zu lachen. Nithrea wurde noch zorniger. »Du bist ein eingebildeter, überheblicher Affe!« schrie sie unbeherrscht. Das Lachen tat gut. Klinsanthor empfand es mit Verwunderung. Auch das Lachen war ein Begriff aus der Domäne des Seins. In der Welt des Unseins wurde nicht gelacht. Er gab sich dem Gefühl der Erleichterung hin. Nithrea ballte die Fäuste und sah eine Weile so aus, als wollte sie sich auf ihn stürzen. Schließlich aber kehrte sie in ihre Ecke zurück und hockte sich auf den Boden. Den Kopf neigte sie nach vorne, so daß ihr das lange, rötlich-weiße Haar ins Gesicht fiel. Das war der Vorhang, durch den sie zu erkennen gab, daß sie für ihren Mitgefangenen nicht zu sprechen war. Klinsanthor hielt es für richtig einzulenken. »Wir sitzen zusammen in derselben Patsche, Mädchen«, ermahnte er Nithrea. »Du tust gut daran, deinen verletzten Stolz zu überwinden und mit mir zusammenzuarbeiten.« Nithrea reagierte nicht. »Ich bin überzeugt«, unternahm der Magnortöter einen zweiten Versuch, »daß jeder andere Mann im Großen Imperium einen Arm und ein Bein dafür geben würde, dich zu besitzen. Deine Schönheit ist so groß, wie sie die Götter nur besonders Auserwählten schenken. Weder du noch die Götter können dafür, daß Mana-Konyr für solche Gaben unempfänglich ist.« Nithrea hob den Kopf. Das lange Haar glitt ihr zu beiden Seiten über die Schultern. »Was ist anders an Mana-Konyr?« fragte sie. »Er hat sich an ein Gelübde erinnert«, log Klinsanthor. »An das Gelübde, das ihm Macht und Ruhm gebracht hat; Frauen und berauschende Getränke nicht anzurühren.« Mit einemmal lächelte das Mädchen. »Ein paar Tage lang ist sein Gelübde ganz schön in Vergessenheit geraten«, spottete
20 sie. »Das ist ihm klargeworden. Um so dringender war es für ihn, daß er zu seinen früheren Lebensgewohnheiten zurückkehrte.« Nithrea legte den Kopf schräg auf die Seite. »Sprichst du immer so von dir? So mit ›er‹ und ›Mana-Konyr‹ anstatt mit ›ich‹?« Klinsanthor machte eine verneinende Geste. »Nicht oft«, antwortete er und lächelte dazu. »Nur wenn ich besonders ernst bin.« Sie musterte ihn aufmerksam. Es war leicht zu erkennen, daß sie darüber nachdachte, wie Mana-Konyr dazu gebracht werden könnte, seinem Gelübde abermals untreu zu werden. »Hast du eine Ahnung, wohin die Methans uns bringen und was sie von uns wollen?« fragte Klinsanthor, um sie auf andere Gedanken zu bringen. »Ich glaube, ja«, antwortete sie in belanglosem Tonfall, als sei es ganz selbstverständlich, daß eine junge Frau über die Absichten des Todfeinds informiert war. »Unser Ausweichmanöver führte in einen Randsektor des Großen Imperiums, der unter dem Namen Ullishtan bekannt ist. Es gibt Gerüchte, daß die Methans einen geheimen Stützpunkt irgendwo im Ullishtan-Sektor eingerichtet hätten. Die übliche Art von Stützpunkt: eine Sonne mit mindestens einem Wasserstoff-Planeten, der gewöhnlich einen großen Mond mit einer Sauerstoffatmosphäre hat.« Klinsanthor machte aus seiner Verwunderung keinen Hehl. »Woher weißt du das alles?« fragte er. »Ich reise viel. Hat Pedar das nicht erwähnt?« Pedar hatte eine solche Bemerkung gemacht, erinnerte sich der Magnortöter. Nithrea fuhr fort: »Man hat den Geheimstützpunkt noch nicht gefunden. Trotzdem glaubt man zu wissen, daß es sich um ein System namens Cerrgoor handelt und daß die Methans dort gefangene Arkoniden sammeln, die sie als
Kurt Mahr Spione ausbilden.« »Spione?« »Ja. Die Methans sind darauf angewiesen, sich ihre Informanten aus unseren Reihen zu beschaffen. Das leuchtet ein, nicht wahr? Wie sollte sich ein Maahk auf Arkon als Spion betätigen?« Klinsanthor spürte, wie der Boden zu vibrieren begann. Das war das Zeichen, daß das Raumschiff sich in Bewegung gesetzt hatte.
* Einige Stunden vergingen völlig ereignislos. In der kleinen Zelle war es heiß. Gesprochen wurde nicht viel. Nithrea unternahm ein paar Versuche, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Aber sie merkte bald, daß ihr Gegenüber mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, und gab auf. Klinsanthor analysierte Handlungsalternativen. Seine Aufgabe war die Rache an dem Mörder Orbanaschol. Mana-Konyr, der Sieger der Amnestie-KAYMUURTES, war einer freundlichen Aufnahme durch den Imperator sicher – nicht, weil Orbanaschol eine Schwäche für Athleten hatte, sondern weil er den taufrischen, weltweiten Ruhm des Töters brauchte, um sein eigenes ramponiertes Ansehen zu verbessern. Wie lange aber war Mana-Konyr, so groß sein Ruhm auch sein mochte, für den Imperator von Bedeutung? Dessen Ruf nämlich war so miserabel wie noch nie zuvor, und wenn die Ankunft des KAYMUURTES-Siegers sich nennenswert verzögerte, dann würde er in aller Eile nach einem anderen Effekt haschen müssen, um die Talfahrt seiner Beliebtheit bei den Massen zu bremsen. Ein Mana-Konyr, der erst in vier oder fünf Wochen auf Arkon eintraf, um sich mit ihm zu zeigen, nützte ihm nichts. Dem Magnortöter blieb also nicht viel Zeit. Natürlich hatte er die Möglichkeit, in einem anderen Körper Zuflucht zu suchen – und es war ihm überlassen, sich einen solchen Körper zu suchen, der sich derzeit
Agentenschule Cerrgoor nicht in der Gewalt der Methans, sondern irgendwo in der Nähe des Imperators befand. Mit hoher Wahrscheinlichkeit allerdings würde sein neuer Wirt nicht einer von denen sein, die ständigen Zutritt zu Orbanaschol hatten. Das bedeutete für Klinsanthor, daß er den Wirtskörper ein zweites und womöglich ein drittes Mal würde wechseln müssen. Das kam für ihn nicht in Frage. Jeder Wechsel verringerte seine Kräfte. Im Vergleich zu seinem früheren Selbst war er ohnehin nur noch ein Schatten. Es war dringend notwendig, jegliche Schwächung zu meiden. Solange er sich in Mana-Konyrs Körper befand, war er auf die Methans angewiesen. Es kam darauf an, wie lange sie brauchten, um einen gefangenen Arkoniden in einen Spion zu verwandeln, den sie auf das Große Imperium loslassen konnten. Sicherlich kannten sie Methoden, um auch den glühendsten Anhänger des Imperators in einen Agenten zu verwandeln, um dessen Loyalität sie sich nicht zu sorgen brauchten. Psychochemische Drogen, Hypnose und Suggestion spielten dabei eine Rolle. Im Großen und Ganzen würde die Dauer des Verwandlungsprozesses auch von der Mentalität des einzelnen abhängen: Einer, der Orbanaschol ohnehin haßte, würde sich leichter zum Spion machen lassen als ein Anhänger des Imperators. Selbst im günstigsten Fall jedoch, meinte Klinsanthor, würden ein paar Monate vergehen, bevor der frischgebackene Informant von den Methans wieder auf die Reise geschickt wurde. Das aber war für ihn viel zu lange. Da er sich entschlossen hatte, auch weiterhin Mana-Konyrs Rolle zu spielen, bedeutete diese Erkenntnis für ihn, daß er die Dinge nicht einfach über sich ergehen lassen durfte. Er mußte in den Entscheidungsprozeß der Methans eingreifen. Er mußte sie dazu bewegen, etwas zu tun, was sie noch nie zuvor getan hatten: einen Gefangenen schon nach wenigen Tagen als zuverlässigen Spion wieder in den Einsatz zu schicken.
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* Nach gut zehn Stunden setzte das Raumschiff zur Landung an. Klinsanthor merkte es an dem An- und Abschwellen der Triebwerkstätigkeit. Nach der Landung kamen Roboter, um die Gefangenen aus ihren Zellen zu holen und zusammenzutreiben. Der Magnortöter spürte, daß die Schwerkraft geringer geworden war. In dem Gang, durch den sie getrieben wurden, war es empfindlich kalt. Er mündete unmittelbar auf eine große Schleuse, die in der Mitte des Schiffes lag und von der aus ein Steg nach unten führte. Aus der Höhe der Schleusenöffnung blickte Klinsanthor über eine trostlose Welt. Eine von graugrünem Stoppelgras bewachsene Ebene streckte sich bis an die Grenzen des Sichtkreises. Nicht ein Baum, nicht eine Bodenerhebung unterbrach die Eintönigkeit. Unter einem violettgrauen Himmel strichen dünne, längliche Wolkenfetzen rasch dahin. Die fremde Sonne stand zur Linken, ein kleiner, aber ungemein greller Glutball. Die Farbe der Sonne war ein helles Blau. Sie erzeugte viel Licht, aber wenig Wärme. Ein stetiger Wind blies den Gefangenen ins Gesicht. Die Luft war kalt und dünn. Die Roboter trieben die Leute den Steg hinab. Der Boden der fremden Welt war hart, und das Gras zerbröckelte unter den Schritten. Die Maschinenwesen führten den Zug der Gefangenen um den Rumpf des Schiffes herum. Da bekam Klinsanthor zum ersten Mal die Gruppe von Baracken zu sehen, die mitten in der Einöde standen: langgestreckte, graue Gebäude mit winzigen Fensteröffnungen und plattem Dach. Sie standen in Reih und Glied, immer drei nebeneinander, und die Reihe war sieben Gebäude lang. Insgesamt einundzwanzig Baracken also. Außer durch ihre Position unterschied sich keine von der andern. Das Bild hatte etwas Groteskes an sich. Als Gestalt gewordene Einöde hätte die graugrüne Ebene manchem romantischen
22 Gemüt womöglich noch ein Gefühl der Ergriffenheit abgelockt. Aber die Baracken zerstörten den Eindruck. Sie zerrissen die Szene. Sie zeugten davon, daß intelligente Wesen in die Unberührtheit dieser Natur eingegriffen hatten, ohne Sinn für Harmonie. Man hätte sagen können, die einundzwanzig Hütten seien eine Sünde wider die Schöpfung, und es wäre niemand eingefallen, das zu bestreiten. In einem langen, traurigen Zug marschierten die Gefangenen auf die Baracken zu. Die Roboter verteilten sie auf die einzelnen Gebäude. Sie zählten einfach ab und wiesen je zwölf Leuten eine der Unterkünfte zu. Auf persönliche Präferenzen wurde keine Rücksicht genommen. Einer der Gefangenen versuchte zu meutern. Mit harten Schlägen ihrer metallenen Fäuste trieben ihn die Roboter in die Baracke, die sie ihm zugewiesen hatten. Klinsanthor und Nithrea blieben beisammen. Gemeinsam mit zehn anderen Arkoniden bezogen sie die Unterkunft, die die Roboter ihnen angewiesen hatten. Das Innere bestand aus einem langgestreckten Raum, in dem primitive Liegen aufgereiht waren, und einigen kleineren Gelassen im Hintergrund, die nach Klinsanthors Ansicht Zwecken der Hygiene dienten. Die Roboter kümmerten sich nicht mehr um die Gefangenen, nachdem sie sie einmal in eine Baracke getrieben hatten. Der Magnortöter eilte zu einem der kleinen Fenster, von dem aus er das Raumschiff des Methans sehen konnte. Er beobachtete, wie die Roboter wieder an Bord gingen, nachdem sie alle Gefangenen untergebracht hatten. Kurz darauf startete das Fahrzeug mit singenden Feldtriebwerken. Es stieg in den violettgrauen Himmel hinauf und verschwand. Klinsanthor wandte sich vom Fenster ab und sah seine Mitgefangenen auf den primitiven Liegen hocken, die Köpfe gesenkt, den Blick zu Boden gerichtet. Da überkam ihn aufs neue der Drang zu lachen. Ein paar Leute sahen auf, als sie sein Gelächter hörten. Die anderen waren so in ihre Niederge-
Kurt Mahr schlagenheit versunken, daß nichts mehr sie aufstören könnte. »Ihr braucht die Köpfe nicht hängenzulassen!« rief der Magnortöter in die Runde. »Was die Methans an uns versuchen, ist ein psychologischer Trick. Sie wollen uns weich machen. Es liegt an uns, ihnen eine Überraschung zu bereiten!«
* Er ging von der Annahme aus, daß Nithrea Recht hatte. Diese Welt war Cerrgoor. Die Maahks wollten aus den gefangenen Arkoniden Spione machen. Sie rechneten damit, daß die Gefangenen von dieser Absicht nichts wußten. Die Einöde von Cerrgoor würde ihre Wirkung auf die Arkoniden nicht verfehlen. In ein paar Wochen, vielleicht sogar schon in ein paar Tagen würden die Gefangenen Wahnvorstellungen über warme, blühende Welten entwickeln. Dann war es einfach, sie zum Agentendienst zu überreden. Was Klinsanthor interessierte, war, wie die Methans herausfanden, wann die Zeit reif war. Es war nur ein einziges Schiff auf Cerrgoor gelandet – zumindest in dieser Gegend. Die übrigen Fahrzeuge und die LASEER hatten entweder an einem weit entlegenen Ort oder auf einem anderen Planeten aufgesetzt. Der Magnortöter erinnerte sich an Nithreas Schilderung, wonach der typische vorgeschobene Stützpunkt der Methans aus einem Wasserstoffriesen und dessen mit Sauerstoffatmosphäre ausgestattetem Satelliten bestand. Wenn Cerrgoor wirklich nur ein Mond war, dann mußte der Planet, um den er kreiste, irgendwann einmal sichtbar werden. Womöglich waren die anderen MethanSchiffe mitsamt der LASEER dort gelandet. Wie immer dem auch war – scheinbar befand sich zu diesem Zeitpunkt kein einziger Methan mehr auf Cerrgoor. Wie also wollte der Feind feststellen, wann die Gefangenen jenes Stadium der Verzweiflung erreicht hatten, in dem es leicht war, sie zu Spionen zu machen? Klinsanthor untersuchte die Ba-
Agentenschule Cerrgoor racke eingehend, fand aber kein Anzeichen dafür, daß es hier Sicht- oder Abhörgeräte gab. War es nicht viel wahrscheinlicher, daß die Methans sich irgendwo in der Nähe versteckt hielten? Je länger Klinsanthor darüber nachdachte, für um so wahrscheinlicher hielt er es, daß seine Vermutung richtig war. Inzwischen hatten andere Gefangene die rückwärtig gelegenen Räume untersucht und festgestellt, daß einer davon eine Art Automatenküche war. Stundenlang hatte man versucht, die Geräte in Gang zu bringen. Das gelang jedoch erst, als die Sonne nur noch ein paar Fingerbreit über dem Horizont stand. Es sah aus, als wollten die Methans ihre Gefangenen zum Einhalten bestimmter Mahlzeiten zwingen. Was die Automaten produzierten, reichte, um Hunger und Durst zu stillen und den Nährstoffbedarf des Körpers zu decken. Das war alles. Gegen Sonnenuntergang verließ Klinsanthor zum ersten Mal die Baracke und suchte der Reihe nach die Hütten auf, in denen die anderen Gefangenen untergebracht waren. Er ließ verlauten, daß eine Stunde nach Sonnenuntergang in seiner Baracke eine Beratung stattfinde, an der möglichst jeder teilnehmen solle. Dann sah er sich weiter um und stellte fest, daß die nicht mit Gefangenen belegten Baracken in der Tat leer waren und offenstanden. Insgeheim hatte er gehofft, irgendwo auf eine verschlossene Tür zu stoßen. Das wäre ein Hinweis darauf gewesen, daß sich der Feind in der Nähe verbarg.
* Zur Beratung erschienen alle. Klinsanthor trug seine Hypothese vor. Er schloß mit den Worten: »Wir dürfen nicht einfach warten und die Köpfe hängen lassen. Verzweiflung oder sogar Wahnsinn wären die unvermeidlichen Folgen. Wir müssen den Feind zum Handeln zwingen. Wir müssen die Methans aufspü-
23 ren, die sich irgendwo hier in der Nähe versteckt halten. Indem wir ihr Versteck aufspüren, beweisen wir ihnen, daß wir nicht die hilflosen Narren sind, für die sie uns gehalten haben.« Er verschwieg, was er für sich behalten wollte: daß die Suche nach dem Versteck, selbst wenn es keines gab, nützlich sein würde, weil nur zielbewußte Tätigkeit die Gefangenen daran hinderte, ins Grübeln und damit in die Verzweiflung zu verfallen. Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Womit er hinter dem Berg halten wollte, brachte Pedar dom Khaal als zweiter Redner rücksichtslos ans Tageslicht. Und noch einiges mehr. »Man muß sich fragen«, begann er süffisant, »woher einer, der den größten Teil seines Lebens abseits der Menschheit in Straflagern verbracht hat, plötzlich soviel Verständnis für Strategie und Taktik haben will, daß er sich erdreistet, uns hier Ratschläge zu erteilen. Ich meine, ein Sieg bei den KAYMUURTES macht noch lange keinen Feldherrn. Sosehr wir Mana-Konyrs Tapferkeit und Tüchtigkeit bei den Spielen bewundern, so sehr müssen wir uns andererseits fragen, ob er wirklich der geeignete Mann ist, uns in dieser Lage ein Verhalten vorzuschreiben.« Er machte das sehr geschickt, mußte Klinsanthor ihm zugestehen. Er wußte, daß der KAYMUURTES-Sieger die Bewunderung der Gefangenen genoß. Er machte ihn nicht einfach schlecht. Im Gegenteil: Er wies auf die Bewunderung hin, die ihm gebührte, und wies dann die Grenzen auf. Ein ehemaliger Strafgefangener hatte keine Fähigkeit, Anführer zu sein. »Mana-Konyrs Vorschläge«, fuhr Pedar fort, »würden uns, wenn wir sie verwirklichten, geradeswegs ins Verderben führen. Wir alle wissen, daß einem Arkoniden, der von den Methans gefangen wird, eins von zwei Schicksalen droht: Er wird entweder zum Sklaven gemacht, oder man bildet ihn als Spion aus. Es hat den Anschein, als sei uns das letztere Los zugedacht. Das ist gut.
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Denn ein Sklave hat so gut wie keine Aussicht mehr, seinem Schicksal zu entkommen. Uns dagegen wird man, wenn man unser sicher zu sein glaubt, wieder entlassen, damit wir im Großen Imperium für die Methans spionieren. Was wir aus diesem Auftrag machen, bleibt uns und unserem Gewissen überlassen. Wenn wir die Entwicklung stören, wird der Feind sich die Sache wahrscheinlich anders überlegen. Wenn wir Initiative zeigen, die den Interessen der Methans zuwiderläuft, wird er darauf verzichten, uns zu Spionen auszubilden, und uns stattdessen zu Sklaven machen. Das ist es, worauf Mana-Konyrs Plan hinausläuft. Im Grunde genommen, glaube ich nicht, daß der KAYMUURTES-Sieger sich über diese Dinge nicht im Klaren ist. Er will etwas Gutes, nämlich uns beschäftigt halten, damit wir nicht dem Trübsinn anheimfallen. Aber die Tätigkeit, die er uns aufschwatzen will, ist eine gefährliche. Wir müssen uns eine andere einfallen lassen.« Er schwieg. Die Leute waren nachdenklich geworden. Klinsanthor sah, daß die Mehrzahl auf Pedar dom Khaals Seite neigte. Er hatte überzeugend gesprochen. Er hatte dem KAYMUURTES-Sieger den nötigen Respekt bezeigt und ohne Beleidigung durchblicken lassen, wo Mana-Konyr seine Grenzen hatte. Da geschah etwas Überraschendes. Eine helle, klare Frauenstimme war plötzlich zu hören. Jedermann sah auf. Es war Nithreas Stimme. Sie sagte: »Wer hätte gedacht, Pedar dom Khaal, daß du ein solcher Feigling bist!«
5. Das gab den Ausschlag. Klinsanthor ergriff noch einmal das Wort. Danach hatte er rund siebzig Prozent der Gefangenen auf seiner Seite. Der Rest hielt weiterhin zu Pedar dom Khaal und teilte seine Befürchtungen. Der Magnortöter schlug vor, daß man
sofort die nächsten Schritte besprechen solle. Daraufhin ließ Pedar hören, daß er und seine Anhänger von solchen Schritten nichts wissen wollten und daher nicht die Absicht hätten, an der Beratung weiter teilzunehmen. Unter den verächtlichen Rufen der Zurückbleibenden zog Pedar dom Khaal mit seiner Mannschaft ab. Klinsanthor stand in der Nähe des Ausgangs. Als Pedar an ihm vorüber wollte, hielt er ihn fest. Mit halblauter Stimme sagte er: »Für einen, der genau weiß, daß ich nicht Mana-Konyr bin, hast du diesen Namen recht häufig gebraucht!« Pedars Reaktion war so heftig, daß er sich Klinsanthors Griff entriß. Aus weiten Augen starrte er den Magnortöter an, und sein Gesicht wurde grün vor Furcht. Nach ein paar Sekunden besann er sich und eilte wie gehetzt durch die offene Tür in die kalte Nacht hinaus. Klinsanthor beriet mit den Leuten, die zurückgeblieben waren. Er sprach offen zu ihnen. Er gestand, daß Pedars Argumente zum Teil richtig waren. Sein Plan konnte dazu führen, daß die Methans die Gefangenen als Spione für untauglich hielten und sie zur Sklaverei verurteilten. »Allerdings müßt ihr euch überlegen«, sagte er, »ob das wirklich ein so sehr viel schlimmeres Los ist. Oder meint ihr, daß der Feind, nachdem er euch zu Spionen ausgebildet hat, euch völlig ohne Aufsicht entlassen wird? Es wird Kontrollen und Kontakte geben. Die Methans unterhalten ein engmaschiges Spionagenetz im Großen Imperium. Die wichtigsten Agenten sind dem Feind treu ergeben. Mit ihnen werdet ihr es zu tun haben. Ihr könnt nicht einfach ins Imperium zurückkehren und den ganzen Zwischenfall vergessen. Man wird euch daran erinnern, daß ihr versprochen habt, für die Methans zu arbeiten. Wenn ihr euer Versprechen nicht haltet, werden sich andere Agenten euer annehmen. Und eines Tages wird man irgendwo eure Leichen finden.« Das überzeugte sie. Klinsanthor setzte
Agentenschule Cerrgoor durch, daß mit der Suche nach dem Versteck der Methans noch in dieser Nacht begonnen wurde. Es bildeten sich vier Gruppen, jeweils aus drei Leuten bestehend. Der Magnortöter schlug vor, man solle erst die leeren Baracken und dann die Umgebung des Lagers durchsuchen. Die Sucher machten sich alsbald auf den Weg. Die übrigen Teilnehmer der Beratung kehrten in ihre Baracken zurück. Als Klinsanthor kurze Zeit später nachdenklich auf der Kante seines primitiven Lagers saß, kam Nithrea zu ihm. »Du willst einfach hier warten?« fragte sie. »Nein. Ich versuche, wie ein Methan zu denken und zu ermitteln, wo ich mich auf dieser Welt verstecken würde, wenn ich ein Methan wäre.« »Hast du Erfolg dabei?« Klinsanthor machte eine verneinende Geste. »Nicht besonders. Ein Gefühl sagt mir, daß der Feind sich in diesem Lager aufhält. Wahrscheinlich unterirdisch. Es muß eine Anlage geben, in der die Methans ihre giftige Atmosphäre und die Schwerkraftverhältnisse geschaffen haben, an die sie gewöhnt sind. Der Zugang liegt wahrscheinlich in einer der leeren Baracken.« »Willst du suchen?« »Ja.« »Nimmst du mich mit?« Klinsanthor sah sie überrascht an. »Fürchtest du dich nicht?« »Doch. Aber trotzdem möchte ich mitkommen.«
* Die Nacht war bitter kalt. Unterwegs begegneten sie zwei Suchtrupps, die zähneklappernd ihr Vorhaben aufgegeben hatten. Ohne Erfolg. Klinsanthor begann mit der vordersten Barackenreihe – der also, die dem verlassenen Landeplatz des Methanschiffs am nächsten lag. Die Tür des ersten Gebäudes ließ sich mühelos öffnen, aber
25 drinnen war es finster. Der Magnortöter und das Mädchen suchten die Wände in der Nähe des Eingangs ab. Nithrea fand schließlich einen Schalter, mit dem sich eine Art Notbeleuchtung einschalten ließ: zwei Dutzend winziger, aber grellweißer Lichtquellen, die unter der Decke angebracht waren. Das gab genug Helligkeit, das Innere der Baracke sichtbar zu machen. Es sah hier nicht anders aus als in dem Bau, in dem die Gefangenen untergebracht waren. Lange Reihen primitiver Liegen streckten sich von der Vorder- bis zur Rückwand. In der Rückwand gab es mehrere Türen, die zu einer Art Hygienezelle und zu den Küchenräumen führten, in denen sich die Gefangenen ihre eigenen Mahlzeiten bereiten konnten. Auf dem Boden lag Staub, den der ewige Wind durch die Fugen hereingetrieben hatte. Die Luft roch schal. Diese Baracke war seit langer Zeit nicht mehr benützt worden. »Hier finden wir nichts«, sagte Klinsanthor mißmutig. Sie schalteten das Licht ab und gingen hinaus. In der zweiten Baracke bot sich ihnen dasselbe Bild. Auch hier gab es den charakteristischen Geruch, der darauf hinwies, daß sich in diesem Bau seit langem niemand mehr aufgehalten hatte. Klinsanthor begnügte sich damit, die verlassene Szene mit einem Blick zu überfliegen. Dann wandte er sich wieder dem Ausgang zu. Sein nächstes Ziel war die letzte Baracke in der vordersten Reihe, die am linken Flügel. Er öffnete die Tür und wandte sich nach rechts, wo üblicherweise der Schalter für die Notbeleuchtung zu finden war. Er fand ihn auch jetzt. Aber als er den Schalter kippte, geschah nichts. Es blieb finster. »Was bedeutet das?« fragte Nithrea flüsternd. »Wahrscheinlich weiter nichts, als daß irgendwo ein Kontakt unterbrochen ist«, dämpfte der Magnortöter ihren Eifer. Dann aber ließ er sich auf die Knie nieder und suchte den Boden ab. Er war eine Zeitlang beschäftigt. Nithrea hörte ihn sich auf
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allen vieren bewegen. Er kroch hierhin und dorthin. Schließlich kehrte er zurück und richtete sich auf. »Vielleicht bedeutet es doch mehr«, sagte er, und seine Stimme hatte einen merkwürdigen Klang. »Wie meinst du?« »Es liegt kein Staub auf dem Boden!«
* Das Jagdfieber hatte sie gepackt. Aber die Finsternis machte ihnen die Sache schwer. Klinsanthor versuchte abzuwägen, ob es nicht besser sei, bis zum nächsten Morgen zu warten. Aber erstens wußte er nicht, wie lange die Nächte auf dieser Welt waren, und zweitens brachte jede verlorene Stunde seinen Plan in zusätzliche Schwierigkeiten. Er war noch unentschlossen, als er plötzlich einen fahlen Lichtschimmer bemerkte, der zur linken Hand durch die Reihe kleiner Fenster kam. Auch Nithrea war aufmerksam geworden. Vorsichtig schritt sie zu den Fenstern hinüber. Auf den Zehenspitzen stehend, blickte sie hinaus. Klinsanthor hörte, wie sie hastig aufatmete. Das Bild des Nachthimmels hatte sich verändert. Im Südosten stand ein schmaler, langer Streif mattweißer Helligkeit über dem Himmel. Während die beiden Späher beobachteten, wurde er breiter und länger. Man konnte erkennen, daß sein oberer Rand regelmäßig gekrümmt war. »Was ist das?« hauchte Nithrea. »Das ist der Planet, dessen Mond diese Welt ist«, antwortete der Magnortöter. »Er kommt uns gerade recht. In einer halben Stunde wird es hier so hell sein wie mitten am Tag.« Wortlos beobachteten sie, wie der gigantische Planet sich weiter über den Horizont in die Höhe schob. Es war ein faszinierendes und gleichzeitig furchteinflößendes Schauspiel. Schon nach wenigen Minuten umspannte der gewölbte Lichtstreif den Horizont vom Osten bis zum Süden. Wenn die gewaltige Scheibe zur Gänze am Himmel
stand, schätzte Klinsanthor, dann bedeckte sie wenigstens ein Viertel des Firmaments. Die riesigen Ausmaße der Planetenscheibe erweckten den Eindruck, die fremde Welt sei ganz nahe. Dennoch waren Einzelheiten der Oberfläche nicht zu erkennen. Stattdessen sah Klinsanthor die typischen Streifen, die die Atmosphäre des Planeten in äquatorparallele Zonen einteilten – ein Charakteristikum der gigantischen Wasserstoffwelten, auf denen die Methans sich am wohlsten fühlten. Dort also hatte der Feind seinen Stützpunkt. Der Mond diente nur als Gefangenenlager. Und als Schulungsstätte für Spione. Klinsanthor wandte sich vom Fenster ab und sah, daß das Innere der Baracke inzwischen hell geworden war. Das Auge bestätigte, was die tastenden Finger zuvor schon wahrgenommen hatten: auf dem Boden lag kein Staub. Ansonsten glich der Barackenraum den anderen beiden, die sie vorhin durchsucht hatten: lange Reihen leerer Liegen, im Hintergrund ein paar Türen. Klinsanthor schritt die Gänge zwischen den Liegen ab. Wenn es hier einen Zugang zum Versteck der Methans gab, dann mußte er irgendwo auf dem Boden zu finden sein. Dieser Boden aber bestand aus einer fugenlos gegossenen, harten Masse. So hart der Magnortöter auftrat, er fand nirgendwo eine Stelle, an der ein hohler Klang auf einen unterirdischen Hohlraum hingewiesen hätte. Er durchsuchte die Küche im hinteren Teil der Baracke. Dazu mußte er die Tür offenlassen, denn die Küchenräume waren durchweg fensterlos. Er fand auch hier nichts Besonderes. Nithrea war ihm gefolgt. Enttäuschung lag in ihrem Blick. »Auch hier nichts«, murmelte sie. Er schritt an ihr vorbei und blieb unter der Tür stehen. In ihm war die Gewißheit, daß es hier irgendwo eine Spur geben müsse. Daß er dem Geheimnis nahe war. Daß er nur die Hand auszustrecken brauchte, um es zu berühren. Und doch … Dann, plötzlich, fiel ihm etwas auf. Er
Agentenschule Cerrgoor zählte die Liegen. Sie standen in vier Reihen. Jede Reihe war zehn Liegen lang. Er lief quer durch die Baracke – so rasch, daß Nithrea ihm kaum folgen konnte. Er rannte durch die offene Tür hinaus auf die Nachbarbaracke zu. Er riß die Tür auf und starrte in den leeren Raum, den das bleiche Licht der Methanwelt erhellte. »Dreizehn!« stieß er hervor. Dann wandte er sich um und schritt außen an der Längswand der Baracke entlang. Er brauchte die Schritte nicht zu zählen. Mit dem Augenmaß allein ließ sich bestimmen, daß die beiden benachbarten Baracken gleich lang waren. Nithrea wußte nicht, worum es ging. »Der Innenraum der Baracke dort drüben ist kürzer als dieser hier«, erklärte der Magnortöter. »Genau um die Strecke kürzer, die man braucht, um drei Liegen aufzustellen. Das sind fünf oder sechs Meter.« »Aber wir haben die Küche durchsucht«, wandte das Mädchen ein. »Es gibt dort nichts Auffälliges. Nach deiner Rechnung müßte sie größer sein als die anderen Küchen. Aber …« »In allen anderen Baracken«, fiel ihr Klinsanthor ins Wort, »ist die Rückwand der Küche gleichzeitig auch die Rückwand der Baracke. Dort drüben aber muß es hinter der Küche noch einen weiteren Raum geben, der fünf bis sechs Meter breit ist. Komm!«
* Er stand unmittelbar vor dem Ziel, das spürte er. Er suchte die Wand ab, jede Handbreit davon. Es mußte hier irgendwo einen Durchgang geben, und einen Mechanismus, mit dem er geöffnet und geschlossen werden konnte. Er hatte die Hand eine Zeitlang auf der Wand ruhen lassen, um ihre Temperatur zu ermitteln. Sie war ebenso kalt wie die Umgebung. Das war wichtig zu wissen. Denn wenn durch diese Wand der Weg ins Versteck der Methans führte, dann bestand die Möglichkeit, daß auf der anderen Seite erhöhte Gravitation und die heiße Wasser-
27 stoff-Ammoniak-Atmosphäre herrschten, in der die Methans sich wohl fühlten. Dann aber hätte die Wand wärmer als die Umgebung sein müssen. Er trat von der Wand zurück. Er kannte die Technik der Maahks nicht. Er wußte nicht, wie das Ding aussah, nach dem er suchte. Er versuchte, sich in die Lage eines Methans zu versetzen, der die Küche betrat, um durch den geheimen Ausgang in das Versteck zu gelangen. Wo würde er den Schalter anbringen, mit dem der Öffnungsmechanismus betätigt wurde? Doch nicht an einem der Küchengeräte, denn dort konnte einer der Gefangenen, die von Zeit zu Zeit hier untergebracht waren, ihn versehentlich betätigen und so durch Zufall dem Geheimnis der Methans auf die Spur kommen. Klinsanthor bemerkte den Denkfehler im selben Augenblick, in dem er ihn beging. In dieser Baracke wurden niemals Gefangene untergebracht! Wie hätten die Methans sonst ungehindert ihr Versteck betreten und verlassen können. Dieser Bau stand nur zum Schein da! Er maskierte das Versteck! Der Magnortöter untersuchte die Schalter, mit denen die Küchengeräte bedient wurden. Er erinnerte sich an die unförmigen Gestalten der Methans in ihren Raumanzügen, an die klobige Konstruktion der Handschuhe. Der Schalter, den er suchte, mußte größer sein als alle andern, mit einer Fläche groß genug für den plumpen Finger am Handschuh eines Methan-Raumanzugs. Schließlich fand er ihn: eine viereckige Erhebung, eingelassen in den Sockel eines Servierautomaten, leicht zu übersehen, da er dieselbe Farbe hatte wie das Gehäuse des Automaten. Klinsanthor drückte zu. Er mußte beträchtliche Kraft aufwenden, bis die Fläche unter dem Druck seiner Hand nachgab. Die Methans waren kräftiger als Menschen. Der Schalter knackste leise. Aus dem Hintergrund kam ein leises Surren. Die Rückwand des Küchenraums hatte sich in zwei Teile gespalten. Der Spalt verbreiterte sich, bis er eine Weite von mehr als zwei
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Metern erreicht hatte. Dann erstarb das Summen. Vorsichtig traten Klinsanthor und das Mädchen näher. Der Magnortöter blickte in einen kahlen Raum, der jedoch nur zwei Drittel der Breite der Baracke einnahm. Zur rechten Hand endete er mehrere Meter vor der Seitenwand des Baus. Dort gab es also eine weitere Kammer, die den eigentlichen Zugang zum Versteck bildete, womöglich eine Schleuse, die den Lebensbereich der Methans von der Umwelt dieses Himmelskörpers trennte. Nithrea wollte die Kammer betreten. Aber Klinsanthor hielt sie zurück. »Wir wissen nicht, ob der Zugang sich selbsttätig wieder schließt«, warnte er sie. »Was haben wir dann erreicht?« fragte das Mädchen »Wir müssen in das Versteck eindringen, wenn wir den Plan der Methans stören wollen!« Der Magnortöter lächelte. »Ich glaube, das würde uns schwerfallen. Die Sicherungen werden immer komplizierter, je mehr wir uns dem eigentlichen Versteck nähern. Wir haben kein technisches Gerät. Wir können nur mit den Händen arbeiten. Ich glaube nicht, daß es uns gelingen würde, den Zugang durch diese Wand dort zu öffnen.« Nithrea starrte ihn verwirrt an. »Aber dann …« Er lächelte noch immer und wies zur Decke hinauf. Sie sah eine Reihe von Unebenheiten, rechteckige Auswüchse, die erstaunlich regelmäßig über die Deckenfläche verteilt waren. »Wir brauchen nicht weiterzugehen«, sagte der Magnortöter. »Die Methans beobachten diesen Raum. Sie wissen, daß wir ihr Versteck gefunden haben.«
* Die Nacht verging ohne weiteres Ereignis. Klinsanthor und Nithrea waren zu ihrer Baracke zurückgekehrt. Ein paar Leute schliefen schon. Die andern wollten wissen, ob die
beiden Späher Erfolg gehabt hatten. Der Magnortöter antwortete ausweichend. »Ich glaube, wir haben eine Spur gefunden. Sie liegt in einem der Küchenräume, wo das Licht des Methanplaneten nicht hindringt. Wir müssen warten, bis morgen früh die Sonne aufgeht.« Die Lage war ruhig. Das Auftauchen der riesigen Planetenscheibe am Nachthimmel hatte die Leute zunächst erschreckt. Aber es waren einige unter ihnen, die solche Vorgänge schon des öfteren erlebt hatten. Sie beruhigten die anderen. Von Pedar dom Khaal und seinem Häuflein Getreuer hatte man nichts mehr gehört. Klinsanthor ging zur Ruhe. Er verstärkte die Sicherheitsvorkehrungen, durch den Mana-Konyrs Bewußtsein im hintersten Winkel des Gehirns eingekapselt wurde. So war er sicher, daß der KAYMUURTES-Sieger die Kontrolle nicht an sich reißen konnte, während sein Bezwinger schlief. Mühelos glitt der Magnortöter in das Reich des Gottes der Schläfer hinüber. Die Geräusche der Baracke weckten ihn am nächsten Morgen. Durch die kleinen Fenster sah der violettgraue Himmel der fremden Welt herein. Die kleine, grelle Sonne stand schon eine Handbreit hoch und die gespenstische Scheibe des Riesenplaneten war verschwunden. Die Leute hatten festgestellt, daß die Küchengeräte wieder funktionierten. Sie waren dabei, sich zu bedienen. Klinsanthor erhob sich. Mit einer bauchigen Schüssel in der Hand kam Nithrea auf ihn zu. »Nimm und iß!« forderte sie ihn auf. »Du wirst alle Kraft brauchen, um die Neugierde der Leute zu befriedigen.« Er sah sich um und bemerkte, daß die Blicke fast aller Gefangenen auf ihn gerichtet waren. »Habt Geduld!« rief er ihnen zu. »Es wird sich bald etwas tun!« Mit der Hand langte er in die Schüssel und führte die breiige Masse zum Mund. Sie schmeckte nach nichts, aber sie füllte den Magen und löschte gleichzeitig den Durst.
Agentenschule Cerrgoor Während er aß, überlegte er, wie er weiter vorgehen solle. Er hatte damit gerechnet, daß die Methans auf die Entdeckung ihres Verstecks sofort reagieren würden. Daß sie das nicht getan hatten, brachte ihn ein wenig aus dem Konzept. Sollte er die Leute in die Tarnbaracke führen und ihnen zeigen, was er gefunden hatte? Würden die Methans reagieren, wenn sie sahen, daß es nicht nur zwei Einzelgänger waren, die um die Existenz ihres Verstecks wußten? Klinsanthor leerte die Schüssel und stellte sie beiseite. In diesem Augenblick flog die vordere Barackentür mit einem Knall auf. Unter der Öffnung erschien die unförmige Gestalt eines Methans im Raumanzug. Mit dröhnenden Schritten kam er ein paar Meter weit in den Barackenraum herein. In der rechten Armbeuge trug er eine schwere Strahlwaffe. Über den Translator, der in den Helm seiner Montur eingebaut war, erscholl seine mächtige, dröhnende Stimme: »Man hat euch hierhergebracht, damit ihr eine Reihe von Prüfungen besteht. Durch diese Prüfungen sollte ermittelt werden, ob ihr mehr als Sklavenmaterial seid. Ihr habt schon die erste Prüfung nicht bestanden. Ein Transporter wird in wenigen Stunden hier landen. Er bringt euch nach Thulinn. Ich bin sicher, ihr habt alle schon von Thulinn gehört.«
6. Klinsanthor sah die Leute ringsum erstarren. Ja, sie hatten von Thulinn gehört. Nicht weil es jemals einem Sklaven gelungen wäre, von der Welt der Unmenschlichkeit zu entrinnen und darüber zu berichten, sondern weil die Kriegspropaganda der Methans sich nicht genug tun konnte, die Abscheulichkeiten des Sklavendaseins auf Thulinn immer und immer wieder zu schildern. Dem Gegner sollte dadurch der Mut genommen, die Moral der arkonidischen Truppen geschwächt werden. Der Methan wandte sich ab und wollte gehen. In diesem Augenblick rief der Magn-
29 ortöter: »Du begehst einen schweren Fehler, Fremder!« Einen Atemzug lang bangte er um den Erfolg seines Manövers. Der Methan setzte in seiner schwerfälligen Art einen Fuß vor den andern. Er ging zwei, drei Schritte und schien den Zuruf überhaupt nicht gehört zu haben. Dann jedoch, fast schon unter der Tür, blieb er stehen und drehte sich um. »Wer sagt das?« dröhnte seine Frage durch den Raum. Klinsanthor trat vor. »Ich sage es!« »Du bist der Vertraute des Imperators!« »Das sagt Pedar dom Khaal. Er lügt. Ich weiß um die Wege und Gedanken des Imperators. Ich bin sein Feind, nicht sein Vertrauter.« Der Magnortöter glaubte zu sehen, wie die Augen des Methans die Anwesenden überflogen. »Diese Leute halten zu dir?« »Sie sind mein Gefolge. Kennst du meine Geschichte?« »Ich kenne sie.« »So, wie Pedar sie dir erzählt hat«, spottete Klinsanthor. »Er kennt meinen Plan. Er läßt nichts unversucht, mich aus dem Weg zu räumen. Hör zu, Fremder! Ich war einst ein Mächtiger in meinem Volk. Meine Macht mißfiel dem Imperator Orbanaschol, denn meine Pläne waren andere als die seinen. Durch Intrigen brachte er mich in Verruf. Schließlich beschuldigte er mich des Mordes an meinem besten Freund, den in Wirklichkeit seine Schergen umgebracht hatten. Es kam zur Verhandlung. Zu jener Zeit hatte ich fast keine Freunde mehr. Die Stimmung im Reich war gegen mich. Ich wurde des Mordes für schuldig befunden, enteignet und in ein Straflager in die Verbannung geschickt. Es gab für mich nur eine Möglichkeit, jemals wieder die Freiheit zu erlangen. Ich nahm an den KAYMUURTES teil, den Großen Spielen, von denen du gehört hast. Ich siegte in der schwersten aller Kategorien. Ich war auf dem Weg nach Ar-
30 kon, um meine Rache zu vollziehen, als eure Flotte unser Schiff aufbrachte.« »Ich höre, daß der Imperator dich als Helden feiern wollte«, sagte der Methan. »Gewiß. Sein Stern ist im Sinken! Der KAYMUURTES-Sieger kann ihm einen Teil seines Ansehens zurückgewinnen.« »Auch wenn dieser Sieger sein ärgster Feind ist?« Der Magnortöter lachte verächtlich. »Methan, du hältst mich für dumm! Orbanaschol wird mich nicht erkennen. Weder Gesicht noch Gestalt, weder Stimme noch Ausdrucksweise sind die des Mannes, den der Imperator einst in die Verbannung geschickt hat. Ich habe Mittel gefunden, mein Äußeres zu verändern. Für Orbanaschol bin ich ein Fremder.« Der Methan schwieg eine Weile. Als er endlich wieder zu sprechen begann, da kamen die Worte langsamer als bisher – so, als müsse er sich jedes einzelne genau überlegen. »Und warum glaubst du, daß ich einen Fehler begehe, wenn ich euch nach Thulinn schicke?« »Auf dieser Welt werden Agenten ausgebildet«, antwortete Klinsanthor. »Arkoniden, die für euch wichtige Informationen aus dem Großen Imperium besorgen sollen. Ihr müßt vorsichtig sein. Die Leute, die hier ausgebildet werden, bedürfen ständiger Überwachung. Ihr könnt sie nur dorthin schicken, wo eine solche Überwachung möglich ist – also zum Beispiel nicht nach Arkon selbst, wo ihr nicht genug zuverlässige Spezialisten im Einsatz habt. Uns aber steht der Weg nach Arkon offen. Uns brauchst du auch nicht zu konditionieren. Wir sind Feinde des Imperators. Mein Plan ist, ihn aus dem Weg zu räumen. Ich bin bereit, in eurem Interesse zu handeln – nicht, weil ich euren Zielen dienen will, sondern weil ich eine Rache verfolge.« Ein zweites Mal ließ der Methan eine gewisse Zeit verstreichen, bevor er antwortete. Inzwischen sorgte sich Klinsanthor um den Ausgang dieser Unterhaltung. Er hatte kräf-
Kurt Mahr tig auf den Busch geklopft, als er behauptete, die Methans hätten nicht genug zuverlässige Leute auf Arkon. Er konnte nur hoffen, daß es wirklich so war. »Du bist ein gefährlicher Mensch«, sagte der Methan schließlich. »Wenn deine Geschichte nicht wahr ist, wäre selbst Thulinn zu gut für dich. Du dürftest Cerrgoor nicht lebend verlassen.« Mit diesen Worten schritt er endgültig davon. Die Tür schloß sich hinter ihm. In der Baracke aber richteten sich die Blicke der Männer und Frauen fragend auf den Magnortöter. Er hatte einen Sieg errungen; aber sie wußten nicht, wohin der Weg von jetzt an führte.
* Der Transporter ließ sich nicht blicken. Der Tag verging, ohne daß ein Raumschiff in der Nähe des Gefangenenlagers landete. Klinsanthor wertete das als Erfolg. Wenn die Methans die Gefangenen hätten nach Thulinn bringen wollen, dann wäre dies längst geschehen. Die Leute bedrängten den Magnortöter mit Fragen. Sie wollten wissen, wieviel Wahres an seiner Geschichte war. »Gar nichts«, antwortete er freimütig. »Ich habe sie erfunden, um uns das Schicksal der Sklaverei zu ersparen.« »Sie werden dich verhören«, warnte Nithrea. »Sie kennen Methoden, um die untersten Schichten deines Bewußtseins an den Tag zu bringen.« »Um mich macht euch keine Sorgen«, riet Klinsanthor. »Es ist viel wichtiger, daß ihr das Richtige denkt. Denn auch ein paar von euch werden verhört werden. Ihr kennt meinen Plan nicht, habt erst heute von ihm erfahren. Das ist die Wahrheit. Ihr seid trotzdem mein Gefolge. Denn ihr alle haßt den Imperator – der eine mehr, der andere weniger. Auf jeden Fall aber seid ihr meinetwegen auf dem Weg nach Arkon. Ich bin der Gegenstand eurer Bewunderung, auch das ist richtig. Solange ihr euch an diese Wahr-
Agentenschule Cerrgoor heiten haltet, kann euch das Verhör nichts anhaben.« Gegen Mittag beobachtete man, daß vier Methan-Roboter zwei Gefangene aus der anderen Baracke holten, in der Pedar dom Khaal mit seinen Leuten hauste. Die beiden waren Pedar selbst und ein junger Mann, den er seinen Sekretär zu nennen pflegte. Die Roboter führten die Gefangenen zur vordersten Barackenreihe und verschwanden dahinter. Auf diese Weise, schloß Klinsanthor, war Pedar dom Khaal der erste, der das unterirdische Versteck der Methans zu sehen bekam. Es vergingen ein paar Stunden, dann brachte man die beiden zurück. Pedar wurde getragen. Das Verhör hatte ihm anscheinend derart zugesetzt, daß er nicht mehr auf den Beinen stehen konnte. Der Sekretär bewegte sich noch aus eigener Kraft; aber auch ihm sah man an, daß er mitgenommen war. Klinsanthors Spannung wuchs. Es war nahezu sicher, daß er als nächster an die Reihe kam. Tatsächlich richteten die vier Roboter, nachdem sie Pedar und den Sekretär in ihren Bau zurückgebracht hatten, die Schritte auf die Baracke des Magnortöters. Die Tür flog auf. Eine Robotstimme schnarrte: »Der Mensch namens Mana-Konyr soll kommen!« Klinsanthor folgte ohne Zögern. Die Robotwachen brachten ihn in die Baracke, in der er vergangene Nacht den geheimen Zugang entdeckt hatte. Die Rückwand des Küchenraums stand offen, und auch in der seitwärts liegenden Wand gab es eine breite Öffnung. Die Roboter stießen Klinsanthor hindurch. Er befand sich in einem Antigravschacht, durch den er gemächlich in die Tiefe sank. Am Ende des Schachtes stellte er fest, daß es mehrere Ausgänge gab. Sie waren alle, bis auf einen, verschlossen. Dieser eine führte hinaus in einen kahlen Korridor, der sich im Licht grellweißer Lampen etliche hundert Meter weit erstreckte. Klinsanthor machte sich auf den Weg, weil er annahm, daß sein Ziel irgendwo am Ende des Ganges lag. Die vier Roboter waren zurück-
31 geblieben und konnten ihm keine Anweisungen mehr geben. Am Ende des Korridors führte ein Ausgang, der die Form eines Bogens hatte, seitwärts in einen Raum, der mit primitiven Möbeln ausgestattet war. Das Mobiliar war in schlecht imitiertem arkonidischem Stil ausgeführt. Es gab drei klobige Sessel und einen Tisch. Die Beleuchtung des Raumes bestand aus einer einzigen Lampe, die angenehmes, gelbliches Licht erzeugte. Das war ein Zugeständnis der Methans an die Gewohnheiten ihrer Gefangenen, die das grellweiße Licht, das die Methans bevorzugten, irritierte. All dies nahm Klinsanthor mit einem einzigen Blick wahr. Dann richtete er die Aufmerksamkeit auf den Hintergrund des Raumes, wo es wesentlich interessantere Dinge zu sehen gab. Durch die Mitte des Gelasses lief eine unsichtbare Trennwand, wahrscheinlich eine Energiebarriere. Hinter der Barriere war die Luft trübe. Die Lichtkegel mehrerer greller Lampen zeichneten sich in dem Dunst deutlich ab. Der Raum jenseits der Energieschranke besaß nur zwei Einrichtungsgegenstände – ein Schaltpult und ein weiteres Möbelstück, das Klinsanthor zögernd als einen überdimensionalen Thronsessel einstufte. Ganz im Hintergrund entstand Bewegung. Die riesige Gestalt eines Methans schälte sich aus dem Dunst. Der Methan war unbekleidet bis auf einen breiten Gürtel, der seinen Leib umspannte, in dem er außer einer Strahlwaffe mancherlei technisches Gerät trug. Hinter der Barriere herrschten also Lebensbedingungen, wie sie die Methans gewohnt waren. Das riesige Geschöpf ließ sich in dem mächtigen Sessel nieder. Eine sechsfingrige Hand nahm mehrere Schaltungen auf der Kontrolltafel vor. Die ersten Worte des Methans klangen auf: »Du sollst wissen, Mensch, daß wir deine Lügen durchschaut haben und du diesen Raum nicht lebendig verlassen wirst.«
*
32 Klinsanthors Verstand arbeitete fieberhaft. Der Methan hätte ihn einfach von seinen Robotern beseitigen lassen können. Er brauchte ihn nicht hierherzurufen, um ihm seinen Entschluß kundzutun. Also war er seiner Sache nicht sicher, und über Leben oder Tod des Körpers, in dem der Magnortöter stak, war das letzte Wort wohl auch noch nicht gesprochen. »Ich bin Mana-Konyr, der Sieger der KAYMUURTES«, erklärte Klinsanthor mit dem hochfahrenden Stolz, der dem echten Mana-Konyr zu eigen war. »Und wer ist der Narr, der solch ungereimten Worte zu mir spricht?« »Wähl deine Worte mit Sorgfalt!« warnte ihn die dröhnende Stimme des Methans. »Ich bin der Grek-1 dieses Stützpunkts und weiß, was ich sage.« Klinsanthor wußte, daß die Maahks die Ränge ihres militärischen Dienstes mit »Grek« bezeichneten. Die Zahl, die dem Wort Grek unmittelbar folgte, nannte die Rangstufe. Die Stufe war um so höher, je niedriger die Zahl. Der Grek-1 war jeweils der höchstrangige Methan am Ort. »So weißt du also, was du sagst«, antwortete Klinsanthor verächtlich. »Dann laß uns keine weiteren Worte verlieren. Tu, was du tun mußt!« Das kam dem Grek-1 zu überraschend. »Du wirfst dein Leben fort?« »Ich werfe es nicht fort, sondern du willst es mir nehmen«, verbesserte ihn der Magnortöter. »Ich kann mich gegen dich nicht wehren. Also töte mich!« Der Methan war sichtlich in Verlegenheit. »Du gestehst, den Grek-4 angelogen zu haben?« »Wer ist der Grek-4?« »Der Offizier, der am Morgen dieses Tages zu euch sprach.« »Ich habe ihm die Wahrheit gesagt.« »Wir haben zwei von euch verhört. Beide machen gänzlich andere Aussagen als du.« »Das kann sein. Dann lügen eben sie.« »In unserem Verhör lügt man nicht!«
Kurt Mahr Klinsanthor machte die Geste des Nichtwissens. »Was haben sie gesagt?« »Der Ältere kennt deine Pläne nicht. Du aber hast dem Grek-4 heute morgen wörtlich erklärt: Pedar kennt meinen Plan.« Der Magnortöter lächelte. »Du sprichst angenehme Worte. Ich habe Pedar auf Hirc als meinen Berater angestellt. Ein Mensch, der so wie ich angeblich aus dem Nichts kommt, braucht einen Berater. Denn die Welt der adeligen Gesellschaft von Arkon ist kompliziert. Pedar sollte mir helfen, mich darin zurechtzufinden. Es wäre den Menschen verdächtig vorgekommen, wenn ich mir keinen Berater genommen hätte. Seit aber Pedar mein Vertrauter wurde, hatte ich alle Mühe, meine wahren Absichten vor ihm geheimzuhalten. Vor wenigen Tagen änderte er sein Verhalten mir gegenüber – scheinbar ohne irgendeinen Grund. Das heißt: Er behauptete, ich sei nicht mehr ich. Ich deutete das so, daß er hinter meine Pläne gekommen sei. Ich beschloß, ihn noch vor der Landung auf Arkon zu beseitigen und mir einen neuen Berater auszusuchen. Aber dann kamt ihr mir dazwischen.« Von den vier Augen des Maahks ruhten drei mit starrem Blick auf dem Gefangenen. Klinsanthors Spannung war fast unerträglich. Wenn Pedar dom Khaal wirklich ausgequetscht worden war, dann konnte er kaum etwas vorgebracht haben, was der Schilderung des Magnortöters widersprach. Höchstens war er ein wenig eindringlicher auf den Identitätswechsel eingegangen, der sich in Mana-Konyr nach seiner Ansicht vollzogen hatte. Die Aussagen des Sekretärs vollends konnten Klinsanthor überhaupt nicht gefährlich werden. Der junge Mann war bei keinem der Gespräche zwischen Pedar und dem KAYMUURTES-Sieger zugegen gewesen. Die Nachdenklichkeit des Methans auf der anderen Seite der Energiebarriere schien zu einem gewissen Resultat geführt zu haben. »Ist es wahr, daß du ein anderer Mensch
Agentenschule Cerrgoor bist als der, der Pedar auf Hirc als Berater angestellt hat?« Klinsanthor lachte hell auf. »In der Tat, es ist wahr, Grek-1! Aber nicht auf die verrückte Art, wie Pedar es sich vorstellt! Jahrelang war ich der niedrigste, verachtetste unter meinen Mitmenschen. Jahrelang leistete ich menschenunwürdige Sklavendienste für ein Verbrechen, das nicht ich, sondern vielmehr derjenige begangen hatte, auf dessen Geheiß ich verurteilt worden war. Jahrelang war mein Trachten nur darauf gerichtet, wie ich meine Rache vollziehen könnte. Dann kam die Vorbereitung zu den Spielen, eine Zeit der Tortur – denn alle außer dem Sieger verlieren das Leben. Und da wundert sich Pedar, daß nach den Spielen, als die fürchterliche Spannung endlich aus mir wich, ein anderer aus mir wurde? Ich fing an, die Freiheit zu genießen. Dafür und für meine Rache hatte ich die langen Jahre der Erniedrigung ertragen. Hat dir Pedar nicht berichtet, daß Mana-Konyr die Frauen und den Wein haßte? Und wie er beim Abschiedsfest den Wein plötzlich krügeweise in sich hineinschüttete und eine Frau in sein Bett zu zerren versuchte?« Der Grek-1 hielt die Augen lange Zeit geschlossen. Als er wieder aufblickte, wußte Klinsanthor, daß er gewonnen hatte. Vielleicht hatte die Erinnerung an die Abschlußfeier den Ausschlag gegeben. Dieselbe Episode mußte auch Pedar dom Khaal berichtet haben, wenn er gefragt worden war, wann er zum ersten Mal eine Veränderung in ManaKonyrs Verhalten festgestellt habe. »Ich gestehe, daß du in mir Zweifel geweckt hast«, erklärte der Grek-1. »Sie lassen sich ausräumen. Du und ein paar Leute aus deinem Gefolge werden sich einem Verhör unterziehen.« Klinsanthor machte nachlässig die Geste der Zustimmung. »So sei es!« sagte er.
* Wenige Augenblicke später waren die
33 Roboter wieder zur Stelle. Klinsanthor wurde abgeführt. Der Weg ging zunächst den Korridor zurück, durch den er gekommen war. Auf dem Boden des Antigravschachts hatte sich inzwischen einer der anderen Ausgänge geöffnet. Die Roboter trieben den Gefangenen dort hinein. Nach kurzem Marsch gelangte er abermals in einen Raum, der durch eine Energiebarriere in zwei ungleich große Teile getrennt war. Der vordere Teil enthielt eine Menge technischer Geräte, deren Funktion Klinsanthor nicht erkennen konnte. Im Hintergrund saßen vor einem gewaltigen Schaltpult zwei Methans, die den Gefangenen mit mäßigem Interesse musterten. Wiederum waren die Roboter zurückgeblieben. Die Tür jedoch, die in den Gang hinausführte, blieb offen. Aus dem Boden glitt ein Liegegestell in die Höhe. »Streck dich darauf aus!« befahl einer der Maahks. Klinsanthor kam dem Befehl nach. Er selbst, der Magnortöter, brauchte sich vor dem Verhör nicht zu fürchten. Auf Klinsanthor, das Geschöpf der Unwelt, konnte kein mentaler Zwang ausgeübt werden. Die Frage war, wie Mana-Konyrs Körper sich den Verhörmethoden gegenüber verhielt. Es war denkbar, daß sie ihm schadeten. Das war ein Risiko, das der Magnortöter auf sich nehmen mußte. Der Gewinn, der ihm im Fall des Erfolgs winkte, war ungewöhnlich hoch: Er würde die Methans überzeugt haben, daß er die Wahrheit sprach. Kaum hatte er sich ausgestreckt, da gerieten die Geräte ringsum in Bewegung. Sirrend und summend gruppierten sie sich um die Liege. Ein unerträglich grelles Licht flutete dem Gefangenen entgegen, so daß er die Augen schließen mußte. Augenblicke später spürte er auf Stirn und Schläfen die Berührung kleiner, metallener Gegenstände. Das waren Sonden, schloß er, die seinen Bewußtseinsinhalt erforschen sollten. Das Verhör begann ohne Übergang. Ein Stromstoß zuckte durch Mana-Konyrs Kör-
34 per. Klinsanthor, der das Unterbewußtsein des Arkoniden zwar abgekapselt, aber nicht eigentlich unter seiner Kontrolle hatte, mußte zulassen, daß Mana-Konyr einige Sekunden lang konvulsivisch zuckte. Undeutlich empfand er den Schmerz, den der Stromstoß ausgelöst hatte. »Wer bist du?« lautete die erste Frage. »Mein Name ist Mana-Konyr. Ich bin der Sieger der Amnestie-KAYMUURTES.« Ein zweiter Stromstoß, um ein Vielfaches heftiger als der erste. Diesmal aber hatte Klinsanthor sich vorgesehen. Er war in Mana-Konyrs Unterbewußtsein eingedrungen und fing den mörderischen Schmerz ab. Er zuckte auch diesmal, aber das war kein Reflex, sondern eine bewußt ausgelöste Bewegung, um die Methans zu täuschen. »Wer bist du?« wurde die Frage wiederholt. Klinsanthor antwortete wie beim ersten Mal. Darauf wurde er ein drittes Mal geschockt – diesmal mit solcher Wucht, daß Mana-Konyrs Körper vermutlich ernsthaften Schaden davongetragen hätte, wenn die Wirkung des Stromstoßes nicht von Klinsanthor abgefangen worden wäre. Dann wurde die Frage ein drittes Mal gestellt. Stöhnend antwortete der Magnortöter: »Ich bin Minaar kel Falthor, dritter Friedenslord von Falthaym.« Das war der Mann, der hinter seiner erfundenen Leidensgeschichte stehen sollte. Nithrea hatte ihm den Namen genannt. Minaar kel Falthor hatte in der Tat ein ähnliches Schicksal erlitten wie jenes, das Klinsanthor für Mana-Konyr erdichtet hatte. Es gab Unterschiede im Detail. Klinsanthor hoffte, daß die Kenntnisse der Methans nicht soweit reichten. Es folgten andere Fragen zu seiner Identität. Immer wieder wurde er durch energetische Schocks dazu ermuntert nachzudenken, ob er vielleicht nicht doch eine »wahrere« Antwort auf Lager habe. Klinsanthor bemerkte bald, daß die Methans ihn aufs Geratewohl schockten, wie es ihnen einfiel. Auf die meisten ihrer Fragen wußten sie die rich-
Kurt Mahr tige Antwort nicht. Sie waren darauf angewiesen, den Gefangenen durch Schmerzeinwirkung dazu zu bewegen, daß er mit der Wahrheit herausrückte. Jeweils die Antwort, die durch den Schock der höchsten Intensität ausgelöst wurde, hielten sie anscheinend für korrekt. Aber noch eine andere Feststellung machte Klinsanthor, und sie überraschte ihn zutiefst. Indem er die Energie der Schocks absorbierte, kehrte ein Teil seiner alten Kraft zu ihm zurück. Es war fast, als könne er sich mit Hilfe der Stromstöße wiederaufladen. Er spürte, wie sein Bewußtsein kräftiger und rascher zu pulsieren begann. Er fühlte seine Fähigkeiten zurückkehren, die er solange nicht mehr hatte einsetzen können. Er hätte in diesem Augenblick Mana-Konyrs Körper mühelos verlassen und als körperloses Bewußtsein weiterexistieren können. Es lag in seiner Macht, einen Teil der Energien, die er in sich speicherte, wieder in die Verhörmaschine zurückzuleiten und diese zu zerstören. Der Gedanke war ihm kaum gekommen, da faßte er einen Plan …
* Die Kette der Fragen riß nicht ab. Selten akzeptierten die Methans schon die erste Antwort. Meistens ermunterten sie den Gefangenen durch wenigstens einen Elektroschock, sich noch etwas anderes einfallen zu lassen. Klinsanthor war dazu übergegangen, bei jedem Schock laut aufzuschreien. So, fühlte er, hätte Mana-Konyr reagiert, wenn er ohne die Hilfe des Magnortöters hier gelegen hätte. Die Fragen konzentrierten sich auf ManaKonyrs angeblichen Racheplan. »Warum erfordert die Ausführung des Plans solche Eile?« »Die Lage des Imperators ist bedenklich. Sein Ansehen unter der Bevölkerung ist so gering wie nie zuvor. Er braucht etwas, womit er sich rasch wieder beliebt machen kann. Wenn es nicht Mana-Konyr ist, muß
Agentenschule Cerrgoor er sich etwas anderes einfallen lassen. Ein Mana-Konyr, der erst in ein paar Wochen auf Arkon eintrifft, wird von Orbanaschol nicht mehr empfangen werden.« Wieder ein Stromstoß! Klinsanthor sog die Energie in sich auf. Er war bis zum Bersten geladen. Wenn das Verhör nicht bald zu Ende war, würde er seinen Plan vorzeitig ausführen müssen! Er wiederholte seine Antwort, nachdem er einen spitzen Schmerzensschrei ausgestoßen hatte. Diesmal wurde sie als gültig akzeptiert. »Auf welche Weise beabsichtigst du, deine Rache zu vollenden?« »Das weiß ich noch nicht«, lautete die gequälte Antwort. »Das muß sich aus der Lage ergeben.« Das genügte den Methans nicht. Der Gefangene erhielt einen kräftigen Schock, und dann noch einen, da er bei seiner Antwort blieb. Klinsanthor spürte, wie das Energiereservoir sich füllte. Viel konnte er nicht mehr aufnehmen, dann mußte er Energie ablassen. Er hatte vorgehabt, damit so lange zu warten, bis die Methans ihre letzte Frage gestellt hatten und von seiner Wahrhaftigkeit endgültig überzeugt waren. So aber, wie die Dinge lagen, hatte er nicht mehr viel Zeit. »Wer bist du?« erscholl plötzlich die allererste Frage von neuem. »Minaar kel Falthor«, ächzte Klinsanthor, »dritter Friedenslord … von … Faltnayn.« Die Methans aber wollten es ganz sicher wissen. Der nächste Elektroschock brachte den Damm zum Bersten. Die aufgestaute Energie schlug durch, unmittelbar in die Maschine, deren Sonden am Schädel des Gefangenen saßen. Es knisterte und zischte. Der Geruch von Ozon machte sich bemerkbar. Einer der Methans gab einen Laut des Erstaunens von sich. Klinsanthor öffnete die Augen und sah blaue Funken über die Aufbauten der Maschinen tanzen. Das grelle Licht war erloschen. Einer der Gerätekasten explodierte mit lautem Knall. Der Magnortöter saß aufrecht auf der Verhörliege. Plötzlich wurde ihm klar, daß er mit der Freigabe
35 der Energie eine größere Gefahr heraufbeschworen hatte, als ihm lieb war. Die Energiebarriere hatte sich verfärbt. Wie Schlieren liefen bunte Bahnen darin auf und ab. Die zwei Methans waren aufgesprungen. Entsetzt beobachteten sie die Szene der Zerstörung. Eine weitere Explosion brachte Klinsanthor endgültig auf die Beine. Metallsplitter fuhren ihm durch die Kleidung in die Haut. Der Verhörraum stand plötzlich in Flammen. Die Energiebarriere war am Zusammenbrechen. Mit sich überschlagender Stimme rief der Magnortöter den beiden Methans zu: »Rettet euch! Es gibt eine Katastrophe!« Er konnte nicht mehr feststellen, ob sie ihn hörten. Die Energieschranke brach endgültig zusammen. Explosionsartig ergoß sich ein Schwall heißen Wasserstoffs, mit Methan und Ammoniak gemischt, in den Raum mit der Liege. Die mörderische Druckwelle riß Klinsanthor von den Beinen. Er wurde durch die Öffnung hinaus in den Korridor geschleudert. Das war seine Rettung. Automatische Sensoren hatten die bedrohliche Entwicklung blitzschnell erkannt und sorgten dafür, daß der Zugang zum Verhörraum mit einem schweren Stahlschott verschlossen wurde. Um ein Haar wäre es für den Magnortöter zu spät gewesen. Er raffte sich auf und wollte davoneilen, da hörte er durch das schwere Schott das Krachen und Dröhnen einer fürchterlichen Explosion. Wasserstoff und Sauerstoff hatten sich zu Knallgas vermischt und an den Flammen entzündet. Das Schott hielt stand. Aber der Gang wurde von der Wucht der Detonation fast zum Einsturz gebracht. Schwere Gesteinsstücke brachen aus Decke und Wänden. Eines davon traf Klinsanthor mit voller Wucht am Schädel. Er ging augenblicklich zu Boden. Als er wieder zu sich kam, war der widerliche Gestank von Ammoniak noch immer in seiner Nase. Er hielt die Augen zunächst geschlossen. Er hörte Stimmen und wollte
36 wissen, wo er war, bevor er zu erkennen gab, daß er das Bewußtsein wiedererlangt hatte. Eine der Stimmen in seiner Nähe war die Nithreas. Beim Gedanken an das Mädchen erinnerte er sich an die Explosion in der Verhörkammer, und tiefe Befriedigung erfüllte ihn. Er hatte nicht nur die teuflische Maschine, sondern obendrein auch alles Zubehör vernichtet, das die Methans brauchten, um ihre Gefangenen zu verhören. Wenn sie auf Cerrgoor nicht alles Gerät in doppelter Ausfertigung besaßen, dann würde es in absehbarer Zeit keine Verhöre mehr geben. Das war sein Plan gewesen. Er war gelungen. Allerdings wäre es ihm dabei um ein Haar an den Kragen gegangen. Plötzlich hörte er eine fremde, dröhnende Stimme: »Der weibliche Mensch braucht keine Sorge zu haben, der Gefangene wird bald wieder zu sich kommen. Er hat ein zähes Leben.« Klinsanthor war erstaunt. Das war die Stimme eines Methans, wie sie aus dem Translator drang. Also hatte er sich den Ammoniakgeruch nicht nur eingebildet. Er schlug die Augen auf und sah zuerst Nithreas besorgtes Gesicht, dann die riesenhafte Gestalt eines Methans im Raumanzug. Diese Monturen rochen stets nach dem widerwärtigen Gas. Nithrea stieß einen Freudenschrei aus und fiel dem Magnortöter um den Hals. Aber mitten in der Begeisterung erinnerte sie sich, wie derselbe Mann sie vor wenigen Tagen behandelt hatte, als sie noch seine Geliebte war. »Verzeih«, murmelte sie und wandte sich ab. Klinsanthor stellte fest, daß er auf seiner eigenen Liege in der Gefangenenbaracke ruhte. Der Methan blickte aus der Höhe auf ihn herab. »Ich sehe, daß meine Prophezeiung richtig war. Du wirst dich rasch erholen«, sagte er. »Dein seltsames Verhalten unter der Verhörmaschine hat einem meiner besten Spe-
Kurt Mahr zialisten das Leben gekostet. Aber ich glaube nicht, daß du dafür verantwortlich gemacht werden kannst. Deine Aussagen im Verhör haben meine Zweifel beseitigt. Du sprichst die Wahrheit. Du hast es eilig, hast du uns berichtet. Du willst dich an Orbanaschol rächen. Beides paßt in unsere Pläne. Morgen um diese Zeit werden wir die Einzelheiten besprechen.« Er wandte sich ab und ging. Voller Staunen nahm Klinsanthor zur Kenntnis, daß der Grek-1 es für nötig befunden hatte, ihn, den Gefangenen, an seinem Krankenlager in der Gefangenenbaracke zu besuchen. Wie vielen Arkoniden vor ihm mochte eine solche Ehre widerfahren sein? Zögernd gruppierten sich die übrigen Gefangenen um Klinsanthors Liege. Die Wißbegierde leuchtete ihnen aus den Augen. »Es wird alles gut!« sagte er zu ihnen. Dann griff er zur Seite und faßte Nithreas Hand. »Komm zu mir, Mädchen, und sag mir, wie lange ich hier gelegen habe!« forderte er sie auf. »Sie brachten dich vorgestern abend«, antwortete Nithrea. »Und jetzt ist es welche Tageszeit?« »Nachmittag.« »Zwei Tage also«, murmelte Klinsanthor.
7. Kurz nach Mittag am nächsten Tag wurde er zum Grek-1 geholt. Diesmal bestand seine Eskorte nur noch aus zwei Robotern. Klinsanthor wertete das als gutes Zeichen. Gestern Abend und am Morgen hatte sich der Magnortöter von seinen Mitgefangenen berichten lassen. Am Tag, als er zum Verhör geholt wurde, hatte es etwa zwei Stunden später so etwas wie ein Erdbeben gegeben. Man hatte dumpfes Grollen gehört und in der Zeit danach eine ungewöhnliche Aktivität der Methan-Roboter beobachtet. Die verschiedensten Vermutungen wurden laut, was geschehen sein könne. Von Pedar dom Khaals Baracke kamen ein paar Leute her-
Agentenschule Cerrgoor über und erkundigten sich, was man wisse. Von den Methans hatte sich keiner blicken lassen. Später dann nahm die Sorge über ManaKonyr überhand. Am nächsten Tag versuchte eine Delegation, geführt von Nithrea, bis zum Versteck der Methans vorzudringen und Aufklärung zu erhalten. Sie wurde jedoch nicht vorgelassen. An diesem Tag wurden Pedar dom Khaal und drei Begleiter von Robotern abgeholt und nach mehreren Stunden wieder zurückgebracht. Daraufhin schickte Nithrea zwei Männer zu Pedars Baracke, damit sie Erkundigungen einzögen. Pedar jedoch gab keine Auskunft. Gegen Mittag am dritten Tag endlich erschienen zwei Roboter, die den bewußtlosen Mana-Konyr auf einer Bahre trugen. Sie gingen behutsam mit ihm um, als sei ihnen aufgetragen worden, den Gefangenen nach Möglichkeit zu schonen. Man sah ManaKonyr an, daß er in ärztlicher Behandlung gewesen war. Die Methans verstanden es offenbar, auch Menschen zu behandeln. Er hatte eine schwere Kopfverletzung, die jedoch fast schon wieder verheilt war. Kurz bevor Mana-Konyr wieder zu sich kam, erschien der Grek-1, um sich nach dem Zustand des Bewußtlosen zu erkundigen. Für Klinsanthor bedeutete das, daß er sein Spiel gewonnen hatte. Der Grek-1 hatte nicht nur davon abgesehen, ihn zu töten. Er hatte sich im Gegenteil äußerste Mühe gegeben, ihn am Leben zu erhalten. Die Unterredung mit dem Kommandanten der Methans fand in demselben Raum statt, den der Magnortöter bereits von der ersten Begegnung her kannte. Auf der Sohle des Antigravschachts hatte er sich aufmerksam umgesehen, jedoch keinerlei Spuren der Explosion entdeckt, die durch sein Verschulden vorgestern hier stattgefunden hatte. Der Grek-1 war bereits zur Stelle. Mit einer knappen Geste wies er auf einen der drei klobigen Sessel. Klinsanthor nahm Platz. Alsbald erklang die Stimme des Methans: »In dir haben wir entweder den trefflichsten Verbündeten oder den gefährlichsten
37 Saboteur gefunden. Ich möchte, daß du weißt, daß wir uns darüber noch nicht ganz im klaren sind. Bei alledem, was du für uns tust, mußt du dir vor Augen halten, daß wir dich beobachten.«
* Klinsanthor atmete auf. Das war die Bestätigung: Die Methans waren seinem Täuschungsmanöver aufgesessen. »Ich bin euer Verbündeter«, antwortete er mit fester Stimme. »Ich werde ein um so besserer Verbündeter sein, je mehr eure und meine Ziele miteinander übereinstimmen.« »Du schuldest mir eine Erklärung«, sagte der Grek-1. »Du hast unsere Verhöranlage derart ruiniert, daß hier auf absehbare Zeit kein Verhör mehr durchgeführt werden kann. Einer meiner Leute ist bei der Explosion ums Leben gekommen, der andere wurde schwer verletzt. Wie hast du das gemacht?« Klinsanthor war auf diese Frage vorbereitet. Er hatte sich die Antwort sorgfältig zurechtgelegt. Trotzdem zögerte er eine Weile und tat, als müsse er zuerst nachdenken. »Ich habe es nicht bewußt getan«, begann er schließlich. »Ich habe mir selbst darüber den Kopf zerbrochen und meinte zuerst, daß es sich um einen Fehler in eurer Anlage handeln müsse. Dann aber kamen mir andere Gedanken. Du weißt, womit Mana-Konyr seine Triumphe bei den KAYMUURTES errang?« »Man hat mir darüber berichtet. Du bist ein Kenner des menschlichen Nervensystems und schaltest deine Gegner aus, indem du ohne viel Kraftaufwand ihre Nerven durcheinanderbringst und ihnen unerträgliche Schmerzen zufügst.« »Das ist richtig«, bestätigte Klinsanthor, »aber die Sache hat zwei Seiten. Nicht nur lernte ich die verwundbaren Stellen des menschlichen Nervensystems kennen, ich trachtete auch danach, diese Stellen in meinem Körper unverwundbar zu machen. Sonst hätte mir einer meine Kampftechnik absehen und mich mit meinen eigenen Me-
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Kurt Mahr
thoden besiegen können.« »Ich verstehe«, flocht der Methan ein, um zu zeigen, daß er der Erklärung mit Interesse folgte. »Dadurch muß sich an der nervlichen Struktur meines Körpers manches geändert haben«, fuhr Klinsanthor fort. »Ich bin meiner Sache nicht sicher, aber ich möchte fast glauben, daß die Explosion deswegen geschah, weil mein Körper auf eure Verhörmethode anders reagiert als ein normaler menschlicher Körper.« Der Grek-1 musterte ihn lange und nachdenklich. »Du bist klug, Mana-Konyr«, antwortete er schließlich. »Eine ähnliche Erklärung haben meine Fachleute vorgebracht.« Und dann spielte Klinsanthor seinen letzten Trumpf aus. »Übrigens hätte keiner der beiden Spezialisten verletzt oder gar getötet zu werden brauchen, wenn sie nicht so schwerfällig gewesen wären und auf meine Warnung gehört hätten.« Der Methan war sichtlich verblüfft. »Du hast sie gewarnt?« »Ich sah die Energiebarriere zusammenbrechen und schrie ihnen zu, sie sollten sich in Sicherheit bringen. Sie aber standen nur da und starrten.« Der Grek-1 machte eine Geste der Überraschung. »Ich werde das feststellen lassen«, sagte er schließlich. »Die Aufzeichnungen sind vorhanden.« Klinsanthor war befriedigt. Er hatte seine Position abermals um eine Stufe verbessert.
* »Bist du bereit, deine Anweisungen zu hören?« fragte der Methan nach längerer Pause. »Ich bin bereit.« »Ich bedaure, daß es eine Übereinstimmung unserer und deiner Pläne erst auf längere Sicht geben wird, jedoch nicht unmittelbar. Selbstverständlich haben unsere Plä-
ne den Vorrang. Du wirst Cerrgoor nur dann verlassen, wenn du dich verpflichtest, genau nach meinen Anweisungen zu handeln.« »Ich bin damit einverstanden.« »Ein direktes Vorgehen gegen den Imperator ist in diesem Augenblick strategisch sinnlos. Es steht mindestens eine Geheimorganisation bereit, die Macht im Großen Imperium sofort zu übernahmen, wenn der Imperator ausgeschaltet ist. Eine Beseitigung Orbanaschols in diesem Augenblick käme eher einer Stärkung als einer Schwächung des Imperiums gleich. Daran sind wir nicht interessiert.« »Ich verstehe.« »Unser Vorgehen muß sich im Gegenteil gegen die Geheimorganisationen richten, die sich anschicken, die Macht im Fall eines Rücktritts oder einer Beseitigung Orbanaschols zu übernehmen. Diese Organisationen müssen ausgeschaltet werden. Erst dann kann man gegen den Imperator selbst vorgehen.« »Wird man mir Orbanaschol überlassen, wenn die Geheimorganisationen beseitigt sind?« fragte Klinsanthor. »Wenn du dich deines Auftrags in zufriedenstellender Weise entledigst, ja.« »So nenne meinen Auftrag!« »Die mächtigste der Geheimorganisationen hat eines ihrer Kontrollzentren auf der Welt Valissa, am jenseitigen Rand des Ullishtan-Sektors. Valissa war früher eine blühende Handelswelt, hat jedoch unter diesem unsinnigen Krieg, den euer Herrscherhaus angezettelt hat, stark gelitten. Die Geheimorganisation benutzt Valissa als Basis, weil sie sich im Falle einer Machtübernahme in erster Linie der Flottengarnison versichern muß, die auf Valissa stationiert ist. Der kommandierende Vertreter der Geheimorganisation ist gleichzeitig Flottenoffizier im Range eines Zweifachen Mondträgers. Über ihn sind Informationen zu beschaffen, die uns in die Lage versetzen, den Mann im entscheidenden Augenblick unschädlich zu machen. Sein Name ist Pharron. Deine Aufgabe ist es, ein Beiboot der LA-
Agentenschule Cerrgoor SEER, das wir dir zur Verfügung stellen, in die Nähe von Valissa zu manövrieren und dort um Hilfe zu rufen. Man wird dein Fahrzeug nach Valissa bringen. Natürlich möchtest du von dort auf dem schnellsten Wege weiter nach Arkon reisen. Aber auf Valissa wirst du erkranken – nicht ernst, aber langwierig. Als dem Sieger der KAYMUURTES stehen dir alle Türen offen. Es wird dir ein leichtes sein, die notwendigen Informationen zu beschaffen.« Klinsanthor nahm sich Zeit, das Gehörte zu überdenken. Nur ein Pilot mit jahrelanger Erfahrung brachte es fertig, ein Beiboot alleine zu steuern. Man konnte von ManaKonyr nicht erwarten, daß er solche Erfahrung besaß. Also konnte man ihn nicht alleine schicken. Wer würden seine Begleiter sein? Die Krankheit, die seine Weiterreise nach Arkon verhindern sollte – mußte er sie vortäuschen, oder würde sie ihm injiziert werden. Sicherlich das letztere. Wo fand die Injektion statt? Hier oder auf Valissa? Wahrscheinlich hier. Die Methans mußten auf sicher gehen. Aber es sollte keine schwere Krankheit sein, nur eine solche, die einen Transport auf längere Zeit als unratsam erscheinen ließ. »Hast du Fragen?« erkundigte sich der Grek-1. »Ja. Wenn ich diesen Auftrag erledigt habe – kann ich dann meine Rache vollenden?« »Du kannst dann nach Arkon gehen. Das Signal, daß Orbanaschol ausgeschaltet werden soll, erhältst du von uns.« Klinsanthor senkte den Kopf und spielte den Verbitterten. »Die Zeit wird nicht lang sein«, sagte der Methan. »Du hast jahrelang für die Erfüllung deiner Rache gearbeitet, wirst du jetzt wegen einiger Monate die Hoffnung aufgeben?« Klinsanthor blickte auf. »Du hast recht«, bekannte er. »Ich bin bereit, deinen Auftrag anzunehmen. Wer sind meine Begleiter?«
39 »Erstens dein Ratgeber Pedar, außerdem drei Leute, die ich ausgesucht habe.« »Ich möchte sie sehen.« »Damit habe ich gerechnet. Sie warten draußen und sollen sofort hereingebracht werden.«
8. Die vier Arkoniden traten ein, an ihrer Spitze Pedar dom Khaal. Seine drei Begleiter kamen sämtlich aus Pedars Baracke. Wahrscheinlich waren es dieselben, die man gestern beobachtet hatte, wie sie zu dem Grek-1 geholt worden waren. Pedars Gesicht war undurchdringlich. Bei der letzten Begegnung hatte Klinsanthor Angst in den Augen des Arkoniden gesehen. Jetzt war sie geschwunden. Der Magnortöter wandte sich in Richtung des Grek-1. »Deine Wahl ist nicht vorteilhaft«, erklärte er. »Warum nicht?« »Es muß dir aufgefallen sein, daß die Gefangenen in zwei Gruppen gespalten sind, die füreinander wenig Sympathie empfinden. Diese Männer gehören ohne Ausnahme der anderen Gruppe an. Wenn ich mit ihnen zusammenarbeiten muß, wird es zu Reibereien kommen.« Der Methan machte eine Geste, die Klinsanthor nicht verstand. »Ich habe dieses Bedenken erwartet. Andererseits wird es plausibel erscheinen, wenn beim Untergang der LASEER außer dir auch dein Berater gerettet wurde.« »Pedar mag ruhig mit dabei sein«, gestand Klinsanthor dem Methan zu, »aber die anderen drei sollten ersetzt werden.« »Ich komme dir entgegen«, schlug der Grek-1 vor: »Du darfst zwei der Männer ersetzen. Wen wählst du?« Klinsanthor war rasch entschlossen. »Das Mädchen Nithrea und einen Mann, den sie selbst bestimmen soll.« »Ich bin damit einverstanden.« Der Magnortöter wartete auf Pedar dom
40 Khaals Einwand. Die Überlegenheit, die zuerst auf seiner Seite gewesen war, hatte sich zur anderen geneigt. Warum protestierte er nicht? Hatte er zuviel Respekt vor dem Grek-1, oder gab es andere Gründe? Klinsanthor hatte eine Ahnung, daß die bevorstehende Reise gefährlicher werden würde, als er angenommen hatte. »Wann brechen wir auf?« fragte er den Methan. »Noch vor Einbruch der Dunkelheit«, lautete die Antwort. »Ich bitte dich, zu bestätigen, daß dieses Kommando unter meinem Befehl steht, bis wir anderweitige Anweisungen von dir erhalten.« »Ich bestätige!« Klinsanthor wandte sich an Pedar. »Es bleibt dir überlassen, welchen dieser drei Leute du mitnehmen willst. Wenn du schlau bist, wählst du einen Mann, der mit Beibooten umgehen kann.« Keine Miene zuckte in Pedar dom Khaals Gesicht. Aber ein gehässiges Funkeln leuchtete aus seinen Augen. Klinsanthor trat hinaus in den Gang. Niemand hinderte ihn daran. Die Roboter waren verschwunden. Er glitt durch den Antigravschacht hinauf und kehrte zu seiner Baracke zurück. Die Leute sahen, daß er ohne Eskorte kam. »Du hast Erfolg gehabt!« rief Nithrea ihm entgegen. »Ja«, antwortete er einfach. Er hatte einen kräftigeren Ausdruck auf der Zunge gehabt – etwa »auf der ganzen Linie« oder etwas Ähnliches. Aber seitdem er Pedar dom Khaal gesehen hatte, waren ihm Bedenken gekommen. Womöglich war es einfacher gewesen, die Freilassung von Cerrgoor zu erzwingen, als den Rest des Abenteuers zu überstehen. »Was geschieht nun?« fragte Nithrea. Da erst wurde ihm klar, daß er den Erfolg, von dem das Mädchen sprach, eigentlich nur für sich selbst und einige wenige errungen hatte. Die große Mehrzahl würde auf Cerrgoor zurückbleiben. Für sie hatte er nicht
Kurt Mahr mehr gewonnen als die Hoffnung, daß sie nicht nach Thulinn geschickt, sondern hier zu Agenten ausgebildet werden würden. Ahnten sie davon? Er sprach zu den Leuten. Er setzte ihnen auseinander, was er erreicht hatte und was nicht. Sie senkten die Köpfe und starrten bedrückt zu Boden. Es gab keinen Wutausbruch, nur Niedergeschlagenheit. Für ihn war es schlimmer, als wenn sie getobt und geschrien hätten. Sie wandten sich ab und hockten auf den Rändern ihrer Liegen, hoffnungslose Opfer eines sinnlosen Krieges. Er hatte erwähnt, daß er außer Nithrea einen weiteren Gefangenen mitnehmen dürfe, den das Mädchen aussuchen sollte. Sie hatten nicht einmal mehr genug Kraft, um sich um dieses Vorrecht zu reißen. Sie gaben einfach auf. Keiner von ihnen glaubte daran, daß ausgerechnet er der Glückliche sein könne, auf den Nithreas Wahl fiel. Nithrea selbst kam das Privileg, das Klinsanthor ihr zugestand, eher ungelegen. Sie entledigte sich ihrer Aufgabe auf ungewöhnliche Weise. Als draußen das Beiboot der LASEER landete und eine Roboteskorte aufmarschierte, um die fünf Gefangenen an Bord zu bringen, da ging das Mädchen zunächst langsam auf die Tür zu; als sie den Ausgang fast schon erreicht hatte, beugte sie sich blitzschnell zur Seite, griff einen jungen Arkoniden beim Arm und zog ihn mit sich. So wurde der fünfte Teilnehmer der abenteuerlichen Expedition bestimmt: nicht nach Befähigung, sondern danach, wie weit er von der Tür der Gefangenenbaracke entfernt saß.
* Im kaiserlichen Palast von Arkon war die Nachricht vom Verschwinden der LASEER wie eine Bombe eingeschlagen. Anhand der Meldungen des Kommandanten hatte man den Kurs des Unglücksschiffs an den Rändern der hyperenergetischen Sturmzone entlang bis in den Ullishtan-Sektor verfolgen können. Mitten im Ullishtan jedoch hörte
Agentenschule Cerrgoor die Spur auf. Die LASEER meldete sich nicht mehr, noch reagierte sie auf Anrufe. Der Ullishtan-Sektor war sekundäres Frontgebiet. Es gab kein Rätselraten darüber, was mit der LASEER geschehen war: Die Methans hatten sie entweder aufgebracht oder vernichtet. Horfiz fürchtete sich, die schlimme Nachricht dem Imperator allein zu überbringen, und versicherte sich der Begleitung Kuuzmirs. Aber auch so wurde die Sache noch schlimm genug. Orbanaschol erlitt einen Wutanfall. Er raffte ein Zierschwert auf und schleuderte es nach Kuuzmir. Der Alte wurde am Kopf getroffen und verlor das Bewußtsein. Horfiz rettete sich, indem er den Ohnmächtigen hinausschleppte.
* Es sprach für die Güte des geheimen Nachrichtennetzes, das Fartuloon aufgebaut hatte, daß die Meldung vom Verschwinden der LASEER auf Kraumon kaum später eintraf als im kaiserlichen Palast von Arkon. Atlan selbst nahm sie im Beisein des Bauchaufschneiders entgegen. »Da geht unsere letzte Hoffnung«, sagte er mit schwerer Stimme. »Klinsanthor hat nicht mehr genug Kraft, noch einmal den Wirtskörper zu wechseln!« Fartuloon machte die Geste des Widerspruchs. »Ich gewöhne mich allmählich an die Rolle des berufsmäßigen Optimisten«, bemerkte er nicht ohne Spott. »Daher ist es meine Aufgabe, dich darauf hinzuweisen, daß die Methans mit dem Magnortöter nicht so werden umgehen können wie mit einem beliebigen arkonidischen Gefangenen. Selbst im Zustand der Schwäche verfügt Klinsanthor noch über Fähigkeiten, von denen der Feind keine Ahnung hat. Überdies ist der Ullishtan-Sektor dafür bekannt, daß dort keine Gefangenen für die Sklavenwelten gemacht werden. Wir haben Grund zu glauben, daß alle Arkoniden, die in diesem Bereich gefangengenommen werden, eine
41 Ausbildung zum Nachrichtenagenten erhalten und nach einiger Zeit ins Imperium zurückkehren, um dort für die Methans zu arbeiten. Nicht freiwillig natürlich – oder wenigstens nicht in der Mehrzahl der Fälle. Sie stehen unter Druck, hypnotischem oder anderem. Aber gerade diesem Druck wird sich der Magnortöter verhältnismäßig leicht widersetzen können.« »Du übersiehst, daß die Kombination Mana-Konyr & Klinsanthor nur dann wirksam ist, wenn ihr Einsatz auf Arkon in den nächsten Tagen erfolgt. Bis die Methans den Magnortöter wieder loslassen, ist es viel zu spät.« »Nein, das übersehe ich nicht«, widersprach Fartuloon. »Es kommt in erster Linie auf Klinsanthor an, wie schnell er den Feind überzeugen kann, daß seine Ausbildung zum Spion abgeschlossen ist. Und schließlich bleibt Mana-Konyr auch dann noch ein berühmter Mann, wenn er erst in ein paar Wochen oder Monaten wiederauftaucht. Es wird ihm dann zwar schwerer fallen, in die Nähe des Imperators vorzudringen. Aber gelingen wird es ihm doch.« Atlan lächelte matt. »Gegen dich komme ich wirklich nicht an«, bekannte er. »Du entdeckst an jeder Katastrophenmeldung irgend etwas Erfreuliches.«
* Das Beiboot war vom geräumigen Typ. Es hatte die Form eines doppelten Diskus und bot Raum für die Unterbringung von acht Passagieren. Jedem Passagier stand eine allerdings winzige Wohn- und Schlafzelle zur Verfügung. Außerdem konnten im sogenannten Fahrgastraum weitere zwanzig Passagiere untergebracht werden. Der kleine Kommandostand befand sich im geometrischen Zentrum des Fahrzeugs. Die fünf Gefangenen gingen an Bord. Pedar dom Khaals Begleiter hieß Herron Skarvier und war 2. Navigationsoffizier an Bord der LASEER gewesen. Er war ein kleiner
42 Mann mit rotbraunen Augen und unarkonidisch dunklem Haar. Er trug stets eine verkniffene Miene zur Schau und sprach nur dann ein Wort, wenn es unbedingt sein mußte. Der Junge, den Nithrea sich im letzten Augenblick gegriffen hatte, war von seinem Glück noch so benommen, daß er keinen Ton über die Lippen brachte. Klinsanthor erinnerte sich, daß er ihn Frille hatte nennen hören. Frille war fünfeinhalb Fuß groß und ziemlich stämmig gebaut. Er hatte kurzes weißes Haar und orangerote Augen. Er machte keinen sonderlich intelligenten Eindruck, aber später stellte sich heraus, daß er eine ganze Menge von Raumfahrttechnik verstand. Die fünf suchten zunächst den Kommandostand auf. Sie waren dort kaum eingetreten, da meldete sich der Grek-1 von Cerrgoor über Funk. »Das Fahrzeug startet in kurzer Zeit«, erklärte er. »Bis zum Zielort sind vier Transitionen eingeplant, davon wird die letzte vermutlich von Valissa angemessen werden können. Das Fahrzeug ist vorprogrammiert. Ihr braucht euch um nichts zu kümmern. Die erste Transition erfolgt eineinviertel Stunden nach dem Start, in eurer Zeitrechnung.« Der Empfänger verstummte, der Bildschirm erlosch. Wenige Sekunden später hob das Kleinraumschiff erschütterungsfrei vom Boden ab und stieg mit rasch wachsender Geschwindigkeit in den violettgrauen Himmel hinauf. Die Gruppe der armseligen Baracken schrumpfte schnell und war schließlich nur noch ein matter Fleck in der Einöde von Cerrgoor. »Jeder sucht sich eine Zelle«, befahl Klinsanthor. »Es hört sich so an, als würden wir mehrere Tage unterwegs sein. Skarvier übernimmt einstweilen die Wache im Kommandoraum. Später, wenn wir uns eingerichtet haben und die erste Transition vorbei ist, teilen wir unsere Aufgaben ein.« Es gab keinen Widerspruch. Eigentlich hätte Klinsanthor befriedigt sein sollen. Aber der Gedanke, daß ein Mann wie Pedar dom Khaal ihm willig das Kommando über-
Kurt Mahr ließ, erfüllte ihn mit Unbehagen. Die Passagierzellen lagen zu beiden Seiten eines schmalen und kurzen Korridors, je vier auf der linken und der rechten Seite. Eine Zelle war drei Meter lang und zweieinhalb breit. Liege und Sitzmöbel konnten in die Wände geklappt werden, damit sie sich nicht gegenseitig behinderten. Es gab einen Miniatur-Speisenspender, den Klinsanthor sofort ausprobierte. Es stellte sich heraus, daß die Methans den Speisentank mit demselben unappetitlichen Brei geladen hatten, der den Gefangenen auf Cerrgoor serviert worden war. Schließlich gab es einen kleinen Bildschirm und einen Anschluß an die Bordsprechanlage. Das war die gesamte Einrichtung. Nithrea, Frille und der Magnortöter wählten ihre Zellen auf der linken Seite des Ganges. Es war fast selbstverständlich, daß Pedar dom Khaal auf der gegenüberliegenden Seite einzog. Klinsanthor nahm die Zelle zwischen Frille und dem Mädchen. Er fühlte sich müde und zerschlagen. Die Folgen der Verwundung waren noch nicht ganz überstanden. Die Versuchung, sich einfach hinzulegen und zu schlafen, war fast unwiderstehlich groß. Aber Klinsanthor wußte, daß vielfältige Gefahren ihn umgaben. Er zwang sich zum Wachbleiben. Nach der Zeit, die der Grek-1 genannt hatte, ging das Kleinraumschiff durch eine Transition. Der Entzerrungsschmerz war entnervend. Der Magnortöter brauchte eine Zeitlang, um sein Bewußtsein zu stabilisieren. Dabei stellte er mit Erschrecken fest, daß Mana-Konyr sich zu rühren begann. Rasch kapselte er das Fremdbewußtsein ab. Dann ging er zum Kommandostand. Die Aufgaben waren rasch verteilt. Es gab ihrer nicht allzu viele. Jedermann tat fünf Stunden Wache. Skarvier blieb gleich dran, er hatte die beiden ersten Stunden bereits abgeleistet. Danach kam Nithrea, dann Frille, schließlich Pedar und als letzter Klinsanthor. Die nächste Transition stand in acht Stunden bevor, wie dem Flugplan zu entnehmen war.
Agentenschule Cerrgoor Bis dahin gedachte der Magnortöter, ausgeschlafen und wieder bei Kräften zu sein. Er kehrte in seine Zelle zurück, klappte die Liege herunter und streckte sich aus. Die Müdigkeit, die vorhin so übermächtig gewesen war, floh ihn jetzt. Er hatte Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Er war entschlossen, nach der zweiten Transition eine Kursänderung herbeizuführen. Es lag ihm nichts daran, von Valissa aus aufgefischt zu werden. Sein Ziel war ein vorläufig noch unbestimmter Punkt in der Nähe der stark befahrenen Schiffahrtswege am Innenrand des Ullishtan-Sektors. Unter zehn Schiffen, die dort vorbeikamen, waren es neun, die entweder nach Arkon flogen oder von Arkon kamen. Von einem dieser Fahrzeuge wollte er aufgenommen werden. Selbst wenn es sich um ein Raumschiff handelte, das von Arkon kam, würde er, der KAYMUURTES-Sieger den Kommandanten leicht zur Umkehr überreden können. Um den Kurswechsel zu vollziehen, brauchte er Frilles Hilfe. Aus den wenigen Worten, die der junge Mann bis jetzt gesprochen hatte, ging hervor, daß er einiges von diesen Dingen verstand. Letztlich ging es nur um eine Umprogrammierung des Kursrechners. Das schwierigste daran war, die Koordinaten des Zielorts zu kennen. Vielleicht konnte er Herron Skarvier dazu zwingen, daß er ihm einen Satz passender Koordinaten verriet. Irgendwann nach der zweiten Transition würden also die Sicherheitsmaßnahmen zu wirken beginnen, die die Methans für den Fall getroffen hatten, daß er sich nicht an seine Befehle hielt. Klinsanthor zweifelte nicht, daß Pedar dom Khaal den Auftrag hatte, über ihn zu wachen. Vielleicht auch Herron Skarvier. Pedar konnte er jederzeit ausschalten. Wenn sich herausstellte, daß Frille genug von der Raumfahrt verstand, dann konnte er auch auf Skarvier verzichten. Schließlich kehrte die Müdigkeit doch zurück. Die Gedanken glitten einfach davon und verschwanden im Nichts. Er erwachte, weil er eine Gefahr in der
43 Nähe spürte. Er, das Geschöpf der Unwelt, brauchte keine Übergangszeit, um völlig wach zu sein. Undeutlich erkannte er die Umrisse der Gestalt, die sich über das Fußende der Liege beugte. Blitzschnell richtete er sich auf und griff zu. Die Gestalt stieß einen erstickten Schrei aus. Etwas fiel klappernd zu Boden. Der Eindringling setzte sich zur Wehr. Unbewußt wendete Klinsanthor die Griffe an, mit denen Mana-Konyr den Sieg bei den KAYMUURTES errungen hatte. Der Fremde heulte auf. Er wich zurück. Aber das Zellenschott öffnete sich nicht rasch genug. Klinsanthor setzte dem Fliehenden nach. Er bekam ihm am Hals zu fassen. Fast spielerisch klemmte er einen Nackenwirbel zwischen Daumen und zwei Finger. Der Eindringling gab einen ächzenden Laut von sich und sank zu Boden. Klinsanthor schaltete die Beleuchtung ein. Vorsichtshalber schloß er das halboffene Schott. Der Eindringling war Herron Skarvier. Er hing halb auf dem Fußende der Liege und starrte mit blicklosen Augen in die Höhe. Sein Gesicht war eine Grimasse des Schmerzes. Ungläubig betrachtete der Magnortöter seine Hände. War es möglich, daß er mit diesen Fingern einen Menschen getötet hatte? Fast wurde ihm unheimlich vor dem mörderischen Genie Mana-Konyrs, das er abgekapselt in seinem Bewußtsein trug. Er bettete den Toten vollends auf die Liege. Dann suchte er nach dem Gegenstand, den er hatte klappern hören, als er auf den Boden fiel. Er fand ihn rasch. Es war eine kleine Injektionsspritze, deren Zylinder eine glasklare, ölige Flüssigkeit enthielt. Klinsanthor bewahrte das heimtückische Gerät sorgfältig auf. So also hatte der Grek-1 von Cerrgoor dafür sorgen wollen, daß sein Spion auf Valissa auch wirklich krank wurde …
*
44 Klinsanthor rief die Besatzung im Kommandoraum zusammen. Inzwischen hatte er Skarviers Leiche in eine der leeren Zellen geschafft. »Es wird Zeit, daß ich euch meine Pläne eröffne«, begann er. »Ich kenne euer Empfinden nicht, aber ich weiß, daß bis vor kurzem wenigstens einer unter uns war, der gedachte, den Anweisungen der Methans genau zu folgen. Er wollte mich mit der Krankheit infizieren, die mich auf Valissa festhalten sollte, bis ich die nötigen Informationen gesammelt hatte. Der Verräter lebt nicht mehr.« Er brauchte den Namen nicht zu nennen. Jeder sah, wer in der Runde fehlte. Klinsanthor musterte Pedar dom Khaal, aber auch in diesem Augenblick bewegte sich keine Miene in Pedars eisernem Gesicht. »Ich bin ein Arkonide«, fuhr Klinsanthor fort. »Mein Ziel ist Arkon. Dorthin werde ich gehen – nicht um für den Feind zu spionieren, sondern um dem Imperator zu huldigen, wie man es von mir erwartet.« Es war Nithreas Wache. Pedar und Frille kehrten zu ihren Zellen zurück. Klinsanthor blieb im Kommandostand und versuchte zu erfahren, ob Skarvier, als Nithrea ihn ablöste, irgendeine verdächtige Äußerung gemacht hatte. Das war nicht der Fall. »Glaubst du, daß er der einzige ist?« fragte Nithrea. »Ganz sicher nicht. Ich habe Pedar dom Khaal nur ein paar Tage gekannt. Aber ich kann sehen, daß er anders ist als früher. Früher hat er sich vor mir gefürchtet, jetzt nicht mehr. Wir müssen damit rechnen, daß er mentalbehandelt wurde.« Danach kehrte auch er in seine Zelle zurück. Er schlief ungestört bis zum Ende von Nithreas Wache. Er wartete ein paar Minuten und stieg dann zum Kommandoraum hinauf. Frille saß auf dem Sitz des Piloten. »Frille, ich habe eine schwierige Aufgabe für dich«, eröffnete er dem jungen Mann. Frille behandelte den KAYMUURTES-Sieger mit Ehrfurcht. »Ich werde alles tun, was in meiner Macht
Kurt Mahr steht!« bekannte er. »Nach der nächsten Transition möchte ich den Kurs ändern«, erklärte der Magnortöter. »Er soll so laufen, daß uns die dritte Transition in die Nähe eines der großen Schifffahrtwege am Innenrand des Ullishtan-Sektors bringt. Irgendwohin, wo ein nach Arkon bestimmtes Schiff uns aufnehmen kann.« Frille dachte kurze Zeit nach, dann machte er eine zustimmende Geste. »Das ist nicht so schwierig, wie du denkst, Herr«, sagte er schließlich. »Ich weiß, wie man einen Kursrechner programmiert, und die Koordinaten der Gegend, die du meinst, kann ich errechnen. Sie brauchen schließlich nicht allzu genau zu sein.« »Nein, das brauchen sie nicht«, bestätigte Klinsanthor. »Wie lange wird das Ganze dauern?« Frille sah unwillkürlich auf das Chronometer. »Eine gute Stunde, Herr, mehr nicht. Wir warten am besten bis nach der zweiten Transition.« »Gut. Brauchst du meine Hilfe?« »Wenn du während dieser Zeit die Wache für mich übernehmen wolltest, Herr …« »Das tu ich!« versprach Klinsanthor. »Und nenne mich nicht immerzu Herr!« Die zweite Transition fand eine halbe Stunde später statt. Danach machte sich Frille sofort an die Arbeit. Er brauchte nicht länger, als er geschätzt hatte. »Niemand außer uns beiden braucht von dieser Manipulation zu wissen«, sagte Klinsanthor, als Frille wieder an seinen Platz zurückgekehrt war. »Du wirst also schweigen!« »Ich werde schweigen, wie du es befiehlst. Aber sie werden es trotzdem bald merken.« »Warum?« »Nach dem ursprünglichen Plan sollte die nächste Transition in fünf Stunden stattfinden. Unser neuer Kurs erfordert jedoch eine Transition schon in zwei Stunden.« Klinsanthor überlegte. »Das wird Pedar auf den Plan rufen«, sag-
Agentenschule Cerrgoor te er. »Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Ich löse dich ab, Frille. Du kehrst sofort in deine Zelle zurück – oder besser noch in eine andere Zelle!« »Ist es … so gefährlich?« stotterte der junge Arkonide. »Pedar handelt wahrscheinlich unter hypnotischem Zwang«, antwortete der Magnortöter. »Wir wissen nicht, worauf er programmiert ist.« Frille zog sich hastig zurück.
9. Klinsanthor konzentrierte sich auf den bevorstehenden Schmerz. Die Transition durfte ihn nicht länger als unbedingt notwendig aus dem Gleichgewicht bringen. Denn Pedar dom Khaal würde rasch zur Stelle sein. Besonders intensiv konzentrierte sich der Magnortöter auf Mana-Konyrs Bewußtsein, das in den vergangenen Stunden immer rebellischer geworden war und sich mit aller Kraft gegen die Wände des Kerkers stemmte, in den Klinsanthor es gesperrt hatte. Dann war es soweit. Die Alarmsirenen heulten auf. Zehn Sekunden später setzte der Schmerz ein. Die Umgebung verschwamm vor den Augen des Magnortöters. Er wollte schreien und hatte keinen Mund mehr, um einen Laut hervorzubringen. Er fühlte sich in die Höhe geschleudert und wollte sich an etwas festhalten, aber er hatte keine Arme mehr. Er rotierte in einer Wolke feurigen Schmerzes, und als der Schmerz endlich verebbte, da waren seine Kräfte so gering geworden, daß er um ein Haar bewußtlos geworden wäre. Er hing schlaff in den Gurten des Pilotensitzes. Die Koordination der Augen funktionierte nicht. Er sah alles doppelt. Aber wenigstens Mana-Konyr hatte diesmal Ruhe gehalten. Mit schweren Händen löste er die Gurte. Dann blickte er zum Bildschirm auf, um zu sehen, ob sich der Anblick des Sternenhimmels wesentlich gewandelt hatte. In dieser Sekunde hörte er hinter sich eine Stimme: »Das ist dein Ende, Verräter!«
45 Klinsanthor erstarrte. Gedanken schossen in Hundertstelsekunden durch sein Bewußtsein: Das ist Pedar. Er hat eine Waffe. Er hat die Kursänderung bemerkt. Er steht unter Hypnose. Er wird sofort schießen. Ich muß sofort handeln. Der Magnortöter warf sich nach vorne. Um Pedar unsicher zu machen, stieß er einen gellenden Schrei aus. Ein Schuß fauchte durch den engen Kommandoraum. Klinsanthor war aus dem Sessel platt auf den Boden gestürzt. Er spannte die Muskeln und schnellte sich empor. Im Sprung warf er sich herum und prallte gegen den völlig überraschten Pedar dom Khaal. Mit dem Lauf der Waffe hatte er Klinsanthors blitzschnellen Bewegungen folgen wollen. Der Aufprall preßte ihm den Strahler gegen den Leib. Der zum Abziehen bereite Finger wurde auf den Auslöser gedrückt. Vor Klinsanthor schoß eine grelle Flammenwand in die Höhe. Taumelnd fuhr er zurück. Wie im Traum sah er Pedar, den Mund noch zum Schrei geöffnet, tot in sich zusammensinken. Die Entladung hatte seinen Oberkörper völlig verbrannt. Zitternd stand der Körper, in dem der Magnortöter wohnte, vor dem entsetzlich zugerichteten Arkoniden. Er hörte Schritte. Eine Gestalt tauchte auf. Nithrea! »Was ist …?« stieß sie hervor. Und dann, als sie Pedar sah, schrie sie gellend auf. Klinsanthor gewann sein Gleichgewicht zurück. »Es war nicht meine Schuld«, sagte er mit heiserer Stimme. »Die Methans haben ihm einen Strahler mitgegeben, damit er mich beseitigen kann, wenn ich gegen die Anweisungen verstoße. Er hat sich selbst erschossen.«
* Klinsanthor nahm die Waffe an sich. Pedars Leiche schob er in den Gang hinaus, der schräg nach unten zu den Quartieren führte. Er fühlte sich unsicher auf den Bei-
46 nen. Er zwängte sich auf den Pilotensitz und war gerade mit dem Anschnallen fertig, als die Materieortung ein Warnsignal gab. Unsicher musterte er die Anzeige. Es schien ein Materiebrocken, ein Asteroid womöglich, auf dem Kurs des Bootes zu liegen. Er erschien als greller Lichtfleck auf dem kleinen Orterschirm. »Ruf Frille!« trug er Nithrea auf. »Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll!« »Laß mich!« bot sie sich an. »Ich habe solche Fahrzeuge schon gesteuert.« Er überließ ihr seinen Platz. Es war ihm recht, daß sie die Sache übernahm. Er war matt, und ausgerechnet in diesem Augenblick begann Mana-Konyrs Bewußtsein wieder zu toben. Er hatte Mühe, den Gegner zu bändigen. Inzwischen hatte Nithrea Kurs und Geschwindigkeit des kleinen Raumschiffs so geändert, daß es langsam auf den Felsbrocken zutrieb. Aus ganz geringer Entfernung wurde der Asteroid schließlich auch auf dem Bildschirm im Widerschein der Sterne sichtbar. »Ich habe den Autopiloten beauftragt, dort zu landen«, sagte das Mädchen. Befremdet musterte Klinsanthor die öde Felswelt. Der Asteroid besaß etwa den zehnfachen Umfang eines arkonidischen Großraumschiffs. Im Vergleich zu dem Beiboot war er ein wahrhaft gigantisches Gebilde. Nithrea verstand offenbar wirklich etwas von solchen Dingen. Mit immer geringer werdender Fahrt näherte sich das Boot dem Felsbrocken und ging schließlich in einer flachen Senke, flankiert von zwei bizarr zerfressenen Felstürmen, nieder. Der Magnortöter hörte, wie die Anker ausfuhren und sich im harten Gestein des Asteroiden verkrallten. Denn die Schwerkraft des kosmischen Felsbrockens reichte nicht aus, um das kleine Raumschiff an sich zu binden. Klinsanthor stand auf. »Ich möchte wissen, warum Frille sich nicht meldet«, sagte er. »Ich gehe nach ihm sehen.« Nithrea antwortete nicht. »Schalte du inzwischen den Notrufsender
Kurt Mahr ein«, trug er ihr auf. Er stieg über Pedar dom Khaals zerschundenen Körper hinweg. Unwillkürlich griff er zum Gürtel, um zu sehen, ob er die Waffe sicher verstaut hatte. Er schritt den Gang hinab und gelangte in den Korridor, an dem die Passagierzellen lagen. »Frille …?« rief er. Keine Antwort. Er suchte zuerst in der Zelle, die Frille sich ursprünglich ausgewählt hatte. Dort war niemand. Dann erinnerte er sich, daß er Frille geraten hatte, eine andere Zelle zu beziehen. Er blickte in eine nach der andern, und schließlich fand er Frille. Er lag in einer Blutlache auf dem Boden. Jemand hatte ihm den Schädel eingeschlagen.
* Klinsanthor schauderte. Er, das Geschöpf der Unwelt, vom Unsein verstoßen, war ausgezogen, um Gutes zu tun. Er hatte sich am Geist des Unseins rächen wollen. Was aber hatte er bewirkt? Dieses Raumschiff war ein Mörderschiff. Er selbst hatte nur Herron Skarvier umgebracht. Aber gingen nicht auch die anderen Toten auf sein Konto? War er nicht wie der Schatten des Bösen, der sich über alle Menschen senkte, die ihm nahe kamen? War er nicht von Anbeginn aller Zeiten dazu bestimmt, den Tod zu bringen? Mit Mühe drängte er die schwarzen Gedanken zurück. Jetzt war nicht die Zeit, Wert und Unwert seiner Existenz gegeneinander abzuwägen. Je mehr er sich mit solchen Dingen beschäftigte, desto störrischer wurde Mana-Konyr. Darauf durfte er es nicht ankommen lassen. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen. Es waren Mächte am Werk, die ihn daran hindern wollten. Er plante seinen nächsten Schritt mit Sorgfalt. Viel hatte er nicht zu befürchten. Er war bewaffnet. Zu schaffen machte ihm eigentlich nur Mana-Konyr – und dann der Wunsch, daß er nicht mehr zu töten brauche.
Agentenschule Cerrgoor Er ließ den toten Frille zurück und trat in die vorderste Passagierzelle zur Rechten des Korridors. Geräuschlos klappte er die Liege herab und setzte sich darauf. Dann wartete er. Es verging mehr als eine Stunde. Dann hörte er draußen vorsichtige Schritte. »Mana-Konyr …?« rief eine halblaute Stimme. Er rührte sich nicht. Die Schritte kamen näher und gingen an seiner Zelle vorbei. Langsam, behutsam drückte er das Schott zur Seite. Die Waffe, die er von Pedar dom Khaal erbeutet hatte, lag ihm fest in der Hand. Er spähte um die Kante des Schottes herum. Da sah er Nithrea, die soeben in die Zelle blickte, in der Frilles Leiche lag. Sie wandte sich um. Ihr Gesicht drückte Ratlosigkeit aus. Da trat Klinsanthor hinter der Deckung des Schottes hervor und richtete den Lauf des Strahlers auf sie. »Du hast ihn getötet!« beschuldigte er sie. Sie erschrak, als sie die Waffe auf sich gerichtet sah. Aber rasch gewann sie die Fassung wieder. »Ich mußte ja«, antwortete sie. »Er hätte dir sonst geholfen, den Kurs zu ändern.« »Das hat er ohnehin«, herrschte Klinsanthor sie an. »Ich weiß. Ich kam zu spät.« »Warum hast du ihn getötet? Wer befahl es dir?« »Ich mußte ihn töten. Er war der einzige an Bord, der den Befehl des mächtigen Grek-1 nicht kannte.« Klinsanthor verstand. Der »Befehl« – das war der hypnotische Einfluß, dem die Mehtans alle seine Begleiter ausgesetzt hatten. Außer Frille. In den zwei Tagen, in denen Klinsanthor in Behandlung oder bewußtlos gewesen wer, hatte der Grek-1 seine Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Es war müßig zu schätzen, wieviele Gefangene er unter hypnotischen Druck gesetzt hatte. Die wichtigsten gehörten auf jeden Fall dazu: Pedar dom Khaal und der Mann, der ihn auf jeden Fall begleiten würde, Herron Skarvier. Und dann natürlich Nithrea, weil jedermann im
47 Kreise der Gefangenen wußte, daß ManaKonyr der jungen Frau zugetan war – auch wenn sie jetzt nicht mehr die Rolle seiner Geliebten spielte. Der Grek-1 hatte seine Wahl ohne jede Sorge treffen können: mit Pedar und Nithrea hatte er Mana-Konyr auf jeden Fall in der Hand. »Warum hast du Frille mitgenommen?« fragte der Magnortöter. Nithrea antwortete nicht sofort. Er mußte seine Frage wiederholen. »Ich konnte … ihre Blicke nicht mehr ertragen!« stieß sie hervor. »Wie sie mich anstarrten, obwohl sie zu Boden blickten! Wie jeder krampfhaft hoffte, ausgerechnet auf ihn müsse meine Wahl fallen. Ich konnte es nicht aushalten! Ich hätte es nicht ertragen, mich vor ihren Blicken verantworten zu müssen, wenn ich einen aus ihrer Mitte genommen hätte. Ich nahm den letzten vor dem Ausgang. Ich packte ihn am Arm und zerrte ihn hinaus. Da sah ich ihre Blicke nicht mehr. Ich brauchte mich nicht mehr zu verantworten.« Klinsanthor sah sie lange an. »Komm zu mir!« befahl er ihr. Langsam, als bewege sie sich im Traum, kam sie auf ihn zu. Er schob die Waffe zurück in den Gürtel. Als sie vor ihm stand, streckte er die rechte Hand aus und berührte sie an der Wurzel des Schlüsselbeins. Es war einer von Mana-Konyrs Griffen. Sie zuckte zusammen und sank lautlos zu Boden. Er stand eine Zeitlang über ihr und betrachtete sie. Sie hatte die Augen geschlossen. Der Ausdruck ihres Gesichts war friedlich. Sie würde ihn nicht hassen. Er hatte sie nicht getötet. Er hatte aufgehört, der Schatten des Todes zu sein.
* Er kehrte zum Kommandoraum zurück. Nithrea hatte den Notrufsender nicht eingeschaltet. Er holte es nach. Er hatte nur eine sehr vage Vorstellung davon, wie lange es von nun an dauern würde, bis ein arkonidisches Raumschiff ihn fand. In der Zwischen-
48 zeit hatte er einiges zu tun. Er saß längst wieder im Kommandoraum, als der erste Anruf kam. »Frachter MIRADOOR an Notrufsender. Was liegt an?« Klinsanthor griff nach dem Mikrophon und schaltete auf Sendung. »Hier Beiboot der LASEER. Wir wurden von den Methans überfallen. Ich bin der einzige, der davongekommen ist.« »LASEER? War das nicht der Kreuzer, der Mana-Konyr an Bord hatte?« »Ich bin Mana-Konyr!« Der Rufer wurde formell. »Halten Sie aus, Herr!« sagte er hastig. »Wir haben Sie im Peilkreuz. Sind in kürzester Zeit zur Stelle.« Die MIRADOOR hielt Wort. Knapp eine Stunde später tauchte sie aus der Schwärze des Alls und ging längsseits des Asteroiden. Ein Transfer-Schlauch wurde ausgefahren und an die Außenschleuse des Beiboots angeschlossen. Klinsanthor ging an Bord des Frachters. Man begrüßte ihn ehrfurchtsvoll. Man nahm zur Kenntnis, daß er mörderische Strapazen hinter sich hatte, und stellte ihm nur wenige Fragen. »Lohnt es sich, das Beiboot an Bord zu nehmen?« »Nein«, antwortete er. »Das Triebwerksystem ist explodiert.« Mochten sie es nachprüfen, sie würden es bestätigt finden. Pedar dom Khaals Strahler hatte ganze Arbeit geleistet. »Aber die Hülle ist noch intakt?« »Sie ist intakt«, bestätigte er. »Das Notkraftwerk arbeitet noch. Proviant ist vorhanden. Ich hätte es noch wochenlang dort aushalten können, wenn ihr mich nicht so schnell aufgefischt hättet.« »Es gibt – Tote an Bord?« »Es gab. Pedar dom Khaal, mein Berater. Ein Offizier der LASEER namens Herron Skarvier. Ein Passagier mit dem Namen Frille. Ich habe sie dem All übergeben.« Auch das war richtig. Da es an Bord des Beiboots keinen Raumanzug gab, hatte er einen komplizierten Mechanismus bauen
Kurt Mahr müssen, mit dem er die Leichen aus der Schleusenkammer schoß. Die geringe Schwerkraft des Asteroiden hatte sie nicht halten können. Sie würden bis in alle Ewigkeit durch die Leere des Raums treiben. Der Kommandant der MIRADOOR schickte eine Gruppe von drei Leuten an Bord des Beiboots. Die Männer hatten keinen Grund, den Aussagen des KAYMUURTES-Siegers zu mißtrauen. Deswegen sahen sie sich nur solange um, bis sie bestätigen konnten, daß Mana-Konyr die Lage in der Tat richtig eingeschätzt hatte. Nithrea, die Klinsanthor unter der Liege in seiner Zelle verborgen hatte, fanden sie nicht. In spätestens zwei Tagen würde Nithrea wieder zu sich kommen. Solange wirkte der Griff des Töters mit der Fingerspitze. Danach konnte sie den Notrufsender in Betrieb nehmen und Hilfe herbeiholen. Man würde sich wundern, daß es an Bord des Beiboots noch einen zweiten Überlebenden gab, von dem Mana-Konyr nichts gewußt hatte. Aber dafür ließ sich mühelos eine Erklärung finden. Die Wahrheit, soviel stand fest, würde Nithrea auf keinen Fall preisgeben. Die MIRADOOR nahm Fahrt auf. Sie war auf dem Weg nach Arkon. Allerdings, so gab der Kommandant seinem vornehmen Passagier zu bedenken, war sie nicht das schnellste aller Fahrzeuge. »Sollte unterwegs ein Kriegsschiff unseren Kurs kreuzen, werde ich den Kommandanten bitten, Sie an Bord zu nehmen«, bot er dem KAYMUURTES-Sieger an. »Auf diese Weise kämen sie ein bis zwei Tage früher nach Arkon.« Klinsanthor war damit einverstanden. Er war überhaupt mit vielem einverstanden, solange man ihn nur in Ruhe ließ. Denn inzwischen war Mana-Konyrs Bewußtsein wahrhaft rebellisch geworden, und wenn der Magnortöter sein Vorhaben nicht aufgeben wollte, dann mußte er einen beträchtlichen Teil der noch verbleibenden Kraft dafür einsetzen, das Fremdbewußtsein zu unter-
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drücken.
* Am kaiserlichen Hof von Arkon wurde die Nachricht von der unerwarteten Rettung Mana-Konyrs mit Begeisterung aufgenommen. Diesmal getraute sich Horfiz alleine in den Thronraum. Er hatte sich eine Belobigung erhofft. Aber Orbanaschol war mürrisch und dankte nur mit einem nicht besonders gnädigen Kopfnicken. Horfiz schlich sich hinaus. Der Imperator, schien ihm, wurde in letzter Zeit von Tag zu Tag unberechenbarer. Der Thron Orbanaschols III. wankte. Horfiz überlegte, ob es nicht klüger sei, den Hof zu verlassen und irgendwo Unterschlupf zu suchen, bis der Kaiser entweder gestürzt war oder sein inneres Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Orbanaschol hatte inzwischen einen winzigen Geheimsender betätigt und einen Ruf abgesetzt. Es verging kaum eine Viertelstunde, da öffnete sich eine bisher verborgene Tür in einer Nische des Thronraums, und ein Roboter kam zum Vorschein. Erst als er in den Lichtkreis der Deckenbeleuchtung trat, sah man, daß er ein menschliches Wesen auf dem Rücken trug, einen mißgestalteten, häßlichen Zwerg mit vorgewölbter Brust, einem ungeheuren Schädel und riesigen Füßen. Das unglückliche Geschöpf hatte große, hervorquellende Augen und gewaltige abstehende Ohren. Der Mittelteil des Körpers da-
gegen war so schwächlich ausgebildet wie der eines zehnjährigen Knaben. Der Roboter vollführte die zeremonielle Verbeugung. Es war nicht klar zu erkennen, ob der Zwerg auf seinem Rücken ebenfalls eine Bezeigung der Ehrfurcht machte oder nur notgedrungen der Bewegung des Robotkörpers folgte. »Ich nehme an, du weißt, daß ManaKonyr wiederaufgetaucht ist«, begann der Imperator die Unterhaltung. »Es ist mir zu Ohren gekommen, kaiserliche Majestät«, antwortete der Zwerg. »Ich habe vor, den Sieger der KAYMUURTES groß herauszubringen«, verkündete Orbanaschol. »Über die Einzelheiten bin ich mir noch nicht ganz im Klaren. Vielleicht sollte er Gast des Hofes sein – vielleicht aber auch nicht. Es kommt alles darauf an, wie verläßlich der Mann ist.« Der stechende Blick des Imperators richtete sich auf den Zwerg. »An dieser Stelle kommst du ins Spiel, Lebo Axton«, sagte er. »Es ist mein Wille, daß du dich um Mana-Konyr kümmerst, sobald er auf Arkon landet.« Abermals verbeugte sich der Roboter. »Der Wille des Imperators ist mir Befehl«, antwortete Lebo Axton. »Ich werde mich um den Mann kümmern.«
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 281: Die Macht der Sonnen von H. G. Francis Die Entscheidung naht – der Usurpator soll getötet werden