Nr. 333
Atlantis-Patrouille Eine Zeitkapsel im Brennpunkt der Interessen von H. G. Ewers
Sicherheitsvorkehrungen habe...
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Nr. 333
Atlantis-Patrouille Eine Zeitkapsel im Brennpunkt der Interessen von H. G. Ewers
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist – in der Form eines plötzlich wiederaufgetauchten Stückes des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlan tis. Atlan und Razamon, der ehemalige Berserker, haben als einzige den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Herren der FESTUNG ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Die beiden Män ner landeten auf einer Welt der Wunder und der Schrecken – mit dem Ziel, die Be herrscher von Pthor schachmatt zu setzen, auf daß der Menschheit durch die Invasi on kein Schaden erwachse. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nah men, haben Atlan und Razamon zusammen mit ihren neuen Kampfgefährten dieses Ziel inzwischen erreicht. Der Angriff auf die FESTUNG, gemeinsam mit den Kindern Odins vorgetragen, war von Erfolg begleitet. Der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor gefährdet nun die Erde nicht mehr. Er befindet sich nach den vorangegangenen apokalyptischen Ereignissen von Ragnarök, der Stunde der Götterdämmerung, mit Atlan unterwegs auf dem Flug durch fremde Dimensionen. Was aber geschieht nach dem Verschwinden des »Neuen Atlantis« auf der Erde? Hier, rund ein halbes Jahr nach der Entmaterialisierung des mysteriösen Kontinents, erscheint ein neuer Besucher. Er wird zuerst geortet von der ATLANTIS-PA TROUILLE …
Atlantis-Patrouille
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Die Hautpersonen des Romans:
Algonkin-Yatta - Ein Fremder auf Terra.
Loggy - Algonkin-Yattas Partner.
Anlytha - Algonkin-Yattas Gefährtin vertreibt sich die Langeweile.
James McDuffy und Corda Ragsor - Mitglieder der Atlantis-Patrouille.
Allan D. Mercant - Chef der Solaren Abwehr.
Tolperkohn - Ein verräterischer Ara.
1. ATLANTIS-PATROUILLE Die vollautomatisierte Orbitstation AR GUS gehörte zu jenen zahlreichen erdnahen Raumstationen, die in rund 36 000 Kilome tern Höhe mit der gleichen Geschwindigkeit um die Erde kreisten, mit der Terra um sich selbst rotierte. Man nannte so etwas einen »stationären Orbit«. Was ARGUS von den anderen erdnahen Raumstationen unterschied, war die speziali sierte Aufgabenstellung der IntensivÜberwachung jenes atlantischen Seegebiets, in dem am 30. 8. 2648 unter mysteriösen Umständen ein Teil des vor über zehntau send Jahren untergegangenen Inselkontin ents Atlantis aufgetaucht und am 1. Septem ber 2648 wieder unter ebenso mysteriösen Umständen verschwunden war. Und mit dem »Neuen Atlantis« war Lor dadmiral Atlan verschwunden – oder schon vorher, denn die Verantwortlichen der Erde wußten nur, daß Atlan gemeinsam mit dem geheimnisvollen Razamon in Richtung des Neuen Atlantis aufgebrochen und seitdem verschollen war. Seitdem war genau ein halbes Jahr ver gangen. Die zahlreichen leistungsstarken Schutzschirmprojektoren auf dem Meeres boden und im erdnahen Weltraum waren dreieinhalb Monate nach dem Verschwinden des Inselkontinents abgeschaltet worden. Nur selten noch dachten die Terraner an das Auftauchen und Verschwinden jenes ne belverhangenen Landzipfels. Es gab jeden Tag genug andere Meldungen, die über die zahlreichen planetarischen, interplanetari schen und interstellaren Trivideokuben flim
merten und tönten. Einige Menschen allerdings würden es niemals vergessen. Zu ihnen gehörte Perry Rhodan, Großadministrator des Solaren Im periums und bester Freund des USOLordadmirals. Perry Rhodan sorgte sich noch immer um seinen Freund und versuchte alles, um Auf klärung über dessen Schicksal zu erhalten. Doch das war nicht alles. Rhodan schätzte die Gefahr, die von dem Neuen Atlantis trotz seines Verschwindens noch immer dro hen konnte, relativ hoch ein. Er ließ einen der Projektor-Satelliten zu einem der hoch wertigen Überwachungs-Satelliten umbau en, dessen Meß-, Beobachtungs- und Aus wertungssystemen nichts entging, was sich in dem kontrollierten Seegebiet abspielte. Eingeweihte hatten mehrmals behauptet, ARGUS würde sogar die minimalsten Schwankungen in der Plankton-Population registrieren.
* Leutnant James McDuffy dachte nicht an derartige Dinge, während er im engen Com puterraum seiner alten Space-Jet umher kroch. Der Doughnut, wie das ausrangierte Beiboot eines verschrotteten Schnellen Kreuzers der Imperiumsflotte von den Frauen und Männern der »Atlantis-Patrouille« genannt wurde, sah nur noch äußerlich wie eine Space-Jet aus. In Wirklichkeit war die Jet nicht viel mehr als ein Luftgleiter, der allerdings auch im interplanetarischen Verkehr hätte einge setzt werden können. Konverter und Funkti onssysteme des Lineartriebwerks sowie ver schiedene Sektionen des ursprünglichen
4 Bordcomputers waren ausgebaut, überholt und wieder verwendet worden. Der Rest ge nügte völlig, um Patrouillenflüge über dem Seegebiet durchzuführen, in dem das Neue Atlantis aufgetaucht und wieder verschwun den war. Nur das Relikt des einstigen Bordcompu ters streikte manchmal – so, wie an diesem 1. März des Jahres 2649 Erdzeit … Als der Summer des Bordtelekoms die Stille an Bord zerschnitt, verzog Leutnant McDuffy unwillig das Gesicht. »Soll der Teufel sich um den Funk küm mern!« schimpfte er. Der Teufel schien allerdings nicht dazu bereit zu sein. Jedenfalls fiel das Summen dem Leutnant nach einigen Minuten so sehr auf die Nerven, daß er sich ächzend und flu chend in dem nur knapp vierzig Zentimeter hohen Raum drehte und durch die runde Montageluke in die Steuerkanzel kroch. Stöhnend richtete er sich auf und wankte (sein rechtes Bein war eingeschlafen) zum Funkpult. Mit einem Fausthieb auf die be treffende Taste schaltete er den Bordtelekom ein. Die Bildfläche wurde schlagartig hell. Das Gesicht einer jungen Frau mit rotbrau ner Haut und kupferfarbenem Haar erschien darauf. Es war ein schönes Gesicht, das al lerdings zur Zeit ärgerlich verzogen war. »Haben Sie vielleicht geschlafen, Leut nant, weil Sie so lange brauchten, um sich zu melden?« fragte die Frau mit dunkler Stimme. McDuffys Gesicht lief vor Zorn rot an. »Ich habe mit dem Bordcomputer ge schlafen, Captain«, erwiderte er. »Und mein rechtes Bein schläft jetzt noch.« Der Ärger verschwand vom Gesicht des weiblichen Captains. »Ich hoffe, es hat Ihnen Spaß gemacht, McDuffy. Wann ist Ihre Jet einsatzbereit? In zweieinhalb Stunden fängt Ihr Patrouillen flug an.« »Dann besorgen Sie mir inzwischen schon Ersatz für den Doughnut, Captain Ragsor«, erwiderte der Leutnant. »Ich weiß
H. G. Ewers nicht, warum der Bordcomputer streikt – und ohne funktionierenden Computer lassen sich die Ortungsergebnisse nicht vergleichen und auswerten.« Captain Corda Ragsor machte ein betrüb tes Gesicht. »Für die Atlantis-Patrouille gibt es keine Ersatz-Fahrzeuge«, erklärte sie. »Für uns ist das Schlechteste noch viel zu gut. Ich wette, der Großadministrator hat keine Ahnung, wie die untergeordneten Stellen seine An weisung zur permanenten gründlichen Über wachung des Gebiets von Neu-Atlantis aus führen.« »Die Versorgungsbullen sitzen auf ihren Materialbergen und verteidigen sie mit Zäh nen und Klauen!« schimpfte Leutnant McDuffy. »Warum beschweren wir uns eigent lich nicht?« Corda Ragsors Gesicht wurde abweisend. »Das zu entscheiden überlassen Sie bitte mir, Leutnant!« entgegnete sie. »Versuchen Sie, den Bordcomputer soweit hinzukriegen, daß Sie den routinemäßigen Patrouillenflug planmäßig absolvieren können! Ist das klar, McDuffy?« Der Leutnant grinste. »Klar, Captain. Warum sollte eigentlich diesmal etwas Besonderes geschehen! Und falls das Neue Atlantis wieder auftaucht, se he ich es auch mit bloßem Auge.« »Wenn Sie nicht gerade schlafen«, erwi derte Captain Ragsor ironisch und unter brach die Verbindung. James McDuffy schaltete den Bordtele kom aus, tastete sich am Getränkeautomaten einen Becher Kaffee, setzte sich in einen der fünf Kontursessel und schlürfte das heiße Getränk mit großem Behagen. Nicht zum erstenmal überlegte er, wie er es anstellen sollte, seine Vorgesetzte zu ei nem Rendezvous zu überreden. Corda Rags or war eine schöne und interessante Frau – und James McDuffy war jung genug, um sich zu wünschen, Corda in einen der feuda len Clubs in Angra do Heroismo führen zu können und dabei von seinen Kameraden und Freunden gesehen zu werden. Leider
Atlantis-Patrouille hatte sie bisher alle seine diesbezüglichen Einladungen abgelehnt. Verärgert warf Leutnant McDuffy den leeren Kaffeebecher in die Öffnung des Ab fallvernichters und kroch abermals auf den Gitterrost aus Metallplastik, der sich unter den Hauptelementen des Bordcomputers be fand. Eigentlich, so sagte er sich, war alles gar nicht weiter schlimm. Bevor er zur AtlantisPatrouille versetzt worden war, hatte er als normaler Angehöriger der Küstenwache eine bestimmte Route zwischen den Azoren und der Meerenge von Gibraltar überwacht und dafür gesorgt, daß leichtsinnige Menschen, die sich mit kleinen Segel- oder Motorboo ten ins offene Meer gewagt hatten und an der rauhen See scheiterten, vor dem Ertrin ken bewahrt wurden. Im Unterschied zu jener Zeit flog er heute wenigstens nicht nur einen gewöhnlichen Flugleiter, sondern ein echtes Raumfahr zeug, wenn auch ein kastriertes, wie Piero Francia, sein Ortungstechniker, zu sagen pflegte. Als der Summer des Bordtelekoms aber mals ertönte, zuckte McDuffy so heftig zu sammen, daß er sich den Schädel an einem Computerelement anstieß. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen und ver setzte ihn in ohnmächtige Wut. Er nahm den unterarmlangen Detektor, mit dem er die Fehlerquelle im Computer gesucht hatte, und stieß ihn wieder und wieder gegen die Stelle, die seinem Kopf so übel mitgespielt hatte. Als er erschöpft innehielt, bemerkte er verblüfft, daß der Summer des Bordtele koms schwieg. Das war so ungewöhnlich, daß er es zuerst nicht glauben wollte. Doch als er Schritte und danach die Stim me von Captain Ragsor hörte, wußte er, daß sein Gehör noch in Ordnung war. »Kommen Sie heraus, Leutnant!« schrie Corda Ragsor aufgebracht. »Wir müssen so fort starten!« James McDuffy lachte, doch dann wurde ihm klar, daß die Stimme seiner Vorgesetz
5 ten sich vor Erregung beinahe überschlagen hatte. Corda Ragsor scherzte also offenbar nicht. »Ich komme!« rief er zurück. Als er durch das Montageluk mehr fiel als kroch und sich ächzend aufgerichtet hatte, sah er, daß Captain Ragsor vor dem Haupt steuerpult saß und die Systeme durchcheck te. »Sie wollen tatsächlich mit mir fliegen – und noch dazu allein, Captain?« sagte er. »Allerdings«, gab Corda Ragsor zurück, ohne den Kopf zu wenden. »Aber geben Sie sich keinen falschen Hoffnungen hin, McDuffy. Ich fliege mit Ihnen allein, weil AR GUS das Auftauchen eines verdächtigen Objekts im Gebiet der Atlantis-Patrouille gemeldet hat und weil die übrige Besatzung des Doughnut nicht vor einer Stunde hier sein kann.«
* Die Aussicht, endlich einmal etwas Auf regendes zu erleben, ließ Leutnant James McDuffy handeln, ohne vorher zu fragen. Er unterstützte seine Vorgesetzte beim Durchchecken der Bordsysteme, danach nahm er auf Captain Ragsors Anweisung vor dem Orterpult Platz, vor dem sonst Piero Francia zu sitzen pflegte. Der weibliche Captain übernahm dafür an seiner Stelle die Aufgabe der Steuerung. Erst, als die Space-Jet gestartet war und die oberirdischen Anlagen des Fusionskraft werks von Ponta Delgada überflog, setzten seine normalen Denkvorgänge wieder ein. »Was soll das für ein Objekt sein, das von ARGUS geortet wurde, Captain?« fragte er. Corda Ragsor lächelte flüchtig. »Ein verdächtiges Objekt, Leutnant.« Sie wurde ernst. »ARGUS konnte weder seine Masse noch seine Formen exakt bestimmen, sondern nur die Position.« »Und woher ist es gekommen?« erkun digte sich McDuffy. »Auch das konnte ARGUS nicht feststel len«, antwortete Captain Ragsor. »Das Ob
6 jekt war plötzlich da – und ich hoffe, es ver schwindet nicht, bevor wir es erreicht ha ben.« Leutnant McDuffy spürte plötzlich, daß er feuchte Handflächen hatte. Er begriff, daß das, was sie an der durchgegebenen Position erwartete, nicht unbedingt nur aufregend sein mußte. Es konnte durchaus auch gefähr lich sein – und vielleicht sogar tödlich. Zum erstenmal fragte er sich, warum die Gesamtleitstelle der terranischen Küstenund Meeresüberwachung ausgerechnet ihn und andere eigentlich ganz gewöhnliche Frauen und Männer zur Atlantis-Patrouille versetzt hatte. Noch dazu, wo es verschiedene Spezialisten der USO gab, die schon zu ihren Lebzeiten einen legendären Ruf erwor ben hatten und überall dort eingesetzt wur den, wo es brenzlig war. Die Verantwortlichen mußten sich geirrt haben. Offenbar hatten sie niemals damit ge rechnet, daß im Überwachungsgebiet tat sächlich noch einmal etwas Besonderes ge schehen würde. Aber es war etwas Besonde res geschehen – und er, ein einfacher Leut nant der Küstenwache, sah sich mit diesem Besonderen und Unheimlichen konfrontiert. »Was orten Sie, Leutnant McDuffy?« fragte Captain Ragsor. James McDuffy fuhr zusammen und nahm wahllos einige Schaltungen vor. Er hatte doch tatsächlich vergessen, daß bei diesem Flug ihm die Bedienung der Or tungsinstrumente zufiel. »Wasser, viel Wasser, Captain«, antwor tete er, um überhaupt etwas zu sagen. »Dieses Überbleibsel eines hochwertigen Bordcomputers liefert ansonsten nur einen wirren Datensalat.« Er starrte auf das Anzeigefeld des Masse tasters, in dem der Leuchtbalken unablässig zwischen Minimum und Maximum pendel te. Die Auswertungsanzeige blieb dunkel, da der Bordcomputer noch immer streikte. McDuffy fuhr ununterbrochen über die Sensorpunkte der Computerschaltungen, aber das Positronengehirn verweigerte wei ter den Dienst. Kurz entschlossen versuchte
H. G. Ewers es der Leutnant mit etwas, das unter Compu terspezialisten »Wechselbad« genannt wur de. Abwechselnd drosselte und erhöhte er die Energiezufuhr für den Bordcomputer. Captain Ragsor hatte unterdessen eine Funkverbindung zur Orbitstation ARGUS hergestellt und bat um neue Kursdaten. Eine menschlich klingende Stimme gab die Daten durch, obwohl es in ARGUS keinen einzi gen Menschen gab. »Wir sind nur noch zwanzig Kilometer von dem Objekt entfernt, Leutnant McDuffy«, sagte Corda Ragsor daraufhin. »Sehen Sie zu, daß Sie das Computerrelikt zur Mitarbeit bewegen können!« »Das Ding will nicht«, stellte McDuffy verbittert fest. Kurz entschlossen tat er et was, das jeden Kybernetiker in helles Ent setzen gestürzt hätte: Er schaltete die Ener giezufuhr für den Bordcomputer vollständig aus. »Was haben Sie getan?« schrie Captain Ragsor. Doch da hatte McDuffy die Energiezufuhr bereits wieder aktiviert. Indem er mit einer Hand die elektronische Plombe auskuppelte, schob er mit der anderen Hand den Schalt hebel weit über die rotmarkierte Überla stungslinie hinaus. »Schocktherapie!« erklärte er trocken. »Aber Sie hatten dem Computer die Ener gie vollständig gesperrt, Leutnant«, erwider te Corda Ragsor verzweifelt. »Das bedeutet, daß während dieser Zeit seine Speicherfel der zusammengebrochen sind und er weder seine Programmierung noch seine Erinne rungen besitzt.« McDuffy zuckte die Schultern. »Schlechter als vorher können wir gar nicht dran sein«, meinte er gleichmütig. Plötzlich leuchteten seine Augen auf. »Wir sind besser dran, Captain, viel bes ser!« rief er. »Die Kontrollen zeigen wieder normale Werte an.« »Das ist unmöglich!« protestierte der weibliche Captain schwach. Leutnant James McDuffy hörte schon nicht mehr hin. Sein Blick heftete sich wie
Atlantis-Patrouille gebannt auf die Auswertungsanzeige des Massetasters, die soeben aufgeleuchtet war. »Hochwertiges Metallplastik«, flüsterte er mit heiserer Stimme. »Masse schwankt zwi schen plus und minus dreiundvierzig Ton nen.« »Der Computer hat den letzten Rest Ver stand verloren, Leutnant«, rief Captain Ragsor. »Einen Minus-Massewert gibt es überhaupt nicht.« »Hier schon«, erwiderte James McDuffy. »Die Schwankungsintervalle werden übri gens immer länger und verlagern sich stär ker nach plus.« Er fing einen Plastikstreifen auf, der aus einem Schlitz im Ausgabesektor des Bord computers schnellte. Stirnrunzelnd las er die ausgedruckte Information ab. »Das Schwanken der Massewerte zwi schen plus und minus resultiert mit großer Wahrscheinlichkeit aus einer verzögert durchgeführten temporalen Anpassung des angemessenen Objekts.« Diesmal hörte Captain Ragsor nicht mehr hin. Sie legte die Space-Jet auf die Back bordseite, bis die beiden Küstenwachleute ohne Instrumentenhilfe auf die langgezoge ne Dünung des Atlantiks schauen konnten. »Sehen Sie nur, James!« flüsterte Corda Ragsor und nannte ihren Dienstuntergebe nen zum erstenmal beim Vornamen. McDuffy merkte es nicht, denn er war völlig von dem Anblick in Bann geschlagen, der sich ihm – zirka hundert Meter unter der Space-Jet – bot. Eine Konstruktion aus silbrig schimmerndem Material, die aus einer zu einem großen Ring geformten Röhre bestand, auf der an Streben ein eiförmiger Körper von der Grö ße dreier normaler Fluggleiter verankert war … »Unheimlich!« entfuhr es McDuffy. Er sah auf und begegnete Corda Ragsors Blick, in dem deutlich die Angst flackerte. Dennoch sagte der Captain: »Leutnant McDuffy, wir werden dieses Gebilde ber gen!«
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2. DER FREMDE Die Erinnerungen kamen und gingen … Jahre waren vergangen, während er den Spuren des Mannes gefolgt war, den er be wunderte. Vieles hatte er in dieser Zeit ken nengelernt und erlebt, viel Schönes und viel Häßliches. Während der ersten Phase seiner Suche nach Atlan, dem Kristallprinzen von Arkon und dem Kämpfer gegen Diktator Orbana schol, hatte er die Zeitkapsel gefunden: In strument eines längst vergangenen galakti schen Volkes, das bei seinem Pendeln in der Zeit unermeßliches Unheil angerichtet hatte. Oder vielleicht hatte die Zeitkapsel ihn gefunden, denn praktisch benutzten ihn die Nachkommen der Erbauer dieser Kapsel nur als Werkzeug. Allerdings waren ihre Motive selbstloser Natur. Sie wollten die Zeitkapsel auf eine Zeitebene bringen lassen, auf der sie von ihrem Zwang zur Wanderung durch die Zeiten erlöst wurde, denn bei diesen Wanderungen brachte sie jedesmal Unheil über fremde Zivilisationen. Nachdem er ihren Willen vollzogen hatte, wurde er mit der Zeitkapsel in seine Eigen zeit zurückgeschickt – und erhielt die Kapsel als Geschenk. Während dieser »Rückfahrt« in die eigene Zeitebene kam es zu Sprüngen in die Zu kunft des Suchers. Er erkannte, daß es sinn los gewesen wäre, Atlans Spur auf die glei che Weise wie bisher weiter zu verfolgen. Er würde durch die Zeit reisen müssen, um ihn einzuholen – und er mußte ihn zu ei nem bestimmten Zeitpunkt treffen, wenn er ihn vor einer großen Gefahr bewahren woll te. Gelang ihm das nicht, würde die Suche ungeheuer erschwert werden. Das Risiko, Atlan mit einem Sprung in die Zukunft einzuholen, war riesengroß. Schon einmal hatte der Kundschafter fest stellen müssen, daß es im Strom der Zeiten Dinge gab, die die Kapsel aus der Zeitbahn schleudern oder zwischen den Zeiten stran
8 den lassen konnten. Doch erstens liebte der Kundschafter sol che Risiken – und zweitens besaß er einen Partner, der selbst über wertvolles Wissen hinsichtlich temporärer Manipulationen ver fügte. Unter diesen Umständen konnte der Kundschafter sogar seine widerspenstige Gefährtin Anlytha davon überzeugen, daß das riskante Experiment notwendig war. Und so war Algonkin-Yatta gemeinsam mit Loggy in der Zeitkapsel aufgebrochen, um Atlan in der Zeit zu suchen, während Anlytha mit dem Kundschafterschiff auf ei nem Planeten zurückblieb, um seine Rück kehr abzuwarten. Algonkin-Yatta erinnerte sich, daß die Reise in die Zukunft überraschend glatt ver laufen war – bis die Kapsel in einen Sturm temporärer Energien geriet, der durch ein unbekanntes gewaltiges Objekt ausgelöst wurde, das mit ungeheurer Energieentfal tung die Dimensionen der Zeit und des Raumes durchbrochen hatte. »Hinter« die sem Objekt waren die »Brüche« teilweise ir regulär verheilt, das heißt, die Beziehungen zwischen den räumlichen Kontinua und der Zeit waren teilweise umgekehrt worden. Das führte dazu, daß die Zeitkapsel plötz lich nicht nur durch die Zeitdimension raste, sondern auch durch die räumlichen Konti nua. Während dieses Sturzes konnten der Kundschafter und Loggy feststellen, daß ihr Weg durch Zeit und Raum spiralförmig an den Schlauch an tobender temporärer Ener gie, dem »Kielwasser« des unbekannten Ob jekts entlangführte – und zwar in umgekehr ter Richtung. Loggy errechnete, daß sie nicht eher zur temporären Ruhe kommen würden, als bis sie die raum-zeitliche Position erreicht hät ten, an dem das unbekannte Objekt zuletzt für längere Zeit »materialisiert« gewesen war. Doch weder das grüne Kristallwesen noch Algonkin-Yatta vermochten vorauszube rechnen, wo und wann das sein würde und welche Bedingungen sich dort fänden.
H. G. Ewers Die Ereignisse der letzten Zeit waren zu turbulent gewesen, als daß der Kundschafter von Ruoryc sich an alle Einzelheiten erin nern konnte. Er wußte, daß die Zeitkapsel ir gendwo zum Stillstand gekommen war, aber dieser Stillstand war nur selten gleichzeitig räumlich und temporär, sondern meist räum lich oder temporär. Das bedeutete, daß die Kapsel, wenn sie in der Zeit stillstand, räumlich versetzt wur de – und umgekehrt. Wurde sie räumlich versetzt, diente der stillstehende Zeitbezugs punkt sozusagen als Anker mit dehnbarer Kette, der die Kapsel auch räumlich wieder zurückführte; wurde sie zeitlich versetzt, fungierte der räumliche Bezugspunkt als Anker und holte die Kapsel auch temporär wieder zurück. Der Kundschafter vermochte noch festzu stellen, daß dieses Hin und Her sich allmäh lich abschwächte, so daß die Kapsel irgendwann gleichzeitig räumlich und zeitlich sta bil bleiben würde, doch dann führten die mehrdimensionalen Pendelbewegungen da zu, daß er jedes Gefühl für Raum und Zeit verlor …
* Captain Corda Ragsor hielt die Space-Jet in zwanzig Metern Höhe über dem in den Wellen schaukelnden Objekt an. Anschlie ßend sprach sie einen knappen Zwischenbe richt in den Telekom, der mit der Leitstelle der Atlantis-Patrouille verbunden war. Zu ihrer Überraschung schaltete sich die Verbindung um, was an dem Wechsel der Erkennungssymbole auf dem Bildschirm zu sehen war. Nachdem das neue Symbol eben falls erloschen war, zeigte sich das Abbild eines menschlichen Oberkörpers. Es war der Oberkörper eines Mannes in gereiftem Alter, der Zivilkleidung trug und dessen Gesicht ein freundliches Lächeln zeigte, das zu sei nem dünnen blonden, an den Schläfen er grautem Haarkranz paßte. »Ich danke Ihnen für Ihren Zwischenbe richt, Captain Ragsor«, sagte der Mann.
Atlantis-Patrouille »Haben Sie daran gedacht, den Mentaltaster Ihrer Space-Jet einzusetzen, um herauszufin den, ob sich Lebewesen in dieser Kapsel be finden?« Leutnant James McDuffy fing einen halb erschrockenen, halb zornigen Blick seiner Vorgesetzten auf und sagte: »Der Mentaltaster arbeitet, aber die Bord positronik hat seine Meßergebnisse noch nicht ausgewertet. Wer fragt da eigentlich, Captain?« »Solarmarschall Mercant«, flüsterte Cor da Ragsor herüber, dann schaute sie wieder auf den Bildschirm des Bordtelekoms und fragte: »Haben Sie die Auskunft Leutnant McDuffys gehört, Sir?« »Allerdings«, antwortete der Chef der So laren Abwehr. »Und sie befriedigt mich kei neswegs. Wenn die Bordpositronik nicht einwandfrei arbeitet, müssen die Meßergeb nisse des Mentaltasters eben von einem menschlichen Gehirn ausgewertet werden.« McDuffy errötete leicht. Ohne etwas zu sagen, schaltete er die Aufnahmesektion des Mentaltasters auf einen Info-Schirm. Er war selbst ziemlich verblüfft, als er an der wech selnden elektronischen Linie des Diagramms sofort erkannte, daß sich ein Lebewesen im Erfassungsbereich des Mentaltasters befand, so sehr war er daran gewöhnt, alle Informa tionen erst dann als Informationen anzuse hen, wenn sie von einem Computer sozusa gen vorverdaut worden waren. »Ein Lebewesen befindet sich in der Kap sel, Solarmarschall!« rief er aufgeregt. »Aber ich weiß natürlich nicht, ob es ein Mensch ist oder nicht.« »Das ist nicht so wichtig«, erwiderte Al lan D. Mercant. »Captain Ragsor, bitte neh men Sie die Kapsel mit Traktorstrahlen in Schlepp und setzen Sie sie auf der Plattform von Sealab ALBATROS ab. Ich schicke Ih nen jemanden hin, der sich eingehend mit der Kapsel befassen und Kontakt mit ihrem Passagier aufnehmen wird.« »In Ordnung, Sir«, sagte Captain Ragsor, die ihre Selbstsicherheit wiedergefunden hatte. »Möchten Sie mit uns in Verbindung
9 bleiben, bis wir die Kapsel aufgefischt ha ben?« »Wenn Sie nichts dagegen haben, Miß«, erwiderte Mercant ironisch. Corda nickte und blickte zu McDuffy. »Übernehmen Sie das mit den Traktor strahlen, Leutnant!« ordnete sie an. James McDuffy schrak leicht zusammen. Er war so in das Studium der Mentaltaster anzeige vertieft gewesen, daß er den Befehl des Captains beinahe überhört hätte. »Ja, sofort«, sagte er und vergaß die An omalie, die er soeben an dem Diagrammbild des Mentaltasters zu sehen geglaubt hatte. Er schaltete die drei Traktorstrahlprojek toren der Space-Jet ein und richtete die Strahlenkegel so aus, daß sie an drei Punk ten der rätselhaften Kapsel faßten, die wie die Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks zueinander angeordnet waren. Als er Corda zunickte, zog der Captain die Space-Jet langsam hoch. Das heißt, er wollte sie langsam hochziehen, aber plötz lich stieg sie ruckhaft um zirka fünfzig Me ter. »Haben Sie das Objekt nicht angefaßt, Leutnant?« rief Corda Ragsor verärgert. »Mit seiner Masse im Schlepp hätten wir nur langsam steigen können.« »Fort!« sagte er tonlos. »Das Objekt ist verschwunden, vermute ich«, warf Mercant über Telekom ein. Seiner Stimme war keinerlei Erregung anzumerken. James McDuffy öffnete den Mund, wollte etwas sagen, schluckte dann aber nur, um wenig später zu sagen: »Nicht mehr, Sir. Es war vielleicht zehn Sekunden weg; deshalb rutschte es aus den Traktorstrahlen. Vielleicht will es sich nicht abschleppen lassen.« »Bevor Sie mit vagen Vermutungen um sich werfen, versuchen Sie es lieber noch einmal, Leutnant!« sagte Allan D. Mercant. »Sind Sie denn nicht neugierig darauf zu erfahren, wie das Objekt für zirka drei Se kunden verschwunden ist?« fragte Corda Ragsor. »Können Sie es mir denn sagen?« fragte
10 der Solarmarschall zurück. »Nein, Sir«, antwortete der weibliche Captain. »Dann wollen wir uns darüber nicht schon jetzt die Köpfe zerbrechen«, meinte Mer cant. Corda Ragsor nickte, dann ließ sie die Space-Jet langsam absinken, bis sie wieder rund zwanzig Meter über dem Objekt hing. Danach richtete Leutnant McDuffy die Traktorstrahlen abermals auf die Kapsel. Als Captain Ragsor diesmal hochzog, folgte das rätselhafte Objekt der Space-Jet, an die es von den unsichtbaren Trossen der Traktorstrahlen gefesselt war. In achtzig Meter Höhe nahm Corda Ragsor Kurs auf das große Meereslaboratorium ALBATROS, von dem sich rund siebzig Prozent der Anla gen auf dem Meeresgrund befanden. »Vielleicht sollte ich Sie darauf …«, sagte Mercant – und verstummte. Auch sein Bild verschwand aus dem Telekomschirm. »Eine Funkstörung«, sagte Corda verär gert. »Jemand betreibt einen Sender, der fast alle gebräuchlichen Frequenzen überlagert.« James McDuffy starrte fassungslos auf die Anzeigen des Massetasters, dann flüster te er beklommen: »Die Erde ist weg.« »Sie spinnen ja!« entgegnete Corda Rags or, dann musterte sie die Anzeigen ihrer Flugkontrollen und wurde trotz ihrer rot braunen Hautfarbe leichenblaß. Im nächsten Moment kippte sie die Space-Jet so, daß sie direkt auf die Meeres oberfläche hätte sehen können, wenn eine dagewesen wäre. Doch da war nur die Schwärze des Alls, in der schräg über der Space-Jet die Sonne stand, deren Strahlung von keiner Atmosphäre abgefiltert wurde. »Das ist doch …!« stieß der weibliche Captain hervor. James McDuffy eilte zu ihr, schaltete am Funkgerät und als er merkte, daß der Tele kom gestört war, aktivierte er den Hyper kom. Der Bildschirm wurde hell, zeigte aber kein Bild, sondern nur »Schnee«. Eine ver-
H. G. Ewers zerrte Stimme sagte auf Interkosmo: »Der Erste Hetran entbietet dem Verkün der …« Corda schrie auf, als schräg unter ihr die Meeresoberfläche die Strahlen der Sonne re flektierte. Die Space-Jet befand sich nur noch in rund zwanzig Metern Höhe, und so eben klatschte die Kapsel ins Wasser. Rasch korrigierte der Captain die Fluglage. Leutnant McDuffy hatte unterdessen den Telekom wieder normal eingestellt. Er atme te kaum merklich auf, als die Bildfläche wieder das Abbild von Allan D. Mercant zeigte. Der Chef der Solaren Abwehr blickte be sorgt drein und meinte: »Sie waren für die Dauer von zweiund zwanzig Minuten völlig aus der Ortung ver schwunden. Wie ich sehe, haben Sie den Zwischenfall beide heil überstanden.« »Wir waren aber höchstens zehn Minuten weg – beziehungsweise, haben rund zehn Minuten lang die Erde nicht mehr gesehen und geortet!« entgegnete James McDuffy. Mercant lächelte. »Gut, daß Sie das sagten, junger Mann. Ich ahne, was passiert ist. Aber darüber re den wir später. Ich werde nun doch persön lich zum Sealab ALBATROS kommen.«
* Die Landungsplattform von ALBATROS bedeckte zirka achttausend Quadratmeter der Meeresoberfläche. Nur das obere Drittel ragte aus dem Wasser; die unteren beiden Drittel lagen unter der Oberfläche und er laubten es durch ihre Hohlraumbauweise, daß in ihnen der größte Teil aller Wellenbe wegungen ungehindert abliefen und das obe re Drittel weitgehend in Ruhe ließen. Captain Ragsor steuerte die Space-Jet dorthin, wo eine Gruppe von Fluggleitern auf dem silbrig schimmernden Deck der Plattform einen Kreis gebildet hatten. Hinter dem Kreis warteten mehrere schwerbewaff nete Soldaten sowie eine ringförmig verteil te Hundertschaft mittelschwerer Kampfro
Atlantis-Patrouille boter. Im Bordtelekom knackste es, dann erschi en auf dem Bildschirm das Gesicht einer vielleicht dreißigjährigen Frau mit brauner Haut und leicht gewelltem schwarzem Haar. »Oberst Eneiki, Solare Abwehr«, stellte sie sich vor. »Bitte, setzen Sie das Objekt in der Mitte des Kreises ab, der von den Flug gleitern gebildet wird!« »Ja, Oberst!« erwiderte Corda Ragsor. Sie steuerte die Space-Jet über den mar kierten Kreis und ließ sie dann langsam ab sinken. Als die Kapsel die Landungsplattform be rührte, wollte Leutnant McDuffy die Trak torstrahlprojektoren abschalten, doch da be merkte er, daß die Kapsel in die Landungs plattform einsank, als bestünde diese aus Wasser. »Hochziehen!« rief Oberst Eneiki. Corda gehorchte. Allmählich stieg die Kapsel wieder aus der Landungsplattform. Im nächsten Moment war sie verschwunden. »Sie ist noch da«, rief McDuffy. »Die Traktorstrahlprojektoren zeigen die gleiche Belastung an wie vorher.« »Sie ist nur durchsichtig geworden«, sagte Oberst Eneiki gelassen. »Der Inhalt aller dings auch, sonst müßte er jetzt zu sehen sein.« »Da ist sie wieder!« rief Corda Ragsor aufgeregt. »Die Außenhülle ist nicht mehr silbern, sondern dunkelgrau, fast schwarz«, erklärte Oberst Eneiki. »Bitte, versuchen Sie noch einmal, die Kapsel abzusetzen, Captain!« Langsam ließ Corda die Space-Jet und mit ihr die Kapsel absinken. Als sie diesmal die Oberfläche der Plattform berührte, sank sie nicht ein, sondern setzte ganz normal auf, dann wurde sie wieder silbrig. »Danke!« sagte Oberst Eneiki. »Sie kön nen mit der Space-Jet außerhalb des Kreises landen, Captain Ragsor.« Leutnant James McDuffy schaltete die Traktorstrahlprojektoren aus und meinte: »Bin ich froh, daß wir das Ding los sind!« »Seien Sie sich da nicht so sicher, Leut
11 nant«, erklärte Oberst Eneiki. »Vorläufig werden Sie und Captain Ragsor noch ge braucht.« Während Captain Ragsor die Space-Jet butterweich aufsetzte, beobachtete McDuffy, wie sich drei von je zwei Kampfro botern begleitete Personen der Kapsel näher ten, die allmählich wieder heller wurde. Zur gleichen Zeit schwebte aus nordwestlicher Richtung eine Korvette heran und landete rund einen halben Kilometer von der Kapsel entfernt auf der Plattform. James nahm an, daß Solarmarschall Mercant mit diesem Raumschiff gekommen war. Als die Jet stand, stiegen Corda und er aus und gingen langsam auf die Kapsel zu. Die drei Personen standen unmittelbar davor und bemühten sich offensichtlich, ein in die Au ßenhülle der Kapsel eingelassenes Schott zu öffnen. Eine der drei Personen wandte sich um. Es war der weibliche SolAb-Oberst. »Ich freue mich, Ihnen die Hand drücken zu können«, sagte Oberst Eneiki und streck te ihre Hand aus. »Übrigens ist mein voller Name Fangaloa Eneiki.« Nach Corda Ragsor schüttelte auch James McDuffy Fangaloa Eneikis Hand, dann sag te er: »Dem Aussehen und dem Namen nach stammen sie von einer der glücklichen In seln, Oberst.« »Von Upolu, einer der Samoa-Inseln«, antwortete der Oberst lächelnd. »Aber wa rum nennen Sie sie die ›glücklichen In seln‹?« James McDuffy zuckte verlegen die Schultern. »Ich bilde mir nur ein, daß alle Menschen dort glücklich sind«, erwiderte er. »Aber wenn ich mich geirrt haben sollte …« »Sie haben sich nicht geirrt«, sagte Fan galoa Eneiki. »Obwohl es Ausnahmen gibt.« Sie deutete mit der Hand zu ihren beiden Begleitern, die sich den beiden Mitgliedern der Atlantis-Patrouille zugewandt hatten. »Darf ich Professor Gautor Ganski und Pro fessor Petrow Stancovice vorstellen! Profes
12 sor Ganski ist Hyperphysiker, während sich Professor Stancovice auf einem ganz ande ren Gebiet betätigt.« »Ich hoffe sehr, Sie können uns helfen, Captain Ragsor und Leutnant McDuffy«, sagte Prof. Petrow Stancovice mit dunkler Stimme, während er Corda und James ab wechselnd durchdringend musterte. James McDuffy lachte ironisch und erwi derte: »Was sollen wir schon helfen können! Wir sind schließlich keine Spezialisten, son dern einfache Angehörige der Küstenwache, die man zufällig zur Atlantis-Patrouille ab gestellt hat.« Fangaloa Eneiki blickte den Leutnant for schend an. »Sie spüren demnach nichts, James? Und Sie auch nicht, Corda?« »Nein, was denn?« fragten Corda und Ja mes wie aus einem Mund. »Nun, Sie wurden nicht zufällig zur At lantis-Patrouille abgestellt«, erläuterte Oberst Eneiki und nickte dabei unauffällig Mercant zu, der aus einem Gleiter ausgestie gen war und sich der Gruppe näherte. »Ihre Großmutter, Captain Ragsor, stammte von Zalit und vererbte ihrer Tochter, die Ihre Mutter wurde, eine latente parapsychische Begabung. Auf dem Siedlungsplaneten Voo dol wirkte Ihre Mutter bis zu ihrem Tode als Priesterin eines magischen Kults.« Fangaloa Eneiki wandte sich James McDuffy zu. »Und Sie, Leutnant, sind Mitglied eines magischen Zirkels, der den Namen ›Nauacatl‹ trägt …« James grinste. »Ich bin dort, weil es mir Spaß macht, mich mit Pseudomagie zu beschäftigen, Oberst. Bei der Solaren Abwehr nimmt man dieses Hobby doch nicht etwa ernst?« »Allerdings, junger Mann!« fiel Allan D. Mercant ein. »Magie ist nämlich die Alter native zu dem, was wir Wissenschaft und Technik nennen – und die Magie bezieht ih re nur scheinbar geheimnisvollen Kräfte aus formelhaften Überlieferungen, die Relikte
H. G. Ewers eines Wissens sind, die das unsere weit in den Schatten stellen würde, existierte es noch. NATHAN hat ausgerechnet, daß auf Atlantis Magie herrscht. Deshalb stellten wir unter anderem nach reiflicher Überlegung zwei Personen zur Atlantis-Patrouille ab, die echte Beziehungen zur Magie besitzen. Wir hofften, Sie würden auf Magie beruhende Phänomene sofort als solche erkennen.« »Allerdings würde ich das«, sagte James McDuffy. »Aber an der Kapsel ist absolut nichts Magisches, Sir.« »Absolut nichts?« warf Professor Stanco vice enttäuscht ein. »Und Sie, spüren Sie auch nichts, Captain Ragsor?« Corda Ragsor schüttelte den Kopf. Ihr waren die Eröffnungen, die Fangaloa Eneiki über ihre Abstammung gemacht hatte, sicht lich peinlich. Stancovice stieß eine Verwünschung aus, aber dann erstarrte er wie alle anderen An wesenden in konzentrierter Aufmerksam keit, als das Schott der Kapsel sich öffnete. »Ein Mensch!« rief Corda Ragsor. Das Lebewesen, das aus der Schottöff nung wankte, hatte tatsächlich große Ähn lichkeit mit einem Menschen. Auf jeden Fall war es humanoid und ein Sauerstoffatmer, denn es trug den Druckhelm seines Rauman zugs zurückgeklappt auf dem Rücken. Aller dings war es höchstens 1,60 Meter groß, da für allerdings recht breit gebaut. Es hatte blauschwarz schimmernde Haut, war haarlos (soweit man das sehen konnte), besaß eng anliegende große Ohren, eine breitrückige Nase und Augen mit stahlblauer Iris. »Willkommen auf der Erde!« sagte Oberst Fangaloa Eneiki auf Interkosmo. Das Wesen richtete seine Augen auf die Samoanerin, dann verdrehte es sie, daß nur noch das Weiße der Augäpfel zu sehen war – und brach wie in Zeitlupe zusammen. »So schrecklich sehen Sie aber gar nicht aus, Oberst«, sagte Allan D. Mercant und wandte sich um. »Medoroboter hierher, aber schnell!«
3.
Atlantis-Patrouille AKUL AKIWA MEMORIAL HOSPITAL »Akul Akiwa!« sagte James McDuffy nachdenklich, als er das große Schild neben dem Portal der Spezialklinik für Extraterre strier in Terrania City gelesen hatte. »Das klingt aber nicht terranisch!« Solarmarschall Mercant lächelte ein we nig wehmütig. »Akul Akiwa war ein Ara-Mediziner, der sich auf die Herstellung synthobiotischer Er satzkörper spezialisiert hatte«, erklärte er. »Er hatte sich seinerzeit für zehn Jahre auf das Hospitalschiff RUDOLF VIRCHOW verpflichtet, das die Galaxis durchkreuzte und überall medizinische Hilfe leistete, wo es notwendig und erwünscht war. Ich kannte ihn persönlich. Er engagierte sich stark für eine Kooperation zwischen Aralon und Terra, woraus allerdings nichts wurde. Später war er Mitbegründer des In tergalactic Peace Corps, von dem ja auch heute noch viel gesprochen wird. Aber seine größte Leistung war der Aufbau eines medi zinischen Dienstes für Extraterrestrier auf den Hauptplaneten des Solaren Imperiums. Er hat uns Menschen dadurch zahlreiche Freunde verschafft. Zum Dank und als Erin nerung an ihn wurde die Klinik für Extrater restrier nach ihm benannt.« Leutnant McDuffy nickte respektvoll der Statue des Ara-Mediziners zu, nach dem das Hospital genannt worden war. Die lebens große Statue aus einer antiquierten MetallLegierung namens Bronze stand mitten in der Empfangshalle auf einem quaderförmi gen Sockel aus purem Ynkelonium. Danach schaute der Leutnant zu dem Fremden, der bewußtlos auf der Trage lag, die einer der Medoroboter ausgeklappt hatte. Das Wesen aus der Kapsel war gemeinsam mit den beiden Mitgliedern der AtlantisPatrouille sowie Oberst Eneiki in der Kor vette Mercants nach Terrania City geflogen worden. Der Chef der Solaren Abwehr hatte es sich nicht nehmen lassen, den Fremden in die Klinik für Extraterrestrier zu begleiten. Nach einer Fahrt mit dem Expreß-
13 Pneumolift ins 8. Stockwerk übernahmen die Mediziner einer der vielen Sektionen den Patienten. Sie forderten alle Begleiter auf, im Warteraum der Aufnahme zu warten. Auch für Mercant wurde keine Ausnahme gemacht. Als sie alle saßen, blickte James McDuffy den Solarmarschall an und sagte: »Bei unserem Telekomkontakt erklärten Sie, Sie ahnten, was passiert ist, als wir ver schwanden – beziehungsweise als für uns die Erde verschwand, Sir.« Allan D. Mercant strich sich bedächtig über seinen Haarkranz, dann nickte er ernst. »Ich nehme an, daß die Kapsel einen Zeit sprung vollführte und daß sie die Space-Jet mitnahm, weil beide Fahrzeuge durch die Traktorstrahlen miteinander gekoppelt wa ren«, sagte er. »Dabei kam es zu einer Pha senverschiebung, die dazu führte, daß Sie für mich beziehungsweise für das, was man Jetztzeit nennt, zweiundzwanzig Minuten weg waren, während Sie selbst schon nach etwa zehn Minuten zurückkehrten.« »Sie meinen, für uns wäre die Zeit wäh rend unserer Abwesenheit langsamer gelau fen als in der Jetztzeit?« erkundigte sich Captain Corda Ragsor. Mercant wiegte überlegend den Kopf hin und her. »Das will ich nicht behaupten, Miß. Es kann ebensogut sein, daß Sie nicht genau in Ihre Jetztzeit zurückkehrten, sondern um rund zwölf Minuten in Ihrer eigenen Zu kunft, die natürlich dadurch für Sie zur neuen Jetztzeit wurde.« »Ich habe eine Hyperfunksendung mitge hört – beziehungsweise das Bruchstück ei ner Hyperfunksendung«, sagte James McDuffy. »Ich glaube, es hieß darin wörtlich: ›Der Erste Hetran entbietet dem Verkünder …‹« »Erster Hetran, – Verkünder …«, meinte Mercant nachdenklich. »Diese Begriffe habe ich noch nie gehört, folglich waren Sie in der Zukunft.« »Woher wollen Sie das wissen, Sir?« warf Corda Ragsor ein.
14 Der Solarmarschall lächelte. »Der Sprecher verwendete Interkosmo, nicht wahr! Das aber ist eine Kunstsprache, die erst nach der Gründung des Solaren Im periums entwickelt wurde. Da ich aber vom ersten Augenblick des Aufbaus dabei war und noch nie etwas von einem Ersten Hetran oder einem Verkünder gehört habe, muß der betreffende Hyperkomspruch in der Zukunft stattgefunden haben.« Seine Miene verdüsterte sich. »Das würde mich nicht weiter beunruhi gen, wenn Sie nicht berichtet hätten, daß die Erde in jener Zeit, in die die Kapsel Sie kurzfristig entführte, nicht an ihrem Platz gewesen sei. Wenn die Erde verschwunden ist, muß etwas noch völlig Unvorstellbares geschehen sein.« Er blickte auf, als die Tür zu der Sektion, in die der Fremde gebracht worden war, sich öffnete und zwei Ärzte die Aufnahmehalle betraten. Einer von ihnen war an seinem Ha bitus einwandfrei als Ara zu erkennen, also als Angehöriger jenes Volkes, das sich be reits auf die Kosmomedizin spezialisiert hat te, als die Menschen der Erde sich noch in der Steinzeit befanden. Der Ara ging unverzüglich auf Allan D. Mercant zu und sagte mit unüberhörbar star kem Selbstbewußtsein: »Gestatten, Sir, Professor Dr. Tolperkohn. Ich bin Chefarzt dieser Sektion von Akul Akiwa Memorial.« Er deutete zu seinem Be gleiter, einem großen schlanken Terraner von höchstens dreißig Jahren. »Das ist Mi ster Orwell Hynes, einer meiner Assisten ten.« Solarmarschall Mercant erhob sich. »Danke, Professor«, erwiderte er steif und ohne dem Ara die Hand anzubieten. »Ich bitte darum, daß alles getan wird, um dem Fremden zu helfen. Gleichzeitig aber sollte versucht werden, anhand seines Knochen baus, seines Nervensystems und so weiter herauszufinden, ob eine Verwandtschaft mit Angehörigen eines uns bekannten Volkes besteht.« »Vielleicht gibt es das Volk dieses Frem-
H. G. Ewers den noch gar nicht, Sir«, warf James McDuffy ein. »Wie meinen Sie das?« fragte Professor Tolperkohn. »Leutnant McDuffy hat eine blühende Phantasie, Professor«, erklärte der Solarmar schall und lachte, als hätte er einen Witz ge hört. McDuffy begriff, daß Mercant nicht wünschte, daß Außenstehende etwas über den Zeitsprung erfuhren. Doch auch ein Allan D. Mercant konnte nicht an alles denken …
* Tolperkohn schaute dem Solarmarschall und seine Begleitung einige Zeit nach, dann wandte er sich um und kehrte in die Über wachungszelle zurück, von der aus er alle körperlichen und geistigen Funktionen des Patienten beobachten konnte. »Zwei Arme, zwei Beine, fünf Finger und fünf Zehen, ein Kopf mit zwei Ohren, zwei Augen, einer Nase und einem Mund, zwei Lungenflügel, eine Wirbelsäule, ein Doppel kammerherz – und auch sonst weist alles auf eine Verwandtschaft mit uns hin«, sagte Or well Hynes, der dem Chefarzt in die Über wachungszelle gefolgt war. Tolperkohn wandte den Kopf und warf seinem Assistenten einen hochmütigen Blick zu. »Oder auf eine Verwandtschaft mit terra nischen Affen«, erwiderte er sarkastisch. »Sie lassen sich wieder einmal zu voreiligen Schlüssen verleiten, Hynes. Das Skelett des Fremden ist viel kompakter und massiver als das von Lemuria-Nachfolgerassen. Das glei che trifft auf Herz, Lungen, Leber und vor allem auf Muskulatur und Haut zu. Die Haut fasziniert mich geradezu. Haben Sie bei der Durchleuchtung bemerkt, daß die Haut erst von den Röntgenstrahlen durchdrungen wur de, als wir auf die fünffache Dosis schalte ten, die wir für Lemurer-Abkömmlinge ver wenden?« Orwell Hynes nickte.
Atlantis-Patrouille »Wahrscheinlich gehört der Fremde zu ei nem Volk, das im Lauf vieler Generationen an eine Extremwelt angepaßt wurde. Des halb kann er trotzdem zu einer LemuriaNachfolgerasse gehören. Schließlich haben wir bei den Oxtornern schon einmal erlebt, wie stark eine Extremwelt, die den Men schen nicht sofort tötet, die Konstitution ver ändern kann.« »Vielleicht wäre ich bereit, mich Ihrer Hypothese anzuschließen, wenn ich nicht ei ne starke Anomalie der Hirnströme festge stellt hätte«, erwiderte der Ara. »Anomalie in dem Sinn, daß sie vom Bekannten abwei chen.« Er hob die Hand, als er sah, daß sein Assi stent einen Einwand vorbringen wollte. »Ich weiß, der Patient ist bewußtlos, wes halb wir vorsichtig mit Schlüssen auf die Hirnstromkurven sein müssen, die sich zei gen, sobald er das Bewußtsein zurückerlangt hat. Aber ich habe zahllose Erfahrungen ge rade auf diesem Gebiet und kann deshalb schon jetzt behaupten, daß der Patient auch bei Bewußtsein eine Anomalie der Hirnströ me aufweisen wird.« Seine Augen weiteten sich etwas, als er an einer Anzeige sah, daß der Patient das Be wußtsein zurückerlangte. »Gehen wir zu ihm, Hynes!« sagte er. »Ich möchte wissen, wie unser Patient rea giert, wenn er uns sieht.« Als die beiden Mediziner den hellen Raum betraten, in dem der Fremde aus der Kapsel in einem großen Pneumobett lag, waren die Augen des Patienten geöffnet und sahen ihnen entgegen. Selbstverständlich lag das Bett unter einer Energieglocke, die verhindern sollte, daß der Patient Schaden anrichtete, falls er nach sei nem Erwachen aggressiv wurde. Es handelte sich um ein elastisches Prallfeld, an dem sich niemand verletzen konnte. Neben dem Pneumobett lagen auf einem schwenkbaren Tisch die Kleidung und die Ausrüstungsgegenstände, die der Fremde bei sich getragen hatte, als er seine Kapsel ver ließ.
15 Untersuchungen von Technikern hatten ergeben, daß sich keine Waffe dabei befand – und auch nichts, was man als provisori sche Waffe verwenden konnte. Tolperkohn schaltete die Kommunikati onsanlage ein, die trotz der Energieschirma briegelung eine akustische Verständigung erlaubte. Allerdings würde erst noch eine gemeinsame sprachliche Verständigungsba sis gefunden werden müssen. Dazu diente der in die Kommunikationsanlage integrierte Translator. Tolperkohn machte die – fast überall gül tige – Geste des Friedens und sprach einige Worte, die lediglich dazu dienten, den Pati enten seinerseits zum Sprechen zu bewegen, damit die Positronik des Translators seine Sprache nach und nach analysieren und übersetzen konnte. Zwar gehörte zur Ausrü stung des Fremden ein Armbandgerät, das als Translator identifiziert worden war, aber es konnte nicht halb so leistungsfähig sein wie das große Gerät innerhalb der Kommu nikationsanlage. Die stahlblauen Augen des Fremden leuchteten auf. Er ahmte die Geste des Frie dens nach, sagte aber nichts. Statt dessen sah er sich aufmerksam um. Als er das Transla tor-Armband entdeckte, griff er sofort da nach. Dabei war deutlich zu sehen, daß er noch ziemlich schwach war. Tolperkohn deutete auf das Armband, machte eine universale verneinende Geste und bewegte anschließend die Lippen, um dem Fremden klarzumachen, daß er spre chen sollte. Der Fremde reagierte nicht darauf. Er schaltete seinen Armband-Translator ein, hielt ihn hoch und bewegte seinerseits die Lippen. »So hören wir ja nichts!« rief Tolperkohn. »Warum redet er nur nicht!« »Er will offenbar, daß wir sprechen«, sag te Hynes. Der Fremde hatte inzwischen am Laut stärkeregler seines Übersetzungsgeräts ge dreht – und plötzlich hörten die beiden Me diziner Worte in einer fremden Sprache.
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H. G. Ewers
»Das ist unmöglich«, sagte Tolperkohn. »Sein Gerät kann niemals so viel besser sein als unseres.« »Warten wir es ab, Chef«, erwiderte Hy nes.
* Algonkin-Yatta hatte bei seinem Erwa chen sofort begriffen, daß es mit der Zeit kapsel einen Unfall gegeben hatte – und daß er als Folge dieses Unfalls in die Obhut Fremder geraten war. Bevor er länger darüber nachdenken konnte, tauchten zwei Vertreter der fremden Spezies in dem Zimmer auf, in das man ihn gelegt hatte. Der Kundschafter war überrascht. Die Wahrscheinlichkeit, daß er bei einem Unfall mit der Zeitkapsel ausgerechnet dann und dort landen würde, wo es Arkoniden oder Arkonidenähnliche gab, war ver schwindend gering – und doch sahen die beiden Fremden Arkoniden verblüffend ähn lich. Sollte er vielleicht doch Atlans Spur wie dergefunden haben? Er blickte sich um und registrierte erfreut, daß sein Raumanzug und die gesamte Aus rüstung, die er am Leib getragen hatte, auf einem schwenkbaren Tisch neben dem Bett lagen. Sogar sein Translator befand sich da bei. Die Fremden schienen also nicht feind selig eingestellt zu sein und suchten offenbar den Kontakt mit ihm. Der Größere und Schlankere (ja, schon beinahe dürr zu nennende) der beiden Frem den hob die Hände und vollführte die Geste des Friedens. Danach sprach er einige Worte in einer für Algonkin-Yatta fremden Spra che. Algonkin-Yatta ahmte die Geste des Frie dens nach, sagte aber nichts, denn das hatte wenig Sinn, wenn sein Translator nicht akti viert war. Er griff nach dem Gerät und schaltete es ein. Dabei merkte er, wie schwach er noch war.
Der bleiche Fremde schien nicht damit einverstanden zu sein, daß der Kundschafter seinen Translator benutzte. Vielleicht wußte er nicht, wozu das Gerät diente. Jedenfalls ließ er durch Gesten erkennen, daß Algon kin-Yatta seinen Translator abschalten soll te. Der Kundschafter wollte es bereits tun, als er aus dem Lautsprecherteil seines Geräts eine Stimme flüstern hörte. Die Stimme war so leise, daß Algonkin-Yatta nur Bruch stücke des Gesprochenen hörte, aber er kannte sogleich, daß es Bruchstücke von Worten seiner eigenen Sprache, des Matho na, waren! Rasch schaltete der Kundschafter die Lautstärke seines Geräts hoch – und plötz lich hörte er deutliche Worte in seiner eige nen Sprache. »Er will offenbar, daß wir sprechen.« Al gonkin-Yatta beobachtete die beiden Frem den und sah, daß der Kleinere, aber erheb lich kräftiger Wirkende gesprochen hatte. Dieser Fremde hatte auch nicht die weißli che Hautfarbe des Dürren, sondern war hell braun. »Das ist unmöglich«, sagte der Bleiche. »Sein Gerät kann niemals so viel besser sein als unseres.« »Warten wir es ab, Chef«, erwiderte der Kleinere. Algonkin-Yatta strahlte vor Freude. Den noch sagte er immer noch nichts, denn erst wollte er herauszufinden versuchen, warum sein Translator die Sprache der Fremden so fort ins Mathona übersetzt hatte. Dafür konnte es eigentlich nur einen ein zigen Grund geben: Die betreffende Sprache war bereits vor dem letzten Aufbruch durch Raum und Zeit vom Translator analysiert und gespeichert worden. War es Arkonidisch? Nein, Arkonidisch konnte es nicht sein, denn Algonkin-Yatta beherrschte die Spra che der Arkoniden inzwischen selbst gut ge nug, um sie auch ohne Translator zu verste hen. Da er die Worte der Fremden jedoch nicht direkt übersetzte, sondern auf den
Atlantis-Patrouille Translator angewiesen war, konnte es sich nicht um Arkonidisch handeln. Es mußte ei ne Sprache sein, die er nur flüchtig kennen gelernt hatte. Algonkin-Yatta aktivierte die MemorySchaltung seines Translators und rief die In formation über die Erstbegegnung mit der Sprache der Fremden ab. Nacheinander leuchteten im MemoryFeld die Worte auf: »Captain Ibur Laronge, Raumschiff CO RONA im Dienste des Obmanns von Plo phos.« Der Kundschafter schloß für einige Se kunden die Augen. Er erinnerte sich an die Begegnung mit dem Raumschiff CORONA und dem Kontakt mit Ibur Laronge. Es war nicht gerade ein erfreulicher Kontakt gewe sen, aber er hatte ihm immerhin wertvolle Erkenntnisse vermittelt. Die beiden Fremden sprachen die gleiche Sprache wie Captain Ibur Laronge. Mit großer Wahrscheinlichkeit standen sie dem nach ebenfalls im Dienst des Obmanns von Plophos. Wie es die Höflichkeit gebot, sagte der Kundschafter: »Mein Name ist Algonkin-Yatta. Ich grü ße Sie, danke Ihnen für Ihre Fürsorge und bitte Sie, Ihrem Obmann die besten Grüße von mir zu übermitteln.« Der Translator übersetzte in die Sprache der Fremden. Er sah, daß die beiden Fremden erst stutz ten, dann verwundert zuhörten und zuletzt ratlos wurden. Es war beinahe das gleiche Mienenspiel wie bei Arkoniden, deshalb vermochte er es zu deuten. Nach einer Weile erwiderte der Bleiche: »Ich grüße Sie ebenfalls, Algonkin-Yatta – auch im Namen meines Mitarbeiters. Ich heiße Tolperkohn, und ich freue mich, daß Ihr Translator bereits mit Interkosmo ver sorgt ist. Aber einen Teil Ihrer Worte konnte ich nicht begreifen. Würden sie so liebens würdig sein, mir zu erklären, wie der Ob mann heißt, dem ich Grüße von Ihnen über mitteln soll.« »Den Namen des Obmanns kenne ich lei
17 der nicht, Tolperkohn«, erwiderte der Kund schafter verwundert. »Ich weiß aber, daß er Obmann von Plophos ist.« »Obmann von Plophos?« fragte Tolper kohns Mitarbeiter. »Sie kennen den Namen des Obmanns von Plophos nicht und wollen ihm dennoch Grüße bestellen lassen, Sir? Übrigens, ich heiße Orwell Hynes.« »Warum nennen Sie mich ›Sir‹, Orwell Hynes?« erkundigte sich der Kundschafter. »Es handelt sich um eine allgemeine, ach tungsvolle Anrede«, antwortete Hynes. »Danke, Sir«, erwiderte der Kundschafter. »Was den Obmann von Plophos betrifft, ich hörte von ihm, als ich ein Funkgespräch mit Captain Ibur Laronge führte, der Komman dant des Raumschiffs CORONA war.« »CORONA …?« dachte Hynes laut. »Das Schiff kenne ich nicht. Aber das ist nicht er staunlich, denn Plophos besitzt Tausende von Raumschiffen.« »Die CORONA hatte flammendrote Er kennungssymbole auf der Außenhülle«, er klärte der Kundschafter in der Hoffnung, Orwell Hynes damit weiterhelfen zu können. Er malte ein V in die Luft. An dem Mienenspiel der beiden Männer stellte er fest, daß ihnen eine Erleuchtung gekommen sein mußte. Aber es konnte kei ne angenehme Erkenntnis damit verbunden sein. »Er meint nicht Mory-Rhodan-Abro, son dern Iratio Hondro!« stieß Orwell Hynes aufgeregt hervor. »Nur der Diktator ließ den altterranischen Buchstaben V auf seine Raumschiffe malen!« »Ich weiß«, sagte Tolperkohn. »V stand für das englische Wort ›Victory‹, was ›Sieg‹ bedeutet. Unter diesem Zeichen wäre es Hondros Garde beinahe gelungen, das Sola re Imperium zu besiegen.« »Aber Iratio Hondro kam vor dreihun dertzwanzig Jahren um«, erklärte Hynes. »Sie müssen demnach mindestens dreihun dertfünfzig Jahre alt sein, wenn Sie einem Raumschiff Hondros begegneten, Sir!« Algonkin-Yatta hatte die kurze Diskussi on der beiden Männer aufmerksam verfolgt.
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Ihn wunderte es keineswegs, daß er dem Raumschiff eines Obmanns begegnete, der vor mehr als einer mathonischern Lebens spanne gestorben war. Schließlich war er nicht nur durch den Raum, sondern mehr als einmal auch durch die Zeit gereist. Er wußte, was die meisten intelligenten Lebewesen unter dem Begriff »Jahr« ver standen und wußte auch, daß es bei der Län ge planetarischer Jahre große Unterschiede gab. Es mochte also sein, daß dieser Iratio Hondro erst seit ein paar Ruoryc-Jahren tot war, obwohl er nach der Rechnung des Vol kes, zu dem die beiden Männer gehörten, vor dreihundertzwanzig Jahren den Tod ge funden hatte. Algonkin-Yatta wollte bereits danach fra gen, als der Mann, der sich als Tolperkohn vorgestellt hatte, es verhinderte, indem er sagte: »Hynes, wir dürfen den Patienten nicht so sehr beanspruchen. Sie sehen doch, daß er noch sehr schwach ist. Bitte, nehmen Sie die Kristalle mit den bisher gespeicherten phy siologischen Werten und fertigen Sie damit im Rechenzentrum eine erste Analyse an!« Der Kundschafter bemerkte, daß Orwell Hynes etwas entgegnen wollte, dann jedoch darauf verzichtete und den Raum verließ. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm ge schlossen, als Tolperkohn ein Steuergerät aus der Magnethalterung an seinem weißen Kittelgurtband zog und mit dem Finger auf zwei Sensorpunkte tippte. Algonkin-Yatta sah, wie auf der Konsole der Kommunikationsanlage die Kontrollich ter erloschen. Gleichzeitig spürte er, wie die geringfügige Streustrahlung des Prallfeld schirms, die nur von einem Mathoner wahr genommen werden konnte, verebbte. Tolperkohn ging auf den Kundschafter zu und blieb erst dicht vor dem Pneumobett ste hen. »Ich muß Ihnen etwas gestehen, Sir«, flü sterte der Ara.
4.
INTRIGENSPIEL Tolperkohn schaltete sofort, als klarge worden war, daß Algonkin-Yatta einem Raumschiff begegnet war, das im Dienst des plophosischen Obmanns Iratio Hondro stand, der vor dreihundertzwanzig Jahren umgekommen war. Das allein hätte jedoch nicht ausgereicht, um einen ganz bestimmten Verdacht in ihm zu wecken. Es war die Erinnerung an eine Bemerkung und eine ganz spezifische Reak tion des SolAb-Chefs gewesen, die ihn an den Faktor Zeit hatten denken lassen. Vielleicht gibt es das Volk dieses Frem den noch gar nicht! hatte ein Leutnant der Atlantis-Patrouille zu Allan D. Mercant ge sagt. Der Solarmarschall hatte darauf erwidert, Leutnant McDuffy hätte eine blühende Phantasie – und er hatte darüber gelacht. So, wie Tolperkohn den Chef der Solaren Abwehr einschätzte – und er beurteilte ihn danach, daß er es seit mehr als sechshundert Jahren verstanden hatte, alle subversiven Aktivitäten gegen das Solare Imperium zu verhindern oder schnell genug abzustellen –, hätte Mercant eine derart kühne Hypothese gründlich durchdacht, vorausgesetzt, sie wä re aus völlig neuen Gedankengängen gebo ren worden. Allan D. Mercant hatte aber offensichtlich keine Sekunde lang nachgedacht, sondern übereilt reagiert, indem er die Idee des Leut nants ins Absurde verwies. Das bedeutete bei ihm, er hatte sich mit den Gedankengän gen schon selbst beschäftigt, die dieser Hy pothese vorausgegangen sein mußten. War es denkbar, daß dieser Algonkin-Yat ta aus der Zukunft stammte? Der Ara-Mediziner hatte sich bisher nie besonders intensiv mit dem Thema Zeitreise befaßt, aber er wußte aus durchgesickerten Informationen über die Hintergründe jener Vorgänge, die mit dem Riesenroboter OLD MAN im Raumsektor Morgenrot begannen und mit der Vernichtung der ULEB im Ene my-System endeten, daß die Zeitreise prinzi
Atlantis-Patrouille piell möglich war. Und wenn Algonkin-Yatta ein Zeitreisen der war, so konnte er durchaus bei Expedi tionen in seine Vergangenheit die Zeit tan giert haben, in der ein Obmann namens Ira tio Hondro als Diktator eines auf kriegeri sche Expansion angelegten Sternenreichs geherrscht hatte. Zeitreise! Manipulierung und Beherr schung der Zeit! Tolperkohn wurde es schwindlig bei dem Gedanken daran, was einem Mann möglich sein würde, wenn er in der Lage war, die Zeit zu manipulieren. Er konnte in die Vergangenheit gehen und dort die Voraussetzungen für seinen künfti gen eigenen Reichtum schaffen. Mehr noch: Er konnte sich ein Machtpotential aufbauen, mit dem er in seiner Jetztzeit zum Herrscher über alle galaktischen Zivilisationen aufstei gen würde! Oder er konnte das Geheimnis der Zeitrei se an den Meistbietenden verkaufen. Nachdem der Ara die Kommunikations anlage und den Schutzschirm desaktiviert hatte, ging er dicht an Algonkin-Yatta heran. Er war sich klar darüber, was er riskierte, denn noch wußte er nicht, ob der Fremde friedliebend oder aggressiv war. Aber das Ziel schien dieses Risiko zu rechtfertigen. »Ich muß Ihnen etwas gestehen, Sir«, flü sterte Tolperkohn, während sich in seinem Bewußtsein allmählich Einzelheiten eines Planes herausschälten. »Gestehen?« fragte der Fremde verwun dert. »Bitte, sprechen Sie leise, Sir!« flüsterte der Ara. »Sie haben geglaubt, unter Freun den zu sein, denn genau dieser Eindruck sollte bei Ihnen erweckt werden. Aber das Gegenteil ist der Fall. Man will Sie scham los ausnutzen.« »Warum sollte man das wollen?« erkun digte sich der Fremde. »Ich bin schließlich nur ein einfacher Kundschafter.« »Ein Kundschafter aus der Zukunft, nicht wahr?« flüsterte Tolperkohn verschwöre risch.
19 »Das kann ich noch nicht sagen«, erwi derte Algonkin-Yatta. »Vorher müßte ich ei nige Fragen klären. Aber warum verraten Sie mir, daß Ihr Volk mich ausnutzen will, Tolperkohn?« »Weil ich diese Schändlichkeit nicht län ger mitmachen kann«, antwortete der Ara heuchlerisch. »Ich gebe zu, daß ich anfangs alles getan habe, was man mir sagte, aber dann sträubten sich mein Stolz und mein Ehrgefühl dagegen. Ich beschloß, den Ver such zu wagen, Ihnen zu helfen. Aber wir müssen leise sprechen, da ich nicht weiß, ob es hier Abhöranlagen gibt.« Er beobachtete den Fremden eindringlich. Das Wesen faszinierte ihn, aber es schien außergewöhnlich naiv zu sein. Als er Betrof fenheit in der Miene Algonkin-Yattas zu se hen glaubte, atmete er auf. Anscheinend zweifelte der Kundschafter nicht an seinen Worten. Nach einiger Zeit sagte Algonkin-Yatta: »Wie wollen Sie mir helfen, Tolper kohn?«
* »Ich werde Ihnen helfen, aus diesem Ge fängnis zu fliehen, Sir«, erklärte Tolper kohn. Algonkin-Yatta bedauerte es sehr, daß es keine Möglichkeit gab, mit den Verantwort lichen der Welt, auf der er mit der Zeitkap sel gestrandet war, zu beiderseitigem Nutzen zusammenzuarbeiten. Aber die Erlebnisse mit Arkoniden und Maahks hatten ihm ge zeigt, daß nicht alle Intelligenzen so unei gennützig dachten und handelten wie die Kundschafter von Ruoryc. »Einverstanden, Tolperkohn«, sagte er. »Für ein Gefängnis ist diese Krankenstation recht kostspielig eingerichtet.« »Es ist ja eigentlich auch als Hospital ge baut worden«, erwiderte Tolperkohn. »Sie befinden sich nur deshalb hier, weil Sie nach dem Verlassen Ihrer Zeitmaschine bewußt los zusammenbrachen:« Algonkin-Yatta musterte den Mann, der
20 sich Tolperkohn nannte, aufmerksam. »Sie sind Mediziner, nicht wahr!« stellte er fest. »Wieso haben Sie dann so schnell herausgefunden, daß das Gerät, in dem ich auf diese Welt kam, eine Zeitkapsel ist?« »Die Leute, die die Kapsel fanden, er kannten es«, erklärte Tolperkohn. »Einer von ihnen verriet sich mit einer unüberlegten Bemerkung. Gewißheit erhielt ich allerdings erst, weil Sie den plophosischen Obmann Iratio Hondro erwähnten, der vor dreihun dertzwanzig Erdjahren umkam.« »Erdjahren«, wiederholte der Kundschaf ter. »Heißt die Welt, auf der wir uns befin den, demnach Erde?« »Erde oder Terra, das stimmt«, antwortete Tolperkohn. »Und gehört die Erde zum Großen Impe rium der Arkoniden?« forschte Algonkin-Yat ta weiter. »Wie?« fragte Tolperkohn verblüfft. »Wie kommen Sie darauf, Sir?« Er räusperte sich. »Vor mehr als zehntausend Erdjahren war die Erde ein Kolonialplanet des Großen Imperiums – und es gab arkonidische Stütz punkte auf anderen solaren Planeten. Aber das ist lange vorbei. Die Erde ist die Zentral welt des Solaren Imperiums, das durch seine maßlose expansionistische Politik inzwi schen größer ist, als es das Große Imperium jemals war.« Algonkin-Yatta lauschte dem Klang der Worte des Mediziners nach. Er hörte Haß heraus. Offenbar haßte dieser Mann die Ver antwortlichen des Solaren Imperiums, weil sie Eroberungspolitik betrieben. »Vor mehr als zehntausend Jahren be herrschte Arkon die Erde«, sagte er nach denklich. »Captain Laronge sagte mir, Atlan wäre vor zehntausend Jahren Kristallprinz gewesen. Ich komme demnach nicht aus Ih rer Zukunft, Tolperkohn, sondern aus Ihrer Vergangenheit, denn ich folgte Atlans Spu ren, als er noch um die Befreiung des Großen Imperiums vom Joch des Diktators Orbanaschol kämpfte.« Er senkte traurig den Kopf. »Atlan ist also längst gestorben und zu Staub zerfallen. So ist es doch, oder?« Er
H. G. Ewers blickte den Mediziner scharf an. Und er sah, daß Tolperkohn verlegen wurde, sich innerlich wand und mit einem Entschluß rang. Und als Tolperkohn sagte: »Ja, so ist es, Sir«, da merkte der Kundschafter, daß der Mediziner bewußt die Unwahrheit gesagt hatte. Er war sehr verstimmt darüber, aber er beschloß, sich nichts anmerken zu lassen und mit eigenen Informationen zurückhal tend zu sein. Dafür entlockte er im weiteren Verlauf des Gesprächs Tolperkohn zahlreiche Infor mationen über die Erde, die Menschen und die politischen und wirtschaftlichen Verhält nisse dieser Zeit, die von den Menschen als 27. Jahrhundert bezeichnet wurde. Algonkin-Yatta bedauerte nur, daß er noch zu schwach war, um aufzustehen, denn er wäre am liebsten gleich aus dem Hospital geflohen, um sich selbst draußen umzuse hen. Aber er spürte, daß er keine drei Schrit te würde gehen können. Wahrscheinlich hat te er einen Sextadimschock erlitten, als seine Zeitkapsel im Zeitstrom mit etwas Unerklär lichem kollidiert war. Er wollte nach Loggy fragen, seinem Partner, der die Expedition ins Ungewisse mitgemacht hatte. Doch er schwieg. Irgendwie hatte er das Gefühl, keinem Menschen voll vertrauen zu dürfen. Als Tolperkohn sich verabschiedete und versicherte, er würde erst in sechs Stunden zurückkommen, war der Kundschafter bei nahe froh darüber.
* »Ich muß Sie dringend sprechen, Mister Hoa!« sagte Tolperkohn. Das Abbild seines Gesprächspartners auf dem Bildschirm des Videogeräts verriet Un willen über die nächtliche Störung. Immer hin war es in Terrania City und Umgebung 2.45 Uhr Ortszeit. »Hat das nicht bis morgen Zeit?« erwider te der mit Hoa Angesprochene. »Auf keinen Fall«, sagte der Ara. »Es
Atlantis-Patrouille handelt sich um etwas ganz Außergewöhnli ches, das aber auch außergewöhnlichen Er trag verspricht.« Hoas Schlitzaugen verengten sich. »Und sicher außergewöhnliche Risiken birgt, Mister Tolperkohn, nicht wahr?« »Soll ich am Videophon darüber reden?« spottete der Ara. »Also, treffen wir uns in der Bar des Zentaur-Clubs oder nicht?« »Schon gut«, erwiderte Hoa. »In einer Stunde bin ich dort.« Tolperkohn schaltete das Gerät aus und ließ sich in einen bequemen Ledersessel sin ken. Seine Finger bewegten sich kaum merklich über die Sensorpunkte der kleinen Schaltkonsole, die in die rechte Armlehne eingearbeitet war. Kurz darauf schwebte der Barroboter her an und servierte dem Mediziner einen drei fachen Bourbon auf kleingestoßenem Eis. Tolperkohn trank den Bourbon in kleinen Schlucken. Er war erregt, denn er wußte, daß sich seine großen Pläne nur verwirkli chen ließen, wenn Hoa Man-Sum mitspielte. Nur Hoa verfügte über die Organisation, die dazu benötigt wurde. Normalerweise bestanden die Geschäfte zwischen dem Ara und dem Terraner darin, daß Tolperkohn Hoa Man-Sum Organe ver storbener Patienten verkaufte, der sie mit hohem Gewinn auf dem Schwarzen Markt für solche Organe weiterverschob. Tolper kohn riskierte dabei natürlich seine Stellung und seine Freiheit, aber er hatte ein Absiche rungssystem für seine Organverschiebungen erfunden, das seiner Meinung nach perfekt war. Nachdem er seinen Bourbon ausgetrunken hatte, erhob sich Tolperkohn, verließ seine komfortable Wohnung und fuhr mit dem Lift in die Tiefgarage, in der sein vollauto matischer Daimler-Expreß stand, ein beson ders schneller Gleiter, der für den bodenge bundenen Verkehr über unsichtbar verlegten Leitsystemen zugelassen war. Ächzend sank er in die pneumatischen Polster des Wageninnern und sagte: »Zum Zentaur-Club, aber schnell!«
21 »Zum Zentaur-Club – mit der üblichen Geschwindigkeit«, wiederholte der Fahr zeug-Computer und ließ den Gleiter an schweben. »In Ordnung, Sir.« Tolperkohn lehnte sich zurück und schloß die Augen. Er achtete fast niemals auf seine Umgebung, wenn er den Daimler-Expreß benutzte. Der Ara öffnete die Augen erst wieder, als der Wagen anhielt und der Computer sagte: »Tiefgarage des Zentaur-Clubs, Sir! Wün schen Sie, daß ein besonderer Service geor dert wird?« »Nein!« erwiderte Tolperkohn. Er stieg durch die automatisch aufgleiten de Tür und ließ sich mit dem Kabinenlift in die 73. Etage fahren, in der sich der Club be fand. Da es die oberste Etage war, hatte der Architekt das Dach aus transparentem Me tallplastik anfertigen und leicht nach oben wölben lassen, so daß die Besucher des Clubs den Sternenhimmel über sich hatten. Ein Sessel schwebte auf ihn zu, als er den Club betrat. Er setzte sich und ließ sich von dem robotgesteuerten Sitzmöbel in die Bar tragen. Die Bartheke war identisch mit der Wand des runden, zirka hundertzwanzig Meter durchmessenden Raumes. Leise Musik klang aus zahlreichen getarnten Lautspre chern, kleine Gruppen besetzter Sessel ball ten sich vor der Thekenwand, einige Paare tanzten auf der gläsernen Tanzfläche in der Mitte des Raumes. Der Zentaur-Club war eines jener Etablis sements, die es zu Hunderten in Terrania Ci ty gab und in denen es recht konservativ zu ging. Hier wurden keine zwielichtigen Ge stalten geduldet; wer gegen die geltenden Sitten verstieß, wurde unnachsichtig expe diert. Hoa Man-Sum war noch nicht da, also ließ sich Tolperkohn eine Weile ziellos trei ben und dirigierte seinen Sessel schließlich an einen freien Thekenplatz. Dort rief er sei ne Bestellung in die videoplastische, von zuckendem Licht erhellte Szenerie und be kam wenig später von der unsichtbaren
22 »Hand« eines Servo-Kraftfelds einen Bour bon gereicht. Er setzte das Glas gerade an die Lippen, als sich eine schwere Hand auf seine linke Schulter legte. Unwillkürlich zuckte er zu sammen. »Warum so nervös, Mister Tolperkohn?« fragte die ölige Stimme seines Geschäfts partners. Doch der Ara hatte sich schon wieder ge fangen. Er wandte den Kopf und musterte kühl das Gesicht Hoas. Es war kein auffälli ges Gesicht. Auffällig darin waren nur die Augen – und auch nur dann, wenn man sie über einige Zeit genau beobachtete. Sie ver rieten nämlich nicht die geringste Gemüts bewegung. Hoa Man-Sum bestellte für sich ein Tonic Water. Er mied Alkohol ebenso wie Tabak. Als er das Glas in der Hand hielt, sagte er: »Nehmen wir einen Schirm, ja?« Tolperkohn stimmte zu. Die beiden Män ner ließen ihre Sessel sich zusammenkop peln – und schalteten ein Verbund-Ener giefeld, das sie bis auf optische Eindrücke völlig von ihrer Umwelt abschirmte und da durch vor Lauschern aller Art schützte. »Also, was gibt es?« fragte Hoa aggres siv. »Ich habe einen Patienten, der mit einer Zeitmaschine aus der Vergangenheit gekom men ist«, erklärte Tolperkohn. Wie er erwartet hatte, reagierte Hoa ManSum höhnisch und zornig darauf. »Ach, nein!« erwiderte er. »Und ich habe einen Regenwurm gefunden, der Interkosmo sprechen kann. Wenn Sie mich für dumm verkaufen wollen, dann pachten Sie sich vorher schon mal eine Grabstelle.« »Habe ich jemals versucht, Sie für dumm zu verkaufen, Mister Hoa?« fragte der Ara kalt. »Nein, das nicht«, gab Hoa zu. »Aber …« »Und hatten Sie schon einmal Grund, mich für einen Spinner zu halten?« unter brach ihn Tolperkohn. »Auch das nicht«, sagte Hoa ernüchtert. »Eine Zeitmaschine! Mann, ich glaube, ich
H. G. Ewers höre schwer!« »Nein, Sie hören sehr gut«, erklärte Tol perkohn. »Passen Sie auf! Ich werde mit meinem Patienten zu einem absolut sicheren Versteck kommen und ihn dazu bringen, daß er uns die Bedienung der Zeitmaschine er klärt, vorausgesetzt, Sie beschaffen die Ma schine.« »Wo liegt sie herum?« erkundigte sich Hoa. »Im Techno-Labor der Solaren Abwehr«, antwortete der Ara. Hoas Gesicht bekam einen Stich ins Grünliche. »Solare Abwehr?« würgte er hervor. »Kein Mann, der seinen Verstand beisam menhat, legt sich freiwillig mit der Solaren Abwehr an.« Der Ara lächelte süffisant. »Ich weiß, daß Sie einen Einbruchsspezia listen unter ihren Leuten haben, der Ihnen sogar das Techno-Labor der Solaren Ab wehr öffnen kann«, sagte er. »Jaspers schafft das im Schlaf«, erwiderte Hoa Man-Sum. »Ich bin sicher, daß wir un bemerkt ins Techno-Labor kämen, aber wir würden niemals mit einem größeren Gerät wieder hinauskommen.« »Mit einer Zeitmaschine schon«, erklärte der Ara. Zum zweitenmal an diesem Tag zeigte Hoa tiefes Erschrecken. »Sie wollen, daß ich die Zeitmaschine be diene und vielleicht um Jahrhunderte in die Vergangenheit gehe?« »Nur um neunundvierzig Jahre, Mister Hoa«, erwiderte Tolperkohn. »Vor achtund vierzig Jahren wurde nämlich mit dem Bau des Gebäudekomplexes angefangen, in dem heute das Techno-Labor untergebracht ist. Sie werden einfach in der Umgebung an kommen, wie sie davor war: die Trümmer der alten Markthallen von Terrania City. Von dort aus begeben Sie sich zu dem Ver steck und kehren dort wieder in die Jetztzeit zurück.« »Einfach so!« stellte Hoa fest. »Ich bin ja Spezialist für die Bedienung von Zeitma
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schinen und habe die letzten fünfzig Jahre kaum etwas anderes getan als durch die Zei ten zu reisen. Mann, denken Sie, ich hätte Lust, durch einen Schaltfehler in einer Zeit anzukommen, in der es auf der Erde über haupt noch keine Menschen gab!« »Ich werde Ihnen sagen, welche Schaltun gen Sie vornehmen müssen, um die relativ einfache Manipulation durchzuführen«, sag te Tolperkohn. »Und zwar, sobald ich von meinem Patienten entsprechend informiert wurde.« »Dann wünsche ich Ihnen viel Glück, Mi ster Tolperkohn!« erwiderte Hoa Man-Sum ironisch. »Was springt eigentlich für mich dabei heraus? Ich werde außer Jaspers noch mindestens vier Leute mitnehmen müssen.« »Zehn Millionen Solar«, antwortete Tol perkohn trocken. »Zehn Millionen …!« Hoa schüttelte den Kopf. »Soviel Geld kriegen Sie niemals zu sammen.« »Habe ich schon einmal einen Vertrag verletzt?« fragte Tolperkohn. »Nein? Also, dann ist alles klar, Mister Hoa.« »Einverstanden«, meinte Hoa Man-Sum. »Obwohl eigentlich überhaupt nichts klar ist.«
5. LOGGY Perry Rhodan betrat in Begleitung Geoffry Abel Waringers die Außenkontrolle des Gebäudekomplexes, in dem die Wissen schaftler und Techniker der Solaren Abwehr an allen möglichen Dingen arbeiteten. Einer der Posten salutierte und sagte: »Darf ich Sie bitten, die ID-Zellen aufzu suchen, meine Herren!« »Selbstverständlich«, erwiderte der Groß administrator. »Unsere Namen kennen Sie ja, oder?« Der Posten lächelte flüchtig. »Sogar aus wendig, Sir.« Nachdem Perry Rhodan und der Erste Wissenschaftssenator des Solaren Imperi ums ihre getrennten Identifizierungszellen
betreten hatten, tippte der Posten ihre Na men in die Eingabe des Überwachungscom puters. Knapp eine Sekunde später jaulte nerven zermürbend eine Alarmpfeife. Kampfroboter schwebten aus Öffnungen, die sich knir schend in den Wänden der großen Halle ge bildet hatten. Angehörige einer Kampfein heit der SolAb stürmten mit schußbereiten Paralysatoren herein. »Was geht hier vor?« rief Perry Rhodan, der seine ID-Zelle verlassen hatte. »Eine unbefugte Person hat versucht, un ter falschem Namen einzudringen!« schnarr te eine Computerstimme. »Und wo befindet sich diese unbefugte Person?« erkundigte sich der Großadmini strator. »Hier!« rief ein Offizier. Er und ein anderer Bewaffneter führten Waringer aus dessen ID-Zelle und preßten ihm dabei die Mündungen ihrer Paralysato ren in die Seiten. Rhodans Gesicht rötete sich. »Aber das ist doch blanker Irrsinn! Ich weiß, daß diese Person Geoffry Abel Warin ger, Erster Wissenschaftssenator und mein Schwiegersohn ist, denn ich bin mit ihm zu sammen gekommen.« Der Offizier und der andere Bewaffnete nahmen die Mündungen ihrer Waffen von Waringer weg und traten jeder einen Schritt zurück. Dennoch zielten ihre Paralysatoren weiterhin auf den Hyperphysiker. »Wir dürfen Professor Waringer nicht freilassen, Sir«, wandte sich der Offizier an den Großadministrator. »Wenn der Sicher heitscomputer ihn verdächtigt, nicht er zu sein, dann …« »Hm!« brummte Rhodan. »Ich frage den Sicherheitscomputer, wie der Verdacht zu stande gekommen ist!« »Die verdächtige Person hat den Namen des echten Geoffry Abel Waringer nicht kor rekt in den Überwachungscomputer eingege ben«, schnarrte die gleiche Computerstimme wie zuvor. »Aber das war doch gar nicht Waringer,
24 das war doch ich!« schrie jemand. Perry Rhodan schaute in das totenbleiche Gesicht des Postens, der ihn und Waringer empfangen hatte. Plötzlich zuckte es ver dächtig um seine Mundwinkel. »Wie haben Sie seinen ersten Vornamen geschrieben: Geoffrey …!« Der Posten schluckte. Schweiß rann über sein Gesicht. »Es tut mir fürchterlich leid, wenn ich den Namen falsch eingegeben habe, Sir«, flü sterte er mit bebenden Lippen. »Und ich ha be auch noch damit angegeben, daß ich Ihre Namen auswendig kenne.« Plötzlich prustete Waringer los – und da konnte auch Rhodan nicht mehr an sich hal ten. Ihr Gelächter steckte nach und nach alle übrigen Menschen in der Halle an. »Hu!« sagte Rhodan, als er es nach eini ger Zeit schaffte, sich wieder zu beherr schen. Er deutete auf den Posten. »Wie hei ßen Sie?« »Niuk Morlodaro, Sir«, antwortete der Mann. »Genauer: Sergeant Niuk Morlo daro.« Rhodan nickte, ging zu dem Mann und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Hören Sie bitte genau zu, Sergeant Mor lodaro!« sagte er. »In Wirklichkeit haben Sie den Namen gar nicht falsch eingegeben, sondern richtig. Genau so, schrieb sich Professor Warin ger nämlich ursprünglich. Doch als er erst mals zur Erde kam und dort eingebürgert werden wollte, druckte die Registrier-Po sitronik seinen ersten Vornamen ohne dieses e aus – und alle Bemühungen Waringers, diesen Computerfehler nachträglich zu kor rigieren, scheiterten an der Sturheit dieser Maschinen, die Geoffrey immer wieder Geoffry schrieben, weil die Registrier-Po sitronik es so ausgedruckt hatte.« »Und schließlich gab ich es auf«, fügte Waringer hinzu. »Aber niemals werde ich jemandem, der meinen Namen endlich wie der einmal richtig geschrieben hat, deswe gen verurteilen. Im Gegenteil. Sergeant Mortadella, ich schicke Ihnen hundert Fla-
H. G. Ewers schen plophosischen Gewürzwein in Ihre Unterkunft.« »Das gibt eine schöne Fete mit meinen Freunden!« rief der Sergeant. »Aber ich hei ße nicht Mortadella, sondern Morlodaro. Ich stamme nämlich von Aquomarcharinniepol to, wo man komplizierte Namen liebt.« »Nehmen Sie's nicht tragisch«, meinte Perry Rhodan. »Geoffry, komm, wir haben es eilig!«
* Die Kapsel hing unbeweglich im Griff ei nes fünfdimensionalen Kraftfelds inmitten einer der saalartigen Hallen des Techno-La bors der Solaren Abwehr. An drei Stellen der Halle standen komplizierte transportable Meßstationen, die mit Paratronfeld-Schil dern gegen mögliche Gefahren aus der Kap sel geschützt waren. Sie tasteten das Äußere der Kapsel Millimeter um Millimeter ab und, sofern das möglich war, auch das Inne re. An einer anderen Stelle der Halle standen drei Personen. Sie waren dabei, verschiedene Geräte an den Halterungen ihrer Rauman züge zu befestigen. Die Druckhelme waren noch geöffnet. »Gautor!« rief Waringer. Eine der beiden männlichen Personen drehte sich um. »Hallo, Geoffry!« rief sie. Waringer und Rhodan gingen auf die Gruppe zu. »Professor Gautor Ganski, Oberst Fanga loa Eneiki, Professor Petrow Stancovice«, stellte Waringer die drei Personen vor. Eine Vorstellung des Großadministrators erübrig te sich. »Wir bereiten uns gerade auf den Einstieg in die Kapsel vor, Geoffry«, erklärte Ganski. Er blickte Rhodan an. »Bis vor wenigen Mi nuten wäre das zu riskant gewesen, Sir. Erst nach drei Stunden Aufenthalt in einem Quintadimfeld hat sich seine Erscheinungs form materiell stabilisiert.« Perry Rhodan nickte.
Atlantis-Patrouille »Hoffen wir, daß die Kapsel stabil bleibt, Professor. Geoffry und ich kommen übri gens mit.« »Ohne Raumanzüge, Sir?« fragte Fanga loa Eneiki. »Ich wollte ja gleich auf die umständliche Prozedur verzichten«, warf Petrow Stanco vice ein. Er machte Anstalten, seinen Raum anzug zu öffnen. »Selbstverständlich ziehen wir ebenfalls Raumanzüge an«, sagte der Großadministra tor. »Sicherheit ist wichtiger als Bequem lichkeit.« Geoffry Abel Waringer begriff und schal tete sofort. Über seinen Armband-Telekom ordnete er an, daß zwei Raumanzüge in sei ner und Perry Rhodans Größe gebracht wur den. Bis die Anzüge kamen, ließ er sich über Details der Ergebnisse berichten, die von den Meßstationen erzielt worden waren. Da nach streiften er und Rhodan ebenfalls An züge über, schalteten die Helmfunkgeräte ein und testeten die Verbindung. Als sie fertig waren, sagte Waringer: »Wohin ist eigentlich unser Magie-Ex perte gegangen?« »Petrow?« fragte Gautor Ganski und blickte sich suchend um. »Er wird doch nicht einfach fortgegangen sein.« »Stancovice ist ein undisziplinierter Men sch«, erklärte Oberst Eneiki verärgert. »Ich schlage vor, daß wir nicht auf ihn warten, sondern endlich einsteigen. Meiner Meinung nach brauchen wir sowieso keinen MagieExperten, da Captain Ragsor und Leutnant McDuffy an der Kapsel keine Hinweise auf Magie gespürt haben.« »Gehen wir!« sagte Rhodan. Fangaloa Eneiki eilte voraus. Die Einsatz agentin der Solaren Abwehr hielt es anschei nend für ihre Pflicht, eventuellen in der Kap sel lauernden Gefahren zuerst entgegenzu treten. Perry Rhodan wollte sie zuerst zu rückrufen, doch er verzichtete darauf, da Fangaloa Eneiki schließlich hier das Kom mando führte und er nur Gast war. Dennoch hielt er sich dicht hinter ihr, um bei einem Zwischenfall sofort eingreifen zu können.
25 Als die vier Personen unter dem eiförmi gen Körper vom Volumen dreier normaler Fluggleiter angekommen waren, schalteten sie die Antigravaggregate ihrer Flugtornister ein, stießen sich ab und schwebten zu der Öffnung an einer Seite des Körpers. »Durch diese Öffnung kam der Fremde heraus«, berichtete Oberst Eneiki. »Sie hat sich seitdem nicht wieder geschlossen.« Ge schickt steuerte sie durch die Öffnung. Kurz darauf vernahmen die Gefährten ihren Auf schrei in den Helmempfängern der Funkge räte. Perry Rhodan beschleunigte und raste durch die Öffnung, während er gleichzeitig seinen Paralysator aus dem Gürtelhalfter zog. Doch als er den Innenraum erreichte, bremste er sofort wieder ab und schob die Waffe zurück. Auf dem Boden des ebenfalls eiförmigen Innenraums hockte Professor Petrow Stan covice im Schneidersitz, murmelte unver ständliche Sätze und fuchtelte dazu mit sei nen überlangen Armen in der Luft herum. Fangaloa Eneiki hing etwa zwei Meter dar über, und Perry Rhodan mußte scharf nach rechts abschwenken, um nicht mit ihr zu sammenzustoßen. Dicht vor der gegenüber liegenden Wand konnte er abstoppen. Langsam ließ er sich auf den mit einer ro sa schimmernden elastischen Substanz be deckten Boden sinken, musterte die dunklen ovalen Bildschirme und farbigen Linien, die sich an den Wänden befanden, dann wandte er sich dem Magie-Experten zu und sagte mit unüberhörbarer Schärfe: »Hören Sie bitte mit diesem Humbug auf, mit dem Sie anscheinend Ihre Disziplinlo sigkeit überspielen möchten, Professor Stan covice!« Der Magie-Experte unterbrach seine Tä tigkeit und schaute den Großadministrator anklagend an. »Sir, bei allem Respekt, aber wenn ich merke, daß irgendwo Magie im Spiel ist, muß ich mich darum kümmern. Und hier ist Magie im Spiel!« Er deutete auf die Wände. »Sehen Sie diese farbigen Linien! Sie bilden
26 symbolhafte ornamentale Muster, die keine andere als eine magische Bedeutung haben müssen.« »Vielleicht haben Sie recht, daß die Mu ster magische Bedeutung haben«, erwiderte Perry Rhodan. »Dennoch werde ich mich darum bemühen, daß Sie einen schweren Tadel in Ihre Personalakte eingetragen be kommen, denn Sie waren nicht berechtigt, einfach in die Kapsel einzusteigen, ohne zu vor Oberst Eneiki über ihre Vermutungen zu unterrichten und eine Genehmigung einzu holen. Haben Sie mir noch etwas Konkretes zu sagen, Professor?« Petrow Stancovice schüttelte mit betrübter Miene den Kopf und schwieg. Gautor Ganski filmte mit der elektroni schen Kamera, die er mitgenommen hatte, das Innere der Kapsel. Geoffry Abel Warin ger führte Mehrbereichsmessungen durch. Perry Rhodan musterte in dem aus der Decke strahlenden silbrig schimmernden Licht die ornamentalen Muster an den Wän den. »Was ist Magie eigentlich, Sir?« fragte Fangaloa Eneiki leise neben ihm. Rhodan lächelte. »Magie ist Kenntnis ohne Wissen, meist bruchstückhafte Kenntnis eines ehemals überragenden Wissens, die eine Technik schuf, für deren Funktionsprinzipien uns heute jegliches Verständnis abgeht. Dort, wo Magie als Magie funktioniert, haben sich Teile des Wissens als Kenntnisse von der Behandlung komplizierter Geräte erhalten. – Aber nehmen Sie das bloß nicht als der Weisheit letzten Schluß; es handelt sich nämlich nur um meinen eigenen Versuch ei ner Definition.« »Geräte!« sagte Petrow Stancovice abfäl lig. »Magie ist eine Technik ohne Maschi nen und ohne Geräte; sie ist die Beherr schung dimensional übergeordneter Energi en.« »Aber auch dimensional übergeordnete Energien müssen geschaltet, geleitet und ge steuert werden«, sagte Oberst Eneiki. »Und dazu benötigt man die entsprechenden Ele-
H. G. Ewers mente, also Geräte.« »Magie schaltet ohne Schalter!« vertei digte der Magie-Experte seine Auffassung. »Das mag etwas für sich haben«, sagte Perry Rhodan. »Aber darüber können wir draußen weiterdiskutieren. Ich bemerke so eben, daß Professor Ganski und Geoffry ihre Arbeiten abgeschlossen haben. Die Auswer tungen sind Aufgabe eines Positronenge hirns, das bekanntlich erheblich schneller ar beitet als jedes menschliche Gehirn.« »Ich bitte darum, noch ein wenig hier sit zen und nachdenken zu dürfen, Sir«, sagte Stancovice. »Lassen Sie das nicht zu, Sir!« rief Fanga loa Eneiki entrüstet. »Professor Stancovice stellt womöglich noch irgendwelchen Un sinn an.« »Er möchte nichts weiter als nachden ken«, erwiderte der Großadministrator. »Und wenn ein Mitarbeiter darum bittet, nachdenken zu dürfen, sollte man ihn nicht daran hindern. Es gibt zu wenige Menschen, die heute noch bereit sind nachzudenken.« Er blinzelte der Einsatzagentin zu. »Aber die Entscheidung liegt bei Ihnen, Oberst.« Fangaloa Eneiki seufzte, dann zuckte sie die Schultern und sagte zu dem MagieExperten: »Also, schön, dann denken Sie nach, bis Sie schwarz sind, Professor!«
* Kaum war Petrow allein, als er sich vor sichtig erhob und durch die Öffnung spähte. Doch seine Befürchtung, jemand würde ihn bespitzeln, war grundlos gewesen. Perry Rhodan, Waringer, Ganski und Oberst Enei ki hatten die Kapsel verlassen und bewegten sich auf den Computer-Anschlußraum des Techno-Labors zu. Der Magie-Experte grinste, wandte sich um und starrte die faustgroße grüne Kristall kugel an, die dort lag, wo er während der Anwesenheit seiner Gefährten so hartnäckig gesessen hatte. »Natürlich schaltet Magie nicht ohne
Atlantis-Patrouille Schalter«, sagte Petrow wie zu sich selbst. »In der Beziehung habe ich dem Großadmi nistrator einen Bären aufgebunden. Nur muß ein magischer Schalter nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem unserer Schalter ha ben. Ich könnte mir vorstellen, daß ein ma gischer Schalter etwas sein muß, mit dem der Kundige dimensional übergeordnete Energien konzentriert, fixiert und sich nutz bar macht. Beispielsweise ein solcher Kri stall!« Er ging zu dem Kristall zurück, hob ihn mit beiden Händen auf und betrachtete ihn forschend. »Eine einzige – und zwar echte – magi sche Formel, und ich könnte dich als magi schen Schalter benutzen!« klagte er. Etwas lachte in seinem Gehirn, dann dachte er (jedenfalls kam es ihm so vor, als dächte er selbst): »Ich bin zwar kein Schalter, aber ich kann magische Prozesse schalten, wenn ich es will.« Beinahe hätte Petrow Stancovice die Kri stallkugel fallengelassen. Entgeistert starrte er sie an. »Ich hätte doch nicht jeden Tag von dem Pflaumenschnaps trinken sollen, den Onkel Kranice mir geschickt hat!« flüsterte er. »Was ist Pflaumenschnaps?« dachte es in seinem Gehirn. Petrow schluckte. Er spürte, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel. »Der Kristall läßt mich denken, was er mir mitteilen will«, flüsterte er triumphie rend. »Wenn diese Fangaloa Eneiki wüßte, daß ich Kontakt mit einer magischen Kugel habe!« »Du solltest es niemandem sagen, denn man würde dich für verrückt erklären, solan ge ich nicht mitspiele«, vernahm er. »Und vorläufig spiele ich nicht mit. Ich muß erst wissen, wie es meinem Partner geht.« »Du meinst den kleinwüchsigen Extrater restrier mit der blauschwarzen Haut, der aus der Kapsel stieg und bewußtlos umfiel?« er kundigte sich der Magie-Experte. »Extraterrestrier?« wurde er gefragt, in
27 dem er dazu gebracht wurde, diese Frage selbst zu denken. »Ein Intelligenzwesen, das nicht mit Ter ranern verwandt ist«, erklärte Petrow. »Ich bin übrigens Petrow Stancovice. Hast du auch einen Namen?« »Nenne mich Loggy, obwohl ich inzwi schen mehr bin als nur Loggy. Aber ich möchte nicht zu vieles und dadurch gar nichts erklären, Petrow. Algonkin-Yatta ist also bewußtlos umgefallen. Was geschah weiter mit ihm?« »Er wurde in das ›Akul Akiwa Memorial Hospital‹ gebracht, das ist eine Klinik für Extraterrestrier«, antwortete der Magie-Ex perte. »Dort kann man ihm medizinisch hel fen. Du sagtest, er sei dein Partner, dieser Algonkin-Yatta?« »Das stimmt. Wir helfen uns gegenseitig bei der Navigation im Hauptstrom und in den Nebenströmen der Zeit.« »Der Zeit?« entfuhr es Petrow. »Ist das hier etwa kein gewöhnliches Raumschiff, sondern eine Zeitmaschine?« »Es ist eine Kombination von beidem«, antwortete Loggy. »Ich erkenne in dir den Ansatz eines Planes, mit der Kapsel in die Zukunft zu reisen.« »Ist das schlimm?« erwiderte Petrow. »Ich möchte zu gern einen Blick in die Zu kunft werfen. Oder bringe mich in die Ver gangenheit. Irgendwo in der fernsten Ver gangenheit muß die Blütezeit der Magie ge wesen sein. Ich würde alles darum geben, wenn ich das Geheimnis der wahren Magie ergründen dürfte.« »Der Preis wäre zu hoch, Petrow«, ver nahm er. »Vielleicht kann ich dir einen klei nen Einblick in die Geheimnisse der Zukunft und der Vergangenheit gewähren, aber erst, wenn Algonkin-Yatta wieder an Bord ist. Würdest du zu ihm gehen und ihm ausrich ten, daß ich den Instabilitätsschock unver sehrt überstanden habe und die Zeitkapsel für ihn hüten werde?« »Ich verspreche es, Loggy«, antwortete Petrow Stancovice.
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H. G. Ewers
* Allan D. Mercant nickte, nachdem er sich den Bericht Waringers aufmerksam angehört hatte. »Die positronische Analyse ist für mich nur die Bestätigung für einen lange vollzo genen logischen Schluß, nämlich für den, daß die Kapsel eine Zeitmaschine ist«, sagte der SolAb-Chef. Er nickte Oberst Eneiki zu und sagte: »Sie sind ja über meine Vermu tung informiert. Captain Ragsor und Leut nant McDuffy von der Atlantis-Patrouille wissen ebenfalls Bescheid. Oberst, ich ver pflichte Sie, über diese Erkenntnis gegen über allen Personen, die bis zu diesem Au genblick nichts ahnen, strengstes Still schweigen zu bewahren! Teilen Sie das glei che auch Captain Ragsor und Leutnant McDuffy in meinem Namen mit!« Er lächelte flüchtig. »Das gilt auch für uns alle – was eigent lich selbstverständlich ist. Ich erwähne es nur, weil Professor Ganski unsere Spielre geln nicht so gut kennt wie wir.« »Ich werde kein Wort verraten, Solarmar schall«, versicherte Ganski. Mercant nickte und wandte sich an Oberst Eneiki. »Wie steht es mit Professor Stancovice, Oberst? Ahnt er etwas von unserer Erkennt nis?« »Keine Spur, Sir«, antwortete Fangaloa. »Aber ich wäre froh, wenn Sie ihn zu einer anderen Einsatzgruppe versetzen würden. Professor Stancovice stört die Teamarbeit durch sein undiszipliniertes Verhalten.« »Das muß ich bestätigen, Allan«, sagte Rhodan. »Ich habe ihm bereits versprochen, mich um einen schweren Tadel in seiner Personalakte zu bemühen.« Mercant lächelte weise. »Was sein muß, muß sein, Perry«, erwi derte er. »Leider sehe ich vorläufig keine Möglichkeit, Petrow zu versetzen, Oberst Eneiki. Aber da er keine Ahnung davon hat, daß die Kapsel quasi eine Zeitmaschine ist,
kann ja nicht viel passieren.« Er wurde ernst. »Was mir gar nicht gefällt, ist, daß der Fremde sich in der Abteilung von Professor Tolperkohn befindet. Als ich mit dem AraMediziner sprach, habe ich gespürt, daß wir noch großen Ärger mit ihm bekommen wer den. Oberst Eneiki, bitte stellen Sie jeman den vom Sicherheitsstab Ihrer Einsatzgruppe für die Überwachung von Professor Tolper kohn ab – mit allen Vollmachten!« »Mit allen Vollmachten?« fragte Fangaloa Eneiki. »Aber das würde ja bedeuten, daß wir den Mann unter die Ausnahmegesetze stellen, Sir!« Mercant nickte. »Was glauben Sie wohl, was es bedeuten würde, wenn er von seinem Patienten erfüh re, daß er mit einer Zeitmaschine gekommen ist, Oberst Eneiki! Er könnte natürlich uns gegenüber loyal sein und es sofort an mich melden, aber er könnte auch versuchen, Ka pital daraus zu schlagen oder die Zeitma schine für eigene Experimente zu benutzen.« »Aber dann müßte er sie ja erst stehlen«, wandte Gautor Ganski ein. »Und ein Ein bruch ins Techno-Labor der Solaren Abwehr dürfte ihm nicht gelingen.« »Ich habe schon Pferde kotzen sehen«, er widerte Mercant. »Verzeihung, aber das Zeitalter, in dem ich aufgewachsen bin, hatte eine Vorliebe für drastische Ausdrücke.« Sein Gesicht verdüsterte sich. »Und für noch Schlimmeres. Bis später dann, Oberst Enei ki.« Fangaloa Eneiki quittierte die etwas brüs ke Aufforderung zum Gehen, indem sie auf stand, knapp salutierte und den Bespre chungsraum verließ. »Das wird sie dir niemals vergessen, Al lan«, meinte Geoffry Abel Waringer schmunzelnd. »Erst gehst du kaum auf Pe trows Disziplinlosigkeiten ein, dann wirfst du sie praktisch hinaus. Ihre Seele kocht, mein Lieber.« »Das soll sie«, erklärte der SolAb-Chef. »In ihrem Zorn wird sie die Überwachung Tolperkohns persönlich übernehmen – und
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verpatzen, da der Ara sie bereits kennt. Und genau das will ich, denn sobald Tolperkohn sie durchschaut und abgehängt hat – falls er sie abhängt –, wird er sich in Sicherheit wie gen.« Perry Rhodan erhob sich. »Du kochst wieder mal ein Süppchen nach Art deines Hauses, Allan, ich rieche es förmlich. Ich muß heute noch nach Rofus, komme aber morgen im Laufe des Tages wieder und werde mich bei dir melden, um das Neueste über den ›Fall Zeitkapsel‹ zu er fahren.«
6. DIEBE IM SOLAB-LABOR »Ich vertraue dir voll und ganz, Jaspers«, sagte Hoa Man-Sum zu dem Mann, der ne ben ihm in der Kanzel eines Fluggleiters saß. »Aber Myrja ist trotz ihrer parapsychi schen Begabung ein Kind. Bist du absolut sicher, daß sie genau nach Programm vorge hen wird? Du weißt, die geringste Abwei chung brächte uns in Teufels Küche.« Der etwa neunzigjährige Mann, der sich trotz seines »zerknitterten« Faltengesichts noch erstaunlich behende bewegte und vor allem geistig beweglich geblieben war, erwi derte: »Myrja vergißt nichts, Man-Sum.« Er strich dem etwa fünfjährigen Mädchen, das mit seinem seidenen Kleidchen, dem zu zwei Zöpfen geflochtenen blonden Haar und den blauen Lacklederschuhen sehr niedlich aussah, über den Kopf. »Und daß sie mit jedem Menschen machen kann, was sie will, hat sie dir mit ihrer Kostprobe ja heute be wiesen.« »Das hat sie allerdings«, sagte Hoa mit flacher Stimme. »Zum erstenmal in meinem Leben habe ich höllische Angst empfun den.« Er erschauderte. »Soll ich Onkel Man-Sum noch einmal trazzen?« fragte Myrja mit ihrer hellen Kin derstimme. In ihren Augen tanzten dabei funkelnde Irrlichter. »Lieber nicht, Myrja«, erwiderte Jaspers.
»Onkel Man-Sum muß unseren Gleiter steu ern, und wenn du ihn jetzt trazzt, stürzen wir wahrscheinlich ab.« »Wäre das spaßig, Jaspers?« fragte die Kleine und kicherte. »Überhaupt nicht«, antwortete Jaspers, der sich bisher geweigert hatte, Hoa mitzu teilen, woher er Myrja hatte. Hoa Man-Sum vermochte sich nicht vorzustellen, daß Jas pers sie ihren Eltern geraubt hatte. Erstens würde der Meister aller terranischen Einbre cher so etwas niemals tun, und zweitens wa ren die Zuneigung und das blinde Vertrauen Myrjas ihm gegenüber nicht zu übersehen. Hoa schaltete mit Hilfe eines positroni schen Elements, dessen Besitz für Zivilper sonen strafbar war, den Polizeifunk ein. Da nach wählte er den Kanal, der für sie an die sem Tag in Frage kam. Nach einer Menge anderer Meldungen kam endlich diejenige, auf die er gewartet hatte. »Es klappt, Jaspers«, wandte er sich an seinen Komplizen. »Rufe van Draaken und seine Gruppe an und sage ihnen, sie sollen zum vereinbarten Zeitpunkt losschlagen!« Während Jaspers den Anruf erledigte, steuerte er den Gleiter tiefer. Dabei beob achtete er von Zeit zu Zeit verstohlen das Mädchen, das seinerseits das Telekombild des Funkers eines bestimmten PolizeiFluggleiters beobachtete und dabei vergnügt am Daunen lutschte. Was Myrja »Trazzen« nannte, war die restlose Ausschaltung des Willens anderer Personen und die Fernsteuerung ihrer Hand lungen, wobei die Betroffenen genau wuß ten, daß sie Sklaven eines fremden Willens waren. Mit Hilfe dieser parapsychischen Fä higkeit sollte der Einbruch in das wie eine Festung abgesicherte SolAb-Labor bewerk stelligt werden. Hoa Man-Sum lächelte kalt, als er daran dachte, wie naiv Tolperkohn auf sein Taktie ren hereingefallen war. Der Ara-Mediziner mochte auf seinem Fachgebiet Hervorragen des leisten, aber mit einem durchtriebenen und mit allen Wassern gewaschenen terrani schen »Geschäftsmann« konnte er es nicht
30 aufnehmen. Er glaubte offenkundig daran, daß Hoa Man-Sum, der König der Unterwelt von Terra, sich mit lumpigen zehn Millionen So lar abspeisen lassen würde, wo er doch leicht das Millionenfache scheffeln konnte, wenn er sich die Zeitmaschine selbst aneig nete. Hoa Man-Sum dachte nicht im Traum daran, sich an die Abmachung mit Tolper kohn zu halten. Das wäre schon deshalb un realistisch gewesen, weil der Diebstahl der Zeitmaschine aus dem Techno-Labor der Solaren Abwehr Regierung und Geheim dienst dazu veranlaßt hätte, das Mutanten korps einzuschalten – und die Telepathen, Teleporter, Hypnos und anderen »Geheimwaffen Terras« hätten innerhalb weniger Stunden herausgefunden, wer für den Diebstahl verantwortlich war. Tolper kohn hatte das offensichtlich nicht bedacht. Deshalb würde der Ara nach dem ge glückten Diebstahl der Zeitmaschine sterben müssen – und sein Tod würde von van Draa ken und seinen Leuten so inszeniert werden, als sei er nach dem Diebstahl der Zeitma schine einem wie auch immer gearteten Un fall zum Opfer gefallen und als sei die Zeit maschine mit ihm vernichtet worden. Hoa Man-Sum aber würde erst dann wie der in seine Jetztzeit zurückkehren, wenn er in der Vergangenheit mit Jaspers' und Myr jas Hilfe die Voraussetzungen dafür ge schaffen hatte, daß das Solare Imperium ein Instrument war, auf dem er nach Belieben spielte. Natürlich würde er nicht demokra tisch regieren, sondern als gekrönter Kaiser mit aller Strenge herrschen. Da er ohnehin die Vergangenheit manipulieren würde, fiele es sicher nicht schwer, dort den Grundstein für eine Institution zu legen, die in den Au gen der Menschen berechtigt war, die jewei ligen Kaiser des Solaren Imperiums – oder die Kaiser der Galaxis – zu krönen und da mit ihre Herrschaft zu legitimieren. Natür lich würde auch diese Institution hinter den Kulissen von ihm gesteuert werden … Er erhaschte einen rätselhaften Blick My-
H. G. Ewers rjas und hatte plötzlich Mühe, ein Zittern seiner Hände zu verhindern, denn ihm war die Frage gekommen, ob diese Gedanken von ihm allein stammten oder ob sie ihm von der Mutantin eingegeben worden waren. Und ich darf nicht einmal daran denken, sie umbringen zu lassen! dachte er verzwei felt.
* Sergeant Harvan Littek blickte stirnrun zelnd auf die Kontrollen des Telekoms, dann drehte er an mehreren Knöpfen, ließ seine Finger über verschiedene Sensorpunkte glei ten und griff schließlich nach dem breiten Metallplastikbügel, in dem die Kopfhörer untergebracht waren. »Was ist mit Ihrem Kasten los, Harv?« er kundigte sich SolAb-Leutnant Aril Wed dock. »Der Verstärker scheint ausgefallen zu sein«, erwiderte Harvan Littek, ohne seinen Vorgesetzten anzusehen. »Ich habe auf Kopfhörerempfang umgeschaltet.« Er streifte sich den Metallplastikbügel über den glattrasierten, mit modischen Täto wierungen verzierten Schädel und machte ein Gesicht, als lauschte er angespannt ei nem Gesprächspartner. »Ja, Sir!« sagte er nach einiger Zeit. Er streifte den Metallplastikbügel wieder ab und erklärte: »Das war die Zentrale, Leutnant. Sie hat uns umdirigiert. Wir sollen am Kalak Place landen und dort auf einen zweiten Gleiter der Abwehr warten.« »Das ist aber sehr ungewöhnlich, Ser geant«, meinte der Leutnant und machte ein bedenkliches Gesicht. »Wer hat das denn angeordnet?« »Der Solarmarschall persönlich«, antwor tete Littek. »Aha!« machte Weddock. »Aber warum haben Sie dann noch nicht zurückgerufen, Harv? Wissen Sie nicht mehr, daß eine dies bezügliche Dienstanweisung besteht?« Harvan Littek blickte ihn verständnislos
Atlantis-Patrouille an, dann erschrak er. »Das hatte ich tatsächlich vergessen, Leutnant! Ich werde es sofort nachholen. Landen Sie inzwischen schon mal am Kalak Place.« Aril Weddock blickte den Sergeant ver wundert an, dann meinte er: »Sie sollten es besser wissen, Harv. Wir haben drei Schutzhäftlinge zum Techno-La bor der SolAb zu bringen, weil sie dort drin gend gebraucht werden. Ich werde den Kurs nicht eher ändern, als bis Sie den Solarmar schall zurückgerufen haben und er seine An weisung bestätigt hat. Überhaupt verstehe ich nicht, wie Sie eine wichtige Dienstan weisung vergessen konnten …« Sergeant Harvan Littek zog seinen Paraly sator und richtete ihn auf Leutnant Wed docks Gesicht. »Landen Sie am Kalak Place!« befahl er mit unbewegtem Gesicht. »Sergeant!« schrie Weddock überrascht und empört. »Stecken Sie sofort die Waffe ein! Bedrohung eines Vorgesetzten! Wissen Sie, daß das das Ende ihrer Laufbahn bei der SolAb ist?« Littek schwenkte den Lauf der Waffe so, daß die Mündung auf eine Stelle dicht neben dem Unterkörper des Leutnants zeigte, dann drückte er auf den Auslöser. Der Schock strahl fuhr so dicht am rechten Oberschenkel Weddocks vorbei, daß die geringe Streu energie ausreichte, um das rechte Bein des Leutnants sofort für einige Zeit zu lähmen. Aril Weddock ächzte und wurde bleich. Eine totale Paralyse verursachte keine Schmerzen, eine partielle Lähmung dagegen rief im Schmerzzentrum des Gehirns das Empfinden hervor, als sei der betroffene Körperteil abgerissen worden. »Führen Sie meine Anweisung aus, oder ich werde auch Ihr linkes Bein anschocken!« befahl Harvan Littek. Leutnant Weddock schwankte. Er kämpf te einige Sekunden lang gegen die Bewußt losigkeit an, die sein Gehirn in tiefe Nacht stürzen wollte – und er blieb Sieger. Wie in Trance nahm er die zur Kursände
31 rung und Landevorbereitung notwendigen Schaltungen vor. »Das ist Sabotage, Littek«, flüsterte er mit vom Schmerz entstellter Stimme. »Wer hat Sie dazu angestiftet?« Er bekam keine Antwort. Harvan Littek saß mit steinern wirkender Miene auf sei nem Platz vor dem Funkpult des Flugglei ters, hielt den Paralysator weiterhin auf sei nen Vorgesetzten gerichtet und rührte sich ansonsten nicht. Nur ab und zu veränderten sich seine Augen. Es war, als drücke ihr Blick in diesen Sekunden unvorstellbares Grauen aus. Leutnant Aril Weddock überlegte fieber haft, wie er sich weiter verhalten sollte. Die Lähmung seines rechten Beines ließ allmäh lich nach, so daß er sich ausrechnete, zum Zeitpunkt der Landung des Gleiters einiger maßen kampffähig zu sein. Er mußte nur einen Moment abpassen, in dem sein Gegner abgelenkt war. Oder sollte er die Plombe links vor sich abreißen und auf den roten Schalter schla gen, der die Selbstvernichtung des Gleiters auslöste? Bevor er sich überlegen konnte, welche Reaktion der Lage am ehesten gerecht wür de, schlich sich etwas Fremdes in sein Be wußtsein. Er empfand die Gegenwart einer anderen Wesenheit sofort, aber er kämpfte nicht gegen sie an, da er nichts wirklich Fremdartiges und weder Bösartigkeit noch Feindseligkeit verspürte, sondern eher Belu stigung und Verspieltheit. Als er merkte, wie ihm sein Körper nicht mehr gehorchte, war es für jeden Wider stand zu spät. Wenig später landete der Gleiter auf der Dachplattform des öffentlichen Parkhoch hauses am Kalak Place – und in seiner un mittelbaren Nähe ging ein zweiter Gleiter nieder und setzte auf …
* Hoa Man-Sum beobachtete aus der Steu erkanzel seines Fluggleiters, wie zwei in die
32 Uniformkombis der Solaren Abwehr geklei dete Männer ihren Gleiter verließen. Sie gingen zum Heck und öffneten mit Hilfe ihrer Impulskodeschlüssel eine Tür. Zwei hochgewachsene Frauen mit samtbrau ner Haut und kupferfarbenem Haar und ein ebenfalls hochgewachsener Mann mit der gleichen Hautfarbe und schwarzem Haar stiegen aus, als die beiden Männer der So lAb entsprechende Befehle in den Mann schaftsraum gerufen hatten. »Akonen!« stellte Hoa fest. »Sehen wir wie Akonen aus, Jaspers?« »Laß das nur Myrja machen, Man-Sum«, erwiderte Jaspers. »Komm jetzt!« Er nahm das fünfjährige Mädchen bei der Hand und verließ mit ihr die Steuerkanzel des Gleiters. Hoa Man-Sum folgte ihm. Draußen warteten sie, bis die beiden Uni formierten die drei Akonen in die Steuerkan zel ihres eigenen Gleiters gesperrt hatten. Das für Schockschüsse charakteristische Knistern verriet, daß die Akonen paralysiert waren und während der nächsten sechs Stun den nichts unternehmen konnten. Als die beiden SolAb-Leute wieder ins Freie kamen, setzten sich Hoa, Jaspers und das Mädchen wieder in Bewegung. Sie stie gen in den Transportraum des SolAb-Glei ters und nahmen auf der breiten gepolsterten Bank an der rechten Seitenwand Platz. Die SolAb-Leute verschlossen das Schott wie der. Kurz darauf spürten sie, wie der Gleiter startete. Schon nach zirka acht Minuten setz te er jedoch wieder auf. Eine Weile rührte sich nichts, dann öffnete sich das hintere Schott. Zwei schwerbewaffnete SolAb-Soldaten schauten durch die Öffnung in den Trans portraum, dann rief einer von ihnen über die Schulter zurück: »Quamy von Lutrak, Hely von Ormesch und Aprun von Holledt sind da! Es ist alles in Ordnung.« Das Heckschott schloß sich wieder, und der Gleiter schwebte langsam weiter. Es er folgten weitere Kontrollen, aber Myrja sorg-
H. G. Ewers te dafür, daß alles reibungslos verlief. Frei lich hätten die Fähigkeiten der Mutantin we nig genützt, wenn der Einsatz nicht genau geplant worden wäre. Nur weil der Zeit punkt ihrer Ankunft und die Anzahl der Per sonen stimmten, die zudem auf allerhöch sten Befehl zum Techno-Labor der SolAb gebracht wurden, erregte der Vorgang kein Mißtrauen. Kritisch wurde es erst dann, als der Glei ter in die Halle schwebte, in der sich die Zeitkapsel befand. Wenn niemand Alarm geben sollte, dann mußte Myrja die insge samt vierzehn anwesenden Wissenschaftler und Techniker der Solaren Abwehr inner halb weniger Sekunden ausschalten. Hoa Man-Sum merkte, daß seine Selbstsi cherheit zurückkehrte, als er den kleinen Ra ketenwerfer zusammensetzte und die Rakete mit dem »Gefechtskopf« mit hochverdichte tem Nervengas aufsteckte. Zwar sollte diese Waffe nur dann eingesetzt werden, wenn die Mutantin versagte, aber es war eine Waffe, mit der der Gangster vertraut war. Er wußte genau, wie sie funktionierte, welche Wir kung sie innerhalb des Gefechtsraums her vorrufen würde und wie groß seine Aussich ten waren, ungeschoren zu entkommen. Doch er brauchte nicht einzugreifen. Myrja vermochte zwar nicht, alle vierzehn Personen gleichzeitig unter ihren Willen zu zwingen, aber sie schaffte es bei sechs Per sonen, die bewaffnet waren. Die Betreffen den – oder Betroffenen – zwangen ihre acht Kollegen dazu, sich passiv zu verhalten, bis auch sie ihren eigenen Willen verloren hat ten. Harvan Littek und Aril Weddock rührten sich nicht von ihren Plätzen, als Hoa ManSum den Transportraum ihres Gleiters ver ließ, gefolgt von Jaspers, der die Mutantin auf dem Arm trug. Mit schußbereiter Waffe stürmte der Verbrecher unter die schweben de Zeitkapsel, schaltete sein Flugaggregat ein und schwebte durch die Öffnung ins In nere des fremden Fahrzeugs. Als Jaspers und Myrja ihm in den eiför migen Hohlraum folgten, hatte er bereits die
Atlantis-Patrouille Folie vor sich ausgebreitet, auf der ihm Tol perkohn so etwas wie einen Schaltplan ge zeichnet hatte. Tolperkohn wiederum hatte die entsprechenden Informationen von dem Fremden, der mit der Kapsel auf die Erde gekommen war. Hoa blickte ständig von seinem Schalt plan auf eine bestimmte Stelle der Innen wandung und musterte angestrengt die farbi gen Linien, die sich dort und an anderen Stellen der Innenwandung befanden. Plötzlich heulte eine Sirene los; andere Si renen fielen ein. »Man hat etwas gemerkt«, stellte Jaspers nervös fest. »Wir müssen verschwinden, Man-Sum. Durch die Zeit können uns die SolAb-Agenten nicht folgen.« »Du störst mich!« fuhr Hoa ihn an. »Solange du niemanden hereinläßt, haben wir nichts zu befürchten. Die SolAb wird sich hüten, die Zeitmaschine zu beschädi gen. Laß mich jetzt in Ruhe! Ich muß mich konzentrieren. Oder möchtest du im Trias herauskommen?« »Wo ist das?« fragte Jaspers. »Du solltest lieber darüber nachdenken, wann das war, du Trottel!« schimpfte Hoa. Abermals konzentrierte er sich auf den Schaltplan und auf die zahlreichen, orna mentale Muster ergebenden Linien. Nach ei ner Weile erhob er sich und schritt auf die bewußte Stelle der Innenwand zu. Er zuckte nur leicht zusammen, als Jaspers mit seiner Schockwaffe ein rasendes Feuer auf Leute eröffnete, die Hoa Man-Sum nicht sah. Im nächsten Moment stolperte Hoa über ein Hindernis. Wütend blickte er zu Boden. Dort lag ein faustgroßer, kugelförmig ge schliffener grüner Kristall. Über ihn mußte Hoa gestolpert sein. Hoas Gesicht lief blut rot an. Zornig trat er den Kristall zur Seite, dann setzte er seinen Weg fort. Sekunden später stand er vor dem Linien muster, an dem er nach Tolperkohns Anga ben die Schaltung vornehmen mußte, die die Zeitmaschine um neunundvierzig Jahre in die Vergangenheit versetzen würde. Hin sichtlich eventueller Tricks des Aras war
33 Hoa völlig beruhigt. Tolperkohn wollte die Zeitmaschine haben; folglich durfte er sich nichts erlauben, was zum Verschwinden der Maschine irgendwo im Zeitstrom führen konnte. Doch während seine rechte Hand dem Schaltplan entsprechend über die farbigen Linien fuhr, merkte Hoa Man-Sum, daß die Linien nicht dort aufleuchteten, wo er sie nachgezogen hatte, sondern an anderen Stel len. Er zog seine Hand zurück, als hätte sie ein stromführendes Metallband berührt. »Was ist das, zum Teufel?« schrie er un beherrscht. »Ich habe diese Linien nicht nachgezogen!« »Mach schneller!« rief Jaspers und feuer te abermals nach draußen, diesmal mit Hoas Raketenwerfer. Aber Hoa hatte bereits begriffen, daß er überhaupt nichts machen konnte, sondern daß jemand die Zeitmaschine nach einem fremden Willen programmierte. Er warf einen Blick auf Myrja, aber die Mutantin schien nicht zu begreifen, worum es eigent lich ging. Außerdem, was hätte sie davon, wenn die Kapsel in eine unbekannte Zeit verschlagen würde? An allen Innenwandungen der Kapsel blitzten goldfarbene Lichtpunkte auf. Meh rere dumpf hallende Schläge dröhnten. Die Bildschirme wurden hell und zeigten die Halle außerhalb der Kapsel. Mehrere Uni formierte lagen paralysiert auf dem Boden, die übrigen wurden soeben vom Nervengas ausgeschaltet und würden alles vergessen. Durch ein Tor schwebten Kampfroboter in die Halle. »Wenn die Roboter angreifen, sind wir verloren«, sagte Hoa. Im nächsten Augenblick legte sich ein Schleier um die Kapsel. Hinter diesem Schleier waren undeutliche Bewegungen zu erkennen, die schneller und schneller ablie fen. Hoa Man-Sum begriff, daß sie sich auf der Fahrt durch die Zeit befanden – mit un bekanntem Ziel …
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* Die goldfarbenen Lichtpunkte erloschen; der Schleier um die Kapsel lichtete sich und löste sich schließlich ganz auf. Hoa und Japsers blickten auf die Bild schirme und musterten die parkartige Land schaft, die sich draußen rings um die Kapsel bis zu den Horizonten erstreckte. Direkt un ter der Kapsel führte ein zirka zwei Meter breiter Bewässerungskanal entlang. »Wenigstens sind wir nicht in grauer Vor zeit gelandet«, stellte Jaspers erleichtert fest. Hoa Man-Sum runzelte die Stirn. »Aber wir können auch nicht nur neun undvierzig Jahre vor oder hinter dem Zeit punkt liegen, an dem wir mit der Kapsel starteten«, erwiderte er. »Siehst du etwa ir gendwo Häuser? Ich nicht. Folglich ist Ter rania City entweder noch nicht gebaut oder schon längst zu Staub zerfallen.« »Als Terrania City noch nicht gebaut war, soll sich hier eine Wüste befunden haben – und der Goshun-See war so salzig, daß die Nomaden kein Salz zu kaufen brauchten, wenn sie ihr Essen kochten«, sagte Jaspers. »Siehst du etwas, das wie eine Wüste aus sieht, Man-Sum?« Hoa schüttelte den Kopf. »Da hier offenbar vor unserer Jetztzeit nie etwas anderes war als Wüste, müssen wir uns in der Zukunft befinden«, sagte er. »Die Bäume sind übrigens Obstblume. Wir befin den uns in einer riesigen Plantage.« Myrja musterte mit glänzenden Augen die Umgebung. »Ich will 'raus!« sagte sie. »Was willst du draußen, Kind?« fragte Jaspers. »Spielen – und Obst essen«, antwortete das Mädchen. »Das kommt überhaupt nicht in Frage!« brauste Hoa auf. »Es reicht mir schon, daß wir in einer unbekannten Zeit gestrandet sind. Ich brauche nicht noch eine verwöhnte Göre, die mich mit allen möglichen Wün schen plagt!«
Myrja verzog weinerlich das Gesicht, doch plötzlich glomm in ihren Augen ein bedrohliches Leuchten auf. Hoa Man-Sum merkte, daß er zu einer Marionette ohne ei genen Willen wurde. Er konnte absolut nichts dagegen tun. Langsam ging er an Jaspers vorbei, öffne te das Schott der Kapsel und sprang. Kurz vor dem Aufprall merkte er, daß er sein Flugaggregat nicht eingeschaltet hatte. In Erwartung des Todes stieß er einen Wut schrei aus. Doch anstatt mit zerschmetterten Gliedern zu sterben, tauchte Hoa unverhofft in kaltes Wasser. Kurz darauf stießen seine Füße schmerzhaft gegen den Boden des Bewässe rungskanals. Sekunden später tauchte Hoa prustend wieder auf, schwamm zum Ufer und zog sich mühsam hoch, indem er seine Finger in die Rillen zwischen den Steinen des gemauerten Kanalbeckens krallte. Als er sich aufrichtete, landete Jaspers ne ben ihm, Myrja auf seinen Armen vor der Brust. »Es tut mir leid, Man-Sum«, sagte Jas pers. »Aber Myrja ist sehr sensibel und rea giert dementsprechend empfindlich auf jede Kränkung.« »Vergiß es!« sagte Hoa sinnierend. »Überlege dir lieber, wie es kommt, daß viele Jahre – vielleicht sogar Jahrtausende – in unserer Zukunft die Becken von Kanälen nicht mehr aus Kunststoffen gegossen, son dern mit Steinen gemauert werden!« Er steckte die kleinen Finger in seine Ohren und bewegte sie heftig hin und her. Jaspers ließ Myrja auf den Boden hinab und sah ihr nach, wie sie zum nächsten Baum eilte. Plötzlich zuckte er zusammen. Auch Hoa Man-Sum zuckte zusammen, aber im Unterschied zu seinem Einbruchs spezialisten wußte er, was die hallenden Tö ne zu bedeuten hatten, die soeben erschol len. Er schaltete sein Flugaggregat ein und schoß auf die Öffnung in der Zeitkapsel zu. Doch bevor er sie erreichte, schloß sie sich. Hoa bremste mit Maximalwerten ab, prallte
Atlantis-Patrouille dennoch gegen das Schott und wurde jäh lings in das Vakuum gerissen, das dort ent standen war, wo sich einen Moment vorher noch die Kapsel befunden hatte. Als das Vakuum sich mit Luft gefüllt hat te, stürzte Hoa Man-Sum zum zweitenmal in den Bewässerungskanal. Nach dem Auftau chen blieb er einige Minuten lang am Ufer sitzen und zählte in Gedanken bis hundert, um seine erste Wut abklingen zu lassen. Er war wütend auf die Mutantin, weil sie ihn gezwungen hatte, die Zeitkapsel zu ver lassen und weil er deshalb nicht an Bord ge wesen war, als die Zeitkapsel sich entfernte. Nur wegen Myrja war er irgendwo in der Zeit gestrandet. Normalerweise hätte Hoa nicht gezögert, Myrja deswegen zu töten. Nur die Erkennt nis, daß seine Überlebenschancen in der un bekannten Zeit mit Myrja erheblich größer waren als ohne Myrja, bewogen ihn dazu, seine Wut niederzuringen und nichts gegen die Mutantin zu unternehmen. Als er wußte, daß er sich würde beherr schen können, erhob er sich und blickte zu Jaspers, der rund zehn Meter entfernt war und Myrja an der Hand hielt. »Ich werde ihr nichts tun, Jaspers«, er klärte er. »Beraten wir gemeinsam, wie wir uns verhalten sollen, denn die Lage, in der wir uns befinden, ist zweifellos ohne Bei spiel für uns.« »Du sagst es, Man-Sum«, erwiderte Jas pers erleichtert. Er wandte sich an Myrja. »Onkel Man-Sum wird dir nichts tun, nicht wahr, Kleine?« »Er wird mir nichts tun, Jaspers, denn er braucht mich«, erklärte das Mädchen überra schend ernsthaft. »Aber da ist etwas anderes, vor dem ich mich fürchte.« »Etwas anderes?« fragte Jaspers. »Was ist es denn, Myrja? Oder willst du uns nur er schrecken?« Hoa Man-Sum blickte zum Abendhimmel hinauf, an dem die Sonne sich anschickte, hinter dem Horizont zu versinken. Es war ein für die Erde typischer Sonnenuntergang – und doch war etwas Fremdartiges dabei.
35 Die Dunkelheit legte sich nicht von Osten her über das Land, sondern kroch von We sten her dicht über dem Boden dahin – und sie verschlang alles, was sie streifte. »Sie will uns nicht erschrecken, Jaspers«, sagte Hoa Man-Sum. »Sie hat nur gespürt, daß sich die Überlappungszone eines frem den Universums über die Erde senkt und einen Teil aller Lebewesen entführen wird. Von der Jetztzeit aus betrachtet, muß das vor rund elftausend Jahren geschehen sein.« »Vor elftausend Jahren?« fragte Jaspers. »Du redest, als wüßtest du, wann wir sind und was hier geschieht – und was mit uns geschehen wird.« Hoa sah die Dunkelheit näherkommen und erschauderte. »Die Kapsel hat uns in eine Zeit gebracht, in der die Arkoniden auf Atlantis ihre Stütz punkte unterhalten und innerhalb des Solsy stems gegen die Druuf kämpfen«, sagte er. »Wir werden bei den Druuf landen. Was dort aus uns wird, weiß ich nicht. Wahr scheinlich werden wir in dem fremden Uni versum an den dortigen Zeitablauf angepaßt und leben subjektiv normal weiter. Aber ei ne Rückkehr zur Erde und in unsere frühere Zeit dürfte ausgeschlossen sein.« Er stand ganz still, als die Überlappungs front ihn erreichte und er den unerklärlichen Sog des fremden Universums und der frem den Zeit spürte.
7. IM VERSTECK Der Gleiter wurde gestoppt, als er das Mündungsgebiet des Hoang-Ho im Nord osten des Hochlands von Tibet überflog. Angesichts der beiden anderen Gleiter, die nicht nur wendiger als seiner, sondern obendrein mit Strahlkanonen bewaffnet wa ren, versuchte Tolperkohn gar nicht erst, ih nen durch riskante Manöver zu entkommen. Das Eingehen solcher Risiken lag ohnehin jenseits der Mentalität eines Aras. »Wir müssen landen«, erklärte er Algon kin-Yatta, der neben ihm saß und immer
36 noch recht schwach war. »Hat die Polizei unsere Flucht bemerkt?« fragte der Kundschafter neugierig. Der Ara machte eine verneinende Geste. »Nicht die Polizei, Algonkin-Yatta. Es sind alte Freunde, die uns aufhalten. Ich ha be damit gerechnet, denn für den alten Gau ner Hoa war die Versuchung viel zu groß, als daß er ihr hätte widerstehen können.« Er steuerte den Gleiter tiefer und landete in einem flachen Tal mit unfruchtbarem Bo den. Die beiden anderen Gleiter setzten links und rechts daneben auf. Lächelnd betätigte der Ara eine Schal tung, dann lehnte er sich zurück und wartete, bis vier Männer in die Kanzel stürmten. Sie trugen ausnahmslos Schockwaffen, und einen von ihnen kannte Tolperkohn. »Warum so stürmisch, Mister van Draa ken?« fragte der Ara. Van Draaken musterte Algonkin-Yatta, dann blickte er wieder zu Tolperkohn und sagte: »Der Fremde soll aussteigen und mit uns fliegen, Mister Tolperkohn. Mein Chef hat es so angeordnet.« »Und was soll dann nach dem Willen Hoas weiter geschehen?« erkundigte sich der Ara. »Sie fliegen uns voraus zu dem Versteck, in dem wir auf den Chef warten sollen«, ant wortete van Draaken. »Und unterwegs schießen Sie mich ab«, meinte Tolperkohn. Er lachte. »Das war na türlich ein Scherz, Mister van Draaken. Sie werden kaum auf mich schießen wollen, wenn ich Ihnen verrate, daß die Luft in mei nem Gleiter mit einem Virus angereichert ist, das jeden infizierten Menschen innerhalb von vierundzwanzig Stunden tötet, ohne sich weiter zu verbreiten. Selbstverständlich gibt es in meinem Versteck ein Serum, mit des sen Hilfe die Krankheit gar nicht erst zum Ausbruch kommen wird.« »In Ihrem Versteck bei Allahabad gibt es das Serum?« erkundigte sich van Draaken lauernd. »Natürlich nicht dort«, erwiderte der Ara
H. G. Ewers spöttisch. »Wie könnte es sonst meine Le bensversicherung sein! Sie müssen mir schon wirklich folgen, wenn Sie länger als vierundzwanzig Stunden leben wollen.« Van Draakens Blick verriet Achtung. »Hoa hat Sie unterschätzt«, gab er zu. »Allerdings könnte die Sache mit der viren verseuchten Luft ein Bluff sein.« »Das glaube ich nicht«, warf Algonkin-Yat ta ein. »Ich habe einen sehr empfindlichen Geruchssinn und mußte vorhin feststellen, daß die Luft im Gleiter mit gesundheitsbe drohenden Viren verseucht wurde.« »Sie sprechen Interkosmo?« entfuhr es van Draaken. »Ich hatte zwei Tage Zeit, Ihre Sprache zu lernen«, erklärte der Kundschafter. »Es ist eine sehr interessante Sprache. Seltsamer weise habe ich in ihr viele Charakteristika des Mathona gefunden.« »Innerhalb von zwei Tagen könnte ich keine fremde Sprache lernen – jedenfalls nicht ohne Hypnoschulungsgeräte«, meinte van Draaken. »In Ordnung, Mister Tolper kohn. Sie haben gewonnen. Ich hatte sowie so nichts gegen Sie. Es macht mir nichts aus, Sie am Leben zu lassen.« »Wie reizend!« erwiderte der Ara. »Wir machen es so: Ich fliege mit Algonkin-Yatta voraus und lotse Sie zu unserem Versteck. Dort erhalten Sie die notwendigen SerumInjektionen, die den Ausbruch der Krankheit jeweils für vierundzwanzig Stunden verhin dern. Nach Abschluß der Aktion und nach dem ich mich mit Hoa Man-Sum geeinigt habe, bekommen Sie die Injektionen, die sämtliche dieser Viren abtöten.« Nachdem van Draaken und seine Leute sich zurückgezogen hatten, wandte sich der Ara an den Kundschafter und fragte: »Haben Sie die Viren tatsächlich gewit tert, Sir?« »Ja«, antwortete Algonkin-Yatta. »Aber das ist für einen Mathoner nichts Außerge wöhnliches.« Der Ara startete seinen Gleiter wieder und verließ den bisherigen Kurs, indem er nach Südwesten abbog.
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Nach einigen Stunden schwebte der Glei ter über einen dunklen Berggrat. Vor ihm breitete sich ein fruchtbares Hochtal aus, das optisch von einem gewaltigen altertümlichen Bauwerk beherrscht wurde. Algonkin-Yatta war nicht überrascht, denn er hatte in Terrania City und während des Fluges hierher größere und modernere Bauwerke gesehen. Anders van Draaken. Er meldete sich über Sprechfunk und sagte: »Das ist die Potala – und die Stadt darum herum heißt Lhasa! Mister Tolperkohn, Sie werden sich doch nicht ausgerechnet dort verstecken wollen!« »Lassen Sie sich überraschen!« erwiderte Tolperkohn.
* Algonkin-Yatta sagten die Namen »Potala« und Lhasa nichts. Er hatte noch keine Zeit gehabt, sich um terranische Ge schichte zu kümmern. Er verfolgte aufmerksam, wie Tolperkohn den Gleiter an der Potala vorbeisteuerte und ihn sanft im Innenhof eines würfelförmigen Bauwerks absetzte, das auf einer künstlichen Terrasse des gleichen Berges stand, der von der Potala beherrscht wurde. »Wir besuchen Freunde«, hörte er den Ara sagen. »Bitte, entspannen Sie sich, Sir. Sie sind hier absolut sicher.« Algonkin-Yatta war sich da keineswegs sicher, aber er war zu höflich, um Zweifel zu äußern. Diese Terraner schienen ein ganz besonderer Schlag zu sein. Zweifellos gab es zwischen ihnen und den Arkoniden eine eth nische Verbindung, aber die Terraner wirk ten vitaler als die Arkoniden, die der Kund schafter bei seiner Suche nach Atlan ken nengelernt hatte – und sie schienen überaus listenreich zu sein. Er erinnerte sich an die wenigen Minuten, in denen er mit einem Terraner namens Pe trow Stancovice hatte reden können. Dieser Mann, der sich als Experte für Magie be zeichnet, war mit einer Botschaft Loggys
heimlich zu ihm gekommen. Er genoß dem nach das Vertrauen der kristallinen Wesen heit. Aber andere Terraner schienen Loggy nicht vertrauenswürdig zu sein. Auf einen Wink des Aras hin erhob sich Algonkin-Yatta von seinem Platz. Hinter Tolperkohn verließ er den Gleiter, während die beiden anderen Gleiter nacheinander ebenfalls im Innenhof landeten. Drei hochgewachsene Gestalten in lehm farbenen Kutten kamen aus einem Gebäude trakt und näherten sich dem Ara. »Es sind Insektenabkömmlinge vom Pla neten Rachel«, erklärte Tolperkohn. »Sie le ben hier als Abgesandte ihres Volkes, und sie sind mir zu Dankbarkeit verpflichtet, weil ich sie gegen die zahllosen Krankheits erreger immunisiert habe, die sich bei den Terranern seltsamerweise immer noch hal ten. Andernfalls wären sie längst gestor ben.« Die drei Insektenabkömmlinge blieben vor Tolperkohn und Algonkin-Yatta stehen, hoben die Hände in Gesichtshöhe und legten die Handflächen zusammen. »Willkommen, Bruder Tolperkohn!« sag te einer von ihnen. An der schwach verzerr ten Aussprache war zu merken, daß er sich eines elektronischen Umsetzers bediente. Wahrscheinlich erzeugten seine eigenen Sprechorgane Laute, die über der Hör schwelle der Menschen lagen. »Mögest du immer in der Gunst Amitayus stehen.« Tolperkohn erwiderte den Gruß mit der gleichen Geste und sagte: »Ich danke dir, Bruder Tschamte und dei nen Mitbrüdern! Möge Amoghasiddhi stets seine Hand über euch halten! Leider fehlt mir die Zeit, um mit euch zu speisen und Gespräche zu führen. Aber ihr würdet mir und meinen Freunden einen großen Gefallen erweisen, wenn wir die Erlaubnis erhielten, Bruder Bakho-Dari zu besuchen.« »Bruder Bakho-Dari wird sich über euren Besuch freuen«, erwiderte Tschamte. »Ihr wißt ja, daß ihr ihm immer willkommen seid. Ich selbst werde euch zu dem Tor füh ren, durch das ihr zu ihm kommt.«
38 Unterdessen waren auch van Draaken und seine drei Begleiter herangekommen. Ver wundert musterten sie die Umgebung und besonders die drei Gestalten in den Kutten, von denen nur die Gesichter freilagen, aber kaum zu erkennen waren, da die Kapuzen der Kutten sie mit Schatten bedeckten. Van Draaken ging ganz nahe an Tolper kohn heran und flüsterte: »Wissen Sie nicht, welchen Ruf die In sektenabkömmlinge von Rachel genießen? Es sind die hinterhältigsten Mordbuben in dieser Galaxis.« »Seien Sie still!« flüsterte der Ara zurück. »Diese Racheltyks würden nicht einmal eine Stechmücke töten, die ihr Blut saugt. Sie und viele ihrer Artgenossen haben die Lehre der Erleuchtung angenommen.« »Zum Schein vielleicht, um unauffälliger morden zu können«, gab van Draaken auf gebracht zurück. »Ich werde jedenfalls wachsam sein.« Algonkin-Yatta hätte sich zu gern mit den Kuttenträgern unterhalten, denn sie gehörten einem weiteren Volk an, das MYOTEX noch unbekannt war. Aber erstens schien Tolperkohn es eilig zu haben und zweitens fühlte der Kundschafter sich noch immer so schlapp, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Langsam ging er neben dem Ara hinter den drei Racheltyks her. Als sie einen der vier Gebäudetrakte be traten, stellte Algonkin-Yatta verwundert fest, daß die Inneneinrichtung hochmodern war, obwohl die Außenmauern aus gewöhn lichem Schaumbeton bestanden. Die Klima anlage stieß durch die Lüftungsgitter ab und zu Schwaden duftenden Rauches aus, eine Computerstimme wiederholte Lebensregeln, Ratschläge und Sprüche, hinter den offenen Türen von kleinen Gebetszellen lagen Ra cheltyks unter hochmodernen Hypnosehau ben, die eine Vertiefung der geistigen Ver senkung erlaubten und am Ende des Flures befand sich jenes nur wenigen Eingeweihten bekannte Tor, das in Wirklichkeit eine Po sitronik war. Tschamte sprach leise auf das scheinbar
H. G. Ewers eiserne Tor ein. Nach einer Weile erschie nen auf der Oberfläche winzige Lichtblitze. Scharf gebündelte Sondierungsstrahlen ta steten die Gäste der Racheltyks ab. Als die Lichtblitze erloschen, sagte eine dunkle Stimme: »Alle sind zugelassen – außer Jan Kosin ke, der seelisch instabil ist und überlegt, ob er den Kundschafter von Ruoryc töten soll.« »Du hast meine Gedanken gelesen!« schrie einer von van Draakens Begleitern auf. Er riß einen Desintegrator aus einem Schulterhalfter und wollte auf Algonkin-Yat ta schießen. Doch dann erstarrte er, schrie fürchterlich und brach schlagartig ab. Langsam zerfiel er zu Staub, der sich zu einem relativ kleinen Häufchen ansammelte. Die beiden anderen Begleiter van Draa kens nahmen eine drohende Haltung gegen über den Racheltyks ein, doch keiner wagte es, seine Waffe zu ziehen. Van Draaken wandte sich dem Ara zu und wollte etwas sagen, aber der Mediziner kam ihm zuvor und erklärte: »Weder die Racheltyks noch ich kontrol lieren das Tor. Es wäre also sinnlos, ihnen oder mir Vorwürfe zu machen. Außerdem hat das Tor die Ermordung unseres Gastes verhindert – und Algonkin-Yatta ist wertvol ler für uns, als es Kosinke gewesen war.« »Das klingt reichlich gefühllos«, meinte Algonkin-Yatta. »Ich trage mich, warum der Mann, der Jan Kosinke hieß, mich umbrin gen wollte.« Van Draaken und seine Leute sind schließlich Verbrecher! hätte Tolperkohn beinahe gesagt. Er verkniff sich die Bemer kung, denn es hätte bestimmt Algonkin-Yat tas Verdacht erregt, wenn sein »Retter« zu gab, daß er mit Verbrechern zusammenar beitete. »Er war geistig instabil, wie das Tor es sagte«, meinte er nur. In diesem Augenblick bildete sich in der Mitte des Tores ein Spalt, der sich rasch ver größerte, bis eine drei Meter breite Öffnung vorhanden war. Dahinter lag das Innere ei
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nes Tresors. Jedenfalls sah es so aus. ner, Hoher Bakho-Dari!« Tolperkohn lächelte ironisch und sagte zu »Wie können Sie für mich sprechen, Mi van Draaken: ster Tolperkohn?« fragte Algonkin-Yatta mit »Wenn Sie wollen, können Sie Algonkin-Yat dem letzten Rest seiner Energie. »Ich bin niemandes Diener und werde es niemals ta und mich begleiten.« sein.« »Was bleibt uns anderes übrig, wenn wir Tolperkohn lachte höhnisch, zog seinen nicht sterben wollen«, erwiderte van Draa ken mürrisch. Paralysator und richtete ihn auf den Kund schafter. Als alle fünf Personen den Tresor betreten »Das Spiel ist aus!« rief er. »In wenigen hatten – die drei Racheltyks blieben zurück –, schloß sich das Tor hinter ihnen. Sekun Stunden werden Freunde von mir deine Zeit kapsel herbringen, Algonkin-Yatta – und du den später sank der »Tresorraum« rasch ab wärts. wirst mich mit allen Feinheiten ihrer Bedie nung vertraut machen.« »Ein getarnter Pneumolift«, erläuterte Loggy! dachte Algonkin-Yatta. Er hat mir Tolperkohn. »Er verbraucht nicht mehr Energie als eine Robotküche, kann also doch ausrichten lassen, daß er die Zeitkapsel für mich hüten würde! Sollte er sein Ver nicht angemessen werden.« sprechen nicht eingehalten haben? Laut sagte er: * »Nichts werde ich tun, Verräter!« »Ein Tempel!« flüsterte van Draaken Tolperkohn zog seinen Paralysator und staunend, als sich ein weiteres Tor geöffnet schoß auf den Kundschafter. Er ahnte nicht, hatte. Der Pneumolift und ein kurzer Korri daß Algonkin-Yatta ein paar Sekunden spä dor lagen hinter ihnen. ter von allein zusammengebrochen wäre. Algonkin-Yatta versuchte, durch die »So!« sagte der Ara zufrieden. »Den schwarzen Schleier, die vor seinen Augen Kundschafter haben wir. Jetzt kommt es nur wogten, etwas zu erkennen. Er wußte, daß darauf an, ob Hoa Man-Sum seinen Teil ihm ein neuer Schwächeanfall bevorstand ebenfalls erfüllt.« und daß er nicht viel Zeit hatte. Er mußte Er wandte sich den schwarzen Vorhängen sich hinlegen oder wenigstens hinsetzen. zu, die sich geisterhaft bewegten. Undeutlich sah er eine kuppelförmige »Bakho-Dari, hast du Kontakt mit Hoa, Halle mit schwarzen Wänden, einem großen Jaspers und Myrja?« schwarzen Metallwürfel in der Mitte und ei Ein Teil des Vorhangs wurde zur Seite ner goldenen Kugel, die dicht unter der geschoben. Der Mann, der an den schwarzen Decke schwebte. Die gegenüberliegende Metallwürfel in der Mitte der Halle trat, war Hälfte der Halle war von schwarzen Vorhän groß und hager, trug eine schwarze Kutte gen verdeckt. und hatte die Kapuze tief in sein Gesicht ge »Willkommen im Tempel Baals, der von zogen. Dennoch war zu sehen, daß es wie den Dienern des Hohen Báalol errichtet wur das Gesicht eines Totenschädels aussah. Das de!« ertönte eine dumpfe Stimme von über sagte jedoch nichts über das Alter des allher zugleich. Báalol-Priesters aus, denn viele dieser Leute »Ein Anti! Ich werde verrückt!« rief einer bekamen dieses Aussehen schon im besten der Männer van Draakens. Mannesalter, weil sie laufend starke Drogen »Ein Hohepriester des Báalol-Kultes«, einnahmen. entgegnete Tolperkohn und vollführte die ri »Ich hatte Kontakt mit Myrja, bevor die tuellen Bewegungen, mit denen ein Laie des Zeitkapsel startete«, sagte der Priester mit Báalol-Kultes einem Báalol-Priester gegen dumpfer Stimme. »Seitdem herrscht überzutreten pflegte. »Wir sind deine Die Schweigen.«
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»Aber das ist doch nicht richtig!« rief Tolperkohn und blickte den Kundschafter an, als erwartete er von einem Bewußtlosen und Gelähmten eine Antwort. »Er sagte, es würde keine Zeitverzögerung geben«, wand te er sich an Bakho-Dari. »Die Kapsel sollte zur gleichen Zeit in die Jetztzeit eintauchen, in der sie aus ihr verschwand.« »Wir werden Algonkin-Yatta fragen müs sen, sobald er wieder vernehmungsfähig ist«, erklärte der Anti. »Aber erst wollen wir unsere SerumInjektionen haben!« rief van Draaken. Tolperkohns Gesicht verzerrte sich vor Wut. »Ich sollte sie euch nicht geben, denn vielleicht hat euer Chef Verrat begangen und plant tiefer in der Vergangenheit eine Zu kunft, in der für mich kein Platz mehr sein soll.« »Wenn es so ist, dann wissen wir nichts davon«, erwiderte van Draaken. »Aber in dem Fall würde ich Hoa töten – und auch sonst können Sie mich und meine Männer brauchen, wenn es zum Kampf kommt.« Er lachte höhnisch. »Ein Ara ist schließlich kein Kämpfer.« »Da irren Sie sich«, widersprach Tolper kohn. »Aras kämpfen nur mit anderen Mit teln als die Angehörigen anderer Völker. Aber ich erkenne, wer mir nützen kann und wer nicht. Sie bekommen Ihre Injektionen.«
8. ALARM FÜR DAS MUTANTENKORPS »Wie ist es möglich, daß mitten aus dem Techno-Labor der Solaren Abwehr ein Ge genstand gestohlen wird, der die Masse von ungefähr drei normalen Fluggleitern hat?« fragte Perry Rhodan erregt. »So etwas kann man doch nicht in der Hosentasche mitneh men.« »Auch dann käme niemand durch die Kontrollen«, erklärte Allan D. Mercant. »Aber die Kapsel …«, begann Rhodan. »… wurde nicht durch die Kontrollen ge schmuggelt«, beendete der SolAb-Chef den
Satz. »Ach, nein!« erwiderte der Großadmini strator. »Dann haben sich wohl auch die drei akonischen Wissenschaftler, die mit ihrer Einwilligung aus der Schutzhaft zur Unter suchung der Kapsel ins Techno-Labor über stellt worden waren, nicht durch die Kon trollen hinausgeschmuggelt?« Mercant zuckte die Schultern. »Sie sind ordnungsgemäß angekommen und mehrfach kontrolliert worden«, erklärte er geduldig. »Demnach müssen sie im Tech no-Labor angekommen sein, um unseren Wissenschaftlern und Technikern bei der Untersuchung der Kapsel zu helfen. Und dort müßten sie noch sein, denn sie haben die Kontrollen nicht auf dem umgekehrten Wege passiert.« »Wir beide stehen hier, wo zuvor die Kapsel schwebte«, sagte Perry Rhodan iro nisch. »Deshalb wissen wir, daß die drei Wissenschaftler nicht mehr hier sind. Allan, die Kapsel ist eine Zeitmaschine! Folglich liegt doch der Schluß nahe, daß die drei Akonen mit ihr durch die Zeit verschwunden sind. Deshalb brauchten sie keine Kontrollen zu passieren!« »Perry!« erwiderte Mercant beschwörend. »Ich kenne Quamy von Lutrak, Hely von Ormesch und Aprun von Holledt persönlich. Deshalb weiß ich, daß sie keine Verräter sind. Schließlich befanden sie sich in Schutzhaft, weil sie aus Gewissensnot das Energiekommando verlassen und uns über einen geplanten Anschlag informiert haben, bei dem die Bevölkerung der Erde dezimiert werden sollte. Sie haben sich bereit erklärt, ihre Aussagen vor dem Galaktischen Ge richtshof zu wiederholen, damit diejenigen akonischen Geheimdienstoffiziere, die ge gen den Willen ihrer Regierung einen Krieg zwischen unseren Völkern provozieren wol len, entlarvt und zur Rechenschaft gezogen werden können. Sie würden niemals absicht lich eine Zeitmaschine stehlen und irgendwann in der Vergangenheit vielleicht Para doxa erzeugen.« »Wenn nicht absichtlich, dann vielleicht
Atlantis-Patrouille unabsichtlich«, meinte Rhodan. »Oder soll ten sie versuchen, in der Vergangenheit die Offiziere des Energiekommandos unschäd lich zu machen, die den Anschlag auf Terra planten und ihnen jetzt nach dem Leben trachten?« Mercant blickte mit der Miene eines Un schuldsengels geradeaus. »Ich habe sämtliche verfügbaren Innen dienstkräfte angewiesen, alle archivierten und nicht archivierten Aufzeichnungen dar aufhin zu untersuchen, ob sie Widersprüche hinsichtlich der Aussagen der drei ver schwundenen Akonen und der Tatsachen aufweisen«, sagte er. »Bis jetzt ohne Ergeb nis.« Perry Rhodan blickte den Solarmarschall von der Seite an, dann lachte er trocken. »Sie sind noch gewiefter als ich dachte, Allan.« »Ein Geheimdienstchef muß immer ge wiefter sein, als andere Menschen denken«, erwiderte Allan D. Mercant. Als sein Armband-Funkgerät summte, schaltete er es ein und winkelte den Unter arm an. »Mercant hier!« meldete er sich. Rhodan beugte sich hinüber, um zu hören, was der Anrufer zu sagen hatte. »Sir, soeben wurde ein privater Flugglei ter auf einem Parkplatz am Kalak Place ge funden – und in seiner Kabine liegen drei paralysierte Akonen, die die Gesuchten sein müssen«, hörte er und wurde blaß. Auch Mercant wurde blaß. »Danke!« sagte er zu dem Anrufer. »Veranlassen Sie, daß der Gleiter und die drei Gesuchten sofort und unauffällig ins Medo-Labor gebracht werden!« Er blickte den Großadministrator an. »Damit bekommt der Fall eine völlig neue Dimension, Perry. Sind Sie sich darüber klar?« Rhodan nickte. »Allerdings, Allan. Die Vermutung liegt nahe, daß es gar nicht die drei Akonen wa ren, die durch alle Kontrollen bis ins Tech no-Labor geschleust und als die Akonen
41 identifiziert wurden. Da die Mitarbeiter der Abwehr aber, wenn schon nicht mentalstabi lisiert, so wenigstens durch Hypnoblöcke gegen die Einwirkung von Psychostrahlern immunisiert sind, können sie nur durch Mu tanten getäuscht worden sein.« Er blickte auf, als sich ein Mann durch die Menge der herumstehenden Abwehrleute drängte, den er recht gut kannte. Es handelte sich um Oberst Gentro Reiser, einen Ein satzagenten, der zur Elite der Solaren Ab wehr zählte. Zur Zeit sah er allerdings nicht nach »Elite« aus, denn seine Kleidung war zerrissen und verschmutzt, und sein linkes Auge verbarg sich hinter einer blaugrünen Schwellung. »Reiser!« stieß Allan D. Mercant hervor. »Was ist mit Ihnen passiert?« Oberst Reiser blieb vor Rhodan und Mer cant stehen, salutierte und sagte undeutlich: »Sir, ich muß Ihnen melden, daß Profes sor Stancovice ein Verräter ist. Er schlug mich nieder, als ich Professor Tolperkohn überwachen wollte, fesselte und knebelte mich und sperrte mich in einen Ölbunker. Ich konnte mich erst jetzt befreien und muß te danach feststellen, daß sowohl Professor Tolperkohn als auch sein extraterrestrischer Patient spurlos verschwunden sind.« »Das wird ja immer schöner!« sagte Rho dan. »Und ich dachte immer, Professor Stan covice würde Ihr volles Vertrauen genießen, Allan.«
* »Er genießt es noch immer«, erklärte der Solarmarschall. Er schaltete sein Armband-Funkgerät ein, rief die Kommunikationszentrale der SolAb und bat darum, Oberst Fangaloa Eneiki zu suchen und ihr auszurichten, sie möchte sich mit ihm in Verbindung setzen. Einige Minuten später erschien das Ab bild von Fangaloa Eneikis Gesicht auf dem kleinen Telekom-Bildschirm. »Wo stecken Sie denn, Oberst?« fragte Mercant ungehalten. »Sie hatten den Auf
42 trag, Professor Tolperkohn überwachen zu lassen.« »Es tut mir leid, Solarmarschall«, sagte Oberst Eneiki. »Professor Tolperkohn muß etwas von meiner Überwachung gemerkt ha ben. Jedenfalls praktizierte er eine Droge in meinen Drink, die mich für einige Stunden ausschaltete.« »Sie haben sich direkt an ihn herange macht?« fragte Mercant. »Ich gab ihm die Gelegenheit, mich anzu sprechen und mit mir zu flirten«, antwortete Fangaloa Eneiki. »Ein Versteckspiel wäre sinnlos gewesen, da er mich schon kannte. Er wußte also, wer ich war, aber ich hoffte, daß der Anreiz des Weiblichen für ihn stär ker sein würde als die Angst vor dem Kon takt mit einem SolAb-Offizier. Leider hatte ich mich getäuscht.« »Ich rechnete damit«, meinte Mercant trocken. »Leider täuschte ich mich in einer Hinsicht auch. Deshalb wissen wir beide nicht, wohin Tolperkohn mit dem Extrater restrier verschwunden ist.« »Wenn wir Professor Stancovice erwi schen, könnten wir es erfahren, Sir«, erwi derte Fangaloa Eneiki eifrig. »Er muß ir gendwie in dem Komplott stecken. Jeden falls, als ich nach meiner Bewußtlosigkeit zur Klinik fuhr, um mich davon zu überzeu gen, daß der Extraterrestrier noch dort war, wurde ich Zeuge, wie Tolperkohn in einem Gleiter floh und wie Stancovice ihm in sei nem Gleiter folgte. Ich hängte mich an unse ren Magie-Experten – und wissen Sie, was der Kerl tat? Er schoß mir eine Störsonde in die Elektronik meines Gleiters, so daß ich über der Region Ala Shan notlanden muß te.« Sie lachte plötzlich triumphierend. »Aber bevor ich abschmierte, habe ich ihm noch eine Detonatorkapsel mit Zeitzün der und Haftkopf hinterhergeschossen. Sie muß vor etwa einer Stunde explodiert sein.« Das Bild auf dem Schirm wackelte, dann schob sich das Abbild von Stancovices Ge sicht darüber. »Das ist sie allerdings«, sagte der Magie-
H. G. Ewers Experte erbost. »In der Nähe des Quellge biets des Hoang-Ho bin ich abgestürzt. Ich habe mir beide Beine gebrochen, weil die Detonation den Antigrav der Rettungskapsel beschädigt hatte. Oberst Eneiki, Sie sind sich hoffentlich klar darüber, daß ich als Vertrauter Loggys eine echte Chance hatte, den Entführern Algonkin-Yattas zu ihrem Versteck zu folgen. Sie haben mir das ver masselt.« »Moment!« rief Rhodan. »Wer ist Loggy – und woher kennen Sie den Namen des Fremden, der uns bis jetzt unbekannt geblie ben war?« »Loggy ist ein Partner des Fremden – und von ihm kenne ich den Namen des Frem den«, antwortete Stancovice. »Ein Partner des Fremden?« fragte Allan D. Mercant entgeistert. »Wer soll das sein – und warum wissen wir nichts von ihm, Pe trow?« »Weil Loggy nicht wie ein Lebewesen aussieht, sondern ein Kristall ist«, antworte te der Magie-Experte der Solaren Abwehr. »Übrigens wollte er die Zeitkapsel für Al gonkin-Yatta hüten.« »Algonkin-Yatta!« sagte Rhodan, an Mer cant gewandt. »Allan, Sie haben, wie ich, als Kind des 20. Jahrhunderts noch Dokumenta tionen und Spielfilme über die Indianerstäm me Nordamerikas gesehen. Sagt Ihnen der Name ›Algonkin‹ auch etwas?« Mercant nickte bedächtig. »Der Name Algonkin wurde, soviel ich mich erinnere, von einem einzelnen India nerstamm am Ottawa entlehnt. Dieser Stamm breitete sich einige hundert Jahre vor der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus beiderseits der Hudson Bay, im Gebiet der westlichen Großen Seen südwärts bis zum Ohio sowie entlang der atlantischen Küste von Nova Scotia bis North Carolina aus und teilte sich mit wachsender Bevölkerung in viele hundert Stämme auf. Allerdings besa ßen die Algonkin keinerlei Ähnlichkeit mit dem schwarzblauhäutigen Fremden, der sich Algonkin-Yatta nennt. Wahrscheinlich gibt es zwischen ihm und den Algonkin keinerlei
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Beziehungen.« Er blickte wieder auf den TelekomBildschirm. »Wo befinden Sie sich jetzt, Petrow?« »In einem Krankenbeförderungsgleiter auf dem Wege nach Terrania City, Sir«, ant wortete der Magie-Experte. »Ich hoffe doch, daß ich im SolAb-Hospital aufgenommen werde.« »Absolut klar«, erwiderte Mercant. »Bitte, gehen Sie jetzt aus dem Kanal. Ich erwarte Ihre Meldung, sobald Sie sich in der SolAb-Klinik befinden.« »Ja, Sir!« sagte Petrow Stancovice ver gnügt. Im nächsten Moment wurde das Abbild von Oberst Eneikis Gesicht wieder auf dem Bildschirm sichtbar. »Das war doch dieser Hexer!« erwiderte Mercant. »Wissen Sie, daß er sich Ihretwe gen beinahe zu Tode gestürzt hatte? Ach, lassen wir das! Jedenfalls beweist mir das ganze Durcheinander, daß Professor Tolper kohn von einer richtigen Organisation unter stützt worden sein muß – und daß es in die ser Organisation wenigstens eine Person mit parapsychischen Fähigkeiten geben muß, sonst wäre die Zeitkapsel nicht gestohlen worden.«
* »Ich gebe Alarm für das Mutantenkorps!« sprach Perry Rhodan in sein ArmbandFunkgerät. »Jeder verfügbare Mutant soll sofort zum Techno-Labor der Solaren Ab wehr kommen! Rhodan, Ende!« Er wandte sich wieder an Mercant und sagte: »Ich weiß nur von Goratschin und Son Okura, daß sie auf der Erde sind. Sie haben Urlaub. Alle anderen Mutanten sind im Ein satz außerhalb des Solsystems. Allerdings erwarte ich Kakuta und Betty Toufry in spä testens fünf Tagen zurück. Sie könnten also durchaus noch heute oder morgen eintreffen – oder gerade eingetroffen sein.« Mercant nickte.
»Betty ist meiner Meinung nach die einzi ge Mutantin, die uns direkt helfen könnte. Ich wette, daß die Entführer der Zeitmaschi ne früher oder später wieder in der Jetztzeit auftauchen, um Tolperkohn mitzunehmen, der sich irgendwo versteckt haben muß. Si cher hat er Algonkin-Yatta bei sich. Ich fra ge mich, warum Tolperkohns Assistent kei nen Verdacht schöpfte.« »Es sei denn, er gehört dazu und ist geflo hen«, meinte Rhodan. »Nein, das ist er nicht«, erwiderte Mer cant. »Ich rief ihn vorhin an und bat ihn, herzukommen.« »Hier ist er, Sir!« meldete ein Leutnant und deutete auf einen relativ jungen Mann neben sich. »Guten Tag!« sagte der Mann. »Ich bin Orwell Hynes, Assistent von Professor Tol perkohn am Akul Akiwa Memorial Hospi tal.« »Was können Sie uns über die Beziehun gen zwischen Ihrem Chefarzt und ihrem ge meinsamen Patienten sagen, Doc?« erkun digte sich Mercant freundlich. »Nicht viel, Sir«, antwortete der Medizi ner. »Professor Tolperkohn schickte mich nach einem kurzen Einführungsgespräch mit Algonkin-Yatta mit den Speicherkristallen, die die physiologischen Werte des Patienten aufgezeichnet hatten, ins Rechenzentrum, damit ich eine Analyse anfertigte. Das dau erte viereinhalb Stunden, und zwar über den Dienstschluß hinaus. Am nächsten Tage teil te der Professor mich für eine andere Aufga be ein – und heute habe ich eigentlich mei nen freien Tag.« »Es tut mir leid, daß ich Ihnen Ihre Frei zeit stehlen muß, aber es ist unumgänglich«, sagte Allan D. Mercant. »Bitte, berichten Sie über das Einführungsgespräch!« Er lächelte den Großadministrator verle gen an. »Es scheint fast so, als wären wir beide die einzigen Menschen gewesen, die über den Fremden Bescheid wußten und seinen Namen nicht kannten, Perry.« Rhodan lächelte seltsam und meinte:
44 »Entweder liegt es daran, daß wir zu be schäftigt sind – oder daran, daß der Fall Al gonkin-Yatta eigentlich zu einem anderen Ressort gehört.« »Was uns jetzt nichts mehr nützt«, erwi derte Mercant. »Man hat uns praktisch in den Strudel der anderen Ereignisse hineinge rissen, damit wir nicht still vor uns hinro sten.« »Ich verstehe nicht, worüber Sie reden, meine Herren«, warf Orwell Hynes ein. »Sie können es im ›Atlantis-Report‹ nach lesen, der sicher einmal erscheinen wird«, meinte Rhodan. »So ist es«, meinte Mercant. »Und nun berichten Sie bitte, junger Mann!« Hynes nickte eifrig. »Ja, Sir! Also, dieser Algonkin-Yatta ana lysierte unsere Sprache, ich meine das Inter kosmo, nach unseren ersten Worten – und er antwortete in Interkosmo darauf. Er bat uns, ›unserem‹ Obmann die besten Grüße zu übermitteln.« »Dachte er, er wäre auf Plophos?« fragte Rhodan. »Kennt er meine Frau?« Hynes schüttelte den Kopf. »Das dachten wir zuerst auch, Sir. Aber dann beschrieb Algonkin-Yatta uns die Er kennungszeichen des plophosischen Raum schiffs, dem er einmal begegnet war – und wir merkten, daß es ein Raumschiff des Ob manns Iratio Hondro war.« »Iratio Hondro ist seit dreihundertzwanzig Jahren tot!« entfuhr es Rhodan. Hynes nickte. »Demnach muß Algonkin-Yatta sehr alt sein, Sir.« Mercant runzelte die Stirn. »Ist Ihnen noch nicht der Gedanke ge kommen, Algonkin-Yatta könnte ein Zeitrei sender sein? Und hat er auch nichts Derarti ges gesagt?« »Nichts dergleichen, Sir«, antwortete der Mediziner. Seine Augen weiteten sich. Rhodan folgte seiner Blickrichtung mit den Augen und sah, welcher Anblick den Assistenzarzt so überrascht hatte.
H. G. Ewers Soeben war der Mutant Iwan Iwanowitsch Goratschin durch ein Tor in die Halle ge kommen. Der »Zünder« wirkte mit seinem 2,75 Meter großen Körper, den beiden dicht zusammenstehenden Köpfen und der grünen Haut auf jeden, der den Anblick nicht ge wöhnt war, schockierend. Während die beiden Köpfe sich in einer fremden Sprache (es handelte sich um prä kosmisches Russisch) über irgend etwas stritten, stapfte der Gigant näher. In seinem »Kielwasser« ging ein Mann, dessen schmächtiger Körperbau gerade bei der An wesenheit Goratschins auffiel. Es handelte sich um den »Frequenzseher« Son Okura. »Hallo, die Herren!« dröhnte Iwan Gorat schins Stimme durch den Saal. Er baute sich vor Rhodan und Mercant auf. »Ich habe meinem jüngeren Bruder gesagt, daß Atlan eines Tages zurückkehren wird, aber Brü derchen will es nicht glauben. Was meinen Sie dazu?« »Ich habe nicht gesagt, ich würde es nicht glauben, du Wortverdreher!« schimpfte Iwa nowitsch. »Ich sagte nur, ich hätte gewisse Zweifel, denn meiner Ansicht nach ist At lantis nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit verschwunden. Man brauchte schon eine Zeitmaschine, um ihr nachzueilen und Atlan zu helfen.« Rhodan und Mercant blickten sich an, dann meinte der Großadministrator: »Iwan und Iwanowitsch, mein Kompli ment! Genau das, nämlich eine Zeitmaschi ne, haben wir. Das heißt, wir haben sie nicht mehr, denn sie wurde uns aus dem TechnoLabor gestohlen und befindet sich wahr scheinlich in einer anderen Zeit. Aber sie wird in unsere Zeit zurückkehren – und dann müssen wir schnell zupacken.« »Wie können wir dabei helfen, Sir?« frag te Son Okura mit zaghaftem Lächeln und rückte seine Brille gerade. »Wir werden es Ihnen gleich erklären«, antwortete Perry Rhodan. »Vorher aber muß ich Ihnen noch mitteilen, daß ich deshalb Alarm für das Solare Mutantenkorps gege ben habe, weil an dem Raub der Zeitkapsel
Atlantis-Patrouille aus dem Techno-Labor der Solaren Abwehr mit großer Wahrscheinlichkeit eine parapsy chisch hochbegabte Person beteiligt war.« »Also ein Mutant, der auf der anderen Seite des Gesetzes steht«, dröhnten Gorat schins Stimmen gleichzeitig auf. »Wir wer den ihm den Hals umdrehen!« Okura nahm seine Brille ab, putzte die Gläser mit einem Läppchen, setzte sie wie der auf und sagte: »Ich stimme gegen diesen Vorschlag, Großadministrator, denn erstens bin ich prinzipiell gegen die Anwendung von Ge walt jeder Art und zweitens halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß dieser Bruder im Geiste – oder diese Schwester im Geiste – von skrupellosen Verbrechern ausgenutzt wird.« »Die Goratschins haben es nicht wörtlich gemeint, Okura«, warf Allan D. Mercant ein. »Selbstverständlich nicht!« röhrte Iwano witsch. »Wir werden doch ein Brüderchen oder ein Schwesterchen nicht umbringen, bloß weil es eine dumme Zeitmaschine gestohlen hat!« rief Iwan und wischte sich eine Träne aus dem linken Auge. Perry Rhodan preßte die Lippen zusam men. Er kannte diese Solidarität aller Mu tanten untereinander. Sie entsprang der Ver bundenheit, die durch ihr gemeinsames Schicksal gewachsen war, denn kein Mutant und keine Mutantin konnten genauso wie normale Menschen leben. Sie mußten ihre Selbstkontrolle und Selbstdisziplin bis zum Extrem steigern, um nicht aufzufallen oder gar Unheil anzurichten – und wenn man ihre Fähigkeiten entdeckte, mußten sie sich ent scheiden, ob sie für oder gegen das Gesetz arbeiten wollten. Ein Ausweichen war un möglich, und manchmal entschied nur ein Zufall darüber, wie ein Mutant sich ent schied. »Ich denke, wir verstehen uns«, sagte er. »Ihr wißt, was ihr von Allan und mir zu hal ten habt. Wir werden nichts von euch ver langen, das ihr nicht freiwillig geben wollt.
45 Es kommt uns nicht darauf an, einen Mutan ten oder eine Mutantin einzufangen, sondern darauf, einen Besucher aus der Gewalt sei ner Entführer zu befreien und zu verhindern, daß Verbrecher mit seiner Zeitmaschine un ermeßlichen Schaden anrichten.« Die Goratschins schluckten. »Ja, Chef, Sie können sich auf uns verlas sen«, sagten sie wie aus einem Mund. »Geben Sie mir einen räumlichen An haltspunkt, wohin die Entführer sich ge wandt haben könnten, und ich werde sie auf spüren!« versicherte Son Okura. »Gehen wir in meinem Büro alles durch!« sagte Allan D. Mercant.
9. RÜCKKEHR ZUR BASIS Anlytha starrte aus ihrem Baumwipfelver steck fasziniert zu dem tropfenförmigen Raumschiff hinüber, das urplötzlich auf ei ner zirka fünfhundert Meter entfernten Lich tung sichtbar geworden war. Es war keineswegs plötzlich materiali siert, sondern schon vor etwa zehn Minuten gelandet. Die entsprechenden Geräusche waren von Anlytha gehört worden. Sie nahm an, daß die Besatzung ihr Schiff mit Licht wellenumlenkern unsichtbar gemacht hatte, bis sie sicher war, daß sich auf dem vierten Planeten der beiden blauen Sonnen keine Feinde aufhielten. Anlytha überlegte, ob die Ortungsgeräte des Schiffes das Kundschafterschiff ent decken konnten. Sie kam zu dem Schluß, daß das unmöglich war, denn Algonkin-Yat tas Schiff lag in einer Höhle, die rund tau send Kilometer vom Landeplatz des Trop fenschiffs entfernt war und hatte sich außer dem mit je einem Anti-Ortungsschirm und Tarnfeld gegen Entdeckung geschützt. Anlytha war lediglich mit ihrem Torni ster-Flugaggregat in diese Gegend gekom men. Sie hatte sich bis zur Ankunft des Tropfenschiffs gelangweilt, denn erstens fehlte ihr Algonkin-Yatta sehr und zweitens gab es nirgends auf diesem Planeten intelli
46 gente Wesen, die Kunstgegenstände herstell ten. Jedenfalls hatte es sie bis jetzt nicht gege ben. Mit der Landung der Unbekannten hat te sich das geändert, denn es war sehr wohl möglich, daß eine raumfahrende Zivilisation auch künstlerische Materialgestaltung prak tizierte. Anlytha hielt den Atem an, als sich in dem Schiff eine Luke öffnete. Endlich wür de sie sehen, welche Gestalt die fremden Be sucher besaßen! Doch als sich nach einer halben Stunde immer noch niemand in der Luke gezeigt hatte, seufzte Anlytha enttäuscht. Offenbar durchlüfteten die Besucher ihr Schiff nur. Das war nicht gerade unterhaltsam für Anly tha. Deshalb beschloß sie, den Fremden einen Besuch abzustatten. Sie konzentrierte sich auf ihre psionische Fähigkeit, anderen Lebewesen etwas vorzu gaukeln und gab sich das Aussehen eines großen Laufvogels. Diese Vorstellungspro jektion fiel ihr leicht, da sie selbst einem Volk angehörte, das von vogelartigen Lebe wesen abstammte. Allerdings konnte Anlytha das nur vermu ten beziehungsweise aus zahlreichen Anzei chen schließen, denn sie besaß keine Erinne rung an ihre Vergangenheit und ihre Her kunft. Algonkin-Yatta hatte sie vor ungefähr einem Sternenjahr in einem havarierten Kleinraumschiff gefunden, das in der Leere zwischen den Sternen trieb. Er hatte sie aus dem Pilotensitz gerettet, doch sie konnte sich an nichts mehr erinnern, was davor ge wesen war. Offenkundig hatte sie bei dem Unfall im Raum ihr Gedächtnis verloren. Seitdem war sie mit dem Kundschafter von Ruoryc zusammengeblieben, hatte sich an der Suche nach Atlan beteiligt und war in zahlreiche gefährliche Abenteuer verwickelt worden. Und als Algonkin-Yatta mit der Zeitkap sel eines ausgestorbenen Volkes zu einer Expedition gestartet war, die ihm neue Hin weise auf Atlans Weg durchs Universum bringen sollte, war Anlytha als Hüterin sei-
H. G. Ewers nes Kundschafterschiffs auf dem Planeten der beiden blauen Sonnen geblieben. Vom Planeten aus konnte man allerdings immer nur die eine der beiden Sonnen se hen, denn obwohl sie beide blau leuchteten, unterschieden sie sich doch fundamental voneinander. Während der eine, am weitesten vom vierten Planeten entfernte Stern ein »gewöhnlicher« blauer Sternenriese war, hatte sein erheblich näherer Begleiter sein Leben sozusagen bereits hinter sich. Er hatte nach der Kristallisation der Kernmaterie ei ne Beschleunigung des Temperaturabfalls »erlebt«, war über das Stadium des »Weißen Zwergs« gesprungen und gleich zu einem »entarteten Zwerg« von blauer Färbung ge worden, dessen Oberflächentemperatur bei knapp tausend Grad Kelvin lag. Algonkin-Yatta und Anlytha hatten ihn nur mit Hilfe der Ortungsinstrumente des Kundschafterschiffs entdeckt, als sie ins Sy stem einflogen und nach einem Planeten suchten, auf dem das Kundschafterschiff in Sicherheit war, während der Kundschafter eine Zeitexpedition startete. Völlig in Gedanken versunken, spazierte Anlytha aus dem Wald auf die Lichtung mit dem Tropfenschiff hinaus. Plötzlich erstarrte sie. Wenige Meter neben ihr bewegten sich die Halme des kurzen rötlichen Fächergrases in ganz bestimmter Art und Weise. Während an einer Stelle die fächer- oder büschelför migen Blattspitzen sich bis dicht über den Boden senkten, wobei sie sich eng aneinan derpreßten, erhoben sie sich an einer ande ren Stelle wieder zur normalen Höhe. Und das alles geschah im ständigen Wechsel. Jemand, der zwei Beine besaß, ging über das Gras der Lichtung. Jemand, der sich unsichtbar machen konnte! Im ersten Schreck hätte Anlytha beinahe aufgeschrien und wäre voller Panik geflo hen. Gerade noch rechtzeitig dachte sie dar an, daß sie selbst nicht als intelligentes Le bewesen zu erkennen war.
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Sie wollte ihren Weg zum Schiff fortset zen, als sie bemerkte, daß der Unsichtbare stehengeblieben war. Er interessiert sich für mich! dachte sie. Im nächsten Augenblick eilten die Fußab drücke auf sie zu. Dann spürte sie sich von Greifwerkzeugen gepackt, die sich wie trockener warmer Gummi anfühlten. Da der Unsichtbare nicht sah, wie sie wirklich ge baut war, hätte Anlytha sich leicht aus sei nem Griff befreien können. Aber da wurde sie von der anderen Seite von einem zweiten Unsichtbaren gepackt – und gleichzeitig überlegte sie sich, daß es sicher aufschluß reich wäre, sich an Bord des Tropfenschiffs bringen zu lassen, da die Besucher sich dort wohl kaum unsichtbar machen würden. Sie bewegte sich so, daß die Unsichtbaren sie besser packen konnten, und stieß dabei ein vogelartiges Kreischen aus, das den Fremden bestätigen sollte, daß sie es mit ei ner niederen Kreatur zu tun hatten, vor der sie sich nicht zu fürchten brauchten. Allerdings vermochte sie der Versuchung nicht zu widerstehen, den körperlichen Kon takt mit den Unsichtbaren zu einigen kleinen Diebereien auszunutzen. Sie erbeutete eine Kette mit zahllosen winzigen Metallkugeln, einen Sternchronographen und ein zwiebel förmiges Gebilde, das einen unbeschreibli chen Geruch ausströmte, bei dem es Anlytha übel wurde. Aber Beute war Beute, und der erste Geruch konnte täuschen. Die beiden Unsichtbaren merkten nichts von den Diebstählen. Sie schleiften ihre ver meintliche Beute ziemlich unsanft auf die offene Schleuse des Schiffes zu – und bis sie die Schleuse erreichten, spürte Anlytha die Griffe von mindestens fünf Unsichtbaren. Und als die Schleuse sich hinter ihr und ihren »Einfängern« schloß, wurden die Fremden allmählich sichtbar!
* Fasziniert blickte Anlytha auf die arkoni dengroßen, pfahlförmigen Gestalten, die scheinbar allmählich aus dem Nichts heraus
materialisierten. Die dürren Körper wurden von blaßgrauer gummiartiger Haut um spannt. Reptilienhaut! durchfuhr es Anlytha. Und der Anblick der drei Augen, die auf dem lederhäutigen, halb echsen-, halb enten förmigen Schädel gleich den Eckpunkten ei nes gleichseitigen Dreiecks verteilt waren, bestätigte den Eindruck des Reptilhaftigen. Die dürren Körper besaßen übrigens drei Beine und nicht zwei, wie ihre Fortbewe gungsart hatte vermuten lassen. Das dritte Bein wurde offenbar nicht zum Gehen ver wendet, denn es endete nicht in einem Fuß, sondern in einer Rosette. Die schlauchdünnen Hälse wiesen am Schulteransatz knotenartige faustgroße Ver dickungen auf – und dort, wo der Kopf auf saß, befanden sich weitere Verdickungen. Die Arme baumelten gleich fadendünnen Dingern zu beiden Seiten der Pfahlkörper herab. Aber Anlytha wußte aus Erfahrung, daß in ihnen und in den noch zarter wirken den Greiforganen eine gehörige Portion phy sischer Kraft stak. Nach Geräten, mit denen die Fremden sich unsichtbar machen konn ten, schaute Anlytha allerdings vergeblich aus. Am liebsten hätte Anlytha die Fremden gefragt, wer sie waren und von welchem Planeten sie stammten. Sie mußte sich ge waltsam zusammenreißen, um sich nicht als intelligentes Lebewesen zu verraten, denn das hätte ihr den Spaß verdorben. Als die Fremden, die sie bisher festgehal ten hatten, sie losließen, stürmte sie krei schend davon. Ungefähr zehn oder zwölf Fremde stürzten ihr so vehement nach, daß sie sich selber behinderten und sich zu ei nem Knäuel verflochten, das sich nur müh sam wieder auflöste. Das war die Chance, auf die Anlytha ge wartet hatte! Sie gaukelte den Fremden das gleiche Aussehen wie sie vor – und ließ damit den »Laufvogel«, den sie bisher dargestellt hatte, wie in einer Versenkung verschwinden. Der Fremden bemächtigte sich große Auf
48 regung, als sie feststellten, daß das eingefan gene »Tier« sich nicht mehr in der Halle hinter der Bodenschleuse befand, sondern offenbar in eine andere Sektion des Schiffes geflüchtet war. Sie verständigten sich mit einer Serie von Zischlauten, bildeten Vierergruppen und sto ben auseinander. Anlytha nahm aktiv an der Gruppenbildung teil und gehörte dadurch ebenfalls zu einer Vierergruppe, die den Auftrag hatte, nach ihr zu suchen. Das erheiterte sie dermaßen, daß sie bei nahe vergessen hätte, sich ein paar Kleinig keiten anzueignen. Rasch holte sie es nach. Drei der zahlreichen Taschen auf ihrem brei ten schwarzen Hüftgürtel waren nunmehr mit Beute gefüllt. Doch besonders befriedi gend fand sie ihre Beute bisher nicht. Sie verlor die Lust, weiter hinter sich her zujagen und blieb hinter den anderen drei Individuen ihrer Gruppe zurück. Sie merkten es überhaupt nicht. Langsam schlenderte Anlytha durch den Hauptkorridor. Sie suchte die Steuerzentrale des Schiffes. Es interessierte sie, woher die seltsamen Wesen kamen und welches Ziel sie verfolgten. Unterwegs begegnete sie mehrmals einzelnen Pfahlwesen, aber sie al le erlagen der psionischen Beeinflussung Anlythas, die ihnen vorgaukelte, sie wäre ein Artgenosse. In der Steuerzentrale angekommen, fand sie neun Reptilienabkömmlinge vor, die ent weder in ihrer zischelnden Sprache mitein ander redeten oder über die Bordsprechanla ge mit anderen Artgenossen in Verbindung standen. Alle wirkten ziemlich aufgeregt. Anlytha nahm an, daß die Aufregung ihret wegen entstanden war. Es mußte schon ganz schön beunruhigend wirken, wenn ein eben erst eingefangenes Tier sich im Schiff jeder Verfolgung entzog. Nach einiger Zeit hatte Anlytha gefunden, was sie suchte: die Kursdatenspeicheranlage im Frontsektor der Bordpositronik. Behut sam schob sie sich an der Wand entlang dorthin. Sie wußte, daß ihr Verhalten auffal len mußte, sobald die Fremden sie beachte-
H. G. Ewers ten. Doch sie hatte Glück. Die Fremden wa ren so sehr mit ihrem derzeitigen Hauptpro blem beschäftigt, daß sie keine Augen für ihre Umgebung hatten. Beim Frontsektor der Bordpositronik an gekommen, stellte Anlytha fest, daß es sich um eine ungewöhnlich hochwertige Anlage handelte, die sogar mit einer bionischen Komponente versehen war. Sie war zweifel los besser als die der arkonidischen Raum schiffe, die Anlytha und Algonkin-Yatta bis her kennengelernt hatten. Vorsichtig schob sie die Klappe zurück, die den Kursdatenspeicher verdeckte. In der rechteckigen und zirka dreißig Zentimeter tiefen Nische dahinter blitzten die Speicher kristalle gleich hochkarätigen und exzellent geschliffenen Diamanten in ihren Haltefel dern. Dahinter lagen drei Reihen dichtge packter Mikroprozessoren, mit denen be stimmte Speicherkristalle zusammenge schaltet wurden, wenn das Schiff im Raum navigierte. Eigentlich hatte Anlytha ja nur den Spei cherkristall mitnehmen wollen, der ganz vorn in der Reihe »hing« und demnach den Flug der Fremden von ihrer Heimatwelt oder Basis zu der Welt der zwei blauen Sonnen aufgezeichnet hatte, aber die anderen Kri stalle gefielen ihr viel zu gut, als daß sie der Versuchung widerstehen konnte, sie alle mitzunehmen. Fast andächtig zog sie die Kristalle nach und nach mit einem Magnetstift aus ihren Haltfeldern und verstaute sie in zwei ihrer Gürteltaschen. Danach schob sie die Klappe wieder über die Öffnung. Als sie sich wieder umdrehte, sah sie, daß drei der Fremden sie mit ihren Reptilienau gen anstarrten. Da sie aber keine feindselige Haltung einnahmen, waren sie offenbar nur verwundert darüber, daß ein »Artgenosse« sich nicht an der allgemeinen Diskussion über das im Schiff herumirrende »Tier« be teiligte. Anlytha wußte, daß die Lage dennoch kri tisch war. Bestimmt bestand die Besatzung der Steuerzentrale nur aus einer bestimmten
Atlantis-Patrouille Anzahl von Individuen. Wenn einer der Fremden nachzählte und feststellte, daß ei ner zuviel vorhanden war, würde er sich Ge danken darüber machen. Doch daran dachte anscheinend niemand. Zwei der Fremden schauten wieder weg und diskutierten über die Bordsprechanlage mit Artgenossen. Der dritte Fremde deutete auf ein freies Bildsprechgerät und gab eine Fol ge von zischelnden und knarrenden Lauten von sich. Ohne erst zu überlegen, ahmte Anlytha ei nige dieser Laute nach. Und plötzlich fuhren die Köpfe aller An wesenden zu ihr herum. Siebenundzwanzig Reptilienaugen starrten sie an. Anlytha ahnte, daß sie in Unkenntnis der fremden Sprache entweder völligen Unsinn gesagt oder aber etwas Ungehöriges von sich gegeben hatte. Der Fremde, der sie angesprochen hatte, sagte abermals etwas zu ihr. Am Tonfall glaubte Anlytha herauszuhören, daß es sich um eine Frage handelte. Aber diesmal verzichtete sie auf eine Er widerung, die den Verdacht gegen sie nur hätte verstärken können. Statt dessen kon zentrierte sie sich darauf, den Fremden den Eindruck einer transparenten Spirale vorzu gaukeln, in der sie sich befanden. Beinahe sofort fingen die Fremden an, wie betrunken in der Steuerzentrale umher zutorkeln. Sie stießen dabei krächzende und fauchende Laute aus, tasteten ziellos umher und prallten immer wieder gegeneinander, da Anlytha ihnen viel größere Entfernungen vorgaukelte, als es der Wirklichkeit ent sprach. Behutsam stieg Anlytha über drei ineinan der verknotete Fremde, die sich auf dem Bo den wälzten. Sie wich den herumfuchtelnden dünnen Armen eines anderen Fremden aus und erreichte schließlich das nach außen führende Schott. Gerade öffnete sich das Schott vor ihr, als es einem der Fremden gelang, durch Druck auf eine Schaltplatte Alarm auszulösen. An lytha warf sich schnell durch die Öffnung.
49 Im nächsten Augenblick schloß sich das Schott hinter ihr. Sie erschrak, als sie kurz darauf das Ru moren hochgeschalteter Kraftstationen ver nahm. Die Fremden wollten starten und die se Welt verlassen – und sie würde unfreiwil lig mitfliegen, da während des Alarms sämt liche Schotte zentralverriegelt wurden, also auch die Schleusenschotte. Das Rumoren steigerte sich zu einem fast infernalischen Tosen, dann brach es schlag artig ab. Anlytha überlegte, ob sich das Schiff schon im Raum befand und deshalb der An trieb ausgeschaltet worden war. Doch nach einer Weile war sie sicher, daß das Schiff nicht abgehoben hatte. Als erfahrene Raum fahrerin hätte sie das gespürt. Plötzlich wurde ihr klar, daß das Schiff überhaupt nicht hatte starten können, denn sie hatte ja sämtliche Speicherkristalle ge stohlen – und dazu gehörten auch die Spei cherkristalle für Starts und Landungen. Sie kicherte. Die Fremden würden einige harte Nüsse zu knacken haben, bevor sie neutrale Spei cherkristalle so programmiert hatten, daß mit ihrer Hilfe die Mikroprozessoren befä higt wurden, alle erforderlichen Manöver zu steuern. Zufällig blickte sie auf eine polierte Me tallplatte der Korridorwand – und sah sich so, wie sie wirklich war: 1,33 Meter groß, humanoid, fliederfarbene porzellanartige Haut, statt Haarwuchs ein weißer Feder kamm auf dem Kopf, enganliegende silber farbene Kleidung und breiter schwarzer Gürtel. Ihr Kichern brach ab. Sie hatte vergessen, ihre psionische Aus strahlung aufrecht zu erhalten, und das war ein Verstoß gegen ihre eigenen Regeln. Au ßerdem konnte es gefährlich werden, wie sie gleich erfuhr. Einer der Fremden trat aus einem Seiten gang, erblickte Anlytha, stieß einen schrillen Pfiff aus und zog seine Strahlwaffe. Der Energiestrahl zuckte knapp einen halben
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Meter an Anlytha vorbei. Anlytha pfiff ebenfalls, aber voller Empö rung. Jemand hatte gewagt, auf sie zu schie ßen – und noch dazu mit einer tödlichen Waffe. Eine Front psionischer Energie ver ließ ihr Gehirn und traf in Form einer di mensional übergeordneten Schockwelle die Gehirne der Fremden. Sie gaukelte ihnen ei ne totale Instabilität der Materie vor, die ihre Umgebung bildete. Anlytha hatte keine Mühe, in dem folgen den chaotischen Durcheinander aus dem Schiff zu entkommen. Aber der Schuß, der sie fast getroffen hätte, war zuviel für sie ge wesen. Er hatte sie nicht nur erschreckt, son dern auch gekränkt. Mit Wesen, die auf eine unbewaffnete Besucherin schossen, wollte sie nichts mehr zu tun haben. Sie schaltete ihr Flugaggregat ein und flog dicht über dem Boden davon.
* Als sie sich dem Versteck des Kundschaf terschiffs näherte, sah sie schon von weitem die silberfarbene Konstruktion der Zeitkap sel darüber schweben. »Algonkin!« rief Anlytha entzückt und beschleunigte. Ihr Herz klopfte heftig, als sie die Zeitkapsel erreichte. Hastig betätigte sie den Öffnungsmechanismus der Schleuse. Sie dachte überhaupt nicht an die Mög lichkeit, daß die Zeitkapsel leer zurückge kehrt sein könnte. Deshalb schaute sie sich ungläubig im Innenraum um, nachdem sie das Schleusenschott geöffnet hatte. »Algonkin …?« rief sie zaghaft. »Algonkin ist nicht mitgekommen, Anly tha«, glaubte sie sich selbst sagen zu hören. Aber dann merkte sie, daß sie die Worte nur gedacht hatte – und daß die Gedanken ihr von einer anderen Wesenheit eingegeben worden waren. »Loggy!« sagte sie. Der kugelförmige Kristall, der nach eige nen Aussagen ursprünglich ein Orientie-
rungselement des Zeitauges gewesen war, das vom Luna-Clan gebaut wurde und das durch die Begegnung mit einem Psi-Roboter und zuletzt mit etwas Unbekanntem zwi schen den Zeitströmen modifiziert und auch äußerlich verwandelt worden war, schwebte in Anlythas Blickfeld. »Ich bin allein zurückgekehrt, weil Al gonkin-Yatta ohne unsere gemeinsame Hilfe nicht befreit werden kann«, ließ Loggy die Freundin des Kundschafters denken. »Er be findet sich auf einem Planeten namens Erde und ist zwischen die Intrigen von Menschen geraten, die unsere Zeitkapsel an sich reißen wollen.« »Menschen?« wiederholte Anlytha. »Bösartige Lebewesen?« »Teils, teils«, erwiderte Loggy. »Sie werden mich kennenlernen!« erklärte Anlytha. »Kannst du uns überhaupt wieder in den richtigen Raum und in die richtige Zeit bringen, damit wir Algonkin nicht ver fehlen?« »Ich kann es, weil ich festgestellt habe, daß ich auf dem Mond dieses Planeten ent standen bin – in meiner ursprünglichen Form. Das ist eine gute Orientierungshilfe für mich.« »Ausgezeichnet«, sagte Anlytha. »Ich ho le nur schnell meine Sonderausrüstung aus dem Kundschafterschiff, dann können wir aufbrechen. Warte hier auf mich, ja?« »Selbstverständlich«, formte sich die Ant wort in ihren Gedanken. »Ich bin ja nicht gekommen, um allein wieder aufzubre chen.« »Schon gut!« erwiderte Anlytha, während sie zum Versteck des Kundschafterschiffs flog. »Menschen! Ha, diesen Wesen werde ich es zeigen! Wartet nur, bis Anlytha kommt!«
E N D E
ENDE