Attacke der Grausamen Von Jason Dark Titelbild: Syuigovets / Luserke Den ersten Schlag bekam Ray Miller mit, als er bes...
10 downloads
453 Views
727KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Attacke der Grausamen Von Jason Dark Titelbild: Syuigovets / Luserke Den ersten Schlag bekam Ray Miller mit, als er beschleunigen wollte. Das bedeutete kein Risiko, denn die Landstraße war zwar nicht besonders breit, aber sie lag schnurgerade und übersichtlich vor ihm. Nicht ihn traf der Schlag, sondern das Autodach. Miller zuckte zusammen, er fluchte auch, beugte sich dann vor, um besser durch die Frontscheibe auf die Fahrbahn zu schauen. Dort lag nichts, was er als Hindernis hätte einschätzen müssen. Der Schlag war auch von oben erfolgt, und so dachte Miller darüber nach, ob ihm nicht ein Vogel auf das Dach geflogen war... Scanned by Mabaka
Deutsche Erstveröffentlichung 10.08.10
Nur sah er keinen auf der Fahrbahn liegen. Auch als er seinen Blick zur Seite hindrehte, war kein Tier zu entdecken, das auf die Straße geklatscht wäre. Miller schüttelte den Kopf. Er lachte über sich selbst. Nur war das Lachen nicht echt. Ein leicht bedrückendes Gefühl blieb bei ihm schon zurück und er dachte auch nicht mehr daran, seinen Toyota zu beschleunigen. Er fuhr zwar weiter, dies aber in einem recht langsamen Tempo, wobei er immer auf der Hut war. Es gab Tage, da verfluchte er seinen Job, der ihn quer durch das ganze Land führte. Er arbeitete als Detektiv für eine Versicherung. Offiziell hieß das Gutachter, aber Millers Aufgabe war es, Versicherungsbetrugsfälle auf zu klären. Allerdings nur, wenn es um hohe Summen ging. Dann wurde er eingeschaltet. Da spielte es keine Rolle, ob er einen Vorfall im Süden des Landes untersuchen musste oder im hohen Norden. Jetzt trieb er sich in der Provinz Derby herum, wo wirklich nicht viel los war. Aber er konnte sich seine Fälle nicht aussuchen. Außerdem wurde er gut bezahlt und einen Toyota der Marke Lexus fuhr auch nicht jeder. Miller blieb bei seiner langsamen Fahrweise. Den Schlag oder Aufprall hatte er nicht vergessen. Da musste etwas aus größerer Höhe auf das Dach seines Autos gefallen sein. All seine Gedanken hatten sich um die Rückfahrt gedreht, auf der er sich befand. Seine Wohnung - wie auch die Zentrale der Versicherung - lag in London. Urplötzlich und ohne Vorwarnung bekam er den zweiten Schlag mit. Wieder knallte es über ihm. Diesmal so laut, dass er den Eindruck hatte, sein Dach würde einbrechen. Wieder glitt ein Fluch über seine Lippen und er reagierte jetzt anders. Miller lenkte seinen Wagen an den linken Rand der Straße und hielt an. Das Motorengeräusch verstummte, das sowieso kaum zu hören gewesen war, aber in dieser Lage kam ihm die Stille schon leicht bedrohlich vor. Ray Miller war kein ängstlicher Mensch. Nun aber rann eine leichte Gänsehaut über seinen Rücken. Es war eine Lage, die ihm ganz und gar nicht. gefiel. Er hatte natürlich vor, seinen Wagen zu verlassen, doch diese Idee fand er nicht mehr so gut. Es war besser, wenn er in diesem Schutz blieb und sich erst mal umschaute. Miller befand sich in einer einsamen Gegend. Man konnte sie als waldreich bezeichnen, denn immer wieder tauchten die dunklen Flächen auf und lösten die Felder ab. Die Natur hatte die Trostlosigkeit des Winters hinter sich gelassen und stand jetzt in voller Blüte, was Miller im Moment nicht interessierte. Er suchte nach dem Grund der beiden Schläge, war aber nicht in der Lage, sie zu finden. Das ärgerte ihn. Rechts und links lag -nichts auf der Fahrbahn. Und auch daneben im Gras zeichnete sich kein toter Vogel ab oder was immer da auf seinen Lexus gefallen war. Weiterfahren oder aussteigen? Er musste nachdenken. Die meisten Menschen wären wohl weitergefahren, aber Miller war es gewohnt, ungewöhnlichen Vorfällen auf den Grund zu gehen, das gehörte schließlich zu seinem Beruf.
Er schnallte sich los. Dann schluckte er, weil er das Gefühl hatte, einen Kloß in seiner Kehle zu haben. Er spürte auch den leichten Druck im Kopf, blickte sich noch mal um, sah nichts und drückte die Fahrertür langsam nach außen. Er ließ sie noch einen Moment offen stehen, erst dann schwang er seine Beine ins Freie, stellte die Füße auf den Boden der Fahrbahn und schraubte sich in die Höhe. Nichts passierte. Das freute ihn schon mal. Er hatte damit gerechnet, dass man ihn angreifen würde. Miller trat auf die Straßenmitte zu und wünschte sich, dass jemand vorbei kam, den er hätte anhalten können, um mit ihm über die vorgefallenen Dinge zu sprechen. Das traf nicht zu. Die Gegend war wirklich einsam. Hier verschlug es keinen hin. Auf der einen Seite freute er sich, dass er allein war, auf der anderen spürte er ein bedrückendes Gefühl. Links von ihm lag so etwas wie ein, wildes Feld. Da wuchs das Gras schon sehr hoch und zwischendurch reckte Buschwerk seine Zweige in alle Richtungen. Weiter hinten fiel das Gelände leicht ab, bis zu einem schmalen Bach hin. Das wusste Miller, weil er noch vor Kurzem eine schmale Steinbrücke überquert hatte. Rechts wuchs der Wald ziemlich nahe an die Straße heran. Ob sich dort noch ein Graben befand, sah er nicht. Es war ihm auch nicht wichtig. Ohne dass es ihm richtig bewusst wurde, konzentrierte er sich auf den Wald und dachte dabei wieder an die Schläge auf das Autodach. Das war keine Einbildung gewesen. Er war angegriffen worden, ohne dass er den Angreifer hatte erkennen können. Ray Miller konzentrierte sich auf die Bäume. Es war nicht einfach, etwas zu entdecken. Es herrschte kein Winter mehr, die Bäume standen voll im Laub und auch zwischen den Stämmen war es recht düster. Auch das sah er als normal an. Niemand war zu sehen. Eigentlich hätte Miller froh sein können. Genau das war er nicht. Die Unruhe ließ sich nicht vertreiben und Miller fühlte sich irgendwie beobachtet. Es war nicht besonders warm. Er merkte, dass er am Nacken schwitzte. Er bemühte sich, seine Nerven zu beruhigen. Schließlich konnte er immer noch in seinen Wagen steigen und losfahren. Er würde auch versuchen, nicht weiter über die Schläge nachzudenken, er wollte nur weg und vor Einbruch der Dunkelheit noch einen Ort erreichen, in dem er übernachten konnte. Ray Miller wollte wieder einsteigen. Es blieb beim Vorsatz, denn genau in diesem Augenblick sah er die Bewegung im Wald zwischen den Bäumen. Der Mann erkannte nichts Genaues. Es war für ihn mehr ein Huschen und Flackern, aber nicht, weil sich Blattwerk im Wind bewegte. Das war etwas anderes. Und das bekam er in den nächsten Sekunden bestätigt. Da löste sich etwas aus dem Wald, das auf ihn gelauert hatte. Ray Miller dachte an einen Vogel, doch nur im ersten Moment, denn als er erkannte, was da wirklich auf ihn zuflog, hatte er den Eindruck, bereits mit einem Bein im Grab zu stehen...
*** Das Fenster stand schräg, sodass Vogelgezwitscher an meine Ohren drang, gemeinsam mit der Helligkeit des Tages, die durch die Lücken der Jalousie sickerte und auf dem Boden und auf einem Teil des Doppelbetts ein Streifenmuster hinterließ. Ich war noch nicht hellwach, aber meine Gedanken drehten sich bereits um den letzten Fall, der wirklich so einiges in den Schatten gestellt hatte, was ich in der letzten Zeit erlebt hatte. Ich befand mich wieder in meiner Welt und in meiner Zeit. Das war gestern noch nicht so gewesen. Da hatte ich mich in der tiefen Vergangenheit befunden, auf dem Kontinent Atlantis, der dicht vor dem Untergang stand und bereits erste Vulkanausbrüche erlebte. Zusammen mit der Staatsanwältin Purdy Prentiss hatte es mich auf den Kontinent verschlagen, wo wir unter anderem den weißen Wölf en begegnet waren und ein ebenfalls entführtes Mädchen namens Dorothy kennengelernt hatten. Wir waren auch anderen Gefahren entkommen und hatten uns schließlich auf meine atlantischen Freunde Kara und Myxin verlassen müssen, die uns wieder in unsere Zeit geschafft hatten. Das war auch nötig gewesen, denn sie hatten etwas gutzumachen, besonders an der sechzehnjährigen Dorothy. Ich hatte gedacht, dass mich nicht mehr viel überraschen könnte, doch da hatte ich mich geirrt. Es hatte doch eine Überraschung für mich gegeben, denn einer der Wölfe, ausgerechnet der, den sich Dorothy als ihren Freund ausgesucht hatte, war eine Kreatur der Finsternis gewesen, was für mich völlig neu gewesen war. Bisher war ich der Meinung gewesen, dass sich die Kreaturen der Finsternis hinter menschlichen Gestalten verbargen, nun wusste ich es besser.' Es war mir gelungen, den weißen Wolf zu töten. Auch Purdy Prentiss und Dorothy war nichts passiert, und letztendlich waren wir bei den Flammenden Steinen gelandet. Dort war auch Dorothy durch Zufall in den magischen Kreislauf geraten, denn sie lebte in der Nähe des normalerweise unsichtbaren Refugiums der Atlanter, und dort war sie dann auch wieder hingeschafft worden, zusammen mit uns. Bis London war es noch recht weit zu fahren. So hatten Purdy und ich uns nicht sofort auf den Weg gemacht. Wir wollten uns einen Leihwagen besorgen und erst am nächsten Tag fahren. Ich hatte mich natürlich mit meiner Dienststelle in London in Verbindung gesetzt und Sir James Powell, meinem Chef, einen Bericht gegeben, der ihn fast sprachlos gemacht hatte. Letztendlich aber hatte er alles akzeptieren müssen und gratulierte mir, dass ich noch am Leben war. Der Wagen würde am Vormittag zum Hotel gebracht werden. Bis dahin war es noch etwas hin und ich konnte mich noch einige Male umdrehen.
Das tat ich auch und wälzte mich nach links, was ich nicht ganz schaffte, denn auf halber Strecke stieß ich auf ein Hindernis, einen menschlichen Körper. Mir war, als würde ich von einem Blitzschlag getroffen. Neben mir im Hotelbett lag die Staatsanwältin Purdy Prentiss, und sie hatte auch schon am späten Abend oder in der Nacht neben mir gelegen. Es hatte sich einfach so ergeben. Keiner konnte sagen, ob es bewusst gewollt gewesen war. Das Doppelzimmer war bestellt, die Erinnerungen an Atlantis noch sehr frisch, und besonders Purdy konnte sie nicht so schnell verkraften. »Ich will spüren, dass ich noch lebe, John. Verstehst du das?« Ja, das verstand ich. Mir erging es ja ähnlich. Auch ich wollte spüren, dass es mich noch gab und Atlantis hinter mir lag. Wir waren uns vorgekommen wie zwei Gestrandete, die sich nach überstandenen tödlichen Gefahren zusammenfanden. Später waren wir beide erschöpft eingeschlafen, und Purdy Prentiss schlief auch jetzt noch* wie ich mit einem schnellen Blick in ihr entspanntes Gesicht feststellte. Auf ihren Lippen lag sogar ein Lächeln. Vielleicht träumte sie etwas Nettes. Ihr Oberbett war etwas verrutscht, sodass ihre linke Brust freilag. Ich wollte Purdy schlafen lassen und stieg leise aus dem Bett. Die Dusche lag nebenan und so nackt, wie mich der Herrgott erschaffen hatte, ging ich mich reckend und gähnend darauf zu. Es waren nur drei Schritte, denn das Zimmer war nicht eben groß. Entsprechend klein war auch das Bad. Es hatte sogar ein kleines Fenster, das ich öffnete und nach draußen schaute. Kühle Luft traf mich. Aber ich sah auch einen hellen Himmel. Das lag an der Morgensonne, die längst aufgegangen war. Das kleine Hotel lag am Ortsrand, sodass mein Blick über noch taufeuchte Wiesen glitt. Ich hörte das Gegacker von Hühnern und wurde wieder daran erinnert, dass ich mich auf dem Land befand, in dem es die Hektik der Großstadt nicht gab. Ich stellte die Dusche an. Der Wasserdruck war zwar mies, aber es reichte, um nass zu werden. Ersatzkleidung hatten wir leider nicht, aber wir hatten unsere Sachen so gut es ging vom Staub des alten Kontinents gereinigt. Die Dusche tat mir gut. Ein kleines Stück Seife gab es auch und Handtücher lagen ebenfalls bereit. Es waren zwar recht klamme Lappen, würden aber ihre Pflicht tun. Ich dachte darüber nach, ob ich mich noch mal hinlegen sollte, nahm dann davon Abstand und zog mich an. Wenn Purdy Prentiss noch schlief, wollte ich sie auch schlafen lassen und für kurze Zeit vor das Haus gehen und einen kleinen Spaziergang machen. Ich betrat das Zimmer und sah, dass Purdy Prentiss nicht mehr schlief. Sie saß im Bett, hatte mich gehört und sich so gedreht, dass sie mich anschauen konnte. Das Oberbett hatte sie vor ihren nackten Körper gedrückt, und es kam mir vor, als hätte sie sich das in einem Film abgeschaut. »Guten Morgen«, grüßte ich.
Purdy Prentiss bekam einen roten Kopf. Ob es daran lag, dass ich nackt war, wusste ich nicht, jedenfalls gab sie sich verlegen. »He, was ist los?« Sie senkte den Blick. »Sollten wir uns jetzt schämen?« »Warum?« »Mein Gott, wenn ich an die vergangene Nacht denke - ich - ich weiß nicht. Ich habe mich ja schlimm benommen. Das ist alles so in mir explodiert, ich weiß auch nicht. Ich war plötzlich wie von Sinnen, einfach weggeschwemmt und ...« Sie nickte. »Eigentlich müsste ich mich schämen.« »Wieso? Was wir getan haben, ist menschlich.« »Ja, schon. Aber ...« »Was heißt denn aber?« Ich setzte mich auf die Bettkante und lächelte Purdy an. »Müssen wir denn ein schlechtes Gewissen haben? Nein, das müssen wir nicht. Du lebst in keiner festen Partnerschaft mehr und bei mir ist das ebenfalls so.« »Ja, schon. Aber Glenda Perkins und Jane Collins sind dir auch nicht gleichgültig.« »Das gebe ich zu. Ich habe auch schon mit ihnen geschlafen. Aber ich bin mit keiner von ihnen verheiratet. Nach dem, was wir gemeinsam erlebt haben, hat es einfach sein müssen. Ja, wir haben spüren müssen, dass wir noch leben.« »Vielleicht sollte man das so sehen.« Ich nickte ihr zu. »Bestimmt, Purdy.« Sie schaffte wieder ein Lächeln und strich dabei durch ihr braunrotes Haar. Dann streichelte sie meine Wange und sagte mit leiser Stimme: »Es war sehr schön.« »Das finde ich auch.« Danach entstand eine Pause der Verlegenheit. Jeder dachte wohl daran, dass wir das noch mal nachholen könnten, was wir in der vergangenen Nacht getan hatten, aber irgendwie passte das jetzt nicht, und es war Purdy, die den Anfang machte, sich abwandte und aufstand. »Die Dusche ist frei«, sagte ich. »Danke.« Auch Purdy trug keinen Faden am Leib. Ich schaute ihr nach und erfreute mich an diesem Anblick. Ihr Hinterteil war fest und schwang bei jedem Schritt hin und her. Ich verlor es erst aus dem Blick, als Purdy in der Dusche verschwunden war. Vorzuwerfen hatten wir uns beide nichts. Wir waren erwachsen und nicht gebunden und keiner hatte den anderen dazu zwingen müssen. Wir hatten es beide gewollt. Ich zog mich an, während nebenan die Dusche rauschte. Wir würden frühstücken, uns dann in den Leihwägen setzen und uns auf die Reise nach London machen. Ich rechnete damit, dass wir am frühen Abend dort eintrafen. Von Dorothy hatten wir uns bereits verabschiedet. Auch sie würde nicht vergessen, was sie erlebt hatte, und ich stellte mich für die Zukunft darauf ein, dass sich die Kreaturen der Finsternis auch hinter Tieren verstecken konnten. Purdy kehrte zurück. Sie hatte ihre Kleidung mit in die Dusche genommen Und war angezogen. Die beiden Pistolen trug sie noch am Leib, sie waren aber nicht zu sehen, weil sie von den Schößen der Jacke verdeckt wurden.
In der Nackenscheide steckte das kurze Schwert. Von ihm war nur der Griff zu sehen, den Purdy jetzt anfasste und mich fragte: »Kann die Waffe dort bleiben?« »Klar.« »Okay. Wie geht es weiter?« »Hast du Hunger?« »Und ob.« »Dann gehen wir nach unten. Wir haben ja das Frühstück-mitbestellt. Anschließend kümmern wir uns um den Leihwagen. Ich denke mal, dass er bald geliefert wird.« »Hast du denn eine Zeit angegeben?« »Nein. Ich habe nur darum gebeten, dass wir ihn im Laufe des Vormittags bekommen. Wenn möglich, recht früh.« »Ist okay.« ~ Zu sagen brauchten wir nichts mehr. Jetzt ging es darum, erst mal satt zu werden..." *** Nein, das ist nicht möglich! Dieser Gedanke schoss Ray Miller durch den Kopf, aber es war doch möglich, denn er konnte seinen Blick einfach nicht von der Gestalt nehmen, die sich aus dem Wald gelöst hatte und nun auf ihn zuflog. Es war ein großer Vogel, der sich recht langsam bewegte. Das glaubte Miller in den ersten beiden Sekunden, bis er eines Besseren belehrt wurde. Nein, so sah kein Vogel aus. Das lag nicht nur an der Größe und an der Form der Schwingen, es lag auch am Kopf und an dem, was dieses Flugwesen ausmachte. Einen Kopf, der dem eines Menschen glich und Ähnlichkeit mit einem Totenschädel aufwies. Und dann kam noch etwas hinzu, was kein Vogel hatte. Zwei Arme mit Händen, die eigentlich mehr Krallen waren. Miller wusste nicht, was er denken sollte. Aber ihm war klar, dass dieses Geschöpf den Wald nicht grundlos verlassen hatte. Es war auf der Suche nach Beute, und da gab es nichts anderes in der Nähe als nur ihn. Er dachte auch an die beiden Schläge gegen das Wagendach. Er hatte noch nicht nachgeschaut, ob es auch eingebeult war, und das wollte er auch jetzt nicht. Jedenfalls machte er sich Vorwürfe. Es wäre besser gewesen, wenn er im Wagen sitzengeblieben wäre. Aber sich darüber zu ärgern, dass er es nicht getan hatte, dazu war es jetzt zu spät. All diese Gedanken waren innerhalb einer kurzen Zeitspanne durch seinen Kopf gejagt und jetzt war das ungewöhnliche Flugwesen so nahe, dass er sich nicht mehr ablenken lassen durfte. Welche Chance blieb ihm? Es gab nur eine. Er musste so schnell wie möglich in den Wagen. Nur dort war er einigermaßen sicher. Der Gedanke durchzuckte ihn und er wollte ihn in die Tat umsetzen, als er den krächzenden Schrei hörte und das Wesen plötzlich dicht vor ihm in die Höhe stieg, wo es seinen Unterkörper präsentierte.
Ray Miller duckte sich. Zu spät. Die beiden Krallenhände schlugen bereits zu und erwischten das Haar des Mannes. Sie rissen auch die Kopfhaut auf, die sofort brannte. Ein zweiter Angriff erfolgte noch nicht. Das Tier mit dem Totenschädel flog weiter und stieg dabei in die, Höhe. Miller ignorierte die Schmerzen. Er wusste noch immer, was er tun musste. Zum Glück stand er an der Fahrerseite, da brauchte er nur die Tür aufzureißen. Das tat er auch. Er hechtete in den Wagen. Es geschah alles wie in Trance. Er selbst konnte es nicht normal nachvollziehen, denn er wurde nur von seinen Reflexen und Instinkten getrieben. Miller hockte auf seinem Fahrersitz. Die Tür hatte er zugerammt. Er tat noch nichts, musste einfach warten, weil ihn der Schock paralysiert hatte. Wenn er durch die Scheibe schaute, sah er nichts, aber er wusste, dass dieser Angreifer keine Einbildung gewesen war. Den hatte es gegeben, auch wenn er noch so schrecklich aussah. Ein Vogel mit seltsamen Flügeln und einem Totenschädel. Starten und dann weg! Miller war so nervös, dass er den Starter nicht fand. Sein Finger rutschte ab und im selben Moment bemerkte er den Schatten, der plötzlich von oben nach unten fiel und ihm die Sicht nahm weil die gesamte Windschutzscheibe von dieser Gestalt eingenommen wurde. Er konnte nichts mehr sehen. »Scheiße«, brüllte er gegen die Scheibe. Es war ihm jetzt egal, ob er etwas sah oder nicht. Er wusste, dass die Straße erst mal geradeaus führte, ihm war zwar nicht bekannt, wann die nächste Kurve kam, aber er wollte fahren, und dabei war es ihm egal, ob die Gestalt nun auf der Kühlerhaube hockte oder nicht. Der Lexus machte einen Ruck und beinahe hätte Miller den Motor abgewürgt. Es trat nicht ein, er fuhr noch mal richtig an, beschleunigte auch und lenkte ein wenig nach rechts, um das Gefühl für die Mitte der Straße zu bekommen. Geduckt hockte er auf seinem Sitz. Die Augen waren weit aufgerissen. Er sah nichts anderes als nur das furchtbare Wesen, das auf seiner Kühlerhaube hockte, als wäre es dort angenagelt worden. Miller sah den verfluchten Totenschädel vor sich. Sein Gesicht hatte sich verzerrt. Der Mund war in die Breite gezogen, Speichel lief über sein Kinn und jetzt, .wo sich die Spannung ein wenig gelöst hatte, spürte er zum ersten Mal die Schmerzen, die seinen Kopf in Flammen zu setzen schienen. Dort hatten die Krallen beim ersten Angriff ihre Spuren hinterlassen und das erinnerte ihn daran, dass es noch nicht vorbei war, denn das Geschöpf dachte nicht daran, die Kühlerhaube zu verlassen.
Das wäre unter Umständen der Fall gewesen, wenn er schneller gefahren wäre. Das traute er sich wegen der nicht vorhandenen Sicht nicht. Er musste sich eine andere Möglichkeit einfallen lassen. Die Straße sah er nicht. Er konnte auch nur ihre Breite einschätzen und dachte daran, dass es eigentlich nur eine Möglichkeit gab, wieder freie Sicht zu bekommen. Er musste scharfe Schlangenlinien fahren. Es war ein Risiko. In seiner Lage blieb ihm aber nichts anderes übrig. So fing er damit an, am Lenkrad zu drehen. Mal bewegte er es nach rechts, dann wieder nach links. Er hielt den Zickzackkurs bei. Der Lexus blieb brav in der Spur. Er schaukelte nur ein wenig, was Ray Miller kaum mitbekam. Das Tier rutschte nicht von der Haube weg. Es glich die Bewegungen locker aus und hatte sogar seine Flügel leicht ausgefahren, wobei Ray Miller davon ausging, dass es sich bei ihnen nicht um normale Flügel handelte, sondern um Schwingen, die eine kantige Form zeigten. So etwas konnte man bei fliegenden Drachen sehen. In der letzten Zeit waren genug Animationsfilme über diese Wesen gezeigt worden. Das Ding wollte nicht verschwinden und in Ray Miller stieg allmählich die Panik hoch. Er konnte und wollte nicht mehr nachdenken und trat das Gaspedal tiefer durch. Der Lexus machte einen Satz nach vorn und fuhr geradeaus weiter. Genau das wollte Miller nicht. Jetzt, wo er schneller fuhr, hatte er vielleicht eine Chance, aber nur, wenn er die Spur wechselte. - Wieder schwankte der Lexus mal nach rechts, dann nach links, und da Miller nichts sah, bemerkte er auch nicht, wie nahe er bei seinem Manöver den Rändern der Straße kam, dehn das widerliche Wesen klammerte sich noch immer an der Kühlerhaube fest. Und so blieb das Unheil nicht aus. Es gab einen Stoß an der rechten Seite, als der Reifen von der Straße rutschte und dabei, noch weiter nach rechts glitt und in einen Graben rumpelte. Das war das Ende der Fahrt. Zwar lenkte Miller noch gegen, doch er kam aus dem Graben nicht mehr raus. Er war zu tief, die Erde zu feucht, und zum Greifen nahe wuchs bereits das Unterholz des Waldes. Der Lexus stoppte nicht. Er rumpelte noch weiter. Die Stöße bekam auch Miller mit, und dann verloren seine Füße den Kontakt mit den Pedalen. Er würgte den Motor ab - der Toyota stand! Über seine Lippen drang kein Wort mehr. Nur der Atem zischte aus dem Mund. Miller wusste nicht mal mehr, wie er sich fühlen sollte. Er war der Verlierer in diesem tödlichen Spiel, daran ging kein Weg vorbei. Er saß starr hinter dem Lenkrad und roch seinen eigenen Schweiß. Dass es vor ihm heller geworden war, stellte er erst fest, nachdem er den Blick gehoben hatte und die Haube frei sah. Ray wusste nicht mal, ob er sich über den Anblick freuen sollte. Das Untier war weg, okay, aber war es tatsächlich verschwunden? Hatte es sich wirklich aus dem Staub gemacht?
Daran konnte er nicht glauben. Das sagte ihm die Logik. So ein Wesen griff nicht an, um sich erfolglos aus dem Staub zu machen. Es war ihm um den Mann gegangen und nicht um das Auto, das jetzt im Graben feststeckte. Der Stress war nicht mehr so hoch und Ray Miller spürte wieder die Schmerzen auf seinem Kopf. Er hob den rechten Arm, um mit den Fingerspitzen über seine Kopfhaut zu streichen. Einige Male zuckte er zusammen, als er die Wunden berührte. Er fürchtete sich sogar davor, die Finger zu betrachten. Schließlich tat er es doch und sah, dass seine Kuppen blutig waren. Miller fluchte. Und er fluchte auch darüber, dass er sich in einer von Gott verlassenen Gegend befand, in der kaum ein Auto fuhr. Wo steckte der Angreifer? Noch immer glaubte Miller daran, dass er sich nicht zurückgezogen hatte. Doch er war nicht zu sehen, so sehr sich der Mann auch anstrengte, ihn zu entdecken. Er sah ihn weder in der Luft noch auf dem Boden über die Straße gleiten. Hätte er mit seinem Auto auf der Straße gestanden, wäre alles leichter gewesen. Nur steckte er fest. Er konnte den Wagen nicht mehr aus eigener Kraft aus dem Graben lenken. Wenn er flüchten wollte, ging das nur zu Fuß. Und er würde eine lange Strecke zurücklegen müssen, bevor er eine Ansiedlung erreichte. Angeschnallt hatte er sich nicht. So konnte er sich einigermaßen gut bewegen. Er schaute in alle vier Himmelsrichtungen und suchte nach seinem Feind. Den sah er nicht. Weder in der Luft noch auf dem Boden. Allerdings war der Waldrand nur ein paar Schritte entfernt und Ray Miller konnte sich vorstellen, dass sich das Wesen dort versteckt hielt und ihn beobachtete. Das war auch schon vor dem Angriff so gewesen. Miller schloss die Augen und atmete tief durch. Er musste einen Entschluss fassen. Die vor ihm liegende Nacht wollte er nicht in seinem Wagen verbringen. Noch war die Dunkelheit nicht da und auf sie konnte er sich auch nicht verlassen. Miller wollte flüchten, solange es noch hell war, und er hoffte, dass man ihn wegkommen ließ. »Ja, ich muss es schaffen«, machte er sich selbst Mut und drückte die Fahrer-tür auf. Vorsichtig stieg er aus. Als er seinen Fuß aufsetzte, gab der Boden unter ihm nach. Er war in den Graben getreten, und auf dessen Boden lag eine Schlammschicht. Er richtete sich auf. Der erste Rundblick sorgte bei ihm für ein Gefühl der Erleichterung. Er schaute auch zum wolkigen und grauen Himmel, aber da bewegte sich nichts. Kein anderer Vogel war zu sehen: Jetzt sah er auch, was ihm zum Verhängnis geworden war. Die Straße führte nicht mehr geradeaus weiter, sie lief in eine Rechtskurve hinein, die er nicht hatte sehen können. Er stieg aus dem Graben. Dass er nasse Füße bekam, störte ihn nicht, wichtig war, dass er laufen konnte und auf der freien Strecke keinen Angriff erlebte.
Und es klappte. Zumindest auf den ersten fünfzig Metern. Da blieb er noch mal stehen und schaute sich um. Es war kein Angreifer zu sehen. Das machte ihm kaum Mut, denn er wollte einfach nicht glauben, dass dieses Wesen aufgegeben hatte. Er lief schneller und stellte bald fest, dass er das Laufen nicht mehr gewohnt war. Einige Male schwankte er wie ein Rohr im Wind. Aber er gönnte sich keine Pause. Sein Ziel, eine Ansiedlung zu erreichen, hatte er nicht aufgegeben. Wie weit war sie weg? Das wusste er nicht. Dicht vor ihm gab es jedenfalls keine, denn er konnte die Straße einsehen, die weit vor ihm in ein flaches Tal führte und sich deshalb senkte. Ray Miller ging davon aus, dass sich seih Leben mit diesem Tag verändert hatte. Sollte er überleben, würde er sich etwas überlegen, denn diesen Angriff würde er nicht vergessen und auch nicht verkraften können. Es dauerte nicht mehr lange, da verspürte er so etwas wie eine Erschöpfung in den Beinen. Auch sein Atem ging schwerer. Er fluchte über sich selbst, weil er zu viele Abende in Bars verbracht hatte und nicht in einem Fitnesscenter. Trotzdem musste er weiter. Oder sich, wenn er kein Dorf fand, ein Versteck suchen, um dort die nächsten Stunden und auch die Nacht zu verbringen. Es war für ihn schon kein Laufen mehr, sondern ein Vorankämpfen. Der Atem pfiff über seine Lippen, ein normales Laufen war nicht möglich, weil er immer wieder von einer Seite zur anderen schwankte. Die Angst saß ihm im Nacken und sie empfand er wie eine unsichtbare Peitsche, der er gehorchen musste. Dann passierte es. Ein Geräusch war plötzlich da. Den Verursacher entdeckte er nicht, aber er wusste, woher es ihn erreicht hatte. Ray Miller blieb stehen und drehte sich um. Weit riss er seinen Mund auf. Er gab trotzdem keinen Schrei ab, denn das Entsetzen hatte ihm stumm werden lassen. All seine bösen Vorahnungen hatten sich bewahrheitet, denn er sah, dass sein Verfolger nicht aufgegeben hatte. In Kopfhöhe flog das Wesen über die Straße hinweg und geradewegs auf ihn zu... *** Es war vorbei mit seiner Flucht. Da konnte er noch so schnell sein, er würde dieser entsetzlichen Kreatur nicht entkommen können. Sie würde immer schneller sein als er und war darauf aus, ihn zu vernichten. Er lief rückwärts, streckte dabei die Arme vor und bewegte sie heftig von einer Seite zur anderen. Es war eine schon lächerliche Bewegung, doch ihm fiel in seiner Panik nichts anderes ein.
»Hau ab«, brüllte er über die Straße hinweg. »Hau ab, verdammte Bestie! Ich habe dir nichts getan. Was willst du von mir, verflucht noch mal? Was ...?« Er sah, dass sein Bitten und Schreien keinen Erfolg hatten. Das Wesen ließ sich auf nichts ein. Dabei hatte es nicht mal eine große Eile. Es flog recht langsam und ebenso langsam bewegte es seine Schwingen. Fast gemächlich glitten sie auf und nieder und schrammten mit den Spitzen sogar hin und wieder über den Boden. Was tun? Sich umdrehen und so schnell laufen, wie er konnte? Das hätte er tun können, aber es würde ihn nicht weiterbringen. Die andere Seite war immer schneller als er. Also blieb er stehen und fügte sich in sein Schicksal. Die Arme hingen zu beiden Seiten seines Körpers herab. Er hatte aufgegeben. Er würde sich auch nicht mehr wehren, denn dazu fehlte ihm die Kraft. So blieb er mitten auf der Straße stehen und wartete darauf, dass sich sein Schicksal erfüllte. Gemächlich flog diese Mutation näher. Beine hatte sie nicht, dafür Arme, die recht weit an der Vorderseite des Körpers wuchsen. Sie waren kurz, dafür waren die Krallen im Verhältnis dazu schon ziemlich lang. Das Wesen landete dicht vor ihm. Es faltete die Schwingen zusammen und wartete ab. Den bleichen Totenschädel hatte es so gedreht, dass Ray ihn anschauen musste. Das Gebein schimmerte in einem schmutzigen Gelb. Er sah darin die Löcher für Augen, Nase und Mund, und er glaubte, in den Augenhöhlen etwas funkeln zu sehen. Das aber tief in ihnen verborgen. Oder bildete er sich das nur ein? Die Wirklichkeit hatte sich von Ray Miller verabschiedet. Er wusste nicht, in welches Grauen er geraten war. Mit der Realität hatte das nichts mehr zu tun. Was hatte das Wesen vor? Der Gedanke war kaum in seinem Kopf aufgeflammt, als die andere Seite reagierte. Das Wesen sprang nach vorn, streckte seine Arme aus - und griff zu. Ray Miller kam nicht mal mehr dazu, einen Schrei auszustoßen. Kaum dass er gegriffen worden war, wurde er in die Höhe gezerrt. Er sah, dass die beiden Flügel zur Seite glitten, sich jetzt schnell bewegten, und für ihn begann eine Reise in die Luft, die ihn zu einem unbestimmten Ziel führte... *** Purdy Prentiss lächelte, als wir nebeneinander die Treppe nach unten stiegen. Dort befand sich der Kaum, in dem wir unser Frühstück einnehmen wollten. Schon auf dem Weg dorthin wehte uns ein Geruch von gebratenem Speck entgegen, bei dem zumindest bei mir das Wasser im Mund zusammenlief. Es war ein altes Haus, in dem wir übernachtet hatten. Es gab auch nur vier Zimmer in der ersten Etage und dementsprechend klein war der Frühstücksraum, der mehr einem Wohnzimmer glich, dessen Wände mit einer Rosentapete beklebt waren. Zwei hohe
Fenster mit Sprossen ließen einen Blick in den Garten zu, in dem es kräftig blühte, was an den beiden Kirschbäumen zu erkennen war. Man hatte uns gehört. Die Inhaberin kam aus der Küche und betrat lächelnd den Frühstücksraum. Sie war eine Frau um die fünfzig Jahre und ziemlich pummelig. Ein rundes Gesicht mit freundlichen Augen strahlte uns an. Die grauen Haare hatte die Frau glatt nach hinten gekämmt und sie im Nacken zu einem Knoten gebunden. Sie wünschte uns einen wunderschönen Morgen und sagte dann: »Als ich hier unten die Dusche rauschen hörte, habe ich mir gedacht, bereite schon mal das Frühstück vor.« »Daran haben Sie gut getan, Mrs. Wintermere«, sagte ich. »Danke. Möchten Sie Tee oder Kaffee?« Wir entschieden uns für Kaffee und nahmen am Tisch Platz, der bereits gedeckt war. Auch das Geschirr zeigte ein Rosendekor und selbst auf der Tischdecke waren die Blumen in blassen roten Farben vorhanden. Von unserem Tisch schauten wir in den Garten. Dafür hatte Purdy keinen Blick. Sie beugte sich vor, damit sie nicht so laut reden musste, und fragte: »Hast du gehört, John, sie hat die Dusche mitbekommen?« »Na und?« Purdy errötete leicht. »Hoffentlich hat sie nicht gehört, was wir in der Nacht getrieben haben.« Beinahe hätte ich laut aufgelacht. Im letzten Moment beherrschte ich mich und winkte ab. »Wenn schon, das hat sie bestimmt an ihre jüngeren Jahre erinnert.« »Kann sein. Mir wäre es trotzdem peinlich.« »Soll ich sie fragen?« Purdy schnappte nach Luft. »Untersteh dich! Das wäre mir noch peinlicher.« »Schon gut. War auch nur ein Scherz,« Mrs Wintermere betrat den Raum. Sie trug ein großes Tablett vor sich her, auf dem auch eine Pfanne mit Unterteil stand. Darin hatte sie die Eier gebraten und den Speck dazu getan. Kaffee brachte sie auch mit und eine entsprechende Menge getoastetes Weiß-'brot. Zwei Pasteten, drei Sorten Konfitüre, das alles sah wirklich sehr gut aus. »Sollte es nicht reichen, geben Sie mir bitte Bescheid, dann hole ich Nachschub.« Mit beiden Händen winkte Purdy Prentiss ab. »Nein, nein, auf keinen Fall. Wollen Sie uns mästen?« Mrs. Wintermere hob einen Zeigefinger. »Ich sage immer, dass ein Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages ist. Daran sollte man nicht sparen. Lunch und Dinner können Sie vergessen, ein Frühstück nicht. Und jetzt wünsche ich Ihnen einen guten Appetit.« Wir bedankten uns und schauten ihr nach, wie sie den Raum verließ. Die Staatsanwältin schüttelte den Kopf. »Himmel, wer soll das alles essen?« »Du und ich.«
»Sonst fehlt dir nichts, wie?« »Denk daran, dass wir noch eine weite Fahrt vor uns haben. Da müssen wir stark sein.« »Ja, okay.« Ich musste lachen,, dann griffen wir zu. Wir hatten tatsächlich Appetit. Nach all dem, was wir hinter uns hatten, tat es einfach gut, sich wieder in der Normalität bewegen zu können. Wir hofften sehr, dass dieser Zustand hoch lange anhalten würde. Die Eier waren klasse. Der Speck gut und kross gebraten und auch gegen den Kaffee konnte man nichts sagen. Er war nicht zu schwach und auch nicht zu stark. Wir genossen jedenfalls die Mahlzeit und schafften es sogar, die Pfanne zu leeren., Mrs Wintermere ließ sich wieder blicken, nachdem sie gegen die offene Tür geklopft hatte. »Zufrieden, die Herrschaften?« »Und wie!«, sagte Purdy. »Das ist einfach klasse, was Sie uns hier bieten.« »Danke. Wenn Sie noch eine Eierspeise wollen, dann...« Wir winkten lachend ab, konnten aber beide nicht widerstehen, auch etwas von der Pastete und der Konfitüre zu probieren. Beides empfanden wir als köstlich, und wir hörten dann im Hintergrund wieder die Stimme von Mrs. Wintermere. »Hallo, Orson, was ist los? So früh schon auf den Beinen?« »Ich stehe fast immer mit den Hühnern auf«, erwiderte eine sonore Männerstimme. »Und was treibt dich her?« »Ist dein Mann da?« »Nein, leider nicht. Er ist zu einem Treffen der Ornithologen gefahren und kommt erst übermorgen zurück.« »Das ist schade.« »Warum?« »Wir haben wieder einen Wagen gefunden. Diesmal ist es ein Toyota. Er steht in einem Graben.« »Leer?« »Ja.« »Keine Spur von dem Fahrer?« »So ist es. Aber wir haben Blutspritzer entdeckt, und das lässt das Schlimmste befürchten.« Es entstand eine Pause. Dann fragte Donna Wintermere: »Du bist jetzt gekommen, weil du davon ausgehst, dass ich dir weiterhelfen könnte.« »So ähnlich.« »Und?« Die Frau lachte. »Obwohl du mich nicht gefragt hast, kann ich dir schon jetzt sagen, dass ich dir nicht helfen kann. Bei mir hat kein Gast gewohnt, der einen Toyota fährt.« »Schade. War auch nur ein Versuch.« »Da musst du schon weiter suchen, Orson.« »Ja, ja, das befürchte ich auch.«
»Und das ist jetzt die dritte Person, die angeblich verschwunden ist - oder?« »Ja. Aber was heißt angeblich? Wir haben drei verlassene Autos gefunden. Die Fahrer oder Fahrerinnen sind verschwunden. Die Autos stehen bei uns in der alten Feuerwehrhalle und ...« Die Frau unterbrach ihn. »Ich will mich ja nicht großartig einmischen, Orson. Aber du hättest schon längst etwas tun können. Du hast die Wagen wegschaffen lassen, das stimmt schon. Aber du hast dich nicht um deren Besitzer oder Fahrer gekümmert. Das hättest du tun müssen. Schließlich, geht es um Menschen.« »Moment, Donna, so ist das ja nicht. Ich habe schon die nähere Umgebung der Stellen abgesucht, wo die Wagen gefunden wurden. Da war nichts.« »Sie standen alle auf derselben Straße?« »Ja. Aber gefunden habe ich da nichts.« »Und was willst du jetzt unternehmen?« »Das weiß ich noch nicht so genau. Ich denke, dass ich eine obere Dienststelle einschalten muss.« »Das hättest du schon längst machen müssen, Konstabler. Es wäre deine Pflicht gewesen.« »Ja, das weiß ich auch. Aber es sind ja keine Menschen verschwunden, die zu unserem Kreis hier gehören. Jetzt werde ich natürlich anders agieren.« Beide hatten so laut gesprochen, dass wir jedes Wort hatten verstehen können. Und wir hatten auch nicht weggehört, denn das war ein Thema gewesen, das uns interessierte. Schon nach den ersten Sätzen waren wir aufmerksam geworden. Das leere Auto im Graben, dazu die Blutspritzer, das musste einfach unser Interesse erwecken. Ich hatte mein Besteck ebenso sinken lassen wie Purdy Prentiss das ihre. Unsere Blicke trafen sich, und ich erkannte an Purdys Augen, dass sie schon nachdachte. Mit leiser Stimme fragte sie: »Du hast das alles gehört?« »Sicher.« »Und was sagst du?« »Normal ist das nicht.« Purdy nickte. »Eben, das ist sogar sehr unnormal.« Sie stieß den Atem aus und sagte mit leiser Stimme: »Ich meine, dass diese Unterhaltung darauf hindeutet, dass es für uns Arbeit gibt. Wir sollten uns darum kümmern.« Ich nickte, zögerte nicht mehr länger und wollte nicht warten, bis der Konstabler verschwunden war. Er war ein wichtiger Zeuge und wir mussten mit ihm reden. Wir hatten Glück. Der Mann war bereits im Begriff zu gehen, als wir in seiner Nähe erschienen. Auch Mrs Wintermere war noch da und beide schauten uns erstaunt an. Orson, der Konstabler, war ein bulliger Mann mit einem Kranz aus rötlichen Haaren auf dem Kopf. Auf seiner Oberlippe wuchs ein Bart, der ebenfalls rötlich schimmerte. Ich kam Mrs Wintermere zuvor, die uns hatte ansprechen wollen. »Bitte, ich denke, wir sollten uns mal unterhalten.« »Wenn Sie zahlen wollen, dann ...«
Ich schüttelte den Kopf. Die Frau hatte meine Bemerkung in den falschen Hals bekommen. »Nein, nein, so ist das nicht«, sagte ich schnell. »Es geht um das, worüber Sie sich vorhin unterhalten haben.« Jetzt mischte sich der Konstabler ein. »Das geht Sie nichts an!«, erklärte er mit fester Stimme und zog ein Gesicht, das alles andere als freundlich aussah. »Es geht uns doch etwas an«, erwiderte ich gelassen. Dann holte ich meinen Ausweis hervor und präsentierte ihn dem überraschten Kollegen. Der holte erst mal eine Brille hervor, trat noch näher an uns heran und bekam große Augen. Dann verlor sein Gesicht ein wenig Farbe und er flüsterte: »Scotland Yard?« »Wie Sie sehen.« »Und jetzt?« »Ich will Sie nicht im Unklaren lassen, Mister...« »Mein Name ist Orson Gilmore.« »Gut.« Ich stellte auch Purdy vor, wobei ich ihren Beruf verschwieg. Sollte er glauben, dass sie meine Kollegin war. Dann kam ich zur Sache. Mrs Wintermere und der Konstabler erfuhren, dass wir ihr Gespräch mit angehört hatten, was zumindest Orson Gilmore peinlich war, was mich allerdings nicht störte. Die Schlussfrage stellte allerdings Purdy Prentiss. »Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen soll?« Gilmore senkte den Blick. »Nein, nicht so richtig«, gab er zu. »Aber Sie wissen, dass etwas getan werden muss.« »Mittlerweise schon.« »Und warum nicht zuvor?« Gilmore bekam einen roten Kopf. Dann hob er die Schultern und flüsterte: »Ich hielt es nicht für so wichtig, wenn ich ehrlich sein soll. Da waren nur die leeren Autos...« »Was haben Sie sich denn dabei gedacht?« Purdy lief langsam zur Form auf. »Na ja, ich dachte, dass die Wagen gestohlen waren und die Diebe keine Lust mehr hatten, weiterzufahren.« »Könnte man annehmen«, stimmte die Staatsanwältin ihm zu. »Aber welcher Dieb stellt Autos in der Einsamkeit ab und läuft zu Fuß weiter? Wenn gestohlene Wagen verlassen werden, dann zumeist in Städten. Dort gibt es bessere Fluchtmöglichkeiten. Deshalb kann ich Ihr Verhalten nicht so recht nachvollziehen.« Der Konstabler senkte den Blick. Er sah jetzt aus wie ein Schüler, der von seiner Lehrerin zur Rede gestellt worden war, weil er etwas ausgefressen hatte. Er knetete seine Hände und sagte verschämt: »Sie haben ja recht, Mrs Prentiss, aber ich habe nicht daran gedacht, und es ist nun mal so gelaufen.« »Leider. Denn jetzt haben wir ein Problem, fürchte ich.« Gilmore schluckte. »Wir?« »Ja, denn wir werden wohl noch etwas bleiben und schauen uns die Sachlage mal näher an.« »Wie denn?«
»Das ist ganz einfach, Konstabler. Sie haben doch einen dritten Wagen gefunden...« »Haben wir.« »Gut. Und wo?« »Auf der Landstraße.« »Steht er dort noch?« »Ja, der ist in den Graben gefahren. Wir werden Mühe haben, ihn wieder herauszuziehen.« »Okay, dann werden wir uns das Fahrzeug mal aus der Nähe anschauen.« Ein rasselndes Geräusch drang an unsere Ohren. Jemand hatte geschellt. Mrs Wintermere drehte sich um. Sie lief die paar Schritte zur Tür und öffnete. Ein junger Mann stand dort. Er war derjenige, der unseren Leihwagen brachte. So einsam war es hier dann doch nicht. Ich übernahm die Sache, füllte ein Formular aus und der junge Mann war beruhigt, als er erfuhr, welchem Beruf ich nachging. . Der Wagen war ein schwarzer Golf. Ich erhielt den Schlüssel, dann stieg der Überbringer in einen Kleintransporter, der ihn wieder zurückbringen würde. Am Steuer saß eine Frau, die eine Zigarette rauchte und den Rauch durch ein offenes Fenster blies. Purdy Prentiss lächelte mir zu. »Dann wäre ja alles klar«, sagte sie. Das war es auch, bis auf einen Punkt. Und da konnte uns der Konstabler helfen. »Sagen Sie uns bitte, wo das letzte Fahrzeug gefunden wurde.« »Ich kann mit Ihnen fahren.« »Nein, nein, bleiben Sie ruhig hier. Eine Wegbeschreibung reicht uns völlig aus.« Die gab er uns und dann baten wir Gilmore, sich zu unserer Verfügung zu halten. »Ganz bestimmt, Sir.« »Okay, wir sehen uns.« Er nickte, sagte aber nichts. Ebenso wie Mrs Wintermere, die uns aus großen Augen nachschaute, als wir zur Tür gingen. Dass wir von der Polizei waren, musste sie völlig überrascht haben. Der Leihwagen parkte am Straßenrand. Bevor wir einstiegen, fragte Purdy: »Nun, was sagt dein berühmtes Bauchgefühl?« Ich hob die Schultern. »Bisher nicht viel, aber das kann sich ändern, wenn wir am Ziel sind.« »Aber du denkst, dass es ein Fall für dich sein könnte - oder?« »Sagen wir so, Purdy, ich schließe nichts aus.« »Na, dann viel Vergnügen.« *** Wir brauchten nicht weit zu fahren und hatten die Stelle schnell gefunden. Es war eine nicht eben breite Straße, an dessen rechter Seite der Toyota Lexus in den Graben gefahren war und aus eigener Kraft nicht mehr freikommen würde.
Wir hielten an und stiegen aus. Das Auto interessierte uns noch nicht. Zunächst mal schauten wir uns um, weil wir die Gegend in Augenschein nehmen wollten. Man konnte sie als einsam beschreiben oder auch naturbelassen. Da wechselten sich Wiesen und Wälder ab, wobei die Grasflächen flache Hügel und Mulden bedeckten. Aus dem Grün schauten wilde Sommerblumen hervor, die Natur war dabei, zu erwachen, und das trotz des kühlen Wetters. Ich schlug die Tür hinter mir zu und sah Purdys leicht verzogenes Gesicht. »Hier sind sie begraben«, sagte sie. , »Wen meinst du?« »Fuchs und Hase.« Ich musste lachen und ihr recht geben. Es blieb einsam. Es blieb leer. Der kühle Wind streifte unsere Gesichter und sorgte für ein leichtes Frösteln. Gräben an den Straßenseiten haben oft die Eigenschaft, ziemlich feucht und schlammig zu sein. Deshalb war ich vorsichtig, als ich ihn betrat. So ganz konnte ich dem Schlamm nicht entgehen, das meiste Zeug war Wasser, das für nasse Füße sorgte. Ich rief Purdy zu, auf der Straße zu bleiben, und nahm den Toyota unter die Lupe. Ich hatte nicht vergessen, dass von Blutspritzern gesprochen worden war, und danach schaute ich zuerst. Ich fand sie außen an der Fahrerseite. Man musste schon genau hinschauen, um sie zu entdecken. Da hatte der Konstabler schon seine Pflicht getan. Purdy Prentiss war mein Verhalten aufgefallen und rief mir zu: »Hast du was gefunden?« »Blut.« »Aha.« »Was schließen wir daraus?« »Der Fahrer muss sich verletzt haben oder ist verletzt worden. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Aber ich frage mich, warum er in den Graben gefahren ist.« »Man kann ihn dazu gezwungen haben. Oder er ist übermüdet gewesen. Das ist alles möglich.« »Nicht übermüdet, John.« Sie trat dicht an den Graben heran. »Da wird etwas anderes passiert sein, was uns nicht gefallen kann. Ich denke an eine Entführung oder Ähnliches.« Ich ging nicht weiter auf die Bemerkung ein und kümmerte mich um das Fahrzeug. Ich wollte herausfinden, ob es abgeschlossen war. Wegen der getönten Scheiben war nicht viel vom Innenraum zu sehen. Der Wagen war offen. Ich beugte mich hinein, um nach Spuren zu suchen, die auf einen Kampf hingedeutet hätten. Da gab es nichts zu entdecken, aber ich gab nicht so schnell auf und kümmerte mich um das Handschuhfach. Es war nicht abgeschlossen und auch gefüllt. Nur fand ich keine persönlichen Hinweise auf den Besitzer des Autos. Es gab nur die üblichen Papiere sowie ein Buch über die Funktionen des Fahrzeugs. Eine Sonnenbrille war noch da. Streichhölzer, ein
Kugelschreiber, auch eine billige Kamera, aber nichts, was auf den Fahrer hingedeutet hätte. Ich durchsuchte das gesamte Fahrzeug und musste leider aufgeben. Es war nichts da, was uns hätte weiterbringen können. Purdy Prentiss hatte mich beobachtet. Sie war am Rand der Straße stehen geblieben und hob die Schultern. »Was willst du damit sagen?«, fragte ich. »Dass es eine ziemlich einsame Gegend ist«, erklärte sie. »Bisher hat uns nicht ein einziges Fahrzeug passiert.« »Ideal für einen Überfall.« Da konnte sie mir nur zustimmen. Ansonsten war das Verschwinden des Fahrers ein Rätsel, und er war auch nicht der erste Mensch, der so plötzlich verschwunden war. Es hatte zwei weitere Fälle gegeben und darüber musste man schon nachdenken. War diese Straße und auch Lage ideal, um eine Falle zu stellen? Inzwischen mussten wir davon ausgehen, und es bestand auch die Möglichkeit, dass die Fahrer der Autos nicht mehr lebten. Purdy Prentiss deutete auf den nahen Wald. »Wie wäre es, wenn wir uns dort mal umschauen?« Ich war noch skeptisch. »Meinst du, dass wir ihn dort finden?« »Nicht unbedingt. Aber Spuren.« So richtig überzeugt hatte sie mich nicht, aber die Zeit wollten wir uns schon nehmen. Purdy sprang in einem Satz über den Graben hinweg und ging bereits vor. Unter ihren Füßen knickte das hohe Gras. Altes Laub gab raschelnde Laute von sich, dann hatten wir die ersten Bäume erreicht. Es gab zwischen den Stämmen genügend große Lücken, durch die wir den Wald betreten konnten. Die starken Winde der letzten Zeit hatten auch hier ihre Spuren hinterlassen. Nicht alle Bäume standen mehr so, wie sie hätten stehen müssen. Die schwachen hatten die Angriffe nicht überstanden. Sie waren durch die Wucht geknickt worden oder ganz zu Boden gefallen, wobei sie Hindernisse für denjenigen bildeten, der den Wald durchqueren wollte. Purdy war mir ein paar Schritte voraus. Sie duckte sich unter tief hängenden Zweigen hinweg und hielt dabei ihre Blicke auf den Boden gerichtet, weil sie die Hoffnung hatte, noch irgendwelche Spuren zu finden, was aber nicht zutraf. Sie murmelte etwas vor sich hin. Ich ging zu ihr und fragte: »Was hast du gesagt?« »Vergebene Liebesmühe, John. Ich glaube nicht mehr daran, dass es hier Spuren gibt. Der Fahrer ist verschwunden. Damit müssen wir uns abfinden.« »Fragt sich nur, ob tot öder lebendig.« »Sicher.« Purdy verschränkte die Arme vor ihre Brust. »Und er ist schon der dritte Mensch gewesen. Ich glaube, dass wir so schnell nicht zurück nach London fahren werden. Das hier ist ein Fall, um den wir uns kümmern müssen.«
Der Meinung war ich auch. Nur gab es für uns keine besonderen Voraussetzungen oder keine guten. Wir waren fremd hier. In der Gegend kannten wir uns nicht aus. Okay, nicht weit entfernt gab es die Flammenden Steine, die jedoch waren wieder in ihre Unsichtbarkeit abgetaucht. Auch wenn wir nach vorn schauten, brachte uns das keinen Erfolg. Im Wald entdeckten wir kein Lebewesen. Nicht ein Tier huschte in unserer Nähe vorbei. Dennoch war es nicht unbedingt still. Irgendwo knackte und raschelte immer etwas. Ein Wald wie dieser lebt eben und schlief auch in der Nacht nicht. Purdy Prentiss hob die Schultern und warf mir dabei einen Seitenblick zu. »Ich glaube, wir müssen den Fall von einer anderen Seite aus angehen.« »Wie lautet dein Vorschlag?« »Zeugen befragen.« Ich lächelte. »Denk daran, dass wir nicht bei Gericht sind. Es gibt keine Zeugen.« »Woher weißt du das?« Purdy ließ die Arme sinken. »Es kann sein, dass niemand im Ort gezielt nachgehakt hat. Dass sich Zeugen freiwillig melden, geschieht nicht so oft. Da könnte man schon mal nachfragen, finde ich.« »Ich bin dafür. Wir haben ja nichts anderes in der Hand.« »Du sagst es, John.« Unser Vorhaben war klar, und wir wollten es auch sofort in die Tat umsetzen. Aber dazu ließ man uns nicht kommen, denn plötzlich war es mit der Stille vorbei. Vor uns, aber nicht so nah, als dass wir etwas hätten sehen können, geriet der Wald plötzlich in eine gewisse Unruhe. Vögel schrien, bevor sie in die Höhe flatterten und in den Baumwipfeln einen regelrechten Sturm verursachten. Purdy deutete in die Höhe. »Da muss was passiert sein, John. Die Tiere fühlen sich gestört.« »Das denke ich auch.« »Und was tun wir?« Sie stand schon auf dem Sprung, lief aber nicht vor und wartete ab. Ich verhielt mich nicht anders und dachte nur darüber nach, ob die Geräusche entstanden waren, weil wir den Wald betreten hatten. So richtig konnte ich daran nicht glauben, sie waren auch rasch wieder vorbei, sodass erneut Stille eintrat. Purdy war davon nicht überzeugt. Sie . flüsterte: »Irgendetwas stimmt da nicht. Der Wald ist nicht so harmlos, wie er aussieht.« . Ich wollte schon vorschlagen, ihn zu durchsuchen, als noch etwas geschah. Eine Mischung aus Schreien und Lachen erreichte unsere Ohren, und es kam von oben. Leider war es weiter entfernt. Die Geräusche blieben und es war noch etwas zu sehen, stand aber über den Gipfeln. Dort huschte etwas durch die Luft, das für uns wie ein Schatten aussah, der gestaltlos war. Nur für eine winzige Zeit war er zu sehen gewesen, dann nicht mehr. Wir hatten auch nicht mitbekommen, wohin er verschwunden war. Purdy Prentiss schaute mich an, »Jetzt bin ich mal auf deine Erklärung gespannt, John.«
»Ich weiß keine.« »Dann denken wir gleich. Aber da ist etwas gewesen«, Purdy ließ sich davon nicht abbringen, »und es war auch kein Vogelschwarm, da bin ich mir sicher.« Der Meinung schloss ich mich an. Eine Erklärung hatten wir beide nicht und so blieben wir zunächst mal stehen und hofften, dass sich der Vorgang wiederholte. Das geschah nicht. Wir kamen dann zu der Erkenntnis, dass es uns nicht weiterbrachte, wenn wir hier noch länger warteten. Es war besser, wenn wir wieder zurückfuhren und versuchten, Zeugen zu finden. Purdy Prentiss machte den Anfang. Sie nickte mir zu. »Sollen wir losgehen?« »Ich denke schon.« Es war mir nicht gerade wohl bei der Antwort gewesen, weil ich das Gefühl nicht loswurde, etwas zu versäumen oder einen Fehler gemacht zu haben. Aber was hätten wir anders machen können? Nichts, und der Wald gab uns keine Antworten. Und so warfen wir letzte Blicke in die Runde, bevor wir uns auf den Rückweg machten. Auch Purdy Prentiss zeigte nicht eben ein zufriedenes Gesicht. Sie hatte die Stirn gekraust und als ich sie nach dem Grund fragte, hob sie die Schultern und ging mit einem langen Schritt über einen abgefallenen Ast hinweg. »Glücklich über die Sache bin ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass wir irgendetwas falsch gemacht haben.« »Und was?« »Wenn ich das wüsste.« »Mir ergeht es ebenso.« »Dann bin ich ja zufrieden.« Wir hatten den Graben erreicht und überstiegen ihn. Von der rechten Seite her hörten wir ein Brummen und als wir die Köpfe drehten, da sahen wir einen Bus, der in unsere Richtung fuhr. Purdy musste lachen. »Es gibt also doch noch Leben hier. Das lässt hoffen.« Der Fahrer hatte uns gesehen. Er fuhr ein wenig langsamer und drehte uns sein Gesicht zu. Möglicherweise hätte er angehalten, wenn wir eine Hand gehoben hätten. Da wir dies nicht taten, fuhr er weiter. Der schwarze Golf wartete auf uns. Ich übernahm das Lenkrad, startete noch nicht, weil die Staatsanwältin mich ansprach und mich dabei von der Seite anschaute. »Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, wie es bei uns weitergeht?« »Was denkst du denn?« Ich lächelte. »Das ist ganz einfach. Wir können wählen. Entweder fahren wir in Richtung London oder bleiben hier.« Ich nickte, ohne mich allerdings für eine der beiden Möglichkeiten entschieden zu haben. Es blieb eine Tatsache, dass drei Männer, verschwunden waren. Fremde Männer, keine aus dem Ort oder den anderen Dörfern in der Nähe; Ihr Verschwinden hatte die Einheimischen nicht großartig aufgeregt, bei Fremden reagierte man eben anders, aber damit könnten wir uns nicht zufriedengeben. Auf der
anderen Seite wusste ich nicht hundertprozentig, ob wir uns darum kümmern sollten, denn der Fall fiel nicht in unseren oder besser gesagt meinen Bereich. Purdy Prentiss war die Staatsanwältin, und sie dachte auch so. »Es wäre an der Zeit«, sagte sie, »dass wir die Behörden alarmieren. Man kann nicht hinnehmen, dass Menschen so mir nichts dir nichts verschwinden, als hätte es sie nicht gegeben.« »Das stimmt. Aber, Purdy, wenn ich es recht bedenke, ist es kein Fall für mich.« »Meinst du?« Ich bestätigte es zögernd. »Überzeugt bist du aber nicht - oder? Jedenfalls hast du dich nicht so angehört.« »Das ist auch wieder wahr.« »Und was machen wir dann, um unser Gewissen zu beruhigen?« Ich wollte kein langes Hin und Her. Zudem konnte ich mir vorstellen, dass es in diesem Wald nicht geheuer war. Wir hatten etwas gesehen, aber was da genau vorgefallen war, das entzog sich unserer Kenntnis. Es war unter Umständen besser, wenn wir noch mal mit den Bewohnern im Ort sprachen und sie dann direkt nach dem Wald fragten, ob sie dort etwas vermuteten. »Ich denke, dass wir bleiben«, erklärte ich. »Und weiter?« Ich strich über mein Haar. »Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn wir versuchen, mit den Leuten im Ort zu reden. Sollte sich hier etwas tun, hätten wir unter Umständen die Chance, das aufzuklären. Dass hier alles normal abgelaufen ist, davon bin ich nicht überzeugt.« »Das könnte sein.« »Also fahren wir noch mal zurück nach Dalbury.« Wir hatten lange genug diskutiert. Ich startete den Motor und ließ den Golf anrollen. Wir hatten beide kein gutes Gefühl. Darüber mussten wir nicht erst reden, das sah man uns an, denn unsere Gesichter wirkten recht verkniffen. »Wie ich uns kenne«, sagte Purdy, »sind wir der anderen Seite mal wieder ins Netz gegangen.« »Das kann sein.« Ich lenkte zwar den Golf, konzentrierte mich aber nicht nur auf die Straße, sondern schielte auch zum Wald hin, der uns als grüne Mauer begleitete. Ich war beinahe davon überzeugt, dass sich dort etwas versteckte, ohne den Beweis zu haben. »Ich denke schon, dass die Menschen in Dalbury verstockt sein werden«, meinte Purdy. Die Bemerkung brachte mich zum Lachen. »Du denkst es, weil wir Fremde sind.« »Genau. Die Einwohner dieser Dörfer bilden stets eine geschlossene Gesellschaft. Da ist es ziemlich schwer, als Fremder hineinzukommen. Oder wie denkst du?« »Nicht anders.«
»Das ist gut.« Der Bus war das einzige Fahrzeug, das wir bisher gesehen hatten. Auch jetzt kam uns keines entgegen und es fuhr auch keines hinter uns her. Wir waren mal wieder allein. Das änderte sich mit einem Mal. Es geschah nichts Schlimmes, aber wir sahen schon, dass ein Schatten über die Straße huschte. Zwar nicht vor uns, dafür seitlich. Purdy, die mehr Bewegungsfreiheit hatte als ich, sah es zuerst. Sie saß zwar links, aber sie hatte auch zur rechten Seite hingeschaut und bemerkte die Veränderung. »Da war was, John.« »Und was?« »Keine Ahnung. Aber es hat ausgesehen, als wäre ein Schatten über die Fahrbahn gehuscht.« »Bist du dir sicher?« »Und ob.« Ich war nicht schnell gefahren und senkte das Tempo noch mehr. Purdy Prentiss war nicht mehr so ruhig. Sie hatte sich sogar losgeschnallt, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, und meldete sich mit leiser Stimme. »Jetzt ist er weg.« »Okay. Aber du bist sicher, ihn gesehen zu haben?« »Das bin ich.« »Soll ich anhalten?« »Nein, nein, fahr ruhig weiter. Und bleib so langsam.« . Das tat ich und fragte nach. »Hast du gesehen, wie groß das Gebilde war?« »Nicht genau. Ich würde nur sagen, dass es ungewöhnlich groß gewesen sein muss.« Sie deutete gegen den Fahrzeughimmel. »Es muss sich durch die Luft bewegt haben.« »Ein Vogel?« Sie zuckte mit den Schultern. »Oder etwas anderes, John. Man kann nie wissen. Ich denke da an den Wald und ..« »Okay, ich werde mal stoppen.« Es blieb beim Vorsatz, denn was dann geschah, das überraschte uns beide. Vor uns tauchte der Schatten wie aus dem Nichts aus. Er tanzte schwachgrau über die Fahrbahn und ließ etwas von seinem wahren Aussehen ahnen. Wir wurden an einen großen Vogel erinnert, der seine Schwingen ausgebreitet hatte. Gleichzeitig stellte ich mir die Frage, ob es überhaupt so große Vögel gab. Zumindest hier in der Umgebung waren keine Adler zu Hause, hier tummelten sich normale Singvögel in der Luft. Zudem blieb der graue Schatten auch nicht an einer Stelle. Er bewegte sich so, wie wir fuhren, wurde nicht schneller und auch nicht langsamer, sondern blieb mit uns auf gleicher Höhe. Ich fuhr schneller, weil ich testen wollte, was dann passierte. Es blieb bei dem Schatten, der vor uns her wanderte.
Purdy Prentiss hatte sich zur Seite geduckt. Sie versuchte aus dem Fenster nach oben zu schielen, um etwas von diesem fliegenden Wesen zu entdecken, was ihr aber nicht gelang. Es flog im toten Winkel. Sekunden später veränderte sich alles. Der Schatten hatte für einen größeren Abstand gesorgt, schwebte jetzt vor uns, war plötzlich auch zu sehen, aber erst besser und genauer, als er aus der Luft nach unten sackte und vor uns auf der Straße landete. Ich bremste. Purdy riss ihre Arme hoch und presste die Handflächen gegen die Wangen. »Mein Gott, was ist das denn?«, hauchte sie. *** Ich sagte nichts und konnte ihr nur zustimmen. Was war das für ein Gebilde? Jedenfalls kein Vogel. Zumindest kein normaler. Es war ein Flugtier, und nicht nur ich wurde wohl daran erinnert, was wir erst vor Kurzem noch in Atlantis gesehen hatten. Da hatten auf Flugdrachen bewaffnete Skelette gesessen. Und wer dieses Wesen auf der Straße sah und sich an die Flugdrachen erinnerte, der musste einfach Parallelen ziehen, denn dieses Wesen sah so ähnlich aus, auch wenn es nicht als Reittier für ein Skelett diente. Bei genauerem Hinschauen waren schon einige Unterschiede zu erkennen. Dieses Flugwesen hätte einen anderen Kopf. Man konnte da von einem Schädel sprechen. Es war tatsächlich ein Totenschädel, der so blank schimmerte. Hinzu kam, dass dieses Gebilde Arme hatte. Zwar recht kurze, dafür statt Händen große, scharfe Krallen. Und dann gab es da noch die Schwingen, die in ihrer Größe so gar nicht zum Körper passen wollten, weil sie so breit und mächtig waren. Purdy Prentiss hatte eine Frage gestellt, die ich ihr nicht so leicht beantworten konnte. Dennoch versuchte ich es und sagte: »So genau kann ich dir das nicht sagen. Jedenfalls gehört sie nicht zu Kreaturen, die ich gern auf der Erde sehen möchte.« »Klar. Wo dann?« Purdy gab sich selbst die Antwort. »Doch nur in Atlantis.« »Du sagst es.« »Dann gibt es ein offenes Tor.« »Ja. Davon müssen wir ausgehen.« Purdy wurde unruhig. Sie wartete darauf, dass wir angegriffen wurden. Das tat die Gestalt nicht. Ob sich Augen in diesem Schädel befanden, war nicht zu sehen. Aber wir gingen schön davon aus, dass sie uns beobachtete, und dazu benötigte sie nicht unbedingt normale Sehorgane. »Wer steigt zuerst aus, John?« Ich wollte die Frage beantworten, musste sie aber auf später verschieben, denn die andere Seite machte uns einen Strich durch die Rechnung. Wir hatten mit den schnellen Schwingenbewegungen nicht gerechnet, aber das Flugwesen brauchte nur zwei, drei,
um sich in die Höhe zu schwingen. Senkrecht stieg es hoch und war gleich darauf aus unserem Sichtfeld verschwunden. Purdy sah mich an, ich sie. Ich sah, dass sie einige Male nickte und dann sagte: »Ich denke, wir haben gesehen, wer für die verschwundenen Männer verantwortlich ist.« »So kann man es auch sagen.« Ich wollte nicht länger im Wagen bleiben und stieg aus. Dabei zog ich meine Beretta und schaute automatisch in die Höhe, weil ich damit rechnete, die Fluggestalt dort zu finden, aber sie war weg. Purdy Prentiss stellte sich mitten auf die Straße, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und suchte den Himmel ab, ohne jedoch etwas entdecken zu können. »Glaubst du, dass ihn die Wolken verschluckt haben?«, fragte ich. »Nicht unbedingt.« Sie deutete auf den Wald. »Er kann auch dorthin geflogen sein. Denk daran, dass wir die Bewegung im Wald gesehen haben.« »Ja.« Purdy zuckte mit den Schultern. »Nur wird es wohl nicht viel bringen, wenn wir dort nach ihm suchen. Ich finde, dass es wichtiger ist, wenn wir nach Dalbury fahren. Es könnte sein, dass man dort mehr über diese Wesen weiß.« Das konnte zutreffen. Ich nickte ihr als Antwort nur zu, weil ich mich schon mit einem anderen Thema beschäftigte. Ich fragte mich, woher die Gestalt kom- . men konnte, und da fiel mir wirklich nur der alte Kontinent Atlantis ein, Normalerweise wäre das kaum möglich gewesen, aber es gab eine Veränderung, und die hing mit den Flammenden Steinen zusammen, die es hier in der Gegend unsichtbar gab. Wieder unsichtbar, aber sie waren mal sichtbar gewesen, und das war dem jungen Mädchen Dorothy zum Verhängnis geworden. Es war in die alte Zeit geschafft worden, und jetzt fragte ich mich, ob auch nicht umgekehrt daraus ein Schuh geworden war. Dass Monster aus Atlantis den Zeitsprung geschafft hatten. Purdy sah meinem Gesicht an, dass ich sehr nachdenklich geworden war. Sie sagte: »Denkst du über das gleiche Thema nach wie ich?« »Ja, schon.« »Dann haben wir ein heftiges Problem.« Dem musste ich nichts hinzufügen. Das war nun mal so und wir mussten uns den Dingen stellen. Zudem fragte ich mich, ob wir es hier mit einem einzelnen Angreifer zu tun hatten oder ob er noch andere Artgenossen mitgebracht hatte. Wir warteten noch etwa eine halbe Minute ab. Nichts tat sich, das Wesen blieb verschwunden, und so setzten wir uns wieder in den Wagen, um den Rest der Strecke zu fahren. Weit war es nicht. Die Straße lag auch weiterhin leer vor uns. Nur waren wir nachdenklicher geworden, denn jetzt gab es einen Verfolger. Ich war aufmerksamer geworden, weil ich davon ausging, dass die einsame Gegend eine ideale Angriffsfläche für ein solches Wesen bildete. Sein Verschwinden wollte mir nicht so recht in den Kopf, denn bei den anderen Männern war es auch nicht verschwunden. Erst nachdem es einen Erfolg errungen hatte. " Auch die Staatsanwältin
blieb nicht mehr so ruhig auf ihrem Platz sitzen. Ständig schaute sie in die verschiedenen Spiegel, um den Himmel abzusuchen. Zu sehen war nichts, was sie mir bald meldete. »Es war nur ein erster Warn-schuss«, fügte sie hinzu, »wobei ich mich frage,-warum es nicht angegriffen hat.« »Vielleicht weil wir zu zweit waren.« »Das kann stimmen.« , Wir wussten, dass noch eine breit gezogene Kurve vor uns lag. Dahinter befand sich der kleine Ort Dalbury, wo wir unsere Fragen stellen konnten. »Es ist zurück!« Purdy Prentiss hatte den Satz nicht laut ausgesprochen, doch die Worte waren deutlich genug zu hören gewesen. Ich warf ihr einen schnellen Blick zu und sah, dass sie sich auf den Rückspiegel an ihrer Seite konzentrierte. »Wo hast du es gesehen?« »Es fliegt jetzt über die Straße hinweg, und das sogar recht tief. Das sieht nach einem Angriff aus.« Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da geriet das Wesen aus ihrem Blickfeld. Nur war es nicht verschwunden, sondern blieb uns auf den Fersen - und zwar direkt über uns. Der Golf erhielt einen harten Schlag, als die Gestalt auf dem Dach landete. Das dachten wir, doch es traf nicht zu, denn sie flog weiter und nahm uns einen Moment später die Sicht, weil sie plötzlich mit ausgebreiteten Flügeln vor unserem Wagen auftauchte, aber nicht landete und uns zunächst nur begleitete! »Was soll das denn, John?« »Das werden wir gleich wissen.« Ich hatte keine Lust mehr, uns von der anderen Seite die Reaktionen diktieren zu lassen. Ich wollte endlich selbst die Initiative ergreifen, führ erst langsamer und dann bremste ich. Etwas zu plötzlich für Purdy, denn sie würde in den Gurt gepresst. »Raus!«, sagte ich nur. Noch bevor Purdy sich bewegte, setzte ich bereits meinen Fuß auf die Straße. Natürlich hatte ich wieder die Beretta gezogen. Die Skelette des Schwarzen Tods hatte ich mit geweihten Silberkugeln vernichtet und ich hoffte darauf, dass ich dies auch hier bei dem Wesen schaffte, das eine Mischung aus Skelett und Flugdrachen war. Purdy war jetzt auch ausgestiegen. Wir schössen zur gleichen Zeit. Ich musste mit meinen Kugeln sparsam umgehen, denn ich hatte in Atlantis schon einige Male geschossen, aber einen Schuss wollte ich riskieren. Wir trafen beide! Der Körper zuckte. Er hatte noch Kontakt mit der Fahrbahn und den verlor er auch nicht, denn er schaffte es nicht mehr, in die Höhe zu steigen, weil Kopf und Körper getroffen worden waren. Das Flugwesen sackte auf der Stelle zusammen. Zwar versuchte es noch, sich zu erheben, auch die Flügel zuckten, doch es steckte keine Kraft mehr in ihnen. Ein letztes Zusammensacken, dann war es vorbei.
Purdy schauderte leicht zusammen, als sie mit leiser Stimme fragte: »Bin ich wieder in Atlantis - oder was ist?« »Nein, Atlantis hat uns nur einen Gruß geschickt. Ich glaube, dass das Gebiet der Flammenden Steine zu lange offen stand. Da sind einige entkommen.« »Dann musst- du dich bei deinen Freunden beschweren, John.« »Das werde ich auch, wenn ich sie sehe.« »Falls sie sich zeigen.« Ich hob nur die Schultern. Danach ging ich auf den vernichteten Feind zu. Jetzt, wo er auf dem Boden lag, sah er nicht mehr so groß aus. Er hatte sich fast zusammengefaltet, und als ich meinen rechten Fuß auf die Überreste drückte, da sackten sie unter dem Gewicht zusammen, sodass nur dunkler Staub zurückblieb. Purdy setzte ihren Fuß auf den Totenschädel. Ein wenig Druck reichte aus und er zerbrach knirschend. Sie musste einfach einen Kommentar abgeben und sagte: »Den ersten haben wir erledigt.«. »Dann rechnest du damit, dass es noch weitere gibt?« »Sicher.« Das befürchtete ich auch und dachte daran, dass wir wieder fahren mussten, um uns in Dalbury umzuhören. Möglicherweise erhielten wir dort einen Hinweis, auch wenn die Menschen uns als Fremden gegenüber misstrauisch sein würden. Auch von den Flügeln blieb nur Staub zurück, als wir auf sie traten. Mit den Füßen fegten wir die Reste in den Straßengraben, dann wurde es Zeit für uns, wieder in den Golf zu steigen und den Weg zum Dorf hinter uns zu bringen. Dass wir noch mal angegriffen wurden, daran glaubte ich nicht. »Da werden wir wohl doch länger hier in der Gegend bleiben müssen«, erklärte ich. »Freut dich das?« »Nein.« »Mich auch nicht.« Ich übernahm wieder das Lenkrad. Purdy saß neben mir und hielt die Augen geschlossen. »Willst du schlaf en?« Sie lachte. »Bestimmt nicht. Ich denke daran, dass jemand, der mit dir unterwegs ist, nichts Normales erlebt. Da passiert immer was.« »Richtig. Es ist wohl mein Schicksal. Dagegen kann man nichts machen.« »Aber irgendwie ist es auch spannend.« »Das stimmt allerdings. Wenn ich ehrlich sein soll, kann ich mir kein anderes Leben vorstellen.« »Ich auch nicht...« *** Es war wirklich nur ein Katzensprung bis Dalbury. Der Ort strahlte auch jetzt die Ruhe aus, die wir von ihm kannten, und das war alles andere als unangenehm.
Unser Ziel war die Pension. Wir wollten Mrs Wintermere erklären, dass wir noch eine Nacht zu bleiben gedachten. Danach war es wichtig, dass wir mit Konstabler Orson Gilmore redeten. Möglicherweise wusste er etwas und musste nur darauf gestoßen werden. Man konnte Dalbury als ein großes Dorf bezeichnen, das nichts Bedrückendes an sich hatte. Bäume säumten die Straßen, es blühten in Kästen und Töpfen Blumen, es gab einen gut gepflasterten und auch sehr sauberen Marktplatz und die alten Häuser sahen gepflegt aus, als wären sie einige Male nach ihrem Bau renoviert worden. Die Pension lag natürlich an der Hauptstraße und nicht weit vom Marktplatz entfernt. Blumenkäsen standen auf den Fensterbänken und selbst die graue Wolkendecke ließ ihre Farbenpracht nicht verblassen. Nur war es für die Jahreszeit zu kalt. Der Mai hatte uns schon wärmere Tage gebracht. Nicht wenige Menschen waren davon überzeugt, dass der Ausbruch des isländischen Vulkans damit zu tun hatte und seine unsichtbare Asche in großer Höhe die Strahlen der Sonne beeinflusste. Wir hielten vor der Pension an. Mrs Wintermere hatte uns bereits gesehen. Sie öffnete die Tür und wartete vor der Treppe auf uns. Ihre Augen zeigten einen neugierigen Blick. Sie sah uns jetzt mit anderen Augen an, seit sie wusste, welchem Beruf wir nachgingen. »Schon zurück?« Ich nickte ihr zu und lächelte dabei. »Haben Sie denn etwas gefunden?« »Den leeren Wagen.« »Und von seinem Fahrer?« Sie hatte die Frage schnell gestellt und lauerte. »Von ihm war nichts zu sehen.« Die Frau erschrak. »Himmel, wie bei den anderen beiden. Was wollen Sie denn jetzt tun?« »Zunächst mal bleiben wir noch«, sagte Purdy Prentiss. »Hier?« »Wo sonst?« Mrs Wintermere holte tief Luft. Dann nickte sie. »Und Sie wollen auch hier bei mir wohnen?« »Wenn wir dürfen ...« »Aber klar. Das ist keine Frage. Natürlich. Ich freue mich sogar darüber. Und Sie werden sich bestimmt auch um den Fall kümmern. Ich meine, Sie - Sie ermitteln Weiter.« »Das hatten wir vor.« »Weiß denn Orson Gilmore schon Bescheid?« Purdy schüttelte den Kopf. »Nein, mit ihm werden wir noch reden. Aber Sie, Mrs Wintermere, sollten mal darüber nachdenken, ob Ihnen in der letzten Zeit hier in Dalbury oder in der nahen Umgebung etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist.«
Sie trat einen Schritt zurück und war etwas durcheinander. »Was sollte mir denn aufgefallen sein?« »Das fragen wir ja Sie.« »Nein, da kann ich Ihnen nicht helfen, so leid es mir tut.« »Denken Sie ruhig noch mal darüber nach. Es muss auch nicht sofort sein. Sie können sich Zeit lassen.« »Ja, ja, schon.« Sie knetete die Finger ineinander. »Hätte das dann mit dem Verschwinden der Fahrer zu tun?« »Das könnte sein.« »Ja, ja, da werde ich mal nachdenken. Aber schauen Sie sich um. In einem Ort wie hier passiert nichts. Mal eine Schlägerei auf einem Fest, mal ein Hühnerdiebstahl, sonst nichts.« »Es muss ja nicht so etwas gewesen sein. Vielleicht ein kleiner Vorgang, ein geringes Ereignis, das aus dem Rahmen fällt. An mehr denke ich in diesem Fall nicht.« '»Gut, ich bemühe mich.« »Danke.« Ich war schon bis zur Treppe gegangen und wartete dort auf Purdy Prentiss. Sie nickte mir zu. »Kann ja sein, dass wir Glück haben und eine Spur finden.« »Klar. Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen.« Unsere Zimmerschlüssel hatten wir mitgenommen. Ich schloss die Tür auf und wir schoben uns über die Schwelle. Das Fester war geschlossen, es hatte sich nichts verändert. Ich schloss die Tür und sah, dass Purdy Prentiss zum Bad ging. Ich bewegte mich nicht von der Stelle, was Purdy Prentiss auffiel, denn sie blieb im Zimmer. Dabei schaute sie mich an und sah aus, als wollte sie mir eine Frage steuert, wobei sie sich noch nicht traute. Das war auch gut so. Ich wollte zunächst mal ungestört sein, denn mir war etwas aufgefallen. Kennen Sie das Gefühl, das einen überkommt, wenn man in einem leeren Zimmer steht und doch das Gefühl hat, dass hier etwas anders war? Dass jemand dem Zimmer einen Besuch abgestattet hat und dann verschwunden ist, aber trotzdem so etwas wie eine Spur hinterlassen hat? So erging es mir. Ich hatte den Eindruck, dass jemand in diesem Raum gewesen war. Hinweise darauf gab es nicht. Ich sah keine Fußabdrücke, keine Schmutzspuren. Aufgeräumt war das Zimmer noch nicht. Es sah genauso aus, wie wir es verlassen hatten. Es waren nur Sekunden verstrichen, aber Purdy Prentiss hatte schon bemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmte. Sie trat auf mich zu und blieb nach zwei Schritten stehen. »Gibt es irgendwelche Probleme, John?« Ich hob die Schultern kurz an. »Das weiß ich auch nicht so recht.« »Und wieso?« Ich runzelte die Stirn. »Es mag dir zwar komisch vorkommen, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass wir während unserer Abwesenheit Besuch bekommen haben.«
»Bitte?« Purdy Prentiss drehte sich auf der Stelle. Sie breitete dabei die Arme aus. »Ich sehe nichts, ich spüre nichts und muss mich ein wenig wundern, John.« »Das steht außer Frage, Purdy. Ich kann dir auch nur sagen, was ich fühle.« »Gut. Und jetzt?« Das war eine Frage, auf die ich keine Antwort wusste. Ich ließ mich von der Schlussfolgerung aber nicht abbringen. Dieses Gefühl verschwand nicht. Ich versuchte mich dagegen aufzulehnen, aber es war nach wie vor da. Die Staatsanwältin krauste die Stirn. »Was machen wir jetzt?« »Ich habe keine Ahnung.« »Auch nicht davon, wer uns besucht haben könnte?« »So ist es.« »Aber nicht dieses Untier.« Ich hob die Schultern. »Wer weiß denn, in was wir hier hineingeraten sind?« »Klar, das weiß keiner. Ich gehe mal ins Bad und mache mich ein wenig frisch.« »Tu das.« Als Purdy die Tür hinter sich zugezogen hatte, ging ich mit kleinen Schritten zum Fenster, baute mich davor auf Und schaute nach draußen. Das Zimmer lag an der hinteren Seite des Hauses. So fiel mein Blick über Gärten und Wiesenstücke, streifte auch den Himmel, und ich entdeckte nichts, was ungewöhnlich gewesen wäre. Von diesem Flugmonster war erst recht nichts zu sehen. Hatte ich mich denn so getäuscht? Das wollte und konnte ich nicht glauben. Da war dieses berühmte Bauchgefühl, das mich eigentlich noch nie im Stich gelassen hatte. Jetzt war es wieder da, aber einen konkreten Hinweis auf einen unangemeldeten Besucher entdeckte ich nicht. Purdy blieb länger im Bad. Ich erwog, in London anzurufen, aber meine Gedanken wurden gestört. Was es genau war, konnte ich nicht sagen, es war mehr ein Gefühl, nicht unbedingt allein zu sein, obwohl Purdy noch nicht zurückgekommen war. Ich drehte mich um. Im nächsten Moment glaubte ich tatsächlich, zu Eis zu werden, denn vor mir stand jemand. Es war eine Person, die ich kannte und mit der ich im Traum nicht gerechnet hatte. Myxin, der Magier! *** Das war die Überraschung pur. Ich starrte ihn an und sah, dass er aussah wie immer. Er hatte sich um keinen Deut verändert. Sein Gesicht zeigte noch immer die blassgrüne Haut, auf der keine Falte zu sehen war. Er trug den dunklen Mantel. Aus den Armen schauten die Hände mit den langen Fingern hervor und der strichdünne Mund zeigte ein angedeutetes Lächeln. Er sagte nichts und wollte wohl abwarten, bis ich meine Überraschung verdaut hatte.
»Nun ja«, sagte ich, »jetzt weiß ich ja, wer das Zimmer zwischendurch besucht hat.« »Das ist richtig, John. Ich wollte mit euch sprechen. Aber das Zimmer hier war leer.« »Klar. Nicht ohne Grund. Wir mussten uns um ein Flugmonster kümmern, das hier schon seine Zeichen gesetzt hat. Vielleicht weißt du mehr darüber?« Myxins Mund verzog sich säuerlich. Er nickte mir zu und sagte mit leiser Stimme: »Ich denke, dass ich dir mehr darüber sagen kann.« »Schön, ich bin gespannt.« Er schüttelte seinen recht großen Kopf und sagte mit leiser Stimme: »Sie stammen nicht vor hier.« »Moment. Wer sind sie?« »Es gibt nicht nur ein Flugmonster, John. Es sind mehrere aus der Vergangenheit hierher in die Zukunft gelangt.« »Vergangenheit heißt Atlantis?« »Das denke ich.« Ich hob den linken Zeigefinger. »Aha, mein Lieber. Und dass dies überhaupt geschehen konnte, daran trägst du die Schuld. Wie es auch Dorothy erwischt hat. Nur ist es da umgekehrt gegangen. Liege ich da richtig?« Er gab mir durch ein Nicken recht. Man konnte bei ihm auch von einem schlechten Gewissen sprechen oder von einem Experiment, das ihm misslungen war. Er hatte die Flammenden Steine für eine gewisse Zeit aus dem Unsichtbaren geholt. Da mussten dann die Zeiten aus dem Gleichgewicht gerissen worden sein. Es war zu einem Durcheinander gekommen, in das Purdy und ich ja auch hineingeraten waren, von dem wir aber glaubten, es überstanden zu haben. Es war leider nicht so und die Folgen hatten wir bereits zu spüren bekommen. »Jetzt bist du an der Reihe, Myxin. Du kennst sie. Du weißt, was diese Monster vorhaben.« »Ja, sie werden auf Menschenjagd gehen.« »Toll. Und das haben sie auch geschafft, denn drei Männer sind bereits verschwunden. Kann ich davon ausgehen, dass sie nicht mehr am Leben sind?« »Ich weiß es nicht.« »Noch besser. Und du weißt auch nicht, wo sie sich im Moment aufhalten?« »Den genauen Ort kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass sie nicht zurückgekehrt sind. Es ist bei den Steinen ja alles wieder normalisiert worden, aber die Wesen sind eben in dieser für sie anderen Zeit geblieben.« »Und wir ernten die bösen Früchte.« »Es tut mir leid.« Ich winkte ab und schaute zur Badezimmertür, die spaltbreit geöffnet worden war. Im Ausschnitt sah ich das Gesicht der Staatsanwältin. Sie hatte alles mitbekommen. »Dann sind wir ja vom Regen in die Traufe geraten«, kommentierte sie. Myxin hatte sie ebenfalls gehört. Er drehte seinen Kopf, nickte und winkte ihr zu. »So sieht es aus«, bestätigte ich. »Myxin weiß auch nicht, wie viele dieser Gestalten es geschafft haben, die andere Zeit zu verlassen. Da müssen wir uns schon auf böse Dinge
einstellen. Jedes Problem sollte eine Lösung haben«, sagte ich und wandte mich an den kleinen Magier. »Wie sieht sie hier aus?« »Das weißt du selbst.« »Wir müssen sie einfangen.« »So ist es.« »Kannst du mir auch sagen, wo wir damit anfangen sollen? Es hört sich ja so einfach an.« »Nein, das kann ich nicht. Da bin ich ehrlich. Ich weiß nicht, wo sie sich herumtreiben, aber sie suchen die Nähe der Menschen.« Ich konnte ein hartes Lachen nicht unterdrücken. »Ja, das haben wir leider erlebt. Sie haben sich diejenigen geholt, die allein waren und sich nicht wehren konnten. Das werden sie also fortsetzen. Aber ich frage mich, was sie mit den Menschen vorhaben Reicht es ihnen wirklich, sie zu fangen und zu töten? Wollen sie nur ihre primitive Mordlust befriedigen?« »Das wohl nicht«, gab Myxin zu. »Dann bitte, was steckt wirklich dahinter? Du müsst es doch wissen. Sie stammen schließlich aus dem Kontinent, der auch deine Heimat gewesen ist.« »Das ist alles richtig, John, aber ich habe damals keinen Kontakt zu ihnen gehabt. Sie sind auch nicht mit den Dienern des schwarzen Tods zu vergleichen, das muss ich dir nicht erst erklären. Sie sind eine Spezies für sich und haben eine sehr lange Zeit überlebt. Für mich stammen sie aus einer Urzeit, als die Erde noch anders aussah. Mehr kann ich dazu nicht sagen.« »Aber ich kann es«, sagte ich, weil mir soeben ein Gedanke durch den Kopf geschossen war. Ich hatte mich wieder an den weißen Wolf erinnert, der sich bei uns so eingeschmeichelt und erst später sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Da hatte er sich als Kreatur der Finsternis herausgestellt. Für uns war das neu gewesen, dass ein Tier überhaupt eine solche Kreatur sein konnte. Und jetzt lag es auf der Hand, dass ich diesen Gedanken fortführte. Ich sprach ihn aus und war gespannt darauf, wie Myxin reagieren würde. »Könnten diese Gestalten zu den Kreaturen der Finsternis gehören? Würdest du da zustimmen?« Der kleine Magier war sonst nicht so leicht zu überraschen. In diesem Fall war er es und er schüttelte den Kopf. »Kennst du sie nicht?«, fragte ich. »Im Moment muss ich nachdenken.« Ich sagte ihm über die Kreaturen der Finsternis, was ich wusste, fügte aber zugleich hinzu, dass es sich bei dem Wolf um eine Annahme gehandelt und ich keinen Beweis hatte. Zumindest nicht bei diesen Wesen hier, die mit den Wölfen nicht zu vergleichen waren. »Dann sind sie also nicht älter«, sagte Myxin, der meine Erklärungen emotionslos hatte über sich ergehen lassen.
»So sieht es aus. Aber uns war es ebenfalls neu, dass sie auch in Atlantis existierten.« Myxin senkte den Kopf, um auf den Boden zu schauen. »Darf ich fragen, welche Pläne sie verfolgen?« »Gern. Ich kann dir aber nur allgemein antworten. Sie haben nicht vergessen, was man ihnen zu Beginn der Zeiten angetan hat. Ganz und gar nicht haben sie das, und so glauben sie noch immer an den großen Sieg.« »Das wusste ich nicht.« Ich musste lachen. »Und sie haben es geschafft, sich unter die Bewohner von Atlantis zu mischen. Diese Bestien sind eine wahre Seuche.« Myxin fragte: »Du kennst ihre Anzahl nicht?« »Nein, und wir wissen auch nicht, wie groß die Anzahl ist, die durch die Zeitenlücke geraten ist, dank eures Experiments. Es ist Unsinn, sich jetzt Vorwürfe zu machen. Wir müssen es hinnehmen, wie es ist. Daran gibt es nichts zu rütteln.« »Dann werden wir sie bekämpfen«, erklärte der kleine Magier entschlossen. »Dafür bin ich. Aber zunächst müssen wir sie finden. Vielleicht hast du eine Idee?« »Kaum. Leider sind sie nicht mehr in Atlantis. Aber ich denke darüber nach, Hilfe zu holen. Wenn es eine ganze Rotte sein sollte, wäre das nicht verkehrt.« »Finde ich auch. Und ich denke, dass du Kara holen wirst...« »Ja«, sagte er schnell, »und natürlich den Eisernen Engel. Wir sollten dabei daran denken, dass er ebenfalls fliegen kann, und er wird ihnen im Luftkampf überlegen sein.« »Eine gute Idee.« Myxin schaute zum Fenster, als er sagte: »Wesen wie sie lieben die Dunkelheit. Da denke ich, dass es reicht, wenn ich dann wieder zurück bin.« »Wie du meinst.« »Du bleibst ja.« »Und ob ich bleibe.« Myxin nickte mir zu, ging dann zwei Schritte in Richtung Tür, und schon beim dritten Schritt umgab ihn eine leicht grünliche Aura, die ihn schließlich auflöste. Dann war er weg! *** Erst jetzt bewegte sich Purdy Prentiss. Sie verließ ihren Beobachtungsposten und betrat das Zimmer, wobei sie den Kopf schüttelte. »Hast du damit gerechnet, John?« »Irgendwie schon.« »Und warum?« »Weil Myxin so etwas wie ein schlechtes Gewissen hat. Durch ihn ist das alles passiert. Er hat den Zeitkanal geöffnet und muss nun mit dazu beitragen, dass die Dinge wieder ins Lot geraten. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen.«
»Das ist wohl wahr. Wir sind in diesem Fall unschuldig und haben alles auszubaden. Mal davon abgesehen, dass uns dieser Myxin besucht hat, wir haben auch noch eine andere Aufgabe zu erfüllen. Drei Menschen sind verschwunden, und die sollten wir suchen.« »Klar. Aber ohne Anhaltspunkte?« »Wolltest du nicht noch mit dem Konstabler Orson Gilmore sprechen?« »Das hatte ich vor.« »Dann sollten wir zu ihm gehen. Ansonsten müssen wir darauf warten, dass etwas passiert, was mir gar nicht passt. Es macht keinen Spaß, immer einen Schritt zurück zu sein.« Da hatte sie mir aus der Seele gesprochen. Oft war es so, denn wir waren die Polizisten, die immer erst dann ins Spiel kamen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen war. Als wir die Treppe hinabstiegen, begegneten wir wieder unserer Wirtin. Sie hielt uns auf, wobei sie den Kopf schüttelte. »Es tut mir leid«, sagte sie, »aber ich habe hin und her überlegt, doch nichts gefunden, was Ihnen weiterhelfen könnte. Hier ist nichts Großartiges passiert.« »Ja, das denken wir auch«, sagte Purdy. »Aber vielen Dank, dass Sie nachgedacht haben.« »Bitte, so etwas tut man doch gern.« Sie fühlte sich sehr geschmeichelt. Wir verließen das Haus. Nach der Polizeistation mussten wir nicht fragen. Sie lag in der Nähe, und wir konnten sogar den Wagen stehen lassen. Im Ort hatte sich nichts verändert. Es wies nichts darauf hin, dass sich die Menschen anders benahmen, weil sie Angst bekommen hatten. Jeder ging hier seinem Tagwerk nach. Orson Gilmore hielt sich nicht in seinem Büro auf. Wir sähen ihn in der Höhe des Hauses über die Straße gehen und trafen mit ihm vor seiner Dienststelle zusammen. »Na, wieder zurück?« Ich nickte. »Und?« Sein Blick wechselte zwischen uns hin und her. »Haben Sie Neuigkeiten mitgebracht?« Die hatten wir natürlich, aber ihm von Myxins Besuch zu erzählen wäre nicht gut gewesen und hätte ihn nur mehr durcheinandergebracht. So hoben wir nur die Schultern, erklärten ihm aber, dass wir uns mit ihm unterhalten wollten. »Bitte, dann kommen Sie rein in die gute Stube.« Es gab noch einen anderen Grund, warum wir ihn sprechen wollten. Wir schätzten ihn als stark genug ein, um mit ihm über die Gefahr reden zu können, die dem Ort wahrscheinlich drohte. Gilmore ging vor uns her durch einen sauber gefliesten Flur, der an seinem Ende vor einer Tür endete. So weit mussten wir nicht gehen, denn vor der ersten Tür an der rechten Seite blieb er stehen. Die Wand gegenüber war mit alten Fahndungsplakaten beklebt.
Der Konstabler schloss auf und hatte sein Dienstzimmer kaum betreten, da meldete sich schon das Telefon. Er entschuldigte sich, ging hin, hob ab und sprach. Ich hörte nicht zu, was er sagte, und ließ meinen Blick durch das Büro gleiten, das nicht besonders groß war, aber alles beinhaltete, was dazu gehörte. Sogar ein Computer war vorhanden. Auch hier hatte die moderne Zeit Einzug gehalten. Zwei Stühle standen bereit, auf denen wir uns niederließen. Gilmore sprach die letzten Sätze. »Nein, Harriet, ich habe jetzt keine Zeit. Du kannst ruhig fahren. Ich weiß auch nicht, ob ich nachkomme. Wahrscheinlich nicht.« Er legte auf. Für ihn war das Gespräch damit erledigt. Er nickte uns zu. »Meine Frau. Sie kann nicht begreifen, dass ich noch meinem Job nachgehen muss. Ja, Sie haben es sich schon bequem gemacht. Das ist gut. Was kann ich denn für Sie tun?« Gespannt schaute er uns in die Gesichter. Die Staatsanwältin gab die Antwort. »Das steht noch nicht richtig fest, wenn ich ehrlich bin.« »Haben Sie denn eine Spur gefunden?« »Nur einen leeren Wagen.« »Oh, das klingt nicht gut.« »Sie sagen es«, stimmte ich zu. »Aber es gibt trotzdem etwas, über das wir mit Ihnen reden möchten.« »Nur zu, ich höre.« Orson Gilmore gab sich noch recht locker. Der Zustand allerdings verschwand, als er erfuhr, was uns widerfahren war. Da verlor sein Gesicht die Farbe. »Nein!«, sagte er, als ich meinen Bericht beendet hatte, und schlug mit seinen flachen Händen auf den Tisch. »Das - das glaube ich nicht. Das kann ich einfach nicht glauben.« »Warum sollte ich Ihnen etwas vormachen?« Der Konstabler schluckte, bevor er flüsterte: »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es solche Wesen gibt. Das hat sich ja angehört wie in einem Film.« Er stöhnte auf und schlug sich gegen die Stirn. Wir ließen ihn in Ruhe, damit er das verarbeitete, was wir ihm gesagt hatten. , Es war schwer für ihn. Er schaute uns nicht mehr an. Plötzlich war das Fenster für ihn wichtig geworden und wir warteten auf eine Antwort. »Also doch«, sagte er schließlich. »Wie meinen Sie das?«, fragte die Staatsanwältin.' Er drehte sich uns wieder zu. Einige Male schöpfte er Luft und fuhr mit den Händen durch sein Gesicht. »Es ist nicht so einfach eine Antwort zu geben, Mrs Prentiss ...« »Versuchen Sie es trotzdem.« »Das habe ich ja vor.« Er schaute auf seine Hände und suchte noch nach einem Einstieg. »Sie haben mir dieses Wesen sehr gut beschrieben, das muss man sagen. Nur höre ich das nicht zum ersten Mal, das gebe ich ebenfalls zu.« »Wie das?«
»Ja, das ist so. Ich erinnere mich, aber ich habe die Aussagen nicht so ernst genommen.« . »Warum nicht?« »Weil sie von Kindern hier aus dem Ort stammten, Mrs Prentiss.« Er nickte. »Und weiter?« Orson Gilmore hob die Schultern und strich auch dabei über seinen Haarkranz. »Die Kinder haben sich an mich gewandt, weil sie so komische Vögel am Himmel gesehen haben ...« »Sagten Sie Vögel?« »Sicher.« Purdy drehte den Kopf, um mich anzuschauen. Ich wusste, was ihr Blick bedeutete. Es war die Mehrzahl, denn wir hatten nur einen komischen Vogel gesehen. . »Was haben Sie denn getan?«, wollte ich wissen. »Nichts.« Seine Antwort kam spontan. »Was hätte ich denn tun können?« »Sie haben den Zeugen nicht geglaubt.« Gilmore beugte sich vor. »So ist es, Mr Sinclair, wenn Sie es genau wissen wollen. Ich habe ihnen nicht geglaubt, als sie von riesigen Vögeln sprachen, die hoch über ihren Köpfen durch die Luft segelten. Größer als Adler, wie sie sagten. Ich habe mir das angehört und sie dann weggeschickt.« »Das war nicht gut.« »Das sagen Sie jetzt. Aber was hätten Sie denn an meiner Stelle getan, Mr Sinclair?« »Bitte, ich mache Ihnen keinen Vorwurf.« »Danke.« Gilmore tupfte Schweiß von seinem Gesicht ab. Dann fragte er: »Ihnen geht es doch um die verschwundenen Männer. Ihretwegen sind Sie ja hier. Glauben Sie denn, dass sie etwas mit dem Auftauchen der Vögel zu tun haben?« »Es sind keine Vögel«, sagte ich. »Von dem Gedanken sollten Sie sich verabschieden. Was da beobachtet wurde, das sind Monster. Ja, Flugmonster.« Der Konstabler bekam den Mund nicht mehr zu. »Und bitte«, flüsterte er, »wo kommen sie her?« »Das kann ich Ihnen leider nicht so genau sagen. Gehen Sie einfach davon aus, dass wir hier ein Phänomen erleben, das nicht so leicht zu begreifen ist, aber trotzdem existiert und eine Gefahr für uns alle bringen kann.« »Ja, dann ist das wohl so.« Er konnte nicht mehr auf seinem Stuhl sitzen, stand auf und trat ans Fenster, das zum Garten hinter dem Haus zeigte. Er musste die Nachricht erst verdauen. Das war schon verdammt hart, was wir ihm da geboten hatten, und auch wir waren nicht glücklich darüber. Purdy beugte sich zu mir herüber. Ihr Gesicht zeigte einen ernsten Ausdruck. »Du hast es gehört, John. Es sind mehrere dieser Flugmonster gewesen. Ich denke nicht, dass die Kinder sich geirrt haben. Da sind sie schon auf der Hut.« »Ja, das ist mir klar.«
»Und wir wissen nicht, wie wir an sie herankommen. Wir müssen alles ihnen überlassen.« »Natürlich. Und sie werden kommen, davon bin ich überzeugt. Ich glaube nicht, dass sie es so einfach hinnehmen werden, dass wir einen von ihnen gekillt haben. Sie werden versuchen, uns zu jagen, um sich zu rächen.« »Dann sollten wir uns auf die Suche nach ihnen machen.« »Wir wissen nicht, wo wir anfangen müssen«, sagte ich. Purdy gab ein spöttisch klingendes Lachen von sich. »Das ist mir auch klar, aber ich denke, dass wir eine Hilfe gut gebrauchen könnten, die uns aber versagt blieb.« Ich wusste, wen oder was sie damit meinte, und sprach den Namen sofort aus. »Du denkst an Myxin?« »An wen sonst? Irgendwie fühle ich mich von ihm an der Nase herumgeführt. Er kommt, gibt Fehler zu, verschwindet wieder und überlässt uns den ganzen Dreck.« »Das sieht wohl nach außen hin so aus«, gab ich zu. »Ich glaube nur nicht, dass er uns völlig im Stich gelassen hat. Dazu ist er einfach nicht der Typ.« »Ha, du hast Humor.« »Auch. Und eine Meinung, Purdy.« Am Fenster bewegte sich der Konstabler. Wir hörten seine scharfen Atemstöße, dann drehte er sich um, damit er uns direkt anschauen konnte. Sein Blick flatterte uöd er hatte Mühe, etwas zu sagen. »Ich - ich - denke, Sie sollten mal kommen.« »Was ist denn?«, fragte ich beim Aufstehen. »Sind es diese Flugwesen?« »Nein, das nicht. Sehen Sie selbst.« Auch Purdy hatte es nicht auf ihrem Platz gehalten. Sie und ich traten an das zweite Fenster und schauten in einen Hinterhof. Nicht in einen wie in der Großstadt, dieser hier war von keinen hohen Hauswänden umgeben, sondern von den Vorderfronten dreier Garagen und einem Schuppen. Ein Weg führte in den Ort hinein - und dort standen sie. Drei Männer. Mein Herz schlug schneller und sein Rhythmus beschleunigte sich noch, als ich den Kommentar des Konstablers hörte. »Das müssen die Verschwundenen sein. Vielleicht suchen sie jetzt ihre Autos...« *** Darüber konnte ich nicht lachen, und auch Purdy Prentiss blieb ernst. Wir schauten uns die Männer an, die dicht nebeneinander standen und nicht so aussahen, als hätten sie ihr Ziel schon erreicht. Sie konzentrierten sich auf die beiden Fenster und ich ging davon aus, dass sie Kontakt mit uns aufnehmen wollten.
Wir schauten sie uns genauer an. Im ersten Moment waren sie nicht von normalen Menschen zu unterscheiden, aber mich störte ihr Verhalten. Es war so abwartend, zugleich marionettenhaft, und ihre Blicke kamen mir leer vor. Orson Gilmore fing wieder an zu sprechen. »Sie können ja sagen, was Sie wollen, ich aber bin davon überzeugt, dass wir es mit den Verschwundenen zu tun haben. Es sind fremde Menschen, die ich hier im Ort nie zuvor gesehen habe.« Er nickte uns zu. »Das müssen, sie einfach sein.« Purdy Prentiss hatte zugehört und fragte mich: »Was sagst du dazu?« »Das müssen wir wohl so hinnehmen. Ich frage mich allerdings, was mit ihnen geschehen ist.« »Das weiß ich nicht. Ihnen scheint nichts passiert zu sein, wenn man ihr Äußeres sieht.« »Das ist schwer zu glauben. Sie müssen anders geworden sein, wenn ich sie mir so anschaue. So verhält sich niemand. Sie sind verändert, wenn auch wohl nicht äußerlich. Etwas muss mit ihnen passiert sein, sonst hätte man sie nicht entführt.« »Ja, John. Dann werden wir sie uns wohl aus der Nähe anschauen müssen.« Das hatte ich selbst vorschlagen wollen und war natürlich sofort dabei. Der Konstabler fragte: »Was meinen Sie, soll ich mitgehen?« Dagegen sprachen wir uns beide aus, denn wir wussten nicht, was uns erwartete. Ich glaubte nicht, dass sie so harmlos waren, wie sie wirkten. Beim Herkommen hatten wir eine Hintertür gesehen. Auf sie sprach ich Gilmore an. , Er begriff sofort. »Ja, Sie können den Ausgang nehmen. Dann müssen Sie sich nach rechts wenden.« »Danke.« Wir machten uns auf den Weg. Purdy hielt sich an meiner Seite. Sie fragte: »Was meinst du, wie viele Kugeln stecken noch in deinem Magazin?« »Keine Ahnung.« »Schau lieber nach.« Das tat ich und war alles anderes als begeistert, denn ich zählte noch zwei geweihte Silbergeschosse. »Ziemlich wenig«, murmelte Purdy. »Ich weiß.« »Soll ich dir eine von meinen Waffen geben?« »Nein, nein, noch nicht.« »Du musst es wissen.« Wir setzten unseren Weg fort. Die Hälfte des Flurs hatten wir bereits hinter uns gelassen. Die Hintertür rückte näher und ich verspürte ein erstes Kribbeln auf meiner Haut. Ich fragte mich, was das für Menschen waren, die äußerlich so normal aussahen. Aber sie hatten einiges hinter sich, und so ging ich davon aus, dass sie doch dämonisch beeinflusst waren.
Wir rannten nicht nach draußen. Die Tür wurde von uns behutsam geöffnet. Geräusche gab es nicht und so konnten wir einen ersten Blick in den Hinterhof werfen. Wir sahen das Bild, das wir schon kannten. Nur eben aus einer anderen Perspektive. Die drei Ankömmlinge sahen wir im Profil. Sie hatten sich nicht bewegt, starrten nach vorn und behielten die Fenster im Blick. Ich nickte Purdy zu. »Und?« »Wir schleichen uns an.« »Okay.« Noch waren wir nicht aufgefallen. Und so kamen wir ihnen immer näher. »Was meinst du, John? Trennen wir uns?« »Wäre nicht schlecht.« Ich blickte mich um, aber es gab keine Deckung, hinter der wir hätten verschwinden können. Außerdem drehten sich die drei Gestalten plötzlich in unsere Richtung. Es geschah sehr schnell. Obwohl wir auf der Hut waren, wurden wir davon überrascht. Zum ersten Mal sahen wir sie aus der Nähe. Und wir konnten in ihre Augen schauen, die einen besonderen Ausdruck zeigten. Es waren die leeren Blicke, die uns trafen. Ich hätte nicht sagen können, ob sie uns registriert hatten oder nicht. Wir zogen nicht unsere Waffen und blieben friedlich. Hinter einer Fensterscheibe sahen wir schwach das Gesicht des Konstablers, der sich nicht vom Fleck bewegte. »Okay, wir sprechen sie an!«, flüsterte ich Purdy Prentiss zu. »Ich bin gespannt, wie sie reagieren werden.« »Ich auch.« Der Abstand zwischen uns war nicht besonders groß. Drei Schritte mussten reichen, um an die Gestalten heranzukommen. Wir bewegten uns auch jetzt langsam und lauerten auf eine Reaktion, aber die trat nicht ein. »Merken die überhaupt etwas?«, flüsterte Purdy. »Werden wir gleich wissen.« Ich streckte meine Hand aus, um den Ersten anzufassen. Er ließ es geschehen. Ich spürte unter der Kleidung die feste Haut, die mir tatsächlich härter vorkam als die Haut eines normalen Menschen. Und ich erlebte auch, dass der Gestalt die Berührung nicht so angenehm war, denn sie gab einen Zischlaut von sich. Ich nahm die Hand wieder zurück. Dann sprach ich den Mann an. »Können Sie sprechen?« Er schüttelte den Kopf. Zumindest hatte er mich gehört, und das war schon ein Vorteil. Aber er hatte seine normale Menschlichkeit verloren, was mich störte. Ich fasste erneut nach ihm und zog ihn näher an mich heran, um einen zweiten Test vorzunehmen. Da passierte es! Sein Schrei war nicht zu überhören. Er wuchtete seinen Körper zurück und es sah so aus, als wollte er sich zu Boden werfen, was er aber nicht tat. Er rannte nur nach hinten und auf die rechte der Garagen zu. Auch dort stoppte er nicht. . Er wuchtete seinen Körper gegen das Tor und brach dort zusammen.
Die beiden anderen Personen reagierten nicht. Sie standen einfach nur da, schauten zu und senkten die Köpfe. »Verstehst du das, John?« »Nein.« »Aber normal sind sie nicht.« »Das stimmt. Irgendwas ist mit ihnen passiert. So verhält sich kein normaler Mensch.« »Sie wollen nicht sprechen, das steht fest. Aber wer hat sie nur zu dem gemacht?« »Die Flugmonster. Es gibt keine andere Erklärung. Sie haben ihnen etwas eingeimpft, sie müssen sie behandelt haben, was weiß ich. Jedenfalls haben wir das Nachsehen.« »Aber wir können sie nicht einfach hier so stehen lassen. Oder siehst du das anders?« »Ganz und gar nicht.« Der Mann vor dem Garagentor war dabei, sich aufzurichten. Er tat es mit langsamen Bewegungen, als hätte er Mühe, auf die Beine zu gelangen. Das war nicht gespielt. Ich ging davon aus, dass es ihm tatsächlich schlecht ging. »Moment mal«, sagte Purdy. Sie ging zu ihm, um ihm auf die Beine zu helfen. Die anderen beiden Männer schauten zu. Purdy sprach erst mit ihrem Schützling. Ob sie eine Antwort erhielt, war für mich nicht zu hören, und dann f asste Purdy so hart zu, dass sie ihn anheben konnte. Er wehrte sich nicht. »Schaff ihn her, bitte!«, rief ich. »Moment, John. Hier stimmt was nicht.« Purdy blieb bei ihm. Sie schaute in sein Gesicht und zuckte zurück. »Was hast du?«, rief ich. »Das ist kein Mensch mehr, John!« »Was dann?« »Seine Haut verändert sich.« Das wollte ich mir aus der Nähe anschauen. Mit wenigen Schritten hatte ich die beiden erreicht und meine Augen weiteten sich, als ich sah, dass Purdy recht hatte. Es war schrecklich, die Haut wurde allmählich grau, erhielt dann einen Grünstich und zugleich drang ein Jammerlaut aus seinem Mund. »Können Sie reden?« Purdy war einen Schritt von ihm weggegangen. »Ich - ich - habe kein Blut mehr. Anderes Blut, glaube ich. Kein Mensch mehr, ich weiß es auch nicht. Wir gehören ihnen. Wir sind keine Menschen mehr, wir sind...« Er schrie auf - und dann geschah etwas Grauenhaftes. Vor unseren Augen löste sich die Haut von seinem Gesicht. Es war furchtbar. Sie rollte sich auf, sie zog sich von oben nach unten und wir sahen tatsächlich kein Blut. Alles, was hinter der Haut lag, war verschwunden. Dass er überhaupt noch etwas hatte sagen können, kam einem Wunder gleich. | Sekunden später stand ein Toter vor uns. Ein Körper mit einem Totenschädel. Er hatte eine grünliche Farbe angenommen, bewegte sich nicht mehr und kippte einen Moment später nach vorn. Auf dem harten Boden brach er auseinander.
Wir standen da und sagten nichts. Es war uns ein Rätsel. »Was ist passiert, John?« Ich hob nur die Schultern. Eine andere Antwort konnte ich nicht geben. Aber es gab noch die beiden anderen Männer. Sie hatten sieh umgedreht und blickten auf das, was von ihrem Leidensgenossen zurückgeblieben war. Ein Körper, der sich ebenfalls auflöste, denn überall war diese alte Haut zu sehen. »Es gibt nur eine Möglichkeit, Purdy. Wir müssen die beiden Typen zum Reden bringen, solange sie das noch können. Ich weiß nicht, was man genau mit ihnen gemacht hat, aber ...« Ich verstummte und Purdy nahm meinen Satz auf. »Denk an die Totenschädel dieser Gestalten. Da haben wir zwischen den beiden eine Gemeinsamkeit.« »Und sonst?« »Keine Ahnung.« Am Fenster stand noch immer der Konstabler. Er war zur Salzsäule erstarrt. Man konnte sein Gesicht nur noch als starre Maske bezeichnen. Es wurde Zeit, dass wir uns um die beiden Lebenden kümmerten. Konnte man sie noch retten? Viel Hoffnung hatte ich nicht und ich nahm mir vor, sie behutsam zu behandeln. Mit kleinen Schritten ging ich auf sie zu. Sie registrierten mich, aber sie reagierten nicht. Wieder waren es die stumpfen Blicke, die bei mir eine Gänsehaut hinterließen. Ich rechnete damit, dass das Gleiche passieren würde wie bei dem Ersten, doch da unterlag ich einem Irrtum. Der Mann wollte sprechen. Zumindest bewegte er seine Lippen. »Hast du uns was zu sagen?« Er nickte. »Dann bitte jetzt!« Dann sprach er. Die Worte drangen leise über seine Lippen. Ich musste mich schon anstrengen, um sie zu hören. Und er sprach Sätze, die auch ein Vampir hätte sagen können, denn er flüsterte, dass sie kein richtiges Blut mehr in sich hätten, sondern das Blut der fliegenden Echsen. »Was ist denn genau passiert?« »Leer. Wir sind leer. Die Grausamen haben uns getötet, obwohl wir noch leben. Wir sollten wie sie werden, und wir sind es auch geworden. Deshalb sind sie jetzt wie wir.« »Was heißt das?« »Sie wollen menschlich werden. Sie wollen sich in der Welt nicht verstecken müssen. Wir haben ihnen als Gastkörper gedient. Sie haben uns genommen - wir wurden leer. Ihr Keim steckt in uns. Wir sind nicht mehr wir ...« »Aber ihr seid auch nicht sie!«, sprach ich dagegen. »Das weiß ich nicht mehr. Sie haben' sich auf uns gestürzt, wir waren ihre Beute...« »Und jetzt?« »Haben sie uns wieder laufen lassen. Wir sind jetzt hier. Wir sollen uns den Menschen zeigen, was wir auch getan haben. Wir sind die Warner und wir zeigen ihnen, was auch
ihnen bevorstehen wird. Sie kommen, um menschlicher zu werden. Bei uns haben sie die ersten Versuche gestartet. Wir sind halb sie und halb Menschen. Kein Blut mehr kein Blut mehr - kein Blut...« Er redete wie ein Automat, der erst abgestellt werden musste, um Ruhe zu haben. Wie das geschehen sollte, wusste ich nicht, aber ich sah, dass er sich selbst abstellte,. Auch bei ihm rollte die Haut vom Gesicht ab, sodass ein Totenschädel zum Vorschein kam. Wir erlebten dasselbe Phänomen wie bei dem anderen. Dahn fiel er tot vor unsere Füße. Jetzt gab es nur noch einen. Er hatte sich umgedreht und starrte in unsere Richtung. Leer war sein Blick, Gefühle gab es wohl bei ihm nicht mehr, und als wir dachten, dass er auf uns zukommen würde, da geschah es auch mit ihm. Er verlor sein Gesicht. Wieder mussten wir mit ansehen, wie sich seine Haut aufrollte und dann nach unten sackte, wobei der hässliche Totenschädel sichtbar wurde und er danach das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Vor uns lagen drei tote, wenn auch veränderte Menschen. Wir hatten nichts dazu getan. Sie waren einfach gestorben, als hätte man ihnen die Batterie abgeklemmt. Purdy Prentiss schaute mich mit glanzlosen Augen an. »Verstehst du das?« »Nein, nicht mal die Hälfte. Ich weiß nicht, welche Magie hier ihre Kraft ausgespielt hat, aber damit bin ich noch nie im Leben konfrontiert worden.« »Aber wir müssen etwas tun!« Ja, das mussten wir. Doch niemand konnte uns sagen, was wir unternehmen sollten... *** Lange blieben wir nicht mehr allein. Orson Gilmore hatte sich aus dem Haus getraut und kam auf uns zu. Er zitterte am ganzen Leib. Seine Lippen waren fest zusammengepresst. Schweiß bedeckte sein Gesicht und wir ließen ihn in Ruhe, um mit dem Anblick fertig zu werden. »Ich wollte ja nicht glauben, was ich gesehen habe, aber es stimmt tatsächlich - oder?« »Sie sehen es ja.« »Und jetzt?« »Müssen wir die Toten wegschaffen. So sehr man darüber auch entsetzt sein kann; Mr Gilmore, es hat einen Vorteil gehabt, dass die drei Personen hier erschienen sind.« »Welchen denn?« »In ihnen steckte wohl noch ein Rest von Menschlichkeit. Sie kamen, um uns zu warnen.« »Und wovor?« »Vor etwas noch Schlimmerem«, sagte Purdy Prentiss und erkundigte sich, ob es Decken gab, die wir über die toten Gestalten legen konnten. Sie sollten nicht unbedingt gesehen werden. »Ja, ich hole sie. Ich kann auch eine Garage öffnen, die leer steht.«
»Danke, das ist gut.« Der Konstabler verschwand. Purdy und ich blieben allein zurück. Ohne dass wir uns abgesprochen hatten, suchten wir beide den Himmel ab, der allerdings normal war und an dem keine Flugmonster zu entdecken waren. »Sie lauern«, sagte ich. »Die Monster halten sich noch im Hintergrund, aber sie werden kommen. Ich weiß nicht, ob die drei hier ihnen entwischt sind oder bewusst laufen gelassen wurden. Sie sollten uns eine Warnung sein.« »Und was war mit dem Blut, John?« »Das wurde ausgetauscht. Du hast es ja selbst gehört.« »Dagegen sage ich auch nichts. Wenn das so gewesen ist, müssen wir Spuren entdecken.« »Kann sein.« »Dann lass uns doch mal die Leichen näher ansehen.« Sie hatte recht. Vom Körper hatten wir nicht viel gesehen. Das mussten wir ändern. Gemeinsam zogen wir einen der Toten aus. Dass sich der Kopf verändert hatte, war uns nicht verborgen geblieben, jetzt war der Körper an der Reihe, und wir hatten kaum die Brust freigelegt, da erhielten wir den Beweis. Bissstellen sahen wir nicht. Dafür Schnittstellen, aus denen das Blut gelaufen war. Ob man es getrunken hatte, wussten wir beide nicht. Jedenfalls waren die Menschen völlig verändert worden und nur noch Hüllen gewesen. Dass sie trotzdem normal mit uns hatten sprechen können, glich einem Wunder. »Wie kann so etwas geschehen?«, fragte die Staatsanwältin. »Das ist mir ein Rätsel.« Ich hob die Schultern. »Oder haben wir es mit einer Abart der Kreaturen der Finsternis zu tun? Sollten wir wieder von ihnen überrascht werden? Was meinst du? Du kennst sie ja.« Ich winkte ab. »Nun ja, kennen ist zu viel gesagt, aber ich schließe nichts aus. Diese Flugmonster stammen ja nicht aus unserer Welt. Sie hatten in Atlantis ihre Heimat und sie konnten nur hier erscheinen, weil ein Tor offen stand. Du kennst den alten Kontinent, ich war auch nicht nur einmal dort, aber diese Wesen habe ich dort noch nicht gesehen. Sie müssen in einem Teil existiert haben, der auch...« »Mir unbekannt war«, vollendete Purdy den Satz'. »Dann können wir nur darauf hoffen, dass sich Myxin mal wieder zeigt und uns aufklärt.« »Du gehst davon aus, dass er Bescheid weiß?« »Und ob ich davon ausgehe. Wenn sich jemand auskennt, dann ist es der kleine Magier.« »Hätte er uns denn nicht warnen können?« »Frag mich was Leichteres. Ich weiß es einfach nicht.« Ein Hüsteln unterbrach unser Gespräch. Wir drehten uns um und sahen den Konstabler mit drei Decken kommen, die er gefaltet über seinen Arm gelegt hatte.
Als er den Körper des Toten und die zahlreichen Wunden sah, wurde er noch blasser. Ich gab ihm die Erklärung. »Man hat ihm sein Blut genommen.« »Und warum?« »Das müssen wir noch herausfinden.« Purdy nahm dem Mann die Decken ab. Es war keine schöne Aufgabe, die drei Körper mit ihren Totenköpfen in die Garage zu transportieren, aber was sollten wir anderes tun? Hier liegen lassen konnten wir sie nicht. Orson Gilmore schlöss die Tür. Dabei fragte er: »Und wie geht es nun weiter? Gibt es überhaupt ein Weiter?« »Das wollen wir doch hoffen«, erwiderte die Staatsanwältin. »So leicht geben wir nicht auf.« »Aber wir hier in Dalbury sind noch nicht aus dem Schneider. Oder liege ich da falsch?« »Leider nicht, Mr Gilmore. Ich denke, dass die großen Probleme noch auf uns zukommen werden. Sie waren nur die Opfer, wir aber müssen die Täter haben.« »Rechnen Sie denn damit, dass es noch mehr Opfer geben kann?« Ich nahm kein Blatt vor den Mund. »Ja, damit rechne ich. Sie haben gesehen, was mit den Männern passierte. Ich kann mir vorstellen, dass es für die andere Seite so etwas wie ein Test gewesen ist. Der große Angriff steht noch bevor.« Der Konstabler ging einen Schritt zurück. Das Gehörte zu glauben fiel ihm offenbar ziemlich schwer. Er schluckte ein paar Mal, dann fragte er mit leiser Stimme: »Was kann man dagegen denn tun?« »Es wird sich ergeben.« Er hatte mich verstanden. »Das heißt mit anderen Worten, dass Sie sich selbst noch nicht sicher sind.« »Ja, das heißt es.« Der Konstabler konnte nichts mehr sagen. Er blickte sich nur verunsichert um. Purdy Prentiss war damit beschäftigt, Unterlagen zu durchsuchen, die sie bei den Toten gefunden hatte. Man hatte ihnen die Ausweise gelassen und so erfuhren wir ihre Namen und auch Anschriften. Sie hießen Ray Miller, Frank Zacharias und Gordon Füller. »Kennst du einen der Namen, John?« »Nein, sorry.« »Nun ja, jetzt sind sie wenigstens nicht mehr so anonym.« Viel weiter brachte uns das nicht. Es war auch nicht nötig, dass wir noch länger hier im Hof blieben, und betraten das Büro. Ich schloss die Tür und sah, dass der Konstabler eine Schublade aufzog. »Sie werden vielleicht Verständnis dafür haben, dass ich einen kleinen Schluck brauche.« »Sicher. Ist es Whisky?« »Sehr guter sogar.« »Könnte ich dann auch ein Glas haben?«
Orson Gilmore konnte nach langer Zeit wieder lächeln. »Das ist die wahre Medizin, wenn einem Menschen etwas so Schreckliches auf den Magen schlägt.« »Ich würde auch nicht ablehnen«, sagte Purdy Prentiss. »Okay, dann hole ich drei Gläser.« Gilmore stellte sie nebeneinander und versorgte sie mit einem kräftigen Schluck. Das war schon ein Doppelter bis Dreifacher, aber den konnten wir brauchen. »Worauf trinken wir denn?«, fragte er. »Auf dass alles gut geht«, erklärte die Staatsanwältin: »Ja. Das meine ich auch.« Wir stießen an. Ich musste gestehen, dass der Konstabler nicht übertrieben hatte. Der Whisky war ausgezeichnet. Er kratzte nicht und man konnte den Eindruck haben, flüssiges Getreide zu trinken. Ich trank das Glas nicht leer und stellte es ab. Es ging weiter. Es musste auch weitergehen, aber wie, das war die große Frage, auf die wir keine Antwort wussten. »Was kann man denn tun?«, fragte der Konstabler, dem die Sorge ins Gesicht geschrieben stand und dort tiefe Falten hinterlassen hatte. Die Antwort gab Purdy Prentiss. »Ich weiß nicht, was man tun kann, Könstabler. Um es ganz klar zu sagen, wir sitzen momentan am kürzeren Hebel.« Der Mann starrte in sein Gas. »Wird sich das je ändern?«, flüsterte er. »Man kann es nur hoffen.« Er stellte sein leeres Glas weg. »Und was ist mit den Menschen hier? Sie sind doch ahnungslos. Sie haben nicht den leisesten Verdacht. Das ist doch alles grausam. Oder glauben Sie nicht an einen Überfall auf den Ort? Dass Menschen zu dem gemacht werden sollen, was wir erlebt haben?« »Doch, das wird ihr Plan sein«, gab ich zu. 1 »Dann ist alles aus.« Ich lächelte ihn an. »Noch sind wir da, und ich sage Ihnen, dass wir auch bleiben.« »Wollen Sie hier warten?« Ich warf Purdy Prentiss einen Blick zu und sah, dass sie den Kopf schüttelte. Sie war der gleichen Meinung wie ich. Auf keinen Fall würden wir uns hier verstecken, sondern im Ort unsere Runden drehen. »Da ist noch etwas«, sagte der Konstabler, als er einen Blick auf seine Uhr geworfen hatte. »Und was?«, flüsterte ich, wobei ich ahnte, dass er uns nichts Angenehmes sagen würde. »Es wird gleich ein Bus eintreffen.« »Ja«, sagte Purdy. »Hier fahren Busse.« Er senkte den Kopf. »So meine ich das nicht.« »Wie dann?« Gilmore musste sich erst räuspern, dann war er fähig, eine Antwort zu geben. »Es ist ein kleiner Bus mit Schulkindern, der gleich hier eintreffen wird.«
»Wo?« »Er hält auf dem Marktplatz.« Purdy und ich blickten uns an. Was wir da erfahren hatten, hörte sich alles andere als gut an. Mir lief ein Schauder über den Rücken und ich stellte die nächste Frage. »Woher kommt der Bus?« »Aus Uttoxeter. Die Kinder haben einen Ausflug gemacht. Dort gibt es ein Museum...« »Und Sie wissen, dass sie sich jetzt auf dem Rückweg befinden?« »Ich denke schon.« Ich fragte weiter. »Wann sollen sie hier eintreffen?« »So genau weiß ich das nicht. Ich gehe nur davon aus, dass sie schon unterwegs sind.« Auch Purdy mischte sich ein. »Sagen Sie uns bitte die Richtung, aus der die Kinder kommen.« »Sie kommen aus Westen und fahren über die A564, bevor sie auf die Nebenstraße abbiegen müssen.« »Die dann hierher in den Ort führt?« »Das kann man so sagen. Man muss zwar noch zweimal abbiegen, aber das ist kein Akt.« Mir schössen einige Dinge gleichzeitig durch den Kopf. Auf der Hauptstraße würde bestimmt nichts passieren. Aber die Nebenstraßen waren so gut wie frei. Da konnte schon ein Überfall stattfinden, ohne dass er von Fremden bemerkt wurde. . Purdy schaute mich an. Dabei nickte sie und sagte mit leiser Stimme: »Ich denke, dass wir etwas Bestimmtes tun müssen.« »Das meine ich auch.« »Und was wollen Sie tun?«, fragte der Konstabler. »Das ist ganz einfach«, erwiderte ich. »Wir werden dem Bus entgegenfahren, und zwar sofort.« Orson Gilmore konnte nichts mehr sagen, sondern nur noch nicken ... *** Den Namen Uttoxeter hatten wir beide noch nie in unserem Leben gehört, aber er war plötzlich wichtig geworden, denn nach ihm mussten wir uns richten, und so fuhren wir ihm entgegen. »Weißt du, dass dies ein ganz beschissener Fall ist, John?«, sagte Purdy plötzlich. »Das weiß ich.« Sie schüttelte sich. »Mir geht einfach nicht aus dem Kopf, was mit den drei Männern geschehen ist. Sie konnten sich noch bewegen. Sie konnten sogar mit uns sprechen, und dann ist es passiert. Plötzlich brachen sie zusammen. Dabei zeigten sie ihr wahres Gesicht, und damit habe ich meine Probleme.« »Nicht nur du. Es hängt an diesen höllischen Flugwesen. Mehr kann ich auch nicht sagen. Ich weiß nicht, wie sie ticken und unter welchem Druck sie stehen.«
»Irgendjemand muss sie dazu gemacht haben.« »Kann sein, Purdy. Oder sie sind einfach so entstanden. Geboren wie auch immer.« »Das ist auch möglich.« Wir hatten es eilig. Trotzdem fuhr ich nicht schneller. Die Straße war leicht kurvig und ein Schild wies auf einen Ort hin, der Sutton on the Hill hieß. Dort mussten wir vorbei, um auf die A564 zu gelangen, die nach Uttoxeter führte. Ein einziges Fahrzeug war uns bisher entgegen gekommen. Ein Laster, der Holzstämme transportierte. Mit einem Bus hatte der keine Ähnlichkeit. Purdy Prentiss vergaß auch nicht, den Himmel zu beobachten. Sie saß stumm neben mir, um so viel wie möglich zu erkennen, was nicht immer leicht war, da ihr der Wald oft genug die freie Sicht nahm. »Verdammt!«, zischte sie. »Was ist?« »Halt mal an.« Das tat ich sofort. Purdy hatte ihre Hand nach vorn gestreckt. Sie deutete dabei schräg gegen den Himmel und in die Richtung, in die wir fahren mussten. Jetzt sah ich es auch. Es waren keine Vögel, die dort ihre Kreise zogen, auch wenn sie im ersten Moment so aussahen. Drei dieser Flugmonster schwebten über einem bestimmten Gebiet und ich spürte, wie sich die Gegend um meinen Magen zusammenzog. »Sie sind schon da.« »Und sie warten, John. Und zwar auf den Bus.« »Ja, sie müssen die Beute gerochen haben.« »Was auch die drei Veränderten wussten. Da muss noch etwas Menschliches in ihnen gewesen sein. Sonst wären sie nicht in den Ort gekommen. Bestimmt haben sie die Menschen warnen wollen.« Da konnte ich nicht widersprechen. ES war interessant, dass die Gestalten nur ihre Kreise drehten. Dies ließ darauf schließen, dass sie bereits ein Ziel oder eine Beute ausgemacht hatten. Meiner Ansicht nach hatten sie den Bus bereits unter Kontrolle, und davon auszugehen war alles andere als spaßig. Beide waren wir davon überzeugt, dass sich der Bus noch auf der breiten Straße befand. Aber es würde nicht mehr lange dauern, dann bog er ab. »Wir sollten uns beeilen«, sagte Purdy mit ruhiger Stimme. Sie riss sich wirklich zusammen. »Und ob«, flüsterte ich. Im nächsten Moment startete ich den Motor. Ich hoffte, noch rechtzeitig genug anzukommen, aber ich glaubte nicht daran, dass die Angreifer von ihrer Absicht ablassen würden, und so mussten wir uns auf einen höllischen Tanz einstellen ... *** Miriam Glade hieß die Lehrerin, die den Job übernommen hatte, mit den Kindern ins Museum zu gehen und ihnen zu zeigen, welche Tiere früher auf der Erde gelebt hatten.
Dinos waren in. Besonders bei den Jungen. Und die würden sie auch zu sehen bekommen, nachgebaut aus Kunststoff konnten sie die Skelette bestaunen, was sie auch hinreichend genug getan hatten. Mit durchschnittlich zehn Jahren interessierte man sich eben für die Geschöpfe der Vorzeit, besonders dann, wenn man zahlreiche Filme über die mächtigen Giganten gesehen hatte. Zwei Stunden wären für den Besuch eingeplant gewesen und die waren auch ausgenutzt worden. Miriam Glade war doch sehr froh gewesen, als die Zeit vorbei war. Sie war dann noch mit den Kindern in ein kleines Bistro gegangen, das dem Museum angeschlossen war. Dort hatte es etwas zu Essen und zu Trinken gegeben. Jetzt war sie froh, wieder auf der Heimfahrt zu sein. Großen Ärger gab es nicht im Bus, denn den Kindern war noch Prospektmaterial mit auf den Weg gegeben worden, das sie nun interessiert durchschauten. Lange würden sie nicht fahren. Allerdings hatte der Fahrer auch nicht rasen wollen und so zockelten sie über die Straße, was der Lehrerin sehr angenehm war. Sie sah sich zwar nicht als kaputt an, aber leicht geschlaucht war sie schon und die Fahrerei machte sie schläfrig. Die Augen fielen ihr immer wieder zu. »Müde?«, fragte der Fahrer. Er hieß Ed Janner und übte seinen Beruf fast dreißig Jahre aus und hatte auch häufig Schulbusse gefahren, sodass er seine Erfahrungen mit Kindern hatte. »Es geht.« »Ja, die Kinder. Manchmal könnte man sie einsperren.« »So schlimm ist es nicht.« Miriam winke ab. »Egal, da müssen wir durch.« »Sie machen den Job auch schon lange, wie?« Die Lehrerin musste lachen. »Sieht man das an meinen grauen Haaren?« »Das wollte ich nicht damit sagen.« »Wenn man die Hälfte seines Lebens hinter sich hat, da werden die Haare schon mal grau.« »Wie bei mir.« »Wir werden alle nicht jünger.« Miriam Glade lächelte. Eigentlich konnte sie sich über ihren Job nicht beschweren. Der Unterricht auf dem Land war nicht mit dem in der Stadt zu vergleichen, denn hier waren die Kinder anderen Einflüssen ausgesetzt als in den Metropolen. Miriam Glade war nie verheiratet gewesen. Bis vor drei Jahren hatte sie noch ihre kranke Mutter zu Hause gepflegt und die Schule war zu ihrem Lebensinhalt geworden. Sie würde auch noch weitermachen und sich nicht früh in Pension schicken lassen. Ihre Gedanken wanderten dem Abend entgegen. Eine Bekannte hatte sie zum Geburtstag eingeladen und sie würde auch hingehen, obwohl sie sich nicht so fit fühlte. Das konnte noch kommen, wenn sie sich etwas ausgeruht hatte. Selbst hier im Bus konnte sie entspannen. Es machte ihr auch nichts aus, dass sie hin und wieder einschlief, doch in den Kurven wurde sie immer wieder wach.
Sie fuhren bereits auf den Ort mit dem Namen Sutton on the Hill zu. Es war die letzte Etappe vor dem Ziel. Die beiden Dörfer glichen sich sehr. Keine Hektik, alles lief recht langsam ab, die Menschen hatten Zeit Und die Schule befand sich in Dalbury, denn Sutton on the Hill war für eine eigene Schule zu klein. Aber es gab einen Marktplatz. Dort mussten einige Kinder aussteigen. Eltern standen an der Haltestelle, um ihren Nachwuchs in Empfang zu nehmen. »Bald haben wir es geschafft, Miss Glade.« »Da bin ich auch froh.« Sie reckte sich. »Wenn ich im Haus bin, werde ich erst mal ein heißes Bad nehmen. Ich liebe Bäder, da kann man so wunderbar entspannen.« »Kann sein.« »Sie mögen mehr die Dusche?« »So ist es.« »Jeder nach seinem Geschmack.« Das Gespräch zwischen ihnen schlief ein. Die freie Natur breitete sich vor ihnen aus. Felder zeigten das frische vorsommerliche Grün, und dazwischen leuchtete der blühende Raps in einem satten Gelb. Der Himmel lag wie wolkige Asche über dem Land, denn die Sonne ließ sich nicht blicken. Sie war hinter dem Grau verschwunden. Es hatte keinen Sinn, sich über das Wetter zu beschweren. Irgendwann würde der Sommer noch kommen, das stand fest. Der Lehrerin fiel auf, dass sie langsamer fuhren. Sie wunderte sich auch über die Haltung des Fahrers. Er hatte sich nach vorn gebeugt, um besser zum Himmel schauen zu können. »Gibt es dort etwas Besonderes zu sehen?«, fragte sie. »Ich denke schon.« »Und was?« »Haben Sie schon mal so große Vögel gesehen, Miss Glade?« »Wo?« »Schauen Sie mal. Am besten ist es, wenn Sie den Sitz verlassen, dann haben Sie einen besseren Blickwinkel.« So etwas ließ sich Miriam Glade nicht zweimal sagen. Sie war immer dafür, etwas Neues zu entdecken. Der Fahrer tat ihr sogar den Gefallen und fuhr langsamer. »Sie sind schräg vor und über uns, Miss Glade.« »Ja, ja, ich schaue mal.« Sie beugte sich noch ein wenig weiter vor und verdrehte die Augen. Ja, Ed Janner hatte sich nicht geirrt. Hoch über ihnen schwebten tatsächlich drei riesige Vögel durch die Luft. Selbst aus dieser Entfernung war zu sehen, dass sie keine normale Größe hatten. Da kamen selbst Adler oder Geier nicht mit. »Das ist ja unglaublich«, flüsterte sie. »Haben Sie schon mal so große Vögel gesehen?« Ed Janner schüttelte den Kopf. »Aber wo kommen die her?« »Keine Ahnung.« »Aus einem Zoo?«
»Ich weiß es wirklich nicht, Miss Glade. Aber seltsam ist das schon.« Er fing an zu lachen, was allerdings nicht echt klang. »Die sehen beinahe so aus wie die Flugdrachen, die Sie und die Schüler im Museum gesehen haben.« »Hören Sie auf. Aber das trifft fast zu. Dennoch - es ist einfach nicht möglich.« »Die Tatsachen sprechen dagegen.« Ed Janner sagte nichts mehr; weil er sich auf das Fahren konzentrieren musste. Seine Wangen hatten rote Flecken bekommen. Ein Zeichen, dass er aufgeregt war. Die Lehrerin ließ die Geschöpf e nicht aus den Augen. Sie war froh, dass ihre Schüler noch nichts gesehen hatten. Dann wäre sie mit Fragen bestürmt worden, auf die sie keine Antworten gewusst hätte. Sie aber beobachtete weiter und auch der Fahrer warf ab und zu einen Blick in die Höhe. Er fuhr recht langsam. Sie würden mit Verspätung am Ziel eintreffen, aber das war nicht weiter tragisch. »Täusche ich mich oder haben die Vögel an Höhe verloren?« »Sie täuschen sich nicht, Miss Glade.« »Dann wollen sie landen?« »Hoffentlich nicht bei uns.« Janner lachte, nur klang es nicht echt. Der Lehrerin wurde zwar nicht unheimlich, aber ein beklommenes Gefühl legte sich schon wie ein Druck auf ihren Magen. Was sie hier erlebte, war nicht normal. Sie fürchtete sich davor, dass etwas Gravierendes geschehen könnte, und machte sich weniger Sorgen um sich als um ihre Schützlinge hinten im Bus. Ja, sie sanken tiefer, und sie waren natürlich dabei besser zu erkennen. Miriam hatte sie schon beim ersten Anblick nicht als normal eingestuft und genau dieser Eindruck verfestigte sich jetzt. Das war nicht normal, was da am Himmel schwebte, und das waren auch keine Vögel. Für sie stand das fest. Aber was waren es dann? . Sie konnte nicht vermeiden, dass ihr Herz schneller schlug. Plötzlich war ein Vogel verschwunden, nur noch zwei kreisten vor ihren Augen und sanken tiefer. »Da kann man richtig Angst bekommen«, flüsterte der Fahrer. »Verdammt, ich glaube, die wollen auf der Straße landen.« »Um Himmels willen.« Miriam Glade presste beide Handflächen gegen die Wangen. Sie und der Fahrer hatten erkannt, was das für Tiere waren. Zu den Vögeln konnten sie nicht gezählt werden. Ihre Schwingen sahen aus wie die der Flugdrachen im Museum. Sie hatten auch Arme, dazu kamen die Krallen, aber am Ungewöhnlichsten musste man die Köpfe ansehen, die so bleich und knöchern schimmerten. »Sehen Sie die Köpfe, Miss Glade?« . »Ja.« »Das sind Totenschädel, verflucht noch mal.« Die Lehrerin sagte nichts. Sie hatte ihre Hände zusammengekrampft und dachte daran, zu beten.
Und dann kam es, wie es hatte kommen müssen. Hinten aus dem Bus meldeten sich gleich zwei Kinder. »Was sind das denn für komische Vögel, Miss Glade?« Die Frau schloss für einen Moment die Augen. Sie durfte jetzt keinen Fehler machen und musste sich die Antwort genau überlegen, denn Kinder waren sehr hellhörig. Schon hörte sie die erste Frage. »Sind das Vögel?« »Ja, aber nicht direkt.« Ihr war keine andere Antwort eingefallen. »Die fliegen ja so tief.« »Ich weiß es.« »Wollen die noch landen?«, fragte eine scheue Mädchenstimme, aus der die Angst deutlich herauszuhören war. »Das weiß ich doch auch nicht.« »Die sehen aber komisch aus!«, rief Kevin, einer, der immer sofort dabei war, wenn es etwas Neues zu entdecken gab. »Ja, wie die auf den Fotos und Figuren im Museum.« »Aber da haben sie nicht gelebt. Das ist hier anders.« Kevin hatte seinen Spaß. »Wow, das ist ein Hammer. So was muss man sich mal ansehen. Ist ja stark.« Miriam Glade wusste nicht, was sie sagen sollte. Eine Erklärung konnte sie nicht geben. Was sie hier sah, war etwas, das es eigentlich nicht geben durfte, und das trotzdem existierte. Innerlich betete sie darum, dass diese Wesen nicht landeten, aber danach sah es nicht aus, denn sie verloren noch mehr an Höhe. Das dritte Tier blieb weiterhin verschwunden, die beiden anderen aber hatten bereits die Höhe des Busses erreicht und flogen schaukelnd über der Fahrbahn, als suchten sie noch nach einem günstigen Landeplatz. Ed Janner fuhr. Ihm stand der kalte Schweiß auf der Stirn. Er atmete nur durch den offenen Mund und war so ratlos wie die Frau an seiner Seite. »Was ist, wenn sie landen?«, fragte die Lehrerin krächzend. »Weiß ich auch nicht.« »Überfahren?« »Mal sehen. Noch schweben sie ja.« »Fragt sich nur wie lange noch.« Die Wesen blieben über dem Asphalt. Sie drehten sich sogar um, und es sah für einen Moment so aus, als wollten sie die Flucht ergreifen. Das konnte Miriam nicht glauben. Warum hätten sie sonst das ganze Spiel durchgezogen? Plötzlich drehten sie sich. Das ging blitzschnell. Etwa in Köpf höhe huschten sie über dem Boden. Noch während der Bewegung ließen sie sich fallen - und landeten. Ed Janner lenkte den Bus weiter. Er sah ein schlimmes Bild vor sich, denn die Tiere hatten ihre Schwingen ausgebreitet und nahmen daher fast die ganze Breite der Straße ein. Miriam tat in den nächsten Sekunden nichts. Sie wartete auf eine Reaktion des Fahrers, und der bremste.
Da der Bus nicht sehr schnell gefahren war, stand er sofort, und alles schien verändert zu sein. Es war plötzlich still geworden. Die Menschen schienen sich in einem Vakuum zu befinden, so jedenfalls dachte die Lehrerin. Sie wagte kaum auszuatmen. Auf ihren Handflächen spürte sie Feuchtigkeit und die Angst lag wie ein starker Druck auf ihrem Körper. Etwas hatte sich verändert. Das spürten selbst die Kinder, die ruhig geworden waren. Ed Janner hatte den Motor in seiner leichten Panik abgewürgt und auch deshalb war die Stille fast vollkommen. »Was machen wir denn jetzt?«, flüsterte Miriam. »Keine Ahnung.« »Wollen Sie nicht weiterfahren?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das bringt nichts, Miss Glade. Wenn ich fahre, werden sie losfliegen. Die können uns immer einholen, die sind schneller als wir.« Miriam Glade sagte nichts mehr. Obwohl sie starr saß, zitterte sie. Das war mehr innerlich. Auf ihrem Gesicht lag der Schweiß, und die Zeit schien zu kriechen. Sie sah alles und konnte es trotzdem nicht nachvollziehen. Obwohl ihr die Tiere nichts taten, war sie darauf gefasst, etwas Grauenhaftes zu erleben. Diese Furcht davor hatte sie still werden lassen. Das galt auch für die Kinder. Sie meldeten sich nicht mehr. Wahrscheinlich spürten sie, dass es kein Spaß mehr war, was sie da erlebten. Miriam Glade fand ihre Sprache zurück. Sie wandte sich an den Fahrer. »Was können wir überhaupt tun? Wissen Sie es? Haben Sie eine Idee?« Er gab ihr eine ehrliche Antwort. »Nein, ich weiß auch nichts. Das ist mir alles viel zu hoch.« Er schlug die Hände vor sein Gesicht. »Mir wäre es am liebsten, wenn das alles hier nicht geschehen wäre, das können Sie mir glauben.« Die Lehrerin nickte nur. Es stand für sie fest, dass diese beiden Untiere nicht erschienen waren, um auf der Fahrbahn stehen zu bleiben. Die würden etwas tun, und so stellte sich die Frage, ob sie hier im Bus noch sicher waren. Miriam Glade glaubte nicht daran. Aber hier warten konnten sie auch nicht länger. Vielleicht war es wirklich besser, wenn Ed Janner den Bus wieder startete. »Wir sollten fahren«, sagte sie. »Und dann?« »Ja, starten. Einfach diese beiden Kreaturen überfahren. Das sind doch keine normalen Vögel. Das sind Wesen, die nicht hierher gehören. Totenschädel, wo gibt es denn so etwas?« »Normalerweise nicht.« »Eben.« Sie nickte dem Mann zu. »Tun Sie uns allen den Gefallen und fahren Sie los.« Ed Janner überlegte nicht mehr lange. Es war wohl am besten, wenn er der Bitte folgte. Er konnte nicht stundenlang hier warten, dass etwas passierte. Er wollte den Motor starten, als alles anders wurde. Es war nichts Großartiges, in diesem Fall aber trieb es der Lehrerin und dem Fahrer einen Schauer über den Rücken.
Vom Dach her klang ein hartes Geräusch auf. Er erschütterte den Bus zwar nicht, aber er war schon zu hören gewesen und Heß die Menschen zusammenzucken. Natürlich war es auch von den Kindern gehört worden. Sie waren bisher still gewesen, das änderte sich nun, und gleich drei von ihnen erfassten die Wahrheit. »Da ist was auf dem Dach!« »Ja, das habe ich auch gehört.« »Vielleicht dieses Monster.« »Was sagen Sie denn dazu, Miss Glade?« Da die Lehrerin angesprochen worden war, musste sie sich auch melden. Sie stand auf und drehte sich um. Sie war den Kindern gegenüber immer ehrlich gewesen, und das sollte auch in dieser Situation so bleiben. Sie musste schon ihre Kraft zusammennehmen, um sprechen zu können, was sie dann auch mit etwas zitternder Stimme tat. »Ich weiß nicht genau, was es ist, aber ich werde dafür sorgen, dass uns nichts geschieht. Mr Janner hat beschlossen, weiterzufahren, denn eure Eltern, die euch abholen wollen, sollen nicht so lange warten.« Sie schaffte sogar ein Lächeln. »Macht euch nicht zu viele Gedanken, wir schaffen das.« »Und wenn nicht?«, rief eine schüchtern klingende Stimme. Miriam Glade wollte eine Antwort geben. Die wurde ihr verwehrt, denn jetzt bekam sie bestätigt, dass dieses dritte Geschöpf auf dem Dach hockte, denn es fing an, sich dort oben zu bewegen. Es ging vor und zurück und immer die Länge des Busses entlang. Dabei hinterließ es dumpfe Geräusche und ein Kratzen, das bei den jungen Passagieren ein unangenehmes Gefühl auslöste und die meisten zwang, ihre Köpfe zu heben und gegen das Busdach zu starren. . Da war nichts zu sehen, nur zu hören, und es klang noch ein anderes Geräusch an ihre Ohren. Das hatte mit dem Kratzen nichts zu tun, das war mehr ein Schreien und auch Krächzen. Töne, die aus dem Maul gedrungen sein mussten. Miriam drehte sich um. Sie wollte endlich darauf bestehen, dass der Fahrer startete. Der starrte nur nach vorn, als sich Miriam wieder hinsetzte. »Da oben lauert das dritte Untier -oder?« »So wird es sein. Und jetzt starten Sie endlich.« »Okay. Auf Ihre...« Er schaffte es nicht, denn die beiden Kreaturen waren es leid. Ohne Vorwarnung bewegten sie ihre Schwingen und verließen den Boden. Sie hoben sich in die Luft, aber sie flogen nicht weg, denn ihr Ziel war die Front des Busses, um dort die Scheiben einzurammen ... ***
Purdy Prentiss und ich hatten noch keinen Beweis, aber beide hatten wir das Gefühl, zu spät zu kommen. Auf der manchmal kurvigen Strecke konnten wir nicht so schnell fahren, denn wir wollten nicht im Graben landen. Der kleine Ort Sutton on the Hill lag tatsächlich auf einem Hügel oder einer flachen Kuppe. Von den Geschöpfen sahen wir noch immer nichts. Wir glaubten aber nicht daran, dass sie sich zurückgezogen hatten, nicht diese Wesen. Wenig später rollten wir in den Ort hinein. Ich musste das Tempo verringern und Purdy schaute sich um, ob sie hier etwas entdeckte, was auf einen Besuch der Kreaturen hindeutete. Das war nicht der Fall, doch in der Mitte des Ortes, wo sich ein kleiner Platz befand, auf dem ein Brunnen stand, sahen wir eine Haltestelle. Dort würde zwar kein Schulbus halten, aber trotzdem hatten sich um die Haltestelle herum Menschen versammelt. Zumeist Frauen, die sich miteinander unterhielten und dabei in die Richtung schauten, in die wir auch fuhren. »John, halte mal an, bitte!« »Warum?« »Da stimmt was nicht.« Ich wusste nicht, was Purdy gestört hatte, tat ihr jedoch den Gefallen und stoppte. Sie schnallte sich sofort los und verließ den Golf. »Bin gleich wieder da ...« Sie lief mit langen Schritten auf die Gruppe der Frauen zu, die sie ansprach. Es war für mich zu sehen, dass sie Fragen stellte und auch Antworten erhielt. Einige Arme deuteten zum Ortsende hin. Purdy nickte, dann drehte sie sich um und eilte zu mir zurück. Sie stieg schnell ein. Sie war etwas außer Atem. Auf ihren Wangen hatten sich rote Flecken gebildet. »Was ist denn los?« »Fahr, John.« Ich tat uns den Gefallen. Erst jetzt fing Purdy an zu sprechen. »Ich habe es mir schon gedacht und habe mich nicht geirrt. Die Frauen dort warten auf ihre Kinder. Sie hätten schon längst ankommen müssen, aber das sind sie nicht.« »Verspätung?« »Ja.« »Und nun?« »Kannst du dir nicht denken, dass sie sich Sorgen machen?« »Alles klar.« Auch mir war nicht mehr wohl zumute. Mein Herz schlug schneller und ich merkte auch, dass mir das Blut in den Kopf gestiegen war. Jetzt konnte es wirklich auf jede Sekunde ankommen... ***
Was sie befürchtet hatten, war eingetreten. Die beiden Kreaturen griffen an. Dicht vor der breiten Scheibe des Busses tauchten sie auf und nahmen dem Fahrer und der Lehrerin die Sicht. Dann prallten sie gegen das Glas! Dass es hielt, kam ihnen wie ein Wunder vor. Der Bus wurde durchgeschüttelt. Die Kinder konnten nicht mehr still bleiben. Sie mussten ihrem Entsetzen freien Lauf lassen und schrien wild durcheinander. Zudem tauchte auch die dritte Kreatur an der linken Seite auf und nahm einen regelrechten Schwung, der sie gegen den Bus beförderte. Wieder schrien die Kinder auf. Plötzlich bekamen die Scheiben Risse, aber sie wurden auch milchig. Keines der Kinder blieb auf seinem Platz. Die Angst hatte sie von den Sitzen getrieben. Sie duckten sich jetzt dazwischen. Manche schrien, andere jammerten und wieder andere blieben einfach nur still. Vorn waren Miriam Glade und Ed Janner ebenfalls aufgesprungen. Nichts hatte sie mehr auf ihren Sitzen gehalten, und die Sicherheit des Busses wurde immer brüchiger. Noch hatten es die Monster nicht geschafft, die Scheiben zu zerstören. Sie gaben jedoch nicht auf .Sie rammten mit ihren Körpern und auch mit den blanken Schädeln gegen das Glas und die Metallstreben. Die Frontscheibe war schon schwer in Mitleidenschaft gezogen. Sie sah aus wie mit grauem Gries besprüht und hatte sich tatsächlich bereits nach innen gebogen. »Die hält nicht mehr lange!«, keuchte der Fahrer. »Wir kommen nicht mehr weg!« Miriam nickte nur. Sie drehte sich um, weil sie nach den Kindern schauen wollte. Die hatten die Lage ebenfalls erfasst und Schutz gesucht. So kauerten sie in den Räumen zwischen den Bänken und waren kaum zu sehen. Nur zu hören. Was sie vernahm, brach ihr fast das Herz. Da kamen alle Laute der Angst zusammen. Es wurde sogar laut gebetet. Vor dem Bus flogen die beiden Angreifer in die Höhe. Sie bewegten ihre breiten Schwingen, drehten sich, um erneut Anlauf für einen Angriff zu nehmen, und den flogen sie gemeinsam. »Das hält die Scheibe nicht mehr aus!«, schrie Ed Janner. Er hatte recht'. Mit voller Wucht prallten die beiden Angreifer gegen die verbogene Scheibe. Sie hielt dem Angriff nicht stand. Es war noch zu sehen, wie sie sich nach innen beugte, und einen Moment später flog sie auseinander. Das war zu viel für die beiden Menschen. Bisher hatten sie es vorn ausgehalten. Jetzt rissen sie ihre Arme hoch, um sich auch gegen das Glas zu schützen, das auf sie zuflog. Schreie wehten aus den Mäulern der Flugmonster. Sie hatten Probleme, weil sie zu breit waren und in der Öffnung feststeckten, aber das würde sie nicht daran hindern, den Bus und seine Menschen zu übernehmen... ***
Purdy und ich sprachen nicht. Wir waren voll konzentriert. Die Staatsanwältin nutzte die Zeit und schaute ihre beiden Waffen nach. In ihnen steckten noch mehr Kugeln als in meiner Beretta und wir beide hofften, dass sie mit ihren normalen Geschossen den Gestalten den Garaus machen konnte. Es gab eine kleine Hoffnung für uns. Wir hatten immer wieder den-Himmel abgesucht und bisher keine fremden Wesen entdeckt. Im Moment rollten wir durch ein Waldstück. Es sorgte für eine schattige Fahrbahn, die sehr schnell wieder heller wurde, wo das Waldstück zu Ende war. Hinter dem Wald mussten wir wieder in eine Kurve. Sie führte nach links, war nicht so eng, und so musste ich kaum abbremsen. Hinter der Kurve sahen wir den Bus. Purdy Prentiss stieß einen Ruf der Überraschung aus. Mit einem Blick hatten wir beide erfasst, was sich uns da bot. Es war schlimm, denn der Bus wurde angegriffen. Zwei dieser mörderischen Kreaturen wuchteten sich gegen die breite Frontscheibe. Sie kämpften noch darum, in das Innere zu gelängen, denn der Weg hinein war zu eng. Das gab uns Gelegenheit, rechtzeitig an den Ort des Geschehens heranzukommen, und je deutlicher das Bild wurde, umso mehr verstärkte sich unsere Furcht. Dann bremste ich. Da radierten die Reifen über den Asphalt. Der Wagen stand noch nicht richtig, als wir bereits die Türen aufstießen und ins Freie stürzten. Es gab nichtsmehr zwischen uns zu bereden, wir mussten handeln. Purdy Prentiss rannte mit langen Schritten auf die Front des Busses zu. Ich wäre auch dort hingelaufen, aber da gab es noch den dritten Angreifer,. der auf dem Dach gehockt und versucht hatte, es einzudrücken. Ob er es geschafft hatte oder nicht, das war mir nicht klar, jedenfalls hatte er mich entdeckt, und so musste ich Purdy allein agieren lassen. In Kopfhöhe flog die Gestalt mit dem Totenschädel auf mich zu. Es war ein schauderhaftes Gefühl, sie so zu erleben, und es erinnerte mich an die Helfer des Schwarzes Tods, gegen die Purdy und ich in Atlantis gekämpft hatten. Das Wesen hier schien noch gefährlicher zu sein. Ich lief nicht mehr weiter. Um einen sicheren Stand zu haben, hatte ich mich breitbeinig hingestellt. Die Beretta hielt ich mit beiden Händen fest, weil ich mir keinen Fehlschuss erlauben konnte. Dabei zielte ich auf den hellen Totenschädel. Auch wenn ich ihn nicht traf, setzte ich darauf, den Körper zu erwischen, was bei seiner Größe kein Problem war. Eine Kugel, nicht mehr. Ichschoss! Es war für mich genau der richtige Moment. Noch war die Kreatur nicht so nahe, dass sie mich hätte rammen können. Dafür erwischte ich sie. Irgendwie traf ich den Schädel. Da war schon zu sehen, wie er zuckte. Aber die Kugel musste auch in den Körper
gejagt sein, der trotzdem nicht stoppte. Die Geschwindigkeit des Flugs war noch zu groß, und auch die Richtung wechselte nicht. Plötzlich wurde es gefährlich für mich. Ich wollte von der Gestalt nicht zu Boden gestoßen werden und fand ich mich auf der Fahrbahn liegend wieder. Die Gestalt rauschte über mich hinweg. Von einer Flügelecke wurde ich noch gestreift, dann drang ein schriller Schrei in meine Ohren und noch im Liegen drehte ich mich um. Das Monsterwesen war zu Boden gefallen. So wie ich lag es ebenfalls auf dem Asphalt, und ich sah, dass meine Kugel ihre Wirkung zu zeigen begann. Es kam nicht mehr hoch, trotz seiner starken Bemühungen. Es wollte sich auf seinen Krallenhänden abstützen, was es auch nicht schaffte, und ich war in der Lage* einen Blick auf den Totenschädel zu werfen, der nur noch zur Hälfte vorhanden war. Dabei dachte ich an die beiden anderen Gestalten und natürlich an Purdy Prentiss, die es gleich mit zweien aufgenommen hatte. Schüsse alarmierten mich. Ich fuhr herum und mein Blick fiel auf den Bus. Seine Frontseite war zerstört. Das breite Fenster gab es nicht mehr. Durch dieses hatten die Angreifer versucht, in den Bus einzudringen, waren aber irgendwie stecken geblieben. Jetzt waren sie Wieder unterwegs. Purdy Prentiss hatte es geschafft, einen im Flug zu erwischen. Und das mit einer normalen Kugel, was bewies, dass es nicht nur geweihtes Silber sein musste, um diese Angreifer zu vernichten. Das Monster kippte nach unten. Es war der freie Fall. Mit einem dumpfen Laut schlug es links neben der Fahrbahn auf den Boden, wo das Gras seine Landung dämpfte. Ich lief auf Purdy zu, die beide Schusswaffen gezogen hatte und nach dem zweiten Angreifer Ausschau hielt. Sie sah ihn im Moment nicht, denn er hielt sich hinter dem Bus verborgen. Dafür sah sie mich und hörte mich auch, als ich mit schnellen Schritten auf sie zulief. »Er steckt hinter dem Bus!« Sie drehte ihren Kopf. Ich sah das verschwitzte Gesicht, aber auch das Leuchten in ihren Augen. »Ist okay, John. Den schaffen wir auch noch.« »Wir nehmen ihn in die Zange. Du gehst links, ich gehe rechts.« »Okay.« Wir waren auf der Hut, als wir an den beiden Busseiten entlang gingen. Ich konnte mich nicht zurückhalten und warf einen Blick durch die Fenster. Kein Kindergesicht war zu sehen. Es war gut, dass sie sich versteckt hielten. Auch die Fenster selbst hatten noch nichts abbekommen. Ich sah sie alle noch heil. Ein wilder Schrei erinnerte mich wieder an die furchtbare Gestalt. Das letzte Monster startete von der Rückseite des Busses aus. Mit zwei, drei Schwingenschlägen hatte es an Höhe gewonnen. Ob es fliehen oder einen neuen Angriff starten wollte, war nicht herauszufinden. Ich wollte nur, dass es starb. Die Staatsanwältin war schneller. Sie feuerte zwei Kugeln ab, die beide in den Körper schlugen und dafür sorgen, dass es nicht mehr wegkam.
Einen Schlag der Schwingen erlebten wir noch, dann verlor das Wesen seine Kraft und landete auf der Fahrbahn, wo es zuckend liegen blieb. Lange hielt dieser Vorgang nicht an. Ein Geschoss hatte den Totenschädel zertrümmert und damit das Ende bewirkt. Plötzlich war es still. Vielleicht kam es mir auch nur so vor. Ich schaute mich um und war froh, keine anderen Monster mehr sehen zu müssen. Der Himmel und die Umgebung in meiner Nähe waren frei. Purdy Prentiss kam auf mich zu. Die Pistolen hielt sie noch in den Händen.' Ihre Augen glänzten. »Das haben wir geschafft, John.« »Ja«, sagte ich und es klang nicht sehr überzeugend, was Purdy auffiel. »Du wirkst nicht eben glücklich.« »Kann sein.« »Und was stört dich?« »Kann ich dir nicht sagen. Es ist nur ein Gefühl, aber lassen wir das. Schauen wir lieber nach den Kindern.« »Genau das wollte ich gerade vorschlagen...« *** Wir wollten den Bus an der Vorderseite betreten und stellten fest, dass die Tür zwar verschlossen, aber nicht verbogen war, sodass wir sie aufziehen konnten. Es war nicht still im Innern, aber es herrschte schon eine gespenstische Atmosphäre. Man fühlte die Angst, die sich hier ausgebreitet hatte. Die Kinder blieben zum großen Teil versteckt, aber wir sahen eine Frau mit angegrauten Haaren, die uns aus großen Augen anschaute und nicht sprechen konnte, weil sie einfach nur zitterte. In ihrem Gesicht hatten Glassplitter kleine Wunden gerissen, ansonsten war sie nicht verletzt. Die Frontscheibe hing nur noch als halb zerstörtes Netz nach innen. Der Fahrer saß auf seinem Sitz. Auch sein Gesicht blutete. Er starrte ins Leere. Ich hatte genug Menschen in seinem Zustand gesehen und wusste, dass er nicht ansprechbar war. Bei der Frau musste es sich um die Lehrerin handeln. Sie hatte den Angriff offenbar besser überstanden. Die Staatsanwältin schob mich zur Seite, weil sie mit der Frau reden wollte. Ich schaute derweil nach hinten und sah, dass die ersten Kinder wieder aus ihren Deckungen hervorkamen. Purdy stellte sich mit leiser Stimme vor und vergaß auch nicht, mich zu erwähnen. Die Frau hatte sie gehört, denn sie nickte. »Ich glaube, dass Sie keine Angst mehr haben müssen, denn der Angriff ist vorbei.« »Sind sie tot?« »Das kann ich Ihnen versprechen.«
»Haben Sie,...« »Es musste so sein.« Die Lehrerin schlug die Hände vor ihr Gesicht. Der Fahrer lachte unkontrolliert. Wahrscheinlich merkte er es nicht mal selbst. Die Frau ließ die Hände sinken. »Entschuldigen Sie bitte, aber man ist auch nur ein Mensch.« »Kein Problem. Sie haben sich toll gehalten und sind nicht in Panik verfallen.« »Ich stand aber kurz davor«, flüsterte sie. »Außerdem musste ich immer an die Kinder denken.« »Sie sind die Lehrerin?« »Ja. Ich heiße Miriam Glade.« »Mein Name ist Purdy Prentiss.« »Sind Sie durch Zufall vorbeigekommen?« »Nicht ganz.« »Verstehe.« Miriam Glade stützte sich ab und stand auf. »Wir können später reden. Jetzt muss ich mich erst mal um die Kinder kümmern.« »Tun Sie das...« Die Frau ging zwischen uns vorbei und es war zu sehen, wie sie tief einatmete, um sich zu stärken, denn vor ihr lag beileibe keine leichte Aufgabe. Purdy Prentiss stützte sich gegen meine linke Schulter. »Puh, das ist hart gewesen. Jetzt zittern mir doch tatsächlich die Knie. Die Kinder sind gerettet.« »Das hoffe ich.« »Wieso? Hast du...?« »Ich habe gar nichts, Purdy. Abgesehen von einem noch immer unguten Gefühl.« »Warum?« Sie sah nicht das, was ich sah. Mein Blick fiel nach draußen, denn dort stand jemand, der mit mir reden wollte. Ein recht kleiner Mensch in einem grünlichen Mantel. Myxin war gekommen! "Normalerweise hätte ich mich über sein Auftreten freuen müssen, doch in diesem Fall war das anders. Er war bestimmt nicht erschienen, um mir zu gratulieren. »Ich muss dich jetzt allein lassen, Purdy.« »Warum?« »Myxin ist da.« »Oh. Will er uns gratulieren?« »Das wird sich noch herausstellen.« »Gut, dann geh.«, Die ganze Zeit über war mein ungutes Gefühl nicht verschwunden, und das blieb auch bestehen, als ich den Bus verließ und zum Rand der Straße ging, wo der kleine Magier auf mich wartete ... *** »Gratuliere, das habt ihr gut gemacht. Alle Achtung, ihr habt wirklich nichts verlernt.«
Ich schüttelte den Kopf. »Bist du gekommen, um mir das zu sagen? Dass wir eure Fehler gut ausgemerzt haben?« »Nein, das nicht.« »Aber so war es doch. Durch die Öffnung sind diese Wesen freigekommen und mich würde interessieren, wer sie sind und was sie mit drei Menschen getan haben, die sie aus ihren Autos holten und sie dann als Veränderte wieder freiließen.« »Ja, das ist ein Problem gewesen.« Ich verzog die Lippen.. »Mehr hast du nicht dazu zu sagen, Myxin? Das ist verdammt schwach.« »Was willst du denn hören?« »Die Wahrheit, wie immer.« Er senkte zuerst den Blick, dann nickte er. »Diese Flugmonster haben damals tatsächlich existiert. Es waren Überreste aus alten Zeiten, die erleben mussten, dass die Entwicklung fortgeschritten war und es inzwischen Menschen gab.« »Wollten sie so werden wie wir?« »Du hast es erfasst.« Beinahe hätte ich gelacht, aber dazu war die Lage doch zu ernst. »Wie wollten sie das anstellen? Kannst du mir das auch sagen? Sie hätten da ganze Evolutionszeiten überspringen müssen.« »Das hatten sie auch vor und sie haben sich Helfer gesucht und welche gefunden.« »Wer war das denn?« »Die Kreaturen der Finsternis natürlich, die sich in Atlantis ansonsten sehr zurückgehalten haben. Es gab sie nicht nur als Tiere, sondern auch in anderen Gestalten, und sie gaben diesen Flugmonstern einen Rat, wie sie es schaffen könnten, der Evolution ein Schnippchen zu schlagen.« »Und wie?« »Es geht um Blut, John, nur darum. Man legte ihnen nahe, sich mit dem Blut der Menschen zu beschäftigen.« »Wie bei den Vampiren?« »Das kann man vergleichen. Sie haben die Menschen, die sie fingen, ausbluten lassen und das Blut getrunken. Dabei musst du davon ausgehen, dass die Kreaturen der Finsternis alte Dämonen sind und nichts verlernt haben.« »Das verstehe ich nicht.« »Es ist auch nicht so leicht. Die Flugmonster haben die Blutleeren nicht sterben lassen. Dank der fremden Hilfe und ihrer Magie waren sie in der Lage, sie am Leben zu lassen, wenn man das noch Leben nennen kann. Sie liefen als blutleere und innerlich auch veränderte Geschöpfe durch die Gegend, wobei sie mich und andere Personen nicht störten, denn wir waren auf den großen Kampf gegen den Schwarzen Tod fixiert, der dicht bevorstand. Aber da erzähle ich dir nichts Neues. Jedenfalls liefen die Opfer der
Flugmonster als Zombies herum und gingen schließlich mit dem Kontinent unter. Überlebt hat keiner.« »Eine sehr schöne Geschichte«, sagte ich. »Die sogar stimmt.« »Aber hat es denn etwas gebracht?« »Wie meinst du das?« »Haben sich diese Monster verwandelt?« »Nein, nicht äußerlich. Sie tranken das Blut der Menschen, doch ihre Gestalten blieben gleich. Dennoch haben sie nie aufgegeben.« »Ja, und dann entstand der Riss.« »So ist es.« »Da hatten die Flugmonster freie Bahn und konnten in eine andere Zeit gleiten.« Myxin nickte. Ich sagte: »Wo sie wieder neue Menschen fanden.« »Das ist wohl wahr. Sie haben es nicht aufgegeben. Die Sucht nach Veränderung steckte einfach zu tief in ihnen. Dafür haben die Kreaturen der Finsternis gesorgt.« Ich nickte. »Und aus den Menschen wurden diese seelenlosen Geschöpfe, die noch sprechen konnten, was wir erlebt haben, dann aber starben, und wir stellten fest, dass kein Blut mehr in ihren Körpern floss.« »Ich kann es nicht ändern.« »Das weiß ich. Und ich weiß auch, dass du genügend Unheil angerichtet hast. Nun ja, der Tunnel ist wieder geschlossen. Andere werden es nicht mehr schaffen, aus der Vergangenheit zu uns. zu kommen, um den Versuch zu starten, menschlich zu werden.« »Das stimmt schon, John ...« Der Tonfall in der Stimme des kleinen Magiers hatte mich aufmerksam werden lassen. Ich dachte sofort an mein ungutes Gefühl und fragte: »Kommt da'noch etwas nach?« »Leider.« »Was?«, fuhr ich ihn an. »Es waren nicht nur diese drei Gestalten, die den Weg angetreten haben. Leider ist es vielen anderen auch gelungen, einen Zeitenwechsel durchzuführen.« »Das ist - das ist ...«, ich musste zunächst mal nach Luft schnappen. »Keine...« »Eine Tatsache, John.« »Und sie. halten sich in dieser Welt auf?« »Ja.« »Und wo?« Myxin reckte seinen Arm und deutete in die Höhe. »Schau dorthin, dann siehst du sie.« Er hatte recht. Ich sah sie und ich spürte, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken rann. Das waren nicht nur drei Geschöpfe, die sich über dem Boden und in den Ausläufern der Wolken bewegten, das waren von der Anzahl her zweistellige Schwärme. Sie kreisten praktisch über dem Gebiet, in dem wir uns aufhielten. Selbst aus dieser Entfernung waren sie in der Lage, alles unter Kontrolle zu halten. Ich war echt sauer und sagte mit rauer Stimme: »Das alles haben wir dir zu verdanken.« »Es war ein Experiment und ein Versehen.«
Ich winkte ab. »Egal, aber wir haben das Problem. Verdammt, gegen zwei, drei dieser Monster haben wir ankämpfen können, aber nicht gegen diese Masse.« »Du bist nicht allein, John.« »Ja, das sehe ich.«Ich winkte ab. »Du bist bei mir. Ich habe hier Kinder zu beschützen und...« Er ließ mich nicht ausreden und sagte: »Wir sind nicht allein.« »Klar, da ist noch ...« »Nein, nicht, was du denkst. Schau dich um und sieh, wer neben dem Bus steht.« Das tat ich auch. Meine Augen weiteten sich, als ich sah, wen Myxin mitgebracht hatte. Vor mir standen Kara und der Eiserne Engel! *** Im ersten Moment war ich sprachlos und wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte. Ich wischte mir sogar über die Augen, weil ich es für einen Traum hielt. Das war keine Einbildung. Es gab die beiden tatsächlich, und jetzt sah ich unsere Chancen steigen. Ich ging auf die beiden zu. Die schöne Kara hielt ihr Schwert mit der goldenen Klinge fest. Sie lächelte mir entgegen, auch wenn ihre Blicke ernst blieben. »Ich grüße dich, John.« »Ja, du bist es wirklich.« »Sicher, denn wir haben etwas gutzumachen, und der Meinung ist der Eiserne Engel auch.« »Okay.« Ich trat zwei Schritte zur Seite, um die mächtige Gestalt zu begrüßen. Sie überragte einen normalen Menschen um mehr als Kopfeslänge. Man konnte beim Eisernen Engel nicht von einem normalen Körper sprechen, er bestand auch nicht aus normaler Haut. Er sah so grau aus wie Gusseisen, und ich dachte daran, dass ich schon auf seinem Rücken zwischen den beiden mächtigen Schwingen gesessen hatte. »Du auch?« »Wir müssen das Problem gemeinsam lösen, John. Das sind wir uns schuldig.« »Du kennst sie also auch.« »Ja. Und es sind meine Feinde.« Ich glaubte ihm. Dafür kannte ich den Eisernen Engel zu gut. Dann warf ich einen Blick zum Himmel und erkannte, dass die Flugwesen nach wie vor ihre Kreise zogen, wobei sie die Erde nach Beute abzusuchen schienen. »Bist du zufrieden?«, fragte Myxin. »Noch nicht ganz.« »Was stört dich?« »Ich will, dass alle vernichtet werden. Erst dann kannst du mich als zufrieden betrachten.«
»Alle vernichten?« Der Eiserne Engel lachte. »Das kannst du haben«, fügte er hinzu, breitete seine Schwingen aus und startete mit einer Leichtigkeit, die man seinem schweren Körper kaum zutraute... *** Ich wusste, dass ich vorerst nur Statist sein würde, und schaute ihm nach. Das Schwert hielt er in seiner rechten Hand und er flog direkt auf die Gestalten zu, die inzwischen an Höhe verloren hatten und sich auf einen Angriff vorbereiteten.. Ich sah, dass sich auch Kara in Bewegung setzte. Sie ging auf die Straßenmitte zu und ihr Verhalten sah danach aus, als wollte sie von der anderen Seite gesehen werden. »Wir haben es verschuldet, John«, hörte ich die Stimme des kleinen Magiers. »Und wir werden es auch richten.« Ich hatte mir schon gedacht, dass dies nicht meine Runde werden würde. Wenn ich ehrlich war, hätte ich auch nichts dagegen, denn in meiner Waffe steckte nur noch eine Kugel; und mit den bloßen Händen hätte ich nichts gegen diese Brut ausrichten können. Das Geschehen würde sich in der Nähe der Wolken abspielen, und deshalb hielt ich meinen Blick auch gegen den Himmel gerichtet. Zuvor aber Wollte ieh nach Purdy schauen. Sie saß im Bus und starrte durch das Fenster auf uns. Ich gab ihr mit Handbewegungen zu verstehen, dass alles in Ordnung war, doch das wollte sie nicht akzeptieren, denn sie verließ den Bus und kam auf uns zu. »Kara und der Eiserne Engel sind auch gekommen?« »Ja, Purdy. Sie wissen, was sie zu tun haben oder uns schuldig sind. Stimmt's?« Die Frage hatte ich an Myxin gerichtet, der mir durch sein Nicken recht gab. Mittlerweile hatte der Eiserne Engel die Nähe der Flugmonster erreicht. Sein Erscheinen hatte bereits bei ihnen für eine leichte Unruhe gesorgt. Ihre Kreise waren nicht mehr vorhanden. Sie flogen jetzt voneinander weg, blieben aber in der Nähe, wobei einige von ihnen an Höhe verloren und in Richtung Erdboden schwebten. Man konnte den Eisernen mit einem Hai vergleichen. Um ihn herum schwebten die Opfer und die griff er an. Die Attacke erfolgte so schnell, dass ich sie kaum mitbekam. Urplötzlich war die mächtige Gestalt zwischen ihnen, und dann zeigte er, wie gut er mit seinem Schwert umgehen konnte. , Zwei dieser Monster erwischte er mit einem Streich. Das heißt, er teilte sie in der Körpermitte, sodass sie in zwei Hälften zu Boden fielen. Irgendwo fielen die vier Stücke auf. Da aber setzte der Vernichter seinen Angriff bereits fort und erwischte einen Dritten, dem er im Vorbeifliegen mal kurz den Kopf abschlug. Wie ein kleiner Ball fiel er aus den Wolken und landete im hohen Gras. Jetzt waren die übrigen Gestalten noch vorsichtiger geworden. Zu nahe ließen sie den Feind nicht an sich herankommen. Sie versuchten es mit schnellen Ausweichflügen, sie tauchten ab und stiegen dann wieder hoch, weil sie den Angreifer durcheinanderbringen wollten.
Und einige von ihnen versuchten es mit einer Aktion, die wie eine Flucht aussah, obwohl siebestimmt ihr eigentliches Ziel nicht aus den Augen verloren. Auf dem Erdboden hatten sie ihre Zeichen setzen wollen, und dem flogen sie jetzt entgegen. Vier waren es. Neben mir trat Purdy Prentiss von einem Fuß auf den anderen. Sie war voll dabei und hatte auch ihre Waffen gezogen. »Das ist eine Übermacht«, sagte sie und meinte damit die vier nach unten fliegenden Gestalten. »Ich muss hin.« »Nein, warte!« Purdy ließ sich nicht aufhalten. Sie wollte dorthin, wo Kara stand und von den Angreifern als Beute ausgesucht worden war. Die Schöne aus dem Totenreich verhielt sich dabei sehr geschickt. Das Schwert mit der goldenen Klinge hatte sie eng gegen ihre rechte Körperseite gepresst, so war es von den Angreifern nicht zu entdecken. Sie kreisten Kara ein, kamen von vier Seiten. Sie waren nahe genug für Purdy Prentiss, und die schoss. Einer der Angreifer wurde von zwei Kugeln getroffen und aus der Bahn geworfen. Drei waren noch da. Um zwei von ihnen kümmerte sich Kara. Sie riss ihre Waffe hoch und schlug sie kreisförmig über den Kopf. Das geschah genau im richtigen Augenblick, denn die Flugmonster waren an sie herangekommen. Die erste Kreatur verlor ihren Kopf und einen Teil der rechten Schulter. Der zweite Angreifer schnappte nach ihr und Kara ließ sich mit einer geschmeidigen Bewegung nach hinten fallen. Sie landete auf dem Rücken, um im genau richtigen Moment ihre Waffe in die Höhe zu stoßen. Die Kreatur fiel auf sie nieder, und sie wurde dabei aufgespießt wie ein Stück Fleisch auf dem Schaschlikspieß, Da gab es noch den Letzten. Er drehte sich ab und wollte fliehen. Dabei glitt er in meine Richtung. In seiner Panik hatte er mich wohl übersehen. Da konnte ich einfach nicht anders. Ich musste schießen, auch wenn es die letzte Kugel war, die ich abfeuerte. Sie traf genau den Totenschädel in der Mitte. Er zersprang, als wäre er von einem Hammerschlag getroffen worden, ich musste mich stark ducken und ging dann sogar zu Boden, sonst hätte mich der Flattermann bei der Landung noch umgerissen. Kara lachte mich an. Purdy Prentiss winkte mir zu. Im Moment hatten wir keine Gegner. Diejenigen, die es noch gab, schwebten hoch über uns und versuchten, dem Schwert des Eisernen Engels zu entwischen. Er kannte kein Pardon. Auch wenn sie noch so schnell waren, er war schneller. Seine mächtigen Schwingen trieben ihn voran, und gerade jetzt schwebte er für einen Moment über dem Rücken einer Kreatur, bevor er seine Waffe in den Körper hineinrammte, sie dann wieder hervorzog und zuschaute, wie die vernichtete Gestalt zu Boden fiel.
Es waren noch welche übrig. Und die dachten nicht daran, aufzugeben. Mit ihren zuckenden Flügelbewegungen sorgten sie für einen schnellen Flug und durch die Zickzackbewegungen waren sie auch schwer zu treffen. Zudem näherten sich die drei Gestalten dem Erdboden. Durch die ausgefahrenen Schwingen sahen sie aus wie bräunliche Flugschiffe, die sich als Herren der Lüfte ansahen. Sie blieben auch nicht dicht zusammen und hatten sich getrennt, sodass größere Räume zwischen ihnen entstanden waren. »Achtung, John, einer ist gleich hier!« Ich nahm Purdys Warnung zur Kenntnis und schaute zugleich zu, was sie tat. Die Kreatur war schon ziemlich nahe. Purdy Prentiss hätte eigentlich schießen können. Ich wusste nicht, weshalb sie sich dagegen entschied, jedenfalls ließ sie ihre Schusswaffe verschwinden und griff nach hinten. Dort schaute der Schwertgriff aus der Nackenscheide, und plötzlich hielt sie die Waffe in der Hand. Noch eben zum richtigen Zeitpunkt, denn die Mutation war schon ziemlich nah. Die Staatsanwältin schrie auf, ließ sich nach hinten fallen und rammte dabei ihre Waffe hoch, wobei sie auf den fallenden Feind zielte und das Schwert mit der schmalen, aber höllisch scharfen Klinge in dessen Brust wuchtete, Das Wesen flog weiter. Dabei glitt der Stahl aus seinem Körper und Purdy Prentiss wälzte sich mit einer schnellen Bewegung aus der Gefahrenzone. Der Angreifer landete fläch auf dem Boden, wo er noch ein Stück weiter rutschte und dann bewegungslos liegen blieb. Purdy kam wieder auf die Beine. Sie drehte sich auf der. Stelle. Es gab nichts mehr, gegen das sie ankämpfen musste. Sie holte nur tief Atem, lachte mich an und stieß eine Faust in die Luft. Den Erfolg gönnte ich ihr. Sie hatte einfach kämpfen müssen, das war sie sich selbst schuldig. Ich drehte mich um, weil Myxin, der sich aus allem herausgehalten hatte, in eine bestimmte Richtung deutete. Damit meinte er die beiden letzten Kreaturen, die von dem Eisernen Engel gejagt wurden. Sie wollten sich nicht fangen lassen. Sie lenkten ihn geschickt ab, sie wichen ihm immer aus, sie schwebten mal hoch, dann wieder niedriger und versuchten auch, in seinen Rücken zu gelangen. Wie sie ihn überwinden wollten, wusste ich nicht, aber sie versuchten es immer wieder. Der Eiserne machte es geschickt. Er ließ sich urplötzlich fallen. Er befand sich in Baumhöhe, und jetzt sah es-aus, als würde er auf dem Erdboden zerschellen. Die beiden Verfolger wurden leichtsinnig und griffen den Eisernen an. Kurz bevor er den Erdboden berührte, etwas abseits der Straße und in Kopfhöhe, da wälzte er sich um die eigene Achse und riss dabei sein mächtiges Schwert mit der breiten Klinge in die Höhe. Er hielt den Griff mit beiden Händen fest und führte die Waffe zuerst nach links und dann nach rechts.
Damit hatten die beiden Kreaturen nicht gerechnet. Es blieb ihnen keine Zeit, auszuweichen. Mit einem Streich traf er beide und riss dabei die Oberkörper an der Brustseite auf. Sie flogen noch über ihn hinweg, bevor sie mit den Schädeln zuerst aufschlugen. Es war vorbei. Das sahen auch wir, denn als wir in den Himmel schauten, war er leer. Nur weit vorn bewegte sich noch ein Vogel durch die Luft. Der aber war normal.... *** »Das ist es gewesen, John, endlich.« Die Erleichterung war in der Stimme der Staatsanwältin nicht zu überhören gewesen. Mir erging es ähnlich. Ich war heilfroh, dass die Kreaturen aus dem alten Atlantis nicht mehr existierten, und ich war mir sicher, dass auch keine mehr nachkamen. Mit einem Lächeln fiel Purdy mir in die Arme und flüsterte mir ins Ohr: »Ich werde mich mal um die Kinder im Bus kümmern.« Myxin hatte sie trotzdem gehört. »Sie haben nichts gesehen.« Purdy löste sich aus meinen Armen und schüttelte den Kopf. »Wie kannst du das sagen?« »Weil ich dafür gesorgt habe.« »Und?« Myxin lächelte. »Ich konnte sie hypnotisieren. Sie werden wieder erwachen, wenn wir verschwunden sind: Und was die Reste der Kreaturen angeht, so werden wir später dafür sorgen, dass sie verschwinden. Dafür brauchen wir keine Zeugen.« »Dann viel Spaß.« »Danke, John.« Myxin klopfte mir auf • die Schulter. Kara umarmte mich zum Abschied, und der Eiserne Engel blieb vor mir stehen, wobei er sagte: »Wir sehen uns.« »Das hoffe ich doch.« Sie winkten Purdy zu, drehten sich gemeinsam um und gingen weg. Bevor sie sich zu den Flammenden Steinen beamten, drehte sich Myxin noch mal um. Er deutete auf den Bus, um uns klarzumachen, dass der Bann gebrochen war. Wenig später waren sie verschwunden, was ich nicht mitbekam. Zusammen mit Purdy Prentiss hatte ich mich umgedreht. Gemeinsam schritten wir auf den Bus zu. »Und was sollen wir ihnen sagen, John?« »Was werden sie mitbekommen haben?« »Keine Ahnung.« »Sie werden sich über die zerstörte Frontscheibe wundern und nachfragen.« »Ja, das schon«, sagte ich. »Aber wir bleiben bei der Wahrheit. Wir sagen einfach, dass es große Vögel waren, die sie angegriffen haben.« »Okay.«
Wir brauchten die Tür nicht zu öffnen, denn sie wurde bereits von innen aufgedrückt. Miriam Glade trat uns entgegen. Ihr Gesichtsdruck konnte man als Rätsel bezeichnen. »Was ist denn los?«, fragte sie. »Wissen Sie es nicht?« »Nein, ich bin nur froh, dass den Kindern nichts passiert ist. Ich habe einen Blackout gehabt. Ebenso wie der Fahrer. Wer sind Sie überhaupt?« Myxin hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Purdy Prentiss gab die Antwort. »Ich glaube, das ist eine längere Geschichte. Wir sollten uns zunächst um die Kinder kümmern und ihren Eltern Bescheid geben, damit sie abgeholt werden. Oder wenn der Bus noch fährt, dann bis zur nächsten Haltestelle.« Das war ein "guter Vorschlag, denn so bekam keiner mit, wie die Reste der Kreaturen verschwinden würden. Und der Bus war tatsächlich noch fahrbereit und die nächste Haltestelle lag gleich hinter der nächsten Kurve ... ENDE