Ilona Diesner Bildungsmanagement in Unternehmen
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Ilona Diesner
Bildungsmanagement in Un...
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Ilona Diesner Bildungsmanagement in Unternehmen
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Ilona Diesner
Bildungsmanagement in Unternehmen Konzeptualisierung einer Theorie auf der normativen und strategischen Ebene
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dieter Euler
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität St. Gallen, 2008
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Sabine Schöller Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0886-5
Geleitwort
Bildungsmanagement wird im Zeitalter der Wissensgesellschaft und des demographischen Wandels in der betrieblichen Praxis zunehmend bedeutsamer, zugleich aber auch immer unübersichtlicher. Die geordnete Welt der traditionellen 'Personalverwaltung', die dafür sorgte, dass jedes Jahr ein imposantes Angebot an Weiterbildungsseminaren die Hochglanzbroschüren der Unternehmen zierte, sind lange vorbei. Bildungsmanagement bedeutet heute die Anbindung an die strategische Ausrichtung des Unternehmens, die Verankerung in den Wertschöpfungsprozessen der Unternehmen und die geschickte Verzahnung zwischen Personal- und Persönlichkeitsentwicklung, zwischen Standardisierung und Individualisierung, zwischen der konvergenten Implementierung von Zielen und der divergenten Einbringung von neuen Ideen. Zeiten des Umbruchs sind für wissenschaftliches Arbeiten zugleich reizvoll und schwierig. Reizvoll deshalb, weil es Ordnung in die Unübersichtlichkeit der Entwicklungen bringen, neue Optionen konzipieren und so denkbare Zukünfte konturieren kann. Schwierig ist ein solcher Arbeitskontext, weil an vielen Stellen die Fundamente fehlen und damit auf der Grundlage von Prämissen gearbeitet werden muss, die sich in der Praxis schnell als obsolet erweisen können. Vor diesem Hintergrund bietet die Untersuchung von Frau Diesner wertvolle Orientierungen sowohl für die wissenschaftlichen Erkenntnis- als auch die praktischen Gestaltungsfragen. Frau Diesner hat mit ihrer Untersuchung theoretisches Neuland betreten und angesichts der damit verbundenen Herausforderungen ein sowohl für die Praxisgestaltung als auch für weitere empirische Forschungsarbeiten fruchtbares Modell entwickelt. Es gelingt ihr, eine Vielzahl von Theoriefragmenten, kasuistischen Einzelbetrachtungen und programmatischen Ideen systematisch zusammenzuführen und ihnen durch die problemzentrierte Aufbereitung neue Wirkungspotenziale zu verleihen. Der zu Beginn der Untersuchung formulierte Anspruch der Entwicklung eines heuristischen Modells birgt eine große Herausforderung. In einem solchermaßen neuen Wissenschaftsbereich wie dem Bildungsmanagement bzw. dem "corporate learning", ist die Entwicklung von Ordnungsmodellen als eine wertvolle und anspruchsvolle wissenschaftliche Leistung zu betrachten.
VI
Geleitwort
Im theoretischen Teil der Studie wird die Managementlehre in enormer Breite und Tiefe unter Einbezug einer wirklich beeindruckend reichen Literaturbasis nicht nur generell beschrieben, sondern bezogen auf die handlungsleitende Frage ausführlich analysiert. Auf der normativen Ebene werden mit der Managementphilosophie, der Unternehmenspolitik und der Leitbildentwicklung drei relevante Entscheidungs- und Handlungsfelder identifiziert und diskutiert. Hinsichtlich der strategischen Ebene leistet die Untersuchung eine pointierte Zusammenfassung relevanter Einzeltheorien vor allem aus dem strategischen Management. Insbesondere die Ausführungen über „Kultur“ führen zu differenzierten Grundlegungen und verbinden in gelungener Weise theoretische und empirische Befunde. Hervorzuheben ist der Mut der Autorin, auch schwierige und weitgehend offene Handlungsfelder (z. B. Kulturgestaltung) in die Analysen einzubeziehen. Besonders bedeutsam er-scheint auch die funktionale Typisierung des Bildungsmanagements. Der empirische Teil wird getragen durch insgesamt vier Fallstudien über das Bildungsmanagement in sehr unterschiedlich organisierten Unternehmen (Lufthansa, Bertelsmann, Kienbaum, SICK). In den einzelnen Fallstudien wird ein besonderer Fokus auf weiterführende, innovative Komponenten gelegt. So ist beispielsweise bei der Lufthansa ein Modell zur strategischen Entwicklung der Führungskräfteentwicklung hervorzuheben. Bei Bertelsmann ist es der Einfluss der Gründerpersönlichkeit, die damit verbundene Werteausrichtung sowie die Rolle der Bertelsmann-University. Bei Kienbaum sind die Ansätze der verstärkten Orientierung an einem Kompetenzmodell, die Erfahrungen im Wandel von einer Angebots- zur Nachfrageorientierung im Bildungsmanagement sowie der Stellenwert des informellen Lernens von Bedeutung. Bei SICK schließlich wird deutlich, wie die Art des Produkts (hier High-TecProdukte) auf die Kultur im Unternehmen wirkt. Zudem werden in den Fallstudien die zahlreichen Paradoxien deutlich, denen das Bildungsmanagement ausgesetzt ist. Das von Frau Diesner entwickelte heuristische Modell verspricht Erfolg für die Praxis des Bildungsmanagements und wird die weitere Forschung befruchten. In der Praxis bietet das Buch viele wertvolle Anregungen zum Nach- und Vordenken sowohl für wissenschaftlich als auch praktisch interessierte Akteure im Bildungsmanagement. Es gibt fundierte Hinweise über die Wirklichkeiten, aber auch über die Möglichkeiten in diesem noch recht neuen Feld. Prof. Dr. Dieter Euler
Vorwort
Keiner kommt von einer Reise so zurück, wie er weggefahren ist.
Graham Greene Das Bildungsmanagement in Unternehmen, aus einer normativen und strategischen Perspektive betrachtet, gehörte bisher zu den wenig erforschten Gebieten. Daher hatte ich mich aufgemacht, ihm auf den Grund zu gehen, es näher erfassen zu können und anderen Reisenden einen Leitfaden zur Verfügung zu stellen. Im vorliegenden Band sind meine Reiseerfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse für Sie zusammenfassend dargestellt. Die dabei entstandene „Landkarte“ soll Ihnen dazu dienen, sich im Gebiet zu orientieren, Anleitungen für ihre eigenen Aktivitäten zu bekommen und Impulse für ihr eigenes Tun mitzunehmen. Zum Ende einer Reise gehört es auch, kurz inne zu halten, die Reise vor dem inneren Auge Revue passieren zu lassen und zu reflektieren. In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig, neben den inhaltlichen Erfahrungen, die Sie auf den folgenden Seiten nachlesen können, auch die menschliche Komponente nicht zu vergessen. Im Laufe meiner Reise habe ich viele Begegnungen gemacht, haben mich verschiedene Menschen begleitet und unterstützt – ihnen möchte ich an dieser Stelle danken. Allen voran meinem Doktorvater Prof. Dr. Dieter Euler, der mir die Möglichkeit gegeben hat, mich auf den Weg in unerforschte Gebiete zu machen und mir dabei den notwendigen Freiraum zum Entdecken gab. Prof. Dr. Christoph Metzger danke ich für die Übernahme des Koreferats und damit verbunden für sein Interesse an meinen Erfahrungen und Erlebnissen. Meinen akademischen Ziehvater Prof. Dr. Peter F. E. Sloane möchte ich an dieser Stelle dafür danken, dass er mir die grundlegenden Reisefertigkeiten und Grundhaltungen mitgegeben hat, die für eine Abenteuerreise notwendig und für mich persönlich sehr wertvoll sind. Begegnungen tragen dazu bei, dass eine Reise unvergesslich wird. Ich danke den Praxispartnern der Lufthansa AG, der Kienbaum Consultants International GmbH, der Bertelsmann AG und der SICK AG für Ihre Bereitschaft, mir einen detaillierten Blick in
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Vorwort
ihre Welt zu gewähren, die vielfältigen Impulse, die ich für diese Arbeit mitnehmen konnte und die dazu beitragen, dass ich Ihnen als Leser/Leserin eine Landkarte für Ihre Reise bereitstellen kann. Daneben geht mein Dank an Dr. Franziska Zellweger Moser, Dr. Dr. Doris Benz, Dr. Silke Hellwig und Dr. Ursula Knorr sowie an alle Kolleginnen und Kollegen am Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität St. Gallen für viele wertvolle Diskussionen und Anregungen. Für die Unterstützung in der Schlussphase dieser Arbeit danke ich Tobias Diesner, Gertrud Merk sowie Anja Büschl, Silvia Schmidt und Peter Schmidt für die Durchsicht des Manuskripts. Philip Kling, der vor allem in der Endphase ein wichtiger Reisebegleiter und Gesprächspartner für mich war, danke ich für seine vielfältigen Rückmeldungen und sein offenes Ohr. Für die Unterstützung, das Aushalten der vielen Momente, in denen ich durch meine Reise gefangen war bzw. keine Zeit hatte sowie seine unerschütterliche Geduld danke ich Olaf Kallmeyer, der mich auf dem gesamten Weg durch Täler und auf Gipfel begleitet hat. Mein größter Dank gebührt meinen Eltern und meinem Bruder Tobias. Ihr habt mich stets darin bestärkt, meinen eigenen Weg zu gehen. Durch Eure bedingungslose und großzügige Unterstützung, Euer unerschütterliches Vertrauen, Euren Rückhalt und den Glauben an mich habt Ihr mir diesen Weg erst ermöglicht. Dafür danke ich Euch von ganzem Herzen. Für mich geht nun eine erlebnisreiche und wertvolle Reise zu Ende. Für Sie, lieber Leser, liebe Leserin, beginnt Sie an dieser Stelle. Ich wünsche Ihnen eine spannende Zeit beim Entdecken der vielfältigen Aspekte des „Bildungsmanagements in Unternehmen“ und würde mich freuen, wenn Sie den einen oder anderen Impuls in Ihren Alltag – sei es in der Forschung oder der Praxis – mitnehmen. St. Gallen, im Oktober 2007
Ilona Diesner
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ........................................................................................ IX Abbildungsverzeichnis................................................................................. XV Abkürzungsverzeichnis............................................................................... XIX Zusammenfassung ..................................................................................... XXI 1. Einführung ................................................................................................1 1.1. Erkenntnisinteresse und Problemzusammenhang ...........................................1 1.2. Forschungsfokus ............................................................................................4 1.3. Forschungsparadigmatische Ausrichtung........................................................7 1.4. Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik ................................................13 1.4.1. Begriffliche Konkretisierung und Abgrenzung.....................................13 1.4.2. Theoretische Exploration ....................................................................13 1.4.3. Bezugsrahmen I .................................................................................16 1.4.4. Empirische Exploration .......................................................................18 1.4.5. Bezugsrahmen II ................................................................................28 1.4.6. Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II..........................................29 1.4.7. Überlegungen zur Anwendung in der Praxis .......................................29 1.4.8. Schlussbetrachtung ............................................................................29 2. Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement ..........30 2.1. Begriffliche Konkretisierung..........................................................................30 2.1.1. Annäherung an den Begriff ‚Bildung’ .................................................30 2.1.2. Verständnis des Begriffs ‚Management’ .............................................37 2.1.3. Definition des Begriffs ‚Bildungsmanagement’....................................45 2.2. Konzeptionelle Abgrenzung .........................................................................47 2.2.1. Personalentwicklung ..........................................................................48 2.2.2. Personalmanagement ........................................................................50 2.2.3. Wissensmanagement .........................................................................52 2.2.4. Lernende Organisation .......................................................................53 2.2.5. Zusammenfassung und weitere definitorische Konkretisierung ...........56
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Inhaltsverzeichnis
3. Theoretische Exploration ..........................................................................60 3.1. Normative Ebene..........................................................................................62 3.1.1. Managementphilosophie....................................................................63 3.1.1.1. Menschenbild ............................................................................64 3.1.1.2. Werte ........................................................................................68 3.1.2. Unternehmenspolitik..........................................................................75 3.1.3. Leitbild ...............................................................................................81 3.2. Strategische Ebene .......................................................................................86 3.2.1. Strategie ............................................................................................87 3.2.1.1. Begriffliche Konkretisierung .......................................................88 3.2.1.2. Strategieentwicklung und -implementierung ..............................91 3.2.1.3. Strategiegestaltung aus einer integrativen Perspektive .............101 3.2.2. Kultur...............................................................................................114 3.2.2.1. Begriffliche und konzeptionelle Konkretisierung .......................115 3.2.2.2. Kulturelle Ausprägungsformen.................................................121 3.2.2.2.1. Umkultur – Bedeutung der Kulturregion ..........................121 3.2.2.2.2. Subkulturen als Teilbereiche der Unternehmenskultur ......123 3.2.2.2.3. Starke versus schwache Kulturen .....................................128 3.2.2.3. Kulturdimensionen des Bildungsmanagements.........................129 3.2.2.4. Kulturanalyse und -gestaltung ..................................................139 3.2.2.5. Bedeutung und Rolle der Führung ............................................149 3.2.3. Struktur ...........................................................................................161 3.2.3.1. Strukturelle Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen ..........................................................................163 3.2.3.1.1. Dezentralisation versus Zentralisation...............................165 3.2.3.1.2. Internes und externes Marktmodell..................................173 3.2.3.1.3. Sonderform: Corporate University ....................................178 3.2.3.2. Interne Organisation: Rollen- und Selbstverständnis der Bildungsmanager/des Bildungsmanagements ..........................183 3.2.3.3. Herausforderungen für das Bildungsmanagement aufgrund aktueller Trends in der Unternehmensorganisation...................191 3.2.4. Trilogie Strategie – Kultur – Struktur ................................................201
Inhaltsverzeichnis
XI
4. Bezugsrahmen I ..................................................................................... 204 4.1. Bildungsmanagement auf der normativen Ebene........................................205 4.1.1. Interaktionsthemen..........................................................................206 4.1.2. EHF 1: Managementphilosophie.......................................................208 4.1.2.1. Menschenbild als Ausdruck der Einstellungen/ Überzeugungen .......................................................................209 4.1.2.2. Werte und Werthaltungen .......................................................212 4.1.3. EHF 2: Unternehmenspolitik .............................................................214 4.1.4. EHF 3: Leitbild ..................................................................................217 4.2. Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene.....................................220 4.2.1. EHF 4: Strategie ...............................................................................221 4.2.1.1. Unterschiedliche Betrachtungsebenen......................................221 4.2.1.2. Strategische Grundausrichtung ................................................223 4.2.1.3. Rolle des Bildungsmanagements im Strategieprozess ...............228 4.2.2. EHF 5: Kultur....................................................................................233 4.2.2.1. Kulturelle Ausprägungsformen und daraus resultierende Implikationen...........................................................................233 4.2.2.2. Kulturdimensionen...................................................................236 4.2.2.3. Kulturanalyse und -gestaltung ..................................................240 4.2.2.4. Führungsaspekte......................................................................243 4.2.3. EHF 6: Struktur.................................................................................247 4.2.3.1. Strukturelle Verankerung .........................................................247 4.2.3.2. Rollen- und Selbstverständnis des Bildungsmanagements .........250 4.2.3.3. Funktionales Strukturmodell des Bildungsmanagements...........252 4.2.3.4. Bildungsmanagement im Kontext organisatorischer Herausforderungen..................................................................257 4.2.4. Trilogie Strategie – Kultur – Struktur ................................................260 4.3. Gesamtblick ...............................................................................................261 5. Empirische Exploration ........................................................................... 263 5.1. Fallstudie Deutsche Lufthansa AG...............................................................264 5.1.1. Unternehmensprofil .........................................................................264 5.1.2. Normative Ebene..............................................................................268 5.1.3. Strategische Ebene...........................................................................272 5.1.3.1. Strategie ..................................................................................273 5.1.3.2. Kultur ......................................................................................281 5.1.3.3. Struktur ...................................................................................286
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Inhaltsverzeichnis
5.2. Fallstudie Bertelsmann AG ..........................................................................295 5.2.1. Unternehmensprofil .........................................................................295 5.2.2. Normative Ebene..............................................................................298 5.2.3. Strategische Ebene...........................................................................303 5.2.3.1. Strategie ..................................................................................303 5.2.3.2. Kultur ......................................................................................308 5.2.3.3. Struktur ...................................................................................312 5.3. Fallstudie Kienbaum Consultants International GmbH.................................320 5.3.1. Unternehmensprofil .........................................................................320 5.3.2. Normative Ebene..............................................................................322 5.3.3. Strategische Ebene...........................................................................326 5.3.3.1. Strategie ..................................................................................326 5.3.3.2. Kultur ......................................................................................329 5.3.3.3. Struktur ...................................................................................334 5.4. Fallstudie SICK............................................................................................339 5.4.1. Unternehmensprofil .........................................................................339 5.4.2. Normative Ebene..............................................................................341 5.4.3. Strategische Ebene...........................................................................348 5.4.3.1. Strategie ..................................................................................348 5.4.3.2. Kultur ......................................................................................352 5.4.3.3. Struktur ...................................................................................361 6. Bezugsrahmen II .................................................................................... 371 6.1. Bildungsmanagement auf der normativen Ebene........................................372 6.1.1. EHF 1: Managementphilosophie.......................................................379 6.1.1.1. Menschenbild ..........................................................................379 6.1.1.2. Werte und Werthaltungen .......................................................380 6.1.2. EHF 2: Unternehmenspolitik .............................................................381 6.1.3. EHF 3: Leitbild ..................................................................................384 6.2. Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene.....................................387 6.2.1. EHF 4: Strategie ...............................................................................397 6.2.1.1. Unterschiedliche Betrachtungsebenen......................................397 6.2.1.2. Strategische Grundausrichtung ................................................398 6.2.1.3. Rolle des Bildungsmanagements im Strategieprozess ...............399
Inhaltsverzeichnis
XIII
6.2.2. EHF 5: Kultur....................................................................................400 6.2.2.1. Kulturelle Ausprägungsformen und daraus resultierende Implikationen...........................................................................401 6.2.2.2. Kulturdimensionen...................................................................402 6.2.2.3. Kulturanalyse und -gestaltung ..................................................403 6.2.2.4. Führungsaspekte......................................................................404 6.2.3. EHF 6: Struktur.................................................................................405 6.2.3.1. Strukturelle Verankerung .........................................................406 6.2.3.2. Rollen- und Selbstverständnis des Bildungsmanagements .........408 6.2.3.3. Funktionales Strukturmodell des Bildungsmanagements...........409 6.2.3.4. Bildungsmanagement im Kontext organisatorischer Herausforderungen..................................................................413 6.3. Gesamtblick ...............................................................................................414 7. Z u sa m m en f a ss u n g B e z u g s r a h m e n I u n d I I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1 6 8. Überlegungen zur Anwendung in der Praxis ............................................ 429 9. Schlussbetrachtung ................................................................................ 434 9.1. Ziele und Ergebnisse dieser Arbeit ..............................................................434 9.2. Desiderata für weiterführende Forschungsaktivitäten .................................437 9.3. Abschließende Bemerkungen .....................................................................439 10. Literaturverzeichnis .............................................................................. 441
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Aufbau der Arbeit ..........................................................................14
Abbildung 2:
Überblick über die im Rahmen der Fallstudien geführten Interviews ......................................................................................26
Abbildung 3:
Differenzierung des Bildungsbegriffs ..............................................34
Abbildung 4:
Unternehmensmodell nach Ulrich und Krieg...................................40
Abbildung 5:
St.Galler Management-Konzept nach Bleicher ................................42
Abbildung 6:
Neues St.Galler Management-Modell nach Rüegg-Stürm ................43
Abbildung 7:
Funktionen und Dysfunktionen von Leitbildern ..............................83
Abbildung 8:
Einordnung der Strategie ...............................................................89
Abbildung 9:
Strategieentwicklung aus Sicht der Design-School ..........................95
Abbildung 10: Der General Management Navigator............................................102 Abbildung 11: Bezugsrahmen zur Gestaltung der Initiierungsarbeit.....................105 Abbildung 12: Aufbau SWOT-Analyse .................................................................106 Abbildung 13: Gestaltungsoptionen zur Vielfalt ..................................................109 Abbildung 14: Gestaltungsoptionen zum Einsatzspektrum ..................................110 Abbildung 15: Optionenrahmen der Wertschöpfungsarbeit ................................110 Abbildung 16: Gestaltungsansatz zur Implementierung strategischer Initiativen ..112 Abbildung 17: Elemente der Unternehmenskultur ...............................................119 Abbildung 18: Klassifizierung von Methoden zur Kulturanalyse nach Neuberger und Kompa.................................................................142 Abbildung 19: Klassifizierung von Methoden zur Kulturanalyse nach Schein........143 Abbildung 20: Unternehmensinterner Kulturanalyseprozess nach Schein.............144 Abbildung 21: Führungsstiltypologie nach Wunderer ..........................................153 Abbildung 22: Komponenten transformationaler Führung ..................................156 Abbildung 23: Dezentrale Verankerung des Bildungsmanagements ....................166
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 24: Strukturelle Verankerung einer Stabsstelle....................................168 Abbildung 25: Geschäftsbereichsorganisation .....................................................173 Abbildung 26: CU-Raster zur Einordnung und Beschreibung von Corporate Universities nach Seufert und Glotz ..............................................180 Abbildung 27: Gründungsmotive von Corporate Universities...............................182 Abbildung 28: Rollen der Weiterbildner in Unternehmen nach Arnold und Müller........................................................................185 Abbildung 29: Ergebnisse DGFP-Umfrage zum Selbstverständnis der Personalmanager .........................................................................190 Abbildung 30: Organisationsstrategien als Antwort auf veränderte Rahmenbedingungen der Unternehmen ......................................192 Abbildung 31: Modell des Bildungsmanagements auf der normativen Ebene ......206 Abbildung 32: Modell des Bildungsmanagements auf der strategischen Ebene ...220 Abbildung 33: Einflussgrößen der Umwelt im Rahmen der Outside-in-Analyse .....224 Abbildung 34: Zusammenhang Landeskultur – Unternehmenskultur – Subkulturen .................................................................................234 Abbildung 35: Rollen der Führungskraft gegenüber den Mitarbeitenden.............244 Abbildung 36: Typenmodell des Bildungsmanagements ......................................253 Abbildung 37: Trilogie Strategie – Struktur – Kultur ............................................261 Abbildung 38: Modell des Bildungsmanagements in Unternehmen .....................262 Abbildung 39: Entwicklung der Deutschen Lufthansa AG ....................................265 Abbildung 40: Konzernstruktur der Deutsche Lufthansa AG................................266 Abbildung 41: Personalstand Lufthansa Konzern nach Geschäftsbereichen .........268 Abbildung 42: Ausschnitt aus dem strategischen Leitbild der Deutschen Lufthansa AG...............................................................................270 Abbildung 43: Wertekanon der Deutschen Lufthansa AG....................................272 Abbildung 44: Entwicklung der Lufthansa von einer monolithischen Fluggesellschaft zu einem fokussierten Luftfahrtkonzern ..............273 Abbildung 45: Strategieprozess der Führungskräfteentwicklung .........................275 Abbildung 46: Lufthansa Leadership Compass (LLC)............................................277
Abbildungsverzeichnis
XVII
Abbildung 47: SWOT-Analyse des Bereichs Führungskräfteentwicklung der LHSB ......................................................................................277 Abbildung 48: Strategische Handlungsfelder der Führungskräfteentwicklung der LHSB ......................................................................................278 Abbildung 49: Zuordnung von Initiativen zu den strategischen Handlungsfeldern der Führungskräfteentwicklung der LHSB .........................279 Abbildung 50: Strategieprozess und Produkte der Führungskräfteentwicklung der LHSB ......................................................................................280 Abbildung 51: Bewertung der Lufthansa Unternehmenskultur ............................282 Abbildung 52: Positionierung der Einzelgesellschaften innerhalb der Deutschen Lufthansa AG..............................................................286 Abbildung 53: Struktur der Lufthansa School of Business ....................................290 Abbildung 54: Organisatorische Verankerung der LHSB ......................................293 Abbildung 55: Struktur der Bertelsmann AG .......................................................296 Abbildung 56: Mitarbeiterstruktur der Bertelsmann AG am 31.12.2006 ..............298 Abbildung 57: Entwicklung der Mitarbeiterzahlen und Fortschreibung der Unternehmensziele und -werte der Bertelsmann AG.....................299 Abbildung 58: ZAP-Leistungsangebot..................................................................313 Abbildung 59: Ziele der Bertelsmann University...................................................316 Abbildung 60: Das Programm der Bertelsmann University ...................................317 Abbildung 61: Unternehmensstruktur der KCI.....................................................321 Abbildung 62: Kienbaum Kompetenzmodell (Grundkategorien)..........................327 Abbildung 63: Kienbaum Kompetenzmodell .......................................................327 Abbildung 64: Segmente und Marken der SICK AG.............................................340 Abbildung 65: Mitarbeiterentwicklung des SICK-Konzerns...................................341 Abbildung 66: Leitbild des SICK-Konzerns ...........................................................343 Abbildung 67: Auszug aus den SICK-Unternehmensgrundsätzen.........................346 Abbildung 68: HR-Strategie bei SICK ...................................................................349 Abbildung 69: HR-Ziele bei SICK ..........................................................................349 Abbildung 70: SICK-Kompetenzmodell................................................................351
XVIII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 71: Strategische Bedarfsplanung auf Mitarbeiter-Ebene bei SICK ........352 Abbildung 72: SICK-Grundsätze Führung und Zusammenarbeit...........................354 Abbildung 73: Gesamturteil der SICK Mitarbeitenden im Rahmen der Wettbewerbsumfrage zu „Deutschlands beste Arbeitgeber“ ........360 Abbildung 74: Einschätzung der SICK-Mitarbeitenden in der Kategorie „Stolz“ der Umfrage „Deutschlands beste Arbeitgeber“ ...........................360 Abbildung 75: Kompetenzentwicklung der SICK-Akademie .................................363 Abbildung 76: Management Development Programme des SICK-Konzerns .........364 Abbildung 77: Selbstverständnis der CD Human Resources der SICK AG .............368 Abbildung 78: Selbstverständnis und Kernaufgaben der CU Corporate HRD........370 Abbildung 79: Phasenmodell: Leitbilder im Unternehmen....................................386 Abbildung 80: Optionen zur Einstufung in das funktionale Strukturmodell des Bildungsmanagements in Unternehmen.......................................413 Abbildung 81: Modell des Bildungsmanagements in Unternehmen .....................416
Abkürzungsverzeichnis
BM
Bildungsmanagement
BMBF
Bundesministerium für Bildung und Forschung
BMBW
Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft
BSC
Balance Sorecard
BU
Bertelsmann University
BZR I
Bezugsrahmen I
BZR II
Bezugsrahmen II
CD
Corporate Devision (SICK AG)
CEO
Chief Executive Officer
CFO
Chief Financial Officer
CLO
Chief Learning Officer
CMG
Corporate Management Grading (Deutsche Lufthansa AG)
COO
Chief Operating Officer
CU
Corporate Unit (SICK AG)
CU
Corporate University
DGFP
Deutsche Gesellschaft für Personalführung
EHF
Entscheidungs- und Handlungsfeld
eLLF
elektronisches Lufthansa Leadership Feedback (Deutsche Lufthansa AG)
FKE
Führungskräfteentwicklung (Deutsche Lufthansa AG)
GLOBE
The Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness Research Program
GMN
General Management Navigator
HMX PE
Expertengruppe der dezentralen Personalentwickler (Deutsche Lufthansa AG)
Abkürzungsverzeichnis
XX
HR Board
Arbeitsdirektoren der Geschäftsfelder und Konzernvorstand Personal (Deutsche Lufthansa AG)
HR
Human Resources
HRM
Human Resource Management
KCI
Kienbaum Consultants International GmbH
KEC
Kienbaum Executive Consultants GmbH
KMC
Kienbaum Management Consultants GmbH
KMU
Klein- und mittelständisches Unternehmen
LHSB
Lufthansa School of Business (Deutsche Lufthansa AG)
LKI
Lernkulturinventar
LLC
Lufthansa Leadership Compass (Deutsche Lufthansa AG)
MNC
Mastering New Callenges Programm (Bertelsmann AG)
PE
Personalentwicklung
PFO
Preparing for Oppertunities Programm (Bertelsmann AG)
PU
Zentrale Führungskräfteentwicklung (Deutsche Lufthansa AG)
QUEM
Qualifikations- Entwicklungs-Management
SCIL
Swiss Centre for Innovations in Learning
SWOT
Strengths Weaknesses Opportunities Threats
WABE
Waldkircher Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft
WEBU
Werte- und Entwicklungsquadrat des Bildungsmanagements in Unternehmen
ZA
Zentrale Bildung (Bertelsmann AG)
ZAG
Zentrale gewerbliche Ausbildung (Bertelsmann AG)
ZAK
Zentrale kaufmännische Ausbildung (Bertelsmann AG)
ZAP
Zentrale Personalentwicklung (Bertelsmann AG)
Zusammenfassung
Vielfältige Entwicklungen in der Praxis machen deutlich, dass sich das Bildungsmanagement in Unternehmen derzeit in einer Transformationsphase befindet. Erfolgte in der Vergangenheit eine Fokussierung auf operative Aspekte, so wird nun verstärkt der Ruf nach einer strategischen Einflussnahme laut. Bildungsmanagement kann folglich nicht mehr nur ein administrativ geprägtes Thema einer isoliert agierenden Aus- und Weiterbildungsabteilung sein, sondern wird zur Managementaufgabe. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen steht die Konzeptualisierung einer Theorie des Bildungsmanagements in Unternehmen im Mittelpunkt der vorliegenden Dissertation. Es erfolgt eine Fokussierung auf die normative und strategische Ebene. Basierend auf der Tradition der St. Galler Managementlehre wird ein Bezugsrahmen erarbeitet, der die wesentlichen Aktions- und Handlungsfelder des Bildungsmanagements aufzeigt. Hierzu zählen auf der normativen Ebene die Managementphilosophie, die Unternehmenspolitik und das Leitbild mit unterschiedlichen Gestaltungsfacetten. Auf der strategischen Ebene steht die Trilogie Strategie – Kultur – Organisation im Mittelpunkt der Betrachtung. Der Bezugsrahmen findet seinen Ausdruck sowohl in einer visuellen als auch in einer propositionalen Darstellung, die die wesentlichen Kernaussagen und Ansatzpunkte zur Gestaltung im Überblick aufzeigen. Die Entwicklung des Bezugsrahmens vollzieht sich in einem zweistufigen Prozess. Zunächst erfolgt im Rahmen der theoretischen Exploration eine umfangreiche Literaturanalyse. Darauf aufbauend wird ein erster Bezugsrahmen entwickelt und weiterführende Forschungsfragen abgeleitet, die der Auswertung der im Rahmen der empirischen Exploration erarbeiteten vier Fallstudien der Lufthansa AG, der Bertelsmann AG, der Kienbaum International Consultants GmbH und der SICK AG dienen. Durch die Auswertung der Fallstudien wird der Bezugsrahmen modifiziert und konkretisiert. Im Rahmen einer zusammenfassenden Betrachtung wird das entwickelte Konzept des Bildungsmanagements in Unternehmen im Überblick dargestellt. Überlegungen zur Anwendung in der Praxis sowie eine ausblickende Schlussbetrachtung runden den Argumentationsgang der Dissertation ab.
1. Einführung
Man hat Arbeitskräfte gerufen und es kamen Menschen.
Max Frisch
1.1. Erkenntnisinteresse und Problemzusammenhang In den letzten Jahren befinden sich sowohl Gesellschaft als auch Wirtschaft in einem grundlegenden Wandel, der bereits im letzten Jahrhundert durch den Übergang von der damals noch vorherrschenden Industriegesellschaft zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft eingeläutet wurde.1 Es verändert sich die Wettbewerbssituation für Unternehmen, indem sich die Güter-, Arbeits- und Informationsmärkte zunehmend globalisieren und internationalisieren, die Orientierung an Verkäufermärkten sich hin zu Käufermärkten verschiebt und auch die Innovationsdynamik bei Produkten und Prozessen steigt. Zeit und Flexibilität werden zu den entscheidenden Kriterien im Wettbewerb.2 Daneben zeigt die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechniken ihre Wirkung, die mit Begriffen wie Kapazitätssteigerung, Mobilität, Zusammenarbeit, Integration und Offenheit beschrieben werden kann.3 Damit verbunden wird die Halbwertszeit des Wissens immer kürzer, wodurch sich die Notwendigkeit eines kontinuierlichen bzw. lebenslangen Lernens ergibt.4
1
Der anhaltende Trend zur Dienstleistungsgesellschaft ist beispielsweise daran erkennbar, dass laut einer Erhebung des statistischen Bundesamtes in Deutschland im Mai 2003 67 % aller Erwerbstätigen Dienstleistungsberufe ausübten (vgl. Statistisches Bundesamt, 2004, S. 49 f., daneben auch BLK, 2001, S. 5 und 27). Der Anteil des Produktionsfaktors Wissen an der Wertschöpfung betrug laut einer Umfrage bereits 1998 50 % (vgl. Bullinger, 1998, S. 10). Quinn et al. gehen sogar von einem Anteil von 75 % aus (vgl. Quinn et al., 1997, S. 18; daneben auch Sattelberger, 1999, S. 275, S. 329).
2
Vgl. z. B. BMBF, 2001; Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 2 ff.; Sloane, 1998, S. 92 ff.; Lenzen, 2005; Regnet, 2003, S. 53 ff.
3
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 5 ff.; Stork, 1999, S. 70 f.; Steinert, 2002, S. 16 f.
4
Vgl. Sander, 1999, S. 2; Decker, 1995, S. 30 f. und S. 42; Regnet, 2003, S. 57. In vielen Wirtschaftsbereichen kann davon ausgegangen werden, dass sich das berufliche und technische Fachwissen innerhalb von drei bis sechs Jahren erneuert. Informatik-Fachwissen besitzt sogar eine Halbwertszeit, die deutlich unter einem Jahr liegt. Damit ergeben sich tendenziell immer kürzere Veränderungszyklen (vgl. hierzu Nagel, 1991, S. 30 ff.; Schüppel, 1996, S. 238).
Einführung
2
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wird Bildung ein „Bestandteil und Erfolgsfaktor für die Anpassung des Unternehmens an veränderte Umwelt- und Wettbewerbsbedingungen“5 und damit auch zu einem Erfolgsfaktor für den einzelnen Menschen und für die Gesellschaft.6 Unternehmen sehen sich allerdings mit dem Problem konfrontiert, dass zukünftig zum einen immer weniger qualifizierte Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und zum anderen die Belegschaft deutlich altert.7 Prägnant wird dies durch die aktuellen Schlagworte ‚War of Talents’ und ‚Demografischer Wandel’ zum Ausdruck gebracht.8 Trotz hoher Arbeitslosigkeit verbunden mit dem Trend zu immer anspruchsvolleren Tätigkeiten fehlen oftmals entsprechend qualifizierte Mitarbeitende. „Anstelle der Frage nach den Personalkosten gewinnt die Frage nach der ausreichenden Verfügbarkeit geeigneten Personals deutlich an Bedeutung.“9 Es ist nahezu eine „Kalenderweisheit“10, dass hochqualifizierte, motivierte Mitarbeitende zur wertvollsten Ressource eines Unternehmens gehören bzw. werden.11 Aufgrund des Wertewandels in Arbeitswelt und Gesellschaft12 haben sich allerdings auch die Ansprüche an das berufliche Tun verändert. Eine zunehmende Individualisierung führt z. B. dazu, dass Arbeit und Beruf nicht mehr die alleinigen Identifikationsmuster für den Einzelnen darstellen. Vielmehr folgen die Menschen vermehrt ihren individuellen Präferenzen und Lebensstilen, Beruf und Freizeit vermischen sich.13 Im Arbeitskontext schlägt sich dies in der Forderung nach Beteiligung, Möglichkeiten der Selbstverwirklichung und eigenverantwortlichem Handeln nieder.14 Die Unternehmen
5
Euler, 2004, S. 36.
6
Vgl. Bullinger/Buck, 2007; Nienaber, 2007; Dawidowicz/Süßmuth/Juhasz, 2007, S. 14; Stork, 1999, S. 80; Steinert, 2002, S. 17 f.
7
Vgl. z. B. Frieling/Fölsch/Schäfer, 2005; Bullinger/Buck, 2007; Lenzen, 2005; Dawidowicz/ Süßmuth/Juhasz, 2007.
8
Vgl. Nienaber, 2007; Fuchs, 2006; Bullinger/Buck, 2007.
9
Nienaber, 2007, S. 29.
10
Euler, 2004, S. 36.
11
Vgl. Euler, 2004, S. 36; Bullinger/Buck, 2007, S. 71; Nienaber, 2007, S. 34; Becker, M., 2002, S. 1.
12
Vgl. Becker, M., 2002, S. 45 ff.; Becker, F., 2002, S. 416 f.; Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 4 ff.; Faulstich, 1990, S. 36 f.; Eitenberger et al., 2003, S. 155 ff.; Bleicher, 1994b, S. 74 ff.; Wunderer, 2000, S. 26 ff.
13
Vgl. Euler, 2004; Sloane, 2000, S. 94 f.; Jung, 2001, S. 830; Stelzer-Rothe, 2002, S. 24; Wunderer, 2000, S. 83 ff.; Bunz, 2005, S. 91; Hoffmann, F., 1989.
14
Vgl. Euler, 2004; Rosenstiel, 2007, S. 48.
Erkenntnisinteresse und Problemzusammenhang
3
reagieren hierauf nur bedingt, wie der Gallup Engagement Index 200615 für Deutschland zeigt: Lediglich 13 % der Mitarbeitenden gehen motiviert zur Arbeit, 68 % machen ‚Dienst nach Vorschrift’ und 19 % haben bereits innerlich gekündigt und arbeiten aktiv gegen die Interessen des Unternehmens.16 Die Ursache für das fehlende Engagement wird vor allem dem Management zugeschrieben, das die Arbeit nicht ausreichend anerkennt, sich nicht für die Mitarbeitenden ‚als Menschen’ interessiert und ihre persönliche Entwicklung nicht fördert.17 Für Unternehmen bedeutet dies: „Beim Wettbewerb um gute Mitarbeiter geht es nicht mehr allein um das Gehalt. Es geht darum, Angestellte als Menschen zu betrachten“18 und ihren Anspruch auf Persönlichkeitsentwicklung im Handeln zu berücksichtigen. Denn: „Am Ende werden … [die Unternehmen] nicht mit Wissen gewinnen, sondern mit Persönlichkeiten“19. Mit „punktuellen Bildungsveranstaltungen und traditionellem Unterricht“20 kann dies allerdings nicht erreicht werden. Bildung kann nicht mehr nur ein administrativ geprägtes Thema einer isoliert agierenden Weiterbildungsabteilung sein. Vielmehr wird es notwendig, im Rahmen eines Bildungsmanagements das Spannungsfeld von individueller Persönlichkeitsentwicklung und den Anforderungen des Marktes bzw. des Unternehmens zu gestalten. Bildung wird zur Managementaufgabe (und damit zu einer Denkhaltung, die den Mitarbeitenden nicht mehr als ‚Arbeitskraft’ sieht, sondern als ‚Menschen’).
15
Vgl. o.V., 2007; Kretschmer, 2006.
16
Dabei ist ein Trend in eine negative Richtung zu beobachten. 2001 gingen noch 16 % motiviert ihrer Arbeit nach und 15 % hatten bereits „innerlich gekündigt“ (vgl. o.V., 2007). Der gesamtwirtschaftliche Schaden durch das fehlende Engagement wird für Deutschland auf 220 Milliarden Euro geschätzt. Für die Schweiz ergeben sich etwas bessere Ergebnisse (Stand Mai 2005): 22 % der Mitarbeiter sind „engaged“, 69 % „not engaged“ und 9 % „actively disengaged“ (vgl. Kretschmer, 2006, S. 4).
17
Vgl. o.V., 2007.
18
Fuchs, 2006, S. 60; vgl. daneben auch o.V., 2006a; Kretschmer, 2006; o.V., 2006b.
19
Leitner in Schmidt-Klingenberg, 2002, S. 70.
20
Decker, 2000, S. 15.
Einführung
4
1.2. Forschungsfokus Bildungsmanagement ist ein Begriffskonzept, welches zunehmend Verbreitung findet. Häufig steht die Thematisierung von Bildungsmanagement allerdings in einem starken Praxisbezug, beispielsweise in der Weiterbildung von Bildungsverantwortlichen zu Bildungsmanagern.21 In den letzten Jahren widmete sich, diesem Effekt entgegengesetzt, nur eine begrenzte Anzahl an Buchpublikationen dem Thema Bildungsmanagement.22 Diese konzentrieren sich häufig auf operative Aspekte des Bildungsmanagements.23 Auf dieser operativen Ebene werden neben konkreten didaktischen Umsetzungsfragen insbesondere Fragen des Bildungscontrollings24 und des Bildungsmarketings25 bzw. zum Teil der Führung26 und Weiterbildung27 thematisiert. Daneben existieren vereinzelt Publikationen, die sich auf Teilaspekte des Bildungsmanagements fokussieren.28 Normative und strategische Themen stehen ebenso selten im Mittelpunkt der Diskussion wie die Frage der Integration des Bildungsmanagements in das Konzept des Unternehmensmanagements.
21
Es werden immer mehr Bildungsgänge zum Thema Bildungsmanagement eingerichtet. Als Beispiele können genannt werden: das Nachdiplomstudium Bildungsmanagement an der Pädagogischen Hochschule Zürich (vgl. http://www.phzh.ch/content/content.asp?navitationID =53&ID=815); das Aufbaustudium Bildungsmanagement an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg (vgl. http://www.bildungsmanagement.ph-ludwigsburg.de) oder das Europäische Weiterbildungsstudium Bildungsmanagement an der Universität Koblenz-Landau (vgl. http:// www.uni-koblenz-landau.de/dokumente/ewbm-so.pdf). Derartige Studiengänge sind vor allem an Verantwortliche in Bildungsinstitutionen wie Schulen gerichtet.
22
Vgl. Falk, 2000; Gonschorrek, 2003; Decker, 2000; Decker, 1995; Apel, 1997; Grüner, 2000; Gütl/Orthey/Laske, 2006.
23
Die begriffliche Klärung zentraler Kategorien wie z. B. operative, strategische und normative Ebenen des Managements erfolgt im entsprechenden Problemzusammenhang innerhalb der Arbeit. An dieser Stelle wird daher ein Vorverständnis vorausgesetzt.
24
Vgl. Decker, 2000, S. 92 ff. und S. 173 ff.; Decker, 1995, S. 133 ff. und S. 212 ff.; Falk, 2000, S. 467 ff.
25
Vgl. Decker, 2000, S. 140 ff.; Falk, 2000, S. 531 ff.
26
Vgl. Decker, 1995, S. 224 ff.
27
Vgl. Falk, 2000, S. 316 ff.
28
Vgl. Winkler, 1993, zum Thema ‚Persönlichkeit und Führungsverantwortung’; Hahn, W., 1993, zum Thema ‚Soziale Kompetenz im kooperativen Personal- und Bildungsmanagement’; Stamm, 1999, zum Thema ‚Qualitätsevaluation im sekundären und tertiären Bildungsbereich’; Siebert, 1997, zum Thema ‚Programmplanung und Bildungsmanagement’; Sander, 1999, zum Thema der virtuellen Lernwelten für Unternehmen im Rahmen der Publikation ‚Mediengestütztes Bildungsmanagement’.
Forschungsfokus
5
Für die Dissertation wird auf diese Forschungslücke aufbauend die erkenntnisleitende Fragestellung wie folgt formuliert: Wie kann das Bildungsmanagement als komplexe
Managementaufgabe auf der normativen und strategischen Ebene in Unternehmen konzeptualisiert werden? Mit der Fragestellung sind die nachfolgend dargestellten handlungsleitenden Bezugspunkte verbunden:
Wie kann das Bildungsmanagement … Im Gegensatz zu verwandten Themengebieten wie der Personalentwicklung29, dem Personalmanagement30, dem Wissensmanagement31 und der Lernenden Organisation32 kann das Bildungsmanagement als professionelles Feld ohne klare Identiät angesehen werden. Daher steht zunächst die Frage im Mittelpunkt: Wie kann Bildungsmanagement begrifflich konkretisiert werden? Es werden sowohl ein eigenes Bildungsmanagement-Verständnis dargelegt als auch die oben genannten Konzepte in einen Zusammenhang zum Bildungsmanagement-Verständnis dieser Arbeit gestellt.
… auf der normativen und strategischen Ebene … Auf der normativen und strategischen Ebene des Managements geht es darum, Gestaltungs- und Entwicklungsoptionen des Bildungsmanagements aufzuzeigen. Die Aufgabe des operativen Managements liegt im Vollzug der normativen und strategischen Entscheidungen. Aufgrund dieser Grundgegebenheit und dem dargestellten Forschungsstand werden operative Aspekte des Bildungsmanagements im Rahmen der Dissertation nicht detailliert betrachtet. Hierzu wird auf die existierende Literatur verwiesen.33
… in Unternehmen … Die Disseration fokussiert sich auf das Bildungsmanagement in Unternehmen. Hierfür sind thesenartig folgende Gründe anzuführen:
29
Vgl. Neuberger, 1994b; Becker, M., 2002; Einsiedler et al., 2003; Berthel, 1997.
30
Vgl. beispielhaft Gonschorrek, 2001; Klimecki/Gmür, 2001; Scholz, 2000; Hilb, 2002.
31
Vgl. hierzu insbesondere Amelingmeyer, 2002; Nonaka/Takeuchi, 1997; Probst/Raub/Romhardt, 1999; Davenport/Prusak, 1998; Willke, 2001; Polanyi, 1962.
32
Vgl. Bullinger, 1996; Argyris/Schön, 1999; Reinhardt, 1995; Sattelberger, 1996.
33
Vgl. insbesondere Euler, 2004; Falk, 2000; Gonschorrek, 2003; Decker, 2000 und Grüner, 2000.
Einführung
6
x Unternehmen sind derzeit sehr stark mit den ökonomischen Veränderungen konfrontiert, so dass sich hier ein besonderer Handlungsbedarf ergibt. x Für eine Betrachtung des Bildungsmanagements eignet sich vor allem der unternehmerische Sektor, da dort meist formulierte und ausgewiesene normative und strategische Vorgaben existieren, an die in der Diskussion angeknüpft werden kann. x Unternehmen sind ein von der Wirtschaftspädagogik eher selten betrachteter Bereich. Geißler drückt dies wie folgt aus: „Die Tatsache, daß es bis heute kaum Schriften zum Bildungsmanagement in Betrieben gibt, deute ich in diesem Sinne als Verweigerung der Erziehungswissenschaft“34. Die Fokussierung auf unternehmerische Fragestellungen schließt daneben nicht aus, dass die Ergebnisse auf andere Organisationsformen wie Schulen übertragen werden können, wobei dieses Themenfeld in der Dissertation nicht weiter verfolgt wird.
… als komplexe Managementaufgabe … konzeptualisiert werden Die Dissertation nimmt Bezug auf die St.Galler Management-Tradition35. Dementsprechend wird das Ziel verfolgt, einen Bezugsrahmen zu entwickeln, der dazu beitragen soll, „bewusst zwischen verschiedenen Aspekten eines Managementproblems zu unterscheiden und zu seiner Lösung Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu verwenden“36. Als ‚systematisches Ordnungsgerüst’ bzw. ‚Orientierungslandkarte’ stellt er die wesentlichen Entscheidungs- und Handlungsfelder (‚Stellschrauben’) des Bildungsmanagements im Unternehmen in einer integrierten Sichtweise dar, um einen angemessenen Umgang mit dem komplexen Phänomen Bildungsmanagement zu ermöglichen. Bevor näher auf die Konzeptualisierung der Theorie des Bildungsmanagements auf der normativen und strategischen Ebene in Unternehmen eingegangen wird, stehen im Folgenden die forschungsparadigmatische Ausrichtung und das forschungsmethodische Vorgehen im Fokus der Betrachtung.
34
Geißler, 1994b, S. 263; vgl. auch Schwuchow, 1992.
35
Siehe Kapitel 2.1.2.
36
Ulrich, H., 2001, S. 165 f.
Forschungsparadigmatische Ausrichtung
7
1.3. Forschungsparadigmatische Ausrichtung Erkenntnisgewinnung bzw. Theorien als daraus resultierende Produkte sind grundsätzlich subjektabhängig.37 Die eigene, letztlich auch individuelle wissenschaftliche Position, die abhängig von der Ausbildung in einer bestimmten Forschungstradition und in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Denkstilen gebildet wurde, leitet das Forschungsvorgehen.38 Die vorliegende Arbeit ist durch die paradigmatische Grundausrichtung der „Wissenschafts-Praxis-Kommunikation“ nach Euler39 geprägt. Wissenschaft und Praxis40 unterscheiden sich wie folgt:41 Die Wissenschaft ist primär an der Gewinnung und Überprüfung tragfähiger Theorien, sekundär an einer praxisorientierten Umsetzung und Ausgestaltung interessiert. Die Praxis ist primär an der Entwicklung effizienter und effektiver Lösungen relevanter Probleme interessiert. Erst sekundär existiert ein Interesse an wissenschaftlichen oder Alltags-Theorien.
Die Beziehung zwischen Wissenschaft und Praxis wird dabei weniger als einseitiger Vermittlungsprozess beschrieben, als vielmehr in Form einer wechselseitigen Beeinflussung und eines wechselseitigen Lernens. Grundsätzlich integriert die Wissenschafts-Praxis-Kommunikation die wissenschaftliche Theoriebildung, -überprüfung und -anwendung in der Art und Weise, dass „die einbezogenen Akteure aus Wissenschaft und Praxis ihre spezifischen Ziele und Interessen in Koordination mit der jeweils ‚anderen’ Seite verfolgen“42 können. Aus Sicht der Wissenschaft sind innerhalb ihres Handelns durchaus Phasen notwendig, in denen nicht die Gestaltung von Praxis im Vordergrund steht, sondern vielmehr Fragen der Theoriebildung und -überprüfung. „Wissenschaftliches Handeln soll Alltagshandeln nicht ersetzen, sondern phasenweise begleiten und beraten; es muß sich aber auch von ihm distanzieren können.“43 Im Sinne eines ‚Lernens von der Praxis’ dient die Beschäftigung mit der Komplexität und der Konkretisierung des Alltagswissens dazu, das wissenschaftliche
37
Vgl. Euler, 1997, S. 211.
38
Vgl. Sloane/Twardy/Buschfeld, 2004, S. 349.
39
Vgl. Euler, 1997, S. 238 ff.
40
Wenn im Folgenden von Praxis gesprochen wird, ist in Anlehnung an Euler (1997, S. 238) prinzipiell die nicht-wissenschaftliche Praxis gemeint.
41
Wirth, 2005, S. 19; daneben vgl. Euler, 1997, S. 239.
42
Euler, 1997, S. 239.
43
Euler, 1997, S. 239.
Einführung
8
Wissen zu korrigieren und zu komplettieren.44 „Wissenschaft ist demnach … ein Instrument … der Gestaltung im Sinne der Entdeckung, Entwicklung und Erprobung konkreter Problemlösungen in und mit der Praxis.“45 Im Rahmen der WissenschaftsPraxis-Kommunikation kann die Wissenschaft ihre Untersuchungsgegenstände im Hinblick auf die Probleme der Praxis auswählen – bezogen auf die Dissertation handelt es sich um das Themenfeld Bildungsmanagement in Unternehmen.46 Die Praxis kann dann zur Lösung ihrer Probleme auf die entwickelte wissenschaftliche Theorie zurückgreifen.47 Im Rahmen der Wissenschafts-Praxis-Kommunikation wird unter Theorie48 die „sprachlich artikulierte Konstruktion eines Praxisausschnitts“49 verstanden. Theorien können als eine Art gedankliches Werkzeug betrachtet werden, das zur Lösung von Problemstellungen der Praxis zum Einsatz kommt.50 Eine wissenschaftlich generierte Theorie kann der Praxis zur Verfügung gestellt werden, diese entscheidet dann selbst über deren Verwertung.51 Die Verbindung zwischen wissenschaftlichem und praktischem Handeln erfolgt über die Person des praktisch Handelnden. Dieser muss die Theorie vor dem Hintergrund seiner Handlungsabsichten mit seinen individuell bestehenden Wirklichkeitskonstruktionen verbinden.52 Dementsprechend können wissenschaftliche Theorien auch als „Interpretationsangebot zur Vorbereitung von Problemlösungen der Praxis“53 angesehen werden. Die Aufgabe einer Wissenschaft, die an der Anwendung ihrer Theorien interessiert ist, besteht deshalb darin, die Theorien „handlungsgerecht“ zu formulieren, indem sie den Praktikern „etwas“ zur Verfügung stellt, was bereits auf ihre Problemlösungsbedürfnisse hin angepasst ist.54
44
Vgl. hierzu Heinze, 1995, S. 32.
45
Euler, 1997, S. 241.
46
Vgl. die Ausführungen in Kapitel 1.2.
47
Vgl. bezogen auf die Dissertation die Diskussion in Kapitel 8.
48
Der Theoriebegriff wird in der wissenschaftstheoretischen Literatur auf vielfältige Weise definiert, vgl. u. a. Seiffert, 1997, S. 174; Mittelstraß, 1996, S. 260 ff.; Kron, 1999, S. 72 ff.; Sloane/ Twardy/Buschfeld, 2004, S. 340.
49
Euler, 1997, S. 235 (im Original z. T. kursiv).
50
Vgl. Luhmann, 1977, S. 16 zitiert in Euler, 1997, S. 233.
51
Vgl. Euler, 1997, S. 233.
52
Vgl. Euler, 1997, S. 235.
53
Euler, 1997, S. 235.
54
Vgl. Zabeck, 1988, S. 86 f.; um noch detaillierter die Problemlösungsbedürfnisse der Praxis aufnehmen zu können, wäre eine Theorieüberprüfung notwendig, die allerdings nicht im Fokus der Arbeit steht. Vgl. hierzu auch die Diskussion in Kapitel 8.
Forschungsparadigmatische Ausrichtung
9
Wenn bisher von Theorie gesprochen wurde, so waren wissenschaftliche Theorien gemeint. Es existieren aber nicht nur im Bereich der Wissenschaft Theorien, sondern es werden auch aus dem Praxisfeld Theorien gebildet, so genannte Alltagstheorien.55 Nach Euler56 stehen sich wissenschaftliche Theorien und Alltagstheorien auf einem Kontinuum gegenüber. Als Abgrenzungskriterien nennt er: x
x
x
x x x
Bedeutsamkeit versus Vernachlässigung von Zeitrestriktionen bei der Suche nach Problemlösungen57 Einbindung in versus Distanz zu gegebenen Machtstrukturen des untersuchten Praxisfeldes Starke versus geringe persönliche Betroffenheit – begrenzte versus hohe Distanzierungsmöglichkeit58 Integrative versus selektive Problembearbeitung59 Fallbezogene versus fallübergreifende Aussagen60 Gestaltungs- und entscheidungsorientierte versus kritisch-evaluierende Grundhaltung
Als weiteres zentrales Unterscheidungskritierum ist die Eigenart der Theoriebildung zu nennen. Nach Euler61 orientieren sich beide Handlungsformen an methodischen Regeln, die allerdings unterschiedlich ausgeprägt sind. Wissenschaftliches Handeln bezieht sich, wie bereits dargestellt, auf die Praxis außerwissenschaftlicher Lebensbereiche. Es fasst die Aussagen über die Objekte der Praxis in Form von Theorien zusammen. Alltagstheorien beziehen sich zwar auch auf abgegrenzte Objekte aus
55
Wenn im Folgenden von Theorien die Rede ist, sind wissenschaftliche Theorien gemeint, der Terminus Alltagstheorie beschreibt Theorien, die aus der Praxis entstehen.
56
Vgl. hierzu und im Folgenden Euler, 1997, S. 220 ff.
57
Alltagshandeln ist auf das Hier und Jetzt orientiert, wohingegen wissenschaftliches Handeln eher zeitlos ausgerichtet ist.
58
Alltagshandeln ist meist geprägt durch die persönliche Betroffenheit und einen unmittelbaren Problemdruck. Wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung hingegen geschieht in der Regel losgelöst von persönlicher Betroffenheit und einer eher distanzierten Haltung gegenüber den herrschenden Problemen.
59
Im Alltag ist das Handeln nicht durch disziplinäre Grenzen geleitet, sondern eine Problembearbeitung erfolgt in all jenen Dimensionen, die zur Lösung beitragen können. In der Wissenschaft erfolgt hingegen eine eher mikroskopisch anmutende Aspektbegrenzung.
60
Alltägliches Handeln ist in der Regel auf die Reduktion von Komplexitität und auf konkret zu lösende Einzelprobleme hin ausgerichtet. Dem entgegen strebt wissenschaftliches Handeln eher die Entwicklung eines einzelfallübergreifenden, kohärenten Gesamtsystems an.
61
Vgl. Euler, 1997, S. 228.
Einführung
10
der Praxis eines Lebensbereichs; dabei handelt es sich aber nicht um einen fremden Lebensbereich, wie beim wissenschaftlichen Handeln, sondern um den eigenen. Die Generierung der Alltagstheorien folgt ebenso wie die Wissenschaft bestimmten Regelsystemen, die nach Sloane62 als Alltagsparadigmen bezeichnet werden können. Alltagstheorien und -paradigmen werden zwar ebenso wie wissenschaftliche dokumentiert, ihre Ausweisung bleibt aber vergleichsweise wenig elaboriert. Wissenschaftliche Theorien sind in einem deutlich höheren Maße expliziert und präziser ausgewiesen und begründet.63 Nichtsdestotrotz sind die beiden Bereiche nicht grundsätzlich von einander getrennt zu betrachten, sondern es existieren durchaus Verbindungen zwischen ihnen. Beispielsweise ist es notwendig, zur praktischen Anwendung der Erkenntnisse wissenschaftlicher Theorien diese in Alltagstheorien zu ‚übersetzen’. Daneben ist durch die so genannte Verwissenschaftlichung des Alltags davon auszugehen, dass die Grenzen zwischen beiden Bereichen nicht präzise abgesteckt werden können, sondern der Übergang fließend sein kann.64 Im Zusammenhang mit der Bezugnahme auf die paradigmatische Grundausrichtung der Wissenschafts-Praxis-Kommunikation ist in Anlehnung an Euler65 eine Ausweisung der maßgeblichen Regeln notwendig, um zum einen der eigenen Forschungstätigkeit eine „orientierende Leitlinie“ zu geben und zum anderen dem Betrachter der Arbeit einen Bewertungsaspekt zur Verfügung zu stellen, der ihm Aufschluss darüber gibt, wie der Bezugsrahmen zustande gekommen ist. Die formulierten Regeln sind allerdings nicht abgeschlossen, sondern können problembezogen modifiziert, erweitert und verworfen werden – sie geben lediglichen den „Spielraum“ des Handelns vor.66 In Übereinstimmung mit Euler67 werden vier verschiedene Orientierungsregeln unterschieden, die das wissenschaftliche Handeln im Rahmen der Theoriebildung leiten: Basisregeln, Geltungsregeln, Generierungsregeln und Kommunikationsregeln. x
Als Basisregel gilt es, das vertretene Grundwerturteil „in Auslegung auf das jeweils verfolgte Forschungsprogramm auszuweisen und zu erläutern, um so die Interessenausrichtung offenzulegen und einer Argumentation zugänglich zu
62
Vgl. Sloane, 1992, S. 47 ff.
63
Vgl. Euler, 1997, S. 231.
64
Vgl. Euler, 1997, S. 231 f.
65
Vgl. Euler, 1997, S. 242.
66
Vgl. Euler, 1997, S. 243; Albert, 1978, S. 29 ff.
67
Vgl. ausführlich Euler, 1997, S. 257 ff.
Forschungsparadigmatische Ausrichtung
11
machen“68. Als Grundwerturteil dieser Arbeit wird die Eigen- und Sozialverantwortlichkeit des Handelns ausgewiesen, welche in Kapitel 2.1.1 näher thematisiert wird. x
Geltungsregeln legen fest, „welche Arten von Aussagen im Rahmen eines Forschungsprogramms als zulässig gelten und daher für die Theoriebildung angestrebt werden sollen“69. Prinzipiell werden hier definitorische und empirische Aussagen unterschieden. Definitorische Aussagen beziehen sich auf die Festlegung über die Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks. Dieser kann weder wahr noch falsch sein, sondern entweder zweckmäßig oder unzweckmäßig. Für die vorliegende Arbeit wird der Anspruch formuliert, mit konsistenen Begrifflichkeiten zu arbeiten. Allerdings ist festzuhalten: „Der definitorische Regreß muß, um nicht ins Unendliche zu gehen, bei Worten, deren Bedeutung durch den allgemeinen Sprachgebrauch ausreichend klar ist, haltmachen.“70 Empirische Aussagen informieren über die Wirklichkeit und können auch an ihr geprüft werden. Solche Aussagen werden als Vermutungen behandelt d. h. als Konstruktionen über Realität. Sie besitzen folglich den Status stets revidierbarer Hypothesen. Diese sind in unterschiedlicher Form möglich: als Beschreibung von Strukturen und Prozessen (Deskriptionen), als Erklärungen von Zusammenhängen (in Form von nomologischen Aussagen) und als Vermutungen für unbestimmte Problemlösungen.71
x
Generierungsregeln sind die dritte Form der Orientierungsregeln und thematisieren das Vorgehen bei der Theoriebildung.72 Dabei kommen in der Dissertation zwei grundlegende Erkenntnisquellen zum Einsatz: Zum einen die Reflexion der in Form von Texten vermittelten Erfahrungen (die als sprachlich vermittelte Konstrukte über einen Bereich der sozialen Praxis als Interpretationsbasis für die Theoriebildung dienen), zum anderen die Interpretation von Alltagstheorien im Rahmen der empirischen Exploration.73 Im Sinne eines hermeneutischen Zirkels74 wird ausgehend von einem theoretischen Vorverständnis versucht, durch wieder-
68
Euler, 1997, S. 258 (im Original z. T. kursiv).
69
Euler, 1997, S. 263.
70
Prim/Tilmann, 1979, S. 35 f.
71
Vgl. ausführlicher Euler, 1997, S. 264.
72
Im Rahmen der Ausführungen zum Forschungsvorgehen und zur Foschungsmethodik in Kapitel 1.4 werden die Generierungsregeln weiter ausgeführt und noch detaillierter diskutiert.
73
Vgl. Euler, 1997, S. 265.
74
Vgl. Lamnek, 1995, S. 68 ff.
Einführung
12
holendes Fragen und dem Versuch der Antwort das Ganze als Summe seiner Teile bzw. die Teile aus dem Ganzen verstehend zu erschließen. Oder anders ausgedrückt: „Ausgehend von einem theoretischen Vorverständnis wird … versucht, von einem Zentrum ausgehend immer feinere Verästelungen in die Peripherie des Untersuchungsfeldes hin aufzubauen“75. Dabei handelt es sich um keinen additiven Prozess, sondern um ein wechselseitiges „sich Erhellen“76. Wissenschaftliches Handeln wird somit als ein Lernprozess definiert, in dem unter der Bedingung einer zunächst noch vagen Vorstellung über die Strukturen und Eigenschaften des Problemfeldes durch immer differenzierter ansetzende Fragen die Erkenntnis über das Feld erweitert und schrittweise präzisiert werden kann.77 Dabei ist die Dissertation neben der Auswertung der genannten Erkenntnisquellen durch einen bestimmten Kreativitätsanteil geprägt. Zur wissenschaftlichen Eigenleistung zählt u. a. die Überführung der Erkenntnisse aus der theoretischen Exploration in den Bezugsrahmen I, d. h. die Entwicklung eines ersten Bezugsrahmens des Bildungsmanagements in Unternehmen. Darauf aufbauend werden die Fallstudien der empirischen Exploration in einen kritischen Kontext gestellt und vor dem Hintergrund des ersten Bezugsrahmens ausgewertet (Bezugsrahmen II). Der erste und der zweite Bezugsrahmen werden dann zusammengeführt, bevor im Rahmen der Überlegungen zur Anwendung in der Praxis Entscheidungsfragen und im Zusammenhang mit der Schlussbetrachtung Ansatzpunkte für eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung aufgezeigt werden. x
Die Gestaltung der Kommunikationsbedingungen in der Beziehung zur Praxis steht im Mittelpunkt der Kommunikationsregeln. Durch sie soll die authentische Erfassung des Praxisfeldes im Rahmen der explorativen Theoriebildung gefördert werden. Die in der Dissertation verfolgten Kommunikationsregeln werden im Zusammenhang mit den Erläuterungen zur Forschungsmethodik in Kapitel 1.4 detaillierter ausgewiesen.
75
Euler, 1997, S. 252.
76
Lamnek, 2005, S. 66.
77
Vgl. Euler, 1997, S. 253.
Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik
13
1.4. Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik Die Forschungsfrage und die skizzierte forschungsparadigmatische Ausrichtung bestimmen den Aufbau der Arbeit. Sie gliedert sich in neun Kapitel (vgl. Abbildung 1). Im ersten Kapitel wurde der Leser bisher an die Thematik herangeführt. Es wurde das Erkenntnisinteresse und der Problemzusammenhang des Bildungsmanagements in Unternehmen ebenso erläutert wie der Forschungsfokus und die forschungsparadigmatische Ausrichtung. Im Folgenden werden bezogen auf die einzelnen Teilbereiche der Dissertation die jeweiligen handlungsleitenden Forschungsfragen dargelegt und die methodischen Grundlagen definiert. 1.4.1. Begriffliche Konkretisierung und Abgrenzung Kapitel 2 beschäftigt sich mit den nominaldefinitorischen Festlegungen des Begriffs Bildungsmanagement. Es werden dem Begriff bestimmte Merkmale im Sinne von Kernaussagen zugeordnet. Auf diese Weise wird die Verwendung des sprachlichen Ausdrucks festgelegt. Konkret geht das Kapitel folgenden Fragen nach: x x
x
Was ist unter ‚Bildungsmanagement’ im Kontext dieser Arbeit zu verstehen? Wie kann das Bildungsmanagement konzeptionell von verwandten Konzepten abgegrenzt werden? Wie kann die eigene Bildungsmanagement-Definition durch diese Abgrenzung näher konkretisiert werden?
Es erfolgt eine begriffliche Konkretisierung basierend auf der Betrachtung der beiden Wortbestandteile ‚Bildung’ und ‚Management’ sowie eine Zusammenführung der Kernaussagen. Das so entwickelte Bildungsmanagement-Verständnis wird zur näheren Präzisierung zu verwandten Konzepten in Beziehung gesetzt und abgegrenzt. 1.4.2. Theoretische Exploration Der Ausgangspunkt der Theoriebildung ist die theoretische Exploration. Exploration ist nach Blumer „eine flexible Vorgehensweise, bei der der Forscher von einer Forschungslinie auf eine andere überwechselt, neue Punkte zur Beobachtung im
Einführung
14
Einführung in die Thematik Forschungsparadigmatische Ausrichtung
Forschungsfokus
Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik
Kap. 2
Bildungsmanagement Begriffliche Konkretisierung Konzeptionelle Abgrenzung
Normative Ebene
Kap. 4
Bezugsrahmen I
Kienbaum
Kap. 5
Empirische Exploration Bertelsmann
Strategische Ebene
Kap. 3
Theoretische Exploration
Theoretische Exploration
Lufthansa
Kap. 1
Erkenntnisinteresse & Problemzusammenhang
SICK
Kap. 6
Bezugsrahmen II
Kap. 7
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
Kap. 8
Überlegungen zur Anwendung in der Praxis
Kap. 9
Schlussbetrachtung
78
Abbildung 1: Aufbau der Arbeit
78
Zur leichteren Lesbarkeit wird sowohl in der Darstellung wie auch in den folgenden Ausführungen zum Teil auf die Kurzform der Firmennamen zurückgegriffen. So meint ‚Lufthansa’ die Deutsche Lufthansa AG, ‚Bertelsmann’ die Bertelsmann AG, ‚Kienbaum’ die Kienbaum Consultants International GmbH und ‚SICK’ die SICK AG.
Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik
15
Verlauf der Untersuchung dazu nimmt, sich in neuen Richtungen bewegt“79. Dazu kommt, dass im Sinne eines hermeneutischen Zirkels Teile vom Ganzen her verstanden, korrigiert und erweitert werden und umgekehrt das Ganze von den Teilen her bestimmt wird. Die Beschäftigung mit der begrifflichen Konkretisierung und Abgrenzung hat zu einem gewissen Vorverständnis beigetragen bzw. das bereits vorhandene Vorverständnis expliziert. Entsprechend dem grundlegenden Zusammenhang von Fragen – Suchen – Prüfen – Ordnen – Fragen80 wird, auf das Vorverständnis aufbauend, der zu Beginn aufgeworfenen Forschungsfrage nachgegangen.81 In Anlehnung an Euler82 werden unterschiedliche Arten von Texten als Grundlage herangezogen: In erster Linie Texte in Form von wissenschaftlichen Theorien, die als Gegenstand des Diskurses in der Wissenschaftlergemeinschaft verwendet werden. Dabei wird die Vielzahl von vorhandenen Theorien als Ausgangspunkt eines fruchtbaren und anregenden Diskurses gesehen. Des Weiteren werden insbesondere im Rahmen der empirischen Exploration Texte in Form von Dokumenten aus der Praxis, z. B. formulierte Grundsätze und Handreichungen aus dem Praxisfeld der Fallstudienunternehmen, untersucht. „Die Auswertung von Texten als Grundlage der Theoriebildung kann sich im wesentlichen auf die hermeneutisch ausgerichteten Regeln der Dokumenten- und Inhaltsanalyse stützen“83, die bereits angesprochen wurden. Die theoretische Exploration steht im Mittelpunkt von Kapitel 3. Der St.Galler Managementlehre entsprechend wird zwischen einer normativen und strategischen Ebene unterschieden. Zunächst fokussiert sich Kapitel 3.1 auf die normative Ebene und geht folgenden Fragen nach:
79
Blumer, 1979, S. 54.
80
Vgl. Euler, 1997, S. 252.
81
Vgl. Kapitel 1.2. An dieser Stelle kann das bereits in Kapitel 1.3 angesprochene iterative Vorgehen beispielhaft erläutert werden. Die Dissertation fokussiert sich auf die normative und strategische Ebene des Managements. In einem ersten Bearbeitungsschritt wurde das Thema Managementphilosophie in Anlehnung an Bleicher (1994b) nicht näher berücksichtigt. Da sich allerdings in der weiteren Beschäftigung die Relevanz der Themen Werte, Einstellungen und Überzeugungen für das Bildungsmanagement herausstellte, wurde die Managementphilosophie in einem zweiten Schritt als Exkurs in die Arbeit aufgenommen. Die Auseinandersetzung mit weiteren Literaturquellen wie Ulrich (1981a) und Probst (1983) führten dazu, das Thema als eigenständiges Entscheidungs- und Handlungsfeld in die Arbeit zu integrieren. Die vorliegende Dokumentation der theoretischen Exploration stellt einen vorläufigen Endstand des Forschungsprozesses dar, der wohl nie als gänzlich abgeschlossen angesehen werden kann.
82
Vgl. Euler, 1997, S. 265 f.
83
Euler, 1997, S. 266.
Einführung
16
x
x
Welches sind die konstitutiven Entscheidungs- und Handlungsfelder des Bildungsmanagements auf der normativen Ebene? Welche normativen Aspekte gilt es bei der Gestaltung des Bildungsmanagements im Unternehmen zu berücksichtigen?
In Kapitel 3.2 erfolgt eine Konzentration auf die strategische Ebene entsprechend der folgenden handlungsleitenden Fragestellungen: x
x x
Welches sind die konstitutiven Entscheidungs- und Handlungsfelder des Bildungsmanagements auf der strategischen Ebene? Wie können diese ausgestaltet werden? Welche strategischen Aspekte gilt es bei der Gestaltung des Bildungsmanagements im Unternehmen zu berücksichtigen?
1.4.3. Bezugsrahmen I Die Auseinandersetzung mit relevanten Theorien und Erkenntnissen aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen in der theoretischen Exploration führt zur Entwicklung eines ersten Bezugsrahmens.84 Dieser dient als „Kristallisationspunkt“85 zur Erfassung und Generierung von Annahmen sowie Interpretationen für das Untersuchungsfeld Bildungsmanagement auf der normativen und strategischen Ebene. Die Erfassung geschieht über die Darstellung und Zusammenfassung der Ergebnisse der theoretischen Exploration. Diese wird ergänzt durch Übertragungen und Bezugnahmen auf das Untersuchungsfeld sowie weiterführende Explikationen, wodurch ergänzende Annahmen und Interpretationen generiert werden. Entsprechend lässt sich der Status der Aussagen im Bezugsrahmen I als Zusammenfassung wesentlicher Erkenntnisse der theoretischen Exploration, ergänzt um weiterführende Überlegungen und Übertragungen auf den Kontext des Bildungsmanagements, beschreiben. Dadurch, dass der Bezugsrahmen als ‚systematisches Ordnungsgerüst’, „gedankliches Ordnungssystem“86 und als „Orientierungslandkarte“87 dienen soll, stehen die
84
Vgl. für weiterführende Erläuterungen Euler, 1997, S. 251 f. Er spricht hierbei von „positiver Heuristik“.
85
Euler, 1997, S. 253.
86
Ulrich, H./Krieg, 1974, S. 5.
87
Rüegg-Stürm, 2002, S. 13.
Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik
17
einzelnen Entscheidungs- und Handlungsfelder (EHF) nicht additiv als Einzelaussagen nebeneinander, sondern werden in das Gesamtkonzept des Bildungsmanagements in Unternehmen integriert und als Modell visualisiert.88 Auf diese Weise können die wesentlichen Entscheidungs- und Handlungsfelder im Unternehmen strukturiert in ihren Zusammenhängen dargestellt werden. Die Entscheidungs- und Handlungsfelder des Bezugsrahmens werden weiter in relevante Aspekte ausdifferenziert. Zur Unterstützung der Anwendbarkeit in der Praxis und zur erleichterten Erfassung der wesentlichen Aussagen werden jeweils zum Abschluss der Ausführungen zu den einzelnen Aspekten die jeweiligen Kernaussagen, möglichen Kategorien, Ansatzpunkte, evtl. Beobachtungen und Einflussfaktoren ausgewiesen.89 Die Kategorien beziehen sich auf beispielhafte Ausprägungen, Typologien und Klassifikationen der Aspekte. Die Ansatzpunkte umfassen Maßnahmen und Gestaltungshinweise für eine Umsetzung in der Praxis, wobei sie als Möglichkeiten ohne Vollständigkeitsanspruch zu verstehen sind. Gegebenenfalls werden die Kernaussagen, Kategorien und Ansatzpunkte um Einflussfaktoren und Beobachtungen ergänzt. Einflussfaktoren sind Faktoren, die die Ausprägung der Aspekte beeinflussen. Sie unterscheiden sich von den Kategorien und Ansatzpunkten insofern, als dass sie nicht oder nur sehr schwer veränderbar sind, obwohl sie die Aspekte wesentlich bedingen. Bei den Beobachtungen handelt es sich um einzelne ergänzende Aussagen, die nicht direkt für die Ausgestaltung der Aspekte relevant sind, aber für eine weitere Theorieüberprüfung interessant erscheinen. Der so entwickelte Bezugsrahmen bildet die Grundlage für die Formulierung weiterer, theoretisch geleiteter Fragen an das Forschungsfeld. Konkret werden Fragestellungen für die Auswertung der Fallstudien abgeleitet, die zur Entwicklung des Bezugsrahmens II führen (vgl. Ausführungen in Kapitel 1.4.5). Auf diese Weise wird der Bezugsrahmen des Bildungsmanagements in Unternehmen iterativ ausdifferenziert.90
88
Das entwickelte Modell basiert auf dem neuen St.Galler Management-Modell. Vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen auf S. 43 ff.
89
Vgl. hierzu auch Seufert, 2006a, S. 432 f.
90
Vgl. zu dieser Vorgehensweise auch Euler, 1997, S. 253.
Einführung
18
1.4.4. Empirische Exploration Die „Exploration des Praxisfeldes“91 geschieht im Rahmen der empirischen Exploration in Kapitel 5. Dazu wird das Praxisfeld aufgesucht, um bezogen auf das Problemfeld der Dissertation Erkenntnisse aus der Lebenswelt der dort Agierenden zu gewinnen und deren Alltagstheorien zu interpretieren. Es wird einerseits versucht, möglichst vielfältige Erfahrungen in die Theoriebildung einfließen zu lassen, andererseits wird eine offene Suchhaltung gegenüber neuen Perspektiven eingenommen. Hierauf basierend werden schrittweise ergänzende Aussagen, Erläuterungen und Erkenntnisse zur Überarbeitung des Bezugsrahmens gewonnen und damit zur Generierung einer einzelfallübergreifenden Theorie. Die Exploration des Praxisfeldes ist durch das Vorgehen der Fallstudienforschung geleitet. Yin92 definiert ‚Fallstudie’ als empirische Untersuchung, die ein Phänomen der Gegenwart in seinem Alltagskontext untersucht. Es kann keine klare Grenze zwischen dem Untersuchungsobjekt und seinem Umfeld gezogen werden und der Forscher hat keinen bzw. nur wenig Einfluss auf das Untersuchungsobjekt.93 Das Untersuchungsfeld ist im Zusammenhang mit dem Einsatz der Fallstudie nach Eisenhardt94 oftmals ein neues, bisher wenig betrachtetes Themengebiet. Die Fallstudie kann sowohl explorativ, deskriptiv oder erklärend sein und dient in erster Linie der Beantwortung von ‚Wie’- und ‚Warum’-Fragen.95 Im Kontext der Dissertation wird die Fallstudienmethode angewandt, um die Konzeptualisierung der Theorie des Bildungsmanagements auf der normativen und strategischen Ebene voranzutreiben. Dabei handelt es sich, wie bereits aufgezeigt, um ein neues und bisher wenig betrachtetes Untersuchungsfeld. Daneben ist die Dissertation durch den Versuch, die ‚Wie’-Frage nach der Konzeptualisierung des Bildungsmanagements in Unternehmen96 zu beantworten, geleitet. Im Folgenden wird entsprechend der Phasen Vorbereitung,
91
Euler, 1997, S. 267.
92
Vgl. Yin, 2003, S. 13.
93
Vgl. Yin, 2003, S. 9; Rowley, 2002, S. 17.
94
Vgl. Eisenhardt, 1989, S. 532.
95
Vgl. Rowley, 2002, S. 16 f.; Yin, 2003, S. 9.
96
Konkret lautet die für die Dissertation grundlegende handlungsleitende Frage wie bereits ausgeführt: „Wie kann das Bildungsmanagement als komplexe Managementaufgabe auf der normativen und strategischen Ebene in Unternehmen konzeptualisiert werden?“.
Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik
19
Fallstudienauswahl, Datenerhebung, Datenanalyse sowie -auswertung näher auf den Prozess der Fallstudienforschung im Rahmen der Dissertation eingegangen.97
Vorbereitungsphase Für den Erfolg einer Fallstudie ist es in der Vorbereitungsphase unerlässlich, die Problemstellung und die handlungsleitende(n) Forschungsfrage(n) zu formulieren, um die spätere Datenerhebung fokussieren und die Anzahl der gewonnenen Daten einschränken zu können. Eine zu große Anzahl an Daten würde die Auswertung stark erschweren oder gar unmöglich machen.98 Die Forderung nach der Formulierung einer Forschungsfrage gilt auch im Rahmen explorativer Forschung, wenngleich hier die Frage möglicherweise zunächst sehr breit formuliert und erst während des Forschungsprozesses konkretisiert und weiter angepasst wird.99 Die empirische Exploration wird in der Dissertation durch folgende bewusst breit angelegte Forschungsfrage geleitet: Wie stellt sich das Bildungsmanagement auf der normativen und strategischen Ebene in den Fallstudienunternehmen dar und wie wird es ausgestaltet? Nach Eisenhardt100 ist eine offene Herangehensweise bei explorativen Fallstudien, die der Theoriebildung dienen, sehr wichtig, um flexibel zu bleiben. Auch Euler101 verweist auf die offene Ausgangshaltung zu Beginn einer Exploration des Praxisfeldes. Durch die Grundhaltung des offenen Fragens wird eine frühzeitige theoretische Strukturierung über das bestehende Vorverständnis des Untersuchungsfeldes hinaus verzögert. Nach Witzel102 wird mit möglichst flexiblen Konzepten begonnen; dabei soll die Sensibilität gegenüber neu auftretenden Aspekten im Untersuchungsfeld erhalten bleiben. Nichtsdestotrotz sollten die zentralen konzeptionellen und analytischen Kategorien identifiziert werden, denen die zu erhebenden Daten sowie deren Kontext zugeordnet werden können.103 In der Dissertation erfolgte zunächst die theoretische Exploration, aufgrund derer das Thema analysiert und ein erster Bezugs-
97
Vgl. zur Fallstudienforschung allgemein insbesondere Yin, 2003.
98
Vgl. Yin, 2003, S. 7; Rowley, 2002, S. 19; Eisenhardt, 1989, S. 536.
99
Vgl. Rowley, 2002, S. 22; Eisenhardt, 1989, S. 536.
100
Vgl. Eisenhardt, 1989, S. 536.
101
Vgl. Euler, 1997, S. 268 f.
102
Vgl. Witzel, 1982, S. 16.
103
Vgl. Eisenhardt, 1989, S. 536.
Einführung
20
rahmen gebildet wurde. Der Fallstudienprozess orientiert sich an den wesentlichen Handlungsfeldern dieses Bezugsrahmens. Basierend auf den Erkenntnissen der theoretischen Exploration wurde ein Interview-Leitfaden entwickelt, der die Ausgangsbasis für die Gespräche mit den Praxispartnern bildete und die handlungsleitende Frage fallstudienspezifisch weiter ausdifferenzierte. Die offene Herangehensweise findet ihren Niederschlag in der Gliederung der einzelnen Fallstudien. Neben dem Unternehmensprofil werden die normative und die strategische Ebene von einander unterschieden. Im Rahmen des Unternehmensprofils wird das Unternehmen allgemein beschrieben, damit der Leser die weiteren Darstellungen in einen Bezug setzen kann. Die normative Ebene nimmt alle im Zusammenhang mit der Managementphilosphie, Unternehmenskultur und dem Leitbild stehenden Beobachtungen auf. Dabei erfolgt bewusst keine weitere Untergliederung, da die einzelnen Entscheidungs- und Handlungsfelder sehr stark miteinander in Beziehung stehen und aus Sicht der Unternehmenspraktiker kaum getrennt werden können. Auf der strategischen Ebene erfolgt eine Untergliederung in die Kapitel Strategie, Kultur und Struktur. Diese grobe Kategorisierung erfolgt ebenso bewusst wie der Verzicht auf die Gliederung nach den in BZR I aufgeworfenen Fragen zur Auswertung der Fallstudien. Die Fallstudien sollen die offene Suchhaltung widerspiegeln, die eingenommen wird, um möglichst vielfältige Eindrücke und Beobachtungen gewinnen zu können.
Fallstudienauswahl Im Anschluss an die Vorbereitungsphase erfolgt die Fallstudienauswahl. „Selection of cases is an important aspect of building theory from case studies.”104 Zunächst stellt sich die Frage nach der Anzahl der betrachteten Fälle. Yin äußert sich hierzu wie folgt: The criticisms may turn into scepticism about your ability to do empirical work beyond having done a single case study. Having two cases can begin to blunt such criticism and scepticism. Having more than two cases will produce an even stronger effect. In the face of these benefits, having at least two cases should be your goal.105
104
Eisenhardt, 1989, S. 536.
105
Yin, 2003, S. 54.
Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik
21
Eisenhardt106 ist der Ansicht, dass eine Bearbeitung von weniger als vier Fällen eine komplexere Theoriebildung erschwert, gleichzeitig wendet sie sich aber auch gegen eine Bearbeitung von mehr als zehn Fällen. Wie viele Fallsituationen letztlich bearbeitet werden, hängt im Einzelfall insbesondere vom erreichten Grad der theoretischen Sättigung107 ab, daneben aber auch von der zur Verfügung stehenden Zeit und den entsprechenden Ressourcen.108 Eine optimale Anzahl von verwendeten Fällen kann nicht konstatiert werden.109 Grundsätzlich soll die Nutzung mehrerer Fallstudien dazu dienen, die verschiedenen Aspekte einer Problemstellung aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.110 Daneben kann eine weitest mögliche Berücksichtigung der Extremgruppen im Praxisfeld die Varianz an Erfahrungen sicherstellen.111 Im Rahmen der Dissertation wurden vier Fallstudien entwickelt.112 Um dem angesprochenen Perspektivenwechsel gerecht zu werden, unterscheiden sich die gewählten Unternehmen sowohl in ihrer Größe als auch in ihrer Ausrichtung: die Deutsche Lufthansa AG (Fallstudie 1) ist ein Aviation-Konzern mit 94.510 Mitarbeitenden113 weltweit. Fallstudie 2 thematisiert das Bildungsmanagement in der Bertelsmann AG, einem der größten internationalen Medienhäuser mit 97.132 Mitarbeitenden weltweit, davon 34.633 in Deutschland (die Fallstudie konzentriert sich in erster Linie auf die Konzernfunktionen, die vor allem den deutschen Markt bedienen). Die Kienbaum GmbH (Fallstudie 3) als Unternehmens- und HR-Beratung beschäftigt rund 500 Mitarbeitende. Fallstudie 4 ist die SICK AG – ein High-Tech-Unternehmen im Sektor Sensortechnologie mit 4.392 Mitarbeitenden.
106
Vgl. Eisenhardt, 1989, S. 545.
107
Eine theoretische Sättigung ist dann erreicht, wenn die gewonnene Erkenntnis minimal ist, weil der Forscher das beobachtete Phänomen bereits vorher beobachten konnte (vgl. hierzu Glaser/ Strauss, 1967).
108
Vgl. Rowley, 2002, S. 19.
109
Vgl. Eisenhardt, 1989, S. 545; daneben Yin, 2003, S. 51.
110
Vgl. Eisenhardt, 1991.
111
Vgl. Euler, 1997, S. 267.
112
In diesem Zusammenhang ist auf die grundsätzliche Schwäche der Fallstudienmethode zu verweisen: Eine Verallgemeinerung der Forschungsergebnisse ist nur bedingt möglich (vgl. Weitz, 1994, S. 82). Ansatzweise wird versucht, dieser Schwäche durch die Betrachtung vier unterschiedlicher Unternehmen entgegenzuwirken.
113
Alle Mitarbeitendenzahlen beziehen sich auf den Stand vom 31.12.2006.
Einführung
22
Für die Fallstudienauswahl waren unterschiedliche Kriterien handlungsleitend. Zunächst sollte ein Kontakt sowohl zu Großunternehmen als auch zu mittelständischen Unternehmen unterschiedlicher Branchen aufgebaut werden, um unterschiedliche Eindrücke und Erfahrungen aufnehmen zu können. Obwohl der Anteil an Kleinstunternehmen in der Praxis verhältnismäßig hoch114 ist, erschien eine entsprechende Größe des Unternehmens (mehr als 250 Mitarbeitende) als notwendig, um Ansatzpunkte für die Theoriebildung zu finden. Diese Forderung lässt sich durch den Stellenwert von Bildung als weiteres Auswahlkritierium begründen. Bildung sollte als zentrales Thema im Unternehmen anerkannt sein, da andernfalls für die Theoriebildung notwendige Ansatzpunkte fehlen.115 Daneben sollte Bildung und Wissen Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben.116 Die Entscheidung für die Fallstudienunternehmen ist daneben darin begründet, dass die gewählten Fälle dazu geeignet erscheinen, den theoretischen Bezugsrahmen „komplexer, differenzierter und profunder“117 gestalten zu können. Weiter waren der Zugang und der Kontakt zu entsprechenden Informationsträgern für die Auswahl der Fallstudienunternehmen entscheidend.118 Da sich die Dissertation auf normative und strategische Fragestellungen fokussiert, war der Kontakt zu verantwortlichen Leitungspositionen für die Informationsgewinnung essentiell. „Theoriebildung als unmittelbare Exploration eines Praxisfeldes stützt sich auf die bzw. ist abhängig von der Beziehung zwischen Wissenschaftlern und Praktikern.“119 Die
114
In der Schweiz beispielsweise beschäftigen 87,9 % aller Unternehmen weniger als 10 Mitarbeitende, was allerdings nur knapp 26,3 % der gesamtwirtschaftlich tätigen Mitarbeiter ausmacht. (vgl. hierzu die Veröffentlichungen des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements unter http://www.kmuinfo.ch, [Stand 16.06.2004]). Ähnliche Zahlen ergeben sich für Deutschland (vgl. Institut für Mittelstandsforschung unter http://www.ifm-bonn.org/dienste/definition.htm [Stand 01.08.2006]).
115
Es ist davon auszugehen, dass der Stellenwert eines institutionalisierten Bildungsmanagements in Kleinstunternehmen eher gering ist. Aus diesen Gründen werden diese in der Dissertation nicht weiter betrachtet.
116
Diese Forderung soll der Gefahr entgegen wirken, ein Unternehmen für die Untersuchung heranzuziehen, das dem Effekt der ‚McDonaldisierung’ unterworfen ist. Damit wird im Zusammenhang mit der Entwicklung zu einer Dienstleistungsgesellschaft ein Phänomen beschrieben, dessen Kennzeichen nicht hochwertige Qualifikationsanforderungen (wie in wissensbasierten Unternehmen) sind, sondern vielmehr eine Dequalifizierung des Produktionsfaktors Arbeit (vgl. Sloane, 2000, S. 94.).
117
Lamnek, 2005, S. 314.
118
Vgl. Rowley, 2002, S. 19.
119
Euler, 1997, S. 270.
Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik
23
Verschaffung eines Zugangs zu den Bezugspersonen der Praxis, die Entwicklung der notwendigen Beziehungen mit denjenigen, die als Informationsträger gelten, die Einschätzung der Tragweite inoffizieller und offizieller Datenquellen sind allesamt problematische Grundsätze der Forschungssituation.120 Die Qualität der Beziehung beeinflusst maßgeblich die Möglichkeiten der Theoriebildung.121 Die Kommunikation mit den Praktikern wird im Rahmen der Dissertation nicht als ‚Störgröße’ aufgenommen, sondern als konstitutiver Bestandteil des wissenschaftlichen Handelns. Für den Kontakt mit den Praxispartnern war es wesentlich, sie zur aktiven Teilnahme zu motivieren.122 Da es im Rahmen der Dissertation nicht möglich ist, den angesprochenen Unternehmen einen direkten finanziellen Mehrwert zu offerieren, wurde versucht, die Motivierung über andere Faktoren herzustellen. Hierbei war insbesondere das Ansprechen des Interesses an der wissenschaftlich verfolgten Problemstellung und dem Thema der Dissertation wesentlich.123 Da in der Dissertation normative und strategische Fragestellungen im Mittelpunkt stehen, ist der Einblick in die Strukturen des Praxisfeldes des Weiteren an die Existenz eines Vertrauensverhältnisses der Beteiligten gebunden. Ein derartiges Vertrauen bedarf normalerweise eines kontinuierlichen Aufbaus und der kontinuierlichen Pflege.124 Da dies im Rahmen einzelner Interviews/Fallstudien kaum möglich ist, wurde der Kontakt zu den Praxispartnern zum einen aufgrund von persönlichen Kontakten aufgebaut und zum anderen über Dritte, die bereits das Vertrauen aller beteiligten Parteien genießen.125
Datenerhebung Zur Erstellung von Fallstudien können grundsätzlich viele verschiedene Methoden der Datenerhebung zum Einsatz kommen und unterschiedlichste Quellen genutzt werden.126 Die Fallstudien in der Dissertation basieren auf einer Dokumentenanalyse und verschiedenen Interviews.
120
Vgl. Volmerg, 1983, S. 128 f.
121
Vgl. Euler, 1997, S. 270.
122
Vgl. hierzu auch Euler, 1997, S. 272 f.
123
Um das grundsätzliche Interesse der Praktiker zu wecken, wurden die prinzipiellen Ziele der Dissertation vermittelt, ohne dass damit der weitere Verlauf der Theoriebildung determiniert wurde und ohne das Bestreben einer offenen Exploration zu konterkarieren.
124
Vgl. Euler, 1997, S. 273.
125
Vgl. zu diesem Vorgehen auch Lamnek, 2005, S. 352 ff.
126
Vgl. Eisenhardt, 1989, S. 533 ff.; Yin, 2003, S. 83 ff.; Lamnek, 2005, S. 301; Rowley, 2002, S. 17, S. 18, S. 23.
Einführung
24
„Because of their overall value, documents play an explicit role in any data collection in doing case studies.“127 Als Ausgangspunkt für die Fallstudienerstellung wurden unterschiedlichste Datenquellen wie Dokumentationen, Geschäfts- und Zwischenberichte, ‚Responsibility’-Berichte, Präsentationen, Übersichtsgrafiken, Webseiten, Informationsbroschüren, bearbeitete Fragebögen aus anderen Kontexten und Evaluationen Dritter analysiert. Dadurch wurden Einsichten in den unternehmensspezifischen Kontext und das Umfeld der Interviewpartner gewonnen. Im Anschluss an die Interviews wurden weitere ergänzende Dokumente untersucht, die die Aussagen der Interviewpartner bekräftigten und weiter vertieften. Eine Triangulation von Methoden und Datenmaterial sollte der „Ausmerzung erkannter Fehler“ und der „Prophylaxe gegen unbekannte Fehler“ dienen.128 Als eine der wesentlichsten Informationsquellen der qualitativen Fallstudienforschung gelten Interviews.129 Im Rahmen der Dissertation dienten pro Fallstudie zwischen zwei und fünf Interviews der Erkenntnisgewinnung. Diese wurden durch entsprechende Kommunikationsregeln geleitet, welche für die im Rahmen der Theoriebildung als zentral bewerteten Ereignisse Orientierungshinweise geben und damit die authentische Erfassung des Praxisfeldes fördern sollten. In Anlehnung an Euler130 fanden folgende Kommunikationsregeln Berücksichtigung: x
Authentizität durch Verwendung der Praxissprache: Da sich grundsätzlich die Wissenschaftssprache von der Alltagssprache unterscheidet, wurde im Kontakt mit den Praktikern versucht, im Bewusstsein dieses Phänomens, sich der „commonsense Konstrukte“131 der Untersuchten zu bedienen. Die Formulierung des Fragetextes war folglich vorab nicht festgelegt, stattdessen wurde die Frageformulierung dem jeweils in der Befragungssituation verwendeten Sprachcode angepasst.132 Im Ergebnis zeigt sich dies darin, dass in den Fallstudien häufig auch andere Begrifflichkeiten für das Bildungsmanagement in Unternehmen wie Personalentwicklung, Bildungsarbeit und Kompetenzmanagement verwendet werden.
127
Yin, 2003, S. 87; vgl. auch Wolff, 2000.
128
Vgl. ausführlich Lamnek, 2005, S. 317; daneben Yin, 2003, S. 97 ff. Wobei darauf hinzuweisen ist, dass übereinstimmende Befunde aus unterschiedlichen Quellen nicht unbedingt einen Wahrheits- oder Richtigkeitsbeweis darstellen müssen.
129
Vgl. beispielsweise Yin, 2003, S. 89 ff.
130
Vgl. Euler, 1997, S. 272 ff.
131
Witzel, 1982, S. 16.; Heinze, 1995, S. 37.
132
Zu den methodisch-technischen Aspekten qualitativer Interviews vgl. Lamnek, 2005, S. 352 ff.
Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik
25
x
Annäherung an einen symmetrischen Gesprächsverlauf: Wie bereits dargestellt, soll der Praktiker in den Gesprächssituationen in verstärktem Maße die Möglichkeit erhalten, seine Perspektiven und Fragen einzubringen. Über die prinzipiell offene und unstrukturierte Situation sollte neben der gegenseitigen Verständigung somit auch eine Symmetrie im Gesprächsverlauf erreicht werden. Im Sinne einer expressiven Zielorientierung133 wurde versucht, sich selbst zurückzuhalten und möglichst auf gesprächsverengende Interpretationen oder Fragen zu verzichten. Stattdessen wurde den Wirklichkeitsdefinitionen der Gesprächspartner ein breiter Raum und freier Lauf gelassen sowie deren Perspektiven im Gesprächsverlauf akzeptiert.
x
Berücksichtigung der mittelbaren Einflüsse aus dem Praxisfeld: Durch Einflüsse aus dem mittelbaren Umfeld des Gesprächspartners könnte die Ergiebigkeit und Tragfähigkeit der Ergebnisse beeinflusst werden. Hierzu zählen beispielsweise Konflikte oder Machtbeziehungen, die zu einem Versuch der Instrumentalisierung des Gesprächs oder auf der anderen Seite zu einer Voreingenommenheit gegenüber dem Interviewer führen. Grundsätzlich ist es schwierig, solche Effekte zu vermeiden. In der Dissertation wurde dies durch ein direktes Ansprechen und den Hinweis auf Anonymität (soweit überhaupt möglich) versucht.
Die Interviews im Rahmen der Fallstudienerstellung wurden u. a. mit Top-Führungskräften der Unternehmen durchgeführt. Dies geschah im Bewusstsein, dass Interviews mit diesem Personenkreis bezüglich ihrer Aussagekraft generell mit Vorsicht zu interpretieren sind – insbesondere in Bezug auf die Selbstdarstellungsrhetorik der Befragten, ihre Wahrnehmung der Unternehmensrealität und die Gefahr unklarer Soll-Ist-Diskrepanzen.134 Dennoch wurde gerade auch diese Zielgruppe aufgrund ihrer ganzheitlichen strategischen Ausrichtung im Rahmen der Interviews befragt. Die Interviews mit den Leitungsfunktionen wurden ergänzt durch Gespräche mit Mitarbeitenden ohne Leitungsfunktion im Bereich Bildungsmanagement, um weitere Eindrücke und Einschätzungen aufnehmen zu können, gemäß dem Leitmotiv: „Je heterogener die einbezogenen Praktiker, desto variantenreicher die möglichen Erfahrungen“135.136 Abbildung 2 stellt die geführten Interviews in der Übersicht dar:
133
Vgl. Euler, 1997, S. 186 ff.
134
Vgl. Korukonda/Hunt, 1991; Easterby-Smith/Thorpe/Lowe, 2002.
135
Euler, 1997, S. 267.
136
Vgl. zu diesem Vorgehen auch Reichwald/Möslein, 2005, S. 13.
Einführung
26
Unternehmen
Lufthansa
Bertelsmann
Gesprächspartner
Funktion
Dr. Michael Christ
Leiter Führungskräfteentwicklung und Lufthansa School of Business
Jörg Heberle
Personalentwickler Konzernfunktionen
Dr. Oliver Fischer
Assistenz Konzernpersonalchef
Christine Scheffler
Vice President, Managing Director der Bertelsmann University
Heribert Sangs
Vice President Vocational Training und HR Development
Dr. Natalie Sauter
Vorstandsassistentin Direct Group
Rudolf Kast
Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter CD Human Resources
Adriane Zeckei
Projektmitarbeiterin Bereich HR
Rainer Niermeyer
Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter Bereich Training & Coaching
SICK
Kienbaum
Lars Förster
Fachberater
Eberhard Hübbe
Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter Bereich PE Tools & Systems
Christian Bondorf
Produkt Manager
Matthias von der Heyden
Berater
Gesprächsort
Frankfurt
Gütersloh
Waldkirch
Köln
Gummersbach
St.Gallen
Abbildung 2: Überblick über die im Rahmen der Fallstudien geführten Interviews
Die Interviews basierten grundsätzlich auf einem teilstrukturierten Leitfaden, in dem die wichtigsten anzusprechenden Fragen erfasst waren. Diese wurden situativ entsprechend des Gesprächsverlaufs als Erzählstimuli eingesetzt. Im Interview wurde versucht, die Fragen möglichst offen zu stellen und eine anregend-passive Grundhaltung einzunehmen, um den Interviewten Spielraum zur Darstellung zu geben.137 Die positive Grundstimmung sollte dadurch verstärkt werden, dass alle Interviews – nicht wie häufig üblich per Telefon138 – persönlich bei den Interviewten vor Ort (vgl.
137
Für die Fallstudienforschung ist es wesentlich, dass während des Untersuchungsprozesses Ergänzungen und Anpassungen, beispielsweise des Interviewleitfadens, vorgenommen werden können (vgl. Eisenhardt, 1989, S. 539; Yin, 2003, S. 55). Durch die offene Gestaltung der Gesprächssituation sollte dieser Forderung Rechnung getragen werden.
138
Vgl. Kromrey, 2002, S. 348; Diekmann, 2001, S. 373 ff.
Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik
27
Abbildung 2) durchgeführt wurden. Die Interviews dauerten zwischen 60 und 120 Minuten. Mit dem Einverständnis der Befragten wurden sie digital aufgezeichnet und anschließend transkribiert.
Datenanalyse und -auswertung Zur Erstellung der Fallstudien ist eine Datenanalyse und -auswertung notwendig. Dabei sind nach Lamnek „die Möglichkeiten der Auswertung des Materials aus qualitativen Interviews … so vielfältig wie die Typen des Interviews selbst“139, oder wie es Rowley formuliert: „There are no cookbook procedures that have been agreed for the analysis of case study results“140. Das Vorgehen zur Analyse und Auswertung des Datenmaterials in der Dissertation wurde im Rahmen eines iterativen Prozesses durch Techniken der qualitativen Inhaltsanalyse geleitet.141 Bezug nehmend auf Yin142 erfolgte die Datenanalyse und -auswertung im nächsten Schritt basierend auf den theoretischen Grundkategorien des Bezugsrahmens.143 Die Grundkategorien stellten die Codes dar, die dem Datenmaterial in der qualitativen Datenanalyse-Software MaxQDA zugewiesen wurden.144 Das so codierte Material wurde weiter strukturiert, indem ‚Untercodes’ definiert und den Inhalten zugeordnet wurden. Zur Erstellung des Fallstudientextes wurden die Ergebnisse der Interviews mit den in ähnlicher Weise aufbereiteten Ergebnissen der Dokumentenanalyse zusammengeführt. Der entstandene Fallstudientext wurde den Gesprächspartnern in den Unternehmen vorgelegt und kommunikativ validiert. Bei der Erstellung des Fallstudientextes wurde in Anlehnung an Schein145 versucht, nicht „leichtfertig“ und nicht ohne Bewusstsein der eigenen Motive vorzugehen. Daher werden die Erkenntnisse aus den Interviews und der Dokumentenanalyse aus Sicht der Fallstudienunternehmen dargestellt (eine kritische Hinterfragung der Aussagen erfolgt im Rahmen der Auswertung in Kapitel 6). Daneben ist es nicht das Ziel der empirischen Exploration, einen detaillierten Einblick
139
Lamnek, 2005, S. 402; vgl. daneben auch Eisenhardt, 1989, S. 540.
140
Rowley, 2002, S. 24.
141
Vgl. insbesondere Mayring, 2000; Mayring, 2003; Lamnek, 2005, S. 402 ff.
142
Vgl. Yin, 2003, S. 111 f.
143
Hierzu zählen die Kategorien: normatives Management im weiteren Sinne, Managementphilosophie, Unternehmenspolitik, Leitbild, strategisches Management im weiteren Sinne, Strategie, Kultur, Struktur.
144
Diese wird nicht zum automatischen Auswerten, sondern zur Unterstützung, Dokumentation und als Hilfsfunktion zur Suche, Ordnung und Aufbereitung für die quantitative Analyse eingesetzt. Vgl. weiter zur computerunterstützten qualitativen Inhaltsanalyse Mayring, 2000, S. 474; Kelle, 2000; Kuckartz, 1999.
145
Vgl. Schein, 1995, S. 143 ff., insb. S. 165.
Einführung
28
in die Strukturen und Kulturen der Fallstudienunternehmen zu geben – wenn überhaupt möglich, so wäre ein umfassenderer Forschungsprozess notwendig – sondern vielmehr Aussagen und Erläuterungen zur Weiterentwicklung des Bezugsrahmens I zu gewinnen, wobei diese Auswertung im Mittelpunkt des Kapitels 6 steht. 1.4.5. Bezugsrahmen II Im Bezugsrahmen I wurden Fragen für die Auswertung der empirischen Exploration und zur Weiterentwicklung des Bezugsrahmens definiert. Diese dienen als Ausgangsbasis des Bezugsrahmens II. Zunächst werden die Fallstudien entsprechend dieser Fragestellungen in einem tabellarischen Quervergleich ausgewertet. Um möglichst vielfältige Erkenntnisse gewinnen zu können, werden die im BZR I entwickelten Fragestellungen um folgende Fragen ergänzt: x x
Welche kritischen Aspekte sind zu vermerken? Welche weiteren Beobachtungen sind bei der Formulierung des Bezugsrahmens zu beachten?
Die erste Frage soll dazu beitragen, einzelne Aussagen in den Fallstudien kritisch zu hinterfragen und entsprechend zu relativieren. Die zweite Frage dient dazu, Einflussfaktoren aufzunehmen, die durch die anderen handlungsleitenden Fragen noch nicht erfasst wurden und bisher unberücksichtigt blieben. Im Anschluss an die tabellarische Auswertung der Fallstudien werden die Ergebnisse zu den entsprechenden Entscheidungs- und Handlungsfeldern bzw. den jeweiligen Aspekten des BZR I in Zusammenhang gebracht. Dabei wird das gesamte Vorgehen durch folgende Fragestellung geleitet: Welche ergänzenden Aussagen und Erläuterungen können aus der empirischen Exploration für die Ausgestaltung des BZR I gewonnen werden? Hierbei ist es wichtig, nochmals darauf hinzuweisen, dass in der Dissertation die Theoriebildung im Mittelpunkt steht. Entsprechend strebt Bezugsrahmen II keine Überprüfung der Aussagen des BZR I an. Vielmehr geht es darum, den ersten Bezugsrahmen weiter auszudifferenzieren und damit einen Beitrag zur Theoriebildung zu leisten. Allerdings sind die Grenzen zwischen Theoriebildung und Theorieüberprüfung fließend. Entsprechend finden im Bezugsrahmen II auch einzelne Aspekte ihren Niederschlag, die je nach Auslegung der Theorieüberprüfung zugerechnet werden können. Insgesamt wurde allerdings eine offene Suchhaltung eingenommen,
Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik
29
um neue bzw. weiterführende Erkenntnisse aus der empirischen Exploration zu gewinnen und nicht, um den bestehenden Bezugsrahmen I zu überprüfen. 1.4.6. Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II In Kapitel 4 wurde aufbauend auf der theoretischen Exploration der erste Bezugsrahmen des Bildungsmanagements in Unternehmen entwickelt. Daran anschließend stand die empirische Exploration im Mittelpunkt, welche den Referenzrahmen für die Entwicklung des Bezugsrahmens II in Kapitel 6 darstellt. Beide Bezugsrahmen sind allerdings nicht getrennt voneinander zu betrachten, sondern stehen gemäß der Forderung nach einer iterativen Ausdifferenzierung in einem starken Bezug zueinander. Entsprechend werden sie in Kapitel 7 zusammengeführt und -gefasst. Es wird sowohl das Modell des Bildungsmanagements im Unternehmen dargestellt als auch darauf aufbauend für jedes Entscheidungs- und Handlungsfeld in propositionaler Form die jeweiligen Aspekte mit Kernaussagen, Kategorien, Ansatzpunkten, evtl. Einflussfaktoren und Beobachtungen ausdifferenziert. Entsprechend steht hier die zu Beginn definierte, übergreifende Frage im Mittelpunkt: Wie kann das Bildungsmanagement als komplexe Managementaufgabe auf der normativen und strategischen Ebene in Unternehmen konzeptualisiert werden?
1.4.7. Überlegungen zur Anwendung in der Praxis Der Ausgangspunkt der Arbeit war eine Problemstellung der Praxis. Darauf aufbauend stand die durch das Paradigma der Wissenschafts-Praxis-Kommunikation geleitete Theoriebildung im Mittelpunkt. Kapitel 8 stellt nun Überlegungen zur Anwendung des Bezugsrahmens in der Praxis an. Es umfasst neben allgemeinen Erläuterungen die weiterführende Entwicklung eines Fragenkatalogs, der den Praktiker bei der Auseinandersetzung mit der Thematik unterstützen und anleiten soll. 1.4.8. Schlussbetrachtung Der Untersuchungsgang endet mit einer Schlussbetrachtung (Kapitel 9). Im Rahmen dieser werden die Ziele und Ergebnisse der Arbeit zusammenfassend dargestellt und Desiderata für weiterführende Forschungsaktivitäten formuliert, bevor die Arbeit mit einigen ausblickenden Bemerkungen schließt.
2. Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
Dieses Kapitel geht der Frage nach, wie ‚Bildungsmanagement’ begrifflich konkretisiert und von verwandten Konzepten abgegrenzt werden kann. Dabei orientiert sich das Vorgehen insbesondere im Rahmen der konzeptionellen Abgrenzung an der von Neuberger formulierten Handlungsleitlinie: „Ein erster Weg zum Kennenlernen des umfassenden Verständnisses ist es, andere Definitionen, die ebenfalls angeboten werden, als gültige Beschreibungen zu akzeptieren und im Quervergleich Unterschiede oder Variationen herauszuarbeiten.“146
2.1. Begriffliche Konkretisierung Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der grundlegenden Frage: Was ist unter ‚Bildungsmanagement’ im Kontext dieser Arbeit zu verstehen? Um ‚Bildungsmanagement’ begrifflich zu konkretisieren, werden im Folgenden zwei unterschiedliche Zugänge gewählt. Zum einen erfolgt die Annäherung an eine eigene Bildungsmanagement-Definition über die begriffliche Bestimmung der beiden Wortbestandteile Bildung und Management sowie deren Zusammenführung, zum anderen werden bereits bekannte Definitionen aufgeführt und von der eigenen Bildungsmanagement-Definition abgegrenzt. 2.1.1. Annäherung an den Begriff ‚Bildung’ Der Begriff ‚Bildung’ ist ein deutschsprachiger Begriff, der weder im englischsprachigen noch im asiatischen Sprachbereich existiert. Im deutschsprachigen Raum ist er allerdings im historischen Kontext gesehen variationsreich belegt.147 Daher gibt es
146
Neuberger, 1994b, S. 2.
147
Vgl. Wehnes, 1991; Langwand, 1994; Hörster, 1996; Tenorth, 1997, S. 970 ff.; Peukert, 2000. Tenorth bezeichnet Bildung gar als „multidisziplinäre Substratkategorie“ (Tenorth, 1997, S. 975). Lenzen bringt die Vielfalt mit der Beschreibung von Bildung als „Container-Wort“ zum Ausdruck (vgl. Lenzen, 1997).
Begriffliche Konkretisierung
31
auch keine exakte Definition, „mit der festgelegt werden könnte, was Bildung ein für allemal inhaltlich bedeutet, so daß jedermann einer solchen Bestimmung beipflichten müßte“148. Dennoch ist eine formale Kennzeichnung dessen, was Bildung beschreibt, möglich und für die Konzeptentwicklung im Rahmen der vorliegenden Arbeit nötig. Hierzu erfolgt eine Auseinandersetzung mit verschiedenen in der Literatur existierenden Definitionen. So bezeichnet Tenorth149 mit dem Begriff Bildung sowohl in geschichtlicher als auch in moderner Betrachtung die Beziehung zwischen Mensch und Welt. Klafki geht einen Schritt weiter und definiert Bildung als das „Erschlossensein einer dinglichen und geistigen Wirklichkeit für einen Menschen, das heißt zugleich: Erschlossensein dieses Menschen für … seine Wirklichkeit“150. Bildung ist für ihn „… der Inbegriff von Vorgängen, in denen sich die Inhalte einer dinglichen und geistigen Wirklichkeit erschließen. Dieser Vorgang ist nichts anderes als das Sich-Erschließen bzw. Erschlossenwerden eines Menschen für jene Inhalte und ihren Zusammenhang als Wirklichkeit.“151 Für Menze152 bezieht sich der Begriff Bildung direkt auf die Anforderungen, die die konkrete Welt an ein konkretes Individuum stellt. Götz konkretisiert dies wie folgt: „Bildung geschieht in der Auseinandersetzung des Menschen mit Objekten seiner jeweiligen Kultur … Bildung umfasst dabei den ganzen Menschen in seinen individuellen Bedürfnissen und seinem sozialen Kontext.“153 Von Hentig führt diesen Ansatz noch weiter und definiert Bildung als „… das, was es dem Menschen ermöglicht, in der Welt, in die er gestellt ist, zu überleben“154. Ein ähnliches Verständnis zeigt Cloer in seinen Überlegungen zum Thema Bildung:
148
Menze, 1995, S. 350; vgl. hierzu auch Hoffmann, D., 1999, S. 15. Messner geht noch einen Schritt weiter und konstatiert, dass der Begriff nur als „Signalwort“ dient, das unspezifisch und geradezu beliebig eingesetzt wird (vgl. Messner, 2003). Nach Tenorth wird der Bildungsbegriff nicht nur in unterschiedlicher Bedeutung gebraucht, sondern auch mit unterschiedlichem Anspruch der Sichtweisen. Dementsprechend ist er nicht nur heterogen, sondern auch ‚heteronom’ (vgl. Tenorth, 1997, S. 971).
149
Vgl. Tenorth, 1997, S. 975.
150
Klafki, 1993, S. 43.
151
Klafki, 1993, S. 43.
152
Vgl. Menze, 1995, S. 355.
153
Götz/Häfner, 1992, S. 31.
154
Hentig, 2003, S. 224.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
32
Erster Aspekt: Bildung ist, wenn man so will, die Voraussetzung für das bare Überleben: damit das Individuum im Konkurrieren in der Gesellschaft nicht untergehe; andererseits für menschliches Überleben: damit das Individuum sich angesichts der allgemeinen Orientierungskrise selbst entdecke, sich seiner schöpferischen Kräfte bewusst werde, seine Identität finde. Zweiter Aspekt: Bildung des Bewusstseins und die dabei zu leistende Anstrengung verweisen aber nicht nur auf die Bedürfnisse des Individuums. Sie sind auch ‚unerlässliche Voraussetzung für veränderliches Wirken’ in der Gesellschaft, sind Voraussetzung für den ‚Fortschritt der Humanität’. Dritter Aspekt: Bildung als Voraussetzung für Überleben ist inhaltlich an die ‚Aneignung der kulturellen Hinterlassenschaft’ gebunden. Diese Aneignung erfordert Anstrengung, Ertragen von Enttäuschung, Sublimierung und innere Disziplin.155
In ähnlicher Weise manifestiert sich Bildung für Euler und Hahn156 in der individuellen Bewältigung sozio-ökonomischer Lebenssituationen, als Teil der Welt.157 Die vorgängigen Definitionen zusammenfassend betrachtet, lässt sich festhalten, dass Bildung im Kern die erfolgreiche Auseinandersetzung (das ‚Überleben’, die ‚Bewältigung’) eines Menschen mit der Welt bzw. spezifischen Situationen der Welt thematisiert. Weiter fällt auf, dass sich ein solches Bildungsverständnis auf den einzelnen Menschen und dessen Individualität bezieht. Diese Ausrichtung findet sich bereits im traditionellen Bildungsbegriff, der Autonomie und Selbstbestimmung des mündigen Bürgers, oder anders formuliert, der die Emanzipation des Individuums forderte.158 Peukert159 konstatiert Bildung gar als einen der großen Leitbegriffe, mit denen die Menschen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Verständigung über sich selbst suchten. Bildung sucht aber eben nicht nur die Verständigung über sich selbst, sondern ist auch auf die Auseinandersetzung mit der das Individuum umgebenden Welt gerichtet. Zum Bestehen in der Welt, d. h. konkret zur individuellen Bewältigung unterschiedlicher Lebenssituationen, muss der Einzelne zum einen bereit und zum anderen fähig
155
Cloer, 1987, S. 309.
156
Vgl. Euler, 2004, S. 128, 207.
157
Unter sozio-öknomischen Situationen fassen sie „solche Situationen, in denen Menschen mit Aufgaben konfrontiert sind, die in ihrem Kern als ökonomische gelten“ (Euler/Hahn, 2004, S. 75).
158
Vgl. Wehnes, 1991, S. 256; Klafki, 1993, S. 19; Euler, 2004, S. 124.
159
Vgl. Peukert, 2000, S. 507.
Begriffliche Konkretisierung
33
sein. Lenzen160 versteht so unter Bildung den individuellen Wissensbestand, das individuelle Können, individuelle Prozesse und eine individuelle Selbstüberschreitung. Von Hentig definiert Bildung in diesem Sinnzusammenhang als „… die Gesamtheit des Wissens und der Fertigkeiten, der Einstellungen und Verhaltensweisen, die für Orientierung und Überleben erforderlich sind“161. In eine ähnliche Richtung geht auch die Definition von Euler: Bildung ist „die Ausstattung des Menschen mit Handlungskompetenzen zur Bewältigung von Lebenssituationen“162. Insbesondere vor dem Hintergrund der Fokussierung der vorliegenden Arbeit auf betriebliche Lebenssituationen163 erscheint eine darauf aufbauende Differenzierung relevant: die Unterscheidung des Bildungsbegriffs in einem engen und einem weiten Sinn (vgl. Abbildung 3). Bildung im weiten Sinn umfasst den Erwerb von Handlungskompetenzen sowohl zur Entwicklung der Persönlichkeit (Entwicklungsorientierung) als auch zur Erfüllung sozialer Anforderungen (Anforderungsorientierung). Die Erfüllung sozialer Anforderungen bezieht sich vor dem Hintergrund dieser Arbeit auf betriebliche Handlungssysteme und wird unter dem Begriff ‚Qualifizierung’ gefasst. Qualifizierung grenzt sich vom klassischen Bildungsbegriff insofern ab, als dass es hierbei um den Erwerb solcher Handlungskompetenzen geht, die primär auf die Bewältigung betrieblicher Anforderungen gerichtet sind.164 Dementgegen bezieht sich Bildung im engeren Sinn auf Handlungskompetenzen, die primär „die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit fördern“165.166
160
Vgl. Lenzen, 1997, S. 951 ff.
161
Hentig, 2003, S. 224.
162
Vgl. Euler, 1997, S. 85 (im Original kursiv); vgl. daneben Euler/Hahn, 2004, S. 128, S. 207. Handlungskompetenzen sind nötig im Umgang mit Sachen, Menschen und sich selbst. Daher kann unterschieden werden zwischen Sachkompetenzen, Sozialkompetenzen und Selbstkompetenzen. Diese Kompetenzbereiche können jeweils in folgenden Handlungsdimensionen auftreten und wirksam werden: im Rahmen des Wissens/Erkennens, des Wertens/der Einstellungen und des Könnens/der Fertigkeiten (vgl. ausführlich Euler/Hahn, 2004, S. 128 ff.; Euler, 1997, S. 121 ff.).
163
Betriebliche Lebenssituationen sind eine spezifische Ausprägung sozio-ökonomischer Lebenssituationen.
164
Vgl. ausführlicher Euler, 1997, S. 85 ff. Qualifikation bezeichnet ein „Arbeitsvermögen“, d. h. „die Gesamtheit der je subjektiv-individuellen Fährigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten, die es dem Einzelnen erlauben, eine bestimmte Arbeitsfunktion zu erfüllen“ (Baethge, 1984, S. 479; vgl. auch Sloane/Twardy/Buschfeld, 2004, S. 108).
165
Euler, 1997, S. 85.
166
Zur Erleichterung der Lesbarkeit wird im Folgenden mit ‚Bildung’ Bildung i.w.S. gemeint.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
34
Bildung (i.w.S.) als Erwerb von Handlungskompetenzen zur…
… Entwicklung der Persönlichkeit: Bildung (i.e.S.)…
… Erfüllung sozialer Anforderungen: Qualifizierung…
… im Hinblick auf die Bewältigung betrieblicher Lebenssituationen Abbildung 3: Differenzierung des Bildungsbegriffs (in Anlehnung an Euler, 1997, S. 87)
Ein so vertretenes Bildungsverständnis findet seinen Ausdruck im Grundwerturteil der Eigen- und Sozialverantwortlichkeit.167 Es umfasst sowohl die eigenverantwortliche Entwicklung der Persönlichkeit als auch die Erfüllung sozialer Anforderungen. Eigenverantwortlichkeit meint die Kompetenz, gegebene Möglichkeiten unter Anwendung des eigenen Verstandes und ohne Bestimmung durch Andere zu nutzen. Sie schließt die Kompetenz zur aktiven Mitgestaltung ein und beschreibt damit ein Menschenbild des aktiven, schöpferisch tätigen Subjekts. Daneben bezieht sich die Eigenverantwortlichkeit auch auf die Fähigkeit zur Selbstreflexion, welche die Kompetenz impliziert, „sich selbst im aktuellen Handeln erfahren und die handlungsleitenden Werte und Normen bestimmen zu können“168. Sozialverantwortlichkeit „schließt die Kompetenz ein, aktiv zugunsten jener Menschen einzutreten, die nicht eigenverantwortlich handeln können oder dürfen“169. Daneben beschreibt sie die Fähigkeit, das eigene Handeln an universellen Grundsätzen170 ausrichten zu können und zu wollen, im
167
Vgl. hierzu und im Folgenden Euler, 1997, S. 259 ff.; Euler/Hahn, 2004, S. 128, daneben auch NRW, 1995, S. 30. An die Forderung der normativen Qualität des Bildungsverständnisses knüpft auch von Hentig in seiner Definition an, indem er festlegt, dass Bildung das ist, „was der Gemeinschaft erlaubt, gesittet und friedlich, in Freiheit und mit einem Anspruch auf Glück zu bestehen. Sie richtet den Blick des Einzelnen auf das Gemeinwohl, auf Existenz, Kenntnis und Einhaltung von Rechten und Pflichten, auf die Verteidigung der Freiheit und die Achtung für Ordnungen und Anstand“ (Hentig, 2003, S. 224).
168
Euler, 1997, S. 260.
169
Euler/Hahn, 2004, S. 128.
170
Unter universellen Grundsätzen sind die „in internationalen Standards [z. B. Pakte der Vereinten Nationen] fixierten bürgerlich-politischen und wirtschaftlich-sozialkulturellen Menschenrechte“ (Euler, 1997, S. 260) zu verstehen.
Begriffliche Konkretisierung
35
Sinne von Mündigkeit die Kompetenz, die Konsequenzen des eigenen Handelns zu erkennen sowie die Toleranz gegenüber anderen Konstruktionen von Wirklichkeit, „auch wenn diese weder sachlich geteilt noch als erstrebenswert erscheinen“171.172 Es stellt sich in der Folge die Frage, ob Bildung nun die Ausstattung des Individuums zum Handeln (dessen Fähigkeit und Bereitschaft) oder den (Bildungs-)Prozess an sich umfasst. Nach Goeudevert ist Bildung beispielsweise „… ein aktiver, komplexer und nie abgeschlossener Prozess in dessen glücklichem Verlauf eine selbständige und selbsttätige, problemlösungsfähige und lebenstüchtige Persönlichkeit entstehen kann“173. Für Sloane et al. ist Bildung ein an die „Definition von idealisierten Persönlichkeitsmerkmalen (materialer und formaler Art) gebundener Lernprozess und Zustand“174.175 Beide Definitionen vereinen sowohl eine ergebnisbezogene als auch eine prozessbezogene Sichtweise. Zum einen ist Bildung das Ergebnis von Selbstbildung, d. h. durch Selbstbestimmung geprägt.176 Damit kann Bildung als ein Persönlichkeitsmerkmal angesehen werden.177 Zum anderen bezieht sich der Bildungsbegriff aber auch auf den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung.178 Derartige Betrachtungsweisen fokussieren sich allerdings nur auf den Aspekt der Persönlichkeit und damit auf Bildung im engeren Sinn. In der Literatur lassen sich jedoch auch auf den Bildungbegriff im weiteren Sinne beide Betrachtungsperspektiven ausmachen. Lenzen fasst die in der Literatur zu findenden, unterschiedlichen Sichtweisen in seinem Verständnis von Bildung zusammen:
171
Euler, 1997, S. 261.
172
Euler bezieht sich in seinen Ausführungen zum Grundwerturteil der Eigen- und Sozialverantwortlichkeit auf das von Dahrendorf eingeführte Konzept der „Lebenschancen“ worunter die „Gesamtsumme der Möglichkeiten …, die dem Einzelnen von seiner Gesellschaft bzw. in einer spezifischen sozialen Position geboten werden“ (Dahrendorf, 1975, S. 47 zitiert in Euler, 1997, S. 261) verstanden wird. Er weist darauf hin, dass die Lebenschancen einer Gesellschaft die Voraussetzung und den Rahmen für individuelle Entfaltungsmöglichkeiten bieten (vgl. Euler, 1997, S. 261 f.).
173
Goeudevert, 2001.
174
Sloane/Twardy/Buschfeld, 2004, S. 158.
175
Weitere definitorische Abgrenzungen finden sich z. B. bei Voigt, 1993, S. 152; Lenz, 1994, S. 23; Hentig, 2003, S. 224.
176
Vgl. Menze, 1995, S. 351.
177
Vgl. Sloane/Twardy/Buschfeld, 2004, S. 158; Dittmar, 2001, S. 73.
178
Vgl. Euler/Hahn, 2004, S. 128; Sloane/Twardy/Buschfeld, 2004, S. 158.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
36 -
Bildung bezeichnet eine mehrfache Paradoxie. Bildung ist zugleich ein Prozess und Resultat eines Prozesses. Bildung ist als Prozess zugleich abgeschlossen (‚Reife’) und unabgeschlossen (‚Selbstüberwindung’). Bildung als Prozess ist zugleich zielorientiert (‚Vollendung’) und zieloffen (‚Freiheit’). Bildung als Prozess ist zugleich determiniert (‚innere Natur’) und indeterminiert (‚Sichselbstschaffen’). Bildung als Prozess bedeutet für das Individuum, etwas zu werden, was es zugleich seiner naturalen Möglichkeit nach schon ist. Bildung ist als Resultat zugleich (Höher-)Bildung des Individuums und der Gattung. Bildung ist als Resultat das Produkt gleichzeitig des Individuums wie der Sozialität. Bildung ist aufgrund seiner paradoxalen Struktur ein auf Dauer gestellter Prozess.179
Bildung bzw. Qualifizierung kann folglich sowohl ergebnis- als auch prozeßbezogen betrachtet werden. Euler führt dies wie folgt aus: „Ergebnisbezogen als eine zeitpunktbezogene Struktur von individuellen Handlungskompetenzen, prozeßbezogen als eine zeitraumbezogene Aneignung von Handlungskompetenzen“180. Zusammenfassend lassen sich aus den obigen Ausführungen abgeleitet, folgende Merkmale des Bildungsbegriffs, wie er im Kontext der Dissertation verstanden wird, festhalten: x
Bildung zeigt sich im Handeln eines Individuums in betrieblichen Situationen.181
x
Bildung ist ein Oberbegriff für den Erwerb umfassender Handlungskompetenzen.
x
Bildung vereint die Entwicklungsorientierung (Bildung i.e.S.) und die Anforderungsorientierung (Qualifizierung).
x
Bildung basiert auf dem Grundwerturteil der Eigen- und Sozialverantwortlichkeit.
x
Bildung ist sowohl der Prozess des Kompetenzerwerbs als auch das Ergebnis.
179
Lenzen, 1997, S. 956 f.
180
Euler, 1997, S. 86.
181
In der Dissertation soll nicht der Prozess bezogen auf alle Lebenssituationen in der Welt betrachtet werden, sondern spezifisch jene, mit denen ein Individuum im Rahmen seiner Arbeitstätigkeit konfrontiert ist. Dazu zählen sowohl rein ökonomische (Arbeitserfüllung) als auch soziale Lebenssituationen (z. B. Arbeit in Teams).
Begriffliche Konkretisierung
37
2.1.2. Verständnis des Begriffs ‚Management’ Nachdem konkretisiert wurde, welches Bildungsverständnis der Arbeit zugrunde liegt, wird im Folgenden näher auf den Begriff ‚Management’ eingegangen. Im „Dschungel an Managementkonzepten“182 orientiert sich die vorliegende Arbeit an der ganzheitlichen, integrierenden Betrachtungsweise der von der Universität St.Gallen geprägten systemorientierten Managementlehre.183 Der aus dem anglo-amerikanischen Sprachgebrauch stammende Begriff ‚Management’ wird im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre häufig als Bezeichnung für die Leitung eines Unternehmens und damit als Synonym für Führung gebraucht.184 Neben diesem funktionalen Ansatz (Management als Tätigkeit) existiert aber auch ein institutionelles Begriffsverständnis, im Rahmen dessen unter Management „die Gruppe von Personen, die in einer Organisation mit Anweisungsbefugnissen betraut ist“185 verstanden wird.186 Um Missverständnisse zu vermeiden, zieht Ulrich als ‚Vater’ der St.Galler Managementlehre den Begriff ‚Management’ dem deutschen Wort ‚Führung’ vor.187 Unternehmensführung wird seiner Meinung nach oftmals im Sinne von „Führung von Menschen“ gesehen. Dieses Begriffsverständnis ist zu eng, da es sich nur auf Personen konzentriert. Im Gegensatz dazu fokussiert sich das Management ganzheitlich auf Institutionen. Bleicher als Schüler von Ulrich unterscheidet ebenfalls ‚Führung’ von ‚Management’: „Während die Führungslehre sich durch ihre Hinwendung zum personalen Aspekt vorwiegend den verhaltenswissenschaftlichen Ansätzen geöffnet hat, steht die Managementlehre vorrangig unter dem Einfluss systemorientierter Ansätze“188. Diesem Begriffsverständnis folgend, wird in der
182
Ulrich, H., 2001, S. 59 (im Original kursiv).
183
Es sind hierzu eine Vielzahl von Veröffentlichungen erschienen. Im Weiteren wird nur auf die wesentlichen Aussagen überblicksartig eingegangen. Zur näheren Vertiefung sei auf die jeweils genannte Literatur verwiesen. ‚Systemorientiert’ bezieht sich auf den Systemansatz, der eine Perpektive der Managementlehre auf Grundlage von Systemtheorie und Kybernetik ist. Vgl. ausführlicher Schwaninger, 2004, S. 60; Ulrich, H., 1970; Ulrich, H., 1984; Luhmann, 1984; Willke, 1996a; Willke, 1996b; Rüegg-Stürm, 2002; Simon, F., 2001.
184
Vgl. beispielsweise Ulrich, H., 1983; Staehle, 1999, S. 71 f.; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 5 f.; Gonschorrek, 2001, S. 14.
185
Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 5 ff.
186
Vgl. Staehle, 1999, S. 71.
187
Vgl. hierzu und im Folgenden Ulrich, H., 1983.
188
Bleicher, 2004, S. 31 (im Original z. T. kursiv).
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
38
vorliegenden Arbeit Management aus einer funktionalen Perspektive nicht gleich gesetzt mit Führung, sondern Führung als Teilaspekt des Managements gesehen.189 Der angestrebten Managementlehre liegt nach Ulrich eine explizite Grunddefinition zugrunde: „Management = Gestalten und Lenken von zweckorientierten sozialen Systemen“190. Mit zweckorientierten sozialen Systemen sind Institutionen gemeint, die als „zweckgerichtete, handlungsfähige, gegenüber ihrer Umwelt offene, aus einer Vielzahl unterschiedlicher Komponenten aufgebaute und ein komplexes Beziehungs- und Verhaltensgefüge darstellende Ganzheiten“191 aufzufassen sind. Damit wird der Objektbereich der Managementlehre abgegrenzt gegenüber naturgegebenen, vom Menschen aus gesehen von selbst entstandenen Systemen sowie gegenüber technischen Systemen, die keine Menschen umfassen. Wesentliche systemtheoretische Merkmale von Institutionen sind nach Ulrich192: Ganzheitlichkeit, Vernetztheit, Offenheit, Komplexität, Ordnung, Lenkfähigkeit, Selbstorganisationsfähigkeit und Werthaftigkeit. Diese Institutionen werden durch die menschliche Handlung des ‚Gestaltens’ geschaffen und als handlungsfähige Ganzheit aufrechterhalten. Die gestalterische Funktion umfasst neben der Gründung auch die Aufgabe, die Institution in ihren Teilen immer wieder neu zu schaffen und umzugestalten, damit sie als Ganzes erhalten bleibt.193 Durch das ‚Lenken’ wird das System so unter Kontrolle gehalten, dass es einen jeweils gewünschten Zustand annimmt.194 Lenken umfasst dabei „das Bestimmen von Zielen und das Festlegen, Auslösen und Kontrollieren zielgerichteter Aktivitäten des Systems bzw. seiner Komponenten und Elemente“195. Letztlich sind das Lenken und Gestalten als Aktivitäten im Rahmen eines langfristigen und nie vollendeten Entwicklungsprozesses anzusehen.196
189
Davon abgeleitet ist darauf hinzuweisen, dass in der Dissertation die Begriffe ‚Führungskraft’ und ‚Top-Management’ unterschieden werden. ‚Top-Management’ ist gleichzusetzen mit Unternehmensführung bzw. Geschäftsleitung. ‚Führungskräfte’ fokussieren sich, wie beschrieben auf die Interaktion mit den Mitarbeitenden. Entsprechend sind Top-Manager gleichzeitig auch Führungskräfte, Führungskräfte aber nicht Top-Manager.
190
Ulrich, H., 2001, S. 110, S. 244.
191
Ulrich, H., 2001, S. 112.
192
Vgl. ausführlich Ulrich, H., 1988.
193
Vgl. Ulrich, H., 1983.
194
Vgl. Ulrich, H., 2001, S. 113.
195
Ulrich, H., 1983.
196
Vgl. Ulrich, H., 1983.
Begriffliche Konkretisierung
39
Bleicher197 nimmt diesen Gedanken auf und hebt insbesondere den Entwicklungsaspekt von Unternehmungen als dritte Funktion des Managements hervor. Dieser ist zum einen als Teil des Ergebnisses von Gestaltungs- und Lenkungsprozessen im Zeitablauf zu sehen, zum anderen erfolgt er „in sozialen Systemen eigenständig evolutorisch durch intergeneratives Erlernen von Wissen, Können und Einstellungen“198. Management ist damit eine zutiefst menschliche Funktion und kann auch nur von Menschen erfüllt werden.199 Eng damit zusammen hängt auch die Feststellung, dass Management unabdingbar einen ethischen Aspekt aufweist. Es liegt in der individuellen Verantwortung jedes Einzelnen, die eigenen Wertungen und Entscheide mit Hilfe eines höherrangigen Wertsystems zu begründen.200 Weiter kann die systemorientierte Managementlehre durch folgende Merkmale charakterisiert werden: 201 x Soziale Institutionen sind offene Systeme mit hoher Komplexität in einer ebenfalls komplexen Umwelt. x Diese (sowohl extern als auch intern) hohe Komplexität muss durch Komplexitätsreduktion oder -vermehrung bewältigt werden. x Es ist eine ganzheitliche, integrierende Denkweise notwendig, um den Systemen, die mehr sind als die Summe ihrer Teile, gerecht zu werden. x Die Gestaltung und Lenkung sozialer Systeme erfolgt durch Ausbildung von Regeln, die auf die Zweckerfüllung ausgerichtet sind. x Managementprozesse können als Sinn gebende Prozesse interpretiert werden, bei denen bestimmte Werte bevorzugt und andere abgelehnt werden. x Managementprozesse sind auf eine Veränderung bestehender Zustände und damit auf die Zukunft ausgerichtet. Basierend auf diesen Grundüberlegungen entwickelten Ulrich und Krieg202 die Urfassung des St.Galler Management-Modells, welches 1972 erstmals veröffentlicht wurde:
197
Vgl. Bleicher, 2004, S. 60 f.
198
Bleicher, 2004, S. 60.
199
Vgl. Ulrich, H., 1983.
200
Vgl. Ulrich, H., 1983.
201
Vgl. ausführlich Ulrich, H., 2001, S. 118 ff.
202
Vgl. ausführlich Ulrich, H./Krieg, 1974.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
40
Abbildung 4: Unternehmensmodell nach Ulrich und Krieg (Ulrich, H./Krieg, 1974, S. 27)
Als „gedankliches Ordnungssystem“203 für sinnvolles Handeln in sozialen Organisationen nimmt das St.Galler Management-Modell die wesentlichen Hauptanliegen von Ulrich auf:204 x das Plädoyer für ein ganzheitliches Denken und Handeln im Umgang mit der Herausforderung „Komplexität“, x die Bedeutung einer anwendungsorientierten Managementlehre für Führungspraxis und -weiterbildung und x die integrative Ausgestaltung der normativen, strategischen und operativen Management-Ebenen im Rahmen eines umfassenden Gesamtkonzepts.205
203
Ulrich, H./Krieg, 1974, S. 5.
204
Dies wird auch aus dem 2001 neu aufgelegten Gesamtwerk von Ulrich deutlich, vgl. Ulrich, H., 2001.
205
Vgl. Ulrich, H., 1984, S. 99 f.
Begriffliche Konkretisierung
41
Diese im letzten Punkt angesprochenen drei Ebenen akzentuieren logisch voneinander abgrenzbare Problemfelder, die durch das Management zu bearbeiten sind. Das normative Management beschäftigt sich mit den generellen Zielen der Unternehmung, den „Prinzipien, Normen und Spielregeln, die darauf ausgerichtet sind, die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit der Unternehmung zu ermöglichen“206.207 Das strategische Management ist darauf aufbauend auf die Entwicklung, Pflege und Nutzung von Erfolgspotenzialen gerichtet, für die Ressourcen eingesetzt werden müssen.208 Beide Dimensionen finden ihre Umsetzung im operativen Vollzug. Im Sinne eines umfassenden Gesamtkonzepts ist dabei von einer gegenseitigen Durchdringung der einzelnen Dimensionen auszugehen.209 Von 1984 bis 1994 entwickelte Bleicher als Nachfolger von Ulrich am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St.Gallen das Modell weiter. Die grundlegenden Gedanken des Modells wurden konsequent weiterverfolgt und um aktuelle Veränderungen in Praxis und Theorie ergänzt. Bleicher hat die von Ulrich hervorgehobenen Management-Ebenen als Grundlage für sein „Management-Konzept für Sinnvolles und Ganzheitliches“210 aufgegriffen. Dabei stellte er heraus, dass normatives und strategisches Management eine gestaltende und das operative Management eine lenkende Funktion haben.211 Das Ziel seines in Abbildung 5 dargestellten St.Galler Management-Konzepts definiert er wie folgt: erstens „eine dimensionale Ordnung von Entscheidungsproblemen des Managements vorzunehmen“ und zweitens einen „problembezogenen Ordnungsrahmen“ und ein Vorgehensmuster zur „integrativen Konzipierung von Lösungsrichtungen unter Beachtung kontextualer und situativer Bedingtheiten der Unternehmensentwicklung“ bereitzustellen, die „als Konzeptionshilfen für die Eigenreflexion oder den Dialog zur Positionierung von Lagen und Absichten dienen“.212
206
Bleicher, 2004, S. 80 (im Original z. T. kursiv).
207
Vgl. im Detail die Ausführungen in Kapitel 1.1.
208
Vgl. im Detail die Ausführungen in Kapitel 3.2.
209
Vgl. Bleicher, 2004.
210
Bleicher, 2004, S. 78.
211
Vgl. Bleicher, 2004, S. 80.
212
Bleicher, 2004, S. 79.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
42
Management-Philosophie und Vision Normative Unternehmensebene Unternehmensverfassung
Unternehmenspolitik
Unternehmenskultur
Strategische Unternehmensebene Organisationsstrukturen Managementsysteme
Programme
Problemverhalten
Operative Unternehmensebene Organisatorische Prozesse Dispositionssysteme
Aufträge
Leistungs- und Kooperationsverhalten
Strukturen
Aktivitäten
Verhalten
Unternehmensentwicklung
Abbildung 5: St.Galler Management-Konzept nach Bleicher (in Anlehnung an Bleicher, 2004, S. 88)
Im Jahr 2002 ist von Rüegg-Stürm213 das ‚neue St.Galler Management-Modell’ veröffentlicht worden. Dieses steht in engem Zusammenhang mit der ‚Managementlehre’, die von Dubs et al. im Zusammenhang mit der Neukonzeption der Lehre seit 1998 an der Universität St.Gallen formuliert wurde.214 Das neue St.Galler Management-Modell nimmt wesentliche Eigenschaften und Elemente der beiden Vorgänger auf und stellt sie in einen neuen Zusammenhang. So erweitert es das Ursprungsmodell in dreierlei Hinsicht:215 1. Der ethisch-normativen Dimension kommt ein deutlich höherer Stellenwert zu. 2. Die enorm gewachsene Bedeutung einer prozessorientierten Sichtweise von Unternehmungen wird reflektiert. 3. Der interpretativ-sinnhaften Dimension von Management wird mehr Raum zuteil.
213
Vgl. Rüegg-Stürm, 2002.
214
Vgl. Dubs et al., 2004.
215
Vgl. detailliert Rüegg-Stürm, 2002, S. 6 f.
Begriffliche Konkretisierung
43
Wie aus Abbildung 6 ersichtlich wird, spielen die drei Ordnungsmomente216 Strategie, Struktur und Kultur ebenso, wie schon bei Bleicher, eine tragende Rolle. Im Vergleich zu den Vorgänger-Konzepten rückt allerdings die Prozessdimension deutlich in den Vordergrund. Daneben werden die Interaktionsthemen Ressourcen, Normen und Werte sowie Anliegen und Interessen neu gebündelt.
Abbildung 6: Neues St.Galler Management-Modell nach Rüegg-Stürm (Rüegg-Stürm, 2004, S. 70)
Zusammenfassend ist ein Kernaspekt der St.Galler Modelle hervorzuheben. Die Aufgabe der Managementlehre ist nach Ulrich217 nicht in der Nachbildung der aktuellen Praxis zu sehen, sondern darin, die wissensmäßigen Grundlagen zu einer zukünftigen Verbesserung der Managementpraxis zu erarbeiten. Auf diesem Grundgedanken basierend wurde schon das Modell von Ulrich und Krieg als „gedankliches Ordnungssystem“218, als „Leerstellengerüst für Sinnvolles“219 entwickelt, das Führungskräften
216
‚Ordnungsmomente’ sind übergreifende ordnende und strukturierende „Kräfte“. Sie geben „dem organisationalen Alltagsgeschehen eine kohärente Form, indem sie diesem eine gewisse Ordnung auferlegen und auf diese Weise das Alltagsgeschehen auf die Erzielung bestimmter Wirkungen und Ergebnisse ausrichten“ (Rüegg-Stürm, 2004, S. 71).
217
Vgl. Ulrich, H., 1981b.
218
Ulrich, H./Krieg, 1974, S. 5.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
44
ein „selbständiges Weiterlernen über das heute verfügbare Wissen hinaus ermöglichen“220 sollte. Bleicher knüpfte an diese Tradition an und verfolgt mit seinem Modell das Ziel, eine Systematik für die Gedankenführung des Managers zu sein. Es soll dem Manager als eine Leitplanke für seine Überlegungen an die Hand gegeben werden, „um wesentliche Probleme des Managements strukturiert durchdenken und zu einem integrativen Gesamtkonzept zusammenfügen zu können“221. Rüegg-Stürm vergleicht sein Modell, als derzeit aktuellstes, mit einer „Orientierungskarte für Managementfragestellungen“222. Allen Ansätzen gemein ist auf der einen Seite das Streben nach Integration und Ganzheitlichkeit und auf der anderen Seite der Versuch, einen nützlichen Bezugsrahmen zu schaffen, der die Funktionsweise einer Unternehmung widerspiegelt. Auf diese Weise soll es möglich sein, wesentliche Managementfragen strukturiert zu durchdringen, ohne Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Zugleich dient es der erleichterten Einordnung einer Vielzahl von Managementkonzepten, -werkzeugen und -verfahren. In der Dissertation basiert die Konzeptualisierung der Theorie des Bildungsmanagements auf der normativen und strategischen Ebene in Unternehmen auf diesen Denkansätzen und nimmt Bezug auf die wesentlichen Aussagen und Konventionen, die hier nochmals überblicksartig zusammengefasst werden: x
Management umfasst das Gestalten, Lenken und (Weiter-)Entwickeln von zweckorientierten sozialen Systemen.223
x
Management ist eine Funktion, die vom Menschen erfüllt wird und ethisch-normative Aspekte aufweist, dabei ist Führung ein Teilaspekt des Managements.
x
Management bezieht sich auf die integrative Ausgestaltung der normativen, strategischen und operativen Management-Ebene.
x
Das normative und das strategische Management haben eine gestaltende, das operative eine lenkende Funktion.
x
Das Management-Verständnis dieser Arbeit orientiert sich an der systemorientierten Managementlehre (mit den entsprechenden Implikationen).
219
Bleicher, 2004, S. 20.
220
Ulrich, H./Krieg, 1974, S. 5.
221
Bleicher, 2004, S. 20.
222
Rüegg-Stürm, 2002, S. 13.
223
Vgl. Ulrich, H., 2001, S. 66 ff.; Bleicher, 2004, S. 60 ff.; Rüegg-Stürm, 2004, S. 70.
Begriffliche Konkretisierung
45
2.1.3. Definition des Begriffs ‚Bildungsmanagement’ im Rahmen dieser Arbeit Nachdem ausführlich auf die Begriffe ‚Bildung’ und ‚Management’ eingegangen wurde, stellt sich nun die Frage, was in der Arbeit unter ‚Bildungsmanagement’ verstanden wird und in welchem Verhältnis dieses Begriffsverständnis zu bereits existierenden Definitionen steht. Bezug nehmend auf die Ausführungen in Kapitel 2.1.1 und Kapitel 2.1.2 und den Fokus der vorliegenden Arbeit kann das Begriffsverständnis durch folgende wesentlichen Kernaussagen konkretisiert werden: x
Bildungsmanagement bezieht sich in der vorliegenden Arbeit auf die normative und strategische Ebene. Die operative Ebene wird nicht betrachtet.
x
Bildungsmanagement umfasst ein System von Aufgaben, wobei auf der normativen und strategischen Ebene die Funktion des Gestaltens (verbunden mit dem Entwicklungsaspekt) im Mittelpunkt steht. Der Aspekt des Lenkens wird nicht berücksichtigt.
x
Bildungsmanagement bezieht sich auf die Funktionserfüllung in Unternehmen.
x
Unternehmen sind per Definition auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet. Zur Zielverwirklichung arbeiten mehrere Individuen im Rahmen des sozialen Systems zusammen.
x
‚Bildung’ fokussiert sich auf das eigen- und sozialverantwortliche Handeln eines Individuums und das dazu notwendige Wissen, die Einstellungen und Fertigkeiten.
x
Bildungsmanagement hat eine ethisch-normative Dimension. Es beruht auf dem Grundwerturteil der Eigen- und Sozialverantwortlichkeit.
x
Bildungsmanagement impliziert die Forderung nach einem ganzheitlichen, integrativen Denken und Handeln.
x
Bildungsmanagement hat einen direkten Bezug zum Individuum (Bildungsperspektive) aber auch zur Unternehmung (Managementperspektive).
x
Das Bildungsmanagement umfasst sowohl die Tätigkeit des Gestaltens und Entwickelns (funktionale Perspektive) als auch die Abteilung bzw. Personen, die mit der Tätigkeit betraut sind (institutionale Perspektive).
x
Bildungsmanagement ist eine komplexe unternehmerische Managementaufgabe.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
46
Allerdings ist in der Praxis festzustellen, dass diese zuletzt genannte Forderung häufig noch nicht (konsequent) gelebt wird. Dementsprechend wird in Kapitel 4.2.3.3 ein Typenmodell des Bildungsmanagements in Unternehmen entwickelt, welches die unterschiedlichen Entwicklungsstufen des Bildungsmanagements in der Praxis aufnimmt und erläutert. In den folgenden Kapiteln wird dieser Beobachtung Rechnung getragen, indem eine relativ breite Sichtweise des Bildungsmanagements eingenommen wird (die allerdings immer auf die Entwicklung hin zu einer integrierten unternehmerischen Managementaufgabe ausgerichtet ist). Es stellt sich nun die Frage, in welchem Verhältnis dieses Begriffsverständnis zu anderen Varianten steht. Allerdings existieren in der Literatur nur vereinzelt Definitionen zum Begriff Bildungsmanagement, auf welche im Folgenden exemplarisch eingegangen wird.224 In den wesentlichen Elementen entspricht die obige Definition der von Euler225. Nach ihm geht es beim Bildungsmanagement im Kern um die Frage, wie die individuellen Handlungskompetenzen von Menschen mit den Strategien, Strukturen und Kulturen einer Organisation (z. B. eines Betriebes) in Einklang gebracht werden können. Dieser Aspekt kommt in dem beschriebenen Umgang mit dem Spannungsfeld Unternehmen – Individuum zum Ausdruck. Auf der strategischen Ebene sind die Elemente Strategie, Kultur und Struktur in der Dissertation wesentliche Ordnungsmomente bzw. Entscheidungs- und Handlungsfelder des Bildungsmanagements. Dementgegen grenzt sich die obige Definition von den weiter in der Literatur zu findenden Begriffsverständnissen ab. Diese nehmen zwar Einzelaspekte der Definition auf, sind aber weniger umfassend. In ähnlicher Weise unterscheiden sie sich auch in ihrer normativen Grundausrichtung. Nach Gonschorrek226 umfasst Bildungsmanagement beispielsweise alles, was mit betrieblichen Lernprozessen und deren ökonomisch relevanter Gestaltbarkeit, ihrem Zusammenhang mit anderen Managementkonzepten wie dem Wissensmanagement und ihrer Erfolgsbedeutsamkeit im weitesten Sinne zusammenhängt. Unter Bildungsmanagement im engeren Sinne versteht er den Transfer von „Wissen in die Köpfe“227.
224
Wie bereits dargestellt, existiert nur eine begrenzte Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit dem Thema Bildungsmanagement auseinandersetzen. Siehe hierzu Kapitel 1.2.
225
Vgl. Euler, 2004.
226
Vgl. Gonschorrek, 2003, S. 171.
227
Gonschorrek, 2003, S. 172.
Konzeptionelle Abgrenzung
47
In ähnlicher Weise definiert Sander228 Bildungsmanagement. Aus seiner Sicht umfasst Bildungsmanagement „alle Maßnahmen, … mit denen das beruflich relevante Wissen der Mitarbeiter erhalten, angepaßt, erweitert oder verbessert wird“229. Beide Ansätze entsprechen nicht dem hier zugrundeliegenden Verständnis von Bildung, welches sich genau gegen diese Einschränkungen ausspricht. Dies zeigt sich auch im Zusammenhang mit der Definition von Grüner230. Er bezieht Bildungsmanagement als betriebliche Aufgabe auf die Setzung betrieblicher Bildungsziele, auf die Schaffung von Regeln, Strukturen und Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele und auf die Umsetzung dieser Vorgaben in praktisches Tun. Bildungsmanagement, wie es in dieser Arbeit verstanden wird, fokussiert sich aber eben nicht nur auf die unternehmerischen Anforderungen, sondern nimmt das Spannungsfeld zwischen individuellen und unternehmerischen Anforderungen auf und gestaltet es.
2.2. Konzeptionelle Abgrenzung Neben dem Bildungsmanagement existieren in der unternehmerischen Praxis eine Vielzahl weiterer Konzepte, die in Zusammenhang stehen mit einzelnen Bildungsmanagement-Aspekten. Die am meisten verbreiteten sind die der Personalentwicklung und des Personalmanagements, des Wissensmanagements und das Konzept der Lernenden Organisation. Im Folgenden werden daher diese Konzepte kurz beleuchtet, ihr Bezug zum Bildungsmanagement thematisiert und dadurch die eigene Definition von Bildungsmanagement weiter präzisiert.231 Dabei stehen folgende handlungsleitenden Fragen im Mittelpunkt: x
x
Wie kann Bildungsmanagement konzeptionell von verwandten Konzepten abgegrenzt werden? Wie kann die eigene Bildungsmanagement-Definition durch diese Abgrenzung näher konkretisiert werden?
228
Vgl. Sander, 1999.
229
Sander, 1999, S. 62.
230
Vgl. Grüner, 2000, S. 18.
231
Für einen umfassenden Einblick in die Thematik der angesprochenen Konzepte wird an den jeweiligen Textpassagen auf weiterführende Literatur verwiesen. In der Dissertation werden nur für das weitergehende Vorgehen wichtige Aspekte betrachtet und diskutiert. Entsprechend konzentrieren sich daher die folgenden Ausführungen auf wesentliche Kernaussagen.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
48
2.2.1. Personalentwicklung Personalentwicklung kann grundsätzlich als ein sehr vielseitig und dabei relativ unscharf definierter Begriff bezeichnet werden.232 Entsprechend existieren in der Literatur eine Vielzahl an Definitionsvarianten.233 Bei einem Quervergleich ausgewählter Definitionen234 fallen verschiedene Gemeinsamkeiten auf, die in Zusammenhang stehen mit den beiden Wortelementen des Konstruktes Personalentwicklung: Personal und Entwicklung. Alle Definitionen stellen zunächst heraus, dass es um eine Entwicklung geht. Synonym für Entwicklung nennt Neuberger auch „Anpassen, Einpassen, Transformieren, Bilden, Ummodeln, Modellieren, (Re-)Produzieren, Qualifizieren, … Erneuern, Reifen, Modifizieren, Prägen, (Ver-)Ändern, (Ver-)Wandeln, Lernen, Restrukturieren, Reorganisieren“235. Personalentwicklung umfasst ein ‚Bündel von Maßnahmen’236, welches zielgerichtet zur Erfüllung der Arbeitsanforderungen eingesetzt wird. Damit ist der zweite Wortbestandteil angesprochen. Personalentwicklung fokussiert sich auf das Personal. Personal kann dabei definiert werden als die Gesamtheit der menschlichen Arbeitskräfte eines Unternehmens.237 Es geht nicht um den Einzelnen und damit auch nicht um die Förderung von Individualität und eigen- und sozialverantwortlichem Handeln, mit dem Ziel, die Auseinandersetzung des Mitarbeiters mit seinen individuellen Stärken und Schwächen anzuregen
232
Vgl. Münch, 1997, S. 10; Flohr/Niederfeichtner, 1982, S. 11; Dittmar, 2001, S. 143; Einsiedler et al., 2003, S. 5; Berthel, 1995, S. 226; Becker, M., 2002, S. 2; Schneider, 1993, S. 43; ausführlich auch Neuberger, 1994b.
233
Zusammenstellungen von Definitionen finden sich z. B. bei Neuberger, 1994b, S. 4 f.; Dittmar, 2001, S. 143 ff. oder auch bei Becker, M., 2002.
234
Vgl. Becker, M., 2002, S. 4; Hentze, 1994, S. 314; Wunderer, 2000, S. 410; Rückle/Mutatoff/ Riekehof, 1994, S. 18 f.; Bröckermann, 2001, S. 30, 355; Becker, F., 1996, Sp. 1372, 1373; Scholz, 2000, S. 505; Neuberger, 1994b, S. 3; Hentze, 1994, S. 315.
235
Neuberger, 1994b, S. 8.
236
Damit kommt zum Ausdruck, dass Personalentwicklung nicht aus einzelnen Trainingsmaßnahmen bzw. Aktivitäten besteht, sondern deutlich umfassender zu sehen ist (vgl. hierzu Einsiedler et al., 2003, S. 5 f.).
237
Vgl. Neuberger, 1994b, S. 8; Bröckermann, 2001, S. 17 ff.; Hilb, 2002, S. 12.
Konzeptionelle Abgrenzung
49
und zu unterstützen.238 Der Einzelne wird im Rahmen der Personalentwicklung als Humanressource angesehen; es steht die Sicherung und Bereitstellung des Humankapitals, das vom sozialen Aggregat Personal zur Verfügung gestellt wird, im Fokus.239 Personalentwicklung meint folglich die Entwicklung des Personals, nicht der Persönlichkeit. Das Ziel ist die ständige Anpassung an neue Herausforderungen des Leistungs- und Kapitalverwertungsprozesses.240 „Die einzelnen Personen sind eher unwichtig, es geht vielmehr um verallgemeinerbare Fähigkeiten, Eigenschaften, die das Unternehmen braucht.“241 Heutige und zukünftige Arbeitsanforderungen sollen von den Humanressourcen bewältigt werden (können) und so zum Unternehmenserfolg beitragen. Neuberger fasst diese Sachverhalte pointiert zusammen: Nicht der Mensch steht im Mittelpunkt, sondern „der Mensch ist Mittel. Punkt.“242 Hierin ergibt sich ein deutlicher Unterschied zum Bildungsmanagement, welches sich nicht nur auf das Personal als Mittel zum Zweck, als Humanressource und Produktionsfaktor beschränkt, sondern auch die Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Mitarbeiters im Blick hat. Es geht im Bildungsmanagement darum, diesen in unterschiedlichster Form in der Entwicklung und Qualifizierung zu unterstützen, wobei hierin wieder eine gewisse Nähe zum Konzept der Personalentwicklung zu sehen ist. Personalentwicklung ist, wie aus den oben aufgeführten Definitionen deutlich wird, auf derzeitige und zukünftige Ereignisse und Anforderungen ausgerichtet: Durch einen systematischen Einsatz der Maßnahmen, der eine planmäßige Beeinflussung, Vermittlung und Gestaltung mit einschließt, sollen permanent Arbeitsherausforderungen bewältigt werden können.243 Das Bildungsmanagement schließt diese Eigenschaften mit ein, geht aber, wie bereits dargestellt, deutlich weiter. Es thematisiert auch Fragestellungen, die über eine reine (Personal-)Entwicklung hinausgehen und bezieht als wesentliche Handlungsdimension die des Gestaltens mit ein.
238
Diverse Autoren (beispielsweise Berthel/Becker, 2003, S. 261 ff.; Hentze, 1994, S. 315) nennen in ihren Definitionen auch individuelle Ziele. Allerdings wird im Kontext deutlich, dass es letztlich wie oben dargestellt nicht um die Förderung von Individualität und eigen- und sozialverantwortlichem Handeln geht, sondern lediglich um die Bereitstellung eines entsprechenden Arbeitsvermögens zur Aufgabenerfüllung (vgl. hierzu auch Becker, F., 2002, S. 417).
239
Vgl. Euler, 2004, S. 39.
240
Vgl. Neuberger, 1994b, S. 302, daneben Scholz, 2000, S. 506 ff.; Einsiedler et al., 2003, S. 5 f.
241
Heintel, 1993, S. 34. Er beschreibt den Menschen aus diesem Grund auch als „Störfaktor“.
242
Neuberger, 1994b, S. 9.
243
Vgl. hierzu auch Dittmar, 2001, S. 147.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
50
2.2.2. Personalmanagement Wenngleich in der Wissenschaft und in der Praxis verschiedene Personalmanagement-Ansätze unterschieden werden können244, so heben sie alle wirtschaftliche Aspekte hervor.245 Es steht immer die Steuerung des Personals als rechenbare Größe im Mittelpunkt. Das Personal soll entweder bei einem gegebenen Input, d. h. zu festgelegten Kosten, einen größtmöglichen Output (Maximumprinzip) oder einen bestimmten Output mit geringstmöglichem Input, d. h. geringstmöglichen Kosten (Minimumprinzip), erwirtschaften.246 Eine weitere Annäherung an den Begriff kann ebenso wie bei der Diskussion um Personalentwicklung über die beiden Wortbestandteile Personal und Management erfolgen. Personalmanagement stellt das Personal als Humanressource in den Mittelpunkt, das Bildungsmanagement bezieht auch den einzelnen Mitarbeiter als Persönlichkeit mit ein. Mit der Fokussierung auf das Personal werden auch andere Aufgabenfelder bearbeitet. So sind beispielsweise die Personalplanung und -freisetzung sowie die Personalbedarfsdeckung wesentliche Handlungsfelder des Personalmanagements.247 Das Bildungsmanagement konzentriert sich auf die Gestaltung und Entwicklung von Bildung im Unternehmen. Der zweite Wortbestandteil des Begriffs Personalmanagement – Management – geht nun über den (Personal-)Entwicklungsaspekt hinaus. Gonschorrek248 stellt den Bezug her, indem er feststellt, dass das Personalmanagement grundsätzlich in zwei Richtungen optimiert werden kann: als perfektes Administrationssystem oder als
244
„Über den Begriff Personalmanagement gibt es in der Wissenschaft und in der Praxis keine einheitliche Auffassung.“ (Schmeisser/Clermont, 1999, S. 1); vgl. daneben auch Wächter, 1991. Bröckermann unterscheidet Ansätze, die Personalmanagement lediglich zur Bezeichnung der Führungskräfte – sprich Manager, die Personalaufgaben wahrnehmen – definieren, Ansätze, die den Begriff als „modisches Synonym“ zum Begriff Personalwirtschaft (als Kennzeichnung des gesamten Aufgabenbereichs, der sich mit personellen Fragen im Unternehmen beschäftigt) verwenden und Ansätze, die mit dem Schlagwort Personalmanagement den Bezug der Personalwirtschaft zur Unternehmensführung bzw. zum Management beschreiben (vgl. Bröckermann, 2001, S. 439).
245
Vgl. Bröckermann, 2001, S. 32, daneben S. 24 und S. 439 ff.
246
Dies zeigt sich in unterschiedlichen Definitionsvarianten. Vgl. beispielsweise Wunderer, 2000, S. 20; Hilb, 2002, S. 12 f.; Klimecki/Gmür, 2001, S. VII; Berthel, 1995, S. 7 ff.; Gonschorrek, 2001, S. 24, S. 27.
247
Vgl. Berthel/Becker, 2003.
248
Vgl. Gonschorrek, 2001, S. 25.
Konzeptionelle Abgrenzung
51
professionelles Personalentwicklungssystem. In ähnlicher Weise nimmt auch Scholz249 die Diskussion auf, indem er die im deutschsprachigen Raum existierenden Personalmanagement-Ansätze nach dem Anteil an administrativen und managementorientierten Aufgaben klassifiziert. Personalmanagement in seiner reinsten Form wird als aktiver Teil eines übergreifenden Managementprozesses gesehen und damit als zentraler Bestandteil des betriebswirtschaftlichen Gestaltungsprozesses mit einem entscheidenden Einfluss auf den Erfolg des Managements.250 Es betrachtet den gesamten Managementprozess unter seinen personellen Voraussetzungen und Implikationen und zeichnet sich durch seine breite und handlungsorientierte Perspektive aus, die funktionsübergreifenden Charakter besitzt.251 Dies bedeutet, dass keine Konzentration auf einzelne Teilgebiete erfolgt, sondern das Personalmanagement vielfältige Aufgabenbereiche umfasst. Dazu zählen z. B. die Personalaktivierung, die Personallenkung und die bereits beschriebene Personalentwicklung.252 Daneben intendiert die Integration der Personalfunktion in den obersten Managementbereich und damit in die Verantwortung der Vorgesetzten, „dass die Formulierung der betrieblichen Strategien, die Gestaltung der Organisationsstruktur, die Bestimmung von personeller Verantwortung u. a. m. durch Personalmanager auf der obersten Ebene mitbestimmt werden sowie Personalaufgaben nicht mehr (allein) eine Angelegenheit ... der Personalabteilung sind“253. Personalmanagement ist Teil eines übergreifenden Managementsystems, das in allen Phasen und in allen Elementen von personellen Aspekten durchwoben ist.254 Entsprechend wird hier die gemeinsame Ausrichtung mit dem Bildungsmanagement deutlich, welches als Managementfunktion ebenfalls Teil des übergreifenden Managementprozesses sein kann.
249
Vgl. Scholz, 2000, S. 45 f.
250
Vgl. Wächter, 1991; Scholz, 2000, S. 1; Becker, F., 2002, S. 433 f. Es ergibt sich damit eine Abkehr von der traditionellen Sichtweise der Personalabteilung als verwaltende und spezialisierte Stabstelle hin zu einer strategisch ausgerichteten primären Managementaufgabe.
251
Vgl. Scholz, 2000, S. 44; Berthel/Becker, 2003, S. 8 ff.; Wächter, 1991, S. 319.
252
Vgl. Klimecki/Gmür, 2001, S. 111.
253
Becker, F., 2002, S. 434.
254
Vgl. Becker, F., 2002, S. 433 f.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
52
2.2.3. Wissensmanagement Bei einer Beschäftigung mit dem Begriff ‚Bildungsmanagement’ drängt sich die Frage nach dem Zusammenhang mit dem in den letzten Jahren populär gewordenen Begriff des Wissensmanagements auf.255 „Der Begriff Wissensmanagement lässt sich schwerlich in den Griff bekommen, solange man keine eindeutige Vorstellung von Wissen als dem Gegenstand des Wissensmanagements hat.“256 Nach Bode257 beispielsweise ist Wissen jede Form der Repräsentation von Teilen der realen oder gedachten Welt in einem Trägermedium. Davenport definiert Wissen wie folgt: „Wissen ist eine fließende Mischung aus strukturierten Erfahrungen, Wertvorstellungen, Kontextinformationen und Fachkenntnissen, die in ihrer Gesamtheit einen Strukturrahmen zur Beurteilung und Eingliederung neuer Erfahrungen und Informationen bietet.“258 Aus pädagogischer Sicht ist Wissen lediglich die unterste Stufe der kognitiven Dimension. Wissen ist auf die reine Kenntnis bzw. Reproduktion einer Information gerichtet und deutlich weniger komplex als das Verstehen, die Anwendung, Analyse, Synthese und Evaluation.259 Bezogen auf das Gesamtkonzept ‚Wissensmanagement’ muss grundsätzlich in ähnlicher Weise wie im Zusammenhang mit den Ausführungen zur Personalentwicklung und zum Personalmanagement festgehalten werden, dass das Forschungsfeld Wissensmanagement durch eine Vielfalt an Konzepten geprägt ist.260 Diese werden in unterschiedlichsten Disziplinen entwickelt, u. a. in der (Wirtschafts-)Informatik, der Betriebswirtschaftslehre, der Sozialwissenschaft.261 Im Grundsatz beschäftigen sich alle mit der Frage, wie Wissen in Organisationen eingesetzt und entwickelt werden
255
Vgl. Mandl/Reinmann-Rothmeier, 2000, S. 95, S. 99.
256
Reinmann-Rothmeier/Mandl/Koch, 2000, S. 11.
257
Vgl. Bode, 1997, S. 458.
258
Davenport/Prusak, 1998, S. 46.
259
Vgl. Bloom, 1976; Euler/Hahn, 2004, S. 136 f. Wissen kann dabei in drei Ausprägungsformen auftreten: als Wissen über Sachverhalte, als Prozesswissen (Wie laufen Vorgänge in räumlichen und zeitlichen Relationen ab?) und als Handlungswissen (Was muss ich tun, um ein Ziel zu erreichen?) (vgl. Euler/Hahn, 2004, S. 344 f.).
260
Al-Laham stellt unterschiedlichste Definitionsvarianten näher dar und diskutiert sie, vgl. Al-Laham, 2003, S. 45; siehe daneben zu verschiedenen Prozess- und Strukturansätzen des Wissensmanagements Klimecki/Thomae, 2002.
261
Grundlage und Ausgangspunkt für die Formulierung vieler deutschsprachiger Wissensmanagement-Ansätze ist das Konzept von Nonaka und Takeuchi, welches die Explizierung impliziten Wissens thematisiert, vgl. Nonaka/Takeuchi, 1997.
Konzeptionelle Abgrenzung
53
kann, um die Unternehmensziele bestmöglich zu erreichen. Entsprechend konzentriert sich beispielsweise der betriebswirtschaftliche Ansatz von Probst et al. darauf, Handlungsanleitungen für die Beschreibung und das Verständnis von organisationalen Wissensproblemen bereit zu stellen. Dazu haben sie so genannte Bausteine des Wissensmanagements (Wissensidentifikation, -erwerb, -entwicklung, -verteilung, -nutzung, -bewahrung) identifiziert, die in einem Kreislauf zusammengefasst sind, der durch die Elemente Wissensziele und -bewertung komplettiert wird. ReinmannRothmeier und Mandl262 gehen aus der Perspektive der pädagogischen Psychologie davon aus, dass das Wissensmanagement einen Beitrag zur Wertschöpfung des Unternehmens leisten muss, „um im Rahmen ökonomischen Denkens legitim begründet werden zu können“263. In diesem Zusammenhang sprechen sie auch von der „Messung des intellektuellen Kapitals“, wozu sie z. B. das Wissen, die Erfahrung der Mitarbeiter und die Unternehmenskultur zählen.264 Durch diese klare Fokussierung auf die Unternehmensziele, d. h. die „Generierung, Speicherung und Allokation“265 von Wissen zum Nutzen der Organisation, grenzt sich das Wissensmanagement vom Bildungsmanagement ab, welches aus einer ganzheitlichen Sichtweise das Thema Bildung im Unternehmen betrachtet. 2.2.4. Lernende Organisation In Verbindung mit dem Wissensmanagement wird häufig das Konzept der ‚Lernenden Organisation’ genannt.266 Diese bereits in den 1970er Jahren aufgekommene „Idee“267 ist in der Fachliteratur am Ende des letzten Jahrtausends nach Güldenberg268 zum Modebegriff geworden. Entsprechend existieren unzählige Buchveröffentlichungen, Artikel, Tagungsdokumentationen und Arbeitspapiere, die sich mit diesem Thema beschäftigen.269 Prägend für den Begriff der Lernenden Organisation war
262
Vgl. Reinmann-Rothmeier/Mandl/Koch, 2000; Mandl/Reinmann-Rothmeier, 2000.
263
Reinmann-Rothmeier/Mandl/Koch, 2000, S. 14.
264
In ähnlicher Weise weisen auch auf den ökonomischen Aspekt des Wissensmanagements hin, vgl. Probst /Raub/Romhardt, 1999, S. 47.
265
Pieler, 2003, S. 33.
266
Vgl. hierzu z. B. Fried/Baitsch, 2000; Willke, 2000.
267
Willke, 2000, S. 15.
268
Vgl. Güldenberg, 1998, S. 107.
269
Güldenberg hat allein 600 Publikationen gezählt, die im Zeitraum von 1996–1998 veröffentlicht wurden (vgl. Güldenberg, 1998, S. 107); siehe daneben die Konzeptübersichten bei Diettrich, 2000, S. 243 ff., S. 279; Bruns/Ridder, 1998, S. 135 und Pieler, 2003, S. 27.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
54
insbesondere Senge mit seinem Buch „The Fifth Discipline“270.271 Für ihn ist eine Lernende Organisation „an organization that is continually expanding its capacity to create its future“272. In eine ähnliche Richtung geht beispielsweise die Begriffsdefinition von Haun: Unter einer Lernenden Organisation wird ein wirtschaftswissenschaftliches und systemtheoretisches Modell innerhalb eines komplexen aber beeinflussbaren Umfeldes verstanden, das zum Ziel hat, die Lernprozesse der gesamten Organisation und die seiner Gruppen und Mitarbeiter … zu fördern und in einen organisationalen Lernprozess zu integrieren, um durch Lernen und kontinuierliche gemeinschaftliche Selbsterneuerung die eigene Überlebensfähigkeit langfristig zu gewährleisten.273
Auch für Ostendorf274 zeichnet sich eine Lernende Organisation durch die evolutionäre Ausrichtung, Änderungen in den Denkweisen der Beschäftigten, von Gruppen und in der Organisationskultur in Richtung Selbstverantwortung und Offenheit für kontinuierliche Veränderungsprozesse aus. Eine besondere Bedeutung hat die Generierung und Transformation von Wissen sowie eine Fokussierung ganzheitlichsystematischen Denkens auf allen Ebenen der Organisation (Individuen, Gruppen, System). Die exemplarisch aufgeführten Definitionen machen den Bezug der Lernenden Organisation zur Organisationsentwicklung deutlich. Lernende Organisationen ändern, entwickeln und transformieren sich, um interne Angelegenheiten und Operationen zu regeln, um in der Umwelt zu überleben und um sich auf die Zukunft vorzubereiten.275 Dabei geht es aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet keineswegs darum, zur Bewältigung der Anforderungen einzig individuelle Lernprozesse zu fördern. Diese nehmen zwar (je nach Sichtweise) eine zentrale Stellung in der Lernen-
270
Vgl. Senge, 1993.
271
Eine Übersicht über weitere wesentliche Ansätze geben sowohl Güldenberg, 1998, S. 108 ff.; als auch Pawlowsky, 1994, S. 268 und Argyris/Schön, 1999, S. 190 ff.
272
Senge, 1993, S. 14.
273
Haun, 2002, S. 172.
274
Vgl. Ostendorf, 1997, S. 24 f.
275
Vgl. ausführlich Sattelberger, 1996, S. 14; daneben Haun, 2002, S. 173; Diettrich, 2000, S. 252 f.
Konzeptionelle Abgrenzung
55
den Organisation ein276, sie sind aber um Lernprozesse auf den Ebenen Gruppe und Organisation277 zu ergänzen.278 Inwiefern ergeben sich nun Zusammenhänge zum Bildungsmanagement? Die Lernende Organisation als Teil der Organisationsentwicklung fokussiert sich in erster Linie auf das System der Organisation und deren Zielsetzungen. Sie wird in der Literatur als Idealbild, als eine Vision angesehen, mit der auf der einen Seite eine Idee Gestalt annimmt und wichtige Elemente verdeutlicht werden. Auf der anderen Seite sind damit aber auch eine Vielzahl von Fragestellungen verknüpft, die durch das Konzept zwar aufgeworfen, aber letztlich nicht beantwortet werden können.279 Das Konzept der Lernenden Organisation hat keine Managementfunktion, sondern ist nach Gonschorrek „die idealtypische Konsequenz gelungener Wissens- und Bildungsarbeit“280. Das Bildungsmanagement ist im Gegensatz zur Lernenden Organisation integraler Bestandteil des Unternehmensmanagements und beschäftigt sich sehr konkret mit den aufgeworfenen Fragen und Themen. Für Pieler281 ist das Bildungsmanagement daher u. a. zusammen mit dem Wissensmanagement eine Basiskompetenz der Lernenden Organisation. Das Streben nach einer Lernenden Organisation kann damit ein Anlass sein, das Bildungsmanagement im Unternehmen bewusster einzusetzen. Denn das Bildungsmanagement schafft als „Aktionszentrum“282 die Grundlage und Basis für eine Lernende Organisation.283
276
Entsprechend gibt es Ansätze, die davon ausgehen, dass sich die Lernfähigkeit von Organisationen allein durch die Gesamtheit der individuellen Lernprozesse der in der Organisation tätigen Personen bestimmt. Vgl. zu verschiedenen Konzepten Diettrich, 2000, S. 245 ff.
277
Organisationale Lernprozesse sind von individuellen und kollektiven Lernprozessen abzugrenzen (vgl. Haun, 2002, S. 174). In diesem Zusammenhang steht eine in der Literatur sehr konträr geführte Diskussion, die sich mit der Frage beschäftigt: „Können Organisationen lernen?“. Hierauf soll aufgrund des Fokus der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen werden. Zur weiteren Beschäftigung sei z. B. auf Argyris/Schön, 1999; Eberl, 1996; Bruns/Ridder, 1998, S. 130 ff. und Willke, 2000 verwiesen.
278
Vgl. Diettrich, 2000, S. 252 ff.; Sattelberger, 1996, S. 16 ff.
279
Vgl. ausführlich mit Bezug auf unterschiedliche Ansätze Argyris/Schön, 1999, S. 190 ff. Sie weisen weiter darauf hin, dass es der Gedanken eines zentralen Ideals von den vielfältigen Ansätzen zum Thema Lernende Organisation geteilt wird.
280
Gonschorrek, 2003, S. 290.
281
Vgl. Pieler, 2003, S. 33.
282
Gonschorrek, 2003, S. 309.
283
Gonschorrek geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet es gar als „Geburtshelfersystem für die Lernende Organisation“ (Gonschorrek, 2003, S. 309).
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
56
2.2.5. Zusammenfassung und weitere definitorische Konkretisierung Aus einer Gesamtschau betrachtet, kann festgehalten werden, dass das Bildungsmanagement, wie es in dieser Arbeit verstanden wird, durchaus mit den genannten Konzepten Personalentwicklung, Persönlichkeitsentwicklung, Wissensmanagement und Lernende Organisation verwandt ist. Obwohl diese Konzepte in der Literatur auf sehr unterschiedliche Weise aufgenommen wurden, kann bezogen auf die Grundaussagen der Konzepte wie in den vorangegangen Ausführungen deutlich wurde, eine Abgrenzung zum Bildungsmanagement erfolgen. Darüber hinaus kann das Bildungsmanagement-Verständnis dieser Arbeit auf diesem Weg konkretisiert werden. Bildungsmanagement fokussiert sich aus einer umfassenden Perspektive betrachtet sowohl auf den Entwicklungsaspekt des Mitarbeiters (Bildung i.e.S.) als auch auf die Erfüllung der Qualifizierungsansprüche des Unternehmens (Qualifizierung). Die Personalentwicklung bezieht sich ebenfalls auf diesen Qualifizierungsaspekt und hebt das Ziel heraus, durch den systematischen Einsatz vielfältigster Maßnahmen die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeitenden an die Anforderungen des Unternehmens anzupassen. Dabei richtet es sich sowohl auf derzeitige als auch auf zukünftige Anforderungen aus. Das Bildungsmanagement nimmt diesen Qualifizierungsaspekt auf und verbindet ihn mit dem individuellen Entwicklungsaspekt des Mitarbeitenden, d. h. Personalentwicklung (Perspektive des Unternehmens) und Persönlichkeitsentwicklung (Perspektive des Individuums) werden im Bildungsmanagement zusammen gebracht. Dabei stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden anscheinend konträr angelegten Aspekte. Es kann zunächst festgehalten werden, dass sowohl „Konsens- als auch Konfliktpunkte“284 bestehen. Eine Übereinstimmung kann in der breiten Auslegung des Qualifikationsbegriffs ausgemacht werden – zur Bewältigung betrieblicher Arbeitssituationen sind vielfältige Handlungskompetenzen notwendig.285 Ein Konfliktpotential besteht möglicherweise durch die Begrenzung auf unternehmerische Anforderungen, die evtl. die Entwicklung der Persönlichkeit des Einzelnen negieren. Allerdings ist eine zunehmende Annäherung der beiden Perspektiven zu beobachten. Aus der unternehmerischen Perspektive werden unter dem Schlagwort Schlüsselqualifikation „fachübergreifende Qualifikationen zunehmend als funktional für eine Nutzen
284
Euler/Hahn, 2004, S. 197.
285
Vgl. Euler/Hahn, 2004, S. 195 ff.
Konzeptionelle Abgrenzung
57
stiftende Qualifizierung der Mitarbeitenden betrachtet“286. Darüber hinaus wird vielfach die Subjektivität der Mitarbeitenden nicht mehr als Störgröße definiert, sondern als Voraussetzung für Innovation und Flexibilität und damit als Erfolgsfaktor des Unternehmens gesehen.287 Es stellt sich folglich die weiterführende Frage, wie sich das Verhältnis zwischen individuellen und institutionellen Anforderungen an das Bildungsmanagement näher konkretisieren lässt. Um der Beantwortung dieser Frage näher zu kommen, beschäftigt sich Kapitel 3.1 detaillierter mit den Interaktionsthemen, die zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden stehen. Konkret werden folgende Fragen diskutiert: x
x
x
Welche Einstellungen und Überzeugungen haben eine Bedeutung für das Bildungsmanagement in Unternehmen? Mit welchen grundsätzlichen Werthaltungen ist das Bildungsmanagement in Unternehmen konfrontiert? Welche Ansprüche existieren im unternehmerischen Kontext mit Relevanz für das Bildungsmanagement?
Das Personalmanagement fokussiert sich ebenso wie die Personalentwicklung auf das Personal als unternehmerische Wertschöpfungsressource. Allerdings kommt hier der Managementaspekt zum Tragen. Es wird als Teil eines übergreifenden Managementprozesses gesehen und zeichnet sich durch eine breite und handlungsorientierte Perspektive aus. Auch das Bildungsmanagement nimmt diesen Managementaspekt auf. In Kapitel 2.1.3 wurde das Bildungsmanagement-Verständnis dieser Arbeit konkretisiert. Bildungsmanagement bezieht sich dabei neben der ‚Persönlichkeit’ auch auf das ‚Personal’. Wenngleich Bildungsmanagement nicht in einer derart umfassenden Perspektive Aufgabenfelder bearbeitet, wie es das Personalmanagement tut, so wird dennoch deutlich, dass auch das Bildungsmanagement aufgrund seiner Ausrichtung als Teil eines übergreifenden Managementprozesses gesehen werden kann und einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg des Managements hat. Bildungsmanagement betrachtet den Managementprozess aus dem Blickwinkel der
286
Euler/Hahn, 2004, S. 199.
287
Vgl. die einleitenden Ausführungen in Kapitel 1. Daneben wird die Subjektivität des Einzelnen im Zusammenhang mit dem Thema Kultur in Kapitel 3.2.2 näher diskutiert.
Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement
58
Bildung. Dies intendiert u. a. die Integration des Bildungsmanagements als komplexe Managementaufgabe in den obersten Managementbereich.288 Als weiteres Konzept wurde in den vorangegangenen Ausführungen das Wissensmanagement angesprochen. Wissensmanagement stellt das Wissen im Unternehmen in den Mittelpunkt. Wissen ist von Bildung insofern abzugrenzen, als dass es auf die reine Kenntnis bzw. Reproduktion einer Information gerichtet ist. Es kann auch von Personen losgelöst sein. Das Wissensmanagement versucht den Faktor Wissen für das Unternehmen nutzbar zu machen. Im Bildungsmanagement steht die Bildung im Mittelpunkt, die untrennbar mit den einzelnen Personen im Unternehmen verbunden ist. Aufgrund der Begriffsverwendung in der unternehmerischen Praxis ist es hier wichtig, explizit darauf hinzuweisen, dass Bildung nicht auf Wissen reduziert werden darf. „Wissen ist nicht das Ziel der Bildung, aber sehr wohl ein Hilfsmittel“289. Markl bringt dies wie folgt auf den Punkt: Ein sinnvoller Bildungsbegriff darf nicht in einem nach inhaltlicher Vollständigkeit strebenden Wissenskanon bestehen, sondern muss ganzheitlich verstanden werden. Dann bleibt er offen für verschiedene Verständnis- und Erfahrungsformen, für die Bahnung sehr verschiedener Zugangswege zum Leben, die jeder Einzelne in freier Entscheidung wählen und weiter erkunden mag, wie es ihm Begabung, Neigung und Anregung nahelegen.290
Wissensmanagement und Bildungsmanagement schließen sich jedoch gegenseitig nicht aus, sondern können gleichzeitig verfolgt werden, evtl. auch, um dem Ideal einer Lernenden Organisation näher zu kommen. Im Kontext des Konzepts der Lernenden Organisation lässt sich festhalten, dass die Konzepte des Bildungsmanagements und der Lernenden Organisation nicht direkt miteinander vergleichbar sind. Vielmehr besteht ein enger Zusammenhang dadurch, dass das Bildungsmanagement als Aktionszentrum die Grundlage und Basis für eine Lernende Organisation darstellt. Die Lernende Organisation hat keine Managementfunktion, sondern ist das Ergebnis eines gelungenen Bildungsmanagements.
288
Diese Forderung wird in den Darstellungen zur theoretischen Exploration weiter fortgeführt. Daneben gehen diverse Ausführungen aus der Literatur in eine ähnliche Richtung, vgl. z. B. Quinn et al., 1997, S. 18; Geißler, 1994a, S. 14. Gonschorrek konstatiert eine Entwicklung, im Rahmen derer das Management (für ihn im Begriffsverständnis „die Führung“) und das Bildungsmanagement (im Sinne von „Qualifizierung“) immer enger zusammenrücken und schließlich irgendwann miteinander verschmelzen (vgl. Gonschorrek, 2003, S. 172 f.).
289
Goeudevert, 2001.
290
Markl, 2002.
Konzeptionelle Abgrenzung
59
Zusammenfassend kann das Bildungsmanagement-Verständnis dieser Arbeit nun um folgende Kernaussagen ergänzt werden: x
Bildungsmanagement beschäftigt sich sowohl mit den Ansprüchen des Unternehmens an Qualifizierung als auch mit den Ansprüchen des Einzelnen nach Bildung/individueller Entwicklung.
x
Im Bildungsmanagement stehen die Personalentwicklung und die Persönlichkeitsentwicklung gleichermaßen im Mittelpunkt. Bildungsmanagement nimmt beide Aspekte in den Managementprozess mit auf.
x
Es ist eine Aufgabe des Bildungsmanagements das Verhältnis zwischen individuellen Ansprüchen und institutionellen Anforderungen zu gestalten.
x
Bildungsmanagement ist als komplexe Managementaufgabe Teil des unternehmensübergreifenden Managementsystems.
x
Bildungsmanagement ist ein breites und handlungsorientiertes Konzept, welches sich auf vielfältige Einstellungen, Fertigkeiten und Fähigkeiten bezieht und sich nicht nur auf Wissensaspekte konzentriert.
x
Bildungsmanagement ist eine Grundlage und Basis für eine Lernende Organisation.
Aufgrund der Nähe der diskutierten Konzepte der Personalentwicklung, des Personalmanagements, des Wissensmanagements und der Lernenden Organisation zum Bildungsmanagement wird im Folgenden z. T. auf Literaturquellen aus diesen Bereichen zurückgegriffen. Allerdings geschieht dies im Bewusstsein der bestehenden Unterschiede und verbunden mit einer entsprechenden Prüfung der Übertragbarkeit und Anwendbarkeit.
3. Theoretische Exploration
Im Mittelpunkt der Dissertation steht die Konzeptualisierung einer Theorie des normativen und strategischen Bildungsmanagements in Unternehmen. Die Konkretisierung und Abgrenzung des Begriffs Bildungsmanagement hat bereits zu einem gewissen Vorverständnis beigetragen bzw. das vorhandene Vorverständnis expliziert. Auf dieses aufbauend, steht nachfolgend die Theoriebildung im Mittelpunkt. Wie bereits in Kapitel 1.4 dargestellt, basiert diese auf zwei grundlegenden Erkenntnisquellen: zum einen auf den Ergebnissen der theoretischen Exploration und zum anderen auf den unmittelbaren Erfahrungen aus der Exploration des empirischen Praxisfeldes, auf welche Kapitel 5 näher eingeht. Der Forschungsfokus der Dissertation ist auf das Bildungsmanagement in Unternehmen und eine entsprechende Konzeptualisierung der normativen und strategischen Ebene gerichtet. Diese Differenzierung basiert auf der Tradition der St.Galler Management-Modelle, im Rahmen derer gerade die Ebenen des normativen, strategischen und operativen Managements unterschieden werden.291 Wenngleich die Differenzierung zwischen strategischem und operativem Management bereits seit etwa den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts üblich ist, so wird die Unterscheidung zwischen strategischer und normativer Orientierung in der Managementlehre „erst in allerjüngster Zeit wahrgenommen und erst zögerlich konzeptionell ernst genommen“292. Ansatzweise ist dies zuerst durch Ulrich293 geschehen, daran anschließend durch Bleicher294 im Rahmen seines St.Galler Management-Modells. Da sich „Versäumnisse beim Aufbau unternehmungspolitischer Verständigungspotentiale ebenso wenig durch eine starke strategische Marktposition kompensieren lassen wie das Fehlen strategischer Erfolgsvoraussetzungen allein durch ein effizientes operatives Management ausgeglichen werden“295 kann, ist es notwendig, normative Prozesse von strategischen zu trennen. Dadurch bekommt Unternehmensführung und
291
Vgl. Kapitel 2.1.2.
292
Ulrich, P., 2004, S. 25.
293
Vgl. Ulrich, H., 1981a.
294
Vgl. Bleicher, 2004.
295
Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 22.
Theoretische Exploration
61
Management eine neue Fundierung: Es geht nicht mehr nur darum, erfolgbringend (strategisch richtig), sondern auch gerechtfertigt (ethisch richtig) zu handeln.296 Allerdings ist dennoch zu beachten, dass normative, strategische und operative Managementaufgaben prinzipiell gleichrangig zu betrachten sind. Sie können sich zwar systematisch überlagern und ergänzen, es lässt sich aber keine der drei Ebenen auf eine der beiden anderen reduzieren.297 Vor diesem Hintergrund steht im Rahmen der theoretischen Exploration zunächst die normative Ebene im Fokus (Kapitel 1.1). Dabei wird folgenden Fragen nachgegangen: x
x
Welches sind die konstitutiven Entscheidungs- und Handlungsfelder des Bildungsmanagements auf der normativen Ebene? Welche normativen Aspekte gilt es bei der Gestaltung des Bildungsmanagements im Unternehmen zu berücksichtigen?
Darauf aufbauend erfolgt in Kapitel 3.2 eine Konzentration auf die strategische Ebene entsprechend der handlungsleitenden Fragestellungen: x
x x
Welches sind die konstitutiven Entscheidungs- und Handlungsfelder des Bildungsmanagements auf der strategischen Ebene? Wie können diese ausgestaltet werden? Welche strategischen Aspekte gilt es bei der Gestaltung des Bildungsmanagements im Unternehmen zu berücksichtigen?
Die Ergebnisse der theoretischen Exploration finden Niederschlag in der Entwicklung des Bezugsrahmens in Kapitel 4.
296
Vgl. Ulrich, P., 2004, S. 15.
297
Vgl. Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 22.
Theoretische Exploration
62
3.1. Normative Ebene Das normative Management dient der Reflexion und Klärung der normativen Grundlagen unternehmerischen Handelns. Normativ bezieht sich hierbei auf die ethische Legitimation der Tätigkeiten.298 Diese wird erreicht, indem das Unternehmen seine generellen Ziele, seine Prinzipien, Normen und Spielregeln auf die Ermöglichung seiner Lebens- und Entwicklungsfähigkeit ausrichtet. Zum einen entsteht durch die Orientierung der unternehmerischen Aktivitäten an Wertschöpfungszielen ein „gesellschaftlicher Daseinsgrund“299 und Sinnhorizont, zum anderen dient die Orientierung an Geschäftsprinzipien der Sicherung der Legitimität der Handlungen gegenüber allen Beteiligten mittels normativer Selbstbindung.300 Das normative Management richtet sich auf eine Nutzenstiftung für Bezugsgruppen aus und versucht, den Mitgliedern des Unternehmens Sinn und Identität im Inneren und Äußeren zu vermitteln. Daher geht es in erster Linie um die Wertfragen unternehmerischen Handelns. Genauer gesagt versucht das normative Management die Wert- und Interessenkonflikte zwischen beteiligten Gruppen aufzunehmen und das Konsensproblem durch die angesprochene Legitimation unternehmerischen Handelns zu lösen. Das Ziel ist der Aufbau unternehmenspolitischer Verständigungspotentiale. Ihren Ausdruck findet das normative Management letztlich in der Formulierung eines Leitbildes.301 Zur Diskussion dieser handlungsleitenden Fragestellungen geht Kapitel 3.1.1 auf das Thema Managementphilosophie näher ein. Darauf aufbauend stehen die Interessenkonflikte zwischen den beteiligten Gruppen im Mittelpunkt der Beschäftigung mit der Unternehmenspolitik in Kapitel 3.1.2. Kapitel 3.1.3 widmet sich zusammenfassend dem Thema Leitbild. In allen drei Kapiteln erfolgt die Betrachtung aus dem Blickwinkel und vor dem Hintergrund der spezifischen Anforderungen und Bedingungen des Bildungsmanagements. Daher konzentriert sich Kapitel 3.1.2 beispielsweise auf den Interessenkonflikt zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden.
298
Vgl. Rüegg-Stürm, 2004, S. 113 f.
299
Ulrich, P., 2004, S. 27.
300
Vgl. ausführlicher zu den elementaren Dimensionen ethisch orientierter Unternehmensführung im Rahmen des St.Galler Management-Modells Ulrich, P., 2004, S. 26 ff.
301
Vgl. Ulrich, P., 2004; Bleicher, 2004, S. 80 f., S. 147 ff.; Bleicher, 1994b; Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 18 ff.; Rüegg-Stürm, 2004, S. 113 f.
Normative Ebene
63
3.1.1. Managementphilosophie Jeder Mensch hat erziehungs- und erfahrungsmäßig unterschiedlich geprägte eigene Wertvorstellungen, Einstellungen und Überzeugungen, die sein Denken und Handeln leiten.302 In Unternehmen ist eine Vielzahl derartig individueller Menschen vereint.303 Unter Managementphilosophie werden nun die „grundlegenden Einstellungen, Überzeugungen oder Wertvorstellungen“304 der Führungskräfte subsummiert, die im Zusammenhang mit ihrer Managementaufgabe entwickelt wurden.305 Indem die Einstellungen, Überzeugungen und Wertvorstellungen reflektiert und expliziert werden, trägt die Managementphilosophie zur ‚Werterhellung’ bei. Durch sie soll die Unternehmensführung Klarheit über die impliziten Grundlagen des eigenen Handelns bekommen.306 Im Rahmen der Suche nach einer Managementphilosophie erfolgt aber nicht nur eine ‚Werterhellung’, sondern auch ein Streben nach einem grundlegenden unternehmensbezogenen „Gedankensystem“.307 Ein so gefundenes „konsistentes308 normatives System von Einstellungen, Haltungen, Verhaltensnormen, Richtlinien usw., kurz Aussagen, die Ausdruck tieferliegender Werte sind“309 bietet dem Management „Halt, Richtlinien und Wegweiser für die verschiedensten Situationen“310 und dient als „originäre Orientierungshilfe“311.312 Es trägt dazu bei, dass das Unternehmen als
302
Vgl. Bleicher, 2004, S. 94; Bleicher, 1994b, S. 67.
303
Daher ist die Managementphilosophie auch Teil der Philosophie über allgemeine Grundsätze menschlichen Handelns bzw. der allgemeinen Wirtschafts- und Sozialphilosophie (vgl. Tschirky, 1981, S. 115; Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 53).
304
Ulrich, H., 1981a, S. 11.
305
Dies kann subjektive Vorstellungen, die die betreffenden Personen in anderen Lebensbereichen als gültig erachten, ausschließen (vgl. Probst, 1983, S. 322; Ulrich, H., 1981a, S. 15 f.). Allerdings ist hierbei aus Sicht der Verfasserin zu beachten, dass diese Differenzierung nicht absolut gesehen werden kann, da jeder Einzelne Teil anderer Lebenssysteme ist und sich nicht von den in diesem Zusammenhang geltenden Wertvorstellungen komplett freimachen kann.
306
Vgl. Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 54.
307
Vgl. Tschirky, 1981, S. 105.
308
Wobei sich hier die Frage stellt, inwiefern ein derartiges System, das auf individuellen Einstellungen, Überzeugungen und Werten basiert, konsistent sein kann. Trotz der Suche nach einer Einheitlichkeit gilt es weiterhin die Individualität des Einzelnen nicht außer Acht zu lassen.
309
Probst, 1983, S. 323.
310
Probst, 1983, S. 326.
311
Tschirky, 1981, S. 105.
312
Vgl. auch Ulrich, H., 1981a, S. 11; Tschirky, 1981, S. 105; Bleicher, 1994b, S. 82 ff.
Theoretische Exploration
64
Einheit handeln kann und auch so anerkannt wird. Damit wird deutlich, dass die Managementphilosophie keine ‚private Weltsicht’ darstellt, sondern praktische Konsequenzen für alle am Unternehmen Beteiligten nach sich zieht.313 Die Managementphilosophie steht folglich im Spannungsfeld gegebener Werthaltungen, intendierter Einstellungen und Verhaltensweisen. Ihre Aufgabe ist es, sowohl zur Werterhellung als auch zur Wertdefinition beizutragen.314 Damit wird deutlich, dass Managementphilosophie keine Sache des blinden Glaubens und Vertrauens ist, sondern ein rational-dialogischer Prozess der Konsensbildung.315 Konkret ist es zur Formulierung der Managementphilosophie nach Bleicher316 notwendig, sich mit dem Menschenbild, das dem unternehmerischen Handeln zugrunde liegt, auseinanderzusetzen und den vorhandenen Wertstrukturen nachzugehen.
3.1.1.1. Menschenbild Zur Profilierung einer Managementphilosophie im Unternehmen bedarf es zunächst einer Auseinandersetzung mit der Frage nach dem zugrunde liegenden subjektabhängigen Menschenbild.317 Hierbei handelt es sich „um die Annahmen darüber, was der Mensch ist: welche Bedürfnisse er hat und welche Ziele er verfolgt, was sein Rang ist in der Welt und welches sein Verhältnis zu den Mitmenschen, was sein Denken und Handeln bestimmt und wo seine Grenzen liegen“318. Oftmals werden diese weder reflektiert noch innerhalb des Unternehmens kommuniziert.319 Nach Schein320 ist es gerade das Hauptmerkmal dieser impliziten Menschenbilder, dass sie unreflektiert, hintergründig und nur äußerst schwer erschließbar unser Handeln leiten. Nichtsdestotrotz bzw. gerade deswegen ist es im Rahmen der Managementphilosophie notwendig, sich mit dem Thema Menschenbilder auseinanderzusetzen, insbesondere
313
Vgl. Ulrich, H., 1981a, S. 11.
314
Vgl. Bleicher, 2004, S. 93 ff.
315
Vgl. Jäger, A., 1981, S. 53.
316
Vgl. Bleicher, 1994b, S. 66.
317
Vgl. hierzu und im Folgenden insbesondere Hesch, 1997; Werhahn, 1989; Bleicher, 1994b, S. 66 ff.
318
Werhahn, 1989, S. 10.
319
Vgl. Bleicher, 2004, S. 94.
320
Vgl. Schein, 1984, S. 3 f. Manager in Unternehmen folgen nicht nur in ihrem Denken und Handeln diesem Menschenbild, sondern beurteilen das Verhalten der Mitarbeiter auch danach (vgl. Gonschorrek, 2001, S. 76 ff.).
Normative Ebene
65
vor dem Hintergrund des Bildungsmanagements, wo es um die Beziehung und Interaktion zwischen Unternehmen und Individuen geht. Um die Komplexität der existierenden Menschenbilder in Unternehmen zu reduzieren und um damit zu einem Erkenntnisgewinn beizutragen, wurde in der Literatur versucht, explizite Menschenbilder als idealtypische Abbilder der Realität zu formulieren.321 Die größte Verbreitung hat die Typologie von Schein322 gefunden, die daher auch näher erläutert wird.323 Er systematisierte die Menschenbilder über den arbeitenden Menschen und unterscheidet entsprechend der historischen Entwicklung folgende vier Menschenbilder:324 x Economic Man x Social Man x Self-actualizing Man x Complex Man Der ‚Economic Man’ geht auf das Menschenbild des ‚Homo oeconomicus’ und damit auf den traditionellen Ansatz des Scientific Managements nach Taylor325 zurück. Der Mensch wird als verantwortungsscheues Wesen aufgefasst, das nach der Maxime des größtmöglichen Gewinns handelt und im Unternehmen nur durch monetäre Anreize zu motivieren ist. Entsprechend ist er in erster Linie passiv. Er wird vom Unternehmen manipuliert und kontrolliert, um ihn an die unternehmerischen Bedürfnisse anzupassen.326 Das Menschenbild des ‚Social Man’ basiert auf den Hawthorne-Experimenten, die aufgrund der zunehmenden Kritik am tayloristischen Konzept unter Leitung von Mayo durchgeführt wurden und die nachfolgende Human-Relations-Bewegung begründen.327 Im Rahmen derer wird der Mensch als soziales Wesen gesehen, das in
321
Vgl. u. a. Scholz, 2000, S. 117, S. 122; Hesch, 1997; Werhahn, 1989.
322
Vgl. Schein, 1980, S. 77 ff. Weitere Systematisierungen finden sich z. B. bei Hesch, 1997, S. 28 ff.; Staehle, 1999, S. 172 ff.; Lilge, 1981; Weinert, 1995.
323
Siehe beispielsweise Ulich, 1998, S. 5 ff.; Staehle, 1999, S. 175 ff.; Berthel/Becker, 2003, S. 12 ff.; Gonschorrek, 2001, S. 76 ff.; Bleicher, 1994b, S. 71.
324
Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass sich Menschenbilder im Laufe der Zeit verändern (vgl. Hesch, 1997, S. 34).
325
Vgl. Taylor, 1911; Taylor, 2004.
326
Vgl. ausführlich Schein, 1980, S. 77 ff.; Ulich, 1998, S. 5 ff.; Berthel/Becker, 2003, S. 13 ff. und Hesch, 1997, S. 68 ff.
327
Vgl. Rosenstiel, 1992, S. 6 f.
Theoretische Exploration
66
Folge der Sinnentleerung am Arbeitsplatz Ersatzbefriedigung durch die sozialen Beziehungen zu seinen Mitmenschen sucht. In diese sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz bringt der Mitarbeitende seine Gefühle, Stimmungen und sozialen Einstellungen ein. Für sein Verhalten ist folglich die Zugehörigkeit zu Arbeitsgruppen und den innerhalb dieser Gruppen bestehenden sozialen Regeln und Normen entscheidend und weniger die Anreize und Kontrolle von Führungskräften.328 Die dritte Phase ist durch ein Menschenbild geprägt, in dem der Mensch als ‚SelfActualizing Man’ nach Selbstverwirklichung und Autonomie strebt, was nicht in einem zwangsläufigen Konflikt mit der organisatorischen Zielerreichung stehen muss. Dieses Menschenbild geht auf die Arbeiten von Maslow (Bedürfnispyramide), Herzberg et al. (Zweifaktorentheorie), McGregor (Theorie Y) und Argyris in den fünfziger und sechziger Jahren zurück.329 Der Mitarbeitende wird im Unternehmen selbst aktiv, er wird Subjekt seiner Handlungen, deren Ergebnisse er auch selbst überprüft. Die Führungskräfte müssen ihre Aufgabe nun im Anregen, Unterstützen und Fördern sehen – dabei ist zu beachten, dass äußere Anreize und Kontrollen die Entfaltung der Persönlichkeit und die Selbstverwirklichung des Mitarbeitenden hemmen.330 Die bisher dargestellten Menschenbilder geben eine vereinfachte Sichtweise wieder: „Der Mensch ist ein komplexeres Wesen, als das Modell vom rational-ökonomischen, sozial motivierten oder sich selbst verwirklichenden Menschen glauben machen möchte.“331 Diese Komplexität des menschlichen Wesens lässt sich auch näherungsweise nur durch komplexe Annahmen abbilden. Aus dieser Erkenntnis heraus ist das Menschenbild des ‚Complex Man’ entstanden, das die Vielfalt menschlicher Bedürfnisse und deren interindividuell unterschiedliche Bedeutsamkeit anerkennt. Die individuellen Handlungsmotive und Bedürfnisse sind höchst variabel; sie ändern sich je nach Situation und Zeit und stehen untereinander in Zusammenhang. Durch die (Inter-)Aktion im Unternehmen kann der Mensch sich neue Motive aneignen. Dabei können die Motive in verschiedenen Organisationen sehr unterschiedlich ausfallen. Letztlich gibt es daher auch keine verbindlich gültige Weise der Unternehmensfüh-
328
Vgl. ausführlich Schein, 1980, S. 81 ff.; Ulich, 1998, S. 35 ff.; Berthel/Becker, 2003, S. 15 f. und Hesch, 1997, S. 84 ff.
329
Vgl. Maslow, 1954; Herzberg/Mausner/Snyderman, 1959; McGregor, 1960 und Argyris, 1975.
330
Vgl. ausführlich Schein, 1980, S. 89 ff.; Ulich, 1998, S. 40 ff.; Berthel/Becker, 2003, S. 17 f. und Hesch, 1997, S. 89 ff.
331
Schein, 1980, S. 94.
Normative Ebene
67
rung, die für alle Mitarbeitenden und alle Zeiten zur Lebens- und Entwicklungsfähigkeit des Unternehmens beiträgt.332 Auf diesen Menschenbildern basierend entwickelte Hesch333 im Rahmen seiner Dissertation das Menschenbild neuer Organisationsformen. Für ihn tritt an die Stelle der bisherigen Persönlichkeitsannahmen das „Menschenbild einer ganzheitlichen Kompetenz“. Der Mensch wird als ‚Ganzes’ betrachtet und in den Mittelpunkt der Unternehmensaktivitäten gestellt. Dabei ist von einem veränderten Beziehungsmuster zwischen Mensch und Organisation auszugehen. Der Mensch soll innerlich an das Unternehmen gebunden und integriert werden. Die Grenze zwischen Mitarbeiter und Manager verschwimmt immer mehr – es zeigt sich eine Auffassung vom Menschen als ‚Unternehmer im Unternehmen’334. Damit verbunden beschreibt Hesch335 die Eigenschaften des Individuums im Unternehmen wie folgt: Es ist kreativ, besitzt soziale Kompetenz, handelt eigenverantwortlich und ist zur Selbstführung fähig. Außerdem ist es vertrauenswürdig und schenkt Vertrauen, ist zu Emotionen und Empathie fähig, ist kommunikativ und kooperativ, sowie autonom und selbstbewusst. Zusammenfassend ist es wichtig, nochmals darauf hinzuweisen, dass die Menschenbilder in den Köpfen der Beteiligten vorhanden sind und durch erziehungs- und erfahrungsmäßig geprägte Eindrücke geleitet sind. Entsprechend haben sie grundsätzlich einen Einfluss auf das Handeln der in Unternehmen Tätigen und auf die betriebswirtschaftliche Praxis. Dem Einfluss der Menschenbilder der Führungsebene wird dabei eine größere Bedeutung beigemessen als dem Einfluss der Menschenbilder der Mitarbeitenden.336 Als mögliche Einflussbereiche derartiger Menschenbilder können angeführt werden: die Reaktion gegenüber Mitarbeitenden, die Einschätzung ihrer Fähigkeiten, das Entscheidungsverhalten, der Umgang mit Informationen, die Zielsetzung, das Delegieren von Entscheidungen und das Steuern von Macht und
332
Vgl. ausführlich Schein, 1980, S. 94 ff. und Ulich, 1998, S. 50 ff.
333
Vgl. hierzu und im Folgenden Hesch, 1997, S. 149 ff. Er stellt daneben den Bezug seines „ganzheitlichen Menschenbilds“ zu den Erkenntnissen von Frankl, Etzioni und Fukuyama dar, vgl. Hesch, 1997, S. 151 ff.
334
Hesch spricht damit die Thematik des „Mitarbeiters als Mitunternehmer“ an. Diese reicht in den ersten Ansätzen bis ins 19. Jahrhundert zurück. In neuer Zeit siehe hierzu insbesondere die Ausführungen von Wunderer, vgl. insb. Wunderer, 1999.
335
Vgl. Hesch, 1997, S. 150 f.
336
Vgl. Hesch, 1997, S. 45.
Theoretische Exploration
68
Einfluss.337 Die vorhandenen Menschenbilder beeinflussen also den Umgang der Beteiligten miteinander und deren Art der Zusammenarbeit.338
3.1.1.2. Werte Neben der Auseinandersetzung mit den Einstellungen und Überzeugungen, die in Menschenbildern zum Ausdruck kommen, ist es zur Formulierung der Managementphilosophie wichtig, sich der Frage nach den Werten im Unternehmen zu stellen. Werte zählen zu den personen- und kulturgebundenen Elementen, die als Interaktionsthemen zwischen dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern stehen. Sie begründen die ethische Reflexion eines Unternehmens, welche nach Rüegg-Stürm339 im Rahmen des normativen Managements den zentralen Bezugspunkt der unternehmerischen Legitimierungsprozesse bildet. Bevor eine nähere Betrachtung der Wertestruktur (in Unternehmen) erfolgt, gilt es, den zentralen Begriff ,Wert’ konkreter zu fassen. Kluckhorn definiert Werte als Auffassungen vom Wünschenswerten, „die explizit oder implizit für einen Einzelnen oder eine Gruppe kennzeichnend sind und die die Auswahl der zugänglichen Weisen, Mittel und Ziele des Handelns beeinflussen“340. 341 In ähnlicher Weise lassen sich Werte nach von Rosenstiel als „Orientierungspunkte“ verstehen, die auf „beachtlichem Abstraktionsniveau angesiedelt sind und dennoch dem alltäglichen Verhalten Richtung geben“342. Dabei wirken Werte auf das individuelle Verhalten nicht unmittelbar und direkt, sondern mittelbar und indirekt.343
337
Vgl. Weinert, 1995, Sp. 1506.
338
Eine Führungskraft, die seine Mitarbeitenden beispielsweise für grundsätzlich faul und inkompetent hält, wird sich ihnen gegenüber entsprechend verhalten. Durch den Effekt der SelfFulfilling-Prophecies/Andorra-Phänomen hat dies Auswirkungen auf das Verhalten der Mitarbeitenden, die nun tatsächlich ihr Leistungsverhalten dem von der Führungskraft erwarteten anpassen (vgl. Wunderer, 2003, S. 334; Neuberger, 1994a, S. 25). Dieser Effekt kann gemäß Schulz von Thun dazu führen, dass die Mitarbeitenden sich immer mehr zurückziehen und entsprechend demotiviert sind (vgl. Schulz von Thun, 2003, S. 28 ff.; Schulz von Thun/Ruppel/ Stratmann, 2003, S. 41 ff.).
339
Vgl. hierzu Rüegg-Stürm, 2004, S. 79.
340
Kluckhohn, 1951.
341
Eine Aufstellung weiterer Werte-Definitionen findet sich beispielsweise bei Thierfelder, 2001, S. 113 f.; Becker, M., 2002, S. 45; Rothenberger, 1992, S. 15 ff.; Daxner/Gruber/Riesinger, 2005.
342
Rosenstiel, 1993, S. 48.
343
Vgl. Einsiedler, 1993, S. 116.
Normative Ebene
69
Werte unterscheiden sich nach Wiendieck344 von den persönlichen Einstellungen und Überzeugungen dadurch, dass sie „überindividuelle Leitbilder“ sind. Im Unterschied zu präzisen Zielen schweben sie „ähnlich wie ein Polarstern“345 „vielsagend über allem“346. Werthaltungen werden erst in konkreten Entscheidungssituationen zum handlungsrelevanten Motiv.347 Angesichts konkreter Gegebenheiten bestimmen sie dann mit, ob Ziele als erstrebenswert gelten oder ob eine Situation als positiv oder negativ erlebt wird. Damit stellen Werte nach Dyllick und Probst „Sinngebungs- und Bewertungsmuster für soziale Realität dar“348. Sie vermitteln ihrer Auffassung nach zwischen „der individuellen und der sozialstrukturellen Ebene der Gesellschaft. Sie sind mit der kulturellen Umwelt rückgekoppelt“349. Im unternehmerischen Kontext prägen Werte und Werthaltungen die Erwartungen der Mitarbeiter an das Unternehmen, die Ansprüche des Unternehmens an Leistung und Verhalten der Mitarbeiter und das Leistungs- und Sozialverhalten der Organisationsmitglieder.350 Die Menschen und ihre Einstellungen zu den Werten verändern sich im Zeitablauf – so wird häufig von einem in den letzten Jahrzehnten stattgefundenen Wertewandel351 gesprochen, der u. a. die Erwartungen und Ansprüche an die Arbeitswelt verändert (hat).352 Der Wandel in den Werthaltungen in vielen westlichen Industrienationen lässt sich durch diverse Untersuchungsergebnisse belegen.353 Im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement in Unternehmen erscheinen insbesondere
344
Vgl. Wiendieck, 1990, S. 760.
345
Rosenstiel, 1993, S. 48.
346
Wiendieck, 1990, S. 760.
347
Das menschliche Verhalten hängt des Weiteren vom persönlichen Wollen, dem individuellen Können, sozialen Dürfen und dem situativen Ermöglichen ab (vgl. Rosenstiel, 1993, S. 48 f.; Wunderer, 2003, S. 176 ff.).
348
Dyllick/Probst, 1983, S. 30.
349
Dyllick/Probst, 1983, S. 30.
350
Vgl. ausführlich Wunderer, 2003, S. 180; Rosenstiel, 1993. Damit wird deutlich, dass Werte und Ansprüche sehr eng zusammenhängen. Siehe hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 3.1.2.
351
Von einem Wertewandel ist dann die Rede, wenn sich neue Werte in einer Gesellschaft bilden, andere verschwinden oder wenn die Intensität bestimmter Werte zu- oder abnimmt bzw. deren Rangordnung sich ändert (vgl. Rosenstiel, 1995, Sp. 2175; Rosenstiel, 1993, S. 49).
352
Vgl. Wunderer, 2003, S. 176; Rosenstiel, 1992, S. 47 f.; Probst, 1981, S. 28; Hofer, P./Süss, 2005, S. 228 ff.; Wollert, 2001, S. 38 f.
353
Vgl. hierzu ausführlich Rosenstiel, 1995; Opaschowski, 1997; Inglehart, 1998; Klages, 1985; Strümpel/Pawlowsky, 1993.
Theoretische Exploration
70
folgende Werte- und Anspruchsänderungen auf Seiten der Mitarbeitenden von Bedeutung:354 x
Abwendung von einer Sichtweise der Arbeit als Pflicht
x
Ablehnung von Bindung, Unterordnung und Verpflichtung stattdessen persönliche Unabhängigkeit
x
Erhöhung der Ansprüche auf eigene Selbstverwirklichung
x
Mehr Mitspracherecht am Arbeitsplatz, Freiräume bei der Arbeit
x
Suche nach Spaß an der Arbeit
x
Suche nach Selbstständigkeit, herausfordernden Aufgaben und Entwicklungschancen in der Arbeit
x
Abnahme (aber nicht völlige Abkehr) von klassischen Arbeitstugenden wie Ordnung, Fleiß und Pflichterfüllung355
Der Wertewandel wird u. a. der Sozialisation der jüngeren Bevölkerung, der Erziehung durch Institutionen, die als Multiplikatoren die Werteveränderung beschleunigen und der Veränderung der Bildungsdauer/-inhalte zugeschrieben.356 Gerade Werte wie Selbstentfaltung, Emanzipation von Autoritäten, Mitsprache und Toleranz werden zunehmend als Bildungsziele an (Hoch-)Schulen verfolgt und finden so Niederschlag in einer veränderten Werthaltung.357 Daneben kann argumentiert werden, dass ,höhere’ Werte deshalb immer wichtiger werden, weil die grundlegenden ,materiellen’
354
Im Folgenden werden nicht nur Werte der Führungskräfte dargestellt, sondern auch der Mitarbeitenden ohne Führungsverantwortung. Dies geschieht im Bewusstsein der Darstellungen im Zusammenhang mit der Definition von Managementphilosophie. Zum einen haben Führungskräfte eine Doppelrolle inne: sie sind nicht nur für die Führung des Unternehmens zuständig, sondern sind auch Mitarbeitende im Unternehmen (siehe auch Kapitel 6.1.1). Zum anderen spielen gerade im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement in Unternehmen auch die Werthaltungen der Mitarbeitenden eine zentrale Rolle, da diese deren Ansprüche an das Unternehmen beeinflussen. Dementsprechend baut Kapitel 3.1.2 auf die hier dargestellten Ergebnisse auf und führt diese weiter. Zum Zusammenhang der einzelnen Konstrukte siehe auch die Diskussion in Kapitel 4.1.
355
Die dargestellten Werte sind Teilergebnisse der Untersuchungen von v. Rosenstiel, Opaschowski und Inglehart. Vgl. Rosenstiel, 1995; Opaschowski, 1997; Inglehart, 1998.
356
Vgl. Rosenstiel, 1995, Sp. 2179; Rosenstiel/Stengel, 1987b. Von Rosenstiel sieht insbesondere in den jungen und gebildeten Menschen großer Städte die Träger und Motoren des Wertewandels (vgl. Rosenstiel, 1993, S. 52). Zur Erforschung der Ursachen und der Folgen des Wertewandels vgl. weiter Inglehart, 1998; Probst, 1981, S. 28.
357
Vgl. Wunderer, 2003, S. 182; Wollert, 2001, S. 38.
Normative Ebene
71
Lebensbedürfnisse in unserer Gesellschaft erfüllt sind.358 Daraus leitet Faulstich359 ab, dass das Niveau des ökonomischen Wohlstands die zentrale Determinante für den Wertewandel ausmacht.360 Die Veränderung der Werthaltungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsleben hat einen direkten Einfluss auf die Einstellungen und die Erwartungen an die Arbeit und damit die Unternehmen. Der Anspruch der Mitarbeitenden auf Sicherheit361 ist einem verstärkten Bedürfnis nach Selbstverwirklichung gewichen.362 Oder anders ausgedrückt, die Mitarbeitenden streben heute eine höhere Stufe der Bedürfnisbefriedigung an.363 Damit hat kein Bedeutungsverlust der Arbeit stattgefunden, sondern die Ansprüche an das berufliche Tun sind gestiegen und haben sich qualitativ verändert.364 So steht nicht mehr die vordefinierte Aufgabenerledigung im Vordergrund, sondern das kreative Problemlösen und Aufnehmen neuer Ideen, Methoden und Informationen. Dies zeigt sich auch in den Forschungsergebnissen von Noelle-Neumann365: Mitarbeitende fühlen sich am Arbeitsplatz verstärkt unterfordert366 und falsch eingesetzt, in dem Sinne, dass die Arbeit weder dem Können noch der
358
Diese Aussage kann aus der Mangelhypothese von Maslow abgeleitet werden. Diese besagt, dass nach der Deckung physiologischer Bedürfnisse jene Bedürfnisse an Bedeutung zunehmen, welche zuvor zu wenig befriedigt worden sind. Vgl. hierzu auch Fußnote 363; daneben Inglehart, 1998.
359
Vgl. Faulstich, 1990, S. 36.
360
Es stellt sich hier die kritische Frage, ob nicht auch andere Determinanten als zentral für den Wertewandel ausgemacht werden können und die Fokussierung auf das Niveau des ökonomischen Wohlstandes zu kurz greift.
361
Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 3.1.2.
362
Bezogen auf Berufseinsteiger belegt dies eine Studie unter Studierenden der FH Würzburg. Vgl. Regnet, 2003, S. 56.
363
Maslow setzte sich intensiv mit den Motiven des menschlichen Handelns auseinander und formulierte entsprechend eine Motivpyramide, die einzelne aufeinander aufbauende Stufen von Defizit- und Wachstumsmotiven beschreibt. Zu den Defizitmotiven zählen physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsmotive (z. B. Schutz, Vorsorge), soziale Motive (Kontakt, Zugehörigkeit) und Ich-Motive (Anerkennung, Status, Prestige). Wachstumsmotive dienen der Selbstverwirklichung (vgl. ausführlich Maslow, 1954). Die unter Fußnote 362 angesprochene Studie ergab, dass der Anspruch nach Abwechslung und Fort- und Weiterbildung sehr deutlich vor Sicherheitsmotiven wie dem Gehalt stehen (vgl. Regnet, 2003, S. 57).
364
Vgl. Rosenstiel, 1992, S. 52.
365
Vgl. Noelle-Neumann/Köcher, 1997.
366
Dies äußert sich beispielsweise in Aussagen wie „Ich würde gern mehr Verantwortung übernehmen“ oder „Manchmal denke ich, dass einfach nicht genug von mir verlangt wird – ich könnte viel mehr leisten“. Von 1967 bis 1997 hat sich eine derartige Unterforderung stark erhöht (z. T. sogar verdoppelt) (vgl. Noelle-Neumann/Köcher, 1997, S. 976).
Theoretische Exploration
72
Ausbildung entspricht367. Damit wird deutlich, dass Mitarbeitende zunehmend Werthaltungen innehaben, die einen Drang nach Selbstverwirklichung, Persönlichkeitsentwicklung und Bildung insbesondere im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit begründen.368 Da die Unternehmen dies z. T. nicht ausreichend berücksichtigen, deutet alles auf ein ungenutztes unternehmerisches Potenzial hin.369 Insbesondere bei jung in die Unternehmen eintretenden Mitarbeitenden, die sich an den oben aufgezeigten Werten orientieren, zeigt sich dies verstärkt, da deren Werthaltungen oftmals nicht den implizit und explizit in den Unternehmen vertretenen Präferenzordnungen entsprechen.370 In einer Studie der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton371 im Jahr 2003 wurden folgende „Werte“, die eine wesentliche Bedeutung im täglichen Geschäft der Unternehmen haben, angegeben: (1) Kunden-/Service-Orientierung, (2) Qualität, (3) Verantwortung, (4) Professionalität und (5) Excellence. Hierbei lassen sich zwei Beobachtungen festhalten. Zunächst stellt sich die Frage, ob es sich bei den angegebenen Aspekten überhaupt um Werte, wie sie im Rahmen der vorangegangenen Ausführungen definiert wurden handelt.372 Ungeachtet dieses kritischen Einwandes fällt weiter auf, dass die genannten Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeitenden zwar nicht direkt entgegen stehen, diese aber auch nicht fördern. Die Unternehmen konzentrieren sich auf „Werte“, die in direktem Zusammenhang mit Leistungserstellung und Kundenbeziehung zu sehen sind.373 Bezogen auf die Frage nach den Werten einer Organisation ist nach von Rosenstiel374 daneben zu berücksichtigen, dass Unternehmen häufig die Werthaltungen „einer älteren Generation“ vertreten, d. h. „traditionelle Werthaltungen“ vorherrschen. Es
367
Von 1967 auf 1997 hat sich diese Unzufriedenheit von 7 % auf 17 % erhöht (vgl. NoelleNeumann/Köcher, 1997, S. 976).
368
Vgl. hierzu auch die Ausführungen im Zusammenhang mit den Ansprüchen der Mitarbeitenden an die Unternehmen in Kapitel 3.1.2.
369
Vgl. Wunderer, 2003, S. 186.
370
Vgl. hierzu auch Becker, M., 2002, S. 49.
371
Vgl. Booz Allen Hamilton, 2003, S. 4 f. Die Aufzählung erfolgt entsprechend der Höhe der Bedeutung. Im Rahmen der Studie wurden die 150 führenden Unternehmen im deutschsprachigen Raum zum Thema ‚Schaffen Werte Wert?’ befragt.
372
Die Aussagen der Studie werden hier dennoch angesprochen, da sie ein Bild darüber geben, was in den befragten Unternehmen als Wert angesehen wird.
373
Wieland bezeichnet sie deshalb im Gegensatz zu Kooperationswerten und moralischen Werten als „Leistungswerte“ (vgl. Wieland, 1999).
374
Vgl. Rosenstiel, 1992, S. 375; Rosenstiel, 1993, S. 54.
Normative Ebene
73
entsteht dann ein Problem, wenn Unternehmen die Kluft, die zwischen eher traditionellen Werten und neuen Werte-Kulturen liegen, nicht sinnvoll überbrücken können.375 Nach einer Studie von Stengel und von Rosenstiel376 drückt sich dies beispielsweise darin aus, dass Führungsnachwuchskräfte das Thema Persönlichkeit als sehr gering wahrgenommenes Ziel in Unternehmen beschreiben und es gleichzeitig als Soll-Ziel formulieren. Führungskräfte dagegen definieren es mit einer deutlich geringeren Priorität als erstrebenswert.377 Führungsnachwuchskräfte, die die Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zielen als relativ stark ausgeprägt erleben, sind deutlich weniger karrieremotiviert.378 Daher sollten Unternehmen nach von Rosenstiel379 durch entsprechende Maßnahmen die Konfliktlinie zwischen den einzelnen Mitarbeitenden und der Organisation abbauen. Eine wichtige Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Management des Unternehmens zu, das die Werte vorleben muss, damit sie innerhalb des Unternehmens gelebt werden.380 Gelingt es, das Wertespektrum von Unternehmen und Mitarbeitenden anzugleichen, werden nach Bihl381 folgende Effekte erreicht: x
Höhere Identifikation und Loyalität
x
Stärkere Motivation
x
Größere Leistungsbereitschaft
x
Bessere Leistung und Zusammenarbeit382
Damit kann festgehalten werden, dass Werte, insbesondere das subjektive Wertempfinden, zu wichtigen Indikatoren für die Leistungsbasis des Unternehmens werden und damit eine Säule des Erfolgs von Unternehmen sind.383 Werthaltungen sind,
375
Vgl. Booz Allen Hamilton, 2003, S. 9; daneben o.V., 2005c, S. 23. Von Rosenstiel beschreibt dies wie folgt: „Die Organisation [Unternehmung] verkörpert … die Werthaltungen einer älteren Generation“ (Rosenstiel, 1992, S. 375). Er bezeichnet diese daher auch als „geronnene Werte“. Oder wie es Klipstein und Strümpel formulieren: „‚Gewandelte Werte’ stehen ‚erstarrten Strukturen’ gegenüber“ (Klipstein/Strümpel, 1985 im Original z. T. kursiv).
376
Vgl. Rosenstiel/Stengel, 1987a.
377
Vgl. Kapitel 3.2.2.5.
378
Vgl. Rosenstiel, 1992, S. 376.
379
Vgl. Rosenstiel, 1986.
380
Vgl. Booz Allen Hamilton, 2003, S. 14; Dyllick, 1983. Auf diesen Aspekt wird im Zusammenhang mit dem Thema Kultur noch näher eingegangen, vgl. Kapitel 3.2.2.
381
Vgl. Bihl, 1993, S. 86.
382
Ähnliches bestätigt auch Fortmann, 1987, S. 788.
383
Vgl. Becker, M., 2002, S. 49; Kotter/Heskett, 1992; Collins/Porras, 2002; Dearlove/Coomber, 2001; Kraimer, 1997; Booz Allen Hamilton, 2003.
Theoretische Exploration
74
wie bereits dargestellt, keine Konstanten und lassen sich weder situationsunabhängig noch unabhängig von einzelnen Akteuren betrachten.384 Durch eine Dauerreflexion in der Unternehmung werden die unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen, der Blick für das Ganze geöffnet und den Mitarbeitenden die Möglichkeit der Sinnfindung gegeben.385 Hierbei ist eine weitere Beobachtung zu berücksichtigen, die das obige Streben ggf. einschränken kann und unter dem Schlagwort ‚Wertepluralismus’ zu fassen ist. 386 Der Pluralismus von Werten in der Gesellschaft ist in den letzten Jahren ständig größer geworden.387 Die Differenzierung hat sich erhöht. Gegensätzliche Werthaltungen haben sich eher vermehrt und verstärkt.388 Diese Entwicklung ist auch bei Führungskräften festzustellen.389 Entsprechend ist die Forderung nach einem „gemeinsamen Wertesystem“ vor diesem Hintergrund mit Bedacht zu verfolgen, daneben ist der Ausgang des Strebens offen.390
384
Würden sich beispielsweise die Werthaltungen der Mitarbeitenden dauerhaft vollkommen anders entwickeln als die des Managements, so würde dies z. B. zu harten Fronten, schlechtem Arbeitsklima und mangelnder Motivation führen. Diese Diskrepanzen und Widersprüche bilden langfristig keine Grundlage für eine erfolgreiche Unternehmenstätigkeit (vgl. Probst, 1983, S. 330).
385
Vgl. u. a. Probst, 1983; Jäger, A., 1981. Entsprechend machen zunehmend mehr Unternehmen auf die Wirkungskraft von Werten aufmerksam und setzen diese explizit ein (vgl. Daxner/ Gruber/Riesinger, 2005, S. 4; Kuhn/Leitl, 2003; Spies, 2002). Zum Teil ist hierbei auch die Rede von der „gemeinsamen Erarbeitung“ des normativen SystemS. Hierzu ist kritisch anzumerken, dass Werte, im Begriffsverständnis dieser Arbeit nicht von Außen präskriptiv vorgegeben, sondern lediglich deskriptiv aufgenommen werden können.
386
Vgl. Bleicher, 1994b, S. 74 f.; Dyllick/Probst, 1983; Ulrich, H., 1980; Ulrich, H., 1981a, S. 428; Probst, 1983, S. 327 ff.; Wever, 1992, S. 94 ff. Klein und Pötschke führen den Gedanken weiter und konstatieren unter dem Begriff „Wertesynthese“ den Effekt, dass sich traditionelle und modernere Werte in der Werthaltung der Individuen vermischen (vgl. Klein, M./Pötschke, 2000).
387
Für Gross führt diese Entwicklung gar zu einer Multioptionsgesellschaft, die durch eine „schrankenlose Steigerung der Optionen“ geprägt ist. Die Gefahr der Multioptionsgesellschaft ist in der „tendenziell rücksichtslosen Haltung gegenüber … kulturellen Werten“ (Pongs, 2007, S. 160 f.) zu sehen (vgl. ausführlich Gross, 1994).
388
Dabei schließen sich diese nicht aus – es können sich durchaus traditionelle und moderne Werte in der individuellen Werthaltung vermischen. Dieser Effekt wird durch den Begriff „Wertesynthese“ beschrieben (vgl. Klein, M./Pötschke, 2000; Klages, 2001).
389
Vgl. Probst, 1983, S. 327.
390
Probst weist beispielsweise im Zusammenhang mit dem Wertepluralismus darauf hin, dass gerade aufgrund dieser Entwicklung Stimmigkeit und eine gewisse Übereinstimmung in Unternehmen notwendig ist, um Konstanz und Sicherheit im Systemverhalten zu erreichen (vgl. Probst, 1983, S. 327). Wie allerdings in einer Multioptionsgesellschaft ein derartiges stimmiges Wertesystem aussehen kann, führt er nicht weiter aus.
Normative Ebene
75
3.1.2. Unternehmenspolitik Aufbauend auf die Managementphilosophie beschäftigt sich die Unternehmenspolitik mit Grundsatzentscheidungen im Unternehmen: „Mit der Unternehmenspolitik versucht die Unternehmungsleitung, die Unternehmung als Ganzes ordnend zu gestalten und verbindliche Verhaltensregeln und -grundsätze festzulegen.“391 Sie bestimmt den Rahmen, der im Wesentlichen die Funktion, die Ziele und die Verhaltensgrundsätze der Unternehmung und damit das Handeln des Unternehmens bzw. seiner Mitglieder prägt.392 Bei der Bestimmung der Unternehmenspolitik geht es also darum, die vorhandene Managementphilosophie zu berücksichtigen und sie in den Entscheidungen des Unternehmens zum Ausdruck zu bringen. Nur dann ist die Managementphilosophie nach Ulrich393 auch wirksam und glaubwürdig. Hierzu ist es notwendig, die in der Managementphilosophie formulierten Wertvorstellungen aufzunehmen und sich mit den Interessen aller am Unternehmen Beteiligter und Betroffener auseinanderzusetzen.394 Der politische Prozess an sich kann in die beiden Bereiche ‚Politics’ und ‚Policy’ untergliedert werden.395 Die Unternehmenspolitik nimmt insofern eine politische Rolle (‚Politics’) ein, als dass sie die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt und harmonisiert, die bei grundsätzlichen Entscheidungen auftreten und die Zukunftsentwicklung des Unternehmens beeinflussen. Darauf aufbauend verdichtet sie im Sinne einer grundlegenden Maxime (‚Policy’) die erzielten Harmonisationsergebnisse und gibt sie als generelle Richtschnur des Handelns an die Mitglieder der Unternehmung weiter.396
391
Hinterhuber, H., 2004, S. 44 f.
392
Vgl. Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 80 f.; Ulrich, H., 1990, S. 18 ff.; Kirsch, 1990, S. 55.
393
Vgl. Ulrich, H., 1981a.
394
Vgl. hierzu und im Folgenden ausführlich Bleicher, 1994b, S. 190 ff. Bezogen auf den Umgang mit Konflikten steht nach Ulrich und Fluri im Mittelpunkt der Unternehmenspolitik „die systematische Entwicklung der Voraussetzungen für die argumentative Konsensfindung über konfligierende Wertvorstellungen und Interessen mit allen Gruppen, auf deren Zusammenarbeit oder Unterstützung die Unternehmung direkt oder indirekt angewiesen ist, zur vorausblickenden Sicherung ihrer Kooperationsbereitschaft.“ (Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 77). Allerdings ist hierbei zu bemerken, dass andere Grundwerte zu anderen Ansatzpunkten für unternehmenspolitisches Handeln führen würden.
395
Vgl. hierzu und im Folgenden Bleicher, 2004, S. 159 ff. und Kirsch, 1990, S. 55 ff.
396
Dabei kommt den Leitbildern eine wichtige Bedeutung zu, da in ihnen die wesentlichen Ziele und Zwecke des Unternehmens festgehalten werden, wie in Kapitel 3.1.3 näher erläutert wird.
Theoretische Exploration
76
Zur Analyse der unterschiedlichen Interessen und als Grundlage für deren Harmonisierung dient das Anspruchsgruppenkonzept, auf welches im Folgenden näher eingegangen wird. Die Identifikation der unterschiedlichen Individuen und Gruppen, die Ansprüche an das Unternehmen stellen, steht im Mittelpunkt des Anspruchsgruppenkonzepts.397 Dieses konzentriert sich auf die institutionale (personale) Betrachtungsweise des Unternehmens. Durch die personifizierte Sichtweise gewinnt das Unternehmen direkte Ansprechpartner, wodurch es möglich wird, zu erkennen, welche Kräfte direkt auf das Unternehmen einwirken und wie diese gehandhabt werden können.398 Die Untersuchung der gegebenen Interessenlagen ist grundlegend für unternehmenspolitische Entscheidungen.399 Denn ein Unternehmen ist niemals Selbstzweck, sondern erbringt seine Geschäftstätigkeit in aktiver Interaktion mit verschiedenen Anspruchsgruppen, die alle ihre eigenen Werte in das Unternehmen projizieren.400 Unter Anspruchsgruppen401 werden dabei soziale Gruppen verstanden, die ihre Interessen in Form von konkreten Ansprüchen an die Unternehmung formulieren und entweder selbst oder durch Interessensvertreter auf die Unternehmensziele, deren Erreichung sowie auf die Tätigkeit und das Verhalten der Unternehmung maßgeblichen Einfluss ausüben können und selbst von den Unternehmungszielen, deren Gewichtung und Erreichung sowie von der Tätigkeit und dem Verhalten der Unternehmung beeinflusst werden.402 Oder wie es Freeman als „Gründungsvater“403 des Anspruchsgruppenkonzepts formuliert: „A stakeholder in an organization is
397
Es kann idealtypisch ein eher strategisches von einem normativ-kritischen (ethischen) Anspruchsgruppenkonzept unterschieden werden. Die Unterscheidung spielt in erster Linie im Zusammenhang mit der Frage nach der Auswahl der relevanten Anspruchsgruppen eine Rolle – so orientiert sich diese im Rahmen des strategischen Anspruchsgruppenkonzepts an der Wirkmächtigkeit der Ansprüche, im Rahmen des normativ-kritischen Konzepts an der ethisch begründbaren Legitimität. Da in der Praxis in den meisten Fällen Mischformen der beiden Typologien anzutreffen sind (vgl. Wilbers, 2004, S. 356) und die Frage nach der Auswahl der Anspruchsgruppen durch die Konzentration auf die Beziehung Mitarbeiter-Unternehmen im Rahmen der Bildungsmanagement-Diskussion von geringerer Relevanz ist, wird im Folgenden die Unterscheidung der beiden idealtypischen Konzeptvarianten nicht weiter vertieft. Vgl. ausführlicher zur Unterscheidung der beiden Idealtypen Wilbers, 2004; Patsch, 2001, S. 10, S. 18; Ulrich, P., 2001, S. 438 ff.; Rüegg-Stürm, 2004, S. 75 f.
398
Vgl. Janisch, 1992, S. 112.
399
Vgl. Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 77.
400
Vgl. Rüegg-Stürm, 2004, S. 74.
401
Der Begriff Anspruchsgruppe wird hier äquivalent zum englischsprachigen Begriff des ‚stakeholders’ verwendet. Vgl. hierzu auch Janisch, 1992, S. 7, S. 123 ff.
402
Vgl. Janisch, 1992, S. 4.
403
Patsch, 2001, S. 18.
Normative Ebene
77
(by definition) any group or individual who can affect or is affected by the achievement of the organization’s objectives“404. Das neue St.Galler Management-Konzept unterscheidet sieben verschiedene Anspruchsgruppen: Lieferanten, Konkurrenz, Staat, Öffentlichkeit/Non Governmental Organizations, Kapitalgeber, Kunden und Mitarbeitende.405 Diese können nach Wilbers406 in verschiedene so genannte Arenen eingeteilt werden: x Marktarena: Beziehung zu Kunden, Lieferanten und zur Konkurrenz x Interne Arena: Beziehung zu den Mitarbeitenden x Arena der Finanzkommunikation: Beziehung zu den Kapitalgebern x Arena der öffentlichen Kommunikation: Beziehung zur Öffentlichkeit und zum Staat Eine derartige grundsätzliche Auswahl und Einteilung muss allerdings immer in Abhängigkeit vom Gegenstand in jedem Einzelfall neu bedacht und spezifiziert werden.407 Die Anspruchsgruppen eines Unternehmens sind demnach nicht einfach gegeben, sondern „es entspricht einer wichtigen unternehmerischen Entscheidung, wen genau man als Anspruchsgruppe betrachtet und wie man mit diesen Anspruchsgruppen, gerade in konfliktbehafteten Situationen, umzugehen gedenkt“408. Im Rahmen des Bildungsmanagements, wie es in dieser Arbeit verstanden wird, steht nun gerade die interne Arena, d. h. die Beziehung zu den Mitarbeitenden im Mittelpunkt, da nur zu diesen ein direktes interaktives Verhältnis besteht.409 Dieses direkte Beziehungsverhältnis zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden ist durch einen unmittelbaren Austausch von Leistungen und eine persönliche Kommunikation
404
Freeman, 1984, S. 46, daneben S. 49, S. 53.
405
Vgl. Rüegg-Stürm, 2002, S. 22 f.
406
Vgl. Wilbers, 2004, S. 335 f.
407
Vgl. Rüegg-Stürm, 2004, S. 75; Wilbers, 2004, S. 333; daneben auch Bleicher, 1994b, S. 161.
408
Wilbers, 2004, S. 331.
409
Im Zusammenhang mit der Berufsausbildung könnten noch weitere Anspruchsgruppen identifiziert werden: die Gesellschaft und der Staat. Die Gesellschaft fordert eine Beteiligung der Unternehmen bei der Ausbildung junger Menschen. Als Interessenvertreter stellt der Staat im Rahmen der dualen Berufsausbildung Ansprüche an die Qualität und Form der Berufsausbildung im Unternehmen. Diese Beziehung ist aber eher von indirekter Art, da das Unternehmen keinen direkten Einfluss auf den Staat ausüben kann, sondern nur über die Arbeitgeberverbände und über Gremienarbeit. Daher wird diese Beziehung hier nicht weiter betrachtet. Daneben könnten potentielle Mitarbeitende als Anspruchsgruppe gesehen werden, wobei deren Ansprüche in der Regel denen der bereits beschäftigten Mitarbeitenden entsprechen und daher nicht gesondert diskutiert werden.
Theoretische Exploration
78
geprägt.410 Letztere schlägt sich in den so genannten Interaktionsthemen nieder. Hierunter wird all das verstanden, „was über die Anspruchsgruppen an die Unternehmung herangetragen, dieser zur Verfügung gestellt oder streitig gemacht wird – oder umgekehrt betrachtet: worum sich das Unternehmen aktiv bemühen muss“411. Im St.Galler Management-Modell zählen hierzu explizit personen- bzw. kulturgebundene Ansprüche, Werte/Normen und ebenso Ressourcen. Die Ansprüche an ein Unternehmen wurzeln zum einen in wertorientierten Anliegen bzw. verallgemeinerungsfähigen Zielen und zum anderen in eigennützigen Interessen.412 Werte drücken aus, was die Einzelnen sich unter einem guten Leben vorstellen und sind damit Bezugspunkt für die Legitimation und Formulierung von Ansprüchen.413 Normen wiederum sind „grundlegende, allgemein anerkannte, wertbasierte Verhaltensmaximen und Verhaltensregeln hinsichtlich dessen, was erstrebenswert bzw. geboten ist, und dessen, was zu vermeiden bzw. was verboten ist“414. Zu den Ressourcen zählen nach Rüegg-Stürm415 u. a. Wissen, menschliche Arbeitskraft und der Mensch an sich. Zur detaillierten Betrachtung werden im Folgenden die Ziele und Ansprüche von Unternehmen und Mitarbeitenden näher erörtert und zueinander in Beziehung gesetzt. Wie bereits dargestellt, unterscheidet sich ein Unternehmen gerade durch seine Zweck- und Zielorientierung von evolutorisch entstandenen Systemen. Als oberstes Ziel wird aus systemtheoretischer Sicht die Sicherung der Überlebensfähigkeit angesehen und damit verbunden eine Gewinnerwirtschaftung und -maximierung (d. h. es geht nicht nur um den Erhalt des Unternehmens, sondern auch um die erfolgreiche Weiterentwicklung).416 Diese können durch einen reibungslosen Ablauf des betrieblichen Umsatzprozesses sowie durch die Vermeidung bzw. Bewältigung Existenz bedrohender Gefahren erreicht werden.417 Um den reibungslosen Ablauf des betrieb-
410
Vgl. Janisch, 1992, S. 129 ff.
411
Rüegg-Stürm, 2004, S. 77 f.
412
Vgl. Rüegg-Stürm, 2004, S. 78.
413
Vgl. hierzu zu die Ausführungen in Kapitel 3.1.1.2.
414
Rüegg-Stürm, 2004, S. 78.
415
Vgl. Rüegg-Stürm, 2004, S. 79. Er weist weiter auf die damit verbundene Problematik hin: „Bei allem, was der Mensch in den unternehmerischen Wertschöpfungsprozess einbringt, handelt es sich gerade nicht um objektgebundene, handelbare Ressourcen, sondern um Ausdrucksformen menschlicher Tätigkeit und Kultur“ (Rüegg-Stürm, 2004, S. 79). Zum Thema der ‚Humanressourcen’ vgl. auch Kapitel 3.2.1.
416
Vgl. Parsons/Jensen, 1976, S. 174; Hahn, D., 1999, S. 310 ff.
417
Vgl. Mahari, 1985, S. 114 f.
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lichen Umsatzprozesses zu gewährleisten, ist es notwendig, die Handlungskompetenzen der Mitarbeitenden an die Anforderungen des Arbeitsplatzes und damit an die Unternehmensziele anzupassen, sprich das Personal zu entwickeln.418 Dadurch, dass das Unternehmen von seinen Mitarbeitern als interne Anspruchsgruppe abhängig ist und diese das Unternehmen in Frage stellen können, indem sie beispielsweise die Leistungserbringung verweigern, hängt die Vermeidung Existenz bedrohender Gefahren u. a. von der Nutzengenerierung für die Anspruchsgruppen ab.419 Hierzu muss das Unternehmen nach Rüegg-Stürm420 dreierlei Leistungen erbringen bzw. Funktionen erfüllen: 1. Erarbeitung von strategischem Orientierungswissen, um alle Anstrengungen und Aktivitäten im Unternehmen auf die erfolgsentscheidenden Aspekte auszurichten (Ausrichtungsfunktion) 2. Koordination aller unternehmerischen Aktivitäten durch die Strukturen des Unternehmens (Koordinationsfunktion) 3. Schaffung eines gemeinsamen Sinnhorizonts beispielsweise durch die Formulierung einer Vision oder die Verkörperung der Unternehmenskultur (Sinnstiftungsfunktion verbunden mit einer Vergewisserungsfunktion, der Funktion der Mehrdeutigkeitsreduktion und einer Motivationsfunktion) Daneben ist zu berücksichtigen, dass ein angemessener wirtschaftlicher Erfolg Grundvoraussetzung für die Erfüllung sämtlicher Ansprüche und Forderungen ist.421 Die Anspruchsgruppe Mitarbeitende erbringt für das Unternehmen eine Arbeitsleistung, d. h. sie stellt Arbeitsressourcen zur Verfügung, auf die das Unternehmen in der Regel mit einer finanziellen Gegenleistung reagiert. Die mit ihrer Arbeitstätigkeit verbundenen Ansprüche der Mitarbeitenden lassen sich zu der Forderung nach erhöhter Lebensqualität zusammenfassen. Hierunter fallen u. a. die Existenzsicherung (z. B. Sicherheit des Arbeitsplatzes, soziale Sicherheit) und die Lebensunterhaltsfinanzierung.422 Wie allerdings bereits in Kapitel 3.1.1.1 aufgezeigt wurde, streben Mitarbeitende heute eine höhere Stufe der Bedürfnisbefriedigung an, d. h. der Anspruch der Mitarbeitenden auf Sicherheit ist einem verstärkten Bedürfnis nach Selbstverwirklichung gewichen. Das vorderrangige Thema der Kommunikations-
418
Vgl. Janisch, 1992, S. 29 ff., S. 134 ff.
419
Vgl. Rüegg-Stürm, 2004, S. 80; Janisch, 1992, S. 140.
420
Vgl. ausführlich Rüegg-Stürm, 2004, S. 81 ff.
421
Vgl. Heinen, H., 1982, S. 31 ff.
422
Vgl. ausführlich mit Verweisen auf weitere Quellen Janisch, 1992, S. 163 ff., S. 214 ff.; daneben die Diskussion um Werte in Kapitel 3.1.1.2.
Theoretische Exploration
80
beziehung sind aus dem Blickwinkel des Bildungsmanagements daher die Anliegen und Interessen im Zusammenhang mit ‚Bildung’. Die Mitarbeitenden fordern vom Unternehmen die Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung.423 Es geht ihnen darum, ihr individuelles Wissen, ihre Einstellungen und Fertigkeiten weiterzuentwickeln, um in sozio-ökonomischen Situationen sozial- und eigenverantwortlich handeln zu können. Diese Pointierung geschieht durchaus im Bewusstsein, dass nicht alle Mitarbeitenden im Unternehmen diese Ansprüche haben, sondern es auch Mitarbeitende geben kann, die ihre Arbeit lediglich mit materiellen Ansprüchen verbinden.424 Im Gegensatz dazu verfolgt das Unternehmen die Anpassung der Handlungskompetenzen der Mitarbeitenden an die Erfordernisse des Arbeitsplatzes im Rahmen der Personalentwicklung an, um eine optimale, effiziente und effektive Nutzung der Humanressourcen am jeweiligen Arbeitsplatz zu erreichen.425 Im Rahmen der Unternehmenspolitik geht es darum, die aufgezeigten Interessenkonflikte zu harmonisieren.426 Nach Euler427 existieren zwischen den institutionellen Anforderungen und den individuellen Ansprüchen keine prinzipiellen Gegensätze. Wie oben dargestellt, kann argumentiert werden, dass sich die leistungsorientierten Ansprüche der beiden Interessengruppen ergänzen und damit automatisch harmonisieren. Konflikte sind eher auf der kommunikativen Ebene denkbar, indem sich die Forderungen nach Personalentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung nicht entsprechen. Die Unternehmen setzen in instrumentellem Sinn den einzelnen Mitarbeiter nach zweckrationalen Gesichtspunkten für ihre Ziele ein, fordern von ihm eine Anpassung an die betrieblichen Erfordernisse und negieren ihn möglicherweise in seinen individuellen Bedürfnissen.428 Dies verdeutlichen auch die Ergebnisse zweier empirischer Untersuchungen. Aus Unternehmenssicht wird im Rahmen der vom Swiss Centre for Innovations in
423
Die Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung erlaubt es den Mitarbeitenden, sich selbst zu verwirklichen. Daneben dient sie gleichzeitig aber auch der Existenzsicherung und Unterhaltsfinanzierung. Dies ergibt sich dadurch, dass heutzutage nicht mehr von einem lebenslangen Arbeitsplatz ausgegangen werden kann, sondern Arbeitsplatzwechsel der Normalfall sind und die Mitarbeitenden sich entsprechend lebenslang weiterentwickeln müssen.
424
Vgl. Euler, 2004, S. 40.
425
Vgl. Euler, 2004, S. 39.
426
Zum Interessenkonflikt zwischen individuellen Ansprüchen der Mitarbeitenden und den institutionellen Anforderungen des Unternehmens vgl. auch die Ausführungen aus dem Bereich der Organisationspsychologie in Rosenstiel, 1992, S. 132 ff.
427
Vgl. Euler, 2004, S. 40.
428
Vgl. Rosenstiel, 1992, S. 34.
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Learning (SCIL) der Universität St.Gallen durchgeführten Delphi-Studie429 deutlich, dass zwar ‚Personalentwicklung’ zu einem der Top-Themen des Bildungsmanagements in den nächsten Jahren zählt (Rang 2 in der Bedeutsamkeit), der ‚Persönlichkeitsentwicklung’ hingegen deutlich weniger Wichtigkeit beigemessen wird. Vielmehr weist ein Großteil der befragten Experten darauf hin, dass die Ausrichtung des Bildungsmanagements an der Unternehmensstrategie absolute Priorität hat und nicht die Ausrichtung an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden – diese müssen der Unternehmensplanung entsprechen.430 Aus Mitarbeitersicht bestätigt dies eine im Auftrag des Personaldienstleisters Robert Half Finance & Accounting durchgeführte Studie. Für junge Arbeitnehmer sind neben flexiblen Arbeitszeiten insbesondere Weiterbildungsmöglichkeiten motivierend (finanzielle Anreize interessieren nur jeden Vierten). Mehr als ein Viertel der Befragten sehen in mangelnden Weiterbildungsmöglichkeiten den Hauptgrund, dass Nachwuchskräfte den Arbeitgeber wechseln.431 3.1.3. Leitbild Ein Instrument zur Offenlegung und Kommunikation der Managementphilosophie und zur Gestaltung der Unternehmenspolitik ist das Leitbild. Dieses enthält Aussagen über die Ziele und Zwecke sowie über die zentralen Aktivitätsfelder des Unternehmens.432 Daneben beschreibt es „die Werte und Grundhaltungen, die ein Unternehmen leben will und das gewollte Denken und Handeln der Mitarbeiter“433. Seine Funktion liegt vor allem in der Orientierung, Legitimierung und Motivation.434 Leitbilder sollen angesichts der Veränderung gesellschaftlicher Normen und Werte für alle Beteiligten der Unternehmung eine Art „Kompass“435 bzw. „roter Faden“436 sein, der
429
Im Rahmen der SCIL-Trendstudie wurden Bildungsverantwortliche zu den Herausforderungen des Bildungsmanagements befragt. Es beteiligten sich insgesamt 50 Experten aus unterschiedlichsten Unternehmen. Die Studie wurde als dreistufige Delphi-Studie mit den Themenschwerpunkten Strategie, Kultur, Organisation, Technik und Didaktik durchgeführt. Vgl. ausführlich Diesner/Euler/Seufert, 2006.
430
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 23 ff.
431
Vgl. o.V., 2006b; o.V., 2006a.
432
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 178; Bleicher, 1994a, S. 21, S. 35.
433
Sonntag, 1996, S. 43.
434
Vgl. Bart, 1997, S. 9; Kapl, 2005. In einer Studie der Akademie für Führungskräfte gaben 82,8 % der 350 befragten Führungskräfte an, dass das Leitbild als vertrauensbildende Maßnahme wichtig bis sehr wichtig sei (vgl. Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2006, S. 18).
435
Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 179.
436
Beer, 2002, S. 45.
Theoretische Exploration
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ihr Verhalten koordiniert und lenkt. Die Legitimierungsfunktion zeigt sich darin, dass das Leitbild gegenüber den wichtigsten Anspruchsgruppen des Unternehmens dazu beitragen kann, bestimmte Entscheidungen zu rechtfertigen oder wesentliche Ziele und Zwecke nach Außen zu kommunizieren. Nach Innen hat das Leitbild eine Motivationsfunktion. Es kann dazu führen, dass die Mitarbeitenden sich mit dem Unternehmen identifizieren und wissen, warum sie sich wie für den Unternehmenserfolg einbringen (weitere Funktionen von Leitbildern werden aus Abbildung 7 ersichtlich).437 Ein Großteil der Unternehmen hat heute ein explizit formuliertes Leitbild.438 MüllerStewens und Lechner betiteln das Leitbild daher als eines der „populärsten Managementkonzepte der Gegenwart“439. Bezogen auf das Thema Bildungsmanagement zeigt die SCIL-Trendstudie440 auf, dass auch der Festschreibung von Aussagen zum Thema Bildung in Unternehmensleitbildern eine deutliche Relevanz zukommt: 88 % der befragten Experten beurteilen diese als hoch bzw. mittel bedeutsam. Entsprechend wurde es bereits in einem Großteil der Unternehmen realisiert (61 %). In den Unternehmen, in denen noch keine Umsetzung stattgefunden hat, ist diese für die Jahre 2006-2007 oder später geplant.441 Einzelne Experten schätzen das Thema allerdings auch als weniger bedeutsam ein. In ihren Unternehmen existieren bewusst keine schriftlich fixierten Leitbilder bzw. sie sind der Meinung, dass die existierenden Leitbilder nicht gelebt und umgesetzt werden. Entsprechend streben diese auch keine bzw. nur eine sehr späte Realisierung an.442 Dies deutet auf die häufig bestehende starke Diskrepanz zwischen den Erwartungen an die Leitbilder und der Realität hin. Bart443 kommt aufgrund einer empirischen Studie zu dem Ergebnis, dass die meisten Leitbilder nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben wurden. So halten 75 % der von ihm befragten 88 nordamerikanischen Unternehmen die Realisierung der festgesetzten Ziele für schlichtweg unmöglich.444 Dies liegt zum einen
437
Vgl. ausführlicher Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 179; Bleicher, 1994a.
438
Die konkreten Angaben hierzu variieren allerdings je nach Erhebung sehr stark: Jardine gibt an, dass bereits 1998 85 % der tausend größten deutschen Unternehmen über ein Unternehmensleitbild verfügten (vgl. Jardine, 2004, S. 110). Die in Fußnote 434 angesprochene Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 67 % der 350 befragten deutschen Unternehmen über Leitbilder verfügen.
439
Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 179.
440
Vgl. Fußnote 429.
441
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 25 f.
442
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 26.
443
Vgl. Bart, 1997, S. 12.
444
Vgl. hierzu und im Folgenden Bart, 1997.
Normative Ebene
83
daran, dass die Ziele zu mehrdeutig bzw. zu unklar formuliert sind und zum anderen daran, dass sie zu hoch gesteckt sind. Daneben wurde angegeben, dass das Leitbild weder zum Unternehmen noch zur Umwelt passt und in eine falsche Richtung führt.445 Nach Bleicher446 lassen sich die Funktionen und Dysfunktionalitäten von Leitbildern wie folgt zusammenfassen: Funktion von Leitbildern
Mögliche Dysfunktionalitäten
• Entwurf eines Zukunftsfits von Umweltund Unternehmungsentwicklung • Orientierungs- und Stabilisierungsfunktion
• Irreale Wunschbilder vermitteln Gefühl trügerischer Sicherheit
• Beitrag zur Sinnfindung
• Notwendiger Wandel wird blockiert
• Verhaltensentwicklung • Motivation und Kohäsion • Erleichterung der Koordination • Imagebildung
• Kosmetische Schönfärberei von Stäben; unglaubwürdige Leerformeln • „Kulturtechnokratie“ mit kontraproduktiven Wirkungen
• Unternehmungskulturelle Transformationsfunktion
Abbildung 7: Funktionen und Dysfunktionen von Leitbildern (in Anlehnung an Bleicher, 1994a, S. 22)
Diese Dysfunktionalitäten und Schwierigkeiten können sowohl in der Tatsache begründet liegen, dass wesentliche Vorgaben zur Formulierung der Leitbilder nicht berücksichtigt oder Versäumnisse im Prozess der Leitbilderstellung nicht ausgeräumt wurden. Bei der Erstellung von Leitbildern ist darauf zu achten, dass diese allgemeingültig447 und wesentlich formuliert sind, eine langfristige Gültigkeit besitzen, vollständig sind,
445
Vgl. hierzu auch Kapl, 2005.
446
Vgl. Bleicher, 1994a, S. 22.
447
Hierbei ist zu beachten, dass sie nicht zu allgemeingültig formuliert werden, d. h. die Formulierungen zu vage bleiben und bei nichts-sagenden Leersätzen verharren. Die Mitarbeitenden müssen sich mit den Inhalten des Leitbilds identifizieren können, sie sollen Orientierung erhalten. Allgemein gehaltene Floskeln wie „Wir motivieren unsere Mitarbeiter zu Spitzenleistungen“ sind eher kontraproduktiv (vgl. Jardine, 2004, S. 110 f.; Bleicher, 1994a, S. 53).
Theoretische Exploration
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der Wahrheit entsprechen, realisierbar, konsistent und letztlich klar abgefasst sind.448 Werden diese Grundsätze nicht berücksichtigt, kann es zu den oben aufgezeigten Schwierigkeiten kommen. Der häufigste Grund für Dysfunktionalitäten liegt im Prozess der Leitbilderstellung begründet.449 Daran nimmt meist nur das oberste Management teil450 oder es werden Unternehmensberater beauftragt, das Leitbild aus einer externen Sicht zu erarbeiten451. Entsprechend erfolgt die anschließende Verbreitung in einem ‚top-down’Prozess. Damit besteht die Gefahr, dass das Leitbild für die Mitarbeitenden aller Hierarchieebenen nicht anschlussfähig ist bzw. von ihnen abgeblockt wird. Eine Lösung liegt darin, die Mitarbeitenden des Unternehmens in die Leitbilderstellung zu integrieren.452 Bleicher drückt dies wie folgt aus: „Partizipativ vollzogene Lernprozesse der Leitbilderarbeitung schaffen Erfolgsvoraussetzungen für die Implementierung“453. So entsteht durch Partizipation nicht nur ein Konsens zwischen den Beteiligten, sondern es wird durch die Mitwirkung am Prozess der Leitbilderstellung auch die Identifikation mit dem Erarbeiteten begünstigt. Gleichzeitig wird eine große Realitätsnähe der Leitbildinhalte geschaffen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass es aufgrund ökonomischer Erwägungen z. T. nicht möglich ist, alle Mitarbeitenden zu integrieren. Ein alternatives Vorgehen läge dann in der Bildung einer Kerngruppe von Multiplikatoren. Diese sollte nicht auf bestimmte Leistungs- und Stabsebenen beschränkt sein, sondern eine möglichst heterogene Mischung aus verschiedensten Ebenen, Aufgaben- und Funktionszuschnitten, Betriebszugehörigkeit und Altersgruppen sein. Eine ähnliche Vorgehensweise beschreiben Müller-Stewens und Lechner.454 Sie favorisieren ein Gegenstromverfahren, das zwischen ‚top-down’- und ‚bottom-up’-Prozessen solange iterativ hin- und herpendelt, bis eine breite Verankerung
448
Vgl. ausführlich Ulrich, H., 1990, S. 29 f.
449
Vgl. Bleicher, 1994a, S. 67 ff.; Bart, 1997.
450
Nach der Studie von Bart waren nur 44 % des mittleren Managements in die Leitbilderstellung involviert, niedrigere Hierarchieebenen kaum noch (vgl. Bart, 1997, S. 13).
451
Vgl. Jardine, 2004, S. 112 f.; Dubs, 1990.
452
Vgl. hierzu und im Folgenden Bleicher, 1994a, S. 65 ff. Er beschreibt ausführlich ein Vorgehensmuster für die Erarbeitung von Leitbildern.
453
Bleicher, 1994a, S. 65.
454
Vgl. ausführlich Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 181.
Normative Ebene
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stattgefunden hat und eine weitgehende Akzeptanz des Leitbildes sichergestellt ist.455 Allen Ansätzen gemein ist die Forderung der Integration der Mitarbeitenden. Das Management kann zwar den Rahmen und die Zielsetzung der Leitbildentwicklung vorgeben, gleichzeitig ist es zur Akzeptanzsicherung wichtig, dass die Bedürfnisse und Anliegen der Mitarbeitenden in die endgültige Leitbildformulierung Eingang finden.456 Im Optimalfall werden aus Betroffenen Beteiligte.457 Daneben ist es unabdingbar, dass die Leitbilder vom obersten Management vorgelebt werden. Erst dadurch entsteht Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit.458 Trotz der Berücksichtigung dieser Vorgaben ist es nach Bleicher459 nicht immer möglich, für ein Unternehmen ein Leitbild zu entwickeln, das von allen Mitarbeitenden getragen wird. Insbesondere bei diversifizierten oder konglomerat arbeitenden Konzernen können sich derart unterschiedliche geschäftliche Bedingungen, Organisationsstrukturen und -kulturen ergeben, dass es schwer fällt, zugleich allgemein verbindliche und prägnante handlungsleitende Aussagen zu formulieren. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, für einzelne Unternehmensbereiche spezielle Leitbilder zu entwickeln.460 Dieser Prozess der Ableitung vom Generellen zum Speziellen sollte nicht beschränkt sein, sondern es sollte eine Rückkoppelung auf die unternehmensumfassenden Leitlinien erfolgen und diese der Realität angepasst werden. Die SCIL-Trendstudie bestätigt eine derartige Möglichkeit bezogen auf das Bildungsmanagement in Unternehmen: 94 % der befragten Experten schätzen es als hoch bzw. mittel bedeutsam ein, spezielle Leitbilder für das Bildungsmanagement einzuführen. 47 % der befragten Unternehmen haben dies bereits realisiert, 21 %
455
Einige Unternehmen setzen inzwischen auf sehr innovative Verfahren, um zum einen Leitbilder zu entwickeln und zum anderen diese den Mitarbeitern näher zu bringen. Der Otto-Konzern arbeitete beispielsweise bei der Leitbilderstellung mit einem Aktionskünstler zusammen, der den Prozess der Leitbilderstellung mit dem Einsatz von erlebnisorientierten Methoden unterstützte (vgl. Jardine, 2004, S. 109 ff.). Die Bausparkasse Schwäbisch Hall engagierte Kunststudenten, die die Mitarbeiter durch diverse Aktionen zum Nachdenken anregten – unter anderem über die Frage: Was ist mir wichtig? (vgl. hierzu Kuntz, 2004).
456
Vgl. hierzu auch Abplanalp/Lombriser, 2000, S. 78 f.; Daxner/Gruber/Riesinger, 2005, S. 29; Jardine, 2004, S. 109; Beer, 2002, S. 53; Berkel/Herzog, 1997.
457
Vgl. Daxner/Gruber/Riesinger, 2005, S. 29; dies gilt nach Dietrich auch für die anschließende interne Kommunikation des Leitbildes (vgl. Dietrich, 1999, S. 47).
458
Vgl. Jardine, 2004, S. 111 f.; Gabele/Kretschmer, 1985, S. 151 f.; vgl. daneben Kapitel 3.2.2.5.
459
Vgl. hierzu und im Folgenden Bleicher, 1994a, S. 68.
460
Dieses Vorgehen beschreibt als so genannten „Matrioschka“-Ansatz, abgeleitet nach dem Funktionsprinzip der sich ineinander stapelnden russischen Puppen (vgl. Hilb, 1994, S. 44 f.).
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sind derzeit in der Realisierungsphase und nahezu alle übrigen Experten sehen es als zukünftiges Thema an. Lediglich ein Experte weist, den obigen Überlegungen entsprechend, darauf hin, dass das Thema nie realisiert werden wird, da seiner Meinung nach „solche Leitbilder im Gesamtrahmen zu regeln sind“ und die Aussagen über Bildung in seinem Unternehmen deshalb in den Unternehmensleitbildern festgeschrieben wurden.461
3.2. Strategische Ebene Aus dem normativen Management leitet sich das strategische Management ab, das sich auf den Aufbau, die Pflege und die Nutzung der Erfolgspotentiale, für die im Unternehmen Ressourcen eingesetzt werden, konzentriert. Im Gegensatz zum normativen Management, welches Aktivitäten im Unternehmen begründet, ist das strategische Management darauf ausgerichtet, auf Aktivitäten einzuwirken.462 MüllerStewens und Lechner sprechen auch davon, dass das „strategische Management eine spezifische Denkweise verkörpert, sich mit der Entwicklung von Unternehmen auseinander zu setzen. … [Es] greift all die Themen auf, die es hinsichtlich der Entwicklung von Unternehmen als wichtig erachtet“463. Dabei ist die systematische Auseinandersetzung mit diesen Themen im Rahmen des strategischen Managements die Grundlage für den langfristigen Erfolg und die dauerhafte Existenzsicherung des Unternehmens.464 Für die Erarbeitung der strategischen Ebene sind folgende Fragen handlungsleitend: x
x x
Welches sind die konstitutiven Handlungs- und Entscheidungsfelder des Bildungsmanagements auf der strategischen Ebene? Wie können diese ausgestaltet werden? Welche strategischen Aspekte gilt es bei der Gestaltung des Bildungsmanagements im Unternehmen zu berücksichtigen?
Ausgangs- und Mittelpunkt des strategischen Managements sind Strategien.465 „Sie bestimmen die grundsätzliche Geschäftsausrichtung eines Unternehmens, indem sie
461
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 26.
462
Vgl. Bleicher, 2004, S. 81 f., S. 287 ff.
463
Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 20.
464
Vgl. Rüegg-Stürm, 2004, S. 83; Ulrich, H., 1979.
465
Vgl. hierzu u. a. Krogh, 2004, S. 388; Hungenberg, 2000, S. 7.
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die langfristigen Geschäftsziele definieren, festlegen, wie sich das Unternehmen in seinen Märkten positionieren soll, und dafür Sorge tragen, dass die wettbewerbsrelevanten Ressourcen identifiziert und aufgebaut werden.“466 Kapitel 3.2.1 setzt sich daher intensiv mit dem Thema Strategie auseinander. Allerdings hängt der Erfolg eines Unternehmens nicht nur von einem analytisch klaren und zielgerichteten Konzept ab – die Strategie steht immer in Wechselwirkung mit der im Unternehmen vorgefundenen Kultur und der gegebenen Struktur.467 Das Thema Kultur wird in Kapitel 3.2.2 aufgegriffen und detailliert erörtert. Kapitel 3.2.3 geht näher auf strukturelle Aspekte ein. 3.2.1. Strategie Die Ausführungen zum Themenfeld Strategie orientieren sich an folgenden weitergehenden Fragestellungen: x x
x
Wie kann ‚Strategie’ begrifflich konkretisiert werden? Welche Bezugspunkte/Ansätze existieren für die Strategieentwicklung und -implementierung in Unternehmen? Wie gestalten diese die Strategieentwicklung/-implementierung aus? Wie können aus einer Gesamtsicht betrachtet Strategieprozesse gestaltet werden?
Die erste Frage steht im Mittelpunkt von Kapitel 3.2.1.1. Eine detaillierte Betrachtung der zweiten Frage erfolgt in Kapitel 3.2.1.2. Kapitel 3.2.1.3 geht auf die Frage der integrativen Strategiegestaltung ein.
466
Hungenberg, 2000, S. 7.
467
Grundsätzlich ist das Themenspektrum des strategischen Managements äußerst umfangreich und an seinen Rändern nicht eindeutig abzugrenzen (vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 17). Die verschiedenen Ansätze unterscheiden sich beispielsweise dadurch, dass sie unterschiedliche Schwerpunkte setzen und entsprechend unterschiedliche Objekte des strategischen Managements betrachten. Nach Hungenberg ist dies in erster Linie eine Frage der Zweckmäßigkeit (vgl. (vgl. Hungenberg, 2000, S. 7). So wird es im Rahmen dieser Arbeit für zweckmäßig erachtet, die drei strategischen Bereiche Strategie, Kultur und Struktur zu unterscheiden. Diese Unterscheidung findet sich beispielsweise auch bei Thommen, 2002, S. 117 f.; Schellenberg, 1992, S. 127 ff. und Rühli, 1992, S. 11.
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3.2.1.1. Begriffliche Konkretisierung Wenngleich der begriffliche Ursprung von ‚Strategie’ auf das Griechische468 zurückgeht, gibt es bis heute keine allgemeingültige Definition. Vielmehr existieren in Wissenschaft und Praxis verschiedene Definitionen, da sich jeder Autor auf einzelne, spezielle Aspekte der allgemein gefassten Thematik konzentriert.469 Trotz der vielen Konzepte und der z. T. vorhandenen inhaltlichen und methodischen Unterschiede existiert aber ein gleiches Grundverständnis, das durch die nachfolgende Darstellung der wesentlichen Merkmale zum Ausdruck kommt.470 Auf diesem Weg kann der Begriff Strategie konkreter erfasst werden. Unternehmen sind, wie bereits in Kapitel 3.1.2. dargestellt, auf eine Sicherung des langfristigen Erfolgs ausgerichtet. Das Ziel der Unternehmensstrategie ist es, zu beschreiben, wie das Unternehmen diese Erfolgssicherung erreichen kann. Dies geschieht insbesondere vor dem Hintergrund und dem Bewusstsein der Risiken und Chancen, der Ungewissheit und Komplexität, die auf den Märkten zu finden sind und mit denen sich das Unternehmen auseinandersetzen muss.471 Das Ziel von Strategien ist es, vor dem Hintergrund dieser Ungewissheit Erfolgspotentiale472 bzw. -positionen für das Unternehmen zu schaffen. Unter Erfolgsposition kann dabei eine bewusst geschaffene Voraussetzung, im Sinne von Kernkompetenz, verstanden werden, die es einem Unternehmen erlaubt, im Vergleich zur Konkurrenz langfristig überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen.473 Strategien werden weiter aus einer langfristigen Sichtweise heraus formuliert.474 Allerdings sollten sie dennoch so beschaffen sein, dass ein flexibles Agieren aufgrund von Umweltveränderungen möglich ist.475 Ulrich formuliert dies wie folgt: „es geht … um
468
So bezeichnet Strategie im Griechischen die Kunst der Heerführung, hergeleitet von stratos = Heer und agos = Führer (vgl. Hungenberg, 2000, S. 3; Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 8).
469
Vgl. hierzu u. a. Krogh, 2004, S. 388 f.; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 154; Müller-Stewens/ Lechner, 2005, S. 17.
470
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 3.
471
Vgl. Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 21; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 154; Abplanalp/Lombriser, 2000, S. 15; Schreyögg, 1999, S. 391.
472
Vgl. Gälweiler/Schwaninger, 1986, S. 149 ff.; Kirsch/Knyphausen/Ringlstetter, 1994, S. 5.
473
Vgl. Pümpin, 1986, S. 34. Hierbei ist zu beachten, dass ein so definierter Kernkompetenzbegriff sich vom Kompetenzbegriff des Bildungsmanagements (vgl. Kapitel 2.1.3) unterscheidet.
474
Vgl. Krogh, 2004, S. 387; Chandler, 1962.
475
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 5.
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die erforderlichen Fähigkeiten der Unternehmung, auf den ‚Innovationsdruck’ und auf ‚strategische Überraschungen’ seitens ihrer Konkurrenten wie ein guter Schachspieler aus der Position der Stärke heraus flexibel, wirksam und erfolgbringend reagieren zu können“476. Die grundsätzliche Ausrichtung im Vergleich zu den bereits beschriebenen Elementen der normativen Ebene und den operativen Prozessen lässt sich wie folgt veranschaulichen: Zeit langfristig, evolutionär
Ziel Managementphilosophie Unternehmenspolitik
grundsätzliche Leitlinien
Strategie
kurzfristig, situativ
Operative Prozesse
detaillierte Ziele
Abbildung 8: Einordnung der Strategie (in Anlehnung an Müller-Böling/Krasny, 1998, S. 20)
Mit der Strategie wird die grundsätzliche Richtung des Unternehmens bestimmt, die auf der einen Seite Bezug nimmt auf die durch das normative Management definierten grundsätzlichen Leitlinien und auf der anderen Seite die Grundlage für die detaillierten Ziele auf der operativen Ebene bildet.477 Dabei sind Strategien aus einer übergreifenden Perspektive formuliert. Sie sind auf das ganze Geschäft gerichtet und streben eine gesamthafte Ausrichtung der Aktivitäten an.478 Die Forderung nach einer übergreifenden Sichtweise begründet sich nach Hungenberg479 dadurch, dass die Ausrichtung eines Unternehmens nur dann positiv beeinflusst werden kann, wenn über Organisationseinheiten hinweg gedacht wird.
476
Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 21 (im Original z. T. kursiv); vgl. daneben Ulrich, H., 1979, S. 350.
477
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 5, S. 7, S. 13.
478
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 154.
479
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 5.
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Neben dieser Strategieformulierung auf Unternehmensebene (‚Corporate Strategy’) ist es aus einer außenorientierten Sichtweise denkbar, dass insbesondere in diversifizierten Unternehmen Strategien für einzelne Geschäftsfelder (‚Business Strategies’) entwickelt werden.480 Diese legen die einzelnen Produkt-/Markt-Kombinationen pro Geschäftsbereich fest.481 Die strategischen Aufgaben entsprechen damit denen eines Unternehmens mit einem homogenen Produktprogramm – es geht darum, wie das Unternehmen in einem bestimmten Geschäftsfeld operieren will, um erfolgreich am Markt zu bestehen.482 Die einzelnen Geschäfts(feld)strategien sind wiederum in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Diese hält als übergreifende „Klammer“483 die Strategien der Einzelbereiche zusammen und klärt neben der Gesamtstruktur des Unternehmens beispielsweise auch die Verteilung der Ressourcen auf die einzelnen Geschäftsfelder.484 Wie in Kapitel 4.2.1.1 noch näher ausgeführt wird, können beide Ebenen aus Sicht des Bildungsmanagements relevant sein. Im Folgenden konzentrieren sich die Ausführungen allerdings in erster Linie auf den Bereich der Unternehmensstrategie, da das Bildungsmanagement im Rahmen dieser Arbeit als komplexe Managementaufgabe betrachtet wird, die Anteil hat an den unternehmerischen Strategieprozessen.485 Entsprechend wird im Folgenden sowohl die Entwicklung der Strategie als auch deren Implementierung aus gesamtunternehmerischer Sicht betrachtet.486
480
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 155 f.; Hungenberg, 2000, S. 14 f.; Staehle, 1991, S. 563, S. 610 ff.; Abplanalp/Lombriser, 2000, S. 13 f.; Christensen et al., 1982, S. 93 ff.; Andrews, 1987, S. 13 f.
481
Vgl. Andrews, 1987, S. 13; Hungenberg, 2000, S. 61 ff. Weitere Abgrenzungskriterien strategischer Geschäftseinheiten finden sich bei Hinterhuber, A., 2002, S. 75.
482
Vgl. ausführlich Hungenberg, 2000, insb. S. 13 ff.; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 155 f.; Abplanalp/Lombriser, 2000, S. 80 ff.; Gomez, 1993, S. 56 ff.; Rüegg-Stürm, 2004, S. 86.
483
Hungenberg, 2000, S. 15.
484
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 14, S. 296 ff.; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 156.
485
Im neuen St.Galler Management-Modell stellt das Bildungsmanagement einen Unterstützungsprozess dar. In dieser Funktion trägt das Bildungsmanagement zur Unterstützung des Vollzugs primärer Aktivitäten wie die der Geschäfts- und Managementprozesse bei. Aus dieser Perspektive heraus fokussieren sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Ebene der Unternehmensstrategie.
486
Wie noch aufgezeigt wird, kommt aus Sicht des Bildungsmanagements der Strategieentwicklung derzeit eine höhere Relevanz zu der Implementierung. Entsprechend detaillierter wird im Folgenden auf die Strategieentwicklung eingegangen.
Strategische Ebene
91
3.2.1.2. Strategieentwicklung und -implementierung Neben der begrifflichen Konkretisierung ist es zur Erfassung des Themenfeldes Strategie notwendig, sich mit den grundlegenden Ansätzen der Strategieentwicklung auseinanderzusetzen, da diese heute noch das Themenfeld prägen.487 Hierzu zählen insbesondere die Arbeiten der Wissenschaftler Chandler, Andrews, Ansoff und Penrose.488 Chandler489 untersuchte den Wachstumsprozess von Unternehmen und fasste seine Ergebnisse in der bekannten Aussage ‚Structure follows Strategy’ zusammen. Damit machte er zum ersten Mal den Zusammenhang der Themen Strategie und Struktur deutlich und brachte gleichzeitig zum Ausdruck, dass die Organisationsformen von und in Unternehmen durch die jeweilige Strategie bestimmt werden. Andrews490 baut auf die Arbeiten Chandlers auf und erweitert sie um den Aspekt, dass für die Strategieentwicklung sowohl die Unternehmensumwelt als auch die Kompetenzen des Unternehmens berücksichtigt werden müssen. Damit entwickelte er den Grundgedanken der Strategieentwicklung auf Geschäftsfeldebene. Daneben führte er die Unterscheidung in eine Phase der Strategieformulierung und der -implementierung ein, die heute noch wesentlich ist. Ansoff491 konzentrierte sich auf die Unternehmensebene und beschäftigte sich mit Fragen nach z. B. den Gründen für das Entstehen von Wettbewerbsvorteilen, der Nutzung von Synergien innerhalb von Unternehmen und dem angestrebten Grad der vertikalen Integration in Unternehmen. Daneben formalisierte er seine strategischen Überlegungen in Phasenmodelle und wurde damit zum Wegbereiter der strategischen Planung.
487
Wenngleich der begriffliche Ursprung auf das Griechische zurückzuführen ist, so entwickelte sich das „Feld des strategischen Managements“ erst ab Anfang der 70er Jahre zur „wissenschaftlichen“ Disziplin (vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 8 f.; daneben auch Hungenberg, 2000, S. 3). Zur historischen Entwicklung vgl. u. a. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 8 ff.; Abplanalp/Lombriser, 2000, S. 10 ff.; Hungenberg, 2000, S. 51 ff.; Krogh, 2004, S. 394 ff.
488
Vgl. ausführlich Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 10; Hungenberg, 2000, S. 52 f.
489
Vgl. Chandler, 1962.
490
Vgl. Andrews, 1971.
491
Vgl. Ansoff, 1965.
Theoretische Exploration
92
Penrose492 formulierte bereits 1959 den Gedanken, dass die Einzigartigkeit eines Unternehmens durch die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen bestimmt wird. „It is the heterogeneity, and not the homogenity, of the productive services available or potentially available from its resources that give each firm its unique character.“493 Auf diese Gedanken von Penrose aufbauend, entwickelte sich Anfang der 90er Jahre der ressourcenorientierte Ansatz (‚Resource-based View’) als Gegenbewegung zum marktorientierten Ansatz (‚Market-based View’), der durch die Industrieökonomik und insbesondere die Arbeiten Porters494 geprägt wurde. Unter dem ressourcenorientierten Ansatz495 werden in Anlehnung an Bürki496 in dieser Arbeit sämtliche Modelle und Konzeptionalisierungsversuche verstanden, die die Quelle nachhaltiger Wettbewerbsvorteile in der Existenz von einzigartigen Ressourcen und Kompetenzen sehen und diese damit im Unternehmen begründen.497 Das Spektrum möglicher Ressourcen ist ebenso breit wie die in der Literatur vorhandenen Gliederungs- und Definitionsversuche verschieden sind.498 Zur Frage, welche Ressourcen strategische Ressourcen sind, vermerkt Barney: „Those attributes of a firm’s physical, human, and organizational capital that do enable a firm to conceive of and implement strategies that improve is efficiency and effectiveness are … firm resources“499. Strategische Ressourcen sind zugleich wertvoll, selten, nicht oder nur schwer imitierbar und nicht substituierbar.500
492
Vgl. Penrose, 1995.
493
Penrose, 1995.
494
Er erklärte im Rahmen der „Five Forces“, worin Wettbewerbsvorteile und Erfolgsunterschiede zwischen Unternehmen begründet sind. Vgl. Porter, 1980.
495
Der Begriff wurde von Wernerfelt mit dem Artikel „A resource-based View of the Firm“ (Wernerfelt, 1984) eingeführt. Populär wurde der Ansatz jedoch vor allem durch Prahalad und Hamel und ihren Aufsatz ‚The Core Competence of Corporation’ (vgl. Prahalad/Hamel, 1990).
496
Vgl. Bürki, 1996, S. 24.
497
Als Konzeptualisierungsversuche gelten beispielsweise der Knowledge Based View, der Capability Based View oder der Competence Based View (vgl. Friedrich, 2000, S. 12 f.; Freiling, 2000, S. 188 ff.; Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 356 ff.). Eine detaillierte Übersicht zu den Forschungsschwerpunkten und der Entwicklung des ressourcenorientierten Ansatzes findet sich bei Bürki, 1996, S. 27 ff.
498
Vgl. hierzu Bürki, 1996, S. 47 ff.
499
Barney, 1991, S. 102; vgl. auch Wernerfelt, 1984, S. 172.
500
Vgl. z. B. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 189; Hungenberg, 2000, S. 101 ff.; Hinterhuber, H./ Friedrich, 1997, S. 996 ff.; Bürki, 1996, S. 199 ff.
Strategische Ebene
93
Aus dem Blickwinkel des Bildungsmanagements ist es insbesondere relevant, hervorzuheben, dass die Mitarbeitenden mit ihren Fähigkeiten und Eigenschaften in den meisten Konkretisierungen des Begriffs ‚Ressource’ eine wesentliche Rolle spielen. So betont beispielsweise Hinterhuber501, dass die ressourcenorientierten Ansätze insbesondere wissensbasierte, intangible Faktoren in ihrer Bedeutung herausstellen. Dies zeigt sich auch bei Rasche und Wolfrum502 oder bei Rüegg-Stürm503 in ihrer Definition von immateriellen Ressourcen. Für Müller-Stewens und Lechner504 sind eine Kategorie der immateriellen Ressourcen die Humanressourcen, zu denen u. a. der Ausbildungsstand der Mitarbeiter zählt. Ebenso sind für Barney in Anlehnung an Becker505 Humanressourcen eine Ressourcenkategorie, welche „the training, experience, judgement, intelligence, relationships, and insight of individual managers and workers in a firm“506 beinhalten. Bürki definiert den Begriff Humanressourcen noch weiter, indem er für ihn „alle natürlichen Eigenschaften [umfasst], die für den Menschen kennzeichnend sind: Sprache, Kreativität, Intelligenz, Intuition, Verstand, Ideen, Sozialverhalten, Sinneswahrnehmung, Aufbau und Akkumulation von Wissen usw.“507. Wie bereits dargestellt, können allerdings nur diejenigen Ressourcen als strategische Ressourcen eingestuft werden, die eine gewisse Qualität besitzen. Damit wird deutlich, dass sowohl der Mitarbeitende an sich als auch die Bildung zentrale strategische Ressourcen sein können.508 Remer bezeichnet das „Personal“ gar als „faktisch unausweichlichen Dreh- und Angelpunkt für die Unternehmensstrategie“509. Trotz der Bedeutung des ressourcenorientierten Ansatzes (bzw. gerade deswegen) findet sich in der Literatur vielfach die Forderung nach einer Synthese der verschiedenen Denkrichtungen. Es gilt folglich nicht nur, den Blick auf den ressourcenorientierten Ansatz zu fokussieren, sondern im Sinne einer integrierten Sichtweise auch die Marktbetrachtung im Rahmen der Strategieentwicklung mit aufzunehmen.510
501
Vgl. Hinterhuber, H./Friedrich, 1997, S. 995.
502
Vgl. Rasche/Wolfrum, 1994, S. 502 f.
503
Vgl. Rüegg-Stürm, 2002, S. 25.
504
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 212 ff.
505
Vgl. Becker, G., 1964.
506
Barney, 1991, S. 101.
507
Bürki, 1996, S. 51 f.
508
Vgl. hierzu auch Scholz, 1995b, S. 235; Hall, 1992.
509
Remer, 1997, S. 406 (im Original z. T. kursiv).
510
Vgl. Friedrich, 2000, insb. S. 15; Barney, 1991, S. 99 f.; Mintzberg, 2005; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 180 ff.; Ulrich, H., 1979, S. 351; Hinterhuber, H./Friedrich, 1997, S. 990.
Theoretische Exploration
94
Bereits Wernerfelt hatte 1984 in seinem Artikel vermerkt: „For the firm, resources and products are two sides of the same coin“511. Entsprechend ist es nicht nur bedeutsam, den Blick im Sinne eines Inside-out-Denkens (‚Resource-based View’) nach Innen zu richten und die Stärken und Schwächen des Unternehmens zu analysieren, sondern im Rahmen einer Outside-in-Perspektive (‚Market-based View’) die Gegebenheiten des Marktes mit entsprechenden Möglichkeiten und Gefahren zu untersuchen und aufzunehmen.512 Diese integrierte Sichtweise spiegelt sich in den so genannten präskriptiven Ansätzen der Strategieentwicklung wieder. Die einflussreichste präskriptive Denkschule ist die Design-School513, auf die sich auch Rüegg-Stürm514 in seinen Ausführungen zum neuen St.Galler Management-Modell bezieht und die daher hier näher dargestellt wird. Im Kern geht es ihr darum, die Stärken und Schwächen des Unternehmens und die Chancen und Risiken des Marktes herauszufinden, aufeinander zu beziehen und zu „harmonisieren“515. Damit erfolgt sowohl aus einer Outside-in-Perspektive eine Analyse der Marktgegebenheiten und ihrer Relevanz für das Unternehmen als auch aus einer Inside-out-Perspektive eine Analyse der spezifischen Ressourcen und Kompetenzen, die im Unternehmen vorhanden sind. Abbildung 9 stellt die Zusammenhänge im Überblick dar.
511
Wernerfelt, 1984, S. 171.
512
Vgl. hierzu auch Barney, 1991, S. 99 f.
513
Zu den Ursprüngen, der Entwicklung und detaillierten Ausprägung vgl. ausführlich Mintzberg, 2005, S. 38 ff.; andere Denkschulen sind beispielsweise die der Planning School oder der Positioning School (vgl. hierzu Mintzberg, 2005, S. 63 ff., S. 99 ff.; Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 73 f.).
514
Vgl. Rüegg-Stürm, 2002, S. 43.
515
Mintzberg, 2005, S. 38. Wobei hier die Frage gestellt werden kann, inwieweit Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken überhaupt harmonisiert werden können bzw. ob es überhaupt erstrebenswert ist, diese zu ‚harmonisieren’. Diese Diskussion wird im Zusammenhang mit der Strategiegestaltung auf Seite 109 ff. nochmals aufgenommen und weitergeführt.
Strategische Ebene
95
Externe Analyse
Interne Analyse
Umweltbedingungen und Trends
Spezifische Ressourcen und Kompetenzen
Gesellschaft Wirtschaft Technologie Natur
Finanzen Management Funktionen Organisation
Lokal
Reputation
Regional
Erfahrung
global
Geschichte
Chancen und Gefahren
Stärken und Schwächen
Identifikation der Schlüssel-Erfolgsfaktoren
StrategieEntwicklung
Abschätzung der Risiken
Gesellschaftliche Verantwortung
Evaluation und Wahl einer Strategie
Identifikation von Kernkompetenzen Abschätzung von Entwicklungspotenzialen
Werthaltungen der Führungskräfte
Implementierung der Strategie
Abbildung 9: Strategieentwicklung aus Sicht der Design-School (Rüegg-Stürm, 2004, S. 87)
Konkret betont die Outside-in-Perspektive die Notwendigkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Umfeld des Unternehmens.516 Dabei soll nach Müller-Stewens und Lechner „nach den jeweiligen dominierenden Trends ‚gefahndet’ [werden], von denen zu erwarten ist, dass sie als zukünftige Rahmenbedingungen einen starken Einfluss auf das Unternehmen ausüben werden“517. Die aus dem Blickwinkel des Bildungsmanagements als herausfordernd geltenden Trends können grundsätzlich in
516
Vgl. Rüegg-Stürm, 2004, S. 87.
517
Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 149.
Theoretische Exploration
96
unterschiedlichen Bereichen der Umwelt auftreten. Es lassen sich vier Segmente mit entsprechenden Bedingungsgrößen518 unterscheiden:519 x ökonomisches Segment x technologisches Segment x politisch-rechtliches Segment x soziokulturelles Segment Im ökonomischen Segment spielt die Qualität des Absatzmarktes eine zentrale Rolle, da die Faktoren dieses Segments auf die Güter- und Kapitalmärkte einer Volkswirtschaft Einfluss haben und damit das Angebots- und Nachfrageverhalten prägen.520 Müssen aus diesem Grund beispielsweise neue Absatzfelder erschlossen werden, so bedarf dies einer Anpassung der Kompetenzen im Unternehmen. Daneben hat auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt eine Auswirkung auf das Unternehmen. Herrscht beispielsweise die Situation vor, dass es einen Mangel an entsprechend ausgebildetem Personal gibt, so muss dies bereits frühzeitig aufgenommen werden.521 Daneben spielen insbesondere die Trends der Internationalisierung, Globalisierung und Flexibilisierung eine entscheidende Rolle für das Bildungsmanagement, wie die Ergebnisse der SCIL-Trendstudie belegen.522 Beispielsweise kann es im Zuge der Internationalisierung und Globalisierung notwendig werden, globale Bildungsprogramme zu entwickeln, weltweite Ausbildungsstandards aufzunehmen oder einen grenzüberschreitenden Know-how-Transfer anzustreben. Eng damit verbunden sind auch Anforderungen aufgrund der zunehmenden Flexibilisierung des Marktes, die es zu berücksichtigen gilt. 523 Die technologischen Bedingungsgrößen beziehen sich auf den Einsatz und die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese können beispielsweise zu veränderten Arbeitsprozessen im Unternehmen führen, oder auch zu Veränderungen auf den Märkten. In den letzten Jahren ist beobachtbar, dass sich die Geschwindigkeit des technologischen Wandels beschleunigt und Technologien
518
Die nachfolgend erläuterten Bedingungsgrößen der einzelnen Segmente sind als Beispiele zu verstehen, die der Veranschaulichung dienen. Je nach Unternehmen und Umfeld gibt es eine Vielzahl weiterer Bedingungsgrößen, die für jeden Einzelfall herausgearbeitet werden müssen.
519
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 205; Beck, 1991, S. 18 ff.
520
Vgl. Beck, 1991, S. 20 f.; Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 205.
521
Vgl. Beck, 1991, S. 22.
522
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 43 f.
523
Vgl. Ausführungen in Kapitel 3.2.3.3.
Strategische Ebene
97
immer mehr zusammenwachsen. Damit kommt diesen Einflussfaktoren eine hohe Bedeutung für die Wertschöpfung im Unternehmen zu.524 Weiter sind Entwicklungen und Vorgaben aus dem politisch-rechtlichen Bereich in die Überlegungen zur Strategieformulierung mit aufzunehmen. Diese Rahmenbedingungen können sich z. B. nur auf einzelne Kommunen, Kantone (CH) oder Bundesländer (D) beziehen oder gesamtstaatliche Regelungen umfassen bis hin zu europäischen oder global gültigen Anforderungen.525 Beispielsweise zählt hierzu der BolognaProzess. In der SCIL-Trendstudie wiesen 35 % der Experten dem Thema eine hohe Bedeutsamkeit zu, wobei bisher lediglich 5 der 47 befragten Unternehmen das Thema bereits in ihre Strategien integriert haben.526 Interessanterweise bestand in den Einschätzungen eine große Polarität: entweder wurde das Thema sehr intensiv verfolgt (beispielsweise durchgängige Integration von der Berufsausbildung bis zu Master-Abschlüssen) oder gar nicht. Im Rahmen der dritten Delphi-Runde wurden diese sehr heterogenen Ergebnisse aufgenommen und zur Diskussion gestellt. Auch in dieser Diskussion wurden unterschiedlichste Standpunkte deutlich: Zum einen wurde der Integration des Bologna-Prozesses eine hohe Bedeutung beigemessen und entsprechend weit ist die Umsetzung fortgeschritten, zum anderen stellt sich die Frage aus Sicht einiger Experten aufgrund von unternehmensspezifischen Gegebenheiten so nicht. Dazwischen existiert eine Vielzahl weiterer Meinungen und Einschätzungen. Insgesamt kann der Bologna-Prozess als eine ‚Speerspitze’ für Flexibilisierung gesehen werden, die je nach Unternehmenskontext unterschiedlich eingeschätzt und realisiert wird. Hier zeigt sich auch die Bedeutung einer unternehmensindividuellen Analyse der Umweltgegebenheiten – für das eine Unternehmen ist dieser Trend wichtig und wird in die strategischen Überlegungen aufgenommen, ein anderes Unternehmen beurteilt diesen Trend für sich als unrelevant und berücksichtigt ihn in der Strategieformulierung nicht weiter.527
524
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 310 f.; Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 205 f. Für das Bildungsmanagement geht es in diesem Zusammenhang beispielsweise darum, neben den direkten Auswirkungen auf die Bildungsprozesse vor allem auch ein technologiefreundliches Betriebsklima zu schaffen oder Schlüsselpersonen für die technologischen Veränderungen im relevanten Markt zu sensibilisieren (vgl. Beck, 1991, S. 25).
525
Eine Übersicht über die rechtlichen Grundlagen der Personalentwicklung, die zum Großteil auf das Bildungsmanagement übertragen werden können, findet sich bei Becker, M., 2002, S. 100 ff.
526
Vgl. hierzu und im Folgenden Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 26.
527
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 313.
Theoretische Exploration
98
Die soziokulturellen Faktoren bedingen die Werte und Normen sowie die Struktur von Gesellschaften, zu deren Mitgliedern die Mitarbeitende, Kunden und Lieferanten eines Unternehmens zählen. Damit ist das Unternehmen selbst auch den gesellschaftlichen Einflüssen ausgesetzt. Diese können sich zum einen in veränderten Strukturen (Bevölkerungsentwicklung, Altersstruktur, Mobilitätsverhalten, Einkommensverteilung) zeigen als auch von den Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen der Individuen ausgehen, die z. B. Niederschlag finden in den Ansprüchen der Menschen an ihre Arbeit oder ihren Einstellungen zu bestimmten Produkten. Verändern sich die Einstellungen der Mitglieder einer Gesellschaft, müssen sich die Unternehmen darauf einstellen.528 Zu aktuellen Herausforderungen in diesem Bereich zählen beispielsweise die unter dem Stichwort ‚Megatrends’ bereits thematisierten Veränderungen wie die steigende Individualisierung.529 Daneben stellt der demografische Wandel eine der größten Herausforderungen für die Unternehmen und das Bildungsmanagement in den nächsten Jahren dar.530 Insbesondere ein Lernen über die bisherigen Altersgrenzen hinweg (Stichwort ‚Alterspolitik’) und beispielsweise die sinkende Anzahl an Akademikern spielen hier eine Rolle.531 In den einzelnen Segmenten ist, wie dargestellt, eine Vielzahl unterschiedlichster Faktoren zusammengefasst, die in konkreten Situationen aus Sicht des Bildungsmanagements für die Strategieformulierung eines Unternehmens relevant sein können. Welche Einflussgrößen für das konkrete Unternehmen entscheidend sind, lässt sich nicht allgemeingültig bestimmen, sondern jedes Unternehmen muss für sich wichtige Umfeldentwicklungen identifizieren und in seine Entscheidungen integrieren.532 Damit nicht die Gefahr droht, dass sich das (Bildungs-)Management an Kriterien orientiert, die für das Unternehmen immer unwichtiger werden, sollten die einzelnen Segmente im Rahmen der Strategieprozesse immer wieder von neuem analysiert und der Einfluss ihrer Bedingungsgrößen bestimmt werden.533 Diese regelmäßige Analyse zusammen mit der Tatsache, dass viele der genannten Einflussfaktoren nicht abrupt wirken, sondern sich erst in einem schleichenden Prozess bemerkbar
528
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 205; Hungenberg, 2000, S. 311 f.; Beck, 1991, S. 29 ff.
529
Vgl. Kapitel 3.1.1.2; daneben Hungenberg, 2000, S. 311 f.
530
Vgl. z. B. Ergebnisse der SCIL-Trendstudie in Diesner/Euler/Seufert, 2006, oder auch die Erläuterungen in Kapitel 1.1.
531
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 28.
532
Vgl. hierzu auch Hungenberg, 2000, S. 313.
533
Vgl. Beck, 1991, S. 19.
Strategische Ebene
99
machen, ermöglicht es dem Unternehmen, Trends frühzeitig zu erkennen und sich darauf einzustellen.534 Neben diesem Blick nach Außen gilt es, im Rahmen der integrierten Sichtweise mit einer Inside-out-Analyse die verfügbaren Ressourcen, Fähigkeiten und Kernkompetenzen in der Organisation zu identifizieren und deren systematische Entwicklung als Kernaufgabe des strategischen Managements aufzunehmen.535 Der Ausgangspunkt der Strategieentwicklung aus der Inside-out-Perspektive liegt dementsprechend in der Stärken-/Schwächen-Analyse der verfügbaren Ressourcen und Fähigkeiten im Unternehmen.536 Aus Sicht des Bildungsmanagements sind insbesondere die Mitarbeitenden mit ihren Fähigkeiten und Eigenschaften (egal, ob sie nun als intangible, immaterielle oder Human-Ressourcen bezeichnet werden) als Ressourcen des Unternehmens von Bedeutung. Deren Stärken und Schwächen sind grundsätzlich relativ schwer zu eruieren. Müller-Stewens und Lechner vermerken hierzu, dass es keinen „‚objektiv’ richtigen und einzigen Weg [gibt], wie man vorgehen sollte“537. Eine Möglichkeit sehen Hofer und Schendel538 darin, ein Ressourcenprofil zu erstellen. Darauf aufbauend werden die Stärken und Schwächen der identifizierten Ressourcen ermittelt und anschließend die spezifischen Kompetenzen diagnostiziert. Aguilar539 beschreibt die Quellen der Information über interne Faktoren in ähnlicher Weise, indem er persönliche Erfahrungen, Berichte, Konferenzen, Komitees, Aktennotizen, untergeordnete Manager, Angestellte und externe Quellen als Grundlage für die Erkenntnisgewinnung nennt. Im Rahmen der Inside-out-Analyse gilt es, die individuellen Fähigkeiten und Ansprüche in ihrer Gesamtheit zu betrachten, da sie zum einen nicht nur einzeln zum Tragen kommen, sondern ihr Zusammenspiel für die Wirkung im Unternehmen entscheidend ist.540
534
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 206.
535
Vgl. Euler, 2004, S. 41.; Rüegg-Stürm, 2002, S. 25.
536
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 182 ff.; Staehle, 1999, S. 589 f.
537
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 215. Die Design-School vermerkt zwar, dass die Betrachtung der Stärken und Schwächen aus Überlegungen und Bewertungen, die durch Analysen untermauert werden, gewonnen werden können, d. h. aus bewusstem Handeln, das sich schriftlich und mündlich zum Ausdruck bringen lässt, aber letztlich gibt sie keinen konkreten Weg zur Analyse vor (vgl. Mintzberg, 2005, S. 49).
538
Vgl. Hofer, C./Schendel, 1978, S. 144 f.; daneben Staehle, 1999, S. 590.
539
Vgl. Aguilar, 1967, S. 11.
540
Vgl. Krogh, 2004, S. 410; Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 215 ff.; Hinterhuber, H./Friedrich, 1997, S. 998 ff.; Wunderlich, 2004, S. 41; daneben die Ausführungen in Kapitel 3.2.1.3 und 3.2.2.2.
Theoretische Exploration
100
Die beiden dargestellten Vorgehensweisen der Outside-in- und der Inside-outPerspektive gilt es, entsprechend der grundlegenden Handlungsmaxime der DesignSchool im Rahmen einer integrativen Perspektive zu verbinden.541 Aus unterschiedlichen Blickwinkeln gibt es verschiedene Konzepte, die das Verhältnis von Unternehmen und Umwelt beleuchten und es erlauben, iterativ zwischen den Bereichen hin und her zu pendeln. Entsprechend gibt es keinen ‚one best way’ der Vorgehensweise, sondern es ist notwendig, im Einzelfall eine Entscheidung über den Einsatz einer bestimmten Methode zu treffen.542 Eine aus dem Blickwinkel des Bildungsmanagements relevante Möglichkeit ist die SWOT-Analyse, auf die im Zusammenhang mit der Strategiegestaltung (siehe S. 105 ff.) näher eingegangen wird. Wie sich die Strategie weiter entwickelt, wird vom präskriptiven Ansatz der DesignSchool nicht näher ausgeführt. Andrews543, als ein wichtiger Vertreter dieses Ansatzes, betont lediglich, dass es sich hierbei um einen kreativen Akt handelt. Dieser geht vom Top-Manager/Unternehmensleiter aus, bei dem auch die Verantwortung für die bewusste Kontrolle liegt.544 Das heißt, es gibt eine „Befehls- und Kontroll-Mentalität“545, die alle wichtigen Entscheidungen in die Hände des Top-Managements legt, die seine Strategie den Mitarbeitenden aufzwingt.546 Diese werden in eine untergeordnete Rolle gedrängt: Sie müssen zwar mit ihren Anliegen berücksichtigt werden, eine echte Interaktion findet allerdings nicht statt.547 Aus Sicht der Design-School kann der Strategieprozess in die Teilprozesse Strategieformulierung und -implementierung untergliedert werden. Auf die Strategieformulierung, im Rahmen derer es um die Entscheidung, wie etwas gemacht wird, geht, wurde bereits näher eingegangen. Nachdem die Strategie entwickelt und formuliert
541
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 166. Mintzberg weist darauf hin, dass die integrative Perspektive zu den grundlegenden Handlungsmaximen der Design-School zählt (vgl. Mintzberg, 2005, S. 38).
542
Beispielsweise ist die Spieltheorie eine Methode, die sich auf die Modellierung der Interaktionen zwischen den Akteuren eines Spiels konzentriert. Die Geschäftsfeld-Szenarien-Matrix ermittelt die Bedeutung und Robustheit einzelner unternehmerischer Fähigkeiten. Die Methodik des vernetzten Denkens wiederum vermag Wechselwirkungen in einem komplexen System zu erkennen und Ansatzpunkte zu dessen Gestaltung und Lenkung zu generieren (vgl. MüllerStewens/Lechner, 2005, S. 224 ff.).
543
Vgl. Christensen et al., 1982, S. 186.
544
Vgl. Christensen et al., 1982, S. 3, S. 19, S. 545; Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 44.
545
Mintzberg, 2005, S. 117.
546
Vgl. Hayes, R. H., 1985, S. 117; Bleicher, 1999, S. 121.
547
Vgl. Mintzberg, 2005, S. 44 ff.
Strategische Ebene
101
wurde, wird sie im Unternehmen implementiert. Dabei geht es um die Gestaltung der Strukturen und Prozesse zur Durchführung der Strategie, d. h. es kommt der Implementierung die Aufgabe zu, die organisationalen Strukturen, Beziehungen, Prozesse, das Verhalten sowie den Führungsstil adäquat anzupassen, um die Strategieentscheidungen in administrative Teilaktivitäten zu überführen und Ergebnisse zu produzieren.548 Die Strategieimplementierung soll dazu führen, dass die entwickelte und formulierte Strategie nicht nur planerisch durchdacht und verabschiedet, sondern auch tatsächlich realisiert wird.549
3.2.1.3. Strategiegestaltung aus einer integrativen Perspektive Um näher auf das Themenfeld Strategieentwicklung und -gestaltung einzugehen, wird im Folgenden auf den General Management Navigator (GMN), den MüllerStewens und Lechner550 entwickelten, zurückgegriffen (vgl. Abbildung 10). In ihren Ausführungen zum GMN nehmen sie Bezug auf die theoretischen Grundlagen der einzelnen Aspekte („Theoriespeicher“), stellen aber auch Heuristiken und Instrumente vor, die zur Lösung strategischer Probleme entwickelt wurden („Werkzeugkiste“). Als Orientierungskompass versucht der GMN die Vielfalt der Ansätze in Wissenschaft und Praxis zum strategischen Management sinnvoll zu ordnen und strukturiert aufzubereiten. Der GMN unterscheidet fünf Arbeitsfelder, mit denen er eine grundsätzliche Arbeitsstruktur für alle Ebene der Strategiegestaltung (u. a. Unternehmensstrategie, Geschäftsfeldstrategie) anbietet. Die Anordnung der Arbeitsfelder entsprechen einem idealtypischen Ablauf der Genese und Verwirklichung strategischer Initiativen:551
548
Vgl. Staehle, 1991, S. 563; Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 43.
549
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 217, S. 393. Aus einer von Kaplan und Norton durchgeführten Studie wird deutlich, dass mehr als 80 % der in Unternehmen entwickelten Strategien nicht erfolgreich umgesetzt werden (vgl. Kaplan/Norton, 2005). Umso bedeutsamer scheint eine entsprechende Gestaltung des Strategieimplementierungsprozesses zu sein.
550
Vgl. ausführlich Müller-Stewens/Lechner, 2005.
551
Neben diesem idealtypischen Ablauf sind allerdings auch andere Abläufe denkbar, die je nach Anlass, Zweck und Situation aus einer strategischen Initiative erwachsen. Mögliche Prozesspfade zeigen Müller-Stewens und Lechner in ihren Ausführungen auf (vgl. Müller-Stewens/ Lechner, 2005, S. 39 ff.).
Theoretische Exploration
102
Abbildung 10: Der General Management Navigator (Müller-Stewens/Lechner, 1999, S. 25)
Im Folgenden wird der GMN herangezogen, um detaillierter auf das Thema Strategieentwicklung und -gestaltung einzugehen. Dabei werden je nach Problemfokus theoretische Aspekte bzw. erste Gestaltungsansätze dargestellt.552
Initiierung Im ersten Arbeitsfeld des GMN steht die Frage im Mittelpunkt, wie sich strategische Initiativen553 in Unternehmen bilden. In Kapitel 3.2.1.2 wurde bereits das Strategiemodell der Design-School als präskriptiver Ansatz vorgestellt. Es geht davon aus, dass Strategieentwicklung ein bewusster und überlegter Prozess ist – gemäß der Leitlinie: „Wirkungsvolle Strategien entstehen in einem strikt kontrollierten Prozess menschlichen Denkens“554. Dieser Prozess vollzieht sich unter der bewussten Kontrolle der Unternehmensleitung. Erst dann, wenn die Strategien endgültig formuliert sind, können sie auch implementiert
552
Müller-Stewens und Lechner offerieren für jedes Feld des GMN sowohl wissenschaftliche Reflexionen als auch verschiedene Gestaltungsoptionen. Die folgenden Darstellungen beschränken sich jeweils nur auf Aspekte, die im Fokus dieser Arbeit relevant zu sein scheinen. Entsprechend wird z. T. auf wissenschaftliche Reflexionen zurückgegriffen, z. T. werden Gestaltungsoptionen aufgezeigt. Für eine detaillierte Sicht sei hierzu und im Folgenden auf die Dokumentation und Erläuterung des GMNs in Müller-Stewens/Lechner, 2005 verwiesen.
553
Strategische Initiativen sind „alle in einer Organisation aufkommenden Impulse von strategischer Relevanz, die die Entwicklung des Unternehmens signifikant zu prägen vermögen“ (Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 59).
554
Mintzberg, 2005, S. 43.
Strategische Ebene
103
werden. Der Ansatz der Design-School schreibt folglich mehr oder weniger vor, wie Strategien formuliert werden sollten – darauf, wie sie sich bilden, gibt er keine Antwort.555 In Anlehnung an Müller-Stewens und Lechner556 spielt bei der Betrachtung des Themas Strategieentwicklung neben dem präskriptiven Ansatz ein deskriptiver Ansatz eine Rolle.557 Dieser nimmt die Perspektive eines außenstehenden Beobachters ein und betrachtet die faktische Formulierung von Strategien. Er thematisiert folglich, wie Strategien tatsächlich zustande kommen.558 Bezogen auf die Initiierungsphase stellt sich nun aus Sicht des deskriptiven Ansatzes die Frage, ob die Strategieentwicklung tatsächlich immer ein bewusst überlegter Prozess ist. In der Praxis ist regelmäßig die Beobachtung zu machen, dass Unternehmen sich nach emergenten Strategien richten, die als realisierte Muster nicht ausdrücklich vorgesehen waren.559 Diese können sich aus einer Vielzahl an Aktionen und Entscheidungen der Mitglieder des Unternehmens, auch außerhalb der Unternehmensleitung – sogar zufällig oder beiläufig – entwickeln, indem sich kleine Veränderungen im Laufe der Zeit zu entscheidenden Kursänderungen verdichten.560 Strategien entstehen aus dieser Sicht dadurch, dass Menschen durch eine Situation sowie über die Fähigkeit ihrer Organisation, mit diesen Situationen umzugehen, lernen.561 Hierdurch wird ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement angesprochen: die Verbindung zur Lernenden Organisation. Wie bereits im Kapitel 2.2.4 dargestellt, ist es das Ziel Lernender Organisationen, durch eine ständige Veränderungsbereitschaft, Weiterentwicklung und kontinuierliche Selbsterneuerung die
555
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 61 ff., 73 ff.
556
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 61 ff.
557
Grundsätzlich bleibt anzumerken, dass Theorien zur Entwicklung einer Strategie zu den „kontroversesten Forschungsthemen“ (Rüegg-Stürm, 2004, S. 86) der Managementlehre gehören. Dementsprechend existiert kein allgemein gültiges Modell, sondern viele verschiedene Möglichkeiten, wie das Thema konzeptionell erfasst, beschrieben und erklärt werden kann (vgl. RüeggStürm, 2004, S. 86). Mintzberg hat sich als einer der Ersten dieses komplexen Phänomens angenommen. Er unterscheidet insgesamt zehn Denkschulen der Strategieformierung (vgl. ausführlich Mintzberg, 2005). Zur Kritik an dieser Vorgehensweise vgl. z. B. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 75 f.
558
Gleichzeitig werden wesentliche Kritikpunkte an den präskriptiven Ansätzen konstruktiv aufgenommen (vgl. u. a. Mintzberg, 2005, S. 18). Vgl. ausführlich zu unterschiedlichen deskriptiven Strategiemodellen Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 66 ff. und Mintzberg, 2005, S. 147 ff.
559
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 69 ff.; Mintzberg, 2005, S. 25.
560
Vgl. Mintzberg, 2005, S. 206.
561
Vgl. Mintzberg, 2005, S. 204.
Theoretische Exploration
104
eigene Überlebensfähigkeit langfristig zu gewährleisten. Insbesondere vor dem Hintergrund ungewisser Zukunftsaussichten und sich ständig verändernder Umweltbedingungen sollten Unternehmen bereit und in der Lage sein, die Ergebnisse emergenter Prozesse in der eigenen Organisation zu entdecken und für sich zu nutzen.562 Der Strategieprozess kann daher als Prozess des ‚kollektiven Lernens’ angesehen werden.563 Die dazu notwendigen organisatorischen Fähigkeiten, in letzter Konsequenz das Wissen, Können und Wollen, stellen nach Hinterhuber und Friedrich564 in Bezug auf das organisationale Lernen die einzig überdauernden Wettbewerbsvorteile dar. Die Rolle des Managements ist es, den kollektiven Lernprozess – im dem Bewusstsein, dass jeder als Stratege agieren kann – zu unterstützen, damit neue Strategien entstehen können.565 Es kann folglich festgehalten werden, dass strategische Initiativen überall im Unternehmen entstehen können und nicht an eine bestimmte Hierarchieebene gebunden sind. Aus einer integrierten Sichtweise betrachtet zeigt sich daneben, dass die Strategieentwicklung und -formulierung zwar formal strukturiert sein kann, es aber auch nicht auszuschließen ist, dass sich neben oder hinter diesen ‚Formalprozeduren’ erfolgreiche Strategien entwickeln.566 Entsprechend ist es zur Initiierung und Gestaltung strategischer Initiativen notwendig, … zwar einerseits interventionistisch tätig sein zu müssen und dies auch zu wollen, andererseits dabei jedoch die eigenen Möglichkeiten nicht zu überschätzen und eigendynamischen, emergenten Prozessen Raum zu schaffen und sie zu integrieren. Ein dritter Weg zwischen einer synoptischen Totalplanung und einem sich evolutionär entfaltenden ‚muddling through’ ist zu finden.567
Müller-Stewens und Lechner568 entwickelten hierzu einen Bezugsrahmen, der die wichtigsten Prozessdimensionen aufzeigt, die durch die Handelnden im Allgemeinen
562
Vgl. Mintzberg, 2005, S. 58; Schreyögg, 1999, S. 399.
563
Vgl. Prahalad/Hamel, 1990, S. 82.
564
Vgl. Hinterhuber, H./Friedrich, 1997, S. 999.
565
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2001, S. 55. Allerdings weist beispielsweise Mintzberg darauf hin, dass es sich hierbei um kein „Allheilmittel“ handelt, da die Mitarbeitenden im Unternehmen zwar lernen, aber auch ihre reguläre Arbeit effizient erledigen müssen und sich auch lernende Organisationen Gedanken darüber machen müssen, wann das Lernen unnötig wird (vgl. Mintzberg, 2005, S. 238, S. 259 f.).
566
Vgl. hierzu Schreyögg, 1999, S. 399.
567
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 78.
568
Vgl. ausführlich zum Bezugsrahmen der Initiierungsgestaltung Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 79 ff.
Strategische Ebene
105
beeinflussbar sind. Er besteht aus sechs Dimensionen, die über insgesamt 17 Parameter operationalisiert sind (vgl. Abbildung 11). Der Bezugsrahmen kann sowohl zur Analyse der momentanen Situation genutzt werden als auch zur Reflexion der Frage, wo welche Veränderungen anzustreben sind. Je nach Einordnung ergibt sich ein bestimmter Initiierungsstil, d. h. eine spezifische Art und Weise, wie eine Organisation die Strategieentwicklung vorantreibt.569 Ort Wo? Beteiligte Wer? Timing Wann? Mittel Womit? Vorgehen Was? Zusammenarbeit Wie?
Kontext Verantwortlichkeit Einflussrichtung Beteiligungsgrad Perspektivenmix Fähigkeitsmix Dauer Auslöser Horizont Ressourceneinsatz Methodeneinsatz Arbeitsweise Darstellungsweise Strukturierungsgrad Konfliktintensität Entscheidungsform Transparenz
rigid zentral top-down elitär homogen monodisziplinär kurz terminorientiert kurzfristig gering spärlich analytisch quantitativ fein niedrig patriarchalisch gering
offen dezentral bottom-up breit gestreut heterogen interdisziplinär lang ereignisorientiert langfristig hoch reichhaltig intuitiv qualitativ grob hoch demokratisch hoch
Abbildung 11: Bezugsrahmen zur Gestaltung der Initiierungsarbeit (vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 79)
Positionierung Im Rahmen der Positionierung geht es darum, das Verhältnis des Unternehmens zu seinen Anspruchsgruppen zu bestimmen. Hierzu ist es notwendig, eine Unternehmens- und Umweltanalyse durchzuführen. Diese „dient dem Zweck, Aufschluss über Art, Stärke und Zusammenspiel der Einflusskräfte von Unternehmen und Umwelt zu gewinnen.“570 Wie bereits im Zusammenhang mit dem präskriptiven Ansatz aufgezeigt, kann sich das Unternehmen auf diese Weise ein Bild über seine momentane Position und über die zu erwarteten Veränderungen machen. Ein wesentliches Instrument hierzu stellt die SWOT-Analyse dar.571 Diese Methode erlaubt es, den Zusammenhang zwischen Chancen und Risiken der Umwelt und den Stärken und
569
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 79 ff.
570
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 158.
571
Vgl. ausführlich Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 224 ff.
Theoretische Exploration
106
Schwächen des Unternehmens herauszuarbeiten. Dabei wird eine zweidimensionale Matrix mit einer Unternehmens- und einer Umweltachse aufgespannt. Diese werden weiter unterteilt in Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) sowie Chancen (Opportunities) und Gefahren (Threats) (vgl. Abbildung 12). In den einzelnen Feldern werden die wichtigsten Einflussfaktoren erfasst, die im Rahmen der Inside-out- und Outside-in-Analyse herausgefunden wurden. Sie werden in Beziehung zueinander gesetzt und es werden verschiedene Strategieoptionen generiert. SO-Strategien stehen dabei für die Nutzung von Stärken des Unternehmens, um Chancen im Umfeld zu nutzen. ST-Strategien zielen darauf, durch den Einsatz interner Stärken die externen Bedrohungen abzuschwächen. WO-Strategien sind darauf ausgerichtet, an Chancen zu partizipieren, um dadurch Schwächen zu mildern. WT-Strategien versuchen, durch den Abbau interner Schwächen die Gefahren im Umfeld zu reduzieren. Sollte tatsächlich bei der integrierten Sichtweise und Analyse festgestellt werden, dass sowohl Schwächen als auch zuzuordnende Gefahren bestehen und damit eine ungünstige Konstellation für das Unternehmen vorliegt, muss dieser Strategie eine hohe Priorität eingeräumt werden. Grundsätzlich sollte eine Orientierung an dem Prinzip erfolgen, sowohl Stärken und Chancen zu maximieren als auch Schwächen und Risiken zu minimieren.572
Unternehmensfaktoren
Umweltfaktoren Opportunities …
Threats …
Strenghts …
SO-Strategie
ST-Strategie
Weaknesses …
WO-Strategie
WT-Strategie
Abbildung 12: Aufbau SWOT-Analyse (in Anlehnung an Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 225)
Nachdem durch die Unternehmens- und Umweltanalyse Kenntnisse über die Position einer unternehmerischen Einheit gewonnen wurden, so ist diese Position in einem
572
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 226.
Strategische Ebene
107
nächsten Arbeitsschritt zielorientiert zu verändern. Dazu ist es notwendig, sich Klarheit über die Ziele zu verschaffen. Dabei dienen die normativen Vorgaben wie z. B. Leitbilder als Bezugspunkte beim Entwurf und der Auswahl von Strategien.573 Hier zeigt sich die Verbindung zum normativen Management, auf welches in Kapitel 3.1 bereits detailliert eingegangen wurde. Bei der zielorientierten Veränderung d. h. Gestaltung gilt es zu berücksichtigen, für welche Ebene eine Positionierungsstrategie entwickelt werden soll. Dabei lassen sich wie bereits angesprochen die Ebene des Gesamtunternehmens (Corporate Strategy) und die Ebene der Geschäftsbereiche (Business Strategy) unterscheiden. Auf der Ebene der Unternehmensstrategie geht es darum, aufzuzeigen, wie „durch die Konfiguration der Geschäftsfelder, … die Koordination der gesamten Unternehmensaktivitäten und … die Interaktion mit wichtigen Anspruchsgruppen Wert geschaffen werden kann“574. Um die Verhältnisse mit den Anspruchsgruppen zu koordinieren und die eigene Position zu stärken, sind auf der Ebene der Geschäftseinheiten zwei Strategiebereiche zu unterscheiden: Marktstrategien und Wettbewerbsstrategien. Im Rahmen der Marktstrategie geht es darum die Position gegenüber den Zielgruppen festzulegen, d. h. es steht aus Sicht des Bildungsmanagements die Frage nach der eigenen Positionierung in der Organisation im Mittelpunkt. Dabei geht es konkret darum, folgenden Fragen nachzugehen: Inwieweit sind Veränderungen der Marktstrategie erforderlich (Variation)? Welcher Nutzen soll geboten werden (Substanz)? Welche Marktsegmente und Zielgruppen sollen bearbeitet werden (Feld)? Welches Verhalten soll gewählt werden (Stil)?575 Wettbewerbsstrategien wiederum legen die Position gegenüber den Mitbewerbern fest. Dabei werden insbesondere folgende Dimensionen diskutiert: Schwerpunkte des Wettbewerbs (Womit soll konkurriert werden?), Ort (Wo soll konkurriert werden?), Taktiken (Welche Taktiken sollen eingesetzt werden?) und Regeln (Nach welchen Regeln soll konkurriert werden?).576 Abschließend gilt es aus der Vielzahl an strategischen Optionen die auszuwählen und
573
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 234 ff., S. 251. Sie weisen daneben auf eine „Henne-EiProblematik“ hin: normative Vorgaben und strategische Entwicklung hängen sehr stark zusammen – was zuerst angegangen sollte, kann nicht konkret bestimmt werden (vgl. MüllerStewens/Lechner, 1999, S. 32).
574
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 277. Müller-Stewens und Lechner gehen im Folgenden insbesondere auf Strategien gegenüber den Geschäftseinheiten/-bereichen ein. Eine Bezugnahme auf die im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement wichtigen Aspekte erfolgt hier nicht.
575
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 253 ff.
576
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 262 ff.
Theoretische Exploration
108
aufeinander abzustimmen, die geeignet erscheinen, die Ziele des Unternehmens zu erreichen.577
Wertschöpfung Die Positionierung steht in einer engen Verbindung mit der Ausgestaltung des Innenverhältnisses, d. h. der Wertschöpfung. Als Wertschöpfung wird „der Prozess des Schaffens von Mehrwert durch Bearbeitung“578 bezeichnet. Strategische Initiativen, die sich auf die Wertschöpfung eines Unternehmens beziehen, sind auf die Entwicklung bzw. Verbesserung organisationaler Fähigkeiten gerichtet. Sie konzentrieren sich beispielsweise auf die Organisationsstruktur oder die Weiterbildung der Mitarbeitenden.579 Hierbei spielt die Diskussion um den ‚Resource-based View’ eine handlungsleitende Rolle.580 Wie bereits in Kapitel 3.2.1.1 aufgezeigt, sind die Mitarbeitenden dabei eine wichtige Ressource des Unternehmens. Ergänzend zu den bereits diskutierten Zusammenhängen kann noch auf die Bedeutung der „Ressourcen“ ‚Top-Management’ und ‚Strategic Leadership’ hingewiesen werden.581 Müller-Stewens und Lechner halten fest: „Strategien sind für sich genommen wertlos. Erst wenn sich das Management explizit hinter sie stellt, wenn es ein Commitment der Mitarbeiter zu diesen Strategien gibt, besteht die Chance einen Mehrwert zu schaffen.“582 Die Bedeutung der Rolle des Top-Managements und der Führungskräfte wird in Kapitel 3.2.2.5 detaillierter aufgegriffen. Hitt et al. haben daneben folgende Komponenten als bezeichnet für ein „Strategic Leadership“ ausgewiesen: -
-
die Vorgabe der strategischen Ausrichtung und der dazugehörigen strategischen Prozesse, die Identifikation der Kernkompetenzen eines Unternehmens sowie deren Transfer und synergetische Nutzung und Weiterentwicklung über die bestehenden Organisationseinheiten hinweg, die Entwicklung des für den Erfolg des Unternehmens erforderlichen ‚human capitals’, die Pflege einer wirkungsvollen Organisationskultur, die insbesondere einem auch unternehmerischen Verhalten förderlich ist sowie
577
Vgl. ausführlich zur Vorgehensweise Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 391 ff.
578
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 369 (im Original kursiv).
579
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 29.
580
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 356 ff.
581
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 441 f.
582
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 442.
Strategische Ebene -
109
die Betonung und Anwendung ethischer Prinzipien, die als eine Art ‚moralischer 583
Filter’ das strategische Denken und Handeln selektieren.
Die Gestaltungsoptionen, die im GMN bezüglich der Ressourcen angesprochen werden, beziehen sich zum einen auf deren Zusammensetzung und zum anderen auf deren Interaktion.584 Die Zusammensetzung zeigt sich im Grad der Vielfalt und des Einsatzspektrums. Bei der Vielfältigkeit werden eine uniforme und eine diverse Struktur unterschieden. Deren Ausprägungen lassen sich wie folgt kontrastieren: Vielfalt
Uniform
Divers
Absichten
-
Beherrschbarkeit; nicht zu kompliziert werden lassen - Realisierung von Scale-Effekten
-
Konsequenzen
-
Überschaubarkeit Vertrautheit
-
Fähigkeiten
-
Selektion Komplexitätsreduktion
-
Gefahren
-
Zu geringe Problemlösungskapazität - Abhängigkeit
-
Begegnung von Komplexität Erweiterung des Problemlösungsspektrums der Organisation - Risikostreuung Wachsende Komplexitätskosten Erhöhte Ansprüche an die Führung
„Awareness“ für Bedarf an Diversität - Management von Diversität Kontrollverlust „Diversity-Overload“
Abbildung 13: Gestaltungsoptionen zur Vielfalt (Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 467)
Bei der Zusammensetzung spielt auch das Einsatzspektrum eine Rolle. Dabei kann ein universelles von einem spezialisierten Einsatzspektrum abgegrenzt werden. Einsatzspektrum Spezialisiert
Universell
Absichten
-
Effizienzsteigerung Erfahrungskurve
-
Flexibilität gegenüber veränderten Leistungsanforderungen
Konsequenzen
-
Modernste Ressourcen Konfiguration des Ressourceneinsatzes am Kostenziel
-
Akzeptanz von Redundanzen Konfiguration des Ressourceneinsatzes am jeweiligen Auftrag
Fähigkeiten
-
-
Anpassungsfähigkeit
Selbstorganisation, Kostenbewusstsein - Standardisierung
583
Hitt, 2003 zitiert in Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 442.
584
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 466 ff.
Theoretische Exploration
110
Gefahren
Hohe Austrittsbarrieren Fehlende Planbarkeit der Nachfrage nach Ressourcen - Nachführung der Spezialisierung hält mit Veränderung der Aufgabenstellung nicht Schritt -
Bürokratie behindert Flexibilität Verteilungskämpfe Flexibilitätskosten übersteigen den Flexibilitätsnutzen - Fehlende Bereitschaft zur Abgabe von Macht nach unten -
Abbildung 14: Gestaltungsoptionen zum Einsatzspektrum (Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 471)
Die Interaktion kann durch den Vernetzungsgrad und die entsprechenden Auslöser operationalisiert werden. Wichtige Vernetzungsfelder sind nach Müller-Stewens585 und Lechner die Beziehung zu den Kunden, den Lieferanten bzw. Netzwerk- und Outsourcingpartnern. Als Extremwerte der Vernetzung stehen sich isolierte Aktivitäten und verkoppelte Aktivitäten gegenüber. Bei einer isolierten Vernetzung sind die Prozesse weder intern besonders vernetzt, noch wird eine Abhängigkeitsbeziehung externer Art angestrebt. Entsprechend ist eine Führung über Hierarchie notwendig ebenso wie ein breites Fähigkeitenspektrum. Die direkte Kontrolle ist häufig das handlungsleitende Ziel. Bei einem hohen Vernetzungsgrad werden die Wertschöpfungsaktivitäten intern und extern stark miteinander verkoppelt. Dies ermöglicht die Konzentration auf Kernfähigkeiten, bedarf allerdings auch der Fähigkeit des Kooperationsmanagements. Der zweite Aspekt der Interaktion findet sich im Auslöser. Dabei ist das Pull-Prinzip eine Extremposition, diesem steht das Push-Prinzip gegenüber. Beim Pull-Prinzp wird eine Ressource „nur dann aktiv, wenn es von einem oder mehreren anderen einen Impuls erfährt“586. Dementgegen sind die einzelnen Ressourcen beim Push-Prinzip von sich aus kontinuierlich und eigenständig aktiv in der Produktion ihrer jeweiligen Leistung. Insgesamt kann der Optionenrahmen zur Gestaltung der Ressourcenstrategie im Unternehmen wie folgt dargestellt werden: Vielfalt Einsatzspektrum Vernetzung Auslöser
uniform generalisiert isoliert push
divers spezialisiert verkoppelt pull
Abbildung 15: Optionenrahmen der Wertschöpfungsarbeit (Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 475)
585
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 473.
586
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 474.
Strategische Ebene
111
Veränderung In den Phasen Positionierung und Wertschöpfung ging es – auf die Initiierungsphase aufbauend – verstärkt um den Inhalt strategischer Initiativen. In der Veränderungsphase wird der Schwerpunkt auf den strategisch motivierten Wandel gelegt. Das Ziel dieser Phase besteht darin, Wege zur Gestaltung von Veränderungsprozessen aufzuzeigen, d. h. „strategische Initiativen zum Leben zu bringen“587. Müller-Stewens und Lechner588 entwickelten hierzu einen Bezugsrahmen, der folgende vier wesentlichen Kategorien umfasst: Timing, Akzente, Akteure und Gestaltungsräume. ‚Timing’ bezieht sich auf die Frage nach dem Wann und damit auf die Entwicklungslogik.589 Der Bereich der Akzente nimmt einen Entwicklungsfokus ein und konzentriert sich auf das ‚Was’. Durch das Setzen inhaltlicher Schwerpunkte und damit einer Bündelung vorhandener Kräfte soll der Initiative zu einer größeren Durchschlagskraft verholfen werden.590 Die Akteure des Wandels stehen für die Entwicklungsdynamik des Systems. Folglich gilt es auch, die Frage nach dem ‚Wer’ zu beantworten.591 Die Kategorie Gestaltungsräume repräsentiert das Entwicklungsobjekt und beschäftigt sich mit der Frage nach dem ‚Wo’.592 Jede der vier Komponenten kann über verschiedene Dimensionen operationalisiert werden.593 Abbildung 16 stellt den Gestaltungsansatz im Überblick dar.
587
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 589.
588
Vgl. hierzu und im Folgenden ausführlich Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 590 ff.
589
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 596 ff.
590
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 632 ff.
591
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 640 ff.
592
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 651 ff.
593
Müller-Stewens und Lechner stellen unterschiedliche Operationalisierungen vor, welche jedoch entsprechend des jeweiligen Anwendungsfalles ergänzt oder verändert werden können. Vgl. im Detail Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 651 ff.
Theoretische Exploration
112
Abbildung 16: Gestaltungsansatz zur Implementierung strategischer Initiativen (Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 592)
Die wesentlichen Gestaltungsräume und damit Entwicklungsobjekte im Unternehmen sind die Politik, die Kultur und die Struktur.594 Die Anpassung der Organisationsstruktur an die Unternehmensstrategie und die Gestaltung der Unternehmenskultur werden in der Literatur als klassische Implementierungsfelder gesehen, die die Strategie stark beeinflussen.595 Dabei wird insbesondere die Unternehmenskultur in der jüngeren Implementierungsliteratur betont: Ihr wird eine Verhaltenssteuerungsfunktion zugesprochen, die über den Erfolg oder den Misserfolg der Strategieimplementierung entscheidet.596 Auinger drückt dies wie folgt aus: „Die Kultur … ist ein wesentlicher Regulator, Energiespender und Katalysator im Rahmen des Findungs- und Umsetzungsprozesses“597 der Strategie. In Kapitel 3.2.2 wird daher ausführlich auf den Aspekt der Kultur eingegangen. Kapitel 3.2.3 widmet sich daran anschließend
594
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 594, S. 651 ff.
595
Vgl. hierzu u. a. Thommen, 2002, S. 117 f.; Schellenberg, 1992, S. 127 ff.; Rühli, 1992, S. 11. Zum Zusammenhang zwischen Organisation und Strategie daneben Link, 1994.
596
Vgl. Al-Laham, 2003, S. 177; Staehle, 1991, S. 625.
597
Auinger, 2005, S. 85.
Strategische Ebene
113
dem Thema Struktur.598 Das Gestaltungsfeld Politik wurde bereits in Kapitel 3.1.2 ausführlich behandelt.
Performance Messung Das fünfte Feld des GMN konzentriert sich auf die Fortschrittsbeobachtung.599 Unter dem Schlagwort ‚Performance Messung’ fasst es alle Arten von strategischen Ansätzen zusammen, „die den Verlauf von strategischen Initiativen von der Genese bis zu ihrem Wirksamwerden beobachten und messen“600. Es geht darum, möglichst frühzeitig zu beobachten, wie sich strategische Initiativen formieren und welche Veränderungen sie auslösen. Die Performance Messung steht im GMN im Mittelpunkt der Darstellung, da sie an jedem der vier Arbeitsfelder ansetzen kann und innerhalb der Arbeitsfelder parallel mitläuft (vgl. Abbildung 10). Wenngleich nach Müller-Stewens und Lechner601 die Umsetzungsphase viele Jahre durch ein Controlling-orientiertes Vorgehen bestimmt war, so ist ihrer Meinung nach derzeit eine Entwicklung hin zu einer Performance-Messung beobachtbar. Dieser Wandel hat dazu geführt, dass eine ganze Reihe von Scorecard-Ansätzen entwickelt wurden. Hierzu zählen nach Müller-Stewens und Lechner602 beispielsweise die Balance Scorecard, der Skandia Navigator oder das EFQM-Modell. Im GMN werden diese Ansätze herangezogen, um zu einem GMN-spezifischen Weg der PerformanceMessung zu gelangen.603 Diese besteht aus den drei Bausteinen GMN-Audit, GMNScorecard und Financial Controlling. Das GMN-Audit widmet sich der Bewertung der konzeptionellen Qualität. Mit der GMN-Scorecard wird die Implementierung bewertet. Die Auswirkungen auf das Betriebsergebnis werden im Rahmen des Financial Controlling erhoben. Dieser GMN-spezifische Ansatz ist darauf ausgerichtet, möglichst frühzeitig Feedback zur Qualität der Strategiearbeit zu erhalten. Dabei weisen Müller-Stewens und Lechner604 darauf hin, dass Performance Messung nicht als
598
Beiden Faktoren wurde auch im Rahmen der SCIL-Trendstudie eine starke Auswirkung auf den Einfluss des Bildungsmanagements in der Strategieentwicklung zugewiesen (vgl. Diesner/Euler/ Seufert, 2006).
599
Vgl. hierzu und im Folgenden Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 692 ff.
600
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 29.
601
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 697 ff.
602
Vgl. ausführlich Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 706 ff. Dort werden die einzelnen Ansätze auch detaillierter beschrieben.
603
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 712 ff.
604
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 739 ff.
Theoretische Exploration
114
Kontrollinstrument sondern vielmehr als Möglichkeit zur Beschleunigung organisationaler Lernprozesse begriffen werden kann. Dies begründen sie über die im Konzept angelegte Förderung des Anpassungslernens (durch die Förderung von IstSoll-Vergleichen), der Unterstützung des Veränderungslernens (u. a. durch das Hinterfragen der Annahmen, auf denen die Handlungen beruhen) und durch die Entstehung einer „Feed-back-Kultur“. 3.2.2. Kultur Die Kultur eines Unternehmens wird vielfach als wesentliches Element für den Unternehmenserfolg angesehen. Deal und Kennedy605 propagierten beispielsweise in ihrem 1982 erschienen Werk ‚Corporate Cultures – The Rites und Rituals of Corporate Life’ eine starke Unternehmenskultur als wesentlichen „weichen“ Erfolgsfaktor neben den „harten“ Erfolgsfaktoren Strategie und Struktur.606 „Kultur gibt dem Individuum und der Gemeinschaft Identität, ermöglicht Identifikation und Integration für die Menschen, die in ihrem System und dessen Traditionen leben.“607 Damit kommt der Unternehmenskultur im Zusammenhang mit der Strategie(implementierung) des Unternehmens eine wichtige Rolle zu, denn die vorherrschende Unternehmenskultur kann sowohl dazu beitragen, dass strategische Stabilität erhalten bleibt als auch Ursache und Nährboden für Widerstände gegenüber strategischen Veränderungen sein.608 Im Folgenden wird das Thema Kultur aus unterschiedlichen Blickwinkeln näher beleuchtet und thematisiert. Zunächst konkretisiert Kapitel 3.2.2.1 den Begriff und das damit zusammenhängende Konzept. Kapitel 3.2.2.2 beschäftigt sich mit unterschiedlichen Kulturausprägungen, bevor Kapitel 3.2.2.3 auf verschiedene Kulturdimensionen des Bildungsmanagements eingeht. Daran anschließend wird diskutiert, wie Kultur diagnostiziert, analysiert und gestaltet werden kann (Kapitel 3.2.2.4). In Kapitel 3.2.2.5 wird abschließend der Aspekt der Führung beleuchtet. Dabei orientieren sich die Ausführungen an folgenden Fragestellungen:
605
Vgl. Deal/Kennedy, 1982.
606
Vgl. hierzu auch Schmidt, 2004, S. 24; Werner, 1998, S. 42 f. Diese Sichtweise wurde in den Folgejahren von unterschiedlichen Autoren immer wieder eingenommen und bestätigt, vgl. Meffert/Hafner, 1988; Goffee/Jones, 1997; Bachinger, 1990; Weick, 1987.
607
Wunderlich, 2004, S. 457.
608
Vgl. Abplanalp/Lombriser, 2000, S. 145 ff.; Wever, 1992, S. 122 f.
Strategische Ebene
x x
x
x x
115
Wie lässt sich Kultur begrifflich und konzeptionell konkretisieren? Welche kulturellen Ausprägungsformen und damit zusammenhängende Konsequenzen können ausgemacht werden? Welche Kulturdimensionen sind aus Sicht des Bildungsmanagements im Unternehmen relevant? Wie kann Kultur analysiert und gestaltet werden? Welche Bedeutung und Rolle haben die Führungskräfte im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement in Unternehmen?
3.2.2.1. Begriffliche und konzeptionelle Konkretisierung Kultur ist eines der am häufigsten gebrauchten Wörter innerhalb der Sozialwissenschaften.609 Entsprechend vielfältig sind die in der Literatur zu findenden Begriffsdefinitionen.610 Kroeber und Kluckhohn611 identifizierten 1952 bereits 164 unterschiedliche Definitionen von Kultur. Eine Erklärung für diese Deutungsvielfalt lässt sich zum einen darin finden, dass der Begriff eine breite historische Entwicklung hinter sich hat612 und entsprechend in vielen Zusammenhängen verwendet wird613 und zum anderen in seiner Wesensart. „Kultur ist ein Phänomen, das uns jederzeit umgibt und durch unsere Interaktionen mit anderen immerfort geschaffen und am Leben gehalten wird.“614 Wunderlich615 bezeichnet Kultur deshalb auch als Pluralitätsbegriff. Der Verwendung des Begriffs Unternehmenskultur bzw. Organisationskultur616 liegt die Annahme zugrunde, dass der auf Gesellschaften bezogene allgemeine Kultur-
609
Vgl. Berger, B., 1995.
610
Vgl. hierzu beispielsweise die Aufstellung bei Wagner/Seisreiner/Surrey, 2001, insb. S. 54 ff.
611
Vgl. Kroeber/Kluckhohn, 1952.
612
Zur Begriffsgeschichte der Unternehmenskultur vgl. Jochheim, 2002, S. 17 ff.; Schmidt, 2004, S. 24 ff. Tiebler und Prätorius geben einen Überblick über die ökonomische Literatur zum Thema Unternehmenskultur, vgl. Tiebler/Prätorius, 1993, S. 23 ff.
613
Vgl. Werner, 1998, S. 25.
614
Schein, 1995, S. 17.
615
Vgl. Wunderlich, 2004, S. 456.
616
In der Literatur finden sich neben Unternehmenskultur auch die Begriffe Unternehmungskultur, Firmenkultur und Organisationskultur, welche hier synonym für Unternehmenskultur verwendet werden (vgl. hierzu auch Friebe, 2005, S. 15; Hofstede, 1993, S. 203).
Theoretische Exploration
116
begriff auch auf Unternehmen übertragen werden kann.617 Entsprechend schwierig ist es, den Begriff der Unternehmenskultur zu definieren.618 Hungenberg begründet dies damit, dass er sich „auf sichtbare Verhaltensweisen und die dahinter liegenden ‚Charaktereigenschaften’ eines Unternehmens und damit auf ein komplexes, mehrschichtiges Phänomen bezieht“619. Nichtsdestotrotz finden sich in der Literatur vielfältigste Annäherungen an eine Begriffsdefinition.620 Häufig gehen diese auf das Konzept von Schein621 zurück, welches bis heute für den Bereich der Unternehmenskultur prägend ist.622 Schein definiert Kultur wie folgt: Ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit diesen Problemen weitergegeben wird.623
Er unterscheidet drei verschiedene Ebenen, auf denen sich die Kultur manifestiert, wobei sich der Begriff Ebene auf den Grad der Sichtbarkeit eines kulturellen Phänomens bezieht.624 Die Basis der Unternehmenskultur bilden die so genannten Grundannahmen, die meist unsichtbar und unbewusst vorhanden sind (unterste Ebene). Nach Werner625 stimmen die von Schein formulierten Grundannahmen in weiten Teilen mit den allgemeinen kulturellen Merkmalen überein, die ihren Ursprung beispielsweise in der Landeskultur haben. Diese werden „gewöhnlich ganz automatisch,
617
Vgl. Werner, 1998, S. 49; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 623. Hofstede weist allerdings darauf hin, dass bei einer Verwendung des Begriffs ‚Kultur’ für Länder und gleichermaßen für Organisationen darauf geachtet werden muss, dass die beiden Kulturformen unterschiedlicher Natur sind. Das heißt dadurch, dass Länder keine Organisationen sind, handelt es sich nicht um identische Phänomene (vgl. Hofstede, 1993, S. 204 f.). Aus diesem Grund wird im Rahmen der begrifflichen Konkretisierung ‚Kultur’ rein aus der Unternehmenssicht betrachtet.
618
Nach Hofstede gibt es deshalb auch keine „Standarddefinition“ des Begriffs (vgl. Hofstede, 1993, S. 203).
619
Hungenberg, 2000, S. 34; vgl. daneben Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 625.
620
Vgl. die Zusammenstellungen bei Schmidt, 2004, S. 26 ff.
621
Vgl. Schein, 1980.
622
Vgl. Schmidt, 2004, S. 27. Dülfer ist z. B. der Meinung, dass erst durch Schein eine methodische Systematik entwickelt wurde, die die wissenschaftliche Präzisierung und kritische Prüfung des Konzepts erlaubt hat (vgl. Dülfer, 1988, S. 12). Sander weist darauf hin, dass das Modell von Schein implizit oder explizit Grundlage der meisten Veröffentlichungen zum Thema Unternehmenskultur ist (vgl. Sandner, 1988, S. 660 ff.).
623
Schein, 1995, S. 25 (im Original kursiv).
624
Vgl. hierzu und im Folgenden Schein, 1995, S. 29 ff.
625
Vgl. Werner, 1998, S. 51.
Strategische Ebene
117
ohne darüber nachzudenken, ja meist ohne sie benennen zu können, verfolgt“626. Zu den Grundannahmen zählen Annahmen über die Umwelt, Vorstellungen über Wahrheit und Zeit, Annahmen über die Natur des Menschen, des menschlichen Handelns und zwischenmenschliche Beziehungen. Diese Basisannahmen bilden zusammen ein Muster im Sinne eines stimmigen Welt- und Menschenbildes.627 Die Grundannahmen konkretisieren sich in den darüber liegenden Normen und Werten (zweite Kulturebene), d. h. das Bild findet z. T. Niederschlag in konkretisierten Wertvorstellungen und Verhaltensstandards.628 In diesem Zusammenhang kann eine ausdrückliche Managementphilosophie formuliert oder Leitbilder entwickelt werden.629 Die dritte Kulturebene umfasst Artefakte630 und Symbole und damit neben sämtlichen Abläufen und Strukturen im Unternehmen das sichtbare Verhalten der Unternehmensmitglieder. Von Rosenstiel631 unterscheidet drei Arten von Symbolen: verbale, interaktionale und artifizielle Symbole. Verbale Symbole sind beispielsweise Geschichten, Anekdoten, Slogans und Sprachregelungen. Zu den interaktionalen Symbolen zählen u. a. Tagungen, Feiern, Beschwerden, Beförderungen und Vorstandsbesuche. Artifizielle Symbole sind z. B. Logos, Kleidung, Architektur, Broschüren oder die Werkszeitung.632 „Sie haben die Aufgabe, diesen schwer faßbaren, wenig bewußten Komplex von Annahmen, Interpretationsmustern und Wertvorstellungen lebendig zu erhalten, weiter auszubauen und, was besonders wichtig ist, an neue Mitglieder weiterzugeben“633. Artefakte und Symbole sind allerdings interpretationsbedürftig und nur im Zusammenhang mit den zugrundeliegenden Wertvorstellungen verstehbar.634
626
Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 625.
627
Vgl. ausführlich Steinmann/Schreyögg, 2000, S.625 ff.
628
Das Themengebiet Normen und Werte wurde in Zusammenhang mit der normativen Ebene bereits diskutiert und wird daher hier nicht mehr weiter vertieft.
629
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 628.
630
Die Konkretisierung der Unternehmenskultur in konkreten Handlungsweisen und Regelungen als Merkmale der Unternehmenskultur werden, basierend auf Schein, kulturelle Artefakte genannt (vgl. Heinen, E., 1987, S. 25; Werner, 1998, S. 50).
631
Vgl. Rosenstiel, 2003, S. 20 ff.
632
Vgl. Rosenstiel, 2003, S. 20 ff. Wunderer hat daneben aus diversen Veröffentlichungen eine Vielzahl an weiteren Ausdrucksformen bzw. Gestaltungselementen der Unternehmenskultur zusammengestellt, vgl. Wunderer, 2003, S. 159 f.; ebenso Neuberger/Kompa, 1987.
633
Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 628.
634
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 628.
Theoretische Exploration
118
Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass Unternehmenskultur auch die Verhaltensweisen der Unternehmensmitglieder umfasst.635 Darin ist im Rahmen dieser Arbeit auch die Unterscheidung zur Unternehmensphilosophie zu sehen. Diese beschränkt sich, wie in Kapitel 3.1.1 dargestellt, auf die Betrachtung der Werte und Normen der Unternehmensmitglieder. Möglicherweise werden diese in einem Leitbild konkretisert. Die im Unternehmen sichtbaren Handlungs-/Verhaltensweisen und Regelungen – die kulturellen Artefakte – werden im Rahmen der Unternehmensphilosophie allerdings nicht betrachtet.636 Die Abgrenzung von Unternehmenskultur und Unternehmenspolitik ergibt sich durch den Grad der Bestimmtheit. Im Rahmen der Unternehmenspolitik befasst sich das Management sehr bewusst mit Grundsatzentscheidungen zur Ausrichtung des Unternehmens. Unternehmenskultur hingegen lässt sich nicht direkt bestimmen, sondern stellt ein gewachsenes Phänomen dar. „Das Ausmaß der Entsprechung zwischen Unternehmenskultur und Unternehmenspolitik hängt davon ab, inwieweit die Grundsätze der Unternehmenspolitik von den Mitarbeitern akzeptiert und verinnerlicht werden.“637 Und dies hängt, wie bereits dargestellt, vom Einbeziehen der Mitarbeitenden bei der Erarbeitung der Unternehmenspolitik ab. Zusammenfassend lassen sich die verschiedenen Elemente der Unternehmenskultur im Rahmen eines Eisbergmodells darstellen. Die einzelnen Elemente sind innerhalb des Eisbergs nur bedingt voneinander trennbar – es bestehen Wechselwirkungen zwischen den Elementen aller Ebenen.638
635
In ähnlicher Weise konkretisiert z. B. auch Rüttinger die Unternehmenskultur als „Summe der Wertvorstellungen, Normen, Prinzipien und Verhaltensweisen, die die Mitglieder in Organisationen einbringen“ (Rüttinger, 1986, S. 16). Diese umfassende Begriffsdefinition findet sich auch bei Schreyögg, 1992, S. 1526; Heinen, E./Dill, 1990; Wunderer, 2003, S. 154.
636
Vgl. daneben auch Werner, 1998, S. 48; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 629. Steinmann und Schreyögg weisen weiter darauf hin, dass die auf Werte und Normen basierend formulierte Managementphilosophie und die Leitbilder auf der einen Seite zwar die vorhandenen Orientierungsmuster aufgreifen, aber dass auf der anderen Seite diese Leitbilder nur selten etwas mit der aktuellen Unternehmenskultur zu tun haben – „meist sind es lediglich Wunschvorstellungen“.
637
Kremmel, 1996, S. 59.
638
Vgl. hierzu auch Werner, 1998, S. 50.
Strategische Ebene
119
Artefakte, Verhalten
Werte, Normen Grundannahmen
Abbildung 17: Elemente der Unternehmenskultur
Neben diesen Ausprägungsformen der Unternehmenskultur gibt es einige weitere Kernmerkmale, die übergreifend mit dem Begriff der Unternehmenskultur verbunden und nachfolgend aufgezeigt werden. Klimecki und Probst639 halten fest, dass Kultur „implizit, geistig, teilweise unbewusst, nicht direkt sichtbar ist“. Dieser Aussage kann insofern zugestimmt werden, als dass Werte, Normen und Grundannahmen sich nicht direkt beobachten lassen – Unternehmenskultur kann so als implizites Phänomen angesehen werden, welches sich dadurch manifestiert, dass es gelebt wird.640 Wie allerdings in den obigen Ausführungen deutlich wurde, existiert in Anlehnung an Schein eine dritte Kulturebene: die der Artefakte und des Verhaltens. Diese sind sehr wohl beobachtbar und schränken damit die Aussage von Klimecki und Probst ein. Ob allerdings die Artefakte und das Verhalten reflektiert werden und Rückschlüsse auf die Kultur gezogen werden, ist fraglich, denn: „Ihre (Selbst-)Reflexion ist die Ausnahme, keinenfalls die Regel.“641 Unternehmenskultur ist weiter ein kollektives und ganzheitliches Phänomen. Sie bezieht sich auf Orientierungen, Werte etc., die von einer Gruppe von Menschen im gleichen sozialen Umfeld zumindest teilweise geteilt werden. Unternehmenskultur
639
Vgl. Klimecki/Probst, 1990, S. 42.
640
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 624.
641
Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 624.
Theoretische Exploration
120
wird durch die Angehörigen der Unternehmung geschaffen und getragen.642 Wichtige Aspekte sind in diesem Zusammenhang die Vorstellung von Gemeinsamkeit innerhalb der Gruppe – es muss ein ausreichendes Maß an gemeinsamer Geschichte vorhanden sein, damit sich eine gemeinsame Kultur herausbildet –, die Voraussetzung einer strukturellen Stabilität und das Streben nach Integration. „Kultur setzt irgendwie voraus, dass sich Rituale, Klima, Werte und Verhaltensweisen zu einem einheitlichen Ganzen fügen“643.644 Unternehmenskultur verändert sich im Umgang mit Problemen der Umwelt und der internen Koordination vor dem Hintergrund gemeinsamer Problemlagen und Erfahrungen im Rahmen eines Lernprozesses in der sozialen Interaktion der Mitglieder des Unternehmens.645 Sie vermittelt Sinn und Orientierung in einer komplexen Welt. Sowohl Bleicher als auch Klimecki und Probst weisen darauf hin, dass Unternehmenskultur allerdings selten bewusst gelernt wird, sondern sich evolutorisch und weitgehend spontan entwickelt.646 Dies ist insofern kritisch zu hinterfragen, als dass dies bedeuten würde, dass Unternehmenskultur nicht beeinflußbar ist. Beide Autoren weisen jedoch selbst auf die Möglichkeit der Kulturgestaltung hin. So weist Bleicher647 auf verschiedene Aspekte zur Entstehung von Unternehmenskulturen hin wie die Rolle der Führung oder auch die Möglichkeit der Kulturveränderung. Auch Klimecki und Probst648 sehen in Unternehmenskulturen nichtsdestotrotz eine Gestaltungs- und damit eine Managementaufgabe und zeigen entsprechend unterschiedliche Möglichkeiten der Kulturgestaltung auf. Die Frage nach der bewussten Veränderung der Unternehmenskultur spielt insgesamt eine große Rolle in der Praxis und wird daher in Kapitel 3.2.2.4 detaillierter aufgegriffen. Zunächst wird allerdings das Thema Kultur im und um das Unternehmen weiter konkretisiert.
642
Vgl. hierzu auch Hofstede, 1993, S. 19, S. 203; Klimecki/Probst, 1990, S. 42 ff. Unternehmenskultur entsteht meist mit der Gründung eines Unternehmens. Entsprechend spielt der Gründer eine wichtige Rolle bei der Bildung der Unternehmenskultur. Vgl. ausführlich die Darstellungen in Kapitel 3.2.2.5.
643
Schein, 1995, S. 22.
644
Vgl. Hofstede, 1993, S. 203; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 624.
645
Vgl. Ebers, 1995, S. 1668; Hofstede, 1993, S. 20; Wever, 1992, S. 60; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 624.
646
Vgl. Bleicher, 2004, S. 238; Klimecki/Probst, 1990, S. 59.
647
Vgl. Bleicher, 2004, S. 238 ff.
648
Vgl. Klimecki/Probst, 1990, S. 58 ff.
Strategische Ebene
121
3.2.2.2. Kulturelle Ausprägungsformen Unternehmen sind aus systemtheoretischer Sicht gegenüber ihrer Umwelt offene Systeme, die in ihrer Ganzheitlichkeit, Komplexität und Vernetztheit zu betrachten sind.649 Entsprechend stellen sich folgende Fragen: x
x
x x
In welchen kulturellen Kontext sind Unternehmen eingebettet? Welche Bedeutung hat dieser Kontext für die Unternehmenskultur? Wie stellt sich die Kultur des Unternehmens dar? Ist diese ein einheitliches Gebilde? Welche Bedeutung und Wirkung haben Subkulturen im Unternehmen? Wie stellt sich die Diskussion um starke versus schwache Kulturen dar?
Für die Analyse kultureller Aspekte im Unternehmenszusammenhang ist es zunächst wichtig, die Kultur der Umgebung, in welcher das Unternehmen angesiedelt ist, auch Umkultur650 genannt, zu berücksichtigen.
3.2.2.2.1.
Umkultur – Bedeutung der Kulturregion
Unternehmen werden von den jeweiligen kulturellen Rahmenbedingungen der Umwelt beeinflusst und können auch nicht unabhängig von diesen agieren.651 Zur näheren Analyse bietet sich nach Hofstede652 eine Betrachtungsweise auf der Ebene von Kulturregionen an. In diesen Kulturregionen sind Länder zusammengefasst, die sich bezogen auf die nachfolgend erläuterten Dimensionen sehr ähnlich sind.653 Im Rahmen einer Befragung stellte er fest, dass typische kulturelle Merkmale unterschiedlicher Kulturregionen existieren. Diese teilte er zur vereinfachten Beschreibung der
649
Vgl. Ausführungen in Kapitel 2.1.2.
650
Vgl. Fischbach, 2002, S. 6.
651
Vgl. z. B. Schreyögg, 1991, S. 17 ff.; Werner, 1998, S. 28; Wunderer, 2003, S. 157; Kremmel, 1996, S. 61 f.
652
Vgl. hierzu und im Folgenden ausführlich Hofstede, 2001; Hofstede, 1993; Hofstede, 1997. Hofstede beschäftigt sich seit den 60er Jahren in diversen Studien und Forschungsarbeiten mit dem Thema Kultur.
653
Die Schweiz zählt beispielsweise neben Österreich, Israel und Deutschland zu den germanischen Ländern. Als weitere Kulturregionen nennt Hofstede anglo-amerikanische, nordische, weniger und höher entwickelte romanische, weniger und höher entwickelte asiatische Länder sowie den Nahen Osten (vgl. Hofstede, 2001, S. 211 ff.; Werner, 1998, S. 36).
Theoretische Exploration
122
jeweiligen Regionen in die vier Dimensionen Machtabstand, Unsicherheitsvermeidung, Individualismus und Maskulinität ein. Dabei sind Unterschiede zwischen den Kulturregionen nicht unveränderlich, sondern entwickeln sich ebenso wie die einzelnen Kulturen selbst fort.654 Die zentralen Kategorien von Hofstede aufnehmend, beschäftigte sich das internationale Forschungsprojekt GLOBE655 Ende der 90er Jahre ebenfalls mit den Ausprägungen spezifischer Landeskulturen. Im Rahmen des Projekts wurden u. a. 321 Führungskräfte des mittleren Managements aus 19 Organisationen zu den Ausprägungen der „deutschschweizerischen“656 Landeskultur befragt.657 Die Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden:658 mittel-hohe Machtdistanz, hohe Unsicherheitsvermeidung, mittlerer Grad an Kollektivismus, mittel-niedriges Ausmaß an Geschlechtergleichstellung, mitteres Ausmaß an Bestimmtheit, mittleres Ausmaß an Humanorientierung, mittel-hohe Zukunfsorientierung und mittel-hohe Leistungsorientierung. Die dargestellten Ausmaßgrade geben den Ist-Zustand wieder, d. h. die beobachtbaren Verhaltensweisen und Verfahren. Diese können sich allerdings nach Wunderer659 von den gewünschten Soll-Graden, in denen die Wertpräferenzen ihren Niederschlag finden, abweichen. Die Mitarbeitenden in Unternehmen sind durch die Kultur geprägt, in der sie leben. Damit werden Elemente der unternehmensumgebenden Umwelt (Kulturregion) zwangsläufig zu Elementen der unternehmensinternen Kultur (Unternehmenskultur).660
654
Vgl. Werner, 1998, S. 36.
655
Vgl. Weibler, 1997; Weibler/Wunderer, 1997; Weibler, 1999; Weibler et al., 2000; Wunderer, 2003, S. 158. Daneben hat sich Bergmann mit den Eigenschaften schweizerischer Unternehmenskultur auseinandergesetzt, vgl. Bergmann, 1992, S. 1125 ff.
656
Hiermit sprechen Wunderer und Weibler den deutschsprachigen Teil der Schweiz an.
657
Es ist kritisch zu bemerken, dass der Ansatz von Hofstede und darauf aufbauend der des GLOBE-Projekts Unterschiede innerhalb einer Nation ignoriert. Er geht von einer Nation (Kulturregion) als homogenes Gebilde von Individuen aus, die alle die gleiche Wertstruktur teilen. Ob dies in derartiger Weise möglich ist, gilt es vor dem Hintergrund der bereits dargestellten Sachverhalte in Frage zu stellen.
658
Eine nähere Beschreibung der einzelnen Dimensionen findet sich bei Wunderer, 2003, S. 158.
659
Wunderer, 2003, S. 158. Vor dem Hintergrund der Ausführungen in Kapitel 3.1.1.2 ist bezogen auf die Definition von „Soll-Graden“ zu fragen: Wer legt diese fest? Wie können diese ausgemacht werden? Wie findet der Wertpluralismus darin seinen Niederschlag? Im Zusammenhang mit den definierten Ist-Werten stellen sich folgende Fragen: Wie kommt es zu diesen Unterschieden? Hängen die Ist-Grade nicht direkt mit der entsprechenden Werteausprägung zusammen? Wie ergeben sich die jeweiligen Ausprägungen (hoch, mittel, gering)? Was sind die Bezugsgrößen?
660
Vgl. Werner, 1998, S. 38; Ebers, 1995; Wever, 1992, S. 91.
Strategische Ebene
123
Wever661 spricht deshalb auch von Unternehmenskulturen als Subkulturen662 der Gesellschaft. Auf diese Weise sind eigenständige Wertpositionierungen innerhalb eines Unternehmens möglich.663 Diese ergeben sich beispielsweise durch die Prägung durch Führungspersönlichkeiten, wie Firmengründer und Eigentümer. Neben derartigen individuellen Einflüssen können Unterschiede in den Unternehmenskulturen eines Kulturkreises auch auf organisatorische Einflüsse zurückgeführt werden. Hierzu zählen u. a. der Einfluss der Eigentumsverhältnisse, die Organisationsgröße und -struktur oder Spezialisierungs-, Formalisierungs- und Zentralisierungsgrade.664 Trotz aller Unterschiede ist festzuhalten, dass sich die Unternehmenskulturen in Unternehmen des gleichen Kulturraums ähnlicher sind als in verschiedenen Kulturräumen. 665
3.2.2.2.2.
Subkulturen als Teilbereiche der Unternehmenskultur
Die kulturellen Aspekte eines Unternehmens aus ganzheitlicher Sicht zu betrachten heißt auch, die Unternehmenskultur als „lebendige[n] Organismus verschiedener, sogar unterschiedlicher Arbeits- und auch multipler Lebenswelten“666 anzusehen. So ist es möglich, dass eine Gruppe von Mitgliedern regelmäßig miteinander interagiert und kommuniziert, sich eigene Wertsysteme für diese Gruppe herausbilden und sie sich selbst als spezifische Gruppe identifiziert, die sich durch eine gemeinsame Wirklichkeitskonstruktion auszeichnet.667 Auf diese Weise können organisatorische Subsysteme mit eigenen kulturellen Organisationsmustern – so genannte Subkulturen668 – entstehen. Das heißt an die Stelle von Einheit tritt eine Art „Mehrebenensystem, das Raum lässt für Vielfalt und potentielle Widersprüche zwischen
661
Vgl. Wever, 1992, S. 91.
662
Vgl. zum Thema Subkultur Kapitel 3.2.2.2.
663
Vgl. Kremmel, 1996, S. 61; Wever, 1992, S. 95.
664
Vgl. Werner, 1998, S. 39; Wunderer, 2003, S. 159.
665
Vgl. Werner, 1998, S. 38 f. Dies kann nach Werner soweit gehen, dass in allen Unternehmen eines Kulturraums gleich Wertvorstellungen und Ziele gelten, so dass sie zum Kennzeichen der Wirtschaft eines Landes werden, z. B. das Qualitätsbewusstsein deutscher Unternehmen. Wobei der empirische Beleg dieser These von Werner nicht geleistet wird. Auf Unterschiede der Unternehmenskultur amerikanischer und deutscher Unternehmen geht beispielsweise Hoffmann näher ein, vgl. Hoffmann, F., 1990, S. 164 ff.; Berger, R. et al., 1993 stellen verschiedene europäische Managementkulturen gegenüber.
666
Wunderlich, 2004, S. 460.
667
Vgl. Bleicher, 1984, S. 495; Jochheim, 2002, S. 172.
668
Vgl. hierzu und im Folgenden Sackmann, 1992; Wunderlich, 2004, S. 460; Schein, 1995, S. 27; Jochheim, 2002, S. 176 ff.
Theoretische Exploration
124
Subkulturen“669.670 Dabei ist festzuhalten, dass „es … ein ganz normaler Entwicklungsverlauf [ist], dass soziale Großgruppen im Lauf der Zeit Untergruppen hervorbringen, die ihrerseits Subkulturen erzeugen“671. Nach Jochheim672 ist neben intensiver, regelmäßiger Kommunikation etwas „Gemeinsames“ wie in der Vergangenheit liegende gemeinsame Erfahrungen oder in der Zukunft liegende Aufgaben und Ziele die Grundlage für die Herausbildung von Subkulturen. Die Gesichtspunkte, nach welchen sich Subkulturen bilden, sind vielfältigster Art.673 So ist es möglich, dass Subkulturen vom Tätigkeitsbereich oder der organisatorischen Zuordnung (z. B. Abteilung, Team) geprägt sind.674 Beispielsweise kann das Bildungsmanagement, in der Form einer eigens verankerten Abteilung, eine eigene Subkultur im Unternehmen entwickeln. Daneben könnten gemeinsame Aufgaben und Ziele ausschlaggebend sein. Es wäre denkbar, dass sich Subkulturen auf der horizontalen Ebene entsprechend dem hierarchischen Rang des Einzelnen im Unternehmen bilden.675 Es gibt weiter auch Subkulturen, die auf unternehmensunabhängige Faktoren wie Generation, Religion, Nationalität676 oder den Berufsstand d. h. zwischen Mitgliedern der gleichen Profession677 – Wirtschaftspädagogen beispielsweise –
669
Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 635 f.
670
Für Wever ist „Subkultur“ deshalb eine wertneutrale Bezeichnung für alle Bereiche oder Gruppierungen im Unternehmen, die sich durch eine eigenständige Ausprägung von der Gesamtkultur des Unternehmens abheben (vgl. Wever, 1992, S. 205).
671
Schein, 1995, S. 27.
672
Vgl. Jochheim, 2002, S. 172.
673
Vgl. hierzu und im Folgenden beispielsweise Wunderlich, 2004, S. 460; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 636 f.; Neubauer, 2003, S. 32; Bleicher, 2004, S. 244; Jochheim, 2002, S. 172.
674
Beispielsweise könnten Subkulturen der einzelnen Abteilungen wie die des Marketings, der Fertigung oder der Forschung entstehen. Ebenso denkbar sind Subkulturen, die sich auf bestimmte Bereiche wie das Qualitätsmanagement oder die Sicherheit beziehen möglich (vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 636; Neubauer, 2003, S. 32). Jochheim sieht das Ziel derartiger Subkulturen in der Möglichkeit, Aufgaben besser lösen zu können (vgl. Jochheim, 2002, S. 172).
675
Steinmann und Schreyögg sprechen in diesem Zusammenhang beispielsweise Meisterkulturen an (vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 636). Das Ziel solcher Subkulturen könnte darin liegen, die Interessen in der Gruppe mit mehr Nachdruck verfolgen zu können (vgl. Jochheim, 2002, S. 172).
676
Vgl. Wunderlich, 2004, S. 460; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 637. Das Ziel derartiger Subkulturen wäre möglicherweise die Befriedigung sozialer Bedürfnisse und die Schaffung eines Wir-Gefühls (vgl. Jochheim, 2002, S. 172).
677
Neubauer bezeichnet diese als Berufs-Kulturen bzw. „professional cultures“ (vgl. Neubauer, 2003, S. 32). Steinmann und Schreyögg führen in diesem Zusammenhang beispielhaft Ingenieurs-, Kaufleute- und Ärztekulturen an (vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 636).
Strategische Ebene
125
zurückzuführen sind. Diese können dann auch interorganisational d. h. organisationsübergreifend existieren und die Tatsache begründen, dass in unterschiedlichen Unternehmen trotz unterschiedlicher Unternehmenskulturen gleiche Arten von Subkulturen existieren.678 Diese Einteilung ist selbstverständlich nicht überschneidungsfrei. So „können sich z. B. entlang der unternehmensspezifischen Aufgaben Seilschaften ausbilden oder soziale Kontakte aus beziehungsorientierten Kommunikationen können Basis für unternehmensbezogene Themen/Aufgaben bieten“679. Begünstigt wird die Bildung von Subkulturen beispielsweise durch ein schwach ausgeprägtes Wertesystem im Unternehmen und eine geringe Verbreitung der Unternehmenswerte.680 Weitere Faktoren, die die Bildung von Subkulturen beeinflussen, sind die Größe des Unternehmens, dessen Alter und das Ausmaß der Spezialisierung und Divisionalisierung. Je größer das Unternehmen ist, desto wahrscheinlicher entstehen und bestehen Subkulturen, da es durch die Vielzahl an Mitarbeitenden immer schwieriger wird, dass alle die gleichen Werte entwickeln und damit die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen zu einem wesentlichen Kriterium werden.681 Einen weiteren Bedingungsfaktor stellt das Alter des Unternehmens dar – je älter das Unternehmen ist, desto eher gibt es Subkulturen. Dies lässt sich dadurch begründen, dass sich mit zunehmendem Alter des Unternehmens die Strukturen im Unternehmen verfestigen und sich entsprechend eher Gruppen innerhalb des Unternehmens bilden.682 Auch die organisatorische Strukturierung des Unternehmens kann eine Rolle bei der Entstehung von Subkulturen spielen – je unabhängiger Organisationseinheiten (z. B. Abteilungen) von einander agieren (können), desto eher werden sie eigene Ziele sowie ein eigenes Wertesystem entwickeln und verfolgen.683 Es stellt sich nun die Frage nach der Wirkung von Subkulturen im Unternehmen. Grundsätzlich kann nicht davon gesprochen werden, dass Subkulturen a priori schlecht oder gut sind.684 Allerdings lässt sich die Wirkung von Subkulturen insofern
678
Vgl. Neubauer, 2003, S. 32.
679
Jochheim, 2002, S. 172.
680
Vgl. Werner, 1998, S. 58.
681
Vgl. Schein, 1995, S. 27; Jochheim, 2002, S. 171; Werner, 1998, S. 58; Bromann/Piwinger, 1992, S. 5, S. 40. Wobei hier die Frage zu stellen ist, wie diese Argumentationslinie mit der Argumentation von Hofstede, d. h. der gemeinsamen Kultur einer Kulturregion in Vereinbarung zu bringen ist.
682
Vgl. Werner, 1998, S. 58 f.
683
Vgl. Werner, 1998, S. 59.
684
Vgl. Werner, 1998, S. 60.
Theoretische Exploration
126
betrachten, als dass ihre Stellung zur Unternehmenskultur verstärkend, neutral oder entgegen gerichtet sein kann.685 Wenn die grundsätzlichen Wertvorstellungen der Subkulturen mit denen der Unternehmenskultur übereinstimmen und diese evtl. sogar modellhaft unternehmenskulturkonformes Verhalten zeigen, kann von einer verstärkenden Wirkung gesprochen werden.686 Nach Steinmann und Schreyögg bilden z. B. Vorstandsstäbe oder Lehrwerkstätten derartige „enthusiastische Verstärkungsinseln“687. Wever688 spricht in diesem Zusammenhang von „Kulturinseln“, die die Unternehmenskultur stärken und voranbringen und bei Veränderungsprozessen eine Vorreiter- und Vorbildrolle einnehmen. Weiter ist es denkbar, dass die Subkulturen zwar ihre eigenen Wertvorstellungen haben, diese aber nicht mit der Unternehmenskultur kollidieren, beispielsweise wenn es sich um Werte handelt, die nur in einzelnen Teilbereichen des Unternehmens wie der Produktion oder dem Informatik-Bereich relevant sind.689 Im Extremfall können innerhalb einer Unternehmenskultur auch Subkulturen wie die des Managements oder der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer vereint sein, die an sich konträr zueinander sind, aber dennoch in Krisenfällen oder angesichts eines „gemeinsamen Gegners“ nach gemeinsamen Prämissen handeln.690 Diese Subkulturen stehen dann gewissermaßen parallel oder ergänzend zur Unternehmenskultur und können einen positiven Effekt haben, indem sie beispielsweise den Nachteilen von zu starken Unternehmenskulturen wie z. B. erzwungener Konformität entgegenwirken. Entsprechend können Subkulturen unter Umständen zum Erfolg des Unternehmens beitragen, indem sie u. a. die Flexibilität steigern; beispielsweise dann, wenn es in einem Unternehmen verschiedene Sparten oder Aufgabenbereiche gibt, deren Effizienz jeweils andere Werte und damit ein anderes Verhalten erfordern.691 Insbesondere in
685
Vgl. hierzu und im Folgenden insbesondere Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 637.
686
Vgl. Werner, 1998, S. 59.
687
Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 637. Sie führen allerdings nicht aus, warum gerade Vorstandsstäbe oder Lehrwerkstätten als „enthusiastische Verstärkungsinseln“ gesehen werden können.
688
Vgl. Wever, 1992, S. 205.
689
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 637; Werner, 1998, S. 59.
690
Vgl. Schein, 1995, S. 27.
691
„Hat ein Unternehmen z. B. eine Dienstleistungssparte und eine Sparte, die sich mit Forschung und Entwicklung beschäftigt, so sind in diesen beiden Bereichen unterschiedliche Werte für den Erfolg förderlich. Im ersten Fall ist es erforderlich, jederzeit Kunden zufriedenzustellen, während im zweiten Fall der Innovationsgeist im Vordergrund stehen muss.“ (Werner, 1998, S. 59 f.).
Strategische Ebene
127
Zeiten zunehmender Dynamik und Instabilität können Subkulturen damit nach Bleicher692 auch ein „Erfolgsgarant“ für das Unternehmen sein. Problematisch kann es werden, wenn die Werte der Subkulturen nicht mit der Unternehmenskultur übereinstimmen, wenn sie die Interessen des gesamten Unternehmens konterkarieren oder wenn sich die Subkulturen untereinander so weit voneinander entfernen, dass eine gemeinsame Arbeit nicht mehr möglich ist.693 Steinmann und Schreyögg694 weisen allerdings darauf hin, dass Subkulturen mit einem eigenen Orientierungsmuster, welches sich dezidiert gegen die Hauptkultur richtet – egal ob aus Enttäuschung heraus oder zur Durchsetzung neuer Ideen – nicht nur als Störfaktoren wirken können, sondern durchaus auch entkrampfend und belebend für die Unternehmenskultur sein können. „Bisweilen gelten sie als Motor für den organisatorischen Wandel.“695 Bleicher696 weist deshalb darauf hin, dass die Pflege von „CounterCultures“, d. h. von Gegenkulturen, die die bestehende Unternehmenskultur hinterfragen und in Bewegung halten, eine „durchaus funktionale Systemstrategie des Wandels“ sein kann. Steinmann und Schreyögg weisen insgesamt darauf hin: „Häufig wird von den Organisationsmitgliedern die Zugehörigkeit zu einer Subkultur als wichtiger erlebt als die zu der Gesamtkultur. Diese Voreingenommenheit erweist sich aber vielfach bei näheren Analysen als nicht triftig, die Subkultur ist lediglich der bewusster erlebte Teil.“697 Durch diese starke Identifikation mit der Subkultur ist es bezogen auf die Erläuterungen in Kapitel 3.2.1.2 wichtig, darauf hinzuweisen, dass bei der Formulierung der Strategie Mitglieder verschiedener Subkulturen involviert werden sollten, damit die formulierte Strategie auch „subkulturell möglich“698 ist. „Je mehr Subkulturen an der Strategieformulierung partizipieren, desto ähnlicher wird sie von den verschiedenen Subkulturen interpretiert, kann sie als subkulturübergreifende Orientierung dienen.“699
692
Vgl. Bleicher, 2004, S. 244.
693
Vgl. hierzu auch Werner, 1998, S. 59; Jochheim, 2002, S. 176.
694
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 637.
695
Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 637. Sie führen allerdings nicht aus, wie sie zu dieser Aussage gelangt sind.
696
Vgl. Bleicher, 2004, S. 243.
697
Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 637.
698
Pfriem, 1995, S. 291.
699
Jochheim, 2002, S. 185.
Theoretische Exploration
128
3.2.2.2.3.
Starke versus schwache Kulturen
In Zusammenhang mit der Diskussion um die Wirkung von Unternehmenskultur allgemein wird in der Literatur zwischen ‚starken’ und ‚schwachen’ Kulturen unterschieden.700 Zur Beurteilung der Stärke werden unterschiedliche Konzepte herangezogen. Schreyögg701 unterscheidet beispielsweise die drei Dimensionen Ausmaß der Prägnanz, Verbreitungsgrad und Verankerungstiefe/Persistenz. In starken Unternehmenskulturen wird das Handeln durch die vermittelten Orientierungsmuster und Werthaltungen klar angeleitet. Die einzelnen Kulturelemente müssen hierzu zum einen relativ konsistent und zum anderen relativ umfassend angelegt sein (in dem Sinn, dass sie in vielen unterschiedlichen Situationen Maßstäbe setzen). Der Kulturinhalt an sich spielt bei der Beurteilung keine Rolle. Der Verbreitungsgrad spricht das Ausmaß an, in dem die Mitarbeitenden die Kultur teilen. Bei starken Unternehmenskulturen wird im Idealfall das Handeln aller Mitarbeitenden durch die Orientierungsmuster und Werte geleitet. Die Verankerungstiefe spricht die Frage an, inwieweit die kulturellen Muster zum selbstverständlichen Bestandteil des täglichen Handelns gehören (internalisiert sind). Mit Persistenz ist die Stabilität und Kontinuität über längere Zeit hinweg angesprochen. Heinen702 führt neben dem Verankerungsgrad und dem Verbreitungsgrad, den er Übereinstimmungsausmaß nennt, die Systemvereinbarkeit auf. Diese gibt an, wie vereinbar die Werte und Normen mit den Instrumenten der Mitarbeiterführung sind. Rüttinger703 macht starke Unternehmenskulturen daran fest, wie eindeutig, offen, lebendig und gelebt sie sind. Nach Werner704 können trotz der unterschiedlichen Formulierungen die angesprochenen Merkmale in den drei Kategorien Klarheit, Verbreitung und Verankerung der Werte zusammengefasst werden: „Eine starke Unternehmenskultur ist demnach durch große Klarheit, eine weite Verbreitung und eine tiefe Verankerung bei den Mitarbeitern gekennzeichnet“705.
700
Vgl. beispielsweise Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 634 f.; Schein, 1984, S. 7; Schreyögg, 1989, S. 95.
701
Vgl. ausführlich Schreyögg, 1989, S. 95; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 634 f.
702
Vgl. Heinen, E., 1987, S. 27 ff.
703
Vgl. Rüttinger, 1986, S. 28ff.
704
Vgl. Werner, 1998, S. 56.
705
Werner, 1998, S. 56.
Strategische Ebene
129
Die Effekte einer starken Unternehmenskultur können sowohl positiver als auch negativer Natur sein.706 Zu den positiven Aspekten zählen die Handlungsorientierung durch Komplexitätsreduktion, reibungslose Kommunikation, rasche Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung, beschleunigte Implementation von Plänen und Projekten, geringer Kontrollaufwand, hohe Motivation, Loyalität, Teamgeist, Stabilität und Zuverlässigkeit.707 Negative Effekte starker Unternehmenskulturen sind die Tendenz zur Abschließung, Blockierung neuer Orientierungen, Implementationsbarrieren, Fixierung auf traditionelle Erfolgsmuster, kollektive Vermeidungshaltung, Kulturdenken und Mangel an Flexibilität.708 Daneben ist zu berücksichtigen, dass die Einstellungen z. T. durch Elemente der nationalen Kultur beeinflusst sein können. Entsprechend reagieren manchen Menschen positiv auf starke Unternehmenskulturen, manche negativ.709 Die Einordnung von Kulturen in ‚stark’ oder ‚schwach’ hängt allerdings auch von der betrachteten Dimension ab. Denn Kulturen können wie bereits aufgezeigt nie allgemein existieren, sondern immer nur im Hinblick auf bestimmte Dimensionen, wie sie im folgenden Kapitel näher erläutert werden. Je nach Gegenstandsbezug können Menschen in unterschiedlichen Kulturgemeinschaften leben bzw. sind Mitarbeitende Teil verschiedener Subkulturen.
3.2.2.3. Kulturdimensionen des Bildungsmanagements Die Kultur in Unternehmen lässt sich an unterschiedlichsten Kulturaspekten/-dimensionen festmachen – entsprechend existieren in der Literatur viele verschiedene Vorschläge für grundlegende Kulturdimensionen oder Kulturtypen710, die allerdings in keinem direkten Zusammenhang zum Bildungsmanagement stehen. Für die folgenden Erläuterungen dient daher das Bildungs-Verständnis dieser Arbeit als Ausgangsbasis. Darauf aufbauend werden beispielhafte Kategorien abgeleitet, die für das
706
Vgl. Werner, 1998, S. 56 ff.; Sandner, 1988, S. 660.
707
Vgl. ausführlich Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 639 f.; Schreyögg, 1989, S. 97 f.
708
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 640 f.
709
Vgl. Hofstede, 1993, S. 204.
710
Vgl. die ausführliche Übersicht in Ebers, 1995, Sp. 1669 f.; daneben Wagner/Seisreiner/Surrey, 2001, S. 14 ff.
Theoretische Exploration
130
Bildungsmanagement in Unternehmen bedeutsam erscheinen und in der Literatur in unterschiedlicher Art und Weise thematisiert und aufgegriffen werden.711 Bildung ist die Kompetenz zum eigen- und sozialverantwortlichen Handeln in sozioökonomischen Situationen. Es stellt sich nun zunächst die Frage, welche Bedeutung der Kompetenzaspekt im Zusammenhang mit der Diskussion um Kultur und Bildung(smanagement) hat und damit konkreter die Frage nach der Lernkultur im Unternehmen. Lernkulturen gibt es schon seit jeher in Unternehmen und nicht erst seit den neunziger Jahren, in denen der Begriff verstärkt verwendet und diskutiert wurde.712 Grundsätzlich ist die Lernkultur der Teil der Unternehmenskultur, in dem sich die Gewohnheiten und Einstellungen manifestieren, die mit dem Lernen verbunden sind.713 Entsprechend ist Lernkultur ein dynamisches und prozesshaftes Konstrukt, das gestaltbar ist und einen funktionellen Charakter besitzt.714 Die Dynamik und Prozesshaftigkeit zeigt sich darin, dass vielfältige Lern- und Kompetenzentwicklungsprozesse auf individueller, gruppenbezogener und organisationaler Ebene ablaufen. Die Gestaltungsfunktion kann sowohl vom Management als auch von den Mitarbeitenden übernommen werden. Der funktionelle Charakter wird dadurch deutlich, dass die Lernkultur den Unternehmensmitgliedern eine Orientierungshilfe bietet und je nach Ausprägung zur Kompetenzentwicklung und zum Wissenserwerb beiträgt. Daneben kann Lernkultur auch als erfolgsrelevanter Faktor für den Unternehmenserfolg angesehen werden, da sowohl die Innovationsfähigkeit/-bereitschaft als auch die Flexibilität des Unternehmens durch eine entsprechende Lernkultur erhöht werden kann.715 Nach Sonntag716 zeigt sich ob und in welchem Ausmaß eine Lernkultur im Unternehmen vorliegt, in der Bedeutung, die dem Thema Lernen
711
Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – hierzu müsste detailliert das Thema erforscht werden –, sondern zielt darauf ab, grundlegende Kategorien und Ansätze darzustellen.
712
Vgl. Friebe, 2005, S. 27. Das Thema Lernkultur wurde in der Zwischenzeit in einer Vielzahl von Veröffentlichungen thematisiert. Im Folgenden konzentrieren sich die Ausführungen auf die im Zusammenhang mit dem Thema der Dissertation stehenden Aspekte. Der interessierte Leser sei daneben auf die jeweils genannte weiterführende Literatur verwiesen.
713
Vgl. Euler, 2004.
714
Vgl. hierzu und im Folgenden Friebe, 2005, S. 28 f.
715
Vgl. Friebe, 2005, S. 28 f.
716
Vgl. Sonntag, 1996, S. 43.
Strategische Ebene
131
beigemessen wird, in der Art und Weise, wie die Mitarbeitenden selbst und das Unternehmen als Gesamtes lernen und im Ausmaß der Lernunterstützung. Zur weiteren Betrachtung der Lernkultur können in Anlehnung an Heyse et al.717 die drei Dimensionen Lernort, Lernprozess und Lernresultat unterschieden werden. Die Dimension Lernort bezieht sich auf die Frage, wo das Lernen stattfindet, beispielsweise am Arbeitsplatz/im Arbeitsprozess, im sozialen Umfeld oder im Rahmen von traditionellen Weiterbildungsveranstaltungen (intern oder extern organisiert). Es sind dabei alle Formen zwischen den beiden Extremwerten eines rein formellen und eines rein informellen Lernens möglich. Formelles Lernen bezeichnet das auf formale Zertifizierung ausgerichtete Lernen innerhalb von Bildungsinstitutionen, informelles Lernen findet außerhalb derartiger Institutionen beispielsweise am Arbeitsplatz durch die Kommunikation mit Kollegen statt.718 Eine empirische Untersuchung zur Lernkultur in Zukunftsbranchen im Rahmen des QUEM-Projekts719 hat ergeben, dass die formelle Weiterbildung im Rahmen klassischer Weiterbildungsseminare für die reale Deckung des Kompetenzentwicklungsbedarfs von Unternehmen eher eine marginale Rolle spielt. „Entscheidend ist die informelle Weiterbildung in einer Fülle von Spielarten“720.721 Es geht darum, Lernen in vielfältiger Weise zu ermöglichen und dem Aspekt des informellen Lernens eine erkennbare Bedeutung zu geben, d. h. selbst gesteuertes und selbst organisiertes Lernen am Arbeitsplatz wird wichtiger. Daneben erhalten Weiterbildungsmethoden wie Beratung und Coaching eine zunehmende Bedeutung.722 Der Einfluss des informellen Lernens zeigt sich auch im Grad des Wissensaustauschs im Unternehmen – dieses Thema wurde von den Experten der
717
Vgl. hierzu und im Folgenden ausführlich Heyse/Erpenbeck/Michel, 2002.
718
Vgl. Heyse/Erpenbeck/Michel, 2002, S. 10 ff.; Euler/Hahn, 2004, S. 80; Dohmen, 2001, S. 25; Dohmen, 1996; Straka, 2000.
719
Im Rahmen der Untersuchung wurden 540 Unternehmen quantitativ befragt und in 30 weiteren Unternehmen Tiefeninterviews mit den Geschäftsführern oder Personalverantwortlichen durchgeführt (vgl. ausführlich Heyse/Erpenbeck/Michel, 2002).
720
Heyse/Erpenbeck/Michel, 2002, S. 50.
721
Dies ist auch als Praxisbeobachtung feststellbar. So führte Hundt, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände im Rahmen eines Kongressreferats 2001 aus: „Mit der Verstetigung und Verbreiterung beruflichen Lernens sind Vermittlungsformen überholt, die allein auf punktuelle Wissensvermittlung setzen, etwa in langen Lehrgängen“ (Hundt, 2001, S. 15, im Original z. T. kursiv). Was aber dennoch nicht heißen soll, dass formelle Weiterbildung nicht auch ihre Berechtigung hat. Heyse et al. zeigen beispielhaft vielfältige Aufgaben auf, die weiterhin der formellen Weiterbildung zukommen wie Incentive-Funktionen, Mitarbeiterbindung, Marketing des Unternehmens, Teambildung, Standards setzen, etc. (vgl. ausführlicher Heyse/Erpenbeck/Michel, 2002, S. 50).
722
Vgl. hierzu auch Heyse/Erpenbeck/Michel, 2002; Diesner/Euler/Seufert, 2006.
Theoretische Exploration
132
bereits angesprochenen SCIL-Trendstudie als eines der Top-Themen (Platz 4) eingestuft.723 Die Frage nach dem Lernort hängt sehr stark mit der Frage nach der Art der Gestaltung des Lernprozesses zusammen. Grundsätzlich kann dieser fremd gesteuert oder selbst gesteuert stattfinden (bzw. in einer der vielfältigen Übergangs- und Mischformen zwischen beiden Polen). Wo es früher darum ging, Lehrgänge zu organisieren (fremd gesteuerte Form des Lernprozesses), geht es heute darum, (selbst gesteuerte) Lernprozesse zu fördern.724 Die QUEM-Studie kam zu dem Ergebnis, dass „die fremdorganisierte Weiterbildung – schon vom Umfang her – nicht einen Bruchteil des im Unternehmen nötigen Wissens und der Kompetenzen abdecken kann“725. Vielmehr wurde deutlich, dass selbstorganisierte Lernprozesse beispielsweise im Rahmen eines moderierten Selbststudiums, im Gespräch mit Kollegen und durch Kontakte mit Universitäten726 eine viel größere Rolle bei den befragten Unternehmen der Zukunftsbranchen spielen.727 Die Selbststeuerung durch den Lernenden ist ein grundlegendes Kennzeichen derartiger Lernprozesse. Die Aufgabe der Lehrenden, Bildungsmanager und Führungskräfte ist es, den Lernprozess für den Lernenden zu ermöglichen und sich ansonsten soweit wie möglich zurück zu nehmen.728 Die Rolle der Führungskräfte als Lernunterstützer belegen auch die Ergebnisse der SCIL-
723
44 % der befragten Unternehmen haben den Wissensaustausch mit der interner Umwelt bereits umgesetzt, 38 % den externen. 21 % der Unternehmen streben nach Expertenmeinung eine Erhöhung im Bereich der externen Umwelt zeitnah an, allerdings nur 7 % im Bereich der internen Umwelt. Dies gleicht sich in den Folgejahren wieder etwas auS. Interessanterweise hängt die Realisierung des internen Wissensaustauschs mit der Formulierung von Leitbildern für das Bildungsmanagement zusammen – wenn das Thema Leitbildformulierung bereits realisiert wurde, dann hat auch eine Erhöhung des internen Wissensaustauschs stattgefunden. Der unternehmensexterne Wissensaustausch (insbesondere mit Kunden und der Wissenschaft d. h. Universitäten und Forschungsinstitutionen) wird zwar auch als bedeutsam erachtet, landete aber eher im Mittelfeld der Bedeutsamkeitsskala (vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 50 f.).
724
Vgl. Heyse/Erpenbeck/Michel, 2002.
725
Heyse/Erpenbeck/Michel, 2002, S. 50.
726
Vgl. hierzu auch die Ergebnisse der SCIL-Trendstudie, die bereits im Zusammenhang mit dem Thema Lernort angesprochen wurden.
727
Fremdorganisierte Weiterbildung wird oft mit anderen Funktionen als die der Wissensvermittlung (z. B. zur Stärkung der Unternehmensidentität und zur Schaffung motivationaler Anreize) eingesetzt (vgl. Heyse/Erpenbeck/Michel, 20029.
728
Vgl. Euler/Hahn, 2004, S. 289 f. Hiermit ist das pädagogische Verständnis einer „Ermöglichungsdidaktik“ angesprochen: „Lernen als ein Prozess, der in der Person des Lernenden abläuft, kann demnach von außen nicht kausal-deterministisch bewirkt, sondern nur durch Impulse beeinflusst werden“ (Euler/Hahn, 2004, S. 289).
Strategische Ebene
133
Trendstudie: Das Thema ‚Lernunterstützung durch Vorgesetzte fördern’ wurde von den beteiligten Experten als eines der drei Top-Themen eingeschätzt.729 Neben Lernort und Lernprozess handelt es sich beim Lernprodukt um die dritte Dimension der Lernkultur. Das Lernprodukt kann auf einem Kontinuum der beiden Extremwerte implizites und expliztes Wissen verortet werden.730 Implizites Wissen ist nicht direkt artikulierbar – es liegt in intuitiver bzw. unbewusster Form vor. Für die Entstehung impliziten Wissens ist überwiegend das unmittelbare, oft körperliche Erleben und Erfahren ausschlaggebend. Implizites Wissen ist in den Idealen, Werten, Gefühlen und Erfahrungen des Einzelnen verankert und so stark an den jeweiligen Menschen gebunden.731 Für Unternehmen bedeutet dies, dass es durch Personalfluktuation verloren gehen kann und nur sehr schwer wieder kompensierbar ist. Explizites Wissen hingegen ist für das Unternehmen leichter greifbar und damit nutzbar. Es ist dasjenige Wissen, welches einer Person derartig bewusst ist, dass sie es bei Bedarf unmittelbar artikulieren und weitergeben kann. Es lässt sich in Worten und Zahlen ausdrücken und problemlos mit Hilfe von Daten, wissenschaftlichen Formeln, festgelegten Verfahrensweisen oder universellen Prinzipien mitteilen.732 Wenngleich Heyse et al. konstatieren, dass „jede sinnvolle Beschreibung einer Lernkultur … die detaillierte Darstellung der Zusammenhänge von Lernorten, Lernprozessen und Lernresultaten beinhalten“733 muss, so wird in ihren Ausführungen nicht deutlich, auf welche Weise und inwieweit die Dimension Lernprodukt zur Konkretisierung der Lernkultur beiträgt. Anders stellt sich dies im Zusammenhang mit den beiden Dimensionen Lernort und Lernprozess dar. In diesen spiegeln sich wie oben dargestellt, die vorhandenen Grundhaltungen und Einstellungen gegenüber dem Thema ‚Lernen’ und die damit zusammenhängenden Verhaltensweisen wieder. Dabei erfordert die „Pflege der eigenen Vitalität und die Weiterentwicklung der verfügbaren Kompetenzen auch im Interesse der Verbesserung der Arbeitsprozesse
729
Insgesamt 96 % der Experten stufen die Bedeutsamkeit der Lernunterstützung durch Vorgesetzte als mittel bis hoch bedeutsam ein. Daneben wurde aber auch den Kollegen eine nennenswerte Bedeutung bei der Lernunterstützung zugewiesen. 41 % stuften das Thema als hoch bedeutsam ein und weitere 41 % mit einer mittleren Bedeutsamkeit (vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 46 ff.).
730
Vgl. Heyse/Erpenbeck/Michel, 2002, S. 10 ff.; daneben auch Euler/Hahn, 2004, S. 79 f.
731
Vgl. Nonaka/Takeuchi, 1997, S. 72 f.; Davenport/Prusak, 1998, S. 71; Willke, 2001, S. 12 basierend auf den Ausführungen von Polanyi, 1962. Nach Nonaka und Takeuchi bestimmt das implizite Wissen unsere Wahrnehmung der Welt (vgl. Nonaka/Takeuchi, 1997, S. 19).
732
Vgl. Amelingmeyer, 2002, S. 46; Nonaka/Takeuchi, 1997, S. 19.
733
Heyse/Erpenbeck/Michel, 2002, S. 10.
Theoretische Exploration
134
(mindfitness) … ein Klima, in dem Gestaltungsspielräume existieren, Fehler gemacht werden dürfen und Vertrauen aufgebaut werden kann.“734 Hiermit sind zwei weitere Kulturdimensionen – Vertrauenskultur und Fehlerkultur – angesprochen, auf die nachfolgend näher eingegangen wird. Vertrauen ist ein Thema, das in der Literatur auf vielfältige Weise diskutiert wird.735 Im Zusammenhang mit Unternehmen ist dabei nach Kramer736 eine interessante Entwicklung beobachtbar: das Vertrauen der Beschäftigten in ihre Organisation ist in den letzten Jahrzehnten drastisch gesunken. Das niedrige Niveau zeigt sich auch im jährlich publizierten Vertrauensindex der Gesellschaft für Konsumforschung737: Lediglich 18 % der Deutschen, 30 % der Österreicher und 39 % der Schweizer bringen den Chefs und Vorgesetzten in Unternehmen derzeit Vertrauen entgegen.738 Nach Müller wird der Alltag entsprechend durch „Machtkämpfe, Konkurrenzdenken, Egoismen und Manipulation“739 beherrscht.740 Dem entgegen wird Vertrauen aufgrund der veränderten unternehmerischen Herausforderungen aber zu einer immer wichtigeren Größe für erfolgreiche Unternehmen.741 Es ist zur Steuerung der bedeutsamen intra- und interorganisationalen Beziehungen deutlich besser geeignet
734
Euler, 2004, S. 45 (im Original z. T. kursiv).
735
Vgl. z. B. Grüninger, 2001, S. 66 ff.; Weibler, 1997; Spickenbom, 2004, S. 68 f.; Neubauer/ Rosemann, 2006, S. 117 ff.; Willeitner, 2002; Götz, 2006b. Entsprechend gibt es auch hierfür keine einzelne, in der akademischen Welt anerkannte allgemeine Definition (vgl. Götz, 2006a, S. 61); zur Vielfalt der Definitionen siehe auch Neuberger, 2006, S. 14.
736
Vgl. Kramer, 1999, S. 588. Kramer bezieht sich in seinen Ausführungen u. a. auf Ney et al., die festgestellt hatten, dass 1964 durchschnittlich 55 % der Beschäftigten Vertrauen in ihre Organisation hatten und 1997 nur noch 21 %.
737
Vgl. GfK, 2006. Mit dem GfK-Vertrauensindex erfasst das Marktforschungsunternehmen GfK seit 2003 einmal jährlich das Vertrauen in unterschiedliche Berufsgruppen. In der angesprochenen Untersuchung wurden knapp 20.000 Personen in 19 Ländern befragt.
738
Zu ähnlich niedrigen Werten kommt auch der jährlich publizierte Edelman Trust Barometer (vgl. Edelman, 2006, S. 24).
739
Müller, 2006, S. 155 wobei er nicht weiter ausführt, wie er zu dieser Aussage kam.
740
Entsprechend wird im Zusammenhang mit westlichen Industrienationen in der Literatur von der Existenz einer „Misstrauenskultur“ oder einer „Falle des Misstrauens“ gesprochen (vgl. Krystek/ Zur, 2002c, S. 819; Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2006, S. 7 f.).
741
Vgl. die Ausführungen im Zusammenhang mit organisatorischen Herausforderungen im Kapitel 4.2.3.4. Daneben z. B. Vollmer/Clases/Wehner, 2006, S. 170; Mayer/Davis/Schoorman, 1995; Seifert, 2001, S. 309; Krystek/Zur, 2002c; Grüninger, 2001, S. 80 f. und die Ergebnisse der Akademie-Studie 2006 in Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2006, S. 15; Grüninger weist außerdem darauf hin, dass wir „ohne ein Mindestmaß an Vertrauen … nicht einmal zu einfachen Alltagshandlungen fähig“ (Grüninger, 2001, S. 69) wären.
Strategische Ebene
135
als Macht oder Kontrolle. Grüninger742 weist gar darauf hin, dass Vertrauen nicht nur eine Alternative zu Macht ist, sondern „konstitutive Bedingung für gelingende Kooperation“. Ohne Vertrauensbildung ist auch keine personale, beziehungsgerichtete Form von Führung möglich.743 Das ehemals vorherrschende Führungsprinzip ‚Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser’ verhindert Selbstorganisation und begünstigt Demotivation.744 Daneben führt das Infragestellen der Kompetenz der Mitarbeitenden zum Abbau von Vertrauen bzw. verhindert den Aufbau.745 Wenn Vertrauen als Führungsaufgabe aufgefasst wird, führt dies zu Teamorientierung, Leistungsorientierung, weitreichender Delegation und offener Kommunikation.746 Dabei gelten Personen, die sich durch Kompetenz, Konsistenz, Integrität, Offenheit und Wohlwollen auszeichnen, als vertrauenswürdig.747 Folgen existierenden Vertrauens sind beispielsweise die Steigerung der Vorhersehbarkeit von Verhalten, Komplexitätsreduktion, Ansporn zur Übernahme von Verantwortung, eine Senkung der Transaktionskosten und Interdependenz.748 Allerdings kann Vertrauen nicht direkt gestaltet und hergestellt werden;749 es ist an das individuelle Handeln der betrieblichen Akteure gebunden, das personen- und situationsabhängig ist.750 Daneben beruht Vertrauen auf vergangenheitsbezogenen Informationen, welche ex post nicht verändert werden können.751 Dennoch gibt es Möglichkeiten, die die Genese bzw. Expansion von Vertrauen zwar nicht garantieren, aber doch wahrscheinlich machen.752 Hierzu zählen beispielsweise die Gestaltung innerbetrieblicher Strukturen753, die Vermeidung von
742
Vgl. Grüninger, 2001, S. 81.
743
Vgl. Sailer, 2006, S. 264.
744
Vgl. Götz, 2006a, S. 70. Auch Ripperger hält fest, dass Kontrolle dort, wo sie nicht länger oder nur zu prohibitiv hohen Kosten möglich ist, durch Vertrauen ersetzt werden sollte (vgl. Ripperger, 1998, S. 4).
745
Vgl. Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2006, S. 16.
746
Vgl. Götz, 2006a, S. 70 (er folgert dies basierend auf einer Untersuchung unterschiedlichster empirischer Studien); Neubauer/Rosemann, 2006, S. 125 ff.
747
Vgl. ausführlicher Neuberger, 2006, S. 13; Seifert, 2001, S. 300.
748
Vgl. ausführlicher Neuberger, 2006, S. 12 f.; Krystek/Zur, 2002c, S. 820 ff.
749
Vgl. Grüninger, 2001, S. 111; Neuberger, 2006, S. 19; Walgenbach, 2000, S. 717 f.; Seifert, 2001, S. 305.
750
Vgl. Seifert, 2001, S. 304 f.
751
Vgl. Götz, 2006a, S. 61; Grüninger, 2001, S. 81.
752
Vgl. hierzu und im Folgenden ausführlicher Seifert, 2001, S. 305 ff.
753
Beispielsweise indem der Informationsfluss durch Transparenz und regelmäßige offene und ehrliche Kommunikation gekennzeichnet ist (vgl. Seifert, 2001, S. 306; Grüninger, 2001, S. 110).
Theoretische Exploration
136
Demotivation754 und ein entsprechendes Vorgesetztenverhalten.755 Ehrlichkeit, das Einhalten von Versprechen, Verschwiegenheit und direkte Kommunikation sind dabei die wesentlichsten Bedingungen für Vertrauen.756 Aber auch Weiterbildungsangebote können laut der Studie der Akademie für Führungskräfte dazu beitragen, eine Vertrauensbildung zu fördern (mit 82,5 % ist dies aus Sicht der befragten Manager die wichtigste Maßnahme).757 Daneben kann eine Leistungspolitik, in der eine hohe Fehlertoleranz herrscht und im Rahmen derer ein Lernen aus Fehlern gewünscht ist, den Aufbau von Vertrauen begünstigen.758 Damit ist das Thema Fehlerkultur als weiterer Kulturaspekt angesprochen. Die Fehlerkultur im Unternehmen ist ein Indikator für das „Ausmaß der Lernförderlichkeit der Unternehmenskultur und die Umsetzung kompetenzfördernder Arbeitsbedingungen“759. Sie ist dafür entscheidend, ob Beschäftigte im Unternehmen die Möglichkeit des Lernens aus Fehlern haben.760 Fehler als vom Soll-Zustand abweichende Prozesse oder Sachverhalte sind ein alltägliches Phänomen und kommen immer wieder vor.761 „Sie stellen … sowohl besondere Lerngelegenheiten als auch mögliche Ausgangspunkte für Innovationen und Kreativität dar.“762 Ein Lernen aus Fehlern geschieht allerdings nicht automatisch; hierzu sind Reflexionsprozesse ebenso wie ‚Rückkoppelungen’ der Reflexionsergebnisse auf die Handlungsbasis zukünftiger Handlungen
754
Denn beim Vertrauensmanagement geht es weniger um die „großzügige Geste des Managements, den eigentlich unzuverlässigen MitarbeiterInnen Vertrauen zu schenken (!) oder zu gewähren (!), sondern eher umgekehrt – entsprechend der Reziprozität von Vertrauen – um die Frage, ob das Mangement das Vertrauen der MitarbeiterInnen verdient“ (Neuberger, 1997b, S. 242).
755
Wer beispielsweise Vertrauen anderer genießen will, muss selbst auch Vertrauen schenken (vgl. Seifert, 2001, S. 306; daneben Grüninger, 2001, S. 110; Weibler, 1997, S. 207 f.).
756
Vgl. die Ergebnisse der empirischen Untersuchung der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2001, S. 15. Dort werden noch weitere Verhaltensweisen, die zur Vertrauensbildung beitragen, aufgeführt. Daneben zum Faktor Kommunikation auch Bierhoff, 1995, Sp. 2148.
757
Vgl. Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2006. Inwiefern Weiterbildungsmaßnahmen konkret dazu beitragen können, wird allerdings nicht näher ausgeführt.
758
Vgl. Seifert, 2001, S. 308; Spickenbom, 2004, S. 191. Auf der anderen Seite erfordert eine Fehlerkultur im Unternehmen ein gewisses Vertrauen, wie nachfolgend aufgezeigt wird.
759
Bauer, J. et al., 2003, S. 3.
760
Vgl. Bauer, J. et al., 2003, S. 3; vgl. daneben auch die Ergebnisse einer Studie der Universität Regensburg zum Thema „Learning from mistakes“ (vgl. Harteis et al., 2005).
761
Vgl. Oser/Hascher/Spychiger, 1999. Damit können Fehler sowohl Handlungen als auch Zustände beschreiben (vgl. Bauer, J. et al., 2003, S. 5).
762
Bauer, J. et al., 2003, S. 3.
Strategische Ebene
137
notwendig.763 Fehler müssen in einen Lernzusammenhang gestellt werden, um zu Lernprozessen zu führen, d. h. derjenige, dem der Fehler unterlaufen ist, muss die Ursache hierfür erkennen und reflektieren, um Konsequenzen daraus ziehen zu können. Daneben muss eine Möglichkeit zur Korrektur gegeben sein. Auf diese Weise kann auch die Kompetenz im Umgang mit neuen und unerwarteten Problemstellungen gefördert werden. Ein Lernen aus Fehlern ist also nicht nur auf die Vermeidung von Fehlern gerichtet, sondern bietet auch die Ausgangsbasis für Kreativität und Innovation.764 Im unternehmerischen Alltag zeigt sich allerdings, dass ein ‚Fehlermachen’ häufig mit entsprechenden Sanktionen und negativen Emotionen verbunden ist.765 „Die Firmenkultur in den meisten Großunternehmen verlangt, dass Fehler – selbst geringfügige, lehrreiche, folgenlose – bestraft werden.“766 Fehler werden als möglichst zu vermeidende Missgeschicke angesehen, die den Produktionsprozess bzw. die Wertschöpfung beeinträchtigen und die durch genügend großen Aufwand und durch Androhung negativer Folgen prinzipiell verhindert werden können.767 Zu dieser Grundhaltung konträr steht die Auffassung, Fehler als Chance zu begreifen und zu erkennen, dass sie nicht vollständig vermeidbar sind. Wenn sie geschehen, stellt sich zum einen die Frage des Fehlermanagements (d. h. wie der Fehler und seine Folgen möglichst einfach und schnell behoben werden können), und zum anderen die Frage nach dem in ihm steckenden Lern- und Innovationspotential (d. h. wie kann aus dem Fehler gelernt werden und welches Innovationspotential lässt sich aus ihm schöpfen).768 Fehler stellen folglich „eine willkommene Lerngelegenheit und Entwicklungsmöglichkeit dar, indem sie Mängel im bisherigen Vorgehen aufzeigen und Ausgangspunkte für Innovation bieten“769. Dazu ist es allerdings notwendig, „eine
763
Vgl. Oser/Hascher/Spychiger, 1999; Kolodner, 1983.
764
Vgl. ausführlicher Kolodner, 1983.
765
Vgl. Spickenbom, 2004, S. 191. Es fällt in diesem Zusammenhang auch auf, dass der Begriff „Fehler“ allein meist schon negativ belegt ist.
766
Wever, 1992, S. 48.
767
Dies steht beispielsweise im Zusammenhang mit der Null-Fehler-Strategie moderner Qualitätssicherungssysteme, die zwar im Sinn eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses auch ein Lernen aus Fehlern vorsehen, aber in denen Misserfolge der Anlass zur Veränderung sind. Dabei werden weder die Bedingungen thematisiert, unter denen ein Lernen aus Fehlern erst möglich wird, noch wird berücksichtigt, dass es keine „totale“ Qualität geben kann. Wird die These der prinzipiellen Unvermeidbarkeit von Fehlern akzeptiert, führt eine derartige Fehler(vermeidungs)kultur zu negativen Konsequenzen. Vgl. weiter Bauer, J. et al., 2003, S. 8 f.
768
Vgl. Zapf/Frese/Brodbeck, 1999.
769
Bauer, J. et al., 2003, S. 8.
Theoretische Exploration
138
einseitige Konnotation von Fehlern mit nur negativen Aspekten abzulösen“770, d. h. eine entsprechende Fehlerkultur zu pflegen, in der anerkannt wird, dass dort, wo experimentiert wird, wo etwas Neues ausprobiert wird, notwendigerweise auch Fehler gemacht werden (müssen). Es wird die Auffassung vertreten, dass Fehler eine „eminent wichtige Quelle des Lernens“ sind.771 Dies kann allerdings nicht bedeuten, Mitarbeitende z. B. in realen Produktionsprozessen absichtlich Fehler zu Lernzwecken begehen zu lassen.772 Fehler sind nur akzeptabel, solange sie in unbekannten und innovativen Bereichen geschehen. Sobald es sich allerdings um eingespielte Routinen handelt, ist Fehlerminimierung das leitende Prinzip.773 Mit den genannten Kulturdimensionen hängt die der Eigenverantwortung der Mitarbeitenden eng zusammen.774 In deren Förderung sehen die Experten der SCILTrendstudie eine der größten Herausforderungen für das Bildungsmanagement: „Die Eigenverantwortung des Lerners muss deutlicher gelebt werden“775. Das ‚not invented here’-Syndrom muss überwunden werden, indem die Mitarbeitenden sich ihrer Selbstverantwortung u. a. für das Lernen – beispielsweise im Zusammenhang mit dem oben geschilderten Auftreten von Fehlern – bewusst werden.776 Auch Decker777
770
Bauer, J. et al., 2003, S. 10.
771
Vgl. Wever, 1992, S. 48. Wever nennt in diesem Zusammenhang zur Veranschaulichung eine heute bei IBM noch lebendige Legende: „Ein vielversprechender junger Manager, der 10 Millionen Dollar in den Sand gesetzt hatte, sagte zu Thomas Watson sen.: ‚Ich nehme an, dass Sie jetzt meine Kündigung erwarten.’ Dazu Watson: ‚Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein, nachdem wir gerade 10 Millionen in Ihre Ausbildung investiert haben!’“ (Wever, 1992, S. 48). Ein weiteres Praxisbeispiel ist das BMW Werk in Regensburg, in welchem regelmäßig der „Fehler des Monats“ prämiert wird, vgl. Wunderer, 2003, S. 78.
772
Vgl. Bauer, J. et al., 2003, S. 11.
773
Vgl. Euler, 2004.
774
Eine spezielle Form bzw. Weiterentwicklung des Konzepts der Eigenverantwortung im Unternehmen stellt das Modell des Mitunternehmertums dar. Dieses geht davon aus, dass Mitarbeitende Erfahrungswissen aufbauen und ausschöpfen, beständig Optimierungsmöglichkeiten im Rahmen ihres Aufgabenfeldes oder zusammen mit anderen suchen und realisieren und sich als abhängig Beschäftigte genauso engagieren wie Unternehmer. Es zeichnet sich durch die erfolgreiche Umsetzung der Komponenten Mitwissen, Mitdenken, Mitentscheiden, Mithandeln, Mitverantworten, Mitfühlen, Miterleben, Mitentwickeln, Mitverdienen und Mitbeteiligen aus. Hierzu sind auch die Bereitschaft Fehler zu begehen und daraus zu lernen, gegenseitiges Vertrauen und mehr Selbstkontrolle wichtig (vgl. ausführlich Wunderer, 2003, S. 35 ff.; Bitzer, 1991). Wunderer weist auch darauf hin, dass Lernen und Experimentieren im Rahmen des Mitunternehmertums als Investition statt als Kostenfaktoren zu definieren sind (vgl. Wunderer, 2003, S. 77; daneben auch Speck, 2005).
775
Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 53.
776
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 52 ff.; Friebe, 2005, S. 37 f.; Münch, 2002.
777
Vgl. Decker, 2000, S. 35.
Strategische Ebene
139
weist darauf hin, dass Eigenverantwortung, Selbstmanagement und Selbstführung wichtige Elemente der Unternehmenskultur sind, denn nur dann, wenn Mitarbeitende ihr Unternehmen dynamisch und flexibel mitsteuern, können Anpassungsprozesse rechtzeitig, sinnvoll und erfolgreich initiiert und umgesetzt werden. Daneben ist es notwendig, dass nicht nur jeder Mitarbeitende als ‚Einzelkämpfer’ agiert, sondern eine Team- und Kooperationskultur im Unternehmen herrscht, im Rahmen derer eine gegenseitige Unterstützung und Anerkennung der Leistung erfolgt.778 Zusammenfassend wird deutlich, dass aus Sicht des Bildungsmanagements eine Vielzahl relevanter Kulturdimensionen mit unterschiedlichen Implikationen für das Bildungsmanagement existiert. Im Folgenden geht es nun darum, wie die Kultur im Unternehmen überhaupt festgestellt und darauf aufbauend verändert werden kann.
3.2.2.4. Kulturanalyse und -gestaltung Wenn ein Unternehmen seine eigenen Stärken und Schwächen verstehen und strategische Entscheidungen aufgrund einer realistischen Einschätzung interner und externer Faktoren treffen möchte, ist es notwendig, dass es seine Kultur studiert und zu begreifen versucht.779 Allerdings ist die Erfassung der Unternehmenskultur eine sehr komplexe Aufgabe, da sie für die Mitarbeitenden und Führungskräfte über weite Teile mit einem ‚blinden Fleck’ vergleichbar ist.780 Nach Steinmann und Schreyögg781 gibt es keinen systematischen Weg, der sicher zur Identifikation einer „Kulturgestalt“ führt. Vielmehr ist ausgehend von den sichtbaren Elementen der Kultur, wie den Artefakten und Symbolen, ein Erschließungsprozess notwendig, der im Wesentlichen einen kreativen Akt darstellt.782 Entsprechend vielfältig sind die Methoden, die zur Kulturanalyse eingesetzt werden. Beispielsweise führt Wever783 u. a. folgende Instrumente der Kulturanalyse auf: Gespräche in unterschiedlichster Art (Mitarbeiter- und Beurteilungsgespräche, Gespräche mit dem Betriebsrat, Gespräche mit bestimmten Funktionsgruppen), Diskussionen während einer Seminarveranstaltung, Sammeln und Auswerten von Firmen-
778
Vgl. Euler, 2004, S. 45; Decker, 2000, S. 35; Wever, 1992, S. 49.
779
Vgl. Schein, 1995, S. 159.
780
Vgl. Dubs, 2004, S. 474.
781
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 631.
782
Vgl. u. a. Wunderer, 2003, S. 167 f.
783
Vgl. ausführlich Wever, 1992, S. 127 f.
Theoretische Exploration
140
geschichten, Arbeitsgruppen zum Thema „Stärken/Schwächen des Unternehmens“, Erhebung der erlebten Kulturmerkmale auf Formblättern, Workshops speziell zum Thema Unternehmenskultur und Mitarbeiter-Meinungs-Umfragen. Insbesondere Mitarbeiterbefragungen sind, vor allem von Unternehmenspraktikern, häufig genannte Methoden zur Kulturanalyse in Unternehmen. So bezeichnen Bromann und Piwinger784 Mitarbeiterbefragungen als „Kulturspiegel“. Für Wever785 sind sie gar eines der „wichtigsten und wirksamsten Analyse-Instrumente“. Aus seiner Sicht gibt es kaum Diagnose-Instrumente, die ein derart klares und objektives Bild der Kultur eines Unternehmens liefern.786 Aus wissenschaftlicher Sicht sind – insbesondere im Zusammenhang mit dem Thema Lernkultur – die Arbeiten von Sonntag und Friebe787 bedeutsam. Sie entwickelten mit dem so genannten Lernkulturinventar einen Fragebogen, um die Merkmale von Lernkultur im Unternehmen zu erfassen, zu diagnostizieren und zu analysieren.788 Alle Arten von Mitarbeiterbefragungen sind allerdings mit einigen Restriktionen verbunden. So ist zu beachten, dass der außenstehende Konstrukteur am Anfang die für das spezifische Unternehmen relevanten Fragen eventuell noch nicht kennt und der Befragte dann oft nicht weiß, wie er antworten soll.789 Daneben kann es sein, dass das Messergebnis durch die Merkmale der Untersuchungssituation, speziell durch den Messvorgang selbst beeinflusst werden kann.790 Des Weiteren können durch Fragebögen in erster Linie Artefakte herausgefunden werden, die alleine für die Entschlüsselung der Kultur nicht ausreichen, sondern interpretiert werden müssen. Auch können durch Fragebögen nur bestimmte Kategorien erfasst werden, was meist nicht ausreicht, um die vorherrschende Kultur zu analysieren.791 Letztlich steht
784
Vgl. Bromann/Piwinger, 1992, S. 41. Bromann war Mitglied der Geschäftsleitung der Vorwerk&Co. Elektrowerke KG und Piwinger Leiter des Ressorts Öffentlichkeitsarbeit.
785
Vgl. Wever, 1992, S. 126. Wever war Generalbevollmächtigter und Leiter der Stabsstelle „Unternehmenskommunikation“ bei der Hypo-Bank München und lange Zeit Managementtrainer und Personalleiter bei IBM Deutschland und USA.
786
Vgl. ausführlich Wever, 1992, S. 128 ff.
787
Vgl. beispielsweise die Checkliste zur Lernkultur in Sonntag, 1996, insb. S. 54 ff., daneben Friebe, 2005.
788
Vgl. ausführlich Friebe, 2005, insb. S. 138 ff.
789
Vgl. Schein, 1995, S. 141; Neubauer, 2003, S. 81 f.
790
Vgl. Kromrey, 2002, S. 395 ff.
791
Vgl. ausführlicher zu den Schwachpunkten des Fragebogeneinsatzes zur Kulturanalyse Schein, 1995, S. 155.
Strategische Ebene
141
der Zeitaufwand von Mitarbeiterbefragungen nach Schein792 in keinem Verhältnis zum Ertrag. Entsprechend der Vielfalt der genannten Methoden sind auch die Diskussionen zu deren Kategorisierung in der Literatur sehr heterogen. Neubauer793 unterscheidet beispielsweise die beiden grundlegenden Forschungsstrategien der Kulturalisten und Funktionalisten. Im Mittelpunkt des ethnografischen Vorgehens der Kulturalisten steht das Studium des sozialen Einflusses von Symbolen in einer Kultur über eine längere Zeitperiode. Das Verhalten von Gruppenmitgliedern wird bezogen auf kulturelle Symbole beobachtet, durch offene Tiefen-Interviews näher analysiert und darauf basierend beschrieben. Häufig kommen daher Fallstudien basierend auf qualitativen Methoden zur Anwendung. Im Gegensatz dazu gehen die funktionalistischen Ansätze davon aus, dass nur das Messbare erforscht werden kann. Sie zielen darauf ab, die relevanten Variablen mit standardisierten quantitativen Methoden genau zu erfassen. Im Ergebnis kann durch die Vorgabe von Antwortkategorien die Vergleichbarkeit gewährleistet werden, wenngleich Schwierigkeiten wie Missverständnisse beim Verständnis der Fragen, Zuverlässigkeit der Erfassung bestimmter Konstrukte, Validität oder auch Überprüfung kausaler Zusammenhänge nicht behoben werden können.794 Hofstede795 unterscheidet die unterschiedlichen Methoden der Kulturanalyse nach der Herkunft der Daten. Die Daten liegen bezogen auf ihre Herkunft entweder unabhängig von der konkreten Untersuchung bereits vor („natürlichen Daten“, z. B. Reden, Diskussionen, Dokumente und Artefakte) oder werden unmittelbar für den Untersuchungszweck generiert („provoziert“, z. B. Interviews, Fragebögen, Labor- und Feldexperimente). Bei der Einteilung der Art der Daten unterscheidet er zwischen Worten und Taten. Worte wären beispielsweise Interviews, Fragebögen und Inhaltsanalysen von Reden und Sitzungen. Taten beziehen sich auf Labor- und Feldexperimente, direkte Beobachtungen oder die Nutzung deskriptiven Materials. Neuberger und Kompa796 schlagen ein Klassifikationsschema eingeteilt nach Forschungsrichtungen (Variablenansatz versus interpretativem Ansatz) und methodologischer
792
Vgl. Schein, 1995, S. 141.
793
Vgl. hierzu und im Folgenden Neubauer, 2003, S. 73 ff.
794
Vgl. Neubauer, 2003, S. 73 ff.
795
Vgl. Hofstede, 1980.
796
Vgl. Neuberger/Kompa, 1987, S. 37 ff.
Theoretische Exploration
142
Ausrichtung (reaktiv-quantitativ versus nonreaktiv-qualitativ) vor (vgl. im Detail nachfolgende Abbildung). Methoden
Inhalte der Unternehmenskultur soziokulturelle Gestaltung
reaktiv-quantitativ
nonreaktiv-qualitativ
I
III
Interviews mit „Schlüsselpersonen“ (z. B. Vorstandsmitglieder)
Geschichten, Slogans, Sprachregelungen, Witze
Fragebogen zur Beschreibung des Führungsverhaltens, des Organisationsklimas, strukturierte Interaktionsanalyse bei Konferenzen
Sitten, Bräuche, Riten, Traditionen Kleidung, Statussymbole, Firmenlogo, Auszeichnungen
Systematisch-quantitative Auswertung von Protokollen II IV mentale Faktoren (latente Strukturen) Strukturierte Fragebögen zur Erfassung Spontane Selbstdeutungen von von Normen, Werten, Denkschemata Sinn und Funktionen bestehender Identifizierung latenter Strukturen von Praktiken Führungsstil oder Organisationsklimabeschreibungen
„verstehende“ Fremdinterpretation von Geschichten, Ritualen, Artefakten etc.
Abbildung 18: Klassifizierung von Methoden zur Kulturanalyse nach Neuberger und Kompa (Neuberger/Kompa, 1987, S. 40)
Das erste Feld erfasst Verfahren der konventionellen Organisationsforschung d. h. es geht um eine möglichst objektive Erfassung beispielsweise durch Befragungen wichtiger Schlüsselpersonen oder durch den Einsatz von Fragebögen. Feld zwei spricht die Erfassung der den beobachtbaren Tatsachen zugrunde liegenden Werten, Ideen, Absichten etc. durch Fragebögen in Kombination mit entsprechenden mathematischstatistischen Auswertungsmethoden an. In Feld drei sind die bereits erwähnten ethnografischen Ansätze der Kulturalisten erfasst. Der Forscher beobachtet und sammelt Inhalte und Informationen, die ohne sein Zutun bereits vorliegen. In Feld vier sind Methoden wie die spontanen Selbstdeutungen der Organisationsmitglieder oder Fremddeutungen durch Forscher aufgeführt, die auf das Auffinden bzw. Aufdecken latenter Strukturen zielen. Ein weiteres Beispiel der Klassifizierung von Methoden zur Kulturanalyse findet sich bei Schein.797 Er unterscheidet zum einen den Grad der inneren Beteiligung der Forscher
797
Vgl. Schein, 1995, S. 35 ff.
Strategische Ebene
143
und zum anderen den Grad der inneren Beteiligung der Probanden. Entsprechend klassifiziert er sechs zu unterscheidende methodische Strategien: Level of Researcher Involvement Level of Subject Involvement
Mimimal
Partial
Maximal
Low to Medium Quantative
High Qualitative
Demographics; measurement of „distal“ variables
Ethnography; participant observation; content analysis of stories, myths, rituals, symbols, other artifacts
Experimentation; questionnaires, rating, objective tests, scales
Projective tests; Assessment centers; Interviews
Total quality tools such as statistical quality control; action research
Clinical research; action research; organization development
Abbildung 19: Klassifizierung von Methoden zur Kulturanalyse nach Schein (Schein, 1992, S. 29)
Schein präferiert klar den „klinischen Ansatz“ und weist darauf hin, dass dieser von der grundlegenden Voraussetzung ausgeht: „Man versteht ein System am besten dann, wenn man es zu ändern versucht“798. Kultur offenbart sich nicht ohne weiteres, daher muss aktiv eingegriffen werden, um Grundannahmen, Werte und Rituale bestimmen zu können. Er entwickelte hierzu sowohl für unternehmensinterne Akteure als auch für Forscher zwei Handlungsstrategien, die eine Kulturanalyse leiten können.799 Aus der unternehmensinternen Perspektive800 ist zum einen eine engagierte Beteiligung einer oder mehrerer Schlüsselgruppen des Unternehmens und klare Gründe für die Durchführung einer Kulturanalyse grundlegend.801 Die Umsetzung lässt sich als mehrstufiger Prozess beschreiben:
798
Schein, 1995, S. 37.
799
Der unternehmensexterne Ansatz wurde bereits angerissen und wird hier nicht weiter verfolgt, da bei diesem „wissenschaftliche Gründe im Zusammenhang mit der Entwicklung einer Theorie“ im Vordergrund stehen und er aus unternehmensinterner Perspektive nicht näher relevant ist. Bei Interesse vgl. ausführlich Schein, 1995, S. 142 ff.
800
Vgl. hierzu und im Folgenden Schein, 1995, S. 132 ff.
801
Zu den Grundannahmen, die mit diesem Ansatz verknüpft sind, siehe ausführlich Schein, 1995, S. 133 f.
Theoretische Exploration
144
1. Das Engagement der Führung 2. Die Leitung einer großen Gruppensitzung (A) Ein kurzer Vortrag über Kultur (B) Anstoß zur Beschreibung von Artefakten (C) Ermittlung bekundeter Werte (D) Erste Einblicke in die Grundprämissen 3. Die Ermittlung kultureller Hilfen und Hindernisse 4. Präsentation und gemeinsame Analyse Abbildung 20: Unternehmensinterner Kulturanalyseprozess nach Schein (vgl. Schein, 1995, S. 132 ff.)
Schein802 weist zusammenfassend darauf hin, dass die „wirkungsvollste und wahrscheinlich auch am besten begründete Methode der Entschlüsselung kultureller Prämissen … in der direkten Zusammenarbeit eines Außenstehenden mit einer Gruppe motivierter Insider, aus der ein Modell der Artefakte, Werte und Grundannahmen der Gruppe hervorgeht“803, liegt. Interessanterweise spielt es dabei aus seiner Sicht aber keine Rolle, ob der außenstehende Berater die Kultur vollauf versteht oder nicht. Zusammenfassend wird deutlich, dass viele unterschiedliche Methoden der Kulturanalyse in Unternehmen existieren und ebenso vielfältige Klassifikationsschemata. Eine klare Positionierung für bestimmte Methoden und Modelle ist pauschaul kaum möglich, da fallbezogen die Gegenheiten vor Ort und die entsprechenden Fragestellungen eine wesentliche Rolle spielen.804 Daneben ist der Zeitpunkt der Untersuchung zu berücksichtigen, da sich jede Kultur ständig weiterentwickelt.805 Dieser ständige Wandel, dem eine Unternehmenskultur unterliegt, geschieht meist automatisch und unmerklich, indem sich die Unternehmenskultur allgemeinen Veränderungsprozessen anpasst.806 Obwohl die Kultur eines Unternehmens für sich betrachtet weder gut noch schlecht ist, kann es Situationen geben, in denen eine
802
Vgl. Schein, 1995, S. 132 ff.
803
Schein, 1995, S. 140.
804
Vgl. Rousseau, 1990.
805
Vgl. Schein, 1995, S. 165, S. 167.
806
Vgl. z. B. Wever, 1992, S. 132; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 643; Bromann/Piwinger, 1992, S. 105.
Strategische Ebene
145
bewusste Veränderung der Kultur gewünscht und notwendig erscheint.807 Daher stellt sich nun die Frage, ob Kultur bewusst gestaltet werden kann und wenn ja, wie. Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass ein ausgeprägtes Wertesystem sich nur sehr langsam und mit großen Anstrengungen ändern lässt.808 Grundannahmen, Normen und Werte sind wesentliche Elemente der Unternehmenskultur, die sich wie bereits dargestellt, evolutorisch und weitgehend spontan entwickeln und in einem Sozialisationsprozess vermittelt werden. Entsprechend schwierig ist es, Unternehmenskultur bewusst zu verändern und zu gestalten.809 Dies kann nach Dubs auch damit begründet werden, dass Unternehmenskultur als „Summe der Selbstverständlichkeiten, des selbstverständlichen Sinnhorizonts, der gewissermaßen dem Alltagsgeschehen zugrunde liegt und Orientierung, Sicherheit und Stabilität vermittelt, … für die Mitarbeitenden und Führungskräfte über weite Teile vergleichbar [ist] mit einem ‚blinden Fleck’.“810 Aufgrund dieser schwierigen Fassbarkeit wird die Frage der Kulturgestaltung in der Literatur häufig vernachlässigt.811 Entsprechend gibt es auch kein allgemeingültig anwendbares Konzept zur Unternehmenskulturgestaltung.812 Die zu findenden Vorschläge setzen meist beim Personal als Kulturträger an.813 Bezogen auf den Personalprozess im Unternehmen lassen sich in allen Phasen Ansatzpunkte finden. Zunächst bestehen Gestaltungsoptionen im Zusammenhang mit der Personalauswahl.814 Dabei kann zum einen eine kulturkonforme und zum anderen eine kulturdivergente Strategie verfolgt werden.815 Bei der Auswahl kulturkonformer Mitarbeitende handelt es sich in erster Linie um eine kulturbewahrende Methode. Es werden Mitarbeitende durch Öffentlichkeitsarbeit, Anwerbungsprogramme etc. angesprochen und dann diejenigen ausgewählt, die in die Kultur ‚passen’.816 Es wird
807
Vgl. Sackmann, 1990, S. 163; Dubs, 2004, S. 474. Nach Wever gibt es keinen allgemeingültigen und absoluten Maßstab für die Bewertung einer Unternehmenskultur (vgl. Wever, 1992, S. 137). Siehe daneben die Diskussion zu starken versus schwachen Unternehmenskulturen in Kapitel 3.2.2.2.
808
Vgl. Werner, 1998, S. 57.
809
Vgl. Hofstede, 1993, S. 203; Wever, 1992, S. 60; Dubs, 2004, S. 474.
810
Dubs, 2004, S. 474.
811
Vgl. Euler, 2004, S. 44.
812
Vgl. Hopfenbeck, 1996, S. 607.
813
Vgl. Neubauer, 2003, S. 139; Wever, 1992, S. 132 ff.; Hopfenbeck, 1996, S. 610.
814
Vgl. hierzu auch Neuberger/Kompa, 1987, S. 238 f.
815
Vgl. Sackmann, 1990, S. 172 f.
816
Vgl. Bromann/Piwinger, 1992, S. 108 f.; Hopfenbeck, 1996, S. 610; Neubauer, 2003, S. 139.
Theoretische Exploration
146
also nicht nur die fachliche Eignung berücksichtigt, sondern auch kulturrelevante Persönlichkeitsmerkmale wie Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen, oder wie es Bleicher formuliert: es kommt zur „Auswahl von Persönlichkeiten mit zukunftstragenden Wertvorstellungen und deren Einsatz in kultursensiblen Positionen mit hoher symbolischer Sichtbarkeit“817. Dies geschieht oftmals ganz automatisch dadurch, dass es gewisse branchenspezifische Kulturausprägungen gibt bzw. durch die Personalauswahl der Führungskräfte des Unternehmens.818 Im Gegensatz dazu bietet die bewusste Auswahl von kulturdivergenten Mitarbeitenden die Möglichkeit, ohne große Veränderungsprozesse neue oder noch relativ wenig vertretene Denkund Verhaltensweisen ins Unternehmen zu bringen.819 Bezogen auf diese Vorgehensweise und die Schilderungen im Zusammenhang mit dem Thema Subkulturen, wird deutlich, dass Subkulturen ebenfalls ein Instrument der Kulturgestaltung sein können. „Wenn jede Kultur Sub-Kulturen hat, dann kann man – nach dem System von Checks und Balances – dafür sorgen, dass es starke lebendige Sub-Kulturen gibt, die sich gegenseitig Konkurrenz machen. Für unterschiedliche Entwicklungen der Umwelt liegen dann jeweils verschiedene Antwortmuster parat und eine optimale Anpassung an eine Nische erfolgt nicht.“820 Weitere Gestaltungsmöglichkeiten stehen in Zusammenhang mit bereits beschäftigten Mitarbeitenden. Auf der Ebene des Personaleinsatzes sind beispielsweise JobRotation bzw. Aufgabenwechsel eine Möglichkeit, die geistige Flexibilität der Mitarbeitenden und die Anpassung des Unternehmens an neue Gegebenheiten zu fördern.821 Bleicher spricht dabei von der „Dissemination und Rotation von Trägern sowohl positiver wie negativer Werthaltungen“822 als Ansatzpunkte für Kulturgestaltung. Daneben sieht er im „Verpflanzen starker symbolischer Führer in Nester des Widerstandes gegen Veränderungen“823 eine Gestaltungsoption. Auf der Verhaltensund Einstellungsebene wird davon gesprochen, „Betroffene zu Beteiligten“ zu
817
Bleicher, 2004, S. 243.
818
Vgl. Wever, 1992, S. 140 ff.; daneben allgemeiner Neubauer, 2003, S. 139 ff.; Hopfenbeck, 1996, S. 610.
819
Vgl. Neubauer, 2003, S. 139 f.; Sackmann, 1990, S. 173; Dubs, 2004, S. 475.
820
Neuberger/Kompa, 1987, S. 270.
821
Vgl. Wever, 1992, S. 147 ff. Neuberger und Kompa zählen hierzu auch gezielte Versetzungen, „Abschießen“, „Wegloben“, Seilschaften und Promotionsbündnisse (vgl. Neuberger/Kompa, 1987, S. 239).
822
Bleicher, 2004, S. 243.
823
Bleicher, 2004, S. 243.
Strategische Ebene
147
machen und dabei „partizipativ“ vorzugehen.824 Neubauer fordert in diesem Zusammenhang, dass Situationen im Unternehmen so gestaltet werden müssen, dass sich die Mitarbeitenden „mit den neuen Zielen … identifizieren, sich engagiert mit den aktuellen Problemen auseinandersetzen und gemeinsam möglichst in einem organisationsweiten Konsens die Leitlinien der neuen Organsationsstruktur (Unternehmensleitsätze) erarbeiten und diese dann auch im Verhalten realisieren“825. Dazu ist es u. a. notwendig, überschaubare Schwerpunkte in der Gestaltung zu setzen, die Mitarbeitenden an der Gestaltung zu beteiligen, Zeichen zu positionieren (beispielsweise durch demonstrative Handlungen) und ihnen Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.826 Bleicher nennt in ähnlicher Weise folgende Ansatzpunkte der Kulturgestaltung:827 Entwicklung einer missionarischen Stimmung der Zukunftsbewältigung … Schaffung eines gemeinsam verbindenden Bandes einer Unternehmensidentität … Schaffen eines akzeptablen Gleichgewichts von explizit-harten und implizit-weichen Faktoren … Schaffen eines Bewusstseins für die Kraft symbolischer Wirkung aller Aktionen und Versuch, ein eindeutiges, konsistentes und berechenbares Verhalten vorzuzeigen. 828
In diesem Zusammenhang wird häufig vom Bildungsmanagement eine entsprechende Gestaltung von Bildungsveranstaltungen gefordert. Über diese sollen direkt oder indirekt Kulturimpluse gesetzt werden. „In der Diagnose der Unternehmenskultur festgestellte Mängel und andere, für die Gestaltung der Unternehmenskultur wichtige Aspekte (z. B. Symbolmanagement, Kommunikation, Sinnvermittlung) sollen zum Inhalt der Schulung gemacht werden“829. Daneben weisen Neuberger und Kompa830 darauf hin, dass im Regelfall mit den konkreten Fertigkeiten und Fähigkeiten in den Veranstaltungen auch Haltungen, Ziele und Werte („wie Leistung lohnt, Marschallstab im Tornister, offen miteinander sprechen, Mensch im Mittelpunkt“831) indirekt vermittelt und weitergegeben werden.
824
Vgl. Neubauer, 2003, S. 143.
825
Neubauer, 2003, S. 143.
826
Vgl. Kobi/Wüthrich, 1986, S. 169 f.
827
Auch Dubs weist auf den Weg über die Sinngebung hin (vgl. Dubs, 2004, S. 476). Zu weiteren Interventionsmöglichkeiten vgl. ausführlich Hopfenbeck, 1996, S. 608; Neubauer, 2003, S. 153.
828
Bleicher, 2004, S. 243 f.
829
Kobi/Wüthrich, 1986, S. 195.
830
Vgl. Neuberger/Kompa, 1987, S. 241 f.
831
Neuberger/Kompa, 1987, S. 241.
Theoretische Exploration
148
Wird die Lernfähigkeit des Unternehmens sichergestellt und Selbstorganisation und -entwicklung entsprechend gefördert, sind direkte Interventionen immer weniger notwendig.832 Denn „gerade die Fähigkeit des Lernens versetzt Unternehmen in die Lage, den kulturellen Entwicklungsprozess selbst voranzubringen, d. h. den evolutionären Kreislauf quasi auf einem höheren Niveau ablaufen zu lassen.“833 Derart ablaufende Veränderungen sind jedoch nur über einen langfristigen Lernprozess möglich – „eine Änderung lässt sich nicht durch Knopfdruck einführen“834. Entsprechend halten Neuberger und Kompa fest, dass der Unternehmenskulturansatz die Illusion „begräbt, … dass alles nach Plan (zu machen) geht und dass eine wohlinformierte Spitze alles im Griff hat“835. Nichtsdestotrotz kommt den Führungskräften und insbesondere auch der Unternehmensleitung im Zusammenhang mit der Kulturveränderung in Unternehmen eine nennenswerte Bedeutung zu.836 Neubauer837 sieht in einer visionären Führung die primäre Voraussetzung für die Gestaltung der Unternehmenskultur. Diese muss die Bedeutung und Problematik von Kultur im Unternehmen wahr- und ernstnehmen und bereit sein zur Selbstreflexion und Selbstkritik.838 Allerdings hängen die Möglichkeiten und Inhalte einer Kulturveränderung durch das Management vom jeweiligen Entwicklungsstadium des Unternehmens ab. Herrscht in einem reifen Unternehmen eine stabilisierte Unternehmenskultur vor, ist der Einsatz von Führungsinstrumenten alleine nicht ausreichend. Befindet sich ein Unternehmen jedoch in der Wachstumsphase, bietet die Handhabung von Verankerungsmechanismen auch entsprechende Ansätze für einen Kulturwandel, d. h. Führungskräfte haben die Möglichkeit einer
832
Vgl. Bromann/Piwinger, 1992, S. 103.
833
Bromann/Piwinger, 1992, S. 103.
834
Kobi/Wüthrich, 1986, S. 162.
835
Neuberger/Kompa, 1987, S. 265 f.
836
Vgl. Bleicher, 2004, S. 242; Bromann/Piwinger, 1992, S. 111; Wever, 1992, S. 156 ff.; Kobi/ Wüthrich, 1986, S. 164 ff.
837
Vgl. Neubauer, 2003, S. 145. Die visionäre Führung zeichnet sich aus durch visionäre Ziele, Glaubwürdigkeit, kommunikative Kompetenz, intellektuelle Stimulierung, Förderung des Selbststeuerungspotenzials, Verbundenheit mit dem Unternehmen, Vertrauen in die Unternehmensleitung und Führungsethik.
838
Vgl. Bleicher, 2004, S. 242; Dubs, 2004, S. 477; Schein, 1995, S. 245; Wever, 1992, S. 133.
Strategische Ebene
149
Einflussnahme.839 Auf Grund der großen Relevanz des Führungsthemas geht das folgende Kapitel aus Sicht des Bildungsmanagements ausführlicher darauf ein.840
3.2.2.5. Bedeutung und Rolle der Führung „Führung und Kultur eines Unternehmens [sind] eigentlich nur zwei Seiten ein und derselben Medaille.“841 Beide Aspekte hängen wechselseitig voneinander ab; so kann Unternehmenskultur als Bedingung und auch als Folge von Personalführung842 aufgefasst werden. Aus einer evolutionären Perspektive betrachtet, beginnen Kulturen mit Gründerpersönlichkeiten, die ihre eigenen Werte und Überzeugungen mit ins Unternehmen bringen.843 Führungsaspekte spielen des Weiteren eine Rolle bei der Etablierung und Weiterentwicklung der Unternehmenskultur, beispielsweise durch ein Herausstellen ‚richtiger’ Überzeugungen in Form von sichtbaren Verhaltensweisen. Hat sich eine Kultur im Unternehmen einmal etabliert, so kann sie die Führung definieren, indem sie beeinflusst, welche Führungsverhaltensweisen tatsächlich auftreten (dürfen) und welche Sollvorstellungen durchsetzbar sind.844 Im Folgenden wird zunächst der Einfluss von Gründerpersönlichkeiten auf die Entstehung von Unternehmenskultur beleuchtet. Daran anschließend wird die Bedeutung von Führungskräften als Kulturgestalter thematisiert. Aus dem spezifischen Blickwinkel der Dissertation heraus wird daneben die Bedeutung des Führungsstils ebenso wie die Rolle der Führungskräfte im Bildungsmanagementprozess aufgezeigt.
839
Schein nennt als Einflussmaßnahmen: Beachtung, Kontrolle, Belohnung, Zuteilung von Ressourcen, Auswahl, Beförderung und Ausschluss von Mitarbeitenden. Daneben weist er auf die Einflussnahme durch Vorbildfunktion und durch Unterweisung hin (vgl. Schein, 1995, S. 229).
840
Allerdings gilt: „Leadership is one of the most observed and least understood phenomena on earth“ (Burns, 1978, S. 2). Daher fokussieren sich die folgenden Ausführungen auf die im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement wesentlichen Aspekte und gehen nicht näher auf Führung im Allgemeinen ein. Vgl. ausführlich zum Thema Führung Wunderer, 2003.
841
Schein, 1995, S. 17.
842
Unter Führung wird dabei die „ziel- und ergebnisorientierte Verhaltensbeeinflussung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in und mit einer strukturierten Arbeitssituation“ (Wunderer/Bruch, 2004, S. 86) verstanden.
843
Vgl. Sackmann, 2004, S. 38; Wever, 1992, S. 67 ff.
844
Vgl. ausführlicher Schein, 1995, S. 17, 20; Ebers, 1995, S. 1664 f.; Hentze/Kammel/Lindert, 1997, S. 537.
Theoretische Exploration
150
Bei einer Betrachtung der Entwicklungsgeschichte von Unternehmen mit einer ausgeprägten Unternehmenskultur fällt nach Wever845 auf, dass an deren Anfang meist eine starke Unternehmerpersönlichkeit stand. Dies bestätigt auch Sackmann846, die darauf hinweist, dass bei der Entstehung der Unternehmenskultur der bzw. die Gründer eine zentrale Rolle für deren konkrete Ausgestaltung spielen.847 Unternehmensgründer sind meist mit starken persönlichen Überzeugungen, Visionen, Werten, Normen und großer Ausstrahlungskraft ausgestattet. Sie ‚hauchen’ diese Grundüberzeugungen bei der Unternehmensgründung und damit im Stadium einer noch nicht vorhandenen Unternehmenskultur dem Unternehmen ein.848 In der Pionierphase des Unternehmens ziehen sie aufgrund ihrer Persönlichkeit Mitarbeitende an, die in vielen Fällen die gleichen Grundüberzeugungen haben. So bildet sich eine Kernmannschaft, die wiederum weitere Mitarbeitende auswählt, die ihren Wertvorstellungen entsprechen. Damit überträgt der Unternehmensgründer (und seine Kernmannschaft) die eigenen Werte und Prämissen auf die Gruppe der gesamten Mitarbeitenden und prägt so die Kultur des Unternehmens. Bei einem Erfolg der Gruppe werden die Grundüberzeugungen als selbstverständlich übernommen – es etabliert sich eine bestimmte Unternehmenskultur, die wiederum im weiteren Verlauf die akzeptable Form von Führung festlegt.849 Im Fortgang der Unternehmensgeschichte beeinflusst das Management/die Führungskräfte – unter Berücksichtigung der bereits genannten Einschränkungen – dann weiter die Kultur des Unternehmens.850 Die Aufgabe der Führungskräfte ist es, ihren Verantwortungsbereich den Unternehmenszielen entsprechend zu leiten. Sie fungieren als Repräsentanten und Multiplikatoren der Unternehmenskultur, indem sie in ihrem konkreten Verhalten die Besonderheiten der Unternehmenskultur sichtbar, glaubwürdig und nachvollziehbar zum Ausdruck bringen. Dies ist von enormer Bedeutung, da das nonverbale Verhalten der Führungskräfte von den Mitarbeitenden
845
Vgl. hierzu und im Folgenden Wever, 1992, S. 67 ff.
846
Vgl. Sackmann, 2004, S. 38.
847
Als Beispiele für Gründerpersönlichkeiten, die die Unternehmenskultur ihrer Unternehmen ganz wesentlich geprägt haben finden sich in der Literatur stellvertretend für viele weitere Thomas Watson sen. (IBM), Reinhard Mohn (Bertelsmann), Carl Friedrich von Siemens (Siemens), Robert Bosch (Bosch), Michael Otto (Otto-Versand), Christian Dräger (Drägerwerk AG Lübeck) und Martin Hilti (Hilti) (vgl. ausführlicher Sackmann, 2004, S. 142 ff.).
848
Vgl. Bleicher, 2004, S. 239.
849
Vgl. u. a. Schein, 1995, S. 17, 236 ff.; Wever, 1992, S. 67 ff.; Sackmann, 2004, S. 38 ff.; Bleicher, 2004, S. 239; Ebers, 1995, S. 1664 f.; Hentze/Kammel/Lindert, 1997, S. 537.
850
Vgl. Wever, 1992, S. 156 ff.; Sackmann, 2004, S. 37 ff.
Strategische Ebene
151
automatisch als authentischer wahrgenommen wird; eine willentliche Steuerung kann kaum unterstellt werden.851 „Jedem Verhaltensakt kommt eine symbolische Bedeutung zu, die von den Mitarbeitenden aufmerksam auf ihre Übereinstimmung mit den in Leitlinien schriftlich deklarierten Grundsätzen hin überprüft werden.“852 Ein inkongruentes Verhalten würde nicht glaubhaft erscheinen.853 Durch ihre herausgehobene Position werden die Führungskräfte zum Vorbild für ihre Mitarbeitenden. Die Vorbildfunktion wird durch einen Multiplikatoreneffekt verstärkt. Durch ihre hierarchische Position und die Verfügbarkeit von Machtquellen kommt den Führungskräften (durch ihre Multiplikatoren- und Rollenmodellfunktion) unabhängig von einer bewussten Steuerung eine nicht unwesentliche Bedeutung bei der Vermittlung, Erhaltung, Weiterführung und Veränderung der Unternehmenskultur zu.854 Eine weitere wichtige Funktion der Führungskräfte in Unternehmenskulturprozessen ist die des Mentoring. Mentoring kann hierbei verstanden werden als „eine dynamische, reziprok gestaltete Beziehung in einem strukturierten Arbeitsumfeld zwischen einer erfahrenen, auf dem Karriereweg weit vorangeschrittenen Führungskraft (Mentor) und einem am Anfang des Berufslebens stehenden Protegé zum beiderseitigen Nutzen“855. Der Mentor dient als Vorbild, Ansprechpartner, Berater, Förderer und Vertrauensperson. Er übernimmt insbesondere bei neu ins Unternehmen eintretenden Mitarbeitern die Aufgabe, ihnen die Unternehmenskultur näherzubringen und ihnen damit die Orientierung im Unternehmen zu erleichtern. Entsprechend hoch ist auch hier ihre Vorbildfunktion.856 Neben diesen bereits geschilderten Einflussmöglichkeiten des Managements auf die Unternehmenskultur stellt sich aus einer allgemeineren Betrachtung die Frage nach den aus Sicht des Bildungsmanagements relevanten Führungsstilen. Führung lässt sich grundsätzlich nach der Art des Einflussweges bestimmen – so kann eine
851
In einer Studie der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft wurde 2004 von den 342 Befragten die Authentizität mit einem Anteil von 94,6 % als wesentlichste Eigenschaft von Führungskräften zur Motivation ihrer Mitarbeiter angegeben (vgl. Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2004).
852
Bleicher, 2004, S. 239.
853
Vgl. hierzu auch Comelli/Rosenstiel, 2003, S. 108 ff.
854
Vgl. Bleicher, 2004, S. 239 f.; Sackmann, 2004, S. 40 f.; Neubauer, 2003, S. 113; Wollert, 1995, S. 146 f.; Comelli/Rosenstiel, 2003, S. 108 ff.
855
Hentze/Kammel/Lindert, 1997, S. 272.
856
Vgl. ausführlicher Hentze/Kammel/Lindert, 1997, S. 272 ff.; Wunderer, 2003, S. 372 ff.; Dubs, 1995; Hilb, 1997.
Theoretische Exploration
152
indirekte (strukturell-systematische) und eine direkte (personal-interaktive) Führung unterschieden werden.857 Indirekte Führung vollzieht sich über eine möglichst integrierte Gestaltung von Kultur, Strategie und Struktur und wird in der Dissertation in den entsprechenden Kapiteln858 behandelt.859 Direkte Führung vollzieht sich in der interaktiven Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung. Dabei können das konkrete Führungsverhalten und entsprechende Führungsstile unterschieden werden. Im Gegensatz zum Führungsverhalten stellen Führungsstile „zeitlich überdauernde, weit gehend generalisierte und konsistente Verhaltensmuster dar“860.861 Diese stabilen Persönlichkeitszüge bestimmen nach von Rosenstiel862 den Führungserfolg. In der Führungslehre existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Typologien zur Beschreibung und Klassifizierung von Führungsstilen, die sich inhaltlich und in der Zahl der Beschreibungsdimensionen unterscheiden.863 Im neuen St.Galler Management-Konzept ist die Führungsstiltypologie von Wunderer864 aufgenommen. Er unterscheidet, wie in Abbildung 21 dargestellt, die sechs Idealtypen autoritär, patriarchalisch, konsultativ, kooperativ, delegativ und autonom entsprechend ihres jeweiligen Grades an Partizipation und prosozialer Beziehungsgestaltung.865
857
Vgl. Wunderer/Bruch, 2004; Wunderer, 2003, S. 5 ff.; Rosenstiel, 2003, S. 4 ff.
858
Strategie in Kapitel 3.2.1, Kultur in Kapitel 3.2.2, Struktur in Kapitel 3.2.3.
859
Aufgrund der engen Wechselwirkung der indirekten und der direkten Führung und aufgrund der Tatsache, dass Führungskräften eine bedeutende Rolle in Bildungsmanagementprozessen zukommt, wird die direkte Führung – obgleich im St.Galler Managementkonzept der operativen Ebenen zugerechnet (vgl. Wunderer/Bruch, 2004; Rüegg-Stürm, 2004) – im Folgenden zumindest in Ansätzen diskutiert.
860
Wunderer/Bruch, 2004, S. 90.
861
Zur Unterscheidung von Führungsverhalten und Führungsstil vgl. ausführlich Wunderer, 2003, S. 204.
862
Vgl. Rosenstiel, 2003, S. 10.
863
Eine Übersicht über verschiedene Führungsstiltopologien findet sich beispielsweise bei Wunderer, 2003, S. 17 f. und Hentze/Kammel/Lindert, 1997, S. 246.
864
Vgl. Wunderer/Bruch, 2004.
865
Vgl. Wunderer, 2003, S. 210 ff.
Strategische Ebene
153
Prosoziale Dimension der Führung
transformational
Wechselseitige Kooperation („Teilnahme“) kooperativ konsultativ delegativ patriarchalisch
autoritär
autonom
Machtdimension der Führung Partizipation/Autonomie der Mitarbeiter („Teilhabe“)
Abbildung 21: Führungsstiltypologie nach Wunderer (Wunderer, 2003, S. 248)
Den Schwerpunkt der erwünschten und real praktizierten Führungsstile sieht Wunderer866 in einem Kontinuum zwischen konsultativer und delegativer Führung. Es gibt nicht ‚den besten Führungsstil’ – vielmehr sind in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Führungsstile erfolgversprechend.867 Im Folgenden werden die einzelnen Führungsstile nicht detailliert beschrieben – hierzu sei auf die entsprechende Literatur verwiesen – sondern vielmehr die in der Praxis schwerpunktmäßig vertretenden Führungsstile aus dem konkreten Blickwinkel des Bildungsmanagements betrachtet. Bei dem laut Wunderer868 in der Praxis am häufigsten erlebten konsultativen Führungsstil wird eine aktive, selbstinitiierte Einflussnahme durch Mitarbeitende
866
Vgl. Wunderer/Bruch, 2004, S. 92; Wunderer, 2003, S. 211 ff.; Wunderer, 1995.
867
Vgl. Rosenstiel, 2003, S. 11, S. 15. Wunderer und Bruch thematisieren diesen Sachverhalt im Zusammenhang mit dem „situativen Führungsstil“, wobei sie sich zunächst auf das Reifegradmodell von Hersey/Blanchard und das Kontingenzmodell von Fiedler beziehen, dann jedoch darauf verweisen, dass diese Ansätze umstritten sind und generell in der situativen Führungsforschung bahnbrechende Erkenntnisse ausblieben (vgl. Wunderer/Bruch, 2004). Von Rosenstiel geht zusätzlich noch auf den normativen Ansatz von Vroom und Yetton ein und stellt dessen Nützlichkeit für die Sensibilisierung der Führungskräfte heraus (vgl. Rosenstiel, 2003, S. 15 ff.).
868
Vgl. Wunderer, 2003, S. 245. Wunderer bezieht diese Aussage auf die Ergebnisse nicht näher spezifizierter empirischer Erhebungen im Rahmen von Führungsanalysen in Unternehmen sowie Fortbildungsveranstaltungen.
Theoretische Exploration
154
grundsätzlich nicht erwartet, vielmehr werden Mitarbeitende erst auf Initiative und im Auftrag des Vorgesetzten hin beratend tätig. Das Spezialwissen der Mitarbeitenden wird genutzt, ihre Qualifikation wird gefördert und ihre Motivation erhöht. Allerdings hat der konsultative Führungsstil gegenüber dem kooperativen bzw. delegativen den Nachteil, dass qualifizierte Mitarbeitende sich eventuell nicht genügend einbezogen fühlen und keine Unterstützung von initiativem, unternehmerischen Verhalten der Mitarbeitenden erfolgt. „Langfristig kann sogar Dequalifikation auftreten, wenn vorhandene Ideen- und Fähigkeitspotenziale unausgeschöpft bleiben“869, die wiederum zu Demotivation führen kann. Wunderer870 kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass konsultative Führung zwar den Einstieg in eine aktive wechselseitige Führungsbeziehung schaffen kann, dass sie aber gleichzeitig das Potenzial qualifizierter und motivierter Mitarbeitender nicht befriedigend ausschöpfen kann.871 Der kooperative Führungsstil ist durch die hohe Interaktionsdichte zwischen Führungsperson und Mitarbeitenden bei gleichzeitig mittleren Autonomiewerten der Mitarbeitenden geprägt. Eine positive Beziehungsgestaltung und ein hohes Maß an persönlichem Vertrauen sind grundlegend. Daneben erfordert dieser Führungsstil sowohl auf Seiten der Führungskräfte als auch auf Seiten der Mitarbeitenden „reife Persönlichkeiten, die sich insbesondere durch Offenheit, Toleranz, Natürlichkeit, Lernfähigkeit, Selbstsicherheit (ohne Überheblichkeit), Kritikmündigkeit, Kreativität und Freude an der eigenen Leistung sowie Vertrauen in sich selbst und die Mitmenschen auszeichnen“872. Damit gewinnt der kooperative Führungsstil insbesondere durch den Wertewandel an Kraft; mit der verstärkten Bedeutung von Selbstentfaltungswerten ist auch der Wunsch nach partnerschaftlichen Strukturen in der Arbeitswelt angestiegen – Mitwissen, Mitdenken, Mitentscheiden, Mitfühlen, Miterleben und Mitverantworten als Werte werden im kooperativen Führungsstil durch die proaktive Einbindung der Mitarbeitenden in Entscheidungsprozesse berücksichtigt und aufgenommen. Durch die intensive Interaktion werden die Grundlagen geschaffen für die individuelle Förderung der unternehmerischen Qualifikation und Motivation sowohl der Vorgesetzten als auch der Mitarbeitenden. Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass gegebenenfalls die Möglichkeiten zum eigenständigen Experimentieren, Selbstständigkeit, Selbstorganisation und Selbstentwicklung eingeschränkt
869
Wunderer, 2003, S. 218.
870
Vgl. Wunderer, 2003, S. 219.
871
Vgl. ausführlich Wunderer, 2003, S. 214 ff.; Wunderer, 1995.
872
Wunderer, 2003, S. 221; vgl. daneben Kropp, 1997, S. 339.
Strategische Ebene
155
sein können. Für Wunderer ist der kooperative Führungsstil deshalb ein „historisches Übergangskonzept – von vorgesetztenorienterten Einflussformen der Fremdsteuerung zu mitarbeiterzentrierten und vermehrt delegativen Konzepten der Selbstorganisation“873.874 Der delegative Führungsstil ist das anspruchsvollste Konzept im Kontinuum der Führungsstile, da er sowohl hohe Anforderungen an die Qualifikation und Motivation der beteiligten Personen als auch an den kulturellen, strategischen und organisatorischen Reifegrad des Unternehmens stellt. Grundsätzlich arbeiten Vorgesetzte und Mitarbeitende unabhängiger von einander, die wechselseitige Interaktion ist geringer und die gemeinsame Entscheidungsfindung ist deutlich schwächer ausgeprägt als im kooperativen Führungsstil; wohingegen gemeinsame Entscheidungsaktivitäten dafür grundsätzlicher, planmäßiger und systematischer durchgeführt werden. Als Voraussetzung muss eine positive prosoziale Beziehung zwischen den Beteiligten bestehen, die geprägt ist durch einen hohen Grad an Vertrauen. Die eigentliche Handlungskontrolle wird im delegativen Führungsstil durch die hohe Selbstkontrolle des Mitarbeitenden und eine hohe Ergebniskontrolle des Führenden ersetzt, die reduzierte wechselseitige Interaktion durch die zunehmende Bedeutung struktureller d. h. indirekter Führung.875 Wunderer876 weist neben den bereits diskutierten Führungsstilen auf die zukünftig hohe Bedeutsamkeit der transformationalen Führung 877 hin, die Elemente sowohl des kooperativen als auch des delegativen Führungsstils integriert.878 Im Mittelpunkt steht die Konzentration auf visionäre Inhalte. Dadurch, dass die Führungskraft die Werte und Motive ihrer Mitarbeitenden auf eine höhere Ebene ‚transformiert’, werden deren Bedürfnisse und Präferenzen verändert – alle Unternehmensmitglieder fokussieren ihre „emotionale Energie“ darauf, gemeinsame Ziele zu erreichen. Konkret zeichnet sich transformationale Führung durch die in Abbildung 22 dargestellten vier Komponenten aus.
873
Wunderer, 2003, S. 229 (im Original z. T. hervorgehoben).
874
Vgl. ausführlich Wunderer, 2003, S. 219 ff.; Hentze/Kammel/Lindert, 1997, S. 263 ff.
875
Vgl. Wunderer, 2003, S. 229.
876
Vgl. Wunderer, 2003, S. 243 ff.; Wunderer/Bruch, 2004, S. 92 ff.
877
Burns entwickelte die Unterscheidung zwischen transaktionaler und transformationaler bzw. transformativer Führung (vgl. Burns, 1978). Diese wurde durch die Arbeiten von Bass auf einer breiten Basis bekannt gemacht und weiterentwickelt, vgl. Bass, 1985; Bass/Steyrer, 1995.
878
Durch die Forderung zur Befähigung zum reflexiven und selbstständigem Handeln ergeben sich auch Bezugspunkte zum autonomen Führungsstil (vgl. Wunderer, 2003, S. 245).
Theoretische Exploration
156
Werte- und zielverändernde Führung Individuelle Behandlung
•Mitarbeiter individuell beachten •Mitarbeiter individuell fördern
individuell
Geistige Anregung
•etablierte Denkmuster aufbrechen
Inspiration
•über eine fesselnde Vision/Mission motivieren
•neue Einsichten vermitteln
•Bedeutung von Zielen und Aufgaben erhöhen
intellektuell
inspirierend
Persönliche Ausstrahlung •Enthusiasmus vermitteln •als Identifikationsperson wirken •integer handeln identifizierend
Abbildung 22: Komponenten transformationaler Führung (Wunderer, 2003, S. 244)
Entsprechend wirkt die transformationale Führung zusammenfassend nicht nur auf die kognitive Ebene ein, sondern fokussiert die Gesamtpersönlichkeit, wobei durch die individuelle Betrachtung auf die Besonderheiten jedes einzelnen Mitarbeitenden eingegangen werden kann.879 Führung verlagert sich entsprechend der oben aufgezeigten Entwicklungen weg vom traditionellen Bild der ‚top-down’-Entscheidung hin zu starker Partizipation. Damit verbunden ist eine neue Führungsrolle.880 In Anlehnung an Parsons881 soll ‚Rolle’ einen Tätigkeitsmodus beschreiben, der über bestimmte Erwartungen definiert werden kann, die es vom Inhaber zu erfüllen gilt. Nach Neuberger882 charakterisiert eine Rolle damit keinen Menschen, sondern einen Positionsinhaber, der an sich bereits durch seine Subjektivität geprägt ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass innerhalb eines Systems an eine Position immer von verschiedenen ‚Rollensendern’ Erwartungen gestellt werden, im betrieblichen Kontext z. B. von Seiten der Kollegen, der Vorgesetzten und der Unterstellten.883 Im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement stellt
879
Vgl. Wunderer, 2003, S. 242 ff.; Rosenstiel, 2003, S. 23; Raich, 2005, S. 40 ff.
880
Vgl. Anzinger, 2005, S. 39.
881
Vgl. Parsons, T., 1986, S. 203 und 185 ff.
882
Vgl. Neuberger, 2002, S. 313 ff.
883
Insgesamt ist zu bemerken, dass Personen immer Mitglieder mehrerer Systeme sind und damit gleichzeitig immer Inhaber verschiedener Positionen. Vgl. zum Thema Rollentheorie und deren Explikationen Neuberger, 2002, S. 319 ff.; Neuberger, 1995; Wiswede, 1995; Raich, 2005.
Strategische Ebene
157
sich insbesondere die Frage, welche Rolle den Führungskräften in der Interaktion mit ihren Mitarbeitenden zukommt.884 Im Zusammenhang mit dem organisationalen Lernen, für das das Bildungsmanagement wie dargestellt die Basis bildet, beschreibt Senge885 die neuen Anforderungen an den Manager mit den Rollenprofilen Designer, Lehrer und Coach. Picot et al.886 beziehen sich auf diese Rollenprofile und halten fest, dass ein Manager zunächst mit dem Konstrukteur eines Schiffes vergleichbar ist. Die Konstruktionsaufgabe (Aufbau einer sozialen Architektur) läuft meist unsichtbar ab und zeigt sich in zukünftigen Ergebnissen. Neben der Ableitung maßgeblicher Ziele, Normen und Werte des Unternehmens und der Installation einer geeigneten Geschäftspolitik sowie entsprechender Strategien und Strukturen ist es die Aufgabe des Managers, die dahinter stehenden Lernprozesse zu gestalten und sich über die permanente Verbesserung der Lernprozesse zu vergewissern.887 Daneben sollten Manager in ihrer Rolle als Lehrer jedem Organisationsmitglied helfen, „mehr Einblicke in die zur Zeit vorfindbare Realität zu gewinnen“888. Ansatzpunkt ist hierbei die Verdeutlichung mentaler Modelle und das Aufdecken unbewusster Annahmen auf den drei Ebenen Ereignisse, Handlungsmuster und Systemstruktur. Der Manager als Lehrer hilft den Mitarbeitenden, „ihre Sichtweise der Realität zu verändern und somit die den oberflächlichen Bedingungen und Ereignissen zugrunde liegenden Probleme zu erkennen“889. Als weitere Rolle des Managers wird die des Coach beschrieben.890 Diese ist aus ihrer Sicht die kritischste, da sie stark von der Persönlichkeit des Managers und seinem Willen, anderen zu helfen, abhängt. Coaching zeigt sich u. a. im Gespür des Managers, sich für die Ziele seiner Mitarbeitenden und deren Verbindung zu über-
884
Entsprechend wird im Folgenden auch nicht von ‚Vorgesetzten’ gesprochen, sondern von ‚Führungskräften’ und ‚Managern’. Führungskräften kommt eine aktive Rolle – die des Führens mit Kraft zu – und weniger die des passiven ‚Vor-Gesetzten’. Zu der sprachlichen Unterscheidung von Führungskräften und Vorgesetzten vgl. ausführlicher Pieler, 2003, S. 174 f.
885
Senge, 1990. Er geht bei nicht mehr von einer ‚top-down’-gesteuerten Beziehung aus, sondern davon, dass die Mitarbeitenden in der Lernenden Organisation mehrheitlich selbstgesteuert agieren.
886
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 483 ff.
887
In ähnlicher Weise sieht es auch Decker als Aufgabe des Managers an, Lernprozesse in Gang zu setzten (vgl. Decker, 2000, S. 36).
888
Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 485.
889
Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 485.
890
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 487; daneben auch Hilb, 1994, S. 125; Regnet, 2003, S. 57; Bauer, R., 1995.
Theoretische Exploration
158
geordneten Unternehmenszielen einzusetzen.891 Die Bedeutung der Rolle der Führungskraft als Coach belegen auch empirische Untersuchungen. Im Rahmen der SCIL-Trendstudie wurde das Thema hoch bedeutsam eingestuft.892 Daneben gaben im Rahmen einer Befragung von 300 Top-Managern bei General Electric 90 % der Beteiligten an, dass der wichtigste Erfolgsfaktor für ihre Karriere das Coaching durch ihren Vorgesetzten war. Lediglich 10 % führten ihren Erfolg auf ManagementTrainings bzw. andere Entwicklungsmaßnahmen zurück.893 Mit der Rolle der Führungskraft als Coach hängt die des Motivators eng zusammen.894 Die Führungskraft soll inspirieren und motivieren und so das Wollen des Mitarbeiters stärken.895 Konkret ist es ihre Aufgabe, über einen eignungs- und neigungsgerechten Einsatz der Mitarbeitenden eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Gestaltung und Interpretation von Unternehmenszielen und Arbeitsaufgaben, durch Mitwirkung und durch den Einbezug der Mitarbeitenden in Entscheidungsprozesse und Veränderungsmaßnahmen ‚Sinn und Spaß an der Arbeit’ zu vermitteln und damit Motivation zu erzielen.896 Um die Motivationsfunktion wahrnehmen zu können, müssen die Führungskräfte nach einer Studie der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft897 sowohl authentisch sein, mit Konflikten souverän umgehen können, begeisterungsfähig sein aber auch Einfühlungsvermögen zeigen.898 In eine ähnliche Richtung wie die Coaching-Rolle geht die des Beraters. Die Beratung sollte so flexibel an die Informationsbedürfnisse der Mitarbeitenden angepasst werden, dass diese bereit sind, alle ihre Kräfte zur optimalen Erreichung der Unternehmensziele einzusetzen.899
891
Vgl. ausführlicher zum Thema ‚Führungskraft als Coach’ Wilkening, 1997a; Wilkening, 1997b; o.V., 2004; Haberleitner/Deistler/Ungvari, 2005.
892
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 48 f.
893
Vgl. Kellner, 2006a.
894
Vgl. Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2001, S. 18; Haberleitner/Deistler/Ungvari, 2005; Pieler, 2003, S. 175.
895
Vgl. Wunderer/Bruch, 2004, S. 101; daneben ausführlich Comelli/Rosenstiel, 2003, S. 89 ff. und Wunderer, 2003, S. 118 ff.
896
Vgl. Wunderer, 2003, S. 10; Regnet, 2003, S. 58.
897
Vgl. Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2004, S. 13.
898
Fachkompetenz als Eigenschaft, um motivieren zu können, wird erst auf Rang 7 genannt.
899
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 486 f.; Hentze/Kammel/Lindert, 1997, S. 268 ff.
Strategische Ebene
159
Hentze et al.900 begründen die Legitimität des neuen Rollenprofils durch den Wandel von autokratischen Befehlsstrukturen zu eher partizipativeren Führungsstilen und darauf aufbauend mit der zunehmenden Bedeutung der „Reziprozität von Unterstützungshandlungen“ in der Interaktion von Führungskräften und Mitarbeitenden. Die Führungskraft ist in erheblichem Maße auf die aktive Zusammenarbeit und Unterstützung durch ihre Mitarbeitenden angewiesen und muss sich daher um den Aufbau und die Pflege kooperativer Beziehungen zu den Mitarbeitenden kümmern. Eine weitere wichtige Rolle der Führungskraft ist die des Unterstützers. In der Literatur ist dies kein neues Konzept, sondern wurde bereits 1966 von Bowers und Seashore901 unter dem Schlagwort „Supportive Leadership“ angesprochen. Insbesondere die leistungsverbessernde Bedeutung von unterstützendem Führungsverhalten wird thematisiert: Umso mehr die Mitarbeitenden eine Führungskraft als unterstützend wahrnehmen, desto positivere Wirkungen zeigen sich auf die Ausprägung der Mitarbeiterleistung.902 Im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement in Unternehmen ist insbesondere die Rolle der Führungskraft als direkter Lernunterstützer der Mitarbeitenden von Bedeutung.903 In der SCIL-Trendstudie wurde dieses Thema auf der Bedeutsamkeitsskala auf Rang 3 von 28 behandelten Themen gewertet. Allein 69 % der befragten Experten schätzten die Förderung der Lernunterstützung durch den Vorgesetzten als hoch bedeutsames Thema ein. In vielen Unternehmen (43 %) wird bereits eine Lernunterstützung durch Vorgesetzte gefördert. Alle anderen Unternehmen sind derzeit an der Realisierung. Auch im Rahmen der dritten DelphiRunde wurde das Thema aufgegriffen, diskutiert und die Einschätzung der schriftlichen Befragung unterstrichen.904 Die angesprochenen Rollen stehen alle in einem direkten Zusammenhang mit der Mitarbeiterinteraktion der Führungskraft. Daneben ergeben sich aber auch aus dem direkten Zusammenhang mit formellen Bildungsprozessen Anforderungen an die Führungskräfte. Sie werden in Bildungsprozessen (z. B. Trainingsmaßnahmen, Weiterbildungsprogramme) zunehmend als Co-Trainer und als Coaches, Mentoren und/oder Multiplikatoren lernbezogener Werte, Erwartungen und Einstellungen
900
Vgl. Hentze/Kammel/Lindert, 1997, S. 268 ff.
901
Vgl. Bowers/Seashore, 1966.
902
Vgl. Likert, 1967; Hentze/Kammel/Lindert, 1997, S. 268.
903
Vgl. Rüdenauer, 1998, S. 341.
904
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 46 ff.
Theoretische Exploration
160
eingesetzt.905 Decker906 beschreibt die Rolle der Führungskraft im Lernprozess daher als „Lernförderer, Organisationsentwickler in einem demokratischen Prozess, Moderator und Katalysator“. Die Bedeutung der Beteiligung von Führungskräften in Bildungsprozessen bestätigt auch die SCIL-Trendstudie: 96 % der Befragten stuften das Thema mit einer mittleren bis hohen Bedeutsamkeit ein.907 Da sowohl Personal- als auch Persönlichkeitsentwicklung immer mehr orts- und zeitunabhängig und damit auch am Arbeitsplatz geschieht, sind Führungskräfte nicht nur in den angesprochenen institutionalisierten Lernprozessen als Förderer gefragt, sondern auch am Arbeitsplatz.908 Die SCIL-Trendstudie bestätigt, dass den Führungskräften die Rolle des „ersten Personalentwicklers“ zukommt, die vor Ort für die Mitarbeiterentwicklung (mit)verantwortlich sind. Eine Studie der Akademie für Führungskräfte kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: „Immer mehr Führungskräfte verstehen sich vornehmlich als persönliche Förderer und Entwicklungsbegleiter ihrer Mitarbeiter“909. Damit kommt der Führungskraft eine Doppelrolle zu: sie ist sowohl Forderer als auch Förderer.910 Eine Untersuchung von Wunderer911 belegt allerdings, dass die oben beschriebenen Rollen nur schlecht erfüllt werden. Häufig ist dies dadurch begründet, dass Führungskräfte fachlich sehr gut ausgebildet sind, aber nicht wissen, wie sie adäquat mit ihren Mitarbeitenden umgehen und kommunizieren können und sich damit auf den Fachaspekt konzentrieren.912 Vielfach sehen sie sich selbst auch eher als Fachexperten und weniger zuständig für Führungsaufgaben.913 Daher ist es eine Herausforderung für das Bildungsmanagement das Rollenverständnis der Führungskräfte zu verändern
905
Für Rüdenauer spielen die Führungskräfte gar die Schlüsselrolle in der betrieblichen Weiterbildung (vgl. Rüdenauer, 1998, S. 341).
906
Vgl. Decker, 2000, S. 33.
907
Konkret gaben 65 % der Experten die Kategorie ‚hoch’, 27 % ‚mittel’, 8 % ‚gering’ und keiner ‚unwichtig’ an (vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 48).
908
Vgl. auch Wunderer/Bruch, 2004, S. 101; Wunderer, 2003, S. 11, S. 538; Kellner, 2006a.
909
Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2001, S. 18. Entsprechend gaben in der Untersuchung knapp 40 % von 242 befragten Führungskräften als ihre Rolle im Unternehmen die des Feedbackgebers an.
910
Vgl. Decker, 2000, S. 33; Hentze/Kammel/Lindert, 1997, S. 269 ff.; Wiendieck, 2003, S. 634.
911
Vgl. Wunderer, 2003, S. 539.
912
Vgl. Rosenstiel, 2003, S. 5 f. in ähnlicher Weise Wollert, 1995, S. 146 f. Zur Offenlegung derartiger Schwierigkeiten ist beispielsweise eine Führungskräftebeurteilung durch Mitarbeitende dienlich.
913
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 48.
Strategische Ebene
161
und darauf aufbauend die Führungskräfte dazu zu befähigen, ihre Rolle wahrzunehmen.914 Dies beinhaltet auch den Aufbau bzw. die Stärkung entsprechender Kompetenzen.915 Auf diese Rolle des Bildungsmanagement wird im Rahmen der Thematisierung von ‚Struktur’ im folgenden Kapitel noch näher eingegangen. 3.2.3. Struktur Ein weiteres Element des Strategischen Managements sind die Strukturen im Unternehmen. Strukturen dienen als Ordnungsmoment, indem darunter alle Regelungen gefasst werden, die die Zusammenarbeit bestimmen.916 Auf diese Weise wird sowohl dem Kooperations- als auch dem Motivationsproblem organisatorischer Gestaltung begegnet.917 Die „Koordination kann sich im Laufe der Zeit selbsttätig und evolutionär entwickeln, oder sie kann von Menschen bewusst bewerkstelligt werden“918. Durch Strukturgestaltung entsteht die Organisation des Unternehmens.919 Nach Kieser920 ist es unmöglich, alle Eigenschaften von Organisationen und alle Beziehungen zwischen den Organisationselementen in einer Theorie zusammenzufassen. Deshalb gibt es auch keine generelle, umfassende und allseits akzeptierte Organisationstheorie. Organisationstheorien heben problemabhängig bestimmte Faktoren, Zusammenhänge und Eigenschaften hervor, konzentrieren sich auf diese und vernachlässigen andere.921 In der Literatur existiert eine Vielzahl an organisatorischen Ansätzen, die die Organisation des Unternehmens aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten (Scheinwerferprinzip), sich jeweils auf unterschiedliche Phänomene
914
Vgl. Kellner, 2006a; Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 48; Pieler, 2003, S. 175.
915
Vgl. Anzinger, 2005, S. 39. Qualifizierungsmaßnahmen hierzu sind beispielsweise speziell angebotene Veranstaltungen, die entweder in bestehende Führungskräfteprogramme integriert sind oder separat angeboten werden, Coachingangebote, Briefings, Gewinnung von Führungskräften als Promotoren etc. (vgl. detailliert Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 49). Ein Nebeneffekt der Rolle als Co-Trainer, Moderator etc. ist dabei auch, dass die Dozierenden durch solche Tätigkeiten auch selbst lernen (vgl. Simon, H., 1994, S. 15).
916
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 7; daneben Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 403.
917
Zum Koordinations- und Motivationsproblem als Auslöser für die Notwendigkeit struktureller Gestaltung d. h. Organisation in Unternehmen vgl. ausführlich Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 5 ff.
918
Gomez, 2004, S. 429.
919
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 7; Gomez, 2004, S. 429.
920
Vgl. Kieser, 1995, S. 1 f.
921
Vgl. Kieser, 1992, Sp. 1510; Ebers, 1981, S. 1; Kieser/Kubicek, 1992, S. 27.
Theoretische Exploration
162
konzentrieren, unterschiedliche Methoden einsetzen, oftmals wenig gemeinsam haben und in vielen Fällen sogar widersprüchlich zueinander sind.922 Eine weite Verbreitung hat die Unterscheidung zwischen einer instrumentellen, institutionellen und funktionellen Perspektive gefunden.923 Aus dem instrumentellen Blickwinkel ist Organisation ein Mittel zur Lösung des Organisationsproblems, d. h. des Koordinations- und Motivationsproblems, und damit ein Mittel zur effizienten Führung des Unternehmens. Aus dieser Sicht wird unter Organisation die „Gesamtheit von formalen Regelungen zur Sicherstellung von effizienten Arbeitsabläufen“924 verstanden. Folglich kann davon gesprochen werden, dass ein Unternehmen eine Organisation hat.925 Dem gegenüber vertritt die institutionelle Position die Überzeugung, dass ein Unternehmen eine Organisation ist. Das Unternehmen wird „als kollektives Denk- und Handlungssystem interpretiert, das in reflektierter Weise Ziele verfolgt, dem eine eigene Identität und Kultur zukommt und das für die einzelnen Organisationsmitglieder damit Sinn stiften wird“926. Die institutionelle Perspektive beschäftigt sich folglich mit den Tiefenstrukturen eines Unternehmens.927 Aus dem funktionellen Blickwinkel wird Organisation als Ordnungsmuster zur Bewältigung von Komplexität gesehen: das Unternehmen wird organisiert. Es werden in verschiedenen Disziplinen Ordnungsmuster gesucht, die die Lebensfähigkeit des Unternehmens im weitesten Sinn ermöglichen, d. h. es geht um die Funktion des Organisierens im Sinne einer Schaffung von Regeln und Strukturen. Damit steht die Thematisierung des Zusammenspiels von Oberflächenstruktur (instrumentelle Sichtweise) und Tiefenstruktur (institutionelle Sichtweise) im Mittelpunkt, „wobei bei der Interpretation weit über die Erkenntnisse der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hinausgegangen wird“928.929
922
Vgl. Scherer, 1999, S. 2; Kieser, 1992, Sp. 1510; Kieser, 1995, S. 1 f.; Frese, 1992, S. 1719 ff.; Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 28; Gomez, 2004, S. 429; Walter-Busch, 1996.
923
Vgl. beispielsweise Heinl, 1996, S. 60 f.; Gomez, 2004, S. 429 ff.; Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 25 f.; Grochla, 1982, S. 1 ff.
924
Gomez, 2004, S. 430.
925
Vgl. ausführlich z. B. Gomez, 2004, S. 430 f.; Wagner, 1989, S. 13; Heinl, 1996, S. 61 f.; Bühner, 2004, S. 2.
926
Gomez, 2004, S. 431.
927
Zur institutionellen Perspektive vgl. z. B. Gomez, 2004, S. 431; Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 24; Wagner, 1989, S. 13 f.; Heinl, 1996, S. 61.
928
Gomez, 2004, S. 432.
929
Vgl. ausführlicher Gomez, 2004, S. 431 f.; Heinl, 1996, S. 62; Bühner, 2004, S. 2.
Strategische Ebene
163
Nachdem die Tiefenstruktur bereits im Kapitel 3.2.2 angesprochen wurde, steht im Folgenden die instrumentelle Sichtweise im Vordergrund. Hierfür wird den strukturellen Fragen im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement nachgegangen, d. h. es werden die Oberflächenstrukturen des Unternehmens betrachtet, nach denen das Bildungsmanagement in das Unternehmen integriert ist.930 Konkret geht es darum, der Beantwortung folgender Fragen näherzukommen: x
x
x
x
Wie kann das Bildungsmanagement strukturell im Unternehmen verankert werden? Welche Rolle wird den im Bildungsmanagement Tätigen/dem Bildungsmanagement im Unternehmen zugeschrieben? Welches Selbstverständnis haben die im Bildungsmanagement Tätigen/ das Bildungsmanagement? Mit welchen Herausforderungen ist das Bildungsmanagement aufgrund aktueller Trends in der Unternehmensorganisation konfrontiert? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Bildungsmanagement?
3.2.3.1. Strukturelle Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen Bildungsmanagement kann im Unternehmen in unterschiedliche Organisationsformen eingebettet sein. Bevor im Detail auf verschiedene Möglichkeiten eingegangen wird, werden zunächst relevante Grundzüge der Organisation des Binnenbereichs des Unternehmens angesprochen.931 Die Gestaltungsvariablen für die Aufbauorganisation932 lassen sich in die Gruppen Verteilung von Entscheidungsrechten, Verteilung von Weisungsrechten und Aufgabenverteilung einteilen.933 „Entscheidungsrechte beziehen sich auf die Kompetenz,
930
Vgl. zu dieser Vorgehensweise Gomez, 2004, S. 432; Kogelheide, 1992, S. 75; Bühner, 2004, S. 5.
931
Hier werden nur die für das weitere Verständnis relevanten Grundlagen dargestellt. Für detaillierte Informationen sei auf die entsprechend genannte Literatur verwiesen.
932
Zu den allgemeinen Möglichkeiten der Gestaltung von Aufbaustrukturen siehe die relevante Fachliteratur wie z. B. Picot/Dietl/Frank, 2005; Frese, 1998 und Grochla, 1982.
933
Vgl. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 228 ff. Eine vierte Gruppe ist die der Programmierung. Allerdings geht es hierbei darum, wie Prozesse der Aufgabenerfüllung organisatorisch beeinflusst werden können. Da im Folgenden die Aufbauorganisation im Mittelpunkt steht, sei hier bzgl. der Programmierung auf Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 243 ff. verwiesen.
Theoretische Exploration
164
die Aufgabenerfüllung in Unternehmungen inhaltlich zu gestalten.“934 Es geht also darum, zu bestimmen, auf welche Weise Aufgaben gelöst werden sollen. Die Entscheidung, wer die Aufgaben lösen soll, wird im Rahmen der Verteilung der Weisungsrechte getroffen. Diese konkretisiert die durch Aufgabenverteilung und Verteilung der Entscheidungsrechte entstandene Struktur und trägt zur reibungslosen Abstimmung zwischen den Organisationseinheiten bei.935 Im Rahmen der Aufgabenverteilung werden u. a. organisatorische Einheiten als Träger von Teilaufgaben gebildet. In Unternehmen können folgende grundsätzliche organisatorische Einheiten unterschieden werden: Ausführungsstellen, Stabsstellen und Leitungsstellen/ Instanzen.936 Ausführungsstellen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Ausführungskompetenzen sowie Zugriffskompetenzen auf Infrastrukturen haben, die zur Aufgabenbewältigung nötig sind. Stabsstellen besitzen in der Regel weder Entscheidungsrechte noch Weisungsrechte gegenüber der Linie, wie im Zusammenhang mit der Zentralisierung (siehe S. 167) noch näher aufgezeigt wird. Dem entgegen erfolgt in Leitungsstellen/Instanzen eine Konzentration von Entscheidungs- und Weisungsrechten. Der Begriff der Linie entsteht durch die Verteilung der Weisungsrechte in Organisationen.937 Linienstellen umfassen sowohl Ausführungsstellen als auch Instanzen.938 Eine Gruppierung von mehreren Ausführungsstellen, denen eine Instanz vorangestellt wird, ist eine Abteilung.939 Unternehmen mit mehreren Geschäftseinheiten werden daneben häufig in Geschäftsbereiche untergliedert. Die Segmentierung erfolgt dabei nach Produkten, Produktgruppen, Kunden und Regionen.940 Mit der Geschäftsbereichsorganisation, auf
934
Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 233.
935
Vgl. ausführlich Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 235 ff.
936
Vgl. hierzu und im Folgenden Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 230 ff. und Kieser/Kubicek, 1992, S. 82 ff. Eine Stelle bezeichnet allgemein „einen Aufgabenkomplex, der von einer dafür qualifizierten Person unter normalen Umständen bewältigt werden kann … [In] ihr konkretisieren sich die formalen Rollenerwartungen, die die Unternehmung an ein Organisationsmitglied richtet.“ (Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 230).
937
Als Grundformen können das von Fayol geprägte Einliniensystem (von einer vorgelagerten Instanz geht nur eine Anweisungslinie zu jeder nachgeordneten Stelle und umgekehrt) und das Mehrliniensystem (mehrere Anweisungslinien führen zu nachgeordneten Stellen) unterschieden werden. Eine weitere Variante ist das Stabliniensystem, auf welches in Kapitel 3.2.3.1.1 näher eingegangen wird. Vgl. ausführlich zu den Grundlagen der Organisation des Binnenbereichs des Unternehmens Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 235 ff. und Kieser/Kubicek, 1992, S. 127 ff.
938
Vgl. Kieser/Kubicek, 1992, S. 135.
939
Vgl. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 231.
940
Vgl. ausführlich zum Thema Geschäftsbereichsorganisation Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 301 ff. und Kieser/Kubicek, 1992, S. 236 ff.
Strategische Ebene
165
welche Kapitel 3.2.3.1.2 noch näher eingeht, hängt die Organisationsform des ‚Konzerns’ eng zusammen. Unter einem Konzern werden mehrere Unternehmen bezeichnet, die eine wirtschaftliche Einheit bilden. Konstitutives Merkmal eines Konzerns ist die einheitliche Leitung.941 Mit den genannten Prinzipien ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten der organisatorischen Gestaltung, die sich schematisch vereinfacht in Form von Organisationsschaubildern/Organigrammen abbilden lassen.942 Im Zusammenhang mit der Frage der organisatorischen Verankerung des Bildungsmanagements in Unternehmen werden in Anlehnung an Euler943 und Grüner944 im Folgenden die organisatorischen Prinzipien Dezentralisierung vs. Zentralisierung sowie im Zusammenhang mit der Geschäftsbereichsorganisation interne vs. externe Marktmodell-Konzepte näher betrachtet.945
3.2.3.1.1.
Dezentralisation versus Zentralisation
Unabhängig von der inhaltlichen Ausgestaltung besteht grundsätzlich die Möglichkeit das Bildungsmanagement tendentiell zentral oder dezentral zu organisieren.946 Im Gegensatz zur Zentralisation, die eine Konzentration in einem Zentrum beschreibt, bezeichnet die Dezentralisation in ihrem ursprünglichen Wortsinn eine Bewegung von einem Zentrum weg bzw. die Verteilung eines Merkmals über mehrere Einheiten.947 Für das Bildungsmanagement bedeutet dies, dass sowohl die Arbeitsaufgaben, die Entscheidungsrechte sowie die Ressourcenkontrolle auf mehrere (untergeordnete) organisatorische Einheiten d. h. die Linie verteilt werden.948 Die organisatorischen Einheiten können z. B. Abteilungen, Fachbereiche oder Geschäftsbereiche sein. Im Organigramm stellt sich dies wie folgt dar:
941
Vgl. z. B. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 302.
942
Beispiele hierzu sind Abbildung 23 und Abbildung 24. Vgl. daneben z. B. Kieser/Kubicek, 1992, S. 160 ff.; Grochla, 1982, S. 305 ff.
943
Vgl. Euler, 2004, S. 43.
944
Vgl. Grüner, 2000, S. 79 ff.
945
Im Weiteren erfolgt eine Konzentration auf Grundformen der organisatorischen Verankerung. In der Praxis sind durchaus auch unterschiedlichste Mischformen denkbar, die sich aber immer von den aufgezeigten Reinformen ableiten lassen und daher hier nicht näher thematisiert werden.
946
Es handelt sich dabei um zwei Pole eines Kontinuums. Für den Gesamtbereich sowie für den Mittelbereich existieren nach Frese keine Begriffsbezeichnungen (vgl. Frese, 1998, S. 88 f.).
947
Vgl. Frese, 1998, S. 88.
948
Vgl. Berthel/Becker, 2003, S. 473; Nienhüser, 1999, S. 161; Drumm, 2000, S. 67.
Theoretische Exploration
166
Geschäftsleitung/ Vorstand
Organisationseinheit 1
Organisationseinheit 2
Organisationseinheit…
Bildungsmanagement 1
Bildungsmanagement 2
Bildungsmanagement…
Abbildung 23: Dezentrale Verankerung des Bildungsmanagements
Die Verankerung des Bildungsmanagements ist sowohl in Form von einzelnen Stellen (Referentensystem), von ganzen Abteilungen, als auch durch die Übertragung der Aufgaben an einzelne Führungskräfte in den Abteilungen, Geschäftsbereichen etc. möglich.949 Die Vorteile einer Dezentralisierung liegen durch die klare dezentrale Zuordnung der Funktionen insbesondere in der großen räumlichen Nähe zu den organisatorischen Einheiten.950 Durch diese „Basisnähe“951 und die damit verbundene hohe Informationsdichte ist es möglich, die Aktivitäten auf die konkreten Anforderungen vor Ort auszurichten und individuelle, bereichsspezifische Lösungen zu entwickeln.952 Daneben ist ein relativ schnelles Reagieren auf Veränderungen bzw. eine flexible und schnelle Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen in den einzelnen Einheiten möglich.953
949
Vgl. Grote/Staffelbach, 2006, S. 23 ff. Im Rahmen der Untersuchungen zum Schweizer HRBaromenter 2006 haben Grote und Staffelbach 970 Personen aus verschiedenen Unternehmen u. a. zur Verankerung des Human Resource Managements befragt (die Personalentwicklung sehen sie als Teilbereich des Human Resource Managements an) (vgl. Grote/Staffelbach, 2006). Im Ergebnis gaben 78,7 % der Befragten an, dass HRM-Aufgaben mehrheitlich durch den persönlichen Vorgesetzten in der Linie wahrgenommen werden. Darin bestätigt sich auch wieder die bereits in Kapitel 3.2.2.5 angesprochene zentrale Rolle der Führungskräfte.
950
Vgl. Berthel/Becker, 2003, S. 473; Grochla, 1982, S. 229; Gerpott, 1995, S. 14.
951
Berthel/Becker, 2003, S. 473.
952
Vgl. Berthel/Becker, 2003, S. 473; Gerpott, 1995, S. 14; Becker, M., 2002, S. 502.
953
Vgl. Grochla, 1982, S. 229; Becker, M., 2002, S. 502; Gerpott, 1995, S. 14.
Strategische Ebene
167
Allerdings ist eine zunehmende Dezentralisierung auch mit einigen Nachteilen und Gefahren verbunden. Zunächst ist der Kostenfaktor zu nennen, insbesondere im Zusammenhang mit einer möglichen Redundanz in der Aufgabenwahrnehmung.954 Weiter weist Drumm955 darauf hin, dass Dezentralisation grundsätzlich zu einem Abbau von Professionalität und Spezialisierung führt, aus dem sich eine Reduktion der Qualität und Wirkung einzelner Maßnahmen ergibt; dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Diskussion um eine zunehmende Professionalisierung des Bildungsmanagements (vgl. Kapitel 3.2.3.2) bedeutsam. Durch die Verteilung der Funktionen auf einzelne organisatorische Einheiten ist eine Tendenz zur Zersplitterung, Intransparenz und Konzeptlosigkeit auszumachen.956 Des Weiteren besteht die Gefahr, „dass teilbereichsübergreifende Probleme aufgrund mangelnder Problemübersicht nicht angegangen werden und dass in den Teilbereichen lediglich ‚Insellösungen’ erarbeitet werden“957. Bei der Zentralisation hingegen werden die im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement stehenden Aufgaben in einer zentralen Einheit zusammengefasst.958 Oder, wie es Grüner formuliert: „Es besteht eine zentrale Bildungsabteilung oder eine Bildungsstabsstelle, die ... alle bildungsrelevanten Funktionen ausübt“959. Stabsstellen sind in der Regel960 direkt der Unternehmensführung untergeordnet und besitzen selbst weder Entscheidungsrechte noch Weisungsrechte gegenüber der Linie (vgl. Abbildung 24).961 Allerdings ist es möglich, dass ihnen eine funktionale Autorität zugesprochen wird, d. h. dass der Stabsstelle bei Sonderaufträgen ein zeitlich
954
Vgl. Becker, M., 2002, S. 502.
955
Vgl. Drumm, 2000, S. 66.
956
Vgl. Daul, 1994, S. 28.
957
Grochla, 1982, S. 230.
958
Vgl. Frese, 1998, S. 88.
959
Grüner, 2000, S. 80.
960
Im Folgenden wird das deutschsprachige Begriffsverständnis zugrunde gelegt. In der englischsprachigen Literatur werden in einer deutlich weiteren Begriffsfassung unter Stabsstellen alle Stellen verstanden, die nur indirekt der Erfüllung der Hauptaufgabe dienen und die Linienstellen (unmittelbar mit der Erfüllung der Hauptaufgabe des Unternehmens betraute Bereiche wie z. B. Produktion und Vertrieb in einem Industrieunternehmen) unterstützen (vgl. Kieser/Kubicek, 1992, S. 135 f.).
961
Vgl. z. B. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 237; Kieser/Kubicek, 1992, S. 136; Staehle, 1991, S. 662 f.; Gomez, 2004, S. 435 f. „Obwohl der Einsatz von Stäben ein klassisches Problem der Organisationstheorie darstellt, besteht über die Abgrenzung des Stabsbegriffs und über die organisatorische Beurteilung des Stabsgedankens keineswegs eine einheitliche Auffassung.“ (Frese, 1998, S. 318). Im Folgenden wird daher auf die wesentlichsten Elemente eingegangen, über die zum Großteil auch in der deutschsprachigen Literatur Einigkeit herrscht.
Theoretische Exploration
168
begrenztes Weisungsrecht eingeräumt werden kann.962 Die Aufgaben von Stabsstellen liegen folglich in erster Linie in der Beratung und Unterstützung der (Linien-) Instanzen. „Stäbe werden zur fachlichen Entlastung der Instanzen in Situationen eingesetzt, in denen heterogene, variable und schlecht strukturierte Aufgaben zu diskretionären Verhaltensspielräumen der Untergebenen mit den entsprechenden Koordinations- und Motivationsproblemen führen.“963 Stabsstellen sollen diese Instanzen bei der Erfüllung ihrer Leitungsfunktion unterstützen, indem sie als beratende Spezialisten zur Seite stehen, Entscheidungen vorbereiten und Kontrollaufgaben übernehmen.964 Dadurch, dass sie aber weder ausführende noch anordnende Stellen sind, bleibt die „Autorität der Leitungshierarchie“965 uneingeschränkt in Kraft.966 Geschäftsleitung/ Vorstand
Stabsstelle
Organisationseinheit 1
Organisationseinheit 2
OrganisationsEinheit …
Abbildung 24: Strukturelle Verankerung einer Stabsstelle
Die Vorteile einer strukturellen Verankerung des Bildungsmanagements in Form einer Stabsstelle sind insbesondere in der Reduzierung der Gefahren aus einer zu starken Dezentralisation zu sehen. So erlaubt die Organisationsform der Stabsstelle die einheitliche Wahrnehmung der Bildungsaufgaben, die für das Unternehmen als Ganzes wichtig sind.967 Neben einheitlichen Richtlinien und Vorgehensweisen ist in
962
Vgl. Staehle, 1991, S. 662.
963
Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 237.
964
Vgl. Kieser/Kubicek, 1992, S. 136; Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 414 f.; Gomez, 2004, S. 434 f.; Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 237.
965
Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 415.
966
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 415; Gomez/Zimmermann, 1999, S. 178.
967
Vgl. Grüner, 2000, S. 80.
Strategische Ebene
169
Abstimmung mit der Unternehmensführung eine einheitliche Politik möglich.968 Des Weiteren werden die bereits angesprochenen ineffizienten Doppelarbeiten durch die Konzentration in einer zentralen Stelle verhindert, die Koordination von bereichsübergreifenden Aktivitäten erleichtert bzw. erst möglich und durch die Bündelung der Ressourcen die Kapazitäten zur Bearbeitung von Bildungsmanagement-Themen vergrößert.969 Durch die Schaffung einer Stabsstelle, die qualifizierte Problemanalysen vornimmt, Entscheidungen vorbereitet und Spezialaufgaben übernimmt, werden zum einen die Linieninstanzen entlastet, zum anderen besteht die Möglichkeit der starken Spezialisierung der Mitarbeitenden innerhalb des Bildungsmanagements.970 Dies führt zu einer Steigerung der Professionalität971 und nicht selten zu erheblichen Informationsvorsprünge gegenüber der Instanz.972 Der Effekt wird durch die Nähe zu den unternehmerischen Entscheidungsträgern noch verstärkt, indem die Stabsstelle im Optimalfall früh in Unternehmensentscheidungen eingebunden wird und sie authentische Informationen erhält. Auf diese Weise gewinnen Stäbe informelle Macht.973 Dies ist ein möglicher Grund dafür, dass sich die Zusammenarbeit von Stab und Linie in der Praxis als sehr konfliktreich erwiesen hat. Ein weiterer Grund hierfür könnten in einer unklaren Abgrenzung der Kompetenzen und daraus entstehenden Kompetenzstreitigkeiten gesehen werden.974 Diese werden durch einen unterschiedlichen Zeithorizont und Konflikte aufgrund personeller Faktoren noch verstärkt. Zu den personellen Faktoren zählt beispielsweise die Verschiedenheit der beruflichen Sozialisation und Orientierung, die sich in unterschiedlichen Erfahrungshorizonten, im Sozialverhalten, in Ausbildung, Sprachgewohnheiten und Fachsprachen zeigt.975 Steinmann und Schreyögg976 sehen insbesondere die gewöhnlich eher geringe
968
Vgl. ausführlicher Drumm, 2000, S. 65; Berthel/Becker, 2003, S. 473; Gerpott, 1995, S. 14; Becker, M., 2002, S. 500; Grochla, 1982, S. 229.
969
Vgl. Berthel/Becker, 2003, S. 473; Gerpott, 1995, S. 14; Becker, M., 2002, S. 500.
970
Vgl. hierzu auch Grüner, 2000, S. 80; Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 237 f.; Berthel/Becker, 2003, S. 473; Gomez, 2004, S. 436.
971
Vgl. Drumm, 2000, S. 65. Allerdings ist hierbei aus Sicht der Verfasserin zu beachten, dass kein Automatismus unterstellt werden kann, der bedingt, dass eine Spezialisierung zu einer Professionalisierung führt.
972
Vgl. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 237.
973
Vgl. Gomez, 2004, S. 436; Becker, M., 2002, S. 500; Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 237 f.
974
Vgl. zu den Gründen u. a. Staehle, 1991, S. 664; Gomez/Zimmermann, 1999, S. 178.
975
Vgl. ausführlicher Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 416.
976
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 416.
Theoretische Exploration
170
praktische Erfahrung von Stabsmitgliedern (Akademiker ohne Berufserfahrung) als problematisch an. Ein weiterer Nachteil der Zentralisation in einer Stabsstelle könnte in der zunehmenden Problemferne gesehen werden, die mit der Unternehmensgröße noch weiter zunimmt (und durch die mangelnde praktische Erfahrung noch verstärkt wird).977 „Besonders in großen und oftmals schwer überschaubaren Unternehmungen dürfte die Problemlösungsqualität bei der Bewältigung von Teilbereichsproblemen aufgrund der zu großen Distanz der zentralen Organisationsabteilung zum Gestaltungsobjekt und der damit verbundenen mangelnden Problemeinsicht abnehmen.“978 Wenn sich der Abstand zwischen Stab und Linie vergrößert, besteht zum einen die Gefahr von zu viel Planung und zu wenig Entscheidung,979 zum anderen ist es möglich, dass Führungskräfte ihr Engagement (um Bildung) reduzieren.980 Aber auch die Mitarbeitenden der Stäbe sind evtl. schwerer zu motivieren, da eine Orientierung an Verhaltensergebnissen schwierig ist – Picot et al.981 sprechen deshalb auch von „Frust- und Papierkorbabteilungen“. Die Wirksamkeit der Stabsstelle hängt weniger von deren Arbeitsqualität ab, sondern vielmehr vom guten Willen der Linie zur Zusammenarbeit.982 Um die Vorteile der Zentralisation zu nutzen und gleichzeitig die Nachteile möglichst gering zu halten, besteht die Möglichkeit, Stabsstellen aufzuwerten und zu Zentralbereichen/zentralen Dienststellen/Zentralabteilungen weiterzuentwickeln bzw. auszubauen.983 Diese sind zwar weiterhin bei der Unternehmensleitung angesiedelt, erhalten aber ein funktionales Weisungsrecht, d. h. sie dürfen im Bezug auf ihre fachlichen Fragen der Linie Anordnungen erteilen. Dadurch wird gleichzeitig die Unternehmensleitung entlastet.984 Zentralabteilungen sind insbesondere im Zusammenhang mit divisionalen Strukturen von Bedeutung, auf die Kapitel 3.2.3.1.2 näher eingeht.
977
Vgl. Grüner, 2000, S. 80; Drumm, 2000, S. 65.
978
Grochla, 1982, S. 229; vgl. auch Berthel/Becker, 2003, S. 473.
979
Vgl. Gomez/Zimmermann, 1999, S. 178; Gomez, 2004, S. 436. Er bezeichnet dies als AnalyseParalyse-Syndrom.
980
Vgl. Grüner, 2000, S. 80; Becker, M., 2002, S. 501.
981
Vgl. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 238.
982
Vgl. Staehle, 1991, S. 664.
983
Zentrale Dienststellen gehen häufig aus Stäben hervor, können allerdings genauso auch direkt gegründet werden (vgl. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 240).
984
Vgl. ausführlicher Gomez/Zimmermann, 1999, S. 68, S. 178; Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 240 f.
Strategische Ebene
171
Wie deutlich wurde, sind sowohl mit der Dezentralisation als auch mit der Zentralisation Chancen, aber auch Risiken verbunden. Eine mögliche Lösung zur Reduzierung der Gefahren liegt im Rahmen der Dezentralisation in der Schaffung/Beibehaltung einer zentralen Stelle, die eine Koordinationsfunktion übernimmt.985 Nach Grüner986 ist es beispielsweise möglich, dass zwar die bildungsrelevanten Tätigkeiten und Funktionen aus einer zentralen Abteilung auf die verschiedenen organisatorischen Einheiten des Unternehmens übertragen werden, dass aber gleichzeitig eine zentrale Bildungsabteilung bestehen bleibt/geschaffen wird, in der die Aufgaben mit Grundsatzcharakter verankert sind/werden.987 Auch Drumm988 bezieht sich in seinem Dezentralisationsansatz auf ein derartiges Modell, wo zwar die Mehrzahl der Funktionen aus einer zentralen Abteilung ausgelagert wird, die zentrale Abteilung aber weiterhin Grundfunktionen übernimmt.989 Berthel990 weist in dem Zusammenhang der Diskussion um den optimalen (De-)Zentralisierungsgrad darauf hin, dass diese Frage nur situativ beantwortet werden kann. Ein „Patentrezept für die optimale Organisation … gibt es nicht“991. Interessanterweise sind in der Praxis dennoch Tendenzen in die eine oder andere Richtung auszumachen. Die Beobachtungen lassen sich als Pendel-/Wellenbewegung zwischen Zentralisation und Dezentralisation beschreiben.992 Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts war ein Trend zur Dezentralisation feststellbar.993 Im Jahr 2000 beschreibt Scholz994 die zu diesem Zeitpunkt vorherrschende Organisationsform als
985
Vgl. beispielsweise Grochla, 1982, S. 230; Becker, M., 2002, S. 502. Wunderer und Dick prognostizieren, dass diese Kombination von zentralen und dezentralen Stellen die 2010 dominante Form der Organisation für Personalmanagementaufgaben sein wird (vgl. Wunderer/ Dick, 2002, S. 202, S. 212).
986
Vgl. Grüner, 2000, S. 80.
987
Grüner zählt hierzu die Schaffung zentral zu verwendender Evaluationsverfahren der betrieblichen Bildung und beispielsweise die Entscheidung über den Einsatz von Lernsoftware (vgl. Grüner, 2000, S. 80).
988
Vgl. Drumm, 2000, S. 66.
989
In abgeschwächter Form findet sich dieses Modell ebenfalls bei Scholz wieder, der darauf hinweist, dass es bei der dezentralen Lösung „mehrere, hierarchisch gestaffelte Personalabteilungen bis zu dezentralen Personalreferenten [gibt]. Sie sind Kontaktstellen oder -personen der Führungskräfte und unterstützen sie bei personalwirtschaftlichen Fragestellungen“ (Scholz, 2000, S. 194).
990
Vgl. Berthel/Becker, 2003, S. 465.
991
Wagner, 1994, S. 474.
992
Vgl. Gomez/Zimmermann, 1999, S. 192; Berthel/Becker, 2003, S. 465; Wagner, 1994.
993
Vgl. z. B. Bühner, 1994, S. 420 f.; Wagner, 1994, S. 472.
994
Vgl. Scholz, 2000, S. 195 f.
Theoretische Exploration
172
dezentral. Die aktuellen Entwicklungen gehen dem entgegen in Richtung Zentralisation, wie die Ergebnisse der SCIL-Trendstudie995 zeigen. Im Rahmen derer wurde deutlich, dass in vielen Unternehmen derzeit noch eine starke Dezentralisierung des Bildungsmanagements gegeben ist, dass diese Unternehmen aber bzw. gerade deswegen eine Zusammenlegung der Funktionen unter ‚einem Dach’ fordern, um Synergien zu nutzen und Doppelarbeit zu vermeiden. Entsprechend wird als Organisationsform der Zukunft die Stabsstelle konstatiert. Diese ermöglicht es dem Bildungsmanagement aufgrund der Nähe zur Unternehmensleitung verstärkt auf die Strategieentwicklung des Unternehmens einzuwirken. Die Unternehmen, die diesen Schritt bereits gemacht haben, gehen weiter und geben nun an, dass eine alleinige Bündelung der Funktionen in der Stabsstelle nicht ausreicht, sondern eine zusätzliche Verankerung in der Linie notwendig ist. Insbesondere in multinationalen Unternehmen stellt es sich dabei als Herausforderung dar, die Konzerninteressen und die Interessen vor Ort in Einklang zu bringen. Eine Musterlösung, wie diese doppelte organisatorische Verankerung erreicht werden kann, muss aber nach Meinung der in der SCIL-Trendstudie befragten Experten erst noch gefunden werden.996 Dies bestätigt wiederum die oben aufgeführte Aussage, dass eine Kombination der beiden Tendenzen notwendig ist, gleichzeitig aber der optimale Grad an (De-)Zentralisierung nur situativ bestimmt werden kann. Vor dem Hintergrund der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen kann noch ergänzt werden, dass es bei der Wahl der Organisationsform auch darauf ankommt, angemessene Verbindungen von stabilen, auf Dauer angelegten „Palaststrukturen“ und flexiblen, auf Zeit angelegten „Zeltstrukturen“ zu etablieren.997 Nur dann wird es gelingen, „sowohl flexibel auf neue Bedarfslagen zu reagieren als auch durch das Management von Wissen und Kompetenz die Kontinuität in der Organisation zu wahren“998. Eine dies unterstützende Organisationsform stellt die im Zusammenhang mit dem Thema internes Marktmodell nachfolgend diskutierte Geschäftsbereichsorganisation dar.
995
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 43 ff.
996
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 43 ff.
997
Vgl. ausführlicher zu den beiden strukturellen Idealtypen der ‚Paläste’ und ‚Zelte’ Gomez/ Zimmermann, 1999, S. 64 ff.
998
Euler, 2004, S. 44.
Strategische Ebene
3.2.3.1.2.
173
Internes und externes Marktmodell
Die Gliederung in Geschäftsbereiche999 ist die derzeit in Großunternehmen dominierende interne Organisationsform und basiert auf dem Grundgedanken, operativ-fachbezogene Entscheidungen zu dezentralisieren und strategisch-übergreifende Themen gleichzeitig zu zentralisieren.1000 Bei der Bildung der Geschäftsbereiche geht es darum, relativ eigenständige, überschaubare Bereiche zu bilden, die (vorwiegend) ergebnisorientiert im Hinblick auf das Unternehmensziel koordiniert werden. Neben der Unternehmensleitung und den Geschäftsbereichen zählen Zentralbereiche zu den organisatorischen Einheiten der Geschäftsbereichsorganisation (vgl. Abbildung 25).1001 Geschäftsleitung/ Vorstand
Zentralbereich
Geschäftsbereich 1
Geschäftsbereich 2
Geschäftsbereich …
Abbildung 25: Geschäftsbereichsorganisation
Als grundsätzliche Arten von Geschäftsbereichen lassen sich entsprechend der Verteilung von Entscheidungs- und Weisungsrechten das Cost-Center, das Service-Center und das Profit-Center unterscheiden.1002
999
Die Geschäftsbereichsorganisation ist synonym zu Objektorganisation, divisionaler Spartenorganisation und divisionaler Organisation zu verstehen (vgl. Bleicher, 1993, S. 153).
1000
Vgl. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 301 f.
1001
Im Folgenden werden nur die im Rahmen der Dissertation relevanten Merkmale näher erläutert. Grundlegender zum Thema Geschäftsbereichsorganisation vgl. die entsprechende Literatur wie z. B. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 301 ff.; Kieser/Kubicek, 1992, S. 236 ff.; Bleicher, 1993, S. 153; Grochla, 1982, S. 137 ff.
1002
Scholz nennt noch weitere Center-Modelle wie z. B. das Strategie-Center, das Intelligenz-Center, das Kultur-Center und das Beratungs-Center (vgl. Scholz, 2000, S. 200 ff.). Diese werden in der Literatur aber z. T. sehr kritisch betrachtet – so vermerkt Drumm, dass den genannten Konzepten lediglich heuristische Funktionen zugeordnet werden können (vgl. Drumm, 2000, S. 73) – und daher hier nicht näher thematisiert.
Theoretische Exploration
174
Beim Cost-Center hat die Geschäftsbereichsleitung keinen Einfluss auf Art, Menge und Preis der zu erbringenden Leistung; entsprechend fehlt auch eine Erlösverantwortung. Es geht hier vielmehr darum, eine geforderte Leistung in einer bestimmten Qualität mit einem möglichst geringen/fix definierten Ressourcenaufwand zu erbringen. Entsprechend unterhalten Cost-Center auch keine direkte Beziehung zum externen Absatzmarkt, sondern produzieren interne (nicht marktfähige) Leistungen, die der Steuerung und Führung des Gesamtunternehmens dienen.1003 Service-Center erstellen zwar Leistungen, die marktfähig wären, bieten diese allerdings nur intern an. Eine Verrechnung erfolgt entweder zu Marktpreisen oder zu kostendeckend ermittelten Verrechnungspreisen.1004 Profit-Center haben sowohl Kosten- als auch Erlösverantwortung. Allerdings beschränkt sich der Entscheidungsspielraum aufgrund der Festlegung des Leistungsprogramms durch Unternehmensstrategie und Mitarbeiterqualifikation meist auf den Verkaufspreis und die Angebotsgestaltung.1005 Nach Euler definiert das Profit-Center-Konzept das Bildungsmanagement „als eigenständiges Dienstleistungs- und Kompetenzzentrum, das für seine Leistungen entsprechende Kosten verrechnet“1006. Auf der einen Seite kann das Profit-Center seine Dienstleistungen sowohl auf dem externen Markt zu Marktpreisen absetzen als auch intern anbieten. Damit ist es ein ‚Unternehmen im Unternehmen’. Auf der anderen Seite steht das Profit-Center in Konkurrenz zu externen Anbietern, da die Geschäftsbereiche sich auch auf dem externen Markt mit Leistungen eindecken dürfen.1007 Im Zusammenhang mit personalwirtschaftlichen Maßnahmen weist von Arx1008 darauf hin, dass das Profit-Center-Konzept nicht für alle Maßnahmen geeignet ist und dementsprechend in der Praxis ein Modell der Koexistenz mehrerer Center-Konzepte für unterschiedliche Funktionen denkbar ist.1009 Entsprechend haben Wunderer und von Arx1010 für den Personalbereich das Konzept des Wertschöpfungs-Centers entwickelt, welches die Gewinnerzielung des Bereichs mit der nachweisbaren Nutzen-
1003
Vgl. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 304; Wunderer/Arx, 1999, S. 96; Arx, 1995, S. 431; Scholz, 2000, S. 197 f.
1004
Vgl. Arx, 1995, S. 431.
1005
Vgl. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 304.
1006
Euler, 2004, S. 44.
1007
Vgl. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 304; Arx, 1995, S. 434 ff.; Scholz, 2000, S. 197 f.; Steinmann/ Schreyögg, 2000, S. 410.
1008
Vgl. Arx, 1995, S. 430.
1009
Dieser Gedanke wird im Zusammenhang mit der Entwicklung des funktionalen Strukturmodells des Bildungsmanagements in Kapitel 4.2.3.3 weiter aufgenommen.
1010
Vgl. Wunderer/Arx, 2002.
Strategische Ebene
175
schaffung für die relevanten Bezugsgruppen verbindet und damit eine Kombination von Cost- und Profit-Center darstellt.1011 Konkret vereint es eine ManagementDimension, eine Service-Dimension und eine Business-Dimension.1012 Gestaltungsgrundlage der Management-Dimension ist die Strategie- und Effektivitätsorientierung. Ihre Schlüsselfunktion ist die Unternehmenssicherung durch Sicherstellung von Innovation, Planung/Koordination, Konflikthandhabung, Umsetzung und Evaluation/ Repräsentation. Vom Selbstverständnis her ist sie die strategische Zentralinstanz im Unternehmen. Die Service-Dimension ist geleitet von einer Qualitäts- und Dienstleistungsorientierung und versteht sich selbst als kundenorientierter Dienstleister. In ihr erfolgen eine qualitäts- und kundenorientierte Prozessgestaltung und die Generierung eines Nutzenbeitrags für die relevanten Bezugsgruppen. Die dritte Dimension (Business-Dimension) ist durch Wirtschaftlichkeits- und Wertschöpfungsaspekte geprägt. Ihre Aufgaben sind u. a. die Festlegung kostenoptimaler Strategien und die Suche nach Kostensenkungspotentialen. Scholz beurteilt das Konzept des Wertschöpfungs-Centers mehr als „paradigmatische Vision als konkret realisierbare Organisationsform“1013, da es aus seiner Sicht zwar die Stärken der Cost- und ProfitCenter-Modelle vereint, aber keine Antworten auf die Schwierigkeiten dieser Modelle liefert. Drumm weist daneben darauf hin, dass „Dienstleistungszentren … nur dann zu echten Wertschöpfungszentren [werden], wenn Kosten und Erträge personalwirtschaftlicher Dienstleistungen nachvollziehbar und zielorientiert bewertet werden können“1014. Auch er sieht in dem Modell des Wertschöpfungs-Centers lediglich einen „liebgewordenen Idealtypen der Betriebswirtschaftslehre“1015. Neben den Geschäftsbereichen sind die Zentralbereiche wichtige Elemente der Geschäftsbereichsorganisation, da sie für den Gesamtzusammenhang des Unternehmens notwendig sind.1016 Sie unterstützen in der Regel sowohl die einzelnen Geschäftsbereiche als auch die Unternehmensleitung bei der strategischen Steuerung des Gesamtunternehmens. Aus Sicht des Bildungsmanagements liegt eine Zentralisierung von Leistungsbereichen aufgrund von Größen- und Abstimmungsvorteilen im Zusammenhang mit dem Wunsch nach Beteiligung bei der Strategieentwicklung
1011
Vgl. auch Scholz, 2000, S. 199.
1012
Vgl. hierzu und im Folgenden Wunderer/Arx, 2002, insb. S. 81 ff.
1013
Scholz, 2000, S. 199.
1014
Drumm, 2000, S. 72.
1015
Drumm, 2000, S. 73.
1016
Vgl. Gomez/Zimmermann, 1999, S. 182.
Theoretische Exploration
176
nahe.1017 Die Zentralbereiche können sowohl der Unternehmensleitung direkt unterstellt sein, als auch als relativ eigenständige Dienstleistungsbereiche ergebnisorientiert geführt werden.1018 „Es ist dann jeweils zu klären, ob diese Bereiche als interne Dienstleister mit oder ohne Abnahmezwang auf Seiten der Geschäftsbereiche, als Regulierer mit Eingriffsrechten oder als Berater (Stäbe) der Leitung bzw. Geschäftsbereiche auftreten.“1019 Im Zusammenhang mit der Frage der Strukturgestaltung besteht auch die Möglichkeit des Outsourcings (externes Marktmodell). Dabei wird das Bildungsmanagement oder Teilfunktionen daraus entweder durch Übertragung auf Unternehmensexterne auslagert oder extern bezogen.1020 Die Ausgliederung von Teilfunktionen erfolgt meist aufgrund der Spezifität der Aufgabe. Betriebsindividuelle, strategisch bedeutsame Aufgaben werden eher selten fremd bezogen. Dahingegen bietet sich ein Outsourcing eher an bei standardisierbaren und weniger strategisch bedeutsamen Aktivitäten, d. h. bei „Routineaufgaben, die in ihrer Erledigungsgüte leicht prüfbar sind, bei denen economies of scale möglich sind, die eigene MitarbeiterInnen nicht gleichmäßig auslasten und bei denen kein unternehmensspezifisches Know-how preisgegeben wird“1021.1022 Berthel und Becker weisen im Zusammenhang mit der Auslagerung von Personalleistungen darauf hin, dass diese „nicht als Wunsch nach einer Auflösung der Personalabteilung interpretiert werden [soll], sondern vielmehr als Möglichkeit, die Kapazitäten der im Personalbereich Beschäftigten künftig auf die strategischen, wertschöpfenden Funktionen zu konzentrieren und so ein zeitgemäßes, kundenorientiertes und effektives Personalmanagement zu gewährleisten“1023.1024
1017
Daneben begründen z. B. Größenvorteile, Teilbarkeitsprobleme und Koordinierungsvorteile eine Zentralisierung von Teilbereichen im Rahmen der Geschäftsbereichsorganisation (vgl. Picot/ Dietl/Frank, 2005, S. 305 f.).
1018
Vgl. Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 306; Kieser/Kubicek, 1992, S. 236 ff. In diesem Zusammenhang ist noch eine weitere Beobachtung auf Deutschland bezogen relevant. Im MontnMitbestG und im MitbestG von 1976 ist festgelegt, dass es in mitbestimmungspflichtigen Unternehmen einen zentralen Arbeitsdirektor gibt, der für Personalfragen zuständig ist. Aus diesem Grund sehen sich viele Unternehmen z. B. gezwungen, einen Zentralbereich Personal einzurichten (vgl. Picot/ Dietl/Frank, 2005, S. 305).
1019
Picot/Dietl/Frank, 2005, S. 305.
1020
Zum Outsourcing des Bildungsmanagements vgl. Euler, 2004, S. 44; Grüner, 2000, S. 81. Allgemeiner vgl. beispielsweise Grochla, 1982, S. 231; Drumm, 2000, S. 73 ff.
1021
Neuberger, 1997a, S. 169.
1022
Vgl. auch Berthel/Becker, 2003, S. 491 f.
1023
Berthel/Becker, 2003, S. 491.
1024
Vgl. daneben Cooke/Shen/McBriede, 2005.
Strategische Ebene
177
Der Vorteil einer Fremdvergabe von Standardmaßnahmen kann u. a. darin gesehen werden, dass durch Aufträge an externe Anbieter flexibler auf Anforderungsänderungen reagiert werden kann als durch den Aufbau interner Kapazitäten. Daneben besteht aufgrund des Outsourcings die Möglichkeit, sich intern auf Kernaktivitäten zu konzentrieren. Ein Nachteil der Fremdvergabe liegt in der Notwendigkeit, nicht auf den Unternehmensbedarf angepasste Leistungen modifizieren und koordinieren zu müssen. Weitere Grenzen sind die häufig überhöhte Einschätzung des Einsparpotenzials, möglicherweise Informationsdefizite auf Seiten der externen Anbieter und das entstehende Abhängigkeitsverhältnis von diesen.1025 Outsourcing spielt allerdings derzeit für das Bildungsmanagement in Unternehmen im deutschsprachigen Raum eine eher untergeordnete Rolle. In der SCIL-Trendstudie kam ihm die geringste Bedeutsamkeit unter allen befragten Themengebieten zu.1026 Konkret beurteilten 49 % der Experten das Thema als gering bedeutsam, weitere 14 % als unwichtig. 40 % der Unternehmen haben allerdings bereits Bereiche des Bildungsmanagements ausgelagert. Dem entgegen werden 23 % das Thema aus momentaner Perspektive nie angehen. Interessanterweise schätzt nahezu die Hälfte derer, die ihre Bildungsangebote bereits extern vergeben haben, die Bedeutung des Themas als gering ein. Zu den Bereichen, die bereits ‚outgesourct’ wurden, zählen Standard-Angebote und Durchführung von Schulungen zu allgemeinen Themen. Einem Outsourcing steht nach Meinung der Experten die Tatsache entgegen, dass die Bildungsangebote z. T. zu spezifisch sind, um effektiv ausgelagert werden zu können oder auch, dass Kernkompetenzen und Prozesse intern behalten werden sollen. Diese Ergebnisse werden auch von einer 2005 von Kienbaum durchgeführten Studie bestätigt: HR-Outsourcing ist derzeit kein prioritäres Thema für die Personalfachleute. Für den überwiegenden Teil (76,7 %) der Firmen ist eine Diskussion, ob und welche Personalleistungen ausgelagert werden sollen, derzeit eher nicht relevant. Das Thema Outsourcing scheint momentan für die Experten nicht erfolgskritisch zu sein … Überraschend ist, dass nur 27,9 % der Unternehmen bereits bestimmte Teilleistungen der Personalarbeit an externe Dienstleister ausgelagert haben. Der Großteil der Unternehmen (72,1 %) betreibt kein Outsourcing.1027
1025
Vgl. Becker, M., 2002, S. 501, S. 511; Cooke/Shen/McBriede, 2005, S. 415.
1026
Vgl. hierzu und im Folgenden Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 39 f.
1027
Kienbaum, 2004, S. 22 f.
Theoretische Exploration
178
Damit ergibt sich im deutschsprachigen Raum eine Tendenz, die dem internationalen Trend entgegensteht – eine von ASTD und IBM 20051028 durchgeführte international angelegte Studie ergab einen Bedeutsamkeitsanstieg des Themas Outsourcing für die nächsten Jahre.1029
3.2.3.1.3.
Sonderform: Corporate University
Eine weitere Form der organisatorischen Einbettung des Themas Bildungsmanagement im Unternehmen ist die der Corporate University. Das Konzept der ‚Corporate University’ (CU) etablierte sich in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in den USA als Reaktion auf die immer größere Notwendigkeit des lebenslangen Lernens, der Globalisierung und der zunehmenden Probleme bei der Strategieumsetzung.1030 Ab Ende der 90er Jahre wurde das Konzept auch in den deutschsprachigen Ländern zunehmend adaptiert.1031 Entsprechend gründeten vor allem Großunternehmen in Ergänzung des Personalentwicklungsbereichs eine ‚University’, ‚Academy’ oder ‚Akademie’.1032 Diese stellt im Kern „eine innovative Lernarchitektur dar, die Personal- und Unternehmensentwicklung enger miteinander verzahnt und Lernprozesse in den Strategieprozess des Unternehmens integriert“1033. Allerdings unterscheidet sie sich grundsätzlich vom amerikanischen Konzept, indem die Zielsetzung
1028
Vgl. ASTD/IBM, 2005. Es ist hierbei offen, worauf die Unterschiedlichkeiten zurückzuführen sind.
1029
Auch Cooke weist auf einen Anstieg des Outsourcings des Human Resource Bereiches im englischsprachigen Raum und dabei in erster Linie des „training and management developments“ hin. Vgl. ausführlicher mit Verweisen auf weitere Forschungsarbeiten Cooke/Shen/ McBriede, 2005. Eine Erklärung dieser Unterschiedlichkeiten bedürfte näherer Forschung, die in dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Vernon et al. weisen außerdem darauf hin, dass die Entscheidung von Organisationen für oder gegen ein Outsourcing nicht immer rational getroffen wird (vgl. Vernon et al., 2000).
1030
Die erste Corporate University wurde bereits 1955 mit der Gründung von General Electric’s Crotonville ins Leben gerufen (vgl. Meister, 1998, S. IX). Daneben gilt die Corporate University von Motorola, 1981 gegründet, als eine der ersten Vorbilder. Die Neugründung von Corporate Universities hat allerdings erst Ende der 80er Jahre kontinuierlich zugenommen. So wurde die Zahl der Corporate University zu diesem Zeitpunkt auf ca. 400 geschätzt, zehn Jahre später lag dieser Wert bei über 1000 (vgl. Seufert/Glotz, 2002, S. 32; Münch, 2002).
1031
Zu den ersten Corporate Universities zählten die Lufthansa Business School, die DaimlerChrysler Corporate University und die Deutsche Bank University. Im Frühjahr 2002 gab es in Deutschland mehr als 80 Corporate Universities (vgl. Münch, 2002; Seufert/Glotz, 2002, S. 32).
1032
Die Begriffsverwendung Corporate University konnte sich zumindest in Deutschland nicht durchsetzen. Nahezu die Hälfte der Unternehmen mit Corporate Universities bezeichnen diese als ‚Academy’ oder ‚Akademie’ (vgl. BMBF, 2002, S. 25).
1033
BMBF, 2002, S. 2.
Strategische Ebene
179
im deutschsprachigen Raum stärker auf die Unterstützung strategischen und organisatorischen Wandels ausgerichtet ist, die Größe der CU meist deutlich kleiner ist als die ihrer amerikanischen Vorbilder und die Zusammenarbeit mit Universitäten eine größere Rolle spielt.1034 Das Spannungsfeld der Ausgestaltung ist dennoch sehr weit angelegt. Jedes einzelne Unternehmen hat eigene Vorstellungen von der Ausrichtung seiner Corporate University und setzt entsprechend eigene Akzente.1035 Die Ausgestaltung kann allerdings durch verschiedene Dimensionen konkretisiert werden.1036 So lassen sich Corporate Universities danach unterscheiden, ob sie stärker auf individuelles oder organisationales Lernen zielen und entsprechend eher das Lernen oder rein ökonomische Aspekte in den Vordergrund stellen. Eine weitere Unterscheidung ist entsprechend der Frage möglich, ob sie mehr den strukturellen bzw. kulturellen oder den strategischen Wandel unterstützen. Bezogen auf das Thema Strategie ist es sowohl denkbar, dass die CU als Strategieimplementierer fungiert als auch die Strategieentwicklung im Fokus hat. Der Teilnehmerkreis ist ebenfalls sehr unterschiedlich, zum Teil dürfen nur ausgewählte Teilnehmer (z. B. Führungskräfte, oberstes Management) die Angebote der CU nutzen, es ist aber auch eine breit angelegte Zielgruppe denkbar.1037 Corporate Universities kooperieren häufig mit ‚traditionellen’ Universitäten und Business Schools.1038 Die Bandbreite der Beteiligung schwankt jedoch sehr stark. Ein weiteres Unterscheidungskriterium ist die vorherrschende Kommunikationsform, auf die sich die CU konzentriert. So sind unterschiedliche Formen von traditioneller ‚Faceto-Face’-Vermittlung bis hin zu einem virtuellen Angebot möglich.1039 Seufert und
1034
Entsprechend konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf deutschsprachige Literatur. Für einen Überblick über Corporate Universities im amerikanischen Raum sei auf das Grundlagenwerk von Meister (vgl. Meister, 1998) und die jährlich stattfindende Benchmarkanalyse des Beratungsunternehmens Corporate University Xchange (siehe www.corpu.com) verwiesen.
1035
Münch beschreibt dies wie folgt: „Eine (ausschnitthafte) weitere Präzisierung der Aufgabenund Zielstrukturen der Corporate Universities würde zu dem Ergebnis führen, dass nicht zwei Corporate Universities wenigstens annäherungsweise einander gleichen …“ (Münch, 2002); vgl. daneben Jumpertz, 2003.
1036
Vgl. hierzu und im Folgenden BMBF, 2002, S. 3 ff.
1037
In zwei Drittel der Corporate Universities in Deutschland gehören das Top-Management und/ oder Nachwuchsführungskräfte zur eingeschränkten Zielgruppe. Hierin ergibt sich der Unterschied zu amerikanischen Corporate Universities, die sich in der Mehrheit an alle Mitarbeitenden richten (vgl. BMBF, 2002, S. 29 f.; Münch, 2002; Jumpertz, 2003, S. 90).
1038
Vgl. detailliert zum Verhältnis von Corporate Universities und ‚traditionellen’ Universitäten BMBF, 2002, S. 11 ff.
1039
Vgl. ausführlich zu den einzelnen Dimensionen BMBF, 2002, S. 3 ff.
Theoretische Exploration
180
Gering
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Vision
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Curriculum
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Strategische Ausrichtung
Glotz1040 unterscheiden im Rahmen ihres CU-Rasters (vgl. Abbildung 26) zusätzlich noch die Bereiche Lehr-Lernformen, Curriculum und organisatorische Einbettung.
Abbildung 26: CU-Raster zur Einordnung und Beschreibung von Corporate Universities nach Seufert und Glotz (Seufert/Glotz, 2002, S. 35)
Bezogen auf die organisatorische und finanzielle Einbettung lässt sich die Integration in existierende Strukturen von der Ausrichtung als Profit-Center und diese von der Einrichtung der Corporate University in einer organisatorisch exponierten Positionierung, d. h. beispielsweise in direkter Anbindung an die Position des Vorstandsvorsitzenden, abgrenzen.1041 In der bereits angesprochenen Studie des BMBF zeigte es sich, dass Corporate Universities meist in das Gesamtunternehmen integriert sind und keine eigene Rechtsform haben.1042 Innerhalb des Unternehmens sind sie in der Regel der Personalabteilung bzw. dem Bereich Human Ressource Management unterstellt.
1040
Vgl. Seufert/Glotz, 2002.
1041
Vgl. detaillierter Seufert/Glotz, 2002, S. 36 f.
1042
Dies trifft auf 90 % der im Rahmen der BMBF-Studie befragten Unternehmen zu (vgl. BMBF, 2002, S. 38; daneben auch Jumpertz, 2003).
Strategische Ebene
181
Dennoch kommt dem Vorstand eine bedeutende Rolle zu, da in ihm der entscheidende Erfolgsfaktor für die Corporate University gesehen wird.1043 Er fungiert als Sponsor bzw. Mentor und/oder als Referent. In mehr als der Hälfte deutscher Corporate Universities nehmen die Vorstände selbst an Programmen ihrer Corporate University teil und sind gleichzeitig Aufsichtsinstanzen.1044 Insgesamt betrachtet erhält das Thema Bildung und dessen Ausrichtung nach Seufert und Glotz unter „dem begrifflichen Markenzeichen einer ‚Firmenuniversität’ … einen höheren Stellenwert“1045. Denn durch die Verwendung der ‚Universitäts-Metapher’ können firmenintern Assoziationen geweckt werden, die den Stellenwert von Bildung im Unternehmen erhöhen. So sind die Bildungsangebote von Universitäten grundsätzlich nur für eine privilegierte Zielgruppe zugänglich. Gleichzeitig wird mit Universitäten ein qualitativ hochwertiges Bildungsangebot verbunden, was mit der hohen Reputation der Universitäten auf dem Bildungssektor zusammenhängt. Daneben kommt mit dem Begriff Universität auch zum Ausdruck, dass es sich um eine Begegnungsstätte handelt, an dem Austausch und Diskussionen stattfinden, wo aber auch Offenheit für Neues herrscht und gegenseitiges Lernen gefördert und gepflegt wird. So werden auch an Corporate Universities häufig Prozesse der Netzwerkbildung und Sozialisierungsprozesse gepflegt (z. B. durch Alumni-Treffen). Daneben stehen mit dem Begriff Universität kulturelle Werte und deren Vermittlung im Zusammenhang, was in der Folge zu einem stärkeren Zugehörigkeitsgefühl beitragen kann.1046 Weiter sind an Universitäten alle Bildungsangebote unter einem Dach vereint. Entsprechend stellen Corporate Universities ebenfalls zentralisierte Dachorganisationen dar, die als zentrale Anlaufstelle für unternehmenseigene Bildungsprodukte fungieren, als Instrument zur Kulturbildung im Unternehmen Werte und Handlungsrahmen einheitlich transportieren, als Motor für Veränderung und Innovation dienen und wichtige umfassende Initiativen im Unternehmen koordinierend begleiten.1047 Dabei wird die organisatorische An-/Einbindung in die Unternehmensspitze von Münch als „entscheidende Voraussetzung für eine wirksame
1043
Vgl. Jumpertz, 2003, S. 94.
1044
Vgl. BMBF, 2002, S. 38 f.; Münch, 2002.
1045
Seufert/Glotz, 2002, S. 14.
1046
Die Aussage „Ich studiere an unserer Firmenuniversität“ hat einen anderen Stellenwert als die Aussage, an einem Kurs des eigenen Unternehmens teilgenommen zu haben (vgl. Seufert/ Glotz, 2002, S. 19).
1047
Vgl. Seufert/Glotz, 2002, S. 20 f.
Theoretische Exploration
182
Verknüpfung unternehmensstrategischer Ziele mit allen nur denkbaren Qualifizierungs- und Change-Management-Prozessen“1048 gesehen. Diese starke Fokussierung auf Strategie und Management ist das Spezifische an den Corporate Universities im deutschsprachigen Raum und zeigt sich auch in deren Gründungsmotiven.1049 In der 2002 vom BMBF durchgeführten Studie gaben die 43 befragten Unternehmen folgende Motive an: Entwicklung Management
37
Strategieverbreitung
32
Anreiz Leistungsträger
23
Change-Prozesse
21
Wissensmanagement
20
Integration Lernen&Geschäft
19
Bildungsintegration
19
Internationalisierungsprozess
16
Stellenwert Lernen
15
Lernen mit IT
11
Post-Merger-Integration
11
Imagepflege
4
Bildungsangebot Unis
3
andere Angaben
11 0
10
20
30
40
Abbildung 27: Gründungsmotive von Corporate Universities (vgl. BMBF, 2002, S. 25)
Neben der Qualifizierung von Mitarbeitenden, der Nutzung von Synergien, der Standardisierung von Kernkompetenzen und der Kulturbildung geht es also insbesondere um die Implementierung strategischer Initiativen.1050 Corporate Universities sind nicht nur Orte zur Bereicherung und Pflege des intellektuellen Kapitals (durch das Angebot von Management-Programmen und entsprechenden Ausbildungen), sondern sie sind auch Orte, an denen Dialoge zur strategischen Reflexion stattfinden.1051 Allerdings passiert nur in einer geringen Zahl von Unternehmen die Strategieentwicklung auch in der Corporate University.1052
1048
Münch, 2002.
1049
Vgl. zum Themenzusammenhang Corporate University und Strategie Nicolai/Hilde, 2002.
1050
Vgl. Neumann, 1999, S. 22.
1051
Daneben bieten Corporate Universities auch die Plattform zur strukturellen und technologischen Reflexion. Vgl. Sattelberger, 1999, S. 350.
1052
Vgl. BMBF, 2002, S. 27 ff.; Jumpertz, 2003.
Strategische Ebene
183
3.2.3.2. Interne Organisation: Rollen- und Selbstverständnis der Bildungsmanager/des Bildungsmanagements Neben der Frage nach der Organisationsform ist im Zusammenhang mit der Strukturgestaltung des Bildungsmanagements auch die interne Organisation des Bereichs relevant. In Anlehnung an Euler1053 wird hierzu bei der Rollenfixierung1054 des Bildungspersonals angesetzt. Daneben werden die (Rollen-)Bezeichnungen der im Bildungsmanagement Tätigen und das Selbstverständnis des Bildungsmanagements thematisiert.1055 Arnold und Müller1056 untersuchten Anfang der 90er Jahre im Rahmen eines BMBWProjekts intensiv die Rolle des betrieblichen Weiterbildners. Im Ergebnis unterscheiden sie zwei Gruppen von Weiterbildungsakteuren: als Kerngruppe die „ständigen und fest angestellten Weiterbildner der Weiterbildungsabteilung eines Unternehmens“1057 und als Peripher- bzw. Satellitengruppe diejenigen Weiterbildner, die nur zeitweise bzw. auf Honorarbasis für die Weiterbildungsabteilung tätig sind.1058 Im Rahmen der Kerngruppe können insbesondere die Rollen des Bildungsmanagers, Trainers und Seminarleiters unterschieden werden.1059
1053
Vgl. Euler, 2004.
1054
Vgl. allgemein zum Begriff Rolle und den damit verbundenen Implikationen Kapitel 3.2.2.5.
1055
„Während die Begriffsverwendung einen Aspekt der Kultur bezeichnet, bieten die mit den Begriffen verbundenen Rollenprofile einen wesentlichen Hinweis auf die interne Differenzierung in diesem Tätigkeitsfeld“ (Euler, 2004, S. 44). Aufgrund der engen Zusammenhänge werden beide Aspekte hier aufgegriffen. Dies wäre allerdings auch im Kapitel Kultur möglich gewesen. In diesem Zusammenhang wird, wie bereits angesprochen, deutlich, dass Strategie, Kultur und Struktur keine klar voneinander abgrenzbaren Bereiche sind, sondern starke Wechselwirkungen und Vernetzungen der Themen bestehen.
1056
Vgl. Arnold/Müller, 1992; Arnold/Müller, 1999.
1057
Arnold/Müller, 1992, S. 36.
1058
Vgl. Arnold/Müller, 1999, S. 6. Die Peripher- bzw. Satellitengruppe wird im Folgenden nicht weiter behandelt, da eine detailliertere Betrachtung dieser Gruppe für den Erkenntnisgewinn im Rahmen der Arbeit einen weniger relevanten Beitrag leisten würde. Vgl. ausführlicher zur Peripher- bzw. Satellitengruppe Arnold/Müller, 1999, S. 14 ff.
1059
Im Detail differenzieren sie diese wie folgt weiter aus: Seminarleiter mit BildungsmanagementFunktion, Seminarleiter mit Trainingsfunktion, nebenberufliche interne Weiterbildner, nebenberufliche externe Weiterbildner und hauptberufliche externe Trainer. Vgl. hierzu ausführlicher Arnold/Müller, 1992; Arnold/Müller, 1999, S. 6 ff.
Theoretische Exploration
184
Formal betrachtet ist die Berufsrolle des Bildungsmanagers die hierarchisch am höchsten angesiedelte Position.1060 Diese Bedeutung unterstreichen Titel wie beispielsweise ‚Leiter des betrieblichen Fort- und Weiterbildungswesens’, ‚Leiter der fachlichen Weiterbildung’, ‚Leiter der kaufmännischen Bildung’. Als inhaltliche Aufgaben steht die Vertretung der Weiterbildungsabteilung innerhalb und außerhalb des Unternehmens im Mittelpunkt – darin eingeschlossen sind Tätigkeiten wie Budgetverantwortung, Programmentscheidungen und Bildungsmarketing. Allerdings wird im Rahmen der Studie auch darauf hingewiesen, dass die bildungsstrategisch äußerst bedeutsamen Gestaltungsaufgaben auf makrodidaktischer und konzeptioneller Ebene nicht darüber hinwegtäuschen können, dass die Berufswirklichkeit des Bildungsmanagers zum Zeitpunkt der Untersuchung zu einem großen Teil aus administrativverwaltenden Tätigkeiten besteht.1061 Vom Bildungsmanager unterscheiden Arnold und Müller1062 die Rolle des Trainers, der sich hauptberuflich mit der Gestaltung und Durchführung von Weiterbildung befasst. Dazu zählen Aufgaben wie die Bildungsbedarfsanalyse, didaktisch-methodische Planung, Durchführung der Weiterbildung, Transferförderung, Evaluation und Weiterentwicklung der Seminarkonzepte, aber auch Beratungsaufgaben im Rahmen von Organisationsentwicklungsmaßnahmen. Als Derivat-Rolle bezeichnen sie die des Seminarleiters. Bei Seminaren, die von externen Trainern durchgeführt werden, besteht die Notwendigkeit eines internen Ansprechpartners und Betreuers. Seminarleiter übernehmen eine Art ‚Adapter-Funktion’ zwischen Teilnehmenden und externen Trainern. Zu ihren Aufgaben zählen daher sämtliche von der eigentlichen didaktisch-methodischen Gestaltung abtrennbaren organisatorischen Aufgaben der Vorbereitung, Begleitung und Nachbetreuung des Trainers und der Seminargruppe. Damit übernimmt der Seminarleiter sowohl Trainer- als auch Bildungsmanagementfunktionen, allerdings sind diese von vergleichsweise geringer Komplexität und erfordern weniger Erfahrung als die beiden originären Rollen.1063 Im Überblick differenzieren Arnold und Müller die drei Rollen wie folgt aus:
1060
In der Regel ist sie auf der Ebene eines Hauptabteilungsleiters angesiedelt.
1061
Vgl. Arnold/Müller, 1992, S. 37; Arnold/Müller, 1999, S. 8 f.
1062
Vgl. Arnold/Müller, 1992, S. 37; Arnold/Müller, 1999, S. 9 f.
1063
Vgl. Arnold/Müller, 1992, S. 37 f.; Arnold/Müller, 1999, S. 10 ff.
Strategische Ebene
Rolle
185
Bildungsmanager
Seminarleiter
Trainer
80-100 %
50 %
25 % und weniger
Seminarleitung
0-20 %
40-50 %
15-35 %
Training
0-5 %
bis zu 5 %
40-60 %
Bildungsmanagement
Tätigkeitsschwerpunkte
- Bedarfsanalyse - Kostenanalyse - Betriebsinterne Darstellung der Weiterbildung - Organisation
-
Programmplanung Programmverwaltung Konzeption Materialerstellung Auswahl interner und externer Lehrkräfte - Erfolgskontrolle - Transfersicherung - Moderation
-
Bedarfsanalyse Konzeption Materialerstellung Moderation Training
Abbildung 28: Rollen der Weiterbildner in Unternehmen nach Arnold und Müller (in Anlehnung an Arnold/Müller, 1992, S. 39)
Euler1064 bezieht sich in einer Veröffentlichung zum Bildungsmanagement 2004 auf diese Rollendifferenzierung und unterscheidet Bildungsmanagement, Seminarleitungspersonal und Lehrpersonal. Während die Hauptaufgabe der Seminarleiter in der didaktischen Planung und Auswertung von Bildungsmaßnahmen liegt und das Lehrpersonal vor allem mit der Durchführung der Maßnahmen betraut ist, sind Bildungsmanager auch in die normative Orientierung und strategische Entwicklung einbezogen. In den letzten zwanzig Jahren lässt sich ein deutlicher Wandel in den genannten Berufsrollen feststellen. Während beispielsweise Ende der 90er Jahre die eigene Unterrichtstätigkeit von Bildungsmanagern zunehmend rückläufig war, hat zu der Zeit die Bedeutung der Rolle des Seminarleiters zugenommen.1065 Daneben kam die ehemals dominierende Bezeichnung ‚Trainer’ in Stellenprofilen immer seltener vor, dafür zunehmend die des Personalentwicklers.1066 Der Wandel zeigt sich aber nicht nur in der Rollenbezeichnung, sondern auch in den Anforderungen an die Rollen und den damit verbundenen Aufgaben.1067 Der Aufgabenbereich der im Bildungsmanagement
1064
Vgl. Euler, 2004, S. 44.
1065
Vgl. Arnold/Krämer-Stürzl/Müller, 1998, S. 135 ff.
1066
Vgl. Bußmann, 1998, S. 42.
1067
Vgl. beispielsweise Becker, M., 2002, S. 496; bezogen auf Personalleiter Jäger, E., 2006.
Theoretische Exploration
186
Tätigen wird „unübersehbar“ erweitert und kann nicht mehr nur mit dem „traditionellen pädagogischen Blick“ erfasst werden.1068 Durch die Übernahme von Managementfunktionen umfasst der Verantwortungsbereich der Bildungsmanager weit mehr als die Vermittlung fachlicher Seminarinhalte. Es geht nicht mehr nur um die Verwaltung des Bildungsprogramms und die Steuerung von Seminaren, sondern vielmehr um die Nutzung der Lernbereitschaft, die Vergrößerung der Lernwirksamkeit und insbesondere auch um die Verbindung von Bildungsprozessen mit den unternehmensübergreifenden Managementprozessen des Unternehmens, d. h. um die Gestaltung, Entwicklung und Lenkung von Bildung im Unternehmen.1069 Auf ähnliche Weise verändert sich die Rolle des Seminarleitungsund Lehrpersonals.1070 Dies lässt sich durch einen Übertrag der Erkenntnisse von Wunderer und Dick1071 zum Personalmanagement weiter ausführen. Wunderer und Dick stellen die Neuverteilung der Personalarbeit heraus, indem Unternehmensleitung und Führungskräfte in der Zukunft vermehrt Personalmanagementaufgaben übernehmen und zentrale sowie komplexe Aufgabenfelder wie Kulturgestaltung, Personalentwicklung oder Wissensmanagement zunehmend auf mehrere Träger verteilt werden. Neben dem allgemeinen Management kommt den Führungskräften im Unternehmen wie in Kapitel 3.2.2.5 beschrieben, eine wichtige Rolle zu. Die Aufgabe der Bildungsmanager im engeren Sinn ist es, als Prozessbegleiter, Berater oder Coach die jeweiligen Akteure in ihrem Handeln zu unterstützen und sie in das Management der Bildungsprozesse zu integrieren.1072 Das Seminarleitungs- und Lehrpersonal muss sich darauf einstellen, dass Führungskräfte vermehrt Trainerfunktionen übernehmen. Damit werden die Aufgaben der im Bildungsmanagement Tätigen zunehmend komplexer und die Anforderungen an sie steigen. Das durch Ulrich1073 Mitte der 90er Jahre im Bereich HR bekannt gewordene Konzept des „HR Business Partners“ sieht diesen entsprechend gleichzeitig in vier unterschiedlichen Rollen: „Strategic Partner“, „Change Agent“, „Administrative Expert“ und „Employee
1068
Arnold et al. weisen darauf hin, dass diese Entwicklung im Kontext einer entschulungsorientierten Entwicklung der betrieblichen Bildung steht und sich daraus eine eigenständige Professionalisierungs- und Personalentwicklungskonzeption ableiten lässt. Vgl. Arnold/Krämer-Stürzl/ Müller, 1998, S. 136 ff.
1069
Vgl. Pieler, 2003, S. 160; Arnold, 1994, S. 292; Arnold/Krämer-Stürzl/Müller, 1998, S. 136.
1070
Vgl. Becker, M., 2002, S. 496 f.
1071
Vgl. Wunderer/Dick, 2002, insbesondere S. 202 ff.
1072
Vgl. hierzu beispielsweise Becker, M., 2002, S. 468 ff.; Fröhlich, 1997, S. 304 f.
1073
Vgl. ausführlich Ulrich, D., 1997.
Strategische Ebene
187
Champion“. Der Business Partner steht an der Schnittstelle zwischen HR und Linie, ist ein Partner, der auf gleicher Augenhöhe agiert und eine weniger gestaltende als vielmehr ausführende Rolle inne hat.1074 Inzwischen haben Ulrich und Beatty1075 das Konzept weiterentwickelt und fordern nun von den Verantwortlichen, sechs je nach Kontext unterschiedlichen Rollen gerecht zu werden: „Coach, Leader, Conscience, Facilitator, Builder, Architect“. Mit den Rollenanforderungen bzw. dem Rollenverständnis, welches von Außen an das Bildungsmanagement/die im Bildungsmanagement Tätigen herangetragen wird, hängt das eigene Selbstverständnis eng zusammen.1076 Das Selbstverständnis kann sich z. B. in der eigenen Funktionsbezeichnung der im Bildungsmanagement Tätigen oder in der Bezeichnung der funktionalen Einheit widerspiegeln. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es keine einheitlich verwendeten, klaren Berufsbezeichnungen gibt und die Benennungen für die im Bildungsmanagement Tätigen sehr vielfältig sind.1077 Im Rahmen einer Analyse von 574 Stellenanzeigen im Bereich der Weiterbildung im Jahr 1997 wurden beispielsweise 55 unterschiedliche Begriffe ausgemacht, wobei bis dahin weit verbreitete Bezeichnungen wie Personalentwickler oder Trainer nicht einmal eine Häufigkeit von 20 % erlangten, die meisten anderen nicht einmal 10 %.1078 „Bildungsverantwortliche bezeichnen sich ungern als Pädagogen, eher schon als Trainer, Tutoren oder Coachs, am liebsten jedoch als performance consultant, human resources manager, commitment builder, staff developer, career counsellor, change pilot, change agent“1079. Im amerikanischen Raum ist daneben Mitte der 90er Jahre der Begriff „Chief Learning Officer“ (CLO)1080 etabliert worden.1081 In einer 2006 von der American Society of Training and Development und der University of Pennsylvania
1074
Das Konzept des ‚Business Partners’ wurde insbesondere in den 90er Jahren in der Literatur verstärkt diskutiert. Vgl. beispielsweise Beatty/Schneier, 1997; Sattelberger, 1999; Ulrich, D./ Beatty, 2001; Ulrich, D./Lake, 1990 daneben Classen/Kern, 2006 und aus der Praxisperspektive Sattelberger, 2006; Flothow/Fedder, 2006; Böcker, 2006.
1075
Vgl. ausführlich Ulrich, D./Beatty, 2001.
1076
Vgl. hierzu auch Becker, M., 2002, S. 497.
1077
Vgl. Kraft, 2006, S. 26.
1078
Vgl. Bußmann, 1998, S. 20.
1079
Euler, 2004, S. 44.
1080
Vgl. ausführlicher Sugrue/Lynch, 2006; Gloger, 2006; Baldwin/Danielson, 2000.
1081
Steve Kerr, Leiter der CU von General Electric wollte seine Arbeit aufwerten lassen und hat sich zusammen mit dem damaligen Firmenchef Jack Welch auf diese Begriffsbezeichnung geeinigt. Vgl. Gloger, 2006, S. 75; Sugrue/Lynch, 2006, S. 51.
Theoretische Exploration
188
durchgeführten Studie1082 gaben die Lernverantwortlichen als ihre Aufgabe die Strategieentwicklung und -planung und die Kommunikation mit den oberen Führungskräften an. Interessanterweise ist allerdings festzustellen, dass obwohl die Autoren der Studie alle Befragten unter dem Begriff ‚CLO’ zusammenfassten, lediglich 15 % diesen Titel auch nutzen. Mehr als 80 % nennen sich ‚director or vice president of learning or training’. In den deutschsprachigen Ländern ist der Titel des ‚CLO’ ebenfalls nur sehr selten vertreten.1083 Bei allen Berufsbezeichnungen ist zu beachten, dass diese z. T. sehr bewusst gewählt werden (können), um die Akzeptanz beispielsweise in der Zusammenarbeit mit Führungskräften und Mitarbeitenden sicherzustellen.1084 Schwuchow weist allerdings am Beispiel des CLO auch darauf hin, dass ein derartiger Titel „zunächst nicht mehr [ist] als ein schönes Etikett, … ob das Etikett Folgen hat, ist keineswegs sicher“1085. Damit wird die enge Verbindung zwischen dem Selbstverständnis des Bildungsmanagements bzw. der im Bildungsmanagement Tätigen und den an sie gestellten Rollenerwartungen deutlich. Beides steht in einer engen Wechselwirkung und lässt sich häufig nicht trennscharf von einander abgrenzen. Entsprechend hat die Wahl der Bezeichnungen nicht nur für das Selbstverständnis, sondern auch für die Rollenwahrnehmung und die Außenwirkung eine wesentliche Bedeutung. Sie signalisieren, was von der Abteilung und der in ihr Tätigen erwartet werden kann: „Names of functions indicate (or should indicate) the purpose of the function“1086. Funktionseinheiten, die ‚Bildungsabteilung’, ‚Trainingsabteilung’ oder ‚Abteilung Aus- und Weiterbildung’ heißen, konzentrieren die Erwartungen nach Becker1087 auf Angebote klassischer
1082
Vgl. ausführlich Sugrue/Lynch, 2006. Insgesamt erhielten sie auf ihre Umfrage Antworten von 153 Personen. 92 davon verantworteten Budgets mit mehr als 1 Mio. USD in Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden. Diese wurden zur weiteren Analyse herangezogen. Entsprechend beziehen sich die folgenden Ausagen auf diese Grundgesamtheit.
1083
Unternehmen mit einem CLO sind beispielsweise die Deutsche Bank AG, Sun Microsystems und DaimlerChrysler Financial ServiceS. Vgl. u. a. Gloger, 2006.
1084
So bezeichnet sich beispielsweise Mario Vaupel, der Leiter der Ergo Management Akademie als Coach von geschäftsorientierten Führungsprozessen, die Mitarbeiter seines Teams heißen Bildungsmanager. Diese Wortwahl wurde bewusst gewählt, um Vorurteile zu vermeiden und sich auf den ersten Blick als Partner zu empfehlen (vgl. Gillies, 2004, S. 94). Weiter soll beispielsweise die Bennungen als ‚CLO’ den Titelinhaber auf eine Stufe mit dem ‚CFO’ oder dem ‚COO’ stellen und ihm sozusagen mit dem obersten Management eine „Kommunikation auf Augenhöhe“ ermöglichen (vgl. Gloger, 2006).
1085
Schwuchow in Gloger, 2006, S. 76.
1086
Robinson/Robinson, 1995, S. 283.
1087
Vgl. Becker, M., 2002, S. 494.
Strategische Ebene
189
Bildungsarbeit (Seminarangebot, Verwaltung der Auszubildenden, Beschaffung von Trainern für Fachthemen etc.). Er fordert entsprechend eine bewusste Wahl der Funktionsbezeichnung.1088 Neben der Diskussion um Rollen-/Funktionsbezeichnungen existieren in der Literatur kaum Beiträge zum Selbstverständnis des Bildungsmanagements direkt. Allerdings lassen sich aus dem verwandten Bereich des Personalmanagements Erkenntnisse für das Bildungsmanagement gewinnen. Im Rahmen der DGFP-Tagung im Juni 2006 in Wiesbaden wurde eine Plenumsbefragung durchgeführt1089; dabei wurde u. a. nachgefragt, wie die Anwesenden sich und ihre Aufgabe selbst sehen.1090 Von den antwortenden 260 Experten gaben 37 % an, dass sie sich in erster Linie als Berater der Führungskräfte verstehen. Daneben sehen sie sich als Ansprechpartner der Mitarbeiter (28 %) und als Umsetzer der Unternehmensstrategie (28 %). Über ein Viertel der Befragten (26 %) gab an, ein operativer Dienstleister zu sein. 20 % verstehen sich als Mitgestalter der Unternehmensstrategie. 10 % der Befragten gaben an, die Ordnungsfunktion im Unternehmen innezuhaben (vgl. in der Übersicht Abbildung 29).1091 Bezogen auf den gesamten DGFP-Kongress ‚Menschen stärken – Wert(e) bilden’ ist zusammenfassend festzuhalten, dass die im Bereich Bildung und Personalmanagement Tätigen ihre Rolle noch sehr verhalten als die des Strategieimplementierers und des Unterstützers sehen. Auch bezogen auf die Einbindung von Führungskräften in Bildungsprozesse äußerten sich viele verhalten, wenngleich sie die Relevanz nicht abstritten. Die Stellungnahmen der Unternehmensleiter, die nicht primär etwas mit dem Thema Bildung und Personal zu tun haben, waren deutlich stärker vereinbar mit dem in dieser Arbeit verwendeten Verständnis von Bildungsmanagement als diejenigen der direkt Betroffenen.1092
1088
Vgl. Becker, M., 2002, S. 494. Im Unternehmen L’Oréal wurden aus diesem Grund beispielsweise alle Weiterbildungsabteilungen weltweit umbenannt: Aus „Development and Training“ wurde „Learning for Development“, um von einer schulungsorientierten Sichtweise wegzukommen (vgl. Gillies, 2004, S. 95).
1089
Vgl. Bußmann, 2006.
1090
Es konnten maximal drei Ausprägungen angegeben werden.
1091
Auch die Ergebnisse des HR-Barometers 2004/06 des Beratungsunternehmens CapGemini gehen in eine ähnliche Richtung. Unter anderem antworteten 47 % der 150 Befragten auf die Frage, ob sie dem Anspruch als Business Partner der Unternehmensbereiche bereits gerecht werden, mit ‚noch nicht ausreichend’, 2 % mit ‚noch gar nicht’ (vgl. Classen/Kern/Juhasz, 2004, S. 17).
1092
Dies führt zu der Frage, aus welchen Gründen dieses Phänomen auftritt (Verlustängste etc.). Hierauf kann im Rahmen der Dissertation nicht näher eingegangen werden. Es soll aber auf den damit zusammenhängenden Forschungsbedarf verwiesen werden.
Theoretische Exploration
190
Träger der Ordnungsfunktion; 10% Mitgestalter der Unternehmensstrategie; 20%
Operativer Dienstleister; 26%
Berater der Führungskräfte; 37%
Umsetzer der Unternehmensstrategie; 28% Ansprechpartner der Mitarbeiter; 28%
Abbildung 29: Ergebnisse DGFP-Umfrage zum Selbstverständnis der Personalmanager
Im Rahmen der Umfrage auf der DGFP-Tagung wurde daneben der Frage nachgegangen, wie sich die zu bewältigenden Aufgaben im Personalmanagement in den letzten drei Jahren entwickelt haben. Mit großer Mehrheit (89 %) sagten die 260 beteiligten Experten, dass die Aufgaben anspruchsvoller geworden sind. Knapp die Hälfte (49 %) schätzt sie sogar als deutlich anspruchsvoller ein.1093 Die steigende Einbindung in Managementaufgaben und das deutlich gestiegene Anspruchsniveau verlangen nach Fleig1094 nach einer stärkeren Professionalisierung. Nach eigener Einschätzung der Experten ist das Personalmanagement in deutschen Unternehmen derzeit lediglich mittelmäßig professionell. Eine wirkliche Professionalität des Fachbereichs im Unternehmen wird nur sehr selten gesehen1095, aber häufig für die Zukunft gefordert.1096 Jochmann drückt dies wie folgt aus: „Derzeit herrscht im Bereich Kompetenz-
1093
‚Gleich anspruchsvoll’ gaben 8 % an, ‚tendenziell weniger anspruchvoll’ 2 % und ‚deutlich weniger anspruchsvoll’ 0 %. Vgl. Bußmann, 2006.
1094
Fleig (Personalvorstand und Arbeitsdirektor Daimler Chrysler AG und Vorsitzender des Vorstands DGFP) in der Zusammenfassung der Ergebnisse der Umfrage auf dem DGFP-Kongress.
1095
Konkret wurde angegeben (n=256): sehr professionell 3 %, ziemlich professionell 28 %, mittelmäßig professionell 57 %, wenig professionell 11 %, nicht professionell 1 %.
1096
Im Rahmen der Vorträge des DGFP-Kongresses wiesen hierauf beispielsweise Zetsche (Vorstandsvorsitzender der DaimlerChrysler AG) und Rust (Leiter Zentrales Personalmanagement Porsche AG) explizit hin.
Strategische Ebene
191
management eine Wüste bezogen auf Kompetenzmanagement“1097 und fordert damit einhergehend einen Ausbau der Kompetenz und eine zunehmende Professionalisierung.1098 Diese Forderung wird durch die Darstellungen im Zusammenhang mit den genannten Rollen(konzepten) unterstrichen. Die im Bildungsmanagement Tätigen müssen sich der Anforderungen der neuen Rollen bewusst und entsprechend fähig sein.1099 Dies bestätigen auch die Ergebnisse der SCIL-Trendstudie, wobei deutlich wurde, dass neben einem Veränderungsprozess der Führungskräfte eine Qualifikation des Bildungspersonals notwendig ist.1100 Daneben kann die Vielfalt der Berufsbezeichnungen – der ‚Begriffsdschungel’ – als Ausdruck eines ungeklärten Berufsprofils angesehen werden, das einer weiteren Professionalisierung bedarf.1101
3.2.3.3. Herausforderungen für das Bildungsmanagement aufgrund aktueller Trends in der Unternehmensorganisation Die in der Einführung bereits beschriebenen Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen im Unternehmensumfeld und die damit verbundenen Forderungen nach mehr Flexibilität und Innovationsfähigkeit im Unternehmen führen zu neuen Formen der Unternehmensorganisation. Wesentliche Herausforderungen ergeben sich für das Bildungsmanagement zum einen aus einer zunehmenden Modularisierung, Netzwerkbildung und Virtualisierung und zum anderen aus verstärkten Internationalisierungs- und Globalisierungstendenzen.
Modularisierung, Netzwerkbildung und Virtualisierung Reichwald und Möslein1102 unterscheiden entsprechend dem Ausmaß an Produktkomplexität und Marktunsicherheit drei Grundstrategien organisatorischer Innovation, die alle von der klassischen Organisationsform der Hierarchie wegführen: die Modularisierung, die Netzwerkbildung und die Virtualisierung (vgl. Abbildung 30).
1097
Jochmann: Vortrag „Personalmanagement im Strategieprozess des Unternehmens“, DGFPKongress „Menschen stärken – Wert(e) bilden“, 08.06.06, Forum 1.
1098
Vgl. zum Thema der Professionalisierung des Bildungsmanagements bzw. des Personalmanagements u. a. auch Wächter, 1995; Ringlstetter/Kniehl, 1995; Beyer/Metz, 1995; Freimuth, 1995.
1099
Zur Frage der Kompetenzanforderungen an die ‚neuen’ Bildungsmanager vgl. u. a. Harteis/ Prenzel, 1998; Bruch, T. v./Petersen, 1994; Fröhlich, 1997, S. 307.
1100
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 48 ff.; des Weiteren auch Fröhlich, 1997, S. 306 f.
1101
Vgl. Arnold/Müller, 1999, S. 18.
1102
Vgl. Reichwald/Möslein, 1997; Reichwald et al., 2000; Reichwald, 2002.
Theoretische Exploration
Marktunsicherheit
192
Vernetzte Organisation
Virtuelle Organisation
Hierarchie
Modulare Organis ation
Produktkomplexität
Abbildung 30: Organisationsstrategien als Antwort auf veränderte Rahmenbedingungen der Unternehmen (Reichwald, 2002, S. 2)
Modularisierung bedeutet „eine Restrukturierung der Unternehmensorganisation auf der Basis integrierter, kundenorientierter Prozesse in relativ kleine, überschaubare Einheiten (Module)“1103. Die wesentlichen Charakteristika modularisierter Unternehmen sind: Restrukturierung der Unternehmensorganisation, Ausrichtung an Prozessen, Kundenorientierung, Integriertheit der Aufgaben, Bildung kleiner Einheiten, dezentrale Entscheidungskompetenz, dezentrale Ergebnisverantwortung und nichthierarchische Koordinationsformen zwischen den modularen Einheiten.1104 Das Spektrum organisatorischer Modularisierungskonzepte reicht von der Gestaltung der Makroebene (Gesamtunternehmen) über die Mesoebene (Abteilungen bzw. Prozesse) bis zur Mikroebene (Arbeitsplatzgestaltung bzw. Arbeitsorganisation). Dabei ist es das gemeinsame Kennzeichen modularisierter Unternehmen, dass sie sich in zahlreiche, rechtlich selbstständige Profit-Center gliedern, deren Spitze eine verhältnismäßig kleine, koordinierende Zentralinstanz bildet.1105 Eine Modulbildung ist nach Geschäftsbereichen und Produkten, nach Regionen und lokalen Einzelmärkten und nach Kernkompetenzen möglich. Auf der Ebene der Prozessketten ist eine Modularisierung beispielsweise in Form einer Institutionalisierung von Geschäftsprozessen und
1103
Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 61 (im Original z. T. kursiv).
1104
Vgl. hierzu und im Folgenden ausführlich Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 214 ff.; Reichwald/ Möslein, 1997.
1105
Vgl. ausführlich Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 218 ff. Damit stellt sich auch hier die Frage nach dem entsprechenden Grad an (De-)Zentralisierung. Vgl. Kapitel 3.2.3.1.1.
Strategische Ebene
193
durch die Bildung von Projektinseln und Fertigungssegmenten denkbar. Die Bildung von vollintegrierten Arbeitsplätzen oder auch von teilautonomen Gruppen wären beispielhafte Folgen einer Modularisierung auf der Mikroebene.1106 Bei der Betrachtung der Modularisierungstendenzen aus der Sicht des Bildungsmanagements fällt auf, dass durch die mit der Modularisierung verbundene Aufgabenzusammenführung, der verstärkten Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeitenden und der Erhöhung ihres Handlungsspielraums eine Möglichkeit zur Arbeitsbereicherung und zu mehr Selbstverwirklichung gegeben ist.1107 Durch die zunehmende Selbstorganisation und -verantwortung sind die Mitarbeitenden im Unternehmen innerhalb der modularen Einheiten mit interessanteren, vielseitigeren und verantwortungsvolleren Aufgaben konfrontiert. Die den Maßnahmen zugrunde liegende Aufgabenintegration erfordert allerdings eine deutlich höhere und umfassendere Qualifikation der Mitarbeitenden.1108 Es zeigt sich, dass die Grundstrategie Modularisierung zum einen den Mitarbeitenden die Möglichkeit einer Persönlichkeitsentwicklung gibt, zum anderen aber auch der Personalentwicklung bedarf. Mit der Modularisierung geht der komplementäre Effekt der Netzwerkbildung einher und damit die Entwicklung zu vernetzten Strukturen und vernetzten Wertschöpfungsprozessen. Das, was zu früheren Zeiten aus dem Unternehmen ausgegliedert wurde, wird wieder aufgenommen und in das Netzwerk integriert: beispielsweise indem ein Unternehmen ein anderes rechtlich und wirtschaftlich selbstständiges Unternehmen in die Erfüllung seiner Aufgaben mit einbezieht. Traditionelle Unternehmensstrukturen und -grenzen lösen sich dadurch mehr und mehr auf. Um die aus einer möglichen Abhängigkeit entstehenden Gefahren zu reduzieren, wird in der Regel eine langfristige Vernetzung, die auf Vertrauen und gemeinsamen Werthaltungen basiert, angestrebt. Vertrauen und eine gemeinsame Wertbasis erleichtern und beschleunigen die Vereinbarung und Abwicklung von Transaktionen und damit die Zusammenarbeit.1109
1106
Vgl. ausführlich Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 218 ff.
1107
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 239; diese Aussage wird daneben gestützt durch empirische Untersuchungsergebnisse von Hackmann (vgl. Hackmann, 1969; Hackmann, 1977) und Herzberg (im Rahmen der Zwei-Faktoren-Theorie; vgl. Herzberg/Mausner/Snyderman, 1959).
1108
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 239 ff.
1109
Vgl. ausführlich Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 261 ff.; Reichwald/Möslein, 1997, S. 19 ff.; Gomez/Zimmermann, 1999, S. 92 ff.; Müller-Stewens, 1997a, S. 11 ff.; Tantzen, 2006, S. 17 ff.; Freygang, 1999.
Theoretische Exploration
194
Begründet werden kann ein Streben nach Netzwerkbildung u. a. mit der beobachtbaren Fokussierung von Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen.1110 Zur Realisierung der Wettbewerbsstrategie ist dann eine Kooperation mit anderen Unternehmen notwendig.1111 Daneben können Kooperationen zur Erweiterung der dem Unternehmen zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen beitragen. Unternehmensnetzwerke sind dabei nicht auf den regionalen Bereich beschränkt, sondern können auch globale Potentiale flexibel nutzen. Entsprechend vielfältige Formen der unternehmensübergreifenden Netzwerkbeziehungen gibt es: denkbar sind beispielsweise Wertschöpfungspartnerschaften, Joint Ventures, strategische Allianzen, fokale Unternehmen oder Keiretsu-Organisationen.1112 Für den Erfolg derartiger Kooperationen ist die Fähigkeit des Unternehmens zu unternehmensübergreifender Zusammenarbeit notwendig. Wenn nicht vorhanden, muss das Unternehmen diese Fähigkeit als „strategisches, Wettbewerbsvorteile ermöglichendes und sicherndes Potential aufbauen“1113. Gemeinsame Normen und Werte sowie gegenseitiges Vertrauen sind, wie bereits angesprochen, weitere kooperationserleichternde Faktoren.1114 Neben Modularisierung und Netzwerkbildung handelt es sich bei der Virtualisierung um die dritte Grundstrategie organisatorischer Innovation. „Virtuelle Unternehmen sind flüchtige Gebilde. Sie entstehen durch die aufgabenbezogene Vernetzung verteilter Organisationseinheiten, die an einem koordinierten arbeitsteiligen Wertschöpfungsprozess beteiligt sind.“1115 Virtuelle Unternehmen sind eine Art dynamisches Organisationsnetzwerk, welches durch eine individuelle Aufgabe bestimmt ist, eine prozessorientierte Struktur hat und nur von temporärem Bestand ist. Damit ist mit der Virtualisierung eine Tendenz weg von traditionellen ‚Palast-Organisationen’ hin zu hochflexiblen ‚Zelt-Organisationen’ feststellbar.1116 Die wesentlichen Charakteristika virtueller Unternehmen sind ihre Modularität, ihre Heterogenität und ihre räumliche und zeitliche Verteiltheit, die durch den Einsatz von Informations- und
1110
Vgl. hierzu z. B. Hamel/Prahalad, 1997; Prahalad/Hamel, 1990.
1111
Vgl. Bleicher, 1992.
1112
Zur Vielzahl unterschiedlicher Formen unternehmensübergreifender Netzwerkverbindungen vgl. Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 277 ff.; daneben Sydow, 1992; Jarillo, 1993; Schrader, 1993.
1113
Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 309.
1114
Wie in Kapitel 3.2.2.3 dargestellt, ist das Vertrauen auch eine für das Bildungsmanagement relevante Kulturdimension.
1115
Reichwald/Möslein, 1997, S. 21.
1116
Vgl. Bleicher, 2002, S. 866; daneben die Ausführungen in Kapitel 3.2.3.1.1.
Strategische Ebene
195
Kommunikationstechniken ermöglicht und unterstützt wird.1117 Als Weiterentwicklung von Netzwerkunternehmen bauen auch sie auf die Erfolgsfaktoren Vertrauen, geteilte Denk-/Arbeitsweise und Verantwortungsbewusstsein auf.1118 Virtuelle Unternehmen zeichnen sich weiter durch einen konsequent kompetenz- und aufgabenorientierten Ansatz der Organisationsgestaltung aus, in dem statische Zuständigkeitsabgrenzungen ebenso wie relativ dauerhafte Kompetenz- und Verantwortungszuordnungen zugunsten einer „dynamischen, anforderungsspezifischen Kompetenzallokation“1119 aufgegeben werden. Damit ist eine Entwicklung hin zu Formen kompetenz- und qualifikationsorientierter Arbeitsteilung verbunden.1120 Drumm weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch eine Virtualisierung von Funktionsfeldern wie dem Bildungsmanagement erreicht werden kann, wenn „Lernund Lehrort sowie Lehr- und Lernzeiten nicht identisch sind und deshalb der Lernstoff durch Medien zu anderen Lern- als Lehrzeiten an den Lernort gebracht werden muss“1121. Allerdings wird hier weniger die Organisationsstruktur als vielmehr der Prozess des Lernens virtualisiert.1122 Bezogen auf die Mitarbeiterebene bedeutet die Virtualisierung: „Much work will be done by ’empowered’ knowledge workers in ad hoc (temporary) multi-diciplinary teams“1123.1124 So weist Bruch1125 darauf hin, dass in letzter Instanz der gesamte Bereich der Personalentwicklung zu Gunsten einer Selbstförderung der Mitarbeitenden und damit zu Gunsten der Persönlichkeitsentwicklung aus dem Verantwortungsbereich des Unternehmens heraus fällt. In diesem
1117
Vgl. ausführlich Davidow/Malone, 1992; Tantzen, 2006, S. 44 ff.; Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 396 ff.; Müller-Stewens, 1997b.
1118
Vgl. Bruch, H., 1999, S. 97; daneben zu den Erfolgsfaktoren der Arbeit in virtuellen Teams Armutat, 2004.
1119
Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 428.
1120
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 428; Bruch, H., 1999; Neubauer/Rosemann, 2006, S. 166 ff. An dieser Stelle kann noch auf das Konzept der virtuellen Personalabteilung von Scholz verwiesen werden. Allerdings handelt es sich nach seiner eigenen Beurteilung dabei weniger um ein Organisationsmodell, als vielmehr um eine spezifische Philosophie einer zukunftsorientierten Personalarbeit (vgl. Scholz, 2000, S. 208 ff.; Scholz, 1999; Scholz, 1996; Scholz, 1995a). Nach Drumm hat das Konzept daneben bisher ausschließlich in der Literatur Niederschlag gefunden und ist mit vielen noch ungeklärten Problemen verbunden (vgl. Drumm, 2000, S. 70 f.). Aus diesem Grund wird hier nicht näher auf das Konzept eingegangen, sondern auf die relevante Literatur verwiesen.
1121
Drumm, 1998, S. 199.
1122
Vgl. Drumm, 1998, S. 199.
1123
Spencer/McClelland/Spencer, 1994, S. 35.
1124
Vgl. ausführlich zum Thema Arbeiten in virtuellen Strukturen DGFP, 2004.
1125
Vgl. Bruch, H., 1999, S. 118 f.
Theoretische Exploration
196
Zusammenhang gewinnen die bereits beschriebenen Rollenanforderungen an die Führungskraft eine noch gewichtigere Bedeutung. Es ist eine wesentliche Aufgabe der Führungskraft, Mitarbeiter und Teams „zu koordinieren sowie unterstützend zu beraten und zur Selbstführung zu befähigen“1126.1127
Internationalisierung und Globalisierung Eng mit den bereits angesprochenen organisatorischen Entwicklungen zusammenhängend ist ein weiterer Trend, mit dem sich das Bildungsmanagement in Unternehmen konfrontiert sieht.1128 Hierbei handelt es sich um eine verstärkte Internationalisierung und Globalisierung der Unternehmenstätigkeit.1129 Internationalisierung wird vom Begriffsverständnis her gleichgesetzt mit „nachhaltiger und für das Unternehmen insgesamt bedeutsamer Auslandstätigkeit“1130. Globalisierung meint eine Form der Internationalisierung, bei der ein weltumspannendes Netz der Unternehmenstätigkeit existiert bzw. geschaffen wird und Aktivitäten in allen Regionen der Erde stattfinden.1131 Die größten Industrieunternehmen der Welt sind entsprechend des internationalen Trends durch ein hohes Ausmaß ausländischer Direktinvestitionen und durch eine hohe Exporttätigkeit gekennzeichnet.1132 Entsprechend müssen „Unternehmen, die erfolgreich am internationalen Wettbewerb teilhaben wollen, … eine internationale Orientierung in ihren Managementaktivitäten entwickeln“1133. Diese bezieht sich auf alle Funktionsbereiche im Unternehmen und damit auf das Unternehmen als Ganzes.1134
1126
Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 461.
1127
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 460 ff., S. 483 ff.; Hofmann/Regnet, 2003, S. 679 ff.; Armutat, 2004 und Neubauer/Rosemann, 2006, S. 168 ff.; dies gilt in ähnlicher Weise auch bei Unternehmenskooperationen, vgl. Müller-Stewens, 1995.
1128
Vgl. z. B. Bleicher, 2002, der virtuelle Unternehmen als Motoren der Internationalisierung sieht.
1129
Krystek und Zur sehen darin eine der größten Herausforderungen für Unternehmen im 21. Jahrhundert (vgl. Krystek/Zur, 2002a, S. 7 ff.).
1130
Krystek/Zur, 2002a, S. 5.
1131
Damit ist Globalisierung die ‚extensivste Form’ unternehmerischer Betätigung auf dem Weltmarkt. Vgl. Krystek/Zur, 2002a, S. 5 f.; Steger/Kummer, 2002; Drumm, 2000, S. 695.
1132
Vgl. Weber et al., 2001, S. 6.
1133
Weber et al., 2001, S. 7.
1134
Vgl. Berger, R., 2002, S. 23. Dies betrifft sowohl Großunternehmen als auch KMUs, die in ähnlicher Weise von Internationalisierungstendenzen betroffen sind. Hierbei ist weiter anzumerken, dass auch Internationalisierungsbestrebungen von regiozentrischer Ausdehnung spezifische Probleme verursachen können und eine Herausforderung für Unternehmen und Unternehmensführung darstellen (vgl. Krystek/Zur, 2002a, S. 6). Siehe ausführlich zum Thema Internationalisierung und KMUs Eden, 2002.
Strategische Ebene
197
Wenn Probleme im Kontext der Internationalisierung des Unternehmens auftreten, so sind diese nach Duerr1135 im Grunde genommen immer durch Menschen verursacht. Dies passiert nicht willentlich, sondern aufgrund von Mängeln im Verständnis der wesentlichen Unterschiede.1136 Die im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement wesentlichsten Unterschiede ergeben sich durch eine Verschiedenartigkeit der Kulturen und Wertesysteme. Dadurch, dass sich nur schwer eine gemeinsame Wertebasis herausbilden kann, wird das Handeln im Rahmen der internationalen Geschäftstätigkeiten erschwert, was zu den angesprochenen Problemen führen kann.1137 Wichtig ist es allerdings, festzuhalten, dass es im Rahmen der Internationalisierung nicht darum gehen kann, Unterschiede zugunsten von Einheit zu beseitigen.1138 Vielmehr gilt es, Formen zu finden, die eine Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg ermöglichen und dabei bestehende Unterschiede berücksichtigen. So geht die zunehmende Globalisierung auf der einen Seite mit einer Konzentration von Unternehmen auf regionale Unterschiede einher und auf der anderen Seite mit organisatorischen und personellen Maßnahmen, die eine funktionierende internationale Geschäftstätigkeit gewährleisten.1139 Eine Möglichkeit, um Kommunikation, Kooperation und Wissenstransfer über Ländergrenzen hinweg zu ermöglichen, besteht in der (temporären) Entsendung von Mitarbeitern in Unternehmensbereiche im Ausland.1140 Durch das (Er)Leben der fremden Kultur können Fertigkeiten und Fähigkeiten für den Umgang miteinander erworben werden. Weitere Ziele in Verbindung mit der Entsendung sind u. a. der Transfer von Technik- und Management-Know-how, die Weiterentwicklung von Personal (incl. Durchlauf von Karrierepfaden), die personale Absicherung der Steuerung und Kontrolle der Gesellschaften im Ausland und die Sicherung einer einheitlichen Unternehmenspolitik und -identität.1141 Die Entsendungsform kann dabei sehr unterschiedlich
1135
Vgl. Duerr, 1986, S. 43.
1136
Vgl. Desatnick/Bennet/Maddison, 1978; diverse Beispiele von Fehleinschätzungen zeigt Walsh auf, vgl. Walsh, 2005, S. 142 f.
1137
Vgl. Weber et al., 2001, S. 18, S. 173; daneben die Ausführungen zur Bedeutung von Werten und Kulturaspekten im Rahmen der Kapitel 3.1.1.2 und Kultur 3.2.2.
1138
Lotter fasst dies mit den prägnanten Worten zusammen: „Die Welt erschließt sich durch Unterschied“ (Lotter, 2006, S. 58).
1139
Vgl. Heuer, 2006; Lotter, 2006; siehe daneben die Ausführungen zu den Praxisbeispielen Bardusch in Hannemann, 2006) und Fresenius Medical Care in Barkhausen, 2006).
1140
Vgl. ausführlicher Drumm, 2000, S. 720 ff.; Wagner, 2002, S. 265 ff.; Hagedorn/Heidemann/ Rietz, 2004.
1141
Vgl. Drumm, 2000, S. 720; Wunderer/Dick, 2002, S. 98; Horsch, 1997, S. 9.
Theoretische Exploration
198
sein. So sind sowohl Auslands-Trainee-Einsätze als auch Job Rotation1142 oder unterstützende internationale Tätigkeiten bis hin zu einer internationalen Führungsaufgabe auf Zeit mögliche Formen.1143 Allen gemeinsam ist aus Sicht des Bildungsmanagements im Unternehmen die Notwendigkeit einer adäquaten Vorbereitung, einer Betreuung während des Auslandseinsatzes und Wiedereingliederungsmaßnahmen (Repatriierung).1144 Als konkrete Ziele der Durchführung von vorbereitenden Maßnahmen sind beispielsweise die Bewältigung des Kulturschocks, die Entwicklung eines dem Gastlandes adäquaten Führungsverhaltens, die Bewältigung von Rollenproblemen, die Fähigkeit zur Vermittlung der fachlichen Expertise und des Führungswissens an Mitarbeitende des Gastlandes, die Innovationssicherung und der Erwerb kommunikativer Kompetenzen zu nennen.1145 Allerdings zeigt es sich, dass selbst vorbereitende (Trainings-) Maßnahmen für den Auslandseinsatz bei weitem nicht zum Standardangebot der Unternehmen gehören1146 und selbst wenn sie durchgeführt werden, sie vielfach nicht ausreichend sind1147. Noch deutlicher wird die Notwendigkeit von vorbereitenden Maßnahmen, wenn eine Berücksichtigung der Konsequenzen von Fehlschlägen in der Auslandsentsendung aufgrund mangelnder Vorbereitung erfolgt.1148 Werden die Mitarbeitenden nicht auf die kulturellen Unterschiede vorbereitet und brechen sie den Auslandseinsatz in der Folge aufgrund von Anpassungsproblemen ab, können die menschlichen Konsequenzen zu beträchtlichen Leistungseinbußen führen; insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass oftmals hoch qualifizierte und erfolgreiche Mitarbeiter ins Ausland entsandt werden, die erst lernen müssen, mit solchen
1142
Zum Thema internationale Job Rotation vgl. z. B. Sciuchetti, 1995, S. 312.
1143
Vgl. ausführlicher Scholz, 2000, S. 601.
1144
Vgl. hierzu und im Folgenden auch Hagedorn/Heidemann/Rietz, 2004.
1145
Diese Ziele wurden bereits 1978 von Stiefel definiert (vgl. Stiefel, 1978, S. 38), sind aber heute noch vollumfänglich gültig (vgl. auch Weber et al., 2001).
1146
Vgl. Scherm, 1995, S. 223; Stahl, 2002, S. 278; Iten, 2000, S. 52 ff.; DGFP, 2004.
1147
Vgl. Domsch/Lichtenberger, 2003, S. 513 ff.; Wunderer/Dick, 2002, S. 105.
1148
„Berichte über vorzeitig abgebrochene Auslandseinsätze, geschäftliche Misserfolge, fehlgeschlagene internationale Joint Ventures usw. belegen, dass Führungskräfte bei der Verfolgung der Ziele, mit denen sie von ihren Unternehmen ins Ausland entsandt werden, oftmals scheitern.“ (Stahl, 2002, S. 277). Dies bestätigt auch eine Feldstudie in 700 europäischen, japanischen und amerikanischen Unternehmen. 10-20 % der Entsendeten brachen den Aufenthalt vorzeitig ab (vgl. Black/Gregersen, 1999). Dabei ist zu berücksichtigen, dass dies nicht nur dem Entsandten angelastet werden kann, sondern die Gründe vielmehr im Zusammenhang mit Defiziten bei der Entsendungsgestaltung gesehen werden müssen (vgl. Stahl, 2002, S. 278).
Strategische Ebene
199
Fehlschlägen und ihren Folgen umzugehen.1149 Daneben sind mit einem Abbruch der Auslandsentsendung enorme Kosten für das Unternehmen verbunden.1150 Auf der anderen Seite müssen die Mitarbeitenden aber auch in der eigentlichen Einsatzphase betreut werden (z. B. durch einen Gastlandpaten)1151 und es muss die Rückkehrphase aktiv gestaltet werden (wobei hier insbesondere das Personalmanagement gefragt ist, beispielsweise durch die Bereitstellung einer entsprechenden Stelle).1152 Insgesamt betrachtet kann allerdings festgehalten werden, dass in der Praxis ein relativ großer Anteil der international tätigen europäischen Unternehmen das Auslandsgeschäft ohne eine derartige systematische Mitarbeiterentsendung bewältigt.1153 Neben einer dauerhafteren Auslandsentsendung1154 zeichnet es sich nach Weber1155 in Europa als Trend ab, dass Tätigkeiten im Ausland eher verkürzt werden und zunehmend ‚virtuelle Entsendungen’ vorgenommen werden.1156 Dabei wird die Verantwortung für Positionen im Ausland von Mitarbeitenden mit einem unverändert im Heimatland angesiedelten Standort getragen. Derartige virtuelle Entsendungen zeichnen sich durch eine durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien mögliche, ständige Kommunikation mit den ausländischen Mitarbeitenden und einem regen Besuchsverkehr aus. Eine in ähnliche Richtung gehende weitere Möglichkeit der Verbesserung der Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg ist die Bildung globaler Managementteams.1157 Durch die heterogene – internationale –
1149
Gerade High-Potentials stehen sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld unter einem erheblichen Rechtfertigungsdruck. Daneben verändern sich teilweise auch die Karriereperspektiven bei einer Rückkehr zum Nachteil des Mitarbeitenden, was verarbeitet werden muss (vgl. Weber et al., 2001, S. 17). Entsprechend hat ein erfolgloser oder vorzeitig abgebrochener Auslandseinsatz oftmals Karrierenachteile, Ansehensverluste im Kollegenkreis und familiäre Probleme zur Folge (vgl. Stahl, 2002, S. 278).
1150
Die Kosten einer gescheiterten Auslandsentsendung belaufen sich schätzungsweise auf das Drei- bis Vierfache des Jahresgehalts des Betroffenen (vgl. Horsch, 1997, S. 9; Stahl, 2002, S. 278).
1151
Vgl. Wagner, 2002, S. 271; Hagedorn/Heidemann/Rietz, 2004, S. 7 f.
1152
Vgl. ausführlich zum Thema Repatriierung Weber et al., 2001, S. 196 ff.; Drumm, 2000, S. 728 ff.; Hirsch, 1996; Wagner, 2002, S. 272; Iten, 2000, S. 68 ff.
1153
Vgl. Weber et al., 2001, S. 165; Stahl, 2002, S. 278; Horsch, 1997, S. 17 f.
1154
In deutschen Unternehmen betrug die durchschnittliche Dauer von Auslandsentsendungen laut einer Erhebung 1995 knapp vier Jahre (vgl. Marx, 1996, S. 7).
1155
Vgl. hierzu und im Folgenden Weber et al., 2001, S. 172.
1156
Vgl. ausführlich zum Thema virtuelle Entsendung Iten, 2000.
1157
Vgl. Sciuchetti, 1995, S. 312; Kopper, 1996; Thomas, 2003. Dies ist beispielsweise auch im Rahmen virtueller Strukturen möglich wie das Beispiel des Unternehmens Bosch zeigt. Vgl. Boll, 2004.
Theoretische Exploration
200
Zusammensetzung von Teams können Synergieeffekte zur effektivitäts- und effizienzsteigernden Netzwerkbildung genutzt werden.1158 Diese Netzwerkbildung lässt sich beispielsweise auch durch gemeinsame Seminare oder unternehmensinterne Tagungen fördern.1159 Daneben ist auch ein Einsatz ausländischer Mitarbeitendender im Stammhaus möglich, der wie die oben beschriebene Auslandsentsendung gestaltet werden kann.1160 Für das Bildungsmanagement insgesamt bedeutet eine zunehmende Internationalisierung und Globalisierung eine zunehmende Komplexität der Tätigkeit. Die Komplexität ergibt sich dadurch, dass das Unternehmen in vielen verschiedenen Ländern agiert, Mitarbeitende verschiedenster Nationalitäten beschäftigt und damit verbundenen das Bildungsmanagement mit unterschiedlichen Ansprüchen und Rahmenbedingungen, wie einem unterschiedlich geprägten Lernverhalten1161, unterschiedlichen Führungsstilen1162 oder einer unterschiedlichen Bedeutung von Bildung und Arbeitstätigkeit1163 konfrontiert ist. Diese gilt es auf allen Ebenen des Bildungsmanagements zu berücksichtigen und darauf zu reagieren. Beispielsweise sollte vermieden werden, „die Entwicklungsprogramme des Heimatlandes ohne weitere Überlegungen in andere Länder zu exportieren. Solche Trainings müssen kulturell angepasst werden, um den lokalen Bedingungen zu entsprechen.“1164
1158
Vgl. Wunderer/Dick, 2002, S. 104; zum Thema Human Networking vgl. ausführlich Kaiser, 1998.
1159
Vgl. Drumm, 2000, S. 734.
1160
Vgl. Weber et al., 2001, S. 189 f.
1161
Vgl. Drumm, 2000, S. 734; Al-Nagah, 2002, S. 154 f. Hayes und Allinson führten in den 80er Jahren bereits eine Studie durch, die den Lernstil von Managern in unterschiedlichen Kulturen untersuchte. Ihre Ergebnisse bestätigen, dass es bedeutende kulturelle Unterschiede im Lernstil von Managern gibt (vgl. ausführlicher Hayes, J./Allinson, 1988).
1162
Vgl. Ganter, 2006.
1163
Vgl. Al-Nagah, 2002, S. 62 ff.; daneben beispielhaft zum Unterschied Deutschland – Korea – China Ganter, 2006.
1164
Weber et al., 2001, S. 189.
Strategische Ebene
201
3.2.4. Trilogie Strategie – Kultur – Struktur In den vorangegangen Kapiteln wurden auf der strategischen Ebene die drei Ordnungsmomente Strategie, Kultur und Struktur analysiert und ausgeführt. Zu Beginn wurde das Thema ‚Strategie’ als ‚Ausgangs- und Mittelpunkt des strategischen Managements’ beschrieben.1165 Die Strategie steht allerdings immer in Wechselwirkung mit der im Unternehmen herrschenden Kultur und der gegebenen Struktur. Im Folgenden werden die Wirkungszusammenhänge zwischen den drei Bereichen aufgegriffen und zusammenfassend dargestellt. Der Einfluss der Unternehmenskultur auf die Strategieentwicklung geschieht zum einen sehr unbewusst: sie wirkt als eine Art Filter, als eine Form der Komplexitätsreduktion, da sie automatisch das Handeln der Strategieentwickler leitet. So kann sie beispielsweise vor Fehlschlägen schützen, aber auch den Blick für innovative Strategien versperren.1166 Zum anderen muss die Kultur im Unternehmen bei der Strategieentwicklung aber auch sehr bewusst im Rahmen einer Stimmigkeitsanalyse, d. h. einer Prüfung ob Kultur und Strategie zusammenpassen, berücksichtigt werden.1167 Denn um „eine Strategie zu entwickeln, die Aussicht auf erfolgreiche Umsetzung hat, ist eine gute Kenntnis der bestehenden Unternehmenskultur unabdingbar“1168.1169 Eine noch so fundierte und durchdachte Strategie wird bei der Implementierung scheitern, wenn sie den „Prädispositionen der Unternehmenskultur nicht Rechnung trägt“1170, z. B. dadurch, dass Akzeptanzwiderstände auftreten.1171 Je deutlicher die Strategie aber mit der Unternehmenskultur harmonisiert, desto eher wird die Kultur zur unterstützenden Kraft für die Strategieimplementierung und -umsetzung.1172 Auf der anderen Seite prägt auch die Strategie die Kultur im Unternehmen, indem sie in die Unternehmenskultur eingeht und als „historisches Ereignis“1173 zu ihrem Bestandteil wird. Vor allem besonders erfolgreiche oder erfolglose Strategien hinterlassen
1165
Vgl. S. 86.
1166
Vgl. ausführlicher Krystek/Zur, 2002b, S. 780.
1167
Vgl. Wever, 1992, S. 122 ff.
1168
Wever, 1992, S. 123.
1169
Vgl. auch Bleicher, 1993, S. 178 ff.
1170
Simon, H., 1994, S. 10.
1171
Vgl. Krystek/Zur, 2002b, S. 780; Wever, 1992, S. 133.
1172
Vgl. Bleicher, 1990, S. 252.
1173
Krystek/Zur, 2002b, S. 781.
Theoretische Exploration
202
tiefe Spuren. Daneben wird z. T. die bewusste Pflege und Steuerung der Unternehmenskultur in Richtung der Unterstützung strategischer Ziele und Maßnahmen gefordert.1174 Falls es allerdings eine nennenswerte Diskrepanz zwischen der Strategie und der Kultur gibt, so muss entweder die Kultur an die Strategie angepasst werden oder umgekehrt, wobei zu beachten ist, dass beides von ihrer Natur aus dynamische Phänomene sind, die Lern- und Veränderungsprozessen unterworfen sind, die wiederum von der Kultur und der Strategie eines Unternehmens abhängen.1175 Die Diskussion um den Zusammenhang von Strategie und Struktur wird durch die 1962 durch Chandler1176 formulierte Aussage „structure follows strategy“ geprägt. Chandler war der Meinung, dass die Struktur immer auf die Strategie folgt und von ihr bestimmt werden sollte. So kann die Struktur als Instrument der Strategieumsetzung gesehen werden.1177 Hierauf ist zum einen einzuwenden, dass die Struktur ein wichtiger Teil des Systems Unternehmen ist und dementsprechend auch Einfluss auf die Strategieentwicklung hat und zum anderen, dass die Struktur zwar zu einem gewissen Grad formbar ist, aber nicht willkürlich geändert werden kann.1178 Burgelman kommt deshalb zum Schluss: „Structure and strategy thus exist in a reciprocal relationship to each other. Depending on which part of the strategic process is observed, both ‘structure follows strategy’ and ‘strategy follows structure’ can be correct propositions.”1179 Strategie und Struktur folgen sich einander „wie der rechte Fuß dem linken beim Gehen … Jedes Element geht dem anderen voran und folgt ihm, außer wenn sie sich gemeinsam bewegen”1180. Die Unternehmenskultur findet ebenso wie die Unternehmensstrategie Ausdruck in den Strukturen des Unternehmens.1181 Diese stehen als ‚harte’ Faktoren im Gegensatz zu den ‚weicheren’ kulturellen Faktoren und ergänzen diese Sichtweise. Für Kieser und Kubicek1182 sind die Strukturen deshalb auch ein Zeichen für die im Unternehmen
1174
Vgl. Simon, H., 1994, S. 10.
1175
Vgl. Simon, H., 1994, S. 11 f.; Wever weist daneben darauf hin, dass falls eine bewusste Veränderung notwendig ist, am ehesten bei den Strategien angesetzt werden sollte, da sich Strategien leichter ändern lassen als die Kultur eines Unternehmens (vgl. Wever, 1992, S. 133).
1176
Vgl. Chandler, 1991.
1177
Vgl. ausführlich Link, 1994.
1178
Vgl. Mintzberg, 2005, S. 50; Bleicher, 1993, S. 174.
1179
Burgelman, 1983, S. 67; vgl. daneben Bleicher, 1999, S. 318; Abplanalp/Lombriser, 2000, S. 9.
1180
Mintzberg, 2005, S. 50 f.
1181
Vgl. ausführlich Kieser/Kubicek, 1992, S. 125; Friebe, 2005, S. 39 f.
1182
Vgl. Kieser/Kubicek, 1992, S. 125.
Strategische Ebene
203
vorherrschenden Werte und Einstellungen. Bleicher erweitert daher Chandlers These wie folgt: „Strategy and structure follow culture“1183. Er weist aber gleichzeitig auch darauf hin, dass Strukturen das Verhalten prägen, weswegen das Verhältnis von Struktur und Kultur ein besonders enges, wechselbezügliches ist.1184 Zusammenfassend wird also deutlich, dass es sich bei den drei Entscheidungs- und Handlungsfeldern der strategischen Ebene um sich wechselseitig beeinflussende Faktoren handelt.
1183
Bleicher, 1993, S. 176.
1184
Vgl. Bleicher, 1990, S. 257 f.; Bleicher, 1993, S. 178.
4. Bezugsrahmen I
Im Rahmen der theoretischen Exploration wurden im vorangegangenen Kapitel die normative und strategische Ebene des Managements diskutiert. Dabei orientierten sich die Ausführungen an folgenden handlungsleitenden Fragestellungen: x
x
x
Welches sind die konstitutiven Entscheidungs- und Handlungsfelder des Bildungsmanagements auf der normativen und strategischen Ebene? Welche normativen und strategischen Aspekte gilt es bei der Gestaltung des Bildungsmanagements im Unternehmen zu berücksichtigen? Wie können diese ausgestaltet werden?
Die Erkenntnisse dieser deskriptiven Aufarbeitung werden im Folgenden zusammengefasst sowie auf das Untersuchungsfeld des Bildungsmanagements im Unternehmen übertragen und bezogen. Daneben werden sie durch weiterführende Explikationen, Annahmen und Interpretationen ergänzt. Auf diese Weise soll der grundlegenden Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit näher gekommen werden: Wie kann das Bildungsmanagement als komplexe Managementaufgabe auf der normativen und strategischen Ebene in Unternehmen konzeptualisiert werden? Die Ausführungen gliedern sich zunächst in die beiden Betrachtungsebenen des normativen und strategischen Managements (Kapitel 4.1 und 4.2). Die Darstellungen auf beiden Ebenen differenzieren sich weiter in die entsprechenden Entscheidungsund Handlungsfelder, innerhalb derer wiederum die jeweiligen Aspekte näher ausgeführt werden. Da wie bereits in Kapitel 1.4.3 dargestellt, im Bezugsrahmen nicht nur additiv Einzelaussagen nebeneinander gestellt, sondern die Entscheidungs- und Handlungsfelder gesamthaft mit ihren Zusammenhängen betrachtet werden, widmet sich Kapitel 4.2.4 auf der strategischen Ebene der Trilogie Strategie, Kultur und Struktur. Abschließend fasst Kapitel 4.3 die Darstellungen aus einem Gesamtblick betrachtet visuell im Modell des Bildungsmanagements im Unternehmen zusammen.
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
205
4.1. Bildungsmanagement auf der normativen Ebene Das normative Management setzt sich mit den Wert- und Interessenkonflikten zwischen den am Unternehmen Beteiligten auseinander. Das Ziel ist der Aufbau unternehmenspolitischer Verständigungspotentiale und damit die ethische Legitimation unternehmerischen Handelns. Aus Sicht des Bildungsmanagements existieren zwei Gruppen, deren Werthaltungen und Interessenlagen im Rahmen des normativen Managements berücksichtigt werden müssen: das Unternehmen und die Mitarbeitenden. Ein Unternehmen kann definiert werden als ein gegenüber der Umwelt offenes, soziales System, das sich aus Individuen bzw. Gruppen zusammensetzt, eine bestimmte formale Struktur aufweist, wirtschaftliche Ziele verfolgt und zeitlich überdauernd existiert.1185 Als involvierte Individuen bzw. Gruppen lassen sich grundsätzlich Mitarbeitende und Management unterscheiden. Das Management ist von den Eigentümern mit der Leitung des Unternehmens betraut. In Kapitel 2.1.2 wurde bereits darauf hingewiesen, dass in der Dissertation die Begriffe ‚Führungskraft’ und ‚(Top-) Management’ unterschieden werden. ‚(Top-)Management’ ist gleichzusetzen mit Unternehmensführung bzw. Geschäftsleitung. Es bestimmt die wesentliche Ausrichtung des Unternehmens. ‚Führungskräfte’ fokussieren sich auf die Interaktion mit den Mitarbeitenden. Entsprechend sind Top-Manager gleichzeitig auch Führungskräfte, Führungskräfte aber nicht Top-Manager. Wenn im Folgenden ‚Unternehmen’ und Mitarbeitende unterschieden werden, so ist damit zum einen das ‚(Top-)Management’ gemeint, welches das Unternehmen entsprechend seiner Vorstellungen führt, die Geschäfte leitet sowie die Unternehmensinteressen vertritt1186 und zum anderen die Anspruchsgruppe der Mitarbeitenden.1187
1185
Vgl. Rosenstiel, 1992, S. 3; Kieser/Kubicek, 1992, S. 4; Staehle, 1991, S. 384 ff.; Janisch, 1992, S. 13 ff.; Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 31.
1186
Auch Führungskräfte und Management sind grundsätzlich Mitarbeitende eines Unternehmens, d. h. insbesondere das Top-Management befindet sich in einer Doppelrolle. Wenn im Folgenden von Management gesprochen wird, so fokussiert sich diese Begriffsverwendung auf das Management in der Rolle der Unternehmensleitung/Geschäftsführung, d. h. auf die Funktion der Vertretung der Unternehmensinteressen.
1187
Vgl. ausführlicher zum Begriffsverständnis des ‚Managements’ die begriffliche Konkretisierung in Kapitel 2.1.2.
Bezugsrahmen I
206
Die Beziehung zwischen beiden Gruppen ist durch deren Einstellungen/Überzeugungen, Werte und Ansprüche geprägt (Interaktionsthemen). Das Bildungsmanagement setzt sich im Zusammenhang mit der Managementphilosophie (EHF 1) sowohl mit den Einstellungen und Überzeugungen des Managements als auch mit der Frage nach den von den Mitarbeitenden vertretenen Werten auseinander. Daneben fokussiert es die Ansprüche der beiden Gruppen und versucht durch den Aufbau von Verständigungspotentialen im Rahmen der Unternehmenspolitik (EHF 2) zur Lösung des Konsensproblems beizutragen. Die managementphilosophischen und unternehmenspolitischen Überlegungen finden ihren Niederschlag in der Formulierung eines Leitbildes (EHF 3). Daraus ergeben sich für das Bildungsmanagement unterschiedliche Aufgaben: Im EHF1 dominiert eine Diagnoseaufgabe, im EHF2 eine Konfliktklärungsaufgabe und im EHF3 eine Moderations- und Dokumentationsaufgabe. Schematisch können die Zusammenhänge in Anlehnung an das neue St.Galler ManagementModell wie folgt dargestellt werden: Unternehmen
Managementphilosophie
Unternehmenspolitik
Le itb ild
Normative Ebene
Ansprüche Werte Einstellungen/Überzeugungen
Mitarbeitende
Abbildung 31: Modell des Bildungsmanagements auf der normativen Ebene
4.1.1. Interaktionsthemen Zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden stehen die Interaktionsthemen Einstellungen/Überzeugungen, Werte und Ansprüche. In Kapitel 2.2.5 wurde im Zusammenhang mit der Diskussion um die Konsens- und Konfliktpunkte zwischen Personalund Persönlichkeitsentwicklung folgende Fragen aufgeworfen:
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
x
x
x
207
Welche Einstellungen und Überzeugungen haben eine Bedeutung für das Bildungsmanagement in Unternehmen? Mit welchen grundsätzlichen Werthaltungen ist das Bildungsmanagement in Unternehmen konfrontiert? Welche Ansprüche existieren im unternehmerischen Kontext mit Relevanz für das Bildungsmanagement?
Im Rahmen der theoretischen Exploration wurde zum einen deutlich, dass diese Interaktionsthemen und damit die Beantwortung der Fragen einen direkten Bezug haben zu den Entscheidungs- und Handlungsfeldern der normativen Ebene, d. h. insbesondere der Managementphilosophie und der Unternehmenspolitik, die nachfolgend auch vor dem Hintergrund der Fragestellungen nochmals aufgegriffen werden. Zum anderen wurde deutlich, dass die drei Interaktionsthemen sehr eng miteinander zusammenhängen und die Übergänge zum Teil fließend sind. An unterschiedlichen Stellen (z. B. S. 68 ff., S. 78 ff.) wurde bereits detaillierter auf die einzelnen Interaktionsthemen eingegangen und diese voneinander abgegrenzt. Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, dass Werte relativ abstrakt gefasst sind (daher wird z. B. auch von ‚Ideen’, ‚überindividuellen Leitbildern’ oder ‚Polarsternen’ gesprochen). Werthaltungen werden erst in konkreten Entscheidungssituationen handlungsleitend – sie bestimmen dann neben dem individuellen Können, dem sozialen Dürfen und dem situativen Ermöglichen mit, ob Ziele als erstrebenswert gelten oder wie eine Situation erlebt wird. Werte und Werthaltungen prägen die Einstellungen und Überzeugungen der im Unternehmen Tätigen und die gegenseitig formulierten Ansprüche. Die Interaktionsthemen Einstellungen und Überzeugungen manifestieren sich auf das Bildungsmanagement in Unternehmen bezogen insbesondere in den Menschenbildern des Managements. Diese sind subjektabhängig und nur sehr schwer erschließbar. Sie prägen aber nichtsdestotrotz den Umgang der Beteiligten miteinander und die Art der Zusammenarbeit. Ansprüche leiten nicht nur indirekt das Handeln der Beteiligten, sondern werden aktiv an das Gegenüber herangetragen. Die im Unternehmen vorhandenen Einstellungen/Überzeugungen, Werte und Ansprüche prägen die Interaktion zwischen dem Unternehmen und den Mitarbeitenden und sind damit Aspekte, die es aus Sicht des Bildungsmanagements zu berücksichtigen gilt. Entsprechend werden die Interaktionsthemen Einstellungen/Überzeugungen und Werte im Zusammenhang mit der Managementphilosophie in Unternehmen näher diskutiert (Kapitel 4.1.2), wohingegen die Ansprüche ein wesentliches Thema der Unternehmenspolitik sind (Kapitel 4.1.3).
Bezugsrahmen I
208
4.1.2. EHF 1: Managementphilosophie Die Managementphilosophie beschäftigt sich mit den Einstellungen/Überzeugungen und den Werten der Führungskräfte eines Unternehmens, um zu einem grundlegenden unternehmensbezogenen Gedankensystem zu kommen, das allen „Halt, Richtlinien, Wegweiser“1188 für verschiedenste Situationen gibt und zur Sinnfindung beiträgt.1189 Die Managementphilosophie dient damit sowohl der Werterhellung als auch der Wertdefinition. Aus Sicht des Bildungsmanagements ist es wesentlich, sich mit den Menschenbildern und den Werten auseinanderzusetzen und diese zu explizieren. Die Aufgabe des Bildungsmanagements liegt daher in der Diagnose der vorhandenen Einstellungen, Überzeugungen und Werte. Dies geschieht im Rahmen eines bewussten Prozesses. Eine so entstandene Managementphilosophie trägt dazu bei, dass im Zusammenhang mit der Unternehmenspolitik ein Zielsystem ohne Widersprüche erarbeitet werden kann und dass die darauf basierenden Handlungen sich nicht gegenseitig stören oder sich in ihrer Wirkung aufheben.1190 Die Managementphilosophie findet ihren Ausdruck in der Unternehmenspolitik. Diese setzt als „System oberster, allgemeiner Ziele und Verhaltensweisen … ein … Wertesystem der obersten Führung“1191 im Unternehmen voraus, d. h. Zielsystem und Wertesystem bedingen sich gegenseitig.1192 Der Managementphilosophie wird daher auch die Funktion der „Metaintegration“1193 zugeschrieben. Auf das Entscheidungsund Handlungsfeld der Unternehmenspolitik geht Kapitel 4.1.3 näher ein, zunächst stehen die Interaktionsthemen Einstellungen/Überzeugungen und Werte im weiteren Fokus der Diskussion.
1188
Probst, 1983, S. 326.
1189
Wobei Gross im Zusammenhang mit der Veränderungen in der Gesellschaft hin zur Multioptionsgesellschaft (siehe S. 74) darauf hinweist, dass Sinn nicht mehr „vorgegeben“ ist sondern „aufgegeben“. Er muss „andauernd neu erzeugt werden“ (Gross in Pongs, 2007, S. 157). Aus dieser Perspektive muss aus Sicht der Verfasserin die Forderung nach einer Sinnvermittlung durch die Managementphilosophie etwas relativiert werden.
1190
Vgl. hierzu auch Probst, 1983, S. 329.
1191
Ulrich, H., 1981a, S. 16 f.
1192
Vgl. auch Probst, 1983, S. 328.
1193
Bleicher, 2004, S. 79.
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
209
4.1.2.1. Menschenbild als Ausdruck der Einstellungen/Überzeugungen Im Kapitel 3.1.1.1 wurde die weit verbreitete Menschenbild-Typologie von Schein erläutert und darauf aufbauend das Menschenbild einer ganzheitlichen Kompetenz nach Hesch. Es stellt sich nun die Frage, ob der Definition von Bildung und Bildungsmanagement in Kapitel 2.1 nicht schon eine bestimmte Sicht des Menschen implizit zugrunde liegt, wenn ja, wie diese mit den erläuterten Menschenbildern in Zusammenhang steht und welche Konsequenzen für die Formulierung des Bildungsmanagement-Bezugsrahmens zu ziehen sind. In der Definition von Bildung steht das Individuum im Zentrum. Bildung zeigt sich im Handeln eines Individuums in sozioökonomischen Situationen, wobei das Handeln eigen- und sozialverantwortlich geschieht und in entsprechendem Wissen, Einstellungen und Fertigkeiten zum Ausdruck gebracht wird. Damit ist ein Menschenbild verbunden, das den Menschen „in seiner Interaktion mit der Umwelt nicht als passiven Informationsempfänger versteht, sondern als aktives, schöpferisch tätiges Subjekt.“1194 Ein so verstandenes Menschenbild unterscheidet sich deutlich von den Menschenbildern des ‚Economic Man’ und des ‚Social Man’. Der ‚Economic Man’ gilt als verantwortungsscheues Wesen, das nach der Maxime des größtmöglichen Gewinns handelt. Dem steht die Auffassung entgegen, dass der Mensch eigen- und sozialverantwortlich agiert und sich aktiv um seine Belange bemüht. Der ‚Social Man’ nimmt zwar die soziale Komponente mit auf, indem davon ausgegangen wird, dass der Mensch als soziales Wesen Befriedigung durch die Beziehungen zu seinen Mitmenschen sucht, grenzt aber die Eigenverantwortlichkeit aus. Das Menschenbild des sich selbst verwirklichenden Menschen formuliert die Grundprämisse, dass der Mensch ein angeborenes Bedürfnis hat, seine Kapazitäten und Fähigkeiten sinnvoll und produktiv zu nutzen. Wenn ihm die Chance zur Selbstverwirklichung in der Unternehmung gegeben wird, dann wird er aus eigenem Antrieb und freiwillig seine persönlichen Ziele mit denen der Organisation integrieren.1195 Es wird angenommen, dass der Mensch durch nichts anderes zu motivieren ist, als durch die Ermöglichung seiner Selbstverwirklichung. Dieses Menschenbild schränkt sich stark auf den Aspekt der Selbstverwirklichung ein und lässt andere Motive außer Acht.
1194
Euler, 1997, S. 259.
1195
Vgl. Schein, 1980, S. 89 ff.
Bezugsrahmen I
210
Dahingegen scheint das zugrunde liegende Verständnis des Menschen im Rahmen des Bildungsmanagements eine Nähe zum Menschenbild des ‚Complex Man’ zu haben, indem die Vielfalt der menschlichen Bedürfnisse und deren interindividuell unterschiedliche Bedeutsamkeit anerkannt werden. Allerdings geht das hier normativ eingeführte und vertretene Menschenbild des Bildungsmanagements darüber hinaus, indem davon ausgegangen wird, dass das Individuum in unternehmerischen Situationen eigen- und sozialverantwortlich handelt und dazu notwendige Handlungskompetenzen von sich aus erwirbt. Hesch hat die angesprochenen Menschenbilder insofern weiterentwickelt, als dass er diesen Kompetenzaspekt in ganzheitlicher – komplexer – Sichtweise aufgenommen hat. Sein Menschenbild entspricht in weiten Zügen der Auffassung des Menschen, wie es im Zusammenhang mit der hier verwendeten Definition von Bildung bzw. Bildungsmanagement steht. Das Menschenbild von Hesch basiert auf einem veränderten Beziehungsmuster zwischen Mensch und Organisation. Der Mensch, sowohl Mitarbeitender als auch Manager, wird nach Hesch „zur konstitutiven Bedingung wettbewerbsfähiger Organisationsformen“1196 und begründet damit gleichzeitig das Menschenbild einer ganzheitlichen Kompetenz. Auch das Bildungsmanagement geht von dieser ganzheitlichen Kompetenz aus, die das zum erfolgreichen Handeln in betrieblichen Situationen notwendige Wissen, die Einstellungen und die Fertigkeiten des Individuums, d. h. dessen Sach-, Sozial- und Selbstkompetenzen umfasst. Hesch beschreibt allerdings nicht näher, was er unter ganzheitlicher Kompetenz versteht, sondern zählt lediglich unstrukturiert eine Vielzahl von Schlüsselqualifikationen auf. Das Bild des Menschen, wie es im Rahmen der Definition von Bildung gezeichnet wurde, beinhaltet weiterhin, dass der Mensch in betrieblichen Situationen nicht nur reagiert, sondern auch agiert, ein immanentes Bedürfnis zur Weiterentwicklung besitzt und nicht nur sozialkompetent ist, sondern eigen- und sozialverantwortlich handelt. Durch die obige Diskussion wird deutlich, dass Menschenbilder und entsprechende Kategorisierungen sich immer nur an Idealtypen orientieren.1197 So verneint auch Schein keineswegs die Bedeutung anderer als die von ihm beschriebenen Menschenbilder.1198 Die Auseinandersetzung mit existierenden Typen ermöglicht es wie dargestellt, sich zu vergegenwärtigen, welche Bilder des Menschen in den Köpfen der
1196
Hesch, 1997, S. 150.
1197
Vgl. Bleicher, 1994b, S. 68.
1198
Vgl. Bleicher, 1994b, S. 71.
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
211
Führungskräfte vorhanden sind, und im Bewusstsein, dass diese individuellen Menschenbilder oftmals weder reflektiert noch kommuniziert werden, diese zu explizieren und sich klar zu werden, welche Konsequenzen diese Sichtweisen nach sich ziehen.1199 Das Bildungsmanagement in Unternehmen ist wie in Kapitel 2.1.3 dargestellt, auf die Erfüllung eines Systems von Aufgaben ausgerichtet. Dabei kommt ihm auf der normativen Ebene eine Gestaltungsfunktion zu. Im Zusammenhang mit der Managementphilosophie konkretisiert sich diese insbesondere in einer Diagnosefunktion. Im Folgenden werden die wesentlichen Kernaussagen, Kategorien und Ansatzpunkte für die Aufgabenwahrnehmung durch das Bildungsmanagement zusammengefasst.
Menschenbild Kernaussage
Zum einen beeinflussen Menschenbilder den Umgang der Beteiligten miteinander und deren Art der Zusammenarbeit. Entsprechend haben sie auch eine Bedeutung für das Bildungsmanagement im Unternehmen. Zum anderen ist mit dem BildungsmanagementVerständnis dieser Arbeit ein bestimmtes Menschenbild verbunden.
Kategorien
Economic Man Social Man Self-actualizing Man Complex Man Menschenbild einer ganzheitlichen Kompetenz Menschenbild-Aspekte des Bildungsmanagements
Ansatzpunkte Menschenbilder sind meist implizit vorhanden und beeinflussen unreflektiert das Handeln, daher sollte versucht werden, diese zu diagnostizieren und sich dabei klar zu werden, welche Konsequenzen die Bilder nach sich ziehen. Menschenbildtypologien orientieren sich an Idealtypen und helfen, sich der vorhandenen Menschenbilder bewusst zu werden und diese zu reflektieren.
1199
Würde beispielsweise innerhalb der Managementphilosophie ein Bild des Mitarbeiters als ‚Economic Man’ vertreten werden, würde dies der von der Verfasserin normativ vertretenen Grundhaltung des Bildungsmanagements entgegenstehen.
Bezugsrahmen I
212
Aus diesen Kernaussagen leiten sich folgende weiterführenden Fragen ab, die im Rahmen der empirischen Exploration näher zu untersuchen sind: x
x
Wie sieht das Menschenbild (der Bildungsverantwortlichen) in den Fallstudienunternehmen aus? Lassen sich daraus Gemeinsamkeiten zum Menschenbild des Bildungsmanagements ableiten und wenn ja, welche?
4.1.2.2. Werte und Werthaltungen Neben einer Betrachtung der Einstellungen und Überzeugungen im Zusammenhang mit Menschenbildern ist es im Rahmen der Managementphilosophie essentiell, sich mit den Werten und Werthaltungen im Unternehmen auseinanderzusetzen. Aus Sicht des Bildungsmanagements ist eine Betrachtung auf zwei Ebenen relevant: zum einen geht es um die Werte der Mitarbeitenden und zum anderen um die (offiziell kommunizierten) Unternehmenswerte. Denn sowohl der Einzelne als auch das Unternehmen sind an Werten orientiert. Diese hängen sehr stark mit den Ansprüchen beider Gruppen zusammen. Die Wertediskussion wird daher im Zusammenhang mit den unternehmenspolitischen Überlegungen in Kapitel 4.1.3 noch detaillierter aufgenommen und ausgeführt. Im Rahmen der forschungsparadigmatischen Ausrichtung und der begrifflichen Konkretisierung wurde die Eigen- und Sozialverantwortlichkeit des Handelns als Grundwerturteil des Bildungsmanagements ausgewiesen. Es stellt sich nun die Frage, wie dieses Grundwerturteil in Verbindung steht zu den Werthaltungen der Mitarbeitenden und des Unternehmens. Die Werte, die von einem Großteil der Mitarbeitenden getragen werden, stehen derzeit (das Phänomen des Wertewandels berücksichtigt) in starker Verbindung mit der Forderung nach Persönlichkeitsentwicklung und begründen diese. Entsprechend sind sie grundsätzlich im Einklang mit dem Grundwerturteil dieser Arbeit bzw. bauen darauf auf. Die Unternehmen hingegen vertreten z. T. noch traditionelle Werthaltungen bzw. konzentrieren sich meist auf Werte, die in direktem Zusammenhang mit der Leistungserstellung und Kundenbeziehung stehen. Entsprechend zeigt sich bezogen auf die Wertefrage aus den Erkenntnissen der theoretischen Exploration, dass das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und Unter-
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
213
nehmen tendentiell noch eher konflikthaltig ist, wobei wie bereits dargestellt wurde, eine zunehmende Annäherung beobachtet werden kann.1200 Aus dieser Diskussion ergeben sich für das Bildungsmanagement verschiedene Konsequenzen. Zunächst wird deutlich, dass es essentiell ist, dass das mit dem Bildungsmanagement verbundene Grundwerturteil auch auf Unternehmensseite Akzeptanz findet und entsprechend gelebt wird, da andernfalls die Basis für ein Bildungsmanagement fehlt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass alle die gleichen Werthaltungen vertreten (müssen). Vielmehr gilt es entsprechend des Wertepluralismus ein Bewusstsein der unterschiedlichen Wertesysteme im Unternehmen zu erreichen. Um zur Werterhellung beizutragen, sind die existierenden Werte zu diagnostizieren und zu explizieren. Daneben ist es eine weitere Aufgabe des Bildungsmanagements, im Sinne einer Wertdefinition bewusst gestaltete Prozesse anzuregen, die die Eigen- und Sozialverantwortlichkeit des Handelns mit berücksichtigen. Welche Werte daneben konkret für ein Unternehmen relevant sind, hängt entsprechend des Wertepluralismus vom jeweiligen Unternehmen und seinen Mitarbeitenden ab und muss unternehmensspezifisch betrachtet werden.1201 Zusammenfassend kann für den Aspekt Werte festgehalten werden:
Werte Kernaussage
Die Auseinandersetzung mit Werten dient der ethischen Legitimation des Unternehmens und der Sinnfindung des Einzelnen. Dabei ist aus Sicht des von der Verfasserin vertretenen Verständnisses von Bildungsmanagement die Berücksichtigung der Eigen- und Sozialverantwortlichkeit als Grundwerturteil wesentlich.
Kategorien
Wertesystem der Mitarbeitenden Wertesystem des Unternehmens Integrierte Sichtweise des Bildungsmanagements
Ansatzpunkte Werterhellung: Diagnose und Explizierung der existierenden Werthaltungen Wertdefinition: Gemeinsame Erarbeitung und Dauerreflexion
1200
Siehe Ausführungen auf S. 56 f.
1201
Eine Möglichkeit, wie diese Werte gefunden werden können beschreiben Daxner et al. in Anlehnung an Senge, vgl. hierzu ausführlich Daxner/Gruber/Riesinger, 2005, S. 21 f.
Bezugsrahmen I
214
Einflussfaktoren
Wertepluralismus Wertewandel
Für die Auswertung der empirischen Exploration ergeben sich hieraus insbesondere die folgenden handlungsleitenden Fragestellungen: x
x
Welche Werte werden (im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement) in den Fallstudienunternehmen thematisiert? Wie gestaltet sich der Prozess der Werterhellung und -definition in den Fallstudienunternehmen?
Nachdem die Interaktionsthemen Einstellungen/Überzeugungen und Werte vorgängig diskutiert wurden, stehen die Ansprüche im Mittelpunkt der nachfolgend erläuterten Unternehmenspolitik. 4.1.3. EHF 2: Unternehmenspolitik Die Unternehmenspolitik nimmt die Wert- und Interessenkonflikte zwischen den relevanten Anspruchsgruppen in den Fokus und versucht diese zu harmonisieren. Die Aufgabe des Bildungsmanagements ist es dabei, den Interessenkonflikt zwischen den individuellen Ansprüchen der Mitarbeitenden und den institutionellen Anforderungen des Unternehmens aufzunehmen und sich um einen schrittweisen Aufbau von „kommunikativen Verständigungspotentialen“1202 zu bemühen. Dabei kann eine Betrachtung des Verhältnisses zwischen individuellen und unternehmerischen Interessen auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Im Rahmen der Diskussion um die begriffliche Konkretisierung wurde zunächst aufgezeigt, dass der Bildungsbegriff, wie er in dieser Arbeit verwendet wird, sowohl eine Entwicklungsorientierung als auch eine Anforderungsorientierung umfasst. Die Entwicklungsorientierung bezieht sich auf den Erwerb von Handlungskompetenzen, die der Entwicklung der Persönlichkeit dienen. Die Anforderungsorientierung richtet sich auf die Erfüllung sozialer Anforderungen aus und damit auf die Qualifizierung. Pointiert kann hierbei von dem Begriffspaar Persönlichkeitsentwicklung (Perspektive des Individuums) und Personalentwicklung (Perspektive des Unternehmens) gesprochen werden. Es wurde festgehalten, dass das Verhältnis zwischen beiden sowohl
1202
Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 77.
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
215
Konsens- als auch Konfliktpunkte beinhaltet. Ein Konsens besteht in der breiten Auslegung des Qualifikationsbegriffs. Das Konfliktpotential bezieht sich auf die meist vorfindliche Begrenzung auf unternehmerische Anforderungen. Im Zusammenhang mit den Interaktionsthemen Werte und Ansprüche wurde deutlich, dass auch hier Unterschiedlichkeiten zwischen den individuellen und unternehmerischen Aspekten festzustellen sind. Die Werte der Mitarbeitenden stehen in einer starken Verbindung mit der Forderung nach Persönlichkeitsentwicklung und begründen diese, wohingegen sich die Unternehmen meist auf ‚traditionelle Werthaltungen’ beziehen. Aus den Ausführungen im vorangegangen Kapitel wurde deutlich, dass die Unterschiedlichkeit zwischen den Wertsystemen nicht bedeutet, dass diese homogenisiert werden sollten. Vielmehr ist es aus Sicht des Bildungsmanagements wesentlich, dass das dieser Arbeit zugrunde liegende Grundwerturteil sowohl mit den individuellen als auch den unternehmerischen Wertstrukturen vereinbar ist. Daneben bedingen die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse einen Wertepluralismus, der auch vor den Unternehmensgrenzen nicht Halt macht und daher zu berücksichtigen ist. Mit dem Interaktionsthema Werte hängt das Thema Ansprüche eng zusammen. Auf dieser Ebene wurde bereits in der theoretischen Exploration ein gewisses Spannungsverhältnis konstatiert. Das Hauptziel des Unternehmens liegt in der Sicherung seiner Überlebensfähigkeit und damit verbunden in der Regel in der Gewinnerwirtschaftung und Gewinnmaximierung. Vom Bildungsmanagement wird aus dieser Position die Entwicklung des Personals zur Sicherstellung der Produktivität erwartet. Die Ansprüche der Mitarbeitenden lassen sich unter der Forderung nach erhöhter Lebensqualität zusammenfassen. Für das Unternehmen bedeutet die Anspruchserfüllung eine entsprechende Nutzengenerierung für den Mitarbeitenden. Damit ist nicht nur eine Existenz- und Lebensunterhaltsfinanzierung angesprochen, sondern insbesondere auch die Forderung nach Selbstverwirklichung. Es wird folglich deutlich, dass die Ansprüche in starkem Zusammenhang zur oben aufgeführten Diskussion um Personalentwicklung versus Persönlichkeitsentwicklung stehen. Dem Bildungsmanagement kommt nun die Aufgabe zu, zwischen der individuellen Position des Mitarbeitenden und den unternehmerischen Anforderungen zu vermitteln. Dabei ist festzuhalten, dass es sich nicht automatisch um eine konfliktäre Beziehung handelt, wenngleich Unterschiedlichkeiten festzustellen sind. Vielmehr scheint zwischen beiden Positionen ein positives Spannungs- bzw. Ergänzungsverhältnis zu bestehen. Denn beide Extrempositionen kommen ohne die jeweilig andere nicht aus. Auf der einen Seite hat eine zu starke Orientierung auf den Aspekt der
Bezugsrahmen I
216
Personalentwicklung und damit auf die Interessen des Unternehmens bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Ansprüche der Mitarbeitenden einen negativen Effekt auf die Motivation und das Engagement der Mitarbeitenden. Damit könnte langfristig möglicherweise der Unternehmenserhalt gefährdet sein.1203 Auf der anderen Seite birgt eine alleinige Orientierung an den Mitarbeiterinteressen im Extremfall die Gefahr, dass die unternehmerische Zielerreichung vernachlässigt wird. Eine Berücksichtigung beider Perspektiven ermöglicht zum einen die Erreichung der Ziele des Unternehmens, zum anderen werden aber auch die Interessen der Mitarbeitenden berücksichtigt, was wiederum einen positiven Effekt auf die Zielerreichung des Unternehmens haben kann. Die Vorstellung eines optimalen Gleichgewichts zwischen beiden Extrempositionen kann entsprechend durch die einer dynamischen Balance ersetzt werden. Die Aufgabe des Bildungsmanagements im Unternehmen ist es, eine Balance zwischen Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen herzustellen und aufrechtzuerhalten. Dabei ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass die beiden Werte sich gegenseitig durchdringen und jeweils schon selbst „ein Spurenelement des Gegenpoles“1204 enthalten. Daneben ist die angestrebte Balance keine statische, sondern eine dynamische: je nach Situation kann das Pendel hin oder her schlagen. „Entscheidend ist, dass als innere Möglichkeit beide Haltungen zur Verfügung stehen“1205 – wobei es der menschlichen Natur entspricht, sich der einen Möglichkeit mehr zuzuneigen und sich der anderen gegenüber eher abweisend zu verhalten. Im Unternehmenskontext bedeutet dies meist eine Konzentration auf die Gewinnmaximierung.1206 Um dennoch aus Sicht des Bildungsmanagements zu einer ausgewogenen Balance zu kommen, müssen die Ansprüche der Mitarbeitenden Eingang finden in die unternehmenspolitischen Prozesse. Die Integration von individuellen Ansprüchen in das Unternehmen sollte dabei aus einer Gesamtsicht heraus erfolgen. So kann es, wie bereits dargestellt, auf der einen Seite durchaus Mitarbeitende geben, die ihre Arbeit als ‚reine’ Erwerbsarbeit primär unter dem Aspekt materieller Kriterien verrichten, auf der
1203
Bart bringt dies wie folgt zum Ausdruck: „if a firm does not meet the needs of its employees … its long-term survival may be in doubt“ (Bart, 1997, S. 10).
1204
Schulz von Thun, 2003, S. 40. Er verwendet zur Veranschaulichung dieses Prinzips die Vorstellung eines Yin-Yang-Verhältnisses der beiden Werte.
1205
Schulz von Thun, 2003, S. 44.
1206
Dies belegen auch die Ergebnisse der SCIL-Trendstudie: das Thema Persönlichkeitsentwicklung (und mit ihr die Verständigungsorientierung) wird derzeit noch wenig beachtet und schlummert mit einigen Ausnahmen eher im „Dornröschenschlaf“ (vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 23 ff.).
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
217
anderen Seite aber auch viele Mitarbeitende, die einen Anspruch auf Selbstverwirklichung und Erfüllung in ihrer Arbeit haben. Bei der Formulierung der Unternehmenspolitik (beispielsweise im Rahmen eines Leitbildes) ist es wesentlich, dass die darin festgehaltenen Verhaltensregeln und -grundsätze im Gesamtbild mit den grundlegenden Ansprüchen aller Mitarbeitenden vereinbar sind und so ihr Handeln prägen (können). Damit kann für den Ordnungsmoment Unternehmenspolitik festgehalten werden:
Unternehmenspo litik Kernaussage
Aus Sicht des Bildungsmanagements steht im Rahmen der Unternehmenspolitik das Spannungsverhältnis zwischen den Werten, Ansprüchen und Interessen des Unternehmens und der Mitarbeitenden im Mittelpunkt. Die Aufgabe des Bildungsmanagements ist es, eine integrative Perspektive einzunehmen und so dazu beizutragen, dass beide Aspekte in der Unternehmenspolitik aufgenommen werden.
Kategorien
Werte und Ansprüche der Mitarbeitenden Werte und Ansprüche des Unternehmens Konsens- und Konfliktpotentiale auf der Ebene der Werthaltungen und der Ansprüche
Ansatzpunkte Ebene der Werte: Reflexion des Zusammenhangs zwischen unternehmerischen und individuellen Werten Ebene der Ansprüche: Klärung möglicher Konflikte im Sinne der Herstellung einer dynamischen Balance Aus den obigen Diskussionen leiten sich folgende Fragestellungen für die Auswertung der Fallstudien ab: x x x
Wie formulieren die Mitarbeitenden ihre Ansprüche an das Unternehmen? Welche Ansprüche hat das Unternehmen (an seine Mitarbeitenden)? Wie wird möglichen Werte- und Anspruchskonflikten begegnet?
4.1.4. EHF 3: Leitbild Die Überlegungen zur Managementphilosophie und zur Unternehmenspolitik finden ihren Ausdruck in der Formulierung eines Leitbildes. Dieses legt die Managementphilosophie eines Unternehmens offen, kommuniziert sie und dient der Gestaltung der Unternehmenspolitik. Damit trägt es zur Orientierung, Motivation und Legitimation
Bezugsrahmen I
218
bei. Aus Sicht des Bildungsmanagements ergeben sich zwei grundsätzliche Optionen, die sich gegenseitig nicht ausschließen: zum einen die Integration von Aussagen zum Bildungsmanagement im Unternehmensleitbild/Bereichsleitbild und zum anderen die Erstellung eines eigenen Bildungsmanagement-Leitbildes. Unabhängig davon kann das Bildungsmanagement die Aufgabe übernehmen, den Prozess der Leitbildentwicklung zu moderieren und das Ergebnis zu dokumentieren. Werden Aussagen über Bildung im Unternehmensleitbild festgehalten, verdeutlicht dies die Wichtigkeit des Themas. Die bereits angesprochene Harmonisierung des Interessenkonflikts zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden wird anerkannt und dies entsprechend auch nach außen signalisiert. Alternativ bzw. zusätzlich kann ein spezielles Bildungsmanagement-Leitbild entwickelt und implementiert werden. Dieses Vorgehen würde die Möglichkeit bieten, detaillierte Aussagen rund um das Bildungsmanagement aufzunehmen und zu explizieren. Vor dem Hintergrund der Entwicklung, dass das Bildungsmanagement zunehmend Teil des unternehmerischen Managements wird, scheint es allerdings wesentlich bedeutsamer, langfristig die mit dem Bildungsmanagement verbundenen Werte, Grundsätze und Ziele in das allgemeine Unternehmensleitbild zu integrieren und dem Bildungsmanagement damit einen entsprechenden Stellenwert einzuräumen. Die Einführung eines Leitbildes macht allerdings nur dann Sinn, wenn der Erstellungsprozess entsprechend gestaltet wurde. So ist es bei der Leitbilderstellung wichtig, die Mitarbeitenden zu integrieren. Dadurch wird sichergestellt, dass das Leitbild nicht nur leere Floskeln enthält, sondern realitätsnah formuliert ist. Dann gibt es den Mitarbeitern auf der einen Seite Orientierung und Motivation und zeigt Ihnen auf der anderen Seite die Werthaltung der Unternehmungsleitung auf. Auf diese Weise wird die Akzeptanzsicherung bei den Mitarbeitenden gestärkt und ein erfolgreicher Implementierungsprozess begünstigt. Im Zusammenhang mit der Implementierung kommt auch dem obersten Management eine wichtige Vorbildfunktion zu – das TopManagement sollte die Leitbilder vorleben. Insgesamt muss allerdings festgehalten werden, dass „the successful formulation and implementation of mission statements is viewed as a highly uncertain process with unpredictable outcomes.“1207 Wird eine Managementphilosophie und Unternehmenspolitik in einem Leitbild konkretisiert, so muss dies bezogen auf die spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens und seiner Mitglieder unternehmensindividuell
1207
Bart, 1997, S. 11.
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
219
erfolgen. Dabei geht es nicht um das festgeschriebene Bekenntnis zu schönen Phrasen, sondern um Klarheit über die impliziten Wertvorstellungen des tatsächlichen Handelns1208, d. h. das Leitbild sollte Bezug zum eigentlichen Handeln im Unternehmen haben und nicht die Wunschvorstellungen Einzelner repräsentieren. Das Vorhandensein eines Leitbildes löst nicht alle Konflikte, Irritationen und Interessenkollisionen. Aber eine gemeinsame Basis lässt die Beteiligten geschlossener miteinander agieren, kann im Inneren manche Reibungsverluste und Fehlinterpretationen verringern und nach außen eine auf Information und Kommunikation gegründete Wahrnehmung ermöglichen, die Vertrauen und Verständnis schafft, auch an Stellen, wo nicht immer alles einfach, eindeutig, leise und billig ist.1209
Dem Bildungsmanagement kommt auf dieser Ebene vor allem eine Moderations- und Dokumentationsaufgabe zu, wie auch die propositionale Darstellung deutlich macht:
Leitbild Kernaussage
Das Leitbild dient der Kommunikation der Managementphilosophie und der Unternehmenspolitik. Es beschreibt die Werte und Grundhaltungen, die ein Unternehmen leben will und das gewollte Denken und Handeln der Mitarbeiter. Entsprechend kann es den Stellenwert des Bildungsmanagements im Unternehmen verdeutlichen/beeinflussen. Die Aufgabe des Bildungsmanagements liegt vor allem in der Moderation und Dokumentation.
Kategorien
Bildungsmanagement-Aussagen im Unternehmensleitbild Bildungsmanagement-Leitbild
Ansatzpunkte Bereichsleitbild als Zwischenstufe auf dem Weg zur Integration von Bildungsmanagement-Aussagen im Unternehmensleitbild Gestaltung des Erstellungsprozesses (Integration der Mitarbeitenden) Formulierung des Leitbilds (Anschlussfähigkeit) Hieraus ergeben sich für die empirische Exploration folgende Fragestellungen: x
x
Wie werden Aussagen zum Thema Bildung in den Fallstudienunternehmen festgehalten? Wie kam es zu diesem Leitbild?
1208
Vgl. Ulrich, P./Fluri, 1995, S. 53 f.
1209
Beer, 2002, S. 55 f.
Bezugsrahmen I
220
4.2. Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene Das strategische Management konzentriert sich auf den Aufbau, die Pflege und die Nutzung der Erfolgspotentiale des Unternehmens. Eine dieser wesentlichen Ressourcen sind die Mitarbeitenden (und damit verbunden die Bildung). Die Beschäftigung mit Bildungsprozessen und dem Thema Bildung steht im Mittelpunkt des Bildungsmanagements, welches ein integraler Bestandteil des Managements ist. Vor diesen Hintergründen wird deutlich, dass dem Bildungsmanagement ein wesentlicher Anteil an den Managementprozessen auf der strategischen Ebene zukommt. Im Gegensatz zum normativen Management, welches eine Legitimationsfunktion hat, wirkt das strategische Management auf die Aktivitäten ein, indem es sich mit allen Themen auseinandersetzt, die hinsichtlich der Unternehmensentwicklung von Bedeutung sind. Im Rahmen der theoretischen Exploration wurden die drei Ordnungsmomente Strategie, Struktur und Kultur betrachtet. Hierbei handelt es sich um miteinander in Beziehung stehende, sich gegenseitig beeinflussende Themenfelder. Bei der Analyse der strategischen Ebene sind nicht nur interne Bedingungsfaktoren zu berücksichtigen, sondern auch externe Einflussgrößen, die in ein technologisches, ökonomisches, soziokulturelles und politisch-rechtliches Segment eingeteilt werden können. Abbildung 32 stellt die Zusammenhänge auf der strategischen Ebene zusammenfassend dar, bevor auf die einzelnen Themengebiete detaillierter eingegangen wird. Technologisches Segment
Ökonomisches Segment
Umwelt
Unternehmen Strategische Ebene
Strategie Kultur
Struktur
Mitarbeitende Soziokulturelles Segment
Politisch-rechtliches Segment
Abbildung 32: Modell des Bildungsmanagements auf der strategischen Ebene
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
221
4.2.1. EHF 4: Strategie Ein wesentliches Entscheidungs- und Handlungsfeld sind Strategien. Es stellt sich nun die Frage, welche Bedeutung Strategien für das Bildungsmanagement haben bzw. welche Rolle dem Bildungsmanagement im Zusammenhang mit Strategien zukommt. Zunächst wird aufgezeigt, dass das Thema Strategie aus Sicht des Bildungsmanagements auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen diskutiert werden kann (Kapitel 4.2.1.1). Daran anschließend wird die mit dem Bildungsmanagement-Verständnis dieser Arbeit zusammenhängende strategische Grundausrichtung thematisiert (Kapitel 4.2.1.2). Kapitel 4.2.1.3 geht darauf aufbauend auf die Rolle des Bildungsmanagements im Strategieprozess an sich ein.
4.2.1.1. Unterschiedliche Betrachtungsebenen Im Rahmen der theoretischen Exploration wurde die Unterscheidung zwischen Geschäftsfeldstrategien und Unternehmensstrategie eingeführt (siehe S. 90). Dabei wurde darauf hingewiesen, dass beide Ebenen aus Sicht des Bildungsmanagements relevant sein können. In den Ausführungen der theoretischen Exploration erfolgte allerdings eine Fokussierung auf die Unternehmensstrategie. Dieses Vorgehen wurde damit begründet, dass das Bildungsmanagement in dieser Arbeit als komplexe Managementaufgabe verstanden wird, die im Rahmen ihrer Unterstützungsfunktion Anteil hat an den unternehmerischen Strategieprozessen. Die Darstellungen zur Entwicklung des Bezugsrahmens in den folgenden Kapiteln beziehen sich weiterhin auf diese Perspektive. Nichtsdestotrotz kann aber auch die Geschäftsfeldstrategie Relevanz für das Bildungsmanagement in Unternehmen haben. Geschäftsfeldstrategien begründen sich grundsätzlich damit, dass Geschäftsbereiche in der Regel für weitgehend unabhängige, marktorientierte Teilbereiche – ein Geschäftsfeld – verantwortlich sind. Die einzelnen Geschäfts(feld)strategien sind auf der Unternehmensebene wiederum in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Diese konzentriert sich auf die Gestaltung des Geschäftsfeldportfolios und die Führung dieser Geschäftsfelder aus einer Gesamtperspektive.1210 Es zeigt sich beispielsweise im Zusammenhang mit der Organisationsform einer Corporate University, dass das Bildungsmanagement ein eigenes
1210
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 13; Rüegg-Stürm, 2004, S. 86; Gomez, 1993, S. 56.
Bezugsrahmen I
222
Geschäftsfeld des Unternehmens darstellen kann. Dieses bietet möglicherweise Leistungen auch für unternehmensexterne Kunden an und bearbeitet damit ein eigenes Marktsegment. Mit einer Geschäftsfeldstrategie legt das Bildungsmanagement dann beispielsweise fest, wie der Wettbewerb bestritten wird.1211 Ein weiterer Ansatz für die Formulierung von (in der Praxis) so genannten „Bildungs(management)-Strategien“ geht von der Beobachtung aus, dass z. T. die Ebenen betrieblicher Funktionen als strategische Ebenen begriffen werden und dementsprechend von Funktionsstrategien die Rede ist.1212 Wird das Bildungsmanagement als betriebliche Funktion angesehen, so wäre es aus dieser Sichtweise möglich, von der Strategie des Bildungsmanagements zu sprechen. Dies steht allerdings im Gegensatz zu dem in dieser Arbeit zugrunde liegenden Begriffsverständnis: zum einen werden Strategien aus einer übergreifenden Perspektive formuliert. Sie sind auf das ganze Geschäft gerichtet und streben eine gesamthafte Ausrichtung der Aktivitäten an. Zum anderen wird Bildungsmanagement als Teil des unternehmerischen Managements angesehen. Betriebliche Funktionsbereiche können keine strategische Autonomie besitzen, ihre Steuerung ist an die festgelegte Strategie gebunden. Allerdings ist es die Aufgabe der Funktionsbereiche, Programme zu entwickeln, die eine Strategieimplementierung sicherstellen – daher wird häufig von strategischen Programmen gesprochen.1213 Oftmals wird dieser Bereich deshalb dem operativen Management zugeordnet.1214 Ist in der Praxis von einer Strategie des Bildungsmanagements die Rede, können damit auch derartige strategische Programme gemeint sein (was wiederum der Rolle des Bildungsmanagements als Strategieimplementierer entspricht). Bei der Gestaltung des Entscheidungs- und Handlungsfeldes Strategie gilt es folglich zu beachten:
1211
Da dies allerdings eine Sonderform darstellt, sich die Dissertation auf das Bildungsmanagement im eigentlichen Sinn fokussiert und eine umfangreiche Anzahl Literatur zur Formulierung von Wettbewerbsstrategien zur Verfügung steht (vgl. z. B. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 262 ff.) wurde und wird dieser Ansatz nicht detaillierter verfolgt. Beispielsweise hat Seufert basierend auf den GMN einen Bildungsmanagement-Navigator entwickelt, der sich mit der Frage der Ausrichtung einer Bildungsmanagement-Abteilung im obigen Sinne beschäftigt (vgl. ausführlich Seufert, 2006b; Seufert/Meier, 2007).
1212
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 156.
1213
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 156, S. 232 ff.; Hungenberg, 2000, S. 15.
1214
Vgl. Hungenberg, 2000, S. 15; in eine ähnliche Richtung argumentiert Hinterhuber indem er darauf hinweist, dass funktionale Einheiten lediglich die geplanten Strategien ausführen, vgl. Hinterhuber, A., 2002, S. 143.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
223
Unterschiedlichkeit der Betrachtungsebenen Kernaussage
Aus Sicht des Bildungsmanagements können bezogen auf die Strategie verschiedene Betrachtungsebenen unterschieden werden. Diese schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern sind die Folge unterschiedlich eingenommener Perspektiven.
Kategorien
Ebene der Unternehmensstrategie (Bildungsmanagement als Mitentwickler der Unternehmensstrategie) Ebene der Geschäftsstrategie (Strategie des Geschäftsfeldes Bildungsmanagement) Ebene des Funktionsbereichs (Strategisches Programm des Bildungsmanagements)
Einflussfaktor
Aufgrund des Bildungsmanagement-Verständnisses dieser Arbeit erfolgt eine Konzentration auf die Ebene der Unternehmensstrategie.
Bezogen auf die empirische Exploration stellt sich folgende Frage: Auf welcher Strategieebene spielen Bildungsmanagement-Aspekte in den Fallstudienunternehmen eine Rolle?
4.2.1.2. Strategische Grundausrichtung Zu Beginn der Ausführungen im Rahmen der theoretischen Exploration zur Strategie wurde die Frage aufgeworfen, welche Bezugspunkte/Ansätze für die Strategieentwicklung und -implementierung in Unternehmen existieren und wie diese den Strategieprozess ausgestalten. Neben einer Betrachtung historischer Bezugspunkte erfolgte eine vertiefte Diskussion des präskriptiven Ansatzes der Design-School. Für diese ist die Integration des ‚Resource-based View’ und des ‚Marked-based View’ kennzeichnend. Diese integrierte Vorgehensweise ist auch für das Bildungsmanagement sehr wesentlich. Das Bildungsmanagement strebt, wie bereits dargestellt, im Rahmen normativer Prozesse die Harmonisierung personeller und organisationaler Interessenkonstellationen an. Diese Grundhaltung aus der normativen Ebene überträgt sich auch auf die strategische Ebene. Aus Sicht des Bildungsmanagements muss sich ein unternehmerisches Strategiekonzept sowohl an der Outside-in-Perspektive eines marktgetriebenen ‚Industrial Economic’-Ansatzes orientieren, als sich auch im Sinne einer Inside-out-Perspektive an den durch Bildungsmanagement-Prozesse sich ständig verändernden Kernkompetenzen im/des Unternehmen/s ausrichten.
Bezugsrahmen I
224
Im Rahmen der theoretischen Exploration wurden vielfältige Trends dargestellt, die aus einer marktorientierten Perspektive das Bildungsmanagement im Unternehmen beeinflussen. Dabei können ein technologisches, ökonomisches, soziokulturelles und politisch-rechtliches Segment unterschieden werden. Abbildung 33 stellt die einzelnen Segmente nochmals zusammenfassend mit beispielhaften Trends dar. Für das Bildungsmanagement werden diese Trends insbesondere dann spürbar, wenn sie das Verhalten einzelner Anspruchsgruppen prägen bzw. von diesen aktiv vorangetrieben werden. Daher ist es notwendig, die externen Trends, Anforderungen und Marktentwicklungen frühzeitig zu erkennen, aufzugreifen und in ihren Implikationen für das Unternehmen zu identifizieren, damit dieses gegebenenfalls darauf reagieren bzw. sich proaktiv darauf einstellen kann.
Umwelt Technologisches Segment • • •
Produktinnovationen Prozessinnovationen Veränderte Kommunikationstechnologien Technologien zum Wissenstransfer Beschleunigung des technologischen Wandels Zusammenwachsen von Technologien …
• • • •
Ökonomisches Segment • • • • • •
Konsumverhalten Arbeitslosigkeit Internationalisierung Globalisierung Flexibilisierung …
Unternehmen • • • • • • •
Bevölkerungsentwicklung Altersstruktur Geografische Verteilung Mobilitätsverhalten Arbeitseinstellung Veränderung der Werte und Normen …
Soziokulturelles Segment
• • • • •
Verflechtung Politik/Wirtschaft Subventionspolitik Bologna-Prozess Rechtliche Vorgaben der Ausbildung …
Politisch-rechtliches Segment
Abbildung 33: Einflussgrößen der Umwelt im Rahmen der Outside-in-Analyse
Dadurch, dass die Outside-in-Analyse mit einer Inside-out-Analyse verbunden und durch den Einsatz weiterer Methoden (z. B. der SWOT-Analyse) der Strategieentwicklung zugänglich gemacht wird, kann das Bildungsmanagement die Ansprüche und Fähigkeiten der Mitarbeitenden aufnehmen, sie mit den Erfordernissen des
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
225
Marktes und damit des Unternehmens abgleichen, sowie daraus entsprechende (Bildungs-)Strategien generieren. Durch die intensive Beschäftigung des Bildungsmanagements mit der Analyse der intangiblen Unternehmensfaktoren trägt es entscheidend zum Erkenntnisgewinn auf Unternehmensebene bei. Entsprechend kommt dem Bildungsmanagement eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der (Unternehmens-)Strategie zu. Dabei ist aus Sicht des Bildungsmanagements im Unternehmen allerdings zu beachten, dass im Rahmen der Strategieentwicklung keine alleinige Orientierung am ökonomischen Bedarf erfolgen sollte. In Anlehnung an Euler1215 lässt sich dies durch zwei Argumente begründen: x
Qualifikationstheoretisch kann nicht konkret festgelegt werden, wie die Anforderungen der Zukunft aussehen. Der Bedarf des Unternehmens ist selbst für langfristig denkende Bildungsmanager nicht prognostizierbar.
x
Lerntheoretisch würde die Anpassung von Mitarbeitenden an einen vorgegebenen Bedarf dazu führen, dass diese ihr Handeln danach ausrichten und nicht mehr flexibel auf Veränderungen reagieren.
Wie im Zusammenhang mit der Konkretisierung des Begriffs Strategie deutlich wurde, ist aufgrund der Nicht-Prognostizierbarkeit der Zukunft ein flexibles (Re-)Agieren im Unternehmen notwendig. Dies gilt insbesondere für das Bildungsmanagement, da die Einstellungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Humanressourcen im Unternehmen sich nicht von heute auf morgen ändern lassen, sondern einen Wandlungsprozess durchlaufen, der Zeit in Anspruch nimmt. Daneben ist die Form des Handelns und Reagierens mit dem „ureigenen Charakter“1216 des Unternehmens verbunden und unterscheidet sich entsprechend von Unternehmen zu Unternehmen. Zusammenfassend ist der präskriptive Ansatz wie aufgezeigt durch die Integration des ‚Market-based View’ und des ‚Resource-based View’ bestimmt. Beide Denkrichtungen kommen ohne einander nicht aus. Insbesondere die ressourcenorientierte Sichtweise begründet die wesentliche Bedeutung des Bildungsmanagements in der Strategieentwicklung, da dort die erfolgbringenden Ressourcen im Mittelpunkt stehen. Aber auch die Outside-in-Perspektive ist wichtig, um die Chancen und Risiken des Marktes mit in die Strategieüberlegungen aufnehmen zu können. Der TopManager als der Stratege im Unternehmen leitet die Analyse der durch diese Denkrichtung bestimmten Bereiche. Dies ist insofern problematisch, als dass es sich hierbei
1215
Vgl. Euler, 2004, S. 41.
1216
Selznick, 1957, S. 67.
Bezugsrahmen I
226
keineswegs um eine wertfreie Erhebung von objektiven Faktoren handelt, sondern immer auch eine subjektive Interpretation eine Rolle spielt.1217 Damit wird die Bedeutung der im Zusammenhang mit dem normativen Management formulierten Prämisse (Auseinandersetzung des Managements mit seinen Werthaltungen, deren Reflexion und Externalisierung) verstärkt. Gleichzeitig wird durch die entscheidende Rolle des Top-Managements die Forderung nach einer möglichst hohen Verankerung des Bildungsmanagements begründet. Kritisch ist es zu sehen, dass der dargestellte präskriptive Ansatz sich auf eine Situation bezieht, in der kollektive Lernprozesse im Unternehmen weitgehend beendet sind oder nicht existieren. Ebenso wird davon ausgegangen, dass alle Strategien in einem ‚top-down’-Ansatz generiert werden. Dem entgegen hebt der deskriptive Ansatz der Strategieentwicklung hervor, dass Strategien sich auch emergent und im Rahmen eines ‚bottom-up’-Ansatzes entwickeln können. Dabei wird das „Strategiefindungsvermögen der Wissensträger an der Basis“1218 berücksichtigt. Es ist nicht mehr die Rolle des Top-Managements, die Strategien in einem isolierten Prozess auszuarbeiten, sondern den kollektiven Lernprozess im Bewusstsein, dass jeder als Stratege agieren kann, zu unterstützen. In derartigen Lernenden Organisationen werden Strategien folglich nicht mehr bewusst konzipiert, sondern der Lernprozess wird so organisiert, dass neue Strategien entstehen können. Auf diese Weise reagiert das Unternehmen automatisch auf die sich ändernden externen und internen Anforderungen. Für den Bezugsrahmen des Bildungsmanagements in Unternehmen haben beide Ansätze aus unterschiedlichen Perpektiven ihre Relevanz und Berechtigung. Dies ergibt sich daraus, dass in der Praxis festzustellen ist, dass es weder Strategien gibt, die nur basierend auf einem bewussten Prozess entwickelt wurden noch solche, die sich gänzlich herausgebildet haben. Meist ist eine Kombination festzustellen. Durch die integrierte Sichtweise, die sowohl die präskriptiven Prämissen der Design-School als auch aus einer deskriptiven Sichtweise, die im Zusammenhang mit dem Lernen in und von Organisationen stehenden Grundgedanken aufnimmt, können gegebenenfalls die Vorteile beider Vorgehensweisen mit einander verbunden werden. Mintzberg beschreibt dies wie folgt: „Es bedarf eines kontrollierten Vorgehens, doch dabei müssen die Türen für Lernerfahrungen geöffnet bleiben. Strategien müssen sich also, mit anderen Worten, einerseits formen und andererseits formuliert werden“1219.
1217
Vgl. Staehle, 1991, S. 592.
1218
Bleicher, 1999, S. 121.
1219
Mintzberg, 2005, S. 25.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
227
Dabei ist zu beachten, dass Strategien von der individuellen Situation des Unternehmens und den jeweiligen Umständen abhängen.1220 Das Bildungsmanagement kann im jeweiligen Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zur Strategieentwicklung leisten, wenn es in seinem Handeln beide Positionen berücksichtigt und sich entsprechend einbringt. Von der Strategieentwicklung ist im Rahmen präskriptiver Ansätze die Strategieimplementierung zu unterscheiden. Zur Strategieimplementierung und der damit verbundenen Veränderungsarbeit wurde der Gestaltungsansatz von Müller-Stewens und Lechner vorgestellt, auf welchen im nächsten Kapitel noch näher eingegangen wird. Dabei wurde deutlich, dass inbesondere die Gestaltung der Strukturen und Kulturen im Unternehmen (vgl. nachfolgende Kapitel 4.2.2 und 4.2.3) eine Rolle bei der Implementierung strategischer Initiativen spielt. Aus deskriptiver Sicht ergibt sich die Strategieformierung im Rahmen eines Lernprozesses, in welchem die Phasen der Strategieentwicklung und -implementierung nicht mehr von einander zu trennen sind. Es kann hier zusammenfassend festgehalten werden:
Strategische Grundausrichtung Kernaussage
Um alle Ansprüche an das Unternehmen aufnehmen zu können ist aus Sicht des Bildungsmanagements eine integrierte Sichtweise der Strategieentwicklung notwendig. Diese umfasst sowohl aus einem ‚Market-based View’ die Umweltbedingungen und Trends als auch aus einem ‚Resource-based View’ die spezifischen Ressourcen und Kompetenzen im Unternehmen und berücksichtigt die Nutzung von Lernprozessen.
Kategorien
‚Marked-based View’ und ‚Resource-based View’ Inside-out- und Outside-in-Perspektive Präskriptive und deskriptive Strategieprozessmodelle
Einflussfaktoren
Bedeutung der Rahmenbedingungen von Veränderungsprozessen Nicht-Prognostizierbarkeit der Zukunft
Für die empirische Exploration ergeben sich insbesondere folgende Fragestellungen:
1220
„Allgemeingültige Leitlinien, die den Inhalt von Strategien betreffen, gibt es nicht.“ (MüllerStewens/Lechner, 2001, S. 44).
Bezugsrahmen I
228
x
x
Wie werden Strategien aus Sicht das Bildungsmanagements in den Unternehmen entwickelt? Von wem werden die Strategien in den Unternehmen entwickelt?
4.2.1.3. Rolle des Bildungsmanagements im Strategieprozess Bei einer Betrachtung von Strategieprozessen stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Rolle des Bildungsmanagements im Prozess. Nachdem das Bildungsmanagement lange Zeit eine rein administrative Rolle in den Unternehmen eingenommen hat, wurde es in den letzten Jahren verstärkt als Instrument zur Umsetzung der Unternehmensstrategie eingesetzt – d. h. das Bildungsmanagement agiert(e) häufig reaktiv und konzentriert(e) sich auf die Aufgabe der Strategieimplementierung. Dies lag insofern nahe, als dass das Bildungsmanagement im Rahmen von Schulungsmaßnahmen verändernd auf die Mitarbeitenden einwirken konnte. Die Ergebnisse der SCILTrendstudie1221 belegen diese Beobachtung eindrücklich. Dem Thema ‚Einflussnahme des Bildungsmanagements in der Strategieentwicklung erhöhen’ kommt nach Einschätzung der Experten eine sehr hohe Bedeutsamkeit zu (92 % der Experten stufen es mit hoch oder mittel bedeutsam ein, keiner beurteilt es als unwichtig). Gleichzeitig zählt es aber zu den Vorhaben, die größtenteils erst zukünftig angegangen und realisiert werden. Über die gesamte Studie betrachtet scheint es damit eines der Zukunftsthemen des Bildungsmanagements zu sein. Gleichzeitig diskutierten die Experten im Rahmen der dritten Delphi-Runde das oben dargestellte Problem des Umdenkens. Das Bildungsmanagement will und sollte sich aus der ausführenden Position lösen und zunehmend die Rolle des Strategieentwicklers einnehmen. Damit verbunden ist die Ausbildung einer gewissen Professionalität. Das heißt, das Bildungsmanagement muss sich seiner Rolle bewusst werden und dieser Rolle bewusst, langfristig auf die Strategieentwicklung Einfluss nehmen.1222 Diese Forderung wird im Zusammenhang mit dem Typenmodell des Bildungsmanagements in Kapitel 4.2.3.3 nochmals aufgenommen und weiter geführt. Im Rahmen der theoretischen Exploration wurde der GMN von Müller-Stewens und Lechner herangezogen um darzustellen, welche Aspekte bei der Gestaltung des
1221
Vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006.
1222
Diese Forderung wurde auch von Unternehmensvertretern auf dem DGFP-Kongress 2006 verstärkt formuliert.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
229
Strategieprozesses wesentlich sind. Dabei erfolgte keine alle Einzelheiten umfassende Diskussion des Ansatzes. Vielmehr wurden zur Beantwortung der Frage ‚Wie können aus einer Gesamtsicht betrachtet Strategieprozesse gestaltet werden?’ einzelne Bezugspunkte in den fünf Arbeitsfeldern Initiierung, Positionierung, Wertschöpfung, Veränderung und Performance-Messung aufgezeigt. Im Zusammenhang mit der Rolle des Bildungsmanagements, wie sie oben diskutiert wurde, lassen sich bezogen auf die Ausführungen zum GMN im Rahmen der theoretischen Exploration zwei Beobachtungen festmachen. Zum einen stützen die Erkenntnisse wie bereits dargestellt die Aussage, dass dem Bildungsmanagement zunehmend die Rolle des Strategieentwicklers zukommt. Zum anderen impliziert das BildungsmanagementVerständnis dieser Arbeit eine gewisse Ausgestaltung des Strategieprozesses, wie im Folgenden näher dargestellt wird. Die Initiierungsphase fokussiert sich auf die Fragen, wie sich strategische Initiativen im Unternehmen bilden und wie dieser Entstehungsprozess gestaltet werden kann. Hierbei kommt die strategische Grundausrichtung des Bildungsmanagements deutlich zum Tragen. Es wurde bereits dargestellt, dass Strategien sowohl im Rahmen eines bewusst gesteuerten Prozesses entstehen können als auch durch sich unbewusst vollziehende (Lern-)Prozesse im Unternehmen. Insgesamt ist es bei der Initiierung von Strategieprozessen aus Sicht des Bildungsmanagements wesentlich, sich nicht vollständig von der aktiven Gestaltung abzuwenden und stattdessen allein auf die Kraft emergenter Prozesse zu vertrauen. Vielmehr gilt es ein Wechselspiel zwischen emergenten Prozessen und direkten Interventionen anzustreben. Zur Beantwortung der zweiten Frage wurde im Rahmen der theoretischen Exploration ein Bezugsrahmen zur Gestaltung und Reflexion der Iniitierungsphase eingeführt. Vor dem Hintergrund des in dieser Arbeit vertretenden BildungsmanagementVerständnisses ergeben sich insbesondere in den Dimensionen Ort und Beteiligte Tendenzen in der Ausgestaltung der Parameter. So ist es im Zusammenhang mit der Frage danach, wo in einer Organisation strategische Initiativen entstehen können (Dimension Ort) wichtig, nochmals darauf hinzuweisen, dass sich Strategieentwicklung prinzipiell auch außerhalb des Blickfeldes des Top-Managements vollziehen kann. Wobei Seufert einen Trend1223 zu einer „bipolaren Entwicklungsrichtung“ feststellt: „einerseits werden bestimmte strategische Themen auf Ebene der Unternehmensleitung ‚top-down’ vorangetrieben, andererseits lässt
1223
Der Trend ist allerdings empirisch noch nicht nachgewiesen.
Bezugsrahmen I
230
man für bestimmte Aspekte Initiativen in den einzelnen Geschäftsbereichen zu.“1224 Es gilt also Freiraum zu schaffen und offen zu lassen für die „Katalyse alternativer strategischer Initiativen“1225. Es zeigt sich auch in den Ergebnissen empirischer Studien, dass diejenigen Initiierungsstile überlegen sind, die zu einer Balance der Rollen zwischen Top-Management und der Restorganisation führen. Der CommandStil, wie er im Zusammenhang mit dem präskriptiven Ansatz der Design-School beschrieben wurde, schneidet ebenso schlecht ab wie der Stil, in welchem die Restorganisation dominiert.1226 Bezogen auf die Beteiligung an strategischen Initiativen wurden die Parameter Beteiligungsgrad, Perspektivenmix und Fähigkeitenmix thematisiert. Hierbei ergeben sich Verbindungen zu den Diskussionen der Ordnungsmomente Managementphilosophie, Unternehmenspolitik und Kultur. Wie bereits angesprochen, gilt es den Mitarbeitenden die Möglichkeit zur Mitgestaltung zu geben. Die Erweiterung des Beteiligungsgrades weg von der ‚elitären’ Konzentration auf einzelne Top-Manager kann z. B. mit motivationalen Aspekten oder der Forderung der Akzeptanz als Grundbedingung für die operative Wirksamkeit begründet werden. Daneben weisen Müller-Stewens und Lechner darauf hin, dass die „Erweiterung des Beteiligungsgrades … als Chance zur Aktivierung organisatorischer Lernprozesse begriffen werden“1227 kann.1228 Neben dem Beteiligungsgrad scheint im Zusammenhang mit der Beteiligung an strategischen Initiativen aus Sicht des Bildungsmanagements die Frage des Perspektivenmixes relevant zu sein. Grundsätzlich gilt es eine Entscheidung zwischen den Extremwerten heterogen und homogen zu treffen. Im Rahmen der Diskussion um Subkulturen im Unternehmen wurde bereits die Bedeutung heterogener Mitarbeiterzusammensetzungen angesprochen. Auch bei der Strategieentwicklung können die damit verbundenen Argumente dazu beitragen, dass Müller-
1224
Seufert, 2006b, S. 12. Seufert führt allerdings nicht näher aus, welche Themen ‚top-down’ vorangetrieben werden und für welche Aspekte Geschäftsbereichsinitiativen zugelassen werden.
1225
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 81.
1226
Vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 124. Allerdings gehen sie nicht näher darauf ein, um welche empirischen Studien es sich konkret handelt und wie sich die Ergebnisse im Detail darstellen.
1227
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 90.
1228
Mit der Erweiterung des Beteiligungsgrades sind allerdings auch diverse Nachteile verbunden wie die Verlangsamung der Entscheidungsgeschwindigkeit, die Gefahr, dass lediglich ein Minimalkonsens gefunden wird und methodische Probleme. Da derzeit allerdings der Beteiligungsgrad an offiziellen strategischen Initiativen in der Praxis als nach wie vor eher elitär einzustufen ist (vgl. Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 90) und nur eine langsame Öffnung des Prozesses zu beobachten ist, gilt es den Nachteilen keinen zu großen Stellenwert einzuräumen.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
231
Stewens und Lechner fordern: „Wer innovative Strategien will, muss in den Teams aber auch für ungewöhnliche Perspektiven Raum schaffen.“1229 Hierzu zählt beispielsweise die Forderung nach Querdenkern im Unternehmen. Allerdings gilt es sich bewusst zu sein, dass ein heterogener Perpektivenmix auch dazu beitragen kann, dass die Diskussionszeiten bei Entscheidungsfindungen erhöht werden, sich damit Entscheidungsprozesse verlangsamen können und ein tendenziell höheres Konfliktpotential besteht. Auch die Entscheidung für einen bestimmten Grad des Fähigkeitenmixes ist mit Vor- und Nachteilen verbunden. Eine monodisziplinäre Ausrichtung ermöglicht es fachlich in die Tiefe zu gehen. Allerdings fehlt dabei evtl. der Blick auf umfassende Zusammenhänge. Dieses ist durch eine interdisziplinäre Ausrichtung des Fähigkeitenmixes eher zu gewährleisten, wobei diese dazu führen kann, dass zwar eine breite aber zu wenig differenzierte und tiefe Fachkenntnis vorhanden ist. Das Bildungsmanagement-Verständnis dieser Arbeit impliziert die Ausrichtung auf eine gewisse Diversität der Perspektiven und Fähigkeiten. Allerdings gilt es zu beachten, dass das Ausmaß an Diversität sinnvoll sein sollte, d. h. einen Grad erreichen sollte, in dem das Unternehmen noch wirkungsvoll tätig sein kann (wobei der Grad je nach Unternehmen unterschiedlich sein kann). Im Rahmen der Positionierungsphase geht es darum, eine Unternehmens- und Umweltanalyse durchzuführen. Dieses Element wurde bereits im Zusammenhang mit der strategischen Grundausrichtung näher diskutiert. Daneben ist die Frage der Positionierung insbesondere für das Bildungsmanagement als Institution relevant (Entwicklung einer Wettbewerbs- und Marktstrategie). Mit der Positionierung ist die Wertschöpfungsphase eng verbunden. Strategische Initiativen in dieser Phase sind auf die Entwicklung bzw. Verbesserung organisationaler Fähigkeiten gerichtet. Für das Bildungsmanagement sind insbesondere die Ressourcen ‚Mitarbeitende’, ‚TopManagement’ und ‚Strategic Leadership’ relevante Bezugsgrößen, die in Kapitel 3.2.1.3 näher dargestellt wurden. Implikationen ergeben sich insbesondere für die Gestaltungsoptionen Vielfalt und Einsatzspektrum. Auch hier gibt es wieder enge Verknüpfungspunkte zu den Themenfeldern Kultur und Strategie sowie den dort diskutierten Inhalten. Beispielsweise zeigt es sich, dass die Diversität der Mitarbeitenden aus Sicht des Bildungsmanagements eine relevante Entwicklungsmöglichkeit des Unternehmens darstellt. Daneben impliziert das Bildungsmanagement-Verständnis dieser Arbeit ein Einsatzspektrum, welches sowohl spezialisierte als auch universelle Mitarbeitende mit einschließt. Bezogen auf die Veränderungsphase wurden als
1229
Müller-Stewens/Lechner, 2005, S. 87.
Bezugsrahmen I
232
wesentliche Gestaltungsräume und damit Entwicklungsobjekte im Unternehmen die Politik, Kultur und Struktur ausgewiesen. In allen drei Bereichen ergeben sich durch das Bildungsmanagement diverse Implikationen, wie in den entsprechenden Kapiteln detailliert aufgezeigt wird. Für das Bildungsmanagement ergeben sich im Strategieprozess vielfältige Gestaltungsoptionen:
Rolle des Bildungsmanagements im Strategieprozess Kernaussage
Das Bildungsmanagement nimmt im Strategieprozess zunehmend die Rolle des Strategieentwicklers ein. Damit sind Implikationen zur Gestaltung des Strategieprozesses verbunden.
Kategorien
GMN als Instrument der Strategiegestaltung: - Initiierungsphase (u. a. Bezugsrahmen zur Gestaltung der Initiierungsarbeit) - Positionierung (u. a. Unternehmens- und Umweltanalyse, SWOT-Analyse) - Wertschöpfung (u. a. ‚Resource-based View’, Bezugsrahmen zur Gestaltung der Wertschöpfungsarbeit) - Veränderung (u. a. Gestaltungsansatz zur Implementierung strategischer Initiativen) - Performance Messung (u. a. GMN-Ansatz)
Ansatzpunkte Initiierung: integrativer Ansatz, Gestaltungsoption Ort: bipolare Entwicklungsrichtung, Gestaltungsoption Dimension: breiter Beteiligungsgrad, Diversität des Perspektiven- und Fähigkeitenmix Positionierung: integrativer Ansatz Wertschöpfung: Ressourcen Mitarbeitende, Top-Management, Strategic Leadership, Gestaltungsoption Vielfalt: Diversität, Gestaltungsoption Einsatzspektrum: Mischmodell Veränderung: Politik, Kultur und Struktur als wesentliche Gestaltungsräume Für die empirische Exploration ergeben sich hieraus folgende Fragestellungen: x x
Welche Rolle kommt dem Bildungsmanagement im Strategieprozess zu? Inwieweit ist das Bildungsmanagement an der Strategieentwicklung beteiligt?
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
233
4.2.2. EHF 5: Kultur Die Kultur eines Unternehmens stellt den ‚weichen’ Erfolgsfaktor neben den ‚harten’ Erfolgsfaktoren ‚Strategie’ und ‚Struktur’ dar. Ihr kommt auf der strategischen Ebene durch die Verhaltenssteuerungsfunktion eine wesentliche Bedeutung zu. Im Folgenden wird das Thema ‚Kultur’ auf unterschiedlichen Ebenen thematisiert: zunächst steht die Ausprägungsform der Subkulturen im Mittelpunkt der Betrachtung (Kapitel 4.2.2.1). Daran anschließend (Kapitel 4.2.2.2) wird aufgezeigt, welche Kulturdimensionen aus Sicht des Bildungsmanagements von Relevanz sind. Kapitel 4.2.2.3 geht der Frage der Kulturanalyse und -gestaltung nach. Letztlich wird auch die Bedeutung von Führung im Rahmen des Bildungsmanagements aufgezeigt (Kapitel 4.2.2.4).
4.2.2.1. Kulturelle Ausprägungsformen und daraus resultierende Implikationen Unternehmen sind in bestimmten Kulturregionen verankert. Die damit verbundenen kulturellen Rahmenbedingungen beeinflussen die Kultur eines Unternehmens. Nichtsdestotrotz können sich die Unternehmenskulturen zwischen Unternehmen der gleichen Kulturregion aufgrund individueller und organisatorischer Einflüsse dennoch unterscheiden. Die Vielfalt der Anforderungen an das Unternehmen findet Niederschlag in der Existenz vielfältiger Subkulturen. Damit sind Unternehmen pluralistische Gebilde, die sich aus einer Vielzahl von Subkulturen zusammensetzen. Wunderlich hält hierzu fest: „Eine Unternehmenskultur will in der Regel ein ganzheitliches Konzept realisieren, aber deshalb ist sie nicht von vornherein ein uniformes Universum, sondern im Gegenteil ein lebendiger Organismus verschiedener, sogar unterschiedlicher Arbeits- und auch multipler Lebenswelten.“1230 Die Unternehmenskultur an sich kann als ‚Leim’ betrachtet werden, der die Subkulturen des Unternehmens zusammenhält. Denn bei aller Vielfalt ist ein Mindestmaß an Einheit notwendig, um den Erfolg des Unternehmens entsprechend dem Leitmotiv: ‚Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile’ sicherzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gesamtbild in sich selbst stimmig ist (d.h., dass die Unternehmenskultur keine Widersprüche beinhaltet, die laufend zu fatalen Friktionen führen).1231 Abbildung 34 stellt nochmals den Zusammenhang von Landeskultur, Unternehmenskultur und Subkulturen eines Unternehmens, welches in einer Landeskultur verankert ist, im Überblick dar.
1230
Wunderlich, 2004, S. 460.
1231
Vgl. Neubauer, 2003, S. 17; Dubs, 2004, S. 474.
Bezugsrahmen I
234
Landeskultur
D
C
Unternehmenskultur
B Subkultur A
Abbildung 34: Zusammenhang Landeskultur – Unternehmenskultur – Subkulturen
Im Zusammenhang mit Großkonzernen stellt sich hier die Frage nach dem Referenzrahmen – ist der Gesamtkonzern die kulturelle Einheit oder die Konzernunternehmen? Häufig ist es gar nicht gewollt, dass es eine Gesamtkonzernkultur gibt, insbesondere dort, wo die Konzernführung im Sinne eines Portfolio-Managements agiert.1232 Vor dem Hintergrund der organisatorischen Herausforderungen, wie der Internationalisierung, gewinnt dieses Argument zunehmend an Bedeutung. Aufgrund der Verankerung des Unternehmens in unterschiedlichen Kulturregionen kann die Verschiedenartigkeit bei dem Versuch, sie unter dem Dach einer Unternehmenskultur zusammenfassen zu wollen, zu Schwierigkeiten führen. Grundsätzlich können Subkulturen zur Unternehmenskultur verstärkend, neutral oder entgegen gerichtet sein. Aus Sicht des Bildungsmanagements lassen sich allerdings in allen drei Kategorien positive Wirkungszusammenhänge erkennen. Verstärkende Subkulturen besitzen, wie aus der Wortbedeutung bereits ersichtlich wird, eine verstärkende Wirkung durch ihre Gleichgerichtetheit mit der Unternehmenskultur. Neutrale Subkulturen können ihre positive Wirkung darüber entfalten, dass sie den Nachteilen von zu starken Unternehmenskulturen entgegenwirken. In veränderlichen Zeiten können sie damit zunehmend als Garant für das Unternehmen betrachtet werden. Der Unternehmenskultur zunächst entgegen gerichtete Subkulturen
1232
Vgl. zu dieser Diskussion ausführlicher Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 638, S. 646 ff.; bezogen auf multinationale Konzerne Wever, 1992, S. 23, S. 96.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
235
gelten auf den zweiten Blick als Motoren des organisatorischen Wandels, da sie durch ihre konträre Ausrichtung entkrampfend und für die Unternehmenskultur belebend wirken können. Entsprechend kommt allen drei Positionen eine praktische Relevanz zu, denn: „Das Ziel, eine starke Unternehmenskultur zu haben, erscheint … als zweischneidiges Schwert.“1233 Insbesondere in einer sich schnell wandelnden Umwelt kann eine sehr starke Unternehmenskultur insofern problematisch sein, als dass das Unternehmen aufgrund von vergangenheitsbezogener Starrheit einen Wertewandel in der Umwelt und die daraus resultierenden Anpassungsnotwendigkeiten nicht mehr registriert.1234 Erst schwache Kulturen mit unterschiedlichen Subkulturen ermöglichen diverse Strömungen und konkurrierende Gruppen, die eine Weiterentwicklung des Unternehmens und dessen Mitarbeitenden begünstigen (können). Mitarbeitenden ist es durch die Bildung von Subkulturen möglich, sich ihren Ansprüchen und Werten entsprechend zu verhalten und diese zu leben. Subkulturen erlauben einen höheren Grad an Individualität des Einzelnen. In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, nochmals darauf hinzuweisen, dass im Unternehmen auch frei entfaltete Persönlichkeiten oder so genannte ‚Querdenker’ als Chance gesehen werden können, solange die Relation dieser Gruppe der kreativen Gestalter und die der reproduktiven Konformisten – sprich das Gesamtbild – stimmt.1235 Auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Unternehmensumwelt (demografische Veränderungen, Wertewandel etc.) scheint es zur Bewältigung der Anforderungen, mit denen das Unternehmen konfrontiert ist, wichtig, Subkulturen zuzulassen und sie als positives Element – als Chance – zu sehen und entsprechend zu nutzen. So kann die Vielfalt der Anforderungen an das Unternehmen durch die Vielfalt der Mitarbeitenden, ausgedrückt in der Vielfalt der Subkulturen, aufgenommen werden.1236 Auf diese Weise tragen Subkulturen als Veränderungstreiber zur Innovationsfähigkeit des Unternehmens und zur Förderung von Bildungsprozessen bei. Die obigen Ausführungen können wie folgt zusammengefasst werden:
1233
Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 643.
1234
Vgl. Werner, 1998, S. 57; Wever, 1992, S. 182.
1235
Vgl. Euler, 2004, S. 41; Wever, 1992, S. 92; Rosenstiel, 1993, S. 77.
1236
Vgl. Zetsche: Vortrag „Erfolgreiche Unternehmensführung braucht professionelles Personalmanagement“, DGFP-Kongress „Menschen stärken – Wert(e) bilden“, 08.06.06, Plenum.
Bezugsrahmen I
236
Kulturelle Ausprägungsformen Kernaussage
Unternehmen sind in eine Umkultur eingebettet, die die Unternehmenskultur prägt. Die Unternehmenskultur wiederum kann sich aus unterschiedlichen Subkulturen zusammensetzen. Subkulturen sind aus Sicht des Bildungsmanagements eine notwendige Antwort auf die externe und interne Vielfalt in Unternehmen, die entsprechend eingesetzt und gestaltet werden kann.
Kategorien
Umkultur als Rahmen der Unternehmenskultur Starke und schwache Unternehmenskulturen Subkultur als Teil der Unternehmenskultur (Unternehmenskultur als ‚übergreifende Klammer’) Wirkungszusammenhänge von Subkulturen und Unternehmenskultur: verstärkend, neutral, entgegen gerichtet Unternehmenskultur als Summe der Subkulturen (bewusster Verzicht auf eine Unternehmenskultur als ‚übergreifende Klammer’)
Ansatzpunkte Subkulturen als Veränderungstreiber und individuelle als auch organisatorische Entwicklungschance Positive Wirkungszusammenhänge für das Bildungsmanagement durch verstärkende, neutrale und entgegen gerichtete Subkulturen Schwache Kulturen als Entwicklungschance auf individueller und organisatorischer Ebene Aus diesen Beobachtungen leiten sich folgende weiterführenden Fragen ab, die im Rahmen der Fallstudien näher zu untersuchen sind: x
x
Welche Bedeutung haben Subkulturen für das Bildungsmanagement in den Unternehmen? Wie wird mit Subkulturen in den Unternehmen umgegangen?
4.2.2.2. Kulturdimensionen Die Kultur im Unternehmen lässt sich an unterschiedlichen Kulturaspekten festmachen. Im Rahmen der theoretischen Exploration wurden beispielhaft einzelne Kulturdimensionen näher betrachtet (u. a. Lernkultur, Vertrauenskultur, Fehlerkultur). Diese werden hier nochmals aufgegriffen und ihre Relevanz im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement in Unternehmen thematisiert.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
237
Nach Sonntag stellt gerade das Lernen eine „wesentliche Instanz zur Festschreibung und Weiterentwicklung der Unternehmenskultur dar“1237. Die Einstellungen, Überzeugungen, Gewohnheiten und Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem Lernen stehen im Fokus der Frage nach der Lernkultur im Unternehmen. Wie bereits detailliert aufgezeigt, kann diese über die drei Dimensionen Lernort, Lernprozess und Lernprodukt konkretisiert werden. Auf der Ebene des Lernorts kommt aus Sicht des Bildungsmanagements insbesondere dem informellen Lernen eine hohe Bedeutung zu. Selbst gesteuertes und selbst organisiertes Lernen am Arbeitsplatz gewinnt ebenso an Relevanz wie die Forderung nach lernerorientierten Unterstützungsleistungen z. B. in Form von Beratung und Coaching. Hiermit ist bereits ein Aspekt des Lernprozesses angesprochen: anstatt fremd organisierter Weiterbildungsveranstaltungen ist es zunehmend die Aufgabe des Bildungsmanagements, selbstgesteuerte Lernprozesse zu initiieren und zu fördern. Es geht darum, das ‚Lernen zu ermöglichen’ und zu unterstützen. Dazu muss das Bildungsmanagement die zeitlichen und räumlichen Rahmenbedingungen sichern. Dies bedeutet beispielsweise die Gewährleistung von Lernplätzen, an denen konzentriert und ungestört gelernt werden kann, von Zeiträumen und Gelegenheiten, im Rahmen derer Lernen und Wissensaustausch möglich wird, und einer entsprechenden Akzeptanzsicherung des Lernens im Arbeitskontext. Die dritte Dimension der Lernkultur zielt auf das Lernprodukt. Dadurch, dass durch Mitarbeiterfluktuation insbesondere das implizite Wissen verloren gehen kann, ergibt sich ein wichtiger Stellenwert des Bildungsmanagements im Unternehmen. Um sowohl zum Unternehmenserfolg beizutragen, aber auch um die Mitarbeiterinteressen aufzunehmen, ist es die Aufgabe des Bildungsmanagements, eine Lernkultur zu etablieren, die eng mit den strategischen Herausforderungen verzahnt ist. „Es gilt Widerstände gegen neue Lernformen aufzubrechen und eine Offenheit für die Notwendigkeit eines dauerhaften Lernens zu schaffen. So sollte Lernen als Teil der Arbeit gesehen werden, Lernen am Arbeitsplatz zum ‚Normalfall’ werden und damit auch von Führungskräften und Mitarbeitenden ermöglicht und respektiert werden.“1238 Um die Verantwortung und Akzeptanz für Bildung zu erhöhen, ist derzeit häufig noch eine Bewusstseinsänderung sowohl bei den Führungskräften als auch bei den Mitarbeitenden notwendig.1239 Daneben gilt es auf Unternehmensebene eine „Grundhaltung zu bewirken, im Rahmen derer Bildung nicht nur als Kostenfaktor gesehen wird, sondern als Investition in die Mitarbeitenden und damit in die Zukunft des
1237
Sonntag, 1996, S. 41.
1238
Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 53.
1239
Vgl. die Ergebnisse der SCIL-Trendstudie in Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 53.
Bezugsrahmen I
238
Unternehmens“1240. Auf diese Weise werden dann auch die Bedingungen und Voraussetzungen für organisationales Lernen im Unternehmen geschaffen.1241 Eine weitere Dimension der Unternehmenskultur ist die Vertrauenskultur. Die Bezüge zum Bildungsmanagement ergeben sich auf unterschiedliche Art und Weise. Zunächst ist Vertrauen für die Ermöglichung des Lernens in Organisationen von Bedeutung. Vertrauensbildung ist eine Grundbedingung betrieblicher Bildung: selbst gesteuerte, eigenverantwortliche Lernprozesse beispielsweise bedürfen nicht nur der Akzeptanz des Vorgesetzten, sondern auch eines gewissen Grades an Vertrauen. Daneben ermöglicht Vertrauen neue oder ungewohnte Verhaltensweisen bzw. Innovation(sprozesse).1242 Allerdings gilt es sich auch die Frage zu stellen, wie viel Vertrauen unerlässliche Bedingung für Lernen und Innovation ist und wann Vertrauen zur Blockade wird. Denn Vertrauen schließt sowohl ein als auch aus: „Innerhalb einer exklusiven Vertrauensbeziehung kann es zu ‚group think’ kommen, neue Ideen werden abgewehrt, es gibt keine Herausforderung zum Wandel, keinen Wettbewerb“1243. Wer Vertrauen schenkt, erwartet von seinem Gegenüber Konstanz, Zuverlässigkeit und Stetigkeit. Vertrauen kann also durchaus dysfunktional werden, indem es den Handlungsspielraum nicht erweitert, sondern einengt. Dieses Spannungsverhältnis gilt es im Rahmen des Bildungsmanagements aufzunehmen und zu gestalten. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass Vertrauen nicht direkt herstellbar ist, aber indirekt z. B. über das Vorgesetztenverhalten, die Vermeidung von Demotivation und Strukturgestaltung beeinflusst werden kann. Im Rahmen der theoretischen Exploration wurden weiter die Fehlerkultur (als Ausmaß der Lernförderlichkeit der Unternehmenskultur), eine Kultur der Eigenverantwortung und die Team-/Kooperationskultur als beispielhafte Kulturaspekte der Unternehmenskultur, die aus Sicht des Bildungsmanagements relevant sind, thematisiert und diskutiert. Dabei wurden bereits vielfältige Implikationen für das Bildungsmanagement angesprochen, auf die hier nicht nochmals eingegangen wird. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es u. a. die Aufgabe des Bildungsmanagements ist, ein für das selbst organisierte Lernen „denkfreudiges Klima“ zu fördern. Dieses verlangt Offenheit, Toleranz und Vertrauen.1244 Damit hängt der Grad der realisierten
1240
Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 53.
1241
Vgl. Sonntag, 1996, S. 96.
1242
Vgl. Seifert, 2001, S. 114, S. 303; Marques, 2006, S. 120.
1243
Neuberger, 2006, S. 16.
1244
Vgl. Decker, 2000, S. 35.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
239
Eigenverantwortung, Selbststeuerung und Team-/Kooperationskultur von der Vertrauenskultur im Unternehmen ab. Ebenso existiert zwischen der Fehler- und der Vertrauenskultur eine starke Wechselwirkung: wenn Fehler gemacht werden können, fördert dies das Vertrauen, auf der anderen Seite ist eine gewisse Vertrauensbeziehung notwendig, damit eine Fehlerkultur im Unternehmen funktionieren kann. Des Weiteren ist die Bereitschaft der Mitarbeitenden zur Übernahme von Verantwortung davon abhängig, ob Fehler überwiegend negative Konsequenzen haben.1245 Auf der anderen Seite sind Eigenverantwortung und Selbststeuerung aber auch im Rahmen der Lernkultur bedeutsam.1246 Es kann also gefolgert werden, dass aus Sicht des Bildungsmanagements vielfältigste Kulturaspekte von Bedeutung sind, diese z. T. wechselseitig zusammenhängen und nicht klar von einander abgegrenzt werden können.1247 Aus Sicht des Bildungsmanagements ergeben sich für den Aspekt der Kulturdimensionen innerhalb des Entscheidungs- und Handlungsfeldes Kultur vielfältige Ansatzpunkte zur Gestaltung:
Kulturdimensionen und -aspekte Kernaussage
Innerhalb der Unternehmenskultur haben vielfältige Kulturdimensionen und -aspekte (die z. T. nicht klar voneinander abgegrenzt werden können) eine Bedeutung für das Bildungsmanagement.
Kategorien
Lernkultur (als wesentlicher Kulturaspekt des Bildungsmanagements) Vertrauenskultur (als Grundlage) Vielfältiges Spektrum an Dimensionen (u. a. Fehlerkultur, Verantwortungskultur, Team-/Kooperationskultur)
Ansatzpunkte Lernkultur: informelles Lernen und selbst gesteuertes Lernen fördern, implizites Wissen sichern, Bewusstseinsänderung bzgl. ‚Lernen’ vorantreiben
1245
Vgl. Rybowiak et al., 1999.
1246
Vgl. Friebe, 2005, S. 38.
1247
Dieser Aussage kommt umso mehr Bedeutung zu, wenn berücksichtigt wird, dass es sich bei den genannten Kulturdimensionen nicht um die alleinig relevanten Aspekte handelt, sondern diese nur eine Auswahl darstellen. Es bedarf weiterer Forschungsarbeiten, um das Themenfeld ‚Kulturdimensionen des Bildungsmanagements’ weiter einzukreisen und zu konkretisieren.
Bezugsrahmen I
240
Vertrauenskultur: indirekte Beeinflussung durch Strukturgestaltung, Einwirken auf Vorgesetztenverhalten, beachten, dass zu viel Vertrauen dysfunktional wirken kann Fehlerkultur: Fehler als Lernmöglichkeit begreifen und in einen Lernzusammenhang stellen Eigenverantwortung, Team- und Kooperationskultur, Kommunikationskultur etc. als Kulturdimensionen berücksichtigen, die mit den anderen genannten in einer Wechselwirkung stehen Hieraus ergibt sich insbesondere folgende Frage für die empirische Exploration: Welche Kulturdimensionen spielen für das Bildungsmanagement in den Fallstudienunternehmen eine Rolle?
4.2.2.3. Kulturanalyse und -gestaltung Nachdem vielfältige Aspekte der Unternehmenskultur aufgezeigt wurden, stellt sich die Frage nach den Methoden zur Kulturanalyse und Möglichkeiten der Kulturveränderung. Die in Literatur und Praxis geschilderten Methoden und deren Kategorisierungen sind nahezu ebenso umfangreich wie die Anzahl der Autoren. Aus der Darstellung unterschiedlichster Klassifizierungsschemata und deren Diskussion im Rahmen der theoretischen Exploration lässt sich folgern, dass es aus Sicht des Bildungsmanagements wohl nicht die eine Methode/den einen ‚Königsweg’ der Kulturanalyse gibt und dies auch nicht sinnvoll wäre. Vielmehr scheint es ratsam, unterschiedlichste Methoden (z. B. schriftliche Erhebung und Interviews oder interne und externe Modelle) zu kombinieren, um so mögliche Vorteile zu potenzieren und Gefahren zu reduzieren.1248 Bei der Wahl der Methoden sind die speziellen Gegebenheiten vor Ort und die spezifisch vorliegenden Fragestellungen zu berücksichtigen. Die darauf ausgerichtete Kulturanalyse ist vom Ergebnis her insofern überprüfbar, als dass zusammen mit den Unternehmensmitgliedern kontrolliert wird, ob die ermittelte ‚Kulturgestalt’ stimmig ist.1249 In diesem Zusammenhang muss auf ein Risiko der Kulturanalyse hingewiesen werden, das es abzuschätzen gilt: es könnte sein, dass das Unternehmen auf die Darstellung der eigenen Kultur nicht vorbereitet ist.
1248
Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Weibler/Wunderer, 1997; Neubauer, 2003, S. 81; Hofstede, 1993, S. 208. Hofstede rät dazu, jeweils eigene Erhebungsinstrumente zu entwickeln und sie auf die speziellen Gegebenheiten abzustimmen (vgl. Hofstede, 1997, S. 373).
1249
Vgl. Steinmann/Schreyögg, 2000, S. 631.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
241
Entsprechend sollte die Beschreibung der Kultur, gleich ob unternehmensintern oder -extern gesteuert, nicht leichtfertig und nicht ohne ein klares Bewusstsein der eigenen Motive angegangen werden, sowie berücksichtigt werden, dass sich jede Kultur ständig weiterentwickelt.1250 Aufgrund der ständigen Weiterentwicklung und der schwierigen Fassbarkeit der Unternehmenskultur lässt sie sich auch nur schwer und nur bedingt gestalten. Zur Kulturveränderung wird vom Bildungsmanagement häufig eine entsprechende (direkte oder indirekte) Gestaltung von Bildungsveranstaltungen gefordert. Daneben werden verschiedene Formen der Lernprozess-Gestaltung, wie Aufgabenwechsel oder Job-Rotation, als kulturbeeinflussende Instrumente angesehen. Eine wichtige Rolle kommt dem Bildungsmanagement im Rahmen der Kulturgestaltung aufgrund seiner Vermittlerposition zwischen Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen zu. Die Unternehmensleitung und die Führungskräfte können über ihre Verhaltensweisen kulturverändernd wirken. Allerdings ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Wirkung nur in Maßen erfolgreich sein kann, da wie bereits mehrfach dargestellt, die Werte und Grundannahmen der Mitarbeitenden sich nur schwer verändern lassen. Die geschilderten Methoden sind aber ein Weg zur Sensibilisierung und eventuellen Explizierung vorhandener Wertvorstellungen und dienen damit als Ausgangspunkt der Reflexion und als Ansatzpunkt für Veränderung.1251 Dabei ist zu beachten, dass sie sich gegenseitig beeinflussen können: „Kulturgestaltung ist vergleichbar mit einem Tischtuch. Man kann nicht an einer Ecke des kulturellen Kraftfeldes ziehen, ohne den Rest zu beeinflussen.“1252 Neben den bereits aufgezeigten Maßnahmen(feldern) spielt aus Sicht des Bildungsmanagements das Thema ‚Lernen’ eine wichtige Rolle bei der Kulturgestaltung. Die Lernfähigkeit eines Unternehmens wird als Kennzeichen einer lebendigen Unternehmenskultur gesehen.1253 Wird sie sichergestellt, sind direkte Interventionen kaum noch nötig. Gerade in Umbruchzeiten, in denen sie als Auslöser für ein verändertes Bildungsmanagement definiert wurden, kommt es auf der Basis gemeinsamer Wert-
1250
Vgl. Schein, 1995, S. 165, S. 167; Neuberger/Kompa, 1987, S. 235.
1251
Die Otto Group führte beispielsweise eine Personalentwicklungsmaßnahme („Otto Group Meilensteine … gemeinsam mehr erleben“) durch, um die Unternehmenswerte des Konzerns „in den Köpfen“ aller ihrer 55.000 Mitarbeitenden weltweit zu verankern. Um die Aufmerksamkeit aller Mitarbeitenden zu wecken, wurde die gesamte Belegschaft aufgefordert, einen Stein zu bemalen und an die Konzernzentrale zu schicken (vgl. ausführlicher Martens, 2005).
1252
Kobi/Wüthrich, 1986, S. 162.
1253
Vgl. Wever, 1992, S. 182.
Bezugsrahmen I
242
vorstellungen, Energien und Fähigkeiten aller im Unternehmen Tätigen darauf an, die anstehenden Probleme im Rahmen eines gemeinsamen Lernprozesses zu lösen.1254 Denn ein ‚Rezept’ zur direkten Veränderung der Kultur im Unternehmen gibt es nicht und es ist fraglich, in welchem Umfang Kultur überhaupt verändert werden kann. Umso mehr versucht wird, nach Plan vorzugehen, desto schwächer wird die Vitalität des Unternehmens und desto dringender die Forderung nach einer Unternehmenskulturveränderung.1255 Aus einem Gesamtblick betrachtet lässt sich festhalten:
Kulturanalyse und -gestaltung Kernaussage
Sowohl für die Kulturanalyse als auch die -gestaltung gibt es aus Sicht des Bildungsmanagements aufgrund der schwierigen Fassbarkeit und der fraglichen direkten Beeinflussung keinen methodischen ‚Königsweg’.
Kategorien
Kulturanalyse durch (situationsspezifische/n) Methodeneinsatz und -kombination Kulturgestaltung durch - Personalauswahl und -einsatz - Subkulturen - Gestaltung von Bildungsmaßnahmen - Lernfähigkeit
Ansatzpunkte Überprüfung der Kulturanalyse (Frage der Stimmigkeit) Berücksichtigung der Risiken einer Kulturanalyse und bewussten Kulturgestaltung Lernfähigkeit als Potential für den Aufbau von Selbstorganisationsfähigkeit fördern Aus den obigen Ausführungen leiten sich für die Auswertung der Fallstudien folgende handlungsleitende Fragestellungen ab: x x
Wie wird die Kultur in den Unternehmen analysiert und gestaltet? Welche Rolle spielt das Bildungsmanagement bei der Kulturanalyse und -gestaltung?
1254
Vgl. Decker, 2000, S. 32.
1255
Kobi und Wüthrich halten hierzu fest: „Kultur zu zerstören ist einfacher, als neue aufzubauen“ (Kobi/Wüthrich, 1986, S. 155).
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
243
4.2.2.4. Führungsaspekte Im Rahmen der Kulturveränderung in Unternehmen spielen auch Führungsaspekte eine bedeutende Rolle. Wie aus der theoretischen Exploration deutlich wurde, beeinflussen sowohl der Unternehmensgründer als auch das übrige Management die Unternehmenskultur. Die damit zusammenhängenden Effekte gilt es durch das Bildungsmanagement zu berücksichtigen. Der Unternehmensgründer prägt die Unternehmenskultur insbesondere durch seine Persönlichkeit. Will das Bildungsmanagement als Institution in einem Unternehmen mit einer starken Identifikationsfigur kulturverändernd wirken, so ist eine Nähe zu dieser Person unumgänglich. Den Führungskräften kommt aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen ebenso eine kulturverändernde bzw. -beeinflussende Funktion zu.1256 Diese zeigt sich insbesondere darin, dass sie als Repräsentanten der Unternehmenskultur und damit als Vorbilder wahrgenommen werden. Die Vorbildfunktion kann sich auf alle genannten Kulturdimensionen beziehen und durch Multiplikatoreneffekte verstärkt werden. Dies ist allerdings nur dann erfolgreich, wenn die Führungskräfte authentisch sind, d. h. es ist notwendig, dass sie die Werte und Einstellungen konsistent leben, die sie vermitteln (wollen). Ob die Verhaltensweisen einer Führungskraft dabei authentisch wirken oder nicht, hängt u. a. auch von ihrem Führungsstil ab. Im Rahmen der theoretischen Exploration wurde vier verschiedene Führungsstile näher thematisiert: der konsultative, kooperative, delegative und transformationale. Ausgehend von dem hier vertretenen Bildungsmanagement-Verständnis ist der konsultative Führungsstil nur sehr bedingt empfehlenswert. Dadurch, dass zu wenig auf das Potential der Mitarbeitenden eingegangen wird, kann er zu Demotivation führen.1257 Der kooperative Führungsstil zeichnet sich dementgegen durch eine proaktivere Einbindung der Mitarbeitenden in Entscheidungsprozesse aus. Dennoch wird er von Wunderer nur als „historisches Übergangskonzept“1258 beurteilt auf dem Weg
1256
Die Ergebnisse einer Studie der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft unterstreichen dies: „Der Chef-Faktor ist wichtiger als der Geldfaktor. Es ist die Führungskraft, die anregt, nachfragt, Mut macht … nicht der Geldschein.“ (Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2004, S. 16).
1257
Hierin zeigt sich aus Sicht des Bildungsmanagements eine interessante Entwicklung im Zusammenhang mit dem Wertewandel: z. T. müssen Mitarbeitende gar nicht mehr motiviert werden – vielmehr ist darauf zu achten, dass sie nicht nachhaltig demotiviert werden. Vgl. auch Wunderer, 2003, S. 85.
1258
Wunderer, 2003, S. 229.
Bezugsrahmen I
244
hin zu einem delegativen Führungsstil. Dieses Konzept gewinnt vor dem Hintergrund des Wertewandels und der organisatorischen Herausforderungen des Unternehmens zunehmend an Stoßkraft. Es basiert auf Prinzipien wie Selbstorganisation und -entwicklung, Eigenverantwortung und Kooperation bzw. Ergebnisorientierung und -beteiligung. Die Mitarbeitenden erhalten „jene Frei- und Experimentierräume, die für die Entwicklung eigenständiger kreativer Problemlösungen notwendig und förderlich sind“1259. Der delegative Führungsstil wird von ergebnisorientierten Führungskräften und qualifizierten sowie eigenständigen Mitarbeitenden bevorzugt und gewinnt entsprechend an Bedeutung. Aus Sicht des Bildungsmanagements kann auch die transformationale Führung in der Zukunft relevant sein, da sie eine individuelle Behandlung der Mitarbeitenden, eine intellektuelle Anregung, inspirierende Funktion und persönliche Ausstrahlung verbindet und integriert. Dieser Führungsstil nimmt so auf vielfältige Weise das unterlegte Verständnis des Bildungsmanagements auf. Die Analyse der Führungsstile ist eine mögliche Form der Annäherung an Führungsaspekte im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement. Eine andere Vorgehensweise besteht darin, sich auf die Anforderungen an die Führungskraft zu konzentrieren und zu versuchen, mögliche Rollen herauszuarbeiten und zu definieren. In der theoretischen Exploration wurden bereits vielfältige Rollen der Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitenden beschrieben. Diese werden in Abbildung 35 zusammenfassend aufgeführt.
Lehrer Designer Konstrukteur
Motivator
Coach
Führungskraft/ Management
Unterstützer
Berater
…
Abbildung 35: Rollen der Führungskraft gegenüber den Mitarbeitenden
1259
Wunderer, 2003, S. 242.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
245
Die Darstellung macht deutlich, dass die Aufzählung der angesprochenen Rollenmodelle nicht abschließend ist. Ebenso wie die Interaktion der Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden vielfältigster Art sein kann, können auch die Anforderungen an die Führungskräfte in unterschiedlichsten Rollenmodellen formuliert werden. Diese können sich zum Teil ergänzen, aber auch überschneiden. Daneben soll die Abbildung auf einen weiteren Aspekt hinweisen: grundsätzlich ist es in Frage zu stellen, ob alle Führungsrollen durch eine Person ausgeübt werden können. Eine Erfüllung der Rollenerwartungen im Team (Management) würde nicht nur die Entlastung einzelner Führungskräfte, sondern auch effizientere Ergebnisse durch die gezielte Nutzung der Kernkompetenzen Einzelner ermöglichen.1260 Die Anforderungen an die Führungskräfte können aber nicht nur bezogen auf die direkte Interaktion mit den Mitarbeitenden in Rollenmodellen konkretisiert werden, sondern auch im Zusammenhang mit institutionalisierten Bildungsprozessen. Es wurde aufgezeigt, dass Führungskräfte zunehmend vom Bildungsmanagement als Co-Trainer, Coaches, Mentoren und/oder Multiplikatoren lernbezogener Werte, Erwartungen und Einstellungen eingesetzt werden. Neben dieser Unterstützungsfunktion der formellen Lernprozesse gewinnt aus Sicht des Bildungsmanagements der Entwicklungsaspekt in seiner Gesamtheit an Bedeutung. Im Optimalfall nimmt die Führungskraft sowohl die Rolle des ‚ersten Personalentwicklers’ als auch die des Persönlichkeitsentwicklers ein. Sie ist als Bildungsmanager vor Ort für die Förderung und Entwicklungsbegleitung ihrer Mitarbeitenden verantwortlich. Für eine erfolgreiche Ausgestaltung aller angesprochenen Rollenmodelle sind die subjektive Einstellung der Führungskraft selbst, deren Kompetenz die Rollen auszufüllen sowie die Anerkennung und das Wahrnehmen der Rollenvielfalt auf allen Managementebenen essentiell. Allerdings sehen sich Führungskräfte in der Praxis derzeit noch eher als Fachexperten und weniger zuständig bzw. auch fähig, die oben beschriebenen Führungsaufgaben wahrzunehmen. Das Bildungsmanagement sollte folglich versuchen, das Rollenverständnis der Führungskräfte zu verändern und darauf aufbauend die Führungskräfte befähigen und bestärken, ihre Rolle wahrzunehmen. Neben der direkten Unterstützung der Führungskräfte ist es eine weitere Aufgabe des Bildungsmanagements, darauf hinzuwirken, dass die beschriebenen Rollen der Führungskräfte auf allen Managementebenen auch anerkannt und wahrgenommen werden, d. h. im Rahmen eines Dauerprozesses ‚Awareness’ im gesamten Unternehmen zu schaffen.
1260
Vgl. auch Margerison/McCann, 1985.
Bezugsrahmen I
246
Die Gestaltungsoptionen, die vom Bildungsmanagement wahrgenommen werden können, sind daher im Zusammenhang mit dem Aspekt Führung vielfältigster Art, wie die propositionale Darstellung aus einer Gesamtsicht nochmals aufzeigt:
Führung Kernaussage
Die Führungskräfte im Unternehmen haben eine kulturbeeinflussende Funktion, die durch das Bildungsmanagement genutzt werden kann.
Kategorien
Vorbild-/Multiplikatorenfunktion von Führungskräften Führungsstiltypologie als Reflexionsinstrument: konsultativ kooperativ delegativ transformational Rollenvielfalt: in der direkten Interaktion mit den Mitarbeitenden im Zusammenhang mit formellen Bildungsprozessen Führungskraft als Bildungsmanager vor Ort
Ansatzpunkte Nähe zum Unternehmensgründer sicherstellen/aufbauen Vorbild-/Multiplikatorenfunktion von Führungskräften nutzen und unterstützen Delegativen und transformationalen Führungsstil anstreben Rollenvielfalt nutzen (evtl. Erfüllung im Team) Qualifizierung und Unterstützung der Führungskräfte Unternehmensweite Sensibilisierung vorantreiben mit dem Ziel ‚Awareness’ zu schaffen Einflussfaktoren
Bedeutung des Unternehmensgründers Kompetenz der Führungskräfte zur Rollenwahrnehmung
Für die empirische Exploration ergeben sich folgende zu konkretisierenden Fragestellungen: x
x
Wie sieht die Rolle der Führungskräfte im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement in den Unternehmen aus? Wie beeinflusst das Bildungsmanagement diese Rolle der Führungskräfte?
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
247
4.2.3. EHF 6: Struktur Neben der Strategie und der Kultur ist die Struktur ein weiteres Entscheidungs- und Handlungsfeld der strategischen Ebene. Durch die Gestaltung der Struktur entsteht die Organisation des Unternehmens. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie Bildungsmanagement strukturell im Unternehmen verankert werden kann (Kapitel 4.2.3.1) und welche Rolle diesem Bereich zukommt (Kapitel 4.2.3.2). Darauf aufbauend wird in Kapitel 4.2.3.3 ein eigenes Strukturmodell entwickelt, welches die Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel integrativ aufnimmt. Abschließend werden Herausforderungen für das Bildungsmanagement aufgrund aktueller Trends in der Unternehmensorganisation dargestellt (Kapitel 4.2.3.4).
4.2.3.1. Strukturelle Verankerung Die strukturelle Verankerung des Bildungsmanagements in Unternehmen wurde im Rahmen der theoretischen Exploration anhand der organisatorischen Prinzipien Dezentralisierung versus Zentralisierung und externes versus internes Marktmodell thematisiert. Es wurde deutlich, dass die Frage nach dem optimalen (De-)Zentralisierungsgrad nicht einfach zu beantworten ist. Für das Bildungsmanagement bietet sowohl die Dezentralisierung als auch die Zentralisierung wesentliche Vor- und Nachteile. Beispielsweise können durch die Dezentralisierung die Ziele, Stärken, Schwächen sowie Bedürfnisse einzelner Mitarbeitenden aufgenommen werden, was insbesondere vor dem Hintergrund der Berücksichtigung von Persönlichkeits- und Personalentwicklungsaspekten von Bedeutung ist. Daneben begünstigt eine dezentrale Verankerung des Bildungsmanagements die Akzeptanzsicherung der Funktionsstelle bei Führungskräften und Mitarbeitenden. Auf der anderen Seite kann eine Dezentralisierung aber dazu führen, dass eine klare Linie des unternehmerischen Bildungsmanagements verloren geht bzw. nicht entstehen kann. Auch die geforderte Einflussnahme des Bildungsmanagements auf normative und strategische Managementprozesse gestaltet sich bei einer derartigen dezentralen Aufgabenverteilung als äußerst schwierig. In ähnlicher Weise sind auch mit der Zentralisierung Vor- und Nachteile verbunden, die im Rahmen der theoretischen Exploration bereits ausgeführt wurden. Zusammenfassend ist eine reine Zentralisierung organisatorischer Gestaltungsaufgaben wie des Bildungsmanagements nur in kleinen und relativ überschaubaren Unternehmen möglich. Umso größer die Unternehmen werden, desto wichtiger ist es, die Aufgaben der
Bezugsrahmen I
248
Zentralabteilung auch in dezentralen Strukturen zu verankern.1261 Es zeigt sich folglich eine Notwendigkeit der Kooperation zwischen zentralen und dezentralen Formen bzw. der Kombination aus Zentralisierung und Dezentralisierung. Die Frage nach dem zugrunde liegenden Marktmodell wird durch die Entwicklung bestimmt, dass es zunehmend Formen des Bildungsmanagements gibt (z. B. Corporate Universities), die als eigener (Geschäfts-)Bereich ein Stück unternehmerische Verantwortung tragen. Diese Verantwortungsübernahme kann sich in den unterschiedlichen Center-Konzepten niederschlagen. Entsprechend ihres jeweiligen Autonomiegrades werden die Befugnisse des Bildungsmanagements im Unternehmen ebenso wie die Verantwortungsübernahme festgelegt. Es ist denkbar, dass das Bildungsmanagement entweder aufgabenabhängig (beispielsweise im Zusammenhang mit dem Angebot von Trainingsmaßnahmen) ohne Erlösverantwortung Leistungen anbietet (Cost-Center-Modell), oder im Rahmen eines Profit/Service-Center-Modells gewinnbringend zu agieren hat, oder dass es den Wertschöpfungsbeitrag für die Abnehmer der Leistung nachweisen muss (Wertschöpfungs-Center).1262 Das Thema Outsourcing als externes Marktmodell ist grundsätzlich eine weitere mögliche Organisationsform des Bildungsmanagements im Unternehmen. Allerdings spielt es derzeit für das Bildungsmanagement in deutschsprachigen Unternehmen eine untergeordnete Rolle. Zum Teil sind einzelne Aktivitäten zwar ausgelagert, aber der Großteil der Funktionen wird weiterhin unternehmensintern erstellt. Eine spezielle Organisationsform des Bildungsmanagements im Unternehmen stellt die Corporate University dar. Deren Erscheinungsformen sind nahezu so vielfältig, wie die Unternehmen, die sie führen. In der Regel geht das Konzept der Corporate University allerdings über das der „traditionellen Weiterbildungsabteilung“1263 hinaus und beschäftigt sich von der Grundanlage her mit wesentlichen Aspekten des Bildungsmanagements. Durch die nahe strukturelle Verankerung bei der Unternehmensführung und ihre Exponiertheit (z. B. eigene Marke, die beworben wird) wird ein höherer Stellenwert des Themas ‚Bildung’ im Unternehmen signalisiert. Daneben fokussieren sich die Corporate Universities deutscher Unternehmen stark auf das Thema ‚Strategie’. Allerdings erfolgt meist nur eine Strategieimplementierung, wohingegen im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement eine Einflussnahme
1261
Vgl. Grochla, 1982, S. 229 ff.
1262
Vgl. hierzu auch Scholz, 2000, S. 197.
1263
Seufert/Glotz, 2002.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
249
auf die Strategieentwicklung gefordert wird. Weiter bleibt zu beachten, dass es sich bei Corporate Universities nur um eine mögliche Organisationsform des Bildungsmanagements im Unternehmen handelt, die evtl. entsprechend der Diskussion um den (De-)Zentralisierungsgrad im Unternehmen mit anderen Formen kombiniert werden muss.1264 Insgesamt wird deutlich, dass es für alle genannten strukturellen Verankerungsformen gute Argumente gibt und keine für sich alleine eine optimale Lösung darstellt.1265 Denn es gibt nicht „einen one-best-way organisatorischer Gestaltung“1266. Dennoch kann eine gewisse Entwicklung der Strukturverankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen aufgezeigt werden, welche im Rahmen des funktionalen Strukturmodells (Typenmodell) des Bildungsmanagements in Kapitel 4.2.3.3 näher erläutert wird. Zunächst kann für den Aspekt der strukturellen Verankerung allerdings festgehalten werden:
Strukturelle Verankerung Kernaussage
Die strukturelle Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen kann auf vielfältige Weise erfolgen, wobei die Kombination unterschiedlicher Formen sinnvoll erscheint.
Kategorien
Dezentralisation vs. Zentralisation Internes vs. externes Marktmodell Corporate University als Sonderform
Ansatzpunkte Dezentralisation: Verteilung der Aufgaben auf mehrere untergeordnete organisatorische Einheiten (Linie) Zentralisation: Zusammenfassung der Aufgaben in einer zentralen Einheit, z. B. Stabsstelle, Zentralbereich Interne Marktmodelle: Cost-Center, Profit/Service-Center, Wertschöpfungs-Center als mögliche Organisationsformen des Bildungsmanagements
1264
Daneben weist Münch darauf hin, dass sich die, der Corporate University zugeschriebenen Vorteile und Verbesserungen „bei entschiedenem Gestaltungswillen“ auch unter dem Dach eines „Training Departements“ (d. h. einer Bildungsmanagement-Abteilung/-Bereichs) verwirklichen lassen (vgl. Münch, 2002).
1265
Vgl. auch Berthel/Becker, 2003, S. 465.
1266
Reichwald/Möslein, 1997, S. 13.
Bezugsrahmen I
250
Outsourcing: für das Bildungsmanagement nur bedingt relevante Organisationsform Corporate University: kann vielfältig ausgestaltet werden, birgt je nachdem Vorteile wie z. B. höherer Stellenwert des Themas Bildung Einflussfaktor
Zusammenarbeit zwischen zentralen und dezentralen Stellen möglicherweise problematisch
Für die Auswertung der Fallstudien ergeben sich folgende Fragestellungen: x x
x
x x x
Wie ist das Bildungsmanagement strukturell in den Unternehmen verankert? Wie erfolgt die Zusammenarbeit der mit dem Bildungsmanagement betrauten Einheiten? Wie wird das Bildungsmanagement in den nächsten Jahren voraussichtlich organisatorisch verankert werden? Welche Rolle kommt der Corporate University in den Unternehmen zu? Welches interne Marktmodell liegt dem Bildungsmanagement zugrunde? Warum spielt das Outsourcing von Bildungsmanagement-Funktionen keine/nur eine untergeordnete Rolle?
4.2.3.2. Rollen- und Selbstverständnis des Bildungsmanagements Neben der organisatorischen Verankerung im Unternehmen interessiert aus einem strukturellen Blickwinkel die interne Organisation des Bildungsmanagements. Hierzu gilt es die Rolle der Bildungsmanager und das Selbstverständnis des Bildungsmanagements zu diskutieren. Wenngleich im Rahmen der theoretischen Exploration unterschiedliche Kategorisierungen der im Bildungsmanagement Tätigen thematisiert wurden, kann insgesamt betrachtet eher weniger von exakt zuweisbaren, eindeutigen Rollen gesprochen werden. Das Aufgabenspektrum hat sich erweitert und damit die Anforderungen an die Rolle(n). Die Aussage von Ulrich im Zusammenhang mit dem HR Management auf das Bildungsmanagement übertragen bedeutet dies: „For … [BM] professionals to add value to their increasingly complex businesses, they must perform increasingly complex and, at times, even paradoxical roles“1267. Dem bisher spezialisierenden, vertieften Verhalten der im Bildungsmanagement Tätigen steht
1267
Ulrich, D., 1997, S. 24.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
251
also eine Rolle des Bildungsmanagers gegenüber, die durch ein generalisierendes, breitenorientiertes Verhalten mit vielen unterschiedlichen Facetten geprägt ist. Es fällt auf, dass sich nicht nur die von außen herangetragene Rolle geändert hat, sondern auch das Selbstverständnis des Bildungsmanagements im weitesten Sinne. Von einem ehemals schulungsorientierten Trainingsanbieter entwickelt sich das Bildungsmanagement zu einem ‚Business Partner’. Ausgehend von diesem Selbstverständnis ist eine Weiterentwicklung vom ‚Partner’ zum ‚Player’ beobachtbar. Ein Partner ist nur Teil eines Teams, ein ‚Player’ hingegen ist Teil des Spiels und aktiv involviert.1268 Dieser ‚strategische Mitspieler’ ist in die strategische Planung eingebunden und begleitet Unternehmensentwicklungsprozesse.1269 Allerdings darf nicht vergessen werden, dass das Bildungsmanagement und die im Bildungsmanagement Tätigen hierzu sowohl fähig als auch ihrer Rolle bewusst sein müssen. Entsprechend kann eine Qualifizierung und verstärkte Professionalisierung notwendig sein. Die propositionale Darstellung der Erkenntnisse zum Rollen- und Selbstverständnis ergibt sich wie folgt:
Interne Organisation Kernaussage
Das Rollen- und Selbstverständnis ist ein Ausdruck der internen Organisation des Bildungsmanagements. Es ist durch vielfältige Ausprägungsformen auf dem Weg hin zu einem generalisierenden, breitenorientierten Managementverhalten bestimmt.
Kategorien
Rolle der Bildungsmanager: u. a. Bildungsmanager (i. e. S.) Trainer Seminarleiter Prozessbegleiter Berater Coach Aufgabenspektrum des Bildungsmanagements: u. a. Nutzung der Lernbereitschaft Vergrößerung der Lernwirksamkeit Verbindung Bildungsprozesse mit Managementprozessen
1268
Vgl. im Zusammenhang mit dem Personalmanagement Ulrich, D./Beatty, 2001; Beatty/Schneier, 1997. Beatty und Schneier bringen es wie folgt auf den Punkt: „[It] must be ‚on the field’, in the game, and positioned to score.“ (Beatty/Schneier, 1997, S. 29).
1269
Vgl. Sattelberger, 1999, S. 269 f.
Bezugsrahmen I
252
Selbstverständnis des Bildungsmanagements: u. a. Berater der Führungskräfte Ansprechpartner für Mitarbeitende Umsetzer der Unternehmensstrategie Operativer Dienstleister Strategic Partner Change Agent Player -
Ansatzpunkte Neuen Anforderungen an die Rolle gerecht werden Erweitertes Aufgabenspektrum berücksichtigen Qualifikationsstand erhöhen Grad der Professionalisierung ausbauen Bewusste Wahl der Funktionsbezeichnung Einflussfaktor
Das menschliche Verhalten hängt nicht nur vom individuellen Können, sondern auch vom persönlichen Wollen, dem sozialen Dürfen und dem situativen Ermöglichen ab.
Für die empirische Exploration ergibt sich hieraus die folgende handlungsleitende Fragestellung: Wie ist das Selbstverständnis und die Rolle des Bildungsmanagements in den Unternehmen?
4.2.3.3. Funktionales Strukturmodell des Bildungsmanagements Nachdem unterschiedliche Möglichkeiten der strukturellen Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen und Aspekte der internen Organisation dieses Bereichs aufgezeigt wurden, stellt sich aus einer zusammenfassenden Perspektive die Frage, wie sich die Verankerung des Bildungsmanagements aus einem funktionalen Blickwinkel darstellt. Das hierzu entwickelte Typenmodell nimmt die in den vorangegangen Kapiteln dargestellten Grundsätze und Optionen auf und fasst sie im Rahmen von derzeit vier Typen zusammen. Die Typenbildung soll helfen, die Entwicklungstendenzen des Bildungsmanagements zu veranschaulichen. Das Bildungsmanagement lässt sich grundsätzlich in operative, strategische und normative Funktionen untergliedern. Da strategische und normative Funktionen sehr eng zusammenhängen, werden diese als eine Dimension des Modells betrachtet – die andere Dimension orientiert sich am Anteil der operativen Funktionen. Die in der
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
253
Praxis beobachtbaren und in der Dissertation angesprochenen Entwicklungen lassen sich in diesem zweidimensionalen Raum anhand von vier Typen veranschaulichen. Anteil operativer Funktionen
Typ 1
Typ 2
Typ 3b
Typ 4c
Typ 3a
Typ 4b
Typ 4a Anteil normativstrategischer Funktionen Abbildung 36: Typenmodell des Bildungsmanagements
Typ 1: Das Bildungsmanagement als operativer Strategieimplementierer und Personalentwickler Traditionell erfolgt die Fokussierung auf das Thema Bildung in Unternehmen im Rahmen der Personalentwicklung, die in der Regel Teil des Human Resource Managements ist. Es geht dabei um die Anpassung der Qualifikation der Mitarbeitenden an die Anforderungen des Arbeitsplatzes und damit des Unternehmens. In diesem Stadium kann kaum von Bildungsmanagement gesprochen werden – zumindest nicht in dem in dieser Arbeit verstandenen Sinn. Der Anteil der operativen Funktionen ist sehr hoch, da es darum geht, entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen zu initiieren und durchzuführen. Der Anteil strategischer und normativer Managementfunktionen ist verschwindend gering. Das so verstandene ‚Bildungsmanagement’ ist lediglich Implementierer der Unternehmensstrategie und ausführendes Organ.
Typ 2: Das Bildungsmanagement als dezentraler Unterstützer der Unternehmensund Mitarbeiterinteressen Die Weiterentwicklung von Typ 1 zu Typ 2 ergibt sich dadurch, dass die Notwendigkeit einer Veränderung hin zu einem eigentlichen Bildungsmanagement erkannt
Bezugsrahmen I
254
wurde: ein Umdenken hat begonnen. Die Berücksichtigung von Mitarbeiterinteressen im Rahmen einer Persönlichkeitsentwicklung wird als bedeutsam erachtet. Vielfach findet ‚Bildungsmanagement’ noch dezentral in einzelnen Abteilungen statt, ohne eine Koordination durch eine zentrale Stelle, welche die Nähe zur Unternehmensleitung und die einheitliche Handhabung des Themas sicherstellen würde.1270 Die Verantwortlichen agieren hier als Unterstützer der Interessen von Unternehmen und Mitarbeitenden. Häufig ist in diesem Stadium das Bildungsmanagement noch sehr stark an den Bereich Personal gekoppelt (bzw. ein wesentlicher Teil davon). Entsprechend fällt auf, dass das Thema Personalentwicklung für die Personalleiter zunehmend relevanter wird1271 bzw. dass diejenigen, die Personalchefs werden, verstärkt aus dem Bereich Bildungsmanagement/Personalentwicklung kommen.1272
Typ 3: Das Bildungsmanagement als zentraler Business Partner Aufgrund der beschriebenen Schwächen des dezentralen Modells löst sich das Bildungsmanagement in der Folge aus seiner Verankerung und bildet (parallel dazu – Typ 3b) zentrale Stellen (Typ 3a). In einem ersten Schritt werden durch die Chance, die Nähe zur Geschäftsleitung sicherzustellen, Stabstellen gegründet.1273 In einem weiteren Schritt werden diese zu Zentralbereichen mit höherer Autonomie weiterentwickelt.1274 Auch die Gründung von Corporate Universities fällt unter diesen Typus der zentralen Stelle. Die zentralen Stellen nehmen sowohl operative als auch strategisch/ normative Funktionen im Unternehmen wahr. Durch die Eigenständigkeit und die tendenziell höhere Verankerung steigt die Anerkennung des Bildungsmanagements. Es wird als Business Partner wahrgenommen, welcher sich u. a. aktiv um die
1270
Hierbei wird von der derzeitigen Situation ausgegangen, in der wie bereits aufgezeigt Dezentralisierungsformen vorherrschen. Entsprechend der Wellentendenzen war zu früheren Zeitpunkten möglicherweise bereits eine Zentralisation gegeben, beispielsweise in Form von Stabstellen mit sehr eingeschränkten Kompetenzen, diese existierten aber nicht mit den Funktionen wie es vom Bildungsmanagement gefordert wird.
1271
Vgl. Jäger, E., 2006.
1272
Vgl. Jochmann: Vortrag „Personalmanagement im Strategieprozess des Unternehmens“, DGFPKongress „Menschen stärken – Wert(e) bilden“, 08.06.06, Forum 1.
1273
Vgl. hierzu die Ergebnisse der SCIL-Trendstudie in Diesner/Euler/Seufert, 2006, die eindeutig als derzeit favorisierte Organisationsform die Stabsstelle konstatieren und die Forderung nach einer Nähe zur Geschäftsleitung bzw. zum Vorstand hervorheben.
1274
Dabei können Zentralstellen nach Gomez und Zimmermann als Übergangsorganisation gesehen werden, von der Stab-Linien-Organisation mit zentralen Stäben zur funktionalen Organisation, in der die Stäbe zu zentralen Service- (oder wie im Zusammenhang mit Typ 4 aufgezeigt, zu Competence-) Centern heranreifen (vgl. Gomez/Zimmermann, 1999, S. 68).
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
255
Gestaltung strategischer Zielsetzungen bemüht. Ein Typ 3-Status ist derzeit in vielen Unternehmen noch nicht oder nur in Ansätzen gegeben.1275
Typ 4: Das Bildungsmanagement als umfassendes Managementkonzept Im Rahmen der Weiterentwicklung des Bildungsmanagements, wie es in dieser Arbeit verstanden wird, wird deutlich, dass dieses nicht mehr nur in einer Funktionsstelle erfasst werden kann. Das Bildungsmanagement muss komplexe Aufgaben bewältigen und zum Teil widersprüchliche Rollen einnehmen.1276 Die Rolle des Bildungsmanagements wandelt sich vom Business Partner zum ‚Player’. Zunächst nehmen die strategischen und normativen Funktionen des Bildungsmanagements soweit zu, dass das Bildungsmanagement ein integraler Bestandteil des Top-Managements – eine Art Denkhaltung – wird (Typ 4a). Bildungsmanagement ist nicht mehr ein ausschließliches, sondern ein integrales Managementthema. Daneben ist eine Funktionsstelle notwendig, die nahe am Top-Management angesiedelt, vielfältige Beratungsfunktionen sowohl ‚top-down’ als auch ‚bottom-up’ übernimmt und damit die bisher bemängelte Akzeptanzsicherung bei der Geschäftsleitung sowie bei den Mitarbeitenden bewirkt (Typ 4b). Damit wird die Unterstützungsfunktion des Bildungsmanagements wieder deutlich.1277 Eine mögliche Organisationsform wäre beispielsweise ein Competence-Center in Form eines Zentralbereichs. Die Formierung eines Competence-Centers geht über die z. T. in der Literatur aufgestellte Forderung nach einem Service-Center hinaus, da es sich an den vielfältigen Rollenanforderungen des Bildungsmanagements orientiert und nicht an dem z. T. noch vorherrschenden Selbstverständnis der Serviceorientierung/Bedienhaltung. Dieses kann durch eine Neuausrichtung bzw. Weiterentwicklung eines bereits existierenden (oder in der Typ 3-Phase entstandenen) Zentralbereichs geschehen
1275
Bezogen auf den Bereich HRM belegt der CapGemini-HR-Barometer 2004/2006: nur ein Drittel der HR-Manager in deutschsprachigen Unternehmen können die Unternehmensstrategie mitgestalten und nur knapp die Hälfte ist an der Umsetzung beteiligt. Lediglich vier Prozent der Befragten bezeichnen sich „voll und ganz“ als Business Partner (vgl. Classen/Kern/Juhasz, 2004).
1276
Vgl. hierzu auch die Forderung von Marques, 2006 nach einem HR Department in Form einer „cross-functional unit“.
1277
Beispielsweise wies Zetsche, Vorstandsvorsitzender der DaimlerChrysler AG im Rahmen eines Vortrags auf dem DGFP-Kongress im Juni 2006 in Wiesbaden darauf hin, dass sogar die Personalarbeit Sache des Managements sei und das HR nur eine Unterstützungsfunktion habe. Auch Hayman (SAP Ambassador) argumentierte in seinem Vortrag in die exakt gleiche Richtung: die grundlegenden Business-Themen sind ‚von Haus aus’ HR-Themen. Da der CEO meist überfordert ist, muss der Bereich HR deshalb eine Unterstützungsfunktion einnehmen.
Bezugsrahmen I
256
oder durch die veränderte Positionierung einer bestehenden Corporate University.1278 Daneben ist eine strukturelle Verankerung in der Linie – nahe beim Mitarbeitenden notwendig (Typ 4c). Dies ist beispielsweise durch einen zunehmenden Einbezug von Führungskräften in operativere Bildungsmanagement-Aktivitäten möglich. Auf diese Weise kann dem eventuell bestehenden Akzeptanzproblem der Linie entgegengewirkt werden.1279 Gleichzeitig ist die Beibehaltung einer operativen Einheit möglich, die Schulungsmaßnahmen und Seminare off-the-job anbietet.1280 Diese kann gegebenenfalls ausgelagert oder als Profit-Center geführt werden. Damit zeigt sich das Bildungsmanagement in diesem Entwicklungsstadium (Typ 4) als mehrere Facetten und unterschiedlichste Bereiche im Unternehmen ansprechendes und umfassendes Konzept. Das Bildungsmanagement wird als Teilfunktion zur Generierung von Unternehmenserfolg gesehen und als essentieller Bestandteil des allgemeinen Managements. Insgesamt ist in der Entwicklung der Rolle des Bildungsmanagements von Typ 1 bis Typ 4, bezogen auf das Thema Strategie, eine Entwicklung vom Implementierer hin zum unersetzbaren Gestalter beobachtbar oder wie es Hayman beschreibt: „from polite to police to business partner to applier“1281.1282 Business Partner zu sein ist zwar ein ‚Schritt in die richtige Richtung’, dies allein reicht aber nicht aus. Das Bildungsmanagement wird eine integrale Managementaufgabe. Die operativen Funktionen des Bildungsmanagements nehmen nicht unbedingt ab, sondern verändern sich qualitativ: es erfolgt eine Entwicklung weg von der Veranstaltungsorganisation hin zu
1278
Laut Levy werden Corporate Universities schon bald in Performance Center umbenannt werden. Mit dieser Umbenennung geht eine entsprechende Neuorientierung hin zu mehr PerformanceSupport bei der Arbeit einher. Vgl. Kellner, 2006b.
1279
Die Akzeptanz von Seiten der Linie wurde in der SCIL-Trendstudie als wesentliche Herausforderung für das Bildungsmanagement dargestellt (vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 6).
1280
Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Klein, L., 1997, S. 185.
1281
Hayman: Vortrag „Can HR survive?“, DGFP-Kongress „Menschen stärken – Wert(e) bilden“, 09.06.06, Plenum.
1282
Die Transformation von der Administration zum Business-Partner wird im Zusammenhang mit dem HRM auch von Oertig thematisiert. Er sieht die derzeitige Aufgabenverteilung mit 10 % in der Strategiearbeit, 30 % in der Beratung/Konzeption und 60% in der Administration. Dieses Verhältnis wird sich aus seiner Sicht schrittweise verändern. Seine Vision ist eine Verteilung von 40 % Strategie/Change-Begleitung, 50 % Beratung/Konzeption und 10% Administration. Er weist daneben darauf hin, dass es tatsächlich nur dann zu einer Wertsteigerung im Unternehmen kommt, wenn sich die Anteile der administrativen Tätigkeit zum Vorteil der strategischen Beiträge und des (kulturellen) Change-Managements verschieben (vgl. Oertig, 2006; Fels/Oertig, 2006).
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
257
einer Veränderungsbegleitung, weg von Kostendokumentation hin zur Wertgenerierung durch Innovationsförderung. Damit verbunden ist die bereits aufgezeigte Forderung nach einer zunehmenden Professionalisierung des Bildungsmanagements. Zusammenfassend kann folglich festgehalten werden:
Funktionale Verankerung des Bildungsmanagements Kernaussage
Kategorien
Die Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen kann durch das Typenmodell (Funktionales Strukturmodell), welches vier wesentliche Typen beschreibt, zusammengefasst werden. Das Typenmodell dient so zur Weiterentwicklung des Bildungsmanagements im Unternehmen. Reinformen: Typ 1: operativer Strategieimplementierer und Personalentwickler Typ 2: dezentraler Unterstützer der Mitarbeiter- und Unternehmensinteressen Typ 3: zentraler Business Partner Typ 4: umfassendes Managementkonzept im Unternehmen -
Ansatzpunkte Bewusstwerden und Reflexion der momentanen Situation Aufzeigen von Gestaltungsmöglichkeiten Definition des Entwicklungspfades Um das Modell modifizieren zu können, stellt sich für die Auswertung der empirischen Exploration folgende Frage: Welche Erkenntnisse können aus den Fallstudien zur Konkretisierung bzw. Weiterentwicklung des Typenmodells abgeleitet werden?
4.2.3.4. Bildungsmanagement im Kontext organisatorischer Herausforderungen Das Bildungsmanagement in Unternehmen wird durch eine Veränderung der Unternehmensorganisation beeinflusst. Diese wiederum hängt von veränderten Rahmenbedingungen ab. Als wesentliche Grundstrategien organisatorischer Innovationen wurden im Rahmen der theoretischen Exploration zum einen die Modularisierung, Netzwerkbildung und Virtualisierung und zum anderen die zunehmende Internationalisierung und Globalisierung thematisiert.
Bezugsrahmen I
258
Insgesamt führen Modularisierung, Netzwerkbildung und Virtualisierung auf der einen Seite dazu, dass die Anforderungen an die Mitarbeitenden im Bereich Entscheidungs- und Verantwortungsfähigkeit sowie Team-, Kommunikations- und Innovationsfähigkeit deutlich zunehmen. Auf der anderen Seite bieten sie ihnen aber auch die Möglichkeit, sich einzubringen und ihre Ansprüche an die Arbeitstätigkeit zu verwirklichen. Entsprechend fordern die neuen Formen der Organisationsgestaltung nicht nur Maßnahmen der Personalentwicklung, sondern ermöglichen in verstärktem Maße auch Persönlichkeitsentwicklung. Im Zusammenhang mit der Virtualisierung wurde sogar aufgezeigt, dass der gesamte Bereich der Personalentwicklung zu Gunsten einer Selbstförderung der Mitarbeitenden, d. h. der Persönlichkeitsentwicklung aus dem Verantwortungsbereich des Unternehmens ‚herausfällt’. Insbesondere die Virtualisierung, aber auch die Modularisierung und Vernetzung ermöglichen eine Erfüllung des Bedürfnisses der Mitarbeitenden nach mehr Eigenverantwortung und Freiraum.1283 Durch die zunehmende Verlagerung von Verantwortung sowie Handlungs- und Entscheidungsspielraum auf die Mitarbeitenden ist daneben die bereits beschriebene Veränderung der Rolle der Führungskräfte und des Führungsverhaltens verstärkt notwendig. Führungskräfte müssen ihre Mitarbeitenden unterstützen und fördern. Daneben sind Aspekte wie Vertrauen und kooperativer Umgang aller Beteiligten wesentliche Erfolgsfaktoren. Hierfür ist ein permanentes „Dazulernen“1284 unerlässlich, nicht nur für Mitarbeitende und Führungskräfte, sondern auch für das gesamte Unternehmen. Durch die Internationalisierungs- und Globalisierungstendenzen von Unternehmen wird das Tätigkeitsspektrum des Bildungsmanagements zunehmend komplexer. Das Bildungsmanagement ist mit vielfältigen kulturellen Unterschieden, wie einem unterschiedlich geprägten Lernverhalten, unterschiedlichen Führungsstilen oder einer unterschiedlichen Bedeutung von Bildung und Arbeitstätigkeit konfrontiert. Diese komplexe Vielfalt gilt es auf allen Ebenen des Bildungsmanagements zu berücksichtigen und darauf zu reagieren. Auf normativer Ebene bedeutet dies beispielsweise, sich der unterschiedlichen Wertsysteme bewusst zu werden. Im Bereich Kultur und Strategie gilt es, sich z. B. mit der Frage auseinanderzusetzen, wie mit den Kulturverschiedenheiten umgegangen werden kann und wie diese evtl. genutzt werden können. Daneben müssen im Bereich Organisation u. a. Strukturen geschaffen wer-
1283
Vgl. Hofmann/Regnet, 2003, S. 678.
1284
Picot/Reichwald/Wigand, 1998, S. 467.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
259
den, die sicherstellen, dass alle Mitarbeitenden weltweit den gleichen Zugang zu Bildungsmaßnahmen haben (Stichwort ‚Anytime-Anyplace’).1285 Aus dem Blickwinkel der Diskussion um die Dualität Personalentwicklung versus Persönlichkeitsentwicklung betrachtet, fällt auf, dass mit einer zunehmenden Internationalisierung die Aufgabe des Bildungsmanagements im Bereich der Personalentwicklung (beispielsweise mit der Entsendung von Mitarbeitenden ins Ausland oder der Zusammenarbeit in internationalen Teams) deutlich wächst. Gleichzeitig bietet der Trend aber auch zusätzliche Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung. Internationale Unternehmen weisen ein erweitertes Spektrum an Entwicklungsalternativen auf dadurch, dass vielfältigere Orte, Adressaten und Schwerpunkte kombiniert werden können.1286 Gerade Hochschulabsolventen und Führungskräfte fordern immer mehr die (zeitweise) Entsendung ins Ausland, um sich so weiterentwickeln zu können.1287 Durch die zunehmende Komplexität der Aufgabe in Verbindung mit den veränderten organisatorischen Herausforderungen stellt sich dann auch die Forderung nach einer entsprechenden Qualifizierung der im Bereich Bildungsmanagement Tätigen. Zusammenfassend ergeben sich für das Bildungsmanagement folgende Bezugspunkte:
Bildungsmanagement im Kontext organisatorischer Herausforderungen Kernaussage
Die vielfältigen organisatorischen Herausforderungen, die auf Unternehmen wirken, ziehen Konsequenzen auf der Ebene des Bildungsmanagements nach sich: Sie machen eine verstärkte Personalentwicklung notwendig und begünstigen gleichzeitig in hohem Maße die Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeitenden.
Kategorien
Modularisierung Netzwerkbildung Virtualisierung Internationalisierung Globalisierung
1285
Dies ist eine im Rahmen der SCIL-Trendstudie genannte Herausforderung an das Bildungsmanagement in Unternehmen (vgl. Diesner/Euler/Seufert, 2006, S. 44).
1286
Vgl. ausführlicher Drumm, 2000, S. 732 ff.
1287
Vgl. Scholz, 2000, S. 600; Wagner, 2002, S. 263.
Bezugsrahmen I
260
Ansatzpunkte Zusammenarbeit der Bildungsmanagement-Stellen Rolle der Führungskräfte als Bildungsmanager vor Ort Arbeitsgestaltung der Mitarbeitenden Erweiterte Handlungsmöglichkeiten/Tätigkeitsspektrum für das Bildungsmanagement Für die empirische Exploration stellen sich hieraus folgende Fragen: x
x
Mit welchen (weiteren) organisatorischen Herausforderungen ist das Bildungsmanagement in den nächsten Jahren konfrontiert? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Bildungsmanagement?
4.2.4. Trilogie Strategie – Kultur – Struktur Die strategische Ebene des Bildungsmanagements in Unternehmen manifestiert sich in den drei Entscheidungs- und Handlungsfeldern Strategie, Kultur und Struktur. Der Erfolg des Bildungsmanagements hängt sowohl von der Strategie als auch von der Kultur des Unternehmens und den strukturellen Rahmenbedingungen ab. Alle drei Bereiche stehen in einer klaren Wechselwirkung zueinander und können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Denn „nur ein Zusammenspiel von Strategie, Organisation und Unternehmenskultur [kann] langfristig Erfolg bringen“1288. Im Rahmen der theoretischen Exploration wurden die Wirkungszusammenhänge von Strategie und Kultur, Strategie und Struktur sowie Kultur und Struktur erläutert. Dabei wurde deutlich, dass sie wechselseitig voneinander beeinflusst werden. Die Erläuterungen zur Entwicklung des Bezugsrahmens machten daneben deutlich, dass sich die drei Elemente nicht nur dialektisch beeinflussen, sondern sich z. T. auch nur schwer voneinander differenzieren lassen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen der strategischen Ebene sind fließend. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es sich bei den Elementen der strategischen Ebene um ein integriertes, komplexes System handelt. In einem System beeinflusst keine Variable die andere, ohne von ihr selbst beeinflusst zu werden.1289 Diesen Sachverhalt gilt es für das Bildungsmanagement zu berücksichtigen und in
1288
Gomez/Zimmermann, 1999, S. 191.
1289
Vgl. Bleicher, 2004, S. 52.
Gesamtblick
261
das Konzept mit aufzunehmen. Entsprechend wird dazu der Zusammenhang der Entscheidungs- und Handlungsfelder der strategischen Ebene schematisch als ein Dreieck dargestellt, das die drei Elemente Strategie, Kultur und Struktur gemeinsam aufspannen (vgl. Abbildung 37). Die Wechselwirkung der drei Ordnungsmomente wird durch das Zahnrad symbolisiert – unabhängig davon, welcher Aspekt sich verändert, hat dies auch Auswirkungen auf die beiden anderen Ordnungsmomente.
Strategie
Kultur
Struktur
Abbildung 37: Trilogie Strategie – Struktur – Kultur
4.3. Gesamtblick In den vorangegangenen Kapiteln wurden verschiedene Aspekte aufgezeigt, die für das Bildungsmanagement auf der normativen und strategischen Ebene relevant sind. Das Vorgehen wurde durch das Grundziel der Arbeit geleitet, einen Bezugsrahmen zu entwickeln, der als ‚gedankliches Ordnungssystem’ ein Weiterdenken über die heutige und zukünftige Situation des Bildungsmanagements in Unternehmen ermöglicht. Die einzelnen Entscheidungs- und Handlungsfelder lassen sich aus einem Gesamtblick wie in Abbildung 38 dargestellt, in einen systematischen Zusammenhang bringen. Eingebettet in die Gegebenheiten der Umwelt stehen sich die beiden Bezugsgruppen Unternehmen und Mitarbeitende mit ihren Einstellungen/Überzeugungen, Werten und Ansprüchen gegenüber. Im Kern fokussiert sich das Bildungsmanagement im Verständnis dieser Arbeit auf die normative und strategische Ebene. Dabei sind die Managementphilosophie und die Unternehmenspolitik wesentliche Ordnungsmomente auf der normativen Ebene. Beide können in einem Leitbild ihren Niederschlag finden, welches ein weiteres Entscheidungs- und Handlungsfeld auf dieser Ebene darstellt.
Bezugsrahmen I
262
Die strategische Ebene ist durch die Trilogie Strategie, Kultur und Struktur geprägt. Mit allen drei Entscheidungs- und Handlungsfeldern sind vielfältige für das Bildungsmanagement bedeutsame Aspekte verbunden. Die Elemente der normativen und strategischen Ebene können sich ebenso wie die beiden Ebenen selbst systematisch ergänzen und sich laufend weiterentwickeln. Das Bildungsmanagement ist damit Teil eines langfristigen und nie vollendeten Entwicklungsprozesses im Unternehmen (im Modell durch den Pfeil verdeutlicht). Technologisches Segment
Ökonomisches Segment
Unternehmen Umwelt
Managementphilosophie
Unternehmenspolitik
Le itb
ild
Normative Ebene
Strategische Ebene Strategie Kultur
Struktur Ansprüche Werte
Einstellungen/Überzeugungen
Soziokulturelles Segment
Mitarbeitende
Politisch-rechtliches Segment
Abbildung 38: Modell des Bildungsmanagements in Unternehmen
Die in der visuellen Darstellung zum Ausdruck kommenden Entscheidungs- und Handlungsfelder können durch einzelne Aspekte weiter ausdifferenziert werden. Dies erfolgte in den vorangegangenen Kapiteln im Rahmen der einzelnen propositionalen Darstellungen. Die Entscheidungs- und Handlungsfelder bzw. deren Aspekte lassen sich durch die Unterscheidung von Kernaussagen, Kategorien, Ansatzpunkten, Einflussfaktoren und Beobachtungen näher konkretisieren.
5. Empirische Exploration
Die Theoriebildung ist in der Dissertation durch das Paradigma der WissenschaftsPraxis-Kommunikation geleitet. Im Rahmen der empirischen Exploration wurde das Praxisfeld aufgesucht, um bezogen auf das Problemfeld der Dissertation ergänzende Aussagen, Erläuterungen und Erkenntnisse für die Weiterentwicklung des Bezugsrahmens zu gewinnen. Wie bereits in Kapitel 1.4.4 dargelegt erfolgte eine offene Herangehensweise, um möglichst vielfältige Beobachtungen machen zu können. Das Vorgehen wurde durch die Fallstudienmethodik bestimmt, welche bereits auf Seite 18 ff. detaillierter beschrieben wurde. Die grundlegende handlungsleitende Fragestellung für die empirische Exploration kann wie folgt formuliert werden: Wie stellt sich das Bildungsmanagement auf der normativen und strategischen Ebene in den Fallstudienunternehmen dar und wie wird es ausgestaltet? Insgesamt wurden vier Fallstudien entwickelt: Kapitel 5.1 geht auf die Lufthansa AG ein, Kapitel 5.2 schildert die Perspektive der Bertelsmann AG, Kapitel 5.3 widmet sich der Kienbaum Consultant International GmbH und Kapitel 5.4 der SICK AG. Die Fallstudien fokussieren sich auf das Bildungsmanagement im Unternehmen und nehmen u. a. für die Weiterentwicklung des Bezugsrahmens relevante Aspekte auf. Nach einer Beschreibung des Unternehmens an sich erfolgt zunächst eine Betrachtung der normativen Ebene, daran anschliessend der strategischen Ebene, welche sich in die Bereiche Strategie, Kultur und Struktur untergliedert. Dabei ist die Differenzierung eher grob gehalten, was aber letztlich durch der Vielzahl der erfassten Perpektiven und der offenen Herangehensweise bedingt ist. Eine Auswertung und ein kritisches Hinterfragen der Darstellungen geschieht im Zusammenhang mit der Formulierung des Bezugsrahmens II (Kapitel 6). Grundlage für die Erstellung der jeweiligen Fallstudie waren unterschiedliche Dokumente und Interviews mit Unternehmensvertretern1290. Die Abbildungen der Fallstudien sind, soweit nicht anders angegeben, offiziellen Unternehmenspräsentationen oder Präsentationen der Interviewpartner entnommen.
1290
Vgl. Abbildung 2 auf S. 26.
Empirische Exploration
264
5.1. Fallstudie Deutsche Lufthansa AG Die Fallstudie stellt den Bereich Führungskräfteentwicklung in der Lufthansa School of Business in den Mittelpunkt der Betrachtung. Diese ist eine zentrale Konzernfunktion. Geschäftsbereichsspezifische Gegebenheiten werden folglich nicht im Detail erörtert.1291 5.1.1. Unternehmensprofil Die Deutsche Lufthansa AG1292 ist ein weltweit tätiger Luftfahrt-Konzern mit über 400 Konzern- und Beteiligungsgesellschaften. Sie wurde im Jahr 1953 unter dem Namen ‚Aktiengesellschaft für Luftverkehrsbedarf’ (LUFTAG) gegründet. Diese erwarb 1954 die Namensrechte der ‚Deutschen Lufthansa AG in Liquidation’, welche 1926 durch die Fusion der Deutschen Aero Llyod mit der Junkers Luftverkehr AG entstanden war, 1945 den Flugbetrieb vollständig einstellte und anschließend liquidiert wurde. Der reguläre Flugbetrieb der ‚neuen’ Lufthansa wurde am 1. April 1955 aufgenommen. Bis 1966 blieb sie zu fast 100 Prozent in staatlichem Besitz. Bis 1994 war die Lufthansa entsprechend der offizielle ‚Flagcarrier’ der Bundesrepublik Deutschland. In den Jahren 1992 bis 1997 überwand die Lufthansa mit einem umfangreichen Sanierungsprogramm ihre größte wirtschaftliche Krise. Die öffentliche Hand reduzierte in mehreren Schritten ihren Anteil am Unternehmen. Seit 1997 ist die Lufthansa vollständig privatisiert. Im selben Jahr schafften die Lufthansa, Air Canada, SAS, Thai Airways und United Airlines mit der ‚Star Alliance’ das erste multinationale Bündnis im Weltluftverkehr. Im Dezember 2006 sind insgesamt 18 Fluggesellschaften Mitglied der ‚Star Alliance’.1293 Die Lufthansa hat damit eine Entwicklung vom zentralistisch geführten Staatsunternehmen in einem regulierten Markt hin zu einem voll privatisierten wettbewerbsfähigen Unternehmen mit dezentralen Strukturen vollzogen (vgl. Abbildung 39).
1291
Ich danke Herrn Dr. Christ (Leiter Führungskräfteentwicklung und LHSB) und Herrn Heberle (Personalentwickler Konzernfunktionen) für die intensiven Gespräche und die vielfältigen Einblicke, die sie mir in ihre Arbeit gewährt haben.
1292
Wenn im Folgenden von ‚Lufthansa’ oder ‚LH’ gesprochen wird, so ist damit die Deutsche Lufthansa AG gemeint.
1293
Im ‚Star Alliance’-Verbund finden täglich mehr als 16.000 Flüge statt, es werden 841 Ziele in 157 Ländern angeflogen, alle Mitglieder zusammen haben eine Flottenstärke von rund 2.800 Flugzeugen und befördern jährlich 413 Millionen Passagiere. Siehe http://www.staralliance.com [Stand 01.12.2006].
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
265
L u fth a n s a G ro u p o f c o m p a n ie s in th e S T A R A L L IA N C E
1 L u f th a n sa
H ig h
4
in th e 1 9 8 0 s Q u a lity o f in te g r a tio n
Low
T u rn a ro u n d
R e in te g ra tio n ph ase
phase
2
3
S im p li f ic a tio n ph ase
L u f th a n s a in th e tu rn a ro u n d
Low
S ta n d a lo n e
U n it p e rf o r m a n c e
H ig h
D ro p out
Abbildung 39: Entwicklung der Deutschen Lufthansa AG (Sattelberger/Westerbarkey, 1998)
Mit einem Umsatz von ca. 20 Mrd. Euro in 2006 und einem Konzernergebnis von mehr als 803 Mio. Euro zählt die Deutsche Lufthansa AG heute zu einer der größten und profitabelsten Airlines der Welt.1294 Das strategische Kerngeschäftsfeld des Unternehmens ist die Passagierbeförderung. Die weiteren vier Geschäftsfelder sind Logistik, Technik, Catering und IT Services. Bis Anfang 2007 existierte daneben mit der Thomas Cook AG ein fünftes Geschäftsfeld Touristik. Die Lufthansa-Anteile an der Thomas Cook AG wurden allerdings zum 09.02.2007 von der KarstadtQuelle AG übernommen. Die Deutsche Lufthansa AG ist die Obergesellschaft des gesamten Konzerns. Gleichzeitig ist sie aber auch die größte operative Einzelgesellschaft, indem sie den Passagier-Linienverkehr als selbstständigen Geschäftsbereich mit Ergebnisverantwortung unmittelbar leitet. Technische Basis und Heimatflughafen ist Frankfurt am Main. Der Firmensitz und die Hauptverwaltung des Konzerns befinden sich in Köln. Der Konzernvorstand steuert mit den drei Ressorts Vorstandsvorsitz, Finanzen und Aviation Service & Human Resources den gesamten Konzern. Vorstandsvorsitzender der Deutsche Lufthansa AG ist Wolfgang Mayrhuber, Stephan Gemkow ist für das Ressort Finanzen zuständig und Stefan Lauer verantwortet den Bereich Aviation Service & Human Resources1295.
1294
Vgl. Deutsche Lufthansa AG, 2006c; Heinen-Konschak/Fels, 2006, S. 85.
1295
Weiter sind im folgende Konzernfunktionen zugeordnet: Konzern-Personalpolitik, Führungskräfte Konzern, Human Resource Business Services, Konzern-Tarifpolitik/Soziale Sicherung, KonzernSicherheit, Informationsmanagement Konzern, Infrastrukturprojekte und Facility Management Konzern. Logistik, Technik, Catering und IT Services sind die ihm zugeordneten Geschäftsfelder.
Empirische Exploration
266
Ein Konzernführungskreis, dem der Konzernvorstand, der Bereichsvorstand der ‚Passagierbeförderung’ und die Vorstände bzw. Geschäftsführer der wichtigsten Konzerngesellschaften sowie einige wichtige Stabsfunktionen angehören, koordiniert die Geschäfte und stellt sicher, dass bei allen Entscheidungen die Interessen des Gesamtkonzerns berücksichtigt werden. Daneben wird die Zusammenarbeit der Konzerngesellschaften durch Unternehmensverträge geregelt. Die Konzernstruktur stellt sich im Überblick wie folgt dar:
bis 09.02.2007
Abbildung 40: Konzernstruktur der Deutsche Lufthansa AG
Wie bereits angesprochen, ist die Passagierbeförderung das Kerngeschäft des Konzerns, entsprechend macht der Bereich Passage 2006 rund 65 % des Konzernumsatzes aus. An einem „ganz normalen“ Tag startet und landet die Lufthansa 1.760 mal, es werden 138.000 Fluggäste an Bord begrüßt, 27.400 Telefonanrufe beantwortet und 1.000 mal die Preise angepasst. Zu diesen Zahlen und dem Erfolg dieses Bereichs tragen neben der Lufthansa auch die Swiss International Airlines, Air Dolomiti, Lufthansa CityLine und die Eurowings-Gruppe (u. a. Germanwings) bei. Die Obergesellschaft des Geschäftsfeldes Logistik ist die Lufthansa Cargo AG. Deren Aufgaben liegen im Verkauf und der Abwicklung des Frachttransports im Lufthansa Konzern. Sie vermarktet neben eigenen Frachter-Diensten auch die Frachträume der Lufthansa Passage Airlines und der Spanair. Weltweit werden 512 Zielorte durch Fracht- oder Passagierflugzeuge oder durch beauftragte Speditionen per LKW bedient. Die Lufthansa Cargo AG zählt mittlerweile zu einer der weltweit führenden Frachtgesellschaften.
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
267
Der Geschäftsbereich Technik ist in die sechs Geschäftsfelder Wartung, Überholung, Triebwerke, Geräteversorgung, Fahrwerke und Completion gegliedert. Die Obergesellschaft ist die Lufthansa Technik AG – eine der weltweit führenden Anbieter luftfahrttechnischer Dienstleistungen für zivile Verkehrsflugzeuge. Der wichtigste Standort dieses Bereichs ist das Überholungs-, Entwicklungs- und Logistikzentrum in Hamburg, in dem Großraumflugzeuge und Triebwerke überholt und Flugzeug-Geräte und -Komponenten instand gehalten werden. Im Completion Center werden Geschäfts- und VIP-Flugzeuge individuell ausgestattet. Im Geschäftsfeld Catering ist die LSG Lufthansa Service Holding AG Obergesellschaft. LSG Sky-Chefs-Gruppe ist die hundertprozentige Catering-Tochter der Deutschen Lufthansa AG. Sie beliefert weltweit rund 270 Fluggesellschaften mit Borddienstleistungen (pro Tag werden durchschnittlich 992.000 Essen ausgeliefert). Mit 30 % Marktanteil ist sie der Weltmarktführer im Bereich Airline Catering. Daneben zählt die Lufthansa WorldShop GmbH zum Geschäftsbereich Catering. Im Bereich IT Services ist die Lufthansa Systems AG eine der weltweit führenden ITDienstleister für die Airline- und Aviation-Branche. Das Leistungsspektrum reicht von der Entwicklung spezieller IT-Lösungen bis hin zum Betrieb von Rechenzentren. Im Bereich IT-Infrastruktur bietet das Unternehmen mit Sitz in Deutschland und Auslandsniederlassungen in 17 Ländern seine Leistungen branchenübergreifend an. Die Aktivitäten des Deutschen Lufthansa Konzerns werden durch Unternehmen im Finanz- und Dienstleistungsbereich unterstützt. Hierzu zählen beispielsweise die Lufthansa Commercial Holding GmbH, in der Lufthansa-Beteiligungen zusammengefasst sind, die das Kerngeschäft fördern, erweitern und sichern, wie auch die Lufthansa Flight Training GmbH, zuständig für das Training der Crews und die Lufthansa AirPlus Servicekarten GmbH. Am 31. Dezember 2006 beschäftigte der Lufthansa Konzern (ohne den Geschäftsbereich Touristik) 94.510 Mitarbeitende aus 145 Nationen (Vorjahresstand 92.616). Diese teilten sich auf die einzelnen Geschäftsbereiche wie folgt auf:
Empirische Exploration
268
Geschäftsbereich Passagierbeförderung Logistik
Veränderung Stand Mitarbeiterzahl 31.12.2005 31.12.2006 in % 37.042
38.410
3,7
4.704
4.600
-2,2
Technik
17.864
18.426
3,1
Catering
28.295
28.555
0,9
IT
3.290
3.321
0,9
Service- und Finanzgesellschaften
1.108
1.198
8,1
Abbildung 41: Personalstand Lufthansa Konzern nach Geschäftsbereichen (eigene Darstellung)
5.1.2. Normative Ebene Die Deutsche Lufthansa AG ist als Aviation-Konzern ein Dienstleistungsunternehmen. Die Dienstleistungen werden von Menschen erbracht. Daher sieht Lufthansa die Mitarbeitenden als wichtigste Ressource an, denn Dienstleistungsprodukte stehen und fallen mit den Menschen, die für die Dienstleistung stehen. Die Mitarbeitenden bilden den Kern des Lufthansa-Produkts: „Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin ist ein Stück Lufthansa“1296. „Durch ihr kunden- und serviceorientiertes Handeln garantieren sie [unsere Mitarbeitenden] das Wachstum und den Erfolg unseres Unternehmens“1297. Dem Unternehmen liegt deshalb nicht nur die fachliche, sondern auch die persönliche Entwicklung der Mitarbeitenden „am Herzen“ und es unterstützt diese entsprechend: „Die Möglichkeit, sich im Beruf weiterzubilden, ist ein entscheidendes Kriterium für die dauerhafte erfolgreiche Mitarbeit in einem Unternehmen. Weil wir die Entwicklung des Unternehmens und die Entwicklung des Einzelnen als Einheit betrachten, ist es uns wichtig, dass unsere Mitarbeiter ihre Kompetenzen und ihre Karrierechancen kontinuierlich weiterentwickeln können.“1298 Lufthansa ist sich der Herausforderung sehr konkret bewusst, die Ziele des Unternehmens mit den individuellen Lebenskonzepten der Mitarbeitenden verbinden zu müssen. Da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Lufthansa neben den Kunden und Aktionären eine gleichberechtigte Interessengruppe darstellen und zentraler Faktor des Unternehmenserfolgs sind, kommt dem HR-Management eine strategisch bedeutsame Rolle
1296
http://www.be-lufthansa.com/career_lounge.php?client=1&lang=1&eb1=9&eb2=97&idart= 238&anzeige=2 [Stand 01.12.2006].
1297
Vgl. Deutsche Lufthansa AG, 2005, S. 45.
1298
http://www.be-lufthansa.com/career_lounge.php?client=1&lang=1&eb2=98 [Stand 01.12.2006].
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
269
bei der Konzernführung zu. Es ist ein ausgewiesenes LH-Ziel, marktwirtschaftliches mit gesellschaftlich verantwortungsbewusstem Handeln und den persönlichen Interessen des Einzelnen zu verbinden. Das Leitprinzip des Personalbereichs ist daher ein Streben nach einer Balance im Dreieck Kunden-, Aktionärs- und Mitarbeiterinteressen. Ein erfolgreicher Ausgleich dieser unterschiedlichen Ansprüche sichert den langfristigen Geschäftserfolg des Unternehmens und kennzeichnet das an Nachhaltigkeit ausgerichtete Personalmanagement. Das Bild des Top-Managements vom (gewünschten) ‚Lufthanseaten’ zeigt sich u. a. in der Personalpolitik und im Selbstverständnis, das neuen Mitarbeitenden gegenüber kommuniziert wird. Dadurch, dass Lufthansa auf der ganzen Welt „zu Hause“ ist, wünscht sich das Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Nationen und Kulturen. Die derzeit rund 94.000 Beschäftigten kommen aus 145 Nationen. Entsprechend wichtig ist die Fähigkeit, Sprachbarrieren zu überwinden. Weiter ist es für Lufthansa selbstverständlich, dass ihre Mitarbeitenden gegenüber den Partnern und Kunden aus der ganzen Welt mit Flexibilität und Zuverlässigkeit auftreten. Wir suchen keine Karrieristen mit möglichst geradlinigem Lebenslauf, sondern Persönlichkeiten, die zu unserem Unternehmen passen: Menschen, für die Offenheit und Internationalität selbstverständlich sind, die mit Komplexität und Widersprüchlichkeit umgehen können, die ganz oben mitspielen wollen, dabei aber verantwortlich für die Gesell1299
schaft und das Unternehmen handeln.
1299
http://www.be-lufthansa.com/career_lounge.php?client=1&lang=1&eb1=4&eb2=12&idart= 302&anzeige=4 [Stand 01.12.2006].
Empirische Exploration
270
Diese Grundhaltung spiegelt sich im Leitbild der Deutschen Lufthansa AG wieder: Der Aviation-Konzern – Motor einer mobilen Gesellschaft … Unsere Basis ist das weltweite Management von Passagier- und Frachtluftverkehr alleine und im Partnerverbund. Unser Heimatmarkt ist Europa. Über die reine Beförderungsleistung hinaus bieten wir unseren Kunden integrierte Gesamtlösungen entlang der Servicekette, indem wir Synergiepotenziale konsequent ausschöpfen. … Spitzenleistungen anbieten – Wert schaffen – Maßstäbe setzen … Wir treten am Markt sowohl unter der Kernmarke Lufthansa als auch mit anderen Marken auf. Sie alle stehen für unsere Verpflichtung, dem Kunden Sicherheit, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, technische Kompetenz, Qualität, Flexibilität und Innovation zu bieten. Verantwortung zeigen – Balance halten Dienstleistung ist unsere Profession. Unsere Mitarbeiter sind unsere wichtigste Ressource. Als attraktiver Arbeitgeber für heutige und zukünftige Mitarbeiter ist unser Bemühen auf Arbeitsplatzsicherheit, gute Arbeitsbedingungen, Weiterentwicklungsmöglichkeiten und eine ausgeprägte Unternehmensethik gerichtet. Unsere Mitarbeiter honorieren das durch kundenorientierte Dienstleistung und sichern damit unser Wachstum. … Wirtschaftlicher Erfolg und eine an Nachhaltigkeit und Umweltschutz orientierte Unternehmenspolitik schließen sich nicht aus. Balance halten ist für uns Verpflichtung. Die Schonung der Umwelt ist deshalb ein vorrangiges Unternehmensziel, dem wir uns aus voller Überzeugung stellen. Abbildung 42: Ausschnitt aus dem strategischen Leitbild der Deutschen Lufthansa AG
Das Leitbild wurde 1998 kodifiziert und 2002 überarbeitet. Es soll eine gemeinsame, übergeordnete Zielorientierung sicherstellen – insbesondere durch das Verhalten der oberen Führungskräfte, wie Sackmann herausstellt: „Verbunden mit dem festen Vertrauen in die Führungsspitze, Lufthansa auch durch stürmische Zeiten sicher und mitarbeiterorientiert zu steuern, trägt der Vorbildcharakter der Führungskräfte wesentlich zur Glaubwürdigkeit der Unternehmensphilosophie bei, die ihren Wert nicht aus kodifizierten Führungsleitbildern bezieht, sondern einzig und allein durch das authentische Vorleben der Entscheidungsträger.“1300
1300
Sackmann, 2004, S. 80.
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
271
Ein einheitliches Leitbild im Sinne von führungsethischen Grundsätzen existiert im Unternehmen ganz bewusst nicht, weil zu viele Kulturen unter dem Dach der Deutschen Lufthansa AG vereint sind. „Die Gesellschaften, die das für sich fixieren wollen, können dies tun, aber wenn wir auf die Idee kämen, einen gemeinsamen Nenner für alle schriftlich zu fixieren, hätte ich fast schon Angst vor der Banalität dieses Nenners“1301. Die Gefahr von bewussten Werteprozessen wird darin gesehen, dass die Aussagen bedeutungsleer werden. Um dieser Gefahr vorzubeugen, wird davon abgesehen, bewusst initiierte Wertekampagnen anzustoßen. „Wir schreiben es nicht explizit auf, wir führen auch keine konzernweite Werte-Diskussion. Die meisten Lufthansa-Werte sind in den Kompetenzmodellen (Lufthansa Leadership Kompass) eingeflochten und sind damit permanenter Bestandteil eines jeden Assessments im Führungskräfteentwicklungsbereich.“ Dies entspricht dann auch eher der dialogbasierten Lufthansa-Kultur. So kann es sich beispielsweise aus der permanent laufenden Diskussion ergeben, dass „ein Development Center plötzlich zu einem Werte-Workshop der oberen Führungskräfte ‚mutiert’“. Nichtsdestotrotz wurde auf Gesamtunternehmensebene ein sehr allgemeiner ‚Wertekanon’ formuliert, der die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens festhält und begründet (vgl. Abbildung 43). Für Lufthansa bedeutet Wert zu schöpfen, auch Werte zu schaffen: „Wer ein Unternehmen verantwortungsvoll führen will, muss neben Bilanzzahlen, Renditen und einer nachhaltigen Wertschöpfung auch die Interessen von Anspruchsgruppen berücksichtigen“1302. Daher sind wirtschaftlicher Erfolg und eine an Nachhaltigkeit orientierte Unternehmenspolitik für Lufthansa zwei Seiten derselben Medaille. Ein harmonisches Gleichgewicht zu schaffen zwischen den betriebswirtschaftlichen Zielen des Konzerns und ihrer Verantwortung für Mensch und Gesellschaft ist für den Konzern Anspruch und Verpflichtung zugleich. So wird auch in Zeiten schwacher Konjunktur großer Wert darauf gelegt, den Mitarbeitenden eine verlässliche (Entwicklungs-)Perspektive zu geben.
1301
Die wörtlichen Zitate stammen, sofern nicht anders angegeben, von Christ.
1302
Deutsche Lufthansa AG, 2006a, S. 9.
Empirische Exploration
272
Langfristige Profitabilität Das herausragende strategische Leitbild des Konzerns ist die langfristige Wertschaffung bei profitablem Wachstum. Die Lufthansa soll hinsichtlich dieser Wertschaffung zur führenden europäischen Netzwerk-Fluggesellschaft ausgebaut werden. Als Messgröße dient die in der Wertorientierten Konzernsteuerung definierte Kennzahl Cash Value Added (CVA). Fokus auf Kundennutzen Der Kunde steht im Zentrum. Wir richten uns an den Kundenbedürfnissen aus und bieten darauf zugeschnittene Produkte an. A u s r i c h t u n g a n K e r n k o mp e t e n z e n Wir richten unsere Aktivitäten konsequent an unseren Kernkompetenzen aus. Dazu gehören das Management von Flugnetzen, Partnerschaften und operativen Abläufen am Boden und in der Luft sowie die Bereitstellung und Pflege von Infrastruktur und Produktionsfaktoren. Vorsprung durch Systemintegration Wir bauen unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Standorten, Fluggesellschaften und Allianzen durch eine starke Systemintegration aus. Wir arbeiten mit wesentlichen Partnern, Lieferanten und Infrastruktur-Anbietern eng zusammen, um die Kernprozesse zu integrieren und zu optimieren. Attraktives Arbeitsumfeld Unsere Mitarbeiter sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Wir bieten ihnen gute Arbeitsbedingungen, angemessene Weiterentwicklungsmöglichkeiten und eine fördernde und internationale Unternehmenskultur. Dadurch sind wir ein attraktiver Arbeitgeber für qualifizierte, motivierte und dienstleistungsorientierte Mitarbeiter. Gesellschaftliche Verantwortung Balance halten ist für uns Verpflichtung. Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung sind vorrangige Ziele unserer Unternehmenspolitik. Zudem engagieren wir uns aktiv in sozialen Projekten. Abbildung 43: Wertekanon der Deutschen Lufthansa AG
5.1.3. Strategische Ebene Ein Kernelement der Personalentwicklung der Deutschen Lufthansa AG ist die Führungskräfteentwicklung im Rahmen der Lufthansa School of Business (LHSB). Die Ausführungen im Kapitel Strategie fokussieren daher insbesondere den Strategieentwicklungsprozess der Führungskräfteentwicklung. Im Kapitel Kultur wird auf die Unternehmenskultur, auf Ansatzpunkte bildungsbereichsspezifischer Kulturaspekte und die Rolle der Führungskräfte eingegangen. Das Kapitel Struktur veranschaulicht zunächst die Verankerung des Bildungsmanagements in den (de)zentralen Strukturen des LH-Konzerns. In einem zweiten Schritt wird das Konzept der LHSB (wiederum
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
273
mit einem Schwerpunkt auf den Bereich Führungskräfteentwicklung) ausführlich erläutert. Abschließend wird das Selbstverständnis des Bereichs und dessen Rolle im Unternehmen dargestellt.
5.1.3.1. Strategie Im vergangenen Jahrzehnt hat sich Lufthansa von einem funktional gegliederten monolithischen Unternehmen in einen Luftfahrtkonzern mit mehreren Geschäftsfeldern gewandelt. Abbildung 44 verdeutlicht diesen bereits aufgezeigten Prozess nochmals überblicksartig.
Abbildung 44: Entwicklung der Lufthansa von einer monolithischen Fluggesellschaft zu einem fokussierten Luftfahrtkonzern
Die Passagierbeförderung ist das zentrale Geschäftsfeld des Unternehmens und wird daher auch von der Deutschen Lufthansa AG direkt gesteuert. Die Relevanz der übrigen Geschäftsfelder orientiert sich daran, inwiefern sie die Wettbewerbsfähigkeit der Passage als Dienstleister für wesentliche Produktionsfaktoren und Infrastruktur stärken. Das Ziel, profitabel zu wachsen und dabei mindestens die Kapitalkosten zu verdienen, steht im Zentrum der Konzernstrategie (vgl. Abbildung 52). Zusammenfassend müssen alle Konzerngesellschaften gemäß dem Motto „Profitables Wachstum – Ausrichtung an Kernkompetenzen – Fokus auf Kundennutzen“1303 ihre
1303
Deutsche Lufthansa AG, 2006b.
Empirische Exploration
274
Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität nachhaltig unter Beweis stellen und langfristig Wert schaffen. Dies spiegelt sich auch im Personalbereich wider. Die Personalarbeit muss unter Berücksichtigung der geschäftsfeldspezifischen Besonderheiten, Marktanforderungen und Interessen dem Konzerngedanken und den darin zum Ausdruck kommenden übergeordneten Werten, Strategien und Verhaltensvorstellungen Rechnung tragen. „Dementsprechend verfolgt Lufthansa eine durchgängige, kommunizierte Personalstrategie, die auf gegenseitiger Verantwortung, gleichen Werten und gemeinsamer Perspektive basiert und die von den zentralen und dezentralen Strukturen des Personalmanagements gleichermaßen unterstützt wird.“1304 Die einheitliche, den Zusammenhalt im Konzern sicherstellende Personalarbeit wird vom Vorstand Human Resource und Aviation Services gesteuert. An diesen berichten die zentralen strategischen Funktionen (z. B. Führungskräfte Konzern oder Konzern-Personalpolitik), die im Konzern eine Servicefunktion für die Geschäftsbereiche einnehmen. Die Geschäftsbereiche sollen grundsätzlich einen größtmöglichen Spielraum haben, um Anpassungen an die branchenspezifischen Rahmenbedingungen machen zu können. In den einzelnen Geschäftsbereichen1305 werden daher z. T. auch – abhängig von den jeweiligen Geschäftsbereichsstrategien – eigene Personalstrategien entwickelt und von den dezentralen Personalbereichen umgesetzt. Entsprechend hat die LHSB für den Strategieprozess der Führungskräfteentwicklung einen eigenen Governance Prozess entwickelt und implementiert (vgl. Abbildung 45).1306 Initiator des Prozesses war Christ, der Leiter der LHSB, der sagt: „Ich wollte personenunabhängig arbeiten. ... Es braucht menschenunabhängige Logiken, um die Strategieentwicklung aus der Beliebigkeit herauszuholen … und um sie weiterführen zu können“.
1304
Heinen-Konschak/Fels, 2006, S. 87.
1305
Der Konzern selbst hat keinen eigenen Personalbereich; die Mitarbeitenden, die in Konzernfunktionen beschäftigt sind, werden vom Personalbereich des Geschäftsfeldes Passagierbeförderung betreut.
1306
Vgl. hierzu auch Christ/Seufert, 2006.
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
HR Board (online) HR Board
PU/HMX PE
Bewertung & Ergänzung der Handlungsfelder
Ableitung der Handlungsfelder
PU/HMX PE
HR Board
Analyse & Cluster
PU/HMX PE
Entscheidung
Short List der strat. Handlungsfelder hoch ease of Implementation
Long List der strat. Handlungsfelder
275
Long List der Themen/Projekte
Portfolio: FKE und LHSB
niedrig
Business Impact
Umsetzung/ Monitoring
hoch
Short List der Themen/Projekte
Ableitung der Themen/Projekte
Bewertung der Themen/Projekte
Entscheidung
1307
Abbildung 45: Strategieprozess der Führungskräfteentwicklung
Grundlegend für den Strategieentwicklungsprozess, der von vornherein zeitlich auf ein halbes Jahr fixiert wurde, war ein Workshop der zentralen Führungskräfteentwicklung (PU) mit den dezentralen Personalentwicklern der Geschäftsfelder (HMX PE). In diesem Workshop wurden zunächst in einem ‚bottom-up’-Prozess die dezentralen Anforderungen an die Ausgestaltung der unternehmensweiten Führungskräfteentwicklung (FKE) gesammelt. In einem zweiten, analytisch nicht getrennten, aber dennoch als separat gesehenen Schritt flossen die individuellen Lern- und Entwicklungsbedarfe der Führungskräfte/Nachwuchsführungskräfte mit ein. Diese wurden zum einen aus den Daten des elektronischen Lufthansa LeadershipFeedbacks (eLLF) und zum anderen aus den Auswertungen der Corporate Management Gradings (CMG) abgeleitet. Beim eLLF handelt es sich um einen 360-Grad-Feedback-Prozess. Dieser basiert auf einem elektronischen System. Die Feedbackgeber werden vom Feedbacknehmer selbst ausgesucht, wobei beim 360-Grad-Feedback Vorgesetzter, Mitarbeiter und Kollegen vertreten sein sollten. Bei der Auswahl der Feedbackgeber herrscht absolute Freiheit. „Aber wenn mit dieser Freiheit Missbrauch betrieben wird, dahingehend, dass man
1307
PU = zentrale Führungskräfteentwicklung, HMX PE = dezentrale Personalentwickler der Geschäftsfelder, HR Board = Arbeitsdirektoren (Vorstände) der Geschäftsfelder und Konzernvorstand Personal (Chair).
276
Empirische Exploration
sich nur die ‚Wohlwollenden’ aussucht – würde unsere Unternehmenskultur im Sinne eines klaren Feedbacks dafür sorgen, dass ein derartiger Missbrauch von vorneherein unterbunden bleibt. Das ist einfach etwas, wo die Kultur Kraft und Hygiene aufbringt, solche Dinge nicht stattfinden zu lassen.“ Da der Prozess sich incl. Besprechung mit dem Personalentwickler über drei bis vier Monate ziehen kann, wird empfohlen, das eLLF im Abstand von zwei Jahren durchzuführen, um keine Überfrachtung zu erlangen und Möglichkeiten und Zeit zur Entwicklung zu haben. Der Erfolg des Instruments wird in seiner Freiwilligkeit gesehen – von Unternehmensseite gibt es keinen Zwang dazu. „Allerdings gibt es ‚Peer-Pressure’, wo Druck von Mitarbeitenden oder Kollegen erzeugt wird, die sich wundern, wenn schon lange kein Feedback mehr eingeholt wurde.“ Bei den Corporate Management Gradings (CMG) handelt es sich um jährlich stattfindende standardisierte Zielvereinbarungsgespräche auf Führungskräfteebene. Neben einer Einschätzung der Potentiale und Performance der Führungskräfte dienen die Gespräche auch dazu, sie in einem diskursiven Prozess in eine PotentialperformanceMatrix (PPM) einordnen zu können und so Transparenz, Rotations- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten sicherzustellen. Beide Instrumente basieren auf dem LH Leadership Compass (LLC) (vgl. Abbildung 46). Hierbei handelt es sich um ein konzernweites Kompetenzmodell, mit welchem die ‚Performance’ der Führungskräfte beurteilt wird und das für alle Entwicklungsund Diagnostikinstrumente eine Rolle spielt. Es hat eine Bedeutung für die individuelle Kompetenzentwicklung, indem es hilft, die richtigen Programme zu finden und aufzeigt, wo offensichtliche Entwicklungsfelder existieren. Der LLC dient aber nicht nur der individuellen Entwicklung, sondern ist auch Grundlage für Positions(neu)besetzungen, indirekt für die Höhe der variablen Vergütung ausschlaggebend oder dient beispielsweise auch der Diagnostik und der Auswahl neuer Mitarbeitender.
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
Unternehmerische Führung
Problemlösungskompetenz
Kommunikation und Einflußnahme
Vision und Strategie Kundenorientierung im Wettbewerb Gewinnorientierung Verantwortungsübernahme Entscheidungskraft und Risikobereitschaft Management von Innovation und Wandel Beherrschen von Komplexität Interdisziplinäre und ganzheitliche Problemlösung Systematisches und zielorientiertes Vorgehen Intuition und Kreativität Qualität des Kontaktverhaltens Qualität in der Kommunikation Bereichsübergreifende Kooperation und Integrationsfähigkeit Interkulturelle Kompetenz Überzeugungskraft Handlungsstärke und Durchsetzungskraft Konfliktmanagement
277
Führen von Menschen
Mitarbeiterorientierung in der Führung Führen mit Zielen Mitarbeiterentwicklung und Talentförderung Führen von Teams in offenen Strukturen
Antrieb und Persönliche Haltung
Wille zum Erfolg Souveränität und Zivilcourage Ethik und Integrität Belastbarkeit Selbstreflexion
Internationale Geschäfts- u. Funktionskompetenz
Fachkompetenz Internationale Geschäftsorientierung
Abbildung 46: Lufthansa Leadership Compass (LLC)
Im Rahmen des ersten Strategieworkshops wurde auch eine SWOT-Analyse durchgeführt, um die Frage der Positionierung der LHSB bzw. des Bereichs Führungskräfteentwicklung gegenüber den Anspruchsgruppen zu diagnostizieren und zu erörtern. Die Ergebnisse stellen sich wie folgt dar: Chancen
Risiken
x zentrale Kräfte können schnell und
x das eigene Portfolio geht am Bedarf der
leistungsstark aktiviert werden x aus der Zentrale heraus kann schnell auf Strategieänderungen reagiert werden x ein zentrales Portfolio bietet die Chance, konzernweite Strategien zu implementieren
Geschäftsfelder vorbei x die Geschäftsfelder machen es selbst x auch wenn sich die LHSB derzeit nicht
direkt mit Wettbewerbern konfrontiert sieht, stellt dies dennoch ein permanentes Risiko dar, da die dezentralen Kräfte schnell und konsequent wirken
Stärken
Schwächen
x Anbindung an den Konzernvorstand
x hohe Abstimmungsintensität (mit
x bei LH kulturell angelegte Akzeptanz für x x x x
Bildung hohes Commitment des Top Managements Einbindung von Top Executives Awareness in den Programmen Sichtbarkeit (Einsatz wird aber bewusst dosiert gehalten)
dezentralen Einheiten) x komplexe Projektarchitekturen x ‚Stallgeruch' des operativen Geschäfts
geht leicht verloren
Abbildung 47: SWOT-Analyse des Bereichs Führungskräfteentwicklung der LHSB (eigene Darstellung auf Basis von Christ/Seufert, 2006, S. 11)
Empirische Exploration
278
Als Ergebnis des ersten Workshops entstand aus den gewonnenen Daten eine ‚Long List’ sinnvoller HR-Development-Themen, welche dann in strategische Handlungsfelder gebündelt wurden. Anschließend wurde das Top Management in einem ‚top-down’-Prozess um Bewertung und Ergänzung der strategischen Handlungsfelder gebeten, um die Anforderungen aus der Business-Strategie zur Ausrichtung und Priorisierung der HR-Development-Themen mit aufzunehmen. Die Bewertung erfolgte im Rahmen einer Online-Abfrage anhand der Kriterien ‚Business Impact’ und ‚Dringlichkeit’. „Damit war die Voraussetzung für eine klare Ausrichtung der Führungskräfteentwicklung und LHSB gegeben“1308. Die zentrale Führungskräfteentwicklung und die dezentralen Personalentwickler der Geschäftsfelder analysierten, gruppierten und bewerteten die Themen nochmals. Auf diese Weise entstand eine ‚Short List’ relevanter Themen und strategischer Handlungsfelder. Im Ergebnis kristallisierten sich sieben strategische Handlungsfelder heraus: high 1. Dialog- und Kommunikationskompetenz ausbauen 2. Reorganisationsprozesse professionalisieren
Dringlichkeit
4. Internationalisierungsfähigkeit forcieren
1
2
3. Intrapreneur-Kompetenzen stärken
3
5 4 6
5. Systematisches Kompetenzmanagement ausbauen
7
6. Nachwuchstalente halten 7. Business Optimierung: Going Cross Borders
low low
Business Impact
Abbildung 48: Strategische Handlungsfelder der Führungskräfteentwicklung der LHSB
1308
Christ/Seufert, 2006, S. 9.
high
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
279
Dadurch, dass die sieben Handlungsfelder im Vergleich zu einer allgemein formulierten HR-Strategie konkreter formuliert sind, können sie als Rahmenvorgaben auf Einzelprojekte herunter gebrochen werden. Gleichzeitig stellen diese strategischen Handlungsfelder aber auch kein „zu eng geschnürtes Korsett“ dar, sondern lassen genügend Freiraum für die Gestaltung entsprechender Aktivitäten.1309 Die sieben strategischen Handlungsfelder wurden als Grobkonzept an das HR Board kommuniziert. Dieses entschied dann über die ‚Short List’ der Themen. Im Rahmen der Umsetzung wurde sie zunächst in über 80 detaillierte Projekte aufgegliedert. Diese zentralen und dezentralen Projekte wiederum wurden in 41 Maßnahmen zusammengeführt und entsprechend ihres Beitrags zur Unterstützung der Handlungsfelder sortiert: DialogProfessionelle und KommuniReorgakationsnisationskompetenz prozesse
IntrapreneurKompetenz
Internationalisierungsfähigkeit
Systematisches Kompetenzmanagement
(Nachwuchs-)
talente halten
Going Cross Borders
4 7
14
14 18
21
Mehrfachnennung möglich!
31
Abbildung 49: Zuordnung von Initiativen zu den strategischen Handlungsfeldern der Führungskräfteentwicklung der LHSB
Insgesamt betrachtet fällt auf, dass der Strategieentwicklungsprozess auf einem breiten Fundament basierte. Der Beteiligungsgrad im Unternehmen war sehr hoch. Es erfolgte eine konzernweite Einbindung der dezentralen Personalentwickler und des HR Boards. Auf diese Weise konnten unterschiedliche Konzernkulturen zusammengebracht und unterschiedliche Perspektiven aufgenommen und integriert werden. Die Entwicklungsrichtung war entsprechend durch einen stark bipolaren Prozess (‚bottom-up’ und ‚top-down’) gekennzeichnet, wie Abbildung 50 im Überblick
1309
Vgl. Christ/Seufert, 2006, S. 10.
Empirische Exploration
280
darstellt. Es zeigt sich darin auch, dass der gewählte Strategieansatz darauf ausgerichtet ist, die „teilweise konträren Zielkomponenten der individuellen Persönlichkeits- mit der unternehmerischen Personalentwicklung in Einklang zu bringen.“1310 HR Board
CMG Ergebnisse
Portfolio FKE LHSB
strategische Ebene Auswertung eLLF
FKE und LHSBStrategieprozess
Dezentrale Personalentwicklung
Die richtigen Produkte im Portfolio.
ease of Implementation
hoch
Portfolio: FKE und LHSB Produkte
niedrig
hoch
bedarfsgerechte Nutzung der LHSB-Produkte durch FK
LH Leadership Compass Integration der HR-Instrumente
CMG
LH-Bonus
eLLF
individuelle Ebene
Abbildung 50: Strategieprozess und Produkte der Führungskräfteentwicklung der LHSB
In der Selbstreflexion fällt auf, dass die Konfliktintensität des Prozesses als relativ hoch eingestuft wurde, vor allem im Zusammenhang mit der Realisierung und der Konkretisierung von Zielen. „Es war von Anfang an kritisch, ob mit den gegebenen Ressourcen eine über 50 %-ige Realisierung der genannten Maßnahmen möglich war, was sich allerdings im Nachhinein als machbar darstellte.“ Die Priorisierung der Themen in den Handlungsfeldern erfolgte demokratisch, die Validierung und definitive Festlegung der Handlungsfelder durch das Top-Management (HR Board). Letztlich ist es noch wichtig, darauf hinzuweisen, dass der gesamte Prozess durch eine offene Kommunikationskultur geprägt war und damit ein hoch transparenter Vorgang war. Die Handlungsfelder werden jedes Jahr validiert. Alle zwei Jahre ist eine intensivere Wiederholungsrunde geplant. In der Zwischenzeit berichtet Christ als Leiter des Bereichs Führungskräfteentwicklung und der LHSB über aktuelle Ergebnisse und
1310
Christ/Seufert, 2006, S. 7.
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
281
Erfolge aus den Handlungsfeldern im HR Board und diskutiert diese mit den Mitgliedern des Boards. Für die Verknüpfung von Führungskräfteentwicklung und Unternehmensstrategie wurde der LHSB 2005 die US-amerikanische Auszeichnung „International Best Practice“ verliehen: „Der Aviation-Konzern bestand damit wiederholt den Vergleich mit mehr als einhundert international tätigen Unternehmen. Die Lufthanseaten setzen weltweit Standards durch ihre Verknüpfung von Führungskräfteentwicklung und Unternehmensstrategie“1311.
5.1.3.2. Kultur Wie bereits angesprochen, hatte die Deutsche Lufthansa AG Anfang der 1990er Jahre ihre schwerste Krise. Gründe hierfür waren vor allem die Auswirkungen des ersten Golfkrieges, die konjunkturelle Stagnation nach der Wiedervereinigung und der Rückgang der Flugnachfrage aufgrund der, von der Politik eingeleiteten, Liberalisierung des Luftverkehrs in Europa. Das umfangreiche Sanierungsprogramm rettete letztlich das Unternehmen. In dieser Phase wurde das Kostenbewusstsein deutlich geschärft, was auch heute noch maßgeblich die Unternehmenskultur prägt.1312 Eine erneute Krisensituation entstand durch den Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 in New York, durch den der gesamte Luftverkehr in seine weltweit größte Krise geriet. Zusätzlich wurde der Wettbewerb durch neue Marktmodelle wie ‚No-frills-/Low-cost-Airlines’ und durch Zusammenschlüsse verschiedener Luftverkehrsgesellschaften zu neuen großen Unternehmensverbünden oder Allianzen verschärft.1313 Die exogenen Schocks der Vergangenheit und die gegebenen Konjunkturschwankungen führten dazu, dass Lufthansa seit ihrer Privatisierung lernen musste, schnell und flexibel zu reagieren. Das „in der Regel plötzlich notwendige Manövrieren am Rand von Krisen und der starke Druck, ein Höchstmaß an Sicherheit und Qualität zu liefern, prägen auch die Unternehmenskultur von Lufthansa“1314. Lufthansa zeichnet
1311
Deutsche Lufthansa AG, 2006a, S. 39.
1312
Vgl. Heinen-Konschak/Fels, 2006, S. 86.
1313
Vgl. Heinen-Konschak/Fels, 2006, S. 86.
1314
Sackmann, 2004, S. 76.
Empirische Exploration
282
sich heute durch einen hohen Grad an Flexibilität – insbesondere auch gegenüber den Mitarbeitenden – und gesellschaftlicher Verantwortung nach innen und außen aus.1315 Im Rahmen der Untersuchung zum Carl-Bertelsmann-Preis wurde die Unternehmenskultur von Lufthansa intensiv analysiert1316 und wie folgt bewertet:
Abbildung 51: Bewertung der Lufthansa Unternehmenskultur (1: nicht vorhanden – 5: maximale Ausprägung) (Sackmann, 2004, S. 79)
Die Unternehmenskultur der LH ist stark ausgeprägt und vor allem in der täglichen Unternehmenspraxis spürbar.1317 So steht das Unternehmen nach außen hin sichtund erlebbar für Qualität, Sicherheit, Zuverlässigkeit und Professionalität, aber auch für Tradition. Die Unternehmenskultur intern ist durch einen starken Zusammenhalt, eine hohe Dialogorientierung und eine hohe Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen geprägt. Dies zeigt sich auch im bewussten Verzicht auf detailliert fixierte, schriftliche Leitlinien und Grundsätze. Die hohe Identifikation wird dadurch deutlich, dass, obwohl das Unternehmen in verschiedene Geschäftsbereiche und Gesellschaften aufgeteilt ist, sich die Mitarbeitenden des Aviation-Konzerns in erster Linie immer noch als ‚Lufthanseaten’ fühlen und dann erst als Mitarbeiter des jeweiligen Konzernunternehmens.1318 „Vertrauen, Treue, Loyalität und Solidarität, Offenheit sowie ein ausgeprägter Teamgeist sind jene entscheidenden Dimensionen, die zu einer starken Identifikation der Mitarbeiter mit der ‚Lufthansa-Familie’ maß-
1315
Vgl. Sackmann, 2004, S. 78.
1316
Vgl. ausführlich Sackmann, 2004.
1317
Vgl. Sackmann, 2004, S. 84.
1318
Vgl. Heinen-Konschak/Fels, 2006, S. 87.
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
283
geblich beitragen“1319. „Ich kenne keine Firma, in der sich so eine hohe Anzahl an Mitarbeitenden einen Firmenaufkleber aufs Auto klebt, und die sich nach der Firma bezeichnen: ‚Lufthanseat’. Die Identifikation mit dem Konzern ist sehr, sehr hoch. Dies spürt man besonders im Zusammenhang mit dem Lufthansa-Ausweis, dem ein sehr hoher Symbolgehalt im Sinne der Zugehörigkeit zukommt“ (Heberle). Die Lufthansa-Kultur zeigt sich daneben an zwei weiteren Phänomenen: Einmal, wenn Sie als Fremder in das Unternehmen kommen, dann zum zweiten, wenn Sie als neuer Mitarbeiter hier einsteigen und merken, wie das System mit Ihnen umgeht. Also ‚strange animals’ haben es hier wirklich schwer. Wenn Sie sich als ‚Rotangestrichener’ in einer Welt der ‚Gelbangestrichenen’ bewegen, dann merken Sie, wie die Kultur des Unternehmens massiv auf sie einwirkt.
Die einzelnen Konzernteile haben zwar, bedingt durch die Verschiedenheit ihrer Arbeit, Subkulturen ausgebildet (z. B. zeichnet sich die Lufthansa Technik durch äußerst kurze Entscheidungswege und eine „Hands-on-Mentalität“ aus, die durch einen intensiven Kulturentwicklungsprozess geprägt ist1320), dennoch existieren diese unternehmensübergreifenden Kulturaspekte. Ein Vorteil der gemeinsamen Unternehmenskultur kann darin gesehen werden, dass eine schnelle Kooperation in Geschäftsfeld übergreifenden Dingen funktioniert. Dies wird auch dadurch sichergestellt, dass im LLC diese Art der Kooperation klar hinterlegt ist (z. B. in den Kategorien ‚bereichsübergreifende Kooperation und Integrationsfähigkeit’ oder ‚interdisziplinäre und ganzheitliche Problemlösung’). Das „für andere mitzudenken und im Bereichsverhalten kooperativ zu sein“ zeichnet die Lufthansa-Kultur aus. Dies wurde z. B. im Zusammenhang mit dem 11. September sehr plastisch deutlich: „Das sind Momente, wo der gesamte Konzern zusammenhält, Momente, wo man die Kultur spürt.“ In dieser Krisenphase wurde alles getan, um ‚Cash-Out’ zu vermeiden, andererseits sind Nachwuchs- und Förderprogramme der LHSB aber bewusst weitergelaufen, um von Unternehmensseite her die entsprechenden Signale an die Mitarbeitenden zu setzen. So zeichnet sich Lufthansa aus durch die Fähigkeit, auf veränderte Umfeldbedingungen rasch und wirkungsvoll zu reagieren und immer für Veränderungen offen zu sein. Die Offenheit für Veränderungen zeigt sich auch darin, dass die Eigeninitiative der Mitarbeitenden zur kontinuierlichen Verbesserung sehr gefragt ist. Die Mitarbeitenden sind in Optimierungsmaßnahmen eingebunden und aufgefordert, Inhalte mitzugestalten.
1319
Sackmann, 2004, S. 84.
1320
Vgl. Bergel, 2006.
Empirische Exploration
284
Die bei Lufthansa „kulturell angelegte Akzeptanz für Bildung“1321 zeigt sich in Ansatzpunkten durch die hohe Bedeutung der LHSB im Konzern, durch Initiativen wie die der so genannten „Job Alliance“ (Lufthansa tauscht im Rahmen dieses Abkommens für einen begrenzten Zeitraum Arbeitnehmer mit anderen Unternehmen in der Region), in der Vielzahl der vorhandenen Dialogplattformen und „Town Meetings“ oder durch die hohe Bedeutung klar definierter Karrierepfade. So wird derzeit neben der vertikalen Führungslaufbahn eine Expertenlaufbahn implementiert. Bei den Experten steht mehr das Fachwissen und weniger die Führungsverantwortung im Vordergrund. Die Bedeutung des Themas Bildung und Lernen wird aus Sicht des Unternehmens daneben durch weitere Initiativen und entsprechende Investitionen deutlich: Pro Jahr investieren wir ca. 300 Mio. EUR in die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter. Der Lufthansa Konzern bietet über 40 verschiedene Ausbildungsgänge mit technischem, kaufmännischem oder informations-technologischem Schwerpunkt an. Den Schwerpunkt der Ausbildungsaktivitäten bildet jedoch das Training für Service Professionals, die vor ihrem Einsatz an den Flughäfen oder im Kabinendienst geschult werden. Hinzu kommt die Pilotenausbildung in der Verkehrsfliegerschule der Lufthansa Flight Training GmbH. Im Jahr 2005 haben rund 320 Jugendliche bei Lufthansa einen Ausbildungsplatz erhalten. Zum Stichtag 31. Dezember 2005 hatten wir 1.576 Auszubildende unter Vertrag. Mehr als 2000 Mitarbeiter nahmen an einer innerbetrieblichen Qualifikation teil. Die Bedeutung der integrierten Lufthansa Studiengänge – Ausbildung bzw. begleitendes Praktikum im Lufthansa-Konzern plus Studium – hat deutlich zugenommen. Im Jahr 2005 gab es rund 250 Studenten in 12 verschiedenen Studiengängen. Auch eLearning ist weiter auf dem Vormarsch: Bei Lufthansa wurden im Jahr 2005 rund 450 verschiedene Lernprogramme mit insgesamt 1.762 Lernstunden eingesetzt. Der Anteil von eLearning am gesamten Trainingsvolumen beträgt mittlerweile rund 25 Prozent.1322
Neben diesen formellen Ansatzpunkten können keine gemeinsamen Kulturaspekte des Lernens im Unternehmen ausgemacht werden. Vielmehr ist die Situation je nach Gesellschaft und Bereich sehr unterschiedlich. So „gibt es Bereiche, wo es einfach notwendig ist, sich kontinuierlich weiterzubilden und dieses ganz selbstverständlich ist und andere Bereiche, wo das Thema Lernen ‚ein Stiefkind’ ist“ (Heberle). Vielfach hängt es auch von der jeweiligen Führungskraft ab, welchen Stellenwert dem Thema beigemessen wird.
1321
Christ/Seufert, 2006, S. 11.
1322
Deutsche Lufthansa AG, 2006b, S. 30 f.
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
285
„Das Führungsverhalten bei Lufthansa ist durch eine große Mitarbeiternähe, ein hohes Maß an Kommunikation, eine ausgeprägte Offenheit sowie durch umfangreiche Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen gekennzeichnet“1323. In diesen Führungsschulungen wird den Führungskräften das Thema ‚Förderung ihrer Mitarbeitenden’ und vielfältige damit zusammenhängende Aspekte vermittelt. Es wird ihnen verdeutlicht, dass eine der Führungsaufgaben in der Entwicklung ihrer Mitarbeitenden liegt. Auch gibt es in jeder Zielvereinbarung einen Bereich individuelle Entwicklungsvereinbarung. Denn für das Unternehmen ist die Führungskraft der „erste Personalentwickler“. Dennoch gibt es im Unternehmensalltag vielfältigste Führungstypologien: „Es ist die ganze Bandbreite vorhanden, von Führungskräften, die die Mitarbeiter zur Schulungsmaßnahme schicken bis hin zu dialogorientierten Gesprächen, wo die Entwicklung im Mittelpunkt steht“ (Heberle). Obwohl die Personalentwickler als Ansprechpartner existieren ist die Bedeutung der untersten Führungsebene (C-Ebene) als Ansprechperson des Mitarbeiters in Entwicklungsfragen absolut herausragend. Bezogen auf die einzelnen, durch die LHSB angebotenen Tools besteht derzeit eine weitestgehende Akzeptanz im Unternehmen. Für die LHSB zählt es dennoch zu ihren wesentlichen Aufgaben, in den kommenden Jahren bei den Führungskräften für das Thema Bildung und Lernen zu werben und sie dazu zu bringen, den Fokus noch stärker auf Entwicklungsthemen zu lenken. In diesem Zusammenhang ist das hohe Commitment der Vorstandsebene mit der LHSB sehr hilfreich. So beteiligt sich das Top-Management sehr intensiv und mit einer hohen Qualität an den Management-Programmen. Dabei ist der Umgang mit den Mitarbeitenden zum Teil sehr informell und lässt Hierarchie und Status in den Hintergrund treten. Dies zeigt sich auch in den seit 1991/1992 üblichen „Town Meetings“, in denen z. B. der Vorstandsvorsitzende einzelne Unternehmenseinheiten besucht und sich in getrennten Sitzungen sowohl mit Mitarbeitenden als auch mit Führungskräften austauscht und ihre Belange und Meinungen abfragt (oder auch darin, dass es keinen separaten Vorstandsbereich im Unternehmen gibt, sondern der Vorstand „immer zum Greifen nah ist“).1324
1323
Sackmann, 2004, S. 86.
1324
Vgl. Sackmann, 2004, S. 86.
Empirische Exploration
286
5.1.3.3. Struktur Die Deutsche Lufthansa AG hat sich, wie bereits beschrieben, im Laufe der letzten fünfzig Jahre von einer monolithisch strukturierten Staats-Airline zu einem am Markt ausgerichteten Aviation-Konzern mit dezentraler Verantwortung der einzelnen Geschäftsfelder entwickelt. Im Mittelpunkt der Konzernstrategie steht der Bereich Passage, der deshalb von der Deutschen Lufthansa AG zentral verantwortet wird und dessen Wettbewerbsfähigkeit durch die anderen Geschäftsfelder, als Dienstleister für wesentliche Produktionsfaktoren und Infrastruktur, gestärkt wird.
Abbildung 52: Positionierung der Einzelgesellschaften innerhalb der Deutschen Lufthansa AG
Die Deutsche Lufthansa AG möchte sich in diesem Wettbewerb als Global Player auf dem Markt behaupten und den zwangsläufigen Konsolidierungsprozess im Luftverkehr maßgeblich mitgestalten.1325 Diese Grundstrukturen spiegeln sich auch in der Bildungsarbeit des Konzerns wieder, die sich durch die Klarheit der Prozesse auszeichnet. Das Stichwort ist: maximale Effizienz. Was einfach auffällt ist, dass wir uns keine oder kaum eine Streuung erlauben. Es wird hier nicht mit dem Gießkannenprinzip gearbeitet, sondern gezielt – und dann auch in der richtigen Dosierung und Durchdringungstiefe sozusagen – in die Organisation hineingestrahlt.
1325
Vgl. Christ/Seufert, 2006, S. 3.
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Die Personalentwicklung beschränkt sich insgesamt nicht auf kurzfristige Aktionen, sondern konzentriert sich auf systematisch und langfristig angelegte Maßnahmen. Mit einem qualitativ hochwertigen, attraktiven und zukunftsweisenden Angebot der Personalentwicklung möchte die LH daher ihren Mitarbeitenden ein Programm zur Verfügung stellen, das sie in ihrer fachlichen, aber auch persönlichen Entwicklung individuell unterstützt. Dieses umfasst Beratung, Potenzialerfassung und Entwicklungsprogramme. Gleichzeitig soll so auch die Zielerreichung des Unternehmens sichergestellt werden. Im Mittelpunkt steht die Lufthansa School of Business, die, wie später noch detailliert aufgezeigt wird, die zentralen Bildungsfunktionen vereint. Neben den zentralen Funktionen gibt es in den einzelnen Geschäftsbereichen dezentrale Bildungsbereiche. Diese Bildungsbereiche liefern die fachlichen Trainings für das jeweilige Geschäftsfeld. Sämtliche überfachlichen Maßnahmen, insbesondere im Führungskräftebereich werden zentral angeboten. Diese Unterscheidung der zentralen und dezentralen Bildungsarbeit sieht Christ auch in der unterschiedlichen „Flughöhe“: In den Geschäftsfeld übergreifenden Maßnahmen wird über den Tellerrand geschaut und es werden ganzheitliche Konzepte aufgelegt, die nicht unbedingt im Interesse eines einzelnen Geschäftsbereichs sind, sondern im Interesse von mehreren/allen Geschäftsbereichen … Die Aufgabe liegt auch darin, in einer Flughöhe oberhalb der operativen und konzeptionellen Ideen eines Geschäftsfeldes einen Ausgleich zu schaffen von Maßnahmen, die in einem einzelnen Geschäftsfeld zu kurz kämen.
Die Konzerngesellschaften sind in der Wahl der Leistungen und Produkte der zentralen Serviceeinheiten gänzlich frei, d. h. sie können die Leistungen sowohl selbst erstellen als auch bei anderen konzernfremden Anbietern beziehen oder aber in modifizierter Form konterkarieren (z. B. wenn ihnen die Angebote zu teuer oder zu umfänglich sind). Darin zeigt sich die weitgehend eigenständige Bildungsarbeit der Konzerngesellschaften, die dazu führen kann, dass nicht nur gleiche Produkte in unterschiedlichen Ausprägungen und Intensität angeboten werden, sondern auch die Mitarbeitenden, trotz gleicher Konzernzugehörigkeit unterschiedliche Produkte erleben.1326 Nichtsdestotrotz besteht durch institutionalisierte Gremienarbeiten eine sehr enge Verzahnung der zentralen und dezentralen Funktionen. Auf der Ebene der Führungskräfteentwicklung erfolgt die Zusammenarbeit auf monatlicher Basis im bereits angesprochenen ‚HMX PE’. Im Fokus dieses Gremiums
1326
Vgl. Heinen-Konschak/Fels, 2006, S. 88 f.
288
Empirische Exploration
stehen strategisch relevante Themen, die diskutiert und vorangetrieben werden, daneben die Information und der Austausch zu Aktualitäten aus den diversen Bereichen. Jeder der involvierten Personalentwickler hat Paten aus den kleinen Gesellschaften, d. h. die Informationen aus der Entwicklerrunde werden automatisch weitergegeben bzw. wenn es Anliegen aus den kleinen Gesellschaften gibt, werden diese über den Paten in die Entwicklerrunde getragen. Zweimal im Jahr findet zusätzlich eine große Entwicklerrunde statt, bei der alle Personalentwickler des gesamten Konzerns zusammenkommen. Daneben gibt es das ‚HMX Training’. Dieses setzt sich aus den zentralen und dezentralen Trainingschefs des Konzerns zusammen und tagt im Abstand von drei Monaten. Zwischen beiden Gremien gibt es allerdings Überlappungen. Bei den HMX-Gremien handelt es sich folglich um die fachlich Verantwortlichen auf Leiterebene. Sowohl im HMX PE als auch im HMX Training werden strategische Themen diskutiert und vorangetrieben. Neben den HMX-Gremien gibt es das HMC (Council), in welchem sich die Personalleiter der einzelnen Gesellschaften beraten. Auf höchster Ebene tagt das HR-Board, d. h. die Arbeitsdirektoren (Vorstände) der Geschäftsfelder unter Vorsitz des Konzernvorstands Personal. Auf diese Weise ist zum einen der Austausch zwischen dezentralen und zentralen Funktionen sichergestellt, zum anderen kann an gemeinsamen Themen gearbeitet werden. „Die Gremienarbeit ist eine sehr gute Sache, da jeder bei der Entscheidung dabei ist und mitgeht. Das ist auch wichtig, weil wir Führungskräfte über den ganzen Konzern rotieren lassen möchten – um das Spektrum zu erweitern, Scheuklappen zu verhindern und eine Weiterentwicklung sicherzustellen“ (Heberle). Trotz der gemeinsamen Arbeit können die einzelnen Gesellschaften entsprechend der Gegebenheiten vor Ort ihre einzelnen Teilstrategien entwickeln und eigene Instrumente und Methoden einsetzen. Die Zusammenarbeit zwischen zentralen und dezentralen Funktionen kann folglich auch als Netzwerk beschrieben werden, für dessen Erfolg Vertrauen essentiell ist. Den zentralen Kern der Bildungsaktivitäten des Lufthansa-Konzerns bildet die LHSB. Diese wurde 1998 als erste Corporate University in Deutschland gegründet. Die vielfältigen Veränderungen der vorangegangenen Jahre, wie die Vollprivatisierung, das Restrukturierungsprogramm und die Gründung der ‚Star Alliance’, erforderten neue Strategien und ein neues Selbstverständnis der Lufthansa. Um die Strategien im gesamten Konzern bekannt zu machen und umzusetzen, forderte der Vorstand Mechanismen, die dies sicherstellen. Heuser, mehrjähriger Leiter der LSHB drückte diese „Gründerstimmung“ wie folgt aus:
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
289
Die Sache lag in der Luft. 1997/98 war so eine Vibrationsphase in Deutschland und Europa. Es gab einen Eindruck der Unzufriedenheit der verantwortlichen Organisationen für Management- und Organisationsentwicklung. Wir behandelten diese beiden Bereiche immer noch so, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Wir brauchten eine Programmatik, die Management- und Organisationsentwicklung stärker zueinander bringt. Und diese Programmatik, die hat man in dem CU-Typ der gehobenen Art in den Vereinigten Staaten gefunden.1327
Den Anstoß zur Gründung einer Corporate University wurde durch Sattelberger, deren späterem Leiter, gegeben. Wesentliche Elemente der LHSB gehen bis heute auf ihn zurück. Seit ihrer Gründung ist die LHSB bereits mit einer Vielzahl an Preisen ausgezeichnet worden. 1998 wurde sie als eine von acht ‚Worldwide best-in-class examples’ durch das International Consortium for Executive Development Research ausgezeichnet. 2000 erhielt die LHSB als beste ‚European Corporate University’ den ‚Corporate University Xchange European Excellence Award’, von derselben Institution 2004 den Award in der Kategorie ‚International Best Practice’ für die Verknüpfung der Weiterbildungsprogramme mit der Unternehmensstrategie. 2005 wurde die Lufthansa von den Beratungsunternehmen Hewitt und Kienbaum als einer der attraktivsten Arbeitgeber für Führungskräfte in Europa ausgezeichnet (Platz 6 von 101 Unternehmen). Im gleichen Jahr wurde der LHSB für die strategischen Partnerschaften mit Universitäten und Business Schools abermals der Corporate University Xchange Award in der Kategorie ‚International Best Practice’ verliehen. 2007 erhielt die LHSB den Award im Bereich ‚Measurement’ und erbrachte damit den Beleg eines Zusammenhangs zwischen Bildungsarbeit und Unternehmenserfolg. Das zentrale Ziel der LHSB war und ist es, die Entwicklung des Einzelnen und die Entwicklung der Organisation zusammenzubringen. Daneben geht es der LHSB darum: -
-
1327
die strategischen Stoßrichtungen des Konzerns effektiv und effizient zu unterstützen; das „Intellectual Capital“ als essentiellen Baustein für den Unternehmenserfolg an das Unternehmen zu binden und gemäß den zukünftigen Erfordernissen weiter zu entwickeln; als Schule des Geschäfts akademische Expertise und Erfahrungen von Partnerunternehmen eng mit der eigenen Geschäftspraxis zu verknüpfen; die gemeinsame Führungs- und Leitkultur des Unternehmens zu fördern und voranzutreiben;
Heuser in BMBF, 2002, S. 47.
Empirische Exploration
290 -
dem einzelnen Chancen für persönliche Entwicklungsoptionen und Entwicklungsschübe zu bieten.1328
Die LHSB vereint, wie in Abbildung 53 dargestellt, unter ihrem Dach fünf wesentliche Bereiche. Durch den neu angestoßenen Strategieentwicklungsprozess veränderte sich das Portfolio der LHSB enorm, indem über die Hälfte des Angebots neu justiert und überarbeitet wurde.
Lufthansa
Leadership Programs
Corporate College
Platforms of Strategic Dialog
Transformation and Change Networks
School of Business
Employability Initiatives
Abbildung 53: Struktur der Lufthansa School of Business
Im Rahmen der Employability Initiativen werden nun Programme und Veranstaltungen lanciert, die auf die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen ausgerichtet sind. Damit möchte Lufthansa die internen und externen Karrierechancen der Mitarbeitenden steigern. Die Mitarbeitenden bilden sich eigeninitiativ in der Freizeit weiter, das Unternehmen berät sie, stellt Weiterbildungsprogramme und die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung, beispielsweise im Rahmen des Programms „Weiter mit Bildung“. Mit dem Corporate College sollen „jenseits von Hierarchie und Alter“ die fachliche und persönliche Entwicklung aller Mitarbeitenden gefördert werden. Es umfasst eine breite Palette von Programmen. Diese ermöglichen die Vertiefung von Schlüsselqualifikationen, von wirtschaftlichem Orientierungswissen, Sprach- oder EDV-Kenntnissen und die Weiterbildung in Bereichen, die über das eigene Fachgebiet hinausgehen.
1328
Heuser/Sattelberger, 2002, S. 350.
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
291
Die Angebote des Corporate College sind mit den Angeboten der Trainingsabteilungen der einzelnen Gesellschaften des Lufthansa-Konzerns vergleichbar. Wenn sie neben der Entwicklung des Einzelnen auch der kulturellen Integration des gesamten Lufthansa-Konzerns dienen, werden sie im Rahmen des Corporate College angeboten. Die LHSB bietet mit ihren Managementprogrammen konzernweit eine strategiegeleitete, bedarfsgerechte, praxisorientierte und innovative Führungskräfteentwicklung an. Insgesamt zählen dazu rund 50 verschiedene Angebote. Im Rahmen eines Forward Sourcings erfolgt eine Zusammenarbeit mit der London Business School, der Ashridge Business School in Hertfordshire (in der Nähe von London) und der European School of Management and Technology in Berlin. Die Zusammenarbeit mit Business Schools gab es bereits vor der Gründung der Corporate University. Allerdings schickte Lufthansa zu dieser Zeit die Führungskräfte vielfach zu offenen Programmen der Business Schools. Selbst wenn die Programme speziell für das Management der Lufthansa angeboten wurden, waren die Inhalte sehr stark durch die Business Schools bestimmt. Dieses Kräfteverhältnis hat sich nach Gründung der LHSB umgekehrt. Diese definiert nun die gesamten Lernprozesse. Fast alle administrativen Geschäfte wurden nach Außen vergeben und auch das Qualitätsmanagement wird durch die Programm-Direktoren der strategischen Partner durchgeführt. Diese Kooperationen sind längerfristig angelegt. Aufgrund der intensiven Zusammenarbeit wurde die Zahl der Hochschulpartner in den vergangen Jahren radikal reduziert. Der jeweilige ‚Singleprovider’ hat die Verantwortung für einen bestimmten Kurs und wird erfolgsabhängig bezahlt (ein Teil der Provision ist von der im Anschluss an den Kurs durchgeführten Transferbefragung abhängig). Alle durchgeführten Programme werden intern weiterverrechnet: Die LHSB ist somit kein Profit Center, sondern verfährt eher nach dem Cost Center Modell … Die betriebswirtschaftliche Steuerung und Kostendeckung gehören zu den Grundprinzipien. Falls jedoch gute Gründe dafür sprechen, können Ausnahmen gemacht werden (z. B. ein Kurs findet unter dem ‚Break-Even’ statt). Eine gewisse Bandbreite für unternehmerische Entscheidungsfreiheiten ist somit gegeben.1329
Um den strategischen Wandel zu beschleunigen und die Führungs- und Leistungskultur im Unternehmen voranzutreiben, werden von der LHSB neben den genannten Programmen breit angelegte, konzernweite Veränderungs- und Action-Learning-
1329
Christ/Seufert, 2006, S. 18.
292
Empirische Exploration
Netzwerke gebildet und gefördert. „Über die Grenzen von Geschäftsfeldern und Unternehmen hinweg arbeiten jeweils mehrere hundert Nachwuchs- bzw. Führungskräfte in Projekten und Workshops, um konkrete Transformationsprozesse in kritischer Größe, Reichweite und Geschwindigkeit voranzutreiben“1330. Eine weitere wesentliche Aufgabe der LHSB ist die Bereitstellung von Plattformen des strategischen Dialogs. Dabei kommt ein kombiniertes Prinzip von großen und kleinen Veranstaltungen, Events und Plattformen zum Einsatz. Formale Dienstwege werden bewusst durchbrochen, um schnell und zielorientiert möglichst viele Mitarbeitende zu erreichen und eine schnelle Kommunikation wichtiger Geschäftsthemen, Veränderungs- und Aktionsimpulse zu ermöglichen. Neben diesen fünf wesentlichen Bereichen ist die „Dachmarke“ LHSB auch für andere Initiativen offen. „Im Prinzip kann alles, was mit dem Thema Bildung zusammenhängt, zum strategischen Auftrag gehört und sich in Geschäftsfeld übergreifenden Initiativen niederschlägt, unter dem ‚Brand LHSB’ laufen“. Es wird folglich deutlich, dass das organisatorische Dach der LHSB ein virtuelles Dach ist. Die Maßnahmen sind an unterschiedlichen Orten im Unternehmen verankert. So ist z. B. das Corporate College im Bereich Konzern-Personalpolitik angesiedelt. Die Managementprogramme hingegen werden vom Bereich Führungskräfte(entwicklung) verantwortet (vgl. Abbildung 54). „Also im Prinzip ist die LHSB eine Philosophie und ein zusammen aufgetretenes Äußeres, wo es keine Rolle spielt, wo die einzelne Aktivität verortet ist“. Die Verantwortung für die Gesamtsteuerung und die Marke LHSB liegt bei Christ, dem Leiter des Bereichs Führungskräfteentwicklung. Dieser sagt über seine Arbeit: Ich nehme mir nicht das Recht heraus, dem einen Kollegen zu sagen, was er tun oder lassen soll; das ist auch nichts, was ich schmerzlich vermisse … Ich treffe mich mindestens einmal im Monat mit meinen Kollegen des Corporate College. Wir machen den Strategieprozess gemeinsam. Und dann verantwortet jeder die Ableitung der jeweiligen Maßnahmen. Vielleicht ist das so eine Art ‚Lufthansa-Art’: Verzahnung zu ermöglichen, ohne dass wir so was wie ein ‚service-level-agreement’ haben.
1330
http://www.be-lufthansa.com/career_lounge.php?client=1&land=1&eb2=98&eb3=166 [Stand 01.12.2006].
Fallstudie Deutsche Lufthansa AG
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Vorstand Aviation Services & Human Resources
Führungskräfte Konzern
Konzern-,Tarifpolitik/ Soziale Sicherung
KonzernPersonalpolitik
Führungskräftepolitik
Personalpolitische Grundsätze
Hochschulmarketing & Nachwuchsführungskräfteprogramme
Betriebsverfassung Konzern
Betreuung Obere Führungskräfte
Konzern Personalmarketing & -auswahl
Führungskräfteentwicklung & Lufthansa School of Business
Bildungsmanagement & Corporate College
HR Business Services
...
Virtuelle Struktur Lufthansa School of Business an 2 Orten
Abbildung 54: Organisatorische Verankerung der LHSB
Diese virtuelle Struktur existiert seit 2003. Zuvor waren das Corporate College, die Management-Programme und das Schulungszentrum Seeheim, wo ein Großteil der Veranstaltungen stattfindet, in einer Abteilung. 2003 wurde das Schulungszentrum in die Verantwortung des Facility Managements gestellt. Das Corporate College wurde dem Bereich Konzern-Personalpolitik zugeordnet und die Managementprogramme und die Verantwortung für den „Brand“ LHSB der Führungskräfteentwicklung. Während die LHSB bis 2003 eine Corporate University mit Trainings- und Dialogplattformen war, kamen danach Entwicklungstools wie eLLF, CMG etc. dazu. Bezogen auf die strukturelle Verankerung wird die Herausforderung in den nächsten Jahren in der steigenden Komplexität liegen. Die Passage beispielsweise untergliedert sich zunehmend in so genannte Hubs. Durch diese Zellteilung, die mehr Flexibilität am Markt erlaubt, werden auch die ‚Architekturen’ komplexer. Die LHSB ist nach Einschätzung von Christ momentan Strategieimplementierer, aber auch schon Initiator: „Ganz oben sind wir noch nicht drin … Wobei wir gerne einen Beitrag zum ‚People Brand’ leisten würden, was wir z. T. auch schon tun.“ Die Implementierung strategischer Themen erfolgt in den bestehenden Programmen. Wenn auf dem offenen Markt nichts bezogen werden kann, was der Implementierung der strategischen Handlungsfelder dient, werden ‚Customized Programs’ entwickelt, um die vom HR-Board identifizierten Handlungsfelder weiter zu unterstützen.
294
Empirische Exploration
Dadurch, dass fast jede Führungskraft mindestens einmal im Jahr mit LHSB-Produkten in Berührung kommt, kann die LHSB strategische Initiativen in die Organisation treiben und relevante strategische Themen platzieren. „Da wo wir sagen, dieses Handlungsfeld ist uns wichtig, setzen wir Akzente mit Durchdringungstiefe. Akzente, die vom Top-Management bis hin zur Dialogplattform für Mitarbeiter reichen“. Mittlerweile nimmt die LHSB zunehmend aber auch die Rolle als Motor und Beschleuniger für strategische Initiativen ein. So wird an strategischen Themen gearbeitet und diese an das Top-Management weitergegeben. Damit entsteht ein klarer ‚top-down’und ‚bottom-up’-Ansatz. Die Initiativen können auf zwei Ebenen angestoßen werden – zum einen im Rahmen der Managementprogramme auf der Ebene der Teilnehmer und zum anderen in den HMX-Gremien. Die Herausforderung der nächsten Jahre wird es sein, die Position als strategischer Partner weiter zu stärken und nicht nur als Strategieimplementierer wahrgenommen zu werden. Dabei wird die Nähe zum Topmanagement und dessen „Commitment“ als weiterhin entscheidend angesehen.
Fallstudie Bertelsmann AG
295
5.2. Fallstudie Bertelsmann AG Die Fallstudie fokussiert sich auf das Unternehmen als Gesamtes, d. h. sie stellt das Bildungsmanagement bei Bertelsmann aus Sicht der Konzernfunktion (verankert im Corporate Center) dar und geht nicht auf geschäftsbereichsspezifische Gegebenheiten ein. Im Corporate Center ist das Bildungsmanagement in der Bertelsmann University und im Bereich der zentralen Aus- und Weiterbildung verortet, die daher in der Fallstudie schwerpunktmässig dargestellt werden.1331 5.2.1. Unternehmensprofil Die Ursprünge der Bertelsmann AG reichen bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Am 1.7.1835 gründete Carl Bertelsmann in Gütersloh den C.Bertelsmann Verlag, der vor allem christliche Liederbücher verlegte und sie in der hauseigenen Buchdruckerei fertigte. Mehr als hundert Jahre später übernahm Reinhard Mohn 1947 in fünfter Generation das Familienunternehmen und legte den Grundstein für die Entwicklung zum modernen, internationalen Medienunternehmen. 1950 gründete er den ‚Bertelsmann Lesering’ (heute ‚Der Club Bertelsmann’), der sich als „Königsidee“ des modernen Medienhauses Bertelsmann erwies. 1956 stieg Bertelsmann mit der Gründung des ‚Schallplattenrings’ (1958 folgte die Gründung von ‚Ariola’) in das Musikgeschäft ein. Seit 1960 ist Bertelsmann auch im Film- und Fernsehgeschäft aktiv. 1969 folgte mit dem Erwerb einer 25 %-igen Beteiligung am Verlagshaus Gruner+Jahr der Sprung ins Zeitschriftengeschäft (ab 1973 Mehrheitsbeteiligung). Im Jahr 1971 vollzog Reinhard Mohn mit der Gründung der Bertelsmann AG die Wandlung vom mittelständischen Familienunternehmen zum managementgeführten Medienkonzern, wobei er selbst bis 1981 den Vorstandsvorsitz inne hatte. Die Folgejahre waren durch eine Internationalisierung des Verlags- und Musikgeschäfts und den Einstieg ins Privatfernsehen geprägt. 1998 übernahm Bertelsmann den US-amerikanischen Verlag Random House und wurde damit zum größten Buchverlag der englischsprachigen Welt.
1331
Ich bedanke mich herzlich bei Frau Dr. Sauter (Vorstandsassistentin Direct Group), Herrn Dr. Fischer (Assistent Konzernpersonalchef), Frau Scheffler (Vice President, Managing Director der Bertelsmann University) und Herrn Sangs (Vice President Vocational Training und HR Development) für ihre Gesprächsbereitschaft und ihre Unterstützung bei der Erstellung dieser Fallstudie.
Empirische Exploration
296
Heute ist die Bertelsmann AG ein internationales Medienhaus mit über 260 Einzelfirmen in 63 Ländern der Welt. Mit den sechs operativ eigenständigen Unternehmensbereichen RTL Group, Random House, Gruner+Jahr, BMG, Arvato und Direct Group (vgl. Abbildung 55) agiert Bertelsmann in den Kernmärkten Deutschland (30,6 % der Unternehmenstätigkeit), West- und Mitteleuropa (ohne Deutschland, 44,1 %) und USA (19,7 %). Die Bertelsmann AG übernimmt die Funktion einer operativen Management-Holding.
Abbildung 55: Struktur der Bertelsmann AG
Die RTL Group (Luxembourg) betreibt als größtes Rundfunkunternehmen Europas Fernseh- und Radiosender in elf verschiedenen Ländern und zählt zu den weltweit führenden Inhalte-Produzenten. In Europa schalten jeden Tag mehr als 170 Millionen Zuschauer einen Fernsehsender von RTL Group an: u. a. RTL Television, Super RTL, VOX oder N-TV in Deutschland, M6 in Frankreich, Five in Großbritannien, Antena 3 in Spanien, RTL 4 in den Niederlanden, RTL TVI in Belgien und RTL Klub in Ungarn. Daneben zählen Radio Luxembourg und die RTL Radiosender in Frankreich, Belgien und Deutschland zur RTL Group. Die RTL Tochter Fremantle Media produziert Spielfilme, Serien, Shows etc., um sie an andere Sender weiterzuverkaufen.
Random House mit Sitz in New York umfasst 100 Verlage in 16 Ländern (u. a. Ebury und Transworld (Großbritannien), Doubleday und Alfred A. Knopf (USA), und Goldmann (Deutschland)). Bekannte Schriftsteller wie John Grisham, John Irving, Danielle Steel, John Updike und Dan Brown stehen bei Random House unter Vertrag. Die mit 9.000 Neuerscheinungen jährlich größte Buchverlagsgruppe der Welt legt gemäß dem Motto „Vielfalt ist Programm“ Wert auf die Unabhängigkeit seiner Verleger.
Fallstudie Bertelsmann AG
297
Das Druck- und Verlagshaus Gruner+Jahr (Hamburg) publiziert mehr als 285 verschiedene Zeitschriften (u. a. Stern, Brigitte, Geo, Capital) und Zeitungen (u. a. Financial Times Deutschland) in über 20 Ländern, einschließlich zugehöriger Online-Angebote, mit Druckereien in Deutschland und den USA sowie mit professionellen Internetangeboten. Durch den Verkauf der BMG Music Publishing im Juli 2006 besteht der Bereich BMG seit dem 01.01.2007 hauptsächlich aus der Beteiligung an Sony BMG. Die Sony BMG umfasst Labels wie Arista Records, Columbia Records, Epic Records, La Face Records. Sony BMG gehört zu jeweils 50 Prozent der Bertelsmann AG und der Sony Corporation of America. Die Direct Group mit Sitz in Gütersloh bündelt die Endkundengeschäfte der Bertelsmann AG, d. h. sie „bringt Medien zu Menschen“ – vom traditionellen Buch bis zur DVD. Die mehr als 100 Buch-, Musik- und DVD-Clubs (u. a. ‚Der Club Bertelsmann’) haben mehr als 35 Millionen Mitglieder in 24 Ländern. Daneben vertreibt die Direct Group ihre Angebote in Buchhandlungen, Katalogen und über Onlineshops (u. a. BMG Direct).
Arvato gilt mit rund 270 Tochtergesellschaften in 37 Ländern als einer der größten international vernetzten Mediendienstleister. Das Portfolio reicht vom klassischen Druckbereich, der Produktion von CDs und DVDs, bis zu modernen Dienstleistungen wie Kundenbindungssysteme und Call Center, Logistik, Supply Chain Management und IT-Dienstleistungen. Der Vorstand der Bertelsmann AG setzt sich aus den Leitern der einzelnen Geschäftsbereiche (Zeiler – CEO RTL Group, Ostrowski – Vorstandsvorsitzender Arvato, Kundrun – Vorstandsvorsitzender Gruner+Jahr, Walgenbach – CEO DirectGroup, Olson – CEO Random House, Rabe – Leiter Unternehmensbereich BMG) und dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Gunter Thielen (ab dem 01.01.2008 Hartmut Ostrowski) zusammen. Dem Vorstand der Bertelsmann AG unterstehen direkt das Corporate Center, in welchem die zentralen Unternehmensfunktionen wie das Personalwesen (hierzu zählen u. a. die Bertelsmann University und der Bereich ‚Zentrale Bildung’) und Unternehmensentwicklung verankert sind, sowie das Corporate Development Committee. Dieser Ausschuss koordiniert die zentralen Stäbe Corporate Controlling und Strategic Planning, Media Technology sowie das Bertelsmann Corporate Network. Die Bertelsmann AG ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. 76,9 % der Kapitalanteile hält die Bertelsmann Stiftung (die Stiftung wurde 1977 von Reinhard
Empirische Exploration
298
Mohn gegründet und hat von ihm 1999 einen Großteil seiner Stimmrechte übertragen bekommen), 23,1 % der Kapitalanteile sind im Besitz der Familie Mohn. Die Stimmrechte werden von der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft ausgeübt, deren Vorsitz Liz Mohn, die Frau von Reinhard Mohn, innehat. Sie ist daneben „als Stimme der Familie“ Mitglied im Aufsichtsrat der Bertelsmann AG und stellvertretende Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung. Die Bertelsmann AG beschäftigte zum 31.12.2006 insgesamt 97.132 Mitarbeitende (31.12.2005: 91.559), die sich auf die einzelnen Bereiche wie folgt aufteilen: 56.584
14.996
14.529 11.307 5.804 3.009 903
Arvato
DirectGroup
Gruner+Jahr
RTL Group
Random House
BMG
Corporate
Abbildung 56: Mitarbeiterstruktur der Bertelsmann AG am 31.12.2006 (eigene Darstellung)
5.2.2. Normative Ebene Obgleich es sich bei der Bertelsmann AG um eines der größten managementgeführten Medienhäuser weltweit handelt, ist die Eigentümer-Familie allgegenwärtig und für die Managementphilosophie des Unternehmens prägend. Der Auslöser für die heute noch geltenden Grundwerte ist in der Person Heinrich Mohns zu sehen. Er entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts einen „für die damalige Wirtschaft revolutionären Führungsstil, der darauf basierte, dass er seinen Mitarbeitern große Freiheiten gewährte. Selbstverantwortung und Teamwork wurden ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur, lange bevor diese Begriffe Einzug in die moderne Managementlehre hielten“1332. Sein Sohn Reinhard Mohn stieg 1947 in das damals wenige
1332
Schuler, 2005, S. 47.
Fallstudie Bertelsmann AG
299
hundert Mitarbeiter beschäftigende Unternehmen mit ein und hat Bertelsmann bis heute (über 90.000 Mitarbeiter) geprägt und begleitet. Nach seinem Rückzug aus dem Vorstand sieht Reinhard Mohn die Aufgabe der Familie Mohn nicht mehr darin, das operative Geschäft zu leiten, sondern „damit eine menschliche Haltung im Unternehmen gewahrt bleibt … Wenn jemand aus dem Unternehmen etwas ganz anderes machen will, müsste die Satzung geändert werden. Und genau das kann die Familie verhindern.“1333 Reinhard Mohn nahm u. a. die Grundwerte seines Vaters als Basis seines Handelns und führte diese fort. Er entwickelt 1959 gemeinsam mit seinen Mitarbeitenden eine neue Organisationsstruktur, die ihren Niederschlag in der ersten ‚Grundsatz- und Betriebsordnung’ fand. Die wesentlichen Elemente dieser so genannten ‚Bertelsmann Grundordnung’ sind auch heute noch Bestandteil der ‚Bertelsmann Essentials’. So hält Gunter Thielen fest: „Unsere Grundwerte haben ihre Wurzeln in den Idealen und Überzeugungen Reinhard Mohns. Er hat sich und sein Unternehmen schon vor Jahrzehnten darauf verpflichtet, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen“1334. Die Grundziele und -werte des Unternehmens werden seit 1960 in vielfältiger Form immer wieder aufgenommen und kontinuierlich fortgeschrieben:
Abbildung 57: Entwicklung der Mitarbeiterzahlen und kontinuierliche Fortschreibung der Unternehmensziele und -werte der Bertelsmann AG (Bertelsmann AG, 2006a, S. 26)
1333
Mohn zitiert in Schuler, 2005, S. 314.
1334
Thielen in Bertelsmann AG, 2006a, S. 2.
Empirische Exploration
300
Die angesprochenen ‚Bertelsmann Essentials’ wurden in einer ersten Fassung 1998 publiziert. Gunter Thielen bekennt sich sehr bewusst dazu: „Die Werte, wie sie in den Bertelsmann Essentials beschrieben sind, haben mich – wie viele andere – vor vielen Jahren zu Bertelsmann gezogen. Und sie haben bis heute nichts von ihrer Aktualität und Anziehungskraft verloren.“1335 Nichtsdestotrotz unterliegen sie einem ständigen Prozess der kritischen Überprüfung, Überarbeitung und Verbesserung. Entsprechend waren die Ergebnisse der internationalen Mitarbeiterbefragung 2002 Auslöser dafür, die Essentials zu überarbeiten und weiterzuentwickeln. Die Umfrage zeigte eine deutliche Wechselwirkung zwischen gelebter Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg auf. Aus diesem Grund war es das Anliegen des Vorstands, die Werte, die den Erfolg erst ermöglichen, im Unternehmen auf allen Ebenen noch fester zu verankern. Im Rahmen eines zweijährigen intensiven und konzernweiten Diskussionsprozesses wurden die ‚Essentials’ noch stärker auf ihre Kernaussagen verdichtet. In den umfassenden Entstehungsprozess der Neufassung waren von Beginn an Unternehmensführung, Mitarbeitervertreter, Gesellschafter, sämtliche Bereiche, Firmen und Unternehmensebenen eingebunden. Auf diese Weise sollte ein gemeinsames Verständnis und ein gemeinsamer Nenner aller Bereiche und aller Geschäfte des Hauses Bertelsmann erreicht werden. „Dabei schließen die ‚zentralen’ Essentials und ein dezentrales Unternehmen sich keinesfalls aus. Vielmehr ist der hohe Wert der Dezentralität in den Essentials verankert“1336. Am 26.01.2006 wurden die ‚Bertelsmann Essentials’ in ihrer heutigen Form vom Vorstand kommuniziert. Im Mittelpunkt der ‚Essentials’ stehen die vier Grundwerte Partnerschaft, Unternehmergeist, Kreativität und gesellschaftliche Verantwortung: Partnerschaft Partnerschaft zum Nutzen der Mitarbeiter und des Unternehmens ist die Grundlage unserer Unternehmenskultur. Motivierte Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen und seinen Grundwerten identifizieren, sind die treibende Kraft für Qualität, Effizienz, Innovationsfähigkeit und Wachstum des Unternehmens. Die Basis unseres partnerschaftlichen Führungsverständnisses bilden gegenseitiges Vertrauen, Respekt vor dem Einzelnen sowie das Prinzip der Delegation von Verantwortung. Unsere Mitarbeiter haben größtmöglichen Freiraum, sie sind umfassend informiert und nehmen sowohl an Entscheidungsprozessen als auch am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens teil. Für ihre Weiterentwicklung und die Sicherung ihrer Arbeitsplätze setzen wir uns ein.
1335
Thielen in Bertelsmann AG, 2006a, S. 1.
1336
Bertelsmann AG, 2006a, S. 13.
Fallstudie Bertelsmann AG
301
Unternehmergeist Das Prinzip der Dezentralisation ist ein Schlüssel zu unserem Erfolg; es ermöglicht Flexibilität, Verantwortung, Effizienz und unternehmerisches Handeln unserer Mitarbeiter. Unsere Firmen werden von Geschäftsführern geleitet, die als Unternehmer handeln: Sie genießen weitreichende Unabhängigkeit und tragen umfassende Verantwortung für die Leistung ihrer Firmen. Unsere Führungskräfte handeln nicht nur im Interesse der Einzelfirma, sondern sind auch dem Interesse des Gesamtunternehmens verpflichtet. Kreativität Unser Ziel ist es, Heimat für Künstler, Autoren und kreative Talente in all unseren Geschäftsfeldern zu sein. Wir fördern ihre kreative Entwicklung und ihren geschäftlichen Erfolg. Wir setzen uns weltweit für den Schutz geistigen Eigentums ein. Wir fördern die künstlerische und geistige Freiheit, den Schutz von Demokratie und Menschenrechten, den Respekt vor Traditionen und kulturellen Werten; deshalb spiegeln unsere Inhalte eine Vielfalt von Einstellungen und Meinungen wider. Die von den Bedürfnissen unserer Kunden geleitete kontinuierliche Optimierung und fortwährende Innovation sind die Eckpfeiler unseres Erfolgs. Gesellschaftliche Verantwortung Unabhängigkeit und Kontinuität unseres Unternehmens werden dadurch gesichert, dass die Mehrheit der Aktienstimmrechte bei der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft liegt. Unsere Gesellschafter verstehen Eigentum als Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Sie sehen das Unternehmen in der Marktwirtschaft dadurch legitimiert, dass es einen Leistungsbeitrag für die Gesellschaft erbringt. Diesem Selbstverständnis entspricht auch die Arbeit der Bertelsmann Stiftung, in die die Mehrheit der Bertelsmann-Aktien eingebracht wurde. Unsere Firmen achten Recht und Gesetz und lassen sich von ethischen Grundsätzen leiten. Sie verhalten sich gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt stets verantwortungsbewusst.1337
Die ‚Bertelsmann Essentials’ möchten in ihrer heutigen Form Transparenz und Orientierung schaffen für alle und damit Identifikation mit dem Unternehmen sowie den gemeinsamen Zielen ermöglichen. Aufgrund der internationalen Ausrichtung der Bertelsmann AG gibt es die ‚Essentials’ daher auch in zehn verschiedenen Sprachversionen. „Und am Ende machen sie das Besondere von Bertelsmann aus. Denn auch wenn viele Unternehmen sich inzwischen Leitbilder gegeben haben, sind die inhaltlichen Unterschiede dabei unübersehbar. Die Betonung der partnerschaftlichen Führung, des Unternehmergeistes, der Kreativität und der gesellschaftlichen Verantwortung macht die Bertelsmann Essentials einzigartig.“1338
1337
Bertelsmann AG, 2006a, S. 11.
1338
Bertelsmann AG, 2006a, S. 12.
Empirische Exploration
302
In den formulierten Grundwerten wird bereits das Bild des „Homo Bertelmannensis“ deutlich, das im Unternehmen (auf höchster Ebene) verbreitet ist. Die BertelsmannMitarbeitenden sollen eigenständige Persönlichkeiten sein, die mit Kreativität und Begeisterung für die Medienwelt beeindrucken. Thielen sagt selbst: „Wir haben in unseren Reihen hochkreative Menschen, die mit ihrer großen Erfahrung Fantastisches für Bertelsmann leisten...“1339 Entsprechend vielfältig sind die Mitarbeitenden, die bei Bertelsmann arbeiten – „…Wer bei uns ins Management möchte, sollte sich darauf einstellen, auch unkonventionelle Wege zu beschreiten und Verschiedenartigkeit als Chance zu erkennen“: „Bei unseren Führungskräften suchen und fördern wir eigenständige Persönlichkeiten, Querdenker und führungsstarke Unternehmertalente.“1340 Neben der Kreativität und Vielfalt zeichnen sich die Mitarbeitenden durch ihr unternehmerisches Denken aus. „Die warten nicht, bis ihnen jemand sagt, was genau sie zu tun haben, sondern die legen einfach los, innerhalb eines bestimmten Rahmens“ (Scheffler). Dies bezieht sich auch auf die eigene Entwicklung, die durch ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Autonomie geprägt ist – „Wir wissen, dass das eine Form ist, die Fehler produziert, aber Fehler sind ja auch eine Lernchance“ (Scheffler). Der typische Bertelsmann-Mitarbeiter kann wie folgt beschrieben werden: Unternehmerische Leute, die von sich aus viel Energie mitbringen, Dinge zu tun; die wenig Vorgaben und Struktur brauchen, im Sinne von „was ist mein Kasten und wie passe ich da rein“ sondern: „was ist die Weide und wie ich die begrase“ ist das eigene Thema. Selbstständig sein und gleichzeitig … sich in eine Konzernstruktur einfügen zu können. Weil wir nichtsdestotrotz wie jeder große Konzern bestimmte politische Gegebenheiten, bestimmte hierarchische Gegebenheiten haben, etc. Diesen Spagat handhaben zu können, einerseits einen Bereich zu haben, für den ich sehr, sehr selbstständig und eigenverantwortlich unterwegs bin und gleichzeitig mich gewissen Hierarchien einzuordnen. (Scheffler)
Entsprechend sind viele Funktionen und Positionen im Unternehmen an den Personen orientiert, die diese Funktion innehaben, „einfach deswegen, weil diese Personen die Jobs über sehr lange Zeit ausfüllen und ihnen ein sehr eigenes Gesicht verleihen. Das Profil von Abteilungen verändert sich mit den Personen, die diese Abteilungen übernehmen, und zwar sehr gravierend“ (Fischer).
1339
Thielen in Bertelsmann AG, 2006b, S. 6.
1340
http://www.myfuture.bertelsmann.de/Management-Development.html [Stand 10.12.2006].
Fallstudie Bertelsmann AG
303
5.2.3. Strategische Ebene Wie bereits darauf hingewiesen, beschränkt sich die Darstellung im Folgenden auf die Konzernfunktion. Dies geschieht in erster Linie aus dem Blickwinkel und bezogen auf den Personalbereich des Corporate Centers (damit eingeschlossen die Bertelsmann University und der Bereich Zentrale Bildung). Kapitel 5.2.3.1 zeigt aus unterschiedlichen Perspektiven strategische Aspekte auf, die mit den im Bezugsrahmen I formulierten Fragen in Zusammenhang stehen. Im Kapitel 5.2.3.2 werden wesentliche Kulturelemente der Unternehmens- und Führungskultur bei Bertelsmann dargestellt. Kapitel 5.2.3.3 fokussiert sich auf die strukturelle Verankerung der beiden Bereiche ‚Zentrale Bildung’ und ‚Bertelsmann University’.
5.2.3.1. Strategie Das erklärte Ziel der Bertelsmann AG sind „die Erreichung und der Ausbau führender Positionen in attraktiven Märkten. Zusätzliche Wachstumsimpulse ergeben sich durch die gezielte Entwicklung neuer Geschäftsansätze, die mit den Kerngeschäften in engem Zusammenhang stehen. Bertelsmann arbeitet darüber hinaus intensiv an den technologischen Herausforderungen auf den Medienmärkten“1341. Dabei ist die Sicherung der Unternehmenskontinuität der handlungsleitende Grundgedanke, der dem Interesse der Gesellschaft verpflichtet ist und in der Verantwortung der Unternehmensführung steht. Daneben gibt es „hier nicht wirklich die Konzernstrategie, sondern wir sind mit unseren Divisionen in ganz unterschiedlichen Feldern unterwegs, wo wir auch ganz unterschiedliche Strategien brauchen … Es gibt nicht die Bertelsmannstrategie“ (Scheffler). So lässt der Konzernvorstand auch dem Personal- und Bildungsbereich im Corporate Center viel Freiraum. Er erwartet, dass „wir zu ihm kommen und sagen, das wollen wir in den nächsten zwei bis drei Jahren machen, warum wir das machen wollen, was das kostet und dann diskutiert man darüber“ (Sangs). Dadurch, dass im Unternehmen keine einheitliche Konzernstrategie existiert, wird das Thema ‚Strategie’ im Folgenden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Zunächst fokussiert sich die Betrachtung auf Strategiefragen des Personalbereichs auf Konzernebene, danach wird der Blick auf die Bertelsmann University gerichtet.
1341
Bertelsmann AG, 2006c, S. 2.
304
Empirische Exploration
Des Weiteren wird auf strategische Aspekte im Zusammenhang mit der Personalentwicklung und der Ausbildung im Konzern eingegangen. Bezogen auf die Strategie im Personalbereich auf Gesamtunternehmensebene befindet sich Bertelsmann derzeit in einer Umbruch- und Aufbruchstimmung. Der langjährige Leiter der Bertelsmann University1342 Hermreck hat am 01.05.2006 die Position des Konzernpersonalchefs von Hunsdiek übernommen. Die grundsätzliche Aufgabe der zentralen Abteilungen liegt darin, Rahmenbedingungen für das dezentrale Unternehmen Bertelsmann zu schaffen, die Erfolg möglich machen. Daneben gilt es, Transparenz zu schaffen, „weil das insbesondere bei Prozessen, die durch das Tagesgeschäft dominiert sind, keine Selbstverständlichkeit ist und da gibt es im Moment starke Bemühungen, Transparenz sicherzustellen, eine gemeinsame Stoßrichtung zu haben und Formate zu entwickeln, an denen die unterschiedlichen Bereiche gemeinsam arbeiten“ (Fischer). Denn innerhalb des Corporate Centers gibt es relativ spezialisierte Bereiche, die durchaus sehr eigene Profile haben. „Es gibt aber ein starkes Interesse daran, dafür zu sorgen, dass diese Bereiche sehr stark und effektiv miteinander verzahnt sind. Entsprechend ist die strategische Ausrichtung derzeit ein wesentliches Thema“ (Fischer). Insbesondere die verstärkte Ausrichtung an der Geschäftsstrategie stellt eine Herausforderung dar. Um eine enge Verzahnung zu ermöglichen, nimmt der Konzernpersonalchef mittlerweile als Gast an jeder Vorstandssitzung teil: „Er bekommt die Entwicklung mit, er kann dann natürlich mit seinen Mitarbeitern gemeinsam Ideen und Konzepte entwickeln, wie die Strategie unterstützt werden kann“ (Sangs). Daneben initiierte er ein großes Strategiemeeting, im Rahmen dessen die zukünftige Ausrichtung des Bereichs HR diskutiert wurde. In der Folge werden nun externe Berater hinzugezogen und Untergruppen gebildet, um intensiver an einzelnen Themen zu arbeiten. Die bessere Verzahnung der Personal- und Bildungsarbeit gilt aber nicht nur für die Bereiche des Corporate Centers, sondern ist eine konzernweite Bestrebung: „Gegenwärtig ist es so, dass die einzelnen Geschäftsbereiche eine andere Stoßrichtung haben, aber das ist in der Organisationsstruktur auch so angelegt … und diese Unterscheidung ist auch sinnvoll. Gleichzeitig gibt es aber auch spezifische Formate, wo es sinnvoll ist, diese stärker miteinander zu verzahnen.“ (Fischer). Derartige Formate sind beispielsweise der Personalkreis auf Ebene der sechs Unternehmensbereiche sowie die zahlreichen Personalleiterkreise auf Firmenebene in den verschiedenen Ländern.
1342
Vgl. detailliert zur Bertelsmann University die Ausführung in Kapitel 5.2.3.3.
Fallstudie Bertelsmann AG
305
Eine wesentliche Rolle im Rahmen der Strategiediskussion kommt der Bertelsmann University als Teil des Corporate Centers zu. Sie bietet Veranstaltungen an (vgl. ausführlicher Kapitel 5.2.3.3), wo Themen besetzt und bearbeitet werden, die für den Konzern gesamthaft von großer Relevanz sind. Die Bertelsmann University „gibt den Raum, damit man sich überhaupt Gedanken macht. … Zu einem gewissen Stückweit geht es um Bewusstseinsschaffung, Impulsgeben und darum, die Kontakte zu ermöglichen, dass dann etwas weitergeht“ (Scheffler). Dadurch, dass es nicht die Bertelsmannstrategie gibt, hat die Bertelsmann University vielmehr die Aufgabe, „Impulse zu geben, Freiraum zu geben, Kontakte zu schaffen“, anstatt eine Unternehmensstrategie umzusetzen und zu implementieren. Entsprechend hat „unsere Tätigkeit eine langfristige strategische Komponente“ (Scheffler). Die eigene strategische Ausrichtung der Bertelsmann University ergibt sich nicht nur durch die Diskussionen im Advisory Board, sondern auch in enger Zusammenarbeit mit den einzelnen Divisionen: Wir sind hier in Gütersloh sitzend darauf angewiesen, mitzubekommen, was im Unternehmen los ist und wo es gerade brennt. Das tun wir zum einen dadurch, dass wir sehr viel unterwegs sind, bei den Programmen dabei sind, Kontakte zu Teilnehmern haben. Das tun wir aber auch dadurch, dass es regelmäßige Meetings mit den Programmverantwortlichen in den jeweiligen Divisionen gibt, wo es dann Themen gibt, die sie alleine bearbeiten, wo es aber auch Themen gibt, wo wir sagen, es wäre interessant, das übergreifend zu machen. (Scheffler)
Daneben gibt es vielfältige weitere Impulse, aus denen sich die Strategie der University formiert. Beispielsweise setzt sich der Betriebsrat sehr intensiv für das Thema Bildung und Weiterentwicklung ein; so ist der Ausbau der Führungskräfteentwicklung auf dessen Drängen zurückzuführen. Das Ergebnis ist dann „meist eine Summe aus ganz vielen einzelnen Teilchen“: Es ist also nicht so, dass nur der Vorstand sagt: ‚University, mach das’, oder dass die Führungskräfte sagen: ‚das brauchen wir’ oder der Betriebsrat oder die divisionalen HR Leute, sondern es ist immer ein Gemengelage aus allem. Und wenn nicht alle Stakeholder ‚Ja’ gesagt haben, gibt es auch nichts Neues. Deswegen ist das Programm auch relativ übersichtlich. (Scheffler)
Auf der Ebene der Bildungsarbeit und Personalentwicklung werden sich die Führungskompetenzen, die derzeit aus den neuen ‚Essentials’ abgeleitet und formuliert werden, „zum Dreh- und Angelpunkt einer zu einem gewissen Grade homogenisierten Personalentwicklungsstrategie entwickeln. Allerdings muss man auch sagen, was sich daraus dann im Einzelnen entwickelt, das wird z. T. einfach gesellschaftsspezifisch sein“ (Fischer). Ebenso gilt „manches an strategischen Überlegungen ist
Empirische Exploration
306
über die Zeit gewachsen und nicht immer so explizit kodifiziert“. Hierzu zählt beispielsweise die interdimensionale Entwicklung von Mitarbeitern, die immer ein Interessenabwägen zwischen den Gesellschaften und dem Gesamtkonzern ist, „wobei die Gesellschaften generell gerne die Top-Leute, die sie haben, halten möchten. Wenn sie sie allerdings nicht halten können ist es immer noch günstiger, wenn sie in den Konzern gehen. Für den Konzern als Gesamtgebilde ist es essentiell … dass die Bereiche nicht in Lagern denken. Das ist schon eine Entwicklungsstrategie“ (Fischer). Bezogen auf die Entwicklung des einzelnen Mitarbeiters verfolgt Bertelsmann entsprechend der obigen Ausführungen die Strategie, den Rahmen zu schaffen für eine „gerechte und motivierende Arbeitswelt“, in der der Einzelne den Freiraum hat für eine maßgeschneiderte Entwicklung. Bertelsmann erwartet von seinen Mitarbeitenden: „Geben Sie Ihren Visionen unternehmerisches Profil – bei uns finden Sie den Freiraum. Sie lernen nicht graue Theorie, sondern in erster Linie ‚on the job’. Dass wir dabei als Unternehmen von Ihnen gefordert werden, ist für uns selbstverständlich. Und wir erwarten von Ihnen, dass auch Sie mit Ihrer Entwicklung unternehmerisch umgehen.“1343 Es gibt relativ wenig „klassische Karriereplanung“, sondern es ist von der Initiative des Einzelnen abhängig, wo, wann und wie er sich entwickelt – allerdings immer vor dem Hintergrund der Unternehmensinteressen, indem es sich um „einen Aushandlungsprozess handelt, der miteinander passiert“ (Scheffler). Ein weiterer strategischer Aspekt im Zusammenhang mit dem Thema Bildung wird vom Unternehmen in dessem Engagement im Bereich Ausbildung gesehen werden. Bertelsmann bildete 2005 in Deutschland durchschnittlich 842 Auszubildende in 35 Ausbildungsberufen in 76 Konzernfirmen aus. Davon wurden durchschnittlich 391 Auszubildende in 22 Ausbildungsberufen in 26 Konzernfirmen am Standort Gütersloh von der zentralen Aus- und Weiterbildungsabteilung des Corporate Centers (siehe auch Kapitel 5.2.3.3) betreut. Thielen stellt fest: „Besonders stolz sind wir darauf, dass jeder zweite kaufmännisch oder gewerbliche Auszubildende aus Gütersloh bei Bertelsmann sein Berufsleben startet“. Um zu gewährleisten, dass sich Theorie und Praxis in der Schule und am Arbeitsplatz optimal ergänzen, gründete Reinhard Mohn 1962 ein staatlich anerkanntes betriebseigenes Berufskolleg. Bis auf die Ausbildungen zum Fachinformatiker (49 Auszubildende), Industriemechaniker (9) und Energieelektroniker (4) sind alle Ausbildungen am Berufskolleg angesiedelt.
1343
Bertelsmann AG, 2005, S. 22.
Fallstudie Bertelsmann AG
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Das duale Ausbildungssystem verbindet hohes fachliches Wissen mit dem effektiven Lernen am Arbeitsplatz. Dabei nutzt das Berufskolleg der Bertelsmann AG neue Ideen, Methoden und Konzeptionen für die Ausbildung. Ihre Effektivität wird durch die moderne Ausstattung erhöht. Und: Die Entwicklung beruflicher Bildung wird bei uns immer den wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst. In der Ausbildung wird diese Verknüpfung dadurch sichergestellt, dass die Lehrkräfte des Berufskollegs der Bertelsmann AG auch Ausbildungskoordinatoren der verschiedenen Bertelsmann-Firmen am Standort Gütersloh sind.1344
Die Lehrkräfte sind Angestellte der Bertelsmann AG. Aufgrund ihrer Funktion als Ausbildungskoordinatoren sind sie auch für die inhaltliche und organisatorische Steuerung der Ausbildung verantwortlich. „Außergewöhnlich ist dabei, dass Unterrichtsinhalte und -methoden auf die Arbeitssituation jedes Einzelnen abgestimmt werden können. Ausbildung wird bei uns immer neu diskutiert und weiterentwickelt“1345. Die Auszubildenden bestätigen in der jährlichen anonymen Befragung die hohe Qualität der Bertelsmann-Ausbildung: 97 % aller Auszubildenden waren 2005 mit der schulischen und betrieblichen Ausbildung zufrieden bis sehr zufrieden. Bertelsmann hat am 01.08.2001 ein Konzernstudium zum ‚Bachelor of International Management’ eingeführt. Die Besonderheit liegt in der Kombination von Erstausbildung und Studium. Die Vorlesungen werden von Dozenten der Fachhochschule für Ökonomie und Management Essen ebenso wie der Berufsschulunterricht in Gütersloh durchgeführt. Die Ausbildung gliedert sich in zwei Abschnitte: in den ersten beiden Jahren erfolgt die Ausbildung zum Industriekaufmann, daran anschließend erfolgt ein 18-monatiger Einsatz in Fach- und Projektabteilungen incl. Auslandsaufenthalt, der mit der Bachelor-Thesis und einem Kolloquium abschließt. 2006 nahmen 37 Studierende im Ausbildungsprogramm teil. Durch die unterschiedlichen Ausbildungsformen wird der „richtige Nachwuchs für die richtige Stelle“ ausgebildet, der auch dann innerhalb der Konzernfirmen „seinen Weg macht“ (Sangs). Die Einführung des Bachelor-Studiums begründet sich darin, dass Bertelsmann der Überzeugung ist, „dass gute bis sehr gute Abiturienten dann zu uns kommen, wenn sie eine erstklassige Alternative zum klassischen Studium finden“ (Sangs). Die Bewerbungen für das Studium bestätigen den gewählten Weg: 2006 gingen aus 15 Bundesländern Bewerbungen ein. Von den 20 Studierenden, die im ersten Durchgang starteten sind, waren 14 Schulbeste. Obwohl die Absolventen
1344
Bildung, 2006, S. 6.
1345
Bildung, 2006, S. 7.
Empirische Exploration
308
keine Verpflichtung haben, bei Bertelsmann zu bleiben, verlassen nur wenige das Unternehmen.
5.2.3.2. Kultur In den ‚Bertelsmann Essentials’ wurden bereits einige Kulturaspekte des Unternehmens angesprochen, wie die hohe Eigenständigkeit und Selbstverantwortung des Einzelnen. Die unterschiedlichen Bereiche des Unternehmens können auf diese Weise nicht nur als Subkulturen der Unternehmenskultur angesehen werden, sondern haben – z. T. auch historisch bedingt – sehr „distinkte Kulturen“ (Fischer) ausgebildet. Im Unternehmen herrscht folglich eher Vielfalt statt Einheit: „Innerhalb unseres Unternehmens sind wir nicht immer einer Meinung – und das wollen wir auch nicht sein. Meinungsvielfalt muss auch im praktischen Geschäft herrschen“1346. Eine gewisse Gemeinsamkeit ergibt sich zum einen über die zentralen Unternehmenswerte, die in den Gesellschaften nachvollzogen und gelebt werden, zum anderen dadurch, dass über die Definition von Führungskompetenzen Auswahl- und Bewertungsverfahren in die Gesellschaften hineingetragen werden, die in einem gemeinschaftlichen Prozess entstanden sind. Die Grundmaxime des ‚Unternehmens der Unternehmer’ schlägt sich aber auch in Bezug auf das Thema Lernen und Weiterentwicklung in der Kultur des Unternehmens nieder: Das ist für Bertelsmann typisch: Ein hohes Maß an Eigenverantwortung und unternehmerischer Orientierung bestehend darin, dass man im Prinzip zumindest zu einem gewissen Teil einfach auch selbst dafür verantwortlich ist, Ideen zu entwickeln und sie nach vorne zu treiben. Dass es einen relativ hohen Freiraum gibt zu gestalten, der dann mit der Verpflichtung bzw. der Aufforderung verbunden ist, diesen Gestaltungsspielraum auch zugunsten des Unternehmens wahrzunehmen, und dieser partnerschaftliche Gedanke, der immer wieder auftaucht, und wo es darum geht keine Maximierung von Individualinteressen anzustreben, sondern prinzipiell stärker konsensorientiert vorzugehen, auch langfristig. (Fischer)
Reinhard Mohn sagt selbst: „Auf Grundlage einer Vertrauenskultur sollen möglichst viele Mitarbeitende die Chance zum Aufstieg und zur Selbstverwirklichung erhalten.“1347 Den Freiraum, den die Mitarbeitenden dabei haben, ist „das, was Bertelsmann auszeichnet“. Bei Bertelsmann gibt es keine „vorgefertigten Pfade, die die
1346
Bertelsmann AG, 2006a, S. 16.
1347
Mohn, 2006, S. 14.
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Mitarbeiter sequenziell abarbeiten“, wie es in anderen Unternehmen z. T. üblich ist, wo bestimmte Managemententwicklungsveranstaltungen zwingend vorgeschrieben sind, um auf der Karriereleiter nach oben zu steigen. „Das ist bei Bertelsmann nicht so. Es bleibt sehr viel der Eigeninitiative überlassen, aber damit verbunden gibt es auch Freiraum zur eigenen Gestaltung und zur Prägung des eigenen Umfelds. Auch im Bildungsbereich“ (Fischer). Dabei lässt sich weiter ausführen: Man wird ins kalte Wasser geworfen, man bekommt Lernchancen … insofern, als dass, wenn hier jemand das Zutrauen hat, dass er eine bestimmte Aufgabe übernehmen kann, er die Möglichkeit bekommt, sich darin zu entwickeln. Es ist das umgekehrte Beispiel zum Beamtentum, wo man sich hochdienen muss und langsam bestimmte Dinge anlernt, bevor man sie umsetzen kann. Bei uns wird man eher in eine Umsetzung gezwungen, also ganz platt gesagt, man wird in eine Situation geworfen, wo man auch was umsetzen kann, wodurch dann Lernen möglich wird. Weil ich merke, dass das, was ich bisher getan habe, hier nicht mehr ausreicht. Das ist sicherlich nicht für jeden Menschen die richtige Form zu lernen, und deswegen haben wir ganz bestimmte Typen in unserer Organisation. Aber man bekommt Möglichkeiten, sich auszuprobieren. (Scheffler)
Das selbstständige Tun wird allerdings angereichert und begleitet durch einen entsprechenden Führungsstil und durch Angebote der zentralen Weiterbildung und der Corporate University (vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 5.2.3.3): „Das Unternehmen schafft die Rahmenbedingungen, dass sich motivierte und talentierte Individuen entfalten können, aber die Entfaltung ist dann eben doch Eigenanteil“ (Fischer). Damit verbunden ist das „Prinzip der partnerschaftlichen Unternehmenskultur“, welches ihren Ursprung bereits bei Carl Bertelsmann hat. Er sah Mitarbeiter als Teil einer familiären Gemeinschaft, in der ein hohes Maß an Integrität und Kooperation herrscht. Reinhard Mohn hat diese Grundhaltung im Konzept der „partnerschaftlichen Unternehmenskultur“ aufgenommen und weitergeführt: „Im Geiste der überlieferten Unternehmenstradition und unter Wahrung des Gebots der Menschlichkeit arbeiten wir partnerschaftlich und vertrauensvoll zusammen“1348. Dazu zählt die Möglichkeit der Mitarbeitenden, bei der Entwicklung des Unternehmens mitzuwirken. Dies zeigt sich in der hohen Bedeutung des Vorschlagswesens unter dem Namen ‚Bessermachen@Bertelsmann’ (2005 wurden rund 2.200 Vorschläge eingereicht, aufgrund dessen 1,8 Mio. Euro eingespart werden konnten, von denen 0,4 Mio. Euro als Prämien ausgezahlt wurden).
1348
Mohn, 2006, S. 14.
Empirische Exploration
310
Daneben zählt die Mitarbeiterbefragung zu einem wesentlichen Instrument der Mitarbeiterbeteiligung und -mitwirkung. Diese wird seit 1977 alle fünf Jahre deutschlandweit bzw. seit 2002 alle vier Jahre konzernweit durchgeführt, d. h. die Befragung findet in 18 verschiedenen Sprachen und in 47 Ländern der Erde statt. Um der dezentralen Bertelsmann-Struktur gerecht zu werden, besteht der Fragebogen sowohl aus Kernfragen als auch aus divisions- und länderspezifischen Fragen. Entsprechend existierten mehr als 350 verschiedene Fragebogenversionen. Die Beteiligungsquote lag 2006 bei ca. 84,5 % (2005: 78,7 %). Die Befragung 2006 zeigte, dass die Mitarbeitenden sich sowohl mit ihrer Arbeit als auch mit dem Unternehmen und seinem Führungsteam stark identifizieren: „Mehr als drei Viertel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit ihrer Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden. … Eine besonders hohe Zufriedenheit äußerten die Mitarbeiter auch in Bezug auf Vorgesetztenverhalten: 77 % gaben an, von ihrem Vorgesetzten mit Respekt behandelt zu werden (2002: 72 %).“1349 Interessanterweise äußerten sich auf der einen Seite 71 % der Befragten positiv zu der Selbstständigkeit, der Selbstverwirklichung, der Verantwortung und dem Freiraum, der ihnen übertragen wird, auf der anderen Seite verwiesen sie aber auch auf Optimierungsbedarf im Bereich der beruflichen Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten in ihren Firmen, in den Bereichen und im Konzern. Die Ergebnisse der Befragung wurden Anfang 2007 in mehr als 9.500 personalisierten Ergebnisberichten an die Führungskräfte des Unternehmens verteilt, in den Abteilungen mit den Mitarbeitenden diskutiert und entsprechend eine Vielzahl von Verbesserungsmaßnahmen auf allen Ebenen angestoßen. Als weiteres Element der partnerschaftlichen Unternehmenskultur wird die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden sowie Führungskräfteentwicklung, insbesondere an der Bertelsmann University, angesehen. Auf beide Bereiche geht Kapitel 5.2.3.3 näher ein. Eine wichtige Rolle im Rahmen der partnerschaftlichen Unternehmenskultur spielen auch die Führungskräfte, die diese in besondere Weise prägen. Das Unternehmen bietet ihnen daher auch „größtmögliche Freiräume“. Thielen führt hierzu aus: Unsere Unternehmenskultur bietet Führungspersönlichkeiten alle Möglichkeiten, ihre Geschäfte dezentral mit einem hohen Grad an Freiheit und Flexibilität zu leiten. Wir verlangen von unseren Führungskräften aber auch, sich nicht nur mit den eigenen Geschäften zu identifizieren, sondern auch für das Unternehmen und seine Mitarbeiter Verantwortung zu tragen. Dazu gehören Elemente wie partnerschaftliche Führung,
1349
Grafemeyer, 2006.
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Delegation von Verantwortung oder die Mitarbeiter-Gewinnbeteiligung. Leistung wird belohnt, das gilt für jeden Mitarbeiter.1350
Bezogen auf die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden sollen die Führungskräfte die „ersten Personalentwickler vor Ort“ sein. Um ihrer Aufgabe gewachsen zu sein, wurde das Thema als ein wesentlicher Baustein der Leadership-Programme der Bertelsmann-University aufgenommen. Dabei geht es unter dem Motto „Ich in der Interaktion mit anderen“ zum einen darum, darzustellen, dass partnerschaftliche Zusammenarbeit davon lebt, dass es eine Heterogenität gibt und wie die Führungskraft mit dieser Heterogenität umgeht, weil unterschiedliche Menschen ganz unterschiedliche Ansprüche an die Führungskraft stellen und mit diesen unterschiedlichen Menschen auch unterschiedlich umgegangen werden muss. Zum anderen geht es um das Thema die Führungskraft als ‚Coach’, „wobei eine Führungskraft nur bis zu einem gewissen Grad Coach sein kann. Nichtsdestotrotz nehmen wir diese Rolle ein Stück weit mit auf, indem wir sagen, es geht nicht nur darum, dass dein Team funktioniert, sondern du bist auch dafür verantwortlich, Talente innerhalb deines Teams zu identifizieren, und die zu fördern“ (Scheffler). Prinzipiell geht es immer darum, den Führungskräften aufzuzeigen, dass eine einzelne Person in den Konstrukten, in denen bei Bertelsmann gearbeitet wird, nichts ausrichten kann, sondern dass es vielmehr darum geht, „die Leute mitzunehmen“ und ihnen Lernmöglichkeiten zu bieten, während denen man sie „als Mentor unterstützt, coacht und sie begleitet“ (Scheffler). Die Zielvorstellung kann wie folgt umschrieben werden: „Wie bei einen Spitzensportler, der selbstverständlich jeden Tag zum Training geht, seinen Coach hat, der ihm Tipps gibt, der Supervisor spielt und dann in die Wettbewerbe reingeht. … Nicht dass jetzt jeder seinen eigenen Supervisor bekommt, aber dass vom Bewusstsein her Lernen einen höheren Stellenwert bekommt“ (Sangs). Denn auch Bertelsmann ist sich der Herausforderung bewusst, dass lebenslanges Lernen noch in vielen Bereichen nicht in dem gewünschten Umfang ein Thema ist. „Da haben wir noch eine Menge Arbeit zu leisten … Unser Grundproblem ist derzeit eher ‚never change a winning team’“ (Sangs). Entsprechend gibt es auch Vorgesetzte, die es aus eigenem Antrieb „geschafft“ haben und dies von ihren Mitarbeitenden ebenso erwarten. Auffallend ist dennoch, dass die Mitarbeiter, bedingt durch die Unternehmenskultur, ihre Entwicklung tatsächlich selbst in die Hand nehmen. Sangs als Leiter ‚Zentrale Bildung’ sagt:
1350
Thielen in Bertelsmann AG, 2006b, S. 6.
Empirische Exploration
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Also ich stelle fest, dass mehr Mitarbeiter zu uns kommen als Vorgesetzte, die mit uns ins Gespräch kommen: Was kann ich für meine Mitarbeiter tun, für mein Team, für meine Organisation? Diese gibt es, aber die klare Mehrheit sind aktive Mitarbeiter, die kommen und sagen: ‚ich würde gerne dies oder das machen’ oder die ein persönliches Beratungsgespräch möchten etc. Und dann kommt die Standardschlussformel: ‚Ja dann muss ich jetzt mal mit meinem Chef darüber reden’. Diesbezüglich ist in der Organisation noch einiges zu tun.
5.2.3.3. Struktur Bertelsmann ist ein „Unternehmen der Unternehmen – ein dezentrales, internationales und innovatives Haus“1351, das durch eine enorme Vielfalt geprägt ist. Entsprechend liegt das Thema Bildung und Weiterentwicklung in erster Linie in der dezentralen Verantwortung jeder Konzernfirma – wobei dessen Stellenwert in den verschiedensten Firmen sehr unterschiedlich ist. Den Rahmen hierfür bieten die Funktionsstellen des Corporate Centers in Gütersloh. Der Bereich Personal wird dabei vom Konzernpersonalchef Hermreck verantwortet, der zuvor Leiter der Bertelsmann University war. Der Bereich Personal ist in zwei Bereiche untergliedert: strategische Themen und Dienstleistungsthemen. Die Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Thema Bildung sind in beiden Bereichen verortet: Zum einen die Abteilung ‚Executive Development’ als strategisches Thema; dort ist auch die Bertelsmann University angesiedelt. Zum anderen im Bereich der Dienstleistungsthemen die Abteilung ‚Zentrale Bildung’. Im Folgenden wird näher auf beide Abteilungen eingegangen und wichtige Aspekte an deren Tätigkeit dargestellt. Die ‚Zentrale Bildung’ (ZA) unter Leitung von Sangs fokussiert sich sowohl auf den Ausbildungsbereich (zentrale kaufmännische Ausbildung (ZAK) und zentrale gewerbliche Ausbildung (ZAG)), als auch auf die Personalentwicklung im eigentlichen Sinn. Auf die Ausbildungsangebote der Bertelsmann AG wurde bereits in Kapitel 5.2.3.1 detailliert eingegangen. Die ‚zentrale Personalentwicklung’ (ZAP) koordiniert die Personalentwicklung am Standort Gütersloh und erstellt ein eigenes Leistungsspektrum. 2005 konnten 1.723 Teilnahmen in den vier Säulen des Angebots verzeichnet werden:
1351
Bertelsmann AG, 2006b, S. 1.
Fallstudie Bertelsmann AG
313
Beratung & Coaching
Offenes Angebot
77 TN
101 TN
Angebot für Zielgruppen 491 TN Ausbilder
IT-Trainings & Sprachen 1.054 TN
Einzel-Coaching und Beratung
Controlling
4 TN
Human Resources
IT-Standardanwendungen und arbeitsprozessorientierte Trainings
94 TN
237 TN
34 TN 58 TN
Teamworkshops und abteilungs-spezifische Trainings 73 TN
Soft-Skills- & MethodenTrainings
Office Management
101 TN
Teamleiter
104 TN 69 TN
Vertrieb 53 TN
Sprachtrainings 817 TN
Wahlvorstände 79 TN
Abbildung 58: ZAP-Leistungsangebot (incl. Teilnahmen)
Das Angebot in dieser Art und Weise ist erst vor einigen Jahren entstanden. Zuvor war es eher „ein Volkshochschulprogramm de luxe“ (Sangs). Die allgemeinen Angebote wurden z. T. ins offene Programm integriert, was inzwischen allerdings mit einer klaren Ausrichtung organisiert wird. Ein Schwerpunkt des Angebots liegt in der Zielgruppenorientierung. Beratung und Coaching hatte vorher in der Form nicht stattgefunden, wohingegen Sprachprogramme schon immer zum Angebot gehörten. Bei den IT-Trainings verabschiedete sich Bertelsmann von allgemeinen Schulungen und berät nun im Vorfeld sehr zielgruppenspezifisch und bedarfsorientiert. Diese Entwicklung hin zu maßgeschneiderten Konzepten nimmt immer mehr zu: „Standardtraining und Schulung von der Stange verlieren deutlich an Bedeutung“ (Sangs). Eine wichtige Rahmenbedingung des gesamten Angebots stellt die Verortung der ZAP als Cost Center dar. Damit sind drei weitere Faktoren verbunden: Wir können nicht jeden Preis nehmen, den wir vielleicht am Markt nehmen würden. Es gibt auch politische Preise – also was die Organisation als „gefühlt“ teuer empfindet. Gleichzeitig müssen wir auch sicherstellen, dass wir eine hohe Qualität vermitteln, dass die Leute nicht nur glückstrahlend nach Hause kommen, weil das Hotel so toll war, sondern sagen, das hat mir für meinen Arbeitsplatz, für meine berufliche Zukunft auch etwas gebracht und ich bleibe am Ball … Darüber hinaus sind wir natürlich nicht alleine auf dieser Bertelsmann-Welt, sondern jede Konzernfirma hat die freie Wahl, Teilnehmer zu schicken oder auch ein eigenes Programm zu machen. (Sangs)
Die Zusammenarbeit mit den einzelnen Geschäftsbereichen läuft sehr unterschiedlich. Am Standort Gütersloh (12.000 Mitarbeitende) ist die ZAP in erster Linie koordinierend tätig. Das Jahresprogramm wird regelmäßig mit den Firmen am Standort besprochen, „um unnötige Doppelungen und Redundanzen zu vermeiden, wobei es
314
Empirische Exploration
sehr wohl wichtig ist, dass die einzelnen Firmen ein eigenes Programm haben, entsprechend ihrer fachlichen Spezifika“ (Sangs). Das zielgruppenspezifische Programm wird allerdings exklusiv von der ZAP angeboten. 2005 nutzten Mitarbeitende aus 56 verschiedenen Konzernfirmen das komplette Programmangebot von ZAP. Neben der Koordination auf operativer Ebene gibt es regelmäßige Treffen der Personalentwickler am Standort, im Rahmen derer ein Austausch erfolgt und auch Themen vorangetrieben werden (z. B. wurde vor kurzem ein Pilotprojekt ‚40+’ zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen initiiert). Ansonsten gibt es unregelmäßig Kontakte zu den Verantwortlichen der einzelnen Geschäftsbereiche: „Das sind Kontakte im Sinne von ‚wir treffen uns mal’, ‚wir setzen uns mal zusammen’“ (Sangs). Zum Teil übernimmt die ZAP dabei die Rolle eines Beraters, wenn beispielsweise einzelne Bereiche „noch einen größeren Bedarf haben“. Insgesamt ist die Zusammenarbeit nicht ganz einfach, „da wir wirklich sehr dezentral aufgestellt sind. Und wirklich sehr dezentral aufgestellt sein heißt auch, dass es manchmal Dinge gibt, die man dann nicht tut oder die sinnvollerweise zu tun wären, aber dann trotzdem nicht getan werden, da die Autonomie der einzelnen Bereiche sehr stark ist“ (Sangs). Allerdings ist diesbezüglich momentan eine Veränderung spürbar, indem Themen wie z. B. der demografische Wandel bereichsübergreifend diskutiert werden und wo eine gute Zusammenarbeit stattfindet. Die Rolle der Abteilung ‚Zentrale Bildung’ kann als „Mischrolle“ (Sangs) beschrieben werden. Zunächst umfasst diese die Rolle als Dienstleister in zweifacher Hinsicht: zum einen in Zusammenhang mit Weiterbildungsangeboten und zum anderen bezogen auf die Ausbildung: „Wir liefern ja letztendlich Azubis. … Das ist eine Dienstleisterrolle“ (Sangs). Daneben nimmt die ZA eine klare Beraterrolle zu „allen möglichen Ausbildungs- und Weiterbildungsthemen“ wahr, beispielsweise wenn eine Bertelsmann-Firma ihre Personalabteilung reorganisieren will; oder wenn bildungspolitische Themen auf höchster Ebene diskutiert werden, berät und unterstützt die ZA z. B. den Vorstand. Eine Moderatorenrolle zeigt sich u. a. im Bereich der Ausbildung: Es sind 26 Firmen, die hier Ausbildung gestalten. Wir müssen jedes Jahr neu mit den Firmen verhandeln, wie viele Azubis sie bereit sind zu nehmen, da die Konzernfirmen die entsprechenden Kosten tragen. Eine Beratungs- und Moderatorenrolle, im Sinne von einerseits Überzeugung leisten, dass es ein politisches und gesellschaftspolitisches Thema ist, andererseits, dass es Sinn macht, wenn man die Azubis produktiv einsetzen kann. Das sind also immer mehrere Stühle im Jahr, die da eine Rolle spielen, dem Marktgeschehen nicht unähnlich. (Sangs)
Fallstudie Bertelsmann AG
315
In Bezug auf strategische Themen kann keine klare Rolle ausgemacht werden. Sangs sieht sich nicht in der Rolle eines Strategieimplementierers, sondern hält fest: „Wir sind keine Zentrale“. Die Aufgabe der ZA kann eher wie folgt zusammengefasst werden: Wir müssen in die Organisation reinhören, wo geht der Weg hin, was passiert an dieser Stelle. Denn die Leute, die im Controlling oder im steuerlichen Bereich arbeiten, sind ja keine HR-Strategen, sondern wir müssen das übersetzen, was da passiert: „Was heißt das jetzt für uns als Leute, die das Thema Qualifizierung zum Thema haben?“. Das sagt keiner direkt, manchmal kommt es auch über zwei Ecken. (Sangs)
Die relevanten Themen nimmt die ZA auf. Daraus können sich dann, wie beispielsweise im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung, strategische Initiativen ergeben. Neben der ZA ist das Thema Bildung im Corporate Center in der Bertelsmann University (BU) verankert. Die BU wurde 1998 gegründet. Auslöser waren die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung 1997 und der darauf basierende Entschluss, die BU einzurichten, mit dem Ziel: „Die Unternehmens-Prioritäten systematisch mit der beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung aller Führungskräfte zu verknüpfen. Manager sollten wichtige Impulse zur wirtschaftlichen Verbesserung kooperativ in die dezentral organisierten Unternehmenseinheiten tragen“1352. Auch heute noch sieht die Bertelsmann University Folgendes als ihre Aufgabe an:
1352
Hermreck/Moran, 2002, S. 83.
Empirische Exploration
316
Bertelsmann x convey strategic issues throughout organisation x create global platform for „high speed“, „high trust“ organizations x rely on networks for smart cooperation
Executives x provide growth and development through world-class programs x challenge the current mind-set and status quo x acquire new learning and interaction patterns
Profit Centers x transfer best-practices and provide new learning sources x rapidly convert that learning into action x enable business-level renewal and innovation
Abbildung 59: Ziele der Bertelsmann University
Die BU ist mit ihren Programm auf Top Executives und High Potentials ausgerichtet und möchte den Austausch zwischen den Topmanagern und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Unternehmensbereichen fördern. Die Erfolgsfaktoren des Programms werden darin gesehen, dass „world class partners“ ausgewählt wurden, die die Programme mitgestalten (vgl. Abbildung 60), ein „highly efficient process“ entsprechend der Organisationsentwicklungsstrategien der einzelnen Geschäftsbereiche eingeführt wurde zur Auswahl der Teilnehmer und „governance structures“ etabliert wurden, die eine fortlaufende Überarbeitung und Einführung von Neuerungen in den Programmen sicherstellen (u. a. Advisory Board, intensive Feedbackrunden). Die Nominierung für die Programme obliegt immer den einzelnen Geschäftsbereichen. Das Gesamtprogramm der BU teilt sich in internationale und regionale Programme auf (vgl. Abbildung 60). Im Gegensatz zu den internationalen Programmen gibt es bei den regionalen Programmen keine Teilnehmerbeschränkung. Bei den internationalen Programmen gibt es entsprechend der Größenverhältnisse der einzelnen Divisionen limitierte Teilnehmerzahlen, um innerhalb der Programme die „Mischung der Gruppe“ sicherzustellen. Nach der Nominierung werden die Teilnehmer vom CEO/Vorstand eingeladen, an dem Programm teilzunehmen.
Fallstudie Bertelsmann AG
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International Programs
Regional Programs
Program for Top Executives
Program for Junior Executives
Senior Management Program
Leadership Programs
• „Mastering New
• „Preparing for
• „From Strategy to
• Germany
Challenges“ (Harvard)
Opportunities“
Action“ (HHL)
France Spain USA
• MNC Follow-up • State-of-the-Art Fora
• „From Strategy to • Orientation Programs
Action“ Follow-up
• L.E.A.D. Seminar • Leadership
(Europe, Asia, USA)
Abbildung 60: Das Programm der Bertelsmann University
Competence Center
1353
„Zwei Herzstücke der Bertelsmann University sind die Programme ‚Mastering New Challenges’ (MNC) und ‚Preparing for Opportunitities’ (PFO)“1354. Die Dozenten sind Professoren verschiedener Business Schools, die gemeinsam mit der Bertelsmann University das Curriculum erstellen. Im Rahmen des MNC arbeiten Bertelsmann Top Executives in erster Linie gemeinsam an konkreten, strategisch relevanten Geschäftsproblemen. Die Herausforderung des PFO für Nachwuchsführungskräfte stellt sich wie folgt dar: Die Gruppe von Jungmanagern, die am Anfang weder von sich noch von der Unternehmenskultur viel weiß, innerhalb einer Woche zu einem Team zusammenzuführen, ihre Business Skills auf einen gemeinsamen Wissensstand zu bringen, und ihnen in einem persönlichen Gespräch mit … [dem Vorstandsvorsitzenden] die Bertelsmann Management Philosophie näher zu bringen.1355
Die ‚Orientation Programs’ zielen in eine ähnliche Richtung: „Ziel der Veranstaltung ist es, den Neuen die Bertelsmann-Kultur näherzubringen und sie über die Geschichte, Struktur und Strategien des Bertelsmann Konzerns zu informieren“1356. In den ‚State-of-the-art Foren’ kommen Mitarbeitende aus dem gesamten Konzern zusammen, um sich mit einer bestimmten Fragestellung auseinanderzusetzen und diese weiterzudenken. Ein Beispiel ist das im Dezember 2006 veranstaltete ‚Forum
1353
Zum Programm der BU siehe ausführlich http://www.bertelsmann-university.de.
1354
Wimmer/Emmerich/Nicolai, 2002, S. 57.
1355
Hermreck/Moran, 2002, S. 88.
1356
Wimmer/Emmerich/Nicolai, 2002, S. 57 f.
318
Empirische Exploration
for Technology’, wo neue technologische Entwicklungen diskutiert wurden. Die regionalen Programme finden länderspezifisch in Deutschland, den USA, Spanien, Frankreich und Großbritannien statt, um auch den unterschiedlichen Kulturen der einzelnen Länder gerecht zu werden. Dabei geht es insbesondere um den Erwerb bzw. die Auffrischung von Managementwissen und -fähigkeiten. Das gesamte Programm der BU folgt ihrer grundlegenden Ausrichtung, die wie folgt formuliert wird: Bertelsmann University helps transform expert knowledge of individuals into a powerful think tank of corporate intelligence. We nurture cross-divisional cooperation and promote operational excellence, thereby fostering a sustainable corporate culture. Our program alumni are opinion leaders and support the Management Board in executing business strategy. Our unit of success measurement is the creation of social capital: Turning individual leadership capabilities and know-how into sustainable company success.1357
Seit der Gründung der BU haben 587 Senior Executives an 15 MNC-Programmen und 4 MNC II Programmen, 1.311 Executives und Experten an 12 ‚State-of-the-Art Foren’ und 365 High Potentials an 12 PFO-Programmen teilgenommen. Der Erfolg der BU ist u. a. darauf zurückzuführen, dass die Programme ‚top-down’ begonnen wurden, d. h. „als allererstes sind die Bereichsvorstände gegangen, die kennen jetzt die Programme und wissen, was ihre Mitarbeiter erwartet“ (Scheffler). Die Kosten der BU werden eins zu eins auf die Geschäftsbereiche umgelegt. Die regionalen Programme werden der jeweiligen Kostenstelle des Teilnehmers in Rechnung gestellt. Bei den internationalen Programmen kommt ein Verteilungsschlüssel zum Tragen, der die Teilnahmen der letzten fünf Jahren als Bezugspunkt nimmt und entsprechend anteilig die einzelnen Geschäftsbereiche belastet. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die momentane finanzielle Situation des Unternehmens keine Auswirkung auf die Nominierung von Kandidaten für BUProgramme hat.
1357
http://www.bertelsmann-university.de/philosophy.html [Stand 10.12.2006].
Fallstudie Bertelsmann AG
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Die Rolle der BU im Unternehmen lässt sich zusammenfassend nach Scheffler in dreierlei Hinsicht festmachen: Das wichtigste ist diese Plattformfunktion. Wir sind eine der wenigen divisionsübergreifenden Plattformen, wo sich Führungskräfte ab einer bestimmten Ebene treffen und austauschen, zum einen voneinander lernen, aber auch durch Impulse, die sie aus der Wissenschaft oder aus welchen Quellen erhalten. … Das zweite Thema ist das Thema Führungskräfteentwicklung, dass sie als Führungskräfte … ein anderes Bewusstsein und eine andere Perspektive auf ihre Arbeit als Führungskraft legen, also nicht fachlich inhaltlich, sondern als Führungskraft, Führen also auch als einen thematischen Bereich erleben. Und die dritte Ebene ist eine strategisch organisationsrelevante, wo auch Themen besetzt und bearbeitet, die für den Konzern gesamthaft von großer Relevanz sind.
Entsprechend ist die Bertelsmann University ein „strategischer Impulsgeber“ und „Kompetenzzentrum“1358 im Unternehmen, „der den Raum gibt, dass man sich überhaupt Gedanken macht“. „Es ist also nicht eine rein konzernstrategische Abteilung und es ist also nicht rein Dienstleister für die Divisionen, sondern es ist eine gute Mischung aus beidem“ (Scheffler). Denn in der sehr dezentralen Organisation Bertelsmann ist die BU eine dezentrale Einheit, …auf die die Führungskräfte gerne zurückgreifen, die ein hohes Ansehen genießt und wo wir das, worüber wir oft sprechen hier auch wirklich leben können, nämlich Kooperation zu ermöglichen, gegenseitigen Austausch zu ermöglichen. Gleichzeitig können wir darüber auch mit Augenmaß aber doch auch effizient Corporate Initiativen anstoßen. Das kommt von beiden Seiten. (Scheffler)
Konzernpersonalchef Hermreck fasst die Rolle der BU wie folgt zusammen: „Die Bertelsmann University ist ein Beschleuniger auf dem Weg zum integrierten Medienunternehmen und trägt so maßgeblich zur wirtschaftlichen Kontinuität der Bertelsmann AG bei.“1359
1358
Hermreck/Moran, 2002, S. 78.
1359
Hermreck/Moran, 2002, S. 95.
Empirische Exploration
320
5.3. Fallstudie Kienbaum Consultants International GmbH Die vorliegende Fallstudie schildert Ansatzpunkte zur Beantwortung der im Bezugsrahmen I aufgeworfenen Fragen aus der Perspektive der Kienbaum Consultants International GmbH. Dabei erfolgt in erster Linie eine Betrachtung der Kienbaum Management Consultants GmbH, wobei auch Sachverhalte angesprochen werden, die für das gesamte Unternehmen gelten.1360 5.3.1. Unternehmensprofil Die Kienbaum Consultants International GmbH ist die älteste deutsche Managementberatung. Das Familienunternehmen wurde im Oktober 1945 als „Büro zur Technischen Beratung, Übersetzungen, Vertretungen“ von Gerhard Kienbaum gegründet, um Firmen im Oberbergischen Land in Fragen der Struktur- und Prozessoptimierung zu beraten. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Ein-Mann-Unternehmensberatung zu einer Firmengruppe für Planung, Beratung und Betriebsführung in allen Bereichen der Wirtschaft, des Verkehrs und der Agrarwirtschaft mit einer Spitzenstellung in Deutschland. 1978 erweiterte Kienbaum sein Kompetenzprofil durch die Kienbaum Personalberatung. 1986 trat Jochen Kienbaum die Nachfolge seines Vaters an. Er baute das Unternehmen zur Holdinggesellschaft Kienbaum Consultants International GmbH (KCI) mit den beiden operativen Gesellschaften Kienbaum Executive Consultants GmbH (KEC) und Kienbaum Management Consultants GmbH (KMC) aus (vgl. Abbildung 61).
1360
An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Herrn von der Heyden (Berater, Assistent des Vorsitzenden der Geschäftsführung), Herrn Niermeyer (Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter Bereich Training & Coaching), Herrn Hübbe (Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter Bereich Personalentwicklung Tools & Systems), Herrn Förster (Fachberater) und Herrn Bondorf (Produkt Manager) für ihre Bereitschaft bedanken, mich an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen und mir ihre Sichtweise zu schildern.
Fallstudie Kienbaum Consultants International GmbH
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Abbildung 61: Unternehmensstruktur der KCI
Die Kienbaum Executive Consultants GmbH unterstützt ihre Kunden bei der Suche und Auswahl von Fach- und Führungskräften. Sie ist die derzeit umsatzstärkste Personalberatung in Deutschland und weltweit auf Platz neun. Das Kienbaum Recruitment ist mit eigenen Aktivitäten in 16 Ländern und weiteren sechs Standorten innerhalb des Kienbaum Partner-Netzwerks international breit aufgestellt. 2006 hatte die KEC einen Umsatz in Höhe von 43,5 Mio. Euro. Sie verfügt weltweit mit ca. 70 Consultants über Spezialisten in vielen Branchen. Diese bewerkstelligen ca. 100.000 Kandidatenkontakte pro Jahr, die sich aus rund 1.500 Projekten mit durchschnittlich 70 Bewerbungen ergeben. Die Kienbaum Management Consultants GmbH berät sowohl mittelständische deutsche Unternehmen wie auch international tätige Konzerne aus unterschiedlichsten Industriezweigen und Branchen sowie supranationale Organisationen, Bund, Länder und Gemeinden. Im Geschäftsfeld Human Resource Management werden die Unternehmen über den gesamten HR-Wertschöpfungsprozess hinweg begleitet. In diesem Bereich ist Kienbaum im deutschsprachigen Europa führend. Im Geschäftsfeld Management Consulting wird eine ganzheitliche Unternehmensberatung für alle Branchen angeboten. Die KMC erzielte 2006 insgesamt einen Umsatz in Höhe von 43 Mio. Euro. Seit seiner Gründung hat das Unternehmen insgesamt mehr als 60.000 Beratungsprojekte erfolgreich umgesetzt. Derzeit beschäftigt die KCI in der Summe 500 Mitarbeitende weltweit. Das ursprünglich rein deutsche Unternehmen hat heute neben 15
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nationalen Standorten1361 mehr als 20 europäische und außereuropäische Niederlassungen etabliert. In internationalen Großprojekten kooperiert Kienbaum daneben mit weltweit führenden Partnern. Die Unternehmenszentrale ist immer noch in Gummersbach im Oberbergischen Land.1362 Kienbaum ist ein inhabergeführtes Familienunternehmen. Vorsitzender der Geschäftsführung der KCI ist Jochen Kienbaum. Stellvertretender Vorsitzender der KCI ist Dr. Jürgen Kunz. Weiterer Geschäftsführer der KCI ist Dr. Walter Jochmann. 5.3.2. Normative Ebene Kienbaum ist als Familienunternehmen sehr stark durch seinen Gründer Gerhard Kienbaum geprägt. Sein Sohn und heutiger Firmenleiter sagt selbst: „Mein Vater war ein sehr innovativer Mensch und seinen Wettbewerbern immer einen Schritt voraus. Diesen Anspruch haben wir heute noch. Unsere Mission ist es, unsere Klienten durch effizienzsteigernde Lösungen in den Feldern Executive Search, Human Ressource Management und Management Consulting nachhaltig erfolgreicher zu machen.“1363 Die Vision, die das Unternehmen antreibt, wird wie folgt formuliert: Wir wollen zum führenden Beratungsunternehmen im Human Value Business werden. Unser Ziel für die Zukunft ist es, uns dauerhaft in der Spitzengruppe der ManagementBeratungen Europas zu platzieren. Langfristig angelegtes, stabiles Wachstum und klare wirtschafts- und sozialpolitische Anschauungen sind dabei für unsere Arbeit von entscheidender Bedeutung. Nur wenn wir als Beratungsunternehmen eine feste Vorstellung von künftigen Entwicklungen haben, können wir unsere Kunden vorausschauend und kompetent beraten.1364
Schon früh erkannte Gerhard Kienbaum, dass ein umfassendes Dienstleistungsangebot eines Beraters auch die Suche und Auswahl sowie das Training von Führungskräften umfassen muss. Die Idee des integrierten Beratungsansatzes war geboren.1365 Im Rahmen dessen werden die Mitarbeitenden der Kunden in die Beratungsprozesse und -instrumente integriert. Dies gilt für alle Projekte in den Bereichen Strategie, Führung, Organisation und Informationstechnologie.
1361
Berlin, Düsseldorf (Glockenhaus), Düsseldorf (Stadttor), Dresden, Erfurt, Frankfurt, Gummersbach, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln, München, Rostock, Stuttgart und Titisee-Neustadt.
1362
Die Gebäude in der Ahlefelder Strasse wurden bereits in den 50er Jahren bezogen.
1363
Jochen Kienbaum in: Nitsche, 2005, S. 5.
1364
http://www.kienbaum.de/cms/de/unternehmen/werte_und_vision.cfm [Stand 01.02.2007].
1365
http://www.kienbaum.de/cms/de/unternehmen/geschichte.cfm [Stand 01.02.2007].
Fallstudie Kienbaum Consultants International GmbH
323
Die Human-Resource-Orientierung wird von Kienbaum als entscheidender Faktor für den Beratungserfolg gesehen. „Neben diesem integrierten Ansatz zieht sich die Fokussierung auf den Menschen als großes Leitbild durch die KienbaumGeschichte.“1366 – „Das Leitbild unseres Erfolgs ist die Fokussierung auf den Menschen.“1367 Dies gilt sowohl im Blick nach Außen (im Rahmen des integrierten Ansatzes) als auch nach Innen. „Unser Motto lautet: Erfolgreich mit den besten Köpfen. Mehr noch als für andere Branchen ist für Beratungsunternehmen der Faktor Human Capital der wesentliche strategische Erfolgsfaktor.“1368 Kienbaum wählt seine Mitarbeitenden deshalb sehr sorgfältig aus. Neben einer außerordentlichen Fach- und Umsetzungskompetenz wird ein besonderer Wert auf die Sozialkompetenz gelegt. Daneben werden Überzeugungskraft und notwendige Konfliktbereitschaft ebenso vorausgesetzt wie hohe Teamorientierung, Einfühlungsvermögen und Flexibilität. Ein besonderer Wert wird auf die Persönlichkeit gelegt: Kienbaum wünscht sich Mitarbeitende mit Offenheit, Konfliktbereitschaft, Ehrlichkeit und Mut.1369 So finden sich im Unternehmen sehr viele verschiedene Typen von Mitarbeitenden. „Wir sind alle extrem ,unique’, wenn ich es so nennen möchte, jeder kann sein eigenes Ding machen, wir haben wenig ,Policies’, die übergestülpt werden“, sagt Niermeyer. Und auch Hübbe ist der Meinung: „Im Kern zeichnen sich alle durch eine extrem hohe Leistungsmotivation aus. Die wollen wirklich und sind auch bereit was zu investieren, eine hohe Individualität – das sind keine stromlinienförmigen Berater, … sondern sehr eigene Köpfe, die auch eine eigene Denkweise haben“. Dies hängt mit dem Beratungsansatz zusammen, den Kienbaum verfolgt. Dadurch, dass der Mensch im Mittelpunkt der Beratungsleistung steht und die Projekte nicht stromlinienförmig sind, kann auch nicht stromlinienförmig verfahren werden. Die Kunden vor Ort, die beraten werden, brauchen Menschen zum Anfassen, die sich individuell auf die vorliegenden Probleme und Personen einstellen können – denn „nur der Mensch kann Veränderungen konzipieren, durchsetzen und leben“1370. „Deshalb lassen wir die Leute so wie sie sind, weniger stromlinienförmig, … mit Ecken und Kanten“ (Niermeyer).
1366
http://www.kienbaum.de/cms/de/unternehmen/geschichte.cfm [Stand 01.02.2007].
1367
Jochen Kienbaum in: Nitsche, 2005, S. 5.
1368
Jochen Kienbaum in: Nitsche, 2005, S. 5.
1369
Vgl. o.V., 2005b, S. 35.
1370
http://www.kienbaum.de/cms/de/unternehmen/leistungen.cfm [Stand 01.02.2007].
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Bei allen diesen Gemeinsamkeiten lassen sich bezogen auf das Thema Bildung zwei grobe Menschentypen im Unternehmen ausmachen. Zum einen gibt es Mitarbeitende, die sehr verkaufsorientiert sind und die eigene Weiterentwicklung der Maximierung ihrer eigenen Vergütung hintenanstellen. Dies wird beispielsweise dadurch deutlich, dass sie trotz der Abhängigkeit der variablen Vergütung von der eigenen Kompetenzentwicklung z. B. auf den Besuch von Seminaren der Academy verzichten und stattdessen ihre Projektarbeiten weiterführen, da evtl. die Fakturierung von verkaufbaren Leistungen nach Außen mehr einbringt als der variable Vergütungsbestandteil, der an die eigene Kompetenzentwicklung gekoppelt ist. So gibt es Mitarbeitende, denen die Arbeit vor Ort beim Kunden wichtiger ist als die interne Weiterbildung und die deshalb das Angebot der Kienbaum Academy nicht in Anspruch nehmen. Zum anderen gibt es aber auch Mitarbeitende, die inhaltlich getrieben sind, denen es Spaß macht, sich mit Themen auseinanderzusetzen und die entsprechende Möglichkeiten fordern bzw. sich selbst suchen. Zum Teil verzichten derartige Mitarbeitende beispielsweise sehr bewusst auf Karrierestufen oder nehmen unbezahlt Auszeit, um sich selbst weiterentwickeln zu können. Dieses Spannungsfeld der verschiedenen Mitarbeitertypologien zeigt sich auch in der Philosophie und der Politik des Unternehmens. Kienbaum ist ein sehr mitarbeiterorientiertes Unternehmen. „Teil unserer Firmenphilosophie ist es, unseren Mitarbeitern das Gefühl einer persönlichen Bindung zu geben. Die Türen stehen immer offen.“1371 Dies wird auch mit dem Stichwort „Befindlichkeitsphilosophie“ (Niermeyer) zum Ausdruck gebracht, die ihren Ursprung in den ersten Jahren des Unternehmens hat und sich heute u. a. in vielfältigen unternehmensinternen Diskursen und Diskussionen zeigt. Daneben sieht es die Geschäftsleitung als unabdingbare Voraussetzung einer erfolgreichen Beratung an, in die Entwicklung der Mitarbeitenden zu investieren. Trotz dieser Befindlichkeitsphilosophie oder der Konzentration auf den Menschen ist Kienbaum als mittelständisches Familienunternehmen durch das Ziel der Gewinnmaximierung und einem damit verbundenen „Cost-Denken“ getrieben. Um eine höhere Vereinbarkeit zu erreichen, hat sich das Unternehmen über die Jahre entwickelt und „dazugelernt“. Wo es früher eine eineindeutige Zahlenprämisse gab (mit allen Egoismen, Konkurrenzkämpfen etc.), wird jetzt versucht, eine Balance zu erreichen. Entsprechend wurden vor nicht allzu langer Zeit auf der Ebene der
1371
Jochen Kienbaum in: o.V., 2005b, S. 36.
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Führungskräfte Planungsziele eingeführt, mit dem Effekt, dass ein großes Interesse an der Weiterentwicklung des gesamten Unternehmens und nicht mehr nur des eigenen Bereichs herrscht. Dies setzt sich auf den weiteren Hierarchieebenen fort, sodass selbst bei Juniorberatern das Bereichsergebnis einen Teil ihrer variablen Vergütung bestimmt. Daneben hängen 20 % ihrer Vergütung von der eigenen Kompetenzentwicklung ab. Kompetenz, Partnerschaftlichkeit und Innovation sind die Werte, denen sich das Unternehmen und die Mitarbeitenden verpflichten. Sie bestimmen sowohl den internen Umgang miteinander als auch die Interaktion mit den Kunden. Kompetenz steht für Flexibilität im Denken und Handeln, sowie für die Bereitschaft aller Mitarbeiter, beständig Neues zu erlernen. Das Unternehmen ist sich bewusst, dass durch die Besonderheit des Beratungsgeschäftes (sensible Beratung der Menschen in Unternehmen) die Mitarbeitenden auch relativ lang zum Lernen brauchen („die Mitarbeitenden begleiten erst, können mit raus gehen, lernen … aber das dauert“) und ihnen die Zeit gegeben werden muss. Entsprechend ist die Fluktuation bei Kienbaum auch geringer als bei den großen amerikanischen Strategieberatungen, wo alle gleich ausgebildet sind. Partnerschaftlichkeit meint einen fairen, vertrauensvollen und offenen Umgang. Hierzu zählt auch die bereits angesprochene Integration von Kunden und deren Mitarbeitenden bei der Erarbeitung von Problemlösungen. Innovation bedeutet die Entwicklung und Umsetzung von schon heute realisierbaren Konzepten für die Märkte von morgen. Es gilt immer, die kreativsten und eigenständigsten Lösungen für individuelle Aufgabenstellungen zu finden. Diese Grundwerte wurden vor 20 bis 30 Jahren konkret formuliert. Um sie innerhalb des Unternehmens zu kommunizieren und zu konkretisieren, wurden sie in einem konsequent durchdachten Prozess Anfang des Jahrtausends in 14 Items operationalisiert. Diese sollten jedem neu bei Kienbaum eintretenden Mitarbeitenden mit auf den Weg gegeben werden. Nichtsdestotrotz besteht die Gefahr, dass die Operationalisierung der Werte bei länger im Unternehmen beschäftigten Mitarbeitenden nicht mehr bewusst bekannt ist. Das Thema Bildung hat dadurch, dass alle Berater im Unternehmen selbst Personal (entwickl)er sind, von Haus aus einen sehr hohen Stellenwert. „Wir brauchen nicht fürs Thema zu werben und auch keine Theoriediskussionen zu führen. Auch von der Unternehmensleitung her nicht. Die stehen dahinter“ (Niermeyer). Dennoch sieht sich Niermeyer, als Verantwortlicher für die Kienbaum Academy der interne Personalentwickler, im klassischen Spagat zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden. Für ihn stellt es sich als große Herausforderung der nächsten Jahre dar, die „Denke und
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Empirische Exploration
Ansprüche unserer Kunden“, sprich der Mitarbeitenden, aber auch die „unserer Auftraggeber“, d. h. der Geschäftsführung, zu berücksichtigen. „Ich habe als Leiter der Kienbaum Academy die Fäden zusammenzuziehen“. 5.3.3. Strategische Ebene Die Diskussion auf der strategischen Ebene konzentriert sich in erster Linie auf den Bereich der KMC. Dessen Bildungsmanagement basiert im Wesentlichen auf zwei unterschiedlichen Elementen bzw. Ebenen: einmal dem „offiziellen Weg“ über strukturierte Systeme, wie beispielsweise die Angebote der Academy, und zum anderen im Rahmen eines personenspezifischen Entwicklungsansatzes, der sowohl von Führungskräften gefördert wird als auch sehr selbstgesteuert abläuft. Im Folgenden werden die einzelnen Elemente im Zusammenhang mit der Thematisierung von strategischen, kulturellen und strukturellen Aspekten näher erläutert und ausgeführt.
5.3.3.1. Strategie Niermeyer, intern verantwortlich für das Kienbaum Weiterbildungsprogramm ‚Kienbaum Academy’ sagt über dessen strategische Positionierung und Entwicklung: „Über lange Zeit hinweg war die Kienbaum Academy eine Institution, die weniger systematisch vorging. Es wurde einfach vermutet, das könnte der Bedarf sein und entsprechende Angebote gemacht.“ Diese wurden häufig als fertige Produkte von externen Dienstleistern eingekauft und dann „abtrainiert“. Er ergänzt weiter: „wir haben aber gemerkt, dass das nicht den Bedarf trifft.“ Die Initiative zur Neukonzeption der Kienbaum Academy kam letztlich von der Geschäftsleitung, die 2005 ein entsprechendes Projekt ins Leben gerufen hat. Das Kompetenzmodell (vgl. Abbildung 62) ist aus der Unternehmensstrategie abgeleitet, d. h. es wurde der Frage nachgegangen, welche Kompetenzen/Qualifikationen zur Erreichung der strategischen Ziele benötigt werden.
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Fallstudie Kienbaum Consultants International GmbH
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Abbildung 62: Kienbaum Kompetenzmodell (Grundkategorien)
Problemlösungskompetenz
Analysevermögen Konzept- und Entscheidungsqualität Innovation und Change Handlungs- und Resultatsorientierung
Führungskompetenz
Mitarbeiterführung und -motivation Performance Management Überzeugungskraft Souveränität/Wirkung Kooperation und Einfühlungsvermögen
Motivationsstruktur
Leistungsmotivation Dynamik/Belastbarkeit Lern- und Veränderungsbereitschaft Integrität/Commitment
Managementkompetenz
Die einzelnen Kompetenzfelder des Kompetenzmodells wurden weiter operationalisiert und auf einzelne Kompetenzdimensionen heruntergebrochen (vgl. Abbildung 63). Im Rahmen einer Management-Konferenz erfolgte dann zusammen mit den Führungskräften des Unternehmens die Definition eines Soll-Profils für die Funktionsstufen Führungskräfte, Berater und Projektassistenz.
Fachkompetenz/Erfahrungsspektrum Unternehmerisches Denken Strategiekompetenz Kundenorientierung/Business Partnership Internationalität
Abbildung 63: Kienbaum Kompetenzmodell
8
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Empirische Exploration
Neben der Bezugnahme auf das Kompetenzmodell wurde eine umfassende Bedarfsanalyse in die einzelnen Bereiche hinein durchgeführt, deren Ergebnisse zusätzlich zu den durch die Geschäftsführung geprägten strategischen Aspekten in die Konzeption einflossen. Von einer sehr angebotsorientierten Art und Weise ist die Kienbaum Academy so zu einer bedarfsorientierten Sichtweise gelangt. Bei der Entwicklung des Angebots war die saubere kompetenzbasierte Ableitung wesentlich. So spiegeln sich die im Kompetenzmodell formulierten Eigenschaften und Fähigkeiten in den Zielformulierungen jedes Seminars wieder. Um dies zu unterstützen, wurden die Referenten aufgefordert, das Kompetenzmodell als Ausgangsbasis zu nehmen und ein darauf basierendes Seminar zu entwickeln. „Das trägt auf der einen Seite dazu bei, dass der Trainer nicht sein 08/15-Programm abzieht, sondern wirklich weiß, er wird daran gemessen, welchen Mehrwert er gebracht hat … Es gab auch schon Trainer, die sich nicht darauf eingelassen haben, aber das geht dann einfach nicht“ (Niermeyer). Die Weiterentwicklung des Academy Programms gestaltet sich aus verschiedenen Quellen: einmal die systematische Ableitung notwendiger Kompetenzen aus der Unternehmensstrategie, eine Abfrage de facto bei den Führungskräften, der Bedarfsanalyse bei den Mitarbeitenden, dem ,common sense’ der Branche und einer Marktbetrachtung. Diese fünf Quellen werden jährlich abgefragt. Eine weitere sehr wesentliche Quelle sind Rückmeldungen über informelle Prozesse. Es wird den Mitarbeitenden dargestellt, dass das Programm auch von ihren Inputs lebt. Die Projektmitglieder sind in der Organisation sehr gut vernetzt und erhalten auf diesem Weg viele ehrliche Rückmeldungen, die über das Jahr gesammelt werden. Neben den Trainingsangeboten werden regelmäßige Feedback- und Qualifikationsbeurteilungen durch Vorgesetzte und Projektleiter vorgenommen. Dieser „offizielle Weg“ des Bildungsmanagements, in welchem strukturierte Tools eingesetzt werden, wird durch das informelle Lernen ergänzt, welches eine sehr große Rolle spielt. Diese zweite Schiene hat sich mit der Zeit so entwickelt und ist weniger das Ergebnis eines bewusst initiierten Strategieprozesses als vielmehr Ergebnis der Kienbaum-Kultur, auf die in Kapitel 5.3.3.2 näher eingegangen wird. Die entscheidende Rolle bei der strategischen Ausrichtung der Kienbaum Academy kommt Jochmann zu. Er steht „als treibende Kraft hinter dem ganzen Prozess und ist
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äusserst eng involviert“ (von der Heyden). Dies begründet sich darin, dass das Thema Weiterbildung bei Kienbaum eine Top-Management Aufgabe ist.1372 Der Leiter der Kienbaum Academy, Niermeyer, sieht sich als Business Partner, da er selbst beratend tätig ist. Die Leitung der Kienbaum Academy ist nur ein Teil seiner Arbeitstätigkeit für Kienbaum. In erster Linie ist er im Rahmen des Geschäftsfeldes Personalentwicklung für den Bereich Training und Coaching verantwortlich. Daher sagt er auch: „Ich weiß ganz genau, was meine Berater wollen und brauchen. Deshalb kann mir auch keiner der Kollegen vorwerfen: Der ist weit weg und weiß nicht, wo es langgeht“. Die Frage nach der Rolle im Strategieprozess ergibt sich aufgrund der strukturellen Verankerung. Durch seine Tätigkeit im Geschäftsfeld Personalentwicklung ist er als Mitglied der Geschäftsleitung in den Strategieprozess einbezogen: „Ich bin sowieso dabei, habe aber noch einen zweiten Hut auf und vertrete die Themen der Academy“.
5.3.3.2. Kultur Die Managementphilosophie des Unternehmens (Stichwort Befindlichkeitsphilosophie) und damit eng zusammenhängend die Kultur des Unternehmens sind durch einen starken Gründereinfluss geprägt. Der 1998 verstorbene Firmengründer Gerhard Kienbaum beschrieb sich selbst als Menschen, der ständig in Bewegung und ununterbrochen am Entwickeln und Entdecken war, gemäß dem Motto „Es gibt noch soviel zu entwickeln, zu lösen und zu durchdenken“1373. Entsprechend formulierte er auch als Grundsätze seiner Unternehmertätigkeit: Erstens „Unternehmer sein heißt, dass man etwas unternimmt. Zweitens: Bangemachen gilt nicht. … [Drittens:] Nicht die Höhe des aktuellen Honorars ist wichtig, sondern die Zufriedenheit des Kunden.“1374 In seinen „Mitarbeiterbriefen“ berichtete er ab 1953 in zwangloser Folge über „alle aus dem normalen Arbeitsablauf herausfallenden Ereignisse“1375. Hierzu zählte beispielsweise im ersten Mitarbeiterbrief die Thematisierung der Berufsethik des Unternehmensberaters. Im Kern ging es ihm darum, darzustellen, dass der Mensch im Fokus steht. Weiter wies er darauf hin, dass es die Aufgabe des Mitarbeitenden sei, den Chef zu beraten, nicht aber ihn zu fragen, was zu tun ist. „Er braucht Antworten,
1372
Wie im Zusammenhang mit der Struktur erläutert, gibt es keine weitere konkrete Funktionsstelle für Bildungsmanagement oder Personalentwicklung im Unternehmen.
1373
Kienbaum, G., 1995, S. 143.
1374
Kienbaum, G., 1995, S. 194.
1375
Kienbaum, G., 1995, S. 222.
Empirische Exploration
330
keine Fragen“1376. Hierin spiegelt sich die von ihm geforderte Eigeninitiative wider. Gerhard Kienbaum legte Wert auf die Eigeninitiative und den Freiraum zur Entwicklung des Einzelnen.1377 Die Förderung der Mitarbeitenden bezeichnete er als „persönliches Anliegen“1378. Er bevorzugte es, „durch angemessene Aufgaben einzelne zu fordern. Sie wachsen daran (oder scheitern), finden sich im Erfolg bestätigt, gewinnen Selbstbewusstsein und Souveränität“1379. Gerhard Kienbaum war bereits früh ein konsequenter Verfechter der Teamarbeit. Bereits 1954 führte er die Mitarbeiterbeteiligung ein, da ihm bewusst wurde, dass „die Einbindung jedes einzelnen Mitarbeiters in die Belange der Firma seine Motivation verbessert und sein Engagement erhöht“1380 – eine „bessere Motivation als das Gefühl der Dazugehörigkeit, des Eingeweihtseins, ist schwerlich zu finden“1381. Bewusst hat er deshalb auch nie die Begriffe Angestellte oder Arbeitnehmer benutzt; ihm war es wichtig, „Mitarbeiter“ zu haben.1382 Insbesondere in den Anfangsjahren war für Gerhard Kienbaum nicht nur die Qualifikation eines Menschen wichtig, sondern auch sein Umfeld. Zu den Auswahlkriterien für Mitarbeitende zählte daher u. a. die Zugehörigkeit zur Marine, zur FDP oder zum lokalen Sportverein VfL Gummersbach.1383 So holte Gerhard Kienbaum 1956 beispielsweise Ernst Schimke ins Unternehmen. Mit ihm hat Kienbaum als Offiziersanwärter den Dienst begonnen und gemeinsam das Studium absolviert. Schimke leitete zusammen mit Kurt Groß das Unternehmen, während sich Gerhard Kienbaum in der Politik engagierte1384 und wurde nach dessen Rückkehr ins Unternehmen 1970 sein erster Stellvertreter. Die Stimmung zu dieser Zeit beschreibt eben jener Ernst Schimke im Rahmen des 40jährigen Firmenjubiläums 1985 wie folgt: „Wir waren eben eine ‚Crew’ und hatten sogar einen eigenen Schlachtruf. Bei jedem der jährlichen
1376
Kienbaum, G., 1995, S. 223.
1377
Vgl. Kienbaum, G., 1995, S. 206.
1378
Kienbaum, G., 1995, S. 335.
1379
Kienbaum, G., 1995, S. 335.
1380
Kienbaum, G., 1995, S. 226.
1381
Kienbaum, G., 1995, S. 308.
1382
Vgl. Kienbaum, G., 1995, S. 243.
1383
Vgl. Kienbaum, G., 1995, S. 162 ff., 237, 240.
1384
Gerhard Kienbaum war von 1954 bis 1969 Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags. Von 1962 bis 1966 amtierte er als Landesminister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr. Von 1969 bis 1972 war er Mitglied des BundestagS.
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Mitarbeitertreffen war ein donnerndes ‚Addis Abeba – Haile Selassie – Einsatz klar’ integrierender und stimmlicher Bestandteil der Veranstaltung“1385. Diese angesprochenen Grundüberzeugungen und -stimmungen spiegeln sich wie nachfolgend aufgezeigt bis heute in der Philosophie und Kultur des Unternehmens wider. So begründet sich zum Beispiel die Befindlichkeitsphilosophie nach Niermeyer genau in diesen Anfängen: Das ist halt oft so in frisch gegründeten Unternehmen, da finden sich einige Leute zusammen, die eine gute Expertise haben, darüber hinaus gut befreundet sind – dann hat man eine ganz andere Offenheit. Dann kommen noch ein paar Leute dazu in diesen Kreis und man hat auch diesen Kreis, um beispielsweise über die Befindlichkeit zu reden.
Eine Bezugnahme auf die Anfänge des Unternehmens geschieht z. T. sehr bewusst. So ist das Bild des Firmengründers, der 26-jährig auf dem Fahrrad seinen Job erledigt, im Unternehmen allgegenwärtig. Und es war auch eine bewusste Entscheidung, am Standort Gummersbach zu bleiben.1386 Das hat etwas mit dem Selbstverständnis als mittelständisches Familienunternehmen zu tun, das um seine Wurzeln weiß und auf diese auch in Zukunft vertraut. So ist Jochen Kienbaum der Meinung: „Tradition war für uns aber nie Stillstand, sondern immer der Motor für Innovation und Zukunftsfähigkeit“1387. Die Kultur des Unternehmens ist heute noch durch die gelebte Eigenständigkeit und Forderung nach Eigeninitiative geprägt. Dies schlägt einmal auf individueller Ebene durch, aber auch bezogen auf die einzelnen Standorte. In Bezug auf die einzelnen Standorte zeigt sich, dass jeder Bereich seine eigene Kultur ausbilden kann und ausgebildet hat. So kann es beispielsweise sein, dass zwischen dem Büro Berlin und dem Büro Stuttgart gewisse kulturelle Unterschiede bestehen. Diese große Heterogenität, die Vielfalt an Subkulturen führt allerdings dazu, dass das Unternehmen in der internen und externen Öffentlichkeit nicht mit klar kontrolliertem Unternehmensblick auftreten kann. Ein wichtiges strategisches Thema des Unternehmens ist es deshalb, in den nächsten Jahren den „One-Brand-Gedanken“ (Niermeyer) zu stärken. Aus Sicht des einzelnen Mitarbeitenden ist die Kienbaum-Kultur insgesamt dadurch geprägt, dass sie „unheimlich viele Freiheitsgrade zulässt. Freiheit bis zum Umfallen. Es gibt keine klaren Leitlinien. Man muss sich selbst orientieren. Man sieht, es ist
1385
Schimke zitiert in Kienbaum, G., 1995, S. 237.
1386
Vgl. o.V., 2005b, S. 35.
1387
Kienbaum, J., 2006, S. 4.
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jeder für sich ein Individuum“ (Niermeyer). Jeder Mitarbeitende ist im Prinzip ein Unternehmer im Unternehmen, der eigenverantwortlich agiert, aber dennoch die Vorteile der Marke Kienbaum und der Unterstützungsstrukturen im Unternehmen nutzen kann. Im Prinzip könnte sich ein guter Kienbaum-Berater jederzeit selbstständig machen, da er selbstgesteuert alles abdeckt, was er zum Erfolg benötigt. Zusammenfassend kann festgehalten werden: „Letztlich sind wir eine sehr freiheitsliebende Organisation. Interne Reaktanzsysteme werden sehr schnell in Gang gesetzt, wenn Bemühungen da sind, das Ganze – d. h. Kienbaum und den Kienbaumler – zu weit zu standardisieren“ (Niermeyer). Daneben wird die Kienbaum-Kultur insgesamt als sehr pragmatisch, sehr familienorientiert beschrieben. Der Geschäftsführer Jochen Kienbaum ist immer präsent und auch für neu ins Unternehmen eingetretene Mitarbeiter sehr nah. So ist er auf Absolventenkongressen mit dabei und prüft zusammen mit seinen Mitarbeitenden Lebensläufe. Dies wird als Signal im Unternehmen wahrgenommen. Daneben ist die Kultur durch ein kooperatives Miteinander geprägt, das aber auch Raum lässt für Konflikte. So gehören interne Diskussionen zum Alltag, die zwar Zeit und Mühe kosten, aber als wichtiges Element der Kienbaum-Kultur angesehen werden. „Es gibt eine extrem hohe Diskussionskultur hier im Unternehmen. Die Leute setzen sich gerne auseinander. Das hat viel mit dem Beruf zu tun – Berater müssen immer alles besser wissen, das ist auch intern so – aber das macht auch den Reiz aus“ (Hübbe). Auch Jochen Kienbaum stellt fest: „Wir pflegen einen lockeren und legeren Umgang miteinander, vergleichbar eher mit der holländischen Unternehmenskultur“1388. Dennoch wird das Unternehmen in der Öffentlichkeit tendenziell als konservativ eingestuft. Das stört den Firmenchef aber nicht im Geringsten: „In der Beraterbranche ist dieses Image positiv, da es für Seriosität steht. Gerade unsere Kunden aus dem Mittelstand bringen uns deshalb auch so viel Vertrauen entgegen.“1389 Der Umgang mit dem Thema Bildung und Lernen im Unternehmen wird sehr stark durch die bereits angesprochene Eigenverantwortlichkeit und Selbststeuerung geprägt. Grundsätzlich wird niemand zum Besuch von Weiterbildungsmaßnahmen gezwungen, weil dies der Kultur im Unternehmen widersprechen und so auch nicht funktionieren würde. Dennoch gibt es Seminare der Academy, die für gewisse Karriereschritte obligatorisch sind. Die Mitarbeitenden haben weiter die Möglichkeit,
1388
Jochen Kienbaum in: o.V., 2005b, S. 35.
1389
Jochen Kienbaum in: o.V., 2005b, S. 35.
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ein bestimmtes Budget einzufordern und dieses für Weiterbildungsaktivitäten – entweder in der Academy oder auch außerhalb – zu nutzen. Daneben ist ein Teil ihrer variablen Vergütung von der individuellen Kompetenzentwicklung abhängig – somit ist jeder aufgefordert, eine entsprechende Initiative zu zeigen. Hierbei kommt neben den formalen Lernangeboten dem informellen Lernen im Unternehmen eine hohe Bedeutung zu, indem Situationen geschaffen werden, im Rahmen derer ein Lernen am Modell möglich ist, wo ausprobiert werden kann und über die erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen oder deren Scheitern eine Weiterentwicklung erfolgt bzw. gelernt wird. Dies geschieht beispielsweise dadurch, dass neue Mitarbeitende vom ersten Tag an im Kundenkontakt stehen und gemäß einem Training-on-the-Job-Prinzip Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen werden. Sie bekommen daneben schon sehr früh Verantwortung übertragen. „Wir lassen junge Leute in der Projektarbeit schnell näher an die Kunden ran als beispielsweise die großen amerikanischen Beratungskonzerne. Diese großen Freiheitsgrade werden geschätzt“1390. Daneben wird in wechselnden Teams gearbeitet. Diese Teams werden zur Kompetenzmaximierung bedarfsgerecht zusammengestellt. Die Schaffung und Gestaltung derartiger (informeller) Lernsituationen liegt z. T. im Aufgabenbereich der Führungskräfte. Die Führungskultur im Unternehmen ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Sie ist extrem personengetrieben und personenabhängig – jede Führungskraft ist ein individueller Charakter mit „Ecken und Kanten“. Allen gemein ist allerdings, dass von ihnen erwartet wird, „dass sie Training, Qualifizierung und Feedback für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernehmen und so die Qualität unserer Beratungsleistungen langfristig sicherstellen“1391. Diese Aufgabe wird den Führungskräften auch in den Schulungen und Trainings der Academy sehr intensiv vermittelt. Dennoch wird die Rolle der Führungskraft als Personalentwickler sehr unterschiedlich ausgelebt. Auf der einen Seite gibt es Führungskräfte, die sehr stark an die Selbstverantwortlichkeit der Mitarbeitenden appellieren und deren Weiterentwicklung erst zweitrangig als Führungsaufgabe sehen. Dies hängt damit zusammen, dass die Führungskraft aufgrund der virtuellen Projektstrukturen häufig relativ weit weg ist von ihren Mitarbeitenden und diese vielleicht drei Tage im Monat sieht: „Ich bin nicht derjenige, der Händchen hält. Es stellt sich die Frage: Wo ist die Verantwortung der Führungskraft,
1390
Jochen Kienbaum in: o.V., 2005b, S. 36.
1391
http://www.kienbaum.de/cms/de/unternehmen/mitarbeiterinnen_und_mitarbeiter.cfm [Stand 01.02.2007].
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wo ist die Verantwortung der Mitarbeitenden? Und diese ist nicht immer 100-prozentig zu lösen, sondern u. a. auch vom Individuum abhängig“ (Niermeyer). Auf der anderen Seite gibt es auch Führungskräfte, die sich sehr bewusst mit dem Thema Kompetenzentwicklung ihrer Mitarbeitenden auseinandersetzen und sich selbst sehr stark in der Rolle des Personalentwicklers und Förderers ihrer Mitarbeitenden sehen. Ich glaube, dass wir uns hier anschauen müssen, aus welchem Grund sind Leute hier bei uns in der Organisation, was treibt sie dazu, der Job ist zwar spannend aber nicht witzig, weil er halt anspruchsvoll ist, das ist für mich eine erste Frage. Eine andere ist für mich, in welchem Lernumfeld bewegen sich die Leute, wann fangen sie an zu lernen und wann nicht. Ich glaube, die Leute fangen nur an zu lernen, wenn sie auch wollen, und … das hat viel mit der eigenen Person zu tun. (Hübbe)
Diese Führungskräfte verfolgen einen personenspezifischen Ansatz, machen eine typadäquate Personalentwicklung und sehen die Förderung und Forderung ihrer Mitarbeitenden als kernstrategische Aufgabe an. Ich gehe hin und schaue, was bringen die Leute mit, was können die, was treibt die an. Dann schaffe ich ihnen Lernumfelder in ganz anderer [nicht formeller] Form, d. h. ich stecke die irgendwo hin, ich bringe die mit anderen Leuten zusammen, ich gebe denen bestimmte Aufgaben, … ich bringe sie in Situationen, in denen sie sich mit Dingen anders auseinandersetzen, ich stecke sie in Führungssituationen, in die sie gar nicht rein wollten. … Die Herausforderungen müssen aber so gestaltet sein, dass sie es überleben – und dann fangen die Leute an, extrem viel zu lernen. (Hübbe)
Ähnlich hat es Gerhard Kienbaum bereits in den ersten Jahren des Unternehmensbestehens formuliert. Dieser individualisierte Ansatz ersetzt allerdings nicht den strukturierten Ansatz der Academy. Dieser wird insbesondere dann als hilfreich angesehen, wenn es darum geht, Grundlagen und Standards zu schaffen und ein gleiches Know-how im Unternehmen sicherzustellen.
5.3.3.3. Struktur Kienbaum berät als flexible Projekt- und Prozessorganisation. Die Berater arbeiten in flexiblen Teamstrukturen unter einer Führungskraft. Zur Kompetenzmaximierung werden die Projektteams jeweils bedarfsgerecht zusammengestellt. Im Unternehmen existieren flache aber klare Hierarchien und klare Karrierewege. Diese Grundstruktur spiegelt sich vor dem Hintergrund der bereits ausgeführten kulturellen Aspekte des Unternehmens in der strukturellen Verankerung des Bildungsmanagements wider.
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Das Bildungsmanagement ist auf zwei Ebenen verortet: zum einen im Rahmen strukturierter Prozesse zum anderen in Form einer eher informellen Kompetenzentwicklung. Die gezielte – strukturierte – Förderung der Mitarbeitenden findet in erster Linie in der Kienbaum Academy statt. Die neu konzipierte Kienbaum Academy wurde von der Geschäftsführung initiiert und wird nun von einem dreiköpfigen Projektteam getragen. Das Projektteam agiert in enger Abstimmung mit Jochmann. Das Selbstverständnis der Kienbaum Academy wird wie folgt zum Ausdruck gebracht: Die Kienbaum Academy unterstützt als Instrument strategischer Mitarbeiterqualifikation den Ausbau job-relevanter Kompetenzen. Sie bietet als Organisation den institutionellen Rahmen für gezielte Lernmöglichkeiten, wobei sich das Angebot an den Anforderungen der verschiedenen Unternehmensbereiche sowie persönlichen Lernfeldern ausrichtet. So werden alle relevanten Inhalte berücksichtigt; Fach- und Verhaltenskompetenz werden effizient gefördert. Wir entwickeln das intellektuelle Kapital als Basis für den Erfolg. Doch die Vermittlung spezifischer Fertigkeiten ist nur eine Seite. Zu den zentralen Zielen gehört auch ein nachhaltiger Transfer der Inhalte in die berufliche Praxis. Als interner Anbieter kann die Kienbaum Academy hohen Anwendungsbezug gewährleisten.1392
Die Academy bietet seit Ende 2005 interne Coachings und Trainings für alle Ebenen an. Sie deckt damit nicht nur den Weiterbildungsbedarf der Berater ab, sondern auch die der Unterstützungsfunktionen. Aufgrund der spezifischen Anforderungen der Personalberatung konzentriert sich das Angebot der Academy derzeit auf die KMC – langfristig soll die Angebotspalette aber den Weiterbildungsbedarf der kompletten KCI decken. Die Kienbaum Academy an sich wird nach eigenen Angaben als ProfitCenter geführt. Jeder Mitarbeitende im Unternehmen hat ein gewisses Weiterbildungsbudget, welches z. B. für den Besuch von Academy-Veranstaltungen genutzt werden kann. Die Academy ist damit selbst tragend. Sie ist eine rein interne Institution, sprich es werden weder Veranstaltungen extern offeriert und verkauft noch externe Interessenten zu Veranstaltungen zugelassen. Die Academy-Veranstaltungen finden allesamt im deutschen Sprachraum statt, d. h. die Teilnehmenden sind aus der gleichen Kulturregion – damit ist die Academy kaum mit internationalen Kulturproblemen konfrontiert. Die Produktpalette der Kienbaum Academy umfasst alle Bereiche des Kompetenzprofils – angefangen von eintägigen Seminaren zum Thema Unternehmens- und Human Resource-Strategie bis hin zu einer kienbaum-spezifischen Coachingausbildung durch einen externen Experten.
1392
Vgl. Kienbaum Academy, 2006, S. 6.
336
Empirische Exploration
Eine Besonderheit des Programms ist die eindeutige Ableitung des Angebots aus der Strategie des Unternehmens. Jeder Trainer wird im Vorfeld daraufhin instruiert und muss seine Veranstaltung entsprechend ausrichten. „Im Hinblick auf die Anforderungen … gibt es keine kritischere Klientel als Berater, die sonst selbst vorne stehen. Vor diesem Hintergrund müssen sich die Trainer warm anziehen“ (Niermeyer). Entsprechend hat die Academy hochkarätige interne wie auch externe Trainer engagiert, die kienbaum-spezifische Veranstaltungen anbieten, deren Ziele aus dem Kompetenzmodell abgeleitet sind. Das Angebot wird jedes Jahr überarbeitet und entsprechend der Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Quellen angepasst und weiterentwickelt. Die größte Herausforderung der Kienbaum Academy lag zu Beginn insbesondere im Aufbau von Akzeptanz und Vertrauen. „Die Academy widerspiegelt auch in gewisser Weise unsere spezifische Kultur und die Freiheitsgrade, die wir den Leuten nicht nehmen wollen, und dennoch die Notwendigkeit sehen, dass gewisse Standardisierungsprozesse notwendig sind“ (Niermeyer). Dadurch, dass alle Mitarbeitenden Berater und Experten für die Themen sind und durch die spezifische Kultur im Unternehmen, die hohe Eigenverantwortlichkeit und Selbststeuerung des Einzelnen und der einzelnen Bereiche, „ist es nicht so leicht, das eine oder andere durchzudrücken, wie wir es gerne machen würden. Ich kann nicht hingehen und sagen, du hast zwei neue Leute eingestellt, die schickst du jetzt in das Seminar. Die sagen dann eher wenn du mir so kommst, dann schicke ich schon gar niemand“ (Niermeyer). Vielmehr geht es darum, für die Academy zu werben und Verständnis aufzubauen – was durchaus Zeit kostet. Ein Erfolgsfaktor zur Akzeptanzsicherung liegt in der klar aus der Unternehmensstrategie abgeleiteten Konzeption der Academy. Ein weiterer darin, dass die stringente Ableitung der Seminarinhalte aus dem Kompetenzkatalog sehr deutlich gemacht wurde. Die Rückmeldung aus der Organisation über informelle Kontakte zeigt, dass gerade die sehr hohe Transparenz über den Prozess dazu geführt hat, dass jetzt Vertrauen und Akzeptanz für die Angebote da sind – sowohl nach unten als auch nach oben. Dies zeigt sich darin, dass inzwischen auch Bereiche kommen und fragen, ob Veranstaltungen nicht über die Academy laufen können, obwohl sie diese auch in ihrem Bereich selbst anbieten könnten. Ein weiteres Erfolgsrezept liegt darin, dass die Mitarbeitenden auch extern Maßnahmen buchen können und sich die Academy dem Markt stellt. „Die Leute müssen nichts bei uns kaufen, wir müssen uns so attraktiv aufstellen, dass sie bei uns buchen. Weiter haben wir gute Namen – Zugpferde – drin, die auch abfärben auf andere Bausteine, d. h. es ist ein sukzessiver Infiltrierungsprozess“ (Niermeyer). Dabei bietet die Academy auch an, die Buchung externer Seminare für die Mitarbeitenden zu
Fallstudie Kienbaum Consultants International GmbH
337
übernehmen und sie dabei zu beraten. Die Academy sollte zudem über jedes Seminar, das extern belegt wird, informiert werden. Dies sichert den hohen Qualitätsstandard (auch externe Seminare werden zum Qualitätscheck mit einem AcademyFragebogen bewertet), führt zu Einkaufsvorteilen und dient der effektiveren Koordination von Anbietern und Seminarteilnehmern. Derzeit läuft rund 80 % der formellen Weiterbildung über die Academy. Die 20 % externe Weiterbildung sind beispielsweise dadurch bestimmt, dass es nur wenige Interessenten für eine bestimmte Veranstaltung gibt oder ein akuter Bedarf an Weiterbildung besteht. Neben diesem formellen Lernen in Weiterbildungsveranstaltungen ist eine zweite wichtige Säule des Bildungsmanagements im Unternehmen das bereits angesprochene „informelle Lernen, das Lernen im Team, das Lernen von Anderen, das eine sehr große Rolle spielt; und das auch Zeit braucht und dessen man sich bewusst ist“ (Hübbe). Diese zweite Säule hat sich über die Zeit entwickelt und ist vielleicht auch in der spezifischen Kienbaum-Kultur begründet. Auf diese Art und Weise bestehen Möglichkeiten der Weiterentwicklung, die sich in formalisierten Trainings so nie ergeben. „Es gibt einfach Dinge, die kann ich über die Academy nicht abdecken, die kann ich über Seminare gar nicht vermitteln, z. B. ‚Geländegängigkeit’ (d. h. zum Beispiel einem Psychologen zu vermitteln wie man sich in einer business-orientierten Welt kleidet oder spricht)“ (Hübbe). Dennoch sind die Trainingsangebote der Academy wesentlich, da so strukturierter Wissen vermittelt und eine gemeinsame Know-howBasis sichergestellt werden kann. Das Bildungsmanagement der KCI ist also nicht in einer einzigen Funktionsstelle verortet – selbst die Kienbaum Academy wird durch ein Projektteam getragen. Es gibt bei Kienbaum zwar eine Personaladministration, aber keinen Personalmanager. „Wir sind selbst in einem Gremium personalleitend tätig, aber wir haben keinen Personalmanager. Der hätte es auch ziemlich schwer, weil die ganzen Berater alles besser wissen“ (Niermeyer). Die Führungskräfte sind die eigentlichen Personalentwickler/Bildungsmanager vor Ort. Das Projektteam der Kienbaum Academy sieht sich selbst in der Rolle des reinen Dienstleister. Dadurch, dass die Eigenverantwortlichkeit und Selbststeuerung im Unternehmen sehr hoch ist, bietet die Academy den Rahmen, die Plattform zur Weiterentwicklung des Einzelnen. Es liegt zum Großteil in der Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeitenden, die Angebote abzugreifen. „Wir dürfen kein ‚watch dog’ sein, da machen wir uns unattraktiv. Aber wir versuchen unser Geschäft auf eine kollegiale Art und Weise zu machen“ (Niermeyer). Die Academy bietet Veranstaltungen und Services an, die genutzt werden können, aber nicht müssen – es sei denn, die Aufforderung kommt von Seite der Unternehmens-
338
Empirische Exploration
führung. „Wir als Funktion können es nicht sein, die die Leute in die Veranstaltungen ziehen … wir müssen die Rollen trennen. Wenn den Leuten sehr stark gesagt werden muss, das ist wichtig für euch, geschieht dies von ganz oben aus“ (Förster). Damit ist der essentiellste Erfolgsfaktor der Kienbaum Academy angesprochen: das Projekt wurde von Jochmann, dem Vorsitzenden der KMC Geschäftsführung initiiert. Es wird von ihm unterstützt und begleitet. Damit ist dem Thema jederzeit das „back up von oben“ (Förster) und damit verbunden ein gewisser Stellenwert sicher.
Fallstudie SICK
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5.4. Fallstudie SICK Die Fallstudie thematisiert die im Bezugsrahmen I aufgeworfenen Bildungsaspekte im SICK-Konzern aus Sicht des Mutterunternehmens SICK AG. Auf geschäftsbereichsspezifische Gegebenheiten wird daher nur am Rande eingegangen.1393 5.4.1. Unternehmensprofil Die SICK AG als Mutterunternehmen des SICK-Konzerns ist ein Technologieunternehmen der Investitionsgüterindustrie mit Stammsitz in Waldkirch im Breisgau. Das Unternehmen wurde 1946 von Erwin Sick in München gegründet. 1956 siedelte das damals 25 Mitarbeiter zählende Unternehmen nach Waldkirch um. Nach dem Tod des Unternehmensgründers im Jahr 1988 führte seine Frau Gisela Sick das Unternehmen als Hauptgesellschafterin fort. 1996 wurde die Erwin Sick GmbH in eine Aktiengesellschaft umfirmiert. Seit 1999 werden Mitarbeiteraktien im In- und Ausland ausgegeben. Heute ist die SICK AG mit über 40 Tochtergesellschaften und Beteiligungen in mehr als 20 Ländern sowie vielen Fachvertretungen weltweit präsent. Sie produziert nicht nur in Waldkirch, sondern an den deutschen Standorten in Reute, Meersburg, Dresden und Hamburg sowie in weiteren Produktionsstandorten in Italien, Ungarn, China und den USA. 1995 erwirtschaftete der SICK-Konzern einen Umsatz von rund 593 Mio. Euro. Der Konzern wird (nach dem Austritt der langjährigen Sprecherin des Vorstands Anne-Kathrin Deutrich) seit dem 01.07.2006 von einem vierköpfigen (zuvor dreiköpfigen) Vorstand geleitet. Dr. Robert Bauer ist für das Ressort Technology und kommissarisch für das Segment Logistikautomation zuständig sowie Sprecher des Vorstands. Jens Höhe vertritt das Segment Prozessautomation. Markus Paschmann ist für das Segment Fabrikautomation verantwortlich. Das Ressort Finance & Human Resources wird durch Markus Vatter vertreten. Das Unternehmen ist heute einer der weltweit führenden Hersteller von Sensoren und Sensoriklösungen für industrielle Anwendungen. Der SICK-Konzern liefert ein umfangreiches Portfolio von Sensoren und Lösungen rund um den Sensor wie Services, applikationsspezifisches Know-how sowie Interfaces und Kommunikations-
1393
Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Kast (Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter CD Human Resources) und Frau Zeckei (Projektmitarbeiterin Bereich HR) für die Unterstützung bei der Erstellung dieser Fallstudie und die detaillierten Einblicke, die sie mir in die Themen ‚HR’ und ‚Lernen bei SICK’ ermöglicht haben.
Empirische Exploration
340
lösungen für den Automatisierungsprozess. Entsprechend unterteilt SICK drei Segmente: Fabrik-, Logistik- und Prozessautomation.
Abbildung 64: Segmente und Marken der SICK AG
Das Segment Fabrikautomation umfasst die Produkte der Automatisierungs- und Sicherheitstechnik sowie der automatischen Identifikation der Marken SICK, SICK STEGMANN und SICK IVP insbesondere für die Branchen Maschinen- und Anlagenbau, Automobilindustrie, Lager- und Fördertechnik, Transport und Elektroindustrie. Der Bereich fußt auf drei Standbeinen: an erster Stelle steht die Steuerung von Fertigungsabläufen und die Qualitätssicherung durch die berührungslos arbeitenden Sensoren der Marken SICK und SICK IVP und die Encoder der Marke SICK STEGMANN. Das zweite Standbein sind Produkte, Komplettsysteme und Softwarelösungen der Sicherheitstechnik, die für einen wirksamen Unfall- und Personenschutz sorgen, da sie Gefährdungen von Mitarbeitern im Bereich gefahrbringener Maschinen sicher ausschließen. Die dritte Säule der Fabrikautomation ist die automatische Identifikation von Barcodes und 2D-Codes sowie die Höhen-, Form- und Volumenerfassung mit (bei Bedarf eichfähigen) Lasermesssystemen. Aufgrund des enormen Wachstums in den letzten Jahren bildet die Logistikautomation seit 2006 ein eigenes Segment. Es umfasst die Logistikmärkte, in denen die Automatisierung dazu dient, Prozesse zu steuern, zu regeln und zu überwachen. Im Segment Prozessautomation bietet SICK unter dem Markennamen SICK MAIHAK maßgeschneiderte Komponenten und komplette Systemlösungen für die Gasanalyse, die Staubmesstechnik, die Gasdurchflussmessung, die Wasser- und Flüssigkeitsanalyse und die Füllstandsmessung an. In diesem Segment zählt die Kundennähe als Erfolgsfaktor, da durch das breite Portfolio sensortechnischer Lösungen dem Wunsch
Fallstudie SICK
341
des Kunden sowie den Applikationsanforderungen optimal Rechnung getragen werden können. Die Technologien der SICK MAIHAK sind vor allem in Kraft- und Zementwerken, Müllverbrennungsanlagen, der Eisen- und Stahlindustrie sowie der Erdgas-, Chemie- und petrochemischen Industrie zu finden.
Inland
Ausland
In allen drei Segmenten zusammen waren 2006 insgesamt 4.392 Mitarbeitende beschäftigt (2.908 im Inland und 1.484 im Ausland), davon 1.616 in der SICK AG. Zur Entwicklung der Mitarbeiterzahlen der letzten Jahre vergleiche Abbildung 65. Das Alter der Konzernbelegschaft betrug 2006 im Schnitt 39,6 Jahre (SICK AG: 38,9 Jahre). Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit im Konzern lag bei 9,6 Jahren (SICK AG: 11,1 Jahre).
Abbildung 65: Mitarbeiterentwicklung des SICK-Konzerns
Das durchschnittliche Qualifikationsniveau der SICK-Mitarbeitenden ist sehr hoch, da SICK sowohl einen großen Forschungs- und Entwicklungsbereich (451 Mitarbeitende zum 31.12.2006) als auch einen sehr stark ausgeprägten Vertriebsbereich hat, wo fast ausschließlich mit Vertriebsingenieuren gearbeitet wird. Die Bereiche mit einem niedrigen Qualifikationsniveau der Mitarbeiter sind ausschließlich die Produktion und Montage. In diesen Bereichen engagiert sich das Unternehmen aber sehr stark für eine Anpassungsqualifizierung der Mitarbeiter. 5.4.2. Normative Ebene SICK tritt seit 2004 unter dem Slogan ‚Sensor Intelligence.’ am Markt auf. Der für Interpretation und Akzentuierungen bewusst offen gelassene Slogan soll Unabhängigkeit und Leadership demonstrieren. ‚Sensor’ verweist auf das Kerngeschäft der Sensortechnologie; ‚Intelligence’ darauf, wie etwas im Unternehmen getan wird
Empirische Exploration
342
und damit einerseits auf die Fähigkeit, etwas intelligent zu tun, andererseits auf die intelligente Verarbeitung von Reizen in einem Sensor. „Intelligenz als Philosophie und als Anspruch an uns alle. Intelligenz als Vorzeichen, das unsere Prozesse, unser Miteinander, unsere Außenbeziehungen qualifiziert.“1394 In diesem Slogan werden „wie in einem Brennglas“ Kernwerte und Leitsätze des Unternehmens gebündelt. Der Dreh- und Angelpunkt der Managementphilosophie und der Unternehmens- und Personalpolitik des SICK-Konzerns sind die drei Kernwerte: ‚Independence’, ‚Innovation’ und ‚Leadership’. Diese spiegeln das Grundverständnis des Managements wieder und leiten das Handeln im Unternehmen. Der Grundwert Unabhängigkeit gilt sowohl für die Menschen im Unternehmen als auch für das Unternehmen selbst. „Nur wer unabhängig denkt, kann auch unabhängig handeln … Nur ein unabhängiger Kopf hat die Freiheit, etwas so zu tun, wie er es für richtig hält.“1395 Unter Innovationen versteht SICK merkliche Verbesserungen, die einen Nutzen bringen. Dies betrifft zunächst die Erfindung und Entwicklung neuer Produkte und Produktionsprozesse („Als Hightech-Unternehmen leben wir von technischer Innovation“). Innovation heißt aber auch, innovativ zu sein in allen anderen Themenstellungen – beispielsweise im HR-Bereich (wie noch detailliert ausgeführt wird). „Leadership erweist sich darin, dass man zum Maßstab für andere wird.“1396 Für SICK bedeutet dies nicht nur, eine Technologie- und Marktführerschaft anzustreben, sondern auch Führungskultur und optimale Beherrschung von Methoden und Prozessen. Die drei Kernwerte werden im Rahmen des Leitbildes in neun kurzen Aussagen erläutert und näher präzisiert (vgl. Abbildung 67). Das Leitbild existiert in dieser Form seit 2004. Es will keine Handlungsanweisung für den Arbeitsalltag sein, sondern ist vielmehr als Bekenntnis zu verstehen. Als Orientierung und Werterahmen soll das Leitbild Antwort geben auf die Fragen: „Wer sind wir, was zeichnet uns aus, welche Werte leiten uns, was treibt uns an, was wollen wir uns auf keinen Fall nehmen lassen?“1397 Zur Leitbildentwicklung wurde ein großer Arbeitskreis aus verschiedenen Mitarbeiter- und Führungskräfteebenen installiert. Handlungsleitende Frage war es, wie SICK im Hinblick auf die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts und seiner zukünftigen Entwicklungen ausgerichtet sein muss und „wie wollen wir,
1394
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 8.
1395
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 10.
1396
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 26.
1397
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 2.
Fallstudie SICK
343
möglicherweise auch eines Tages in Verbindung mit dem Börsengang die Story von SICK abbilden – was SICK ist“1398. Die Implementierung läuft, seit der Einführung im Rahmen einer großen Kampagne vor zwei Jahren, kontinuierlich. Dabei ist es grundlegend, dass das Leitbild auf Unternehmensebene bewusst abstrakt formuliert ist: Da es als Leitgedanke „wie ein Stern am Horizont steht“1399, muss es je nach Bereich und Blickwinkel „ein Stück näher herangeholt und auf Augenhöhe gebracht werden“1400. Entsprechend wurde das abstrakte Leitbild jedem Bereich in die Hand gegeben, mit der Zielsetzung und der Bitte, sich damit auseinanderzusetzen und es auszugestalten, d. h. jeder Bereich hat den Freiraum, das Leitbild auf das Selbstverständnis des eigenen Bereichs hin auszufüllen und anzupassen (vgl. für den HR-Bereich z. B. S. 349). Auch in Hinblick auf die Internationalität des Konzerns wurde das Leitbild bewusst offen gestaltet: auf diese Weise kann es von den einzelnen Tochtergesellschaften interkulturell angepasst werden.
We think and act independently. Wir denken und handeln unabhängig.
We are legally and financially independent. Wir sind rechtlich und finanziell unabhängig.
Our products are open for all systems. Unsere Produkte sind für alle Systemwelten offen.
We are inventors. Wir sind Erfinder.
We anticipate future developments. Wir antizipieren künftige Entwicklungen.
We create markets with innovative products and solutions. Wir erschließen Märkte mit innovativen Produkten und Lösungen.
We lead worldwide with local competencies. Wir führen weltweit und bauen auf Kompetenzen vor Ort.
We act with the long-term future in mind. Wir denken und handeln nachhaltig.
We create superior customer benefit. Wir schaffen überlegenen Kundennutzen.
Abbildung 66: Leitbild des SICK-Konzerns
1398
Die wörtlichen Zitate stammen, sofern nicht anders angegeben, von Kast.
1399
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 2.
1400
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 2.
Empirische Exploration
344
Im Leitbild finden sich in mehreren Aussagen grundsätzliche Bezugspunkte für das Bildungsmanagement: „Wir denken und handeln unabhängig.“ – Den Rahmen hierfür bildet die Verantwortungs- und Vertrauenskultur im Unternehmen (vgl. Kapitel 5.4.3.2). „Besonders die Steuerung komplexer Projekte verlangt ein hohes Maß an Unabhängigkeit, fordert also nicht nur Problemlösungskompetenz, sondern auch Verantwortungsbewusstsein. Denn wirklich unabhängige Köpfe sind sich immer bewusst, dass sie im Interesse des Ganzen handeln.“1401 Die Unabhängigkeit des Denkens und Handelns zeigt sich letztlich im Markt, wofür die fachliche Kompetenz den wichtigsten Indikator darstellt. „Wir antizipieren künftige Entwicklungen.“ – Das frühzeitige Erkennen von Veränderungen und der Aufbau zukunftsgerichteter Prozesse nicht nur in den Bereichen Entwicklung und Vertrieb, sondern neben der Produktion, dem Finanzwesen etc. auch im Personalwesen, wird als wesentlicher Baustein des Unternehmenserfolgs angesehen. „Auch in diesen Bereichen braucht es Freiräume, um mit Mut, Neugier, Intelligenz und Lust auf Neues an Prozesse und Methoden heranzugehen. Mitzudenken und über den eigenen Tellerrand zu schauen ist hierbei ebenso wichtig, wie intelligent mit Ressourcen umzugehen.“1402 „Wir denken und handeln nachhaltig.“ – Im Mittelpunkt der Zukunftsausrichtung des Unternehmens stehen die Mitarbeitenden, denen umfangreiche Personalentwicklungsprogramme offeriert werden. Daneben engagiert sich SICK sehr stark in der Ausbildung und Forschung. Dieses Engagement wird als Teil der Verankerung in der Region und der Wissenschaft angesehen. Indikatoren für den Erfolg der Nachhaltigkeits-Philosophie sind exzellente Ergebnisse in Arbeitgeber-Rankings (vgl. Kapitel 5.4.3.2) sowie eine geringe Fluktuation durch Eigenkündigungen (1.2 %). „Wir sind Erfinder.“ – Der Erfindergeist wird als der „innovative Motor“ für das Unternehmen angesehen. Die bereits angesprochene Führungsposition in der Technologie, im Markt, in der Führungskultur oder in Organisationsstrukturen verlangt ein hohes Maß an Kreativität. Mit dieser Grundhaltung bekennt sich SICK zur Firmengeschichte und „verneigt sich vor dem Firmengründer Erwin Sick“. Der kreative und gleichzeitig visionäre Firmengründer war ein Erfinder aus Passion und Pionier der Optoelektronik.
1401
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 12.
1402
SICK AG, 2006, S. 31.
Fallstudie SICK
345
„Kein ‚Massenmurks’, wie er selbst beschrieb, sondern ‚Geräte mit Pfiff’ sollten den Menschen das Leben leichter machen, und so ruhte er nicht, bis er die optimale Lösung gefunden hatte.“1403 Die von ihm entwickelten Techniken und Produkte (z. B. Lichtvorhang, Laserscanner, Ultraschallmessung, bildverarbeitende Sensorik) sind heute noch Grundlage des Unternehmenserfolgs. Darauf bezogen schwingt in dem Selbstverständnis die Faszination für Technologie und die Leidenschaft, Neues zu schaffen, mit. Dies zeichnet SICK als schöpferisches Unternehmen aus: Im Zielmarkt wird SICK vor allem aufgrund der innovativen Produkte wahrgenommen. Aus dem Selbstverständnis als Erfinder heraus ist es wichtig, dass Innovation ein Anspruch ist, der an alle Bereiche gestellt wird. Deshalb bietet beispielsweise auch jeder Arbeitsplatz bei SICK (d. h. nicht nur in Forschung und Entwicklung, wo es per Definition um Innovationsentwicklung geht) Freiraum für Innovation. „Mitdenken, über den eigenen Tellerrand hinausschauen, intelligent mit Ressourcen umgehen – diese Fähigkeiten sind überall gefragt. Freiraum muss aber auch erkannt und genutzt werden. Innovativ zu sein bedeutet immer auch, etwas zu wagen und mit Mut, Neugier, Intelligenz und Lust auf Neues an die Dinge heranzugehen.“1404 Der Mitarbeitende als innovativer Erfinder ist ein Aspekt des Bildes des SICK-Mitarbeiters. Ein Unternehmensgrundsatz des SICK-Konzerns lautet: „Die Menschen und ihre Leistung sind entscheidend für den Erfolg des Unternehmens“1405. Der Unternehmenserfolg ist vom Willen der Mitarbeitenden, sich selbst und das Unternehmen ständig weiterzuentwickeln, geprägt. Der SICK-Mitarbeiter „denkt mit, geht wirtschaftlich mit den einzusetzenden Mitteln um und entwickelt Eigeninitiative“1406. Weiter hat der „SICKler … ein hohes Maß an Selbstbewusstsein, an Offenheit und an Vertrauen, das er in das Unternehmen einbringt und auch seinen Kollegen entgegenbringt“. SICK unterstützt und fördert den selbstständigen und eigenverantwortlich handelnden Mitarbeiter. Dabei geht es nicht nur um Personalentwicklung, sondern um die Förderung seiner persönlichen Entwicklung: „Bestimmend für die erfolgreiche Entwicklung unseres Unternehmens ist die Entwicklung jedes Mitarbeiters, seiner Persönlichkeit und seiner Fähigkeiten“. Entsprechend achtet SICK bei der Einstellung neuer Mitarbeitenden zwar auch auf die kognitive Kompetenz, diese steht aber nicht im Vordergrund. „Die soziale und persönliche Kompetenz ist viel wichtiger, weil wir
1403
SICK AG, 2006, S. 30.
1404
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 20.
1405
SICK AG, o.J., S. 2.
1406
SICK AG, o.J., S. 4.
Empirische Exploration
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glauben, dass wir die kognitiven Elemente, die fehlen, noch ergänzen können.“ Dabei nehmen die Mitarbeitenden die ihnen gebotenen Möglichkeiten zur Weiterbildung initiativ in Anspruch. „Wir führen weltweit und bauen auf Kompetenzen vor Ort.“ – SICK ist in vielen Bereichen bereits Marktführer. Dort, wo es das Unternehmen nicht ist, hat es den Anspruch, die „Nr.1“ zu werden. Dies gilt auch für das Personalwesen im Unternehmen. Dieses hat für sich die Vision formuliert: „Wir wollen der beste Arbeitgeber sein.“ Damit verbunden hat das Kompetenzmanagement das Ziel, so gut zu sein, dass „die Leute bleiben, obwohl sie woanders hingehen könnten“. Um dies zu erreichen, „müssen wir die modernsten Bildungsinstrumente haben, wir müssen auch ein sehr modernes Selbstverständnis von Bildung haben, im Sinne der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens.“ Jeder ist verpflichtet, lebenslang zu lernen und dies bedeutet auch, dass jeder persönlich verpflichtet ist, sich in diesen Lernprozess einzubringen. Diese Notwendigkeit des lebenslangen Lernens wurde bei SICK bereits 1995 in den Grundsätzen für Führung und Zusammenarbeit verankert: … der Mensch Die Menschen und ihre Leistungen sind entscheidend für den Erfolg unseres Unternehmens. (..) Jeder ist gefordert, lebenslang zu lernen und sich persönlich in diesen Lernprozess einzubringen. Wir fördern leistungsorientierte Mitarbeiter und eröffnen ihnen Chancen zur individuellen Weiterentwicklung. Abbildung 67: Auszug aus den SICK-Unternehmensgrundsätzen
Die Festschreibung der Unternehmensgrundsätze zum Thema Lernen war gleichzeitig auch der Beginn einer konsequent entlang der Unternehmensstrategie ausgerichteten Personalentwicklung im Unternehmen. Dies beinhaltete dann ab 2004 auch die Auseinandersetzung mit dem allgemeinen Unternehmensleitbild und die Ableitung von HR-Zielen aus diesem Leitbild, wie in Kapitel 5.4.3.1 näher aufgezeigt wird. SICK versteht sich selbst als Lernende Organisation. Die Organisation hat sich insgesamt sehr intensiv durch die handelnden Personen, „die für sich selbst sehr stark am individuellen Lernen interessiert sind“, verändert. Unter Lernender Organisation „verstehen wir, dass die handelnden Personen merken, dass es nicht reicht, wenn sie als Teil des Ganzen lernen. Dass sie ihre Erkenntnisse weiter tragen müssen und mit den anderen handelnden Personen und Partnern zusammen ihr Verhalten innerhalb der Organisation – ausgerichtet immer auf die externen Partnern – verändern
Fallstudie SICK
347
müssen“. Dies hängt sehr stark mit der Veränderung des Unternehmensumfeldes zusammen: Wie ich heute mit Kunden umgehe, und wie ich mich heute gegenüber Kunden aufstelle, hat sehr große Konsequenzen auf die Art und Weise, wie ich arbeite: Wie ich arbeite unter großen Veränderungen, die mich in meinen gesamten Kompetenzanforderungen betreffen. Wenn ich heute auf einen Kunden zugehe und ihm ein Lösungspaket anstatt eines einzelnen Produkts verkaufen muss, dann hat das sehr viel zu tun mit rhetorischen Fähigkeiten, Projektmanagement, Prozessverständnis etc. … Und diese Veränderungen, die der Markt bringt und denen wir uns stellen müssen, führen nicht nur zu Veränderungen des einzelnen Individuums, sondern der gesamten Organisation. Wie sich das einzelne Individuum innerhalb der Organisation dann verhält, wie es mit anderen Schnittstellen zusammenarbeitet, das hat ganz viel mit lernender Organisation zu tun. Das ist unser Verständnis von Veränderung in diesem Kontext.
Das Thema Bildung und Personal hat bei SICK schon lange einen sehr hohen Stellenwert. Der Vorstand hat sich bereits Anfang der 90er Jahr sehr intensiv mit diesen Themen auseinandergesetzt – bevor es einen dafür Verantwortlichen im Unternehmen gab. Im Rahmen einer Klausurtagung am 25.11.1992 wurde beispielsweise die personalpolitische Zielsetzung diskutiert und als Sofortmaßnahme eine Mitarbeiterbefragung initiiert, um die Befindlichkeit im Unternehmen zu eruieren. Die Ansprüche der Mitarbeitenden im Bezug auf die eigene Weiterentwicklung ist entsprechend des eigenen Qualifikationsniveaus sehr unterschiedlich, wobei eine deutliche Tendenz zur Weiterqualifikation festzustellen ist. Denn selbst im produzierenden Bereich, in welchem weniger qualifizierte Mitarbeitende tätig sind, wird der eigene Wunsch nach Weiterbildung immer höher, „weil die Leute immer besser verstehen, wie wichtig es ist, für den Erhalt der lebenslangen Qualifikation etwas zu tun. Wir haben da auch große Unterstützung bei unserem Betriebsrat, der die Mitarbeiter mit sensibilisiert.“ Das Unternehmen sieht es daher auch als seine Aufgabe an, den Mitarbeitern den sehr strategischen Bedarf an Qualifikationsveränderung bewusst zu machen, ihnen weiterhin die Notwendigkeit zu verdeutlichen, dass jeder „trotz der Enge am Arbeitsmarkt, wo jeder Einzelne sich jetzt sicherer denn je fühlen kann, auch das eigene Bewusstsein – durch uns mitgesteuert und veranlasst – dafür hat, dass jeder Einzelne für sich selbst verantwortlich ist und auch etwas für seine Qualifikation tut.“ Durch die Förderung der Eigenverantwortung und Selbstständigkeit hat sich das Spannungsverhältnis Personalentwicklung – Persönlichkeitsentwicklung zu gewissen Teilen ein Stück weit auf die Ebene Führungskraft – Mitarbeitende verschoben, beispielsweise durch die Qualifikation der Mitarbeitenden zur Führung von Mitarbeitergesprächen (vgl. ausführlicher S. 355).
348
Empirische Exploration
Mit dem Anspruch des Unternehmens auf Weiterentwicklung der Mitarbeitenden ist auch das Ziel verbunden, die „Schere zu den Niedrigqualifizierten“ nicht zu groß werden zu lassen, weswegen sich SICK entsprechend engagiert (vgl. S. 352 ff.). Die Mitarbeitenden aller Qualifikationsstufen schätzen die Weiterbildungs- bzw. Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen sehr, wie auch die Ergebnisse von Mitarbeiterumfragen belegen. Entsprechend lässt es sich heute aus einer Gesamtsicht beurteilt, nicht mehr feststellen, was zuerst da war: der Anspruch (eines Teils) der Mitarbeitenden auf Entwicklungsmöglichkeiten oder der Anspruch des Unternehmens. Kast drückt die Unbeantwortbarkeit dieser Frage mit folgendem bildhaften Vergleich aus: „Wer war zuerst da – die Henne oder das Ei?“. 5.4.3. Strategische Ebene Im Folgenden werden die drei Bereiche Strategie (Kapitel 5.4.3.1), Kultur (Kultur 5.4.3.2) und Struktur (Kapitel 5.4.3.3) näher beleuchtet. Da das Thema Bildung bei SICK vor allem durch den HR-Bereich der SICK AG vorangetrieben wird, erfolgt eine Fokussierung auf dessen Sichtweise.
5.4.3.1. Strategie Strategieentwicklung geschieht bei SICK nicht zentral für das gesamte Unternehmen, sondern in regelmäßig stattfinden Strategiemeetings der einzelnen Bereiche. Zunächst wurden diese Strategiemeetings 1995 nur für den HR-Bereich eingeführt: „In diesen Sitzungssequenzen haben wir uns immer sehr innovativ und sehr strategisch über Personalarbeit unterhalten.“ Danach etablierten sie sich auch im IT-Bereich. Inzwischen gibt es diese Treffen für alle Bereiche. Die Gesamt-Unternehmensstrategie ergibt sich folglich durch das Zusammenführen der einzelnen Bereichsstrategien. Im HR-Bereich finden sich der Vorstand, der Leiter des Central Departments Human Resources und dessen Stellvertreter in den Strategiemeetings zusammen. Inhaltlich steht dabei die Personalstrategie des Unternehmens zur Diskussion. „Da sind wir sehr intensiv dabei und das fordert uns und hilft uns: Weil wir natürlich immer mit innovativen Konzepten dienen müssen, allerdings ganz stark auf die Unternehmensstrategie und auf das Leitbild ausgerichtet.“ Nach der Einführung des Unternehmensleitbildes hat auch der HR-Bereich sich intensiv damit auseinandergesetzt. Entsprechend wurde eine HR-Strategie entwickelt, die „1:1“ aus dem Leitbild abgeleitet ist:
Fallstudie SICK
349
Zukunft / Strategischer Fokus
• Lernen + Veränderung initiieren und begleiten • Führungskräfte-Entwicklung fördern • Arbeitsmarkt steuern unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung
• Internationalisierung vorantreiben • Human Asset Management betreiben
Management der strategischen Humanressourcen Prozesse
Management der Veränderung
Management der Unternehmens(HR)-Infrastruktur
Management des Wertbeitrags der Mitarbeiter
• Kerngeschäft HR (Rekrutierung, Beratung und Betreuung, Mitarbeiter-Services) sicherstellen
• Positives Arbeitserlebnis ermöglichen
• Organisation und Prozesse optimieren
• Entwicklung zum Unternehmertum fördern
Menschen
• Wirtschaftlichkeit stärken • Marktanteil „HR“ im Konzern erhöhen Tagesgeschäft / Operativer Fokus
Abbildung 68: HR-Strategie bei SICK
Die HR-Strategie wird über die seit fünf Jahren existierende Balance Scorecard (BSC) (vgl. Abbildung 69) implementiert. Dabei geht es darum, den HR-Bereich als solches zu stärken, die Verankerung im Unternehmen deutlicher zu machen und den Zielen des Bereichs Ausdruck zu verleihen. Finanzielle Perspektive F1: Human Asset Management betreiben F2: Wirtschaftlichkeit stärken F3: Entwicklung zum Unternehmertum fördern Kunden-Perspektive
Prozess-Perspektive
K1: Arbeitsmarkt steuern unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung
P1: Kerngeschäft HR (Rekrutierung, Beratung und Betreuung, Mitarbeiter-Services) sicherstellen
K2: Positives Arbeitserlebnis ermöglichen
HR-BSC
P2: Organisation und Prozesse optimieren
K3: „Marktanteil HR“ im Konzern erhöhen Perspektive „Lernen & Entwicklung“ L1: Internationalisierung vorantreiben L2: Lernen + Veränderung initiieren und begleiten L3: Führungskräfte-Entwicklung fördern
Abbildung 69: HR-Ziele bei SICK
350
Empirische Exploration
Die einzelnen Ziele werden wiederum in Bezug gesetzt zu den Kernaussagen des Leitbildes. So operationalisieren beispielsweise die Ziele K1 (Arbeitsmarkt steuern unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung), F3 (Entwicklung zum Unternehmertum fördern) und K2 (Positives Arbeitserlebnis ermöglichen) die Aussage: „Wir antizipieren künftige Entwicklungen“. Auf ähnliche Weise können auch die anderen Aussagen des Leitbildes mit den HR-Zielen in Zusammenhang gebracht werden. Durch die Definition von Messgrößen und entsprechenden Sollwerten zu den einzelnen Zielen kann die HR-Strategie dann auch messbar gemacht werden. Um die HR-Strategie laufend aktuell zu halten, finden jedes Jahr mit allen Geschäftsund Dienstleistungsbereichen so genannte „HR-Planungs-Workshops“ statt, in deren Rahmen Gespräche des HR-Ressorts mit den Führungskräften der ersten und zweiten Ebene der Bereiche geführt werden. Dabei geht es u. a. um folgende Fragen: „Wie sehen die Anforderungen in Zukunft aus? Wie werden wir uns als Organisation verändern? Was heißt das für die Qualifikation der Mitarbeiter und der Führungskräfte? Was muss die SICK-Akademie anbieten?“. In der Summe finden pro Jahr ca. 40 bis 50 derartiger Gespräche statt. Die Ergebnisse der einzelnen Gespräche werden zusammengetragen und daraus der kurz- und mittelfristige Anpassungsbedarf der HR-Strategie abgeleitet. Daneben wird zusammen mit den Führungskräften ein Portfolio über die Qualifikationsstruktur ihrer Mitarbeitenden erstellt: „Weil wir versuchen, dranzubleiben an denen, die da als Schwachleister identifiziert werden und prüfen, ob wir sie über Qualifikation aufbauen können“. 2006/07 wurden knapp 3.000 Mitarbeitende in den Portfolios verortet. Insgesamt geht vieles, was in den Planungsworkshops ‚bottom-up’ ermittelt wird, „in die strategische Weichenstellung [ein], die wir dem Vorstand vorschlagen – allerdings dann schon mit einem ausgearbeiteten Konzept und mit einer Vorstellung, das für die Zukunft zu implementieren“. Für die Entwicklung der Mitarbeitenden, d. h. das Kompetenzmanagement im Unternehmen, ist das SICK Kompetenzmodell Dreh- und Angelpunkt. Dieses steht ebenfalls unter dem Primat der Kernwerte des Leitbildes. 2006 wurde das Kompetenzmodell grundlegend überarbeitet, „weil wir gesagt haben, ein ganz großer Wert für uns ist Veränderungsmanagement als Kernkompetenz. Wir haben es auch Veränderungskompetenz genannt, wo dann Lernen und Verändern dazugehört“.
Fallstudie SICK
351
Abbildung 70: SICK-Kompetenzmodell
Vor dem Hintergrund des Kompetenzmodells wird der individuelle Entwicklungsbedarf jedes einzelnen Mitarbeiters zum einen aus der strategischen Bedarfsplanung des Unternehmens (Stichwort Personalentwicklung) sowie den Umfeld- und Marktveränderungen und zum anderen aus seinen persönlichen Ansprüchen und Einschätzungen (Stichwort Persönlichkeitsentwicklung) abgeleitet. Die individuellen Ansprüche der Mitarbeitenden werden im Mitarbeitergespräch diskutiert und festgeschrieben und der Personalentwicklung zur Kenntnisnahme weitergeben. Die Personalentwicklung wertet die Mitarbeitergespräche allerdings nicht mehr systematisch aus, da festgestellt wurde, dass die zielgruppenorientierten Vorstellungen und Maßnahmen mit den Angeboten der Personalentwicklung deckungsgleich sind. „Wenn es dennoch Lücken gäbe, dann hätten der Vorgesetzte und/oder Mitarbeiter die Pflicht, sich selbst einzubringen. Dann können Individualmaßnahmen beantragt werden“. Diese Möglichkeit wird auch immer wieder genutzt. Der gesamte Prozess stellt sich, schematisch vereinfacht, wie folgt dar:
Empirische Exploration
352 Strategische Bedarfsplanung
Individueller Entwicklungsbedarf Umfeld- und Marktveränderungen Is llSo
h eic gl er V t-
Veränderung im Alltag
Entwicklungsplanung des Mitarbeiters
R m ess ob ou ili r c si e er n en Indiv id.
Konk Priorit ä rete Schri ten tte
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Lernen
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Abbildung 71: Strategische Bedarfsplanung auf Mitarbeiter-Ebene bei SICK
5.4.3.2. Kultur SICK ist durch eine starke Verantwortungs- und Vertrauenskultur geprägt. Diese bildet den Rahmen für das unabhängige Denken und Handeln des Unternehmens. Dadurch, dass im Unternehmen sehr dezentrale (Führungs-)Strukturen vorherrschen und das Unternehmen nicht durch Anweisung und Richtlinien geführt wird, existiert ein hohes Maß an unternehmerischer Entscheidungsfreiheit und Verantwortung, wie die Ergebnisse einer Mitarbeiterumfrage belegen.1407 Durch die Selbstverantwortung ergeben sich für die einzelnen Bereiche, aber auch für jeden Einzelnen im Unternehmen Freiraum und Potential zum Agieren. Allerdings ist damit auch die Verpflichtung verbunden, im Sinne des Unternehmens umsichtig und effizient zu handeln. „Je größer der Freiraum ist, desto größer ist die Verantwortung“1408. Insbesondere in Zusammenhang mit der Steuerung komplexer Projekte spielt das Verantwortungsbewusstsein eine große Rolle. „Denn wirklich unabhängige Köpfe sind sich immer bewusst, dass sie im Interesse des Ganzen handeln“1409. Dieses Selbstverständnis zeigt sich beispielsweise darin, dass der Budget-Prozess ein klarer ‚bottom-up’-Prozess und
1407
Im Rahmen der Mitarbeiterumfrage des Wettbewerbs „Deutschlands beste Arbeitgeber“ gaben 84 % der Mitarbeitenden an, dass sie aus eigener Sicht im Unternehmen viel Verantwortung erhalten.
1408
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 12.
1409
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 12.
Fallstudie SICK
353
kein ‚top-down’-Prozess ist. Die einzelnen Bereiche geben an, welches Budget sie benötigen. Im Rahmen einer diskursiven Verständigung wird überprüft, ob dies möglich ist oder nicht. Der Ursprung dieser Verantwortungs- und Vertrauenskultur ist schwer auszumachen: Zum einen hat der Firmengründer natürlich durch seine Persönlichkeit sehr viel dahingehend bewegt. Er war ein Forscher und Entwickler aus Leidenschaft, er hat sich um viele andere Dinge nicht gekümmert, und hat von daher sehr viel Freiraum gelassen, solche Themen der Unternehmensführung wie Führung, Produktion, Controlling, Finanzen in anderen Händen zu lassen und da auf den Sachverstand der Bereiche zu bauen. Von daher war er als Spezialist darauf angewiesen, dass er sich dem Rat der anderen Fachbereiche gebeugt hat oder sein Ohr zumindest geliehen hat. Und da ist eine ganz große Wurzel zu sehen. Zum anderen dann das Selbstverständnis der Geschäftsführung in früheren Jahren des heutigen Vorstands, dass man, je größer ein Unternehmen wird, nicht mehr alles steuern kann und im Griff haben kann, sondern dass dann auch aus der prinzipiellen dezentralen Ordnung sehr viel Stärke erwächst, weil die einzelnen Einheiten selbst sehr nah am Markt sind und am Kunden und von daher am besten wissen, wie man dem Unternehmen hilfreich sein kann.
Durch diese Unabhängigkeit der einzelnen Bereiche existieren entsprechend vielfältige Subkulturen, die vom Unternehmen auch erwünscht sind: „Wir referieren ein polyzentristisches Kulturmodell. Dies bedeutet, dass wir zwar ein starkes Headquarter haben, dass aber ein Austausch erwünscht ist mit den einzelnen Tochtergesellschaften oder mit den kulturellen Zentren (denn nicht jeder Tochtergesellschaft ist ein eigenes kulturelles Zentrum zuzuordnen).“ Um ein breites Verständnis und eine Sensibilisierung der unterschiedlichen Kulturen, insbesondere derer aus anderen Kulturzentren, zu erreichen, wurde eine Informationsreihe „SICK around the world“ initiiert, im Rahmen derer Land und Leute, Sitten, Länderkultur etc. der Kulturregion der Tochtergesellschaft vorgestellt werden und die eine Informationsplattform bietet. Diese Dezentralität spiegelt sich auch in einer sehr dezentralen Führungsstruktur mit der Konsequenz wieder, dass ein hohes Maß an unternehmerischer Entscheidungsfreiheit und Verantwortung der einzelnen Ebenen gegeben ist und nicht durch Anweisungen und Richtlinien geführt wird. Entsprechend ist die Führungskultur durch eine Delegation von Verantwortung aufgrund vereinbarter Ziel und Rahmenbedingungen geprägt. „Was eine Führungspersönlichkeit auszeichnet: Sie fördert Eigeninitiative und führt Teams gemeinschaftlich zum Erfolg – im Sinne des Ganzen und des persönlichen Erfolgs. Sie gibt konstruktives Feedback, ist konflikt- und konsensfähig. Sie zeigt Verbindlichkeit und Stehvermögen, auch in schwierigen Situationen.
Empirische Exploration
354
Sie ist Vorbild und erwartet von Mitarbeitern nicht Dinge, die sie selbst nicht lebt“1410. Das grundlegende Selbstverständnis zum Thema Führung wird wie folgt festgehalten: Führen und Zusammenarbeiten bedeutet bei uns … … dem anderen ein Vorbild sein. … sich und anderen vertrauen. … Ziele gemeinsam vereinbaren. … klare, verbindliche Entscheidungen treffen. … rechtzeitig und umfassend informieren. … aus Fehlern lernen. … Leistungen erkennen und anerkennen. … persönliche Entwicklung fördern. Abbildung 72: SICK-Grundsätze Führung und Zusammenarbeit
Es ist die Aufgabe der Führungskräfte im Unternehmen, ihre Mitarbeitenden zu fordern und zu unterstützen, ohne sie zu über- oder unterfordern. Mitarbeiter und Führungskräfte tragen gemeinsam Verantwortung für ihre Tätigkeit und die Arbeitsprozesse. Damit verbunden ist ein hohes Maß an Vertrauen, welches durch die offene Kommunikationskultur geprägt ist. „Wir reden miteinander, nicht übereinander“ – Gespräche können auch dazu dienen, Konflikte gemeinsam zu bewältigen. Für jeden Einzelnen im Unternehmen ist es wichtig, aus Fehlern zu lernen. Durch die große Selbstständigkeit und Eigenverantwortung können Fehler passieren. Es ist die Erwartung des Unternehmens, dass jeder „ständig nach großen und kleinen Verbesserungsmöglichkeiten [sucht] und diese in die Tat um[setzt]“1411. Daneben ist es für SICK selbstverständlich, jeden Mitarbeiter entsprechend seiner Leistungen und Fähigkeiten einzusetzen und zu fördern. Die Aufgabe der Führungskraft liegt darin, den Mitarbeitern Hinweise zu geben, wie sie ihre Stärken ausbauen und mögliche Schwächen abbauen können. „Aufrichtigkeit gegenüber Führungskräften und Kollegen und kritisches Mitdenken der Mitarbeiter verdienen Anerkennung. Deshalb ermutigt die Führungskraft die Mitarbeiter auch zu Verbesserungsvorschlägen für die
1410
Vorstand der SICK AG, 2004, S. 28.
1411
SICK AG, o.J., S. 9.
Fallstudie SICK
355
weitere Zusammenarbeit“1412. Im Bezug auf das Kompetenzmanagement haben die Führungskräfte eine starke Vorbildfunktion: „Möglichst viele Kompetenzen auch in sich zu tragen und vorzuleben und dann natürlich auch dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter in den ganzen Themen des Kompetenzmanagements ihrerseits entsprechend gefordert und gefördert werden“. Daneben kommt den Führungskräften im Rahmen von Transferprozessen eine hohe Bedeutung zu. Im Rahmen des Transfercoachings ist es ihre Aufgabe, ressourcen-/zielorientiert und praxisnah zu unterstützen; sie fragen nach Weiterbildungsinhalten und Umsetzungszielen und geben Feedback zu Veränderungen.1413 Derzeit geht die Entwicklung allerdings dahin, das Transfercoaching eher als Impuls-Coaching zu verstehen, „dass die Führungskraft sich stärker denn je als Impulsgeber versteht, statt als Auftraggeber und damit auch als Erfolgsgarant … und das geht nur dann, wenn der Vorgesetzte sich stärker als Verantwortlicher im Sinne der Weiterbildung des Erfolgs des Mitarbeiters sieht“. Bei der Wahrnehmung ihrer Rolle werden die Führungskräfte bei Bedarf durch externe Coachs unterstützt. Die Anforderungen an die Rolle der Führungskraft sind daneben durch die starke Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeitenden gestiegen. Die Unternehmensleitung hat bewusst Maßnahmen initiiert, um das Frage- und Anspruchsdenken der Mitarbeitenden zu erhöhen. Beispielsweise wurden bei der Einführung der Mitarbeitergespräche im Unternehmen nicht nur die Führungskräfte, sondern auch die Mitarbeitenden zum Thema geschult. Die Resonanz bei den Mitarbeitenden war enorm. Durch solche Maßnahmen steigen natürlich auch die Ansprüche der Mitarbeitenden, die von ihren Vorgesetzten ein gewisses Verhalten einfordern: „Das wollen wir auch. Die sollen ruhig fordern. Also damit halten wir unsere Vorgesetzten auch in Bewegung. Die verlieren ein Stück ihrer Machtposition nur aus der Macht heraus. Sie sollen sich selbst rechtfertigen durch Kompetenz und nicht durch Macht“ (Kast). Zum Teil ist dieser Prozess nicht unproblematisch, … weil nicht alle Führungskräfte trotz unseres hohen Anspruchs damit klarkommen, viele wehren sich dagegen. … Manche meinen, wir überfordern sie oder wir geben nicht die notwendige Unterstützung. Das ist ein Spagat, den man leisten muss und den man nur leisten kann, wenn man sehr gut verankert ist. Und wenn man auch das Vertrauen des Vorstands hat, dass man da auf dem richtigen Weg ist.
1412
SICK AG, o.J., S. 10.
1413
Laut einer internen Studie sind 30 % des Trainingserfolgs auf die Unterstützung durch Führungskraft und Kollegen zurückzuführen (vgl. ausführlicher Behrendt/Braun/Tomoff, 2005).
Empirische Exploration
356
Die Förderung und Entwicklung der Mitarbeitenden ist nicht nur Aufgabe des direkten Vorgesetzten, sondern Bildung und Weiterentwicklung hat insgesamt einen hohen Stellenwert im Unternehmen, gemäß dem Motto: „Wir entwickeln und unterstützen die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Weiterbildung“1414. Diese Förderung nutzt sowohl dem Unternehmen als auch dem Mitarbeiter. Entsprechend werden unterschiedliche Angebote von Seiten des Unternehmens in der SICK-Akademie offeriert (vgl. hierzu Kapitel 5.4.3.3). Der größte Teil des Lernens findet bei SICK allerdings nicht in der Akademie, sondern am Arbeitsplatz statt. Das Lernen am Arbeitsplatz kann sich sowohl informell als auch formalisiert vollziehen. Zunehmend wird auch die Lernunterstützung mit elektronischen Programmen gefördert und aufgebaut. „Erst haben wir angefangen im Office-Bereich, Sprachen-Bereich, dann im Vertriebsbereich über Kundenschulungen, Produkt-Trainings, dann haben wir die Werksführer, d. h. Personen, die Besuchergruppen führen mit einem interaktiven E-Learning-Tool geschult und mittlerweile fangen wir mit den ersten Führungskräftesequenzen an“. Um die Nutzung der Programme zu fördern, gibt es keine (zeitlichen) Vorgaben oder Beschränkungen: „Das läuft kunterbunt“. Vielfach ist allerdings festzustellen, dass die Mitarbeitenden die Programme zu Hause (über Online-Zugang oder per CD-Rom) machen. Direkt am Arbeitsplatz wird derzeit noch relativ selten mit eLearning-Tools gelernt. Aus Sicht des Unternehmens wäre dies durchaus wünschenswert: „Jeder, der hier lernt, tut etwas für seinen Arbeitsplatz“. Allerdings werden keine Fördermaßnahmen durchgeführt, „weil es schwierig ist, für das Thema insgesamt eine Akzeptanz zu gewinnen. Da müssen wir zarte Pflänzchen setzen und warten, wie sich das entwickelt. Da ist die Gesellschaft insgesamt noch nicht so weit, wie wir es vielleicht erwarten würden“. Eine Möglichkeit des informellen Lernens besteht auch durch die vom Unternehmen initiierte altersgemischte Team- und Gruppenarbeit mit weitreichender Verantwortung und durch den bewussten Einsatz erfahrener Mitarbeiter in Projektteams (Stichwort ‚Intergenerationelles Lernen’). Damit ist ein weiterer Aspekt des Lernens im Unternehmen angesprochen: „Jeder Mitarbeiter, auch der Ältere, so das Credo, muss die Chance haben, sich weiter zu entwickeln und zu qualifizieren … das bedeutet, dass die SICK AG auch dann in einen Mitarbeiter investiert, wenn er nur noch vergleichsweise kurz im Unternehmen
1414
SICK AG, o.J., S. 11.
Fallstudie SICK
357
bleiben wird.“1415 Dies bedeutet zum einen, dass auch befristet beschäftigte Mitarbeiter an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen können und zum anderen, dass für erfahrene Mitarbeiter im Unternehmen bewusst Lernmöglichkeiten geschaffen werden; beispielsweise durch die Schaffung altersgemischter Team- und Gruppenarbeit, eine bewusste Förderung intergenerationellen Lernens, Abwechslungsreichtum in der Arbeit u. a. durch Rotation und Tätigkeitswechsel und die lernförderliche Gestaltung der Arbeit. Daneben wird der Stellenwert von Bildung für das Unternehmen auch in seinem Engagement im Bereich Ausbildung deutlich. Das SICK-Ausbildungskonzept ist „umfassend, aktiv und potenzialorientiert auf langfristige Effizienzeffekte angelegt, was sowohl den Prozessablauf als auch die Strukturen bestimmt“1416. 2005 wurden in der SICK AG insgesamt 95 junge Menschen ausgebildet.1417 Bereits während der Ausbildungszeit hat die Weiterqualifizierung und -entwicklung eine hohe Bedeutung, wie sowohl intern als auch extern kommuniziert wird: „Wir wollen, dass die was leisten, die können was erreichen und haben alle Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln“. SICK bildet insgesamt 14 Berufe aus – vom Mechatroniker über den Elektroniker für Geräte und Systeme bis zum Industriekaufmann. Im Rahmen der Ausbildung vermittelt SICK „gezielt Inhalte, die in der Berufsschule nicht vermittelt werden“1418. Neben den institutionalisierten Angeboten bietet SICK den Auszubildenden vielfältige Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. Hierzu zählen die Teilnahme an Wettbewerben und das Angebot an freiwilligen Qualifizierungsmaßnahmen. Beispielsweise haben die Auszubildenden jeden Sommer die Möglichkeit, sich an einem Austauschprogramm einer finnischen Schule zu beteiligen oder eine einwöchige Sprachreise nach England zu machen. Daneben nehmen die Auszubildenden an vielerlei Wettbewerben wie ‚Jugend forscht’, Berufswettbewerben oder Berufsweltmeisterschaften teil. Regelmäßig finden sich so unter den SICKAuszubildenden Preisträger der genannten Wettbewerbe. Auszubildende, die bereits während der Ausbildungszeit ein entsprechendes Engagement zur Weiterentwick-
1415
Kast, 2006b, S. 1.
1416
Marr/Kast, 2005, S. 30.
1417
Von den Anforderungen und Wünschen der Bereiche her könnte SICK in den nächsten Jahren durchaus noch mehr junge Leute ausbilden. Allerdings ist dies ein Kapazitätsproblem, da gewisse Zentralbereiche wie Einkauf, Finanzen und Controlling nicht multipel zur Verfügung stehen, die Auszubildenden diese Bereiche aber gezielt durchlaufen sollten. Die Lösung dieses Problems wird derzeit als Herausforderung für die nächsten Jahre angesehen.
1418
Kast, 2006a, S. 158.
Empirische Exploration
358
lung gezeigt haben, bekommen die Möglichkeit, sich im Anschluss an ihre Ausbildung durch ein SICK-Stipendium weiterzuqualifizieren (beispielsweise im Rahmen eines Ingenieurs-Studium).1419 So werden jährlich 60.000 Euro an ehemalige Auszubildende ausgeschüttet. Es besteht zwar eine Bedingungsklausel, dass die Stipendiaten nach Abschluss ins Unternehmen zurückkehren, „was aber letztlich nichts nutzt, denn jeder externe Arbeitnehmer kann sie abkaufen. Deshalb ist auch der Spruch wirklich Realität und muss so gelebt werden: ‚Wir müssen so gut sein als Arbeitgeber, dass sie wirklich bei uns bleiben bzw. wieder zurückkommen’.“ Das Selbstverständnis des Unternehmens zum Thema Bildung und Weiterentwicklung zeigt sich auch in dessen Engagement für Niedrigqualifizierte. So ist SICK neben der August-Faller KG und der Stadt Waldkirch an der Waldkircher Beschäftigungsund Qualifizierungsgesellschaft (WABE) mbH beteiligt.1420 Die Gesellschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, arbeitslose junge Menschen, in der Regel Nieder- bzw. Niedrigstqualifizierte, durch berufliche Qualifikation in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen und bei der Integration zu unterstützen. Derzeit sind 200 Menschen in der WABE gGMBH beschäftigt. SICK hat in den vergangenen zwei bis drei Jahren 25 bis 30 dort qualifizierte Personen eingestellt, sowohl befristet als auch unbefristet, und dabei selbst erlebt: „Welch ein Wunder – es geht“. Das Engagement des Unternehmens für Bildung kommt daneben in der Einführung einer IHK-Weiterbildung zum Logistiker im Rahmen des EU-Projekts „Die lernende Region“ zum Ausdruck. Dieses zielt insbesondere auf ältere Beschäftigte ab, die ihren Beruf schon recht lange ausüben und eine solide, aber nicht logistikspezifische Vorbildung haben. Das Ziel der Weiterbildung ist, nicht nur eine Anpassungsqualifizierung durchzuführen, sondern den Mitarbeitern auch die Möglichkeit zu geben, angelernte Tätigkeiten mittels eines Zertifikats zu festigen und sie auf diese Weise zu motivieren: Die angebotene Ausbildung bewegt sich auf einem Niveau, vergleichbar zum Niveau der Berufsbilder der IHK im Bereich Logistik. Das heißt wiederum, dass die erfolgreiche Teilnahme an diesem Training für den einzelnen Mitarbeiter die offizielle Anerkennung der angelernten Tätigkeit und somit einen weiteren Meilenstein in seiner individuellen und persönlichen Weiterentwicklung darstellt.
1421
1419
Der Anteil an Auszubildenden, die nach Abschluss bei SICK weiterbeschäftigt wird, liegt bei 60– 70%. Die verbleibenden 30–40% der Auszubildenden machen in der Regel eine Weiterqualifizierung.
1420
Siehe ausführlich http://www.wabe-waldkirch.de.
1421
Kast, 2006a, S. 161.
Fallstudie SICK
359
Ein Teil der formellen Weiterbildung findet zu 50 % in der Freizeit statt. Es handelt sich hierbei um Seminare, die sich neben einem Nutzen für das Unternehmen auch durch einen großen persönlichen Nutzen für den Mitarbeiter auszeichnen. SICK begründet die Forderung auf das Einbringen von Freizeit mit dem Grundsatz, dass jeder im Unternehmen persönlich verpflichtet ist, lebenslang zu lernen und sich in den Lernprozess einzubringen. Obwohl es dem Tarifvertrag widerspricht, praktiziert SICK diese Regelung mit Unterstützung des Betriebsrates. Die Mitarbeitenden „halten selbst sehr viel davon und profitieren davon, dass sie ihre ‚Employability’ auf diese Art und Weise weiterbringen“. Auslöser für diese Regelung war, „dass uns klar war, dass wir Mitarbeiter dazu bringen müssen, die Wertschätzung einer Leistung gegenüber zu bringen und das geht in der Regel nur darüber, dass die Mitarbeiter einen eigenen Beitrag leisten müssen. Denn es gibt diesen alten Volksmundspruch: Was nichts kostet, ist nichts wert. Und da glauben wir auch dran.“ Diese Grundhaltung zeigt sich auch darin, dass SICK die Möglichkeit von Freizeitkursen anbietet. Findet ein Mitarbeiter Gleichgesinnte, die mit ihm zusammen das gleiche Bildungsinteresse haben, organisiert die SICK-Akademie für diese Gruppe einen Trainer, den die Mitarbeiter allerdings selbst bezahlen. Vor allem dann, wenn es Maßnahmen sind, die wirklich Freizeitinteressen dienen und nicht dem beruflichen Fortkommen – beispielsweise einen Sprachkurs „Griechisch“. Die Veranstaltung findet entweder morgens oder abends oder auch in der Mittagszeit in den Räumen des Unternehmens statt. „Das fördern wir ganz bewusst unter dem Aspekt des lebenslangen Lernens. Wenn die Mitarbeiter Freizeitinteresse haben, um etwas zu lernen, dann kann das ihrem gesamten Lernverhalten nur förderlich sein“. Bei allen genannten Maßnahmen handelt es sich nicht um „leere Bekenntnisse“, sondern das Ziel, in Bildungsfragen innovativ zu sein, wird von SICK mit Nachdruck verfolgt. Dies bestätigen zum einen die Ergebnisse von unabhängig durchgeführten Mitarbeiterbefragungen, zum anderen die vielfältigen Preise, die SICK für seine Personal- und Bildungsarbeit bereits gewonnen hat. SICK beteiligt sich seit 2003 an dem Wettbewerb „Deutschlands beste Arbeitgeber“1422 im Rahmen dessen eine unabhängige Mitarbeiterbefragung in den Kategorien ‚Glaubwürdigkeit, Respekt, Fairness, Stolz und Teamorientierung’ durchgeführt wird.
1422
Dabei handelt es sich um einen seit 2002 jährlich stattfindenden Wettbewerb, der vom Great Place to Work Institute Deutschland durchgeführt wird. Vgl. ausführlich http://www. greatplacetowork.de.
360
Empirische Exploration
Im Gesamturteil bestätigen die SICK-Mitarbeitenden jedes Jahr von Neuem: „Alles in allem kann ich sagen, dies ist ein sehr guter Arbeitsplatz“:
Abbildung 73: Gesamturteil der SICK Mitarbeitenden im Rahmen der Wettbewerbsumfrage zu „Deutschlands beste Arbeitgeber“
Aber auch in den anderen Kategorien überzeugt SICK jedes Jahr von neuem. Bezogen auf ‚Stolz’ gaben die SICK Mitarbeitenden beispielsweise an:
Abbildung 74: Einschätzung der SICK-Mitarbeitenden in der Kategorie „Stolz“ der Umfrage „Deutschlands beste Arbeitgeber“
Entsprechend wurde SICK seit 2003 jedes Jahr wieder zu einem von „Deutschlands besten Arbeitgebern“ und einem der „Best Workplaces in Europe“ gewählt. Im Rahmen des gleichen Wettbewerbs wurde dem Unternehmen 2005 der Sonderpreis für „Lebenslanges Lernen“ verliehen, 2006 der Sonderpreis für die „Förderung älterer
Fallstudie SICK
361
Mitarbeiter“ und 2007 für die „Chancengleichheit“. Daneben erhielt SICK 2005 für ihr Ausbildungskonzept im Rahmen des Münchner Personalforums den „HR-FutureAward“.1423 Im gleichen Jahr ist SICK mit dem Zertifikat „Arbeit Plus“ ausgezeichnet worden.1424 2006 ging der Deutsche Arbeitgeberpreis für Bildung in der Kategorie „Betrieb“ für den systematischen Aufbau und die Förderung der interkulturellen Kompetenz der Auszubildenden an SICK und ebenso der Weiterbildungs-InnovationsPreis des BIBB (für das Qualifizierungskonzept „Der Lagermitarbeiter/in der SICK AG als Logistiker IHK“). Die vielfältigen Auszeichnungen erfüllen auch das Unternehmen mit Stolz: „Wir haben mit innovativen Konzepten alles abgeräumt, was in Deutschland und zum Teil in Europa zu gewinnen ist“. Nichtsdestotrotz bemüht sich SICK um ständige Weiterentwicklung und beteiligt sich entsprechend immer wieder an neuen Wettbewerben.
5.4.3.3. Struktur Nachdem vielfältige Aspekte im Zusammenhang mit den Themen Strategie und Kultur aufgezeigt wurden, stellt sich nun die Frage, wie das Bildungsmanagement im Unternehmen verankert ist und welches Selbstverständnis der Bereich hat. Das Themenfeld Kompetenzmanagement ist in der SICK AG in der Corporate Unit HR Development angesiedelt, welche wiederum neben der Corporate Unit HR Management Teil des Central Departments HR ist. Zum Stellenwert des Bildungsmanagements innerhalb des Gesamtbereichs Human Resources sagt Kast: Die Bildungsarbeit nimmt im Vergleich zu den anderen HR-Themen den wichtigsten Stellenwert ein. Allerdings muss die Basisarbeit stimmig sein, sprich wir können keine Personalentwicklung betreiben, wenn die Mitarbeiter die falsche Abrechnung erhalten. Oder wenn wir statt drei Monate im Schnitt sechs Monate für die Personalbeschaffung brauchen, dann können wir jegliche Bildungsarbeit vergessen. Das heißt, die PersonalGeschäftsmodelle und -strukturen müssen funktionieren. Dann erst können wir eine innovative und strategische Bildungsarbeit betreiben. Da das alles funktioniert, ist die Bildungsarbeit von zunehmender Bedeutung.
1423
Vgl. Marr/Kast, 2005.
1424
SICK wurde u. a. in folgenden Feldern überdurchschnittlich bzw. vorbildlich beurteilt: Einstellung und Übernahme von Auszubildenden, Einstellung älterer Arbeitnehmer, Einstellung von Langzeitarbeitslosen, Integration besonders durch Aus- und Weiterbildung, Führungs- und Konfliktkultur. Vgl. ausführlicher http://www.arbeit-plus.de/ausgezeichnete_unternehmen/sick.html [Stand 20.01.2007].
362
Empirische Exploration
Die CU Corporate HR Development wiederum untergliedert sich in einen Bereich Personal- und Organisationsentwicklung, in welchem u. a. die SICK-Akademie angesiedelt ist, und den Bereich Ausbildung. Die SICK-Akademie versteht sich als Weiterbildungsplattform für alle Mitarbeitenden des SICK-Konzerns. Die SICK-Akademie wurde 1996 aus dem Selbstverständnis des Vorstands heraus gegründet, dass ein High-Tech-Unternehmen wie SICK „entsprechend gute Leute braucht, vielleicht auch bessere Leute als andere, die müssen gehalten werden, die müssen entwickelt werden. Deshalb müssen wir das machen“. 2005 haben 1.010 Mitarbeitende an mindestens einer Veranstaltung der Akademie und/ oder auch der dezentralen Weiterbildung teilgenommen (bei einer durchschnittlichen jährlichen Weiterbildungszeit von vier Tagen je Mitarbeiter). Bei den dezentralen Weiterbildungen handelt es sich um produktbezogene Seminare der einzelnen Bereiche. Diese Produktschulungen waren früher in das Portfolio der Akademie integriert. Inzwischen erfolgt dies getrennt, „weil die Anforderungen der einzelnen Divisions für die jeweiligen Kundenschulungen sehr spezifisch sind“. In jedem Geschäftsbereich gibt es nun einen Bereich „Training & Education“, der für das Produkt Schulung zuständig ist. 2005 haben diese Bereiche insgesamt 172 Veranstaltungen mit 1.019 Teilnehmern durchgeführt. Das Angebot der SICK-Akademie teilt sich in Standard-Seminare und ZielgruppenSeminare auf. Daneben entwickelt die Akademie bei Bedarf entsprechende Kompetenzentwicklungs-Module für einzelne Bereiche. Insgesamt sind für die SICKAkademie über 80 Trainer und Berater tätig, davon 25 interne. Die SICK-Akademie wird im Rahmen eines Costcenter-Modells geführt, d. h. die Kosten für die einzelnen Seminare werden den entsprechenden Kostenstellen der Teilnehmer verrechnet. Die Standard-Seminare werden routinemäßig angeboten, sind auf keine bestimmte Zielgruppe ausgerichtet und werden nach Anmeldestand organisiert. 2005 hat die SICK-Akademie insgesamt 275 Standard-Seminare durchgeführt. Die Anmeldung zu den Seminaren erfolgt durch den Mitarbeitenden. Das Angebot an StandardSeminaren gliedert sich in folgende fünf Kompetenzbereiche:
Fallstudie SICK
363
Methodische MethodischeKompetenz Kompetenz
Fachkompetenz Fachkompetenz Transfergespräche finden nach Bedarf statt
Wissen
Können Handlungskompetenz des SICK Mitarbeiters
• Projektmanagement • Gruppenarbeit (Meisterqualifizierung, Liniensprecherqualifizierung) • Rhetorik • Besprechungstraining / Moderationstraining / Präsentationstraining • Effiziente Teamarbeit • Rationelle Problemlösungskompetenz
Verhalten
Persönliche PersönlicheKompetenz Kompetenz
Grundlagenkompetenz Grundlagenkompetenz Transfergespräche finden nach Bedarf statt
Soziale SozialeKompetenz Kompetenz • Konflikttraining • Verkaufstraining
• Führungsseminare (Partnerschaftliche Führung, Mitarbeiter- und LBG führen, Konfliktmanagement, Rhetorik, Qualitätsmanagement) • Ausbildungsbeauftragte
Abbildung 75: Kompetenzentwicklung der SICK-Akademie
Der Bereich Grundlagenkompetenz umfasst insgesamt 14 verschiedene Veranstaltungen, die unternehmensbezogen ein breites Anwendungsfeld erlauben und die nicht in den anderen Bereichen trainiert werden. Trainingsmaßnahmen im Bereich Fachkompetenz stehen am ehesten in Zusammenhang mit Wissensvermittlung und der Vermittlung motorischer Fertigkeiten. Zur Methodenkompetenz zählen Veranstaltungen, die eine allgemeine Herangehensweise an arbeitsbezogene Themenstellungen vermitteln. Seminare zur sozialen Kompetenz fokussieren die Förderung kommunikativer und kooperativer Verhaltensweisen. Bei der persönlichen Kompetenz handelt es sich um Seminare, in deren Mittelpunkt meist die Selbst- und Fremdwahrnehmung der eigenen Person steht. Neben diesen Standard-Seminaren organisiert die SICK-Akademie auch ZielgruppenSeminare. Diese unternehmensübergreifend angebotenen Veranstaltungen im Baukasten-System können bei Bedarf spezifisch konzipiert werden. Zu den fokussierten Zielgruppen zählen neue Mitarbeiter, Produktionsmitarbeiter, Projektmitarbeiter, Assistentinnen/Sekretärinnen und Führungskräfte. 2005 haben insgesamt 71 derartige zielgruppenorientierte Veranstaltungen stattgefunden. Für Führungskräfte bietet die SICK-Akademie sowohl Basis- und Aufbauseminare als auch spezielle Programme an. Das Gesamtangebot an Management Development Programmen des SICKKonzerns stellt sich wie folgt dar:
Empirische Exploration
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Chief Executives / Senior Executives VO / GL
Change Management Senior Executives DIV-, CD-Leiter, GF TG Senior Manager CU-, BU-Leiter; Senior Manager TG
Senior Management Programme
Summer University
SICK Executive Forum
Programm für „junge Führungskräfte“ Wirksam führen I + II Führungskräfte / „Junge Führungskräfte“ BU-, PU-, Gruppenleiter; Senior Manager TG
Nachwuchsförderung Kompetenzentwicklung für Potenzialträger
Fachexperten, Projektleiter
Abbildung 76: Management Development Programme des SICK-Konzerns
Insbesondere in den Seminarreihen „Wirksam führen I+II“ wird den „jungen Führungskräften“, d. h. Führungskräften mit ersten Führungserfahrungen, das Grundverständnis von Führung bei SICK vermittelt. Hierzu zählt u. a. die Vermittlung und Diskussion der Rollenanforderungen im Zusammenhang mit der (Weiter-)Entwicklung und dem Lernen ihrer Mitarbeitenden. „Das heißt aber noch lange nicht, dass jeder in gleicher Weise seine Führungsposition ausübt, was ja gar nicht geht, aber der Anspruch des Unternehmens wird klar und der wird auch den Mitarbeitern transparent und darüber haben sie den Anspruch, gewisse Dinge in gleicher Art und Weise einzufordern, was ja von uns auch gewünscht ist“. Die Führungskräftequalifizierung gerade für das Top Management wurde 2006 neu konzipiert und wird derzeit noch weiterentwickelt. In einem ersten Schritt wurden Themen identifiziert (Business Management, Marketing & Sales und HR Management/Leadership), zu denen die Senior Executives, d. h. die erste Ebene unterhalb des Vorstandes, sich an ausgewählten Business Schools in offenen Programmen weiterbilden (sollen). In Asien zählen hierzu die AGSM (Australien Graduate School of Management), die INSEAD, die MBS (Melbourne Business School) und das Indian Institute of Management. In den USA fokussiert sich die Zusammenarbeit auf die Wharton School der University of Pennsylvania und in Europa auf das Henley Management College und die Ashridge Business School. In einem zweiten Schritt ist das Unternehmen gerade dabei, mit dem Henley Management College ein ‚customized-program’ zu entwickeln. „Das wird auf der Basis von Anforderungen entstehen, die wir als SICK für notwendig halten, die werden wir dann mit dem entsprechenden theoretischen Input von Henley füttern und das wird dann flächen-
Fallstudie SICK
365
deckend für alle Führungskräfte der ersten Ebene weltweit durchgeführt.“ Alle weiteren Programme werden intern angeboten und konzipiert. Parallel zu den aufgeführten Programmen wird eine „Summer University“ organisiert. Dabei handelt es sich um eine Sonderveranstaltung der SICK-Akademie, im Rahmen derer vier oder fünf spezielle Veranstaltungen für Führungskräfte, möglichst in der etwas schwächeren Zeit im Sommer über vier bis fünf Montage verteilt, stattfinden. Diese Veranstaltungsreihe fokussiert jedes Jahr ein bestimmtes Thema, 2006 beispielsweise das Thema ‚Veränderungsmanagement’. Es werden hochkarätige externe Referenten eingeladen, die das Thema sehr stark auf die Anliegen der Führungskräfte ausrichten. Das Ziel der Summer University ist es, einen Rahmen zu geben, Impulse zu setzen und neugierig zu machen, damit die Führungskräfte für sich selbst feststellen: „Ich nehme etwas auf, ich kann es dann weiterverfolgen – auch in der Teamentwicklung mit meinen nächsten Führungskräften und über Teamentwicklungsprozesse allgemein oder indem ich jetzt Literatur lese, erst einmal dranbleibe und dann vielleicht noch einmal eine längere Veranstaltung besuche“. Trotz der Zusammenarbeit mit externen Partnern und Trainern ist Outsourcing für SICK kein Thema. „Wenn wir ‚outsourcen’, dann sind wir vergleichbar mit jedem anderen Unternehmen, das durch einen ‚Outsourcer’ bedient wird. Und wenn wir es selbst machen mit dem Anspruch, es dabei qualitativ besser zu machen und mindestens zu vergleichbaren Preisen, dann sind wir eigentlich auf der grünen Seite. Dann sind wir unverwechselbar. Und das ist unser Ziel“. Die Stärke des Bereichs basiert auf dem hohen ‚commitment’ der Unternehmensführung. Zum einen zeigt sich dieses aus der hohen strukturellen Verankerung des Themas. Bis zum Austritt von Deutrich als Vorstandssprecherin war das Thema HR direkt bei ihr verortet. Seit 01.07.2006 wird das Ressort von Vatter vertreten. Kast als Leiter der CU Corporate HR Development ist gleichzeitig Leiter des Central Departements Human Resources und in seiner Funktion Mitglied der Geschäftsleitung. Zum anderen wird die hohe Bedeutung des Themas auch dadurch deutlich, dass Bildungsthemen bereits diskutiert wurden, als noch keine entsprechende Funktionsstelle im Unternehmen besetzt war. Und auch heute noch unterstützt der Vorstand die Bildungsaktivitäten nicht unwesentlich. Eventuell kann dies darin begründet liegen, dass die Aktivitäten im Bildungsbereich eine herausragende Image-Werbung für SICK als Arbeitgeber darstellen. SICK ist lediglich im industriellen Umfeld bekannt. Der Endverbraucher kennt die Produktpalette des Unternehmens an sich nicht und es gibt auch wenig Möglichkeiten, Direktmarketing zu betreiben. Allerdings ist SICK mit seinem Engagement für Bildung in der Öffentlichkeit präsent. So stellte der Vorstand
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Empirische Exploration
Anfang Januar 2007 fest: „Man kennt SICK mehr über die Personalpolitik als über die Produkte“. Neben der Verankerung des Themas in der Konzernzentrale stellt sich die Frage nach der Verortung und Zusammenarbeit mit den Tochtergesellschaften. Das Verhältnis zu den einzelnen Tochtergesellschaften ist derzeit dadurch geprägt, dass diese häufig noch keine eigene HR-Abteilung haben. Dies ist meist durch deren Größe bedingt – die größte Tochtergesellschaft hat derzeit rund 200 Mitarbeitende. Insgesamt gibt es aktuell drei HR Referenten in drei Tochtergesellschaften. Ansonsten wird das Thema im Rahmen einer Doppelfunktion, meist durch den „Controller“ der Gesellschaft, wahrgenommen. Für die nächsten Jahre hat es sich SICK allerdings zum Ziel gesetzt, in jeder Tochtergesellschaft einen Mitarbeiter zu haben, der das Thema bearbeitet. Grundsätzlich ist die Zusammenarbeit mit den Tochtergesellschaften durch die bereits beschriebene Unabhängigkeit und Eigenverantwortung geprägt. Nichtsdestotrotz ist ein Austausch erwünscht, der durch das Mutterunternehmen gesteuert wird: Wir wollten einen großen Freiheitsgrad an Autonomie und Selbstverantwortung beibehalten und das führt dazu, dass außerhalb dieser Leadfunktionen diese so reduziert wie möglich sind, die Tochtergesellschaft selbst entscheidet, was sie macht. Ob das HR ist oder was anderes. … Das einzige, wo wir uns einmischen, ist die Art und Weise, wie Stellenanzeigen geschaltet werden und in die Gestaltung des HR-Auftritts im Internet.
Die Tochtergesellschaften bekommen auf der einen Seite bei Bedarf die nötigen Hilfestellungen im Themenfeld (insbesondere, wenn sie die Aufgaben aufgrund ihrer Größe nicht bewältigen können), auf der anderen Seite lässt ihnen das Mutterunternehmen aber auch die Freiheit, Prozesse so zu gestalten, wie sie glauben, dies tun zu müssen. Vom Austausch mit den Tochtergesellschaften, der derzeit aufgrund nicht vorhandener HR-Funktionsstellen noch hauptsächlich auf der Leitungsebene stattfindet, profitieren auch die zentralen Abteilungen: „Wir lernen auch von den Politiken, von den Vorschlägen und Entwürfen der Tochtergesellschaften und nehmen diese auf“. Im strukturellen Bereich sind aus Sicht des HR-Bereichs zwei Entwicklungen beobachtbar: zum einen eine zunehmende Dezentralisierung und zum anderen eine verstärkte Internationalisierung. Der HR-Bereich wird sich weiter dezentralisieren, indem aus dem zentralen Bereich heraus kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt werden, die dann zu Personalreferenten/Personalleiter der einzelnen Tochtergesellschaften werden und zwar „ohne ‚dotted line’, sondern wirklich entsprechend unserer Kultur dezentral aufgestellt“. Gleichzeitig macht diese Dezentralisierung aber
Fallstudie SICK
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auch die gemeinsame Abstimmung von Themen wie der Potential- und Führungskräfteentwicklung notwendig. In diesem Feldern „gibt es eine sehr starke Leadfunktion der Zentrale, ohne aber den dezentralen Faktor aufzugeben. Das ist die große Veränderung, die wir sehen und da werden wir uns auch noch internationaler und strategischer aufstellen müssen“. Für die SICK-Akademie hat diese Entwicklung zur Folge, dass auch sie quasi dezentralisiert wird, indem sie zu den Tochtergesellschaften „geht“ und nicht die Tochtergesellschaften zur SICK-Akademie „kommen“ werden. „So ist unser Verständnis, d. h. wir implementieren das vor Ort, so gut wie es geht und notwendig ist“. Wobei die SICK-Akademie in der Zentrale als Steuerungsinstanz erhalten bleiben wird. Die zunehmende Internationalisierung ergibt sich auch aus dem Ziel, den HR-Marktanteil im Konzern zu erhöhen. Der zentrale HR-Bereich war anfangs nur für die SICK AG tätig und weder für den deutschen noch für den internationalen Konzern zuständig. Daraus ergab sich die Frage bzw. Entwicklung: Mit welchen Leistungen, also mit welchen Strategien und welchen Leistungen müssen wir aufwarten, um im Konzern einen Fuß in die Tür zu bekommen? Dann haben wir angefangen über Personalwirtschaft, … haben die Potentialentwicklung gemacht im Konzern etc. Und jetzt sind wir eigentlich in allen Bereichen mit allen Themen drin. In Deutschland. Der nächste Schritt stellt das Ausland dar.
Derzeit wird die Geschäftsführer-Beschaffung und die Personalentwicklung für die Geschäftsführer zentral abgewickelt. Die Personalentwicklung für die zweite Ebene der Tochtergesellschaften wird aktuell von der Zentralabteilung in der SICK AG konzipiert. Die zunehmende Internationalisierung erfordert eine Qualifikationsanpassung der Mitarbeitenden der Zentralabteilung. Entsprechend sucht SICK derzeit einen Leiter/Leiterin Personal- und Organisationsentwicklung mit internationaler Erfahrung und steht dabei vor der Herausforderung, dass es kaum Personalentwickler gibt, die bereits international aufgestellt waren. Damit angesprochen ist die Frage nach dem Selbstverständnis und der Rolle des HRBereichs der SICK AG. Das Selbstverständnis wurde wie folgt festgehalten:
Empirische Exploration
368
CD Human Resources ...
sieht sich in der unternehmerischen Verantwortung, aktiv die Unternehmensentwicklung zu begleiten,
ist Innovator und Begleiter bei der Entwicklung einer kooperativen Unternehmenskultur, die den Mitarbeiter als Erfolgsfaktor in den Mittelpunkt stellt,
entwickelt die auf das Mitarbeiterpotenzial bezogenen wichtigen HR Instrumente und setzt diese in pragmatischer Weise im Unternehmen um,
ist Prozessbegleiter von Strukturveränderungen und technologischen Veränderungen im Unternehmen,
prägt durch gezielte Kompetenz- und Management-Entwicklung den Prozess der Organisations- und Unternehmensentwicklung,
versteht sich als interner Berater und Problemlöser und Experte für das Kerngeschäft HR (Recruiting, Beratung + Betreuung und Mitarbeiter-Services)
Abbildung 77: Selbstverständnis der CD Human Resources der SICK AG
Bezogen auf den gesamten HR-Bereich identifiziert Kast drei Rollen: „Das ist sowohl der Strategie-Entwickler und -implementierer als auch der Business-Partner als auch der Service-Dienstleister. Und in diesen drei Rollen sind wir auch auf verschiedenen Ebenen und auf verschiedene Art und Weise verankert im Unternehmen“. Kast bestimmt als Mitglied der Geschäftsleitung sehr klar den Strategieteil mit. Zum einen bedeutet dies für ihn, „das, was ich erfahre, herunterzubrechen. Das mache ich mit meinem Mitarbeitern auf die Art und Weise, dass wir das, was wir dann auf der Ebene hören und auch aus den Planungs-Workshops, dass wir das in Strategien und Konzepte einplanen und dann wieder in den Strategie-Workshops mit dem Vorstand zur Diskussion bringen“. Hierin zeigt sich auch die hohe Bedeutung seiner Person im Unternehmen. Vor seinem Eintritt in das Unternehmen im Jahr 1995 war das Thema HR eher schwach vertreten. Es wurde damals jemand gesucht, der initiativ den Bereich aufbaut und entwickelt; dieser Aufgabe hat sich Kast vollumfänglich gestellt. Das Personalmagazin kürte ihn auf Basis von über 50 Experteninterviews 2005 zu einem der Meinungsmacher und Vorbilder in Deutschland in der Kategorie Personalmanager: „Der gelernte Jurist machte in den letzten zehn Jahren die SICK AG … zu einem der attraktivsten Arbeitgeber… Er hat SICK zu einer lernenden Organisation
Fallstudie SICK
369
mit eigener Akademie gemacht … und hat zuletzt mit einer Beschäftigungsinitiative für Aufsehen gesorgt, mit der er Ungelernte für einfach Tätigkeiten qualifiziert“1425. Die Mitarbeitenden, die in den Bereichen vor Ort tätig sind, sieht Kast als BusinessPartner an. Service-Dienstleister ist der HR-Bereich insbesondere in Themen wie Personalwirtschaft und Zeitarbeitskonten. Diese Rollenaufteilung existiert in der Form seit zwei Jahren. Die Entwicklung war die, dass wir uns einmal wieder ins Strategieforum begeben haben mit dem Vorstand. Dort haben wir unser Selbstverständnis von Personalarbeit präsentiert und diskutiert, ob es die Zustimmung des Vorstandes findet oder nicht. Es hätte ja auch sein können, dass die gesagt hätte, ihr seid ausschließlich Dienstleister. … Das war aber nicht so. Sondern sie fordern uns auf, die strategische Weichenstellung im Bereich zu beobachten und daraus strategische Schlüsse zu folgern, die für die HRArbeit enorm wichtig sind.
Der Bildungsbereich als Teil des HR-Bereichs sieht sich selbst vor allem in den Rollen des „Change Partners, Service Partners, Business Partners und Competence Managers“. Diese Rollen wurden aus den grundlegenden Werten und Ansprüchen abgeleitet. Daneben wurde das Selbstverständnis durch die Definition der eigenen Arbeit incl. der Formulierung einer Vision und Mission wie folgt expliziert:
1425
o.V., 2005a, S. 25.
Empirische Exploration
370
Organisational and human resources development gives impetus to and accompanies the development of the company
Our aim – vision
As partners of the line we want to effectively support the company‘s strategy, efficiently organise changes, process and structure innovations, and ensure demand-oriented competence development of all groups of employees in the sense of an adaptive organisation Accompany changes Develop and ensure - organise processes, management quality ensure realisation and capacity
Develop motivation, identification and framework conditions
Build up and extend employee qualifications according to demand
Organisational development
Management development
Cultural development
HR development First training
Change partners
Service partners
Business partners
Competence managers
Pro-active, innovative, working together as partners, client-oriented, efficient, sustained Active acceptance policy through transparent offers, communication and proof of performance
Our task – mission
What are we up to – target fields
What do we offer – products
How do we see ourselves – roles Values
Attitude
Abbildung 78: Selbstverständnis und Kernaufgaben der CU Corporate HRD
Das Rollen- und Selbstverständnis wird derzeit sehr intensiv im Unternehmen diskutiert. Für 2007 sind entsprechende Workshops zum Thema geplant, die Ergebnisse des Prozesses sind derzeit noch offen.
6. Bezugsrahmen II
Im Rahmen der empirischen Exploration wurde das Praxisfeld aufgesucht und das Bildungsmanagement in den Fallstudienunternehmen Lufthansa, Bertelsmann, Kienbaum und SICK näher betrachtet.1426 Vor dem Hintergrund des handlungsleitenden Paradigmas der Wissenschafts-Praxis-Kommunikation dienen die daraus gewonnenen Beobachtungen im Folgenden zur Weiterentwicklung des Bezugsrahmens I (BZR I). Dabei behalten dessen Aussagen weiterhin ihre Gültigkeit und werden nicht nochmals detailliert. Sie werden aber ergänzt und gedanklich fortgeführt durch die Erkenntnisse aus der empirischen Exploration. Die Auswertung der Fallstudien war zunächst durch die folgende allgemeine Fragestellung geleitet: Welche ergänzenden Aussagen und Erläuterungen können aus der empirischen Exploration für die Ausgestaltung des BZR I gewonnen werden? Im Bezugsrahmen I wurden bezogen auf die einzelnen Aspekte der Entscheidungsund Handlungsfelder detailliertere Fragen zur Auswertung der Fallstudien definiert. Um möglichst vielfältige Erkenntnisse gewinnen zu können, wird dieser Fragenkatalog bezogen auf jedes Entscheidungs- und Handlungsfeld um folgende Fragen erweitert: x x
Welche kritischen Aspekte sind zu vermerken? Welche weiteren Beobachtungen sind bei der Formulierung des Bezugsrahmens zu beachten?
Zur übersichtlichen Darstellung geschieht die Auswertung der Fallstudien zunächst entsprechend des Fragenkatalogs stichpunktartig in tabellarischer Form unterteilt nach den Entscheidungs- und Handlungsfeldern auf der normativen und strategischen Ebene (siehe S. 373 ff. und S. 388 ff.).
1426
Im Folgenden ist zur leichteren Lesbarkeit mit Lufthansa die Lufthansa AG, mit Bertelsmann die Bertelsmann AG, mit Kienbaum die Kienbaum Consultants International GmbH und mit SICK die SICK AG gemeint.
Bezugsrahmen II
372
Durch die vergleichende Betrachtung können Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgezeigt und damit Hinführungen zu Generalisierungen geleistet werden. Die Ergebnisse, d. h. die ergänzenden Aussagen und Erkenntnisse aus der empirischen Exploration werden auf die tabellarische Auswertung aufbauend zum zweiten Bezugsrahmen zusammengeführt. Entsprechend trägt die empirische Exploration in erster Linie zur Theoriebildung bei. Die Grenzen zwischen Theoriebildung und Theorieüberprüfung sind allerdings, wie bereits dargestellt, fließend. Daher werden in einer ‚Nebenlinie’ z. T. auch Aussagen aufgenommen, die der Theorieüberprüfung zugerechnet werden können. Das gesamte Vorgehen wird auch hier wieder durch das grundlegende Anliegen der Dissertation, einen Bezugsrahmen des Bildungsmanagements auf der normativen und strategischen Ebene in Unternehmen zu entwickeln, geleitet.
6.1. Bildungsmanagement auf der normativen Ebene Die folgenden Ausführungen orientieren sich an den Entwicklungs- und Handlungsfeldern des BZR I. Entsprechend thematisiert Kapitel 6.1.1 die Managementphilosophie, Kapitel 6.1.2 die Unternehmenspolitik und Kapitel 6.1.2 das Leitbild des Unternehmens aus Sicht des Bildungsmanagements. Zunächst finden sich auf den nächsten Seiten die Auswertungen der Fallstudien entsprechend der Fragestellungen aus Kapitel 4: x
x
x
x x x x x
Wie sieht das Menschenbild (der Bildungsverantwortlichen) in den FallstudienUnternehmen aus? Welche Werte werden (im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement) in den Fallstudienunternehmen thematisiert? Wie gestaltet sich der Prozess der Werterhellung und -definition in den Fallstudienunternehmen? Wie formulieren die Mitarbeitenden ihre Ansprüche an das Unternehmen? Welche Ansprüche hat das Unternehmen (an seine Mitarbeitenden)? Wie wird möglichen Werte- und Anspruchskonflikten begegnet? Wie werden Aussagen zum Thema Bildung in den Unternehmen festgehalten? Wie kam es zu diesem Leitbild?
- Werte werden nicht bewusst
Welche Werte werden (im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement) in den Fallstudienunternehmen thematisiert?
„Bertelsmann Essentials“ als handlungsleitender Wertekanon: - Partnerschaft - Unternehmergeist - Kreativität - gesellschaftliche Verantwortung
Menschenbild des „Homo Bertelmannensis“: - eigenständige Persönlichkeit - kreativ - begeistert für Medienwelt - vielfältig interessiert - unkonventionell - Querdenker - selbst gesteuert an Weiterentwicklung interessiert - Mit-Unternehmer
Menschenbild des „Lufthanseaten“: - Persönlichkeit - international - zuverlässig - flexibel - Fähigkeit mit Komplexität und Widersprüchlichkeiten umzugehen - zeigt Verantwortung für Gesellschaft und Unternehmen - hohe Identifikation mit dem Unternehmen
Wie sieht das Menschenbild (der Bildungsverantwortlichen) in den Fallstudienunternehmen aus?
expliziert - dennoch allgemeiner Wertekanon
Bertelsmann
Lufthansa
Managementphilosophie
Bereitschaft beständig Neues zu erlernen) - Partnerschaftlichkeit - Innovation
- Kompetenz (d. h. Flexibilität,
-
-
-
-
-
-
-
Unternehmens als auch der Mitarbeitenden) - Innovation (merkliche Verbesserungen, die Nutzen bringen für das Bildungsmanagement) - Leadership (u. a. Führungskultur)
- Independence (sowohl des
Unternehmen und Mitarbeitenden - Eigeninitiative
- Vertrauen gegenüber
- Offenheit
Selbstbewusstsein
- hohes Maß an
-
- denkt mit
- Persönlichkeiten mit hoher
Individualität Menschen mit Ecken und Kanten, nicht stromlinienförmig sozialkompetent konfliktbereit teamorientiert flexibel offen, ehrlich, mutig extrem hohe Leistungsbereitschaft zwei Ausprägungsformen: a, verkaufsorientiert b, inhaltlich getrieben
- „Innovativer Erfinder“
- „Eigene Köpfe“
SICK
- „Innovative Unternehmer“
Kienbaum
Lufthansa
- es werden bewusst keine Wertekampagnen angestoßen, vielmehr ‚let it flow’-Philosophie - Wertediskussionen geschehen automatisch
Zum einen wird darauf hingewiesen, bewusst keine Wertekampagnen anzustoßen, um der Gefahr vorzubeugen ‚bedeutungsleere Aussagen’ zu formulieren, zum anderen existiert ein sehr allgemeiner Wertekanon, der die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens festhält und begründet
Corporate University als Plattform des Wertedialogs
Managementphilosophie
Wie gestaltet sich der Prozess der Werterhellung und -definition in den Fallstudienunternehmen?
Welche kritischen Aspekte sind zu vermerken?
Welche weiteren Beobachtungen sind bei der Formulierung des Bezugsrahmens zu beachten?
Corporate University als Plattform des Wertedialogs
Inwieweit passt das gewünschte Menschenbild mit der Forderung eines partnerschaftlichen Agierens innerhalb der Konzernstrukturen zusammen? Inwiefern ist das Menschenbild Realität? Wie werden die ‚Essentials’ ‚übersetzt’, um praktisch angewendet werden zu können?
- permanenter Prozess der Reflexion, der sich z. B. in Veranstaltungen der BU automatisch ergibt - bewusster Prozess zur Einführung der Essentials (d. h. Wertekampagnen)
Bertelsmann - historisch bedingt (Ursprung in der Person des Gründers)
Kienbaum
- starke historische Prägung
SICK
- veränderte Ansprüche bezogen auf Anforderungen an Beruf und Arbeitgeber: (Weiter-)Entwicklungsmöglichkeiten (nicht näher differenziert)
- profitables Wachstum - Ausrichtung an Kernkompetenzen - Fokus auf Kundennutzen
- Entwicklung des Unternehmens und der Mitarbeitenden werden als Einheit betrachtet - explizit ausgewiesenes Ziel: Interessen berücksichtigen und integrieren - auch in Zeiten schwacher Konjunktur werden Entwicklungsperspektiven gegeben
Wie formulieren die Mitarbeitenden ihre Ansprüche an das Unternehmen?
Welche Ansprüche hat das Unternehmen (an seine Mitarbeitenden)?
Wie wird möglichen Werte- und Anspruchskonflikten begegnet?
Ökommunikative Ebene
Lufthansa
Unternehmenspolitik
- formulierte Strategie: Schaffung einer „gerechten und motivierenden“ Arbeitswelt, in der der Einzelne Freiraum hat zur Entwicklung
- Aufbau und Erreichen führender Positionen in attraktiven Märkten - Sicherung der Unternehmenskontinuität - der Gesellschaft verpflichtetes Handeln
- in den Mitarbeiterbefragungen werden Ansprüche erfasst, z. B. im Zusammenhang mit beruflichen Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten
Bertelsmann
- Versuch, ein Gefühl der persönlichen Bindung zu erreichen - „Befindlichkeitsphilosophie“ - Fokussierung auf den Menschen als Unternehmensziel - Weiterentwicklung wird als grundlegend angesehen
- Kunden durch effizienzsteigernde Lösungen nachhaltig erfolgreicher machen - führendes Beratungsunternehmen im Human Value Business werden - Flexibilität im Denken und Handeln, Bereitschaft beständig Neues zu Lernen
- keine Angaben
Kienbaum
- Unternehmen will Mitarbeitende in der persönlichen Entwicklung fördern – nicht nur Personalentwicklung - unternehmensweites Thema - immanenter Bestandteil der Philosophie des Unternehmens
- Wille der Mitarbeitenden, sich selbst und das Unternehmen ständig weiterzuentwickeln - soziale und persönliche Kompetenz (kognitive Kompetenz kann entwickelt werden) - Lebenslanges Lernen
- Tendenz zu Wunsch nach Weiterentwicklung - abhängig vom Qualifikationsniveau
SICK
- Weiterentwicklungsmöglichkeiten: u. a. bewusste Förderung des Wechsels über Konzernbereiche hinweg, internationale Weiterentwicklungsmöglichkeiten, Förderung der Inhouse-Karriere - Weiterbildungsprogramme im Rahmen der Corporate University
Wie wird möglichen Werte- und Anspruchskonflikten begegnet?
Welche kritischen Aspekte sind zu vermerken?
ÖTätigkeitsebene
Lufthansa
Unternehmenspolitik
Kienbaum
- fraglich, ob Freiheitsgrade - Spannungsverhältnis auch genutzt werden zwischen verkaufsorienkönnen oder ob es nicht tierten Typen und dem vielmehr eine VerantworWissen, dass Bildung einen tungsabgabe bedeutet, die hohen Stellenwert hat, d. h. nicht funktioniert, weil z. B. Diskrepanz zwischen Wissen die Unterstützung durch die und eigenem Handeln Führungskraft fehlt - „Entwicklung immer vor dem Hintergrund der Unternehmensinteressen“ daher fraglich inwieweit Persönlichkeitsentwicklung möglich ist
- Unternehmen lässt Raum für - Balance zw. „Zahlen- und eigene Entwicklung (geprägt Mitarbeiterorientierung“ durch hohes Maß an Autowird bewusst angestrebt, nomie und Eigenverantu. a. durch Planungszielvereinbarungen, variable Lohnwortung) bestandteile, Weiterbildungs- institutionalisiert: auf budgets je Mitarbeiter Konzernebene Angebote - es wird berücksichtigt, dass des Zentralbereichs Bildung jobbasierte Lernprozesse und Bertelsmann University Zeit brauchen - institutionalisiert: Angebote der Academy, Weiterbildungsbudgets
Bertelsmann
- Qualifizierung von Mitarbeitenden führt dazu, Weiterbildung einzufordern - Förderung der Lernens am Arbeitsplatz - institutionalisiert: Angebote im Rahmen der Akademie
SICK
Welche weiteren Beobachtungen sind bei der Formulierung des Bezugsrahmens zu beachten?
Unternehmenspolitik
Lufthansa - Einfluss des Zentralbereichs schwierig aufgrund der sehr dezentralen Aufstellung des Unternehmens – Bildungsmanagement kann Interessenkonflikt nach eigenen Angaben wegen Entfernung zu den dezentralen Bereichen nur bedingt beeinflussen
Bertelsmann
Kienbaum
- Kompetenzmanagement: so gut sein, dass die Leute bleiben, obwohl sie woanders hingehen können - es ist nicht mehr auszumachen, ob zuerst der Anspruch der Mitarbeitenden da war oder der Anspruch des Unternehmens - Weiterentwicklung wird als umfassendes Thema verstanden (auch Azubis, kurzzeitig Beschäftigte, ältere Mitarbeitende) - auf Ebene Mitarbeiter – Führungskraft verlagert durch Qualifizierung und Aufforderung der Mitarbeitenden, ihre Führungskräfte zu fordern und ihre Ansprüche ihnen gegenüber zu formulieren
SICK
Lufthansa
- Unternehmensleitbild: Weiterentwicklungsmöglichkeit der Mitarbeitenden aufgenommen - Leitbild i.S. von führungsethischen Grundsätzen gibt es bewusst nicht
- Unternehmensleitbild 1998 kodifiziert - Entstehung nicht explizit ausgewiesen
- bewusster Verzicht auf ein Leitbild i.S. von führungsethischen Grundsätzen
Leitbild
Wie werden Aussagen zum Thema Bildung in den Fallstudienunternehmen festgehalten?
Wie kam es zu diesem Leitbild?
Welche weiteren Beobachtungen sind bei der Formulierung des Bezugsrahmens zu beachten?
- es existieren unterschiedliche Formen von Leitbildern, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden und aktualisiert wurden
- historisch gewachsen, durch Unternehmensgründer (-familie) bestimmt - über Jahrzehnte auf vielfältige Weise fortgeschrieben und laufend angepasst - Bertelsmann Essentials: Neufassung 2006 hat in einem konzernübergreifenden Prozess stattgefunden
- u. a. Essentials: „Für ihre Weiterentwicklung setzen wir uns ein“ - keine weiteren Bezugspunkte
Bertelsmann
- nicht konkretisiert
- nicht konkretisiert
Kienbaum
- Arbeitskreis aus verschiedenen Mitarbeiter- und Führungskräfteebenen - Implementierung durch Kampagnen
- Slogan über alles: „Sensor Intelligence“ (u. a. Intelligenz als Philosophie und Anspruch an alle) - Leitbild seit 2004 als Bekenntnis und nicht als Handlungsanweisung - Aufforderung bereichsspezifische Leitbilder zu entwickeln
SICK
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
379
6.1.1. EHF 1: Managementphilosophie Die Managementphilosophie geht den Einstellungen/Überzeugungen und Werten des Unternehmens und der Mitarbeitenden nach. Durch die Auseinandersetzung mit Menschenbildern ist es möglich, die gegenüber den Menschen im Unternehmen vorhandenen Einstellungen/Überzeugungen zu explizieren und darauf basierend ein unternehmensbezogenes Gedankensystem zu entwickeln. Dem Bildungsmanagement kommt dabei insbesondere eine Diagnosefunktion zu. Entsprechend der Gliederung des Bezugsrahmens I werden im Folgenden die beiden Aspekte Menschenbild (Kapitel 4.1.2.1) und Werte/Werthaltungen (Kapitel 4.1.2.2) unterschieden.
6.1.1.1. Menschenbild Ausgangspunkt für die Analyse der Fallstudien war die Frage nach dem Menschenbild (der Bildungsverantwortlichen) in den Fallstudienunternehmen. Hierbei fällt auf, dass es sich bei den besprochenen Menschenbildern nicht um rein individuelle Bilder handelt, sondern um Bilder des Menschen, die auf breiter Unternehmensebene vertreten werden. Zum Teil werden diese Menschenbilder mit expliziten Namen charakterisiert: „Lufthanseat“, „Homo Bertelmannensis“ oder „Innovativer Erfinder“. Damit wird deutlich, dass es nicht nur das im ‚Kopf jedes Einzelnen’ verankerte Menschenbild gibt, sondern auch das ‚Menschenbild des Unternehmens’. Das heißt, innerhalb des Unternehmens wird eine gemeinsame Auffassung vertreten, wie der Mensch ist und wie er sein sollte (damit er „ins Unternehmen passt“). In ähnlicher Weise, wie die individuellen Einstellungen/Überzeugungen jedes Einzelnen durch Erziehung und Erfahrung geprägt sind, kann auch das Menschenbild im Unternehmen durch die Historie des Unternehmens begründet sein. Oftmals hat es seinen Ursprung im ehemals individuellen Menschenbild des Gründers. Das ursprünglich individuelle Menschenbild des Gründers wird über Jahre hinweg fortgeführt und in der Art gestärkt, dass es nun die individuellen Menschenbilder jedes Einzelnen überlagert bzw. ergänzt. So ist das Bild des „innovativen Unternehmers“ bei Kienbaum auf die Überzeugungen Gerhard Kienbaums zurückzuführen. Bei SICK begründet sich das Bild des Menschen, der eigenverantwortlich und selbstständig handelt und Initiative zeigt, in der Einstellung Erwins Sicks. Und auch bei Bertelsmann ist das Menschenbild durch die Gründerfamilie geprägt. Damit bestimmen historische Gegebenheiten die heutige Form des unternehmerischen Menschenbildes mit.
380
Bezugsrahmen II
Es stellt sich nun die Frage, ob sich aus den einzelnen Menschenbildern der Fallstudienunternehmen Gemeinsamkeiten zum Menschenbild des Bildungsmanagements in dieser Arbeit finden lassen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die einzelnen Menschenbilder durch sehr vielfältige Attribute beschrieben werden. Dabei existieren gewisse Eigenschaften, wie ‚Persönlichkeit’, ‚Eigenständigkeit’ und ‚Kreativität’, die sich in ähnlicher Weise auch im Bildungsmanagement-Verständnis dieser Arbeit wiederfinden lassen. Im BZR I wurde festgehalten, dass das Bildungsmanagement ein Menschenbild impliziert, welches davon ausgeht, dass der Mensch in unternehmerischen Situationen nicht nur reagiert, sondern auch agiert, einen immanenten Drang zur Weiterentwicklung innehat sowie eigen- und sozialverantwortlich handelt. Eigenständigkeit und -initiative sind dabei wesentliche Eigenschaften des Menschen. Daneben wird in den Menschenbildern der Fallstudienunternehmen Lufthansa, Bertelsmann und Kienbaum der Mitarbeitende als Persönlichkeit beschrieben. Es bleibt allerdings unklar, ob das gleiche Begriffsverständnis vorherrscht. Nichtsdestotrotz wird deutlich, dass gewisse Grundattribute in den Menschenbildern der Fallstudienunternehmen vorhanden sind, die mit den Menschenbildaspekten des Bildungsmanagements im Verständnis dieser Arbeit in Einklang stehen. Daneben fällt auf, dass die einzelnen Menschenbilder unternehmensspezifische Ausprägungen haben, die über die genannten ‚Grundattribute’ hinausgehen, z. B. bei Bertelsmann die Begeisterung für die Medienwelt, bei Lufthansa die Internationalität und Zuverlässigkeit, bei Kienbaum eine hohe Leistungsbereitschaft und Sozialkompetenz und bei SICK das innovative Erfindertum.
6.1.1.2. Werte und Werthaltungen Neben dem Menschenbild im Unternehmen dient die Auseinandersetzung mit vorhandenen Werten und Werthaltungen der Herausbildung einer Managementphilosophie. Im BZR I wurde die Frage aufgeworfen, welche Werte im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement in Unternehmen thematisiert werden. Diese Frage lässt sich durch die Fallstudien nur schwer beantworten. Im Quervergleich wurde deutlich, dass Werte meist auf Unternehmensebene explizit formuliert werden bzw. wurden (durch historische Bedingtheit). Dabei konzentrieren sich die angesprochenen Unternehmen auf wenige Grundwerte, die prägnant mit wenigen Schlagworten zusammengefasst werden. Das Ziel dieser Fokussierung ist es, vielfältige Anknüpfungspunkte zu bieten, wobei nicht konkret ausgemacht werden kann, wie der definierte Wertekanon tatsächlich in der Unternehmenspraxis umgesetzt wird. Aus einer Bildungsmanagement-Perspektive lassen sich allerdings bei allen genannten Wertedefinitionen Bezugspunkte ausmachen. Beispielsweise wird in den „Bertelsmann
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
381
Essentials“ die Kreativität und gesellschaftliche Verantwortung hochgeschrieben oder bei Kienbaum der Kompetenzaspekt. Die Werte des Einzelnen werden nicht explizit betrachtet oder mit einbezogen. Allerdings geschieht dies implizit über die Gestaltung des Prozesses der Werterhellung und -definition. Ebenso wie bei den Menschenbildern in den Unternehmen ist bei der grundsätzlichen Werteformulierung eine starke historische Bedingtheit beobachtbar. Diese historischen Werte werden über Jahre hinweg diskutiert und gegebenenfalls angepasst. Dabei sind zwei unterschiedliche Gestaltungsrichtungen erkennbar: zum einen die bewusste Gestaltung durch Wertekampagnen (z. B. bei Bertelsmann durch den Film „The Spirit“), in denen beispielsweise ähnlich einem Multiplikatoreneffekt durch den gezielten Einsatz von Mitarbeitenden als „Wertträger“ versucht wird, die formulierten Werte in das Unternehmen zu ‚tragen’. Zum anderen besteht aber auch die Möglichkeit, Raum zur Wertediskussion zu schaffen und damit einen permanenten und weniger bewusst gesteuerten Werteprozess anzuregen. Hierbei kommt in den Fallstudienunternehmen insbesondere den Corporate Universities die Rolle einer „Plattform des Wertedialogs“ zu. Dabei wird deutlich, dass die Phasen der Werterhellung und der Wertedefinition nicht einfach zu trennen sind, sondern die Übergänge fließend sein können. Zusammenfassend ist nochmals darauf hinzuweisen, dass nicht nur die Menschenbilder und Werthaltungen im Unternehmen durch dessen Geschichte beeinflusst sind, sondern damit auch die Managementphilosophie als Gesamtes. Dies zeigt sich in den Fallstudien z. B. in der ‚Befindlichkeitsphilosophie’ bei Kienbaum oder bei Bertelsmann, wo die Eigentümer-Familie, Bezug nehmend auf Grundsätze Heinrich Mohns, für die Managementphilosophie sehr prägend ist. Das Bildungsmanagement sollte sich bewusst sein, dass derartig gewachsene Managementphilosophien (bzw. Menschenbilder und Werte) nur schwer verändert werden können. Vielmehr ist dann die Frage zu stellen, inwieweit diese Managementphilosophien mit dem Bildungsmanagement-Verständnis, wie es in dieser Arbeit vertreten wird, vereinbar sind. 6.1.2. EHF 2: Unternehmenspolitik Neben der Betrachtung der Einstellungen/Überzeugungen gegenüber den Menschen im Unternehmen ist es auf der normativen Ebene wesentlich, sich mit den Werten und Ansprüchen der relevanten Anspruchsgruppen, d. h. aus Sicht des Bildungsmanagements des Unternehmens und der Mitarbeitenden, auseinanderzusetzen. Die Ansprüche der Mitarbeitenden an das Unternehmen haben sich wie aufgezeigt
Bezugsrahmen II
382
verändert und stehen in Zusammenhang mit der Forderung der Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung. Auch die Fallstudien zeigen, dass die Mitarbeitenden verstärkt Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten fordern. Abgeleitet aus der SICK-Fallstudie scheint dieser Anspruch allerdings abhängig vom Qualifikationsniveau zu sein. Die Ansprüche der Fallstudienunternehmen sind entsprechend des Quervergleichs der Fallstudienergebnisse sehr unterschiedlich und umfassen (wie zu vermuten war) nur zum Teil und nur sehr indirekt den Bereich Bildung und Lernen. Im Rahmen der Diskussionen in Bezugrahmen I wurde die Frage für die Auswertung der empirischen Exploration aufgeworfen, wie in den Fallstudienunternehmen möglichen Werte- und Anspruchskonflikten begegnet wird. Zunächst fällt bei der Analyse der Fallstudienergebnisse auf, dass zwei Ebenen unterschieden werden können: der kommunikative Umgang mit der Thematik (dies umfasst auch das Grundverständnis und die Grundhaltungen) und der tatsächliche Umgang, der sich in Aktivitäten und Angeboten niederschlägt. Auf der kommunikativen Ebene ist der Grad der Berücksichtigung sehr unterschiedlich: Bertelsmann und Kienbaum weisen allgemein darauf hin, dass eine ‚Weiterentwicklung’ grundlegend ist und sie die Arbeitswelt hierfür schaffen möchten (dabei ist allerdings nicht ausgewiesen, ob es sich um eine entwicklungsorientierte oder anforderungsorientierte Weiterentwicklung handelt). Bei Lufthansa wird die Entwicklung des Unternehmens und der Mitarbeitenden als Einheit betrachtet, im Rahmen derer auch die Interessen der Mitarbeitenden berücksichtigt und integriert werden sollen. SICK geht noch einen Schritt weiter und formuliert die explizite Förderung der persönlichen Entwicklung der Mitarbeitenden als Unternehmensziel. Bei einer Analyse auf der kommunikativen Ebene stellt sich allerdings immer die Frage, ob es sich hierbei um „Kalenderweisheiten“1427 und „leere Hüllen“1428 handelt, ober ob es durch ein entsprechendes Handeln unterlegt werden kann. Auf der Tätigkeitsebene reagieren die Fallstudienunternehmen mit unterschiedlichen Aktivitäten, wie aus dem Quervergleich der Ergebnisse deutlich wird. Allen gemein ist das Angebot an institutionalisierten Maßnahmen durch die Weiterbildungsabteilungen der Unternehmen, d. h. in der Regel durch die Corporate Universities. Bezogen auf den Umgang mit dem Interessenkonflikt im Unternehmen ist hier noch auf einige Besonderheiten des Fallstudienunternehmens SICK hinzuweisen, die das
1427
Euler, 2004, S. 36.
1428
Rosenstiel, 2007, S. 50.
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
383
Unternehmen von den anderen genannten Unternehmen abhebt. Für SICK ist Bildung ein immanenter Bestandteil der Unternehmenspolitik. Bildung umfasst hierbei, entsprechend des Verständnisses dieser Arbeit, sowohl einen anforderungsorientierten als auch den entwicklungsorientierten Aspekt. Dies schlägt sich beispielsweise darin nieder, dass (Weiter-)Entwicklung als umfassendes Thema verstanden wird und z. B. auch kurzfristig Beschäftigten oder Azubis Entwicklungsmöglichkeiten angeboten werden. Daneben ist festzustellen, dass der Umgang mit dem Spannungsverhältnis im Unternehmen eher auf der Ebene der Führungskräfte von Relevanz ist. Das Unternehmen hat die Mitarbeitenden so weiterqualifiziert, dass sie die Fähigkeit haben, ihre Ansprüche gegenüber den Führungskräften zu kommunizieren und wissen, was sie einfordern können. Damit ist der Anspruch an die Rolle der Führungskraft gestiegen. Aus Sicht des Unternehmens gewinnt Bildung als Mittel zur Überlebensfähigkeit, Effizienzsteigerung und Gewinnmaximierung an Bedeutung. Die veränderten (organisatorischen) Rahmenbedingungen und die Herausforderungen der Zukunft machen es, wie in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigt, notwendig, eigen- und sozialverantwortliche, ganzheitlich kompetente Mitarbeitende zu fördern und zu entwickeln. Dem Mitarbeitenden hingegen geht es verstärkt um Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentwicklung. Das Thema ‚Bildung’ wird zwar aus unterschiedlichen Perspektiven und mit verschiedenen Hintergründen beleuchtet, trotzdem bildet sich eine gemeinsame Schnittmenge heraus. Im Fall von SICK führt dies dazu, dass das Unternehmen heute nicht mehr sagen kann, ob die Ansprüche der Mitarbeitenden auf Entwicklungsmöglichkeiten oder der Anspruch des Unternehmens auf Entwicklung der Mitarbeitenden zuerst da war. In diesem Zusammenhang ist noch ein weiterer Effekt beobachtbar. Wie bereits in der theoretischen Exploration und im BZR I angesprochen, kann es durchaus Mitarbeitende geben, die ihre Arbeitstätigkeit als reines Instrument zur Lebensunterhaltsfinanzierung ansehen und weniger Wert auf Weiterentwicklung legen. Durch die oben geschilderten Entwicklungen kann es in diesem Fall passieren, dass das Unternehmen zum maßgeblichen Treiber der Bildung der Mitarbeitenden wird. Dies zeigt sich ebenfalls bei SICK, wo niedrigqualifizierte Mitarbeitende bewusst zur Weiterentwicklung motiviert werden.
384
Bezugsrahmen II
6.1.3. EHF 3: Leitbild Im BZR I wurden zwei Handlungsoptionen im Zusammenhang mit der Formulierung von Leitbildern aus Sicht des Bildungsmanagements aufgezeigt: zum einen ist es möglich, Aussagen zum Thema Bildung in das Unternehmensleitbild zu integrieren und zum anderen, ein eigenes Bildungsmanagement-Leitbild zu entwickeln. Aus den Fallstudien wurde deutlich, dass die Integration von Aussagen in das Unternehmensleitbild nicht nur direkt, sondern auch indirekt geschehen kann. Die Basis für das Bildungsmanagement kann durch die Aufnahme von Aussagen zum Menschenbild und zu den mit dem Bildungsmanagement verbundenen Werten ins Leitbild bereitet werden, ohne dass der Bildungsanspruch direkt verankert wird. In der theoretischen Exploration wurde daneben dargestellt, dass Unternehmen z. T. bewusst auf die Formulierung von Leitbildern verzichten. Die Entscheidung dafür, ob ein Leitbild erstellt wird und auf welcher Ebene, hängt, wie die Fallstudien zeigen, u. a. von der Kultur des Unternehmens ab. In Unternehmen, die durch eine Eigenständigkeit der einzelnen Bereiche geprägt sind und die der Eigenverantwortung des Einzelnen sehr viel Bedeutung beimessen, werden sehr bewusst keine unternehmensübergreifenden Leitbilder formuliert. Lufthansa weist z. B. darauf hin, dass aufgrund der vielfältigen Subkulturen im Unternehmen bewusst auf die Formulierung eines Leitbilds im Sinne von führungsethischen Grundsätzen verzichtet wird. Das Bildungsmanagement-Leitbild stellt eine konkrete Möglichkeit dar, die mit dem Bildungsmanagement verbundenen Werte, Grundsätze und Ziele zu explizieren. Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass es als Zwischenstufe zur Integration bildungsrelevanter Aussagen in das Unternehmensleitbild anzusehen ist. Aus der empirischen Exploration wurde deutlich, dass zwei weitere Aspekte zu berücksichtigen sind: das ‚Bildungsmanagement-Leitbild’ als Leitbild des Bereiches Bildungsmanagement und Bereichsleitbilder als Instrumente des Bildungsmanagements. Die Formulierung von Leitbildern für spezielle Bereiche im Unternehmen kann ein Auslöser dafür sein, dass sich diese Bereiche mit ihren Einstellungen/Überzeugungen, Werten und Ansprüchen auseinandersetzen und eine gemeinsame Basis für ihr Handeln erarbeiten. Meist geschieht dies vor dem Hintergrund eines übergreifenden Unternehmensleitbildes. Beispielsweise wurde bei Lufthansa auf Gesamtunternehmensebene ein allgemeingültiger Wertekanon formuliert, der Raum lässt für die bereichsspezifischen Belange. Auch bei SICK ist das Unternehmensleitbild bewusst abstrakt gehalten und muss je nach Bereich und Blickwinkel diskutiert sowie ‚heruntergebrochen’ werden. Eine derartige Leitbildformulierung kann als Instrument
Bildungsmanagement auf der normativen Ebene
385
des Bildungsmanagements gesehen werden, die Ansprüche der Beteiligten zu explizieren und sie zu sensibilisieren. Dabei kann es hilfreich sein, wenn im übergeordneten Unternehmensleitbild, welches (falls vorhanden) als Basis für die bereichsspezifischen Leitbilder herangezogen wird, bereits bildungsmanagementbezogene Aussagen formuliert sind. Die Bereiche werden so indirekt dazu angeregt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das Bildungsmanagement ist, aus einer institutionellen Perspektive betrachtet, ein (Teil-)Bereich des Unternehmens. Entsprechend kann es gewünscht und auch sinnvoll sein, für diesen Bereich ein spezielles Leitbild zu entwickeln. In diesem werden die spezifischen Gegebenheiten des Bereichs aufgenommen. Folglich umfasst das Leitbild nicht nur Aussagen zum Thema Bildung, sondern bezieht sich auf alle Ebenen der Bereichstätigkeit (z. B. die Funktion und die Ziele einer Corporate University wie der Bertelsmann University). In allen Arten von Leitbildern können die mit Bildung im Zusammenhang stehenden Werte und Ansprüche aufgenommen und kommuniziert werden. Auf diese Weise wird den verbal formulierten ‚Weisheiten’ des Unternehmens Nachdruck verliehen. Es wird nach innen und außen sichtbar gemacht, dass der Ausgleich des Interessenkonflikts für das Unternehmen von Bedeutung ist. Allerdings erweist sich diese Vorgehensweise nicht automatisch als erfolgreich: Im BZR I wurde dargestellt, dass Leitbilder z. T. zu realitätsfern formuliert sind und keine Anknüpfungspunkte in der Praxis bieten. Um folglich zum Ausgleich des Interessenkonflikts beitragen zu können, müssen die verbalen Aussagen/Leitbilder mit praktischem Tun verknüpft werden, d. h. das Bildungsmanagement muss im Unternehmen gelebt werden. Diese Forderung bezieht sich zwar zunächst auf das Top-Management (Vorbildfunktion), es sollte grundsätzlich aber nicht nur dort, sondern im Verhalten jedes Einzelnen im Unternehmen sichtbar werden. Bei SICK hat sich auf diese Weise die Aufgabe des Interessenausgleichs ein Stück weit auf die Interaktion zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden verlagert. Beide Parteien wurden allerdings bewusst hierfür qualifiziert (z. B. durch die Schulungen zum Thema Mitarbeitergespräch). Aus der empirischen Exploration kann letztlich auch eine Phasenabhängigkeit der Einstellung von/in Unternehmen zum Thema Leitbild abgeleitet werden (vgl. Abbildung 79). So gibt es Phasen im Unternehmensprozess, beispielsweise aufgrund von wirtschaftlichen Schwierigkeiten oder kulturellen Veränderungen, in denen es notwendig erscheint, sich sehr bewusst mit der Managementphilosophie und der Unternehmenspolitik des Unternehmens zu beschäftigen und diese in einem Leitbild zu explizieren. Der Prozess der Leitbildformulierung wird als Instrument angesehen, welches
Bezugsrahmen II
386
das Unternehmen als Gesamtes veranlasst, sich mit der gemeinsamen Basis des Handelns auseinanderzusetzen. Auf diese Weise wird ein Leitbild formuliert und implementiert. Im Fortgang stoßen neue Mitarbeitende zum Unternehmen, die nicht in den Prozess der Leitbilderstellung integriert waren. An diese wird das Leitbild zwar herangetragen, immer weniger Mitarbeitende werden es aber als handlungsleitende Richtlinie ansehen. Mit der Zeit verliert das Leitbild immer mehr den Bezug zum praktischen Handeln und wird zunehmend ‚bedeutungslos’. In derartigen Situationen kann dann, möglicherweise aufgrund von Veränderungen im Unternehmensumfeld, der Wunsch entstehen, sich mit den Werten und Ansprüchen im Unternehmen (der ‚gemeinsamen Basis’) neu auseinanderzusetzen. Es werden Initiativen ins Leben gerufen, um sich wieder bewusst mit dem Thema zu beschäftigen. Es entsteht ein ‚neues’ Leitbild des Unternehmens. Dieses kann auf dem alten basieren und die wesentlichen Kategorien fortschreiben oder es kann völlig neu gestaltet werden. Bedeutung des Leitbildes für das Handeln im Unternehmen Implementierung
(Neu-)Implementierung
(Neu-)Initiierung
Leitbild wird entwickelt bzw. überarbeitet t Abbildung 79: Phasenmodell: Leitbilder im Unternehmen
Auf diese Weise entwickeln sich Leitbilder in Unternehmen weiter und haben je nach Entwicklungsphase einen unterschiedlichen Stellenwert für das Handeln im Unternehmen. Die Phasenabhängigkeit wird z. B. bei Bertelsmann deutlich (vgl. insbesondere Abbildung 57). Zuletzt führte eine internationale Mitarbeiterbefragung dazu, die seit 1960 in verschiedener Weise bestehenden Unternehmenswerte (‚Essentials’) aufzugreifen und im Unternehmen zu diskutieren. Im Ergebnis wurden 2006 die neu gefassten Unternehmenswerte offiziell kommuniziert und implementiert. Damit wird deutlich, dass Leitbilder auch bewusst als Instrumente zur Reflexion und Auseinandersetzung eingesetzt werden können und das Bildungsmanagement in diesem Zusammenhang eine Moderations- und Dokumentationsfunktion wahrzunehmen hat.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
387
6.2. Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene Auf die Betrachtung der normativen Ebene aufbauend, stehen im Folgenden die Entscheidungs- und Handlungsfelder der strategischen Ebene, d. h. die Strategie (Kapitel 6.2.1), die Kultur (Kapitel 6.2.2) und die Struktur (Kapitel 6.2.3) im Mittelpunkt. Auch hier finden sich auf den nächsten Seiten zunächst die grundlegenden Auswertungen der Fallstudien in tabellarischer Form. Dabei erfolgt eine Orientierung an folgendem, aus dem ersten Bezugsrahmen abgeleiteten Fragenkatalog: x x
x x x x x x x
x
x x x
x
x x x
x
x
x
Auf welcher Strategieebene spielen Bildungsmanagement-Aspekte eine Rolle? Wie werden Strategien aus Sicht des Bildungsmanagements in den Unternehmen entwickelt? Von wem werden die Bildungsmanagementstrategien entwickelt? Inwieweit ist das Bildungsmanagement an der Strategieentwicklung beteiligt? Welche Bedeutung haben Subkulturen in den Unternehmen? Wie wird mit Subkulturen in den Unternehmen umgegangen? Welche Kulturdimensionen spielen für das Bildungsmanagement eine Rolle? Wie wird die Kultur in den Unternehmen analysiert und gestaltet? Welche Rolle spielt das Bildungsmanagement bei der Kulturanalyse und -gestaltung? Wie sieht die Rolle der Führungskräfte im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement in den Unternehmen aus? Wie beeinflusst das Bildungsmanagement diese Rolle der Führungskräfte? Wie ist das Bildungsmanagement strukturell in den Unternehmen verankert? Wie erfolgt die Zusammenarbeit der mit dem Bildungsmanagement betrauten Einheiten? Wie wird das Bildungsmanagement in den nächsten Jahren organisatorisch verankert werden? Welche Rolle kommt der Corporate University in den Unternehmen zu? Welches interne Marktmodell liegt dem Bildungsmanagement zugrunde? Warum spielt das Outsourcing von Bildungsmanagement-Funktionen keine/nur eine untergeordnete Rolle? Wie ist das Selbstverständnis und die Rolle des Bildungsmanagements in den Unternehmen? Mit welchen (weiteren) organisatorischen Herausforderungen ist das Bildungsmanagement in den nächsten Jahren konfrontiert? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Bildungsmanagement?
Lufthansa
- Unternehmensstrategie: Balance zwischen Kunden-, Aktionärs- und Mitarbeiteransprüchen - Geschäftsbereichsstrategie: im Rahmen der Prozesse der LHSB
- definierter Prozess, gekennzeichnet durch eine integrierte Vorgehensweise - Zuhilfenahme unterschiedlicher Instrumente: eLLF, CMG, LLC, SWOTAnalyse, Online-Abfrage,… - stark bipolarer Prozess - offene Kommunikationskultur - hoch transparenter Vorgang
- breiter Ansatz - hoher Beteiligungsgrad - konzernweite Einbindung der dezentralen Personalentwickler und des TopManagements
Strategie
Auf welcher Strategieebene spielen Bildungsmanagement-Aspekte in den Fallstudienunternehmen eine Rolle?
Wie werden Strategien aus Sicht des Bildungsmanagements in den Unternehmen entwickelt?
Von wem werden die Bildungsmanagementstrategien in den Unternehmen entwickelt?
- Teilbereichsspezifisch
- Personalbereich: derzeit auf Konzernebene im Umbruch, da neuer Konzernpersonalchef - BU: integrierter Ansatz, Einbezug aller Beteiligten, Diskussionsplattform zur Strategieentwicklung - Zentralbereich Bildung: Lernprozess, Essentials als Ausgangspunkt
- Unternehmensstrategie existiert nicht explizit - Geschäftsbereichsstrategie: Bertelsmann University, Zentralbereich Bildung
Bertelsmann
- Steuerung: Geschäftsleitung - Projektteam - indirekt über Bedarfsanalysen: alle Mitarbeitende
- Kienbaum Academy: Initiative der Geschäftsleitung - Entwicklung Kompetenzmodell - Operationalisierung einzelner Kompetenzdimensionen - Managementkonferenz mit Führungskräften: Definition eines Soll-Profils - gleichzeitig Bedarfsanalyse - Weiterentwicklung: integrierter Ansatz
- Unternehmenszweck: automatisch über Unternehmensausrichtung - Geschäftsbereichsstrategie: Strategie der Kienbaum Academy
Kienbaum
- ‚bottom-up’- Ansatz
- Strategieentwicklung in regelmäßig stattfindenden Strategiemeetings in den einzelnen Bereichen - Unternehmensstrategie: Zusammenführung der Bereichsstrategie - HR-Strategie: aus Leitbild abgeleitet, Weiterentwicklung über „HR-PlanungsWorkshops“
- Unternehmensstrategie: indirekt - Geschäftsbereichsstrategie: HR-Bereich
SICK
- ‚Bildung’ als Strategie des Unternehmens
- Personenunabhängigkeit als handlungsleitendes Motiv für formalisierte Strategieprozesse - Strategieansatz darauf ausgerichtet, die teilweise konträren Zielkomponenten der Persönlichkeitsentwicklung und Personalentwicklung in Einklang zu bringen
Welche weiteren Beobachtungen sind bei der Formulierung des Bezugsrahmens zu beachten?
- Strategie zum Teil historisch - neben formalisierten Angegewachsen und nicht explizit boten spielt das informelle kodifiziert Lernen eine große Rolle; die- da das Unternehmen am ses ist weniger das Ergebnis Markt agiert und geführt eines bewusst initiierten wird, gibt es wohl eine Strategieprozesses, sondern Strategie, die nicht als solche vielmehr der Kienbaumbezeichnet wird Kultur - Grenzen im Strategieprozess sind fließend, da die Akteure Geschäftsleitungsmitglieder
- keine Funktion für Personal/ - Strategieentwicklung der - durch die starke OrienBildung auf Vorstandsebene; Academy relativ stark ‚toptierung an Instrumenten der Konzernpersonalchef ist down’-getrieben, nimmt stellt sich zum einen die dem Vorstand zu-/untermöglicherweise die BedürfFrage nach der Konsistenz geordnet nisse der Mitarbeitenden nur der Instrumente und zum - Strategieformulierung mit unzureichend auf anderen, ob der Praxisbezug relativ vielen ‚Allgemeinausreichend gewährleistet plätzen’, wo sich die Frage ist stellt, ob und wie diese in der Praxis gefüllt werden
- automatisch über organisatorische Verankerung und das Eingehen der Bereichsstrategie in die Unternehmensstrategie
SICK
- Konfliktintensität des Strategieprozesses sehr hoch, da definitive Festlegung durch das TopManagement
- Leiter Kienbaum Academy Mitglied der Geschäftsleitung
Kienbaum
Welche kritischen Aspekte sind zu vermerken?
Bertelsmann - Konzernpersonalchef als Gast in den Vorstandssitzungen - BU als auch ZA tragen ‚bottom-up’-Initiativen weiter
Lufthansa
Inwieweit ist das - durch Berichte des Leiters Bildungsmanagement an LHSB an das Topder StrategieentwickManagement lung beteiligt?
Strategie
Lufthansa
- Subkulturen als Teil der Unternehmenskultur - Unternehmenskultur als übergreifende ‚Klammer’, die die Teilbereiche zusammenhält und die eine schnelle Zusammenarbeit über Bereiche hinweg ermöglichen soll
- Subkulturen als Selbstverständlichkeit angesehen
- Veränderungskultur - Eigeninitiative der Mitarbeitenden zur kontinuierlichen Verbesserung - keine einheitliche Lernkultur über Gesellschaften hinweg
Kultur
Welche Bedeutung haben Subkulturen in den Unternehmen?
Wie wird mit Subkulturen in den Unternehmen umgegangen?
Welche Kulturdimensionen spielen für das Bildungsmanagement in den Fallstudienunternehmen eine Rolle?
- Fehlerkultur (Fehler als Lernchance) - Vertrauenskultur - Kultur der Eigenverantwortung und Eigeninitiative - Konsenskultur
Eigenständigkeit Konfliktkultur Diskussionskultur Kultur der Eigenverantwortung und Eigeninitiative - Kultur der Selbststeuerung
-
- Individualität hat hohe Bedeutung - Freiheit als handlungsleitendes Motiv - jeder Mitarbeiter Mitunternehmer, der eigenverantwortlich agiert, aber dennoch die Vorteile der Marke Kienbaum nutzt
- Standortabhängige Subkulturen - daneben eher auf individueller Ebene von Bedeutung: viele verschiedene Typen von Mitarbeitern, extrem „unique“, sehr eigene Köpfe, eigene Denkweise
- Vielfalt als handlungsleitendes Motiv des Unternehmens - nicht Subkulturen, sondern „distinkte“ Kulturen
- Vielfalt vor Einheit - Meinungsvielfalt als angestrebtes Ziel - gemeinsame Basis: Unternehmenswerte, Definition von Führungskompetenzen
Kienbaum
Bertelsmann
- Verantwortungs-/ Vertrauenskultur - Kultur der Freiräume - Verpflichtungskultur - Fehlerkultur - Lernkultur: Lernen am Arbeitsplatz
- angestrebtes Ziel: breites Verständnis und Sensibilisierung über Unternehmensbereich hinweg zu erreichen (z. B. Infoveranstaltungen)
- selbstverständliche Notwendigkeit, dass vielfältige Subkulturen existieren - polyzentristisches Kulturmodell
SICK
- Kulturanalyse über Mitarbeiterbefragungen - Gestaltung über Imagekampagnen (Einsatz von Mitarbeitenden als Kulturträger, Film „The Spirit“) - Führungskräfte als Kulturträger (Maßnahmen der BU)
- keine bewusste Analyse und Gestaltung - indirekt: Arbeitsplatzwechsel über Bereichsgrenzen hinweg - indirekt über Gestaltung von Bildungsmaßnahmen
- Aufgabe der LHSB: Führungs- und Leitkultur fördern und vorantreiben
- Vorbildfunktion (umso bedeutsamer, da es keine kodifizierten Führungsleitbilder gibt) - Führungskraft als erster Personalentwickler vor Ort - Forderung eines hohen Maßes an Kommunikation und Offenheit - vielfältige Führungstypologien
Wie wird die Kultur in den Unternehmen analysiert und gestaltet?
Welche Rolle spielt das Bildungsmanagement bei der Kulturanalyse und -gestaltung?
Wie sieht die Rolle der Führungskräfte im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement in den Unternehmen aus? - Führungskräfte als erste Personalentwickler vor Ort - Führungskraft als Coach, Mentor - hohe Verantwortung bzgl. der Weiterentwicklung der Mitarbeitenden
- Aufgabe der BU: Kultur des Unternehmens näher bringen
Bertelsmann
Lufthansa
Kultur
- keine bewusste Aufgabe zugeschrieben
- keine bewusste Analyse und Gestaltung - nur indirekte Gestaltung
SICK
- Führungskultur ist extrem - sehr dezentrale Führungspersonengetrieben/-abhängig struktur, daraus folgt Dele- Aufgaben der Führungskraft gation der Verantwortung (von Unternehmensleitung - Führungskräfte sollen vorgegeben): Training, Förderer, Vorbild, FeedbackQualifizierung und Feedback Geber, Impulsgeber sein - weitere Aufgaben: Lernumfeld schaffen, Aufgaben entsprechend gestalten, Feedback geben, Lernen ermöglichen - Personenspezifischer Ansatz
- keine bewusste Aufgabe zugeschrieben
- keine bewusste Analyse und Gestaltung - nur indirekte Gestaltung
Kienbaum
- Job Alliance könnte evtl. negativen Effekt für das Unternehmen haben aufgrund von Kulturunterschieden (insb. da darauf hingewiesen wird, dass Kultur wesentliches LH-Bindeglied)
- unterschiedlich ausgeprägter - Prägung durch die Stellenwert von Lernen und Gründerfamilie Bildung in den Konzernge- Mitarbeiter als „Einforderer“ sellschaften, z. T. abhängig gefragt von der einzelnen Führungs- - obwohl 77 % der Mitarbeikraft tenden mit dem allgemeinen - Nähe zum Vorstand: BeteiliVorgesetztenverhalten gung des Top-Managements zufrieden sind, äußern sie an den LHSB-Programmen Optimierungsbedarf im und weiteren Formen der Bereich der (Weiter-)EntwickInteraktion („Town lung/Bildung Meetings“)
Welche kritischen Aspekte sind zu vermerken?
Welche weiteren Beobachtungen sind bei der Formulierung des Bezugsrahmens zu beachten?
- Eigenverantwortung dadurch, dass jede Führungskraft an sich ein Fachexperte im Thema ist
Kienbaum
- starker Gründereinfluss - Prinzip der Eigenständigkeit und Forderung von Eigeninitiative - strukturierter Ansatz ergänzt um personenspezifischen Ansatz - Informelles Lernen hohe Bedeutung - Thema Subkultur weniger relevant, vielmehr Vielfalt auf individueller Ebene
- Inwiefern lassen sich der - Wenn es sich bei der partnerschaftliche Gedanke Führungskraft um einen und die Orientierung an „Verkaufsorientierten“ hanUnternehmensinteressen mit delt, könnte es passieren, der Individualität und Kreatidass die Entwicklungsanvität des Einzelnen zusamsprüche des Mitarbeitenden menbringen? unberücksichtigt bleiben
- Führungskräfte werden in - Führungskräfte werden in Führungsschulungen mit den Schulungen der BU dem Thema ‚Fördern ihrer bezüglicher ihrer Aufgabe Mitarbeitenden’ konfrontiert qualifiziert und sensibilisiert
Wie beeinflusst das Bildungsmanagement diese Rolle der Führungskräfte?
Bertelsmann
Lufthansa
Kultur
- „je größer der Freiraum, desto größer die Verantwortung“ - historische Bedingtheit - ‚SICK around the World’: Einheit trotz Vielfalt - Initiierung von Maßnahmen, um Frage- und Anspruchsdenken der Mitarbeiter gegenüber den Führungskräften zu erhöhen - Maßnahmenangebot
- zum Teil ideologieträchtige Aussagen, die in einer Kulturanalyse zu überprüfen wären (z. T. passiert dies durch die externen Mitarbeiterbefragungen im Rahmen von Wettbewerben)
- durch Programme der Akademie - Einsatz externer Coachs - Qualifizierung der Mitarbeitenden, die ‚bottom-up’ das Führungsverhalten beeinflussen (sollen)
SICK
Lufthansa
- LHSB: vereint zentrale Bildungsfunktionen, bietet sämtliche überfachlichen Maßnahmen an - dezentrale Bildungsbereiche in einzelnen Geschäftsbereichen
- institutionalisierte Gremienarbeit (u. a. HMX Personalentwicklung, große Entwicklerrunden, HMX Training, HMC, HR-Board) - Patenkonzept, Netzwerkgedanke
- keine Angaben möglich
Struktur
Wie ist das Bildungsmanagement strukturell in den Unternehmen verankert?
Wie erfolgt die Zusammenarbeit der mit dem Bildungsmanagement betrauten Einheiten?
Wie wird das Bildungsmanagement in den nächsten Jahren organisatorisch verankert werden?
Drei Ebenen: - Geschäftsleitung als Bildungsmanager des Unternehmens - Kienbaum Academy - personenspezifischer Entwicklungsansatz durch Führungskräfte vor Ort
Kienbaum
- keine Angaben möglich
- keine Veränderung
- derzeit im Aufbau - entfällt bis auf die - Personalkreis der sechs Gestaltung des AcademyUnternehmensbereiche Programms - Personalleiterkreise einzelner Geschäftsbereiche - Personalentwickler-Treffen am Standort Gütersloh - themenspezifische Zusammenarbeit
- in erster Linie dezentrale Verantwortung - Corporate Center bietet den Rahmen durch die beiden Bereiche Zentrale Bildung und Bertelsmann University
Bertelsmann
- in den Tochtergesellschaften jeweils ein Mitarbeiter geplant - Dezentralisierungstendenz
- durch Unabhängigkeit und Eigenverantwortung geprägt
- Verantwortung bei Vorstand/Geschäftsleitung - zentrale Verankerung im Bereich HR (funktionierende Personalarbeit grundlegend für Bildungsarbeit) - SICK Akademie - dezentral in den Geschäftsbereichen Abteilung ‚Training & Education’ - Tochtergesellschaften z. T. keine eigene Abteilung
SICK
- Cost Center Modell: betriebswirtschaftliche Steuerung und Kostendeckung als Grundprinzip
- unternehmensspezifische - ‚Forward Sourcing’: DefiniProgramme, die sehr stark tion der Lernprozesse durch auf Bertelsmann ausgedie LHSB, Administration richtet sind, dennoch extern, LangzeitkooperaZusammenarbeit mit austionen mit einzelnen ‚single providern’, erfolgsabhängige gewählten Business Schools Vergütung
Welches interne Marktmodell liegt dem Bildungsmanagement zugrunde?
Warum spielt das Outsourcing von BildungsmanagementFunktionen keine/nur eine untergeordnete Rolle?
- Zentralbereich Bildung: Cost Center - BU: Cost Center mit Verteilungsschlüssel
- 1998 gegründet - 1998 gegründet - Ziele: Ziele: x Entwicklung des Einzelnen x Plattform- und und der Organisation Netzwerkfunktion x Unternehmens-Prioritäten zusammenbringen mit der beruflichen und x Akademische Expertise persönlichen Weiterentund Erfahrung mit der eigenen Geschäftspraxis wicklung der Führungskräfte verknüpfen verbinden x Führungs- und Leitkultur x Strategische Funktion fördern und vorantreiben - Zielgruppe: ausschließlich - Zielgruppe: alle Ebenen Führungskräfte - Selbstverständnis: Plattform des strategischen Dialogs - Besonderheit: virtuelles Dach
Welche Rolle kommt der Corporate University in den Unternehmen zu?
Bertelsmann
Lufthansa
Struktur
- keine Angaben möglich
- Profit Center (intern agierend)
- seit 2005 in dieser Form agierend - Ziele: u. a. x Ausbau job relevanter Kompetenzen x institutioneller Rahmen für gezielte Lernmöglichkeiten x Entwicklung des intellektuellen Kapitals x nachhaltiger Transfer der Inhalte in die berufliche Praxis - Zielgruppe: alle Ebenen
Kienbaum
- Ziel unverwechselbar zu werden - durch Outsourcing besteht die Gefahr der Vergleichbarkeit
- Cost Center
- 1996 gegründet - Ziel: insbesondere x Weiterbildungsplattform - Zielgruppen: alle Ebenen
SICK
Lufthansa
- derzeit Implementierer, aber auch Initiator - (strategischer Partner) - Motor und Beschleuniger strategischer Initiativen (auf der Ebene der Teilnehmer und der Ebene der HMXGremien)
- steigende Komplexität durch ‚Zellteilung’ - zunehmende Internationalisierung - Position als strategischer Partner weiterhin stärken und nicht nur als Strategieimplementierer wahrgenommen zu werden
- nicht konkretisiert
Struktur
Wie ist das Selbstverständnis und die Rolle des Bildungsmanagements in den Unternehmen?
Mit welchen (weiteren) organisatorischen Herausforderungen ist das Bildungsmanagement in den nächsten Jahren konfrontiert?
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Bildungsmanagement?
- Kienbaum Academy: Dienstleister - Niermeyer: Business Partner
Kienbaum
- demografischer Wandel bewirkt die Notwendigkeit, insbesondere Angebote für die Zielgruppe 40+ zu entwickeln (z. T. bereits geschehen)
- nicht konkretisiert
- demografischer Wandel - Kienbaum Academy: - Entwicklung von flexiblen Ansprüche der MitarbeiStrukturen um der Flexibilität tenden und der Geschäftsdes Marktes gerecht zu führung weiter zusammenwerden bringen
- Zentrale Bildung: Dienstleister, Berater, Moderator, nicht Strategieimplementierer, sondern Vermittler, strategischer Impulsgeber - BU: Mischung aus Dienstleister und strategischem Impulsgeber
Bertelsmann
- Dezentralisierung: Abstimmung von Themen wie Potential- und Führungskräfteentwicklung notwendig - Internationalisierung: Qualifizierung der Mitarbeitenden des Bildungsmanagements der Zentrale
- intern mehr Ausbildungsmöglichkeiten schaffen, entsprechend der Bedürfnisse der Bereiche - zunehmende Dezentralisierung - verstärkte Internationalisierung
- Change Partner, Service Partner, Business Partner, Competence Manager - SICK Akademie: Dienstleister, Impulsgeber - allgemein auch Strategieentwickler, Innovator
SICK
Welche weiteren Beobachtungen sind bei der Formulierung des Bezugsrahmens zu beachten?
Welche kritischen Aspekte sind zu vermerken?
Struktur - vielfältige Aktivitäten im Bereich der Ausbildung und der Führungskräfte, Bereich „dazwischen“ eher weniger berücksichtigt
Bertelsmann
- Notwendigkeit zentraler und - Erfolgsfaktor der BU: ‚topdezentraler Bereiche aufdown’-Implementierung grund der unterschiedlichen „Flughöhe“ - da kein Zwang der Abnahme von Leistungen und Produkten der zentralen Einheit, existiert das Problem unterschiedlicher Produkte und Ausprägungen - Entwicklungsnetzwerke über das Unternehmen hinweg - Nähe zum Topmanagement und dessen ‚commitment’ entscheidend für Veränderung der Rolle des Bildungsmanagements
Lufthansa
- hohe Verankerung bei der Geschäftsleitung und gleichzeitig hohe Bedeutung der Rolle der Führungskräfte
- durch die klare Ableitung des Programms der Academy aus der Unternehmensstrategie könnte eine Standardisierung entstehen, die der eigentlichen Kienbaum-Kultur entgegensteht
Kienbaum
- hohe Verankerung bei der Geschäftsleitung und gleichzeitig hohe Bedeutung der Rolle der Führungskräfte
SICK
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
397
6.2.1. EHF 4: Strategie Im Folgenden stehen entsprechend der Gliederung des Bezugsrahmens I zunächst die unterschiedlichen Betrachtungsebenen des Bildungsmanagements im Unternehmen im Fokus (Kapitel 6.2.1.1), daran anschließend werden die mit der strategischen Grundausrichtung des Unternehmens in Zusammenhang stehenden Fragen diskutiert (6.2.1.2), bevor näher auf den Erkenntnisbeitrag aus den Fallstudien zur Rolle und zum Selbstverständnis des Bildungsmanagements eingegangen wird (Kapitel 6.2.1.3).
6.2.1.1. Unterschiedliche Betrachtungsebenen In den Ausführungen zum BZR I wurde festgehalten, dass aus Sicht des Bildungsmanagements verschiedene Strategieebenen unterschieden werden können, die sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern die Folge unterschiedlicher Betrachtungsperspektiven sind. Um ergänzende Einblicke zu bekommen, wurde für die empirische Exploration die Frage formuliert, auf welcher Strategieebene BildungsmanagementAspekte eine Rolle spielen. In den Fallstudienunternehmen ist die Formulierung einer expliziten Unternehmensstrategie (zumindest offiziell) kein Thema. Interessanterweise wird aber dennoch im Zusammenhang mit der Rolle des Bildungsmanagements ausgeführt, dass dieses z. T. als Strategieimplementierer fungiert. Auf der Ebene der Geschäftsbereiche, d. h. insbesondere der Corporate Universities, werden dementgegen bewusst Strategien formuliert, die das Handeln leiten. Insgesamt wird aus den Auswertungen der Fallstudien deutlich, dass Bereichsstrategien und Unternehmensstrategien im Rahmen eines integrierten Ansatzes für das Bildungsmanagement nicht klar trennbar sind. Dies kann dadurch veranschaulicht werden, dass es Unternehmen gibt, in denen bewusst keine Unternehmensstrategie formuliert wird, sondern den einzelnen Bereichen Freiraum gelassen wird, ihre eigene Strategie auszuarbeiten. Die Unternehmensstrategie ergibt sich dann über die Zusammenführung der Bereichsstrategien. Auf diese Weise kann eine Bildungsmanagement-Strategie entwickelt werden, die gleichzeitig Teil der Unternehmensstrategie ist (vgl. z. B. Fallstudie SICK).
398
Bezugsrahmen II
6.2.1.2. Strategische Grundausrichtung Im BZR I wurde die Bedeutsamkeit einer integrierten Sichtweise der Strategieentwicklung herausgestellt. Diese Vorgehensweise findet sich in den Fallstudien bestätigt (z. B. beschreibt der dargestellte Strategieentwicklungsprozess bei Lufthansa idealtypisch den integrierten Ansatz), wobei Impulse für eine weitere Konkretisierung gewonnen werden können. Im Rahmen der Diskussion um den integrierten Ansatz wurde bereits aus präskriptiver Sicht die ‚top-down’-Orientierung thematisiert. Wie die Auswertung der Fallstudien zeigt, führt die Prozesssteuerung durch die Unternehmensleitung auf der Ebene einzelner Teil- und Geschäftsbereiche wie dem Bildungsmanagement dazu, dass die Geschäftsleitung den Strategieprozess automatisch mitträgt. Auf der einen Seite bewirkt diese Vorgehensweise, dass Themen aus den Bereichsstrategien, z. B. ‚Bildung’ und ‚Weiterentwicklung’, in den Entwicklungsprozess der Unternehmensstrategie mit einbezogen werden. Auf der anderen Seite ist damit sichergestellt, dass die Bereichsstrategie mit der Unternehmensstrategie vereinbar ist. Daneben ist festzuhalten, dass es durch eine hohe hierarchische Verankerung im Unternehmen erleichtert werden kann, dem Thema Bildung einen entsprechenden Stellenwert in der Strategieformulierung einzuräumen (vgl. z. B. Fallstudien Kienbaum und SICK). Basierend auf der empirischen Exploration wird aber auch deutlich, dass sich die integrierte Sichtweise konkret auf die Kombination von ‚top-down’- und ‚bottom-up’Ansätzen beziehen muss. Durch die bipolare Ausrichtung des Entwicklungsprozesses können die unterschiedlichen Zielkomponenten der Persönlichkeits- und der Personalentwicklung in Einklang gebracht werden. Dies kann durch die Integration möglichst vielfältiger Interessengruppen, wie z. B. Mitarbeitender, Führungskräfte und Unternehmensleitung unterstützt werden. Die Integration kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. So ist ein gemeinsamer Strategieentwicklungsprozess denkbar, aber auch ein stufenweiser Prozess, bei dem in unterschiedlichen Phasen vielfältige Interessengruppen einbezogen werden. Beispielsweise wechseln sich im Strategieentwicklungsprozess der LHSB Phasen ab, in denen sich die Expertengruppen und das TopManagement abwechselnd einbringen. Insgesamt zeichnet sich der Strategieprozess der LHSB durch eine konzernweite Einbindung unterschiedlichster Bezugsgruppen und einen hohen Beteiligungsgrad aus. Bei SICK finden neben den regelmäßigen Strategiemeetings auf Unternehmensleitungsebene Planungsworkshops mit den Führungskräften der einzelnen Bereiche im Unternehmen statt. Dort passiert die
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
399
Strategieentwicklung sehr stark ‚bottom-up’, wodurch sich die Unternehmensstrategie als Summe der Bereichsstrategien ergibt. Am Beispiel des Strategieentwicklungsprozesses der LHSB wird noch ein weiterer Aspekt deutlich, der hervorzuheben ist. Die Initiative für die Implementierung eines formalisierten Strategieentwicklungsprozesses war durch das Ziel der „Personenunabhängigkeit“ bestimmt. Dadurch, dass Routinen den Entwicklungsprozess steuern, hängt er nicht an der einzelnen Person des Initiators. Vielmehr wird eine Kontinuität und Konstanz sichergestellt, die nicht vom Leitungsfunktionsinhaber abhängt. Neben dieser sehr bewussten Gestaltung des Strategieprozesses ist es aus einer deskriptiven Perspektive heraus denkbar, dass sich Strategien im Rahmen eines ‚kollektiven Lernprozesses’ bilden. Aus der empirischen Exploration wurde deutlich, dass strategische Überlegungen auch im Unternehmen gewachsen sein können. Sie werden nicht immer explizit kodifiziert, können sich aber im Handeln des Unternehmens zeigen (z. B. Bertelsmann University). Dabei können die Prozesse Strategieentwicklung und -implementierung nicht mehr voneinander getrennt werden. Vielmehr handelt es sich um einen kollektiven Lernprozess (auf Führungsebene).
6.2.1.3. Rolle des Bildungsmanagements im Strategieprozess Aus Sicht des Bildungsmanagements ist daneben die Frage nach dessen Rolle im Strategieprozess bedeutsam (vgl. auch die Ausführungen zur strukturellen Verankerung auf S. 405 ff.) Im BZR I wurden insbesondere die Forderung nach einer Entwicklung des Bildungsmanagements vom Strategieimplementierer bis letztlich zum strategischen Gestalter formuliert. Die derzeitige Rolle im Strategieprozess wurde in den Unternehmen der Fallstudien nahezu einstimmig in der des ‚Implementierers’ gesehen, was den Erwartungen aus der theoretischen Exploration entspricht. Ein Zwischenschritt auf dem Weg zum ‚strategischen Partner’ (der wiederum eine Vorstufe zum strategischen Gestalter darstellt) könnte aufgrund der empirischen Exploration in der Rolle des ‚Motors und Beschleunigers’ strategischer Initiativen gesehen werden. Diese Rolle kann sich auf unterschiedliche Art und Weise ergeben. Das Bildungsmanagement kann Strategieimpulse beispielsweise aus der Teilnehmerinteraktion in institutionalisierten Schulungsmaßnahmen gewinnen, oder aus der Zusammenarbeit mit Fachbereichen. Daneben spielen fachliche Austausch- und Expertenrunden (wie das HMX-Gremium der Lufthansa) eine wesentliche Rolle als Motor der Strategieentwicklung. Auf diese Weise entstandene Strategieimpulse müssen vom Bildungsmanagement in der Rolle des ‚Beschleunigers’ an die Unterneh-
400
Bezugsrahmen II
mensleitung herangetragen werden. Solange das Bildungsmanagement nicht wenigstens als ‚Business Partner’ anerkannt ist, stellt sich diese Aufgabe derzeit als ‚diplomatische Fingerspitzenarbeit’ dar. Es muss sowohl der richtige Zeitpunkt als auch die ‚richtige’ Form der Präsentation gewählt werden, damit das Thema Aufmerksamkeit bekommt und in die Strategiediskussion des Unternehmens aufgenommen wird. Die Möglichkeiten des Bildungsmanagements zur (Mit)Gestaltung der Unternehmensstrategie hängen in den Fallstudienunternehmen sehr stark mit der organisatorischen Verankerung zusammen. Es wird darauf hingewiesen, dass eine möglichst hohe Verankerung entscheidend ist. Hierbei sind zwei unterschiedliche Intensitätsgrade festzustellen: zum einen werden Impulse durch die Leitungsfunktionen der Bereiche (z. B. Leiter LHSB Lufthansa, Konzernpersonalchef Bertelsmann) an das Top Management herangetragen, zum anderen ist das Top Management direkt in die Prozesse des Bildungsmanagements involviert (z. B. Kienbaum, SICK), damit fallen Vermittlungsfragen weg. Von den zweitgenannten Unternehmen wird auch gerade diese hohe Verankerung als Erfolgskriterium für das Bildungsmanagement im Unternehmen genannt (vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Struktur in Kapitel 6.2.3). 6.2.2. EHF 5: Kultur Zum Thema Kultur wurden im BZR I aus Sicht des Bildungsmanagements verschiedene Aspekte näher betrachtet: u. a. die Bedeutung von Subkulturen, die Frage nach relevanten Kulturdimensionen, die Kulturanalyse und -gestaltung sowie Führungsaspekte. Die Fallstudien bestätigen die dargestellten Ausführungen und begründen einzelfallspezifisch weiterführende Überlegungen. Bevor auf die einzelnen Kulturaspekte näher eingegangen wird, soll an dieser Stelle auf eine Gesamtbeobachtung aus der Auswertung der Fallstudien hingewiesen werden. Die Unternehmen stellen häufig finanzielle Ausgaben und ihr Engagement für Ausbildung (i. d. R. über die Zahl der Auszubildenden definiert) als Indikatoren für einen hohen Stellenwert des Bildungsmanagements heraus. Dieses grundsätzliche Vorgehen ist in Frage zu stellen, da die sehr subjektiven Einschätzungen meist nicht zu anderen Unternehmen/Durchschnittswerten der Branchen etc. in Vergleich gesetzt werden. Vielmehr erachtet beispielsweise eines der Unternehmen bereits eine Ausbildungsquote von 2,2 % als sehr hoch und kommuniziert dieses als Besonderheit nach Außen. Wenn allerdings in die Betrachtung mit einbezogen wird, dass die durchschnittliche Ausbildungsquote in Deutschland bei rund 7 % liegt, ergibt sich ein
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
401
völlig anderes Bild. In ähnlicher Weise zeigt sich dies auch bei der Beteiligungsquote der Mitarbeitenden an Weiterbildungsmaßnahmen, die für Weiterbildung aufgewendete Zeit je Mitarbeiter und die investierten Kosten.1429
6.2.2.1. Kulturelle Ausprägungsformen und daraus resultierende Implikationen Im BZR I wurden Subkulturen als Möglichkeit gesehen, um der Vielfalt, mit der sich das Unternehmen (sowohl intern als auch extern) konfrontiert sieht, gerecht zu werden. Dies gilt, wie die empirische Exploration zeigt, insbesondere für Unternehmen mit mehreren Geschäftsbereichen. Die Unternehmenskultur fungiert als ‚Klammer’, welche die unterschiedlichen Subkulturen zusammenhält. Bei der Zusammenführung unterschiedlicher Subkulturen unter dem ‚Dach’ einer Unternehmenskultur können verschiedene Strategien (mit allen Übergangsformen) verfolgt werden. Auf der einen Seite wird eine Position vertreten, bei der die bereichsspezifischen Subkulturen anerkannt werden, aber dennoch eine gemeinsame Unternehmenskultur gelebt wird (‚es wird die gleiche Sprache gesprochen’). Diese Konstellation bietet aus Sicht des Bildungsmanagements die Möglichkeit der Weiterentwicklung des Einzelnen. Dadurch, dass eine gemeinsame Basis vorhanden ist, wird ein Wechsel zwischen Geschäftsbereichen erleichtert. Diese sind dennoch so verschieden, dass der Einzelne mit unterschiedlichen (kulturellen) Gegebenheiten konfrontiert ist, die ihm nicht nur eine fachliche sondern auch eine persönliche Weiterentwicklung ermöglichen, wie das Beispiel der Lufthansa verdeutlicht, in der der ‚subkulturelle Wechsel’ bewusst als Entwicklungsmaßnahme eingesetzt wird. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es insbesondere bei kulturellen Unterschieden aufgrund der Verankerung des Unternehmens in verschiedenen Kulturregionen wichtig ist, Verständnis für einander aufzubauen, damit eine gemeinsame Unternehmenskultur entstehen und gelebt werden kann (Beispiel SICK). Auf der anderen Seite ist es möglich, dass es sich bei den Kulturen von einzelnen Bereichen nicht um Subkulturen unter dem Dach einer Unternehmenskultur im eigentlichen Sinne handelt. Vielmehr ist es denkbar, dass die Kulturen zueinander ‚distinkt’ sind und das Bestreben des Unternehmens dahin geht, diese eigenständigen Kulturen bewusst anzuerkennen. Dieses Vorgehen ist z. B. durch die Auffassung
1429
Zu deutschen Vergleichswerten vgl. beispielsweise Egner, 2002; Statistisches Bundesamt, 2002; BMBF, 2007.
402
Bezugsrahmen II
geprägt, dass die Vielfalt der Subkulturen der von Außen an das Unternehmen herangetragenen Vielfalt entsprechen muss, wie die Bertelsmann-Fallstudie zeigt. Die unterschiedlichen Positionen der Subkulturen regt zur Diskussion auf Unternehmensebene an und fördert die Entwicklung des Unternehmens. Entsprechend besteht kein Bedürfnis nach einer Zusammenführung der Bereichskulturen unter dem ‚Dach’ einer Unternehmenskultur. Die Auswertung der Fallstudien zeigt daneben noch die Relevanz eines weiteren Aspekts. Wie bereits aufgezeigt, existieren insbesondere bei Bertelsmann und Kienbaum Menschenbilder, die von einer sehr hohen Eigenständigkeit/-verantwortung und Individualität ausgehen. Dies wurde durch Beschreibungen wie „Querdenker“, „eigene Köpfe“ oder „Menschen mit Ecken und Kanten“ konkretisiert. Es stellt sich nun die Frage, wie mit dieser Individualität im Rahmen der Kulturdiskussion umgegangen werden kann. Bertelsmann weist darauf hin, dass Vielfalt vor Einheit herrscht und Meinungsvielfalt auch auf individueller Ebene (nicht nur subkulturell) ein angestrebtes Ziel ist. Die Zusammenführung dieser Individualität soll über gemeinsame Unternehmenswerte („Bertelsmann Essentials“) geschehen (wobei hier wiederum die Frage gestellt werden kann, ob dies bei einer derartigen Individualität noch möglich und sinnvoll ist). Bei Kienbaum hat die Individualität ebenfalls eine sehr hohe Bedeutung. Die Freiheit des Einzelnen wird als handlungsleitendes Motiv dargestellt. Jeder Einzelne agiert als Unternehmer im Unternehmen, der im Prinzip auch eigenständig am Markt agieren könnte. Die Zusammenführung im Unternehmen ergibt sich hier über die Nutzung der angebotenen Unterstützungsstrukturen und die Vorteile der Marke Kienbaum am Markt.
6.2.2.2. Kulturdimensionen Neben der Betrachtung der kulturellen Ausprägungsformen ging BZR I der Frage nach, welche Kulturaspekte und -dimensionen für das Bildungsmanagement im Unternehmen von Bedeutung sind. Dabei wurde u. a. auf die Lernkultur, die Vertrauenskultur und die Fehlerkultur eingegangen sowie erläutert, dass die einzelnen Aspekte sehr stark miteinander in Zusammenhang stehen. Aus den Fallstudien lassen sich sehr schwer einzelne, konkrete Kulturdimensionen ableiten. Vielmehr sind unterschiedlichste Kulturaspekte aus Sicht des Bildungsmanagements in den Unternehmen relevant. Hierzu zählen beispielsweise eine Veränderungskultur, Konsenskultur, Konfliktkultur, Diskussionskultur und Verantwortungskultur. Daneben wurde deutlich, dass für die genannten Unternehmen eine offene
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
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Kommunikationskultur und das Thema ‚Freiraum’ von enormer Relevanz sind. Die offene Kommunikationskultur ist zum einen essentiell für den Aufbau von Vertrauen, und zum anderen ermöglicht sie Diskussionen im Unternehmen sowie eine offen ausgetragene Auseinandersetzung mit Themenfeldern, die der Weiterentwicklung dienen (vgl. z. B. Fallstudie Kienbaum). Hiermit hängt die Forderung einer Kultur der Eigenverantwortung und -initiative eng zusammen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Mitarbeitenden fähig sein müssen, den Freiraum zu nutzen und das Bildungsmanagement sich dessen bewusst ist. Andernfalls kann der Aspekt aus Sicht der Mitarbeitenden als wenig förderlich aufgefasst werden. Dies wird noch verstärkt, wenn die Forderung der Eigenverantwortung und -initiative, wie auf der normativen Ebene des Quervergleichs der Fallstudienergebnisse diskutiert, als Verantwortungsabgabe angesehen werden kann. Im Bezugsrahmen I wurde als wesentliche Kulturdimension des Bildungsmanagements im Unternehmen die Lernkultur ausgewiesen, wobei sich die Lernkultur u. a. über den Lernort und die Gestaltung des Lernprozesses konkretisieren lässt. Die Auswertung der Fallstudien ergibt hierzu wenig ergänzenden Erkenntnisgewinn. Vielmehr wird meist darauf hingewiesen, dass keine einheitliche Lernkultur im Unternehmen ausgemacht werden kann, sondern diese von vielfältigen Faktoren abhängt (z. B. Art der Tätigkeit, individuelle Präferenzen). Lediglich SICK weist darauf hin, dass das Lernen am Arbeitsplatz im Unternehmen von Bedeutung ist und immer mehr an Bedeutung gewinnt. In den Fallstudienunternehmen wird bezogen auf den Lernprozess von den Mitarbeitenden, wie bereits dargestellt, zwar gefordert, selbstgesteuert zu lernen. Zur Beantwortung der Frage, wie diese selbstgesteuerten Lernprozesse allerdings initiiert und gefördert werden können, lässt sich aus den Fallstudien kein klarer Ansatz ableiten. Vielmehr werden unterschiedliche Ansätze vertreten wie der Einsatz von Führungskräften als Lernförderer, die Schaffung von Freiräumen oder der Unterstützung bei der Organisation von eigeninitiierten Bildungsmaßnahmen.
6.2.2.3. Kulturanalyse und -gestaltung Zum Thema Kulturanalyse und -gestaltung wurden im BZR I verschiedene Handlungsalternativen aufgezeigt. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass das Bestreben einer Analyse und Veränderung der Kultur ein schwieriges Unterfangen ist, für welches kein handlungsleitendes ‚Rezept’ existiert. Dies zeigt sich auch im Quervergleich der Ergebnisse der Fallstudien. Lediglich Bertelsmann setzt regelmäßig Mitarbeiterbefragungen ein, um die Kultur im Unternehmen zu analysieren und darauf aufbauend
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Bezugsrahmen II
gestaltende Maßnahmen zu initiieren. Dabei erfolgt die Kulturanalyse nicht durch das Bildungsmanagement, sondern durch eine eigene Zentralabteilung im Unternehmen. In den anderen Fallstudienunternehmen sind keine bewussten und regelmäßigen Analyseprozesse feststellbar. Eine Gestaltung der Kultur erfolgt dennoch, allerdings auf eine eher indirekte Art und Weise. Bei Lufthansa wird beispielsweise der Arbeitsplatzwechsel über Bereichsgrenzen hinweg explizit gefördert (vgl. Ausführungen zur Subkultur, S. 401). SICK versucht durch die bereits angesprochenen Informationsveranstaltungen, den Mitarbeitenden die Kultur der einzelnen Konzernunternehmen näher zu bringen. Das Bildungsmanagement spielt entsprechend bei der Kulturanalyse und -gestaltung in den Fallstudienunternehmen nur bedingt eine Rolle. Bei SICK und Kienbaum wird dem Bildungsmanagement keine explizite Aufgabe zugewiesen. Dementgegen wurde es als Funktion der LHSB formuliert, die Führungs- und Leitkultur zu fördern und voranzutreiben. In ähnlicher Weise ist es das Ziel der BU, den Führungskräften die Kultur des Unternehmens näher zu bringen. In beiden Corporate Universities geschieht dies durch die Gestaltung der Bildungsveranstaltungen. Weitere konkrete Aktivitäten werden nicht genannt.
6.2.2.4. Führungsaspekte Im Rahmen der Diskussion um Führungsaspekte im BZR I wurde der Einfluss des Unternehmensgründers auf die Unternehmenskultur herausgestellt. Diese Beobachtung wird durch die empirische Exploration unterstrichen. Wie aufgezeigt, waren beispielsweise Erwin Sick und Gerhard Kienbaum für die heutige Kultur ihrer Unternehmen sehr prägend. Daneben wurden im BZR I relevante Führungsstile diskutiert und herausgestellt, dass der kooperative, der delegative und der transformationale Führungsstil für das Bildungsmanagement von Bedeutung sind. Aufgrund der empirischen Exploration scheint es wichtig, nochmals darauf hinzuweisen, dass die Typologisierung ein Instrument ist, sich an Führungsaspekte anzunähern. Diese soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die in einem Unternehmen vorfindbaren Führungsstile sehr heterogen sind. Entsprechend der Vielfalt der Führungskräfte kann grundsätzlich auch deren Art zu Führen sehr verschieden sein, wie sich in der Fallstudienbeschreibung zu Kienbaum gezeigt hat (daneben weist aber auch Lufthansa darauf hin, dass es vielfältige Führungstypologien im Unternehmen gibt). Aus den Darstellungen in Bezugsrahmen I wurden zwei handlungsleitende Fragen für die Auswertung der Fallstudien abgeleitet. Zum einen die Frage nach der Rolle der
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
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Führungskräfte im Zusammenhang mit dem Bildungsmanagement und zum anderen die Frage, wie das Bildungsmanagement diese Rolle der Führungskräfte beeinflusst. Ähnlich wie in den Ausführungen im Rahmen der theoretischen Exploration können auch aus dem Quervergleich der Fallstudien unterschiedlichste Rollen der Führungskräfte ausgemacht werden: so werden sie als Förderer, Vorbilder, Feedback-Geber, Impulsgeber, Coachs und Mentoren gesehen. Daneben werden sie übereinstimmend als „erste Personalentwickler vor Ort“ bezeichnet. Die Führungskräfte haben aufgrund der beschriebenen Eigenverantwortung der Mitarbeitenden und der dezentralen Unternehmensstrukturen in allen Fallstudienunternehmen eine hohe Verantwortung für die Förderung und Weiterentwicklung der Mitarbeitenden. Die damit zusammenhängenden Aufgaben sind vielfältigster Art: u. a. werden Kommunizieren, Offenheit entgegenbringen, Lernumfelder schaffen, Lernaufgaben gestalten, Feedback geben und Lernen ermöglichen als Aufgaben genannt. Ob die Führungskräfte dieser Aufgabe allerdings gerecht werden, bleibt offen und hängt von individuellen Konstellationen (typabhängiger Führungsstil) ab. Um die Führungskräfte bei der Wahrnehmung ihrer Rolle zu unterstützen, bieten die Fallstudienunternehmen entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen in ihren Corporate Universities an. Dort werden die Führungskräfte mit der an sie herangetragenen Rolle (theoretisch) konfrontiert, sie werden sensibilisiert und qualifiziert. Kienbaum stellt hierbei noch einen weiteren Aspekt heraus: dadurch, dass die meisten Mitarbeitenden vor Ort selbst Fachexperten im Themengebiet ‚Personal’ sind, wird ihnen relativ viel Freiraum und Eigenverantwortung zur Ausgestaltung der Rolle gegeben. Bei SICK werden zusätzlich zu den formalisierten Bildungsmaßnahmen der Akademie externe Coachs engagiert, um die Führungskräfte u. a. bei der Rollenwahrnehmung zu unterstützen. Daneben versucht das Unternehmen, durch eine Qualifizierung der Mitarbeitenden den Druck auf die Führungskräfte, ihre Rolle wahrzunehmen, zu verstärken. Indem die Mitarbeitenden dazu befähigt werden, selbst Entwicklungsinstrumente zu nutzen, wissen sie, was sie von ihren Führungskräften erwarten können. Damit steigt das Frage- und Anspruchsverhalten der Mitarbeitenden, was die Führungskräfte – neben einer Beeinflussung durch das Bildungsmanagement – zur Weiterentwicklung bewegen soll. 6.2.3. EHF 6: Struktur Im Zusammenhang mit der strukturellen Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen wurden im Bezugsrahmen I unterschiedliche handlungsleitende Fragen für die Auswertung der Fallstudien aufgeworfen, auf die nachfolgend eingegangen
406
Bezugsrahmen II
wird. Dabei erfolgt eine Gliederung entsprechend der Kategorien des BZR I: Kapitel 6.2.3.1 geht auf die strukturelle Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen ein, Kapitel 6.2.3.2 thematisiert das Rollen- und Selbstverständnis, in Kapitel 6.2.3.3 steht das funktionale Strukturmodell erneut im Mittelpunkt und abschließend zeigt Kapitel 6.2.3.4 die Konsequenzen organisatorischer Herausforderungen für das Bildungsmanagement auf.
6.2.3.1. Strukturelle Verankerung Zunächst geht es um die Frage, wie das Bildungsmanagement strukturell im Unternehmen verankert ist. Obwohl alle Fallstudienunternehmen eine Corporate University haben, sind – den Ausführungen im BZR I entsprechend – unterschiedliche Ausprägungsformen auf dem Kontinuum zwischen Dezentralität und Zentralität festzustellen. Bei der Lufthansa steht die LHSB aus Konzernsicht im Mittelpunkt. Diese vereint alle zentralen Bildungsfunktionen. Daneben existieren dezentrale Bildungsbereiche in den einzelnen Geschäftsfeldern, die sehr eigenständig agieren. Im Bertelsmann-Konzern liegt die Verantwortung für Bildung in erster Linie bei den dezentralen Einheiten d. h. den einzelnen Geschäftsbereichen. Das Corporate Center bildet den zentralen Rahmen mit den beiden Bereichen Bertelsmann University und Zentrale Bildung. Das Bildungsmanagement bei Kienbaum ist durch die starke Verankerung in der Geschäftsleitung geprägt. Entsprechend ist auch die Kienbaum Academy dort zentral verankert. In der Linie herrscht eher ein personenspezifischer Ansatz vor, d. h. das Bildungsmanagement ist dezentral bei den Führungskräften verortet. In ähnlicher Weise liegt auch bei SICK die Verantwortung bei der Geschäftsleitung. Die SICK Akademie ist zentral angesiedelt. In den einzelnen Tochtergesellschaften gibt es derzeit keine eigenen Abteilungen, z. T. verantwortet die „Controller-Person“ den Aufgabenbereich Bildung und Personal mit. Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Bereichen ist ebenfalls sehr unterschiedlich, wobei diese auf einem Kontinuum zwischen formalisiert/institutionalisiert und situativ/selbst gesteuert eingestuft werden kann. Lufthansa stellt die Zusammenarbeit zwischen den zentralen Bildungseinheiten und den dezentralen Funktionsstellen durch institutionalisierte Gremienarbeit sicher. So finden beispielsweise regelmäßig (einmal im Monat) Personalentwicklerrunden statt. Auf diese Weise wird trotz hoher Eigenständigkeit der dezentralen Bereiche ein Austausch sichergestellt und die Arbeit an gemeinsamen Themen ermöglicht. Bei Bertelsmann existieren z. T. auch derartige Runden. Allerdings ist hierbei zu vermerken, dass durch den Wechsel der Position des Konzernpersonalchefs derzeit eine Umbruchsituation herrscht. Bei
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
407
SICK ist die Zusammenarbeit sehr situativ – prinzipiell soll ein möglichst hoher Grad der Unabhängigkeit und Eigenverantwortung der dezentralen Bereiche (auch in Zukunft) erhalten bleiben. Dadurch, dass bei Kienbaum die dezentrale Verantwortung für Bildung und Weiterentwicklung bei jeder einzelnen Führungskraft liegt, besteht die Frage nach einer Zusammenarbeit nur situativ bei der Ausgestaltung des Bildungsprogramms der Kienbaum Academy. Dort wird von den Führungskräften erwartet, dass sie gegebenenfalls Bedarfe weiterleiten und neue Angebote anregen. Auf die im Bezugsrahmen I aufgeworfene Frage, wie das Bildungsmanagement voraussichtlich in den nächsten Jahren verankert sein wird, sind aus den Fallstudien keine oder kaum Angaben möglich. Bei Kienbaum werden sich voraussichtlich keine Veränderungen ergeben, da die Academy in dieser Form erst 2005 implementiert wurde und sich die Rolle der Führungskräfte als ‚Personalentwickler vor Ort’ entsprechend der Kienbaumkultur kaum verändern wird. Lediglich SICK weist darauf hin, dass in den nächsten Jahren Dezentralisierungstendenzen vorhergesagt werden, d. h. es ist geplant, in den einzelnen Tochtergesellschaften Funktionsstellen zu schaffen und die SICK Akademie verstärkt dezentraler auszurichten. Bezogen auf die zentrale Verankerung des Bildungsmanagements in den Fallstudienunternehmen wurde bereits darauf hingewiesen, dass in allen Unternehmen eine zentrale Corporate University bzw. Akademie existiert: die Lufthansa School of Business der Lufthansa AG, die Bertelsmann University der Bertelsmann AG, die Kienbaum Academy der Kienbaum GmbH und die SICK Akademie der SICK AG. Es zeigt sich, dass die Ausgestaltung dieser zentralen Stelle sehr unterschiedlich ist: von einem reinen Anbieter von Bildungsmaßnahmen bis hin zur strategischen Plattform. Entsprechend vielfältig sind auch die Ziele der Institutionen: von der strategischen Funktion über die klare anforderungsorientierte Weiterbildung der Mitarbeitenden bis hin zur Verbindung der Entwicklung der Organisation mit der Entwicklung des Einzelnen. Dabei sind sowohl bei Lufthansa als auch bei Kienbaum und SICK alle Mitarbeitenden im Unternehmen durch die Angebote der jeweiligen Corporate University angesprochen. Die Bertelsmann University hingegen ist auf ausgewählte Führungskräfte als Zielgruppe ausgerichtet. Bezogen auf das Marktmodell der einzelnen Corporate Universities sind keine Besonderheiten festzustellen: die LHSB, die BU und die SICK Akademie sind als Cost Center angelegt, die Kienbaum Akademie wird nach eigenen Angaben als Profit Center geführt. Im Zusammenhang mit der Verankerung des Bildungsmanagements als Corporate University ist auf zwei Beobachtungen hinzuweisen. Zum einen wird am Beispiel der LHSB deutlich, dass es sich bei der Corporate University keineswegs um eine
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Bezugsrahmen II
eindeutige ‚Stelle’ im Unternehmen handeln muss. Die LHSB ist vielmehr ein virtueller Zusammenschluss aller mit Bildung zentral beschäftigten Bereiche. Die ‚Marke’ LHSB ermöglicht ein gemeinsames Auftreten am (internen und externen) Markt. Auf diese Weise werden Bildungsaktivitäten deutlich stärker wahrgenommen und bekommen einen anderen Stellenwert im Unternehmen. Zum anderen zeigt sich im Angebot der SICK Akademie der hohe Stellenwert, den Bildung im Unternehmen hat. Das Unternehmen fördert explizit jegliche Weiterentwicklungsansprüche der Mitarbeitenden, auch ohne dass diese einen direkten Bezug zur Arbeitstätigkeit haben. So ist die Akademie dabei behilflich, entsprechende Trainer und Dozierende zu organisieren und stellt Räumlichkeiten im Unternehmen zur Verfügung. Auf diese Weise will SICK die hohe Bedeutung des lebenslangen Lernens verdeutlichen und eigeninitiatives Verhalten der Mitarbeitenden honorieren und unterstützen. In der theoretischen Exploration und im BZR I wurde bereits anhand unterschiedlicher Studien dargestellt, dass das Outsourcing (von Weiterbildungsmaßnahmen) eine eher untergeordnete Rolle für das Bildungsmanagement in Unternehmen spielt. In den Fallstudienunternehmen wird diese Position durch die zunehmend notwendigere unternehmens- und bereichsspezifische (modularisierte) Ausrichtung von Bildungsprogrammen begründet. Allerdings schließt dies nicht die Zusammenarbeit mit externen Bildungseinrichtungen (insb. Business Schools) aus. Der Ausprägungsgrad kann sehr unterschiedlich sein: von der Teilnahme einzelner Mitarbeitender an einem Programm der Business School (z. B. SICK) bis hin zu einem aus dem Bereich der Produktion bekannten ‚Forward Sourcing’ (z. B. Lufthansa). Dabei wird die externe Business School bereits bei der Programmplanung eingebunden und erstellt zusammen mit dem Unternehmen ein spezifisches Angebot. Es wird eine längerfristige Kooperationen mit einzelnen ‚single providern’ angestrebt. Die Vergütung erfolgt erfolgsabhängig, wodurch ein hoher Qualitätsstandard sichergestellt werden kann.
6.2.3.2. Rollen- und Selbstverständnis des Bildungsmanagements Neben der strukturellen Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen stellt sich aus einer Innenperspektive die Frage nach der Rolle und dem Selbstverständnis des Bildungsmanagements. Die Rolle des Bildungsmanagements ist in den Fallstudienunternehmen durch ein generalisierendes, breitenorientiertes Verhalten geprägt. Die Begrifflichkeiten, mit denen das Bildungsmanagement sein Selbstverständnis ausgedrückt, sind ebenso vielfältigster Art: Strategieimplementierer, strategischer Partner, Motor und Beschleuniger, Berater, Dienstleister, Moderator, Vermittler, Impulsgeber, Change Partner, Service Partner, Innovator etc. Der Bereich
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
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der Führungskräfteentwicklung der LHSB sieht sich als Strategieimplementierer, aber auch in gewissen Teilen als strategischer Partner. Der Bereich ZA bei Bertelsmann sieht seine Rolle bewusst nicht in der Strategieimplementierung, sondern vielmehr darin, strategischer Impulsgeber zu sein und gleichzeitig Dienstleistungsfunktionen (incl. Beratung, Moderation) zu übernehmen. Die Bertelsmann University tendiert in eine ähnliche Richtung, indem darauf hingewiesen wird, dass sie eine Mischung aus strategischem Impulsgeber und Dienstleister einnimmt. Bei Kienbaum wird ebenso ein Selbstverständnis vertreten, welches sowohl die Dienstleistungsfunktion anspricht, aber auch die Rolle des Business Partners integriert. In ähnlicher Weise schreibt sich der Bildungsbereich bei SICK das Selbstverständnis als Dienstleister und Impulsgeber zu. Daneben wird hier aber auch darauf hingewiesen, dass das Bildungsmanagement als Strategieentwickler und Innovator agiert. Insgesamt betrachtet lassen sich aus den Erkenntnissen des Quervergleichs der Fallstudien keine neuen Beobachtungen zur Rolle und dem Selbstverständnis des Bildungsmanagements ableiten, vielmehr wurden die im BZR I gemachten Aussagen bestärkt.
6.2.3.3. Funktionales Strukturmodell des Bildungsmanagements Die Thematisierung der oben aufgeführten Aspekte fand Niederschlag in der Formulierung eines funktionalen Strukturmodells (Typenmodell) des Bildungsmanagements in Unternehmen. Zur Auswertung der empirischen Exploration wurde im BZR I die Frage formuliert, welche Erkenntnisse aus den Fallstudien zur Konkretisierung bzw. Weiterentwicklung des Typenmodells abgeleitet werden können. Hierbei ergeben sich insbesondere Ansatzpunkte bei Typ 3 und Typ 4 des Modells. Typ 3 des beschriebenen Modells zeichnet sich durch eine gleichzeitig dezentrale und zentrale Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen aus. Dabei stellt sich die Frage nach der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Funktionsstellen. Die Ausführungen der theoretischen Exploration und des Bezugsrahmens I lassen sich durch die Beobachtungen aus den Fallstudienunternehmen ergänzen. So zeigt sich an den Beispielen Bertelsmann und insbesondere Lufthansa, dass eine institutionalisierte Gremienarbeit dazu beitragen kann, einen Austausch sicherzustellen und die Arbeit an gemeinsamen Themen zu ermöglichen. Bei Kienbaum und SICK, wo das Bildungsmanagement u. a. aufgrund der organisatorischen Verankerung Anteil an den unternehmerischen Managementprozessen hat, kommt einer institutionalisierten Gremienarbeit weniger Bedeutung zu. Vielmehr erfolgt die Kooperation entsprechender Stellen situativ.
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Bezugsrahmen II
Bezogen auf die Beschreibung der Rolle des Bildungsmanagements im Strategieprozess wurde in Kapitel 6.2.1.3 festgehalten, dass als Zwischenstufe vom Unterstützer strategischer Initiativen zum Business Partner die des ‚Motors und Beschleunigers’ zu ergänzen ist. Diese hängt eng mit Typ 2 des funktionalen Strukturmodells zusammen. Daneben wurde aus der empirischen Exploration am Beispiel der LHSB deutlich, dass die Corporate University im Unternehmen keine tatsächliche institutionelle Funktionseinheit darstellen muss, sondern auch in virtueller Form existieren kann. Neben diesen direkten Erkenntnissen lassen sich durch den Versuch einer Einordnung der Fallstudienunternehmen in das Typenmodell Impulse zur Weiterentwicklung des Modells ableiten.1430 Hierbei wird Bezug genommen auf die bereits ausgeführten Darstellungen und Bezüge der einzelnen Fallstudienunternehmen. Entsprechend handelt es sich um Momentaneinschätzungen aufgrund der Datenlage der Fallstudien. In der Bertelsmann AG ist das Bildungsmanagement derzeit sehr stark dezentral verankert, wenngleich sich die Bertelsmann University aus einer zentralen Perspektive auf die Weiterentwicklung ausgewählter Führungskräfte fokussiert. Eine institutionalisierte Zusammenarbeit zentraler und dezentraler Bereiche ist derzeit im Aufbau. Organisatorisch ist die Bertelsmann University im Bereich Personal verankert. Der Leiter des Bereichs (Konzernpersonalchef) ist dem Vorstand unterstellt, er war zuvor Leiter der Bertelsmann University. Das Bildungsmanagement sieht sich selbst als strategischer Impulsgeber und Dienstleister. Eine Einordnung im Typenmodell ist entsprechend des Gesamtbildes auf dem Entwicklungspfad von Typ 2 zu Typ 3 möglich. Das Bildungsmanagement der Lufthansa AG zeichnet sich in der organisatorischen Verankerung durch eine Verbindung dezentraler und zentraler Strukturen aus. Dezentral ist das Bildungsmanagement in den einzelnen Geschäftsbereichen verortet. In der Konzernzentrale existiert daneben die LHSB als virtuelles Dach aller bildungsrelevanten zentralen Funktionsstellen. Diese ist im Unternehmen relativ hoch verankert, so dass das Top-Management in die Entwicklungsprozesse der LHSB eingebun-
1430
Die empirische Exploration ist grundsätzlich durch das Ziel geleitet, einen Beitrag zur Theoriebildung zu leisten. Wie allerdings bereits dargestellt wurde, sind die Übergänge zwischen Theoriebildung und -überprüfung fließend. Eine Einordnung der Fallstudienunternehmen könnte als Teil der Theorieüberprüfung ausgelegt werden. Sie wird hier dennoch vollzogen, da sich die Verfasserin von der Einordnung der Unternehmen ins Modell Anhaltspunkte zur Weiterentwicklung des Modells und damit des Bezugsrahmens erhofft, was wiederum als Teilaspekt der Theoriebildung angesehen werden kann.
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
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den ist. Daneben existiert ein Vorstand für den Bereich Personal. Zwischen den dezentralen und zentralen Bereichen erfolgt eine institutionalisierte Zusammenarbeit in unterschiedlichen Gremien. Der LHSB kommt im Unternehmen die Rolle des strategischen Motors bzw. Beschleunigers zu; zunehmend nimmt sie auch die des strategischen Partners ein. Gleichzeitig unterstützt sie aber auch noch die Implementierung strategischer Initiativen. Im Typenmodell lässt sich das Bildungsmanagement der Lufthansa AG aus einer Gesamtsicht betrachtet auf der Stufe des Typ 3 verorten. Eine Betrachtung des Bildungsmanagements in der Kienbaum Consultants International GmbH unterscheidet sich durch die Unternehmensausrichtung z. T. grundlegend von den anderen Unternehmen. Kienbaum ist ein Beratungsunternehmen mit dem hauptsächlichen Fokus auf Personalthemen. Entsprechend sind die Mitarbeitenden automatisch Fachexperten im Bereich Personal. Hieraus ergibt sich, dass es im Unternehmen keine Funktionsstelle gibt (und diese aus Sicht des Unternehmens auch nicht notwendig ist), die die Führungskräfte berät, unterstützt oder fördert. Nichtsdestotrotz wurde die Kienbaum Academy als Dienstleistungsbereich zur Weiterentwicklung der Mitarbeitenden in unterschiedlichen Kompetenzfeldern eingerichtet. Der Leiter der Academy sieht sich selbst als Business Partner. Daneben ist das Bildungsmanagement im Unternehmen sehr hoch verankert, indem der Vorsitzende der Geschäftsführung es nicht nur unterstützt, sondern wesentlicher Treiber und Initiator ist. Entsprechend kann das Bildungsmanagement der Kienbaum GmbH auf dem Entwicklungspfad zwischen Typ 3 und Typ 4 eingeordnet werden. Die Reinform des Typ 4 erscheint noch nicht erreicht, da durch die extreme Heterogenität der Führungsstile die strukturelle Verankerung des Bildungsmanagements nahe beim Mitarbeitenden nicht sichergestellt ist (vergleiche die Diskussion um ‚verkaufsorientierte’ Führungskräfte). In der SICK AG ist das Bildungsmanagement in mehrfacher Weise im Unternehmen verankert. Der Vorstand und die Geschäftsleitung des Unternehmens sehen die Förderung von Bildung im Unternehmen als integrale Managementaufgabe an. Institutionell ist das Bildungsmanagement zentral im Bereich HR verankert, der sich als Competence Center u. a. in Bildungsfragen sieht. Daneben ist es die Aufgabe der SICK Akademie als Dienstleister ein entsprechendes Angebot an formellen Weiterbildungsmaßnahmen zu initiieren, zu offerieren und durchzuführen. Eine strukturelle Verankerung in der Linie und damit nahe beim Mitarbeitenden erfolgt insbesondere durch den Einbezug von Führungskräften. Das Bildungsmanagement wird im Unternehmen als Teilfunktion zur Generierung des Unternehmenserfolgs gesehen und damit als essentieller Bestandteil der Unternehmenstätigkeit. Bildungsmanage-
Bezugsrahmen II
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ment ist damit nicht mehr ein ausschließliches, sondern ein integrales Managementthema. Daneben wird es bei SICK als Grundlage für die Entwicklung zur lernenden Organisation verstanden. Im derzeitigen Stadium lässt sich die SICK AG im Typenmodell als Typ 4 einstufen. Allerdings wird auch deutlich, dass durch den Wachstumsprozess des Unternehmens zukünftig Veränderungen des Bildungsmanagements auf Konzernebene notwendig werden. So gilt es als eine Herausforderung der nächsten Jahre, auch in den Tochtergesellschaften des Unternehmens das Bildungsmanagement entsprechend zu verankern. Insgesamt wird deutlich, dass das Typenmodell dazu beitragen kann, ein klareres Bild vom Bildungsmanagement im Unternehmen zu bekommen. Dabei zeigte sich aber auch, dass es sich bezogen auf die Fallstudien um Momentaneinschätzungen auf Basis des vorliegenden Datenmaterials handelt. Diese ersten Versuche der Einordnung bedürfen einer weiteren Überprüfung und detaillierteren Analysen. Hierzu gilt es das Typenmodell weiter zu operationalisieren. Ein erster Schritt könnte die Entwicklung eines Kriterienkatalogs sein. Durch die Einordnung der Fallstudienunternehmen wurde u. a. deutlich, dass das Typenmodell um einen beispielhaften Optionenkatalog ergänzt werden kann, der die Entscheidung der Einstufung möglicherweise erleichtert. Dieser wurde dem Bezugsrahmen I bereits immanent zugrunde gelegt, aber noch nicht explizit ausgewiesen. Entsprechend können folgende Aspekte unterschieden werden: organisatorische Verankerung im Unternehmen, organisatorischer Bezug, Zusammenarbeit der Funktionsstellen, Selbstverständnis, Rolle im Strategieprozess, Verständnis des Bildungsmanagements. Organisatorische Verankerung
Organisatorischer Bezug
Zusammenarbeit der Funktionsstellen
Typ 1 Dezentral
Typ 2 Dezentral
Personalentwicklung als Teil des HRM
An Personalbereich gekoppelte Funktionsstelle
-
-
Typ 3 Dezentral und gleichzeitig zentral (Stabsstelle, Zentralbereich, Corporate University) Nahe bei der Unternehmensleitung verankert Institutionell (z. B. Gremienarbeit)
Typ 4 Unterschiedlichste Bereiche ansprechendes umfassendes Konzept Bildungsmanagement als integrale Managementaufgabe Situativ, selbst gesteuert
Bildungsmanagement auf der strategischen Ebene
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Selbstverständnis
Operativer Dienstleister
Operativer Dienstleister und Unterstützer
Operativer Dienstleister und Strategieentwickler
Entsprechend der Funktionsstelle: Competence-Center, Operativer Dienstleister…
Rolle im Strategieprozess
Strategieimplementierer
Motor und Beschleuniger
Business Partner
Strategischer Player
Personalentwicklung
Persönlichkeitsentwicklung wird neben der Personalentwicklung mit in den Blick genommen
Integrierte Sichtweise der Personalentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung wird angestrebt
Bildungsmanagement als integrales Managementthema, Grundlage für die Entwicklung zur lernenden Organisation
Verständnis des Bildungsmanagements
Abbildung 80: Optionen zur Einstufung in das funktionale Strukturmodell des Bildungsmanagements in Unternehmen
Daneben wurde deutlich, dass die Strategieimplementierung nicht nur während der Typ 1-Phase von Bedeutung sein kann, sondern durchaus auch in einer späteren Phase als ergänzende Aufgabenstellung (mit nachrangiger Bedeutung) möglich ist. Weiter zeigte es sich am Fallbeispiel der SICK AG, dass Typ 4 kein ‚Endstadium’ sein muss. Zum momentanen Stand befindet sich das Bildungsmanagement in diesem Unternehmen zwar in einem Typ 4-Stadium. Durch die Weiterentwicklung und das Wachstum des Unternehmens kann sich dieses Bild verändern und neue Anpassungsbedarfe notwendig machen. Es zeigt sich weiter, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Typen fließend sind. Entsprechend wird von einem Entwicklungspfad gesprochen, der in der Darstellung des Typenmodells durch den Entwicklungspfeil veranschaulicht wird.
6.2.3.4. Bildungsmanagement im Kontext organisatorischer Herausforderungen Die Modularisierung, Netzwerkbildung, Virtualisierung, Internationalisierung und Globalisierung wurden bereits im BZR I als organisatorische Veränderungen beschrieben, die das Bildungsmanagement vor neue Herausforderungen stellt, aber auch Gestaltungsoptionen bietet. Die Grundaussagen werden durch die empirische Exploration gestützt. In Ergänzung dazu kann beobachtet werden, dass die Modularisierung und Netzwerkbildung das Bildungsmanagement auch aus struktureller Sicht vor Herausforderungen stellt: die Zusammenarbeit zentraler und dezentraler Stellen
414
Bezugsrahmen II
wird zunehmend erschwert (vgl. Fallstudie Lufthansa AG). In der Folge müssen entsprechende Maßnahmen entwickelt werden, um den Austausch dennoch sicherzustellen. Beispielsweise ist ein Partnerkonzept, wie in der Lufthansa-Fallstudie dargestellt, denkbar. Auf diese Weise entsteht eine Art Netzwerk der Zusammenarbeit aller im Bildungsmanagement Tätigen. Daneben gewinnt die Führungskraft als ‚Bildungsmanager vor Ort’ an Bedeutung. Dieser kann wesentliche Bildungsmanagement-Aufgaben in der Interaktion mit den Mitarbeitenden übernehmen. Weiter ist beobachtbar, dass die Internationalisierung des Unternehmens für das Bildungsmanagement nicht allein aus dem Grund relevant wird, dass das Unternehmen in verschiedene Länder expandiert, sondern auch aufgrund der Beschäftigung von Mitarbeitenden aus zunehmend unterschiedlicheren Kulturen. Beispielsweise sind bei Lufthansa derzeit Mitarbeitende aus 145 Nationen beschäftigt. Daneben weist SICK darauf hin, dass die zunehmende Internationalisierung einer Qualifizierung der Mitarbeitenden des Bildungsmanagements der zentralen Bereiche bedarf, was als Herausforderung in den nächsten Jahren gesehen wird. Daneben stellen die demografische Entwicklung in den nächsten Jahren und ein damit zusammenhängender Fachkräftemangel Herausforderungen für das Bildungsmanagement dar. Bertelsmann reagiert hierauf z. B. durch das Angebot spezieller Weiterbildungsmaßnahmen. Weitere Herausforderungen, die von den Fallstudienunternehmen genannt wurden, waren u. a. die Positionierung als strategischer Partner, die Wahrnehmung des Bereichs im Unternehmen, das Zusammenbringen der Ansprüche von Mitarbeitenden und Unternehmen und die Schaffung von vermehrten Ausbildungsmöglichkeiten. Aus diesen Einzelaspekten lassen sich jedoch weniger verallgemeinerbare Herausforderungen und Handlungsoptionen ableiten.
6.3. Gesamtblick Aufgrund der empirischen Exploration konnten Aussagen und Erkenntnisse zur Überarbeitung und Ergänzung des BZR I gewonnen werden. Da die Fallstudien die wesentlichen Aussagen des BZR I allerdings stützen, konzentrieren sich die Ausführungen in Bezugsrahmen II in erster Linie auf inhaltliche Präzisierungen und Erweiterungen. Diese dienen dazu, die Aspekte des BZR I aus einer differenzierten Sicht wahrnehmen zu können. Dabei fokussierten sich die Ausführungen in den vorangegangenen Kapiteln auf die wesentlichen Entscheidungs- und Handlungsfelder des Bildungsmanagements in Unternehmen. Diese stehen, wie in BZR I dargestellt und im BZR II bestätigt, sehr stark miteinander in Zusammenhang.
Gesamtblick
415
Sowohl für die Managementphilosophie als auch für die Unternehmenspolitik spielen die im Unternehmen existierenden Einstellungen/Überzeugungen, Werte und Ansprüche eine wesentliche Rolle. Im Rahmen der Managementphilosophie setzt sich das Bildungsmanagement mit den Einstellungen/Überzeugungen und Werten des Unternehmens und der Mitarbeitenden auseinander, um ein gemeinsames Gedankensystem zu entwickeln. Diese werden in die Unternehmenspolitik aufgenommen. Es wird versucht, Verständigungspotentiale aufzubauen und damit zur Lösung des Konsensproblems beizutragen. Entsprechend hängen Managementphilosophie und Unternehmenspolitik sehr stark zusammen. So können auch beide Elemente ihren Ausdruck in der Formulierung eines Leitbildes des Unternehmens finden. Auch die Strategie, Kultur und Struktur stehen, wie bereits dargestellt, in einer Wechselwirkung zueinander. Im Rahmen der theoretischen Exploration wurde beschrieben, wie die drei Bereiche dialektisch von einander beeinflusst werden. Die Darstellungen in BZR I gingen einen Schritt weiter und stellten heraus, dass die drei Elemente sich nicht nur wechselseitig beeinflussen, sondern sich z. T. auch nur schwer voneinander differenzieren lassen. Strategie, Kultur und Struktur sind Entscheidungs- und Handlungsfelder eines integrierten, komplexen Systems. Die empirische Exploration bestätigt diese Sichtweise nachdrücklich. So wird deutlich, dass alle drei Elemente sehr stark miteinander verwoben sind und ein Bildungsmanagement-Thema oftmals sowohl aus Sicht eines Elements betrachtet werden kann, als auch aus Sicht der beiden anderen Elemente. Wenngleich in den vorangegangenen Kapiteln die einzelnen Entscheidungs- und Handlungsfelder getrennt voneinander dargestellt wurden, stehen diese folglich in einem engen Zusammenhang zueinander. Wie nachfolgend aufgezeigt, sind die einzelnen Entscheidungs- und Handlungsfelder Teil eines integrierten ganzheitlichen Gedankensystems, welches auf strukturierte Weise dazu beitragen soll, sich mit dem Bildungsmanagement in Unternehmen auseinanderzusetzen.
7. Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
Durch die Erkenntnisse aus der theoretischen Exploration wurde in Kapitel 4 ein erster Bezugsrahmen des Bildungsmanagements in Unternehmen entwickelt. Kapitel 6 zeigte im Rahmen des BZR II aus der empirischen Exploration abgeleitete, weiterführende Aspekte auf. Die Erstellung beider Bezugsrahmen war durch das Ziel geleitet, ein gedankliches Ordnungssystem aufzubauen, welches eine systematische Beschäftigung mit dem Untersuchungsfeld Bildungsmanagement in Unternehmen ermöglicht. Entsprechend fanden die Ergebnisse und Erläuterungen des ersten Bezugsrahmens ihren Ausdruck in einer visuellen Darstellung (vgl. Abbildung 81). Diese nimmt die wesentlichen Entscheidungs- und Handlungsfelder sowie deren Systemzusammenhang aus einer ganzheitlichen Perspektive auf. Technologisches Segment
Ökonomisches Segment
Unternehmen Umwelt
dUnternehmens-
philosophie
Le itb
e
cManagement-
ild
Normative Ebene
politik
Strategische Ebene
f g Kultur
Strategie
h Struktur Ansprüche Werte
Einstellungen/Überzeugungen
Soziokulturelles Segment
Mitarbeitende
Politisch-rechtliches Segment
Abbildung 81: Modell des Bildungsmanagements in Unternehmen
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
417
Die visuelle Darstellung wird im Folgenden durch ein propositionales Element ergänzt. Dazu werden die einzelnen Entscheidungs- und Handlungsfelder in ihre Aspekte untergliedert und jeweils die Kernaussagen, Kategorien, Ansatzpunkte, Einflussfaktoren und Beobachtungen aus BZR I um die Erkenntnisse und Ausführungen des BZR II erweitert. Auf diese Weise soll die Bildung einer kognitiven Landkarte des Bildungsmanagements in Unternehmen unterstützt werden. Die nachfolgenden Tabellen fassen die wesentlichen Erkenntnisse der Bezugsrahmen I und II auf diese Weise zusammen. Für eine detaillierte Auseinandersetzung wird auf die jeweiligen Ausführungen in den vorangegangenen Kapiteln verwiesen.
c Managementphilosophie
Kapitel 3.1.1, 4.1.2, 6.1.1
Die Managementphilosophie setzt sich mit den Einstellungen/Überzeugungen und Werten der am Unternehmen Beteiligten auseinander, um Klarheit über die paradigmatischen Grundlagen des Handelns im Unternehmen zu erlangen. Sie wird u. a. durch die Geschichte des Unternehmens geprägt. Dem Bildungsmanagement kommt in diesem Zusammenhang vor allem eine Diagnosefunktion zu.
Menschenbild Kernaussage
Zum einen beeinflussen Menschenbilder den Umgang der Beteiligten miteinander und deren Art der Zusammenarbeit. Entsprechend haben sie auch eine Bedeutung für das Bildungsmanagement im Unternehmen. Zum anderen ist mit dem BildungsmanagementVerständnis dieser Arbeit ein bestimmtes Menschenbild verbunden.
Kategorien
Economic Man Social Man Self-actualizing Man Complex Man Menschenbild einer ganzheitlichen Kompetenz Menschenbild-Aspekte des Bildungsmanagements Unternehmensspezifische Menschenbildattribute
Ansatzpunkte Menschenbilder sind meist implizit vorhanden und beeinflussen unreflektiert das Handeln, daher sollte versucht werden, diese zu diagnostizieren und sich dabei klar zu werden, welche Konsequenzen die Bilder nach sich ziehen. Menschenbildtypologien orientieren sich an Idealtypen und helfen, sich der vorhandenen Menschenbilder bewusst zu werden und diese zu reflektieren.
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
418
Neben individuellen Menschenbildern kann ein unternehmensweit vertretenes Menschenbild existieren. Einflussfaktor
Historische Bedingtheit unternehmerischer Menschenbilder
Werte Kernaussage
Die Auseinandersetzung mit Werten dient der ethischen Legitimation des Unternehmens und der Sinnfindung des Einzelnen. Dabei ist aus Sicht des von der Verfasserin vertretenen Verständnisses von Bildungsmanagement die Berücksichtigung der Eigen- und Sozialverantwortlichkeit als Grundwerturteil wesentlich.
Kategorien
Wertesystem der Mitarbeitenden Wertesystem des Unternehmens Integrierte Sichtweise des Bildungsmanagements
Ansatzpunkte Werterhellung: Diagnose und Explizierung der existierenden Werthaltungen Wertdefinition: Gemeinsame Erarbeitung und Dauerreflexion Bewusste und unbewusste gesteuerte Werteprozesse Werterhellung und -definition können miteinander einhergehen Corporate University als Plattform des Wertedialogs Einflussfaktoren
Wertepluralismus Wertewandel
d Unternehmenspolitik
Kapitel 3.1.2, 4.1.3, 6.1.2
Die Unternehmenspolitik legt den Rahmen fest, der im Wesentlichen die Funktion, die Ziele und die Verhaltensgrundsätze der Unternehmung bestimmt und damit das Handeln des Unternehmens bzw. seiner Mitglieder prägt. Dem Bildungsmanagement kommt dabei eine Konfliktklärungsaufgabe zu. Kernaussage
Aus Sicht des Bildungsmanagements steht im Rahmen der Unternehmenspolitik das Spannungsverhältnis zwischen den Werten, Ansprüchen und Interessen des Unternehmens und der Mitarbeitenden im Mittelpunkt. Die Aufgabe des Bildungsmanagements ist es, eine integrative Perspektive einzunehmen und so dazu beizutragen, dass beide Aspekte in der Unternehmenspolitik aufgenommen werden.
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
Kategorien
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Werte und Ansprüche des Mitarbeitenden Werte und Ansprüche des Unternehmens Konsens- und Konfliktpotentiale auf der Ebene der Werthaltungen und der Ansprüche Kommunikatives Eingehen auf das Spannungsverhältnis Maßnahmen zur Begegnung des Spannungsverhältnisses
Ansatzpunkte Ebene der Werte: Reflexion des Zusammenhangs zwischen unternehmerischen und individuellen Werten Ebene der Ansprüche: Klärung möglicher Konflikte im Sinne der Herstellung einer dynamischen Balance Umsetzung: Kommunikative Aussagen im Handeln zum Ausdruck bringen, konkrete Initiierung von Maßnahmen Beobachtung
e Leitbild
Umkehrung des Spannungsverhältnisses in Ausnahmefällen möglich
Kapitel 3.1.3, 4.1.4, 6.1.3
Kernaussage
Das Leitbild dient der Kommunikation der Managementphilosophie und der Unternehmenspolitik. Es beschreibt die Werte und Grundhaltungen, die ein Unternehmen leben will und das gewollte Denken und Handeln der Mitarbeiter. Entsprechend kann es den Stellenwert des Bildungsmanagements im Unternehmen verdeutlichen/beeinflussen. Die Aufgabe des Bildungsmanagements liegt vor allem in der Moderation und Dokumentation.
Kategorien
Bildungsmanagement-Aussagen im Unternehmensleitbild Bildungsmanagement-Leitbild als: Bereichsleitbild des Bildungsmanagements thematisches Leitbild Bewusster Verzicht auf unternehmerische Leitbilder Unterscheidung unternehmerischer Aktionsebenen: u. a. ‚Kalenderweisheiten’ Kommunikation Umsetzung
Ansatzpunkte Bereichsleitbild als Zwischenstufe auf dem Weg zur Integration von Bildungsmanagement-Aussagen im Unternehmensleitbild
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
420
Gestaltung des Erstellungsprozesses (Integration der Mitarbeitenden) Formulierung des Leitbilds (Anschlussfähigkeit, Praxisrelevanz) Leitbildprozess als Instrument des Bildungsmanagements (sowohl Erstellung, Überarbeitung als auch Neufassung) Beobachtung
Phasenabhängigkeit des Themas
f Strategie
Kapitel 3.2.1, 4.2.1, 6.2.1
Strategien bestimmen als Ausgangs- und Mittelpunkt des strategischen Managements die grundsätzliche Ausrichtung eines Unternehmens.
Unterschiedlichkeit der Betrachtungsebenen Kernaussage
Aus Sicht des Bildungsmanagements können bezogen auf die Strategie verschiedene Betrachtungsebenen unterschieden werden. Diese schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern sind die Folge unterschiedlich eingenommener Perspektiven.
Kategorien
Ebene der Unternehmensstrategie (Bildungsmanagement als Mitentwickler der Unternehmensstrategie) Ebene der Geschäftsstrategie (Strategie des Geschäftsfeldes Bildungsmanagement) Ebene des Funktionsbereichs (Strategisches Programm des Bildungsmanagements)
Ansatzpunkte Durch eine Integration der Bereichsstrategie in die Unternehmensstrategie (‚bottom-up’) besteht die Möglichkeit Bildungsmanagement-Aspekte weiterzutragen. Einflussfaktor
Aufgrund des Bildungsmanagement-Verständnisses dieser Arbeit erfolgt eine Konzentration auf die Ebene der Unternehmensstrategie.
Strategische Grundausrichtung Kernaussage
Um alle Ansprüche an das Unternehmen aufnehmen zu können, ist aus Sicht des Bildungsmanagements eine integrierte Sichtweise der Strategieentwicklung notwendig. Diese umfasst sowohl aus einem ‚Market-based View’ die Umweltbedingungen und Trends als auch aus einem ‚Resource-based View’ die spezifischen Ressourcen und Kompetenzen im Unternehmen und berücksichtigt die Nutzung von Lernprozessen.
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
Kategorien
421
‚Marked-based View’ und ‚Resource-based View’ Inside-out- und Outside-in-Perspektive ‚top-down’- und ‚bottom-up’-Vorgehen Präskriptive und deskriptive Strategieprozessmodelle
Ansatzpunkte Integrierte Sichtweise als Möglichkeit zur Harmonisierung des Spannungsverhältnisses zwischen Persönlichkeitsentwicklung und Personalentwicklung Bipolarer Prozess: gemeinsamer Ansatz, stufenweises Vorgehen Formalisierung der Prozesse mit dem Ziel der Personenunabhängigkeit Raum schaffen für emergente Strategieprozesse (z. B. im Rahmen der Corporate University) Bewusster Einbezug der Unternehmensleitung in die Bereichsstrategieentwicklung Einflussfaktoren
Bedeutung der Rahmenbedingungen von Veränderungsprozessen Nicht-Prognostizierbarkeit der Zukunft
Rolle des Bildungsmanagements im Strategieprozess Kernaussage
Das Bildungsmanagement nimmt im Strategieprozess zunehmend die Rolle des Strategieentwicklers ein. Damit sind Implikationen zur Gestaltung des Strategieprozesses verbunden.
Kategorien
GMN als Instrument der Strategiegestaltung: - Initiierungsphase (u. a. Bezugsrahmen zur Gestaltung der Initiierungsarbeit) - Positionierung (u. a. Unternehmens- und Umweltanalyse, SWOT-Analyse) - Wertschöpfung (u. a. ‚Resource-based View’, Bezugsrahmen zur Gestaltung der Wertschöpfungsarbeit) - Veränderung (u. a. Gestaltungsansatz zur Implementierung strategischer Initiativen) - Performance Messung (u. a. GMN-Ansatz)
Ansatzpunkte Initiierung: integrativer Ansatz, Gestaltungsoption Ort: bipolare Entwicklungsrichtung, Gestaltungsoption Dimension: breiter Beteiligungsgrad, Diversität des Perspektiven- und Fähigkeitenmix Positionierung: integrativer Ansatz
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
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Wertschöpfung: Ressourcen Mitarbeitende, Top-Management, Strategic Leadership, Gestaltungsoption Vielfalt: Diversität, Gestaltungsoption Einsatzspektrum: Mischmodell Veränderung: Politik, Kultur und Struktur als wesentliche Gestaltungsräume Beobachtung
Derzeit hauptsächlich Mitgestaltung des unternehmerischen Strategieprozesses über organisatorische Verankerung d. h. (möglichst hohe ) Verankerung einzelner Personen
g Kultur
Kapitel 3.2.2, 4.2.2, 6.2.2
Die Kultur gibt dem Individuum und der Gemeinschaft Identität, ermöglicht Identifikation und Integration für die Menschen, die in ihrem System und dessen Traditionen leben und bestimmen damit ihr Verhalten.
Kulturelle Ausprägungsformen Kernaussage
Unternehmen sind in eine Umkultur eingebettet, die die Unternehmenskultur prägt. Die Unternehmenskultur wiederum kann sich aus unterschiedlichen Subkulturen zusammensetzen. Subkulturen sind aus Sicht des Bildungsmanagements eine notwendige Antwort auf die externe und interne Vielfalt in Unternehmen, die entsprechend eingesetzt und gestaltet werden kann.
Kategorien
Umkultur als Rahmen der Unternehmenskultur Starke und schwache Unternehmenskulturen Subkultur als Teil der Unternehmenskultur (Unternehmenskultur als ‚übergreifende Klammer’) Wirkungszusammenhänge von Subkulturen und Unternehmenskultur: verstärkend, neutral, entgegen gerichtet Unternehmenskultur als Summe der Subkulturen (bewusster Verzicht auf eine Unternehmenskultur als ‚übergreifende Klammer’) ‚Individuumsbezogene Kulturebene’
Ansatzpunkte Subkulturen als Veränderungstreiber und individuelle als auch organisatorische Entwicklungschance Positive Wirkungszusammenhänge für das Bildungsmanagement durch verstärkende, neutrale und entgegen gerichtete Subkulturen Schwache Kulturen als Entwicklungschance auf individueller und organisatorischer Ebene
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
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Unternehmerischer Referenzrahmen zur Integration von Subkulturen (Unternehmenskultur als ‚Summe der Subkulturen’ oder ‚übergreifende Klammer’) Verhältnis Unternehmenskultur und Subkulturen (u. a. Frage nach dem gemeinsamen Nenner)
Kulturdimensionen und -aspekte Kernaussage
Innerhalb der Unternehmenskultur haben vielfältige Kulturdimensionen und -aspekte (die z. T. nicht klar voneinander abgegrenzt werden können) eine Bedeutung für das Bildungsmanagement.
Kategorien
Lernkultur (als wesentlicher Kulturaspekt des Bildungsmanagements) Vertrauenskultur (als Grundlage) Vielfältiges Spektrum an Dimensionen (u. a. Fehlerkultur, Team-/ Kooperationskultur, offene Kommunikationskultur, Diskussionskultur, Kultur der Eigenverantwortung und -initiative)
Ansatzpunkte Lernkultur: informelles Lernen und selbst gesteuertes Lernen fördern, implizites Wissen sichern, Bewusstseinsänderung bzgl. ‚Lernen’ vorantreiben Vertrauenskultur: indirekte Beeinflussung durch Strukturgestaltung, Einwirken auf Vorgesetztenverhalten, beachten, dass zu viel Vertrauen dysfunktional wirken kann Fehlerkultur: Fehler als Lernmöglichkeit begreifen und in einen Lernzusammenhang stellen Kultur der Eigenverantwortung und -initiative: Fähigkeit der Mitarbeitenden sind eine Voraussetzung, Verantwortungsabgabe vermeiden Eigenverantwortung, Team- und Kooperationskultur, Kommunikationskultur etc. als Kulturdimensionen berücksichtigen, die mit den anderen genannten in einer Wechselwirkung stehen
Kulturanalyse und -gestaltung Kernaussage
Sowohl für die Kulturanalyse als auch die -gestaltung gibt es aus Sicht des Bildungsmanagements aufgrund der schwierigen Fassbarkeit und der fraglichen direkten Beeinflussung keinen methodischen ‚Königsweg’.
Kategorien
Kulturanalyse durch (situationsspezifische/n) Methodeneinsatz und -kombination
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
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Kulturgestaltung durch - Personalauswahl und -einsatz - Subkulturen - Gestaltung von Bildungsmaßnahmen - Lernfähigkeit - Sensibilisierung und Explizierung Ansatzpunkte Überprüfung der Kulturanalyse (Frage der Stimmigkeit) Berücksichtigung der Risiken einer Kulturanalyse und bewussten Kulturgestaltung Lernfähigkeit als Potential für den Aufbau von Selbstorganisationsfähigkeit fördern
Führung Kernaussage
Die Führungskräfte im Unternehmen haben eine kulturbeeinflussende Funktion, die durch das Bildungsmanagement genutzt werden kann.
Kategorien
Vorbild-/Multiplikatorenfunktion von Führungskräften Führungsstiltypologie als Reflexionsinstrument: konsultativ kooperativ delegativ transformational Rollenvielfalt: in der direkten Interaktion mit den Mitarbeitenden im Zusammenhang mit formellen Bildungsprozessen Führungskraft als Bildungsmanager vor Ort -
Ansatzpunkte Nähe zum Unternehmensgründer sicherstellen/aufbauen Vorbild-/Multiplikatorenfunktion von Führungskräften nutzen und unterstützen Delegativen und transformationalen Führungsstil anstreben Rollenvielfalt nutzen (evtl. Erfüllung im Team) Qualifizierung und Unterstützung der Führungskräfte (z. B. durch Maßnahmen der Corporate University, externer Coach) Beeinflussung ‚bottom-up’ durch Qualifizierung der Mitarbeitenden Unternehmensweite Sensibilisierung vorantreiben mit dem Ziel ‚Awareness’ zu schaffen
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
Einflussfaktoren
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Bedeutung des Unternehmensgründers Kompetenz und Bereitschaft der Führungskräfte zur Rollenwahrnehmung Heterogenität der Führungsstile im Unternehmen
h Struktur
Kapitel 3.2.3, 4.2.3, 6.2.3
Strukturen sind Ordnungsmuster zur Komplexitätsbewältigung im Unternehmen.
Strukturelle Verankerung Kernaussage
Die strukturelle Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen kann auf vielfältige Weise erfolgen, wobei die Kombination unterschiedlicher Formen sinnvoll erscheint.
Kategorien
Dezentralisation vs. Zentralisation Internes vs. externes Marktmodell Corporate University als Sonderform
Ansatzpunkte Dezentralisation: Verteilung der Aufgaben auf mehrere untergeordnete organisatorische Einheiten (Linie) Zentralisation: Zusammenfassung der Aufgaben in einer zentralen Einheit, z. B. Stabsstelle, Zentralbereich Interne Marktmodelle: Cost-Center, Profit/Service-Center, Wertschöpfungs-Center als mögliche Organisationsformen des Bildungsmanagements Outsourcing: für das Bildungsmanagement nur bedingt relevante Organisationsform, ‚Forward Sourcing’ als mögliche Handlungsalternative für Corporate Universities Corporate University: kann vielfältig ausgestaltet werden, birgt je nachdem Vorteile wie z. B. höherer Stellenwert des Themas Bildung, virtuelle Organisationsform möglich Kooperation zwischen dezentralen und zentralen Stellen: formalisiert (z. B. Gremienarbeit), situativ (z. B. themenspezifisch) möglich Einflussfaktor Zusammenarbeit zwischen zentralen und dezentralen Stellen möglicherweise problematisch
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
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Interne Organisation Kernaussage
Das Rollen- und Selbstverständnis ist ein Ausdruck der internen Organisation des Bildungsmanagements. Es ist durch vielfältige Ausprägungsformen auf dem Weg hin zu einem generalisierenden, breitenorientierten Managementverhalten bestimmt.
Kategorien
Rolle der Bildungsmanager: u. a. Bildungsmanager (i. e. S.) Trainer Seminarleiter Prozessbegleiter Berater Coach Aufgabenspektrum des Bildungsmanagements: u. a. Nutzung der Lernbereitschaft Vergrößerung der Lernwirksamkeit Verbindung Bildungsprozesse mit Managementprozessen Selbstverständnis des Bildungsmanagements: u. a. Berater der Führungskräfte Ansprechpartner für Mitarbeitende Umsetzer der Unternehmensstrategie Operativer Dienstleister Strategic Partner Change Agent Player -
Ansatzpunkte Erweitertes Aufgabenspektrum berücksichtigen Neuen Anforderungen an die Rolle gerecht werden Qualifikationsstand erhöhen Grad der Professionalisierung ausbauen Bewusste Wahl der Funktionsbezeichnung
Funktionale Verankerung des Bildungsmanagements Kernaussage
Die Verankerung des Bildungsmanagements im Unternehmen kann durch das Typenmodell (Funktionales Strukturmodell), welches vier wesentliche Typen beschreibt, zusammengefasst werden. Das Typenmodell dient so zur Weiterentwicklung des Bildungsmanagements im Unternehmen.
Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
Kategorien
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Reinformen: Typ 1: operativer Strategieimplementierer und Personalentwickler Typ 2: dezentraler Unterstützer der Mitarbeiter-/ Unternehmensinteressen Typ 3: zentraler Business Partner Typ 4: umfassendes Managementkonzept im Unternehmen -
Ansatzpunkte Bewusstwerden und Reflexion der momentanen Situation Aufzeigen von Gestaltungsmöglichkeiten Definition des Entwicklungspfades Hilfsmittel: Optionenkatalog Beobachtung
Übergänge zwischen den Typen sind fließend, auch Mischformen möglich
Bildungsmanagement im Kontext organisatorischer Herausforderungen Kernaussage
Die vielfältigen organisatorischen Herausforderungen, die auf Unternehmen wirken, ziehen Konsequenzen auf der Ebene des Bildungsmanagements nach sich: Sie machen eine verstärkte Personalentwicklung notwendig und begünstigen gleichzeitig in hohem Maße die Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeitenden.
Kategorien
Modularisierung Netzwerkbildung Virtualisierung Internationalisierung Globalisierung
Ansatzpunkte Zusammenarbeit der Bildungsmanagement-Stellen Rolle der Führungskräfte als Bildungsmanager vor Ort Arbeitsgestaltung der Mitarbeitenden Erweiterte Handlungsmöglichkeiten/Tätigkeitsspektrum für das Bildungsmanagement Kulturelle Vielfalt an einem Standort und über Standorte hinweg Qualifizierung des Bildungspersonals
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Zusammenfassung Bezugsrahmen I und II
Die Bezugsrahmen des Bildungsmanagements in Unternehmen waren mit dem Ziel entwickelt worden, ‚ein gedankliches Ordnungssystem’ für die Beschäftigung mit Bildungsmanagement-Fragen zur Verfügung zu stellen. Dazu ist es notwendig, zum einen wie oben geschehen einzelne Entscheidungs- und Handlungsfelder zu definieren, um die Auseinandersetzung mit dem Thema zu erleichtern. Zum anderen ist aber auch der Hinweis auf Integration und Ganzheitlichkeit unerlässlich (vgl. Ausführungen in Kapitel 3.2.4, 4.2.4, 4.3, 6.3). Durch die integrierte Darstellung aller Elemente in einem Konzept wird erreicht, dass die wesentlichen Aspekte des Bildungsmanagements strukturiert durchdrungen werden können, ohne Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Inwieweit das entwickelte Konzept in der Praxis angewandt werden kann, wird im folgenden Kapitel 8 diskutiert.
8. Überlegungen zur Anwendung in der Praxis
Ausgangspunkt für die Dissertation war die Beobachtung, dass ‚Bildungsmanagement’ in der Praxis immer mehr an Bedeutung gewinnt bzw. gewinnen wird und gleichzeitig kein entsprechendes Konzept existiert, welches zur Problemlösung herangezogen werden kann. Daher stand die Theoriebildung, d. h. konkret die Entwicklung eines Bezugsrahmens des Bildungsmanagements in Unternehmen im Mittelpunkt des Vorgehens. Durch eine theoretische und empirische Exploration wurde ein entsprechender Bezugsrahmen entwickelt, der als „Kristallisationspunkt“1431 zur Erfassung und Generierung von Vorverständnissen, Annahmen und Interpretationen für das Untersuchungsfeld Bildungsmanagement auf der normativen und strategischen Ebene des Managements gilt. Die Gestaltung des Praxisfeldes war dabei sekundär. Im Anschluss an die Theoriebildung stellt sich nun allerdings die Frage, wie das Konzept der wissenschaftlichen Theorie auf das Alltagshandeln, d. h. die Praxis zurückwirken kann.1432 Die Theoriebildung war durch das Ziel geleitet, ein ‚Leerstellengerüst’ und ‚gedankliches Ordnungssystem’ zu entwickeln, welches die ‚Stellschrauben’ des Bildungsmanagements in Unternehmen darstellt. Die entstandene Konzeptualisierung ist kein Handlungsleitfaden, der normativ vermittelt, wie das Bildungsmanagement in Unternehmen zu gestalten ist. Vielmehr dient sie als ‚eine Orientierungslandkarte für Bildungsmanagement-Fragen’ und fordert den Praktiker auf, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Denn die Überführung von wissenschaftlichen Theorien in praktisches Handeln geschieht nicht auf direktem Weg, „sondern notwendig ist der ‚Umweg’ über die Person des praktisch Handelnden“1433. Der Praktiker wendet die Theorie nicht abbildhaft an, sondern er verbindet die wissenschaftliche Theorie vor dem Hintergrund seiner Handlungsabsichten mit seinen bestehenden Wirklichkeitskonstruktionen. Entsprechend handelt es sich bei dem vorliegenden Bezugsrahmen des Bildungsmanagements um ein „Interpretations-
1431
Euler, 1997, S. 253.
1432
Zur Diskussion um die begrenzte Übertragbarkeit wissenschaftlicher Theorien in die Praxis vgl. ausführlich Euler, 1997, S. 232 ff.
1433
Euler, 1997, S. 235.
Überlegungen zur Anwendung in der Praxis
430
angebot zur Vorbereitung von Problemlösungen in der Praxis“1434. Der Praktiker entscheidet letztlich selbst über die ‚Brauchbarkeit’ des vorliegenden Interpretationsangebots. Aus seiner Sicht geht es darum, die Wirklichkeit auf die Theorie zu beziehen und nicht die Theorie auf die Wirklichkeit anzuwenden. Aus Sicht der Wissenschaft ist es daher notwendig, die Theorieanwendung als „Vermittlungsproblem“1435 zu verstehen, d. h. dem Praktiker „etwas zur Verfügung zu stellen, was bereits auf seine Handlungsbedürfnisse hin organisiert ist“1436. Demzufolge muss die Theorie ‚handlungsgerecht’ formuliert sein und die Ziele des Praktikers aufnehmen. Das Hauptproblem der Rezeption wissenschaftlicher Theorien liegt darin, dass sie in der Regel „nicht als unmittelbare Lösungshilfe für die Praxis formuliert sind, sondern in unübersichtlicher Form vorliegen, häufig als unvereinbare oder widersprüchliche Aussagen unverbunden nebeneinander stehen und schließlich in einer schwer zugänglichen Sprache formuliert sind.“1437 In der Dissertation wurde versucht, diesen Schwierigkeiten vorzubeugen, indem die Theorieformulierung klar durch das Praxisproblem und das Ziel, eine ‚Orientierungslandkarte’ für die Praxis zu formulieren, geleitet war. Daneben folgte die Theoriebildung dem Paradigma der Wissenschafts-Praxis-Kommunikation. Im Rahmen der empirischen Exploration wurde das Praxisfeld aufgesucht. Die dabei gewonnenen Erfahrungen flossen in die Modifikation des Bezugsrahmens ein. Auf diese Weise wurden Erkenntnisse über die Lebenswelt der Praxis mit in die Theoriebildung einbezogen. Daneben wirkt die Konzeption des Bezugsrahmens als ‚gedankliches Ordnungssystem’, das sowohl in einer visuellen als auch propositionalen Form ihren Ausdruck fand, der Gefahr entgegen, in ‚unübersichtlicher Form’ unvereinbare und widersprüchliche Aussagen darzustellen. Zur konkreten Anwendung des Konzepts in der Praxis ist nichtsdestotrotz eine Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Praktiker nötig. Gemeinsam muss beispielsweise im Rahmen eines Gestaltungsprojekts1438 das Konzept des Bildungsmanagements in Unternehmen auf das konkrete Problem der Praxis ausgelegt und die Entscheidungsund Handlungsfelder situationsspezifisch bearbeitet werden.
1434
Euler, 1997, S. 235 (im Original kursiv).
1435
Euler, 1997, S. 236.
1436
Zabeck, 1988, S. 86 f.
1437
Euler, 1997, S. 304.
1438
Vgl. ausführlich Euler, 1997, S. 292 f.
Überlegungen zur Anwendung in der Praxis
431
In einem ersten Schritt kann ein auf den Bezugsrahmen aufbauender und nachfolgend aufgeführter Fragenkatalog zur Reflexion und Sensibilisierung herangezogen werden. Der Fragenkatalog orientiert sich an den Entscheidungs- und Handlungsfeldern des Bezugsrahmens und den jeweiligen Aspekten. Er soll den Praktiker auf der Managementebene dabei unterstützen und anleiten, sich mit dem Untersuchungsfeld auseinanderzusetzen. Dabei hat er keinen abschließenden Charakter, sondern kann unternehmens- und personenbezogen angepasst und erweitert werden.
Fragenkatalog zur Anleitung von Reflexionen der Praxis Managementphilosophie Menschenbild Welches Bild haben wir vom Menschen im Unternehmen? Welche Konsequenzen hat dieses Bild für unsere Tätigkeit? Welches Bild habe ich von meinen Kollegen und Mitarbeitenden und wie beeinflusst dies mein Handeln? Werte und -haltungen
Welche Werte legen wir unserem Handeln zugrunde? Welche Bedeutung hat hierbei die Eigen- und Sozialverantwortlichkeit? Welche Werte leiten unsere Mitarbeitenden? Wie berücksichtigen wir die Werthaltungen unserer Mitarbeitenden? Wie gehen wir mit dem Wertepluralismus im Unternehmen um? Wie gestalten wir die Prozesse der Werterhellung und -definition im Unternehmen?
Unternehmenspolitik Welche Rolle spielt Bildung für unser Unternehmen? Wie gehen wir mit den Entwicklungsansprüchen unserer Mitarbeitenden um? Wie passen unsere Ansprüche mit den Ansprüchen unserer Mitarbeitenden zusammen? Wie können wir eine Balance zwischen diesen Ansprüchen erreichen?
Leitbild Ist Bildung in unseren Leitbildern als Thema aufgenommen? Bieten unsere Leitbilder eine Anschlussfähigkeit für das Bildungsmanagement im Unternehmen? Wie werden Aussagen zum Thema Bildung bei uns festgehalten? Wie kamen die Leitbilder zustande? Sind die Leitbilder anschlussfähig formuliert? Welche Bedeutung haben sie (leiten sie tatsächlich unser Handeln)?
Strategie Betrachtungs- Auf welcher Strategieebene sind Bildungsmanagement-Aspekte ebenen integriert? Auf welcher Strategieebene möchten wir Bildungsmanagement-Strategien formulieren? Sind BildungsmanagementAspekte in der Unternehmensstrategie aufgenommen?
432
Überlegungen zur Anwendung in der Praxis
Grundausrichtung
Welche Grundhaltung leitet unser Vorgehen der Strategieentwicklung und -implementierung? Gehen wir integrativ vor?
Rolle des Bildungsmanagements
Welche Rolle kommt dem Bildungsmanagement im Strategieprozess zu? Wie gestaltet das Bildungsmanagement den Strategieprozess mit?
Kultur Ausprägungs- In welcher Umkultur sind wir verankert? Gibt es Subkulturen im formen Unternehmen? Welche Bedeutung kommt ihnen (aus Sicht des Bildungsmanagements) zu? Wie gehen wir mit den Subkulturen um? Welche Auswirkung haben sie auf die Unternehmenskultur? Dimensionen
Welche Kulturdimensionen spielen aus BildungsmanagementGesichtspunkten in unserem Unternehmen eine Rolle? Wie ist die Lernkultur im Unternehmen? Wie gehen wir mit Fehlern um? Welche Bedeutung hat Vertrauen für unser alltägliches Handeln im Unternehmen? Welche weiteren Kulturaspekte sind aus Sicht des Bildungsmanagements bei uns bedeutsam?
Analyse und Gestaltung
Welche Kultur haben wir im Unternehmen? Wie analysieren wir diese? Wie gestalten wir die Unternehmenskultur? Möchten wir die Unternehmenskultur überhaupt bewusst gestalten? Was versprechen wir uns davon? Welche Bedeutung kommt dabei dem Bildungsmanagement zu?
Führung
Wie werden unsere Mitarbeitenden geführt? Wie stehen die Führungskräfte zum Thema Bildung? Sind sie sich ihrer Rolle bewusst? Sind sie fähig, diese auszufüllen? Sind Qualifizierungsmaßnahmen notwendig und angebracht? Unterstützen wir unsere Führungskräfte in der Rollenwahrnehmung? Wie unterstützen wir sie? Besteht im Unternehmen eine breite Akzeptanz für die Rollenwahrnehmung der Führungskräfte? Was können wir tun, um diese weiter auszubauen?
Struktur Verankerung
Wie ist das Bildungsmanagement derzeit im Unternehmen verankert? Welche Vor-/Nachteile sind damit verbunden? Ist es sowohl dezentral in der Linie als auch zentral (nahe) bei der Unternehmensleitung verankert? Wie funktioniert die Zusammenarbeit der einzelnen Funktionsstellen? Welche Bedeutung kommt der Corporate University zu? Welchen Zusatznutzen erbringt die Corporate University für das Bildungsmanagement?
Überlegungen zur Anwendung in der Praxis
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Rollen-/Selbst- Mit welchen Rollenanforderungen wird das Bildungsmanagement verständnis konfrontiert? Wird es diesen gerecht? Welches Selbstverständnis hat das Bildungsmanagement bzw. die im Bildungsmanagement Tätigen? Wie zeigen sie dieses nach außen? Wo möchte sich das Bildungsmanagement hinentwickeln? Was ist hierzu notwendig? Ist die interne Qualifizierung und Professionalisierung ausreichend? Strukturmodell
Wo stehen wir bzw. unser Bildungsmanagement derzeit bezüglich der Einordnung im Typenmodell? Wohin möchten wir uns (weiter)entwickeln? Auf welche Weise kommen wir dort hin?
Organisat. Herausforderungen
Mit welchen organisatorischen Herausforderungen werden wir in den nächsten Jahren konfrontiert? Welche Konsequenzen hat dies für unser Bildungsmanagement? Welche Chancen damit sind für uns verbunden? Wie können wir die Chancen nutzen?
9. Schlussbetrachtung
Im Folgenden werden die Ziele und Ergebnisse der Dissertation im Überblick benannt (Kapitel 9.1) und beispielhaft Ansatzpunkte für weiterführende Forschungsaktivitäten aufgezeigt (Kapitel 9.2). Einige abschließende Bemerkungen runden die Ausführungen ab (Kapitel 9.3).
9.1. Ziele und Ergebnisse dieser Arbeit Die Dissertation war vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und Anforderungen durch das Ziel der Konzeptualisierung des Bildungsmanagements als komplexe Managementaufgabe auf der normativen und strategischen Ebene in Unternehmen geleitet. Auf dem Weg dorthin wurden in einzelnen Etappen Ergebnisse herausgearbeitet, die zusammengefasst den Neuigkeitsgehalt der Arbeit ausmachen: x
Ausweisung und Abgrenzung eines umfassenden Begriffsverständnisses von Bildungsmanagement: Bildungsmanagement ist ein bisher in der Literatur nur wenig beachtetes Forschungsgebiet. Meist erfolgt lediglich eine Konzentration auf operative Aufgaben. Das Betrachtungsfeld Unternehmen wird ebenso selten fokussiert. Im Rahmen der Dissertation ging die Verfasserin von einem Begriffsverständnis aus, das explizit die normative und strategische Ebene des Bildungsmanagements in Unternehmen in den Mittelpunkt stellt. Das festgelegte Bildungsmanagement-Verständnis wurde erstmals auch zu verwandten Begriffskonzepten in Bezug gesetzt und von diesen abgegrenzt. Es wurde als breites und handlungsorientiertes Konzept definiert, welches sich auf das eigen- und sozialverantwortliche Handeln eines Individuums und das dazu notwendige Wissen, die Einstellungen und Fertigkeiten konzentriert. Dabei umfasst Bildungsmanagement als komplexe Managementaufgabe sowohl ein System von Aufgaben (funktionale Perspektive) als auch die Abteilung bzw. Personen, die mit der Tätigkeit betraut sind (institutionale Perspektive). Das Bildungsmanagement-Verständnis, wie es in dieser Arbeit vertreten wird, hat sowohl einen direkten Bezug zum Individuum als auch zur Unternehmung, da es sich mit den Ansprüchen des Unternehmens an Qualifizierung und auch mit den Ansprüchen des Einzelnen auf Bildung/individuelle Entwicklung auseinandersetzt. Das Spannungsfeld ist durch Konsens- als auch durch Konfliktpunkte gekennzeichnet, welche durch das Bildungsmanagement
Schlussbetrachtung
435
aufzunehmen und zu gestalten sind. Dabei kommt das angesprochene Spannungsverhältnis auf unterschiedlichen Ebenen zum Tragen. Zunächst waren verschiedene Sichtweisen auf den Begriff ‚Bildung’ festzustellen. Aus betrieblicher Sicht steht die Anforderungsorientierung im Mittelpunkt (Qualifizierung), aus der Sicht der Mitarbeitenden die Entwicklungsorientierung (Bildung i.e.S.). Näher auf das Modell des Bildungsmanagements in Unternehmen bezogen ergaben sich Unterschiede im Bereich der Interaktionsthemen. Die Einstellungen/Überzeugungen, Werte und Ansprüche von Unternehmen und Mitarbeitenden können zueinander im Gegensatz stehen. Entsprechend wurde sowohl im Zusammenhang mit der Managementphilosophie als auch der Unternehmenspolitik das Spannungsverhältnis diskutiert und entsprechende Implikationen wie die Einnahme einer integrativen Perspektive durch das Bildungsmanagement abgeleitet. Auch auf der strategischen Ebene wurde die Notwendigkeit einer integrativen Vorgehensweise deutlich, um sowohl unternehmerischen als auch mitarbeiterorientierten Interessen gerecht zu werden (z. B. im Zusammenhang mit der Strategieentwicklung). Aus einer Metaperspektive betrachtet ist festzustellen, dass sich in der Diskussion um das Spannungsverhältnis auch das Spezifische der wirtschaftspädagogischen Position dieser Dissertation niederschlägt. x
Detaillierte Analyse und Einbezug unterschiedlicher Erkenntnisse verwandter Forschungsgebiete: Im Rahmen der theoretischen Exploration (Kapitel 3) wurde in einem integrativen Prozess der Frage nachgegangen, welches die konstitutiven Entscheidungs- und Handlungsfelder des Bildungsmanagements auf der normativen und strategischen Ebene sind, welche normativen und strategischen Aspekte es bei der Gestaltung des Bildungsmanagements im Unternehmen zu berücksichtigen gilt und wie diese ausgestaltet werden können. Da kaum strukturierte Literatur zum Bildungsmanagement existiert, erfolgte eine umfangreiche Analyse der Erkenntnisse aus verwandten Forschungsgebieten. Vielfältige Theorien, Konzepte und Modelle wurden herangezogen, diskutiert und vor dem Hintergrund der Problemstellung der Dissertation aufgearbeitet.
x
Verbindung von Wissenschaft und Praxis: Die konsequente Verbindung des Wissenschafts- und Praxisbezugs steht im Mittelpunkt der dieser Arbeit zugrunde liegenden forschungsparadigmatischen Ausrichtung der Wissenschafts-PraxisKommunikation. Zur weiteren Ausdifferenzierung des aufgrund der theoretischen Exploration entwickelten Bezugsrahmens wurde das Praxisfeld aufgesucht, um, auf das Problemfeld der Dissertation bezogen, Erkenntnisse der Lebenswelt der dort Agierenden zu gewinnen (Kapitel 5). Es wurden Fallstudien zu den Unternehmen Deutsche Lufthansa AG, Bertelsmann AG, Kienbaum GmbH und SICK
436
Schlussbetrachtung
erstellt. Die Fallstudien wurden im Rahmen der Entwicklung des Bezugsrahmens II (Kapitel 6) vor dem Hintergrund der definierten Fragestellungen näher beleuchtet und zueinander in Bezug gesetzt. Durch die vergleichende Betrachtung war es möglich, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten und damit eine Hinführung zu einer Generalisierung zu leisten. Dabei wurde allerdings auch deutlich, dass die Untersuchung des Praxisfeldes mit Schwierigkeiten verbunden ist, die es zu berücksichtigen gilt. So besteht insbesondere bei einer Betrachtung von normativen und strategischen Aspekten in Unternehmen die Gefahr, dass die geschilderten ‚Ist’-Zustände tatsächlich der Unternehmensrhetorik entsprechende ‚Soll’-Zustände sind, die von der Unternehmensrealität abweichen. In der Dissertation wurde durch das Ansprechen unterschiedlicher Interviewpartner versucht, dieser Gefahr vorzubeugen. x
Entwicklung eines differenzierten Bezugsrahmens: Das primäre Ziel der Dissertation war die Konzeptualisierung der normativen und strategischen Ebene des Bildungsmanagements in Unternehmen. Wissenschaftlich mündete dies in der Formulierung eines Bezugsrahmens, der sukzessive theoretisch und empirisch ausdifferenziert wurde. Als ‚Orientierungslandkarte’ und ‚provisorisches Erklärungsmodell’ stellt er die wesentlichen Entscheidungs- und Handlungsfelder des Bildungsmanagements in Unternehmen in ihrem Gesamtzusammenhang dar und zeigt Ansatzpunkte zur Gestaltung auf. Seinen Ausdruck fand der Bezugsrahmen vor allem in der visuellen Darstellung des Modells des Bildungsmanagements in Unternehmen sowie in der propositionalen Darstellung, im Rahmen derer die Handlungs- und Entscheidungsfelder bzw. deren Aspekte durch die Elemente Kernaussagen, Kategorien, Ansatzpunkte für eine Gestaltung, Einflussfaktoren und Beobachtungen konkretisiert wurden. In diesem Zusammenhang wurden auch neue Kategorisierungen und Modelle entwickelt. Hierzu zählt beispielsweise das Typenmodell, welches die wesentlichen strukturellen Gestaltungsoptionen des Bildungsmanagements zusammenfasst und als Grundlage für die Reflexion der momentanen Situation, zum Aufzeigen der Gestaltungsmöglichkeiten und zur Definition eines Entwicklungspfades herangezogen werden kann.
x
Ausweisung von Anknüpfungspunkten für die Anwendung in der Praxis: Der entwickelte Bezugsrahmen hat nicht den Anspruch, ein Handlungsleitfaden zu sein, der normativ vermittelt, wie das Bildungsmanagement in Unternehmen zu gestalten ist. Vielmehr dient er als Interpretationsangebot, d. h. als wissensmäßige Grundlage für eine zukünftige Verbesserung der Managementpraxis. Er soll eine Systematik für die Gedankenführung des Praktikers sein, damit er die wesentlichen Probleme strukturiert durchdenken und zu einem integrativen
Schlussbetrachtung
437
Gesamtkonzept bringen kann. Dabei ist das Konzept des Bildungsmanagements in Unternehmen situationsspezifisch auf das konkret vorliegende Praxisproblem auszulegen. Als erster Schritt für die Anwendung der Theorie in der Praxis wurden, basierend auf dem Bezugsrahmen, für die einzelnen Entscheidungs- und Handlungsfelder sowie die jeweiligen Aspekte, Reflexionsfragen für den Praktiker definiert, die ihn anleiten und bei der Auseinandersetzung unterstützen sollen.
9.2. Desiderata für weiterführende Forschungsaktivitäten Der Forschungsprozess der Dissertation war durch den Anspruch, einen Beitrag zur Theoriebildung zu leisten, geleitet. Im Rahmen des zugrundeliegenden Paradigmas der Wissenschafts-Praxis-Kommunikation wird die Theoriebildung durch die Theorieüberprüfung und -anwendung ergänzt. Neben der Theorieanwendung (vgl. Kapitel 8) steht es im Fortlauf des Forschungspozesses noch aus, den entwickelten Bezugsrahmen einer Theorieüberprüfung zugänglich zu machen. Daneben haben sich Fragen ergeben bzw. konnten Phänomene beobachtet werden, die Ansatzpunkte für weitere Forschungsaktivitäten bieten. So lassen sich drei Handlungswege unterscheiden: x
Erforschung von Erklärungszusammenhängen im Rahmen empirisch-analytischer Forschungsdesigns: In den Ausführungen zum Bezugsrahmen wurden vielfältige Erklärungszusammenhänge angesprochen, denen empirisch-analytisch weiter nachgegangen werden soll. Beispielhaft sind hier thesenartig folgende Zusammenhänge zu nennen: -
-
-
-
-
Das Bildungsmanagement in Unternehmen ist von den Einstellungen und Überzeugungen des Managements gegenüber den Mitarbeitenden (Menschenbild) abhängig. Das Bildungsmanagement ist davon abhängig, ob die Wertebasis des Unternehmens das Grundwerturteil der Eigen- und Sozialverantwortlichkeit umfasst. Die Ansprüche der Anspruchsgruppen Unternehmen und Mitarbeitende nähern sich umso mehr einander an, je wichtiger ‚Bildung’ auch für das Unternehmen wird. Der Erfolg des Bildungsmanagements hängt von einer hohen strukturellen Verankerung im Unternehmen ab. Je näher ein Unternehmen dem Ideal einer Lernenden Organisation kommt, desto weniger notwendig werden Maßnahmen der Kulturanalyse und -gestaltung.
Schlussbetrachtung
438
-
Je mehr versucht wird, die Unternehmenskultur bewusst zu verändern, desto schwächer wird die Vitalität des Unternehmens und desto dringender die Forderung nach Kulturveränderung.
x
Deskriptiv-quantitative Vermessung von Phänomenen: In der Dissertation wurden an einigen Stellen Phänomene beschrieben, die in einem weiteren Forschungsprozess deskriptiv-quantitativ zu untersuchen sind. Beispielsweise gilt dies im Zusammenhang mit dem Führungsverhalten (entsprechend der Fragestellung ‚Wie sind die Führungsstile im Unternehmen verteilt?’). Ebenso ist es vorstellbar, mit diesem Vorgehen interessante Erkenntnisse zu den Menschenbildern oder auch den Kulturausprägungen in Unternehmen zu gewinnen. Des Weiteren wäre es eine Möglichkeit, die Phasenabhängigkeit des Leitbildes einer Theorieüberprüfung zugänglich zu machen. Und auch im Zusammenhang mit der Formulierung des Typenmodells (incl. Optionenkatalog) könnte eine deskriptiv-quantitative Vermessung zu einem Erkenntnisgewinn beitragen.
x
Analyse weiterführender Forschungsfragen: Wie bereits deutlich wurde, mussten zur Beantwortung der relativ breit angelegten handlungsleitenden Fragestellung der Dissertation Schwerpunkte gesetzt werden. Entsprechend sind Fragen offen geblieben bzw. haben sich neu ergeben, die noch nicht oder nicht ausreichend beantwortet werden konnten. Sie können die Basis für weitere Forschungsaktivitäten bilden (dabei können sich auch Überschneidungen zu den bereits genannten Vorgehensweisen ergeben). Beispielhaft sind hier zu nennen: -
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-
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-
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-
Wie sind der zunehmende Wertepluralismus und die Fokussierung auf Individualität mit der Formulierung einzelner spezifischer Unternehmenswerte vereinbar? Auf welche Weise gibt es Bezüge zwischen dem Handeln der einzelnen Mitarbeitenden und den definierten Unternehmenswerten? Wie kann überprüft werden, ob dem Handeln des Unternehmens das Grundwerturteil der Eigen- und Sozialverantwortlichkeit zugrunde liegt? Inwieweit bestehen tatsächlich Bezüge zwischen Leitbildern und dem Handeln in Unternehmen? Kann aus Sicht des Bildungsmanagement-Verständnisses dieser Arbeit ein konkreter Katalog an relevanten Kulturaspekten ausgemacht werden und wenn ja, in welcher Ausprägung? Unter welchen Bedingungen macht eine bewusste Kulturgestaltung durch das Bildungsmanagement Sinn? Wie soll sie sich dann vollziehen? Inwieweit ist das entwickelte Konzept des Bildungsmanagements in Unternehmen auf andere Bereiche wie z. B. Schulen übertragbar?
Schlussbetrachtung
439
9.3. Abschließende Bemerkungen Zu Beginn der Dissertation wurde in Kapitel 1 aufgezeigt, welche Entwicklungen und Tendenzen dazu führen, dass dem Bildungsmanagement in Unternehmen immer mehr Bedeutung zukommt. Es wurde dargestellt, dass Bildung zunehmend zur Managementaufgabe wird und damit eine Denkhaltung verbunden ist, die den Mitarbeitenden nicht mehr als Arbeitskraft sondern als Menschen sieht. Im Forschungsprozess der Dissertation wurde vor diesem Hintergrund die normative und strategische Ebene des Bildungsmanagements in Unternehmen untersucht und konzeptualisiert. An dieser Stelle ist auf eine bisher nur am Rande angesprochene Beobachtung aus der empirischen Exploration zu verweisen. In der unternehmerischen Praxis existieren für den Bereich Bildungsmanagement im Verständnis dieser Arbeit extrem vielfältige Begriffsverwendungen bzw. wird ‚Bildungsmanagement’ zum Teil auch in anderer Weise begrifflich belegt, wie Ausschnitte aus einzelnen Fallstudieninterviews zeigen: Bildungsmanagement bedeutet, ich mache ein Bildungscontrolling, schaue wer hat sich für welches Seminar angemeldet, mache das Monitoring, mache eine Auswertung am Jahresende. … Das kann auf sehr hohem Niveau geschehen, wenn Tools eingesetzt werden, z. B. Online-Seminaranmeldungen, Webbased-Training. Aber das ist eben nur auf Bildung begrenzt und Bildung heißt eben, ich kann auch völlig am Bedarf vorbei bilden, ich schicke ihn auf ganz viele Seminare, wo er Wissen anhäuft, bekommt es aber gar nicht mehr verarbeitet, weil er soviel Wissen angehäuft hat. Aber es ist nicht verzahnt, es ist nicht systematisch, es ist nicht zielgerichtet. Bildungsmanagement kann ganz toll funktionieren, aber evtl. nicht dem Unternehmen dienen, wenn es nicht zielgerichtet ist und nicht gesteuert und eingebettet ist in die Personalentwicklung. Bildungsmanagement ist die Steuerung und die Allokation von Bildung, Wissen, Knowhow in einer Organisation. Wie läuft ein Prozess ab, dass ich als Organisation entscheide, wer muss was in meiner Organisation lernen, mit welchen Methoden mache ich das, was investiere ich, was investiere ich nicht. Bildungsmanagement ist für mich, wie steuere ich Bildung in die Organisation rein, wie sieht der Prozess aus. Bildungsmanagement bedeutet eigentlich nichts anderes als die Trainings, den Konzern zu orchestrieren. … Die steuern sozusagen das organisationsmäßig gewollte Anliegen, dass das gesellschaftsspezifische Training in den Gesellschaften stattfindet, das übergreifende Training in den übergreifenden Einheiten.
Eine weitere wissenschaftliche Beschäftigung und auch die Anwendung der Theorie in der Praxis sollte im Bewusstsein dieser Beobachtung erfolgen.
Schlussbetrachtung
440
Einen weiteren Punkt gilt es im Rahmen der abschließenden Betrachtung nicht außer Acht zu lassen: wie bereits angesprochen, unterliegt das Bildungsmanagement in Unternehmen einer kontinuierlichen Veränderung. Bereits das Grundwerturteil der Eigen- und Sozialverantwortlichkeit wies hierauf hin. Nach Euler1439 erlaubt das „… aktive Verständnis von Bildung, das hinter dem Grundwerturteil steht, aufgrund seiner prinzipiellen Unabgeschlossenheit keine Ruhe … bevor nicht alle Wege zur Erweiterung menschlicher Lebenschancen erkundet sind. Das Grundwerturteil repräsentiert so notwendig eine Philosophie des kontinuierlichen Wandels“. Dieser kontinuierliche Wandel ist auch für das Konzept des Bildungsmanagements relevant. Das Bildungsmanagement entwickelt sich laufend fort und passt sich wie im Typenmodell deutlich wurde, den Gegebenheiten an. Die Unabgeschlossenheit zeigte sich in der Dissertation auch auf den Forschungsprozess bezogen. Die Theoriebildung zeichnete sich durch die hermeneutische Vorgehensweise des Fragens – Suchens – Prüfens – Ordnens – Fragens aus. Entsprechend ist mit der Konzeptualisierung kein statischer ‚Endzustand’ erreicht, sondern es haben sich neue Fragen aufgetan, die in einem Weitergang des Forschungsprozesses zu bearbeiten sind. Abschließend bleibt zu vermerken, dass sich die Rolle des Bildungsmanagements im Unternehmen ändern wird und auch ändern muss, um den Anforderungen des Marktes, der Unternehmen und der Mitarbeitenden gerecht zu werden. Es geht aus einer instrumentellen Umsetzungsrolle heraus und nimmt eine aktive Gestaltungsrolle ein. Dabei ist es von Bedeutung, dass das Bildungsmanagement als komplexe Managementaufgabe u. a. auch vom Top-Management wahrgenommen wird (in beider Hinsicht der Wortbedeutung von ‚wahrgenommen’). Damit ist eine Grundhaltung im Unternehmen verbunden, im Rahmen derer Bildung nicht mehr nur als Kostenfaktor zu sehen ist, sondern als Investition in den ‚Menschen’ und in die Zukunft des Unternehmens. Dabei gilt es, nicht in eine einseitige Euphorie zu verfallen, sondern sich bewusst zu sein, dass das Spannungsverhältnis zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden, zwischen Personalentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung in einer ausgewogenen Balance stehen sollte.
1439
Euler, 1997, S. 262 f.
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