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Fred McMason
Brücke des Todes
Pater Franciscus von den Dominikanern hatte das abgelegene Tal von Tacna...
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Seewölfe 454 1
Fred McMason
Brücke des Todes
Pater Franciscus von den Dominikanern hatte das abgelegene Tal von Tacna nördlich der Hafenstadt Arica zu einer blühenden Oase gemacht. Vor mehr als zwei Jahrzehnten hatte er dort ein kleines Kloster errichtet und die dort lebenden Indios zu Freunden gewonnen. Der Frieden war vorbei, als der Trupp des Teniente de Mescua in das Tal einbrach, die Maisfelder mit Maultieren zertrampelte, die Kapelle schändete, die Vorräte plünderte oder zerstörte und den Pater samt seiner Brüder verhaften wollte, um sie als „brauchbare Arbeitssubjekte“ in die Silberminen von Potosi zu verschleppen, wo es an Sklaven mangelte. Es war ein unerhörter Vorgang: Die Krone vergriff sich an den Männern der Kirche. Nur wußte der Teniente de Mescua nicht, daß er in dem Tal nicht allein war... Die Hauptpersonen des Romans: Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf interessiert sich für die Hängebrücken der Inkas. Pater Aloysius – Ein Mann aus den Tiroler Bergen, der auch einen Kräuterschnaps zu brauen versteht. Pedro de Garrida – Der Teniente tut Indio-Mädchen Gewalt an, aber er erreicht nicht alles, was er will. Edwin Carberry – Er und Smoky legen sich mit einem Maultier an und haben zum Schaden auch noch den Spott. Will Thorne – Der alte Segelmacher ist immer noch für Überraschungen gut.
1. 25. November 1594, Tacna - südliches Peru. Pater Franciscus hatte die tröstenden Worte von Pater David nur halb im Unterbewußtsein vernommen. Sein Blick war noch verschleiert, sein Mund vor Schmerz halb geöffnet. Die spanischen Sklavenjäger hatten ihn an einen Baum gefesselt und gefoltert. Hasard sah immer noch schaudernd auf den bedauernswerten Mann. Sie hatten ihm brennende Kerzen unter den weißen Bart gehalten und sich nicht gescheut, ihm eine brennende Fackel mit aller Kraft in den Leib zu stoßen, immer wieder, bis Hasard mit seinen Männern aufgetaucht war und dem Spuk ein Ende bereitet hatte. Jetzt waren die Peiniger im Kampf gegen die Seewölfe gefallen. Die Bedrohung existierte nicht mehr. Die Lippen des Paters zuckten. Er stöhnte leise und betastete sein Gesicht, nachdem sie ihn losgebunden hatten.
„Ja, vorbei“, hauchte er, „alles vorbei. Meinen Dank, Brüder.“ Er war aus einem Alptraum erwacht und konnte es immer noch nicht so recht glauben, daß von der brutalen spanischen Soldateska niemand mehr am Leben war. Aber dieser Alptraum setzte sich gleich darauf fort, als er sich nach allen Seiten umsah. Die mustergültige Klostersiedlung war ein einziger Trümmerhaufen. Die Soldaten hatten ihre Maultiere durch die Maisfelder gejagt und alles kurz und klein getrampelt. Die acht Mulis trampelten immer noch darin herum. Aber das Maisfeld war. nicht das Schlimmste. Viel schlimmer sah es im Kloster selbst aus. Die wildgewordenen Kerle des Teniente de Mescua hatten das Kruzifix und den Altar zerschlagen und zertrümmert, Geschirr an die Wände geworfen, Tische und Stühle zerstört. die Vorratssäcke mit Mais aufgeschlitzt und die Kirche geschändet.
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Und das alles, weil der Pater auf die Fragen nach den anderen Leuten eisern geschwiegen hatte. Er hatte ihnen rechtzeitig die Flucht ermöglicht, damit sie nicht in den Silberminen von Potosi den Rest ihres Lebens unter entwürdigenden Umständen verbringen mußten. Pater Franciscus. Blickrichtung wechselte zu den fremden Männern hinüber. Er sah sie zwar, aber er war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Vor seinen Augen verschwamm alles, kehrte sich um oder stellte sich auf den Kopf. Direkt hinter dem breitschultrigen Riesen mit den schwarzen Haaren stand die Kapelle. Sie war noch heil, wie es den Anschein hatte. Er wollte etwas sagen und sich noch einmal für die unverhoffte Rettung bedanken, doch er sackte in die Knie, wobei seine Augen sich schlossen. Pater David fing seinen Ordensbruder auf, griff ihm vorsichtig unter die Achseln und legte ihn behutsam zu Boden. „Furchtbar“, sagte er erschüttert. „Seht nur, was diese Halunken ihm angetan haben.“ Hasard, Karl von Hutten und Dan O'Flynn standen mit zusammengepreßten Lippen daneben und sagten nichts. Sie blickten nur stumm auf die reglose bedauernswerte Gestalt. Der Pater hatte Schürfwunden im Gesicht. Sein weißer Bart war versengt und verbrannt, die linke Augenbraue war aufgeplatzt wie nach einem schweren Schlag, und auch seine Lippen bluteten noch, da er vor Schmerz auf sie gebissen hatte. Das war es aber nicht, was die Männer so erschütterte. Wesentlich schlimmer war die furchtbare Brandwunde im Leib. Der Mann hatte unsägliche Schmerzen ertragen - und eisern geschwiegen. Sie zogen dem Bewußtlosen die Kutte aus. „Vorsichtig“, mahnte Pater David, „der Stoff ist ihm buchstäblich in die Haut eingebrannt. Wir müssen vorsichtig drumherum schneiden. Bringt mir aus dem Fluß bitte etwas Wasser.“ „Und werft dabei auch gleich die restlichen Kerle hinein“, sagte der Seewolf. „Pater David wird den Mann versorgen, er ist bei
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ihm in den besten Händen. Fangt auch die Maultiere ein und sorgt ein bißchen für Ordnung.“ „Was sollen wir denn mit den Mulis?“ fragte Smoky. „Das sind doch nur unnötige Fresser, die den ganzen Mais verwüsten.“ „Eben drum. Vielleicht können sie uns später auf dem Marsch nach Potosi von Nutzen sein.“ Bob Grey war inzwischen schon losgerannt und brachte in einem Ledereimer kühles Flußwasser. Pater David schnippelte an den verbrannten Resten der Kutte herum, zupfte mit seinen großen Händen so behutsam und vorsichtig wie eine Krankenschwester und säuberte dann die Wunde. Dabei schüttelte er ständig den Kopf. „Solch ein Vandalismus ist unbegreiflich“, murrte er. „Was, zum Teufel, sind das nur für gottlose Bestien!“ Pater Franciscus lag ausgestreckt auf dem Grasboden und rührte sich nicht. Er war immer noch bewußtlos, und seine Züge waren bitter gezeichnet. Carberry sah noch einmal auf den Pater und nickte den anderen dann zu, ihm zu folgen. „Erst die Kerle in den Fluß“, sagte er hart, „damit ich bei ihrem Anblick nicht noch das Kotzen kriege. Dann fangen wir die Mulis ein und sorgen für Ordnung, bis es hier wieder einigermaßen manierlich aussieht.“ Die sechs getöteten Dons lagen dicht am Kloster. Carberry starrte finster auf den Teniente, der vor kurzer Zeit den Pater mit der brennenden Fackel traktiert hatte. Sie alle wußten noch nicht so recht, was hier gespielt wurde, aber sie ahnten bereits einiges. Den Rest würden sie von dem Franziskanerpater erfahren, wenn er wieder bei Bewußtsein war. Bob und Ed packten den Teniente, trugen ihn zum Fluß und warfen ihn hinein. Hartgesichtig kehrten sie um und holten den nächsten Toten. Die Strömung nahm die Körper rasch mit, und nach kurzer Zeit
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waren sie bereits hinter der Biegung des Flusses verschwunden. Danach waren die Maultiere an der Reihe, und dabei gab es wieder mal einen Zwischenfall, der mehr als erheiternd wirkte. Acht Mulis waren es, die in dem Maisfeld herumtrampelten und sich an dem Grünzeug labten, als hätten sie tagelang nichts mehr zu fressen gekriegt. Vier ließen sich mühelos einfangen und an einem Baum anbinden. Zwei kniffen aus, aber von Hutten und Dan fingen sie nach kurzer Zeit ein und brachten sie zurück. „Dieser eine Ziegenbock gefällt mir überhaupt nicht“, sagte Ed zu Smoky, wobei er auf ein Muli deutete. „Das Biest glotzt so tückisch, oder bilde ich mir das nur ein?“ „Es glotzt wirklich tückisch“, sagte Smoky. „Aber den werden wir schon einsacken.“ Inzwischen gelang es von Hutten, auch das siebente Maultier mit Bob und Dans Hilfe einzufangen. Blieb noch das achte - und dieses Vieh war das Problem. Smoky und der Profos näherten sich betont harmlos, als wollten sie an dem Vieh vorbeigehen. Erst dicht davor, als das Maultier sie beäugte, drehten sie sich blitzschnell um, um zuzugreifen. Sie griffen ins Leere, denn das Biest sprang zur Seite, stellte sich auf die Vorderhufe und keilte wild aus. Smoky flog ein Maiskolben an den Schädel und auch etwas Dreck. „Verdammt!“ rief er und rieb sich den Schädel, wo der Maiskolben ihn getroffen hatte. „Dieser Furzesel grinst auch noch.“ Ja, es sah wahrhaftig so aus, als würde das wild um sich keilende Halbeselchen grinsen. Es hatte sich ein paar Yards entfernt, scharrte mit den Hufen, hielt den Kopf etwas gesenkt und entblößte das Gebiß. „Kein Problem“, sagte Ed, „den kriegen wir schon. Wir treiben ihn zu dem großen Walnußbaum hinüber. Dort können wir ihn dann packen, oder er muß ins Kloster rennen.“
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Sie begannen erneut damit, den Zossen „einzukreisen“, wie Smoky das ausdrückte. Den Profos wunderte nur, daß keiner der anderen bei der „Einkreiserei“ half. Die standen in einiger Entfernung und sahen zu, wie er und Smoky sich mit dem störrischen und hinterhältigen Vieh abmühten. „Die könnten ruhig mithelfen“, maulte Smoky, „aber sie stehen da und ziehen dämliche Gesichter.“ Der Ansicht war auch der Profos, aber er behielt sie für sich. „Sollen wir vielleicht vor einem lächerlichen Maultier kapitulieren, was, wie? Daß ich nicht lache! Nachher heißt es wieder, Profos und Decksältester wären nicht in der Lage, einen lausigen Esel einzufangen.“ „Maultier“, verbesserte Smoky, „das ist kein Esel, sondern eine Mischung aus Eselsmutter und Pferdevater.“ „Und warum hast du ihn vorhin Furzesel genannt, wenn das gar kein Esel ist?“ fragte Ed. „Los, jetzt, ran an das Biest. Wenn er nicht will, kriegt er den ProfosHammer auf den Schädel, dann braucht er eine Weile lang nichts mehr.“ Von leichtem Zorn erfüllt, stürzten sie jetzt auf den Zossen los und wollten das schleifende Zaumzeug ergreifen. Das Maultier ließ sie auch bis auf drei Yards an sich heran. Dann begann es unvermittelt zu toben, keilte achtern aus, keilte nach vorn und schnappte nach ihnen, wobei es Laute ausstieß, als wollte es die beiden verhöhnen. Der Profos setzte schon zum Schlag an, um das Muli ein bißchen einzuschläfern. Aber da flogen ihm die Brocken auch schon von allen Seiten um die Ohren. Was da heransauste, war ein Gemisch aus Maiskolben, Stengeln und feuchter Erde, das pausenlos auf ihn eintrommelte. Es schien, als hätte der Himmel sich verdunkelt. Ed sah weder rechts noch links etwas. Dann hörte das Sperrfeuer auf und zehn Yards weiter stand das Vieh in aller Seelenruhe und knabberte an dem Mais.
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Ed wischte sich den Dreck aus dem Gesicht und stöhnte vor unterdrückter Wut. „Hähä, nicht mal ein lausiges Maultier kann er fangen!“ lästerte Smoky kichernd. „Da war wohl nichts mit deinem ProfosHammer?“ „Du kannst das noch viel weniger, du abgefeilte Seegurke. Hast ja gleich den ersten Maiskolben an die Rübe gekriegt. Das Vieh ist nur nervös, man sollte es mal in aller Ruhe versuchen.“ Den Profos fuchste es mächtig, daß die anderen immer noch feixend herumstanden und keine Hand rührten. Er geriet jetzt langsam, aber sicher in Braß, zumal ihn der weidende Zosse tatsächlich anzugrinsen schien. Er hätte jede Wette gehalten, daß das Vieh hinterhältig und niederträchtig feixte. Diesmal versuchten sie es in aller Ruhe, und Ed redete sogar noch beruhigend auf das Maultier ein. Der Zosse fand das jedenfalls gar nicht beruhigend, denn da war so ein bös-. artiger Klang in der Stimme, wie ihn die Soldaten mitunter haben. Smoky pirschte sich von der anderen Seite heran. Dann griff er blitzschnell nach dem Zaumzeug. Er kriegte auch noch zwei Finger in die Leine, leider vergebens. Das bockige Maultier stürmte davon, als sei es von einem riesigen Insekt gestochen worden. Smoky packte fester zu, doch der Ruck war so hart, daß ihm die Leine entglitt und er hart auf die Nase fiel. Die Maiskolben rauschten donnernd über ihm zusammen. „Zu dämlich, um diese lahme Krücke einzufangen“, sagte der Profos und lachte dröhnend. „Aber mich anstänkern! Was ist? Zählst du da unten die Maiskörner?“ „Ich verfluche die ganze Welt“, nuschelte Smoky. Als er wieder aufstand, wischte er sich fluchend die Erde aus dem Gesicht. „Für diese Affenärsche ist das natürlich ein ergötzliches Schauspiel“, sagte er gallig, „die stehen da und lachen sich krank. Aber jetzt gebe ich erst recht nicht auf. Wo ist der Mistbock?“ „Da drüben, er frißt wieder und grinst dabei.“
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Dem Profos schwoll der Kamm. Sein Gesicht wurde hart und kantig. Aus zusammengekniffenen Augen starrte er das bockige Tier an, das von ihnen nicht die geringste Notiz zu nehmen schien. Es haute sich den Magen ungerührt mit saftigem Mais voll, wobei es immer wieder die Zähne bleckte und Ed höhnisch anzugrinsen schien. Es ließ sich auch nicht auf den riesigen Walnußbaum zutreiben, es dachte gar nicht daran. Lieber blieb es stehen, keilte nach allen Richtungen aus und rannte dann ein paar Yards weiter. Bob Grey, Dan und von Hutten sahen gelassen und grinsend zu, wie die beiden mit knallroten Schädeln sich abmühten, um das widerborstige Tier zu fangen. „Scheint ein ausgesprochen schwieriges Unternehmen zu werden“, sagte von Hutten amüsiert. „Ob sie es wohl schaffen?“ Auch Dan O'Flynn konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Er sah zu Hasard und dem Pater hinüber, die immer noch den bewußtlosen Mann verarzteten. Helfen konnten sie dabei nicht, also sahen sie noch ein Weilchen der eigenartigen Jagd zu, die weiter durch das zertrampelte Maisfeld führte. Das störrische Halbeselchen hielt die beiden ganz schön auf Trab und nervte sie pausenlos. Mal sprang es wie ein Geiß hierhin, dann wieder keilte es aus oder versuchte zu beißen. Einmal rannte es in wilder Wut auf Smoky zu, der fluchend zur Seite sprang, um nicht von den Hufen getroffen zu werden. „Himmel, Arsch und Ziegenbock!“ brüllte der Profos. „Warum hast du Esel denn nicht zugepackt? Beinahe hätten wir das Biest gehabt, aber du bist zu dämlich und kneifst einfach aus.“ „Soll ich mir vielleicht die Hufe an den Schädel knallen lassen?“ brüllte Smoky wütend zurück. „Du hast es ja selbst auch nicht geschafft, das Mistvieh zu bändigen!“ „Wenn man was in der Hand hat, dann hält man es auch fest!“ blökte der Profos
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zurück. „Aber du hast ja keinen Saft mehr in den Knochen.“ „Und dein Profos-Hammer ist wohl eingerostet, was?“ Sie sagten sich noch mehr Artigkeiten und geizten nicht mit deftigen Ausdrücken. Währenddessen trabte das Eselchen zum nahen Fluß, blieb aber immer wieder stehen und sah sich fast einladend um. Ed und Smoky trabten hinterher. Der Profos mit galligem Blick, Smoky mit vor Wut knallrotem Schädel. Carberry bückte sich, sammelte zusammengetretene und zermatschte Maiskolben auf und feuerte sie wütend dem Maultier aufs Kreuz. Das stieß bei jedem Treffer einen Laut aus, der sich aus Gewieher, Iah-Geschrei und Gemecker zusammensetzte. Dann war das Muli am Fluß und soff Wasser. „Ich feuer ihm jetzt noch ein paar Maiskolben aufs Achterkastell“, sagte Ed grimmig, „und dann treiben wir es in den Fluß. Wenn es drin ist, kann es nicht mehr entwischen.“ „Und ich versuche, ihm auf den Rücken zu springen.“ Der Versuch scheiterte jedoch kläglich und unter dem schadenfrohen Gelächter der anderen. Der Profos warf mit zermatschtem Mais, und die Treffer bewirkten auch, daß das Maultier weiter ins Wasser ging. Dann stürmte der Profos von links heran, Smoky schräg von achtern. Er sprang wie ein Wilder aus dem Lauf und hob ab. Offenbar schien das Maultier auf diesen Luftsprung nur gewartet zu haben. Smoky hechtete nach, als das Maultier erneut wild auskeilte und mit weitgreifenden Sätzen ans Ufer sprang. Diesmal riß es fast den Profos von den Beinen. Im flachen Bach gab es ein lautes Geplätscher. Smoky flog der Länge nach hinein, tauchte prustend auf und wollte gerade fluchen, diesmal aber nicht auf die feine Art, denn er sah schon an Eds Gesicht, daß der fast Tränen weinte. Wütend marschierte er aus dem Bach, geladen bis zum Bersten, weil auch die anderen lachten.
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Da legte Edwin Carberry den Zeigefinger auf die Lippen. „Nicht fluchen“, sagte er grinsend, „hier ist ein Kloster in der Nähe. Da, flucht man als Gentleman nicht.“ „Ich scheiß auf ...“' „Nein, nein, das wirst du schön bleiben lassen. Herrgott, bist du ein dämlicher Hirsch. Das gibt's doch gar nicht, gibt's das.“ „Ich hätte es fast gekriegt“, flüsterte Smoky heiser, weil ihm vor Wut ein dicker Kloß im Hals steckte. „Aber nur fast. Erst knutscht du wie ein Elch die Erde ab, und dann gehst du auch noch schwimmen. So was von dusselig!“ Es sah so aus, als ob Smoky dem Profos an den Hals wollte. „Du gibst auch keine gute Figur ab!“ fauchte er. „Stehst hier rum und lachst blöde. Das nächste Mal landest du vielleicht selbst im Bach.“ „So dämlich bin ich ganz bestimmt nicht.“ Smoky sah mit wilden Blicken zu den anderen hinüber. Die hielten sich ganz unauffällig die Bäuche, aber es war doch nicht zu übersehen, daß sie lachten, auch wenn sie das zu verbergen suchten. „Sollen wir sie nicht doch zu Hilfe bitten, Ed? Wir blamieren uns ja bis auf die Knochen.“ „Erstens würde von denen doch keiner einen Finger rühren, und zweitens hast du dich blamiert, nicht ich. Die lachen doch noch mehr, wenn wir sie bitten müßten.“ Smoky - immer noch klatschnaß und tropfend - kriegte fast die Maulsperre, als er nach dem Maultier sah. Das trottete ganz gemächlich aus dem Maisfeld und spazierte in aller Ruhe zu dem Walnußbaum, wo es dicht davor stehenblieb. „Ich krieg mich nicht mehr“, sagte Smoky verblüfft. „Da jagt man diesen dämlichen Furzesel quer durchs Gelände, und jetzt trottet er genau dahin, wo wir ihn haben wollten. Diesmal bring ich das Vieh um“, sagte er drohend. „Jetzt kann er mit den Hufen trommeln, soviel er will“, sagte der Profos entschlossen. „Jetzt ist es endgültig aus,
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denn auch meine Geduld ist einmal zu Ende. Wenn wir ihn jetzt nicht kriegen, dann soll ihn der Teufel holen.“ Beide waren wild entschlossen, den Zossen in die Enge zu treiben, der sie solange zum Narren gehalten hatte. Er konnte jetzt auch nicht mehr auskneifen, höchstens zum Kloster hin. Carberry warf wieder mit Maiskolben, während Smoky wie ein Wilder auf das Maultier zustürmte. Der Profos kam von der anderen Seite. Smoky, wild entschlossen, die Blamage auszubügeln rannte wie ein Stierkämpfer auf das tückische Biest zu, ohne sich von dem Auskeilen beeindrucken zu lassen. Dann hatte er das zurückweichende Tier erreicht und schwang sich mit lautem. Gebrüll todesmutig auf den Rücken. Sein Jubelgebrüll ließ den Profos fast neidisch werden. Smoky triumphierte. Er hockte dem Maultier auf dem Rücken, dicht unter den Zweigen des Baumes und grinste den Profos überlegen an. Er hatte es geschafft. „So macht man das“, sagte er höhnisch. „Können ist alles.“ Für eine Weile waren das seine letzten Worte, denn was nun folgte, zog dem Profos fast die Stiefel aus. Das Maultier raste, sprang mit allen vieren gleichzeitig in die Luft, bog das Kreuz durch und entfesselte in seiner tückischen Wut fast einen Vulkanausbruch. Es keilte aus - und wie! Auf und nieder ging es auf der Stelle. Smoky hockte wie auf einem Katapult, dessen Bänder immer straffer gespannt wurden. Weil er das Zaumzeug nicht in die Hände kriegte, konnte er sich auch nicht mehr halten. Das Maultier katapultierte ihn in einem hohen kraftvollen Bogen in die Luft. Genauer gesagt: in den Walnußbaum mit seinem dichten Laubwerk. Darin verschwand er mit einem gequälten Aufschrei. Carberry war total verblüfft, denn Smoky war verschwunden, als sei er gen Himmel gefahren.
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Verdammt, der Kerl mußte doch -den Gesetzen der Schwerkraft folgend - sofort wieder unten sein. Aber er war nicht unten, er schien irgendwo dort oben in der Baumkrone hängengeblieben zu sein. Des Profos' Verblüffung ging in ein hinterhältiges Grinsen über. Er stand unter dem Baum und lachte. Anfangs war das ein glucksendes Gelächter, dann steigerte es sich auf schreckliche Weise, und Ed krümmte sich vor Lachen. Das ist mal eine feine Situation, dachte er. Jeden Augenblick mußte Smoky wie eine reife Pflaume durch die Blätter prasseln. Der Profos kriegte sich nicht mehr ein und lachte noch lauter und schrecklicher. Und aus dem Baum troff auch noch Wasser! Zu köstlich war das. Der gute Smoky würde doch nicht etwa vor Schreck ... was. wie? Den wildgewordenen Zossen hatte Ed längst vergessen. Er konnte auch nicht mehr an ihn denken, denn ihn plagten bereits Bauchkrämpfe, so sehr mußte er lachen. Er sah auch nicht, daß Hasard recht indigniert herüberblickte. Er hatte so viel Tränen in den Augen, daß er gar nichts mehr sah. Verständlicherweise sah er auch nicht das Maultier, das etwas achteraus vom Profos stand und tückisch den Kopf senkte. Da bot sich so ein mächtiger Hosenboden geradezu einladend an. Das Maultier rannte los. den Kopf immer noch gesenkt. „He, Smoky!“ brüllte Ed gerade. „Wann gedenkst du ...“ Der Rest der Frage ging in einem gurgelnden Geräusch unter. Ein ungeheurer Rammstoß erfolgte. Der noch halb gekrümmt dastehende Ed wurde von der Auftreff- wucht ruckartig nach vorn geschleudert. Sein Lachen brach abrupt ab. Der Stamm des Nußbaums wurde groß und größer, schließlich sehr breitflächig. Carberry knallte mit dem Schädel kraftvoll dagegen, und die Masse des Profos reichte aus, um den ganzen Baum zu erschüttern. Smoky der irgendwo da oben hing, verlor den Halt und rutschte ab. Jetzt prasselte er
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wirklich wie eine reife Pflaume durchs Geäst und griff haltsuchend um sich. Aber da gab es nichts zum Halten, denn alles ging rasend schnell. Ihm flutschten nur noch ein paar Blätter durch die Hände. Er donnerte dem Profos genau ins Kreuz, und alle beide landeten unsanft und hart auf dem Boden. Ed war schon von dem heimtückischen Rammstoß benommen, aber als ihm jetzt auch noch der nicht gerade leichtgewichtige Smoky ins Kreuz krachte, kriegte er sekundenlang glasige Augen. Smoky erging es nicht viel anders. Der Zossen hatte ihn kräftig durchgeschüttelt, und jetzt war er auf dem Profos gelandet. Der bestand nur aus Muskeln, Knochen und Sehnen und war so hart wie ein Amboß. Smoky taumelte benommen hoch, und setzte sich prompt wieder auf den Hosenboden. Er hockte Ed genau gegenüber und lallte etwas, daß er geradewegs vom Himmel gefallen sei. Er glaubte auch noch, ein paar Englein singen zu hören. Jedenfalls war allen beiden das Lachen vergangen. Dafür amüsierten sich die anderen Zuschauer umso mehr. Endlich sah der Profos wieder klar und schüttelte sich. Smoky sah ihn verständnislos ad „Du bist der größte Affenarsch, der je auf Gottes Erdboden gefallen ist“, knurrte Ed. „Das ist ja nicht zu fassen mit dir. Und dieser dreimal verfluchte Ziegenbock ...“ Smoky kriegte kaum die Zähne auseinander. Ihm tat alles weh. Er war mit dem Unterkiefer hart auf Eds Rücken gelandet und hatte das Gefühl, ein Siebzehnpfünder hätte ihn voll getroffen. „Du bist noch dämlicher“, nuschelte er. „Hältst dem Esel deinen Bierarsch hin und läßt dich an den Baum jagen. Kein Wunder, daß ich dann runterfiel. Sonst wäre ich nämlich in aller Ruhe hinuntergeklettert.“ „Was hockst du dickwanstiger Bilgenfrosch auch auf dem Baum! Nur ein Blödmann läßt sich von einem Esel auf
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einen Baum werfen. Aber du Luvscheißer wolltest wieder mal den Helden spielen.“ „Ich hatte den Esel ja schon.“ „Hatte den Esel schon“, äffte der Profos nach. „Einen Scheiß hattest du! Der Esel hatte dich. Jetzt steht er da hinten und lacht sich krank.“ „Klar, über dich. Ich mußte ja selbst lachen.“ Sie warfen sich gegenseitig alles an Artigkeiten an den Kopf, was sie auf Lager hatten. Und das war eine ganze Menge. Smoky war fassungslos erstaunt über den ungeheuren Wortschatz des Profos' und vernahm verstört, daß er ein amputierter Taschenkrebs, eine genotzüchtigte Bilgenlaus, ein Bratspillhering, ein klarierter Windbeutel und eine ins Gei gehängte Kanalratte sei. Und eine flachbordige Großlordvisage habe er ebenfalls, weil er so selten dämlich glotze. Auch Hasard war dieser einfallsreiche Dialog nicht entgangen, denn die beiden sprachen nicht gerade leise. Er schüttelte jedoch nur fassungslos den Kopf. Das Maultier hatte sich ein paar Yards genähert, scharrte mit dem rechten Vorderhuf und tat seine Überlegenheit kund, indem es wieder das Gebiß bleckte. Der Profos kriegte sich nicht mehr ein, wenn er das Vieh sah. Dann schwoll ihm jedesmal eine Ader am Hals. Zudem litt er wieder unter „Gehirnsausen“, denn in seinem Schädel brummte und summte es. Er sah Dan O'Flynn nach, der die Mulis inzwischen zum Klosterhof gebracht und dort an einem Querbalken angebunden hatte. Alle sieben Mulis standen ruhig da, nur dieses eine Mistvieh war so störrisch, hinterhältig und bösartig. Dan O'Flynn kehrte zurück und näherte sich gelassen dem verdammten Vieh, das ihnen soviel Ärger bereitet hatte. Als der Profos das sah, stieß er Smoky an und grinste. „Paß auf, jetzt können wir uns gleich totlachen.“ Smoky nickte begeistert. Sie waren wieder ein Herz und eine Seele, und sie freuten sich schon auf das unausbleibliche Theater, das gleich folgen würde.
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Erwartungsvoll und gespannt sahen sie zu. Im Gesicht des Profos' stand ein boshaftes Grinsen, während Smoky lauernd dahockte und starr zu Dan O'Flynn blickte. Dan ging lächelnd auf das Maultier zu, das mit dem störrischen Schädel nickte und ruhig stehenblieb. Gleich würde es zuschnappen oder auskeilen, und dann würde Dan O'Flynn wie vom Affen gebissen durch das Maisfeld flitzen. Genauso malten es sich Smoky und der Profos aus. Doch ihre Gesichter wurden immer länger, ihre Blicke immer fassungsloser, denn jetzt griff Dan nach dem schleifenden Zügel am Boden und hob ihn auf. Dem Profos quollen fast die Augen aus dem Kopf. Smoky stierte, als sähe er einen Geist. Dan hielt immer noch den Zügel in der Hand. Mit der anderen Hand klopfte er dem Maultier leicht auf den Hals. „Na, nun komm schon, mein Freund“, sagte er leise. Mein Freund! Himmel, dachte der Profos, diesen stinkenden Auskeiler und Rumhüpfer nennt er seinen Freund. Und das bösartige Vieh gehorchte lammfromm und brav und nickte wieder. Kreuzbrav folgte es Dan, ohne zu beißen, auszukeilen. ohne Mucken, ohne jeglichen Zirkus. Es folgte ihm bis in den Hof, wo die anderen Mulis standen. Dort ließ es sich anbinden. Dan ging danach seelenruhig zu Pater David hinüber. Während es dem Profos glatt die Sprache verschlug, kriegte Smoky ganz schmale Augen. „Aha!“ sagte er unheilschwanger, und in diesem „Aha“ lag alle Weisheit der Welt drin. „Mir schwant bereits etwas.“ „Was schwant dir?“ „Da steckt der alte O'Flynn dahinter“, raunte Smoky geheimnisvoll. „Der ist schuld an der ganzen Sache.“ „Old Don egal?“ „Genau! Der hat das Vieh verhext!“ „Aber - der hockt doch auf der SchlangenInsel“, wandte der Profos ein. „Wie kann er denn ...?“
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„Hexerei kennt keine Grenzen und Entfernungen“, sagte Smoky selbstsicher. „Das weiß ich aus Erfahrung. Er hat das Biest eben aus der Ferne verhext, damit sein Sohn es bändigen kann. Du weißt ja, daß der alte Bursche hinter die Kimm peilen kann.“ „Jaja”, sagte Ed, „das stimmt. Da ist was dran. Er kann wirklich hinter die Kimm peilen. Aber warum hat er es getan?“ Auch darauf wußte Smoky - vom Aberglauben beseelt - eine für den Profos einleuchtende Antwort. „Ganz einfach. Er will uns ärgern, weil wir ihn nicht mit nach Potosi genommen haben. Deshalb hockt er jetzt auf der Schlangen-Insel und verhext die Maultiere. Du hast ihm ja vor der Abreise noch kräftig deine Meinung gesagt, daß Potosi kein Hafen sei und da nicht mal ein Idiot hinaufsegeln könnte. Nun - um uns zu ärgern, hat er eben ein bißchen gehext. Das Maultier ist doch mit uns umgesprungen wie mit zwei Blödmännern, stimmt's?“ „Stimmt“, sagte der Profos beeindruckt. „Na also, da war es schon verhext. Es schmiß mich ins Wasser, dann auf den Baum, und dann ging es auf dich los. Da hat Donegal sich mal so richtig ausgetobt. Das Vieh hat auch gelacht, obwohl Maultiere sonst überhaupt nicht lachen.“ „Weiter“, sagte Ed heiser und leckte sich über die Lippen. „Nichts weiter. Nachdem er uns genug geärgert hatte, enthexte er den Satansbraten wieder, und danach war er lammfromm. Haben wir ja mit eigenen Augen gesehen, nicht?“ Der Profos nickte erschüttert. „Hätte ich Donegal gar nicht zugetraut¬“, sagte er. „Aber dem werde ich was verklaren, wenn wir wieder zurück sind. Da kann der alte Bursche was erleben.“ „Hoffentlich hext er nicht noch mehr Mist zusammen“, sagte Smoky besorgt. „Von der Schlangen-Insel aus kann er das ja, ohne daß es groß auffällt.“ „Meinst du, er hockt in seiner Kneipe und hext da so rum?“ „Vielleicht hat er sich auch in den Schlangen-Tempel geschlichen, dort hext
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es sich ja besonders gut, und da sieht und hört ihn auch keiner.“ Der Profos stellte sich schaudernd vor, wie Old O'Flynn im Schlangen-Tempel das unheimliche Feuer entzündet hatte und jetzt um den Gott herumhüpfte, während er unaufhörlich Zaubersprüche murmelte. Kein Wunder, wenn dann hier die Maultiere verrückt spielten - oder ganz speziell das eine, das ausgerechnet er und Smoky einfangen wollten. „Vielleicht hat Old Donegal auch in euren Schädeln herumgehext“, sagte eine Stimme neben ihnen. „Und jetzt sind sie ausgetrocknet.“ Hasard stand da und sah auf die beiden hinunter, die sich so eifrig über Old O'Flynns Hexenkünste unterhielten. Weder Smoky noch dem Profos waren diese Eingebungen auszutreiben. „Ihr redet einen Quatsch und einen Stuß, daß es einem die Stiefel ausziehen kann. Donegal hockt auf der Schlangen-Insel und verhext die Maultiere. Nicht zu fassen ist das!“ Alle beide hatten in ihrem Eifer nicht gemerkt, daß sich Hasard genähert hatte. Jetzt schreckten sie hoch und sprangen auf die Beine. Smoky kratzte sich verlegen das stoppelige Kinn. „Na ja, Sir, merkwürdig war das aber doch, das läßt sich wohl kaum abstreiten.“ „Das war überhaupt nicht merkwürdig, und von Hexerei kann keine Rede sein. Wenn man die Viecher mit Mais bewirft und sie querbeet durchs Gelände scheucht, werden sie schon mal tückisch. Vorwärts jetzt, der Pater ist wieder bei Bewußtsein. Er wird uns sicher erzählen, warum er sich hier mutterseelenallein aufhält.“ Smoky und Carberry nickten sich zu. Von wegen Hexerei sei unmöglich, sagte dieser Blick. Beide humpelten noch etwas. Als sie in den Hof gingen, stand das Maultier angebunden da und schaute sie tückisch an. Wieder bleckte es leicht die Zähne. Smoky rückte dicht an den Profos heran und sagte so leise, daß Hasard es nicht hören konnte: „Sieh dir das Biest an. Ich
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schwöre jeden Eid, daß Old Donegal uns so hinterhältig angrinst. Wetten?“ „Brauchen wir nicht“, raunte Ed, „ich bin ganz deiner Ansicht.“ Erneut stellte er sich vor, daß Old O'Flynn durch die Augen dieses bösartigen Tieres sah und sie genau anstarrte. Unheimlich war das. Und er brachte es auch noch fertig, diesen Esel grinsen zu lassen. Das ist genau das Old O'Flynnsche Geistergrinsen, dachte der Profos. Dabei lief es ihm eiskalt über den Rücken. Old O'Flynn wurde man eben nie los, selbst wenn man ins Grab stieg. Mit Sicherheit würde der früher oder später aufkreuzen und ein bißchen auf den Sargdeckel klopfen, nur um einen zu ärgern. 2. Pater Franciscus war wieder bei Bewußtsein. Sein Ordensbruder hatte ihn vorzüglich versorgt und seine fürchterlichen Wunden sauber abgedeckt und verbunden. Er fühlte sich jetzt etwas besser. Der Pater war an die sechzig Jahre alt, ein großer imponierender und weißbärtiger Mann, bei dem vor Gott alle Menschen gleich waren, egal welcher Hautfarbe sie auch immer angehörten. Es gab da für ihn keinerlei Unterschiede. Dankbar sah er die Männer an und musterte sie, einen nach dem anderen. Dann drückte er jedem die Hand. Auf von Hutten blieb sein Blick etwas länger haften, besonders auf den langen blonden Haaren. Vor zwanzig Jahren hatte der Pater aus dem Ordo Fratrum Praedicatorum, dem katholischen Bettelorden, das Kloster gegründet, wie sie gleich zu Anfang erfuhren. Den Predigerorden der Dominikaner gab es schon lange. Er war auch im Jahre 1216 durch Papst Honorius III. bestätigt worden. Seit fast zwanzig Jahren betrieben die dominikanischen Padres hier im Tacna-Tal zusammen mit den Indios Landwirtschaft. Aber jetzt, seit einiger Zeit, war auch der Sturm über
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dieses friedliche Tal hereingebrochen, und mit der Ruhe war es vorbei. Das sagte Pater Franciscus nur kurz zur Einleitung, damit die Männer informiert waren. Pater David stellte die Männer vor und erläuterte in kurzen Worten, daß sie mit zwei Schiffen in der Nähe seien. Sehr aufmerksam hörte der Padre zu und musterte immer wieder die Gesichter der furchtlosen Männer, die so schnell und gründlich mit den Spaniern aufgeräumt hatten. „Was ging hier eigentlich vor?“ fragte Hasard nach einer Weile. „Und wo sind die anderen geblieben? Wollten die Dons hier Sklaven für ihre Silberminen beschaffen?“ „So ist es“, sagte der Padre mit seiner klaren Stimme. „Es waren nicht die ersten unliebsamen Besuche, die wir hatten. In letzter Zeit erschienen sie fast regelmäßig. Aber sie haben meist nur mich allein angetroffen, und sie haben sich auch nicht an mir vergriffen. Diesmal war das allerdings anders.“ „Wenn dich das Sprechen anstrengt, Bruder, dann legen wir besser eine Pause ein“, schlug Pater David vor, doch sein Ordensbruder winkte freundlich ab. „Was sind körperliche Schmerzen gegen seelische Pein“, sagte er. „Die Wunden vernarben und verheilen, aber die Enttäuschung nagt an der Seele, wenn ich sehe, wie hier eine Horde Vandalen einfällt, Frauen und Männer verschleppt und alles kurz und klein schlägt. O nein, ich bin keinesfalls verbittert, ich drücke nur das aus, was ich empfinde, wenn unschuldige Indios getötet oder verschleppt oder mit Bluthunden zu Tode gehetzt werden. Wir können uns gegen sie nicht zur Wehr setzen, bestenfalls mit Worten, die in den Wind gesprochen sind, denn darüber lacht die Soldateska nur. Als einzige Verteidigung bleibt uns nur die Flucht, und dafür haben wir gesorgt. Wir haben Fluchtmöglichkeiten geschaffen. Es ist uns bisher auch immer rechtzeitig gelungen, die Indios in Sicherheit zu bringen. Meist zogen die Soldaten dann weiter, wenn sie nichts fanden. Diesmal
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waren sie unerbittlich. Sie gaben nicht auf und wollten wissen, wohin die Indios geflüchtet seien.“ „Wie funktioniert Ihr Warnsystem, Fedre?“ fragte Hasard. „Das ist denkbar einfach. Wegen der früheren übergriffe meiner Landsleute lasse ich von Indio-Jungen die Zugänge zum Tal überwachen, vor allem in Richtung Arica, das im Süden von Tacna liegt. Die Wächter wechseln sich ständig ab. Naht ein Trupp, so alarmieren sie uns, und die Familien flüchten in die nahen Berge, wo es ungezählte Verstecke gibt. Die acht Mönche bleiben normalerweise in der Kapelle und sind auch noch nicht belästigt worden. Für alle Fälle haben wir aber unter dem Altar einen Fluchttunnel angelegt, der von der Kapelle aus in die Berge führt.“ Pater Franciscus betastete vorsichtig seinen Verband und nickte seinem Ordensbruder dankbar zu. „Es geht mir immer besser, Bruder. Deine ärztliche Kunst ist wirklich hervorragend. Darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ „Selbstverständlich, gern.“ „Es wird Zeit, daß die Indios und meine anderen Brüder wieder zurückkehren, denn die Gefahr ist vorbei. Drüben in der Kapelle hängt ein Horn an der Wand. Könntest du mir es holen?“ „Natürlich, Bruder Franciscus.“ Der Pater ging hinüber zur Kapelle und kehrte gleich darauf mit einem Horn zurück, das er dem Padre reichte. „Damit rufe ich die Leute zurück“, erklärte er. „Sie wissen dann, daß alles in Ordnung ist und sie zurückkehren können.“ Er setzte das Horn an die Lippen und blies dreimal kraftvoll hinein. „Dank eurer Hilfe ist vorerst alles in Ordnung“, sagte er und übergab das Horn wieder an Pater David. Nichts ist in Ordnung, dachte Hasard, der schon lange Zeit Überlegungen angestellt hatte. Er ahnte bereits, daß die Dons es nicht nur allein auf die Indios abgesehen hatten, und er sprach es auch ohne Umschweife aus.
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„Dieser Trupp, der hier so hauste, kam aus Arica heranmarschiert, nicht wahr, Padre?“ „Ja, das ist richtig.“ „Das heißt also“, sagte Hasard nachdenklich, „daß man sogar vorhatte, die Mönche nach Potosi zu verschleppen.“ Der Padre nickte zustimmend und bedrückt. „Ich muß Ihnen ganz unverblümt und offen sagen, Padre, daß Sie hier im Tacna-Tal nicht einmal vorerst mehr sicher sind. Das ist nur eine trügerische Sicherheit. Wenn ihre eigenen Landsleute sich schon nicht mehr scheuen, Mönche zu verschleppen, so bedeutet das, daß in Potosi ein ganz beträchtlicher Mangel an Arbeitskräften herrschen muß, besser gesagt: an Sklaven. Die Dons - Verzeihung, Spanier, scheinen ganz extreme Nachschubschwierigkeiten zu haben und nehmen alles, was sie nur kriegen können.“ „Weil die Leute in den Silberminen wie die Fliegen sterben“, sagte der Padre dumpf. „Ganz richtig. Und weil der Nachschub fehlt“, setzte Hasard grimmig hinzu. „Aber das wundert mich nicht, der sogenannte Nachschub mußte ja ausbleiben, weil der Halunke Carrero noch nicht mit Ersatz zurückgekehrt ist. Und er wird auch nicht mehr zurückkehren, denn noch hockt er in der Vorpiek der ,Estrella`.“ „Und da ist er bestens aufgehoben“, sagte von Hutten. Bei der Nennung des Namens horchte der Padre auf, aber Hasard bemerkte das nicht und sprach schon weiter. „Es herrscht also ein beträchtlicher Mangel an Arbeitskräften“, sagte er. „Das gefährdet den Silberabbau am Cerro Rico, unter Umständen wird man ihn einstellen müssen. Für Spanien käme das einer mittleren Katastrophe gleich. Das gesamte Räderwerk, das so gut organisiert und aufeinander eingespielt ist, würde ins Wanken geraten. Das wiederum aber kann der Provinzgouverneur in Potosi, Don Ramon de Cubilla, nicht zulassen, und er wird es mit allen Mitteln zu verhindern suchen.“ Pater Franciscus lauschte mit angehaltenem Atem den Worten des
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großen schwarzhaarigen Mannes. Fast unbewußt nickte er dabei zu jedem Satz, denn er ahnte, auf was der Mann da hinauswollte. „Ja, er ist ein gnadenloser Mann“, sagte er leise. „Und er wird gnadenlos Jagd auf Indios und andere - wie die Dominikaner hier in diesem Tal - veranstalten, Padre. Nur wird die Jagd noch härter, furchtbarer und brutaler sein als jemals zuvor. Dieser Teniente war auf Tacna angesetzt, um Sklaven zu bringen. Er wird aber weder mit seinem Trupp noch mit einem Indio zurückkehren, weil er es nicht überlebt hat. Die nächste Schlußfolgerung ist sehr einfach.“ „Ich habe verstanden“, sagte der Padre. „Vielleicht wollte ich es auch nur nicht wahrhaben. Wenn er nicht mehr zurückkehrt, wird man in Arica stutzig werden und Verdacht schöpfen. „Ja, das wird man, und deshalb wollen wir auch gar nicht darumherumreden, Padre. Die Spanier setzen den nächsten Trupp in Marsch, wiederum nach Tacna und werden nachforschen. Darin sind sie gründlich. Sie müssen damit rechnen, daß Sie hier nicht mehr sicher sind, die Indios nicht und Ihre Brüder ebenfalls nicht. Der nächste Trupp kann daher schon sehr bald hier aufkreuzen.“ Die Sorge um die Menschen in diesem lieblichen Tal stand dem Pater überdeutlich im Gesicht geschrieben. Er seufzte leise, aber er hörte auch mit wachsendem Erstaunen zu. Er strich über seinen angesengten weißen Bart und sah Hasard in die blauen Augen. „Mich beschäftigt da noch eine weitere Frage: Sie erwähnten vorhin einen Namen - Carrero sagten Sie. Heißt der Kerl Luis Carrero?“ „Ja, so heißt er. Ein Früchtchen der allerübelsten Sorte.“ „Habe ich richtig verstanden, daß Sie ihn gefangen haben?“ „Ja; er ist bei uns in der Vorpiek des Schiffes angekettet. Vorerst bleibt er darin. Später werden wir über sein weiteres Schicksal noch entscheiden.“
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„Ein übler Schurke, ein sehr übler Mensch. Er hat mehr Unheil über die Menschen hier gebracht als eine Naturkatastrophe. Entschuldigen Sie bitte meine Neugier. Sie wissen, wie der Provinzgouverneur von Potosi heißt, wie der Berg genannt wird, und auch sonst scheinen Sie über Potosi eine Menge zu wissen.“ „Carrero hat es uns verraten, nachdem wir ihm gut zugeredet hatten. Erst wollte er nicht so richtig mit der Sprache heraus, aber dann unterhielt sich mein Profos mit ihm und konnte ihn überreden.“ Der Pater sah zu Carberry hinüber, der bei den Worten lammfromm und kreuzbrav grinste. Na, den kann ich mir lebhaft bei der „Überredung“ vorstellen, dachte er, der hat den Schurken sicher nicht mit lieblichen Worten verwöhnt. Der Padre grinste ein bißchen und zwinkerte Carberry zu. „So ist es recht, mein Sohn“, sagte er väterlich. „Man soll sich auch mit seinen Feinden, die man leider hat, immer friedfertig einigen und jeden Streit vermeiden.“ „Ich hab' auch jeden Streit vermieden, Padre“, sagte der Profos treuherzig. „Das ist mir so anerzogen worden beim alten Carberry, der war nämlich Schmied.“ „Der alte Carberry?“ fragte der Padre irritiert. „Mein Vater, Padre. Der hat auch immer nur auf dem Amboß herumgeschlagen, wenn nichts anderes in der Nähe war. Ein liebenswerter Mensch, Padre, immer höflich, milde gestimmt, fromm und zu jedem ein gütiges Wort. So wie ich. Das war sozusagen mein Erbteil.“ Im weißen Bart des knorrigen Padre öffnete sich ein rosiger Spalt, hinter dem trotz seines Alters weiße Zähne blitzten. Als Pater Franciscus leise lachte, hielt er sich die Hand auf den Buch, damit es nicht so weh tat. Auch die anderen sahen Ed grinsend an. Der haute heute wieder mal mit allen Schlegeln auf die Pauke. „Ich vernahm vorhin ein paar der gütigen Worte“, sagte der Padre, „das war, kurz
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nachdem ich aus der Bewußtlosigkeit erwachte.“ Carberry räusperte sich verlegen, wenn er daran dachte, mit welch deftigen Ausdrücken er Smoky bedacht hatte. „Aber keine Sorge, mein Sohn. Wenn man, wie ich, schon lange nicht mehr auf einem Schiff fuhr, kann man sich unter einer genotzüchtigten Bilgenlaus so gut wie gar nichts vorstellen. Die Ausdrücke wandeln sich im Laufe der vielen Jahre. Alles wird moderner.“ „So ist es“, sagte Ed bescheiden und mit knallrotem Schädel, weil ausgerechnet ein Gottesmann seine erbaulichen Worte gehört hatte. Der Padre schmunzelte noch immer, dann wurde er ernst und wandte sich Hasard zu. „Haben Sie als Engländer die Absicht, nach Potosi zu gehen?“ Hasard entschloß sich auszupacken und dem Padre die Wahrheit zu sagen. Immerhin bestand ja die Möglichkeit, von den Mönchen Hilfe zu erhalten, denn die waren auf ihre eigenen Landsleute ganz sicher nicht mehr gut zu sprechen. „Ja, unser Ziel ist Potosi, Padre.“ „Aber was wollen Sie dort?“ In den eisblauen Augen des Seewolfs funkelte es. „Ich habe die Absicht, den Spaniern in Potosi den Silberabbau gründlich zu vermiesen.“ „Ein sehr beschwerlicher und steiniger Weg, nicht nur bildlich gesprochen.“ „Darüber bin ich mir im klaren, Padre. Aber mir geht es um die Silberminen, und zu denen gehören nun einmal die Sklaven. Stört oder zerstört man diesen Betrieb, dann werden keine Sklaven mehr gebraucht. Bei der Gelegenheit werden wir natürlich gleich versuchen, die IndioSklaven zu befreien.“ „Eine große Tat, zu der Gott Ihnen die Kraft geben möge. Ja, er wird auf Ihrer Seite stehen, denn vor seinem Angesicht sind alle Menschen gleich und Brüder. Und so soll nicht einer den anderen des Mammons wegen unterdrücken oder versklaven.“ „Das ist auch meine Ansicht.“
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Der Pater war von diesem Vorhaben begeistert, aber er war auch in Sorge um die Männer, denn denen stand ein wahrhaft beschwerlicher und strapaziöser Weg bevor. Er wollte Hasard gerade fragen, auf welche Art und Weise sie in das Tacna-Tal gefunden hätten, aber es schien so, als könne der schwarzhaarige Riese Gedanken lesen, denn er sagte: „Von dem schurkischen Carrero erfuhren wir übrigens so ganz nebenbei von diesem Tal und seinen Bewohnern. Wir suchten ein Versteck für die Schiffe, und da erwähnte er recht verächtlich, daß hier ein paar Betbrüder - so drückte er sich aus - ein Kloster errichtet hätten. Er bezeichnete Sie als Verrückte, die sich einbildeten, die Indio-Affen bekehren zu können. Das waren seine Worte.“ „Das sieht diesem Mann ähnlich“, sagte der Pater trocken. „Immerhin war es für uns eine wichtige Information. die wir auch gleich nutzten. Dieser ehrenwerte Senor erwähnte auch, daß er hier bereits Leute requiriert hätte.“ „Ja, das hat er. Bis auf die alten Männer, Frauen und Kinder sind kaum noch junge Männer da. In dem Fall hat er die Wahrheit gesagt.“ Diesmal klangen die Worte ausgesprochen bitter, und über das Gesicht des Padres legte sich ein Schatten. „Ich will ganz ehrlich sein, Padre: Gerade, weil Sie zu den Indios hielten, wie Carrero empört erzählte, wurden wir auf das Kloster neugierig und brachen nach Tacna auf, in der Hoffnung, bei Ihnen Unterstützung zu finden. Für das Unternehmen brauchen wir einen kundigen Führer, denn wir waren noch nie in Potosi und können uns auf die Karten in den Bergen nicht verlassen. Vielleicht haben Sie jemanden, der sich auskennt.“ „Pater Aloysius“, sagte der Padre spontan, kaum daß Hasard zu Ende gesprochen hatte. „Wie bitte?“ „Pater Aloysius“, wiederholte der Padre. Ein merkwürdiger Name, dachte Hasard stirnrunzelnd. Pater Franciscus sah das
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Stirnrunzeln und deutete es richtig. Der Name schien sich wohl etwas merkwürdig anzuhören. „Pater Aloysius stammt aus der Grafschaft Tirol“, erläuterte er. Auch damit konnte Hasard nicht viel anfangen. Grafschaft Tirol? Er sah von Hutten an, Dan O'Flynn und die anderen, aber die hatten nur Grafschaft Tirol verstanden und sonst nichts. Und der Begriff war ihnen fremd. Als der Padre die fragenden Gesichter sah, lächelte er flüchtig. „Tirol war schon im achten Jahrhundert eine Provinz der Franken und in Gaue aufgeteilt. Pater Aloysius ist sehr stolz auf seine Heimat und hat uns alles darüber erzählt. Bis heute haben sich die Namen der einzelnen Gaue erhalten, und sie werden auch weiterbestehen, sicher sehr lange noch. Als die Karolinger ausstarben, fielen das nördliche und das mittlere Tirol an das bayerische Herzogtum, das südliche fiel der Veroneser Mark zu. Aber was erzähle ich die Geschichte der Tiroler Grafschaften! Kurz und gut, dieses Tirol liegt in den Alpen der Alten Welt, einem riesigen Gebirgsmassiv. Pater Aloysius ist ein Mann der Berge und in ihnen zu Hause. Sie werden ihn gleich kennenlernen, denn die Leute sind sicher bald da.“ „Das paßt ja wunderbar“, sagte der hünenhafte Pater David. „War unser Bruder denn auch schon mal in Potosi?“ „Er war schon oft da, er kennt sich sehr gut aus. Er hatte das gleiche vor, und er wollte die verschleppten Männer befreien, die von diesem Indio-Stamm in die Minen des Cerro Rico gebracht wurden. Leider war ihm kein Erfolg beschieden. Er hat es mehrere Male versucht, aber immer vergeblich.“ Der Padre lächelte, ein bißchen nachsichtig, ein bißchen väterlich und strich wieder über seinen weißen Bart, als sei er in Erinnerungen versunken. „Jaja, der gute Pater Aloysius - er ist ein klein wenig anders, als Sie ihn sich vielleicht vorstellen, aber er ist ein herzensguter Mensch, und der Herr hat wohlwollend sein Auge auf ihm ruhen.“
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„Was ist denn mit ihm?“ fragte Hasard neugierig. Der Padre druckste ein bißchen herum und lächelte erneut väterlich-besorgt und etwas nachsichtig. „Man soll das Kind ruhig beim Namen nennen, was hilft da alle Schönfärberei. Pater Aloysius ist - nun ja -das, was man einen Raufbold nennt, ja, einen Raufbold. Mein guter Pater mißachtet insofern die Gebote des Herrn, die da lauten, friedfertig wie die Lämmer zu sein. Bisher hat der Herr ihm das verziehen und ihm seine Sünden vergeben, aber wohl auch nur, weil er einen Hundesohn verdroschen hat. Er konnte einfach nicht mehr an sich halten, er fährt dann sozusagen aus der Haut.“ Carberry war schon die ganze Zeit am Grinsen, als der Padre von diesem Aloysius sprach, der beim Herrn nicht mehr allzu viele Pluspunkte zu haben schien. Wenn der zurückhaltende Padre schon von einem Raufbold sprach, dann war es wirklich einer -. und für knorrige Raufbolde hatte der Profos seit eh und je etwas übrig. „Welchen- Hundesohn hat er denn verdroschen?“ erkundigte sich der Seewolf lächelnd. „Luis Carrero. Der Pater hat allerdings behauptet, eine innere Stimme, die zweifellos aus dem Himmel stamme, habe ihm befohlen, diesen Hundesohn kräftig durchzuwalken., Und der Pater hört diese Stimmen leider sehr oft, so daß ich mir manchmal die Frage stelle, ob der Herr sich nur noch mit ihm unterhält.“ Der Profos biß sich fast auf die Ohren, so sehr grinste er jetzt. Die anderen blickten den Padre total verblüfft an, waren aber ebenfalls alle am Grinsen. „Der Pater hat Carrero verprügelt?“ fragte von Hutten fassungslos. „Ja, es ergab sich zufällig eine günstige Gelegenheit, und die nutzte der Pater auf Befehl des Herrn aus, wie er sagte. Der Herrgott im Himmel mag das vielleicht nicht so drastisch gesagt haben, aber Pater Aloysius hat es so drastisch verstanden. Die Stimme des Herrn gebot ihm erst dann Einhalt, als Carrero nicht mehr laufen
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konnte. Die anderen Kerle mußten ihn tragen.“ „Der Herr da oben“, sagte der Profos und deutete mit dem Daumen zu den Wolken, „scheint ein besonders inniges Verhältnis zu dem Pater zu haben. Dann muß der Pater wirklich ein feiner Kerl sein.“ „Hm - jaja, das ist er zweifellos, ein sehr verläßlicher Mann, nur eben nicht mit der biblischen Friedfertigkeit ausgestattet.“ „Heißt es da nicht: Auge um Auge, Zahn um Zahn?“ fragte Carberry überaus freundlich. „Hm - jaja, so steht es im Alten Testament geschrieben, mein Sohn.“ „Dann ist meiner Ansicht nach nichts an ihm zu bemängeln, Padre. Er hält sich doch nur an die Heilige Schrift.“ Der Profos grinste wiederum überaus freundlich zu seinen Worten. Pater Franciscus sah sich diesen Carberry noch einmal genauer an und seufzte verhalten. Der Kerl schien es faustdick hinter den Ohren zu haben, und er zitierte grinsend ausgerechnet jene Stellen, die es mit der irdischen Friedfertigkeit nicht so genau nahmen. Hm - na ja, sein Vater war Schmied, immer höflich, milde gestimmt, fromm und zu jedem ein gütiges Wort. Und er schlug immer nur dann auf dem Amboß herum, wenn gerade nichts anderes in der Nähe war. Was hatte der narbige Kerl nur damit gemeint? Inzwischen kehrten die Indios lautlos zurück. Sie waren plötzlich im Tal, ohne daß zu bemerken war, welchen Weg sie genommen hatten. Alte, Frauen und Kinder waren dabei, aber keine kräftigen Männer. Die schufteten sich jetzt für die Dons in den höllischen Silberminen die Seelen aus dem Leib. Hasard preßte die Lippen zusammen, als er die eingeschüchterten Indios sah, die wie unter einer unsichtbaren Last gingen. Nachdem die Indios zum Kloster geblickt hatten und staunend -auf die fremden Männer sahen, verschwanden sie in ihren Hütten. Gleich darauf erschienen auch die Mönche, die in dem Geheimgang unter dem Altar verschwunden waren.
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Sie waren nicht weniger erstaunt als die Indios, vor allem über die Tatsache, daß die Spanier verschwunden waren und an ihrer Stelle ganz andere Männer da waren. 3. Nach der gegenseitigen Vorstellung erzählte Pater Franciscus, was sich in der Zwischenzeit abgespielt hatte. Die acht Mönche musterten jeden einzelnen der Seewölfe und wunderten sich, daß diese paar Männer so rigoros mit den Spaniern aufgeräumt hatten. Das waren wahre Kämpfernaturen, die weder Tod noch Teufel fürchteten. Hasard fiel dabei ganz besonders ein Mann auf, und das war der Pater Aloysius, der so wundersame Kontakte zum Herrn unterhielt. Dieser Mann sah beileibe nicht wie ein Mönch aus, oder wie man sich einen Mönch vorzustellen pflegt. Aloysius war ein sehniges muskulöses Kraftpaket von tigerhafter Geschmeidigkeit, mit einem auffallend breiten Kreuz und sehr schmalen Hüften. Dem Gesicht nach hätte er ein Freibeuter sein können. Die Sonne hatte ihn braungebrannt. Seine Züge waren scharf geschnitten mit tiefen und weniger tiefen Kerben darin, zwei helle Augen blickten scharfäugig und offen die Männer an. Eine lehne Adlernase krönte dieses sonnenverbrannte Gesicht. Der Mann wirkte auf den ersten Blick sehnig, kraftvoll und ausdauernd, und er war beileibe kein Salbaderer, der nur fromme Sprüche im Kopf hatte. Auch der Profos und die anderen musterten diesen Mann besonders wohlwollend. Der hatte ausgeprägte Fäuste, und er sang sein Halleluja nicht nur mit den Lippen, sondern notfalls mit diesen harten sehnigen Fäusten, so der Herr es ihm befahl. Und er schien es ihm recht oft zu befehlen. Damit war nichts gegen die sieben anderen Mönche gesagt. Nur hob sich dieser Pater Aloysius' beträchtlich von ihnen ab. Einige der anderen waren beleibt oder schwergewichtig, zwei andere schlank und
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sehnig, aber Aloysius Gesichtszüge wirkten so scharf wie frischgebackenes dunkles Brot. Er und der Boston-Mann aus der Crew Siri-Tongs hätten dem Aussehen nach Brüder sein können. „Diese Männer wollen nach Potosi, Bruder Aloysius“, sagte der Pater, „und sie haben das gleiche vor, was auch du schon mehrmals versucht hast. Sie wollen die Silberminen stilllegen und die Sklaven befreien, und so Gott will, kann ihnen das auch gelingen. Sie sind zu allem entschlossen, und haben das gerade erst bewiesen. Aber sie kennen den Weg durch die Berge nicht und suchen einen ortskundigen Führer. Du bist ein ortskundiger Führer, Bruder, und schon ein paarmal in Potosi gewesen. Ich überlasse die Entscheidung dir.“ Die schmalen Lippen des Paters verzogen sich leicht. In seinen Augen erschien gleichzeitig ein stahlharter Glanz. Er schien auch kein Freund großer oder vieler Worte zu sein. „Wann geht es los?“ fragte er trocken. Hasard gefiel dieser Mann immer mehr. Er ertappte sich dabei, wie er die Kerben im Gesicht dieses Mannes zu zählen begann. Es waren so viele, daß er es schließlich lächelnd aufgab. „So bald wie möglich“, sagte er. „Sowie unser Potosi-Trupp zur Stelle ist, der insgesamt aus elf Männern besteht.“ „Wenn das alles solche Leute sind wie diese hier, habe ich nicht die geringsten Bedenken“, sagte Pater Aloysius. Sein Blick wanderte zu Carberry und blieb an ihm hängen. Er sah die Narben im Gesicht dieses Giganten und verglich sie mit seinen eigenen Kerben. Ihm gefiel, was er sah, der Profos war ihm auf Anhieb sympathisch. Das war auch ein Mann der Tat und keiner großen Worte. „Bevor der Potosi-Trupp hier eintrifft“, sagte Hasard, „erscheint mir aber ein anderes Problem vorerst wichtiger zu sein, und ich bitte darum, es zu bedenken und zu prüfen.“ Pater Franciscus nickte beklommen, er wußte, auf was Hasard hinauswollte, denn sie hatten ja schon darüber gesprochen.
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„Es handelt sich um 'dieses Tal mit seinen Menschen“, sagte Hasard. „Ihr seid gefährdeter denn je, seit wir den Teniente mit seiner Truppe vernichtet haben. Dafür sind wir verantwortlich, und somit haben wir auch gleichzeitig die Verantwortung für. die Sicherheit der Bewohner. Wir haben vorhin über die Zugänge zu diesem Tal gesprochen, insbesondere in Richtung Arica. Was verstehen Sie unter diesen Zugängen, Pater, und wie sind sie beschaffen? Das ist ein Punkt, der mich außerordentlich interessiert, weil er von großer Wichtigkeit ist.“ „Zugänge?“ fragte Pater Franciscus etwas verwundert. „Dieses Tal ist von Arica aus und umgekehrt natürlich nur über drei gewaltige Hängebrücken zu erreichen, unter denen sich drei tiefe gewaltige Schluchten befinden. Diese in Ost-WestRichtung gelegenen Schluchten sind so tief, daß sie genaugenommen den Zugang in das Tacna-Tal versperren.“ „Was wäre ohne diese Brücken?“ fragte Hasard. „Wenn diese Brücken nicht wären; würde man Wochen oder sogar Monate brauchen, um das Tal zu erreichen. Es wäre eine unvorstellbar mühselige Plagerei, die Schluchten zu überwinden. Man braucht Seile und Kletterausrüstung dazu. Nicht mal ein Verrückter würde das riskieren. Na ja, ein Verrückter vielleicht schon“, sagte der Pater und warf dabei einen schiefen Blick auf Bruder Aloysius. Der gab den Blick offen zurück, grinste dabei aber ziemlich rebellisch. „Von drei Hängebrücken hängt also das Leben der Talbewohner ab“, sagte Hasard. „Das hört sich wie ein Witz an. Heißt das, Sie würden dem Zugriff der Sklavenhändler entgehen, wenn diese drei Brücken nicht mehr existierten?“ „Man würde sich wohl kaum der Mühe unterziehen, diese anstrengende Klettertour zu unternehmen, nur um ein paar Indios einzufangen.“ Hasards Stimme klang jetzt ein bißchen schärfer als sonst. Der Pater hob den Kopf und sah dem Seewolf in die Augen. „Warum haben Sie dann die verdammten
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Hängebrücken nicht längst beseitigen lassen, Padre?“ „Hm, man kann sich nicht total abkapseln. Man muß zur Welt hin ein bißchen offenbleiben, auch wenn diese Welt mitunter böse ist“, sagte der Padre seufzend. „Weshalb soll man sich nicht gegen seine Feinde einigeln, wenn sie nur aufs Töten bedacht sind, Padre?“ Pater Aloysius lächelte hintergründig. In seinen Augen erschien wieder dieser stahlharte Glanz, als er Hasard und den anderen Männern zunickte. „Ganz recht, das ist auch meine Meinung. Wir hätten uns dadurch viel Leid und Ärger ersparen können. Ich habe das dem lieben Bruder Franciscus schon etliche Male vorgebetet, aber leider stieß ich bisher immer auf taube Ohren. Den Erfolg sehen wir vor uns. Sie brauchen sich nur einmal umzusehen.“ Da bedurfte es wahrhaftig keiner Worte mehr, als Aloysius mit der ausgestreckten Hand in das Tal und auf das Kloster wies. „Die Felder sind niedergetrampelt und zerstört“, sagte Aloysius mit harter Stimme. „Den schönen alten Apfelbaum mit seinen saftigen Früchten haben die Vandalen umgelegt, um damit das Hoftor einzurennen. Die Kapellentür ist beschädigt, das Kruzifix zerschmettert, und die Wirtschaftsgebäude, Scheunen und Spinnerei demoliert. Dort raucht immer noch die Wolle, die die Kerle entzündet haben, Und die Folter wäre Bruder Franciscus auch erspart geblieben, hätte er nur auf meine Worte gehört.' Das waren harte Worte für den Padre, aber er schluckte sie. Er sah dorthin, wo es immer noch leichtqualmte, warf einen Blick auf die Kapelle und seufzte wieder leise. „Einmal muß damit Schluß sein“, sagte Bruder Aloysius grimmig und entschlossen. „Wenn wir das alles wieder aufbauen wollen, dann brauchen wir Ruhe und Frieden, aber den werden wir wahrhaftig nur dann haben, wenn die drei Zugänge zum Tal versperrt sind. Du solltest dir das noch einmal ernsthaft durch
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den Kopf gehen lassen, Bruder, denn dieser Mann sagt die gleichen Worte wie ich. Oder willst du, daß des Satans wilde Horde hier wieder einfällt und auch den armseligen Rest noch zerstört? Willst du, daß Frauen und Kinder getötet werden, von uns ganz zu schweigen?“ „Das sind harte Worte, Bruder.“ „Nur harte Worte helfen“, erwiderte Aloysius. „Wer eine harte Sprache spricht, wie unsere lieben Spanier, der muß auch mit harten Antworten rechnen.“ Pater Franciscus hatte den Kopf gesenkt und blickte lange und schweigend zu Boden. Als er wieder aufsah, musterte er die Männer der Reihe nach. Dann nickte er, und seine Stimme klang ungewöhnlich fest, als er sagte: „Ich bin damit einverstanden, daß die Zugänge zum Tal zerstört werden. Es ist die vernünftigste Lösung. Nur - wer soll das tun?“ 4. Hasards Tonfall klang sehr bestimmt. „Wir übernehmen das, Padre, keine Frage. Und zwar habe ich dafür Mister O'Flynn, Mister Carberry und Mister von Hutten vorgesehen. Inzwischen werden Mister Smoky und Mister Grey zu unseren Schiffen zurückkehren, und einer von den beiden wird die restlichen Männer der Potosi-Truppe wieder heraufführen.“ „Dann kann ich meinen Brüdern beim Aufräumen, helfen“, sagte Pater David, der seine Brüder ausnahmslos alle überragte. „Darum wollte ich dich gerade bitten. Vielleicht kannst du inzwischen auch an Proviant zusammenstellen, was wir für die Überquerung der Berge brauchen, das Einverständnis der Padres natürlich vorausgesetzt.“ „Natürlich, natürlich“, sagte Bruder Franciscus eifrig. „Wir werden für eine komplette Proviant-Ausrüstung sorgen. Das ist doch selbstverständlich. Aber gehen wir doch ins Innere, da bespricht sich alles viel besser. Sie werden sicher auch Hunger und Durst haben. Meine
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Brüder werden inzwischen das Gröbste beseitigen und säubern.“ Als der Profos den anderen folgte, ging Aloysius neben ihm her. Der Profos merkte, daß er von der Seite unauffällig gemustert wurde. „Ich hoffe, euer Kapitän wählt mich zur Begleitung aus, Bruder.“ „Aber sicher doch, daran dürfte kein Zweifel bestehen. Du scheinst genau der richtige Mann dafür zu sein.“ Sie kamen an dem Maultier vorbei, das mit Ed und Smoky „den Molly gemacht hatte“. Das Vieh grinste wirklich und wahrhaftig, der Profos hätte jeden Eid darauf geschworen. Er griff einmal hinüber und tätschelte ihm den Hals. Das Maultier blieb lammfromm, grinste aber trotzdem auf eine unbeschreiblich boshafte Weise wie ein Schlitzohr. „Du erinnerst mich an jemanden“, murmelte Ed, „auch an ein altes Schlitzohr, das so grinst. Na, das wird mir schon noch einfallen.“ Sie nahmen an dem Tisch Platz, der noch heil geblieben war. Zwei Mönche brachten Maisbrot und etwas zu trinken. „Ist schon lange her, daß ich einen richtigen Schnaps getrunken habe“, sagte der Profos zu Aloysius. „Aber das gibt's hier wohl nicht, was, wie?“ Aloysius sah ihn ausdruckslos an. „Hast du Bauchgrimmen, Bruder?“ „Ja“, sagte Ed ebenfalls mit ausdruckslosem Gesicht. „Sehr sogar.“ Der Pater führte ihn in eine kleine Kammer, wo er wortlos ein Schapp öffnete, dem er eine verkorkte Tonkruke entnahm. Er zog den Korken heraus und reichte Ed die Kruke. Der Profos ließ sich nicht lange bitten und nahm einen kräftigen Schluck. Ha, der ging runter wie Öl und brannte wie Feuer, daß es ihn schlagartig erwärmte. Allerfeinste Kräuterchen waren das, sehr, sehr würzig und scharf. „Noch einen?“ fragte Aloysius. „Du hast mich überredet, Bruder.“ Der Profos nuckelte noch einen weg und verdrehte die Augen.
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„Einer hilft nicht gegen Bauch-grimmen“, sagte Aloysius. „Ich nehme auch immer zwei. Es ist reine Medizin.“ „Du sagst es, Bruder“, meinte Ed grinsend und sah zu, wie der Gottesmann ebenfalls die Kruke ansetzte und einen gehörigen Streifen weggluckerte. „Wollte nur sehen, ob er noch gut ist“, sagte er trocken. „Habe den Beweis erhalten.“ Sie grinsten sich an und kehrten zurück. Wie zwei Verschwörer, dachte Hasard, der Carberry einen abschätzenden Blick zuwarf. Weiß der Teufel, was der Profos da soeben mit dem Pater bequatscht hatte. Die beiden schienen sich jedoch prächtig zu verstehen. Klar, Raufbolde, was, wie? Oder hatten sie etwa einen gelenzt? Die Frage blieb offen. Während langsam die Dämmerung hereinbrach, wurde im Kloster gegessen, getrunken und erzählt. Hasard kam wieder auf das Thema mit den eigenartigen Hängebrücken zurück. Keiner von ihnen hatte eine derartige Konstruktion jemals gesehen, und so war jeder gespannt darauf. „Ich wollte Sie noch bitten, Pater Aloysius, uns zu den Hängebrücken zu führen“, sagte Hasard. „Das vergaß ich vorhin zu fragen.“ „Wann geht es los?“ „Gleich morgen früh.“ Bruder Aloysius nickte erwartungsvoll. Wieder erschien in seinen Augen dieser stählerne Glanz. Er sah dann immer aus, als habe er die Absicht, ein Schiff zu entern. Hasard hatte sich vorgenommen, diese Brücken zu zerstören, damit die Bewohner des Tals vor den spanischen Sklaventreibern sicher waren. Aber um diese legendären Brücken zu zerstören, mußte er einiges über sie erfahren. Inzwischen war die Dunkelheit hereingebrochen. Im Kloster wurden Fackeln und Talglichter entzündet. Trotz der immer noch herrschenden Unordnung war die Atmosphäre gemütlich und heimelig. Einige Mönche waren damit beschäftigt, das Kruzifix und die
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Kapellentür wieder herzurichten und so gut es ging, zu reparieren. Bruder Flavius, der sich erboten hatte, Smoky und Bob Grey am nächsten Morgen zu den Schiffen zu begleiten, bewirtete die Männer mit herbem Wein. „Diese Brücken - was sind das für Konstruktionen?“ fragte Hasard. „Brauchen wir Äxte und Sägen, wenn wir sie zerstören wollen? Sind sie aus Holz gebaut?“ Bruder Aloysius lächelte flüchtig. Er wurde jetzt auch gesprächiger. „Es tut mir in der Seele weh, diese einmaligen Konstruktionen zerstören zu müssen. Vielleicht war das auch mit ein Grund, warum Bruder Franciscus so lange gezögert hat. Wer diese Brücken einmal gesehen hat, der wird sie nie wieder vergessen.“ Aloysius geriet fast ins Schwärmen, als er davon berichtete. „Die Brücken stammen noch von den Inkas. Dieser grandiose Menschenschlag hat sie erbaut.“ „Von den Inkas?“ fragte Hasard. Auch die anderen sahen den Pater interessiert an. „Aber das Reich der Inkas ist doch erloschen, es existiert seit langem nicht mehr.“ „Das ist leider richtig. Das Imperium der Inkas zerfiel mit Huayna Capacs Tod. Das war im Jahre fünfzehnhundertsiebenundzwanzig. Da kam es zum Bruderkrieg zwischen dem erstgeborenen Huascar und Atahuallpa, dem Lieblingssohn des Verstorbenen. Damit begann der Untergang. Dann erschien der sehr ehrenwerte Senor Francisco Pizarro und ließ den letzten Inka-Kaiser hinrichten. Das ist eins der ruhmreichsten Kapitel spanischer Geschichte“, sagte der Pater bitter. „Das läßt sich leider nicht leugnen“, sagte Hasard. „Aber die Brücken haben den Untergang des stolzen Inka-Reiches überdauert?“ „Ja, das haben sie. Und deshalb schmerzt es mich, sie zu zerstören, obwohl es sein muß. Diese gewaltigen Hängebrücken sind reine Seilkonstruktionen, deren Haltetaue
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mitunter so dick wie mittlere Baumstämme sind. Holz wurde beim Bau natürlich auch verwandt, aber nur für die Sprossen oder Holme einer Art Jakobsleiter, die von einer Schluchtseite zur anderen gespannt ist.“ „Die Konstruktionen schwanken sicher beträchtlich, wenn sie eine ganze Schlucht überspannen.“ „Allerdings. Man muß schon gute Nerven haben, wenn man sie überqueren will. Man muß absolut schwindelfrei sein, aber das darf man bei einem Seefahrer ja voraussetzen. Ich habe eine Zeichnung von einer ganz bestimmten Brücke angefertigt, damit mir ihre Konstruktion unvergeßlich bleibt. Ich werde sie holen.“ Der Pater verschwand für ein paar Augenblicke. „Er ist erstaunlich gut informiert“, sagte Karl von Hutten. „Ich glaube, der Mann kennt hier jeden noch so kleinen Pfad.“ Als der Pater zurückkehrte, breitete er eine Pergamentrolle aus. Darauf war die Zeichnung einer gewaltigen Hängebrücke zu sehen, die eine riesige tiefe, fast unauslotbare Schlucht überquerte. Ausnahmslos alle waren von dieser detailgetreuen Zeichnung fasziniert. Der Pater hatte hervorragende Arbeit geleistet. „Diese Brücke überquert in der Nähe von Cuzco eine Steilschlucht des ApurimacFlusses“, erläuterte er. „Ich habe alle Abmessungen aufgeschrieben. Sie ist an die fünfzig Yards lang, und ihre Haltetaue sind so dick wie der Leib eines Menschen. Ganz tief unter ihr brodelt der Apurimac. Die Steilwände fallen an beiden Seiten fast senkrecht ab.“ Smoky sah den Padre schluckend an. „Es kostet schon Nerven, die Brücke nur anzusehen“, sagte er. „Wenn man davorsteht, ist es noch schlimmer“, sagte der Pater lächelnd. „Es ist ein wahrhaft imponierender Anblick.“ „Und wann ist sie erbaut worden?“ fragte Ed. „Vor fast zweihundertfünfzig Jahren.“ „Und sie existiert noch?“ fragte selbst Hasard jetzt ungläubig. „Natürlich. Wie es den Anschein hat, dürfte sie mühelos noch einmal die gleiche
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Zeitspanne überstehen, wenn man sie nicht zerstört. Natürlich haben all diese Hängebrücken ein Seilgeländer, an dem man sich festhalten kann, wenn man über diese durchhängende und schwankende Konstruktion geht. Sie ist allerdings sehr schmal, daher muß einer hinter dem anderen gehen. Belastbar ist sie etwa für sechs Mann, die gleichzeitig über die Brücke gehen können. Man sollte dabei möglichst nicht in die Tiefe schauen, so manchem ist das schon schlecht bekommen.“ „Wenn man also mit Äxten die Haltetaue kappt, stürzt die Brücke in die Tiefe“, sagte Hasard. „So ist es. Und niemand wird sie wieder nachbauen können, denn dazu ist heute keiner mehr in der Lage.“ „Sie wissen erstaunlich viel über die Inkas und ihre Brücken“, sagte der Seewolf. „Ich habe nur einen bescheidenen Bruchteil erläutert, aber ich habe mich mit den Inkas befaßt.“ „So was kann man doch nicht einfach zerstören“, murmelte Bob Grey, „daß muß doch der staunenden Nachwelt erhalten bleiben.“ „Leider gibt es keine andere Möglichkeit, das ist bitter, ich weiß. Aber viele dieser Brücken sind bereits von den Indios zerstört worden, als die spanischen Konquistadoren vordrangen. Die Reste dieser genialen Konstruktionen hängen immer noch an den Schluchtwänden. Andererseits hat die Zerstörung dieser Hängebrücke vielen Menschen das Leben gerettet, denn die Spanier konnten nicht weiter vordringen.“ Pater Aloysius lächelte etwas gequält und fügte hinzu: „Sie werden verstehen, daß ich von meinen spanischen Brüdern nicht gerade begeistert bin. Damit meine ich natürlich die Soldateska und ihren ehrenwerten raffgierigen König. Diese Horden ziehen immer noch unermüdlich mordend, brandschatzend und vergewaltigend durch die Lande. Und ein gewisser Carrero bezeichnet die Indios als primitive Affen und jagt sie mit Bluthunden. Ausgerechnet diese Menschen, die die Nachfahren der
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genialen Baumeister und Konstrukteure sind, werden heute als Sklaven zusammengetrieben und enden auf unmenschliche Weise in den Silberminen. Ich möchte nur einen einzigen Spanier sehen, der imstande ist, auch nur eine der kleinen Brücken wieder aufzubauen. Sie stehen vor den Schluchten und ziehen dämliche Gesichter, wenn die Brücken zerstört sind. Aber sie wissen nicht, wie man die mannsdicken Taue spannt und befestigt. Aloysius' Blick war bei den letzten Worten flammend geworden, während die Seewölfe und Pater David nachdenklich dreinblickten. Für die Spanier waren die Indios Affen, Gesindel, der letzte Dreck, und so wurden sie auch behandelt. „Als Affen und Gesindel hat Carrero die Indios bezeichnet“, sagte der Pater. „Dabei können sich die Spanier von den Inkas eine dicke Scheibe abschneiden. Die Inkas hatten unter geschickter Einbeziehung schon vorhandener Kulturen einen, nennen wir es mal sozialistischen Großstaat auf theokratischer Basis organisiert. An dessen Spitze stand als oberster Herrscher der Sapa Inka, der als Sohn des Sonnengottes göttliche Verehrung genoß, vor allem nach seinem Tode. Schon damals hatten die Inkas eine mustergültige Ordnung in ihrem Staat. In der Hierarchie des Staates folgten dem Herrscher der höhere Adel, den die Spanier wegen seiner Ohrzierate abfällig Orejones nannten. Dann folgten die Curaca, der niedere Adel. Interessiert Sie das überhaupt? Ich werde, gerade bei diesem Thema, mitunter etwas ausschweifig“, sagte der Pater. „Und ob uns das interessiert“, er- widerte Hasard. „Auf diese Weise sieht man die Leute ganz anders. Und meinen Männern kann ein wenig Anschauungsunterricht nicht schaden. Ich sehe, daß sie Ihnen gebannt zuhören, Pater.“ „Nun gut, ich wollte Ihnen nur erklären, wie mustergültig dieser Staat einst funktioniert hat, ehe er von den ehrenwerten Spaniern einfach ausgelöscht wurde. Das Leben jedes einzelnen war
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genau geregelt und funktionierte so einwandfrei wie das hervorragend ausgebaute Straßensystem, das dem der Römer noch weit überlegen war. Das bezieht sich auch auf eben diese Hängebrücken. Nachrichtenübermittlungen im Reich erfolgten durch Stafettenläufer auf den sogenannten Königsstraßen, und wenn die Sicherung des Reiches es erforderte, dann wurden unter Umständen ganze Bevölkerungsteile verpflanzt. Da ging eins nahtlos ins andere über, ganz zu schweigen von dem mustergültigen terrassenförmigen Feldbau, der Bewässerung, der Düngung, der Vorratshaltung und was der Dinge mehr waren.“ „Wie hoch schätzte man die Bevölkerung?“ fragte Hasard, den das Thema außerordentlich interessierte, denn hier waren sie ja sozusagen in unmittelbarer Nähe der legendären Inkas. „Es werden wohl an die sechs Millionen gewesen sein, die alle versorgt werden mußten. Die Inkas stellten auch genaue Statistiken über ihren Viehbestand oder die Höhe der Ernte auf und bedienten sich dazu verschiedenfarbiger Knotenschnüre, der sogenannten Quipu. Sie trieben Bergbau zur Gewinnung von Gold, Silber, Kupfer und Zinn. Allerdings“, setzte der Pater sarkastisch hinzu, „fielen sie nicht in fremde Länder ein und raubten Menschen, die sie in ihren Minen bis zum Tode schuften ließen.“ Vor den Seewölfen tat sich an diesem Abend eine neue Welt auf, denn Pater Aloysius wußte sehr anschaulich zu berichten und immer wieder Erstaunliches zu erzählen. Carberry musterte ihn wieder von der Seite. Er stellte sich vor, wie der Gottesmann aus der Haut gefahren war, als er Carrero in seinem heiligen Zorn verprügelt hatte. Seine riesigen Fäuste begannen zu zucken, bis es Hasard auffiel. „Was ist mit dir los, Ed?“ Der Profos schlug mit der Faust auf den Tisch. „Am liebsten würde ich jetzt runtergehen, diesen Hundesohn aus der Vorpiek holen
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und kräftig durchwalken. Und zwar solange, bis er Lumpen kotzt, Sir.“ „Kann ich verstehen. Ed. Aber er wird auch ohne deine Prügel seiner gerechten Strafe nicht entgehen.“ Die Unterhaltung zog sich weiter hin, bis Hasard schließlich aufstand. Morgen in aller Frühe wollten sie losziehen. Da mußten sie ausgeschlafen sein. Die Padres wiesen ihnen Kammern zu, und etwas später herrschte im Kloster Ruhe. 5. Der nächste Morgen war kühl und dunstig. In den Bergen hing der Nebel wie eine gigantische Wolke, die träge dahinzieht. Nach dem Morgengebet erschienen die Mönche im kleinen Refektorium, dem gemeinsamen Speisesaal. Auch Hasard mit seinen Männern war bereits da. „Ihr beide“, sagte Hasard zu Smoky und Bob, „zieht jetzt gleich nach dem Essen los. Pater Flavius wird euch begleiten, wie wir es gestern besprochen haben. Er wird Ben über die Aufstellung der Ausrüstung beraten.“ „Wie steht es mit der Bewaffnung, Sir?“ fragte Smoky. „Nur Pistolen und Entermesser, das muß genügen.“ „Keine Musketen?“ „Nein, keine Musketen. Wir müssen mit jedem Gramm Traglast geizen und sparen, denn bei dem beschwerlichen Marsch würden die schweren Musketen nur hinderlich sein. Habt ihr die Liste mit dabei?” Smoky zog sie aus der Jacke und überprüfte sie noch einmal. Hasard verglich ebenfalls, damit auch nichts vergessen wurde, denn das konnte sich auf dem langen Marsch sehr gefährlich .auswirken. Pater Flavius, ein sehniger langer Mann mit asketischen Gesichtszügen, erhob sich nach dem Frühstück. ,,Was die Ausrüstung betrifft“, sagte er, „habe ich mir alles noch genau durch den Kopf gehen lassen. Es darf wirklich nichts vergessen werden, denn in den eisigen
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Höhen kann das tödlich sein. Den Marschproviant und Verbandszeug wie Salben und Säfte nehmen wir vom Kloster aus mit. Wir sind damit bestens versorgt. Auch Wollmützen und Handschuhe steuert das Kloster bei. Davon haben wir hier mehr als genug. Und nun laßt uns aufbrechen, Brüder, und keine Zeit verlieren.“ „Wir werden ebenfalls aufbrechen“, sagte Hasard und blickte zu Pater Aloysius, der es kaum noch erwarten konnte. „Wir warten, bis ihr verschwunden seid, dann gehen wir auch. Und vergeßt nicht, einen herzlichen Gruß an die gesamte Schwefelbande auszurichten“, setzte er lächelnd hinzu. „Bin mal gespannt, wie die ohne Profos auskommen“, murmelte Ed. „Da sind bei unserer Rückkehr die Kähne doch wieder vergammelt und verrottet, und die Kakerlaken flitzen von einer Ecke zur anderen. Sagt den Brüdern, daß ich nach der Rückkehr das Schiffchen untersuchen werde, und zwar von oben bis unten.“ „Jaja, schon gut“, sagte Smoky, „sie werden es mit Betrübnis hören und in lange Zeit der Trauer verfallen. Vielleicht heißen sie die schwarze. Trauerflagge vor, solange du nicht an Bord bist.“ Dem Profos fiel der Abschied von den anderen wahrhaftig schwer, aber seine Rührung verbarg er wieder mal hinter groben Worten. „Meinen Gruß an alle Affenärsche und Kanalratten“, brummte er, zum Erstaunen der Padres, „und vergeßt ja nicht, das auszurichten. Und denkt auch an Sir John, damit der sich keine Federchen abfriert, oder sonst was. Am besten, ihr bringt ihn zum Kutscher in die Kombüse, damit er es immer schön warm hat.“ „Jaja“, sagte Smoky ergeben. „Schließlich sind wir ja erwachsen und wissen, was wir zu tun haben. Wir werden deine Krachente schon nicht vergessen, und er wird sich auch keine Federchen abfrieren, was sowieso ein Stuß ist.“ „Und vergeßt auch Arwenack nicht und Plymmie, damit die gut versorgt sind.“
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„Sonst noch was?“ fragte Smoky, „soll Ferris vielleicht noch 'ne kleine Koje zimmern für die Kakerlake Augusta oder das Kakerlakenmännchen Emilio mit den Triefaugen, der immer so melancholisch aus dem Mehlsack glotzt?“ Die Mönche lachten verhalten und amüsierten sich. Dieser narbengesichtige. Profos schien sehr besorgt um das liebe Vieh zu sein. Jetzt fing er auch noch damit an, daß ja seine Hühnerchen nicht geschlachtet werden dürften, sonst würde er... Pater Franciscus blickte ergeben zum dunstigen Himmel, da sagte dieser Kerl doch wortwörtlich: „Sonst ziehe ich euch die Haut in Streifen von euren Affenärschen!“ „Du mußt deine geballte Ausdruckskraft nicht unbedingt an dieser Stelle zum Ausdruck bringen, Ed“, sagte Hasard vorwurfsvoll. „Die Padres werden sich nur schwer daran gewöhnen können.“ „Hm, das vergaß ich ganz, Sir.“ Die Männer verabschiedeten sich. Pater Flavius, Bob Grey und Smoky zogen los, um den Trupp zu holen. „Da habt ihr euch ein äußerst waghalsiges Unternehmen aufgeladen“, sagte der Pater unterwegs. „Ganz abgesehen von den Spaniern, die euch noch Kummer bereiten werden, kommt diese Klettertour in eisigen Höhen hinzu. Landeinwärts dürften das gut und gern dreihundert Meilen sein, wenn nicht mehr. Das ist nur als gerade Linie gedacht. Dazwischen liegen gewaltige Bergzüge, es müssen reißende Flüsse und Bäche durchquert werden.“ „Das haben wir alles schon durchgesprochen und überlegt, Pater“, sagte Smoky. „Und wenn wir uns etwas in die Köpfe gesetzt haben, dann führen wir das auch durch.“ „Ja, das habe ich schon gemerkt“, sagte Pater Flavius lächelnd. „Es sind ja nicht nur Berge und Flüsse allein, die vor uns liegen“, meinte Bob, „wir haben auch die anderen Risiken durchgesprochen. Die ungewohnte Höhe ist vielleicht für uns das schlimmste. Pater David hat schon erwähnt, daß sich da oben
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Atemnot, Schwindelgefühl und Kopfschmerzen einstellen können.“ „Das ist richtig. Die Luft ist außerordentlich dünn, und wenn man diese Höhen nicht gewohnt ist, tritt die berüchtigte Soroche ein, so nennt man hier die Höhenkrankheit. Dabei gibt es die Anzeichen von fliegendem Puls, Herzflattern und Atemnot. Aber ihr werdet mit Gottes Hilfe auch das schaffen, davon bin ich überzeugt.“ Danach schwiegen sie eine Weile. Sie gingen immer am Fluß entlang, der nur zu' einem kleinen Teil befahrbar war. Überall ragten jetzt wieder Felsen aus dem Wasser, kleine Wasserwirbel schossen schäumend talwärts. „Wir müssen gleich zur anderen Seite hinüber“, sagte Smoky. „Auf dem Hinweg haben wir die Jolle versteckt, weil es nicht mehr weiterging. Jetzt stehen wir gleich vor den Steilfelsen.“ „Sehr richtig“, stimmte Pater Flavius zu, „ihr habt euch den Weg aber ganz genau gemerkt.“ Er wunderte sich, mit welch traumwandlerischer Sicherheit die beiden Männer ihren Weg nahmen, obwohl sie diese ziemlich lange Strecke erst ein einziges Mal zurückgelegt hatten. Sie waren eben sehr gute und aufmerksame Beobachter. Nach der Biegung des Flusses erschienen die riesigen Steilfelsen unmittelbar vor ihnen. Hier ging es nicht mehr weiter. Sie mußten zur anderen Seite hinüber und später noch einmal die Flußseiten wechseln, weil es eine zweite felsige Steilwand gab. Die Strömung war an dieser Stelle reißend. Wie Wildwasser toste es laut und schäumend dahin, brach sich an den im Wasser liegenden Felsen und stäubte hoch wie sprühender Gischt. „Vorsichtig bewegen!“ schrie der Padre. „Die Steine sind glitschig und bemoost! Es ist ein trügerischer Untergrund!“ Er mußte laut brüllen, um verstanden zu werden, denn das wilde Rauschen des Wassers übertönte jedes andere Geräusch.
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Die Steine und Felsbrocken, die aus dem Fluß ragten, waren tatsächlich tückisch. Smoky merkte es, als er fast den Halt verlor. Er hatte mit dem kalten Wasser schon Bekanntschaft geschlossen und verzichtete gern auf eine weitere Erfahrung. Dennoch war ihre Kleidung feucht und klamm, als sie das jenseitige Ufer erreichten. „Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack“, sagte Bob grinsend. „Nur ein paar Steinchen und etwas kaltes Wasser. Wie wird das erst sein, wenn die Berge zweioder dreitausend Yards oder noch höher sind? Dazu kommen der eisige Wind, Schnee und Frost und Gletscher. Das wird eine verdammt anstrengende Sache.“ „Für uns nicht“, sagte Smoky bedauernd, „wir sind ja leider nicht dabei.“ „Ja, leider“, sagte auch Bob bedauernd. „Obwohl das kein Zuckerlecken wird, wäre ich doch gern dabei gewesen.“ Noch einmal wechselten sie etwas später die Flußseiten. Hier donnerte das Wasser über einen felsigen Katarakt und stürzte in schäumenden Kaskaden nach unten. Dem Katarakt folgte eine Einengung des Flusses, durch den das Wasser mit wilder ungebändigter Kraft brauste. Erst danach wurde es etwas ruhiger. Der Fluß wurde wieder breiter. Das war die Stelle, wo sie auch die Jolle versteckt hatten, weil schon vorauszusehen war, daß es mit dem Boot nicht mehr weiterging. „Da liegt die Jolle“, sagte Bob, auf Buschwerk deutend, das bis dicht an den Fluß heranreichte. Pater Flavius schaute zu jener Stelle, konnte aber trotz seiner scharfen Augen keine Jolle erkennen. „Vielleicht weiter abwärts“, meinte er, „hier sieht das Ufer auf zwei Meilen gleich aus. Ihr werdet euch geirrt haben.“ Smoky grinste nur. Die Jolle war auch tatsächlich nicht zu sehen. Obwohl es unwahrscheinlich war, daß sie gestohlen wurde, hatten sie doch nicht auf gründliche Tarnung verzichtet. Der Pater mußte sich eingestehen, daß diese Kerle ein unwahrscheinliches
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Geschick hatten, denn er sah die Jolle erst, nachdem Smoky sie „enttarnt“ hatte. Er wäre ahnungslos daran vorbeigegangen. „Jetzt brauchen wir sie nur noch ins Wasser zu schieben und uns vom Strom treibenzulassen“, sagte Bob, „in einer guten halben Stunde dürften wir die Bucht erreicht haben.“ Stromaufwärts und unter Segel hatten sie auf der Hinfahrt fast anderthalb Stunden gebraucht. Aber da hatte das Wasser auch kräftig gegenangestanden. Die Jolle wurde von den drei Männern ins Wasser geschoben. Smoky sprang als letzter hinein und übernahm die Pinne. Als Bob das Segel setzen wollte, winkte der Decksälteste ab. „Lieber nicht“, meinte er, „da ragen immer noch Steine aus dem Wasser. Das geht sonst zu schnell, und wir brummen noch auf.“ „Hier befinden sich auch Felsen ganz dicht unter der Oberfläche“, sagte Pater Flavius. „Wir sollten den Kurs mehr auf der linken Flußseite halten, dort ist es ein wenig tiefer.“ Die Strömung nahm sie schnell mit, und schon eine knappe halbe Stunde später erreichten sie die Bucht in dem Felsenkessel und hielten auf die beiden Schiffe zu. Hier wehte kaum noch der Wind. Die Bucht war nach Nordosten geöffnet und bot ein ideales Versteck. Sie war auch groß genug, um darin zu manövrieren. Auf der „Estrella“ und der „San Lorenzo“ war das Boot bereits gesichtet worden. * „Die haben tatsächlich einen Mönch an Bord“, sagte Ben Brighton überrascht. „Dann scheint ja alles bestens geklappt zu haben.“ Tucker nickte zu seinen Worten und sah den drei Männern entgegen, die jetzt auf die „Estrella“ zuhielten. Beide Schiffe lagen vor Anker nebeneinander. „Da hat die Ratte Carrero tatsächlich mal die Wahrheit gesprochen, kaum zu glauben. Aber er hat das ja nur nebenbei erwähnt.“
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Die Jakobsleiter wurde ausgebracht. Smoky vertäute die Jolle und enterte als letzter auf. Sofort waren sie von sämtlichen Arwenacks und den Mannen Ribaults umlagert. Dann stellten sie Bruder Flavius vor. Smoky erzählte, was sich in der Zwischenzeit ereignet hatte. Alle hörten aufmerksam und gespannt zu, bis er mit seinem Bericht endete. „Die Unterstützung aller im Tacna-Tal lebenden Leute ist euch gewiß“, sagte der Pater. „Die Soldaten sind zwar unsere Landsleute, leider, leider muß ich schon sagen, aber wir empfinden nicht die geringste Sympathie für sie, und wir sind mit den Zwangsmaßnahmen keineswegs einverstanden, wenn sie Indios als Sklavenarbeiter in die Silberminen verschleppen. Ich werde euch bei der Ausrüstung beraten, denn es wird ein beschwerlicher Marsch in den eisigen Regionen.“ „Herzlichen Dank, Pater“, sagte Ben. „Ich bin erleichtert, daß es keine weiteren Schwierigkeiten gab. Heißt das, daß der Trupp also noch heute aufbrechen kann?“ „Wir wollen nach Möglichkeit heute abend schon wieder im Tal sein“, sagte Smoky. „Zu der Zeit wird auch Hasard mit den Männern wieder zurück sein. Ich habe euch ja gesagt, daß sie die Brücken zerstören wollen, um den Spaniern die Wege zu verlegen. Hier ist übrigens die Liste, Ben. Sie enthält alles, was wir brauchen. Ausrüstung für elf Mann. Pater Flavius wird alles überprüfen.“ Ben nahm die Liste entgegen und studierte sie. Wurfleinen mit Enterhaken standen darauf, Segeltuchplanen und Decken und was der Dinge mehr waren. Es war nichts vergessen worden. Will Thorne, der alte Segelmacher, räusperte sich und sah die Männer verlegen an. Wenn er sich so leise räusperte, dann hatte er immer etwas auf dem Herzen, mochte aber in seiner Bescheidenheit mit der Sprache nicht so recht herausrücken. Etwas gebeugt stand er da und knetete vor Verlegenheit seine Hände.
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Ben war das natürlich nicht entgangen, auch den anderen nicht. „Was hast du denn auf dem Herzen, Will?“ fragte Ben, der in Hasards Abwesenheit das Kommando über die „Estrella” und sozusagen das „Oberkommando“ über beide Schiffe hatte. „Ich - nun ich habe nachgedacht“, sagte der Alte ruhig 'und bescheiden. „Als ich hörte, in welche Höhen die Männer des Potosi-Trupps aufsteigen müssen, da ahnte ich, daß es da oben höllisch kalt sein wird und man leicht erfrieren kann, wenn man nicht warm angezogen ist.“ „Das ist richtig“, sagte Ben erstaunt. „Da oben wird es lausig kalt. Deshalb sollen sie ja auch eine gute Ausrüstung mitkriegen.“ Ben wußte nicht genau, auf was Will Thorne hinauswollte, denn der treue alte Segelmacher vermied es fast ängstlich, im Mittelpunkt zu stehen. Er liebte kein Aufsehen, er tat still und ruhig seine Arbeit, obwohl es gerade ohne ihn kaum ging. Er war der Mann im Hintergrund, der für die Mannschaft nähte, flickte und ausbesserte, der die schweren Segel zuschnitt, nähte und einliekte. Er arbeitete länger als die anderen, denn er hockte mitunter halbe Nächte lang auf seinem Hocker in der Segelkammer. Oder er dachte nach - so wie jetzt. „Ich habe da ein paar Sachen angefertigt“, sagte er. Und dann zeigte er auf die kleine Segellast. „Wenn ihr euch das bitte mal ansehen würdet.“ Ben warf ihm einen nachdenklichen Blick zu, sah Will Thorne bescheiden lächeln, ging hinüber und öffnete den Raum, bis helles Tageslicht in die Last fiel. Hasards Stellvertreter quollen fast die Augen über. Shane stand da wie vom Donner gerührt. Ferris Tucker sperrte den Mund auf, und dem Franzosen Ribault fehlten schlicht die Worte. „Ein paar Sachen“, murmelte Ben, „und das sagst du in aller Bescheidenheit? Das ist ja eine komplette Ausrüstung. Wann, um Himmels willen, hast du das denn alles angefertigt?“ „In meiner wachfreien Zeit, wenn es nichts zu tun gab, Sir. Da dachte ich, daß man
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diese Zeit doch sinnvoll verwenden könnte. Mir genügen ja ein paar Stunden Schlaf, bis ich wieder munter bin.“ „Das ist ja von allem ein Dutzend“, staunte Ben. „Das sind zwölf pelzgefütterte Segeltuchjacken.“ Er nahm eine zur Hand und betrachtete sie. Ferris griff nach der nächsten und legte sie probehalber um. Die Jacken waren aus Segeltuch, aus gutem derbem Zeug und stark gefüttert und mit Pelz ausgeschlagen. Zu jeder Jacke gehörte noch eine Kapuze, die man sich bis über das Gesicht ziehen konnte. Die Jacken hatten praktische und große Taschen, in die man allerlei hineinpacken konnte. Aber das war nur ein bescheidener Beitrag, wie Will Thorne fast schamhaft versicherte. Er hatte noch viel weiter gedacht und dementsprechend gehandelt. Langschäfter aus ölgetränktem Segeltuch hatte er ebenfalls genäht in den einsamen Nächten, während die anderen schliefen. Diese Langschäfter hatten feste, aber sehr geschmeidige Ledersohlen und konnten wie Mokassins bis oben verschnürt werden. „Und was ist das da?“ fragte Ben fassungslos. Der Alte druckste wieder ein bißchen herum. „Ich weiß, sie sehen schon etwas merkwürdig aus. Aber sie werden eine große Hilfe sein. In den Bergen gibt es doch große und weite Schneefelder, und wenn dann noch die Sonne auf diesen Schnee scheint, wird es für die Augen unerträglich. Der Kutscher sagte mal, man kann davon erblinden, weil das Weiß des Schnees die Augen überreizt. Daher habe ich diese Schneebrillen angefertigt. Ich habe dunkles Flaschenglas dafür genommen und es an den Seiten glatt geschmirgelt. Sieh bitte mal durch eine hindurch“, bat der alte Mann. Ben tat es. Man konnte die Brillen über die Augen legen und am Kopf festbinden. Als er hindurchsah, hatte sich das Grau des Morgens verfinstert, und die Welt war ein wenig dunkler geworden.
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„Donnerwetter“, sagte er überrascht. „Und das alles nennst du ein paar Sachen? Will, du mußt nicht immer so bescheiden sein. Das hier hat doch eine Unmenge Arbeit gefordert. Du hast wirklich an alles gedacht.“ Das bestätigte auch der ebenfalls überraschte Pater Flavius, der anerkennend nickte. „Hervorragend“, lobte er, „wirklich hervorragend und vortrefflich. Eine derartige Ausrüstung wollte ich vorschlagen. Nun ist das nicht mehr erforderlich, der Mann hat wirklich an alles gedacht.“ Jetzt stand er doch im Mittelpunkt, der alte Segelmacher, denn die ganze Meute scharte sich um ihn und sah sich begeistert die Sachen an, die er geschaffen hatte. Da wurde nicht mit Lob gegeizt, bis Will Thorne vor Rührung die Tränen in die Augen traten. „Es ist doch nichts Besonderes“, wehrte er ab, „ich habe nur ein bißchen überlegt und die Kameraden gedanklich auf ihrem schweren Marsch begleitet. Und da dachte ich: Na, die werden ganz schön frieren, hast ja Zeit genug, Will, und kannst ihnen die entsprechenden Sachen schon mal nähen und anfertigen.“ Es wurde ziemlich still auf dem Deck der „Estrella“, denn alle blickten auf Will Thorne, und ganz besonders gerührt waren jene, die sich noch an Bord befanden und denen der lange Marsch bevorstand. Schneebrillen! Kein Mensch hätte auch nur im Traum daran gedacht. Aber der alte Will hatte sich hingehockt und darüber nachgegrübelt, und dann hatte er diese Brillen angefertigt, in stundenlanger einsamer Arbeit. „Da ist noch etwas, Sir“, begann er zaghaft. „Vielleicht erinnerst du dich noch daran, daß Tom Coogan und ich für die Überquerung des Isthmus von Panama Felleisen angefertigt haben. Davon haben wir noch eine ganze Menge.“ „Ja, die wären überaus praktisch und nützlich.“ „Ich habe mir erlaubt, die Felleisen noch etwas zu verstärken und habe noch ein paar
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weitere Außentaschen und Innenfächer eingenäht. Jetzt halten sie eine ganze Menge aus, und man kann die Ausrüstung bequem darin unterbringen.“ Auch daran hatte er gedacht! Es war nicht zu fassen, dachte Ben. Die anderen vertrieben sich ihre Freizeit mit Würfelspielen, Erzählen oder Dösen, aber der gute Geist des Schiffes war unermüdlich an der Arbeit und stellte Überlegungen an, was man alles noch besser machen könne. Die Felleisen konnten an breiten Ledergurten bequem auf dem Rücken getragen werden. Damit hatten die Männer die Hände frei, was in den oberen Regionen ein unschätzbarer Vorteil war. Der Pater fand alles prachtvoll, was dieser alte Mann da geschaffen hatte. Er fragte sich, warum er überhaupt als „Berater“ mitgegangen war, denn hier gab es nicht viel zu beraten. Der zurückhaltend wirkende Segelmacher hatte wirklich an alles gedacht. Die Ausrüstung wurde aus der Last geholt, ebenso die Felleisen. „Die Männer bedanken sich alle bei dir, Will“, sagte Ben über die Schulter. „Du hast ihnen einen unschätzbaren Dienst geleistet, denn gerade die Kleinigkeiten wie Schneebrillen sind es, die ...“ Er drehte sich um. Seine Worte waren ungehört verhallt. Will Thorne wollte keinen Dank, er hielt es für seine Pflicht, was er getan hatte, und so war er still und heimlich nach unten gegangen. „Wenn wir den nicht hätten“, sagte Gary Andrews, der ebenfalls zum Potosi-Trupp gehörte, „dann hätten wir schon ein paarmal wirklich einpacken können.“ „Ja, der gute Geist des Schiffes oder der Mannschaft“, meinte der Schwede Stenmark, „der denkt an alles.“ Inzwischen wurde die Liste durchgegangen und alles in die große Jolle gebracht, was an Ausrüstung gebraucht wurde. „Keine Musketen?“ fragte auch Ben. „Oder hat Hasard vergessen, das aufzuschreiben?“
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„Das habe ich auch gefragt, aber er will keine. Nur Pistolen und Entermesser. Alles andere ist unhandlich und hinderlich.“ „Ja, da hat er recht. Hat er noch etwas angeordnet?“ „Klar, ich soll euch jede Menge Grüße ausrichten, auch vom Profos, der sich wieder mal um die Viecher sorgte. Am liebsten hätte er Sir John mitgenommen, aber dann friert er sich ja ein paar Federchen ab; und das wäre mehr als schlimm.“ „Ja, das wäre sehr schlimm“, sagte Ben lächelnd. „Es wird eine verdammt lange Wartezeit werden, bis der Trupp wieder zurück ist.“ „Wie steht es mit Handschuhen, Mützen, Proviant und so weiter?“ fragte Ben. „Das steuert das Kloster bei“, sagte der Pater. „Das ist alles bereits zwischen uns besprochen worden. Wir stellen auch das Verbandszeug und was noch an Kleinigkeiten benötigt wird.“ Der Kutscher erschien und drückte Smoky eine kleine Kiste in die Hand. „Verbandszeug kriegen wir von den Padres“, sagte Smoky. „Das habe ich mit Freude zur Kenntnis genommen. Aber das hier ist mehr als innere Medizin gedacht“, setzte er grinsend hinzu. „Ein gewisser Mister Carberry dürfte darüber hocherfreut sein - und nicht nur er, ein paar andere auch noch.“ „Ein Wässerchen?“ fragte Smoky und schnüffelte wie ein Jagdhund. „Mann, das werden wir brauchen können.“ Er rieb sich in der Vorfreude auf das Wässerchen schon die breiten Pranken. „Soviel mir bekannt ist“, entgegnete der Kutscher, „gehörst du zu der Truppe, die die Potosi-Männer ins Tal bringen, aber nicht zu den anderen. Oder hat sich das geändert?“ „Nee, hab ich ganz vergessen“, sagte Smoky. „Ich dachte nur an das Wässerchen.“ „Schon manch einer hat an nichts mehr nach einem Wässerchen dieser Art gedacht. Wenn du dich an der Kiste vergreifen solltest, dann kriegst du einen
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festen Stammplatz auf der glühenden Herdplatte.“ „Werd's mir merken“, sagte Smoky. Jean Ribault hatte unterdessen ebenfalls Ausrüstungsgegenstände in die Jolle bringen lassen, denn von seiner Crew gehörten außer ihm selbst noch Fred Finley und Mel Ferrow zum Potosi-Trupp. Decken und Segeltuchplanen zum Biwakieren waren bereits weggetaut worden. Der größte Teil der Ausrüstung befand sich jetzt in der Jolle. Inzwischen war es längst Mittag geworden. Als Smoky einen Blick in die Jolle warf, zuckte er zusammen. „Da haben wir ganz schön was zu schleppen“, murmelte er. „Und das alles immer am Fluß entlang, denn sehr weit können wir ihn nicht hinaufsegeln oder pullen.“ „Das Flüßchen hinauf“, sagte Matt Davies, „was ist das schon! Ein Klacks gegen die Berge. Da werden wir noch ganz anders schleppen müssen.“ Am Nachmittag waren die „PotosiMänner“ fertig. Alles war noch einmal verglichen und durchgegangen worden. Jeder hatte seine Pistole einschließlich Pulver und Munition dabei. Insgesamt bestand der Trupp aus elf Männern. Hasard, Dan O'Flynn, Pater David, der Profos und Karl von Hutten waren schon oben. Jetzt folgten Jean Ribault, Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark, Mel Ferrow und Fred Finley. Jan Ranse wurde von Jean Ribault als stellvertretender Kapitän für die „San Lorenzo“ eingesetzt. Dann begann die Verabschiedung von den Kameraden, denen eine lange Wartezeit bevorstand, wie Ben schon gesagt hatte. Alle reichten sich die Hände, klopften sich auf die Schulter oder pflaumten sich gegenseitig mit kleinen Witzchen an, wie es ihrem Naturell entsprach, um ihre Rührung zu verbergen. Dann legte die Jolle ab. Das Segel wurde gesetzt. Später, wenn der Fluß wieder reißender wurde, würden sie noch zusätzlich pullen müssen.
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Die Männer der „San Lorenzo“ und der „Estrella de Malaga“ sahen der Jolle so lange nach, bis sie um die erste Flußbiegung verschwunden war und nur noch für kurze Zeit das helle Segel durch das Buschwerk schimmerte. Sie starrten auch dann noch dahin, als es nicht mehr schimmerte. Die Kameraden waren weg, aufgebrochen zu einem abenteuerlichen Unternehmen, von dem niemand vorhersagen konnte, wie es wohl ausgehen mochte. Jetzt begann die lange und ungewisse Wartezeit. 6.
In der Frühe desselben Morgens war auch Hasard mit dem Profos, Dan O'Flynn, Karl von Hutten und Pater Aloysius aufgebrochen, um die Zugänge zum Tal zu zerstören. Aber an diesem Morgen war auch noch ein anderer Trupp unterwegs. Es war ein zehnköpfiger wilder spanischer Haufen unter der Führung eines noch wilderen Teniente, der seinen Soldaten stets als „leuchtendes Beispiel“ voranzugehen pflegte. Er hieß Pedro de Garrida, und er unterschied sich von dem getöteten Teniente de Mescua nur dadurch, daß er älter, ausgekochter, abgebrühter und gemeiner war. Er war mit seinen üblen Kerlen von Arica aus bereits losgezogen, noch bevor de Mescua die Order erhalten hatte, die Padres von Tacna „auszuheben“. De Garrida nannte es „Affen fangen“, und seine Kerle hieben in die gleiche Kerbe, denn unter seiner Führung durften sie sich einiges herausnehmen, was sie auch großzügig ausnutzten, denn sie hatten ja ein „leuchtendes Vorbild“ so ganz nach ihrem Geschmack. Alle zehn Mann waren seit zwei, drei Tagen nicht mehr rasiert, und jetzt wucherten wilde Bartstoppeln in ihren Gesichtern. Der Teniente wirkte dadurch noch furchteinflößender und abstoßender. Dazu gesellten sich sein kalter Froschaugen-Blick und die plattgehauene
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Nase, die er sich in etlichen Faustkämpfen redlich erworben hatte. Das „Affen fangen“ bezog sich auf die Indios, die dringend als Nachschub in den Minen von Potosi erwartet wurden. Der Provinzgouverneur von Potosi, Don Ramon de Cubillo, war besorgt darüber gewesen, daß sich die Sklaven so schnell dezimierten. Außerdem wartete er immer noch auf den ehrenwerten Senor Carrero, der sein Leben in der Vorpiek der „Estrella“ fristete und folglich keine Sklaven bringen konnte. Inzwischen war der Silberabbau merklich ins Stocken geraten, und jetzt wurde man höheren Ortes nervös. Der Gouverneur hatte den Bürgermeister von Arica angepfiffen, für Nachschub zu sorgen, falls er seinen Posten behalten wolle. Und der Bürgermeister wiederum hatte den Hafenund Stadtkommandanten angeblasen, gefälligst für Nachschub zu sorgen, und zwar auf der Stelle. Der wiederum hatte in aller Eile Trupps losgeschickt, die den Auftrag hatten, jeden brauchbaren Indio aufzugreifen und nach Potosi zu bringen. In der Order hatte ferner gestanden, man möge sich auch nicht scheuen, gewisse „Betbrüder“ aufzugreifen, die sich gegen das Requirieren von Sklaven stellten und somit gegen den König von Spanien arbeiteten. Der zwölfköpfige Trupp war jedoch vollständig aufgerieben worden und würde ebenfalls keine Sklaven mehr bringen. Jetzt war der Teniente unterwegs, und der hatte die Absicht, so hart wie nur möglich gegen die „Affen“ vorzugehen. Jeder Indio war schließlich so gut wie bares Geld. Den Begriff „brauchbare Indios“ legte er ebenfalls sehr großzügig und nach eigenem Ermessen aus. So lange einer noch kriechen konnte, war er auch brauchbar. Die Hauptsache, es kam genügend „Material“ nach Potosi. Zudem hatte man in den kleinen Fischerdörfern noch seinen Spaß und sein Vergnügen, denn da gab es junge IndioMädchen, die zwar abgeneigt waren, aber nicht gefragt wurden. Sie konnten sich ohnehin nicht zur Wehr setzen.
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De Garrida grinste vor sich hin, während der Trupp in lockerer Formation dahinmarschierte. „Wo geht's denn überhaupt hin, Teniente?“ fragte der Sargento Murello, ein Kerl, der seinem Vorgesetzten an Gemeinheiten in nichts nachstand. „Nur noch ein paar Meilen, dann sind wir da. Nördlich von Arica gibt es eine Ansammlung von Hütten an der Küste. Die Kerle dort sind Fischer, kräftig und sehnig, genau das Richtige für uns. Es sind leider nur vier oder fünf Familien, aber Kleinvieh macht ja auch Mist.“ „Ja, das stimmt“, pflichtete der Sargento bei. „Na, die paar Affen sacken wir doch ohne Gegenwehr ein.“ „Womit sollen die sich denn wehren - mit Holzprügeln?“ Der Teniente lachte abfällig. „Das Pack soll froh sein, wenn es nützliche Arbeit in den Minen verrichten kann. Die sind doch sowieso nutzlos und fressen uns nur die Fische aus dem Meer weg. Außerdem werden die Burschen in letzter Zeit oft renitent und widersetzen sich der Gefangennahme. Eine Unverschämtheit ist das.“ „Wofür man sie noch extra bestrafen müßte.“ Der Trupp marschierte weiter. Teniente und Sargento unterhielten sich über die „Affen“ und darüber, daß es eigentlich eine Schande sei, daß diese Wilden sich nicht freiwillig meldeten, um der spanischen Krone dienlich zu sein. Der Teniente fand es empörend, daß sie querbeet und unter großen Strapazen durch den Verhau mußten, um ein paar arbeitsscheue Kerle einzusammeln. Es ärgerte ihn maßlos, daß diese Kerle auch noch wagten, rechtzeitig zu verschwinden, um sich zu verstecken. Wenn einer der Indios flüchtete, scheuten sie sich auch nicht, ihn hinterrücks niederzuschießen, obwohl er der Krone dann schon gar nicht mehr dienlich sein konnte. Sie marschierten jetzt auf eine Landzunge zu. Noch etwa eine Meile, dann mußten sie die Indio-Hütten erreichen. „Stehenbleiben!“ befahl de Garrida mit heiserer Stimme.
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Der Trupp blieb stehen und sah den Teniente fragend an. „Keine laute Unterhaltung mehr. Wir müssen uns der Siedlung lautlos und unbemerkt nähern. Es passiert immer wieder, daß diese Affen Wachen aufgestellt haben, die die anderen rechtzeitig warnen. Dann haben wir uns umsonst bemüht. Wir brauchen aber Erfolge.“ Er zeigte auf einen Mann und winkte ihn aus der Gruppe. „Sie pirschen sich an das Kaff heran und sehen nach, ob irgendwo ein Beobachter steht. Meldung sofort an mich. Aber immer schön in Deckung bleiben, verstanden?“ „Verstanden, Teniente.“ Der Soldat pirschte sich auf die Landzunge zu und bewegte sich dabei dicht an den Büschen entlang, um nicht entdeckt zu werden. Die anderen zogen sich ebenfalls weiter vom Strand zurück und warteten. Dabei behielten sie die Landzunge scharf im Auge. Aber dort rührte sich nichts. Offenbar waren die Indios völlig ahnungslos, was sich in ihrer unmittelbaren Umgebung tat. Nach einer Weile kehrte der Soldat wieder zurück. „Wie sieht es aus?“ „Fünf Hütten, Teniente. Sie haben keine Wachen aufgestellt. Die Hütten stehen ziemlich dicht am Wasser.“ „Wie viele Kerle?” „Etwa acht oder neun, soweit ich sehen konnte. In dem Kaff sind nur zwei alte Knacker, die anderen sind mit Booten draußen hinter der Landzunge und fischen.“ „Sehr gut. Wenn sie fischen, müssen sie ja auch einmal wieder zurückkehren. Dann werden wir sie kassieren. Können die Fischer uns von See aus sehen, wenn wir bei den Hütten sind?“ „Nein, sie fischen hinter der zweiten Landzunge.“ „Noch besser“, sagte de Garrida grinsend. „Dann werden wir den Affen mal einen Besuch abstatten. Ich habe Hunger und Durst, und euch wird es ähnlich ergehen.“
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Sie bestätigten alle grinsend, daß sie ebenfalls Hunger und Durst hätten. Der Teniente ließ sich erklären, wo und in welcher Anordnung die Hütten standen. „Dann schlagt euch in die Büsche. Wir überfallen sie von der Landseite her, damit die Fischer nicht gleich aufmerksam werden. Sie sollen ruhig ahnungslos bleiben, dann ist die Überraschung umso größer.“ Er sah in stoppelbärtige erwartungsvoll und dreckig grinsende Gesichter. Die Kerle brannten schon darauf, die Indios zu vereinnahmen, und nicht nur das. Es würde wieder die übliche Tour beginnen. Der zehn Mann starke Trupp schlug sich in die Büsche und marschierte an der Landzunge vorbei. Etwas später gingen sie in breiter Formation auf die Hütten zu. Die Indios waren völlig ahnungslos. *
Als die Indio-Frauen aufblickten, war es bereits zu spät. Die Hütten waren umstellt. Ein paar Hühner flatterten aufgescheucht über den kleinen Platz, ein Junge starrte die unrasierten Kerle aus großen braunen Augen ängstlich an. Auf dem Platz zwischen den Hütten wurde in einer steinernen Mulde Mais zerrieben. Jetzt wurde die Arbeit unterbrochen, und ein junges Indio-Mädchen wollte flüchten. De Garrida griff zu und riß sie zu Boden. Zwei alte Männer hockten teilnahmslos auf einem Stein und starrten auf die gestampfte Erde. Zu alt, entschied de Garrida. Die konnten nicht einmal mehr aus eigener Kraft laufen. Er sah an den ängstlichen Frauen und dem Jungen vorbei aufs Meer. Von hier aus konnte man die Fischer durch Buschwerk und Verhau weit draußen auf dem Meer sehen, wo sie mit Netzen fischten. Andererseits konnten die Fischer nicht sehen, was hier vorging. „Lassen wir uns erst einmal bedienen“, sagte de Garrida. Aus schmalen Augen musterte er das Indio-Mädchen, das sich wieder erhoben hatte und scheu an einer
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Hütte lehnte. „Bis die Kerle zurückkehren, wird eine Weile vergehen.“ Eine der Indio-Frauen fragte ihn, was sie hier wünschten. Ihre Hände zitterten, ihre Augen waren groß und rund wie die des Jungen, der unverwandt auf die wilde Horde starrte. „Ihr habt eure Schnauzen zu halten und gar nichts zu fragen“, fuhr de Garrida die ängstliche junge Frau an. Aufmerksam sah er wieder nach den Fischern, doch die hatten noch nichts bemerkt. Dann versuchte er die Hühner zu zählen. „Wie viele sind das?“ fragte er schließlich. „Fünfzehn Hühner“, sagte die junge Frau verstört. „Es ist alles, was wir haben.“ „Das dürfte auch reichen. Die Hühner sind beschlagnahmt, im Namen der spanischen Krone“, setzte er grinsend hinzu. „Na los, Leute, auf was wartet ihr noch? Ich denke, ihr habt Hunger?“ Die rohen Kerle ließen sich das nicht zweimal sagen. Fünf, sechs Mann sprangen auf und packten die flatternden und aufgeregt gackernden Hühner. Einer der Kerle ließ sie sich von den anderen reichen, legte sie auf den Stampfblock, hielt sie an den Beinen fest und köpfte sie. Die geköpften Hühner warf er auf einen Haufen. Manche flogen noch ohne Kopf weiter oder taumelten über den Platz. Zwei weitere Indio-Frauen waren erschienen und starrten entsetzt auf die Szene. Sie hatten Wasser geholt und hielten die Krüge noch in den Händen. „Rupft das Viehzeug und bratet es“, befahl de Garrida herrisch. „Und beeilt euch damit, sonst gibt's Ärger.“ Dann stieß er einen der alten teilnahmslos blickenden Männer an, der langsam zu ihm aufblicke. „Na los, du alter Affe! Rupf gefälligst mit! Du wirst den Viechern doch ein paar Federn ausreißen können.“ Der Alte verstand die Worte nicht, er begriff erst, als de Garrida ihm eins der getöteten Hühner an den Kopf warf und dabei das Gesicht grimmig verzog. Auch der andere Alte mußte Hühner rupfen. Auf dem friedlichen Platz sah es jetzt wild aus, seit die Spanier hier eingefallen
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waren. Da lagen Hühnerköpfe herum, da wurden Federn durch die Gegend geblasen, und alles war mit Hühnerblut besudelt. Die Indios hatten Angst und gehorchten. Niemand wagte auch nur aufzumucken. „Sehen wir uns mal die Hütten an“, sagte der Teniente. „Es müssen doch noch mehr Weiber oder Kinder hier sein.“ „Vielleicht haben sich auch noch ein paar Kerle versteckt“, meinte der Sargento, der hungrig zu den Hühnern schielte. Er ging zwei Schritte zu dem zitternden IndioJungen hinüber und ergriff ihn am Genick. „Du bist noch zu klein, du Scheißer. Aber du siehst aus, als wenn du dauernd flüchten wolltest. Versuche es nicht, sonst wird es dir verdammt dreckig ergehen.“ Das Kerlchen mit den braunen Augen lehnte zitternd und angstvoll an einem Baumstamm und hing kraftlos im schmerzhaften Griff des Sargento. Er stieß den Jungen mit einem Fluch von sich. Der Teniente war inzwischen mit einem Soldaten in eine Hütte gegangen und durchsuchte sie. Fünf Hütten gab es insgesamt, in die jetzt auch ein paar andere Kerle eindrangen. Sie waren kaum drin, als es auch schon schepperte und krachte. Geschirr wurde willkürlich zerschlagen. Aus einer Hütte flog unter dem Stiefeltritt eines Soldaten die halbe Rückwand heraus. Zwei weitere Soldaten brachten drei zitternde und total verängstigte Mädchen mit nach draußen und stießen sie auf den Platz. Eine von ihnen hatte ein schreiendes Kind umklammert. De Garrida grinste, als er einen Blick nach draußen warf. „Sieh an, da sind ja noch mehr schöne Kinder“, sagte er. Mit einem Fußtritt zerschmetterte er eine große Tonkruke. Honiggelbe Flüssigkeit lief durch die Hütte. Es war gepreßtes Öl, der Bedarf für die ganze Gemeinschaft. „Sauerei, verfluchte!“ schrie der Teniente und sah' auf seine verschmierten Stiefel. Ein weiterer Soldat tauchte in der Hütte auf. „Wir haben etwas gefunden, Teniente“, sagte er. „Aber ich weiß nicht genau, was es ist. Es riecht jedenfalls herrlich.“
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De Garrida verließ die Hütte und sah ein kleines Schwein, das schnüffelnd über den Platz strich. Nachdenklich blieb er stehen. Ein bösartiges Grinsen verzerrte sein Gesicht. „Pachamanca“, sagte er, „das gibt ein Festessen. Huhn, Schweinefleisch, Süßkartoffeln und Mais. Stecht das Vieh ab, so eine Mahlzeit lassen wir uns nicht entgehen.“ Auf Pachamanca waren sie alle scharf. Mais und Süßkartoffeln gab es genügend, die Indios hatten ja fleißig angebaut, und wenn hier noch ein Schweinchen herumlief, konnte das Mahl durchaus komplett werden. Einer der Kerle warf sich lachend über das junge Schwein, das vor Angst laut quiekte. Unter seinem Gewicht ging das Tier in die Knie. Dann folgte ein letztes entsetztes Quieken. Das Schwein zuckte noch ein paarmal, dann war es tot. „Gut so“, lobte de Garrida unter den Augen der entsetzten und verstörten Frauen. „Sie sollen Pachamanca daraus bereiten, aber mit viel Pfefferschoten.“ „Zu Befehl, Teniente.“ Der Kerl leckte sich schon genüßlich die Lippen und brüllte die Frauen an, sich gefälligst zu beeilen. De Garrida ging zu der anderen Hütte hinüber, um sich die „Entdeckung“ seines Soldaten anzusehen. Das Innere der Hütte glich bereits einem Trümmerhaufen, aber eine große Tonkruke war noch heil geblieben. „Öl ist das“, sagte der Teniente verächtlich und wollte gerade mit dem Stiefel zutreten, als ihm der eigenartige Geruch auffiel. Der Soldat hielt den Wachspfropfen der Kruke immer noch in der Hand. De Garrida beugte sich über die Kruke und schnüffelte. Dann verklärte sich sein Blick. „Das ist Pisco“, sagte er andächtig. „Gut abgelagerter Pisco.“ „Und was ist das, Teniente?“ „Ein Branntwein aus Trauben, ein guter Stoff, aber ein höllisches Gesöff, das es in sich hat. Gib mir mal die Schale drüben.“ Der Teniente goß etwas in die Schale, nahm sie dann und trug sie hinaus, wo die
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beiden alten Männer hockten. Sie waren mit dem Rupfen fertig. De Garridas wilde Kerle hatten auch schon das Schwein ausgenommen, und der Platz ähnelte jetzt einer vorzeitlichen Opferstätte. „Sauf das“, befahl er dem einen Alten. Der Alte nahm mit zitternden Fingern vorsichtig die Schale entgegen und blickte furchtsam. „Warum soll er das saufen?“ fragte der Sargento Murello. „Das ist doch viel zu schade für den Opa.“ „Ich habe meine Gründe“, sagte de Garrida hart. „Hier waren schon einmal Landsleute von uns und haben Hühnerchen gerupft. Diesen Affen traue ich aber zu, vergifteten Schnaps so hinzustellen, daß wir ihn finden und trinken. Und wenn wir das getan haben, sind wir mausetot, und die Affen lachen sich krank.“ „Na, dann wollen wir mal sehen, ob sie den Opa opfern“, meinte der Sargento. „Wir sollten auch die anderen probieren lassen. Da, den jungen Bengel da. Herkommen!“ brüllte er. Der Alte trank nach einem weiteren Rippenstoß de Garridas. Er trank nur kleine Schlucke, hustete dann aber so, daß ihm fast die Luft wegblieb und er sich schüttelte. Der Junge trat verschüchtert näher. Auch ihm wurde die Schale gereicht, aber er schüttelte ablehnend den Kopf. „Sehr seltsam“, meinte de Garrida. Er stand auf und gab dem Jungen eine harte Ohrfeige, die ihn bis an den Baum zurücktrieb. Als eine der Indio-Frauen sich dazwischenwerfen wollte, erhielt sie einen harten Tritt. Der Junge trank schluckend wie ein verängstigter Spatz. Der Teniente beobachtete ihn scharf und ihm entging nicht, daß der Junge immer wieder aufs Meer hinaussah. Die Fischer hatten anscheinend noch nichts gemerkt, denn sie warfen immer wieder ihre Netze aus. Sie waren so weit draußen, daß sie nur als winzige Gestalten zu erkennen waren. Ein etwa sechzehnjähriges Mädchen mußte ebenfalls trinken. De Garrida musterte sie dabei mit lüsternen Blicken. Die Kleine
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war hochgewachsen, schlank und hübsch, hatte rehbraune Augen und ein ebenmäßiges glattes Gesicht. Er grinste sie an und hielt sie fest, während sie von dem scharfen Zeug trank. Dabei begann er zu tätscheln. Als sie zurückzuckte vor der plattgehauenen Nase, dem stoppelbärtigen Gesicht und dem gemeinen Ausdruck darin, lachte er roh und stieß sie von sich. „Gib nur acht, daß du nicht auch noch gerupft wirst, mein Täubchen“, verkündete er heiser. Die Soldaten hatten Matten, Decken und Kissen aus den Hütten gezerrt und biwakierten mitten auf dem kleinen Dorfplatz mit den zwei Feuerstellen. Die Frauen, waren damit beschäftigt, gesenkten Blickes das zuzubereiten, was die ehrenwerten Senores wünschten. Sie hofften nur, von den Kerlen nicht weiter belästigt zu werden. „Der Pisco ist gut“, sagte der Teniente, „sonst wäre der Alte oder der Lümmel längst aus den Latschen gekippt. Wir können ihn also probieren, sozusagen als Appetitanreger.“ Einer der Soldaten schleppte die Kruke herbei. Dann suchten sie in den Hütten nach gebrannten Tonschalen und wurden fündig. Sie gossen sich die Schalen voll und hielten sie hoch. „Salud, soldados!“ rief der Teniente. Die Kerle prosteten zurück und soffen genauso wie ihr Teniente, der immer wieder mit gutem Beispiel voranging. Der Pisco, aus Trauben vergoren und danach zweimal gebrannt, hatte es in sich. Er war so scharf wie der Cachassa, den sie im Hochland von Brasilien brauten, und er zeigte auch schnell Wirkung. Nach der dritten oder vierten Schale kriegten die meisten den glasigen Blick und wurden ausfallend. Das Tier in ihnen erschien jetzt, der innere Schweinehund, der ohnehin bei ihnen dicht unter der Haut saß. Der Teniente stand auf und ging mit glasigen gierigen Augen zu der Feuerstelle
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hinüber, wo die Frauen immer noch mit Backen und Dünsten beschäftigt waren. Er zog das junge Indio-Mädchen von hinten an sich und umklammerte ihre Brüste. „Los, wir gehen mal zur Hütte“, sagte er mit schwerer Zunge. „Nachher kannst du weiter dein Zeug braten.“ Die Kleine entwischte ihm jedoch geschickt und befreite sich aus der Umklammerung. Mit hochrotem Kopf ging sie ein paar Schritte weiter zur anderen Seite des Herdes. Wegzulaufen traute sie sich nicht, aber sie bewegte sich leichtfüßig und flink um den Herd herum, sobald der Don in ihrer Nähe aufkreuzte. Die Kerle lachten roh und hieben sich auf die Schenkel, während de Garrida mit knallrotem Schädel das Mädchen zu fangen versuchte. „Lacht nicht, ihr blöden Hunde!“ rief er. „Bringt mir lieber was zu trinken.“ Sie brachten ihm eine weitere Schale, deren scharfen Inhalt er gierig schluckte. Dabei schwankte er von einer Seite zur anderen, dann wieder vor und zurück. Auch die anderen soffen weiter und wurden immer ordinärer. Die Indio-Frauen hatten kaum noch Ruhe vor ihnen, und auch die beiden alten Männer wurden ständig angepöbelt. Die paar Kinder, die noch da waren, hatten sich ängstlich in die Hütten verkrochen oder waren in das nahe Buschwerk gelaufen. Nur der Junge mit den braunen Augen stand immer noch an dem Baum und blickte aufs Meer hinaus, wo sein Vater mit den anderen zum Fischen war. Er wünschte sich sehnlichst, daß sein Vater und die anderen Fischer etwas merkten und zurückkehrten. Vielleicht verschwanden diese rohen und brutalen Kerle dann endlich. Er nahm sich jedenfalls vor. sie zu alarmieren, sobald das möglich war. Er wußte nicht, daß diese Kerle nur auf die Rückkehr der Fischer lauerten, um sie als Sklaven nach Potosi zu verschleppen. Er hatte nur gesehen, daß sie die Hühner und das Schwein geschlachtet hatten, daß sie immer wieder tranken und dabei gleichzeitig gewalttätiger wurden. Das
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alles ging noch nicht so richtig in seinen Kopf hinein, er war noch zu jung, um alles zu verstehen. Vor längerer Zeit waren schon einmal Leute mit Kupferhelmen und funkelnden Brustpanzern hier gewesen, aber sie waren wieder abgezogen, weil die Fischer nirgends zu finden waren. Auch sie hatten wüst gehaust und die Alten geschlagen. Der Mann mit den fürchterlichen Bartstoppeln und der platten Nase näherte sich ihm und blieb vor ihm stehen. Sein Atem roch ekelhaft, und er griff hart nach seiner Schulter. „Ich beobachte dich schon lange“, sagte der Teniente. „Wenn du etwas im Schilde führst, dann reiße ich dir den Kopf ab. Du gefällst mir nicht, du schmieriger Lümmel.“ Der Kleine duckte sich zitternd, sah die Bartstoppeln des großen Mannes ganz dicht vor sich, als der sich niederbeugte und an seinen Ohren kräftig zog. Dann gab er ihm einen Stoß und torkelte davon, auf den Herd zu, an dem schweigend die Frauen das Essen zubereiteten. De Garridas Augen funkelten. Er warf einen begehrlichen Blick auf das Mädchen, tat dann aber so, als wollte er in den Kessel sehen. Dann griff er blitzschnell zu und packte den Arm des Mädchens so hart, daß es sich nicht mehr aus dem Griff befreien konnte. „So, mein Täubchen“, grölte er, „jetzt wird es Zeit für uns! Die anderen Senoras kriegen das schon allein hin.“ Zehn Mann sahen grinsend und gespannt zu, wie der Teniente das schreiende Mädchen mit sich fortzog. Sein Ziel war eine der letzten Hütten auf der Lichtung. Als das Mädchen noch lauter schrie, strampelte, mit den Beinen um sich stieß und sich wie wild gebärdete, legte de Garrida ihr die Hand auf den Mund und erstickte ihr Geschrei. Sargento Murello grinste lüstern und schmierig. Aus halbgeöffneten Augen sah er sich die anderen Frauen am Herd an. Eine zitterte so vor Angst, daß sie kaum noch stehen konnte. Eine zweite sah sich voller Panik nach allen Seiten um, während
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sich die dritte entsetzt über den Herd beugte und vor Angst so tat, als sei nichts geschehen. De Garrida griff noch einmal hart und erbarmungslos zu, als die Kleine sich erneut zur Wehr setzte. Er packte sie um die Hüften und zog sie mit sich fort in die Hütte. Ein harter klatschender Schlag war zu hören, dann folgte ein heiseres Wimmern. „Gar nicht so schlecht vor dem Essen“, sagte der Sargento. „Es ist ja auch noch nicht fertig. Na, dann wollen wir doch mal zur wilden Jagd blasen.“ Aus der Hütte, in der de Garrida mit dem Indio-Mädchen verschwunden war, klang ein wilder verzweifelter Schrei. Es war wie der Schrei eines Tieres in höchster Not. In der Hütte ging scheppernd etwas zu Bruch. Dann wurde es ruhiger. „Auf zur Jagd!“ rief der Sargento. Er war schon als erster auf den Beinen, rannte taumelnd auf die Feuerstelle zu und schnappte sich eine der Frauen. Als einer der alten Männer aufstand - offenbar wollte er trotz aller Angst eingreifen erhielt er einen Tritt, der ihn umstieß. Die Dons warfen sich auf die Frauen und zerrten ihnen alles herunter, was sie am Leibe trugen. Der Pisco ließ sie fast rasend werden, aber es hätte des Schnapses vermutlich gar nicht bedurft, um sie zu menschlichen Bestien werden zu lassen. Sie waren Bestien, sie hatten es immer wieder unter Beweis gestellt. Wieder klang aus der Hütte lautes Schreien. Dazu kam das Kreischen der Frauen auf dem Gemeindeplatz, die rücksichtslos vergewaltigt wurden. Dem Jungen am Baum wurde übel. Auf dem Boden prügelten sich die Frauen mit den Männern, doch die Frauen gaben schnell auf, denn die Kerle waren hart und rücksichtslos. In dem Jungen rastete etwas aus. Er hatte zwar noch die Worte des Stoppelbärtigen in den Ohren, aber er konnte das Schreien der geschändeten Frauen nicht länger ertragen.
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Der Stoppelbärtige war auch nicht da, der befand sich immer noch mit dem kreischenden Mädchen in der Hütte. Der Junge rannte los und begann aus aller Kraft zu schreien, so laut er nur konnte. Er rannte zum Strand, um die Fischer zu alarmieren, die immer noch nichts gemerkt hatten. Der Teniente hörte das gellende Geschrei des Jungen. Sein Gesicht lief vor Zorn dunkelrot an. Mit einem Satz war er aus der Hütte und riß die Pistole aus dem Bandelier. Da rannte doch tatsächlich dieser Bengel und brüllte so laut, daß es sicher bis aufs Meer zu hören war. Als ob hier nicht schon genug Gebrüll und Geschrei herrschten. Er sah den Jungen zum Strand laufen, knirschte in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen und setzte ihm ein Stück nach. Aber der Junge rannte schneller, viel schneller. Ihn trieb die Angst der Verzweiflung. Wenn er auskniff und die Kerle erwischten ihn, dann schlugen sie ihn vielleicht tot. Das hatte der wilde stoppelbärtige Kerl ja auch gesagt. So trommelten seine Beine ein rasendes Stakkato über den Sand. Und bei jedem Schritt schrie er seine Angst hinaus. Der Teniente sah ein, daß er ihn nicht mehr einholen würde. Er mußte nach Luft schnappen und war ausgepumpt. „Du verdammter Affen-Bastard!“ brüllte er heiser. Dann hob er die Pistole in Brusthöhe, zielte und drückte ab. Ein Schuß krachte überlaut. Ein feuriger Blitz raste aus der Waffe, ein Pulverwölkchen stand sekundenlang in der Luft. Der Junge hatte sich nur einmal umgedreht, dann aber erkannt, wer ihm folgte. Es war der Mann, der gedroht hatte, ihm den Kopf abzureißen. Jetzt rannte dieser Mann hinter ihm her. Der Junge empfand eine nie gekannte Angst. Einmal hatte er Angst empfunden, als er gesehen hatte, wie ein Puma ein zierliches Vikunja riß. Da hatte er geglaubt, die Raubkatze würde auch ihn zerfleischen und war in Panik davongerannt.
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Jetzt war das aber alles anders. Den Puma konnte man erschrecken, den Mann aber nicht. Wenn der ihn einholte... Er hörte ihn etwas schreien, rannte aber blindlings weiter. Und dann war alles plötzlich ganz hell. In seinem Rücken war ein dumpfer Schmerz, der sich über den ganzen Körper ausbreitete und alle Glieder taub werden ließ. Er wollte weiter nach seinem Vater schreien, doch er brachte keinen Ton mehr hervor. Es wurde auch alles so seltsam ruhig und still. Dann stolperte er, obwohl er über ebenen Boden lief. Der Boden flog ihm blitzschnell entgegen, er schlug ihm fast in das Gesicht. Ein letztes Mal sah er überdeutlich die Fischer in ihren Booten auf dem Meer. Sie schienen immer größer zu werden und sich ihm schlagartig zu nähern. Dann verwischten ihre Gestalten zu unwirklichen Schemen und lösten sich auf. Reglos blieb der Indio-Junge im Sand liegen. Er war tot. Weit hinter ihm aber steckte der Stoppelbärtige seine leergeschossene Pistole ins Bandelier zurück und sagte: „Hab ich mir doch gedacht, daß dieser kleine Affe auskneifen würde, um die anderen zu warnen. Noch einen Pisco. Männer, und dann treibt die Weiber mal zur Eile an. Ich habe mächtigen Hunger.“ Die schreienden Indio-Frauen wurden zusammengetrieben und mußten dafür sorgen, daß das Essen fertig wurde. Nicht einmal um den toten Jungen durften sie sich kümmern. * Das leise Geschrei hatte anfangs nur die Neugier der Fischer geweckt, die sich draußen auf dem Meer befanden. Dann fiel der Schuß, überdeutlich laut, und sie schreckten auf. Sie rückten mit ihren Booten dichter zusammen und blickten zum Strand hinüber. Zwischen den Büschen erkannten sie Helme und funkelnde Brustpanzer. Und
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jetzt, da sie sich darauf konzentrierten, hörten sie auch das Schreien deutlicher. „Die Spanier sind wieder da“, sagte ein Fischer mit grauem Gesicht. „Sie werden wieder Sklaven einfangen und nach Potosi bringen. wie sie das schon einmal versucht haben.“ „Die Spanier“, flüsterte ein anderer, als hätte er gesagt: Die Teufel persönlich. „Sie warten auf uns. Sie warten nur, bis wir an Land sind, dann überwältigen sie uns.“ „Sie werden unsere Frauen schänden“, sagte ein anderer. „Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als zurückzukehren.“ Der vierte Mann schüttelte den Kopf. Er hatte resigniert, denn was wollten sie schon gegen die Spanier ausrichten, die mit ihren Donnerbüchsen auf weite Entfernung alles töten konnten, was sie wollten. Sie selbst hatten nicht einmal Holzknüppel dabei. Er sagte das auch den anderen, die mit gesenkten Köpfen ins Wasser blickten. „Ich weiß, was sie den Frauen antun werden oder schon angetan haben. Trotzdem wäre es Wahnsinn, jetzt zurückzukehren. Wir können ihnen nicht helfen, wir können ihnen nur helfen, indem wir auf See bleiben und solange warten, bis sie wieder abgezogen sind.“ „Und wir wollen hier untätig abwarten?“ „Wollen nicht - wir müssen. Wenn sie uns einfangen, sind wir ein paar Wochen später in den furchtbaren Silberminen von Potosi. Und was nutzt das unseren Frauen? Sie sind dann allein mit den Kindern und Alten.“ „Und uns wird man zu Tode prügeln.“ „So ist es. Wie befinden uns in einer erbärmlichen Lage, aber wir können nicht anders handeln.“ Sie besprachen noch einmal ausführlich ihre Lage. Aber die war alles andere als rosig. Fest stand jedoch für alle, daß es wahnsinnig wäre, an den Strand zurückzukehren, denn damit war niemandem geholfen. Sie mußten diese lästigen Eindringlinge hinnehmen, ob sie wollten oder nicht. Sie wußten auch, daß die wilden Horden nicht nur ihre Frauen vergewaltigen würden. Sie würden auch die Ansiedlung
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verwüsten und das Vieh töten, ehe sie weiterzogen. Aber sie waren macht- und hilflos, sie konnten nichts tun als resignieren. Das war demütigend und erniedrigend und es fraß an ihren Seelen. Aber sie blieben draußen, ohnmächtig und verzweifelt, obwohl ihre Herzen bluteten. *
Als die Fischer am Abend immer noch nicht zurückkehrten, kriegte der Teniente einen Tobsuchtsanfall und schlug wahllos auf alles ein, was ihm im Weg stand. „Diese Bastarde!“ tobte er. „Die müßten längst genug gefischt haben und zurückkehren. Aber sie denken nicht daran.“ „Sie werden bemerkt haben, was hier vorgefallen ist“, sagte der Sargento, „und da haben sie die Hosen voll.“ Sie hatten sich die Bäuche vollgeschlagen, jetzt brach wieder das Verlangen nach den Frauen bei ihnen durch. „Die sind alle Freiwild“, erklärte de Garrida, „nehmt euch, was ihr kriegen könnt. Ich warte auf die Affen, und wenn ich die ganze Nacht lang warte bis zum Morgen. Einmal müssen sie an Land, das ist ganz sicher.“ Am späten Abend, als es längst dunkel War, kehrten die Fischer immer noch nicht zurück. Die Kerle fraßen den Indios auch noch den Rest weg und vergingen sich erneut an ihren Frauen. Das Heulen und Kreischen setzte wieder ein. Zwei Frauen war es gelungen, sich im Unterholz zu verstecken. Die anderen wurden von den Spaniern so scharf bewacht, daß keiner die Flucht gelang. Den Pisco hatten sie auch gesoffen, es war keiner mehr da, und so lärmten sie bis weit nach Mitternacht herum. Danach schliefen sie ihren Rausch aus, aber einer hielt Wache und paßte scharf auf, falls die Fischer heimlich zurückkehrten. In der Frühe des anderen Morgen erwachte der Teniente übellaunig und verkatert. Der Fusel hatte ihm ganz schön zugesetzt, und so war seine Laune auch entsprechend.
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Er ging zum Strand hinunter und steckte den Schädel ins Wasser. Seine Augen waren böse zusammengekniffen, als er sehr weit draußen die Fischerboote sah. Sie lagen dicht nebeneinander und dümpelten ein wenig in der ziemlich ruhigen See. Der Sargento war ebenfalls erschienen, auch verkatert, und kühlte seinen Brummschädel im Wasser. „Die Affen husten uns was“, brummte er, „die bleiben notfalls noch tagelang da draußen und warten, bis sie verhungern. Vielleicht haben sie auch Proviant für ein paar Tage mit, und wir können bis zum Jüngsten Tag hier auf sie warten.“ „Ich hab' auch die Schnauze voll“, sagte de Garrida. „Wegen der Handvoll Affen werden die Silberminen nicht zugrunde gehen. Wir hauen ab. Sagen Sie das den Leuten. Sie sollen sich sammeln.“ „Und wohin, Teniente?“ „Mir ist eingefallen“, sagte der Teniente gähnend, „daß im Tal von Tacna noch ein paar Affen hausen. Da gibt es auch ein Kloster mit frommen Brüderchen, Dort werden wir jetzt einmal zupacken.“ „Sehr gut.“ Der Sargento kehrte zurück und purrte die Kerle hoch, die verbiestert aus dem Schlaf gerissen wurden. „Hoch mit euch, wir marschieren weiter. Es geht nach Tacna zum Affengang.“ Kurze Zeit später war der zehnköpfige Trupp unter dem Teniente abmarschbereit. Die Indios hatten sich in ihren Hütten verkrochen. „Nehmt noch Proviant mit“, befahl de Garrida. „Und was wir nicht brauchen oder tragen können, das kippt ins Meer.“ Die Vorräte der Indios wurden geplündert. Ein paar Säcke Mais wurden zum Wasser getragen, auf geschlitzt und hineingeschüttet. Die Kruken mit den anderen Vorräten zerbarsten unter den Musketenhieben und streuten ihren Inhalt nach allen Seiten, in den die Soldaten hineintraten. Die scharfen getrockneten Pfefferschoten wurden ebenfalls ins Wasser geworfen. Das restliche Tongeschirr landete zerplatzend auf dem Boden. Zum Schluß
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erschoß einer der Soldaten noch einen kleinen Hund, der zwischen den Hütten herumstrich. Nur so, zum Spaß, wie er sagte. „Sollen wir nicht noch für ein bißchen Wärme sorgen, Teniente?“ fragte einer der Kerle. „Vielleicht frieren die Affen und können sich an ihren Hütten dann wärmen.“ „Nein“, sägte de Garrida, „das lehne ich ab. Nicht aus Gnade, aber das Feuer könnte uns verraten, und dann verschwinden die Tacna-Affen ebenfalls, und wir stehen wieder dumm da. Also vorwärts jetzt.“ Hinter sich ließen sie einen Ort der Verwüstung zurück. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld. 7. Am Mittag desselben Tages erreichte der Trupp unter Hasard die erste Hängebrücke. Ein kühler Wind wehte den Männern ins Gesicht, als sie anfangs sprachlos vor der Brücke standen. Selbst Carberry, der immer gern herumtönte, fehlten für lange Augenblicke die Worte. Es hatte ihm glatt die Sprache verschlagen. Staunend und fassungslos sah er sich die Konstruktion an. „Das ist die kleinste der drei Brücken“, sagte Pater Aloysius in die andächtige Stille hinein. „Sie ist nur etwa zwanzig Yards lang.“ Tief unter ihnen, nur noch zehn Yards entfernt, fiel eine Schlucht senkrecht ab. Sie bestand aus felsigem Geröll, Schroffen und spitzen Steinen. Ohne diese seltsame Hängebrücke war es so gut wie ausgeschlossen, die Schlucht zu durchqueren. Sie sahen sich die Brücke an, die im Wind etwas hin und her schwankte. Carberry stellten sich schon jetzt die Nackenhaare auf, wenn er daran dachte, auf diesem schwankenden, zerbrechlich wirkenden Ding gehen zu müssen. Dan O'Flynn ging es da nicht viel anders, denn alle beide konnten sich nicht vorstellen, daß dieses zierliche Etwas ein paar erwachsene Männer trug.
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Zwei dicke Taue hielten die Brücke, die mit einer Art Augspleiß über zwei fest im Boden verankerte pollerähnliche Dinger gelegt waren. „Das sieht aus wie 'ne waagerecht gespannte Jakobsleiter“, meinte der Profos beeindruckt. „Nur hat sie an den Seiten noch weitere Seile zum Festhalten. Dürfte ganz schön schwanken, was, wie?“ „Solche freihängenden Konstruktionen schwanken immer, sobald man sie betritt“, sagte der Pater, „das ist ganz normal. Bei Wind schwanken sie noch stärker.“ „Und die Brücke hält uns aus, Bruder? Na, ich habe da eine gewisse Skepsis zu überwinden. Wenn das eine Rah hoch oben auf einem Schiffchen wäre, ja - dann!“ „Sie hält schon seit Ewigkeiten, und sie würde noch lange halten, würden wir sie nicht zerstören.“ „Hoffentlich hält sie noch den Rückweg aus“, murmelte Ed, „mir wird ganz blümerant, Bruder Aloysius. Gibt's da nicht etwas dagegen, bevor man solche Dinger über- quert?“ „Ah, du meinst die Medizin, Bruder.“ „Genau - die gegen Bauchgrimmen.“ Bruder Aloysius griff mit einem leisen Seufzen nach der Medizinflasche gegen Bauchgrimmen. Hasard, O'Flynn und von Hutten sahen interessiert zu und staunten, daß der Profos es schon wieder mal geschafft hatte, dem Padre ein Schnäpschen aus dem Kreuz zu leiern. „Schnaps?“ fragte Hasard. „Des heiligen Vaters Öl“, erklärte der Profos, „so nennt man es jedenfalls im Kloster, nicht wahr, Bruder?“ Der Bruder nickte ergeben. „So ungefähr nennt man es.“ Carberry gluckerte einen, hielt dann die Flasche hoch und sah an ihr vorbei auf die hin und her schwingende Brücke. „Mein Gott, wird mir blümerant. Sagtest du nicht, Bruder, einer hilft nicht, und man muß immer gleich zwei nehmen?“ „Ja, das sagte ich.“ Ed gluckerte den nächsten und seufzte. „Jetzt noch vorsichtshalber einen gegen Gehirnsausen“, sagte er.
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„Dagegen hilft es leider nicht“, sagte der Padre und nahm ihm die Flasche weg. Er gab sie an die anderen weiter, und jeder lobte den würzigen Kräuterschnaps, der so herrlich wärmte. Hintereinander betraten sie die Brücke. Kaum hatten sie die ersten Schritte getan, begann die Brücke zu schwingen. Sie schwang sogar ganz beträchtlich, und man mußte sich an den in Hüfthöhe verlaufenden Tauen festhalten. Außerdem mußte man vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen, denn die „Planken“ der Hängebrücke waren nicht kalfatert, wie der Profos meinte und lagen mitunter weit auseinander, so daß man mit dem Bein schon mal hindurchstoßen konnte. „Geschafft“, sagte Carberry überflüssigerweise, als sie drüben waren. „So schlimm war das gar nicht.“ „Die dritte ist die schönste Brücke“, sagte der Pater, „und auch die längste, die die tiefste Schlucht überquert.“ Eine knappe Stunde später erreichten sie die zweite Brücke, und da begann Carberry wieder scheinheilig von seiner Blümeranz zu sprechen, und daß er sich schon angewöhnt habe, von jeder Brücke einen zu gluckern. Das sei ein äußerst beruhigendes Gefühl. so ein kleines Schlückchen vom Öl des heiligen Vaters. Diesmal schien Pater Aloysius allerdings Bohnen oder Wachspfropfen in den Ohren zu haben, denn er hörte einfach nichts, obwohl ihm das Öl des heiligen Vaters ganz sicher noch nicht ausgegangen war. „Wenn wir hier vor jeder Brücke einen saufen“, sagte Dan O'Flynn, „dann haben wir einen in der Krone. Außerdem sind das bei drei Brücken sechs Schnäpse.“ „Drei“, verbesserte der Profos. „Sechs“, beharrte Dan, „denn du schluckst ja immer gleich zwei.“ „Also sind es doch drei“, behauptete Ed, „weil einer ja sowieso nicht hilft. Frag doch Bruder Aloysius.“ „Das sind Spitzfindigkeiten.“ „Von wegen, das sind logische Tatsachen und nichts weiter als einfache Rechnungen.“
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„Wenn du also nur einen trinkst, dann hast du nach deiner Rechnung überhaupt nichts getrunken?“ „So ist es. Schließlich bin ich ein Gegner von Alkohol.“ „Ja, das merkt man jeden Tag.“ Die anderen grinsten, auch der Pater grinste. Die Kerle waren so ganz nach seinem Geschmack, besonders der hünenhafte und narbige Profos. Etwas später hatten sie auch die zweite Brücke überquert und bewegten sich auf einem steinigen Pfad weiter. Hasard sah noch einmal über die Schulter zurück und bedauerte lebhaft, diese genialen Konstruktionen zerstören zu müssen, nur weil sich ein paar raffgierige Dons in den Kopf gesetzt hatten. Sklaven für ihre Minen zu beschaffen. Der Teufel soll sie alle holen, dachte er. Durch ihr Verhalten würden einmalige und aufwendige Konstruktionen zerstört, mußten zerstört werden, um ihrem Treiben endlich ein Ende zu bereiten. Am Nachmittag war das Tosen eines Wasserfalles zu hören. Das laute Geräusch hing in den Bergen und kehrte als vielfältiges Echo von allen Seiten zurück. Da war ein Murmeln, ein Rauschen und dann ein Brausen, das die Luft in weitem Umkreis erfüllte. „Wir gelangen jetzt an die letzte Brücke“, erklärte der Pater. „Von Arica aus gesehen also an die erste. Hier ist die Konstruktion noch feiner und noch sorgfältiger errichtet worden. Hier waren Baumeister und Künstler am Werk, die etwas Großartiges und fast Einmaliges geschaffen haben.“ Der Pfad beschrieb eine kleine Biegung. Hohe Felsbrocken versperrten die Sicht, doch als sie die Biegung passiert hatten, sahen. sie die gewaltige Brücke und die Schlucht. Dreißig Yards war die Schlucht breit und etwa einhundertachtzig Fuß tief, wie der Pater sagte. Ganz unten in der Tiefe, wo es schon fast schummerig wurde, rauschte ein Wildwasser. Es toste mit hoher Geschwindigkeit dahin. Pater Aloysius hatte recht behalten. Das hier war wirklich die schönste und
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imposanteste der drei Hängebrücken. Vorsichtig traten sie näher an die Schlucht heran. Das Brausen des Wildwassers war jetzt noch lauter zu hören. Die Wände der Schlucht fielen senkrecht ab, genau wie auf der gegenüberliegenden Seite. Die Taue, die die Brücke hielten und ebenfalls über große „Poller“ liefen, waren so dick und mächtig, wie sie noch nie welche gesehen hatten. Es waren Riesenpoller, die die gesamte Konstruktion hielten. „Felssäulen aus Granit“, sagte Dan. „Sie sind rundgeschliffen und poliert. Diese Steine herauszuarbeiten, muß doch eine Heidenarbeit gewesen sein.“ „Das war es auch ganz sicher“, sagte der Pater, „eine unvorstellbare Schufterei, ganz zu schweigen vom Schleifen und Polieren dieser mächtigen Blöcke.“ Hasard und Dan befühlten den Granit. Er fühlte sich völlig glatt an. Auch Carberry tat es und kriegte große Augen. „Wie ein Kinderpopo“, meinte er treffend, „nur etwas kälter.“ Der Pater wunderte sich schon lange nicht mehr über die seltsamen Vergleiche dieses Mannes und nahm sie gelassen hin. „Ein Jammer, diese Brücke zerstören zu müssen“, sagte Hasard bedauernd. „Die Spanier werden Ewigkeiten brauchen, um sie wieder nachzubauen.“ Pater Aloysius winkte fast verächtlich ab. „Einmal zerstört, immer zerstört“, sagte er. „Die Spanier sind überhaupt nicht in der Lage, eine Hängebrücke nachzubauen. Konstruktion und Herstellung sind eine Technik für sich, deren Geheimnis die Spanier noch längst nicht gelöst haben. Sie werden es auch nie lösen, wie so vieles Rätselhafte aus der Inka-Zeit. Man hat nicht einmal die geheimnisvolle Sprache der Quipus, dieser eigenartigen Knotenschnüre gelöst. Ferner wissen die Spanier - und auch wir - nicht einmal, nach welchem Herstellungsverfahren die Seile und Taue dieser Brücken geschlagen und gegen Witterungseinflüsse präpariert wurden. Es ist immer noch ein Geheimnis, denn die Taue verwittern nicht. Sehen Sie
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sich diese gewaltigen Taue an, die um den Felsen laufen. Die sehen so aus, als seien sie gerade geschlagen worden.“ Hasard betrachtete mit seinen Männern den riesigen Augspleiß, der um den einen polierten Felspoller lief. Er untersuchte ihn von allen Seiten und konnte nur staunen. Das sah alles wie neu aus, als hätten die fremden Baumeister die Stätte ihres geheimnisvollen Wirkens gerade verlassen. Breit, wuchtig und mächtig spannten sich die Taue über die Schlucht mit dem tosenden Wildwasser. Dreißig Yards weit ging es hinüber zum anderen Ende. Eine andächtigte Stille entstand, während die Männer die Brücke betrachteten. Nur das Wildwasser tobte. Für Augenblicke schien es, als sei die Zeit stehengeblieben. Hasard sah im Geist die Männer vor sich, die diese geniale Konstruktion geschaffen hatten. Und das zu einer Zeit, in der noch nicht einmal sein Großvater das Licht der Welt erblickt hatte. „Nein“, sagte er leise, „ich glaube auch nicht, daß die Dons die Brücken nachbauen können. Ihnen geht es ausschließlich um die Ausbeutung des Inka-Reiches. Für ihre Techniken haben sie sich noch nicht interessiert.“ „Sehr richtig“, sagte der Pater. „Sie raffen nur zusammen, was sie kriegen können, um es nach Spanien zu bringen. Und mit diesem Silber, das sie hier ausbeuten, finanzieren sie weitere Kriege. Wie gut, daß es Männer wie euch gibt.“ Dan O'Flynn war ebenfalls ganz in den Anblick der Brücke versunken. In Gedanken wanderte er darauf über die Schlucht, dann den schmalen Pfad auf der anderen Seite entlang, wo hohe Felsblöcke standen, und dann... Seinen scharfen Augen entging nicht die Bewegung hinter einer der Felsnasen. „Da nähert sich jemand“, sagte er leise, „ich glaube, ich habe eben einen Helm funkeln sehen.“ Hasard blickte überrascht zur anderen Seite und sah sie auch noch, ehe sie hinter einer Biegung verschwanden.
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„Das sind spanische Soldaten. Schnell in Deckung hinter die Felsen, Ganz ruhig verhalten.“ „Was tun wir?“ fragte von Hutten. Hasard hatte sich blitzschnell entschieden. „Wir lassen sie über die Brücke und nehmen sie einzeln in Empfang. Sie müssen ja diesen Pfad benutzen, es gibt keinen anderen.“ Was sich auf der anderen Seite näherte, war der zehnköpfige Trupp unter dem Tenienten de Garrida. Sie waren jetzt Ewigkeiten marschiert und ständig bergan gestiegen. Jetzt waren sie ausgelaugt und erschöpft, und für ihre Umgebung hatten sie keinen Blick übrig. Sie starrten müde zu Boden, setzten einen Fuß vor den anderen und sahen erst auf, als die gewaltige Brücke vor ihnen auftauchte. „Das ist die erste dieser Scheißbrücken“, sagte der Teniente. „Es folgen noch zwei solcher primitiver Schaukeldinger.“ Die Soldaten waren stehengeblieben und blickten mißmutig auf das „primitive Schaukelding“. „Ich trau diesen Dingern nicht“, knurrte der Teniente, „die sind von höchst fragwürdiger Qualität. Aber wir müssen da hinüber, es gibt keinen anderen Weg.“ „Alle auf einmal?“ fragte der Sargento. Er hatte Angst, wenn er dieses Ding nur sah, und hätte gern gekniffen, doch das war leider unmöglich. „Nein, jeweils nur zwei Mann, mehr auf keinen Fall, sonst bricht der ganze Krempel vielleicht zusammen. Also los, die ersten zwei Mann gehen jetzt los. Schön festhalten und aufpassen.“ Da keiner freiwillig vortrat, selbst der Teniente traute ja diesen verdammten Schaukeldingern nicht, wurden die ersten beiden Männer bestimmt, die die Brücke überqueren sollten. Sie waren jetzt gar nicht mehr müde oder erschöpft. Sie hatten nur noch Bammel, wenn sie in diese fürchterliche Schlucht mit dem reißenden Wasser blickten. Dementsprechend vorsichtig bewegten sie sich auch. Mit halbgeschlossenen Augen, um ja nicht in die schreckliche Tiefe blicken zu müssen, schlichen sie über die
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Brücke, die ganz sanft zu schaukeln begann. Dem Teniente lief es schon jetzt eiskalt über den Rücken, als er sah, wie das Ding zu schwingen begann und die mächtigen Taue durchhingen. „Besser konnte es gar nicht sein“, sagte in diesem Augenblick der Profos hinter den Felsen. „Der Bastard schickt jeweils nur zwei Mann über die Brücke. Da können wir die Kerle prächtig abräumen.“ „Aber lautlos, wenn ich bitten darf, damit die anderen nicht aufgescheucht werden und Verdacht schöpfen.“ Drüben hatte sich der Teniente auf den Boden gehockt und starrte den beiden Kerlen nach, die über die Brücke hampelten und unendlich erleichtert den Pfad betraten. „So ein Scheißding“, sagte der eine Don, „mir zittern noch jetzt alle Knochen.“ „Das wird gleich aufhören“, murmelte Ed. „Zitterlinge können wir hier nicht brauchen.“ Seine Rechte schoß vor, dieses Ding, das einem Amboß glich und mit der Wucht eines Zwanzigpfünders abgefeuert wurde. Das war der berüchtigte „Profos-Hammer“. Er war nach dem Kinn des Spaniers gezielt, denn die Dons trugen über der Brust ihren Schwartenschoner, wie Ed die Rüstung zu bezeichnen pflegte. Der Hammer traf mit unglaublicher Wucht, wobei der Profos wie ein Wolf grinste. Der Don flitzte nur so über den Pfad, überschlug sich zwischen den Felsen und blieb reglos mit ausgebreiteten Armen liegen. Erfahrungsgemäß reichte der Profos-Hammer immer für eine gute halbe Stunde traumhafter Erholung. Der zweite Don, der nur eine gewaltige Faust durch die Luft fliegen sah, stierte noch verwundert, aber dann traf ihn der Hieb mit dem Kolben einer Pistole von Dan O'Flynn, und er sackte bewußtlos zusammen. Noch im Zusammensacken gab ihm Pater Aloysius einen Tritt in den Achtersteven, daß er bis zu seinem Kumpan hinüberflog. Der Pater drehte sich grinsend zu Ed um. „Du schlägst eine mächtige Kelle, Bruder.“
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„Und du trittst einen gewaltigen Stiefel“, meinte der Profos, wobei er bis über beide Ohren grinste. „Das gibt für mich mindestens noch fünf gut durchwachsene Hämmer.“ Von Hutten schleifte die beiden abgeräumten Kerle weiter hinter die Felsen, damit die anderen sie nicht vorzeitig entdeckten. Dann sahen sie erwartungsvoll zu, wie die beiden nächsten Dons sich anschickten, ängstlich die Brücke zu betreten. Die beiden waren ebenfalls am Flattern und kreidebleich, als sie endlich auf dem Pfad standen. Sie gingen ein paar Schritte weiter, nur um diese höllische Schlucht und die schwingende Brücke nicht mehr sehen zu müssen. Das war wie ein Zwang bei ihnen, denn keiner blieb am Abgrund stehen, um auf die anderen zu warten. Der Hasard-Truppe war das nur recht, auch daß die Dons immer nur zwei Mann herüberschickten. So konnten sie die Kerle paarweise in aller Ruhe abräumen. Hinter dem einen Felsen lauerte O'Flynn, hinter dem gegenüberliegenden stand grinsend der Profos und rieb in der Vorfreude schon seine „mächtige Kelle“. „He, wo seid ihr?“ rief der eine Spanier und suchte auf dem schmalen Pfad die beiden anderen. „Na, hier doch, du Zausel“, sagte Ed. Sie brauchten keine Angst haben, gehört zu werden, denn das Tosen des Wildwassers überlagerte jedes andere Geräusch. Der Don zuckte zusammen, sah nur noch ein wildes narbiges Gesicht, das ihn grinsend anstarrte und schluckte dann den Profos-Hammer, der ihn fast aus den Stiefeln hob. Auch er flog zwischen die Felsen und blieb neben den anderen liegen. Der zweite Don kapierte überhaupt nicht, was hier lief, denn erst klopfte ihm etwas an den Helm, und als er sich umdrehte, klopfte es weiter südlich an seiner Schläfe. Er kriegte glasige Augen und brach bewußtlos zusammen. Die ersten vier waren abgeräumt. Die beiden nächsten folgten, ohne daß die Dons das geringste bemerkten. Sie warfen
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nicht mal einen Blick hinüber, sie konzentrierten ihre ganze ängstliche Aufmerksamkeit nur auf die schwankende Brücke. Dem Profos gefiel es, hier auf der Lauer zu liegen und die Kerle einen nach dem anderen abzuräumen. Seinetwegen hätte es eine spanische Armee sein können. Lieber hätte er sich allerdings richtig geprügelt, so von Mann zu Mann, aber das hier war auch ganz nett. Die Dons hatten immer so entnervte und überraschte Gesichter, wenn sie die Faust fliegen sahen. Die beiden nächsten trugen keinen Brustpanzer, nur grob gestrickte Hemden und darüber eine Lederweste. Aber ihre Helme funkelten wie frisch poliert. Den ersten räumte Dan O'Flynn nach der altbewährten Methode ab, während Hasard, der Pater und von Hutten gelassen zusahen. Da konnte wirklich nichts schiefgehen. Bloß der Profos mußte immer quatschen, wenn ein Don auftauchte. Meist empfing er ihn dann mit liebevollen Sprüchen wie auch den jetzigen Mann, der ahnungslos an der Felsnase vorbei wollte. Der Profos starrte grinsend auf das grobmaschige Hemd, während dem Don fassungslos der Unterkiefer herabklappte. „Ah, katholisches Mufflon, selbstgestrickt“, sagte Ed. Die Futterluke klappte hallend zu, als der Hammer losflog. Wieder hob es den Don fast aus den Stiefeln. Pater Aloysius hörte grinsend zu, was der Narbenmann so alles von sich gab. Er bedauerte schon jetzt lebhaft, daß nur noch vier Mann und der Teniente übrig waren. Die nächsten Dons folgten. Zack-zack, ging das bei Dan O'Flynn. Noch bevor der andere richtig begriff, verstellte ihm ein Monstrum von Kerl den Weg. Er war so breit wie ein Felsen. Der Spanier blickte fassungslos zu diesem Narbenmann hoch. „Weißt du, was mein Kapitän gesagt hat?“ fragte das riesige Monstrum. „Nein“, würgte der Spanier entsetzt hervor. „Bei Mundgeruch immer auf die Schnauze hauen, sagte er. Tut mir wirklich leid. Gestatten: Meine Detonation.“
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Und da krachte es auch schon gewaltig. Dem Don verging Hören und Sehen, und er konnte sich auch nicht mehr wundern. Er gesellte sich zu dem Haufen bewußtloser Kerle, die säuberlich in Reih und Glied lagen. Pater Aloysius lachte lautlos in sich hinein und freute sich schon auf die beiden letzten Spanier, die etwas später zitternd und zagend an der Felsnase vorbeigingen. Jetzt konnte überhaupt nichts mehr schiefgehen, denn nun war nur noch der Teniente übrig. O'Flynn senste den ersten Don um. Der Profos wartete noch ein bißchen, um den zweiten Kerl gehörig zu erschrecken. Der war auch erschrocken, bewies aber noch soviel Kaltblütigkeit, daß er einen Schritt zurücksprang und nach einer Pistole griff. Er zerrte an dem Bandelier, kriegte die Waffe aber nicht schnell genug zu fassen. „Schieß mit einem Püsterich auf den alten Profos nicht“, sagte Ed tadelnd. Noch bevor der Spanier die Pistole heraus hatte, traf ihn der Hammer. Er hob sofort ab und wurde schlaff. „Bedauerlicherweise waren das die beiden letzten“, sagte Ed und massierte seine Knöcheln. „Aber noch ist ja das Rübenschwein von Teniente übrig. Scheint sich gar nicht über die Brücke zu trauen, das liebe Kerlchen.“ „Den überlaß mir“, sagte Hasard trocken. „Ich werde ihm schon über die Brücke helfen.“ Gebannt sahen sie zu, wie der Teniente die Brücke betrat. Das „Kerlchen“ war feige, ganz sicher, denn es kroch mehr, als es ging über die Brücke. Der Teniente schwitzte Blut und Wasser. Er hielt sich krampfhaft an den Haltetauen fest, und setzte ein Bein vor das andere. Er sah nicht ein einziges Mal hoch. Sein Blick war nach unten gerichtet, über sein stoppelbärtiges Gesicht perlte der Schweiß, und er stierte sich fast die Augen aus, vor Angst, einen Fehltritt zu tun. „Das kann jeder Affe besser“, meinte Ed abfällig. „Der Kerl wird ja schon seekrank, wenn er nur ein Glas Wasser sieht. Der hat
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noch mehr Angst als die zehn anderen zusammen.“ Hasard sah zu dem ängstlichen Kerl, der sich halb wahnsinnig vor Angst an die Taue klammerte, immer wieder stehenblieb und die Augen schloß. Es hatte ganz den Anschein, als könne er nicht mehr weiter. Aber zurück konnte er auch nicht mehr, denn als er sich hilflos umdrehte, begann die Brücke zu pendeln. Hasard betrat die Hängebrücke und setzte einen Fuß vor den anderen. Der Don bewegte sich nach einer Ewigkeit weiter, aber er sah immer noch nicht hoch. Ja, es war ein Teniente. Er hatte einen drei Tage alten Bart im Gesicht und eine plattgehauene Nase, von der unaufhörlich der Schweiß perlte. Er hatte jetzt knapp die Hälfte der Brücke geschafft, als Hasard nur noch drei, vier Yards vor ihm stand. Der Teniente blickte hoch. Seine Augen weiteten sich entsetzt, und er stieß einen wilden Schrei aus. Der Seewolf sah ihn kalt an. Er wußte genau, was dieser Kerl wollte: daß ihn sein Weg nach Tacna führte, um dort Sklaven zusammenzutreiben. Der Teniente brauchte lange, um sich zu fassen. Beide Hände umklammerten die Haltetaue. Die Beine hatte er gespreizt, um sich festeren Halt zu verschaffen. So starrte er dem Seewolf in die Augen. Dann aber brachen Wut und Arroganz bei ihm durch. Er konnte diesen schwarzhaarigen Riesen nicht einordnen, und so herrschte er ihn mit böser, zischender Stimme an. „Gib den Weg frei, Kerl - zurück! Ich war als erster auf der Brücke.“ Hasard lächelte kalt. Er stand freihändig auf der Brücke und sah den Spanier verächtlich an. „Wohin wollen Sie denn. Teniente?“ fragte er kühl. „Gib den Weg frei!“ brüllte de Garrida jetzt. Seine Stimme wurde zu einem Kreischen, als Hasard sein Gewicht verlagerte und die Brücke dadurch in Schwingungen versetzte. Bald schwang sie wie ein riesiges Pendel über der Schlucht.
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De Garrida kreischte und hielt sich fest. Sein Gesicht war unter den Bartstoppeln aschgrau geworden. „Sargento!“ brüllte er über die Schlucht. „Knallt diesen verdammten Kerl ab! Nein, nehmt ihn fest! Der Hundesohn wird als Sklave nach Potosi gebracht! Beeilt euch, ihr Kerle!“ Hasard ließ die Brücke kräftiger schwingen. Sie pendelte jetzt in einem langen Rhythmus über die tiefe Schlucht. Das Wildwasser, das unten schäumte und brodelte, schien sich von einer Seite zur anderen zu verschieben. Als auf sein Brüllen kein einziger Soldat erschien, wurde de Garrida immer nervöser. Zudem empfand er eine krankhafte Angst vor dieser schwingenden Brücke, die seinen Magen rebellieren ließ. Er schielte an Hasard vorbei, sah den Riesen aber nur kalt lächeln und wartete vergeblich auf seine Soldaten. „Sie wollen sicher nach Tacna, Teniente“, sagte Hasard. „Dort führt der Weg auch hin - aber nur über meine Leiche.“ Mit einer schnellen Handbewegung zog der Seewolf sein Entermesser. „Los, Spanier“, forderte er ihn auf. „Beweisen Sie mal, daß Sie noch mehr können, als über hilf- und wehrlose Indios herzufallen und sie zu versklaven.“ De Garrida zuckte zurück. An diesem wilden Kerl kam er nicht vorbei, der schien zu allem entschlossen. Mit einem hastigen Griff packte er seine Pistole und schwankte dabei hin und her. Hasard trat sie ihm lässig aus der Hand. Die Brücke begann noch ausholender zu schwingen. „Nicht die Pistole, Sie Feigling“, tadelte er, „den Degen!“ De Garrida riß den Degen heraus. Er keuchte wild, schwang ihn in der Luft und hieb nach Hasard. Unterdessen schwang die Brücke so beängstigend, daß selbst Hasard Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. De Garrida hieb mit wilden Schreien zu. Dieser entsetzliche Abgrund unter ihm raubte ihm fast den Verstand. Aber immer, wenn er einen Hieb führte, war der
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schwarze Satan nicht mehr da, und so schlug er brüllend auf die Haltetaue ein. Einmal ratschte der Degen dicht an Hasards Gesicht vorbei. Dann wieder versuchte de Garrida, den Seewolf von unten her zu durchbohren. Hasard sprang einen wilden Schritt vor, in der rechten Faust das Entermesser. De Garrida konnte nicht mehr ausweichen. Kraftlos hieb er noch einmal zu, dann drang ihm der Stahl in den Leib. Der Degen entglitt seiner Hand und sauste in die Tiefe. De Garrida, tödlich getroffen, lehnte sich über das Tau und griff ins Leere. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, und als die Brücke heftig zurückschwang, verlor er den Halt. Einen Augenblick hing er reglos auf dem mächtigen Tau, dann pendelte die Hängebrücke zur anderen Seite, und er stürzte in die Tiefe. Hasard sah ihm nach. Der Teniente schien eine Ewigkeit lang zu fallen. Dann klatschte sein Körper in das Wildwasser, das ihn eilig mit sich fort trug. Nach diesem Sturz hatte er sich zusätzlich noch das Genick gebrochen. Als Hasard langsam über die Brücke zurückging, trieb die Leiche des Spaniers in eine ausgewaschene Felshöhle. Darin blieb sie stecken. 8. Der Seewolf tat es nur höchst ungern und mit allergrößtem Widerwillen, als er die Axt zur Hand nahm. Bedauernd sah er auf dieses Wunderwerk der Technik, das er zerstören mußte. Es ging leider nicht anders, sonst würden die Indios nie Ruhe vor den Spaniern haben. Als er zuschlug war sein Gesicht hart, die Lippen verkniffen. Sie alle wußten, was jetzt in ihm vorging, denn sie bedauerten es ebenso wie er. Auch der Padre sah seufzend zu, als das Zerstörungswerk begann. Es bedurfte kräftiger und harter Schläge, um das gewaltige Halteseil zu durchtrennen. Die Taue hätten noch eine Ewigkeit gehalten, so stabil waren sie.
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Als das eine Halteseil gekappt war, kippte die Brücke etwas zur Seite. „Wenn ich etwas in meinem Leben bereue, dann das hier“, sagte der Seewolf. „Die alten Baumeister mögen mir verzeihen.“ Etwas später war das zweite Seil gekappt. Die Brücke löste sich, und unter fürchterlichem Getöse donnerte sie in die Tiefe. Sie schwang in einem riesigen Bogen durch die Schlucht, fiel dann senkrecht ab und krachte gegen die gegenüberliegende Felswand. Dort zerschmetterte unter der Wucht das Holz, bis sie senkrecht hängenblieb. Hasard sah nicht mehr hin. Nur Carberry stieß einen leisen Fluch aus. „Was tun wir mit den zehn Hampelmännern?“ fragte Dan. „Die ersten scheinen langsam zu erwachen.“ Ein paar regten sich bereits und rappelten sich hoch. Drei oder vier von ihnen waren noch ganz dösig. „Wir verstellen ihnen den Weg nach Tacna“, sagte Hasard, „denn da wollen sie ja hin, um Indios zu beschaffen. Und sie müssen an uns vorbei, es ist der einzige Weg.“ „Und wahrscheinlich ihr letzter“, fügte von Hutten grimmig hinzu. Ein wildaussehender Kerl, der Uniform nach ein Sargento, stand als erster wieder auf den Beinen. Er blickte sich wie irre um und riß einen anderen Soldaten hoch. Dann starrte er auf die fünf Männer. Als er Carberrys Gesicht sah, zuckte er zusammen. Deutlich entsann er sich, was dieser Kerl ihn gefragt hatte, bevor ihm die Faust unter das Kinn flog. Der hatte was von Mundgeruch gefaselt, und daß man dann immer auf die Schnauze hauen müsse. Auch die anderen, die Carberry entsetzt anstarrten, entsannen sich noch einiger höchst seltsamer Sprüche. Sie waren in der Überzahl, aber trotzdem waren ihnen diese Männer unheimlich. Der Narbenmann hatte ein Gesicht zum Eierabschrecken, und das flößte ihnen Furcht ein. Sie waren jetzt alle auf den Beinen, standen aber entschlußlos da und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten.
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„Ihr wollt sicher weiter nach Tacna“, sagte Hasard, „aber hier ist der Weg zu Ende für euch. Er führt nicht mehr weiter.“ „Sozusagen das Ende der Fahnenstange“, setzte der Profos höhnisch hinzu. „Aus und Sense, nix Tacna, um Indios zu fangen.“ Sargento Murello wurde wild. In seinen Augen glomm ein bösartiges Licht auf. Er sah sich nach allen Seiten um, konnte seinen Vorgesetzten aber nicht erblicken. „Wo ist der Teniente?“ brüllte er. „Tot“, erwiderte Hasard knapp und lakonisch. Seine Blicke waren hart auf den Sargento gerichtet. Murello zog blitzschnell seinen Degen. „Drauf!“ schrie er. „Drauf auf die Kerle!“ Den meisten waren diese fünf Männer unheimlich, denn sie waren von ihnen blitzartig abgeräumt worden. Zwei der Dons waren ohnehin entnervt und hatten die Nase voll. Jetzt auch noch gegen diese Kerle kämpfen? No, Senor! Die beiden drehten sich um und türmten. Sie rannten wie die Irren los und wollten über die Brücke flüchten. Sie merkten es zu spät, daß da keine Brücke mehr war. Die war einfach weg, verschwunden. Aber sie konnten ihren Lauf nicht mehr bremsen. Auf ihren Gesichtern lag ein fassungsloses und ungläubiges Staunen, als sie einen Augenblick später wie schwerelos in der Luft hingen. Ihre Todesschreie übertönten noch das Rauschen des wilden Wassers und hingen lange in der Luft. Sie stürzten in die Tiefe und schrien so lange, bis sie unten aufschlugen. Die Schreie ließen die anderen vor Schreck erstarren. Selbst der Sargento schien zur Salzsäule erstarrt. Dann aber holte er wild mit dem Degen aus und schwang ihn wie eine Sense. Ein gnadenloser Kampf entbrannte dicht vor dem tiefen Abgrund. Die Leiche des Teniente steckte immer noch in der Felshöhle, und einer der Spanier stieß einen Schrei aus, als er das sah. Pater Aloysius hatte ein merkwürdiges Glitzern in den Augen, fast ein Leuchten, als der Kampf Mann gegen Mann entbrannte.
Brücke des Todes
Seine knochenharte Faust zuckte vor und schmetterte einem Don mit voller Kraft unter das Kinn. Der Schlag war so gewaltig, daß selbst der Profos einen Augenblick lang vor Staunen die Luft anhielt. Der Don überschlug sich und rutschte dem Abgrund entgegen. Er versuchte sich festzuhalten, doch da gab es keinen Halt mehr. Er griff nach den polierten Felspollern, rutschte weiter und sauste in den Abgrund, wo er sich den Schädel an einem Felsen zerschmetterte. „Auch 'ne mächtige Kelle, Bruder“, lobte der Profos. Ein stoppelbärtiger Spanier drang auf ihn ein und wollte ebenfalls nach seiner Pistole greifen. Der Profos schlug in der Drehung zu. Dem Soldaten flog der Helm vom Schädel. Er stieß einen spitzen Schrei aus, griff nach Carberry, langte jedoch ins Leere und stürzte in den Abgrund. Sein letzter Schrei verwehte, bevor er in das Wasser klatschte. Karl von Hutten, Dan O'Flynn und der Seewolf kämpften weiter gegen die restlichen Spanier. In diesem Kampf gab es keine Gnade, hier ging es um Leben oder Tod, denn auch die Spanier kämpften verzweifelt, feuerten mit Pistolen oder hieben mit den Degen um sich. Der fünfte Don taumelte dem Abgrund entgegen. Dan O'Flynn hatte den Kampf mit dem Entermesser gegen den Degen des Spaniers gewonnen. Der Don war schon tot, noch bevor sein Körper in die Felsen fiel und verschwand. Den sechsten Mann schickte Hasard auf die Reise ohne Wiederkehr, und den siebenten beförderte von Hutten mit zwei gewaltigen Schlägen in die Schlucht. Die restlichen drei wehrten sich entnervt und feuerten ihre Pistolen ab. Dem Profos pfiff eine Kugel so dicht am Schädel vorbei, daß sich seine borstigen Haare sträubten und er empört dem Schützen nachrannte und ihn am Schlafittchen ergriff. Der Don schlug ihm die Faust in den Magen und trat mit den Stiefeln nach ihm.
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Fred McMason
Carberry trieb ihn mit zwei knallharten Schlägen vor sich her, dann schickte er eine bretthart gestochene Rechte hinterher. Der Don flog fast waagerecht davon, verlor ebenfalls seinen Helm und verschwand lautlos in der gähnenden Tiefe. Etwas später folgten auch die beiden anderen. Es gab keinen einzigen Überlebenden. Und es würde auch keine weiteren Dons mehr geben, die über die Brücken nach Tacna marschierten. * Als sie an die zweite Brücke gelangten, brach gerade die Dunkelheit herein. Sie überquerten sie und sahen wiederum mit Bedauern zu, wie diesmal Karl von Hutten die Seile kappte. Die Brücke rauschte unter lautem Getöse in die Tiefe. Dann war die letzte Hängebrücke an der Reihe, und da war es schon finster und kühl. Am fast schwarzen Himmel standen wie Glitzerkörnchen die ersten Sterne. Die letzte Brücke, die zum Tacna-Tal führte, zerstörte der Profos. Auch mit „verdammt großem Bedauern“, wie er versicherte. Lieber hätte er noch ein paar
Brücke des Todes
Rübenschweine abgeräumt, denn die wußten die Einmaligkeit dieser Bauwerke überhaupt nicht zu schätzen. Als die letzte Verbindung unterbrochen war, marschierte der Trupp weiter nach Tacna. Gegen Mitternacht erreichten sie das Kloster, wo der Potosi-Trupp, die Padres und die Indios sie schon erwarteten. „Es gibt keine Brücken mehr“, sagte Hasard. „Die letzte Verbindung ist zerstört. Die drei Schluchten wird kein Spanier mehr passieren.“ Erleichterung malte sich in den Zügen der Männer, und besonders die Indios atmeten auf. Jetzt hatten sie Ruhe, zumindest für eine sehr lange Zeit. Der einzige, der recht unglücklich dreinschaute, war der Profos. Er hockte da wie ein Häufchen Elend, bis es schließlich Pater Aloysius auffiel und er sich besorgt erkundigte: „Was hast du denn, Bruder?“ Ed verzog das narbige Gesicht. „Bauchgrimmen, Bruder. Die drei Brücken liegen mir schwer im Magen. Hast du nicht noch vom Öl des heiligen Vaters?“ Pater Aloysius hatte noch - eine ganze Kruke voll...
ENDE