Billy Jenkins
"BroadwayLatscher" im Sattel Abenteuer Heft 177
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Billy Jenkins
"BroadwayLatscher" im Sattel Abenteuer Heft 177
scanned by AnyBody corrected by eboo Nach Aufzeichnungen des Westmannes Billy Jenkins erzählt von Nick Roger. 1956 Uta-Verlag. Sinzig/Rhein Alle Rechte vorbehalten Druck: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel. Rastatt/Baden Gesamtauslieferungsstelle: Rheinischer Buchvertrieb. Sinzig/Rhein, Kölner Straße 8 Postversandort: Rastatt (Baden) Das Heft darf in Lesezirkeln und Leihbüchereien nicht geführt werden
Er hat gut lachen! Aufnahme: Rock Hudson im Columbia-Farbfilm
Wissenswertes Jahraus, jahrein, ob Sommer oder Winter... Tramps und Hobos sind immer auf den Landstraßen der Staaten unterwegs, von einer unerklärlichen Unruhe getrieben. Die noch heute in dem milden Klima Süd-Kaliforniens durch die Gegend walzen, wandern ein halbes Jahr später vielleicht schon an den Ufern des Großen Sklavensees, durch die Waldniederungen Louisianas oder haben ‚mal eben’ einen Sprung über die Grenze nach Mexiko gemacht. Sie kennen Carolina genauso gut wie Nevada oder New Texas. Unermüdlich tippeln sie, fahren wohl auch als ‚Blinde’ in den Waggons der Güterzüge oder auf den Puffern oder Radachsen. Alle Eisenbahngesellschaften rechnen mit einem gewissen Prozentsatz blinder, nicht zahlender ‚Gäste’. Mit dem Zugpersonal kommen sie meistens gut aus und werden geduldet. Aber gelegentlich kommt es auch zu Zusammenstößen; dann heißt es. während der Fahrt aussteigen. Die Zugbegleiter legen Wert darauf, keine wilden, sondern nur organisierte Tramps in ihren Zügen zu haben; denn diese bindet ein ungeschriebenes Gesetz von Anstand und Schicklichkeit. Nachts schlafen sie unter Hecken, wenn es die Witterung erlaubt; sonst verkriechen sie sich im Stroh einer Scheune, wenn sie nicht die Mittel haben, eine der Hoboherbergen aufzusuc hen. Gelegentlich mischen sich auch unlautere Elemente unter die Tramps, um auf diese Art unterzutauchen. Aber die echten Tramps achten darauf, damit sie durch diese nicht in Verruf geraten. Denn sie sind ehrliche Leute, was natürlich nicht ausschließt, daß man sich gelegentlich mal ein auf der Leine vergessenes Hemd ‚ausleiht’, sich auch, wenn der Magen knurrt, ein Huhn greift oder eine Wassermelone oder ein paar saftige Maiskolben von den Feldern angelt. Im übrigen haben die Farmers- oder Ranchersfrauen immer eine Kleinigkeit für sie übrig, ein Paar abgetragene Stiefel oder eine geflickte, alte Hose finden in den Tramps immer dankbare Abnehmer. Während der echte Tramp gern der Arbeit aus dem Wege
geht, nimmt der Hobo sie an, wo er sie findet. Er reist mit den Ernten mit; war es im Norden die Maisernte, so packt er später im Süden Apfelsinen. Bei den Round ups ist er auf den Ranches nicht ungern als Hilfskraft gesehen.
„Wette, daß ich ihn gesehen habe!“ rief Mike O’Gilvy. „Genauso, wie ich dich jetzt sehe!“ Pete More grinste. Sie befanden sich auf dem Ritt zur Herde, wo sie den Alten und Sluggy ablösen sollten. Sie hatten sich verspätet, denn Mike war im Town gewesen und in der Bar hängengeblieben. „Bist crazy!“ meinte Pete More jetzt abfällig. „Hast einfach in Slumpys Bar ein paar zu viel gekippt!“ Mike O’Gilvy gab keine Antwort, und sein Kamerad ärgerte sich darüber. Die Sache mit dem Nachtreiter war nach seiner Meinung ein Hirngespinst. In der ganzen Gegend schon wurde darüber geredet. Wenn ein paar Männer irgendwo zusammenkamen, gab es nur dieses eine Thema. Es hieß, daß er in mondhellen Nächten plötzlich auf den Grashügeln der Prärie auftauchte, so daß die Silhouette von Pferd und Reiter scharf umrissen gegen den Mond stand. Unter denen, die behaupteten, ihn gesehen zu haben, gab es auch Männer, die den Versuch angestellt haben wollten, ihm auf den Leib zu rücken. Aber ehe sie sich’s versahen, hatte er sich wieder in Nichts aufgelöst. „Crazy!“ knurrte Pete More. „Ganz schön verrückt! Die Burschen haben alle einen zu viel gekippt!“ Sie hatten ihre Pferde zu rascherer Gangart angetrieben, denn die Stunde der Ablösung war bereits überschritten. Der ‚alte Mann’ und Sluggy hielten sicherlich schon längst nach ihnen Ausschau! Der ‚alte Mann’ war der Rancher Bud Care. Er war nur ein kleiner Rancher, aber dafür bekannt, daß er seine Herde gut in Ordnung hatte. Übrigens war er für seine Stiere berühmt, die alle auf denselben Stammvater, nämlich Golden Grov, zurückzuführen waren. Golden Grov war einer der berühmtesten Stiere des Westens gewesen. Von weither waren damals die Rancher gekommen, um Bud Care den Stier abzukaufen, aber er hatte stets abgelehnt, wenn man ihm auch Hunderte von Dollars -5-
auf den Tisch blätterte. Nun zeigte es sich, daß er daran gut getan hatte. Golden Grov war zwar längst tot, er hatte zum Schluß ein ehrliches Begräbnis in einer Unmenge von Konservendosen gefunden. Dafür lebten jetzt seine Nachkommen, und Bud Care machte ein gutes Geschäft. Selbst die größten Rancher kamen zu ihm, um einen Urenkel von Golden Grov zu erwerben. Bud Care und seine drei Ranchhands reichten vollkommen aus, um die kleine Herde unter Obacht zu halten. Selbst bei den Rounds brauchten sie keinen fünften Mann. Sie hatten sich die Arbeit geteilt und lösten einander ab, so daß immer zwei Mann bei der Herde waren. Nun waren die beiden Cowboys mit der Nachtschicht dran. Sie beeilten sich, und es dauerte nicht lange, bis die ersten Herdentiere auftauchten. Diese waren niedergegangen und lagen wie dunkle Flecke im schwachen Licht der Sterne. Pete und Mike waren schon erwartet worden. Der ‚Alte’ und Sluggy ritten ihnen entgegen. „Ihr seid verdammt spät!“ brummte der Rancher. „Schließlich haben wir’s ja auch nötig, uns aufs Ohr zu hauen. Hier war nichts Besonderes los; auf dem Hof doch auch nicht?“ Pete More hielt es für überflüssig, auf diese Frage einzugehen, denn was sollte auf dem Hof schon passiert sein. Der Hof war klein, bestand eigentlich nur aus einem Küchenhaus, an das sich der Stall mit Scheune anschloß. Hier war eine Kammer für zwei Feldbetten abgeteilt, auf denen immer zwei der Ranchleute schliefen, währen die anderen bei der Herde waren. Eine Frau gab es auf der Ranch nicht. Es wurde auch keine gebraucht, denn die Männer wurden prächtig allein fertig. Außerdem waren sie alle schon ein bißchen über die Jahre hinweg, wo eine Frau wichtiger als die Herdentiere war. Für sie war die Herde die Hauptsache und die Nachkommenschaft von Golden Grov. Im übrigen waren alle Gebäude so gut gehalten, daß keiner, der auf den Hof kam, vermutet hätte, daß hier keine Ranchersfrau, sondern vier ältere Männer wirtschafteten. „Wir sind so spät -6-
dran, weil Mike so lange im Town war! Hat sich mal wieder nicht aus Slumpys Bar getraut. Hatte Angst, den Nachtreiter zu treffen!“ Pete More grinste und war eingeschnappt, daß weder der alte Mann noch Sluggy, der nun auf seinem Pferde herangekommen war, ein Wort dazu sagten. „Haut schon ab!“ grunzte er nun, „und haltet die Betten warm!“ Dies sollte ein Witz sein, denn es herrschte eine schwüle Hitze, wie sie einem Witterungsumschlag voranzugehen pflegt. Schon seit Tagen war der Himmel bezogen und drängte nach einer Entladung. Die Wolken hatten schweflige Ränder, und es wetterleuchtete bereits. Menschen und Tiere lechzten nach dem erfrischenden Regen. Die Herdentiere wurden unruhig und konnten sich der Bremsen kaum erwehren, die sie belästigten. Bud Care und Sluggy Mean waren nun abgeritten. Sie hatten es ziemlich eilig, denn es drängte sie, in die Betten zu kommen. Außerdem konnte das Unwetter schon in der nächsten Viertelstunde ausbrechen. Die beiden Männer ritten im Dunkeln, denn von den Sternen war nichts mehr zu sehen. Die Luft war so drückend, daß die Pferde schweißüberströmt waren. Auch den beiden Reitern lief der Schweiß von der Stirn, obwohl sie die Stetsons längst abgenommen hatten und sich damit Kühlung zufächelten. In der Ferne rollte der erste Donner, der sich immer mehr verstärkte; schwefelgelbe Blitze zerrissen die Wolken. Ein paar Minuten später brauchten sich die Männer nicht mehr über die Dunkelheit zu beklagen, denn der Himmel war plötzlich ein Flammenmeer, so zuckten die Blitze. Es war nicht notwendig, die Pferde anzutreiben; eher nötig, sie zurückzuhalten und am Ausbrechen zu hindern. Der Rancher Care ritt voran, und Sluggy Mean folgte dicht hinter ihm. Fast wäre dieser mit seinem Pferde zusammengeprallt, denn Bud riß sein Tier so unvermittelt zurück, daß es auf die Hinterhand kam. In derselben Sekunde -7-
wußte Sluggy Mean auch, was los war, denn auch er sah den Reiter, der im Schein der Blitze auf der Kuppe eines Grashügels auf seinem Pferde unbeweglich hielt und in die Gewitternacht schaute. Sluggy Mean kam nicht mehr dazu, mit dem Rancher ein Wort zu wechseln, denn er hatte alle Hände voll zu tun, sein Pferd am Ausbrechen zu hindern. Als es schließlich zitternd und schweißtriefend stand, konnte er nichts mehr von Bud Care oder dem nächtlichen Reiter entdecken. Beide waren verschwunden. Der Cowboy fluchte verbissen vor sich hin. Seiner Meinung nach wäre es die verdammte Pflicht seines Boß’ gewesen, zu warten, bis er mit seinem Pferde zu Rande gekommen war. Aber der hatte sich natürlich davongemacht und war jetzt schon auf dem Ranchhof. Nicht das Gewitter hatte ihm den Rest gegeben, sondern der Schreck beim Anblick des geheimnisvollen Reiters auf der Grashöhe. Es gelang Sluggy, knapp vor Ausbruch des Wolkenbruchs auf dem Ranchhof anzukommen. Gerade als er mit seinem Pferde im Stall verschwand, brach die Sintflut nieder. Cares Pferd stand schon in der Box. Bud mußte gut zehn Minuten früher angekommen sein, denn das Pferd war bereits trocken gerieben und stand vor der gefüllten Raufe. Sluggy versorgte auch sein Tier; dann ging er in die Küche, wo er den Rancher antraf. „Hast dich wohl davongemacht, als du den Nachtreiter sahst!“ knurrte er. „Wenn ich nicht den Ärger mit meinem Pferd gehabt hätte, dann würde ich dem Nachtreiter schon ein paar Worte verpaßt haben!“ Bud Care lauschte in das Unwetter hinaus. „Er war so plötzlich verschwunden, als ob ihn einer weggezaubert hätte!“ meinte er sinnend. „Wollte aus dem Unwetter raus, darum bin ich losgeritten! Ich wußte ja, daß du gleich nachkommst!“ * Der Sheriff von Montrose, einem kleinen Nest in der -8-
‚Wetterecke’ von New Texas, hieß Marc C. Limmet. Er war ein solider, vierschrötiger Mann, der für gewöhnlich die Ruhe selbst war. Wenn er aber in die ‚Wolle’ kam, dann brüllte er, daß die Wände seines Office bebten und das ganze Town wußte, daß dem Sheriff eine Laus über die Leber gelaufen war. Nun war es Nacht; draußen tobte das Unwetter, und der Donner grollte. Sheriff Limmet brüllte ebenfalls; sein Gesicht war rot angelaufen und die Adern an seinen Schläfen zu dicken Strängen angeschwollen. „Kalkuliere, daß ich nicht taub bin!“ sagte gerade Captain Jenkins trocken. „Wette, daß die Bewohner von Montrose aus den Betten fallen, wenn sie ihren Sheriff so brüllen hören!“ Sheriff Limmet besann sich. Er blieb vor dem bekannten Ranger der Special Police stehen und wurde ruhiger. Nun konnte man sogar wieder den Donner hören. „Tut mir leid, daß ich so gebrüllt habe, Mr. Jenk ins!“ sagte er. „Aber wenn’s mich packt, - dann auch richtig!“ „Hab’s gemerkt!“ warf Billy Jenkins ein und betrachtete den untersetzten Sheriff amüsiert. „Es ist wegen dieses verdammten Nachtreiters! Bin nun schon seit Wochen hinter dem Burschen her. Habe ihn schon ein paarmal gesehen, aber wenn ich nahe genug heran war, um ihm eine zu verpassen, dann war er verschwunden!“ Captain Jenkins betrachtete den Sheriff aufmerksam. „Also Sie wollten ihn abschießen“, meinte er. „Seit wann ist es verboten, nachts über die Prärie zu reiten und den Mond hinter sich aufgehen zu lassen? Sie verletzen mit Ihrem Verhalten die Grundrechte eines amerikanischen Bürgers, Sheriff! Wahrscheinlich werden Sie sich eine böse Suppe einbrocken, wenn Sie ihm eine verpaßt haben und sich dann herausstellt, daß es vielleicht nur - ein Mondsüchtiger war!“ Der Sheriff sah seinen Gast verblüfft an; dann aber mußte er doch grinsen. -9-
„Damn, Mr. Jenkins, wenn ich nicht wüßte, daß Sie einer der besten Leute der Special Police und ein berühmter Ranger sind, würde ich Sie für ein Greenhorn halten! Es ist meine ehrliche Ansicht, wenn Sie ’s auch übelnehmen! Unsereiner sitzt nun schon in der dritten Amtsperiode in diesem verdammten Zipfel von New Texas, den man den Wetterwinkel nennt. Wenn sich was zusammenbraut, dann geschieht’s bestimmt bei mir! Möchte wissen, wo sie in den Staaten noch so einen Donner und solche Blitze aus erster Hand kriegen!“ Tatsächlich hatte sich das Unwetter draußen noch verstärkt. Die Blitze folgten einander so unvermittelt, daß das SheriffsOffice taghell erleuchtet gewesen wäre, auch wenn keine Petroleumlampe gebrannt hätte. Es war, als ob die Hölle losgelassen sei. Der Sheriff mußte seine Stimme zu voller Lautstärke erheben, um sich überhaupt noch bemerkbar machen zu können. „Hatte früher genug mit Greasergesindel zu tun!“ schrie er. „Weiß genau, daß der Nachtreiter so ein verdammter gelbgesichtiger Caballero von drüben ist, der sich’s einfallen läßt, hier die Rancher und die Herden zu ‚inspizieren’. Wenn er alles raus hat, was er wissen will, kommt er mit seinen Banditen und treibt uns die Herden weg!“ Captain Jenkins hatte sich von seinem Stuhl erhoben. Er war an das Fenster getreten und blickte nun in das Unwetter hinaus. „Wollte, daß der Blitz den Banditen trifft!“ brüllte der Sheriff, „oder daß ihn wenigstens der Donner erschlägt!“ Billy wandte sich wieder um. „Hoffentlich nicht!“ meinte er trocken. „Jedenfalls nicht eher, bis ich ihm das Reitertuch gelüftet habe!“ „Sie haben ihn also schon selbst gesehen, Mr. Jenkins?“ fragte er verblüfft. „Dachte, daß ich Ihnen was Neues erzähle, das Sie nicht glauben wollen!“ Billy Jenkins lachte. Dann legte er dem Sheriff die Hand auf -10-
die Schulter. „Ich sah den Nachtreiter genauso, wie ich Sie jetzt vor mir sehe!“ „Und Sie haben ihm keine verpaßt?“ fragte der Sheriff ungläubig. „Sahen ihn vor sich und rissen die Stange nicht raus?!“ Billy Jenkins schüttelte den Kopf. „No, Sheriff, ich ließ die Stange im Holster!“ Sheriff Limmet hob entsagungsvoll die Schultern. „Werd’s dann doch allein tun müssen! Werde selbst 'nen Blick unter das Reitertuch tun müssen! Hätte das nicht vermutet, als ich die Nachricht bekam, daß der berühmte Captain Jenkins zu uns in diesen gottverlassenen Wetterwinkel kommt!“ * Als Ranki Monck in die Stadt Montrose kam, war das Unwetter längst vorbei, und die Sonne, die strahlend am Himmel stand, hatte die letzten Spuren aufgesogen. Der junge Mann sah einem Tramp so ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Er hatte ausgelatschte Treter, die sicherlich einmal bessere Zeiten gesehen hatten. Der Hut, der ihm keß im Nacken saß, war früher sicher einmal das Eigentum eines Millionärs gewesen, der vorwitzig aus dem Fenster eines Pullmanwagens geblickt und dabei den Hut eingebüßt hatte. Ranki hatte das gute Stück neben den Schwellen gefunden und es seinen besonderen Bedürfnissen angepaßt, indem er es von dem Rand befreite, der doch nur den freien Blick in die Weite behinderte. Sein bescheidenes persönliches Eigentum trug er, in ein größeres Taschentuch gewickelt, unter dem Arm. Er hätte seine n Besitz auch ebensogut in den Hosentaschen unterbringen können. Warum er es nicht tat, war sein Geheimnis. Was den jungen Mann jedoch vor allen anderen Tramps und Hobos auszeichnete, das waren seine roten Bartstoppeln. Sie -11-
waren von so intensivem Brandrot, daß kein Rancher oder Farmer ihn in seine Scheune gelassen hätte. Übrigens waren die Stoppeln nun schon so lang, daß sie zu einem schönen Bart zusammenwuchsen. Als Ranki durch Montrose latschte, blieb er vor dem einen oder anderen Store stehen, nicht etwa um die Auslagen zu bewundern, sondern um sich selbst in den spiegelnden Scheiben kritisch zu betrachten. Befriedigt ging er dann weiter. Nun stand er vor einem zweistöckigen Hause und musterte es voller Hochachtung. Sein Blick blieb auf einem Schild haften, auf dem die Worte standen: „Joe Slumpys Bar und Verkaufsstall - Auch Gastzimmer für die verehrten Gäste.“ Ranki war bestimmt kein ‚verehrter Gast’, und Joe Slumpy hätte ihn wahrscheinlich ‚gefeuert’, sobald er auch nur einen Fuß über die Schwelle setzte. Die Bar schien übrigens eine Goldgrube, denn trotz der Vormittagsstunde reihten sich draußen schon die Pferde an der Stange. Es mußte also in der Gegend Rancher und Cowboys geben, die verdammt viel Zeit hatten! Ranki warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Gasthof; doch dann wurde seine Aufmerksamkeit von einem Reiter in Anspruch genommen, der in vollem Galopp in die Stadt preschte. Der Tramp hatte scharfe Augen; er erkannte sofort, daß dieser sein Pferd vor dem Sheriffshaus zum Stehen brachte und dann Hals über Kopf nach drinnen verschwand. Sein Pferd ließ er stehen. Es war so scharf geritten worden, daß es nun schweißüberströmt mit hängendem Kopf da stand. Ranki Monck schüttelte mißbilligend den Kopf und ging über die Straße. Er hielt es für seine Pflicht, sich um das Tier zu kümmern. Außerdem hoffte er, daß der Reiter eine Kleinigkeit locker machen würde, wenn er sah, daß sich jemand seines erschöpften Gaules angenommen hatte. Der Tramp ergriff die Zügel des Pferdes und führte es auf der Straße auf und ab. Im Office war es unterdessen recht lebendig geworden. Allerdings konnte man nur eine Stimme vernehmen, die in ihrer -12-
Lautstärke schon genügt hätte, um ganz Montrose auf die Beine zu bringen. Ranki wunderte sich, daß weder die Storebesitzer aus ihren Läden traten, noch in den Häusern sich jemand rührte. Nur die Fenster von Slumpys Bar wurden geschlossen. Bereits nach einer Minute wußte er, daß es der Sheriff war, der in seinem Office herumtobte. „In der Nacht wurden die Stiere fortgetrieben?“ brüllte er. „Während des Unwetters?! Sag das noch mal!“ Ranki hörte die Antwort nicht, aber er konnte sie sich denken. „Der Nachtreiter soll das gewesen sein?!!! Und Bud Care will ihn gesehen haben, als er mit Sluggy Mean von der Ablösung kam und zu eurem Ranchhof ritt?!!! - Zum Satan, und er hat ihn nicht umgelegt?!!! Ihm keine Kugel verpaßt!!!“ Die Stimme des Sheriffs schnappte über, und Ranki Monck führte das Pferd lieber ein paar Schritte abseits, denn es machte schon ängstliche Augen und ließ aufgeregt die Ohren spielen. Im nächsten Moment wurde die Tür des Hauses aufgerissen, und Limmet erschien. Er sah kirschrot aus im Gesicht. Ohne den Tramp zu beachten, rannte er über die Straße und verschwand in der Bar. Nun war seine tobende Stimme von dort aus zu hören. „Auf die Pferde, Männer“, tönte es über die Straße. „Wollen hinter dem Nachtreiter her!“ Aber von einer Antwort war nichts zu vernehmen. Wahrscheinlich stierten die Männer in ihre Gläser, taten keinen Mucks und ließen den Sheriff ruhig toben. Damit kam man immer weiter! Gleich darauf wurde die Tür aufgerissen. Der Sheriff erschien, und seine Gesichtsfarbe glich jetzt der von Ranki Moncks Bart. Er stürzte auf die Pferde zu, die vor der Bar standen, löste die Zügel eines Tieres, schwang sich in den Sattel und galoppierte aus dem Town. Nun war auch der Reiter aus dem Office getreten. Er sah sein Pferd und den Tramp, der es am Zügel hielt, und ging auf ihn zu. -13-
„War die schlimmste Minute meines Lebens!“ sagte Pete More und wischte sich die Schweißperlen ab, die ihm noch immer auf der Stirn standen. „Will verdammt sein, wenn ich noch mal ’ne Botschaft zum Sheriff bringe. Aber einer mußte ja reiten, denn die anderen sind ja hinter den Stieren her, die in der Nacht verschwanden!“ Nun wurde ihm bewußt, daß ausgerechnet ein Tramp sein Pferd am Zügel hielt. „Wolltest es wohl stehlen?“ fragte er argwöhnisch. „Wette, daß du nicht weit damit gekommen wärst! Sheriff Limmet ist nämlich verdammt scharf! “ „Hab’s nur bewegt, weil du’s fast zuschanden geritten hast!“ erklärte Ranki Monck gekränkt. „Dachte, daß du in den Hosensack greifst und wenigstens ’nen Greenback rauslangst!“ Pete More grinste, doch dann griff er in die Tasche und holte sogar einen Dollar heraus, den er dem Tierfreund gab. Jetzt nahm er ihm die Zügel aus der Hand, führte das Pferd zur Bar hinüber und stellte es zwischen die anderen; dann verschwand er in der Kneipe. Ranki Monck betrachtete lange den Silbernen und warf schließlich einen verlangenden Blick zur Bar hinüber. Doch er ging weiter die Main Street entlang, bis diese auf die Prärie mündete. * Die kleine entführte Stierherde war der ganze Reichtum der Care Ranch gewesen. Rancher Care war vernünftig genug, seinen beiden Männern Mike O’Gilvy und Pete More keine Vorwürfe zu machen. Es wäre auch völlig unmöglich gewesen, in Blitz und Donner und dem darauffolgenden Wolkenbruch die Herde zu umreiten. Dazu kam noch, daß die kleine Stierherde abseits auf einer Sonderweide von den Kühen getrennt stand. Als das Unwetter nachgelassen hatte, waren Mike und Pete wieder in die Sättel gestiegen. Den Herdentieren war nichts -14-
passiert, aber die Stierherde war verschwunden. Die beiden Cowboys hatten sich kurz beraten. Sie wollten den Sonnenaufgang abwarten, um sich dann auf die Spurensuche zu machen. Mike O’Gilvy war inzwischen zur Ranch geritten und hatte den Rancher und Sluggy Mean aus den Betten getrommelt. Als gerade die ersten Sonnenstrahlen über die Horizontlinie blitzten, kam er mit ihnen zurück. Das Grau des erwachenden Tages hatte Pete More inzwischen dazu benutzt, die Stelle zu umreiten, an der sich die Herde befunden hatte. Es gehörte nicht viel dazu, um festzustellen, in welcher Richtung die Herde abgetrieben worden war. Der Prärieboden war durch den Wolkenbruch aufgeweicht, so daß sich die Spuren deutlich abzeichneten. Pete More hatte auch schon feststellen können, daß es wahrscheinlich zwei Reiter gewesen waren. Er konnte dem Rancher also bereits etwas berichten, als dieser mit den anderen ankam. Natürlich war Bud Care mächtig erschüttert, doch er nahm sich zusammen. Nur an den harten Wangenmuskeln in seinem Gesicht konnte man erkennen, wie es in ihm rumorte. Er machte niemandem einen Vorwurf; denn genau dasselbe hätte ihm und Sluggy auch passieren können. Vor allem war ja noch nicht alles verloren! „Werde zum Sheriff reiten und ihm das melden!“ erbot sich Pete More. „Ich bringe ihn gleich mit, und wir folgen dann den Spuren der Stiere und euren!“ Bud Care nickte. Der Sheriff mußte natürlich verständigt werden, aber noch wichtiger war, die Spuren zu sichern. Noch war das Präriegras naß, und jeder Eindruck zeichnete sich ab. Sobald die Sonne aber höher stieg, würde sich das niedergedrückte Gras schnell wiederaufrichten. Während Pete zum Town ritt, machten sich die drei anderen daran, den Spuren zu folgen. Doch da tauchte ein Reiter auf, der -15-
rasch näherkam Die drei musterten ihn. Er sah nicht so aus, als ob er mit dem Viehraub etwas zu tun haben könnte. Nun war er heran. „Sorry, Gents, schätze, daß hier was passiert ist!“ sagte er höflich. „Sah euch zusammenstehen, wie ihr den Boden absuchtet. Einer ritt dann in Richtung Town. Nehme an, daß er zum Sheriff will!“ Der Fremde war bereits aus dem Sattel gesprungen und untersuchte nun seinerseits den Prärieboden. „Werden wohl an fünfzehn Rinder gewesen sein, die hier standen!“ sagte er dann. „Stiere, Gent!“ knurrte der Rancher. „Die besten Stiere der Staaten. Stammen alle von Golden Grov ab. Möchte wissen, woher Sie wissen, daß es genau fünfzehn waren!“ Bud Care sah den Fremden mißtrauisch an. Er hatte die Hand auf den Kolben seines Colts gelegt; auch die Cowboys machten Anstalten, ihre Waffen zu ziehen. „Bloody damn, wer sind Sie, daß Sie’s so genau wissen?!“ „Bin Billy Jenkins!“ sagte dieser und blickte kaum auf. „Laßt die Kracher ruhig stecken! Ihr kriegt die Stiere doch nicht zurück, wenn ihr Löcher in die Luft knallt! Ein Reiter hat die Tiere davongetrieben!“ „Es waren zwei!!“ brüllte der Rancher, den die Selbstbeherrschung, die er so lange bewahrt hatte, nun langsam verließ. Auch Mike O’Gilvy und Sluggy Mean nickten. Es war ganz deutlich zu sehen, daß hier zwei Reiter gestanden hatten. Billy Jenkins stieg wieder in den Sattel. Als er auf dem Leder saß, blickte er die Männer, einen nach dem anderen, prüfend an. „Es war nur einer, Rancher!“ sagte er dann zu Bud Care gewandt. „Der zweite kam später, als die Herde bereits fort war. Die Hufeindrücke seines Pferdes sind nicht so tief, wie die des -16-
anderen, der sich mit den Stieren abmühte, um sie in Trab zu setzen! Ihr werdet’s sehen, wenn ihr den Spuren weiter folgt. Yea, Männer, macht’s gut!“ Billy Jenkins gab seinem Pferde die Zügel frei, und gleich darauf war er in einer Grassenke verschwunden. „Damn, möchte wissen, wer der Bursche war!“ brummte Bud Care finster. „Hätte doch den Kracher ziehen und ihm die Zunge lockern sollen! Keiner kann wissen, ob er nicht der Nachtreiter ist, der die Stiere geraubt hat und nun nachsehen will, wie wir ’s anfangen, um sie wiederzubekommen!“ Doch dann machten sich die drei Männer daran, den Spuren zu folgen. Diejenigen, die die Herde geraubt hatten, waren im Vorteil. Da es sich bei den Stieren um Herdbuchvieh handelte, das an den Umgang mit Menschen gewöhnt war, konnten sie rasch getrieben werden. Die Rustler hatten diesen Vorteil bestimmt ausgenutzt und zwischen sich und die mit Sicherheit zu erwartenden Verfolger schon eine große Strecke gelegt. Gleich nach der nächsten Viertelstunde mußte Bud Care zugeben, daß sich der Fremde, der sich Billy Jenkins nannte, tatsächlich nicht geirrt hatte, denn die Spur des zweiten Reiters bog jetzt zur Seite ab und verlor sich. Aber es wurde auch immer schwieriger, die Spuren zu lesen, je höher die Sonne stieg. Um die Mittagsstunde hielten die drei dann an; ihre Pferde waren schweißgebadet. Das Gras hatte sich wieder aufgestellt, und von den Spuren war nichts mehr zu erkennen. „Wenn wir zwei Stunden früher aufgebrochen wären, hätten wir vielleicht den Banditen und unsere Stiere!“ meinte Bud Care heiser, und Mike und Sluggy nickten dazu. „Aber da war’s noch Nacht und die Suche unmöglich! Wenn ich nur wüßte, was wir anfangen sollen!“ Die Männer waren aufmerksam geworden. In der Ferne erkannten Mike O’Gilvys scharfe Augen den Sheriff Limmet. Nun kam er auf seinem Pferde herangefegt und setzte es fast auf -17-
die Hinterhand, als er die Zügel anzog. „Wo steht die Herde?!“ brüllte er sofort los. Bud Care, der Rancher, zuckte die Achseln. „Möcht ’s auch wissen!“ sagte er gepreßt. „Die Spuren haben sich verloren; ein fremder Gent, der dazu kam, sagte uns...“ Der Rancher konnte nicht ausreden, denn der Sheriff fuhr ihm in die Rede. „’n Fremder!! Bestimmt war’s der Nachtreiter, der euch ’ne Nase gedreht hat!“ „Er hieß Billy Jenkins!“ gab Bud zu verstehen. Diese Auskunft verschlug dem Sheriff den Atem. Als er wieder sprach, war er merklich ruhiger geworden. „Billy Jenkins war schon da?“ fragte er erstaunt. „Möchte wissen. woher er weiß, daß was passiert ist! Doch wir wollen uns nicht abhalten lassen, Männer, wollen weiter Spuren suchen! Es soll mit dem Satan zugehen, wenn wir sie nicht wiederfinden!“ * Ranki Monck wanderte über die Prärie. Er hatte es nicht eilig. Als es Mittag geworden war, knotete er sein Taschentuch auf und ‚frühstückte’. Es war für einen Tramp eine sehr üppige Mahlzeit, denn sie bestand aus einem Stück Hartwurst und einem Kanten Brot. Beides verdankte er einer Ranchersfrau, die es vorgezogen hatte, sich den Tramp durch Wurst und Brot abzuwimmeln. Nachdem er gegessen hatte, legte er sich in den Schatten eines Ginsterbusches und deckte sich den randlosen Hut über das Gesicht. Er schnarchte bis zum Abend. Als er erwachte, hatte er den Sternenhimmel über sich. Er gürtete sich die Hose neu, dann machte er sich wieder auf die Wanderschaft. Kurz vor Mitternacht ging der Mond auf und tauchte die weite Prärielandschaft in mildes Licht. Der Tramp war ausgeruht, -18-
denn er hatte ja fast den halben Tag verschlafen. Unermüdlich wanderte er weiter. Zwei Stunden nach Mitternacht lichtete sich der Himmel, und die Sterne flimmerten schwächer. Ein kaltes Grau lag über dem Grasland, das sich immer mehr aufhellte. Als die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont züngelten und die Welt in ein strahlendes Licht tauchten, sah Ranki eine Holzhütte vor sich auftauchen. Zwei Pferde weideten davor, die die Köpfe hoben, als sie den Herankommenden witterten. Nun stand er vor der Hütte. Es war ein einfaches Blockhaus, dem man ein ehrwürdiges Alter ansah. Der Lehm, mit dem die Ritzen verschmiert gewesen waren, war längst herausgebröckelt. Eine Tür hatte die Hütte nicht mehr. Vielleicht war sie von gelegentlichen Bewohnern dazu benutzt worden, um mit ihrer Hilfe einen Präriehasen oder eine Hirschkeule zu braten. Ranki Monck machte sich hierüber keine Gedanken. Er blickte in das Halbdunkel der Hütte und sah dort zwei Männer auf einem primitiven Heulager schlafen. Er räusperte sich nachdrücklich, bis einer der Männer sich aufrichtete. Gleich darauf war dieser auf den Beinen und schüttelte dem Tramp die Hand. „Will verdammt sein, wenn ich dich schon so früh erwartete!“ sagte er freundlich. „Ich dachte, du kämest erst morgen oder übermorgen! Warst du im Town?“ „Yea!“ grinste der Tramp. „Ich hörte den Sheriff brüllen. Ich dachte, daß die Leute zusammenlaufen würden, aber keiner kam. Wahrscheinlich sind sie daran gewöhnt!“ Billy Jenkins lachte. „Indeed, sie sind’s gewöhnt! Er ist scharf auf den Nachtreiter! Er ist Nacht für Nacht hinter ihm her, hat ihn aber bis jetzt noch nicht erwischt!“ Wieder grinste Ranki Monck. „Er sollte mal hier in der Hütte nachsuchen. Wenn er Glück hat, trifft er den ‚Nachtreiter’ gerade beim Schnarchen!“ -19-
Jetzt hatte sich auch der zweite Schläfer auf dem Heulager aufgerichtet und rieb sich die Augen. „Es ist schon ein Kreuz! Nicht mal ’nem ehrlichen Gent ist es möglich, sich ungestört auch nur auf 'n paar Stunden aufs Ohr zu hauen!“ Jetzt hatte er Ranki Monck ins Auge gefaßt. „Oh, Tomatenbart!“ rief er entrüstet. „Billy, du hast mir keinen Ton davon gesagt, daß du den erwartest. Hätte lieber ’ne Spinne zum Frühstück verschluckt als diesen Ranki Monck auf nüchternen Magen!“ Billy Jenkins lachte, und der Tramp war nicht weiter beleidigt. „Bin langsam nach hier gelatscht!“ berichtete er. „Hatte die Augen offen, aber vom Nachreiter - hm! - habe ich nichts bemerkt. Ist ja klar, wenn er hier in der Hütte pennt!“ Billy Jenkins winkte begütigend ab. „Er ist heute erst nach Mitternacht gekommen, Ranki, und hat sich nun schon mehr Nächte um die Ohren geschlagen, als wir von ihm verlangen können! Ein paar Stunden Schlaf muß er ja schließlich haben!“ John hatte sich unterdessen erhoben und schüttelte Ranki kräftig die Hand. Wer die beiden nicht kannte, mußte den Eindruck gewinnen, als ob sie bittere Feinde wären. In Wahrheit waren sie die besten Freunde. Einige Minuten später brannte das Feuer auf dem primitiv zusammengebauten Herd. John hatte den Inhalt einer Konservendose warm gemacht, und die drei aßen nun gemeinsam mit gutem Appetit. „Hast du was von der Willby-Bande gehört?“ fragte Billy Jenkins, als er mit dem Essen fertig war und sich seine Pfeife anzündete. „Und was sagen die Tramps und die Hobos? Was spricht man in den Herbergen?“ Ranki wischte sich seinen roten Bart ab, was John nun wieder -20-
zu einer geistreichen Bemerkung reizte: „Würde ihn gleich unters Hemd binden, wenn du eins anhast!“ Billy winkte jedoch unwillig ab; aber der Rotbart ließ sich nicht stören. „Es heißt, daß sich die Willby-Bande nach Norden verzogen hat!“ berichtete er. „Unter den Tramps und Hobos kennt einer den anderen, oder er hat wenigstens von ihm gehört! Aber jetzt sind Tramps aufgekreuzt, die keiner kennt. In den Herbergen sind diese auch nicht gesehen worden. Unter den Blinden befinden sich ebenfalls welche, die nie vorher gefahren sind.“ Mit den ‚Blinden’ waren die blinden Passagiere der Eisenbahnzüge gemeint. Sie standen sich meist gut mit dem Zugpersonal, und die Eisenbahngesellschaften rechneten von vornherein mit einem ganz bestimmten Prozentsatz von ‚Blinden’. Diese gehörten sogar einer Organisation an, und die Bremser und Zugbegleiter legten Wert darauf, nur ‚Organisierte’ in den Zügen zu haben. Billy Jenkins waren diese Zusammenhänge natürlich bekannt; auch sein Freund John wußte darüber Bescheid. „Waren diese Unbekannten wenigstens organisiert?“ fragte Billy Jenkins. Ranki schüttelte den Kopf. „No, Billy! Auf der Strecke nach Biddletown wollten die Bremser einige Blinde aus den Waggons holen. Es gab darauf ’ne richtige Schlacht. Die Bremser nahmen ihre Schraubenschlüssel, Kuhfüße und Bremsleiern zur Hand. Aber die Fremden zogen ihre Revolver und schossen scharf. Es blieb den Bremsern nichts weiter übrig, als sich zurückzuziehen. Ihre Verwundeten nahmen sie über die Waggondächer mit. Der Lokführer machte Dampf auf, denn er wollte verhindern, daß die Unorganisierten während der Fahrt absprangen. Er wollte mit dem Zug nach Biddletown, damit der Sheriff sie dort aus dem Zug holte. Aber die Burschen waren fixer. Bevor der Zug so richtig in Fahrt gekommen war, sprangen sie wie die Hasen heraus und rollten die Bahnböschung hinunter. Der Lokführer -21-
hielt den Zug an der ersten Blockstelle an und ließ den Blockwärter an das nächste Sheriffsamt telefonieren. Aber bevor der mit seinen Männern da war, hatten sich die Banditen längst verdrückt!“ Billy Jenkins nickte seinem jungen Freunde zu: „Sure, John, genau, wie wir ’s erwarteten! Sollte mich wirklich wundern, wenn die Willby-Bande nicht bald hier auftaucht. Von hier aus ist’s für sie am leichtesten, über die Grenze zu kommen und sich in Sicherheit zu bringen!“ Ranki Monck stimmte zu: „Ich habe überall in den Hoboherbergen verbreitet, daß die Willby-Bande sich nach Norden absetzte und über die Grenze gehen will! Nun sagt ’s jeder dem anderen weiter. Seit Tagen sind die Güterzüge voll von Tramps und Hobos, die alle nach Norden wollen. Es wird hier bald von Blinden nur so wimmeln, die der Willby-Bande den Weg verlegen wollen!“ John grinste. „Werden sie auch Colts und Winchesterkarabiner genug bei sich haben?“ erkundigte er sich. „Das Jail im Office wird bald voll von ihnen sein, weil der Sheriff sie wegen Waffenbesitzes einlochen wird. Sheriff Limmet wird anbauen müssen!“ Ranki Monck zuckte die Achseln. „Sie werden keine Waffen haben; trotzdem wird die Willby-Bande gegen sie nichts ausrichten können!“ meinte er. „Es werden ein paar andere Männer da sein, die statt ihrer ihre Kracher zur Hand haben und mit ihnen verdammt gut umzugehen verstehen!“ John wollte den ‚Rotbart’ wieder reizen, doch Billy Jenkins schnitt ihm einfach das Wort ab. „Du weißt, um was es geht, John! Die Tramps und Hobos wollen nicht mehr, daß ihnen die Verbrechen in die Schuhe geschoben werden, die die Willby-Bande auf dem Gewissen hat. Darum wollen sie ihr Teil dazu beitragen, daß sie vernichtet wird. Deshalb hat Ranki auch dafür gesorgt, daß es von Mund -22-
zu Mund geht, daß die falschen Tramps nach Norden gegangen sind und sich verdrücken wollen! Yea, und die Männer, die statt ihrer die Waffen im Holster haben und ihnen helfen werden, das sind wir drei: du, ich und auch Ranki! Jetzt kein Wort mehr darüber!“ John zuckte die Achseln, dann erhob er sich, um sich zu rasieren, denn auch als ‚nächtlicher Reiter’ legte er Wert darauf, wie aus dem Ei gepellt auszusehen. * Der Rancher Bud Care hatte mit seinen Männern die Suche nach der verschwundenen Stierherde aufgegeben. Sie hatten bald einsehen müssen, daß es sinnlos war, weiter nach Spuren zu suchen, nachdem die Sonne am Himmel stand. Es waren zwar nur fünfzehn Stiere, für den Rancher aber immerhin ein Vermögen. Care war die Rinderherde geblieben, um die sich die Männer jetzt kümmern mußten. Der Herdendienst wurde wieder aufgenommen. Die beiden Betten in dem abgeteilten Verschlag des Stalles auf der Ranch wechselten wieder täglich die Besitzer. In einer Nacht, als Bud und Sluggy schliefen, schreckte der Rancher aus dem Schlaf auf. Seitdem die Stiere geraubt worden waren, schlief er überhaupt schlecht. Er setzte sich auf und starrte ins Dunkle. Er hörte, wie Sluggy in dem anderen Bett schnarchte. Er wollte sich gerade wieder zurücklegen, als er ein Geräusch vernahm. Erst glaubte er, daß die Tür des Küchenhauses aufgeblieben sei und nun im Winde auf und zu schwang und dabei gegen die Mauer schlug. Doch dann war er überzeugt, auf dem Hof Schritte gehört zu haben. Sein erster Gedanke war, daß Mike O’Gilvy oder Pete More von der Herde gekommen sein könnten und eine Nachricht brachten. Es war nämlich zwischen ihnen verabredet worden, sofort zu kommen, falls sie etwas von der geraubten Stierherde gehört haben -23-
sollten. Bud Care stand also rasch auf, griff sich im Dunkeln seine Hose und zog sie über. Als er aus dem Verschlag trat, hörte er die beiden Pferde sich unruhig in ihren Boxen bewegen. Aber er achtete nicht darauf und trat nun auf den Hof. Enttäuscht wollte er wieder in den Stall und die Schlafkammer zurückkehren, denn auf dem Hof, der im hellen Mondlicht lag, war niemand zu sehen. Er stellte jedoch fest, daß die Tür des Küchenhauses tatsächlich offen stand. Er ging hinüber, um sie zu schließen. Was in den nächsten Minuten geschah, kam dem Rancher nicht zum Bewußtsein, aber er konnte es sich später zusammenreimen. Die Schmerzen am Kopf führte er darauf zurück, daß er einen Hieb über den Schädel bekommen hatte, der ihn sofort bewußtlos machte. Er fand sich in der Küche vor, als er aufwachte. Bewegen konnte er sich nicht, denn er war an einen Küchenstuhl festgebunden. Vor ihm standen zwei Männer, die wenig vertrauenerweckend aussahen. Bud kannte diese nicht und hätte auch jetzt gern auf ihre Bekanntschaft verzichtet. Nun machte der eine den anderen darauf aufmerksam, daß der Rancher aufgewacht sei. Derjenige, der den Wortführer spielte, hielt sich nicht mit langen Vorreden auf, sondern kam sofort zur Sache. „Wo ist die Stierherde?“ fragte er und spielte mit seinem Revolver, den er aus dem Holster gezogen hatte. „Oder soll ich deinem schwachen Gedächtnis Beine machen?!“ Bud Care hätte das selbst gerne gewußt; aber er hatte nicht die Absicht, dies den Banditen zu verraten. Nun hatte auch der zweite seinen Kracher gezogen und spielte nachdenklich damit. „Will verdammt sein, wenn ich’s euch sage!“ keuchte er und bäumte sich auf seinem Stuhl bei dem Versuch, seine Fesseln zu sprengen. Vor den Revolvern hatte er keinen besonderen Respekt; denn er sagte sich, daß den Gangstern das, was sie erfahren wollten, ein toter Mann niemals mehr sagen konnte. -24-
Der Bandit, der den Wortführer machte, nickte zustimmend, als ob er keine andere Antwort erwartet hätte. Er ließ den Hahn seines Revolvers knacken, ohne daß er damit auf Bud einen besonderen Eindruck machte. Der Gangster merkte es, grinste und stieß die Stange wieder in die Gurttasche zurück. Nun wurde er auf einmal sehr umgänglich. „Der Bursche, der mit dir in der Kammer schläft, tut bis auf weiteres keinen Mucks mehr!“ verkündete er und warf seinem Kameraden einen mißbilligenden Blick zu. „Er hat nicht so einen harten Schädel wie du; außerdem ist’s möglich, daß mein Kamerad ihm ’n bißchen zu hart aufs Seelendach getippt hat! Jetzt müssen wir’s also aus dir herausquetschen. Mach keine großen Umstände - ’s hat doch keinen Zweck!“ Bud Care hatte es aufgegeben, sich der Fesseln zu entledigen. Er saß ruhig auf seinem Stuhl und betrachtete die Gesichter der Männer, da er sie sich gründlich einprägen wollte. „Ihr habt euch als Tramps verkleidet!“ sagte er plötzlich. „Ihr seid aber keine, sondern richtige Gangster. Tramps wüßten überhaupt nicht, was sie mit ’ner Stierherde anfangen sollten!“ Nun grinsten beide Banditen. „Bist ja verdammt schlau!“ sagte der Wortführer anerkennend. „Wird dir aber nichts helfen, denn wir werden’s doch rauskriegen, was wir wissen wollen! Wetten, daß du in ’ner Minute plätscherst wie ’n Wasserfall!“ Bud Care war nicht davon überzeugt. Allerdings hatte er auch nicht die Absicht, den beiden Gelegenheit zu Tricks zu geben, um etwas aus ihm herauszuholen, was er überhaupt nicht wußte. Der zweite Gangster warf seinem Kumpan einen bezeichnenden Blick zu und ging zum Herd, wo das Feuer noch immer unter der Asche glühte. „Wollen uns nicht lange mit ihm aufhalten!“ Der Rancher Care ahnte, was die Burschen mit ihm vorhatten, und war keineswegs damit einverstanden. Er hätte viel dafür -25-
gegeben, wenn jetzt entweder Mike O’Gilvy oder Pete More auf den Hof geritten kämen. Aber diese waren bei der Herde und hatten keine Veranlassung, sie zu verlassen. Im übrigen ging der eine Bandit jetzt dazu über, das Feuer zu schüren, während der andere sich anschickte, Bud Care auf seinem Stuhl näher an den Herd heranzuschieben. „Der Nachtreiter wird euch gleich greifen!“ sagte Bud Care heiser. Er wußte selbst nicht, wie er plötzlich auf diesen Gedanken kam. Aber er glaubte leisen Huf schlag gehört zu haben, der aus der Ferne kam und sich dem Ranchhof näherte. Der Gangster am Feuer wandte sich verblüfft um; auch derjenige, der mit dem Transport des Stuhles beschäftigt war, horchte auf. Beide verständigten sich wieder durch einen Blick, dann brachen sie in brüllendes Gelächter aus. Der Rancher ließ sie lachen, denn er hörte, daß der Hufschlag tatsächlich näher kam. Es konnte nur noch Minuten dauern, bis der Reiter auf dem Hof eintraf. „Hört ihr’s nicht?“ sagte er in das Gelächter hinein. „In einer halben Minute ist er auf dem Hof! Es ist tatsächlich der ‚Nächtliche’.“ Das Lachen der beiden Männer erstarb. „Damn!“ flüsterte der eine. „Da kommt wirklich einer! Wollen’s lieber nicht darauf ankommen lassen.“ Im nächsten Moment war die Küche leer. Bud Care hörte dumpfen Hufschlag, der sich rasch entfernte. Er schloß daraus, daß die beiden Banditen ihre Pferde hinter der Scheune versteckt und deren Hufe mit Lappen umwickelt hatten. Aber auch der Hufschlag des Pferdes, dessen Reiter sich dem Ranchhof genähert hatte, entfernte sich wieder, bis er schließlich völlig verklang. Bud Care saß noch während der ganzen Nacht auf seinem Stuhl. Er hatte verschiedene Male den Versuch gemacht, sich von seinen Fesseln zu befreien, es aber schließlich aufgegeben. Der Himmel wurde grau, und der anbrechende Tag kündete sich -26-
immer stärker an. Jetzt kam die Zeit der Ablösung bei der Herde, und er rechnete damit, daß Mike und Pete auf den Hof kommen würden, nachdem sie eine Zeitlang vergeblich auf ihre Ablösung gewartet hatten. Doch es sollte ganz anders kommen. Es war knapp nach Sonnenaufgang, als sich der Rahmen der Küchentür verdunkelte und ein Mann eintrat. Bud sah in ihm fast einen Engel, obwohl er sich äußerlich von einem solchen ganz wesentlich unterschied. Es war ein Tramp, aber diesmal ein echter, wie der Rancher aufatmend feststellte. Er hatte einen brandroten Bart. Der Tramp schrak zurück, als er den gefesselten Mann auf dem Stuhl sitzen sah. Fast hatte es den Anschein, als ob er sich rasch wieder verdrücken wollte. Aber Bud Care beeilte sich, ihn zurückzuhalten. „Bloody damn, bleib doch hier und schneide mir die Leine durch!“ sagte er hastig. „Es ist meine eigene. Zwei Gangster haben sie um mich gewickelt. Es ist ein verdammtes Glück, daß du kommst; hätte sonst noch lange so sitzen können!“ Eine Minute später war er die Fesseln los. Ranki Monck mußte ihm beim Aufstehen behilflich sein, denn der Rancher taumelte. Er mußte erst ein paarmal in der Küche auf und ab gehen, bis ihm das abgeschnürte Blut wieder gleichmäßig durch die Adern floß. * Was das Auftauchen des geheimnisvollen Nachtreiters nicht bewirkt hatte, wurde durch das Verschwinden von Bud Cares Stierherde ohne weiteres erreicht. Die berühmte kleine Herde war im ganzen Westen bekannt. Sie war nicht nur der Stolz der Care-Ranch gewesen, sondern von ihrer Existenz hing auch der Viehbestand sämtlicher Rancher der Gegend ab. Die Cowboys der verschiedenen Ranches hatten sich zusammengetan und die Gegend im weiten Umkreis nach ihr abgesucht. Schließlich war -27-
man zur Überzeugung gekommen, daß die Viehräuber die Herde über die Grenze gebracht hatten. Sheriff Marc C. Limmet predigte in Slumpys Bar nun nicht mehr tauben Ohren. Er hatte es auch nicht mehr nötig, zu brüllen und sich durchzusetzen. „Ihr müßte eure Herden sichern, Männer!“ sagte er. „Die Banditen, die Bud Cares Stierherde geraubt haben, werden sich nicht damit begnügen. Wenn ihr auch selbst keine so berühmten Stierherden zu verlieren habt, so sind eure Herden doch für euch nicht weniger wertvoll. Ihr müßt nachts die Wachen draußen verstärken. Bei Tage wird es sich so leicht kein Bandit einfallen lassen, Tiere davonzutreiben. Dennoch müßt ihr aber auch tagsüber die Prärie in kleinen Trupps abstreifen. Es genügt, wenn immer zwei Männer zusammen reiten. Wenn ihr auf verdächtige Gestalten stoßt, laßt euch nicht auf lange Unterhaltungen ein, sondern knallt gleich los. Wenn euch dann etwa der Countysheriff zur Rechenschaft ziehen will, werde ich ihm schon das Notwendige erzählen und euch in jeder Weise decken. Der größte Teil eurer Ranchhands wird des Nachts bei den Herden sein müssen. Aber auch die Freiwachen auf den Ranches müssen auf der Hut sein. Keiner kann wissen, ob die Banditen nicht doch eines Tages über die Höfe herfallen, wenn sie an die Herden nicht herankommen! “ So lautete die Rede, die der Sheriff den Ranchern in Slumpys Bar hielt. Diese nickten dazu und waren seiner Meinung. Doch Limmet hatte noch etwas hinzuzufügen! „Hinter allem steckt der nächtliche Reiter!“ sagte er. „Ihr hättet nur schon früher auf mich hören sollen! Nun ist’s zu spät. Ihr hättet euch eben beizeiten zusammentun müssen!“ Auf diesen Teil der Rede gingen die Rancher nicht ein. Der Nachtreiter war ein einzelner Mann, von dem man nur wußte, daß er nachts über die Prärie ritt. Er war wiederholt gesehen worden, doch zu Zusammenstößen war es nie gekommen. Aber -28-
Sheriff Limmet hatte sich nun mal die Sache mit dem Nächtlichen in den Kopf gesetzt. Darum nickten die Rancher nur nachsichtig, um ihren Sheriff nicht wieder vor den Kopf zu stoßen. Aber alles andere, was er gesagt hatte, stimmte. Von diesem Tage an wurden die Nachtwachen bei den Herden verstärkt, und die Männer der Cowboyoutfits der verschiedenen Ranches mußten sich dadurch schadlos halten, daß sie gelegentlich auf ihren Pferden ein Nickerchen hielten. Sheriff Limmet bereiteten jedoch bald andere Vorkommnisse heftige Kopfschmerzen. Es war während seiner verschiedenen Amtsperioden immer mal vorgekommen, daß ein Tramp oder Hobo in der Stadt Montrose auftauchte. Er hatte sich dann stets damit begnügt, sich die Papiere zeigen zu lassen und ihn rasch auf Waffenbesitz zu untersuchen. Wenn alles in Ordnung war, hatte er dem Tramp den Rat gegeben, möglichst rasch wieder zu verduften. Gelegentlich hatte er auch ein Exempel statuiert und den Burschen ein paar Tage lang Holz hacken oder eine andere nutzbringende Arbeit verrichten lassen. Stimmte etwas mit dem Tramp nicht oder hatte er sich ein Huhn ‚beigebogen’ oder sich ein Hemd von der Wäscheleine ‚geliehen’, dann landete er rücksichtslos im Jail und grinste eine Zeitlang durch die Gitterstäbe. Dem ersten Tramp, den der Sheriff jetzt in der Stadt antraf, konnte er wirklich nichts anhaben. Es war ein rotbärtiger Bursche, der höchst verdächtig auf ihn wirkte. Limmet holte ihn sich ins Office. Da stand er nun, drehte seinen randlosen Hut zwischen den Händen und stierte zu Boden. „Zeig deine Papiere her!“ herrschte der Sheriff ihn an. „Wette, daß ich dich im Jail verfaulen lasse, wenn sie nicht stimmen!“ Der Tramp holte eine zusammengefaltete Zeitung aus der Tasche, aus der er seine Papiere auswickelte, die Limmet mit sehr spitzen Fingern entgegennahm. Als er sie zurückgab, machte er einen angewiderten Eindruck. -29-
„Die Papiere sind in Ordnung!“ knurrte er. „Du heißt Ranki Monck! Wünschte dich in meiner sauberen Burg nie gesehen zu haben! Hast du ’nen Kracher bei dir?“ Ranki Monck hob wortlos die Arme, und der Sheriff tastete ihn rasch ab, wobei er seine Abneigung offen äußerte. „Hast keinen Kracher!“ stellte er dann fest. „Wenn du nicht in fünf Minuten aus dem Town raus bist, fliegst du ins Jail!“ Ranki Monck aber ließ nun die Maske der Demut fallen und begann unverschämt zu grinsen. „Wette, daß Sie sich irren, Sheriff!“ sagte er. „Als freier amerikanischer Bürger kann ich mich aufhalten, wo ich will!“ „Raus!“ brüllte Limmet und lief rot an. Ranki Monck beeilte sich nicht besonders, sondern gürtete sich erst die Hose fester. „Bye-bye, Sheriff!“ sagte er dann freundlich. „Würde mich an Ihrer Stelle vorsehen, daß Sie sich nicht ’nen Schlaganfall holen. Unsereiner hat ungern mit ’ner Leiche zu tun!“ Marc C. Limmet war wütend von seinem Amtsstuhl aufgesprungen und hielt bereits den Revolver in der Hand. Auch dies veranlaßte den anderen nicht, seinen Abgang auch nur um eine Sekunde zu beschleunigen. Er wandte sich an der Tür sogar noch einmal um und grinste herausfordernd. Der Sheriff sah dann durchs Fenster, wie er die Main Street entlanglatschte. Zwar blieb dieses Abenteuer in seiner Art für den Sheriff vereinzelt, aber es dauerte nicht lange, bis er wieder einen Tramp im Town auflas. Er war nun gewitzter und machte die Sache schon kürzer ab; denn auch die Papiere dieses Landstreichers waren in Ordnung. Noch am gleichen Tage sah er dann drei weitere. Diesmal schienen es Hobos zu sein, die einträchtig durch die Main Street marschierten. Diese unterschieden sich von den Tramps durch ihre bessere Kleidung und ein sichereres Auftreten, denn sie trampten ja nicht nur, -30-
sondern arbeiteten auch, sobald sich ihnen Gelegenheit dazu bot. Bei den Roundups waren sie auf den Ranches nicht ungern gesehen, denn sie waren für Handlangerdienste gut zu gebrauchen. Am Abend dieses Tages hatte Sheriff Marc C. Limmet bereits über dreißig Tramps und Hobos gezählt, die alle durch die Stadt marschierten und nach Norden in die Prärie weiterwanderten. Er hatte es längst aufgegeben, sie nach ihren Papieren zu fragen und auf Waffenbesitz zu untersuchen. Selbst wenn er Beanstandungen gehabt hätte, wäre das Jail viel zu klein gewesen, um eine so große Anzahl von Gefangenen aufzunehmen. „Damn, kann sie doch schließlich nicht wie die Heringe pökeln!“ sagte er zum Barhalter Slumpy, als er sich zur Stärkung einen Drink mixen ließ. „Sie kommen alle von der Bahnlinie her. Wette, daß sie als Blinde gefahren sind. Wenn’s so weitergeht, haben die Güterzüge mehr Blinde als Fracht in den Waggons!“ Dies sollte ein Witz sein, und der Barhalter begrinste ihn auch pflichtschuldigst. Aber am nächsten Tage zeigte es sich, daß an diesem Ausspruch etwas Wahres daran war; denn wieder wanderten ununterbrochen Hobos und Tramps durch die kleine Stadt. Die Storehalter waren in die Türen ihrer Läden getreten und tauschten ihr Erstaunen über dies Ereignis aus. Sheriff Limmet kam aus seinem Office nicht mehr heraus, denn gegen diese Vielzahl mehr oder weniger zerlumpter Gestalten war er machtlos. So ging es drei Tage lang, und die Leute im Town waren überzeugt, daß ein paar hundert Tramps durch die Stadt gewandert waren. Dann ließ der Strom nach, und schließlich tauchte nur noch gelegentlich ein Nachzügler auf. Die Leute zerbrachen sich die Köpfe, wo all diese Kerle geblieben sein könnten. Die Prärie war unendlich groß, und ein paar hundert Rancher würden unter dieser fragwürdigen Invasion zu leiden haben, denn es war als sicher anzunehmen, daß sie nun bettelnd -31-
von Hof zu Hof trampen würden. Aber dem war nicht so. Die Rancher und Ranchboys, die in den nächsten Tagen in die Stadt kamen, versicherten, von Tramps und Hobos nichts gesehen zu haben. Auf den Höfen jedenfalls waren sie nicht erschienen und bei den Herden ebenfalls nicht. * John hatte seinen Job verloren, denn er brauchte sich nun nicht mehr als nächtlicher Reiter die Nacht um die Ohren zu schlagen, wobei ihn Billy von Zeit zu Zeit abgelöst hatte. „Es ist nicht mehr nötig, John! Die Rancher sind endlich wach geworden. Sie haben die Nachtwachen bei ihren Herden verstärkt. Auch auf den Höfen sind genügend Wachen aufgestellt. Ich hoffe, daß es nun bald zu einer kräftigen Auseinandersetzung kommt!“ John und selbst Ranki Monck, dessen rote Stoppeln sich nun schon zu einem recht hübschen Bart entwickelt hatten, sahen ihren Freund verblüfft an. „Damn, Billy, ich hätte dich nicht für so blutrünstig gehalten! Ich habe das ganze Theater mit der Nachtreiterei doch nur angestellt, damit die Rancher Wachen aufstellen!“ Billy Jenkins nickte. „Sure, John, aber die Männer werden in ihrer Wachsamkeit bald nachlassen, wenn sich nicht irgend etwas ereignet! Sonst zieht auf die Dauer selbst Bud Cares Stierherde nicht mehr!“ John hob abwehrend die Hände: „Zum Satan, Billy, ich kann doch jetzt nicht hingehen und den Ranchern und ihren Männern einfach ein paar Bohnen verpassen! Vielleicht nimmst du hierfür lieber Ranki! Wenn sie dessen roten Bart sehen, genügt ’s vielleicht schon, und es geht ohne Leichen ab!“ Billy Jenkins lachte, und Ranki strich sich befriedigt seine -32-
brandrote Manneszier. „John ist bloß neidisch!“ sagte er. „Er bringt’s höchstens zu dünnem Sauerkohl am Kinn und nie von so schöner blonder Farbe!“ „Tomatenblond!“ warf John verächtlich ein. „Wenn ich Sheriff Limmet gewesen wäre, dann hätte ich dich eingelocht und nie wieder herausgelassen. Es gibt ja ’nen richtigen Präriebrand, wenn du mit deinem Bart auftauchst!“ „Genug!“ befahl Billy. „Ihr benehmt euch wieder mal wie Kinder statt wie erwachsene Männer!“ Es erübrigte sich, daß jemand hinritt, um den wachhabenden Cowboys die Haut zu ‚ritzen’, denn noch in der gleichen Nacht wurde Loren Rays Ranchhof überfallen! Loren war der Meinung gewesen, daß es genügte, die Herde zu sichern. Er hatte daher seine Männer aus dem Bunkhaus ausquartiert und angeordnet, daß sie bei der Herde ein Camp beziehen sollten. Es war eine mittelgroße Herde, und sie befand sich in ziemlicher Entfernung vom Ranchhof ‚auf Regierungsland ’. Es war also ohnehin besser, daß die Ranchhands bei der Ablösung nicht täglich ein paar Stunden mit dem Hin- und Herreiten verloren. Es genügte, wenn täglich der Chuckwagen die Verbindung zwischen dem Camp und dem Ranchhof herstellte und die notwendigen Lebensmittel hinausfuhr. Auf dem Hof selbst blieb nur Evelyn, die Tochter des Ranchers. Aber sie war Manns genug, um sich zu verteidigen, wenn tatsächlich Banditen auftauchen sollten. Sie war ein richtiges Mannweib, weniger hübsch, aber sie paßte gut auf ihren Posten. Übrigens hatte sie tagsüber genug zu tun. Sie versorgte die Stallkühe und die Pferde, außerdem kochte sie noch das Essen für die Männer, das der Chuckwagen täglich zum Camp hinausfahren mußte. So wirtschaftete sie allein auf dem Hof und trug stets einen gewaltigen Colt im Holster, den -33-
sie auch nicht ablegte, wenn sie in der dampfenden Küche stand und in den gewaltigen Töpfen herumrührte. An diesem Abend machte sie erst spät die letzte Runde, die sie durch die Ställe führte. Es war alles in Ordnung. Der Pferdestall war stark besetzt, und fast in jeder Box stand ein Pferd. Evelyn Ray trat gerade mit der brennenden Stallaterne auf den Hof, um ins Ranchhaus hinüberzugehen. In diesem Augenblick glaubte das Mädchen, den Schatten eines Mannes zu erkennen, der sich in den Winkel drückte, der von der Scheune und dem Küchenhaus gebildet wurde. Evelyn Ray hatte scharfe Augen. Der Mann drückte sich zwar tief in den Mauerwinkel, aber das Mädchen ließ gedankenverloren den Schein ihrer Stallaterne hinübergleiten. Der Bursche dort war zweifellos ein Tramp! Die Rancherstochter hatte mit Tramps ihre eigenen Erfahrungen gemacht und nichts für sie übrig. Wenn solch ein Bursche auf einen verlassenen Hof kam, dann zeigte er für gewöhnlich eine unangebrachte Neugierde, drang sogar ins Ranchhaus ein und scheute sich auch nicht, Kleinigkeiten mitgehen zu heißen. Evelyn hätte nun hinübergehen und den Burschen zur Rede stellen können. Wenn er dann glaubte, sich einem Mädchen gegenüber Dreistigkeiten herausnehmen zu können, so genügte es, ihm mit dem Colt einen Wink zu geben, damit er blitzschnell Leine zog. Aber Evelyn hatte gerade bei diesem Tramp ein etwas merkwürdiges Gefühl, denn sie hatte bemerkt, daß an seiner Linken ein Holster baumelte, aus dem der Griff eines großen Revolvers hervorlugte. Evelyn hatte auch vor dem Revolver des Tramps keine Angst, denn sie wußte, daß sie mit ihrer eigenen Stange mindestens so schnell zur Hand sein würde. Hauptsache war, daß sie auf dem Hof erst mal Licht machte, denn auf eine Auseinandersetzung im Dunkeln wollte sie es nicht ankommen lassen. Die Stallaterne konnte der Tramp mit einem einzigen Fußtritt zum Erlöschen bringen. Das Mädchen tat also, als ob alles in bester Ordnung sei. -34-
Sie ging in das Ranchhaus. Dort entzündete sie die Petroleumlampe und stellte sie ins Fenster. Nun war der Hof einigermaßen hell, und die Auseinandersetzung mit dem unerwünschten Besucher konnte beginnen. Evelyn war immer umsichtig. Als sie jetzt auf den Hof trat, trug sie einen Colt im Holster und einen zweiten in der Hand. Sie stellte sofort fest, daß sich der Tramp nicht mehr in seinem Winkel befand, und hoffte schon, daß er sich heimlich davongemacht hatte. Doch dann sah sie sich plötzlich vier Männern gegenüber. Ein fünfter befand sich hinter ihrem Rücken, wie sie feststellte, als sie sich blitzschnell umdrehte. Er hatte es darauf abgesehen, ihr den Rückweg abzuschneiden. Evelyn schoß nicht, denn sie hätte höchstens einen oder zwei der Männer umlegen können, dann wäre es um sie geschehen gewesen. Vor sich sah sie die Scheune, deren Torflügel noch nicht geschlossen war. In der gleichen Sekunde rannte sie los, stieß den Tramp, der ihr den Weg versperren wollte, zur Seite, so daß er taumelte, und verschwand in der Scheune, wobei sie gleichzeitig den Torflügel erfaßte und hinter sich zuschmetterte. Dies bedeutete zwar nur eine Sekunde Vorsprung, denn das Scheunentor war nicht von innen zu verriegeln. Im gleichen Moment hörte sie auch schon, wie die Männer gegen das Tor prallten. Sie befand sich jetzt bereits auf der Leiter, die zur Heubühne hinaufführte. Als das Tor aufgerissen wurde und die Männer in die Scheune stürzten, stand sie bereits oben auf den letzten Sprossen. Die Rancherstochter wandte sich um und schoß. Sie gab zwei Schüsse ab, und das Aufbrüllen unten bewies ihr, daß sie wenigstens einmal getroffen hatte. Unten schrien die Männer und machten Anstalten, die Leiter zu erklettern. Aber auch damit hatten sie keinen Erfolg, denn Evelyn erschien noch einmal am Rande der Bühne und stürzte die Leiter um, auf der sich bereits zwei Männer befanden. Diese landete unsanft wieder unten, und ihr Wutgebrüll bewies, daß die Sache für sie -35-
nicht schmerzlos abgegangen war. Dann wurde es ruhig. Das Mädchen lauschte angestrengt und hörte ein dumpfes Murmeln. Die Tramps berieten sich anscheinend. Sie hatten sich unter der Heubühne in Deckung begeben, wo sie für die Schüsse des Girls unerreichbar waren. Evelyn Ray sollte nicht lange im unklaren über die Absichten der Banditen bleiben, denn sie hörte bald ein Knistern; gleichzeitig stiegen Rauchwolken auf. Die Tramps hatten die Scheune in Brand gesteckt. Zwar befand sich unten nicht viel Heu, aber es genügte, um das ganze Gebäude binnen einer halben Stunde in eine lodernde Fackel zu verwandeln. Nun hörte sie auch die Stimmen der Männer auf dem Hof. Sie schlich sich zur Ladeluke und sah hinaus. Das Licht, das aus dem Fenster des Ranchhauses fiel und den Hof erleuchtete, genügte, um festzustellen, daß die Tramps gerade im Pferdestall verschwinden wollten. Sie war sich sofort darüber klar, daß die Burschen überhaupt nur auf den Hof gekommen waren, um sich die Pferde aus dem Stall zu holen. Die Rancherstochter sah blaß und mitgenommen aus; aber der entschlossene Ausdruck in ihrem Gesicht bewies, daß sie den Banditen nicht ihren Willen lassen wollte. Sie lag auf dem Boden der Heubühne und beobachtete angestrengt die Männer. Nun wollte der erste im Stall verschwinden. Aber er kam nicht dazu, denn Evelyn schoß scharf. Der Bursche brüllte auf und taumelte dem ihm nachfolgenden in die Arme. Sie hatte nur noch Gelegenheit, zweimal zu schießen, wobei sie einen Treffer erzielte, während die zweite Kugel gegen die Stalltür klatschte. Dann waren die Männer in Deckung und hatten den einen Verwundeten mit sich geschleppt, während der zweite hinterherhinkte. Evelyn stand wieder in ihrer Ladeluke. In jeder Hand hielt sie einen Revolver und paßte auf die Stalltür auf. Ihr begannen die Augen zu tränen, denn von unten wallten immer dichtere Rauchschwaden auf, die sich durch die Ladeluke ihren Abzug -36-
suchten. Ein böses Knistern drang zu ihr herauf; es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Flammen vom Fachwerk zur Heubühne übersprangen. Schon jetzt war die Hitze kaum noch erträglich. Die Rancherstochter war überzeugt davon, daß die Banditen so lange warten würden, bis sie oben zusammengebrochen war. In diesem Moment glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. Unter ihr standen auf einmal Männer, viel mehr, als vorher dagewesen waren. Auch sie waren Tramps, aber sie hatten weder Revolver in den Händen, noch in den Holstern an der Seite. Es mußten noch mehr angekommen sein, die sich nun in der Scheune befanden, denn es klangen Stimmen zu ihr herauf, die das Prasseln der Flammen übertönten. Und inmitten der Tramps stand einer mit einem roten Bart; alle blickten zur Ladeluke empor, wo sie gegen den Pfosten gelehnt stand. Nun brüllte der Rotbärtige etwas herauf. Das Mädchen mußte sich anstrengen, um ihn zu verstehen. „Hast du Heuballen oben? “ schrie er. Evelyne Ray fuhr aus ihrer Betäub ung auf. Natürlich waren hier oben Heuballen genug. Sie wußte auch sofort, was der Rotbärtige damit wollte. Sie verschwand im Innern der Bühne. Die Heuballen dampften bereits, und der Bretterboden unter ihren Füßen knisterte beängstigend. Sie spürte die Hitze schon durch die Schuhsohlen. Ranki Monck starrte unentwegt zu der Ladeluke hinauf. Die Tramps, die um ihn herumstanden, taten es ihm nach. Das Mädchen war nun verschwunden. Wo sie eben noch gestanden hatte, quoll dichter Rauch aus der Ladeluke. „Bloody damn!“ sagte Ranki heiser. „Die Leiter in der Scheune ist schon verbrannt. Wenn sie oben wieder auftaucht, muß sie springen, und wir müssen sie auffangen. Nicht mal ’ne Plane ist im Stall, nur ein paar Pferdedecken! Wenn wir zehn Minuten früher gekommen wären, dann...“ -37-
Ranki Monck brach ab, denn oben war das Mädchen wieder in der Ladeluke erschienen. Nun warf sie schwelende Heuballen nach unten, die sie bis zur verqualmten Ladeluke gewuchtet hatte. Zwei, drei Ballen fielen jetzt auf den Hof. Die Tramps stürzten sich darauf und schoben sie zusammen. „Spring doch!“ brüllte Ranki Monck. „Wir fangen dich auf los, spring!“ Evelyn Ray war am Ende ihrer Kraft. Sie taumelte und stürzte sich aus der Luke. Die Tramps fingen sie auf, und die Heuballen federten den Fall ab. Das Mädchen lag mit geschlossenen Augen da. Sie wußte nichts davon, daß in diesem Moment eine Reiterposse auf den Hof fegte. Im Nu waren die Männer aus den Sätteln; eine Eimerkette wurde gebildet. Trotzdem war die Scheune nicht mehr zu retten; sie brannte bis auf die Grundmauern nieder. Aber es war den Männern gelungen, wenigstens die anderen Gebäude, die durch Funkenflug gefährdet waren, zu retten. Billy Jenkins hatte die Posse angeführt. Nun, nachdem die Gefahr gebannt war, wandte er sich an Ranki Monck. „Was ist mit dem Mädchen los?“ fragte er. „Sie befindet sich im Ranchhaus“, gab Ranki Bescheid. „Als sie aufgewacht war, wollte sie mit Gewalt heraus und beim Löschen helfen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als sie in einer Kammer einzusperren. Ist John nicht da, daß er sie wieder herausläßt? Er versteht’s doch, mit rabiaten Girls umzugehen!“ Billy Jenkins lächelte flüchtig. „Mußt’s schon allein tun, Ranki! John ist hinter den Banditen her, die die Scheune angesteckt haben. Wo sind deine Tramps? Zuerst haben sie beim Feuerlöschen geholfen, aber dann sind sie verschwunden. “ Ranki Monck grinste. „Du weißt doch, daß Tramps es nicht lange auf einem Fleck -38-
aushalten. Sie sind schon wieder unterwegs. Erst wenn sie die WillbyBande gestellt haben, werden sie wieder eine ehrliche Landstraße unter ihre Sohlen nehmen!“ * John hatte sich von der Posse der Ranchhands, die unter der Führung von Billy Jenkins auf die Ray-Ranch zubrauste, getrennt. Keiner zweifelte daran, daß das Feuer, das weit in die Prärie hinausleuchtete, von den Willby-Banditen angelegt worden war. Die Landschaft war ihm durch seine nächtlichen Ritte hinreichend bekannt. Wenn sich die Gangster in Sicherheit bringen wollten, mußten sie hier durch die Grastäler kommen. Unterdessen war der Mond aufgegangen und tauchte das weite Prärieland in sein weiches Licht. John war auf einen Hügel geritten; hier legte er sich auf die Lauer. Das Pferd hatte er auf die dem Grastal abgewandte Seite des Hügels gebracht. Hier konnte es von den Banditen nicht bemerkt werden. Er hatte sich bereits seinen Plan zurechtgelegt. Er wollte es nicht auf eine Schießerei ankommen lassen, sondern feststellen, wo sich die Willby-Bande versteckt hielt. Dann war es so weit, daß sie umzingelt und ausgehoben werden konnte. Er hatte für Ranki Moncks Einfall, die Tramps und Hobos mobil zu machen, nur ein mitleidiges Achselzucken übrig gehabt. Der Rotbart war zwar einer der besten Pinkertonleute, was er neidlos anerkannte, aber im Westen war und blieb er ein blutiges Greenhorn! Aus diesen Gedankengängen riß ihn der Hufschlag mehrerer Reiter, die herankamen. Er schätzte ihre Zahl auf vier. Sie ritten langsam, und er hoffte, daß sie vielleicht ein paar Verwundete mit sich führten, auf die sie Rücksicht nehmen mußten. Es würde dann leicht sein - natürlich unter Wahrung der nötigen -39-
Vorsicht - gemütlich hinter ihnen her zu reiten. So würden sie ihn selbst zu ihrem Versteck führen. Es war dann nur noch nötig, sie gemeinsam mit ein paar handfesten Männern, natürlich unter Billys Anführung, einzukreisen und hochzunehmen. Es war eine recht einfache Sache, und Ranki Monck konnte sich mit seinen Tramps und Hobos die Nase wischen. Er hatte ja von dem Rotbart und seinen Pinkertontricks überhaupt niemals etwas gehalten und verstand Billy nicht, aus welchem Grund sich dieser überhaupt mit diesem Menschen eingelassen hatte. Nun tauchten unten im Grastal die Reiter auf. Auch sie sahen äußerlich wie Tramps aus. Sie ritten dicht beieinander; es sah aus, als ob drei von ihnen verwundet waren und einander auf den Pferden stützten. John hätte jetzt Gelegenheit gehabt, die Burschen zu stellen, denn die Verletzten waren im Nachteil, und die beiden, die anscheinend keine Kugel erwischt hatte, wären mit zwei Schüssen leicht außer Gefecht zu setzen gewesen. Jedoch er verfolgte ja andere Pläne. Er ließ die Gangster also vorbeireiten und gab ihnen einen angemessenen Vorsprung, ehe er sich zu seinem Pferde begab und in den Sattel stieg. Er kannte hier die Gegend genau; ein Tal leitete in das andere über. Die Banditen konnten ihm also kaum entgehen. Jetzt waren sie verschwunden, und John ließ noch einige Minuten verstreichen. Dann ließ er sein Pferd zu Tal traben, um sich an die Verfolgung zu machen. „Keine Übereilung, würde Billy sagen!“ brummte er. „Bin ganz seiner Meinung. Unüberlegte Hast kann nur schaden.“ Vor allem drehte er den Knoten seines Reitertuches erst mal in den Nacken und zog es sich bis unter die Augen ins Gesicht. Nun war er wieder zum ‚nächtlichen Reiter’ geworden, denn auch die Tarnung konnte nichts schaden. Ein Mann, der sich das Gesicht verhüllt hatte, würde außerdem bei den Willby-Leuten -40-
eher auf Sympathie stoßen als etwa der Sheriff, dessen Stern im Mondlicht funkelte. „Ein Gent darf sich andern Gents nicht aufdrängen! Nur keine Hast! Wenn ich jetzt ins nächste Längstal komme, habe ich die Burschen schon wieder vor den Augen. Muß nur dafür sorgen, daß sie mich nicht entdecken!“ John Price zog seinen Stetson noch tiefer in die Stirn. In diesem Moment krachte es; eine Kugel durchschlug seinen Hut und hätte ihn ihm heruntergerissen, wenn er ihn sich nicht eben erst so fest auf den Kopf gedrückt hätte. Dadurch war er jetzt seiner Sicht behindert. Wütend zerrte er sich den Stetson vom Schädel, riß seinen Colt heraus und funkte dorthin, wo ihm das Aufleuchten der Mündungsfeuer die Gegner verriet. Es waren ihrer mehrere, denn von beiden Seiten der Hügelhöhen kamen jetzt die Schüsse. John war bereits aus dem Sattel und lag in einer Grasmulde, die ihm einige Deckung gewährte. Nun hatte er ungefähr den gleichen Vorteil wie die Banditen, die auch in seinem Feuer lagen, sobald sie sich auf den Grashöhen zu weit nach vorn wagten. Sein Pferd war unterdessen weitergaloppiert; er würde es schon wiederfinden, sobald die Schießerei beendet war. „Bloody damned fool! “ fluchte er vor sich hin, wobei er sich selbst meinte. „Hoffentlich erfährt’s Billy nicht, daß ich wie ’n Greenhorn in die Falle gelaufen bin. Und vor allem dieser Tomatenbart...“ Ihn packte bei dem Gedanken an das schadenfrohe Grinsen Ranki Moncks ein richtiger Wutanfall; er schoß die letzten Kugeln aus der Trommel und erreichte damit, daß sich oben die Banditen vorsichtig zurückzogen. Nach einer Weile musterte er die Grashöhen; aber oben zeigte sich nichts mehr. Alles blieb stumm. Trotzdem blieb er noch ein paar Minuten vorsichtig in seiner Deckung liegen, ehe er sich erhob. Auch jetzt rührte sich nichts. Fluchend stieß er den -41-
Revolver in die Gurttasche zurück. Mit der Verfolgung war es nun Essig. Die gute Gelegenheit verpaßt! Er pfiff nach seinem Pferd, aber wider Erwarten kam es nicht. „Es nimmt ’n Maul voll Gras oder knabbert an ’nem Busch!“ brummte er und machte sich auf den Weg. Bald hatte er das anschließende Tal vor sich, aber hier war von dem Pferd nichts zu entdecken. Wahrscheinlich war es, erschreckt durch die Schüsse, einen der Grashügel emporgaloppiert und weidete nun in einem der Nebentäler. Kurz entschlossen schnallte er die Sporen ab, mit denen er sich immer wieder in Grasbüscheln verfing, wodurch er oft ins Stolpern kam. „Verdammter Satan!“ knurrte er und meinte den Gaul. „Da sieht man’s wieder, daß man sich nur auf sich selbst verlassen kann!“ Unwirsch kletterte er eine Hügelhöhe empor, wobei er feststellte, daß die hohen Hacken seiner Stiefel zwar einen guten Halt in den Steigbügeln eines Sattels gaben, aber für Fußmärsche auf holprigem Grasboden gänzlich ungeeignet waren. Schließlich war er oben angelangt. Doch alles Schimpfen und Fluchen brachte ihm auch hier das Pferd nicht herbei. Wütend riß er sich das Reitertuch vom Gesicht, das es noch immer verhüllte. Er benutzte es dazu, um sich den Schweiß von der Stirn zu trocknen. Plötzlich blieb er wie erstarrt stehen. „Mein Gaul ist bei den Banditen!“ kam ihm eine Erleuchtung. „Er ist den Willby-Leuten direkt in die Arme gelaufen! Es hat keinen Zweck, noch länger danach zu suchen!“ Es dauerte eine Weile, bis er diesen Schlag verdaut hatte. Dann machte er sich zu Fuß auf den Weg zur Hütte. Es war ein langer Marsch, und er hatte ausreichend Gelegenheit, sich ein Dutzend Ausreden auszudenken, mit denen er den Verlust des Pferdes Billy Jenkins glaubhaft machen wollte. Unterdessen wurde der Himmel grau, dann blitzten die ersten -42-
Sonnenstrahlen auf und tauchten die Landschaft in strahlenden Glanz. Tautropfen hingen an den Gräsern und Büschen und funkelten wie Diamanten. Die Blumen leuchteten in bunten Farben. Die Prärielerchen stiegen auf und jubelten am Himmel. John aber empfand nichts von dieser Herrlichkeit. Er wanderte verbissen weiter. Nach einiger Zeit hatte er sich auch der Cowboystiefel entledigt und trug sie unter dem Arm. Je höher die Sonne stieg, um so heißer wurde es. Die Lerchen am Himmel verstummten. John war in Schweiß gebadet und hatte es längst aufgegeben, sich mit dem Reitertuch das Gesicht zu, trocknen. Verbissen strebte er vorwärts. Die Sonne ha tte längst ihre Mittagslinie überschritten, als in der Ferne endlich die Hütte auftauchte. Er hätte viel dafür gegeben, wenn davor nicht zwei ihm gut bekannte Pferde geweidet hätten. Doch jetzt war ihm alles gleichgültig; mit letzter Kraft steuerte er auf die Hütte zu. Dann stand er in der Tür und sah Billy und Ranki, die an dem einfachen Holztisch saßen und sich den Inhalt einer Konservendose schmecken ließen. Billy musterte ihn mit einem erstaunten Blick; Ranki verzog jedoch keine Miene. „Ein Tramp, Billy!“ sagte er nur. „Die Wäsche haben wir doch hoffentlich von der Leine runter, und die Hühner sind im Stall wohl verwahrt? Ich will doch lieber die Pferde noch in Sicherheit bringen! Den Tramps ist nicht zu trauen, und vor Hunger fressen sie auch ’n Pferd, wenn man nicht aufpaßt!“ John kochte vor Wut. Am liebsten hätte er seinen Colt gezogen und darauflos geballert. Doch er beherrschte sich. „Damn, Billy, ich habe mein Pferd verloren, denn die WillbyBanditen haben’s mir abgelaust!“ Er vermied krampfhaft, einen Blick in das Gesicht des Rotbärtigen zu tun. „Aber ich will wetten, daß ihr Versteck im Norden liegt. Jedenfalls war ich -43-
ihnen auf der Spur.“ Billy Jenkins nickte. „Okay, John, bin auch der Meinung! Vielleicht reitest du heute noch auf Rankis Pferd ins Town und besorgst dir in Slumpys Bar einen neuen Gaul. Er hat gute Tiere im Stall. Kannst auch in der Bar und bei Sheriff Limmet ein Wort fallen lassen, daß die Willby-Tramps auf der Ray-Ranch die Scheune niedergebrannt haben! Natürlich werden sie’s längst wissen, aber sie können nicht oft genug drauf gestoßen werden! “ Mißtrauisch blickte er ins Gesicht Ranki Moncks, doch dieser verzog noch immer keine Miene. * Sam Willby, der Anführer der Willby-Bande, wetterte nicht schlecht. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte auch noch den Colt aus dem Holster gerissen und seinen Männern mit ein paar Treffern die Sachlage klargemacht. Vor ihm standen die beiden Unverletzten von den fünf Männern, die er ausgeschickt hatte, die Pferde aus dem Stall der Ray-Ranch zu holen. Sie hatten Bericht erstattet, aber Sam Willby wußte über die Vorgänge bereits durch die Männer Bescheid, die er ihnen entgegengeschickt hatte. Immerhin hatten sie ein Pferd als Beute mitgebracht, aber auch dieses war sehr teuer bezahlt. Die Willby-Bande bestand aus zwanzig Männern, denn so weit war sie bereits zusammengeschmolzen. Die übrigen hatten scharfe Hacken gemacht und sich verdrückt, als ihnen die Sache zu brenzlig zu werden begann. Sam Willby war auf diese Art die Unzuverlässigen losgeworden. Die Verbliebenen stellten nun die Kerntruppe der Gang dar, die dieser sich aus Chicago aus schweren Jungen und Gestrauchelten zusammengestellt hatte. Äußerlich ähnelten sie Tramps und Hobos; in Wirklichkeit waren sie Verbrecher; sogar einige Mörder befanden sich unter ihnen, die dann Sam Willbys Leibwache bildeten. -44-
Monatelang war die Bande als ‚Blinde’ auf den Eisenbahnstrecken unterwegs gewesen. In den Güterwagen hielten sie sich voneinander getrennt. Sobald sie aber ein neues Gebiet für ihre Überfälle erkundet hatten, schlossen sie sich wieder zusammen. Ihr Spezialgebiet waren in ihrer Chicagoer Zeit Banküberfälle in den kleinen Städten gewesen. Dann waren Überfälle auf Geschäftsleute dazugekommen. Je mehr die Bande in den Westen vorstieß, desto geringer wurden ihre Möglichkeiten. Hier ließen sich die Storeinhaber nicht ‚gemütlich’ ausrauben, sondern sie hatten ihre Stangen verdammt schnell zur Hand. Auch die Clerks in den Banken knallten bereits mit ihren Revolvern, bevor man ihnen klargemacht hatte, was man von ihnen wollte. Bisher hatte sich die Bande als Tramps getarnt, aber sie hatte bald die Erfahrung machen müssen, daß die echten Tramps und Hobos damit nicht einverstanden waren, weil ihnen Verbrechen in die Schuhe geschoben wurden, mit denen sie nichts zu tun hatten. In der letzten Zeit war es den Gangstern oft nur unter Lebensgefahr gelungen, aus den Güterzügen wieder herauszukommen. Sam Willby hatte beschlossen, seine Gang beritten zu machen; aber auch das war auf unüberwindbare Schwierigkeiten gestoßen. Bisher hatten sie fünf Pferde für die zwanzig Männer erworben, von denen jedes einzelne bar und ehrlich bezahlt werden mußte. Willby hatte zähneknirschend die Kasse der Bande schwächen müssen und die Pferde in verschiedenen kleinen Städten von den Barhaltern gekauft, die gleichzeitig Pferdehandel trieben. Der Versuch, sich von der Ray-Ranch auf ‚billige’ Art welche zu besorgen, war gescheitert. Dazu hatten die Männer noch die Dummheit begangen, die Scheune anzustecken. „Damned fools!“ brüllte Sam Willby außer sich vor Empörung. „Jetzt summt’s im ganzen Bezirk wie in einem Bienenkorb! Möchte wissen, wo ihr euren Verstand gelassen habt!“ -45-
In Wirklichkeit war es so, daß die Rancher und Cowboys der Gegend schon vorher hellwach geworden waren, was auf Billy Jenkins Maßnahmen zurückzuführen war. Sam Willby und seine Männer hatten davon schon einiges zu spüren bekommen. Sie hatten längst festgestellt, daß sich der Bezirk in der höchsten Alarmstufe befand. Die Wachen bei den Herden waren verstärkt worden, und auch auf allen Ranches standen Männer bereit, jedem Angreifer das Geschäft gründlich zu versalzen. Hinzu kam noch, daß jetzt ein nicht unerheblicher Teil der Bande mehr oder weniger schwer verletzt war. Sam Willby hatte sich einigermaßen wieder beruhigt; an den gegebenen Tatsachen konnte er doch nichts mehr ändern. „Wir müssen über die Grenze nach Mexiko hinüber!“ sagte er nun zu den Männern, die ihn umstanden. „Müssen uns verdrücken, ehe uns die Greifer zu dicht auf den Hacken sitzen. Von hier aus ist’s noch ein Tagesritt bis dahin. Kenne dort ’ne verschwiegene Stelle, wo ’s keiner merkt. Wir müssen aber laufen, unsere sechs Pferde bleiben für die Verwundeten. Wir marschieren getrennt. Als ‚echte’ Tramps braucht ihr ja den Ranches nicht aus dem Weg zu gehen. Wenn die Gelegenheit günstig ist, kommt der eine oder andere doch noch zu einem Pferd. Sonst kann er sehen, ob’s vielleicht noch was anderes zu erben gibt! Braucht ja nicht gerade ’n Hemd von der Leine zu sein, das überlaßt nur den ‚Echten’!“ Sam Willby gr inste, aber seine Männer grinsten nicht. Wer nicht so genau hinsah, hätte sie tatsächlich von Tramps und Hobos nicht unterscheiden können. Deshalb war es ihnen auch bisher gelungen, sich durchzuschlagen. Doch jetzt wurde die Lage tatsächlich kritisch. Manc h einer verfluchte sich, daß er nicht rechtzeitig die Stiefel in die Hand genommen hatte. „Ich weiß ’ne Hütte, wo immer drei Pferde weiden!“ sagte jetzt einer. „Es ist ’ne einsame Hütte. Ich sah sie dort, als ich daran vorbeikam. Ein andermal sah ich einen rotbärtigen Tramp, der darin verschwand. Nehme an, daß er den drei Burschen in -46-
der Hütte was ablauste, denn er verschwand schnell wieder!“ Sam Willby zuckte die Achseln. Wenn sich in dieser Hütte drei Männer befanden, die draußen ihre Pferde weiden ließen, dann würden sie wahrscheinlich nicht damit einverstanden sein, daß man ihnen die Pferde abnahm. Der Boß war nicht für unklare Geschäfte. „Hättest dir den Rotbart greifen und ihn ausquetschen sollen“, meinte er ablehnend. „Hättest ihn fragen sollen, was mit den Männern los ist! Tramps geben sich doch untereinander einen Wink! Der Rotbart hätte ja nicht gerade zu merken brauchen, daß du kein ganz echter bist!“ * Ranki Monck sollte es bald merken, ein wie großes Interesse die Bande für ihn hatte. Er hatte die Gelegenheit benutzt, als John ins Town geritten war, um sich ein neues Pferd zu besorgen, während Billy einen Ritt in die Prärie machte. Er beabsichtigte, die Ranches und die Herden noch einmal abzureiten, um dort die Männer nochmals zu äußerster Wachsamkeit anzuhalten. Der Überfall auf die Ray-Ranch hatte sich mit Windeseile herumgesprochen und den Bezirk in Aufregung versetzt. Selbst in der Stadt Montrose hatte der Barkeeper in Slumpys Bar jetzt zwei scharf geladene ‚Männertöter’ unter der Theke. Er war entschlossen, von ihnen Gebrauch zu machen, sobald jemand in der Bar auftauchte, der ihm nicht ganz geheuer schien. Als John ins Town einritt, machte der Ort fast den Eindruck einer belagerten Stadt. Die Storehalter hatten die eisernen Rollos vor ihren Schaufenstern niedergelassen. Ein Teil von ihnen hatte sogar die Türen verschlossen. Er grinste, als er es sah. Er zweifelte daran, daß die Willby-Bande sich daran kehren würde, wenn sie einen Überfall auf die kleine Stadt versuchte. Auch das Sheriffsamt war geschlossen; Sheriff Limmet war Tag und -47-
Nacht unterwegs, um auch seinerseits die Rancher und ihre Männer zu kontrollieren. Als John in die Bar trat, fuhr er unwillkürlich zurück, denn er sah zwei Revolver auf sich gerichtet. Sluggy, der Barhalter, ließ sie erst sinken, als er den jungen Mann erkannte, der schon früher verschiedentlich in der Bar gewesen war. „Bist ’n blutiger Narr, Sluggy!“ sagte John und grinste. „Hoffe, daß du mich nicht für ’nen Banditen hältst! Brauche ’nen Drink, und dann wollen wir gemeinsam in deinen Verkaufsstall gehen. Ich will mir ’n Gaul aussuchen! Zahle bar auf den Tisch! Billy Jenkins läßt dich grüßen! Sollst mir das Fell nicht über die Ohren ziehen!“ Die Nennung des Namens Billy Jenkins gab für den Barhalter den Ausschlag, seine ‚Männertöter’ wieder auf das Brett unter der Theke zu legen. „Hast du dein Pferd verloren?“ fragte er und schob John den gewünschten Drink zu. John räusperte sich. „No, nicht gerade verloren! Nur ein guter Freund von mir brauchte schnell ein Pferd, da konnte ich schlecht nein sagen!“ Der Barhalter hatte nicht zugehört. Er schüttelte bekümmert den Kopf. „Kein Rancher kommt mehr ins Town! Höchstens mal ein Tramp, der durch die Stadt latscht. Als der Sheriff die ersten sah, wollte er sie einlochen. Aber schließlich wurden’s so viele, daß sie im Jail sowieso keinen Platz gehabt hätten. Darum ließ er sie laufen. Gestern sah ich noch ’nen einzelnen, es war ein Rotbärtiger!“ John schüttelte mißbilligend den Kopf. „Sheriff Limmet hätte wenigstens den ins Jail stecken sollen! Gerade die Rotbärtigen sind am gefährlichsten!“ Während John mit dem Barhalter im Verkaufsstall war, latschte der Rotbärtige über die Prärie. Die Sonne senkte sich bereits; die Schatten, die die Fettsträucher und Mezquitehecken -48-
warfen, waren lang geworden und begannen schon zu zerfließen. Ranki Monck hatte es nicht eilig. Er hatte sogar Zeit genug, sich ins Gras zu legen und eine Weile in den Himmel zu schauen, der sich jetzt wie dunkelblaue Seide über die Landschaft spannte. Er richtete sich auf, als er Hufschlag vernahm. Als er auf den Füßen stand, konnte er in der Ferne einen Reiter erkennen. Ranki hatte seine Wanderung wieder aufgenommen und kümmerte sich nicht weiter um diesen Reiter, der nun in Rufnähe gekommen war. Der Mann, der dort auf dem Pferd saß, gehörte seinem Äußeren nach nicht auf das Sattelleder; denn er machte den Eindruck eines Tramps. Nur der Revolvergurt, aus dessen Tasche der Griff eines Colts ragte, paßte nicht dazu. Nun war der Reiter ganz heran und zügelte sein Pferd. Ranki warf ihm einen verstohlenen Blick zu und machte Anstalten, weiterzuwandern, doch auf den Zuruf des Mannes hielt er an. „Sitzt ja verdammt hoch zu Roß!“ brummte er. „Sah noch nie ’nen Latscher im Sattel! Bist wohl ’n Blinder auf ’nem Gaul? Wenn du ihn gestohlen hast, mach nur scharfe Hacken, daß du aus der Gegend kommst! Der Sheriff ist verdammt hinterher, und die Rancher haben den Finger rascher am Abzug ihres Krachers, ehe sich unsereiner davonmachen kann!“ Der Satteltramp grinste befriedigt. Er stieg aus dem Sattel und hielt jetzt das Pferd am Zügel. „Sah dich neulich aus der Hütte schleichen, wo die drei Gents wohnen, deren Pferde draußen stehen“, sagte er. „Hast sie wohl tüchtig abgesahnt?“ Ranki schien sich durch diese Verdächtigung nicht im geringsten gekränkt zu fühlen. „Unsereiner tut, was man kann!“ meinte er bescheiden. „Dachte, daß ich was erben könnte! Aber die drei Burschen gehören wohl selbst zu denen, die sich erst ‚leihen’ müssen, was sie haben wollen!“ Ranki Monck hatte während dieser Worte weniger auf den -49-
Tramp als auf das Pferd geachtet, das dieser am Zügel hielt. Es war ein schönes Pferd; Ranki sah es nicht zum erstenmal. Es war das Tier, dessen Verlust sein Freund John schon tausendfach verflucht hatte, weil er dadurch gezwungen war, mit den Reiterstiefeln unter dem Arm über die Prärie zu tippeln. „Würde den Kracher, den du an der Hüfte hast, nicht so zeigen!“ sagte jetzt Ranki Monck nachdenklich. „Weißt doch, daß unsereiner platzt, wenn der Sheriff ’ne Waffe findet!“ Der Besitzer der Waffe sah sich unwillkürlich um, aber vom Sheriff oder einem anderen, der gefährlich werden konnte, war weit und breit nichts zu entdecken. „Es ist nur ein alter Kracher. Fand ihn, als ich über die Prärie latschte. Man findet ja manchmal, was man gut gebrauc hen kann - ’n Hemd auf der Leine, ’ne Wassermelone auf dem Feld, warum nicht auch mal ’nen Kracher!“ Der Tramp hatte den Revolver herausgezogen, und Ranki Monck begutachtete ihn. „Verdammt guter Kracher!“ murmelte er. „Verdammt scharf!“ stimmte der Tramp zu. „Hätte gern von dir gewußt, was das für drei Burschen in der Hütte sind.“ Im gleichen Augenblick brüllte der Tramp auf. Er ließ den Zügel des Pferdes los und machte Anstalten, sich auf den anderen zu stürzen. Der Revolver hatte nämlich den Besitzer gewechselt und befand sich jetzt in der Hand des Rotbärtigen. „Nimm die Hände hoch, Sonyboy!“ sagte Ranki liebenswürdig und zielte mit dem Revolver genau dorthin, wo sein ‚Kollege ’ keinesfalls eine Kugel gebrauchen konnte. „Ich vermag nicht einzusehen, warum ich latschen soll, während du reitest!“ Der Gangster stierte auf den Rotbärtigen, der jetzt den Revolver aus der Rechten in die Linke wechseln ließ, wobei er jede Bewegung des Mannes belauerte. Dann zuckte seine frei -50-
gewordene Rechte empor und landete einen Hieb, der ausgereicht hätte, einen Bullen von den Beinen zu holen. Wie vom Blitz getroffen, stürzte der Gangster zusammen. Ranki Monck entwickelte nun eine Kraft, die ihm keiner zugetraut hätte. Er hob den Banditen auf und legte ihn über den Hals des Pferdes, während er selbst in den Sattel stieg. Als die Hütte auftauchte, stellte er fest, daß John bereits zurückgekehrt war, denn neben seinem eigenen Pferd weidete nun ein neues. Auch Billy war zurückgekommen, denn sein hochbeiniger Rappe stand bei den beid en anderen. Ranki stieg aus dem Sattel, wobei er den noch immer ohnmächtigen Banditen festhielt. Als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, hob er ihn herab. Dann ging er in die Hütte. Billy Jenkins sah Ranki erstaunt an. „Sure, Ranki, wir hatten’s anders verabredet! Du wolltest doch in dieser Nacht...“ Auch John schüttelte mißbilligend den Kopf. „Auf Rotbart ist eben kein Verlaß, Billy! Pinkertonleute gehören nicht in die Prärie! Unsereiner knallt sich mit den Banditen herum, bis einem das Pferd unterm Leib weggeschossen wird!“ Ranki Monck grinste. „Habe dir das tote Pferd mitgebracht und den Banditen, der draufsaß, auch! Kannst ja hinausgehen und sie dir beide ansehen!“ John rannte aus der Hütte, um nachzuschauen. Ranki wandte sich an Billy. „Die Tramps und Hobos haben übrigens den Grenzübertritt abgesperrt!“ sagte er halblaut. „Die Willby-Bande wird bald nicht mehr wissen, wohin sie ausweichen soll! Sobald der Gangster, den ich mitgebracht habe, aufgewacht ist, wollen wir versuchen, ihm auf den Zahn zu fühlen.“ John war unterdessen zurückgekommen. Er sah noch immer sehr verdutzt aus. -51-
„Es ist tatsächlich mein Pferd, Billy! Aber der Bursche, der draußen vor der Tür liegt, tut keinen Mucks mehr. Ich will ihn reinbringen, daß wir ihn bei Lampenlicht untersuchen! Aber Freude werden wir an ihm nicht mehr haben!“ Billy Jenkins wechselte mit Ranki Monck einen raschen Blick, dann sah er John entgegen, der die Hütte verlassen hatte und nun mit dem Mann über der Schulter wieder hereinkam. „Ich jedenfalls war’s nicht!“ sagte er und legte beteuernd die Hand auf die Brust. Billy schüttelte mißbilligend den Kopf und sah Ranki verweisend an. „Auch der berühmte Pinkertonmann Ranki Monck wird aus dem Burschen nicht ’n einziges Wort herausholen!“ sagte er dann mit leichtem Spott. „Hättest ein bißchen rücksichtsvoller mit dem Gangster umgehen sollen!“ John sah den Rotbart mit weit geöffneten Augen an. „Damn, Billy, du meinst doch nicht etwa, daß dieser Broadway- latscher den Banditen mit einem einzigen Schlage...?“ „Leider doch!“ knurrte Billy. „Aber nun ist daran nichts mehr zu ändern!“ * Sheriff Limmet begnügte sich nicht damit, die Herden abzureiten und auf den Ranchhöfen nach dem Rechten zu sehen. Es wurmte ihn, daß es ihm noch nicht gelungen war, auch nur einen einzigen Mann der Willby-Bande zu greifen. Aber die Gangster waren so gut getarnt, daß sie von Tramps und Hobos kaum zu unterscheiden waren. Der Sheriff hatte auf der Prärie genug Tramps getroffen, vereinzelt, aber auch zu zweien und dreien, die auf der Wanderscha ft waren. Es kam ihm vor, als ob sich sämtliche -52-
Landstreicher der Staaten in seinem Amtsbezirk ein Stelldichein gegeben hätten. Wie konnte er aber feststellen, ob sich nicht unter ihnen Mitglieder der Willby-Bande befanden? Er hatte noch keinen Tramp auf der Prärie angetroffen, dessen Papiere nicht in Ordnung gewesen waren; Waffen hatte keiner besessen. Sheriff Limmet fluchte verbissen vor sich hin. Er hätte viel darum gegeben, wenn er mit Captain Jenkins über die Sache hätte sprechen können. Aber dieser ging ihm anscheinend aus dem Weg. Er wußte zwar, daß der mit noch zwei anderen in der alten Roundhütte hauste. Er war verschiedentlich dort gewesen, hatte aber nie einen von ihnen vorgefunden - die Hütte war immer leer. In der Nähe der Hütte hatte er nur einen rotbärtigen Tramp aufgescheucht. Es war derselbe, dem er die Papiere im Office bereits einmal abgefordert hatte. Limmet ritt an ihm vorbei, ohne ihm Beachtung zu schenken. Ranki Monck grinste hinter ihm her und erstattete später seinem Freund Billy Bericht. Billy Jenkins lächelte, als er davon hörte. Sheriff Limmet ritt nach Norden weiter. Die Ranchhöfe wurden hier immer seltener, und auch Herden begegnete er kaum noch. Die Nähe der mexikanischen Grenze machte sich dadurch bemerkbar, daß der Boden unfruc htbar und steinig wurde. Auf der Prärie hatten sich stellenweise schon Kakteen angesiedelt, die sich zu undurchdringlichen Stachelhecken verfilzten, die mit roten Blüten übersät waren. Der Rio Tujo, der die eigentliche Grenze bildete, schäumte in seinem Steinbett, und auf der mexikanischen Seite des Ufers stiegen die Steilwände der Sierra Madre mit ihren gewaltigen Felsformationen empor. Von hier führten nur Maultierpfade durch die Gebirgswelt. Sheriff Limmet war nur selten in dieser Gegend gewesen, denn seine Ritte führten ihn nicht oft an diese abgelegenste Stelle seines Amtsbezirks. Seit die amerikanischen Rancher sich aus der Nähe der Grenze zurückgezogen hatten, unterblieben auch die Überfälle durch mexikanisches Banditengesindel. -53-
Limmet wollte gerade wieder umkehren, als er die Gestalt eines Mannes erkannte, der hinter einem der Kakteendickichte verschwand. Er hatte ihn nur für einen Moment flüchtig gesehen, aber er glaubte, daß es sich um einen Tramp handelte. Also wurde auch diese einsame Gegend von diesen Burschen heimgesucht! Daß irgend etwas hinter dieser Sache steckte, davon war er überzeugt. Er nahm sein Pferd wieder zurück und ritt auf das Kakteendickicht zu, in dem der Tramp verschwunden war. Aber von ihm war nichts mehr zu entdecken. Auch ein Eindringen in das Dickicht war unmöglich, denn die Stachelhecke war zu dicht. Das Pferd des Sheriffs war unruhig geworden. Es hatte die Nüstern gebläht und ließ aufgeregt die Ohren spielen. Immer wieder machte es den Versuch, auszubrechen, doch Limmet hielt es bei der Stange. Nun ritt er an der Hecke entlang. Dann glaubte er, eine Stelle gefunden zu haben, wo ein Eindringen möglich schien, aber nicht zu Pferde. Der Sheriff stieg aus dem Sattel. Da das Pferd zu unruhig war, um es sich selbst zu überlassen, fesselte er es an den Vorderbeinen. Dann ging er zu der Stelle und drang in die Hecke ein. Nach etwa einer Stunde kehrte er zurück. Seine Kleidung sah ziemlich mitgenommen aus. Das Pferd befand sich nur wenige Schritte entfernt von der Stelle, wo er es zurückgelassen hatte. Noch immer war es erregt und schnaubte. Der Sheriff mußte es hart am Zügel nehmen, während er ihm die Fesseln löste. Aber selbst als er im Sattel saß, gab es noch einen kurzen Kampf, bis das Tier dem Zügelzug gehorchte. Die Nacht war bereits angebrochen, als er im Town ankam. Die kleine Weststadt lag völlig ausgestorben und tot da. Die Stores waren durch die Eisenvorhänge verschlossen; auch durch die Türscheiben fiel kein Licht nach außen. Nur in Slumpys Bar war noch Licht; Gäste konnten kaum noch drin sein, denn draußen waren keine Pferde an der Stange festgemacht. -54-
Sheriff Limmet hatte sein Pferd im Stall untergebracht. Kurze Zeit später leuchtete im Office die Petroleumlampe auf. Doch dann wurden die Holzläden geschlossen, und auch das Sheriffshaus lag im Dunkeln. * Der junge John hatte mit Bud Care, dem Rancher, dessen Stierherde spurlos verschwunden war, Freundschaft geschlossen. Auch mit dessen drei Ranchhands war er gut Freund. „Es sind doch famose Burschen!“ erklärte er seinem Freund, als er dessen für ein paar Minuten habhaft wurde, denn dieser war nun fast jeden Tag und jede Nacht unterwegs. „Möchte überhaupt wissen, wann du mal schläfst. Auch der Tomatenbart hat sich rar gemacht. Kannst mir glauben, daß er mir ordentlich fehlt!“ Billy Jenkins hatte nur schnell das Cowboyhemd gewechselt und ging wieder zu seinem Pferd hinüber. Er setzte den Fuß in den Steigbügel, war jedoch höflich genug, erst abzuwarten, was ihm John noch mitzuteilen hätte. „Ich schlafe mal auf ’ne Stunde im Sattel, John! Auch mal in ’ner Pferdedecke unter einem Busch, wenn die Zeit langt. Kommt mir auch nicht darauf an, in ’ner Heuscheune zu übernachten!“ John betrachtete Billy mit einem verzweifelten Blick; denn dieser sah wie aus dem Ei gepellt aus, nicht anders, wie seine Freunde es von ihm gewohnt waren. Doch dann kam er noch mal auf seine neuen Freunde zurück. „Famose Burschen!“ wiederholte er. „Und im gesetzten Alter, gerade wie unsereiner es gern hat. Bud Care und seine Hands sind mächtig down wegen der Stierherde. Sie ist zwar berühmt, und führt ihren Stammbaum direkt auf Golden Grov zurück. -55-
Aber die Gents müssen sich irren; die Herde stammt eher von Prärielerchen ab!“ Da war Billy Jenkins doch verblüfft, aber John klärte ihn sofort auf. „Sie sind nämlich zum Himmel gestiegen und davongezwitschert!“ grinste er. „Erst sind sie ein Stück gerannt und dann aufgestiegen! Deshalb haben sie auch später keine Spuren mehr hinterlassen! Die Gents von der Care-Ranch sind davon überzeugt, daß der Nachtreiter dabei seine Händ e im Spiel hatte!“ Billy Jenkins saß bereits im Sattel; nun lachte er ärgerlich. „Nonsens, John. Kannst ja den ‚Nachtreiter’ mal fragen!“ Dann gab er seinem bereits unruhig gewordenen Pferd die Zügel frei und verschwand in der sinkenden Dämmerung. John ging in die Hütte zurück und packte sich erst noch auf ein paar Stunden auf das Heulager. Erst als der Mond aufgegangen war, erschien er wieder und stieg seinerseits in den Sattel. Auch jetzt ritt er langsam und überließ das Tier mehr seinem eigenen Willen, als daß er es lenkte. Mitternacht war bereits überschritten, als er die ersten dunklen Punkte sah, die die Prärie sprenkelten. Es waren die Tiere der Rinderherde, die Bud Care und seinen Männern geblieben waren. John traf alle vier Männer an, die beieinander standen und miteinander schwätzten. Er stieg aus dem Sattel, ließ sein Pferd stehen und ging zu ihnen hinüber. Es hatte den Anschein, als ob sie ihn bereits erwartet hätten. Mike O’Gilvy war erst vor kurzem vom Ranchhof zurückgekommen. Es hatte eine ärgerliche Auseinandersetzung mit ein paar Tramps gegeben, die sich in der Stallkammer in die beiden Betten geteilt hatten und dort friedlich schnarchten. Mike hatte sie herausgeholt und wieder an die frische Luft befördert. Gestohlen hatten sie anscheinend nichts, soweit er feststellen konnte. Er hatte dann den Stall durch ein großes -56-
Vorhängeschloß verschlossen, sich aus dem Küchenhaus die notwendigen Vorräte geholt und in die Satteltaschen verstaut. Auch das Küchenhaus trug jetzt ein Vorhängeschloß gegen unliebsame Besucher. Unterdessen war es dunkel geworden. Als Mike O’Gilvy etwa die Hälfte des Weges zwischen der Ranch und der Herde zurückgelegt hatte, schob sich der Mond hinter den Grashügeln hervor. In diesem Moment hatte Mike den Nachtreiter erblickt, der sich auf einer Grashöhe scharf gegen den Mond abzeichnete. „All devils, du sahst ihn mit eigenen Augen?“ fragte John verblüfft und faßte unwillkürlich nach seinem Reitertuch, aber es befand sich in seiner richtigen Lage, und der Knoten war hinten. „Wette, daß du dich irrtest, Mike!“ Mike O’Gilvy war ein älterer Mann und John nach seiner Meinung noch ein junger Bursche mit Milch am Mund, der sich nicht einzumischen hatte, wenn erfahrene Männer ernste Dinge diskutierten. „Ich sah ihn, genau wie ich dich jetzt sehe!“ John trat einen Schritt zurück, aber die Worte der alten Ranchhand waren völlig harmlos gemeint. Ihm schoß sofort der Gedanke durch den Kopf, daß Billy jetzt vielleicht seine Rolle übernommen und den ‚Nachtreiter’ gespielt hatte. „Der Nachtreiter benutzt doch einen Rappen!“ deutete er vorsichtig an. „Wenn ein Reiter gegen den Mond steht, kann keiner die Farbe seines Pferdes erkennen“, antwortete Mike ruhig. „Hatte er einen Bart?“ fuhr es John heraus. „Einen Tomatenbart vielleicht?“ Im gleichen Moment bedauerte er die Frage, denn das bis zu den Augen gezogene Reitertuch hätte ja den Bart verdecken müssen. Mike sprach bereits mit den drei anderen weiter. John hielt seine Gegenwart daher für überflüssig und ging zu seinem Pferd zurück, hob sich in den Sattel, rief den vier Männern ein „Bye-bye!“ zu und war im nächsten Moment verschwunden. -57-
Er ritt in der Richtung, in der der Cowboy den Nachtreiter gesehen haben wollte. Wenn Billy in dieser Vermummung herumritt, dann würde er dafür schon seinen Grund haben, obwohl nicht anzunehmen war, daß die Willby-Bande hier umherstreifte. Auf der Care-Ranch war nichts zu holen, und auf den anderen Höfen befanden sich entschlossene Männer, die jeden Angriff abweisen würden. Dann sah er kurz einen Reiter über eine Grashö he reiten und gleich darauf im Tal wieder verschwinden. Billy war es jedenfalls nicht, denn der saß anders im Sattel. John ließ seinem Tier die Zügel locker; es galoppierte leicht an. Er vermied es, auf den Höhen der Grashügel gegen das Mondlicht sichtbar zu werden, und ritt lieber durch die Täler. Nicht weit von dieser Stelle war es auch gewesen, an der er auf die Gangster gewartet und dann sein Pferd verloren hatte. Jetzt sah er den Reiter wieder. Dieser fühlte sich anscheinend völlig sicher, denn er ließ sein Pferd leicht traben. Was nun geschah, wickelte sich in Sekundenschnelle ab. Ein Schuß krachte, der Reiter warf die Arme hoch. Sein Pferd brach aus. Noch hielt er sich im Sattel, doch dann stürzte er zu Boden. Sein Pferd galoppierte noch ein paar Schritte, dann blieb es stehen. John hatte wie erstarrt diesem Schauspiel zugesehen. Der Mann, der vom Pferde gestürzt war, lag auf dem Boden eines Grastales. Der Stetson war ihm vom Kopfe gefallen; man konnte jetzt genau erkennen, daß das Gesicht des Mannes bis zu den Augen verhüllt war. John trieb sein Pferd an. Vor dem am Boden Liegenden ließ er sich aus dem Sattel gleiten. Gleich darauf beugte er sich über ihn. Bis hierher war alles programmgemäß verlaufen. Was jedoch jetzt geschah, paßte nicht dazu. Der ‚Tote’ richtete sich plötzlich auf, riß sich das Reitertuch vom Gesicht, und John machte eine Bewegung, als ob er sich rasch abwenden und wieder zu seinem Pferd gehen wollte. -58-
„Damn!“ rief er entrüstet. „Hätte nicht erwartet, daß dieser verdammte Tomatenbart...“ Ranki Monck - denn er war der ‚Tote’ - befand sich jetzt wieder auf den Beinen. Er griff sich seinen Stetson und stülpte sich ihn auf den Kopf. „Kalkuliere, daß ich’s bin!“ sagte er nur und nickte seinem Freund zu. „Wäre gut, wenn du deine Augen wieder in den Kopf zurückschraubtest, sie fallen dir sonst ganz raus!“ John knurrte wie ein gereizter Puma, aber er nahm sich zusammen. „Wenn mich nicht alles täuscht, bist du durch eine Kugel aus dem Sattel geholt worden. Dein Hemd zeigt deutlich den Kugeleinschlag.“ Ranki Moncks Cowboyhemd wies tatsächlich ein Schußloch direkt über dem Herzen auf. „Du müßtest also - hm! - eigentlich tot sein!“ sagte John verhalten. „Wir Pinkertonleute tragen häufig kugelfeste Westen. Wir tragen sie nämlich aus Gesundheitsgründen! Sie sind empfehlenswert, wenn Blei in der Luft hängt.“ Johns Gesicht hatte sich gerötet. „Der Satan soll euch Pinkertonleute holen!“ knurrte er. „Wahrscheinlich bist du hier spazierengeritten, nur um deine Weste auszuprobieren!“ Das sollte ironisch klingen, aber Ranki nickte bestätigend. „Wenn du mich ruhig hättest liegen lassen, darin wäre der Willby-Gangster aufgetaucht. Ich hätte ihn mir gegriffen, und Billy und ich hätten ihm die Zunge schon locker gemacht!“ „Damn, Ranki!“ sagte John zögernd. „Ich konnte das ja nicht wissen, daß du und Billy gemeinsam was ausgemacht habt. Es ist nicht gerade nötig, daß du’s ihm sagst!“ Ranki Monck grinste und ließ John eine Sekunde zappeln. „Sure, nicht ein Wort!“ versicherte er dann. „Übrigens kann dir -59-
keiner einen Vorwurf machen! Ich hätte an deiner Stelle nicht anders gehandelt. Wenn du Billy früher als ich triffst, kannst du ihn ausrichten, daß sich die Willby-Bande jetzt nach Süden gewendet hat. Ich habe Nachrichten bekommen. Je früher du’s ihm sagst, desto besser ist es!“ Ranki Monck ging zu seinem Pferd und hob sich in den Sattel. Dann ritt er davon; John wartete, bis er verschwunden war. „Verdammte Geheimnistuerei!“ knurrte er. „Aber das hat er von Billy, der schweigt auch immer wie ’ne Auster. Unsereiner kann sich den Schädel zerbrechen und sehen, wie man zurechtkommt!“ John stieg in den Sattel und nahm die Zügel auf; in diesem Moment hörte er Schüsse. Gleich darauf lag er auf dem Halse seines Tieres und jagte einen Grashügel hinauf in der Richtung, woher die Schüsse kamen. * Die Schüsse wurden jetzt immer deutlicher. Sie kamen von dorther, wo die Herde der Care-Ranch stand. John unterschied die Schüsse von Winchesterkarabinern und entsann sich blitzschnell, daß die Care-Leute ja ihre Büchsen bei sich hatten. Das helle Bellen waren zweifellos Entladungen aus Colts. John hatte ein feines Ohr für diese Unterschiede. Seine einzige Sorge war jetzt, daß die Schießerei aufhören könnte, bevor er persönlich eingegriffen hatte. Bald hatte er die offene Prärie vor sich und konnte seinem Pferd die Zügel freigeben. Noch immer klangen von drüben die Schüsse, aber die Karabinerentladungen hatten das Übergewicht, während die Schüsse aus den Colts nachließen. „Die Banditen sind mit den Care-Leuten aneinandergeraten“, kombinierte er. „Wahrscheinlich wollten sie sich ein paar Rinder -60-
beibiegen. Bud Care und seine Jungen haben ihnen aber mit ihren Karabinern den Spaß verdorben. Jetzt knallen die Gangster aus ihren Colts noch die letzten Bonbons raus, um sich den Rückzug zu sichern. Will wetten, daß ich wieder einen Posttag zu spät komme!“ Jetzt verstummten die letzten Schüsse, die die Care-Leute hinter den Banditen herjagten. In diesem Moment sah John einen der Banditen. Er hatte wahrscheinlich in dem hügeligen Teil der Prärie verschwinden wollen. Dann hatte er ihn gesehen und ritt nun in die flache Prärie hinaus. John sah, wie er auf sein Pferd einschlug, das stark auf der rechten Vorderhand lahmte. Die Aussichten des Banditen für eine Flucht waren schlecht. John brauchte nur seinem Tier die Zügel freizugeben, um in einigen Minuten so weit aufgerückt zu sein, daß er den Fliehenden im Schußbereich hatte. Wahrscheinlich würde dieser dann die letzten Kugeln aus seinem Colt verpuffen, wenn er überhaupt noch welche in der Trommel hatte. Hiervor hatte John keine Angst. Der Bursche hätte schon ein Kunstschütze sein müssen, um bei dem unsicheren Mondlicht ein Ziel auszumachen, geschweige zu treffen! John hatte auch nicht die Absicht, seinerseits ein Scharfschießen zu veranstalten. Er wollte ‚seinen’ Gangster lebendig haben. Da Billy nicht in der Hütte war, wollte er jedes Risiko ausschalten und den Gefangenen gleich im Sheriffsamt abgeben. Sheriff Limmet konnte ihn dann so lange ins Jail sperren, bis Billy Zeit fand, ihn zu vernehmen. John hatte also einen festen Plan gefaßt, während der Gangster sich da vorn abmühte. Nun wandte er sich plötzlich um und ließ aus seinem Colt zwei Schüsse in die Richtung seines Verfolgers los. Dann hörte er mit der Schießerei auf. Der Willby-Bursche hatte also tatsächlich nur noch zwei Schüsse in der Trommel gehabt! John löste das Lasso vom Sattelhorn. Er freute sich, daß er es -61-
bei sich hatte, obwohl er es eigentlich zu einem anderen Zwecke mitführte. Er gab seinem Pferd die Zügel frei, während er die Lassoschlinge bereits kreisen ließ. Sein Tier hatte lange als Cowpony gearbeitet und wußte, was von ihm verlangt wurde. Es ließ sich auf die Hinterhand sinken und stemmte die Vorderhand fest auf den Prärieboden, als die Schlinge mit tödlicher Sicherheit über dem Verfolgten niedersauste. Es gab einen Ruck; der Gangster wurde aus dem Sattel gerissen, machte eine Luftreise und landete unsanft auf dem Grasboden. „Damn, hoffentlich hat er sich nichts verstaucht!“ murmelte John besorgt. „Ich will den Banditen lebendig und unbeschädigt haben! Ranki soll platzen, weil er’s nur zu ’ner Leiche gebracht hat!“ Sein Cowpony hatte sich wieder aufgerichtet. John klopfte dem Tier anerkennend den Hals; dann ritt er zu dem Gangster hinüber. Dieser saß im Gras und versuchte fieberhaft, sich von der Schlinge zu befreien. John stieg aus dem Sattel. „Mußt viel ruhiger werden, Sonny! “ sagte er belehrend. „Glaubst doch selbst nicht, daß du jetzt noch scharfe Hacken machen kannst!“ John beugte sich über den Mann und riß ihm den Colt aus dem Holster. „Unbefugter Waffenbesitz, Boy!“ stellte er sachlich fest. „Kostet dich einigen Knast, unbeschadet deiner sonstigen Ansprüche!“ Dem Äußeren nach unterschied sich der Mann in nichts von einem Tramp, abgesehen von den Sporen, die er an seinen abgelatschten Stiefeln trug, und dem Holster, dessen Revolvertasche nun leer war. „Bist nicht der Sheriff!“ krächzte der Mann. „Hast kein Recht, mich aus dem Sattel zu holen, wenn ich über die Prärie reite. Ich hab’s eilig!“ „Das dachte ich mir. Wolltest sicher zum Sheriff! Wir haben also den gleichen Weg. In Gesellschaft geht sich’s -62-
besser, das heißt, du latschst und ich reite, denn dein Pferd ist nichts mehr wert. Damit wir uns nicht verlieren, will ich dich an der Leine lassen!“ Der Mann versuchte, aus der Schlinge herauszukommen. Es sah sogar aus, als ob er sich, obwohl ihm die Arme an den Leib geschnürt waren, auf seinen Überwinder stürzen wollte. John schüttelte verweisend den Kopf. „Laß das, Sonny! Sollte mir leid tun, wenn ich dir den Gehirnkasten erst zurechtschütteln müßte! Wollen uns auch nicht aufhalten, dann können wir bei Sonnenaufgang im Town sein! Es ist ja nicht gerade nötig, daß du dort durch ’ne Ehrenpforte mit weißgewaschenen Jungfrauen einmarschierst!“ Der Widerstandswille des Gangsters schien gebrochen zu sein, denn er machte keinen Versuch mehr, sich zur Wehr zu setzen, als John jetzt die Lassoleine verknotete, so daß es unmöglich war, sie abzustreifen. - Die Sonne war tatsächlich erst kurz vorher aufgegangen, als John mit seinem Gefangenen im Town eintraf. Der Gangster hatte den Gewaltmarsch einigermaßen gut überstanden, da John immer wieder Ruhepausen eingelegt hatte. Die Main Street der kleinen Stadt lag völlig menschenleer, so daß wirklich kein Aufsehen erregt wurde. Nun hatten sie das Sheriffshaus erreicht. John stieg aus dem Sattel und öffnete die Pforte des Zaunes, der den kleinen Vorgarten des Hauses von der Straße abgrenzte. Der Gangster fluchte verbissen vor sich hin, während er hindurchschritt. Auch als John die Haustür öffnete, ließ er dem Gefangenen den Vortritt. Trotz der frühen Morgenstunde war Sheriff Limmet schon auf den Beinen. Vielleicht war er auch eben erst von einem Nachtritt aus der Prärie zurückgekommen. „Hallo, Sheriff, freut mich, daß Sie schon auf den Beinen sind!“ begrüßte ihn John. „Habe Ihnen auch ’nen lockeren Zeisig mitgebracht, den ich mir auf der Prärie gegriffen habe. -63-
Wäre gut, wenn Sie ihn in den Käfig sperrten, bis Billy Jenkins ihn vernimmt!“ Der Sheriff war wohl eben dabei gewesen, den Gürtel abzuschnallen, an dem sein großer Colt baumelte. Statt dessen zog er diesen nun heraus und hob ihn. John Price grinste unwillkürlich. „Eine Kanone brauchen Sie doch nicht, um den Gangster ins Jail zu befördern!“ sagte er. „Der Bursche hat ’nen Marsch hinter sich, daß er seine Beine überhaupt nicht mehr spürt. Er ist froh, wenn er sich auf ’nen Hocker setzen kann! Außerdem habe ich ihm natürlich seine Stange abgenommen! Unbefugter Waffenbesitz! Wird ihn ’ne Weile Knast kosten. Zum Satan, Limmet, Sie werden mir doch den Burschen nicht totschießen! Gab mir die größte Mühe, ihn lebendig bis hierher zu bekommen! “ Johns Sorge war nicht unberechtigt, denn Sheriff Limmet wirkte mit seinem Revolver sehr bedrohlich. Plötzlich stellte John fest, daß die Mündung der Waffe nicht auf den Gefangenen, sondern auf ihn gerichtet war. „Sind Sie verrückt geworden?!“ brüllte er und griff nach seinem eigenen Revolver. „Ist der Teufel in Sie gefahren, Sheriff?“ John kam nicht dazu, seine Waffe herauszureißen, denn er erhielt nun von hinten einen Schlag auf den Schädel. Er taumelte. Da traf ihn ein zweiter Schlag, der ihn von den Beinen brachte. Schwer stürzte er zu Boden. Als er wieder aufwachte, war es dunkel um ihn. Sein Kopf schmerzte ihn entsetzlich. Er tastete seinen Schädel ab, konnte aber nichts feststellen. Wahrscheinlich war er mittels eines Sandsacks niedergeschlagen worden. Sein zweiter Griff galt der Revolvertasche, aber sie war leer. John hatte sich aufgesetzt und stützte den schmerzenden Kopf in die Hände, während er versuchte, Ordnung in seine Gedanken -64-
zu bringen. Es dauerte eine Weile, bis er die Vorgänge wieder zusammen hatte. Nun versuchte er festzustellen, wo er sich eigentlich befand. Der dumpfe Geruch deutete auf einen Keller. Er erhob sich, wobei er spürte, daß er immer noch recht weich in den Knien war, aber er biß die Zähne zusammen und unterdrückte die Schwächeanwandlung. Er brauchte nur zwei Schritte zu gehen, bis er an rohes Mauerwerk stieß. Er tastete es ab, ohne jedoch auf eine Tür zu stoßen. Wahrscheinlich handelte es sich um eine n Keller, in den von einer Deckenluke aus eine Leiter führte. Aber jetzt war keine mehr vorhanden; sicherlich war sie entfernt worden. Der Keller schien hoch zu sein, denn er konnte mit ausgestrecktem Arm die Decke nicht erreichen. Nun hörte er Schritte über sich. John fluchte verbissen vor sich hin. Dann setzte er sich ergeben auf den Boden, entschlossen, das Weitere an sich herankommen zu lassen. * Billy Jenkins ritt nach Norden, dorthin, wo die Kette der Sierra Madre sich in blauem Dunst gegen den Horizo nt abzeichnete. Er führte ein lediges Pferd mit sich. Es war dasjenige, welches John in Slumpys Bar gekauft hatte. Er benötigte es nicht mehr, nachdem er wieder im Besitz seines eigenen Tieres war. Auf seinem Ritt begegnete Billy Tramps, die nach Süden wanderten. Er ritt ziemlich rasch, denn er wußte, daß der Mann, der auf den Sattel des zweiten Pferdes gehörte, sehnsüchtig auf ihn wartete. Ein Tramp, der in der Hütte erschienen war, hatte ihm die Botschaft gebracht. Da er dort niemand antraf, hatte er einen Zettel hinterlassen. Als Billy Jenkins diesen bei seiner Rückkehr fand, brach er sofort wieder auf und nahm das zweite Pferd mit. Das war in den Morgenstunden geschehen und noch nicht -65-
lange her, daß die Sonne den Tau auf Gräsern und Büschen getrocknet ha tte. Als die Mittagsstunde herangekommen war, klapperten die Hufe der Pferde auf festen Boden, und die wilden Felsformationen der Sierra ragten fast greifbar nahe auf. Dunkle Hänge von Kiefern zogen sich an den Berghängen empor. Das Rauschen des Tujo, der die Grenze bildete, war bereits hörbar. Billy sah Kakteenhecken, die sich zu dichtem Gestrüpp verfilzten. Er schirmte jetzt die Augen mit der Hand, und da sah er denjenigen, den er erwartet hatte. Gleich darauf war er bei dem Mann. Es war der Sheriff Marc C. Limmet. Seine Kleidung war von Kakteenstacheln zerrissen; einen Stetson besaß er nicht mehr. Billy erkannte mit einem raschen Blick, daß auch das Sheriffsabzeichen an seinem zerfetzten Hemd fehlte. „Bekam Ihre Nachricht und machte mich sofort auf!“ erklärte Billy, wobei er vermied, in das Gesicht des Mannes zu blicken. „Dieses Pferd habe ich für Sie mitgebracht!“ Billy war während dieser Worte aus dem Sattel gestiegen und stand nun vor dem Sheriff. „Damn, Limmet!“ sagte er nun herzlich und legte dem vierschrötigen Mann die Hand auf die Schulter. „Schließlich kann’s jedem passieren, daß er Pech hat und mal den kürzeren zieht! Kann’s überhaupt nicht mehr zählen, wie oft ich in der Klemme saß. Schließlich half ich mir selbst oder ein anderer kam! Häufig war’s der John, der mir beisprang!“ Sheriff Limmet nickte. Die verständnisvollen Worte hoben wieder sein Selbstvertrauen. „Es waren zwei Tramps, die mich fanden“, berichtete er. „Sie waren in die Hecke eingedrungen! Sie zerschnitten die Fesseln, denn ich konnte kein Glied rühren. Schließlich teilten sie noch ihren Mundvorrat mit mir und ließen mir noch etwas zurück, als sie sich wieder aufmachten. Sie versprachen mir, Ihnen Bescheid zu geben, denn ich wollte nicht, daß die Leute im -66-
Town erfahren, wie mir die Willby-Bande mitgespielt hat!“ Billy hatte Verständnis dafür. „Von meiner Seite wird niemand etwas erfahren, darüber können Sie beruhigt sein, Limmet!“ versicherte er. „Ich bringe Sie jetzt in die Hütte und helfe Ihnen mit meinen Kleidern aus, denn es ist nicht notwendig, daß Sie so im Town erscheinen! Vor allem müssen Sie Ihren Stern wiederhaben. Es wird nicht lange dauern, bis Sie ihn sich wieder anstecken können. So lange bleiben Sie eben in der Hütte!“ Auf dem Gesicht des Sheriffs zeichnete sich der Zwiespalt ab, in dem er sich befand; doch Billy beruhigte ihn. Es war bereits später Nachmittag, als sie bei dem Blockhaus ankamen, in dem der Sheriff dann verschwand. Billy Jenkins stieg wieder auf das Sattelleder. Es war schon tiefe Dämmerung, als er vor der Stadt ankam. Billy erblickte den Mann, den er hier erwartet hatte. Es war Ranki Monck, der aus dem Schatten eines Baumes trat. Billy zügelte sein Pferd. „Ich fand den Sheriff, Ranki, und habe ihn vorerst in unserer Hütte gelassen“, berichtete er kurz. „Wo ist John?“ „Im Town, jedenfalls ist er heute früh hier eingeritten. Er befand sich in Begleitung eines Tramps, den er an der Lassoleine führte. Beide verschwanden im Sheriffshaus. Dort ist er nicht wieder herausgekommen.“ Billy Jenkins lächelte flüchtig, doch dann wurde er wieder ernst. „Die Stadt ist voller Tramps und Hobos“, berichtete Ranki weiter. „Heute nacht wird der Tanz wohl losgehen. Es wäre besser, wenn du nicht in die Stadt gehen würdest, es sei denn als Tramp verkleidet! So würdest du kaum auffallen; denn auf einen Tramp mehr oder weniger kommt’s nicht an.“ Billy schüttelte den Kopf. Er war mit diesem Vorschlag nicht einverstanden, denn es entsprach nicht seiner Art, sich auf diese Weise zu tarnen. -67-
„No, Ranki, ich werde schon auf andere Weise in die Stadt gelangen“, sagte er. „Mein Pferd kann ich jedoch dazu nicht brauchen. Ich möchte es so unterstellen, daß es den WillbyGangstern nicht in die Hände fällt.“ Die tiefe Dämmerung verbarg das Lächeln, das nun über das Gesicht des Rotbärtigen lief. Gleich darauf standen die beiden Männer vor einer leeren Maisscheune, in der auch Ranki sein Tier schon untergestellt hatte. Gemeinsam traten sie dann wieder ins Freie, worauf sie sich trennten. * John saß immer noch in seinem Verlies, aus dem es keinen Ausgang gab, es hätte denn die Klappe sein müssen, die er nicht erreichen konnte. Von den Folgen des heimtückischen Überfalls hatte er sich längst erholt. Auch an die Dunkelheit hatte er sich gewöhnt, so daß er, solange es draußen noch Tag war, wenigstens erkennen konnte, wo er sich befand. Zu seiner Enttäuschung hatte er feststellen müssen, daß es in dem Keller nichts gab, was ihm ermöglicht hätte, die Deckenklappe zu erreichen. Von oben klangen wohl Stimmen von Männern zu ihm, aber es war nur ein Murmeln, dem man keine Worte entnehmen konnte. Hinzu kam, daß sich bei ihm auch ein gewaltiger Hunger eingestellt hatte. „Werde meine Stiefel auffressen!“ beschloß er erbost. „Fresse sie lieber auf, als daß ich den Burschen den Gefallen tue und hier verrecke.“ Über die Zusammenhänge, die ihn in dieses Gefängnis gebracht hatten, zerbrach er sich nicht mehr den Kopf. Wichtiger schien ihm, zu überlegen, wie er von hier wieder wegkam. Doch dafür bestand wenig Aussicht. Denn er wußte nicht, wie lange er nun schon in dem Verlies saß. Er war der Meinung, daß es inzwischen Nacht geworden sei. In dieser Ansicht wurde er dadurch bestärkt, daß durch die Ritzen der -68-
Klappe leichter Lichtschimmer fiel. Oben war also eine Lampe angesteckt worden. Er hätte jetzt viel für den Besitz eines Revolvers gegeben, denn dann hätte er die Möglichkeit gehabt, gegen die Decke zu funken. Das Brett der Klappe wäre bestimmt durchschlagen worden, und der Bandit, der vielleicht gerade darauf stand, hätte ein unangenehmes Erlebnis gehabt. Aber der Revolver war ihm ja abgenommen worden. Als er vielleicht zum hundertsten Male die Wände abtastete, ob sich vielleicht dort nicht doch eine Tür zeigte, die er einrennen konnte, fand er ein paar Ziegelsteine, die nur lose in ihrem bröckeligen Mörtelbett saßen. Er hatte schon wiederholt über sie hinweggetastet, ohne sich dabei etwas zu denken. Nun holte er die Steine aus der Wand. Das ging leichter als er erwartet hatte. Doch hinter diesen Mauersteinen befand sich eine zweite Schicht, die fest verfugt war und jeder Gewaltanwendung widerstand. „Zum Satan!“ knurrte er und wog einen Stein in der Hand. „Hätte mir nicht erst die Mühe zu machen brauchen.“ Er blickte zur Klappe hinauf, die von einem schmalen Lichtviereck eingerahmt war. Die Wut packte ihn; er schleuderte den Ziegelstein dagegen. Es gab ein donnerartiges Geräusch, aber die Klappe hielt stand. John hatte auch nicht erwartet, daß er sie zertrümmern könnte, aber nun war ihm die Möglichkeit geboten, sich nachdrücklich bemerkbar zu machen. Immer wieder dröhnte die Decke, und John nahm an, daß sein ‚Bombardement’ bis auf die Straße zu hören sei. Er grinste befriedigt und setzte die Kanonade fort, wobei er darauf achtete, daß ihm selbst die Steine nicht auf den Kopf fielen. Seine Anstrengungen wurden schon nach wenigen Minuten belohnt, denn die Klappe wurde geöffnet, und ein breiter Lichtstrahl fiel in den Keller. Der nächste Ziegel verschwand auf Nimmerwiedersehen. John schleuderte den Rest seiner ‚Munition’ hinterher, dann zog er sich aus dem Lichtschein zurück. -69-
Es dauerte nicht lange, bis eine Hand erschien, die einen Revolver hielt. Dann tauchte vorsichtig der Kopf eines Mannes auf, der mit den Blicken das Dunkel zu durchdringen suchte. John hatte sich in den dunkelsten Winkel zurückgezogen und beobachtete nun scha rf jede Bewegung des Gegners. Jetzt hatte dieser ihn anscheinend entdeckt. Ein Feuerstrahl flammte aus der Mündung des Revolvers, aber John hatte die Richtung vorausgesehen und sich blitzschnell mit einem Sprung in Sicherheit gebracht. Noch einmal krachte ein Schuß auf. John stieß einen dumpfen Schrei aus, er taumelte, jetzt brach er direkt unter der Deckenklappe im vollen Lichtschein zusammen. Er zuckte noch einige Male, dann streckte er sich. * Das geschah etwa um die Mitternachtsstunde. Die kleine Weststadt Montrose lag im Mondschein. Die Häuser warfen tiefe Schatten. Hinter keinem ihrer Fenster war Licht, nur Slumpys Bar war noch erleuchtet. Manchmal tauchten die Umrisse eines Mannes hinter den Scheiben auf. Wahrscheinlich war es der Barhalter, der nach verspäteten Gästen Ausschau hielt. Vor den Stores waren die eisernen Vorhänge niedergelassen. Auch das Sheriffshaus war verdunkelt. Doch dann tauchten Gestalten auf; sie verschwanden in den Schatten, erschienen wieder, um sofort wieder zu verschwinden. Als sie schließlich in das Mondlicht heraustraten, zeigte es sich, daß es Tramps waren. Sie befanden sich nun vor Slumpys Bar. Noch einmal standen sie lauschend, doch nichts rührte sich. Es waren etwa zehn Männer, die sich vor der Bar zusammengefunden hatten. Nun drangen sie in das Haus ein; aber vorher hatten sie schnell eine Veränderung mit sich vorgenommen. Jetzt waren ihre Gesichter verhüllt, und in ihren Händen befanden sich Revolver. Der Barraum war hell erleuchtet; hinter der Theke stand der -70-
Barkeeper. Er blickte auf die Männer, die sich heranschoben. Seine Überraschung verstand er meisterlich zu verbergen. In seinem hageren, tiefgebräunten Gesicht zuckte keine Miene. Er hob auch nicht die Arme, als er die Mündungen von zehn Revolvern auf sich gerichtet sah. „Good evening, Gents!“ sagte er ruhig. „Hätte euch eigentlich schon früher erwartet! Habe schon ein paarmal nach euch ausgeschaut; wollte gerade den Laden schließen! Ihr seid zehn, aber wo ist der elfte, euer Boß? Schätze, daß er im Sheriffshaus geblieben ist und euch die Kastanien aus dem Feuer holen läßt! Hands up, Gents!“ In der Hand des Barhalters war blitzschnell ein Revolver aufgetaucht, den er nun auf die Männer gerichtet hielt. Es war eine Revolvermündung gegen die zehn, die sich auf ihn richteten. „Ich brauche euch alle, Gents!“ fuhr der Barhalter unbewegt fort. „Einen wie den anderen und unverletzt. Will nicht, daß ihr erst auf Staatskosten wieder gesundgepflegt werden müßt, bis der größte Teil von euch auf den Stuhl und der andere für lange Jahre hinter Gitter kommt! Ihr sitzt in der Falle, Gents, aus der ihr nicht wieder herauskommt. Seht euch um!“ Die Köpfe der Männer flogen herum. Der Barraum war nicht mehr leer, sondern jetzt drängten sich Tramps und Hobos durch die Tür, als erster ein Rotbärtiger. Immer mehr wurden es. Sie versperrten die Fenster und unterbanden jede Fluchtmöglichkeit. Eine Flut von zerlumpten Gestalten, die immer mehr vorrückten und die zehn, die ihre Revolver längst hatten sinken lassen, einschlossen. „Die Main Street ist voller Tramps!“ erklang wieder die Stimme Billy Jenkins’, denn er war der ‚Barhalter’. „Sie würden euch zerreißen, wenn ihr nicht jetzt unter meinem Schutz ständet. Nimm der Willby-Bande die Revolver ab, Ranki!“ Ranki Monck war aus der Schar der Tramps herausgetreten -71-
und riß jetzt einem nach dem anderen den Revolver aus der Hand. Die meisten von den Gangstern warfen jedoch von allein ihre Waffen zu Boden. Nun holte Ranki Fesseln aus der Tasche und schloß die Handgelenke der Banditen aneinander. Dann bildeten die Tramps eine Gasse, durch die die Banditen geführt wurden. So ging der Zug über die Main Street auf das Sheriffshaus zu. Während der ganzen Vorgänge war kein einziger Schuß ge fallen. Die Fenster des Office zeigten jetzt Licht. Billy Jenkins betrat an der Seite Ranki Moncks den Amtsraum, während die Gefangenen von den Tramps und Hobos bewacht wurden. Der Anblick, der sich den beiden Freunden bot, ließ ein Lächeln über das Antlitz Billys gleiten, während die Verblüffung im Gesicht Ranki Moncks unverkennbar war. Hinter dem Amtstisch hatte ein Mann gesessen, der den Sheriffstern trug. Nun erhob er sich und nickte den Rangern zu. Es war John, und er konnte es sich nicht verkneifen, Ranki Monck einen triumphierenden Blick zuzuwerfen. „Gut, daß ihr kommt!“ sagte er und winkte den Freunden zu. „Habe immer darauf gewartet, daß es knallt, aber ihr habt’s wohl diesmal auf die ruhige Tour gemacht! Der Gangsterboß sitzt im Jail! Erst sperrte er mich in den Keller, dann wollte er mich wieder heraufbitten. Ich komplimentierte ihn dafür ins Jail. Da sitzt er nun und lächelt freundlich durch die Stäbe! Hoffe, daß ihr ihm zur Gesellschaft seine Freunde mitgebracht habt!“ In dem Gitterkäfig hockte tatsächlich Sam Willby, der Gangsterboß, aber er lächelte nicht, sondern stierte finster zu Boden. „Ich mußte ihm freundschaftlich zureden, damit er hineinging!“ meinte John entschuldigend. „Es ist möglich, daß er dabei gestolpert ist und sich das Auge blau geschlagen hat, aber seine Knochen sind noch sämtlich heil. Schließlich bin ich ja nicht wie ein gewisser Rotbart, der keine feinen Manieren hat! Unsereiner hat noch immer gewußt, was sich gehört.“ -72-
Billy Jenkins und Ranki Monck lachten, doch dann sorgte dieser dafür, daß auch die anderen Banditen ins Jail kamen. Sie mußten sich ziemlich zusammendrängen, um Platz zu finden. Dann schloß sich hinter dem letzten die Gittertür. * Schon am nächsten Tage wurden die Gangster mit ihrem Boß in das Distriktsgefängnis überführt, nachdem Billy Jenkins noch die Vernehmungen durchgeführt und das notwendige Protokoll selbst aufgesetzt hatte, das John und Ranki als Zeugen unterschrieben, während Sheriff Marc C. Limmet sein Amtssiegel darunter setzte. Die Tramps und Hobos waren wieder aus der Stadt und dem Bezirk verschwunden. Sie wanderten bereits weiter über die Landstraßen oder fuhren als ‚Blinde’ in den Güterzügen. Ranki Monck hatte eine Verwandlung mit sich vorgenommen, die aus einem Tramp einen Gent machte, der sich in seinem Äußeren von den beiden Rangern in nichts unterschied. Selbst sein roter Bart war gefallen, und John hatte mit Interesse dieser Prozedur, die in der Hütte stattfand, beigewohnt. „Heb ihn auf, Ranki“, sagte er, „denn du kannst nicht wissen, ob du ihn nicht mal wieder brauchst. Es hatte dich Mühe genug gekostet, bis du ihn so weit hattest!“ Ranki grinste nicht, denn er war damit beschäftigt, sich die Wange zu schaben. „Aber deine roten Locken behältst du doch!“ stellte John befriedigt fest. „Damit kannst du ’nen Heuschober in Brand stecken!“ „Blond, bitte!“ protestierte Ranki undeutlich, denn er war mit dem Messer an einer empfindlichen Stelle angelangt. „Ein schönes, leuchtendes Blond!“ „Tomatenrot!“ stellte John schonungslos richtig. „Es ist die -73-
scheußlichste Farbe, die je ein Mann auf dem Kopf hatte. Ich würde an deiner Stelle...“ John kam nicht dazu, seine Ansicht noch weiter zu äußern, denn Ranki hatte plötzlich das Messer sinken lassen und statt dessen blitzschnell den Revolver aus dem Holster gerissen. John prallte fast mit Billy zusammen, der gerade die Hütte betrat. „Warst du schon bei den Care-Leuten? “ „No, Billy“, schüttelte John den Kopf. „Ranki hat mich noch aufgehalten, sonst wäre ich schon längst geritten. Aber du weißt ja, er findet kein Ende, wenn er sein Herz ausschüttet! Es ist das Herz eines echten Pinkertonmannes! Muß ich den CareMännern übrigens erzählen, daß ich der berühmte Nachtreiter war?“ Billy hatte mit einem Blick die Sachlage in der Hütte erkannt, denn Ranki hielt noch immer in der einen Hand das Rasiermesser und in der anderen den Revolver. „No, John, es ist nicht nötig! Ich habe es Sheriff Limmet gesagt und ihm auch den Grund genannt, warum du als ‚Nachtreiter’ geritten bist. Beeile dich jetzt, denn wir wollen bald aufbrechen!“ John nickte. Er wußte, daß sie ihre Zelte hier abbrechen wollten; aber noch war eine Angelegenheit zu erledigen, die keinen Aufschub duldete. Gleich darauf saß er im Sattel und ritt in die Prärie hinaus. Nachdem er etwa eine Stunde geritten war, sah er weidende Herdentiere und vier Männer, die sich auf ihren Pferden zwischen ihnen bewegten. Er ließ sein Tier in Galopp verfallen und war gleich darauf bei ihnen. Er schüttelte dem Rancher Bud Care und den drei Ranchhands die Hände. „Wie groß war eure Stierherde?“ fragte er den Rancher. „Sagtet ihr nicht, daß es fünfzehn Häupter waren?“ Bud Cares Hände krampften sich um die Zügel seines -74-
Pferdes, und sein Gesicht war unter der gesunden Bräune bleich geworden. Die Wirkung der Worte Johns auf die drei Ranchhands war kaum geringer. „Hast du Spuren von der Herde gefunden?“ fragten die vier Männer fast einstimmig. „Zum Satan, so sag’s doch! “ John Price übereilte sich nicht mit der Antwort. Er musterte die Rinderherde, die hier um sie herum weidete. „Sure, es sind gute Rinder! Prima Texas-Longhorns, allerbestes Herdbuchvieh!“ „Hast du die Stierherde gefunden? “ knirschte Bud Care. John tat sehr überrascht. „Indeed, die Stierherde, hatte es doch beinahe wieder vergessen! Ich fand eine Stierherde; etwa fünfzehn Häupter! Ein Stier sieht aus wie der andere, und alle sind Golden Grov wie aus dem Gesicht geschnitten!“ „Wo fandest du sie?“ brüllten die Männer wie aus einer Kehle. John versank in tiefes Nachdenken; dann kam ihm anscheinend die Erleuchtung. „Auf halbem Wege von hier, wenn ihr in der Richtung auf die Sierra reitet. In einem der tiefen Seitentäler. Ihr könnt’s nicht verfehlen, wenn ihr euch auf dem halben Weg scharf nach links haltet!“ Im nächsten Augenblick war John mit der Rinderherde allein, denn die vier Männer trieben ihre Pferde zu schärfstem Galopp an, sie wurden mit der Entfernung immer kleiner, bis sie schließlich in einer Talsenke verschwanden. John ritt wieder zu der Hütte zurück. Dort traf er Billy Jenkins und Ranki Monck dabei an, wie sie bereits ihre Pferde mit dem Gepäck beluden. „Ich hab’s den vier Männern auf besonders fe ine Art beigebracht!“ sagte er zu den Freunden. „Ich gab ihnen durch die Blume ’nen Wink, bis sie’s schließlich fraßen. Natürlich sagte ich ihnen nicht, daß sich der ‚Nachtreiter’ um die Herde -75-
gekümmert hat und deshalb ständig einen Lasso am Sattelhorn mit sich führte. Ich tat’s nicht aus angeborener Bescheidenheit! Aber glaubt ihr, daß mir die Burschen gedankt haben?“ Billy Jenkins und Ranki Monck blickten John lächelnd an. „No, sie taten’s nicht!“ erklärte dieser. „Sie ritten davon, als ob ihre Pferde Feuer unter den Schwänzen hätten! Selbst der ‚Nachtreiter’ hätte sie nicht einholen können, so eilig hatten sie es, zu ihrer Herde zu kommen!“ John grinste den Freunden verschmitzt zu, dann verschwand er in der Hütte, um seine Habseligkeiten zusammenzupacken. - Ende -
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