John Montana
Das letzte Wasserloch Apache Cochise Band Nr. 14 Version 1.0
Prolog Man nannte die Apachen Barbaren, Wi...
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John Montana
Das letzte Wasserloch Apache Cochise Band Nr. 14 Version 1.0
Prolog Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder. Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen. Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten Rasse führten. Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen Apachen-Skalp. Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«? Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer »Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den Indianern fühlten. Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuerund beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung
abgetan wird. Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung trieb, nicht mit ansehen muß. Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft, ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen Arizonas. Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet? Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa, Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden. Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen die Welt noch in Ordnung. Erst ah der weiße Mann mit seinen überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich das große graue Leichentuch über die Stämme und Sippenverbände. Ganz bestimmt wäre vor WO und mehr Jahren möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments gegen die rote Rasse gewesen wäre. Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im
Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu ihrem Recht zu verhelfen. Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer rauhen Umwelt. Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in Romanform, für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur in Kurzform gebracht wurde. Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch makabren Hintergrund. Ihr Martin Kelter Verlag.
*** Als Corporal Critten seinem Zugführer, Lieutenant Braham, den Faustschlag an den Schädel versetzt hatte, wurde ihm bewußt, den größten Fehler seiner militärischen Laufbahn begangen zu haben, denn Braham war Offizier – wenn auch ohne Qualitäten – und er – Critten – ein simpler Kavallerist, natürlich mit den nötigen Kampferfahrungen. »Mist!« brummte er nur und rieb die Hand, als Braham wie ein gefällter Baum hinfiel. Diese Sache brachte ihn vors Kriegsgericht. Aber er hatte die ewigen Schikanen dieses Offiziers einfach satt. Wer seit Wochen durch flammende Hitze reiten und Brahams Querelen ertragen mußte, mußte einfach mal durchdrehen. Ihre Patrouille war vor einem Monat von Fort Thomas aus in Marsch gesetzt worden, um mit einer Einheit aus Fort Husache mexikanische Grenzdesperados aufzuspüren, die Gerüchten nach Waffen ins Territorium schmuggelten. Brahams wesentliche Aufgabe beschränkte sich darin, das Gesindel aufzuspüren und in sicherem Abstand zu verfolgen, um jene geheimnisvollen Stellen zu finden, wo diese Waffen verschwinden sollten. Das ganze Unternehmen war ein Fehlschlag. Das war wohl auch der Grund des ehrgeizigen Offiziers, seine schlechten Launen an den Soldaten abzureagieren. Während der ganzen Zeit war er gereizt und provozierend, zeigte eine Strenge, die nicht zu altgedienten Kämpfern im Grenzland paßte, denn schon die Wüste allein war eine Herausforderung, und der Feuerball, der von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang unbarmherzig seine Strahlen zur Erde schickte, eine Qual. Crittens berechtigter Zorn verflog, während er den
niedergeschlagenen Lieutenant betrachtete, der sich zu regen begann. Braham sorgte bestimmt dafür, daß seine Ehre wiederhergestellt wurde. Das hieß im Klartext: Colonel Higgins beantragte ein Kriegsgerichtsverfahren, und der Corporal – Sam Critten – endete vor den Läufen eines Exekutionskommandos. Critten spie seine Verachtung in den Sand. Er hatte die Dienstvorschriften der Armee und ihre einzelnen Paragraphen bereits gekannt, ehe ihm eine Uniform verpaßt worden war. Das lag vier Jahre zurück. Nach dem Zorn kam nun die Angst. Critten wandte sich zur Flucht. Er sprang über das flackernde, niederbrennende Feuer und eilte zum Seilcorral zwischen vier Skelettbäumen. Mittendrin standen ihre Pferde. Während er dahinjagte, ging es Critten durch den Kopf: wenn Braham mich schon des Diebstahls von Wasservorräten und anderen bezichtigt, kann er mich auch einen Plünderer und Pferdedieb nennen. Im Laufen ergriff er einen von jenen Karabinern, die als »Pyramide« zusammenstanden, und erreichte fast den Seilcorral, als Brahams wütende Stimme hinter ihm her schallte und die ganze Mannschaft in Bewegung brachte. »Stoppt den Mann!« schrie der Offizier mit sich überschlagender Stimme. »Schießt ihn nieder!« Critten erreichte die Pferde, nahm in großer Hast sein Messer, das im Schaft des Stiefels steckte, um die Lassos zu durchschneiden. Da tauchten plötzlich seitlich aus der sandigen Böschung drei Gestalten auf, die ihre Springfields auf ihn richteten. »Du bist der dümmste Soldat, der mir je begegnet ist«, grollte Sergeant Harper wütend, weil er aus der Ferne die Auseinandersetzung zwischen Critten und seinem Vorgesetzten verfolgt hatte.
»Er könnte mich hundertmal des Diebstahls bezichtigen. Er würde es nicht schaffen, daß ich auch nur mit der Wimper zucke. Laß das Messer fallen, und dann die Flossen über deinen verdammten Strohkopf, Critten.« Der Corporal preßte die Lippen aufeinander. Er sah ihre Gesichter, in denen Mitleid stand, aber auch der Wille, Lieutenant Brahams Befehl nachzukommen. Er dachte aber auch an die Folgen seiner Handlung, die ihn vor das Füsilierkommando des Forts bringen mußte. Sergeant Harper merkte, wie Crittens Körper zusammensackte und seine Muskeln sich spannten. Er war ein erfahrener Soldat und Indianerkämpfer. Mit einer kurzen Bewegung schwenkte er seine Springfield und schlug mit der Mündung zielsicher zu. »Verdammter Idiot«, brummte der bärtige Sergeant, während er seine Begleiter anbrüllte: »Legt ihm Riemen an, ehe er wieder da ist!« Lieutenant Braham preschte heran. Er war ein junger Offizier, von West Point in die windigste Ecke des Territoriums versetzt, kaum reif für den Fronteinsatz und unerfahren im Umgang mit alten Kämpen, die den Drill der Rekrutenlager längst vergessen hatten, die aber wußten, wie man gegen rebellierende Chiricahua-Krieger sein Leben zu verteidigen hatte. Der alte Sergeant spürte, daß der Lieutenant den Gefangenen anspringen wollte. Breitbeinig versperrte er ihm den Weg. »Ich hoffe, Sir, Sie vergessen das Reglement nicht. Sie sind Offizier und sollten dem Soldaten als Vorbild dienen.« Das war eine deutliche Maßregelung, die Harper nicht zustand. Braham errötete, aber er beherrschte sich. »Sie stehen auf seiner Seite, Sergeant?« Spöttisches Leuchten stieg in Tom Harpers graue Augen. Er mochte diesen eingebildeten Typ aus West Point nicht.
»Ich bin seit zwanzig Jahren Soldat, Sir. Disziplin steckt tief verwurzelt in meinen Knochen. Deshalb verurteile ich Corporal Crittens Handlung.« Ein halbes Dutzend Soldaten stand nahe dem Feuer und hörte die Unterhaltung. Braham sah ihr verstecktes Grinsen und sagte sich, daß er der Diensterfahrung Sergeant Harpers nicht viel entgegensetzen konnte. »Sie sind mir für seinen Kopf verantwortlich, Sergeant«, fauchte Braham und wandte sich ab. Und für deinen Arsch, dachte Harper wütend, ehe er sich an die beiden Soldaten wandte. »Green, Hudson, bringt ihn rüber in den Schatten der Mesquitesträucher! Wir brechen bald auf.« * John Haggerty, der einige Wochen die Dragoon Mountains durchstreift hatte, um Cochises versteckte Apacheria aufzuspüren, kehrte in General Howards Zeltbiwak zurück. Seine Kleidung war schmutzig vom roten Staub der Mesa, sein Gaul lahmte, und als er vor dem quadratischen Offizierszelt aus dem Sattel rutschte, spürte er seine Knochen nicht. General Howard schien ihn bereits erwartet zu haben, denn noch ehe sein Chiefscout eintreten konnte, schlug er die Plane zurück und trat aus dem Zelt. »Mr. Haggerty«, sagte Howard und strich sich über den Armstumpf. »Sie sehen aus wie ein abgehalfterter Dragoner. Nehmen Sie erst einmal ein Bad im Creek, und stecken Sie sich etwas Kräftigendes in die Rippen, dann kommen Sie zum Rapport. Ihren Gaul soll einer der Soldaten versorgen.« »Mein Pferd und ich, Sir, sind eins«, entgegnete Haggerty, während sein Lächeln die staubige Maske seines Gesichts aufriß. »Er hat ein Bad genauso nötig wie ich.«
General Howard, seit vielen Monaten auf verlorenem Posten im Territorium Arizona, blickte nachdenklich hinter seinem Scout her, der im Lieutenant-Rang stand. Er mochte den Burschen wegen seines Mutes und seiner Unbekümmertheit, und er war neugierig, was Haggerty da draußen erfahren hatte. Cochise machte ihm Sorgen. Und nicht nur der Häuptling allein, denn seitdem er wußte, daß sich die Chiricahuas und Cochise als deren Häuptling, mit dem Mimbrenjo-Jefe Victorio zusammengetan hatten, wurde ihm bewußt, daß seine Bemühungen um den Frieden zwischen weißen Siedlern und roten Ureinwohnern aussichtsloser denn je waren. John Haggerty kam nach einer Stunde, frisch rasiert und sauber gewaschen. Selbst sein Hirschlederhemd hatte er im Bad gereinigt. General Howard deutete zum Tisch, auf dem zwischen ausgebreiteten Stabskarten eine Whiskyflasche und Gläser standen. »Bedienen Sie sich, John. Und fangen Sie mit Ihrem Bericht an. Ich zerplatze vor Ungeduld.« John nahm einen großen Schluck, wischte die Tropfen aus den Mundwinkeln, ehe er zu sprechen begann. »Ich bringe weder gute noch schlechte Nachrichten von Cochise. Die Chiricahuas und die Mimbrenjos sind spurlos in den Dragoon Mountains untergetaucht. Nicht die geringste Spur konnte ich von ihnen finden, und ihre Ruhe beunruhigt mich, Sir, denn es ist nicht die Apachenart, sich wie Erdhörnchen zu verkriechen.« General Howard rauchte eine seiner schwarzen Lieblingszigarillos, während sein gesunder Arm über die Karte fuhr. »Zwei Stämme mit Kriegern, Greisen, Frauen und Kindern können sich nicht in Luft auflösen, John. Sie brauchen ein großes Tal, in dem sie leben. Vorräte, um überleben zu können, und Wasser.«
»Die Dragoons sind voll von versteckten Talkesseln, die Berge spenden unbeschränkt Wasser. Ihre Vorräte müssen sie vor langer Zeit angelegt haben. Ich habe ihre alte Bergfeste am Apachen-Paß aufgesucht, bin hoch in die Berge gestiegen, dorthin, wo sie mich im letzten Herbst gefangenhielten. Ich habe wochenlang allein und mit Colonel Brighams Patrouillen aus Fort Buchanan jeden Schlupfwinkel durchforscht – erfolglos. Selbst im San Carlos Reservat und in Fort Thomas habe ich Nachforschungen betrieben. Aber auch dort gibt es nichts zu berichten, das auf Cochises Bergfeste Schlüsse ziehen läßt. Das einzige, was Colonel Higgins zu berichten wußte, waren aktive Grenzbewegungen nach Mexiko und Gerüchte der Art, daß mexikanische Rebellen und Rurales-Einheiten miteinander konspirieren und auf verschwiegenen Pfaden Waffen und Munition in Arizona einfließen. Es ist schwer erkennbar, wo die Wahrheit beginnt und die Phantasie endet.« »Könnte es etwas mit Cochise zu tun haben?« fragte der Offizier. »Vielleicht kauft der Waffen für einen Aufstand.« »Kann ich mir nicht vorstellen.« John Haggerty schüttelte den Kopf. »Apachen und Mexikaner sind seit jeher Todfeinde. Ihr Haß und ihre Abneigung zeigen sich mit jeder Begegnung. Schon Colonel Terrazas Absicht, Chiricahuas und Mimbrenjos im Canyon der Gauner zu stellen und zu vernichten, beweist deutlich, wie abgrundtief die Gefühle eines Mexikaners sind.« General Howard schwieg lange. Sein Blick war starr auf das Kartenblatt gerichtet. Er studierte die Lage der Dragoon und der Chiricahua Mountains, Fort Buchanan unweit des Apachen-Passes, um das in den letzten Jahren stürmische Kämpfe getobt hatten, und auf Fort Thomas, tief im Süden, nahe der mexikanischen Grenze gelegen. »Man sollte diesen Gerüchten nachgehen, John«, sagte er schließlich zögernd. »Vielleicht steckt ein Funken Wahrheit darin, denn um seine Ziele zu verfolgen, John, könnte auch Cochise seine Urinstinkte vergessen.«
»Sie meinen, Sir...« Howard nickte. »Wir sollten in Fort Thomas mit weiteren Nachforschungen beginnen und herausfinden, was Gerücht und was Wahrheit ist. Vielleicht stoßen wir so auf Cochises Spur und können zu ihm Verbindung aufnehmen.« Haggerty lächelte. »Sie wollen nach all den zurückliegenden Vorgängen noch immer nicht von ihrer Friedensmission abgehen, Sir?« »Ich werde nie aufgeben, John, denn ich denke an all die unschuldigen Menschen und das Blut, das eine solche Erhebung mitbringt. Ich hoffe, Sie teilen meine Meinung.« Haggerty dachte an »Lion« Freeman und dessen Frontier Bataillon in Tombstone. Diese Männer hatten zur Verhärtung der Fronten einiges beigetragen und Häuptling Cochise möglicherweise veranlaßt, sich mit seinem Feind Victorio zu versöhnen. Cochise befehligte inzwischen eine Streitmacht, die nicht zu übersehen war. Sie auf die Siedler loszulassen, mußte im blutigen Chaos enden. »Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich morgen früh aufbrechen.« General Howard nickte zufrieden. »Ich wußte, auf meinen Chiefscout ist Verlaß.« * Der Pedlar Sinclair, ein undurchsichtiger Franzose, der mit seinem rollenden Kaufladen weit auseinanderliegende Ranches abklapperte, um mit den Siedlern Geschäfte zu machen, schien die Begegnung mit der Armeepatrouille unangenehm zu finden, denn als er die Reitertruppe in der Senke, die zwischen Trapplewhite, Husache und Organos lag, entdeckte, wollte er, einem inneren Impuls folgend, umkehren. Doch mit dem gleichen Gedanken bewegte sich der Reiterposten der Patrouille den Hang hoch und ritt ihm entgegen.
»Hallo!« rief Sinclair und schob seinen verknautschten Zylinder tiefer ins Gesicht. »Man trifft heute nur noch selten Uniformen in den Plains. Die meisten sind im Bürgerkrieg.« »Ebenso selten, wie man reisenden Kaufleuten begegnet«, sagte Soldat Green und deutete zum Feuer. »Wenn Sie für die Nacht Schutz suchen, kommen Sie ins Lager.« Der Pedlar lockerte die Zügel. Als er den Wagen in den Schutz der Organos abstellte und ächzend vom Bock stieg, sah er den jungen Mann in Uniform, der in der Nähe des Biwaks an einem Skelettbaum gefesselt war. Lieutenant Braham musterte den Fremden mißtrauisch, doch als Sinclair den Soldaten Tabak und eine Flasche Brandy anbot und sich als Kaufmann vorstellte, wich dieses Mißtrauen. »Ein Mann, der weit herumkommt, Mr. Sinclair«, begann der Offizier die Unterhaltung, als der Hausierer sich am Feuer niederließ, »wird manches Interessante sehen und hören. Und sicher kennt er auch die einsamen Wege durch die Sierra Madre.« »Sie meinen die Schmugglerpfade der Rebellen?« Sinclair lächelte. »Davon hörte ich, Lieutenant, aber so tief im Süden liegt nicht mein Gebiet, daß ich darüber Auskunft geben könnte. Ich versorge die Farmer im Land, die Behörden und auch kleinere Stammesgruppen der San Carlos Reservation mit Lebensmitteln und sonstigen Gütern.« Dabei deutete er auf seinen Trödlerwagen, der ringsum mit Pfannen, Kesseln und Tonnen behangen war. »Jetzt bin ich gerade auf dem Weg zur Reservation, um einige Geschäfte zu tätigen. Vielleicht haben wir dieselbe Richtung.« Braham erklärte dem späten Gast treuherzig von seiner Aufgabe und dem Mißerfolg, was Sinclair äußerst bedauerte. Er erfuhr nun auch, warum der Soldat gefesselt war. Bei Einbruch der Dunkelheit bestimmte Braham die Reihenfolge der Wachen und legte sich nieder. Sinclair suchte sich einen Platz nahe der ausgedörrten
Bäume. Die Sonne verlor mit letztem funkelndem Glanz ihre Kraft und verschwand hinter dem großen Gebirge. Dunkelheit zog aus den Plains und legte sich wie ein Tuch über das Land. Sinclair lag mit offenen Augen unter seinem Wagen. Er registrierte, daß es im Lager ruhig wurde. Nur noch die Schritte der Doppelposten waren zu hören. Der Lieutenant ist ein leichtsinniger Offizier oder unerfahren in einem Land, in dem Unruhen herrschen und ein Chiricahuapfeil oder die Kriegsaxt schneller sein kann als ein Atemzug, dachte Sinclair. Gegen Mitternacht, als er sicher war, daß alles schlief, näherte er sich lautlos dem Gefangenen. »Sie werden dich in Fort Thomas hängen, Soldat«, raunte er dem Bedauernswerten zu. »Ich kenne die Dienstvorschriften der Armee. Aber vielleicht könnte ich dir behilflich sein.« »Warum?« fragte Critten. Nur undeutlich sah er die Konturen des Hausierers. »Als Menschenfreund. Vielleicht auch, weil ich alles Tote hasse.« Corporal Sam Critten schüttelte den Kopf. »Wenn Sie mir helfen wollen, gleich aus welchen Motiven, schneiden Sie mir die verdammten Stricke durch. Zu den Pferden werde ich schon finden.« Der Pedlar schien zu lächeln. »Das wäre zu gefährlich für mich, Soldat, denn mich würden sie bestimmt zuerst verdächtigen, weil ich hier im Lager fremd bin. Ich werde dir ein Messer zustecken, wenn du mir versprichst, die Flucht auf morgen zu verlegen. Und als Beweis dafür, daß ich es gut mit dir meine, gebe ich dir noch einen Tip: versuche dein Glück in Nogales. In Tanners Saloon wirst du einen Mann namens Ramon Vaquence treffen. Ein Ladino. Er wird dir weiterhelfen, wenn du dich auf den Pedlar berufst.« Critten, als Soldat ständig auf der Hut und mißtrauisch, neigte den Kopf, als Sinclair ihm ein Messer mit schmaler Klinge zuspielte. »Warum tust du das?« fragte er deshalb noch
einmal. Er bekam keine Antwort. Sinclair hatte sich zurückgezogen, denn in der Nähe klangen Schritte auf. Einer der Posten kontrollierte den Gefangenen. * Am Morgen brach der Franzose früh auf. Noch ehe die Blauröcke ihren Schlaf abschütteln konnten, hatte er sein Pferd vor den Karren gespannt und zog den Hang hinauf in die Mesa. Lieutenant Braham formierte seine Abteilung zum Abmarsch. Als sie über die Hügel ritten, sah er in der Ferne den grauen Schatten des Pedlarwagens zwischen den Caps der Chiricahua Mountains. Bald hatte er ihn vergessen. Gegen Mittag – sie rasteten im Schatten der Felsen – wagte Corporal Critten den Fluchtversuch. Er lag in einer Felsspalte und bemühte sich, die Messerschneide zwischen die starke Seilfesselung zu schieben. Seine ehemaligen Freunde saßen nicht weit von ihm auf ausgewaschenem Stein oder lagen erschöpft am Boden. Auf Crittens Haut vermischten sich Schweiß und Staub, und mehrmals drang die scharfe Spitze des Messers in seine Haut. Aber er gab nicht auf, denn in Fort Thomas erwartete ihn eine Kugel. Und bis dahin waren es noch zweieinhalb Tagesritte. Er spürte, wie Faser um Faser zerriß, und nach letzten Anstrengungen sprengte er die Fessel. Der Corporal blieb ruhig liegen. Er wußte, daß Ruhe und Beharrlichkeit Soldatentugenden waren und erst das Terrain sondiert werden mußte, ehe man zu Aktionen überging. Lieutenant Braham lag keine sieben Yards entfernt, abseits seines Kommandos. Die Pferde standen in einer Felskluft, geschützt vor den sengenden Sonnenstrahlen. Niemand beachtete Critten, der sich nun lautlos erhob und zu
Braham hinüberkroch. Lieutenant Braham bemerkte seinen Gefangenen erst, als der ihm die Klinge des Messers an die Kehle setzte. »Keinen Laut, Lieutenant!« zischelte Critten. »Eine dumme Bewegung, und Sie werden in die Hölle fahren! Wohin Sie übrigens die ganze Schwadron wünscht...«, fügte er hämisch hinzu. Der Offizier sah die Entschlossenheit in Crittens Gesicht. »Sie machen Ihre Sache immer schlimmer, Corporal«, flüsterte Braham heiser. »Schlimmer als die Kugel wäre nur der Strick, Lieutenant. Aber den verwendet die Armee nicht. Stehen Sie langsam auf. Wir gehen zu den Pferden.« Critten zog Brahams Armeerevolver aus dem Halfter. Braham juckte es in den Fäusten, doch bei aller Unerfahrenheit begriff er den Ernst der Lage. Es war nicht nötig, daß er sich in Gefahr brachte, denn seine Leute würden den Deserteur aus dem Sattel holen, bevor er außer Schußweite war. Sie erreichten die Pferde. Critten befahl: »Legen Sie dem Gescheckten den Sattel auf!« Es war ein struppiger Pinto, der Tom Harper gehörte, den er zur Flucht wählte. »Der Sergeant wird es Ihnen nicht vergessen, Critten«, sagte der Lieutenant und folgte Crittens Aufforderung. »Zur Meuterei kommt nun noch Desertation und Diebstahl von Armeegut hinzu. Lohnt es sich?« »Es lohnt sich immer zu leben.« Critten prüfte den Halt der Sattelgurte, und dann schwang er sich aufs Pferd, stieß dem Offizier die Stiefelspitze vor die Brust und durchtrennte mit einem einzigen Schnitt das Seil. »Jippee!« schrie er und drückte dem Gescheckten die Sporen in die Flanken, wedelte zugleich mit dem Hut, was wiederum die Pferde aufschreckte. Das ganze Rudel kam in Bewegung
und galoppierte ins Freie. Sam Critten war ein guter Reiter. Er hing seitlich im Bügel und bot dadurch kein Ziel und hörte trotz des Lärms Brahams gellende Stimme. Vereinzelte Schüsse fielen, die aber bald verstummten, weil die Pferdeleiber den Flüchtigen verdeckten. »Der Bastard!« fluchte Sergeant Tom Harper, als er sah, wessen Pferd Critten ritt. »Er hat den besten Gaul der Armee erwischt. Los, Leute, versucht eure Pferde einzufangen! Aber laßt euch Zeit.« Harper hegte noch immer Sympathien für den Mann, der sein Pferd gestohlen hatte, und ließ es auch erkennen. In Crittens schwieriger Lage hätte er nicht anders gehandelt. Als die Pferde zusammengetrieben waren und sie zu satteln begannen, brummte Lieutenant Braham etwas über die Zeit, die sie verloren hatten. Sergeant Harper aber sagte ruhig: »Das ist vergebliche Mühe, den Corporal zu verfolgen, Sir. Er hat einen Vorsprung, der nicht mehr einzuholen ist. Außerdem reitet er meinen Pinto.« Sam Critten war nur noch als winziger Punkt in der Wüste auszumachen. Sein Weg führte schnurgerade in südlicher Richtung, in die Berge. Flinke Gestalten krochen durch zerklüftete Felsen. Lautlos, mit behenden Bewegungen, näherten sie sich der Schluchtsohle, auf der einsam ein Planwagen stand. Hin und wieder blitzten ihre Tomahawks oder Lanzen in der Sonne. Beobachtungen, die Rene Sinclair mit gemischten Gefühlen machte, denn dies war seine zweite gefährliche Begegnung mit Apachen. Aber er kam nicht als ihr Feind. Sein Pferd schien das Fremde zu wittern. Die Ausdünstung des alten Mannes. Es stampfte unruhig mit den Hufen, wieherte
und prustete. Der Franzose hatte sich vom Lagerplatz erhoben und hielt nun als Geste der Freundschaft beide Arme über dem Kopf verschränkt. Noch sahen die Chiricahuas ihn nicht. Aber er verließ sich auf Chatos Wort, das der Häuptling ihm bei der ersten Begegnung gegeben hatte. Er kam nicht mit leeren Händen. Nun lösten sich ihre bronzefarbenen Körper vom rauhen Gestein, sprangen federnd vom Fels und umstellten Wagen und Reiter. Ihre Gesichter waren bunt bemalt, aber sie trugen keine geflochtenen Zöpfe, wie die Krieger, wenn sie kämpfen wollten, weit ausgeschnittene Kalicohemden, derbe Hosen und Wüstenmokassins. Ihre Hände waren in Bewegung, und ihre selbstgefertigten Waffen warfen Reflexe auf den kahlen Fels. Die lauernden Blicke der Indianer erzeugten in Sinclair Unbehagen. Als einige von ihnen auf den Wagen sprangen und die Plane zurückschlagen wollten, sah Sinclair Chato auf dem Fels stehen. Der Häuptling hatte seine Arme ausgebreitet und stieß kehlige Laute aus, die wohl Befehle sein mochten, denn die Krieger sprangen sofort vom Fahrzeug. Chato schritt über den kahlen Fels, bis er den weißen Mann erreichte. Er hob seine linke Hand zum Gruß, ohne Sinclairs Rechte zu drücken, die sich ihm entgegenstreckte. Ein stolzer, aufrechter Chiricahua. »Du hast gehalten dein Wort?« fragte Chato im Kauderwelsch und scheuchte zugleich einige Neugierige im Athabaskendialekt zurück. »Du Waffen, wie besprochen? Schnelle, gute Gewehre für Apachenkrieger?« Der Franzose nickte. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, und er wußte nicht, wie die Rothaut reagierte, wenn er die Gewehre übergeben hatte. »Und du, Chato, hast du das gelbe Metall?« Der Häuptling verzog das Gesicht. Er kannte die Bedeutung des Goldes für den weißen Eindringling, ohne darin einen Sinn
zu sehen. Chato wußte, daß die Bleichgesichter sich wegen dieses gelben Staubs gegenseitig umbrachten. Er nickte. »Cochise wird zeigen dir, wenn du ihm gezeigt hast die Waffen.« Cochise – ein Name, der wie das Unheil durch das Land zog, und jeden weißen Siedler zutiefst erschreckte. Selbst Sinclair war es dabei mulmig zumute. »Wir beide haben das Geschäft vereinbart, Chato«, protestierte der Franzose heftig. »Cochise ist unser oberster Häuptling. Er bestimmt, was deine Waffen wert sind. Komm jetzt!« Chato gab ein Zeichen, worauf drei Krieger die Pferde anspannten und sich auf den Bock setzten. Chato sah Sinclairs mißtrauischen Blick. »Sie lenken den Wagen sicher durch die Steilschluchten der Chiricahuas. Du nimmst dir eines ihrer Pferde.« In den folgenden Stunden bis zum Einbruch der Dämmerung, in denen Sinclair Chatos Pinto folgte, waren der Wagen und auch seine Krieger spurlos verschwunden. Aber er spürte, daß sie in der Nähe waren. Der Weg führte über Engpässe und Steilhänge, an schwindelnden Abgründen vorbei, immer tiefer in die Berge. * Mit der Dunkelheit erreichten sie ein flaches Hochplateau am Fuß des Mammutornaments eines verwitterten Felsgebildes. Hier zügelte Chato seinen Pinto, nahm die Decke und breitete sie am Boden aus. »Wir wollen warten«, bestimmte der Häuptling. Auch Sinclair setzte sich nieder. »Wie lange?« Chato schwieg. Sein Blick berührte den blauen sternenbedeckten Zenit, und
er schien in ein Gebet versunken. Stunde um Stunde verging, bis Sinclair das ferne Knarren von Achsen hörte. Sein Wagen kam durch die Schlucht. Zur gleichen Zeit trabten von der Höhe des Felsens einige Reiter, deren Körper nur als undeutliche Konturen zu erkennen waren. Aber Sinclair ahnte, daß er bald dem mächtigen Kriegshäuptling der Apachen gegenübertreten würde. Chato hatte sich erhoben, sammelte dürre Äste einer Krüppelkiefer und begann mit einem gespannten Bogen und einem Stück Holz Funken zu schlagen. Als das Feuer aufflackerte, hatte die Reitergruppe im Osten das Plateau erreicht und scharte sich um die Flammen. Von Süden her trabte der vermißte Clan Chatos mit dem Planer heran. Der hochgewachsene, starkknochige Mann am Feuer, der ständig zu Sinclair herüberblickte, schien ihn zu beobachten. Auf ein Zeichen von ihm deutete Chato auf Sinclair. »Der Jefe möchte dich sprechen.« Flinke Hände hatten die Planen vom Wagen gezogen und die Planken geöffnet. Sie trugen in Felle gewickelte Bündel, die sie auf dem Platz vor dem Feuer ablegten. Sinclair erkannte seine Gewehre. Nun stand der Franzose vor dem Häuptling. Ein stattlicher und kräftiger Typ mit kühner Adlernase und einem kalten, unpersönlichen Blick. »Zeig her!« befahl Cochise und deutete auf die Waffenbündel. Sinclairs Herz begann zu klopfen, als er sich niederbeugte. Er wußte, daß er alte Vorderlader mitführte, Steinschloßgewehre und einige rostige Sharps, aber er hoffte, daß Cochise mit dem Geschäft zufrieden war. Denn Waffen sind Waffen, gleich, ob sie schnell schießen oder umständlich geladen werden müssen. Vorsichtig schob er die Felle zurück.
Er merkte, wie ein Dutzend Mokassinstiefel ihn einengten, und richtete sich auf. Einer der Krieger reichte Cochise eine Fackel. Der Häuptling zeigte Unmut, als er die alten Waffen sah. Mißbilligend schüttelte er den Kopf. »Es sind nicht die Gewehre, die Chato gefordert hat.« »Aber es sind alle Gewehre, die ich bekommen konnte, Häuptling«, verteidigte sich der Franzose. Cochise machte eine herrische Bewegung. Er hielt ein Repetiergewehr, eine Henry 44, in der Faust, die er dem Händler hinhielt. »Das sind solche Gewehre, wie ich sie wünsche. Deine brechen meinen Kriegern beim ersten Schuß die Arme.« Sinclair betrachtete das Schnellfeuergewehr in Cochises Faust. »Es wird schwierig sein, sie zu beschaffen, Häuptling. Um sie zu kaufen, müßte ich sie mit gelbem Metall aufwiegen.« »Dann wirst du genügend gelbes Metall bekommen, um sie zu kaufen«, konterte der berühmte Apache. »Dies hier«, sein gestreckter Arm deutete auf Sinclairs Waffenarsenal, »ist keine Handvoll Goldstaub wert. Ich werde es dir trotzdem zahlen.« Cochise beugte sich vor und riß die Fellbündel auf. Er prüfte eine der rostigen Sharps, alte Trommelrevolver und Vorderlader. Erst der Anblick dreier Fässer Preßpulver schien ihn zu besänftigen, denn ein Lächeln huschte über die herben Züge. »Das ist es, was ich wünsche. Und Gewehre, viele gute Gewehre – zwanzig, fünfzig – und die dazugehörige Munition, Bleichgesicht.« Er zeigte auf die ausgebreitete Decke und deutete an, daß er über das Geschäft palavern wollte, wie es bei den Apachen üblich war. Cochise sprach fast eine Stunde, und Sinclair bekam schließlich klare Vorstellungen von dem Geschäft, das dem
Häuptling vorschwebte. Als Chato auf Cochises Ruf hin zwei Lederbeutel vor Sinclairs Füße warf, jubelte sein Herz. Er wog sie mit den Händen, als Cochise sagte: »Du wirst viermal so viel bekommen, wenn du meine Forderungen erfüllst: fünfzig Gewehre, tausend Schuß Munition für zehn Beutel Gold. Möge sich unser Handel in dieser Folge fortsetzen und gedeihen. Du siehst, Cochise spricht ohne gespaltene Zunge. Er macht dich zu einem reichen Mann.« Der Jefe stand auf, gab ein Zeichen, und seine Reiter formierten sich. Als sie in der Dunkelheit verschwanden, lagerte nur noch Chatos Anhang am Feuer. Sinclair hob einen der prallen Lederbeutel. Sie mochten etliche Unzen Gold enthalten, ein Vermögen. Aber Sinclairs Gier war geweckt. Die Macht des Goldes hatte ihn berauscht. »Dein großer Häuptling soll mit mir zufrieden sein.« Chato nickte. Er mochte den Händler nicht, aber die Apachen waren auf ihn angewiesen. »Nimm deine Decken und schlafe. Meine Krieger bringen dich morgen ins Tal zurück.« In dieser Nacht schlief Rene Sinclair unruhig. Der Traum vom Reichtum drang in sein Unterbewußtsein und ließ ihn nicht wieder los. * John Haggertys Weg führte durch den Apachen-Paß. Wie immer, wenn er an Buchanan vorbeikam, blieb er Gast im Fort. Colonel Brigham hatte keine neuen Nachrichten. »Die Apachen scheinen sich aufgelöst zu haben wie ein Stück Eis in der Sonne, John«, berichtete der Kommandant sorgenvoll. »Es bedeutet nichts Gutes, wenn ich an den Aufruhr denke, den es im letzten Jahr gab. Niemand behindert
die Reisenden nach Tucson. Butterfields Kutschen erreichen ihr Ziel, und unsere Patrouillen stoßen in ein ödes fremdes Land. Bis zum Gila Bend keine Indianerfährten. Die erste Rothaut begegnet ihnen in der San Carlos Reservation. Haben Sie eine Erklärung dafür?« »Ich versuche, sie zu finden«, erwiderte der Chiefscout. »Cochises Zurückhaltung nach seinem blutigen Ausfall im letzten Sommer hat seine Bedeutung. Ich reite als General Howards Bevollmächtigter nach Fort Thomas.« »Und Sie werden keinen roten Hautfetzen auf der langen Strecke sehen. Dafür verwette ich eine Flasche besten Brandys.« Am Morgen verließ John das Fort und führte sein Pferd über den breiten Landweg ins Tal. An der Flanke erstreckten sich die mächtigen Bergsättel der Dragoon Mountains, wohin Cochise im letzten Herbst verschwunden war. Irgend etwas brütete dieser schlaue Fuchs aus. Doch sicher nichts, was dem Frieden diente. Etwa 20 Meilen westlich der Straße, am Rand der Gila, hörte John das ferne Echo von Karabinerfeuern. Es mußte von jenseits der Hügel kommen. Als Haggerty seinen Pinto mit einem Schnalzlaut antrieb, war es ihm fast eine Erleichterung, Geräusche einer Kampfhandlung zu vernehmen. Cochise schien sich doch zu rühren und brachte sich durch einen Überfall in Erinnerung. Als John über die Hügel galoppierte, sah er das weiße Dach eines Planwagens aus den Sanddünen ragen. Unweit davon, im blassen Grün eines Organosfeldes, zogen graue Rauchringe in den Himmel, die den Standort ihrer Schützen verrieten. John trieb mit den Schenkeln das Pferd vorwärts und zog seinen Karabiner aus dem Scabbard. Aus der Hüfte heraus jagte er einige Schüsse ins Grün der Kakteen, hoffend, irgendeinen Gegner zu treffen. Die wiederum nahmen sofort Haggerty aufs Korn, denn die
Geschosse flitzten ihm nur so um die Ohren. Das sind keine Rothäute, sondern gewöhnliche Straßenräuber, ging es Haggerty durch den Kopf, während er die Richtung änderte und im Zick-Zack-Kurs den Krämerwagen ansteuerte. Im vollen Lauf seines Pferdes schwang sich der Scout aus dem Sattel und landete im weichen Sand der Senke. Als er sich aufrichtete, sah er das grinsende Gesicht des Pedlars. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mister. Man nennt mich Sinclair, den Krämer«, sagte der Franzose, drückte den schweren Büffeltöter an die Schulter und schoß. Ein Funkenflug sprühte aus dem großkalibrigen Lauf, im nahen Gesträuch schrie jemand erbärmlich auf. In Haggertys Ohren dröhnte der Abschuß mit der Stärke eines Kanonenschlags. Er lächelte anerkennend, während Sinclair seine Flinte auflud. »Sie brauchen sicher keine Hilfe, Mr. Sinclair. Das war ein Meisterschuß.« Der Franzose schüttelte mit dem Kopf, als er die Kugel mit dem hölzernen Stößel in den Lauf pfropfte. »Sie streut wie eine alte Dame, deren Hände zittern. Das war ein Zufallstreffer. Aber es ist der zweite Kerl, den ich erwischen konnte. Drei lauern noch draußen.« »Wer sind sie?« Johns Blicke glitten über den Sandhügel. Irgendwo dort oben im Distelgestrüpp lagen ein paar Schurken, die es auf Sinclairs Kasse abgesehen hatten. John sah eine Bewegung und feuerte. Ein verhaltener Aufschrei folgte dem verwehendem Echo des Abschusses. »Sie sind ein Meisterschütze«, lobte der Franzose. Er hatte sein Monster mit Schrot geladen, um eine bessere Flächenstreuung zu erreichen. »Kennen Sie die Burschen?« wiederholte John seine Frage. Rene Sinclair zuckte verächtlich mit den Achseln. »Banditen aus Tucson, Gesindel vom Gila River. Wer
weiß?« Er schob den Flintenlauf über die Radnabe und drückte ab. Ein Pfund Buckshot zerfledderte das Disteldickicht, ohne daß einer der vielen Schrotkugeln ihr Ziel fand. John beobachtete den Mann. Für einen Pedlar hielt er sich prächtig. Angst schien er nicht zu haben. Warum war er dem Händler nie begegnet? »Sind Sie schon lange in dieser Gegend, Mr. Sinclair?« Der Franzose rutschte unter dem Wagenboden hervor und richtete sich auf. »Mein Geschäftsbereich liegt weiter südlich, zwischen Nogales, Bisbee, Sierra Vista. Manchmal komme ich bis zum Hochplateau zwischen den Dragoon- und den WhetstoneBergen. Aber dort gehen die Geschäfte schlecht, weshalb ich mein Unternehmen weiter nordwärts verlagern will, ins Tonto Basin vielleicht. Doch hier scheint ein heißer Wind zu wehen.« »Haben Sie keine Angst vor streunenden Rothäuten?« Auch John hatte sich aufgerichtet, denn dumpfer Hufschlag außerhalb der Senke verriet, daß die Banditen abzogen. Vielleicht wohl, weil der Pedlar Verstärkung erhalten hatte oder sie die Hosen voll hatten. Sinclair schob die Plane zurück und griff nach einer halbvollen Whiskyflasche. Er reichte sie Haggerty. »Einen Schluck für meinen Helfer.« Als John abwinkte, setzte Sinclair die Flasche an den Hals. »Rothäute«, sagte er dann und begann die Flasche sorgfältig zu verkorken. »Seit Wochen habe ich keine Nasenspitze von ihnen gesehen. Es ist ruhig geworden längs der Berge. Wenn dieses Gesindel nicht wäre, könnte man in Frieden hier seinen Geschäften nachgehen. Bleiben Sie über Nacht, Mister?« John blickte zum Himmel, der seine Farbe veränderte. »Es wird bald dunkel, Mr. Sinclair. Es ist wohl besser, wenn ich bleibe. Übrigens, ich heiße Haggerty.« Johns lässig hingeworfener Name ließ Sinclair kaum
merklich zusammenzucken. Aber Johns geschärfte Sinne nahmen es wahr, und er fragte sich, warum der Pedlar erschrak. »Sie kennen mich?« fragte er. Sinclair hatte sich gefangen. Er lächelte. »Ihr Name ist so bekannt wie der des Häuptlings Cochise. Jedes Kind weiß, wer General Howards bester Armeescout ist.« John pfiff seinem Pferd, schnallte die Bettrolle ab und warf sie in den Sand. Dann lockerte er die Zügel und ließ den Pinto frei laufen. »Ich werde mich ein wenig umsehen, Mr. Sinclair«, sagte John nach einigen Überlegungen. Dabei deutete er zu jener Stelle hoch, wo das Gesindel einen Hinterhalt gelegt hatte. »Sicher ist sicher.« John nahm seine Winchester, eilte den Hang hinauf und drang ins wuchernde Distelgesträuch ein. Seine Gedanken galten nicht dem Lumpenpack, denn er wußte, das hatte das Weite gesucht. Er kauerte nieder und beobachtete Sinclair, der seine Bettrolle im Sand ausrollte, zum Wagen zurückkehrte, zwei kleine, pralle Lederbeutel zu seinem Lager trug und sie vergrub. Sinclair suchte dann trockene Äste. Als er ein Feuer entzündet hatte, breitete er eine Decke aus und kramte im Wagen nach dem Abendbrot. John glitt nun am Buschwerk entlang, bis er überraschend auf einen Toten stieß, der scheußlich anzusehen war. Der Oberkörper war von Schrotkugeln durchsiebt, sein Halswirbel verrenkt. John packte den Toten am Stiefel und schleifte ihn in die Senke, wo der Pedlar gerade eine Wasserschüssel über das Feuer hängte. »Kennen Sie den Knaben, Mr. Sinclair?« John trat einen Schritt zur Seite, um dem Händler die Möglichkeit zu geben, den Toten näher zu betrachten. Er behielt ihn fest im Auge.
»Ihr Büffeltöter hat ihn übel zugerichtet.« Sinclair kam zögernd näher. John beobachtete ihn. Sinclair schien es zu spüren. Er beugte sich nieder, betrachtete das bärtige Gesicht des Mannes und sagte: »Er heißt Barabas und gehörte einmal zu Hank Doolins Banditen, Mr. Haggerty. Hat es für Sie eine Bedeutung?« Als John den Kopf schüttelte, richtete Sinclair sich auf. »Essen wir zu Abend und legen uns anschließend hin. Es war ein anstrengender Tag.« John stellte fest, daß der Pedlar außer der mächtigen Büchse nur noch einen Colt mitführte. Darauf angesprochen, sagte Sinclair mit saurem Lächeln: »Es ist das erste Mal, daß Banditen einen armen Händler überfallen. Meist ist bei Leuten meines Schlages nicht viel zu holen. Aber ich werde mich künftig umsehen und auch besser bewaffnen.« »Das könnte möglicherweise Ihr Leben verlängern, Mr. Sinclair.« John drehte sich mit geschickten Händen eine Zigarette und kroch unter die Decke. Es war Nacht geworden. Noch war die Erde warm. Aber nach Mitternacht kühlte sie ab, wurde empfindlich kalt. Das wußte John Haggerty. Er sah, daß Sinclair das Feuer löschte und zu seinem Lager ging. Prüfend blickte er zu seinem Schlafpartner hinüber, ehe seine Hände unter die Decke tasteten und die Säcke so zurechtlegten, um gut darauf schlafen zu können. Sie dienen ihm als Kissen, dachte John, während er den Kopf in die harte Sattelmulde drängte. Seine Kopfkissen sind weicher, und er schläft besser als ich. * Mit dem ersten Sonnenstrahl war John auf den Beinen. Sinclair rollte gerade seine Decke zusammen und ließ dabei die Beutel
verschwinden. Trotzdem sah der Scout die Zeichen auf dem Leder. Es war Mimbrenjo-Malerei oder Chiricahua-Arbeit. Er erinnerte sich, daß der Pedlar aus dem Süden kam. Die Mimbrenjos hatten lange Zeit auf den Hängen der Sierra Madre gelebt. Unwillkürlich schüttelte John den Kopf. Weshalb mißtraute er eigentlich dem Mann, der auf sichtbar redliche Art sein Brot verdiente, und von dessen Existenz er bis vor einem Tag noch nicht einmal etwas wußte? Als John sein Pferd bestieg, warf er einen kurzen Blick auf den flachen Hügel, unter dem sie den Banditen begraben hatten. Dann lächelte er dem Händler zu, der seine Pferde einschirrte, und hob grüßend die Hand. »Wenn Sie so hoch im Norden Ihren Handel betreiben, Mr. Sinclair, werden wir uns vielleicht in irgendeiner Stadt begegnen. Ich werde mich dann für das gute Essen revanchieren.« Auch Rene Sinclair grüßte. Doch als John sein Pferd herumlenkte, lächelte er spöttisch. John Haggerty gilt als ein gefährlicher Mann, dachte er. Ich gehe ihm lieber aus dem Weg. * »Rurales, maldito Canaille«, fluchte Domingo y Santos, seines Zeichens mexikanischer Rebell und Grenzbandit. »Irgendein Bastarde muß uns verraten haben.« Santos blickte zum schmalen Felsband hoch, das sich dicht an der Steilschlucht entlangzog, und spuckte in den Abgrund. Er verfolgte die Reiter, deren dunkles Lederzeug in der Sonne glänzte. Sie waren in der unteren Schleife der Serpentine in Deckung gegangen. Eine Gruppe konzentrierte ihr Feuer auf die Murros und erwischte eines der schwerbeladenen Maultiere, das über den Felsgrund in die Tiefe stürzte.
Eine zweite Gruppe beschäftigte sich mit der Nachhut der Desperados, die von Domingo y Santos geführt wurde. Steine und Dreck spritzten ihnen um die Ohren, und das helle Singen der Querschläger übertönte das Rattern der Gewehre. Santos wollte nach Arizona und führte kostbare Schmuggelware mit, bestehend aus guten Sharps-Gewehren und Karabinern, gestohlen in den Arsenalen der mexikanischen Armee in Janos. Es hatte ihn Mühe gekostet, den schlauen Fuchs, Colonel Terraza, zu überlisten und nun hingen ihm diese Rurales, die berittene Polizei, an den Fersen. »Worauf wartet ihr noch, ihr Schwachköpfe?« schrie Santos seine Leute an und fuchtelte erregt mit dem Revolver. »Sollen sie euch erst erschießen, ehe ihr aufwacht?« Noch immer häßliche Flüche ausstoßend, beugte der Mexikaner sich über den Abgrund. »Companeros, der Teufel möge euch holen.« »Der Teufel wird dich bald holen, Santos. Ergebt euch, und wir werden euch nur hängen. Müssen wir euch erst heranschleifen, kriegt ihr ein Feuer auf den Bauch gelegt, wie es die Mimbrenjos mit ihren Feinden machen«, rief ein Baß aus der Tiefe, und ein Hagel Geschosse zwang Domingo hinter den Steinwall zurück. »Kennst du seine Stimme, Ramon?« Der Guerilla grinste seinen Capo an, der den Körper fest gegen den Felsen gepreßt hielt. »Captain Yevaros, Amigo.« Ramon Martinez' Lachen klang verkrampft und verriet die Angst, die ihn beherrschte. »Er ist wirklich der Teufel in persona.« Noch immer fiel heftiges Gewehrfeuer. Aber die Murros waren hinter der Felsbiegung verschwunden. Domingo dachte über ihre Lage nach. Es sah nicht rosig aus für sie, denn Captain Yevaros war ein nicht zu unterschätzender Gegner, der ihnen schon des öfteren auf den Schmugglerpfaden aufgelauert und beträchtliche Verluste zugefügt hatte. Und er kannte die kompromißlose Bereitschaft
der Rurales, Feinde ihres Landes erbarmungslos zu töten. Yevaros' Drohung war durchaus ernst zu nehmen. Sicher war es nicht das erste Mal, daß er es nicht bei leeren Worten beließ. »Wir müssen sie aufhalten, wenigstens bis zum Einbruch der Nacht. Vielleicht gelingt es Juan Perez inzwischen, die Maultiere über die Grenze zu treiben. Unser ganzes Vermögen steckt in diesem Geschäft. Willst du es verlieren, Ramon?« Ramon Martinez gab keine Antwort. Aber er umklammerte seine Sharps fester und feuerte einige Kugeln in die Tiefe. Kurz darauf folgte dem Echo des Abschusses ein gellender Aufschrei. »Einen habe ich erwischt!« triumphierte er und lud seine Waffe nach. »Was bedeutet einer bei dreißig schwarzen Teufeln?« fluchte Domingo. Seine Blicke folgten den Gestalten, die von den Gipfeln der Berge talwärts zogen. Eine Stunde dauerte es bestimmt noch, bis es Nacht war und sie fliehen konnten, denn jede ihrer Bewegungen wurde mit einer Salve begleitet. Zu lange, um an einen Erfolg zu glauben. Zugleich hörte er die Geräusche aus dem Canyon. Herabfallendes Gestein zeigte, daß Captain Yevaros einen Angriff vorbereitete, um ihnen den Fluchtweg abzuschneiden. Domingo kroch die Rinne hoch, um freiere Sicht zu bekommen. Er sah flinke Gestalten mit Seilen und Haken den Steilhang an der nächsten Serpentinenbiegung hochklimmen und erkannte am pausenlosen Gewehrfeuer, das sich auf ihre Stellung konzentrierte, daß der Rurales-Anführer seine Leute zu decken versuchte. Domingo winkte zwei seiner Männer heran und schob sein Gewehr über die Felsbrüstung, als die sich neben ihn drängten. »Dort unten versuchen ein paar Diablos, uns den Weg nach Norden abzuschneiden. Janos, Carlos – nehmt sie euch aufs Korn.«
Domingos erste Kugel klatschte gegen den Fels. Doch die zweite holte einen Mann vom Felsband. Er warf mit spitzem Schrei die Arme hoch und versank im Dunkel des Abgrunds. Janos und Carlos trafen einen zweiten Mann, der im rissigen Fels verschwand. Sofort konzentrierte sich das Feuer der Gegner auf ihre Stellung. Gefährlich nahe zerplatzten die Bleigeschosse über ihren Köpfen in der Steilwand. »Wir müssen die nächste Wegbiegung erreichen!« rief der Desperado seinem Capo zu. »Ramon, Juan, ihr versucht es als erste!« Martinez kroch heran. Perez folgte ihm. Schweiß glänzte in ihren Gesichtern, die Angst kroch durch ihre Knochen. »Lieber tot als Captain Yevaros in die Hände fallen«, brummte Martinez, raffte allen Mut zusammen und hastete mit großen Sprüngen über das schmale Felsband. Juan Perez folgte ihm einige Schritte, ehe er kraftlos zu taumeln begann und hinschlug. Sein Körper zuckte im Schmerz, den zwei Kugeln verursachten. Er schrie und schlug um sich, dann stürzte er über das Felsband in die Tiefe. Sein Todesschrei klang allen in den Ohren. Aber Martinez hatte es geschafft, und Domingo y Santos war bereits auf halbem Weg zu ihm. Hinter sich hörte er den keuchenden Atem seines Freundes, die klatschenden Einschläge im Fels und die belfernden Schüsse von unten. Domingo warf sich neben seinem Capo in Deckung. Janos taumelte heran. Doch kurz vor dem Ziel wurde er von einer Kugel, die ihn aus der Richtung drängte, tödlich getroffen. Als er in den Abgrund fiel, humpelte Carlos heran. »Sie bringen uns alle um«, seufzte er verzweifelt. »Halt's Maul!« herrschte Domingo ihn an. »Wir müssen hoch zum Sattel der Serpentine. Bis zur Grenze ist es nicht mehr weit. Diese Nacht noch, und wir haben es geschafft.«
Domingos Worte gaben ihnen Mut und Hoffnung. Aus den tiefen Schrunden der Bergwelt krochen dunkle Schatten und hüllten die Gestalten ein. Aber sie hatten die Serpentine bereits verlassen und bewegten sich auf einer breiten, einsamen Paßstraße, die über den Bergsattel führte. Als die ersten blaßblauen Lichter am Himmel funkelten und die volle Scheibe des Mondes hinter dem Coronado Peak hervorkroch, erreichten sie den Troß. »Madre Sansissimo«, rief Paco, einer der Mulitreiber, als er den Boß erkannte. »Bei der heiligen Madonna, Domingo y Santos, als wir die Schüsse hörten, glaubten wir, daß El Diablo eure Seelen geholt habe.« »Spar dir deinen Atem, Paco«, rief Domingo lachend und zog sich auf den Rücken seines struppigen Pintos. »El Diablo sitzt uns im Nacken, Captain Yevaros.« »Ave Maria Purissma«, Paco bekreuzigte sich hastig und schwang wütend die Peitschen. »Adelante, ihr faulen, müden Stinktiere! Habt ihr's nicht gehört? Der Teufel ist euch auf den Hufen.« Im Beritt kamen sie schneller vorwärts. Domingo y Santos träumte von klingender Münze, die an der Grenze auf sie wartete. Von Zeit zu Zeit ließ er die Murros anhalten, um festzustellen, wie nahe ihre Verfolger waren. Aber seltsam, so sehr er sich anstrengte, nicht einmal war Hufgeräusch zu hören. »Er wird aufgegeben haben«, sagte Ramon. »Die Grenze ist keine fünf Meilen entfernt. Wenn die Sonne über die Berge steigt, sind wir im Territorium Arizona.« Domingo nickte. Nachdenklich strich er über den schmalen Lippenbart. Er wollte nicht glauben, daß er Captain Yevaros ein Schnippchen geschlagen hatte. »Grund zum Jubeln haben wir erst, wenn wir diese verdammten Waffen los sind.«
* In den Tagen, wo Critten in der Einsamkeit nach Süden ritt, hatte er Zeit und Muße, über diesem seltsamen Pedlar nachzudenken, der ihm zur Flucht verholfen hatte. Doch Critten kam zu keinem Ergebnis. Er umritt in respektvoller Entfernung die befestigte Anlage von Fort Huachuca und erreichte am dritten Tag Nogales. Der Corporal brachte sein Pferd im Mietstall unter und machte sich unverzüglich auf die Suche nach Ramon Vaquence. Critten brauchte keine Stunde, um ihn zu finden, und als er dem hünenhaften Burschen in einem Saloon gegenüberstand, erkannte er, daß in Vaquence mehr indianisches Blut als das eines Weißen steckte. Seine ausgeprägten Wangenknochen, der schmale Nasenrücken und die dunklen Augen prägten die Merkmale der roten Rasse. Am Arm trug er eine schwarze Binde, die ihn als Halbblut auswies. Er schien ein stolzer und zugleich mißtrauischer Mensch zu sein. »Was will er, Dan?« fragte er den jungen Burschen, der Critten zu ihm geführt hatte. »Er bringt Grüße vom French. Er sagt, Sinclair sei sein Freund.« Ramons dunkle Augen musterten Critten so scharf, als blickten sie durch ihn hindurch, ehe er antwortete: »Wo bist du dem Franzosen begegnet?« »Drei Tagesreisen nordwärts. Er meinte, in Nogales würde ich Freunde treffen und nannte mir deinen Namen«, erwiderte Critten bereitwillig. Ramon Vaquence musterte ihn noch immer. Offenbar störte ihn Crittens Uniform. »Wozu braucht ein Soldat neue Freunde, Amigo? Er findet sie in der Armee.«
»Und wenn er die Armee verlassen hat?« Crittens Augen blitzten. Vaquence lächelte. »Er müßte einen Grund haben. Die Armee der Vereinigten Staaten ist ein sicherer Arbeitsplatz. Sie entläßt nur Veteranen. Du bist aber noch keiner. Also, was suchst du hier?« Critten nahm Vaquences vier Begleiter unter die Lupe. Keine vertrauenerweckenden Burschen. Sie stanken nach Knoblauch und schlechtem Whisky. Ihre Hemden mochten sie ein Jahr nicht mehr gewaschen haben, aber ihre Waffen blitzten wie eitler Sonnenschein. »Hast du Arbeit für mich oder nicht?« fragte Critten kalt. »Sonst gehe ich über die Grenze.« Der Ladino machte eine herrische Kopfbewegung. Seine Begleiter umstanden ihn. Ihre Hände lagen unmißverständlich auf den schweren Griffen ihrer Colts. »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Stranger«, sagte Ramon lächelnd. »Nach Sonora kannst du immer ziehen.« Critten überlegte nur einen Moment. Ihm wurde klar, daß er in eine Horde von Raufbolden und Revolverschwingern geraten war. Und er fragte sich unwillkürlich, was der Kaufmann Sinclair mit ihnen zu tun hatte, dann erwiderte er ruhig: »Der Kopf ist näher am Hals als der Hut, Amigo. Ich bin desertiert, weil ich einem verdammten Offizier die Visage poliert habe. Für solche Delikte gibt es gewisse Regeln in der Armee, die ich umgehen möchte. Kannst du das verstehen?« Ramon Vaquence lächelte. Auf seinen Wink hin traten die Revolvermänner zurück. »Ich kenne diese Regeln, Stranger. Komm morgen wieder. Wir wollen dann über deine Zukunft entscheiden.« »Warum nicht heute?« fragte Critten, als die Burschen sich abwandten und ihm den Rücken zeigten. »Weil ich es so entschieden habe«, gab Ramon Vaquence
zischelnd über die Schulter zurück. »Du mußt dich schon an unsere Regeln halten.« »Und wo treffe ich dich?« »Ich werde dich finden. Nun verschwinde. In Nogales gibt es 'ne Menge Kneipen. Such dir eine aus, und laß uns hier zufrieden.« Critten verließ den Saloon. Er suchte eine schattige Ecke außerhalb von Nogales und legte sich ins Gebüsch. Er hatte eine Mordswut im Bauch und wollte am liebsten zurück in den Saloon, um dem hochnäsigen Ladino seine Meinung mit den Fäusten einzuhämmern. Aber Critten war klug genug, sich keine weiteren Feinde zu schaffen. Er hatte die Armee gegen sich, und die unternahm bestimmt bald was, um ihn zu finden. Am Abend kroch er im Mietstall ins Stroh. Im Morgengrauen erwachte Critten. Als er sich blinzelnd aufrichtete, stand Ramon Vaquence vor ihm. »Zieh das an und komm!« sagte er nur, warf Critten ein buntes Hemd und eine Weste zu und trat durch das offene Tor. Sam Critten sah Ramons Freunde auf der Straße. Sie saßen im Sattel und warteten. Also zog er sich um und führte Tom Harpers prächtigen Pinto aus der Box. Er warf ihm Decke und Sattel über und ging nach draußen. Sie wirkten verwegen. Critten erkannte, daß sie neben dem Halfter noch ein Schießeisen im Hosenbund stecken hatten. »Wohin?« fragte er und schwang sich aufs Pferd. »Deine Neugierde bringt dich noch mal um«, erwiderte Vaquence lakonisch. »Was willst du eigentlich? Geld verdienen oder uns mit Fragen bombardieren?« »Erwartest du darauf eine Antwort?« brummte Critten. »Also, zeige mir, was zu tun ist.« Sie ritten den breiten Fahrweg hoch, der durch die menschenleere Town führte, bewegten sich an aufgeschütteten
Hügeln entlang, und bald erkannte Critten, daß sie den Nordosthängen der Sierra Madre entgegenstrebten. Kaum einer sprach ein Wort. Critten wollte keine weiteren Fragen stellen. Hauptsache, er hatte einen Job, und der brachte etwas ein. Am späten Nachmittag durchfurteten sie einen Fluß, und Critten wußte plötzlich, wo sie sich befanden. Dies hier war Grenzgebiet, und irgendwo durch eine der tausend Schluchten der Sierra führte ein Schmugglerpfad von Mexiko nach Arizona. Es lag keine zwei Wochen zurück, daß seine Abteilung hier gewesen war. Unbewußt mußte er grinsen, als er an Lieutenant Braham dachte, was der wohl für ein Gesicht machen mochte, wenn er ihn hier hätte sehen können. Nachdem sie einige Arroyos durchquert hatten, schien es Critten, als suchte Vaquence die Richtung. Er rief seine Leute zusammen und fluchte lauthals. »Verdammt, wir sind doch an der richtigen Stelle. Wo stecken diese Fettköpfe?« »Versuch's mal mit einem Revolverschuß.« Tedd Lush zog den Colt aus dem Halfter. Vaquence stieß die Waffe beiseite. »Willst du die Blauröcke oder die Rurales herbeirufen? Wir wollen weiter suchen«, fauchte er wütend. Sie drangen tiefer ins Gebirge ein, wobei Vaquence und Lush ihnen vorausritten und den harten Fels nach Spuren absuchten. »Was sucht er in der Einöde?« fragte Critten einen der Männer. Er stellte fest, daß sie im Grenzbereich ritten. »Freunde«, sagte der Mann lakonisch. Der Arroyo verengte sich mit jedem Schritt, den sie vorwärts drangen. Sie mußten nun hintereinander reiten. Zunehmendes Dämmerlicht und auch der muffige Geruch der Schluchtsohle wirkten bedrückend. Als Critten einmal hochblickte, wo ein schmaler
Lichtstreifen des Himmels erkennbar war, erkannte er die senkrecht abfallenden Schluchtwände. Der Ladino und Lush waren seit einer Stunde außer Sichtweite. Doch als sie den scharfen Knick umritten, hinter dem sich ein Talkessel ausbreitete, sahen sie ihren Anführer wieder. Vaquence saß reglos im Sattel, während Lush neben seinem Pferd zu der einzelstehenden wuchtigen Kerzenkaktee hochstarrte, an der zwei Gestalten an gestrafften Leinen hingen. »Wer sind sie?« fragte Critten, als er heran war. Er sah die verzerrten Gesichter, wobei es ihm kalt über den Rücken lief. Sie hielten neben Ramon Vaquence, der seinen Karabiner in der Faust hielt und mißtrauisch die Umgebung musterte. Irgend etwas ging hier vor, denn auch Holmes, Tratten und die anderen hatten ihre Waffen ergriffen. Tedd Lush ging zu den Gehenkten. »Es sind Paco und Alfredo, Boß!« rief Lush dem Halbblut zu. »Santos' Leute. Dort drüben liegen Martinez und Perez...« Als Lush zu den Toten eilen wollte, die halb verdeckt in einer Felsspalte lagen, rief Vaquence warnend: »Komm zurück, Tedd, die Sache stinkt!« In dieser Sekunde rollte das Echo eines Abschusses durch den Talkessel. Tedd Lush warf die Arme hoch, drehte sich um die Achse und schlug tot auf den Fels. »Raus hier!« brüllte Vaquence und riß seinen Gaul herum. »Das ist ein Hinterhalt!« Die Männer erkannten es auch ohne Ramons Warnung, denn plötzlich war die Luft bleihaltig. Weitere peitschende Schüsse waren zu hören, die unheimlich nachhallten. Die Gruppe ergriff die Flucht. Vaquences Pferd stolperte, taumelte noch einige Schritte und brach zusammen. Im weiten Bogen flog der Ladino aus dem
Sattel, kam hinkend auf die Beine und stieß lästerliche Flüche aus. Niemand hatte den Vorfall bemerkt. Nur Sam Critten sah es. Trotz der umherschwirrenden Kugeln trieb er sein Pferd an Ramons Seite und streckte ihm einen Arm entgegen. »Komm!« brüllte er in den Lärm. Vaquence erfaßte instinktiv die dargebotene Hand, lief einige Schritte an der Seite des galoppierenden Tieres und schwang sich mit mächtigem Satz auf dessen Kruppe. Ramons Arme schlangen sich fest um Crittens Taille. Er trieb dem Pinto die großrädrigen Sporen in die Flanken und jagte hinter der flüchtenden Bande durch die schmale Felsschlucht. Noch eine Weile folgte ihnen das Echo der Abschüsse, dann wurde es still. »Was bedeutet das?« fragte Critten über die Schulter. »Verdammter Mist!« knurrte Vaquence hinter ihm. »Das sind Rurales, berittene mexikanische Staatspolizei. Sie haben Domingos Bande erwischt und mit ihnen unsere guten Gewehre. Bastarde, Fettköpfe«, schimpfte er unentwegt. »Sie hängen jeden, der sich auf dem Schmugglerpfad bewegt. Und sie tun es sogar schon auf amerikanischem Territorium. Die haben den Respekt vor ihrem mächtigen Nachbarn verloren.« Das also ist der Schmugglerpfad, dachte Sam Critten. Lieutenant Braham hatte ihn vergeblich gesucht, um sich einen Orden zu verdienen. Critten lachte lauthals. »Worüber lachst du Affe?« fauchte Vaquence zornig. »Versuche lieber, den Anschluß zu finden. Wir müssen raus aus dem Arroyo, bevor sie uns erwischen.« Nach einer Stunde sahen sie die flüchtenden Reiter, und Vaquence schrie: »Sie haben alle große Klappen. Wenn's aber mal knallt, machen sie in die Hosen.« Crittens Pinto war ein kräftiges, ausdauerndes Tier, das ständig an Boden gewann. Am Ende des schmalen
Durchganges, wo der Arroyo sich merklich verbreiterte, holten sie die anderen ein. Vaquence sammelte seine Leute um sich und machte sie nach Strich und Faden zur Sau. Er schimpfte sie Stinktiere, Kojoten, Waschweiber, Memmen und elende Feiglinge. »Wenn Critten nicht den Mut gehabt hätte, mir zu helfen, hinge ich jetzt neben Paco und Alfredo am Kaktus«, schrie er und zerrte Tratten wütend aus dem Sattel. »Du warst der erste, der es eilig hatte. Du wirst dafür bis Nogales laufen.« Vaquence schwang sich auf Trattens Gaul und schenkte Critten ein freundliches Lächeln. Sam spürte, daß er den Ladino für sich gewonnen hatte. Als sie die Wüstenregion erreichten, die sich vom Santa Cruz bis zum Gila River hinzog, legte sich die Dämmerung über das Land. Ihre Pferde waren total erschöpft, so daß der Ladino einen Rastplatz am Ufer des Flusses suchen mußte. Ramon hatte den Bauch voller Wut, und seine Leute merkten das. Sie suchten abseits ihres Bosses ihre Schlafstelle. Sam Critten, der seine Decke neben Vaquence ausrollte, hoffte, daß der Ladino ihm mittlerweile vertraute. »Wer waren die Toten, Ramon?« fragte er, als er unter der Decke lag. Vaquence blickte starr in den Himmel, an dem die ersten Sterne schimmerten. »Freunde, Schmuggler«, antwortete er nach einer Weile. »Sie lieferten uns aus Mexiko Waffen.« »Und wofür braucht ihr die? Wollt ihr etwa gegen die Armee ziehen?« »Sinclair will sie, und er zahlt einen guten Preis.« Mehr konnte Critten nicht erfahren. Aber er machte sich Gedanken darüber, weshalb ein fahrender Händler ein Waffenarsenal brauchte. *
John Haggerty saß bei Colonel Higgins, als Lieutenant Braham ins Fort einritt. Braham formierte seinen erschöpften Haufen und ließ absitzen. Ein zweiter Befehl löste die Formation auf. Braham steuerte schnurgerade auf die Kommandantur zu. »Das ist Braham, einer meiner jungen Offiziere, John«, bemerkte Colonel Higgins. »Vielleicht erfahren wir mehr über die Dinge, die General Howard beschäftigen. Lieutenant Braham und seine Patrouille waren drei Wochen im Grenzgebiet, um diesen Gerüchten nachzugehen. Ich hoffe, er hatte Erfolg und konnte die Angelegenheit aufklären.« Es klopfte an der Tür, Lieutenant Braham trat ins Dienstzimmer und grüßte. Seine Kleidung war beschmutzt und von einer dicken Staubschicht bedeckt, was erkennen ließ, daß der Offizier lange in der Mesa geritten war. »Setzen Sie sich, Lieutenant, und berichten Sie!« forderte Colonel Higgins. Er deutete auf einen kleinen Tisch. »Nehmen Sie erst mal einen kräftigen Schluck.« Braham nickte und griff nach der Flasche. Als er sich niederließ, beugte Colonel Higgins sich neugierig über seinen Schreibtisch. »Schießen Sie los, Braham! Hatten Sie Erfolg?« Der junge Offizier schüttelte den Kopf. »In Nogales, Sierra Vista, im ganzen Grenzgebiet – überall, wo ich meine Nachforschungen betrieb, stieß ich auf eine Wand des Schweigens. Keiner schien etwas Konkretes über Schmugglerpfade in der Sierra Madre zu wissen. Nur Vermutungen, die zu nichts führten, waren hier und da zu hören. Entweder leben an der Grenze nur Dummköpfe, oder sie haben etwas zu verbergen. Wir haben mehrere Arroyos durchgekämmt und sind zeitweise auf mexikanischer Seite geritten. Keine Hinweise, die auf Menschen schließen ließen oder Tragtiere, die Konterbande führten, Sir. Ich muß
bekennen, das Unternehmen war ein Mißerfolg. Hinzu kommt...« Braham verstummte abrupt. Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas. »Was kommt hinzu, Lieutenant?« Braham wischte über die Wange, wo noch die letzten Spuren von Crittens Faustschlag zu erkennen waren. »Ein Mann ist desertiert.« »Sein Name?« Higgins freundliches Lächeln war wie weggewischt. Desertation war etwas, was er als alter Soldat verabscheute. »Corporal Sam Critten.« »Critten?« Der Oberst schüttelte heftig den Kopf. Er kannte den Corporal, der sich im letzten Jahr bei den Auseinandersetzungen mit aufrührerischen ChiricahuaApachen mehrfach ausgezeichnet hatte, Critten war ein guter Soldat, und er – Higgins – hatte es längst in Erwägung gezogen, den Corporal zum Sergeant zu befördern. »Der Grund, Lieutenant?« fragte er mit schneidender Stimme. Braham wirkte nervös. »Die Einsamkeit, Sir, und der harte Dienst untergruben die Disziplin. Ich mußte einige harte Maßnahmen ergreifen, um sie wiederherzustellen. Corporal Critten griff mich in solch einer Situation tätlich an.« Der Colonel atmete tief ein, denn der tätliche Angriff auf einen Offizier war fast einer Desertation gleichzustellen. John Haggerty, der der Unterredung schweigend gefolgt war, stellte fest, daß Braham ein junger Offizier war, der den harten Dienst im Grenzland wenig kannte. Und sicher wußte er nicht mit Männern umzugehen, die eben dieses Land geformt hatte. »Ich werde Critten vor ein Disziplinargericht stellen«, sagte der Kommandant. »Lassen Sie den Corporal holen. Eh, Sie haben den Kerl doch wieder erwischt?« Lieutenant Braham lächelte säuerlich. »Nein, Sir, er ist entflohen.«
»Wie bitte?« Higgins schien nicht recht zu hören. »Jawohl, Sir. Nach seiner Inhaftierung konnte er sich von seinen Fesseln befreien und benutzte mich als Geisel, um eines der Pferde zu bekommen. Wir sind ihm eine Weile gefolgt, aber er benutzte das schnellste Pferd der Armee, Sergeant Harpers Pony.« Colonel Higgins hatte sich erhoben. Er ging zum Fenster und blickte auf die Palisaden, die das Fort umschlossen. Er wußte, daß die Disziplin seiner Soldaten mitunter nachließ, wenn sie lange draußen waren. Aber daß ein Soldat seinen Vorgesetzten niedergeschlagen und bedroht hatte, war während seiner Dienstzeit noch nicht passiert. »Wir werden Corporal Critten suchen lassen, Lieutenant. Schreiben Sie Ihren Bericht, und vergessen Sie nicht Ihre disziplinarischen Maßnahmen zu erwähnen, die zu dem Vorfall führten. Ich lege größten Wert darauf. – Danke.« Lieutenant Braham stand auf, grüßte zackig und verließ das Dienstzimmer. »Wer ist dieser Corporal, Sir?« fragte Haggerty, als der Lieutenant gegangen war. Higgins schob kurz seine Unterlippe vor. »Ein hervorragender Soldat und Einzelkämpfer, der mit den Verhältnissen in diesem Abschnitt bestens vertraut ist. Er kennt die Gepflogenheiten der Rothäute und kann denken wie ein Indianer. Unverständlich, unverständlich.« Er schien es nicht fassen zu können. »Vielleicht hat Lieutenant Braham ihn zu stark herausgefordert, Colonel. Braham ist jung, unerfahren. Er denkt noch wie die Kadetten in West Point. Das Leben im Grenzgebiet hat andere Gesetze und Maßstäbe.« Colonel Higgins nickte kurz. »Ich will mir erst ein Urteil erlauben, wenn ich Lieutenant Brahams Bericht gelesen und die Männer seiner Patrouille befragt habe. Was werden Sie nun tun, John?«
Haggerty zuckte grinsend mit den Achseln. »In den sauren Apfel beißen, Sir, und zur Grenze reiten. Es ist beunruhigend, wenn man solch schwerwiegenden Gerüchten nicht nachgeht. Wir leben in einem wilden Land. Cochise und auch Victorio verhalten sich merklich zurückhaltend. Es paßt nicht zu ihrem Temperament.« »Vielleicht wird ihnen der Deserteur dort unten begegnen. Womöglich ist er aber schon über die Grenze nach Mexiko geflüchtet. Ich will Ihnen trotzdem seine Personenbeschreibung mit auf den Weg geben.« Haggerty lächelte in Gedanken. Ein Mann wie Critten, den Colonel Higgins in allen positiven Varianten beschrieben hatte, war klug genug, um zu erkennen, daß ihm im Territorium nur die Flintenläufe eines Exekutionskommandos erwarteten. »Ich werde die Angelegenheit im Auge behalten, Sir«, versprach der Chiefscout und verabschiedete sich. * Nach dem Frieden und der Vereinigung ihrer Stämme im Canyon de los Embudos und der eiligen Flucht aus der Umklammerung der mexikanischen Söldner unter Befehl Colonel Terrazas, hatten Chiricahua- und Mimbrenjo-Apachen sich tief in die Dragoon Mountains zurückgezogen. Sie lebten in ihren Apacherien der einsamen Bergwelt dicht unter der Schneegrenze der mächtigen Gipfel. Nur selten ließen Cochise oder Victorio kleine Spähertrupps talwärts ziehen, um das Terrain zu erkunden. Und sie hatten strikte Anweisungen, von sich aus nichts zu unternehmen und aus dem Verborgenen und in aller Stille ihre weißen Gegner zu beobachten. Im Lager selbst herrschte die Eintönigkeit des Alltags, den die Krieger mit Stockspielen, Weihe- oder Kriegstänzen ausfüllten, in denen sie, kraftvoll ihre Waffen schwingend, dem
imaginären Feind entgegentraten und ihre Geschicklichkeit im Töten demonstrierten. Aber es herrschte gewisse Unruhe in den Lagern, denn ein Volk, das die endlose Weite der Prärie als ihren Lebensraum betrachtet, konnte sich nur schwer an die enge Begrenzung der Bergfesten gewöhnen. An einer ihrer Zusammenkünfte am großen Feuer in Cochises Apacheria, zu der Victorio, Chato, Nana und Loco geladen waren, zeigte Geronimo, der junge Häuptling, offen seinen Unwillen über ihre Emigration. Während das Kalumet seine Runde machte, sprach Geronimo harte Worte. »Wir leben in unseren Dörfern wie in Gefängnissen, Cochise. Wir dürfen weder zur Jagd in die offene Ebene ziehen noch unsere Feinde bekämpfen. Wir sind stark, um sie mit Keulen, Lanzen, Bogen und Schleuder zu vertreiben. Statt dessen beherrschen Soldaten das Land, Siedler graben unsere Jagdgründe um und bepflanzen den Boden. Das Eisen unserer Tomahawks beginnt zu rosten. Das Ulmenholz der Bogen modert in der trockenen Sonne, und die Sehne verliert an Spannkraft. Wir leben hier wie unsere Weiber, faul und träge, eines stolzen Apachen nicht würdig.« Victorio nickte zustimmend. In seinen Augen funkelte es. »Unsere Stämme vereinen nun hundertfünfzig Krieger, die nur auf deine Befehle warten. Wann wird es soweit sein?« Der berühmte Häuptling saß auf seiner bunten Navajodecke. Er blickte Victorio fest an. »Ihr habt alle mich als obersten Kriegshäuptling gewählt. Ich werde den Tag des Aufstandes bestimmen. Bezähmt eure Ungeduld, die Würfel rollen noch. Chato hat die Verbindung gefunden, die uns stark und mächtig, unseren Feinden ebenbürtig machen wird.« Geronimo sprang unbeherrscht auf die Beine. »Wenn du von dem Händler sprichst, so sage ich dir, er will
uns betrügen. Er hat uns Gewehre geliefert, die nichts taugen, Pulver, das keine Kraft hat, zu explodieren. Revolver, die beim ersten Schuß auseinanderfallen wie ein Binsenrohr, das der gefiederte Pfeil spaltet. Du hast dem fremden Bleichgesicht mehr gezahlt, als dies alles wert ist. Wer weiß, ob wir ihn je wiedersehen.« Cochise zeigte sich der Würde eines Kriegshäuptlings bewußt. Er ließ die Anklagen über sich ergehen und wartete, bis Geronimo sich auf seiner Decke niederließ. »Der weiße Händler wird uns bald besuchen. Er ist dem Glanz des gelben Metalls verfallen. Hast du nicht die Gier in seinen Augen gesehen, Geronimo? Er wird uns Gewehre liefern. Gute Waffen, die denen der Soldaten ebenbürtig sind, denn er kennt den Lohn, der ihn erwartet.« Geronimo machte eine eindeutige Handbewegung zur Kehle. Der Häuptling sagte lächelnd: »Alles zu seiner Zeit, Geronimo. Wir müssen Geduld und Besonnenheit bewahren und uns eines Apachen würdig zeigen. Wir brauchen Gewehre und Munition, um ihre Forts zu stürmen. Wenn der Tag gekommen ist, wird ein Feuersturm über das Land fegen, der alle Fremdlinge vernichtet. Die Zeichen stehen sehr günstig. Der Schamane hat es in seinem Zauber gelesen.« »Auch daß der Händler uns nicht betrügt?« Cochise hob stolz den Kopf. »Das habe ich in seinen Augen gelesen, Bruder.« »Dann wollen wir warten«, bestimmte Victorio. Er schloß die Augen. Sein langes Haar fiel weit über die Schultern. Er träumte davon, diese Haarstränge zu Knoten zu flechten, mit seinen Amuletten zu verbinden, so wie es geschah, wenn ein Apachenkrieger den Feind angriff. * Eine Woche verging, eine zweite. Chato war mit einigen
Kriegern in das einsame Tal am Fuß der Berge gezogen, das er als Treffpunkt mit dem weißen Mann bestimmt hatte. In diesen Tagen ritt er oft aus den schützenden Bergen, hoffend, in der weiten Ebene das weiße Dach des Pedlarwagens zu entdecken. Was Chato sah, waren die protzigen Kutschen der Butterfield Overland, die ungehindert durch die Plains nach Tucson rollten. Oder Soldaten. In kleineren Gruppen oder größeren Formationen bewegten sie sich durch den Apachen-Paß hinauf nach Fort Buchanan, dem Dorn im Auge eines Apachen. Sein Herz blutete. Eines Tages – Chato hatte sich weit hinaus in die Wüste gewagt – sah er aus dem Verborgenen einen Reiter vorüberziehen. John Haggerty, der Armeescout, der nach Süden ritt. Voller Unruhe kehrte er zurück zu seinen Brüdern und wagte in der Nacht den Aufstieg zur Apacheria. Cochise, dessen Späher die Ankunft Chatos meldeten, trat dem Häuptling entgegen. »Hat der Waffenhändler Wort gehalten, Chato?« fragte er hoffnungsvoll. Chato nahm ihm diese Hoffnung, denn er schüttelte den Kopf. »Wir werden in Geduld verharren, Cochise, denn Gewehre liegen nicht wie der gelbe Staub im Sand. Der Falke ist mir begegnet, ohne daß er meine Nähe spürte.« Cochise erinnerte sich seines Blutsbruders »Hellauge«, dessen Name wie ein Schnitt in seinem Herzen brannte. »Was sucht der Falke im Apachenland, Chato?« »Apachenspuren, Großer Häuptling.« »Hast du welche hinterlassen?« Chato winkte ab. »Dann komm ans Feuer und stärke dich. Wir wollen über den Händler sprechen und hoffen, daß er sein Wort hält.«
»Er wird es halten, Cochise«, sagte Chato. Sie erreichten Cochises Wickiup und ließen sich auf den Decken nieder. »Seine Augen brannten voller Gier, seine Gedanken beherrschen das gelbe Metall, und sein Herz schlägt voller Ungeduld. Du hast es selbst erlebt!« »Dann wollen wir weiter hoffen.« Cochise schloß die Augen. Seine Gedanken sprachen mit den Göttern jenseits von Gut und Böse, und er erbat sich Hilfe und Kraft und ihr Orakel, das den weißen Händler schützen möge. * Sinclairs Rückkehr nach Nogales war unauffällig wie der Alltag selbst in der Town. Er lenkte seinen Planwagen in den Hof des kleinen halbzerfallenen Anwesens, das er von der Minengesellschaft gepachtet hatte, schirrte sein Zugtier aus, hängte die lederne Falttasche über die Schulter und betrat die Hütte. Der Händler entzündete Feuer, hing den Wasserkessel über die Flammen und wartete. Es dauerte keine Stunde, als draußen Schritte aufhallten und sich der Hütte näherten. Rene Sinclair schob die Tasche unter den Stuhl, öffnete die Jacke und spannte den Hammer seines Revolvers. Sinclair war ein mißtrauischer Mensch, denn zwischen seinen Beinen lagen in der Tasche zwei Beutel mit je 1000 Dollar an Gold. Erst als die Tür aufging und Vaquence über die Schwelle trat, schob er das Jackett wieder über den Leib. »Hallo, Ramon«, grüßte der Händler. »Tag, Boß«, brummte der Ladino, füllte seinen Becher mit Kaffee und setzte sich ans andere Ende des Tisches. Rene registrierte die Unruhe des Besuchers, die sich auch auf ihn übertrug.
»Ist was schiefgelaufen, Ramon?« fragte er lauernd. »Hat Santos uns im Stich gelassen?« »Rurales haben ihnen aufgelauert, Perez, Martinez, Paco und Alfredo sind tot. Und sicher hat auch Domingo y Santos und die anderen der Teufel geholt.« Vaquence berichtete, was sie in den Bergen erlebt hatten. Sinclair schwieg. Nur seine Gedanken arbeiteten schnell und präzise. Er hatte einen Vertrag mit Cochise und zwei Beutel Gold von ihm. Es war noch mehr von diesen roten Teufeln zu holen, wenn man es richtig anpackte, denn sicher hatten sie in den Dragoons eine Ader entdeckt. Aber ohne Santos keine Gewehre. Diese Verbindung war unterbrochen. Es galt, einen anderen Weg zu finden. Sinclair erinnerte sich an Critten. »Ist dir ein Blaurock zugelaufen, Ramon?« fragte er. Der Ladino nickte. »Einen Tag, bevor das in der Sierra Madre geschah. Er gab sich als dein Freund aus. Ist das nicht der Fall, Boß?« Der Pedlar lächelte. Er dachte an die flüchtige Begegnung mit dem Corporal. »Vielleicht wird er mein Freund. Es kommt darauf an, wie verläßlich er ist.« »Ich vertraue ihm. Critten hat mich vor einer Begegnung mit den Rurales bewahrt. Ich stehe in seiner Schuld.« Sinclair stand auf, nahm eine Brandyflasche vom Regal und füllte zwei Gläser. »Ich will offen mit dir über meine Pläne sprechen«, begann er und erzählte von seiner Begegnung mit dem ChiricahuaHäuptling Cochise, dessen Forderungen und den eigenen Plänen. Ramon Vaquence verzog das Gesicht. Ihm war bewußt, daß Sinclair ihm etwas anvertraute, das den Tod bedeuten konnte, zugleich aber erkennen ließ, daß die Apachen den Aufstand
planten. »Weißt du, was es bedeutet? Moderne Gewehre in den Händen roter Krieger, Boß. Blutige Unruhen wären die Folgen. Keine Ranch wäre vor den Bestien sicher. Wir haben es im vergangenen Jahr schon einmal erlebt«, schloß Vaquence besorgt. »Sagtest du Bestien?« Sinclair betrachtete den Erregten mit herausforderndem Blick. »Hast du vergessen, daß du selbst ein Bastard bist, in dessen Blut ebensoviel rotes Blut fließt wie weißes? Vielleicht sogar noch mehr. Blick doch mal in einen Spiegel, Ramon.« Ramon fuhr wie von einer Tarantel gebissen hoch. Seine dunklen Augen funkelten zornig, und seine Rechte lag auf dem schweren Sechsschüsser. Sinclair schlug gelassen seine Rockschläge zurück, so daß Ramon den Silberbeschlag des Colts in Sinclairs Hosenbund sah. »Setz dich!« befahl der Franzose hart. »Wir reden vom Geschäft und fahren uns gegenseitig an die Kehle.« Ramon war aufs äußerste gereizt. »Sage nie wieder Bastard zu mir, Rene. Es könnte sein, daß ich dich mit den Fäusten zerquetsche. Und was das Geschäft mit Cochise angeht, da mache ich mir die Finger nicht schmutzig. Wenn die Armee davon erfährt oder dieser verdammte Captain Freeman aus Tombstone, hängen wir schneller am Galgen, als wir denken können. Und wenn Cochise hat, was er haben will, werden sie uns massakrieren. Ich kenne Chiricahua-Mentalität.« Ramon griff nach seinem Stetson. Rene Sinclair gab sich unbeeindruckt. »Setz dich!« wiederholte er herrisch. Dabei griff er unter den Tisch, erfaßte die Falttasche am Lederbügel und knallte sie hart auf den Tisch. Vaquence starrte ihn feindselig an.
»Was glaubst du, was hier drin ist, Ramon?« fragte Sinclair und zerrte an den Schlaufen. »Was wohl, Ramon?« wiederholte er und stülpte die Tasche um. Vaquences Blick war starr auf die prallen Lederbeutel gerichtet, die mit Chiricahua-Zeichen durchsetzt waren. »Greif zu, Ramon. Öffne einen der Beutel und gib mir dann deine Antwort.« Sinclair lächelte in Gedanken. Er hatte die Karten auf den Tisch gelegt. Für das Mischblut gab es nur eine Antwort: ein klares Ja, sonst würde er in die Hölle fahren, und Marshal Thombridge würde es als glatte Notwehr bezeichnen. Ramon zögerte. Er hatte Sinclairs Worte nicht vergessen, und er war empfindlich, wenn man ihn als Halbblut bezeichnete. Dennoch griff er zu und öffnete zögernd den dünnen Lederriemen. »Greif rein, Ramon. Oder soll ich dir helfen?« Sinclair riß ungeduldig dem Hünen den Beutel aus der Hand, kippte ihn um und schüttete den Inhalt auf die Tischplatte. »Gold!« flüsterte Vaquence verwirrt. »Reines Gold, Ramon. Cochises Gold. Die Anzahlung für zehn Gewehre. Er zahlt viermal so viel bei der Lieferung. Es brauchen keine Repetiergewehre zu sein. Armeekarabiner tun es auch. Der Häuptling wird für alles dankbar sein.« »Und schneidet uns vor Dankbarkeit die Kehle durch.« Vaquences Blick konnte sich nicht vom schillernden Glanz des Goldes lösen. Er wehrte sich, aber er spürte die Macht, die dieses Metall auf ihn ausübte. »Nein, Ramon«, widersprach Sinclair. »Cochise braucht Waffen. Er sinnt auf Rache für den schmählichen Verrat, der an ihm begangen wurde. Die Armee ist sein Feind, und Cochise weiß, daß die Militärposten durch den Krieg geschwächt sind und im Osten gegen ihre eigenen Leute kämpfen. Hier sieht er seine Chance, die Feinde aus seinen Jagdgründen zu vertreiben. Haß macht blind. Selbst wenn wir
ihm hundert Henry Rifles liefern würden und so alle seine Krieger mit modernen Schußwaffen ausrüsteten, würde sein Aufstand niedergeschlagen, noch ehe er recht begonnen hätte. Cochises blutrünstige Gedanken werden ihm unter den Schrapnells der Berghaubitzen und den Säbelhieben der Dragoner vergehen. Die einzigen Gewinner dieser Schlacht sind wir, Ramon, denn wir erkaufen uns mit Gewehren das Vertrauen des Kriegshäuptlings. Ist es erst soweit, können wir uns gefahrlos in ihren Bergen bewegen. Irgendwann werden wir auf ihre Goldmine stoßen.« »Du meinst, es gibt mehr davon?« Vaquence rieb die kleinen Staubkörner zwischen den Fingern. »Wo sie dieses Gold ausgebuddelt haben, ist noch mehr zu finden«, erwiderte Sinclair voller Überzeugung. Vaquence setzte sich auf den Stuhl. Er merkte, daß mit seinen Knien auch sein Wille schwach wurde. Ein Leben lang war er ein kleiner Gauner gewesen, der nicht mal vom großen Glück zu träumen gewagt hatte. Hier ein paar Pferde, dort eine Fuhre Brandy und dann die Dinge, die Domingo y Santos über die Grenze schmuggelte. Pulque, Tabak, Huren... Was hatte das alles eingebracht? In Sekunden lief sein Leben vor seinem geistigen Auge ab, es war offenbar, daß Sinclair ihn überzeugt hatte. Aber dann fragte Ramon: »Woher willst du die Gewehre holen, Boß? Santos' Bande ist hinüber. Santos selbst, sollte er das Massaker überlebt haben, wird sich vorerst nicht mehr auf den Schmugglerpfad trauen. Im Drugstore findest du ein paar rostige Flinten, die dir beim ersten Schuß um die Ohren fliegen. Also stecken wir unsere Träume auf und begnügen uns mit dem, was wir haben.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die beiden Lederbeutel. Sinclair schob sie in die Tasche zurück, stellte sie unter den Tisch und zog Flasche und Gläser heran.
»Wer hat wohl dieses Material im Überfluß?« fragte er und schenkte die Gläser randvoll. »Die Armee«, entfuhr es dem Halbblut, und er erschreckte vor seinen eigenen Gedanken. »Du meinst...« »Genau das meine ich, Ramon. Wir rüsten Cochise mit Waffenbeständen der Army aus. Wir holen sie aus den Magazinen der Forts, von ihren Materialzügen und wenn es sein muß, sogar aus General Howards Headquarters.« Ramon Vaquence lauschte dem Pedlar, der seine Pläne entwickelte, vom Reichtum und Glück sprach, wovon er ein Leben lang geträumt hatte. Irgendwie verlor Ramon Angst und Hemmungen, als der Boß sagte: »Wir brauchen nur tüchtige Leute, und alles klappt wie am Schnürchen.« »Geeignete Männer sind kein Problem. Es laufen genügend verkommene Existenzen in und um Nogales herum, die schon x-mal ihre Stiefelsohlen gekocht haben, weil der Kohldampf schmerzhaft in ihren Eingeweiden wühlt. Ich werde sie überzeugen.« »Und Critten?« fragte Sinclair lauernd. »Kann man ihm vertrauen?« »Was willst du mit Critten?« brauste Ramon auf. »Wenn der sein Glück nicht will, läßt er es bleiben.« »Er war Soldat und kennt die Gepflogenheiten der Armee. Er weiß, wie man an ihre Depots und Lager herankommt, wie sich eine Eskorte von Soldaten verhält, wenn ihr Munitionsdepot angegriffen wird, und viele andere Dinge. Du siehst, wofür ich ihn brauche.« Vaquence war aufgestanden. Er blickte durch die blinden Fensterscheiben auf den Hof, der voller Unrat war. »Critten ist Deserteur. Ich weiß nicht, wie verkommen er ist«, wandte Ramon ein. »Dann hole ihn, ich werde ihm seine Lage vor Augen führen.«
* Aus Nogales kommend, durch das Brachland reitend und kleinere Ansiedlungen umgehend, näherten sich zwölf Reiter dem Fortposten Huachuca. Sie hielten sich zwischen flachen Hügeln und drangen unbemerkt in Dickicht ein, das Fort Huachuca im weiten Bogen umschloß. Auf einer kleinen Lichtung, die Vaquence für günstig hielt, stiegen sie von ihren Pferden, lösten die Sättel und rieben die schweißnassen Felle der Tiere mit Grasbüscheln trocken. »Hier wollen wir vorerst bleiben«, bestimmte der Ladino und winkte Sam Critten heran. »Du warst lange genug bei der Armee, um zu wissen, wie es in einem Fort aussieht.« Dabei deutete er durch das Gebüsch zum nahen Fort, dessen gespitzte Palisaden steil in den Himmel ragten. »Die Hülle kenne ich, nicht aber die Eingeweide.« Critten lächelte, denn Vaquences Worte zeigten, daß der Mann nie in der Armee gedient hatte. »Jedes Fort wird nach einem gewissen Maßstab gebaut. Es kommt auf die äußeren Bindungen an. Sie stehen in Tälern oder auf günstigen Höhen. Im Innern gleichen sie wie ein Ei dem anderen: Das große Tor im Vordergrund, die Palisaden, innen mit Wehrgang und einem Ausfall versehen. Beim rückliegenden Teil, zum Hof hin, liegen im Mittelteil Kommandantur und Offiziersbaracke. Im Anschluß die Mannschaftsunterkünfte. Neben den Mannschaftsräumen die offenen Pferdeställe, Geräteplatz und im äußersten Winkel das Depot.« »Das ist es, was uns interessiert. Steigen wir auf den Hügel.« Vaquence nickte zufrieden. Sie krochen durch dichtes Gesträuch den Hang hoch. Von oben aus lag das Blickfeld offen, und sie konnten einen Teil des Innenhofes übersehen. Critten hielt das Fernrohr an die Augen, mit dem Sinclair sie
ausgerüstet hatte, und betrachtete eingehend das Fort. »Es hat nur eine kleine Besatzung. Ich schätze die Stärke auf zwölf Mann. Wahrscheinlich ist eine Patrouille draußen.« »Das Depot!« Critten reichte seinem Begleiter das Glas. »Wenn du dem Schnittpunkt des Fahnenmastes folgst, links im Winkel, dort muß es sein. Du kannst es nicht erkennen, es liegt tiefer als die anderen Bauten und ist im unteren Teil eingegraben.« Vaquence registrierte jede Bewegung im Fort. »Wie viele Posten bei Nacht, Sam? Wann werden sie abgelöst?« »Mitternacht erscheint mir als günstigste Zeit. Du weißt, wie einem zumute ist, wenn man gewaltsam aus den schönsten Träumen gerissen wird. Du brauchst eine Zeitlang, um munter zu werden.« Vaquence nickte. »Also um Mitternacht.« Sie stiegen ins Tal zurück, wo die Bande faul auf ihren Decken lag. Vaquence setzte sich dazwischen, begann die Lage zu besprechen und die Rollen zu verteilen. Drei von ihnen sollten Critten begleiten und ihm dabei helfen, die Wachen unschädlich zu machen. Einer hatte dann die Aufgabe, das Tor zu besetzen und rechtzeitig zu öffnen, wenn das Gros der Bande auftauchte. »Wir anderen werden eine Stunde nach Crittens Aufbruch vor dem Tor erscheinen und die Waffen mitnehmen. Die Sache muß vorbei sein, ehe irgendwer Alarm schlagen kann. Noch eine Frage? Nein? Okay, dann legt euch ein paar Tücher zurecht, die ihr später den Gäulen um die Hufe wickelt.« Von nun an warteten sie auf die Nacht. Vom Fort her kamen Geräusche. Bei Sonnenuntergang blies der Hornist den Zapfenstreich. Die Armee holte ihr Sternenbanner ein.
Am Stand des Gestirns las Vaquence die Nachtzeit ab. Als es soweit war, weckte er die Leute. Critten, Holmes, Tratten und Holsten traten vor ihren Anführer. Vaquence reichte ihnen je ein Bündel langschäftiger Pfeile und sagte grinsend: »Chiricahua-Pfeile aus Sinclairs Bestand. Laßt sie so zurück, daß man sie später entdeckt. Vielleicht können wir ihnen glaubhaft machen, Apachen hätten ihr Depot ausgeraubt.« Critten drängte näher. »Wofür braucht Sinclair die vielen Gewehre?« wollte er wissen. »Er hat dir gesagt, um der Armee eins auszuwischen. Er wird die Karabiner an die Siedler verkaufen und den Gewinn mit uns teilen.« Critten schüttelte den Kopf. »Bringen sie so viel ein, daß sich der Umstand lohnt?« Vaquence lachte. »In diesen unsicheren Zeiten ist ein guter Karabiner nicht mit Gold aufzuwerten. Wir werden alle zufrieden sein. Und nun haut ab. Eure Pferde findet ihr später am Haupttor.« Critten führte seine Gruppe durch das Gebüsch. Tief geduckt, jede Mulde nutzend, näherten sie sich dem Fort. Als sie die Außenpalisaden erreichten, deutete Sam nach oben. »Wirf das Lasso um einen Pfahl, Tratten. Ich steige als erster hoch.« Sam preßte sich an die Wand. Oben erklangen Stiefelschritte des Nachtpostens auf den harten Bohlen des Laufganges. Sam hörte, wie der Mann die Leiter runterstieg. Also mußte die Ablösung bald kommen. »Beeil dich!« flüsterte Critten, als die Schritte sich entfernten. »Wir müssen im Turm sein, ehe er wieder besetzt wird.« Tratten schwang bereits das Lasso. Er ließ die Schlinge aufwärts schnellen. Mit schwachem Klatschen schlang sich die
Schlaufe um den Stamm. Sam prüfte die Sicherheit und hangelte sich katzengleich in die Höhe. In den Innenhof fiel ein Lichtstreifen. Er kam aus der Wachstube, aus der gerade zwei Männer traten und getrennt zu den Palisadengängen hochstiegen. Tratten und Holsten lagen flach auf dem Bauch. Critten spürte ihre Nähe und die Erregung, die sie beherrschte. Die Leitersprossen knarrten, der Schatten des Postens verfloß in seinen Konturen. Als der Soldat den Laufgang erreicht hatte, schnellte Sam Critten vor und schlug mit dem Revolverkolben zu. Noch im Niedersinken fing er den Körper des Bewußtlosen auf und ließ ihn geräuschlos auf die Dielen gleiten. »Ich hole den anderen«, wisperte Critten ohne Erregung. Er war kaltblütig und dachte daran, daß dies die Gelegenheit war, jener Armee eins auszuwischen, der er vier Jahre lang treu gedient hatte. »Holmes, Holsten – ihr folgt mir in zwei Minuten. Tratten, du besetzt das Innentor. Und trampelt nicht wie die Ochsen durch die Gegend!« Critten war in der Dunkelheit verschwunden. Er kannte die Palisadengänge und ihre Tücken aus vielen Nächten, wo er selbst darauf gewacht hatte. Der zweite Wachtposten schien es sich in einer Ecke bequem gemacht zu haben. Critten sah es am Glimmen seiner Zigarette, die ihm nun den Weg wies. Überraschend stand er vor dem Mann. Sein Revolver sauste nieder. Ohnmächtig fiel der Posten zur Seite. Das alles geschah fast lautlos und erinnerte Sam Critten an jene wilde Zeit, als er in der Unionsarmee geritten war. All right, dachte Sam und schob die Waffe ins Halfter zurück. Er hörte am leisen Knarren der Bohlen, daß Holmes und Holsten näher krochen. Als sie heran waren, mahnte er: »Hebt die Füße hoch, hier beginnen die Treppen! Wir müssen
an der Wachstube vorbei.« Sie erreichten den Innenhof – Tratten war bereits auf seinem Posten – robbten unter dem erleuchteten Fenster der Wachstube her und erreichten die spitzen Winkel im hinteren Teil des Forts. Critten arbeitete zielstrebig. Er brauchte keine Minute, und das Schloß ließ sich öffnen. Der Weg war frei. Hintereinander schoben sie sich an der offenen Tür vorbei ins Depot. Sorgfältig verschloß Sam die Tür und riß ein Zündholz an. Er sah die entsetzten Gesichter seiner Begleiter und grinste. »Im Arsenal gibt es aus Sicherheitsgründen keine Fenster. Soldaten klauen genau wie Zivilisten. Sie nennen es nur organisieren.« Sam nahm eine Stallaterne vom Haken, entzündete den Docht und schlich den beiden voran. In langen Reihen, säuberlich ausgerichtet, standen fast 80 Gewehre im Ständer, und am Ende des Ganges entdeckten sie Munitionskästen und Pulverfässer. »Das gäbe ein prächtiges Feuerwerk«, bemerkte Holsten mit gemeinem Grinsen. »Schlag dir das aus dem Kopf«, zischelte Critten. »Packt so viele Karabiner in den Riemen, wie ihr tragen könnt, dann nichts wie raus. Unser Glück kann nicht ewig dauern.« Critten hängte sich an jeden Arm acht Springfield-Gewehre und wartete, bis seine Begleiter fertig waren. Lautlos überquerten sie den Hof und erreichten unbemerkt das Tor. Tratten hatte bereits den Riegel zurückgeschoben. Sie legten vorsichtig die Waffen ab. Sam lauschte nach draußen. Von Vaquence und der Bande war nichts zu hören. »Wir brauchen Munition. Ohne Patronen taugt der beste Karabiner nichts«, sagte der Corporal mit einem kritischen Blick zur Wachstube. »Und noch ein paar Schießprügel«, bemerkte Holsten. »Die
Herren Generäle werden sich totlachen, wenn sie erfahren, daß Fort Huachuca geknackt wurde.« »Die Armee wird uns wie räudige Köter jagen, um ihr Ansehen wieder aufzupolieren. Ich weiß nicht, wer zuletzt lacht. Kommt!« Die dunkle Nacht nahm sie auf. Als sie zurückkamen, stand das Tor weit offen. Vaquence war eingetroffen und dabei, die Gewehre auf ihren Pferden zu verstauen. »Vorwärts!« befahl Vaquence, als er Critten erkannte. »Holt eure Gäule, wir hauen ab!« Als Holmes an ihm vorübereilte, hielt er ihn an der Schulter fest. »Alles klar?« fragte er leise, so daß Critten es nicht hören konnte. »Alles klar.« Lautlos, wie sie in Fort Huachuca eingedrungen war, verschwand die Bande in der Finsternis. Als sie fünf Meilen südlich durch das Hügelland ritten, erhellten mächtige Flammenblitze sekundenlang den Himmel. Das Echo vieler Detonationen rollte in Intervallen über die Hügel. »Verdammt!« Sam Critten parierte aufgeschreckt sein Pferd und starrte auf den lodernden Feuerball, der in der Ferne zerfiel. »Das kommt vom Fort.« Vaquence tauchte an seiner Seite auf. »Der Donnerschlag wird die Besatzung eine Weile beschäftigen, Sam, und uns genügend Vorsprung geben, die Beute in Sicherheit zu bringen. Vorwärts!« Sam Critten preßte die Lippen zusammen. Er war Deserteur und bereit, der Armee Schaden zuzufügen. Aber gleich ein halbes Fort in die Luft zu sprengen, so tief saß sein Haß nicht. Und zum erstenmal spürte er, daß er an Sinclairs oder Vaquences Seite immer mehr auf die schiefe Ebene geriet. Im Morgengrauen zog die Bande durch die Steilschluchten des Santa Rita-Gebirges, ohne daß ihnen irgendein Mensch
begegnet war. Aber Vaquence wußte, daß es in und um Fort Huachuca bald von Soldaten, Aufgeboten, Bürgerwehren und sonstigen Jagdkommandos wimmeln würde. Er beschloß, die Beute in einer der vielen Höhlen des Miller Peak zu verstecken, ehe man sie wie blinde Hühner jagte. Stärkere Regsamkeit der Jagdgruppen im Santa Cruz County veranlaßten Ramon, die Bande in mehrere Gruppen aufzuteilen. Während vier Männer als Wachen bei der Beute zurückblieben, zog ein zweiter Trupp zur verlassenen Farm Dan Millers, nahe Harshaw. Vaquence kehrte auf Schleichwegen nach Nogales zurück, um dem Boß Bericht zu erstatten. Aber Sinclair war längst über die Geschehnisse im Fort Huachuca informiert und empfing den Ladino nicht gerade freundlich. »Du solltest Waffen aus dem Fort besorgen und nicht gleich ein ganzes Gebiet und die Bewohner in Aufruhr versetzen. In den Bergen und auf dem Flachland wimmelt es von Patrouillen. Huachuca City, Sierra Vista und Tombstone haben ihre Bürgerwehren zusammengerufen. Sie alle befürchten einen Aufstand der Apachen wie im vergangenen Jahr. Verdammt, Ramon, welcher Teufel hat dich geritten?« Sinclair wanderte unruhig in der alten Hütte am Stadtrand, die er vor einem Jahr von der Minengesellschaft gepachtet hatte, um seinen Geschäften einen soliden Aufhänger zu geben, hin und her. Ramon lächelte verkrampft. »Ich dachte, das wäre in deinem Sinn.« Sinclair wirbelte herum. »Ich sagte dir, wenn es nicht anders geht, macht ihr ein wenig Rabbatz, um die Truppe aus dem Fort zu locken. Aber Huachuca halb in die Luft zu sprengen, war glatter Wahnsinn.
Eine Herausforderung an die amerikanische Armee, Ramon. Sie ist trotz aller Schwächen noch verdammt stark im Territorium vertreten. Und hinter ihr stehen die Bürger und ihre Jagdkommandos, die den Schutz der Soldaten brauchen. Es werden Wochen vergehen, ehe sie sich beruhigen. Sag mir jetzt, wie der Erfolg war.« Ramon sprach von der Beute. »Sechzig nagelneue Springfield-Karabiner und tausend Schuß Munition. Das wird Cochise von deiner Aufrichtigkeit überzeugen, Boß. Er wird deine Bitte nicht ausschlagen können und dir gestatten, daß du mit deinen Freunden eine Weile in den Dragoons reiten kannst, ohne daß seine roten Teufel uns belästigen.« Er erklärte, wo sie die Beute hinterlassen hatten, und daß es ihm in Anbetracht des herrschenden Trubels im Cruz County ratsam erschienen war, den Großteil der Bande ins Wüstengebiet zu dirigieren. »Millers zerfallene Farm liegt so einsam, daß sie längst vergessen sein dürfte.« Sinclair kannte den Ort von früheren Zusammenkünften und stimmte Ramons Entscheidung nachträglich zu. »In einer Woche wird es ruhiger werden. Dann bringt ihr die Waffen an das trockene Wasserloch in den Ausläufern des Chiricahua Peak«, bestimmte der Franzose. »Und nun verschwinde! Ich möchte nicht, daß wir zusammen gesehen werden.« Sinclair nutzte den Morgen, um in Snatters Warenlager einige Bestellungen aufzugeben. Snatter warnte ihn, in diesen unruhigen Zeiten allein in die Plains zu ziehen. »Die Apachen sind auf dem Kriegspfad, Mr. Sinclair«, gab er zu bedenken. »Ein gefülltes Warenlager wäre nach ihrem Geschmack.« Doch Sinclair winkte gelassen ab. »Ohne Risiko kein Gewinn.«
Er suchte den Barbershop auf, wo es immer Neuigkeiten gab, und später Tanners Saloon. Vaquence hockte in der Ecke vor einem Glas Bier. Sinclair glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er seinen Hof betrat. Am Hitchrack stand ein Pferd, und auf dem Kutschbock saß ein Mann, dem er nicht gern begegnen wollte. »Hallo, Mr. Haggerty!« grüßte er dennoch freundlich. »Das nenne ich eine Überraschung.« John schwang sich vom Bock. Sinclair rechnete damit, daß der Scout längst seinen Wagen durchwühlt hatte. »Ich wußte doch, daß es Ihr Fahrzeug ist.« John lächelte. »Die Welt ist klein. Man trifft überall Bekannte.« »Und Sie, Mr. Haggerty? Immer noch auf der Jagd nach Gerüchten?« Sinclair reichte ihm die Hand und deutete zum Haus. »Kommen Sie rein. Ich habe noch einen alten Kentucky, den ich mir für Freunde aufgehoben habe. Ich möchte mich erkenntlich zeigen, weil Sie mir einmal das Leben gerettet haben.« »Reden wir nicht davon.« John folgte dem Händler in dessen Behausung. Sinclair war Junggeselle. Er lächelte. »Stören Sie sich nicht an der Unordnung. Ich bin nur selten zu Hause. Sie wissen schon...« John nickte. Der Pedlar hatte eine staubige Flasche Whisky aus einem Schubfach genommen. »Sie handeln wohl mit Whisky?« fragte John nach dem ersten Schluck. Sinclair wußte, worauf der Mann hinauswollte. Diese Frage bestätigte seine Vermutung. Haggerty hatte in seinem Wagen geschnüffelt. »Durstige Kunden gibt es überall«, antwortete der Franzose lächelnd. »Auf den Farmen, die Sie besuchen?«
»Klar.« »Und nicht in den Dörfern der Chiricahuas, Mimbrenjos oder Tontos?« Auch John lächelte. Er kannte die Händler vom Schlag Sinclairs. Sie handelten mit allem und jedem. Sinclair tat entrüstet. »Sie wissen, daß ich Indianern keinen Schnaps verkaufen darf. Wollen Sie mich beleidigen, Mr. Haggerty?« »Es war nur ein Scherz.« Sie besprachen belanglose Dinge, und der Chiefscout verabschiedete sich bald. Sinclair hatte ihm noch einen Tip gegeben, wo der Schmugglerpfad nach Mexiko liegen könnte. Aber John hatte andere Dinge im Kopf. Der Überfall auf Fort Huachuca beschäftigte ihn, denn er war einen Tag nach der Zerstörung in Fort Huachuca eingetroffen. John wußte, was an Waffen gestohlen worden war, und der Kommandant hatte ihm die Chiricahua-Pfeile gezeigt, mit denen einer seiner Soldaten getötet worden war. Hier lag der Haken. John bestieg sein Pferd und ritt hinaus. Eine Reitergruppe trabte die Straße hinunter. Ungefähr 50 verwegene Burschen. An ihrer Spitze ein graubärtiger Mann in zerschlissener Armeeuniform. John erkannte ihn trotz der Entfernung. Unwillkürlich preßte er die Lippen zusammen, als der Graubart aus dem Verband schwenkte. »Hallo, Mr. Haggerty!« grüßte Captain Freeman und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Man findet Sie überall, wo Unruhen sind. Ich wußte, daß wir uns begegnen würden, nachdem man mir in Fort Huachuca von Ihrem Besuch berichtet hat. Sie haben wohl eine Nase für die Dinge. Na ja, als Howards bester Scout...« John blickte an Freeman vorbei. Die Miliz, die der Captain Frontier Bataillon nannte, bog in eine Seitenstraße.
»Sie sind auch schnell auf den Beinen, Captain, wenn es gilt, ein paar armen Chiricahuas den Skalp zu nehmen.« Es lag ein verächtlicher Ton in Haggertys Stimme, der Freeman aufbegehren ließ. »Ich weiß, daß Sie mit den Chiricahuas sympathisieren. Die haben Ihnen auch einen wohlklingenden Namen verpaßt: Falke. Sie sind wohl mächtig stolz darauf. Aber ich kenne diese tückischen Bastarde. Falsch bis in die Zehenspitzen, wild wie Raubtiere. Ich bin im letzten Jahr auf sie gestoßen, Scout, und es hat mich dreißig meiner besten Leute gekostet. Das werde ich Cochise nicht vergessen.« »Ihre Heldentaten gingen durch die gesamten Boulevardblätter des Territoriums«, sagte John. Er mochte »Lion« Freeman nicht, weil der und sein Frontier Bataillon ein Unruheherd im Territorium waren. John gab ihm die Schuld an den blutigen Zusammenstößen zwischen Cochise und der Bevölkerung im vergangenen Jahr. Freemans grausamer Vernichtungsfeldzug gegen Apachendörfer war der Anlaß, daß Cochise ebenso grausam zurückschlug. »Diese Heldentaten, wie Sie es zu nennen pflegen, Mr. Haggerty«, entgegnete Freeman scharf, »waren eine absolute Notwendigkeit. Der Beweis: Cochise hielt ein Jahr lang Ruhe. Aber er mußte wieder raus aus seiner Festung. Er fühlt sich belogen und betrogen, in seiner Ehre verletzt.« »Ist es nicht auch so, Captain Freeman?« John lächelte über Freemans Worte. »Ihre Sympathien sind offen auf Cochises Seite, Scout.« »Ich arbeite für General Howard, Freeman, dessen Friedensbemühungen von Leuten Ihrer Sorte durchkreuzt werden. Sie werden im Santa Cruz County weder auf einen Chiricahua noch auf einen Mimbrenjo-Krieger stoßen.« »Wir sind ihren Spuren bis in die Santa Rita Mountains gefolgt«, trumpfte der Captain auf. »Haben die aber leider in den Bergen verloren. Wir werden uns in Nogales neu ausrüsten
und die Jagd fortsetzen.« John lächelte. Auch er war der Fährte von Fort Huachuca bis ins Gebirge gefolgt, nur mit klareren Augen. »Ist Ihnen nicht aufgefallen, welchen Beschlag ihre Pferde trugen?« »Sie waren beschlagen. Aber was bedeutet das, Mr. Haggerty? Apachen stehlen, was nicht niet- und nagelfest ist. Warum also auch nicht beschlagene Gäule?« John betrachtete den erregten Mann. Der ehemalige Captain hatte in Tombstone einen ebenso berühmten wie berüchtigten Namen. Er war eine Autorität und Befehlshaber der Miliz von eigenen Gnaden. Er besaß die Macht und das Können, 100 oder 200 aufrechte Männer für seine Sache zu begeistern. Und wie in Tombstone entstanden bereits in anderen Settlements Jagdkommandos, die sich Freeman unterstellt hatten. »Wir wollen die Sache in Ruhe besprechen, Captain«, lenkte der Chiefscout ein. »Ich komme heute nacht in Ihr Biwak.« John lockerte die Zügel seines Pintos und ritt an Freeman vorbei die Straße hoch. »Wenn Sie mich von der Harmlosigkeit Ihrer roten Freunde überzeugen wollen, legen Sie sich lieber schlafen, Haggerty«, rief Freeman ihm nach, ehe auch er sein Pferd in Trab setzte. John lächelte. Am Nachmittag ging er in eine kleine Pension. Bis zum Einbruch der Nacht lag er angezogen und mit wachen Augen auf dem Bett. Seine Gedanken waren unablässig in Bewegung und kehrten immer wieder zu der Frage zurück: wer hat Interesse an 60 Springfield-Gewehren? Und die Antwort war stets die gleiche: Cochise. Wenn man Cochise nur zu packen bekäme. Aber der schlaue Fuchs saß in seiner Bergfestung, ließ die Zeit für sich arbeiten und schmiedete gefährliche Pläne. Als John sich endlich erhob, ahnte er: jene Männer, die Fort Huachuca überfallen hatten, hielten Verbindung mit dem
Häuptling. Eine vage Vermutung, aber als Scout hatte er einen sicheren Instinkt. Auf dem Weg zu Freemans Lager war es John, als folgte ihm in der Dunkelheit jemand. Doch er mußte sich getäuscht haben, denn nach mehreren Finten, die er schlug, um den vermeintlichen Verfolger zu erwischen, gab er auf. Freeman saß auf dem ausgetrockneten Stamm eines Skelettbaumes. Er schien auf den Besucher gewartet zu haben, denn er blickte herausfordernd hoch, als John sich niedersetzte und ihm einen langschäftigen Pfeil reichte. »Nachdem beschlagene Pferdespuren Sie nicht überzeugen konnten, frage ich Sie, Captain, kennen Sie einen solchen Pfeil?« Freemans Hände glitten über den biegsamen Schaft, prüften das Gefieder. »Ohne Zweifel Chiricahua-Arbeit.« John nickte. »Ich habe ihn aus Fort Huachuca.« »Und was ist daran so auffällig, Mr. Haggerty?« »Suchen Sie nach Merkmalen, Sir.« »Er ist langschäftig wie ein Jagdpfeil«, erklärte Freeman nach eingehender Prüfung. »Es ist ein Jagdpfeil. Ein Apache würde ihn nie zum Angriff benutzen, weil er seine Bewegungsfreiheit einengt. Chiricahuas benutzen im Kampf kurzschäftige Pfeile, die sie im Köcher am Rücken tragen. Gerade so lang, daß sie das Federholz über die Schulter gut fassen können.« Captain Lion Freeman lächelte. »Sie versuchen alles, um Cochise zu rehabilitieren, Mr. Haggerty. Ihre Argumente aber reichen nicht. Cochise braucht gute Waffen, um sich aus seiner Bergfestung zu wagen. Er weiß, was ihn in den Plains erwartet.« John spürte Freemans Widerstand. »Cochise weiß, daß seine Apacheria die letzte sichere
Wasserstelle ist. Er wird sich zum Kampf stellen, wenn er sich stark genug glaubt. So schätze ich den Häuptling ein, Captain. Aber er wartet, bis er gerüstet ist.« »Dann sollte man die Militärposten verstärken, um derartige Übergriffe, wie sie in Fort Huachuca geschehen sind, unmöglich zu machen«, rief Freeman spontan. »Oder die Gauner zur Rechenschaft ziehen, die die Chiricahuas mit Kriegsmaterial versorgen.« »Cochises Stamm ist arm. Auf der Flucht ist ihm nichts geblieben«, widersprach Captain Freeman. »Womit sollte er Waffen bezahlen können?« John lächelte über Freemans Einwand. »Denken Sie an die San Pedro-Minen auf den Hügeln vor Tombstone. Oder die Gold- und Silberminen in Pies Altos. Überall in den Bergen Arizonas werden Digger fündig. Warum sollte Cochise, der dieses Land schon als Jüngling durchstreift hat, nicht auf Schätze gestoßen sein, die er – bisher unbeachtet, doch nun, wo er die Macht des gelben Metalls kennengelernt hat – zu seinem Vorteil ausnutzen?« Freeman zog seinen Mantel über die Schulter und blickte über das Feuer. Er fixierte den Scout scharf und lächelte plötzlich. »Cochise hat in Ihnen einen großartigen Fürsprecher, Mr. Haggerty. Es muß für den Häuptling ein erhabenes Gefühl sein, Sie als Freund zu besitzen.« Freeman gähnte und erhob sich. »Sie können mich nicht überzeugen, Mr. Haggerty. Wir brechen morgen zur Jagd auf.« »Vielleicht sollten Sie über meine Worte nachdenken, Captain«, sagte John. Freeman warf ihm einen letzten Blick zu, ehe er sich abwandte. »Und noch eins«, rief der Scout hinter Freeman her, der bereits sein Zelt erreicht hatte. »Ich bin nicht Cochises Freund. Der Häuptling betrachtet mich als Feind, wie alle Weißen, die
sein Land gestohlen haben.« Captain Freeman blieb stehen. Er hielt den Zeltverschlag in der Hand und blickte herüber. John sah sein spöttisches Lächeln und hörte die ironische Stimme. »Warum verteidigen Sie so leidenschaftlich Cochises Unschuld, wenn Sie sein Feind sind, Mr. Haggerty?« »Um das nächste Massaker zu verhindern, Captain Freeman«, kam es voller Bitterkeit zurück. »Und um den Frieden zu sichern, für den General Howard eintritt. Oder einfach, um ein Unrecht zu verhindern.« John sah, daß Captain Freeman den Zeltverschlag fallen ließ. Zornig wandte er sich ab. * Rene Sinclair blickte noch einmal den Weg zurück, den er gefahren war. Stumm und reglos nahm er Abschied von Nogales, das irgendwo hinter einem der Hügel lag. Für Sekunden galten seine Gedanken dem verdammten Armeescout, dessen Neugierde ihn zum Aufbruch bewogen hatte, dann blickte er wieder nach vorn. Den ganzen Tag durchfuhr er die Einsamkeit, ohne eine Spur von Reitern zu entdecken. Sinclair wußte, daß Jagdkommandos der Bürgerwehren und Militärpatrouillen noch immer auf der Suche nach den roten Banditen waren, die Fort Huachuca überfallen hatten. Aber ihr Eifer begann zu erlöschen wie das Feuer, dem man die Nahrung entzog. Am zweiten Tag stieß er, weitab von der Normalroute Benson-Nogales, auf das verödete Brachland von Miners Farm, und schon hinter dem nächsten Hügel erkannte er die verfallene Hütte. Sie schien verlassen, doch als er auf Rufnähe herankam, trat ein Hüne vor die windschiefe Tür und ging auf den Hof. Ramon Vaquence.
Neben ihm tauchten vier Männer auf, die freudig ihre Arme hoben und dem Eintreffenden zuwinkten. Sinclair lenkte sein Gefährt in den Hof und hielt es an. Er stieg steif vom Bock und vertrat sich die Beine. »Alles in Ordnung?« fragte er den Hünen. Der Ladino nickte. »Wie du es befohlen hast. Die Ware ist auf dem Weg ins Versteck. Wir sind zurückgeblieben, um auf dich zu warten.« Sinclair betrachtete seine Leute. Holmes und Vaquence waren vom alten Stamm. Danz und Liberace waren erst vor einigen Wochen zur Bande gestoßen. Zwei üble Raufbolde aus dem Texas Panhandle. Brauchbar für gewisse Aufgaben. Critten konnte er nicht trauen. Dieser verdammte Deserteur dachte zu liberal. Von Ramon wußte er, daß Critten Schwierigkeiten machte, nachdem er erfahren hatte, daß Fort Huachuca in die Luft geflogen war. Aber er stufte ihn nicht als Gefahr ein, denn Critten war selbst ein Outsider, der sich niemandem anvertrauen konnte. Der Pedlar nickte zufrieden. »Dann kann die Sache bald laufen. Ramon, du wirst mich begleiten. Dir, Holmes, vertraue ich die Leute an. Ihr werdet zwei Tage auf Millers Farm bleiben und uns den Rücken decken. Sollte irgendeine Posse auftauchen, lenkt sie auf eine falsche Fährte. Nun holt euch Vorräte aus dem Wagen, es ist genügend vorhanden.« Noch ehe eine Stunde vergangen war, saß Sinclair wieder auf dem Bock. Holmes fragte: »Weshalb soll es Ärger geben, Boß? Die Armee sucht Indianer. Sehen wir so aus?« Der Pedlar grinste. »Der einzige Bursche, den ich fürchte, ist ein Armeescout. Ihm traue ich zu, daß er hinter mir herschnüffelt. Sollte er auf der Farm auftauchen, legt ihn um.« »Und wie erkenne ich den Gentleman?«
»Du riechst ihn schon, wenn er auf hundert Schritte heran ist. Sein Name ist John Haggerty. Also, bis auf bald.« Sinclair lockerte die Zügel. Als sie über den nächsten Hügel zogen, ritt Vaquence auf. »Fürchtest du wirklich einen einzelnen Mann?« »Haggerty ist eine halbe Armee, Ramon, klug und gefährlich. In Nogales schlich er eine Woche um mich herum, so, als habe er gespürt, daß ich ihm bei der Lösung seiner Aufgabe dienlich sein könnte. Wenn die Jungs und der Scout aufeinandertreffen, wird es hart, denn Haggerty dürfte sich einige aussuchen, die ihn auf dem höllischen Trail begleiten.« Bis zum Abend durchstießen sie den flachen Teil nördlich des Miller Peak, und drangen am Morgen in die Ebene zwischen Bisbee und Sierra Vista vor. Zweimal sahen sie in der Ferne größere Reitergruppen, ohne daß sie selbst entdeckt wurden. Fast schnurgerade führte die Strecke zu dem grauen Bergmassiv am Horizont. Ihr Richtungsweiser war der mächtige Chiricahua Peak. Am Nachmittag wurde das Land wellig und war von Diesteln und Organisfeldern durchsetzt. »Wir sind keine fünf Meilen vor dem Ziel, Ramon«, sagte der Franzose. »Reite voraus und melde meine Ankunft, damit es keine Mißverständnisse gibt.« Vaquance gab dem Pferd die Sporen. Im Abenddämmern schwenkte er zwischen die Caps des Chiricahua Peak und stieß, während es dunkelte, in eine Schlucht. Seine Leute warteten voller Ungeduld. Während sie nun die Waffen aus einer verborgenen Höhle zum Planwagen schleppten, rief Sinclair den Ladino heran. »Wir brechen noch in der Nacht auf, Ramon. Ihr werdet die Flanke sichern und eine Nachhut bilden. Morgen früh wirst du nach langer Zeit wieder einen der roten Teufel sehen. Es steht viel auf dem Spiel, Ramon. Verhaltet euch diszipliniert und
bleibt zurück, wenn Chato es fordert. Chato ist ein mißtrauischer Fuchs, dem ich erst erklären muß, warum ihr mich begleitet. Ich hoffe, Cochise gewährt uns einige Tage Gastfreundschaft.« »Damit wir seine Goldquelle finden.« Vaquence grinste niederträchtig. Seit vielen Tagen und Nächten träumte er vom gelben Metall, das irgendwo in den Bergen lag. »So ist es.« Die Waffen lagen verborgen unter Hausrat und Proviant, nicht sichtbar für den Uneingeweihten. Sinclair prüfte alles sehr gewissenhaft. »Okay«, sagte er schließlich, »wir können aufbrechen.« Die Nacht war hell und sternenklar. Hin und wieder entdeckte Sinclair seine Reiter in den Flanken. Als der Morgen zu grauen begann, spürte der Pedlar, daß sie nicht mehr allein ritten. Irgendwo in der Dämmerung folgten wachsame Augen dem Zug. Plötzlich waren sie da. Sechs, acht Reiter auf ungesattelten Pferden, mit Lanzen und Bogen bewaffnet, hatten unbemerkt die Ostflanke durchbrochen und versperrten den Weg. Sie hielten ihre Lanzen gesenkt. Rene Sinclair sah die kurzen Kriegspfeile an den gespannten Bogen. Für einen Augenblick spürte der Franzose die Kälte der Angst zwischen den Schulterblättern, doch dann erkannte er Chato, der an dem Zugpferd vorbei näher ritt. Stumm musterte er den Mann auf dem Bock, als suchte er eine Erklärung, warum der Pedlar nicht allein gekommen war. »Wer sind die fremden Reiter, die in deinem Schatten folgen, Händler?« fragte Chato voller Mißtrauen in der Stimme. Es lag lange zurück, daß sie sich das letzte Mal begegnet waren. »Freunde«, erwiderte Sinclair, während er mit dem Kopf zu den Chiricahuas deutete, die wachsam der Szene folgten. »Freunde, wie du sie auch in deiner Begleitung hast. Es ist
gefährlich, allein durch das weite Land zu reiten, besonders, wenn ich kostbare Fracht mitführe.« Chatos faltiges Gesicht blieb unbeweglich, aber in seine Augen sprang plötzlich ein Funke, der sein Interesse erkennen ließ. Er trieb sein geschecktes Pony bis zum Wagen und stieß mit der Lanze die Plane zurück. Weit beugte er sich über den Hals seines Pferdes und schüttelte den Kopf. »Wo sind die Gewehre?« Wieder dieses Mißtrauen. Chato stieg auf die Ladefläche, schob einige Getreidesäcke beiseite, bis glänzendes Metall sichtbar wurde. Da hellte Chatos Gesicht sich auf. »Folge mir, aber laß die Fremden zurück!« forderte er den Franzosen auf. Doch Sinclair winkte heftig ab. »Es war nicht leicht, die Feuerrohre zu besorgen, Chato. Sie liegen nicht wie Steine in der Gegend herum. Wir mußten sie aus einem Fort der Blauröcke stehlen. Dabei wurde ein Soldat getötet. Seitdem sind sie auf unserer Fährte. Wir müssen untertauchen, bis die Blauröcke die Suche aufgeben.« Chato hielt sein Pferd zurück. Er suchte in Sinclairs Gesicht lügnerische Worte. Als der Franzose jedoch seinem Blick standhielt, nickte er. »Enju. Ich werde deinen Freunden ein Versteck zeigen, wo sie deine Rückkehr abwarten können. Komm jetzt, Cochise ist sehr ungeduldig.« Chato streckte den rechten Arm, als der Händler den Wagen in Bewegung setzte. Folgsam wichen die Apachen zur Seite. * Als John Haggerty die windschiefe Tür aufstieß, ahnte er, daß etwas Unvorhergesehenes geschehen würde, denn diese Farm, die er auf der Suche nach dem verschwundenen Rene Sinclair
berührte, war nicht verlassen. Die Mündung eines langläufigen Sechsschüssers war so dicht vor seinen Augen, daß er glaubte, die Patrone am Ende des Laufes zu erkennen. Ein breites, verwegenes Gesicht, das Haggerty schon mal in Nogales gesehen hatte, schimmerte hinter dem Revolver. Und John hörte die höhnische Stimme des Mannes, der seinen Namen nannte. »Willkommen, Mr. Haggerty! Wir haben bereits auf Sie gewartet.« Der Kerl trat einen Schritt zurück, so daß John die Männer erkennen konnte, die ihre Colts in den Fäusten hielten. Dabei grinsten sie unmißverständlich. »Tritt näher, du schnüffelnder Bastard. Der Boß hatte recht, wenn er sagte, daß es nur einen gäbe, der unsere Aufgabe gefährden könnte.« Als Haggerty sich zögernd in Bewegung setzte, bekam er einen schmerzhaften Faustschlag in die Rippen, der ihn bis zu dem Tisch schleuderte. John knickte in den Knien ein und konnte sich gerade noch an der Tischkante festhalten. Ein gemeiner Fußtritt traf seinen Rippenbogen und schnürte ihm fast die Luft ab. Für einige Sekunden war John wie gelähmt, und in dieser kurzen Zeit zog Holmes, der offensichtlich vor den Kumpanen seine Verwegenheit zeigen wollte, den 44er aus Haggertys offenem Halfter. Schwerfällig kam der Chiefscout auf die Beine. Jeder Atemzug war ein Martyrium, sein Brustkorb schien mit glühendem Eisen umspannt zu sein. Doch er sah ihre hämischen Mienen, die brutale Visage seines Peinigers, die schmutzigen, bärtigen Gestalten am Fenster und den jungen Burschen im bunten Hemd mit Armeehose und Armeestiefel. Für den Bruchteil einer Sekunde schoß ihm Colonel Higgins aus Fort Thomas in den Sinn, der einen Deserteur zu beklagen hatte. Der Typ in der Armeehose sah aus wie Critten. Der Corporal schien Haggertys Gedanken zu erraten.
»Ist was, Scout?« fragte er kalt. Sein Colt lag fest in der Faust, der Daumen hielt den Hammer. John zog eine verächtliche Grimasse. Sie schwiegen, bis Danz fragte: »Was machen wir mit ihm?« Liberace blickte aus dem Fenster. Draußen stand Johns Pferd angepflockt. »Er hat einen guten Gaul«, sagte Liberace grinsend, »eine moderne Henry und einen gepflegten Sattel. Spielen wir um seinen Nachlaß.« »Und wie?« Holmes hielt Haggertys Revolver umklammert. Er schloß aus der Ausgewogenheit, daß es eine treffsichere Waffe war. Mit ihr hatte er die besten Chancen. »Wie wäre es mit dem Hasenspiel? Er ist der Hase, und wir sind seine Jäger.« Holmes ließ grinsend den Colt um den Zeigefinger wirbeln. »Läuft er schneller über den Hügel, als wir schießen können, hat er gewonnen.« »Und wenn er es nicht schafft?« wollte Danz wissen. »Wer ist dann der Sieger?« »Hm.« Daran hatte Holmes wohl nicht gedacht. »Er hat recht, Liberace. Eine Kugel sieht aus wie die andere.« Einen Moment schien Holmes zu überlegen, dann strahlte er. »Wir hängen ihn mit den Füßen an den Deckenbalken und durchschießen den Strick.« Danz grinste blöd. »Und dann?« »Mann«, brummte Holmes, »der Scout hat bestes Material. Ein gutes Pferd mit Sattel, eine schnelle Büchse und einen verläßlichen Revolver mit Tasche. Der erste Sieger bekommt das Pferd, der zweite die Henry und der dritte den Colt.« »Wir sind vier«, maulte Danz. Seine Einfältigkeit war wirklich nicht zu unterbieten. »Richtig«, sagte Holmes. »Der Verlierer wird den Schnüffler dann ins Jenseits befördern, und wenn er es geschickt anfängt, kommt er an ein paar gute Klamotten.« John verfolgte mit wachsendem Grimm, wie sie einfach über
sein Leben verfügten. Er visierte den desertierten Corporal an. »Der dort«, sagte John mit einer Kopfbewegung, »wird der Verlierer sein.« »Du hast ein gutes Auge, Haggerty. Sam Critten ist kein Profi wie wir, sondern nur ein Deserteur. Fangen wir also an.« Fast gleichzeitig stürzten sich Holmes, Danz und Liberace auf den Scout, banden ihm trotz heftiger Gegenwehr Hände und Beine zusammen. Danz warf einen Strick über den Firstbalken, und dann hing John Haggerty hilflos wie eine kalifornische Traube kopfüber im Raum. »Wer hat den ersten Schuß?« fragte Holmes. »Ich«, antwortete Critten. Er hielt die kurzläufige Schrotflinte von Danz im Anschlag. »Nicht mit Schrot«, protestierte Holmes. Er sah, daß die Mündung der gefährlichen Waffe auf seine Brust gerichtet war. »Such dir eine andere Richtung, Critten.« »Weshalb?« entgegnete der Deserteur hart. »Ich habe etwas gegen deine Methoden. Schneide ihn vom Strick.« »Du – du...«, stotterte Holmes verwirrt, »du spielst nicht mit?« »Richtig. Solche Spiele mag ich nicht, Holmes. Ich habe überhaupt etwas gegen euch. Ihr seid allesamt stinkende, dreckige, feige Köter, die nur gemeinsam auftrumpfen können. Ich habe euch kennen- und hassengelernt. Aber jetzt ist es genug.« Holmes hatte sich gefangen. Er grinste heimtückisch. »Drei gegen einen Deserteur – das wagst du nicht.« Da sah er auch schon den feurigen Schwall auf sich zufliegen. Holmes flog bis zur Wand, und was von dort zu Boden rutschte, war nur noch ein lebloser Körper, die Seele war längst in der Hölle. »Ist jetzt noch einer überzeugt, daß ich es nicht wage?« fragte Critten fauchend. »Es ist noch ein Posten da. Der reicht für euch zwei.«
Liberace schluckte. Danz, der entsetzt auf den toten Kumpan starrte, spürte ein Würgen in der Kehle. »Mir wird schlecht«, krächzte er. »Mach keinen Quatsch, Critten.« »Dann schnallt eure Gurte ab und werft sie auf den Tisch. Nehmt eure Gäule und verduftet – so weit, daß wir uns nie wieder begegnen.« Critten behielt die Kerle scharf im Auge. Danz sprang als erster durch die Fensteröffnung, wohl weil es der kürzeste Weg zum Pferdeschuppen war. Liberace folgte mit eiligen Schritten. Als der Hufschlag ihrer Pferde aufhallte und nach einer Weile verstummte, durchtrennte Critten den Strick, so daß John hart auf dem Boden landete. »Das ist nicht die feine Art«, rief John unter Schmerzen. »Es ist gar keine Art. Ich wollte nur nicht, daß man einen wehrlosen Menschen tötet. Sie werden Mühe haben, um die Fesseln zu lösen. Aber diese Zeit brauche ich, um aus Ihrer Nähe zu verschwinden.« Sam Critten schob die leergeschossene Schrotflinte auf die Tischplatte und rollte seine Habe zusammen. Als er zur Tür ging, klang dumpfer Hufschlag auf, der ihn zurückschreckte. Critten blickte durch das Fenster. Draußen verteilte sich ein verwegener Reiterverband. Männer, denen er noch nie begegnet war. Aber John, der sich mühsam aufrichtete, erkannte ihren Anführer. »Das ist Captain Freeman mit seiner Geisterschwadron. Ich wette, er macht mit Ihnen nicht viel Umstände, Critten.« Der Deserteur trat zum Tisch. Er lud die Flinte mit Buckshot und brummte: »Durch Sie bekomme ich nur Ärger.« »Das läßt sich schnell ändern, Junge.« John streckte lächelnd die gefesselten Arme aus. »Schneide die Stricke durch.«
Draußen klangen feste Schritte auf. Freeman, der offenbar Johns Pferd erkannt hatte, rief: »Mr. Haggerty, wo stecken Sie?« John hielt Critten die Arme entgegen. Ihre Blicke kreuzten sich, und Sam Critten musterte den Scout nachdenklich. »Ich bin nicht wie deine letzten Freunde, Critten«, sagte John Haggerty, »aber wenn ich dir helfen soll, mußt du dich beeilen.« Sam Critten legte die Flinte auf den Tisch, griff nach dem scharfkantigen Messer, das Sinclair gehört hatte, und durchtrennte die Stricke. Sie fielen runter, als Freeman in den Raum gestürmt kam. »Verdammt, Haggerty. Sie machen ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter. Wir sind seit achtundvierzig Stunden auf Ihrer Spur, denn ich sagte mir, wenn John Haggerty zielstrebig eine Fährte aufnimmt, wird es seinen Grund haben. Dann hörten wir einen Schuß, der uns auf diesen Hof aufmerksam machte. Und nun sind wir da.« Sein Blick streifte den Toten in der Ecke, und während er Critten eingehend musterte, sagte er: »Buckshot ist was Scheußliches, John. Wie können Sie so...« »Mein Scout war es«, unterbrach Haggerty schnell. »Ihm blieb keine andere Wahl, als die Büchse zu nehmen, denn er«, sein Daumen deutete auf Holmes, »und seine Freunde waren dabei, mich zu massakrieren.« »Ihr Scout, Mr. Haggerty? Hm – eh...« Freeman streifte die blaue Hose und die festen Dragonerstiefel. Und er dachte: Haggertys Scout hat eine verdammte Ähnlichkeit mit dem Konterfei auf dem Steckbrief, der in Tombstone am schwarzen Brett hängt. »Ja, wo sind die anderen Kerle?« John deutete durch das Fenster über die Hügel. »Das Raubgesindel ist in der Richtung entflohen, Captain. Vielleicht erwischen Sie es noch.« »Vielleicht.« Freeman lächelte seltsam, während er nach
draußen eilte und seine Fährtenleser in Trab setzte. Kurze Zeit später verabschiedete er sich und trabte mit seinen Leuten über die Hügel. »Den sind Sie los, Mr. Haggerty.« Critten hielt die Schrotflinte in der Hand. »In jedem Fall danke ich für Ihre Hilfe. Wir sind damit quitt.« John betrachtete den jungen Mann lächelnd. »Wer weiß, ob ich Freeman loswerde. Er ist ein ganz schlauer Fuchs. Du aber lege die Waffe weg. Mußt ziemlich blind sein, wenn du nicht erkennst, daß ich dir helfen will. Ich weiß, wer du bist und was du angestellt hast. Ich habe lange mit Colonel Higgins über den Fall gesprochen. Er wird ihn prüfen.« »Und ich würde diesem Bastard Braham immer wieder eins auf die Nase geben.« John lächelte, den Wunsch hatte er mitunter auch. »Wir wollen Sinclair suchen.« »Sie wissen?« Sam Critten sah den Scout erstaunt an. Haggerty nahm die Flinte auf. »Was?« »Daß Sinclair die Indianer beliefert.« »Sechzig Gewehre, tausend Schuß Munition?« Als Critten heftig nickte, lachte John hart. »Ich wußte es nicht, Critten, aber ich habe es geahnt. Führe mich zu dem Bastard.« »Ich kenne den Weg nicht, Mr. Haggerty.« »Aber die Richtung.« »Ja«, sagte Critten, und er glaubte nun wieder an eine Zukunft. * Sinclair erkannte am Glanz seiner Augen, die im Widerspiel des Feuers leuchteten, daß Cochise mit den Waffen zufrieden war, denn der Häuptling sprach lange und eingehend mit Chato, wobei er immer wieder einzelne Gewehre aufnahm, den
Verschluß prüfte und die Metallpatronen in den Lauf schob. Sinclair prüfte indessen unauffällig seine nähere Umgebung. Er sah an den flachen Wicki-ups und den Holzgerüsten, die ohne Bespannung waren, daß Chato ihn nicht in die Bergfestung des Chiricahua-Fürsten geführt hatte, denn es fehlten die steinernen Außenwälle, mit denen diese Indianer ihre Apacherien zu umgehen pflegten. Es fehlte das tägliche Leben mit Frauen, Kindern, Bastardhunden. Es fehlten eigentlich alle Merkmale einer Befestigung. Er entdeckte die kleine Reitergruppe, die aus dem Felsband sprengte. Sie waren vor zwei Tagen im Talkessel zurückgeblieben und hatten seine Freunde zu einem Versteck geführt. Ihr Führer hatte starke Ähnlichkeit mit Cochise und war von kräftiger und sehniger Gestalt. Seine Hakennase drückte Kraft und Willen aus. »Wer ist er?« fragte Rene Sinclair, als der junge Krieger sich neben Cochise niederließ und im Athabaskendialekt zu sprechen begann. »Cochises Sohn Naiche«, erwiderte Chato und lauschte Naiches heftigen Worten. Der Pedlar bemerkte die steigende Unruhe in Cochises Gesicht und wandte sich abermals an Chato. »Hat Cochises Sohn Ärger mit meinen Leuten gehabt?« Chato schüttelte den Kopf. »Seine Späher haben am Fuß der Berge eine Reitergruppe ausgemacht, deren Anführer der Todfeind aller Apachen ist. Er kommt aus dem steinernen Häusern am San Pedro-Hügel, trägt die Uniform eines Soldaten und befehligt Zivilisten.« »Captain Lion Freeman.« »So nennen sie ihn.« Chato nickte. »Seine Krieger haben zwei Männer ihrer Hautfarbe zu Tode gehetzt und im Kampf erschossen.« Nun wurde Sinclair unruhig. Er wußte, daß Captain Freeman
mit seinem Frontier Bataillon seit Nogales durch die Gegend streunte, und es lag der Verdacht nahe, daß er ihm – Sinclair – gefolgt und dabei auf seine Nachhut bei Millers Farm gestoßen war. »Er ist hinter mir und meinen Freunden her, Chato, weil er diese Gewehre haben will.« Sinclair deutete auf den Waffenstapel, den Naiche gerade begutachtete. »Cochise hat uns seinen Schutz zugesichert. Ich hoffe, er steht zu seinem Wort.« »Ein Apache spricht nie mit gespaltener Zunge, Händler. Du und deine Leute haben nichts zu befürchten. Außerdem«, ein listiges Grinsen glitt über seine Züge, »du und deine Freunde werden den Apachenkriegern die Handhabung der neuen Gewehre beibringen, damit sie im Kampf gegen die Blauröcke nicht unterliegen.« Chatos Worte beruhigten den Franzosen. Er wußte, daß er Vaquence und die anderen bald wiedersehen würde. Zugleich aber beschäftigten sich seine Gedanken mit dem Häuptling. »Chato, du sprichst von den Waffen, nicht von der Bezahlung«, sagte er deshalb. Chatos listiges Grinsen war geblieben. Während er beide Hände hob und acht Finger zeigte, versicherte er: »So viele Beutel gelben Staub für zehn Gewehre und den Anteil der Munition. Chato hat es nicht vergessen. Cochise vergißt es auch nicht. Noch ehe du uns die Kriegskunst der Feuerrohre gezeigt hast, wirst du zufrieden mit dem Handel sein.« Naiche hatte sich erhoben. Stolz schritt er zu seinem Pferd und schwang sich auf dessen Rücken. Er gab seinen Kriegern ein Zeichen und sprengte in dem schmalen Durchschlupf, der über schwindelnde Pfade talwärts führte. Cochise war ebenfalls aufgestanden. Er sprach mit Chato, wobei er auf Sinclairs Wagen deutete. Chato nickte mehrmals, ehe er sich an den Pedlar wandte.
»Cochise vertraut dir, Händler. Er gewährt dir und deinen Leuten Schutz in den starken Steinwällen unserer Bergfestung. Nimm dir eines der Pferde. Der Wagen bleibt hier.« Sinclair sah, daß Apachenkrieger unter Cochises Anleitung die Waffen untereinander verteilten und ihre gescheckten Ponys bestiegen. »Der Wagen ist mein Kapital, Chato«, protestierte der Händler. Chato lächelte. »Der Paßweg ist zu eng für vier Räder. Du wirst ihn bei deiner Rückkehr hier wiederfinden.« »Und meine Leute?« »Verliere nicht die Geduld, Händler. Naiche ist auf dem Weg zu ihnen.« * John Haggerty zügelte sein Pferd vor den beiden flachen Hügeln im Schatten des Felsgebirges und betrachtete die vielen Hufabdrücke im Sand. Er wußte, daß hier ein Kampf stattgefunden hatte. Als er sich seinem Begleiter zuwandte, sagte er ruhig: »Captain Freeman ist kein Mann großer Worte. Komm, wir reiten tiefer in die Berge. Ich möchte Freeman nicht begegnen.« Sie zogen schweigend über den Bergrücken. Critten bemerkte bald, daß Howards Chiefscout angespannt im Sattel saß und seine Blicke sich nicht vom kargen Boden lösten. Nach einer Stunde glitt John vom Pferd und beugte sich über den schwachen, für Critten nicht erkennbaren Abdruck eines Pferdehufes. Erst als John ihm zuwinkte und er neben dem Scout niederkniete, konnte er den flachen Eindruck erkennen. »Chiricahuas oder Mimbrenjos. Sie sind also in der Nähe.« Mit einem Ausdruck tiefster Befriedigung nickte John. Seit
Monaten sah er zum erstenmal wieder den Hufabdruck eines Apachenpferdes. »Die Spur ist keine fünf Stunden alt.« Critten dachte an Danz' und Liberaces Schicksal. Ob Freeman oder die Apachen... Er hing bis zum Hals in der Chose. »Woran erkennen Sie, daß die Fährte so jung ist?« Johns Hand formte den Abdruck nach. »Er ist keine Nacht alt, sonst könnte man die Kriechspuren von Insekten erkennen. Solche Merkmale bestimmen den Zeitpunkt, an der ein Reiter hier vorübergezogen ist.« Critten schüttelte nachdenklich den Kopf. Er wußte, daß man beim Saugen an einer Bleikugel den Durst überwinden konnte, daß Tabakkauen den Hunger vertreibt. Er wußte auch, daß nestbauende Schwalben die Nähe einer Wasserstelle verrieten. Aber eine Spur zu erkennen, deren Alter der Scout anhand gewisser Anzeichen bestimmen konnte, das schaffte er nicht. »Wir sollten verschwinden, Mr. Haggerty. Ich möchte nicht, daß mein Skalp den Gürtel eines Apachenkriegers schmückt.« »Angst, Critten?« Johns Blick glitt über die düsteren Steilschluchten, die tief ins Gebirge hineinführten. Irgendwo dort oben in der einsamen Wildnis lag Cochises Festung. Er spürte es mit dem Instinkt des Jägers. »Haben Sie keine Angst?« hörte er Crittens heisere Stimme. Sein Lächeln blieb. Aber es wirkte härter. John dachte an seine letzte Begegnung im Winter mit Cochise, die ihm fast den Tod gebracht hätte. Aber er war bereit, sich noch einmal einzusetzen, um den Großen Häuptling vor einer Torheit zu bewahren. »Sicher habe ich Angst. Aber ich möchte mit Cochise sprechen.« »Verdammt!« fluchte Critten und blickte sich scheu um. »Wegen dieser dreckigen sechzig Karabiner? Was könnte Cochise schon damit anrichten?« »Siedlungen überfallen, Farmer töten, schwache Patrouillen
niedermachen. Der Apache ist schon gefährlich mit seinen Primitivwaffen wie Keule, Lanze, Schleuder oder Bogen. Wie stark erst wird er sich fühlen mit einer Springfield in der Faust. Es gibt noch einen zweiten Grund für mich, in die Höhle des Löwen zu gehen: Sinclair, den Händler. Wenn dem nicht das Handwerk gelegt wird, versorgt er Cochise weiter mit neuen Waffen. So lange, bis der Häuptling sich stark genug fühlt, es selbst zu tun. Ich frage mich nur, womit Cochise das alles bezahlt.« »Mit Gold.« John sah ihn an und lächelte verächtlich. »Die Stämme sind arm wie Kirchenmäuse. Sie haben mitunter nicht mal genügend Mittel, um einen harten Winter zu überstehen.« »Cochise hat den Franzosen mit Gold bezahlt und ihm weiteres Gold für die Springfields versprochen.« »Hast du dieses Gold gesehen?« »Nein«, antwortete Critten, »aber Vaquence hat davon gesprochen.« John schwieg eine Weile, ehe er in die Schlucht deutete. »Wir wollen weiterreiten und die Augen offenhalten. Apachenpfeile sind lautlos, ihre Steinschleuder eine tödliche Gefahr, und ihre Lanzen reißen fürchterliche Wunden.« John Haggerty führte seinen Pinto am Zügel. Sam Critten vermutete, daß der Chiefscout verzweifelt nach neuen Spuren suchte. Der Teufel mochte diesen verdammten Kerl holen, in dessen Adern Wasser statt Blut zu fließen schien. * Ramon Vaquence roch ihre stinkende Haut, sah ihre stupiden Gesichter. Und das nun schon fast seit einer Woche. Naiche hatte sie in das Hauptlager der Chiricahuas geführt, ihnen ihre Jacales zugeteilt und mit Vorräten aus Sinclairs Wagen
versorgt. Er wartete nun, daß von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang sie ihnen den Umgang mit den Feuerrohren beibrachten. »Ich kann sie nicht mehr riechen, Boß, ich kann sie nicht mehr sehen«, fluchte der Ladino eines Abends, als sie vor ihrem Zelt saßen. »Ich würde jeden von ihnen am liebsten in die Hölle schicken. Dieser blöde Singsang macht mich verrückt.« Vaquence starrte wütend zum Hauptplatz vor Cochises Wicki-up, wo um das lodernde Feuer die Häuptlinge saßen. Sinclair schüttelte verärgert den Kopf. Er dachte: der Ladino riecht etwas, wo es nichts zu riechen gibt. Er haßt Rothäute, weil er selbst ein Halbblut ist. »Trag's mit Geduld und denke an unsere Aufgabe. Cochise hat die Häuptlinge zusammengerufen, um ihre Zukunft zu besprechen. Ich weiß, daß Cochise seine Bergfestung wie eine Fessel empfindet. Er will sie sprengen und in den Plains leben.« »Er spricht über alles, nur nicht über unseren Lohn«, warf Warren ein. Er rekelte sich auf der Decke und blickte zu den Zelten hinüber. »Sie verstecken ihre Weiber, als wenn wir die Pest am Leib hätten.« »Es sind andere Weiber als die Huren in Nogales, Tucson oder El Paso. Was den Lohn betrifft, Warren: wir haben Zeit, denn solange er seine Vereinbarung hinauszögert, leben wir unter seinem Schutz. Wir müssen ihre Goldader finden. Sie liegt irgendwo in dem nach Osten führenden Canyon. Naiche verschwindet oft in dieser Richtung.« Ramon Vaquence winkte fahrig ab. »Im flachen Talkessel am Ende der Schlucht stehen die Urnen ihrer Toten. Ich bin ihm einmal gefolgt.« Sinclair wußte es, denn auch er war mal hinter dem Häuptlingssohn hergeschlichen und hatte beobachtet, wie Naiche eines dieser Gräber pflegte.
»Es ist ihr Friedhof, Ramon. Eine heilige Stätte für die Apachen, denn sie sprechen dort mit den Seelen ihrer Ahnen. Es wäre also denkbar, daß dicht bei diesen Stätten auch ihre Schätze in der Erde liegen. Wir werden sie bei passender Gelegenheit näher besichtigen.« Sinclair schwieg. Er lauschte dem monotonen Rhythmus tiefer Trommelschläge und den hellen Tönen einiger Flöten. Ein breiter Ring Krieger umschloß nun das Feuer, und der Franzose sah, wie eine mit Kränzen geschmückte Frau in den Kreis geführt wurde. Der Trommelschlag wurde heftiger, der Gesang nahm an Lautstärke zu. Im Widerspiel der Flammen tanzte ein junger Krieger in ekstatischen Bewegungen. »Sie feiern irgend etwas, und ihr Gesang ist ein Teil der Zeremonie. Ich möchte sagen, der Stamm feiert die Hochzeit eines seiner Krieger.« Der Trommelwirbel nahm an Hektik zu. Gellende Schreie durchdrangen die Abenddämmerung. Vom nahen Hügel herab kam der Schamane geschritten. »Sie feiern eine Hochzeit, ohne ihre Gäste einzuladen«, maulte Kim durch seine Zahnlücke. »So gut sind wir gelitten.« »Sie hassen uns, wie wir sie hassen, Kim«, sagte der Franzose gelassen. »Sie würden uns liebend gern am Marterpfahl schmoren lassen, aber sie brauchen uns. Verhaltet euch also friedlich.« An Vaquence gewandt, deutete er zum Festplatz. Von den Hügeln herab bewegten sich tanzende Gestalten in wiegendem Gang und rhythmischen Bewegungen, in bunte Tücher gehüllt und unartikulierte Rufe ausstoßend. »Sie feiern die ganze Nacht und tanzen bis zur Erschöpfung, Ramon. Wir wollen uns bei ihren Gräbern umsehen.« Vaquence nickte grinsend. »Warum sollten wir nicht auch unser Vergnügen haben.« Im Schutz der Dämmerung krochen sie den Steinwall hoch, rutschten, fest an den Fels gepreßt, an den Wicki-ups vor und verschwanden unbemerkt in der Schlucht.
Aus dem Dämmerlicht wuchsen funkelnde Punkte, und als es dunkel wurde, stand die volle Scheibe des Mondes über der Schlucht und wies ihnen den Weg. Von weither hörten sie den Gesang, der allmählich leiser wurde. Nach etwa zehn Minuten erreichten sie die Flachgräber. Tonurnen schmückten die Hügel, buntes Papier, von kahlen Ästen getragen, flatterte im Wind. Sie stiegen zwischen den Grabhügeln hoch zu der dunklen Grotte, deren Eingang vom Mondlicht erhellt wurde. Modergeruch verbreitete sich, fernes Rauschen drang aus dem Berginnern. »Hier müßte ihre Goldmine liegen«, sagte Vaquence. Seine Stimme klang fast ehrfurchtsvoll. Sinclair sah ein paar dunkle Schächte, die sich vom Fels abzeichneten. »Es ist ein Labyrinth von Gängen, das in den Berg führt. Wir werden es ohne Hilfe nicht schaffen. Kehren wir um.« Nur zögernd folgte Vaquence dem Franzosen. Er spürte die Faszination seiner Umwelt und den Hauch von Reichtum. Armer Ladino. Unbemerkt gingen sie in das Lager zurück und verkrochen sich im Jacale. Sie sahen den Schatten nicht, der sich vom Steinwall löste und in der Nacht zerfloß. * Im Unterbewußtsein seines Traumes nahm John das Knacken eines brechenden Astes wahr. Seine Rechte tastete sich unter die Sattelhaube und berührte den kalten Stahl des Colts, als eine Lanzenspitze gegen seine Kehle stieß. Er hörte in der Nähe heiseres Keuchen kämpfender Menschen, und er sah die große Gestalt im Vordergrund des samtblauen Nachthimmels.
Apachen! John mußte damit rechnen, daß bei der geringsten Bewegung die Rothaut mit der Lanzenspitze zustieß. Sam Critten, der Deserteur, kämpfte noch immer verzweifelt. Er war ein Narr, sich der Überzahl der Krieger zu widersetzen. Dann wurde es stumm um seinen Begleiter, John wußte, daß sie ihn überwältigt oder getötet hatten. Noch immer drückte die Lanzenspitze gegen seine Kehle. Indianer rutschten heran, ergriffen seine Arme und drehten ihn auf den Rücken. Die dünnen Riemen schnitten in seine Haut, als er brutal hochgerissen wurde. Die Lanzenspitze deutete auf seine Brust. Der Krieger sprach mit seinen Brüdern in ihrer Sprache, und John erkannte erleichtert am Dialekt, daß es Chiricahuas und keine von Victorios Mimbrenjos waren. Harte Fäuste rissen ihn aus dem Gebüsch auf die mondhelle Lichtung, wo ihre Pferde standen. Der Krieger, der ihn mit der Lanze bedroht hatte, stieß einen freudigen Ruf aus. »Der Falke!« »Der Falke?« Einer der Krieger sprang schnell heran. Ein Messer funkelte in seiner Faust, und für einen Augenblick glaubte John, Hankashi zu erkennen, ein Verwandter Wahashis, mit dem er mal eine tödliche Auseinandersetzung gehabt hatte. »Zastee!« schrie der Krieger. Doch der Lanzenträger stieß Hankashis zum Stoß erhobene Arme mit einer heftigen Bewegung zur Seite, so daß das Messer nur Johns Lederjacke streifte. »Der Große Häuptling soll sein Schicksal bestimmen«, sagte er zornig. »Du allein hast kein Recht auf Rache. Packt sie auf die Pferde!« John wurde vorwärts gestoßen und rücksichtslos quer über den Rücken seines Pferdes gezerrt. Unter dem Leib banden sie ihn mit einem Riemen zusammen. Da sah John, daß sie auch
Critten über den Pferdefücken zogen, was also bedeutete, daß der Soldat nicht tot war. Die vielen Stunden, die nun folgten, waren eine fürchterliche Qual, aber John sagte sich, daß ihn in Cochises Bergfestung weit größeres Übel erwartete. Den Rest der Nacht, den langen Tag und noch eine Nacht führte der Weg immer höher ins Gebirge. Oft an schwindelnden Abgründen und senkrecht hochsteigenden Felswänden vorbei und über eine schmale Serpentine. Er preßte die Zähne zusammen, wenn sein Körper gegen den Fels schrammte. Critten hatte längst das Bewußtsein wiedererlangt. Aber er sah vom vorausgegangenen Kampf zerschunden aus. * An einem sonnigen Morgen stießen sie durch den Engpaß vor in die Bergapacheria. Der große Befestungsplatz war verwaist. Doch Unrat und Gerümpel zeugten davon, daß hier ein mehrtägiges Fest stattgefunden haben mußte. Die Krieger führten ihre Gefangenen vor das große Wickiup. Sie durchschnitten die Fesseln und stießen die Männer in den Sand. Cochise trat aus dem offenen Ausgang seines Zeltes. Er blickte auf die reglos am Boden liegenden Gefangenen, dann in Hankashis wutverzerrtes Gesicht und schließlich auf Yellow Bull, der die Spähergruppe führte. »Habt ihr ihn getötet, Gelber Büffel?« John regte sich. Jeder Körperteil schmerzte, jede Bewegung war eine Tortour. Er hob den Kopf und blickte Cochise offen an. »Yellow Bull überläßt es dir, die Art meines Todes zu bestimmen.« Ihre Blicke trafen sich, und John spürte die Feindschaft des
Großen Häuptlings, dessen Schwester er einst vom Biß einer Peitschenschlange gerettet hatte. Kein Zug von Mitleid, nur Haß. »Bringt sie zum Totem und bindet sie an den Fels!« befahl Cochise ohne Gemütsregung in der Stimme. Seit fast einem Jahr waren sie sich nicht begegnet. Ihre Freundschaft war erloschen. John verstand das alles nicht mehr. Cochise wandte sich ab. * Am Nachmittag kamen Sinclairs Banditen mit ihren »Rekruten« aus dem Paß. Sie passierten den Hügel, und als sie ihre Jacales erreichten, sagte Vaquence: »Cochise hat zwei Gefangene gemacht.« Sinclair nickte. »Der eine ist der Deserteur Sam Critten, der andere der Scout Haggerty. Ich dachte, der Falke sei ein Freund des Häuptlings.« In den Jacales standen frische Vorräte und Wasser. Sie waren Isolierte in der Bergfeste – Bleichgesichter, Feinde, wie die armen Teufel auf dem Fels. Aber Cochise brauchte noch ihre Hilfe. Vor Sonnenaufgang trieb die Neugierde Sinclair auf die Kuppe. Als er sich auf zehn Yards der Marterstätte näherte, erhoben sich die beiden Wächter und senkten drohend die Lanzen. Rene Sinclair sah, daß der Scout und der Deserteur, an Armen und Beinen gekreuzt, an schweren Metallhaken gefesselt waren. Der Franzose kehrte um. »Und?« fragte Slim Tratten, als Sinclair das Fell zurückschlug. »Sie leben noch«, antwortete der Pedlar und grinste verzerrt.
»Aber ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.« Noch ehe die Sonne versank, entstand im Lager Bewegung. Krieger eilten zu ihren Mustangs, führten sie zum Häuptlingszelt, wo Chato und Naiche Munition verteilten. Neben Cochise trat Victorio aus dem Zelt. Ihre Haare trugen sie in geflochtenen Zöpfen, in denen der Wind mit kleinen Hölzern spielte. »Der Chiricahua und der Mimbrenjo gehen auf den Kriegspfad«, sagte Sinclair. »Etwas hat ihn aus der Reserve gelockt.« Auch John sah die Ansammlung der Kriegsmacht und schloß daraus, daß Yellow Bull von den vielen Spuren zwischen den Caps berichtet hatte. Cochise hatte die Absicht, seinen Todfeind Freeman zu stellen. Aber das änderte nichts an ihrer scheußlichen Situation. Die Tage vergingen, ohne daß Cochise zurückkehrte. Die Gefangenen erlitten stumm ihr Leiden, und nur wenige Tropfen Wasser, das die Wächter ihnen über die aufgerissenen Lippen träufelten, hielten sie am Leben. »Wie lange wird das anhalten?« fragte Sam Critten mit matter Stimme. Zwei Tage hatte er kein Wort gesprochen, sondern den Schmerz wie ein Mann geduldig ertragen. »Cochise hat noch nicht über unser Leben entschieden.« »Der ist weggeritten. Wer weiß, wann er wieder hier auftaucht«, fluchte der Soldat. »Ich habe keine Kraft mehr in den Knochen und keinen Willen zum Leben.« »Sie werden es dir schon erhalten.« John lächelte verbittert. Sinclair und dessen Leute durften sich frei in der Apacheria bewegen. Doch dies verdankten sie nur den Waffen, die Cochise nun in die Ebene trug, um seinen Todfeind auszuschalten. »Vielleicht wird der Häuptling einen Sieg erringen, der ihn gnädig stimmt und uns einen schnellen Tod beschert.« Sam Critten lag auf der Seite. Seine Augen glänzten fiebrig.
»In allen Garnisonen erzählt man, daß John Haggerty ein Freund der Chiricahuas und Cochise ein Bruder des Falken sei.« John schloß die Augen. »Das liegt lange zurück, Junge, und ist eine andere Geschichte.« * Die Bergfestung war entblößt von mutigen ChiricahuaKriegern. Sinclair erkannte es als eine Chance und handelte entsprechend. »Das ist ein Wink des Schicksals«, sagte er zu seinen Kumpanen, als er Naiche, den jungen Häuptlingssohn, durch die hitzeflimmernde Luft die Schlucht hinuntersteigen sah. »Nehmt eure Waffen, wir werden ihm in kleinen Gruppen folgen.« Sinclair teilte seine Mannschaft in drei Gruppen ein, die je von ihm, von Vaquence und von Tratten geführt wurden. Er bestimmte, daß sie sich in drei Richtungen im Lager verteilten und dann unauffällig am Schluchteingang vereinten. Als sie sich wieder trafen, war Naiche weit voraus bei den Grabstätten angelangt. Er kniete im Gebet versunken, mit den Göttern jenseits der Holo in stummer Eintracht vereint und hörte ihre Schritte erst, als sie ihn fast erreicht hatten. Er öffnete die Augen und blickte vorwurfsvoll auf die Bleichgesichter, die mit ihren Stiefeln geweihten Boden entehrten. Zornig sprang er hoch. Eine scharfe Rüge lag auf seiner Zunge, als der Händler den Revolver auf ihn richtete. »Spare dir deine Vorwürfe, Häuptling. Wir wollen über wichtigere Dinge als über Tote reden. Dein Vater schuldet uns viele Säcke des gelben Staubes. Er scheint seine Schuld vergessen zu haben. Also müssen wir uns selbst holen, was uns
längst gehört.« Ein verwirrter Ausdruck lag in Naiches jungem Antlitz. »Er versteht nicht, was du meinst«, sagte Vaquence, trat einen Schritt näher und erfaßte Naiches Schultern. Naiche war jung und voller Wut. Er fürchtete diese Bleichgesichter nicht, deshalb stieß er Vaquences Hand beiseite. »Wage nicht, mich noch einmal zu berühren, Mischgeburt!« fauchte der Häuptling wie eine Raubkatze. »Mein Vater würde dir die tausend Qualen der Hölle zeigen.« Vaquences Fäuste zuckten, als er an sein Mischblut dachte. Aber er beherrschte sich und nickte. »Dein Vater ist auf dem Kriegspfad, und wer weiß, ob der Narr zurückkehrt. Dafür haben wir dich. Du führst uns zu den Schätzen der Chiricahuas, zu dem gelben Metall. Wir wollen, was uns längst gehört, schenken dir dafür dein Leben. Es ist ein guter Handel unter Partnern.« Erst in diesem Moment schien der junge Häuptlingssohn zu begreifen, was in den Köpfen der Weißen vorging – »Eure Ungeduld ist eurer Hautfarbe würdig. Sie bringt euch den Tod, denn der Große Häuptling hat euch vertraut, und es gibt keinen Tag in seinem Leben, an dem er sein Wort brach. Er wird sein Versprechen halten. Nur den Tag bestimmt er selbst. Nun verlaßt die Stätte unserer Toten. Ich will meinem Vater verschweigen, was hier geschehen ist.« Rene Sinclair war anderer Meinung. Sie hatten bis zu diesem Zeitpunkt schon zuviel riskiert, es gab kein Zurück. Er spannte den Revolver und deutete zum Eingang der Grotte. »Führe uns zu eurem Gold!« Naiche blickte, ohne die tödliche Gefahr zu beachten, den Franzosen starr an. »Seit der großen Flucht sind die Stämme der Apachen arm. Das, was sie noch besitzen, stammt von den Vätern unserer Väter, die frei als Jäger in diesem Land lebten, Freundschaft zu
den Weißen hegten und das Feuer mit ihnen teilten. Wonach ihr sucht, werdet ihr nicht finden, denn das gelbe Metall, das euch in Versuchung führte, bewahrt Cochise. Es ist so wenig, daß es dafür nicht zu sterben lohnt.« Sinclair wurde unsicher. Naiche sprach so entschieden, daß sich wohl kaum dahinter eine Lüge zu verbergen schien. Der Pedlar blickte an dem Chiricahua vorbei, in das klaffende Dunkel der Grotte. Vaquence gab Naiche einen heftigen Stoß, so daß der junge Indianer auf ein Grab fiel und einer der verwaschenen Tonkrüge zerbrach. Nur für Sekunden verharrte der Häuptlingssohn in dieser Stellung. Aus seinen dunklen Apachenaugen sprang ein Funke des Zorns. Während er wie ein Pfeil hochschnellte, fuhr die Breitklinge aus dem Schaft und dem Ladino entgegen. Slim Tratten drehte durch. Er schoß einfach aus der Hüfte und traf den Angreifer in der Schulter. Der Aufschlag der Kugel riß Naiche aus der Richtung. Er schlug lang hin. Noch ehe er sich aufrichten konnte, stand Vaquences rechter Fuß auf seiner bewehrten Hand, während er mit dem linken Naiche in die Seite trat. »Genug!« sagte Sinclair und lauschte mit mulmigen Gefühlen dem verhallenden Echo des Abschusses. »Willst du ihn umbringen?« Der Franzose beugte sich nieder. Er sah den blutenden Streifen an Naiches nackter Schulter und nickte zufrieden. »Es ist nur ein Kratzer. Schafft ihn in die Höhle! Gleich wird der Teufel los sein. Tratten, der Idiot, bringt das ganze Lager auf Trab!« »Wir haben ihn und kommen somit an die Beute.« Vaquence wuchtete die kräftige Gestalt des Bewußtlosen wie eine Feder hoch und warf ihn über die Schulter. »Cochise wird seinen Sohn nicht gefährden wollen.« Sinclair war bereits den Hügel hochgestiegen und im weiten Eingang der Grotte verschwunden.
Nun, wo es Tag war und mattes Licht das Innere füllte, erkannte Sinclair die gewaltigen Ausmaße der Kuppel, die einem Dom gleich die Grotte umwölbte. Mehrere Gänge führten von hier in die Tiefe des Berges. Das Rauschen unterirdisch fließenden Wassers ließ den Boden erzittern. Sinclair kannte solche Höhlengänge aus dem Norden, die einem Irrgarten gleich den harten Fels durchschnitten. »Fesselt ihn!« befahl der Franzose, als Naiche sich zu regen begann. »Und behandelt seine Schulter. Er ist unser kostbarstes Gut: das Faustpfand für unser Leben.« »Er wird uns zum Versteck des Goldes führen«, maulte Ramon Vaquence. Seine Gedanken drehten sich unablässig um diesen einen Punkt. Sinclair schüttelte den Kopf. »Ich glaube Naiche die Geschichte seiner Ahnen. Wenn es Gold in der Apacheria gibt, wird Cochise als ihr Häuptling es verwalten.« »Du hast uns Berge von Gold versprochen.« Hans Holsten ballte wütend die Hände. »Wo ist es geblieben?« »Mann, hör auf zu jammern, du wirst deinen Anteil bekommen«, rief Sinclair zornig über die Schulter und brachte seinen Karabiner in Anschlag. Am Eingang der Schlucht tauchten einige halbnackte, wieselflinke Gestalten auf. Sie trugen Bogen und schwangen ihre Schleudern. Sinclair feuerte einige Warnschüsse ab, die sie zurückdrängten, aber zugleich zeigten, wo sie ihren Gegner zu suchen hatten. Die mächtige Kuppel schien zu vibrieren, und das Echo klang wie das Geläut riesiger Glocken. Es dauerte eine Weile, bis sich der Nachhall verlor. Sinclair vernahm Chatos zornbebende Stimme. »Händler, was suchst du bei den Ruhestätten unserer Toten? Diesen Frevel wirst du teuer bezahlen.« Der Franzose dachte an den Scout, der seit Tagen, auf
nacktem Fels gefesselt, dahinvegetierte. »Drohe nicht, Chato. Wir haben Naiche, den Häuptlingssohn als Geisel. Cochise will uns betrügen. Wir haben ihm gute Waffen geliefert, und seine Krieger zu guten Schützen ausgebildet. Er ist losgezogen, ohne unseren Lohn zu bezahlen. Was glaubst du, wie lange die Geduld meiner Leute noch reicht?« Eine Weile blieb es still. Chato hatte Sinclairs Nachricht offenbar erschreckt, doch dann rief er zurück: »Wenn Naiche nur ein Haar gekrümmt wird, werdet ihr alle Qualen der Hölle erleiden.« »Dann bring' uns das gelbe Metall, wie es vereinbart war, und die gleiche Anzahl Beutel für Naiches Kopf.« Wieder herrschte Schweigen. Chato schien zu überlegen, wie er handeln mußte, um Naiche nicht zu gefährden. »Was wir an gelbem Metall haben, werdet ihr bekommen«, rief Chato, »aber ihr müßt Cochises Rückkehr abwarten! Er kennt den Schlüssel des Geheimnisses.« »Er will uns reinlegen«, flüsterte Vaquence mißtrauisch. »Laß dich nicht auf Verhandlungen ein. Jeder Tag, der verlorengeht, bringt Cochise näher an seine Bergfestung.« Rene Sinclair nickte. Nur allmählich wurde ihm bewußt, wie fatal ihre Lage war. Und einen Augenblick lang wünschte er sich tausend Meilen weg von den Dragoons. »In zwei Tagen erwarte ich deine Entscheidung. Entweder das Gold, oder Naiches Kopf liegt auf einem der Grabhügel.« Das waren forsche Worte, die nicht zu Sinclairs Stimmungsbild paßten. »Hast du gehört, Naiche?« »Ich bin nicht taub.« Der Franzose lehnte sich zurück. Er hatte Zeit, über ihre Lage nachzudenken. *
Ein Schatten fiel über John Haggerty. Als er blinzelnd die Augen öffnete, kniete Chato vor ihm und ließ eiskaltes Wasser über sein zerschundenes Gesicht rieseln. »Gib's ihm!« sagte John mit belegter Stimme, und sein Kopf deutete auf Critten, der seit Stunden kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hatte. »Er hat es sicher nötiger.« Dann fiel General Howards Chiefscout in den erlösenden Abgrund einer Ohnmacht. Als er zum zweitenmal erwachte, spürte er die zarten Hände eines Mädchens, das mit Heilkräutern und Salben den Schmerz seiner verbrannten Haut linderte. Ihre dunklen, unergründlichen Augen lächelten ohne Feindschaft, und John dachte an Tla-ina, Cochises Schwester. Aber dieses Mädchen war jünger und seine Haut glatt wie ein Pfirsich. Die Bewegung ihrer Hände war voller Zärtlichkeit. »Wer bist du?« fragte John müde. Sie lächelte nur. In der Nähe hörte er schwaches Stöhnen. Als er den Kopf drehte, sah er den jungen Corporal nackt und bewußtlos auf der geflochtenen Matte liegen. Auch um ihn bemühten sich zarte Hände. Während sein Blick über das Felldach zum Ausgang wanderte, erkannte er Chato, dessen Gesicht noch faltiger geworden war. Er wirkte grau und hilflos wie ein Greis. »Verdanke ich dir den Edelmut, Chato?« rief er heiser. »Oder ist es eine neue Schikane, um uns Cochise zu erhalten?« Chato kam zögernd heran. Mit einer eindeutigen Geste scheuchte er die Mädchen aus dem Wicki-up, nahm einen groben Holzklotz und setzte sich nieder. Er brauchte lange, ehe er zu sprechen begann. »Ich handelte nach dem Gesetz der Vernunft, Falke, und suche deinen Rat.« John versuchte den Oberkörper zu heben. Aber der Schmerz hielt ihn nieder.
»Du, Chato, der stolze Häuptling der Chiricahua-Apachen, suchst bei deinem Feind Rat?« Der Häuptling nickte trotz Johns zynischer Worte. Er hatte lange gebraucht, um seinen Stolz zu überwinden, aber in seiner Hilflosigkeit war der Falke seine einzige Hoffnung. »Der weiße Händler und seine Brüder halten Naiche in der Höhle bei den Gräbern gefangen. Sie drohen ihn zu töten und mir Naiches Kopf zu schicken, wenn ich nicht ihre Wünsche erfülle.« »Welche Wünsche sind es, Chato?« Der brauchte einen Augenblick, ehe er antwortete: »Sie wollen gelbes Metall. Mehr, als wir besitzen«, und er sprach mit gepreßter Stimme von dem Handel mit dem Pedlar Sinclair, ihrer Vereinbarung und den Preis für die Waffen, Chato war sehr niedergeschlagen, weil Naiches Leben in seiner Hand lag, diese Hand aber gebunden war. »Es ist nicht viel, was unsere Ahnen uns hinterlassen haben, und es reichte für achtzig Gewehre. Aber der Händler will den gleichen Preis für Naiches Kopf und freies Geleit aus der Apacheria. Beides kann ich ihm nicht geben, denn nur der Große Häuptling weiß, wo unser Erbe verborgen liegt.« »Und was soll ich dabei tun?« John bemühte sich, die Holzkelle zu erreichen. Critten bewegte sich drüben. Armer Hund, dachte John, als Chato ihm die Kelle reichte. »Du bist Weißer wie sie, du denkst und handelst wie sie. Welche Möglichkeit gäbe es, Naiche zu befreien?« John Haggerty mußte unwillkürlich lächeln. Noch nie war er einem solch verzweifeltem Indianer begegnet wie dem alten Häuptling. »Ich denke nicht wie Sinclair. Der ist ein Verbrecher, und genauso mein Feind wie der eure. Er würde mich töten, wie er bedenkenlos deinem Stamm Waffen lieferte, damit er in den Tod reitet.« »Aber du bist ein weißer Mann, Falke.«
»Ich bin ein kranker Mann. Krank von der grausamen Folter der Chiricahuas.« Chato erhob sich. Ihm wurde klar, daß der Falke keinen Finger zu bewegen gedachte, um einem Apachen zu helfen. Sorgenvoll verließ er das Wicki-up. Critten regte sich. Scheinbar hatte er der Unterhaltung zugehört. »Wissen Sie wirklich keinen Weg, Sir?« rief er mit großer Anstrengung. »Wenn Sie Chato helfen, wird er uns vielleicht die Freiheit schenken.« »Dazu fehlt Chato die Macht. Nur Cochises Wort zählt in diesen Bergen. Er hat schon allerhand riskiert, als er uns von den Felsen schnitt. Er wird mit einem Verweis zu rechnen haben, wenn Cochise zurückkehrt. Ich kenne die Gesetze der Apachen.« Critten schwieg. Ihm schauderte bei dem Gedanken, wieder an den Fels gekettet zu werden. Er hatte Angst. Und dabei hatte er einmal geglaubt, ein mutiger Soldat zu sein. John lag mit offenen Augen auf der Pritsche. Er hörte die junge Indianerin leichtfüßig hereinkommen und spürte ihre zarten Hände, die wie Balsam den Schmerz linderten. * Am Abend klang trauriger Gesang über den Platz. Der Schamane rief die Götter um Hilfe. Aber es waren Götter der roten und nicht der weißen Männer. Als das Mädchen ihm Früchte und Wein brachte, sagte John in ihrem Dialekt: »Hole Chato, ich will mit ihm reden.« Critten drehte sich hoffnungsvoll um. »Wissen Sie einen Ausweg, Mr. Haggerty?« »Nein«, erwiderte John. Chato betrat das Zelt.
»Du wünschst mich zu sprechen, Falke?« fragte er und zündete die Talgfackel an. »Ich möchte mit dem Franzosen Sinclair verhandeln, wenn ich auf die Beine komme.« Chatos dunkle Augen leuchteten im Widerspiel des Talglichtes wie Kaleidoskope. »Das wird morgen sein, denn unsere Medizin wirkt Wunder. Ich danke dir für dein Angebot, Falke.« »Spar dir den Dank, bis ich vor Cochise stehe, Chato. Ich möchte eine alte Feindschaft begraben und rechne dann mit deiner Fürsprache.« »So soll es sein.« Chato hob seine linke Hand an die Stirn und verließ das Zelt. John wurde zunehmend müder. Er bemühte sich vergebens, wach zu bleiben. Aber es war wohl der Heilungsprozeß der Salben und der süßliche Duft der Kräuter, die der Bergwind durch den Eingang wehte, und John in einen tiefen und traumlosen Schlaf sinken ließ. * »Ich traue meinen Augen nicht.« Vaquence, der den Ausgang der Höhle bewachte, stieß Sinclair den Gewehrkolben in die Seite. »Da wankt dieser verdammte Armeescout auf den Indianerfriedhof. Es sieht aus, als wollte er sein eigenes Grab schaufeln. Soll ich ihm dabei helfen?« Sinclair kroch näher und schob dem Ladino die Waffe von der Schulter. »Laß uns hören, was er will. He, Haggerty, wer hat Sie vom Kreuz geholt?« John blieb stehen und blinzelte aus beträchtlicher Entfernung zum Höhleneingang. »Ihre Dummheit, Sinclair!« rief er dann zurück. »Sie hätten die Entwicklung Ihres Geschäftes abwarten sollen. Sicher hätte
Cochise zu seinem Wort gestanden. Aber er ist außerhalb der Apacheria. Ihr Glück, denn wäre er hier, würden Sie und Ihre Komplicen keine zwei Stunden mehr leben.« »Verdammter Bastard! Ich brenne ihm eins aufs Fell«, fluchte Vaquence. Sinclair beruhigte ihn. »Laß uns verhandeln. – He, Mr. Haggerty, Sie vergessen Naiche, Cochises Sohn!« »Und Sie vergessen die Mentalität der roten Rasse. Ein Chiricahua-Häuptling oder Krieger findet die Erfüllung jenseits unserer Vorstellungen, Sinclair. Auf den großen fruchtbaren Weiden ihrer Götter. Naiche würde als ein stolzer Mann sterben, denn er weiß, daß sein Mörder einen schrecklichen Tod erleidet. Je grausamer er stirbt, um so höher steigt das Ansehen seiner Seele. Cochise wird Ihnen auf dem Gebiet einiges zu bieten haben. Von Feuer auf dem Bauch bis zu den roten Ameisen in den Bergwäldern, die Stück für Stück Ihren Leib in tausend Fetzen reißen. Und alles erleben Sie bei vollem Bewußtsein. Zumindest zwei oder drei Tage lang, Sinclair.« John hatte bewußt dick aufgetragen, um ihn einzuschüchtern. »Er soll aufhören!« schrie Hans Holsten. »Ich kann den Sadisten nicht mehr hören.« »Ich halte Sie für einen klugen Menschen, Sinclair, und für einen guten Kaufmann. Geben Sie auf, gehen Sie auf Chatos Handel ein. Ein Leben für zehn Leben – das ist ein guter Preis.« »Und das Gold für die Gewehre?« Der Pedlar steckte merklich zurück. Er sah seine Felle davonschwimmen und wollte das rausholen, was in ihrer Lage noch zu holen war. »Gibst du auf?« hetzte Vaquence. »Machen seine Sprüche euch nervös? Dann bringe ich ihn zum Schweigen.« »Halt's Maul!« herrschte Sinclair ihn an. »Es gibt kein Gold, und das wenige, was die Apachen
besitzen, verwaltet Cochise selbst. Wollen Sie auf seine Rückkehr warten oder Chatos Angebot in Erwägung ziehen?« »Wer gibt mir sein Wort, daß wir nicht betrogen werden?« »Chato.« »Der ist ein hinterhältiger Schakal, wie alle roten Bastarde. Geben Sie mir Ihr Wort, Haggerty, und ich werde es mir überlegen.« John zögerte lange. Er war selbst Gefangener in Cochises Burg. »Wenn es Ihnen was bedeutet, Mr. Sinclair.« »Sehr viel.« »Dann will ich mit Chato sprechen. Ich bin jedoch sein Gefangener. Haben Sie das vergessen?« Sinclair zischte einen Fluch. »Trotzdem ist mir Ihr Wort mehr wert als das der ganzen Sippe.« »Okay, Mr. Sinclair, Sie hören von mir.« »Und stellen Sie Pferde auf dem Zeltplatz bereit, Haggerty. Ich möchte nicht in eine Falle laufen, Sie verstehen?« John hörte Sinclairs Worte noch, aber er durchwanderte bereits den Hohlweg. Gegen Mittag kam er zurück. »Sie haben mein Wort, Sinclair: Ihr Leben und Ihre Pferde für Naiches Leben. Die Gäule stehen wie vereinbart vor dem großen Zelt des Häuptlings.« »Und seine Krieger?« »Werden Sie auf dem Hügel beim Totem wiedersehen.« Vaquence begann zu schimpfen. Ihm wurde plötzlich bewußt, daß er ärmer aus den Bergen hinauszog, als er hereingekommen war. Da hatten sie noch die Springfieldgewehre, die auch anderweitig zu verkaufen gewesen waren. Slim Tratten schnappte über. Er fuchtelte mit dem Revolver vor Naiches Gesicht herum und drohte ihn zu erschießen. Da Sinclair die Gefahr erkannte, hob er vorsichtig seine
Sharps bis in Hüfthöhe und drückte ab. Der Bandit fiel tödlich getroffen vornüber auf das Gesicht. Sinclair fauchte: »Wer verrückt spielt wie Tratten, der kann ihn gleich in die Hölle begleiten. Vaquence, du übernimmst Naiche! Behandle ihn wie ein rohes Ei, er ist so etwas wie deine Lebensversicherung.« Der Ladino blickte nur verächtlich auf. Wie hoch hatte er auf Sinclair gesetzt. Und nun zeigte er sich als Feigling. »Wir kommen, Mr. Haggerty!« Sinclair stieg als erster aus der Höhle. Vaquence folgte. Er benutzte den Häuptlingssohn als Deckung und hielt ihm die Gewehrmündung unter das Kinn. John Haggerty wich langsam zurück. Er hoffte, daß Chato sein Wort hielt. Aber es war wie versprochen. Zehn frische Pferde standen auf dem weiten Platz. Mehrere Chiricahua-Krieger bewegten sich waffenlos bei den bunten Pfählen. Die Weiber und Kinder hatten sich bis zur äußersten Grenze der Apacheria zurückgezogen. Nur Chato stand im Eingang des Zeltes – stumm, abwartend, mit der stoischen Ruhe seiner Rasse. John trat neben ihn. Vorsichtig, nach allen Seiten lauernd, näherte sich die Bande. Sie suchten ihre Pferde und stiegen in die Sättel. Der Scout sah, daß Vaquence Naiche quer vor den Sattel legte und erst dann seinen Gaul bestieg. Er hielt sich dicht an der Seite des Indianers. Die Gewehrmündung zeigte auf Naiches Kopf. »Das ist gegen die Vereinbarung«, rief John dem Pedlar zu, als Zornesröte Chatos Wangen überzog. »Es dient dem Selbstzweck, Mr. Haggerty«, rief Sinclair. »Wir lassen ihn außerhalb der Festung frei.« »Er lügt«, murmelte Chato. Die Reiter setzten sich in Bewegung. »Ich weiß es«, sagte John enttäuscht, denn er hatte gehofft,
daß Sinclair in Anbetracht der brenzligen Situation vernünftig geworden wäre. Aber er wollte Naiche als seine Geisel benutzen, um Cochise später unter Druck zu setzen. »Gib mir ein Pferd, Chato.« Der schüttelte den Kopf. Er hatte so viel gegen die Gesetze des Stammes verstoßen, daß er die Bürde kaum noch tragen konnte. »Nein, du bist Cochises Gefangener. Nein, ich werde dich wieder in Fesseln legen.« Aber Chato hob keine Hand, um die Krieger von den Hügeln zu rufen. Selbst dann nicht, als Haggerty steifbeinig zum Seilcorral ging und sein Pferd einfing. John schwang sich auf den Rücken und ritt zu Chato. »Ich komme zurück, Chato. Darauf gebe ich dir mein Wort. Du hast als Pfand meinen Begleiter.« John kitzelte das Fell seines Praints und trabte zum Tor. * In der Nacht, als Sinclairs Bande ihr Lager aufschlug, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen seinen Leuten und ihm. Aber Sinclair beendete den Streit, indem er auf seinen Gefangenen deutete. »Cochise wird unseren Preis zahlen, Leute, oder wir schicken ihm einen toten Naiche. Macht euch also keine Gedanken, und legt euch schlafen. Wir brechen früh auf.« Während der Pedlar sprach, lag kaum 15 Yards entfernt, zwischen einer Moosbank, John Haggerty und beobachtete das Lager. Er sah den Posten am Korkbaum lehnen und wartete geduldig, bis er glaubte, daß alles eingeschlafen war. Lautlos und flink wie ein Wiesel robbte er durch die Büsche und näherte sich der Wache. Ehe der Mann begriff, was geschehen war, lag er schon bewußtlos auf kahlem Gestein. John nahm dessen Karabiner, kroch zu dem Verschnürten
unter einem Mesquitestrauch und durchtrennte ihm die Fesseln. Wie eine stumme Absprache fiel kein Wort, als Naiche sich erhob. Sie hörten nur die Schnarchtöne der Outlaws, die ahnungslos ihrem Schicksal entgegenschliefen. Die Stille des Morgens war von dumpf dröhnenden Trommelschlägen erfüllt, die hohl und weithin durch die Bergwelt hallten. Sinclair erwachte, lauschte und erriet sofort die Bedeutung der Klänge. Sein Blick fiel auf die Stelle, an der sie in der Nacht den Gefangenen ans Gesträuch gebunden hatten. »Was bedeutet das?« Vaquence sprang schlaftrunken auf die Beine. Auch die anderen Mitglieder der Bande waren vom anhaltenden Lärm aufgewacht. Sinclair deutete mit einer laschen Handbewegung auf den leeren Platz und dann zur Korkeiche, wo Nick Warren, der Nachtposten, lag – niedergeschlagen. »Wir hatten Besuch«, sagte er ruhig. Die Trommelschläge wurden nun klarer, und Sinclair schien es, als erhielten die dumpfen Töne aus einer anderen Richtung Antwort. Aber das konnte auch das Echo sein, das durch die hohlen Schluchten zurückgeworfen wurde. »Unsere Geisel ist verschwunden.« Vaquence eilte mit Riesenschritten zu den Büschen. Als er zurückkehrte, hielt er die durchschnittenen Lederriemen in seinen mächtigen Fäusten. »John Haggerty?« Der Pedlar lächelte verkrampft. »Er mag es nicht, wenn er betrogen wird.« »Warum hat er nur Naiche befreit?« fragte Vaquence stirnrunzelnd. Das Trommeln ging ihm auf die Nerven. Es waren wohl Signale aus der Bergfestung, die durch die Wildnis drangen und von den Geschehnissen in der Apacheria berichteten. »Warum hat er nicht uns getötet? Er und Naiche hatten
Gelegenheit dazu, als wir schliefen.« Sinclairs Lächeln wurde grantig. »Das werden andere tun, Ramon. Hörst du nicht ihre Stimmen?« Sein gestreckter Arm deutete in die Tiefen der Schluchten, aus denen nun Schläge einer Trommel schallten. »Das sind die Trommeln der Mimbrenjos. Aber irgendwo in einem der zahllosen Canyons wird der Teufel auf uns warten.« »Cochise«, murmelte der Ladino. »Richtig.« Sinclair nickte gelassen, obwohl sein Inneres in Aufruhr war. »Hoffen wir nur, daß es eine Militärpatrouille hört oder dieser verdammte Captain aus Tombstone. Haltet eure Waffen schußbereit und sattelt die Pferde! Wir brechen auf.« Sinclairs Kaltblütigkeit war vorgetäuscht. In Wirklichkeit fürchtete er sich davor, Cochises Krieger in die Arme zu laufen. Er hatte den Rothäuten Waffen geliefert und ihnen gezeigt, wie man mit ihnen umgehen konnte. Aber er wußte, daß Cochise diesmal auf die einfache Art seiner Rache verzichtete. Wie nannte es Chato so treffend? Alle Qualen der Hölle. Cochise beherrschte diese Technik vollkommen, wie die Gazetten im Territorium zu berichten wußten. Der Gang über den schmalen Saumpfad, der längs der Steilwand in die Tiefe führte, wurde zur Tortur. Als Kim und sein Praint in den Abgrund stürzten, rief Vaquence mit irrem Lachen: »Der hat keine Sorgen mehr.« Das Grauen nagte an den Knochen. Als der Pfad breiter wurde, stießen sie auf den zurückgelassenen Planwagen. Aber Sinclair dachte an sein Leben, und er schenkte dem schweren Fahrzeug keinen Blick. Sie mußten raus aus den Bergen, denn nur auf dem Flachland sah Sinclair geringe Chancen, Cochises Horden zu entkommen. Noch war ihnen keiner der roten Teufel begegnet. Sie hörten
die Trommelschläge, die an den Nerven zerrten. Der abfallende Weg war nicht mehr so steil. Die engen Wände des Canyons erweiterten sich. Am Horizont stand ein heller Streifen – die Plains, die bis hinüber zu der Gila Bend führte. Nun, die Freiheit vor Augen, stieß Hans Holsten einen gellenden Laut aus. Sanft glitt er aus dem Sattel und fiel auf den rauhen Fels. Der gefiederte Schaft eines Pfeils steckte wippend in seinem Hals. »Raus hier!« schrie Vaquence und trieb wie von Sinnen seinem Pferd die großen Sporen in die Weichen. Er riß seinen Revolver aus dem Halfter und begann wild und planlos durch die Gegend zu ballern. Über den flachen Hügeln tauchten Reiter auf. Ihre bronzefarbenen Oberkörper glänzten in der Sonne. Zwei Wogen gleich schwemmte der Berg sie talwärts. Ihre Breitmesser blitzten, ihre Tomahawks wirbelten über ihren dunkel glänzenden Haaren, und ihre unheimlichen Schreie füllten den Talkessel. »Zastee, zastee!« Tötet sie, tötet sie! * Sie kamen durch den Felsausschnitt am Ende des Steinwalls. Ein Heer von 60 Chiricahua-Kriegern. Sie trugen gräßliche Wunden am Körper, aber sie saßen stolz auf ihren Mustangs. Als Cochise den linken Arm hob, zügelten sie ihre Tiere. Der Häuptling schwenkte zum Hügel, wo die Jacales standen. Sein muskulöser Körper trug etliche Wunden, deren Schmerz ihn nicht kümmerte. Cochise parierte sein Pferd auf jenem Platz, an dem das ewige Feuer brannte. Mit einer wilden Bewegung schleuderte er ein Bündel blutbehafteter Skalps in den Staub. Sein Blick traf Chato, seinen Sohn Naiche. Er stieg vom Pferd und kam mit großen Schritten näher, bis
er vor John Haggerty stand. Sein Blick schien den Feind förmlich zu durchdringen, seine Mundwinkel zuckten, und die kräftigen Muskeln seiner Wangenknochen waren in Bewegung. Es schien ihm schwerzufallen, mit dem Mann zu sprechen, den er einst seinen Freund genannt hatte. »Naiche steht in deiner Schuld, Falke. Er mag über dein Leben bestimmen.« Cochises Sohn trat mit federnden Schritten an John Haggertys Seite. Stolz und selbstbewußt, eines jungen Häuptlings würdig, warf er den Kopf in den Nacken. Wie er so dastand, glich er seinem Vater wie ein Spiegelbild. »Der Falke hat gezeigt, daß er ein Freund der Chiricahuas ist, Vater. Ohne seinen Mut und sein selbstloses Eingreifen würdest du in Trauer heimkehren, denn Naiche wäre tot. Er und sein Begleiter mögen in Frieden ziehen.« Häuptling Cochises dunkle Augen waren auf den Scout gerichtet. »Mein Sohn hat gesprochen. Zieht in Frieden.« John sah den breiten Gurt und das wuchtige Halfter, aus dem der verzierte Griff von Sinclairs Revolver hervorlugte. Er sah die Skalps auf dem Platz, zwischen denen das helle Haupthaar des Händlers schimmerte. Ohne Furcht trat er dem Häuptling entgegen. »Ich bin gekommen, um dir den Frieden General Einarms anzubieten, mit dem du vor Monden viele Tage und Nächte Verhandlungen geführt hast. Er bedauert die schrecklichen Vorfälle, die zu neuer Feindschaft führten. General Howard möchte mit den Häuptlingen der Chiricahuas und Mimbrenjos einen neuen Vertrag schließen. Er garantiert...« Cochises wie abgehackt wirkende Handbewegung ließ John Haggerty verstummen. »Seine Garantien stehen nur auf dem Papier, Falke. Seine Worte kommen aus einer gespaltenen Zunge. Er kann dem Frieden dienen, wenn er seine Truppen von freiem
Apachenland abzieht. Mit den Siedlern, die unser Land stehlen, werden wir selbst fertig.« »Du weißt, daß dies nicht in der Macht General Einarms liegt, Cochise. Der Weiße Häuptling in Washington hat ihn ins Apachenland gesandt, damit sein Volk und dein Volk in friedlicher Eintracht miteinander leben. Das Land ist groß, so daß alle darin leben können.« »Das Land beherrschen Siedler. In den glitzernden Minen arbeiten sie wie Kulis. Den Chiricahuas und den Mimbrenjos, die dieses weite Land von ihren Vätern geerbt haben, ist nur ein letztes Wasserloch geblieben: die Dragoon Mountains. Sattle dein Pferd und reite. Es sind genug Worte gefallen.« John schloß die Augen. Er dachte, Cochise ist stur wie ein Muli. Sein Haß brennt immer tiefer in sein Herz. »Dein Groll blendet dich, Großer Häuptling. Du führst dein Volk in einen tiefen Abgrund. Was bedeuten sechzig Gewehre, Cochise, wo die Blauröcke sechstausend besitzen, Kugeln und den donnernden Blitz der Kartätschen? Du führst ein verlorenes Häuflein in den Tod.« Stolz reckte Cochise seine Waffe gen Himmel. »Es ist ein Anfang, Falke. Mit ihren eigenen Waffen werden wir sie schlagen. Geh jetzt, ehe ich Naiches Entscheidung zurücknehme!« Stolz schritt der Chiricahua an dem Chiefscout vorbei und verschwand in seinem Wicki-up. John Haggerty wußte, daß es völlig aussichtslos war, Cochise zur Umkehr zu bewegen. Vom Corral her kam Naiche mit zwei gesattelten Pferden heran. »Es wird Zeit für dich, Falke«, sagte er, während er Haggerty die Zügel reichte. »Du hast die letzten Worte meines Vaters vernommen.« John schwang sich in den Sattel. Sam Critten folgte diesem Beispiel.
John sah, daß Naiche seine Hände auf dem Rücken verschränkt hielt. Er wünschte keine Berührung mit dem weißen Mann. Haggerty trieb sein Pferd an und ritt am Steinwall entlang zum schmalen Ausgang der Apacheria. Er wußte, daß Cochise bald seine Bergfestung verlassen würde. Ein Gedanke, der ihn beunruhigte. * Als sie aus dem Schatten der Berge waren, sah John Haggerty die flachen Grabhügel zwischen Yuca-Stauden und Mesquitebüschen, über die der Wind den Staub der Mesa trieb. Zwei primitive Astkreuze aus der nahestehenden Korkeiche erinnerten an Cochises Scharmützel mit Freemans Miliz. Sicher war es Captain »Lions« militärischer Erfahrung zuzuschreiben, daß der Zusammenstoß zwischen Apachen und Weißen glimpflich verlaufen war, denn Cochise besaß nun Waffen, die ihn an Feuerkraft und Verschlagenheit seinen Gegnern zumindest ebenbürtig machten. 60 Springfield-Gewehre und 1000 Schuß Munition. Sinclair hatte für seinen Frevel, Rothäute mit Feuerwaffen auszustatten, teuer bezahlen müssen. Aber das war wohl nur ein Anfang. John stieg vom Pferd, faßte die Zügel und näherte sich zögernd den Gräbern. Sam Critten folgte befremdet und zugleich nervös seinem Begleiter. »Ihnen können wir nicht mehr helfen«, sagte der Corporal heiser, »wir sollten unsere eigene Haut retten. Wenn Cochise seine Großzügigkeit bereut, hängen unsere Skalps neben dem von Sinclair an seinem Gürtel. Er schickt uns seine Meute nach.« John kniete lächelnd nieder. »Cochise bricht nie sein Wort, es sei denn, er fühlt sich
betrogen oder verraten. Dann wird er zu einem gefährlichen Gegner. Du hast es erlebt, Critten.« Seine Hand tastete über das trockene Erdreich. Er wußte, daß die beiden Toten seit über einer Woche unter dem Hügel lagen. Langsam richtete John sich auf. Sein Blick verlor sich im grauen Bergmassiv, das düstere Gedanken in ihm weckte. Nach langem Suchen war es ihm gelungen, Cochises Bergfestung aufzuspüren. Er hatte erlebt, was dort oben geschehen war, und er ahnte Cochises Gedanken. Cochise brauchte Waffen, um einen neuen Indianeraufstand vorzubereiten. Der Jefe gab keine Ruhe. Wie tief hatte sich der Haß gegen die weißen Eindringlinge in seiner Brust verwurzelt. Johns Züge nahmen einen verbitterten Ausdruck an. Seit zwei Tagen wußte er, daß Chiricahua-Späher auf ihrer Fährte saßen und jeden ihrer Schritte kontrollierten. Cochise wollte sichergehen, daß seine Feinde die Berge verließen. »Wir wollen unser Lager aufschlagen«, bestimmte der Scout trotz der Gefahr, die sie unsichtbar umgab. »Das Buschwerk und die flachen Hügel bieten uns Schutz gegen den scharfen Wind.« Critten blickte verzweifelt zum Himmel. »Es wird erst in zwei Stunden dunkel«, wandte er ein. »Wir könnten noch zehn Meilen schaffen.« Er schüttelte sich bei dem Gedanken an die vergangenen Tage, die wie ein Trauma in ihm hafteten. Er sehnte sich bei Gott nicht wieder auf den kahlen Fels in Cochises Apacheria zurück. »Ich weiß es«, sagte John Haggerty. Er begann sein Pferd abzusatteln. »Du hast Angst.« »Klar, ich geb's ja zu. Wenn Sie es nicht anders wollen, reite ich allein weiter.« John betrachtete den Deserteur. Ein junger und kraftstrotzender Bursche, der etliche Indianerkämpfe hinter
sich hatte und einige Narben daraus am Körper trug, und dem nun die Furcht im Nacken saß. »Wohin willst du reiten, Sam?« Haggerty schwenkte den ausgestreckten Arm im Halbkreis. »Nach Süden, wo Freemans Miliz die Gegend durchstreift? Nach Fort Thomas, wo ein gekränkter Lieutenant darauf brennt, dich vor die Mündung eines Füsilierkommandos zu stellen? Nach Norden zum Apachen-Paß? Fort Bowie, Fort Buchanan – wohin du auch reitest, jeder Kommandant ist über deine Fahnenflucht informiert. Wenn du nach Osten reitest, wirst du Cochises Spähern in die Arme laufen. Wer weiß, was sie mit dir anstellen. Also, weshalb hast du es so eilig, in Schwierigkeiten zu kommen?« Critten sah, daß der Scout die Gurte löste, den Sattel einfach in den Sand warf und sein Pferd laufen ließ. »Schnall ab, Corporal, und setz dich. Ich will mit dir reden.« Nur zögernd löste Critten sich aus den Steigbügeln, äugte zu den Gräbern hinüber. »Sie hätten einen besseren Rastplatz wählen können, Mr. Haggerty.« Johns hartes Lachen blieb. »Es gibt keinen besseren Ort als einen Tombs, um über ernste Dinge zu sprechen. Diese armen Hunde sind die ersten Toten auf einer langen Liste Cochises. Der fühlt sich stark und mächtig. Seine Feuerrohre geben ihm diese Kraft, daß er glaubt, jeden Gegner niederzwingen zu können.« Critten grub eine Mulde in den Sand, die ihm besseren Schutz vor dem heißen Westwind gab. »Worüber wollen Sie sprechen, Sir? Sind wirklich Cochises Späher auf unserer Fährte?« John nickte, während er aus der Satteltasche Pemmikan nahm, den Reiseproviant aus dem Apachendorf. »Seit wir die Burg verlassen haben«, erwiderte er und reichte dem Begleiter seinen Teil. »Er ist ein Fuchs und traut mir
nicht, und zwar mit Recht.« Sam Critten kaute schwerfällig an dem tranigen, mit Fett, Fleisch und Kräutern durchsetzten Happen. Verständnislos sah er den Chiefscout an. »Was tut Cochise mit Recht?« »Er hat längst gelernt, wie ein Weißer zu denken und wie ein Roter zu handeln. Nun, wo ich seine Apacheria kenne und sein Vorhaben erahne, wird er die Zeit nutzen und für seinen Stamm einen neuen Platz suchen, während ich ins Hauptquartier reite, um General Howard zu informieren. Es könnten Monate vergehen, bis einer unserer Scouts sein Dorf wiederfände. Inzwischen könnte es zu spät sein, denn Victorio brennt darauf, es den Weißen heimzuzahlen. Old Vic zeigt nicht die Geduld, die der Jefe hat.« Critten konnte sich denken, was in Haggerty vorging. Dieser verdammte Armeescout hatte wohl noch immer nicht die Nase voll. »Wollen Sie etwa wieder in die Berge zurück?« fragte er entsetzt. »Etwa ins Apachendorf?« John nickte ernst. »Ich muß wissen, welche Pläne der Jefe ausbrütet, damit das Militär, das dieses Territorium nun mal verwaltet und die Siedler schützt, Maßnahmen ergreift, um schreckliches Blutvergießen zu verhindern. Du warst ein guter Soldat, Sam, und möchtest lieber heute als morgen wieder in der Armee dienen.« Critten nickte. »Aber du stehst in der Mitte, wirst gejagt von den eigenen Kameraden, von der Bürgerwehr, von Possen, bald auch von Apachen, Mimbrenjos oder Yaquis, die auf dem Kriegspfad reiten. Hast du überhaupt noch eine Zukunft, Sam Critten? Nein. Ich könnte ein Wort für dich bei General Howard einlegen. Möglicherweise wird er deine Verfehlungen mit anderen Augen sehen, wenn er erfährt, daß unsere Mission
vielleicht hundert oder gar tausend Menschen das Leben gerettet hat.« Verdammter kleinlicher Kommiß, dachte der Deserteur wütend. Da dreht man mal durch und schmiert einem Offizier eine, und schon ist das ganze Leben im Arsch. »Sie haben eine feine Art, einen Mann zu erpressen, Mr. Haggerty«, höhnte Critten gallig. Er spie seinen Pemmikan in den Sand, denn er hatte es satt, auf der tranigen Dauerkost herumzukauen. »Dort die Kugeln eines Exekutionskommandos, hier der Tomahawk oder die Lanzenspitze einer verrückten Rothaut. Welcher Weg bleibt mir überhaupt?« »Der ehrenwerte, Sam.« Critten schnaufte. »Der würde vor den Lanzen der Chiricahuas enden.« »Nichts ist endgültiger als der Tod, Sam. Er holt uns alle, den einen früher, den anderen später. Wie hast du dich entschieden?« Critten wischte das tranige Zeugs von den Lippen. »Verdammt, wo sind Cochises verfluchte Späher?« John deutete mit einer Kopfbewegung nach Osten. »Keine zweihundert Yards entfernt auf dem flachen Hügel zwischen Chollas und Distelgesträuch. Was kümmert es uns? Wir ziehen morgen früh in die offene Range, reiten in einer dunklen Nacht im weiten Bogen nach Norden und suchen die ungedeckte Flanke von Cochises Bergfestung.« »Und unsere Verfolger?« John lächelte belustigt. »Bin ich dümmer als ein lausiger Chiricahua, Sam? Cochises Späher sind wir schneller los, als sie es wahrhaben.« Sam Critten dachte an John Haggertys legendären Ruf in der Armee und an seine eigene bekümmerte Lage. »Ich bin ein verdammter Narr, Sir, aber ich will es riskieren. Wenn...«
»Ja?« »... wenn Sie mir einen Weg garantieren, der zurück zu meiner geliebten Siebenten führt.« Der Corporal räusperte sich. »Ich liebe die Armee. Sie ist so was wie meine Ziehmutter.« John Haggerty streckte die Rechte aus. »Mein Wort darauf, Sam. Du wirst deine zwei Streifen bald wieder in Ehren tragen. Deine eigenen Probleme werden in einem anderen Licht erscheinen, wenn General Howard erfährt, daß du als mein Scout reitest.« Während Critten seine Hand schüttelte, dachte John mit einem Anflug von Zynismus: der Weg, der vor uns liegt, führt über ein schwankendes Seil, und es ist nicht abzusehen, wann und wo es zerreißt. Aber er war gezwungen, ihn zu beschreiten, damit weiteres Blutvergießen vermieden wurde. »Nenne mich John, du verlauster Strauchdieb. Wenn wir am gleichen Leder ziehen, wollen wir es wenigstens als Freunde tun.«
ENDE