Das Molekül des Lebens Einführung in die Genetik
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Das Molekül des Lebens Einführung in die Genetik
Claudia Eberhard-Metzger Mit Schwarzweißabbildungen von Nadine Schnyder
Claudia Eberhard-Metzger, geboren 1958, lebt und arbeitet als Wissenschaftspublizistin in Maikammer an der Südlichen Weinstraße. Nach dem Studium der Biologie und Germanistik in Mainz und Heidelberg war sie zunächst in der Stabsstelle für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg tätig, danach war sie Wissenschaftsredakteurin im Verlag der ‘Frankfurter Allgemeinen Zeitung’. Seit 1991 ist sie selbstständig. Sie schreibt für verschiedene Zeitungen und Wissenschaftsmagazine, etwa ‘Spektrum der Wissenschaft’, und betreut zahlreiche wissenschaftspublizistische Projekte. Buchveröffentlichungen: ‘Die ungebrochene Macht der Seuchen’ (1996, mit Renate Ries), ‘Das Genom-Puzzle’ (1998, mit Ingrid Glomb und Barbara Hobom), ‘Was ist was? Die Gene’ (2001) und ‘Mensch und Mikrobe - eine verhängsnisvolle Affäre’ (2002).
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Eberhard-Metzger, Claudia: Das Molekül des Lebens. Einführung in die Genetik. Naturwissenschaftliche Einführungen im dtv, Herausgegeben von Olaf Benzinger, 2. vollständig überarbeitete Auflage, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2003. © Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München. Dieses eBook basiert auf der Fassung der Digitalen Bibliothek – Sonderband 10 - Was Sie über Naturwissenschaften heute wissen müssen ISBN 3-932544-78-1 1. eBook-Auflage 2004 wranglergirl
Vorbemerkung des Herausgebers Die Anzahl aller naturwissenschaftlichen und technischen Veröffentlichungen allein der Jahre 1996 und 1997 hat die Summe der entsprechenden Schriften sämtlicher Gelehrter der Welt vom Anfang schriftlicher Übertragung bis zum Zweiten Weltkrieg übertroffen. Diese gewaltige Menge an Wissen schüchtert nicht nur den Laien ein, auch der Experte verliert selbst in seiner eigenen Disziplin den Überblick. Wie kann vor diesem Hintergrund noch entschieden werden, welches Wissen sinnvoll ist, wie es weitergegeben werden soll und welche Konsequenzen es für uns alle hat? Denn gerade die Naturwissenschaften sprechen Lebensbereiche an, die uns - wenn wir es auch nicht immer merken tagtäglich betreffen. Die Reihe ‚Naturwissenschaftliche Einführungen im dtv’ hat es sich zum Ziel gesetzt, als Wegweiser durch die wichtigsten Fachrichtungen der naturwissenschaftlichen und technischen Forschung zu leiten. Im Mittelpunkt der allgemeinverständlichen Darstellung stehen die grundlegenden und entscheidenden Kenntnisse und Theorien, auf Detailwissen wird bewusst und konsequent verzichtet. Als Autorinnen und Autoren zeichnen hervorragende Wissenschaftspublizisten verantwortlich, deren Tagesgeschäft die populäre Vermittlung komplizierter Inhalte ist. Ich danke jeder und jedem Einzelnen von ihnen für die von allen gezeigte bereitwillige und konstruktive Mitarbeit an diesem Projekt. Der vorliegende Band beschäftigt sich mit der - zumindest in der Öffentlichkeit vielleicht umstrittensten naturwissenschaftlichen Forschungsrichtung, der Enträtselung der kleinsten Bausteine des Lebens. Claudia Eberhard-Metzger zeichnet in großer Verständlichkeit den langen Weg nach, den die Genetik von den berühmten Erbsenversuchen Gregor Mendels in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zu den gegenwärtigen Erkenntnissen nahm. Herausragende Forschungsschritte wie die Entdeckung der Chromosomen oder der DNS werden dabei ebenso plastisch geschildert wie das ehrgeizige Genom-Projekt, das die Entschlüsselung des gesamten genetischen Codes des Menschen zum Ziel hatte. Einen breiten Rahmen der Darstellung nehmen freilich auch andere Fragen ein: Was kann die Genetik in der praktischen Anwendung heute schon leisten? Wohin führt ihr weiterer Weg? Was darf sie, und wo werden moralische und ethische Grenzen überschritten? Dem Ziel, dass sich die Genetik als Glücksfall und nicht als Fluch erweisen wird, müssen wir Menschen durch einen verantwortungsbewussten Umgang mit ihr näher kommen. Dazu gehört Wissen. Dieses Buch liefert einen ersten Einstieg dazu. Seit seinem ersten Erscheinen im Februar 1999 ist die wissenschaftliche Entwicklung im Bereich der Genforschung allerdings derart rasch fortgeschritten, dass eine umfassende Aktualisierung notwendig wurde, die wir mit dieser neuen Auflage vorlegen. Olaf Benzinger
Das Grab im Ural..................................................................................7 Von Dolly bis Copycat .......................................................................14 Die Suche nach dem Molekül des Lebens..........................................18 Ein Erbsenbeet im Klostergarten........................................................18 Eigenartige anfärbbare Fäden.............................................................24 Die Genetiker entdecken ihr Lieblingstier..........................................27 Eine dumme Substanz ........................................................................30 Ein neues Kapitel der Biologie beginnt..............................................34 Zwei Straßenhändler auf der Suche nach einer Helix: .......................37 Die Entzifferung des genetischen Codes ............................................46 Wie Erbanlagen Einfluss nehmen.......................................................49 Vom Gen zum Protein - die einzelnen Schritte ..................................50 Kritische Kontrollinstanzen................................................................53 Wie Gentechnik funktioniert und was man mit ihr machen kann ......56 Gentechnisch hergestellte Arzneimittel..............................................59 Jedem seine persönliche Pille? ...........................................................62 Gentechnisch hergestellte Impfstoffe .................................................63 Impfen mit nackter DNS?...................................................................64 Impfstoffe zum Eincremen? ...............................................................66 Eine Impfung zum Dessert? ...............................................................66 Die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes ...............................68 Medizinische Chancen und ethische Probleme ..................................73 Wenn Gene krank machen..................................................................73 Das Krebsgen-Puzzle..........................................................................76 Alzheimer - Kabelbrand im Gehirn ....................................................80 Unser Erbgut bald auf Compact Disc? ...............................................84 Heilen mit Genen - Hoffnung Gentherapie ........................................91 Genspritze für Bluterkranke? .............................................................95 Gesucht: Zuverlässige Gen-Spediteure ..............................................97 Und wem gehören die Gene? ...........................................................101 Brauchen wir die Anti-Matsch-Tomate? ..........................................104 Die Suche nach Eva und Adam ........................................................108 Wie viel Macht haben die Gene?......................................................120 Anhang .............................................................................................130 Glossar..............................................................................................130 Weitere Literatur ..............................................................................138
Das Grab im Ural Im Grab fanden sich neun Skelette. Die Leichen waren offenbar in großer Eile in die Erde gescharrt und mit Schwefelsäure übergossen worden. Geli Rjabow und Alexander Awdonin, zwei russische Hobbyhistoriker, entdeckten die sterblichen Überreste der neun Menschen im Jahr 1979 bei Jekaterinenburg im Ural. Über ein Jahrzehnt verschwiegen sie den grausigen Fund, erst gegenüber Präsident Gorbatschow lüfteten sie ihr Geheimnis das schon lange in der Bevölkerung kursierende Gerücht, bei den Toten handele es sich um die Zarenfamilie, ihre Diener und den Leibarzt Dr. Eugen Botkin. Ein Exekutionskommando der Bolschewisten hatte sie in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1918 im Keller eines Hauses in Jekaterinenburg erschossen, über die Jahre hinweg war jedoch unklar geblieben, wohin die Mörder die Leichen geschafft hatten oder ob Mitglieder der Familie die Greueltat womöglich überlebt haben könnten. Mysteriöse Geschichten rankten sich um den Tod der Romanows, und immer wieder tauchten Personen auf, die vorgaben, ein überlebendes Mitglied der letzten russischen Zarenfamilie zu sein. Anfang der neunziger Jahre war die Zeit gekommen, das Rätsel mit Hilfe der modernen Wissenschaft zu lösen: Die russische Regierung beauftragte den britischen Molekulargenetiker Peter Gill, Direktor am Zentralen Forschungszentrum des gerichtsmedizinischen Institutes des Innenministeriums, sich der Skelette aus dem Grab bei Jekaterinenburg anzunehmen. Eine Erbgut-Analyse sollte endgültig klären, ob unter den Gebeinen tatsächlich die sterblichen Überreste von Zar Nikolaus II., der Zarin Alexandra, ihren vier Töchtern und dem Sohn, Zarewitsch Alexej, waren. Aufgrund des schlechten Zustandes der Skelette waren die -7-
Erfolgsaussichten zunächst denkbar schlecht. Dennoch gelang den Wissenschaftlern das biochemische Kunststück, etwas Erbmaterial aus den Knochen herauszulösen; genug, um festzustellen, dass fünf der Toten zur selben Familie gehörten und dass ein Familienmitglied männlichen Geschlechts war. Dies bestätigten erste Untersuchungen, die russische Gerichtsmediziner anhand äußerer Merkmale vorgenommen hatten. Doch die Zarenfamilie bestand aus sieben Personen. Es fehlte eine der vier Töchter sowie das jüngste Kind, der Zarewitsch Alexej. Zudem war die Analyse noch nicht aussagekräftig genug. Um stichhaltig beweisen zu können, dass es sich um die Romanow-Skelette handelte, war noch eine weitere entscheidende Untersuchung notwendig: Das Erbgut der Toten musste mit dem lebender Verwandter der Zarenfamilie verglichen werden. Die Wissenschaftler wandten sich an Prinz Philip, den Mann der englischen Königin Elizabeth II. Er ist ein Großneffe der Zarin Alexandra. Prinz Philip spendete bereitwillig ein paar Tropfen Blut, was die Forscher in die Lage versetzte, mit Hilfe molekulargenetischer Methoden nach charakteristischen Gemeinsamkeiten zu suchen, die im Erbgut verwandter Personen zu finden sind. Das Ergebnis der Analyse war eindeutig: In den fraglichen Abschnitten stimmte das ErbgutMuster von Prinz Philip, der Zarin und den drei Töchtern überein. Damit war die weibliche Linie der Romanows geklärt. Nun galt es, den Zaren genetisch zu identifizieren. Dies erwies sich als schwieriger, als es zunächst den Anschein hatte. Ein Bruder des Zaren - für einen Erbgutvergleich hervorragend geeignet - ist in der Kathedrale von Petersburg begraben. Der Bürgermeister der Stadt verweigerte jedoch die Öffnung der Gruft. Ein Neffe von Nikolaus II. lebte zum Zeitpunkt der Untersuchungen im Jahr 1993 noch. 75-jährig verbrachte er seinen Lebensabend als Rentner in Toronto. Er -8-
lehnte es jedoch strikt ab, sein Blut für einen Erbgut-Vergleich zu spenden. Nun begann die mühevolle Suche nach weiteren noch lebenden Familienmitgliedern. Die Forscher spürten schließlich Verwandte auf, die in fünfter und sechster Generation von der Großmutter des Zaren mütterlicherseits, Großherzogin Louise von Hessen, abstammten. Der Vergleich der Erbgut-Muster bestätigte zweifelsfrei, dass es sich bei den sterblichen Überresten tatsächlich um die des letzten Zaren handelte. Die modernen Methoden der Gentechnik hatten ein über sieben Jahrzehnte altes Rätsel gelöst. Das Resultat ihrer wissenschaftlichen und detektivischen Meisterleistung veröffentlichten die Forscher im Februar 1994 in der angesehenen Fachzeitschrift ›Nature Genetics‹. Unbekannt ist bis heute, was mit der vierten Tochter des Zaren und seinem einzigen Sohn geschehen ist. Mit Hilfe gentechnischer Methoden ließ sich bald darauf noch eine andere rätselhafte Geschichte rund um den Tod der Zarenfamilie lösen. Sie beginnt im Jahr 1921. Damals tauchte in einer Berliner Nervenheilanstalt eine Frau auf, die behauptete, sie sei Anastasia, die letzte noch lebende Tochter des Zaren. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1984 blieb die vermeintliche Großfürstin ein dankbares Thema allerlei kunterbunter Blättchen, was ihr zu beträchtlichem Ruhm verhalf. Ihre letzten Jahre verbrachte sie von vielen Menschen als Zarentochter verehrt - unter dem Namen Anna Anderson in Charlottesville im amerikanischen Bundesstaat Virginia. Ob sie nun die echte Anastasia gewesen war oder nicht, blieb über ihren Tod hinaus ein Geheimnis. Das wäre vermutlich auch heute noch so, hätte nicht einer ihrer Verehrer, ein amerikanischer Rechtsanwalt, im Jahr 1994 die Idee gehabt, jeden Zweifel an der Identität der Zarentochter aus der Welt zu räumen. Mit viel Engagement verfolgte der Anwalt sein Ziel, eine Gewebeprobe von Anna Anderson genetisch untersuchen und -9-
mit dem Erbgut-Muster der Romanows vergleichen zu lassen. Da der Leichnam von Anna Anderson verbrannt worden war, schien die Sache zunächst aussichtslos. Doch dann fand sich in einem Krankenhaus eine Gewebeprobe, die nachweislich von Anna Anderson stammte: Während einer Dünndarmoperation im Jahr 1979 war ihr die Probe in der Klinik von Charlottesville entnommen worden. Schließlich entdeckte man in Deutschland noch eine alte Blutprobe und ein amerikanischer Fan stiftete schweren Herzens eine Haarlocke, die ihm die vermeintliche Zarentochter einst geschenkt hatte. Jetzt war genug Material für die genetische Analyse vorhanden. Deren Ergebnis war für die Anhängerschaft von Frau Anderson allerdings niederschmetternd: Ihr Erbgut war nicht mit dem des Zaren verwandt. Weitere Erbgut-Vergleiche mit entsprechenden Verwandten enthüllten schließlich ihre wahre Identität: Als Franziska Schanzkowska war sie in Polen zur Welt gekommen, arbeitete in jungen Jahren in einer Fabrik und stammte vom ehrenwerten Stand der Bauern ab. Die molekulargenetische Methode, die es möglich macht, der Wahrheit selbst über die Grenze des Todes hinaus nachzugehen, nennt sich »genetischer Fingerabdruck« und sieht im Ergebnis einem Codestreifen auf einer Cola-Flasche aus dem Supermarkt verblüffend ähnlich. Das Verfahren beruht auf einer Entdeckung, die der englische Biochemiker Alec Jeffreys machte. Er erkannte Mitte der achtziger Jahre, dass das Erbgut jedes Menschen unverwechselbare Abschnitte enthält. Sie sind einzigartig für jedes Individuum und kommen in allen seinen Zellen vor. Bei den fraglichen Abschnitten handelt es sich nicht um »echte« Gene, sondern um eine Art Füllstoff zwischen den Erbanlagen. Warum es diesen Füllstoff in unserem Erbgut gibt, ist unbekannt. Manche Wissenschaftler bezeichnen ihn als »genetischen Müll« und meinen, er sei kaum mehr als ein unnötiges Überbleibsel der Evolution. Andere halten das für - 10 -
eher unwahrscheinlich, macht der »Gen-Müll« doch stolze 98 Prozent unseres gesamten genetischen Materials aus. Und so etwas leistet sich die Natur normalerweise nicht, ohne einen guten Grund dafür zu haben. Was den Füllstoff zwischen den eigentlichen Erbanlagen so charakteristisch macht, sind die Fehler, die sich in die langen und monoton gebauten Abschnitte besonders leicht einschleichen können. Diese Fehler haben keine weiteren Konsequenzen, sie verleihen aber jedem Menschen ein genetisches Muster, das ebenso individuell ist wie sein Fingerabdruck - daher der Name »genetischer Fingerabdruck«. Und dieses charakteristische Erbgut-Muster ist erblich, mit Hilfe speziell konstruierter molekularer Sonden können die Genforscher deshalb Gemeinsamkeiten wie Unterschiede in der Zusammensetzung des Erbguts aufspüren. Um genetisches Material zu gewinnen, genügen wenige Tropfen Speichel, Blut oder Sperma. Auch Haare oder Knochen können als ErbgutQuelle dienen. Schon kleinste Mengen reichen für eine Analyse aus. Ist beispielsweise nur ein kleiner eingetrockneter Blutfleck am Ort des Verbrechens zurückgeblieben, können die Wissenschaftler das in ihm enthaltene Erbmaterial mit einem eleganten biochemischen Kopierverfahren, »PolymeraseKettenreaktion« (siehe Seite 114) genannt, beliebig vervielfältigen. Bestanden anfangs noch Zweifel an der Zuverlässigkeit des genetischen Fingerabdrucks, gilt er inzwischen als allen anderen biologischen Testsystemen überlegen - vorausgesetzt, er wird richtig angewandt. Als Beweismittel vor Gericht wurde das Verfahren erstmals 1985 in Großbritannien zugelassen. In Deutschland dürfen Beschuldigten seit Ende der achtziger Jahre in laufenden Strafverfahren mit Hilfe eines Speichelabstrichs Körperzellen entnommen werden, um einen genetischen Fingerabdruck aus Teilen der Erbsubstanz anzufertigen. Seit das - 11 -
»DNS-Identitätsfeststellungsgesetz« im Jahr 1998 in Kraft getreten ist, sammelt das Bundeskriminalamt in Wiesbaden die Erbmaterial-Profile aus menschlicher Spucke in einer Datei. Seither hat die Anzeige »Treffer« im Auswertungscomputer schon mehr als 2000-mal die Aufklärung eines Falles ermöglicht. Der genetische Fingerabdruck kann Vaterschaftsfragen klären, Mörder und Sexualverbrecher überfuhren, Unschuldige entlasten oder die Identität vermisster Personen anhand von Leichen- oder Knochenfunden feststellen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist der Fall »Dr. Kimble«. Der amerikanische Arzt Sam Sheppard - seine Geschichte ist deutschen Zuschauern aus der TV-Serie ›Auf der Flucht‹ bekannt - wurde vor 43 Jahren wegen angeblichen Mordes an seiner Frau verurteilt. Jetzt konnte der bereits 1970 Verstorbene aufgrund einer genetischen Analyse posthum von jedem Verdacht befreit werden. Seine Leiche wurde 1997 für den Test exhumiert und sein Erbmaterial mit dem aus einer Blutspur am Tatort verglichen. Anfang 1998 wurde das Ergebnis, das Sheppard zweifelsfrei entlastete, bekannt gegeben. In Deutschland verhalf Tennis-Altmeister Boris Becker dem Verfahren im Jahr 2001 zu einem breiten Bekanntheitsgrad wenn auch wohl eher unfreiwillig. Mit Hilfe eines genetischen Fingerabdruckes - hier DNS-Vaterschaftstest genannt - wurde er als Erzeuger des in London lebenden Kindes Anna Ermakowa überfuhrt. Um eine Vaterschaft zu beweisen oder zu widerlegen kommt die gentechnische Methode allein in Deutschland jährlich mehr als 5000-mal zum Einsatz. Sie hat mittlerweile die klassischen, auf Blutgruppen basierenden Abstammungsgutachten abgelöst, weil sie sehr viel genauer und zudem billiger ist. Ein Abstammungsnachweis ganz anderer Art gelang kürzlich Forschern der Pariser Universität Pierre et Marie Curie. Ihre - 12 -
DNS-Analysen enthüllten eine wissenschaftliche Sensation aus dem Jahr 1994 als Fälschung: Damals hatten Forscher verkündet, ein neues Großsäugetier namens Pseudonovibos spiralis entdeckt zu haben, das im Grenzgebiet von Vietnam und Kambodscha lebe. Als Beweis legten sie Schädelknochen mit zwei auffällig geriffelten und an ihren Spitzen verdrillten Hörnern vor. Die Analyse des Erbguts, so die französischen Forscher, habe nun leider ergeben, dass die Knochen von ganz normalen Rindern stammen - die Riffeln seien nachträglich eingeschliffen und die gebogenen Hornspitzen mit einer kunstvollen Hitzebehandlung in Form gebracht worden. Die Genetik, vor allem ihr jüngstes Teilgebiet, die Molekulargenetik mit ihren gentechnischen Methoden, ist in aller Munde - nicht nur im Zusammenhang mit Aufsehen erregenden Kriminalfällen, Vaterschaftstests oder Fälschungsnachweisen. Wie kaum ein anderer Wissenschaftszweig berührt die moderne Genetik heute unser tägliches Leben: In Amerika kann man seit 1994 gentechnisch manipulierte »Anti-Matsch-Tomaten« kaufen, seit Herbst 1996 führt Deutschland aus den USA gentechnisch verändertes Soja ein, das zur Lebensmittelherstellung verwendet wird. Ärzte und ihre Patienten verfügen dank der molekulargenetischen Forschung über neue Diagnosemöglichkeiten und hoffen auf Therapiekonzepte für Krankheiten, die bislang unheilbar sind. Zahlreiche Gentests sind auf dem Markt, gentherapeutische Konzepte werden in Kliniken erprobt, mit Hilfe gentechnischer Methoden hergestellte Arzneimittel haben sich längst durchgesetzt.
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Von Dolly bis Copycat Ebenso groß wie die Hoffnungen sind die Ängste, die die moderne Genetik wachruft. Sie ist nach wie vor derjenige Wissenschaftszweig, um dessen Resultate und deren gesellschaftliche Konsequenzen am heftigsten gestritten wird. Einer der aufsehenerregendsten Höhepunkte moderner biotechnischer Forschung war die Geburt von Dolly, des ersten künstlich geklonten Säugetiers der Welt, im Sommer des Jahres 1996. Das Besondere an Dolly: Das Tier war nicht aus der Verschmelzung einer Ei mit einer Samenzelle hervorgegangen, sondern mittels raffinierter reproduktionsbiologischer Techniken aus einer Eizelle geschaffen worden, der man zuvor das Erbgut der Zelle eines bereits erwachsenen Schafs eingepflanzt hatte. Das bedeutet: Dolly ist genetisch identisch mit dem Schaf, das Jahre vor Dolly zur Welt gekommen war. Die sich daraus ableitende theoretische Möglichkeit, aus Körperzellen auch Menschen identisch zu vervielfältigen, provozierte weltweite Empörung. Die vom Klon-Schaf Dolly ausgelösten Wogen glätteten sich zunächst etwas, nachdem renommierte Wissenschaftler Zweifel angemeldet hatten, ob Dolly tatsächlich aus einer erwachsenen Zelle entstanden ist. Inzwischen sind die letzten Zweifel am »Dolly«-Verfahren ausgeräumt. Die beiden Molekularbiologen Rudolf Jaenisch und Konrad Hochedlinger vom Massachusetts Institute of Technology in Boston haben mit Experimenten an Mäusen nachweisen können, dass das Klonen von Organismen aus völlig ausgereiften Körperzellen tatsächlich möglich ist. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler im Februar 2001 in der Online-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins ›Nature‹.
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Dolly sind zwischenzeitlich zahlreiche andere Klontiere Mäuse, Rinder und Schweine - gefolgt. Die bislang jüngsten Produktionen aus den Laboratorien der Klonforscher sind Katzen und Kaninchen. Amerikanische Forscher präsentierten das erste flauschige Katzenjunge im Februar 2002 in Texas. Sie gaben dem Tier den sinnigen Namen CC - wahlweise für »copycat« oder »carbon copy«, englisch: Durchschlag. Im April 2002 klonten französische Forscher die ersten Kaninchen. Das nächste geklonte Säugetier könnte ein Hund sein: Ein amerikanisches Ehepaar hat der Universität von College Station rund vier Millionen Euro überlassen, um ihren Hund Missy kopieren zu lassen. Im Spätjahr 2001 berichteten amerikanische Forscher, sie hätten zu medizinischen Zwecken Vorstufen menschlicher Embryonen geklont, die nach wenigen Zellteilungen abstarben. Klonärzte wie der amerikanische Mediziner Panayiotis Zavos und der italienische Frauenarzt Severino Antinori oder die Raelianer-Sekte tragen unermüdlich der Öffentlichkeit vor, Menschen klonen zu wollen. Von solchen wissenschaftlich wie ethisch höchst zweifelhaften Vorhaben abgesehen, preisen auch einige renommierte Wissenschaftler das Klonen wie eine biotechnologische Offenbarung. Sie erhoffen sich zum Beispiel vom so genannten therapeutischen Klonen die Lösung für große medizinische Probleme, etwa den eklatanten Mangel an Spenderorganen für Transplantationen. Mit Hilfe des therapeutischen Klonens hoffen, sie Ersatzorgane im Labor heranzüchten zu können, um sie schwerkranken Menschen zu übertragen. Ob das jemals einwandfrei und ohne Risiken funktionieren wird, kann derzeit niemand sagen. Währenddessen mahnt der Schöpfer des Klonschafes, Jan Wilmut vom schottischen Roslin-Institut, immer wieder zu Selbstbeschränkung und wissenschaftlicher Selbstkritik. Sorgen bereitet ihm das unschuldige Schaf Dolly. Es leidet an Arthritis - 15 -
im Hüft- und Kniegelenk. Wie Ian Wilmut Anfang 2002 in der britischen BBC berichtete, berunruhigt ihn dies, weil Dolly mit einem Alter von knapp fünf Jahren eigentlich noch zu jung für diese Erkrankung ist. Er fürchtet, dass der frühe Ausbruch vielleicht etwas mit dem Klonen zu tun haben könnte. Auffällig sei außerdem, »dass eine ungewöhnliche Häufung von Todesfällen bei der Geburt geklonter Tiere« beobachtet worden wäre, sagte Wilmut. Geklonte Tiere, vermutet er, verfügten möglicherweise über ein unvollkommenes oder unzureichend organisiertes Erbgut und seien deshalb anfälliger für Krankheiten. Wie es auch immer mit Dolly und ihren zahlreichen Nachfolgern weitergehen wird oder welche weiteren Sensationen aus den reproduktions- und molekularbiologischen Labors dieser Welt demnächst die Gemüter erregen werden - das Rad der genetischen Erkenntnis ist nicht mehr zurückzudrehen. Die Gentechnik, erklärt der führende deutsche Genforscher Ernst-Ludwig Winnacker, Professor am Institut für Biochemie der Universität München, »ist genauso ein Teil von uns und unserer Kultur geworden wie die neuen Medien. Es gilt also, sich mit dem Phänomen auseinander zu setzen und in den Prozess der Güterabwägung einzutreten.« Die Themen, die dabei zu diskutieren seien, stimmen seine Fachkollegen, die international renommierten Genetiker Joseph Levine und David Suzuki zu, dürften nicht auf Laboratorien oder wissenschaftliche Fachzeitschriften beschränkt werden. Wichtig ist eine öffentliche Debatte über die Bestimmung und das Ziel der modernen Genetik. Dies erlange besondere Bedeutung, schreiben Levine und Suzuki in ihrem Buch ›Das Lebensmolekül‹ im Hinblick auf die »explosive Steigerung unserer gentechnischen Fähigkeiten und die gelegentlich absurden Behauptungen ihrer glühendsten Befürworter«. Angesichts der großen Bedeutung der molekularen Genetik für Gegenwart und Zukunft ist kaum mehr zu glauben, dass - 16 -
diese Entwicklung einst in einem kleinen Gärtchen eines abgeschiedenen Klosters begann.
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Die Suche nach dem Molekül des Lebens Ein Erbsenbeet im Klostergarten Am 22. Juli 1822 kam im schlesischen Heinzendorf der Junge Johann zur Welt. Er blieb der einzige Sohn eines armen Landwirts und hätte die bäuerliche Tradition seiner Familie zweifellos fortgesetzt, wäre nicht schon früh sein wacher Verstand aufgefallen. Einem Dorfschullehrer verdankte Johann einen Platz im Gymnasium von Troppau, dem heutigen Opava. Johanns drei Schwestern opferten einen Großteil ihrer Aussteuer, damit er seine Ausbildung am Philosophischen Institut in Olmütz fortsetzen konnte. Im Alter von 21 Jahren trat der kluge Bauernsohn als Novize dem Augustinerkloster St. Thomas in Brünn bei. Brünn gehörte damals zu Österreich, heute liegt es in der Tschechischen Republik. Der Eintritt ins Kloster ermöglichte es ihm, von Oktober 1851 bis August 1853 an der berühmten Universität von Wien zu studieren. Seine Fächer waren Mathematik, Physik, Chemie, Zoologie, Entomologie und Botanik. Das Abschlussexamen bestand Johann, der sich mittlerweile den Ordensnamen Gregor zugelegt hatte, zwar nicht, dennoch beeinflusste ihn seine Universitätszeit nachhaltig. Insbesondere die Mathematik und die Botanik hatten es ihm angetan, was sich bald in einem Projekt niederschlagen sollte, das er mit größter Akribie betrieb: Er kreuzte Erbsenpflanzen - eine Tätigkeit, die Gregor Johann Mendel, so sein vollständiger Name, als »Vater der Vererbungslehre« in die Geschichte eingehen ließ. Doch bis es soweit war, sollte noch viel Zeit vergehen. Die Geschichte nimmt ihren Lauf mit einem Besuch Mendels beim örtlichen Samenhändler. Dort erwarb er im Jahr 1854 insgesamt 34 Erbsenvarietäten, vorwiegend Pisum sativum. In - 18 -
ersten Testreihen prüfte er die Pflanzen und wählte schließlich 21 Sorten aus, um sie ab dem Jahr 1856 im Klostergarten von Brünn anzupflanzen und miteinander zu kreuzen. Das Areal, das ihm zur Verfügung stand, war nur klein: 35 Meter in der Breite und sieben Meter in der Länge. Dennoch grünten und blühten dort im Frühling Hunderte von Erbsenpflanzen, die Mendel künstlich befruchtete. Dazu öffnete er mit einer Pinzette die Blütenknospe, entfernte behutsam die Staubfäden und strich mit einem feinen Pinselchen den Blütenstaub einer anderen Pflanze auf die zarte Narbe. Anschließend umhüllte er die so präparierte Blüte mit einem weißen Tüllsäckchen. Es verhinderte, dass nicht irgendein unvorsichtiges Bienchen die Pollen einer fremden Blüte auf die bereits bestäubte Narbe trug und so das Resultat der mühsamen Arbeit zunichte machte. Stolze 13000 Kreuzungsversuche sollen es in acht Jahren gewesen sein, die Gregor Mendel sorgfältig auszählte und dokumentierte. Seine Ergebnisse schrieb er im Jahr 1865 kurz und präzise in einem 48 Seiten umfassenden Aufsatz mit dem Titel ›Versuche mit Pflanzenhybriden‹ nieder. Der erste Satz lautete: »Künstliche Befruchtungen, welche an Zierpflanzen deshalb vorgenommen wurden, um neue Farbvarianten zu erzielen, waren die Veranlassung zu den Versuchen, die hier diskutiert werden sollen.« Dieser schlichte Satz lässt kaum die bahnbrechende Bedeutung der Arbeit erahnen. Entsprechend erging es den Mitgliedern des Naturforschenden Vereins, denen Mendel seine Ergebnisse im selben Jahr in zwei Vorlesungen am 8. Februar und 8. März 1865 vortrug. Auch nach der Veröffentlichung des Aufsatzes in den ›Verhandlungen des Naturforschenden Vereins Brünn‹ im Jahr 1866 gab es kaum Reaktionen aus der wissenschaftlichen Welt, obwohl die Arbeit an mindestens 55 Bibliotheken und berühmte wissenschaftliche Gesellschaften wie die Royal Society und die Linnean Society in London - 19 -
verschickt wurde. Elf Kopien von Mendels Erbsenartikel gelangten vor der Jahrhundertwende sogar in die Vereinigten Staaten. Mendel selbst sorgte für die Verbreitung seiner Arbeit und entsandte seinen Artikel an renommierte Botaniker der damaligen Zeit, etwa an A. Kerner von Marilaun, Professor an der Universität Innsbruck. Der scheint die Arbeit des in seinen Augen unbedeutenden mährischen Mönches erst gar nicht gelesen zu haben; nach seinem Tod im Jahr 1878 fand man Mendels Artikel mit noch ungeöffneten Seiten. Mit Carl Wilhelm Naegeli, dem wohl führenden Botaniker seiner Zeit, korrespondierte Mendel sieben Jahre lang. Doch auch Naegeli zollte der Arbeit des Mönches kaum Aufmerksamkeit und sprach von Mendels Resultaten »mit misstrauischer Vorsicht«. Die Zeit war nicht reif für Mendels geniale Überlegungen. Erst über drei Jahrzehnte später erkannten und bestätigten Wissenschaftler die Bedeutung seiner Experimente. Für Gregor Mendel, den emsigen und bescheidenen Naturforscher, der sich nicht nur für die Pflanzenwelt, sondern auch für Astronomie und Meteorologie sowie für die Vererbung der Tiere und Menschen interessierte (er studierte beispielsweise die Stammbäume alteingesessener Brünner Bürger, um zu erfahren, wie Menschen ihre physischen Merkmale von einer Generation zur nächsten weitergeben), kam die Anerkennung zu spät: Er starb am 6. Januar 1884 als Abt des Brünner Klosters. Im Jahr 1871 hatte er seine wissenschaftliche Tätigkeit zugunsten seiner klösterlichen Leitungspflichten aufgegeben. Mit etwas mehr wissenschaftlicher Anerkennung hätte er das vielleicht nicht so kompromisslos getan:
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Kreuzt man je eine Wunderblume mit roten und weißen Blüten (Eltern) und sät die Samen aus, dann wachsen in der nächsten Generation (1-Mischlingsgeneration) nur Pflanzen mit rosafarbenen Blüten. Dies ist das erste Mendelsche Gesetz (Uniformitätsgesetz). Kreuzt man die Blüten der 1. Mischlingsgeneration untereinander, entstehen in der 2. Mischlingsgeneration Pflanzen mit rosafarbenen Blüten (ungefähr die Hälfte), roten (rund ein Viertel) und weißen Blüten (ein weiteres Viertel). Das ist das zweite Mendelsche Gesetz (Spaltungsgesetz). Bestäubt man die Pflanzen weiterhin nur mit den Pollen von gleichfarbigen Blüten, so entstehen aus den weißblühenden Pflanzen in allen Folgegenerationen wieder Pflanzen mit weißen Blüten, aus den rotblühenden entstehen immer wieder rot blühende Pflanzen. Die rosafarbenen Blumen hingegen spalten sich in der nächsten Generation wieder nach dem Zahlgesetz 2:1:1 auf.
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»Ich bin wirklich unglücklich darüber, meine Pflanzen und meine Bienen so vollständig vernachlässigen zu müssen«, gesteht Abt Gregor im Jahr 1873 in einem Brief an Carl Wilhelm Naegeli in München. Was die Wissenschaft Mendel zu verdanken hat, sind nicht nur die grundlegenden Gesetze der Vererbung, die heute als »Mendelsche Gesetze« weithin bekannt sind. Mendel bewies auch als erster, dass sich Vererbung überhaupt experimentell untersuchen lässt. Vererbung meint die Tatsache, dass Nachkommen dieselben Merkmale und Eigenschaften entwickeln wie ihre Eltern. Mendels sorgfältig geplante und peinlich genau durchgeführte Experimente beweisen, dass diese Merkmale durch unabhängige, stofflich fassbare Faktoren - er nannte sie »Elemente« - von einer Generation zur nächsten nach ganz bestimmten Zahlengesetzen weitergegeben werden. Dies stand im krassen Widerspruch zur Gelehrtenmeinung seiner Zeit. Mendels wissenschaftliche Zeitgenossen meinten, dass die Erblichkeit von Merkmalen auf magischen Lebenskräften oder nicht weiter definierten Blutfaktoren beruhen, die sich miteinander vermischen. Mendels Faktoren werden heute »Gene« genannt und die Lehre von der Vererbung »Genetik«. Der Fachbegriff »Gen« stammt übrigens nicht von Mendel. Er geht auf Wilhelm Johannsen zurück. Der dänische Biologe wählte das griechische Wort im Jahr 1909, weil es »kurz« sei und zudem »Vorzüge wegen der leichten Kombinierbarkeit mit anderen Bezeichnungen« biete. Gleichwohl stammen von Mendel Begriffe, die noch heute zum unverzichtbaren Basiswortschatz der Vererbungsforscher gehören, etwa die Begriffe »dominant« oder »rezessiv«. Was darunter zu verstehen ist, verdeutlicht eines von Mendels unzähligen Kreuzungsexperimenten. Er kreuzte zwei Erbsensippen, von denen eine rotviolett, die andere weiß blühte, säte die Samen aus und wartete gespannt, welche Farbe die - 22 -
Blüten der daraus hervorgehenden Pflanzen haben würden. Nach dem ersten Mendelschen Gesetz, auch »Uniformitätsgesetz« genannt, wäre zu erwarten, dass die Blütenfarbe der neuen Pflanzen, der »Mischlinge«, eine Mittelstellung zwischen den Farben ihrer Eltern einnehmen würde. Aus Rotviolett und Weiß hätten also rosafarbene Blüten resultiert. In vielen anderen Kreuzungsversuchen war das genau so eingetreten. Doch diesmal ging das Experiment anders aus: Die erste Mischlingsgeneration blühte durchweg rotviolett. Offensichtlich war die rötliche Blütenfarbe bei der Kreuzung dieser beiden Sorten die »durchsetzungsfähigere«. In der Sprache der Genetiker wird dieses ausschlaggebende Merkmal »dominant« genannt. Die weiße Blütenfarbe erwies sich als »schwächer«, sie kam in der ersten Mischlingsgeneration nicht zum Ausdruck: Sie verhielt sich »rezessiv«. Dass die Anlage - das Gen für die weiße Blütenfarbe - nicht etwa verloren gegangen ist, sondern im Verborgenen weiterwirkt, zeigt folgender Versuch: Kreuzt man die erste Mischlingsgeneration unter sich, dann taucht in der zweiten Mischlingsgeneration die weiße neben der rotvioletten Farbe in einem vorhersagbaren Zahlenverhältnis wieder auf. Diese Erkenntnis ist für das Verständnis der Vererbung von großer Bedeutung: Ein Merkmal kann im Erbgut enthalten sein, ohne dass es äußerlich in Erscheinung tritt. Alle derart grundlegenden Thesen der modernen Genetik haben ihren Ursprung bei Mendel. Sie lauten zusammengefasst: - Vererbung wird durch zahlreiche Faktoren gesteuert, die man Gene nennt. Als getrennte physische Einheiten sind sie in allen lebenden Organismen vorhanden. - Jedes Lebewesen besitzt von jedem Gen zwei Kopien. Eine Kopie erbt es von seiner Mutter, die andere von seinem Vater. - 23 -
- Jedes Individuum gibt mit seinen Keimzellen (Ei- oder Samenzelle) nur eine Kopie jedes Gens an seine Nachkommen weiter. - Die Kopie eines Gens kann dabei in unterschiedlichen Versionen auftreten. Diese verschiedenen Varianten desselben Gens werden in der wissenschaftlichen Fachsprache »Allele« genannt. - Allele sind oft nicht gleichwertig: Ein Allel kann dominant über das andere sein und das weniger durchsetzungsfreudige, das rezessive Allel, überdecken. Wo die Gene aber sitzen und was Gene überhaupt sind - das wusste Mendel noch nicht. Dieses Rätsel lösten die Forscher im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts. Myriaden winziger Fliegen haben ihnen dabei geholfen.
Eigenartige anfärbbare Fäden Der mährische Mönch Gregor Mendel war dem biologischen Denken seiner Zeit um über drei Jahrzehnte voraus. Das Jahrhundert musste zu Ende gehen, bis andere Biologen die Bedeutung seiner Arbeiten verstanden. Die Zeit für die »unabhängige Aufspaltung von Faktoren« kam im Jahr 1900. Gleich drei Botaniker - der Deutsche Carl Correns (er war ein Schüler Naegelis), der Österreicher Erich von TschermakSeysenegg und der Holländer Hugo de Vries - waren aufgrund von Kreuzungsversuchen zu den gleichen Schlussfolgerungen gekommen wie Mendel. Vor der Veröffentlichung ihrer Experimente und Ergebnisse studierten sie wie üblich die vorliegende wissenschaftliche Literatur - und stießen dabei unabhängig voneinander auf Gregor Mendel. De Vries soll nach dem Lesen des mendelschen Artikels einem Schüler gegenüber bestürzt geäußert haben, dass die Ergebnisse seiner eigenen Experimente, die er für völlig neu gehalten hatte, bereits - 24 -
35 Jahre zuvor veröffentlicht worden waren. Correns, Tschermak und de Vries bestätigten schließlich, dass die Untersuchungen Mendels stichhaltig und sehr bedeutend waren: Die Vererbung erfolgte über definierbare, von Generation zu Generation weitergegebene Informationseinheiten - und nicht über irgendwelche sich diffus vermischende Flüssigkeiten. Zur Jahrhundertwende war die Wissenschaft der Genetik nach langer Anlaufzeit endlich geboren. Damit sie sich jedoch zu dem Teilgebiet der Biologie entwickeln konnte, wie wir es heute kennen, musste sie mit einer anderen Forschungsrichtung, der Lehre von den Zellen und ihrem inneren Aufbau, der Zytologie, zusammenfinden. Bei ihren Forschungsreisen in das Innere von Zellen hatten die Zytologen eigenartige »Fäden« entdeckt, von denen zunächst nicht mehr bekannt war, als dass sie sich mit basischen Farbstoffen leicht anfärben ließen. Sie nannten sie deshalb Chromosomen, gefärbte Körper (der Name ist abgeleitet von den griechischen Wörtern »chroma« = Farbe und »soma« = Körper). Die Entwicklung, die mit der Entdeckung der Chromosomen endete, begann bereits im Jahr 1665 und ist eng mit der Entwicklung der Mikroskopie verbunden. Damals entdeckte der Engländer Robert Hooke mit Hilfe des ersten zusammengesetzten Mikroskops die zelluläre Struktur des Flaschenkorks und begründete in der 1667 erschienenen ›Micrographia‹ den Begriff »Zelle«. Der holländische Naturforscher Antony van Leeuwenhoek war vermutlich der Erste, der die Kerne im Innern jeder Zelle zu Gesicht bekam; die deutschen Forscher Matthias Schleiden und Theodor Schwann wiesen im Jahr 1838 nach, dass der Kern an den Teilungen der Zelle beteiligt ist. Im Jahr 1842 machte der Botaniker Carl Wilhelm Naegeli, Mendels späterer Briefpartner, die Beobachtung, dass der Kern während der Zellteilung vorübergehend verschwindet. An seiner Stelle tauchten die - 25 -
geheimnisvollen anfärbbaren Zellbestandteile, die Chromosomen, auf. Naegeli nannte sie noch »transitorische Cytoblasten«, der Name Chromosom wurde erst 1888 geprägt. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde schließlich erkannt, dass sich die Chromosomen während der Teilung einer Körperzelle verdoppeln. Bei diesem als Mitose bezeichneten Vorgang entstehen zwei Tochterzellen, die mit der Mutterzelle identisch sind. Nach all diesen Beobachtungen war klar, dass es sich bei den Chromosomen nicht um irgendwelche unbedeutenden, anfärbbaren Zellkörperchen handeln konnte. August Friedrich Weismann, ein deutscher Arzt und Zoologe, äußerte 1885 erstmals den Verdacht, dass das auffällige Verhalten der Chromosomen während der Zellteilung wohl etwas mit der Weitergabe von Erbinformationen zu tun habe. Der deutsche Wissenschaftler Theodor Boveri begründete schließlich Ende des 19. Jahrhunderts die Chromosomentheorie der Vererbung. Sie besagt, dass die Chromosomen die Träger der von Mendel postulierten Erbanlagen sein müssen. Die Chromosomen sind in den Zellkernen in doppelter Ausführung vorhanden; von jedem Elternteil wird ein Chromosomensatz übernommen. Das war - in groben Zügen - der Kenntnisstand der Vererbungslehre Anfang des 20. Jahrhunderts. In den kommenden drei Jahrzehnten ging es bei der Aufklärung genetischer Fragen recht zügig voran: Dies hat die Wissenschaft dem amerikanischen Biologen Thomas Hunt Morgan zu verdanken - dem »Mendel des 20. Jahrhunderts«.
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Die Genetiker entdecken ihr Lieblingstier »Fliegenzimmer« wurde der Raum 613 in der Schermerhorn Hall der New Yorker Columbia University genannt. Er maß etwa sieben mal acht Meter und war voll gestopft mit acht Schreibplätzen, einem Labortisch und Hunderten von Viertelliter-Milchflaschen. Diese entstammten der Cafeteria der Columbia University, waren mit einem Baumwollpfropfen verschlossen und dienten einer Unzahl winziger Insekten als gläserne Heimstatt. Die winzigen Fliegen mit dem wissenschaftlichen Namen Drosophila melanogaster waren für den Biologen Thomas Hunt Morgan - dem »Herrn« des Fliegenzimmers - das, was die Gartenerbse für Mendel war: ein ideales Objekt für genetische Analysen. Denn die Frucht-, Tauoder Essigfliege, wie das Insekt umgangssprachlich genannt wird, bietet Genetikern gleich mehrere Vorteile: Sie ist leicht zu beschaffen, einfach zu halten und vermehrt sich in rascher Folge. Die Weibchen legen pro Eiablage Hunderte von Eiern, alle zwei Wochen schlüpft eine neue Generation. Außerdem hat Drosophila nur vier Chromosomenpaare, die unter dem Lichtmikroskop leicht zu unterscheiden sind. Morgan und seine Mitarbeiter Calvin Bridges, Arthur Sturtevant und Hermann Muller entdeckten Drosophila für die genetische Forschung, ein »Lieblingstier« der Genetiker ist sie bis zum heutigen Tag geblieben. Thomas Hunt Morgan, einer der ersten großen amerikanischen Biologen, war im Jahr 1903 an die Columbia University in New York gekommen. Die Wiederentdeckung von Mendels Arbeit hatte ihn dazu angeregt, den Genen und ihrem angeblichen Sitz auf den Chromosomen nachzugehen. Er selbst zweifelte an Mendels Schlussfolgerungen und der Chromosomentheorie und soll auf einem Treffen der - 27 -
Vereinigung amerikanischer Züchter im Jahr 1909 Mendels Ideen heftig angegriffen haben. Das Ziel Morgans war es, den in seinen Augen unglaubwürdigen »Mendelismus« anhand von Experimenten mit Drosophila kritisch zu prüfen, doch seine Versuche führten zunächst zu nichts. Dies mag ihn wohl zu der scherzhaften Bemerkung veranlasst haben, er mache drei Arten von Experimenten: »Törichte, ausgesprochen törichte und solche, die noch schlechter sind.« An einem Tag im Mai des Jahres 1910 sollte eines seiner törichten Experimente jedoch glücklich enden. Morgan entdeckte in einer seiner Milchflaschen eine Absonderlichkeit, auf die er gehofft hatte: eine Fliege mit weißen Augen.1 Normalerweise haben Drosophila-Fliegen rote Augen. Genetiker bezeichnen dieses normale Erscheinungsbild eines Erbmerkmals als »Wildtyp«. Eine Merkmalsausprägung, die von diesem Wildtyp abweicht, bezeichnen die Wissenschaftler 1 Von Fliegen und Menschen Mittels vergleichender Computeranalysen ist es den Wissenschaftlern inzwischen gelungen, die komplette Genkarte der Fruchtfliege Drosophila zusammenzusetzen. Das Mini-Insekt besitzt 13601 Erbanlagen, teilen Wissenschaftler der University of California in San Diego in einem Artikel in der Zeitschrift ›Science‹ im Jahr 2000 mit. Sechzig Prozent der Insektengene, fanden die Forscher zu ihrer Überraschung heraus, haben ein Pendant im menschlichen Erbgut. Die Vergleiche ergaben außerdem, dass es von 289 Genen, die Ärzte für Krankheiten beim Menschen verantwortlich machen, 177 Entsprechungen bei der Fruchtfliege gibt. Diese großen genetischen Ähnlichkeiten zwischen Fliege und Mensch sorgen dafür, dass die zierlichen Insekten noch immer die Stars molekularbiologischer Forschung sind. Drosophila ist nach wie vor ein bevorzugtes Modell, das Biologen in aller Welt nutzen, um etwas über die Funktion menschlicher Gene zu erfahren oder um Krankheiten besser zu verstehen, die von Genen mit verursacht werden. Wenn man heute in der Erforschung des Menschen Fortschritte erzielt, wertet der Pionier der Genforschung, François Jacob, den Beitrag von Drosophila, ist dies nur der kleinen Fliege zu verdanken.
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als »Mutante«. Sie beruht auf einer Erbänderung, einer Mutation. Eine derartige Mutation war es, die Morgan bei seinen Fliegen zwei Jahre lang mit Röntgenstrahlen und allerlei chemischen Substanzen auszulösen versuchte. Das Fliegenmännchen mit den weißen Augen war endlich der Mutant, auf den Morgan schon so lange gewartet hatte. Der amerikanische Forscher und Wissenschaftsautor Robert Shapiro beschreibt in seinem Buch ›Der Bauplan des Menschen‹, wie sich Morgan um seinen wertvollen Fund sorgte: »Die Fliege war schwächlich. Morgan soll er sie über Nacht nach Hause mitgenommen haben, wo sie in ihrer Flasche neben seinem Bett schlief, und brachte sie tagsüber wieder ins Labor zurück. Dort sammelte sie genug Kräfte, um sich mit einem normalen rotäugigen Weibchen zu paaren, bevor sie starb und ein Gen hinterließ, das sich zu einer erstaunlichen Abstammungslinie entwickeln sollte.« Das Erstaunliche war, dass sich das Merkmal »weiße Augen« in der Abstammungslinie immer nur bei Männchen fand. Auf irgendeine Weise war die Augenfarbe der Fliegen also mit ihrem Geschlecht verbunden. Wie Morgan schließlich herausfand, sitzt das Gen für die Augenfarbe ausschließlich auf dem X-Chromosom (einem der beiden Geschlechts-Chromosomen). Gene auf den GeschlechtsChromosomen bezeichnen die Wissenschaftler als geschlechtsgebundene Gene. Morgan war der Erste, der ein bestimmtes Gen einem bestimmten Chromosom zuordnen konnte. Damit war der Beweis erbracht, dass die Chromosomen tatsächlich die Orte der mendelschen Erbfaktoren sind. Von 1911 bis 1929 kartierten Morgan und seine Mitarbeiter Dutzende von Merkmalen auf den Chromosomen von Drosophila. Die Wissenschaftler entwickelten dabei viele Verfahren, die noch heute zu den Standardmethoden der - 29 -
genetischen Analyse gehören. Morgan blieb über dreißig Jahre lang der führende intellektuelle Kopf in der Genetik, im Jahr 1933 erhielt er den Nobelpreis für Medizin. Zu dieser Zeit war es, dass sich der Schwerpunkt der genetischen Forschung langsam verlagerte: Die Wissenschaftler interessierten sich zunehmend dafür, woraus Gene eigentlich bestehen. Es entwickelte sich ein neuer Zweig der Genetik, die Molekulargenetik. Wenn das Gen eine physische Einheit darstelle, so die Überlegung, dann müsse es sich auch wie jeder andere Bestandteil der Zelle mit Hilfe von biophysikalischen oder biochemischen Methoden bis in seine Moleküle untersuchen lassen. Die chemische Struktur des genetischen Materials aufzuklären, wurde zum wichtigsten Ziel der Molekulargenetiker, der folgende Wettlauf um die Enträtselung der molekularen Grundlagen der Vererbung endete erst im Jahr 1953 - der Amerikaner James Watson und der Engländer Francis Crick erkannten die Struktur des Erbmoleküls »Desoxyribonukleinsäure« (DNS, engl. DNA), des berühmtesten Moleküls unserer Zeit, des Moleküls des Lebens.
Eine dumme Substanz Das Wesen der Erbanlagen blieb bis in die Mitte unseres Jahrhunderts ein Geheimnis. Der chemischen Struktur der Gene sehr nahe war ein junger Wissenschaftler jedoch schon, als Mendel seine Arbeit gerade veröffentlicht hatte (1865). Dieser junge Wissenschaftler hieß Johann Friedrich Miescher, ein Schweizer Biochemiker, der ab 1868 im Labor des berühmten deutschen Biologen Felix Hoppe-Seyler in Tübingen arbeitete. Miescher interessierte sich für die Chemie des Zellkerns, der in der wissenschaftlichen Sprache »Nukleus« genannt wird. Aus den Zellkernen weißer Blutkörperchen isolierte er schließlich eine Substanz, die er aufgrund ihrer Herkunft »Nuklein« nannte.
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Miescher vermutete zunächst, dass es sich bei Nuklein um ein Eiweiß (Protein) handele. Doch seine Substanz zeigte nicht die Eigenschaften, die Proteine normalerweise haben. Außer den Elementen, die in Eiweißen häufig vorkommen, enthielt sein Nuklein reichlich Phosphor. Die Forscher dachten zunächst, dass es sich bei dem Phosphor um eine Verunreinigung handele, doch Miescher zeigte, dass der Phosphor an ein großes Molekül gebunden war, das von manchen als »Nukleinsäure« bezeichnet wurde. Miescher war sich nicht bewusst, dass er den Stoff, aus dem die Gene sind, entdeckt hatte, aber er entwarf in einem Brief eine weit vorausschauende Theorie: Große organische Moleküle, meinte Miescher, könnten möglicherweise die Träger der Erbfaktoren sein, »geradeso, wie sich die Wörter und Begriffe aller Sprachen in rund dreißig Buchstaben des Alphabets ausdrücken lassen«. Seine Vorstellung sollte sich im Wesentlichen als richtig erweisen. Miescher glaubte allerdings, dass als Träger für die Erbinformation nur Proteine in Betracht kommen könnten. Des von Miescher entdeckten Nukleins nahm sich 1879 der deutsche Physiologe Albrecht Kossel an. Er isolierte die phosphorreiche Substanz aus Hefezellen, analysierte sie und veröffentlichte seine Ergebnisse im Jahr 1882 in seiner Arbeit ›Zur Chemie des Zellkerns‹. »Die Nukleinstoffe«, heißt es darin, seien dem Zellkern »wirklich eigentümlich«. Außer Phosphor, erkannte Kossel, besteht die Nukleinsäure aus Zuckermolekülen und aus vier Basen: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Damit hatte Kossel alle Bausteine der Nukleinsäure erkannt, die heute - chemisch präzise - als Desoxyribonukleinsäure, kurz DNS, bezeichnet wird. Kossels Erkenntnis wurde im Jahr 1910 mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt. Damals hat wohl kaum einer die Substanz mit den Genen in Verbindung gebracht, Kossel selbst scheint jedoch geahnt zu - 31 -
haben, dass der Nukleinsäure eine besondere Bedeutung zukommt. In seinem Nobelpreisvortrag am 12. Dezember 1910 spricht er davon, dass die wissenschaftliche Wissbegierde durch die gewonnenen Erkenntnisse zwar angeregt, aber lange nicht befriedigt sei: »Es ist noch ein weiter Weg von der Betrachtung einzelner Bruchstücke des Apparates bis zum Verständnis seiner Wirkungsweise.« Ein weiteres »einzelnes Bruchstück« zum Verständnis der Wirkungsweise des Moleküls lieferte Robert Feulgen, ein deutscher Chemiker und Physiologe. Ihm gelang es im Jahr 1924, die Nukleinsäure anzufärben. Dadurch konnte gezeigt werden, dass diese im Innern des Zellkerns und dort wiederum in den Chromosomen enthalten ist. Die Chromosomen aber waren jene Strukturen, welche die Wissenschaftler schon lange mit der Vererbung in Beziehung setzten. Doch die Chromosomen bestehen nicht nur aus Nukleinsäure, sondern auch aus Proteinen. Da es sich bei der Nukleinsäure um ein vergleichsweise einfach aufgebautes Molekül handelt, glaubten die meisten Forscher nicht daran, dass sie als Trägerin der Erbinformation in Frage kommen könne. Nur äußerst verwickelte Strukturen waren ihrer Ansicht nach denkbar, mussten sie doch die Fülle der Informationen für den lebenden Organismus auf kleinsten Raum zusammengedrängt in sich bergen. Da Eiweißstoffe von allen chemischen Verbindungen die kompliziertesten sind, waren die meisten Biologen davon überzeugt, dass nur die vielfältigen Proteine die Träger der Erbanlagen sein könnten. Diese Sichtweise hielt sich hartnäckig, denn sie war ausgesprochen plausibel. Der deutsche Wissenschaftler Max Delbrück, einer der Vordenker der modernen Molekularbiologie, kommentierte die weit verbreitete Einschätzung einmal mit den Worten: »Damals glaubte man, die DNS sei eine dumme Substanz.« Allmählich mussten jedoch auch die hartnäckigsten Zweifler eingestehen, dass die - 32 -
Desoxyribonukleinsäure mehr war als ein simpel zusammengesetztes Molekül. Der Grund waren Experimente mit unerwarteten Ergebnissen, die die Wissenschaftler zunächst vor ein Rätsel stellten.
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Ein neues Kapitel der Biologie beginnt »Transformation«, Umwandlung, wird heute ein Vorgang genannt, den der britische Forscher Frederick Griffith im Jahr 1928 erstmals beobachtete. Der Vorgang war so mysteriös, dass die meisten seiner wissenschaftlichen Zeitgenossen den Experimenten nicht trauten. Griffith arbeitete mit Bakterien, von denen es zwei verschiedene Stämme gab: Der eine Bakterienstamm war krankheitsauslösend, der andere nicht. Mit beiden Stämmen machte Griffith seine Experimente. Sie verliefen unspektakulär, eben so, wie Griffith es vorausgesagt hatte. Ein Versuch aber endete mit einem völlig unerwarteten Ergebnis: Griffith hatte in eine Maus die Bakterien des krank machenden Stammes gespritzt. Die Bakterien hatte er zuvor abgetötet, so dass sie (eigentlich) keine Krankheit mehr hervorrufen sollten. Gleichzeitig mit den toten, krank machenden Bakterien injizierte Griffith der Maus Bakterien des harmlosen Stammes. Diese Bakterien hatte er nicht abgetötet; sie waren munter und fidel und hätten (eigentlich) nichts anrichten dürfen. Das Tier wurde dennoch schwer krank. Aber weshalb? Auf diese Frage gab es nur zwei Antworten: Griffith hatte nicht sauber gearbeitet - oder eine krank machende Information, ein »transformierendes Prinzip«, war von den toten Bakterien auf die lebenden übergewechselt. Was sich hinter dem geheimnisvollen Transformationsprinzip verbergen könnte, interessierte den Wissenschaftler Oswald Avery vom Rockefeller Institute in New York. Er arbeitete 16 lange Jahre unermüdlich und veröffentlichte am 1. Februar 1944 in einer Fachzeitschrift das Ergebnis seiner Experimente: Was die harmlosen Bakterien in krank machende umwandelte,
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war die Desoxyribonukleinsäure.2 Die DNS, so seine Schlussfolgerung, war das transformierende Prinzip und damit 2
Vom Wesen der Gene Die Trägerin der Erbmasse in den Chromosomen ist die Desoxyribonukleinsäure, kurz DNS. Jedes Chromosom enthält eine einzige ununterbrochene DNS-Doppelhelix. Würde man das DNSMolekül ausstrecken, wäre es rund sechs Zentimeter lang und damit tausendmal länger als der Durchmesser des Zellkerns. Die DNS aller 46 Chromosomen der menschlichen Zelle zusammen würde vier Meter messen. Ein Gen entspricht einem bestimmten Abschnitt dieses langen Fadens. Ein DNS-Molekül ist aus einer großen Anzahl von Atomen aufgebaut, dennoch ist es vergleichsweise einfach zusammengesetzt. Das Molekül besteht aus vielen Tausenden sich wiederholenden Bausteinen. Diese Grundbausteine nennen die Wissenschaftler Nukleotide. Sie fügen sich zu einer langen Kette aneinander. Jeder Nukleotid-Grundbaustein setzt sich wiederum aus drei kleineren Bausteinen zusammen: einem Zucker, einer Phosphorverbindung und einer Base. Unter Basen versteht der Chemiker das Gegenteil von Säuren. Zucker gibt es vielerlei; der Zucker im DNS-Molekül heißt Desoxyribose. Deshalb auch der Name Desoxyribonukleinsäure. In der Kette des DNS-Moleküls wechseln Zucker und Phosphat miteinander ab; die Base ragt seitlich heraus, sie ist der bedeutendste Teil in der DNS-Kette. Vier Basen kommen insgesamt in der DNS vor: Cytosin (C), Guanin (G), Adenin (A) und Thymin (T). Von ihnen enthält jeder Nukleotid-Grundbaustein jeweils eine. Eine bestimmte Reihenfolge wird dabei nicht eingehalten, die Basen wechseln vielmehr so unregelmäßig wie die Buchstaben in den Wörtern. Noch ist das Bild der DNS, wie es von Watson und Crick entworfen wurde, unvollständig. Denn die DNS besteht nicht nur aus einer Kette, sondern aus zweien. Das Gesamtmolekül ist eine Doppelhelix, eine Doppelspirale. Damit sich diese Doppelspirale bilden kann, fügen sich zwei DNS-Ketten parallel aneinander. Die Verbindung zwischen beiden Ketten stellen die Basen her, sie halten die Stränge zusammen - wie die Sprossen die Holme einer Leiter. Dabei paaren sich immer Adenin mit Thymin und Cytosin mit Guanin. Aus chemisch-physikalischen Gründen passen jeweils diese beiden Basen zusammen wie Schlüssel und Schloss; sie sind komplementär. Die Komplementarität ist von entscheidender Bedeutung für die identische Verdopplung der Erbanlagen. Durch alle zehn Basenpaare (oder Leitersprossen) windet
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der Stoff, aus dem die Gene sind. Obwohl Averys Experimente so sorgfältig durchgeführt waren, dass man ihm keine Fehler sich die Doppelhelix, wobei ihr charakteristisches spiralförmiges Aussehen entsteht. Unsere Struktur ist sehr schön, schrieb Francis Crick im Jahr 1953.
Sie ist wie ein Code. Wenn man eine Reihe von Buchstaben hat kann man unterschiedlichste Wörter schreiben. Jetzt glauben wir daran, dass die DNS ein Code ist. Das heißt, die Reihenfolge der Basen (der Buchstaben) unterscheidet ein Gen von einem anderen Gen (genauso wie sich eine Druckseite von einer anderen unterscheidet). Was Crick vermutet hatte, bestätigte sich: Die Aufeinanderfolge der verschiedenen Basen gibt jeder Erbanlage ihre spezifische Bedeutung. Jedes Gen besteht aus einer Folge von einigen hundert bis weit über tausend Nukleotiden.
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nachweisen konnte, wurde seine Entdeckung mit erheblicher Skepsis zur Kenntnis genommen. Proteine seien die besseren Kandidaten für das genetische Material, war nach wie vor die vorherrschende Meinung der Wissenschaftler, zumal sich kaum jemand vorstellen konnte, wie die Erbinformation in der DNS verschlüsselt sein sollte. Nur wenige teilten Averys Ansicht, unter ihnen der prominente österreichische Biochemiker Erwin Chargaff. Er schrieb zu Averys Entdeckung rückblickend: Sie machte »Eindruck auf manche, nicht auf viele, aber wahrscheinlich auf niemanden einen tieferen als auf mich. (...) Ich erkannte in verschwommenen Umrissen den Beginn eines neuen Kapitels der Biologie.« Chargaff, der in den vierziger Jahren an der Columbia University in New York arbeitete, verlegte seine Forschungsarbeiten auf die DNS und lieferte sehr überzeugende Beweise, die für die DNS als genetisches Material der Zellen sprachen. Bald entwickelte sich ein Wettkampf zwischen verschiedenen Forschungslabors. An dem Rennen um den wissenschaftlichen Ruhm beteiligten sich auch zwei noch vergleichsweise unerfahrene Forscher namens James Watson und Francis Crick.
Zwei Straßenhändler auf der Suche nach einer Helix: Die Struktur der Erbsubstanz wird entdeckt »Was ist Leben?« Dieser Frage ging Erwin Schrödinger 1944 in seinem gleichnamigen philosophischen Buch nach. Eine konkrete Antwort konnte Schrödinger zwar nicht geben, aber er stellte eine bemerkenswerte These auf: Lebende Materie, meinte der berühmte Physiker, könne mit physikalischen Begriffen wie Atomen und Molekülen beschrieben werden. Diesen Gedanken hatte vor ihm schon ein ganz anderer, der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Thomas Mann in seinem im Jahr 1924 erschienenen Roman ›Der Zauberberg‹ formuliert. Auf die Frage »Was ist Leben?« ist da im Kapitel ›Forschungen‹ von - 37 -
»Molekülgruppen, den Übergang bildend zwischen Lebensordnung und bloßer Chemie« die Rede. Die weit vorausschauende Einsicht in die Struktur des Lebens hatte Thomas Mann dem Studium des Lehrbuchs ›Allgemeine Biologie‹ von Oskar Hertwig zu verdanken, wo die Nukleinsäuren als die mutmaßlichen Träger des genetischen Gedächtnisses namentlich erwähnt sind. Die Idee, Leben physikalisch fassbar zu machen, hatte einen weitreichenden Einfluss auf viele Wissenschaftler. Sie fühlten sich herausgefordert, die zentrale Frage der Biologie - die nach der Natur des Lebens - auf molekularer Ebene zu lösen. Und eine der spannendsten Fragen in diesem Zusammenhang war, was chemisch betrachtet - ein Gen ist. Wie musste die molekulare Struktur des genetischen Materials, der Desoxyribonukleinsäure, überhaupt aussehen, um die Aufgabe als Erbträger zu erfüllen? Erwin Chargaff lieferte im Jahr 1947 den ersten bedeutenden Beitrag zur Aufklärung des molekularen Aufbaus der DNS. Er entdeckte eine eigenartige Regelmäßigkeit, die sich zunächst keiner so recht erklären konnte. Chargaff hatte Methoden entwickelt, mit denen er die Menge der Basen in der DNS - also Adenin und Guanin sowie Thymin und Cytosin - genau bestimmen konnte. Dabei stellte sich heraus, dass Adenin immer in der gleichen Menge vorhanden ist wie Thymin und Guanin immer in derselben wie Cytosin. Diese anteilige Übereinstimmung - sie wurde später als »Chargaff-Regel« bezeichnet - wies auf das molekulare Aussehen der DNS hin. Weitere entscheidende Hinweise lieferten die Biochemikerin Rosalind Franklin und der Physiker Maurice Wilkins vom King’s College in London. Wilkins hatte im Jahr 1950 von dem Wissenschaftler Rudolf Signer aus Bern die wahrscheinlich reinste DNS-Probe erhalten, die es zur damaligen Zeit gab. Diese Probe nutzte Wilkins zur so genannten RöntgenstrukturAnalyse. - 38 -
Dabei werden Röntgenstrahlen eingesetzt, um Molekülstrukturen sichtbar zu machen. Im Jahr 1951 kam die 31-jährige Rosalind Franklin aus Paris an das King’s College. Sie übernahm die Analyse der Signer-DNS, wobei ihr Aufnahmen gelangen, die eindeutig zeigten, dass die DNS eine Spirale ist, eine »Helix«. Rosalind Franklin kam der wahren Struktur der DNS sehr nahe. Ihr gelang das Foto, das Watson und Crick in die Lage versetzte, die Doppelhelixstruktur des DNS-Moleküls abzuleiten. Franklin, eine hervorragende Wissenschaftlerin, starb im Alter von nur 38 Jahren an Krebs. Ihr Kollege, Maurice Wilkins, nach dessen Methode sie arbeitete, erhielt zusammen mit Watson und Crick im Jahr 1962 den Nobelpreis für Medizin. Franklins Beitrag wurde nicht gewürdigt, weil Nobelpreise nicht posthum verliehen werden dürfen. Mit James Watson und Francis Crick hatten sich zwei Wissenschaftler im Cavendish Laboratory der Cambridge University mit recht unterschiedlichen Charakteren zusammengefunden. James Watson galt als Wunderkind. Bereits mit 15 Jahren besuchte er die University of Chicago, machte dort mit 19 Jahren sein Examen und drei Jahre später an der University of Indiana seinen Doktor. Nach Cambridge kam Watson im Jahr 1951 mit dem erklärten Ziel, die Gene zu erforschen. Dort traf er auf Francis Crick, der im Alter von 35 Jahren noch immer mit seiner Doktorarbeit beschäftigt war. Während eines Besuches bei Maurice Wilkins am King’s College in London sah Watson die Aufnahme eines Röntgenbeugungsmusters der DNS, die von Rosalind Franklin angefertigt war. Watson und Crick, die sich erst kurz kannten, beschlossen daraufhin, gemeinsam ein DNS-Modell zu konstruieren, das sich mit den Daten der RöntgenstrukturAnalyse vereinbaren ließ. Um sich die DNS besser vorstellen zu können, bastelten sich Watson und Crick verschiedene Modelle - 39 -
aus Holz, Papier und Draht und setzten die Bausteine der Nukleinsäure immer wieder neu nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum zusammen. Diese Vorgehensweise erschien manchem renommierten Wissenschaftler wenig vertrauenswürdig, etwa dem großen Erwin Chargaff, der mit den beiden Nachwuchsforschern zu einem Gedankenaustausch in ihrer »Bastelstube« zusammentraf. Chargaffs Urteil nach seinem Besuch: »Soweit ich es verstehen konnte, wollten die beiden, von keinerlei Kenntnis der einschlägigen Chemie beschwert, DNS irgendwie als Helix formulieren. Zwei Straßenhändler auf der Suche nach einer Helix.« Dennoch gelang es Watson und Crick - dem nach Chargaffs Meinung »schlecht zusammenpassenden Paar« - ein überzeugendes Modell der DNS vorzustellen. Am 25. April 1953 überraschten sie die wissenschaftliche Welt mit einem einseitigen Artikel in der Fachzeitschrift ›Nature‹. Darin berichten sie von einem neuen Molekülmodell der DNS: der Doppelhelix, dem heutigen Symbol der Molekulargenetik schlechthin. Die Doppelhelix kann man sich als eine Art Strickleiter mit starren Sprossen vorstellen, die man zu einer Spirale verdreht. Die Sprossen der Leiter bilden je zwei Basen; die Holme bestehen aus einer sich wiederholenden Folge von Phosphorsäure und Zuckermolekülen. Jetzt war die Architektur der DNS bekannt: Die von Watson und Crick beschriebene Doppelspirale war die seit langem gesuchte Struktur der Erbsubstanz. Was Mendel einst aufgrund theoretischer Überlegungen angenommen hatte, konnte nun chemisch erklärt werden: Mendels »Faktoren« erwiesen sich als bestimmte Abschnitte der Desoxyribonukleinsäure. Die 1953 von Watson und Crick in der Fachzeitschrift ›Nature‹ veröffentlichten Erkenntnisse sind ein Meilenstein in der Geschichte der Naturwissenschaft. Denn die beiden Wissenschaftler stellten nicht allein eine molekulare Struktur - 40 -
vor: Mit ihr konnte endlich auch eine zentrale Frage der Biologie beantwortet werden: Wie verdoppeln sich Gene, wie also wird das Erbgut weitergegeben? Aus der charakteristischen Struktur des DNS-Moleküls ließ sich auch seine Funktion ablesen: Der Schlüssel zum lange gesuchten Kopiermechanismus der Gene lag in der Basenpaarung. Bei Watson und Crick liest sich diese bedeutende Erkenntnis so: »Es ist uns nicht entgangen, dass die spezifische Paarung, die wir postuliert haben, einen möglichen Kopiermechanismus unmittelbar nahe legt.« Dieser Mechanismus ermöglicht es der DNS, sich selbst zu reproduzieren. Um diese identische, vor jeder Zellteilung erfolgende Verdopplung zu ermöglichen, lösen sich die Bindungen zwischen den einander gegenüberstehenden Basen. Dabei öffnet sich die Doppelkette des DNS-Moleküls wie ein Reißverschluss. An den jetzt offenen »Zähnen« des Reißverschlusses lagern sich neue Einzelbausteine an, die in der Umgebung vorhanden sind. Die getrennten Ketten ergänzen sich wieder zu Doppelketten, indem sich jede Base aus der Vorratssuppe mit der zu ihr passenden komplementären verbindet. Auf diese Weise gehen aus einem Doppelfaden des DNS-Moleküls zwei hervor, die einander völlig gleichen: Der wesentliche Punkt ist, dass die Reihenfolge der Basenpaare wieder dieselbe ist. Der komplette Vorgang, bei dem die DNS sich selbst kopiert, wird in der wissenschaftlichen Fachsprache »DNS-Replikation« genannt. Die Forscher kennen heute viele der Einzelschritte des komplizierten Kopiermechanismus, an dem ganze Teams von Enzymen und anderen Proteinen als Helfer beteiligt sind. Was die Wissenschaftler jedoch immer wieder staunen lässt, ist, dass die DNS-Replikation so frappierend schnell und trotz ihrer Komplexität mit erstaunlich wenig Fehlern abläuft.
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Mit der Aufklärung der Genstruktur war die Forschung bis zu den Molekülen vorgedrungen. Mit ihren neuen Methoden trennte sich die Molekulargenetik mehr und mehr von der klassischen Vererbungslehre ab. Der neue Wissenschaftszweig der molekularen Genetik erlebte in den folgenden Jahren einen rapiden Aufschwung, und seine rasante Weiterentwicklung hält unvermindert an. Einen »großartigen Augenblick für die Wissenschaft« nennt der amerikanische Genforscher Robert Shapiro rückblickend den Beitrag von Watson und Crick: »Die physikalische Wissenschaft und die Genetik hatten gemeinsam das tiefste Geheimnis der Vererbung aufgedeckt.« Jetzt war bekannt, was ein Gen chemisch ist (der Abschnitt eines DNSMoleküls) und wie sich Gene verdoppeln (durch den Vorgang der DNS-Replikation). Aber mit der Weitergabe der Gene von Zelle zu Zelle allein konnte es ja kaum getan sein. Wie wirken die Erbanlagen? Was tun Gene? Wie lassen sie körperliche Merkmale wie braune, blaue oder grüne Augen, Körpergröße, Hautfarbe oder die Blutgruppe eines Menschen entstehen? Dazu mussten die Wissenschaftler erst die Sprache der Gene erlernen.
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Immer, wenn sich eine Zelle teilt, müssen auch die Erbanlagen identisch verdoppelt werden. Dazu öffnet sich die Doppelkette des DNS-Moleküls wie ein Reißverschluss. An die jetzt frei werdenden Reißverschlusshaken (es sind die Basen der DNS: A=Adenin, T=Thymin, C=Cytosin, G=Guanin) lagern sich passende Einzelbausteine (freie Basen) an; der Reißverschluss schließt sich wieder. Auf diese Weise gehen aus einem Doppelfaden des DNSMoleküls zwei Doppelfäden hervor, die sich völlig gleichen, das heißt, die Abfolge der Basen ist identisch.
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Sie mussten verstehen, wie Gene sich »ausdrücken« oder - wie die Molekulargenetiker sagen - wie sie sich »exprimieren«. Der wissenschaftliche Begriff »Genexpression« meint: Informationen, die in den Genen enthalten sind, werden der Zelle zugänglich gemacht. In der DNS sind die Anweisungen niedergelegt, die die Entwicklung und die Körperfunktionen des Menschen steuern. »Wie eine alte Tradition« schrieb einmal der berühmte deutsche Zoologe und Nobelpreisträger Karl von Frisch, würden im Erbgeschehen die Informationen für dieselben Entwicklungsvorgänge von Generation zu Generation getreulich überliefert. Um die komplexen Zusammenhänge verständlich zu machen, verglich Frisch die Weitergabe der genetischen Information mit der Weitergabe von Traditionen in menschlichen Kulturen durch die Symbole der Schrift: »Mit den 26 Buchstaben unseres Alphabets lässt sich alles Wissen, das die Menschheit bisher aufgespeichert hat, von einem zum anderen und von Generation zu Generation übermitteln. Man muss nur den Code kennen, den Schlüssel für die Bedeutung der Zeichen und ihrer Reihenfolge, um die Schrift zu entziffern.«
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Wie entsteht aus den Bauanleitungen, die in den Genen (Abschnitte der DNS im Zellkern) niedergeschrieben sind, ein Protein, das im Organismus seine ihm zugedachte Aufgabe erfüllt? Zunächst übernimmt ein Bote (eine Ribonukleinsäure, RNS) die genetische Information und trägt sie aus dem Zellkern zu den Ribosomen. Die Ribosomen sind diejenigen Orte im Zytoplasma, wo die Proteine aus einzelnen Aminosäuren, den Protein-Bausteinen, zusammengesetzt werden. Die im Zytoplasma schwimmenden Aminosäuren werden von einer anderen RNS, der Überträger-RNS, zu den Ribosomen gebracht. Der erste Schritt - die Überschreibung der genetischen Information von der DNS in die RNS - nennt sich Transkription; der zweite Schritt - die Übersetzung der genetischen Information in die Sprache der Proteine heißt Translation.
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Die Entzifferung des genetischen Codes Das erste »Wort« der genetischen Schrift entzifferte der amerikanische Biochemiker Marshall Nirenberg Anfang der sechziger Jahre. Bis zum Jahr 1965 hatten die Wissenschaftler die komplette Gensprache, den »genetischen Code«, entschlüsselt. Wie sich herausstellte, bilden jeweils drei Basen der DNS (also drei genetische Buchstaben) ein Wort. Jedes dieser Drei-Buchstaben-Worte (die Wissenschaftler nennen sie »Tripletts«) steht für eine Aminosäure. Heute kennen die Molekularbiologen für alle Aminosäuren die Dreiergruppen von Basen. Die Basenfolge Adenin, Adenin, Adenin (AAA) steht beispielsweise für die Aminosäure Phenylalanin, die Basenfolge Adenin, Adenin, Guanin (AAG) ist für die Aminosäure Serin zuständig, die Basenfolge Cytosin, Guanin, Thymin (CGT) codiert für die Aminosäure Alanin. Die Aminosäuren wiederum sind die chemischen Bausteine der Proteine, der Eiweiße.3] Das wussten die Chemiker schon 3
Proteine - Bausteine des Lebens Proteine (Eiweiße) sind äußerst vielfältige Moleküle. Je nachdem, aus welchen Aminosäuren sie zusammengesetzt sind und wie sich die lange Kette der Aminosäuren zusammenfaltet, können die Proteine unterschiedlichste Aufgaben übernehmen. Allen gemeinsam ist ihre zentrale Bedeutung für die Organismen, kein Vorgang in einem lebenden Körper kann ohne sie ablaufen. Sie sind die Bausteine des Lebens: • Struktur-Proteine bilden einen Teil des Stützgerüstes der Organismen. Das Kollagen beispielsweise ist in Sehnen, Knochen und Knorpeln enthalten. • Ohne kontraktile Proteine wie beispielsweise das Aktin und Myosin in den Muskeln der Wirbeltiere könnte sich kein Organismus bewegen. • Ganz besonders vielfältig und wichtig sind die Proteine, die als Enzyme arbeiten. Sie sind verantwortlich für die unzähligen biochemischen Reaktionen in einem Organismus. Enzyme können beispielsweise zusammengesetzte chemische Verbindungen in
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lange. Ähnlich wie bei der Desoxyribonukleinsäure werden die lang gestreckten Protein-Moleküle aus einer Kette aneinander hängender Bausteine, im Falle der Proteine den Aminosäuren, gebildet. Zwanzig Aminosäuren gibt es, um Eiweiße aufzubauen, aber nicht in jedem Protein sind alle zwanzig Aminosäuren enthalten. Entscheidend ist vielmehr, welche Aminosäuren in welcher Reihenfolge vorhanden sind. Die Wissenschaftler sprechen von der »Aminosäure-Sequenz«, von ihr ist es abhängig, welche Aufgabe ein Protein im Organismus übernimmt. Ebenso mannigfaltig wie die unterschiedliche einfachere zerlegen, etwa bei den Verdauungsvorgängen. Sie können aber genausogut bewirken, dass aus einfachen Verbindungen komplexer strukturierte zusammengebaut werden. • Als Transport-Proteine befördern die Eiweiße im Körper Moleküle, die besonders wichtig sind. Ein Beispiel dafür ist das Hämoglobin in den roten Blutkörperchen, das den Sauerstoff transportiert. • Regulations-Proteine steuern und koordinieren biochemische Reaktionen sowohl in der Zelle wie im ganzen Organismus. Ein Beispiel für diese Funktion der Eiweiße ist das Hormon Insulin, das den Zuckerstoffwechsel reguliert. • Schutzproteine bewahren den Körper vor den Folgen von Verletzungen. Sie wehren auch Krankheitserreger ab, die in den Organismus eindringen wollen. Beispiele sind das Thrombin, das Blut gerinnen lässt, oder die Immunglobuline, die Abwehrjäger des Immunsystems. Sie spüren Krankheitserreger auf und machen sie unschädlich. • Speicherproteine sind in der Lage, Substanzen für den zukünftigen Bedarf aufzubewahren. Ein Beispiel ist das Ferritin, das Eisen in der Leber speichert. Die Proteine haben für die Entwicklung und die Funktionsweise des Organismus eine überragende Bedeutung. Beides ist letztlich von der präzise gesteuerten Aktivität vieler verschiedener Eiweißstoffe abhängig. Die Gene enthalten in verschlüsselter Form die Anweisungen dafür, dass die lebensnotwendigen Proteine zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle für den richtigen Zweck hergestellt werden. Wie diese enorme Koordinationsarbeit geleistet wird, ist noch weitestgehend unbekannt.
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Reihung der Aminosäuren sind denn auch die Funktionen, welche die verschiedenen Proteine im menschlichen Körper ausüben. Die Gene sind also Informationsträger für die Herstellung von Proteinen. Die DNS, die ein Mensch oder ein anderer Organismus vererbt bekommen hat, bestimmt, welche Merkmale sich wie ausprägen. Dies geschieht, indem bestimmte Abschnitte der DNS (die Gene) der Zelle vorschreiben, welche Eiweißstoffe sie herstellen soll. Die DNS ist also nicht der »Bauplan« eines Lebewesens, obgleich das oft behauptet wird. Sie ist vielmehr der Bauplan für seine Baustoffe - die Proteine in all ihrer Vielfältigkeit. Die Eiweiße sind das Bindeglied zwischen dem Genotyp eines Menschen (dem, was in den Genen geschrieben steht) und dem Phänotyp (seinen äußeren Merkmalen). Der Phänotyp eines jeden Menschen entsteht, indem sein einzigartiger Genotyp mit den verschiedensten Umwelteinflüssen zusammenwirkt.
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Wie Erbanlagen Einfluss nehmen In den Genen sind in chiffrierter Form die Informationen für Aminosäuren niedergeschrieben. Die Aminosäuren wiederum sind die unterschiedlichen Glieder einer langen Molekülkette, die als Proteine im Organismus lebenswichtige Aufgaben erfüllen. Die spannende Frage, die sich die Wissenschaftler Ende der fünfziger Jahre stellten, war, wie die genetischen Chiffren gelesen werden. Da die Gene im Kern der Zelle sitzen, die Proteine aber außerhalb des Kernes entstehen, im Plasma der Zelle, war eines von Anfang an klar: Die Gene enthalten zwar die Instruktionen dafür, wie ein bestimmtes Protein herzustellen ist, sind selbst aber nicht in der Lage, ein Protein zusammenzubasteln. Es musste eine Art Boten geben, der zwischen der genetischen Information im Zellkern und der Proteinherstellung, der »Proteinsynthese« im Plasma der Zelle vermittelt.4 4 Die Verpackungskunst der Natur Die DNS ist ein wahres Verpackungskunstwerk. Sichtbar wird die Verhüllungskunst der Natur, schaut man mit einem Elektronenmikroskop tief in das Innere eines Chromosoms hinein. Ab einer bestimmten Vergrößerung ist eine filigrane Perlenkette zu sehen. Jede Perle dieser Kette ist ein Nukleosom, die Grundeinheit der DNSVerpackung. Betrachtet man sich das Nukleosom genauer, ist zu erkennen, dass sich die DNS wie der Faden einer Garnrolle zwei Mal um einen Proteinkern wickelt. Dieser Kern besteht aus acht Eiweißkugeln, den Histonen; ein weiteres Histon sitzt der Außenseite der Perle auf. So viel Mühe macht sich die Natur nicht ohne Grund. Im Gegensatz zu manch einem von Menschenhand geschaffenen Verpackungskunstwerk dient die verpackte DNS keinem ästhetischen Selbstzweck, sondern hat eine außerordentlich wichtige Funktion: Die Nukleosomen steuern die Zugänglichkeit der DNS für bestimmte Proteine. Die Wissenschaftler nennen diese Proteine Transkriptionsfaktoren. Sie spielen eine
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Francis Crick war es, der als erster die Grundzüge des Vorgangs beschrieb, den die Wissenschaftler heute als »Genexpression« bezeichnen. Seine Gedanken dazu formulierte der berühmte Wissenschaftler erstmals im Jahr 1958 vor der Gesellschaft für Experimentelle Biologie in einem Vortrag mit dem Titel ›Über die Proteinsynthese‹. Crick nahm an, dass die biologische Information, die in der DNS des Gens steckt, zunächst auf einen Boten übertragen wird. Dieser Bote schleust die Information aus dem Kern heraus und bringt sie ins Zellplasma. Dort werden die Proteine aus Aminosäuren zusammengebaut. Die Botenfunktion, vermutete Crick, übernimmt eine »Verwandte« der Kernsäure, die Ribonukleinsäure, kurz RNS genannt (engl. RNA). Crick postulierte außerdem, dass die Vermittlung biologischer Information in allen Zellen gleich ablaufe. Cricks »zentrales Dogma«, wonach Zellen stets der Befehlskette »von-der-DNS-über-die-RNS-zum-Protein« gehorchen, ist auch heute noch eines der grundlegenden Konzepte der Molekulargenetik.
Wie Erbanlagen Einfluss nehmen Die Nukleinsäuren im Kern und die Proteine im Plasma der Zelle enthalten Informationen, die in zwei verschiedenen Sprachen geschrieben sind. Um diese Informationen von einer entscheidende Rolle bei der Transkription, dem Ablesen der genetischen Information. Die Nukleosomen sind in der Lage, Transkriptionsfaktoren zu bestimmten Abschnitten des DNS-Moleküls also zu bestimmten Genen - zu dirigieren. Die Information genau dieses Gens wird dann abgelesen und von den zellulären biochemischen Produktionsstätten in ein Protein mit einer definierten Funktion übersetzt. Das Protein kann beispielsweise dafür sorgen, dass sich eine Zelle für eine bestimmte Aufgabe spezialisiert. Diese Spezialisierung einer Zelle, beispielsweise für die lebenswichtigen Aufgaben eines weißen Blutkörperchens, nennen die Zellbiologen Differenzierung.
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Sprache in die andere zu übertragen, sind zwei Zwischenschritte erforderlich, die in der genetischen Fachsprache »Transkription« und »Translation« heißen. »Transkription« meint die Überschreibung der genetischen Information von der DNS auf die Ribonukleinsäure (RNS). Die Ribonukleinsäure hat eine ähnliche Struktur wie die DNS, liegt aber nicht als Doppel-, sondern als Einzelstrang vor. Wann immer Proteine benötigt werden, verbinden sich RNS-Moleküle im Zellkern mit bestimmten Abschnitten des DNS-Moleküls. Das Doppelstrang-Molekül hat sich dazu geöffnet, so dass sich die RNS-Moleküle an die DNS anlagern können. Da beide Moleküle die gleiche Sprache benutzen, kann die Information einfach kopiert werden: Die Reihenfolgen der Basen auf der DNS werden nach demselben Verfahren auf die RNS überschrieben, das bei der Teilung einer Zelle für die identische Weitergabe der Erbanlagen sorgt. Das Ergebnis der Transkription ist ein RNS-Molekül, das entsprechend der DNSVorlage angefertigt wurde, das RNS-Molekül ist das »Transkript« des Gens, das den Bauplan für ein Protein enthält. Diesen Typ von Molekülen nennen die Wissenschaftler m-RNSMoleküle, vom englischen »messenger« für »Bote«. Die »Translation« - die Herstellung von Proteinen im Zellplasma nach den Anweisungen der Gene im Zellkern - ist kein einfacher Kopiervorgang mehr. Sie gleicht vielmehr dem Übersetzen in eine andere Sprache, etwa dem Übertragen der Morsezeichen eines Telegramms in die Umgangssprache: Die Information, die als Basenfolge der DNS niedergeschrieben ist und von der Boten-RNS aus dem Kern transportiert wird, muss aus der »Nukleinsäuresprache« in die »Sprache der Proteine« die Reihenfolge der Aminosäuren im Eiweißmolekül übertragen werden. Wie funktioniert das? Die Boten-RNS hat die Kopie der Erbanlagen in das Zellplasma gebracht. Die Auswertung der Botschaft - 51 -
übernehmen weitere Ribonukleinsäuren. Sie werden »Überträger-Ribonukleinsäuren« (englisch »transfer-RNA«, »t-RNA«) genannt. Aufgabe der Überträger-Nukleinsäuren ist es, die Proteine entsprechend der Botschaft zusammenzusetzen. Die kleinen Überträger-RNS-Moleküle sind in ihrer Struktur jeweils etwas unterschiedlich, dadurch passen sie zu verschiedenen Aminosäuren. Zwanzig verschiedene Aminosäuren gibt es, sie schwimmen alle in reichlicher Menge in der Vorratssuppe »Plasma«. Eine bestimmte Sorte Überträger-RNS-Moleküle fischt sich stets eine bestimmte Aminosäure heraus, so dass die Aminosäure am einen Ende der Überträger-RNS »klebt«, am andere Ende eine Dreiergruppe von Basen aus dem Molekül herausragt. Diese Dreiergruppe passt wie ein Schlüssel zum Schloss zur Boten-RNS. Weniger bildlich ausgedrückt: Die Basen-Dreiergruppe der ÜberträgerRNS ist komplementär zu einer Basen-Dreiergruppe auf der Boten-RNS, die eine getreue Abschrift der im Kern »festsitzenden« Erbinformationen ist. Überträger-RNS und Boten-RNS treffen sich im Plasma an einem bestimmten Ort, dem Ribosom. Von diesen zellulären »Werkstätten« gibt es viele im Zytoplasma, in ihnen werden die Eiweißkörper montiert. Dazu gleitet die kurze Überträger-RNS mit »ihrer« Aminosäure am Ribosom entlang. Kommt ihre BasenDreiergruppe an einer passenden Dreiergruppe der Boten-RNS vorbei, schnappt das Überträger-RNS-Molekül zu und gibt seine Aminosäure ab. Auf diese Weise werden nach den Anweisungen eines bestimmten Abschnittes der DNS die Aminosäuren eines Proteins nacheinander zu einer langen Kette miteinander verbunden. Wenn die Arbeitsanweisungen erfüllt und alle Aminosäuren aneinander gereiht sind, löst sich der fertige Proteinfaden von seiner ribosomalen Produktionsstätte und faltet oder knäuelt sich in charakteristischer Weise zum fertigen Protein, das nun im Körper seine vorbestimmte - 52 -
Aufgabe erfüllt. Die Zahl der Proteine, die in einem Organismus am Werk sind, ist unübersehbar groß. »Der menschliche Körper besteht aus unvorstellbaren 100 Billionen Zellen«, rechnet der deutschstämmige Zellbiologe und Nobelpreisträger Günter Blobel vor. »Jede einzelne dieser Zellen produziert über eine Milliarde Proteine, die etwa 20000 verschiedenen Familien mit unterschiedlichsten Aufgaben angehören.« Wie all diese Proteine geordnet in einem Organismus zusammenarbeiten und wie ihre Tätigkeit kontrolliert wird, ist ein Rätsel, das noch nicht gelöst ist.
Kritische Kontrollinstanzen Eine ebenso wichtige Frage ist, wie die vielen tausend Gene eines Organismus unter Kontrolle gehalten werden, denn ihre geordnete Tätigkeit ist von größter Bedeutung, steckt doch in den Genen einer Zelle eine schier unglaubliche Menge an biologischer Information. Manche dieser Informationen braucht die Zelle ständig, beispielsweise diejenigen Proteine, die für die Aufrechterhaltung der elementaren Zellfunktionen zuständig sind. Diese immer angeschalteten Gene nennen die Molekulargenetiker »housekeeping genes«, auf Deutsch »Haushaltungsgene«. Andere Gene haben speziellere Aufgaben, ihre Proteine werden nur zu ganz bestimmten Zeiten und Umständen benötigt, etwa in der Embryonalentwicklung, wenn sich die verschiedenen Gewebe und Organe bilden. Wie aber werden die richtigen Gene zur rechten Zeit am rechten Ort aktiviert? Darüber wussten die Wissenschaftler so gut wie nichts, bis die französischen Biochemiker Jacques Monod und François Jacob Ende der fünfziger Jahre an einfachen Milchsäurebakterien das Prinzip der Genregulation erkannten. Monod und Jacob erhielten für ihre Entdeckung im Jahr 1965 den Nobelpreis für Medizin. Die beiden Forscher konnten erklären, wie gewährleistet wird, dass sich die Gene beim - 53 -
Wachstum und bei allen anderen Lebensprozessen diszipliniert verhalten. Vor jedem Gen, das die Information für ein Protein trägt - man nennt es »Strukturgen« -, liegt eine Kontrollregion. Sie setzt sich aus verschiedenen Untereinheiten zusammen, unter anderem einer Einheit mit dem Namen »Promotor«. Bestimmte Proteine erkennen diesen Promotor und binden sich an ihn. Die biochemische Maschinerie, die dafür zuständig ist, das Strukturgen abzulesen, erhält dadurch die Erlaubnis, mit ihrer Arbeit zu beginnen. Erst jetzt wird das Strukturgen abgelesen und in ein Protein übersetzt. Umgekehrt gibt es Proteine, die verhindern, dass ein Gen abgelesen wird. Vereinfacht dargestellt: Eine Erbanlage besteht immer aus zwei Teilen - ein Teil trägt die Information für ein Protein; der andere ist mit einem Schalter vergleichbar, der auf »Ein« oder »Aus« gestellt werden kann. Mittlerweile wissen die Forscher, dass die Regulation der Genwirkung ebenso streng wie komplex ist. Viele Details sind ihnen inzwischen bekannt, etwa, dass bestimmte Erbgut-Passagen dauerhaft mit Hilfe bestimmter Proteine (Histone; siehe Seite 49) verpackt werden, zeitweise versiegelt oder schlichtweg ignoriert werden. Alle diese Phänomene werden heute unter dem Begriff »Epigenetik« zusammengefasst, einem spannenden neuen Forschungsgebiet. Epigenetiker erforschen die Faktoren, die über den Gebrauch eines Gens entscheiden, ohne dass die Abfolge der Genbuchstaben im Erbgut selbst verändert wird. Die Anweisungen für den Umgang mit den Genen sind so stabil, dass sie bei der Teilung der Zellen von Mutter- auf Tochterzellen weitergegeben werden. In der Fachzeitschrift ›Science‹ haben amerikanische Epigenetiker im Frühsommer 2001 berichtet, dass zwar alle Körperzellen einen kompletten Satz der Gene besitzen, jeweils aber nur rund zehn Prozent davon angeschaltet haben. Nur nach den Anweisungen dieser aktiven Gene stellt die Zelle Eiweiße her, die dann diverse - 54 -
Aufgaben im Organismus erfüllen. Insgesamt bedeutet dies, dass jede Zelle etwa 99 Prozent ihres Erbguts gerade nicht braucht - oder eingemottet hat. Die molekularen Abläufe im Innern einer winzigen Zelle mögen schon wunderbar genug erscheinen, und doch wird dieses Wunder durch eine weitere Einsicht der modernen Genforscher übertroffen: Die Sprache der Gene ist universell. Im Gegensatz zur babylonischen Vielfalt menschlicher Sprachen gilt die genetische Sprache für alle Lebewesen, ob Bakterium, Regenwurm, Taufliege, Krokodil, Maus oder Mensch. Das heißt: Eine bestimmte genetische Buchstabenfolge wird immer in das gleiche Protein übersetzt. Ein menschliches Gen beispielsweise das Gen für den Aufbau des blutzuckerregulierenden Hormons Insulin - lässt sein Eiweißprodukt nicht nur in den Zellen der Bauchspeicheldrüse entstehen, auch Pflanzen-, Hefe- oder Bakterienzellen können Insulin herstellen, wenn ihnen das entsprechende menschliche Gen eingebaut wurde. »Von einem Fliegen-, Mäuse- oder menschlichen Gen kann man eigentlich nicht sprechen«, schreibt der Genforscher Ernst-Ludwig Winnacker von der Universität München. Menschen seien wir nicht aufgrund einzelner Gene, denn die seien im Einzelfall mit denen von Fliegen oder Hefezellen identisch. »Zu Menschen macht uns erst die Summe unserer Gene, das so genannte menschliche Genom«, erklärt Winnacker. Die Einsicht in die Universalität der genetischen Sprache gibt nicht nur zu Betrachtungen über die Stellung des Menschen im Stammbaum des Lebens Anlass; die verblüffende innere Einheit der molekularen Systeme von der Mikrobe zur Maus und vom Fadenwurm bis zum Menschen war auch die Grundlage für eine neue Technik: die Gentechnik.
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Wie Gentechnik funktioniert und was man mit ihr machen kann Als Watson und Crick im Jahr 1953 die Doppelhelix als molekulare Struktur der Gene beschrieben hatten, entwickelte sich die Molekulargenetik in rasantem Tempo weiter. Über zwei Jahrzehnte intensiver Forschung förderten erstaunliche Erkenntnisse zutage, die spektakuläre Anwendungsmöglichkeiten erahnen ließen. Mitte der siebziger Jahre wurde vor allem eine spezielle Methode der Gentechnik, die »DNS-Rekombination«, unter den Wissenschaftlern heftig diskutiert. Im Jahr 1976 erschien dazu in der Fachzeitschrift ›Science‹ ein Brief des Biochemikers Erwin Chargaff, der wesentliche Vorarbeiten zur Aufstellung des DoppelhelixModells geleistet hatte. In ihm formuliert er stellvertretend für viele andere Forscher seine Bedenken gegenüber der neuen Technik: »Man kann damit aufhören, Atome zu spalten; man kann aufhören, zum Mond zu reisen, (...) man kann sogar beschließen, nicht ganze Bevölkerungen mit Hilfe von wenigen Bomben zu töten. Aber man kann keine neue Lebensform rückgängig machen.« Was Chargaff in seinem Artikel ansprach, war die technisch neue Möglichkeit, Gene verschiedener Lebewesen neu miteinander zu kombinieren, zu »rekombinieren«. Eine derartige Genmanipulation betreibt die Natur seit Milliarden von Jahren; jetzt war der Mensch imstande, es ihr nachzutun. Das erste RekombinationsExperiment gelang den amerikanischen Wissenschaftlern Paul Berg, Stanley Cohen und Herbert Boyer im Jahr 1973. Sie sahen wie Chargaff die Risiken, aber auch die weit reichenden Möglichkeiten, die ihre neue Methode bot: »Es könnte möglich sein«, erklärte Cohen 1973, »in ein Bakterium Gene einzuführen, die Funktionen wie beispielsweise die Herstellung - 56 -
von Antibiotika festlegen, welche eigentlich anderen biologischen Klassen angeboren sind.« Tatsächlich werden heute Hunderte nützlicher Produkte nach der von Berg, Cohen und Boyer erarbeiteten Methode hergestellt. Diese Entwicklung nahm ihren Anfang, als die Wissenschaftler in Bakterien und Zellen praktische Hilfsmittel entdeckten, mit denen sie die DNS behandeln konnten, als wäre sie ein geschriebener Text, dem ein Redakteur mit Schere und Kleber zu Leibe rückt, um ihn nach seinem Gutdünken zu verändern. In ihrer Gesamtheit werden die Techniken, die es möglich machen, Gene zur praktischen Anwendung zu manipulieren, als »Gentechnologie« oder »Gentechnik« (»genetic engineering«) bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein wirkungsvolles Instrumentarium, das nahezu alle Gebiete der Biologie nachhaltig beeinflusst. Die ersten »Text-Scheren« entdeckten die Wissenschaftler Ende der sechziger Jahre in Bakterien. Die Gentechniker nennen diese Scheren »Restriktions-Enzyme« oder »Restriktions-Endonukleasen«. Der komplizierte Name erklärt sich aus der Funktion, die die als Enzyme arbeitenden Proteine natürlicherweise in einem Bakterium haben: Mit ihrer Hilfe schützen sich die Bakterien vor fremder DNS (etwa von Viren oder anderen Bakterien), die in sie eingedrungen ist. Die Enzyme erkennen die fremde DNS und zerschnippeln sie kurzerhand in unbrauchbare kleine Stückchen. Dieser Vorgang wird »Restriktion« genannt. Von entscheidender Bedeutung für die Gentechniker ist es, dass die Natur die Restriktions-Enzyme nicht nur in großer Vielfalt, sondern auch mit einer besonderen Vorliebe für bestimmte »Textstellen« hergestellt hat. Hunderte dieser Molekülscheren sind den Forschern mittlerweile bekannt. Jede Schere erkennt eine andere Buchstabenfolge im genetischen Text. An dieser Stelle schneidet sie den DNS-Faden auseinander. Zurück bleiben Schnittstellen mit »klebrigen Enden«. - 57 -
Neben den Text-Scheren sind die Text-Kleber wichtige Feinwerkzeuge der Gentechniker. Auch bei ihnen handelt es sich um Enzyme. Die Forscher bezeichnen sie wissenschaftlich korrekt als »DNS-Ligasen«, sie sind in der Lage, die »klebrigen Enden« auseinander geschnittener DNS wieder dauerhaft miteinander zu verbinden.
Wie Gentechnik funktioniert: Eine Methode ist, Plasmide (ringförmige DNS) aus Bakterien zu isolieren. In dieses Plasmid wird ein erwünschtes Gen aus einer Zelle, beispielsweise aus einer menschlichen Zelle, eingebaut. Das genetisch veränderte Plasmid wird erneut in ein Bakterium eingeschleust. Das Bakterium - und mit ihm das gewünschte Gen - wird nun vermehrt. Aus Bakterienkulturen, die viele Kopien der erwünschten Erbanlage enthalten, können in großen Mengen nützliche Proteine, beispielsweise das Hormon Insulin, gewonnen werden.
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Im Labor können auf diese Weise DNS-Stücke verschiedener Herkunft aneinander geklebt werden, denn den Ligasen ist es gleichgültig, woher die Textstelle stammt, die sie mit einer anderen zusammenfügen. Sie würden den Textschnipsel eines Medikamenten-Beipackzettels mit einem Ausschnitt aus Thomas Manns ›Zauberberg‹ verknüpfen - wenn nur die »Klebestellen« zueinander passen. Restriktions-Enzyme und Ligasen gehören auch heute zur Standardausrüstung jedes gentechnischen Werkzeugkoffers, ohne sie wäre die Gentechnologie nicht möglich. Mit Hilfe der Text-Scheren und -Kleber gelang es Herbert Boyer und Stanley Cohen im Jahr 1973 erstmals, Gene von einem Organismus auf einen anderen zu übertragen: Sie schnitten das Chromosom eines Bakteriums (ein Plasmid) mittels eines RestriktionsEnzyms an einer bestimmten Stelle auf. Das Gen eines anderen Organismus klebten sie daraufhin mit einer DNS-Ligase in die Schnittstelle ein. Das Ergebnis: eine neu kombinierte, eine »rekombinierte« DNS. Sie kann in eine Wirtszelle - etwa in Bakterien, Hefen oder Säugerzellen - eingeführt werden, diese produzieren daraufhin das Fremdprotein, dessen Bauanleitung in dem eingeführten Gen niedergeschrieben ist. Die Methode von Boyer und Cohen ist noch heute Prinzip gentechnischen Arbeitens. Aus dem Alltag von biologischer Grundlagenforschung und Medizin sind die neuen Verfahren nicht mehr wegzudenken. Eine besonders große Rolle spielen sie bei der Entwicklung und Herstellung neuer Medikamente und Impfstoffe.
Gentechnisch hergestellte Arzneimittel Das erste von Bakterien produzierte Medikament war menschliches Insulin zur Behandlung der Zuckerkrankheit. Es kam im Jahr 1982 in den USA auf den Markt und machte Diabetes-Patienten von dem aus Schweinen oder Rindern - 59 -
gewonnenen Insulin unabhängig. Derzeit werden rund ein Fünftel der Medikamente, die jährlich auf den Markt kommen, gentechnisch hergestellt. Im Jahr 2001 waren in Deutschland insgesamt 84 gentechnisch produzierte Arzneimittel erhältlich. In wenigen Jahren, prognostizieren Experten, wird es keinen neuen Arzneistoff mehr geben, an dem die Gentechnik nicht beteiligt war. Wichtige Beispiele für gentechnisch erzeugte Medikamente sind das menschliche Wachstumshormon Somatotropin, der Gewebe-Plasminogen-Aktivator, das blutbildende Hormon Erythropoietin und der Blutgerinnungsfaktor VIII. - Gentechnisch hergestelltes Wachstumshormon (Somatotropin) gibt es seit 1985. Es wird heute weltweit verwendet, um Menschen zu behandeln, die unter Zwergwuchs leiden - bei ihnen stellt die Hirnanhangdrüse nicht genügend Hormone her. Bis gentechnisch produziertes Somatotropin zur Verfügung stand, verabreichten die Ärzte ihren Patienten ein Wachstumshormon, das man aus den Hirnanhangdrüsen verstorbener Menschen gewann. Etwa siebzig Leichen wurden benötigt, um einen Patienten ein Jahr lang mit Wachstumshormon zu versorgen. - Seit 1987 steht Ärzten und ihren Patienten der gentechnisch hergestellte Gewebe-Plasminogen-Aktivator zur Verfügung. Dieses Protein hilft, verstopfte Blutgefäße zu öffnen, und kann so Herzinfarkt-Patienten das Leben retten. Der GewebePlasminogen-Aktivator ist ein sehr komplexer Eiweißkörper: Bakterien, denen das Gen übertragen wurde, können das Protein nicht in der gewünschten Form herstellen, die Wissenschaftler verwenden deshalb Säugetier-Zellen. - Säugetier-Zellen, denen das entsprechende Gen übertragen wurde, werden auch benutzt, um den Blutgerinnungsfaktor VIII in großen Mengen zu produzieren. Blutern fehlt dieser zur Gerinnung notwendige Faktor. Bevor gentechnisch - 60 -
hergestellter Faktor VIII verfügbar war (1987), erhielten sie regelmäßige Injektionen von Faktor-VIII-Präparaten, die aus menschlichen Blutspenden gewonnen wurden; dabei bestand jedoch - im Gegensatz zum gentechnischen Produkt - die Gefahr, dass gefährliche Erreger, beispielsweise HepatitisViren oder der Erreger der Immunschwäche Aids, mitübertragen wurden. - Das blutbildende Hormon Erythropoietin (EPO) wird seit 1985 von Säugetier-Zellen produziert, denen zuvor das dafür zuständige menschliche Gen übertragen wurde. Erythropoietin stimuliert die Herstellung von roten Blutkörperchen (Erythrozyten), die für den Transport von Sauerstoff zuständig sind. Menschen, die an einer schweren Blutarmut leiden, kann das gentechnisch hergestellte Hormon belastende Bluttransfusionen ersparen. - Bestimmte Botenstoffe des Immunsystems sind eine weitere große Gruppe gentechnisch hergestellter Medikamente. Zu ihnen zählen die »Interferone« und die »koloniestimulierenden Faktoren«. Interferone werden von den Ärzten beispielsweise eingesetzt, um die chronische Hepatitis B oder die Multiple Sklerose zu behandeln. Koloniestimulierende Faktoren fördern die Produktion der weißen Blutkörperchen und können so helfen, einen lebensbedrohlichen Mangel an weißen Blutkörperchen - etwa nach einer Krebs-Chemotherapie auszugleichen. Gentechnisch hergestellte Interferone, Human-Insulin und Erythropoietin zählen weltweit zu den umsatzstärksten Medikamenten. Dies zeigt die wirtschaftliche Bedeutung, die die Gentechnik mittlerweile im Pharmasektor erlangt hat, nicht nur, um Medikamente herzustellen, sondern auch, um neue Medikamente zu entwickeln. Mit Hilfe gentechnischer Methoden und kombiniert mit moderner Computertechnik werden neue Medikamente heute beispielsweise im »Drug - 61 -
Design-Verfahren« gleichsam am Zeichentisch entworfen. Die bislang langwierige Suche nach so genannten Leitsubstanzen für neue Therapien kann dadurch erheblich schneller und zielgerichteter erfolgen.
Jedem seine persönliche Pille? Die Genforschung soll den Arzneimittelherstellern auch helfen, maßgeschneiderte Medikamente herzustellen. Die »persönliche Pille« für jeden Patienten ist jedenfalls das Ziel einer neuen, häufig zitierten Forschungsrichtung, der »Pharmakogenomik«. Das Ziel der Pharmakogenetiker ist, Medikamente zu schaffen, die auf die Bedürfnisse des Individuums, vor allem aber auf sein Erbgut, abgestimmt sind. Kombiniert mit einer technischen Neuentwicklung, den so genannten DNS-Chips (siehe Seite 86), könnte die individuelle Medizin vielleicht bald Realität werden. Der Arztbesuch der Zukunft könnte dann beispielsweise so aussehen: Ein Patient kommt zu seinem Hausarzt, um sich ein neues Mittel gegen Asthma verschreiben zu lassen. Ob das Medikament für seinen Patienten auch tatsächlich geeignet ist, erfährt der Arzt durch eine Gen-Analyse. Dazu entnimmt er eine Blutprobe, gewinnt aus den Blutzellen die DNS und markiert sie mit einem Farbstoff. Anschließend wird das Erbgut des Patienten auf einen speziellen Chip geträufelt. Den Chip - ein kleines Glasplättchen - schiebt der Arzt in ein spezielles Lesegerät. Ein feiner Laserstrahl tastet den Chip ab und verrät dem Arzt, dass das Medikament für seinen Patienten nicht geeignet ist. Es wird ihm kaum helfen, dafür aber umso mehr unerwünschte Nebenwirkungen verursachen. Der Arzt wählt deshalb eine Arznei, die besser zur individuellen Genausstattung seines Patienten passt. Grundlage dieser (noch) fiktiven Pharmakogenom-Analyse ist die alte ärztliche Erfahrung, wonach Arzneimittel bei manchen Patienten gut wirken, bei anderen weniger oder gar nicht. Ein - 62 -
klassisches Beispiel ist der Wirkstoff Codein, der im Körper zum schmerzstillenden Morphin umgewandelt wird. Bei etwa zehn Prozent der Europäer erfolgt diese Umwandlung jedoch nicht, die Schmerzlinderung bleibt aus. Verantwortlich für solche unterschiedlichen Arzneimittelwirkungen sind geringfügig veränderte Gene, die dafür sorgen, dass ein Medikament schneller oder langsamer aufgenommen und abgebaut wird. Auch Unverträglichkeiten gehen auf das Konto genetischer Variationen, die Experten als »Einzel-NukleotidPolymorphismen« bezeichnen. Diese winzigen Veränderungen einzelner DNS-Bausteine versuchen Molekulargenetiker derzeit ausfindig zu machen, um therapeutische Maßanzüge für Patienten zu schneidern, die hohe Wirksamkeit bei geringen Nebenwirkungen garantieren. Ob es gelingen wird, muss die Zukunft zeigen.
Gentechnisch hergestellte Impfstoffe Der französische Mikrobiologe Louis Pasteur (1822-1895) war der Erste, der erkannte, dass Mikroorganismen Krankheiten verursachen. Mit seiner Entdeckung begann die gezielte wissenschaftliche Entwicklung von Impfstoffen gegen viele Infektionskrankheiten, die die Menschheit seit Urgedenken heimsuchen. Heute können mehr als zwanzig bedrohliche Infektionskrankheiten mit Impfungen verhütet werden. Doch noch immer gibt es gegen viele der häufigsten Erreger keine Impfstoffe, darunter die Erreger von Aids, Lepra und Malaria. Über zwölf Millionen infektionsbedingter Todesfälle, schätzt die Weltgesundheitsorganisation, könnten verhindert werden, wenn es genügend wirksame und praktikable Impfstoffe gäbe. Die Gentechnik hat der Impfstoff-Forschung neuen Auftrieb gegeben. Der erste gentechnisch hergestellte Impfstoff (Vakzine) war der Impfstoff gegen die Hepatitis B. Er wird bereits seit 1986 angewendet und ermöglichte eine - 63 -
flächendeckende Impfung gegen die Hepatitis B, eines der weltweit größten Gesundheitsprobleme. Die Erkrankung wird von einem Virus verursacht. Weltweit, lauten Schätzungen, sind etwa 350 Millionen Menschen infiziert; jährlich sterben ein bis zwei Millionen an den Folgen der chronischen Infektion. Um den Impfstoff herzustellen, isolieren die Molekularbiologen aus dem Hepatitis-B-Virus zunächst die Erbanlage, die für den Bau eines Proteins - eines so genannten Oberflächenantigens - in seiner äußeren Hülle zuständig ist. Um dieses Gen zu vermehren (zu klonieren), schleusen es die Wissenschaftler in das Bakterium Escherichia coli ein. Nach der Klonierung wird das Gen in Zellen der Bäckerhefe eingebracht. Diese produzieren nun große Mengen des Eiweißstoffes nach den Anweisungen des ursprünglichen Viren-Gens. Nach mehreren Reinigungsschritten ist das Protein als Impfstoff verwendbar: Es wird unter die Haut oder in die Muskulatur gespritzt. Die Herstellung dieses rekombinanten Impfstoffes gegen Hepatitis B gilt als einer der größten Erfolge der Gentechnik. Nach diesem Prinzip werden mittlerweile verschiedene Impfstoffe hergestellt, eine Vielzahl ist in Entwicklung. In Deutschland zugelassen ist derzeit außer dem Impfstoff gegen Hepatitis B eine gentechnisch hergestellte Vakzine gegen Keuchhusten und Pneumokokken-Infektionen. Pneumokokken sind Bakterien, die unter anderem Lungenentzündung hervorrufen und vor allem abgeschwächten und alten Menschen gefährlich werden können.
Impfen mit nackter DNS? Große Hoffnungen setzen die Wissenschaftler in »DNSImpfstoffe«. Statt abgetötete oder abgeschwächte Viren, Bakterien oder deren Bestandteile als Impfstoffe einzusetzen, so die Idee, könnte man doch einfach ein bestimmtes Gen einer - 64 -
Mikrobe, also einen Abschnitt seiner DNS, zur Impfung verwenden. Dieses gezielt ausgewählte Gen produziert dann im Körper des Impflings sein Genprodukt, ruft die Truppen des körpereigenen Immunsystems auf den Plan und gewährt so den gewünschten Impfschutz. Dass sich mit derart »nackter DNS« tatsächlich ein Impfschutz erreichen lässt, bestätigten amerikanische Wissenschaftler im Jahr 1993 mit einer Arbeit in der Fachzeitschrift ›Science‹. Die Tür zu den »Impfstoffen der Zukunft« war aufgestoßen - zunächst gab es allerdings nur DNS-Impfungen für Mäuse. Mittlerweile sind verschiedene DNS-Impfstoffe auch beim Menschen erfolgreich getestet worden. Es handelt sich jedoch nach wie vor um experimentelle Verfahren. Die Fachleute schätzen, dass es mindestens noch zehn Jahre dauern wird, bis eine wirksame und sichere DNSVakzine entwickelt ist. Das Impfen mit genetischer Information erfolgt nach folgendem Prinzip: Mit einer Impfpistole werden Ringe doppelsträngiger DNS - so genannte Plasmide - in die Haut oder in die Muskulatur gespritzt. Die Zellen nehmen daraufhin die DNS-Ringe in ihren Kern auf. Die Ringe - sie bestehen aus Erbsubstanz des Bakteriums Escherichia coli - dienen als Transporteure für die eigentlich interessanten »Impf-Gene«, beispielsweise eine Erbanlage, die für den Bau eines Proteins verantwortlich ist, das für den Erreger der Tuberkulose charakteristisch ist, aber nicht krank macht. Dieses Gen wird in den menschlichen Zellen abgelesen und in das entsprechende Protein übersetzt. Bruchstücke des fremden Proteins transportiert die Zelle nun an die Oberfläche und präsentiert sie dort Abwehrzellen, die auf ihrer Suche nach Körperfremden ständig durch den Organismus patroullieren. Auf diese Weise wollen die Wissenschaftler eine Immunantwort in Gang setzen, die einer »natürlichen« Infektion mit dem Krankheitserreger entspricht. - 65 -
Impfstoffe zum Eincremen? Derzeit erproben die Wissenschaftler zahlreiche weitere Transportsysteme auf ihre Eignung als »Impf-Gen-Träger«. Es können etwa kleine Goldpartikel verwendet werden, um fremde Gene in den menschlichen Körper zu bringen. Sie werden mit der entsprechenden Erbanlage bestückt und mit Hilfe einer speziellen Genkanone in das Innere der Zellen geschossen. Auch DNS-Nasentropfen werden zurzeit getestet: Bei diesen »NasalImpfstoffen« werden reine DNS-Lösungen auf die Schleimhaut der Nase aufgetragen. Als besonders vielversprechend werten die Experten die Versuche, Gene in Liposomen - winzige Fettkügelchen - zu verpacken. Die Liposomen verschmelzen mit den Membranen der Hautzellen und lassen ihre genetische Fracht dabei frei. Diese Technik könnte in Zukunft die Impfspritze überflüssig machen: Der DNS-Impfstoff wird einfach eingecremt. Noch ist unklar, ob sich die Hoffnungen, die auf den verschiedenen DNS-Impfstoffen ruhen, erfüllen werden. Vor ihrer Anwendung beim Menschen steht die Arbeit der Grundlagenforscher. Und die haben noch viel zu tun. Offene Fragen sind beispielsweise, wie lange eine erzielte Immunität beim Menschen bestehen bleibt oder ob die mögliche Integration der Impf-DNS in das Erbgut des Impflings böse Konsequenzen haben kann. Einige Wissenschaftler befürchten, dass dadurch Krebs oder Autoimmunerkrankungen wie die Multiple Sklerose ausgelöst werden könnten.
Eine Impfung zum Dessert? Viel Forscherfleiß wird wohl auch noch in ein anderes Projekt gesteckt werden müssen: die gentechnische Umwandlung von Pflanzen zu Impfstoff-Lieferanten. Manche Wissenschaftler träumen gar davon, dass die Vakzine der Zukunft einfach »mitgegessen« werden könnten - in einer Banane - 66 -
beispielsweise. Was unglaublich klingt, hat durchaus festen wissenschaftlichen Boden unter den Füßen. In Tierversuchen und Tests mit freiwilligen Versuchspersonen hat der eine oder andere Pflanzen-Impfstoff seine prinzipielle Wirkweise schon unter Beweis gestellt. Um einen »essbaren Impfstoff« herzustellen, nutzen die Wissenschaftler Gen-Taxis, beispielsweise das Bodenbakterium Agrobacterium tumefaciens, oder bestimmte Viren, mit denen fremde Gene in das Erbgut von Pflanzen eingebaut werden können. Der gentechnisch veränderte Organismus wird als transgene Pflanze bezeichnet. Sie produziert nun das Protein nach den Anweisungen des ihr übertragenen Gens. Auf diese Weise brachten Wissenschaftler zum Beispiel Kartoffelpflanzen dazu, giftige Eiweißstoffe eines bakteriellen Durchfallerregers in ihren Knollen zu produzieren. Mäuse und freiwillige Versuchspersonen, denen die rohen Kartoffeln verfüttert wurden, bildeten daraufhin Antikörper gegen die Giftstoffe. Die Bildung von Antikörpern - den Abwehrjägern des Immunsystems - ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die körpereigenen Schutztruppen alarmiert sind. Kürzlich haben Wissenschaftler gar den Beweis erbracht, dass es möglich ist, mit Antikörpern, die auf gentechnischem Wege in Tabakpflanzen herangezüchtet wurden, Zahnkaries vorzubeugen.
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Die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes Eines der ambitioniertesten Forschungsvorhaben, das die Gentechnik möglich machte, ist das »Human-Genom-Projekt« im Jahr 1985 in den Vereinigten Staaten ins Leben gerufen. Das Ziel dieses Projektes: die Entschlüsselung der gesamten, aus drei Milliarden Bausteinen bestehenden Erbsubstanz (DNS) des Menschen. So richtig in Fahrt kam das Mammutprojekt ab 1986. Im Frühjahr dieses Jahres erschien in der Fachzeitschrift ›Science‹ ein Artikel des Krebsforschers Renato Dulbecco. Darin vertrat der engagierte Wissenschaftler vom Salk Forschungszentrum im kalifornischen San Diego die Ansicht, dass das Krebsproblem nur zu lösen sei, wenn man seine Wurzeln in den Genen suche. Um zu erkennen, was in entarteten Zellen fehllaufe, müsse man zunächst die genetische Ausstattung einer gesunden Zelle genau studieren. »Wenn wir mehr über Krebs wissen wollen«, schrieb Dulbecco, »müssen wir uns auf das zelluläre Genom konzentrieren.« Um den Stellenwert und den erforderlichen Kräfteeinsatz für das Unternehmen zu verdeutlichen, bemühte Dulbecco in seinem Beitrag den Vergleich mit der Raumfahrt: »In seiner Bedeutung wäre das Genomprojekt vergleichbar den Anstrengungen, die zur Eroberung des Weltalls geführt haben. Es sollte im gleichen Geist in Angriff genommen werden.« Um es voranzutreiben, galt zunächst zu klären, wer die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts eigentlich bezahlen sollte. Überzeugt vom grundsätzlichen Nutzen des Unternehmens und seinem großen wirtschaftlichen Potenzial bewilligte der amerikanische Kongress im Jahr 1987 die beachtliche Summe von 200 Millionen Dollar, die jährlich 15 Jahre lang für die Genomentschlüsselung zur Verfügung stehen sollte. Offiziell gestartet wurde das Human-Genom-Projekt im Jahr 1990 unter - 68 -
der Schirmherrschaft der amerikanischen Nationalen Gesundheitsbehörden. Erster wissenschaftlicher Koordinator war der damals 65-jährige James Watson. Nach den Vereinigten Staaten beschlossen auch weitere Länder sich in der Genomforschung zu engagieren. Ursprünglich planten die Wissenschaftler, das menschliche Genom bis zum Jahr 2005 zu entschlüsseln. Die Arbeiten gingen jedoch schneller voran als zunächst vermutet, so dass die Forscher schon fünf Jahre früher als geplant eine fast vollständige Karte des menschlichen Erbguts vorlegen konnten: Am 26. Juni 2000 wurde während einer offiziellen Zeremonie im Weißen Haus in Washington verkündet, dass nunmehr die Abfolge von rund neunzig Prozent der etwa drei Milliarden Bausteine der DNS, die unsere Erbinformation ausmachen, identifiziert sind. Die endgültige Fertigstellung versprach Francis Collins, der Sprecher des internationalen Humangenomprogrammes, für den fünfzigsten Jahrestag von Watsons und Cricks Veröffentlichung über die Struktur der DNS bis zum Frühjahr 2003. Während die einen Forscher die Entschlüsselung als »molekularbiologische Revolution« oder als »historisches Ereignis, vergleichbar mit der Landung des Menschen auf dem Mond« bewerten, relativieren andere Wissenschaftler die Bedeutung der fleißigen Entzifferungsarbeit.5 5
Einzeller, Fadenwürmer und Fliegen Den Wissenschaftlern ist es bislang gelungen, die Bausteinfolge des Erbguts von mehreren Bakterien und höher entwickelten Organismen zu bestimmen. Insgesamt sind ihnen derzeit über fünfzig Genome bekannt. Bei den höher entwickelten Organismen, so genannten Eukaryonten - Lebewesen, deren Erbgut sich wie beim Menschen im Innern eines Zellkernes befindet - handelt es sich unter anderem um die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae, den Fadenwurm Caenorhabditis elegans, die Taufliege Drosophila melanogaster, das Ackerkraut
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Der an der Rockefeller Universität in New York arbeitende Zellbiologe und Nobelpreisträger für Medizin des Jahres 1999, Günter Blobel, sprach beispielsweise in einem Beitrag für die ›Frankfurter Allgemeine Zeitung‹ von einer großen Leistung, deren Bedeutung er aber eher »im Bereich des Technischen als Arabidopsis thaliana, den Homo sapiens (Mensch) und die Spalthefe Schizosaccharomyces pombe. Das Besondere an der Analyse des mehr als eine Milliarde Jahre alten Genoms der Spalthefe ist, dass es nicht nur komplett sequenziert, also die Abfolge der Basen-Bausteine der DNS bestimmt wurde, sondern auch die Anfangs- und Endpunkte einzelner Gen exakt benannt und ihnen ihre Funktion zugeordnet werden konnte. Beim menschlichen Genom ist das bislang erst bei wenigen Genen gelungen. Zur großen Überraschung der Genetiker vom Berliner Max-PlanckInstitut für molekulare Genetik und des britischen Sanger-Centre entdeckten sie unter den 4824 Genen der primitiven Spalthefe - der kleinsten Zahl von Genen, die bisher bei einem Eukaryonten festgestellt wurden - fünfzig Erbanlagen, die mit bestimmten menschlichen Krankheiten wie Taubheit, zystische Fibrose, Diabetes, vor allem aber mit verschiedenen Krebsformen in Zusammenhang gebracht werden. Die einzellige Hefe ist damit über Nacht zu einem begehrten Modellorganismus für die Krebsforschung geworden. Nicht nur Krankheitsgene identifizierten die Wissenschaftler. Sie erkannten auch Gene, die für die Zellorganisation aller Eukaryonten einschließlich des Menschen sehr wichtig sind und die die Evolution über den extrem langen Zeitraum von einer Milliarde Jahre erhalten hat. Etwa Gene, die für die Ausbildung des Zellskeletts bedeutend sind, für den Proteinumsatz oder die Proteinaktivierung in einer Zelle. Mit Hilfe einfacher organisierter Organismen wie der einzelligen Spalthefe oder dem aus exakt 1090 Zellen bestehenden und nur einem Millimeter kleinen Fadenwürmchen können die Wissenschaftler auf die Genfunktionen in viel komplexeren Zellen, etwa menschlichen Zellen, schließen. Daraus ergeben sich Hinweise für die Entstehung von Krankheiten - und den Platz des Menschen in der Evolution. Zu den jüngsten Erfolgen der Genforscher zählen die Entzifferung des Erbguts der zwei häufigsten Reissorten, der Maus, des Typhus- und des Malaria-Erregers sowie der Malaria-Überträgerin, der Stechmücke Anopheles.
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in dem des Intellektuellen« sehe. Was derzeit vorliege, sei »nicht mehr als eine grobe Karte«. Von dieser auf eine baldige pharmazeutische oder medizinische Anwendung zu schließen, sei eine Übertreibung, weil der weitaus größte Teil der Forschung, »die eigentliche intellektuelle, reflexive Arbeit« jetzt erst beginne. »Bis man die wichtigsten Lebensprozesse auch nur annähernd versteht«, schreibt Blobel, »wird es noch sehr lange dauern.« Sein Kollege Jens Reich vom Max-Delbrück-Centrum in Berlin bestätigt in einem ›Zeit‹-Artikel: »Auf die großen Anwendungen werden wir noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte warten. Ausbuchstabieren ist eben nicht das Gleiche wie Verstehen des Genoms.« Die Geschwindigkeit, mit der die »Expedition ans Ende der Anatomie« vorangeschritten ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Forscher selbst nach Abschluss des Projektes entscheidende Fragen nicht beantworten können. »Was machen die Gene?«, lautet die wichtigste dieser Fragen. Derzeit ist nur von einem Bruchteil der vermutlich 30000 bis 40000 menschlichen Gene die Funktion bekannt. Andere Fragen lauten: Wie arbeiten die Gene zusammen? Wie werden sie reguliert und kontrolliert? Wie beeinflusst die Umwelt die Gene? »Die Beantwortung dieser Fragen gehört zu den langfristigen Zielen genetischer Forschung.« Sicher scheint derzeit nur, dass - wie so oft - Quantität nicht mit Qualität verwechselt werden darf: Wer viel weiß, muss das, was er sich fleißig erarbeitet hat, noch lange nicht verstehen. »Der Mensch«, betont der Humangenetiker Joachim Klose vom VirchowKlinikum der Charité in Berlin, »macht sich von der unermesslichen und unbeherrschbaren Komplexität biologischer Wirklichkeiten noch immer allzu einfache Vorstellungen.« In der »Post-Genom-Ära« hat das vorzugsweise lineare Denken der Sequenzierer mittlerweile einem Netzwerk-Denken mit neuer Terminologie Platz gemacht, das »Proteome«, - 71 -
»Transkriptome«, »Phänome« oder »Interaktome« analysieren will. Hinter diesen kryptischen Begriffen verbirgt sich einzig der Versuch der Wissenschaftler, sich im Dickicht der angesammelten neuen Erkenntnisse zu orientieren. Denn einzelne Gene und Proteine sind nur die winzigen Teile eines unglaublich komplexen Ganzen, verwoben in einem mit sich selbst wechselwirkenden Netzwerk und unauflösbar verzahnt mit den Einflüssen der Umwelt.
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Medizinische Chancen und ethische Probleme Wenn Gene krank machen Wer über Krankheiten forscht, »ohne die Gene zu berücksichtigen, verhält sich wie ein schlechter Detektiv, der einen Mordfall aufklären will, ohne den Mörder zu finden«. Derart anschaulich schilderte Nobelpreisträger James Watson im Jahr 1994 die Bedeutung des humanen Genomprojektes für die Zukunft der Medizin. Die Vision der Humangenetiker und Molekularbiologen ist, mit Hilfe der Gene und dem Wissen darüber, wie die Genprodukte zusammenspielen, auch Mittel und Wege zur Korrektur von Erbkrankheiten zu finden. Doch nicht nur die vergleichsweise selten auftretenden Erbkrankheiten stehen auf dem Programm der Genetiker. Auch sehr viel häufigere Leiden mit komplexeren genetischen Hintergründen, etwa Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hoffen sie mit Hilfe des neuen genetischen Wissens besser als bislang bekämpfen zu können. Letztlich ist das Ziel, gegen alle Krankheiten des Menschen Therapeutika auf Genbasis zu entwickeln. Inwieweit die Visionen Wirklichkeit werden, wird sich herausstellen. Die ersten menschlichen Leiden, deren genetische Ursachen aufgeklärt werden konnten, waren »monogenetische Erbkrankheiten« (»Ein-Gen-Krankheiten«). Sie lassen sich auf ein einziges defektes Gen zurückführen und kommen relativ selten vor: Von monogenen vererbten Krankheiten sind rund ein Prozent der Bevölkerung betroffen. Insgesamt 3000 dieser Krankheiten sind den Ärzten bekannt, Beispiele sind der Muskelschwund, die Mukoviszidose und Chorea Huntington, bei ihnen hatten die Gensucher ihre ersten sensationellen Forschungserfolge.
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Der Muskelschwund (duchennesche Muskeldystrophie) war das erste Erbleiden, das bis in seine genetischen Wurzeln aufgeklärt werden konnte. Im Jahr 1986 meldeten amerikanische Wissenschaftler, sie hätten das defekte Gen, das die Krankheit verursacht (Muskeldystrophie-Gen), mit speziell entwickelten Sonden aufgespürt. Unbekannt blieb jedoch, welches Produkt das Gen herstellte, auf welche Weise es also krank machte. Dies klärte sich ein Jahr später: Im Jahr 1987 identifizierten die Wissenschaftler das dazugehörige Protein - sie nannten es Dystrophin -, jetzt konnte die Krankheit bis in ihre molekularen Wurzeln hinein erklärt werden. Die duchennesche Muskeldystrophie, erstmals 1958 von dem französischen Arzt G. Duchenne beschrieben, befällt nur kleine Jungen. Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr entwickeln sie sich normal, dann aber schwindet mehr und mehr die Muskulatur. Die geistig und körperlich sonst völlig gesunden Kinder sind bald auf den Rollstuhl angewiesen und sterben meist früh. Das defekte Gen sitzt auf dem X-Chromosom, einem der beiden Geschlechtschromosomen. Da Mädchen zwei X-Chromosomen besitzen (XX), können sie ein defektes Gen mit dem intakten Gen auf dem zweiten X-Chromosom ausgleichen. Jungen (XY) können das nicht. Bei ihnen bricht die Erkrankung aus, weil sie kein zweites X-Chromosom, sondern ein Y-Chromosom besitzen, das kein »kompensierendes« Gen trägt. Das intakte Gen enthält die Bauanleitung für das Protein Dystrophin. Dieses Eiweiß hat im Körper die Aufgabe, die Muskulatur zu festigen. Arbeitet das Gen nicht richtig, kann Dystrophin nicht oder nicht in ausreichender Menge hergestellt werden. Die Folge: Die Muskulatur ist nicht fest genug, Muskelfasern reißen bei kleinster Belastung, Muskelzellen sterben nach und nach ab. So erklärt sich die immer schlimmer werdende Muskelschwäche. Trotz aller diagnostischer Fortschritte haben die Ärzte bis heute noch keine Möglichkeit, das Erbleiden zu heilen. - 74 -
Die Mukoviszidose (zystische Fibrose) war die nächste »EinGen-Krankheit«, welche die Wissenschaftler bis in die molekularen Details hinein erklären konnten. Die Mukoviszidose ist in Deutschland die häufigste vererbte Stoffwechselkrankheit. Rund 8000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene leiden hierzulande an der unheilbaren Krankheit, jedes Jahr werden etwa 400 Kinder mit Mukoviszidose geboren. Trotz verbesserter Behandlungsmöglichkeiten, die die Lebenserwartung steigern konnten, erreichen längst nicht alle Betroffenen das Erwachsenenalter. Das für die Krankheit verantwortliche Gen fand sich im Jahr 1989 auf Chromosom 7. Die Wissenschaftler haben mittlerweile über 600 Mutationen dieses Chromosomenabschnittes erkannt. Die Genveränderungen fuhren dazu, dass ein zäher Schleim lebenswichtige Organe wie Lunge, Bauchspeicheldrüse, Leber und Darm verstopft. Der zähe Schleim in der Lunge ist ein idealer Nährboden für Bakterien, häufige Entzündungen zerstören das Lungengewebe. Das Gen, das die Chorea Huntington - den erblichen Veitstanz verursacht, spürten die Wissenschaftler im Jahr 1993 nach zehnjähriger Suche auf. Sie fanden es auf Chromosom 4. Das defekte Gen verursacht den dramatischen Verlauf der Erkrankung, die mit leichten Bewegungsstörungen beginnt und mit völligem körperlichen und geistigen Verfall endet. Der Tod erlöst die Betroffenen etwa zwanzig Jahre, nachdem die ersten Symptome aufgetreten sind. Hirnuntersuchungen zeigen dann, dass Massen von Nervenzellen abgestorben sind. Das Huntington-Gen ist dominant. Das bedeutet: Wer das Gen vererbt bekommen hat, wird mit Sicherheit zwischen dem dreißigsten und fünfzigsten Lebensjahr erkranken. In Deutschland sind 7000 bis 8000 Menschen von dem Leiden betroffen. Als sich die Wissenschaftler das Huntington-Gen genauer anschauten, entdeckten sie Eigentümliches: Innerhalb - 75 -
des Gens treten auffällig häufig »Wortwiederholungen« auf. Immer und immer wieder, im Einzelfall bis zu hundertmal, folgt eine bestimmte Dreier-Buchstaben-Kombination - das Triplett CAG (die Basen Cytosin, Adenin, Guanin), Normal sind elf bis 34 CAG-Wiederholungen. Die Häufigkeit der CAG-Wort Wiederholungen innerhalb des Huntington-Gens erlaubt den Ärzten eine Aussage darüber, wie die Krankheit verlaufen wird. Denn: Je mehr CAG-Tripletts zu zählen sind, desto früher wird die Krankheit ausbrechen und desto schwerer ist ihr Verlauf. Seit 1997 ist bekannt, was das defekte Gen und sein ebenso defektes Eiweißprodukt im Gehirn womöglich anrichtet: Winzige unlösliche Eiweißknäuel verstopfen die Kernporen der Nervenzellen und lassen so eine nach der anderen untergehen. Diese Beobachtung lässt möglicherweise auf eine Therapie hoffen: Derzeit suchen die Wissenschaftler nach Substanzen, die imstande sein könnten, das Zusammenklumpen oder die Ablagerung der Proteine zu verhindern, beziehungsweise die fatalen Proteinschlacken wieder aufzulösen. Nicht nur bei monogenen Krankheiten, sondern auch bei komplexen Leiden wie Krebs oder der Alzheimer-Krankheit hoffen die Forscher auf therapeutische Fortschritte aus der Analyse der genetischen Grundlagen. Diese Erkrankungen können nicht auf die Fehlleistung eines einzigen Gens zurückgeführt werden, sondern beruhen auf schwer durchschaubaren Wechselwirkungen verschiedener Gene und der Umwelt.
Das Krebsgen-Puzzle Krebs ist keine einheitliche Erkrankung, es sind etwa 200 Tumorarten bekannt. Die Vielfalt der äußeren Erscheinung geht jedoch zumeist auf eine einzige Zelle zurück, in deren Erbsubstanz sich Schäden angehäuft haben. Eine normale Zelle wandelt sich dadurch in eine bösartige Zelle um, die sich den - 76 -
wachstumsregulierenden Signalen des Körpers entzieht und sich auf Kosten gesunder Zellen hemmungslos vermehrt. Die genetischen Defekte innerhalb einer Zelle können durch äußere Einflüsse entstehen, beispielsweise durch die Einwirkung von karzinogenen (krebserzeugenden) Substanzen, wie sie etwa im Zigarettenrauch enthalten sind. Aber auch »innere« Fehler, zum Beispiel eine gewisse erbliche Veranlagung, können zugrunde liegen. Sicher ist jedenfalls, dass eine Ursache für die Entstehung von Krebs nicht ausreicht. Stets müssen mehrere Faktoren zusammenkommen. Die Genforscher haben in den letzten Jahren vor allem zwei Gruppen von Erbanlagen ausfindig gemacht, die bei Krebs häufig verändert sind. In der Fachsprache heißen sie Onkogene und Tumor-Suppressor-Gene. Ihre Zusammenarbeit garantiert normalerweise, dass eine Zelle die Grenzen ihres Wachstums akzeptiert. Ist jedoch die Kooperation der beiden Genklassen gestört, kann die Zelle aus ihrem abgestimmten Wachstumstakt geraten. Die Funktionsweise der beiden Gengruppen wird gern mit der eines Autos verglichen: Die Onkogene (»Krebsgene«) sind die Gaspedale, die Tumor-Suppressor-Gene die Bremsen. Wird das Gaspedal zu fest gedrückt (dies entspricht der Veränderung eines Onkogens), gerät der Wagen (die Zelle) außer Kontrolle. Gleiches ereignet sich, wenn die Bremsen nicht mehr funktionieren (dies entspricht der Veränderung eines TumorSuppressor-Gens). Die Onkogene wurden bereits vor rund zwanzig Jahren in Viren entdeckt, die bei Tieren Tumoren auslösen können, der Begriff Onkogen hat sich mittlerweile auch für menschliche Gene eingebürgert, die das Zellwachstum kontrollieren. Sind »Proto-Onkogene« an kritischen Stellen geschädigt, werden sie zu Onkogenen, sie produzieren nun zuviel oder ein falsches Protein, was zu unkontrolliertem Zellwachstum führen kann. - 77 -
Die Tumor-Suppressor-Gene und ihre Bedeutung im Krebsgeschehen wurden erst später entdeckt. Einer der berühmtesten Vertreter dieser »Bremser« ist das Gen »p53«. Die zentrale Rolle im Lebenslauf einer Zelle hat dieser Erbanlage den Titel »Hüter des Erbguts« eingebracht. Denn p53 kann eine Zelle, die für den Organismus gefährlich werden kann, von weiteren Teilungen abhalten oder - wenn nichts mehr hilft - in den Selbstmord treiben. Fatal wird es, wenn p53 selbst das Opfer einer Mutation geworden ist. Entartete Zellen können sich dann unkontrolliert teilen und Tumoren bilden. Wie die Genforscher wissen, ist das Risiko, an Krebs zu erkranken, um ein Vielfaches erhöht, wenn p53 verändert ist oder fehlt. Die molekulare Ursachenforschung hat mittlerweile einige interessante neue Ansätze erbracht, um Krebserkrankungen zu behandeln. Ein Beispiel ist ein neues Medikament, das bei Tumorerkrankungen der Brust, die Tochtergeschwülste ausgebildet haben, eingesetzt werden kann. Wirkstoff ist ein so genannter monoklonaler Antikörper, der Brustkrebszellen angreift, wenn sie auf ihrer Oberfläche ein bestimmtes Molekül, den »HER-2-Rezeptor«, ausgebildet haben. Dieser Rezeptor eine Art Erkennungsflagge - ist bei etwa 25 Prozent der betroffenen Frauen vermehrt auf den Krebszellen zu finden. Er entsteht, wenn ein wachstumsförderndes Gen, ein Onkogen, in den Zellen übermäßig aktiv ist. Ein zweites Beispiel ist ein neues Medikament gegen einen bestimmten Blutkrebs, die chronisch myeloische Leukämie (CLL). Hierbei handelt es sich um einen so genannten Signaltransduktions-Hemmer, was bedeutet, dass der Wirkstoff auf molekulare Signalwege einwirken kann, welche die Zelle zu übermäßigem Wachstum antreiben. Die Experten schätzen, dass derzeit weltweit rund 400 Substanzen, die aus der molekularbiologischen Erforschung der Krebserkrankungen hervorgegangen sind, klinisch getestet - 78 -
werden. Als vielversprechend gelten beispielsweise Kandidaten, die das so genannte ras-Onkogen hemmen, ein wachstumsregulierendes Gen, das bei sehr vielen menschlichen Krebsarten verändert ist. Noch keiner dieser Kandidaten hat jedoch bislang den Sprung in die Krankenversorgung geschafft. Die Forschung macht Fortschritte, dass es eines Tages jedoch ein wirksames Medikament, die »Pille gegen den Krebs« geben könnte, schließen namhafte Experten aus: »Der Krebs ist keine Schwangerschaft mit einem einzigen vorausgehenden Ereignis«, urteilt Professor Rolf Kreienberg, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft. »Krebs hat viele Ursachen, seine Entstehung ist sehr kompliziert - und auf komplexe Fragen darf man bekanntlich keine einfachen Antworten erwarten.«6
6 Apoptose: Die zelluläre Kunst des Sterbens Zu den derzeit top-zitierten Themen der Krebsgrundlagenforschung zählt der so genannte programmierte Zelltod, die Apoptose. Von der Erforschung dieses jeder Zelle eingebauten und von Genen gesteuerten Selbstmordprogramms erhoffen sich Krebsforscher in aller Welt neue Ansatzpunkte für Medikamente. Denn es scheint, als würden entartete Zellen auf die natürlichen Signale, die sie zum Selbstmord aufrufen, nicht mehr reagieren. Könnte man ihr fehlerhaftes Apoptose-Programm reparieren, wäre eine wirksame Methode gefunden, um das Krebsübel an seiner Wurzel zu packen. Die Apoptose beobachtete der junge australische Doktorand John Kerr erstmals im Jahr 1962 unter dem Mikroskop. Was er sah, unterschied sich grundlegend von dem, was die Biologen bislang über das Sterben von Zellen zu wissen glaubten: Statt anzuschwellen und zu platzen, lief bei den Zellen, die Kerr fasziniert studierte, ein feinsinniges Drama in sorgfältig inszenierten Akten ab, das mit dem stillen Selbstmord der Zelle endete. Das war kein Sterben im klassischen Sinne, eine so genannte Nekrose, sondern eine zweite, bislang unbekannte Todesform. Kerr nannte sie Apoptose, nach den griechischen Wörtern apo (weg, los) und ptosis (Senkung). Wir dachten an Blätter, erläuterte Kerr die Namensgebung, die sich im Herbst von den Bäumen lösen und zu Boden sinken. Kerr veröffentlichte seine Beobachtungen im Jahr 1972 -
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Alzheimer - Kabelbrand im Gehirn Ein weiteres Beispiel für ein schwer durchschaubares, komplexes Leiden ist die »Alzheimer-Krankheit«. Sie trägt ihren Namen nach Alois Alzheimer, einem Nervenarzt in München, der sie Anfang des Jahrhunderts erstmals beschrieb. die Arbeit blieb für ein weiteres Jahrzehnt nahezu unbeachtet. Heute gilt sie als bahnbrechend. Ohne Apoptose kein Leben, bringt Professor Peter Krammer vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, einer der weltweit führenden Apoptose-Forscher, die Bedeutung des biologischen Basisprozesses auf den Punkt. Ohne den physiologischen, den Zellen einprogrammierten Tod kann sich ein Organismus weder entwickeln, noch kann er am Leben und gesund bleiben. Ein Beispiel dafür, wie die Apoptose die Entwicklung vielzelliger Lebewesen beeinflusst, ist die Metamorphose der Kaulquappe zum Frosch: Der Schwanz der Kaulquappe wird mittels Apoptose bauplangerecht eingeschmolzen. Auch während der menschlichen Embryogenese findet Apoptose statt. Sie sorgt beispielsweise dafür, dass sich die zunächst mit Schwimmhäuten ausgestattete Handpaddel in fünf wohlgestaltete Finger auftrennt. Im ausgewachsenen menschlichen Organismus sichert der genetisch programmierte Tod ebenfalls das Überleben: Gealterte oder verbrauchte Zellen sterben freiwillig ab und machen Platz für Nachrücker. Auch Zellen, die dem Körper auf Grund schwer wiegender genetischer Defekte gefährlich werden können - Krebszellen - werden durch Signale, die den programmierten Zelltod auslösen, normalerweise in den Selbstmord getrieben. Läuft das apoptotische Lebensprogramm allerdings fehlerhaft ab, weil die steuernden Gene versagen, kann es für den Organismus tragische Konsequenzen haben. Nicht nur Krebs, auch andere schwere Krankheiten, etwa Alzheimer und Parkinson, Herzversagen und Schlaganfall, Multiple Sklerose, Lebererkrankungen oder Gelenkverschleiß werden mit einer fehlgesteuerten Apoptose in Verbindung gebracht. Für die Entdeckung der grundlegenden Bedeutung der Apoptose als Basisprogramm des Lebens und dessen genetische Steuerung erhielten die Molekularbiologen Sydney Brenner, Robert Horvitz (beide USA) und John Sulston (Großbritannien) im Jahr 2002 den Nobelpreis für Medizin.
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Die Krankheit, von der rund 15 Prozent aller Menschen über 65 Jahren betroffen sind, beginnt mit leichten Gedächtnisstörungen und endet mit komplettem Persönlichkeitsverlust. Dass sich die Erkrankung im Gehirn abspielt, erkannte schon Alois Alzheimer. Er untersuchte die Hirne von an »Altersschwachsinn« Verstorbenen und entdeckte dabei auffällige Veränderungen: »Miliare Herdchen, welche durch Einlagerungen eines eigenartigen Stoffes bedingt sind« - so beschrieb Alzheimer vor über acht Jahrzehnten in der ›Allgemeinen Zeitung für Psychiatrie‹, was er während seiner Hirnuntersuchungen gesehen hatte. Heute ist bekannt, dass es sich bei den Einlagerungen um Proteine handelt, die die Funktion des Gehirns stören. Die Genforscher interessierten sich für die Krankheit aufgrund der alten Beobachtung, dass Alzheimer in manchen Familien gehäuft auftritt. Anfang der neunziger Jahre konnten sie tatsächlich drei Gene präsentieren, die bei der familiären Alzheimer-Krankheit nicht mehr richtig funktionieren. Charakteristisch für diese seltene vererbte Form ist, dass sich das Leiden bereits im dritten oder vierten Lebensjahrzehnt bemerkbar macht. Welche Rolle die Gene aber genau im Krankheitsgeschehen spielen, ist noch nicht zweifelsfrei geklärt. Fest steht, dass Alzheimer auch Menschen treffen kann, die keinen dieser Gendefekte in ihren Zellen tragen. Selbst erbliche Krankheitsformen sind bekannt, bei denen bislang keine veränderten »Alzheimer-Gene« gefunden werden konnten. Gegen die Alzheimersche Krankheit gibt es gegenwärtig keine wirksame Therapie. Bei der Entwicklung effizienter Medikamente hoffen die Wissenschaftler vor allem auf die Mithilfe »transgener« Tiere, einer der vielen neuen Errungenschaften der Gentechniker. Transgene Tiere sind Tiere, denen ein fremdes Gen in die Zellen eingeschleust wurde. Dazu injizieren die Wissenschaftler die entsprechende Erbanlage in - 81 -
befruchtete Eizellen. Das genetisch veränderte Ei wird anschließend einem weiblichen Tier in die Gebärmutter eingepflanzt. Alle Zellen des heranwachsenden Tieres enthalten dann das neue Gen; ein »transgenes Tier« ist entstanden. In der Forschung haben transgene Tiere als Krankheitsmodelle für schwere menschliche Leiden eine erhebliche Bedeutung. Anhand transgener Mäuse, denen ein Alzheimer-Gen eingepflanzt wurde, ist es den Forschern erstmals möglich, die Entstehung und den Verlauf des Leidens genau zu studieren. Auch neue Medikamente oder Therapiekonzepte können an diesen Tiermodellen auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Von ähnlicher großer Bedeutung sind Mäuse, die im Laborjargon als »Knock-out-Mäuse« bezeichnet werden. Bei ihnen haben die Wissenschaftler eine Erbanlage gezielt ausgeschaltet. Anhand der anschließend auftretenden Störungen können die Forscher auf die Aufgabe des Gens im gesunden Organismus rückschließen. Knock-out-Mäuse sind mittlerweile zu einem der wichtigsten biologischen Systeme geworden, um zu erkennen, welche Aufgabe ein Gen im Körper erfüllt. Untersuchungen an solchen »Alzheimer-Mäusen« haben mittlerweile erste Ansätze für eine mögliche Therapie erbracht. Getestet wird derzeit beispielsweise ein Impfstoff, der in den Versuchen mit transgenen Tieren verhindern konnte, dass sich die krank machenden Proteine im Gehirn ablagern. Ob die Impfstrategie auch beim Menschen funktioniert, ist bislang ungeklärt. Die Liste menschlicher Leiden, von denen nachgewiesen wurde oder die verdächtigt werden, mit defekten Genen verbunden zu sein, ließe sich beliebig fortsetzen. Sie reicht von Asthma über Bluthochdruck, Depression, Epilepsie, Schuppenflechte, Schizophrenie und Rheuma bis hin zur Zuckerkrankheit. Wie die Beispiele komplexer Krankheiten deutlich machen, reicht die Betrachtung eines einzelnen Genes nur in den seltensten Fällen aus, um eine Erkrankung wirklich - 82 -
zu verstehen, denn die Erbanlagen können nicht losgelöst von den biochemischen Regelkreisen betrachtet werden, die auf die genetische Ebene folgen. Welche Eiweißketten instruieren unsere Erbanlagen? Wie wechselwirken die Eiweiße untereinander? Allzuviel verstehen die Forscher davon noch nicht. »Wo bislang einzelne Bäume erkennbar waren«, kommentiert der renommierte Genforscher Ernst-Ludwig Winnacker die zukünftige Entwicklung, »werden wir beginnen müssen, wieder den Wald zu sehen - auf der Suche nach dem Verständnis des Ganzen.«
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Unser Erbgut bald auf Compact Disc? Der Nobelpreisträger Walter Gilbert formulierte 1988 einen damals noch gänzlich utopisch erscheinenden Gedanken: »In ein paar Jahren«, prophezeite der Molekularbiologe, »wird jeder auf dem Weg zum Arzt oder in die Apotheke eine Compact Disc dabeihaben, auf der die komplette Bausteinfolge der drei Milliarden Basenpaare seines Erbguts gespeichert ist.« Ganz so schnell wie von Gilbert vermutet, wurde seine Vision nicht Wirklichkeit. Dennoch sind wir auf dem besten Weg dorthin, offerieren doch schon heute Firmen handliche Testsysteme, mit denen genetische Anfälligkeiten für bestimmte Krankheiten ermittelt werden können. Wie auch immer die Zukunft aussehen mag, zweierlei steht heute schon fest: Mit der Möglichkeit, krankheitsverursachende (mutierte) Gene im Erbgut des Menschen nachzuweisen, hat eine neue Ära der Diagnostik begonnen. Und: Mit der Anzahl entdeckter Krankheitsgene wird auch die Anzahl von Gentests zunehmen, denn ist eine Erbanlage erst einmal identifiziert, ist auch der entsprechende Gentest möglich. In Deutschland werden derzeit Gentests für über hundert Erbkrankheiten angeboten und in Universitätsinstituten, großen Kliniken, privaten Labors und von niedergelassenen Ärzten für Untersuchungen verwendet. Mit Hilfe der Gentests ist es möglich, Krankheiten genauer zu diagnostizieren oder eine Anfälligkeit für eine spätere Erkrankung festzustellen. In wenigen Fällen ist es möglich, den Verlauf einer Krankheit vorauszusagen. Außerdem kann ermittelt werden, ob jemand, der gesund ist, dennoch ein Krankheitsgen besitzt, das er an seine Nachkommen weitergeben kann. Das große Dilemma der Gendiagnosen sei an dieser Stelle auch gleich genannt: Derzeit hinken die therapeutischen - 84 -
Möglichkeiten noch weit hinter den diagnostischen her. Was nutzt es, eine Krankheit vorauszusagen, die Ärzte aber nichts gegen sie tun können? Die Wissenschaftler trösten damit, dass sich die geöffnete Schere zwischen diagnostischem Fortschritt und therapeutischen Möglichkeiten zukünftig immer mehr schließen werde. Allen Gentests liegt das gleiche Prinzip zugrunde: Sie weisen Erbanlagen nach, die auf Grund einer bleibenden genetischen Veränderung, einer Mutation, nicht mehr richtig arbeiten. Solche Mutationen können komplette Chromosomen oder Chromosomen-Abschnitte, aber auch die kleinsten Bausteine der Gene, die Basen, betreffen. Ist beispielsweise deren ordnungsgemäße Reihenfolge (Sequenz) in einem Gen verändert, kann eine Krankheit die Folge sein. Die meisten Krankheitsgene sind »rezessiv«, das bedeutet: Eine Person erkrankt nur dann, wenn sie sowohl von ihrer Mutter als auch von ihrem Vater ein geschädigtes Gen vererbt bekommt. Hat sie nur ein Krankheitsgen erhalten, kann das andere, gesunde Gen die Ausfallerscheinungen ausgleichen: Die Person ist gesund, aber Überträger des kranken Gens. Anders ist es bei den seltenen dominanten Gendefekten: Hier reicht ein verändertes Gen aus, damit die Krankheit ausbricht. Um herauszufinden, ob ein verdächtiges Gen in einer Zelle vorhanden ist oder fehlt, ob es verändert oder normal aktiv ist, haben die Wissenschaftler verschiedene Möglichkeiten. Wollen beispielsweise werdende Eltern prüfen lassen, ob ihr heranwachsendes Kind an einem Erbleiden erkrankt ist, kann eine pränatale - eine vorgeburtliche - Genanalyse erfolgen. Dazu gewinnen die Ärzte kindliche Zellen aus dem Fruchtwasser. Dieses Verfahren wird Amniozentese genannt. Als Erstes erfolgt eine Chromosomen-Analyse, das heißt, die Chromosomen in der Zelle werden gezählt und ihr Aussehen beurteilt. Auf diese Weise kann beispielsweise festgestellt werden, ob ein Kind an - 85 -
Trisomie 21 (Down-Syndrom, Mongolismus) erkrankt ist. Bei dieser Krankheit liegt das Chromosom mit der Nummer 21 nicht in zweifacher, sondern in dreifacher Ausfertigung vor. Der Chromosomen-Analyse kann sich eine Analyse der DNS anschließen. Die DNS-Analyse nutzt molekularbiologische Methoden, um veränderte Gene aufzuspüren. Ist beispielsweise die Reihenfolge der Basen eines Gens - seine DNS-Sequenz bekannt, können so genannte Gensonden eingesetzt werden, um festzustellen, ob die verdächtige Erbanlage mutiert ist. Gensonden sind kleine radioaktive oder mit Farbpartikeln versehene DNS-Stücke, mit denen Mutationen »sichtbar« gemacht werden können. Eines der neuesten Verfahren nutzt schnell oszillierende elektromagnetische Wellen, um Gendefekte aufzuspüren. Mit Hilfe der elektromagnetischen Wellen von einigen Billionen Hertz kann festgestellt werden, ob sich zwei komplementäre DNS-Stränge auf einem DNS-Chip 7 7
Was ist ein DNS-Chip? Die Idee einen DNS-Chip zu entwickeln, stammt von einer kleinen Wissenschaftlergruppe, der unter anderem Edwin Southern angehörte, der Erfinder des so genannten Southern-Blot-Verfahrens, einer heute unverzichtbaren molekularbiologischen Untersuchungsmethode. Die Forscher trafen sich erstmals Anfang der neunziger Jahre, publizierten ihre Idee 1995 und setzten damit eine weit in die Zukunft reichende Entwicklung in Gang. Die winzigen Wunderplättchen sind seither stetig weiter entwickelt worden und leisten derzeit vor allem in der Forschung wertvolle Dienste. DNS-Chips bestehen aus einem etwa fingernagelgroßen Glas-oder Silikonträger, der mit einem (mikroskopisch) sichtbaren Rasen von Zehntausenden unterschiedlichen Abschnitten der Erbsubstanz DNS bestückt ist. Zur Bestückung nutzen die Wissenschaftler verschiedene Techniken, beispielsweise die Fotolithografie mit Masken, elektrochemische Methoden oder eine Art Siebdruckverfahren. Die auf den Träger aufgebrachten DNS-Stücke werden zuvor mit einem fluoreszierenden Farbstoff markiert und funktionieren wie Angelhaken: Sie fischen andere, zu ihnen passende DNS-Stücke aus einer Probe
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miteinander verbunden haben oder ob sie getrennt vorliegen. Das von Wissenschaftlern der Technischen Hochschule in Aachen entwickelte Verfahren ist schnell, hochempfindlich und funktioniert bereits mit kleinsten Probemengen. In der klinischen Praxis wird es jedoch noch nicht eingesetzt.8
heraus. Diese biochemische Verbindung macht ein Lesegerät sichtbar: Ein feiner Laserstrahl lässt den Farbstoff aufleuchten (fluoreszieren) und verrät, ob und wie viel DNS angekoppelt hat. Mit Hilfe dieser Fluoreszenzsignale werden zur Zeit fast alle DNS-Chips ausgewertet. An einer direkten elektronischen Auswertung, die eleganter und schneller ist, arbeiten die Forscher derzeit. Mittlerweile gibt es über zwei Dutzend DNS-Chips zu Forschungszwecken, beispielsweise einen HIV-Gen-Chip. Mit ihm kann nachgewiesen werden, ob aidserzeugende HI-Viren Resistenzen gegen Medikamente entwickelt haben. Mit anderen Chips lässt sich die Aktivität von Krebsgenen (etwa des tumorunterdrückenden Gens p53 oder der Brustkrebsgene BRCA1 und BRCA2) analysieren. Andere Beispiele sind Chips, die das gesamte Erbgut von krank machenden Bakterien enthalten. Die Wissenschaftler hoffen, mit Hilfe dieser Chips die Achilles-Sehne im Stoffwechsel der Bakterien aufzuspüren und Ansatzpunkte für neue Antibiotika zu finden. Die Anwendungsmöglichkeiten der DNS-Chips sind groß und gehen weit über die Medizin hinaus. Sie reichen von der Agrarwirtschaft über die Chemie bis hin zur Umwelttechnik oder Qualitätskontrolle im Lebensmittelbereich. In der Lebensmittelindustrie fahnden Qualitätskontrolleure etwa mit DNS-Chips nach Salmonellen und anderen schädlichen Keimen in Milch- und Eiprodukten. 8
Gentechnik: Schlüssel zum ewigen Leben? Seit jeher versuchen die Menschen, die Grenze der Sterblichkeit zu überwinden. Auch die moderne Naturwissenschaft träumt den alten Traum vom grenzenlosen Leben unverdrossen fort. Die neue molekulare Biologie sucht die Ursache des unaufhaltsamen Zerfalls in den Zellen, Chromosomen und Genen. Wer das Geheimnis des Alterns auf molekularer Ebene enträtselt, hoffen die Biologen, könnte die Feinwerkzeuge in Händen halten, um an den filigranen Rädchen der zellulären Lebensuhr zu drehen. Ewige Sehnsucht Jungbrunnen.
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In den letzten Jahren ist es den Wissenschaftlern tatsächlich bei niedrigen Organismen gelungen, einige der Gene aufzuspüren, die am Prozess des Alterns beteiligt sind. Manche Forscher schätzen, dass es beim Menschen insgesamt 7000 Altersgene geben könnte. Der Biologe Siegfried Hekimi aus Montreal suchte in Würmern nach Altersgenen und wurde fündig: Fehlt den Tieren das Clock-1 getaufte Gen, werden sie statt neun erstaunliche fünfzig Tage alt. Auf den Menschen übertragen bedeutet dies, dass sich dessen durchschnittliche Lebenserwartung von derzeit knapp achtzig Jahren auf durchschnittlich 440 Jahre ausdehnen würde. Auch Heinz Osiewacz, Biologie-Professor an der Universität Frankfurt am Main, kann mit einem Geronto-Gen aufwarten. Schlauchpilze, die das Gen aufgrund einer Mutation verloren haben, leben statt weniger Wochen mehrere Jahre. Professor Gerald Schellenberg, Molekulargenetiker der Universität Seattle, macht ein Gen, das den Bau bestimmter Enzyme veranlasst, für das WernerSyndrom verantwortlich. Daran erkrankte Menschen altern außerordentlich rasch: Die Vergreisung beginnt bereits mit etwa zwanzig Jahren; nur wenige erreichen das fünfzigste Lebensjahr. Ursache scheinen unbrauchbare Helicasen zu sein, das sind Enzyme, die eine wichtige Rolle bei der Verdopplung der Erbsubstanz spielen. Arbeiten sie nicht korrekt, häufen sich Schäden ungewöhnlich rasch im Erbgut an. Schellenberg glaubt, dass auch bei gesunden Menschen die Leistungsfähigkeit der Helicasen im Alter abnimmt. Im Januar 1998 veröffentlichte der amerikanische Wissenschaftler Woodring Wright vom Southwestern Medical Center der Universität Texas, Dallas, in der Fachzeitschrift ›Science‹ ein sensationelles Ergebnis. Wright und seinen Mitarbeitern war es gelungen, menschliche Zellen aus Auge und Vorhaut unbegrenzt am Leben zu erhalten. Zuvor hatten sie ihnen mit Hilfe gentechnischer Methoden die Erbanlage für die Telomerase eingepflanzt. Die Telomerase ist ein Enzym, sie sorgt in Keimzellen dafür, dass sich die Endstücke der Chromosomen - die Telomere - nicht abnutzen. In Körperzellen kommt die Telomerase normalerweise nicht vor, dort werden die Schutzkappen der Chromosomen mit jeder Zellteilung ein Stückchen kürzer. Irgendwann sind die Telomere aufgebraucht, die Zelle büßt ihre Teilungsfähigkeit ein - sie altert - und stirbt. Die Telomere gleichen also einer Zündschnur, die langsam abbrennt und am Ende den Tod der Zelle auslöst. Außer in Keimzellen kommt die Telomerase auch in Krebszellen vor: Deren Telomere bleiben in voller Länge erhalten - ein Grund für die Unsterblichkeit der
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Zu den Gentests, die Betroffenen schon heute unmittelbar nutzen können, zählt die Retinoblastom-Genanalyse und der Gentest für die Familiäre Polyposis. Das Retinoblastom ist ein seltener Augentumor, der nur bei Kindern auftritt. Ursache ist eine Mutation im Retinoblastom-Gen auf dem kurzen Arm von Chromosom 13. Hatten früher die Ärzte den Verdacht, dass ein Kind von Vater oder Mutter ein defektes Retinoblastom-Gen geerbt haben könnte, blieb nichts anderes, als alle drei Monate unter Vollnarkose eine Augenspiegelung vorzunehmen. Da das Risiko, das defekte Gen geerbt zu haben, fünfzig Prozent beträgt, musste die Hälfte der Kinder die belastende Untersuchung quasi grundlos ertragen. Heute kann gleich nach der Geburt untersucht werden, ob ein Kind das mutierte Gen in seinen Zellen trägt. Ist dies der Fall, wird das Auge in regelmäßigen Abständen untersucht, um Tumorvorstufen frühzeitig zu erkennen und zu entfernen. Wenn das Kind sechs Jahre alt geworden ist, ist die Gefahr gebannt: Die zur Entartung neigenden Zellen sind dann ausgereift und teilen sich nicht mehr. Die Familiäre Polyposis ist eine erbliche Darmkrebsform. Im Dickdarm entstehen zahllose Polypen, die später zu Krebs entarten. Ursache ist die Veränderung eines Gens, des so genannten »APC-Gens« (APC für Adenomatöse Polyposis Coli), es wurde im Jahr 1992 auf Chromosom 5 gefunden. Mit einem Gentest können die Ärzte das mutierte APC-Gen entarteten Zellen. Nachdem die Forscher den menschlichen Körperzellen das Gen für die Telomerase übertragen hatten, beobachteten sie, dass die Zellen in den Laborkulturen nicht wie üblich nach etwa sechzig Zellteilungen starben. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hatten sie sich über hundertmal geteilt, und zwar ohne jede Alterserscheinung. Dieses Resultat erfreute nicht nur Wissenschaftler und Medien, sondern auch Investoren: Die Aktienkurse des kalifornischen Unternehmens Geron - es hält die Patente auf die Telomerase - kletterten in die Höhe.
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nachweisen, dadurch werden frühzeitig lebensrettende Maßnahmen möglich. Anders als die seltene Familiäre Polyposis ist der Brustkrebs eine sehr häufige Tumorerkrankung. Jährlich erkranken in Deutschland über 40000 Frauen daran. Die Wissenschaftler gehen derzeit davon aus, dass bei fünf bis zehn Prozent der erkrankten Frauen eine erbliche Komponente an der Entstehung beteiligt ist. Die beiden bekanntesten Gene, welche die Forscher bisher identifiziert haben, sind BRCA1 und BRCA2 (nach englisch »breast cancer«). BRCA1 wurde im Jahr 1994 auf Chromosom 17 entdeckt, BRCA2 ein Jahr später auf Chromosom 13. In Deutschland herrscht Konsens darüber, dass Gentests nur auf freiwilliger Basis in qualifizierten Labors nach einer umfassenden Beratung erfolgen dürfen. Niemand darf zu einem Gentest gezwungen werden - es gibt auch ein Recht auf Nichtwissen. Andererseits sollte ein Test niemandem verwehrt werden, der ihn ausdrücklich wünscht.
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Heilen mit Genen - Hoffnung Gentherapie Der 14. September 1990 gilt als der Geburtstag der Gentherapie. Damals unternahmen die amerikanischen Ärzte French Anderson, Michael Blaese und Kenneth Culver von den Nationalen Gesundheitsinstituten in den Vereinigten Staaten erstmals den Versuch, mit Genen zu heilen. Ihre Patientin war Ashanti DeSilva, ein vierjähriges Mädchen mit einer schweren erblichen Erkrankung des Immunsystems. Der erste genehmigte Gentherapie-Versuch verlief wenig spektakulär: Die Behandlung dauerte eine knappe halbe Stunde, Ashanti saß dabei auf ihrem Bett, durch einen an ihrem Arm endenden Infusionsschlauch flossen weiße Blutkörperchen in ihren Körper. Diese Blutkörperchen machten die Behandlung jedoch zu etwas Besonderem. Denn die Ärzte hatten Ashanti die Zellen entnommen und ihnen im Labor vor der Rückübertragung in den Körper des Kindes ein zusätzliches Gen eingebaut - jenes Gen, das Ashanti bislang fehlte. Die Erkrankung, an der Ashanti leidet, nennen Ärzte »ADAMangel«. ADA ist die Abkürzung für »Adenosin-Desaminase«. Das Enzym verhindert, dass sich schädliche Produkte, die während des Stoffwechsels entstehen, im Organismus anreichern. Fehlt das Gen für die Adenosin-Desaminase oder arbeitet es nicht richtig, sammeln sich Giftstoffe im Organismus an und zerstören Zellen des Immunsystems. Vor allem die T-Zellen, ein bestimmter Typ weißer Blutkörperchen, sind davon betroffen. Ohne sie ist das Immunsystem nicht mehr in der Lage, Krankheitserreger wirksam abzuwehren, ein für gesunde Menschen harmloser Virus-Infekt kann für die betroffenen Kinder zur tödlichen Gefahr werden.
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Vom Mensch zur DNS.
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Der ADA-Mangel tritt nur sehr selten auf. Unter 100 000 Kindern ist etwa eines von dem Leiden betroffen. Bekannt wurde der Gendefekt durch David, den »Bubble-Boy«. Er litt an einer besonders schweren Ausprägung der Erbkrankheit. Bis zu seinem Tod im Alter von dreizehn Jahren lebte er in einem Plastikzelt, das ihn vor Keimen schützen sollte. Bilder, die David beim Spielen in der Natur in einem eigens für ihn von der NASA angefertigten »Astronauten-Anzug« zeigten, gingen Anfang der achtziger Jahre um die Welt. Die Hoffnung der Gentherapeuten ist, den ADA-Mangel und andere Krankheiten, die auf fehlenden oder defekten Erbanlagen beruhen, ursächlich zu behandeln, indem sie das entsprechende Gen in Körperzellen einschleusen. Das Gen soll das bislang fehlende Eiweißprodukt herstellen und den Schaden korrigieren die Krankheit wäre damit an ihrer molekularen Wurzel gepackt und geheilt. Die Zellen erhalten gleichsam ein molekulares Rezept - ein Stück DNS -, das sie in die Lage versetzt, das für die Behandlung notwendige Mittel selbst herzustellen. Ashanti, die erste Gentherapie-Patientin, ist heute eine junge Frau. Es geht ihr gut, und sie kann ein Leben führen wie andere auch. Welchen Anteil die Gentherapie an ihrem Wohlergehen hat, kann allerdings nur schwer beurteilt werden: Allen ADAPatienten, die bislang in den Vereinigten Staaten und in Europa mit Genen behandelt wurden, wird zusätzlich das fehlende Enzym verabreicht. Diese ergänzende Therapie war den Wissenschaftlern von den Behörden auferlegt worden, um die Patienten optimal zu versorgen. Mittlerweile haben die Forscher die ADA-Gentherapie weiter entwickelt. Es ist ihnen gelungen, das defekte Gen in Stammzellen des Blutes einzubringen. Aus ihnen gehen alle Blutzellen hervor. Der französische Gentherapeut Alain Fischer vom »Hôpital Necker« in Paris hat im Jahr 2000 in der Zeitschrift ›Science‹ berichtet, mehrere »ADA-Kleinkinder« - 93 -
erfolgreich gentherapeutisch behandelt zu haben: Fast ein Jahr nach der einmaligen Behandlung hatten die Kinder noch ein intaktes Immunsystem, das sie vor Infektionen schützt. Ob das tatsächlich lebenslang so bleiben wird und ihre schwere angeborene Immunschwäche mit der Genübertragung folgenlos behoben werden konnte, ist derzeit unbekannt. Dies ist ein positives Beispiel unter zahlreichen Fehlschlägen, welche die Gentherapeuten seit den ersten Behandlungsversuchen im Jahr 1990 hinnehmen mussten. Den bedauernswertesten Rückschlag erlitt die anfangs als »Medizin des 21. Jahrhunderts« gefeierte Allzweckmethode gegen Leiden von Aids über Krebs bis zur zystischen Fibrose mit dem bisher ersten, durch eine Gentherapie verursachten Todesfall: Im September 1999 verstarb der 18-jährige Amerikaner Jesse Gelsinger nach dem Versuch, sein Erbleiden mit einer Genübertragung zu korrigieren. Jesse litt an einem so genannten OTC-Mangel: Ihm fehlte ein Gen, das zuständig ist für den Bau eines Enzyms (OTC). Das Enzym wird normalerweise von Leberzellen gebildet und sorgt dafür, dass sich während des Stoffwechsels entstehendes Ammoniak nicht im Blut ansammelt. Ohne das Enzym steigt der Ammoniakspiegel, der Körper wird vergiftet. Der OTC-Mangel ist unheilbar und endet oft tödlich. Unter 40000 neugeborenen Kindern ist eines, das von diesem Erbleiden betroffen ist. Wie sich im Nachhinein herausstellte, hatte Jesse Gelsinger auf Veranlassung des Gentherapeuten James Wilson, Leiter des Instituts für HumanGentherapie, University of Pennsylvania, 38 Billionen Viruspartikel in die Blutbahn injiziert bekommen - die höchste bis dahin bei einem Menschen verabreichte Dosis. Die Viren, so genannte adenovirale Vektoren, trugen in ihrem Innern das therapeutische Gen.
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Statt ihn von seinem Erbleiden zu befreien, verursachten die Viren bei Jesse Gelsinger ein tödliches Multiorganversagen (siehe Seite 99). Mit nicht zu überbietender Deutlichkeit zeigte dieser Menschenversuch, dass die Gentherapie nach wie vor in einem experimentellen Stadium ist und dass vor einer erfolgversprechenden Anwendung noch zahlreiche grundsätzliche Probleme zu lösen sind. Auch die bislang erfolgreichste Gentherapie bei den ADA-Kindern in Paris erlitt kürzlich einen herben Rückschlag: Im Herbst 2002 wurde bekannt, dass ein vor zweieinhalb Jahren im Alter von sechs Monaten erkrankter Junge an einer ungewöhnlichen akuten Leukämie erkrankt ist. Die Wissenschaftler halten es für möglich, dass das mit Hilfe von Retroviren (siehe Seite 98) eingefügte Ersatzgen ein benachbartes wachstumsregulierendes Gen geschädigt hat und dadurch das bösartige Wachstum der weißen Blutzellen ermöglichte. Es ist allerdings auch denkbar, dass beide Krankheiten unabhängig voneinander entstanden sind.
Genspritze für Bluterkranke? Derzeit steht im gentherapeutischen Rampenlicht die Hämophilie, die Bluterkrankheit. Von ihr behaupten Experten wieder einmal -, dass sie die erste Krankheit sein könnte, die mit einer Gentherapie geheilt werden kann. Ihren »verhaltenen Optimismus« belegen sie damit, dass es sich bei der Hämophilie um eine für die Gentherapie in »nahezu idealer Weise« geeignete Erkrankung handele. Weithin bekannt wurde die Bluterkrankheit, als sie sich vor mehr als hundert Jahren auffällig unter den Mitgliedern europäischer Königsgeschlechter auszubreiten begann. Besonders im großen Verwandtschaftskreis der Königin Victoria von Großbritannien (1819-1901) häuften sich die - 95 -
Krankheitsfälle unter männlichen Abkömmlingen. Sie erlitten schon nach kleinsten Verletzungen schwere Blutungen, die kaum zu stillen waren. Bei weiblichen Nachkommen trat die Erkrankung nicht auf. Wie Medizinhistoriker rekonstruiert haben, war in der ersten Nachkommengeneration von Königin Victoria nur ein Junge an der Bluterkrankheit erkrankt; in der zweiten Generation waren es drei, in der dritten sechs männliche Nachkommen. Rasch bahnte sich das Leiden seinen Weg von der britischen Insel in fast alle Herrscherhäuser des Kontinents, beispielsweise Preußens, Spaniens und Russlands. In der Zarenfamilie litt der Thronfolger und einzige Sohn, Zarewitsch Alexander, an der Bluterkrankheit. Die Lösung für die rätselhaften Krankheitsfälle gilt heute als klassisches Beispiel für einen geschlechtsgebundenen Erbgang. Die »Quelle« der Erkrankung ist sehr wahrscheinlich der englische Hof: In einer der Eizellen von Königin Victoria muss sich auf einem ihrer beiden X-Chromosomen - der weiblichen Geschlechtschromosomen - eine zufällige Mutation ereignet haben. Von ihr betroffen war ein Gen, das für die Produktion eines lebenswichtigen Proteins zuständig ist. Ohne dieses Protein - ein »Blutgerinnungsfaktor« - kann das Blut nicht gerinnen, Wunden schließen sich nicht. Für Queen Victoria blieb der genetische Fehler ohne Folgen. Über ihre Geschlechtszellen gab sie das defekte Gen jedoch an ihre Nachkommen weiter. Haben weibliche Nachkommen (XX) das veränderte Gen vererbt bekommen, erkranken sie in der Regel nicht, weil bei ihnen das zweite gesunde X-Chromosom den Schaden auszugleichen vermag. Sie sind dennoch Trägerinnen des Erbfehlers und geben ihn an die nachfolgende Generation weiter. Bei männlichen Nachkommen (XY) bricht die Krankheit aus, weil sie kein zweites »ausgleichendes« XGeschlechtschromosom mehr besitzen. Ihr nahezu genleeres YChromosom kann diese Aufgabe nicht erfüllen. - 96 -
Erst Ende der sechziger Jahre konnte das fehlende Genprodukt aus Blutplasma gereinigt werden. Erst in den achtziger und frühen neunziger Jahren wurde es möglich, Gerinnungsfaktoren mit Hilfe der Gentechnik herzustellen: Faktor VIII für die häufigere Hämophilie A und später Faktor IX für die seltenere Hämophilie B. Der Plan der Gentherapeuten verspricht eine grundsätzliche Lösung des Übels: Man isoliere das gesunde Gen, packe es in ein Transportvehikel und spritze es in die Blutbahn. Wie ein Paketservice soll das Vehikel das heilende Gen in die Körperzellen transportieren. Nach den nun verfügbaren genetischen Anweisungen wird dann, wie beim Gesunden, der fehlende Blutgerinnungsfaktor produziert. Mit einer erfolgreichen Genübertragung wäre der Kranke unter Umständen ein Leben lang vor gefährlichen Blutungen geschützt: Schon fünf Prozent der natürlichen Menge an Gerinnungsfaktoren sind therapeutisch wirksam, zudem muss der Spiegel an Gerinnungsfaktoren im Blut nicht wie der anderer Proteine feinreguliert werden. Trotz immer wieder vermeldeter Fortschritte der Gentherapeuten ist ihre Behandlung auch bei der als besonders geeignet geltenden Bluterkrankheit noch nicht aus dem Experimentalstadium herausgekommen. Auch in diesem Fall mangelt es in erster Linie an geeigneten Überträgersystemen, mit denen die therapeutischen Gene ohne Gefahr für den Patienten in Körperzellen eingebracht werden können. Die Vektoren, so die einhellige Meinung der Experten, sind die Achillesferse der Gentherapie. Solange es keine sicheren und effizienten Überträgersysteme für Gene gibt, wird es auch keine erfolgreiche Gentherapie geben.
Gesucht: Zuverlässige Gen-Spediteure Wie gelingt der Transport von Genen auf effektive und sichere Weise? Mit dieser Frage beschäftigen sich Wissenschaftler in den Genlabors rund um die Welt. Grundsätzlich stehen - 97 -
verschiedene Methoden zur Verfügung. Keine von ihnen hat bislang jedoch die Kriterien erfüllt, die der amerikanische GenPionier French Anderson vor mehr als einem Jahrzehnt an die idealen Gen-Fähren stellte: »Man sollte anhand von Tierversuchen zeigen, dass das neue Gen in die Zielzelle eingebracht werden kann und dort lange genug verweilt, um wirksam zu werden; dass das neue Gen in der Zelle in ausreichendem Maße abgelesen und in Protein übersetzt wird und dabei weder der einzelnen Zelle noch dem gesamten Organismus schadet.« Zu den wichtigsten Methoden zählt nach wie vor der Gentransfer mit Hilfe von Viren. Das ist eine nahe liegende Idee, ist doch die Übertragung von Genen in fremde Zellen eine im Laufe der Evolution ständig verbesserte Meisterleistung der allgegenwärtigen Winzlinge. Viren sind gleichsam »genetische Botschafter«. Ein amerikanischer Biologe, Lewis Thomas, beschrieb sie einmal treffend so: »Wir leben inmitten tanzender Viren. Sie schwirren wie Bienen von Organismus zu Organismus, von der Pflanze zum Insekt zum Säugetier zu mir und wieder zurück ... und geben dabei Erbanlagen weiter wie Lachsbrötchen auf einer Party herumgereicht werden.« Die Jahrmillionen an biologischer Erfahrung, welche die Viren bei der Übertragung genetischen Materials in eine Wirtszelle ihrer Wahl gesammelt haben, wollen die Wissenschaftler für die Gentherapie nutzen: Sie pflanzen ihnen die gewünschten Gene ein und hoffen darauf, dass die Winzlinge ihrer gewohnten Arbeit nachgehen und die therapeutisch interessanten Erbanlagen in infizierten Zellen zurücklassen. Als Taxis für Gene benutzen die Forscher beispielsweise »Retroviren«. Diese Viren bauen ihr genetisches Material langfristig in eine Wirtszelle ein, eine natürliche Eigenschaft, die Retroviren - theoretisch - zu idealen Fähren für therapeutische Gene macht. In der Praxis haben die - 98 -
Gentherapeuten jedoch mit so manchen Problemen und zum Teil schweren Nebenwirkungen zu kämpfen. Die Viren haben zum Beispiel keine Vorliebe für bestimmte Zellen, sondern nisten sich mehr oder weniger wahllos in verschiedene Zelltypen ein. Für eine gezielte Gentherapie ist dies ein großes Hindernis. »Adenoviren« sind ebenfalls beliebte Gentransporteure. Diese Viren übertragen Gene recht zielsicher, von Nachteil ist aber, dass sie eine Zelle dabei schädigen und starke Reaktionen des Immunsystems auslösen können. Wie entschlossen die Abwehr des Immunsystems ausfallen kann, zeigte der Tod von Jesse Gelsinger (siehe Seite 95). Der Wissenschaftler Günter Cichon vom Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin hat für das tragische Schicksal des 18-jährigen Amerikaners eine immunologische Erklärung gefunden. Seiner Meinung nach aktivierte die Flut an Adenoviren, die für die Gentherapie als Vektoren verwendet wurden, das so genannte Komplementsystem. Es besteht aus zahlreichen Proteinen, die eindringende Erreger für die Fresszellen des Immunsystems kenntlich machen. Diese erste Verteidigungslinie der Abwehr hat auf die Virenschwemme offenbar überschießend reagiert. Im Körper von Jesse Gelsinger in dessen Blut zeitweilig mehr fremde Viren als rote Blutkörperchen schwammen - kam es zu einer gefährlichen Komplementrevolte, die körpereigene Organe zerstörte. Um derart tragische Zwischenfälle künftig zu vermeiden, wollen die Vektorforscher die Adenoviren kastrieren. Eine ihrer neuesten Kreationen heißt »Gutless« - »ohne Innereien«. Die Viren bestehen nur noch aus leeren Hüllen, in die das fremde Gen wie in eine Schachtel eingepackt wird. Ob die Gutless-Vektoren das Immunsystem tatsächlich wie erhofft unbemerkt unterlaufen können, ist offen und erscheint Experten als eher unwahrscheinlich.
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Manche Forscher setzen lieber auf »Adeno-assoziierte Viren« als Genfähren. Sie sind allerdings so winzig, dass sie nur eine kleine Genfracht mit sich führen können. »Herpes-simplexViren Typ I« - sie rufen die typischen Lippenbläschen bei Herpes hervor - infizieren mit Vorliebe Nervenzellen. Dies macht sie zu idealen Kandidaten für eine mögliche Gentherapie von Nervenleiden. Wie die Adenoviren richten jedoch auch die Herpesviren Schäden in den Wirtszellen an und lösen Abwehrreaktionen aus. Die Probleme der viralen Genübertragung versuchen Forscher zu umgehen, indem sie nicht-virale Transportsysteme konstruieren. Dazu verpacken sie die Gene in kleine Fettkügelchen (Liposomen), hüllen sie in Polymere ein oder verzichten ganz auf eine Verpackung und injizieren die Gene »nackt«. Im Innern der Liposomen gelangen die Gene wie im Bauch des Trojanischen Pferdes in die Zielzelle: Die Kügelchen verschmelzen mit der Zellmembran und laden ihre Genfracht im Innern ab. In Untersuchungen mit Tieren konnten dies auch »Nanokapseln« bewerkstelligen, winzige Hohlkugeln mit einem Durchmesser von rund hundert Nanometer (daher ihr Name) einem Zehntausendstel Millimeter. Zum Vergleich: In einen Stecknadelkopf passen drei Milliarden dieser Nanokapseln. Mit chemischen Tricks sorgen die pharmazeutischen Nanotechnologen dafür, dass die winzigen Partikel Gene magisch anziehen. Es bilden sich kleine Knäuel, die sich als so genannte Nanoplexe auf die Reise in das Innere der Zelle machen. In die neue Nanotechnik werden große Hoffnungen gesetzt, nicht nur für die Gentherapie, sondern auch für den zielgerichteten Transport von Medikamenten. Die renommierte Fachzeitschrift ›Science‹ feierte die winzigen Verpackungskugeln Ende 2000 als »Durchbruch des Jahres«. Eine Verbesserung ihrer gentherapeutischen Experimente versprechen sich die Forscher auch von »künstlichen - 100 -
menschlichen Chromosomen«. Dieses neue Transportsystem für Gene wurde im Jahr 1997 von amerikanischen Wissenschaftlern vorgestellt. Es bietet den Vorteil, dass gleich mehrere Gene von den im Labor zusammengebastelten Chromosomen übertragen werden können. Als weiteres Plus gilt, dass den therapeutischen Genen mit dem künstlichen Chromosom eine »vertraute Umgebung« mitgegeben wird. Sie soll sicherstellen, dass die Gene in der neuen Zelle heimisch werden und ihr Genprodukt korrekt abliefern. Doch noch sind die künstlichen Chromosomen nicht weit genug entwickelt, um für gentherapeutische Zwecke verwendet werden zu können. Den neuesten Weg, den die Forscher erkunden, ist, wie man die »Selbstheilungskräfte« der Zelle nutzen könnte, um genetische Fehler zu beheben. Denn die Zelle besitzt »von Natur aus« hervorragend arbeitende Reparaturtrupps, die selbst kleinste Fehler in der Buchstabenfolge der Gene, so genannte Punktmutationen, aufspüren und rückgängig machen. In Versuchen mit Tieren konnten die Wissenschaftler die zelleigenen Spezialistenteams dazu bringen, eine Punktmutation im Gen für den Blutgerinnungsfaktor IX zu korrigieren. Das Zukunftsziel der Forscher lautet nicht, den einen idealen Vektor für die Gentherapie zu finden. Sie hoffen vielmehr auf eine ganze Flotte verschiedener Überträgersysteme, um eines Tages wie ein Spediteur das jeweils sicherste Transportsystem für ein bestimmtes Frachtgut und ein bestimmtes Ziel auswählen zu können.
Und wem gehören die Gene? Ein immer wieder aufkeimender Streitpunkt ist, ob menschliche Gene oder Lebewesen patentiert werden dürfen. Im Jahr 1995 sorgte beispielsweise die »Krebsmaus« für Schlagzeilen. Forscher der amerikanischen Harvard-Universität hatten Mäusen ein Gen eingeschleust, das die Tiere anfälliger für - 101 -
Tumorerkrankungen werden ließ. Dies macht sie als Versuchstiere für die Krebsforschung interessant. Das Amerikanische Patentamt erteilte der Universität im Jahr 1988 ein Patent für die Krebsmaus, drei Jahre später folgte das Europäische Patentamt. Gegen diese Entscheidung legten verschiedene Tier- und Umweltschutzgruppen Einspruch ein. Ein anderer Aufsehen erregender Fall war das im Jahr 1991 vom Europäischen Patentamt erteilte Patent auf das Gen für Relaxin. Relaxin wird von schwangeren Frauen gebildet und sorgt während des Geburtsvorganges dafür, dass sich die Muskeln entspannen. Diese Eigenschaft macht das Protein zum möglichen geburtsunterstützenden Mittel bei Entbindungen. Gegen die Patenterteilung wurde unter anderem mit der Begründung Einspruch erhoben, dass es sich bei der Gewinnung des Gens aus dem Gewebe einer schwangeren Frau um einen sittenwidrigen Vorgang handele. Das Europäische Patentamt entgegnete, dass eine Frau nur zu einem einzigen Zeitpunkt beteiligt gewesen sei - als freiwillige Spenderin des RelaxinDNS. Auch werde mit der DNS nicht »Leben« patentiert, sondern ein »chemischer Stoff, der genetische Informationen trägt und als Zwischenprodukt bei der Herstellung möglicherweise medizinisch nützlicher Proteine eingesetzt werden kann«. Anfang 2002 legte Greenpeace Widerspruch gegen die Entscheidung des Europäischen Patentamtes ein, das Brustkrebs-Gen (BRCA1) patentrechtlich zu schützen. Trotz solcher grundsätzlicher Diskussionen um die Patentierbarkeit von Genen sind weltweit mehr als tausend Patente auf menschliche Erbanlagen erteilt worden. In Europa und den Vereinigten Staaten sind über fünfzig Prozent der Patentinhaber öffentliche Einrichtungen, etwa Universitäten. Ein Patentschutz wird jedoch auch und vor allem von Firmen angestrebt. Nur dann, so deren Argumentation, lohnen sich die
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hohen Investitionen bei der Erforschung und Entwicklung von Substanzen, die auf menschlichen Genen beruhen. Die allgemeinen Bedingungen für eine Patentvergabe gelten auch für Gene. Diese Kriterien sind: Etwas muss neu und gewerblich anwendbar sein und es muss sich um eine Erfindung nicht um eine Entdeckung - handeln. Werden diese Bedingungen erfüllt, können menschliche Gene grundsätzlich Gegenstand von Patentrechten sein. Patentämter behandeln Gene (DNS) als chemische Substanz. Zur Abgrenzung von reinen Entdeckungen wird ein Gen nur dann patentfähig, wenn es technisch genutzt werden kann. DNS-Moleküle, deren Funktionen nicht bekannt sind, werden daher von der Patentierung ausgeschlossen. Ein Gen kann demnach patentiert werden, wenn es zum ersten Mal isoliert wurde, seine Funktion bekannt ist und mit seiner Hilfe ein Produkt hergestellt werden kann, das sich beispielsweise als Arzneimittel oder zur Diagnose von Erkrankungen verwenden lässt.
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Brauchen wir die Anti-Matsch-Tomate? Die Gentechnik im Pflanzenbau - die »grüne Gentechnik« - hat es schwer. Während der Einsatz gentechnischer Methoden in der Medizin mit dem Erfolg gentechnisch hergestellter Medikamente in der Öffentlichkeit immer mehr Zustimmung erfahren hat, wird die Pflanzengentechnik nach wie vor argwöhnisch beobachtet. In Pharmazie und Medizin gab der persönliche Nutzen, der durch den Einsatz gentechnischer Verfahren erreicht werden kann, schließlich den Ausschlag. Die Vorteile der Gentechnik in der Landwirtschaft leuchten den Menschen weniger unmittelbar ein. Die anhaltenden Diskussionen reichen von möglichen Risiken für die menschliche Gesundheit über ökologische Konsequenzen bis hin zu der grundsätzlichen Frage nach Sinn und Unsinn von Züchtungszielen, die mit Hilfe gentechnischer Methoden erreicht wurden: Brauchen wir eine Anti-Matsch-Tomate? Drei von vier Bundesbürgern, ergab eine Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung im Jahr 1998, lehnen Produkte aus dem Genlabor strikt ab. Die Befürworter der grünen Gentechnik halten eine ebenso lange Liste der Pluspunkte dagegen. Die Pflanzengentechnik könne beispielsweise die Erträge steigern und Nutzpflanzen widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder extreme Klimabedingungen machen. Höhere Erträge und ein geringer Ernteausfall wiederum würden helfen, die nur begrenzt vorhandenen Umweltressourcen in einer von Menschen übersiedelten Erde zu schonen und das Welthungerproblem zu lösen. Von den hitzigen Auseinandersetzungen um das Für und Wider der grünen Gentechnik gleichsam unbeeindruckt, wird die Technologie weltweit mehr und mehr angewendet. Schon ist abzusehen, dass der Einsatz gentechnischer Methoden in der - 104 -
Landwirtschaft neben dem in der Medizin wohl wichtigsten Anwendungsgebiet werden wird. Dies untermauern die neuesten Zahlen: Zwischen 1996 und 2000 ist die weltweit mit gentechnisch veränderten Kulturpflanzen bebaute landwirtschaftliche Fläche von 1,7 Millionen Hektar um das 25fache auf 44,2 Millionen Hektar gestiegen. Mit 25,8 Millionen Hektar war hierbei im Jahr 2000 herbizidtolerantes Soja die am häufigsten angebaute gentechnisch veränderte Kulturpflanze. Die erste gentechnisch veränderte Pflanze, die für den menschlichen Verzehr zugelassen wurde, war die als »Flavr Savr« (zu deutsch: Geschmackserhalter) bezeichnete AntiMatsch-Tomate. Sie wurde im Mai 1994 von der amerikanischen Firma »Calgene« auf den Markt gebracht. Bei dieser Tomate wurde mit einer raffinierten gentechnischen Methode ein Gen ausgeschaltet, das die Reifung der Tomate steuert. Das Gen stellt beim natürlichen Reifeprozess ein Enzym her, das die Zellwände abbaut, damit die Samen aus der reifen Frucht freigesetzt werden können. Ohne das Gen bleibt den Tomaten ihre pralle, Frische suggerierende Außenhaut länger erhalten. Seit Februar 1996 wird die Flavr-Savr-Tomate auch in England in Form von Ketchup und Püree angeboten. Ihren ersten Aufschwung erlebte die Gentechnik der Pflanzen Anfang der achtziger Jahre. Damals gelang es den Wissenschaftlern, die »Zugänglichkeit« der Pflanzen für gentechnische Eingriffe zu verbessern. Pflanzenzellen sind von einer stabilen Wand umgeben, die nicht so einfach überwunden werden kann. Auch die Aufzucht kompletter Pflanzen aus einer gentechnisch veränderten Einzelzelle ist kein einfaches Unterfangen. Ihren Lehrmeister fanden die Wissenschaftler in der Natur ein Bodenbakterium genannt Agrobacterium tumefaciens. Seit Urzeiten baut es seine Gene in das Erbgut infizierter - 105 -
Pflanzenzelle dauerhaft ein. Dieses Bodenbakterium nutzen die Pflanzengenetiker heute vielfach als Vehikel, um fremde Gene in eine Pflanzenzelle einzuschleusen. Während eines als Regeneration bezeichneten Prozesses entwickelt sich aus einer gentechnisch veränderten Zelle der ganze Pflanzenorganismus. Das Ergebnis ist eine »transgene Pflanze«, sie enthält neben ihrer eigenen Genausstattung ein zusätzliches Gen, das ihr die gewünschten Eigenschaften verleiht. Die erste transgene Pflanze aus manipulierten Zellen wurde im Jahr 1980 im Max-PlanckInstitut für Züchtungsforschung in Köln-Vogelsang regeneriert. Zu den wichtigsten Zielen der Pflanzen-Gentechniker zählt die Ertragssteigerung. Mit Hilfe molekularbiologischer Techniken versuchen sie, den Stoffwechsel der Pflanze so zu beeinflussen, dass sie möglichst viele verwertbare Teile oder Inhaltsstoffe bildet. Das kann Stärke sein oder Holz oder die Fasern der Baumwolle. Die Wissenschaftler haben beispielsweise eine transgene Kartoffelpflanze gezüchtet, die in ihren Knollen besonders viel Stärke speichert. Auf den Ertrag unmittelbaren Einfluss hat die Widerstandskraft der Pflanzen gegen Schädlinge oder Klimafaktoren. Ein weiteres wichtiges Ziel der Gentechniker ist deshalb, Pflanzen zu erzeugen, die auf äußere Stressfaktoren weniger empfindlich reagieren. Beispiele sind Tabakpflanzen, die aufgrund eines zusätzlichen Gens sogar noch auf versalztem Boden gut gedeihen. Auch transgene Pflanzen mit einer geringeren Kälteempfindlichkeit wurden bereits gezüchtet. Bei der Abwehr von Schädlingen konnten die Wissenschaftler ebenfalls Erfolge verzeichnen. Eine erhöhte Widerstandskraft gegen Insekten konnte mittlerweile verschiedenen wichtigen Nutzpflanzen, unter anderem dem Mais, verliehen werden. Ihnen wurde ein Gen aus dem Mikroorganismus Bacillus thuringiensis eingebaut. Die Pflanzen produzieren daraufhin Eiweiße, die für Insekten giftig sind. Selbst Pflanzen mit einem - 106 -
eingebauten Pilzschutz lassen sich züchten: Sie enthalten das Gen für ein Enzym, das die Zellwände der Pilze zerstört. Wichtige kommerzielle Entwicklungen sind auch die Versuche, Pflanzen gegen Herbizide (Unkrautvernichtungsmittel) widerstandsfähig zu machen. Den Pflanzen, etwa Reispflanzen, werden dazu Toleranzgene aus Pilzen oder Bakterien übertragen. Grundsätzlich können transgene Pflanzen auch Eiweiße herstellen, die von Natur aus in der Pflanze gar nicht vorkommen. Die Vision der Forscher ist, eines Tages transgene Pflanzen zu züchten, die beispielsweise Kunststoffe abbauen, Bio-Kunststoffe aufbauen oder gar Impfstoffe und andere Arzneimittel als Inhaltsstoffe herstellen, die dann nur noch abgeerntet werden müssten.
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Die Suche nach Eva und Adam In der ersten Ausgabe des Wissenschafts-Fachblattes ›Nature‹, das vor 130 Jahren erschien, formulierte der berühmte englische Zoologe Thomas Henry Huxley die »Frage aller Fragen«. Diese lautete: »Welchen Platz hat der Mensch in der Natur? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?« Generationen von Anthropologen, Archäologen und Paläontologen bemühten sich Jahrhunderte um die Beantwortung, indem sie fossile Knochen, versteinerte Schädel, Mumien und jeden noch so kleinen Überrest vergangener Menschheitstage untersuchten. Die modernen Altertumsforscher nutzen die Genforschung, um der Frage nachzugehen, sie bietet ihnen die unglaublich erscheinende Möglichkeit, die Erbsubstanz längst verstorbener Menschen und Tiere quasi zu neuem Leben zu erwecken.9 Der
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Genetische Grenzen
Die Abbildung zeigt einige der insgesamt 33 genetischen Grenzen Europas. Auf der jeweiligen Seite einer genetischen Grenze ist das Erbgut der dort lebenden Menschen so verschieden, dass die Wissenschaftler davon ausgehen, dass sich die Populationen nicht oder nur wenig vermischt haben. Einige der genetischen Grenzen sind gleichzeitig geographische Grenzen, beispielsweise die Nordsee. Über solche natürlichen Hindernisse hinweg ist die Vermischung von Populationen eher unwahrscheinlich. Weitere genetische Grenzen entsprechen alten Kultur- und Sprachgrenzen, etwa jene zwischen dem Baskenland und Spanien. Island ist durchzogen von einer schwächeren genetischen Grenze, die auf die Herkunft der Bewohner zurückgeführt werden kann: Der Westen des Landes wurde ursprünglich von Briten, der Osten von Wikingern besiedelt. Das ist tausend Jahre her - die Ursprungspopulationen lassen sich aber auch heute noch in den Genen der Isländer erkennen.
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faszinierende Forschungsansatz dieses neuen Wissenschaftszweiges, der »molekularen Archäologie«, hat seither schon so manches spektakuläre Ergebnis erbracht. Viel Aufsehen erregte beispielsweise eine Arbeit, die mit dem Titel ›Mitochondrien-DNS und menschliche Evolution‹ im Januar 1987 in ›Nature‹ erschien. Die Autoren des Beitrages - Rebecca Cann, Mark Stoneking und der inzwischen verstorbene Allan Wilson von der University of California in Berkeley - behaupten darin, dass alle modernen Menschen von einer einzigen Frau abstammen, die vor rund 200000 Jahren in Afrika südlich der Sahara lebte. Was veranlasste die Wissenschaftler zu dieser bemerkenswerten Schlussfolgerung? Dass es diese Ur-Frau gegeben haben muss, leiteten die Forscher aus der Untersuchung von Mitochondrien-DNS-Proben ab, die sie von 147 Frauen aus unterschiedlichsten heute auf Erden lebenden Kulturen gewonnen haben. Bei den Mitochondrien handelt es sich um kleine Gebilde (Organellen) im Innern von Zellen. Sie haben die Aufgabe, Energie zu erzeugen. In jeder Zelle kommen außerhalb des Zellkerns Hunderte von Mitochondrien vor. Mit diesen Energie spendenden Organellen hat es eine besondere Bewandtnis, die sie für wissenschaftliche Analysen interessant macht: Mitochondrien haben ihre eigene DNS, also ein zusätzliches Stück Erbgut, das außerhalb des Zellkerns vorkommt. Die Mitochondrien-DNS ist klein: Die DNS aller Mitochondrien einer Zelle zusammengenommen macht etwa ein halbes Prozent der menschlichen DNS aus. Faszinierend ist der Ursprung der Mitochondrien-DNS. Die Biologen gehen davon aus, dass Vorläufer der Mitochondrien vor Urzeiten als frei lebende Bakterien existierten. Ein solches Bakterium wurde mehr oder weniger zufällig von einer Zelle in ihr Inneres aufgenommen. Dort tat das Bakterium das, was es auch vorher schon getan hatte: Es produzierte Energie. Dieser Umstand erwies sich als - 110 -
außerordentlich positiv für die Zelle, so dass das Bakterium und die Zelle eine Symbiose, eine Lebensgemeinschaft zu beiderseitigem Nutzen, eingingen. Eine weitere faszinierende Besonderheit ist, dass die DNS der Mitochondrien anders als die Chromosomen-DNS nur von den Müttern vererbt wird. Der Weg, den die Mitochondrien-DNS bei der Vererbung genommen hat, lässt sich deshalb einfach nachvollziehen. Die Kopie, die Sie besitzen, stammt von Ihrer Mutter und die davor von deren Mutter. Wenn Sie ein Mann sind und einen Sohn haben, stammt dessen Mitochondrien-DNS nicht von Ihnen, sondern einzig und allein von Ihrer Frau. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich Mitochondrien-DNS leicht von der Chromosomen-DNS abtrennen und untersuchen lässt. All das macht die Mitochondrien-DNS für die modernen Ahnenforscher der Menschheit zu einem wertvollen Untersuchungsobjekt. Ihre Schlussfolgerung, dass es in der Geschichte der Menschheit eine Art »Super-Ur-Ur-Großmutter« gegeben haben muss, gründen die Wissenschaftler auf die Annahme, dass sich Mutationen (Erbgutveränderungen) in der DNS der Mitochondrien nach und nach mit gleich bleibender Geschwindigkeit anhäufen. Das bedeutet: Je mehr sich die Mitochondrien-DNS zweier Individuen gleicht, desto enger sind beide miteinander verwandt; je mehr Unterschiede festzustellen sind, desto unwahrscheinlicher ist eine Verwandtschaft. Außerdem ist es möglich, aufgrund des Grades der Differenzen zwischen den Mitochondrien-DNS zu berechnen, wann der gemeinsame Vorfahre der beiden Individuen lebte. Nachdem die amerikanischen Wissenschaftler in mühevoller Kleinarbeit alle 147 Mitochondrien-DNS miteinander verglichen hatten, konnten sie einen umfangreichen »Familienstammbaum« der Mitochon-drien-DNS aufstellen. Dieser Stammbaum fuhrt zurück auf eine gemeinsame UrMitochondrien-DNS. Nach dem Grad der Verschiedenheit zu - 111 -
den heutigen Mitochondrien-DNS muss sie vor 140000 bis 290000 Jahren existiert haben. Geht man der Verteilung der Mitochondrien-DNS-Varianten in der heutigen Bevölkerung nach, führt die Spur direkt in das Herz von Afrika. Der dort einst lebenden Urmutter der Menschheit haben die Wissenschaftler scherzhaft den Namen »Mitochondrien-Eva« gegeben. Deren Kinder und Kindeskinder verließen den afrikanischen Kontinent und verteilten sich über den ganzen Globus. Die Wiege der Menschheit stand dieser Untersuchung nach eindeutig in Afrika. Dieses seit 1987 zunehmend populäre »Out-of-Africa«Modell erhielt kürzlich weitere wissenschaftliche Unterstützung: Forscher der amerikanischen Stanford University entdeckten Spuren eines molekulargenetischen Adams. Das gelang den Wissenschaftlern, indem sie einen als M24 bezeichneten Abschnitt auf dem Y-Chromosom einiger hundert Männer aus aller Welt verglichen. Das Y-Chromosom, das vom Vater an die Söhne weitergegeben wird, ist weltweit nahezu identisch. In der Region M24 haben sich jedoch im Laufe der Zeit harmlose genetische Veränderungen angesammelt. Diese Mutationen ermöglichen es den Genetikern, auf die stammesgeschichtliche Entwicklung rückzuschließen. Der Genvergleich ergab, dass die Wurzel des menschlichen Y-Stammbaums in Afrika liegt - ein bestimmtes Merkmal des Chromosomenabschnitts M24 kommt nirgendwo anders auf der Welt vor. Den Berechnungen der Forscher zufolge hat es sich vor höchstens 200000 Jahren zufällig ausgebildet und anschließend ausgebreitet. Diese Zeitskala stimmt perfekt mit den mitochondrialen Verwandtschaftsdaten überein. Das männliche Pendant zur genetischen Eva scheint gefunden. Ein anderes spektakuläres Ergebnis - wiederum aus der Analyse von Mitochondrien-DNS - wurde im Juli 1997 bekannt. Nicht nur die Fachwelt reagierte auf die neuesten Erkenntnisse der Genforscher mit großer Aufregung, warfen sie doch - 112 -
aufgrund von Erbsubstanz-Analysen den Neandertaler aus unserem Stammbaum. Über 140 Jahre lang hatten die Wissenschaftler heftig um die Frage gestritten, ob der Neandertaler ein direkter Vorfahre des modernen Menschen oder nur ein unbedeutender Seitenzweig war, der keine Nachkommen (und keine Gene) unter den heutigen Menschen hinterlassen hatte. Mit der Arbeit, die im Juli 1997 in der Fachzeitschrift ›Cell‹ erschien, scheint das Rätsel gelöst. Einige Experten für den grobknochigen Eiszeitler misstrauen allerdings den Genanalysen und tun dies auch lautstark kund. Die Geschichte beginnt mit einem Fund, den Steinbrucharbeiter im August des Jahres 1856 in einer Höhle des Neandertals bei Düsseldorf machten: Sie gruben ein menschliches Skelett aus den Kalksteinablagerungen aus. Die Experten nehmen heute an, dass es damals noch vollständig war, den Eifer der Steinbrucharbeiter überlebten jedoch nur die Schädeldecke, einige Arm- und Beinknochen sowie wenige andere beschädigte Teile. Die fossilen Knochen brachten die aufgeregten Finder zu Carl Fuhlrott, einem Mathematiklehrer, Naturforscher und heimatverbundenen Historiker. Fuhlrott fiel auf, dass sich die Knochen von denen eines modernen Menschen in ungewöhnlicher Weise unterschieden. Sie waren dicker und schwerer gebaut. Fuhlrott war der Erste, der vermutete, dass es sich bei den Knochen um die Überreste eines massigen, stark muskulösen Individuums, eines fossilen Menschen, handeln müsse. Seine Annahme verfestigte sich, als ein Jahr später in einer Höhle beim belgischen Ort Spy zwei weitere Skelette gefunden wurden. Auch sie bestanden aus ausgesprochen massiven Knochen; am Schädel fielen die starken Überaugenwülste auf. In der Nähe des Fundortes entdeckte man auch primitive Steinwerkzeuge und die Knochen ausgestorbener Tiere. Bei »Homo neanderthalensis« musste es sich also wirklich um einen - 113 -
archaischen Menschentyp gehandelt haben. Bislang hat man fünfzig bis hundert dieser stämmigen Altmenschen gefunden. Doch gehörte diese Menschenart zu unseren direkten Vorfahren? Diese Frage musste auf eine Antwort warten, bis Svante Pääbo, heute Direktor des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, sich der Sache annahm. Der Schwede, gelernter Mediziner mit einer großen Liebe für die Ägyptologie, lernte während seines Medizinstudiums die Analysemethoden der molekularen Biologie kennen. Die neuen Techniken setzte er schließlich ein, um eine kühne Idee zu verwirklichen: Er suchte in uralten Mumien nach Überresten von Erbmaterial. Das erwies sich als außerordentlich schwierig, doch was unglaublich erschien, sollte tatsächlich wahr werden: 1985 gelang es ihm, das Stück DNS eines einjährigen Jungen zu isolieren, der schon 2430 Jahre lang tot war. Bei der DNSQuelle handelte es sich um die Mumie eines Königskindes aus dem Ägyptischen Museum in Ost-Berlin. Den DNS-Schnipsel vervielfältigte Pääbo in Bakterienzellen - er erweckte das mehr als zweitausend Jahre alte Stück Erbmaterial dadurch wieder zum Leben. Seine Methode, Erbmaterial aus Knochen zu isolieren, setzten Pääbo und sein Mitarbeiter Matthias Krings auch ein, um im Oberarmknochen des ersten Fundes im Neandertal fündig zu werden. Dieser Knochen erschien am aussichtsreichsten für eine Genanalyse. Eine winzige Probe genügte Matthias Krings, um ihr mittels chemischer Lösungsmittel und Zentrifugen eine kleine Menge an Erbgut abzuringen. Er konzentrierte sich dabei auf die leichter zu extrahierende DNS der Mitochondrien. Die MitochondrienDNS-Bruchstücke aus dem Knochen des Neandertalers vervielfältigte er anschließend mit Hilfe der PolymerasenKettenreaktion10 (PCR). Danach stand den Wissenschaftlern
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eine ausreichende Menge Neandertal-Erbgut für ihre Analysen zur Verfügung. Sie verglichen daraufhin einen bestimmten Abschnitt der neandertaliden Mitochondrien-DNS mit einem entsprechenden Abschnitt von knapp tausend Menschen aus aller Welt.
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Wie man Gene vermehren kann - die Polymerase-Kettenreaktion Die Idee, wie man selbst kleinste DNS-Mengen um ein Vielfaches vermehren kann, soll dem amerikanischen Chemiker Kary Mullis im Jahr 1983 während einer nächtlichen Autofahrt in den Sinn gekommen sein. Seinem genialen Gedankenblitz verdankt die Gentechnik eines ihrer unverzichtbaren Werkzeuge und brachte Mullis 1993 den Nobelpreis für Medizin ein. Mullis’ Entwicklung wird in der Fachsprache Polymerase-Kettenreaktion genannt. Gemeint ist damit ein wahr gewordener Traum, mit dem man die Nadel im Heuhaufen aufspüren und anschließend einen Haufen Nadeln herstellen kann - wie es ein Wissenschaftler einmal ausdrückte. Die PolymeraseKettenreaktion kommt immer dann ins Spiel, wenn man beispielsweise eine für eine Analyse ausreichende Menge DNS von einem einzelnen Spermium, einem Haar, einer Blutspur am Schauplatz eines Mordes oder vom vertrockneten Gewebe einer Mumie erhalten möchte. Ebenso wichtig ist die Methode, um Tests auf Erbkrankheiten durchzuführen oder minimale Spuren von Krankheitserregern wie Bakterien, Viren (etwa das Aids erzeugende HI-Virus), Einzeller oder Pilze im Blut eines infizierten Menschen aufzuspüren. Das Prinzip des Verfahrens ist weit weniger kompliziert, als es sein Name vermuten ließe. Im Grunde besteht die PolymeraseKettenreaktion aus weiter nichts als einer sich immerfort wiederholenden Folge der Arbeitsschritte Trennen-Koppeln-Kopieren: Der DNS-Doppelstrang, der das zu vermehrende Gen enthält, wird zunächst in seine Einzelstränge aufgetrennt. Anschließend wird ein synthetisch hergestelltes Stück DNS, das in seinem Bau dem zu vervielfältigenden Gen entspricht, angekoppelt. Mit enzymatischer Hilfe wird dieses Stück dann wieder und wieder kopiert. Alle drei Arbeitsschritte sind temperaturabhängig und lassen sich als Kettenreaktion wiederholen: Dreißig Verdopplungen ergeben letztendlich eine Milliarde Kopien des betreffenden DNS-Abschnittes.
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Was sie dabei fanden, war eine Sensation, denn es stellte sich heraus, dass sich alle heute lebenden Menschen - gleichgültig ob Amerikaner, Afrikaner, Europäer oder Australier - in durchschnittlich acht DNS-Bausteinen (Basen) unterscheiden. Der Mitochondrien-DNS-Abschnitt aus dem NeandertalerKnochen hat jedoch an 27 Stellen andere Buchstaben als der moderne Mensch. Damit liegt die Neandertal-DNS genau in der Mitte zwischen der des Homo sapiens und der des Schimpansen, Dessen DNS differiert an 55 Stellen von der unsrigen. Die Entwicklungslinien von Mensch und Schimpansen, wissen die Forscher, trennten sich vor etwa vier bis fünf Millionen Jahren. Das Fazit, das die Paläogenetiker aufgrund dieser Befunde ziehen, lautet: Die Abstammungslinien des modernen Menschen und des Neandertalers trennten sich bereits vor rund 600000 Jahren. Damit ist der Neandertaler auf eine Seitenlinie verbannt, die parallel zur Ahnenreihe des modernen Menschen existierte und vor 30000 Jahren endete. Den neuen Genuntersuchungen zufolge hat der Homo sapiens neanderthalensis nichts zum Genpool des heute lebenden Homo sapiens sapiens beigetragen. Möglicherweise haben sich beide allerdings gekannt und vielleicht auch miteinander fortgepflanzt. Die Forscher vermuten jedoch, dass es sich mit Mensch und Neandertaler so verhalten haben könnte wie mit Pferd und Esel: Beide sind fortpflanzungsfähig, aber nur in der ersten Generation. Männliche Maulesel sind unfruchtbar - ähnlich könnte es den Mensch-Neandertaler-Mischlingen ergangen sein. Svante Pääbo und seine Mitarbeiter waren es übrigens auch, die mit ihren Genanalysen die Identität von »Ötzi« aufklären konnten. Dessen mumifizierte Leiche hatten Alpenwanderer im September 1991 im Grenzgebiet zwischen Österreich und Italien gefunden. Mit molekulargenetischen Methoden fand Svante Pääbo heraus, dass es sich bei dem vor 5000 Jahren verstorbenen Tiroler Eismenschen um einen Einheimischen - 116 -
handeln musste: Sein Erbmaterial glich dem eines Mitteleuropäers mehr als dem eines Menschen aus dem Mittelmeerraum oder aus Nordafrika. Damit konnte der zunächst geäußerte Verdacht ausgeräumt werden, es handele sich bei dem Fund um den schlechten Scherz eines Zeitgenossen, der die Wissenschaftler mit einer ägyptischen Mumie foppen wollte, die er ihnen ins Eis gelegt hatte. Derzeit widmet sich Pääbo vor allem der Frage, was uns Menschen eigentlich vom Affen unterscheidet. Im November 1999 erschien in der Zeitschrift ›Science‹ sein viel beachteter Beitrag, wonach das Erbgut der Schimpansen vier Mal so vielfältig ist wie das des Menschen. Pääbo weist darin nach, dass die Menschheit auf molekulargenetischer Ebene ein überraschend einheitliches, geradezu familiäres Bild zeigt. Verglichen mit der hohen genetischen Variation des Schimpansen-Erbguts sind heute lebende Menschen noch immer Brüder und Schwestern. Pääbos neueste Daten stützen zudem weiterhin die »Out-ofAfrica«-Hypothese, nach der alle modernen Menschen von Afrika aus den Rest der Welt bevölkerten. Vom genetischen Standpunkt aus betrachtet sind die Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen verschwindend gering: »Wir sind alle Afrikaner im Exil«, sagt Svante Pääbo. Weitere spektakuläre Leistungen der Forscher bei ihrer Suche nach den genetischen Spuren der Vergangenheit betreffen ausgestorbene Tiere oder Pflanzen. Ein Beispiel für diese Arbeiten ist die »Rückehr« des Quagga, einer Tierart, deren exakte Stellung im Stammbaum des Lebens die Genetiker posthum bestimmt haben. Das Quagga lebte auf dem afrikanischen Kontinent und war äußerlich eine Mischung zwischen Zebra und Pferd: Seine Vorderpartie war wie die eines Zebras gestreift, seine hintere Hälfte entsprach der eines Pferdes. - 117 -
Ende des 19. Jahrhunderts hat ein südafrikanischer Farmer das letzte Quagga erschossen. Die Frage der Evolutionsbiologen, ob es sich bei dem Quagga um ein Zebra gehandelt haben könnte, das sich auf dem Entwicklungsweg zum Pferd befand, schien nie mehr beantwortbar. Die Wissenschaftler Allan Wilson, Russell Higuchi und ihre Mitarbeiter von der Universität im kalifornischen Berkeley nahmen sich der Sache an, nachdem in einem Museum in der rheinlandpfälzischen Landeshauptstadt Mainz ein vertrocknetes Fleischstückchen an einem Quaggafell entdeckt worden war, das sich für eine Erbgut-Analyse eignete. Den Genforschern gelang es, aus dem Gewebe die mitochondriale DNS zu extrahieren und deren Buchstabenfolge zu bestimmen. Daran war klar erkennbar, dass das Quagga am nächsten mit dem Zebra und nicht mit dem Pferd verwandt war. »Friedrich Miescher, der 1868 die Nukleinsäuren entdeckte, hätte Higuchi und anderen viel Mühe ersparen können, wenn er die Voraussicht gehabt hätte, frisches Quagga-Nuklein zu präparieren und aufzubewahren«, hieß es in einem Kommentar in der Zeitschrift ›Nature‹, welche die Arbeit über die Sequenzierung der mitochondrialen DNS des Quagga im Jahr 1984 veröffentlichte. Die Idee, Erbgut-Proben für spätere Zeiten aufzubewahren, ist mittlerweile an einigen Orten verwirklicht worden. Die Universität von Queensland, Australien, hat beispielsweise ein »Center for Genetic Resources and Heritage« eingerichtet. Dort werden getrocknete Zellen und DNS von australischen Tier- und Pflanzenarten aufbewahrt, die vom Aussterben bedroht sind. Zu den jüngsten spektakulären Leistungen der molekularen Archäologie zählt die manche Abenteurer möglicherweise enttäuschende Erkenntnis, dass »Jurrasic Park« wohl immer eine Hollywood-Phantasie bleiben wird: Erbgut kann offenbar nur aus Knochen isoliert werden, die nicht älter als 100000 Jahre sind. Dinosaurier-Knochen aber sind mehrere Millionen Jahre - 118 -
alt. Aufsehen erregende Meldungen von Wissenschaftlern, die behaupteten, Dinosaurier-Erbgut isoliert zu haben, erwiesen sich als falsch. Die vermeintliche Dino-DNS entpuppte sich als Souvenir aus der Neuzeit: Es handelte sich um das Erbgut eines rezenten Molekularbiologen.11 11
Die Partitur der Gene: Wie aus einem Ei ein Organismus entsteht Wie aus einem einzigen befruchteten Ei ein kompletter Organismus mit rund hundert Billionen Zellen und über 200 Zellarten entsteht ist eine Frage, die nicht nur Entwicklungsbiologen brennend interessiert. Wie entwickeln sich Zellen, die alle das gleiche Erbgut in sich tragen, zu Spezialisten, etwa Haut-, Nerven- oder Muskelzellen? Wie finden Zellen ihren Platz im Körper, wer weist ihnen den Weg und wie lernen sie es, so miteinander zu arbeiten, dass ein Individuum entsteht mit perfekt aufeinander abgestimmten Organen? Erste Antworten auf diese Fragen erhielten die Biologen von einfachen Modellorganismen wie der Fruchtfliege Drosophila, der Blütenpflanze Arabidopsis oder dem Zebrafisch Danio rerio. Mit Hilfe neuer genetischer Techniken, mit denen Erbanlagen gezielt ausgeschaltet werden können, erkannten die Wissenschaftler, welche Gene die Entwicklung eines Organismus maßgeblich steuern. Für die grundlegenden Einsichten in die Partitur der Gene erhielten Christiane Nüsslein-Volhard vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, Eric Wischaus und Ed Lewis im Jahr 1995 den Nobelpreis für Medizin. Die größte Überraschung war, dass die genetisch gesteuerten Entwicklungsprogramme bei unterschiedlichen Organismen wie Fruchtfliege, Wurm, Giraffe, Elefant, Maus oder Mensch im Wesentlichen gleich sind. Ein Beispiel: Bei der Fruchtfliege entdeckten die Wissenschaftler ein Gen, das sie pax6 nannten. Es sorgt dafür, dass die für Insekten typischen Komplexaugen entstehen. Auch bei der Maus und beim Menschen gibt es dieses Gen: Hier sorgt es für die Entwicklung der säugertypischen Linsenaugen. Überträgt man nun ein pax6-Gen der Maus in eine Keimzelle von Drosophila, entsteht in der Fliege nicht etwa ein Linsenauge, sondern - wie es sich für Drosophila gehört - ein Komplexauge. Ein einzelnes Gen reicht also offenbar aus, um ein komplettes Programm zu aktivieren, das ein speziestypisches Auge heranwachsen lässt. Ein weiteres Beispiel für ein derartig
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Wie viel Macht haben die Gene? James Watson, Mitentdecker der DNS und erster Leiter des humanen Genomprojektes, ist ein Freund großer Worte. »Wir dachten immer, unser Schicksal stehe in den Sternen«, sagte er einmal, »heute wissen wir, dass es zu einem guten Teil in unseren Genen liegt.« Seiner Meinung nach ist der Mensch also mitnichten ein selbstbestimmtes Wesen und wird es wohl auch nie werden. Die Fremdbestimmung wechselte im Laufe der Jahre lediglich vom makrokosmischen Einfluss der Sternbilder im All zum mikrokosmischen Schalten und Walten der Gene im Zellkern. Sind wir wirklich nicht mehr als Marionetten am Gängelband der DNS? Tumbe Opfer egoistischer Gene, die nichts anderes im Sinn haben als ihre bestmögliche Verbreitung, zu der ihnen neben Fliege, Fadenwurm oder Maus auch der Mensch verhilft? Dieser Schluss liegt durchaus nahe, betrachtet man die sich in der Vergangenheit überschlagenden Mitteilungen der Genforscher nach dem sprachlichen Einheitsmuster »das Gen für ... entdeckt«. Einmal ist es das Gen für Homosexualität, dann für Fress-, Abenteuer- und Alkoholsucht, gefolgt vom Gen für Intelligenz, Schüchternheit, Aggression, Treue, Spiritualität oder Seitensprung. Die mutmaßliche Entdeckung des »SeitensprungGens« hat offensichtlich den Bischof von Edinburgh besonders beeindruckt. Er verstieg sich im Mai 1995 zu der Behauptung, die Kirche möge außereheliche Affären nicht mehr als sündhaft anprangern, sondern akzeptieren, »dass Ehebruch von unseren zentrales Schaltergen, das imstande ist, ganze Entwicklungsprogramme zu starten, ist das so genannte Dickkopf-Gen. Die Wissenschaftler haben es beim Krallenfrosch Xenopus laevis entdeckt. Es lässt den Kopf des Froschembryos wachsen. Wird das Gen ausgeschaltet, entstehen lediglich sehr kleine oder gar keine Köpfe.
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Erbanlagen veranlasst wird«. Schuld sei nicht das Individuum, sondern seine »promiskuitiven Gene«. Daniel Koshland, Herausgeber der renommierten amerikanischen Wissenschaftszeitung ›Science‹, sah sich Vorjahren gar veranlasst, in seinem Blatt zu verkünden, dass die großen sozialen Probleme unserer Zeit wie Armut, Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit und Kriminalität auf fehlgeschaltete Gene zurückzuführen seien. So mancher von begierigen Medien lauthals weiterverbreitete Genfund erwies sich von geringerer Haltbarkeit als die Zeitung, in der er gestanden hatte. Dennoch kann es keinen Zweifel daran geben, dass wir von unseren Erbanlagen bestimmt werden. »Der Mensch ist ein biologisches Wesen. Und deshalb wird alles, was den Menschen betrifft, immer eine biologische Perspektive haben«, meint etwa Professor Hubert Markl, ehemaliger Präsident der Max-PlanckGesellschaft und gelernter Verhaltensbiologe. Die Frage ist nur, wie viel Macht die Gene über uns haben und wieviel Spielraum sie uns für eine eigenständige Entwicklung lassen. Diese Fragestellung ist keineswegs neu. Sie ist lediglich die moderne Fassung eines Rätsels, das die Wissenschaftler schon seit über hundert Jahren lösen wollen: Was bestimmt den Menschen mehr? Sein Erbe oder seine Umwelt? Um die Jahrhundertwende stand für die Anhänger der Vererbungslehre außer Frage, dass die Gene im Vordergrund stehen. »Es gibt kein Ausweichen von der Erkenntnis, dass die eigene Anlage der Umwelt stärkstens überlegen ist.« Zu diesem Schluss war schon im Jahr 1876 Sir Francis Galton, ein Vetter des großen Naturforschers Charles Darwin, gekommen. Galton interessierte sich dafür, wie menschliche Eigenschaften vererbt werden. Um diese Frage zu beantworten, begründete er die Methode des Zwillingsvergleichs, die auch heute noch benutzt wird, um dem Anlage-Umwelt-Rätsel nachzugehen. In seiner Arbeit ›Die Geschichte der Zwillinge als Prüfstein der Kräfte - 121 -
von Anlage und Umwelt‹ (1876) zweifelt Galton daran, »ob Erziehung und Umweltbedingungen überhaupt etwas anderes tun können als Vorschriften geben und für einen Beruf abrichten«. Der Zwillingsforscher verdeutlichte seine Ansicht von der Übermacht der Erbanlagen am Beispiel des Kuckucks. Der Vogel höre von seinen Pflegeeltern zwar immer nur Zwitschern und Zirpen, rufe aber dennoch unbeirrt sein arttypisches Kuckuck. Gegenteiliger Ansicht waren die »Behavioristen«. Der Behaviorismus (von englisch »behaviour«, Verhalten) ist eine im Jahr 1912 von John Watson und E. Thorndike begründete Richtung der Psychologie. Sie geht davon aus, dass allein die Umwelt das Verhalten von Tier und Mensch bestimme: Menschliche Verhaltensweisen seien erlernt, genetische Faktoren spielten bei der Ausformung eine nur untergeordnete Rolle. Vor allem Begabungen, Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften seien nicht vererbbar, sondern Produkte der Sozialisation. John Watson unterstrich diese Thesen einmal mit der Aussage, er könne jeden gesunden Säugling, den man ihm anvertraue, »auf Bestellung« zu einem Mathematiker, Finanzgenie oder Violinvirtuosen machen. Der Wissenschaftler Burril Skinner überspitzte den Behaviorismus in den dreißiger Jahren mit der Behauptung, dass nahezu jedes Verhalten durch äußere Reize wie Belohnung oder Bestrafung gezielt hervorgerufen werden könne. Seit Anfang der siebziger Jahre erobert sich der Biologismus wieder Terrain zurück. Gestützt auf neue Ergebnisse der Zwillingsforschung und vorangetrieben von den rasanten Fortschritten der Molekularbiologie dominieren die Vererbungslehrer wieder die Diskussion. Ein häufiges Thema ist beispielsweise die Frage nach der Erblichkeit von Intelligenz. Der amerikanische Zwillingsforscher Thomas Bouchard vom Minnesota Center for Twin and Adoption Research glaubt aus - 122 -
seinen Studien mit getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen ableiten zu können, dass Intelligenz zu drei Vierteln erblich sei. Ähnlicher Ansicht ist auch sein Kollege Robert Plomin, der zur Zeit im englischen Cambridge nach den Genen forscht, die den Intelligenzquotienten bestimmen. Im Juni 1997 erschien in ›Science‹ Plomins jüngste große Zwillingsstudie. Das Ergebnis: Klugheit ist weitestgehend angeboren. Nicht nur Intelligenz, auch Charaktereigenschaften gelten nach amerikanischen Zwillingsstudien als überwiegend vererbt. Dass die Macht der Gene deutlich kleiner ist, behaupten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für psychologische Forschung in München. Sie gehen nach der Auswertung einer Langzeitstudie mit 190 Zwillingspaaren davon aus, dass »charakterliche Unterschiede mindestens zu vierzig bis fünfzig Prozent von der Umwelt geprägt werden«. Es gibt allerdings auch Wissenschaftler, die sich vehement gegen die Methodik von Zwillingsstudien und die sich daraus ableitbaren Ergebnisse aussprechen. Es scheint, als würde dem Erbe-Umwelt-Streit noch lange kein Ende beschieden sein. Der gesamte Wissenschaftszweig, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Abschnitte im Erbgut aufzustöbern, welche Einfluss auf die Handlungen des Menschen haben, heißt »Verhaltensgenetik«. Ihr Forschungsgegenstand - die Analyse der biologischen Bezüge komplexer Merkmale wie Intelligenz oder Sprachvermögen - ist methodisch schwierig anzupacken. Häufig steht die Verhaltensgenetik deshalb im Kreuzfeuer wissenschaftlicher Kritik. Ein Beispiel mag die Schwierigkeiten verdeutlichen. Das Gen, das die Bluterkrankheit verursacht, kann verhältnismäßig einfach nachgewiesen werden: Fehlt es, wird auch sein Protein - der Gerinnungsfaktor - nicht gebildet. Ohne diesen Eiweißstoff kann das Blut nicht mehr gerinnen, der Mensch, der das defekte Gen in seinen Zellen trägt, wird zum Bluter. Die Verhaltensgenetik kann von solch klaren kausalen - 123 -
Verhältnissen nur träumen. Sie will beispielsweise so undurchsichtige Zusammenhänge entwirren, wie ein Gen und sein Protein zu einer so komplexen Leistung befähigen könnten, grammatisch fehlerfreie Sätze zu bilden. Das Phänomen Sprache interessiert Verhaltensgenetiker ganz besonders, handelt es sich dabei doch um ein in der Evolution einmaliges Ereignis, mit dem sich der Mensch unwiderruflich von den anderen Tieren separiert hat. Wie der Mensch allerdings das Wunder Sprache zustande bringt, ist ein altes, viel diskutiertes und bislang ungelöstes Rätsel. In jüngster Zeit ist es durch die Hypothese bereichert worden, dass ein »GrammatikGen« daran entscheidenden Anteil haben könnte. Dies stützt jene Fraktion unter den Sprachforschern, die bereits seit Ende der sechziger Jahre der Ansicht sind, dass die Sprache viel zu komplex ist, um einfach erlernt werden zu können. Dass Sprache ein Kulturprodukt ist, das jedes Kind von Grund auf erlernen muss, war die einhellige Meinung der Linguisten bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts. Sie verglichen ein Neugeborenes mit einem unbeschriebenen Blatt Papier. Erst durch den Input seiner Umgebung prägen sich ihm die Worte ein, und es erkennt, nach welchen Regeln sie zu einem sinnvollen Satz zusammenzufügen sind. Im Jahr 1957 verblüffte der amerikanische Linguist Noam Chomsky seine Fachkollegen mit der These, dass auf dem »unbeschriebenen Blatt Papier« wohl doch ein paar kräftige Linien vorgegeben sein dürften. Durch bloße Imitation könne ein so vielschichtiges Regelwerk wie die Grammatik einer Sprache nicht erworben werden. Der Mensch komme vielmehr mit einer Art Bauanleitung für Sprache auf die Welt. Was gelernt werden müsse, seien die Wörter, also die der deutschen, der japanischen oder der finnischen Sprache. Wie auch immer der jeweilige sprachliche Input aussehe, er falle stets auf einen gut vorbereiteten Boden. Chomsky nannte die angeborenen Strukturen zur - 124 -
Sprachverwendung »Universalgrammatik«; sein Schüler Steven Pinker, Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology im amerikanischen Cambridge, spricht vom »Sprachinstinkt«. Das Sprachvermögen des Menschen, begründet der Sprachwissenschaftler sein Lehnwort aus der Biologie, sei mehr oder weniger mit der Webkunst der Spinne vergleichbar. Die Herstellung eines Spinnennetzes, schreibt Pinker, »wurde nicht etwa von irgendeinem in Vergessenheit geratenen Spinnengenie erfunden, vielmehr spinnt eine Spinne ihr Netz, weil sie ein Spinnengehirn besitzt, das in ihr den Drang zu spinnen weckt und sie befähigt, diesem Drang mit Erfolg nachzugehen«. Die theoretischen Überlegungen zur angeborenen Universalgrammatik des Menschen wurden Anfang der neunziger Jahre auf eine genetische Basis gestellt. Die Linguistin Myrna Gopnik hatte gemeinsam mit mehreren Genetikern eine britische Familie, die so genannte K-Familie, untersucht, die sich in sprachlicher Hinsicht durch einige Auffälligkeiten auszeichnete. Die Großmutter der Familie leidet unter »Dysphasie«. So nennen die Wissenschaftler die Unfähigkeit einer Person, die Sprache richtig zu entwickeln, obwohl weder Hörschäden, noch erniedrigte Intelligenz, Störungen des Sprechapparates oder soziale Probleme festzustellen sind. Die Betroffenen sprechen sehr langsam und überlegen lange, bis sie sich an eine Äußerung heranwagen. Angefangene Sätze lassen sie gerne von ihren Gesprächspartnern beenden. Sie selbst geben an, dass Unterhaltungen für sie schwierig zu meisternde Aufgaben sind, die sie deshalb gerne meiden. Müssen sie dennoch reden, enthalten ihre Äußerungen zahlreiche Grammatikfehler, beispielsweise fehlerhafte Pluralendungen oder falsche Wortstellungen. Bei Sprachexperimenten in den Labors der Linguisten scheitern - 125 -
dysphatische Menschen an Aufgaben, die Vorschulkinder mühelos absolvieren. Interessanterweise sind vier der fünf erwachsenen Kinder der Großmutter ebenfalls dysphatisch, eine Tochter hingegen und deren Kinder haben ein normal entwickeltes Sprachvermögen. Die vier sprachgestörten Mitglieder der K-Familie haben zusammen 23 Kinder, wovon elf dysphatisch und zwölf normal sind. Unter ihnen gibt es ein zweieiiges Zwillingspaar, wobei ein Zwilling betroffen ist, der andere nicht. Die Tatsache, dass der Sprachfehler bei rund der Hälfte der Familienmitglieder auftaucht, lässt an ein einzelnes Gen denken. Tatsächlich bestätigten Genetiker, die mit Myrna Gopnik zusammenarbeiteten, dass der Stammbaum der K-Familie auf ein einziges dominantes Gen schließen lässt, das die Sprachstörung verursacht. Die defekte Erbanlage soll auf eine noch unbekannte Art und Weise die Fähigkeit beeinträchtigen, grammatische Regeln zu entwickeln, die von normalen Kindern unbewusst benutzt werden. Kritiker wenden ein, dass man von der Tatsache, dass ein Verhaltensmuster in einer Familie auftritt, nicht gleich auf eine genetische Verankerung schließen könne. Schließlich kursierten auch Rezepte, Akzente oder Schlaflieder in Familien, ohne dass die DNS für solche Häufungen bemüht werden müsse. Steven Pinker ist von der Existenz von Grammatik-Genen überzeugt - allerdings in anderer Weise, als es ein Cartoon aus den neunziger Jahren dem Betrachter suggeriert. Darauf ist ein aufrecht stehendes Schwein zu sehen, das einen Bauern fragt: »Was gibt’s zum Abendessen? Hoffentlich nicht mich.« Darauf sagt der Bauer zu seinem Begleiter: »Dem hat man das menschliche Gen eingepflanzt.« Dass ein einzelnes Gen für die gesamten neuronalen Schaltkreise verantwortlich sein könnte, die der Sprachstruktur zugrunde liegen, glaubt auch Pinker nicht, wohl aber, dass es Gene gibt, die sich spezifisch auf die - 126 -
Entwicklung von Nervenbahnen auswirken, auf denen bestimmte Sprachbereiche, etwa der Grammatik oder den Wortbedeutungen, basieren. »Ganz individuelle Genkombinationen«, schreibt Pinker, »verbergen sich hinter dem Schwadroneur, dem Süßholzraspler, dem Witzbold, dem Gelegenheitsdichter, dem Sprachakrobaten.« Den kompletten, multigenetischen Sprachapparat im Gehirn vergleicht er mit einer Maschine, die aus Tausenden von Einzelteilen besteht und die dennoch stehen bleiben kann, weil sie ein einziges kleines Teil am Laufen hindert. Die Fähigkeit des Menschen, grammatisch richtige Sätze zu bilden, könne also sehr wohl durch ein einzelnes defektes Gen gestört werden: »Möglicherweise stellt die defekte Version ein Protein her, das irgendeinen chemischen Prozess blockiert, der für die Anlage der Sprachschaltkreise erforderlich ist.« Rückenwind erhielten die Befürworter der Genthese von dem Oxford-Forscher Anthony Monaco. Er teilte Anfang 1998 in der Zeitschrift ›Nature Genetics‹ mit, das defekte Grammatikgen, das an der Sprachstörung der K-Familie beteiligt sein könnte, auf Chromosom 7 lokalisiert zu haben. Die fehlerhafte Version seines SPCH1 genannten Genfundes habe er nur bei den sprachbehinderten Familienmitgliedern feststellen können. Für die Existenz eines gemeinsamen Sprachprogrammes im menschlichen Erbgut spricht schließlich noch eine Beobachtung der beiden Psychologinnen Susan Goldin-Meadow und Carolyn Mylander von der University of Chicago. Sie untersuchten die Gebärdensprache von acht taubstummen Kindern, vier amerikanischen und vier chinesischen. Insgesamt 6614 Gespräche, bestehend aus 10398 einzelnen Gesten hielten die Psychologinnen in Filmen fest. Überraschend war, dass die amerikanischen und chinesischen Taubstummen ihre Gebärden mit großer Übereinstimmung zu Sätzen aneinanderreihten. Dieses Ergebnis deutet nach Meinung der beiden - 127 -
Wissenschaftlerinnen auf eine genetische Veranlagung - die »Universalgrammatik« Chomskys - hin. Es sieht so aus, als dürfe man auf weitere Entdeckungen zur Genetik der Sprache und anderer komplexer Verhaltensweisen des Menschen gespannt sein. Die Vorstellung, dass es den Genforschern eines Tages gelingen könnte, menschliches Verhalten allein auf genetische Wurzeln zu reduzieren, ist einigermaßen beunruhigend. Eine derart weit gehende biologische Vorbestimmtheit des Menschen ist jedoch kaum zu befürchten. »Kein guter Genetiker glaubt, dass Gene unser Schicksal bestimmen«, urteilt beispielsweise Eric Lander, einer der führenden amerikanischen Genforscher. Wer nach Unterschieden in der genetischen Ausstattung des Menschen sucht, wird fündig werden. Wie die Verhaltensgenetik jedoch auch immer wieder bestätigt, ist die Bandbreite der Schwankungen groß: Jeder Mensch ist einmalig in seiner Art - und bleibt dennoch immer ein Mensch. In ein allzu eng geschnürtes Korsett der Vererbung lässt sich menschliches Verhalten nicht zwängen, wer das versucht, stößt rasch an Grenzen. Die Erbfaktoren sind gewichtig, mindestens ebenso schwer wiegt jedoch die Umwelt - eine Binsenweisheit, die der führende Kopf des französischen Genomprojektes Daniel Cohen mit den Worten umschreibt: »Das Angeborene zählt hundert Prozent; das Erworbene zählt ebenfalls hundert Prozent.« Der alte Streit um angeboren und erworben, gesteht Cohen, habe ihn immer gründlich gelangweilt: »Die Frage, ob man sagen kann, dieses oder jenes Verhalten beruhe zu vierzig, sechzig oder neunzig Prozent auf Angeborenem beziehungsweise Erworbenem, erschien mir immer reichlich absonderlich und lief meinem gesunden Menschenverstand zuwider. Genauso könnte man fragen, was für die Oberfläche eines Rechtecks mehr zählt - die Länge oder die Breite.« Auch Professor Jürgen Mittelstraß, Philosoph an der Universität - 128 -
Konstanz, hält die Frage nach der biologischen Determiniertheit menschlichen Verhaltens für wenig hilfreich. »Bei all dem, was uns die eigentlichen Probleme macht«, sagt Mittelstraß, »hilft der Hinweis, dass letztlich alles biologisch determiniert sei, nicht weiter.« Der Mensch werde zwar durch seine Natur bestimmt. Wir seien aber auch diejenigen Wesen, die es in der Hand hätten, wie wir mit diesen Dispositionen umgingen. Die Verantwortung für sein Tun bleibe stets beim Menschen. »Es macht schon einen Unterschied, ob ich eine Atombombe werfe oder nicht«, erklärt Mittelstraß. »Wenn ich sie werfe, kann ich mich nicht darauf berufen, dass das meine Gene waren.«
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Anhang Glossar Allel Eine von zwei oder mehr verschiedenen Ausprägungen eines Gens. Jeder Mensch besitzt in seinen Körperzellen von jedem Gen zwei Kopien. Eine stammt von der Mutter, die andere vom Vater. Diese Kopien können sich geringfügig unterscheiden. Man spricht dann von verschiedenen Allelen eines Gens. Sind die beiden Kopien identisch, ist die Person für dieses Gen reinerbig (homozygot). Sind die Kopien unterschiedlich, ist die Person für dieses Gen mischerbig (heterozygot). Aminosäuren Bausteine der Eiweiße (Proteine). Für den Aufbau der Eiweiße stehen dem Körper zwanzig verschiedene Aminosäuren zur Verfügung. Die meisten davon stellt der Körper selbst her, acht essentielle Aminosäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden. In welcher Reihenfolge (Sequenz) sich die einzelnen Aminosäuren zu einer Protein-Kette zusammenschließen, bestimmen die Gene. Autosom Jedes Chromosom, das kein Geschlechtschromosom (X, Y) ist. Base Als Basen bezeichnet man die Grundbausteine der Nukleinsäuren (Desoxyribonukleinsäure, DNS; Ribonukleinsäure, RNS). Es gibt fünf dieser Basen. Sie heißen Adenin, Cytosin, Guanin, Thymin und Uracil. Häufig werden sie mit ihren Anfangsbuchstaben abgekürzt. In der DNS kommen die Basen A, C, G und T vor. In der RNS wird statt Thymin der Baustein Uracil verwendet. - 130 -
Basenpaar Im leiterförmigen DNS-Molekül bilden Basenpaare die Sprossen. Dabei ergeben stets die Basen Adenin und Thymin sowie Guanin und Cytosin ein Paar. Eintausend Basenpaare werden oft eine Kilobase, abgekürzt kb, genannt. Biotechnologie Der Einsatz von Lebewesen (meist Mikroorganismen) bei industriellen Verfahren. Man unterscheidet heute die traditionelle Biotechnologie (alkoholische Gärung, Milchsäureoder Essigsäure-Gärung), die klassische Biotechnologie (Fermentation, Zellkulturen), die moderne Biotechnologie (beispielsweise mikrobiologische Herstellung von Biopolymeren) und die neue Biotechnologie, zu der die Gentechnik gehört. Boten-RNS RNS bedeutet Ribonukleinsäure. Die Boten-RNS wird im Zellkern als Kopie von der Desoxyribonukleinsäure (DNS) gebildet. Wie ein Bote (daher der Name) trägt sie die kopierte Information aus dem Zellkern heraus und bringt sie zu den Ribosomen, jenen Orten im Innern der Zeile, an denen die Eiweiße aus ihren Bausteinen, den Aminosäuren, zusammengebaut werden. Die Anweisungen dazu hat die BotenRNS aus dem Zellkern mitgebracht. Chromosom In jedem Zellkern enthaltene Strukturen aus DNS und Eiweißen. Auf der DNS sind hintereinander die Gene aufgereiht, die Eiweiße »verpacken« den DNS-Faden. Unsere Körperzellen enthalten zwei Chromosomensätze à 23 Chromosomen. Je ein Chromosomensatz stammt von jedem Elternteil. Insgesamt sind in den Körperzellen also 46 Chromosomen. Man unterscheidet 44 Autosomen von zwei Geschlechts-Chromosomen (XX = weiblich; XY = männlich). Keimzellen - 131 -
(Ei- beziehungsweise Samenzellen) tragen einen einfachen Chromosomensatz. Bei der Verschmelzung von Samen- und Eizellen zur befruchteten Eizelle entsteht wieder der doppelte Chromosomensatz. Codon Eine Informationseinheit auf der DNS. Ein Codon enthält drei Basen. Alle drei Basen zusammen (also ein Codon) stehen für (»codieren«) eine Aminosäure. Diploid Bezeichnung für Zellen mit einem doppelten Chromosomensatz, je einem von Mutter und Vater. Diese Zellen enthalten von jedem Gen zwei Kopien. Alle Körperzellen sind diploid; Keimzellen sind haploid (sie enthalten nur einen einfachen Chromosomensatz). Desoxyribonukleinsäure (DNS, engl. DNA) Die DNS ist der materielle Träger der genetischen Information. Sie ist für die Ausbildung des Körpers, seiner Funktionen und anderer Eigenschaften verantwortlich. Die DNS findet sich im Zellkern beinahe aller Organismen (nur einige Viren machen eine Ausnahme). Sie sieht aus wie eine in sich verdrehte Strickleiter, die Wissenschaftler sprechen von einer Doppelhelix. Sie kann sich öffnen und dient dann als Vorlage für Kopiervorgänge. Dolly-Verfahren Reproduktionsbiologische Methode, um genetisch identische Organismen herzustellen. Einer Eizelle, der zuvor der Kern entfernt wurde, wird der Zellkern einer Körperzelle eines ausgewachsenen Tieres übertragen. Anschließend wird der Embryo einer Leihmutter eingepflanzt. Der heranreifende Organismus stimmt genetisch mit dem des Zellkern-Spenders überein. - 132 -
Dominant Ein Merkmal, das sich gegenüber einem anderen Merkmal durchsetzt. Das schwächere Merkmal wird rezessiv genannt. Enzym Ein Protein (Eiweiß), das chemische Reaktionen in Gang setzt oder beschleunigt, ohne sich dabei selbst zu verändern. Exon Der Abschnitt eines Gens, der in Aminosäuren übersetzt wird Die als Introns bezeichneten Bereiche werden während der Reifung der Boten-RNS wieder herausgeschnitten. Expression Die Umsetzung der genetischen Information. Dazu werden die Gene abgelesen (Transkription) und in Proteine übersetzt (Translation) Gen Abschnitt der Desoxyribonukleinsäure, der die Information für ein Protein trägt. Genetik Teilgebiet der Biologie, das sich mit der Erforschung der Gene beschäftigt. Genetischer Code Ein Codeword (ein Codon) besteht aus drei »Buchstaben« (Basen). Insgesamt gibt es 64 verschiedene Codons. Ein oder mehrere dieser Codewörter sind einer bestimmten Aminosäure zugeordnet Der genetische Code enthält die Regeln, nach denen die in den Dreiergruppen von Basen gespeicherte genetische Information in die entsprechende Aminosäureabfolge eines Proteins übersetzt wird. Er gilt (nahezu) für alle Lebewesen, das heißt eine bestimmte Basen-Dreiergruppe codiert immer die gleiche Aminosäure. - 133 -
Genom Gesamte Erbanlagen eines Organismus. Die Anordnung, Art und Zahl der Gene in einem Organismus ist unterschiedlich. Der Mensch besitzt zwischen 30000 und 100000 Gene. Sie liegen auf den DNS-Strängen, die die Chromosomen bilden. Gentechnik Teilgebiet der Biotechnologie, die Gesamtheit der Methoden zur Erforschung, Beeinflussung und Nutzung des genetischen Materials. Gentransfer Übertragung von Genen in eine Zelle mit Hilfe von Vektoren, beispielsweise mit Viren. Klon Population genetisch identischer Zellen oder Organismen, die alle von einem einzigen Vorfahren abstammen oder durch Teilung aus ihm hervorgegangen sind. Klonieren 1. Produktion genetisch identischer Zellen oder Organismen durch die Zweiteilung einer Zelle (ungeschlechtliche Vermehrung). 2. Einbau eines fremden Gens in eine Zelle und deren anschließende Vermehrung. Knock-out-Mäuse Mäuse, bei denen ein bestimmtes Gen gezielt ausgeschaltet wurde. Am veränderten Erscheinungsbild kann man erkennen, welche Funktion das Gen normalerweise in einem Organismus hat. Molekulargenetik Teilgebiet der Genetik, das sich mit den molekularen Grundlagen der Vererbung beschäftigt. - 134 -
Monogene Krankheiten Erbleiden, die auf ein einziges defektes Gen zurückzuführen sind. Mutation Veränderung der Erbsubstanz. Sie kann spontan auftreten oder durch das Einwirken einer chemischen Substanz oder energiereicher Strahlung verursacht werden. Nukleinsäuren Desoxyribonukleinsäure (DNS), Ribonukleinsäure (RNS), unverzweigte große Moleküle, die aus Nukleotiden als Baueinheiten bestehen. Nukleinsäuren sind die Träger der genetischen Information. Nukleotide Bausteine der Nukleinsäuren. Jeder Baustein besteht aus einem Zuckermolekül, einem Phosphorsäuremolekül und einer der Basen. Onkogen Eine Erbanlage, die aufgrund einer Veränderung (Mutation) ungehemmtes Zellwachstum begünstigt. Zumeist handelt es sich um Gene, die in der normalen Zelle die Zellteilung kontrollieren. Aus diesen »Proto-Onkogenen« können durch Mutationen »Onkogene« entstehen. Phänotyp Das äußere Erscheinungsbild eines Organismus. Polygene Krankheiten Leiden, die durch mehrere Gene bestimmt werden. Prävention Vorbeugende Maßnahmen, Vorsorge.
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Prädiktive Medizin Voraussagende Medizin. Auf der Grundlage genetischer Daten eines Patienten können Voraussagen über spätere Erkrankungen gemacht werden. Präimplantationsdiagnostik Untersuchung künstlich befruchteter Eizellen auf genetische Erkrankungen. Je nach Resultat wird der Embryo in die Gebärmutter eingepflanzt oder nicht. Diese Art der Gendiagnose ist in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Proteine Eiweiße. Komplexe Moleküle, die aus Aminosäuren aufgebaut sind. Sie erfüllen im Körper zahlreiche wichtige Aufgaben. Die Abfolge der Aminosäuren in einem Protein bestimmen die Gene. Rekombination Neukombination, Bildung neuer Genkombinationen. Replikation Verdopplung der Erbsubstanz. Sie erfolgt vor jeder Zellteilung. Ribonukleinsäure (RNS, engl. RNA) Nukleinsäure, die in der Regel als Kopie von DNS-Molekülen gebildet wird. Die Kopie enthält die Information, welche Aminosäuren in welcher Reihenfolge bei der Übersetzung in ein Protein (Bioproteinsynthese) miteinander verknüpft werden. Sequenz Allgemeiner Begriff für die Reihenfolge von Bausteinen in kettenförmigen Biomolekülen; Abfolge der Basen in der DNS oder Abfolge der Aminosäuren in den Proteinen. Sequenzierung Die Ermittlung der Reihenfolge der Basen in der DNS oder der Aminosäuren in den Proteinen. - 136 -
Stammzellen Zellen, aus denen ein vollständiger Organismus entstehen kann, die also in ihrer Entwicklungsrichtung noch nicht eingeschränkt sind (totipotente Zellen). Beispiele sind die befruchtete Eizelle und die Zellen, die durch Teilung bis zum Acht-Zell-Stadium hervorgehen. Im Gegensatz dazu können differenzierte Zellen nur noch Zellen desselben Typs hervorbringen. Transgene Organismen Ein Tier oder eine Pflanze, in dessen/deren Erbgut die Erbanlage eines anderen Lebewesens stabil eingebaut wurde. Transkription Die Überschreibung der in der DNS gespeicherten genetischen Information für ein Protein in RNS. Translation Übersetzung der genetischen Information in Aminosäuren und deren Verknüpfung zu Proteinen. Die Translation, auch Bioproteinsynthese genannt, erfolgt an bestimmten Organellen im Innern der Zelle, den Ribosomen. Vektor Transportmittel für Gene. Zytogenetik Teilgebiet der Genetik, das sich mit den mikroskopisch erkennbaren Unterschieden der Zahl und Feinstruktur der Chromosomen beschäftigt.
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Weitere Literatur Campbell, Neil: Biologie. Heidelberg, Berlin, Oxford 1997 Ein Biologie-Lehrbuch, das die gesamte Biologie mit all ihren Teilfächern - von der Biochemie über die Genetik bis hin zur Zoologie - in methodisch und didaktisch gut aufgearbeiteter Form behandelt. Lexikon der Biochemie und Molekularbiologie. Heidelberg, Berlin, Oxford 1995 Ein unverzichtbares Nachschlagewerk für Spezialisten und solche, die es werden wollen. Brown, Terence: Moderne Genetik. Heidelberg, Berlin, Oxford 1993 Ein Lehrbuch, das einen interessant zu lesenden Überblick über die moderne Genforschung, ihre Perspektiven und Wurzeln gibt. Zahlreiche Exkurse stellen Wissenschaftler vor und erklären Methoden und Schlüsselbegriffe. Winnacker, Ernst-Ludwig: Das Genom. Frankfurt 2002 Ein verständlich geschriebenes Buch von einem der führenden deutschen Experten auf dem Gebiet der Gentechnologie, das Laien einen raschen Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen der Genforschung erlaubt. Shapiro, Robert: Der Bauplan des Menschen. Frankfurt, Leipzig 1992 Mittlerweile fast schon ein Klassiker. Robert Shapiro, ein Insider, berichtet detailreich und sehr verständlich über das Genomprojekt und die Entwicklung der Genetik. Ein Lesevergnügen. Hennig, Wolfgang: Genetik. Berlin, Heidelberg, New York 1995 Ein Lehrbuch, das auf der Basis allgemeinbiologischer Fakten die klassische und Teile der molekularen Genetik darstellt. Levine, Joseph; David Suzuki: Das Lebensmolekül. München 1996 Ein verständlich und ansprechend geschriebenes Buch zweier international renommierter Genforscher über die Erfolge medizinischer Genetik.
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Stamatiadis, Hilke; Harald zur Hausen (Hrsg.): Das Genom-Puzzle. Heidelberg, Berlin, New York 1998 Eine verständliche Darstellung der aktuellen Ergebnisse der Erforschung des menschlichen Genoms und ihrer wissenschaftlichen, medizinischen und gesellschaftlichen Implikationen. Strachan, Tom; Andrew Read: Molekulare Humangenetik. Heidelberg, Berlin, Oxford 1996 Ein Lehrbuch für den fortgeschrittenen Biologiestudenten, das die Grundlagen der Genetik und Gentechnik bis zu den modernen Aspekten der molekularen Diagnostik und Gentherapie detailreich vermittelt. Lewin, Benjamin: Molekularbiologie der Gene. Heidelberg, Berlin 2002 Ein Lehrbuch von hoher Aktualität und breit angelegter Gesamtschau, die die Rolle der Gene und ihre Aktivität in ihrem biologischen Kontext in den Mittelpunkt stellt. Frisch, Karl von: Du und das Leben. Frankfurt, Wien 1988 Eine zwar nicht mehr ganz aktuelle, aber immer noch höchst lesenswerte Einführung in die Biologie von Nobelpreisträger Karl von Frisch, der seinen wissenschaftlichen Nachfolgern souverän vormacht, wie man äußerst komplexe Sachverhalte sehr verständlich erklären kann.
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