Frank G. Slaughter
Das Pestschiff Inhaltsangabe Der berühmte Geologe Guy Reed hat in den peruanischen Anden ein 5.000 ...
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Frank G. Slaughter
Das Pestschiff Inhaltsangabe Der berühmte Geologe Guy Reed hat in den peruanischen Anden ein 5.000 Jahre altes Grab entdeckt und geöffnet. Doch mit den faszinierenden Schätzen kommt auch ein tödliches Verderben ans Tageslicht: der Keim einer uralten Krankheit. Guy Reed fällt ihr zum Opfer, seine Mitarbeiterin Lael Valdez kann noch im letzten Augenblick gerettet werden, doch dann droht sich die unbekannte Seuche mit entsetzlicher Geschwindigkeit auszubreiten. Verzweifelt bemüht sich der Immunologe Dr. Grant Reed, der nicht minder bedeutende Bruder des Geologen, mit der mutigen und aufopferungsvollen Besatzung des Hospitalschiffs ›Mercy‹, eine weltweite Tragödie zu verhindern. Doch bis es ihnen gelingt, die furchtbare Krankheit unter Kontrolle zu bekommen, müssen sie Abenteuer und Gefahren überstehen, die ihnen von der Natur ebenso wie von den Menschen drohen. Frank G. Slaughter ist einer der erfolgreichsten und auch bei uns bestens bekannten Autoren von Romanen, die sich mit medizinischen Problemen befassen. Auch ›Das Pestschiff‹ bezieht seine überzeugende sachliche Authentizität, seine faszinierende fachliche Stimmigkeit bis ins Detail, aus diesem Bereich, den Slaughter – der selbst praktizierender Arzt war – souverän beherrscht. Dennoch ist dieser Roman mehr als ein Arzt-Roman im herkömmlichen Sinn – ein moderner Abenteuerroman voll Spannung, Dramatik und moralischem Ernst.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Helga Amrain. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel ›The Plague Ship‹ Lizenzausgabe des Lingen Verlags, Köln mit freundlicher Genehmigung des Schneekluth Verlags, München © 1976 by Frank G. Slaughter © 1978 für die deutsche Ausgabe by Franz Schneekluth Verlag, München Gesamtherstellung: Lingen Verlag, Köln Schutzumschlag: Roberto Patelli • BK Printed in West Germany Alle Rechte vorbehalten Dieses eBook ist umwelt- und leserfreundlich, da es weder chlorhaltiges Papier noch einen Abgabepreis beinhaltet! ☺
Die Casa Yanqui
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ie Morgenmaschine der nationalen Fluggesellschaft war von Lima aus auf der Inlandroute die ganze Zeit über konstant tieffliegend der peruanischen Küstenniederung nach Norden gefolgt; fast ununterbrochen war die endlos sich westwärts dehnende Weite des Pazifik im Blickfeld der Passagiere. Im Osten begrenzte die schroff ansteigende Kette der Kordilleren die Küstenebene, schmälerte sie manchmal und wich dann wieder meilenweit zurück. Der Landstrich zwischen Meer und Gebirge zeigte sich nur dort nicht öd und brach, wo sich ein Fluß von den mächtigen Höhen herab seinen Lauf zum Pazifik grub. Ein Netzwerk von uralten Bewässerungssystemen, die schon undenkliche Zeiten vor der berühmten Inkakultur angelegt worden waren, hatte das Land entlang der Flußläufe fruchtbar gemacht, Gemüse- und Weingärten sowie riesige Baumwoll- und Getreidefelder geschaffen und ganze Plantagen mit all jenen Feld- und Gartenfrüchten entstehen lassen, die seit jeher von den Bewohnern dieser Region angebaut wurden. In steiler Kurve zog die Maschine über einen der sanfteren Vorberge hinweg und gab die Sicht auf eine weite Bucht frei – die größte, die Dr. Grant Reed auf dem ganzen Flug nordwärts von Lima überhaupt zu Gesicht bekommen hatte. Die südliche Landmarkierung dieser beinahe eingeschlossenen Binnenbucht ragte als Hügel auf, und als Gegenstück kennzeichnete eine fast gleich hohe Erhebung nördlich die Furt in die geschützte Bucht. Am nordöstlichen Binnenufer lag die Stadt. Der Küste vorgelagert, erhob sich schützend eine große Insel, die von mehreren kleinen Inseln umgeben war. Grant blickte auf den vollkommensten natürlichen Hafen, den er seit Lima und dessen eigener Hafenanlage Callao gesehen hatte. 3
Aus der Pilotenkanzel kam die Ansage in unverwechselbar texanischem Tonfall; die meisten Flugkapitäne der nationalen Linie waren Amerikaner. »Wir befinden uns im Anflug auf Chimbote. Bitte schnallen Sie sich an. Die große Hafenbucht unter uns ist Ferrol Bay.« Die dunkelhaarige Stewardeß wiederholte die Durchsage in makellosem Spanisch, das Grant Reed beinahe ebenso geläufig war wie das Englische. Doch dann wechselte sie in eine Sprache, die ihm gänzlich unbekannt war, obwohl ihn seine Arbeit als Chefepidemiologe des Instituts für weltweite Seuchenbekämpfung in Atlanta, im US-Bundesstaat Georgia, in aller Herren Länder führte. »Was für eine Sprache war denn das?« fragte er die Stewardeß, als sie bei ihrem Kontrollgang durch die Sitzreihen bei ihm vorbeikam. »Das war quechua, Dr. Reed, die alte Inkasprache, die im Andenhochland noch viel gesprochen wird. Haben Sie übrigens hinuntergeschaut? Meistens ist diese Küstenpartie nämlich wolkenverhangen. So klare Sicht wie heute ist eine Seltenheit.« »Ein wirklich prachtvoller Blick.« Grant nahm den Peru-Reiseführer zur Hand, den er am Abend zuvor am internationalen Flughafen von Miami gekauft hatte, in letzter Minute vor dem Start nach Lima, wo er später auf die Inlandmaschine umgestiegen war. Dem Industriezentrum Chimbote und seinem Hafen – laut Reiseführer einer der besten an der Nordküste von Peru, nahe dem Äquator – galt eine detaillierte Darstellung. Während die Maschine im Anflug eine weite Schleife über dem Pazifik beschrieb, zeigte sich ein exaktes Panorama des Hafens, dem die Kartographie präzise entsprach. »Jenes große weiße Schiff dort unten – das ist die ›Mercy‹, das berühmte Hospitalschiff.« Nach beendetem Kontrollgang war die Stewardeß noch einmal neben Grants Sitz stehengeblieben. »Sie liegt schon monatelang in Chimbote vor Anker.« »Und einer der Patienten an Bord ist mein schwerkranker Bruder.« »Das tut mir aber leid, Dr. Reed. Vielleicht geht es ihm inzwischen doch schon besser.« »Ja, das hoffe ich allerdings auch.« 4
Grant Reed hatte die ›Mercy‹ das letztemal vor fast zwei Jahren in Tanjungperak, dem Hafen von Surabaya in Indonesien, gesehen. Beide waren sie damals in gleicher Mission an Ort und Stelle gewesen, mit der Bekämpfung einer epidemisch auftretenden Fieberseuche beschäftigt, die sich über den ganzen Fernen Osten auszubreiten drohte. Für die ›Mercy‹ und ihre Besatzung war dieser Einsatz Routinestation ihrer internationalen Aufgabe, einheimisches Pflege- und Sanitätspersonal zu schulen und Seuchen überall dort zu bekämpfen, wo Hilfe nötig wurde. Grant seinerseits war zum Chefbeauftragten der Seuchenerforschung für die Weltgesundheitsorganisation bestellt worden, für die ihn das ›Zentrale US-Institut für öffentliches Gesundheitswesen‹ in Atlanta häufig freistellte. Ziel seines Sonderauftrags war es gewesen, den Erreger dieser Seuche, die außer Kontrolle zu geraten drohte, festzustellen und spezifische Maßnahmen einzuleiten, um die Ausbreitung so lange einzudämmen, bis man im Labor entweder ein Heilmittel oder ein Impfprophylaktikum gefunden hatte. Der Ruf, der ihn nun an diesem Oktobermorgen mehr als fünftausend Kilometer nach Nordperu hinunterführte, hatte ihn tags zuvor erreicht, als er von Bord einer Maschine ging, die ihn keine vierundzwanzig Stunden nach seinem Abflug aus der nigerianischen Hauptstadt Lagos von New York nach Atlanta gebracht hatte. Als er den afrikanischen Kontinent endlich verließ, lagen sechs Monate Kampf den heimtückischen Erreger des Sudanfiebers, das im inneren Hochland des Jos-Plateaus wütete, hinter ihm. Und beinahe wäre er der Seuche selbst erlegen, wenn ihn nicht die Transfusion von Immunblut einer Missionskrankenschwester gerettet hätte, die das virulente Fieber überlebt und glücklicherweise die gleiche Blutgruppe wie er hatte. Bei seiner gestrigen Ankunft in Atlanta hatte es ihn zunächst nicht im geringsten überrascht, daß man ihn per Lautsprecher ausrief; er war daran gewöhnt, auf den entlegensten Flughäfen aufgestöbert zu werden. Aus dem allgemeinen Gedränge Richtung Gepäckauslieferung hatte er sich zum nächsten Wandtelefon durchgearbeitet und sich gemeldet. »Hier ist Dr. Reed. Sie haben mich ausgerufen?« 5
»Bleiben Sie am Apparat. Wir haben ein Auslandsgespräch für Sie: Sie werden von Bord eines Schiffes verlangt.« »Jetzt habe ich Dr. Reed für Sie in der Leitung«, kam Sekunden später die Stimme einer Fernvermittlung mit hartem spanischen Akzent. Und schon schaltete sich eine weitere weibliche Stimme ein. »Hier spricht Lael Valdez aus Chimbote in Peru. Dr. Reed …?« Einen Augenblick lang wartete die Stimme am anderen Ende auf eine Reaktion des Erkennens. Irgendwo in seinem Unterbewußtsein dämmerte ihm auch, daß er diese Frau tatsächlich kennen sollte, doch seine Gedächtnislücke blieb beharrlich. Daß sie zumindest spanischer Herkunft war, stand für ihn fest – in ihrer Stimme schwang genügend lateinisches Timbre, um auch ohne den Namen Valdez dahinterzukommen. Aber obendrein sprach sie ein ›A‹, wie es nur für Neuengland typisch war. »Wir kennen uns nicht. Ich dachte nur, daß Guy mich vielleicht in einem seiner Briefe erwähnt hätte.« Und wieder klangen die zwei verwirrend widersprüchlichen Sprachmerkmale durch. »Ich arbeite seit einem Jahr für ihn – als seine Sekretärin und Fotografin.« »O ja, natürlich. Jetzt fällt es mir ein. Guy hat mir vor etwa einem halben Jahr von Ihnen geschrieben, Miß Valdez.« Den Brief seines älteren Bruders hatte er damals in Lagos vorgefunden, als er von einem der offiziellen sudanesischen Einsatzflüge ins nigerianische Hochland zurückgekommen war. Guy hatte darin auch eine Frau erwähnt, was Grant jedoch überlesen hatte in der Meinung, dies sei nur eine von vielen in der Reihe von Guys üblichen Eroberungen. »Sind Sie noch in der Leitung, Doktor?« kam es etwas kühl vom anderen Ende. »Sicher. Es hat mich nur überrascht zu hören, daß Sie und Guy in Peru sind. Seine letzte Nachricht kam aus Buenos Aires.« »Wir sind schon seit mehreren Monaten im Gebiet der Callejón de Huaylas in den peruanischen Anden. Doch im Augenblick spreche ich zu Ihnen von der ›Mercy‹ aus, dem Hospitalschiff im Hafen von Chimbote. Das ist in Nordperu in der Nähe von Trujillo. Guy ist vor eini6
gen Tagen schwer erkrankt, deshalb habe ich ihn hierher gebracht. Seit vorgestern versucht der Schiffsfunker, Sie zu erreichen.« »Ich war tief im inneren Sudan und anschließend die ganze Zeit unterwegs hierher. Was fehlt Guy denn, Miß Valdez?« »Dr. Smithson möchte …« »Sprechen Sie von Jack Smithson?« »Genau. Ich glaube, Sie kennen sich von Indonesien. Er steht hier neben mir und kann Ihnen über Guys Zustand besser Auskunft geben als ich.« »Hallo, Grant.« Aus über fünftausend Kilometer Entfernung kam die vertraute Stimme eines alten Bekannten, fast eines Freundes. »Ich fürchte, Ihrem Bruder geht es verdammt schlecht.« »Wo hat er sich denn das geholt, Jack?« »Miß Valdez und Guy waren mit Ausgrabungen im Andenhochland beschäftigt, östlich von hier im Landesinneren. Dabei hat ihn ein heftiges Fieber erwischt. Miß Valdez konnte ihn schließlich davon überzeugen, daß er nach Chimbote herunter müsse. Selbstverständlich haben wir ihn als Patient aufgenommen.« »Gott sei Dank ist die ›Mercy‹ überhaupt dort!« »Zuerst dachte ich, er hätte so was Ähnliches wie Ihr Nobelpreisfieber aufgegabelt, so eine Art Paraguayfieber. Aber die Komplementbestimmung ist negativ, auch für die bolivianische Spielart. Tatsächlich sind seine Symptome noch am ehesten mit der Lungenpest vergleichbar«, erklärte Smithson. »Aber weder die peruanischen noch die bolivianischen oder die paraguayischen Gesundheitsbehörden wissen etwas von irgendeinem endemischen Herd in ganz Südamerika. Unsere sämtlichen Kulturen und Komplementbindungen haben bisher nichts gebracht. Wir sind nicht in der Lage, Guys Fieber oder dessen Erreger zu bestimmen. Und langsam verliert er an Boden, weshalb ich Miß Valdez gebeten habe, Sie aufzustöbern.« »Ich komme mit der nächstmöglichen Maschine.« »Miß Valdez hat sich schon über die Flugzeiten orientiert – Augenblick bitte.« »Ab wann wären Sie startbereit, Doktor?« Jetzt war Lael Valdez wieder in der Leitung. 7
»In ein paar Stunden. Ist Guy bei Bewußtsein?« »Nur zeitweilig. Dann allerdings verlangt er nach Ihnen.« »Sagen Sie ihm, daß ich auf dem Weg bin. Wie komme ich eigentlich nach Chimbote?« »Am besten mit ›Braniff‹ über Lima. Die fliegen täglich von Miami direkt. In Lima steigen Sie um auf die Inlandroute, die bei Bedarf in Chimbote zwischenlandet. Am Flughafen hole ich Sie dann ab.« »Klingt ja tadellos.« »Die Maschine aus Miami hat täglich verschiedene Abflugzeiten. In der Hoffnung, Sie heute zu erwischen, habe ich einen Erster-KlassePlatz für den Zwei-Uhr-zehn-Flug heute nacht gebucht. Ankunft in Lima ist sechs Uhr zwanzig. Der Anschlußflug nach Chimbote geht um neun Uhr, so daß Sie die Inlandmaschine bequem erreichen, selbst wenn sich der Abflug in Miami verzögern sollte. Ich hole Sie um zehn Uhr dreißig in Chimbote am Flughafen ab. Bis morgen also.« Tüchtiges Mädchen, kein Zweifel, dachte Grant und legte auf. Offensichtlich befand sie sich ebenfalls in höchster Sorge um seinen Bruder, was aber nicht weiter verwunderlich war. Guys Frauenbeziehungen waren immer von besonderer Intensität – ob es sich nun um eine von seinen zahlreichen romantischen Episoden handelte oder um seine zwei Ehen. Doch wie auch immer schließlich diese Beziehungen endeten – nie wurde er mit Schuldvorhaltungen bedacht. Was doch ziemlich für Guy zu sprechen schien, überlegte Grant. Bei ihm selbst lag der Fall ganz anders: Immerhin war er vor sechs Monaten ›in Abwesenheit‹ geschieden worden, nach fünf Ehejahren, deren einzig friedvolle Phasen jene Zeiten gewesen waren, in denen er sich auf Reisen befunden hatte.
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achdem er seinem Institut Bericht erstattet und die unerläßliche Pressekonferenz absolviert hatte, war Grant am Vorabend direkt zu seiner Wohnung gefahren. Daß Shirley da war, hatte er schon auf der Türschwelle gewußt. Der Duft ihres wohlvertrauten Parfüms, das Rauschen der Dusche, das Häufchen Wäsche über dem Bettrand in seinem Apartment, in das er nach der Trennung vor über einem Jahr gezogen war – unverkennbar ihre Spuren. Und schon tauchte sie höchstpersönlich unter der Badezimmertür auf, leicht lässig mit einer Hand das um sich gewickelte Badetuch gerafft, während sie mit einem Frottiertuch in der anderen Hand ihren kurzen Rotschopf trocknete. »Hallo, Liebling«, begrüßte sie ihn strahlend. »Du hast so lange gebraucht, daß ich noch geduscht habe.« »Ein ganzes Rudel Presse- und Fernsehleute hat im Institut gewartet.« »Ist mir klar. Sie zusammenzutrommeln war schließlich meine letzte Amtshandlung als Pressemädchen fürs Institut.« »Du machst das nicht mehr? Wieso denn nicht?« »Du bist eben nicht der einzige mit Hang zur Berühmtheit und zum Umherreisen in der Weltgeschichte. Ich bin schon seit deiner letzten Abreise Lokalreporterin für CBS, und jetzt sattle ich um auf die steile Karriere einer freien Fotojournalistin.« »Das Zeug dazu hast du«, bestätigte er ihr. »Nett, daß du's sagst. Keine Bitterkeit deinerseits?« »Hätte ich denn Grund dazu?« »Kommt drauf an. Meine erste Sendung für CBS ist schon perfekt; es geht um dich und deine Arbeit. Immerhin bist du inzwischen die hervorragende Berühmtheit im ganzen Institut.« 9
»Der reine Personenkult! Du weißt verdammt genau, daß ich ohne Seuchenforschungsinstitut, ohne panamerikanische und Weltgesundheitsorganisation nichts auf die Beine gebracht hätte. Hast du überhaupt gewußt, daß ich am Sudanfieber beinahe eingegangen wäre?« »Haben wir schon eingebaut; der CBS-Mann in Nigeria hat bereits deine Blutspenderin Marie Toussaint interviewt. Übrigens hat euer Chef mit Hinweis auf dich und deine Leistung dort seine nächste Jahresetatforschung gleich um fünf Millionen aufgestockt.« »Das werde ich auch in etwa brauchen, um einen Impfstoff gegen das Sudanfieber zu entwickeln. Wenn es mir überhaupt je gelingen sollte.« »Aber sicher. Das einzige, woran ich dich je habe scheitern sehen, war die Ehe – und wenn wir's nur richtig anpackten, könnten wir sogar das noch hinkriegen.« Dabei ging sie auf ihn zu und meinte mit altvertraut spöttischem Unterton: »Du wirst doch wahrscheinlich zugeben, daß dir die Vorstellung von uns im Bett nicht allzu widerwärtig ist.« Sie stand um nichts dem Sinnenreiz und der Schönheit nach, die ihm seine Träume vorgegaukelt hatten, als ihn das Fieber auf dem moskitonetzumspannten Feldbett geschüttelt und die zentralafrikanische Gluthitze um den Schlaf gebracht hatte. Wie sehr ihn auch jetzt ihre Anwesenheit und ihre Absicht, seine Arbeit für ihre Karriere zu nutzen, ärgern mochten – er war außerstande, das plötzliche Verlangen, das seinen Körper bei ihrer spöttischen Herausforderung wie eine Welle erfaßt hatte, zu unterdrücken. »Wie bist du überhaupt hier hereingekommen?« wollte er wissen. »Der Hausverwalter hat mir aufgeschlossen; schließlich lautet mein Führerschein immer noch auf ›Mrs. Grant Reed‹. Falls dir auch das entfallen sein sollte: Erst nach Ablauf von weiteren sechs Monaten sind wir auch gesetzlich endgültig getrennt.« »Es war mir keineswegs entfallen«, knurrte er leicht ungehalten und hoffte, sie damit über die Wirkung hinwegzutäuschen, die ihre Wiederbegegnung nach sechs Monaten auf seinen Hormonhaushalt und seinen Körpermechanismus ausübte. »Findest du nicht, Liebling, daß ich mich zu meinem Vorteil verän10
dert habe?« Sie warf das Frottiertuch beiseite, mit dem sie ihr Haar getrocknet hatte, schüttelte energisch den Kopf, und wie er es von ihr schon immer kannte, fügten sich ihre Strähnen zum natürlichen Lockenschwung. »Ich habe ein bißchen zugenommen – hauptsächlich unterm Badetuch.« »Du weißt verflucht gut, daß du prima aussiehst.« »Vielleicht nicht ganz so gut. Aber für jemand, der ein halbes Jahr in den Tropen war, fern jeder weißen Frau …« »Ich hab's eilig, Shirley. Was willst du wirklich?« »Dich, Liebling, was denn sonst? Seit du fort warst, habe ich begriffen, wie verlassen ein geschiedenes Weib sein kann.« »Das ist doch nicht dein Ernst! Auf dich sind die Männer zu jeder Zeit geflogen wie die sprichwörtlichen Fliegen auf das Stück Zucker.« »Das sollte wohl ein Kompliment sein.« Sie zuckte die Achseln, und ihre einzige Hülle, das Badetuch, bekam dabei etwas gefährlich Haltloses. »Es ist zwar ziemlich schamlos, es zuzugeben, aber so gelegentlich möchte ich dich schon haben – samt all deiner Fehler.« Nur noch das verknotete Handtuch befand sich zwischen ihnen, so nah war sie ihm gekommen. Aus ihren Augen leuchtete der Spott, während sie sich zu ihm hochreckte und ihn umarmte, um seinen ganz und gar nicht ungeneigten Kopf zu sich zu beugen, bis ihr ungeduldig verlangender Mund den seinen fand. Dabei rutschte das Badetuch natürlich endgültig herunter, und da es sinnlos war, länger den Unbeeindruckten zu spielen, ließ er sich von seinem fordernden Körper mitreißen, wild und ungebändigt. Noch unmittelbar vor ihrem Kuß hatte Spott in ihren Augen aufgeblitzt, der jedoch bereits wieder erloschen war, als sie sich an ihn drängte. Wenig später gruben sich ihre Hände wie wahnsinnig in seine Schultern und seinen Rücken, während sich ihr Körper in der Erwiderung aufbäumte. Danach lag sie unter der Decke und schaute mit einem kleinen Lächeln zu ihm auf, das nahezu zärtlich war und immerhin fast so täuschend ehrlich, um ihn glauben zu lassen, daß sie es so meinte. Aber nach fünf Jahren wechselseitiger Streitereien und leidenschaft11
licher Versöhnungen kannte er sie doch zu gut. Er entsann sich der wissenden Männerblicke, die er aufgefangen hatte, als sie noch an der gleichen Klinik gearbeitet und er seine Doktorarbeit über Bakteriologie verfaßt hatte. Nicht zu vergessen die diversen Male, in denen er beim unverhofften Heimkommen das Nest leer gefunden hatte, um sie erst Stunden später vor der Haustür »Gute Nacht« flöten zu hören, das von einer Männerstimme erwidert wurde. Als er geduscht hatte, steckte sie bereits in einem blauen Hosenanzug, der ihre ohnehin phantastische Figur noch auf das äußerste unterstrich. »Die sechs Monate Enthaltsamkeit haben deine Libido ganz schön aufgestachelt. Du hast wie ein Liebhaber geliebt – gar nicht wie ein Ehemann.« Sie schminkte ihre Lippen und besah sich das Resultat kurz im Toilettenspiegel. »Nicht ein blauer Fleck – auf jeden Fall nicht an sichtbaren Stellen! Ach übrigens, hast du im Institut die Nachricht von einer Miß Valdez aus Peru vorgefunden?« »Sie hat mich am Flughafen bei der Ankunft ausrufen lassen. Guy hat ein Fieber erwischt in irgendeiner peruanischen Küstenstadt; also fliege ich noch heute abend nach Miami und dann weiter nach Lima.« Mitten im Krawattenbinden hielt er inne. »Sag mal – du hast doch schon von der Sache mit Guy gewußt, oder?« »Der Anruf landete gestern bei mir; er kam vom Hospitalschiff ›Mercy‹ aus irgendeinem südamerikanischen Hafen.« »Wieso denn bei dir?« »Ich stehe immer noch als Mrs. Grant Reed im Telefonbuch, vergiß das nicht. Dein Anschluß hier ist außerdem zeitweilig abgestellt, also hat wohl die Auskunft der Fernvermittlung meine Nummer gegeben. Das Mädchen, das anrief, hat gesagt, daß Guy krank wäre; die Stimme klang sehr jung.« »Sie heißt Lael Valdez und ist seit einem Jahr Guys Sekretärin. Sie haben sich in Spanien kennengelernt.« »Guy hat sich doch immer bildhübsche Sekretärinnen gesucht.« »Laut Dr. Jack Smithson, dem Chefarzt der ›Mercy‹, hat er ein ge12
fährliches Fieber. Ich fliege heute abend nach Lima und morgen weiter nach Chimbote.« »Grüß Guy von mir. Ich mochte ihn immer gern. Wir haben viel gemeinsam: den Wandertrieb, die Abneigung gegen blasiertes Spießertum, den Hang zum Abenteuer …« »Dafür wird dir ja in deiner neuen Aufgabe bei CBS ziemlich was geboten.« »Das will ich hoffen«, meinte sie. »Und da ich mich auf medizinische und Seuchenprobleme spezialisieren werde, laufen wir uns bestimmt wieder über den Weg.« »Möglich«, räumte er ein. »Fünf Jahre meines Lebens habe ich in der Ehe mit dir verbracht, Grant. Es war nicht gerade der Himmel auf Erden: Berichte tippen, Interviews mit blöden Leuten schreiben für den Pressedienst vom Institut – und alles nur, damit du eine schlechtbezahlte Funktion im Staatsdienst hast annehmen können, anstatt in freier Praxis ein Vermögen zu ergattern. Trotzdem habe ich dir das nie verübelt. So oder so hätten wir nie eine vernünftige Ehe zustande gebracht – dazu sind unsere Temperamente und Zielvorstellungen einfach zu verschieden. Aber das spricht noch lange nicht dagegen, daß wir Freunde sein können – und gelegentlich sogar Liebende.« »Hältst du das für klug?« »Das vielleicht nicht gerade, aber es könnte Spaß machen. Du warst schon immer gut im Bett – wenn du dich erst einmal von deinen verdammten Mikroskopen und Bakterienkulturen losreißen und dich wirklich darauf konzentrieren konntest.« Er nahm die Hand, die sie ihm hinhielt. »Sagen wir also auf Wiedersehen? Ich verlaß mich drauf, daß du mich's wissen läßt, wenn sich irgend etwas Bahnbrechendes im Gesundheitswesen ereignet.« Er behielt ihre Hand in der seinen, fragte nur hellhörig: »War das der Grund für die große Verführungsszene, die du arrangiert hast?« »Nicht unbedingt«, erwiderte sie leichthin. »Aber es kann einem Reporter nie schaden, wenn er zuverlässige Quellen hat.« »Na, dann auf Wiedersehen«, meinte er und schüttelte ihre Hand – 13
doch keiner von beiden konnte die abstrusen Umstände auch nur ahnen, die sie wieder zusammenführen sollten.
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ährend Grant Reed in der Nacht zuvor von Atlanta nach Miami unterwegs gewesen war, hatte sich Carlos Ganza jenem Gewerbe hingegeben, für das er besondere Geschicklichkeit entwickelt hatte – dem eines Diebes. Eigentlich war er der typische Fassadenkletterer; aber in Yungay, dem Ort am Fuß einer der höchsten südamerikanischen Berge, dem Nevado de Huascarán, waren die Häuser meist ebenerdige Ziegelbauten. Und so leicht ein Dieb von Carlos Geschicklichkeit auch in sie eindringen konnte, so ärmlich war doch meist die Ausbeute. In den vergangenen zehn Jahren hatte sich Carlos vorwiegend Lima als Betätigungsfeld auserkoren, wo die Bougainvillearanken, die in ungeheurer Fülle an Häuserwänden hochwucherten, eine Balkonbesteigung höchst einfach machten. Von dort aus kam man dann meist ins Schlafzimmer, wo das geräuschlose Umräumen des Inhaltes der Schmuckkassette der Dame des Hauses in die eigene Tasche für Carlos Ganza fast ein lächerlich einfaches Spiel war – oder zumindest gewesen war, bis ihm das fatale Mißgeschick unterlief, ausgerechnet den Schmuck der Frau jenes Hehlers mitgehen zu lassen, dem er am nächsten Morgen die Beute zum Kauf anbot. Nicht nur daß der Hehler dann die Beute einbehalten hatte – er hetzte auch noch die Polizei auf Carlos Fährte, was diesen wiederum dazu zwang, sich in ein Gebiet abzusetzen, in welchem die guardar el orden nicht nach ihm suchen würde – eben jene Peripherie seines Heimatortes in der Callejón de Huaylas. Da aber die Ausbeute in Yungay recht mager war, hatte sich Carlos gezwungen gesehen, Arbeit in der Entenschlucht zu suchen, einem der Wasserkraftwerke, die im Cañon del Pato erstellt wurden. 15
Nach einem Verlauf von über hundert Meilen zwischen Schwarzen und Weißen Kordilleren stürzte hier der Rio Santa auf einer Strecke von kaum mehr als acht Meilen beinahe auf Meereshöhe ab. In seinem Gefälle steckten jene Energiekapazitäten, mit denen die peruanische Regierung die Region von Chimbote und dem nahe gelegenen Trujillo zu florierenden Industriezentren und Seehäfen zu entwickeln plante. Auf dem Rückweg von der Arbeit in der Entenschlucht hatte Carlos im Bus ein paar Männer von einem reichen yanqui reden hören, der so verrückt war, ausgerechnet in den Vorbergen des ewig schneebedeckten Huascarángipfels nach Öl zu bohren, nur wenige Kilometer von Yungay entfernt. Es hieß, daß der Amerikaner eine Villa direkt außerhalb des Ortes gemietet hätte und täglich zur Bohrstelle in den Vorbergen der Weißen Kordilleren pendeln würde. Aber weit interessanter noch: Man hatte den yanqui und seine Mitarbeiterin – nach den Berichten der Businsassen ein sehr hübsches und erheblich jüngeres Wesen – teure Kameraausrüstungen und anderes Instrumentarium zwischen Bohrstelle und Haus hin- und herschleppen sehen. Außerdem wurde erzählt, daß der Amerikaner vor ein paar Tagen erkrankt und nach Chimbote hinuntergebracht worden war, wo schon seit einigen Monaten das Hospitalschiff im Hafen lag. Carlos war zu dem Schluß gekommen, daß man mit Fug und Recht annehmen durfte, in der zeitweilig verlassenen ›Casa Yanqui‹ sei einiges von Wert zu finden, weshalb er an diesem Spätnachmittag nicht wie üblich am Ortsrand ausgestiegen, sondern nach Yungay hineingefahren war. Sein Einbrecherwerkzeug wohlverstaut im Essensgeschirr, hatte er den Abend in einer cantina am Hauptplatz verbracht. Er trank nur wenig, ließ dafür lieber beiläufige Fragen nach dem gringo einfließen, der so verrückt war, in mehr als zweieinhalbtausend Meter Höhe nach Öl zu bohren. So erfuhr er von der Runde der Zecher, daß der Amerikaner erst unmittelbar vor seiner Erkrankung zu bohren aufgehört hatte, und einstimmig hieß es, daß sein Aufbruch nach Chimbote – zusammen mit seiner Helferin und Augustin Almaviva, dem indianischen Vorarbeiter – höchst überstürzt gewesen war. Es lag also 16
ziemlich nahe, daß alles, was irgendwie von Wert war, im Haus verblieben sein mußte. Es war schon Mitternacht, als Carlos Ganza, unsicheren Schrittes und den Betrunkenen spielend, durch den Ort getorkelt war, immer Zielrichtung ›Casa Yanqui‹. Kaum hatte er jedoch das Ortszentrum hinter sich, legte er die Rolle des Betrunkenen ab. Nachdem er endlich die bescheidene Villa erreicht hatte, schlich er erst einmal vorsichtig außen herum, um zunächst festzustellen, ob sie tatsächlich verlassen war. Als zweites fand er wie erhofft bestätigt, daß die junge Señora in ihrer Eile, den Señor hinunter an die Küste zu bringen, eines der Fenster unverriegelt gelassen hatte. Danach war der Einstieg ins Haus einfach; mit seiner Taschenlampe suchte Carlos sorgfältig das Schlafzimmer ab. Er entdeckte hier nur Modeschmuck, der allerdings den Versuch zum Verkauf kaum lohnte, und einen goldenen Füllfederhalter, den er in einem Leinenbeutel verstaute: ein reichlich magerer Fang. Als er dann aber in den zweiten Raum vordrang, der offensichtlich in ein Arbeitslabor verwandelt worden war, lächelte ihm das Glück schon holder. Der Strahl seiner Lampe fiel auf einen in diesem Teil der Welt ungewöhnlichen Gegenstand: ein Doppelmikroskop nämlich. Es stand auf einem Tisch neben einem Wandschrank, aus dem fahles Licht drang. Nachdem Carlos jedoch die Tür geöffnet hatte, sah er ein merkwürdiges Behältnis darin. Die Vorderseite war aus Glas, etwa wie bei einem dieser neuen Herde, wie sie manchmal im Hause reicher Leute standen, die er auf seinen Raubzügen beehrte. Der Lichtschimmer kam von einer winzigen Glühbirne im Schrank, der im übrigen nichts weiter zu enthalten schien als ein Metallgestell voller Glasröhrchen, die mit Wattepfropfen verschlossen waren, und einige Schälchen mit Glasabdeckungen, in denen irgend etwas Schimmelähnliches gedieh. Enttäuscht machte Carlos die Schranktür wieder zu, nahm das Mikroskop aber mit zum Küchenbüfett direkt neben dem Hinterausgang, wo er es sofort zur Hand hatte, falls er etwa Hals über Kopf verschwinden mußte. Wieder im Laborraum, setzte Carlos seine Suche fort und wurde 17
mit der Entdeckung eines ziemlich ungewöhnlichen Gegenstandes belohnt, der an eine Wand gelehnt stand. Das Gerät war ungefähr drei Meter lang und schien aus Aluminium zu sein, da es im Lichtstrahl der Taschenlampe hell aufglänzte. Aber das Ganze ließ sich auch noch ausziehen wie ein altmodisches Fernrohr, und beim Ausfahren sämtlicher ineinandergesteckter Teile schien der Apparat zu einer beachtlichen Länge ausschwingen zu können. Allein beim Probieren des Gerätes, bei dem er nur den Außenzylinder ausgeschoben hatte, reichte das Ding jetzt bis zur anderen Wand, und dabei war die glänzende Röhre noch nicht einmal annähernd in voller Länge ausgefahren. Was immer dieses Gerät auch sein mochte – es war zum Abtransport für ihn einfach viel zu groß und außerdem zu ausgefallen, als daß man es leicht hätte losschlagen können; also legte Carlos es wieder auf den Boden und setzte seine Suche fort. Als er dann die am schmalen Ende des Aluminiumzylinders befestigte Kamera entdeckte, war ihm sofort klar, was er da gefunden hatte. Unscheinbar winzig war der Name der deutschen Herstellerfirma eingeprägt; da er in Lima eine Anzahl dieser kleinen, doch höchst wertvollen Kameras in seine langen Finger bekommen hatte, wußte Carlos, daß sie einen guten Preis bringen würde. Höchst sorgfältig, um das empfindliche Instrument nur ja nicht zu beschädigen, trennte er die Kamera von diesem merkwürdigen Zylinder, auf den sie montiert war. Der Apparat befand sich in tadellosem Zustand, wenn auch irgendein schwärzliches Zeug am Gehäuse klebte, das er jedoch mit seinem Taschentuch weitgehend abbekam. Er wickelte die Präzisionskamera in das Taschentuch und packte sie sorgsam in seinen Leinenbeutel. Dann nahm er die Örtlichkeit weiter in Augenschein. Die Garderobe in den beiden Schlafzimmerschränken, besonders jene der Señora, war offensichtlich aufwendig und teuer; unter anderen Umständen hätte er sie wahrscheinlich mitgehen lassen. Aber es verlangte ihn nicht danach, von der Polizei in Yungay mit einem Armvoll gestohlener Kleidung aufgegriffen zu werden, also rührte er sie nicht an. Zuletzt zog er noch die Bodenschublade des Schlafzimmerschrankes heraus und ließ den Strahl seiner Lampe suchend über den 18
Inhalt gleiten, um sicherzugehen, daß die Señora nicht doch vielleicht nach Art der meisten Frauen zwischen der gestapelten Wäsche etwas Wertvolles versteckt hätte. Da sah er das Foto. Und das Grauen darüber ließ selbst Carlos Ganza, der auch schon seinen Teil Entsetzlichkeiten gesehen hatte, wie gelähmt erstarren. Der Strahl seiner Lampe war auf ein Farbbild gefallen, das so leuchtend scharf und realistisch war, daß ihm das Motiv direkt ins Gesicht zu starren schien, obwohl es doch offensichtlich nur die Fotografie einer Malerei war. Die riesigen, weitaufgerissenen Augen waren die eines Schamanen, eines Medizinmanns, denn sein Kopfputz war kunstvoll aus einem Hirschkopf gefertigt. Das Gehörn schien außerdem beinahe direkt aus dem Schädel des Medizinmannes zu wachsen. Sie stammte offenbar aus einer Zeit, die älter war als alles, was Carlos Ganza bisher zu sehen bekommen hatte. Und er kannte sich etwas aus: Nicht nur einmal hatte er das Wachpersonal überlistet, um das Nationalmuseum in Lima nach Schließung bei Nacht zu durchforschen, in der Hoffnung, irgend etwas von Wert zu finden, das man verkaufen oder gegen Lösegeld den Museumsbehörden wieder offerieren konnte. Der Zauberer selbst war offensichtlich beim Ausstoßen einer äußersten Verfluchung im Bild festgehalten worden, was die Kamera ihrerseits getreulich wiedergegeben hatte. Die grauenerregenden Augen, die im reflektierten Blitzlicht durchdringend aufleuchteten, funkelten so intensiv, als wäre der Medizinmann lebendig. Und obwohl er wußte, daß es sich nur um ein Foto handelte, erwartete Carlos tatsächlich beinahe, daß die Lippen jeden Augenblick jenen schrecklichen Fluch formen würden. Ein Zittern durchlief ihn plötzlich; er schob schnell die Schublade zu und versuchte, das grausige Bild zu verdrängen. Dann raffte er hastig das Mikroskop und seine übrigen Utensilien zusammen und begab sich schnurstracks zu seiner Bleibe im Ort.
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och wehte die nächtliche Meeresbrise, als Lael Valdez aus der Luxuskabine kam, in die man Guy Reed gebettet hatte. Sie lehnte sich an die Reling der ›Mercy‹ und sog tief die morgendlich frische Luft ein. Obwohl der Hafen von Chimbote nahe dem Äquator lag und es erst Oktober war – also Frühlingsanfang in diesem südlichen Himmelsstrich –, war die Nacht kühl gewesen. Von Deck des alten Linienschiffes, das als Passagier- und Kriegslazarettschiff einst bessere Tage gesehen hatte und nun langsam dem Schicksal seiner Verschrottung entgegenging, schaute Lael dem Leben und Treiben im Hafen zu, das sich zu regen begann. Chimbote erwachte zu einem neuen Tag. Die starke Brise, die vom offenen Pazifik in den geschützten Hafen hereinwehte, strich durch die Kronen der gleichmäßig gepflanzten langen Allee von Königspalmen und ließ sie wie eine wunderliche Formation gefiederter Staubwedel vor dem Morgenhorizont erscheinen. Die Sonne, die sich hier an der peruanischen Nordküste gern einen Großteil des Tages hinter Dunst und Nebel verbarg, brach unverschleiert durch und versprach die Seltenheit eines klaren Tages. Vom Pier kam das Rufen einer Rosenverkäuferin. Lael holte eine Münze aus der Tasche und warf sie ihr zu. Die Münze wurde mit der sonderbar verkehrten Krempe des Hutes gefangen, den die Frau wie fast alle Mestizen oder Mischlinge des Hinterlandes trug. Postwendend flog ein Strauß herrlich taufrischer Rosen zu ihr empor, den sie gekonnt auffing. Ein paar Atemzüge lang genoß Lael den Duft der schimmernden Blüten, bevor sie den Strauß in Guys Kabine brachte und dort in eine Vase stellte. Jenseits der Straße, die vertikal zur langen Mole verlief, welche sich weit in die schimmernde Ferrol Bay hinausschob, war eine große An20
lage roter und gelber Schwanenblumen, die Lael an Monte Carlo erinnerten – Tausende von Kilometern entfernt und dazu ganze Welten an Kultur und Herkommen, wie es schien. Erst vor einem halben Jahr war sie mit Guy durch Monte Carlo gefahren. Dort war damals auch gerade Frühlingsanfang; sie hatten sich auf dem Weg nach Genua und zu dem Schiff befunden, das sie nach Buenos Aires übersetzen sollte, mit Guys Ölbohrausrüstung und ihren Kameras als beinahe einzigem Gepäck. Lael war glücklich gewesen an jenem Frühlingstag am Mittelmeer beim Aufbruch zur Reise ins Abenteuer mit dem Mann, den sie liebte. Von Buenos Aires aus hatten sie mit dem Landrover – der jetzt so geduldig auf der Straßenseite gegenüber dem Laufsteg stand, der das Schiff mit dem Pier verband – eine beinahe unglaubliche Reise angetreten, buchstäblich quer über das Dach der westlichen Welt unterhalb des Äquators. Sie standen im Begriff, die abenteuerliche Suche nach einem uralten Kulturschatz in einer Gegend aufzunehmen, in der die Archäologen nach den überwältigenden Funden der prächtigen Zeugnisse der Inkakultur erst jetzt dabei waren, ihr Augenmerk verstärkt auf die versunkenen Stätten der Menschheitsgeschichte der Neuen Welt zu richten. Sie und Guy hatten den ersten Beweis dafür entdeckt, daß im Hochland der Weißen Kordilleren und deren Umgebung – dem Kernstück der Anden, das an vielen Stellen hoch über dem Pazifik Wasserscheide war – menschliche Kultur schon weit länger bestand, als man bisher generell für möglich gehalten hatte. Und zwar eine Kultur, die unendlich viel älter war als die Chimu-, Mochica- und Tiahuanacokulturen Perus – die Urzeiten vor den Inkas und deren spanischen Eroberern bestanden hatte. Diese Entdeckung hatte die Krönung in Guys ohnehin schon brillanter Laufbahn zu werden versprochen – bis ihn das seltsame Fieber niederwarf, das bisher nicht einmal die Genialität eines Dr. Jack Smithson und seines gesamten zur Verfügung stehenden Stabes an Bord der ›Mercy‹ benennen, geschweige denn eindämmen konnte. Die Tür zu Guys Kabine wurde geöffnet, und Dr. Smithson erschien. Von untersetzter Statur, überhaupt fast häßlich zu nennen, in stets zer21
knülltem Weiß und das unvermeidliche Stethoskop vom Hals baumelnd, war der bärtige ältere Arzt rasch zum einzigen Rückhalt geworden, an den sich Lael in ihrer Hilflosigkeit einer völlig neuen Situation gegenüber klammern konnte. »Irgendeine Veränderung?« fragte sie ihn. »Seit gestern abend nicht.« Smithson kam zu ihr an die Reling. »Mit Ausnahme der Tatsache, daß die Temperatur jetzt konstant bleibt.« »Ist das nicht ein gutes Zeichen?« »Nicht unbedingt. Manchmal kann es eines der Symptome einer Schockreaktion sein, die im Krankheitsverlauf von argentinischen und paraguayischen Fieberfällen zwischen dem fünften und dem achten Tag nach Ausbruch auftritt. Aber wie ich Grant schon am Telefon erklärt habe, ist keine der beiden Seuchen der Erreger. Wann holen Sie ihn eigentlich ab?« »Gegen halb elf. Er kommt mit der Inlandmaschine, die nie so ganz pünktlich ist.« Sie sah ihn offen an. »Welche Maßnahmen erwarten Sie von ihm, die Sie und Ihr Stab noch nicht ergriffen hätten?« »Möglicherweise keine«, räumte Smithson ein. »Aber Grant Reed ist weltweit die führende Kapazität für unbekannte Fieberarten. Er hat im gleichen Jahr in Medizin und Pharmakologie promoviert und vier Jahre später den Nobelpreis erhalten für seine Verdienste um die Entdeckung des Erregers infektiösen Paraguayfiebers. Vielleicht fällt ihm noch etwas ein, das wir übersehen haben.« »Das glaube ich nicht«, meinte sie niedergeschlagen. »Alles, was ich je geliebt habe, wurde mir entweder durch den Tod genommen – oder verließ mich.« Smithson, den der ruhige Fatalismus in ihrem Ton stutzig machte und der nicht wußte, was er ihr darauf antworten sollte, warf dem Mädchen einen schnellen Blick zu. Sie schaute zu den Palmen hinüber, aber er war sicher, daß sie sie überhaupt nicht wahrnahm. Trotz ihrer verständlichen Trauer über den zu erwartenden Verlust eines sehr geliebten Menschen mußte er ihre außergewöhnliche Schönheit einfach bewundern – das Ergebnis der Verbindung eines bolivianischen Vaters und einer irischen Mutter aus Boston, wie er von ihr wußte. Und eben22
sosehr konnte er sich nur wundern über ihre tapfere Gefaßtheit angesichts dieser schicksalsträchtigen Herausforderung. Seine eigene Tochter zu Hause in Indiana, ging es ihm durch den Kopf, war nur wenige Jahre jünger als die sechsundzwanzigjährige Lael Valdez. Ihr Alter hatte er aus dem vorgelegten Paß ersehen, als man sie als Krankenhelferin auf der ›Mercy‹ registrierte, damit sie in einer der Kabinen aufgenommen werden konnte. »Zumindest haben Sie für Guy alles unter den Umständen Menschenmögliche getan«, versicherte er. »Ich kann von Glück sagen, daß Augustin Almaviva, unser Bohrvormann, eine Schwester hat, der hier unten in Chimbote ein Eßlokal gehört. Da er sie ohnehin besuchen wollte, war er bereit, zusammen mit uns die Fahrt von Yungay herunter zu machen. Er hat dann Guy auf einer Matratze festhalten können, die wir quer über die Rücksitze im Landrover gelegt haben.« Sie machte eine Kopfbewegung Richtung Kai, wo das arg mitgenommene Geländefahrzeug geparkt stand, das über und über verschrammt und verkratzt war von den unwegsamen Pfaden in den Anden. »Der Weg war ziemlich happig, bis wir auf die Panamericana kamen.« »Trotzdem kann ich Ihren Mut nur bewundern.« »Vor einem Jahr noch wäre ich einer solchen Situation wahrscheinlich nicht gewachsen gewesen. Aber von Guy lernte ich, daß eben gemacht wird, was gemacht werden muß, und zwar ohne Gezeter.« »Ach, übrigens, Sie können Grant direkt aufs Schiff bringen. Ich habe ihn als beratenden Arzt eingetragen und ihm die Kabine gegenüber von Guy zugewiesen.« Seine breite Hand ließ ihre schmalere auf der Schiffsreling fast verschwinden, als er sie herzlich drückte. »Haben Sie schon gefrühstückt?« »Noch nicht. Mir war nicht danach.« »Besser, Sie essen was und legen sich noch ein wenig hin, bis Sie zum Flughafen fahren. Wir haben tüchtige Schwestern, wissen Sie; Sie müssen wirklich nicht jede Nacht an Guys Bett Wache sitzen.« »Wenn er wach ist, fragt er aber oft nach mir. Er soll nicht das Gefühl haben, ich hätte ihn im Stich gelassen.« 23
»Im allgemeinen verlaufen all diese Fieberarten im Delirium. Ich möchte anzweifeln, daß er sich je daran erinnern wird, ob Sie bei ihm waren oder nicht.« »Ich werde mich dran erinnern«, meinte sie schlicht. »Und bitte, Doktor, wiegen Sie mich nicht in Sicherheit, wenn keine Besserung eintritt.« »Das Absinken des Blutdrucks ist keine sehr beruhigende Entwicklung«, bemerkte er abschließend. »Ebensowenig wie bestimmte neurologische Sekundärsymptome.« »Sie meinen die Anfälle von Zungenzittern, die ihm verständliches Sprechen fast unmöglich machen? Oder auch nur Nahrung aufzunehmen ohne Erstickungsgefahr?« Sie überraschte ihn immer wieder mit ihrer Art, sofort auf das Wesentliche einer Situation zuzusteuern – und den unangenehmsten Möglichkeiten ins Auge zu sehen. »Mit der eingetretenen Hypotonie – dem abgesackten Blutdruck, meine ich – und den Schocksymptomen haben sich die Chancen einer Genesung verschlechtert«, gab Smithson zu. »Insbesondere dann, wenn wir es mit einem neuen Erreger zu tun haben.« »Ich bin vollkommen sicher.« In ihrer Stimme schwang felsenfeste Überzeugung mit. »Dann gnade uns allen Gott.«
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n Boston, über sechstausend Kilometer von jener peruanischen Hafenstadt Chimbote entfernt, deren Flugplatz die Maschine mit Grant Reed soeben anflog, referierte Dr. Philemon E. Mallinson vom Institut für Strahlenforschung vor dem Morgenseminar der physikalischen Fakultät an der Harvard-Universität. Vor sich auf dem Tisch lag neben dem Aschenbecher mit seiner noch glimmenden Pfeife ein knochenähnliches Etwas, dem eine schwärzliche Materie anhaftete. »Bischof James Usher – der auch gelegentlich mit zwei ›s‹ geschrieben wurde – war ein irischer Geistlicher, der in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gelebt und gewirkt hat«, eröffnete Dr. Mallinson seine Vorlesung. »Zwischen 1650 und 1654 schuf Bischof Usher die lange Zeit als sein Hauptwerk angesehenen ›Annales Veteris et Novis Testamenti‹, die eine tabellarische Gliederung biblischen Zeitablaufs darstellten, wonach die Erschaffung der Erde etwas weniger als sechstausend Jahre zurückliegen sollte, nämlich im Jahre 4004 vor Christus; um genau zu sein: am 23. Oktober um neun Uhr vormittags.« Eine Welle der Erheiterung ging durch die Klasse, die sowohl aus Erstsemestern als auch aus einigen Absolventen bestand, die ihren Vorlesungsplan mit einem allgemeinwissenschaftlichen Kursus ergänzten. Professor Mallinson nahm das Knochenbruchstück auf, untersuchte es kurz und übergab es dann einem Studenten in der ersten Reihe, damit es weitergereicht werde und alle Gelegenheit zur Betrachtung hätten. Der Professor seinerseits nahm die Pfeife auf, und während sich die Studenten mit dem Skelettrudiment befaßten, machte er einige Züge, wobei er seinen bedeutenden Schädel mit einer Rauchwolke einnebelte, als wäre er ein Moses der Jetztzeit auf einem imaginären Berggipfel in der Wüste. Erst dann fuhr er fort. 25
»Glücklicherweise ist inzwischen die Entstehung des Menschen um exakt einige Millionen Jahre früher datiert worden, und zwar mit Hilfe der Kohlenstoffbestimmung. Diese Methode, die volkstümlich ›Atomuhr‹ genannt wird, ist eines der wichtigsten Instrumente für Archäologen und Anthropologen zur Bestimmung der Zeitabfolge menschlicher Entwicklungsstadien und überhaupt des Alters jeglicher Form organischen Lebens. Ist jemand von Ihnen aus früheren Physikstudien mit dem Verfahren vertraut?« Etwa die Hälfte der Klasse hob die Hände, aber ganz hinten meldete sich ein schmalgesichtiger junger Mann mit widerspenstigem Haarschopf und bat: »Ich wäre dankbar, wenn Sie die Methode nochmals erklären könnten, Sir.« »Gut, Mr. Prentiss, ich werde sie ausführlich erläutern; machen Sie sich bitte Notizen. Kohlenstoff ist, wie Sie wissen, Grundstoff jeglicher lebenden Materie, also auch in jeder Form tierischen und pflanzlichen Lebens enthalten. Lebewesen ernähren sich von anderen Lebewesen, so daß eine andauernde Aufnahme von Kohlenstoff stattfindet, dem eine ebenso andauernde Ausscheidung als Schwund gegenübersteht. Nun ist Kohlenstoff nicht immer der simple Grundstoff, den wir in seiner Erscheinungsform als Stück Kohle oder auch als Diamant – seinem reinsten Zustand – finden. Sind meine Ausführungen zu schnell, Mr. Prentiss?« »Nein, Sir«, erwiderte der rothaarige Student. »Ganz und gar nicht.« »Nun besteht gewöhnlicher Kohlenstoff aus drei Isotopen, die sich chemisch nicht voneinander unterscheiden lassen«, fuhr Professor Mallinson fort. »Allerdings zeigen sie völlig verschiedene Eigenschaften unter verfeinerten Analyseaspekten; insbesondere differieren sie in ihrem Atomgewicht, das zwischen 12, 13 und 14 variiert. Der Großteil gewöhnlichen Kohlenstoffs ist von C-12-Beschaffenheit, aber ebenso im Verhältnis eins zu einigen Millionen C 13 und C 14, wovon das letztere ausschließlich in oberen Atmosphäreschichten entsteht, wenn Kohlendioxyd, das mit Atmung ausgeschieden wird, Niederschlägen ionisierter Partikel ausgesetzt ist, die als kosmische Strahlen bezeichnet werden und von irgendwo aus der Unermeßlichkeit des Weltraums auf die Erdatmosphäre niederregnen. 26
Wenn so ein kosmischer Partikel auf ein Kohlenstoffatom in der Atmosphäre prallt, wird ein Teil seiner Energie absorbiert und das C12-Atom in C 13 oder C 14 umgewandelt. Wird nun dieser ›schwere‹ Kohlenstoff von einer Pflanze aufgenommen und später von einem Menschen verzehrt – oder von einem Tier, das in der Folge dem Menschen zur Nahrung dient –, so wird C 14 dem Körper zugeführt.« Mallinson machte eine Pause, bevor er hinzufügte: »Allerdings mit einem gravierenden Unterschied zu allem übrigen Kohlenstoff im Gewebe: es ist radioaktiv.« In die Klasse war plötzlich Leben gekommen; selbst ein paar vor sich hin Dösende zeigten nun Interesse. »Wie erwartet, hat die Mitteilung, daß Sie alle radioaktiv sind, einige aufzuwecken vermocht.« Des Professors Stimme war zynisch geworden. »Ihr Lebtag lang nehmen Sie kontinuierlich neues C 14 in Ihren Körper auf, um dem allmählichen Schwund des Vorhandenen entgegenzuwirken und sozusagen das radioaktive Gleichgewicht zu halten. Mit dem Ableben allerdings kommt auch die Aufnahme von C 14 im Körper zum Stillstand, und so verringert sich unweigerlich dessen im Gewebe vorhandene Menge allmählich im Laufe der Jahre. Zur Genugtuung der Wissenschaft ist die Verfallsperiode von C 14 genau fixiert, deren Halbwertzeit – also jener Zeitraum, in dem ein C-14-Atom um jeweils die Hälfte der vorhandenen Substanz zerfällt – mit einer Prozentgenauigkeit von zwei Stellen hinter dem Komma auf 5.568 Jahre festgelegt ist.« »Und was hat das alles zu bedeuten, Sir?« wollte Prentiss wissen. »Schlicht folgendes: Unter einem Geigerzähler zur Messung der Radioaktivität wird ein Kohlenstoffatom beispielsweise eines Baumes oder eines Menschen, der vor ebenso vielen Jahren starb, nur halb so oft ticken wie das Gewebe und das darin enthaltene C 14 eines Baumes oder Menschen, der heute morgen aufhörte zu existieren.« Dr. Mallinson holte sich nun wieder das Musterexemplar, das nun auch der letzte Student untersucht hatte. »Dieses Skelettfragment, an dem mutmaßlich ein durch getrocknetes Blut festgeklebter Stoffgewebsfetzen hängt, wurde mir aus Peru zur 27
Untersuchung geschickt, und zwar von Mr. Guy Reed, dem bekannten und erfolgreichen Erdölgeologen mit einem Faible für Archäologie. Mr. Reed hat nicht nur ein Vermögen mit der Entdeckung von Ölvorkommen an allgemein höchst unerwarteten Stellen angesammelt, er hat im Verlaufe seiner Arbeit auch einige aufsehenerregende archäologische Entdeckungen gemacht. Über diesen besonderen Fund hier weiß ich nichts außer dem, was Mr. Reed mitteilte, als er ihn uns per Luftexpreß zur Kohlenstoffbestimmung zusandte: daß er irgendwo aus dem peruanischen Hochland in einem Callejón de Huaylas genannten Tal stammt. Sollte niemand von Ihnen noch eingehendere Untersuchungen wünschen, werde ich die Fundprobe nun den Atomuhrtechnikern überlassen, und wir werden ihr Alter mit beachtlicher Genauigkeit wohl noch vor Semesterende erfahren können.«
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n dem leicht dämmrigen Gebäude, das als Ankunfts- und Abflughalle für alle Flüge von und nach Chimbote fungierte, konnte Grant Reed zunächst niemanden ausfindig machen, der dem Bild seiner Vorstellung eines weiblichen Wesens entsprach, das sich Guy für gewöhnlich als Ehefrau oder Reisegefährtin auszusuchen pflegte – bis er eine junge Frau in wadenlangem Rock, kurzen Lederstiefeln und einem offen getragenen Männerhemd den Korridor herunter auf sich zueilen sah. Sie war ein selten schönes Geschöpf, und bevor sie ihn noch ansprach, sagte ihm die unverkennbar geschmeidige Anmut ihres Körpers und ihre ganze Haltung, die voller Natürlichkeit und ihrer Wirkung scheinbar unbewußt war, daß es sich um Lael Valdez handeln mußte. »Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe, Dr. Reed.« Das war die Stimme, die er vom Telefon her in Erinnerung hatte. »Sie sind nicht zu spät dran, Miß Valdez«, sagte er und griff ihre Hand zur Begrüßung. »Die Maschine war ein paar Minuten zu früh.« »Ein wahres Wunder hierzulande.« Sie ging neben ihm und hielt ohne Mühe seinen Schritt. »Auf der Panamericana gibt's immer Sandverwehungen, und wenn die Straßenwacht nicht schnell genug mit den Sandmassen fertig wird, stockt der Verkehr. Und genau das ist mir passiert. Haben Sie sonst noch Gepäck?« »Nichts außer dem hier. Ich bin im leichtgewichtigen Reisen ziemlich erfahren.« »Der Landrover parkt vor dem Eingang. Zur ›Mercy‹ sind es nur ein paar Kilometer; sie liegt am nördlichsten Pier in der Bucht.« »Ich habe sie gesehen, als die Maschine ihre Landeschleife zog. Geht's meinem Bruder …?« 29
»Dr. Smithson ist ziemlich besorgt, da Guys Blutdruck und Temperatur im Laufe der Nacht ziemlich abrupt gesunken sind«, teilte sie ihm mit. »Außerdem hat er reichlich Schluckbeschwerden – aber sicher wissen Sie am besten, was das bedeutet.« Er nickte mit besorgter Miene. »Eine recht häufige Krise bei derart schweren Fieberinfektionen, meist so um den achten Tag. Wenn der Patient diesen Rückfall übersteht, geht allerdings der anschließende Genesungsprozeß im allgemeinen um so schneller vor sich.« »Gott gebe, daß es bei Guy so kommen wird.« Instinktiv und, wie ihm schien, völlig unbewußt tastete sie nach dem Kreuz, das sie an einem schmalen Goldkettchen um den Hals trug. Es war fein gearbeitet und offensichtlich wertvoll – eben genau jene Art von Geschenk, die Guy für ein Mädchen von so auffallender Schönheit und natürlicher Grazie wählen würde. Sie verließen die Flughalle, und Lael Valdez ging voraus zu einem ziemlich ramponierten Landrover. »Vor sechs Monaten, als wir von Buenos Aires abfuhren, war er nagelneu«, erzählte sie. »Aber die Straßen über die Anden sind eben nicht die Panam-Autobahn, und der Weg vom Callejón de Huaylas runter nach Chimbote ist nicht viel anders. Werfen Sie Ihre Tasche einfach auf die Rücksitze; die Tür drüben geht ein bißchen schwer auf, weil ich vor einem Monat über eine Böschung gerutscht bin, als ich von der Bohrstelle zurückfuhr.« Bis er neben ihr saß, hatte sie schon den Motor angelassen. »Ist die Frage zu aufdringlich, was mein Bruder in diesem Teil der Welt zu schaffen hatte?« »Guy hielt es für möglich, in dem fraglichen Gebiet auf Öl zu stoßen. Wir haben lediglich vorbereitende Seismographentests gemacht und einige Oberflächenbohrungen angelegt.« »Im Reiseführer, den ich auf dem Flug hierher studiert habe, war auch das Callejón de Huaylas erwähnt. Wenn mich nicht alles täuscht, liegt es über zweitausendfünfhundert Meter hoch.« »Unsere Teststelle lag sogar noch höher.« Lael unterbrach sich, um einer Ziege, die ihnen über den Weg trottete, ein paar spanische Namen zu verpassen. Sie befanden sich mittlerweile in dem engen Stra30
ßengewirr von Chimbote, und Lael Valdez war vollauf damit beschäftigt, den Landrover hindurchzubugsieren. »Könnten Sie mir kurz Guys Krankheitsverlauf schildern, oder ist das zu traurig für Sie?« fragte Grant, als sie auf einer breiteren Straße herausgekommen waren, die direkt zum Dock an der Nordseite der Bucht führte. »Vor etwa sieben oder acht Tagen begann es mit Schüttelfrost, leichtem Fieber und ganz unspezifischen Schmerzen. Als es sichtlich ernster wurde, habe ich ihn mit Hilfe unsere Bohrvorarbeiters im Landrover zur ›Mercy‹ heruntergebracht. Da war Guy schon halb im Delirium, meinte aber immer noch, daß er auf Hilfe verzichten könnte.« »Mein Bruder hat schon immer einen Dickkopf gehabt.« »Dasselbe hat er des öfteren von Ihnen behauptet.« »Vielleicht habe ich ihn von ihm angenommen. Er hat mich ja praktisch großgezogen, nachdem unsere Eltern bei einem Flugzeugunglück ums Leben kamen, als ich erst zwölf war.« »Ich weiß. Er ist auch sehr stolz auf Ihre Leistungen im öffentlichen Gesundheitswesen.« Woher nur, überlegte er, kam dieser Anflug von scheinbarer Aggression in ihrer Stimme und der plötzlich distanzierte Ton? Dann fiel ihm eine Erklärung ein. »Sie nehmen mir übel, daß ich nicht da war, als Guy krank wurde – stimmt's?« fragte er sie. »Genauso wie Sie sich Selbstvorwürfe machen, daß Sie ihn nicht schon früher zur ›Mercy‹ brachten.« Sie schaute ihn verblüfft an und wäre beinahe mit dem Landrover von der Straße abgekommen; abrupt brachte sie ihn wieder in die Spur. »Für einen Mann haben Sie eine unwahrscheinliche Intuition.« »Ich bin Arzt, da fallen mir oft Dinge auf, die anderen entgehen und die mir eine Vorstellung vom wahren Hintergrund geben. Was übrigens die Mühe betrifft, mich aufzutreiben: Wenn ich nicht gerade auf dem Weg von der Sudanmission nach Lagos gewesen wäre, hätten Sie mich noch wochenlang nicht erreicht.« »Und dann wäre Guy tot gewesen.« »Wieso sind Sie so überzeugt, daß er sterben wird, Miß Valdez?« 31
An den plötzlichen Tränen in ihren Augen sah er die tiefe Sorge um seinen Bruder – und beneidete ihn. »Ich habe Guy geschworen, es niemandem zu sagen – nicht einmal Ihnen«, sagte sie. »Wenn ihm meine Suche nach Ihnen überhaupt noch klargeworden wäre, hätte er alles versucht, um sie zu verhindern.« »Warum denn?« »Weil Sie Ihre Anwesenheit genausogut das Leben kosten kann wie mich die meine. Und das in kürzester Zeit.« »Ich verstehe noch immer nicht …« »Guy und ich stehen unter einem Fluch, Dr. Reed – aber das hinwiederum wird ein Mann der Wissenschaft wohl schon gar nicht verstehen.« Das war in der Tat eine sonderbare Erklärung; bevor er jedoch tiefer nachforschen konnte, bog Lael scharf links auf den Pier ein, wo die ›Mercy‹ vor Anker lag. Seine Aufmerksamkeit wurde so zunächst auf die vertraute Silhouette des alten Hospitalschiffs und die ebenso vertraute untersetzte Gestalt von Jack Smithson gelenkt, der am Landesteg auf sie wartete.
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m Schatten eines Eukalyptusbaumes vor einem der Restaurants auf der Plaza Central von Chimbote trank Augustin Almaviva an einem kleinen Tisch seinen pisco sour. Der Drink aus weißem Brandy und dem Saft einer frischen Limone war fast ebenso beliebt wie das erheblich billigere chicha, ein Maisbier, das vom weniger wohlhabenden Teil der Bevölkerung getrunken wurde. Obwohl es sich Almaviva bequem gemacht hatte, fühlte er sich alles andere als gelöst und zufrieden. Nach nur drei Tagen in der trockenen Küstenebene hatte ihn schon das Heimweh nach Yungay und der ringsum schroff aufragenden Bergwelt gepackt. Die Erkrankung von Señor Reed schien zu bedeuten, daß er wahrscheinlich auch seinen Job los war. Aber die Señora hatte ihn gut entlohnt, und er hatte fest vorgehabt, seinen Urlaub zu genießen – bis vorgestern. Seither jedoch hatte sich sein Kopf so angefühlt, als würden ihn tausend Teufel anbohren, und all seine Glieder schmerzten schlimmer als im letzten Sommer, als auch ihn die Malaria angefallen hatte, die Monate zuvor in dem schönen Hochtal wie ein Racheengel gewütet hatte, inzwischen aber von den Gesundheitsbehörden eingedämmt worden war. Die noch stärkeren Kopfschmerzen des heutigen Morgens führte Augustin auf einen Kater von der gestrigen Fiesta im restaurante seiner Schwester Conchita und deren Ehemann Juan Torres zurück. Es war zwar nicht sein Einfall gewesen, aber er hatte die Fiesta gern finanziert, damit Conchita ihren Freunden den tüchtigen Bruder vorführen konnte, der doch sicher auf eine Goldmiene gestoßen war, während Señor Reed nutzlose Löcher in einer Gegend bohrte, von der jeder wußte, daß da keinerlei Aussicht auf Öl bestand. Er hatte gestern auch eindeutig zuviel von dem Maisbier erwischt, 33
mußte er sich eingestehen; aber er hatte sich auch schon vor Beginn der Fiesta schlecht gefühlt. Das Kopfweh war anschließend immer schlimmer geworden, bis er schließlich nach Schluß der Fiesta betrunken auf dem Boden des restaurante eingeschlafen war. Er hatte sich außerdem schon früh davongemacht, um Conchitas sicherem Ansinnen zu entkommen, trotz der Ausrichtung des ganzen Aufwandes vielleicht auch noch beim Aufräumen des Schlamassels helfen zu müssen. Heute jedenfalls verspürte Augustin Almaviva auf nichts Lust; nicht einmal sein pisco sour schmeckte ihm. Strebsam, wie er war, hatte er als Vorarbeiter von Señor Reeds Bohrmannschaft auf der Suche nach Öl im Hochplateau über Yungay nun in den nördlichen Ölfeldern in der Nähe von Trujillo nach Arbeit Ausschau halten wollen. Aber langsam schien es ihm jetzt, daß Yungay ein wahres Paradies war im Vergleich zu dieser schmutzigen Hafenstadt. Augustin hatte noch nichts gegessen, da er den Schmerz in Kopf und Beinen erst mit pisco sour zu dämpfen beabsichtigte. Wenn er wollte, konnte er ja jederzeit zum Hafen hinuntergehen, wo es ein paar bedeutend bessere restaurantes gab als das von Conchita und Juan Torres geführte. Dort konnte er chupe de mariscos und ceviche essen, eine Fischspezialität, die man am besten kleingeschnetzelt in reinem Zitronenoder Limonadensaft genoß. Oder er kaufte – da er sich schon nicht in der Lage fühlte, sie selbst zu fangen – ein paar Langusten, die camarones hießen und die man ihm an Ort und Stelle zubereiten würde. Oder aber – da er noch immer ein flaues Gefühl im Magen hatte – er würde einfach nur zuschauen, wie das vom Humboldtstrom kalte Meer in die Bucht hereindrängte, um sich an der felsigen Küste zu brechen. Zu anderer Zeit hätte es ihm sogar Spaß machen können, die großen Krabben zu beobachten, die sich wie farbenprächtige und manchmal scheinbar bösartige Turnierritter in purpur- und scharlachroten oder auch grünen Rüstungen aus völlig unerfindlichem Grund bekämpften. Die kalte Strömung schwemmte Plankton in reichlicher Fülle in die Bucht und versorgte die übermäßig mit eben jener Meeresnahrung, die Fische und Sardellen in solchen Schwärmen ins seichte Gewässer lockten, daß man schier in ihnen waten konnte. 34
Heute allerdings war Augustin Almaviva weder nach all diesen Beobachtungen zumute, die ihn an seinen ersten Tagen in Chimbote so fasziniert hatten, noch lockte es ihn, den Kormoranen hoch oben in den Steilklippen der Vogelinseln zuzuschauen. Wahrscheinlich hätte er auch nichts von alledem wahrnehmen können, selbst wenn er zum Hafen hinuntergekommen wäre, da der pochende Schmerz in Kopf, Rücken und Beinen von Minute zu Minute schlimmer wurde. Sogar die vertraute Szenerie rund um den Platz war ihm jetzt ins Schwanken geraten, sie verschwamm immer wieder vor seinen Augen. Er bestellte beim Kellner im Innern des Restaurants durch ein Zeichen einen weiteren Drink, an dem er dann jedoch nur nippte und das Glas noch drei Viertel voll absetzte. An den Tischen rund um den Platz saßen alte Männer, die ihr täglich einzig erschwingliches Getränk sparsam vor sich hegten und sich ewig und immer über dieselben Dinge unterhielten, die sie schon gestern und vorgestern so erschöpfend besprochen hatten – und die morgen wieder ihr Gesprächsthema bilden würden. Ihre Gestalten gerieten in Augustins Augen in sonderbares Schwanken, und er schüttelte seinen Kopf, um ihn wieder klarzubekommen und vielleicht jemand Bekanntes zu entdecken, dem er von seiner miserablen Verfassung hätte berichten können. Doch der ganze Schauplatz verschwamm auf einmal zu einem einzigen Gaukelbild aus Licht und Farben. Urplötzlich spürte er einen so quälenden Durst, daß ihn kein halbes Dutzend pisco sours hätte löschen können. Er taumelte hoch, ließ schnell noch ein paar Münzen neben seinen fast unberührten Drink auf den Tisch fallen und wankte quer über den Platz auf den Springbrunnen in der Mitte zu. Dort stand ein Polizist und unterhielt sich mit einem Mädchen, das nur ein Auge unter seinem Kopftuch sehen ließ, was Augustin sonderbar gefunden hätte, wenn ihm überhaupt noch nach Betrachtungen zumute gewesen wäre. Sein ganzes Sinnen war jetzt allerdings ausschließlich auf einen der lamaköpfigen Wasserspeier gerichtet, in dessen Fontäne er seinen Kopf halten wollte, damit der Strahl ihm Gesicht und Nacken kühlte. Mit beiden Händen schöpfte er noch das Wasser 35
aus dem Brunnentrog und trank in gierigen Zügen, um den Brand zu löschen, der in seinem Inneren tobte. »He, Sie da!« schrie ihm der Polizist zu. »Das ist verboten!« Aber Augustin sah und hörte nichts und wußte nicht einmal mehr, was er tat. Plötzlich fiel er vornüber in den Brunnen und hing bewußtlos mit dem Kopf unter Wasser. Mit Sicherheit wäre er ertrunken, wenn ihn der Polizist nicht herausgezogen und kopfüber gebeutelt hätte, um das Wasser aus seinen Lungen abfließen zu lassen. Nachdem er so Augustin Almaviva vor dem Ertrinken bewahrt hatte, war der Polizist auch noch hell genug, den Kranken nicht als vermeintlich Betrunkenen zu sehen. Ein schriller Pfiff brachte ihm Unterstützung, und im Nu war der Mann aus Yungay in einen Ambulanzwagen geschafft, der sich mit laut heulender Sirene den Weg durch das enge Straßengewirr Richtung Hafen und zu dem dort vor Anker liegenden Hospitalschiff bahnte. Nachdem man Augustin auf eine Pritsche in der großen Aufnahmestation mittschiffs gelegt hatte, unterzog ihn Dr. Antonio y Marelia – ein Bolivianer, der hier sein Fachpraktikum intensivierte – einer kurzen Erstuntersuchung. Mit dem ambulanten Patienten, die täglich zur ›Mercy‹ strömten, hatte Dr. Marelia alle Hände voll zu tun und stellte so zunächst einmal eine Verdachtsdiagnose auf virulente Malaria tropica – zur Bekämpfung von deren epidemischem Ausbruch die ›Mercy‹ ja vor einigen Monaten auf Ersuchen der panamerikanischen Gesundheitsorganisation nach Chimbote gekommen war –, ordnete Blutabstriche an und begab sich wieder in die Ambulanz. Und Lael Valdez, die Augustin Almaviva und möglicherweise sogar seinen Zustand hätte erkennen können, befand sich inzwischen mit Grant Reed auf dem Weg zu dem alten weißen Schiff.
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s war ein schlechter Tag für Manoel Allanza – aber schließlich war es in der ganzen letzten Zeit nicht viel anders gewesen. Von Geburt an besaß er nur arg mißgestaltete Füße an völlig verkrüppelten Stümpfen, die sich kaum als Beine bezeichnen ließen. Seit er überhaupt sprechen konnte, hatte er sich mit Betteln durchs Leben geschlagen – oder eigentlich mehr gerollt – auf einem kleinen Holzuntersatz mit vier Rollen, die ihm die Beine ersetzten. Und er hatte alle mit Flüchen bedacht, die an ihm vorbeigingen, ohne ihm eine Münze zuzuwerfen. Im Laufe seines Lebens hatte der Krüppel vom Umherkarren gewaltige Kräfte in Schultern und Armen entwickelt, ebenso wie vom allabendlichen Erklettern einer schrägen Palme, von der aus er in die Öffnung des zerfallenden Gemäuers eines verlassenen Hauses gelangte, das sein Unterschlupf im Barrio, den Slums von Chimbote, war. Jeden Abend auf dem Nachhauseweg kaufte er etwas zu essen und eine Flasche billigen vino blanco. Zum Essen brauchte er nicht viel, denn tagsüber ernährte er sich, bisweilen sogar üppig, von den Küchenabfällen der Restaurants rund um die Plaza Central. Die bescheidenen Einkäufe zwischen die winzigen Fußstummeln geklemmt, schwang sich Manoel dann stets in seine erhöhte Behausung, stolz darüber, daß sein Heim – im Unterschied zu den meisten elenden Luftziegelhütten der Umgebung, in der es praktisch nie Regen gab – überdacht war. Dort angekommen, zählte er in der Regel zunächst einmal das Geld, das ihm von den Tagesalmosen übriggeblieben war, und versteckte es hinter einem raffiniert eingefügten losen Ziegel in der Rückwand der Bruchbude. Er war der felsenfesten Überzeugung, daß kein auch noch so gerissener Dieb ihn je von den übrigen unterscheiden könnte. Später, nach dem Essen, trank er dann seinen Wein in 37
kleinen Schlucken und beobachtete von seinem Auslug herunter das Gewimmel einer hungrigen und unglücklichen Menschenmasse, die das Barrio füllte. Und während er seine Rosenkranzschnur abfingerte, kam er stets zu der Überzeugung, daß er – der Krüppel Manoel Allanza – doch nicht dazu gehörte. Obwohl in letzter Zeit die Ausbeute nicht gerade rosig gewesen war. Die Stahlwerke und Fischmehlfabriken, die vom Strom aus dem stürmischen Absturz des Rio Santa aus den Anden herunter betrieben wurden, arbeiteten nur noch in Kurzschichten. Die Nachricht von der gefährlichen Malariaepidemie – die auch die ›Mercy‹ nach Chimbote geführt hatte – und von den verteufelten Nachtmoskitos, von denen es hieß, daß sie die oft tödliche Seuche vom anderen Ende der Welt eingeschleppt hätten, hatte sich wie ein Lauffeuer die ganze Panamericana hinauf und hinunter ausgebreitet. Sogar Durchreisende hatten den Chimbote berührenden Teil der Autobahn schleunigst passiert, wenn sich die Fahrt durch das Gebiet schon nicht vermeiden ließ, und Schiffe hatten die hervorragende Hafenanlage erst gar nicht mehr angelaufen. Sowohl Priester als auch Schamanen widersprachen den Behauptungen des Distriktleiters der Gesundheitsbehörde, Dr. José Figueroa, und der Ärzte auf dem weißen Schiff im Hafen, wonach Stechmücken dieses Fieber übertragen sollten, das den stärksten Mann zu einem wandelnden Leichnam machen konnte. Die Pfarrer behaupteten, daß die Seuche eine Geißel Gottes für die Sünden des Volkes wäre, das erstmals vor der Malariaepidemie, die inzwischen abgeflaut war, mehr als nur den Hungerlohn verdiente. Und das meiste davon war freudig wieder für chicha ausgegeben worden oder auch für die tapadas – jene Frauen, die unter ihrem Kopfschal nur ein Auge sehen ließen und Tag und Nacht die Stadt auf der Suche nach zahlungskräftigen Männern durchstreiften, um ihre Gunst feilzubieten. Die Wunderdoktoren wiederum zitierten das tödliche Fieber als Fluch, der über das Volk gekommen war, weil es sich von den alten Göttern und vor allem vom Beistand der Schamanen abgewandt hatte. Was das große weiße Schiff im Hafen und seine yanqui-Ärzte und 38
-Schwestern betraf, so gingen die Meinungen auseinander. Manch einer im Barrio glaubte tatsächlich, was er von den Wundern gelesen oder gehört hatte, die auf dem Schiff vollbracht worden waren. Manoel selbst hatte einen abstoßend mißgebildeten Säugling gesehen, dessen Gesicht von Geburt an gespalten war und das die Chirurgen auf der ›Mercy‹ doch wundersamerweise wieder in einem Ganzen geformt hatten. Andere allerdings glaubten den Medizinmännern, die behaupteten, jene Norteamericanos wären bloß zum Experimentieren an den Armen und Kranken gekommen, damit sie neue Heilmethoden für ihr eigenes Volk im Norden ausfindig machten, wo es nur Reiche gab. Heute morgen nun war eine von den Rollen an Manoels Holzuntersatz endgültig durchgerostet und zerbrochen. Er nahm grundsätzlich kein Geld mit, wenn er fortging, damit es ihm bei einer polizeilichen Durchsuchung nicht abgenommen würde. Also war ihm nichts anderes übriggeblieben, als sozusagen dreirädrig davonzuhinken, in der Hoffnung, entweder eine mitleidige Seele zu finden, die ihm das Geld für eine neue Rolle gab, oder auf einen leicht auszunehmenden Betrunkenen zu stoßen. Um halb elf Uhr hatte er schon ein paarmal die Plaza Central umkreist und nach einem möglichen Opfer Ausschau gehalten, bevor er den dunkelhäutigen Mann ausmachte, der vor dem ›Café Marisco‹ seinen pisco sour schlürfte. Manoel wußte wohl, daß der Brandy kaum jemanden so berauschte, daß er mit Geld umherzuschmeißen begann – es sei denn, er hätte sich davon schon mindestens ein halbes Dutzend Gläser einverleibt. Aber dieser einsame Zecher schwankte gelegentlich auf seinem Stuhl, was doch darauf hindeutete, daß er schon Stärkeres genossen haben mußte, bevor er hierhergekommen war: also hielt sich Manoel bereit. Das Glück war seinem Vorhaben außerdem günstig, da im Augenblick außer einem Polizisten, der mit einer tapada sprach, niemand auf dem offenen Platz war. So schob er sich Stück für Stück näher an den schmalen Platzteil heran, wo die Freilufttische der Restaurants standen, und stellte seine Spekulationen über den dort sitzenden Mann an. Dem dunklen Gesicht und der Adlernase nach zu schließen war er ein Vollblutindio. Wahrscheinlich stammte er aus dem Hochland der 39
Sierra und war zum Meer heruntergekommen, um ein wie immer geartetes Glück zu feiern. Allerdings schien er seinen pisco sour nicht gerade zu genießen und fühlte sich, wie Manoel annahm, ziemlich einsam. Bei seiner dritten Platzumkreisung hatte Manoel registriert, daß der Hochländer noch einen Drink bestellte, was den Durst des Krüppels ins Immense steigerte. Er traute sich aber nicht, seinen Untersatz zum Hauptbrunnen hinüberzukarren, um dort von einem der Lamaspeier zu trinken, aus Angst, der Polizist könnte ihn rüde davonscheuchen, um mit dieser plötzlichen Amtsdemonstration der tapada zu imponieren. Der Fremde hatte sein neues Glas kaum berührt, als Manoel ihn auftaumeln, ein paar Münzen auf den Tisch werfen und quer über den Platz auf den Brunnen zutorkeln sah. Trotz der einen fehlenden Rolle schoß Manoel mit affenartiger Geschwindigkeit auf den Tisch zu, kippte sich den Inhalt des fast vollen Glases in die eigene Kehle und raffte mit der freien Hand das Geld, das der andere hingeworfen hatte. Bevor der Kellner, der vom Restaurant aus den Aufruhr auf dem Platz verfolgte, das Geschehen überhaupt bemerkte, ratterte der verkrüppelte Bettler schon in sicherer Entfernung eine Seitenstraße hinunter. Und so entging es Manoel, wie der Fremde von dem Polizisten aus dem Brunnen gezogen wurde; ebenso entging ihm, wie kurz darauf ein Ambulanzwagen eintraf und der Bewußtlose auf eine Tragbahre gelegt wurde – wenn er auch das Sirenengeheul hörte, mit dem die Ambulanz zum Hafen hinunter und auf das dort liegende Hospitalschiff zupreschte. Aber was machte das schon? Die kühle Frische des Drinks löschte just den Brand in Manoels Innerem. Und als er schließlich auch noch frohgestimmt das Geld zählte, stellte er fest, daß es für die dringend benötigte Radrolle seines Fortbewegungsmittels reichte – und darüber hinaus wahrscheinlich sogar noch für einen ›Hamburger‹, jene Köstlichkeit der gringos, die es in den grellerleuchteten neuen Imbißhallen entlang der Panamericana gab. 40
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ährend der Fahrt über den langgestreckten Kai hatte Grant feststellen können, daß die ›Mercy‹ ziemlich verwittert war, seit er sie zuletzt in Tanjungperak hatte liegen sehen. Der weiße Anstrich blätterte schichtweise von den Bugseiten des Schiffsrumpfes ab, auf dem sich drei Decks türmten und drei Reihen Bullaugen entsprechend viele Unterdecks erkennen ließen – sechs also insgesamt. Mit seinen fünfundvierzig Meter Länge hatte das Schiff nie zu den Ozeanriesen gezählt und war auch schon vor der Zeit, als die Kriegsumstände es zu einem Lazarettschiff umfunktionierten, nur als Zweitklaßkreuzer gelaufen. Ebenso wie vom Hauptschiff blätterte der Anstrich von den Rettungsbooten, die auf dem offenen Oberdeck in ihren Haltetrossen hingen. Die in Kriegszeiten aufgemalten roten Kreuze, die er vom Flugzeug aus gesehen hatte, waren längst zu einem trüben Braun ausgeblichen. Die längsseits zweireihig angebrachten Schwimmgürtel waren stockfleckig und brüchig von Witterung und See. Tatsächlich aber war die ›Mercy‹ trotz ihres Alters stets eine hervorragend funktionierende Klinik gewesen, wie Guy wohl wußte, und bemannt mit einem äußerst fähigen Stab von Ärzten, Schwestern und Pflegepersonal. Darunter befanden sich immer kurzfristig eine Reihe Freiwilliger aus den Vereinigten Staaten, um die ansonsten zahlenmäßig kleine Belegschaft zu verstärken. Seiner Erinnerung nach diente das zweite Oberdeck mit seinen Innen- und Außenkabinen als Quartier sowohl für den Klinikstab als auch für die Schiffsmannschaft, während in den Decks darunter der eigentliche Klinikbetrieb lag. Als die ›Mercy‹ noch Kriegslazarettschiff gewesen war, hatte man in den beiden Operationssälen unzähligen Verwundeten, die manchmal 41
direkt aus dem Kampfgeschehen an Land herausgeholt wurden, das Leben gerettet. Damals war es durchaus keine Seltenheit, daß Ärzte und Schwestern sechsunddreißig Stunden hintereinander Dienst taten. Die angrenzenden kleineren Behandlungsräume sowie die Röntgenabteilung und die Laborräume wurden zum Einrichten von Knochenfrakturen, zum Anlegen von Gipsverbänden und für kleinere operative Eingriffe zweckentfremdet und mußten auch als zusätzliche Ausweichuntersuchungsräume herhalten. In den Klinikstationen unter Deck war der Bettenbestand teilweise fest mit dem Boden verschraubt, zum andern Teil bestand er aus aufstockbaren Pritschen für den Fall, daß eine Epidemie die rasche Aufnahme von Patienten erforderte. Grant wußte, daß die ›Mercy‹ seit Ende des Koreakrieges hauptsächlich als Weiterbildungsstätte für einheimische Ärzte und medizinisches Fachpersonal betrieben worden war. Manchmal hatte sie monatelang in ein und demselben Hafen gelegen und als Diagnose- und Therapiezentrum für die Bevölkerung sowie als Lehrstätte für Ärzte, Assistenz- und Laborpersonal gedient, deren vorangegangene Ausbildung oft ziemliche Lücken aufwies. Grant hatte auch erfahren, daß die Rührigkeit der ›Mercy‹-Stiftung, der Trägerin des Schiffes, in letzter Zeit drastisch beschnitten worden war, da es ihr zunehmend an Geldmitteln fehlte – ein Umstand, von dem alle gemeinnützigen Hilfswerke betroffen werden. Nach dem äußeren Zustand des Schiffes zu schließen, wurde ganz offensichtlich auch herzlich wenig – wenn überhaupt irgend etwas – in die Erhaltung der ›Mercy‹ gesteckt. Lael Valdez scherte den Landrover in die Parkbucht auf dem Pier gegenüber des Landestegs zum Hauptmitteldeck ein, stieg sofort aus und wartete auch nicht, bis Grant sein Gepäck herausgehievt hatte. Er schloß daraus, daß sie nicht eingehender über ihre seltsame Feststellung befragt werden wollte, die sie beim Abbiegen auf den Pier gemacht hatte. So respektierte er ihr Schweigen, nahm Reisetasche und Regenmantel vom Rücksitz und folgte Lael über den Steg zum Schiff, wo ihn Jack Smithson lächelnd und mit kräftigem Händedruck empfing. 42
»Tut mir leid, Grant, daß Ihr Besuch auf der ›Mercy‹ nicht unter einem besseren Stern steht«, meinte er bedauernd, als sie das Deck entlang auf Guys Kabine zugingen. »In der Anamnese zeigte Ihr Bruder vor etwa acht Tagen die üblichen Symptome unspezifischen Unwohlseins vom grippalen Infekt bis zu irgendeiner der Fieberseuchen aufwärts. Wie Lael berichtet, wurden diese Symptome in den darauffolgenden zwei Tagen gravierender, und sie konnte Guy endlich dazu überreden, sich in ärztliche Obhut zu begeben.« Smithson schlug das Krankenblatt auf, daß er bei sich hatte. »Temperatur bei Aufnahme neununddreißigfünf, Puls einhundert, Respiration vierundzwanzig. Nur teilweise bei Bewußtsein; phasenweise deliriert er und muß dabei gelegentlich ruhiggestellt werden. Bei Zugang dreizehntausend Leukozyten mit einsetzender Neutrophilie.« »Für einen Viruserreger höchst merkwürdig.« »Es war unser erster Anhaltspunkt für eine mögliche bakterielle Infektion«, pflichtete Smithson ihm bei. »Außerdem waren sämtliche Komplementbindungen mit allen einschlägigen Antikörpern negativ.« »Sonstige Positivsymptome?« »Ansteigen der Pulsfrequenz und zunehmende Herzhypertrophie. Wissen Sie, ob Guy jemals ein Herzleiden hatte?« »Er hat nie davon gesprochen.« »Lael meint, er könnte in der Zeit, bevor sie ihn traf, einige Schwierigkeiten gehabt haben; sie hat das aus entsprechenden Bemerkungen geschlossen. Nach EKG und Röntgenaufnahme würde ich auf eine frühere latente rheumatische Herzerkrankung schließen, die allerdings ziemlich gut kompensiert wurde, sonst hätte er sich kaum in den Anden aufhalten und arbeiten können.« »Hat Guy je Anzeichen von Atemnot, blaue Lippen oder Ohrläppchen in der Höhenluft gehabt?« wandte sich Grant an Lael Valdez, die vor ihnen herging. »Manchmal schon, aber das geht ja den meisten so. Ich habe auch manchmal nach Luft gerungen.« »Blutgerinnung ist normal, ebenso die chemische Blutuntersuchung; Blutgruppe A, Rhesus negativ«, fuhr Smithson fort. »Die angesetzten 43
Kulturen haben keinerlei aufschlußreiche Keime gebracht. Die Lungenaufnahme zeigt eine nicht eindeutige Verschattung an der Basis; allerdings stand uns nur das ältere Modell eines transportablen Röntgenapparates zur Verfügung. Das Resultat sind Aufnahmen, deren Schärfe uns nicht immer ganz glücklich macht.« »Haben Sie in der Gegend, wo Sie waren, von irgendeinem Fieber gehört?« wandte sich Grant wieder an Lael Valdez. »Unsere Arbeiter jedenfalls erwähnten nie etwas davon. Außerdem habe ich immer direkt auf dem Markt eingekauft, also würde ich bestimmt etwas davon gehört haben, wenn eine Krankheit grassiert hätte.« »Ich habe auch mit Dr. Figueroa gesprochen, dem Leiter der hiesigen Gesundheitsbehörde«, ergänzte Smithson die Auskunft. »Es ist kein außergewöhnlicher Krankheitsfall im Callejón de Huaylas festgestellt worden. Gehen wir jetzt hinein?« »Ich warte draußen«, sagte Lael. »Sie finden mich hier auf dem Deckstuhl vor meiner Kabine.« »Sehr gut. Sie brauchen Ruhe«, meinte Smithson. »Wissen Sie, Grant – seit wir Guy aufgenommen haben, sitzt dieses Mädchen jede Nacht bei ihm Wache.«
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rant fand keine neuen Anhaltspunkte. Während der Untersuchung schlug Guy einmal die Augen auf und kam zu sich, schien aber seine Umgebung überhaupt nicht wahrzunehmen, bis sein schwimmender Blick auf Grants Gesicht fixiert blieb. Da versuchte er sich aufzusetzen, fiel aber nur erschöpft wieder zurück, noch bevor jemand herbeieilen und ihn auf die Kissen drücken konnte. »Gra-a-an-n-t.« Selbst dieses eine Wort war kaum hörbar. »Guy, sowie mich Miß Valdez gerufen hat, bin ich gekommen. Kannst du mich verstehen?« Als Antwort kam ein schwaches Kopfnicken, und er fand seine Frage bestätigt. Aber als sich der Kranke wieder zu sprechen mühte, waren »Rette … Lael« die einzigen Worte, die Grant eben noch hören konnte. Dann sank Guy wieder zurück ins Delirium. »Was hat die ›Mercy‹ eigentlich überhaupt nach Chimbote geführt?« fragte Grant, als sie das Krankenzimmer verließen. »Maligne Malaria«, sagt Smithson. Vor Verwunderung zog Grant die Augenbrauen hoch. »Ziemlich langer Weg von der afrikanischen Goldküste herüber – für eine Stechmücke.« »Und doch weniger merkwürdig, als man zunächst meinen möchte. Chimbote liegt unweit der Mündung des Rio Santa, an dem die peruanische Regierung etwas oberhalb eine ganze Kette von Wasserkraftwerken baut. Einiges Zubehör für die Anlagen ist von Manaos eingeflogen worden, wohin es per Frachter von einem aufgelassenen afrikanischen Projekt transportiert worden war. Offenbar sind ein paar Anophelen als blinde Passagiere von der Goldküste quer über die Anden bis ins Callejón de Huaylas gekommen.« 45
»Von dieser Gegend habe ich Lael Valdez heute schon sprechen hören.« »Sie und Guy waren oben in Yungay, der kleinen Stadt in diesem Hochtal. Dr. Figueroa hat dort vor etwa sechs Monaten einige malariaverseuchte Anophelen nachgewiesen. Und die Einheimischen hat es auch prompt reihenweise erwischt; sie wurden von dem Fieber bis zum Koma geschüttelt, wenn es in Gehirnmalaria überging. Wir waren damals gerade in Guayaquil in Ecuador, als uns der Notruf von Dr. Figueroa erreichte, und da Chimbote der dem Epidemiegebiet am nächsten gelegene sichere Seehafen war, sind wir hierher gekommen. Anfangs lag die Sterblichkeitsrate ziemlich hoch, aber als dann Dr. Figueroa und seine Hilfstrupps die Ausbreitung der Stechmücken eingedämmt hatten und die Leute überhaupt anfingen zu begreifen, bekamen wir die meisten Fälle früh genug in Behandlung, um die Plasmodien mit Chloroquin abzutöten, bevor sie den Patienten töteten.« »Da kann man ja von Glück sagen, daß Sie und Ihr Stab so viel Fernosterfahrung mit endemischer Malaria tropica haben.« »Und doch helfen unsere ganzen Erfahrungen nicht im Fall Ihres Bruders. Nach dreitägiger Beobachtung habe ich noch immer nicht die geringste Ahnung, womit wir es überhaupt zu tun haben. Es könnte sogar eine völlig neue Krankheit sein.« »Wenn das stimmt und Guys Zustand auf ihre Virulenz hindeutet, dann dürften wir bösen Zeiten entgegengehen.« Als die beiden Ärzte aufs offene Deck kamen, lief Lael Valdez ruhelos umher und wandte sich dann zu ihnen um. »Was halten Sie davon?« fragte sie. »Nach Lage der Dinge ist die einzig mögliche Diagnose: diffuse Pyrexie.« »Den Terminus kenne ich nur zu gut von den Medizinstudenten in Boston, als ich dort am Kliniklabor gearbeitet habe. Für sie war das immer so eine Art Witz.« »Das hier ist mit Sicherheit kein Witz«, erwiderte Grant. »Trotzdem, manche Tropenfieberarten klingen von allein ab. Der Abwehrmecha46
nismus des Körpers setzt glücklicherweise im gleichen Augenblick ein, wenn ein Mikroorganismus in den Körper dringt, und kann mit der Zeit in vielen Fällen mit der Infektion fertig werden.« »Können Sie denn gar nichts tun?« fragte sie mit bitterem, fast anklagendem Unterton. »Wir können den Erreger medikamentös angehen mit Breitbandantibiotika; wir können auch Abwehrkräfte aktivierende Unterstützungsmaßnahmen ergreifen«, setzte er ihr ruhig auseinander. »Aber letztlich ist es immer der körpereigene Immunmechanismus, der die Krankheit überstehen läßt. Uns bleibt nur die inständige Hoffnung, daß Guys Kräfte ausreichen, bis er genügend Immunität gebildet hat, um mit der Infektion fertig zu werden.« »Hat er Sie erkannt?« »Ich denke ja; aber alles, was er zu mir sagte, war: ›Rette Lael!‹ Er ist Ihretwegen offensichtlich weitaus besorgter als seinetwegen.« »Dr. Smithson!« Ein etwas rundlicher jüngerer Mann im weißen Mantel und mit einem Stethoskop um den Hals eilte das Deck entlang auf sie zu. »Kann ich Sie bitte einen Augenblick sprechen?« »Natürlich, Tonio«, sagte Smithson. »Dr. Antonio y Marelia – Dr. Grant Reed.« »Freut mich sehr, Dr. Reed.« Der junge Arzt machte eine förmliche Verbeugung, bevor er ihm die Hand schüttelte. »Was gibt's denn?« wollte Smithson leicht ungeduldig wissen. »Ich berate mich gerade mit Dr. Reed …« »Ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber vor etwa einer Stunde haben wir einen Neuzugang gehabt – im Koma.« »Voll bewußtlos?« Smithson war plötzlich alarmiert. »Komatös und stark fiebernd – aber es ist keine bösartige Malaria, wie ich zunächst annahm, als man ihn uns brachte«, erläuterte Marelia. »Ich war gerade vollauf mit den ambulanten Patienten beschäftigt und habe daher nur seine Aufnahme und die Blutuntersuchung angeordnet. Der Patient ist Indio und wurde nach Aussage der Sanitäter, die ihn brachten, kopfunter aus dem Brunnen der Plaza Central gefischt.« 47
»Könnte betrunken sein – vielleicht sogar verletzt«, meinte Smithson. »Ich denke nein«, widersprach Marelia. »Symptome und Blutbild entsprechen exakt jenen von Señor Guy Reed.«
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m Seminarraum des Instituts für Strahlenphysik an der HarvardUniversität in Boston beschloß Dr. Philemon Mallinson eben seine Vorlesung, als ein technisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Labordreß hereintrat und ein Blatt mit einer Notiz überbrachte. »Ah, da kommt ja schon der Ergebnisbericht der Kohlenstoffbestimmung jener Substanz, die ich Ihnen zu Beginn unserer Stunde gezeigt habe und die mir aus Peru zugeschickt worden war«, gab Mallinson bekannt. »Unseren hochsensiblen Instrumenten nach ist diese stoffliche Substanz runde fünftausend plusminus zweihundert Jahre alt.« Von der jungen Zuhörerschaft kam erstauntes Gemurmel. »Es entzieht sich meiner Kenntnis, wo dieser Skelettfund präzis herstammt. Mir ist nur die weitere Umgebung bekannt«, fuhr Mallinson fort. »Ich bin jedoch überzeugt, daß es sich um einen der ältesten Funde in den peruanischen Anden handelt. Wir werden Dr. Reed wunschgemäß unverzüglich per Funkspruch verständigen und ihn um nähere Angaben bitten. Das wär's für heute.«
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inen Augenblick herrschte betroffenes Schweigen nach der Aussage von Dr. Marelia. Dann meinte Jack Smithson betont spöttisch: »Machen Sie es nicht so dramatisch, Tonio; am Anfang gleicht eine Fieberinfektion der anderen. Wie sieht's denn mit dem bisherigen Krankheitsverlauf aus?« »Aus dem Polizeibericht geht hervor, daß er vor einem der Restaurants am Hauptplatz einen pisco sour trank, dann plötzlich zum Brunnen torkelte, dort Wasser über den Schädel laufen ließ und zu trinken versuchte.« »Klingt ziemlich eindeutig nach Betrunkenheit.« »Er lallt zwar, hat aber immerhin vierzig Fieber. Die Polizei meint, er wäre ertrunken, wenn man ihn nicht herausgezogen hätte.« »Und was sagt er selbst?« »Keiner von uns versteht ihn. Er spricht quechua, die Inkasprache.« »Ich verstehe und spreche quechua«, schaltete sich Lael Valdez ein. »Vielleicht könnte ich da helfen.« »Scheint sinnvoll«, meinte Smithson. »Bringen Sie uns zu ihm, Tonio.« Das Unterdeck mit seinen Klinikstationen war teilweise mit wasserdichten Querwänden in einzelne Krankensäle unterteilt, in denen eine Reihe von Patienten auf Pritschen lag. Im Anschluß daran kam man auf eine Station mit im Stahlboden verankerten Klinikbetten. Am Bett des Kranken stand eine Wachschwester, auf der anderen Seite war einer der Einheimischen, die man als Pfleger angestellt hatte, und hielt den Patienten im Bett fest, wenn er im Delirium um sich schlug. Als sie auf die Station kamen, ging Grant hinter Lael Valdez. Beim Anblick des Kranken stockte ihr der Atem, und sie schien einen Au50
genblick zu schwanken. Als er sie jedoch am Ellbogen faßte, um sie zu stützen, schüttelte sie seine Hand fast ungehalten ab. Aber er hatte noch die nackte Angst in ihren Augen stehen sehen; sie war schneeweiß geworden. »Ist alles in Ordnung?« fragte er. Sie nickte, aber in ihren Augen flackerte noch immer die Furcht. »Bestimmt?« »Aber ja doch«, entgegnete sie unwirsch. »Warum fragen Sie?« »Es hat einen kurzen Moment den Eindruck gemacht, als hätten Sie einen Geist vor sich.« »Mit Sicherheit nicht«, antwortete sie schroff, und er ließ es seinerseits darauf beruhen, obwohl er eigentlich sicher war, daß sie den kranken Indio erkannt hatte und es aus irgendwelchen Gründen nur nicht zugeben wollte. Jack Smithson hatte sich mit dem Krankenblatt befaßt und stellte eben fest: »Die Papiere des Patienten weisen ihn als Augustin Almaviva aus, wohnhaft in Yungay.« »Yungay?« wandte sich Grant jetzt an das Mädchen. »Haben Sie und Guy nicht in der Gegend da oben gebohrt?« »Richtig.« Sie hatte ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden. »Das Tal ist allerdings runde hundertfünfzig Kilometer lang und ziemlich dicht besiedelt.« »Fragen Sie ihn doch bitte, Lael, wann er krank geworden ist«, bat Smithson. Als sie den beinahe Bewußtlosen in jener Sprache, die Grant schon am Morgen von der Stewardeß gehört hatte, anredete, schlug er die Augen auf. Bei ihrem Anblick wollte er sich hochrappeln, fiel aber wieder auf das Bett zurück. Auch zu sprechen versuchte er, brachte jedoch nur gelallte Laute hervor, unter denen ein einziges Wort mehrere Male wiederkehrte. »Bedeutet das nicht ›Fluch‹, Señorita Valdez?« wollte Dr. Marelia wissen. »Es gibt noch einen anderen Ausdruck, der ganz ähnlich klingt«, gab sie gewandt zurück. »Er versucht nur dauernd zu sagen, daß er in den Brunnen gefallen ist.« 51
»Der Zungentremor hindert offensichtlich am artikulierten Sprechen.« Smithsons Stimme klang ernst. »Tonio, Sie könnten doch recht haben mit der Ähnlichkeit der beiden Fälle.« »Ich gehe an Deck, wenn Sie jetzt untersuchen.« Lael Valdez hatte sich wieder voll in der Gewalt. »Mir ist ziemlich warm hier drin.« »Sieht auch nicht so aus, als würden wir aus ihm etwas herausbringen«, mußte Smithson zugeben. »Wenn er verständlicher artikulieren sollte, rufen wir Sie wieder.« Als die drei Ärzte später auf Deck kamen, wartete Lael Valdez auf sie. Die Brise in der offenen Bucht machte die beginnende Sommerhitze etwas erträglicher nach der stickigen Luft im Schiffsbauch; dennoch zeigte Laels Gesicht noch immer eine gewisse Blässe. »Es kann sich um einen schlichten Zufall handeln, daß Guy in der Umgebung von Yungay gebohrt hat und daß dieser Mann hier auch von dort kommt – es kann aber auch anders sein«, wandte sich Grant an sie. »Sind Sie ganz sicher, daß in Yungay nie etwas von einem grassierenden Fieber erwähnt wurde?« »Nicht, daß ich wüßte. Warum fragen Sie?« »Für derlei Dinge habe ich eine Art Gespür entwickelt. Die kriegt man als Epidemiologe nach ein paar Jahren Erfahrung. Und ich werde einfach das Gefühl nicht los, daß es zwischen dem Fall meines Bruders und diesem hier einen Zusammenhang gibt.« »Eine Zwei-Fälle-Epidemie sagt noch gar nichts«, widersprach Jack Smithson. »Trotzdem würde ich den Fall Almaviva gern etwas näher recherchieren. Der beste Anhaltspunkt ist wahrscheinlich zunächst der Platz, an dem er in den Brunnen fiel.« »Nehmen Sie den Landrover«, bot ihm Lael an. »Ich lege mich nachmittags nur etwas hin, damit ich die Nacht über bei Guy bleiben kann.« »Die Plaza ist im Zentrum«, erklärte Dr. Marelia. »Sie biegen am Kaiende rechts ab und fahren dann geradeaus drauf zu.«
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s gab nur drei Cafés an der Plaza Central. Grant fing mit jenem an, das direkt gegenüber dem Brunnen lag, zu dem sich laut Polizeibericht der offensichtlich vom Fieber getriebene Almaviva in seinem Durstanfall geflüchtet hatte. Der zweite Kellner, den er ansprach, erinnerte sich an den Kranken, dessen Sturz in den Stadtbrunnen erhebliches Aufsehen erregt hatte. »Drei Tage hintereinander ist der Mann jeden Morgen gekommen und hat an einem der kleinen Tische da draußen pisco sours getrunken, Señor.« Der Kellner wies zum Boulevardcafe hinaus, das zum Restaurant gehörte. »Er machte einen einsamen Eindruck, sprach aber ausschließlich quechua und ein paar Brocken Englisch. Nur wenige konnten ihn verstehen – zum Beispiel ich.« »Hat er jemals gesagt, woher er kommt?« »Einmal hat er erwähnt, daß er von Yungay ist. Heute morgen, als ich ihm den ersten Drink brachte, hat er gemeint, das Meeresklima hier unten würde ihm nicht guttun. Er fühlte sich außerordentlich schlecht und wollte am nächsten Tag heimkehren.« »Hat er irgendwelche Andeutungen gemacht, wo er hier in Chimbote gewohnt hat?« »Davon hat er nie gesprochen, Señor.« »Und er hat nie Trinkkumpane gehabt?« »Nein, Señor, niemanden. Deshalb habe ich ihn auch nicht für einen Betrüger gehalten – trotz allem, was passiert ist.« Grant horchte auf. »Und was ist passiert?« »Ich hatte ihm einen neuen Drink gebracht. Er nippt nur dran, stellt das Glas hin, stürzt auf den Platz hinaus und hin zum Brunnen. Dann seh' ich ihn trinken und wie wild Wasser über sich kübeln, und schon 53
pfeift der diensttuende Polizist am Platz und zieht den Mann aus dem Wasser. Danach ist die Ambulanz gekommen, und in dem ganzen Aufruhr ist mir entgangen, daß sein Glas ausgetrunken und das Geld, das der Mann aus den Bergen noch auf den Tisch geworfen hatte, verschwunden war.« »Wer könnte denn ein angefangenes Glas austrinken und die Münzen mitnehmen?« »Wer schon außer einem ladrón – einem Dieb?« Der Kellner beantwortete sich selbst die Frage. »Da lungert immer so ein beinloser Bettler herum: Manoel Allanza heißt er. Während ich die Aufregung am Brunnen beobachtet habe, muß der Kerl den fast unberührten pisco ausgesoffen, das Geld geklaut haben und abgehauen sein.« »Wie kann er als Beinloser abhauen?« »Dieser Manoel sitzt auf einem Holzuntersatz mit Rollen und karrt sich mit seinen Gorillaarmen durch die Gegend. Der ist schneller, als man laufen kann, Señor!« »Noch eine letzte Frage.« Grant nahm ein Zwanzig-Centavos-Stück aus seiner Tasche. »Wissen Sie, wo man diesen Manoel Allanza finden kann?« »Im Barrio natürlich, Señor; da kennt ihn jeder.« Der Kellner nahm das Geldstück. »Dauernd gibt er mit seinem zweistöckigen Haus an, als wär's ein casa grande.« Es fiel Grant nicht schwer, das Barrioviertel von Chimbote zu finden; jede südamerikanische Stadt hat ihre Slums. Am schlimmsten war es in Lima; es hieß, daß über zweihunderttausend Menschen dort wie die Tiere lebten. Und ebenso kannte jeder im Barrio von Chimbote Manoel Allanza, der in einer der wenigen aufgestockten Behausungen wohnte. Als Grant sie ausfindig gemacht hatte, begriff er, warum die bloße Namenserwähnung des Bettlers Heiterkeit und ganze Spottsalven bei den Befragten ausgelöst hatte. Mit einiger Mühe schaffte er den Palmstammaufstieg und fand sich Auge in Auge mit Manoel Allanza. Der Bettler, in seine luftige Klitsche geduckt, war angetrunken, mürrisch und mißtrauisch, wenn auch of54
fensichtlich gesund. Er stritt sogar ab, am Morgen auf dem Platz gewesen zu sein, geschweige denn einen stehengelassenen pisco sour irgendeines Mannes aus Yungay getrunken zu haben. Grant sah schließlich ein, daß er nichts erreichte, holte eine seiner Visitenkarten aus der Brieftasche, strich Name und Adresse durch und notierte darauf die ›Mercy‹ und den Pier, an dem sie lag. Während er dem Bettler die Notiz gab, warnte er ihn, daß er innerhalb der nächsten Tage krank werden könnte, und schärfte ihm ein, bei den ersten Krankheitsanzeichen mit dieser Karte zur ›Mercy‹ zu kommen.
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ie Essenszeit war bereits um, als Grant wieder auf das Hospitalschiff kam; also aß er in der für die Nachtschicht von der Messe abgetrennten Imbißnische. Er war gerade fertig, als Dr. Jack Smithson auf einen Kaffee hereinkam, mit ihm der Erste Schiffsingenieur Angus McTavish, ein grauhaariger Schotte. »Na, was rausgefunden in Chimbote?« fragte Smithson. »Nicht viel mehr, als daß unser indianischer Patient ziemlich gute Streumöglichkeiten hatte, für den Fall, daß sich das Fieber als infektiös erweisen sollte. Wir könnten recht gut mit den ersten Anfängen einer gefährlichen Epidemie konfrontiert sein.« »Noch haben Sie eine Serie von nur zwei Fällen«, meinte der Ingenieur skeptisch. »Das reicht doch wohl nicht ganz für den Nachweis einer Epidemie.« »Wir können aber durchaus schon sehr viel tiefer drinstecken.« Grant schilderte ihnen kurz seine Begegnung mit dem Bettler im Barrio. »Bloß weil er aus dem Glas des Indios getrunken hat …? Das kann doch wohl kaum jemanden anstecken!« wandte McTavish ein. »Eine einzige Mikrobe, Chef – das reicht«, gab Smithson zurück. »Schätzungsweise wie ein einziger rostiger Bolzen reicht, um einen Zylinderkopf in den Eimer gehen zu lassen und damit die ganze Maschine.« »Wie steht's überhaupt mit der Reparatur der kaputten Maschine?« fragte ihn Grant. »Wir versuchen, den Sprung im Zylinderkopf zu schweißen, aber im Grunde genommen führt um einen neuen einfach kein Weg herum. Und das per Luftfracht aus den Staaten!« 56
»Könnte man denn kein Ersatzteil von einer der umliegenden Schiffswerften kriegen?« »Das Dieselding ist schon ein Museumsstück, Doktor – falls die ›Mercy‹ es je noch bis zu einem Museum schaffen würde. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Produktion von Austauschteilen für diese Antiquität eingestellt.« McTavish trank seinen Kaffee aus und ging wieder ans Werken tief im Schiffsinneren. »Sieht so aus, als würde bei Guy eine Besserung eintreten«, meinte Jack Smithson. »Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die Infektion nachläßt; aber das Herz macht mir Sorgen. Wir geben ihm bereits Sauerstoff. Die Arbeit in der Höhenluft hätte schon einen Gesunden ganz schön hergenommen. Und selbst mit einem leichten Rheumaherzschaden, der bei Guy vorzuliegen scheint, könnte er sein Herz erheblich überfordert haben.« »Kann ich mir lebhaft vorstellen.« Und dann sprach Grant einen Gedanken aus, der ihn seit der Begegnung mit dem Bettler am Nachmittag zunehmend belastet hatte. »Was ist mit Miß Valdez?« Smithson schüttelte den Kopf: »Ich kann nur hoffen, daß sie nicht realisiert, in welcher Gefahr sie eigentlich schwebt.« »Und ich möchte wetten, Jack, daß sie bedeutend mehr darüber weiß, wie Guy zu diesem Fieber gekommen ist, als sie auch nur einem von uns gegenüber verlauten läßt. Irgendwas verheimlicht sie ganz offensichtlich. Also fahre ich morgen selbst ins Callejón de Huaylas hinauf und schau mich um. Was ist eigentlich mit unserem anderen Patienten, diesem Almaviva?« »Der nähert sich der Krisis, ist vielleicht sogar schon durch. Meinen Sie denn immer noch, daß Guy und dieser Indio dieselbe Krankheit haben?« »Gar kein Zweifel. Objektive und subjektive Symptome stimmen überein, und beide waren sie erst vor kurzem im selben Gebiet.« »Das Callejón de Huaylas ist unbeschreiblich schön, aber auch ziemlich dicht besiedelt. Eine wie immer geartete Epidemie wäre da oben 57
verheerender als hier unten an der Küste, mit Ausnahme vielleicht von Stadt und Region Lima.« »Das Barrio von Chimbote nicht zu vergessen. Wenn Manoel Allanza tatsächlich infiziert ist, dann wird diese Krankheit X in den Slums wie ein Feuer im Heuschober hausen.« »Na, Gott gebe, daß Sie sich in zwei Dingen täuschen«, erwiderte der andere Arzt mit nachdrücklichem Ernst. »Daß wir es mit einer unbekannten Seuche zu tun haben und daß außer unseren beiden Fällen noch andere Kontaktpersonen existieren.« »Eine dritte haben Sie schon vergessen: Lael Valdez.«
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ie Wachschwester an Guys Bett stand auf, als Grant hereinkam; Lael Valdez jedoch schaute ihn nur dumpf an und nickte ihm zu. Er sah sich Guys Krankenblatt an und fand Jack Smithsons Prognose bestätigt: Die Fieberkurve begann langsam zu sinken. Auch die Herztöne zeichneten, wenn auch etwas herzfern, so doch klar, abgesehen von einem für chronisch rheumageschädigte Herzen so häufig typischen Rasseln im Bereich der Mitralklappe. »Miß Valdez, könnte ich Sie einen Augenblick draußen sprechen?« wandte sich Grant nach abgeschlossener Untersuchung an sie. Einen Moment lang schien es, als hätte sie ihn gar nicht gehört; doch dann stand sie auf und ging voraus durch die Tür, die er ihr aufhielt. Das Außendeck war menschenleer; lediglich vom Mannschaftsklub weiter vorne drang Gelächter zu ihnen und rasanter Rock 'n' RollSound. »Guys Fieber läßt langsam nach«, teilte ihr Grant mit. »Aber Doktor Smithson will die Herzbelastung nicht recht gefallen.« »Er wird sterben«, gab sie tonlos zurück. »Das habe ich heute morgen schon einmal von Ihnen gehört. Was macht Sie so überzeugt?« Außer einem Achselzucken kam keine Antwort von ihr; sie schien vollkommen in die Betrachtung der kleinen Wasserstrudel versunken, die zwischen Schiff und Pier glucksten. »Ich will morgen in die Gegend von Yungay hinauf.« Er sah, wie sich der Griff ihrer Hände um die Reling plötzlich anspannte, bis sich ihre Fingerknöchel weiß abzeichneten. »Und ich hoffe, daß Sie mitkommen.« »Um Guy hier allein sterben zu lassen?« Sie wandte sich ihm jetzt zu; 59
ihr ganzer Körper hatte sich im Zorn gestrafft. »Sie müssen ja eiskalt sein.« »Jack Smithson ist einer der fähigsten Ärzte, die ich kenne. Guy wird die bestmögliche Behandlung durch ihn erfahren. Und die klinischen Einrichtungen der ›Mercy‹, so alt sie auch ist, übertreffen immer noch bei weitem die Gegebenheiten aller peruanischen Krankenhäuser. Ich muß mich jetzt in meine Aufgabe als Epidemiologe vertiefen.« »Ihr kostbarer Ruf als Seuchenbekämpfer ist Ihnen also wichtiger als Ihre Schuldigkeit dem eigenen Bruder gegenüber?« griff sie ihn böse an. »Ich bedaure es wahrhaftig, daß ich Sie gerufen habe.« Er überging diesen Ausbruch, denn er fühlte deutlich die ungeheure Spannung, die in ihr war. »Von Jack Smithson höre ich, daß das Callejón de Huaylas besonders dicht besiedelt ist – ein kleiner Ort am andern, und die Wasserversorgung für alle ist wahrscheinlich ein und derselbe Flußlauf.« »Am Wasser liegt es nicht.« »Wenn Sie's schon wissen, warum sagen Sie mir's nicht einfach?« Wütend fuhr sie ihn an, wobei er feststellte, daß ihre Schönheit sich im Zorn noch steigerte: »Sie sind das Genie, das zu Guys Rettung gerufen wurde. Ohnmächtig allerdings sind Sie genauso wie wir alle!« »Zugegeben. Aber meine ganze Praxis und Erfahrung sagt mir, daß eine derartige Erkrankung einen Herd haben muß. Gelegentlich ist es eine verseuchte Wasserversorgung, manchmal ein vom Tier auf den Mensch übertragener Erreger. Die Krankheitsträger können beispielsweise Ratten, Eich- oder Erdhörnchen sein, im allgemeinen allerdings sind es Flöhe. Genausogut jedoch kann die Seuche von Mensch zu Mensch direkt übertragen werden, was am schwierigsten unter Kontrolle zu bringen ist. Wenn man sich nah genug damit befaßt …« »Und dabei nicht selbst daran stirbt …« »Genau. In diesem Punkt habe ich bisher Glück gehabt, obwohl mich das Sudanfieber in Afrika mit Sicherheit geschafft hätte, wenn mich nicht das Blut einer Schwester, die kurz zuvor den Fieberanfall überlebt hatte, mit genügend Antitoxin versorgt hätte, das mich so lange über Wasser hielt, bis ich selbst Immunkörper produzieren konnte. 60
Als Sie mich am Flughafen von Atlanta erreichten, hatte man mich gerade zum Seuchenbekämpfungszentrum zurückgerufen, um den Erreger im Labor anzugehen, da mir die Eigenimmunität gegen das Sudanfieber nun einen Schutz gab, der mir weitere Entwicklungsforschungen mit verwandten Fieberseuchen erlaubte.« »Diesen Schutz werden Sie hier nicht haben.« »Den wird keiner haben, wenn sich mein Verdacht auf eine neue Seuchenart bestätigen sollte. Ich werde morgen also zunächst nach Yungay hinauffahren, um ausfindig zu machen, ob inzwischen noch mehr Fälle aufgetreten sind. Es wäre ziemlich hilfreich, von jemand begleitet zu werden, der das Gebiet kennt und die Regionalsprache spricht. Deswegen bitte ich Sie mitzukommen; allerdings fahre ich, ob nun mit oder ohne Sie.« »Und wenn ich Ihnen den Landrover nicht gebe, was dann?« »Dann nehme ich ihn mir. Die Schlüssel habe ich ja noch.« Ihr ganzer aufgebrachter Widerstand schien plötzlich in sich zusammenzufallen; sie lehnte sich nur noch schlaff an die Reling. »Ist Ihnen klar, daß Sie von mir verlangen, zu genau jener Gefahr zurückzukehren, die Guy derartig getroffen hat?« fragte sie ihn erbittert. »Und dabei wahrscheinlich mein Leben aufs Spiel zu setzen?« »Das haben Sie schon, als Sie bei Guy blieben und ihn pflegten. Aber es gibt offenbar noch etwas anderes, das Sie da oben im Tal schreckt. Ich werde Sie zum Mitkommen also bestimmt nicht zwingen, obwohl ich bezweifle, daß dort irgendeine Gefahr existiert, der Sie nicht schon ausgesetzt waren. Gibt's irgendwelche Straßenkarten im Landrover?« »Im Handschuhfach. Außerdem ist er vollgetankt, und entlang der Hauptstraße gibt es eine Tankstelle nach der anderen.« »Die Nacht möchte ich gern in dem Haus verbringen, das Sie und Guy bewohnten.« »Wieso?« Plötzlich war ihre Stimme wieder voll Abwehr und Spannung. »Ich könnte dort immerhin einen Anhaltspunkt für das finden, was ich suche.« »Das Haus liegt außerhalb von Yungay. Die Einheimischen nennen 61
es ›Casa Yanqui‹; jeder kann Ihnen den Weg zeigen. Der Hausschlüssel befindet sich am Ring mit den Autoschlüsseln.« »Dann werde ich jetzt wohl am besten etwas schlafen«, meinte er noch. »Gegen sechs Uhr geht die Sonne auf, und ich möchte bei Tagesanbruch unterwegs sein.«
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ls Grant am nächsten Morgen etwa um Viertel vor sechs Uhr in die Schiffsmesse kam, fand er Lael Valdez bereits beim Frühstücken vor. Sie trug Khakihosen und das passende kragenoffene Hemd, feste Lederstiefel und ein über ihr dunkles Haar geknotetes Kopftuch. Ein Sonnenbrillenetui lugte aus der Hemdbrusttasche hervor. »Guten Morgen«, begrüßte er sie. »So wie Sie angezogen sind, hoffe ich beinahe, daß Sie mit mir kommen.« »Ja. Ich denke, Guy würde es so wollen.« »Haben Sie denn überhaupt geschlafen?« »Gleich nachdem Sie gegangen waren, habe ich die Schwester um eine Schlaftablette gebeten – und habe durchgeschlafen bis vor einer halben Stunde.« »Wie weit ist es nach Yungay?« »Runde zweihundert Kilometer, aber mit knapp zweieinhalbtausend Meter Steigung zwischen Chimbote und dem Callejón de Huaylas. Und noch einmal über tausend Meter Anstieg bis zur Bohrstelle – falls Sie vorhaben, dort auch hinaufzufahren.« »Mit Sicherheit. Es sei denn, ich finde schon im ›Casa Yanqui‹, was ich suche.« »Und was, bitte, suchen Sie eigentlich?« »Den Seuchenherd.« »Den kann ich Ihnen schon jetzt sagen: Das Ganze ist ein Fluch.« »Um das wirklich zu glauben, sind Sie viel zu klug. Außerdem habe ich noch keinen einzigen Fall von sogenannter Verfluchung gesehen, der nachweisbar eine Seuche ausgelöst hätte. Und selbst wenn es Guy zustande gebracht hat, irgendeinem böswilligen Ortsgeist zu mißfal63
len – wie könnte darin dann auch noch ein einfacher Indio wie dieser Augustin Almaviva verwickelt sein?« »Augustin war der Vormann unseres Bohrprojektes.« Bevor er noch etwas dazu sagen konnte, stand sie abrupt auf. »In fünfzehn Minuten bin ich soweit.«
Außerhalb von Chimbote und dem bewässerten Gebiet, das den abstürzenden Verlauf des Rio Santa aus den Anden hinunter auf Meereshöhe prägnant markierte, führte die Straße quer durch die Wüste, die sich an der ganzen peruanischen Küste und noch nordwärts hinein bis nach Ecuador erstreckte. Kaum befanden sie sich auf der Steigung hinauf in die Berge, als sie in die Fetzen der Dunst- und Wolkendecke tauchten, die fast immer über der Gegend hing. Die Straße war schmal und stieg in ständigen Serpentinen an, während der Wolkenschleier die Kurvensicht höchst beschwerlich und den Straßenbelag an vielen Stellen reichlich glatt und rutschig machte. Als der Landrover um einen jäh etwa tausend Meter aufsteigenden Steilhang bog, hielt Lael Valdez an einer erweiterten Aussichtsplattform an. Hier – aus der Höhe gesehen – breitete sich die ganze Ferrol Bay malerisch zu ihren Füßen aus. Die Stadt lag am Nordende der halbkreisförmigen Binnenbucht, deren nördlichsten Punkt die schartig zerklüftete Erhebung des Chimbote und als Pendant im Süden der etwas höhere Division markierte. Eine Kette von Inseln war der Küste vorgelagert, deren größte Bianca hieß, wie Lael erklärte, und auf deren höchster Stelle ein rotierendes Leuchtfeuer eine jener Furten in die Ferrol Bay kennzeichnete, die Chimbote zu einem der besten Seehäfen auf der ganzen Küstenstrecke von Callao, dem Hafen von Lima, und Guayaquil in Ecuador machte. Lael Valdez schloß das Handschuhfach des Landrovers auf und gab Grant ein Präzisionsfernglas. »Richten Sie es auf die Klippen direkt südlich der Hauptrinne. Meistens kann man die Robbenkolonie dort sehen«, sagte sie ihm. »Die 64
Kormorane und sonstigen Seevögel haben alle Felsen, auf denen sie nisten, seit Urzeiten mit Guano bedeckt, weswegen sie so weiß aussehen.« Der scharfe Feldstecher brachte die Seehunde tatsächlich als kleine dunkle Flecken auf den Felsen in Grants Gesichtskreis. »Ich hatte immer vor, ein paar Fotostudien von den Robbenkolonien da draußen zu machen, bevor wir hier weggehen würden«, sagte Lael noch. »Aber jetzt …« »Guy schien sich ganz gut zu halten, als ich noch einmal nach ihm schaute, bevor ich von Bord ging.« »Und sein Herz?« »Die Digitalistherapie hat das Myokardium – ich meine, den Herzmuskel – gekräftigt und stabilisiert. Wenn sie eine fortschreitende Herzerweiterung verhindert, bis die Fiebertoxine durch körpereigene Abwehrstoffe unschädlich gemacht werden, dann kommt er durch.« »Ich bete darum.« Und wieder tastete sie instinktiv nach dem kleinen goldenen Kreuz, das im offenen Hemdkragen an ihrem Hals schimmerte: »Aber ich bin wohl leider nicht mehr so fromm, wie mich die Schwestern in Boston erzogen haben.« Geschickt manövrierte sie den Wagen von dem Aussichtspunkt und setzte sich den sich steil aufwärtswindenden Weg fort. »Wo haben Sie Guy kennengelernt?« fragte er sie. »An der Universität in Madrid. Er hielt dort eine Reihe von Gastvorlesungen über die archäologischen Funde, die er auf seiner Ölsuche rund um die Welt gemacht hatte. Ich fotografierte damals gerade die berühmten Prado-Gemälde, um eine Wanderdiaschau für eine kulturelle Stiftung in den Staaten zusammenzustellen. Eines Tages bin ich zufällig in Guys Vorlesung geraten.« »Er wäre ein großartiger Dozent geworden, wenn er sich für die akademische Laufbahn entschieden hätte.« »Wie alt waren Sie, als Ihre Eltern umkamen?« Überganglos wechselte sie das Thema, und er begriff die darin enthaltene Warnung, nicht näher nach der Beziehung zwischen ihr und seinem Bruder zu forschen. 65
»Zwölf. Guy war fünfundzwanzig, hatte das College gerade hinter sich und arbeitete an seinen Promotionen in Petrolgeologie und Archäologie. Er holte mich damals zu sich nach Boston und schickte mich dort aufs katholische Gymnasium.« »Und ich war auf einer Klosterschule in Cambridge, bis sich meine Eltern entschlossen, mich auf eine der Mädchenbildungsstätten zu schicken.« Ein flüchtiges Lächeln ging über ihr Gesicht. »Eine jener Schulen, die junge Damen auf ihr Gesellschaftsdebüt vorbereiten, wissen Sie. Nach meinem Schulabschluß …« »Sicher mit Auszeichnung.« Sie zuckte die Achseln. »Meine Zensuren brachten mich ins Radcliff College. Dann ließen sich meine Eltern scheiden, und nach einem Jahr verheiratete sich meine Mutter erneut. Meinen Vater habe ich vergöttert, aber auch er heiratete wieder, und ich habe ihn mehrere Jahre nicht mehr gesehen.« Was wohl der Grund für ihre Verbindung mit einem viel älteren Partner Jahre später sein könnte, ging es Grant durch den Sinn; aber er sprach den Gedanken nicht aus. »Der Groll gegen meine Mutter wegen ihrer Wiederverheiratung war immerhin tief genug, um mich in eine Art Rebellin zu verwandeln«, fuhr sie fort. »Ich habe meinen Eltern gegenüber eine Zeitlang irgendwie ähnliche Gefühle gehabt, nachdem sie umgekommen waren«, gestand er ein. »Sie befanden sich unterwegs auf einer Vergnügungsreise …« »Aber Sie hatten immerhin Guy …« »Und einen stärkeren Halt hätte man sich gar nicht wünschen können. Glücklicherweise waren unsere Eltern ziemlich wohlhabend und obendrein hoch versichert. Für mein Erbteil wurde Guy als Treuhänder eingesetzt, und er hat es ausgezeichnet verwaltet. Es reichte für mein Medizinstudium und das Anschlußstudium für öffentliches Gesundheitswesen in Harvard; aber diese ganze Ausbildung schluckte ziemlich viel Geld – insbesondere nach meiner Heirat.« »Ich habe mir Ihrer Frau in Atlanta gesprochen.« »Shirley hat sich von mir scheiden lassen, während ich in Afrika war.« 66
»Mit Ihrer Zustimmung?« »Ja. Das Urteil wird zwar erst nach einem weiteren halben Jahr rechtskräftig, aber wir haben uns schon ziemlich lange Zeit vorher getrennt. Mit einem Epidemiologen verheiratet zu sein, ist nicht ganz das Wahre für eine so ehrgeizige Frau wie Shirley. Inzwischen wohne ich in einem Junggesellenapartment in der Nähe meines Instituts in Atlanta; aber genausogut könnte man sagen, mein Zuhause ist die Welt.« »Ich wollte Sie nicht ausfragen.« Ihre Stimme hatte einen warmen Klang bekommen, und er verstand allmählich, was Guy zu ihr hingezogen hatte, selbst wenn sie nicht von so außergewöhnlicher Schönheit gewesen wäre – dieser Mischung von irischem und lateinamerikanischem Blut, die so häufig ein Garant für besonderen Reiz war. »Lebt Ihre Mutter noch?« fragte er sie. »Ja, in La Paz, in Bolivien. Mein Stiefvater ist dort einer der reichsten Männer des Landes. Wir besuchten sie auf unserem Weg nach Yungay; sie war sehr glücklich, daß Guy sich um mich kümmerte.« »Dann tragen Sie Ihr also jetzt nichts mehr nach?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe ein Jahr lang mit Guy gelebt, und Sie verstehen sicher, was das für einen bedeutet, wenn man unsicher ist, keinen Sinn sieht und kein Ziel hat. Aber jetzt …« Sie konnte nicht weitersprechen; ein Schluchzen begann in ihr aufzusteigen. Zum erstenmal erlebte er sie beinahe fassungslos. Grant schwieg rücksichtsvoll, und so fuhr sie nach einer Pause fort: »In Madrid war ich der Drogenszene gefährlich nah – in Studentenkreisen war das gang und gäbe –, aber als ich mich in Guy verliebte, wurde alles anders.« Sie lächelte und schien plötzlich wie entrückt in ihre Erinnerung. »Nach der zweiten Vorlesung, die ich bei Guy gehört hatte, sprach er mich an, als wir den Saal verließen, und anschließend gingen wir gemeinsam zum Essen. Noch nie zuvor war mir jemand begegnet, der mich so selbstverständlich als genau den Menschen nahm, der ich verzweifelt zu sein versuchte – und es doch nicht einmal annähernd schaffte.« 67
»Ich empfand es damals ganz genauso, als mich Guy zu sich nach Boston holte. Er hat hat ein besonderes Charisma für Menschen.« Besonders für Frauen, hätte er hinzufügen können, aber es war ihm klar, daß er seinem Bruder damit nicht ganz gerecht würde. Mit seiner stets ungemein kraftvollen Ausstrahlung und seiner ausgewogenen Persönlichkeit hatte Guys Anziehungskraft auf Menschen niemals auch nur annähernd einen unverbindlich flüchtigen oder für Frauen rein sexuellen Reiz. »Er suchte damals gerade eine Sekretärin. Ich bin eine flinke Maschinenschreiberin und beherrsche auch Stenografie. Außerdem kann er – bei all seinen überwältigenden Entdeckungen, die er gemacht hat – einfach nicht fotografieren.« Sie lachte liebevoll. »Seine Aufnahmen von den großartigen archäologischen Funden aus der Zeit, bevor wir uns kennenlernten, waren schlichtweg abscheulich.« »Hatte er damals schon vor, nach Peru zu kommen?« »Nein. Dafür war ich verantwortlich.« Lael fügte nichts weiter hinzu, und da er begriff, daß dies ein Thema war, über das sie nicht sprechen wollte, verstummte auch er.
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eit sie die Autobahn entlang der Küste verlassen hatten, war die Straße konstant angestiegen. Lael erwies sich als ausgezeichnete Fahrerin, und das robuste Fahrzeug nahm die Haarnadelkurven der krassen Steigung ohne Schwierigkeit. Etwa zweieinhalb Stunden nach ihrer Abfahrt aus Chimbote brach die Gebirgsstraße fast am Nordende durch das gewaltig aufragende Massiv der Schwarzen Kordilleren, wo der Rio Santa sich abrupt in die Entenschlucht wirft – dem Cañon del Pato. Da sie nun die hochaufragende Bergkette, die das Callejón de Huaylas westlich säumte, überwunden hatten, war die Sicht auf die ganze Schönheit des Hochtals zwischen den himmelstürmenden Bergketten frei. Diese Naturszenerie mit ihren mächtigen, schneebedeckten Gipfeln, die das Tal von zwei Seiten einschlossen, erinnerte Grant an die Schweizer Alpen. Im Osten ragte die ewig weiße, mehr als siebentausend Meter hohe Gipfelkette des Huascarán auf. Zwischen Agaven- und Eukalyptusalleen führte die Straße durch kleine Indiodörfer, die sich alle um ihren Marktplatz rundeten, dem Zentrum der Bäcker, der Steinmetzen, der Leder-, Metall- und vieler anderer Handwerker. Oft kamen sie unterwegs an ganzen Gruppen von Indiofrauen vorbei in der typischen farbenkontrastierenden Tracht dunkler Röcke und Blusen, unter denen die vielen leuchtendbunten Stofflagen hervorlugten, die offensichtlich bei der weiblichen Bevölkerung des Andenhochlandes äußerst beliebt waren. Viele der Frauen wirbelten im Gehen Handspindel umher und spannen Baumwollgarn für die Webereien, dem bekanntesten und einträglichsten Gewerbezweig des Andenhochlandes. 69
»Das muß wohl eins der schönsten Täler der Welt sein.« Grant verfolgte das Spiel der Farben auf dem Gletscher am Berghang, das sich mit der steigenden Sonne veränderte und mit dem Auf und Ab der hügeligen Straße, die dem Rio Santa folgte. Der hier noch verhältnismäßig gemächliche Strom wurde von den Wildwassern gespeist, die mit der Schneeschmelze herabrauschten, und speiste seinerseits das Bewässerungssystem für die Flachs-, Baumwoll-, Getreide- und Gemüsefelder, die in üppiger Fruchtbarkeit seine Ufer säumten. »Die größte Kommune hier oben heißt Huarás und ist die Bezirkshauptstadt«, erklärte ihm Leal. »Sie liegt weiter südlich und fast dreitausend Meter hoch.« »Bei mir macht sich die Höhenwirkung mittlerweile schon leicht bemerkbar.« »Das ging mir genauso, als wir das erstemal in Yungay waren. Inzwischen sind wir auf etwa zweitausendvierhundert Meter Höhe. Aber man akklimatisiert sich schnell. Die Einheimischen hier arbeiten genauso hart wie die Leute unten an der Küste. Mir scheint wahrhaftig, daß sie hier oben noch besser wirtschaften.« »Die Frauen auf jeden Fall. Ich habe noch nie eine Afrikanerin beim Gehen Baumwollgarn spinnen sehen.« »Der Weg zur Bohrstelle zweigt zwischen hier und Yungay Richtung Berghang ab«, meinte Lael etwas später. »Wenn Sie da zuerst hinwollen, biegen wir besser gleich ab und sparen damit Zeit.« »Auf jeden Fall. Außerdem möchte ich mich mit ein paar Leuten in Yungay unterhalten, die mir eventuell Näheres über Augustin Almaviva erzählen können.« »Viele sind bei der Arbeit; Sie werden sie kaum vor Abend antreffen, wenn sie zum Essen heimkommen.« »Dann müssen wir eben über Nacht hierbleiben.« »Ich mag Guy ungern so lange allein lassen.« »Mir geht es genauso, aber immerhin besteht die Möglichkeit, daß hier weitere Fieberfälle aufgetreten sind und ein einheimischer Arzt schon die treffende Diagnose gestellt hat. Es könnte ein Schutzserum von Fällen entwickelter Immunität verfügbar sein – und wenn dem 70
so wäre, könnten wir es morgen auf dem schnellsten Weg zur ›Mercy‹ hinunterbringen, möglicherweise rechtzeitig genug, um Guy und Almaviva zu retten.« Als links ein holpriger Gebirgspfad abzweigte, bog Lael scharf ein, und nun begann die Steigung in die Kordilleren hinauf. Für den stetig steiler werdenden groben Hohlweg brauchten sie fast eine Stunde, um zu einem kleinen Plateau – hoch über dem fruchtbaren Tal und unmittelbar unterhalb der Schnee- und Eisgrenze – zu gelangen. Am Fuße einer Steilwand gelegen, die fast bedrohlich überhing, war das Hochplateau gerade der Platz, den Grant als Arbeitsstätte gewählt hätte. Lael sah ihn zu der vorspringenden Felsspitze droben aufschauen und lächelte. »Guy machte diese Felswand da jedesmal ganz kribbelig, wenn er eine Ladung Dynamit für den Seismographen zündete.« »Warum dann überhaupt die Gefahr herausfordern?« »Weil eben alle Anzeichen darauf hindeuteten, daß wir hier fündig werden würden.« Sie schwang sich aus dem Landrover und beendete damit das Gespräch für den Augenblick. Das Fragment eines kleinen Bohrturms stand noch in der Mitte des schmalen Plateaus; daneben lagen der Drillbohrer und die übrigen Gerätschaften und fingen in der leicht feuchten Höhenluft bereits zu rosten an. »Wieviel höher liegt das hier als Yungay?« Allein schon der Aufwand, aus dem Landrover zu klettern, machte Grant in der dünneren Höhenluft schweratmig. »Tausend Meter etwa; wir sind hier fast auf dreitausendsechshundert.« »Wie konnte man denn hier das Bohrgerät handhaben?« »Augustin und die Indios haben die Arbeit gemacht. Die sind an die dünne Luft gewöhnt.« »Na, ich bin's bestimmt nicht.« »Im Landrover ist ein kleines Sauerstoffgerät verstaut. Wenn Sie wollen, hole ich es Ihnen.« »Noch geht's.« Er ging zum Bohrturm. »Ist hier inzwischen irgend etwas verändert – oder weggenommen worden?« 71
»Es ist alles noch genauso, wie wir es nach Guys erstem Fieberanfall hinterlassen haben. Zu diesem Plateau kommt kein Indio rauf, es sei denn, man bezahlt ihn dafür. Für sie ist das geweihter Boden.« »Wieso?« »Für die Menschen, die hier vor vielen tausend Jahren gelebt haben, soll die Gegend eine heilige Stätte gewesen sein.« Sie zeigte auf einige dunkle Höhlenöffnungen, die etwas weiter oben am Berge zu sehen waren. »Von vielen dieser Höhlen nimmt man an, daß sie Beerdigungsstätten bergen; Guy hat ein paar untersucht. Wenn es tatsächlich jemals Höhlengräber gewesen sein sollten, dann sind sie jedoch schon vor Jahren geplündert worden.« Ein plötzliches Gepolter hoch in der Wand ließ Grant aufschrecken. Er sah im Hinaufschauen gerade noch, daß ein riesiger Eisbrocken mit eingefrorenen Felsstücken und Geröll von der überhängenden Schneewächte ein paar hundert Meter von ihnen entfernt abgebrochen war. Der Koloß rumpelte die Felswand abwärts und schob mit zunehmender Wucht einen ganzen Geröll- und Schuttwall vor sich her. »Passiert das öfters«, fragte Grant. »Im Frühjahr und Sommer zur Zeit der Schneeschmelze ziemlich häufig.« »Wenn es also in diesen Berghängen wirklich einmal Höhlengräber gegeben haben sollte, könnten sie schon jahrhundertelang unter Lawinen verschwunden sein.« »Guy ist davon überzeugt, daß es viele verschüttet hat. Erst vor ein paar Jahren ist unten im Tal die Stadt Huarás von Lawinen und Hochwasser fast zerstört worden.« Die Stahlausschachtung des Bohrlochs, über dem sich der Turm erhob, ragte noch etwa fünfundzwanzig Zentimeter aus dem Boden. Als Grant darauf zuging, um das Ganze näher in Augenschein zu nehmen, sah er, daß die Öffnung frisch zuzementiert worden war. »Warum ist denn der Schacht zugeschüttet?« »Guy wollte nicht tiefer bohren.« »Und wie tief war er gekommen?« »Nicht ganz fünfzig Meter.« Umherschlendernd stieß sie einen Stein 72
zur Seite. »Haben Sie noch nicht genug gesehen? Hier ist wirklich nichts, was Sie auf den Fieberherd bringen könnte.« »Zwei Dinge interessieren mich immer noch. Wie kommt erstens ein so erfahrener Petrolgeologe wie Guy auch nur zu der gelinden Hoffnung, in den Anden in über dreieinhalbtausend Meter auf Öl zu stoßen? Und zweitens – wenn er sich schon einmal darauf eingelassen hat –: Warum gibt er dann nach fünfzig Meter auf und deckt den Schacht wieder ab?« »Weil es ganz offensichtlich eine Trockenbohrung war.« Sie ging dabei schon quer über das Plateau auf den Landrover zu. »Warum denn sonst?« Kaum waren sie wieder in ihr verbeultes Fahrzeug eingestiegen, als Lael auch schon startete, mit Vehemenz anfuhr und den steinigen Hohlweg derart rasant hinunterratterte, daß das robuste Fahrzeug sich in Einzelteile aufzulösen drohte. Ja, warum wohl sonst? überlegte Grant, als sie sich erneut auf der Hauptstraße befanden und er wieder in der Lage war, einen anderen Gedanken zu fassen als den, sich krampfhaft im Wagen zu halten. Denn er kannte seinen Bruder zu gut, um nicht felsenfest davon überzeugt zu sein, daß dies hier etwas anderes bedeutete als ein bloßes Probeschürfunternehmen. Wenn er nur dahinterkam, was dieses andere war, dann würde er schließlich vielleicht auch dem rätselhaften Fieber auf die Spur kommen.
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s war früher Nachmittag, als Grant und Lael in Yungay eintrafen, einem malerischen Städtchen, in dem die Schneekämme der beiden talformenden Kordillerenmassive wie eine Kulisse hinter den mit breiten Palmen- und Eukalyptusbäumen besäumten Straßen auftürmten. »Falls Sie hungrig sind«, meinte Lael, während sie auf den Hauptplatz zufuhr, »die Frau von einem unserer Arbeiter, Alfaro Mochas, hat eine kleine cantina auf der anderen Seite vom Platz. Sie kann uns Brot und Käse und kaltes Bier oder Wein herrichten.« »Ist ja fabelhaft.« Sie umrundete den Platz. Bis auf ein paar in der Nachmittagssonne dösende Indios war er wie ausgestorben. Auf der Gegenseite hielt sie vor einem Schild mit der Aufschrift ›Cantina‹. Der Eingang war fast zugewuchert von einer riesigen Bougainvillealaube, so daß sie den schwarzen Kranz um den Türknauf erst bemerkten, als sie fast unmittelbar vor der Tür standen. Lael entdeckte ihn zuerst; Grant bemerkte ihr Erschrecken. »Stimmt was nicht?« fragte er. »Ein Todesfall in der Familie. Wir müssen woanders hingehen.« Schleunigst wollte sie sich umwenden, doch Grant hielt sie mit einer Frage zurück. »Haben Sie nicht gesagt, daß der Mann der Wirtin hier einer von Guys Arbeitern war?« »Ja. Jeden Morgen ist er mit uns im Landrover hinaufgefahren. Die anderen hat Augustin im Sammellaster gebracht. Aber Alfaros Haus lag genau auf unserem Weg, und so haben Guy und ich ihn immer mitgenommen.« »Wieviel Männer haben für euch gearbeitet?« 74
»Vier Männer aus dem Ort hier. Mit Guy und mir waren wir zu sechst.« »Dann sind also von sechs Leuten, die an dem Bohrprojekt gearbeitet haben, zwei lebensgefährlich erkrankt, und ein dritter ist wahrscheinlich tot …« »Es muß ja nicht Alfaro sein«, wandte sie schnell ein. »Fragen wir eben.« »Na gut.« Jeglicher Unternehmungsgeist hatte sie verlassen; sie schien wie erstarrt. Der Grund ließ sich unschwer erraten: denn ob nun Fluch oder Seuche, wovon Guy und Augustin Almaviva betroffen waren – es konnte ebensogut die anderen am Bohrprojekt Beteiligten erwischen, auch Lael selbst. Als sie mit Señora Mochas sprachen, hatte diese nicht viel zu berichten. Einen Tag nach Guy war Alfaro erkrankt, erzählte sie, und von einem Fieber gepackt worden, das seinen Körper mit einer unlöschbaren Flamme zu verzehren schien. Der hiesige Medizinmann – diese Schamanen waren in Peru, wie Grant wohl wußte, weit zahlreicher als die studierten Mediziner – versuchte noch, den bösen Geist zu beschwichtigen: Angeblich habe Alfaro dessen Mißfallen erregt, weil er beim Anbohren des Berghanges beteiligt gewesen war. Er hatte ein Huhn geopfert und den Schwerkranken mit dessen Blut besprengt, während er einen Fluch über jene ausstieß, die andere mit Geld dazu gebracht hatten, das Verbotene zu tun. Und dann hatte er noch prophezeit, daß auch die anderen Arbeiter bestraft würden – genauso wie der yanqui, der sie für die Schändung gekauft hatte, mit Leiden bestraft worden war. Als es schon dem Ende zuging, hatte man noch einen Arzt gerufen, der Spritzen gab. Ansonsten hatte auch er nur noch eine unmäßige Bezahlung verlangt, wie Señora Mochas fand, und der Effekt war genau der gleiche geblieben. Der an Alfaros Lebensflamme zehrende Fieberteufel hatte schließlich seinen Körper ausgelöscht. Glücklicherweise hatte man noch rechtzeitig einen Priester gerufen, der mit der Spendung der Sterbesakramente wenigstens Alfaros Seele vor der ewigen 75
Verdammnis rettete. Señora Mochas ihrerseits hatte mit Hilfe anderer Frauen aus dem Ort den Leichnam für die nun schon zweitägige Totenwache und die anschließende Beerdigung hergerichtet. Als die Frau mit ihrem Bericht zu Ende war, entnahm Lael ihrer Brieftasche einen Geldschein und drückte ihn ihr in die Hand. »Das erweckt zwar Alfaro auch nicht mehr zum Leben«, sagte sie der trauernden Witwe. »Aber die Belastungen seines Verlustes wird es mildern können.« »Gracias, Señora Reed – Sie und Ihr Mann waren immer so freundlich mit Alfaro und mir. Ich hoffe, daß es Ihrem Mann jetzt besser geht.« Lael antwortete nicht darauf, sondern wandte sich vielmehr an Grant. »Wollen Sie noch mehr wissen?« »Fragen Sie sie nach den anderen Männern, die für Sie gearbeitet haben. Vielleicht weiß sie, ob einer von ihnen krank ist.« Señora Mochas war jedoch mit der Pflege Alfaros in der Woche vor seinem Tod vollauf beschäftigt gewesen und wußte überhaupt nichts von dem, was im Ort vor sich gegangen war; sie konnte lediglich angeben, wo die Männer wohnten. »Sie wollen sie wohl auch aufsuchen«, meinte Lael, während sie die Adressen aufschrieb. »Selbstverständlich. Sogar Sie können doch inzwischen die zwingende Verkettung nicht übersehen.« »Warum sagen Sie: ›sogar‹ ich?« »Weil mir von allem Anfang an klar war, daß Sie etwas im Zusammenhang mit Guys Krankheit verbergen und …« »Und was, glauben Sie, geschieht nun demnach?« »Offenbar ist auf diesem Plateau, wo gebohrt wurde, irgendein tödlicher Erreger freigesetzt worden, so daß Sie alle gefährdet sind. Und soeben haben Sie von Señora Mochas gehört, daß ihr noch mehrere Frauen aus dem Ort beim üblichen Totenritual geholfen haben. Das bedeutet mit anderen Worten, daß sie alle mit der tödlichen Infektion in Berührung gekommen sind. Wenn aber diese tödlich verlau76
fende Krankheit eine bisher unbekannte Seuchenart ist, wie mir langsam scheinen will, dann wird sie ziemlich sicher auch andere befallen – und in erster Linie Sie. Ich möchte wenigstens ihre weitere Ausbreitung zu unterbinden versuchen.« »Selbst wenn nach Ihren Worten eine Seuche ausgebrochen sein sollte, dann sind nur wenige davon in Mitleidenschaft gezogen. Und in diesem abgeschnittenen Tal …« »Das Callejón de Huaylas ist alles andere als abgeschnitten.« Er holte die Karte aus dem Handschuhfach, entfaltete sie auf seinem Schoß und zeichnete den nördlichen Verlauf des Santa mit dem Finger nach. »An seiner Nordöffnung hat das Tal durch den Cañon del Pato direkte Verbindung mit dem Küstenstrich um Chimbote. Sowohl eine Bahnlinie als auch eine Straße führen hinunter zum Hafen, und etwa von der Talmitte aus geht eine weitere Straße über die Schwarzen Kordilleren hinunter nach Casma zur Panamericana. Südlich wiederum führt die Hauptstraße aus dem Tal hinaus bei Paramonga oder Pati und Vilca ebenfalls zur Panamericana – und das ist kaum mehr als hundertfünfzig Kilometer von Lima entfernt.« »So ungefähr hundertneunzig.« »Für einen hochansteckenden Erreger ein Katzensprung – völlig gleichgültig, wieviel Bazillenträger überhaupt existieren. Denken Sie nur einmal daran, wie simpel der Seuchenweg hinunter nach Chimbote war, als sie Guy zur ›Mercy‹ brachten. Gott sei Dank sind Sie geradewegs zum Schiff gefahren; das schränkt die Streumöglichkeiten in etwa ein. Leider haben wir aber nicht die geringste Ahnung, wo Almaviva seine Zeit vom Krankheitsbeginn bis zum Ausbruch verbracht hat und wieviel Menschen er dabei schon infiziert haben mag.« »Er wollte seine Schwester in Chimbote besuchen und möglicherweise sich anschließend in Trujillo umsehen, ob auf den dortigen Ölfeldern noch gebohrt würde.« »Man kann bloß hoffen, daß er das nicht geschafft hat und daß wir außerdem schleunigst seine Schwester ausfindig machen können. Fürs erste stehen zwei weitere Kontaktpersonen fest: einmal der Kellner, der Almaviva im Boulevardcafé auf der Plaza des öfteren bedient hat – und 77
zum andern jener Bettler, der das Glas austrank, das euer Vormann schon benutzt hatte, und das Geld klaute, das dieser auf dem Tisch zurückgelassen hatte.« »Sie zeichnen ja ein Schreckensbild; das klingt wie der Schrecken des Andromeda-Mythos.« »Sie können sich drauf verlassen, daß der effektive Erreger, dem Alfaro Mochas zum Opfer gefallen ist und der Guy und Almaviva ebenso dahinzuraffen versucht, um kein Haar weniger gefährlich ist als das altgriechische Sagenungeheuer der Andromeda.« »Wie können Sie denn etwas bekämpfen, ohne überhaupt zu wissen, was?« »Ich muß es herausfinden. Vor Einbruch der Dunkelheit bleibt uns also gerade noch die Zeit, bei den beiden anderen Arbeitern nachzuforschen und die ›Casa Yanqui‹ zu untersuchen. Haben Sie irgend etwas Eßbares im Haus gelassen?« »Genug für ein bescheidenes Abendessen und eventuell sogar noch Toast und Kaffee zum Frühstück.« »Fabelhaft. Also los.«
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hre Nachforschungen bei den anderen beiden Arbeitern brachten gar nichts. Von dem einen wußte der Nachbar lediglich, daß er nach Chavin in den Vorbergen der Weißen Kordilleren östlich von Huarás zu Verwandten gefahren war. Der andere war wohlauf, berichtete jedoch, daß er die letzten paar Tage des Bohrunternehmens nicht mitgemacht und sich nach der Erkrankung von Señor Reed aus Angst vor Ansteckung nicht einmal mehr in die ›Casa Yanqui‹ getraut hatte, um seinen Lohn abzuholen. Es dunkelte bereits stark, als Lael vor der Garteneinfriedung der ›Casa Yanqui‹ hielt. Das Haus war klein, einer der landesüblichen Luftziegelbauten, und lag inmitten eines wildwuchernden Blumengartens. »Der Garten ist meine Domäne«, erklärte sie, als sie den Kiesweg zum Haus entlanggingen. »Nach Guys Erkrankung konnte ich mich nicht mehr drum kümmern.« Sie steckte den Schlüssel ins Schloß, aber die Tür gab vom bloßen Druck nach. »Das ist vielleicht komisch. Ich weiß genau, daß ich die Tür fest verschlossen habe, bevor wir abfuhren.« Grant faßte sie am Arm und zog sie zur Seite. Er stieß die Tür auf und wich selbst schnell zurück. Als dann aber kein Schuß und auch kein flüchtender Schritt zu hören war, der auf einen Dieb hätte schließen lassen, ging er vorsichtig hinein und stemmte die Tür fest gegen die Wand, so daß sie ihm nicht entgegengedonnert werden konnte, falls jemand dahinterstand. Das Haus war schnell durchsucht: niemand hielt sich darin auf. »Fehlt irgendwas?« fragte er Lael, als sie den als gemeinsames Schlafzimmer benutzten Raum durchsucht hatte. »Nichts, was ich feststellen …« Wie angewurzelt blieb sie unter der Tür 79
des zum Labor umfunktionierten zweiten Schlafzimmers stehen. Er sah sie auf etwas starren, das wie ein Stück Aluminiumrohr aussah, an dessen einem Ende ein kleiner, aber hochleistungsfähiger Leuchtkolben aufmontiert war. Das Gerät stand an die gegenüberliegende Wand gelehnt. »Was ist denn das?« wollte er wissen. »Eine ›Lerici‹ …« Sie unterbrach ihre Erklärung und kniete nieder, um das Endstück der Röhre zu untersuchen. »Meine Kamera ist verschwunden – eine Kleinbild-Minolta.« Sie stand auf und ging ans Fenster zu einem offensichtlich zur Arbeit benutzten Tisch, auf den das volle Licht der Morgensonne fallen mußte. »Und Guys Doppelmikroskop ist ebenfalls verschwunden: ein furchtbar teures Leitz-Instrument.« »Sind das die beiden einzigen Gegenstände, die gestohlen wurden?« »Soweit ich bisher feststellen kann, schon. Unsere ganzen persönlichen Sachen waren entweder in der Kommode oder in den Schlafzimmerschränken.« »Da war also offensichtlich ein Profi am Werk, der ausschließlich leicht Transportables von beträchtlichem Wert suchte«, meinte Grant. »Haben Sie irgendwelchen Schmuck im Haus gehabt?« »Für Prunk und Flitter habe ich wenig übrig, also besitze ich auch nichts von besonderem Wert. Meine Kamera allerdings …« »Sie haben doch noch andere, oder?« »Eine Konica und eine kleine Rollei – die habe ich mit auf die ›Mercy‹ genommen. Aber die Minolta war ein Spezialapparat und klein genug, um sie auf die ›Lerici‹ aufzusetzen …« »Diesen Ausdruck haben Sie eben schon einmal erwähnt. Meinen Sie nicht, Lael, daß es langsam an der Zeit wäre, mir die ganze Geschichte zu erzählen?« Zum erstenmal hatte er sie beim Vornamen genannt, doch es fiel ihnen beiden gar nicht auf. Sie beobachtete ihn erst geraume Zeit nachdenklich, dann nickte sie. »Ich glaube, Sie haben ein Recht darauf – besonders jetzt, da es schon einen Toten gibt, dem wahrscheinlich noch mehrere folgen werden. Aber es ist eine lange Geschichte. Hat's noch Zeit, bis ich das Essen gerichtet habe?« 80
»Selbstverständlich. Inzwischen schaue ich mich mal etwas genauer um.« Erneut durchsuchte Grant das Haus, bevor er sich draußen umsah. Einen Teil des Geräteschuppens fand er in eine kleine Dunkelkammer verwandelt. Ansonsten war der Verschlag vollgepfropft mit Bohrgerätschaften einschließlich einem gewissen Dynamitvorrat und einem Seismographen – einem tragbaren Gerät, das für den Dieb offensichtlich zu sperrig zum Abtransport gewesen war. Über jeden Zweifel erhaben war für ihn jetzt die Tatsache, daß Guy und Lael Valdez, wenn auch nicht getraut, so doch wie Mann und Frau zusammengelebt hatten. In einer der Schubladen des Arbeitstisches seines Bruders fand er außerdem eine handschriftliche letzte Verfügung, die Guy – dem Datum nach zu schließen – vermutlich niedergeschrieben hatte, als er vom ersten Unwohlsein befallen wurde. »Bei klarem Verstand und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte verfasse ich hiermit meinen Letzten Willen und mein Testament. Im Fall meines Todes, gleichgültig welcher Ursache, vermache ich meine gesamte bewegliche und unbewegliche Habe ohne Einschränkung Lael Valdez. Ferner bestimme ich meinen Bruder Grant Reed zu meinem ehrenamtlichen Testamentsvollstrecker. Ich ordne hiermit die vollständige Liquidation meiner Hinterlassenschaft an, deren gewünschte Einzelheiten sowohl Lael Valdez bekannt als auch Aufstellungen zu entnehmen sind, die ich in meinen Bankschließfächern deponiert habe, zu welchen Miß Valdez die Schlüssel besitzt. Nach Begleichung berechtigter Forderungen gegen mich soll der gesamte erlöste Betrag in voller Höhe an sie übergehen. Verfügt und unterzeichnet am 1. Oktober 1975 Guy W. Reed«
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Das Virus
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evor ich Guy in Madrid begegnet bin, habe ich monatelang ziemlich durchgehangen«, begann Lael mit ihrer Erzählung, während sie vor Omelette mit röschgebratenem Schinken saßen. »Während meiner Zeit auf dem Radcliffe College hatte ich einmal während der Semesterferien Aufnahmen an einer Ausgrabungsstätte in Bolivien gemacht und mich für Präinkakulturen zu interessieren begonnen. Ich wollte nach meiner Rückkehr einen entsprechenden Abendkurs in Harvard belegen, doch dann begegnete ich Gerald Hartmann.« »Ein Kommilitone?« »Er war an der Boston-Universität; wir wohnten in der gleichen Studentenwohnung in Cambridge. Ich hatte in Radcliffe ein paar Chemiescheine und einen Bakteriologieschein gemacht, weshalb ich als Laborantin arbeiten und damit Gerald beim Überstehen seines Medizinstudiums helfen konnte.« – »Da gehörte aber einiger Mut dazu.« »Etwas mehr jedenfalls, als es ihn kostete, mich am Tag seines Diplomabschlusses im Stich zu lassen«, erwiderte sie sarkastisch. »Ich steckte knietief im Selbstmitleid, als ich den Auftrag erhielt, die Pradogemälde aufzunehmen. Sogar in Madrid habe ich mich ebenso einfach treibenlassen, bis ich Guy begegnet bin. Der zeigte mir behutsam, wie mich der Groll gegen meine Mutter und gegen Gerald destruktiv daran hinderten, zu meiner inneren Wirklichkeit durchzudringen und zu der Fähigkeit, mich zu entfalten.« »Kein Wunder, daß Sie ihn lieben.« »Ich verehre ihn«, antwortete sie schlicht. »Als er mich bat, ihn nach Peru zu begleiten, schwebte ich im Himmel.« »Sie haben also schon vorher zusammengelebt?« »Bereits wenige Tage nach unserer ersten Begegnung.« Es klang et85
was trotzig, als würde ein kleines Mädchen eine winzige Missetat rechtfertigen. »Schockiert Sie das?« »So weltfremd bin ich nicht.« »Wir wären längst verheiratet, aber Guys letzte Scheidung ist offiziell immer noch nicht durch. Seine Exfrau ist Katholikin, und der Vatikan läßt sich mit seinen Annullierungsentscheidungen ziemlich Zeit. Aber ich war glücklich mit ihm, und ich glaube, auch er mit mir.« »Was das hier beweist.« Er gab ihr das Blatt mit Guys Vermächtnis. »Ich habe es in seinem Schreibtisch gefunden.« Sie las die kurze Verfügung zweimal. Als sie wieder aufschaute, waren ihre Augen voll Tränen. »Ohne dieses Vermächtnis wären Sie Guys alleiniger Erbe«, gab sie zu bedenken. »Sie hätten es zerreißen können, und ich hätte nie etwas davon erfahren. Ich glaube, ich habe Sie bisher völlig falsch gesehen: ich werde meine Einstellung zu Ihnen korrigieren müssen.« »Das würde mich freuen.« »Als Guy krank wurde, brauchte er mich wirklich zum erstenmal seit dem Beginn unserer Beziehung. Und leider bildete ich mir etwas darauf ein, daß ich für ihn dasein und ihn versorgen konnte. Es ärgerte mich sogar, daß ich Sie hinzuziehen mußte, denn ich wußte, daß Sie alles in die Hand nehmen und mich damit überflüssig machen würden.« »Ich muß zugeben, daß das recht deutlich zu spüren war.« »Dann bleibt mir nur, mich zu entschuldigen.« »Dafür, daß Sie meinen Bruder so sehr lieben? Langsam fange ich sowieso an, ihn zu beneiden. Nur eins bei der ganzen Sache macht mir noch Kopfzerbrechen: Guys Bohrunternehmungen waren eigentlich immer erfolgreich; mir scheint fast, daß das Callejón de Huaylas seine einzige Fehlbohrung war.« »Das war's auch diesmal nicht. Denn sehen Sie: Nach Öl hat er gar nicht gesucht.« Er warf einen Blick auf das merkwürdige Röhrengebilde aus Aluminium, das am Boden des Behelfslabors lag, und blickte sie dann prüfend an. »Dann war er also tatsächlich wieder einer archäologischen Entdeckung auf der Spur?« 86
»Und zwar der aufregendsten seiner ganzen Laufbahn – darüber gab es für ihn gar keinen Zweifel. Und ausgerechnet ich habe ihn dafür begeistert, und es wird ihn sein Leben kosten.« Der überwältigend durchbrechende Kummer in ihren Augen hätte ihn sie am liebsten in die Arme schließen und wie ein Kind trösten lassen. Aber andererseits mußte er auch hinter das volle Ausmaß der Wahrheit kommen – und das hatte sie zweifelsohne immer noch nicht enthüllt. »Was war es, Lael, das Sie in Madrid ausfindig machten und was Sie zusammen mit Guy um die halbe Welt führen konnte?« »Augenblick«, sagte sie und war schon aufgestanden. »Ich zeig's Ihnen.« Sie verschwand im Schlafzimmer, wo er sie Schubladen auf- und zumachen hörte. Als sie wieder erschien, hatte sie einen Stapel großformatiger Farbabzüge in der Hand. Sie schob das Geschirr zur Seite und breitete sie auf dem Tisch vor ihm aus. »Das hier«, sagte sie. »Die größte archäologische Sensation, seit Schliemann die Goldschätze von Troja ausgrub.«
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ie Bilder waren offensichtlich in einem Höhlenraum aufgenommen worden, denn jedes einzelne zeigte einen Wandausschnitt und jede Fläche war Bestandteil eines großen Wandgemäldes aus der Hand irgendeines prähistorischen Künstlers, der seine Farbstoffe scheinbar aus Gesteinsadern der das Tal umschließenden Berge gewonnen hatte. Etwa ein Dutzend Frauen und Männer waren dargestellt, deren Aussehen sich allerdings von dem der Indiobevölkerung der gesamten Umgebung wie Tag und Nacht unterschied: die meisten hünenhaft groß, einige flachsblond und alle mit den unverkennbar geprägten Profilen semitischen Erbes. Sämtliche Personen trugen gewebte Tuchkleidung mit den charakteristischen Ornamenten der Phönizier; sogar die Nachahmung jener einzigartigen Purpurfärbung der Stoffe, die ihr Reich weltweit berühmt gemacht hatte, war dem vorgeschichtlichen Künstler irgendwie gelungen. Im Hintergrund sah man auf dem Höhlenboden verstreut eine ganze Anzahl dunkler Bündel umherliegen, die wie zusammengesunkene menschliche Körper aussahen; manche von ihnen waren in eine noch immer erkennbare Art Fellbekleidung gehüllt. Hier und da schauten unversehrte Schädel aus den Pelzen hervor, die sich auf dem dunklen Hintergrund der Kleidung seltsam hell ausnahmen. An einem der Körper konnte man noch ein teilweise zerfallenes, gewirktes Kleidungsstück erkennen, das von tiefdunkelroten Flecken übersät war. Der Anblick der auf dem Höhlenboden umherliegenden Leichen ließ Grant zunächst annehmen, daß diese Menschen an Ort und Stelle niedergeschlagen worden waren. Doch keiner der sichtbaren Schädel zeigte Frakturen oder Verletzungen – was nur die Schlußfolgerung 88
zuließ, daß die Ursache des Zusammenbruchs dieser Menschen etwas anderes als Gewalteinwirkung sein mußte. »Das ist ja unglaublich«, sagte er von beinahe ehrfürchtigem Staunen ergriffen. »Wer waren sie?« »Guy hielt die Leichen auf den Bildern für Einheimische, die in dieser Höhle Zuflucht gesucht hatten, wo ein Höhlenmaler Invasoren von Übersee in ihrer Erscheinung festhielt«, erklärte Lael. »Es könnte ein geweihter Bestattungsort gewesen sein. Oder vielleicht sind die Menschen vor irgendeiner Seuche hierher geflohen.« »Wahrscheinlich genau vor der, mit der wir jetzt konfrontiert sind.« Es ging plötzlich wie ein Ruck durch Grant. »Soweit wir wissen, sind nur jene, die beim Öffnen der Grabkammer beteiligt waren, von der eigenartigen neuen Fieberart befallen worden. Es könnte jedoch wahrhaftig eine uralte Seuche sein, die auch die Menschen in der Höhle befiel – einschließlich des Malers, der so sein Geheimnis mit in den Tod nahm.« »Das ließe sich nie beweisen«, sagte sie schnell – um dann fast verzweifelt zu fragen: »Oder doch?« »Damit werden wir uns später auseinandersetzen.« Er spürte ihre Angst, deren Grund auf der Hand lag, und wechselte das Thema. »Was war denn Guys Fachmeinung zu diesen Bildern?« »Für ihn war diese Höhle Machtbereich eines Priesters oder Schamanen, was bedeutet, daß sie als eine Art Tempelstätte betrachtet wurde.« »Warum das denn?« zweifelte Grant. »Darum.« Sie gab ihm einen Abzug, den sie bisher zurückgehalten hatte. Der erste Blick ließ ihn beinahe zusammenfahren, denn von der Glanzfläche des nämlichen Fotos, das Carlos Ganza in der Nacht zuvor maßlos erschreckt hatte, starrte ihn durchdringend der an seiner Hirschkopfganzmaske deutlich erkennbare Schamane an. Das Aufleuchten des Blitzlichtes im Augenblick der Kameraauslösung spiegelte sich in den weitaufgerissenen Augen derart grell, daß sie in lebendigem Haß zu sprühen schienen. »Was machte Guy so sicher, daß die Höhlenmalerei nicht vielleicht 89
schon Jahrhunderte vor dem Tod der am Boden liegenden Menschen entstand?« wollte Grant wissen. »Sie könnten immerhin hierher geflohen sein, weil die Stelle eben bereits als Heiligtum galt.« »Guy hält das für ausgeschlossen.« Aus der Vielzahl der Abzüge fischte sie einen heraus und legte ihn obenauf. »Wenn Sie hier genau hinschauen, dann werden Sie sehen, daß die Darstellung nicht zu Ende geführt ist – als wäre der Maler mitten bei der Arbeit zusammengebrochen. Außerdem liegt sein Skelett direkt vor dem unvollendeten Bild. Betrachten Sie es ganz genau: Da steht eine Reihe von Keramikschalen, in denen seine Farbstoffe waren; sie sind noch erkennbar.« Er vertiefte sich in die Einzelheiten des Bildes und nickte dann zustimmend. »Haben Sie je die Höhlenmalereien in Südfrankreich und Spanien gesehen?« »Ja. Das brachte mich eben auf den Grund der Schamanendarstellung hier; es bedeutet die Verfluchung, die jeden Grabschänder trifft. Nach Guys Ansicht ist die Höhle vor langen Zeiten verschüttet worden – wahrscheinlich von einem ähnlichen Erdrutsch wie jenem, der Huarás erst in jüngster Zeit beinahe zerstört hätte.« »Kein Wunder, daß ihn seine Entdeckung erregte. In zahlreichen Höhlenmalereien, die ich gesehen habe, waren Zauberer abgebildet – und manche von den Darstellungen sind über fünfundzwanzigtausend Jahre alt. Aber Guy konnte sich doch unmöglich der Fluchttheorie der Einheimischen anschließen.« »Er war viel zu beschäftigt, um sich über die Auslegung Gedanken zu machen – bis ihn das Fieber erwischte. Und dann war es zu spät; er fing fast sofort zu delirieren an.« »Aber sicher hat er doch irgendeine Erklärungsformel dafür gefunden, wie ein semitisches Volk in diesen Teil der Welt gekommen ist und vor allem wann.« »Die Frage habe ich gelöst – in den Madrider Archiven«, sagte sie nicht ohne Stolz. »1966 begleitete Gene Savoy eine Forschungsgruppe zu den Ruinen von Pajaten in der Nähe von Chachapoyas, einige hundert Kilometer nordöstlich von Huarás und dem Callejón de Huaylas. Er ist dort auf Einheimische gestoßen, die blond und blauäugig wa90
ren und von entschieden größerem Wuchs als die Indios der gesamten Nachbarumgebung; lediglich die adlige Erscheinung hatten sie in etwa gemeinsam. Die meisten zeigten einen schmalen Gesichtsschnitt und hohe Backenknochen. Außerdem fand die Expedition in der gleichen Gegend aus Ton modellierte alte Figürchen mit Lippenbärten und semitischen oder phönizianischen Gesichtszügen. Es könnten die Vorfahren jener hier dargestellten Fremdlinge gewesen sein.« »Ich weiß, daß manche Historiker die Theorie vertreten, phönizische Schiffe hätten vor Jahrtausenden die Westküste Südamerikas besucht. Das hier könnte der Beweis sein.« »Aufgrund von Guys Zurückdatierung ist es noch viel älter«, erklärte Lael. »Und meine Entdeckungen in den Madrider Archiven scheinen seine Version zu bestätigen.« »Wie kommen Sie darauf?« »Ein historisches Seefahrergeschlecht, möglicherweise die Vorläufer der biblischen Phönizier, befuhr die Meere von Dilmun aus – dem heutigen Bahrein. Sie trieben Handel mit Städten entlang der indischen Küste, wobei sie sich die Monsunwinde zunutze machten, die eine Hälfte des Jahres in einer Richtung wehen und sich in der anderen Hälfte genau entgegengesetzt drehen. Außerdem weiß man von jenem Volk, daß es die Stadt Ur besuchte, die etwa dreitausendfünfhundert vor Christus – und damit vor der Sintflut – ihre Blütezeit hatte. Es ist also durchaus möglich, daß die Dilmuniten – die mutmaßlichen Vorfahren der Phönizier – mit ihren Schiffen weit ostwärts vorgedrungen sind, eventuell sogar bis an die südamerikanische Küste – und das vor vielen tausend Jahren.« »Und wie sind Sie darauf gekommen, gerade hier zu suchen?« »Einfach durch Glück«, gestand sie. »Ich fand in den Archiven einen bis dato unübersetzten Bericht aus dem Jahre 1533, der von einem Priester aus Pizarros Heerschar stammte. Darin war von einer Überlieferung oder auch einem Mythos die Rede, der ihm von einem Eingeborenen aus der Gegend des Callejón de Huaylas im einzelnen erzählt worden war, wonach man dort Höhlengräber gefunden haben wollte, die die Leichname eines langversunkenen Volkes bargen. Aufgrund 91
der Aussagen der Eingeborenen konnte der Priester die Lage markieren: die Gegend oberhalb von Yungay.« Wie Grant seinen Bruder kannte, mußte diesen die Entdeckung des Mädchens unwiderstehlich gereizt haben – ebenso wie ihn selbst Berichte über den Ausbruch einer unbekannten Krankheit und deren drohende Epidemie irgendwo in der Welt magnetisch anzogen. »Nie zuvor habe ich Guy dermaßen erregt gesehen wie an jenem Tag, als wir das Höhlengrab auf dem Plateau mit der jetzigen Bohrstelle ausfindig machten.« In der Erinnerung leuchteten Laels Augen, und ihre Wangen hatten Farbe bekommen. »Genau das war's, wofür wir eine halbe Weltreise auf uns genommen hatten.« Grant betrachtete sie und konnte sehr wohl verstehen, warum sein Bruder dieses Mädchen liebte, das alles in Fülle in sich vereinigte, was Grant an einer Frau schätzte: Wissen, Intelligenz, helle Begeisterungsfähigkeit für Dinge, die ihm selbst so viel bedeuteten; dazu kamen noch ihre Jugend und ihre ungewöhnliche Schönheit. »Mit der Kenntnis der ungefähren Lage durch des Priesters Beschreibung«, fuhr sie fort, »war es mit Hilfe des Seismographen nicht schwer.« »Den habe ich übrigens im Werkzeugschuppen gefunden. Er muß für unseren Freund Langfinger wohl zu schwer gewesen sein. Doch was ist das für ein ulkiges Aluminiumding auf dem Boden von eurem Labor?« »Ein Periskop. Guy hat es sich in den Werkstätten des Wasserkraftwerks von Huallanca zusammengebaut. Dabei hat er die Vorlage eines ganz ähnlichen Instruments verwendet, das Professor Lerici vor fünfzehn Jahren zur Erforschung etruskischer Gräber in Italien erstmals einsetzte. Es paßt genau in einen Bohrschacht.« »Man konnte also in die Grabkammer hineinschauen, sobald sie angebohrt war?« »Mehr als das: Mit der Lichtquelle dieses Kolbens« – dabei faßte sie an die kleine Lampe am Ende der ausziehbaren Röhre, die ihm schon aufgefallen war – »und einer kleinen aufmontierten Präzisionskamera, deren Auslösemechanismus durch Zuleitungen im Rohr bedient wer92
den konnte, war ich in der Lage, das Innere der Grabkammer zu fotografieren und dann eben diese Abzüge zu machen.« »Hatte Guy irgendeine Vorstellung über die ungefähre Zeit, wann diese Menschen lebten?« »Nein. Das werden wir allerdings ziemlich präzise festlegen können, wenn erst einmal der Bericht über die Kohlenstoffbestimmung des Untersuchungsmaterials da ist.« »Untersuchungsmaterial? Ich dachte, Sie hätten nur fotografiert?« »Als wir das Periskop einholten, hing etwas Knochenähnliches mit Gewebefetzen dran«, erklärte sie ihm. »Guy hielt es für Textilgewebe und ein Knochenfragment von einer der Leichen auf dem Höhlenboden, das sich eben am Periskop aufgespießt hatte. Die Möglichkeit der Halbwertzeitbestimmung des Materials faszinierte Guy, und so schickte er einen Teil sofort per Luftpost an Professor Philemon Mallinson vom Harvard-Institut für Strahlenphysik. Der Ergebnisbericht müßte jeden Tag eintreffen.« Grant packte plötzliche Erregung. »Haben Sie das ganze Probestück verschickt?« »Bis auf einen geringen Rest, von dem ich die Kulturen anlegte.« Auf seinen verständnislosen Blick hin fragte sie: »Haben Sie vergessen, daß Sie selbst Guy gebeten haben, bei all seinen Erkundungsbohrungen Bakterienkulturen anzusetzen?« »Das liegt schon über ein Jahr zurück, nachdem damals Bakteriologen in der Antarktis lebensfähige Keime aus Erdschichten über hundert Meter unterhalb der Eisoberfläche mittels Bohrköpfen heraufgeholt hatten – und die Keime waren vermutlich hunderttausend Jahre alt.« »Ich hatte doch im medizinischen Labor in Boston praktiziert und daher einige Kenntnisse im Verfahren mit Bakterienkulturen. Also setzte ich Kulturen an von der Substanz, die an Periskop und Kamera hängengeblieben war.« »Und wieso verfügten Sie über die Laborausrüstung – und das Kulturenzubehör?« »Guy hatte vor, hier zu bohren; also kaufte er es auf unserem Weg von Lima hierher. Wir impften sowohl Reagenz- wie Plattenkulturen.« 93
»Und auf welchem Nährmedium?« »Auf jenem, daß Sie Guy zur Anwendung beschrieben hatten: Aufschwemmungsagar unter Zusatz von etwas Kaninchenblut. Die Reagenzgläser und Petrischalen habe ich in einem großen Schnellkocher sterilisiert, den Guy ebenfalls in Lima kaufte.« – »Ist ja höchst einfallsreich.« »Aber sinnlos: Alles, was dabei herauskam, war glatte Verschmutzung. Immerhin war es schon über ein Jahr her, daß ich bakteriologisch gearbeitet hatte, und so muß ich wohl bei dem Verfahren nicht sorgfältig genug gewesen sein.« »Und wo sind die Kulturen jetzt?« Er schoß die Frage förmlich ab. »Im Inkubator. Und der ist immer noch im Wandschrank im Arbeitsraum – oder müßte es wenigstens sein, falls sich der Dieb nicht seiner angenommen hat.« Bevor sie noch zu Ende gesprochen hatte, war Grant schon aufgesprungen und hatte das Zimmer durchquert. Als er den Schrank öffnete, sah er, daß der kleine Brutkasten noch immer der Hausstromversorgung angeschlossen war, denn der winzige, temperaturregulierende Thermostat in dem kleinen Glasgehäuse glühte. Mehrere Gestelle mit Reagenzgläsern befanden sich im unteren Fach, und im Regal darüber stand ein halbes Dutzend Petrischalen. Grant nahm eine von diesen Schalen heraus und hielt sie unters Licht. Was er sah, versetzte ihn in Aufregung. Der auf der flachen Glasschale ausgestrichene bräunlichfarbene Kulturboden war übersät von hellen Wucherungsflecken, von denen viele in der Mitte aufgeworfen und trichterförmig ausgehöhlt waren. »Die sehen ja wie Miniaturvulkane aus.« Lael brachte nur ein Flüstern zustande. »Was bedeutet das denn?« »Jede dieser Kolonien stellt die Abkömmlinge einer einzigen Mikrobe dar. Sie müssen aus der Grabkammer stammen. Keine mir bekannte Schmutzverkeimung wuchert dermaßen.« »Wie können Sie so sicher sein?« »Diese Kulturen sind mehr als eine Woche alt, stimmt's?« »Eher schon zehn Tage.« 94
»Gewöhnliche Kulturen müßten in dieser Zeit durch Pilzsporen aus der Luft schimmelüberzogen sein. Sehen Sie auch nur ein einziges Fleckchen mit Schimmelpilz auf oder um irgendeine dieser Kolonien?« »Nein. Was heißt das?« »Daß dies ein ganz ungewöhnlich virulenter Erreger sein muß – einer, der so starke Ektotoxine produziert und freisetzt, daß er alles und jedes, mit dem er in Berührung kommt, zerstört.«
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ngeniero Jara war stolz auf seine neuerworbene Kamera, insbesondere auf den dabei herausgeschlagenen Vorzugspreis, in dem auch noch ein reichlicher Vorrat an Farbfilmen inbegriffen war. Er hatte seinen Bekannten aus Lima gar nicht erst nach dem Ursprung der Kamera gefragt; Jara kannte Carlos Ganza und damit auch die Antwort. Die Zeit für Farbaufnahmen hätte sich überhaupt nicht besser treffen können als gerade jetzt zur Fiesta in Huarás, dieser Zeit allgemeinen Trinkens und Schwätzens, der großen Straßentänze und des Kokablattrausches. Für die siérranos im Andenhochland war Koka das Mittel für alles: Es linderte Schmerzen, machte selig und potent, und obendrein verlieh es noch die Ausdauer zum stundenlangen Tanz, was bloßes chicha einfach nicht bewirkte. Beides zusammen allerdings ließ die Plaza vor Leben sprühen, und es schwirrte nur so von Mädchen in polleros – leuchtendbunten Baumwollblusen, die knospende, junge Brüste sehen ließen – mit fröhlich flatternden Borten und Bändern im Rücken, prachtvoll geflochtenen Hüten und den vielstufigen Röcken in mindestens ebenso vielen Farbschattierungen. Sei es im Tanz zur Musik des Folklore-Flötenspielers oder im Promenieren unter den bewundernden Blicken der jüngeren Männer und den hochwachsamen, scharfen Augen der nur um ein weniges gesetzter gekleideten älteren Frauen – die jungen Dinger machten das Beste aus der Fiesta, die für alle Hochland siérranos stets ein gelungen heiteres Ereignis war. Je weiter der Nachmittag voranschritt, desto größer wurde das Gedränge in den Straßen um den Hauptplatz, die am nämlichen Morgen von kräftigen Männern mit großen Rutenbesen aus den Goldblütenzweigen der überall wuchernden Retamasträucher blitzblank ge96
fegt worden waren und der reinen Luft des Städtchens einen zauberhaften Wohlgeruch verliehen. Inmitten wogender Palmen und Eukalyptusbäume wogten ihrerseits die Tänzer, die umherziehenden Spielleute, die fliegenden Händler, die kandierte Früchte feilboten, und die Straßenhändler mit den vielfarbigen Stoffen, die die Indiofrauen hier so liebten und deren Garn von ihnen selbst stets und überall so emsig gesponnen wurde. Wo der ingeniero auch hinkam, hielten ihn Freunde und Bekannte auf, ließen sich fotografieren oder bedienten und bewunderten die großartige kleine Kamera selbst. Als endlich der Abend hereinbrach, war auch sein Filmvorrat erschöpft, doch seine Stimmung vielfach und immer neu entfacht, gehoben durch den steten Nachschub von den vielen Bechern chicha und ganzen Kokastücken, die ihm alle aufgenötigt hatten. Heimwärts wankend, rief der ingeniero seinen Nachbarn zu, daß dies der gewaltigste Fiestatag seines ganzen Lebens gewesen sei – was tatsächlich der Fall sein sollte, obwohl der ingeniero vom wahren markanten Grund noch gar nichts ahnte.
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s war schon fast Mittag, als Grant und Lael zur ›Mercy‹ zurückkehrten. Sie hatten in Yungay genügend Verbandswatte auftreiben können, um Reagenzgläser und Petrischalen unbeschadet den ungemütlich holprigen Weg hinunter zur Küste zu bringen. »Was herausgefunden?« Dr. Smithson war ihnen auf dem Pier entgegengekommen. »Die Ursache einer schon um sich greifenden Epidemie, falls ich mich nicht total verschätze«, erwiderte Grant. »Wir haben Kulturen mitgebracht, die Lael und Guy angelegt haben, also werde ich Ihre Laboreinrichtungen in Anspruch nehmen müssen.« »Nur zu. Guys Temperatur ist inzwischen auf neununddreißig gesunken. Ich wollte, von seinem Herzen gäbe es ähnlich Positives zu sagen.« »Das wird von jetzt an auch unsere Hauptsorge sein«, stimmte Grant zu. »Das Fieber sah mir schon gestern so aus, als würde es abflauen.« Während Grant den Karton voll Gläser und Schalen ins Labor brachte, ging Lael mit Smithson in Guys Kabine. Als Grant ein paar Minuten später nachkam, fand er Lael am Bett seines Bruders stehend. Sie hielt seine Hand. »Er hat mich erkannt!« Ihre Augen leuchteten. »Die neurologischen Komplikationen scheinen auch im Abflauen begriffen«, stellte Smithson fest. »Bei hämorrhagischen Fieberarten im allgemeinen ein Genesungszeichen.« Grant war nicht annähernd so zuversichtlich über das sonstige klinische Bild. Trotz der Sauerstoffzufuhr mittels Nasenkatheter war die Atmung des Kranken im Vergleich zum Vortag eindeutig beschleunigt und flacher – ebenso der Puls, was lediglich bewies, daß Guys ange98
griffenes Herz Schwierigkeiten mit der Sauerstoffversorgung des Körpergewebes hatte. Als Grant seinen Bruder abgehorcht hatte, öffnete der Kranke die Augen. »Grant«, flüsterte er. »Ich wußte, du würdest kommen.« »Sowie mich Lael gerufen hat. Eben sind wir von der ›Casa Yanqui‹ zurückgekommen.« »Dann weißt du …« »Von den Kulturen? Ja. Wir haben sie mitgebracht. Lael hat mir schon alles erzählt: Versuche also nicht zu sprechen.« »Wie ich sie wachsen … gesehen habe … da habe ich auch gewußt … daß du es lösen wirst.« Das Sprechen fiel ihm wegen des Sauerstoffmangels derart schwer, daß seine Lippen von der Anstrengung die blaue Zyanose-Färbung bekamen. »Sprich nicht, Liebling«, redete ihm Lael zu. »Grant hat jetzt alles in Händen, und es wird gut werden.« »Rette Lael vor …« Der Kranke hatte nicht mehr die Kraft zum Weitersprechen, doch Grant wußte wohl, was Guy Sorge machte: die Gewißheit, daß das furchtbare Fieber jeden Augenblick bei ihr ausbrechen konnte. Als Grant hinausging, kam ihm Smithson nach. »Wir haben die Sauerstoffzufuhr maximal aufgedreht. Und trotzdem kommt Ihr Bruder nicht aus dem akuten Stadium mit Lungensekretion vom allmählichen Herzversagen.« »Mit Sicherheit Blutstau in der rechten Herzkammer«, stimmte Grant dem Kollegen zu. »Früher einmal hat man das schlicht Blutandrang genannt.« »Mein Großvater war Landarzt in den Bergen. Ich habe ihn so manchen Patienten zur Ader lassen sehen, um den Blutandrang zu entlasten.« Grant sinnierte in die kleinen Wasserstrudel hinein, die um die Stützpfähle des Piers herum glucksten, hörte nur mit halbem Ohr zu und ging im Geist eine Therapiemaßnahme nach der anderen durch, die Guy noch helfen und Lael retten konnte – um sie der Reihe nach 99
ebenso wieder zu verwerfen. Plötzlich reagierte er auf das, was Smithson gesagt hatte; vielleicht war das die Lösung. »Würden Sie zum jetzigen Zeitpunkt Blut abnehmen?« fragte er. »Vielleicht noch nicht ganz. Mit der Blutabnahme entziehen wir ihm auch Immunkörper, und die braucht er noch, um mit dem Fieber fertig zu werden. Aber als allerletztes Mittel könnte es uns immerhin bleiben.« »Da stimme ich Ihnen zu. Ich würde außerdem einen Schrittmacher in greifbarer Nähe deponieren – nur so für alle Fälle.« »Guter Gedanke«, meinte Smithson. »Wenn er wirklich schwächer wird, könnte das entscheidend sein.« »Die üblichen Routinekulturen – Blut, Sputum, Stuhl – sind sicher gemacht?« »Aber klar. Alle negativ.« »Mit Kochblutagar als Nährboden?« »Das nicht.« Der bärtige Arzt runzelte die Stirn. »Glauben Sie denn, das könnte etwas bringen, was uns entgangen ist?« »Ich habe schon vor langem festgestellt, daß Kochblutagar, auf der ganzen Spannbreite routinemäßiger Kulturuntersuchungen, weit mehr Keime begünstigt als jedes andere Bakteriennährmedium.« »Sehr viel mehr als der bloße Name ist mir von dem Verfahren nicht geläufig«, gab Smithson zu. »Eine Mixtur von ganz normalem Aufschwemmungsagar mit Kaninchenblut, auf neunzig Grad erhitzt«, erläuterte Grant. »Schon nahe dem Siedepunkt wird der Blutfarbstoff braun und gibt dem ganzen die typische Schokoladenfarbe.« »Die Kulturen, die sie von Yungay herunterbrachten – sind die auf Kochblutagar angesetzt?« »Weil ich ihn darum gebeten habe, von den Schürfproben all seiner Tiefenbohrungen Kulturen anzusetzen.« »Warum das denn?« »Vor ein paar Jahren haben Bakteriologen Schürfmaterial aus den Bohrköpfen von Testausschachtungen in der Antarktis kultiviert. Dabei stießen sie auf zwei Stämme lebensfähiger Keime, die gut und gern hunderttausend Jahre alt sein mochten.« 100
»Pathogene Keime?« »Nein. Aber wir hier könnten es mit einem tödlichen Erreger zu tun haben. Guy und Lael bohrten bei ihren Unternehmungen oberhalb von Yungay zufällig ein Höhlengrab an, und von dem Material am Periskop, das sie für Fotoaufnahmen in die Höhle schoben, haben sie Kulturen angesetzt. Die ersten sind schon fast zehn Tage alt und zeigen noch immer keine Schimmelpilze oder andere Verkeimungen.« »Mein Gott! Das muß ja eins der stärksten Bakterientoxine erzeugen.« »Da wird ein Ektotoxin freigesetzt, das im Körper zirkuliert, während sich die Erregerbakterie selbst vermehrt.« »Was macht Sie so sicher, daß es eine Bakterie und kein Virus ist?« »Haben Sie schon jemals einen Virus derart wuchern oder ein so mächtiges Toxin freisetzen sehen?« »Nein, allerdings«, meinte Smithson nachdenklich. »Wenn der Bazillus auf unserem Nährboden nicht angesprochen hat, dafür aber auf diesen Kochblutagar, dann muß er wohl zu den hämophilen Stämmen gehören so wie Keuchhusten und Grippeerreger.« »Mit dem Unterschied, daß der hier bedeutend toxischer ist als irgendeiner dieser Stämme – was nur heißt, daß es sich um einen völlig neuartigen Erreger handelt.« Grant verließ die Reling. »Ich werde mich mal ans Werk machen und ein paar Ratten injizieren, um den Virulenzgrad zu testen. Außerdem werden wir ein ziemliches Quantum Kochblutagar produzieren müssen, damit wir sowohl von Guy wie von Almaviva neue Kulturen anlegen können. Hoffentlich kann man Kaninchenblut auftreiben?« »Na, wenigstens einmal sind wir perfekt gerüstet. Wir züchten selbst Kaninchen – für die Schwangerschaftstests.«
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ls Smithson ging, um die notwendigen Vorkehrungen für das neue Nährbodenmaterial zu veranlassen, kam Lael Valdez aus ihrer Kabine. Sie trug inzwischen Rock und Bluse, was sie fraulicher erscheinen ließ, aber auch weicher und verletzbar. »Guy verliert an Substanz, nicht wahr?« fragte sie. »Allem Anschein nach überwindet er das Fieber; sein Abwehrmechanismus ist also intakt und stark genug, Immunkörper gegen die Infektion zu produzieren.« Sie hatte ein Jahr lang mit seinem Bruder zusammengelebt, also sah Grant keinen Grund, sie in trügerische Hoffnungen zu versetzen. »Doch die Toxine des Fiebererregers haben das schon angeschlagene Herz schwer mitgenommen. Der Herzmuskel verliert allmählich die Leistungsfähigkeit, die er bräuchte, um den Anforderungen der Überlebenskraft gewachsen zu sein.« »Er hat keine Angst.« Plötzlich griff sie nach seiner Hand. »Grant – lassen Sie ihn nicht sterben. Er hat mir gezeigt, was Leben wirklich bedeutet; erst durch ihn habe ich es gespürt. Er darf nicht sterben.« »Ich werde alles versuchen«, versprach er ihr. »Im Augenblick können wir nur hoffen, daß sein Herz durchhält, bis sein Körper die Toxine der neuen Infektionskrankheit bewältigt hat.« »Glauben Sie, daß er's durchhält?« »Ich weiß nicht«, gestand er offen. »Aber das gibt uns nur noch mehr Grund, Guys Wünsche einzuhalten und auszuführen. Wir sind es ihm demnach schuldig, die Grabkammer zu öffnen und ihr Geheimnis ans Tageslicht zu fördern, wenn es mir erst einmal gelungen ist, den zufällig freigesetzten Erreger unter Kontrolle zu bringen.« Ein Frösteln durchlief sie plötzlich, und sie griff so verzweifelt fest nach seiner Hand, daß sich ihre Nägel in seine Haut gruben. 102
»Fast hätte ich es vergessen.« Aus ihrer Rocktasche holte sie einen gefalteten gelben Umschlag und gab ihn ihm. »Das Kabel kam, als wir in der ›Casa Yanqui‹ waren. Jake Porter, der Schiffsfunker hier, hat es mir vor ein paar Minuten gegeben. Es war an Guy in Yungay adressiert, aber jedermann dort wußte ja, daß er zur ›Mercy‹ heruntergebracht worden war, und so hat es das Telegrafenamt ans Schiff durchgegeben.« So knapp die Nachricht war, so erstaunlich war ihr Inhalt. halbwertzeitbestimmung des eingesandten untersuchungsmaterials zeigt alter von fünftausend plus minus zweihundert jahren. erbitte nähere angaben über fundort und umstände. archäologische fakultät in harvard an weiteren einzelheiten hoch interessiert. prof. philemon e. mallinson leitung institut für strahlenphysik »Fünftausend Jahre!« staunte Grant. »Ihr beide habt den wahrscheinlich ältesten lebenden Mikroorganismus der Geschichte wiederentdeckt!« »Und doch wünschte ich, wir hätten dieses Grab nie geöffnet.« »Dann hätte es sicher jemand anderer getan, nachdem Sie den Madrider Text gefunden hatten«, versicherte er ihr. »Sie und Guy dürften aber Gott sei Dank rechtzeitig die Kulturen angesetzt haben, um mich ein Mittel zur Verhütung der Seuche finden zu lassen. Inzwischen habt ihr den Beweis beigebracht, daß Menschen semitischer Abstammung – möglicherweise die Dilmuniten oder sogar ein noch älteres Seefahrergeschlecht – die südamerikanische Küste erreichten, eintausend Jahre bevor Abraham sich von Chaldäa nach Kanaan aufmachte.« »Und dafür soll Guy sein Leben lassen müssen?«
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m hervorragend ausgestatteten Labor der ›Mercy‹ verfolgte Grant Reed, wie die medizinisch-technische Chefassistentin Leona Danvers den Wattepfropfenverschluß aus einem der Reagenzgläser zupfte, die Lael und er aus der ›Casa Yanqui‹ gebracht hatten; dann hielt sie den Glasrand in die tropfenförmige Flamme des Bunsenbrenners. Beide trugen sie die vorn durchgeknöpften Overalls aus reißfestem Papier, die Schwestern und Pflegepersonal als Arbeitsmontur dienten und nach Gebrauch einfach weggeworfen oder bei Verseuchung verbrannt wurden, was obendrein den Wäscheberg reduzierte. Die großgewachsene blonde Laborantin hielt eine Platinöse am Ende einer langen Halterung in die Flamme, bis sie glühte, um etwaige Keime abzutöten. Dann tauchte sie mit der Öse etwas von der bräunlichen Bakterienwucherung aus der schrägen schokoladenfarbenen Oberfläche des Kochblutnährbodens im Reagenzglas. Auf einen Glasobjektträger, den sie mit einer Metallklemme bereithielt, strich sie dann einen Teil der Kultur aus der Ösenschlinge aus, machte den Reagenzglasrand in der Flamme keimfrei und tamponierte ihn wieder. Anschließend wurde der Objektträger selbst durch die Flamme geführt, um den Ausstrich einzutrocknen und gleichzeitig die darin enthaltenen hochwirksamen Keime abzutöten; danach beträufelte sie das Ganze mit einer Kristallviolettlösung. Nach einiger Zeit, als die Farbe resorbiert war, entfernte die Laborantin die überschüssige Farbflüssigkeit, bevor sie das Deckglas mit jodhaltiger Lugollösung überschwemmte. Dann wurde das Glasplättchen in fünfundneunzigprozentigen Äthylalkohol getaucht, und damit verschwand die ursprünglich violette Färbung weitgehend. »Gramnegativ also, genau wie ich mir das gedacht habe«, kommen104
tierte Grant. »Wir können die Keime besser beobachten, wenn Sie die Kontrastfärbung mit Karbolfuchsin machen.« »Ist gut, Doktor. Das dauert etwa zehn Minuten.« »Ich kümmere mich inzwischen um unser Agar. Die Temperatur dürfte allmählich soweit sein, um das Kaninchenblut einzurühren.« Das Thermometer in der Nährmediummixtur – einer gelatineartigen, aus Seetang gewonnenen Substanz, vermengt mit einer kräftigen Nährbouillon, in der sich Keime mit Vorliebe entwickelten – stand auf neunzig Grad, also zehn Grad unterhalb des Wassersiedepunkts. Grant nahm den Behälter von der Flamme und fügte unter ständigem Rühren mit einem Glasstab langsam und bedächtig das Blut hinzu. Als nächstes füllte er eine Anzahl von Reagenzgläsern etwa zu einem Drittel und reihte sie in einem Drahtgestellt in Schräghaltung auf, um eine große Oberfläche zu erzielen, wenn sich das Nährmedium erst einmal abgekühlt und nach Sterilisierung erhärtet hätte. Nun goß Grant von der braunen Mixtur in ein Dutzend Petrischalen eine jeweils etwa drei Millimeter hohe Schicht, um dann Gläser und Schalen in einen Sterilisationsapparat zu stellen. »Der Ausstrich wäre soweit, Doktor Reed«, meldete Leona Danvers. Grant übernahm den nun rötlichgefärbten Objektträger, schob ihn unter die Starklinse eines Mikroskops und ließ einen Tropfen Öl darauf fallen. »Während ich hier drüben bin«, bat er die Laborantin, »würden Sie die Kulturenaufschwemmung herrichten, die ich für die Virulenztestreihe an den Ratten brauche?« »Mache ich sofort, Doktor.« »Ach, übrigens: Habt ihr eine Hochleistungsschleuder an Bord?« wollte er noch wissen. »Zum Ausschleudern von Blutplasma, daß man die übrigen Blutkomponenten wieder zuführen kann?« »Ja, wir besitzen eine, aber gebraucht haben wir sie nie. Ich habe sie Ingenieur McTavish gegeben und gebeten, er möge sie irgendwo verstauen.« »Dann bitten Sie ihn, sie wieder auszugraben und ihre Funktion zu prüfen.« 105
»Wird gemacht, Doktor.« Die Laborantin ging fort, und Grant drückte den Objektivzylinder so weit hinunter, bis die Starklinse den Öltropfen berührte. Über das Doppelmikroskop gebeugt, suchte er die schärfste Einstellung auf das Untersuchungspräparat, und augenblicklich zeigte sich ein Gewimmel von stäbchenförmigen Bakterien, die durch das Karbolfuchsin grellrot gefärbt erschienen. Manche der Keime wiesen knollenförmige Enden auf, ein Zustand, in dem sie sich bekanntlich über längere Zeiträume lebensfähig erhalten konnten. Jack Smithson kam ins Labor, als Grant noch in die Beobachtung der nach über fünftausend Jahren wiedererweckten Keime versunken war. »Was ist es denn nun?« wollte er wissen. »Gramnegative Stäbchen. Ich möchte behaupten, daß Sie mit ihrem mutmaßlichen hämophilen Stamm auf Anhieb ins Schwarze getroffen haben.« »Haemophilus influenzae?« »Kaum anzunehmen. Ich gehe jetzt dann gleich den Virulenztest von diesem Bazillus an. Ein paar Ratten kriegen eine Aufschwemmung der aus Yungay mitgebrachten Kulturen injiziert. Und sowie das Nährmedium sterilisiert und gerinnungsfähig abgekühlt ist, setze ich von den alten neue Kulturen an.« »Wollen Sie damit sagen, daß es ein vollkommen neuer Bakterienstamm ist?« »Zumindest für die Gegenwart.« Grant kam ein neuer Gedanke, er schaute vom Mikroskop auf. »Sowohl der Grippebazillus wie der Keuchhustenerreger befallen die Lunge. Was analog heißen könnte, daß unser Bazillus yungay, um ihm einen Arbeitsnamen zu geben, zunächst zentral in der Lunge wuchert und von dort aus sein Ektotoxin ins Körpergewebe streut.« »Die Lungenpest verläuft so. Aber unsere Sputumkulturen sowohl von Guy wie von Almaviva waren negativ«, meinte Smithson dazu. »Auf Kochblutagar?« »Nein, das nicht. Ich lasse noch Untersuchungsproben runterschicken, damit Miß Danvers sie neu kultivieren kann, sowie Ihr Nährbo106
denquantum soweit ist. Sagen Sie – wie wollen Sie eigentlich den Erreger identifizieren, jetzt, da Sie ihn ja scheinbar in Reinkultur vor sich haben?« »Morgen, spätestens übermorgen dürfte das frische Keimwachstum unserer neuen Kulturen sprießen. Einen Teil davon werde ich per Luftpost ans Zentrallabor in Atlanta schicken und ebenso ins ARBO-Virus-Labor in Yale.« »Ist ja ausgezeichnet. Deren Einrichtungen sind ja wesentlich funktioneller als unsere.« »Schauen Sie mal.« Grant machte den Hocker vor dem Mikroskop frei. »Niemand außer uns hat diesen Keim hier je zuvor durch ein Okular gesehen!« Der ältere Arzt schaute nur kurz auf den Objektträger und blickte dann mit tiefernster Miene auf. »Wenn diese dünnen Stäbchen, die da wuchern, tatsächlich so virulent sind, wie Sie meinen«, sagte er, »dann möchte ich keiner der Briefträger sein, die die Sendungen in Atlanta und New Haven zustellen.«
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s war schon allgemeine Abendessenszeit, bevor Grant mit der Injizierung der zehn weißen Versuchsratten fertig war – dem Routineverfahren zur Virulenzbestimmung unter Zeitdruck. Dabei kamen stufenweise zehn verschiedene, von Leona Danvers vorbereitete Verdünnungen zur Anwendung. Jedes der Tiere erhielt eine Dosis von einem Kubik-Zentimeter, die jeweils auf ein Zehntel der Bakterienmenge der vorausgegangenen Injektion reduziert war. Die zehn in ihren Käfigen umherflitzenden Ratten wurden gerade von Esteban Gomez gefüttert, dem Logisjungen, der gleichzeitig für die Tierhaltung zuständig war. »Stimmt es, Doktor Grant«, fragte Esteban, »daß Ihr Bruder durch eine Graböffnung im Callejón de Huaylas einen Fluch ausgelöst hat, an dem jeder hier auf dem Schiff sterben wird?« – »Aber keine Spur, Esteban. Wo hast du denn das aufgeschnappt?« »Die brujo-Zauberer in Chimbote verkünden es überall; das ganze Barrio ist ziemlich wütend auf Ihren Bruder und die Señorita, weil sie das getan haben.« »Wiegeln die brujos das Volk gegen sie auf?« »Sie sagen, wenn Señor Reed in den Bergen geblieben und dort gestorben wäre, dann würde nichts weiter passiert sein – höchstens vielleicht Señorita Valdez, die auch unter dem Fluch steht. Aber jetzt liegt der Fluch auf dem Schiff, weil die Ärzte Ihren Bruder behandeln, und jetzt müssen wir alle sterben, um die bösen Geister zu beschwichtigen.« »Die Medizinmänner sind bloß wütend, weil das Hospitalschiff und seine Ärzte Leute geheilt haben, die sie einfach sterben ließen.« Grant hatte einen plötzlichen Einfall. »Komm mal her, Esteban. Schau durch 108
das Mikroskop da, und du kannst den ganzen Fluch sehen, der aus dem Callejón de Huaylas gekommen ist.« Der Logisjunge blickte wie gebannt durch das Doppelmikroskop; als er wieder aufsah, waren seine Augen starr vor Angst. »Die sind ja so winzig! Können die denn einen Menschen töten?« »Sie werden Augustin Almaviva umbringen, Esteban, und meinen Bruder haben sie schon fast getötet. Wenn du wieder ins Barrio kommst, dann sag den Leuten, daß du mit eigenen Augen gesehen hast, was eure brujos einen Fluch nennen, und daß das Ganze ein so winziges Ding ist, daß man es nur unter einem Mikroskop sehen kann. Und sag ihnen, daß die Ärzte hier auf dem Schiff genauso damit fertig werden, wie sie mit der tercianas aufgeräumt haben, diesem Fieberschütteln, das so vielen von euch das Leben gekostet hat, bevor die ›Mercy‹ nach Chimbote gekommen ist. Wenn du das tust, dann zahle ich dich gut.« »Si, Señor.« Esteban war ein strebsamer junger Mann. »Muy bueno!« Lael war nicht beim Abendessen, und als Grant erfuhr, daß sie sich extra nichts auf die Kabine bestellt, sondern lediglich von Jack Smithson ein Beruhigungsmittel hatte geben lassen, sah er auf seinem Weg zu Guy erst bei ihr vorbei. Auf sein Klopfen kam keine Antwort, aber da die Tür unverschlossen war, ging er hinein. Der Vorhang war vors Bullauge gezogen, und die Kabine lag im Halbdunkel, aber er konnte Lael in der festverstrebten Koje liegen sehen, die eben auf einem so alten Schiff, wie es die ›Mercy‹ war, als Bett diente. Sie trug ein ärmellos weißes Seidennachthemd, und ihr dunkles Haar lag wie ein schöner Fächer auf dem Kissen. Sie schien in friedlichem Schlaf versunken, weshalb er sie nicht störte. Er wußte wohl, wie anstrengend die letzten beiden Tage sowohl körperlich wie seelisch für sie gewesen waren. Sie war zu der Erkenntnis gezwungen worden, daß sie und Guy, wie ahnungslos auch immer, das Wiederaufleben einer tödlichen Seuche verursacht hatten, die möglicherweise Tausende von Menschen dahinraffte – einschließlich ihrer Entdecker –, bevor sie unter Kontrolle gebracht werden konnte. Für Laels Sensibilität und Verantwortungsgefühl, die er an ihr in den noch 109
nicht einmal achtundvierzig Stunden seit ihrer ersten Begegnung auf dem Flughafen in Chimbote kennengelernt hatte, konnte dieses Wissen eine lebenslange Gewissenslast bedeuten. Auf Zehenspitzen verließ Grant die Kabine, schloß die Tür behutsam und ging zu Guy hinein. Der saß hoch aufgebettet und war bei vollem Bewußtsein; sein Atem ging jedoch rasend schnell. »Ich wollte … mit dir … sprechen … Grant.« Die Worte kamen stockend, denn sein Atem reichte nur silbenweise. »Sprich nicht, hör mir nur zu«, riet Grant. »Wenn du dann noch Fragen hast, werde ich dir antworten – falls ich kann, denn es gibt bei dieser Geschichte so viel, was ich selbst noch nicht weiß.« »Wollte die Kultur … noch mit Kochen … zerstören«, sagte Guy, als Grant ihre Fahrt nach Yungay und ihre Entdeckungen in der ›Casa Yanqui‹ im einzelnen geschildert hatte, einschließlich dem Verschwinden von Kamera und Mikroskop. »Das hätte nichts mehr genutzt, nachdem du schon infiziert warst. Außerdem – wer immer die Kamera und das Mikroskop mitgehen ließ, der hat eine breite Verseuchungsspur gelegt, wo immer er auch hingegangen ist.« Von Augustin Almaviva erwähnte Grant nichts, denn er wußte nur zu gut, wie besorgt Guy die Nachricht aufnehmen würde, daß es außer ihm noch mehr Opfer der verfluchten Infektion gab. »Dein Testament habe ich gefunden«, sagte er noch. »Ich habe es Lael gezeigt.« »Für sie … wird gut … gesorgt … sein.« »Du kannst selbst wieder für sie sorgen, wenn du gesund bist.« »Ist Lael … krank?« Grant wußte, was seinen Bruder besorgt machte – die drohende Gewißheit, daß Lael das Fieber entwickeln würde. »Sie ist die ganze Strecke rauf und runter gefahren und war erschöpft danach«, beschwichtigte er ihn. »Vor ein paar Minuten habe ich nach ihr geschaut; sie schläft tief und ruhig.« »Du mußt … sie … beschützen.« Die bläuliche Färbung von Lippen und Ohrläppchen des Kranken hatte sich von der Anstrengung des Sprechens intensiviert. »Ich verlasse … mich … auf dich … Grant.« 110
»Ich tu' alles, was ich kann. Ruh dich aus jetzt und spar deine Kraft. Du scheinst das Fieber überwunden zu haben.« »Jetzt … ist es … mein Herz … nicht wahr?« »Genau, aber morgen werden wir dir Blut abnehmen: ein uraltes Mittel, das aber bei Herzüberlastung oft hilft.«
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us dem Mannschaftsklub am Vorderdeck drang Gelächter zu ihm, doch Grant drängte sich der Gedanke auf, wieviel von dieser Fröhlichkeit wohl noch übrigbleiben würde, wenn die ganze Belegschaft erst einmal das volle Ausmaß der Gefahr begriff, die über ihnen allen schwebte. Es handelte sich höchstwahrscheinlich um den virulentesten Erreger, der ihm je untergekommen war und der von zwei Patienten an Bord des Schiffes allein durch die Atmung verbreitet wurde. Normale Isolierungsmaßnahmen waren seiner Ansicht nach völlig nutzlos, ebenso wie bei der Lungenpest. Deprimiert von dem Gedanken an das absehbare Geschehen stieg er die Metalltreppe zum Oberdeck hinauf, um freier zu atmen und in Ruhe nachdenken zu können. Die große, massive Metallfläche des Deckbodens war bis auf das Gerüst der Kommandobrücke noch immer wie aus einem Guß und mit Flutlichtstrahlern hell erleuchtet. Wie man ihm erzählt hatte, war das Deck während des Korea-Krieges Helikopterlandeplatz für den Verwundetentransport gewesen. Jetzt schien es bis auf ein paar Segeltuchklappstühle und Strandliegen zum Sonnenbaden für die Schwestern in jenen kargen Mittagsstunden, in denen die übliche Dunstdecke über der nordperuanischen Küste aufriß, verwaist und verlassen. Grant ging bis zum Bug und schaute auf die hinter den großen Palmen liegende Stadt. Vom ›Hotel Chimo‹ an der Strandpromenade kamen Gitarren- und Akkordeonklänge, während aus dem Barrio, das sich ins tiefere Flachland der Stadt schmiegte, das Dauergeknatter von Feuerwerkskörpern zu hören war – beides Anzeichen dafür, daß noch immer eine der zahllosen Fiestas im Gange war, die er schon beobachtet hatte, als er mit Lael Valdez zum erstenmal durch Chimbote gefahren war. 112
Grant überlegte, daß Manoel Allanza in der Abgeschiedenheit seiner hochliegenden Bruchbude ziemlich sicher schon bald Muskelschmerzen und jenes Dröhnen im Kopf als vordelirisches Stadium fühlen würde, wenn die tödliche Infektion aus der grauen Vorzeit seinen Körper befiel. Und irgendwo in der Stadt dürfte auch der Familie der Schwester von Augustin Almaviva, zu deren Besuch er extra gekommen war, nur noch eine Gnadenfrist von wenigen Tagen bleiben, wenn das Fieber eine Inkubationszeit von etwa sieben Tagen einhielt, wie es bei Guy und Almaviva der Fall gewesen war. Morgen, spätestens übermorgen mußten die neuen Sputumkulturen den Beweis erbringen, ob die mikroskopisch kleinen roten Stäbchen, die sich so üppig auf dem Nährboden im kleinen Brutkasten der ›Casa Yanqui‹ gezeigt hatten, die tatsächliche Ursache der Fieberseuche waren. Mit diesem Nachweis, dessen Bestätigung Grant keinen Augenblick lang anzweifelte, konnte er einigermaßen zuversichtlich den Kampf mit der Epidemie aufnehmen, bevor sie total außer Kontrolle geriet. »Wie wär's mit einem Schluck, Doktor?« Unverkennbar klang das typisch schottische rollende R heraus, und als Grand zur Brücke schaute, sah er den alten Ersten Ingenieur Angus McTavish im Windschatten der kühlen Brise auf einem Deckstuhl ausgestreckt; neben ihm stand ein kleiner Klapptisch mit einer Flasche und Pappbechern darauf. »Ich genieße gerade meinen Schluck Scotch, bevor ich wieder hinuntergehe«, meinte McTavish, während sich Grant einen Stuhl herbeizog und einen Drink einschenkte. »Die Fischmehlfabriken verpesten tagsüber die Luft in der ganzen Umgegend dermaßen, daß man den Gestank nicht einmal mehr aus dem Maschinenraum kriegt, selbst wenn die nachts ihre Mühlen dichtmachen.« »Und Sie haben wieder mal eine Extraspätschicht?« »Von ›extra‹ steht da nichts mehr drin, das ist neuerdings schon regelmäßig. Heute haben wir endlich den Sprung im Zylinder einer der Maschinen schweißen können, die damit vielleicht ein Zehntel der Normleistung herbringt, was uns so gerade eben aus dem Hafen schaffen könnte.« 113
Irgendwas im Tonfall des alten Ingenieurs machte Grant plötzlich stutzig. »Könnte das denn überhaupt zur Debatte stehen?« »Die Frage müssen Sie schon Doktor Smithson und Kapitän Pendarvis stellen. Die haben per Funk mit der Zentrale der ›Mercy‹-Stiftung in New York über unsere Situation hier konferiert.« »Und um Genehmigung zum Auslaufen gebeten, wenn Sie die Maschine auf Vordermann bringen?« »Was sonst?« »Aber was soll das denn: einen sicheren Hafen zu verlassen, um höchstwahrscheinlich hilflos auf offener See zu treiben?« »Ein Schiff, das einen Funknotspruch losläßt, würde aus der ganzen hiesigen pazifischen Ecke sofort Hilfe auf den Plan rufen, Doktor.« »Zur Bergung?« McTavish lachte in sich hinein. »Können Sie sich ein Bergungsunternehmen vorstellen, daß Anspruch auf ein havariertes Hospitalschiff legt? Höchstwahrscheinlich würde man uns einen Hochseeschlepper schicken, der uns nach Panama hinaufbugsiert; schließlich wird dieser alte Kahn sowieso zum alten Eisen geschmissen, wenn diese letzte Fahrt erst einmal überstanden ist.« »Und was ist mit der Epidemie hier in Chimbote?« »Soweit ich das mitgekriegt habe, Doktor, haben Sie von einer Epidemie noch nichts nachweisen können. Also ist es logisch – zumindest für den Kapitän –, auf Teufel komm raus hier auszulaufen, bevor der Hafen unter Quarantäne gestellt wird und wir hier festsitzen.« »Aber die ›Mercy‹ hat die einzig annehmbaren klinischen Voraussetzungen in der ganzen Gegend.« »Zugegeben. Aber die Stiftung ist praktisch pleite, und unsere sämtlichen Zulieferer hier wissen das. Und was das medizinische Personal betrifft, pfeifen wir doch praktisch auch aus dem letzten Loch, seit die Freiwilligen fort sind, kaum daß die Malariaepidemie hier unter Kontrolle war. Trotzdem bleiben damit noch immer rund fünfundsiebzig Mann an Bord, wenn man Mannschaft und Belegschaft zusammenrechnet – und die müssen wenigstens essen, Doktor, selbst wenn sie nicht bezahlt werden.« 114
»Sind die Vorräte auch schon knapp?« »Zur Not haben wir eine eiserne Reserve für vielleicht ein paar Monate ohne sonstigen Nachschub. Und da, meint Kapitän Pendarvis, wär's besser, wenn wir die für den Rückweg in die Staaten verbrauchen würden.« »Und hier so schlicht und einfach einen Schwung Kranke sterben lassen?« »Jedermann an Bord ist bekannt, daß Sie da oben im Callejón de Huaylas wahrscheinlich eine neuartige Seuche entdeckt haben, Doktor Reed; und ich kann mich in Ihre Haut versetzen, wie Ihnen zumute sein mag, weil Ihr Bruder sie hergeschleppt hat. Trotzdem muß sich auch Jack Smithson als Chefarzt hier fragen, ob es seinen Leuten gegenüber, die schließlich nur zur Bekämpfung von bösartiger Malaria hier heruntergekommen sind, fair ist, sie einer Gefahr auszusetzen, die zehnmal größer sein kann.« »Es muß ja nicht gleich ganz so schlimm werden.« »Ihr Bruder liegt im Sterben an dem Fieber – und ebenso der Indio, der Vorarbeiter in seiner Bohrmannschaft war. Und wieviel Chancen haben Sie überhaupt dem Mädchen zu bieten, das die Courage hatte, Ihren Bruder hier runterzubringen?« »Sie könnte ich immerhin retten.« »Und wie?« »Mit einer Bluttransfusion von jemand, der schon Immunität entwickelt hat, wär's möglich.« »Der einzige Immune, wenn er es überhaupt schon ist, muß Ihr Bruder sein. Würden Sie es in Kauf nehmen, seine Überlebenschance zu schwächen, um Lael zu retten?« »Genau das macht mir zu schaffen.« »Seine Entscheidung können Sie sich sicher denken. Und genauso können Sie sich vorstellen, wie sich das Mädchen dazu stellen würde, wenn sie wüßte, daß ihre Rettung sein Leben kostet. Ziemlich verzwickte Situation für Sie, Doktor.« »Läßt sich nicht abstreiten.« »Sie haben Ihren Bruder gern und möchten ihn retten. Er wiederum 115
liebt das Mädchen und würde sie selbstverständlich mit seinem eigenen Blut retten wollen, wenn er wüßte, daß das geht. Währenddessen würde sie aber lieber ihr Leben lassen, um ihn zu retten, denn sie liebt ihn. Nur eine einzige weitere Verfilzung, und wir hätten alle Merkmale einer klassischen Tragödie beieinander.« »Nämlich?« »Wenn Sie das Mädchen selber lieben würden – und das wäre gar nicht so abwegig.« »Nein«, stimmte Grant ruhig zu. »Das wäre es nicht.« »Was werden Sie also tun?« »Erst einmal die Gewißheit abwarten, daß die Keime, die wir kultivieren, tatsächlich das Zeug sind, das meinen Bruder schon fast geschafft hat. Wenn bei Lael das Fieber ausbrechen sollte, werde ich vor der entscheidenden Frage stehen, ob ich meinem Bruder Blut abnehme, um sein Herzversagen zu verhindern oder um Lael zu retten.« »Und wenn nun alles so eintrifft?« »Dann werde ich eben meine Pflicht erfüllen.« »Angenommen, Doktor Smithson und Kapitän Pendarvis erhalten den Befehl, hier auszulaufen – kommen Sie dann mit uns?« »Nein«, sagte Grant ohne Zögern. »Guy und Lael haben einen tödlichen Erreger freigesetzt, der sich fünftausend Jahre lang nicht gerührt und geregt hat, seit damals offensichtlich einige seuchenbefallene Menschen in der Höhle Zuflucht vor der Krankheit gesucht haben – um dann von einem Erdrutsch eingeschlossen zu werden. Meine Aufgabe ist es jetzt, die Infektion so lange wenigstens auf dieses Gebiet hier zu beschränken, bis sie sich entweder abgeschwächt hat – oder ich ein Prophylaktikum gefunden habe, das die Menschheit davor schützt.«
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eine vierundzwanzig Stunden, nachdem Grant den weißen Versuchsratten die Aufschwemmungen des Bazillus yungay gespritzt hatten, waren sie alle tot. Und obendrein zeigten die neuen Sputumkulturen von Guy und Almaviva ein auswucherndes Wachstum des Bazillus yungay. Nun stand Grant in dem hochfunktionell ausgerüsteten Schiffslabor, umgeben von einem halben Dutzend der Belegschaft. Natürlich waren Jack Smithson darunter und ebenso Doktor Antonio y Marelia; außerdem die Oberschwester Elaine Carroll und der Chef der Chirurgie, Doktor Mark Post, der an Kindern mit angeborenen oder später entwickelten Mißbildungen wahre Wunder plastischer Chirurgie vollbracht hatte. Leona Danvers, die Cheflaborantin, assistierte Grant, und neben Miß Carroll stand in makellos weißer Uniform Kapitän Harry Pendarvis. Hinter ihm war Lael Valdez, die leicht gerötet und müde aussah. Sie alle starrten auf den rasierten Bauch eines der toten Versuchstiere, das auf einem Sezierbrett befestigt über einer Metallschale mit einem hochkonzentrierten Antiseptikum lag. Von einem der Instrumententabletts nahm Grant eine sterile Spatel, hielt sie in die Flamme des Bunsenbrenners, bis sie glühte, versengte damit die Bauchdecke des Nagers, um sie keimfrei zu machen, und warf schließlich die Spatel in die Schale. Der ekelerregende Geruch von versengtem Haar und Fleisch ließ manchen in der Runde sich abwenden, während Grant ein steriles Skalpell zur Hand nahm. »Gestern kamen Miß Valdez und ich von einer Stippvisite in meines Bruders Haus in Callejón de Huaylas zurück«, begann er und ließ eine genaue Schilderung dessen folgen, was sie dort vorgefunden hatten. Er bemerkte, daß Mark Post seine Ausführungen auf Kassette auf117
nahm, machte aber keine Einwendungen, das sie ihm unangebracht schienen. »Sowohl von der Kamera als vom Periskop wurden Kulturen angesetzt«, faßte er zusammen. »Sie zeigen den Erreger als stäbchenförmigen Keim, der bislang unbekannt ist.« »Ein neuer Bazillus also und eine neue Krankheit?« fragte Antonio y Marelia. »Ein uralter Bazillus, Doktor Marelia, und eine ebenso uralte Krankheit. Die Kohlenstoffbestimmung des Harvard-Instituts für Strahlenphysik hat ergeben, daß das Untersuchungsmaterial – jenes Stück Skelett mit Textilgewebe, das sich am Periskop aufgespießt hatte – fünftausend Jahre alt ist, plusminus zweihundert Jahre, die natürlich nicht ins Gewicht fallen.« Erstauntes Gemurmel kam als Reaktion aus der Runde. »Sowie Miß Valdez und ich gestern zurück waren«, fuhr Grant fort, »setzte ich von den Keimen aus den mitgebrachten Kulturen eine sterile Aufschwemmung in einer Salzlösung an. Dieses Präparat bereitete Miß Danvers in zehn verschiedenen Verdünnungsgraden auf, jeweils im Verhältnis eins zu zehn zueinander, so daß jede Dosis nur ein Zehntel der Bakterienanzahl der nächststärkeren Stufe aufwies. Nur ein Kubikzentimeter der jeweilig abgestuften Verdünnung wurde gestern nachmittag insgesamt zehn weißen Ratten in den Bauchfellraum injiziert – ein Standardverfahren zur Feststellung der verhältnismäßigen Virulenz des Erregers. Alle Versuchstiere gingen in weniger als vierundzwanzig Stunden ein, was auf einen extrem virulenten, aus der Vergangenheit reaktivierten Keim schließen läßt. Auch die Sputumkulturen meines Bruders und des zweiten Patienten Almaviva auf Kochblutnährboden weisen ein ungewöhnlich starkes Wachstum desselben Mikroorganismus auf.« »Das beweist, daß primär die Lungen befallen werden und in zweiter Stufe der ganze Körper vergiftet wird durch die Streuung eines freigesetzten Toxins«, bemerkte Jack Smithson hierzu. »Die Ratte, die wir hier gerade sezieren«, setzte Grant seinen Bericht fort, »erhielt einen Kubikzentimeter des höchsten Verdünnungsgrades 118
der Keimaufschwemmung und damit die geringste Bakterienmenge. Trotzdem ging sie ein.« Mit dem Seziermesser schlitzte er das Tier vom Hals bis zur Leistenbeuge auf, öffnete die Bauchhöhle und legte den Brustraum frei, bevor er das Instrument in die keimtötende Flüssigkeit in der Schale fallen ließ. Mit einem zweiten Messer durchtrennte er dann die Rippen und hob den vorderen Brustkorb ab; jetzt lagen die wesentlichen inneren Organe der beiden Körperhohlräume, Thorax und Abdomen, frei, die sich prall gefüllt mit einem trüben Sekret zeigten. Mit einer winzigen Glaspipette nahm Grant etwas von dem Sekret auf und ließ es zur späteren Kulturansetzung in eins der leeren sterilen Reagenzgläser tropfen, die in einem Ständer neben ihm bereitstanden. Dann hob er die Milz heraus, die stark geschwollen war, ebenso wie Leber und Nieren. Nun wandte er sich dem Brusthohlraum zu und schnitt die Lungen auf, die anscheinend von demselben Sekret durchtränkt waren wie Bauchfell- und Rippenfellhöhle. In rascher Folge legte er Kulturen von den am deutlichsten in Mitleidenschaft gezogenen Organen an. Dann legte er sämtliche Instrumente, die er während der Obduktion des winzigen Körpers benutzt hatte, in die Bakterizidlösung, zog die Gummihandschuhe aus, die er zum Selbstschutz getragen hatte, ging zum Wasserbecken und ließ sie dort in eine mit keimtötendem Mittel gefüllte Schale fallen, schrubbte sich schließlich die Hände und sterilisierte sorgfältig die Haut. »Gar kein Zweifel, daß wir es hier mit einem mörderischen Zeug zu tun haben«, resümierte er. »Eine Seuche aus grauer Vorzeit, möglicherweise fünftausend Jahre alt!« brachte der Chefchirurg der ›Mercy‹ nur noch mit belegter Stimme hervor; auf seiner Stirn hatte sich Schweiß gebildet. »Es ist unglaublich!« »Aber trotzdem vollkommen real«, gab Grant zurück. »Und bis zum heutigen Tag noch immer vom selben Virulenzgrad, wie er damals gewesen sein muß, als die Keime durch eine Lawine in der Grabkammer versiegelt wurden.« 119
Auf einmal hörte er hinter sich ein schmerz- und angstvolles Aufstöhnen. Er reagierte sofort und schnell genug, um Lael Valdez noch aufzufangen, die in einem plötzlichen Schwächeanfall umkippte. Seine Erfahrung als Mediziner sagte ihm jedoch gleichzeitig, daß dieser Zusammenbruch mehr als nur eine Ohnmacht war. Und dann merkte er das fühlbare Glühen hohen Fiebers. Die Seuche aus grauer Vorzeit, wie Jack Smithson sie genannt hatte, hatte ein neues Opfer niedergeworfen. Und obwohl Grant keine Ahnung hatte, wo sie als nächstes zuschlagen würde, zweifelte er an der Tatsache als solcher keine Sekunde.
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rant Reed saß am Bett von Lael Valdez, die in tiefem Schlaf lag, und verfolgte das langsame Einträufeln im System des Venentropfs. Angeschlossen an die Kanüle in ihrer Armvene, führte ein steriler Schlauch zu einer mittelgroßen Flasche, die etwa zweihundert Kubikzentimeter von Guys Blutplasma enthielt und die entsprechende Menge ganz normaler Kochsalzlösung. Unter seinem prüfenden Finger raste ihr Puls, und die Fieberkurve auf ihrem Krankenblatt war seit Laels Zusammenbruch, sechs Stunden zuvor beim Virulenztest des Bazillus yungay, kontinuierlich geklettert. Die Frage, ob Guys Kreislauf Blut entzogen werden konnte, hatte sich von selbst gelöst; nach der Ausschleuderung der Blutkörperchen floß es jetzt in Laels Kreislauf. Kaum eine Stunde nach ihrem Kollaps durch das in ihrem Körper wütende Fieber hatte Guy eine akute Herzmuskelschwäche, ausgelöst vom großen Stauungsdruck des Blutrückstroms in sein überlastetes Herz. Nur Jack Smithsons rasches Eingreifen und die schnelle Abnahme etwa eines halben Liters dunklen Blutes hatte dem Herzen des Todkranken die dringend nötige vorübergehende Erleichterung gebracht.
Man hatte Grant im Labor von dem Aderlaß benachrichtigt; zusammen mit Leona Danvers war er dort mit der serienmäßigen Zusammenstellung von Reagenzgläsern zum Versand ins Zentrallabor des Seuchenforschungsinstituts beschäftigt. Ohne eine Sekunde zu verlieren, hatte er die Flasche mit dem Gemisch aus Blut und einer Natrium121
citratlösung zur Verhinderung der Blutgerinnung auf zwei sterile Platten verteilt. In der Hochleistungsschleuder, die Ingenieur McTavish repariert hatte, ging die Trennung der schweren Blutkörperchen von der Plasmaflüssigkeit höchst einfach vonstatten. Der leichtere und daher nach oben abgesetzte flüssige Teil von Guys Blut wurde sorgsam getrennt und floß nun in Laels Kreislauf, der jede Körperstelle mit frischgebildeten Immunkörpern gegen die Toxine des Bazillus yungay versorgte, die der mörderische Erreger freisetzte und weitgehend widerstandslos in den Körper streute. Ob diese Steigerung ihrer eigenen, zur Überwindung der Infektion notwendigen Abwehrkräfte durch die Zuführung von Guys antikörperreichem Plasma allerdings ausreichte, Lael über die körperzerstörende Bedrohung des virulenten Erregers hinwegzuhelfen, konnte niemand wissen. Beim ersten Aderlaß hatte Jack Smithson nur die zur Entlastung des Herzens notwendige Blutmenge abgenommen. Außerdem hatte er Guy nicht den Zweck eröffnet, dem es ansonsten noch dienen sollte, da er wußte, daß dieser dann auf einem weit umfangreicheren Aderlaß bestanden und damit höchstwahrscheinlich seine eigene vage Überlebenschance aufs Spiel gesetzt hätte. Während die Infusion noch lief, kam Jack Smithson hinein, warf einen Blick auf die Fieberkurve und kontrollierte Laels Puls minutenlang. »Mir wäre bedeutend wohler, wenn wir Guys Blut erst hätten kultivieren können, bevor Sie Lael das Plasma geben«, bemerkte er skeptisch. »Dieses Plasma da könnte immer noch von Keimen wimmeln – das ist Ihnen doch klar?« Grant nickte bedrückt. »Eine reine Zwangsalternative. Sie hat das Yungay-Fieber offensichtlich im höchsten Grad. Je schneller sie also Immunkörper in ihren Kreislauf kriegt, desto aussichtsreicher ist es für sie.« »Wie auch immer – wenigstens habe ich die Entscheidung nicht zu treffen gehabt.« »Wie ich, Gott sei Dank, die andere nicht zu treffen habe, die Ihnen bevorsteht.« »Worauf spielen Sie denn an?« fragte der Chefarzt vorsichtig. 122
»Es ist hier in aller Munde, daß Sie und Kapitän Pendarvis mit der Zentrale Ihrer Stiftung in New York verhandelt und für die Genehmigung zum Auslaufen plädiert haben.« »Na und?« »Angenommen, die ›Mercy‹ schafft es tatsächlich, hier aus dem Hafen rauszukommen und gerät dann in einen von den heftigen Stürmen, die in dieser pazifischen Ecke an der Tagesordnung sind? Wer trägt dann die Verantwortung für Ihre – über den Daumen gepeilt – fünfundsiebzig Leute an Bord: Pendarvis – oder Sie?« »Und trotzdem hätten wir dabei immer noch mehr Aussicht als hier mit einem wildgewordenen Erreger und praktisch keiner Möglichkeit, ihn anzugehen.« »Es könnte schon einen Weg geben. Ich bin ja dabei, ihn zu gehen.« »Sie wissen ganz genau, daß Sie nicht …« »Lael ist ein Testfall. Deswegen überwache ich sie ja so präzis; eben deswegen bin ich auch das Risiko eingegangen, das Plasma unverzüglich zu übertragen. Wenn seine Immunkörper sie über Wasser halten können, bis sie ihre eigenen produziert, dann kann man Plasma oder Schutzserum von jedem X-beliebigen, der das Fieber überstanden hat, als Präventivmittel für die ganze Belegschaft einsetzen und sie ziemlich aussichtsreich vor dem Ausbruch der Krankheit bewahren.« »Mir wär's trotzdem lieber, wir wären hier schon fort«, beharrte Smithson. »Nehmen Sie mir's nicht übel, wenn ich hoffe, daß Ihre Stiftung die Genehmigung verweigert«, erklärte ihm Grant offen. »Wenn diese Epidemie nach meinen Befürchtungen verläuft, dann werde ich alle Hände voll zu tun haben, das Schiff nicht voll drin badengehen zu lassen. Und ich kenne niemanden, dem ich dann meinen Bruder und das Mädchen seines Herzens lieber anvertrauen würde als Ihnen, Jack.«
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ack Smithson und Kapitän Pendarvis konferierten augenblicklich intern, als Grant zum Frühstück in die Schiffsmesse kam. Da ihn keiner der beiden aufforderte, sich zu ihnen zu setzen, ging er an den Tisch mit Leona Danvers und Doktor Mark Post, dem Chirurgen, der schon im Aufbruch begriffen war zu einer Wolfsrachenoperation in einem der beiden großen OPs, die auf dem B-Deck lagen. »Werden Sie die Kulturen heute schon verschicken, Doktor?« wollte die Laborantin wissen, als sie sich vom Frühstück erhob. »Wenn Sie sie bis zehn Uhr schaffen.« »Aber ja. Ich packe sie in extra Isolierung innerhalb der Styroporkartons, damit die Röhrchen ganz sicher sind.« Im Landrover fuhr Grant dann zum Flughafen und übergab die Sendung dem Piloten der ersten Morgenmaschine nach Lima, dem er ans Herz legte, sie eigenhändig dem ›Braniff‹-Piloten der Tagesmaschine nach Miami weiterzugeben, der sie wiederum der nächsten Linie nach Atlanta weiterreichen sollte. Als das erledigt war, fuhr er zum Bezirksgesundheitsamt. Eine buschige Trompetenwicke rankte sich am Eingang des Behördengebäudes hoch; ihr zauberhafter Duft nahm den Kampf mit dem penetranten Geruch der Fischmehlfabriken auf, der täglich über der Stadt lastete, ebenso wie der Qualm aus den Riesenschloten der Stahlwerke, die Chimbote zu einem Klein-Pittsburgh machten. Wie Grant erfuhr, befand sich Dr. José Figueroa immer noch mit dem Gesundheitsminister auf Inspektionsreise; sein Stellvertreter Dr. Tomas Arroya war anwesend. Höflich folgte Arroya den Ausführungen Grants über die Entdeckungen in Yungay und den Nachweis des mikroskopisch kleinen Angreifers; doch die Enthüllung schien ihn nicht sonderlich zu bekümmern. 124
»Wann frühestens rechnen Sie mit dem Bericht Ihres Institutes in Atlanta, Dr. Reed?« war alles, was er zunächst wissen wollte. »In vier bis fünf Tagen.« »Möglicherweise wird man Ihre Entdeckung als Keim identifizieren, gegen den es schon ein Impfmittel gibt. Er könnte ja auch auf Antibiotika ansprechen.« »Für mich steht außer Zweifel, Dr. Arroya, daß es sich um einen neuartigen Erreger handelt. Und selbst wenn es nicht so wäre, bleibt Ihnen nicht die Zeit, einfach abzuwarten, bevor Sie Maßnahmen zur Eindämmung einleiten.« »Bisher sind Ihnen immerhin nur drei Fälle bekannt, die alle in Yungay infiziert wurden. Und das«, kommentierte Arroya mit Betonung, »liegt in einem Bezirk, für den wir hier nicht zuständig sind.« »Der Todesfall Alfaro Mochas rundet die Zahl schon auf vier definitiv bekannte Fälle. Außerdem werden alle jene, die ihn am Krankenbett besuchten, und insbesondere die Frauen, die bei der Leichenwäsche halfen, mit beinahe tödlicher Sicherheit das Fieber entwickeln.« »Das kann man nicht wissen, bevor sie nicht wirklich erkranken«, meinte Arroya selbstgefällig. »Zum jetzigen Zeitpunkt von einer Epidemie zu sprechen, könnte der Wirtschaft einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen – und das sowohl hier als auch in den Städten des Callejón de Huaylas.« »Alfaro Mochas ist tot – Augustin Almaviva liegt im Sterben – und mein Bruder sowie Miß Valdez können beide ebenso dran glauben müssen. Um wieviel offenkundiger müßte es denn noch für Sie sein, Dr. Arroya?« »Daß das Callejón de Huaylas gefährdet ist, räume ich ja ein, Dr. Reed«, gab Arroya in aller Ruhe zu. »Aber das ist eben der Distrikt der Bezirksgesundheitsbehörde von Huarás …« »Werden Sie sie dann verständigen?« »Selbstverständlich. Welche Maßnahmen von dort aus halten Sie denn für notwendig?« »Jeder neue Fall heftigen Fiebers in der ganzen Gegend sollte gemeldet werden – und jeder Todesfall. Ich werde selbst hinauffahren und 125
von jedem registrierten Fall Kulturen machen. Sagen Sie: Welche Isolierungsmöglichkeiten haben Sie hier in Chimbote?« »Isolierung?« Arroya schaute ausgesprochen verdattert drein. »Wenn die Epidemie hier in den nächsten Tagen ausbricht, wie durchaus anzunehmen ist, müssen die betroffenen Patienten zum Schutz der übrigen Stadtbevölkerung isoliert werden.« »Wir haben hier ein Kreiskrankenhaus. Aber Isolierung …« Doch dann erhellten sich Dr. Arroyas Züge. »Nun, da wäre die ›Mercy‹.« »Oder auch nicht. Kapitän Pendarvis hat in New York um Genehmigung zum Auslaufen nach Panama nachgesucht.« »Wir können das Schiff natürlich nicht halten, ohne den Hafen zu schließen.« Dr. Arroyas Geste kam der Vornehmheit eines Adeligen gleich, der ein Stäubchen von seinem Anzug schnippt. »Was undenkbar ist.« »Nicht halb so undenkbar, wie die Welt ungehindert davon in Kenntnis zu setzen, daß Chimbote eine Seuchenstadt geworden ist«, erwiderte Grant mit Nachdruck. »Was jederzeit passieren kann, wenn meine Befürchtungen eintreffen.« »Könnten Ihre Befürchtungen nicht doch die Tatsachen übersteigen, Dr. Reed? Schließlich sind Sie ein Epidemieexperte …« »Und ich habe die Menschen nur so sinnlos dahinsterben sehen, bloß weil irgendwelche Regierungsbehörden mehr die wirtschaftliche Beeinträchtigung einer Epidemie im Auge hatten und leider weniger den anwachsenden Leichenberg.« Mit Mühe fand Grant seine Beherrschung wieder. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Doktor. Ich möchte noch einige Leute aufsuchen, die bereits angesteckt sein könnten. Und dann muß ich sowieso zurück an Bord, um der panamerikanischen Gesundheitsorganisation von dem Gefahrenherd hier zu berichten.« »Sichern Sie bitte unsere volle Unterstützung zu, sowie sich eine Epidemie als offenkundig erweisen sollte.« Arroya war von gleichbleibender Höflichkeit. »Schließlich sind wir ja nicht wie die afrikanischen Völker, mit denen Sie zu tun hatten. Unsere Kultur reicht immerhin schon dreitausend Jahre zurück.« 126
»Fünftausend, Dr. Arroya«, korrigierte ihn Grant. »Und ein Lebewesen aus eben dieser Vergangenheit ist wiederauferwacht, um unzählige Millionen in aller Welt zu bedrohen.«
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r. Tomas Arroya von der Chimbote bedrohenden Gefahr zu überzeugen, war Grant Reed nicht gelungen, doch gewann er einen neuen Verbündeten an völlig unerwartetem Ort – im Barrio. Vom Hafenviertel am Südrand der Stadt aus wucherte das gärend brodelnde Slumgebiet mit seinen dichtgedrängten Gassen und den armseligen Hütten und Buden kilometerweit ins Land hinein. Auf seinem Rückweg zur ›Mercy‹ beschloß Grant, nach dem beinlosen Bettler Manoel Allanza zu schauen. Da wieder einmal gerade eine von den jährlich rund hundert Fiestas war, füllten sich die engen Straßen schon allmählich mit der üblichen Menschenmasse, unter denen viele bereits vom konsumierten chicha oder von den gekauten Kokablättern halb hinüber waren. Trotzdem belästigte ihn niemand, als Grant den Landrover vor dem schrägen Palmstamm parkte, der hinauf zu Manoels Behausung führte. Auf sein Rufen kam allerdings nur eine Kanonade von Schimpfworten und Flüchen aus dem höhlenartigen Loch des Unterschlupfs; also kletterte Grant den tiefgeneigten Palmstamm hinauf und spähte zunächst vorsichtig abwartend hinein. Die Bruchbude war ebenso stickig und übelriechend wie finster, aber immerhin konnte er Manoel erkennen, der an der Rückwand seiner Behausung zusammengeduckt war, genau vor seinem Geldversteck hinter dem herausnehmbaren Ziegel, was Grant allerdings nicht wissen konnte. »Sind Sie krank?« fragte er auf spanisch. Die Frage löste eine neue Flut von Schmähungen aus, und der Krüppel spie und spuckte nur so vor Haß und – was Grants Hellhörigkeit nicht entging – vor Angst. »Wann hat das Fieber angefangen?« fragte er weiter. 128
In dem Schwall der Beschimpfungen war diesmal ein Wort dominierend: maldición, also ›Fluch‹. Esteban hatte es im Zusammenhang mit dem Schiff, mit Guy und Lael schon gebraucht, fiel Grant jetzt ein. Es schien sich also ähnlich oder vielleicht sogar schneller wie das Fieber zu verbreiten, überlegte er, denn er wußte genau, daß in seinem Gespräch mit dem Bettler ein paar Tage zuvor mit keiner Silbe davon die Rede gewesen war. Er bückte sich tiefer, um durch den Bodeneinstieg zu kommen und Manoel zu untersuchen, doch ein wahrer Hagel fliegender Gegenstände – von leeren Bierflaschen bis zu Konservendosen – ließ ihn zurückzucken und von seinem Vorhaben Abstand nehmen. Außerdem wurde ihm beim Anblick der sich um seinen Landrover zusammenrottenden Menge und durch deren gelegentliche Drohrufe klar, daß Manoels Geschrei einen nicht unbedingt freundlich gesinnten Auflauf verursachte. Dem immer noch anhaltenden Geschoßhagel aus dem Innern der Wohnhöhle ausweichend, begann Grant seinen Rückzug den Palmstamm hinunter. Als er wieder Boden unter den Füßen hatte, sah er einen Mann von hagerem Gesichtsschnitt und abstechend besserer Aufmachung als die übrige Menge sich den Weg durch das Gedränge nach vorne bahnen. Der Pöbel wich mit offensichtlicher Ehrerbietung zurück, die für Grant eindeutig ebenso mit Furcht durchsetzt schien. »Sie sind der yanqui-médico?« Irgend etwas an dem hageren Mann, seinem machtbewußten Auftreten und seinen haßerfüllten Augen ließ Grant in ihm einen der einheimischen Schamanen, Zauberer oder brujos erkennen. »Ich bin Dr. Grant Reed. Und wer sind Sie?« »Ihr Bruder hat eine maldición über Yungay gebracht«, zischte der brujo. »Und Sie haben sie jetzt nach Chimbote gebracht.« Zum zweitenmal an diesem Tag hörte Grant nun schon dieses Wort, und es versetzte ihn schlagartig in Alarmbereitschaft. »Wir haben über nichts einen Fluch gebracht«, gab er ruhig in spanisch zurück. »Mein Bruder ist beinahe an einem Fieber gestorben, das er sich im Callejón de Huaylas geholt hat.« 129
»Er ist verflucht und wird daran sterben«, stieß der brujo hervor. »Und mit ihm viele unschuldige Menschen hier im Barrio.« »Wie wollen Sie das wissen?« »Weil das Schiff der yanqui-médicos Krankheit und Siechtum nach Chimbote gebracht hat; aber sie halten sich nur an die Leute aus dem Barrio« – mit schwungvoller Geste wies der Medizinmann auf die Slums im Umkreis –, »um an ihnen herumzuexperimentieren und ihre Seelen der Verdammnis preiszugeben.« Es war die Einheitsanschuldigung, mit der Medizinmänner im allgemeinen ärztliche Hilfe bedachten, wo immer sie ihrer durch Furcht und Aberglaube manipulierten Machtumklammerung Unwissender ins Gehege kam. Und doch war Grant überzeugt, daß diesmal das Wort maldición eine ganz besondere Auslegung hatte, deren Sinn und Entstehung er ausfindig machen mußte. »Ah, Sie geben keine Antwort!« trumpfte der brujo auf. »Und geben damit zu, daß die yanquis auf dem Schiff das arme Volk malträtieren …« »Viele von euch sind vom Schüttelfieber errettet worden, das ihr tercianas nennt, durch die Arzneien, die ihr auf dem Schiff bekommen habt«, wandte sich Grant an die Menge. »Andere unter euch haben verunstaltete Kinder geheilt gesehen durch die Zauberkraft des Doktors, der neue Gesichter machen kann. Warum hört ihr also auf diesen Mann, der zwar euer Geld nimmt wie alle brujos, euch aber sterben läßt, wenn ihr krank seid?« »Sein Bruder hat die Verfluchung über uns gebracht«, kreischte der Medizinmann. »Hört nicht auf ihn, sonst fällt der Fluch auch auf euch.« Ein anschwellend zorniges Murren ging durch die Menge, und durch diese emotionelle Geräuschkulisse ermutigt, stürzte der brujo plötzlich vorwärts und wagte es, Grant ins Gesicht zu spucken. Für diesen kam das Geschehen zwar total unvorbereitet, doch seine Reaktionsfähigkeit funktionierte prompt, und mit einem einzigen schnellen Schlag streckte er den hageren Menschen zu Boden. »Maldito gringo!« schrie der brujo auf, und eine Flut von Verwünschungen folgte, während der Pöbel vorwärtswogte. 130
Grant zog sich Schritt für Schritt Richtung Landrover zurück, wohl wissend, daß er ohne schnelles Entkommen verprügelt werden und wahrscheinlich zu Tode getrampelt würde – genau das Los, das ihm der Medizinmann zugedacht hatte –, bevor möglicherweise Hilfe eintreffen konnte. Doch der Pöbel ahnte seine Fluchtabsicht, drängte sich zwischen ihn und das Auto, kreiste ihn und den am Boden liegenden Medizinmann ein und wartete offensichtlich lediglich auf den Befehl des sich inzwischen hochrappelnden brujos, sich zum Lynchen zusammenzurotten. Während sich der Hagere die Kleidung abklopfte, straffte sich Grant für den erwarteten Angriff. Aber der Schamane kostete deutlich seine gelungene Aufwiegelung der Menge aus und hatte keinerlei Eile, sie für sein Endziel anzuspornen. Und dann, gerade als der brujo seine Anhängerschaft in die Haßekstase hineinzupeitschen begann, die zur Tötung führen sollte, umschlossen die Finger einer mächtigen schwarzen Hand seine knochige Schulter, so daß er mit einem Schmerzenslaut zusammenzuckte. »Wieder dein alter Dreh, hm, Santos?« Der Sprecher war ein Hüne von einem Schwarzen von gut ein Meter neunzig Größe und, wie Grant scheinen wollte, einer Schulterbreite von mindestens der Hälfte davon. Er war kahlköpfig und von einer langen Narbe gezeichnet, die vom linken Ohr bis zum Kinn reichte. »Irgendwie erinnere ich mich, daß ich dir ziemlich nahegelegt habe, diesen Teil der Stadt hier zu meiden.« Der riesige Neger gab dem Medizinmann einen Stoß, der ihn zur überstürzten Flucht zurück in die Menge zwang, deren Stimmung schlagartig von blutrünstigem Zorn in Heiterkeit umschlug. »Die Leute hier wissen, daß ich zu ihnen halte.« Dann wandte sich der Hüne von der Menge ab und Grant zu. »Ich muß mich entschuldigen für die Behandlung, die meine Leute einem berühmten Wissenschaftler und Nobelpreisträger angedeihen lassen wollten.« Das gewählte Englisch des Schwarzen hatte einen ausgeprägten Südstaatenakzent. Wieder an die Menge gewandt, las er ihr in fließendem Spanisch die Leviten und schimpfte sie aus, als wären sie Kinder. 131
»Sie haben mir wohl das Leben gerettet«, bedankte sich Grant, noch leicht zittrig, bei seinem Beschützer, während sich die Menge zu zerstreuen begann. »Der Mann, den Sie Santos nannten, peitschte sie langsam in Mordlust.« »Die brujos hassen alle Ärzte vom Schiff. Seit man dort auch noch angefangen hat, die Leute, die zur stationären Aufnahme nicht krank genug sind, jeden Nachmittag an Bord zu behandeln, haben Santos und seinesgleichen ziemlich viel Patienten verloren. Übrigens heiße ich Homer Ferguson und komme eigentlich aus Louisiana.« »Und wie hat es Sie hierher verschlagen?« fragte Grant, während sie sich die Hände schüttelten. »Daheim in Louisiana war ich auf Montage in den Ölfeldern, bis ich eine kleine Differenz mit einem anderen hatte – wegen einer Frau.« Er betastete den Schmiß an seiner Kinnlade. »Das stammt von einem Hirschfänger eines Texaners; aber der aus Texas war 'n Weißer und ist einem Rasiermesser ins Gehege gekommen. Ich bin Hals über Kopf davon und um Haaresbreite der texanischen Fahndung entwischt und dann eben nach Peru gekommen, um in den Ölfeldern in Trujillo zu arbeiten. Das liegt jetzt schon fast zehn Jahre zurück, und als das Erdöl entlang der Küste langsam dem Ende zuging, bin ich nach Chimbote gegangen und arbeite hier in den Stahlwerken.« »Und leben Sie hier im Barrio?« »Das Barrio hier ist wie Catfish Row in Charleston, Doktor. Sie haben doch sicher ›Porgy and Bess‹ in Erinnerung.« »In sehr angenehmer.« »Der arme Bevölkerungsteil hier ist ohne Schulbildung, dafür habe ich mir recht schnell Spanisch und sogar quecha angeeignet; und so kann ich manche Kleinigkeit für sie tun: sie vor Geldhaien schützen, vor skrupellosen Vermietern und dergleichen Dingen mehr – Sie wissen schon. Ich heiße hier sogar ›El Alcalde Negro‹.« Ferguson gluckste in sich hinein. »Was mich, wenn man's genau betrachtet, schließlich doch nicht besser dransein läßt, als wenn ich von Anfang an nicht ausgebrochen, sondern daheim geblieben wäre. Aber trotzdem ist's anders. Wenn man erst mal die peruanischen Indios näher kennenlernt, 132
Doktor, dann merkt man, daß sie eine glückliche Art haben – eine weit bessere Lebensphilosophie jedenfalls als jede andere, die ich in Tuskegee studiert habe.« Grant hatte wohl herausgehört, daß der riesige Schwarze einige Bildung hatte; daß er studiert hatte, war aber doch reichlich überraschend. »Am Schluß meines zweiten Jahres an dem berühmten Negro-College in den Staaten«, erzählte Ferguson weiter, »fing ich plötzlich an zu überlegen, was es wohl für einen Sinn haben sollte, wenn ich dem schwarzen Nachwuchs beibringen würde, sich ein Ziel im Leben zu setzen, das sie ja doch nie erreichen würden. Damals setzte gerade der Ölboom ein, also ging ich auf Montage – und bin schließlich hier gelandet.« »Und gerade rechtzeitig aufgetaucht, um mich vor dem Mob zu retten«, meinte Grant dankbar. »Aber könnten Sie mir verraten, warum Sie ausgerechnet im richtigen Moment hier zur richtigen Stelle waren – es sei denn, Sie wären eine der schon biblischen Wunderfiguren?« »Manoel Allanza ist mein besonderer Schützling, Doktor. Ich habe die Nachtschicht im Werk gerade hinter mir und bin nur vorbeigekommen, um nach ihm zu schauen.« »Für meine Begriffe schwebt er in Gefahr, todkrank zu werden, Mr. Ferguson.« »Nennen Sie mich doch bitte Homer. Todkrank? Wovon, Doktor?« »Nicht mehr lang, und ein hochgefährliches Fieber wird in der Stadt und wahrscheinlich in der gesamten Region hier wüten.« »Ist das der Fluch, von dem Santos herumschreit? In letzter Zeit ist viel von einer maldición hier im Barrio geredet worden.« »Bei dem Fluch geht's um keinen Fluch, Homer. Wenn Sie mit mir zur ›Mercy‹ kommen, kann ich Ihnen die Ursache unter dem Mikroskop zeigen.« »Aber wie könnte sich denn Manoel das Fieber zugezogen haben, von dem Sie da sprechen?« Grant gab Ferguson eine geraffte Darstellung von den Ereignissen je133
nes Morgens, als Augustin Almaviva bewußtlos in den Stadtbrunnen gefallen war. »Und das bloße Trinken vom Glas jenes Mannes aus Yungay könnte Manoel infiziert haben?« »Er hat ja auch noch das Geld angefaßt, daß Almaviva vorher in den Fingern hatte.« Ferguson nickte nachdenklich. »Ich kann mich genau an den Tag erinnern; das ist noch keine Woche her.« »Vier Tage, um genau zu sein.« »Manoel hatte eine von den vier Rollen eingebüßt, die an seinen Holzuntersatz montiert sind – er nennt sie seine Füße. Ich habe ihn am gleichen Abend besucht, aber er war schon voll blau vom chicha. Als er diesen Almaviva so beschrieben hat, da habe ich gewußt, um wen es sich handelte.« »Sie kennen Augustin Almaviva?« Grants Interesse war augenblicklich erwacht. »Vor ein paar Tagen war er der Ehrengast bei einer Fiesta, einer Party sozusagen, die seine Schwester und sein Schwager ausgerichtet haben. Und die beiden kenne ich sehr gut.« »Dann werden Sie wohl auch wissen, wie sie heißen.« »Natürlich: Torres – Conchita und Juan Torres. Sie haben eine cantina an der Peripherie des Barrio. Der Mann ist ziemlich nichtssagend, aber Conchita …« Homer Ferguson küßte seine Fingerspitzen in einer typischen Manier, die ungefähr erkennen ließ, wieviel lateinamerikanisches Temperament er angenommen hatte. »Une mujer muy apasionada.« Woraus Grant entnahm, daß der Riese Conchita Torres in der Tat sehr gut kannte. »Erst gestern abend«, fuhr der große Neger fort, »hat mir Conchita gesagt, daß sie sich Sorgen macht, weil ihr Bruder sang- und klanglos verschwunden ist.« Er schlug sich auf seinen wuchtigen Oberschenkel und lachte lauthals. »In der Hauptsache, weil er nach Yungay abgezogen ist, ohne für das Bier bei der Fiesta zu zahlen.« »Almaviva ist nicht nach Yungay verschwunden. Er liegt an Bord der ›Mercy‹ im Sterben.« 134
Fergusons Heiterkeit erstarrte schlagartig. »Vielleicht am selben Fieber, von dem Sie eben gesprochen haben? Dasselbe, das sich der kleine Manoel da droben Ihrer Meinung nach zugezogen hat?« »Almaviva war oben in den Bergen um Yungay Vorarbeiter einer Bohrmannschaft meines Bruders, die Testbohrungen ausführte. Sowohl er als auch Manoel haben sich das Fieber von einem Erreger geholt, den mein Bruder freigesetzt hat, als er auf eine Grabkammer gestoßen ist.« »Dann wundert es mich nicht mehr, daß Conchitas Bruder von einem Fluch gesprochen hat. Und inzwischen ist das Wort im ganzen Barrio in aller Munde.« »Und Männer wie Santos wiegeln deswegen alle gegen die Ärzte auf?« »Das Fieber da …« Fergusons wachsame Augen fixierten Grant bei dieser Frage. »Ist das tatsächlich so gefährlich, Doktor?« »Einer von der Bohrmannschaft – er hat Alfaro Mochas geheißen – ist in Yungay schon daran gestorben, und meinem Bruder kann es jeden Moment das Leben kosten. Augustin Almaviva liegt auf dem Schiff damit im Sterben, und Señorita Valdez, die Freundin meines Bruders, ist inzwischen gleichfalls schwer erkrankt an der Infektion.« »Wenn sich also Manoel schon vom bloßen Trinken aus Almavivas Glas und von dem geklauten Geld mit dem Fieber angesteckt haben kann, dann könnten es auch Conchita Torres und ihr Mann haben?« »Einschließlich jedermann, der auf der Fiesta war – Sie inbegriffen, Homer«, antwortete Grant. »Können Sie mich zu den Torres' bringen?« »Selbstverständlich. Lassen Sie mich bloß noch schnell mit Manoel sprechen; es dauert nur einen Augenblick.« Der schwarze Riese erklomm den schrägen Palmstamm mit athletischer Behendigkeit und verschwand in der miesen Behausung. Grant hörte zwar einen erregten spanischen Dialog, der aber weitgehend unverständlich blieb. Als Ferguson wieder zum Vorschein kam und herunterkletterte, war seine Miene tiefernst. »Manoel fiebert schon«, erklärte er. »Ihr Fluch, Dr. Reed, scheint ein neues Opfer erwischt zu haben.« 135
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ie ›Cantina Torres‹ lag am Rande des Barrio, nur einige Straßenblocks vom Hauptplatz von Chimbote entfernt. Sie war geschlossen, und Grant erwartete schon beinahe, einen schwarzen Trauerflor an der Tür zu sehen, ähnlich jenem in Yungay an Alfaro Mochas Haus. Als Homer Ferguson an dem dahinterliegenden Schlafraum klopfte, fragte eine heisere Frauenstimme, wer denn da sei. »Ich bin's, Homer – mit Dr. Reed vom Hospitalschiff.« Eine Schönheit, die Grant um die vierzig schätzte, öffnete die Tür. Sie brachte zwar ein vages Begrüßungslächeln zustande, aber für Grants hochsensibles Gespür war sie offensichtlich krank – und er zweifelte keinen Augenblick an der Ursache. »Die cantina ist zu, querido mío«, sagte sie zu Homer. »Und komm nicht näher. Mein Bruder Augustin hat einen Fluch in diesem Haus hinterlassen, als er sich davongemacht hat.« »Das hat er nicht, Conchita mía. Er ist bewußtlos in den Stadtbrunnen gefallen, und die policía hat ihn aufs Hospitalschiff gebracht. Das ist Dr. Reed vom Schiff.« »Salud, Señor médico!« Conchita Torres mußte sich am Türrahmen festhalten. »Mir dreht sich alles ein bißchen.« Grant faßte nach ihrem Handgelenk und prüfte den jagenden Puls. Ihre Haut fühlte sich heiß und trocken an. »Und wie geht's Juan?« fragte Homer. »Er ist noch ärger dran als ich. Ich würde euch ja reinbitten, aber …« »Erlauben Sie, daß ich Ihren Mann untersuche, Señora?« bat Grant. »Augustin Almaviva ist schwer krank, und möglicherweise haben Sie beide ein gefährliches Fieber von ihm aufgeschnappt.« Schon ein einziger Blick auf Juan Torres, der im Delirium vor sich 136
hin murmelte und auch bereits die Mundtremorsymptome hatte, die mit dem Yungay-Fieber einhergingen, ließ keinen Zweifel an der Diagnose. »Bei dieser Fiesta für Ihren Bruder – waren da viele Leute da?« wandte sich Grant wieder an Conchita Torres. »Mindestens fünfzig. Ich habe den Überblick verloren. Señor Guy Reed hat Augustin gut bezahlt.« Mittendrin unterbrach sie sich. »Haben Sie gesagt, Sie sind Dr. Reed?« »Señor Reed ist mein Bruder«, erklärte ihr Grant. »Augustin hat mitgeholfen, ihn von Yungay herunter aufs Hospitalschiff zu bringen, nachdem er an einem heftigen Fieber erkrankt ist.« »Das mein Bruder von Ihrem gekriegt hat?« »Das glaube ich nicht, Señora. Offenbar haben sie sich beide das Fieber durch die gleiche Quelle zugezogen.« »Am Fluch für die Graböffnung der alten Ahnen? Davor hatte Augustin reichlich Angst.« »Es gibt keinen Fluch, Señora, nur eine neue Infektionskrankheit. Wie lange war Ihr Bruder hier in Ihrem Haus, bevor er verschwand?« »Gleich nachdem er Señor Guy Reed mit aufs Schiff gebracht hatte, ist er hierhergekommen. Aber schon da hat er über Kopfschmerzen gejammert, und sein Rücken hat ihm weh getan, als würde er dauernd mit einem Vorschlaghammer bearbeitet.« »Das erklärt, warum das Fieber bei Señora Torres und ihrem Mann schon soviel weiter fortgeschritten ist als bei Ihrem Freund Manoel«, sagte Grant zu Homer Ferguson. »Sie haben sich bei Augustin Almaviva bereits bei seiner Ankunft in Chimbote angesteckt.« »Dann wird es sich also bei Manoel noch steigern?« »Aber beträchtlich. Und viele von denen, die bei der Fiesta waren, werden das Yungay-Fieber ebenfalls bekommen.« Der Schwarze nickte bedachtsam. »Einschließlich mir, wie Sie schon sagten.« »Señora«, wandte sich Grant wieder an Conchita Torres, »Sie und Ihr Mann brauchen unverzüglich ärztliche Behandlung.« »Aber Santos …« 137
»Santos ist ein fingidor, ein Scharlatan«, unterbrach sie Homer Ferguson. »Du mußt tun, was Dr. Reed sagt, querida mía.« Grant überließ es Ferguson, die städtische Ambulanz zu rufen, um die Torres' zur ›Mercy‹ zu bringen, und fuhr selbst zurück zum Liegeplatz des Schiffes. Laels Temperatur war auf neununddreißigfünf geklettert, wie er als erstes feststellte, und ihre Kurve hatte sich auf gleichbleibender Höhe eingependelt. Sie war halb bei Bewußtsein und verfiel immer wieder ins Delirium, das ein gravierendes Symptom des Yungay-Fiebers zu sein schien. Guy war bei vollem Bewußtsein. Seine Sprechbehinderung hatte merklich nachgelassen, aber die Wirkung des Aderlasses vom Vortag schien offensichtlich nur kurzfristig gewesen zu sein. Das Rasseln aus den durchnässten Lungenbasen war wieder in seiner Atmung, was lediglich anzeigte, daß sein Herz – wenn überhaupt – kaum etwas durch die Erleichterung seines überlasteten Kreislaufes um einen halben Liter Blut gewonnen hatte. »Doktor Smithson hat … heute früh … zugegeben, daß Lael … das Fieber hat«, keuchte Guy. »Wie … sind … ihre … Aussichten?« »Gut – mit unserer Art von Behandlung. Gestern haben wir ihr mit dir als Spender Immunplasma gegeben.« »Warum habt ihr … ihr nicht mehr … gegeben?« »Das werden wir schon, wenn wir dir wieder Blut abnehmen. Sprich jetzt nicht soviel.« »Nimm mir jetzt … Blut … damit Lael … mehr bekommt.« »Sie wird es besser schaffen, wenn sie zur Anregung der Produktion von Eigenimmunität in eine leichte Krise kommt. Du hast ja auch selbst Antikörper entwickelt.« Als Grant aus Guys Kabine kam, sah er, daß die Ambulanz am Landesteg vorgefahren war. Juan Torres hatte man auf einer Bahre gebracht, während Conchita von Homer Ferguson gestützt wurde. Dr. Marelia hatte eben mit ihr gesprochen und wandte sich nun an Grant. »Dr. Reed, diese Frau sagt, Sie hätten sie und ihren Mann zur Aufnahme bei uns an Bord geschickt«, meinte er mit einem fragenden Unterton. 138
»Richtig. Zwei neue Fälle von Yungay-Fieber.« »Sie haben die Diagnose schon gestellt?« »Señora Torres ist die Schwester von Augustin Almaviva, Tonio. Er war bei ihr und ihrem Mann auf Besuch, als der Zwischenfall mit dem Brunnen passierte.« »Dann ist also die von Ihnen gefürchtete Epidemie …« »… ausgebrochen, jawohl. Am Abend, bevor man uns Almaviva gebracht hat, haben die Torres' in ihrer cantina eine Fiesta zu seinen Ehren gegeben – mit rund fünfzig Gästen.« In diesem Augenblick kam Jack Smithson an Deck. »Was ist denn los?« wollte er wissen. »Dr. Reed hat die beiden Patienten heute morgen in Chimbote ausfindig gemacht – Yungay-Fieber«, erklärte Marelia. »Sind Sie sicher?« »Vollkommen.« Grant setzte die Zusammenhänge auseinander. »Sie können sie ebenfalls gleich auf die Isolierstation nehmen, Tonio.« Offensichtlich war Smithson nicht gerade angetan. »Und bringen Sie uns jetzt niemand mehr, Grant. Wir erwarten die Genehmigung unserer Stiftung, morgen oder übermorgen auszulaufen.« »Mit einer in voller Blüte ausbrechenden Epidemie in Chimbote?« »Ich muß auch an meine Leute denken – und irgendwie auch an die Betriebskosten des Schiffes. Wenn die ›Mercy‹ noch einen Monat in Chimbote bleiben sollte, dann sind wahrscheinlich nicht einmal mehr genügend Geldmittel in der Stiftung vorhanden, um Löhne und Gehälter zu bezahlen und Frischgemüse und Obst für die Verpflegung zu beschaffen.« »Und wenn das peruanische Gesundheitsministerium die Auslaufgenehmigung verweigert?« »Mit welcher Begründung denn?« »Daß die ›Mercy‹ hier zur Eindämmung einer Epidemie gebraucht wird, zum Beispiel. Dann muß die Regierung auch den ganzen Kostenaufwand übernehmen.« »Auch die Beerdigungskosten für jene aus unserer Belegschaft, die durch das Yungay-Fieber ums Leben kommen werden?« fragte Smithson lakonisch. 139
»Und falls ich Sie und alle an Bord der ›Mercy‹ davor schützen könnte – würden Sie dann erwägen, im Hafen zu bleiben und als Isolierhospital zu fungieren?« »Unter diesen Umständen würden Sie mir ja kaum eine andere Wahl lassen. Die Frage ist nur: Wie wollen Sie das bewerkstelligen?« »Ich brauche noch vierundzwanzig Stunden, um das zu wissen; erst dann können wir nämlich sicher sein, wie Lael auf die Antitoxine aus Guys Blutserum anspricht.« Jack Smithson hatte dafür nur ein zweifelndes Kopfschütteln. »Verfallen Sie mir bitte nicht auf die Vorstellung, ich hätte etwas gegen den Einsatz des Schiffes bei einer Epidemie, Grant. Beweisen Sie mir nur, daß Sie meine Leute schützen, dann werde ich die Stiftung sogar um die Zustimmung zum Hierbleiben bitten. Im Augenblick allerdings ist mir schleierhaft, wie Sie fünfundsiebzig Leuten solchen Schutz gewähren wollen – einzig und allein mit Guys Blut.«
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on einer öffentlichen Telefonzelle am Kai rief Grant das örtliche Gesundheitsamt an und verlangte den Leiter der Behörde. »Dr. Figueroa ist bei einer Konferenz der Leiter aller Bezirksgesundheitsämter im ›Hotel Trujillo‹«, erfuhr er von der sich meldenden Sekretärin. Nach zweistündiger Fahrt langte Grant in Trujillo an. Die Stadt war größer als Chimbote; da aber der Hafen von Salaverry nicht den Schutz der naturgegebenen Hafenanlage der Ferrol Bay zu bieten hatte, war sie wirtschaftlich nicht annähernd so bedeutend. Er machte das ›Hotel Trujillo‹ im Stadtzentrum ausfindig und ließ von einem Pikkolo eine Nachricht in den Konferenzraum der leitenden staatlichen Gesundheitsbeamten bringen. Figueroa erschien unverzüglich und begrüßte Grant mit Herzlichkeit. Er war klein, stämmig, kahlköpfig und spürbar energiegeladen. »Ich habe Ihren Vortrag bei der letztjährigen Konferenz der panamerikanischen Gesundheitsorganisation gehört, Dr. Reed«, sagte er. »Zu meinem Bedauern konnte ich nicht zu Ihrem Empfang in Chimbote sein.« »Ich würde Sie keinesfalls stören, Doktor«, erwiderte Grant, »wenn ich es nicht für so dringlich erachten würde. Um offen zu sein: Ich hatte Schwierigkeiten, Dr. Arroya davon zu überzeugen.« »Mein Stellvertreter ist noch von der alten Schule geprägt und nicht sehr flexibel. Er geht auf seine Pensionierung zu. Bitte informieren Sie mich doch im einzelnen.« Grant hatte seinen Bericht noch nicht einmal halbwegs vorgebracht, als ihn Figueroa unterbrach. »Die Konferenz legt nun ohnehin eine Pause ein«, sagte er. »Und ich 141
hätte gern, daß Dr. Huantar, der Gesundheitsminister aus Lima, und Dr. Mendoza, mein Kollege aus Huarás im Callejón de Huaylas, Ihren Bericht mit anhören.« Die vier Männer versammelten sich keine zehn Minuten später an einem Tisch, an dem ihnen Kaffee serviert wurde. Höflich und ohne ihn zu unterbrechen, lauschten sie Grant, als er erneut die Ereignisse seit Guys Höhlengrabanbohrung erzählte. Danach herrschte einen Augenblick beklommenes Schweigen; als Fachpraktiker erfaßten Figueroa und Mendoza das volle Ausmaß dessen, was er ihnen gesagt hatte. »Ein Bazillus, der sich fünftausend Jahre eingeigelt hat«, meinte Dr. Huantar. »Unglaublich!« »Wenn Sie das Keimwachstum auf den Kulturen sehen, wird es Ihnen leichtfallen, an seine tatsächliche Existenz zu glauben«, versicherte ihm Grant. »Ich habe es schon mit mancher unbekannten Infektion in allen möglichen Teilen der Welt zu tun gehabt – aber das ist mit Abstand der virulenteste Erreger, der mir je untergekommen ist.« »Bei den meisten Epidemien können wir mit einem Bevölkerungsanteil rechnen, der schon eine gewisse Immunität mit einbringt: So hat beispielsweise das arme Volk häufig eine bessere Abwehrkraft gegen Kinderlähmung als die gehobene Schicht«, bemerkte Dr. Figueroa. »Aber bei diesem prähistorischen Bazillus hier kann es keine Immunität geben. Er kann die gesamte Bevölkerung anfallen.« »Die Tatsache, daß die Übertragung durch die Luft möglich ist – und sei es durch Sprühspeichel –, macht das Ganze noch bedrohlicher«, fügte Dr. Mendoza hinzu. »Mein Bruder, Alfaro Mochas und Augustin Almaviva steckten sich durch unmittelbare Berührung mit dem ursprünglich infizierten Material an, so daß man die Inkubationszeit dieser Krankheit scheinbar ziemlich genau auf eine Woche festlegen könnte.« »Der Fall von Miß Valdez paßt aber nicht in dieses Schema«, erinnerte Figueroa. »Die verspätete Entwicklung ihrer Symptome könnte darauf zurückzuführen sein, daß sie nicht direkt mit dem verseuchten Material in 142
Berührung gekommen ist«, meinte Grant. »Es scheint tatsächlich so, daß sie nicht in Körperkontakt mit dem Erreger kam, bis mein Bruder erkrankt ist und sie ihn gepflegt hat.« »Hat sie denn nicht die Kamera beim Herausnehmen des Films in Händen gehabt?« wandte Figueroa ein. »Das hat mein Bruder gemacht, ebenso wie er den Film in ihrer eigenen Dunkelkammer entwickelt hat. Und auch die Untersuchungsproben für die Halbwertzeitbestimmung am Institut für Strahlenphysik der Harvard-Universität hat er selbst hergerichtet und verpackt.« »Was beunruhigt Sie dann betreffs der Ansteckungszeit?« fragte Mendoza. »Manoel Allanza, der Bettler, ist erst vor drei Tagen mit der Infektion in Berührung gekommen«, erwiderte Grant. »Im Fall von Señora und Señor Torres mag es etwa einen Tag früher gewesen sein. Und trotzdem zeigen alle drei die typischen Krankheitssymptome. Mir scheint, daß diese Verkürzung der Inkubationszeit nur bedeuten kann, daß der Bazillus yungay – wie ich ihn nenne – ständig an Virulenz zunimmt.« »Dann könnte er bereits wie ein Waldbrand durchs Callejón de Huaylas toben«, folgerte Dr. Mendoza mit düsterem Ton. »Ebenso wie durch Chimbote und jenen Ort, an dem der Dieb Kamera und Mikroskop verkauft haben mag.« »Um das Mikroskop auch nur zu einem annähernd vernünftigen Preis abzusetzen, müßte er ziemlich sicher nach Lima und dort vielleicht an die medizinische Fakultät«, überlegte Figueroa. »Womit er den Infektionsradius ganz gewaltig vergrößert hätte.« »Und was, Dr. Reed, haben Sie nun an Vorschlägen zu bieten, um einer hilflosen Menschheit die ungeheure Bedrohung vom Hals zu halten, die Ihr Bruder auf sie losgelassen hat?« fragte Gesundheitsminister Dr. Huantar reichlich scharf. »Es gäbe immerhin eine Möglichkeit«, sagte Grant. »Aber Ihre Regierung wird von den empfohlenen Maßnahmen nicht begeistert sein.« »Das zu beurteilen, können Sie ruhig mir überlassen.« Grant entfaltete die Karte, die er aus dem Landrover mitgebracht 143
hatte, und breitete sie auf dem Tisch aus, wobei ihm die leeren Kaffeetassen als Randbeschwerer dienten. »Die natürliche Beschaffenheit des Gebietes, in welchem uns die Existenz von Yungay-Fieber schon bekannt ist, eignet sich ganz besonders gut zur drastischen Absonderung, um die Epidemie auf eine möglichst kleine Region zu beschränken.« Mit dem Finger verfolgte er den Lauf des Santa durch das Callejón de Huaylas, das zwischen den Schwarzen und den viel höheren Weißen Kordilleren eingebettet lag. »Und was geschieht dabei mit der Bevölkerung?« fragte Mendoza. »Jeder ausgebrochene Krankheitsfall muß sofort nach Diagnostizierung isoliert werden.« »Wie aber ist dies möglich, wenn die Anfangssymptome jeder anderen Infektion gleichen?« »Ich komme später darauf zurück; inzwischen bitte ich Sie, sich noch einmal der Karte zuzuwenden«, erwiderte Grant. »Hier ist das Callejón de Huaylas mit seiner Kreisstadt Huarás am Südende – also Ihr Amtsbereich, Dr. Mendoza. Es führt eine einzige Straßenverbindung nach Süden Richtung Lima. Eine Fachkommission könnte den Verkehr von und nach Huarás kontrollieren und feststellen, ob im einzelnen Berührungsmöglichkeiten mit der Seuche gegeben waren oder ob gar schon Krankheitserreger zu erkennen sind.« »Mit anderen Worten: Eine totale Verkehrssperre Richtung Süden nach Lima«, wandte Huantar mißbilligend ein. »Aber ein vielversprechender Ansatzpunkt, um den Erreger auf das Tal zu beschränken«, verteidigte Grant seine Idee. »Die Straße von Huarás hinunter nach Casma müßte ebenfalls gesperrt werden wie auch der Nordausgang des Tales nach Huallanca. Nach Chimbote gibt es glücklicherweise nur zwei Verkehrsverbindungen, nämlich Straße und Bahnlinie durch den Cañon del Pato, die beide spielend zu kontrollieren sind.« »Damit haben Sie das Callejón de Huaylas abgeriegelt«, sagte Figueroa. »Aber was ist mit Chimbote?« »Die Panamericana entlang der Küste ist die einzige Straße in beiden 144
Richtungen. Wenn man sie sperrt, ist Chimbote ebenfalls isoliert – bis auf den Hafen, den die Regierung ebenso schließen könnte. Auf diese Weise wären alle Hauptverbindungen, auf denen die Seuche aus den bisher bekannten Zentren ausbrechen und weiter um sich greifen könnte, erst einmal abgeriegelt.« »Ein bewundernswerter Plan für die Bekämpfung einer großen Seuche«, räumte Huantar ein. »Aber angenommen, wir könnten jeden nachweisbaren Fall der Infektion isolieren? Wäre das nicht besser als der wirtschaftliche Selbstmord, den Ihr Plan mit sich bringt?« Es war das ewig gleiche Argument, dem Grant sowohl in Afrika als auch in fast allen Teilen der Welt schon begegnet war, wenn er einen radikalen Kampf zur Eindämmung eines Krankheitserregers vorgeschlagen hatte. »Das hängt davon ab, Dr. Huantar, wieviel tausend Menschen Sie zu opfern bereit sind, damit die Kaufleute ihre Geschäfte offenhalten und die Hotels ihre Betten mit Durchreisenden belegen können«, entgegnete ihm Grant. Des Ministers Miene überzog sich mit verärgerter Röte. »Sie maßen sich einiges an, Dr. Reed. Bisher haben Sie lediglich etwa ein halbes Dutzend der von Ihnen beschriebenen Infektionskrankheit definitiv festgestellt.« »Sie können mir glauben, Herr Minister, ich wünschte, daß es dabei bliebe. Aber ich war schon zu oft in allen möglichen Ländern der Erde davon Zeuge, wie der Kampf gegen Seuchen verloren wurde, um mich mit Kompromißlösungen zufriedenzugeben.« »Mit anderen Worten: Mit Ihnen steht und fällt alles.« »Keineswegs. Ich stelle Ihnen nur die auf meine Erfahrung gegründete Fachmeinung dar.« »Die in diesem Fall unerwünscht ist, Dr. Reed«, gab der Minister unfreundlich zurück. »Ich kann mich nicht entsinnen, daß meine Regierung von der WHO oder auch der panamerikanischen Gesundheitsorganisation Hilfe angefordert hätte.« »Ich habe keine offizielle Berufung hier, Dr. Huantar, und ich habe auch keine geltend gemacht«, erwiderte Grant gelassen. »Mein Dau145
erstatus als beratender Arzt beider Gesundheitsorganisationen allerdings wird es erforderlich machen, daß ich über die gegebene Situation spätestens morgen per Funk Bericht erstatte.« »Wieso?« »An der Harvard-Universität, der mein Bruder das infizierte Untersuchungsmaterial zur Halbwertzeitbestimmung schickte, ging es vermutlich durch die Hände einiger, wahrscheinlich sogar mehrerer Personen – und wer immer das Material in Händen hatte, wird über kurz oder lang Yungay-Fieber entwickeln. Wenn eine hier ausgebrochene Seuche auch andere Länder heimsucht – und sie dürfte in den Vereinigten Staaten derzeit bereits ebenso ausgebrochen sein –, dann versäume ich meine Pflicht, wenn ich nicht die WHO und die panamerikanische Gesundheitsorganisation von der Bedrohung unterrichte.«
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s war schon weit nach Einbruch der Dunkelheit, als Grant auf die ›Mercy‹ zurückkam, und er war hundemüde. Als erstes wusch er sich in seiner Kabine den Straßenstaub von Gesicht und Händen, um dann nach Lael und Guy zu sehen. Als er in Laels Kabine kam, fuhr ihm der Schreck derart in die Glieder, daß ihm jeder Gedanke an Müdigkeit verging. An ihrem Bett saß Jack Smithson; ein Spezialplastikbehälter zur Blutübertragung hing am Infusionsständer. Das Schlauchsystem führte zur Infusionsnadel in Laels Arm, und man konnte das unablässige Einfließen tief dunkelroter Tröpfchen in die gläserne Tropfkammer unterhalb der Plastikflasche verfolgen. Jack Smithson hatte vor sich hin gedöst, schreckte aber beim Geräusch von Grants Schritten sofort hoch. »Wo, zum Teufel, waren Sie bloß?« fragte er. »In Trujillo, um mit dem Gesundheitsminister aus Lima, mit Dr. Figueroa und Dr. Mendoza zu verhandeln. Was ist geschehen?« »Während Sie irgendwo als preisgekrönter Epidemiologe herumkurven, hat Lael einen Schock erlitten. Es blieb nicht einmal mehr Zeit zum Zentrifugieren des Plasmas, aber Gott sei Dank ist sie mit AB Allgruppenempfänger. Es gab keine andere Alternative, als Ihrem Bruder noch mehr Blut abzunehmen, um ihre Überlebenschance zu erhöhen.« »Sie sind für diese Entscheidung ebenso kompetent, Jack, wie ich.« »Guy selbst wollte, daß ich ihm noch mehr Blut abnehme, als ich ihm sagte, daß es für Lael sei. Aber trotzdem war es immer noch eine verdammt heikle Entscheidung für mich, wenn Sie als nächster Verwandter eigentlich in unmittelbarer Nachbarschaft sind.« »Sie haben ihr wahrscheinlich das Leben gerettet«, antwortete Grant. 147
»Und wenn ich dagewesen wäre, hätte ich genauso entschieden wie Sie.« »Was haben Figueroa und Huantar zu der Situation hier gesagt?« wollte Smithson nun in beträchtlich weniger aggressivem Ton wissen. »Wie üblich besteht Huantar auf seinem Kommerz, bis schließlich die Zahl der Fälle total entgleist. Dann allerdings steht von Eindämmung nichts mehr drin.« »Wenn Sie das noch eine Woche lang verhindern könnten, schätzt McTavish, daß er eine Maschine soweit hat, um wenigstens hier mit letzter Kraft abzudampfen. Der Kapitän zumindest rechnet damit.« »Glauben Sie, daß Figueroa dem zustimmt? Die Krankenhauseinrichtungen in Chimbote lassen eine Menge zu wünschen übrig.« »Figueroa wird höchstwahrscheinlich das tun, was Sie empfehlen«, gab Smithson anzüglich zurück. »Schon eine Vorstellung, was das sein könnte?« »Ich weiß selbst noch nicht. Als erstes muß ich morgen früh mit Atlanta und New York sprechen und in Washington die panamerikanische Gesundheitsorganisation verständigen. Hoffentlich läßt mich das Kapitän Pendarvis via Schiffsfunk tun.« »Das wird wohl vom Tenor Ihrer Empfehlung abhängen.« »Und wie kann ich empfehlen, das einzige Labor mit den für mich notwendigen Einrichtungen für das Studium dieses Bazillus und der möglichen Erarbeitung einer Bekämpfungsmethode davonziehen zu lassen?« »Auch nicht unter dem Aspekt, daß es einer Anzahl von ›Mercy‹Leuten den Tod bringen wird?« »Mit fünf Infektionsfällen an Bord waren sie dem Yungay-Fieber schon voll ausgesetzt. Wie steht's eigentlich mit den Torres'?« »Die Frau wird möglicherweise durchkommen; sie ist kräftig und war, wie sie Tonio sagte, noch nie krank. Der Mann hingegen ist eine halbe Portion und, wie die Frau angibt, die Hälfte der Zeit entweder tatsächlich oder hypochondrisch krank. Also werden wir ihn vermutlich genausowenig durchbringen wie Almaviva.« »Das Schlimmste haben Sie noch gar nicht gehört. Allen Anzeichen 148
nach verringert sich die Inkubationszeit des Bazillus yungay, was bedeutet, daß der Bazillus virulenzpotenter wird.« »Dann sind Sie genauso gefährdet wie wir alle. Wieviel Vorsprung können Sie denn haben, bis es Sie erwischt?« Grant zuckte die Achseln. »Zwei Tage länger als Sie und manche von der Belegschaft – die Zeitspanne zwischen meines Bruders Ankunft und meiner eigenen.« »Und inzwischen?« »Muß ich Leona Danvers voll mit Beschlag belegen. Wenn wir es schaffen, einen abgeschwächten Bakterienstamm zu züchten, der nur einen leichten Fall von Yungay-Fieber im menschlichen Körper erzeugt und dabei doch die Ausbildung von Antikörpern anregt, dann könnten wir hier Ihre Belegschaft immunisieren, bevor es zu spät ist.« Aber in diesem Punkt verlor Grant den Kampf, bevor er ihn noch aufnehmen konnte. Als er ins Schiffslabor kam, fand er die schlanke Chefassistentin mit einem kleinen Verband am Zeigefinger ihrer linken Hand und einem sorgenvollen Gesichtsausdruck. »Ich war über einer Passagenweiterimpfung, und beim Sterilisieren des Reagenzglashalses ist das Röhrchen zersprungen«, berichtete sie. »Ein Glassplitter hat meinen Finger geritzt.« »War er noch verseucht?« »Ich war mir nicht sicher, also habe ich erst mal Alkohol und einen Verband draufgetan.« »Wie lang ist das her?« »Es war genau vor dem Abendessen – vor ein paar Stunden also.« »Das könnte uns noch Zeit lassen. Geben Sie mir Quecksilberdoppelchlorid und ein scharfes Messer.« Sie verzog nur zweimal das Gesicht, als er die Wunde mit dem Messer kreuzweise aufschnitt, bis sie frei blutete. Dann ließ er sie den Finger in die starke Doppelchloridlösung einweichen, in der Hoffnung, damit jedweden möglicherweise in die winzige Wunde eingedrungenen Keim dieses furchtbaren Erregers abzutöten. Anschließend injizierte er ihr sofort wirksames Penicillin und ein Langzeitbicillin. 149
»Nehmen Sie eine Schlaftablette, und zeigen Sie mir morgen früh als allererstes Ihren Finger«, befahl er ihr noch. »Aber Sie brauchen …« »Keine Widerrede, meine Liebe. Zeigen Sie mir nur noch die angefangenen Passagenkulturen, und ich mache da weiter. Ich möchte einen Serienversuch mit allen auftreibbaren mutationsanregenden Wirkstoffen starten – in der Hoffnung, die schwache Stelle im Erreger zu finden, die er bisher nicht offenbart hat. Haben Sie übrigens Bromurazil an Bord? Das ist einer der bestfunktionierenden Mutationserzeuger.« »Ich glaube nicht. Aber das können Sie in der Schiffsapotheke erfahren.« »Ich werde dort mal nachfragen. Gute Nacht, Miß Danvers.« »Gute Nacht, Doktor, und viel Glück.« Als er am nächsten Morgen die Kulturen betrachtete, die er um Mitternacht angelegt hatte, fand er überall in den Petrischalen und den schräggestellten Kochblutreagenzgläsern die Minivulkane des Bazillus yungay und seine typische trichterförmige Wuchertätigkeit. Offensichtlich war der Keim nicht im mindesten beeinträchtigt von den chemischen Wirkstoffen, die als Mutationserzeuger bekannt waren und die Grant in der Hoffnung untergemengt hatte, einen Wandel der Merkmale des tödlichen Erregers zu erzielen. Glücklicherweise blieb noch eine letzte Chance und Hoffnung mit Bromurazil, wenn er welches auftreiben konnte. Als er zu einem schnellen Frühstück in die Schiffsmesse ging, sah er Homer Ferguson mit Manoel Allanza auf seinen Schultern über den Landesteg heraufkommen – ein Bild wie aus den Abenteuern Sindbads des Seefahrers aus Tausendundeiner Nacht. Hätte Grant sich bisher der vagen Hoffnung hingegeben, daß die Epidemie doch noch zu vermeiden sei, dann hätte nichts so sehr die Sinnlosigkeit dieser Hoffnung aufzeigen können wie eben das Auftauchen des hünenhaften Schwarzen, der den krebsförmig verkrüppelten und wild im Delirium lallenden Manoel huckepack auf seinen Schultern trug.
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rants Gespräch mit Dr. Marshall Payne vom Seuchenforschungsinstitut in Atlanta kam kurz nach neun Uhr an diesem Morgen zustande. Payne hörte schweigend zu, während Grant eine geraffte Darstellung der Ereignisse seit der Graböffnung oberhalb von Yungay gab. »Sie sind ganz sicher, Grant, daß es ein bislang unbekannter Stamm ist?« fragte Payne nach. »Sämtliche Kulturen, die ich angelegt habe, beweisen es. Ich habe Ihnen gestern per Luftpost ein halbes Dutzend Reagenzgläser geschickt; sie müßten irgendwann im Lauf des Tages in Atlanta eintreffen.« »Wir werden danach Ausschau halten.« »Am besten lassen Sie nur im ›heißen Labor‹ damit arbeiten«, riet Grant. »Bisher sieht es so aus, als würden wir die Hälfte aller Krankheitsfälle abschreiben müssen; das Zeug könnte noch gefährlicher als Lassa- oder Sudan-Fieber sein.« Bei dem ›heißen Labor‹, einer neuen Einrichtung des zentralen Forschungsinstituts, handelte es sich um einen außerhalb Atlantas auf hermetisch abgeriegeltem Gelände stehenden Gebäudekomplex. Er war so angelegt, daß alles von der Passagenweiterimpfung bis zur mikroskopischen Untersuchung in geschlossenen Kammern und mit Schutzhandschuhen ausgeführt werden konnte, die den Arm bis außerhalb der Kammeröffnung bedeckten. Man hatte das Verfahren jenem angeglichen, das beim Umgang mit hochradioaktivem Material angewendet wurde, zum optimalen Schutz des Laborpersonals, das mit einigen der gefährlichsten Krankheitserregern der Welt umzugehen hatte – einer tödlichen Elite, der nun auch der Bazillus yungay angehörte. »Ich wollte, wir hätten Sie hier, um ein Impfserum gegen das Sudan151
Fieber zu erarbeiten«, bemerkte Payne. »Die nigerianische Regierung meldet, daß seit Ihrer Abreise drei Orte des Jos-Plateau so gut wie ausgelöscht sind.« »Und ich könnte wiederum die Institutseinrichtungen dringend hier gebrauchen; aber ich weiß ja, daß ich mich auf Ihr Laborfachteam verlassen kann. Die werden die schwache Stelle in der Struktur des Erregers schon finden.« »Und haben Sie Vorschläge, wie wir da vorgehen sollen?« »Am besten konzentrieren Sie sich vielleicht auf eine genetische Untersuchung. Eine Bakterie, die sich so rapid vermehrt und einen so hohen Titer spezifischer Toxine produziert, muß in einigen ihrer Erbfaktoren diese Merkmale tragen. Wenn man diese Gene irgendwie verändern kann und dem Bazillus damit den tödlichen Stachel zieht, könnten wir einen wirksamen Impfstoff entwickeln.« »Klingt logisch. Und was können wir noch tun, um Ihnen da unten zu helfen?« »Schickt mir ein Quantum Bromurazil per Luftexpreß; irgendwie hoffe ich noch immer auf Mutation. Ich brauche hier einfach sämtliche verfügbaren Laboreinrichtungen und außerdem Krankenunterbringungsmöglichkeiten, wenn die Fälle erst einmal richtig ausbrechen. Deshalb bitte ich Sie, mit der ›Mercy‹-Stiftung in New York Verbindung aufzunehmen, damit sie den Schiffskapitän hier ermächtigen, im Hafen von Chimbote zu bleiben.« »Wird sofort erledigt.« »Ja, noch was. Das Harvard-Institut für Strahlenphysik hat die Halbwertzeitbestimmung von Untersuchungsmaterial gemacht, das ihnen mein Bruder vor ungefähr einer Woche geschickt hat. Ich bin ziemlich sicher, daß das Probemuster bakterienverseucht …« »Allmächtiger!« kam die entsetzte Reaktion des Institutsleiters über den Äther. »Dann könnte Ihr prähistorischer Erreger ja schon in Boston und Cambridge grassieren.« »Mit Sicherheit tut er das. Professor Mallinson in Harvard sollte schleunigst verständigt werden und ebenso die Gesundheitsbehörden in Boston, um nach möglichen Fieberfällen Ausschau zu halten. Und 152
sagen Sie Ihnen, daß sie die Kulturen auf Kochblutagar anlegen und die Untersuchungsproben aus den tieferen Lungenpartien per Katheter ansaugen sollen. So läßt sich das Zeug in weniger als vierundzwanzig Stunden identifizieren.« »Ich werde sofort Alarm schlagen. Und Sie, Grant, lassen uns sofort wissen, wenn wir irgendwie helfen können. Diese Geschichte könnte verflucht gefährlich werden.« »Das ist sie schon. Das einzige, was Sie jetzt noch tun können, ist für uns beten, Marshall.« Als er den Kopfhörer des Sprechfunkgerätes an den Funker zurückgab, hörte Grant einen Wutausbruch hinter sich. Er drehte sich um und sah Kapitän Harry Pendarvis auf der Türschwelle zum Funkraum stehen, kalkweiß und mit bebendem Schnurrbart vor Zorn. »Dr. Reed!« fuhr ihn der Kapitän an. »Sie scheinen vergessen zu haben, daß Sie lediglich Gast an Bord sind. Das Kommando hier habe ich.« »Das ist mir völlig klar, Kapitän.« »Mit welchem Recht geben Sie dann hier Befehle?« »Da Sie zugehört haben, wissen Sie auch, daß ich lediglich den Leiter des Seuchenbekämpfungsinstitutes gebeten habe, bei der ›Mercy‹Stiftung zu intervenieren, das Schiff an Ort und Stelle zu belassen, wo es mit Sicherheit höchst dringlich gebraucht wird.« »Das wird Dr. Smithson zusammen mit mir beurteilen. Wir sind für die Sicherheit des Personals an Bord verantwortlich, und ich habe heute morgen den Hafenkapitän um Auslaufgenehmigung ersucht, sowie die Reparaturen an den Maschinen beendet sind.« »Reparaturen, Kapitän? Oder ein dubioses Flickwerk, mit dem sich die ›Mercy‹ zwar aus Chimbote hinausarbeiten kann, aber ausschließlich, um sich einem Hasardspiel auf See auszusetzen?« »Das werden McTavish und ich entscheiden, Doktor. Ihres Bruders und Miß Valdez' wegen ist hier jedermann an Bord in Lebensgefahr – also können Sie mir wohl kaum einen Vorwurf daraus machen, wenn ich die Gefahr auf ein Minimum reduzieren möchte.« »Haben Sie überhaupt eine Vorstellung, Kapitän, was an Bord eines schwer angeschlagenen Schiffes los sein wird, auf dem auch noch un153
gehindert eine Epidemie von Yungay-Fieber tobt? Sie werden ein Seuchenschiff kommandieren.« »Was für eine Epidemie?« gab Pendarvis eisig zurück. »Ihr Bruder liegt im Sterben, wie Sie sagen, und der Indio, der mit ihm aus Yungay kam, ist praktisch ein toter Mann. Bleibt also nur Miß Valdez …« »Sowie zwei weitere Fälle, die gestern aufgenommen wurden, und einer, der heute eintraf – alle hier vom Ort.« »Man kann sie ins hiesige Krankenhaus schaffen. Als Kapitän dieses Schiffes, Dr. Reed, bin ich befugt, Sie zum Verlassen aufzufordern, und ich gebe Ihnen hiermit sechs Stunden Zeit, um Miß Valdez und Ihren Bruder in ein Krankenhaus an Land zu bringen. Inzwischen werde ich den Hafenkapitän auffordern, die peruanischen Bürger an Bord, die uns dann noch am Auslaufen hindern, abholen zu lassen. Würden Sie nun bitte den Funkraum verlassen, damit ich unserer Stiftung meine Entscheidung durchgeben kann.« Jeglicher Einwand, den Grant noch hätte machen können, wurde abgeschnitten durch einen persönlichen Aufruf über den Bordlautsprecher: »Dr. Grant Reed – dringendst. Kommen Sie bitte in Kabine B 31. Dr. Reed – dringend!«
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abine B 31 war Schauplatz konzentrierter Geschäftigkeit, als Grant ankam. Auf einer Seite stand Jack Smithson an Guys Bett und hielt die Elektroden eines tragbaren Herzschrittmacher-Defibrillators an des Kranken Brust, auf der anderen Seite stand Elaine Carroll reaktionsbereit an den Kontrollapparaturen des Gerätes. Ein Blick auf das Diagramm des Monitors am Kopfende des Bettes ließ Grant die Situation sofort erfassen. Die sonst regelmäßige, wenn auch beschleunigte EKG-Aufzeichnung von Guys Herzschlag hatte nun einem systemlosen Durcheinander von Höhen und Tiefen Platz gemacht. Das Bild war typisch für Herzkammerflimmern, der gefährlichsten und häufig tödlichen Komplikation jeder Art von Herzerkrankung. »An!« befahl Smithson einsilbig. Die Oberschwester drückte die Überleistungszeittaste, die einen momentanen Schock auslöste, als die Hochspannung von einer Elektrode zur anderen jagte und den Stromkreis durch das Herz schloß. Guys Oberkörper zuckte zusammen, und sein Rücken wölbte sich für einen Augenblick hoch, bevor der Körper sich wieder entspannte. Am Kopfende stand Tonio y Marelia und hatte dem Sterbenden ein gebogenes Atemrohr durch den Mund eingeführt, damit die Zunge nicht zurückrutschte und die Atmung behinderte. Außerdem hatte er über Guys Mund und Nase eine Maske gelegt, die aus einem Beatmungsgerät Sauerstoff in die Lungen pumpte. In der Kurvenzeichnung des Hauptmonitors war nun das wilde Durcheinander von Auf und Ab verschwunden und von einer ausgeglichenen horizontalen Linie ersetzt, die deutlich machte, daß keine Spur von Herzströmen mehr vorhanden war. »Vor etwa fünf Minuten ist er uns ins Flimmern gerutscht, Grant«, 155
sagte Jack Smithson. »Ich habe sofort mit der Defibrillierung angefangen.« »Sieht so aus, als hätten Sie diesmal das Herz gestoppt.« »Das ist schon der dritte Stillstand, den ich bewußt einleite, in der Hoffnung, es würde wieder normale Herztätigkeit einsetzen. Aber jedesmal kommt das Flimmern wieder.« »Hat der Stillstand vorher auch schon so lange gedauert?« Smithson schüttelte den Kopf. »Nein – schalten Sie besser wieder auf den Schrittmacher um, Elaine.« Die Oberschwester betätigte den Hauptschalter, und auf dem Schreiber erschienen die Linien einer normalen Herztätigkeit. Diesmal allerdings war der Rhythmus ein künstlicher; der Reiz für jeden Schlag kam von einem kleinen Stromstoß ins Herz. Mit dieser mechanischen Reizung konnte das Herz weiterschlagen und Guys Kreislaufsystem aufrechterhalten. Und da das Beatmungsgerät seine Lungen automatisch mit reinem Sauerstoff vollpumpte, wurde sein Körpergewebe mit jedem Schlag des eigentlich schon toten Herzens mit dem Lebensatem versorgt. Aber bedeutete das wirklich zu leben? An Gerichtshöfen überall in der Welt hatten Richter und Geschworene sich auf die Formel geeinigt, daß ausschließlich das Funktionieren der Gehirnströme dafür entscheidend sein sollte, da man den Enzephalographen im Unterschied zum Schrittmacher und zum Beatmungsgerät nicht künstlich beeinflussen konnte. Wenn man einmal die Gehirnströme – diese winzigen Stromimpulse, die das absolut Wesentliche menschlichen Lebens darstellten – nicht mehr feststellen konnte, dann war das Gehirn tot, und mit ihm hatte alles Leben aufgehört. »Wollen Sie ein EEG?« Jack Smithson hatte Grants Gedanken leicht erraten können, da er wie beinahe jeder Arzt mit dieser Frage selbst schon konfrontiert gewesen war. »Nein.« Es war nichts mehr zu retten, wenn man seinen Bruder mechanisch am Leben erhielt, hatte Grant bei sich beschlossen. Eine Menschenma156
schine, unfähig zum eigenständigen Leben, konnte niemals mehr Studenten entflammen und mitreißen – das vermochte eben nur ein wirklicher Lehrer. Und nie mehr könnte dieses Menschenwrack Bohrplätze ausfindig machen, um lebenswichtige Ölvorkommen zu erschließen oder – was noch gravierender war – die Geschichte menschlicher Zivilisation erforschen durch Entdeckungen wie jene, die in der dünnen, klaren Luft oberhalb von Yungay ans Licht gekommen war. »Bestimmt nicht?« erkundigte sich Jack Smithson noch einmal. Grant verstand die Frage, da seine Antwort den Chefarzt von der lebenserhaltenden Verpflichtung des Eides des Hippokrates, der von jedem Arzt in der Welt abgelegt wurde, befreien würde und damit von der Verantwortung, Guy Reed mit allen menschenmöglichen Mitteln am Leben zu erhalten. »Bestimmt nicht«, antwortete Grant, aber als Elaine Carroll den Schrittmacher auf ›Aus‹ schalten wollte, hielt er ihren Arm zurück. »Noch nicht, Miß Carroll«, sagte er. »Lassen Sie bitte den Schrittmacher an.« »Aber Doktor …« »Guy hat das Yungay-Fieber überwunden – als einziger Mensch auf der ganzen Welt seit mindestens fünftausend Jahren. Sein Blut ist also mit Antikörpern angereichert. Wie viele sterile Transfusionsbehälter, die schon Zitrat gegen Gerinnung enthalten, können Sie im Handumdrehen auftreiben?« »Zwei Dutzend etwa.« Jack Smithson hatte Grants Vorhaben geahnt. »Dann holen Sie sie sofort, Elaine«, sagte er. »Und dazu die stärksten verfügbaren Nadeln.« Die folgenden dreißig Minuten waren hektisch. Während Grant so viel Nadeln wie möglich in Guys Arme, Fußgelenkpartie und Drosseladern einstach, schloß Elaine Carroll an jede einzelne Vakuumbehälter zur Blutübertragung an, die bereits die Zitratlösung zur Verhinderung der Gerinnung beinhalteten. Inzwischen stimulierte der Schrittmacher Guys längst abgestorbenen Herzmuskel zum Kontrahieren und ließ das Blut im Kreislauf zirkulieren und durch die Kanülen abfließen, bis schließlich nichts mehr kam. 157
Am Ende waren zehn Halbliterflaschen gefüllt – fünf Liter Blut also, die nach Ausschleuderung der Zellen etwa zweieinhalb Liter Plasma ergaben. Zwei Flaschen ließ Grant als Konserve in den Kühlschrank stellen. Lael Valdez, die ein Gen in ihren Erbanlagen zum Allgruppenempfänger gemacht hatte, konnte Blut jeder Gruppe direkt übertragen bekommen und würde wahrscheinlich noch Nachschub brauchen. Alle anderen Flaschen ließ er ins Labor bringen mit der Anweisung, sie für ihn dort zu deponieren, um den flüssigen vom Zellanteil zu trennen, die sich beide mengenmäßig ungefähr die Waage hielten. »Das nenne ich Mut«, sagte Jack Smithson, nachdem alles vorbei war. »Die meisten würden mich eher als einen kaltschnäuzigen Hundesohn bezeichnen«, meinte Grant mit gezwungenem Gesichtsausdruck. »Und ich wüßte verflucht noch mal nicht, ob sie nicht recht hätten. Aber jetzt ist es sowieso zu spät, in pietätvolle Trauer um einen sehr geliebten Menschen zu versinken. Wesentlich ist nur, was sein Blut Gutes tun kann.« »Ich weiß – und jeder hier an Bord wird es ebenso verstehen. Und jetzt?« »Kapitän Pendarvis hat mir sechs Stunden Zeit gegeben, um Guy und Lael von Bord zu schaffen. Soweit es Guy betrifft, hat er mir die Mühe erspart. Jetzt bleibt mir wenigstens das beruhigende Wissen, daß ich alle anderen hier immerhin für eine Zeitlang – wenn schon nicht länger – mit dem notwendigen Schutz versehen habe.« »Ich werde mich um Pendarvis kümmern«, sagte Smithson finster. »Wenn es sich um stationär Aufgenommene handelt, dann habe ich hier das Kommando, und Lael bekommt er hier nur über meine Leiche von Bord.« »Und was ist mit der Leiche von Mr. Reed?« fragte die Oberschwester. »Von jetzt an«, erklärte Grant, »muß jeder am Yungay-Fieber Verstorbene entweder eingeäschert oder im Meer versenkt werden.«
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ier Stunden brauchte Grant, um mit der Hochleistungszentrifuge den Zellularanteil vom flüssigen Plasma aus Guys hinterlassenem Blut zu trennen. Unglücklicherweise konnte Leona Danvers nicht helfen. Von der kleinen Stichwunde ausgehend, wo der Glassplitter den Finger verletzt hatte, war die Hand schon stark geschwollen. Außerdem stieg ihre Temperatur, und Grant war nun ziemlich sicher, daß sie sich mit dem Bazillus yungay infiziert hatte – und zwar atypisch für alle anderen Ansteckungsfälle durch direktes Eindringen des Erregers in verletztes Gewebe und damit in den Blutstrom. Lael Valdez hatte Guys Blut übertragen bekommen können, da sie ein Universalempfänger war. Seine Blutkörperchen würden jedoch bei jedem anderen Empfänger – außer bei Blutgruppe A, die selten genug vorkam – einen schweren Schock auslösen, so daß der Versuch, das ganze unausgeschleuderte und mit Zitrat versehene Blut zu dem Zweck, den Grant im Kopf hatte, einzusetzen, undurchführbar war. Plasma allerdings, das zwar im Gegensatz zum Serum, das bei der Blutgerinnung entstand, Fibrinogen enthielt – eben jenen Wirkstoff, der die Gerinnung auslöste –, konnte im allgemeinen jedem Menschen ohne Reaktionsgefahr verabreicht werden, und eben darauf wollte Grant hinaus. Als er mit der Leukophorese fertig war, rief er den Chefarzt. »Jack, würden Sie bitte das gesamte Personal Ihrer Belegschaft und der Schiffsbesatzung nach dem Essen im Mannschaftsklub versammeln lassen?« bat er ihn. »Klar. Brauchen Sie Hilfe?« »Nein. Esteban und ich schaffen es.« Während er schnell ein aus der Schiffsküche geholtes Sandwich aß und zusammen mit dem Logisjungen letzte Vorbereitungen traf, 159
drängte sich Grant der Gedanke auf, wie angemessen es eigentlich war, daß Guy, der immerhin die Seuche an Bord der ›Mercy‹ geschleppt und damit alle in Lebensgefahr gebracht hatte, ihnen nun wenigstens mit seinem Blutplasma eine Überlebenschance gegen die bösartige Infektion verlieh. Und Guy selbst, das wußte er, wäre von der ethischen und gerechten Seite dieser Situation begeistert gewesen, aber da er zum Umkippen müde war, brachte Grant nicht die Kraft auf, tiefer darüber nachzudenken. Ebenso wie in den Krankenhäusern auf dem Festland gab es auch an Bord der ›Mercy‹ schon zeitig das Abendessen, um sechs Uhr nämlich; kurz darauf kam die gesammelte Belegschaft in den Mannschaftsklub. Etwa ein Drittel gehörte der Schiffsbesatzung an, vom einfachen Mann bis zu den Offizieren, an deren Spitze Kapitän Pendarvis und sein gutaussehender Erster Offizier, der Schwede Olaf Olsson, standen. Jack Smithson, Mark Post, Tonio y Marelia, der Zahnarzt Isaac Reuben und ein halbes Dutzend weiterer Kollegen repräsentierten den Ärztestab. Der Rest waren Schwestern und Schwesternhelferinnen, hauptsächlich Freiwillige von amerikanischen Fachschulen. Das Stimmengewirr hörte auf, als Grant hereinkam, gefolgt von Esteban Gomez, der ein Tablett mit den Plasmaflaschen und einer Kollektion von Injektionsspritzten trug. »Ich denke, ich habe endlich gute Neuigkeiten für Sie«, wandte sich Grant an die Versammlung. »Wird auch Zeit, Doktor!« bemerkte Kapitän Pendarvis düster. »Bisher haben Sie uns nichts als Schwierigkeiten und Probleme gebracht.« »Das gehört zu meinem Job, Kapitän. Oft ist es meine einzige Möglichkeit, Leute von unbesonnenen Handlungen abzuhalten, die nur ihr eigenes und das Leben anderer in Gefahr bringen.« Pendarvis hatte nur ein Brummen für diese indirekte Kritik an seinem gewagten Versuch, die ›Mercy‹ aus Chimbote loszueisen, enthielt sich aber einer Antwort. »Sicher wissen inzwischen alle von Ihnen, daß mein Bruder im Verlauf archäologischer Studien zufälligerweise einen neuartigen und hochvirulenten Erreger bei der Öffnung einer Grabkammer in den Weißen 160
Kordilleren oberhalb von Yungay freigesetzt hat. Soweit wir bisher den Nachweis führen konnten, muß der Bazillus der Auslöser einer Epidemie vor rund fünftausend Jahren gewesen sein. Zumindest waren etwa ein Dutzend Menschen davon befallen, deren Körper auf Fotografien zu erkennen sind, die von der Mitarbeiterin meines Bruders, Miß Lael Valdez, innerhalb des Höhlengrabes aufgenommen wurden. In der hermetischen Geschlossenheit des Grabes scheint der Mikroorganismus in überlebensfähige Starre verfallen zu sein, bis zufällig ein damit infizierte Materialstück mit einem speziell von meinem Bruder entwickelten ›Lerici‹-Periskop, an dem auch die Präzisionskamera zur Aufnahme der Bilder befestigt war, zutage gefördert wurde. Inzwischen ist mein Bruder gestorben – allerdings nicht am Bazillus yungay, den er überwand, sondern an Herzversagen«, fuhr Grant fort. »Glücklicherweise konnte er uns somit etwas hinterlassen, das zumindest einige, wahrscheinlich jedoch alle von Ihnen davor bewahren wird, Yungay-Fieber zu entwickeln, nämlich das spezifische Antitoxin, das sein eigener Körper im Kampf gegen den Erreger entwickelt hat. Es ist mir klar, daß einige von Ihnen mich für gefühllos halten, weil ich meinen Bruder nach dessen Tod ausbluten ließ, und ich kann Sie verstehen. Dieses Blut allerdings hat schon Miß Valdez vor dem tödlichen Ausgang des Fiebers gerettet. Da der Bazillus yungay einem Bakterienstamm angehört, der ein Gift erzeugt, das man Ektotoxin nennt, produzieren vom Yungay-Fieber Befallene ihre körpereigenen Antitoxine – wie es eben bei meinem Bruder der Fall war und sich bei Miß Valdez derzeit ebenso vollzieht.« »Falls die Erkrankten lang genug leben«, bemerkte Mark Post, der Grants Ausführungen wie an jenem Morgen, als die Ratte für den Virulenztest obduziert wurde, wieder auf seinen Recorder aufnahm. »Natürlich«, stimmte ihm Grant zu. »Gott sei Dank kann schon eine relativ geringe Menge eines besonderen Antitoxins die der Ansteckungsgefahr Ausgesetzten vor dem Ausbruch der Krankheit bewahren – mit anderen Worten: eine passive Immunisierung gegen den Erreger, im Unterschied zur aktiven Immunisierung, die ein Mensch in der Konfrontation mit der Bakterie selbst im Körper entwickelt.« 161
»Sie sprechen offensichtlich von einem Serum«, schaltete sich Post wieder ein. »Aber bleibt denn dafür Zeit?« »Nicht um ein Serum aufzubereiten. Das würde voraussetzen, daß man eine Serie von gestaffelten Gaben der Bazillus-yungay-Toxine einem Pferd injiziert, bis es Eigenimmunität entwickelt, um dann dem Tier Blut abzuzapfen, das man gerinnen läßt, damit sich die Zellkomponenten vom Flüssigkeitsträger trennen, um so das Serum zu erhalten. Wir sind in der glücklichen Lage, mit einem sofort verfügbaren Quantum von Antitoxinen versorgt zu sein, und zwar durch das Blut meines Bruders, das bereits das Leben von Miß Valdez gerettet und damit seine Wirksamkeit bewiesen hat.« »Ihr konnte man das Blut übertragen, da sie ein AB-Typ ist, also ein Allgruppenempfänger«, wandte Post ein. »Aber in unserer gesamten Versammlung dürften nur wenige Gruppe AB haben.« »Jeder von Ihnen kann ohne Risiko die Plasmafraktion mit den Immunkörpern gegen das Yungay-Fieber aus meines Bruders Blut empfangen«, berichtigte Grant den Chirurgen. »Und da uns wirklich wenig Zeit bleibt, sehe ich keinen Grund zur Verzögerung.« »Wann also?« fragte Kapitän Pendarvis, in dessen Ton inzwischen keine Spur von Angriffslust mehr war, sondern lediglich Ungeduld. »Ihr Einverständnis vorausgesetzt, wird jedem von Ihnen jetzt eine gleich große Menge Immunplasma intramuskulär injiziert«, erwiderte Grant. »Ich kann nicht garantieren, daß bei allen der Schutz wirksam wird, jedoch mit Sicherheit bei den meisten.« »Und für wie lange?« wollte Mark Post wissen. »Mindestens für die Dauer von ein paar Wochen.« »Und dann?« »Miß Valdez und wenigstens zwei der einheimischen Patienten hier an Bord werden zu diesem Zeitpunkt genesen und immun sein. Außerdem ist in Kürze mit einer Reihe von neuen Fällen zu rechnen, da die Epidemie um sich greift. Voraussichtlich wird die Hälfte überleben, was uns mit ausreichend Immunsubstanz zum Selbstschutz versehen müßte, bis ein anderes Mittel zur Bekämpfung des Yungay-Fiebers gefunden werden kann – hoffentlich ein Impfstoff.« 162
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enn der Vortrag, den er vor dem in zweijährigem Zyklus stattfindenden Treffen der Internationalen Gesellschaft für Strahlenphysik in London halten wollte, nicht das absolut Bedeutendste dargestellt hätte, was er in seiner ganzen Laufbahn verfaßt hatte, wäre Professor Philemon E. Mallinson niemals an Bord des BOAC-Jumbo gegangen. Die Maschine startete um 19.30 Uhr vom Kennedy-Airport – einen Abend bevor Grant die Immunisierung der Schiffsbelegschaft durchführte. Mallinsons Befinden war miserabel, als er Boston an diesem Morgen verlassen hatte; er nahm an, daß er irgendeine Infektion der oberen Atemwege ausbrüten würde, die man gemeinhin mit dem Sammelbegriff ›Grippe‹ bezeichnete und die mehrmals im Jahr Universität und Stadt wie eine Welle erfaßte. Glücklicherweise hatte er keine Vorlesungen an diesem Vormittag, und so war er zu Hause geblieben, bis es Zeit war, zum Flughafen zu fahren, und hatte alle vier Stunden aspirin-, phenazetin- und koffeinhaltige Kapseln geschluckt, zusammen mit drei Milligramm Kodein, um die mittlerweile aufgetretenen Kopfschmerzen und den Schüttelforst zu bekämpfen. Nachdem sich die Maschine in der Horizontalen befand, begab sich Mallinson in die Erste-Klasse-Lounge am Oberdeck und genehmigte sich dort sofort seinen ersten Whisky-Soda, um sich auf das Abendessen vorzubereiten. Er hatte in der Abflughalle einige bekannte Gesichter aus der Akademikerszene gesehen, aber es war ihm ganz und gar nicht danach gewesen, auch nur mit einem von ihnen ein Gespräch zu beginnen, bis nun schließlich die Kombination von Whisky und Kodein ihr schmerzstillendes und appetitanregendes Wunder in seinem Körper bewirkte. 163
»Hab' Sie schon am Flughafen gesehen, Phil.« Professor Angus Moriarity, Fakultätsleiter des Instituts für Strahlenphysik an der StanfordUniversität, setzte sich neben Mallinson. »Aber Sie haben sich verdrückt, bevor ich mich überhaupt bemerkbar machen konnte.« »Freut mich, Sie zu treffen, Angus.« Mallinson und der korpulente Kalifornier schüttelten sich die Hände. »Ich fühle mich schon den ganzen Tag ziemlich lausig, und der Kopf dröhnt mir, also habe ich nicht links und rechts geschaut.« »Wahrscheinlich haben Sie die Drei-Tage-Grippe aufgeschnappt; die grassiert doch meistens im Oktober. Aber dieses Kentucky-Allheilmittel, das Sie da schlucken, müßte Ihnen eigentlich hilfreich in die Glieder fahren. Ich habe Ihren Vortrag auf der Tagesordnung gesehen. Geht's um was Neues?« »Möglicherweise um eine kleine Sensation. Wir glauben, daß uns der Nachweis eines neuen Teilchens gelungen ist.« »Die scheinen unzählig zu werden«, meinte Moriarity seufzend. »Ich habe die Quarks noch nicht einmal richtig erfaßt.« »Wer hat das auch schon?« Moriarity warf einen Blick zur Seite, als ein großer braungebrannter Mann von höchstens fünfunddreißig neben ihnen stehenblieb. »Setzen Sie sich zu uns, Puryear«, sagte er. »Sie kennen doch Phil Mallinson?« »Dem Namen nach selbstverständlich, Doktor«, erwiderte der jüngere Physiker, während man sich händeschüttelnd begrüßte. »Ich habe in Boston Zwischenstation gemacht, um einen Cousin zu besuchen, der an einem Ihrer Seminare teilnimmt: Sam Judson.« »Aber natürlich«, sagte Mallinson. »Fähiger Bursche.« »Und fast hätte ich ihn verpaßt«, meinte Puryear. »Er war schon auf dem Sprung nach Kalifornien.« »Ich weiß. Judson hat mir erzählt, daß er nach Los Angeles zum vierzigsten Hochzeitstag seiner Eltern fahren würde. Da habe ich ihn gebeten, für mich etwas an der kalifornischen TH nachzuschlagen.« »Wenn Sie sich an mich gewandt hätten, Phil«, schaltete sich Moriarity ein, »dann hätte einer meiner Promovierten das für Sie erledigen können.« 164
»Der junge Judson ist ja sowieso gefahren und wollte es unbedingt für mich recherchieren.« »Sam hat mir von dem Skelettstück mit den Textilfasern aus Peru erzählt, dessen Halbwertzeit Sie vor ein paar Tagen bestimmt haben«, sagte der junge Physiker. »Haben Sie inzwischen mehr darüber erfahren, Sir?« »Noch nicht, aber ich rechne mit einem Brief von Guy Reed, wenn ich zurückkomme. Ich habe schon öfters Zeitbestimmungen für ihn gemacht, und er hat mir jedesmal die gewünschten Informationen umgehend geliefert.« Einige weitere Wissenschaftler, die auf dem Weg zur berühmten Konferenz in London waren, kamen nun ebenfalls an die Bar; das Gespräch wandte sich wissenschaftlichen Themen zu. Als das Abendessen angekündigt wurde war die Flugbar schließlich besetzt von Fachkollegen, von denen die meisten Mallinson von anderen Konferenzen oder Universitäten her kannten. Halb betäubt durch das Gemisch von Kodein, Phenazetin, Aspirin, Koffein und Bourbon, schlief Professor Mallinson nach Mitternacht – so lange hatten die Fachdiskussionen in der Lounge immerhin gedauert – mehr schlecht als recht. Als dann kurz nach Tagesanbruch der vertraute Anblick der grünen Küste von Cornwall unter den Tragflächen ins Blickfeld kam, fühlte er sich so miserabel wie nie zuvor. Kaum in seinem Hotel, nahm er zwei weitere Kodeintabletten und legte sich sofort hin, ohne den Depeschen des Seuchenbekämpfungsinstitutes und der Bostoner Gesundheitsbehörden, die man ihm zusammen mit dem Zimmerschlüssel ausgehändigt hatte, auch nur die geringste Beachtung zu schenken.
Etwa zur selben Zeit traf Sam Judson mit dem Niedrigpreispendelflug in Los Angeles ein, wo er von seinem jüngeren Bruder abgeholt wurde. Ihm graute vor der Aussicht auf das riesige Mittagessen zu Ehren des Hochzeitstages seiner Eltern, denn er war ziemlich sicher, daß bei 165
ihm die Drei-Tage-Grippe durchbrach, die vor seiner Abfahrt die ganze Harvard-Universität schon wie eine Welle erfaßt hatte. Da aber das Familienfest nun einmal der Anlaß seiner Heimreise gewesen war, bestand nicht die geringste Chance, einem zwei- bis dreistündigen Essen und dem ganzen Familien- und Verwandtenzirkus zu entkommen.
In Waltham, einer Trabantenstadt von Boston, gab sich Abraham Haimowitz, ein anderer Student aus Professor Mallinsons Vorlesung, seinem Besäufnis bei der Bar-Mizwa-Feier seines Vetters Samuel Marx hin. Es war eine riesige Angelegenheit, bei der alles im Übermaß genossen wurde: Getränke, Essen und Verbrüderungen – unter besonderer Mitwirkung des Bazillus yungay, den Haimowitz einschleppte, der schon den ganzen Tag lang an fürchterlichem Husten gelitten hatte.
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n Chimbote war es bereits neun Uhr abends, als Grant total erschöpft mit zwei Spritzen und den beiden letzten verbliebenen Dosen von Guys Plasma auf die Station kam, auf der sich Manoel Allanza befand. Obwohl der verkrüppelte Bettler im Delirium lag, hatte sich seine Kurve eingependelt, und während der letzten zwölf Stunden war kein feststellbarer nachteiliger Wandel in seinem Zustand eingetreten. An seiner Pritsche saß Homer Ferguson, die schwarze Riesenpranke am Randgestänge der Liege und jederzeit bereit, den winzigen Körper wieder zurückzudrücken, wenn Manoel Gefahr lief, herauszufallen. »Was meinen Sie, Doktor?« fragte Homer, als Grant nach eingehendem Studium die Krankentabelle wieder ans untere Bettende hing. »Ihr kleiner Freund hält sich gut; wenn keine Komplikationen auftreten, müßte er es überstehen – was sich von Torres nicht sagen läßt.« »Und Conchita?« Man hatte sie auf eine angrenzende Station der durch Isolierungsmaßnahmen so gut wie geschlossenen Hospitalabteilung gebracht. »Steht ziemlich auf der Kippe, fürchte ich. Eine Winzigkeit kann den Anschlag in dieser oder jener Richtung geben.« »Können Sie nicht ein bißchen in der richtigen Richtung nachhelfen, Doktor? Sie bedeutet mir nämlich ziemlich viel.« »Ich wünschte, das wäre möglich. Aber Sie, Homer, könnte ich immerhin vor der Ansteckung schützen.« »Durch die Einspritzung des Blutes von Ihrem Bruder?« »Wie haben Sie denn das erfahren?« »Esteban Gomez hat mir's erzählt. Er ist gleich nach Erhalt seiner Spritze hier durchgekommen und war auf dem Weg ins Barrio.« »Wieso geht er um diese Zeit noch von Bord?« 167
»Mir scheint, er hat sich gedacht, daß ihn Ihre Einspritzung gegen die Gefahr schützt, der er hier bisher ausgesetzt war, und daß sich seine Aussichten nur verbessern können, wenn er der weiteren Gefahr ausweicht und nach Hause gehen würde.« »Womit er sich verkalkuliert hat«, sagte Grant. »Wenn die Epidemie in Chimbote dem bisherigen Schema folgt, dann werden innerhalb der nächsten Tage eine ganze Reihe Leute das Fieber entwickeln – allen voran die Fiesta-Gäste, die mit Almaviva zusammengekommen sind.« »Ich habe versucht, ihm das klarzumachen, aber tauben Ohren gepredigt.« »Dr. Figueroa meint, daß man im Barrio auf Sie hören wird, wenn Sie den Leuten sagen, daß sie ihre Kranken unverzüglich aufs Schiff bringen sollen«, sagte Grant. »Ist das der Grund, warum Sie die Dosis Serum für mich aufgehoben haben?« »In etwa. Das Barrio wird mit Sicherheit der Ort sein, an dem die nun schon ausgebrochene Epidemie von Yungay-Fieber als erstes um sich greift. Und Sie sind meine einzige Nachrichtenverbindung zu den Leuten dort. Wenn ich also Ihnen vorläufigen Schutz geben kann, dürfte das ebenso wichtig sein wie der Schutz des Hospitalpersonals.« »Mir wär's lieber, Dr. Reed, wenn Sie es Conchita geben. Sie braucht es dringender als ich.« »Das bißchen hier kann ihr nicht helfen, Homer, da sie schon einmal das Fieber hat. Aber Sie kann ich ein paar Wochen vor Ansteckung bewahren, und während dieser Zeit können Sie einer Menge Menschen helfen, die sonst auf Santos hören und in ihren sicheren Tod gehen würden.« »Ist gut, Doktor. Wenn Sie es so wollen.« Die Injektion war im Nu gemacht; danach spritzte sich Grant die endgültig letzte Dosis selbst. »Scheint fast so, Doktor, als wären Sie und ich von irgendwem dazu bestimmt, gute Samariter zu sein«, meinte Homer danach. »Ob es uns nun paßt oder nicht.« »Ich denke, wir beide wissen ganz gut, wer uns da ausgesucht hat«, gab ihm Grant zur Antwort. »Aber um ganz sicher zu sein, werde ich 168
Pfarrer Branigan fragen. Er muß ja auch noch mit mir meines Bruders Leiche ins Krematorium bringen. Der Leichenbestatter wird den Ofen wohl nur nachts bedienen.« »Kein Bestattungsunternehmen in ganz Chimbote dürfte Ihnen seinen Leichenwagen zur Verfügung stellen.« »Das habe ich schon gemerkt. Sieht so aus, als müßten wir das allein erledigen, eben mit dem Landrover.« »Nach zehn Uhr nachts in Chimbote – und wie die Dinge jetzt liegen?« stöhnte Homer auf. »Das wäre der reine Selbstmord, Doktor. Santos sucht doch nur nach einer Gelegenheit, an Sie heranzukommen, und ich möchte wetten, daß er vom Leichenbestatter schon erfahren hat, was Sie vorhaben. Ich begleite Sie.« »Aber …« »Die Barriobewohner nennen mich nicht bloß deswegen ›El Alcalde Negro‹, weil ich für sie den Papierkram mit den Behörden erledige. Ich habe ihnen auch bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne bei den Plantagenbesitzern die Küste hinauf und hinunter und bei den Wasserkraftwerkleuten in den Bergen ausgehandelt. Also egal, was ihnen Santos eingetrichtert hat – sie werden trotzdem auf mich hören.« »Davon brauchen Sie mich nicht erst zu überzeugen, Homer. Ich habe es schließlich buchstäblich am eigenen Leib erfahren, als Santos die Leute gegen mich aufwiegeln wollte.« »Was er wieder versuchen wird. Möglicherweise heute abend.« Die von Homer vorausgesagten Schwierigkeiten trafen prompt ein, als der Landrover etwa um half elf Uhr vor der Casa de Fúnebre vorfuhr. Eine bedrohlich aussehende Menge hatte sich angestaut und rottete sich um das Fahrzeug zusammen, bis sich der Hüne vom Rücksitz des offenen Wagens mit Guy Reeds in Plastik gehüllter Leiche auf den Armen erhob. »Dispersarse«, schrie Homer die Menge an. »Wollt ihr verflucht sein für die Störung der Totenruhe?« Die Drohung verfehlte nicht ihre einschüchternde Wirkung auf die Rädelsführer, und die Menge begann zurückzuweichen und den Weg zur Leichenhalle freizugeben. 169
»Das könnte der ideale Zeitpunkt sein, sie zu warnen, daß jeder Fiestagast von neulich in der ›Cantina Torres‹ in Kürze an hohem Fieber erkranken kann«, meinte Grant. »Reden Sie ihnen zu, daß sie sich dann sofort auf dem Hospitalschiff einfinden sollen.« »Zusammen mit vielen von euch habe ich vor ein paar Tagen chicha und pisco in der ›Cantina Torres‹ getrunken«, wandte sich Homer an die Menge. »Da war die pestilencia bereits im Haus, und deswegen werden manche von euch auch schon bald hohes Fieber bekommen – ein calentaron wie jenes, das Conchita und Juan krank gemacht hat. El médico americano wird sich dann um euch kümmern und euch behandeln, wenn ihr zum weißen Schiff kommt; aber verliert keine Zeit. Und jetzt macht Platz; wir müssen den Körper von Señor Guy Reed verbrennen, damit die pestilencia in ihm auch getötet wird.« »Und was ist mit den bösen Geistern, die ihn mit dem Fluch belegten?« erhob sich eine Stimme aus der Menge. »Der einzig böse Geist hier im Umkreis heißt Santos«, gab Homer scharf zurück. »Er hat nur Angst, daß ihr euch an die weißen médicos wendet, die schon die tercianas africanas besiegt haben, bevor sie uns alle ausgelöscht hat. Und dann kann er euch kein Geld mehr aus der Tasche ziehen für seine Bann- und Zaubersprüche und sein magisches Arzneiengebräu. Geht nach Hause und bleibt dort. Und wenn euch das Fieber erwischt, kommt sofort zu den yanqui médicos.«
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ie Versuchung war einfach zu groß für Carlos Ganza, um ihr zu widerstehen: das solide Haus, in dem kein Licht mehr brannte, der Rolls-Royce in der Garage, das kunstvoll gestutzte Buschwerk im Vorgarten. Eine mächtige Bougainvillea rankte sich an der schattigen Seite des Hauses hoch und zog sich beinahe wie eine Leiter zu einem kleinen Balkon hinauf, dessen Fenstertüren offenstanden und – ein weiterer höchst einladender Umstand – mit Sicherheit in ein Schlafzimmer führten. Das Rankenspalier zu erklettern war eigentlich kinderleicht. Trotzdem mußte Carlos ein paarmal seinen Kopf schütteln, um ihn von dem stechenden Schmerz, der in seinem Schädelinneren schon seit dem Mittag tobte, klarzubekommen, bevor er endlich das Balkongitter erreichte. Gitter und Geländer zu überklettern wurde geradezu zur Kraftprobe, denn seine Muskeln schienen ungleich schlaffer zu reagieren als gewöhnlich. Er wollte das ganze Unternehmen schon aufstecken, als ihm seine finanzielle Lage wieder einfiel. Der Student, dem er gestern schließlich das Mikroskop verkauft hatte, hatte hart gefeilscht, so daß Carlos nur die Hälfte des erhofften Preises für das Gerät erzielen konnte. Außerdem mußte man trotz dröhnendem Schädel von etwas leben, und das Geld, das ihm ingeniero Jara für die Kleinbildkamera gegeben hatte, war gerade ausreichend für die Busfahrkarte nach Lima, die Zimmermiete für eine Woche und die Gunst einer tapada, die er während der vergangenen Monate im Callejón de Huaylas so sehr vermißt hatte. Also kletterte Carlos unter Aufbietung seiner letzten Kraft über das Balkongeländer und verursachte dabei einen solchen Spektakel, daß er schreckerfüllt eine Zeitlang auf dem Boden liegenblieb, den Kopf in beiden Händen hielt und jeden Augenblick auf das angehende Licht 171
wartete, zum Zeichen, daß die Bewohner erwacht waren. Als das dann aber nicht geschah, raffte er sich auf und schlich vorsichtig in das Schlafzimmer. Er holte die Minitaschenlampe hervor, die er immer bei sich trug, schaltete sie ein und schirmte mit der linken Hand sorgfältig ihren Strahl ab, während er das Zimmer inspizierte. Frauen- und Männerkleidung lag verstreut umher, und der Schmuck befand sich erwartungsgemäß auf dem Nachttisch – ganz so, als ob es das Paar im Bett beim Ausziehen eilig gehabt hätte. An besseren Tagen hätte Carlos Ganza, der stets auch auf der Lauer nach Erpressungsmöglichkeiten lag, wahrscheinlich einige Zeit mit der Suche nach Ausweispapieren zugebracht, um zumindest einen der beiden Beteiligten belasten zu können. Aber mit seinem dermaßen dröhnenden Schädel wollte er nur noch eins: die Beute einsammeln und dann verschwinden. Vielleicht war es eben diese Eile oder auch diese merkwürdige Muskelsteifheit, die ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Als er jedenfalls nach Armband und Halskette auf dem Tischchen griff, ließen ihn seine schlaffen Muskeln im Stich. Die kleine Taschenlampe fiel klappernd zu Boden, und das Paar im Bett wurde schlagartig wach. »Mein Mann!« kreischte die Frau und setzte sich senkrecht auf, um die ans Fußende gerutschte Bettdecke an sich zu raffen. Der Mann reagierte typisch für jeden in dieser Situation überrumpelten Liebhaber. Er schnappte Hemd und Hose, die er achtlos über einen Stuhl geworfen hatte, und suchte das Weite in Richtung Balkon. Dabei stieß er jedoch mit Carlos zusammen, der das nämliche Ziel hatte, und er rempelte den Dieb der Länge lang um, wobei dieser gegen die Kante eines Marmortisches fiel und hart mit dem Schädel aufschlug, was ihn augenblicklich außer Gefecht setzte. Und so kam es, daß sich ein völlig benommener Carlos Ganza nicht einmal an das Eintreffen der Polizei oder an die Protokollaufnahme wegen versuchten Raubes erinnern konnte, bevor er schließlich in der Sammelzelle des Zentralgefängnisses von Lima landete, wo ihn eine Kollektion von kleinen Dieben, von Besoffenen und anderem Gesindel erwartete, das bei der abendlichen Polizeirazzia hängengeblieben war. Erst am nächsten Morgen, als man Carlos vor den Schnellrichter 172
halb schleifen mußte, sah schließlich jeder, daß der Pechvogel von Dieb ernsthaft krank war und ins Krankenhaus gehörte. Aber auch in der gesteckt vollen Gefangenenabteilung des städtischen Krankenhauses bessert sich seine Lage im Vergleich zum Gefängnis kaum; doch für Carlos spielte das ohnehin keine Rolle mehr, da er inzwischen vom rasenden Fieber bewußtlos war.
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enn Dr. Rafael Huantar, der peruanische Gesundheitsminister, zur Hinhaltetaktik tendierte, so dachte Dr. José Figueroa völlig anders. Und obwohl Figueroas Position in der Behördenhierarchie verlangte, daß er Huantars Wünschen wenigstens Lippendienst zollte, hatte er sich seit langem als sehr geschickt erwiesen, wenn es galt, auf einen ziemlich schläfrigen Bürokratenapparat Druck auszuüben. Das ermöglichte es ihm wenigstens jetzt, die bessere Alternative zum Wohl der öffentlichen Gesundheitsfürsorge durchzusetzen. Eine Probe von Figueroas Fähigkeit zum schnellen Handeln brachte der nächste Morgen, als ein mit einem Offizier und zwei Soldaten besetztes Militärfahrzeug auf der Pier vorfuhr und gegenüber dem Ankerplatz der ›Mercy‹, direkt neben dem Landrover, anhielt. Der Offizier kam bis an den Landesteg, hütete sich aber, dem Schiff näher zu kommen. Er warf einem Matrosen ein amtlich aussehendes und an Kapitän Harry Pendarvis gerichtetes Schreiben zu, um gleich anschließend wieder zu dem Militärfahrzeug zurückzukehren, wo die Soldaten offensichtlich so etwas wie einen Wachtposten einrichteten. Grant war an Land gewesen, um sich um die Feuerbestattung von Augustin Almaviva und Juan Torres zu kümmern, die beide in der Nacht verstorben waren. Als er zurückkam an Bord, sah er die amtliche Mitteilung am Schwarzen Brett hängen, das gleich neben dem Landesteg hing. Das in spanisch verfaßte Schreiben hatte folgenden Wortlaut:
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»Hafen von Chimbote, den 25. Oktober 1975 Büro der Hafenkommandantur Vom heutigen Datum an und bis auf Widerruf wird dem Hospitalschiff jegliche Bewegung von Pier 31 untersagt. Dr. José Figueroa, Leiter des örtlichen Gesundheitsamtes, wird die Quarantänevorschriften bekanntgeben, sowie diese ausgearbeitet sind. Nur Personen mit ausdrücklicher Ermächtigung des Gesundheitsministeriums sind befugt, das Schiff zu betreten oder zu verlassen. Im Auftrag der Hafenkommandantur: Manoel Gonzales, stellvertretender Kommandant« »Jetzt kann ich mein Gebastle an den Maschinen ruhig einstellen, Doktor.« Der Erste Ingenieur lehnte an der Reling, als Grant über den Landesteig kam; er rauchte seine Pfeife und schaute den Soldaten drüben zu, die inzwischen damit beschäftigt waren, ihr Mittagessen über einer improvisierten Feuerstelle zu kochen. »Sieht so aus, als ob wir jetzt hier für die Dauer der Epidemie, vor der Sie immer gewarnt haben, festsitzen würden.« »Wofür mir schätzungsweise jetzt alle die Schuld geben.« »Manche schon – besonders natürlich Kapitän Pendarvis und seine Mannschaft. Aber der Medizinerverein weiß schon, gegen was Sie ankämpfen.« »Na, ich bin ja schon froh, wenn's ein paar verstehen.« »Das mit Ihrem Bruder tut mir wirklich leid. Ich habe ihn zwar nie kennengelernt, aber 'ne Menge über ihn gelesen. Er scheint einen Riecher für Erdölvorkommen gehabt zu haben, und so was ist fast unbezahlbar in unserem Energieengpaß.« »Guy hat ein erfülltes Leben hinter sich.« »Mit anderen Worten: Er hat der großen Mehrheit der Menschheit viel vorausgehabt. Die werden geboren, vegetieren eine Zeitlang, ohne wirklich etwas von Belang zur Gemeinschaft beizusteuern, streifen schließlich – wie man so sagt – ihre sterbliche Hülle ab und hinterlas175
sen nicht die geringste Lücke. Was bei näherer Betrachtung vielleicht die zuverlässigste Art von Unsterblichkeit ist, möglicherweise sogar die einzige.« »Ist Ihnen Pfarrer Branigan über den Weg gelaufen?« fragte Grant bei diesem Stichwort. »Ich muß für die Einäscherung von Augustin Almaviva und Juan Torres sorgen und dachte, er könnte eine kurze Totenfeier halten.« »Gerade eben habe ich ihn noch bei einem pisco sour und einem theologischen Streitgespräch mit Dr. Reuben im Klub vorn gesehen. Sie hatten Maimonides in der Mangel, und allem Anschein nach geriet Branigan dabei ins Hintertreffen. Ein Grund zum Aufhören dürfte ihm also wie gerufen kommen.« Grant wollte schon zum Klubraum gehen, als er den Schiffsfunker Jake Porter sah, der eine gelbe Papierfahne mit Reißzwecken am Schwarzen Brett befestigte. »Der Funkspruch ist gerade an Kapitän Pendarvis von der Stiftung in New York eingegangen, der solche Dinge grundsätzlich zur allgemeinen Information ans Schwarze Brett befohlen hat«, rief Porter Grant zu. »Sieht ganz so aus, als hätten Sie in den Staaten einen Mordsrückhalt.« Der Funkspruch war zwar länger als die Anweisung der Hafenkommandantur, hatte aber denselben Inhalt. 14 e. 42nd street new york, n.y. 10017 24. oktober 1975 von: allen j. flexner vorsitzender der mercy-stiftung an: kapitän harry pendarvis m.s. mercy, chimbote, peru bis auf weiteres verbleibt die mercy im hafen von chimbote auf ersuchen von doktor jose figueroa, dem leiter der lokalen gesundheitsbehörde, und zum zwecke fachlicher unterstützung im erfassten epidemiegebiet. auf ansuchen der welt176
und panamerikanischen gesundheitsorganisation sowie dem seuchenbekämpfungsinstitut, öffentliches gesundheitswesen der vereinigten staaten, wird das gesamte personal an bord der mercy doktor grant reed, dem repräsentanten dieser organisationen, sowie doktor jose figueroa und den peruanischen gesundheitsbehörden volle unterstützung gewähren. das büro der zentrale führt derzeit verhandlungen mit der cbs-tv-gesellschaft wegen eines bildberichterstatters, der nach chimbote entsandt wird. der betreffende wird sowohl fernsehaufnahmen machen als auch die zentrale berichterstattung für zeitungen und zeitschriften übernehmen, um die informationen der öffentlichkeit zu gewährleisten über die eingeleiteten massnahmen im kampf gegen die sich ausbreitende epidemie, die als neuartige und hochansteckbare krankheit gilt. vorsitzender und kuratorium der stiftung erachten diese publizität als ausserordentlich gewichtig im hinblick auf zukünftige aktivitäten von stiftung und mercy. sie werden hiermit aufgefordert, in jeder weise unterstützung zu gewähren und doktor smithson sowie den gesamten ärztestab in gleicher weise zu instruieren. der berichterstatter wird voraussichtlich morgen mittag am flughafen von trujillo eintreffen. bitte veranlassen sie vorkehrungen, den cbs-repräsentanten vom dortigen flughafen abzuholen und an bord der mercy die unterbringungsmöglichkeit in der reedersuite vorzubereiten. vorsitzender und kuratoren erachten es als verpflichtung, den gesundheitsbehörden jegliche unterstützung bei der bekämpfung einer epidemie zu gewähren, die als hochgefährlich für die dortige bevölkerung anzusehen ist. hochatungsvoll: allen j. flexner, vorsitzender 177
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ür ein Gefühl der Genugtuung wegen seines Sieges über Kapitän Pendarvis blieb Grant gar keine Zeit. Seine Sorge galt vielmehr Leona Danvers, deren Hand schon bös geschwollen gewesen war, als er am Morgen nach ihr gesehen hatte. Überdies war ihre Temperatur immer noch im Anstieg, trotz der hohen Dosen von Penicillin und demselben Breitbandantibiotikum, das Jack Smithson Guy verabreicht hatte. Jetzt fand er die Laborantin bereits mit vom Delirium und von Fieberglut hochglänzenden Augen; auch das Zucken um Mund und Halspartien setzte ein – ein sicheres Zeichen dafür, daß die Toxine des Bazillus yungay, der durch die kleine Handverletzung auf direktem Weg in ihren Körper gedrungen war, schon ihr Gehirn befallen hatte. Er suchte nach Jack Smithson, hörte aber, daß dieser zusammen mit Kapitän Pendarvis noch vor Eintreffen des Funkspruchs von der Stiftungszentrale zum Büro der Hafenkommandantur gegangen war, um dort gegen die über die ›Mercy‹ verhängte Quarantäne zu protestieren. Also verlor er keine Zeit und begann sofort mit der Plasmaausschleuderung der letzten Blutkonserve, die er in den Kühlschrank hatte stellen lassen. Auf seine Anordnung hin sollte Leona Danvers in Kürze verlegt werden aus ihrer winzigen Einzelkabine mit Bad und Verbindungstür zum Labor für jene Notfälle, in denen man die Kliniklaborantin auch zu nachtschlafender Zeit sofort brauchte. Er war eben dabei, Guys Plasma mit der äquivalenten Menge Kochsalzlösung bei ihr zu infundieren, als Jack Smithson hereinkam. Ein Blick auf die Miene des Kollegen machte Grant klar, daß dicke Luft herrschte. »Eben habe ich die Funknachricht unserer Stiftung gelesen«, sagte 178
Smithson. »Pendarvis ist der Meinung, daß Ihre Einflußnahme auf Figueroa, das Schiff unter Quarantäne zu stellen, einer Meuterei gleichkommt.« »Und was ist Ihre Meinung, Jack?« »Im Augenblick beschäftigt mich weit mehr die Sorge um dieses Mädchen hier und die Chancen, sie zu retten, die gleich Null aussehen.« Smithson schüttelte den Kopf wie in dem vergeblichen Versuch, sein Unverständnis loszuwerden, wobei er Grant an eine unsichere Bulldogge erinnerte. »Betrachten Sie die Sache doch einmal von unserer Seite, Grant – von meiner, von Pendarvis' und der der ganzen Belegschaft. Wir sind schließlich schon fast sechs Monate nicht mehr in den Vereinigten Staaten gewesen.« »Es existieren aber immer noch Vorräte für drei bis vier weitere Monate.« »Grundnahrungsmittel ja, falls wir an Ort und Stelle Nachschub fassen können. Aber wenn Sie mal einen Blick auf das Dock hinüberwerfen, dann werden Sie sehen, daß man uns den Hahn abgedreht hat aus Angst vor dem Fieber. Die Situation des Schiffes kommt einer Belagerung gleich.« »Nicht Belagerung, Jack – nur eine menschenfreundliche Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Denn nach allen erkennbaren Anzeichen werden Ihre Betten über kurz oder lang mit Kranken gefüllt sein, und wie wenige von ihnen auch durchkommen mögen: sie werden ihr Leben dem Können und der Fürsorge Ihrer Ärzte und Schwestern verdanken.« »Aber, Grant, das ist verflixt noch mal nicht unsere eigentliche Aufgabe. Wir haben von Anfang an in Gebieten operiert, wo ein Mangel an ärztlichen Versorgungseinrichtungen und entsprechend ausgebildetem Personal herrschte. Es stimmt zwar, daß wir auch Kranke behandeln, aber ausschließlich zum Anschauungsunterricht für einheimische Ärzte und medizinisches Hilfspersonal, die dann die Behandlung selbst weiterführen, wenn wir nicht mehr da sind. Im übrigen habe ich weder genügend Ärzte noch Schwestern, um das Schiff in der von Ihnen vorausgesagten Alarmstufe eins funktionell einzusetzen. Und die Stiftung hat nicht das Geld dazu.« 179
»Die peruanische Regierung und die panamerikanische Gesundheitsorganisation werden sich dieses Problems schon annehmen.« »Nachdem eine Reihe von uns am Yungay-Fieber eingegangen sind?« »Ich habe ja schon den ersten Schritt dazu unternommen, Ihren Stab und die Schiffsmannschaft davor zu bewahren.« »Das ist mir durchaus klar, und wir sind auch dankbar dafür. Aber wie lange hält das vor?« »Ich wünschte, ich wüßte es«, gab Grant zu. »Es würde meine Arbeit wesentlich erleichtern. Wird übrigens Kapitän Pendarvis seine Drohung, mich an Land zu setzen, nun wahrmachen?« »Er hat in der ganzen Sache nichts mehr zu melden, genausowenig wie ich, nachdem die Stiftung jetzt alle an Bord angewiesen hat, Ihnen volle Mithilfe zu gewähren.« »Sie können gleich damit anfangen, Jack, indem Sie dieses Mädchen hier noch einmal untersuchen. Wenn Ihnen noch irgend etwas für sie einfallen sollte, ordnen Sie's um Himmels willen an. Ich bin am Ende.« Aber auch Smithson konnte nicht mehr tun, als Grant schon unternommen hatte. Trotz der Immunplasmainfusion starb Leona Danvers vier Stunden später in krampfartigen Zuckungen, dem schlüssigen Beweis dafür, daß der virulente Erreger, der durch die winzige Reagenzglassplitterverletzung an ihrem Finger in ihrem Blutstrom gelangte, direkt in ihr Gehirn gewandert war.
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aels Genesungsfortschritt erwies sich für Grant als der einzige Freudenschimmer an diesem Tag. Als er in ihre Kabine kam, war sie hoch aufgebettet und aß ein weiches Ei mit Toast. Die mit ihrer Pflege befaßte Krankenschwester hatte ihr sogar die Haare gebürstet und mit einem roten Band zurückgebunden. Auch der Kosmetikkoffer hatte sie dem Mädchen gegeben, und so war Lael – abgesehen von den tiefdunklen Ringen unter den Augen – so schön, wie Grant sie von ihrer ersten Begegnung am Flughafen von Chimbote her in Erinnerung hatte. »Sie machen ja Riesenfortschritte«, meinte er. »Dank der Transfusion, die mir Jack Smithson gestern nacht gab. Es ist übrigens das erste, woran ich mich wieder erinnere, nachdem mir der Film gerissen war. Und noch während das Ganze lief, konnte ich das Fieber buchstäblich sinken spüren. Übrigens kann ich mich gar nicht erinnern, Sie gestern gesehen zu haben.« »Ich war fast den ganzen Tag in Trujillo, um Dr. Figueroa bei einer Konferenz der Gesundheitsbehördenleiter ausfindig zu machen. Als ich ging, haben Sie geschlafen, und als ich zurückkam, haben Sie ebenfalls geschlafen – also wozu sollte ich Sie wecken?« »Ich habe ganz vergessen, Jack zu fragen, wessen Blut ich da bekam, um mich zu bedanken …« Sie unterbrach sich mittendrin. »Mein Gott! Es war Guys Blut, nicht wahr?« »Ja.« »Ich weiß noch, daß Guy einmal in meinen Ausweisen entdeckt hat, daß ich ein AB-Typ bin. Er meinte damals, es wäre prima, weil ich sofort sein Blut kriegen könnte, falls wir einmal in einen Unfall geraten würden und ich an Ort und Stelle eine Übertragung brauchte.« 181
»Sie haben sogar insgesamt drei Transfusionen bekommen.« »Aber wie kann er denn so viel entbehren?« In ihren dunklen Augen stieg plötzlich ein tiefer Schmerz auf. »Guy ist tot – nicht wahr, Grant.« »Ja. Seit fast vierundzwanzig Stunden.« »Und Sie haben den Schrittmacher und den ganzen anderen Apparateaufwand in den letzten Tagen schon in seiner Nähe gehabt, um ihm nach seinem Sterben sofort das Blut abnehmen zu können, stimmt das?« Er nickte. »Eine Plasmatransfusion haben wir Ihnen gegeben, als er noch am Leben war. Guy wollte, daß wir mehr nehmen, aber da wußten wir ja noch nicht, ob Sie nicht eine Gegenreaktion zeigen würden.« Er sah ihre tränenvollen Augen und gab ihr ein Papiertaschentuch vom Nachttisch. »Armer Liebling«, brachte sie schließlich hervor. »Ich habe ihm nichts als Probleme und Schreckliches gebracht …« »Das dürfen Sie nicht sagen.« »Aber es stimmt.« Als er ihre Hand nahm, um sie zu trösten, klammerte sie sich plötzlich an ihn und vergrub schutzsuchend ihren Kopf an seiner Brust. Nach einer Weile hob sie ihr tränenüberströmendes Gesicht. »Bitte, Grant, bringen Sie mir ein feuchtes Tuch aus dem Bad. Guy hat mich gelehrt, zäh zu sein und durchzuhalten, wenn ich nicht mehr aus noch ein wüßte. Er wäre nicht gerade besonders stolz auf mich, wenn er mich so sehen könnte.« Er brachte ihr das Tuch, mit dem sie sich Augen und Gesicht rieb und es ihm dann wieder zurückgab. »Guy würde genau wissen, daß Sie nur weinen, weil Sie ihn liebten, wie ich ihn auch geliebt habe – und weil auch er Sie liebte«, versicherte ihr Grant. »Und bevor er starb, hat er noch voll tiefer Freude gewußt, daß er mit seinem Blut Ihnen helfen konnte.« »Sogar im Tod hat mir Guy noch Leben gebracht«, sagte sie weich und liebevoll, um dann in schon bestimmterem Tonfall hinzuzufügen: »Was für mich bedeutet, daß ich eines Tages ins Callejón de Huaylas zurückkehren und dieses Grab öffnen werde, damit die Welt noch von seiner letzten Entdeckung erfährt.« 182
»Die so berühmt werden könnte wie die spanischen Höhlenmalereien – und Guys Name mit ihr.« »Grant, versprechen Sie mir, daß Sie mir dabei helfen werden.« Sie zitterte und griff wieder nach seiner Hand. »Die Vorstellung, diesem Schamanen an der Wand von Angesicht gegenüberzustehen …« »Nicht vergessen: Es gibt keinen Fluch. Das kann man im Mikroskop sehen.« Die Krankenschwester erschien wieder in der Kabine. »Dr. Reed, da ist gerade eben eine Nachricht für Sie vom Wachtposten auf der Pier gekommen«, erklärte sie. »Dr. Figueroa erwartet Sie umgehend im Gesundheitsamt.«
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ch kann Ihnen nur mein Beileid über den Verlust ihres Bruders aussprechen, Dr. Reed«, empfing ihn der Leiter der Gesundheitsbehörde. »Vielen Dank.« »Man hat mich auch davon unterrichtet, daß Augustin Almaviva und Juan Torres verstorben sind.« »Inzwischen haben wir noch jemand zu beklagen: unsere Cheflaborantin. Außerdem brachte Homer Ferguson gestern Manoel Allanza aufs Schiff.« »Hoffentlich bleibt uns Ferguson vom Yungay-Fieber verschont«, meinte der Amtsleiter. »Er ist eine unserer wenigen Stützen im Kampf gegen die Magier und Hexer.« »Zum Beispiel gegen Santos?« Figueroa schaute ihn überrascht an. »Den kennen Sie?« Grant gab ihm eine knappe Schilderung über seine persönlichen Begegnungen mit Santos. Als er schloß, war Figueroa besorgt. »Die ›Mercy‹ ist eine Bedrohung für Santos' Machtposition in der Slumbevölkerung. Sein Haß ist also verständlich. Schon seit langem versuchen wir, die Leute davon zu überzeugen, daß ärztliche Behandlung wirksamer ist als Santos' ganzer Zauber. Bisher hatten wir allerdings wenig Erfolg damit.« »Gestern abend, als ich die gesamte Besatzung mit dem Blutplasma meines Bruders versorgte, habe ich auch Homer eine Dosis injiziert.« »Gott gebe, daß es ihn schützt – und Sie alle«, seufzte Figueroa. »Von Homer habe ich erfahren, daß vor ein paar Tagen rund fünfzig Leute bei einer Fiesta waren, die Conchita und Juan Torres zu Ehren von Almaviva gaben. Und der war zu diesem Zeitpunkt schon 184
infiziert; also waren vermutlich alle der Ansteckungsgefahr ausgesetzt.« »Ich hatte gerade ein Telefonat mit dem Gesundheitsminister in Lima«, sagte der Amtsdirektor. »Er sträubt sich noch immer dagegen, an die Verbreitung einer extrem gefährlichen Epidemie zu glauben. Aber was Sie mir da gerade erzählen, könnte ihn doch überzeugen helfen, daß wir mitten in der Gefahr drin sind.« »Es ist einfach der alte Hut mit den vorrangigen Folgen für die Wirtschaft. Dafür habe ich schon viele Leute sterben sehen.« »Und hier werden wir mit Sicherheit noch mehr sterben sehen, bevor sich das Zeug ausgetobt hat – wenn es das überhaupt jemals tut. Was raten Sie mir denn, welchen Kurs soll ich denn einschlagen?« »Wenn sich der Minister weigert, eine strikte Quarantäne über Chimbote und das Callejón de Huaylas zu verhängen, gibt es nichts mehr, was man tun könnte, außer jeden Fall von heftiger Fiebererkrankung sofort zu isolieren, bis man Sputumkulturen auf Kochblutagar angelegt hat«, erwiderte Grant. »Wenigstens gedeiht der Erreger innerhalb von zwölf Stunden und kann unter dem Mikroskop sofort erkannt werden, ohne daß man erst ein endlos kompliziertes Kulturverfahren anwenden müßte.« »Und dann?« »Schicken Sie die Patienten aufs Schiff, solange unsere Betten reichen. Kapitän Pendarvis und Doktor Smithson haben strikte Anweisung von der ›Mercy‹-Stiftung erhalten, alle Fälle mit Yungay-FieberVerdacht aufzunehmen.« In diesem Augenblick läutete das Telefon; Figueroa nahm ab und hörte dem Anrufer kurz zu. »Augenblick, Dr. Mendoza«, sagte er dann. »Dr. Reed ist gerade hier. Ich schalte auf Zimmersprechanlage, damit er mithören kann. Bitte sprechen Sie englisch.« Figueroa drückte die Taste an einem kleinen Lautsprecher auf seinem Schreibtisch, und sofort war die Stimme von Dr. Mendoza, dem Direktor der Gesundheitsbehörde in Huarás, zu hören. »Ich glaube, wir haben einen Fall von sogenanntem Yungay-Fieber 185
hier in Huarás – ein ingeniero namens Jara«, berichtete Mendoza. »Ich habe noch gestern abend Sputumkulturen angelegt, und bereits heute morgen wucherte ein Mikroorganismus, der Ihrer Beschreibung des vorläufig Bazillus yungay genannten Erregers gleicht.« »Und war Ihr Patient während der letzten Woche in Yungay?« »Laut Aussage seiner Frau nicht, aber ein Bekannter namens Carlos Ganza kam vor ein paar Tagen von dort. Jara hat eine Kamera von ihm gekauft.« »Haben Sie die Kamera gesehen, Doktor?« Grant geriet in Erregung. »Nur aus einem Sicherheitsabstand, Dr. Reed. Nach Ihrer Vorwarnung habe ich mich gehütet, sie in die Hand zu nehmen. Aber natürlich sind alle Familienmitglieder mit ihr umgegangen.« »Haben Sie das Fabrikat erkannt?« »Es handelt sich um eine Kleinbildkamera, eine Minolta, ebenso wie jene, die aus dem Haus Ihres Bruders in Yungay verschwunden ist. Und Jaras Frau sagt, daß Carlos Ganza ein bekannter Dieb wäre.« »Er könnte schon ein toter Dieb sein, Doktor Mendoza.« »Señora Jara zufolge war er auf dem Weg nach Lima und hatte ein größeres Paket bei sich.« »Das Mikroskop!« »Das habe ich mir auch gedacht. Ziemlich übel, was?« »Und ob«, pflichtete Grant bei. »Könnten Sie die Polizei in Lima benachrichtigen, daß man dort nach Carlos Ganza Ausschau hält? Und bitten Sie doch auch die dortigen Gesundheitsbehörden, auf alle möglichen Fieberhinweise besonders zu achten.« »Ist schon in die Wege geleitet, Dr. Reed.« »Noch etwas, Dr. Mendoza. Hatte ingeniero Jara mit vielen Leuten Kontakt, nachdem er die Kamera gekauft hat?« »Es war ein Fiesta-Tag, und Jara war auf seine Neuerwerbung maßlos stolz«, kam die etwas fern klingende Antwort von Mendoza. »Seine Frau meint, daß Dutzende von Leuten den Apparat in der Hand gehabt hätten.«
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Als Grant am Spätnachmittag mit Hilfe von Homer Ferguson die Leichen von Juan Torres, Augustin Almaviva und Leona Danvers zum Krematorium gebracht hatte, erhielt er beim Zurückkommen von Dr. Mendoza die telefonische Nachricht von Carlos Ganzas Tod im Allgemeinen Städtischen Krankenhaus von Lima. Mit einem wachsenden Gefühl der Ohnmacht war ihm nun klar, daß der Bazillus yungay trotz all seiner Anstrengungen sich wieder einmal als schneller erwiesen hatte. Er würde sich allerdings noch größere Sorgen gemacht haben, wenn er gewußt hätte, daß ein Medizinstudent aus Lima namens Rafael Solitano an diesem Morgen einen Zug nach Cuzco, der ehemaligen Hauptstadt des alten Inkareiches, bestiegen hatte. Die Stadt Cuzco, die so hoch oben in den Bergen lag, daß den Bahnreisenden aus Richtung Lima häufig Sauerstoff verabreicht werden mußte, befand sich außerdem in unmittelbarer Nähe der legendären Inkafestung Machu Picchu, einem beliebten Ziel für Touristen aus aller Welt. Aufgrund der äußerst frühen Abfahrzeit des Zuges hatte Rafael Solitano, der ungeheuer stolz auf seine Feilscherei mit einem offensichtlichen Dieb beim Kauf eines hervorragenden Doppelmikroskops war, die Nachricht auf dem Schwarzen Brett der medizinischen Fakultät nicht mehr mitbekommen, in der dringend vor jeglichem Kontakt mit dem Anbieter eines Doppelmikroskops zum Billigpreis gewarnt wurde.
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ael Valdez las gerade, als Grant auf seinem Weg von der Schiffsmesse an Deck hinunter zum Labor an ihrer Kabine vorbeikam. »Allmählich habe ich schon gedacht, Sie hätten sich abgesetzt«, sagte sie lächelnd. »Ich habe heute tatsächlich nicht viel Zeit an Bord verbracht; aber Sie haben offensichtlich einen guten Arzt.« »Guys Bluttransfusion hat mir das Leben gerettet; das werde ich Dr. Smithson nie vergessen.« In ihrem Blick lag fast so etwas wie Vorwurf. »Wie kommt es, daß Ihnen das nicht eingefallen ist?« Grant ließ die Gelegenheit ungenutzt, den Hergang richtigzustellen und ihr von der ersten Infusion zu erzählen, die er ihr gegeben hatte. »Man kann nicht alles im Kopf haben«, meinte er. »Ich war mit Dr. Figueroa und anderen maßgebenden Dienststellenleitern mit der Planung zur Eindämmung der bevorstehenden Epidemie beschäftigt. Übrigens«, teilte er ihr mit, »haben wir herausgefunden, wer Ihre Kamera und das Mikroskop gestohlen hat.« »Und wer war es?« »Ein Dieb namens Carlos Ganza.« »Wie haben Sie ihn erwischt?« »Der Bazillus yungay hat ihn erwischt, während er eine breite Spur von Indizien hinterlassen hat – tödlichen Indizien, wie sich zeigt. Die Kamera wurde in Huarás von einem Mann namens Jara gekauft; das Mikroskop hat Ganza offenbar ebenso verkauft, aber wir wissen nicht, an wen.« »Dieser Ganza. Er wird die Seuche verschleppen, wo immer er hinkommt.« »Jetzt nicht mehr. Ganza hat sich schon bei der ersten Berührung mit 188
der Kamera infiziert und auf seinen Weg nach Lima das Yungay-Fieber bereits in voller Blüte gehabt. Er ist inzwischen im städtischen Krankenhaus gestorben.« »Dann bin ich also die einzige, die mit der Graböffnung zu tun hatte und noch am Leben ist?« »So ist es?« »Aber wodurch?« »Der ganze Vorgang ist ziemlich kompliziert, ich werde jedoch versuchen, ihn so einfach wie möglich zu schildern. Die meisten Bakterien erzeugen Gifte, sogenannte Toxine, worunter die tödlichsten Wirkstoffe der Welt zu finden sind. Zum Beispiel könnte ein durchschnittliches Wasserglas voll Kristallbotulinustoxin vom Typ A die gesamte Menschheit auslöschen.« »Und dieser Bazillus yungay produziert etwas so Schreckliches?« »Sicher nicht von derartigem Ausmaß, sonst würde jeder an YungayFieber Erkrankte innerhalb weniger Stunden sterben. Wir wissen, daß Guys Körper genügend Immunglobuline produziert hat, um die Bazillus-yungay-Toxine unschädlich zu machen.« »Meine Ausbildung als Laborassistentin war nicht gerade gründlich. Was sind Immunglobuline?« »Wenn der Körper von einem Toxin dazu stimuliert wird – der Fachausdruck dafür ist ›Antigen‹ –, zum Beispiel dem von Diphtherie, Tetanus oder natürlich auch vom Bazillus yungay produzierten Toxin, baut er augenblicklich große Mengen einer besonderen Art von weißen Blutkörperchen auf, die Plasmazellen heißen. Diese wiederum produzieren Eiweißstoffe, die als Globuline bekannt und im flüssigen Bestandteil des Blutes zu finden sind.« »Soweit weiß ich es noch von einem Bakteriologiekurs in Radcliffe.« »Jedes bakterielle Toxin verursacht die Entstehung des spezifischen Globulins, das zur Neutralisierung des Giftes führt und es unschädlich macht«, fuhr Grant fort. »Auf diese Weise entwickelt der Körper Immunität – daher der Name ›Immunglobulin‹ – gegenüber diesen besonderen Antigenen. Die Immunglobuline, oder einfacher Antitoxine genannt, bekämpfen ihrerseits den eingedrungenen Erreger und 189
dessen freigesetztes Gift, bis der Körper beide zerstört hat oder umgekehrt.« »Dann haben mich also Guys Immunglobuline, die ich mit der Transfusion bekam, gerettet?« »Die Tatsache, daß Sie ein Universalempfänger sind, hat schon auch mitgeholfen. Und da Guy ohnehin mehr Blut hatte, als er brauchen konnte, sparte uns das eine Menge Zeit und sonstigen Aufwand.« »Jetzt kann ich nicht mehr ganz folgen.« »Die roten Blutkörperchen sind es, die eine Transfusionsreaktion hervorrufen«, erklärte er. »Der flüssige Teil – entweder das Plasma, das den Gerinnungsstoff enthält, oder das Blutserum, das entsteht, wenn man die Gerinnung sich vollziehen läßt, die den Serumanteil vom Zellularanteil trennt – kann fast jedermann ohne jegliches Risiko verabreicht werden. Gott sei Dank haben wir auch die technische Möglichkeit, das Spenderblut in einer Hochleistungszentrifuge rotieren zu lassen und damit den Zellanteil auszuschleudern, um so das Plasma von jemandem zu erhalten, der von einer Infektionskrankheit genesen ist, und damit gleiche Krankheitsfälle zu behandeln. Die roten Blutkörperchen vermengt man dann mit einer Kochsalzlösung und läßt sie in den Kreislauf des Spenders zurückfließen. Das Ganze wird Leukophorese genannt.« »Die Krankenschwester hat mir erzählt, daß Sie den Rest von Guys Blutplasma der Schiffsbelegschaft als Prophylaxe gegen das YungayFieber gegeben haben.« »Stimmt.« »Und warum nehmen Sie nicht meins, damit der Schutz noch vollkommener ist?« »Aus zwei Gründen«, erklärte er ihr. »Erstens ist nicht sicher, daß Sie schon genügend Immunglobuline zum Selbstschutz entwickelt haben, und wenn die Konzentration von Antitoxinen eben nicht ausreicht, dann bietet zweitens Ihr Serum nicht sehr viel Schutz für andere.« »Aber mit zunehmender Genesung wird doch auch die Konzentration stärker.« »Mit Sicherheit.« 190
»Wie stellen Sie fest, wann ich soweit bin, um anderen helfen zu können?« »Indem ich eine Ratte mit dem Bazillus yungay impfe und ihr gleichzeitig etwas von Ihrem Blutserum gebe. Kommt sie durch, dann wissen wir, daß Sie genügend Immunglobuline gegen den Erreger produziert haben. Wenn die Ratte eingeht, dann ist es noch nicht soweit. Aber Sie können sowieso nicht genügend Antitoxine aufbauen, um hier alle an Bord zu schützen. Also suche ich fieberhaft nach anderen Möglichkeiten, die Infektion zu bekämpfen.« »Und haben Sie welche gefunden?« »Nein, aber es wird langsam Zeit.« Sein Ton wurde plötzlich hart. »Sonst werden wir alle hier an Yungay-Fieber sterben – ausgenommen Sie.«
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s war eine ermüdende und langwierige Arbeit, aber man konnte sich ihr nicht entziehen, wenn man doch auf die sicheren Ergebnisse angewiesen war. In den Labors des Seuchenbekämpfungsinstituts hätte Grant die Unterstützung einer hochentwickelten Apparatur für das Studium der Entstehung von Immunglobulinen gehabt: zum Beispiel die Technik strahlenmarkierter Aminosäuren und deren Messung mittels direkter radioaktiver Mengenbestimmung. Oder das immunfluoreszierende Verfahren unter Verwendung des für den Bazillus yungay spezifischen Antiserums in Verbindung mit einem fluoreszierenden Färbungsmittel für die sich anschließende chemische Testreihe. Und vor allen Dingen natürlich das hyperentwickelte Instrument Computer, das in Sekundenbruchteilen Berechnungen durchführen konnte, die mit herkömmlichen mathematischen Methoden tagelange Arbeit bedeuteten. Unter diesen Bedingungen hätte er jedenfalls seine Studien wesentlich schneller und wirkungsvoller ausführen können. Aber sie waren nun einmal nicht gegeben, obwohl das Labor der ›Mercy‹ glücklicherweise über eine viel hochentwickeltere Ausstattung verfügte als jedes andere Krankenhaus oder Labor in der ganzen Umgebung. Nur hatte er nun obendrein keine in bakteriologischer Technik ausgebildete Fachkraft mehr und mußte eben auch noch die Routinearbeiten selbst ausführen. Erschwerend kam außerdem noch hinzu, daß er zum Selbstschutz gegen eine umwerfende Infizierung mit dem B. yungay, wie er ihn inzwischen im Laborjargon nannte, lediglich sein eigenes Geschick und die Erkenntnis hatte, daß ein oberflächlicher Schnitt, möglicherweise sogar nur ein Nadeleinstich im Finger, einen Ausbruch von YungayFieber erzeugen konnte, gegen den die geringe Dosis von Immunglo192
bulinen, die er sich und der ganzen Mannschaft gegeben hatte, vollkommen machtlos war. Um den Laborbrutkästen und den darin wuchernden Kulturen näher zu sein, zog er noch am gleichen Abend in die neben dem Labor liegenden Räumlichkeiten, die vorher Leona Danvers Unterkunft gewesen waren. Wenn auch kleiner als die normalen Kabinen, war das Miniapartment, das direkt ins Labor führte, doch mit einem Bett, Toilette, Waschbecken und Dusche ausgerüstet – und mehr brauchte er nicht.
Lange nach Mitternacht hatte er sich endlich schlafen gelegt, war aber um sechs Uhr morgens schon wieder auf den Beinen, um zusammen mit der Tagschicht des Pflegepersonals ein eiliges Frühstück einzunehmen, zurück ins Labor zu hasten und sich erneut in die Suche zu stürzen nach irgend etwas – Impfstoff, Antibiotikum oder auch chemischer Wirkstoff –, wodurch das rapide Wachstum des B. yungay gehemmt werden konnte, sowohl in Theorie und Praxis, also in Kultur und Körper. Es war eine Sisyphusarbeit und doch erregend, denn nun steckte er in der unmittelbaren Konfrontation mit dem allgegenwärtigen Toxin des Bazillus yungay. Als Grant am späten Nachmittag durch das Okular des Doppelmikroskops starrte, glaubte er zu träumen, als plötzlich die Tür zum Labor geöffnet wurde und eine vertraute Stimme sagte: »Hallo, lieber Ehemann! Freust du dich, daß wir uns wiedersehen?«
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Die Irrfahrt
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rant wirbelte auf dem Laborstuhl herum und sah Shirley im Raum stehen. Offenbar war sie hereingekommen und hatte die Tür hinter sich geschlossen, während er – betäubt vor Übermüdung – fast eingeschlafen war. Unwillkürlich rieb er sich die Augen, bevor er wieder hinsah: Aber sie war immer noch da, wie sie leibte und lebte – und ebenso begehrenswert wie bei ihrer letzten Begegnung in seinem Apartment, als sie nackt auf dem Bett gelegen und ihm mit einem leicht spöttischen Schimmer in den Augen beim Anziehen zugesehen hatte. »Ich bin's wirklich, Darling«, sagte sie. »Keine Erscheinung.« »Du meinst wohl eher: ein böser Geist.« Sie lachte. »Ist das nicht ein bißchen ungalant, wenn man an unser letztes Zusammentreffen denkt?« »Wie, zum Teufel, kommst du auf ein Schiff, das unter Quarantäne steht?« »Auf jeden Fall nicht auf einem Hexenbesen, wenn du darauf hinauswillst. Mark Post hat mich hergebracht, und die Wachtposten haben ihm nichts in den Weg gelegt. Tat mir sehr leid, von Guys Tod zu hören. Das war noch ein Mann, einer von der ganz seltenen Machart – Anwesende natürlich ausgenommen.« Sie zog einen Hocker zu ihm heran und ließ sich nieder. Eine Konica-Automatik mit einem Elektronenblitzgerät hatte sie an einem Lederriemen um den Hals gehängt, und ein tragbares Interviewgerät hing ihr von der Schulter. »Ich bin wirklich auf demselben Weg gekommen wie du«, erklärte sie. »Erst mit der ›Eastern‹ von New York nach Miami, dann mit ›Braniff‹ nach Lima und schließlich mit ›Faucet‹ nach Trujillo. Aber ich arbeite unter dem Namen Shirley Ross – also ist es wirklich nicht deine Schuld, daß du mich nicht erwartet hast.« 197
Plötzlich ging ihm ein Licht auf. »Du bist also der Bildberichterstatter, den die ›Mercy‹-Stiftung hergeschickt hat?« »CBS ist mein Auftraggeber. Ich bin hier in einer Doppelfunktion für die Berichterstattung in Wort und Bild für die Sendestationen und zur Reportagenlieferung für den International New Service. Habe ich dir denn nicht schon in Atlanta gesagt, daß ich jetzt nur noch frei arbeite?« »Wird wohl so sein. Und ich hätte wissen müssen, daß dein Stern ziemlich bald aufgeht.« »Was für ein reizendes Kompliment, vor allem von dir. Wenn ich mich recht erinnere, warst du auch damals irgendwie mit etwas anderem beschäftigt.« »Wie hast du überhaupt …« »… den Auftrag bekommen? Natürlich ist er mir nicht zugeflogen; ich war selbst eben einfach hinterher von dem Augenblick an, als ich von Marshall Payne gehört habe, in was du hier geraten bist. Du hast ihn vor ein paar Tagen angerufen, erinnerst du dich?« »Und da bist du wohl zufällig gerade in seinem Büro gewesen?« »Marshall hat's mir beim Essen am nämlichen Abend noch erzählt, so daß ich mich sofort am nächsten Morgen hinter CBS und INS geklemmt habe. Von da an war es nur noch ein Kinderspiel, die ›Mercy‹Stiftung zu überzeugen, daß aktuelle Ausschnitte in den CBS-Nachrichten und die Berichterstattung in INS über die ›Mercy‹ und ihre Belegschaft, die an der Seite des weltbekannten Epidemiologen Dr. Grant Reed den Kampf gegen eine Epidemie an der peruanischen Küste aufgenommen hatte, schlechthin die Gelegenheit für eine positive Publicity für die Stiftung wäre – und einiges an Geldmitteln einbringen würde.« »Und die Reedersuite des Schiffes.« »Das habe ich erst erfahren, als ich an Bord kam. Auf dem Weg von Trujillo hierher habe ich mir Mark Posts Bandaufnahmen angehört, die er von deiner kleinen Ansprache an die Belegschaft gemacht hat, bevor du ihnen das Schutzserum von deinem Bruder verabreicht hast. Und seither war ich mit Fotografieren beschäftigt. Der erste Film und 198
ein volles Tonband über deine Tätigkeit hier ist schon mit der Nachmittagsmaschine von Chimbote aus abgegangen.« »Dann kann ich das Ganze ja getrost dir überlassen, Shirl.« Unwillkürlich rutschte ihm der Kosename heraus, den er ihr früher gegeben hatte. »Du warst schon immer ein Hansdampf in allen Gassen.« »Das Beste habe ich mir ja noch aufgehoben: ein Exklusivinterview mit dem weltberühmten Epidemiologen, der das hier als seinen ganz persönlichen Kampf auffaßt.« »Wie komme ich denn dazu?« »Weil ausgerechnet sein archäologiebegeisterter Bruder und dessen bezaubernde Verlobte eine Seuche aus der grauen Vorzeit auf eine ahnungslose Menschheit losgelassen haben.« Sie hatte seine innersten Beweggründe seit seiner Ankunft in Peru viel klarer beschrieben, als Grant selbst je dazu in der Lage gewesen wäre oder auch je zur Kenntnis genommen hatte. Und bei dieser Erkenntnis stieg in ihm ein Gefühl widerstrebender Bewunderung für sie auf – gleichzeitig mit einem Gefühl der Sorge. »Und es ist eine gefährdete Menschheit – deine Person eingeschlossen, da du nun hier bist«, sagte er. »Kapierst du denn nicht, daß du mit deiner Herreise dein Leben aufs Spiel gesetzt hast?« »Darling, das ist eben Berufsrisiko und Topreportertradition. Außerdem wußte ich, daß du schon auf mich achtgeben würdest.« »Aber auf welche Weise, bitte?« fragte er, gereizt durch die eigene Unfähigkeit, das in ihn gesetzte Vertrauen zu erfüllen. »Ich habe Guys Immunblut bis auf den letzten Tropfen an die Belegschaft gegeben, außer dem was Lael Valdez erhalten hat …« »Sie ist außergewöhnlich hübsch und sehr lieb. Genau der Typ Mädchen, den du verdienst, Grant.« Ihre Worte brachten ihn nur noch mehr auf, obwohl er den Grund nicht hätte präzisieren können. »Dieser Trottel von Mark Post hat dich wohl überall auf dem Schiff herumgeführt?« »Mark ist ein netter Kerl. Dr. Smithson auch.« »Willst du etwa sagen, Jack Smithson hat dich nicht gewarnt, wie virulent Yungay-Fieber in Wirklichkeit ist?« 199
»Das brauchte er gar nicht erst. Das wußte ich schon von Marshall Payne. Außerdem haben wir strikte Isolierungsmaßnahmen beobachtet – du weißt schon: Anzüge, Gesichtsmasken und das ganze Trara. Übrigens, die Overalls, wie du einen anhast, aus Papier herzustellen, ist eine klasse Idee.« »In vielen Krankenhäusern werden sie benutzt. Das ist oft billiger als eine eigene Wäscherei. Aber ich fürchte, daß in diesem Fall das ganze Trara, wie du es nennst, einfach nicht ausreicht. Herkömmliche Isolierungsmethoden halten den Bazillus yungay nicht in Schach. Marshall Payne hätte dich davon abbringen müssen …« »Ich wußte, daß er das Ganze hintertreiben würde, wenn ich ihm reinen Wein eingeschenkt hätte, also habe ich nichts gesagt. Scheint doch so, daß es an dir hängenbleiben wird, mich am Leben zu erhalten – genau wie die anderen.« »Ist dir noch nie in den Sinn gekommen, daß ich finanziell bedeutend besser dran wäre, wenn dich das Fieber erwischt?« schnaubte er. Shirley zuckte die Achseln. »Ich habe dich in unseren fünf Ehejahren ziemlich gut kennengelernt, Grant. Dein Gewissen würde es niemals zulassen, mich mit Absicht sterben zu lassen.« Sie bückte sich und drückte eine Taste an ihrem Interviewgerät. »Wie werden Sie den Kampf gegen diesen neuen Krankheitskeim angehen?« »Im Versuch der Erforschung, einfach durch Ausprobieren. Und in der Zwischenzeit, wenn der eine oder andere Yungay-Fieberfall überstanden wird …« »Ist denn schon jemand durchgekommen?« Sie war jetzt ganz Journalistin. »Mein Bruder Guy, doch der starb an Herzversagen; und Lael Valdez ist auf dem Weg zur Besserung. Ich hoffe, das Immunplasma, das ich zum Schutz von medizinischer und technischer Besatzung des Schiffes brauche, von einheimischen Patienten zu bekommen.« »Sehr geschickt. Und wie lange werden sich das die Einheimischen gefallenlassen?« »Keine Ahnung.« »Was ist an dieser Massenbewegung gegen Sie, die die hiesigen Medizinmänner inszenieren?« 200
»Woher stammt denn dieses Wissen?« Sie schaltete ihr Gerät aus. »Von einem Mann namens Homer Ferguson. Das wird eine komplette Extrastory über menschliche Hilfsbereitschaft in der Art und Weise, wie er sich um den Bettler kümmert, der keine Beine hat. Es soll meine Glanzleistung werden.« Grant griff sich wie vernichtet an den Kopf. »Manoel ist auf dem Gipfel der Fieberkrise. Wenn du bei ihm warst, sind deine Chancen, ohne Infektion durchzukommen, praktisch Null.« »Was wirst du also unternehmen mit mir?« »Frag mich das morgen. Derzeit lebe ich nur von einem Tag auf den anderen.« »Und mit dir ein paar hundert andere Menschen, die sich auf dich verlassen.« Aus ihrer Stimme war jeder spöttische Unterton verschwunden. »Laß uns bitte nicht im Stich.« Sie stand auf, und im Hinausgehen warf sie einen Blick durch die offenstehende Tür in die ziemlich spartanische Unterkunft, die auf der ›Mercy‹ für die Laborfachkraft vorgesehen war. Dann zückte sie die Kamera und schoß ein paar Elektronenblitzaufnahmen. »Daß du für viele hier persona non grata bist, habe ich schon mitbekommen, Grant; aber immerhin müßte das Schiff doch für jemanden von deiner Wichtigkeit eine bessere Bleibe bieten können.« »Ich habe mir die Kabine selbst gewählt, nachdem Leona Danvers tot war, damit ich meiner Arbeit näher bin«, erklärte er. »Solange du mit einem Feldbett, einem Waschbecken und einer Dusche zufrieden bist, ist es ja nicht meine Sache«, meinte sie dazu. »Aber wenn du hier den Gefängniskoller kriegst, dann findest du in der Reedersuite einen Bourbon – solange der Vorrat reicht.«
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ls Grant am nächsten Tag die Schiffsmesse betrat, saßen Jack Smithson und Mark Post, die beide ziemlich übermüdet aussahen, schon beim Essen. Er bediente sich aus der Warmhaltevitrine und kam dann zu ihrem Tisch. »Nehmen Sie Platz, Grant«, sagte Smithson. »Wir sitzen doch schließlich alle im selben Boot, seit Lael vor über einer Woche Guy hier über den Landesteg gebracht hat – also ist es völlig sinnlos, Ihnen Vorwürfe zu machen über das Schlamassel, in dem wir noch immer stecken.« »Ich habe ziemlich viel Unruhe gehört heute nacht«, meinte Grant und goß sich aus der Kanne auf dem kleinen Rechaud in der Tischmitte kochendheißen Kaffee ein. »Haben wir Zuwachs bekommen?« »Zehn Fälle. Mark und ich waren ziemlich die ganze Nacht auf.« – »Und wie schlimm steht's?« »Durch die Bank übel. Die Medizinmänner in Chimbote lassen nur die zu uns, die offensichtlich in höchster Lebensgefahr sind. Die Fälle im Frühstadium versuchen sie zu Hause zu halten, um ihren faulen Zauber anzuwenden.« »Das könnte noch die beste Lösung sein.« Grant wandte sich seinem Essen zu. »Wir haben bisher gesehen, daß man außer einer Unterstützungstherapie überhaupt nichts tun kann. Und so kommen wir vielleicht in die Lage, den einen oder anderen Patienten durchzubringen, bis er genügend Immunität zur völligen Überwindung produziert und unsere eigenen Chancen durch die Versorgung mit Immunplasma erhöht.« »Und doch wird es uns alle erwischen, wenn erst einmal der Schutz durch das Blut Ihres Bruders verflogen ist«, erinnerte ihn Mark Post. »Daran hätten Sie denken müssen, Mark, als Sie das hübsche Weib 202
von Reporterin zu dieser Seuchenstätte brachten. Sie hätte genausogut ins ›Hotel Chimú‹ gehen oder am allerbesten überhaupt das nächste Flugzeug zurück in die Staaten besteigen können.« »Mark blieb keine Wahl«, schaltete sich Jack Smithson ein. »Wir haben von der Stiftung die Anweisung, Miß Ross hier alles zu zeigen, und sie bestand auch darauf, alles zu besichtigen.« »Da wir schon beim Thema sind, können Sie auch ruhig wissen, daß Ross ihr Mädchenname ist. Bis vor einem halben Jahr war sie Mrs. Grant Reed.« »Sie kam mir doch gleich bekannt vor!« äußerte Jack Smithson seine Überraschung. »Ist sie nicht damals, als wir vor ein paar Jahren alle zusammen in Indonesien waren, zu Ihnen hinuntergekommen?« – Grant nickte. »Und genau da, glaube ich, hat sie Journalistenblut geleckt. Sie schrieb bei ihrer Rückkehr damals einen Reisebericht für die ›Atlanta Journal-Constitution‹-Wochenzeitschrift, worauf sie das Seuchenbekämpfungsinstitut für die Pressearbeit engagierte.« Mark Post starrte Grant an und schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Aber …« »Shirley hat sich vor einem halben Jahr von mir scheiden lassen, während ich in Afrika war. In ein paar Monaten wird der Gerichtsbeschluß rechtskräftig. Wir haben uns sozusagen als Freunde getrennt.« »Sie ist eindeutig schwer auf Draht in ihrem Beruf«, meinte Jack Smithson. »Drei Stunden nach ihrer Ankunft hier gab sie bereits ihren ersten ellenlangen Bericht per Sprechfunk nach New York durch, und die erste Rolle Film war auch schon in der Luft mit der nächsten ›Faucet‹-Maschine.« »Die Stiftung ist auf Publicity aus, und die kriegen sie – und zwar kostenlos.« Grant schenkte sich noch mal Kaffee nach. »Shirleys Stories werden die Kassen schon wieder füllen, damit die ›Mercy‹ im Einsatz bleiben kann, bis diese Epidemie vorbei ist.« »Und wie es jetzt aussieht, wird das nicht gerade in allernächster Zukunft sein«, sagte Smithson. »Die Sanka-Fahrer, die heute morgen den letzten Schwung von fünf Fällen aus Chimbote gebracht haben, haben uns erzählt, daß ein Konvoi vom Callejón de Huaylas hierher un203
terwegs ist mit offenbar einem Dutzend weiterer Patienten.« – »Der Mann, der Laels Kamera und Guys Mikroskop geklaut hat, war recht gründlich in der Verbreitung der Infektion; aber um ihn brauchen wir uns wenigstens nicht mehr zu kümmern«, erzählte ihnen Grant. »Er hat gestern in Lima dran glauben müssen.« »Haben Sie schon irgendeine Schutzmöglichkeit für Ihre Exfrau ausfindig gemacht?« fragte Jack Smithson. »Das ist Ihr und Marks Problem.« »Sie können sie doch nicht einfach das Fieber aufschnappen und daran zugrunde gehen lassen«, protestierte Mark Post. »Schließlich hat die Stiftung sie hierhergeschickt.« »Mich auf jeden Fall haben sie nicht hierhergeschickt.« »Immerhin ist sie noch Ihre Frau.« »Lediglich auf dem Papier. Und außerdem geht unsere Trennung von Tisch und Bett auf Shirleys Kappe.« Jack Smithson hatte dem kurzen Wortwechsel schweigend zugehört; jetzt mischte er sich ein. »Grant, Ihr Bruder hat diese Epidemie ausgelöst, also haben Sie schon einmal die moralische Verantwortung für jedermann hier an Bord – abgesehen von einer ganzen Menge unschuldiger Peruaner, die nicht darum gebeten haben, daß man mitten unter ihnen einen tödlichen Erreger freisetzt.« »Eben«, meinte Mark Post. »Sie können sich doch nicht einfach aus der Affäre ziehen und Ihrer Verantwortung aus dem Wege gehen.« »Wir haben hier alle genug um die Ohren, meine Herren – was sollen wir also lang reden?« Grant schob seine Kaffeetasse weg und stand auf. »Jack, ich würde gerne eine Visite bei den gestern nacht eingelieferten Patienten machen. Wenn welche durchkommen sollten, hätten wir gute Immunglobulinspender zum weiteren Schutz der Belegschaft. Außerdem würde ich dann gern Lael Valdez untersuchen, bevor ich Figueroa anrufe, um ihm einen Lagebericht zu geben.« »Nur zu«, sagte Smithson schon beim Hinausgehen. »Sie haben hier jetzt das Sagen. Die peruanische Regierung hat Sie nominiert.« – »Seit wann denn das?« 204
»Seit gestern abend, per Funkspruch direkt vom Gesundheitsminister in Lima. Müßte eigentlich in Ihrem Brieffach stecken. Haben Sie es nicht gesehen?« »Ich habe seit gestern nicht mehr hineingeschaut; es schien mir unwahrscheinlich, daß mir jemand Briefe schreibt.«
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anoel Allanza war ohne Zweifel über den Berg, ebenso wie Conchita Torres, was Grant bei seinem Rundgang durch die Isolierstation von einem strahlenden Homer Ferguson erfuhr. In krassem Gegensatz dazu stand das Dutzend Fälle, das in der Nacht eingeliefert worden war und mit den Zugängen vom Vortag die Zahl der Fieberopfer nun auf annähernd zwanzig erhöhte. Vier davon lagen im Sterben und bewiesen damit nur die ständig zunehmende Virulenz des Bazillus yungay, die von Opfer zu Opfer bösartiger wurde. »Haben Sie von den neuen Patienten irgend etwas über den Stand der Epidemie in der Stadt erfahren?« wandte sich Grant an Homer, dessen Dienste bei der Pflege der Schwerkranken sich für die viel zu geringe Schwesternschaft als unschätzbare Entlastung erwiesen hatte. »Es steht schlimm, Doktor, sehr schlimm sogar. Santos verbreitet überall, daß die Anwesenheit des Schiffes schuld an dem Fieber sei.« »Wie will er denn das plausibel machen?« »Das ist für ihn doch keine Frage der Begründung, sondern der Ausrede, um die Leute mit seiner Infamie aufzuwiegeln. Und Ihnen hängt er die meiste Schuld an.« »Damit scheint er nicht falsch zu liegen. Die meisten auf dem Schiff hier sind der gleichen Meinung.« »Aber die wissen, daß mit Ihnen unsere Aussicht, hier lebend davonzukommen, steht und fällt.« »Darüber bin ich mir derzeit nicht einmal selbst im klaren, Homer.« »Und ich habe noch schlimmere Nachrichten«, sagte Ferguson. »Erinnern Sie sich, wie Esteban Gomez hier fluchtartig verschwunden ist, kaum daß er – wie wir alle – die vorläufige Schutzimpfung von Ihnen bekommen hatte.« 206
»Natürlich.« »Inzwischen arbeitet er Santos fabelhaft zu, indem er überall verbreitet, daß Sie den Patienten an Bord Blut nehmen, um damit zu experimentieren.« – »Zum Teil hat er recht.« »Außerdem behauptet er, daß Sie nur darauf aus sind, ein Serum zu fabrizieren, um die Regierung dazu zu bringen, Sie dafür zu bezahlen, den Leuten das Fieber vom Hals zu halten.« »Was das Serum betrifft, hat er auch recht. Esteban ist ein kluger Junge.« »Vielleicht sollten Sie und ich eine Rundfahrt durchs Barrio und den Rest der Stadt machen, und zwar mit dem Lautsprecherwagen von Dr. Figueroa«, schlug Homer vor. »Ich kann den Leuten erklären, daß Manoel und Conchita inzwischen außer Gefahr sind und daß sie das den Ärzten und Schwestern der ›Mercy‹ zu verdanken haben. Das ganze Barrio kennt die beiden; vielleicht fangen sie dann an, ihre Kranken eher herzubringen.« »Wenn sie das nicht tun, werden die Zustände in Chimbote in Kürze wie zur Pestzeit im Mittelalter sein. Dort sind jeden Morgen die Karren durch die Stadt gefahren, von denen der berüchtigte Ruf ertönte: ›Legt eure Toten raus!‹« Als Grant Dr. Figueroa von der Telefonzelle am Kai aus anrief, versprach der Amtsleiter, seinen Lautsprecherwagen innerhalb der nächsten Stunde zu schicken. »Sind die Patienten aus Huarás schon da?« fragte er. »Noch nicht, aber wir sind auf ihre Aufnahme vorbereitet.« »Wenn ich Ihnen alle tatsächlich Erkrankten anliefern könnte, wäre das Schiff schätzungsweise über Nacht belegt«, meinte Figueroa. »Haben Sie schon eine Vorstellung, was Sie tun, wenn alle Ihre Stationen voll sind?« »Einige von den Lagerhäusern am Kai requirieren, wenn Sie das in die Wege leiten können.« »Sie können sie haben, wann immer Sie sie brauchen; aber mir ist schleierhaft, wo wir Personal dafür herkriegen sollen.« »Die ›Mercy‹-Schwestern können einheimisches Hilfspersonal zur 207
Krankenpflege anleiten – das haben sie schon oft praktiziert in allen möglichen Teilen der Welt. Das einzig wichtige ist jetzt, daß wir die Kranken sammeln und sie von der übrigen Stadt fernhalten.«
»Jake Porter sucht nach Ihnen, Dr. Reed«, rief ihm der wachhabende Matrose vom Landesteg her zu, als Grant nach seinem Telefonat zurück an Bord kam. »Hat was davon gesagt, daß Sie aus Atlanta verlangt werden.« Es dauerte ein paar Minuten, bis der Funker der ›Mercy‹ die Verbindung mit Dr. Marshall Payne wieder zustande gebracht hatte. »Wie steht's, Grant?« Paynes klare und durchdringende Stimme kam durch die Radionebengeräusche der Ätherwellen. »Die Epidemie greift schnell um sich, sowohl hier wie im Hochland. Mit ihrer Bekämpfung trete ich auch einfach auf der Stelle.« »Was ist mit der Schiffsbelegschaft? Hat es schon jemanden erwischt?« »Lael Valdez zum Beispiel, aber dank Guys Plasma konnten wir sie durchbringen. Und unsere Labortechnikerin hier hat sich unglücklicherweise infiziert, als ihr ein Reagenzglas brach und ein Splitter ihre Hand verletzte. Keine fünfzig Stunden später ist sie mit Konvulsionen durch die Gehirnaffektion gestorben.« »Allmächtiger! Das muß ja einer der bösartigster Erreger der Geschichte sein.« »So in etwa. Er hat schließlich fünftausend Jahre Zeit gehabt, sich auszuprägen.« Grant gab Payne eine kurze Schilderung über die Schutzmaßnahmen, die er für das Personal des Hospitalschiffs durchgeführt hatte. »Vernünftige Zwischenlösung«, meinte Payne, »denn länger als höchstens ein paar Wochen kann diese Art von Schutz doch nicht ausreichen.« »Ich habe alle darauf aufmerksam gemacht – mich auch.« »Daß Sie tun, was Sie können, weiß jeder. Der tatsächliche Grund 208
meines Anrufes war, Ihnen zu sagen, daß Professor Philemon Mallinson heute früh verstorben ist, und zwar in London.« »Wieso in London? Was hat er denn dort gemacht?« »Vor ein paar Tagen ist er zu einer internationalen Wissenschaftlerkonferenz hinübergeflogen; offensichtlich hat er meine Warnung nicht mehr bekommen. Und einer von Mallinsons Studenten namens Judson ist soeben mit einem rasenden Fieberzustand ins Kreiskrankenhaus von Los Angeles eingeliefert worden. Von den Leuten in Harvard habe ich erfahren, daß er in einer von Mallinsons Vorlesungen das Skelettstück in der Hand gehabt hat, das noch vor der Halbwertzeitbestimmung herumgereicht wurde.« »Man weiß also nicht, wie viele es dabei infiziert haben kann?« »Mit Sicherheit alle in Mallinsons Vorlesung.« »Hat man sie schon isoliert?« – »Dafür kam mein Alarm bei den Bostoner Gesundheitsbehörden schon zu spät; die hatten an der Universität ein allgemein freies Wochenende. Außer jenem, der nach Kalifornien kam, ist die ganze Klasse über sämtliche Nordoststaaten verstreut.« »Dann werden wir ja bald von ihnen hören«, konstatierte Grant grimmig. »Kümmern Sie sich bitte darum, daß Mallinson auf jeden Fall eingeäschert wird.« »Das habe ich schon veranlaßt, und auch das Los-Angeles-Kreiskrankenhaus ist informiert, Judson vollkommen zu isolieren. Leider war er vorher bei einer Familienfestivität.« »Gott steh ihnen bei.« »Das für den Distrikt Los Angeles zuständige Gesundheitsamt wird alle Gäste überprüfen und sie isolieren.« »Sind die Kulturen angekommen, die ich geschickt habe?« »Heute früh, und zwar unbeschädigt. Das heiße Labor arbeitet schon mit ihnen. Haben Sie noch irgendeinen Vorschlag, was wir tun könnten?« »Keinen. Ich schaue, daß ich hier mit meinen ziemlich einfachen Mitteln das Beste heraushole. Haben Sie mir übrigens das Bromurazil per Luftpost geschickt? Mutation ist noch immer eine der Möglichkeiten, hinter denen ich her bin.« 209
»Ich war so damit beschäftigt, der Epidemie hier zuvorzukommen, daß ich es ganz vergessen habe. Es geht morgen an Sie ab.« »Wissen Sie, daß Shirley hier ist?« – »Wie bitte?« »Von Ihnen hatte sie doch die Inforation über die Lage hier, und damit hat sie sich an die Stiftung, an CBS und INS gewandt. Machen Sie sich also darauf gefaßt, daß die Story spätestens morgen früh über die Bildschirme flimmert und überall in Druck ist.« »Wie konnte sie nur so wahnsinnig sein und das Risiko einer derartigen Situation auf sich nehmen?« »Sie sieht eben darin die sensationellste Exklusiv-Nachricht des Jahrhunderts – und von ihr in Umlauf gesetzt.« »Ja, aber doch nicht unter Einsatz Ihres Lebens!« »Shirley geht davon aus, daß ich sie schon irgendwie vor dem Yungay-Fieber schützen werde.« »Und sehen Sie eine Möglichkeit?« »Eine einzige, aber die scheint mir zuverlässig.« »Ich bin sicher, daß Sie tun werden, was in Ihren Kräften steht. Wenden Sie sich mit allem, was Sie brauchen, an uns.« Es knackte in der Leitung, und Grant gab den Kopfhörer zurück. »Danke, Jake«, sagte er. »Da habe schon eher ich Ihnen zu danken, Doktor«, meinte der Funker. »Wenn Sie uns allen nicht die Spritze verpaßt hätten, würde uns höchstwahrscheinlich das Fieber doch schon packen, bevor hier noch der nächste Tag heraufzieht.«
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ngst lag wie eine Dunstglocke über der Stadt, als Grant und Homer Ferguson mit dem Lautsprecherwagen die Straßen abfuhren. Kaum eine Menschenseele war unterwegs, und von der Plaza Central waren sogar die tapadas verschwunden, die sonst hier immer in frappierender Ähnlichkeit mit einer Schar Amseln herumlungerten, in dunkle Riesentücher gehüllt, die ihre körperlichen Attribute besser zur Geltung brachten, andererseits aber überhaupt nur ein Auge freiließen. Selbst die Tische vor den kleinen Restaurants waren weitgehend verwaist; ein paar alte Männer wagten sich weiterhin an ihren angestammten Platz in der Sonne. Sie kauten wie üblich die Ereignisse durch, die wieder in der Zeitung standen, zu deren Lektüre sie extra jeden Morgen kamen, während sie sparsamst ihr Glas chicha vor sich hegten, damit es nur ja möglichst lange reichte. Das Rascheln des Windes in den Eukalyptusbäumen und das sanfte Aufrauschen der Palmen machte fast die ganze Geräuschkulisse aus. Sogar die Vögel schienen eingeschüchtert von der über dem Platz lastenden Stille und den gelben Riesenplakaten an den Bäumen und in den umliegenden Schaufenstern, auf denen das Gesundheitsministerium vor der Epidemie und vor Zusammenkünften warnte.
»Dr. Figueroa leistet ganze Arbeit«, bemerkte Grant, als sie die Straße, die rund um den Platz führte, verließen und sich südwärts in Richtung Barrio wandten. »Es liegt kein Fischgeruch mehr in der Luft«, sagte Homer. »Also ha211
ben auch die Fischmehlfabriken zugemacht, und so werden viele Leute überhaupt nicht mehr aus dem Haus gehen.« »Sie werden Hunger leiden, bevor der ganze Spuk hier vorbei ist.« »Besser hungern als tot sein, Doktor«, meinte Homer und nahm das Mikrophon auf. »Ich werde mal anfangen.« »Bringt eure Kranken auf das weiße Schiff im Hafen«, schallte es lautstark und abwechselnd in spanisch und quechua über die stillen Häuser, während der Wagen die stummen Straßen abfuhr. »Die amerikanischen Ärzte werden sie alle behandeln, und einige werden so am Leben bleiben, wie Manoel Allanza und Conchita Torres es jetzt überlebt haben. Wenn ihr sie aber in den Händen der Zauberer laßt, werden sie alle sterben.« »Santos und seine Bruderschaft werden Sie noch mehr als mich hassen, Homer«, stellte Grant fest, während sie ins Barrio kamen. Normalerweise sprühend vor Leben, war es inzwischen auch in Stille und Stummheit versunken, und sogar die Ziegen und Hunde schienen sich zu fürchten. Hier und da, während der Wagen eine Straße hinauf und die nächste wieder hinunter fuhr und Homer seine Botschaft durch den Lautsprecher schallen ließ, sah man angstvolle Gesichter hinter Fenstern, wo es überhaupt Fenster gab. Meistens wurden aus Bambusstreifen geflochtene Vorhänge zur Seite geschoben, damit die Bewohner dahinter einen Blick riskieren konnten. Sie hatten das Barrio planvoll abgefahren und befanden sich nun auf derselben Strecke auf dem Rückweg, als ihnen auffiel, daß sie sich einem Stimmengewirr näherten. Doch erst nahe dem Krematorium, dessen schwarze Rauchfahne die grausige Todesbotschaft verriet, konnten sie erkennen, woher der zunehmende Lärm kam. Auf Gehweg und Straße vor dem Gebäude hatte sich ein kleiner Menschenauflauf angestaut. Die einen waren mit Knüppeln und Stöcken bewaffnet, manche allerdings mit den geschwungenen Macheten gerüstet, die man zur Mais- und Zuckerrohrernte in den breitangelegten, bewässerten Feldern rund um die Stadt verwendete. »Sieht nach Schwierigkeiten aus«, sagte Grant. »Mir wär's lieber, wenn wir zum Hafen zurückkehrten.« 212
»Und das ist die einzige Straße, die direkt hinführt«, erklärte Homer. »Tun wir so, als ob wir keine Ahnung hätten, worum es geht, und fahren einfach durch. Ich kenne die meisten dieser Leute; es könnte sein, daß sie auf mich hören.« Die Menge wich zunächst etwas auseinander, als der Wagen keine Anstalten machte abzustoppen; und jetzt wurde der Blick frei auf Santos, den Oberzauberer von Chimbote, der wie auf einem Postament auf einer Kiste am Bordstein stand, wild schreiend und gestikulierend. Er gab eine wahrhaft sonderbare Figur ab, denn er war in der Aufmachung der alten Schamanen mit der dominierenden Hirschkopfmaske, deren Lederhaut weit genug zurückgestutzt war, um haßerfüllte Augen zu zeigen; das Geweih mit seinen vielen Enden war noch unbeschädigt wie zu Lebzeiten des Tieres. Die Klappern an seinen Hand- und Fußgelenken erzeugten bei seinem Tanz ein lautes trommelndes Geräusch und ergaben ein furchterregendes Getöse, während Santos seine Verwünschungen dem Wagen entgegenschleuderte. »Wenn ich ihn doch bloß von seiner Kiste fegen könnte«, knirschte Homer. »Er hat seine Auge auf etwas, das mich interessiert.« Grant fragte nicht weiter nach. Um die verwitwete Conchita Torres würde es zweifelsohne eine Menge Bewerber geben – ihrer selbst und der blühenden cantina wegen, deren Alleinbesitzerin sie inzwischen war. Unter dem Ansporn von Santos Haßtiraden drängten manche aus der Menge wieder näher an den Wagen heran und stießen ihrerseits eine Flut von Verwünschungen aus. Dann wichen sie wieder etwas zurück, als sich der stabile Kombi weiter seinen Weg bahnte und Homers Aufforderungen durch den Lautsprecher das Gelärm von Santos Klappern und ausgestoßenen Flüchen zu übertönen drohte. Ein Stein zerschmetterte das Seitenfenster genau in Grants Kopfhöhe, der unwillkürlich seinen Arm hob, um die fliegenden Glassplitter abzuhalten; doch er fuhr weiter, während die zornige Menge dicht genug herandrängte, um auf Seitenteile und Rückwand des Fahrzeugs einzuhämmern. Als es so aussah, daß sie den Wagen zum Stehen bringen könnten, legte Grant einen niedrigeren Gang ein und ließ den Mo213
tor aufheulen, kam aber trotzdem nur schwer voran, weil er niemand aus der Menge verletzen wollte, während sich das Gefährt den Weg erzwang. Inzwischen hatte Santos seinen Ritualtanz eingestellt und folgte nun seinerseits dem Wagen, indem er die Menge anstachelte, ihn doch aufzuhalten und den yanqui samt dem Abtrünnigen zu erledigen. Grant war so aufs Fahren konzentriert, daß er zunächst nicht verstand, was der Medizinmann schrie, bis die Menge langsam zur Seite wich. Dann allerdings gab es kein Mißverstehen der Worte mehr: »Sangra!« und »Palo de sangre!« »Sie nennen uns Blutsauger und Vampire«, übersetzte ihm Homer. »Das hat uns Esteban Gomez eingebrockt.« Die laut aufheulende Menge hinter sich, strömten die Menschen nun aus ihren Elendshütten und -häusern entlang der Straße und machten ein Vorwärtskommen noch schwieriger. Es hagelte Steine und andere Wurfgeschosse auf das Auto, als Grant in die Straße einbog, die zum Kai führte. Erst als sie die Barriere des Wachtpostens passierten, wurde die Menge von den schußbereiten Gewehren der Soldaten endlich zum Halten gebracht. Grant stellte den Lautsprecherwagen neben dem Landrover ab, genau gegenüber dem Landesteg, der an Bord der ›Mercy‹ führte, und seufzte tief und erleichtert auf. »Das war knapp, Homer, sehr knapp. Haben Sie nicht gesagt, diese Leute wären Ihre Freunde?« »Santos hat sie mit seinen Geschichten über das Blutaussaugen der Kranken derart aufgebracht. Und wer Angst hat, wendet sich sogar gegen einen Freund, wenn er die Seite derer ergreift, die man selbst für feindlich hält. Jetzt ist Santos wild entschlossen, allen an Bord des Schiffes den Garaus zu machen.« »Da kann ich Dr. Figueroa anrufen und um Verstärkung des Wachtpostens bitten.« »Dann aber am besten gleich, die sind so fuchsteufelswild, daß sie die Telefonleitungen und wahrscheinlich auch die Elektrokabel zur Stromversorgung des Schiffes kappen werden.« »Die ›Mercy‹ hat ihre eigene Stromversorgung«, beruhigte Grant seinen Helfer. »Gehen Sie schon an Bord, während ich Figueroa anrufe.« 214
»Bin ich froh, daß Sie und Ferguson lebend davongekommen sind!« Der Leiter des Gesundheitsamtes klang ganz gemartert. »Ich flehe Sie an, probieren Sie so etwas nicht noch einmal.« »Das kann ich Ihnen versprechen. Wissen Sie schon, daß das Fieber inzwischen London, Boston und wahrscheinlich auch Los Angeles erreicht hat?« Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen, bis Grant schließlich fragte: »Sind Sie noch dran, Dr. Figueroa?« »Ich hab's nur gerade verarbeitet, Doktor. Haben Sie schon jemals eine Epidemie sich derartig schnell ausbreiten sehen?« »Ich fürchte, nein. Von jetzt an kann mich nichts mehr wundern, was dieser Teufelsbazillus treibt.« Aber wie sich zeigen sollte, lag er mit dieser Annahme falsch.
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uf der ganzen Breite der rasend um sich greifenden Epidemie gab es nur einen einzigen Lichtschimmer für Grant. Lael Valdez genas sehr schnell und schien vollkommen außer Gefahr. Sie brauchte keine Extraschwester mehr, und als Grant an diesem Nachmittag in ihre Kabine kam, war sie beim Lesen. Ein Blick auf die Fieberkurve am Fußende des Bettes zeigte ihm eine völlig ausgeglichene Normaltemperatur. »Sie haben mich vernachlässigt«, meinte sie lächelnd. »Sie sind so gut wie gesund. Und meine Arbeit ist jetzt, Leute vor dem Krankwerden zu bewahren.« »Alle hier fragen sich, was Sie zum Schutz Ihrer Frau unternehmen werden.« »Meiner Exfrau. Unsere Scheidung ist in Kürze rechtskräftig.« »Sie ist höchst attraktiv und eine ausgezeichnete Journalistin.« »Sagen Sie bloß, Jack Smithson hat sie mit Ihnen sprechen lassen?« »Aber ja doch. Schließlich ist sie hier, um der ›Mercy‹-Stiftung zu helfen.« »Sie ist hier, um sich einen Namen zu machen – die unerschrockene Journalistin, die unter Einsatz ihres Lebens über eine weltweite Epidemie berichtet.« An ihrem verständnislosen Blick sah er, daß sie die letzten Neuigkeiten noch gar nicht erfahren hatte, und bedauerte zutiefst, sie nun enthüllt zu haben. Aber da es schon einmal geschehen war, mußte er ihr die Wahrheit sagen. Als er ihr die traurigen Fakten aufgezählt hatte, waren ihre Augen tränenerfüllt. »Der arme Professor Mallinson! Da mußte er sein Leben lassen, nur weil er uns einen Gefallen tat«, klagte sie. »Und den anderen gegenüber fühle ich mich ebenfalls schuldig.« 216
»Wenn Sie und Guy das Grab nicht jetzt geöffnet hätten – das habe ich schon einmal gesagt –, dann hätte es eben später jemand anderer getan. Und niemand kann Sie dafür verantwortlich machen, daß ein Dieb in Ihrem Haus war und infizierte Gegenstände mitgenommen hat.« »Das ändert aber nichts an meinen Schuldgefühlen und dem Wunsch, auf irgendeine Art etwas wiedergutmachen zu können.« »Das können Sie, wenn Sie das Risiko eingehen wollen.« »Und wie?« »Shirley ist hierher gekommen, ohne mich zu fragen, nur in der naiven Annahme, daß ich sie schon gegen das Yungay-Fieber schützen werde. Aber die allerletzte Dosis von Guys Immunplasma ist an Leona Danvers gegangen.« »Glauben Sie denn, mein Blut könnte ihr Schutz bieten – so wie Guys Blut mir?« »Bei rechtzeitiger Verabreichung, also bevor die Infektion den Körper befällt, genügen schon relativ geringe Mengen des spezifischen Antitoxins, um die Erkrankung zu vermeiden. Es ist das Prinzip, auf dem die Therapie mit Immunglobulinen beruht, die man bei Menschen anwendet, die mit Hepatitis, Diphtherie und einigen anderen Infektionskrankheiten in Berührung kamen. Und ich würde nicht im Traum daran denken, Ihnen den Vorschlag zu machen, falls er auch nur die geringste Gefahr für Sie in sich bergen würde.« »Und wie geht das Ganze vor sich?« »Erst werden Ihnen rund zweihundert Kubikzentimeter Blut abgenommen, das in eine Zitratlösung kommt, um die Gerinnung zu verhindern; dann wird es zentrifugiert, um das Plasma vom Zellanteil zu trennen. Shirley bekommt das Plasma, und Ihrem Kreislauf werden die mit Kochsalzlösung aufgeschwemmten roten Blutkörperchen wieder zugeführt.« »Ich kann mich erinnern, daß ich das einmal gesehen habe in dem Bostoner Labor damals.« »Die Methode wird sehr häufig für Plasmatransfusionen angewandt; es ist absolut nichts Ungewöhnliches oder Gefährliches dabei.« 217
»Und der Körper produziert neues Plasma und neue Antitoxine?« »Sehr schnell sogar.« »Ich bin jederzeit bereit, Grant, wenn Sie soweit sind. Guy hat mir mit seinem Blut das Leben gerettet – also ist das wenigste, das ich tun kann, zur Rettung eines anderen Menschen beizutragen.« »Höchstwahrscheinlich werden wir die Blutabnahme heute nachmittag vornehmen und Ihnen etwa eine Stunde später die Blutkörperchen wieder zuführen.«
Shirley war im Mannschaftsklub, trank Kaffee und sah frisch und völlig ausgeruht aus. »Ich habe mich gerade eben mit Homer Ferguson unterhalten«, sagte sie leicht vorwurfsvoll. »Du hättest mich heute morgen ruhig mitnehmen können, Grant. Ein Bild von diesem Hexendoktor hätte mir vielleicht einen Pulitzer-Preis eingebracht.« »Im Augenblick beschäftigt mich weit mehr, dich aus dem Sterberegister herauszuhalten«, erwiderte er kurz angebunden. »Lael ist einverstanden, daß wir ihr zweihundert Kubikzentimeter Blut abnehmen, um dich zu schützen.« »Prima. Wann machen wir das?« »Sowie ich soweit bin – in etwa einer halben Stunde.« Die Infusion von Laels Plasma in Shirleys Venen und die Reinjektion der roten Blutkörperchen in Laels Kreislauf war schnell vollzogen. Danach begab sich Grant wieder ins Labor und war so vertieft in die Vermengung von Mutanten mit dem B. yungay, daß er weder das Geräusch des Türöffnens hörte noch die Schritte, die sich näherten. Erst als er den Blick von seinen Kulturen hob, sah er Shirley unmittelbar vor sich stehen. »Was willst du?« fragte er, irritiert davon, daß sie so unverschämt hübsch aussehen konnte, während er verschwitzt, schmutzig und müde war. Obendrein fiel ihm ein, daß er sich dringend rasieren mußte. »Ich war gerade bei Lael und habe mich bei ihr bedankt, und dassel218
be wollte ich jetzt auch bei dir. Die Welt hat ja keine Ahnung, Grant, was für ein Glücksfall es ist, dich hier im Brennpunkt des Geschehens zu haben. Aber man wird es erfahren – darauf kannst du dich verlassen.« »Mit Ruhm ist nicht einem einzigen jener Menschen zu helfen, die vor wenigen Minuten mit dem Lastwagen von Huarás heruntergekommen sind.« »Bitte, glaube mir, ich möchte in jeder erdenklichen Weise helfen: Bettschüsseln ausleeren, Kranke waschen – was auch immer. Ich bin zwar in solchen Dingen nicht sehr geschickt, aber wie es aussieht, kriege ich hier mehr als genug Gelegenheit zum Lernen.« Er sah noch, daß sie es wirklich ernst meinte, und es fiel ihm auf, um wieviel anziehender sie dabei wirkte als bei ihrer letzten Begegnung in Atlanta. »Du kannst Mark Post bei den Krankengeschichten helfen«, meinte er. »Er ist jung und ehrgeizig, und außerdem macht er schon Stielaugen nach dir.« »Und diese Tatsache stört dich nicht?« »Nicht mehr.« »Dann ist es wohl zwischen uns nun wirklich endgültig vorbei.« »Wie lange willst du noch hierbleiben?« »Ein paar Tage. Warum?« »Diese Seuche breitet sich rasender aus als irgendeine andere in der Geschichte, und du bist die einzige Zeitungskorrespondentin, die miterlebt hat, wie es tatsächlich ist. Da du jetzt mindestens ein paar Wochen lang vor Ansteckung sicher bist, könntest du die – auch vom Nachrichtenwert her – wirklich verdienstvolle Aufgabe übernehmen, die Spuren ihrer Streuung in alle Welt zu verfolgen, angefangen mit Professor Mallinsons Kongreß in London.« »Mallinson? Wer ist das?« »Nicht ist – war.« Er erzählte ihr von der Halbwertzeitbestimmung und wie deswegen das Yungay-Fieber nicht nur in die Vereinigten Staaten gelangte, sondern von dem bereits vom Tode gezeichneten Physiker auch nach London und – durch seine ziemlich sicher anzunehmenden Kontakte mit anderen Wissenschaftlern – in alle möglichen Teile der Welt verschleppt wurde. 219
»Das ist ja fast unglaublich«, sagte sie schließlich. »Ich werde morgen mit CBS sprechen und hören, wie sie dazu stehen.« Sie kam schnell auf ihn zu und gab ihm einen Kuß, und während er sie durch das kleine Labor fortgehen und von der Tür her noch winken sah, fragte er sich plötzlich, ob es nicht doch bescheuert von ihm war, die allerletzte Gelegenheit vorbeiziehen zu lassen, diesen hinreißenden Körper in den Armen zu halten und auf dem Gipfel gemeinsamer Leidenschaft seine Ekstase zu fühlen – möglicherweise sogar überhaupt die letzte Gelegenheit seines Lebens, diese Freude mit einer Frau zu teilen.
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ack Smithsons Voraussage über das Ausmaß der Hospitalneuzugänge während der nächsten zwölf bis vierundzwanzig Stunden stellte sich als viel zu niedrig geschätzt heraus. Den ganzen Nachmittag und während der Nacht strömten neue Fälle herein, und viele von ihnen kamen aus dem Barrio von Chimbote, wo sich anscheinend doch ein Teil der Bevölkerung von Homer Fergusons dringender Aufforderung, die Kranken aufs Schiff zu bringen hatte beeindrucken lassen. Ein fast unaufhörlicher Zustrom neuer Opfer kam auch aus Yungay und Huarás und deren näherer Umgebung im Callejón de Huaylas. Und wie Grant befürchtet hatte, schien der tödliche Erreger eindeutig an Virulenz zuzunehmen, denn die Inkubationszeit zwischen dem Erstkontakt mit dem schnell wuchernden Bazillus und dem tatsächlichen Krankheitsausbruch nahm zusehends ab. Zusammen mit einem Ärzte- und Schwesternteam war er mit der Neuaufnahme von Patienten und der Feststellung ihres Krankheitsstadiums beschäftigt, damit man die offensichtlich im Sterben Liegenden von jenen trennen konnte, die wenigstens eine geringe Überlebenschance hatten. Bei ihnen war auch noch eine Unterstützungstherapie angebracht, die bei den zum Tode Verurteilten reine Vergeudung gewesen wäre – zumal in Kürze die Medikamente knapp werden würden. Grant berief eine kurze Zusammenkunft der Ärzte und des Klinikpersonals nach dem Frühstück ein; auch Shirley forderte er auf. Die meisten hatten stark gerötete Augen durch Schlafentzug und Überarbeitung. Er wußte nur zu gut, daß manche von ihnen die Nacht durchgeschuftet hatten. 221
»Ich möchte Sie alle über die Lage der Dinge informieren und Ihnen sagen, daß Sie in der Zwischenzeit auf der ›Mercy‹ tatsächlich noch besser aufgehoben sind als sonst irgendwo«, erklärte er. »Infektionszentren für das Fieber gibt es – außer natürlich in Yungay selbst – hier in Peru bereits in Huarás, in Lima und in Chimbote. Im Ausland entwickelt die Epidemie allerdings schon Zentren in Boston, Los Angeles, London und einer Reihe von weiteren Orten.« »Wie war das denn derart schnell möglich?« fragte Mark Post. »Eine volle Seminarklasse am Institut für Strahlenphysik in Harvard ist vor etwa einer Woche mit infiziertem Material in Berührung gekommen«, erläuterte Grant. »Der Professor, der die entsprechende Vorlesung hielt, ist bereits gestorben, und zwar in London, wo er mit hoher Wahrscheinlichkeit Dutzende von Wissenschaftlerkollegen ansteckte, die an einer internationalen Konferenz teilnahmen. Die Studenten seiner Vorlesung haben sich inzwischen über die ganzen Nordoststaaten der USA und sogar nach Kalifornien verstreut. Während der kommenden Woche werden sich die Reihen der besten Köpfe auf dem Gebiet der Strahlenphysik in aller Welt lichten, ebenso wie eine ganze Anzahl des Fachnachwuchses ausgelöscht werden dürfte.« – »Das ist ja wie eine biblische Plage!« entfuhr es Pfarrer Branigan. »Wenn eine biblische Plage ausbrach, wurde sie immer als Zeichen von Gottes Zorn gewertet. Aber keiner dieser Menschen hat etwas getan, um dieses Schicksal zu verdienen.« »Mit Ausnahme Ihres Bruders«, konterte Mark Post. »Und Miß Valdez, die allerdings davonkam.« »Mein Bruder hat völlig ahnungslos und unabsichtlich diese spezifische Plage auf die Menschheit losgelassen, und durch eine sonderbare Verquickung der Umstände und Ereignisse hat sie sich rapide ausgebreitet. Eines Tages jedoch hätte mit Sicherheit ein anderer Archäologe dieses Grab geöffnet, und der Bazillus yungay wäre als tödlicher Erreger wiederauferstanden – um beim biblischen Vergleich zu bleiben. Glücklicherweise hat mein Bruder das Fieber überstanden, um dann zwar an Herzversagen zu sterben, aber mir immerhin damit die Möglichkeit zu geben, Ihnen allen eine Dosis Immunserum zu verab222
reichen und somit eine Antitoxinprophylaxe gegen den Bazillus yungay.« »Und wo stehen wir in diesem fatalen Spiel jetzt?« forschte Jack Smithson. »Einige unter Ihnen waren vermutlich im Frühstadium der Ansteckung mit Yungay-Fieber, als ich die Plasmainjektionen vornahm. Sie werden wahrscheinlich dennoch die Infektion entwickeln, wenngleich hoffentlich in einer schwächeren Form, von der Sie genesen und für immer immun bleiben werden. Jene, die nicht infiziert waren, sind wahrscheinlich für einige Wochen immun – möglicherweise für einen ganzen Monat oder sogar länger.« »Sie sind der Experte«, warf Elaine Carroll ein. »Warum können Sie sich nicht präziser festlegen?« »Weil wir es mit einem der virulentesten Keime der Geschichte zu tun haben«, erwiderte Grant. »In meiner ganzen Laufbahn ist mir noch nichts Vergleichbares untergekommen.« »Gott steh uns bei!« ließ sich Pfarrer Branigan wieder hören. »Ich hoffe es, Hochwürden«, meinte Grant. »Aber ich hoffe meinerseits, diesem Beistand mit ein wenig Glück nachzuhelfen.« – »Und wie?« wollte Mark Post wissen. »Wenigstens zwei Patienten an Bord scheinen auf dem Weg zur Genesung: Manoel Allanza und Conchita Torres. Ich habe zwar keine Möglichkeit, die Immunkörperproduktion im Blut dieser Patienten exakt einzuschätzen, doch sie wird sicherlich hoch sein, da sie sonst nicht überlebt hätten. Ihr Blut könnte unsere Rettung bedeuten, aber es muß ihnen die Gelegenheit gegeben werden, den höchstmöglichen Titer an Antitoxinen zu produzieren, bevor wir das Plasma-Trennungsverfahren anwenden, um die Belegschaft hier länger am Leben zu halten, damit diese wiederum den anderen Patienten helfen kann.« »Wenn der Aufnahmeandrang so bleibt wie bisher«, stellte Jack Smithson zur Diskussion, »dann werden morgen mittag das letzte Bett und die letzte Feldpritsche an Bord belegt sein. Was dann?« – »Dr. Figueroa wird die Lagerhäuser in Schiffsnähe requirieren und sie behelfsmäßig als Notkrankenhäuser ausstatten. Wir werden unsere Schwe223
stern nur noch in einer kontrollierenden und instruierenden Funktion einsetzen müssen und die nächsten Angehörigen der Fieberopfer in jede noch mögliche klinische Pflege einweisen, wie es auch in afrikanischen Missionshospitälern gehandhabt wird. Die Angehörigen waren der Ansteckung ohnehin ausgesetzt, also haben sie nichts mehr zu verlieren, wenn sie ihren liebsten Menschen durchstehen helfen.« »Damit wird der Einsatz der Schwesternschaft schrecklich dekonzentriert«, wandte die Oberschwester ein. »Aber wir werden alles tun, was wir können.« »Ich weiß, es ist das Äußerste«, beteuerte Grant. »Noch ein letztes Wort«, kündigte Jack Smithson an, bevor man die Belegschaft entließ. »Keiner von Ihnen darf auch nur einen Moment vergessen, daß jeder gerettete Patient eine potentielle Quelle von Immunkörpern ist, die uns alle wieder für eine Weile am Leben erhalten kann. Setzen Sie also in Ihrem eigenen Interesse alles – aber auch wirklich restlos alles – ein, um den Patienten jede nur erdenkliche Überlebenschance zu gewähren.«
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hirley stand am Ende des Landestegs, als Grant kurz vor Einbruch der Dunkelheit an Bord der ›Mercy‹ zurückkehrte, nachdem er den ganzen Nachmittag mit Dr. José Figueroa über die Umwandlungsplanung von leerstehenden Lagerhallen entlang des Kais in Notkrankenhäusern gesessen hatte. »Dein Tip war genau richtig, Grant. CBS möchte mich als Reporterin auf den Spuren der weltweit ausbrechenden Seuche einsetzen«, erzählte sie ihm. »Morgen nachmittag fliege ich nach Lima und von dort über die Anden nach Rio und weiter nach London. Wenn du mir noch eine Vorstellung von dem geben könntest, was du hier als nächstes unternehmen wirst – die Augen der Welt sind auf dich gerichtet.« »Ich wäre froh, wenn ich es selbst wüßte«, sagte er müde und schaute auf die Uhr. »Die Messe ist schon geöffnet, wenn du für ein frühes Abendessen zu haben bist.« »Da bin ich bereits mit Mark Post verabredet – aber auf eine Tasse Kaffee komme ich mit.« »Gerechte Zeitverteilung.« Während Grant aß, traktierte sie ihn mit Fragen. Wenn Shirley arbeitete, war sie ganz und gar bei der Sache, und das sinnenbetörende Weib, das sie gern hervorkehrte, wenn sie es für nützlich hielt, war vollkommen verschwunden. »Und wie ich dich kenne, kann ich einfach nicht glauben, daß du die Suche nach einer anderen Bekämpfungsmöglichkeit dieses Erregers außer den bloßen Immunseruminjektionen aufgegeben hast«, meinte sie. »Habe ich das denn behauptet?« »Das Klinikpersonal hat es so aufgefaßt, nachdem du heute morgen mit ihnen gesprochen hast.« 225
»Ich will ihnen bloß keine falschen Hoffnungen machen«, erklärte Grant. »Dabei fange ich gerade heute abend einen neuen Schwung von Kulturversuchen mit einer stärkeren Formalin-Konzentration an.« – »Warum mit Formalin?« »Wenn man Bakterientoxine mit Formalin behandelt, so verwandeln sie sich häufig in harmlose Toxoide, wenn die Methode nur richtig ausbalanciert ist. Das Toxoid eines bestimmten Erregers hat die besondere Eigenschaft, als Abwehrstoff zu fungieren und die Antikörperproduktion im gesunden Menschen anzuregen.« »So wie das Tetanus-Toxoid?« »Das ist nur eins von den gängigen; es gibt eine Reihe anderer. Wenn man Menschen eines jener besonderen Toxoide einimpft, bevor sie der spezifischen Infektion ausgesetzt sind – zum Beispiel Tetanus nach einer Verletzung mit einem rostigen Nagel –, und unmittelbar nach Infektionsgefährdung eine stimulierende Dosis verabreicht, steigen die Immunkörperspiegel ungeheuer rasch an und verhindern damit den Ausbruch der tatsächlichen Infektion.« »Aber ist das nicht ein langfristiger Vorgang?« »Bis zur Ausmerzung des Yungay-Fiebers kann es noch lange dauern, also ist alles, was der Epidemie Einhalt gebieten könnte – und sei es auch erst in einigen Monaten –, den Versuch wert.« Er schaute von seinem Essen auf und fing ihren Blick aus seltsam schimmernden Augen auf. »Was ist?« fragte er. »Glaubst du nicht, was ich dir sage?« »Ganz im Gegenteil. Wenn du mir bloß schon früher etwas von deiner Arbeit mitgeteilt und mich ein klein bißchen an deinen Gedanken und Überzeugungen hättest teilhaben lassen, hätten wir es vielleicht miteinander schaffen können.« »Ich bin wohl zu sehr in meinem Kampf gegen Erreger aufgegangen und du in deinen Pressemitteilungen für das Institut und den Bemühungen, wissenschaftliche Aufgaben für uns heranzuschaffen, um ja lange genug für irgend etwas anderes als Sex und Schlaf zusammen zu sein.« »Wenigstens etwas, das wir beide in guter Erinnerung behalten werden«, meinte sie lächelnd. »Kann ich dich um noch einen Gefallen bitten?« – »Natürlich.« 226
»Ich würde gerne heute abend noch ein paar Aufnahmen von dir im Labor machen – zur späteren Verwendung in einem Buch, das ich schreiben werde, wenn all das hier vorbei ist und du deinen zweiten Nobelpreis erhalten wirst. Es macht gar keine Umstände: Du brauchst dich nicht in Positur zu werfen und gar nichts. Ich werde ganz ungestellt und zwanglos ein paar Blitzaufnahmen schießen und mich danach lautlos verdrücken.« »Ist gut. In einer Viertelstunde bin ich im Labor. Dann kommst du auch nicht zu spät zu deiner Dinnerverabredung mit Mark Post.« »Meine Arbeit ist vorrangig, da kann Mark Post ruhig warten«, meinte Sie etwas zweideutig. »Wenn man einmal einen Grant Reed zum Mann gehabt hat und ihn dann wieder verliert, das verdirbt einen ganz schön für andere.«
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s war schon fast Mitternacht, als Grant aus dem Labor auf Deck trat. Er merkte, daß die übliche Nachtbrise die Richtung geändert hatte und inzwischen aus Nordost kam. Die Flutlichter, die von Sonnenuntergang bis Tagesanbruch erstrahlten, tauchten das große weiße Schiff in ein warmes Licht. Auch auf dem Pier gab es zwei große Lichtquellen. Die eine davon beschien den Wachtposten gegenüber dem Landesteg. Grant konnte die geschlossenen Planen des Zelteingangs ausmachen, aber keine Spur von einem Posten, der eigentlich seine Runde hätte abschreiten müssen. Weiter entfernt auf dem Kai war das Glasgehäuse der dortigen Wachstation ebenfalls in helles Licht getaucht. Die Nordostbrise brachte den zarten Wohlgeruch von Blumen, die allmählich den Höhepunkt ihrer Blüte erreichten; es war ein ganz entschiedener Kontrast zu dem sonst in der Luft liegenden Gemisch von Übelgeruch der inzwischen ruhenden Fischmehlfabriken und der Lagerhalle weiter unten am Kai, wo der von den Vogelinseln herübergeholte Guano in Säcke gehüllt und eingelagert wurde. Grant stieg die Eisentreppe zum Oberdeck hinauf, schaute auch in die Kommandokajüte hinein, sah aber niemanden, nicht einmal den üblichen wachhabenden Matrosen. Heute nacht war anscheinend nicht viel von Kapitän Pendarvis' vielgerühmter Schiffsdisziplin zu spüren, dachte Grant, und es drängte sich ihm die Überlegung auf, ob die Niedergeschlagenheit, die das Klinikpersonal nach der morgendlichen Eröffnung seines bisherigen Auf-der-Stelle-Tretens anscheinend erfaßt hatte, nun auch auf die Schiffsbesatzung übergesprungen war. Als er sich wieder der Treppe zum nächsttieferen Deck zuwandte, kam plötzlich von irgendwo an Land von der Kaiseite ein dröhnendes 228
Geräusch. Im gleichen Augenblick gingen sämtliche Lichter im ganzen Umkreis einschließlich der Schiffslichter aus und hüllten die ganze Umgegend in Dunkelheit. Auf der Kommandobrücke kannte Grant sich immerhin soweit aus, um nach dem Mikrofon zu tasten, mit dem sonst die Durchsagen über die Bordlautsprecheranlage gemacht wurden. Er fand die Taste und schrie in das Mikrofon hinein, doch ohne Stromzufuhr blieb der erwünschte Effekt natürlich aus. Seine hallende Stimme jedoch und das Erlöschen der Lichter brachten jemand in dem Wachpostenzelt drüben schließlich auf die Beine. Zuerst war der abgedunkelte Schein einer Taschenlampe zu sehen, dann schlug einer der Soldaten die geschlossene Zeltplane zurück, und nun sah Grant schemenhaft dunkle Gestalten die Pier entlangrennen. Er hörte ein dumpf aufschlagendes Geräusch, das sich mehrmals wiederholte, als ob jemand mit der Axt auf einen Holzklotz einhieb. Voll böser Ahnungen versuchte er so schnell wie möglich die Treppe hinunterzukommen. Auf halbem Weg stieß er mit Kapitän Pendarvis zusammen, der ihm mit flatterndem Hemd und nur einhändig geraffter Hose entgegenkam. »Sofort McTavish wecken!« schrie Pendarvis, der Grant offensichtlich für den Wachhabenden vom Dienst hielt. »Die Einheimischen haben das zentrale Stromkabel gekappt.« Auf dem darunterliegenden Deck rannten Menschen aufgescheucht hin und her; manche hatten Taschenlampen, andere prallten in der herrschenden Finsternis und allgemeinen Verwirrung aufeinander. Als jemand die Stablampe aus der Hand fiel, schnappte sie Grant und richtete den Lichtkegel auf die Pier, an der das Schiff vertäut lag. Um sich über das Geschehen klarzuwerden, bedurfte es eigentlich weder des Anblicks des stetig breiter werdenden Streifens dunklen Wassers zwischen Backbordseite und Pier noch der Geräusche splitternder Spanten, als es den Landesteg aus seinen Befestigungen riß. Jene dumpfen Schläge von vorhin waren Axthiebe, mit denen man die Ankertrossen der ›Mercy‹ gekappt hatte. Die Beteuerungen des Ersten Ingenieurs McTavish, daß der alte 229
Kahn im Handumdrehen von der Außenversorgung auf das eigene Stromaggregat umschalten konnte, erwiesen sich als nicht realistisch. Jetzt vergingen mindestens fünf Minuten, bis die Schiffslichter wieder angingen und der Strahl eines mächtigen Suchscheinwerfers die Pier überflutete, die inzwischen schon mindestens sechs Meter entfernt war, da das Schiff kontinuierlich mit Wind und Strömung davontrieb. Es überraschte Grant auch keineswegs, daß das inzwischen voll auf die schattenhaften Figuren gerichtete Flutlicht einen grotesken Anblick deutlich konturiert hervorhob. Santos war da. In seinem Hirschkopfputz und mit vor Haßgrimassen verzerrtem Gesicht vollführte er eine Art Freudenveitstanz. Der Suchscheinwerfer blieb jetzt auch voll auf den brujo fixiert, der mit ausgebreiteten Armen seine Verwünschungsgesänge ekstatisch hervorstieß – ein Bild von frappierender Ähnlichkeit mit jenem, das Lael in dem Höhlengrab oberhalb von Yungay aufgenommen hatte. Ein Aufschrei ließ Grant herumfahren. Schwankend stand Lael in der offenen Tür ihrer Kabine und starrte mit entsetzensgeweiteten Augen auf die groteske Szenerie. Unfähig, den Blick von der Schauergestalt an Land zu lösen, suchte sie am Türrahmen Halt; da war Grant auch schon bei ihr und hörte ihr Aufstöhnen: »Der brujo aus der Höhle! Er verfolgt mich!« Dann fiel sie in tiefer Ohnmacht vornüber, und Grant fing sie auf.
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etzt konnte Grant das sich draußen abspielende Geschehen nur noch akustisch durch die offene Kabinentür verfolgen, da er mit der Untersuchung von Lael Valdez beschäftigt war. Während des Blutdruckmessens spürte er das plötzliche Einsetzen eines stampfenden Rollens tief im Schiffsinneren. Gleichzeitig hörte das Driften des Schiffes auf, als die eingerostete Schraube allmählich durch die Gewässer des Hafens von Chimbote zu pflügen begann. Durch die offene Tür konnte er auch das Licht am Ende der langen Mole sehen und war einen Augenblick lang darüber verwundert, daß es sich zunehmend entfernte, bis ihm klar wurde, daß das Schiff auf die offene See zuhielt. Laels Pulsschlag ging regelmäßig. Auch der Pupillenreflex war normal und zeigte, daß kein Gehirntrauma wie beispielsweise eine plötzliche Blutung eingetreten war. Inzwischen war sich Grant auch ziemlich sicher, daß in ihrem geschwächten Zustand der Schock über Santos' Anblick, der ungeheuer jenem fünftausend Jahre alte Schamanenbild aus der Berghöhle geähnelt hatte, der tatsächliche Auslöser ihrer Ohnmacht war. »Mir war, als hätte ich Laels Schrei gehört.« Jack Smithson stand in der Tür zu ihrer Kabine. »Ist sie verletzt?« »Physisch nicht. Sie hat nur Santos in vollem Schamanenornat herumhampeln gesehen und muß ihn wohl für eine Erscheinung des Zauberers aus dem Höhlengrab gehalten haben.« »Der Schock dürfte für ihre Bewußtlosigkeit tatsächlich voll ausreichen.« »Und was tut sich draußen?« »Wir treiben auf Blanco Rock zu. Wenn McTavish nicht bald mehr 231
Kraft aus diesen Maschinen holt, dann werden wir noch hier im Hafen auf Grund laufen.« »Es könnte schlimmer kommen. Wie tief ist es eigentlich hier?« »Wie soll denn ich das wissen, verflucht noch mal? Ich bin ja schließlich nicht der Lotse.« Grant machte nur noch eine resignierte Geste und verließ die Kabine. Überall auf den Decks drängte sich Klinikpersonal, und viele von ihnen trugen nicht einmal Schwimmwesten. Offensichtlich gab niemand konkrete Anweisungen: Alles war im Zustand totaler Verwirrung, die – wie Grant befürchtete – bis hinauf zur Kommandobrücke reichte. Lediglich das gedämpfte Dröhnen der einzigen intakten Maschine vermittelte die Beruhigung, daß wenigstens McTavish alles unternahm, um seiner äußerst erschwerten Pflicht nachzukommen. »Jedermann zurück auf seinen Posten!« schrie Grant. »Und hier werden Schwimmwesten angezogen – auch den Patienten!« »Sollen wir unser Leben für einen Haufen sterbender Indios einsetzen?« fragte Mark Post herausfordernd. »Außerdem haben Sie hier nicht das Kommando.« »Und ob. Ich habe das Alleinkommando«, fuhr ihn Grant an. »Wollen Sie jetzt wohl auf Ihren Posten gehen, oder muß ich Sie unter Arrest setzen?« Einen Moment lang herrschte noch Unschlüssigkeit, währenddessen Grant nicht einmal Shirleys Blitzlichter bemerkte. Dann begann sich das Klinikpersonal aber doch zu zerstreuen, um in die Unterdecks zu seinen Aufgaben zurückzukehren. »Und die Schwimmwesten bleiben dran, bis die akute Gefahr vorüber ist«, rief ihnen Grant nach. »Gut gebrüllt, Grant«, sagte eine vertraute Stimme hinter ihm. Er drehte sich um und sah Shirley dastehen – ohne Schwimmweste, aber mit ihren üblichen Kameraausrüstungen um den Hals. »Wirst du wohl eine Schwimmweste anlegen«, herrschte er sie an. »Und zwar auf der Stelle!« »Ist es denn so gefährlich?« »Frag doch den Kapitän. Er wird es dann schon wissen.« 232
Ohne weitere Widerrede begab sie sich über das inzwischen hellbeleuchtete Deck zurück zur Reedersuite. Grant ging nach vorn zum Schiffsbug, wo Homer Ferguson stand, dessen mächtige Statur die Gurte der Schwimmweste fast überdehnte, und in das sich teilende Wasser hinunterschaute. »Mensch, Doktor, was würde ich jetzt für ein Handlot geben«, sagte Homer. »Als ich noch Deckmann auf einem Schlepper den Memphis aufwärts war, da mußte ich beim Schieben der Schleppkähne ganz schön damit umgehen können.« »Sind wir in Gefahr, auf Grund zu laufen?« »Da vorne in Höhe des Molenendes beträgt die Tiefe nur viereinhalb Faden. Falls Ihnen dieser nautische Begriff fremd ist, dann sind es eben acht Meter oder knapp über vierundzwanzig Fuß, und dieser Pott hier hat einen Tiefgang von achtundzwanzig Fuß.« »Dann kommen wir also nicht drüber?« »Die Strömung ist uns günstig, und der Wind wird den Seegang zwischen dem Chimbote da« – er deutete auf eine steilaufragende Felsinsel nördlich von ihnen – »und unserer jetzigen Position schon etwas erhöhen.« »Vielleicht sollte Kapitän Pendarvis das Schiff einfach aufsetzen lassen.« »Kaum zu machen, wenn man die Kielbalance noch halten will. Stellen Sie sich mal den Klinikbetrieb vor, Doktor, mit einer Deckneigung von fünfunddreißig bis vierzig Grad.« »Und was ist mit der Furt zum offenen Meer?« »Die Nordpassage zwischen Blanco Rock und Chimbote Point ist fünfzehn Faden tief. Wenn wir da mal drin sind, wären wir aus allem raus; aber sie ist verdammt schmal und von Riffen eingesäumt.« Er zeigte nach vorn, wo zwei aufblitzende Leuchtfeuer zu sehen waren, die von ihrem Blickwinkel aus gefährlich nah beieinander zu sein schienen. In diesem Augenblick durchlief das Schiff ein plötzliches Zittern; von der Brücke herunter waren Rufe zu hören, und vom Unterdeck wurde zurückgeschrien. »Jetzt sitzen wir mit dem Kiel auf der seichten Stelle, von der ich vor233
hin sprach«, erklärte Homer und starrte ins Wasser. »Aber das Schiff hat noch Fahrt. Drücken Sie bloß die Daumen, Doktor.« Die Vibrationen, die sich vom Stampfen der Maschinen dem Rumpf mitteilten, wurden spürbar kräftiger, und auf Homers Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. »Wenn ein Zylinderkopf, an dem McTavish die letzten paar Tage herumgeschweißt hat, erneut kaputtgeht, dann werden wir eine ganze Weile mitten im Hafen von Chimbote hocken.« Und wieder durchlief die ›Mercy‹ ein heftiges Rütteln. Grant überlegte bei sich, ob wohl die Panzerplatten, die vor einem runden halben Jahrhundert auf den Rumpf geschweißt worden waren, standhielten oder ob sie aufreißen und das Wasser der Ferrol Bay in den Schiffsbauch dringen lassen würden. Doch dann ruckte das Schiff so plötzlich vorwärts, daß Grant ins Taumeln geriet. »Freigekommen«, stellte der große Schwarze mit Befriedigung fest. »Und damit wären wir auch über die vermaledeite Sandbank hinweg.« Sein Blick ging nun wieder dem Schiff voraus. »Oh, oh – Santos ist doch gerissener, als ich ihm zugetraut hätte.« »Inwiefern?« »Schauen Sie doch mal nach vorn; bis vor einem Augenblick haben die Leuchtfeuer noch geblitzt. Er hat also jemand vorgeschickt, um auch diese Stromleitung zu kappen, damit die ›Mercy‹ am Südrand des Kanals auf den Blanco Rock auflaufen und in dreizehn Faden Tiefe sinken soll.« Auf der inzwischen alarmbereit wachsamen Kommandobrücke hatte man die Gefahr offensichtlich gleichfalls ausgemacht, da der mächtige Scheinwerfer, der bislang kreisend das Wasser abgesucht hatte, jetzt geradeaus in Fahrtrichtung gerichtet blieb. Im Suchlicht erschien eine schmale Fahrtrinne zwischen den Steilklippen des Blanco Rock und des Chimbote Point. Aber sowohl Strömung wie auch Wind zwangen das Schiff auf einen Südkurs, bei dem es aller Voraussicht nach an den drohend aufragenden Felswänden zerschellen würde. Doch genau in diesem Moment hörten sie das weithin vernehmbare stärkere Stampfen aus dem Maschinenraum; der Bug schwenkte langsam nordwärts und brachte das Schiff zusehends auf den gewünschten Kurs. 234
Es blieb dennoch ein gefährlicher Wettkampf zwischen Strömungssog und Wind einerseits, die das Schiff südwärts auf das Felsenriff zutrieben, und den angeschlagenen Maschinen, die immer wieder versuchten, die ›Mercy‹ auf Nordkurs zum Passieren der Durchfahrt zu halten. Von seinem Aussichtspunkt am Bug schien es Grant, als würden die Maschinen in diesem Kampf unterliegen, da die steilauftragenden und im Lichte des starken Suchscheinwerfers klarkonturierten Felswände des Blanco Rock immer näher kamen und das Brausen der dagegenschlagenden Brandung ohrenbetäubend wurde. »Wenn Sie ein paar Stoßgebete kennen, Doktor, dann wäre das Beste aus der Kollektion jetzt gerade angebracht«, empfahl Homer dem neben ihm stehenden Grant. Immer näher rückten die drohenden Felsriffe des Blanco Rock, während das alte Schiff angestrengt gegen die Umklammerung des übermächtig reißenden Sogs der Strömung durch die nördliche Hafenpassage zum offenen Pazifik hinaus anzukämpfen versuchte. Ein paar Minuten lang, die sich zur Ewigkeit dehnten, schien es endgültig so, als würde die ›Mercy‹ am Blanco Rock zerschellen. Dann, fast wie durch ein Wunder, glitt ihr Bug haarscharf an dem Felsen vorbei, und das alte Schiff, dessen lädierte Maschinen zwar ihr Letztes hergaben, das aber dennoch gnädig unversehrt geblieben war, zog in den offenen Pazifik hinaus. »Jetzt können Sie ruhig schlafen, Doktor«, sagte Homer. »Und ich werde unter Deck gehen und Conchita und Manoel die glückliche Nachricht bringen, daß wir es noch einmal geschafft haben.«
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lles herhören! Ich bitte um Aufmerksamkeit!« Die Stimme von Kapitän Harry Pendarvis, die über den Bordlautsprecher kam, brachte am nächsten Morgen gegen neun Uhr alle Klinikaktivität zum Stillstand. Grant war im Labor und mit dem Studium seiner am Vorabend angesetzten Kulturen beschäftigt, als der allgemeine Aufruf durchkam, ging aber dann an Deck, wo sich schon die auf Freiwache befindliche Besatzung und die Hospitalbelegschaft versammelt hatten. Die See war ruhig, und die Sonne schien strahlend, während das weiße Schiff langsam nordwestwärts pflügte. Im Osten war zwar noch die dunkle Linie der peruanischen Küste zu sehen, doch Einzelheiten ließen sich nicht mehr ausmachen. »Dank dem heroischen Einsatz unseres Ersten Ingenieurs McTavish und seiner Maschinisten haben wir die Nordpassage aus dem Hafen von Chimbote gestern nacht unversehrt überwunden, nachdem uns noch fast die Sandbank zum Verhängnis geworden wäre«, begann der Kapitän seine Erläuterungen. »Ich habe soeben den Kielraum inspiziert und keinerlei Hinweis auf eine Rumpfbeschädigung finden können.« Von der Versammlung auf Deck kamen Hurrarufe. »Chimbote nach den Geschehnissen von gestern nacht wieder anzulaufen, kommt nicht mehr in Frage«, fuhr Pendarvis fort, »weshalb wir Nordwestkurs eingeschlagen haben, um die vorspringende Südspitze der ecuadorianischen Küste zu passieren. In Kürze werde ich Funkkontakt mit dem Hafen von Guayaquivil aufnehmen, den die meisten von uns ja in positiver Erinnerung haben, und zunächst um Anlegegenehmigung bitten, bis die nötigen Vorkehrungen getroffen sind, unsere Patienten an Land zu bringen. Dann werden wir weiter Kurs 236
nach Panama nehmen und dort Reparaturen ausführen lassen, um anschließend New York anzusteuern.« Erneute Hurraruf kamen von den Zuhörern. »Das sind vielleicht Neuigkeiten!« Pfarrer Branigan stand neben Grant. »Diese Leute hier sind schon lange von zu Hause fort.« »Und manche werden wahrscheinlich noch länger fortbleiben – vielleicht sogar für immer.« »Sie kommen also nicht voran?« »Dieser Bazillus, Hochwürden, macht mir angst und bange. Ich habe nicht die geringste Vorstellung, was ich noch versuchen soll.« »Heute früh hatten wir übrigens einen Todesfall – einer von unseren Barrio-Patienten«, sagte der Priester. »Ich habe ihm die Sterbesakramente gegeben, aber wir werden den armen Kerl irgendwann am Vormittag dem Wasser überantworten müssen.« »Je früher, desto besser«, drängte Grant. »Lassen Sie mich rufen, wenn Sie soweit sind. Seltsamerweise habe ich noch nie eine Seebestattung miterlebt.« »Um zehn Uhr könnten wir soweit sein«, meinte der Priester. »Miß Valdez soll gestern während unserer Abtrift aus dem Hafen bewußtlos geworden sein. Doch hoffentlich kein Rückfall?« »Ausgerechnet auf dem Gipfel der allgemeinen Verwirrung, als die Trossen gekappt wurden, ist sie aufgestanden, und wahrscheinlich haben Schwäche und Erregung die Ohnmacht ausgelöst.« Jack Smithson kam das Deck entlang und blieb neben Grant und dem Schiffsgeistlichen stehen. »Lael ist wieder in Ordnung«, berichtete er. »Also, ich gestehe ganz ehrlich ein, daß ich verflucht froh bin, von Chimbote weg zu sein. Und je eher wir in Guayaquivil anlegen und unsere Patienten an Land verlegen, desto erleichterter werde ich noch sein.« »Glauben Sie im Ernst, daß die Regierung von Ecuador die Anlegegenehmigung erteilt?« fragte ihn Grant. »Natürlich. Es ist der nächstgelegene gute Hafen und das einzig Vernünftige überhaupt. Was sollten sie dagegen haben?« »Dasselbe, was ich dagegen hätte, wenn ich der ecuadorianische Gesundheitsminister wäre.« 237
»Mann, was reden Sie denn da?« »Versetzen Sie sich doch mal in seine Lage. Das Yungay-Fieber hat das Land noch nicht erreicht: zumindest ist mir nichts davon zu Ohren gekommen. Und wenn ihre Quarantänemaßnahmen zu Land und zu Wasser strikt genug sind, könnte Ecuador überhaupt davon verschont bleiben. Oder würden Sie Ihre Bevölkerung einer der schrecklichsten Seuchen seit Menschengedenken aussetzen, wenn Sie das allein damit verhindern könnten, der ›Mercy‹ die Anlegegenehmigung zu verweigern?« – »Aber das hieße ja …« »Daß wir in der Klemme sitzen – und aus eigener Kraft irgendwie herauskommen müssen.« »Und wie lange soll das dauern?« Grant zuckte die Achseln. »Derzeit kriechen wir sowieso im Schneckentempo, also schont McTavish wahrscheinlich die Maschinen, bis der Kapitän irgendwo einen Zufluchtsort für uns gefunden hat, wenn ihm das überhaupt gelingen sollte. Wie lange reichen denn die Vorräte?« »Zur Not zwölf Wochen, aber …« »Die Patienten an Bord werden keine zwölf Wochen brauchen, um entweder zu sterben oder zu überleben.« »Und was ist mit dem Personal?« »Bis dahin hoffe ich, die Lösung der Frage gefunden zu haben, wie der Bazillus yungay unter Kontrolle zu bringen ist – aber bisher ist mir jedoch noch völlig schleierhaft, wie diese Lösung aussehen könnte. Und für die Zwischenzeit gilt, was Sie selbst neulich gesagt haben: Je mehr Patienten das Fieber überstehen, desto größer die Menge der Antikörper, die wir auf diese Weise erhalten, um damit Klinikpersonal und Schiffsbesatzung durchzubringen.« »Wenn Sie mich fragen, ist das eine verdammte Patsche, in der wir da sitzen.« Smithson schüttelte den Kopf wie ein verblüffter Stier in der Kampfarena. »Das wird wahrscheinlich ausgehen wie die Geschichte vom Fliegenden Holländer – ein Schiff ohne Mann und Maus.« »Zumindest werden wir nicht verhungern«, meinte Grant mit philosophischer Gelassenheit. »Der Humboldtstrom bringt ganze Fisch238
schwärme nach Norden, und wir können immer Angelruten auslegen.« »Hinreißende Aussichten für mich. Ich kann Fisch nicht ausstehen.«
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ake Porter war gerade beschäftigt, als Grant in den Funkraum kam, schaute aber doch kurz von seinem Ticker auf. »Da kommt eben die Antwort der Hafenbehörden von Guayaquivil auf unsere Bitte um Anlegegenehmigung«, sagte er nur. »Nur noch 'n Moment, Doktor.« »Lassen Sie sich nicht stören«, erwiderte Grant. »Ich will nur die Nachrichtenkladde lesen.« Eine Reihe besonders für ihn interessanter Informationen waren in der Nachrichtensammlung, die täglich am frühen Morgen vom Funker vervielfältigt und dann nach einem bestimmten Schlüssel an Bord verteilt wurde. Eine Meldung betraf einen jungen Mann namens Sam Judson, der in Los Angeles am Yungay-Fieber gestorben war; die dortigen Gesundheitsbehörden waren unterdessen mit der Kontaktaufnahme zu seiner weitverzweigten Sippe beschäftigt, an deren Treffen der junge Mann vor einigen Tagen teilgenommen hatte. Die Londoner Gesundheitsbehörden hatten ebenfalls alle Hebel in Bewegung gesetzt und sämtliche Teilnehmer der Internationalen Konferenz für Strahlenphysik isoliert. Worauf die Sowjetregierung geltend gemacht hatte, daß die Isolierung ihrer zwei Spitzenkapazitäten auf diesem Sektor ein getarnter Versuch der Briten wäre, um die Wissenschaftler dazu zu bringen, ihrer Parteilinie abzuschwören. Zum Rücktransport der beiden nach Moskau hatte man eine Sondermaschine geschickt. Ein weiterer Fall mit akutem Verdacht auf Yungay-Fieber – ein Student namens Haimowitz aus Harvard, der übers Wochenende nach Hause gefahren war – befand sich auf der Isolierstation des BellevueHospitals in New York. Die Bostoner Gesundheitsbehörden trafen Maßnahmen, all jene Teilnehmer einer Bar-Mizwa-Feier vor wenigen 240
Tagen ausfindig zu machen und zu isolieren, die in nähere Berührung mit Haimowitz gekommen waren. Das Geratter des Funktickers hörte auf. Jake Porter riß die Nachrichtenfahne mit der soeben eingegangenen Meldung ab und reichte sie Grant hinüber. Der erste Blick bestätigte ihm bereits, daß eingetroffen war, was er Jack Smithson vor wenigen Augenblicken erst auseinandergesetzt hatte. anlegegenehmigung für den hafen von guayaquivil sowie jeden anderen ecuadorianischen hafen wird verweigert. hiermit wird dem hospitalschiff mercy untersagt, ecuadorianische hoheitsgewässer zu passieren. antonio de quesada direktor für gesundheitswesen »Den Kapitän trifft der Schlag, wenn er das sieht«, meinte Porter dazu. »Kann ich irgendwas für Sie tun, Doktor?« »Nein, vielen Dank. Ich wollte wirklich nur die letzten Neuigkeiten lesen.« »Eins ist jedenfalls sicher: Miß Ross hält die Welt über die Ereignisse hier an Bord auf dem laufenden. In aller Herrgottsfrühe hat sie heute schon einen langen Bericht an INS gekabelt über das Theater von gestern nacht; und sie hat der Mercy nur noch den Namen ›Pestschiff‹ gegeben.« »Treffender könnte man es wohl kaum ausdrücken.« »Sehr schade, daß wir kein Bildfunkgerät hier haben. Während der ganzen Aufregung gestern nacht habe ich sie auf dem Oberdeck wie verrückt Aufnahmen machen sehen.« Porter stand auf. »Mit der Meldung aus Guayaquivil gehe ich lieber gleich zum Kapitän.« »Ich komme mit.« An der Tür zur Kommandokajüte blieb Grant stehen und wartete, bis der Kapitän die Nachricht gelesen hatte und ihn hineinwinkte. Der 241
Erste Offizier gab kommentarlos, aber mit zornfunkelndem Blick das Blatt an Grant weiter. »Es kam gerade durch, als ich im Funkraum die neuen Nachrichten durchging, Sir«, sagte Grant. »Aber ich war sowieso darauf gefaßt.« »So, Sie waren also darauf gefaßt!« Pendarvis bekam ein cholerisches Aussehen. »Mann Gottes! Ich habe hier über vierhundert Menschen an Bord, und davon sind dreihundertfünfundzwanzig schwer krank oder liegen überhaupt schon im Sterben. Und da kommen Sie und sagen, Sie hätten das Verbot hier schon vorausgesehen.« »Wenn ich der Gesundheitsbeamte irgendeines Hafens wäre, würde ich Ihnen auch die Anlegegenehmigung verweigern.« »Und warum, wenn ich fragen darf?« »Jake hat mir erzählt, Sir, daß uns Miß Ross in ihrer Berichterstattung nach New York höchst treffend als ›Pestschiff‹ bezeichnet hat. Würden Sie als Hafenkommandant ein Schiff aufnehmen, das eine grausige Seuche an Bord hat und auf diese Art in ein Gebiet einschleppt, das noch nicht davon betroffen ist?« »Wohl kaum«, mußte Pendarvis widerstrebend einräumen. »Aber ich gebe es nicht auf. Ich werde jeden größeren Hafen an der Pazifikküste von Süd- und Zentralamerika anfunken und um Anlegegenehmigung nachsuchen.« »Dazu kann ich Ihnen nur Glück wünschen, Sir.« Ein Matrose erschien an der Kajütentür. »Der Schiffsgeistliche möchte Sie davon informieren, Sir, daß er eine Seebestattung vollzieht«, meldete er. »Sagen Sie ihm, er soll sie durchführen«, sagte Pendarvis. »Ich bin im Augenblick zu beschäftigt, um teilzunehmen.« »Jawohl, Sir.« Der Matrose verließ die Kommandobrücke. Grant folgte ihm über die Kajütentreppe zum nächsttieferen Deck, wo sich am Heck eine kleine Gruppe versammelt hatte. Die in einen Segeltuchsack gehüllte und mit Gewichten zum Sinken beschwerte Leiche lag auf einer Tragbahre, deren vordere Griffe auf der Reling und die hinteren auf eine Kiste aufgestützt waren. Pfarrer Branigan stand in Chorhemd und Meßge242
wand ganz vorn und mit ihm vier Matrosen – je zwei auf einer Seite –, um die Bahre im richtigen Augenblick anzuheben und den Leichnam über Bord gleiten zu lassen. Der Priester schlug die Bibel auf und begann zu lesen: »Höret und es wird euch offenbart. Unsere Auferstehung ist uns gewiß. Doch unsere Verwandlung wird nicht vollkommen sein. Und es wird nur einen einzigen Augenblick währen, und die Trompeten des Jüngsten Tages werden erschallen. Und bei ihrem Schall werden die Toten auferstehen in Unsterblichkeit. Und wir alle werden verwandelt sein. Denn dieses Irdische wird zu Ewigem und die Vergänglichkeit zu Unvergänglichem. Und wenn diese Sterblichkeit zur Unsterblichkeit wird, dann wird sich das Wort der Schrift erfüllen: Ich bin der Herr, das Leben, und der Herr über den Tod.« Der Priester schloß die Bibel und machte das Kreuzzeichen über die sackverhüllte Leiche. »Wir sind versammelt, um die sterblichen Reste von Miguel Olmas, den unser Herr Jesus Christus zu sich und an seines Vaters Thron berufen hat, der See zu übergeben. Und es zweifle niemand, daß Miguel Olmas auferstehen wird, auch aus den Wassern, im Gewand der Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit. Dem Meer als letzte Ruhestätte überantworte ich hiermit den Körper von Miguel Olmas.« Auf ein Zeichen des Priesters hoben die Matrosen die hinteren Griffe der Bahre an und ließen den Leichnam über die Reling gleiten. Er schlug auf dem Wasser auf, doch die noch nicht aus dem Segeltuch entwichene Luft ließ ihn zunächst noch treiben, und die von der Schiffsschraube aufgewühlte See schaukelte ihn auf und nieder. Die meisten, die dem Verblichenen die letzte Ehre erwiesen hatten, waren bereits dabei, sich zu zerstreuen, als plötzlich einer der Matrosen, der dem treibenden Bündel noch nachgeblickt hatte, aufschrie. »Mein Gott! Schaut doch!« Alarmiert drehte sich Grant wieder um. Nachdem Wasser die Luft 243
aus der Umhüllung verdrängt hatte, war der Körper schon etwas gesunken, und ein feines Gitterwerk aus vielen kleinen Luftblasen tänzelte in den Sog der Schiffsschraube. In etwa dreißig Meter Entfernung weiter südlich aber konnte man ein paar sich schnell nähernde riesenhafte Rückendreiecksflossen sehen, die den vor Schreck erstarrten Beobachtern übermannshoch erschienen. Eine Flosse war noch eine Spur größer als die zweite, und beide waren sie fast weiß. Sie schossen blitzschnell auf den Leichnam zu, der inzwischen zur Hälfte vom Wasser überspült wurde. Erst als sie ihre Beute erreicht hatten, tauchte das Paar riesiger weißer Haie, diese berüchtigten Killer des pazifischen Ozeans, empor. Gewaltige, schlitzähnliche Mäuler wurden weit aufgerissen und ließen die scharfen Zahnreihen deutlich sichtbar werden. Dann schnappten die Kinnladen über ihrem schaurigen Mahl zu, und Segeltuch und Körper wurden förmlich zerfetzt. Leiche, Sack und Gewichte verschwanden in den gigantischen Mäulern, während sich das trübe Wasser vom Blut tiefrot färbte, in dem noch einige Fleischstücke trieben. Jetzt wurden auch die riesenhaften Schwanzflossen sichtbar, als sich die Haie herumwarfen. Den größten Teil der Beute hatten die Bestien bereits verschlungen; knirschend schlossen sich ihre Kiefer über den verbliebenen Resten. Doch das Zermalmtwerden von Knochen und Gewebe war für einen Augenblick deutlich hörbar gewesen, bevor die wuchtigen weißen Leiber ihr grausiges Mahl beendet hatten und nach unten wegtauchten. »Herrgott! In zehn Jahren zur See hab' ich so was noch nie erlebt!« brach einer der Matrosen, die bei der Bestattung assistiert und den Leichnam dem Meer überantwortet hatten, das starre Schweigen. »Die sind ja glatte sechs Meter lang!« Von einer Krankenschwester, die neben Grant Reed stand, kam ein dumpfes Ächzen; dann wandte sie sich ab und stürzte auf die Reling zu, um sich zu übergeben. Als er sie bei der Schulter faßte, um sie zu beruhigen, drehte sie sich hilfesuchend um und barg ihren Kopf an seiner Brust. »Auf diesem Schiff liegt wirklich ein Fluch, Dr. Reed«, schluchzte sie. 244
»Wir werden alle sterben wie dieser Mann und von den Haien gefressen werden.« Pfarrer Branigan, der fast so weiß war wie sein Chorhemd, machte das Kreuzzeichen in der Luft über der Achternreling. »Gott nehme die Seele Miguel Olmas auf«, sagte er und fügte leise hinzu: »Gott schütze uns alle.«
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er schauerliche Ausgang der Bestattung hatte eine überaus bedrückende Wirkung auf die Gemüter der ganzen Schiffsbelegschaft, die ohnehin schon von Furcht und Niedergeschlagenheit geprägt waren. Ihre Aussichtslosigkeit wurde noch vergrößert durch die Nachrichten, die aus dem Funkraum gesickert waren und sich in Windeseile herumgesprochen hatten. Es waren die Meldungen, daß Lima, Panama, alle wesentlichen Häfen von Mexico, ja sogar Los Angeles und San Francisco, die Anlegegenehmigung für die inzwischen in aller Welt als ›Pestschiff‹ bekannte ›Mercy‹ verweigerten.
Mit dem Humboldtstrom war das Schiff stetig – wenn auch sehr langsam – nordwärts gezogen. Am östlichen Horizont konnte man noch immer die peruanische Küste als dunklen Streifen erkennen. An diesem Nachmittag bekamen sie zum erstenmal ihr unfreiwilliges Ausgestoßensein zu spüren, als ein kleineres Schiff in der Ferne auftauchte und scharf auf sie zuhielt. In der Dämmerung drehte es in mindestens einer halben Meile Entfernung bei und konnte mit dem Präzisionsfeldstecher als Kanonenboot unter ecuadorianischer Flagge identifiziert werden. Durch Lichtzeichen machte es Kapitän Pendarvis warnend darauf aufmerksam, daß er nun peruanische Gewässer verlassen hatte und sich auf ecuadorianischem Hoheitsgebiet befand. »Dr. Reed!« ertönte ein Aufruf über die Bordsprechanlage. »Sofort zur Brücke kommen.« Auf der Kommandobrücke fand Grant Kapitän Pendarvis, den Ersten Offizier Olsson und Jack Smithson vor; außerdem war noch ein 246
Besatzungsmitglied anwesend, der den Blinker für kurze Morsebotschaften von Schiff zu Schiff handhabte. »Das ecuadorianische Schnellboot hat uns zum Beidrehen aufgefordert«, wurde Grant von Pendarvis informiert. »Da man Ihnen ja praktisch den Oberbefehl über die ›Mercy‹ gegeben hat, liegt die zu treffende Entscheidung jetzt auch bei Ihnen.« – »Aber …« »Das ist streng nach Anweisung der Stiftung, Doktor«, sagte Pendarvis, und Grant wurde klar, daß man ihm jetzt den schwarzen Peter zuschob. Das ecuadorianische Schiff blinkte sie erneut an, und der Erste Offizier Olsson übersetzte die Botschaft in seinem harten schwedischen Akzent: »Wir werden gefragt, was wir ohne Erlaubnis in ecuadorianischen Hoheitsgewässern suchen.« »Hoheitsgewässer?« rief Kapitän Pendarvis aus. »Wir müssen weit außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone sein, selbst wenn die Küste noch sichtbar ist.« »Ecuador erstreckt seine Hoheitsrechte aber auf hundert Meilen Küstenentfernung, Kapitän«, erklärte Olsson. »Sie haben schon Thunfischfänger aufgebracht, die näher herangekommen sind.« »Wir fischen aber nicht«, fuhr Pendarvis auf und wandte sich an den Mann mit dem Blinker. »Teilen Sie ihnen das mit, Jones.« Die Nachricht wurde hinübergemorst und augenblicklich beantwortet. »Wir werden daran erinnert, daß uns das Kreuzen in ecuadorianischen Gewässern untersagt ist«, übersetzte Olsson. »Also dann, Dr. Reed.« Pendarvis' Stimme nahm einen sarkastischen Tonfall an. »Die Stiftung hat Ihnen die Befehlsgewalt übertragen. Was sollen wir jetzt tun?« »Ihre genauen Absichten testen und abwarten, wie weit sie gehen. Wenn sie uns nicht aufnehmen, Kapitän, dann wird das weltweit publik; möglicherweise läßt sich dann irgendeine andere Nation erweichen, uns Zuflucht zu gewähren.« »Das ist eine gute Idee«, meinte der Erste Offizier. »Eine Art Herausforderung, sich um uns zu kümmern.« 247
»Kurs auf achtundsiebzig Grad West«, gab Pendarvis dem Steuermann seine Anweisung, der entsprechend einschwenkte und den Bug des langsam dahinziehenden Schiffes in Küstenrichtung drehte. Die Antwort kam prompt – eine Rauchwolke aus einer der Kanonen des Schnellbootes und gleich darauf der Abschußknall. Der Schuß vor den Bug schlug in gut einer Meile Entfernung ein. »Sie dürften kaum bereit sein, mehr als einen Warnschuß abzugeben«, meinte Grant. »Ich würde den Kurs halten – wenigstens zunächst.« »Worauf halten Sie zu?« kam die Frage per Lichtzeichen vom Schnellboot. »Guayaquivil«, sagte Pendarvis grimmig, was sofort weitergeblinkt wurde und augenblicklich einen weiteren Kanonenschuß zur Antwort hatte. Dieses zweite Projektil ging knapp eine viertel Meile am Bug der ›Mercy‹ vorbei. »Das sieht ernst aus, Kapitän«, wandte Olsson ein. »Südländer sind hitzig und nehmen es nicht so genau mit der Schießerei; das nächste Geschoß könnte ein bißchen arg nah sein.« »Scheint mir auch«, sagte Grant. »Offensichtlich lassen die uns weder nach Guayaquivil noch in irgendeinen anderen ecuadorianischen Hafen.« »Sogar Hawaii hat uns inzwischen die Zuflucht verweigert«, bemerkte Kapitän Pendarvis mit einem Anflug von Panik in der Stimme. »Was machen wir jetzt, Dr. Reed?« »Anscheinend wird niemand einem ›Pestschiff‹ das Anlegen erlauben, Kapitän. An Ihrer Stelle würde ich das ruhigste Wasser, das Sie hier kennen, anlaufen und dort beidrehen, bis wir diese Seuche geschafft haben.« »Oder sie uns, zur reinen Haifütterung«, erwiderte Olsson. »Möglicherweise werden die jetzt abziehen, nachdem sie sich ihre Bäuche vollgeschlagen haben«, hoffte der Kapitän. »Dafür gibt's einen todsicheren Test: Küchenabfälle auswerfen.« Der Erste Offizier Olsson ging ans Armaturenbrett, drückte den Knopf für die Müllkippe und ließ damit alles, was sich seit dem letzten Ausstoß angesammelt hatte, ins Meer fallen. 248
Ein polternder Mechanismus wurde tief im Schiffsinneren ausgelöst, und dann gab es ein Geräusch des Aufklatschens, als die Abfälle aus den Hecköffnungen ausgespuckt wurden. Grant ging auf der Brücke weiter nach hinten, und es überraschte ihn keineswegs, als er die Rückenflossen der riesigen Mörderhaie direkt hinter der langsam rotierenden Schiffsschraube durchs Wasser pflügen und zwei weit aufgeklappte Mäuler den soeben ausgeladenen Abfall verschlingen sah. »Ich hoffe ja nur, daß diese Mistviecher das Yungay-Fieber kriegen«, sagte Jack Smithson. »Heute nachmittag gab's einen neuen Todesfall – eines von Olmas' Kindern. Hoffentlich werden wir diese Bestien überhaupt jemals wieder los.« »Welchen Kurs, Kapitän?« wollte Olsson wissen. »Genau West.« Pendarvis machte eine resignierte Geste. »Da ist zwar außer den Galapagos weit und breit kein Land; aber der Äquator verläuft in direkter Linie durch die Inselgruppe, so daß wir ungefährdet und wohlbehalten nach Süden kommen.« Beim allgemeinen Abendessen herrschte auch ebenso allgemeine Bedrücktheit, denn jetzt wußte jeder, daß das Schiff in die unendliche Weite des Ozeans hinaussteuerte und weder Ziel noch Land in Sicht hatte. Eine Frage blieb inzwischen unausgesprochen, erhielt aber ihre Antwort mit der zweiten Bestattung dieses Tages. Der Totengottesdienst wurde nach Einbruch der Dunkelheit gehalten; aber schon beinahe im selben Augenblick, als der kleine Leichnam auf das Wasser aufschlug, konnte man das Schnappen der gewaltigen Kiefer hören, die durch das zarte Körperchen des Kindes bissen. Und als der diensthabende Offizier auf der Brücke das Suchlicht auf das Kielwasser des Schiffes richtete, wurden zwei riesige Schwanzflossen klar und deutlich sichtbar.
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ar der Aussicht, einen Zufluchtshafen zu finden, bis der unsichtbare Todfeind an Bord seinen Lauf genommen und sich hoffentlich selbst ausgebrannt hatte, indem er die Körper, die er anfiel, gleichzeitig dazu anregte, jene chemischen Substanzen zu produzieren, die Immunglobuline hießen und die allein die Macht zu haben schienen, den Erreger zu zerstören, wurde die ›Mercy‹ im wahrsten Sinne des Wortes ein Schiff ohne Hoffnung. Doch das Leben an Bord ging weiter, während das Yungay-Fieber erbarmungslos in seinen Opfern tobte, sei es nun bis zum tödlichen Ausgang oder bis zur schließlichen Überwindung. Von Tag zu Tag nahm die Anzahl der Seebestattungen zu, und in gleichem Ausmaß hielt der unersättliche Appetit der weißen Riesenhaie Schritt. Manchmal konnten die Dreiecksrückenflossen, die aus der Ferne komischerweise wie die Segel kleiner Ausflugsboote aussahen, stundenlang verschwinden. Doch jedesmal, wenn Pfarrer Branigan den Totengottesdienst las, den inzwischen alle auswendig kannten, und die Bahre angehoben wurde, tauchten die Bestien in Sekundenschnelle mit aufgeklappten Mäulern und in der Sonne blitzenden Zahnreihen auf. Dann war wieder kurze Zeit das entsetzliche Knacken von Gliedern zu hören, und die stetig abnehmende Zahl der Passagiere an Bord des alten Schiffes wurde jedesmal von einem Schaudern ergriffen vor Furcht und der unausgesprochenen Frage, wer wohl der nächste sein würde. Da die ›Mercy‹ westwärts zog und damit den kalten, nach Norden verlaufenden Humboldtstrom verließ, wurde die Luft allmählich wärmer, ja sogar heiß. Um jedoch Kraftstoff aus den Reservetanks zu sparen, blieb die Klimaanlage außer Betrieb. Frischfleisch war auch knapp geworden, doch niemand machte sich die Mühe, am Heck Angelru250
ten auszulegen, denn welchen Sinn hatte der Fischfang, wenn doch die Geißeln Gottes, die im Kielwasser mitzogen, die Beute sofort schnappen würden. Glücklicherweise waren die Vorratskammern voll gewesen, als das Schiff Chimbote so plötzlich verlassen hatte. Und da die ursprüngliche Patientenzahl von rund dreihundert als Folge des täglichen Tributes an das Yungay-Fieber auf beinahe die Hälfte gesunken war, hatte sich der Verzehr von Vorräten durch Patienten einschneidend verringert. Was das Schiffspersonal betraf, so gingen alle an Bord wie wandelnde Leichen ihren täglichen oder nächtlichen Pflichten nach. Nur selten noch hörte man ein Lachen aus dem Mannschaftslogis; und ohne Alkoholnachschub für die kleine Bar gab es auch keine Hilfsmittel mehr, etwas Heiterkeit aufkommen zu lassen. Lael Valdez kräftigte sich zusehends. Bald konnte man sie schon auf einem Deckstuhl in der Sonne sitzen oder kleine Spaziergänge an Deck machen sehen. Grant allerdings sah wenig von ihr oder von überhaupt jemanden an Bord. Jede wache Minute verbrachte er im Labor auf der verzweifelten Suche nach irgendeiner Beeinträchtigungsmöglichkeit des Yungay-Fiebers, um Klinikpersonal und Schiffsbesatzung mit einem Schutz versorgen zu können, sowie die vorübergehende, durch Guys Serum erlangte Abwehrkraft schwinden würde. Doch Tag um Tag verstrich, und alle Anstrengungen blieben ohne Erfolg. Außer ihren Auftraggebern CBS und INS täglich per Funktelefon dramatische Berichte über die Ereignisse an Bord zu senden, hatte Shirley nichts zu tun. Aktiv, wie sie nun einmal war, hatte sie sich erboten, dem Ärztestab als Kliniksekretärin zu helfen. Sie schrieb Krankenberichte, führte die Registratur der ständig schrumpfenden klinischen Versorgungsmittel an Bord und hielt die Sterbeumstände jedes einzelnen Falles schriftlich fest, um sie Gesundheitsbehörden und den Angehörigen der Toten übergeben zu können, wenn oder falls das Schiff jemals einen Hafen erreichen würde. Eine Woche nachdem die beiden Schüsse vor den Bug die ›Mercy‹ auf Westkurs gezwungen hatten, kam Lael Valdez ins Labor. Sie hatte die Folgen ihrer Erkrankung offensichtlich vollkommen überwunden. »Kommen Sie voran?« fragte sie Grant. 251
Er schüttelte den Kopf. »Das Zeug ist mir voll gewachsen, nur ich ihm nicht. Immerhin hat es fünftausend Jahre Zeit gehabt, einen verdammt zähen Stamm zu entwickeln.« »Sie kommen ja überhaupt kaum noch zum Schlafen. Jack Smithson sagt, daß Sie die letzte Zeit achtzehn Stunden am Tag arbeiten.« »Die Zeit drängt – außer für Sie und ein paar Patienten, die am Genesen sind.« »Ich möchte helfen, Grant. Ich bin jetzt wieder stabil genug, und ich kann mich an die Laborarbeit noch ungefähr erinnern.« Er schaute sie prüfend an, dann nickte er: »Ich brauche Hilfe, das stimmt. Aber es darf nur für ein paar Stunden am Anfang sein.« »Wann fange ich also an?« »Ich werde jetzt gleich mit der Übertragung von Mutterkulturen des Bazillus yungay beginnen. Am besten schauen Sie heute und morgen erst einmal zu. Inzwischen beschaffen Sie sich in Ihrer Größe einen Schwung von diesen Papieranzügen, die hier als Arbeitsmontur getragen werden. Und dann können Sie mir nach und nach ein paar von diesen Detailarbeiten abnehmen.« »Das Verfahren hat sich nicht viel verändert, seit ich technische Assistentin war«, bemerkte sie, nachdem ein ganzer Ständer mit Reagenzgläsern neu angesetzt wurde und in den großen Laborbrutkasten kam. »Gott sei Dank nicht. Morgen müssen wir eine Serie Blutschrägagar produzieren – also machen Sie besser Schluß für heute.« Am dritten Tag hatte sich Lael gut eingefunden und arbeitete reibungslos, womit sie Grant eine ganz beträchtliche Last in der Routinearbeit abnahm. Sie schien auch – ein für beide Teile positiver Umstand – heiterer als sonst, was man von Jack Smithson nicht behaupten konnte. Eines Morgens kam er total verdüstert zum Frühstück ins Labor. »Tonio hatte gestern nacht Schüttelfrost«, berichtete er. »Er meint, es wäre so was Ähnliches wie Grippe.« Grant war sofort alarmiert; das paßte genau zu seinen Befürchtungen. »Wer hat Guy als erster untersucht, nachdem ihn Lael aufs Schiff brachte?« 252
»Tonio«, sagte Smithson. »Ich war an Land, um die Protokolle für die Malaria-Epidemie, zu der man uns gerufen hatte, für das Gesundheitsministerium endgültig abzuwickeln, und kam erst nach Mitternacht zurück.« »Dann war Tonio etwa zwölf Stunden vor Ihnen der Ansteckung ausgesetzt?« »So ungefähr.« »Außerdem hat er am Tag meiner Ankunft Augustin Almaviva als erster gesehen und behandelt. Sein Gesundheitszustand ist damit Kriterium Nummer eins für das Nachlassen der Wirkung von Guys Schutzserum. Und welche Schwester hat sich als erste um Guy gekümmert?« »In den ersten zwölf Stunden ausschließlich Elaine Carroll.« »Sie wird also die zweite sein – und Sie, Jack, der dritte.« »Dann lasse ich wohl besser Sputumkulturen von Tonio machen?« »Es bleibt uns keine Zeit mehr, auf die Ergebnisse zu warten. Jeder an Bord des Schiffes, mit Ausnahme von Lael und vielleicht Shirley, braucht so schnell wie möglich eine Neuinjektion Immunplasma.« »Und wo wollen Sie das hernehmen? Lael haben Sie schon einmal eingesetzt.« »Aber nicht die Patienten, die wir hier schon am längsten in stationärer Behandlung haben und die am Genesen sind. Der Antikörpertiter in ihrem Blut müßte hoch genug sein, um Stab und Mannschaft wieder eine Weile zu schützen.« »Und wie lange?« »Bis andere Patienten an ihre Stelle treten können. Wir fangen an mit Manoel Allanza und Conchita Torres – die sind doch so gut wie gesund, nicht wahr?« »Ja, aber Allanza wird gar nicht begeistert davon sein. Er ist sowieso ein Querulant, meckert dauernd an der Pflege herum und versucht, andere Patienten aufzuwiegeln.« »Das wird Homer Ferguson erledigen«, versicherte ihm Grant. »Wir werden die Leukophorese einsetzen, genau wie im Fall von Shirley, und den Spendern den Zellanteil wieder zuführen. Und Shirley kann 253
darüber berichten, damit die Welt erfährt, in welchem Wettlauf mit der Zeit wir stecken.« »Sie meinen: mit dem Tod.« »Das ist in diesem Fall dasselbe.« »Wenn man erfährt, in was für einer Patsche wir hier konkret sitzen, dann könnte uns vielleicht doch irgendein Land anlegen lassen und die Patienten hier in ein Isolierhospital aufnehmen«, meinte Smithson mit einem Anflug von Hoffnung in der Stimme. »Damit, Jack, würden sie sich möglicherweise selbst das Todesurteil sprechen«, dämpfte ihn Grant sofort wieder. »Im Augenblick können wir nur darauf setzen, daß dieser Pott hier uns nicht im Stich läßt, während unsere Patienten, die das Fieber überstanden haben, so weit genesen, um Immunglobuline zu produzieren, die uns einzig und allein am Leben erhalten werden.« Er stellte einen Reagenzglasständer ab, den er in Händen gehabt hatte. »Kommen Sie, schauen wir uns Tonio an, und dann werde ich Homer mobilisieren, Allanza und Conchita Torres zu bearbeiten so wie jeden einzelnen, der gesund genug aussieht, um genügend Antikörper aufgebaut zu haben.« Es stellte sich heraus, daß Tonio y Marelia ernster erkrankt war, als Jack Smithson angenommen hatte. Der Bolivianer hatte schon tagelang steigende Temperatur und stetig zunehmende Glieder- und Muskelschmerzen. Fest davon überzeugt, daß er nun das Yungay-Fieber entwickelte, scheute er sich sogar vor der endgültigen Diagnose, aus Furcht, als Festmahl für die Riesenhaie, die dem verhängnisvollen Schiff folgten, fällig zu sein, und hatte deshalb geschwiegen. »Yungay-Fieber in voller Blüte«, stellte Grant nach einer kurzen Untersuchung fest. »Ohne jeden Zweifel«, stimmte Smithson zu. »Wir machen uns besser sofort an die Blutabnahme bei Allanza und Señora Torres.« »Das können wir jetzt nicht mehr riskieren, Jack. Tonio braucht Blut mit einem Maximalspiegel von Immunglobulinen, um überhaupt noch eine wahnsinnige Krisis vermeiden zu können.« »Sie meinen …« 254
»Tonio braucht mein Blut, nicht wahr?« Sie hatten Lael weder hereinkommen hören noch bemerkt, daß sie ihr Gespräch mitbekam. »Nein«, gab Jack Smithson schnell zurück. »Es ist zu früh nach …« »Ich kann Tonio nicht einfach sterben lassen, wenn ich ihn vor den wartenden Biestern da draußen bewahren kann«, unterbrach ihn Lael. »Wie ich schon einmal zu Dr. Grant sagte, fühle ich mich schuldig an dieser Epidemie und will deswegen soviel wie möglich wiedergutmachen.« Smithson wandte sich mit Heftigkeit an Grant. »Wenn ihre Widerstandsfähigkeit durch den Verlust von Blutserum zu schwach wird, setzt sie sich einem Rückfall aus!« »Das ist mir durchaus klar«, beharrte Lael. »Nehmen Sie mir doch nicht die Möglichkeit, meine Schuldgefühle ein bißchen zu erleichtern.« »Das Risiko ist wirklich nicht sehr hoch«, versicherte ihr Grant. »Die entzogenen roten Blutkörperchen führen wir wieder zu. Was das also anbelangt, besteht keinerlei Gefahr. Und ein Immunsystem, das sich gegen ein so mächtiges Antigen wie den Bazillus yungay zu stabilisieren vermochte – wie eben bei Ihnen –, hat die bemerkenswerte Fähigkeit, sofort wieder neu Immunglobuline aufzubauen.« »Damit will ich nichts zu tun haben, Grant«, kämpfte Smithson noch immer dagegen an. »Wenn etwas passiert und wir sowohl Lael als auch Tonio verlieren, sehe ich mich verpflichtet, Sie wegen fahrlässiger Tötung anzuzeigen, sowie wir einen Hafen erreichen, wo das aufgenommen werden kann.« »Bis dahin werden Anzeigen, die Sie oder sonst jemand erstattet, wohl nicht mehr viel ausmachen«, tat Grant die Drohung ab. »Am besten gehen Sie jetzt in Ihre Kabine, Lael, und legen sich hin, bis ich alles soweit habe. Sie müssen dann sowieso ein paar Tage das Bett hüten.« Als er später im Labor mit der Präparierung der beiden Transfusionsbehälter beschäftigt war, auf die er die fünfhundert Kubikzentimeter von Laels Blut verteilt hatte, kam Shirley herein. Seit der Leukophorese von neulich hatte er sie nicht mehr zu Gesicht bekommen, aber 255
obwohl sie etwas angegriffen aussah – wie eben jeder andere auf dem Schiff auch –, schien sie gut durchzuhalten. »Glaubst du, daß du Tonio durchbringst?« fragte sie ihn, als er kurz von den Kontrollschaltern der auf Höchstgeschwindigkeit rotierenden Zentrifuge aufblickte. »Ich weiß nicht. Wenn er mir vor zwei Tagen, als seine Symptome tatsächlich einsetzten, Bescheid gesagt hätte, daß er sich schlecht fühlt, dann wären meine und seine Aussichten bedeutend besser gewesen.« »Er hat sich davor gescheut, der Realität unserer Riesenhaie ins Auge zu sehen. Davor scheuen wir uns alle.« »Erzähl mir nicht, du hättest gewußt, daß er krank ist.« »Das nicht. Aber ich kann ihm nachfühlen, warum er es nicht eingestehen wollte.« Ein Zittern durchlief sie, obwohl es sogar ziemlich warm im Raum war und Grant nichts als einen Papieroverall trug. »Mir ist wohl klar, daß ich eine längere Überlebenschance habe als ihr alle durch den stärkeren Schutz in Laels Serum. Aber irgendwann wird auch für mich die Stunde schlagen.« »Du könntest in den Genuß der Ehre kommen, der letzte sterbende amerikanische Staatsbürger an Bord der ›Mercy‹ zu werden«, bestätigte er ihr. »Im Augenblick wäre ich lieber an deiner Stelle, wenn das ginge.« Er schaute sie verdutzt an. »Kommst du nicht ein bißchen spät zu dieser Auffassung?« »Zu spät. Würde es helfen, wenn ich Dr. Marelia auch etwas von meinem Blut gebe? Ich habe Gruppe Null.« »Nein. Dein Immunkörperspiegel ist nicht hoch genug, und du hast keine Eigenimmunität ausgebildet.« »Du hast doch gesagt, daß ich immun wäre, wenigstens für eine Zeitlang.« »Das schon, aber das ist eine Passivimmunität, das heißt eine übertragene. Lael hatte schon Yungay-Fieber, als ich ihr Guys Blut gab, also hat sie Aktivimmunität entwickelt.« »Und wenn Tonio durchkommt, dann hat auch er Aktivimmunität?« »Genau. Die Dosis, die ich ihm von Laels Plasma geben werde, sowie 256
ich hier die roten Blutkörperchen herauszentrifugiert habe, wird lediglich die Abwehrkraft seines Körpers im Kampf gegen den Erreger stärken und ihm einen gewissen Vorsprung verschaffen, um Eigenimmunität zu entwickeln.« »Und dann kann er mit seinem Blut die anderen schützen?« »In ein paar Wochen, wenn überhaupt einer von uns so lange überlebt.« Er stellte den Antriebsschalter der Zentrifuge ab, deren Rotation sich verlangsamte. »INS hat mir gestern durchgegeben, daß sie für mich die laufenden Reportagen von Bord des Pestschiffs zum Pulitzer-Preis vorgeschlagen haben«, erzählte sie ihm. »Ich wünsche ihn dir und daß du ihn jemals in Empfang nehmen kannst.« »Dem Spendenregen nach, der jetzt laut Funkmeldung in die ›Mercy‹Stiftung fließt, wird das alte Schiff dann auch weiter betrieben werden.« »Das haben sie deinem besonderen Talent zu verdanken, und ich muß zugeben, daß du dich darin als weit erfolgreicher erweist, als ich auf meinem Sektor.« Er verfolgte die sich noch immer drehende Zentrifuge mit höchst sachlichem Blick. »Übrigens scheint deine Romanze mit Mark Post gute Fortschritte zu machen. Er hat aufgehört, mir dauernd eine reinzuwürgen.« Shirley lachte. »Mark ist ein netter Kerl, viel zu schade für ein so kaltschnäuziges Ding wie mich. Aber er ist halt eine Zerstreuung. Alles, was einen von diesen grausigen Ungetümen in unserem Gefolge ablenken kann, und sei es auch nur für kurze Zeit, ist der Mühe wert.« »An die denke ich nie«, sagte Grant, während er eine der Flaschen aus der Zentrifuge nahm und den oberen, durchsichtigen Teil abzuziehen begann, der sich von den kompakteren roten Blutkörperchen am Boden des Behälters abgesetzt hatte. »Ich bin hier mehr als voll beschäftigt.« »Womit wir besser dran sein dürften als die ganze restliche Menschheit«, meinte Shirley. »INS hat mir gerade einen Überblick über die Weltsituation gegeben. Die Sowjetunion hat eine Sondermaschine 257
nach London geschickt, um ihre beiden erkrankten Wissenschaftler nach Moskau zu holen – und damit die Seuche in Rußland eingeschleppt. Fünf der weltbedeutendsten Atomwissenschaftler sind bereits gestorben, und ein weiteres halbes Dutzend liegt schwer krank in Londoner Kliniken. Die Infektion breitet sich mit rasender Geschwindigkeit in Boston, New York, Los Angeles und einer Reihe von anderen Städten aus, in denen sich Mallinsons infizierte Studenten aufhielten, bevor du noch Marshall Payne vor der Bedrohung warnen konntest.« »Hast du von irgendwelchen Fortschritten im Institut gehört?« »Gestern habe ich einen Funkspruch an Marshall losgelassen und ihn dasselbe gefragt. Heute früh hat er durchgegeben, daß sie auf der Stelle treten und sich rein gar nichts tut – mit Ausnahme der Tatsache, daß zwei technische Mitarbeiter des ›heißen Labors‹ erkrankt sind, vermutlich am Yungay-Fieber.« »Das ›heiße Labor‹ bietet den überhaupt höchstmöglichen Schutz für Menschen und Mikroorganismen«, sagte Grant deprimiert. »Das bestätigt nur die Auffassung, zu der ich schon auf unserem technisch nicht so feudalen Schiff gekommen bin: Wir haben es einfach mit einem Erreger zu tun, der alle von Menschenhand errichteten Schranken überwinden kann.« »Das heißt mit anderen Worten, daß man an keinem Platz der Welt auf die Dauer vor dem Yungay-Fieber sicher sein kann.« »Schlimmer noch: Unsere eigene Erfahrung hier zeigt schon, daß sich die Virulenz von Fall zu Fall steigert.« Sein Auflachen war reiner Galgenhumor. »Wenigstens die Befürworter des Bevölkerungszunahmestops können sich freuen – falls sie es selbst überleben. Noch vor Ablauf eines einzigen Jahres könnten zwei Drittel der Menschheit – wenn nicht noch mehr – ausgelöscht sein. Und das durch ein derart winziges Wesen, daß es nur durch ein Mikroskop zu sehen ist.«
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anoel Allanza führte sich auf wie ein Wilder. Wenn ihn nicht Homer Ferguson mit starker Hand gebändigt hätte, dann wäre die Nadel, mit der ihm Dr. Mark Post aus dem rechten Arm Blut abnahm, schon längst herausgerissen und davongeschleudert worden. Dr. Reed hatte den Rekonvaleszenten versichert, daß sie ihr Blut zurückbekommen würden, sowie der Schutz, den Schwestern, Ärzte und Schiffsbesatzung brauchten, daraus entnommen war. Und diesen Schutz, das hatte er ihnen auch noch erklärt, würde ihr auf dem Weg der Besserung befindlicher Körper umgehend wieder ersetzen. »Das Schiff soll verflucht sein und jeder, der dazugehört, mit ihm«, fauchte Manoel Homer an. »Du auch, du Freundesverräter!« »Halt die Klappe, halbe Portion«, gab Homer grinsend zurück. »Wenn wir wieder in Chimbote sind, wirst du berühmt sein. La reportera roja hat viel für Funk und Presse berichtet, und du bist dabei oft vorgekommen. Jetzt weiß die Welt von Manoel, dem Beinlosen, der dabei ist, den Kampf gegen dieses Fieber zu gewinnen.« »Und was nutzt das, wenn wir alle tot sind?« wollte Manoel wissen. »Die yanquis saugen uns das Blut aus und werfen uns dann el tiburón grande zum Fraß vor.« »Die yanqui-Ärzte haben dich gesund gemacht«, hielt ihm Homer vor Augen. »Denk doch mal daran!« »Dafür trinken sie jetzt unser Blut, um sich selber das fiebre fatal vom Hals zu halten.« »Na, für dich zumindest war's gar nicht so fatal, mi amigo, also halt den Mund, bevor ich dich höchst eigenhändig, el tiburón grande vorwerfe, um endlich dein Gequassel loszuwerden.« Manoel verstummte empört. Doch seine Gedanken wurden keines259
wegs zum Schweigen gebracht, und in seinem Kopf arbeitete es fieberhaft, während der Arzt die Blutabnahme beendete und ein kleines Pflaster über die Armstelle klebte, wo die Nadel Haut und Vene durchdrungen hatte. Und auch sein Aufstacheln der anderen genesenden Patienten bei jeder sich bietenden Gelegenheit wurde nicht davon beeinträchtigt. Denn ohne daß Homer es wußte, schmiedete Manoel seine Pläne, wie er sein Los selbst in die Hand nehmen würde – und gleichzeitig das der yanquis, die ihm trotz seiner Lebensrettung gründlich verhaßt waren. Der bolivianische Arzt, der jetzt auch krank war, sprach spanisch, und Manoel hatte ihn bei jeder Gelegenheit ausgehorcht. So wußte er praktisch alles über die Ereignisse an Bord. Außerdem hatte sich schon die Weigerung anderer Seehäfen herumgesprochen, das weiße Schiff aufzunehmen; und auf dieselbe Weise war die Entscheidung des Kapitäns zu ihm gedrungen, auf Westkurs in die warmen Gewässer rund um den Äquator zu ziehen – die so viel angenehmer als der hinter ihnen liegende Küstenstrich und der kalte Humboldtstrom waren –, bis die Kranken an Bord entweder vom Fieber geheilt oder daran gestorben waren. Niemand wußte, was danach geschehen würde, aber es hieß, daß zwischen den yanqui-Ärzten und -Schwestern das Gerede ging, daß man noch lange Zeit vom Blut der wiederhergestellten nativos leben konnte. Manoel seinerseits – der sich so oft wie nur irgendmöglich Filme angeschaut hatte – erinnerte sich noch lebhaft, wie er einmal einen weißen Mann mit langen, spitzen Zähnen gesehen hatte, der aus dem Hals eines wunderschönen Mädchens Blut gesaugt und getrunken hatte, ähnlich wie es jetzt die yanquis mit dem Blut der Dunkelhäutigen an Bord wohl machen mußten. Das Mädchen in dem Film war gestorben und mit ihr noch eine Reihe anderer; mit eigenen Augen hatte Manoel erfahren, wie so ein Wesen Opfer um Opfer aussaugte, bis man es endlich mit einem Pfahl durchs Herz tötete. Auf dem Schiff selbst gab es vorläufig wenig Gelegenheit, diese Methode bei den gringo-Ärzten und -Schwestern anzuwenden. Wenn aber erst einmal genügend nativos an Bord vom Fieber 260
genesen waren, so wie er selbst, dann waren sie den blancos zahlenmäßig überlegen und konnten das Schiff in ihre Gewalt bringen. Homer Ferguson und ein paar von den Kranken – so viel wußte er – waren einige Zeit zur See gefahren und hatten Erfahrung darin. Und wenn sie das Schiff erst einmal befehligten, würden sie Land ansteuern, um die blancos dann herunterzuverfrachten, damit man einen nach dem anderen durchs Herz pfählen konnte, so wie man es mit den Vampiren im Film gemacht hatte. Ein ausgezeichneter Plan war das, wahrhaftig – und eines so klugen Mannes wie Manoel Allanza voll und ganz würdig. Er, der über seinen Nachbarn im Barrio wohnte, war der Mann, der zu gegebener Zeit seine Landsleute anführen würde, die Befehlsgewalt an sich zu reißen und die verhaßten yanquis auszulöschen, die überhaupt schuld an dieser Seuche waren, die im Callejón de Huaylas und in Chimbote angefangen hatte. Allerdings beschloß er, diesen Plan für sich zu behalten. Nicht einmal Homer sollte etwas davon erfahren, der jetzt zusammen mit Dr. Post zu Conchita Torres gegangen war, um ihr gleichfalls Blut abzuzapfen; wenn die Zeit reif zum Handeln war, blieb immer noch Zeit, ihn einzuweihen. Und für jeden yanqui, der sich widersetzen würde – und selbst wenn es Homer Ferguson wäre –, gab es ja immer noch los tiburones grandes, die hinter dem Schiff herzogen. Manoel war sicher: Vor die Wahl gestellt, entweder über Bord zu gehen oder eben den Befehlen jener zu gehorchen, die das Schiff in ihrer Gewalt hatten und es in einen Hafen steuern würden, den er konkret im Auge hatte und wo keine cañonera sie fortjagte, würden sich wohl wenige für die Haie entscheiden.
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er zweite Schub einer vorläufigen Schutzinjektion konnte die bedrückten Gemüter der ›Mercy‹-Belegschaft wenigstens etwas aufheitern. Zumindest waren sie nun wieder für einige Wochen vor dem tödlichen Erreger sicher. Aber im Verlauf der langen, heißen Tage, in denen das Schiff kaum nennenswerte Fahrt machte, erfaßte nach der kurzen Aufmunterung der schlimmen allgemeinen Niedergeschlagenheit wieder alle ein Gefühl der Aussichtslosigkeit. Lediglich der Funker und die täglich aufgefangenen Nachrichten erhielten ihre Verbindung zur Außenwelt aufrecht; aber auch das weltweite Geschehen war keineswegs dazu angetan, ihre Stimmung zu heben. Wenn auch nur in knappen Worten, so enthüllten die Funknachrichten eben doch die stetig zunehmende Panik, die sich aller Kontinente bemächtigt hatte, während der Bazillus yungay seine unerbittliche Ausbreitung über den ganzen Erdball fortsetzte. Es schien fast so, als wäre der bösartige Erreger wahrhaftig eine biblische Plage, die über eine Welt hereingebrochen war, in der sich ein Großteil der Menschheit von den überlieferten Werten und Tugenden abgewandt hatte, die in den zehn Geboten und in der Bergpredigt festgehalten waren. Orthodoxe Prediger bezeichneten es als Strafe Gottes für den Abfall von der Tugend. Für Grant Reed jedoch, der ähnliche, wenn auch nicht derart heftige Seuchen in den verschiedensten Teilen der Welt gesehen hatte, war dies nur ein neuer, verschärfter Aspekt des unerbittlichen Überlebenskampfes des Menschen in seiner Umwelt. In Afrika wütete das Lassa-Fieber, in Argentinien waren es die schwarzen Pocken, in Paraguay eine andere Spielart dieser Fieberseuche, deren Erreger er identifizieren und glücklicherweise ein Impfmittel zur Bekämpfung entwickeln konnte. 262
Auf einen ähnlichen Forschungszufall hatte Grant bei seiner jetzigen Arbeit im Labor gehofft, bisher allerdings ohne jeglichen Schimmer von Erfolg. Zusammen mit Lael, deren Blutspende sie nur für einen Tag bettlägerig gemacht hatte, arbeitete er viele Stunden, in denen sie sich immer mehr als unschätzbare Hilfe erwies. Und im andauernden täglichen Umgang miteinander konnte er zunehmend jene Eigenschaften in ihr ausmachen, die Guy so angezogen hatten – Eigenschaften, die sie beinahe extrem von jenen Frauen unterschied, mit denen Guy früher Verbindungen verschiedenster Intensität eingegangen war. Sie zeigte sich als überaus gelehrige Schülerin und hatte beispielsweise im Nu das komplizierte Filterungsverfahren von Bakterienkulturen durch einen Porzellanfilter erlernt. Sie war auch keineswegs zimperlich im Umgang mit den weißen Ratten, die als Versuchstiere dienten, und hielt das zappelnde Getier geschickt und doch sanft fest, während sie die Injektionen gab, die in der jeweiligen von Grant verfolgten Versuchsreihe notwendig wurden. Zunächst war sie still, fast schweigsam, aber im Lauf der Tage hatte sie sich langsam geöffnet und ihm manches über sich und ihre Beziehung zu Guy entdeckt, was ihm nur erneut bestätigte, wie sehr sie seinen Bruder geliebt hatte. Manchmal, wenn sie zum Beispiel von Erlebnissen ihrer Reise über die Anden erzählte, wurde sie lebhaft und fröhlich. Unversehens wurde sich Grant der Tatsache bewußt, daß er sich im Zusammensein mit Lael bedeutend wohler fühlte als je zuvor mit Shirley. In ihrer verhaltenen Art war Lael außerdem viel hübscher und wohl mindestens ebenso begehrenswert, was ihm gelegentlich bewußt wurde, wenn er sie im Labor umhergehen sah. Eines Tages, als sie Seite an Seite an einem neuen Versuch arbeiteten, das mächtige, aus einer Kultur ausgefilterte Toxin durch Bearbeitung mit Hitze und Formalin in ein Toxoid zu verwandeln, verblüffte sie ihn. »Sie sind absolut nicht so, wie ich Sie mir schon vor unserer ersten Begegnung am Flughafen von Chimbote vorgestellt hatte«, erklärte sie plötzlich. 263
»Aha. Und wodurch unterscheide ich mich von dieser Vorstellung?« »Ich habe wohl eher das Bild von einem Abenteurermediziner gehabt, der stets auf der Suche nach phantastischen Erlebnissen durch die Welt zieht und dabei zu gänzlich unverdientem Ruhm gelangt.« »Glauben Sie mir, gesucht habe ich diese Erlebnisse zu keiner Zeit. Sie scheinen mir immer irgendwie zuzufliegen – genau wie das jetzt hier.« »Sie fliegen Ihnen zu, weil Sie einfach derjenige sind, der damit am erfahrensten umzugehen versteht; das habe ich inzwischen gesehen. Guy hat Ihre Fähigkeiten und Leistungen so oft gerühmt, daß ich wohl ein wenig eifersüchtig geworden sein muß.« »War das der Grund Ihrer Zugeknöpftheit, als Sie mich an jenem Morgen trafen?« »Das – und die Tatsache, daß es mir nicht gelungen war, Guy selbst zu helfen, sondern daß ich Sie rufen mußte.« »Wenn man jemand so liebt, wie Sie Guy geliebt haben, dann ist das vollkommen verständlich.« »Wohl keine Gefühlsregung, zu der Sie imstande wären.« »Da bin ich nicht so sicher. Aber da wir schon bei Geständnissen sind – ich war an diesem Morgen ebenso darauf gefaßt, Sie nicht sympathisch zu finden.« »Ich weiß.« »Sagen Sie bloß, ich wäre unhöflich gewesen!« »Nicht unhöflich – das können Sie, glaube ich, gar nicht. Sie haben mich wahrscheinlich für eine ziemliche Abenteurerin gehalten, nicht wahr?« »Aber nicht lange. Unsere Fahrt nach Yungay und in die ›Casa Yanqui‹ hat es mir ausgetrieben.« »Da oben hat wohl jeder von uns etwas über den anderen gelernt; der Altiplano scheint die echte Seite eines Menschen zum Vorschein zu bringen.« »Vielleicht der Sauerstoffmangel.« »Das ist es nicht. Die Leute dort oben sind einfach ehrlicher.« »Bis auf Carlos Ganza, und den hat das Yungay-Fieber erwischt.« 264
»In den vergangenen Wochen habe ich viel nachgedacht. Wenn – oder besser falls – all das hier vorüber ist, kehre ich nach Yungay und in die ›Casa Yanqui‹ zurück.« »Sie werden dann wohlhabend und völlig unabhängig sein, also tun und lassen können, was Sie wollen.« »Wenn Sie erst einen Weg gefunden haben, das Yungay-Fieber unter Kontrolle zu bringen, möchte ich das Grab öffnen. Diese Höhlenmalerei muß man der Welt und der Fachwelt zugänglich machen. Die Höhle soll eine Erinnerungsstätte für Guy werden.« »Das wäre ganz in seinem Sinn. Ich kann mich noch gut erinnern, wie er mir einmal in einem Brief über seinen Besuch in Südfrankreich und die dort entdeckten vorgeschichtlichen Höhlenmalereien berichtet hatte.« »Wir waren zusammen dort. Das war gleich am Anfang unseres Verhältnisses.« Ihr Blick wanderte weit fort. »Der Eindruck, wie diese Künstler das Leben der Cromagnon-Menschen und der Neandertaler vor zigtausend Jahren schilderten, war so erregend, daß wir noch an Ort und Stelle beschlossen, den Spuren des Textes zu folgen, den ich schon vorher in den Madrider Archiven gefunden hatte.« »Und bleiben Sie wieder in der ›Casa Yanqui‹, wenn Sie ins Callejón de Huaylas zurückkehren?« »Ja. Wir haben dort fast ein Jahr verbracht, und ich habe das Haus gern. Außerdem sind die Nächte knapp unterhalb der Schneegrenze, wo die Höhle liegt, einfach zu kalt. Da oben wohnt kaum jemand.« »Und ich werde versuchen, zur offiziellen Erschließung des Höhlengrabes zu kommen«, versprach er. »Aber nichts von all dem kann geschehen, bevor wir den B. yungay nicht besiegt haben, obwohl es bisher nicht so aussieht, als würde uns das in der näheren Zukunft gelingen.« »Zweifeln Sie daran, daß es Ihnen je gelingt?« »Manchmal sogar sehr. Sie nicht?« – Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind Guy in vielen Dingen äußerst ähnlich. Wenn er etwas begonnen hat, dann hat er es auch zu Ende gebracht. Ich glaube, daß Sie diesen Wesenszug ebenfalls haben.« »Während Sie Ihren Blick auf die Zukunft richten«, sagte er mit ei265
nem Lächeln, »wäre es in der Gegenwart recht hilfreich, wenn Sie mir auch nur einen Impuls geben könnten, wo die Lösung zu finden ist. Ich weiß noch nicht einmal, ob irgend jemand außer Ihnen und den anderen, die das Fieber überstanden haben, jemals dieses Schiff verlassen werden.« »Irgendwie wird die ›Mercy‹ schließlich und endlich vor Anker gehen müssen. Die Welt kann unmöglich so unmenschlich sein, alle an Bord hier einfach verhungern zu lassen«, meinte sie zuversichtlich. »Und wo bleibt überhaupt der Sinn der ganzen Blockade gegen die ›Mercy‹, wenn doch das Yungay-Fieber inzwischen in so vielen Teilen der Erde epidemiehaft verbreitet ist?« »Daran habe ich gar nicht gedacht.« Grants Stimme war voll verhaltener Erregung, als er das Reagenzglas mit den Toxinen, in das er eben noch eine Formalinlösung geträufelt hatte, in den Drahtträger zurückstellte und sich die Hände wusch. »Wo gehen Sie hin?« fragte Lael. »Es gibt noch gar kein Mittagessen.« – »Zum Funkraum, um Marshall Payne vom Seuchenforschungsinstitut eine Nachricht durchzugeben. Die Weltgesundheitsorganisation arbeitet eng mit dem Institut zusammen, so daß Marshall das Gesuch für eine Anlegegenehmigung der ›Mercy‹ in irgendeinem USHafen mit entsprechenden Möglichkeiten zur Krankenhausaufnahme unserer Fieberfälle an die WHO leiten kann.« »Wo könnte das denn sein?« »Panama wäre am leichtesten zu erreichen. Das Gorgas-Hospital hat als Isolierzentrum während mehrerer Gelbfieber-Epidemien gedient. Außerdem könnte ich, wenn wir dort die Hafenliegegenehmigung bekommen, mit einem Schwung neuer Kulturen unseres B. yungay nach Atlanta fliegen. Das Institut hat die besten Forschungsmöglichkeiten zur Entdeckung eines Toxoids oder eines Impfstoffes, um damit die Epidemie zum Stillstand zu bringen.« Im Funkraum gab Grant eine knappe Botschaft durch:
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an bord m.s. mercy 1. november 1975 an doktor marshall payne seuchenbekämpfungszentrum atlanta, georgia, usa da yungay-fieber-epidemie inzwischen vielerorts gemeldet, ist für anlegeverweigerung kein weiterer grund vorhanden. bitte mercy-stiftung und who zur kontaktaufnahme mit zuständigen behörden veranlassen wegen hafenliegeplatz, vorzugsweise panama zur verlegung der patienten in gorgashospital. erbitte baldige antwort. grant reed, leitender epidemiologe Die Nachricht von Grants Gesuch ging wie ein Lauffeuer in Minutenschnelle durch das ganze Schiff und hob die bedrückte Stimmung der gesamten Besatzung ganz beträchtlich. Man vergnügte sich sogar an diesem Abend im Mannschaftsklub, und es wurde einiges von den mageren Whisky-Restbeständen geöffnet. Am nächsten Morgen jedoch, gleich nach dem Frühstück, rief Jake Porter Shirley und Grant zu sich und übergab beiden wortlos je eine Funknachricht. Grants Gesuch war laut Marshall deswegen abgelehnt worden, weil mit den bereits von Chimbote aus übersandten B.-yungay-Kulturen ausreichend Untersuchungsmaterial vorhanden war, so daß der öffentliche Gesundheitsdienst der Vereinigten Staaten keine Veranlassung sah, in irgendeinem Hafen eine große Anzahl von Fieberfällen extra aufzunehmen. Außerdem hielten auch die an der pazifischen Küste gelegenen Hafenstädte, die für die ›Mercy‹ in Frage gekommen wären, unverrückbar an ihrer Entscheidung fest, keinem Schiff voller Kranken die Anlegegenehmigung zu erteilen. 267
»Nichts zu machen«, sagte Grant zu Shirley. »Keiner will uns.« »Obwohl die doch inzwischen in einer ganzen Reihe von Städten mehr Yungay-Fieberfälle haben als die ›Mercy‹ selbst?« »Schätzungsweise meinen eben die Hafenbehörden, daß ein Hereinbrechen von mehreren hundert Kranken auf einmal die kritische Lage nur noch verschlimmern kann. Und was ist aus deiner Anfrage bei der ›Mercy‹-Stiftung geworden?« »Du wirst es nicht für möglich halten, und sie haben es auch nicht so klar ausgedrückt, aber es liest sich leicht zwischen den Zeilen heraus«, sagte sie. »Der Stiftung ist es noch nie so gut gegangen wie mit dem derzeitigen unablässigen Spendenregen: Also stehen die einfach auf dem Standpunkt, daß ein ziellos schwimmendes Schiff die Dollar in ihre Kassen zieht – im Gegensatz zu einem irgendwo auf Reede liegenden ohne Patienten an Bord.« »Klingt irgendwie logisch – von ihrem Standpunkt aus.« »Und was geschieht mit uns?« Zum erstenmal, seit sie an Bord gekommen war, hörte Grant Angst und aufsteigende Hysterie aus Shirleys Stimme heraus. »Es sind rund zweihundert Peruaner auf dem Schiff und bloße fünfundsiebzig Mann Besatzung und Klinikpersonal. Nimm an, daß sogar noch weitere fünfzig Kranke sterben, bevor sich das Fieber hier endgültig ausgetobt hat – wie lange kannst du dann noch die Genesenen zur Ader lassen, nur um Yankees zu retten, die man sie von Kindesbeinen an hassen gelehrt hat?« »Wer weiß?« »Selbst wenn du das Yungay-Fieber ausschalten kannst, bleibt die ›Mercy‹ immer noch von tiefem Haß belastet. Vielleicht hast du es noch nicht bemerkt – ich allerdings schon. Und diese Hypothek könnte denkbar gefährlich für die Besatzung werden.« »Du siehst das sicher dramatischer, als es ist«, meinte Grant dazu. »Außerdem würde hier ein Aufstand doch nur neuen Stoff für INS liefern.« »Im Augenblick ist mir mein geschätztes Ich wesentlich wichtiger als INS.« »Nur Mut«, riet er ihr. »Wenn wir weiterhin Westkurs halten, müß268
ten wir die Weihnachtsinseln zum genau richtigen Zeitpunkt erreichen, und Manoel Allanza kann dann den heiligen Nikolaus spielen. Wenigstens das ist dann etwas noch nie Dagewesenes.«
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Der Sturm
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ie Nachricht, daß die ›Mercy‹ noch immer ein Schiff ohne Ziel war, ließ das bißchen aufgekommene Hoffnung wieder ersterben. Nicht einmal die Genesung von Tonio y Marelia nach einwöchiger heftiger Erkrankung konnte die allgemeine Stimmung heben, da man ja gleichzeitig gesehen hatte, daß selbst eine umfangreiche Immunplasmatransfusion möglicherweise nicht den Tod verhindern konnte, wenn sich der tödliche Erreger erst einmal in einem Körper mit einer ohnehin vorhanden gewesen Immunschwelle festgesetzt hatte. Und dies hieß eben ganz einfach, daß die Schiffsbelegschaft noch weit anfälliger war, als man sich zunächst klargemacht hatte, womit die Frage wieder dringlicher wurde, wie lange sie noch vor der Ansteckung bewahrt werden konnte. Ein vollkommen unerwarteter Nebeneffekt von Grants mißlungenem Versuch, für die ›Mercy‹ irgendwo eine Anlegegenehmigung zu erhalten, war die Woge von Verstimmung gegen ihn, die sich ziemlich bald deutlich offenbarte. Er zerbrach sich den Kopf darüber, wieso das möglich war, obwohl er sein Äußerstes gegeben hatte, den B. yungay zu bekämpfen, bis er eines Abends mit Pfarrer Branigan ins Gespräch kam. Müde und bedrückt von einem weiteren Fehlversuch, ein Toxoid durch die Bearbeitung von fast purem B.-yungay-Toxin mit Formalin zu gewinnen, kam er auf einen Drink in den Mannschaftsklub, was er schon lange nicht mehr getan hatte. Der Geistliche, der sich nach einer erneuten nächtlichen Seebestattung eben erst seines Chorhemdes entledigt und es über einen Sessel gehängt hatte, saß mit Mark Post bei einem Glas Wein. Kaum war Grant am Tisch aufgetaucht, stürzte der Chirurg seinen Wein hinunter und fand eine Ausrede für sei273
nen schnellen Aufbruch, während eine Reihe anderer Besatzungsmitglieder sich ebenfalls unauffällig nacheinander davonmachten, bis er schließlich mit dem Pfarrer allein zurückblieb. »Tun Sie sich keinen Zwang an, Hochwürden, wenn Sie auch lieber gehen möchten«, empfahl ihm Grant mit Bitterkeit. »Ich bin doch froh über die Gelegenheit zum Gespräch mit Ihnen, Doktor. Das Labor nimmt Sie ja so in Anspruch, daß ich Sie kaum noch zu Gesicht bekomme.« »Offenkundig teilt die Schiffsbelegschaft nicht unbedingt Ihre Toleranz.« Grant goß sich an der inzwischen verwaisten Bar einen Drink ein und kam an den Tisch des Geistlichen, um sich ihm gegenüber zu setzen. »Wenn Sie mir Näheres über den Grund sagen könnten, wäre ich Ihnen dankbar.« »Die Antwort dürfte nicht allzu schwerfallen. Alle haben auf Sie als den großen Erretter gesetzt, der mit der gefährlichen Infektion schon fertig würde …« »Ich habe nie behauptet, daß ich das könnte.« »Nein, da ist Ihnen nur Ihr Ruf zuvorgekommen. Und schließlich sind Sie nicht der erste Retter, gegen den sich gerade jene wenden, die ihn eigentlich brauchen. Bei seinem Prozeß wurde Jesus von den Schriftgelehrten und den Hohepriestern verhöhnt mit dem Ruf: ›Anderen hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen!‹« »Das ist aber auch die einzige Parallele«, meinte Grant verdrossen. »Ich bin Fachmann auf einem Gebiet, wo ich noch immer viel Selbstvertrauen in meine Fähigkeiten habe, obwohl ich hier nun auf eine Bakterienart gestoßen bin, die mich total aus dem Konzept bringt.« »Möglicherweise paßt sie eben wegen ihres hohen Alters nicht in Ihren Erfahrungsbereich. Oder aber es ist wieder einmal der Wille Gottes, durch diese Seuche einen Großteil der Menschheit auszulöschen, um sie daraus gebessert und geläutert hervorgehen zu lassen.« »Diese Theorie, Hochwürden, kann ich nicht unterschreiben. Als praktizierender Wissenschaftler gilt mir nichts so heilig und unwandelbar wie die Gesetze der Natur.« »Nicht einmal Gott?« 274
»Für mich sind die Naturgesetze eine göttliche Aussage. Sie bestätigen mir seine Existenz, doch gleichzeitig auch, daß Gott sich nach der Schöpfung von etwas derart Vollkommenem, wie es die Natur und ihre Gesetzmäßigkeit ist, nicht kleinlich einmischt – es sei denn aus einem wahrhaft triftigen Grund.« »Sie glauben also auch nicht an Wunder?« »Für mich ist es einfach nicht tragbar, daß Gott tatsächlich eingreift und irgendeinem John Smith genesen läßt, weil ihm ein Wunderheiler die Hände aufgelegt oder ihn gesalbt hat. Mir würde ein derartiger Gott als unverantwortlich und unberechenbar erscheinen, während nichts im Universum von mehr Verantwortung und Zuverlässigkeit getragen wird als die eigentlichen Naturgesetze.« »Das gebe ich ja zu«, erwiderte der Priester. »Aber sicher haben Sie selbst auch schon Kranke auf unerklärliche Weise gesund werden sehen.« »Ich habe gesehen, daß Glaube und Überzeugung die körperliche Struktur dermaßen verändern können, daß ein Mensch tatsächlich in die Lage kommt, Widerstandskraft gegen Erreger zu entwickeln oder sie sogar noch zu zerstören, wenn er schon davon befallen ist. Das gehört in den Bereich der sogenannten psychosomatischen Medizin. Was hier jedoch in Wirklichkeit geschieht, sind seelische Wandlungen, die so gravierend in den Körperhaushalt eingreifen, daß sie organische Zustände verändern können. Klassische Beispiele sind hoher Blutdruck durch Verdruß und Ärger oder die Entwicklung eines Magengeschwürs unter zu großer Belastung oder Anspannung und einer Säureüberproduktion.« »Ich erinnere mich an einen Militärchirurgen im Zweiten Weltkrieg, der mir von einem Soldaten erzählte, dessen Magengeschwür nicht zu beheben war, solange der Mann sich im Felde befand. Sowie er jedoch vom Militärdienst entlassen war, ist es fast über Nacht von allein verschwunden.« »Genau davon rede ich«, sagte Grant. »Je länger dieses Schiff hier dem ziellosen Umherkreuzen preisgegeben ist und diese Biester in unserem Kielwasser folgen, desto mehr seelisch bedingte Erkrankungen 275
werden sowohl bei der Mannschaft als auch bei unseren Passagieren auftreten – es könnten sich mit der Zeit ausgeprägte Psychosen entwickeln.« »Wenigstens haben Sie uns alle am Leben erhalten.« »Im Moment bin ich nicht einmal sicher, daß ich mir das als Verdienst anrechnen kann. Jack Smithson ist ein sehr fähiger Arzt; wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er bestimmt an die Möglichkeit des Immunplasmaschutzes für die Schiffsbesatzung gedacht.« »Aber auch früh genug, um Miß Valdez und Tonio zu retten? Hier weiß doch jeder, daß Dr. Smithson wütend auf Sie war, weil er es als unnötiges Wagnis von Ihnen erachtete, Miß Valdez eine Blutübertragung von Ihrem Bruder zu geben, ohne zuerst Kulturen davon anzulegen.« »Was das Wagnis anbelangt, so hat er recht; die Notwendigkeit allerdings war ein Faktor, der auf der Stelle entschieden werden mußte.« Der Erste Offizier Olsson war in den Raum gekommen, zur Bar gegangen und hatte sich dort einen Drink eingegossen, bevor er sich dem Tisch mit Grant und Branigan zuwandte. »Was dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze, Gentlemen?« fragte er. »Bringen Sie bitte die Flasche mit, Oley«, bat Grant. »Mir ist noch nach einem Schluck.« »Mir wär's auch danach, wenn's ginge.« Der große blonde Offizier war ungemein beliebt auf dem Schiff, und es hieß, er hätte mit der Hälfte aller Frauen an Bord geschlafen. »Der Funk meldet einen schweren Sturm ein paar hundert Meilen Richtung Nordwest. Wir werden direkt hineingeraten, und ich habe Dienst. Im übrigen habe ich gerade sämtliche Decks inspiziert; die Peruaner sind unruhig heute nacht. Ein-, zweimal hatte ich das mulmige Gefühl, daß mich jemand an einer dunklen Stelle abmurksen würde.« »Ich muß gestehen, daß ich ebenfalls eine herrschende Unruhe bemerkt sowie an die Möglichkeit gedacht habe, in einen Hinterhalt zu geraten«, meinte Grant. »Aber wir sind hier ja nicht im Central Park, und Leute, die gerade eben von schwerer Krankheit genesen, hätten auch keinen Grund, sich gegen ihre Wohltäter zu wenden.« 276
»Da bin ich mir gar nicht so sicher«, sagte Olsson. »Immerhin kann ich genug Spanisch, um zu verstehen, daß sie es Ihnen ankreiden, keine Anlegegenehmigung für uns zu erreichen.« »Na, diese Opposition scheint ja auch jeden Tag größer zu werden«, bemerkte Grant sarkastisch. »Als nächstes werden sie mich wohl noch für den bevorstehenden Sturm verantwortlich machen.« »Kann man ihm denn mit so rechtzeitiger Vorwarnung nicht ausweichen?« fragte der Geistliche. »Bei fünf Knoten Geschwindigkeit?« Olsson zuckte die Achseln. »Wenn wir außerdem auf Nordkurs gehen, knallen wir haarscharf auf den Galapagos-Archipel. Je weiter südwärts wir uns richten, desto glimpflicher könnten wir zwar von dem Sturm davonkommen, aber um ebenso viel Meilen müssen wir uns dann wieder zurückschleppen, falls die Behörden jemals ein Einsehen zeigen sollten und uns irgendwo an Land lassen.« »Also peilen Sie den Süden an?« »Ich habe unseren Kurs schon gedreht. Kapitän Pendarvis ist anderweitig beschäftigt, aber in letzter Zeit hat er mir sowieso mehr oder weniger völlig allein die Schiffssteuerung überlassen.« »Dieser Schuß von dem ecuadorianischen Schnellboot hat unserem Kapitän den Schneid abgekauft.« Pfarrer Branigan schien es heimlich zu belustigen. »Wie einem Schwung anderer auch«, sagte Grant. »Und wie geht dieser ganze Zauber hier aus, Dr. Reed?« forschte Olsson. »Können Sie uns mit Ihren Injektionen das Fieber unbegrenzt fernhalten?« »Bei einem derart starken Erreger wie diesem hier sind die einmal Davongekommenen wahrscheinlich für immer immun, was auch unbegrenzten Schutz für uns bedeuten würde«, gab ihm Grant zur Auskunft. »Ich würde sagen, daß die konkrete Begrenzung hier die Nahrungs- und Kraftstoffreserven an Bord des Schiffes sind.« »Das gibt uns etwas weniger als zwei Monate, wenn wir zum Ende hier strenger rationieren.« Olsson trank sein Glas aus und stand auf. »Ich gehe mal lieber wieder rauf und schau nach, ob Jake neue Nach277
richten über den Sturm hat. Wir werden ihn mit Radar verfolgen, wenn er näher kommt. Unsere Reichweite ist allerdings nicht mehr als einhundertfünfzig Meilen, und wenn er auf unserem Schirm auftaucht, wird die Situation wahrscheinlich schon um einiges kritischer sein. Alsdann: Gute Nacht, Gentlemen.« »Sehen Sie zu, daß Sie genug schlafen heute nacht, Hochwürden«, empfahl Grant. »Wenn wir in einen von den echten pazifischen Stürmen geraten, dann kriegt uns spätestens morgen nachmittag der große Teich, und unsere Haifreunde dahinten bekommen ein extra Smörgåsbord.«
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ereits zwei Tage nach der Leukophorese für Tonio und der Reinfusion ihrer eignen roten Blutkörperchen war Lael ins Labor zurückgekehrt. Sie schien den Eingriff ohne Beeinträchtigung überstanden zu haben, und die Tatsache, daß sie das Leben des allseits – auch bei den Patienten – beliebten bolivianischen Arztes gerettet hatte, war ihrer Gemütsverfassung beträchtlich zugute gekommen. »Ein paar von der Besatzung haben beim Frühstück davon gesprochen, daß wir in einen Sturm geraten könnten«, erzählte sie Grant, als sie zu ihm ins Labor kam, wo er bereits mehrere Stunden bei der Arbeit war und noch eine weitere Versuchsserie für die Umwandlung des B.-yungay-Toxins in ein Toxoid begann. »Oley Olsson hat es mir gestern abend gesagt. Wir sind jetzt auf Südkurs und versuchen, ihn zu umgehen, könnten damit aber auch auf Kollisionskurs sein.« »Kann McTavish nicht mehr aus den Maschinen herausholen?« »Wohl kaum ohne Gefahr eines totalen Ausfalls, und das darf er nun wirklich nicht riskieren. Denn selbst mit fünf Knoten könnte man das Schiff immer noch direkt in den Sturm hineinsteuern, wenn er uns erwischt, was in etwa denselben Effekt hat wie das Auswerfen eines Treibankers. Hilflos treibend allerdings könnte es ein verdammt böses Ende nehmen.« »Jack sagte beim Frühstück, daß die ›Mercy‹ schon mehrere PazifikTaifune überstanden hat, also eigentlich heil durchkommen müßte.« »Egal wie – wir werden hier besser alles Bewegliche irgendwie fixieren«, sagte er zu ihr. »Kontrollieren Sie auch noch vor dem Abendessen Ihre Kabine, daß auf Ihrem Toilettentisch keine Fläschchen und Cremedosen herumstehen. Die fliegen Ihnen hinterher sonst kreuz und 279
quer, wenn das Schiff erst einmal das Stampfen und Schlingern anfängt.« Das Absichern der ganzen Laborausstattung nahm den Großteil des Tages in Anspruch, und als Grant am Spätnachmittag noch mal alles überprüfte, gab es nichts mehr zu verbessern. Die Steinflaschen mit chemischen Reagenzien waren in Regalen verstaut, die mit einer zehn Zentimeter hohen Querlatte gesichert waren, um bei rauhem Seegang das Davonrutschen oder Umkippen der Flaschen zu verhindern. Die mehr zerbrechlichen Gegenstände wie Reagenzgläser und Petrischalen bildeten zunächst ein ziemliches Problem, bis Grant alle Bettdecken organisierte, die er auftreiben konnte. Da man nur wenige Grad südlich des Äquators war, brauchte man – selbst bei stetig beibehaltenem Südkurs – keine Zudecken mehr. Und das sorgfältig darin eingebettete Glaszeug würde so noch am ehesten das Umherschlingern überstehen, wenn das Schiff durch den Sturm stampfte. Dazwischen war Grant immer wieder damit beschäftigt, den Zeittakt für die stufenweise Formalinbeifügung in B.-yungay-Toxin einzuhalten und die Mischung dann jeweils den Versuchsratten zu injizieren, um die Virulenz nach der Behandlung mit dem hochwirksamen Keimtötungsmittel festzustellen. Als er einmal aufblickte, sah er Lael in seiner kleinen, angrenzenden Kabine umhergehen. Nach einer Weile kam sie kopfschüttelnd ins Labor. »Mit Ihrem persönlichen Kram sind Sie genauso nachlässig, wie Guy es war«, erklärte sie. »Das Rasierwasser habe ich in ein Handtuch gewickelt und in die Kommodenschublade gelegt. Die Vitamine auch. Sie scheinen davon einen erstaunlichen Vorrat zu besitzen.« »Das Zeug habe ich immer konzentriert bei mir. Die afrikanische Durchschnittskost mit gerösteten Ratten und Bohnen ist nicht gerade eben vitaminreich.« »Pfui! Gerald, der Medizinstudent, mit dem ich in Boston verlobt war, kam aus den Südstaaten und liebte so Sachen wie Kaninchenbraten, geschmortes Eichhörnchen und Opossum in Gemüserouladen mit süßen Kartoffeln.« »Das kriegt man in manchen Restaurants in Atlanta. Es läuft unter dem Namen ›Seelenspeise‹.« 280
»Mich hat es nur dazu gereizt, mir die Seele aus dem Leib zu spucken. Haben Sie eine Ahnung, wann uns der Sturm erwischen könnte?« »Ich gehe nachher in den Funkraum und sehe mir mal den Radarschirm an. Wenn Sie Lust haben, können wir anschließend zusammen zu Abend essen.« Sie schenkte ihm einen merkwürdigen Blick. »Wissen Sie, daß Sie mich heute zum erstenmal dazu auffordern?« »Seit ich auf der Suche nach der schwachen Stelle unseres mikroskopischen Feindes bin, habe ich mich nicht sonderlich ums Essen gekümmert.« »Und warum jetzt?« »Möglicherweise weil wir die nächsten vierundzwanzig Stunden in größerer Gefahr sein werden als bisher – und wer schaut der Gefahr schon gern allein ins Auge?« »Das ist auch das erstemal, daß ich Sie zugeben höre, Ihnen wäre vor etwas bange. Es macht Sie viel menschlicher.« »Habe ich denn vorher einen unmenschlichen Eindruck auf Sie gemacht?« Sie lächelte. »Ein bißchen. Manchmal sind Sie wie ein wissenschaftlicher Roboter – einer von diesen klugen Automaten, die so und so viele Versuche pro Stunde ausführen.« »Ist das der Grund, warum mich die anderen meiden?« »Nein. Die haben in der Krise einfach mehr von Ihnen erwartet, als Sie geben konnten.« »So eine Art Retter, der sich als Niete erweist?« »Halten Sie sich denn selbst dafür?« »Pfarrer Branigan sagt, daß sich die Menschen oft in einer Drucksituation von jemand abwenden, der als allwissend erscheint und dann doch versagt.« »Das ist ja nun wirklich nicht fair«, protestierte sie. »Wenn Sie nichts unternommen hätten, um den Leuten eine Passivimmunisierung zu geben, dann hätte inzwischen jeder an Bord das Yungay-Fieber, und manch einer wäre schon tot.« »Ich gehe jetzt lieber mal zur Brücke hinauf und erkunde, ob man 281
weiß, wo der Sturm ist«, meinte er. »Essen wir dann zu Abend, wenn ich zurückkomme?« »Es tut mir leid, Grant, aber ich habe Jack Smithson bereits heute morgen versprochen, daß ich mit ihm gehe. Wenn Sie mir's doch gestern abend gesagt hätten …« »Es war schon neun Uhr, bis ich endlich mit dem Schwung formalinbehandelter Toxine hier fertig war. Und danach mußte ich mich mit einigen Whiskys und einer Handvoll Erdnüsse stärken, zusammen mit Pfarrer Branigan und Oley Olsson oben im Mannschaftsklub.« Sie lachte. »Kein Wunder, daß Sie Vitamine brauchen. Und wie sieht's morgen aus? Kann ich Sie da zum Abendessen auffordern?« »Wenn uns dann nicht unsere ständigen Begleiter schon auf ihrer Speisekarte haben.« Sie zitterte. »Wenn der Sturm diese Ungeheuer irgendwie vertreibt, dann wäre es direkt wert, ihn durchzumachen.« »Nehmen Sie ein paar Beruhigungstabletten, und Sie überschlafen das Ganze«, riet er ihr. »Werden Sie das denn auch tun?« »Nein. Sie haben zwar hier mit dem Lukenvernageln perfekt vorgesorgt, aber wenn der Seegang einmal richtig in Fahrt kommt, kann immer noch irgend etwas zu Bruch gehen. Ich werde aufbleiben und dann eben einen größeren Schaden zu verhüten versuchen. Wenn unsere B.-yungay-Kulturen zerstört werden sollten, können wir praktisch wieder von vorne anfangen und Kulturen von Patienten anlegen.« »Das dürfte ihnen kaum gefallen – besonders Manoel Allanza nicht.« »Homer kann mit Manoel fertig werden, und ansonsten sind die meisten von ihnen inzwischen sowieso fast gesund.« »Würde denn der Erreger wieder keimen, trotz des ganzen Antitoxins, das sie inzwischen in ihren Körpern entwickelt haben?« »Jeder, der Yungay-Fieber hatte – also auch Sie –, bleibt für mindestens vier bis sechs Wochen Bazillenträger. Das ist auch das wirkliche Motiv, weswegen keine der öffentlichen Gesundheitsbehörden, die ich per Funk um Vermittlung gebeten habe, ihrer Regierung empfehlen konnte, uns an Land aufzunehmen.« 282
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uf seinem Weg hinauf zur Brücke merkte Grant, daß bereits ein scharfer Wind aufgekommen war. Große Sturzwogen warfen sich von Nordwest auf die ›Mercy‹ und brachten sie gehörig zum Stampfen und Schlingern, denn der Kurs der betagten ›Mercy‹, die vor dem Sturm davonlief, ließ sie von hinten mit ungeheurer Wucht gegen das Schiff branden. Sogar über das Oberdeck trieb es noch die Sprühgischt. Grant mußte sich an der Reling festhalten, um sich von der Treppe zum Funkraum vorzuarbeiten. Jake Porter saß vor dem Bildschirm, und Pendarvis schaute ihm über die Schulter. Der Kapitän blickte auf, als sich die Tür öffnete und Grant mit einem feuchtsprühenden Windstoß förmlich hereingetrieben wurde. Er nickte ihm zu, wenn auch ohne jegliche Willkommensgeste. »Wie entwickelt sich's?« fragte Grant. »Um einiges rasanter, als wir vorwärtskommen.« Jake Porter deutete auf den Schirm, in dessen Nordwestquadrat mit jeder Umdrehung der draußen rotierenden Radarantenne ein weißer Schatten deutlich sichtbar wurde. »Auf unserem derzeitigen Kurs dürfte uns die volle Wucht etwa um Mitternacht treffen«, präzisierte Kapitän Pendarvis. »Aber irgendwann vorher werden wir auf Nordwest drehen müssen, damit wir ihn von vorn annehmen und das Schiff besser liegt.« »Besteht irgendeine Möglichkeit, das Sturmzentrum zu umgehen?« forschte Grant. »Wir versuchen es gerade zu berechnen.« Jake Porter deutete auf eine Seekarte, die neben ihm auf dem Tisch lag und auf der zwei Linien eingezeichnet waren. Die eine stellte offenbar den Kurs der ›Mercy‹ dar und die andere die Sturmrichtung – und 283
beide strebten so anschaulich aufeinander zu, daß ein Aufeinandertreffen unvermeidbar schien. »Ich werde genauen Westkurs einschlagen und den Sturm zu umgehen versuchen«, erklärte Pendarvis. »Aber selbst mit voller Kraft voraus schaffen wir es wahrscheinlich nicht, ungeschoren davonzukommen. Mit Westkurs allerdings steuern wir dann eher direkt in den Sturm hinein, und das Schlingern durch den jetzigen Rückenseegang müßte sich um einiges bessern.« Pendarvis ging hinaus, um die Kursänderung anzuordnen, doch Grant blieb noch eine Weile, um die Entwicklung des Sturms auf dem Radarschirm zu verfolgen. Das Schlingern der auf und nieder stampfenden alten ›Mercy‹ nahm sofort merklich ab, als der Kurswechsel vollzogen war, gleichzeitig aber auch der Abstand zwischen Sturm und Schiff – eine beständig kürzer werdende Entfernung, die sich auf dem Bildschirm als zunehmend größerer Schatten zeigte. Die große Schiffsmesse war fast voll besetzt, als Grant hereinkam. Auch die meisten der Klinikbelegschaft hatten ihre Erfahrungen in der Seefahrt und konnten das Stoßen und Schlingern verkraften, ohne davon seekrank zu werden. Er sah, daß Jack Smithson und Lael Valdez an einem kleinen Tisch in der Ecke saßen und eine Flasche Wein zwischen sich stehen hatten. Mark Post und Shirley entdeckte er an einem Dreiertisch, an dem noch ein Platz frei war. Als sie ihm zuwinkte, folgte er der Einladung. Der Chirurg schaute zwar etwas mürrisch drein, machte aber keine Einwendungen. »Aus dem ganz wilden Schlingern scheinen wir raus zu sein«, meinte Shirley. »Geht der Sturm an uns vorbei?« »Kapitän Pendarvis hat Westkurs einschlagen lassen, um dem Sturmzentrum auszuweichen. Und so haben wir weniger Rückenseegang«, erklärte ihr Grant. »Aber wir werden wahrscheinlich trotzdem noch die volle Wucht abkriegen.« »Und wann?« »Er meint, so um Mitternacht.« »Ich habe noch nie einen richtigen Sturm auf dem Meer erlebt«, sagte Shirley. »Es ist ziemlich spannend.« 284
»Und gefährlich«, ergänzte der Chirurg. »Wenn der alte Pott hier entzweigeht, dann können sich die Rettungsboote bei so hohem Seegang erst recht nicht halten.« »Sei doch kein solcher Spielverderber, Mark«, beschwerte sich Shirley. »Schau doch, Grant hat keine Angst.« »Ich bin völlig starr vor Schreck, und wenn du gesehen hättest, was ich eben auf dem Radarschirm sah, dann wärst du es auch.« Das Verstummen der Gespräche an den Tischen reihum machte deutlich, daß er lauter gesprochen hatte als beabsichtigt. In die eingetretene Stille hinein ertönte Kapitän Pendarvis' Stimme laut und vernehmlich von einem nahe stehenden Tisch, an dem er mit Elaine Carroll saß. »Da spricht die schiere Landratte«, meinte er abfällig. In gedämpfterem Ton wurde die allgemeine Unterhaltung wiederaufgenommen. Um seinen heftig aufsteigenden Ärger zu kaschieren, griff Grant nach seiner Kaffeetasse, verschüttete dabei aber die Hälfte in der Untertasse. Als er den Kaffee wieder zurückgoß und die restliche Überschwemmung mit der Papierserviette abtupfte, fing er Shirleys Blick unter höchst erstaunt hochgezogenen Augenbrauen auf. »Daß dich etwas aus der Fassung bringen kann, Darling, ist mir auch neu«, stellte sie heiter fest. »Es muß dich also noch etwas anderes als der Sturm in Erregung versetzt haben. Sollte das vielleicht etwas für mich Wissenswertes sein?« »Du mußt nicht alles wissen.« In diesem Augenblick erklang Laels fröhliches Lachen aus dem allgemeinen Stimmengewirr, und Grant warf einen Blick zu dem Tisch, an dem sie mit Jack Smithson saß. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Augen lachten mit über irgend etwas, das der bärtige Chefarzt von sich gegeben hatte. Wie er sie so beobachtete, war Grant sicher, sie noch nie so strahlend schön gesehen zu haben. »Na, na!« Shirleys spöttische Stimme riß Grant aus seinen Gedanken, und er wandte sich ihr augenblicklich wieder zu, in der Hoffnung, sie hätte es nicht mitbekommen. Aber es war schon zu spät. 285
»Was hat sich denn da nun im Labor abgespielt, Darling – so während der letzten ein bis zwei Wochen, hm? Kleine Liebschaft zwischen den Bazillen?« Grant mußte lachen. »Sie ist ein Luder, Mark. Warum sollten Sie das nicht jetzt schon wissen, falls Sie an Heirat denken, wenn unsere Scheidung erst einmal durch ist. Allerdings ein aufregendes Luder.« »Danke für das Kompliment.« In Shirleys Stimme schwang eine ihm wohlbekannte Schärfe mit. »Und hör nur ja nicht auf ihn, Mark. Ich bin ein reservierter, zurückgezogener Mensch. Dabei fällt mir ein: Warum ziehen wir uns eigentlich nicht in die Reedersuite zurück zu meiner letzten Flasche Bourbon? Ich war noch nie beschickert während eines Sturms, und es könnte immerhin ziemlich reizvoll sein.« »Nur keine Hemmungen meinetwegen, Mark«, half Grant nach, als der andere zögerte. »Zwischen uns ist überhaupt nichts mehr außer den paar Monaten, die wir noch irgendwie herumkriegen müssen. Und wenigstens einer von uns kann doch dann etwas davon haben.« Nach dem Abendessen stieg Grant die Treppe zu der tiefergelegenen Hospitalstation hinunter, wo Conchita Torres, Manoel Allanza und auch Homer Ferguson untergebracht waren. Sowohl Conchita als auch Manoel waren inzwischen vollkommen wiederhergestellt, doch der beinlose kleine Kerl war zum Erbarmen seekrank. Grant, der Mitleid mit ihm hatte, ging ins Stationszimmer und holte aus dem Medizinschrank ein paar Dramamin-Tabletten. Mit einem Glas Wasser kam er zurück an Manoels Pritsche und gab dem Bettler die Pillen. »Nehmen Sie das«, sagte er auf spanisch. »Das hilft gegen die Seekrankheit.« »Maldito gringo!« Als Manoel weit ausholte, um Grant das Wasser ins Gesicht zu schleudern, richtete sich Homer auf der gegenüberliegenden Seite auf und fiel ihm noch rechtzeitig in den Arm. »Tu, was er sagt, du beinloser Trottel. Der Doktor will dir doch bloß helfen.« Homers Ton duldete keine Widerrede, und so schluckte Manoel gehorsam die Tabletten. »Wie geht's Conchita?« fragte Grant. 286
»Sie ist in bester Verfassung, Doktor. Wenn Sie noch Blut für die Ärzte und Schwestern brauchen, ist sie jederzeit gern zum Spenden bereit – ebenso wie Manoel.« Die Zusicherung hatte eine Flut von Verwünschungen zur Folge, die Homer mit der Hand über den Mund des Krüppels erstickte. »Achten Sie nicht weiter auf ihn, Dr. Reed«, meinte er. »Den reitet ein Teufel.« »Was ist mit den anderen Patienten? Sind viele von ihnen seekrank?« »Eine ganze Anzahl. Aber dieser winzige Bastard hier ist ja dauernd zwischen ihnen herumgehopst und hat ihnen vorerzählt, daß die Ärzte nur ihr Blut wollen; also haben sie auch Angst, das Dramamin zu nehmen.« »Dann sehen Sie zu, daß Sie sie überreden können. Im Laufe der Nacht wird's nämlich noch härter kommen.« »Wie eben Kurs West eingeschlagen wurde, habe ich gedacht, daß wir um den Sturm herumkommen könnten.« »Kapitän Pendarvis versucht, ihn zu umgehen, aber auf dem Radarschirm sieht's so aus, als würden wir doch noch genug abkriegen.« »Dann gebe Gott, daß dieser alte Kahn zusammenhält.« »Sie sprechen mir aus der Seele. Und versuchen Sie, den Kranken die Furcht auszureden, Homer, damit sie das Dramamin schlucken. Angst hilft nicht gegen Seekrankheit.« »Bei meinem ersten Sturm auf See habe ich mich fast totgereihert, und als dann alles vorbei war, habe ich mir gesagt: Nichts kann furchtbarer sein, kein noch so großer Sturm. Von da an wurde ich auch nicht mehr seekrank.«
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egen zehn Uhr, als Grant mit einem Regenmantel über dem Papieroverall hinauf zum Funkraum ging, hatte der Wind schon Hurrikanstärke erreicht. Riesenwogen stürzten über den Bug herein, während sich die ›Mercy‹ in den Sturm hineinarbeitete, und sprühten sogar noch die Brücke klatschnaß. Jedesmal, wenn der Rumpf in ein Wellental tauchte, schien das Schiff in seinen verzweifelten Kampf einzuhalten, als würde es zögern, den neuen Wellenkamm wieder anzugehen, und lieber noch mittenhinein steuern, um endlich Ruhe zu haben. Ein Rettungsboot hatte es aus seiner Halterung losgerissen; nur noch am Tauwerk hängend, prallte es jetzt andauernd gegen die Schiffsseite, und die Trossenwinden, mit denen die Boote sonst niedergelassen oder eingeholt wurden, ächzten und stöhnten unablässig, während der Wind sein rasendes Lied dazu pfiff. Die Treppe zum Oberdeck hinaufzusteigen, kam etwa dem Reitversuch auf einem bockigen Pferd gleich, und Grant war völlig außer Atem, als er endlich den Funkraum erreichte, die Tür aufstieß und sich hineinrettete. Jake Porter schaute grinsend von seinem Radarschirm auf. »Sie wären besser in Ihrem gemütlichen Kabäuschen neben dem Labor geblieben, Doktor. Zu Hause in North Carolina sagte meine Großmutter immer: ›'n Wetterchen, da treibt sich noch nich' mal 's schlimmste Viehzeug draußen rum!‹« »Hoffentlich denken unsere zwei Biester genauso darüber und hauen ab in ruhigere Gewässer«, sagte Grant. »Ist das jetzt schon der Höhepunkt – oder kommt's noch dicker?« »Diese pazifischen Herbststürme haben keinen klar auszumachenden Kern, wie das bei einem Taifun der Fall ist. Inzwischen geht das so 288
ziemlich gleichmäßig über den ganzen Schirm. Oley meint allerdings, daß wir frühestens in einer Stunde im Zentrum sind.« »Und wie steht's mit dem Rauskommen? Wird das noch mal so schlimm?« »Möglich, zumindest eine Zeitlang. Der Sturm zieht ja gleichzeitig ab, während wir uns hinausarbeiten, also können wir hoffen – wenn wir dann überhaupt noch schwimmen. Hat's draußen schon viel Schaden gegeben?« »Ein Rettungsboot ist so ziemlich am Davonfliegen.« »Wenn wir nur eins verlieren, haben wir Glück gehabt. Und drinnen? Sie haben doch einen Haufen zerbrechliches Zeug im Labor.« »Das meiste davon haben Miß Valdez und ich heute nachmittag in Decken gewickelt. Bis das Schlimmste vorbei ist, werde ich wach bleiben, damit ich alles, was sich vielleicht selbständig machen könnte, sofort einfangen kann, bevor es noch größeren Schaden anrichtet.« »Na, dann viel Glück!« Der Weg zurück zum Labor war nicht annähernd so schwierig wie das Ersteigen der Treppe zuvor. Da die ›Mercy‹ in Windrichtung lag, wurde Grant die Eisenstiege fast hinuntergeweht. Die Regentropfen pfiffen ihm aber trotzdem wie Schrotkörner um die Ohren, ins Gesicht und auf die Hände. Und trotz des Regenmantels war sein Overall durchfeuchtet, als er gegen halb elf ins Labor zurückkam. Er war gerade dabei, die Tür von innen zu verschließen, damit sie weder aufgeweht noch von einer eventuell dagegen andonnernden Sturzsee aufgedrückt werden konnte, als er Schritte hinter sich hörte und beim Umdrehen Lael sah. Sie stand an der Tür zu seiner Minikabine, steckte noch immer in ihrem Arbeitsanzug und stützte sich mit ihrem ganzen Körper gegen den Türrahmen ab, da das Schiff schlingerte und rollte und das Stehen ohne Halt fast unmöglich machte. »Was machen Sie denn hier?« wollte er wissen. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen ein paar Beruhigungspillen nehmen und zu Bett gehen?« »Ich wußte doch, daß Sie hier arbeiten, und ich hatte Angst.« Das Beben in ihrer Stimme bestätigte ihre Worte. 289
»Der Sturm hat noch nicht einmal seinen Höhepunkt erreicht.« »Gott sei Dank bin ich hier.« »Sie können von Glück reden, daß es Sie unterwegs nicht über Bord gefegt hat. Aber da Sie nun schon einmal hier sind, müssen Sie auch bleiben. Es wird zusehends schlimmer draußen.« »Werden wir untergehen?« »Jake Porter hat mit der ›Mercy‹ schon ein paar wüstere Stürme erlebt. Er meint nein.« In diesem Augenblick fiel eine kleine Flasche mit einem chemischen Reagenz von dem Regal, in dem sie verstaut gewesen war, und ging auf dem Stahlboden krachend zu Bruch. »Bleiben Sie, wo Sie sind!« warnte er Lael, als sie spontan darauf zugehen wollte. »Es ist nur Formalin. Ich muß die Flasche anscheinend nicht mehr sicher genug zurückgestellt haben, nachdem ich sie heute nachmittag noch mal gebraucht habe.« Es dauerte ein paar Minuten, bis es ihm gelungen war, die ätzende Flüssigkeit aufzuwischen. Nachdem er es endlich geschafft hatte, erfüllte der beißende Geruch der Chemikalie den ganzen Raum, aber es war unmöglich, ein Bullauge zu öffnen. Gerade balancierte Grant vorsichtig auf die Kabine zu, als das Schiff urplötzlich zur Seite rollte und er auf dem feuchten Boden dahinschleuderte, bis es ihn mit derartiger Wucht gegen die Wand neben der Tür rammte, unter der Lael stand, daß seine Schulter schlagartig gefühllos blieb. »Sind Sie verletzt?« fragte sie zögernd. – »Ist nur eine Prellung. Aber solche Experimente lassen wir in Zukunft besser bleiben. Wenn irgend etwas fällt, bleibt es einfach liegen.« Die Worte waren kaum ausgesprochen, als er auch schon das Klirren von splitterndem Glas hörte. Von draußen war irgend etwas gegen eines der Bullaugen in der Wand hinter dem Laborregal gedonnert, in dem die ganze Reihe mit den großen Flaschen voll chemischer Reagenzien stand. Unwillkürlich bewegte er sich auf Lael zu, um sie vor dieser neuerlichen Gefahr zu schützen, als es einen Wasserschwall durch das zerbrochene Bullauge drückte, dessen volle Wucht den oberen Teil einer Flasche mit Schwefelsäure abschlug. 290
Die Gefahr erkennend, hatte Lael ihren Platz unter der Tür verlassen, bevor er noch eine Warnung ausstoßen konnte; und als schließlich die Säureflasche vornüber aus dem Holzregal kippte, auf der Metallplatte des Tisches zerschellte und die Ätzflüssigkeit wild durch die Gegend spritzte, waren sie beide in Reichweite der unheilvollen Tröpfchen. Grant raffte Lael mit seinem Arm an sich und drückte ihren Kopf an seine Brust, um sie vor der Chemikalie und den umherfliegenden Glassplittern zu schützen, obwohl er selbst an mindestens ein Dutzend Stellen die Säure durch seinen Overall fressen spürte. Und in der Sekunde, bevor auch noch das flackernde Licht endgültig ausging und sie beide in tiefer Dunkelheit ließ, sah er auf Laels Papieranzug nasse Stellen. »Die Säure, Grant!« schrie sie auf. »Es brennt wie der Teufel!« Er fühlte selbst das schmerzhafte Brennen der zersetzenden Säure auf seinen Händen und auf der Haut unter seinem Arbeitsanzug und erkannte sofort, was zu tun war – und zwar augenblicklich, wenn schwerwiegende Verätzungen noch verhindert werden sollten. Grant hoffte nur, daß seine prompte Reaktion wenigstens Laels Gesicht gerettet hatte. Ihr Körper, vor allem der Rücken, war ebenso wie der seine den Säurespritzern voll ausgesetzt gewesen. Wenn man es nicht auf der Stelle abwusch, würde sich die Flüssigkeit weiter durch Papier und Haut und tiefer ins Fleisch fressen und schreckliche Brandwunden verursachen, die schwierig zu heilen und äußerst entstellend waren. »Unter die Dusche, schnell!« befahl er ihr. Als sie nicht reagierte, schob er sie vor sich her Richtung Tür zu seiner angrenzenden Kabine und zur Dusche, die ihre Rettung sein konnte. Widerstandslos ließ sie es geschehen, obgleich sie zunächst beide schmerzhaft gegen die Tür stießen. »Los – sofort runter mit Ihrem Overall und rein da!« wies er sie an und drängte sie zur Duschnische. Nachdem sie noch immer wie benommen von der urplötzlich hereingebrochenen Katastrophe schien, griff er an den Kragen ihres Papieroveralls, riß den ganzen Anzug von oben bis unten auf und ihr 291
auch schon vom Körper, während er sie gleichzeitig unter die Dusche schob und nach dem Wasserhahn tastete. Mit der linken Hand fühlte er ihren Rücken entlang und riß ihr BH und Slip herunter, ihre einzigen restlichen Kleidungsstücke. Für eine Sekunde flackerte das Licht wieder auf und gewährte ihm einen Blick auf ihren bezaubernden nackten Körper, der unter dem kalten Wasserstrahl unwillkürlich zusammenzuckte. Jetzt fetzte er sich den eigenen Overall vom Leib und stieg aus den Shorts, die er darunter trug. Der voll aufgedrehte Wasserstrahl sprühte und spritzte bereits die Säure von Laels Körper, als sich auch er unter die Dusche stellte. Und während er sie ein wenig zur Seite drängte, tappte er nach der eingebauten Seifenschale auf der Rückwand der Duschnische. Das gefundene Stück Seife rieb er wie wahnsinnig, um so viel wie möglich davon aufzuschäumen. Dann drückte er es Lael in die Hand und begann, ihren Rücken und ihre Schultern abzuseifen. Inzwischen allerdings war ihr doch klar bewußt geworden, was er tat, und trotz der drangvollen Enge unter der Dusche fing sie nun an, ihren eigenen Körper einzuseifen. »Gott sei Dank funktionieren die Pumpen noch«, brachte er keuchend hervor. »Brennt Ihre Haut jetzt auch noch?« »Ein bißchen und nur an manchen Stellen.« »Und das Gesicht?« »Ich glaube nicht, daß mich da etwas erwischt hat.« Beim Abseifen ihres Rückens war sich Grant lebhaft ihres schönen Körpers bewußt, der sich in der Enge der Nische zwangsläufig gegen seinen preßte, und er spürte die körperliche Wärme, die von ihr trotz des kalten Wassers ausging. »Seifen Sie sich besser auch noch einmal vorn ab.« In der Finsternis streifte er ihren Busen, als er ihr die Seife hinhielt, und er fühlte, wie sich ihre Brustspitze unter der Berührung aufrichtete, was ihn erkennen ließ, daß sich auch ihr Körper der gemeinsamen Nähe voll bewußt war. »Zwischen meinen Schulterblättern brennt es noch«, sagte sie. 292
Intensiv schäumte er ihr noch einmal die Stelle ein und tappte dann nach der Wandschale, um die Seife abzulegen, als das Schiff vornüber in ein tiefes Wellental tauchte. »Halten Sie mich, Grant!« Lael drehte sich, warf sich in seine Arme und klammerte sich voll Verzweiflung und Angst an ihn, während sich die ›Mercy‹ vornüber neigte und sie beide flach auf die inzwischen beinahe zur Waagerechten gewordenen Seitenwand der Metallnische drückte. Für einen unendlich langen Augenblick schien es, als würde die Sturzfahrt nie ein Ende nehmen. Als sich dann das Schiff allmählich träge wieder aufrichtete, führte Grant Lael aus der Enge der metallenen Duschkabine, gegen deren Wände es sie beim verzweifelt mühseligen Vorwärtsquälen des Schiffes geschmettert hatte. Gemeinsam plumpsten sie auf das schmale Bett, hielten sich umschlungen, während die ›Mercy‹ weiterhin dem Antoben des Sturmes trotzte, und fielen endlich in einen Erschöpfungsschlaf.
Als Grant wieder aufwachte, hatte das Schlingern und Rollen des Schiffskörpers erheblich nachgelassen. Lael schlief noch immer in seinen Armen. Er spürte ihren Atem sanft und leicht an seiner Schläfe. Ihr Körper war von der eigenen Wärme trocken und warm. Sein linker Arm war unter ihr teilweise eingeschlafen, und als er ihn etwas verlagerte, rückte sie ihm näher und kuschelte sich an ihn, bis sie im Dunkeln seinen Mund fand. »Guy! Guy!« murmelte sie im Schlaf. Noch immer im Halbschlaf drängte sie sich an ihn, und in ihrem leidenschaftlichen und weichen Mund verlor er jedes Gefühlt für Zeit und Verantwortung. Einem Urtrieb folgend, bewegte sie sich in einen sinnlichen Rhythmus, dem keiner von beiden widerstehen konnte noch wollte. Und Grant bewegte sich mit ihr, und es kümmerte ihn nicht mehr, daß sie ihn im Halbschlaf offensichtlich für seinen Bruder gehalten hatte. 293
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rant erwachte, als die Lichter in seiner Kabine und im angrenzenden Labor, zu dem die Tür offenstand, plötzlich wieder angingen. Es kam ihm augenblicklich zum Bewußtsein, daß die Schiffsbewegungen beträchtlich nachgelassen hatten, und als er einen Blick auf die Uhr warf, stellte er zu seinem Erstaunen fest, daß es schon sechs Uhr war. Das Tageslicht begann allmählich durch die Bullaugen in Labor und Kabine einzudringen. Lael jedoch war verschwunden und mit ihr die Kleidungsstücke, die er ihr in der vergangenen Nacht so hastig vom Leib gerissen hatte. Im eingebauten Türspiegel seiner Kabine unterzog er seinen nackten Körper einer genauen Prüfung, fand allerdings nur wenige rote Flecken auf den Handrücken und zwischen den Schulterblättern, wo er von der Säure bespritzt worden war. Keiner der Flecke erschien ihm jedoch tief genug, um eine bleibende Brandverletzung zu verursachen, und da er die Säure von Laels Körper sogar noch früher abgewaschen hatte, nahm er an, daß bei ihr unauslöschliche Vernarbungen noch unwahrscheinlicher waren als bei ihm. Er zog Shorts und einen neuen Overall an und ging dann ins Labor hinüber. Es war ein einziger Trümmerhaufen mit Flaschenscherben; Bodenund Tischplatten waren von Schwefelsäure und anderen Reagenzien total glitschig. Der größere der beiden Brutkästen war zu Bruch gegangen und mit ihm Reagenzgläser und Petrischalen, deren Splitter nun überall herumlagen. Sämtliche Röhrchen aus einer Testreihe vom Vortag waren ebenfalls kaputt, und die Ratten, die er mit der Formalin-Toxin-Mischung geimpft hatten, waren tot. Der Käfig, in dem sie sich befunden hatten, 294
war allerdings während des Sturmes zu Boden gestürzt, so daß sich nicht mehr feststellen ließ, ob sie nun am B.-yungay-Toxin oder durch das Seewasserbad eingegangen waren. Glücklicherweise erwiesen sich die übrigen Käfige als unbeschädigt, und da sie auf erhöhtem Platz standen, hatten die Tiere nicht sehr viel abbekommen. Die Arbeit vieler Wochen war von der Verwüstung, die der Sturm im Labor angerichtet hatte, vernichtet und ließ Grant keine Wahl, als wieder von ganz vorn zu beginnen – oder die Waffen zu strecken. Er hatte keine Lust, den Verhau im Labor anzugehen, zumindest solange das Schiff doch noch beträchtlich stärker als üblich rollte, und begab sich deshalb zunächst in die Schiffsmesse. Ein paar Schwestern waren vor ihrer Tagschicht auf den Stationen beim Frühstück. Als er Angus McTavish an einem der Tische vor einer Tasse Kaffee und hinter Pfeifenwölkchen entdeckte, holte auch er sich ebenfalls einen Kaffee aus dem Automaten und nahm ein paar Scheiben Toast, bevor er sich zu dem alten Schiffsingenieur setzte. »Na, haben Sie überhaupt ein Auge zugetan gestern nacht?« fragte er ihn. Der alte Schotte schüttelte den Kopf. »Hab sie beide gebraucht, um schön auf unsere einzig funktionierende Maschine aufzupassen.« »Sie haben sie jedenfalls durchgebracht, und das ist das einzig Wesentliche.« »Da hat uns schon eher der Herrgott durchgebracht, was nur bedeuten kann, daß wir noch für irgendwas gut sein müssen.« »Hat das Schiff viel abbekommen?« »Ein Rettungsboot ist über Bord gegangen, und das Wasser im Kielraum ist gestiegen. Obwohl's auch eine Reihe Bullaugen zerschlagen hat und es von daher eingedrungen sein könnte.« »Da dürfte ziemlich viel vom Labor gekommen sein, nachdem er das Glas in einem der Bullaugen durch irgendwas eingedrückt hat«, meinte Grant. »Der ganze Raum ist ein einziger Trümmerhaufen.« »Wir werden das Loch notdürftig flicken, wenn sich die See etwas mehr beruhigt hat«, versprach McTavish. »Dringt jetzt noch immer Wasser ein?« 295
»Nein.« »Na, wenigstens etwas. Unser lieber Jake sieht auf seinem Schirm klares Wetter aufziehen.« »Das kann ich brauchen, um mit meiner Arbeit wieder von vorn anzufangen.« »Schon Fortschritte?« »Nichts Greifbares. Bisher habe ich erst einmal den Feind abgetastet. Das macht man immer so, wenn man eine neuartige Mikrobe oder ein Virus angeht.« McTavish nickte. »In meiner Jugend war ich ein ziemlich guter Boxer. Da braucht man auch die ersten paar Runden, um die Schwäche des Gegners rauszufinden. Aber wehe, man findet sie bis dahin nicht – dann geht man garantiert in die Knie, und der Ringrichter zählt einen auch schon aus.« »In den Knien bin ich, aber noch nicht ausgezählt.« »So wie unsere alte Maschine, die wir in Chimbote zusammengeflickt haben«, zog McTavish grinsend den Vergleich. »Was für ein Gefühl war das denn so um Mitternacht, wenn man genau weiß, daß dreihundert und soundsoviel Leben davon abhängen, was man selber und eine Maschine hergeben können?« »Schätzungsweise haargenau dasselbe Gefühl, das Sie haben müssen, wenn Sie uns immer wieder das Fieber, das Sie da entdeckt haben, vom Hals und uns am Leben halten. Haben Sie 'ne Vorstellung, wie lang Sie's noch aufhalten können?« »Genausowenig wie Sie das von Ihrer Maschine haben«, gab Grant zurück. »Aber bis ich ein Impfmittel oder ein Toxoid gegen den Bazillus yungay gefunden habe, sind wir besser dran, wenn wir hier vollbesetzt mit immungewordenen Passagieren, die wir zu unserem Selbstschutz anzapfen können, auf freiem Ozean kreuzen, als wenn wir irgendwo vor Anker gingen, sie an Land setzen und uns der eigenen Immunschutzquelle berauben würden.« »Wann sind wir denn für die nächste Spritze fällig?« »So etwa zwei Wochen nach der letzten. Von den Indios ist inzwischen eine ganze Reihe gesund genug, um uns mit Immunplasma zu 296
versorgen, und ich will nicht, daß noch mal jemand mit so knapper Müh und Not davonkommt wie Tonio y Marelia.« »Jetzt wissen wir wohl alle, wie sich dieser Damokles mit seinem Schwert über dem Kopf gefühlt haben muß.« McTavish klopfte seine Pfeife aus und steckte sie ein. »Passen Sie gut auf sich auf, Doktor! An Ihnen einzig und allein hängt unser besonderes Schwert.« Als McTavish ging, kam Shirley hinein. Sie hatte ziemliche Schatten unter den Augen, brachte aber trotzdem ein Lächeln zustande, als sie sich mit ihrem Kaffee und Toast Grant gegenübersetzte. »Ich hab mich endlich vom Funkraum trennen können«, sagte sie. »Jake meint, daß wir klares Wetter kriegen.« »Was machst du denn schon in aller Herrgottsfrüh? Du wolltest doch den Sturm feierlich begießen.« »Ging leider nicht. Mein Trinkkumpan hatte Havarie, da habe ich ihm bloß noch ins Bett geholfen und selbst die laufende Sturmberichterstattung durchgegeben.« Sie lächelte ein bißchen schief. »Was soll's? Natürlich gebe ich zu, daß meine Stimme das Zittern bekam, als der alte Kahn so um elf Uhr Bug vornüber tauchte. Warst du noch wach?« »Allerdings. So ungefähr um die Zeit hat irgendwas ein Bullauge eingeschlagen, und ganze Sturzfluten sind ins Labor geschwappt.« »Was kaputt?« »Alles ist ein einzige Wüstenei.« »Wenn ich das doch bloß gewußt hätte! Ich haben eben meinen Bericht an INS durchgefunkt; wäre noch eine interessante Nachricht gewesen.« »Ach, deswegen warst du in aller Früh im Funkraum?« »Klar. Schon in den Abendblättern wird ganz Amerika erfahren, was die ›Mercy‹ und ihre Besatzung durchgemacht haben.« Sie warf ihm einen schnellen prüfenden Blick zu. »Du scheinst aber gar nicht so fassungslos wegen deines Labors zu sein. Wie kommt denn das?« Er zuckte die Achseln. »Wenn man derart viele Niederlagen erlebt hat wie ich in den letzten vier bis sechs Wochen, gewöhnt man sich langsam dran.« »Zumal mit Hilfe einer schönen, jungen Assistentin?« 297
Grant lachte. »Das war wohl wieder ein Köder, hm?« »Diesmal nicht. Ich habe dir wirklich einiges zu verdanken, Grant, und wie ich schon neulich sagte, wäre Lael das richtige Mädchen zum Heiraten für dich. Laß sie nicht mehr aus. Ich sehe dich ungern zweimal hintereinander scheitern.«
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uf dem Weg zurück ging Grant zur Schiffsapotheke. Von einem der Regale holte er eine Packung, entnahm ihr einige Pillen und wickelte sie in ein Stück Zellstoff. Etwa eine Stunde später war er beim Aufräumen im Labor, als Lael kam. »Guten Morgen«, begrüßte sie ihn und schaute sich um. »Der Sturm hat hier wirklich gute Arbeit geleistet.« »Geht's dir gut? Keine Ätzwunden?« »Beim Anziehen habe ich nur wenige rote Stellen gefunden und sie eingecremt. Ist aber nichts Gravierendes. Es hätte mich nur für immer entstellt, wenn du mich nicht ausgepellt und unter die Dusche verfrachtet hättest.« »Ich habe mich erst mit einem Frühstück wappnen müssen, um es mit dem Tohuwabohu hier aufzunehmen«, wechselte Grant entschlossen das Thema. »Mir graut aber immer noch davor.« – »Rühr ja keine Reagenzgläser und Petrischalen an«, warnte sie schnell. »Nur ein einziger Ritzer am Finger, und du würdest dasselbe Ende nehmen wie Leona Danvers.« »Muß aber einfach gemacht werden.« »Dann laß mich das tun. Ich bin ja schließlich immun.« »Ich suche dir ein Paar feste Gummihandschuhe, damit du dich gar nicht erst übergroßer Verseuchungsgefahr aussetzt«, meinte er. »Paßt mir eigentlich überhaupt nicht, daß du das machst, aber ich weiß wirklich auch keine andere Lösung, den ganzen Bruch hier rauszuschaffen, damit wir wieder neue Kulturen anlegen können.« »Jack Smithson war gerade eben in der Messe«, erzählte sie. »Er hat gestern nacht, als der Sturm am meisten wütete, nach mir sehen wollen und meine Kabine leer gefunden.« 299
»Und – hat er Verdacht geschöpft?« »Ich habe ihm gesagt, daß ich mit dir im Labor war, um auf unser ganzes Zubehör und auf die Kulturen aufzupassen.« »Meinst du, er hat dir geglaubt?« »Das ist mir doch völlig gleichgültig. Schließlich bin ich ja wohl erwachsen und nichts und niemandem zu irgend etwas verpflichtet – außer Guys Andenken zu wahren und dir dankbar zu sein, weil du mir das Leben gerettet hast, als mich das Yungay-Fieber erwischte. Wahrscheinlich klingt das sonderbar, aber ich scheine euch beide in meinem Inneren irgendwie nicht auseinanderhalten zu können oder überhaupt zu wollen.« »Ich mache mir trotzdem noch Vorwürfe wegen gestern nacht.« – »Bitte nicht, Grant.« Sie lächelte ihn an. »Meiner Erinnerung nach bist du auf keinerlei Widerstand gestoßen.« »Um Himmels willen!« »Nimm's doch, wie es ist. Wir sind normal empfindende Menschen, und das war weiß Gott eine ungewöhnliche Situation.« »Das kann man wohl sagen!« »Laß es uns einfach auf den Nenner menschlicher Nähe, Angst und Zusammentreffen einer ganzen Reihe von Dingen bringen und gar nicht länger daran denken.« »So einfach wird das aber keineswegs sein; ich werde es eben mit der alten Pennälermanier versuchen. Übrigens«, fügte er hinzu, während er die eingewickelten Pillen aus seiner Tasche holte und sie ihr gab, »schluck das mal besser.« Sie musterte die winzigen Tabletten in dem Stück Zellstoff und blickte dann ihn an. »Ist das eine Art Antibaby-Pille?« »Diäthylstilboestrol – oder etwas volkstümlicher: die Pille danach. Der Schutz ist fast unfehlbar.« Er ging zu seiner Kabine. »Ich hol dir ein Glas Wasser.« »Ich möchte sie lieber nicht nehmen, Grant.« Er fuhr herum und starrte sie konsterniert an. »Warum denn nicht?« »Guy wollte immer, daß wir ein Kind haben, aber er muß unfruchtbar gewesen sein. Er hat seinen Samen einmal mikroskopisch unter300
sucht und kein Sperma gefunden, und ich bin sicher, daß er nichts dagegen hätte, wenn ich durch dich fruchtbar werde.« »Wir können noch monatelang auf der ›Mercy‹ bleiben müssen«, erhob er Einspruch. »Jeder wüßte dann, und Shirley argwöhnt schon, daß …« »Bis gestern nacht war doch gar nichts zwischen uns, und jetzt ist es eben passiert, und ich bin glücklich darüber.« Sie ließ die Pillen in den Ausguß fallen. »Du hast versucht, mein Gesicht zu wahren, und bist damit deiner ritterlichen Pflicht voll nachgekommen.« »Das hilft meinem Gewissen nicht im geringsten«, gab er etwas gequält zu. »Außerdem könnte ich ja immerhin genauso steril sein wie Guy.« »Shirley hat einer von den Krankenschwestern erzählt, daß sie vor ungefähr sechs Monaten – gleich nach deiner Abreise nach Afrika – eine Abtreibung hatte.« »Das könnte auch das Kind eines anderen gewesen sein.« »Sie behauptet, es war deins, und sie müßte es selbst eigentlich schon wissen.« Grant schüttelte konsterniert den Kopf. »Mein Vater hat immer gesagt: ›Die Welt wird von den Händen regiert, die die Schürzenbänder binden.‹ Aber bisher war mir nie ganz klar, wie recht er tatsächlich hatte.« »Und sollte ich wirklich ein Kind bekommen, kann ich noch immer sagen, es wäre von Guy«, versuchte sie seine Bedenken zu zerstreuen. »Wenn ich die ›Mercy‹ verlasse, kehre ich gleich ins Callejón de Huaylas zurück, also wird keiner je etwas anderes wissen.« »Außer dir und mir.« Er schaute sie lange an, doch sie ließ seinen prüfenden Blick mit einem Lächeln über sich ergehen, das ihn – wenn er später daran zurückdachte – an nichts so sehr erinnerte wie an jenen rätselhaften Gesichtsausdruck der Mona Lisa. »Sag mir nur eins«, bat er sie schließlich. »Hast du gestern nacht, als du während des Sturms ins Labor gekommen bist, bereits erwartet, daß sich die Dinge so entwickeln würden?« »Das schon. Nur nicht auf diese Weise.« 301
»Was heißt das?« »Bei deinem strengen Gewissen habe ich damit gerechnet, daß ich dich erst überzeugen muß. Wie aber dann das Bullauge brach, nahm alles seinen natürlichen Lauf.« »Ich werde Frauen nie verstehen«, gab er zu. »Selbst wenn ich so alt würde wie Methusalem.« »Ist doch höchst einfach, Grant. Ob nun Guys Kind oder deines – die Erbanlagen dürften ziemlich ähnlich sein. Ich bin also gar nicht untreu gewesen, als ich gestern nacht in der Absicht kam, dich zu verführen. Ich wollte Guy nur etwas geben, was er sich so sehr gewünscht hatte. Man könnte es den äußersten Beweis meiner Liebe zu ihm nennen.« »Ich habe ihn auch sehr gern gehabt. Habe ich ihn nun betrogen?« »Natürlich nicht. Manch einer mag es vielleicht anders sehen …« »Das könnte keiner jemals so sehen.« »Wie auch immer – wir beide haben Guy jedenfalls lieb genug gehabt, um etwas für ihn zu tun, was er selbst nicht vermochte.« Ihr Lächeln kam spontan und offen. »Und er wäre der letzte, der uns dafür verdammen würde, daß wir beide unsere Freude dabei hatten. Komm, laß uns anfangen, den Wirrwarr hier aufzuräumen, damit wir uns wieder an die Arbeit machen können.« »Du übersiehst dabei nur eins.« Seine Miene hatte ein leicht gezwungenes Lächeln. »Eigentlich sollte doch wohl der Mann die Frau verführen. Wie stehe ich denn da?« »Als ziemlich erfüllender Liebhaber«, gab sie zurück. »Das müßte deinem männlichen Stolz doch genügen.«
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m Spätnachmittag steuerte die ›Mercy‹ wieder Nordkurs Richtung Äquator in westlich der Galapagos-Inseln gelegene Gewässer, die von Stunde zu Stunde ruhiger wurden. Kurz nach Mittag war die Entleerung der Abfallkippe unter großer Anteilnahme der Belegschaft und einer Vielzahl Genesender vom Achterdeck aus verfolgt worden, um festzustellen, ob die verhaßten weißen Leiber der Mörderhaie wieder auftauchen und alles verschlingen würden. Die Küchenabfälle tanzten im V-förmig auseinanderstrebenden Kielwasser umher, bis sie sich in der Ferne verloren. Und während die ›Mercy‹ weiterzog, machte sich unbändiger Jubel unter den Zuschauern breit. Grant unternahm am Nachmittag zusammen mit Jack Smithson, Kapitän Pendarvis und Angus McTavish einen Besichtigungsrundgang zur Bestandsaufnahme aller durch den Sturm verursachten Sach- und Personenschäden. Es hatte eine Reihe von Bullaugen eingedrückt, ein Rettungsboot fehlte, und ein Stück Reling hatte es fortgerissen. Aber das waren mehr oder weniger Bagatellschäden, die in wenigen Tagen, wenn sie sich in ruhigerem Wasser befanden, behoben werden konnten. Die Pumpen senkten bereits den Wasserspiegel im Kielraum langsam wieder auf jenen Stand, der für einen so alten Schiffsrumpf mit seinen vielen kleinen Lecks normal war: also gab es auch hier keinen Grund zur Besorgnis. Und der Leistung der zusammengeflickten Maschine in der vergangenen Nacht nach zu urteilen, hielt sie sicher auch weiterhin durch, bis der Treibstoff ausgehen würde. Einer der peruanischen Patienten hatte eine Armfraktur erlitten, als ihn die volle Wucht des Sturmes aus seinem Feldbett geworfen hatte, und eine Reihe anderer war von der Seekrankheit derart ausge303
laugt, daß sie Infusionen brauchten. Aber insgesamt ging es mit ihnen allen schnell aufwärts, wozu auch das Wissen beitrug, daß man die grausigen Verfolger verloren hatte. Nach langer Zeit herrschte auf der ›Mercy‹ beinahe wieder Frohsinn. Grant hatte eben seinen Inspektionsrundgang beendet und kam zurück ins Labor, wo Lael noch immer mit dem Aufräumen der Sturmschäden beschäftigt war. Ihn deprimierte der Gedanke, mit seinen Umwandlungsversuchen des B.yungay-Toxins in ein Toxoid wieder ganz von vorn beginnen zu müssen. Aber es gab wohl auch keinen anderen Lösungsweg, das Problem der Erlangung von Aktivimmunität gegen die prähistorische Seuche in der gefährdeten Schiffsmannschaft anzugehen. Lael hatte einen Schmutzfleck auf der Nase, und ihr Haar war mit einem Kopftuch hochgebunden, was ihr ein etwas knabenhaftes Aussehen verlieh und es noch schwieriger machte, in ihr seines Bruders Witwe zu sehen, obwohl sie ja erst gestern nacht in seinen Armen zum sinnlichen Weib geworden war. Um von dieser Erinnerung wieder loszukommen, wischte er den Stahlboden mit einer stark alkalischen Lauge, um vielleicht noch vorhandene Rückstände der Säuren aus den zerbrochenen Flaschen zu beseitigen. Doch jedesmal wenn sie an ihm vorbeiging – schlank und schön trotz des plumpen Papieroveralls – empfand er ihren Körper mit allen Sinnen. Es war fast fünf Uhr, und Lael sammelte den letzten Scherbenhaufen in einen Eimer, aus dem er dann über Bord gekippt werden sollte, als sie Grant aus der entgegengesetzten Laborecke zu sich rief. »Komm doch bitte mal her, Grant! Ich finde hier gerade etwas Hochinteressantes.« Sie hatte auf den neben ihr stehenden Tisch den unteren Teil einer zerbrochenen Petrischale gelegt und deutete darauf. Die auf Kochblutagar angesetzte B.-yungay-Kultur war offensichtlich in der vergangenen Nacht mit Meerwasser überschwemmt worden, da sich Salzkristalle an der Agaroberfläche und am Innenrand der flachen Ausstrichschale gebildet hatten. Eine Reihe der Bakterienkolonien auf dem Agar waren vollständig mit Salzkristallen bedeckt, doch fast in der Schalenmitte schien sich eine Kolonie durchgearbeitet zu haben, da die Kultur in der dampfend warmen Atmosphäre außer304
halb des Brutkastens weitergewachsen war. Bei ihrem Anblick stieg in Grant plötzlich ein Gefühl der Erregung auf. »Bring mir doch bitte eine von den Petrischalen aus dem kleinen Brutkasten«, sagte er. Aus dem Instrumentenständer holte er ein Vergrößerungsglas, das sie zur Übertragung winziger Kolonien auf neuen Kulturboden benutzten. Er schaltete die starke Arbeitslampe über dem Tisch ein und legte die unbeschädigte Schale, die ihm Lael brachte, direkt neben die halb zerbrochene mit den Salzkristallen. »Sie sind ja verschiedenfarbig!« rief Lael aus. »Die mit Salzwasser überschwemmte ist grell orange!« »Hast du schon jemals eine orangefarbene B.-yungay-Kultur gesehen?« »Nie. Die sind immer braun.« Sie strahlte ihn mit vor Erregung glänzenden Augen an. »Könnte das eine Mutation sein?« »Möglich wäre es. Ist eigentlich der Satz Gläser und Schalen mit dem frisch angesetzten Nährboden schon soweit?« »Ich habe sie vor über einer Stunde aus dem Sterilisator geholt; das Agar müßte inzwischen abgekühlt und konsistent sein. Willst du jetzt den Keim neu kultivieren?« »Auf der Stelle. Und dann will ich ihn mir sofort unter dem Mikroskop anschauen.« »Wenn es sich aber wirklich um eine Mutation handelt – wie ist die dann zustande gekommen, während die Kultur selbst doch fast vom Meerwasser zerstört worden ist?« »Darüber werden wir uns später Gedanken machen.« Eine halbe Stunde später stellte Lael in den kleinen Brutkasten, der noch funktionierte, behutsam ein ganzes Drahtgestell voll Reagenzgläser und Petrischalen, die alle mit der orangefarbenen Kolonie geimpft worden waren. Inzwischen studierte Grant mit der Ölimmersionslinse des Mikroskops einen eingefärbten Ausstrich der merkwürdigen orangefarbenen Kultur. Auf den ersten Blick schien es einfach eine weitere Zurichtung des B. yungay zu sein, doch als er die Keime genauer beobachtete, ließen sich 305
ganz feine Unterschiede feststellen. Die Stäbchen dieser neuen Wucherung waren etwas dicker und dafür kürzer als beim eigentlichen B. yungay. Auch die Färbung war intensiver, ganz so, als ob die Erbänderung – denn das schien sie nun wirklich zu sein – eine noch größere als die ohnehin schon überwältigende Wachstumskraft ihres Ursprungs hätte. Außerdem schienen die Keime im Ausstrich nicht mehr zu verdickten Enden und Sporenbildung zu tendieren. »Schau dir das mal an«, sagte er zu Lael und machte den Hocker vor dem Mikroskop für sie frei. Während sie nun den Ausstrich betrachtete, nahm Grant eine sterile Pipette und ließ auf den verbliebenen Rest der orangefarbenen Kultur einen halben Kubikzentimeter steriles Wasser tropfen und rührte es dann anschließend mit der Spitze der Pipette um, bis sich die entstandene Aufschwemmung orange färbte. »Was hast du festgestellt?« fragte er, als Lael schließlich vom Mikroskop aufblickte. »Es sind gramnegative Stäbchen, so wie die anderen auch – und gleichzeitig doch anders.« »Inwiefern?« »Zunächst einmal habe ich keine Sporen entdecken können: Hast du welche gesehen?« »Nein. Aber es ist auch eine sehr junge Kultur.« »Und die Stäbchen sehen dicker aus, vielleicht auch nicht ganz so lang.« »Du kannst sehr gut beobachten«, sagte er. »Was ist denn das hier? Was ist passiert?« »Bring mir eine Ratte. Ich werde es dir erklären, während ich mir eine sterile Nadel suche.« »Wenn es das ist, was ich glaube«, sagte er dann, während er einen Teil der orangefarbenen Aufschwemmung in einer kleinen Spritze aufsog, »dann hat irgend etwas wahrscheinlich ein Gen aus der für den B. yungay charakteristischen Erbanlagenkette eliminiert und als Resultat einen Stamm mit veränderten Merkmalen geschaffen.« »Das wäre also eine echte Mutation?« 306
»Ich glaube schon. Aber mit Sicherheit wissen wir es erst morgen früh.« Er nahm die zappelnde Ratte in die linke Hand und stach die Spitze der Injektionsnadel durch die Bauchdecke direkt in die Bauchfellhöhle des Versuchstieres. Nachdem er die aufgezogene Dosis der orangefarbenen Aufschwemmung in den winzigen Fellkörper injiziert hatte, sperrte er die Ratte wieder in den Metallkäfig, aus dem Lael sie geholt hatte, und legte die Spritze in eine Glasschale mit Quecksilberdoppelchlorid-Sublimat, einem hochwirksamen Desinfektionsmittel. »Falls die Ratte am Leben bleibt«, erklärte Grant, »dann hat gestern nacht irgend etwas unserem alten Feind den tödlichen Stachel gezogen.« »Und weiter?« »Wenn die Mutation kein Yungay-Toxin erzeugt, könnte sie möglicherweise die Wirkung eines Antigens haben und den Körper zur Antitoxin-Produktion anregen.« »Das Impfmittel, nach dem du gesucht hast!« Lael strahlte. »O Grant, das wäre ja wundervoll!« »Das wäre ein Geschenk des Himmels! Und es könnte tatsächlich wahr werden, wenn wir beide darum beten.«
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it der ersten Morgendämmerung stand Grant schon auf und ging sofort hinüber ins Labor zu den Tierkäfigen. Die Ratte, der er die orangefarbene Mutation gespritzt hatte, flitzte ruhelos in ihrem Käfig umher und war offensichtlich von der Injektion nicht im mindesten beeinträchtigt. Sein nächster Gang führte zum kleinen Brutkasten. Als er ihn öffnete, sah er die grellorangen Kolonien des neuen Stammes schon auf der dunkelbraunen Agaroberfläche der Ausstrichschalen und auf dem Schrägnährmedium der Reagenzgläser wuchern. Er fütterte die Tiere und duschte sich gerade singend, als er Laels Freudenschrei vom Labor her hörte. Sofort drehte er das Wasser ab, schlang sich ein Handtuch um die Lenden und spähte durch die offenstehende Tür hinüber, wo Lael vor den Tierkäfigen stand und die geschäftig hin und her sausende Ratte anstaunte, als könnte sie ihren eigenen Augen nicht trauen. »Sie lebt, Grant! Die Mutation ist nicht tödlich!« jubelte sie. »Ich habe auch in den Brutkasten geschaut; der neue Stamm hat alles zugewuchert.« »Hast du schon gefrühstückt?« »Nein. Ich hätte nichts hinuntergekriegt, ohne zu wissen, was sich hier getan hat.« »Warte, bis ich in einem Overall stecke, dann können wir zusammen gehen.« »Gern. Ich schau mir solange die Ratte an. Sie ist für mich einfach das herrlichste Wesen, das ich je gesehen habe.« Im Augenblick bist du für mich das herrlichste Wesen, das ich je gesehen habe, dachte Grant, schob den Gedanken dann aber energisch wieder von sich. 308
Jack Smithson kam eben in die Messe, als sie sich mit ihren Tabletts einen Tisch suchten. »Na, was freut euch beide denn so?« wollte er wissen. »Setzen Sie sich zu uns, Jack, dann erzählen wir's Ihnen«, sagte Grant. »Grant hat die Mutation gefunden, nach der er so gesucht hat«, platzte Lael heraus, als der bärtige Chefarzt gleich darauf mit seinem Tablett an ihren Tisch trat. »Zumindest wächst sie reinrassig in der Neuzüchtung«, fügte Grant hinzu. »Und eine Ratte, der ich gestern abend den Keim injiziert habe, ist heute morgen noch immer quicklebendig.« »Wie und wann ist denn das geschehen?« »Irgendwann, nachdem es vorgestern nacht ein Bullauge im Labor eingedrückt hat«, erzählte Grant. »Eine von den Schalenkulturen in unserem zertrümmerten Inkubator wurde mit Seewasser überschwemmt, und gestern nachmittag hat Lael eine hellorangefarbene Kolonie entdeckt, die durch das Salz wucherte. Ihre mikroskopischen Merkmale unterscheiden sich geringfügig vom B. yungay, und anscheinend bildet der neue Stamm keine Sporen.« »Was noch gar nichts beweist.« »O Jack! Müssen Sie uns die Freude denn so vermiesen?« beschwerte sich Lael. »Jetzt wissen wir doch wenigstens, daß der neue Keim kein Yungay-Toxin produziert.« »Oder irgendein anderes tödliches Toxin«, ergänzte Grant. »Was auch heißen könnte, daß er keine Antigen-Wirkung hat, also wertlos ist«, dämpfte Smithson ihre Euphorie. »Aber zumindest sind wir einer Lösung des Yungay-Fiebers mehr als je zuvor auf der Spur«, sagte Lael. »Was ist denn Ihrer Meinung nach geschehen?« fragte Smithson. »Mir schwant so was, als könnte der Mutationsverursacher Bromurazil gewesen sein«, meinte Grant. »Noch bevor wir Chimbote verließen, hatte ich mich in Atlanta darum bemüht, aber die Sendung hat uns nicht mehr erreicht. Und immerhin enthält Meerwasser eine ganze Reihe von Bromsalzverbindungen, ergo könnte auch Bromurazil darunter sein. Und das ist einer der besten und stärksten Mutationserzeuger, die ich kenne.« 309
»Ich möchte trotzdem ungern, daß unsere Leute Hoffnungen entwickeln, die sich dann wieder zerschlagen«, wandte Smithson noch ein. »Das haben wir alle schon zur Genüge genossen.« »Bisher sind Sie, Lael und ich die einzigen, die überhaupt von der eventuellen Möglichkeit eines Impfstoffes wissen. Ich bin dafür, daß wir darüber Stillschweigen bewahren. In der Zwischenzeit sollten zunächst wieder einmal alle eine Immunplasmainjektion bekommen, und zwar sofort.« »Dafür bin ich auch«, stimmte ihm Smithson zu. »Eine Reihe unserer Patienten ist mittlerweile in guter Verfassung, also müssen wir spielend genügend Plasma erhalten – zumal wenn wir ihnen die roten Blutkörperchen wieder zuführen. Die Zentrifuge ist doch unbeschädigt geblieben, oder?« »Ja«, erwiderte Grant. »Ich habe gestern bei den Aufräumarbeiten einen Probelauf gemacht.« »Es wird ein ziemliches Gezeter unter den Peruanern geben«, meinte der Chefarzt. »Dieser Manoel Allanza ist ein Satansbraten; der kriecht herum und erzählt überall, wir wären Vampire und würden Blut zum Existieren brauchen.« »Ganz so unrecht hat er damit gar nicht. Wenn wir jetzt allerdings noch einmal alle passiv immunisieren, gibt mir das zwei Wochen Frist, die Mutation zu testen. Falls diese dann die Produktion von Eigenimmunität anregt, brauchen wir auch kein Blut von den Patienten mehr.« »Und wenn wir schließlich der Welt bekanntgeben können, daß wir einen Dauerimpfschutz entwickelt haben, läßt man uns doch ganz sicher im eigenen Interesse auch irgendwo an Land«, fügte Lael hinzu. »Zweifelsohne. Bis wir in den Sturm geraten sind, war unsere tägliche Kladde gefüllt mit Nachrichten über neue Infektionsherde von Yungay-Fieber, so daß der Impfstoff überall dringend gebraucht wird – wenn wir ihn haben.« »Jake hat gerade eine neue Nachrichtenübersicht ausgehängt«, sagte Jack Smithson. »Überall in der Welt scheint sich Panik zu verbreiten, und zwar noch rapider als das Yungay-Fieber selbst. Wenn Shirley Ross dann schließlich die Nachricht über Ihr Impfmittel durchgibt, 310
werden viele Funkstationen sie auffangen, und die Nachrichtenagentur, für die sie arbeitet, wird für die weltweite Verbreitung sorgen. Das wird die Sensation des Jahrhunderts.«
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ie dritte Runde von Immunplasmainjektionen und mit ihr die Gewißheit, daß die Schiffsbelegschaft für mindestens weitere zwei Wochen ziemlich sicher vor dem Yungay-Fieber war, hob die Gemüter wieder einmal beträchtlich. Gleichzeitig aber erhielt auch der Groll der Peruaner an Bord neue Nahrung, und sie fanden aus ihrer Sicht Manoel Allanzas Vampirismushetze bestätigt. Als das Schiff langsam in immer ruhiger werdende Gewässer zog, erklang wieder Musik und auch hier und da ein Lachen, wenigstens aus dem Mannschaftsklub, wennschon nicht von den Unterdecks. Die mageren Alkoholrestbestände allerdings hielten die Vergnügungs- und Ablenkungsmöglichkeiten der Besatzung in gedämpften Grenzen. Da nur noch wenige Patienten so krank waren, daß sie Pflege brauchten, wurde die Arbeitslast für das klinische Personal merklich geringer. An den Nachmittagen versammelte man sich auf dem Achterdeck, um Karten zu spielen oder Decktennis oder sich auch einfach nur zu sonnen. Tonio y Marelia, der inzwischen vollkommen wiederhergestellt und vor einem Rückfall sicher war, veranstaltete zusammen mit Mark Post von Heck aus ein Tonscheibenschießen. Unter ihnen allen war Shirley die Unruhigste, da sich nichts ereignete, was neuen Stoff für ihre Berichterstattung gegeben hätte. Grant arbeitete Tag und Nacht. Er injizierte den Versuchstieren zunehmende Mengen Kulturenaufschwemmung der neuen B.-yungayMutation, um mit den ziemlich primitiven Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, so rasch wie möglich festzustellen, ob ein Antitoxin entstand. Ein paar Tage nach der Entdeckung der Mutation kam er zum Luftschnappen an Deck und fand Shirley im Gespräch mit Homer Ferguson. 312
Manoel Allanza saß rittlings auf den Schultern des großen Schwarzen, und die beiden zusammen ergaben ein denkwürdiges Bild. Während sich Homer mit Shirley unterhielt, bemerkte Grant, wie Manoels dunkle Augen die Schnappschleuder verfolgten, aus der die Tonscheiben hoch in die Luft über dem Kielwasser geworfen wurden, und ebenso sein Interesse für die doppelläufige Schrotflinte, die Tonio und Mark zum Abschießen der fallenden Tonziele benutzten. »Und wer gewinnt?« fragte Grant Tonio. »Im Augenblick Mark; ich bin noch nicht wieder in Form seit meinem Fieberanfall. Aber in spätestens ein, zwei Tagen muß er sich geschlagen geben.« Als Grant erschien, brach Shirley ihr Gespräch mit Homer ab, der daraufhin mit dem huckepack aufgeladenen Manoel zum Bug vorging. Sie kam auf ihn zu und lehnte sich neben ihn an die Reling. »Ich habe so etwas läuten hören, daß du irgendwas entdeckt hast«, sprach sie ihn an. »Du verschweigst mir doch nichts, oder?« »Wenn ich irgendwas entdecke, das es wert ist, der Weltöffentlichkeit präsentiert zu werden, dann bist du die erste, die es erfährt.« »Bestimmt?« »Aber sicher.« »Wie wär's denn mit einer kleinen Andeutung?« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe schon zu oft gedacht, ich hätte etwas, aus dem dann schließlich doch nichts wurde. Es hat einfach keinen Sinn, sich verfrüht darüber auszulassen. Von wem hast du's denn läuten hören?« »Von Jack Smithson. Wo ist übrigens deine schöne Assistentin?« »Im Labor beschäftigt.« »Da habt ihr beide ja ziemlich viel Zeit miteinander verbracht.« »Sie ist sehr tüchtig.« »Und wohl auch sehr anziehend.« Grant lachte. »Spieglein, Spieglein an der Wand …« »Ach, sei doch still! Mein einziges Sinnen und Trachten ist bloß noch, von diesem Schiff herunterzukommen. Am Anfang war es ja spannend – aber nun tut sich nichts mehr.« 313
»Das könnte genau unsere Rettung sein.« »Du mit deiner fürchterlichen Rechthaberei. Das ist einfach unmenschlich.« »Die wenigsten hier an Bord wären deiner Auffassung, daß ich recht habe. Im Gegenteil – die meisten haben etwas gegen mich.« »Dann müssen sie aber schon verflucht blöd sein.« »Was hast du denn mit Homer besprochen?« Gelangweilt zuckte sie die Achseln. »Fragen von rein menschlichem Belang. Ich habe das Projekt einer Story um Manoel Allanza noch nicht ganz aufgegeben, aber ich komme nicht recht voran. Homer behauptet, er wäre hochintelligent; ich kann allerdings nur Haß in ihm entdecken.« Sie schüttelte sich. »Der hat mich vielleicht das Frösteln gelehrt!« »Wahrscheinlich wäre ich auch mit Gott und der Welt zerfallen, wenn ich bloß huckepack auf fremden Schultern oder auf einem Holzuntersatz mit Rädern vorwärts käme und mich bettelnd durchs Leben bringen müßte.« Grant schaute auf die Uhr. »Bin schon viel zu lange hier draußen. Lael und ich müssen vor dem Abendessen noch eine ganze Injektionsreihe schaffen.« »Dann geh doch wieder zu deinen alten Ratten«, gab Shirley gereizt zurück. »Und laß noch 'n Schwung leben. Bevor die Geschichte hier aus ist, könnten sie uns vielleicht noch vor dem Verhungern retten.«
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n einem Spätnachmittag, etwa fünf Tage nach Entdeckung der Mutation, war Grant im Labor mit den Vorbereitungen einer ersten Einspritzung des neuen B.-yungay-Stammes bei sich selbst beschäftigt. Drei aufeinanderfolgende Injektionen in zwei verschiedenen Tierversuchsreihen hatten außer einer vierundzwanzigstündigen Anschwellung und örtlichen Reizentzündung an der Einstichstelle mit geringfügiger Wärmeentwicklung im angeschwollenen Bereich keinerlei Symptome hervorgerufen. Da diese Reaktion im tierischen Körpergewebe in etwa dieselbe war, die er bei der letzten Gelbfieber- und Choleraroutineimpfung vor seiner Afrikareise an sich selbst festgestellt hatte, lag die Annahme nahe, daß auch ein Mensch die Injektion mit den mutierten Keimen ebensogut wie die Tiere vertragen würde. Bisher hatte er allerdings keinen Anhaltspunkt dafür, daß die immunisierenden Injektionen auch einen tatsächlichen Schutz gegen den tödlichen Yungay-Fiebererreger aufbauten. Den Nachweis hierfür konnte er erst mit einer abschließenden Testinjektion des virulenten Erregers selbst in die Versuchstiere erlangen. Doch zunächst mußten noch einige Tage vergehen, bevor sich die angestrebte Immunität hinreichend entwickelt haben konnte. Grant schob den Ärmel seines Overalls weit hinauf, um die Deltamuskelpartie direkt unterhalb der Schulter freizumachen. Dann setzte er die Nadel an und schob sie tief in den Muskel hinein. Den Daumen am Spritzkolben, injizierte er sich langsam einen halben Kubikzentimeter der orangefarbenen Kultur. Als das geschehen war, warf er die Plastikeinmalspritze in den Abfalleimer und klebte sich einen Heftpflasterstreifen über die Einstichstelle. Während er den hochgekrempelten Ärmel wieder herunterließ, 315
hörte er jemanden hinter sich. Als er auf seinem Drehhocker herumfuhr, sah er Homer Ferguson mitten im Labor stehen. »Was, zum Teufel, suchen Sie hier?« fragte er ärgerlich. »Ich habe schon angeklopft, aber als sich nichts gerührt hat, bin ich hereingekommen, um nachzuschauen, ob Sie überhaupt da sind.« – »Ich habe Sie wirklich nicht gehört.« »So vertieft, wie Sie waren, ist das ja auch nur zu verständlich. Könnten Sie mir netterweise verraten, warum eine einfache Subkutaninjektion eine derart angespannte Konzentration erfordert – selbst wenn es in den eigenen Arm ist?« »Von einem Nadelstich ist wohl niemand begeistert.« »Das hat mir aber schon nach mehr als nur einem Nadeleinstich ausgesehen – es sei denn, Sie sind süchtig.« »Ach, scheren Sie sich zum Teufel!« fuhr ihn Grant an, und Homer grinste. »Dann werd ich mir also meinen Reim darauf machen. Es wird gemunkelt, daß Sie knapp vor einer Entdeckung stehen, und ich wette, daß das eben dazugehört hat – stimmt's?« Einen Augenblick lang faßte Grant den Hünen scharf ins Auge, dann hatte er sich entschlossen. »Wie gut können Sie etwas für sich behalten?« »Besser jedenfalls als die jetzigen Gerüchtestreuer.« »Am Tag, nachdem der Sturm hier auch im Labor gewütet hatte, entdeckte Miß Valdez eine neue Auskeimung auf einer der Schalenkulturen, die das Seewasser überschwemmt hatte. Die Neuzüchtung ist dem Yungay-Fiebererreger höchst ähnlich, nur scheint ihr die Einwirkung irgendeiner Wasserkomponente den Stachel gezogen zu haben.« »Woher wissen Sie das?« Grant holte einen der kleinen Drahtkäfige und hob die weiße Ratte, die als erste die Mutation gespritzt erhalten hatte, am Schwanz heraus. »Vor ungefähr einer Woche hat dieses winzige Biest einen halben Kubikzentimeter derselben Kultur verpaßt bekommen, die Sie mich gerade selbst injizieren sahen. Wenn der neue Keim – man nennt das eine Mutation – auch nur einen Bruchteil der Virulenz des B. yungay be316
sitzen würde, wäre die Ratte am nächsten Tag eingegangen. In einem Zwei-Tage-Rhythmus hat sie bisher noch zweimal ein jeweils gesteigertes Quantum erhalten – wie übrigens ein Dutzend anderer Ratten auch – und trotzdem keinerlei Krankheitssymptome entwickelt.« »Heißt das, daß Sie nur noch abwarten, ob die Mutation, wie Sie das nennen, Immunität im menschlichen Körper entwickelt?« – »Genau das.« »Und warum probieren Sie das an sich selbst aus, bevor Sie den Abschlußtest im Tierversuch gemacht haben?« »Ich muß wenigstens noch zwei Tage warten, bis ich den Virulenztest bei den Ratten angehen kann. Ihr Immunkörperspiegel dürfte vorher kaum hoch genug sein, um einen wirklich schlüssigen Immunitätsnachweis zu liefern. Und inzwischen bin ich mit zwei Eigeninjektionen der Antwort auf die Frage, ob wir ein funktionelles Impfmittel gegen das Yungay-Fieber haben, um wenigstens zwei Tage näher.« »Sie sind mutig, Dr. Reed.« Homer krempelte seinen Hemdsärmel hoch. »Zwei Testpersonen allerdings sind überzeugender als eine – was nun auch dabei herauskommen mag.« »Dagegen läßt sich schlecht etwas sagen. Aber ich habe hier keine Freiwilligen eingeladen.« Der Neger zuckte die breiten Achseln. »Ein früherer Freund von mir, der Medizin studierte, hat mir einmal gesagt, daß sich kein Arzt aus nur einem einzigen Fall ein gültiges Bild machen sollte. Richten Sie einfach das Zeug her, Mann, und verplempern wir die Zeit nicht mit Wortklaubereien.« »Eins verstehe ich ja nicht ganz«, sagte Homer, als Grant ihm die Einspritzung gemacht hatte. »Jeder von uns beiden hat schon drei Immunplasmagaben intus. Wie wollen Sie denn wissen, ob wir nicht sowieso gegen die Verabreichung der wirklichen Bombe geschützt sind?« »Die Dosis Immunplasma, die wir abbekommen haben, kann uns zwar vor Ansteckung durch gewöhnliche Übertragung schützen, aber mit Sicherheit nicht vor einer Lebendkultur des B. yungay«, erklärte ihm Grant. »Das hat der Fall von Miß Danvers, der Kliniklaborantin, gezeigt. Ein höchst dramatischer Krankheitsausbruch, nachdem zu317
fällig ein paar lebende Keime durch einen kleinen Ritz im Finger eingedrungen waren.« »Klingt logisch. Wann kriege ich die nächste Ladung?« »Übermorgen, etwa um die gleiche Zeit. Gegen fünf Uhr schicke ich Miß Valdez hier fort, also wird niemand von Ihrer Beteiligung an diesem Experiment erfahren. Vielen Dank, Homer. Wenn wir beide den endgültigen Test überleben, dann ist das der schlüssige Beweis, daß das Yungay-Fieber geschafft ist.« »Sie haben mir doch nicht zu danken, Doktor. Wenn Sie nicht rechtzeitig den Zustand von Conchita und Manoel erkannt hätten, wären sie beide gestorben – so ist's doch?« »Conchita bestimmt. Manoel hätte es vielleicht im Alleingang durchreißen können: der ist selber giftig genug.« »Noch etwas. Alles in allem dürften außer mir rund hundertfünfzig Patienten in den verschiedensten Genesungsstadien an Bord sein. Was wird eigentlich mit uns geschehen?« »Sollte sich die Mutation als wirkungsvoller Impfstoff erweisen, werde ich das Seuchenbekämpfungsinstitut und die Weltgesundheitsorganisation davon verständigen. Wahrscheinlich werden sie dann von irgendeinem Luftwaffenstützpunkt in Panama einen Helikopter schicken, der auf unserem Oberdeck landen kann und Proben der neuen Keimwucherung zu Versuchszwecken in den Staaten abholen wird. In Atlanta und einer Reihe anderer wissenschaftlicher Stätten sind sie ja auch schon auf der Suche nach einer Kontrollmöglichkeit des B. yungay.« »Wie lange kann das Ganze dann dauern?« »Mindestens einen Monat, wegen der umfangreichen Testreihen, auf denen die Gesundheitsbehörden bestehen werden. Sie sehen ja selber, daß ich unter höchst simplen Umständen hier an Bord der ›Mercy‹ gearbeitet habe.« »Der Witz dabei ist nur, daß Sie geschafft haben, was bisher keinem von diesen Luxuslabors gelungen ist.« »Der noch größere Witz ist eigentlich, daß wir die ganze Zeit über inmitten der Lösung geschwommen sind – haargenau in meinem so gesuchten Mutationserzeuger.« 318
»Und warum sollten uns die Behörden nicht irgendwo an Land lassen, wenn Sie ihnen erst einmal die Mutation offerieren können?« fragte Homer. »Das werden sie wohl, sowie sie sicher sind, daß es einen wirksamen Impfstoff gibt. Aber, wie gesagt, das würde mindestens ein paar Wochen dauern.« Homer schüttelte in Unverständnis den Kopf. »Die ganzen Leute hier auf so engem Raum für so lange Zeit zusammenzupferchen – das ist einfach nicht in Ordnung, Doktor. Es war ihnen noch egal, solang sie krank waren und sogar auch noch während des Sturms; aber jetzt, wo die meisten so gut wie gesund sind, muß etwas geschehen.«
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ier Tage nachdem Grant sich und Homer die erste Einspritzung der Mutation gegeben hatte, war er soweit, um an einem halben Dutzend Versuchsratten, die eine dreimalige Injektionsserie des mutierten Keimes hinter sich hatten, den endgültigen Test vorzunehmen. Es war ihm klar, daß er mit der ziemlich knappen Aufeinanderfolge der Injektionen sein Glück herausforderte. Ein zweiwöchiger Abstand galt als die Regelnorm zwischen den Einzelgaben eines gebräuchlichen Impfstoffes, zum Beispiel bei Typhus. Aber die Anzeichen von Unzufriedenheit unter den weitgehend genesenen peruanischen Passagieren des schwimmenden Hospitals nahmen inzwischen täglich zu. Auch ohne Homers Warnung erkannte Grant: Je früher er der Welt die Entwicklung einer Impfprophylaxe gegen das Yungay-Fieber bekanntgeben konnte und das Schiff die Genehmigung erhielt, einen Hafen anzulaufen und die Passagiere an Land zu setzen, desto besser war es für alle Beteiligten – und nicht nur auf dem Schiff. In der Zwischenzeit tuckerte die ›Mercy‹ durch ruhige Gewässer westlich der GalapagosInseln. Es herrschte große Hitze, ein Hinweis auf die Nähe des Äquators. »Mir ist angst, Grant«, sagte Lael, als sie die erste Versuchsratte für die endgültige Testinjektion mit der reinen B.-yungay-Kultur am Schwanz aus dem Käfig holte. »Angenommen, der Zappelphilipp ist morgen früh tot?« »Dann müssen wir eben von neuem anfangen.« »Völlig von vorne?« »Vielleicht nicht ganz so weit. Das Quantum lebender Keime, das diese Tiere hier jetzt bekommen, wäre für einen Menschen ohne Schutz tödlich. Also strapazieren wir den Immunkörperspiegel dieser Ratten ziemlich kräftig in einem derart frühen Stadium. Sollten die Tiere ein320
gehen, dann werde ich sie morgen früh sezieren, und wir werden die Bakteriendichte im Körpersekret auszählen. Wenn das Ergebnis auffallend niedrig ist, könnte das heißen, daß die Tiere einen markanten Immunitätsgrad entwickelt haben, die Testdosierung des B. yungay aber zu hoch war. Auch der Zeitabstand zwischen Immunisierung und Test könnte zu kurz gewesen sein.« »Dann wäre also die Entwicklung eines Impfstoffs noch nicht ganz hoffnungslos?« »Nicht ganz, obwohl ein Fehlschlag zum jetzigen Zeitpunkt ungeheuer enttäuschend sein würde. Deswegen habe ich darauf bestanden, daß über unsere Arbeit hier Stillschweigen bewahrt wird.« »Alle möglichen Gerüchte sind im Schwange gewesen. Und des öfteren wurde ich nach Informationen ausgehorcht – aber ich habe dichtgehalten.« »Das glaube ich dir. Nur du und ich, Jack Smithson und Homer …« »Homer Ferguson! Wieso der denn?« »Er kam an dem Nachmittag, als ich mir die erste Injektion unserer mutierten Kultur verpaßte, ins Labor und erriet so ziemlich, was vor sich ging. Es hatte keinen Sinn, es ihm zu verheimlichen, und so hat er sich freiwillig als Versuchsperson zur Verfügung gestellt.« »Wann macht ihr den endgültigen Test?« Eine sonderbar vibrierende Spannung in ihrer Stimme ließ ihn von der Ratte aufschauen, die er eben spritzte, aber sie hielt ihren Blick auf etwas anderes gerichtet, so daß er ihre Augen nicht sehen und damit den Grad ihrer Besorgtheit nicht ermessen konnte. »Heute nachmittag kommt bei uns die dritte Einspritzung mit der Mutation«, sagte Grant. »Und vier Tage später …« »Ich habe Angst, Grant. Gibt es denn keinen anderen Weg, die Immunität zu testen, außer daß du dein eigenes Leben dabei vielleicht aufs Spiel setzt?« »Wenn diese Tiere am Leben bleiben, kann eigentlich keine Gefahr mehr bestehen«, beruhigte er sie. »Und wenn nicht?« »Dann werden weder Homer noch ich das Risiko eingehen.« 321
»Wann kommen wir in die entscheidende Runde, Doktor?« fragte Homer, als er nach der dritten Immunisierungsgabe der Mutation seinen Ärmel wieder herunterrollte. »In vier Tagen – es sei denn, diese Tiere da gehen uns ein.« Grant zeigte mit einer Kopfbewegung auf die Ratten, die er gespritzt hatte und die sich quicklebendig und scheinbar vollkommen unbeeinträchtigt von der immerhin relativ massiven B.-yungay-Dosis, die ihnen verabreicht worden war, mit dem Futter beschäftigten, daß Lael in den Käfigen verteilt hatte. »Sollte dieser Fall eintreten, dann bewahren wir eben Stillschweigen darüber, und Miß Valdez und ich werden weiterforschen.« »Alle an Bord sind ohnehin schon ziemlich kribbelig, und jede schlechte Nachricht würde sie nur noch mehr aufmischen. Obzwar die gesamte Besatzung, einschließlich meiner Wenigkeit, mit der Möglichkeit von Schutzinjektionen hier bedeutend besser aufgehoben ist«, fügte Homer nachdenklich hinzu, »als sonst irgendwo in der Welt, wo die Seuche wütet. In den täglichen Funknachrichten hört man fast nichts mehr anderes.« »Mir ist seit der Grippeepidemie 1918 keine Seuche bekannt, die sich derart rapide ausgebreitet hätte«, ergänzte Grant bestätigend. »Macht es Sie nicht manchmal rasend, Doktor, daß auf Ihren Schultern mitunter das Los der ganzen Welt liegt?« »Ich wäre ein ganz schöner klappriger Atlas, Homer, um einen Erdenball zu tragen. Da beschränke ich meine Welt schon lieber auf das Labor. Haben Sie übrigens irgendwelche Nebenwirkungen der Einspritzung bemerkt?« »Außer einem wunden Arm nichts. Und sogar der war schlimmer nach einer Tetanus-Impfung.« »Na, Gott gebe, daß es dabei bleibt«, sagte Grant ernst. »Wir haben einfach nicht die Zeit abzuwarten, bis sich möglicherweise langfristig auftretende Sekundärschäden der Mutation beim Menschen zeigen. Das müssen wir eben riskieren.« »Mein ganzes Leben, Doktor, war ein einziges Hochreizen und Riskieren. Aber verglichen mit dem hohen Einsatz, den Sie hier täglich 322
eingegangen sind, bin ich ja bloß ein vorsichtiger Spieler. Dann also bis in vier Tagen – hoffentlich.«
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ls vierundzwanzig Stunden später die injizierten Ratten trotz der selbst für einen Menschen tödlichen Dosis des B. yungay-Erregers unverändert gesund und munter waren, wagte Grant daran zu glauben, daß er tatsächlich der Plage, die Guy und Lael über eine ahnungslose Menschheit heraufbeschworen hatten, Herr geworden war. Jetzt stand bloß noch der Abschlußtest am Menschen aus – mit nur zwei verfügbaren Versuchspersonen: Homer und er selbst. »Wann wirst du Ferguson die Testinjektion geben?« fragte Lael, als sie dabei war, am Spätnachmittag des vierten Tages nach der letzten Einspritzung mit der mutierten Kultur das Labor zu verlassen. »Er wird hier gegen halb sechs erscheinen. Ich bereite schon einmal die zwei Spritzen vor …« »Zwei?« Es riß sie förmlich herum; in ihren Augen stand tiefe Besorgnis. »Du kannst doch unmöglich riskieren …« »Lael, ich kann doch von Homer nicht verlangen, als menschliches Meerschweinchen für dieses Experiment herzuhalten, um ihn dann in dem Risiko allein hängenzulassen.« »Wenn es aber schiefgeht? Was passiert dann mit all diesen Leuten hier an Bord?« »Am Institut in Atlanta arbeiten Bakteriologen, die genauso qualifiziert sind wie ich, wenn es sich um die Entwicklung eines Impfstoffes handelt. Sie werden schließlich schon einen finden.« »Und was mit mir wird, daran hast du wohl auch nicht gedacht?« Die Besorgnis in ihrer Stimme war aufkeimendem Zorn gewichen. »Du hast doch für dich schon vorgeplant.« »Du mit deiner gräßlichen Rechthaberei!« Sie machte auf dem Absatz kehrt und knallte beim Hinausgehen die Tür hinter sich zu. Grant 324
jedoch erinnerte sich, daß Shirley erst vor wenigen Tagen dasselbe zu ihm gesagt hatte. »Doc, bei so einer Gelegenheit wären wohl irgendein paar passende Worte angebracht«, meinte Homer, als er kurz darauf ins Labor kam. »Aber das einzige, was mir dazu einfällt, ist der Gladiatorengruß. Der lautete doch so ähnlich wie ›Morituri te salutamus‹.« »Philosophieren wir nicht erst lange herum – lassen wir lieber all die verdammten Emotionen beiseite.« Die Injektionen waren schnell gemacht. Grant legte die Plastikspritzen in eine Doppelchloridlösung. »Wie bald werden wir das Urteil wissen?« fragte Homer. »Wenn Sie bei Tagesanbruch nicht im Delirium liegen oder tot sind, dann hat das Impfmittel gewirkt.« Als Grant zu einem frühen Abendessen in die Messe kam, war Lael nicht anwesend, und da er ansonsten wenig Wert auf Gesellschaft legte, aß er schnell und ging in seine Kabine zurück. Sein Arm schmerzte etwas an der Einstichstelle unterhalb der Schulter, und er spürte leichtes Kopfweh. Also schluckte er ein paar Aspirin, zog sich aus und ging endlich einmal früh zu Bett. Aufgrund des äquatornahen Kurses der ›Mercy‹ hatte Grant bereits die ganze vergangene Woche völlig nackt in der stehenden Hitze seiner kleinen Kabine neben dem Labor geschlafen. Das Bullauge über seinem Bett ließ einen schwachen Schimmer Mondlicht einfallen, als Grant davon erwachte, daß jemand die Hand auf seine Stirn legte. Er reagierte sofort: Sein eiserner Griff schloß sich um ein schmales Handgelenk, und der folgende leise Schmerzensschrei kam von einer wohlvertrauten Stimme. »Lael!« Er ließ ihr Handgelenk los und setzte sich auf. »Was, zum …« »Ich habe einen Alptraum gehabt. Ich kam ins Labor, und alle Ratten waren tot – und als ich zu dir hereinschaute, warst du ebenfalls tot.« Plötzlich sank sie neben ihm auf das schmale Bett und barg ihr Gesicht an seiner bloßen Schulter. Als er beruhigend einen Arm um sie legte, war er sich irritierend bewußt, daß sie nichts als ein Seidennachthemd trug. 325
»Ich bin absolut lebendig«, versicherte er ihr. »Wie spät ist es?« »Etwa vier Uhr. O Grant! Es war schrecklich, dich im Traum so zu sehen – nachdem ich gestern nachmittag im Labor so häßlich zu dir war.« »Ich bin vollkommen in Ordnung, Lael.« Er nahm ihre Hand und legte sie an seine Stirn. »Spürst du? Nicht das geringste Fieber. Wenn mir unser prähistorischer Gegenspieler hätte Kummer machen wollen, dann wäre ich schon längst im Delirium. Aber es geht alles gut aus.« »O Liebling!« Sie stockte plötzlich. »Was wirst du denn von mir denken?« »Daß du bezaubernd bist und so ziemlich das reizendste Geschöpf, das ich je gesehen habe.« Er hatte die ganze Zeit über ihre Hand gehalten; jetzt führte er sie an seinen Mund und küßte ihre Innenfläche. »Und nun gehst du besser wieder schön brav in deine Kabine, bevor dir hier mehr passiert.« »Ich will aber nicht fortgehen.« Sie stand plötzlich auf, und das schwache Mondlicht verlieh ihrer Gestalt im weißen Nachthemd fast etwas Geisterhaftes. Dann bückte sie sich mit einer geschickten Bewegung, der das Rascheln von zu Boden gleitender Seide folgte, und Grant sah, daß sie alles andere als eine Erscheinung war, sondern vielmehr eine hinreißende nackte Statue, die im nächsten Augenblick auch schon neben ihm auf dem schmalen Bett lag. Da nahm er sie nur noch in die Arme, und sein Mund fand ihre sinnlich weißen Lippen.
Da bis zum späten Nachmittag weder er noch Homer Ferguson auf die Einspritzung einer virulenten B.-yungay-Kultur hin irgendwelche Krankheitssymptome entwickelt hatten, berief Grant ein Treffen der Klinikbelegschaft und der Schiffsbesatzung für den Abend ein, um den Erfolg des gewagten Unternehmens allgemein zu verkünden und Shirley das Startsignal zu geben, am nächsten Morgen die Nachricht per Funk zu verbreiten. Gegen fünf Uhr, als er noch mit Kulturenübertragungen der Mutation beschäftigt war, um ausreichend auf die Im326
munisierung der gesamten Belegschaft vorbereitet zu sein, schreckte ihn der plötzlich einsetzende Schiffslautsprecher auf. »Dr. Reed und Dr. Smithson, sofort zur Brücke!« Die Stimme von Kapitän Pendarvis hatte einen heftigen und zornigen Ton. Als Grant aus dem Labor kam und zur Brücke hinaufging, fand er das Oberdeck zu seiner Verwunderung voll besetzt mit Patienten, die zum großen Teil Klinikpyjamas trugen. Niemand schien hier allerdings etwas in der Hand zu haben, und das quechua-Palaver war ohrenbetäubend, da alle gleichzeitig durcheinanderredeten. Man machte ihm den Weg zur Brücke bis zur Kajütentür frei, vor der einer der Peruaner, den Grant des öfteren mit Homer und Manoel Allanza gesehen hatte, mit jener Flinte postiert stand, die Tonio y Marelia und Mark Post zum Tonscheibenschießen vom Achterdeck aus benutzt hatten. Der Posten trat zur Seite, als er Grant erkannte, und öffnete die Tür, hinter der sich eine spannungsgeladene Szenerie zeigte. Homer Ferguson stand mit dem Rücken an der gegenüberliegenden Wand und hatte Manoel rittlings auf den Schultern. Der große Schwarze hielt eine Pistole im Anschlag. »Kommen Sie herein, Dr. Reed«, sagte er. »Wie Sie sehen, steht das Schiff jetzt unter der Befehlsgewalt der Patienten.« In diesem Augenblick eilte auch Jack Smithson herbei, dem ebenfalls der Weg in die belagerte Kajüte freigegeben wurde, während Shirley, die ihm auf dem Fuß gefolgt war, der Zutritt vom Posten verwehrt wurde. »Was, zum Teufel, soll das hier bedeuten?« fragte Smithson. »Gerade eben habe ich Dr. Reed schon erklärt, daß die Patienten jetzt das Schiff befehligen, Dr. Smithson«, erklärte Homer verbindlich. »Sie sind kein Patient.« »Ich repräsentiere hier nur Manoel, und der ist der Sprecher der Patienten an Bord des Schiffes.« »Verdammt noch mal!« fuhr Kapitän Pendarvis auf. »Das ist Meuterei.« »Möglicherweise haben Sie recht, Kapitän; ich bin kein Seerechtler«, räumte Homer ein. »Aber Sie haben mein Wort darauf, daß kein Grund zur Beunruhigung besteht.« 327
Pendarvis wandte sich heftig an Grant. »Sie haben heute abend eine Zusammenkunft einberufen, Doktor«, fuhr er ihn an. »Hatten Sie vor, uns das zu eröffnen?« »Ich kann Ihnen versichern, Kapitän, daß Dr. Reed keinerlei Anteil an der von Ihnen sogenannten Meuterei hat«, schaltete sich Homer ein. »Wenn Sie sich bitte alle zunächst beruhigen und zuhören, bin ich sicher, daß wir zu einer vernünftigen und beide Seiten zufriedenstellenden Lösung des Problems kommen werden.« »Was für ein Problem?« wollte Jack Smithson wissen. »All Ihre Leute sind inzwischen wohlauf – nicht zuletzt wegen der Behandlung, die sie durch mich und meinen Stab erhalten haben. Ist das nun der Dank dafür, Ferguson?« »Ich bedauere außerordentlich, Dr. Smithson, daß wir so drastisch vorgehen müssen. Die Patienten sind in der Tat dankbar, aber es verlangt uns nicht danach, länger als unbedingt erforderlich auf diesem Schiff festzusitzen.« »Sie wissen genau, daß ich jeden überhaupt nur irgendwie in Frage kommenden Hafen um Anlegegenehmigung und Verlegung der Kranken an Land gebeten habe«, protestierte der Kapitän aufgebracht. »Aber keine Nation nimmt uns auf.« »Genau deswegen haben wir das Schiff unter unsere Kontrolle gebracht«, erklärte Homer. »Und deswegen empfiehlt es sich auch, daß Sie und Ihre Mannschaft sowie die restliche Belegschaft mit uns zusammenarbeiten sollten.« »Bei einer Meuterei? Sie sind verrückt.« »Im Gegenteil.« Homer Ferguson war noch immer die Ruhe selbst. »Wir haben diesen Schritt schon von langer Hand geplant. Bis zum heutigen Tag jedoch war ich vor der Ansteckung mit Yungay-Fieber nicht geschützt und konnte damit das Schiff auch nicht in Sicherheit verlassen.« »Und wie wollen Sie inzwischen über mehr Immunität verfügen als die anderen?« fragte Smithson. »Sie haben auch nicht mehr Blutplasma bekommen als wir.« »Diese Frage kann Ihnen Dr. Reed beantworten.« 328
»Gestern am späten Nachmittag habe ich Homer und mir je einen halben Kubikzentimeter reiner B.-yungay-Kultur gespritzt«, erklärte Grant. »Die Dosis wäre für jeden anderen hier tödlich gewesen; doch wie Sie sehen, haben wir keinerlei Krankheitssymptome entwickelt, da ich bei uns beiden zuvor eine verläßliche Aktivimmunität aufgebaut habe.« »Dann ist also die von Ihnen entdeckte Mutation tatsächlich ein wirksames Impfprophylaktikum?« »Ohne Zweifel – es sei denn, daß noch verspätete Nebeneffekte auftreten. Die Versuchstiere allerdings haben keine entwickelt.« »Gott sei Dank!« »Offenkundig hat sich doch damit die Situation grundlegend geändert, Dr. Smithson, und das nicht nur für die Welt, sondern auch für das Schiff«, nahm Homer das Thema wieder auf. »Trotzdem muß Dr. Reed erst die Weltgesundheitsbehörden davon überzeugen, daß sein Erfolg hieb- und stichfest ist, bevor das Schiff irgendwo festmachen kann. Und das wird eben noch leider einige Zeit dauern.« »Es muß erst eine Kommission gebildet, Testreihen müssen durchgeführt und das übliche Routinevorgehen muß beobachtet werden«, bestätigte Smithson. »Das kann einige Wochen in Anspruch nehmen.« »Und inzwischen müssen eben alle an Bord des Schiffes bleiben«, ließ sich Kapitän Pendarvis wieder hören. »Wir haben keine andere Wahl.« »Vielleicht haben Sie keine andere Wahl, Kapitän«, sagte Homer. »Wir jedoch haben sie, und das Schiff ist in unserer Hand.« »Gegen meinen entschiedenen Protest«, stellte Pendarvis fest. »Zugegeben«, meinte Homer. »Wir kennen und anerkennen die Tatsache, daß die Offiziere der ›Mercy‹ keinen der strikt verwehrten Häfen ansteuern können, ohne sich entsprechender Rechtsverfolgung auszusetzen, oder auch überhaupt nur einen Angriff auf das Schiff in Kauf nehmen dürfen. Aber Meuterer können die ›Mercy‹ in den von ihnen gewünschten Zielhafen zwingen.« »Das ist ja empörend. Ich werde …« Kapitän Pendarvis setzte zum massiven Protest an, doch Grant unterbrach ihn, bevor er seine Tirade zu Ende bringen konnte. 329
»Wo hattet ihr denn überhaupt vor, das Schiff hinzudirigieren, Homer?« »Wohin sonst als zum nächstgelegenen Land? Zu den Galapagos-Inseln natürlich.« »Die stehen unter ecuadorianischem Mandat, und Ecuador hat der ›Mercy‹ das Anlegen generell verweigert.« »Die Inseln sind nur dünn besiedelt, Doktor, und haben mehrere gutgeschützte Häfen für Hochseeschiffe. Wenn die Behörden in Guayaquivil und Quito nicht wissen, daß wir darauf zusteuern, können sie uns nicht Einhalt gebieten, bevor wir überhaupt anlegen. Und dann wird es zu spät sein, um irgend jemand, der den Wunsch hat, an Land zu gehen, davon abzuhalten.« »Sie haben diesen Plan offensichtlich schon seit längerem wohldurchdacht.« »Es ist Manoels Plan; ich bin hier nur sein Dolmetscher.« »Und wie sieht Ihr Plan genau aus?« fragte der Erste Offizier Olsson. »Dieses Schiff zu einem Ort zu steuern, wo wir an Land gehen können – weiter nichts«, erwiderte Homer. »Was Sie und die Besatzung danach tun werden, ist Ihre eigene Angelegenheit.« »Das klingt annehmbar. Schließlich haben Sie ja auch die Waffen.« »Ich hoffe, daß wir keinen Gebrauch davon machen müssen, Mr. Olsson«, stellte Homer nachdrücklich fest. »Aber glauben Sie nicht, daß wir zögern werden, wenn man uns dazu zwingt.« »Wie wollen Sie Kapitän Pendarvis davon abhalten, die ecuadorianischen Hafenbehörden per Funk zu benachrichtigen«, fragte Grant. »Wenn Sie in den Funkraum schauen, Doktor, werden Sie feststellen, daß Mr. Porter bereits unter Bewachung steht. Einer der genesenen Patienten hat elektronische Grundkenntnisse und ist eben dabei, einen Umformer aus dem Sendegerät auszubauen. Er wird Mr. Porter wieder ausgehändigt werden, sowie wir auf den Galapagos an Land gehen. Bis dahin allerdings können hier Nachrichten nur noch empfangen, jedoch nicht mehr gesendet werden. Miß Ross wird zweifelsohne enttäuscht sein, der Welt nun nicht mehr unverzüglich die Neuigkeit Ihrer Entdeckung durchgeben zu können, aber auch das muß eben warten.« 330
»Noch etwas«, wollte Jack Smithson wissen. »Es ist nun schon über eine Woche, daß meine Belegschaft und die Schiffsbesatzung die letzte Immunplasmainjektion erhielt. Werden die Patienten einverstanden sein, uns mit ausreichendem Schutz zu versorgen, bis sie das Schiff verlassen?« Homer führte einen kurzen Dialog mit Manoel Allanza in quechua. Und obwohl keiner der in der Kajüte Anwesenden die Antwort im Wortlaut verstehen konnte, ließ die folgende Schimpfkanonade keinen Zweifel an ihrem Sinn. »›Keinen Tropfen Blut mehr‹, sagt er«, übersetzte Homer kurz. »Aber schließlich wirkt der neue Impfstoff von Dr. Reed äußerst rasch, wie ich bezeugen kann, so daß kein Anlaß zur Besorgnis für Sie alle besteht.« »Gebe Gott, daß Sie recht behalten, sonst haben Sie unsere Toten auf dem Gewissen.« Smithson wandte sich an Kapitän Pendarvis. »Als Chefarzt der ›Mercy‹ stimme ich dafür, die gestellten Bedingungen einfach mit Gelassenheit zu akzeptieren.« »Ich ebenso«, schloß sich Grant an. Pendarvis kaute einen Augenblick auf seinem Schnurrbart. »In fünfzig Jahren zur See hatte ich niemals eine Meuterei an Bord, und ich denke nicht daran, jetzt stillschweigend eine zu dulden«, murrte er schließlich. »Mr. Olsson, Sie übernehmen hiermit das Kommando über das Schiff.« »Zu Befehl, Sir«, sagte der Erste Offizier in schneidigem Ton.
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Auf den Galapagos
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om Deck der ›Mercy‹ aus verfolgten Besatzung und Klinikpersonal die Rückkehr des Rettungsmotorbootes nach dem Übersetzen der letzten Patienten an Land. Der Sandstrand war Schauplatz eines unbändigen Freudengetümmels: Die einen rannten und hüpften hin und her, die anderen tobten im glasklaren Wasser der Academy Bay in der Nähe des Ortes Puerto Ayora auf der Insel Santa Cruz. Sie hatten die Insel von Nordwesten her angelaufen und waren auf keinerlei Widerstand gestoßen, während sie sich durch den GalapagosArchipel geschlängelt hatten mit Kurs auf Santa Cruz, der am dichtesten besiedelten Insel und gleichzeitig dem Sitz der Verhaltensforschungsstation für die Riesenschildkröten der Galapagos. Da hier die größte Aussicht auf ausreichende Unterkunft und Verpflegungsmöglichkeiten bestand, hatte Homer seine Leute auf ebendiese Insel ausschiffen lassen. Kapitän vom Dienst Olsson hatte unter Führung von Homer Ferguson und Manoel Allanza – der selbsternannten, wenn auch widerspruchslos hingenommenen neuen Schiffsleitung – vorsichtig das etwa fünfzig Meilen weiter östlich liegende San Cristobal vermieden, um nur ja nicht mit den dortigen ecuadorianischen Regierungsbehörden in Berührung zu kommen. Vor Verlassen des Schiffes hatten die Meuterer noch alles Geld an Bord eingesammelt, um während der Dauer ihres Inselaufenthaltes Nahrungsmittel kaufen zu können. Bevor er wieder zum Rettungsboot hinunterkletterte, händigte Homer dem Schiffsfunker den Umformer aus, dessen Fehlen das Funkgerät seiner Sendefähigkeit beraubt hatte, nicht aber der Möglichkeit des Empfangs. Sowohl von politischer wie von gesundheitsbehördlicher Seite war man in pausenlosen Suchbotschaften vergeblich bemüht gewesen, die ›Mercy‹ auszumachen. Auch die täg335
lichen Funknachrichten hatte man aufgefangen, die von der rasenden Ausbreitung des Yungay-Fiebers rund um die angstgeschüttelte Welt und von der Sorge um die inzwischen verschollene ›Mercy‹ berichteten. Bei einer Zusammenkunft am nämlichen Abend, als die Meuterer das Kommando übernommen hatten, gab Grant der Stammbelegschaft des Schiffes eine detaillierte Darstellung der Entdeckung der B.-yungay-Mutation durch Lael und der folgenden Erfahrung mit den Tierversuchen sowie über den Abschlußtest an sich selbst und Homer Ferguson. »Na, dazu hat aber eine Portion Mumm gehört!« sagte Mark Post anerkennend. »Manch einer von uns – unter anderem auch ich – war verstimmt über Ihre Anwesenheit hier, Dr. Reed, und wir haben es Sie wohl spüren lassen. Was mich betrifft, möchte ich mich dafür entschuldigen und Ihnen sagen, daß ich verdammt froh bin, daß Sie sich an Bord befanden.« »Danke, Mark«, erwiderte Grant. »Kann ich daraus schließen, daß Sie der erste Anwärter auf das neue Impfmittel sind?« »Verpassen Sie mir die allererste Dosis.« »Und mir dann die zweite«, ließ sich Jack Smithson vernehmen. Das hatte dann auch bei den anderen die letzten Vorbehalte ausgeräumt. Am nächsten Morgen erhielt die gesamte Belegschaft einschließlich Lael, die darauf bestanden hatten, ebenfalls geimpft zu werden – wie übrigens auch Tonio y Marelia –, die erste Injektion der stufenweisen Immunisierung. Wie bereits an den Tieren sowie an sich selbst und Homer erprobt, hatte sich Grant für drei Einzelgaben in jeweils zweitägigem Abstand entschlossen. Und da niemand Yungay-Fiebersymptome entwickelte, obwohl der Großteil der genesenen Patienten durch Kulturbestimmungen nachgewiesenermaßen immer noch Träger des tödlichen Erregers war, konnte die B.-yungay-Mutation in der vorläufigen Impftestreihe als vorbehaltlos erfolgreich bezeichnet werden. Jetzt, als Grant auf dem Oberdeck in der Nähe des Funkraumes stand, in dem Jake Porter den fehlenden Umformer eben wieder in das Funkgerät einbaute, kam Shirley die Eisentreppe herauf und blieb neben ihm an der Reling stehen. Sie trug sowohl Foto- wie auch Filmausrüstung. 336
»Ich habe die ganze Zeit fotografiert, während sich unsere Meuterer abgesetzt haben«, sagte sie. »Du hättest diesen Manoel sehen sollen, wie er sich aufblähte, nachdem Homer ihm klarmachte, daß sein Bild im amerikanischen Fernsehen erscheint, in meiner CBS-Sondersendung, die ich in den Staaten zusammenstellen werde.« »Wie immer unermüdlich, nicht wahr?« »Genau wie du – weshalb wir alle einzig und allein noch am Leben sind.« »Wirst du das vielleicht ebenfalls per Funk verbreiten?« »Natürlich. Sag mal, was wird denn eigentlich jetzt aus denen da?« Sie zeigte mit einer Kopfbewegung Richtung Küste, wo die ehemaligen Patienten der ›Mercy‹ noch immer am Strand versammelt waren. »Ich möchte schwer bezweifeln, daß das Leben auf irgendeine Galapagos-Insel so rosig ist, wie sie sich das vorstellen«, meinte Grant. »Soviel ich weiß, ist das hier nicht gerade der fruchtbarste Ort der Welt. Und mit fast zweihundert Leuten, die über diese eine Insel hier hereinbrechen, wird's wohl etwas Gedrängel geben. Da dürfte bald der Hunger aufkommen und mit ihm die Schwierigkeiten.« »Und was ist mit der Inselbevölkerung? Hier ist doch niemand gegen das Yungay-Fieber gefeit.« »Morgen früh werden Kapitän Olsson und ich nach San Cristobal fahren und den ecuadorianischen Hafenbehörden melden, daß wir hier vor Anker gegangen sind. Wenn ich die Genehmigung dazu erhalte, werde ich den Bewohnern von Santa Cruz mittels Impfung zur Immunität verhelfen.« »Und die anderen Inseln?« »Die haben untereinander praktisch keine Berührungspunkte, außer per Schiff und Funk. Wenn die hiesigen Behörden meinen Empfehlungen Folge leisten und Santa Cruz unter strikte Quarantäne setzen, kann die Seuche eigentlich nicht überspringen.« »Wo ist denn hier der Flughafen?« »Auf Baltra, einer kleinen Insel nördlich von Santa Cruz. Aber dort müßten natürlich dieselben Quarantänemaßnahmen eingehalten wer337
den. Die Galapagos werden schlagartig ihr Geschäft mit dem Tourismus verlieren, aber nach dem, was ich darüber gelesen habe, hat das Gouvernement überhaupt nichts dagegen. Man versucht zu erhalten, was eben von den Gegebenheiten noch geblieben ist, die Darwin 1835 einst hier vorgefunden hat.« »Hast du denn genügend Impfstoff, um die ganze Inselbevölkerung zu immunisieren?« »Ich denke schon. Lael und ich züchten in sämtlichen verfügbaren Gläsern und Schalen Kulturen. Die Mutation vermehrt sich außerdem ungeheuer schnell, so daß wir sofort nach Verbrauch einer Kultur eine neue auf Kochblutagar ansetzen können.« »Du denkst doch tatsächlich an alles. Schätzungsweise ist das auch der tiefere Grund, warum wir nicht miteinander zurechtgekommen sind; am Ende scheinst du immer als derjenige dazustehen, der auf dem richtigen Weg ist.« Grant lachte. »Na hör mal, was Erfolg angeht, hast du doch wahrhaftig keinen Grund zur Klage, oder? Es würde mich nicht im mindesten wundern, wenn du aus dem Ganzen hier auch noch eine GalapagosSondersendung fürs Fernsehen rausholen würdest.« »Diesmal nicht. Nach dem, was wir hier so aus den täglichen Funknachrichten erfahren haben, stehen derzeit Millionen Menschen in aller Welt Todesängste aus. Sie müssen ständig einen unsichtbaren, unüberwindlichen Gegner befürchten, und wenn sie jetzt erfahren, daß es endlich einen Schutz für sie gibt, wird es viel zu ihrer Beruhigung beitragen.« »Aber ganz bestimmt.« »Und dann muß schleunigst jemand zur weltweiten Bekämpfung des Yungay-Fiebers nominiert werden, der sich nicht scheut, die alten Zauderer von Regierungschargen, von denen ich einen ganzen Schwung im öffentlichen Gesundheitsdienst und bei der WHO kenne, unter Druck zu setzen, sonst werden doch unzählige Menschen bloß wegen der Zeitverschleppung sterben. Dir ist doch wohl klar, wer diesen Job kriegen sollte.« »Von Lael habe ich schon haargenau dasselbe gehört.« 338
»Was sind denn übrigens ihre Pläne, wenn das hier erst einmal vorbei ist?« »Sie kehrt ins Callejón de Huaylas zurück, um das von ihr und Guy entdeckte Grab der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – gewissermaßen als Gedenkstätte für ihn. Hast du die Aufnahmen gesehen, die sie mit dem Periskop gemacht hat?« »Ja.« »Sie ist davon überzeugt, daß Guy es von ihr erwarten würde.« »Wahrscheinlich hat sie recht; die Fotos sind, weiß Gott, ungewöhnlich.« Shirley warf ihm einen taxierenden Blick zu. »Jake Porter glaubt, morgen früh wieder senden zu können. Willst du als erster ran?« »Nein. Gib du ruhig erst deine Berichte durch, und dann spreche ich mit Marshall Payne. Ich möchte, daß er ein paar Fachleute zusammentrommelt und mit ihnen hierher fliegt, um an Ort und Stelle meine Arbeit zu prüfen und dann Kulturenzüchtungen der Mutation zu eingehenden Laborrecherchen in Atlanta mitzunehmen.« »Darf ich deine Entdeckung aber schon bekanntgeben?« »Nur zu. Es kann die Sache nur beschleunigen, wenn wir den Behördenapparat von beiden Seiten aufscheuchen.«
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m nächsten Morgen kam Shirley in die Messe, als Grant eben sein Frühstück beendete. »Der Funkraum steht dir voll zur Verfügung«, erklärte sie. »Der CBSNachrichtendienst hat mich life aufgenommen für sämtliche Sendungen heute. Sie wollen mich so schnell wie möglich in New York haben, damit ich meinen Sonderbericht für sie zusammenstelle. Außerdem habe ich noch einen ellenlangen Bericht an INS rechtzeitig für die Abendausgaben durchgegeben. Du wirst der Aufmacher in sämtlichen Abendblättern.« »Mit Marshall Payne hast du aber noch nicht gesprochen?« »Nein. Das ist dein Revier. Ich arbeite ja nicht mehr für das Institut.« Jake Porter war noch mit dem Schlußabsatz von Shirleys Berichterstattung an INS beschäftigt, als Grant in den Funkraum kam. Er schaute von seinem Ticker auf und grinste. »Ihr zweiter Nobelpreis ist beschlossene Sache, Dr. Reed«, meinte er. »Miß Ross haut ganz schön auf die Pauke – und das zu Recht, würde ich sagen.« »Danke, Jake. Können Sie mir eine Verbindung mit Marshall Payne vom Seuchenbekämpfungsinstitut in Atlanta herbringen?« »Aber sofort, Doktor. Wie ich heute morgen hier meinen Laden wieder aufgemacht habe, da hat's der Tante vom Festlandfunk in Panama die Sprache verschlagen. Wir waren als Opfer der See abgeschrieben, und ich habe sie erst lang und breit davon überzeugen müssen, daß ich nicht irgendso'n Amateurfunker bin, der seinen Schabernack treibt.« »Grant, sind Sie's tatsächlich?« kam Marshall Paynes aufgeregte Stimme durch den Äther. »Wir hatten euch alle schon aufgegeben.« – »Wir existieren aber recht konkret, Marshall. Wenn Sie Shirleys Re340
portage hören über den Trubel, den wir hier während der letzten Wochen hatten, werden Sie alles Nähere erfahren.« »Ich habe heute morgen auf dem Institut das Autoradio angestellt und gerade die letzten paar Sätze ihrer Direktsendung von der ›Mercy‹ mitbekommen. Das klingt ja alles nach Abenteuerroman!« »Zurück zu Ihnen, Marshall. Ich hätte gern, daß Sie hier runterfliegen, zusammen mit dem Vorsitzenden der ›Mercy‹-Stiftung und ein oder zwei bekannten Epidemiologen, vielleicht auch noch mit dem Leiter der WHO. Sie können dann Kulturenzüchtungen der Mutation mitnehmen.« »Wenn Sie doch immun sind, wie ich Shirleys Angaben entnehme – warum fliegen Sie dann nicht her? Das kann ich schon über die Air Force arrangieren, daß man Sie mit einem Helikopter abholt.« »Sowie unsere meuternden Patienten hier in Santa Cruz ihren Fuß an Land gesetzt haben, sind sie auch gleichzeitig für jeden einzelnen Inselbewohner eine akute Yungay-Fieber-Gefahr geworden. Ich muß die ganze Insel hier mit Immunschutz versehen. Jetzt sofort nach unserem Gespräch fahre ich auf eine der anderen Inseln hinüber, um alles Notwendige mit den ecuadorianischen Dienststellen in die Wege zu leiten.« »Das ist ja eine großartige Gelegenheit, Ihren Impfstoff gründlich zu erproben. Sie können doch einen parallellaufenden Blindversuch durchführen und eine Hälfte der Inselbevölkerung tatsächlich immunisieren, während die andere Hälfte nur steriles Wasser injiziert bekommt …« »Wenn Sie so viele Yungay-Fieberfälle erlebt und so viele Menschen elend daran sterben gesehen hätten wie ich, Marshall, dann würden Sie nicht einfach halb Santa Cruz dem möglichen Tod überantworten – bloß um des Nachweises einer Testreihe willen.« Grants Stimme hatte einen unverkennbar harten Ton angenommen. »Aber der Impfstoff muß noch getestet werden.« »Das ist bereits geschehen, und zwar hier auf dem Schiff. Mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in den Staaten können Sie, was die Keimanzahl betrifft, einen präziser geeichten Impf341
stoff herstellen – einen besseren allerdings nicht. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.« »Sind Sie bereit, die Leitung des Gesamtprogramms zu übernehmen?« – »Wenn die WHO mich dafür haben will.« »Das wird sie, und unser ganzer öffentlicher Gesundheitsdienst wird hinter Ihnen stehen – dafür sorge ich schon. Ich werde auch eine Kommission zusammentrommeln und die Air Force bitten, uns von Panama aus per Helikopter an Bord Ihres Schiffes zu bringen. So lassen sich Scherereien mit den ecuadorianischen Behörden umgehen.« »Verständigen Sie mich bitte wieder per Funk, wann ich Sie erwarten kann.« Die Überfahrt vom Ankerplatz der ›Mercy‹ in der Academy Bay vor der Insel Santa Cruz – von Forschern früherer Zeiten und von Seeräubern, die hier ihren Schlupfwinkel hatten, die ›Nimmermüde‹ genannt – nach San Cristobal oder auch Chatham, wo der Gouverneur des Archipels seinen Amtssitz in Baquerizo Moreno hatte, dauerte fast den ganzen Vormittag. Vulkanischen Ursprungs wie alle anderen Inseln, war San Cristobal von einem fast stolze achthundert Meter hohen Berg gekrönt, dessen grünbedeckte Hänge einen wundervollen Anblick im hellen Morgensonnenschein boten. Kapitän Pendarvis, der nach dem Landgang der Meuterer wieder sein Amt übernommen hatte, gab in seinen tadellos gebügelten weißen Leinenhosen eine imponierende Figur ab. Tonio y Marelia war als Dolmetscher mitgekommen für den Fall, daß der Gouverneur ein regional gefärbtes Spanisch sprach. Schließlich fand man ihn – einen schwitzenden, schwerfälligen Ecuadorianer in schmuddeligen weißen Hosen – bei einem Drink in der cantina des Ortes. Als erstes machte der Gouverneur den Ankömmlingen klar, daß er an nichts weniger interessiert sei als an Fremden. Mehrmals wöchentlich fuhren neuerdings Kreuzer von Baltra aus, wo sich der Flughafen befand, ihre Rundtour durch den Archipel. Überdies kamen dauernd Jachten an, um die Riesenschildkröten – denen die Inseln ihren Namen verdankten – und die nicht minder berühmten Leguane zu besichtigen, jene Relikte aus einer Urweltepoche, die unendlich viel älter war als der von Lael und 342
Guy oberhalb von Yungay entdeckte Mikroorganismus. Kaum war allerdings der Name ›Mercy‹ gefallen, kam Leben in den Gouverneur; er sprang auf und suchte schleunigst größtmöglichen Abstand zwischen sich und seine Besucher zu bringen. »Bitte, Señores«, sagte er, »die Yungay-Seuche hat unsere Insel nicht berührt. Wenn Sie irgend etwas damit zu tun haben, müssen Sie uns sofort verlassen.« Tonio y Marelia setzte in Spanisch auseinander, wie es zugegangen war, daß das Schiff jetzt in der Academy Bay vor der Küste von Santa Cruz vor Anker lag. »Mit welchem Recht haben Sie Ihr Seuchenschiff in diese Gewässer gesteuert?« brauste der Gouverneur protestierend auf. »Verschwinden Sie auf der Stelle!« »Mein Schiff ist nicht mehr seetüchtig«, versicherte Kapitän Pendarvis dem Beamten. »Die Maschinen sind so gut wie hinüber, und wir haben kaum noch Vorräte.« »Dann kaufen Sie eben in Santa Cruz, was Sie brauchen. Jagen Sie Wildschweine an den Berghängen, und schlachten Sie von mir aus Pferde und Ziegen, wenn Sie wollen – aber verschwinden Sie wieder, bevor Sie uns die Seuche aufhalsen.« »Die Seuche ist schon da«, erklärte ihm Grant auf spanisch. »Denn wenn unsere Meuterer auch davon genesen sind, so haben sie doch die Krankheit noch im Körper und damit auf die Insel eingeschleppt, als sie an Land gingen.« »Sie behaupten also, daß diese Leute, die Sie ›Meuterer‹ nennen, das Fieber verbreiten können?« »Genau das. Sie sind nach ihrer Genesung noch für die Dauer etwa eines Monats Bazillenträger.« »Dann ist ganz Santa Cruz in Gefahr?« »In sehr ernster Gefahr sogar! Und deswegen brauche ich Ihre Ermächtigung, um jeden einzelnen auf der Insel zu impfen.« »Aber was soll ich wegen der Meuterer unternehmen? Weder habe ich Polizei, um sie festzunehmen, noch die Möglichkeit, sie hinter Schloß und Riegel zu setzen. Wenn die Bande über die Insel schwärmt, wird 343
natürlich Eigentum beschädigt. Die Siedlerfarmen um Bella Vista an den Berghängen könnten ganz und gar verwüstet werden.« »Um so dringlicher müssen die Peruaner von Santa Cruz fortgeschafft werden«, hakte Grant nach. »Und wegen Meuterei belangt?« fragte der Gouverneur mit aufkeimender Hoffnung. »Damit unterstehen sie der Gerichtsbarkeit Ihres Kapitäns.« – »Ich beabsichtige aber keineswegs, sie unter Anklage zu stellen«, gab Kapitän Pendarvis schlagfertig zurück. »Sie haben sich davongemacht, weil sie Angst davor hatten, daß man ihnen zum Schutz unserer Besatzung ihr Blut nehmen würde.« Der Gouverneur fand offensichtlich keine Lösung des Problems. »Da Kapitän Pendarvis nicht die Absicht hat, die Peruaner der Meuterei auf hoher See anzuklagen, könnten Sie sich doch mit Ihrer Regierung in Quito in Verbindung setzen«, schlug Grant vor. »Fordern Sie sie auf, mit der peruanischen Regierung in Lima Verhandlungen aufzunehmen.« »Zu welchem Zweck?« »Diese Leute hier haben kein Yungay-Fieber mehr; in Peru selbst jedoch gibt es noch unzählige Krankheitsfälle, vor allem in den Gegenden von Chimbote und des Callejón de Huaylas. Für diesen Teil Perus, in dem sich die Seuche immer noch ausbreitet, stellen die Meuterer also keine Bedrohung dar, obgleich sie Bazillenträger sind. Wenn Ihre Regierung bei der peruanischen Regierung interveniert, um eine Sondermaschine zum Rücktransport der peruanischen Staatsbürger auf das Festland zur Verfügung gestellt zu bekommen, dann müßte dem Ansuchen eigentlich stattgegeben werden.« Die düstere Miene des Gouverneurs lichtete sich nun zum erstenmal seit Beginn dieser Unterhaltung. »Ich werde sofort eine entsprechende Botschaft übermitteln«, sagte er. »Und was geschieht inzwischen mit den Bewohnern von Santa Cruz?« »Dr. Reed hat ein Verfahren zur Verhütung von Yungay-Fieber entwickelt«, erklärte Kapitän Pendarvis. »Es gibt keine prevención.« »Jetzt schon«, versicherte Grant dem Gouverneur. »Ich habe sie zu344
erst an mir selbst erprobt und dann an der gesamten Belegschaft der ›Mercy‹.« »Diese prevención« – der Gouverneur hatte augenscheinlich seine tief gehegten Zweifel –, »worin besteht sie?« »Es ist ein Impfstoff, der injiziert wird. Er schließt eine Ansteckung aus.« – »Und Sie haben ihn sich selbst gespritzt?« »Jawohl. Und inzwischen auch allen an Bord der ›Mercy‹.« »Das ist schon sonderbar, Señores. Im Radio hören wir, daß überall in der Welt Menschen an dieser Seuche sterben, und Sie behaupten trotzdem, Sie hätten eine prevención auf dem Schiff.« »Das Impfmittel ist im Labor der ›Mercy‹ entdeckt worden. In Kürze wird eine Kommission von Gesundheitsexperten aus den Vereinigten Staaten per Helikopter hier eintreffen und den von mir entwickelten Impfstoff in Augenschein nehmen. Ich werde anschließend mit in die Staaten zurückkehren, um den Impfschutz weltweit verfügbar zu machen.« »Eine großartige Sache«, meinte der Gouverneur anerkennend. »Sie wird viele Menschenleben retten.« »Im Augenblick bin ich mit den Bewohnern der Insel Santa Cruz befaßt«, erinnerte ihn Grant. »Wenn Sie mir die Ermächtigung zur Pflichtimpfung von jedem dort lebenden Bürger geben, dann garantiere ich, daß auf ganz Santa Cruz kein einziger Yungay-Fieberfall auftreten wird.« Der Gouverneur zog skeptisch die Stirn kraus. »Wie wollen Sie denn an das Impfmittel kommen, solange Sie noch auf dem Schiff sind?« »Genau dort stellen wir es her, nämlich in unserem Labor. Sobald allerdings die Kommission bei uns eintrifft, wird es in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern produziert werden, um die Infektionskrankheit auf der ganzen Welt unter Kontrolle zu bringen.« »Ist das denn mehr oder weniger ein Test, den Sie vorhaben? Und dienen die Bewohner von Santa Cruz etwa als Testpersonen?« – »Der Impfstoff ist bereits getestet, und zwar an unserer Schiffsmannschaft«, versicherte Grant dem Zweifelnden. »Wenn er außerdem die Bevölke345
rung von Santa Cruz vor dem Ausbruch der Seuche bewahrt, kann das seine Wirksamkeit nur noch weiter bestätigen.« »Und wie lange wird der ganze Impfvorgang dauern?« wollte der Gouverneur wissen. – »Etwa eine Woche. Jeder Inselbewohner muß drei Injektionen erhalten.« »Ich werde Ihnen die Ermächtigung ausstellen, Señor«, meinte der Gouverneur abschließend. »Aber ich komme nicht mit Ihnen nach Santa Cruz.«
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as Motorboot mit Grant, Kapitän Pendarvis und Tonio y Marelia sowie ein paar Mann Besatzung kam erst am Spätnachmittag wieder zurück zur ›Mercy‹. Nachdem der Kapitän und Tonio an Bord gegangen waren, wurde Grant an Land gebracht. Er wandte sich sofort an das Darwin-Institut, eine multinationale Forschungsstätte unter ecuadorianischer Leitung mit UNESCO-Beteiligung. Der Leiter der Anstalt, ein junger Amerikaner aus dem Mittelwesten, empfing ihn höflich, aber mit offenkundiger Besorgnis. »Der Stellvertreter des Gouverneurs hier auf der Insel hat sofort nach Ihrer Abfahrt aus San Cristobal eine Zweitausfertigung zur Ermächtigung Ihrer Impfaktion erhalten«, teilte er Grant mit. »Vor Ihrer Entdeckung eines Prophylaxeverfahrens gegen die Yungay-Seuche wußten wir vorher schon durch die Rundfunksendung von Miß Ross.« »Dann waren Sie also bereits vorgewarnt?« Der junge Wissenschaftler nickte. »Wir erkannten das Schiff schon, bevor es überhaupt Anker geworfen hatte. Die meisten aus der Siedlung hier sind ins Inselinnere geflohen, wo ein paar norwegische Einwanderer Farmen betreiben.« »Ich dachte, der Boden der Galapagos wäre nicht sehr fruchtbar, und es würde überhaupt kaum regnen.« »Das stimmt auch im großen und ganzen. Aber direkt an den niedrigeren Berghängen gibt es Erdfalten, die ziemlich fruchtbar sind, und fast jede Nacht ziehen dort Nebel auf, die genügend Feuchtigkeit für den Getreideanbau spenden. Ansonsten sind die Inseln pfeffertrocken.« »Der Gouverneur hat uns gesagt, daß es bisher kein Yungay-Fieber auf den Galapagos gegeben hätte«, sagte Grant. »Und ich hoffe, die Inseln auch weiterhin davor zu bewahren.« 347
»Gott gebe, daß Sie das wirklich können«, meinte der junge Amerikaner inständig. »Ich habe Frau und Kinder hier. Es gibt überhaupt eine ganze Reihe von Kindern in der Siedlung, und außer uns leben noch ein paar Zuwanderer auf der Insel. Nach dem, was ich so vom Yungay-Fieber gehört habe, sind seine Folgen vernichtend.« »Wir haben fast die Hälfte der Patienten verloren, die wir an Bord hatten, als der Pöbel die ›Mercy‹ aus Chimbote verjagt und in den offenen Pazifik hinausgezwungen hat.« »Und was ist mit Ihren Meuterern?« forschte der Institutsleiter. »Als die ziemlich kurz nach dem Ankerwerfen des Schiffes hier durchkamen, fiel mir auf, daß ein paar getragen wurden, besonders einer von ihnen.« Grant lächelte. »Ob Sie es glauben oder nicht: Der Beinlose war der Anstifter der Meuterei, und der Mann, der ihn trägt, ist ein Schwarzer aus den Staaten. Alle Peruaner, die hier ankamen, haben das YungayFieber überstanden.« Ein Schauer durchlief Grants Gesprächspartner. »Eine grauenhafte Seuche. Wann können Sie mit der Immunisierung der Inselbevölkerung beginnen?« »Morgen früh, wenn Sie die Leute benachrichtigen, daß sie hierher kommen. Mir scheint das funktioneller, als sie alle einzeln aufzusuchen.« »Bedeutend funktioneller sogar. Die Straße hinauf zu den Farmen ist ziemlich ungemütlich, und wenn es tatsächlich alle Jubeljahre einmal regnet, dann versinkt ein Teil der Gegend völlig im Schlamm. Ich werde dafür Sorge tragen, daß jeder in der Siedlung, der geimpft werden will, sich morgen früh hier zur Verfügung hält. Die anderen aus der weiteren Nachbarschaft müßten wir bis morgen verständigen und spätestens bis übermorgen auch die in den Bergen herbeiholen können.« »Der Gouverneur in San Cristobal wird versuchen, die peruanische Regierung zum Rücktransport der Aufständischen nach Chimbote oder Lima zu bewegen.« »Das wird sich hinziehen«, meinte der junge Biologe. »Ich fürchte, daß einige von den Meuterern genau wissen, daß die Galapagos348
Schildkröten hervorragende Fleischlieferanten sind. Wir haben in jahrelanger Kleinarbeit ein paar von diesen Tieren herangezüchtet; wenn sie uns die abschlachten, dann wirft uns das in unserer Forschung um sehr viele Jahre zurück.« »Eine Studiengruppe von Wissenschaftlern aus den Vereinigten Staaten und einigen anderen Ländern wird in drei oder vier Tagen per Helikopter auf Baltra oder direkt auf dem Schiff eintreffen«, beschwichtigte Grant. »Ich werde darauf dringen, daß die notwendige Evakuierung der Peruaner zu einer der ersten verfügbaren Aktivitäten gemacht wird.«
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nter Mitwirkung von Lael, Jack Smithson und mehreren anderen Ärzten und Krankenschwestern nahm Grant Reed am nächsten Morgen das Immunisierungsprojekt in Angriff. Tonio y Marelia erwies sich ebenso wie Lael für die Einwohner von Santa Cruz als höchst wertvoller Dolmetscher. Die meisten waren indianische Eingeborene, doch unter ihnen befand sich auch eine Anzahl blonder Norweger aus den Farmsiedlungen am Fuße der beiden Berghügel, der höchsten Erhebungen von Santa Cruz. Lael bereitete die Aufschwemmungen der Mutationskulturen auf. Sowie eine Kultur verbraucht war, wurde das Gefäß sorgsam beiseite gelegt, um später die ganze Kollektion wieder mit an Bord zu nehmen, wo die Reagenzgläser und Ausstrichschalen sterilisiert und, mit frischem Kochblutnährmedium versehen, erneut mit den orangefarbenen Keimen geimpft werden sollten. Bis Einbruch der Dämmerung hatten die meisten der Siedlungsbewohner an der Academy Bay und sogar eine Reihe von den Inlandsiedlern die erste Injektion erhalten. Die Kolonisten, die von ihren Farmen im Inselinneren und aus den beiden kleinen Orten Bella Vista und Miramar geflohen waren, berichteten, daß ihnen die umherziehenden Peruaner keine besonderen Schwierigkeiten bereitet hätten. Lediglich Schweinen, Wildziegen, Pferden und ein paar Schildkröten und Leguanen waren sie zum Verhängnis geworden. Vorderhand schien es wenigstens so, daß die früheren ›Mercy‹-Patienten vollauf damit zufrieden waren, sich mit Fleisch und Gemüse, das die fleißigen Norweger in der Miramar-Siedlung herangezüchtet hatten, vollzustopfen. Was allerdings später geschehen mochte, wenn die Meuterer des Insellebens überdrüssig wurden, stand in den Sternen. Den Berichten nach zu schließen, die mit den zur Im350
munisierung herbeigeeilten Bergsiedlern allmählich durchsickerten, schienen Homer und Manoel wenigstens im Augenblick die Zügel fest in der Hand zu haben. Am zweiten Tag der Impfreihe blieb Lael an Bord des Schiffes, bereitete neue Mengen von Nährmedium zu und setzte reihenweise Mutationskulturen an, um für die weiteren Injektionsrunden ausreichend gerüstet zu sein. Glücklicherweise wucherten die Keime rapid: Alle achtundvierzig Stunden waren die Kulturen auf den doppelten Umfang angewachsen, bis schließlich die beschränkt vorhandene Nährsubstanz in den Schalen dem Wachstum Grenzen setzte, so daß es völlig unwahrscheinlich erschien, daß der lebenswichtige Impfstoff ausgehen könnte. Am Nachmittag des zweiten Tages brachte der Knall eines Flintenschusses alle Aktivität zum Stillstand. Von fern sah man eine große Gestalt auf die Siedlung zukommen, und als Grant seinen Feldstecher darauf richtete, erkannte er sofort Homer und auf seinen Schultern in gewohnter Position Manoel Allanza. »Ich gehe hin und werde mit ihnen reden«, sagte Grant. »Sind Sie sicher, daß es gefahrlos ist?« fragte Jack Smithson. »Auf Homer kann ich mich verlassen. Er weiß, daß ich ihm mit der Immunisierung, auf der ich für uns alle bestand, das Leben gerettet habe. Übernehmen Sie doch bitte hier, Jack.« Homer und Manoel sahen wohlgenährt aus, als Grant den beiden gegenüberstand, nachdem er sich mühsam den felsigen Vulkanabhang zu ihnen hinaufgearbeitet hatte. Der Schwarze hielt zwar die Flinte, die man an Bord zum Tonscheibenschießen benutzt hatte, in Händen, aber nicht im Anschlag. »Werden Sie der Inselbevölkerung Immunschutz geben können, Doktor?« fragte Homer. »Wir wollen ihnen nichts Böses zufügen.« »Heute nachmittag beenden wir die erste Injektionsrunde; die weiteren folgen plangemäß.« »Gut. Was ist aus der Prüfungskommission geworden, die beglaubigen sollte, daß Sie eine wirksame Prophylaxe gegen das Yungay-Fieber entwickelt haben?« 351
»Ich erwarte die entsprechende Benachrichtigung vom Seuchenbekämpfungsinstitut und von der WHO spätestens morgen. Ich habe darum gebeten, eine Gruppe von Fachwissenschaftlern per Helikopter hierher zu fliegen – wenn irgendmöglich von einem der Luftstützpunkte in Panama aus.« Manoel ließ einen Wortschwall in quechua los, dessen Sinn Homer wiedergab. »Er will wissen, was die Yankees für die Peruaner unternehmen werden, die sie an Bord des Schiffes geködert haben, um ihnen Blut abzuzapfen.« »Leider scheint Manoel in Chimbote zu viele Vampirfilme gesehen zu haben. Ich versuche bereits, die peruanische Regierung dazu zu veranlassen, daß man Sie alle von den Galapagos zurück nach Hause fliegt.« »Um dort der Meuterei angeklagt zu werden?« »Kapitän Pendarvis besteht auf keiner Anklage.« Homer grinste. »Da haben Sie wohl wieder heimlich Ihre Hand im Spiel gehabt?« »Dem Kapitän liegt ebenso wie uns allen daran, diese Geschichte nun sobald wie möglich zu Ende zu bringen. Die wirkliche Aufgabe steht uns dann ohnehin noch bevor, nämlich das Yungay-Fieber mit dem neuen Impfstoff aus der Welt zu schaffen.« »Na, den Job haben Sie schon in der Tasche – es sei denn, in Washington hat jemand 'n Vakuumschädel.« »Wahrscheinlich wird man mich mit der Aufgabe betrauen«, pflichtete ihm Grant bei. »Worüber wollten Sie mit mir sprechen, Homer?« »Wir wollen weg von dieser Insel, Doktor, und nichts wie heim. Aus unserer Sicht war es Ihr Einfall, die Kranken auf das Hospitalschiff zu konzentrieren. Also tragen Sie auch die Verantwortung für uns.« »Ich will zwar mein Bestes versuchen, um Sie hier wegzuschaffen«, protestierte Grant, »aber es ist allein schon nicht ganz unkompliziert, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.« »Das läßt sich höchst simpel handhaben. Die Signalkanone auf dem Schiff schießt doch Leuchtkugeln ab. Wenn Sie mit uns sprechen wollen, feuern Sie, das hören oder sehen wir schon, und dann werden Manoel und ich Sie hier treffen.« 352
»Einverstanden«, sagte Grant. »Habt ihr genügend Nahrung für alle?« »Ziegen- und Pferdefleisch gibt's massenhaft; den Norwegern hier werden halt nur wenige Hühner bleiben, bis wir abziehen. Notfalls könnten wir immerhin ein paar Wildpferde schießen und die eine oder andere Riesenschildkröte vertilgen, so daß wir es schon ein paar Wochen lang durchhalten können, bis Sie irgendeinen Weg ausgeknobelt haben, uns hier fortzuschaffen. Vaya con dios, Doc.«
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m dritten Tag, nachdem die ›Mercy‹ in der Academy Bay vor Anker gegangen war, wurde Grant per Funk verständigt, daß die ›Yungay-Fieber-Kommission‹, wie man sie inzwischen bezeichnete, etwa gegen Mittag des nächsten Tages von einem Helikopter direkt an Bord der ›Mercy‹ gebracht würde. Als schließlich der große Militärhubschrauber nach zwei Auftankzwischenladungen in Guayaquivil und auf Baltra am Himmel erschien, brandete Jubel an Bord des Schiffes auf. Der erste, der dem gelandeten Hubschrauber entstieg, war Dr. Marshall Payne vom Gesundheitszentrum in Atlanta. Ihm folgte Dr. Eric Brechter, ein Schweizer Epidemiologe, der zum WHO-Repräsentanten berufen worden war. Und als Vertreter der panamerikanischen Gesundheitsorganisation erschien zu Grants Überraschung Dr. José Figueroa. Als letztes Mitglied der Kommission kletterte der Vorsitzende der ›Mercy‹-Stiftung, Mr. Godfrey McCausland, aus der Maschine, ein untersetzter und kleinwüchsiger Mann, dem die Situation offensichtlich um ein paar Kragenweiten zu groß war. Grant schüttelte rundum die Hände, den ihm Unbekannten zuerst und dann allen ihm vertrauten Mitstreitern früherer Seuchenbekämpfungskampagnen. Figueroa begrüßte er als letzten. »Ich war genauso überrascht wie Sie, Dr. Reed, zur Ehre meiner Nominierung zu kommen«, sagte der Peruaner. »Der Gesundheitsminister wäre ja selbst gekommen, aber er meinte, ich hätte die größere Erfahrung mit dem Yungay-Fieber.« »Sie und ich haben wohl mehr Fälle gesehen als irgend jemand sonst«, stimmte Grant zu. »Ich finde es erfreulich, daß Dr. Huantar Ihren Wert zu schätzen weiß.« 354
Figueroa grinste, woraus Grant entnahm, daß sie beide den tieferen Grund dafür kannten, warum es der peruanische Gesundheitsminister vorgezogen hatte, dem Schiff nicht in eigener Person einen Besuch abzustatten. »Nun, meine Herren«, sagte Grant. »Punkt eins der Tagesordnung ist, Sie in den ersten hautnahen Kontakt mit der Mutation zu bringen, um Sie vor dem Yungay-Fieber zu schützen.« »Sie stehen uns für die Wirksamkeit ein, Grant«, meinte Dr. Brechter. »Aber mir wäre bedeutend wohler, wenn wir hier einen parallelen Blindversuch über den Wert des Impfstoffes hätten durchführen können.« »Wir haben etwas absolut Gleichwertiges in Santa Cruz laufen, Dr. Brechter. Da ist einerseits die vollimmunisierte Bevölkerung, die auf der anderen Seite dem ungewöhnlich hohen Risiko der Ansteckung durch unsere meuternden Bazillenträger ausgesetzt ist. Das Ergebnis dürfte eigentlich überzeugend genug sein.« »Es bleibt uns auch gar nichts anderes übrig, als diesen Beweis zu akzeptieren«, meinte Payne dazu. »Was werden wir als erstes besichtigen?« »Miß Valdez wartet schon auf uns im Labor, um Ihnen unsere angelegten Kulturen und die Auskeimung der Mutation vorzuführen.« Nach ihren Studien und der ersten Impfrunde im Labor, wo Lael ruhig und zügig arbeitete, machte die Kommission einen Besichtigungsrundgang durch das Schiff. Danach begleitete sie Grant an Land zum Forschungsinstitut, um die Abwicklung des dort laufenden Immunisierungsverfahrens zu beobachten. Rechtzeitig zum Abendessen war man dann wieder an Bord und begab sich anschließend in den kleinen Salon, der zur Kapitänssuite gehörte. Teilnehmer der folgenden Konferenz waren außer den Kommissionsmitgliedern Grant Reed, Jack Smithson als Repräsentant des ›Mercy‹-Ärzteteams, Kapitän Pendarvis, der Erste Offizier Olsson und Elaine Carroll, die Oberschwester. Als Kommandant des Schiffes leitete Pendarvis das Gespräch ein. »Meine Herren, Sie haben inzwischen das Schiff gesehen und die Arbeit von Dr. Reed studiert«, begann er. »Was sind Ihre Eindrücke?« 355
»Zunächst einmal«, antwortete Marshall Payne, der als Vorsitzender und Sprecher der Kommission agierte, »steht außer Zweifel, daß Grant und seine Mitarbeiterin schon mit der Herauszüchtung des YungayFiebererregers eine bemerkenswerte Leistung vollbracht haben. Überdies macht es den Anschein, daß sie die tatsächliche Lösung zur Bekämpfung dieser Seuche durch die Entdeckung einer Mutation in ebenfalls bemerkenswert kurzer Zeit gefunden haben.« »Das haben wir dem Seewasser zu verdanken und aller Wahrscheinlichkeit nach dem darin enthaltenen Bromurazil«, bemerkte Grant. »Ursache hin, Ursache her – das Ergebnis selbst war mit Sicherheit ein glücklicher Zufall von absoluter Weltbedeutung«, sagte Payne. »Was nun zu tun bleibt, ist die gewaltige Aufgabe, ein weltweites Immunisierungsprojekt mit der Yungay-Mutation einzuleiten. Dieser Tätigkeitsbereich kann selbstverständlich nicht von der ›Mercy‹ aus stattfinden.« »Im Augenblick sind alle hier an Bord auch weit mehr daran interessiert, mit dem Schiff endlich in einen Hafen zu kommen«, schaltete sich Kapitän Pendarvis ein. »Ich fürchte, das wird wohl nicht ganz durchführbar sein«, entgegnet Payne. »Um wenigstens eine vorläufige Antwort auf diese Frage zu finden, habe ich Dr. Figueroa als Repräsentanten der panamerikanischen Gesundheitsorganisation gebeten, sich mit den Regierungen der verschiedenen Nationen an der südamerikanischen Pazifikküste in Verbindung zu setzen und sich zu erkundigen, welcher Staat bereit wäre, die ›Mercy‹ in einem seiner Seehäfen anlegen zu lassen. Am besten hören wir ihn selbst zu dieser Frage.« »Auf einen ganz schlichten Nenner gebracht, Kapitän: Niemand will Ihr Schiff«, faßte Figueroa zusammen. »Um Himmels willen – warum denn nicht?« wollte Pendarvis wissen. »Nach allen Berichten, die wir hier per Funk aufgefangen haben, wütet das Yungay-Fieber inzwischen in jeder größeren Stadt der ganzen Hemisphäre. Niemand an Bord dieses Schiffes stellt noch eine Bedrohung dar.« »Wenn ich versichere – was ich bestimmt tun werde –, daß das ge356
samte Personal der ›Mercy‹ immun gegen Yungay-Fieber ist und somit für niemanden mehr eine Gefährdung darstellt, werden Ihre Leute mit Sicherheit hingehen dürfen, wo immer es ihnen beliebt. Mit dem Schiff ist das etwas anderes.« »Soll das heißen, daß der ›Mercy‹ von jedem Land die Aufnahme verweigert wird, während andererseits ihre Besatzung und die Klinikbelegschaft Einreisegenehmigung erhält?« »Darauf läuft es hinaus.« »Das geht mir, verflucht noch mal, nicht in den Kopf!« wetterte Pendarvis. »Mir scheinen die Gründe klar, Kapitän«, sagte Grant. »Als mein Bruder ahnungslos den B. yungay auf eine schutzlose Menschheit losließ, war der Krankheitskeim sozusagen in einem Zustand fünftausendjährigen Scheintods. Während der vergangenen Monate haben wir über dreihundert von der Seuche befallene Patienten an Bord des Schiffes behandelt; unsere medizinischen und klinischen Einrichtungen sind demnach mit dem derzeit als gefährlichst bekannten Erreger überhaupt schwerstens verseucht.« »Und wenn wir das Schiff ausräuchern?« fragte der Vorsitzende der ›Mercy‹-Stiftung. »Dr. Brechter hat beachtliche Erfahrungen mit dieser Methode gesammelt«, meinte Grant. »Ich darf die Frage an ihn weitergeben.« »Eine reine Zeit- und Geldverschwendung«, kam postwendend die Antwort des WHO-Repräsentanten. »Bei einem derart virulenten Mikroorganismus könnte man niemals sicher sein, daß es tatsächlich jeden Keim abgetötet hat – völlig gleichgültig, wie schwere Geschütze man bei der Ausräucherung auch aufgefahren hätte.« »Das läßt ja wohl nur eine Alternative –«, meinte Pendarvis, »die See.« »Darüber waren wir uns eigentlich schon vor unserer Ankunft hier einig«, bestätigte Marshall Payne. »Es zeichnet sich einfach keine andere Möglichkeit ab.« »Verschrottet sollte die ›Mercy‹ ohnehin werden, wenn sie nach dieser letzten Fahrt einen Hafen angelaufen hätte«, sagte Godfrey Mc357
Causland. »Die Stiftung büßt damit freilich den Schrottwert ein, aber das läßt sich nicht ändern.« »Werden Sie das Schiff durch ein anderes ersetzen?« fragte Jack Smithson. »Wir stehen mit der Navy in Verhandlungen, eines ihrer jüngsten Hospitalschiffe zu übernehmen, das aufgedockt werden sollte«, schilderte McCausland die Pläne der Stiftung. »Die Kosten sind rein nominell für die Stiftung.« »Und der Publicitywert der Fotoreportage von Shirley Ross über das Ende der alten ›Mercy‹, wenn sich erst einmal ihre Schotten geöffnet haben«, meinte Marshall Payne, »dürfte den Verlust für die Stiftung weit mehr als ausgleichen.« »Das haben wir bereits kalkuliert«, gestand McCausland. »Womit jetzt noch zwei Entscheidungen offenstünden«, nahm Grant wieder das Wort. »Wann Belegschaft und Besatzung vom Flughafen in Baltra ausgeflogen werden können – und was mit den Meuterern zu geschehen hat.« »Ich habe dem Gouverneur der Galapagos mitgeteilt, daß ich gegen unsere früheren Patienten keine Anklage wegen Meuterei erheben werde«, sagte Kapitän Pendarvis. »Eine gewiß salomonische Entscheidung«, lobte Marshall Payne. »Ich habe mich bereits an die Luftstreitkräfte in Panama gewandt«, führte McCausland zu der Frage weiter aus. »Man wird sofort eine Transportmaschine nach Baltra schicken, sowie wir sie anfordern. Damit werden die Expatienten nach Chimbote befördert, wo sich Dr. Figueroa um den Weitertransport in ihre Heimatorte kümmern wird. Und den Rückweg nimmt die Maschine dann wieder über Baltra, um die gesammelte ›Mercy‹-Belegschaft aufzunehmen und sie nach Panama zu bringen.« »Somit wäre eigentlich alles geregelt – bis auf eins«, faßte Payne zusammen. »Wir sind uns alle einig, daß Dr. Reed die weltweite Kampagne zur Ausrottung des Yungay-Fiebers durch Immunisierung mit der Mutation anführen sollte. Wie steht's damit, Grant?« »Ich habe am Tag meiner Landung in Chimbote den Kampf zur Ein358
dämmung dieser Seuche aufgenommen, und ich pflege auch zu Ende zu bringen, was ich einmal anfange.« »Ausgezeichnet! Wir starten hier morgen früh per Helikopter. Kommen Sie gleich mit?« »Ich bin es Miß Valdez schuldig, sie sicher nach Yungay zurückzugeleiten. Wenn Dr. Figueroa nämlich die Seuche im Callejón de Huaylas unter Kontrolle hat, plant sie die Öffnung des von ihr und meinem Bruder entdeckten Grabes als Gedenkstätte für ihn. Ich möchte mit ihr und den Patienten nach Chimbote fliegen und von dort aus mit der Linienmaschine nach Atlanta.« »Klingt annehmbar«, stimmte Marshall Payne zu. »Vorausgesetzt natürlich, daß Sie Dosis Nummer zwei und drei der Mutation für die Kommissionsmitglieder zur Injizierung vorbereiten, um die Serie zu vervollständigen.« »Miß Valdez ist derzeit im Labor damit beschäftigt, frische Kulturen für den dritten und letzten Impfdurchgang der Bewohner von Santa Cruz aufzubereiten«, beschwichtigte Grant. »Da bleibt mehr als genug für Sie alle übrig.«
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ach der Konferenz machte sich Grant auf die Suche nach Lael, fand sie aber weder im Labor noch in ihrer Kabine oder im Mannschaftsklub. Dort war eine fröhliche Feier im Gange, beflügelt von der Nachricht der bevorstehenden Heimkehr und dem Rumnachschub, den das Hilfsteam bei der Immunisierungsaktion der Bevölkerung von Santa Cruz in der cantina der Siedlung gekauft hatte. Als Grant schließlich zum Oberdeck hinaufstieg, sah er Lael am Heck im Schatten eines der Rettungsboote stehen. »Konferenz vorbei?« fragte sie. – »Mhm.« »Hoffentlich ist alles so ausgegangen, wie du es wolltest.« »Nicht unbedingt. Eine Transportmaschine aus Panama wird die Peruaner nach Chimbote zurückfliegen und dann wieder nach Baltra kommen, um die Schiffsbelegschaft abzuholen. Du kannst zwischen beiden Flügeln wählen, das läßt sich arrangieren.« »Ich möchte zur Casa Yanqui zurückkehren.« »Wenn ich könnte, würde ich mit dir kommen.« »Ich wünschte, es wäre möglich. Du hast nicht einmal gesehen, wie wunderschön das Callejón de Huaylas ist. Aber du mußt ja den Kampf gegen das Yungay-Fieber weiterführen.« Er lächelte. »Wieder einmal meine gräßliche Korrektheit?« »Gott sei Dank hast du die.« »Man hat mich gebeten, die Leitung des weltweiten Immunisierungsprogramms für die WHO zu übernehmen.« »Guy würde es auch von dir erwarten.« »Trotzdem würde ich lieber mit dir gehen. Menschen, die sich lieben, sollten auch beieinander sein.« »Was wir zwei möchten – und ich möchte ebensogern bei dir sein 360
wie du bei mir –, müssen wir einfach zurückstellen, Grant, und zwar so lange, bis endgültig aus der Welt geschafft ist, was Guy und ich mit dieser Grabbohrung über sie gebracht haben. Dr. Figueroa hat mir gesagt, daß die Epidemie in Chimbote und im Callejón de Huaylas noch immer wütet.« »Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Die Gegend war schließlich die erste Brutstätte für die Verbreitung des Erregers; also braucht es seine Zeit, bis er sich endgültig ausgetobt hat.« »Als ihr heute mittag alle im Labor wart, ist Dr. Figueroa anschließend zurückgeblieben«, erzählte sie ihm. »Er möchte unverzüglich mit der Herstellung des Mutationsimpfstoffes in Peru beginnen, ohne lange die weiteren in den USA laufenden Testreihen abzuwarten. Und mich will er für die Leitung der Produktion des sofort einsetzbaren Mittels gewinnen.« »Durchführbar wär es schon, aber mir gefällt dabei nicht die Vorstellung, daß du …« »Wir werden mit der Züchtung der Mutation im Staatlichen Labor des Gesundheitsministeriums in Chimbote anfangen«, unterbrach sie ihn, »und zwar von den Kulturen, die Dr. Figueroa von hier mitnimmt. Da ich mit den Wachstumseigenschaften der Mutation vertraut bin und du die weit größere Aufgabe vor dir hast, das YungayFieber in aller Welt zu bekämpfen, komme eigentlich nur ich in Frage, bei der Bekämpfung am Ausgangspunkt zu helfen. Außerdem halte ich mich auch irgendwie dafür verantwortlich. Du weißt doch, die ursprüngliche Verseuchung mit dem B. yungay kam durch meine Kamera und das Periskop, zu dem ich Guy überredet habe, um Aufnahmen vom Grabinneren machen zu können.« »Es wäre mir einfach lieber, wenn du nicht das Risiko eingehen würdest.« »Es ist keinerlei Risiko dabei, Liebling. Ich bin immun gegen den B. yungay und werde meine Immunität gelegentlich mit neuen Einspritzungen auffrischen.« »Und du hast immer noch vor, das Grab zu einer Gedenkstätte für Guy zu machen?« 361
»Sicher habe ich das. Aber zunächst einmal muß dafür gesorgt werden, daß auch die Leute, die ich zu der Bohrarbeit brauche, immun sind. Die Einheimischen rund um Yungay kennen mich und wissen, daß ich das Fieber überlebt habe, so daß Dr. Figueroa meint, es dürfte keine Schwierigkeiten geben, sie zur Immunisierung zu überreden.« »Versprich mir, daß du es mich wissen läßt, wenn du mit der Graböffnung soweit bist; schick mir ein Telegramm. Ich möchte dabei sein, damit dir nichts passiert. Aber viel wichtiger noch: Deine Aufgabe ist dann erfüllt, und ich kann dich mitnehmen, wo immer ich gerade arbeite.« »Nach diesem Tag sehne ich mich schon, ich lebe für ihn«, sagte sie, »und ich bin sicher, daß es ganz nach Guys Wunsch ist. Manchmal grüble ich darüber nach, wieviel von unserer gegenseitigen Zuneigung daher kommt, daß wir ihn beide so lieb gehabt haben.« »Bestimmt ein großer Teil – was dich betrifft.« Er dachte an die Sturmnacht. »Aber für meinen Teil bin ich mir gar nicht so sicher, ob ich mich nicht schon in dich verliebt habe, als ich dich zum erstenmal sah, damals an jenem Morgen in Chimbote, als du am Flughafen auf mich zugeeilt kamst.« Sie lachte liebevoll. »Dafür hast du mich aber auch gleich in meine Schranken gewiesen – durch deine Behauptung, ich hätte dich von Anfang an abgelehnt.« »Und ab wann hast du dich eines Besseren belehrt?« »An unserem Abend in der Casa Yanqui natürlich. Da ist mir zum erstenmal bewußt geworden, wie sehr du Guy in deinem tiefsten Inneren ähnlich bist.« »Und für mich war es wohl auch der Zeitpunkt, an dem ich endlich zu der Überzeugung kam, daß du nicht einfach eine jener jungen Frauen bist, die sich an einen älteren Partner hängen.« »Ich habe gespürt, daß du das zuerst geglaubt hast. Es war ein Grund mehr, dich abzulehnen, und ich habe es eine ganze Weile lang geschafft – sogar noch nach der Casa Yanqui.« Von ihrem Ankerplatz aus schaute sie zur Academy-Bay-Siedlung hinüber, wo vereinzelt noch Lichter brannten. »Stimmt es, daß die 362
›Mercy‹ versenkt wird? Ich war kurz im Mannschaftsklub, bevor ich hier heraufkam, und da hieß es, daß Mr. McCausland etwas Derartiges angedeutet hätte.« »Es gibt keine andere Lösung, wenngleich mir die Vorstellung, daß sie vernichtet wird, auch höchst unlieb ist – vielleicht nur deswegen, weil sie uns zusammengebracht hat.« »Für mein Gefühl soll das alte Schiff deswegen aber lieber auf dem Meeresboden ruhen als zu Schrott verarbeitet werden. Trotzdem wird es mir leid um sie tun, nach allem, was sie mir bedeutet hat – nicht nur, daß ich dich gefunden habe, sondern auch so viel von mir, wovon ich vorher keine Ahnung hatte.« »Du sollst dich nie mehr unsicher und ungebraucht fühlen«, beteuerte er. »Wenn erst einmal das letzte Kapitel der peruanischen Mutationsgeschichte zu Ende sein wird, bekommst du alle Hände voll zu tun, dich um mich zu kümmern.« »Genau daran habe ich gedacht, bevor du heraufgekommen bist. Ich möchte Anteil an deiner Arbeit haben – und Anteil an dir als deine Frau.« »Du bist inzwischen eine überdurchschnittliche Bakteriologin geworden; ich sehe absolut keinen Hinderungsgrund, die B. yungay in allen Winkeln der Erde gemeinsam auszumerzen.« »Ich danke dir, Liebling.« Sie reckte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuß zu geben, und als er die Arme um sie legte, fand er ihren zärtlich weichen und warmen Mund, aber ohne die Leidenschaftlichkeit, die er kannte. Nach einem Augenblick schob sie ihn von sich. »So«, sagte sie. »Nur damit du dich daran erinnerst, was dich eines Tages erwartet, wenn du heimkehrst.«
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ie große Transportmaschine der Air Force rollte die Flugbahn auf Baltra hinunter, die während des Zweiten Weltkrieges als Stützpunkt gebaut worden war, und hob ab. Während das Ärzteteam der ›Mercy‹ das Immunisierungsprogramm für die Bevölkerung von Santa Cruz abgeschlossen hatte, war Grant ins Inselinnere gegangen, um Homer Ferguson und den Peruanern mitzuteilen, daß man sie nach Chimbote ausfliegen würde, falls sie das wünschten. Die wenigen Tage, die die Meuterer auf der verhältnismäßig unwirtlichen Galapagos-Insel zugebracht hatten, hatten ausgereicht, sie davon zu überzeugen, daß sie hier nicht bleiben wollten. Am nächsten Morgen waren sie lammfromm zum Hafen hinuntergezogen, wo sie wieder auf die ›Mercy‹ übergesetzt wurden. Schließlich hatte das Schiff die Anker gelichtet, Santa Cruz nördlich umrundet und auf die kleinere Insel Baltra mit ihrem Flughafen zugehalten, um wieder vor Anker zu gehen und die Ankunft der Maschine abzuwarten. Und dann hatten alle am frühen Morgen das Schiff verlassen bis auf Oley Olsson, Angus McTavish und zwei Seeleute, die es in tiefere Gewässer nordwestlich der Galapagos bringen und dort die Schotten öffnen sollten, um dann von einem aus Panama kommenden Helikopter an Bord genommen zu werden. Jetzt, am späten Nachmittag, lief die erste Phase des großen Abtransportes ab, bei der zunächst die Peruaner heimwärts verfrachtet wurden; später sollten Klinik- und Schiffspersonal nach Panama ausgeflogen werden. Grant und Lael saßen ganz vorne in der Maschine, auf der gegenüberliegenden Seite Homer und Manoel Allanza. Das schwere Flugzeug gewann allmählich an Höhe und zog in einer weiten Schleife über 364
die nördlichste Spitze des Galapagos-Archipels hinweg, der Insel Genovesa, die von den Seeräubern einst den Namen ›Insel des sicheren Hortes‹ erhalten hatte. Lael schauderte beim Anblick der Hort-Insel. »Sieht genauso aus wie die Fernsehaufnahmen vom Mond.« »Nur noch verlassener«, stimmte Grant zu. »In der schmalen Bucht, die du zwischen den beiden Landzungen siehst, ist Charles Darwin 1835 gelandet. Er war auch nicht gerade sehr begeistert.« Plötzlich redeten die Peruaner im hinteren Teil der Maschine in ihrem quechua-Dialekt alle durcheinander. Über Lael gebeugt, schaute Grant aus dem Fenster und sah weit unter ihnen die ›Mercy‹; über ihr kreiste der Hubschrauber mit der kleinen Mannschaft an Bord, die das Schiff zu seinem letzten Liegeplatz gesteuert hatte. Die Unterdecks waren bereits vom offen eindringenden Wasser überspült; das alte Schiff sank beinahe behaglich in die See, als würde es sich endlich dankbar zur Ruhe setzen. »Im Hubschrauber wird wohl Shirley sitzen und ihre Reportage machen«, meinte Lael. »Aber ich bin froh, daß wir das Schiff nicht mehr untergehen sehen.« »Mir geht's genauso.« »Wie lange brauchen wir denn bis Chimbote?« »Ein paar Stunden wird's schon dauern.« »Dann werde ich wohl ein bißchen schlafen.« Sie holte sich seinen Arm um ihre Schultern und kuschelte sich hinein. Ganz leise sagte sie dann noch: »Wird vielleicht noch lange dauern, bis ich wieder in deinem Arm schlafe.«
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s war Sommer, als Grant von Lael am Flugplatz von Chimbote Abschied genommen hatte, um über Quito nach Atlanta zu fliegen und den Kampf gegen das Yungay-Fieber aufzunehmen. Inzwischen war es Winter geworden, doch wegen der Äquatornähe – acht oder neun Grad südlich – hatte der Jahreszeitenwechsel das Klima kaum verändert. Während der sechs Monate nach Grants Ankunft in Atlanta war das Immunisierungsprogramm mit Riesenschritten vorangekommen. Nur ein einziges Mal in der Geschichte der Medizin, als die Penicillinentdeckung von Dr. Alexander Fleming durch die Arbeit der beiden Forscher E. Chain und H.W. Florey in einer Massenproduktion anlaufen konnte, hatte es eine derart bahnbrechende und immens umfangreiche Produktion eines bakterientötenden Wirkstoffes gegeben. Grant Reeds unermüdliche Tatkraft war der zündende Funke für die gesamte Bekämpfungskampagne gewesen, so daß nun das tödliche Yungay-Fieber in allen wesentlichen Ausbruchszentren der Welt – Boston, Los Angeles, London, Paris, Lima und Moskau – unter Kontrolle war. Sein konsequent geführter Feldzug zur Ausrottung der Seuche wurde inzwischen als eine der bemerkenswertesten Großtaten in der Geschichte der Epidemiologie in alle Himmel gelobt, und ihr Initiator war bereits von verschiedenen Nationen mit Ehrungen überhäuft worden. Laels Briefe hielten Grant über den zügigen Fortschritt auf dem laufenden, den sie und Dr. Figueroa bei der Bekämpfung des Yungay-Fiebers in Chimbote und dem Callejón de Huaylas erzielt hatten, indem man nicht erst lange auf die Verfügbarkeit des Impfmittels im Handel gewartet hatte. Einige Monate nach Grants Abflug aus Chimbote war 366
sie wieder in die Casa Yanqui gezogen, um mit der peruanischen Regierung die nötigen Vorkehrungen für die Graböffnung zu treffen. Die Nachricht, daß die Schenkung schließlich angenommen und Guys beträchtliche Hinterlassenschaft in einen Stiftungsfond für die Erhaltung des Grabes als Gedenkstätte verwandelt worden war, entnahm Grant einem Artikel aus der ›London Times‹, als er mit Dr. Brechter von der Weltgesundheitsorganisation in Genf konferierte. Und als er an jenem Abend in sein Hotel zurückkehrte, erwartete ihn bereits ein Telegramm von Lael. Noch in der gleichen Nacht war er auf dem Südamerikaflug der Lufthansa, stieg dann um auf den Varig-Flug nach Lima und von dort in die Inlandfrühmaschine nach Chimbote. Er hatte seinerseits Lael telegrafiert, daß er für seine Fahrt hinauf nach Yungay und zur Casa Yanqui in Chimbote einen Wagen mieten würde; aber als er die Flughafenhalle verließ, sah er das Mädchen auf sich zulaufen, das vor knapp einem Jahr an derselben Stelle auf ihn zugekommen war. Doch während sie ihn bei jenem ersten Treffen kühl und distanziert begrüßt hatte, kam sie ihm nun glückstrahlend entgegen. Als er auf sie zueilte, um sie in die Arme zu schließen, war er sich noch sicherer als an jenem vergangenen Morgen, daß sie das bezauberndste Geschöpf war, das er je gesehen hatte. Und aus der Zärtlichkeit ihres Kusses wußte er, daß sie jetzt ihm gehörte, ihm ganz allein.
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