Das Weltraumschiff von Arthur Bagemühl
A. Bagemühl: Das Weltraumschiff
Inhaltsangabe Copyright Der Autor DIE FAHRT ZU...
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Das Weltraumschiff von Arthur Bagemühl
A. Bagemühl: Das Weltraumschiff
Inhaltsangabe Copyright Der Autor DIE FAHRT ZUM MARS DER RADIUM-DIEBSTAHL DAS ATOM-INSTITUT DIE REISE ZUM SATURN DESCHT-I-KUWIR IN DEN KLAUEN DES GEHEIMDIENSTES FLUGPLATZ »WÜSTE« GEFÄHRLICHE STRAHLEN AUCH DIE RETTER IN DER FALLE DIE FLUCHT SPARTACUS DIE GENESUNG
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A. Bagemühl: Das Weltraumschiff
Copyright Altberliner Verlag Lucie Großer, Berlin 1952 Einband: Rudolf Schultz Diese Ebook-Fassung ist nur für den privaten Gebrauch und nicht für den Verkauf bestimmt. Sie wurde an einigen Stellen an die Erfordernisse der Darstellung auf einem Palm angepasst. fre|e|books
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A. Bagemühl: Das Weltraumschiff
Der Autor Bagemühl, Arthur ( 1891 - 1972 ) DDR-Schriftsteller, lebte in Berlin. Er veröffentlichte mit Das Weltraumschiff den ersten populärwissenschaftlichen utopischen (SF-) Roman in der DDR. Das Buch wurde bereits im Erscheinungsjahr 1952 zwei Mal in einer Höhe von je 10 000 Exemplaren verlegt. Über ihn scheint so gut wie nichts bekannt zu sein. Zitat von Helmut Fickelscherer in dem Beitrag Die Etablierung eines Genres (http://www.berlingeschichte.de/Lesezei/Blz96_10/text04.htm): Da bleibt kaum eine Erzählung unerwähnt, und sei sie noch so kurz, es werden Grundthemen und Gestaltungsprinzipien der Autoren erörtert; selbst einer der frühen Autoren der DDR-SF wie Arthur Bagemühl, heute weitgehend vergessen, ist aufgenommen, und man erfährt, daß sein einziger Roman, Das Weltraumschiff, »eine für seine Zeit beachtliche Breitenwirkung“ erzielte. (Bezug auf: Die Science-fiction der DDR. Autoren und Werke. Ein Lexikon. Herausgegeben von Erik Simon und Olaf R. Spittel. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1988) Auf Spittels eigner Webseite (http://www.spittel.de) wird das Buch lediglich erwähnt mit dem Zusatz, dass es zweiteilig in den Bären-Lese-Heften 1955 erneut abgedruckt wurde.
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DIE FAHRT ZUM MARS »Was hast du hier zu suchen?« Erschreckt wendete sich Heinz zu dem zornigen Vater um. »Ich... ich... die Tür zum Labor stand offen und...« »Habe ich dir nicht streng verboten, in meiner Abwesenheit diesen Raum zu betreten?« »Der Strom war ja ausgeschaltet. Ich habe sofort auf die Schalttafel geguckt.« Des Mannes Stimme wurde milder: »Der Strom ist nicht die einzige Gefahr. Du weißt, daß ich mit radioaktiven Stoffen arbeite, und die sind mindestens ebenso gefährlich wie hochgespannte elektrische Ströme.« »Ich habe nichts angerührt, Vater. - Sag bitte, was ist das für ein Apparat?« Der Junge deutete mit dem Finger auf einige Zeichnungen hin, die eine Kugel in Außenansicht und im Querschnitt darstellten. Professor Habermann hatte sich wieder beruhigt: »Das soll ein Weltraumschiff werden.« Fragend blickte der Knabe den Vater an: »Und was willst du damit machen?« Der Gelehrte seufzte lächelnd über die hartnäckigen Fragen seines zwölfjährigen Sprößlings; genau so hatte der Wissensdurst bei ihm selbst begonnen. »Vielleicht«, antwortete er zögernd, »vielleicht einmal in andere Welten reisen.« »In andere Welten?« staunte Heinz. »Mit so einem Ding? Wie ist das möglich?« Habermann lachte kurz auf, dann gab er sich einen Ruck und fuhr fort: »Ich weiß nicht, ob du es schon begreifen kannst, aber ich will es versuchen, dir die Grundtatsachen der modernen Physik klarzumachen. Komm mit!« Der Professor schob den Jungen hinaus und verschloß hinter sich das Laboratorium, das an der Gartenseite des Habermannschen Landhauses lag. In der Diele zogen beide die Wintermäntel an und traten dann auf die Straße. Draußen heulte der Frühlingssturm mit gelegentlichen Hagelund Regenschauern. Die Hände in die Manteltaschen vergraben, schlugen Vater und Sohn den Weg zum Tor des ehemaligen Flugplatzes ein, der jetzt das berühmte Atomforschungsinstitut, die Arbeitsstätte des Professors Habermann, beherbergte. Heinz pochte das Herz; sollte er zum erstenmal dieses Heiligtum betreten? Ja, wirklich. Der Vater sprach ein paar Worte mit dem Pförtner und machte eine Eintragung in das Kontrollbuch; dann öffnete sich ihnen das Tor. Aber für Heinz folgte eine Enttäuschung: An den Institutsgebäuden, zwischen denen der Wind um die Ecken pfiff, ging der Vater vorbei auf den Weg zu, der quer über das weite, offene Gelände führte. »Dort steht das Megatron.« Des Professors Hand wies nach rechts, wo in der Ferne die drohende Masse eines gewaltigen Gebäudes aufragte. »Das ist die Maschine, in der Elektronen, feinste Teilchen der Materie, in ihrer Bewegung aufs höchste beschleunigt und dann auf Atome bestimmter Stoffe abgeschossen werden. Die Atomkerne werden durch
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dieses Bombardement zerschmettert und geben dabei ungeheure Energien frei.« Im offenen Gelände wehte der Wind gleichmäßiger, und je näher die beiden dem Walde kamen, um so ruhiger wurde die Luft. Da begann der Professor von seinen Plänen zu sprechen: »Du weißt, daß die Entfernungen im Weltraum sehr groß sind. Der Mond zum Beispiel, der um unsere Erde kreist und uns von allen Himmelskörpern der nächste ist, bleibt immerhin 384000 km von uns entfernt. Nun haben aber unsere schnellsten Flugzeuge selbst in der obersten, ganz dünnen Luftschicht der Erde, in der Stratosphäre, selten Geschwindigkeiten erreicht, die die des Schalls übertreffen, und auch wenn sie es schaffen, genügt das noch nicht, um sie aus dem Machtbereich der Erde hinauszutragen. Für diesen Zweck brauchen wir noch höhere Geschwindigkeiten, und die will ich mit meinem Geschoß erreichen.« »Aber wie?« »Nun, seitdem es gelungen ist, Atomkerne zu zertrümmern und die dabei frei werdende Energie zu bändigen, besitzen wir eine Energiequelle, die es uns ermöglicht, Geschwindigkeiten zu erzielen, die weit über die des Schalls hinausgehen und bald vielleicht nahe an die des Lichts herankommen. - Weißt du übrigens, wie groß diese beiden Geschwindigkeiten sind?« »Ja, der Schall - 330 m ...« »Genauer 333 m in der Sekunde. Richtig! Und das Licht?« »Ich glaube, etwa tausendmal so schnell.« »Das reicht nicht, fast eine Million mal! Das Licht eilt mit einer Geschwindigkeit von 300000000 m oder 300000 km in der Sekunde durch den Raum. Wenn wir mit unseren Apparaten in die Nähe dieser Geschwindigkeit kommen, dann können wir uns bequem von der Erde lösen und in sehr ferne Räume vorstoßen. Ein mit Atomenergie beschleunigtes Geschoß kann in andere Welten eindringen. Dem Kenner von Einsteins Relativitätstheorie erscheint das zwar immer noch wunderbar, aber nicht mehr unbegreiflich. Um diese Theorie ganz zu verstehen, wirst du allerdings erst mühsam in die Geheimnisse der höheren Mathematik eindringen müssen. Aber ich kann dir vielleicht an ein paar praktischen Beispielen klarmachen, auf welche Weise bei immer steigenden Geschwindigkeiten die alten physikalischen Begriffe von Raum und Zeit in weitem Maße unbrauchbar werden. Stell dir vor: Vom Bahnhof Friedrichstraße in Berlin fahren kurz hintereinander zwei Schnellzüge ab, der eine nach Frankfurt a. M. mit 95, der andere nach Köln mit 97 km Stundengeschwindigkeit. Du selbst sitzt in dem Frankfurter Zug, der bald von dem Kölner rechts überholt wird. Wie schnell fährt dann der Kölner an dir vorbei?« »Sehr langsam! Er kriecht ja nur mit 2 km in der Stunde an uns entlang.« »Stimmt! Wenn die Fenster offen sind, kannst du dich mit den Reisenden drüben im Kölner Zuge eine Weile unterhalten. - Jetzt trennen sich die Gleise, und der Kölner Zug entschwindet uns aus dem Gesicht. Aber auf dem linken Nachbargleis kommt uns plötzlich von Frankfurt her ein anderer Zug mit der gleichen Geschwindigkeit entgegen. Wieder blickst du zum Fenster hinaus. Was siehst du?« »Ich kann nur sehen, daß etwas vorbeiflitzt.« »Mit anderen Worten: Du hast diesmal den Eindruck ganz gewaltiger Geschwindigkeit, obwohl der Zug mit ungefähr der gleichen Schnelligkeit gefahren ist wie der erste Nachbar. Wir messen also stets Relativgeschwindigkeiten, und die ändern ihr Maß je nach unserem eigenen Standpunkt oder unserer eigenen Bewegung.
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So, und nun fahren wir mit unserem Zuge weiter. Wir nähern uns einem Bahnübergang. Du steckst den Kopf zum Fenster hinaus - was du eigentlich nicht tun sollst - und siehst, wie der Bahnwärter gerade den Hebel des Läutewerks zu drehen beginnt. Du schätzt die Entfernung bis zu ihm auf einen Kilometer und zählst die Sekunden. Es müßten drei Sekunden vergehen, bis du den ersten Ton der Glocke hörst. Aber...« »Ich höre die Glocke schon, ehe die drei Sekunden um sind, denn wir fahren ja auf ihn zu.« »Nun ja, unser Zug nähert sich dem Bahnübergang mit 95km Stundengeschwindigkeit, das sind 27 m in der Sekunde. Die Schallgeschwindigkeit beträgt 333 m, für uns im fahrenden Zuge aber tatsächlich 360 m. Der Ton der Glocke muß uns also schneller erreichen. Gut, das macht gedanklich keine Schwierigkeiten. Schlimm wird es aber, wenn wir es nicht mit einem Ton, sondern mit einem Lichtsignal zu tun haben. Da stimmt mit einemmal die Additionsrechnung nicht mehr. Alle Beobachtungen und auch die exaktesten Versuche haben nämlich ergeben, daß die Lichtgeschwindigkeit unter allen Umständen konstant bleibt. Einstein erläutert das an einem anderen Eisenbahnbeispiel: Gerade in dem Augenblick, da der Zug, in dem wir sitzen, an dem Bahnwärter vorüberbraust, schlagen zwei Blitze gleichzeitig weit vor und weit hinter dem Zuge in den Bahnkörper. Von beiden Seiten hat der Beamte das grelle Leuchten gleichzeitig gesehen. Er wartet auf den Donner, und siehe da: das Grollen beginnt von beiden Seiten gleichzeitig. Die Entfernung beider Blitze war also die gleiche. Wie aber erschien es dir vom Zuge aus? Du hast aus dem Fenster nach vorn geblickt und hast gesehen, wie der Blitz weit vor der Lokomotive einschlug. Den Bruchteil einer Sekunde später aber hast du noch einen Blitz gesehen, allerdings nur in dem rückwärtigen Fenster des Führerstandes der Lokomotive. Du dachtest vielleicht, dort wäre etwas explodiert; nein, es war die Spiegelung des anderen Blitzes, der hinter dem Zuge eingeschlagen war. Für dich waren also die beiden Blitze nicht gleichzeitig, sonst wäre dir die Spiegelung im Fenster gar nicht aufgefallen. Und doch steht fest, daß der Bahnwärter beide zu gleicher Zeit niederfahren sah. Die Geschwindigkeit des Lichts ist und bleibt - im Gegensatz zum Beispiele zu der des Schalls - konstant! Den exakten Nachweis dafür kann ich dir erst später erbringen, wenn du mit der Mathematik nicht mehr so auf dem Kriegsfuß stehst wie heute.« Die beiden Wanderer hatten den Wald erreicht. Hier war es ganz still. Nur oben in den Wipfeln der alten Bäume war ein leises Rauschen und gelegentlich ein Knacken. Des Vaters Schritt war jetzt gemächlicher. Heinz dachte angestrengt nach. »Und, Vater...«, zögernd kam seine Frage: »Was ist, wenn wir eine Geschwindigkeit erreichen, die noch über die des Lichts hinausgeht?« Der Professor lachte: »Das ist eine gedankliche Spielerei, die auf Abwege führt. Gäbe es solche Geschwindigkeiten, dann würde freilich herauskommen, daß für den, der sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegt, die Zeit stillstehen müßte, und daß derjenige, der noch schneller durch den Weltraum fliegt, verjüngt zurückkehren müßte. Das ist natürlich barer Unsinn. Es gibt allerdings Leute, die mit solchen Spukgeschichten die Menschen zu verdummen suchen, um sie von der Beschäftigung mit den für unser menschliches Leben wichtigen Problemen abzulenken. Mit Wissenschaft hat das nichts zu tun. Die Relativitätstheorie zwingt vielmehr gerade zu dem Schluß, daß sich nichts in der Welt
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schneller oder auch nur ebenso schnell bewegen kann wie das Licht. Beschäftige dich also nicht mit so irreführenden Phantasien. Ich will dir lieber noch ein wenig von meiner praktischen Arbeit zeigen.« Der Weg öffnete sich auf eine Lichtung, an deren Rand eine Holzbaracke stand. Hier endete der Fahrweg. Professor Habermann stieß die Tür der Hütte auf. Ein Regal mit Werkzeugen, zwei lange Tische aus starken Eichenbohlen, eine kleine Drehbank und ein paar Stühle - das war die Einrichtung. Auf dem Boden aber lagen gewaltige Metallschalen mit dicker Doppelwandung und verzahnten Rändern, die offenbar ineinanderpaßten: Wenn man sie zusammensetzte, würde wahrscheinlich eine große Kugel entstehen. »Hier«, sagte der Gelehrte, »werden wir das Raumschiff montieren, dessen Teile da herumliegen. Es erhält einen Motor nach dem bekannten Düsenprinzip, wie es bei Flugzeugen und Raketen schon längst benutzt wird, und soll sich damit wie eine Rakete vom Erdboden erheben. Dann aber, wenn es eine solche Höhe erreicht hat, daß Zerfallprodukte der Atomkernspaltung kein Unheil mehr anrichten können, wird das Geschoß durch Atomenergie eine weitere Beschleunigung erhalten, die für eine Weltraumfahrt ausreicht. Die Einzelteile sind nach meinen Plänen und Angaben aus Spezialstählen und anderen sehr widerstandsfähigen Materialien in einer Maschinenfabrik angefertigt worden, ohne daß einer der Beteiligten den Zweck kennt, für den sie bestimmt sind. Meine Versuche sollen geheim bleiben, bis ihre Ergebnisse feststehen, - und vielleicht noch länger, denn es darf nicht dazu kommen, daß solche schnellen Geschosse von den Menschen als neue Zerstörungswaffen benutzt werden, wie es bisher mit jeder großen Erfindung geschehen ist: mit dem Schießpulver, mit dem Flugzeug und zuletzt mit der Atomenergie.« *** Vor Jahresfrist war Heinz' Mutter gestorben. Seitdem hatte sich der Professor völlig in seine Arbeit vergraben. Selbst die Mahlzeiten ließ er sich oft ins Studierzimmer oder ins Labor bringen, und es hatte Tage gegeben, an denen sein einziger Sohn ihn überhaupt nicht zu Gesicht bekam. Nach dem gemeinsamen Besuch in der Waldhütte wurde das anders. Heinz wurde der unentbehrliche Gehilfe des Vaters und opferte dafür alle freie Zeit, die ihm die Schule ließ. Waren es auch nur einfache Handreichungen, die er leisten konnte, so ersparten sie doch dem Gelehrten und seinem Assistenten viel Zeit. Der Professor hatte für seinen Sohn die Erlaubnis zum Betreten des Institutsgeländes in seiner Begleitung erwirkt, und Heinz durfte beim Bau des Weltraumschiffes helfen. Ende Mai war die Kugel fertig montiert, alle Hilfsgeräte waren eingebaut. Die Kugel lag in der Hütte auf einem niedrigen Fahrgestell und wurde nun auf einem Feldbahngleis zur Wiese hinausgefahren. Nachdem hier die Anschlüsse für die Zündkabel hergestellt waren, begaben sich Professor Habermann, Dr. Heise und Heinz zum Megatron, das der Knabe bisher nur aus weiter Ferne angestaunt hatte. Jetzt durfte er zum erstenmal den Betonklotz betreten. Er war jedoch enttäuscht: In dem Hauptraum war kaum etwas anderes zu sehen als eine große Schalttafel. Die Apparatur für die Atomzertrümmerung war fest in Beton eingebettet, an ihr war wenig zu sehen. Der Besuch im Kernwerk des Instituts war auch nur von kurzer Dauer; denn es galt
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lediglich, den dort hergestellten Atomtreibstoff abzuholen. Er war in einer schweren Bleikassette eingeschlossen, die auf einen Lastkraftwagen verladen wurde. Auch ein Schutzanzug wurde ihnen mitgegeben. Habermann selbst kletterte auf die Ladefläche, um das kostbare Gut während der Fahrt zu bewachen. Heinz mußte neben dem Assistenten Platz nehmen, der am Steuer des Wagens saß. Der Motor sprang an, die Kollegen vom Megatron winkten zum Abschied. Kein Wort wurde während der Fahrt gesprochen, bis das Fahrzeug neben der Kugel hielt. Und auch das Weitere wickelte sich ohne Worte ab. Nur mußte Heinz vergnügt lachen, als sein Vater die schwere Rüstung des Schutzanzuges anlegte; wie ein Ritter, der auszieht, den Lindwurm zu töten, dachte der Junge. In Wahrheit glich diese Ausrüstung allerdings mehr derjenigen eines Tauchers. Unbeholfen kletterte der Professor in die Kugel, ließ sich von Dr. Heise die Kassette reichen und verschwand damit. Von den Vorgängen im Innern konnte Heinz leider nichts sehen, aber er wußte aus den Erklärungen, die er an Hand der Zeichnungen erhalten hatte, daß sein Vater jetzt die Bleikassette an dem Verbrennungsraum des Düsenmotors festschraubte und dann den Kassettenschieber öffnete. Jetzt war keine Sperre mehr zwischen den noch schlummernden Kräften des Treibstoffs und dem Motor, und in dem Augenblick, wo durch einen Druck auf den Hebel die Spaltung der Atomkerne eingeleitet werden würde, konnten die dabei entstehenden Zerfallprodukte ungehindert in den Motor hineinschießen und ihn in Gang setzen. Schließlich stieg Professor Habermann wieder heraus und klappte das Mannloch zu. Er kam herab, tappte zur Hütte und holte den Kasten, der das Strahlensuchgerät barg. Damit ging er rund um die Kugel und um den Lastwagen, um festzustellen, ob irgendwo gefährliche Strahlungen auftraten. Da der Zeiger jedoch nirgends ausschlug, winkte der Professor den beiden anderen beruhigend zu und legte den Schutzanzug ab. Dann kletterte er noch einmal auf die Kugel, nestelte einen komplizierten Safeschlüssel hervor, den er an einem Band um den Hals trug, und verschloß damit die Einstiegklappe. Das Weltraumschiff war startbereit. Als er wieder herunterkam, hob ein tiefer Seufzer seine Brust, und er fragte den Assistenten: »Alles in Ordnung?« Das waren die ersten Worte, die seit dem Besuch im Megatron fielen. Dr. Heise erwiderte: »Jeder Griff war ja vorausberechnet. Wir haben nichts vergessen, Herr Professor.« »Dann will ich nur noch die Kühlung prüfen.« Habermann ergriff den Schalter an einem der Drähte, die in die Kugel führten. Im Nu umhüllte sich diese mit einem Schneepanzer und strahlte eisige Kälte aus. Der Professor nickte und betätigte wieder den Kontakt. Der Schnee löste sich allmählich auf. Der Gelehrte wendete sich an seinen Assistenten: »Bringen Sie, bitte, den Wagen mit dem Schutzanzug zum Institut! Ich folge Ihnen mit Heinz zu Fuß und prüfe unterwegs die Zündkabel.« *** Heinz wich an diesem Tage nicht von der Seite des Vaters, der ihm erlaubt hatte, im
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Institut zu bleiben, falls er nicht durch neugierige Fragen störte. Beim Abendessen im Speiseraum des Instituts konnte sich der Junge allerdings nicht mehr beherrschen und richtete die leise Frage an Dr. Heise: »Was bedeutet eigentlich die Kühlungseinrichtung? Wozu ist sie da?« Habermann ließ seinen Blick wie abwesend über das Gesicht des Sohnes schweifen und beschäftigte sich dann weiter mit seinem Essen. Der Assistent aber gab bereitwillig Auskunft: »Beim Aufstieg ist die Gefahr für das Weltraumschiff nicht groß, denn die Geschwindigkeit nimmt nur langsam zu und erreicht ihren höchsten Grad erst dann, wenn die Kugel den Luftgürtel der Erde schon hinter sich gelassen hat. Bei der Rückkehr jedoch stößt das Geschoß mit hoher Geschwindigkeit in die Atmosphäre hinein, und wir wissen aus Erfahrung, daß zum Beispiel jene kleinen Himmelskörper, die unter ganz ähnlichen Umständen auf die Erde fallen, durch den ungeheuren Luftwiderstand, durch die Reibung mit der Luft, zur Weißglut erhitzt werden und schließlich platzen, so daß meist nur kleine Bruchstücke auf die Erde gelangen; große Meteorstücke finden wir nur selten. So würde auch unsere Kugel bei ihrer Rückkehr zur Erde durch die Reibung mit der Luft wahrscheinlich zum Glühen gebracht und zerstört werden, wenn wir sie nicht künstlich auf erträglicher Temperatur hielten. Dazu dient die Kühlanlage, für die übrigens auch Atomzerfall die Energie liefert.« »Und das ist nur eine von vielen Sorgen«, lächelte der Professor, der also doch zugehört hatte. »Wer weiß, ob die Bremse funktioniert und die Kugel nicht mit viel zu großer Geschwindigkeit auftrifft...« Er versank wieder in brütendes Schweigen. Die drei blieben zur Nacht im Institut, denn schon im Morgengrauen sollte der Abschuß erfolgen. Die beiden Männer fanden keine Ruhe. Heinz hingegen war trotz seiner fiebernden Erwartung auf dem harten Feldbett rasch eingeschlummert und wunderte sich sehr, daß er überhaupt geschlafen hatte, als ihn Dr. Heise mitten in der Nacht weckte. Draußen war es noch völlig dunkel, als sie das Institut verließen. Habermann prüfte noch einmal die Zündleitung bis zur Kugel und wieder zurück. Das Kabel führte von dem Weltraumschiff bis in ein Zimmer im Oberstock des Instituts, aus dessen Fenstern man den Ausblick auf den Wald hatte. In diesem Zimmer versammelten sich jetzt die Beteiligten: der Institutsleiter Professor Frenzen, der Astronom Professor Groß, der an den Berechnungen der Flugbahn beteiligt gewesen war, der Institutsarzt, Habermann selbst, sein Assistent und Heinz sowie ein Institutsgehilfe. Die übrigen Räume des Gebäudes lagen dunkel und vereinsamt. Die Wache des Megatron hatte Anweisung, ihren Klotz nicht vor 7 Uhr früh zu verlassen. Die Posten an der Umzäunung des Institutsgeländes waren verstärkt, sollten aber den Platz selbst nicht betreten. Im Osten kündigte sich der erste fahle Schein des Morgens an. Jetzt mußte die dunkle Masse des Waldes sichtbar werden. Statt dessen zeigte sich jedoch nur ein weißlicher Schleier. Erleichtert atmete Habermann auf. Der Leiter der Wetterwarte hatte recht behalten mit seiner Vorhersage: Leichter Frühnebel in den ersten Morgenstunden. Der Start des Geschosses würde also der Welt verborgen bleiben. Der Institutsleiter nickte
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Habermann ermunternd zu. Der trat an den Tisch, auf dem der Zündschalter lag. Alle Augen waren auf den unsichtbaren Wald gerichtet, als Habermann den Hebel niederdrückte. Eine geringfügige Lichterscheinung blitzte aus dem Nebel auf, ihr folgte eine leichte Erschütterung, dann ein dumpfer Laut wie von einer fernen Explosion und ein leises Zischen, das aber rasch wieder erstarb. »Zwei Uhr 23 Minuten 35 Sekunden«, stellte Dr. Heise fest, der die Stoppuhr gestochen hatte, als sein Chef den Zündkontakt auslöste; er trug die Uhrzeit in sein Protokoll ein. »Start offenbar normal«, murmelte Frenzen befriedigt und wendete sich dann an Habermann mit der Frage: »Wie lange haben Sie die Flugdauer berechnet?« »Eine Stunde 16 Minuten 40 Sekunden«, erwiderte Heise an Stelle seines Chefs. »Die Entfernung zum Mars beträgt etwa 230 Millionen Kilometer, und die Kugel fliegt mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 100 000 km in der Sekunde.« Frenzen rückte sich einen Stuhl ans Fenster, während Heise am Tisch sitzenblieb und auf die Uhr starrte. Habermann stand aufrecht immer noch an seinem Platz und blickte in die Ferne, wo sich jetzt die Baumwipfel aus dem Nebel zu heben begannen. Da schob sich eine kleine Hand in seine geballte Faust. Ein Lächeln huschte über das blasse Gesicht des Mannes, seine Hand schloß sich fest um die des Buben. Es war so still, daß Heinz das schwere Atmen der Männer als lautes Geräusch empfand. Er vernahm auch deutlich das Pochen des eigenen Herzens, das von Stolz auf den Vater und von ungeduldiger Erwartung geschwellt war. Da unterbrach Professor Frenzen noch einmal das Schweigen: »Und wo wird nach Ihrer Meinung die Landung vor sich gehen?« Diesmal antwortete Habermann selbst: »Die automatische Radar-Peilung ist genau auf die Waldhütte eingestellt. Aber sie wird hoffentlich nicht so exakt funktionieren, daß die Hütte zertrümmert wird.« Quälend langsam verrannen die Minuten. Der Astronom und der Arzt hatten sich zu dem Institutsleiter gesellt. Die drei Männer am Fenster ließen dann und wann ein leises Wort in die Stille fallen, wie Wassertropfen in ein Becken rinnen. Manchmal knarrten die Sohlen an den Schuhen des Institutsgehilfen, der sich an einem Aktenschrank zu schaffen machte. Einmal hörte man aus weiter Ferne den Ruf eines Menschen: »Huhu!« Wahrscheinlich hatte einer der Posten einen anderen angerufen. »Noch zehn Minuten«, flüsterte Dr. Heise. Frenzen fragte über die Schulter: »Schon so spät?« Dann wieder Stille. »Fünf Minuten«, meldete Heise, und nach einer kleinen Ewigkeit: »Noch eine Minute!« Professor Frenzen öffnete das Fenster. Der Nebel hatte sich aufgelöst, es war ganz klar und hell geworden. Ein großes Leuchten am östlichen Horizont kündete die Sonne an und versprach einen schönen Tag.
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»Da!« rief Professor Frenzen. Er zeigte auf ein Staubwölkchen, das mitten über dem Walde aufstieg. »Bravo!« Frenzen war aufgesprungen und auf Habermann zugetreten. »Ich gratuliere. Die Landung muß unmittelbar bei der Hütte vor sich gegangen sein.« Er schüttelte dem Kollegen die Hand. »Drei Sekunden über die errechnete Zeit«, stellte Dr. Heise fest. »Das würde eine Differenz von...«, Frenzen rechnete, »...sagen wir: kaum ein Promille sein. Lächerlich gering! - Aber nun wollen wir zur Landestelle!« »Halt!« rief Habermann, »Schutzanzüge anlegen!« »Natürlich.« Heinz bettelte so lange, bis ihm erlaubt wurde, gleichfalls die schwere Rüstung anzuziehen und mit auf den Wagen zu klettern, der in Richtung auf den Wald losratterte. Man brauchte nicht lange zu suchen. Nur etwa zwanzig Meter von der Hütte entfernt lag die große Kugel, offenbar unversehrt. Sie hatte im Sturze ein paar starke Äste zerschmettert und hatte sich etwa einen Meter tief in den Boden eingewühlt. Aber sie stand fast genau aufrecht, die Stabilisierungseinrichtungen hatten also bis zuletzt gewirkt. Während Habermann die Landestelle und die Kugel auf Radioaktivität untersuchte, brachte Dr. Heise eine Leiter. Der Professor stieg auf die Kugel, öffnete ihr Sicherheitsschloß und klappte den Einstieg auf. Er verschwand im Innern. Dort hörte man ihn hantieren. Als sein Kopf wieder aus dem Mannloch auftauchte, war er schon vom Schutzhelm befreit. »Alles in Ordnung«, verkündete er heiter.
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DER RADIUM-DIEBSTAHL Die erste Reise von Habermanns Weltraumschiff war ein voller Erfolg. Die Öffentlichkeit erfuhr allerdings zunächst nur, daß das Geschoß nach genau errechneter Bahn den Mars umkreist hatte und daß die Registrier- und Photoapparate wertvolle neue Aufschlüsse über diesen Planeten, seine Atmosphäre und seine Oberflächengestaltung sowie über die Strahlungsverhältnisse im Weltraum mitgebracht hatten. In den Zeitungen erschienen Bilder, die nur das Äußere der Kugel erkennen ließen. An die kargen offiziellen Mitteilungen knüpfte die Presse eigene Kombinationen an, über die Habermann ärgerlich den Kopf schüttelte. Das Raumschiff war in die Hütte zurückgebracht worden. Es wurde nachträglich auf den Namen »Mars« getauft, weil es seine erste Fahrt zu diesem Planeten gemacht hatte. In der Schule war natürlich Heinz der Held des Tages. Er sonnte sich im Ruhme seines Vaters. Es tat ihm nur leid, daß er selbst so wenig Tatsächliches wußte und über das Wenige, das er wußte, nicht sprechen durfte. Besonders neugierig war der kleine dicke Manfred: »Haste den Atomkraftstoff selber jesehn?« »Nein, den kann doch keiner sehen.« »Wieso nich? Benzin kannste doch auch sehen, wenn de tankst!« »Die Atomkraftstoffe sind aber radioaktiv und zerstören lebendes Gewebe. Deshalb dürfen sie nur in Behältern aufbewahrt werden, die keine Strahlen durchlassen, zum Beispiel in dicken Bleikanistern. Und wer mit solchen Stoffen frei hantiert, muß einen Schutzanzug tragen.« »Was denn für'n Schutzanzug?« »Der ist aus dickem Stoff. Womit er imprägniert ist, weiß ich auch nicht. Und dazu gehört ein Helm, ähnlich wie ein Taucherhelm, mit ganz dicken Augengläsern.« »Haste schon mal einen angehabt?« »Ja. Er ist mächtig schwer, man kann kaum drin laufen.« »Denn haste doch den Treibstoff auch zu sehen gekriegt!« »Nein, der war trotzdem im Bleikoffer.« »Mensch, nicht mal 'n bißchen von dem Zeug haste gesehen?« »Ein bißchen habe ich schon mal gesehen. Eine kleine Radiumpatrone hat mein Vater im Labor. Die ist so schwach, daß man sie ohne Schaden für die Gesundheit in die Hand nehmen kann.« »Bring se doch mal mit!« »Du bist wohl verrückt! Das Zeug ist viel zu kostbar, es ist immer im Stahlschrank eingeschlossen.« Heinz erschrak und wurde über und über rot. Da hatte er wohl etwas ausgeplaudert,
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was er gar nicht erzählen durfte. In diesem Augenblick ertönte das Klingelzeichen zur Beendigung der Pause und erlöste ihn von den neugierigen Quälgeistern. Ein berühmter Ozeanforscher hatte angefragt, ob der »Mars« in die Tiefe der Südsee tauchen und dort Messungen vornehmen könnte. Das Atominstitut erklärte sich bereit, den Apparat für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. Die Kugel wurde für die neue Verwendung umgebaut, während gleichzeitig die Konstruktionszeichnungen für ein zweites, etwas größeres Raumschiff angefertigt wurden. Für einige Tage weilte auch ein Geograph als Besucher in Habermanns Landhaus und hatte lange Beratungen mit dem Physiker. Heinz saß oft still in einer Ecke und lauschte den Gesprächen der beiden Männer, aus denen er unter anderem entnehmen konnte, daß Reisen des Raumschiffs in Gegenden der Erde unternommen werden sollten, in die man bisher mit anderen Mitteln nicht hatte vordringen können. Bald danach ereignete sich ein aufsehenerregender Diebstahl im Habermannschen Privatlaboratorium. An einem der ersten heißen Julitage arbeitete der Professor dort bei offenem Fenster, als er abberufen wurde, um vom Postboten einen eingeschriebenen Brief entgegenzunehmen. Habermann verschloß zwar die Tür, als er das Labor verließ, vergaß aber die Fenster zu schließen und ließ den Schlüssel im Stahlfach stecken. Als er nach wenigen Minuten zurückkehrte, war aus dem Safe die Radiumkapsel verschwunden. Die sofort herbeigerufene Kriminalpolizei stellte fest, daß der Dieb in den Kreisen der Berufsverbrecher zu suchen war, denn er hatte mit raffinierter Vorsicht gearbeitet. Er hatte Handschuhe getragen, denn Fingerabdrücke waren nirgends zu finden, und auch die Fußspuren im Garten und auf dem Boden des Zimmers gaben keinen Aufschluß, weil der Dieb seine Füße mit Lappen umwickelt hatte. Man setzte einen Polizeihund auf die Fährte. Dieser verfolgte den Weg des Verbrechers bis zu einem benachbarten Grundstück. Dort fand man die Lumpen, die der Dieb von den Füßen gestreift hatte, aber von dieser Stelle an hörten alle Spuren auf, der Hund konnte keine weitere Fährte finden. Die beiden Stücke Stoff wurden von Gerichtschemikern untersucht. Dabei ergab sich, daß sie schon einmal als Motorenputzlappen verwendet worden waren, denn sie enthielten Reste von Mineralöl und Verbrennungsrückstände. Die Polizei schloß daraus, daß der Dieb Beziehungen zum Kraftfahrgewerbe habe. Dadurch verengte sich zwar der Kreis der in Betracht kommenden Berufsverbrecher, aber er war immer noch recht groß, und es konnte wochenlang dauern, bis alle Verdächtigen durchgeprüft waren. Inzwischen konnte das wertvolle Radium längst über die Grenze verschoben sein. Professor Habermann machte sich selbst heftige Vorwürfe, weil er mit dem vom Institut ausgeliehenen Material nicht vorsichtig genug umgegangen war. Er bestellte sofort Handwerker, die die Fenster des Laboratoriums vergittern sollten. Heinz aber verbrachte eine fast schlaflose Nacht. Stundenlang schluchzte er in die zerwühlten Kissen. Denn er fürchtete, daß seine unbesonnene Äußerung vor den Mitschülern über die Aufbewahrung von Radium im Labor des Vaters weitererzählt worden war und den Dieb angelockt hatte. *** In der Schule herrschte Hochstimmung wie stets am letzten Tage vor dem Beginn der großen Ferien. Nur Heinz nahm daran keinen Anteil. Während die Kameraden in der Pause auf dem Schulhof tobten oder Ferienpläne schmiedeten, blieb er, den Kopf in die Hand gestützt, im Klassenzimmer sitzen und grübelte vor sich hin. Da trat Felix, der Klassenerste, zu ihm, ein verständiger, zurückhaltender Junge.
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»Na, sind dir die Ferien verhagelt? Könnt ihr keine Reise machen? Tröste dich, du bist nicht der einzige, der zu Hause bleiben muß. Wir werden vielleicht mehr erleben und mehr Spaß haben als die anderen.« Heinz winkte müde mit der Hand: »Ach, wenn es das wäre!« »Was denn sonst? Hast du was ausgefressen?« »Ausgefressen?« Heinz hob erstaunt den Kopf und ließ ihn dann wieder sinken. »Ja, vielleicht.« »Na, ich will nicht neugierig sein.« Felix ging zur Tür hinaus. Heinz tat die Teilnahme des Kameraden wohl, er folgte ihm in den Flur. Der andre war an einem Fenster stehengeblieben und blickte auf den lärmerfüllten Hof hinab. Heinz fragte nach einer Weile zaghaft: »Was würdest du an meiner Stelle tun? Aus meines Vaters Laboratorium ist die Kapsel mit Radium gestohlen worden, und ich bin vielleicht daran schuld. Denn ich habe damals vor vier oder fünf Wochen hier in der Schule erzählt, daß er Radium im Haus hat.« Felix hatte ihm aufmerksam das Gesicht zugewandt. Jetzt pfiff er durch die Zähne. »So, so! Kann schon sein... War die Polizei schon da?« »Ja, sie glaubt, den Dieb in ein paar Wochen fassen zu können. Inzwischen kann er aber das Radium längst verscheuert haben.« »Aha!« Felix versank in Schweigen. Heinz machte das ganz nervös, er fragte schließlich: »Du Sagst ja gar nichts...« Felix war mit seinen Überlegungen fertig. »Paß mal auf«, sagte er, »als die anderen dich damals umringten, blieb ich im Hintergrund, weil ich wußte, daß du doch keine Geheimnisse ausplaudern darfst. Aber da stand noch einer hinten; das war der lange Neumann aus der Klasse über uns. Der fiel mir auf, weil er nichts sagte, aber sich allmählich auch randrängte. Und als du dann von dem Radium sprachst, da machte er einen ganz langen Hals und hatte einen so gierigen Ausdruck im Gesicht, daß mich der Ekel packte. Wenn überhaupt einer...'' Felix stockte. »Ich verstehe«, flüsterte Heinz mit gepreßter Stimme. »Und du meinst, von unserer Klasse kommt keiner in Frage?« »Ich glaube kaum. Man kann natürlich für keinen die Hand ins Feuer legen. Aber ich habe sonst nichts Auffälliges beobachtet... Weißt du, wir werden nachher die Pioniergruppe zusammentrommeln und mit der beraten. Vielleicht kommt dabei noch was raus.« Heinz fiel ein Stein vom Herzen. Nun sollte doch wenigstens etwas geschehen! Elf Jungen waren es, die sich nach dem Schluß der letzten Stunde zur Besprechung trafen. Felix und Heinz erstatteten Bericht. »Ein Diebsfahl ist ein Verbrechen, das wir als Pioniere ohnehin bekämpfen. Aber hier«, so meinte Felix, »handelt es sich sogar um Eigentum des Volkes, denn das gestohlene Radium gehört dem Atominstitut!«
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Die Empörung war allgemein, und alle waren von dem Gedanken begeistert, den Dieb durch gemeinsame Nachforschungen zu stellen. Aber wo sollte man ihn suchen? Bestimmte Verdachtsgründe hatte niemand. Dem Neumann traute allerdings keiner. Aber wenn er der Dieb war - was wollte er mit dem Radium? Verwenden konnte er es nicht, und verkaufen auch nicht; wer hätte einem Vierzehnjährigen einen so wertvollen Stoff abgenommen? »Und seinem Vater?« Der Gedanke schlug ein. Es war nachher nicht mehr festzustellen, wer ihn zuerst geäußert hatte. Aber jetzt wußte fast jeder etwas Ungünstiges über den alten Neumann. »Der hat 'n Autofuhrgeschäft. Mein Vater ist von ihm übers Ohr gehauen worden und sagt: Nie wieder kriegt der Gauner 'n Auftrag von ihm!« »Ja, und wie ist er zu dem Fuhrgeschäft gekommen? Vor dem Krieg hat er bloß 'n kleenen Tempo-Wagen gehabt. Der hat in derselben Garage gestanden wie unser Wagen. Darum kenn' wir'n ganz genau. Und denn hat er 'ne ganze Weile nischt gehabt und war Chauffeur bei einem Kriegsschieber. Nach dem Krieg hat er dann herrenlose Autos und Reifen gesammelt, angeblich für den neugegründeten Magistratsfuhrpark. Aber jetzt gehört alles ihm, und der Magistrat is Neese. So is'r Fuhrherr geworden.« »Det stimmt. Die Chauffeure aus der Garage bei uns um die Ecke erzählen dasselbe. Von denen habe ich auch gehört, daß er mal gesessen hat.« »Was, hinter schwedischen Gardinen?« »Jawoll«, nickte Uli, »sie wußten bloß nicht, was er ausgefressen hat. Aber ein halbes Jahr soll er damals weggewesen sein. Dann war es doch nicht bloß 'ne kleine Sache!« »Ja, aber jetzt ist er 'n angesehener Mann. Da hat er doch nicht nötig...« »Na, angesehen? Das weiß ich nu nich! Bei der Bank, wo mein Vater angestellt ist, hat der Neumann neulich 'n Kredit aufnehmen wollen. Er hat aber keinen gekriegt, weil seine Autos schon alle verpfändet sind. Das hat mein Vater meiner Mutter erzählt.« »Und der Pelz und die Brillanten, die die Olle nach'm Krieg plötzlich gehabt hat und über die sich meine Mutter immer so geärgert hat? Darauf wird er doch Geld kriegen können.« »Den Pelz hat sie ja schon lange nicht mehr!« »Mensch, dann riecht die Sache faul.« »Jungs, seid vorsichtig!« mahnte Felix. »Bisher wißt ihr doch alle nichts Bestimmtes. Was ihr hier vorbringt, sind nur ganz vage Vermutungen.« »Aber überwachen müßten wir ihn doch.« »Richtig! Aber wenn der das Radium hat, dann kann er's nicht hier oder in Berlin verkaufen, sondern er muß damit weit wegreisen. Können wir feststellen, daß er 'ne große Reise vorhat, dann haben wir ihn!« »So einfach ist das nun auch wieder nicht. Jetzt in den großen Ferien reisen soviel Leute! Heinz, was meinst du?« »Ich weiß nicht... Vielleicht hat der Neumann wirklich mit dem Diebstahl zu tun. Die
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Polizei hat nämlich die Lappen gefunden, die sich der Dieb um die Füße gebunden hatte; und das waren Autoputzlappen.« »Na, was habe ich gesagt? Wir müssen den Kerl scharf überwachen.« »Und wenn er nun mit seinem Wagen abhaut?« »Dann fahre ich mit«, rief Uli. »Der wird dich gerade mitnehmen!« »Laß das meine Sorge sein!« Uli schien seiner Sache sehr sicher zu sein. Die Jungen organisierten sofort einen Überwachungsdienst. Uli übernahm den Posten in der Garage, in der Neumanns Wagen standen. Treffpunkt der Pioniere war die Laube in Habermanns Garten. An diesem Nachmittag ereignete sich nichts mehr. Die Posten vor Neumanns Haus langweilten sich bis zum späten Abend. Kaum hatte jedoch Uli am nächsten Morgen seinen Freund, der bei Neumann in der Garage arbeitete, begrüßt, als dieser ans Telephon gerufen wurde: Neumann wollte innerhalb einer Viertelstunde seinen PKW vor der Wohnung haben. Der Wärter machte den Wagen fertig und grinste, als Uli die Fahrt im Kofferkasten mitmachen wollte. Er glaubte natürlich, der Junge würde vor Neumanns Wohnung verschwinden, während er selbst hineinging, um dem Fuhrherrn die Wagenschlüssel zu bringen. Aber darin täuschte er sich; Uli blieb in seinem Versteck. Als das Auto für ein paar Minuten unbewacht stand, schlich der kleine herbei, der gerade vor dem Haus Wache stand. Er untersuchte den hinteren Wagens, um festzustellen, ob man nicht als blinder Passagier mitfahren könnte. sprang erschreckt zurück, als sich der Kofferdeckel um einen Spalt öffnete angefaucht wurde:
Manfred Teil des Doch er und er
»Mensch, hau ab!« Das konnte nur Uli sein. Beruhigt zog sich Manfred zurück und erstattete den Kameraden Bericht. Uli hatte keine Ahnung, wohin die Fahrt ging, die er in seiner unbequemen Lage mitmachte. Als der Wagen endlich hielt und der Fahrer ihn verlassen hatte, lugte er vorsichtig aus dem Kofferkasten hervor und stellte fest, daß er sich offenbar in Berlin befand. Das Auto hielt vor einem Reisebüro. Uli schlüpfte heraus und schaute durch die Ladenscheiben. Da stand Neumann und verhandelte mit einem Angestellten des Büros. Einen Augenblick zögerte der Junge, dann betrat er den Laden. Die Hände in den Hosentaschen, stellte er sich hinter den Dicken und tat so, als warte er darauf, als nächster abgefertigt zu werden. Er traute seinen Ohren nicht, als er vernahm: »Flugpassage nach Frankfurt am Main? Jawohl, morgen Mittag 13 Uhr 27 ab Flughafen Tempelhof. Zwei Sitzplätze sind noch frei. Darf ich einen Platz buchen? Sehr wohl!« Uli hatte genug gehört. Um nicht entdeckt zu werden, verzichtete er auf die kostenlose Rückfahrt im Kofferkasten, er benutzte lieber die Vorortbahn. In der Pioniergruppe herrschte große Aufregung, denn die Posten hatten festgestellt, daß Neumann ohne Uli zurückgekehrt war. Erst kurz vor 12 Uhr traf Uli im Habermannschen Garten ein, um Bericht zu erstatten. Sofort wurde Kriegsrat gehalten.
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»Mit seinem Auto wird er nicht nach Tempelhof fahren«, meinte einer. »Den Wagen müßte er dann tagelang am Flugplatz stehenlassen, und das würde auffallen. Oder er müßte einen Chauffeur mitnehmen, und der würde ein unbequemer Mitwisser sein.« »Wenn er aber doch mit dem Wagen fährt?« gab Felix zu bedenken. »Kann er ja nicht«, feixte Uli. »Die Karre steht morgen früh uff Latschen, kannst dich drauf verlassen!« »Ach so! Na, denn... Aber die Polizei wird uns auslachen, wenn wir auf dem Bahnhof verlangen, sie solle ihn verhaften. Wir müßten zum mindesten sicher wissen, daß er das Radium wirklich bei sich hat.« »Wir müßten ein Strahlensuchgerät haben«, überlegte Heinz. »Ich weiß nur nicht, ob mein Vater es mir gibt.« »Kannste 's nich klauen?« »Ein Pionier klaut nicht!« lehnte Felix streng ab. »Nein, das tue ich auch nicht«, erklärte Heinz. »Aber wartet hier in der Laube, ich werde gleich mit meinem Vater sprechen.« Es dauerte eine ganze Weile, bis Heinz wiederkam; aber sein Gesicht strahlte. Der Vater hatte ihm allerdings erklärt, Jungen dürften nicht auf eigene Faust Detektiv spielen. Er hatte die Kriminalpolizei angerufen und sie von der Feststellung der Pioniere verständigt, daß Neumann eine Luftreise unternehmen wolle. Darauf hatte der Kommissar versprochen, daß jeder Schritt des Verdächtigen überwacht werden würde. Aber er hatte hinzugefügt: »Wenn Ihr Sohn mit dem Geigerzählrohr zur Feststellung radioaktiver Strahlungen umzugehen versteht, dann lassen Sie ihn ruhig damit zum Bahnhofgehen! Wir werden rechtzeitig eingreifen.« *** Die Pioniergruppe hatte ihren Plan sorgfältig vorbereitet und war früh auf den Beinen. Als Neumann sein Haus verließ, unterrichtete ein Radfahrer die am Bahnhof wartenden Freunde über die Annäherung des »Feindes«. Damit dieser nicht etwa Verdacht schöpfe, wenn er Heinz erkannte, hatte Felix das Suchgerät übernommen und sich über seinen Gebrauch unterweisen lassen. Den Kasten im Arm, schlenderte er wie zufällig dem dicken Neumann entgegen, als dieser über den Bahnhofsvorplatz kam. Für einen Augenblick schlug die Nadel stark aus, als sie nebeneinander waren, und Felix nickte verstohlen den Freunden zu. Jetzt liefen sie zur Vorhalle und drängten sich zugleich mit dem Verdächtigen vor dem Fahrkartenschalter. Noch einmal blickte Felix auf das Gerät. Es war kein Zweifel, die Unruhe des Zeigers war deutlich zu erkennen, wenn er sich Neumann näherte. Er lief zu Heinz hinüber, der in einer dunklen Ecke der Halle wartete. »Los, hol schnell die Polizei!« Inzwischen passierten Neumann und seine Verfolger die Sperre und gingen zum Bahnsteig hinauf. Die Bahnhofswache war mit zwei Volkspolizisten besetzt, als Heinz atemlos hereinstürzte. »Bitte, Herr Wachtmeister«, sprudelte er hervor, »kommen Sie mit und verhaften Sie den Dieb, der bei uns das Radium gestohlen hat!«
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Der Polizist lachte: »Da könnte ja jeder kommen! Wer bist du denn?« »Ich bin der Sohn von Professor Habermann. Der Dieb hat das Radium bei sich. Wir haben ein Strahlensuchgerät mitgebracht und neben ihn gehalten. Er muß die Patrone in der Westentasche haben. Bitte, bitte, kommen Sie schnell!« Der Polizist hatte sich erhoben und schnallte das Koppel um. »Ich weiß nicht recht...«, zögerte er. »Rufen Sie doch meinen Vater an, damit er herkommt!« drängte Heinz. »Wie ist er denn zu erreichen?« fragte der Volkspolizist, der am Tisch neben dem Fernsprechapparat sitzengeblieben war. Der Wachtmeister ließ sich die Nummer nennen und hob den Hörer ab. Sein Kollege hatte sich inzwischen fertiggemacht und meinte: »Na schön! So lange können wir den Mann wohl festhalten. Komm!« Hinter der Sperre standen zwei Kameraden und winkten. »Ihr seid wohl eine ganze Horde?« fragte der Wachtmeister. »Allein hätte ich ihn ja nicht stellen können.« »Ihr seid tüchtig!« lobte der Polizist und schob Heinz vor sich durch die Sperre. »Dienstlich«, klärte er den Eisenbahner auf. Auf dem Bahnsteig stand der dicke Neumann im Sommerüberzieher, eine Aktentasche in der Hand, und blickte unruhig auf die große Uhr; auf die Jungen, die um ihn herumspazierten, hatte er noch gar nicht geachtet. Da wurde sein Blick von der Gestalt eines Polizisten angezogen. Er sah, wie ein Junge mit dem Finger auf ihn zeigte. Dieser Junge - das war doch Professor Habermanns Sohn! Und jetzt strebte der Beamte mit raschem Schritt auf ihn, Neumann, zu. Da faßte der Dicke einen schnellen Entschluß. Eilends versuchte er das Ende des Bahnsteigs zu erreichen, um sich in einer der dort stehenden Toiletten des Radiums zu entledigen. Aber er hatte die Rechnung ohne die Jungen gemacht. Zwei stellten sich ihm in den Weg, er stolperte über sie, fiel und wälzte sich mit ihnen am Boden. Schon war der Wachtmeister über ihm: »Halt, Männeken, nicht so eilig! Sie scheinen ja wirklich kein reines Gewissen zu haben.« Mühsam war Neumann wieder auf die Beine gekommen. »Was wollen Sie von mir?« pustete er sich auf. »Lassen Sie mich in Ruhe! Ich habe eine dringende Reise vor.« Da hielt ihm ein Herr in Zivil einen Ausweis vor die Nase: »Kriminalpolizei!« Im gleichen Augenblick polterte der Zug nach Berlin herein und hielt neben dem Bahnsteig. Neumann versuchte die nächste offene Tür zu erreichen. Die Beamten aber hielten ihn fest: »Dageblieben! Sie können mit dem nächsten Zug fahren.« »Das wäre ja noch schöner«, begehrte Neumann auf. »Muß sich ein angesehener Bürger das gefallen lassen?« »Angesehener Bürger?« prustete Uli und spuckte durch die Zähne. »Vorbestraft ist der Mann. Ein halbes Jahr hat er gesessen.«
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Entgeistert starrte Neumann den Jungen an. »Ihr scheint ja gut orientiert zu sein«, lachte der Polizist. »Hier sehen Sie, Herr Wachtmeister!« Felix hielt das Kästchen neben Neumanns Bauch. »Hier hat er das Radium.« Neugierig beugten sich alle vor und starrten auf den zitternden Zeiger. Da versuchte der Gestellte noch einmal zu entkommen. Aber die Jungen hatten einen dichten Kreis um ihn gebildet, und die Polizisten griffen sofort wieder nach seinem Arm. Der Fahrdienstleiter rief: »Bitte Türen schließen... Zurückbleiben!« Die Kelle hob sich über die Köpfe, der Zug rollte davon - ohne Neumann. »Nun kommen Sie mal schön mit zur Wache!« redete der Kriminalkommissar dem Dicken zu. »Wir werden ein Protokoll aufnehmen und dann weitersehen.« »Ich muß mir wenigstens den Staub abklopfen«, erwiderte Neumann. Er beugte sich nieder, um seine Knie zu säubern. Dann griff er unauffällig in die Westentasche und führte die Hand zum Munde. »Jetzt ist es aber genug«, meinte der Polizist. Er packte den Verhafteten am Ärmel und führte ihn mit sanfter Gewalt durch die Sperre. Die Jungen folgten ihnen, aber nur Heinz und Felix durften den Wachraum betreten, die übrigen mußten zu ihrer Enttäuschung draußen warten. Der Kriminalkommissar machte telephonisch dem Polizeipräsidium Meldung und erhielt die Anweisung, bis zum Eintreffen des Leiters des Diebstahldezernats den Verhafteten genau zu durchsuchen und das Radium sicherzustellen. Aber in Neumanns Taschen war der wertvolle Stoff nicht zu finden. Professor Habermann, der gleichfalls herbeigerufen worden war, stellte mit dem Geiger-Zählrohr fest, daß sich das Radium dennoch bei Neumann befinden mußte. Man stand vor einem Rätsel, das erst gelöst wurde, als der Oberkommissar eintraf. Dieser erfahrene Kriminalist ließ sich von seinem Kollegen und von Professor Habermann kurz unterrichten, dachte einen Augenblick nach und schlug sich dann lachend vor die Stirn: »Daß ich darauf nicht gleich gekommen bin: Er hat das Radium verschluckt! — ein alter Trick.«
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DAS ATOM-INSTITUT Ein kräftiges Klistier hatte Neumanns Därmen die Radiumkapsel wieder entlockt, aber den Diebstahl leugnete er weiter. Er hatte ihn auch nicht selbst begangen, sondern sich dazu der Hilfe eines Einbruchspezialisten bedient, eines alten »Freundes« aus seiner Gefängniszeit, der wenige Tage später ermittelt werden konnte. Für die elf Pioniere aber war es ein großer Tag, als sie zum Kaffee in Habermanns Wohnung eingeladen wurden, wo ihnen Professor Frenzen den Dank des Instituts für die Wiederbeschaffung des Radiums aussprach. Die Atomforschung interessierte sie alle brennend, und ein Strom von Fragen ergoß sich über die Gelehrten. Schließlich hob Professor Frenzen lächelnd die Hand und gebot Ruhe: »Ich will es euch im Zusammenhang darstellen. Wenn ein kleiner Junge eine Spielzeugeisenbahn geschenkt bekommt, was macht er dann damit?« »Mein kleiner Bruder hat sie gleich kaputt gemacht«, klagte Fritz unter dem Gelächter der anderen. »Und warum? Nur aus Zerstörungswut?« »Nein, er wollte sehen, was drin war und warum sich die Räder bewegten.« »Seht ihr, genau so machen's die großen Männer: Sie wollen allen Dingen auf den Grund gehen, wollen wissen, aus was für Stoffen die Welt zusammengesetzt ist und warum sie sich bewegt. Und so war man im Laufe des vorigen Jahrhunderts dahintergekommen, daß die Welt, in der wir leben, aus allerkleinsten Teilchen besteht, so klein, daß wir sie auch mit dem Mikroskop nicht mehr erkennen können. Und diese Teilchen nannte man Atome, das heißt Unteilbare. Diese Atome können sich mit anderen Atomen der gleichen Art oder auch anderer Art verbinden und bilden dann einen Verband, den wir Molekül nennen. Auch das Molekül ist aber noch lächerlich klein. Die Jahrhundertwende brachte uns die Entdeckung der Röntgenstrahlen, der Elektronen als Träger der elektrischen Energie und die Kenntnis von jener sonderbaren Strahlung, die wir Radioaktivität nennen. Zunächst hielt man alle diese Strahlen nur für Energieübertragungen, für die Fernwirkung von Kräften, die die Stoffe besitzen, bis sich herausstellte, daß bei der Strahlung allerfeinste Körnchen der Materie ausgeschleudert wurden, Teilchen, die noch viel kleiner als ein Atom sind: man nannte sie Elementarteilchen. Ein lichtaussendender Körper gibt also einen Teil seiner Materie in sehr fein verteilter Form her und schickt ihn über weite Entfernungen aus.« »Dann muß er doch leichter werden«, gab Fritz zu bedenken. »Das wird er auch«, bestätigte Professor Frenzen. »Nur sind die ausgesendeten Elementarteilchen so unendlich klein, daß es mit unseren heute noch groben Methoden schwer ist, den Gewichtsverlust eines leuchtenden Körpers zu messen.« »Gilt das nun für jede Art von Licht?« fragte Felix. »Jawohl«, erwiderte Frenzen, »und nicht nur für jedes Licht, sondern für alle Arten
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von Strahlung, z. B. auch für Röntgenstrahlen und Elektronenstrahlen. Den Weg zur Erkenntnis des ganzen Problems eröffnete uns die 1900 von Max Planck begründete Quantentheorie der Strahlung. Noch deutlichere Einblicke in die Zusammenhänge zwischen Materie und Energie, das heißt der Fähigkeit der Materie, Wirkungen auszuüben, bekamen wir durch die Relativitätstheorie, die Albert Einstein 1905 aufstellte. Einen weiteren Schritt vorwärts machte unsere Wissenschaft durch Niels Bohr, der 1913 seine Theorie vom Aufbau der Atome aufstellte: Das Atom ist danach keineswegs unteilbar, sondern es ist eine Art Planetensystem im kleinen, in dem der Atomkern die Rolle der Sonne spielt, um die die Elektronen als Planeten herumwirbeln, allerdings nach anderen Gesetzen als denen, die zwischen den Sternen wirksam sind. Der Kern ist positiv elektrisch geladen, die Elektronen, die die Hülle des Atoms bilden, negativ. Das Gewichtige an diesem System ist der Kern, während die um ihn kreisenden Elektronen viele tausendmal leichter sind als er. Seitdem sind wir in den Aufbau der Atome noch weiter eingedrungen. Es stellte sich heraus, daß die Atome in verschiedener Art zusammengesetzt sind, aus Protonen, das heißt elektrisch positiv geladenen Teilchen, die fast zweitausendmal so schwer sind wie die Elektronen, und aus Neutronen, die ebenso schwer wie die Protonen, aber elektrisch neutral, also ohne Ladung, sind. Außerdem enthalten die Atomkerne wahrscheinlich noch andersartige Bestandteile. Neben dem negativ geladenen Elektron wurde übrigens auch ein positiv geladenes von gleicher Größe oder vielmehr Kleinheit entdeckt; es erhielt den Namen Positron. Und in der kosmischen Strahlung, das heißt in derjenigen Strahlung, die aus dem Weltraum zu uns dringt, wurde ein schweres Elektron, das sogenannte Meson, beobachtet, das sowohl positiv wie negativ elektrisch geladen, aber auch elektrisch ungeladen vorkommt und wesentlich schwerer ist als das Elektron.« Uli stieß einen Seufzer aus und klagte: »Was es nicht alles gibt!« Frenzen nickte und fuhr fort: »Wir sind dabei nicht einmal am Ende der Naturerkenntnis angelangt. Täglich macht die Wissenschaft nicht nur durch mathematische Berechnungen und theoretische Überlegungen, sondern auch durch praktische Beobachtungen der Natur weitere Fortschritte. So haben erst in jüngster Zeit die beiden sowjetischen Physiker Alichanow und Alichanjan kosmische Strahlungsteilchen bisher ganz unbekannter Art entdeckt, die Varitronen. Das Meson ist nur eine besondere Art von Varitron. Auch das Licht besteht aus solchen kleinsten Teilchen, aus Lichtquanten, die wir Photonen nennen, und die gleichfalls in die Atomverbände eintreten oder von den Atomen ausgestrahlt werden können. Weitere Teilchen sind teils bekannt, teils wird ihre Existenz vermutet. Alle diese Teilchen sind unvorstellbar klein, bewegen sich aber mit einer Geschwindigkeit, die unvorstellbar groß ist. Die Photonen bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit, also mit 300 000 km in der Sekunde, die anderen Teilchen mit geringeren Geschwindigkeiten, die aber der Lichtgeschwindigkeit sehr nahe kommen können.« »Man spricht doch aber auch von Lichtwellen«, warf Felix ein. »Und im Physikunterricht haben wir gelernt, daß die Wasserteilchen in der Welle nur im Kreise tanzen, also immer wieder an ihren Ort zurückkehren. Nur die Welle als Bewegung pflanzt sich fort, indem immer neue Teilchen von ihr ergriffen werden.« »Ja, das ist richtig, und damit schneidest du einen wunden Punkt in unserer Theorie an«, bestätigte der Professor. »Nicht alle Erscheinungen, die bei der Strahlung auftreten,
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lassen sich aus dem korpuskularen, d. h. aus dem Teilchencharakter der Strahlung erklären. Es stellte sich heraus, daß die Existenz der Elementarteilchen in sehr verzwickter Weise, die wir noch keineswegs völlig durchschauen, mit Wellenvorgängen verbunden ist, die sich durch den Raum in ähnlicher Weise fortpflanzen, wie sich die Wellen im Wasser fortbewegen, wenn man einen Stein hineinwirft. Die ganze große bunte Welt, die uns umgibt, und von der wir selbst ein Teil sind, ist also aufgebaut aus Elementarteilchen (Protonen, Elektronen, Positronen, Varitronen, Photonen usw.), die sich nach bestimmten Gesetzen zu Atomen zusammenschließen können, aus Atomen oder aus gesetzmäßigen Zusammenschlüssen von Atomen, die wir Moleküle nennen. Die Moleküle kann man mit Hilfe chemischer Vorgänge wieder in die sie aufbauenden Atome zerlegen. Um die Atome in Elementarteilchen oder Gruppen von ihnen aufzuspalten, braucht man dagegen andere, stärkere als chemische Mittel. Diejenigen Stoffe, die nur aus Atomen einer einzigen Art aufgebaut sind, heißen Elemente. Ihre Zahl ist uns genau bekannt: Es gibt 92 Elemente in der Natur.« »Warum gerade 92?« fragte Felix. »Die Atome der verschiedenen Elemente unterscheiden sich durch die Zahl der Protonen in ihrem Kern, und 92 ist die höchste Zahl, bis zu der sich Protonen zu stabilen, für längere Zeit beständigen Atomkernen zusammenballen können. Künstlich können wir zwar diesen Prozeß heute noch weiter treiben, aber die auf solche Weise erzeugten Elemente sind nicht stabil, ihre Atome zerfallen schnell. Ich fasse zusammen: Die Atome der verschiedenen Elemente sind zwar unter sich verschieden, aber sie bestehen alle aus den gleichen Urbaustoffen. Ihr habt schon gehört, daß sie einen positiv elektrisch geladenen Kern haben, um den ein oder mehrere negativ geladene Teilchen kreisen, die Elektronen. Der Kern wiederum besteht aus ein oder mehreren Protonen mit positiver Ladung und (außer bei dem einfachsten Element, dem Wasserstoff, dessen Atomkern lediglich aus einem Proton besteht) aus mehreren elektrisch nicht geladenen Neutronen, deren Zahl fast immer größer, zum Teil viel größer ist als die der Protonen. Daß es außerdem wahrscheinlich noch weitere Teilchen im Atomkern gibt, habe ich auch schon erzählt. Die Zahl der Protonen entspricht bei normalen Atomen genau derjenigen der Elektronen, denn die elektrischen Kräfte beider Ladungen müssen sich ja das Gleichgewicht halten, wenn das Atom normal und elektrisch neutral sein soll. Ein Atom mit sechs Protonen im Kern wird also von sechs Elektronen umkreist. Ein solches Atom ist ein Kohlenstoffatom. Die in der Natur vorkommenden Kohlenstoffatome haben jedoch in ihrem Kern außer den sechs Protonen im allgemeinen noch sechs Neutronen. Die Zahl der Neutronen kann aber auch eine andere sein, ohne daß das Atom selbst etwas anderes wäre als ein Kohlenstoffatom. Der chemische Charakter des Atoms hängt nicht von der Neutronenzahl, sondern allein von der Protonenzahl ab. Es gibt zum Beispiel in der Natur außer dem normalen Kohlenstoffatom C126 mit der Gewichtszahl zwölf (das heißt sechs Protonen und sechs Neutronen) auch ein Kohlenstoffatom C136, das ein Neutron mehr besitzt (sechs Protonen und sieben Neutronen). Neuerdings haben wir mit unseren modernen Atomenergieanlagen ein weiteres Kohlenstoffatom C146 hergestellt, das sogar acht Neutronen hat. Aber dieses Atom C146 ist nicht beständig, sondern es zerfällt von selbst. Es ist, wie wir sagen, radioaktiv. Eines dieser Atome nach dem anderen stößt durch Strahlung ein Neutron ab und ist dann nach dessen Verlust wieder stabil. Auch C116 und C106 (das eine mit fünf, das andere mit vier Neutronen) sind künstlich hergestellt worden; auch sie zerfallen radioaktiv. Unter vier und über sieben Neutronen sind wir jedoch bisher nicht
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gelangt, weil dann Stoffe entstehen würden, die so unbeständig sind, daß sie sofort im Augenblick der Entstehung schon wieder zerfallen. Die verschiedenen Formen des gleichen Elements nennen wir Isotope. Sie können, wie gesagt, stabil oder radioaktiv sein. Nun sind aber auch Umwandlungen anderer Art an den Atomen möglich. Es kann sich zum Beispiel ein elektrisch ungeladenes Neutron in ein positiv geladenes Proton verwandeln. Dann muß das Atom ein neues Elektron in seine Hülle aufnehmen. Geschieht das zum Beispiel bei einem Natriumatom, dann haben wir es nicht mehr mit Natrium zu tun, sondern das Natrium hat sich in ein anderes Element umgewandelt; in Magnesium! Durch Veränderungen des Kerns können also entweder andere Isotope des gleichen Elements oder aber Atome eines anderen Elements entstehen. Auf diese Weise ist es den Kernphysikern möglich, einen Stoff in den anderen zu verwandeln: Der alte Traum von der Kunst des Goldmachens geht in Erfüllung! - Fragt sich nur, ob es sich lohnt. Beim Gold lohnt es sich nicht; dieses einst so sehr geschätzte Metall gewinnen wir auch heute noch bergmännisch billiger als durch Atomumwandlung. Denn die Atome sind außerordentlich zäh, und es sind sehr kostspielige Verfahren notwendig, um sie zu zerbrechen oder umzuwandeln.« »Wie macht man das denn überhaupt?« »Ja, der Chemiker kann Moleküle in Atome zerlegen, aber die Atome leisten ihm Widerstand. Wir Physiker hingegen haben es geschafft, auch die Atome zu spalten. Besucht mich morgen früh im Institut, dann will ich es euch zeigen!« »Au fein!« *** Das war ein Ferienerlebnis: ein Besuch im Atominstitut! Die Professoren konnten ihre Arbeit nicht versäumen und überließen die Führung der jungen Gäste dem Assistenten Dr. Heise. Der war für sie der richtige Mann: Er begrüßte sie mit dem vertrauten Ruf der Jugend: »Freundschaft« und ließ sich durch die vielen Fragen, die auf ihn niederprasselten, nicht aus der Ruhe bringen. Zunächst ging es ins Hochspannungslaboratorium. Dort konnten die Jungen einen alten Bekannten begrüßen, die Influenzmaschine, aus der sie lange Funken herauslocken konnten, wenn sie nur den Finger der Kugel näherten. Der Apparat des Instituts war größer und stärker als der in der Schule. Auch den Elektrisierapparat kannten einige schon als Heilgerät. Jeder der Jungen ergriff jetzt einmal die Pole und ließ sich den kribbelnden Strom durch die Arme rinnen. Dann aber führte sie Dr. Heise in eine Halle, mit gewaltigen Transformatoren, aus Metallplatten aufgebauten Blöcken, aus denen oben blanke Gestänge mit Kugeln an den Enden herausragten. Dazwischen überall dicke Porzellanisolatoren. Nachdem die Jungen andächtig um die Riesen herumgewandert waren, versammelte sie Dr. Heise vor einer Schalttafel, die so aufgestellt war, daß man von ihr aus die ganze Halle übersehen konnte. Von hier, aus sicherer Entfernung, wurde der Strom in die Giganten gelenkt. Der Assistent legte einen Hebel um, und sofort wurde an einem der Transformatoren ein leichtes Zischen hörbar; bald zeigte sich auch ein bläuliches Glimmlicht an den Stangen, besonders aber an den Endkugeln: elektrische Entladungen, wie sie gelegentlich auch bei Gewittern im sogenannten Elmsfeuer an Mastspitzen und Dachkanten auftreten - ein grandioses Schauspiel, das den Jungen ein begeistertes »Ah!« entlockte.
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Ein Hebeldruck - das Leuchten erlosch. Dafür legte Dr. Heise einen anderen Hebel um. Wieder ein Geräusch, als ob Wasser siedet. »Achtung«, rief der Betreuer den Jungen zu, »nicht erschrecken!« Dann schaltete er den Hebel. Ein greller Blitz fuhr aus der Kondensatorkugel zu einer im Boden verankerten Metallplatte nieder, begleitet von einem ohrenbetäubenden Geprassel. »Wir stehen ja mitten im Gewitter!« jubelte Uli. Lächelnd nickte der Assistent: »Ihr seid Zeugen elektrischer Entladungen gewesen, wie sie ganz ähnlich, nur stärker, auch in der Natur vorkommen. Das Glimmlicht war ein langsamer Ausgleich der Spannung zwischen dem positiven und dem negativen Pol, wobei die Luft zum Leiter wurde. Der Blitz war ein plötzlicher Ausgleich. Und nun schnüffelt einmal!« Die Jungen hoben neugierig die Nasen und schnupperten herum. »Es riecht so komisch? Beinahe wie Zwiebeln, aber nicht unangenehm.« »Jawohl, es riecht nach Ozon. Der in der Luft enthaltene Sauerstoff besteht im allgemeinen aus Molekülen, deren jedes zwei Atome hat. Durch die funkenlose, stille Entladung der elektrischen Spannung aber bilden sich Sauerstoffmoleküle, die aus drei Atomen bestehen; diese nennen wir Ozon. Im Gegensatz zu gewöhnlichem Sauerstoff hat Ozon einen kräftigen Geruch. In der Atmosphäre, die unsere Erde umgibt, liegt in etwa 50 Kilometer Höhe eine Schicht, die hauptsächlich Ozon enthält und die Fähigkeit hat, die kurzwelligen Sonnenstrahlen aufzusaugen. Wäre diese Ozonschicht nicht vorhanden, so würden die kurzwelligen Strahlen wahrscheinlich alles Leben auf der Erde vernichten. Und nun wollen wir zum Megatron gehen und uns die Atomkernspaltung ansehen.« Den Jungen schwirrte der Kopf von all dem Neuen, das sie gehört und nur zum Teil verstanden hatten. Der Marsch über das freie Feld zu dem großen Betonklotz des Megatrons tat ihnen wohl. Manfred hatte sich trotz seiner kurzen Beine an den langen Dr. Heise herangepirscht und beichtete mit einem ehrlichen Seufzer: »Ich habe nicht alles begriffen, was uns der Professor erzählt hat. Es war zuviel auf einmal.« Der Assistent klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter: »Tröste dich, Pionier! Auch wir Großen ahnen mehr, als wir wissen. Und wenn du auch diesmal noch nicht alles verstanden hast - es gibt einen alten lateinischen Spruch: aliquid haeret, das heißt: etwas bleibt doch hängen.« »Ja, das ist wahr. Ungefähr kann ich mir schon vorstellen, wie die Dinger da um den Atomkern herumschwirren. Wie heißen sie doch?« »Die Elektronen.« »Ach ja, die Elektronen! Die drehen sich wie die Karussellpferdchen um das Orchestrion.« Dieser Vergleich löste befreiendes Lachen aus. Im Megatron war Professor Frenzen selbst bei der Arbeit. Er stand mit einigen
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Assistenten und Technikern vor einem mehrere Meter breiten und fast zwei Meter hohen Bauwerk aus Beton, auf dem oben an Ketten hängende Metallstäbe herausragten. Rundherum lief ein eisernes Gerüst, zu dem eine Treppe hinaufführte. »Das ist eine Maschine zur Atomzertrümmerung«, erklärte der Gelehrte seinen Besuchern, »ein Uranmeiler. Uranium ist ein weißes, sehr hartes Metall. In der Reihe der Elemente steht es an letzter Stelle, denn es hat die Ordnungszahl 92; in seinem Atomkern sind also 92 Protonen. Wir gewinnen es aus der Pechblende, einem Mineral, das unter anderen auch im Sächsischen Erzgebirge gefunden wird. Für uns ist dieses Metall deshalb interessant, weil es radioaktiv ist, das heißt zum Zerfall unter Aussendung von Strahlungsteilchen neigt. Die Radioaktivität hat übrigens ihren Namen von einem anderen Metall bekommen, das sich gleichfalls in der Pechblende findet, nämlich vom Radium, das 1898 als erstes Element dieser Art von Pierre Curie und seiner Frau in Paris entdeckt worden ist. Radium hat die Ordnungszahl 88, besitzt also gleichfalls einen recht komplizierten Atomkern mit 88 Protonen. Aber bleiben wir beim Uran! Dieses Metall kommt in der Natur in mehreren Isotopen vor. Am häufigsten ist U23892, das heißt Uran, dessen Atomkerne aus je 92 Protonen und 146 Neutronen bestehen. Für uns wichtiger ist das sehr viel seltenere U23592 mit einem Kern aus 92 Protonen und nur 143 Neutronen. Das Uranisotop U23892 spaltet - wie fast alle natürlich radioaktiven Stoffe - beim radioaktiven Zerfall nur kleine Teilchen ab, die aus zwei Protonen und zwei Neutronen bestehen, es zerfällt also in zwei sehr ungleich große Stücke. Daran läßt sich grundsätzlich auch durch künstliche Eingriffe nichts ändern. Das Uranisotop U23592 dagegen wird durch Neutronenbeschuß in mehrere wesentlich größere Stücke zerschlagen, wobei erstens sehr viel größere Energiemengen frei werden und zweitens der Zerfallsprozeß, einmal in Gang gesetzt, in rasendem Tempo immer weiter um sich greift. Leider ist dieses Isotop auch in reinem Uranmetall höchstens zu 0,7% enthalten. - Aber folgt mir! Wir wollen uns den Uranmeiler ansehen.« Eifrig kletterten die Jungen hinter Professor Frenzen die Leiter hinauf zur Galerie, die in mehr als Mannshöhe um den Block herumlief, so daß man von oben die ganze Anlage überblicken konnte. »Wir haben die Produktion vor einer Stunde unterbrochen«, erklärte der Professor, »und der Meiler wird jetzt genügend abgekühlt sein, so daß wir ihn öffnen und besichtigen können. »Öffnen, Martin!« rief er einem Manne zu, der am Ende der Halle auf einer Bühne stand. Jetzt drehte der Mann an einem Handrade, und von oben her senkten sich langsam zwei mächtige eiserne Haken an Ketten nieder. Zwei Arbeiter kletterten von der Galerie auf den Block und schoben die Haken unter zwei runde Ösen, die aus dem Dach der Anlage herausragten. »Eingehakt!« meldeten sie und sprangen wieder von der Galerie. Da drehte Martin nochmals an dem Rade. Die Haken hoben sich mit der dicken Deckplatte des Meilers empor. Ein wenig Wasserdampf quoll heraus, ein Zeichen dafür, daß in dem Meiler eine erhebliche Temperatur geherrscht haben mußte. Innerhalb des dicken Betontroges sah man eine dunkle Masse. »Ist das Schwarze da Uran?« fragte Fritz.
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»Nein«, erwiderte Frenzen. »Das sind dicht aneinander gefügte Blöcke aus Graphit, das heißt aus reinem kristallisiertem Kohlenstoff. Vom Kohlenstoff prallen Neutronen ab wie Lichtstrahlen von einem Spiegel oder wie Billardbälle von einer Bande.« »Aber die weißen Platten, die darauf liegen?« »Jawohl, das sind die oberen Enden von Uranstäben, die in dem Graphit stecken. Ihr seht sie jetzt von oben nur im Querschnitt als Quadrat.« »Warum gucken denn ein paar von den Stangen oben heraus?« »Das ist nun wieder kein Uran, sondern das sind Kadmiumstangen. Das Kadmiummetall hat die Fähigkeit, Neutronen aufzusaugen. Wir können dadurch, daß wir Kadmiumstangen in den Meiler hineinschieben, den Zerfallprozeß des Urans verlangsamen oder ganz zum Stillstand bringen. Denn das Kadmium hält die Neutronen fest und läßt sie nicht an das Uran heran. Die Atomumwandlung ist übrigens mit gewaltiger Erhitzung verbunden. Der Meiler ist deshalb mit Wasserkühlung ausgerüstet. Ihr seht zwischen den Uranstäben und dem Graphit Zwischenräume, durch die das Wasser hindurchfließt. Auf dem Deckel seht ihr mächtige Rohre, die jetzt mit hochgehoben sind. Durch diese Rohre wird der überhitzte Wasserdampf in große Turbinen geleitet und so zur Gewinnung von elektrischer Energie ausgenutzt. Aber diese Energie ist nur ein Nebenprodukt. Unser Meiler hat in erster Linie die Aufgabe, Atomkraftstoffe herzustellen.« her?«
»Ich denke, Uran ist schon Atomkraftstoff?« fragte Felix. »Stellen Sie denn hier Uran
»Nein«, erwiderte der Professor, »selbst reines Uran ist kein Atomkraftstoff. Unter 140 Uranatomen ist ja immer nur eines vom Typ U235, also für unsern Zweck geeignet, und wir müssen die beiden Isotope voneinander trennen, ehe wir einen Verwendungsfähigen Atomkraftstoff bekommen. Um einen fortschreitenden Zerfall des Urans, eine Kettenreaktion, einleiten zu können, brauchen wir eine gewisse Mindestmenge U235, die als kritische Masse bezeichnet wird. Haben wir mindestens diese kritische Masse, dann brauchen wir das Uran nur mit langsamen Neutronen zu beschießen, und schon beginnt sein Atomzerfall, bei dem jedes berstende Atom mehrere Neutronen frei gibt. Diese könnten wieder Nachbaratome spalten, wenn sie nicht - zu schnell wären! Das sind sie aber leider; sie haben zunächst eine so hohe Geschwindigkeit, daß sie durch ein Uranatom glatt hindurchgehen, ohne ihm etwas anzuhaben. Aber es gibt Stoffe, die ein solches schnelles Neutron nicht durchschlagen kann, sondern von denen es abprallt wie ein Gummiball von einer Wand. Ein solcher Stoff ist Graphit. Stößt ein Neutron auf Graphit, so wird es zurückgeworfen und büßt dabei an Energie ein; es wird bei jedem Abprallen langsamer, bis es nur noch so geringe Geschwindigkeit hat, daß es ein weiteres Uranatom spalten kann, wobei wiederum neue Neutronen frei werden. So steigert sich der Zerfall des Urans immer mehr und ergreift schließlich den ganzen Block, bis das letzte Uranatom zerstört ist. Und wenn wir diesen Vorgang nicht künstlich bremsen, dann geht das so schnell vor sich wie eine Explosion. Der Uranmeiler würde dann als Atombombe wirken, ein mehrere Kilometer großes Loch in den Erdboden reißen und den ganzen Bezirk mit gefährlichen Strahlungen verseuchen. Die Amerikaner haben mit solchen Bomben Hiroschima und Nagasaki zerstört und mit einer einzigen solchen Bombe hunderttausend Menschen gemordet. In der Sowjetunion dagegen benutzt man die Atomsprengung zu friedlichen Zwecken: Man räumt damit gewaltige Erdmassen fort, so daß große Ströme in Gebiete fließen können, die bisher Wüste waren. So hilft die Atomenergie, neuen Kulturboden für die Ernährung von Menschen
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gewinnen. Wir aber wollen ja unser Institut nicht in die Luft sprengen und Selbstmord begehen. Darum zügeln wir den Uranzerfall mit Hilfe der Kadmiumstangen, die so viel Neutronen aufsaugen, daß es nicht zu einem plötzlichen, sondern nur zu einem langsamen und geregelten Zerfall kommt. Ist aber dieser Zerfallsprozeß einmal im Gange, dann bleibt auch gewöhnliches Uran vom Isotop 238, das den Neutronen ausgesetzt wird, nicht unverändert. Nur zerfällt es nicht wie das Isotop 235, sondern es nimmt ein Neutron in seinen Kern auf und verwandelt es in ein elektrisch geladenes Proton. Dieser Vorgang ist noch nicht bis in die letzten Konsequenzen aufgeklärt. Wahrscheinlich ist es so, daß das Neutron sowohl ein positives wie ein negatives Elektron enthält, und daß es nun dieses negative Elektron abstößt und dadurch zu einem Proton wird, das nur noch positive Ladung besitzt. Das neue, durch den Hinzutritt des Protons vergrößerte Atom ist aber kein Uran mehr, denn es hat ja nicht 92, sondern 93 Protonen. Es ist ein neues Element mit der Ordnungszahl 93 entstanden, das in der Natur nicht vorkommt. Dieses von uns künstlich hergestellte Element hat den Namen Plutonium bekommen. Es ist radioaktiv und verhält sich bei Neutronenbeschuß genau so wie das seltene Uranisotop 235, für das es einen vollwertigen Ersatz bietet. Um dieses Plutonium in größeren Mengen herzustellen, haben wir den großen Meiler gebaut. Wir geben das hier gewonnene radioaktive Material für technische und medizinische Zwecke an andere Institute oder an unsere eigenen Laboratorien ab.« »Sie sagen immer: Meiler. Ich denke, es heißt Megatron?« fragte Uli. »Das Megatron steht im Nachbarraum. Weil es aber die modernere Maschine ist, hat sich sein Name für das ganze Gebäude eingebürgert. - Wir werden jetzt einmal zum Megatron hinübergehen.« Professor Frenzen wandte sich an seine Assistenten: »Prüfen Sie inzwischen den Meiler und schließen Sie ihn wieder!« Nachdem er mit den Jungen von der Galerie herab geklettert war, zeigte er ihnen noch die seitlichen Öffnungen des großen Betontroges, durch die die verschiedenen Prüfgeräte und auch der Behälter mit dem Material für die Anfangszündung in den Meiler hineingeschoben werden konnten. Durch eine Betonwand vom Meiler getrennt stand das Megatron, gleichfalls ein klobiger Maschinenbau, der aber im Gegensatz zu dem Betontrog des Meilers fast nur Metallteile sehen ließ. »Die Öffnung dieses Monstrums bereitet große Schwierigkeiten«, erklärte Frenzen, »ich kann euch deshalb sein Inneres leider nicht zeigen. Ihr seht aber hier zu beiden Seiten die Wicklungen je eines mächtigen Elektromagneten herausragen. Sie erzeugen zwei magnetische Felder, die den Innenraum, eine Trommel von etwa einem Meter Durchmesser, beeinflussen. In diese Trommel werden Protonen, Neutronen oder Elektronen hineingeschossen und im Kreislauf durch die magnetischen Felder immer stärker beschleunigt, bis sie Geschwindigkeiten besitzen, die denen der kosmischen Strahlung nahekommen oder gleichkommen. Durch einen seitlichen Schlitz der Trommel treten sie dann aus, und wir können sie dort durch geeignete Apparate auffangen und untersuchen oder zu weiteren Experimenten verwenden, unter Umständen auch zur Zertrümmerung von Atomen. Es gibt praktisch kein Element, das dem Beschuß mit schweren Elementarteilchen Widerstand leisten könnte. Es kommt nur auf die richtige Größe der Geschwindigkeit dieser Teilchen und einige andere Vorbedingungen an.
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Ich könnte euch noch manches über die Atomumwandlungen erzählen. Aber ich fürchte, ihr würdet es doch nicht behalten. Außerdem will euch Herr Professor Habermann noch sein Weltraumschiff zeigen.« Da ergriff Felix das Wort für seine Kameraden: »Wir danken Ihnen herzlich, Herr Professor. Wir sind so begeistert, daß wir später, wenn wir groß sind, alle miteinander zu Ihnen kommen und bei Ihnen in Ihrem Institut arbeiten möchten.« Frenzen lachte: »Das werdet ihr euch noch überlegen. Zunächst schafft euch durch eifrige Arbeit in der Schule die notwendige Grundlage! Mathematik ist die Seele der Naturwissenschaft.« Er drückte jedem der Jungen zum Abschied kräftig die Hand. Etwas erleichtert atmeten sie doch alle auf, als sie mit Dr. Heise wieder im Freien standen. Ein fröhliches Lied verkürzte ihnen den Weg zur Hütte im Walde.
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DIE REISE ZUM SATURN »Mars« war Anfang Juli unbemannt in die Tiefe der Südsee geschickt worden, und zwar zur absolut tiefsten Stelle des Weltmeeres, in den Philippinengraben zur »EmdenTiefe«, wo man erst 10 793 m unter dem Meeresspiegel auf festen Boden trifft. Einen vollen Tag hatte die Kugel dort in völliger Dunkelheit gelegen, während die eingebauten Apparate Wasser- und Bodenproben entnahmen, Druck und Temperatur, Strömung des Wassers, Strahlung und sonstige Dinge maßen. Von Zeit zu Zeit hatten die eingebauten Scheinwerfer aufgeleuchtet, und gleichzeitig waren die Filmapparate ausgelöst worden. Nachdem »Mars« glücklich wieder im Institutswäldchen gelandet war, wurde er gründlich überholt, während gleichzeitig der Bau des zweiten, größeren Raumschiffes vollendet wurde. Bei dem neuen Fahrzeug war man von der Kugelgestalt etwas abgewichen: Es glich mehr einem Ei, das auf die Spitze gestellt ist und unten eine Anzahl warzenähnlicher Auswüchse hat; das waren die Düsenauslässe des Reaktionsmotors und die unteren Fenster. Diesmal waren zwei Einstiege an den Seiten vorgesehen. Aber diese sowohl wie die beiden Seitenfenster und der Vorderausblick am oberen Ende ragten nicht über die Außenhaut hervor. Um den Apparat auch unter starkem Druck von innen wie von außen gasdicht zu machen, war der ganze Rumpf aus Spezialstahl in einem Stück gegossen worden. Er wog nicht weniger als 8 t und war aus der Fabrik auf einem Speziallastwagen zum Institut geliefert worden. Die sonstige Ausrüstung mit Kühlsystem, Isolierung gegen kosmische Strahlung, Bremsen und Meßgeräten entsprach derjenigen des »Mars«. In den letzten Julitagen war alles bereit für die Probefahrt des neuen Apparats. Sie war nur von kurzer Dauer: ein Geschwindflug um den Mond. Damit alle interessierten Astronomen den Flug beobachten konnten, fand er in einer sternklaren Vollmondnacht statt. Wie bei den beiden Fahrten des »Mars« erwiesen sich auch bei dem neuen Geschoß die Flugbahnberechnungen als richtig, und die Radargeräte arbeiteten bei der Landung so genau, daß der schwere Apparat kaum vier Minuten nach dem Abschuß wieder unmittelbar neben der Waldhütte stand; um ein Haar wäre diese selbst getroffen worden! Nachdem sich alle seine Einrichtungen als zuverlässig erwiesen hatten, wurde das zweite Weltraumschiff wegen seiner ersten Versuchsreise zum Mond auf den Namen der Mondgöttin »Luna« getauft. Professor Habermann entschloß sich jetzt, selber die erste Reise in den Weltraum zu unternehmen. Professor Groß, der schon seit Wochen mit den astronomischen Berechnungen für eine Fahrt zum Saturn beschäftigt gewesen war, kam mit seinen Formeln und Zahlen und unterbreitete sie Habermann mit der Bitte, ihn auf diese Reise mitzunehmen; aber der Atomforscher vertröstete ihn auf die nächste Fahrt. Er wollte das erste Mal nur mit seinem Assistenten reisen, der die Apparatur genau kannte. »Ich weiß mit den Apparaten auch Bescheid«, bettelte Heinz. »Nein«, wies ihn der Vater zurück, »zwei Menschen in dem Weltraumschiff sind genug. Du würdest uns nur im Wege sein.« »Und wenn du nicht wiederkommst, was soll ich dann hier allein?« »Fleißig lernen, damit du später meine Arbeit zu Ende führen kannst!« Für den 12. August war der Start angesetzt. Aber zwei Tage vorher stolperte Dr.
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Heise vor der Waldhütte so unglücklich über das Feldbahngleis, daß er sich Elle und Speiche des rechten Unterarms brach und an der Saturnreise nicht teilnehmen konnte. Eine Verschiebung des Abflugs hätte eine völlig neue Berechnung der Flugbahn erforderlich gemacht. Fast alle Kollegen erboten sich, an Dr. Heises Stelle zu treten, aber Habermann machte ihnen klar, daß ihm nur ein Begleiter von Nutzen sein konnte, der den Apparat genau kannte. Und in wenig mehr als vierundzwanzig Stunden konnte niemand die »Luna« gründlich kennenlernen. Daher wollte er lieber allein reisen. Da erneuerte Heinz seine Bitten und merkte bald, daß der Vater schwankend wurde. Tatsächlich überlegte sich Habermann, daß er die Beobachtungen, um die ihn der Astronom gebeten hatte, nicht würde durchführen können, wenn er die Reise allein machte und von der Beobachtung der Atominstrumente in Anspruch genommen wäre. Übrigens hatte er voller Vaterstolz festgestellt, wie eingehend sich Heinz über alle Einzelheiten der »Luna« unterrichtet hatte, und wie geschickt und vorsichtig der Knabe mit den empfindlichen Geräten umzugehen gelernt hatte. Vielleicht konnte er dem Sohn wenigstens für kurze Zeit die Beobachtung der Instrumente überlassen? Lange kämpfte der Mann mit sich selbst, dann nahm er das Wagnis auf sich. Die anderen Gelehrten erfuhren davon allerdings nichts. Nur Heise wußte, daß Heinz abends in das Fahrzeug geklettert war und sich hinter dem Motor ein bequemes Lager zurechtgemacht hatte. Dort lag er zusammengerollt wie ein Igel, als sich in der Nacht die Kollegen Habermanns um das Raumschiff versammelten, um Abschied zu nehmen. 0 Uhr 12 Minuten 15 Sekunden war als günstigster Zeitpunkt für den Abschuß gewählt worden. Um diese Zeit stand die Sonne ziemlich genau auf der anderen Seite der Erde, die Anziehungskräfte beider Weltkörper wirkten also in gleicher Richtung auf eine senkrecht emporgeschossene Rakete. Bei richtig berechneter Geschwindigkeit mußte das Raumschiff dann die Bahn des Saturn gerade in einem Augenblick kreuzen, wo dieser selbst noch einige hunterttausend Kilometer entfernt war, aber schon ganz erheblich anziehend auf das Geschoß wirkte. Die Schwerkraft des Saturn mußte die Bahn der Rakete, die bis dahin fast geradlinig sein würde, stark abbiegen und das Geschoß vorübergehend zu einem Saturnmond machen. Seine Bahn würde eine sehr exzentrische, langgestreckte Ellipse sein, deren absteigender Ast die Erdbahn gerade wieder an der Stelle treffen mußte, an der die Erde nach der errechneten Flugzeit sich befand. Diese Art der Flugbahnberechnung hatte sich bei den drei bisherigen Fahrten als zuverlässig erwiesen; die Uhren und die Apparate, die das selbsttätige Anspringen und Aussetzen des Motors regelten, hatten einwandfrei gearbeitet. Deshalb wollte sich Habermann bei der ersten Fahrt mit Bemannung gleichfalls auf diese Apparatur und auf die Vorausberechnungen verlassen. Aber er hatte die Möglichkeit eigenen Eingreifens vorgesehen, falls Überraschungen auftreten sollten. *** Um halb zwölf nahm der Weltraumfahrer Abschied von seinen Kollegen. Der Einstieg wurde hinter ihm geschlossen. Ein lautes Dröhnen verkündete ihm und Heinz, daß die dicken Sperriegel der Einstiegklappe, die wie bei einer Safetür gearbeitet waren, in ihre Rasten eingeschnappt waren. Nur gedämpft hörten die beiden die Rufe der Zurückbleibenden, die ihre letzten Glückwünsche darbrachten und dann zu ihren Kraftwagen eilten. Bald war das letzte Motorengeräusch der Autos verklungen. Habermann schaltete die Innenbeleuchtung und die Luftreinigung ein. Die Rakete war als Druckkammer gebaut wie ein Stratosphärenflugzeug oder ein Unterseeboot. Für die
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Versorgung der Insassen mit Atemluft hatten sich die Konstrukteure des Raumschiffs die Erfahrungen zunutze gemacht, die mit Flugzeugen und U-Booten gesammelt worden waren. Heinz hatte sich aufgerichtet und lächelte dem Vater zu. Der strich ihm liebevoll über die Wange. Habermanns Hand zitterte leicht, er konnte seiner Erregung nicht ganz Herr werden. Aber aus den Augen des Jungen strahlte ihm so festes Vertrauen entgegen, daß er sich ein wenig schämte und zusammenriß. »Achte bitte auf die Uhr und mach mich darauf aufmerksam, wenn es 0 Uhr 11 ist!« wies er den Sohn an. Heinz' Augen gingen hin und her zwischen dem Uhrzeiger und dem Vater, der noch einmal alle Apparate in Augenschein nahm und vor allem die Sauerstoffabgabe des Luftreinigers überprüfte, dabei aber selber auch immer wieder auf die Uhr blickte. Endlich war es soweit. Vater und Sohn nahmen ihre Plätze auf den weichen Lederpolstern neben dem Motor ein. »Bequem hinsetzen und ruhig sitzen!« mahnte Habermann und legte die Hand an den Hebel, der den Motor anspringen lassen sollte. Langsam krochen die letzten Sekunden dahin. Da — ein fürchterlicher Ruck! Heinz fühlte sich mit ungeheurer Wucht in seinen Sitz gepreßt und hörte ein Donnergetöse, das allerdings bald in ein feines Singen überging. Aber in den Ohren brauste es immer noch; kaum hörte er die Stimme des Vaters: »Da liegt Berlin!« Habermann zeigte auf das eine der unteren Fenster, durch das man einen hellen Nebelfleck wahrnehmen konnte, das nächtliche Licht der Großstadt. Der Fleck schrumpfte schnell zusammen, wurde immer kleiner und undeutlicher. Der fast unerträgliche Druck ließ nach, als die Rakete ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte. Habermann erhob sich und schaltete die Innenbeleuchtung aus. Wieder wies seine Hand nach unten. Dort sah man jetzt eine dunkle Kugel, die Erde, in der Nacht davonschweben; nur an einem Rande war sie schwach erleuchtet. »Dort wird gleich die Sonne auftauchen«, bemerkte der Vater. Heinz nickte. Mit gemischten Gefühlen sah er den heimatlichen Planeten entschwinden. Aber da begann an der schwachbeleuchteten Kante der Erde ein grelles Strahlen, nicht allmählich, wie die irdische Dämmerung kommt, sondern ganz plötzlich. »Die Sonne!« Jetzt nickte Habermann. »Blick nicht direkt hinein, sie blendet dich! Vermeide jetzt auch jede größere Anstrengung!« Die Sonne schien von unten durch beide Fenster in das Raumschiff hinein. Scharf begrenzt zeichneten sich zwei helle Kreisflächen in der Kuppel ab. Dadurch wurde das Innere der Rakete erhellt. Aber wenn man durch die Fenster hinausschaute, dann war dort dunkle Nacht mit funkelnden Sternen. Auch die Sonne, die von unten hereinschien, stand nicht am Tageshimmel, wie Heinz das gewöhnt war, sondern sie strahlte unerträglich hell aus tiefdunkler Nacht! Die Erklärung dafür konnte er sich selbst geben: Die zerstreute Helligkeit des irdischen Tages ist ja eine Folge der Lichtbrechung in der Atmosphäre, und diese Lufthülle der Erde hatte das Weltraumschiff bereits verlassen.
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Auch die Wirkung der irdischen Schwerkraft hatte praktisch fast aufgehört. Wenn sich überhaupt noch eine Schwerkraft bemerkbar machte, so war es die der Sonne. Aber sie war so schwach, daß man sich in dem Raumschiff fast schwerelos bewegen konnte. Heinz war ganz wunderlich zumute. Sein Auge suchte die Erde. Aber sie war längst im Dunkel verschwunden. Dort unten strahlte nur die Sonne, und neben ihr bewegten sich einige schwache Sternchen, die man jedoch nur sehen konnte, wenn man die Blendung durch die Sonne vermied. Welches dieser Sternchen war die Erde? Habermann griff in eine Ledertasche neben seinem Sitz und holte Schokolade hervor. Schweigend reichte er Heinz die eine Hälfte. Freudig griff der Junge zu, aber ein heftiger Schmerz lahmte ihm fast den Arm. Er wollte ihn sinken lassen, der Arm blieb jedoch in der Luft hängen. »Du bist viel zu hastig!« mahnte der Vater. »Ganz langsam bewegen und nur zart zufassen! Die Anziehungskraft von Erde und Sonne hat hier nur noch sehr geringe Wirkung, viel geringere, als wir sie auf der Erdoberfläche gewöhnt sind. Daher sind die Kraftempfindung der Muskeln und das Druckgefühl der Haut weitgehend verändert. — Nun nimm!« Vorsichtig griff Heinz zu. Tatsächlich: die Schokolade wog nichts! Er fühlte sie zwar zwischen den Fingern, aber sie hatte kein Gewicht. Er schnellte sie mit der flachen Hand ein wenig in die Höhe. Da flog sie bis in die Kuppel hinauf und schwebte nur ganz langsam wie ein Federchen wieder herunter. Unwillkürlich verzog sich Heinz' Gesicht zum Lachen, er wollte den Kopf schütteln; aber er ließ beides, denn auch diese leichten Bewegungen verursachten ein unangenehmes Gefühl, beinahe einen Schmerz. Vorsichtig führte er das Stückchen Schokolade zum Munde. Darauf beißen durfte er nicht, falls er Anstrengung und Schmerz vermeiden wollte. Man durfte die Schokolade nur auf der Zunge zergehen lassen. Das Geräusch des Motors hatte aufgehört. Die Rakete flog also jetzt mit gleichbleibender Geschwindigkeit durch den dunklen Weltraum. Habermann verglich die Großschen Tabellen mit der Uhrzeit und stellte mit Genugtuung fest, daß der Motor genau zur vorausberechneten Zeit ausgesetzt hatte. Besorgt ging sein Blick über die verschiedenen Registrierapparate hin: Innendruck wenig mehr als eine Atmosphäre. Außendruck fast Null. Temperatur innen plus 22 Grad Celsius, außen am Kopf der Rakete minus 76, an der Sonnenseite plus 980 Grad Celsius! Das war zu erwarten gewesen; da aber die Innentemperatur stabil blieb, war anzunehmen, daß die Kühl- und Heizvorrichtung einwandfrei arbeitete. Die Sauerstoffabgabe des Luftreinigers war gleichmäßig, die Luftfeuchtigkeit nur wenig erhöht. Die kosmische Strahlung war sehr stark, aber die Isolierschicht der Rakete ließ nur wenig davon in das Innere dringen. Beruhigt wandte Habermann die Augen dem oberen Fenster zu. Dort war jetzt der Saturn als heller Stern sichtbar. Dieser Planet mit den vielen Ringen rund um den Bauch stand etwas seitwärts von der Flugbahn der Rakete. Habermann nahm ein kleines Fernrohr vom Klemmhaken an der Wand und beobachtete ihn sorgfältig. Dann winkte er Heinz und ließ auch ihn durch das Rohr schauen. »Er wird immer größer«, staunte der Junge. »Aber die Ringe sind ja gar keine Ringe! Sie sehen mehr aus wie eine körnige Masse.« »Ja, es sind unzählige kleine Monde, jeder von einer Wolkenschicht umgeben und so dicht beieinander, daß sie sozusagen einen Brei bilden.« »Und jetzt sehe ich, wie das Ganze sich dreht. Es wird immer deutlicher. Es kommt
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mir so vor, als ob sich der Brei verschiebt, weil er sich innen schneller bewegt als außen.« »Ja, das stimmt. Der innere Rand des Ringes bewegt sich in 71/2 Stunden einmal um den Saturn herum, der äußere Rand aber braucht 14 Stunden für einen Umlauf.« »Das Ganze sieht eigentlich gar nicht wie eine Kugel aus, sondern eher wie ein flaches Brötchen.« »Gut beobachtet!« lobte der Vater. »Die großen Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun drehen sich sehr schnell um ihre eigene Achse, viel schneller als die Erde. Auf dem Saturn dauert daher ein Tag nur etwas mehr als zehn Stunden, nicht einmal halb solange wie ein Tag auf der Erde. Bei dieser raschen Umdrehung macht sich die Zentrifugalkraft natürlich viel stärker bemerkbar. Schon unsere Erde ist ja nicht ganz genau eine Kugel, sondern sie ist an den Polen abgeflacht und am Äquator verdickt. Die Astronomen nennen einen solchen Körper ein Sphäroid. Beim Saturn ist das infolge der schnelleren Bewegung noch auffälliger. Er ist tatsächlich ein breiter Kuchen, zumal er am Äquator noch von dem Wulst der Ringe umgeben ist.« Habermann warf einen Blick auf das Gravitationsmeßgerät und rief seinen Sohn: »Schau her, das Schwerefeld des Saturns macht sich schon erheblich bemerkbar und wird jetzt ebenso stark wie das der Sonne. Etwas weiter aber wird es bei unserem Fluge rasch immer stärker zunehmen. An diesem Punkt der Reise sollte uns ein Raketenstoß umkippen, damit wir dem Saturn die Unterseite unseres Schiffes zuwenden und in seinem Schwerefeld mit unseren Menschenfüßen fest auf dem Boden stehen. Setz dich in den Sessel und halte dich fest!« Heinz folgte der Aufforderung und wollte noch eine Frage stellen. Aber da setzte auch schon der Düsenmotor einseitig mit seinen Explosionen ein. »Vater, der Saturn verschwindet.« Der Professor lächelte: »Du täuschst dich: wir selber drehen uns. Sieh da, jetzt ist der Saturn im Seitenfenster zu sehen. Und bald werden wir ihn durch die Bodenfenster erblicken können.« »Jawohl, dort unten ist er schon.« Vom Motor spürte man noch einen kurzen Gegenstoß in umgekehrter Richtung, der die Drehung der Kugel abbremste. Dann setzte der Motor wieder ganz aus, das Raumschiff drehte sich nicht weiter. »Wahrhaftig«, rief Heinz. »Jetzt scheint die Sonne fast genau von oben herein.« »Ja, und wir stehen auch wieder viel fester auf unseren Beinen, angezogen vom Schwerefeld des Saturns. Aber - wir müssen seitwärts am Saturn vorbei, sonst stoßen wir mit ihm zusammen.« Habermann blickte besorgt durch eines der Bodenfenster zu dem Planeten hinab, der jetzt schon mit bloßem Auge als bunter Ball zu erkennen war, immer größer wurde und immer näher kam. »Da stimmt doch etwas nicht!« murmelte Habermann noch einmal; er starrte wie gebannt auf die große Kugel, die lautlos auf ihn zu schwebte. »Vater, was ist denn das da?« fragte Heinz, indem er auf einen anderen Ball hinwies, der von der Seite her mit noch größerer Geschwindigkeit näher kam als der große Planet.
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A. Bagemühl: Das Weltraumschiff
Jetzt hatte auch der Vater diesen Körper entdeckt. »Ein Mond des Saturns!« rief er, »ein Mond, den Kollege Groß wahrscheinlich nicht gekannt und in seinen Berechnungen nicht berücksichtigt hat. Wir sind bereits in seinem Schwerefeld und müssen mit ihm zusammenstoßen, wenn...« Ein Griff zum Motor, ein Hebeldruck, eine kleine Explosion, ein scharfer Ruck und dann wieder das Singen der Düsen. Der Motor lief. Ein Weilchen war der Erfolg zweifelhaft. Aber dann zeigte sich deutlich, daß der unbekannte Saturnmond nicht mehr näher kam. Er wandte sich seitwärts, zog in ungefähr gleichbleibendem Abstand vorbei und entfernte sich dann. »Zurück zur Erde!« seufzte Habermann. »Aber wo ist sie? Wir haben die Richtung verloren.« Er starrte verzweifelt zum oberen Fenster hinaus, durch das schräg die Sonne hereinschien. »Die Erde ist doch da, wo die Sonne ist«, rief Heinz. Der Vater lachte ärgerlich: »Sie ist inzwischen auf ihrem Wege um die Sonne auch weitergewandert.« »Das kann doch nicht viel sein.« »Gerade genug, um an ihr vorbei zur Sonne zu fliegen, ohne die dunkle Erde zu entdecken. Außerdem sind wir schon nicht mehr genau auf die Sonne ausgerichtet, sondern befinden uns etwas seitwärts von der geraden Linie Sonne - Saturn.« Ein neuer Seufzer hob seine Brust. »Es gibt nur eine Möglichkeit: Wir müssen uns vom Saturn als Mond einfangen und so lange um ihn herumschleudern lassen, bis wir Richtung auf die Erde haben. Dabei dürfen wir aber dem Saturn nicht so nahe kommen, daß wir auf ihn aufprallen.« Er stellte den Motor ab. »Ich muß versuchen, die Stellung der Erde ungefähr zu errechnen. Am besten würden wir dazu auf dem Saturn landen. Aber der hat eine dichte Atmosphäre aus giftigen Gasen, die mir die Beobachtung behindern würde. Wirst du es fertigbringen, uns ungefähr in der gleichen Entfernung von ihm zu halten, wie wir sie jetzt haben? Du mußt für kurze Zeit den Motor wieder anstellen, wenn er uns zu nahe kommt.« »Natürlich kann ich das! Wir sind schon wieder näher an ihn herangerutscht, ich werde den Motor laufen lassen.« »Gut! Ich werde inzwischen die Planetentafeln zur Hand nehmen, die mir Kollege Groß mitgegeben hat.« »Ja, Vater! Ich passe schon auf.« Heinz startete noch einmal den Atommotor, so daß sich das Bild des Saturns zu seinen Füßen bald nicht mehr so stark vergrößerte. Währenddessen hatte Professor Habermann die Planetentafeln, ein dickes Buch, aus einer der Taschen an seinem Sitz genommen. Er öffnete den Band auf den Knien und begann eifrig zu rechnen. Einmal blickte er auf und fragte besorgt : »Kannst du den Abstand halten? Wir dürfen auch nicht zu weit vom Saturn fort.« Heinz deutete nur lächelnd auf das Bild des Planeten, dessen eine Seite jetzt dunkel zu werden begann. Habermann wendete sich wieder seinen Berechnungen zu. Auf seiner Stirne stand der Schweiß.
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Plötzlich tauchte das Raumschiff in tiefe Finsternis ein. Der Saturn stand zwischen ihm und der Sonne, aber er war trotz der dunklen Nacht deutlich zu erkennen. Man sah jetzt, daß er von einer breiten Gasschicht umgeben war, in der sich die Sonnenstrahlen brachen: Saturn war eine dunkle Kreisfläche, umrahmt von weißschimmernder, hellbeleuchteter Wolle. Beiderseits glitzerten auch Teile der Saturnringe. Genau so plötzlich, wie die Sonne erloschen war, strahlte sie auch wieder auf. Habermann rechnete noch immer. »Es ist nur ein Glück, daß wir überreichlich Atomkraftstoff mitgenommen haben«, murmelte er zwischendurch. Heinz griff in die Tasche, die, wie er wußte, Schokolade enthielt. Er fand darin auch eine Flasche, die er hervorzog, entkorkte und dem Vater bot. »Ah, der Tee!« flüsterte der Mann erfreut; er nahm einen tüchtigen Schluck. Heinz war nicht durstig. Er verstaute die Flasche wieder und beobachtete weiter den Saturn. »Ich habe schon seit einer ganzen Weile den Motor nicht mehr gebraucht«, meldete er. »Ich glaube, wir sind trotzdem weder näher gekommen, noch vom Saturn abgerückt.« »Das ist gut«, antwortete der Vater. »Dann befinden wir uns jetzt als Trabant des Saturns im Gleichgewicht zwischen der Wirkung seines Schwerefeldes und der entgegengesetzten, zentrifugalen Wirkung unserer Umlaufsgeschwindigkeit. Achte darauf, daß es so bleibt!« Saturn zeigte seine Seitenansicht. Die Sonne schien durch eines der Seitenfenster in die Rakete hinein. Heinz griff noch einmal in die Tasche und entnahm ihr Schokolade, die er mit dem Vater teilte. Jetzt, im Schwerefeld des großen Planeten, stand und saß man wieder sicher in dem Weltraumschiff, Muskelbewegungen verursachten keine Schmerzen mehr. »So!« Habermann richtete sich auf. »Hoffentlich stimmt meine Rechnung!« Sorgfältig visierte er durch die beiden Fadenkreuze, die auf der Außen- und der Innenseite des 20 cm dicken Oberfensters eingraviert waren. »Nein«, seufzte er, »wir bekommen nicht genau die Richtung, die wir brauchen. Aber was ist das? Wir werden schon wieder von unserem Kurs abgelenkt. Verändert sich der Abstand vom Saturn?« »Ich glaube nicht. Jedenfalls kann ich nichts davon merken.« »Da muß die Schwerkraft eines Saturnmondes im Spiel sein. Das ist kein Wunder: Saturn hat nicht weniger als zehn solcher Trabanten, oder vielmehr elf, denn wir selbst haben ja einen neuen entdeckt. Wo mag der Störenfried nur sein?« »Ich sehe ihn!« rief Heinz. »Er fliegt ungefähr in der gleichen Richtung wie wir um den Saturn, nur nicht so schnell wie wir. Bald werden wir ihn eingeholt haben.« »Dann wird er uns also wieder in entgegengesetzter Richtung ablenken... Laß einmal sehen! - Ja, wenn wir Glück haben, schwenkt er uns nahe an dem Punkt vorbei, auf den wir unseren Kurs richten müssen. Die Zeit stimmt auch ungefähr... Junge, geh an den Motor und schalte die Atomkraft in dem Augenblick ein, wo ich rufe: Jetzt. Aber halte dich fest, daß dich der Rückstoß nicht umwirft!« »Jawohl, Vater, ich bin bereit.« Habermann visierte durch das Fadenkreuz die neben der Sonne stehenden
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Sternbilder an, die langsam an seinem Auge vorbeizogen. Heinz hatte die Hand am Anlasser und blickte gespannt auf den Vater, der jetzt die Hand hob, um anzuzeigen, daß der Zeitpunkt des Starts nahe sei. »Jetzt!« tönte sein Kommando. Mit hartem Zischen stieß der Düsenmotor seine Explosion aus. Der heftige Stoß ließ Habermann in die Kniebeuge gehen. Aber er fing sich sofort wieder und beobachtete weiter. »Die Richtung könnte stimmen«, murmelte er, »... wenn ich richtig gerechnet habe.« »Du hast doch jetzt Zeit nachzurechnen, Vater!« »Das werde ich auch tun. Achte auf die Instrumente und stell den Motor ab, sobald du hier auf der Skala siehst, daß die Schwerkraft des Saturns auf den Wert 20 gesunken ist!« Der Professor beugte sich noch einmal über seine Berechnungen und verglich sie mit den Planetentafeln. Heinz beobachtete den Saturn, der unter ihnen immer kleiner wurde; er erschien nur noch wie ein weißer Tennisball, der mit einem langen Wollfaden umwickelt ist. Habermann blickte empor. »Achte auf das Gravitationsmeßgerät!« mahnte er. »Schau hin: Das Schwerefeld des Saturns ist schon viel geringer geworden, die Nadel weist auf die Ziffer 20. Stell den Motor ab!« Das Geräusch erlosch. »Bald wird sich die Schwerkraft der Sonne bemerkbar machen«, murmelte der Gelehrte, wieder in seine Berechnungen vertieft. Schon hatte jedes Gefühl für oben und unten aufgehört. Selbst das schwere Fernrohr bildete in der Hand kein Gewicht mehr. »In meiner Rechnung habe ich einen Fehler nicht entdecken können«, sagte Habermann. »Ist es denn so schlimm, wenn du dich ein bißchen verrechnet hast? Die Rakete läßt sich doch steuern; sie ist sogar genau zur Waldhütte zurückgekehrt!« »Ja, aber nicht mit Atomtreibstoff. Der ist zum Steuern ungeeignet, weil sein einseitiger Ausstoß zu gewaltig wirken und das Raumschiff in wirbelnde Umdrehung um die eigene Achse versetzen würde. Darum ist der Motor so gebaut, daß der Atomtreibstoff immer nur auf den ganzen Düsenkreis zugleich wirken kann und uns nur in einer Richtung beschleunigt. Wenn wir das Schiff wenden wollen und zu diesem Zweck nur eine Düse oder die Düsen auf einer Seite betätigen wollen, dann müssen wir den Raketentreibstoff einschalten, der weniger grob arbeitet und sich leichter dosieren läßt. Der Raketentreibstoff besteht aus Alkohol und Wasserstoffsuperoxyd. Von diesen beiden Flüssigkeiten haben wir aber nur eine engbegrenzte Menge mit, weil sie verhältnismäßig viel schwereres Gewicht haben und viel größeren Raum in Anspruch nehmen als der Atomtreibstoff. Was wir davon noch im Tank haben, das brauchen wir, um unseren Landeplatz auf der Erde anzusteuern. Nur im äußersten Notfall darf ich es verwenden, um unsere Richtung hier im weiten Weltraum zu ändern. Zur Überwindung der großen Räume müssen wir uns im wesentlichen auf die Richtkraft verlassen, die uns die Schwerefelder der Himmelskörper, namentlich der Sonne, bieten.« Sorgfältig maß der Gelehrte die Winkel, die die Richtungen auf die Sonne und auf verschiedene Sterne, namentlich auf den Saturn, miteinander bildeten. Dann atmete er tief auf:
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»Es scheint einigermaßen zu stimmen.« Buchstäblich »im Fluge« waren ihnen die Stunden vergangen. Jetzt kam es darauf an, mit dem Auge die Erde zu entdecken. Sie konnte nicht weit von der Sonne entfernt sein, besaß aber keine eigene Leuchtkraft, sondern war nur auf einer Seite einen Streifen breit von der Sonne erhellt. Abwechselnd blickten Vater und Sohn suchend durch das Fernrohr. Schließlich waren es wieder die jüngeren Augen, die die heißersehnte zuerst sahen. »Da ist sie!« schrie Heinz. »Im Auge behalten!« forderte Habermann. Er visierte über den Kopf des Knaben hinweg und entdeckte jetzt auch am dunklen Firmament ein Lichtpünktchen. »Aha! Gib mir das Fernrohr!« Ohne den gefundenen Punkt aus dem Auge zu lassen, hob er langsam das Instrument. Nachdem er es gerichtet hatte, mußte er doch noch einmal eine ganze Zeit suchen, bis er es endlich im Glase hatte; so lichtschwach war das Bild der alten Erde. Aber sie war es, wenn auch noch weit entfernt. Ganz langsam flog sie neben der Sonne vorbei und wurde immer größer. Würde ihr die Rakete aber so nahe kommen, daß die Schwerkraft der Erde das Übergewicht über das der Sonne bekäme? Habermann wartete noch ab. Solange sich das Bild der Erde vergrößerte, bestand die Hoffnung, in ihren Bereich zu gelangen. Aber die Erde rückte immer weiter seitwärts. Da entschloß sich Habermann zum Handeln. Er schaltete auf Alkoholtreibstoff und leitete ihn zu den Düsen auf jener Seite des Fahrzeugs, die der Erde abgewandt war. Dann betätigte er die Zündung; schon knatterte der Motor einseitig los, und die Rakete wendete sich mit dem Kopf in die Richtung, in der die Erde ihre Bahn zog. Als die Erde seitwärts stand, öffnete Habermann alle Düsen und stellte auf Atomtreibstoff um. Es war deutlich zu erkennen, daß der scheinbare Abstand zwischen dem großen Sonnenbrand und dem winzigen Erdbällchen jetzt langsamer wuchs. Als er überhaupt nicht mehr merklich zunahm, drosselte der Professor den Motor. Geräuschlos schwebte die »Luna« auf Erde und Sonne zu. Die Erde wurde größer; jetzt war sie im Fernrohr ein schwach leuchtender Ring, der sich scheinbar immer mehr der Sonne näherte und schließlich in ihr verschwand. Vater und Sohn starrten auf den entgegengesetzten Rand der Sonne, aus dem die Erde wieder auftauchen mußte. Aber es dauerte wohl eine halbe Stunde, bis dieses Ereignis eintrat. Der Planet war inzwischen bedeutend größer geworden. Schon mit bloßem Auge sah man ihn als kleinen goldenen Reif dicht neben dem gewaltigen Sonnenball. Da hielt Habermann die Zeit für gekommen, direkt Richtung auf die Erde zu nehmen. Noch einmal schaltete er auf Raketentreibstoff und betätigte eine Reihe Düsen. Das Raumschiff drehte sich; alles, was nicht befestigt war, auch die Menschen purzelten durcheinander. Schließlich standen Vater und Sohn auf der Fassung des Oberfensters, das nun nach unten auf die Erde gerichtet war. In diesem Augenblick stellte der Gelehrte auf Atomtreibstoff um und ließ die »Luna« mit Höchstgeschwindigkeit auf den Planeten zubrausen. Schnell vergrößerte sich die Erde. Jetzt konnte man schon erkennen, daß sie nicht nur ein leuchtender Ring war, sondern ein runder Körper von der Größe einer Billardkugel, von der man allerdings nur die unbeleuchtete Seite vor Augen hatte. Bald wurde daraus eine kleine Kegelkugel. Da stellte Habermann den Motor ab.
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Der Abstand zur Erde wurde immer geringer; jetzt schien der Planet schon die Größe eines Medizinballes zu haben. Habermann opferte noch einmal einen Teil des kostbaren Raketentreibstoffes, um das Raumschiff so zu steuern, daß sein Unterteil zur Erde hinwies. Nachdem diese Wendung gelungen war, schaltete er auf Atomtreibstoff um und bremste auf diese Weise die ungeheure Fallgeschwindigkeit. Mit aller Gewalt wurden die beiden Menschen auf den Boden gepreßt. Mühsam richteten sie sich auf und setzten sich in die Sessel neben dem Motor. Plötzlich umfing sie völlige Finsternis. »Wir sind im Erdschatten«, erklärte der Vater. »Die Sonne steht jenseits der Erde.« Immer langsamer schwebte der heimatliche Planet näher. Er war schon so groß, daß seine hellen Ränder nur noch dann zu sehen waren, wenn man sich seitwärts beugte und schräg durch die unteren Fenster hinausblickte. Die Rakete schwebte allerdings nicht auf die Mitte der Erdkugel zu, sondern ein wenig seitwärts, wo eine hell beschienene Wolke sichtbar wurde. Habermann schaute auf das Meßgerät für die Stärke des Schwerefeldes. »Wir müssen uns jetzt für die Landung auf das automatische Richtgerät verlassen«, sagte er, indem er die Kopfhörer des Radarpeilgerätes umlegte. Er schaltete das Gerät ein und drosselte damit selbsttätig die Zufuhr des Atomtreibstoffes. Ein feines ryhthmisches Ticken in den Kopfhörern zeigte an, daß die Kurzwelle des Institutssenders richtig empfangen wurde. Da setzte auch schon automatisch der Motor wieder ein, jetzt mit Alkoholantrieb. Die Rakete neigte sich. Die beiden Reisenden konnten sich kaum in ihren Sesseln halten. Plötzlich schien die Sonne wieder herein, aber sie blendete nicht mehr so stark wie bisher, denn die Rakete befand sich über der weißen Wolke, die sehr groß geworden war, und die Sonne schien durch sie hindurch wie durch einen glitzernden Schneehaufen. »Vater, der Himmel ist gar nicht mehr schwarz, er ist jetzt ganz dunkelblau«, rief Heinz verwundert aus. Er war so sehr an die tiefe Dunkelheit des Weltraums gewöhnt, daß ihn dieses tiefe, aber dennoch strahlende Blau überraschte. Es war allerdings von außerirdischer Schönheit. »Jawohl, mein Sohn«, antwortete Habermann, »im äußeren Teil der Atmosphäre, in der wir uns jetzt befinden, ist zwar die Luft außerordentlich dünn, aber selbst diese dünne Luft bricht die Sonnenstrahlen und zerstreut sie. Je näher wir der Erde kommen, um so stärker wird die Lichtbrechung und um so heller wird das Blau des sogenannten Himmels werden. In dem luftleeren Weltraum dagegen werden die Lichtstrahlen nicht gebrochen, sie treffen dort unser Auge nicht zerstreut, sondern grell aus absoluter Finsternis heraus. - Aber blicke jetzt hinunter ! Wir haben die Wolke überflogen und haben klare Sicht auf die Erde: eine grünlich blaue Fläche, die hinter uns im Dunkel zurückbleibt, vor uns aber immer heller wird. Hinter uns die Nacht, vor uns der Tag. Wir sind über einem der großen Weltmeere, denn Land ist nirgends zu sehen. Nach der Beleuchtung zu urteilen, ist es hier unter uns gerade etwa sechs Uhr abends. Wir fliegen in den Tag hinein, also gegen die Drehbewegung der Erde. Nach dem Stand der Sonne befinden wir uns in der Nähe des Äquators. Aber wo? Welcher Ozean mag da unter uns liegen?« »Sieh, Vater, den weißen Ring dort!« »Das ist offenbar der Gischt der Brandung um eine Insel. Aber die Kreisfläche ist innen dunkelblau. Da ist Wasser. Also ein Atoll.«
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»Ein Atoll? Was ist das?« »Ein ringförmiges Korallenriff. Wahrscheinlich ist da auf dem Meeresboden der Krater eines alten Vulkans. Auf seinen Rändern haben sich Korallen angesiedelt, das heißt Meeresbewohner, von denen man nicht recht sagen kann, ob sie Pflanze oder Tier sind. Das Skelett, das ihren Körper stützt und mit dem sie auf dem Boden festgewachsen sind, ist nicht innen wie bei uns, sondern außen, es ist ein Kalkpanzer, und wenn die Koralle stirbt, dann bleibt dieses Kalkskelett stehen. Da diese Korallen gesellig in großen Kolonien leben, so setzen sich immer neue junge auf die alten abgestorbenen darauf, und allmählich entsteht ein ganzer Felsen aus Korallenkalk. Diese Atolle sind also lebendig gewachsen. Sie sind ein Kennzeichen der Westhälfte des Stillen Ozeans. Siehst du, dort schließt sich nach Norden zu eine ganze Perlenkette solcher kleiner Inseln an, und links von uns nach Süden tauchen größere auf. Ich vermute, wir haben soeben die Marshall-Inseln passiert und fliegen an den Salomon-Inseln vorbei. - Jawohl, dort links sehe ich Land, das muß die große Insel Neuguinea sein, hinter der Australien im Dunst nicht zu erkennen ist. Vor uns sind jetzt die Philippinen. Hier ist die tiefste Stelle des Weltmeeres, der Philippinengraben, in den der »Mars« kürzlich in zehn Kilometer Tiefe versenkt war. Wenn wir unsere Richtung beibehalten, kommen wir nach meiner Schätzung auf dem geradesten Wege nach Haus.« »Die Philippinen scheinen recht große Inseln zu sein, namentlich die eine, die dort links im Hintergrund liegt.« »Das wird Borneo sein. Diese Insel gehört schon nicht mehr zu den Philippinen, sondern zum Malaiischen Archipel.« »Und vor uns kommt ein ganz breiter Landstrich in Sicht.« »Das ist sicher Indochina.« »Oh, ist das ein Gewirr von Gebirgen und Wäldern! Und die Berge werden immer höher, in derFerne sind sie mit Schnee bedeckt.« »Das muß der Himalaja sein, das höchste Gebirge der Welt mit Gipfeln bis zu fast 9000 Metern. Wir kommen, wie es scheint, dicht daran vorbei; das Gebirge bleibt rechts neben uns. Eine Landung dort wäre höchst gefährlich.« »Jetzt liegt ein herrliches Tal unter uns, mit vielen breiten Strömen.« »Das sind die Mündungsarme des Ganges und des Brahmaputra. Beide kommen vom Himalaja und bewässern die fruchtbarste und am dichtesten bevölkerte Ebene Indiens. Aber was ist das? Unser Düsenmotor stottert, unser Kurs wird unregelmäßig. Und das gerade in dem Augenblick, wo wir auf das zerklüftete Gebirgsland Afghanistan zufliegen.« »Können wir nicht gleich hier landen? Das Gangestal ist doch dicht bewohnt, hier finden wir überall Hilfe.« »Zu spät! Wir sind ja schon fast darüber hinweg. Du siehst, hier beginnen schon die Berge. - Da, der Motor streikt!« Habermann betätigte die Zündung, und tatsächlich sprang der Motor noch einmal an. Der Gelehrte atmete auf: »Wenn wir nur noch über das Gebirge hinwegkommen!« Ein Weilchen lief der Motor noch, aber kaum war der Hilmend, der einzige größere Fluß Afghanistans, überschritten, da setzte er wieder aus und ließ sich nicht mehr in Gang
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bringen. Schon entfalteten sich die Bremsklappen. Rasch kam der Boden näher. Er schien ziemlich eben zu sein, bot aber einen trostlosen Anblick; keine Spur von grünen Pflanzen oder bestellten Feldern, nur rotbraune Wüste bis zum Horizont, wo eine große Wasserfläche leuchtete. »Setze dich fest hin! Wir werden eine harte Landung haben.«
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DESCHT-I-KUWIR Die Mahnung des Vaters kam gerade noch zur rechten Zeit. Heinz klammerte sich an den Armlehnen des Sessels fest. Da gab es auch bereits einen unerhört harten Stoß, den er durch das ganze Rückgrat bis ins Gehirn spürte. Die Federn des Sitzes bohrten sich in sein Hinterteil. Aber es war ihm nichts Ernsthaftes geschehen. Er rappelte sich hoch und erschrak, als er den Vater leblos in seinem Sessel hängen sah. Er rüttelte ihn: »Vater, komm doch zu dir! Was ist dir?« Ratlos blickte sich der Junge um. Die Flasche, dachte er. Mit fliegenden Händen holte er den Tee hervor und hielt dem Vater die entkorkte Flasche an die Lippen. Er zwängte sie zwischen die Zähne des Mannes und kippte etwas von ihrem Inhalt in seinen Mund. Das meiste lief allerdings daneben und über das Kinn. Aber einige Tropfen hatten doch wohl ihr Ziel erreicht. Der Gelehrte öffnete die Augen, hustete, wischte sich den Mund und blickte erstaunt um sich. »Ich war wohl bewußtlos?« fragte er. Heinz nickte nur. Der Vater erholte sich rasch. »Wir müssen uns irgendwo im nördlichen Persien befinden«, überlegte er. »Ich glaube, ich habe das Kaspische Meer schon in der Ferne gesehen. An einen Weiterflug ist nicht zu denken. Unser Vorrat an Alkohol und Wasserstoffsuperoxyd scheint völlig erschöpft zu sein. Wir müssen aussteigen!« Er blickte durch die Seitenfenster. »Eine traurige Gegend! Steine, Sand und Dorngestrüpp. Nun ja: Descht-i-Kuwir, die unfruchtbare Salzsteppe. Aber ganz unbewohnt wird diese Wüste wohl nicht sein.« Er zog den Safeschlüssel hervor und öffnete einen der seitlichen Einstiege. Mit lautem Gepolter sprangen die Sperrriegel zurück. Die schwere Klappe ließ sich leicht nach außen aufstoßen. Mit der frischen Luft strömte der würzige Duft der Steppe in den engen Raum, in dem die beiden Menschen acht lange Stunden eingeschlossen gewesen waren. Heinz kletterte als erster hinaus. Es freute sich der lang entbehrten körperlichen Bewegung. »Sieh, Vater, was ist das da?« »Schwarze Zelte.« »Warum laufen denn die Menschen so eilig herum?« Habermann holte das Fernrohr aus der »Luna« und erklärte nach einem kurzen Blick durch das Instrument: »Sie treiben ihr Vieh zusammen. Es sind wohl Nomaden, die ihre Zelte abbrechen und an einen anderen Ort wandern wollen. Wir müssen uns beeilen, damit sie uns nicht davonlaufen.« Stöhnend und stolpernd setzte sich Habermann in Bewegung; der Aufenthalt in dem engen Raumschiff hatte seine Beine steif werden lassen. Allmählich kam er jedoch in Trab, er schrie und winkte mit den Händen. Sein flinker Sohn konnte kaum mit ihm Schritt halten.
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»Vater, sie schießen!« rief Heinz atemlos. Der Professor blieb stehen und ließ erstaunt die Arme sinken. Aus dem Gewimmel von Menschen und Tieren bei den Zelten hatten sich drei Hirten auf struppigen Pferden gelöst. Sie waren den beiden Weltreisenden entgegengesprengt und hielten etwa fünfzig Meter vor den Zelten. Sie waren mit langen Stangen oder Speeren bewaffnet, einer von ihnen aber hatte ein Gewehr auf die Habermanns in Anschlag gebracht, obwohl sie noch ein paar hundert Meter entfernt waren. Der Professor hob die Arme, um zu zeigen, daß er als Freund kam und unbewaffnet war. Seine Rufe wurden von den Reitern offenbar nicht verstanden, aber der Mann in der Mitte ließ wenigstens das Gewehr sinken und legte es vor sich quer über den Sattel. Zögernd und mit erhobenen Armen kamen die Habermanns näher. Die Perser trugen hohe schwarze Mützen aus Fell in Kegelform mit eingedrückter Spitze. Buntgestreifte Gewänder umflatterten sie. Ihre Gesichter waren von schwarzen Bärten umrahmt. Der Mann in der Mitte schien der älteste zu sein; jetzt in der Nähe sah man, daß sein Haar schon ergraut war. Als die Schiffbrüchigen etwa auf zehn Schritte heran waren, hob der Alte wieder drohend seinen Schießprügel und zwang dadurch die Habermanns, stehenzubleiben. »Wir kommen als Freunde«, rief der Professor. »Wir konnten nicht mehr weiterfliegen und mußten hier landen...« Er wies mit der Hand hinter sich auf die Luna, das silberglänzende Bällchen in der Ferne. Die drei Männer blickten unentschlossen einander an, zuckten die Achseln und schüttelten die Köpfe. Der Alte sagte etwas in einer unverständlichen Sprache. »Do you speak english?« versuchte es Habermann auf gut Glück. Aber auch die englische Sprache war den Nomaden ein unbekanntes Verständigungsmittel. Wir müssen doch irgendwie Verbindung mit der zivilisierten Welt bekommen! dachte der Gelehrte halb verzweifelt. »Telegraph«, rief er und tat so, als tippe er mit dem Finger auf die Taste eines Telegraphenapparats: »Tick - ticktick - tickticktick - tick.« »Oh, Telegraph!« wiederholte einer der jüngeren Männer mit eifrigem Kopfnicken. »Wo?« fragte Habermann, »dort?« Er zeigte nach Norden. »Oder dort Telegraph?« Er wies nach Süden. Der Mann schüttelte den Kopf und streckte den Speer nach Nordwesten aus. Dabei sagte er wieder etwas von »Telegraph«. Dem Gelehrten fiel ein Stein vom Herzen: Der erste Schritt zur Verständigung war getan. »Wie weit?« fragte er, indem er langsam in die angedeutete Richtung marschierte und mit Betonung die Schritte zählte: »Eins, zwei, drei...« Aber die drei Männer lachten. Sie wurden jetzt lebhaft und redeten alle zugleich, ohne daß sie dadurch verständlicher wurden. Die Frauen und Kinder hatten sich bei den Zelten zusammengedrängt und beobachteten neugierig die Verhandlungen. Die kleinen Kinder schrien und klammerten sich an die faltigen Röcke der Frauen, von wo sie ängstlich auf die Fremden hervorlugten. Einer der jüngeren Hirten spornte sein Pferd in die Richtung, die er mit dem Speer gewiesen hatte. Aber er galoppierte nur ein paar Schritte bis neben Habermann. »Wie lange reiten?« fragte der noch einmal, indem er mit dem Finger zunächst auf
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das Pferd, dann nach Nordwesten zeigte. »Wie lange reiten zum Telegraph?« Der junge Mann lächelte verlegen, als habe er nicht verstanden, und schaute den Alten mit dem Gewehr an. Da machte der Professor einen neuen Versuch. Er tippte dem Pferd auf den Hals, winkte nach Nordwesten, sagte »Telegraph« und zeigte dann auf den Punkt, wo die Sonne aufgegangen sein mußte. Die Männer drehten sich interessiert nach Osten um. Langsam hob Habermann die Hand, bis sie auf den strahlenden Sonnenball wies. Dort verweilte er kurz und verfolgte dann langsam weiter den Bogen, den die Sonne im Laufe des Tages am Himmel beschreiben mußte. Dann zeigte er auf seine Armbanduhr. Da hatte der Alte begriffen. Er begann zu reden, zeigte auf seinen Gaul, dann in die Richtung, in der wahrscheinlich die Stadt mit der Telegraphenanstalt lag, und beschrieb den Sonnenbogen bis etwa zur Mittagshöhe. Habermann nickte und bat: »Gib mir ein Pferd!« Dabei deutete er auf seine eigene Brust und dann auf das Roß des Alten. Der schien verstanden zu haben. Er tuschelte eine Weile mit den beiden anderen und wandte sich dann wieder an Habermann. Was er sagte, war nicht zu verstehen, aber seine Handbewegungen waren unverkennbar, sie bedeuteten: bezahlen! Die Gebärdensprache ist international. Habermann nickte und zog zaghaft die Börse. Der Alte schaute neugierig auf die bunten Scheine, die ihm der Professorreichte. Aber er kannte sie nicht als Geld und schüttelte daher den Kopf. »Was kann ich ihnen nur Wertvolles bieten?« seufzte Habermann verzweifelt. Heinz hatte oft genug gekaupelt. Dieses Geschäft verstand er besser als sein Vater! Er trat auf den Alten zu und holte das geliebte Messer aus der Hosentasche. Es hatte eine Perlmutterschale und war Heinzens Stolz; er trennte sich ungern davon, aber vielleicht kaufte ihm der Vater in Berlin ein neues. Lockend ließ er die blitzenden Klingen und den Korkenzieher auf- und zuklappen. Die Augen des Alten leuchteten begehrlich auf. Er griff nach dem Messer und prüfte seine Schärfe an dem harten Holz seines Gewehrkolbens. Dann wechselte er ein paar Worte mit seinen Begleitern, überlegte noch einmal und gab Heinz das Messer mit einem Kopfschütteln zurück. Inzwischen hatte sich Habermann selbst besonnen. Er deutete auf seine Armbanduhr. Die konnte er entbehren, denn in der Luna befanden sich noch die Präzisionsuhren. Der Alte fragte etwas. Der Professor nahm das für eine Aufforderung zur näheren Prüfung, schnallte die Uhr vom Handgelenk und reichte sie dem Manne hinauf. Der Reiter hielt die Uhr ans Ohr und nickte. Dann beriet er lange mit seinen Begleitern. Immer wieder besichtigten sie die Uhr, die von Hand zu Hand ging; sie drehten sie hin und her. Endlich schienen sie befriedigt zu sein. Gewandt sprangen alle drei aus dem Sattel. Sie legten die rechte Hand auf die linke Brustseite, wo das Herz sitzt, und verneigten sich. Der Professor und sein Sohn folgten ihrem Beispiel. Aber persische Nomaden wissen, was sich gehört. Nach dieser Begrüßung auf orientalische Weise reichten sie den beiden Gastfreunden auf europäische Art die Hand.
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Der Alte begann zu sprechen. Er zeigte auf die Uhr und auf sich selbst. Dann tippte er dem Professor auf die Brust und klatschte mit der anderen Hand lachend seinem Gaul auf die Kruppe. Er deutete nach Nordwesten und sagte »Telegraph«. Habermann begnügte sich mit einem Kopfnicken. So war das Geschäft abgeschlossen, und es folgte die formelle Einladung. Mit verbindlichen Handbewegungen und Verbeugungen wurden die beiden Fremden aufgefordert, zu den Zelten mitzukommen. *** Der Alte hatte seine Gäste in sein eigenes, das größere der beiden Zelte geführt. Die Frauen packten eilig den Hausrat wieder aus, den sie zusammengerafft hatten, um vor der vom Himmel gefallenen Kugel zu fliehen. Viel war es nicht, was sie besaßen; diese Wüstennomaden waren sehr arm, ihr ganzer Reichtum waren ihre Herden und - die vielen Kinder! Sehr schön waren allerdings die Teppiche, der einzige Schmuck der Zelte; aber auch diese Teppiche waren alt und verbraucht. An den Zeltwänden lagen Polster und dicke Filzplatten, die als Sitze dienten. Aber das Sitzen mit untergeschlagenen Beinen war für die Europäer eine Qual. Man bot ihnen einen Willkommstrunk. Ein halbwüchsiges Mädel zog aus einer Ecke einen dicken Sack hervor. Heinz war sehr erstaunt, als er erkannte, daß er aus einer Ziegenhaut zusammengenäht war. Dieser »Schlauch« war mit einer Flüssigkeit prall gefüllt. Das Mädchen band eine der Fußöffnungen des Balges auf und ließ daraus etwas Weißes in eine Schale rinnen. Sie brachte das Gefäß dem Alten, der nur daran nippte und es dann dem Professor reichte. Ablehnen durfte man einen solchen Begrüßungstrunk natürlich nicht. Aber Wüstenwind und Sonnenbrand hatten die beiden Weltreisenden auch durstig gemacht. Wenn nur das Mädel nicht so schmuddlig gewesen wäre! Ihr schwarzes Haar stand wild zersaust um ihren Kopf. Bekleidet war sie nur mit einem grau und unansehnlich gewordenen europäischen Kunstseidenhemd, dessen einer Träger abgerissen baumelte, und mit einem zerschlissenen Rock, der bis auf die nackten Füße reichte. - Außer den drei Männern gingen alle barfuß. Habermann gab die Schale wieder an den Alten zurück. Der nahm sie in Empfang und reichte sie Heinz. Durstig setzte der Junge zum Trinken an; aber da schlug ihm ein säuerlicher Geruch entgegen, so widerlich, daß er entsetzt innehielt. »Trink!« hörte er die mahnende Stimme des Vaters. »Sei nicht unhöflich!« Er bezwang seinen Widerwillen und nippte an der Schale; sie enthielt saure Schafsmilch, das landesübliche Getränk. Der Hausherr und der jüngste der Männer, der mit ins Zelt gekommen war und offenbar zur Familie gehörte, hatten von der kleinen Szene nichts bemerkt. Das Mädchen aber, das im Hintergrund bei dem Ziegenschlauch hockte, starrte Heinz unverwandt aus großen schwarzen Augen an, und der Junge konnte deutlich erkennen, daß sie sich der geringen und verschmähten Gabe schämte. Da lächelte er ihr beruhigend zu. Jetzt hüpfte sie flink herbei, füllte die Schale neu und zog sich dann hinter die beiden Schwarzbärtigen zurück. Aus dem sicheren Hinterhalt winkte sie Heinz, er solle mitkommen. Sie huschte zum Ausgang und wartete dort auf ihn. Heinz, den die Schwüle im Zelt bedrückte und der nicht wußte, wie er auf seinem
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niedrigen Kissen sitzen sollte, war froh, daß er sich erheben konnte, und folgte dem Mädchen. Draußen ließ sie einen Schwall unverständlicher Worte über ihn erergehen. Ihre Gesten sagten deutlich, was sie meinte: »Armer Junge, du mochtest das Zeug nicht!« Als er ihr aber lachend die Wange streichelte, ging ein Leuchten über ihr Gesicht. Was hatte sie für schöne dunkelbraune Augen und was für zierliche weiße Zähne! Mit dem Finger strich sie dem Jungen über die Lippen und klopfte ihm freundschaftlich auf den Bauch. Dann ergriff sie ihn bei der Hand und rannte mit ihm hinter das Zelt. Dort waren einige Ziegen angebunden, während Mutterschafe, von Lämmern umhüpft, an einem Heubündel rupften. Das Mädchen lief zu einer der Ziegen, legte sich unter sie und saugte an dem langen prallen Euter. Heinz sah die Schluckbewegungen ihrer Kehle. Es war ihm, als könne er die Milch auf dem Wege bis in ihren Bauch verfolgen; nur mit Mühe verbiß er das Lachen. Die Kleine sprang auf und drängte ihn selbst zu der Ziege. Heinz hatte Durst. Obwohl ihn der scharfe Geruch der Tiere störte, kroch er unter die Ziege. Aber die war unruhig, meckerte und trat mit den zierlichen Hufen hin und her. Da redete ihr das Mädchen gut zu und hielt sie fest. Der Junge sah die Zitzen vor seiner Nase baumeln. Beherzt griff er mit den Lippen zu und begann zu saugen. Es ging besser, als er gedacht hatte, und die Milch schmeckte köstlich. Wie einfach kann doch das Leben sein! Die Sonne stand schon tief, und das Mädchen machte Heinz begreiflich, daß er nun ins Zelt zurückkehren müsse. Der Junge schlenderte zum Eingang, blickte aber neugierig dem flinken Kind nach, das auf der anderen Seite hinter dem Zelt verschwand. Er ging vorn herum und lugte hinter die Wand. Dort prasselte auf einem aus Feldsteinen errichteten Herde ein helles Feuer. Die Frauen gingen ab und zu, rührten in den Töpfen und drehten einen Spieß, an dem ein ganzer Hammel briet. Es brutzelte und zischte, denn das Fett tropfte ins Feuer. Die Frauen winkten ihm lachend, aber Heinz schüttelte den Kopf und ging zu den Männern hinein. Die saßen jetzt um eine Wasserpfeife versammelt. Auch der dritte Perser hatte sich wieder eingefunden. Die Männer boten Heinz das Mundstück der Pfeife, aber diesmal schüttelte sein Vater energisch das Haupt und machte den Persern begreiflich, daß sein Sohn für solche Genüsse noch zu jung sei. Neugierig betrachtete Heinz das Gerät und fragte: »Ist das eine Wasserpfeife?« »Ja, das ist eine Nargileh«, erwiderte Habermann. Die anderen stimmten eifrig zu: »Nargileh, Nargileh!« Sie freuten sich, daß die Fremden endlich ein Wort aus ihrer Sprache kannten. »Unsere Pfeifen sind viel einfacher«, wunderte sich Heinz. »Aber auch ungesünder«, entgeguete der Vater. »Hier wird der Rauch durch ein großes Gefäß voller Wasser hindurchgefiltert. Er wird dadurch gesäubert und abgekühlt. Wenn du eine Nargileh auskippst, dann siehst du, wieviel Teer das Wasser aufgefangen hat. Die aromatischen Stoffe dagegen, auf die allein es dem Raucher ankommt, hält das Wasser nicht zurück.«
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Habermann wollte nun zur Luna zurückkehren. Die Frauen hatten soeben zwei Öllampen gebracht und an Ketten befestigt, die vom First des Zeltes herabhingen. Wortreich und mit vielen Gebärden hielten die Männer den Professor zurück. Durch Bewegungen zum Munde deuteten sie an, daß das Festmahl bald aufgetragen werde. Habermann lehnte die Einladung nicht ab, denn außer Schokolade hatte er keine Lebensmittel auf die Reise mitgenommen, die ja nur einen halben Tag hatte dauern sollen. Da sah Heinz, wie das Mädel ihm wieder heimlich winkte. Er schlüpfte hinaus und ließ sich hinter das Zelt führen, wo in der Abenddämmerung eine Frau um ein Mutterschaf bemüht war. Die beiden Kinder kamen gerade zur rechten Zeit, um mitzuerleben, wie drei Lämmchen, eines nach dem anderen, zur Welt kamen. Die Tierchen wankten sofort auf steifen Beinchen herum und wurden von den Schafen, die sich herandrängten, saubergeleckt. Es dauerte gar nicht lange, bis sie die Zitzen ihrer Mutter fanden und sich satt tranken. Heinz hatte anfangs geglaubt, das Leben der Nomaden sei ein fröhliches Nichtstun. Allmählich erkannte er, wie schwer die Arbeit war, der sie ihr Dasein verdankten. Besondere Hochachtung flößten ihm die Frauen ein, die trotz der schweren und schmutzigen Arbeit so liebevoll mit den Tieren umgingen. Er begriff jetzt, daß sie nicht Zeit gehabt hatten, das Achselband des Mädchens festzunähen. Gedankenlos griff er nach diesem Band. Da errötete die Kleine und lief davon. Die Frauen hatten das Essen fertiggestellt und trugen die Schüsseln ins Zelt. Auch Heinz ging hinein. Es roch appetitlich nach frisch gebratenem Fleisch und nach unbekannten Gewürzen. Die Männer hockten im Kreise unter der einen Lampe, die Frauen und Kinder unter der anderen. In jedem Kreise stand eine Schüssel mit Fleisch und eine voller Reis, daneben ein Topf, aus dem immer wieder zerlassene Butter über den Reis gegossen wurde. Aber wo waren die Teller, die Messer, die Gabeln, die Löffel? Hilflos schauten sich die Habermanns um. Die Perser luden mit lebhaften Gebärden zum Essen ein; die Frauen und Kinder hatten damit schon begonnen. Wie machten die es? Sehr einfach: sie ergriffen ein Stück Fleisch mit den Fingern und schoben es in den Mund! Und dann langten sie ebenso mit den Fingern in den Reis, kneteten sich ein Kügelchen und schickten es hinterher. Vater und Sohn sahen sich betreten an. Dann lachte der Professor: »Hier lebt man noch so, wie es die Bibel aus der Zeit vor viertausend Jahren schildert.« Die Männer freuten sich, als die beiden Gäste endlich zulangten, und stürzten sich nun selber auf die Speisen. Die Fleischstücke waren reichlich groß und machten den Fremden viel Mühe, während die Perser spielend mit ihnen fertig wurden. Im übrigen war das Fleisch saftig und mürbe, es schmeckte vorzüglich, nur war es für Heinz' Zunge zu scharf gewürzt. Aber der Reis! Heinz brachte es nicht fertig, ihn zu greifen. Ratlos blickte er zu seiner Freundin hinüber. Er zeigte ihr die hohle Hand so, daß sie einem Löffel ähnlich sah. Die Kleine begriff sofort. Sie huschte hinaus, und kaum eine Minute später hielt Heinz einen Holzlöffel in der Hand. Mit einem Lächeln dankte er ihr und benutzte das Gerät abwechselnd mit dem Vater. Der Hausherr nickte heiter und verständnisvoll und rief dem Mädel etwas zu, was wohl eine Anerkennung enthielt, denn sie senkte errötend den Kopf. Obwohl die Perser kräftig zugelangt hatten, wurde die große Fleischschüssel doch bei weitem nicht leer. Als sich der Professor erhob, standen auch die anderen Männer auf; sie leckten sich die fettigen Finger ab und rülpsten so ungezwungen, daß Heinz entsetzt den
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Vater anstarrte. Der lächelte: »Ich erinnere mich, gelesen zu haben, daß es im Orient Brauch ist, dem Gastgeber auf diese Weise zu zeigen, daß man satt und dankbar ist.« Nun ließ sich Habermann nicht mehr halten, er drängte zum Aufbruch. Der alte Perser machte ihn auf die Gefahren der Steppe aufmerksam: Er brüllte wie ein Löwe, so daß die Frauen entsetzt aufkreischten, und heulte wie ein Schakal. Dann wies er auf die Kissen und Filzpolster hin, die in einer Ecke aufgestapelt lagen und jetzt im Zelt ausgebreitet wurden. Aber Habermann schüttelte den Kopf. »Bleib du hier!« redete er Heinz zu. »Du liegst hier bequemer. Ich möchte den wertvollen Apparat die Nacht nicht ohne Aufsicht lassen.« Heinz wäre zwar lieber beim Vater geblieben, aber eine Nacht auf dem Ledersessel krumm zu sitzen, war auch keine angenehme Aussicht. Deshalb ergab er sich drein, zu bleiben. Es war jetzt Nacht. Der Mond war noch nicht aufgegangen, aber die Sterne waren so klar, daß man ein paar Schritte weit sehen konnte. Die beiden jüngeren Männer hatten Fackeln entzündet und begleiteten den Professor zur Luna. Bald hatte die große Stille der Wüste das Geräusch ihrer Schritte verschluckt. Nur ab und zu hörte man eines der Schafe blöken. Manchmal heulte in der Ferne ein Schakal, dann antwortete jedesmal ein Knurren oder ein kurzes Blaffen der Hunde, die die Herde umkreisten, Heinz kehrte mit dem Alten ins Zelt zurück. Ddrt waren zwei Decken ausgespannt worden, die den Raum dreifach, unterteilten. In dem kleinsten Mittelraum war das Lager für die Männer aufgeschlagen; sie bewachten den Eingang. Rechts hatten die Frauen einige Mutterschafe mit neugeborenen Lämmern zusammengetrieben. Links war der Schlafraum der Frauen und Kinder. Im ganzen Zelt herrschte ein fürchterlicher Gestank von den Tieren, von dem Essen und besonders von den blakenden ölfunzeln. Heinz tat es nun doch leid, daß er nicht mit dem Vater gegangen war. Der Alte zeigte auf eine der Lagerstätten. Aber da steckte das Mädel den Kopf herein und stritt eine Weile mit dem Hausherrn. Heinz merkte, daß es sich um ihn handelte. Der Alte hob die Hand und zeigte: so groß! Das Mädel senkte ihre Hand fast bis zum Boden und widersprach: so klein! Schließlich wandte sich der Mann an Heinz selber mit der Frage, ob er sich zu den Männern rechne - dabei drückte er die Brust raus und schüttelte rollenden Auges die Fäuste - oder ob er noch ein Kind sei, dabei kroch der Alte in sich zusammen und machte: »Tütü!« Das war so komisch, daß Heinz hellauf lachte. Er hatte begriffen, und da er sich ein wenig vor den Schwarzbärtigen fürchtete, zog er es vor, die Nacht bei den Kindern zu verbringen. Die Kleine freute sich, ergriff ihn bei der Hand und zog ihn mit sich in das Frauengemach. Die erwachsenen Frauen waren noch bei der Herdstelle. Man hörte sie dort mit Geschirr klappern. Die Kinder balgten sich nackend auf den Polstern und machten großen Lärm. Das halbwüchsige Mädel fuhr wütend unter die wilde Schar. Mit ein paar Klapsen brachte sie sie zur Ruhe. Alle krochen unter die Decken, und bald lag auch Heinz in tiefem Schlaf. *** Mitten in der Nacht erwachte Heinz. Nur mit Mühe konnte er sich erinnern, wie er in dieses dumpfe Zelt gekommen war. Die Lampe brannte noch. Ringsum herrschte große Aufregung, denn draußen tobte ein heftiges Gewitter. Die kleinen Kinder, die von den
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Frauen angezogen wurden, schrien ängstlich. Nebenan hörte Heinz die Männer hinauspoltern; sie mußten zu der Herde, die mit wildem Blöken das Gekläff der Hunde übertönte. Das Mädchen kniete vor Heinz und rüttelte ihn. In ihren großen dunklen Augen standen Tränen. Der Junge begriff: sie verlangte von ihm, er solle sich anziehen. Aber wozu? Daheim hatte man sich um ein solches Wärmegewitter, das schnell vorüberzieht, niemals gekümmert. Warum also die Aufregung? Er wußte nicht, daß gerade Schafherden oft vom Blitz getroffen werden. Er suchte das Mädchen zu beruhigen, und als sie trotzdem auf ihrem Willen bestand, fuhr er sie heftig an. In diesem Augenblick fuhr wieder ein Blitz krachend nieder. Mit einem Aufschrei brach die Kleine zitternd und weinend zusammen. Dumme Heulliese! dachte Heinz, aber gleichzeitig meldete sich sein männliches Überlegenheitsgefühl und sagte ihm, daß er den Schwächeren schützen müsse. Da zog er sie tröstend neben sich, und sie beruhigte sich auch, zumal die Wut des Gewitters nach diesem letzten harten Schlag gebrochen zu sein schien. Nur in der Ferne grummelte es noch ein paarmal. Leise trommelte der Regen auf das Zeltdach. Sein eintöniges Lied wiegte die beiden Kinder, eng aneinandergeschmiegt, wieder in Schlaf. Aber ungestört verlief für Heinz auch der zweite Teil der Nacht nicht. Immer wieder wurde er von einem unerträglichen Jucken wach. Er rückte von dem schlafenden Mädchen fort und kratzte sich bis aufs Blut. Schon am frühen Morgen begann das Leben der Hirten. Die Tiere mußten versorgt werden, und erst nachdem das geschehen war, bereiteten die Frauen das Frühstück für die Menschen: einen Becher Tee und ein großes Stück flachen Brotes. Auch der Vater kam zum Frühstück von der Luna zum Zelt. Er brachte den Frauen und Kindern Schokolade mit und löste damit helle Freude aus. Nach dem Frühstück ging er mit den Männern zu den Pferden. Die Sonne hatte sich gerade erst über das Gebirge erhoben, da brach der Professor mit dem jüngeren Mann zu seinem großen Wüstenritt auf. Heinz kam sich sehr einsam vor. Die kleinen Kinder liefen vor ihm davon, besonders die Jungen waren sehr scheu. Seine Freundin aber, das älteste der Kinder, hatte keine Zeit. Immer wieder wurde sie von den Frauen gerufen: »Fatima! Fatima!« Sie hatte also denselben Namen wie die Lieblingstochter des Propheten. Im übrigen war ihr Achselband wieder angenäht. Wann hatte sie dazu Zeit gehabt? Sie war doch ein ordentliches Mädchen! Heinz mußte auf eigene Faust Entdeckungsreisen unternehmen. Die große Schafherde war nicht weit von den Zelten. Sie machte sich durch die dicke Staubwolke, die ihre Hufe aufwirbelten, schon von Ferne bemerkbar. Bei ihr fand Heinz den Alten, der ihn freundlich begrüßte und ihm zu seinen Verrichtungen Erklärungen gab, die der Junge leider nicht verstand. Als Heinz zu den Zelten zurückbummelte, sah er Fatima mit dem Aufschirren eines Esels beschäftigt. Da er sie fragend anblickte, zeigte sie auf die leeren Ziegenschläuche, die zu beiden Seiten des Esels hingen, und machte die Geste des Trinkens. Dann gab sie dem Tier einen Klaps mit der Gerte, und gehorsam setzte sich Meister Langohr in Marsch. Den Weg kannte er offenbar, er trottete ziemlich rasch, so daß die beiden Kinder lustig hinter ihm herspringen konnten. Faul und störrisch sind die orientalischen Esel keineswegs. Die Ebene ging allmählich in sanftes Hügelland über, und als die kleine Karawane über eine Bodenwelle kam, blieb Heinz erstaunt stehen. Vor ihm lag ein liebliches Tal mit grünen Wiesen, bestellten Äckern und Fruchtbäumen, und am jenseitigen Hang kletterte ein
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Dörflein empor, das zwar aus ärmlichen Hütten bestand, aus dem aber lustiges Hundegebell und das Blöken von Rindern herübertönte. Eine Oase! Der Esel nahm seinen Weg nicht dorthin, er trottete am diesseitigen Hang weiter auf ein Wäldchen am oberen Ende des Tales zu. Der Grünstreifen wurde schmaler, er säumte ein Bächlein, dem man jetzt immer näher kam. Schließlich blieb der Esel kurz vor dem Wäldchen an der Quelle stehen. Das Wasser sprudelte aus einer Röhre in der Felswand in einen großen Steinkasten und floß auf einer Seite über dessen Rand ab. Außen war dieses Wasserbecken mit Reliefs in zierlicher Bildhauerarbeit geschmückt. Unter den Figuren fiel Heinz besonders eine auf: ein geflügelter Knabe mit einer brennenden Fackel. Aber er hielt die Fackel gesenkt, stellte also den antiken Todesengel dar. Das Brunnenbecken war einst der Sarkophag eines reichen Mannes gewesen. Das schreckte den Jungen jedoch nicht. Das Jucken, das schon in der Nacht begonnen hatte, plagte ihn immer noch, besonders am Halse. Vielleicht würde ihm ein kühles Bad Linderung verschaffen. Rasch wollte er die Kleider abwerfen, aber das Mädchen machte ihm begreiflich, daß man hier nicht baden dürfe. Verzweifelt zeigte er ihr seine zerkratzte Brust und den Hals. Da lachte sie, krempelte die Säume seines Hemdes auseinander und holte daraus ein paar winzige graue Tiere hervor, die sie zwischen ihren Fingernägeln zerknackte. Ein Schauer des Ekels lief dem Jungen über den Leib. Er ahnte, daß es sich um Läuse handelte. Fatima machte ihm klar, daß es streng verboten sei, dasTrinkwasser zu verunreinigen. Sie zeigte abwärts auf das Bächlein und gab Heinz einen Schubs in dieser Richtung. Während sie selbst die Schläuche mit Wasser füllte, sprang er über die Steine an dem lustig plätschernden Rinnsal hinab. Wo sich das Tal ein wenig erweiterte, hatte sich ein flaches Wasserbecken gebildet. Viele Spuren bewiesen, daß hier das Vieh getränkt wurde. Der Junge entledigte sich der Kleider und wälzte sich in dem Wasser, das zwar flach, aber kühl und klar war. Bald kam auch Fatima mit ihrem Esel, dem die prall gefüllten und sicher sehr schweren Wasserschläuche an die Flanken klopften. Auf einen Zuruf des Mädchens blieb das Tier gehorsam stehen und weidete friedlich, während sich Fatima eifrig an die Säuberung der Kleider des Jungen machte. Heinz winkte ihr, sie solle auch ins Wasser kommen, aber sie schüttelte lachend den Kopf, bis sie mit ihrer Arbeit fertig war. Dann streifte auch sie die Kleider ab und sprang ins Wasser. Übermütig spritzten sich die Kinder gegenseitig; aber sie wurden es bald müde, und außerdem machte sie das Grautier mit kläglichem »Hüchah!« darauf aufmerksam, daß es mit seiner schweren Last wartete. *** Gegen Mittag hatten die beiden Reiter das Städtchen Sebsewar erreicht. Der Perser wollte bei einer Gastwirtschaft rasten, aber der Professor drängte zum »Telegraph«. Das Postamt war - wie in den heißen Mittagsstunden üblich - geschlossen, und es bedurfte langen Klopfens und Bittens, bis ein Beamter öffnete. Mißmutig holte der den Telegraphisten herbei, einen jüngeren Mann, der wie alle seine Berufsgenossen in jedem Lande der Welt
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wenigstens ein paar Brocken Englisch verstand. Ohne vorherige Bezahlung in Landeswährung wollte er allerdings kein Telegramm annehmen, aber er machte den Professor auf den deutschen Dr. Riedel aufmerksam, der um diese Zeit mit Freunden im Kaffeehaus zu sitzen pflege. Das Cafe war nicht weit entfernt. Dr. Riedel war tatsächlich dort und zeigte nicht geringes Erstaunen, in diesem abgelegenen Winkel der Welt einen deutschen Landsmann zu treffen. Er selbst war während des letzten Krieges in Afrika in Gefangenschaft geraten und nach der Entlassung aus dem Lager im Orient geblieben, Ohne lange zu überlegen, sagte er seine Hilfe zu. »Alkohol?« wiederholte er die Frage des Gelehrten. »Ja, der läßt sich hier vielleicht beschaffen, aber Wasserstoffsuperoxyd in der von Ihnen gewünschten Konzentration - ganz ausgeschlossen! Nicht einmal in der Hauptstadt Teheran.« »Und ein Kraftfahrzeug, das eine Last von acht Tonnen transportieren könnte?« Dr. Riedel lachte belustigt: »Mit einem solchen Mammut in die Wüste? Unmöglich, selbst wenn es so etwas in Persien gäbe! Aber wenn Ihnen nur der Treibstoff fehlt, dann lassen Sie ihn sich doch aus Deutschland mit einem Flugzeug bringen! Flugzeuge können in der Wüste ohne Gefahr landen.« Der Hirte hatte mit den beiden Pferden geduldig vor dem Telegraphenamt gewartet. Ihn befragte Dr. Riedel nach dem geographischen Punkt, an dem die Luna gelandet war. »Sie werden englisch telegraphieren müssen«, wandte er sich dann wieder an Habermann. »Das Telegramm wird über mehrere Zwischenstationen nach Berlin laufen. Die meisten Telegraphisten können aber nicht Deutsch und würden ein deutsches Telegramm wahrscheinlich böse verstümmeln.« Zwei Telegramme in englischer Sprache mußte der Telegraphist von Sebsewar an diesem Tage absenden. Sie besagten auf gut deutsch: Sebsewar, 13. August 19.. An Atominstitut Berlin stop Luna wegen Treibstoffmangels etwa sechzig Kilometer südöstlich Sebsewar Provinz Chorassan notgelandet stop Erbitte Drahtüberweisung tausend Mark persischer Währung an Doktor Riedel Sebsewar und Entsendung Flugzeuges mit Nachschub Alkohol und Wasserstoff stop Habermann
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Sebsewar, 13. August 19.. An Reuter-Büro Teheran stop Deutsches Weltraumschiff in Wüste bei Sebsewar notgelandet stop Deutscher Professor und Apparat unversehrt stop Weitere Einzelheiten nach Erhalt größeren Spesenvorschusses stop Doktor Riedel Sebsewar
Von dem zweiten Telegramm wußte Habermann natürlich nichts, denn Riedel hatte mit dem Beamten in der Landessprache verhandelt. Er hatte früher schon gelegentlich von Unglücksfällen und anderen Ereignissen, zu denen er als Arzt gerufen worden war, kurze Pressemeldungen nach Teheran gegeben und dabei die Erfahrung gemacht, daß das englische Nachrichtenbüro seine Korrespondenten am schnellsten und besten bezahlte. Es kam Riedel gar nicht zum Bewußtsein, daß es im Falle der »Luna« höchst bedenklich war, sich an dieses Spionageorgan der britischen Kolonialherren zu wenden. Er dachte zunächst nur daran, daß die Sensationsnachricht von der Landung des Weltraumschiffes sicher gut honoriert werden würde. »Wann kann ich auf eine Antwort aus Berlin rechnen?« wollte der Gelehrte wissen. »Frühestens in vierundzwanzig Stunden.« »Dann reite ichjetzt zurück und komme morgen mittag wieder.« »Wollen Sie denn die Pferde zuschanden reiten?« stellte ihm Dr. Riedel vor. »Sie selbst können sich eine solche Strapaze auch nicht jeden Tag von neuem zumuten. Mein Haus ist groß genug; Sie sind mein Gast, bis die Antwort eintrifft.« »Vielen Dank«, erwiderte der Professor. »Aber ich möchte lieber zu meinem Apparat zurück - und zu meinem Jungen. Vielleicht könnte mir ein Bote das Telegramm in die Wüste bringen?« Riedel überlegte einen Augenblick. Allzu gern hätte Weltraumschiff mit eigenen Augen besichtigt. Darum sagte er:
er
das
geheimnisvolle
»Wenn Sie die Nacht durchaus draußen zubringen wollen, dann mache ich Ihnen einen anderen Vorschlag: Ich schicke meine Patienten nach Hause und bringe Sie heute abend mit meinem Wagen an Ort und Stelle. Ich besitze ein Reisezelt; das nehmen wir mit und schlagen es neben Ihrem Apparat auf. Ich stelle es Ihnen als Unterkunft für Sie und Ihren Sohn zur Verfügung, bis der Apparat wieder starten kann. Morgen früh können wir wieder nach Sebsewar fahren.« Dieser Vorschlag war so vernünftig, daß Habermann ihn nicht ablehnen konnte. Er entließ den jungen Hirten mit den Pferden und folgte selbst dem deutschen Landsmann in das Kaffeehaus, um eine Stärkung zu sich zu nehmen. In einer kleinen Stadt erregt ein Fremder stets Aufsehen, und Dr. Riedel merkte man es an, welche Genugtuung es ihm bereitete, daß von dem Glanz dieser Sensation ein wenig auch auf ihn fiel. Bereitwillig gab er seinen Bekannten Auskunft über den Ankömmling, während diesem aufgetischt wurde, was der Gastwirt zu bieten hatte. Besonders
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weltgewandt gebärdete sich ein persischer Kaufmann, der ein bißchen Englisch und Französisch konnte und sich zu den beiden Deutschen gesellte, um Neuigkeiten zu erfahren. Seine Höflichkeit kannte keine Grenzen, als er erfuhr, daß Habermann ein »Hakim«, ein Mann mit akademischer Bildung, war. Auch der Kelanter, der Polizeichef, von Sebsewar saß unter den Gästen und schlürfte einen Scherbet, ein eisgekühltes Fruchtgetränk. Mit der beringten Hand kämmte er seinen dichten schwarzen Vollbart und brachte dadurch zum Ausdruck, daß er von der allgemeinen Neugier nicht berührt war. Als jedoch der Kaufmann im Auftrage Dr. Riedels zu ihm trat und ihn an dessen Tisch einlud, um den Fremden kennenzulernen, erhob er sich gewichtig und schritt mit würdevollem Lächeln auf unsere Freunde zu. »Seien Sie nett zu dem Mann!« flüsterte Riedel dem Professor zu. »Mit der hohen Obrigkeit muß mau sich gut stellen.« »Haben wir den Untertanengeist in Deutschland abgeschafft, um ihn uns im Ausland wieder anzugewöhnen?« murrte der Gelehrte. Aber er begrüßte den hohen Beamten trotzdem höflich, wenn auch zurückhaltend. Im Laufe der zumeist in persischer Sprache geführten Unterhaltung wurde Riedel immer redseliger, so daß ihn Habermann warnte: »Erzählen Sie nur nicht zuviel von mir!« Doch der andere lachte: »Ich weiß ja selbst kaum etwas von Ihnen. Aber Sie und Ihr Weltraumschiff sind doch nun einmal hier, und wir können Sie nicht verstecken. Heute abend wird man im ganzen Sonnenlande von nichts anderem reden.« Habermann wischte sich seufzend den Schweiß von der Stirn: »Ja, ein Sonnenland ist dieses Persien.« »Ich habe nicht einmal ganz Persien gemeint, sondern zunächst nur unsere Provinz. Chorassan heißt nämlich auf deutsch: Sonnenland. Aber es ist durchaus möglich, daß man morgen schon in ganz Persien von Ihnen spricht, und es wird sich vielleicht empfehlen, eine Gendarmeriewache zu erbitten, um Ihren Apparat vor Neugierigen zu schützen.« Diesem Argument konnte sich der Professor nicht verschließen. Er ermächtigte daher den Arzt, mit dem Kelanter darüber zu reden, und der Beamte erklärte sich sofort bereit, ein paar Gendarmen zum Landeplatz der Luna zu schicken. Da die heißeste Tageszeit vorbei war, begaben sich die Gäste des Cafés wieder an ihre verschiedenen Verrichtungen. Die beiden Deutschen gingen in den Basar, um Schlafdecken und Lebensmittel einzukaufen. Als sie mit einem Lastträger, der die Einkäufe trug, zu Riedels Haus kamen, hatte der Hausmeister inzwischen das Zelt und die Feldbetten auf dem Verdeck des Kraftwagens festgeschnallt und den Benzintank gefüllt. Die zur Sprechstunde erschienenen Patienten schickte der Arzt zu einem persischen Kollegen. Die Sonne warf den Schatten des Wagens schon lang voraus, als die beiden Männer auf der staubigen Landstraße zur Stadt hinausfuhren. »Der Gewitterregen hat nicht viel genutzt«, meinte Riedel. »Die Hammahda wird schon wieder sehr trocken sein.« »Die Hammahda?« »So nennt der Araber die Wüste. Das Wort bedeutet: die Durchglühte. Aber Sie
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haben noch Glück gehabt mit Ihrer Landung. Sie sind am Rande der Hammahda herabgekommen. Was würde aus Ihnen geworden sein, wenn Sie noch tiefer in den Deschti-Kuwir, in die Salzsteppe, hineingeraten oder weiter südlich in der Wüste Lut gescheitert wären, wo Sie Hunderte von Kilometern weit keine menschliche Siedlung gefunden hätten!« »Oder wenn wir ins Kaspische Meer gefallen wären,« lachte Habermann. »Ich hatte es in weiter Ferne schon aufleuchten sehen.« »Wir wollen gar nicht daran denken!« *** Der Vormittag hatte Heinz genug Abwechslung geboten. Bei der Hauptmahlzeit hatte es wieder Pilaw gegeben, das heißt Reis mit Hammelfleisch, und unter Anleitung der Kinder hatte er sogar gelernt, zwischen den Fingern Reiskügelchen zu formen und sich ohne Löffel zu behelfen. Während der heißen Tagesstunden hatte der Junge aus Scheu vor dem Ungeziefer das Zelt gemieden; er hatte ein paar Stunden im duftenden Heu hinter dem Zelt auf der Schattenseite geschlafen. Aber der Nachmittag war ihm unendlich lang erschienen, denn seine Freundin Fatima hatte mit den Frauen arbeiten müssen. Eine Weile hatte er zugesehen, wie sie Raffan, das ist flüssige Schafbutter, in einem Lederschlauch bereitete. Dann hatte er mit einem jungen Hunde gespielt; der hatte ihn auch zur Landestelle der Luna begleitet. Hier saß nun Heinz traurig auf einem Stein, die Arme um die Knie geschlungen, und starrte sehnsüchtig in die untergehende Sonne, während das Hündchen seine trüben Gedanken mit einem Jaulen begleitete. Da wallte vor dem rotglühenden Sonnenball ein Wölkchen auf, das schnell größer wurde. Heinz sprang auf: Das war doch ein Auto! Der Hund stand mit gesträubtem Fell neben ihm und bellte wütend dem ungewohnten Geräusch entgegen. Der Kraftwagen verließ die von vielen Herden ausgetretene Drift und schaukelte über das holprige Gelände auf die Luna zu. Der Junge stieß einen Freudenschrei aus: Er hatte hinter der Windschutzscheibe des Vaters Gesicht erkannt. Dr. Riedel mußte scharf bremsen, damit ihm das anstürmende Paar, Mensch und Hund, nicht unter die Räder geriet. Zum Erzählen war nicht viel Zeit, denn es galt, noch vor dem Dunkelwerden das Zelt aufzuschlagen. Während die Männer die Pflöcke einrammten, schob Heinz die Stangen ineinander. Gerade wollten sie mit vereinten Kräften das Zelt aufrichten, da vernahmen sie einen melodischen Ruf, fast einen Jodler. Mit wehendem Kittel kam raschen Schrittes der alte Perser durch die Wüste herbei. Sein scharfes Auge hatte die Annäherung des Autos erkannt, und er hatte mit Recht vermutet, daß es den fremden Reisenden zurückbrachte. Jetzt erst erfuhren unsere Freunde, wer sie beherbergt hatte: Der Alte trug den stolzen Namen Gholam Ali Khan und war ein Angehöriger des lekischen, altpersischen Stammes der Kurden. Aber sein Adelsstolz hinderte ihn nicht, das Obergewand abzuwerfen und kräftig mit anzupacken. Erst als die Arbeit getan war, wurde er wieder ganz Würde und lud mit orientalischer Grandezza nicht nur die Habermanns, sondern auch den Hakim Riedel, von dessen Anwesenheit in Sebsewar er bereits gehört hatte, zum Abendessen ein. Da bei dem neuen Zelt noch keine Kochstelle errichtet war, wurde sein Angebot dankbar begrüßt. »Heinz, warum kratzt du dich denn immerfort am Halse?« fragte der Vater. »Haben dich Mücken gestochen?«
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Der Junge wurde rot und stotterte: »Mücken nicht, aber...« Er schämte sich, die Läuse zu erwähnen. Auch Dr. Riedel war aufmerksam geworden: »Zeig mal, was hast du denn?« Der Arzt lockerte dem Knaben den Hemdkragen und wunderte sich: »Du hast dich ja wund gekratzt!« Kleinlaut erwiderte Heinz: »Ich glaube, es sind... es sind - Läuse.« Riedel seufzte: »Wahrscheinlich. Hast du schon welche gefunden?« Als der Junge nickte, lächelte er beruhigend: »Die wirst du bald wieder los sein. Aber sieh dich vor, daß du nicht wieder welche erwischst! Hier gibt es sehr viel Ungeziefer. In dem heißen Klima gedeiht es besonders gut, und das kolonial ausgebeutete Volk kann sich seiner kaum erwehren. Die alten Perser hatten für dieses ekelhafte Zeug sogar einen besonderen Schutzheiligen, den Ahriman, den Gott alles Bösen und Widersacher des guten Gottes Ormuzd. Aber ich bin lange genug im Lande, meine Taschenapotheke ist für solche Fälle eingerichtet.« Er zog unter dem Rücksitz seines Wagens einen Kasten hervor und entnahm ihm ein Büchschen mit einem scharfriechenden Pulver. Nachdem er dem Jungen Hals und Brust eingepudert hatte, tröstete er ihn: »Sollten noch einige der Biester am Leben bleiben, so türmen sie jetzt bestimmt. Und heute abend gibt es eine Generalreinigung mit Nachbehandlung. Zur Vorsicht werden wir dich aber neu einkleiden müssen. Ich weiß nur nicht, ob wir in Sebsewar einen europäischen Knabenanzug bekommen werden.« »Dann kaufen Sie mir einen Rock, wie ihn Onkel Gholam trägt!« schlug Heinz vor. »Der ist viel bequemer, und die anderen Jungen gehen auch so.« Das Essen wurde, der Sitte entsprechend, schweigsam eingenommen. Nachher aber, bei der Wasserpfeife, war viel zu besprechen. Dr. Riedel war nicht damit einverstanden, daß der Professor dem Perser seine goldene Uhr gegeben hatte. Eine moderne deutsche Qualitätsuhr für die Überlassung zweier Pferde auf einen Tag - das war viel zu teuer! Aber Habermann bestand darauf, daß Gholam Khan die Uhr als Andenken behalten sollte, weil er den Schiffbrüchigen als erster geholfen hatte. Die Sorge für den neuen Zeltplatz wurde Fatima übertragen. Da war Feuerholz zu beschaffen, Milch und Wasser zu holen, zu kochen und zu waschen. Das Mädchen war sehr stolz auf seine neue Würde als selbständige Hausfrau. Dr. Riedel allerdings war ihr gegenüber mißtrauisch. Daß Heinz in Gholams Zelt Ungeziefer aufgegriffen hatte, flößte dem Arzt sanitäre Bedenken ein, und er nahm sich vor, das Mädchen einer gründlichen Kur zu unterziehen, es neu einzukleiden und ihm strengste Sauberkeit einzuschärfen. Heinz hatte nun schon ein paar Brocken der persischen Umgangssprache aufgeschnappt, und all das Neue, das er gehört und gesehen hatte, beschäftigte ihn lebhaft. Als sich die drei Deutschen im eigenen Zelt zur Ruhe begeben hatten, bedrückten ihn noch viele Fragen, die er in die Dunkelheit hinein an die beiden Männer richtete. »Fatima hat mir gesagt, sie sei die Dochter vom alten Gholam. Komisch, nicht wahr? Zufällig das gleiche Wort für Tochter wie im Deutschen!« »Das ist kein Zufall«, erwiderte Dr. Riedel. »Das Persische ist eine indoeuropäische Sprache wie das Deutsche. Im Laufe der Jahrhunderte hat es sich stark abgeschliffen und
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Lehnwörter aus dem Griechischen, aus dem Arabischen und aus den Turksprachen aufgenommen. Außer der Dochter gibt es viele andere persische Wörter, die noch heute den entsprechenden deutschen Bezeichnungen verwandt klingen. Lib heißt zum Beispiel Lippe, und mein Hausmeister führt bei seinen Freunden den Spitznamen Libberlib, das bedeutet Lippe auf Lippe, weil ein Liebeslied, das mit diesen Worten beginnt, sein Lieblingslied ist. Mein persischer Kollege Nasir Hakimboschi, der für heute nachmittag und morgen früh meine Patienten übernehmen mußte, nennt seine Frau schäkernd Tschekerlib, das heißt Zuckerlippe.« »Wenn wir also zur Zeit des alten Perserkönigs Kambyses hierher verschlagen worden wären, dann hätten wir uns vielleicht in deutscher Sprache mit den Persern unterhalten können?« fragte Heinz. Die Phantasie des Knaben stimmte die beiden Männer heiter, und der Vater suchte ihr einen Dämpfer aufzusetzen, indem er den Sohn darauf aufmerksam machte, daß er heute nicht einmal die Sprache der alten Germanen verstehen würde. Er fügte hinzu: »Solche gedankliche Spielereien sind auch deshalb müßig, weil ja die Lebensumstände damals ganz andere waren. Zur Zeit des Kambyses, also vor fast 2500 Jahren, gab es noch kein Verkehrsmittel wie unser Weltraumschiff. Eine Reise aus Deutschland hierher dauerte fast ein Menschenalter.« »Aber vielleicht könnte man mit der Rakete, wenn sie schnell genug ist, auch in andere Zeiten reisen? Warum nicht in die Zeit des ollen Kambyses?« Jetzt bekam Dr. Riedel einen Lachkrampf, der ihn fast erstickte. Auch der Professor mußte lächeln, aber er antwortete sachlich: »Ich habe dir schon einmal gesagt, daß deine Phantasie da in die Irre geht. Die theoretische Spielerei mit der Reise in vergangene Zeiten ist reine Mystik; sie hat mit echter Wissenschaft nichts zu tun und kann diese nur auf Abwege verführen. Außerdem würdest du dich schön wundern, wenn wir plötzlich dem alten Perserkönig gegenüberständen. Er würde wahrscheinlich Bogen und Pfeil in der Hand tragen. Zu seiner Zeit wimmelte es hier nämlich noch von Löwen...« »Die gibt es heute noch«, warf Riedel ein. »Aber doch wohl nur vereinzelt. Außerdem war das die Blütezeit der Sklaverei.« Erneut protestierte der Arzt: »Hier ist die Sklaverei noch immer nicht abgeschafft.« »Aber lieber Doktor, wollen Sie mir einreden, daß es hier offiziell noch Sklaven gibt? Die Sklaverei ist doch längst aufgehoben !« »Ich bin davon überzeugt, daß Gholam von morgen an seine Tochter als Ihre Haussklavin betrachtet und daß er sich sehr wundern wird, wenn Sie sie ihm bei Ihrer Abreise wieder zurückschicken. Natürlich ist die Sklaverei auch in Persien offiziell abgeschafft, aber die sittlichen Anschauungen des Orients kann man nicht in einem oder in wenigen Jahrhunderten ändern.« »Die sozialistischen Sowjetrepubliken haben solche Reste der antiken Sklaverei in allerkürzester Zeit beseitigt. Im halbkolonialen Persien gibt es sie vielleicht noch. Es haben sich ja sogar in Europa trotz der Einführung des kapitalistischen Systems noch Reste der mittelalterlichen Feudalherrschaft erhalten. Aber auf jeden Fall lebte Kambyses in der Blütezeit der Sklaverei und würde wahrscheinlich ungebetene Fremde, die in seinem Lande aufgegriffen wurden, zu Sklaven gemacht haben, uns selbst vielleicht zu seinen
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Lieblingssklaven, weil wir gewisse Künste verstehen, die er noch nicht kannte, aber doch eben zu Sklaven.« »Das mag sein. Und Sie haben natürlich auch damit recht, daß es heute offiziell keine Sklaverei mehr gibt. Aber wie groß ist denn der Unterschied zwischen der Ausbeutung eines antiken Sklaven und der eines angeblich freien Arbeiters durch die modernen Kapitalisten, namentlich in einem halbkolonialen Lande wie Persien? Gewiß, die Engländer haben nach Ägypten und nach den Ländern des Vorderen Orients das gebracht, was sie Kultur nennen, und sie lassen sogar die Oberschicht dieser Kolonialländer, die Khediven und Schahs, die Paschas, Emire und Scheiche und die eingeborenen Händler, die sich stolz Effendi anreden lassen, an gewissen Errungenschaften der europäischen Zivilisation teilhaben, damit diese an ihrer Stelle die Sklavenpeitsche schwingen und aus der großen Masse der Bevölkerung zugunsten der Herren Engländer noch mehr Arbeit herauspressen, als sie es als selbständige Sklavenhalter früher auch getan hatten. Und die smarten Amerikaner, die allmählich die Engländer verdrängen, treiben es fast noch schlimmer, um das nicht mit ansehen zu müssen, bin ich von Ägypten immer weiter nach Osten gewandert, bis ich hier sitzengeblieben bin. Chorassan - so glaubte ich - hatten die modernen Sklavenhalter noch nicht entdeckt. Aber ich habe mich geirrt. Ganz Persien steht schon unter ihrer Fuchtel, und das Volk verarmt immer mehr.« Riedel tat es offenbar wohl, sich seine Wut einmal vom Herzen reden zu können. Habermann tröstete ihn: »Wenn Sie das so klar erkannt haben, dann wundert es mich, daß Sie nicht längst nach Deutschland zurückgekehrt sind.« »Ich wagte es nicht, weil ich Mitglied der NSDAP gewesen bin.« »Wegen der früheren Parteimitgliedschaft allein wird Ihnen kein Haar gekrümmt werden. Verbrechen gegen die Menschlichkeit aber haben Sie, wie Sie selbst sagen, nicht begangen. Und so, wie ich Sie jetzt kennenlerne, ist auch Ihre ganze Einstellung nicht mehr nazistisch. Gute Ärzte werden auch bei uns gebraucht.« »Ich möchte schon...« Dr. Riedel seufzte; er schien noch Bedenken zy haben: »Aber die Bolschewiken...« »... sind doch keine Menschenfresser«, fiel der Professor ein. »Denken Sie daran, wie viele Nazioffiziere in russischen Gefangenenlagern zu begeisterten Sowjetfreunden geworden sind! Heute ist unser Staat souverän; nur Deutsche bestimmen dort über das Geschick von Deutschen, und wir fragen nicht, was einer war, sondern nur ob er ehrlich beim Aufbau helfen will. Und helfen können dabei gerade Sie als Arzt. - Aber noch ein Wort zur Sklaverei: Die kolonialen und halbkolonialen Völker nehmen dieses Problem jetzt selbst in die Hand, sie sind erwacht. China hat sich schon befreit, und ganz Asien befindet sich in Gärung. Die kleine Fatima ist auf keinen Fall unsere Sklavin, und ich erwarte von dir, mein lieber Heinz, daß du sie eher wie eine Schwester behandelst. - Nun wollen wir schlafen, gute Nacht!«
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IN DEN KLAUEN DES GEHEIMDIENSTES Als Habermann und Riedel am nächsten Tage wieder in Sebsewar eintrafen, lag eine Antwort aus Berlin noch nicht vor. Wohl aber überreichte Libberlib seinem Herrn ein Telegramm aus Teheran: Erbitten Kabel über jede Einzelheit deutschen Weltraumschiffes und über deutschen Professor stop Zweihundert Rial angewiesen stop Reuter Teheran »Knauserige Pfeffersäcke!« knurrte Riedel. Er konnte nicht wissen, daß der Reuter-Korrespondent in Teheran aufseine Meldung ursprünglich überhaupt nicht hatte eingehen wollen. Mr. Whitman hatte Riedels Telegramm nur für den Versuch eines durch Geldmangel aufs Trockene geratenen Abenteurers gehalten, sich wieder flüssige Mittel zu beschaffen. Weltraumschiff? Lächerlich! Noch dazu ein deutsches... Vorsichtshalber hatte er jedoch die britische Botschaft angerufen, und der Legationssekretär der Informationsabteilung hatte die Sache für wichtig genug gehalten, um sie Sir Arthur Clifford, dem Botschafter, zu unterbreiten. Darüber waren wertvolle Stunden vergangen, erst am späten Abend konnte man den Botschafter befragen, als dieser müde von einem anstrengenden Festessen aus dem Salon eines persischen Ministers heimkehrte. Sir Arthur hatte eine Entscheidung getroffen, die eines Diplomaten würdig war: »Zwar Meldung nicht veröffentlichen, aber an Londoner Geheimdienst weitergeben! Vielleicht ist doch etwas daran; deshalb weitere Informationen einziehen, ohne allerdings große Summen aufzuwenden!« Infolgedessen erfuhr die Weltöffentlichkeit an diesem Tage nichts mehr von der Landung der Luna. Auch Habermanns Telegramm war in Teheran hängengeblieben. Der Telegraphist, der beide Meldungen aus Sebsewar aufgenommen hatte, war ein eifriger Beamter und ging mit den Morsestreifen sofort zum Direktor des Haupttelegraphenamts. Dieser witterte eine Gelegenheit zum illegalen Nebenerwerb. Ein Telegramm an Reuter zurückzuhalten war allerdings ein zu großes Wagnis; wenn der britische Löwe auch altersschwach ist, muß man sich doch immer noch vor seinen Pranken hüten. Aber wer stand schon hinter einem deutschen Professor? Die reichen Yankees würden sicher gern viele Dollar springen lassen, wenn man ihnen sein Telegramm in die Hände spielte; vor wenigen Tagen hatte Frank J. McLean, der Leiter des USAGeheimdienstes in Teheran, dem Telegraphendirektor gegenüber ein Wort fallen lassen, das ein anständiger Mensch natürlich überhörte. Aber wenn die Gelegenheit günstig war... Jedenfalls landete Habermanns Hilferuf zugleich mit einer Durchschrift der Riedelschen Meldung auf Herrn McLeans Schreibtisch. Trotzdem wurde Berlin von der Notlandung der Luna unterrichtet, wenn auch erst am nächsten Morgen. Dafür sorgte die Korruption, die überall da herrscht, wo der Kapitalismus am Ruder ist. Im Aufnahmesaal des Haupttelegraphenamts zu Teheran war der Inhalt der beiden Telegramme natürlich ausgiebig besprochen worden. Unter den zwölf Beamten war einer mit M. Lebrun, dem Korrespondenten des französischen Nachrichtenbüros Agence France Presse, befreundet. Die Zeit, da die Franzosen im Orient tonangebend waren, ist längst vorbei, aber gerade darum sind sie dort beliebter als die großspurigen neuen Herren.
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Hussein, der Telegraphist, war zwar ein frommer Moslem, und der Koran verbot ihm den Genuß geistiger Getränke, aber in der Bar, wo man Lebrun meist antraf und wo fast nur Europäer verkehrten, brauchte er es mit diesem Gesetz nicht so genau zu nehmen. M. Lebrun spendierte auch gern ein paar teure Drinks, als ihm Hussein die saftige Sensation von der notgelandeten Luna auftischte, die offenbar nicht einmal erfunden war. Noch im Laufe der Nacht war die Meldung in Paris, und am frühen Morgen funkte sie der Hellschreiber, das modernste Gerät zur Übermittlung von Nachrichten, in alle Welt, also auch nach Berlin: AFP Teheran, 14. August. Das deutsche Weltraumschiff »Luna« ist gestern in der persischen Provinz Chorassan notgelandet. Es hatte infolge Treibstoffmangels seinen Ausgangspunkt Berlin nicht wieder erreichen können. An Bord befanden sich die beiden deutschen Professoren Habermann und Dr. Riedel. Die Landung des Apparates, der Alkohol und Wasserstoffgas als Treibstoff benutzt, erfolgte glatt und ohne Schaden etwa 60 km südöstlich Sebsewar. Lebrun hatte also die beiden Telegramme nicht ungeschickt miteinander kombiniert. Auch Mr. McLean war nicht untätig gewesen. Er hatte mit seinem Botschafter gesprochen, und beide waren sich darüber einig, daß man versuchen müsse, den merkwürdigen deutschen Apparat in die Hände zu bekommen. Auf keinen Fall durfte dieser Professor Habermann neuen Treibstoff bekommen. Um ihn an der Fortsetzung seiner Reise zu hindern, war jedes Mittel recht. Die Finanzmagnaten von Wall Street würden das größte Interesse daran haben, die technischen Einzelheiten der Luna kennenzulernen. Botschafter John D. Snyders mußte das wissen, denn er war selber der Schwiegersohn eines der Bankkönige von New York und hatte der persischen Regierung erst kürzlich eine größere Dollaranleihe vermittelt. Aber diese Weltraumschiffangelegenheit mußte vertraulich behandelt werden. Deshalb bat Mr. Snyders den persischen Innenminister selbst dringend um seinen Besuch in der Botschaft. Der Minister, ein Mann von ältestem persischem Adel, wußte genau, daß diese Bitte einen Befehl darstellte, aber er ließ sich nicht gern befehlen und erschien nicht persönlich, sondern er schickte am nächsten Vormittag seinen Stellvertreter, den würdigen Muchber ed Daule. Höflich, wie es einem Orientalen geziemt, saß dieser im großen Salon des amerikanischen Botschaftspalastes Herrn Snyders gegenüber; der hatte die Beine auf den Tisch gelegt, kaute an einem Stück Gummi und spuckte von Zeit zu Zeit auf den Teppich. Der vornehme Perser übersah die schmutzigen Kreppsohlen vor seiner Nase geflissentlich. Er blinzelte verträumt in das bunte Gefunkel des Urusi, des Fensters aus farbigem Glase, das auf den Hof hinausging. »Und die Regierung Seiner Majestät des Schah in Schah, des Königs der Könige, hat noch keine Nachricht von der Landung dieses deutschen Spions in Chorassan? Wozu haben Sie denn dort Ihre Polizei? Das ist doch eine Schweinerei!« Snyders' Bulldoggengesicht war vor Wut rot angelaufen. »Gewiß, gewiß!« lispelte Muchber zustimmend. »Wir werden den schuldigen
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Beamten sofort durch einen anderen ersetzen.« »Durch einen anderen ersetzen«, höhnte der Amerikaner, »durch einen anderen, der genau so unfähig ist! Und inzwischen läuft der deutsche Spion frei im Lande umher und schnüffelt auf den Flugplätzen herum, die wir mit unseren teuren Dollars für Sie gebaut haben.« Für uns? dachte der Perser, daß ich nicht lache! Laut aber beeilte er sich zu versichern: »Gewiß, gewiß! Wir werden ihn sofort verhaften lassen.« »Und was wird aus dem Apparat? Wollen Sie nicht wenigstens feststellen, welche technischen Mittel ein solcher Spion anwendet, um ungehindert auf persischen Boden zu gelangen?« »Wir werden den Apparat beschlagnahmen. Nur... Ich weiß nicht, ob wir Fachleute haben, die...« Snyders wurde schleimig milde. Er nahm die Beine vom Tisch und neigte sich vertraulich zu dem Besucher hinüber: »Wir werden Ihnen amerikanische Fachleute zur Verfügung stellen.« Sind wir endlich an dem Punkt, wo du hinwolltest, du Dschaur, du ungläubiger Hund? knirschte Muchber. Natürlich: das Konstruktionsgeheimnis der Deutschen willst du an dich bringen. - Vernehmlich aber war nur sein Dank: »Das wäre sehr gütig von Eurer Exzellenz.« So kam es, daß der Polizeichef von Sebsewar eine Stunde später telegraphische Anweisung erhielt, den deutschen Professor Habermann wegen Spionageverdachts zu verhaften und seinen Apparat zu beschlagnahmen. »Ma scha Allah, wie Gott will!« seufzte der Kelanter, als er den telegraphischen Befehl gelesen hatte. Dann begab er sich, da die Sonne schon hoch stand, ins Kaffeehaus. Soviel Gemütsruhe brachten die Leute vom amerikanischen Geheimdienst nicht auf. Unablässig gingen verzifferte Telegramme zwischen Teheran, Washington und New York hin und her. Weltraumschiff? Atominstitut Berlin? Vermutlich eine bemannte Rakete. Professor Habermann? Jawohl, der war als Atomforscher, bekannt. Also eine Rakete unter Verwendung von Atomtreibstoff? Doch wohl nicht! Soweit konnten die Deutschen noch nicht sein; das hatte man noch nicht einmal in Amerika. Habermann selber forderte auch nur Alkohol und Wasserstoff an; gemeint war wohl Wasserstoffsuperoxyd, das schon seit langem in Verbindung mit Alkohol als Raketentreibstoff verwendet wurde. Also wahrscheinlich bemannte Rakete zur Höhenstrahlenforschung. Dann brauchte man keinen Atomfachmann aus Amerika nach Sebsewar zu schicken, es genügte ein Raketenfachmann wie Major Spiller; der war schon jenseits des großen Teiches, er saß als Militärattaché bei der Gesandtschaft in Athen. Also Befehl an Major Spiller, Athen: Sofort mit Flugzeug nach Teheran! und Befehl an McLean, Teheran: Flugzeug bereit halten für Major Spiller nach Sebsewar! In der Londoner Downing Street war man nicht ganz so geschäftig. Aber aufgestört war man auch dort durch die sensationelle AFP-Meldung. Das Auswärtige Amt und sein Geheimdienst vereinbarten mit Reuter eine Meldung, die die AFP-Nachricht im wesentlichen bestätigte, aber ihre Irrtümer vermied. Clifford und Whitman bekamen Anweisung, alle erreichbaren Informationen einzuziehen.
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»These bloody Germans«, schimpfte Sir Arthur, »diese verdammten Deutschen!« Er ließ Mr. Whitman kommen und erteilte ihm Vollmacht, über größere Beträge zu verfügen, um von Dr. Riedel soviel Einzelheiten wie möglich zu bekommen. Am besten wäre es, wenn Whitman selber nach Sebsewar fliege; er könne das Flugzeug des britischen Militärattachés mitbenutzen, der auch dorthin beordert sei. Kaum eine Stunde später hielt Dr. Riedel ein dringendes Telegramm in Händen: Teheran, 14. August 19.. An Doktor Riedel Sebsewar stop Sehr betrübt über Ausbleiben zuverlässiger Einzelheiten Luna stop Geld spielt keine Rolle stop Dreitausend Rial angewiesen stop Reuterkorrespondent nach Sebsewar unterwegs stop Erbitten Quartierbeschaffung für ihn stop Reuter Teheran
Der Arzt wunderte sich: Luna? Den Namen hatte er doch in seiner Meldung gar nicht erwähnt. Woher kannte man in Teheran den Namen des Apparats? Aber einerlei: mit dreitausend Rial konnte man wirtschaften, konnte man Professor Habermann wirksam helfen, und es lohnte sich, für Reuter weiterzuarbeiten. Kein Wunder, daß Dr. Riedel keine Zeit fand, ins Kaffeehaus zu gehen. So hatte der Kelanter keine Gelegenheit, ihm einen Wink zu geben. *** Im Atominstitut hatte man sich große Sorgen gemacht, als Habermann nicht rechtzeitig von seinem Flug zum Saturn zurilckkehrte. Abends gab man ihn schon verloren. Erst am Vormittag des 14. August, zu der Zeit, als Habermann und Riedel mit ihrem Auto in Richtung Sebsewar durch die Wüste stuckerten, erhielten Professor Frenzen und seine Mitarbeiter Gewißheit darüber, daß ihr. Kollege noch am Leben war. Auf Grund der AFPMeldung riefen nämlich die Redaktionen aller Berliner Abendblätter im Institut an, um Genaueres zu erfahren. Der Inhalt der Meldung erregte zwar bei den Männern vom Atominstitut Kopfschütteln — wer war zum Beispiel dieser rätselhafte Dr. Riedel? -, aber die meisten Angaben von AFP waren so präzis, daß mau an der Zuverlässigkeit der Nachricht nicht zweifeln konnte. Obwohl Frenzen es für richtig hielt, direkte Nachricht von Habermann abzuwarten, ehe er etwas Entscheidendes unternahm, unterrichtete er doch sofort die interessierten deutschen Behörden und wissenschaftlichen Institute. Inzwischen ließ er die Mitglieder der Betriebsgewerkschaftsleitung und die Betriebsaktivisten des Atominstituts zusammenrufen. In dieser Beratung, die noch während der Mittagspause stattfand, trat Dr. Heise für eine sofortige Hilfsaktion ein, und da seine Forderung von den Arbeitern unterstützt wurde, so beschloß die Direktion trotz der zögernden Haltung der Professoren, wenigstens sofort Erkundigungen über die Möglichkeit einer Hilfsexpedition einzuziehen. Jeder der Aktivisten
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übernahm einen Einzelauftrag, der bis 19 Uhr durchgeführt sein sollte, damit dann abends die Entscheidung fallen könnte. Den ersten praktischen Erfolg erzielte Professor Frenzen: Die Regierung stellte ausreichende Geldmittel für eine Hilfsexpedition zur Verfügung. Die Betriebgewerkschaftsleitung hatte sehr bald festgestellt, daß sich noch genug Alkohol und Wasserstoffsuperoxyd im Lager des Instituts befand. Im freiwilligen Arbeitseinsatz machte sich eine Kolonne sofort daran, den Treibstoff in handliche Kanister abzufüllen. Die schwierigste Aufgabe hatte trotz seiner Behinderung durch den gebrochenen Arm der Assistent Dr. Heise übernommen. Er war nach Berlin zum Geographischen Seminar der Universität gefahren. Dort hatte man alle Spezialwerke und wissenschaftlichen Einzeldarstellungen über das mittlere Chorassan und seine Salzsteppe herausgesucht. Unter Anleitung der Professoren und Assistenten fertigten Studenten Auszüge aus diesen Werken und Kopien von Spezialkarten des Gebietes um Sebsewar an. Währenddessen rief Dr. Heise im Atominstitut an und erfuhr von dem Institutsfunker, der die Verbindung mit der Luftverkehrsgesellschaft aufgenommen hatte, daß gerade ein neu überholtes Transportflugzeug bereitstehe, das für die Expedition geeignet sei. Ein Pilot, der die Strecke nach dem Nahen Osten gut kenne und der gerade heute einen Erholungsurlaub antreten sollte, sei begeistert für den Plan, und auch für die übrige Besatzung hätten sich sofort Freiwillige gemeldet. Aber der Pilot hatte auch auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht: Wenn eine Zwischenlandung auf dem Gelände des Atominstituts notwendig sei, dann könne sie nur bei Tageslicht erfolgen. Wenn dieses Gelände früher auch Flugplatz gewesen sei, so fehlten doch heute die Signalanlagen. Das Flugzeug werde für einen solchen Langstreckenflug schwer mit Treibstoff belastet sein, und er werde froh sein, wenn er es auf diesem Gelände gut aufsetzen und nachher wieder ungefährdet beim neuen Start hochziehen könne. Auf jeden Fall müsse für eine Rauchfahne gesorgt werden, die ihm die Windrichtung anzeige. Der Flug müsse ferner schon in den allernächsten Tagen und in aller Frühe angetreten werden. Er schlage den 16. August vor. Die Sonne geht an diesem Tage um 4 Uhr 42 auf. Er werde noch bei Dunkelheit vom Flugplatz starten, damit er bei Beginn der Helligkeit auf dem Institutsgelände niedergehen könne. Bodenpersonal werde er am Tage zuvor zum Institut schicken. Dort müsse dann alles bereitstellen, denn die Aufnahme des Expeditionsgutes und der Expeditionsteilnehmer dürfe höchstens eine halbe Stunde in Anspruch nehmen, so daß das Flugzeug spätestens um 5 Uhr 30 wieder in der Luft sei. Die Sonne gehe am 16. August in Mitteldeutschland um 19 Uhr 25 unter. Aber beim Fluge nach Osten eile man der Sonne entgegen, überhole also die Zeit, und am Ziel, ein paar hundert Kilometer östlich des Kaspischen Meeres, sei man den Europäern schon um drei Stunden voraus, dort gehe die Sonne unter Zugrundelegung der mitteleuropäischen Zeit bereits um 16 Uhr 25 unter. Spätestens um diese Zeit müsse man also am Ziel sein, wenn man es noch vor Eintritt der Dunkelheit finden wolle. Die gesamte Flugstrecke betrage rund 4000 Kilonieter. Das schwerbeladene Flugzeug habe aber nur eine Höchstgeschwindigkeit von 400 Kilonietern in der Stunde, und man müsse mit mindestens zehn Stunden reiner Flugdauer rechnen. Die Zeit sei äußerst knapp, und der Erfolg hänge an einem seidenen Faden. Stoße man auf eine Schlechtwetterfront, so könne man Sebsewar nicht an einem Tage erreichen. Dr. Heise hatte gehofft, schon am nächsten Tage seinem Lehrer zu Hilfe eilen zu können, und war durch diese Auskunft sehr enttäuscht. Professor Frenzen dagegen war
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froh, noch einen Tag gewonnen zu haben. »Läßt unser Kollege Habermann auch morgen nichts von sich hören«, so erklärte Frenzen abends bei der erneuten Zusammenkunft der Aktivisten, »dann bin ich allerdings auch dafür, sofort mit einem Flugzeug nach ihm zu suchen. Wenn er heil und gesund ist, wie wir wohl hoffen können, dann wird er ja aus eigener Kraft auf irgendeine Weise Gelegenheit finden, in die Heimat zurückzureisen. Aber den wertvollen Apparat werden wir nur retten können, wenn wir Raketentreibstoff hinschaffen. Ich habe mich erkundigt: Wasserstoffsuperoxyd von der Art, wie wir es brauchen, gibt es nur in hochindustrialisierten Ländern, auf keinen Fall aber in Persien. Die Leitung der Hilfsexpedition möchte ich gern selbst übernehmen.« Die Tatsache, daß nunmehr Übereinstimmung der Meinungen erzielt war, wurde von der Versammlung mit Begeisterung aufgenommen, und es wurde beschlossen, die Expedition so, wie es der Pilot vorgeschlagen hatte, am 16. August zu unternehmen und sofort alle Vorbereitungen zu treffen. Außer Professor Frenzen sollten Dr. Heise und der Arbeiter Martin aus dem Megatron, der große Erfahrung im Umgang mit Atomstoffen hatte, an dem Fluge teilnehmen. Während in Deutschland die Hilfsexpedition vorbereitet wurde, hielt Dr. Riedel in Sebsewar seine Nachmittagssprechstunde ab. Als letzter Patient trat ein junger persischer Arbeiter in das Ordinationszimmer. »Nun, wo fehlt's?« fragte der Arzt. Der junge Mann schien ein wenig verlegen zu sein. »Ich bin nicht krank«, sagte er leise, »ich möchte den sowjetischen Professor sprechen.« »Welchen sowjetischen Professor? Ich kenne keinen.« »Ich weiß, daß er heute wieder mit Ihnen nach Sebsewar zurückgekommen ist.« »Sie meinen Professor Habermann? Der ist kein sowjetischer Gelehrter, er ist Deutscher wie ich.« Der Besucher lächelte ungläubig: »Er hat meinem Bruder russische Zigaretten gegeben.« »Ihrem Bruder? Wer sind Sie denn?« »Ich bin Jussuf ben Gholam Ali Khan. Der Professor ist gestern mit meinem Bruder Hassan zu Pferde hierhergekommen. Mein Bruder hat bei mir übernachtet und ist heute früh zu unserem Vater zurückgeritten.« »Sie sind ein Sohn von Gholam Ali Khan?« Der junge Manne nickte. »Wenn Sie dem Professor etwas zu bestellen haben, dann sagen Sie es mir! Ihm selbst können Sie es nicht ausrichten, denn er versteht kein Wort Persisch.« Wieder lächelte Jussuf: »Wir können ja russisch sprechen. Ich bin einige Zeit in der Sowjetunion gewesen.« Riedel wurde ungeduldig: »Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Professor Habermann ist kein Russe! Russische Zigaretten kann man auch in Berlin kaufen.« Der junge Perser blieb gelassen: »Bitte, fragen Sie ihn! Es ist sehr wichtig und dringend.«
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»Gut, warten Sie einen Augenblick!« Der Arzt schüttelte ärgerlich den Kopf über den hartnäckigen Burschen. Habermann war gerade vom Postamt, wo er vergeblich nach einem Telegramm aus Berlin gefragt hatte, in sein Zimmer zurückgekehrt. »Ich kann allerdings ein paar Brocken Russisch«, bestätigte er. »Seit uns aufrichtige Freundschaft mit der Sowjetunion verbindet, stehen wir in lebhaftem Erfahrungsaustausch mit sowjetischen Gelehrten, und ich habe deshalb ihre Sprache gelernt. - Vielleicht hat mir der junge Mann wirklich etwas Wichtiges mitzuteilen.« Die Nachricht, die Jussuf brachte, war allerdings sehr wichtig: Der Polizeichefhabe telegraphisch Anweisung aus Teheran bekommen, Professor Habermann als Spion zu verhaften und die Luna zu beschlagnahmen. Der Gelehrte wollte zunächst nicht daran glauben und fragte, woher die Nachricht stamme. Aber Jussuf wehrte ab: »Als Bolschewik solltest du wissen, daß man in solchem Fall keinen Namen preisgibt!« »Ich bin kein Bolschewik«, erwiderte der Professor. »Aber Ihre Vorsicht ist wohl am Platze. Sie selbst sind Kommunist?« fragte er weiter. Jussuf zögerte mit der Antwort: »Ich... Es gibt keine Kommunisten in Persien.« »Ich verstehe«, nickte Habermann, »die Kommunistische Partei ist hier verboten. Aber wenn ich Ihnen vertrauen soll, müssen Sie auch offen zu mir sein: Auf welchem Wege haben Sie von dem Telegramm Kenntnis erhalten?« »Der Polizeischreiber ist mein... mein Freund. - Aber nun beeilen Siesich! Die Polizei kann jeden Augenblick eintreffen.« »Was soll ich denn tun?« »Mitkommen.« »Aber Dr. Riedel muß doch wissen, wo ich hingehe.« »Wenn die Polizei nach Ihnen fragt, kann er sagen, daß Sie allein in die Wüste zurückgeritten seien zu Ihrem Apparat.« »Und was wird aus meinem Jungen?« »Der mischt sich am besten in persischer Kleidung unter die Kinder im Zelt meines Vaters.« »Mir wäre es lieber, wenn er in der Nähe des Apparats bleiben könnte. Wir wohnen jetzt dort in Dr. Riedels Zelt.« Jussuf gab nur ungern seine Zustimmung: »Ich weiß nicht, ob der Junge vorsichtig genug sein wird... Aber sagen Sie Dr. Riedel noch nichts von dem Haftbefehl gegen Sie! Es ist besser, wenn er der Polizei gegenüber ein gutes Gewissen hat. Sagen Sie ihm nur, er werde bald selber merken, warum Sie allein in die Wüste zurückgekehrt seien. Er solle sich auch nicht wundern, wenn er Sie dort zufällig nicht antreffe. Inzwischen möchte er für Ihren Sohn sorgen, ihn persisch einkleiden und ihn für seinen taubstummen Diener ausgeben. So kann der Junge vielleicht im Zelt bei dem Apparat bleiben. - Es ist gut«, lachte der junge Perser, »daß Sie sich ein paar Tage nicht haben rasieren können. Morgen wird Sie keiner wiedererkennen, der Sie am ersten Tage hier gesehen hat.«
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Er öffnete den Packen, den er unter dem Arm trug, und reichte dem Professor einen schäbigen Perserrock und eine der landesüblichen Filzmützen. Während der deutsche Gelehrte mit fliegenden Worten den Arzt unterrichtete, verwandelte ihn Jussuf in einen persischen Kleinbürger. Riedel machte zwar Einwände und wollte den Professor noch an der Haustür zurückhalten. Aber in diesem Augenblick tauchten am Ende der Gasse mehrere Gendarmen auf. Rasch verabschiedeten sich die beiden »Perser« von dem Arzt. An der Hausmauer lehnte Jussufs Motorrad. Die beiden schwangen sich auf und verschwanden soeben knatternd um die Ecke, als der Kelanter mit seinen Leuten die Haustür erreichte. Dr. Riedel ahnte die Zusammenhänge und begrüßte den Beamten harmlos: »Gerade habe ich die letzten Patienten entlassen. Treten Sie bitte ein!« *** An diesem Abend hatte Heinz den Vater vergeblich erwartet. Erst als es schon dunkel war, traf Dr. Riedel mit seinem Wagen ein. Der Junge schluchzte fassungslos, als er erfuhr, was sich in Sebsewar ereignet hatte. »Hör auf zu weinen!« mahnte der Arzt. »Es hängt jetzt alles davon ab, daß du dich als ein Mann erweist. Dein Vater ist ja der Polizei noch nicht in die Finger gefallen.« Heinz trocknete seine Tränen und versuchte, sich in die Rolle eines Taubstummen einzuleben. Nachdem er den Perserrock angelegt und die Mütze aufprobiert hatte, die Dr. Riedel mitgebracht hatte, wollten beide zu Gholams Zelt fahren, um Fatima zu holen, die dem Jungen Gesellschaft leisten sollte. Aber der Arzt schaltete den Scheinwerfer seines Wagens sofort wieder aus, weil er in der Ferne Motorengeräusch hörte. Es war ein schweres Motorrad, das von Sebsewar her durch die Wüste näher kam. Nicht weit von Gholams Zelt erstarb das Geräusch, aber kaum eine Viertelstunde später hörte man es von neuem, und jetzt kam es direkt auf die Luna zu. »Seit wann haben wir in Sebsewar motorisierte Polizei?« fragte sich Dr. Riedel verwundert. Aber er irrte sich: Es war Jussuf, begleitet von einem anderen Perser. »Heinz«, rief der Fremde, als er vom Soziussitz kletterte, »kennst du deinen Vater nicht mehr?« Da war der Kummer vergessen. Aber Jussuf kürzte die Begrüßung ab: »Wir haben nicht viel Zeit. Herr Doktor, haben Sie nicht weiße Tücher, die wir bei dem Apparat auslegen können, damit ein Flugzeug ihn aus der Luft ansteuern kann?« »Richtig! Wie soll das deutsche Flugzeug diese Stelle sonst finden? Ich habe ein dickes Paket Verbandmull; vielleicht können wir das verwenden.« »Der Stoff kann ganz dünn sein, wenn er nur weiß ist!« In fieberhafter Eile legten die Männer die Mullbahnen mitten auf einer völlig ebenen Stelle der Wüste, wenige hundert Meter von der Luna und vom Zelt entfernt, in Form eines großen Kreuzes aus und beschwerten sie mit Steinen, damit sich der Wind nicht unter das leichte Gewebe setze und es fortwehe. Nach einem schweren Abschied zwischen Vater und Sohn brausten die beiden »Perser« ohne Licht wieder in die Nacht davon. Selbst ihre unbeleuchtete Maschine machte die Pferde der Gendarmen scheu, die ihnen halbwegs vor Sebsewar begegneten. Der Führer
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der Patrouille suchte die wilden Fahrer anzuhalten; aber die kümmerten sich nicht um seine Zurufe. Hinter ihnen herzugaloppieren wäre bei der Geschwindigkeit des Motorrades ein aussichtsloses Unterfangen gewesen. So entging Habermann diesmal den Gendarmen, die ausgeschickt worden waren, ihn zu fangen und seinen Apparat zu beschlagnahmen. Eine Stunde später begegnete der Patrouille ein Auto, das beleuchtet fuhr und auch sofort hielt, als sich die Reiter ihm in den Weg stellten. Am Steuer saß Dr. Riedel, der dem Gendarmerieoffizier bereitwillig Auskunft gab: Jawohl, auch er hatte nach Professor Habermann gesucht, ihn aber nicht gefunden. Gewiß, der Fremde sei Riedels Gast gewesen, habe auch gestern in dessen Zelt übernachtet, aber seit dem Nachmittag sei er verschwunden und habe sich auch nicht bei dem Apparat und bei dem Zelt blicken lassen. Die Gendarmen würden im Zelt die Dienerin Fatima und den taubstummen Diener des Arztes finden, die es ihnen bestätigen könnten. Als die Gendarmen gegen Morgen bei der Luna eintrafen, spielten die beiden Kinder trotz aller Angst, oder vielleicht gerade deswegen, ihre Rolle ausgezeichnet. Sie hatten infolge der Sprachschwierigkeiten zwei Tage Zeit gehabt, sich in der Zeichensprache zu üben. Heinz fiel es nur schwer, das dumme Gesicht zu machen und die rauhen Kehllaute hervorzubringen, die Dr. Riedel ihm empfohlen hatte. Weder die Intelligenz noch der Diensteifer des Patrouillenführers waren sehr groß. Immerhin stellte er nach kurzer Besichtigung des »eroberten« Weltraumschiffes fest, daß die Kugel rundherum fest verschlossen war und daß man diesen schweren Brocken unmöglich aus der Wüste abtransportieren konnte. Da er sich auf eine längere Bewachung gefaßt machen mußte, so schickte er einen seiner Leute mit einer Meldung nach Sebsewar zurück und forderte Unterkunft und Verpflegung für sich und seine zehn Männer an. Nach dem anstrengenden Nachtritt hatten es sich die Gendarmen bei dem Zelte Dr. Riedels bequem gemacht, wo ihnen Fatima einen kühlen Trunk reichte. In seinem neuen Kleide sah das Mädchen so schmuck aus, daß sich die Polizisten, die sich selbst für verteufelte Kerle hielten, gegenseitig bei ihr auszustechen versuchten. Über den »taubstummen« Heinz machten sie derbe Witze, und Fatima hatte alle Mühe, den Jungen vor Grobheiten zu schützen. Jetzt kam der Patrouillenführer zum Zelt. Auch er zwirbelte unternehmungslustig seinen Schnurrbart, als er dem hübschen Mädchen gegenüberstand, und hoffte auf einen kleinen Flirt während der langen Stunden oder gar Tage der Bewachung des Weltraumschiffes. An die Ausstellung von Wachen dachte er nicht; wer sollte schon ein solches Monstrum wie diese Stahlkugel zu stehlen versuchen! Darum duldete er es stillschweigend, daß sich seine Leute einer nach dem anderen zu den beiden großen Zelten begaben und ihm bei Fatima das Feld überließen. Aber die Kleine war auf ihrer Hut und hielt ihn in gebührendem Abstand. Außerdem knurrte der »Taubstumme« wie ein böser Hund aus seiner Ecke, sobald sich der junge Offizier Fatima verliebt nähern wollte. Nicht einmal eine Einladung zum Essen konnte der Offizier erlangen; das Mädchen erklärte ihm rundweg, auf so hungrigen Besuch sei sie nicht vorbereitet, und verwies ihn an Gholam Ali Khan. So blieb dem jungen Mann nichts anderes übrig, als gleichfalls zu den großen schwarzen Zelten hinüberzureiten, wo bald ein festliches Hammelbraten anhob.
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FLUGPLATZ »WÜSTE« Die heißen Mittagsstunden gelten in der Hammahda für Mensch und Tier als geheiligte Ruhezeiten. Aber an diesem 15. August wurden sie bei Sebsewar durch die dröhnenden Motoren eines Flugzeuges gestört. Mit einem Freudenschrei stürzte Heinz aus dem Zelt. Aber wie groß war seine Enttäuschung, als er die amerikanischen Abzeichen erkannte! Das konnte nicht die erwartete Hilfe aus Deutschland sein. Der silbern glänzende Vogel kreiste ein paarmal über dem großen weißen Kreuz, das neben der Luna ausgelegt war, und nahm dann Kurs auf Sebsewar. Am Stadtrand, wo die Gärten begannen, setzte er sich mitten in einen Acker. Nicht weit von der Landestelle stand in einem verwilderten Baumgarten die Hütte, in der Jussuf den deutschen Professor versteckt hatte. Auch Habermann hatte freudig erregt die Annäherung des Flugzeuges beobachtet und war dann ebenso enttäuscht wie sein Sohn. Wer wie er »illegal« lebte, durfte sich zwar möglichst wenig sehen lassen, aber der deutsche Gelehrte setzte diesmal die Vorsicht hinter der Neugier zurück und stapfte zu dem Apparat hinüber. Dort hatte sich schon ein großer Teil der leichtfüßigen Jugend versammelt, um den Boten der modernen Technik in Augenschein zu nehmen, und weitere Besucher strömten noch immer aus der Stadt herbei. Die Besatzung des Flugzeugs schien nur aus zwei Männern zu bestehen, einem Piloten und einem Monteur, die zunächst in der Kabine hantierten, dann herauskletterten und vergeblich versuchten, die schwere Maschine aus der weichen Ackerkrume auf festeren Boden zu schieben. »Boys, packt mit an!« forderte der Monteur die Umstehenden auf. Aber die verstanden kein Englisch. Der Pilot ließ die ganze Skala gotteslästerlicher Flüche von seinen Lippen strömen, die einem Amerikaner in so reichem Maße zur Verfügung stehen. Aber auch das half nichts. Offenbar konnten die beiden ebensowenig Persisch wie der deutsche Professor. Da wagte Habermann eine Annäherung: »Hallo!«, und als ihm mit einem erleichterten »Hallo« geantwortet wurde, fügte er die Frage an: »Forced landing?« »No, no«, erwiderte der Pilot, »keine Notlandung. Aber sagen Sie doch den Burschen, sie sollen uns aus dem Dreck heraushelfen!« »Ich kenne hier einen Motorenschlosser. Der würde als persischer Vorarbeiter besser geeignet sein als ich.« »Um so besser.« Habermann blickte zu seiner Hütte hinüber. »Da kommt er!« rief er aus. Tatsächlich kam Jussuf quer übers Feld gestolpert. Auch er hatte das Flugzeug gesehen und war in Sorge um seinen Schützling herbeigeeilt. Atemlos langte er bei der Gruppe an, wo ihn Habermann in russischer Sprache über die Lage unterrichtete. Jussuf nickte nur und wendete sich dann an die umstehenden Perser. Er ließ Bohlen herbeischaffen, die unter die Räder geschoben wurden, und bald hatte man die Maschine auf festeren Boden gerollt.
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Den Professor hatte Jussuf beiseite geschoben, als er mit anfassen wollte. »Horchen Sie lieber auf das, was sich die beiden Amerikaner erzählen!« hatte er ihm zugeflüstert. Aber die sprachen nicht viel, sondern wuchteten mit an dem Flugzeug: »Hau ruck!« Nur einmal hatte sich der Pilot den Schweiß von der Stirn gewischt, zur Stadt hinübergeblickt und seinen Kameraden gefragt: »Ob McLean den Sheriff gefunden hat?« Der andre hatte jedoch nur die Achseln gezuckt. McLean? Jussuf dachte angestrengt nach, als ihm Habermann die kurze Bemerkung des Amerikaners mitteilte. »Den Namen habe ich doch schon gehört! Aber was bedeutet denn Sheriff?« »Das heißt: Polizeichef.« »Aha, jetzt weiß ich Bescheid. McLean ist der amerikanische Oberspion in Persien, der Leiter des USA-Geheimdienstes. Wir sind von unseren Freunden in Teheran schon vor ihm gewarnt worden. Also der ist mit dem Flugzeug gekommen und jetzt unterwegs zu unserem Kelanter. Nun ist mir auch klar, von wem der Befehl zu Ihrer Verhaftung ausgegangen ist.« Der Pilot bedankte sich für die Hilfe und wollte Jussuf eine Banknote in die Hand drücken. Aber der lehnte das Geld ab und bat nur, die Helfer mit Zigaretten zu entlohnen. Dann zog er den Professor beiseite. »Es ist besser, wenn wir nicht zu lange hierbleiben. Ich werde das Flugzeug bewachen lassen.« Er winkte einen Jungen herbei und sprach leise mit ihm. Der Knabe nickte und mischte sich wieder unter die Menge. »Das ist einer von unserer Jugendbewegung«, sagte Jussuf im Fortgehen. »Ich habe die Jungen gebeten, mir alles zu melden, was hier geschieht. Kinder fallen am wenigsten auf. Außerdem sind sie zuverlässig«, fügte er mit stolzem Lächeln hinzu, »fast so zuverlässig wie sowjetische Pioniere.« »Aber warum gehen wir zur Stadt?« fragte Habermann. »Hier sind zuviel Neugierige. Es ist besser, wenn wir auf einem Umweg zu Ihrer Hütte gehen. Außerdem erfahren wir unterwegs vielleicht etwas über den Spion McLean.« Jussuf verhielt den Schritt, lauschte und fragte: »Was ist das für ein Geräusch?« Die beiden Männer drehten sich um. Da stand friedlich die gelandete amerikanische Maschine. Vom Westen her näherte sich jedoch schon wieder ein Flugzeug, es war nur gegen die tiefstehende Sonne nicht zu erkennen. Eine Zeitlang erstarb das Motorengeräusch, aber dann heulte es wieder stärker auf, und bald schwebte die Maschine über dem Landeplatz der Amerikaner und über Sebsewar. »Ein Engländer«, rief Habermann enttäuscht. »Alles Ihretwegen!« lachte Jussuf. »Aber sehen Sie, jetzt wendet er in die Wüste zurück, er will sich Ihre Luna noch einmal ansehen. - Nein, das Fahrgestell wird niedergelassen, er setzt zur Landung an, wahrscheinlich bei den Zelten.« ***
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Auch Heinz hatte dem zweiten Flugzeug hoffnungsvoll entgegengestarrt und war in Tränen ohnmächtiger Enttäuschung ausgebrochen, als er die britischen Abzeichen erkannte. Wo blieb das Flugzeug aus Deutschland? Der Engländer war im Gleitflug tief heruntergekommen, so daß man die Köpfe der Männer in der Kabine erkennen konnte. Dann hatte der Pilot noch einmal Gas gegeben und die Maschine bochgezogen. Aber sehr bald war er von Sebsewar her zurückgekehrt und neben dem Kreuz aus weißen Tüchern glatt gelandet. Natürlich hatten sich die Wüstenbewohner und die Gendarmen in dichtem Schwärm um die Maschine versammelt. Aus ihr kletterten zwei Männer heraus, die recht gut persisch sprachen. Nachdem sie sich als der britische Militärattaché und der Reuter-Korrespondent aus Teheran ausgewiesen hatten, wurden sie von dem Gendarmerieoffizier sehr zuvorkommend behandelt. Sie bedauerten es sehr, daß Dr. Riedel nicht anwesend war, ließen sich zu dem Weltraumschiff führen und hatten durch geschickte Fragen bald alles erfahren, was die Perser über den merkwürdigen Apparat und seinen verschwundenen Besitzer wußten; nur von der Anwesenheit des jungen Habermann erfuhren sie nichts. Whitman bat, Dr. Riedels Zelt benutzen zu dürfen, wozu der Polizeioffizier sofort seine Zustimmung gab. Fatima erhob zunächst Einwände, sie fügte sich jedoch, nachdem ihr Heinz einen leisen Wink gegeben hatte. Der englische Journalist bat ferner um einen Gendarmen, der als reitender Bote einen Brief zu Dr. Riedel nach Sebsewar bringen sollte, und setzte sich dann mit seiner Schreibmaschine auf den Knien im Zelt nieder. Heinz schlich neugierig herbei. Aber Whitman merkte es und wendete sich lächelnd um: »Do you understand English?« Beinahe hätte sich Heinz verschnappt. Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, daß er taubstumm war. Mit einem Krächzen zeigte er auf seinen Mund; da kam ihm auch schon Fatima zu Hilfe und setzte dem Engländer in persischer Sprache auseinander, daß der arme Junge weder hören noch sprechen könne. Whitman wiegte bedauernd den Kopf und machte sich wieder an seine Arbeit, ohne weiter auf Heinz zu achten, der eifrig bemüht war, auswendig zu lernen, was jener schrieb. Ab und zu schaute der britische Offizier herein, um zu sehen, ob Whitman noch nicht fertig sei. Der Gendarm, der nach Sebsewar reiten sollte, wartete schon seit einer halben Stunde mit seinem gesattelten Pferd vor dem Zelt. Endlich zog der Journalist mit einem Seufzer der Erleichterung den beschriebenen Bogen aus der Maschine und reichte ihn dem Militärattache. Während sich Whitman eine Pfeife stopfte und anzündete, prüfte der Offizier Satz für Satz den Bericht, wobei er mehrmals zustimmend nickte. Dann faltete er den Bogen zusammen und steckte ihn in die Tasche. »All right, Mr. Whitman. Ich nehme Ihren Bericht und meine Photos mit nach Teheran und sorge dafür, daß das Telegramm sofort an Reuter nach London gefunkt wird. Übermorgen bin ich wieder hier und bringe Zelt, Motorrad und Verpflegung mit. Inzwischen versuchen Sie bitte, so ausführlich wie möglich auf telegraphischem Wege zu berichten! Good-bye!« Er schüttelte Whitman die Hand und winkte der Flugzeugbesatzung zu. Die Männer beim Apparat warfen den Propeller an, und wenige Minuten später rollte das Flugzeug
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schaukelnd über den holprigen Wüstenboden. Es hob sich nach kurzem Anlauf in die Lüfte und entführte den britischen Militärattache in den glutenden Sonnenuntergang hinein. Da das allgemeine Interesse dem Flugzeug gegolten hatte, war die Annäherung eines Kraftwagens von der anderen Seite, von Sebsewar her, unbemerkt geblieben. Nur das Hündchen, das Heinz begleitete, kläffte dem Auto entgegen und machte die Menschen aufmerksam. So viel motorisierten Verkehr hatte die Wüste noch nicht erlebt! Der Wagen hielt bei Dr. Riedels Zelt. Der Kelanter von Sebsewar und ein vierschrötiger Europäer kletterten heraus. Während der Polizeichef den Gendarmerieoffizier heranwinkte, näherte sich Whitman dem anderen und begrüßte ihn auf gut Glück in englischer Sprache. Er bekam auch die Antwort in seiner Muttersprache, aber anders als er gedacht hatte: »Wer sind Sie?« schnauzte der Dicke. »Haben Sie durch den Gendarm diesen Brief an den deutschen Arzt zu schicken versucht?« Er schwenkte den aufgerissenen Brief in der Hand. »Wer sind Sie denn, und wie kommen Sie zu meinem Brief?« Heinz konnte der Auseinandersetzung, die zum groben Gezänk ausartete, nur mit Mühe folgen. Er bewunderte die Ruhe des Engländers, der in vornehmem Ton, aber sehr bestimmt sein Recht vertrat, während der Dicke, offenbar ein Amerikaner, frech und anmaßend polterte und häufig Ausdrücke verwendete, die man im englischen Sprachunterricht nicht kennenlernt. Der Kelanter, der zunächst mit dem Patrouillenführer gesprochen hatte, versuchte zwischen den beiden in persischer Sprache zu vermitteln; als ihm das nicht gelang, gab er den Gendarmen Befehl, die umstehenden Perser fortzujagen. Heinz bedauerte es lebhaft, daß er dem Streit nicht weiter beiwohnen konnte. Er hörte nur noch, wie sich Whitman an den Kelanter wendete mit den Worten: »Ich protestiere ganz entschieden dagegen, daß Sie Herrn Doktor Riedels Bewegungsfreiheit beschneiden. Doktor Riedel ist Reuter-Korrespondent wie ich und steht unter dem Schutz der diplomatischen Behörden des Vereinigten Königreichs.« Flugzeuge waren für die Bewohner von Sebsewar nichts Neues. Ungeachtet der Proteste der Sowjetregierung hatten amerikanische »Fachleute« die ganze Provinz Chorassan aus der Luft vermessen, angeblich für die persische Regierung, in Wahrheit zur Anfertigung von Generalstabskarten des Gebiets an der sowjetischen Grenze für die USArmee. Aber die amerikanischen Vermessungsflugzeuge waren niemals bei Sebsewar gelandet, und an diesem denkwürdigen 15. August hatte die kleine Stadt gleich zwei Luftbesuche zu verzeichnen! Dr. Riedels Nachmittagssprechstunde wurde dadurch empfindlich gestört. Der Arzt war allerdings froh, daß ihm die meisten Patienten einfach davonliefen, um nach den Flugzeugen zu schauen; er schloß seinen Laden vorzeitig und trat auf die vereinsamte Straße. Der erste, dem er begegnete, war Jussuf; wahrscheinlich hatte der junge Mann auf ihn gewartet. »Wissen Sie, wer mit dem Flugzeug hierhergekommen ist?« fragte Jussuf und fügte fast ohne Pause hinzu: »McLean, der Leiter des amerikanischen Spionagedienstes in Teheran! Und jetzt ist er mit dem Kelanter zusammen in die Wüste gefahren.« »Kommen Sie, Jussuf, wir wollen gleich hinterher!«
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»Ich würde lieber mit meinem Motorrad fahren als mit Ihrem Wagen. Aber...« Der junge Mann schob die Mütze zur Seite und kratzte sich hinterm Ohr. »Ich habe kein Geld mehr zum Tanken.« »Mensch, warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Sie haben doch ohnehin größere Ausgaben, wenn Sie für den Professor sorgen wollen!« Der Arzt zog seine Brieftasche und reichte Jussuf eine Banknote. »Das ist zuviel«, murmelte der Perser. »Es würde auffallen, wenn ein Arbeiter einen so großen Schein wechselte.« Da suchte Dr. Riedel alles Kleingeld zusammen, das er bei sich hatte, und gab es dem jungen Mann. Dann trennten sich beide, um die Verfolgung des amerikanischen Spions aufzunehmen. Jussuf fuhr vorsichtshalber im großen Bogen von Westen her zum Zelt seines Vaters, wo er erst in der Dunkelheit eintraf. Dr. Riedel dagegen steuerte seinen Wagen auf dem üblichen Wege und erreichte noch in der Dämmerung, etwa eine Stunde später als der Kelanter, den Zeltplatz. McLean hatte sich mit dem gesamten Polizeigefolge zur Luna begeben. Whitman wußte, daß die Kugel hermetisch verschlossen war, und zeigte daher keine Neugier mehr: Was konnte der Amerikaner jetzt, da es schon fast dunkel war, noch entdecken! Viel wichtiger war es für ihn, mit Dr. Riedel Verbindung aufzunehmen. Er befragte Fatima; die aber blickte verlegen auf Heinz. Der Junge kam aus seiner Ecke hervor. Die Ungewißheit peinigte ihn derartig, daß er es vorzog, etwas zu wagen, um sich Gewißheit darüber zu verschaffen, was hier vorging. Viel Englisch hatte er auf der Schule noch nicht gelernt, und seine Aussprache war von dem Lehrer stets bemängelt worden. Aber da er taubstumm war, konnte er es vielleicht schriftlich versuchen. Er zog unter Whitmans Schreibmaschine ein Blatt Papier hervor, bat den Engländer durch einen Hinweis mit dem Finger um seinen Bleistift und schrieb einen Fragesatz auf, den er in der Schule gelernt hatte, und von dem er wußte, daß er einwandfrei war: »What do you want?« Was wünschen Sie? - Whitman blickte überrascht auf und wollte etwas sagen. Er besann sich aber und schrieb unter die Frage: »Ich möchte einen Boten an Dr. Riedel senden.« Heinz klopfte das Herz, aber als er diese Antwort sah, stellte er mit Freuden fest, daß sie nicht ein einziges Wort enthielt, das ihm fremd gewesen wäre. Nur mußte er jetzt vorsichtig sein. Lange überlegte der Junge, dann schrieb er eine neue Frage: »Zu welchem Zweck? Wer sind Sie?« Whitman lächelte, als er es las. Er zog seine Brieftasche und reichte diesem merkwürdigen taubstummen Perserjungen, der fast einwandfrei englisch schreiben konnte, seinen Paß und das Telegramm, das Dr. Riedel an das Reuterbüro nach Teheran geschickt hatte. Heinz prüfte beide Dokumente sorgsam und überlegte wieder.
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Er konnte es kaum glauben, daß Dr. Riedel im Auftrage seines Vaters - oder hatte der Arzt eigenmächtig gehandelt? - an Reuter telegraphiert hatte. Aber das Telegramm war offenbar echt, und schließlich war ihm dieser Engländer weit sympathischer als der freche Amerikaner, der sicher in böser Absicht hierhergekommen war. Und da sich beide gezankt hatten, konnte aus dem Engländer vielleicht ein Verbündeter werden. Auf keinen Fall aber konnte es schaden, wenn Dr. Riedel benachrichtigt wurde. Er suchte nach den passenden Worten und schrieb dann: »Fatimas Bruder kann zu Dr. Riedel reiten. Sagen Sie das dem Mädchen!« Erfreut wendete sich Whitman an Fatima: »Sie haben einen Bruder, der zu Doktor Riedel reiten kann?« Aber die Kleine sperrte nur überrascht den Mund auf, denn sie verstand ja kein Englisch. Der Mann merkte seinen Fehler und teilte ihr nun auf persisch mit, was ihm Heinz hier auf dem Blatt geschrieben habe. So kam es, daß Fatima hinüberlief zu ihres Vaters Zelt. Whitman suchte die Zeit zu nutzen, um aus dem merkwürdigen Taubstummen noch einiges herauszufragen. Aber Heinz verschanzte sich hinter der knappen schriftlichen Mitteilung: »Ich kann nur wenig Englisch.« Beide saßen stumm und ein wenig schläfrig vor dem Zelt und schauten dann und wann zur Luna hinüber, bei der eine große Menschenansammlung war. Da wurde das Hündchen wieder unruhig; es kläffte in die Richtung nach Sebsewar hin. Heinz suchte das Tier zu beruhigen. Als er in die Richtung blickte, die die Hundeschnauze wies, erkannte er trotz der Dämmerung eine Staubwolke. Er winkte dem Engländer und zeigte sie ihm. Whitman hatte ein Fernglas bei sich und erklärte nach kurzem Durchblick: »Ein Auto.« Heinz bat mit einer Geste um das Glas, lief dann ins Zelt und schrieb für den Engländer auf: »Dr. Riedel kommt.« Whitman schlug ihm vergnügt auf die Schulter, als er das las. Bei der Ankunft des Arztes ließ Heinz dem Besucher den Vortritt. Nach der Begrüßung und den ersten aufklärenden Worten fragte Whitman: »Der Knabe ist Ihr Vertrauter?« Und als Riedel nickte, fügte er hinzu: »Ein intelligenter Bursche, schade, daß er taubstumm ist! Aber gerade darum kann ich um so offener sprechen: Dieser McLean wünscht uns beide zu allen Teufeln, und ich bin davon überzeugt, daß er uns alle aus dem Wege räumen würde, wenn er die Macht dazu hätte. Meinen Brief an Sie hat er schon abgefangen. Gott sei Dank sind Sie selbst zur rechten Zeit gekommen. Ich möchte nun vor allem ein dringendes Telegramm an unseren Botschafter nach Teheran schicken, damit er uns vor der Willkür dieses brutalen amerikanischen Polizisten schützt und dem persischen Innenminister das Rückgrat gegen die frechen Amerikaner stärkt. Wir haben gar kein Interesse daran, daß die habgierigen Yankees die deutsche Erfindung ausspionieren. Auf jeden Fall brauchen wir beide volle Bewegungsfreiheit. Es kommt also sehr darauf an, daß wir das Telegramm an den
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Botschafter durchkriegen, ehe McLean beim Polizeichef die Sperrung des Telegraphen für uns durchsetzt; eine solche Gewaltmaßnahme traue ich ihm zu. Glauben Sie, daß Ihr Wagen schneller ist als der des Kelanters?« »Nein. Aber das würde auch nicht viel nützen, denn nachts ist das Telegraphenamt geschlossen, und wenn wir morgen früh hinkommen, könnte die Sperre schon verhängt sein. Man müßte also den Kelanter hier festhalten, wenn man ihn daran verhindern wollte, einen solchen Befehl zu geben.« Heinz hatte das Gespräch mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt. McLean und der Kelanter durften nicht fahren, das stand für ihn fest! Aber wie konnte man sie daran hindern? Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Da fiel ihm sein Freund Uli ein, der gesagt hatte. Neumanns Wagen würde auf Latschen stehen. Auf Latschen... Er zupfte Dr. Riedel am Ärmel und ruhte nicht, bis dieser mit ihm hinters Zelt trat. »Ich werde versuchen, dafür zu sorgen, daß der Kelanter nicht fahren kann.« Der Arzt blickte besorgt auf den Jungen nieder: »Mach keine Dummheiten!« »Ich weiß schon, was ich mache«, grinste Heinz. »Ich bin ja doof, mir kann keener! Tun Sie nur so, als ob auch Ihr Wagen nicht in Ordnung wäre.« Mit einem scherzhaften Händewinken verabschiedete er sich von Dr. Riedel, der ihm kopfschüttelnd nachblickte, wie er zu dem Wagen des Kelanters hinüberbummelte. Der persische Polizeichauffeur machte auf seinem Führersitz ein wohlverdientes Nickerchen und achtete nicht auf die Kinder, die in der halben Dunkelheit noch um ihn herumlungerten. Heinz winkte ein paar ändern Jungen, kniete an einem Hinterrad nieder, schraubte die Ventilkappe ab und ließ mit leisem Zischen die Luft entweichen. Tipptipp machte sein Finger. Das war ein lustiges Spiel, das die anderen bald begriffen hatten, so daß sich Heinz zurückziehen konnte.
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GEFÄHRLICHE STRAHLEN Ziemlich schnell war es Nacht geworden. McLean kehrte in übelster Laune von der Besichtigung der Luna zurück. Er hatte keines ihrer Geheimnisse enträtseln können. Nicht einmal für eine Photoaufnahme hatte das Licht ausgereicht. Nun wollte er möglichst schnell nach Sebsewar. Er und der Kelanter nahmen im Wagen Platz, und der Chauffeur trat auf den Starterknopf. Gehorsam sprang der Motor an, aber als er anziehen sollte, verschluckte er sich und blieb stehen. Der Fahrer startete noch einmal und kuppelte mit verdoppelter Vorsicht ein. Diesmal zog der Wagen an, aber sehr langsam; er rumpelte schnaufend und mit heftigen Erschütterungen, kaum dem Steuer gehorchend, etwa hundert Meter weit. Dann merkte der Fahrer, daß mit dem Fahrgestell etwas nicht in Ordnung war. Er hielt und guckte unter den Wagen: er stand vierfach auf Latschen! Die kurze Fahrt über den steinigen Wüstenboden hatte genügt, um die Schläuche aus den Felgen herauszuquetschen; an vielen Stellen waren sie vom Druck des schweren Fahrzeugs zerschnitten. Hier half nur stundenlanges Flicken - in der Dunkelheit der Wüstennacht - und dann Pumpen, Pumpen mit der Handpumpe. Das konnte bis morgen früh dauern! Fluchend und wetternd stolperten McLean und der Kelanter zum Zelt des deutschen Arztes. Whitman und Dr. Riedel hatten interessiert die AufbruchsVorbereitungen und die Panne beobachtet, Whitman mit vorgeschobenem Unterkiefer und fast unbewegtem Gesicht, der andre mit einem amüsierten Lächeln. Nur Heinz tat, als ginge ihn die ganze Geschichte nichts an. Da kam Riedel eine Idee. Er trat zu seinem Wagen, öffnete die Motorhaube und spritzte ein paar Tropfen Kühlwasser auf die Zündkerzen. Dann versuchte er zu starten vergebens. McLean verbiß seine Wut. Jetzt war er ölig freundlich. Whitman war plötzlich sein »lieber Freund« und Riedel ein »werter Herr« geworden. Der »werte Herr« stellte auch bereitwillig seinen Wagen zur Verfügung. Aber dessen Motor sprang nicht an! Der Arzt und der persische Chauffeur bemühten sich vergeblich um ihn, und die ändern hielten nicht mit guten Ratschlägen zurück; keiner konnte den Fehler entdecken. Da zupfte Heinz den Arzt schon wieder am Ellbogen und führte ihn zum Zelt, wo soeben Fatima mit ihrem Bruder eingetroffen war. Der junge Mann hatte sein Pferd mitgebracht, machte jedoch darauf aufmerksam, daß noch eine bessere Möglichkeit bestehe, Nachrichten schnell nach Sebsewar zu befördern: Jussuf sei mit dem Motorrad gekommen und werde bald zurückfahren. »Ruf rasch, aber unauffällig den Engländer!« forderte Riedel den jungen Habermann auf. Der schlich sofort zu der Gruppe am Auto und holte Whitman. In Eile wurde Fatimas Bruder über die Lage unterrichtet, damit er Jussuf alle nötigen Aufklärungen geben konnte. Der Journalist händigte ihm sein Telegramm an den britischen Botschafter mit der Beschwerde über das Verhalten des Amerikaners aus, und ehe die andern von den Vorgängen beim Zelt etwas merkten, war der Reiter in die Nacht untergetaucht. Als erster kam McLean zum Zelt zurück. Er torkelte wie ein Betrunkener.
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»Doktor, mir ist gar nicht wohl. Und an den Händen habe ich ein Jucken...« »Zeigen Sie einmal her!« Im Scheine der Azetylenlampe, die das Zelt erleuchtete, betrachtete der Arzt die Handflächen des Spions, der sich ächzend auf einem Feldstuhl niedergelassen hatte. »Was haben Sie denn gemacht? Haben Sie den heißen Motor angefaßt?« »Nein, ich habe nur zugesehen.« »Das verstehe ich nicht. Sie haben sich doch verbrannt! Sie müssen irgend etwas Heißes oder eine Säure berührt haben.« In diesem Augenblick betrat der Kelanter das Zelt. Riedel richtete sich auf und fragte den Beamten: »Herr McLean hat ganz merkwürdige Verbrennungen an den Händen. Wissen Sie, was er Gefährliches berührt haben könnte?« »Er hat doch zumeist Handschuhe getragen. Die hat er meines Wissens nur ausgezogen, als er den Apparat des deutschen Professors untersuchte.« »War der denn heiß?« »Nein«, stöhnte McLean, »im Gegenteil, das Metall hatte sich schon stark abgekühlt, während die Erde noch die Sonnenhitze gespeichert hatte.« Er versuchte seine Hände zu betrachten, ließ sie aber mit einem Schmerzenslaut sinken. »Verdammt noch mal, meine Arme sind wie gelähmt... Und warum brennt denn die Lampe jetzt so dunkel? Ich sehe ja alles nur wie durch einen Schleier!« »Aber McLean«, mischte sich Whitman ein. »Das Karbidlicht ist doch so grell und klar! Sagen Sie, Sheriff, was hat denn McLean an der Luna gemacht?« »Er hat vergeblich versucht, durch Betasten eine Öffnung zu finden, und hat dann auch unten gesucht. Er hat die Erde weggeräumt; aber auch unten hat er wohl keine Tür gefunden.« Wieder zupfte Heinz den Arzt am Arm. Der ließ sich zwar in seinen beruflichen Verrichtungen nicht gern stören, aber er wußte nun schon aus Erfahrung, daß die Mitteilungen des Knaben wichtig waren, und verließ mit ihm das Zelt. »Unten an der Kugel sind die Düsen, aus denen die hochverdichteten Treibstoffgase ausgestoßen werden, auch die des radioaktiven Atomtreibstoffs. Wahrscheinlich hat sich der neugierige Kerl radioaktive Verbrennungen zugezogen. Mein Vater hat mich oft genug davor gewarnt.« Riedel legte die Hand an die Stirn: »Natürlich!« Er eilte ins Zelt zurück. »McLean, ist es wahr, daß Sie die Unterseite der Kugel berührt haben?« »Ja, ich habe sie zum Teil freigelegt, um zu sehen...« »Um Gottes willen, wußten. Sie denn nicht, daß dieses Weltraumschiff mit Atomtreibstoff bewegt wird?« »Das ist doch nicht möglich! Ich habe es jedenfalls nicht geglaubt...« »Wir müssen versuchen. Sie so schnell wie möglich nach Teheran in ein modernes
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Krankenhaus zu schaffen. Hoffentlich gibt es dort Ärzte, die mit radioaktiven Schädigungen Erfahrungen haben. Ich besitze sie nicht, ich kann Ihnen höchstens durch die üblichen Mittel Linderung verschaffen. Aber so viel weiß ich: Hautverbrennungen, Lähmungen der Gliedmaßen und der Sehnerven - das sind die gleichen Symptome...« Er stockte. »Wie in Hiroschima«, lallte der Amerikaner. Er zitterte wie Espenlaub. Ungerührt machte Whitman seine Notizen. Das gab Sensationsberichte ! »Ich muß meinen Wagen in Gang bringen!« rief Dr. Riedel. »Wir bringen Sie zu Ihrem Flugzeug und transportieren Sie eilends nach Teheran.« »Ja, bitte, bitte!« krächzte der zusammengebrochene Riese. Der Arzt rannte zu seinem Wagen, wischte die Zündkerzen mit einem Lappen ab und hielt dann einen brennenden Fidibus an die Kerzen, um den letzten Rest von Feuchtigkeit zu beseitigen. Als er nun den Starter betätigte, sprang der Motor sofort an. »Kommen Sie, McLean!« »Ich kann nicht.« Da faßte ihn Riedel unter die Achsel. Whitman sprang hinzu und half auf der anderen Seite nach. Mit vereinten Kräften schleppten sie den schweren Mann zu dem Auto und ließen ihn in die Polster sinken. Der Kranke klammerte sich an ihnen fest und wimmerte: »Laßt mich nicht allein!« »Nein, nein«, beruhigte ihn Whitman, »ich lasse Sie nicht im Stich.« Ihm war es sehr lieb, daß er auf diese Weise nach Sebsewar und zum Telegraphenamt gelangen konnte. »Können Sie Ihren Chauffeur entbehren, Kelanter?« fragte der Arzt. »Gewiß, er kann Sie fahren. Aber ich möchte auch mit.« »Das wird sich nicht ermöglichen lassen. Mein kleiner Wagen hat nur vier schmale Sitze, und ich muß den Kranken unterwegs verbinden, ich muß also Bewegungsfreiheit haben. Außerdem müssen Sie dafür sorgen, daß hier niemand mehr der gefährlichen Kugel zu nahe kommt. Ich hole Sie morgen.« Im Hause des Auseinandersetzung.
Arztes
kam
es
am
nächsten
Morgen
zu
einer
erregten
»Ich muß unbedingt den deutschen Professor sprechen.« Withman durchmaß mit großen Schritten nervös das Zimmer. »Er ist der einzige, der mir über diese Teufelskugel Auskunft geben kann.« Jussuf, der mit verschlossener Miene am Fenster lehnte, schüttelte nur den Kopf. Dr. Riedel war am Tisch sitzengeblieben. Jetzt hob er begütigend die Hände: »Setzen Sie sich doch wieder, meine Herren!« Aber die beiden anderen kamen seiner Aufforderung nicht nach. »Schlimm genug, daß Sie sich mit dem Reuterbüro eingelassen haben, Herr Doktor!« warf Jussuf dem Arzt vor. »Professor Habermann war sehr wütend, als er es erfuhr. Sind Sie denn so unerfahren, daß Sie nicht wissen, wer Reuter ist? Nichts anderes als eine Agentur des britischen Geheimdienstes, ein Agenten- und Spionennest der englischen Kriegstreiber.«
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Whitman lachte ärgerlich, während Riedel kleinlaut zugab: »Gewiß, ich habe unvorsichtig und eigenmächtig gehandelt. Aber Sie haben ja von Mr. Whitman gehört, daß die Amerikaner Professor Habermanns erstes Telegramm nach Berlin abgefangen haben, und dadurch, daß ich an Reuter telegraphiert habe, hat die Welt wenigstens erfahren, wo die Luna ist. Ich denke, auch in Berlin wird man es heute wissen. Wenn ich Reuter nicht unterrichtet hätte, würden wir hier ohne einen Pfennig Geld sitzen und völlig den Amerikanern ausgeliefert sein.« Whitman nickte und fügte hinzu: »Sehen Sie, Jussuf, wir Engländer arbeiten nicht mit so rohen Methoden wie die Amerikaner. Natürlich wollen wir auch möglichst viel über das Weltraumschiff erfahren, aber...« Da brach es plötzlich aus Jussuf heraus: »Ich denke nicht daran, Ihnen den Professor auszuliefern! Und wenn man mich zu Tode foltert - man wird nicht erfahren, wo er sich aufhält. Viele Tausende von Kommunisten sind durch die Hölle der faschistischen Tortur gegangen, selten nur ist einer schwach geworden und hat den Mund aufgetan. Ich werde nicht schwach!« »Aber Mann!« Whitman war stehengeblieben. »Sie regen sich ganz unnötig auf. Ich gebe zu: Das Vorgehen der Amerikaner hat Sie mißtrauisch machen müssen. Aber damit habe ich doch nichts zu tun. Ich bin kein Folterknecht und habe auch gar nicht die Macht dazu. Wofür halten Sie mich eigentlich?« Jussuf zwang sich zur Ruhe. »Für einen Engländer«, knirschte er verächtlich. »Was haben Ihnen die Engländer getan?« »Mir? Sie haben meinem Vaterlande die Freiheit geraubt, spielen sich in Persien als die Herren auf. Für wen fördern die persischen Lohnsklaven das Erdöl aus unserem Heimatboden? Für die englische Ölgesellschaft, die jetzt allerdings zum Teil schon den Amerikanern gehört! Und wer hat den Buren ihr Land genommen, weil es Gold und Diamanten birgt, wer hat die Frauen und Kinder der Buren in Konzentrationslagern verhungern lassen? Wer hat die freiheitliebenden Inder vor die Mündungen seiner Kanonen gebunden und ihre Leiber in die Luft geblasen? Wer führt blutigen Krieg gegen die malaiischen Freiheitskämpfer und mordet auch dort wieder Frauen und Kinder? Muß ich Ihnen alle Greueltaten der britischen Kolonialherrscher aufzählen und alle die schändlichen Gewalttaten und Morde des britischen Geheimdienstes, von denen die meisten niemals aufgeklärt werden können?« Whitman hatte sich gesetzt und stierte vor sich hin. »Sie haben nicht ganz unrecht«, murmelte er. »Aber...« Er hob den Kopf. »Aber heute ist es doch anders. Wir haben eine Labourregierung, eine Arbeiterregierung gehabt...« Der junge Perser unterbrach ihn höhnisch lachend: »Eine Regierung! Hat sich etwa unter dieser Regierung etwas geändert?«
Arbeiterverräter-
»Nun ja: Indien zum Beispiel hat seine politische Freiheit erlangt.« »Politische Freiheit nennen Sie das? Volksbetrug nenne ich es. Was nützt dem indischen Volke eine politische Freiheit, die es nicht von der wirtschaftlichen Knechtschaft, von der Ausbeutung durch die ausländischen Kapitalisten befreit?« »Sie betrachten die Dinge sehr einseitig.« »Ich betrachte sie so,wie es die große Masse des Volkes erlebt und erleidet, und
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nicht so, wie es die am kolonialen Ausbeutungsgeschäft beteiligte dünne Schicht des Großbesitzes erfreut.« Es war ganz still geworden im Zimmer des Arztes. Allen drei Männern fiel plötzlich das helle Ticken der Wanduhr auf. Jussuf blickte auf das Zifferblatt und machte ein paar Schritte zur Tür: »Der halbe Vormittag ist schon wieder verloren. Ich habe in den letzten Tagen meine Arbeit schon viel zuviel versäumt. Ich muß jetzt gehen, sonst wirft mich mein Meister auf die Straße.« Auch Whitmann erhob sich: »Sie können ihm sagen, daß Sie in seinem Interesse unterwegs gewesen sind, um mir das Motorrad zu verkaufen, von dem Sie gesprochen haben. Ich werde gleich mit Ihnen gehen, um es zu übernehmen.« »Gott sei Dank, daß Sie endlich das politische Thema haben fallen lassen!« seufzte Riedel mit einem Lächeln. »Jussuf, wollen Sie nicht dem Professor selbst die Entscheidung überlassen?« »Ich werde mit ihm sprechen.« Whitman stieß noch einmal nach: »Ich verspreche Ihnen, daß ich alles daransetzen werde, um dem Professor die Rückkehr in seine Heimat zu ermöglichen - mit seinem kostbaren Apparat.« Der junge Engländers!«
Perser
schürzte
verächtlich
die
Lippen:
»Versprechungen
eines
Der Journalist aber war mürbe geworden und begehrte nicht mehr auf. »Dennoch«, erwiderte er ruhig, »dieses Versprechen gilt und wird eingelöst werden - und wäre es auch nur, weil ich diesen Amerikanern keinen Erfolg gönne, der mir versagt bleibt. Aber nun kommen Sie! Ich brauche das Motorrad.« »Und ich muß hinausfahren, um endlich den Kelanter zu erlösen«, lachte der Arzt. *** »Da brummt doch schon wieder ein Flugzeug über der Wüste!« Habermann und Jussuf sprangen vom Tisch auf und traten ans Fenster der Hütte. »Es scheint bei der Luna zu landen«, meinte der Professor. »Kommen Sie, wir fahren sofort hinaus!« Der junge Mann kehrte zu seinem Platz zurück und widersprach: »Erst einmal wollen wir unsere Linsen aufessen. Und dann... Ich kann doch nicht schon wieder blaumachen!« »Doktor Riedel bescheinigt Ihnen, daß Sie krank waren.« Auch Habermann setzte sich wieder und führte widerwillig den Löffel zum Munde. »Es ist auch viel zu gefährlich für Sie«, gab Jussuf zu bedenken. »Sie sehen zu schwarz. Im Notfall rufe ich die Hilfe des Engländers an.« »Dem wollen Sie trauen?« »Ihm nicht, aber seinem Geschäftsinteresse. Sehen Sie, dieser Journalist will etwas in Erfahrung bringen, was er seinen Auftraggebern melden kann. Und er ist klug genug, um
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zu wissen, daß er diese Dinge nur von mir erfahren kann und nur, wenn ich sie ihm aus freien Stücken mitteile. Die blöden Amerikaner dagegen pochen auf die Gewalt und werden daran scheitern. Ich kann dem Engländer sehr vieles sagen, was er für wertvoll halten wird, was aber für den Fachmann nichts Neues darstellt. Die grundlegenden Ergebnisse der Atomforschung sind ja den Physikern in Amerika, in England, in der Sowjetunion in demselben Maße bekannt wie uns in Deutschland; überall arbeitet man an den gleichen physikalischen Problemen, von fast den gleichen Ausgangspunkten aus und meist auch auf fast den gleichen Wegen. Diese Dinge sind also keine Geheimnisse, und ich kann ruhig über sie sprechen.« »So dumm ist er doch nicht, daß er Dinge für neu halten wird, die jeder kennt.« »Nun ja, einiges wird er von den Grundlagen der Atomphysik schon wissen, sonst würde es überhaupt zwecklos sein, mit ihm darüber zu reden. Aber er ist kein Fachmann, und vieles von dem, was der Physiker vom Fach kennt, wird ihm trotzdem neu erscheinen.« »In London sitzen aber Fachleute! Die merken doch sofort, daß Sie den Whitman nur gefoppt haben.« »Sofort auch nicht. Übrigens kommt es mir doch nur darauf an, ein paar Tage Zeit zu gewinnen. Inzwischen werde ich hoffentlich den Treibstoff für die Luna haben und starten können. Und damit sich die Herren englischen Physiker bis dahin die Köpfe zerbrechen können«, so fügte Habermann mit feinem Lächeln hinzu, »kann ich dem Reuterkorrespondenten auch einige wirklich neue Einzelheiten auftischen, zum Beispiel zusammenhanglose technische Ergebnisse meiner Arbeit, die keiner nachmachen kann, wenn er nicht weiß, auf welchem Wege ich sie gewonnen habe, und von denen überdies jede in der Form, wie ich sie Whitman mitteile, in einem wesentlichen Punkte unvollständig oder unrichtig sein wird.« Aber Jussuf war nicht so leicht zu überzeugen: »Ich halte das immer noch für gefährlich«, sagte er. »Wie leicht könnten die englischen Physiker aus Ihren Mitteilungen dennoch richtige Schlüsse ziehen! Ja, wenn es sich um Sowjetrussen handelte, dann würde ich keine Bedenken haben. Ich habe drüben in unserem Nachbarlande, in der sozialistischen Sowjetunion, gearbeitet; ich habe gesehen, wie man dort für den Frieden schafft. Ich habe gesehen, wie durch eine gewaltige Atom-Sprengung ein Bergrücken fortgeräumt worden ist, so daß die großen sibirischen Flüsse ihr Wasser nicht mehr nutzlos nach Norden ins Eismeer ergießen, sondern nach Südwesten fließen und dadurch die ehemalige Wüste am Kaspischen Meer, gar nicht weit von der persischen Grenze, in fruchtbares Ackerund Gartenland verwandeln. Dieses Land war einst genauso unfruchtbar wie unser Descht-i-Kuwir, die Salzsteppe vor unserer Tür, auf der Ihre Luna liegt. Heute trägt es tausendfältige Frucht an Weintrauben und Baumwolle. So verwendet ein friedfertiges Volk die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschung. Die Amerikaner aber und ihre Trabanten kennen ja keine andere Verwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse als die für kriegerische Zwecke. Sie reden von nichts anderem als von ihrer Atombombe und drohen der Menschheit die völlige Vernichtung an. Wollen Sie, Professor, daß Ihre eigene Erfindung dazu ausgenutzt wird, um fliegende Bomben herzustellen, die die Kulturtaten der friedlichen Völker wieder auslöschen?« »Gewiß nicht, Jussuf! Ich werde sehr vorsichtig sein und werde auch immer an Ihre Warnungen denken. Aber es wird mir gar nichts anderes übrigbleiben, als den Burschen vom britischen und amerikanischen Geheimdienst einen kleinen Köder hinzuwerfen, wenn ich sie noch ein paar Tage hinhalten will. Einige Einzelheiten der Inneneinrichtung meines
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Raumschiffes sind ja schon durch die Bullaugen von außen zu sehen. Zum mindesten darüber werde ich etwas sagen müssen, um abzulenken und irrezuführen. Aber das Wesentliche und Wichtige werde ich auf jeden Fall für mich behalten.« *** Das Flugzeug, das am 16. August kurz nach 13 Uhr bei der Luna landete, trug die Abzeichen der USA. Es hatte den amerikanischen Militärattaché aus Athen, Major Spiller, und einige Offiziere der USA-Botschaft in Teheran an Bord. Die beiden Kinder in Dr. Riedels Zelt, die schon den Polizeichef und seinen Leutnant als sehr lästige Einquartierung empfanden, wurden durch die Neuankömmlinge fast gänzlich verdrängt. Die Nachricht von der Erkrankung des amerikanischen Oberspions hatte sich wie ein Lauffeuer in der Wüste verbreitet. Sie war durch das Gerücht übertrieben und mit grausigen Einzelheiten ausgeschmückt worden, und keiner der Perser war zu bewegen, der gefährlichen Kugel auch nur auf hundert Schritte nahe zu kommen. Selbst der Kelanter lehnte es ab, die Amerikaner zur Luna zu begleiten. Die Khakiblusenmänner wurden nun doch bedenklich. Sie versuchten durch ihren Bordfunker Verbindung mit dem Flugzeug McLeans oder mit Teheran aufzunehmen, aber die Entfernung war zu groß. Nur der amerikanische Flugplatz Meschhed und ein paar andere benachbarte Kurzwellenstationen meldeten sich. Sie wußten nichts vom Schicksal McLeans. Da wurde Spiller ungeduldig: »Wir verlieren nur unsere Zeit. Wer weiß, woran McLean erkrankt ist! Andere waren doch auch an der Rakete und sind nicht krank geworden. In meiner Anweisung ist nur von einem Raketengeschoß die Rede, das ich besichtigen soll. Und diese niedlichen Spielzeuge kenne ich genau. Ich weiß, was die Deutschen in dieser Art zu bauen verstehen.« Und damit machte er sich auf den Weg zur Luna. Die anderen Offiziere schlossen sich ihm an. Kurz darauf knatterte der Reuter-Korrespondent auf seinem neu erworbenen Motorrad herbei; auch er ging sofort zu dem Apparat hinüber, um zu sehen, was die Amerikaner erreichen würden. Er kam zur rechten Zeit, um zu hören, wie Major Spiller seinen Kameraden auseinandersetzte: »Das ist zweifellos eine Rakete mit Düsenantrieb. Hier unten...« Er bückte sich und wies in die Grube, die McLean gescharrt hatte. »Hier unten sehen Sie die Düsen. Ich wundere mich nur, daß der Apparat so klobig ist. So viel Treibstoff kann er ja gar nicht mitnehmen, wie nötig ist, um ihn zu bewegen. Kein Wunder, daß ihm der Sprit unterwegs bald ausgegangen ist, so daß er hier notlanden mußte. Daß er Sprit und Wasserstoffsuperoxyd verwendete, scheint ja festzustehen. Aber die Einzelheiten interessieren mich doch. Ich muß unbedingt sehen, wie der Motor konstruiert ist und was das Geschoß sonst noch enthält. Durch das dicke Glas der Fenster ist kaum etwas zu erkennen. Und auch wenn wir sie einschlagen, werden wir wenig mehr sehen, denn sie sind so eng, daß man sich nicht hineinzwängen kann. Die beiden Einlasse an den Seiten sind offenbar Panzertüren, wie wir sie von unseren Banktresoren kennen. Wenn wir den Schlüssel nicht auftreiben können, werden wir den Apparat aufschneiden müssen; ein Schweißgerät für diesen Zweck werden wir ja in Sebsewar finden.« Whitman notierte: Chikagoer Gangster, Geldschrankknacker.
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»Und wenn wir damit nicht zu Rande kommen, sprengen wir die Kiste einfach mit Dynamit oder mit einem anderen Sprengstoff auf«, schloß Spiller seine Betrachtungen. Jetzt erst bemerkte er den Journalisten. »Was haben Sie denn hier zu suchen?« fuhr er ihn an. »Wer sind Sie überhaupt?« Einer der Offiziere mischte sich ein: »Das ist Mr. Whitman, Reuters Chefkorrespondent aus Teheran. Ich kenne ihn. Hallo, Mr. Whitman!« Er reichte dem Engländer die Hand. Die anderen folgten seinem Beispiel. Nur Spiller knurrte unfreundlich in sich hinein: »Wir brauchen hier keinen Londoner Aufpasser.« Whitmans feines Ohr hatte den Satz aber doch aufgefangen. Als die Gesellschaft zu Riedeis Zelt zurückkehrte, flüsterte Fatima dem Engländer zu: »Sie sollen zu meines Vaters Zelt kommen.« »Von wem stammt diese Einladung?« »Das darf ich nicht sagen.« In Gholams Zelt wurde Whitman von Jussuf begrüßt, der ihm den deutschen Professor vorstellte. Der Engländer war hocherfreut und erklärte: »Ich habe Ihnen wichtige Mitteilungen zu machen: Die Amerikaner haben vor, Ihre Kugel aufzuschweißen oder, wenn ihnen das nicht gelingt, mit Dynamit aufzusprengen.« »Meine kostbaren Instrumente!« empörte sich Habermann. »Was denken sich denn diese Barbaren? Das muß unbedingt verhindert werden!« »Wie wollen Sie es verhindern?« »Wenn ich sie nicht anders fernhalten kann, sprenge ich selbst den ganzen Apparat in die Luft.« »Haben Sie denn Sprengstoff?« fragte Whitman mit hinterlistigem Zwinkern. Und da Habermann nur unmutig die Achseln zuckte, fuhr er fort: »Solange die persische Polizei nach Ihnen fahndet, würde ich an Ihrer Stelle überhaupt vorsichtig sein und mich nicht in die Nähe des Raumschiffes wagen. Ich bin schon erstaunt, daß Sie mich hierherbestellt haben. Ich hätte doch auch dorthin kommen können, wo Sie sich in größerer Sicherheit befinden.« »Mir ist es lieber, wenn auch Sie nicht erfahren, wo ich mich sonst aufhalte. Aber gerade weil ich mich einer Gefahr aussetze, möchte ich diese Unterhaltung nicht zu lang ausdehnen.« »Ich nehme an. Sie haben mich rufen lassen, um mir etwas Wichtiges mitzuteilen?« »Ja, ich möchte Sie bitten: Warnen Sie die Amerikaner dringend davor, die Kugel zu öffnen oder die Düsen an ihrem Boden zu untersuchen! Denn... Aber ich muß Ihnen den ganzen Apparat genauer schildern, sonst verstehen Sie es nicht. Schreiben Sie gleich mit! Sie werden ja auch berufliches Interesse daran haben.« Und nun erhielt der Journalist eine Beschreibung des Weltraumschiffes und seiner Einrichtung, der er mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte. Als er sein Notizbuch zuklappte, grinste er: »Nun weiß ich eigentlich alles, was ich wissen wollte.«
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»Ich habe Sie für weniger bescheiden gehalten«, spöttelte Habermann. »Sie kennen noch nicht die Konstruktionseinzelheiten des Motors. Wer das erfahren will, muß den Motor selbst öffnen und - dabei das Leben einbüßen, ehe er etwas entdecken kann. Denken Sie an McLean! Deshalb bitte ich Sie noch einmal: Warnen Sie die Amerikaner vor solcher Neugier!«
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AUCH DIE RETTER IN DER FALLE Das deutsche Großflugzeug unter Führung des Flugkapitäns Niedermayer hatte planmäßig auf dem Gelände des Atominstituts eine Zwischenlandung vorgenommen und war nach Aufnahme der Hilfsexpedition und ihres Gepäcks trotz der schweren Belastung gut wieder vom Boden abgekommen. Die eben erst überholten Motoren sangen ohne Störung Stunde um Stunde ihr Lied. Für Frenzen, Heise und Martin war es ein großes Erlebnis, über deutsches Land hinwegzufliegen, dann die Karten Polens, der Tschechoslowakei, Ungarns und Rumäniens aufzublättern, wenn auch die Sicht manchmal durch Regenwolken behindert war. Von den aufregenden Vorfällen bei der Luna wußten sie noch nichts. Als sie aber mittags über dem Schwarzen Meer anlangten und vor ihnen die viereckige Fläche der Krim auftauchte, winkte sie der Funker aufgeregt herbei. Er hatte den Londoner KurzwellenSprechfunk eingeschaltet, der soeben eine ausführliche Reuter-Meldung über den Unfall des amerikanischen Agenten McLean bekanntgab. Frenzen und Heise teilten sich in einen Kopfhörer und lauschten den Worten des englischen Ansagers: »Der amerikanische Beamte hatte den Boden unter der Kugel fortgeräumt, um zu sehen, ob er von dort aus in ihr Inneres gelangen könnte. Er entdeckte an der Unterseite des Apparates die Düsen des Raketenmotors. Als er zu seinem Zelt zurückkehrte, stellten sich bei ihm schwere Gesundheitsschädigungen von der Art ein, wie man sie bei den Opfern von Hiroschima und Nagasaki beobachtet hatte. Er wurde sofort im Flugzeug nach Teheran ins Krankenhaus transportiert. Man nimmt au, daß das deutsche Weltraumschiff Luna Atomzerfallprodukte als Treibstoff benutzt, und daß die Düsen noch radioaktive Substanz enthielten, mit der sich McLean infiziert hat. Professor Habermann, der Führer des Weltraumschiffes, ist offenbar rechtzeitig davon verständigt worden, daß er von den persischen Behörden wegen Spionageverdachts verfolgt werde, denn er ist nicht auffindbar. Wie Reuters Korrespondent zuverlässig erfährt, ist er jedoch am Leben und hält sich wahrscheinlich noch in der Nähe seines Apparats verborgen, denn er hat mehrmals auf geheimnisvolle Weise Nachrichten an einen ihm bekannten deutschen Arzt in Sebsewar gelangen lassen. In der Weltöffentlichkeit hat die Landung des bemannten Raketenapparats auf persischem Gebiet großes Aufsehen erregt...« Nun folgten Betrachtungen und Kombinationen, die für die deutschen Hörer kaum von Belang waren. »Und was ist aus Heinz geworden?« fragte Dr. Heise erregt. »Aus wem?« Professor Frenzen war sehr erstaunt. »Aus Habermanns Sohn. - Ach so. Sie wissen ja nicht, daß der Junge die Fahrt mitgemacht hat.« »Ist das wahr? Das wäre ja ein unverantwortlicher Leichtsinn des Kollegen Habermann, wenn er außer seinem eigenen auch noch das Leben seines Kindes aufs Spiel gesetzt hätte!« »Ich habe soeben den amerikanischen Soldatensender Nahost gehört«, unterbrach
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ihn der Funker. »Er meldet, daß unser Kamerad McLean vom Sonderkommando Teheran bei der Untersuchung der Flugmaschine eines in Persien gelandeten deutschen Spions schwer verunglückt sei, und daß sich eine Abordnung amerikanischer Offiziere im Flugzeug zur Verfolgung des Spions aufgemacht habe.« Bei den Expeditionsteilnehmern stieg das Fieber der Erwartung. Die Sonne, der sie morgens entgegengeflogen waren, hatte einen großen Bogen beschrieben und stand jetzt schräg rechts hinter ihnen. Sie vergoldete die schneegekrönten Zinnen des gewaltigen Kaukasusgebirges, die rechts neben ihnen langsam dahinzogen. Das großartige Schauspiel konnte sie aber nur für kurze Zeit von ihren sorgenden Gedanken ablenken. Jetzt tauchte die weite Fläche des Kaspischen Meeres auf. Niedermayer blickte mit dem Glase hinab und ging dann tiefer. Auf Martins Frage setzte er den Fluggästen auseinander, daß in der bisher geflogenen Höhe ungünstige Windverhältnisse herrschten. Der Küstenstreifen zeigte aber glattes Wasser, der Hafen Derbent da unten liege im Windschatten. Dort wehe wahrscheinlich eine Westbrise am Boden, und die wolle er als Schiebewind ausnutzen. Seine Erwartung erwies sich als richtig. Das Flugzeug strich dicht über die nach Osten rollenden Wogen hinweg und überholte sie in eilendem Fluge. Der Geschwindigkeitsmesser kletterte auf 500, dann fast auf 600 Stundenkilometer; es war eine Rekordfahrt. »Das ist gut«, grunzte Niedermayer. »Jetzt haben wir Aussicht, noch bei Tageslicht unseren Landeplatz zu finden.« Aber der Funkempfang war dort unten schlecht. Erst als der Flugkapitän die Maschine wieder hochzog, um über die Nordausläufer des Elburs-Gebirges hinwegzukommen, meldete sich wieder der britische Sender. Er brachte eine neue ReuterNachricht von der Luna, und Frenzen und Heise zwickten sich gegenseitig in die Arme, als sie sie hörten: »Reuters Chefkorrespondenten ist es gelungen, Verbindung mit dem verschwundenen deutschen Gelehrten aufzunehmen. Er hatte ein kurzes Interwiev mit Professor Habermann, der sich dann jedoch in unbekannter Richtung wieder entfernte, ohne sich zur Preisgabe seines Aufenthaltsortes bewegen zu lassen. Habermann warnte vor einer unsachgemäßen Behandlung seines Apparats, indem er auf die Gefährlichkeit der Atomzerfallprodukte hinwies, und gab unserem Korrespondenten folgende Einzelheiten bekannt: ...« Es folgte eine Schilderung der Luna und ihrer Einrichtungen. Aus manchen Einzelheiten konnten die sachverständigen Deutschen entnehmen, daß der ReuterKorrespondent tatsächlich mit Habermann selbst gesprochen haben mußte. Mit einem Seufzer der Erleichterung stellten sie aber gleichzeitig fest, daß offenbar den Engländern nichts preisgegeben worden war,was es ihnen etwa ermöglicht hätte, den Apparat nachzukonstruieren. Niedermayer interessierte sich mehr für den letzten Teil der Meldung: »Wie unser Korrespondent weiter berichtet, liegt die Landestelle des Weltraumschiffes am Rande der nordiranischen Salzsteppe, etwa 60 Kilometer südöstlich Sebsewar. Die Wüste ist dort zum belebten Flughafen geworden. Neben der Luna ist ein großes Kreuz aus weißen Tüchern ausgelegt, das den Maschinen die Auffindung des Landeplatzes erleichtert. Gegenwärtig stehen hier ein dreimotoriges USA-Flugzeug, das eine Untersuchungskommission von amerikanischen Offizieren gebracht hat, ein schnelles englisches Jagdflugzeug, das dem britischen Militärattaché in Teheran gehört, und ein großes Verkehrsflugzeug der persischen
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Regierung, mit dem ein hoher Beamter des Innenministeriums und Angehörige der britischen Botschaft aus Teheran eingetroffen sind. Mit Kraftwagen und Motorrädern wird die Verbindung zu der nahe gelegenen Stadt Sebsewar aufrechterhalten.« »Dann können wir uns nicht verfranzen.« Niedermayer atmete erleichtert auf. Er überließ den Steuerknüppel dem zweiten Piloten. Mit Kompaß und Karte legte er den Kurs sorgfältig fest. Die Anhaltspunkte, die das Gelände bot, waren sehr gering. Denn man befand sich jetzt in etwa tausend Meter Höhe über einer fast ebenen Einöde, dem Descht-iKuwir. Jede kleine Bodenerhebung warf allerdings lange Schatten in der Flugrichtung, denn die Sonne stand schon tief hinter dem Flugzeug. Der Himmel hatte sich, seit man das Kaspische Meer verlassen hatte, aufgehellt, und die Bodensicht war gut. Niedermayer ergriff sein Fernglas. »Da schimmert bereits ein weißer Fleck vor uns«, rief er. »Jawohl, das muß das Landekreuz sein.« Er setzte sich wieder an den Steuerknüppel, um selbst die Landung vorzunehmen. Langsam sank die Umdrehungszahl der Motoren, derBoden kam näher, immer deutlicher war das weiße Kreuz zu erkennen. Jetzt schien dieses in drehende Bewegung zu geraten. Das war jedoch eine Täuschung; tatsächlich hatte sich das Flugzeug gedreht. Niedermayer beschrieb eine Kurve nach Süden, weil er bemerkt hatte, daß am Boden Nordwind herrschte. Die über der Wüste erwärmte Luft stieg auf, und vom Gebirge im Norden strömte unten Kaltluft zu. Kurz bevor der Flugkapitän den Apparat aufsetzte, traf einer der letzten Sonnenstrahlen die silberne Kugel der Luna. Der Bruchteil einer Sekunde hatte für Niedermayer genügt, um ihn das Ziel erkennen zu lassen. Ein kleiner Ruck - die Maschine hüpfte noch ein paar Dutzend Meter weiter über das Kreuz hinweg, näher zur Luna heran. Dann setzte der erfahrene Pilot seinen Apparat sanft auf und ließ ihn gegen den Wind langsam ausrollen. Er stand genau zwischen dem Weltraumschiff und Dr. Riedels Zelt. »Blöder Zufall« und »Glück für die Deutschen« behaupteten nachher die Amerikaner. Jenseits des Kreuzes ragte die große persische Maschine auf. In ihrem Schatten lag, wie das Küchlein neben der Glucke, der kleine Engländer mit den kurzen Stummelflügeln und etwas weiter entfernt der lange Amerikaner. Hinter diesem, der die Seitenansicht bot, erhob sich ein großes neues Zelt, das ein geschäftstüchtiger Kaufmann von Sebsewar auf einem Lastkraftwagen hinausgeschafft und den Amerikanern vermietet hatte. Was an Motorfahrzeugen in der kleinen Stadt aufzutreiben war, stand im Kreise um dieses Zelt aufgereiht. Auch die Polizei hatte für ihre Leute gesorgt; diese wohnten in einem großen schwarzen Zelt, das in allen Stücken demjenigen Gholam Ali Khans glich, an der Piste nach Sebsewar, die bereits viele Autospuren aufwies. Weiter fort hoben sich undeutlich die Umrisse der beiden Nomadenzelte am Horizont ab. An vielen Stellen stieg der Rauch von Lagerfeuern auf. Das war das Bild, das sich den Augen der deutschen Reisenden bot, ehe die rasch zunehmende Dämmerung alle Konturen verwischte. *** Heinz war ein Opfer trüber Stimmung. Wie lange hatte er den Vater nicht gesehen! Und der Zwang, den ihm seine Rolle als Taubstummer auflegte, wurde auf die Dauer unerträglich. Die Hoffnung auf Hilfe aus Deutschland hatte er gänzlich aufgegeben, und als gegen Abend wieder ein Flugzeug nahte, wollte er nichts sehen und hören. Er warf sich zu Boden
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und barg das Gesicht auf den Armen. Fatima, die mit der Zubereitung des Abendessens beschäftigt gewesen war, trat neugierig vor das Zelt. Mitleidig rüttelte sie den Freund an der Schulter, und als er sie nicht hören wollte, blieb sie verzweifelt neben ihm stehen und rang die Hände. Da setzte das Flugzeug zur Landung an. Mit fürchterlichem Gebrüll stürzte sich der Riesenvogel gerade auf sie, die kleine Fatima. Von Entsetzen geschüttelt brach sie mit einem schrillen Aufschrei zusammen und krallte ihre Finger in den Nacken des Knaben. Der stemmte sich hoch und schüttelte in ohnmächtiger Wut seine Faust gegen die heranbrausende Maschine. Die fegte dicht neben den Kindern über den Boden. An ihrem Heck trug sie - die deutschen Farben! Heinz wischte sich den Staub aus den Augen und blickte noch einmal hin. Dann riß er Fatima hoch. »Da! Da!« Mehr brachte er vor Erregung nicht heraus. Dann schluchzte er wild auf. Lachen und Weinen steckten in einem Sack. Er rannte hinter dem ausrollenden Flugzeug her. Fatima wollte ihn zurückhalten; als ihr das nicht gelang, folgte sie ihm in atemlosem Lauf. Die Kleider der Kinder flatterten im Propellerwind. Aus des Jungen Brust arbeitete sich ein Schrei empor. Aber gegen den Sturm wurde er nicht zum Laut. Keuchend standen sie jetzt hinter dem rechten Flügel der Maschine. Heinz hüpfte empor, als könnte er im Sprung die Fenster der Kabine erreichen, hinter denen menschliche Schatten hin und her huschten. Als der Propeller endlich ausschwang, rief er: »Doktor Heise, Doktor Heise!« Er legte die Hände um den Mund und schrie noch lauter: »Doktor Hei-se!« Die Aufmerksamkeit des Assistenten hatte der Luna gegolten, die auf der anderen Seite lag. Jetzt, da das Motorengeräusch schwieg, hörte er von einer hellen Stimme seinen Namen rufen. Er sprang hinüber und sah durchs Fenster zwei persische Kinder, von denen eines, offenbar ein Knabe, wild mit den Armen fuchtelte. Bordmonteur Henning öffnete die Tür und trat auf die Tragfläche hinaus. Er blickte lächelnd zu den Kindern hinab. »Was schreist du denn so?« fragte er. »Doktor Heise! Da!« Heinz zeigte auf das Fenster. »Kennst du ihn denn?« »Ja, natürlich!« »Warte, ich bringe die Leiter!« Der Mann ging in die Kabine zurück und kehrte mit der Einstiegtreppe wieder, die er neben dem Flügel einhängte. Er hatte kaum Zeit, sie zu befestigen, da war Heinz schon hinaufgeentert. Fatimas schwarze Augen blickten ihm ängstlich nach. Der mitleidige Monteur rief: »Komm doch, komm!« Soviel Deutsch verstand sie zwar schon, trotzdem schüttelte sie aber den Kopf, daß
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die Zöpfe flogen, und wich einen Schritt zurück. Da sprang der Mann lachend hinab, nahm die Überraschte auf den Arm und kletterte mit ihr die Treppe hinauf. Fatima wehrte sich verzweifelt und zerkratzte ihm das Gesicht. Er aber ließ nicht los und stellte sie neben Heinz, der gerade Professor Frenzen, Dr. Heise und Martin begrüßte und ihnen dann seine verschüchterte Freundin vorstellte. Auch die Flugzeugbesatzung versammelte sich um die beiden Kinder und lauschte Heinzens Bericht, bei dem es allerdings wie Kraut und Rüben durcheinanderging, bis dem Jungen die Gefahr zum Bewußtsein kam, in der auch die Neuankömmlinge schwebten. »Sie müssen sofort weiterfliegen«, sagte er hastig, »sonst beschlagnahmen die Amerikaner auch Ihr Flugzeug und lassen Sie als Spione verhaften.« Er schaute besorgt aus dem Fenster. Aber die Perser hielten sich in ziemlicher Entfernung, weil ihnen dieses Flugzeug allzu nahe bei der Teufelskugel zu stehen schien. Nur ein paar amerikanische Flieger waren herbeigeeilt und schnüffelten neugierig um die europäische Konkurrenz herum; hinaufzuklettern wagten sie nicht. »So schlimm wird es wohl nicht gleich werden«, meinte Frenzen, und Niedermayer fügte hinzu: »Weiterfliegen, in der Dunkelheit? Wohin?« »Wir lassen doch den Professor Habermann und seinen Apparat nicht im Stich, um uns selbst in Sicherheit zu bringen.!« protestierte Heise. »Wir sind nicht hierhergekommen, um vor der ersten Gefahr Reißaus zu nehmen.« »Sie werden uns doch nicht helfen können«, erwiderte Heinz mit finsterem Gesicht. »Die Amerikaner wollen auf jeden Fall die Luna haben, und wenn sie den Treibstoff finden, den Sie mitbringen, dann werden sie ihn fortnehmen, damit die Luna nicht wieder starten kann.« »Dann bringen wir die Sprit- und Wasserstoffkanister eben in Sicherheit, ehe die Amerikaner kommen!« schlug Henning vor; er war ein Mann der raschen Entschlüsse. »Aber wie?« »Vergraben!« Zögernd nur hatte Heinz den Vorschlag gemacht. »Richtig!« rief Henning. Er lief zum Werkzeugkasten und brachte Spaten und Kreuzhacken herbei. »Immer langsam mit die jungen Pferde!« Niedermayer, der Bayer, benutzte gern Berliner Redensarten, um zu zeigen, wie sehr er zum Großstädter geworden war. »Übrigens müssen wir dann auch unsere wichtigsten Fluggeräte sicherstellen...« »... und meine Instrumente«, fügte Frenzen hinzu. »Aber wir müssen damit warten, bis es dunkel ist, sonst sehen die Amerikaner, wo wir unser Material hinbringen.« »Inzwischen gehe ich zu den Behörden«, entschloß sich Frenzen. »Weißt du, wer hier der höchste persische Beamte ist?« fragte er Heinz. »Ja, der Kelanter - falls er nicht gerade in Sebsewar ist. Aber ich habe gehört, daß auch ein hoher Beamter aus Teheran gekommen ist: der Staatssekretär Muchber ed Daule. Für den wird gerade dort drüben ein Zelt gebaut.« »Dann gehe ich dorthin. Willst du mich begleiten, Heinz?«
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Der Knabe zögerte: »Dann merken die Amerikaner, daß ich Heinz Habermann bin. Wenn doch nur Doktor Riedel hier wäre!« »Ich begleite Sie, Herr Professor«, sagte Heise. »Der Weg ist nicht weit, wir werden ihn auch zurück im Dunkeln finden.« Am Fuß der Treppe standen drei Amerikaner, die Hände in den Hosentaschen. »Sie werden uns gar nicht mehr hinauslassen«, seufzte Heinz. »Was?« lachte Henning, indem er die Hemdärmel aufkrempelte. Mit einem Sprunge war er mitten unter den Amerikanern, die gar nicht an Gegenwehr dachten, sondern alle drei eilends das Weite suchten. Es war schon recht dunkel. Nach Westen hin hoben sich allerdings noch die Silhouetten der Flugzeuge und der Zelte vor einem hellen Himmelsstreifen ab, so daß Frenzen und Heise ihren Weg fanden. Aber gegen Osten und zur Luna deckte die Nacht schon alles zu. »Wir werden gleich einmal nachsehen, wo wir unser wertvollstes Material einbuddeln können.« Henning war mit diesemVorschlag Martins durchaus einverstanden. Die beiden Kinder, die ins Zelt hatten zurückkehren wollen, schlossen sich ihnen an. Als Fatima merkte, worauf es ankam, führte sie die Männer zu einer Stelle, gar nicht weit vom Flugzeug, wo die Erde bereits gelockert war. Gholam Ali Khan hatte hier einen Brunnen für sein Vieh bohren wollen, aber die Arbeit wieder aufgegeben, weil das Grundwasser zu tief lag; Winterregen hatten die alte Grube eingeebnet. Sie lag günstig jenseits des Flugzeugs, dem Lager abgekehrt, nahe bei der Luna. Während die Männer zum Flugzeug gingen, um Spaten zu holen und die Bergung des Materials vorzubereiten, begaben sich die Kinder zum Zelt. Dort empfing sie der Führer der Gendarmen mit Vorwürfen. Er war nervös, denn er hatte den Befehl bekommen, das Flugzeug und die Luna abzusperren und niemand ohne Sondererlaubnis in diesen Bezirk einzulassen. Wie aber konnte er mit seinen paar Männern einen solchen Befehl ausführen? Dazu hätte man eine ganze Kompanie Soldaten gebraucht! Er mußte sich mit einem Posten bei Dr. Riedels Zelt und mit einer Patrouille begnügen, die im großen Bogen das Flugzeug und die Luna umkreiste. *** Am Zeltplatz des Staatssekretärs Muchber ed Daule herrschte große Aufregung. Perser, Amerikaner und Engländer wimmelten durcheinander wie die Bewohner eines Ameisenhaufens, in dem ein Junge mit seinem Stock gestochert hat. Den beiden deutschen Gelehrten fiel es nicht schwer, den Mittelpunkt dieses Haufens zu finden. Dort stand eine dichte Menschengruppe, die sich gerade auflöste. Männer in amerikanischen Uniformen entfernten sich eilig in Richtung auf das USA-Flugzeug. Frenzen sprach den einzigen europäischen Zivilisten an, den er entdecken konnte es war der Reuter-Korrespondent Whitman - und fragte nach dem Staatssekretär Muchber ed Daule. »Muchber ed Daule? O yes, there!« Der Gefragte wies auf einen hochgewachsenen Perser hin.
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Vor diesem verneigte sich Frenzen höflich und nannte seinen Namen. Dann stellte er seinen Begleiter Dr. Heise vor. Die Verständigung war schwierig, denn Muchber konnte nicht Deutsch, die beiden Deutschen aber nicht Persisch. Schließlich einigte man sich auf die englische Sprache, die alle drei einigermaßen beherrschten, und wenn es gar nicht weitergehen wollte, half der geschickte britische Journalist aus. Frenzen schilderte den Zweck seiner Reise und bat um den Schutz und die Unterstützung der persischen Behörden. Muchber wand sich wie ein Aal. Er bedauerte unendlich... Er selbst habe keine Ursache, irgend etwas gegen die Herren zu unternehmen. Aber er wisse nicht, was seine amerikanischen und englischen Freunde tun würden. Die Herren würden verstehen: Persien sei mit der USA und mit Großbritannien verbündet. Er müsse die Herren bitten, einstweilen in ihrem Flugzeug zu bleiben, bis er nähere Anweisungen von seiner Regierung erhalte. Die Luna sei von den persischen Behörden beschlagnahmt, sie dürfe auf keinen Fall abtransportiert werden, und gegen Professor Habermann sei Steckbrief wegen Spionageverdachts erlassen. »Dann lassen Sie wenigstens unseren Landeplatz absperren«, bat Frenzen, »damit wir vor Übergriffen Unberufener sicher sind.« Muchber lächelte hintergründig: »Das ist bereits geschehen. Ich werde Ihnen einen Beamten mitgeben müssen, der Sie durch die Postenkette zurückführt.« Auf dem Rückweg schloß sich Whitman den Deutschen an. Er schilderte ihnen die verzwickte Lage. Links hinter ihnen kam Motorengeräusch näher. Grelle Scheinwerfer schnitten durch die Dunkelheit. Zwei Fahrzeuge ratterten an ihnen vorbei, ein Personenund ein Lastkraftwagen mit einem Maschinengewehr auf dem Führerhaus. Die beiden Wagen hielten bei dem deutschen Flugzeug, das sich nun im grellen Licht der Scheinwerfer deutlich von seiner dunklen Umgebung abhob. Das Maschinengewehr knatterte los. Drei Salven zischten über den deutschen Apparat hinweg. Obwohl sie in der Grube gedeckt standen, zogen Martin und Henning die Köpfe ein. »Da sind sie schon«, flüsterte der Monteur. »Es ist ein Segen, daß wir das ganze Material schon hierher geschafft haben. Hoffentlich entdecken sie uns nicht; nur kein Geräusch machen!« Ein paar amerikanische Offiziere aus dem PKW rannten mit vorgehaltener Pistole zu der deutschen Maschine, einige Soldaten mit Karabinern kletterten von dem LKW und folgten ihnen. Im Rumpf des Flugzeugs hörte man die Amerikaner rumoren und schimpfen. Dann polterten schwere Gegenstände aus dem Flugzeug zu Boden. Dazwischen hörte man ein Plätschern wie einen Regen. »Jetzt lassen sie uns das Benzin auslaufen!« klagte Henning. »Sollen wir denn mit Spucke zurückfliegen?« fügte er wütend hinzu. Die Plünderung dauerte mindestens eine halbe Stunde. Dann verließen die Amerikaner das Flugzeug. Sie schleppten die Gegenstände, die sie herausgeworfen hatten, zu ihrem Lastkraftwagen und nahmen sie mit sich. Henning schlich mit Martin zu der wieder im Dunkeln stehenden Maschine. Die war völlig ausgeraubt. Die Gangster hatten auch die Lebensmittelvorräte der Expedition fortgeschleppt. Niedermayer lief hin und her wie ein gefangenes Raubtier. Die anderen aber, zu denen sich bald Frenzen und Heise gesellten, saßen niedergeschlagen herum. Nur
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Henning und Martin bewahrten ihre Gemütsruhe. »Was ist da schon bei?« fragte der Mann aus dem Megatron. »Unsere wichtigsten Instrumente, den Treibstoff für die Luna und sogar den Schutzanzug haben sie nicht gefunden, weil das alles draußen liegt. Wir werden die Sachen gleich eingraben, damit sie sicher sind.« »Und unsere Funk- und Peilgeräte, unser Werkzeug und unsere Ersatzteile sind ihnen auch nicht in die Hände gefallen«, lachte Henning. »Ich habe schon nachgesehen: Sie haben bloß die Tanks auslaufen lassen und ein Stück vom Zündkabel rausgeschnitten. Ein Ersatzkabel habe ich draußen, und Benzin werden wir auch wieder kriegen, und wenn ich es den Amerikanern selbst unter dem Hintern wegstehlen müßte! Wenn die denken, uns hier festnageln zu können, dann sind sie schiefgewickelt. - Aber jetzt müssen wir die Grube zuschütten, damit man morgen früh nichts sieht.« *** Muchber ed Daule war nicht zu beneiden. Einerseits drängten die Amerikaner auf die Festnahme der deutschen »Spione«, andererseits bestand der britische Militärattache Oberst Parnell auf seiner Beteiligung an der Untersuchung; er verlangte auch die Herausgabe der von den Amerikanern »beschlagnahmten« Gegenstände an die persischen Behörden und aus Gründen der Menschlichkeit die Rückgabe der Lebensmittel an die Flugzeugbesatzung. Auch seine persischen Landsleute begannen immer lauter zu murren und den Amerikanern Schimpfworte nachzurufen. Besorgt um die Sicherheit seiner amerikanischen Schützlinge, für die er verantwortlich gemacht werden konnte, wagte Muchber tatsächlich, sie um Nachgiebigkeit zu bitten. Um nicht noch Öl ins Feuer zu gießen, gab Spiller in der letzten Frage nach: »Holt euch die Lebensmittel ab!« rief er erbost. Muchber war froh, wenigstens soviel erreicht zu haben. Er schickte ein paar Gendarmen mit Lasteseln zu dem Zelt der Amerikaner, um die Konserven zurückzuschaffen. Wieviel es gewesen war, wußten die Perser natürlich nicht, sie begnügten sich mit dem, was ihnen die Amerikaner murrend hinwarfen. Und davon verschwand auf dem Transport auch einiges. Ein dürftiges Häuflein Büchsen, Kisten und Säckchen lag schließlich neben Dr. Riedels Zelt. Noch näher an das Flugzeug heranzugehen, weigerten sich die Perser aus Angst vor der Teufelskugel ganz entschieden. Aber man brauchte auch nur zu winken, da kamen Henning und Martin und nahmen die Sachen freudig in Empfang. Auf Anordnung des Arztes hatte Fatima einen Kessel Kaffee gekocht. Den brachten die beiden Kinder gleichfalls zu der deutschen Maschine. Das hielten die Polizisten für ungefährlich; Erwachsenen dagegen erlaubten sie keinen Besuch bei den Deutschen. *** Die Amerikaner hatten in der Nacht tatsächlich einen Schweißapparat in Sebsewar gefunden. Vormittags brachten sie das Gerät mit einem LKW zur Luna. Sie fluchten nicht wenig, als sie hinter sich zwei Motorräder gewahr wurden, auf denen ihnen der neugierige Journalist und der britische Militärattaché folgten.
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Während die Amerikaner ihren Schneidbrenner abluden und montierten, trat der britische Offizier zu ihnen. »Meine Herren«, stellte er ihnen vor, »warum wollen Sie den wertvollen Apparat zerstören? Was er enthält, kann ich Ihnen in allen Einzelheiten sagen.« Spiller lachte ihm ins Gesicht: »Woher wollen Sie das wissen?« Lächelnd erwiderte Parnell: »Von unserem Geheimdienst. Er hat die Kugel natürlich längst genau untersucht. Aber Sie kennen die Einrichtungen dieses Apparats sicher gleichfalls. Es ist ja undenkbar, daß der amerikanische Geheimdienst weniger tüchtig ist als der unsrige.« Spiller kochte vor Wut und erwiderte grob: »Verschonen Sie mich mit Ihren Redensarten!« Er setzte die dunkle Schutzbrille auf, um selber das Schweißgerät zu bedienen, und schob den Engländer beiseite. Parnell wurde sehr ernst, aber sein Ton blieb verbindlich, als er dem Amerikaner vorstellte: »Warum wollen Sie sich die Mühe machen, Major? Ich habe in den ausführlichen Bericht des britischen Geheimdienstes Einsicht genommen und kann Ihnen alles Wissenswerte über diesen Apparat mitteilen. Da wäre es doch schade, wenn Sie sich durch Anwendung des Schneidbrenners der größten Lebensgefahr aussetzten und gleichzeitig auch diesen Apparat zerstörten, der sich doch fest in unseren Händen befindet und in den nächsten Tagen in aller Ruhe weiter untersucht werden kann. Schon jetzt steht aber fest, daß es sich um eine Rakete mit Atomtreibstoff handelt.« Spiller riß sich die Brille vom Gesicht und rief: »Das glaube ich nicht.« »Wir glauben es nicht nur«, fuhr Parnell fort, »sondern wir wissen es. Und die Verbrennungen, die sich unser unvorsichtiger Freund McLean zugezogen hat, sind ein Beweis dafür. Wenn Sie sich nun daranmachen wollten, die Außenhaut aufzuschweißen, würden Sie dadurch wahrscheinlich sehr bald die Kühleinrichtung in Betrieb setzen, die für die Verhältnisse des Weltraums berechnet ist und die Temperatur der Kugel in Sekundenschnelle fast auf den absoluten Nullpunkt senkt. Sie können sich vorstellen, daß dadurch alles Leben, das sich in der Nähe befindet, vernichtet werden würde, und selbst wenn die Kühlung infolge irgendwelcher glücklichen Umstände versagte, würden Sie sich beim Öffnen des Motors auf jeden Fall so schwere radioaktive Verbrennungen zuziehen, daß Sie kaum noch Zeit haben würden, das auszuwerten, was Sie entdecken. Ich selbst werde mich jedenfalls schleunigst entfernen, wenn Sie diesem gefährlichen Apparat ernstlich zu Leibe gehen wollen. Ich bin von unseren Atomfachleuten aufs dringendste gewarnt worden.« Der Amerikaner dachte einen Augenblick nach. Dann machte er noch einen schwachen Versuch, die Behauptungen des Engländers zu widerlegen: »Der deutsche Professor selbst hat doch nur Wasserstoffsuperoxyd und Alkohol angefordert. Von Atomkraftstoff war gar keine Rede.« »Den brauchte er auch nicht zu erwähnen, weil er davon noch genug an Bord hatte. Schauen Sie her! Durch das Bullauge hier können Sie bereits erkennen, wieviel Hebel sich an dem Motor befinden. Nach dem uns vorliegenden Bericht dient einer davon dem Zweck, den Atomkraftstoff zu den Düsen zu leiten oder wieder abzustoppen. Ein zweiter Hebel ist zur Betätigung des Raketentreibstoffs alter Art bestimmt. Ein dritter Hebel löst die Kühleinrichtung aus. Jenes runde Gerät dort mit seinem Kranz von Knöpfen ist
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wahrscheinlich die in unserem Bericht erwähnte Einrichtung zur Betätigung der einzelnen Düsen unabhängig voneinander. Sie sehen: eine verwirrende Fülle von Einzelheiten. Welcher Gefahr würden Sie sich aussetzen, wenn Sie diesen komplizierten Motor öffneten und dabei vielleicht einen der Hebel betätigten!« »Die Hebel muß man natürlich stehenlassen«, erwiderte Spiller. »Aber«, er seufzte, »wenn die verdammten Deutschen wirklich Atomkraftstoff benutzen... Ich habe mich von Anfang an gewundert, daß diese schwere Kugel mit Raketentreibstoff bewegt werden soll.« »Der dient nach unseren Informationen nur für den Start und für die Landung. Für den Höhenflug wird Atomenergie verwendet. Auf jeden Fall möchte ich Ihnen raten, zunächst den Bericht unseres Geheimdienstes anzufordern und zu studieren. Da Ihr CIC mit unserem Intelligence Service Hand in Hand arbeitet, wird man Ihnen das Dokument nicht vorenthalten.« Der Amerikaner schüttelte den Kopf. »Glauben Sie denn noch immer nicht«, fragte Parnell, »daß es sich wirklich um Atomenergie handelt? Deren Gefährlichkeit kennen Sie doch! An den Düsenauslässen hier unten sind ja Reste davon nachgewiesen. Denken Sie an McLean!« Spiller bedachte sich. »So gefährlich kann doch das Zeug nicht sein«, murmelte er. »Ich will mich wenigstens davon überzeugen. Man könnte irgendein Tier an den Düsen anbinden. Ist es morgen noch gesund, dann habe ich keine Angst vor dem Ding.« »Studieren Sie lieber erst unseren Bericht! Ich habe meine Pflicht getan. Good-bye!« Damit zogen sich die beiden Engländer von der gefährlichen Kugel zurück und schwangen sich auf ihre Motorräder. »Die Nomaden haben Schafe genug«, schlug einer der amerikanischen Offiziere vor, »wir können ja einen Hammel für den Versuch opfern.« Spiller hatte einen Entschluß gefaßt. »Natürlich«, erwiderte er. »Wir werden bei den Persern einen Hammel requirieren. Bitte, Hauptmann, übernehmen Sie das, und lassen Sie sich einen festen Strick mitgeben, damit Sie das Tier hier befestigen können! Bis morgen früh werden wir dann allerdings mit der weiteren Untersuchung warten müssen.«
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DIE FLUCHT Whitman hatte erkannt, daß er einen gewandteren und schnelleren Boten für den Transport seiner Nachrichten zum Telegraphenamt als Jussuf nicht finden würde. Und Jussuf hatte gern diesen Dienst übernommen, denn dadurch bekam er Gelegenheit, so oft er wollte, in die Wüste zu fahren und den Professor über die Vorgänge bei der Luna zu unterrichten. Er brachte auch jedes Telegramm des Engländers zunächst zu Habermann und ließ es begutachten. Der deutsche Gelehrte hatte schon ein paarmal ohne Wissen Whitmans kleine Korrekturen an den Manuskripten vorgenommen. So hatte er Einfluß auf die Geschehnisse, ohne sich selbst großer Gefahr auszusetzen. Als Jussuf an diesem Tage das Postamt verließ und sein Motorrad besteigen wollte, bremste neben ihm ein schwerer Lastzug: ein Tankwagen der Anglo-Iranian Oil mit zwei Anhängern. Der Fahrer erkundigte sich bei ihm nach dem Wege zu den Flugzeugen in der Wüste, denen er Treibstoff bringen sollte. »Da muß ich selber hin«, war die Antwort. »Setz dein Motorrad hier in den Raum zwischen Fuhrerhaus und Kessel und steig mit ein!« Das ließ sich Jussuf nicht zweimal sagen. Er dachte sofort an die leeren Tanks des deutschen Flugzeugs. Vorsichtig begann er unterwegs: »Fliegerbenzin ist 'ne feine Sache. Habt ihr nicht 'n paar Liter für mich übrig?« »Selbstverständlich, soviel du haben willst.« »Ich habe aber keine Kanister«, meinte er kleinlaut. »Hast du nicht gesehen? Zehn große Kanister haben wir unter den Anhängern baumeln. Die können wir alle verloren haben. Wir müssen sie nur verlieren, ehe wir den Flugplatz erreichen.« »Natürlich«, stimmte Jussuf eifrig zu. »Wir fahren bei unserm Zelt vorbei und hängen sie da ab. Das brauchen die andern nicht zu sehen.« *** Mit größter Aufmerksamkeit hatten die Männer vom Deutschen Atominstitut den Besuch der amerikanischen und englischen Offiziere bei der Luna beobachtet. Ihnen fiel ein großer Stein vom Herzen, als sie sahen, daß der Amerikaner auf die Verwendung des Schweißapparats verzichtete. Eine Stunde später kehrten die Amerikaner jedoch zurück und brachten einen blökenden Hammel mit. Sie zerrten das Tier in die Grube unter dem Raumschiff und banden es dort fest. Dann fuhren sie wieder davon. »Was soll das bedeuten?« fragte Frenzen. »Sie denken, die Rückreise nach Deutschland dauert lange«, meinte Martin lachend, »und wollen Professor Habermann mit Verpflegung versorgen.« Dr. Heise aber vermutete: »Der arme Hammel soll wohl ihr Versuchskaninchen für
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die Gefährlichkeit der Radioaktivität sein.« »Das glaube ich auch«, nickte Frenzen. »Sie wollen wohl nur sicher gehen. Wir müssen immer noch damit rechnen, daß sie den Apparat zu öffnen versuchen. Schade, daß wir das Tier seinem Schicksal überlassen müssen, das Leiden und langsamen Tod bedeutet.« »Gebratene Hammelkeule wäre nicht übel«, lachte Martin. »Aber wir brauchen trotzdem noch nicht zu verhungern. Ein paar Konserven haben wir ja zurückbekommen. Es ist Essenszeit!« Die Flugzeugbesatzung war damit beschäftigt, das Essen zu bereiten, als der Tankzug, geleitet von Jussuf, angerollt kam. Die deutschen Flieger machten begehrliche Augen, als er nicht weit von ihnen hinter Dr. Riedels Zelt hielt und dort in Sichtdeckung gegen das amerikanische Lager zehn große Kanister zurückließ. Von Heinz und Fatima, die ihnen bald danach Kaffee brachten, erfuhren sie, daß der Sprit für sie bestimmt war. Da brachten sie auf den tapferen Perser ein begeistertes Hoch aus. Aber wie kriegen wir das Benzin an Bord, ohne die Gendarmen und das ganze Lager zu alarmieren? Das war die Frage, über die sie sich den ganzen Nachmittag den Kopf zerbrachen. *** Spiller lief mit umgehängtem Fernglas herum. Er argwöhnte, daß die Engländer sich einen Schlüssel zur Luna verschafft hatten. Wie hätten sie sonst von der Konstruktion des Weltraumschiffes Kenntnis erlangen können? Einerlei, er hatte sich vorgenommen, in der nächsten Nacht einen amerikanischen Posten da draußen auszustellen. Tagsüber blickte er immer wieder durchs Glas hinüber. Der Nachmittag war unerträglich schwül. Gegen Abend zog im Südwesten eine Wolkenwand auf, die bald auch die Sonne verschlang, und kaum eine Stunde später entlud sich wieder ein Wärmegewitter über der Wüste. Ehe der Platzregen alles verhüllte, sah Niedermayer, der das Benzinlager nicht aus den Augen verloren hatte, wie der Polizeiposten in dem Zelt Schutz suchte. Er besann sich nicht lange. »Schnell das Benzin holen!« rief er seinen Kameraden zu. »Alle Mann an Deck!« Für die beiden deutschen Gelehrten war es ungewohnte Arbeit, die schweren Kanister zu schleppen. Aber sogar Heise, der den gebrochenen Arm noch immer in der Binde tragen mußte, ließ es sich nicht nehmen, einen Kanister zum Flugzeug zu bringen. Ehe das Unwetter vorbei war, konnten die Deutschen gerade noch die leeren Behälter wieder an ihren alten Platz hinter dem Zelt stellen. Und als der Gendarm ins Freie trat, fiel ihm keine Veränderung auf; er würde auch keine entdeckt haben, wenn es inzwischen nicht schon dunkel geworden wäre. Zehn Kanister - das war nicht viel für ein großes schweres Flugzeug, aber es würde wohl bis zum nächsten Flugplatz eines befreundeten Landes reichen. Die Deutschen waren naß bis auf die Haut. Schweiß und Regen dampften aus ihren Kleidern. Aber sie konnten sich keine Ruhe gönnen. Denn kaum war das Gewitter vorüber, da kam Heinz angetrabt und überreichte Professor Frenzen ein kleines Päckchen: »Vater schickt den Schlüssel zur Luna und bittet, wenn es irgend möglich ist, noch
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heute nacht die Tanks aufzufüllen.« Sofort machten sich alle erneut an die Arbeit. Ein leichter Wind trug die Geräusche des Lagers herüber, er verwehte jedoch das Geräusch der Spaten und der klappernden Kanister von der Arbeitsstelle der Deutschen zur anderen Seite in die Wüste. Nur wenn die Gendarmen auf ihrem Patrouillengang diese Außenseite abschritten, mußte man die Arbeit unterbrechen. Im Scheine des Mondlichts wurde der Treibstoff zunächst ohne Störung zur Luna gebracht. Dr. Heise, der einzige, der den Apparat genau kannte, kletterte hinein. Draußen unter der Kugel lag der Hammel, mit einem Strick an eine der Düsen gebunden, röchelnd am Boden. Das Tier war schwerkrank, ob nur von der ungewohnten Gefangenschaft oder infolge der Strahleninfektion, war schwer zu entscheiden. Heise hielt sich damit nicht auf. Er öffnete die Schraubdeckel des Alkohol- und des Wasserstofftanks und ließ sich die Kanister reichen, um sie hineinzukippen - alles mit einer Hand! Da zischte kaum hundert Meter entfernt eine Leuchtrakete hoch und verbreitete für einige Sekunden Tageshelle. Die Deutschen warfen sich zu Boden und warteten mit angehaltenem Atem, bis wieder Dunkelheit eintrat. Dann arbeiteten sie mit doppelter Eile weiter. Die Leuchtkugel war von einem amerikanischen Wachposten abgefeuert worden. Das Gewitter hatte die Ausstellung des Postens verzögert, und der junge Flieger, der dann mit Maschinenpistole, Handgranaten und Leuchtpistole zur Luna geschickt worden war, hatte die persische Polizeipatrouille getroffen, mit ihr eine Zigarette geraucht und sein Gewissen durch das Abschießen einer Leuchtkugel beruhigt. Die Gendarmen hatten mit begeisterten Bewunderungsrufen in das Geprassel und Geglitzer gestarrt, und auch der amerikanische Soldat war mehr geblendet als erleuchtet. Jedenfalls fiel ihm an der Luna nichts auf. Ihm graute vor dieser unheimlichen Kugel, er blickte lieber gar nicht hin. Er schloß sich den Persern auf ihrem Patrouillengang an. Als er sich kurz vor Mitternacht endlich ein Herz faßte, noch einmal eine Leuchtkugel vorausschickte und dann tapfer auf das Teufelsding losmarschierte, hatten die Deutschen ihre Arbeit längst beendet. Das leise Stöhnen des gefesselten Tieres war das einzige, was der Amerikaner nach seiner Ablösung dem Major Spiller melden konnte. Mit einer Erkrankung des Tieres hatte Spiller gerechnet. Er nickte nur mißmutig, drehte sich auf die andere Seite, daß das Feldbett krachte, und schlief weiter. Das Feuerwerk der Leuchtkugeln hatte den Persern außerordentlich gefallen. Als der amerikanische Posten bei der Luna morgens eingezogen wurde, umringten ihn die dienstfreien Gendarmen und viele Kinder. Er mußte ihnen die Leuchtpistole und ihre Munition zeigen und erklären. War es ein Wunder, daß Pistole und Munition im Laufe des Tages auf unerklärliche Weise verschwanden? *** Habermann ertrug es nicht mehr, in der engen Hütte bei Sebsewar zu sitzen und abzuwarten. Auch nachdem sich das Unwetter verzogen hatte, war sein Schlaf unruhig gewesen, und am frühen Morgen ging er zu Dr. Riedel. Der hatte sich von Libberlib eine Tasse Mokka auf türkische Art filtern lassen, so dick, daß der Löffel drin stehen konnte, und bereitete sich darauf vor, endlich einmal wieder seine Vormittagssprechstunde abzuhalten. Aber daraus wurde nichts. Habermann drängte so lange, bis der Arzt seinem Hausmeister Anweisung gab, den Wagen fertigzumachen und
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die Patienten fortzuschicken. Habermann wollte lieber jede Gefahr auf sich nehmen als die Ungewißheit länger ertragen. Beide Männer waren sich darüber im klaren, daß die Entscheidung unmittelbar bevorstand. Wenn Habermann zur Luna zurückkehrte, mußte er auch bald mit ihr starten oder Entdeckung befürchten. Und was wurde aus Riedel, wenn es den deutschen »Spionen« gelang, sich der Festnahme zu entziehen? Würde man ihn nicht dafür verantwortlich machen? Das waren die Fragen, die beide auf der langen Fahrt bewegten. »Kommen Sie mit nach Deutschland!« schlug Habermann vor. »Wir brauchen tüchtige Männer. Viele Millionen Umsiedler haben in Deutschland Arbeit, Brot und Obdach gefunden. Unser Land wird auch Sie mit offenen Armen aufnehmen, gerade Sie als Arzt.« »Obwohl ich die Dummheit begangen habe, eine Meldung an Reuter zu geben?« zweifelte Riedel. »Fehler machen wir alle«, beruhigte ihn Habermann. »Es kommt nur darauf an, daß wir sie einsehen und versuchen, sie wieder gutzumachen und ähnliche Fehler künftig zu vermeiden. Wer diese Grundsätze von Kritik und Selbstkritik anerkennt und danach handelt, der ist bei uns stets willkommen.« Als sie bei dem Zelt eintrafen, sahen sie an der Luna aus der ihnen lebhaft zugewinkt wurde. Riedel tat, als sehe zunächst Professor Habermann im Zelt verbergen. Aber kaum seinem Motorrad der Reuter-Korrespondent angeprescht, eine herschleppend.
eine Menschenansammlung, er es nicht, denn er wollte hielten sie dort, da kam auf dicke Staubfahne hinter sich
»Kommen Sie gleich mit, Doktor«, rief er, ohne abzusteigen, »Spiller hat gestern an der Luna einen Hammel angebunden. Das Tier ist schwerkrank. Sie werden ein gutes Werk tun, wenn Sie feststellen, daß es mit Atomzerfallprodukten infiziert ist.« Riedel seufzte: »Na schön. Ich fahre gleich hin; mein Besteck habe ich hier im Wagen.« Dann wandte er sich an Habermann, der noch neben ihm saß und durch das heruntergekurbelte Fenster die Hand seines Sohnes gefaßt hatte. »Steigen Sie aus!« flüsterte er ihm zu. Aber den deutschen Gelehrten zog es unwiderstehlich zu seiner Luna. Er erwiderte ebenso leise: »Ich komme mit; ich werde mich im Wagen verstecken. Wenn ich jetzt aussteige, sieht mich Whitman.« Heinz öffnete den Schlag und schlüpfte auf einen der Rücksitze. »Ich bin Ihr Diener«, lachte er. »Ich muß mit anfassen.« Der Junge legte die Arme um den Hals des Arztes und preßte seine Wange an dessen Gesicht. Da brummte Riedel nur noch etwas Unverständliches und ließ den Motor wieder anspringen. Whitman hatte bei dem Knattern seines Motorrades von dem Gespräch im Wagen nichts verstehen können. Jetzt folgte er besorgt der Spur des Autos. Als sie zur Luna kamen, bemächtigten sich Dr. Riedel und Heinz des Besteckkastens und öffneten ihn. Sie entnahmen ihm Gummischürze und -handschuhe, die der Arzt sorgfältig anlegte. »Zunächst, meine Herren«, so mahnte Dr. Riedel, »treten Sie ein paar Schritte zurück! Wenn es sich wirklich um Atomverbrennungen handelt, ist die Berührung, ja sogar die Nähe des infizierten Tieres gefährlich. - Noch einen Schritt!« bat er, als die Offiziere
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seiner Aufforderung nur widerwillig nachkamen. Dann beugte sich Riedel über das Tier, das unmittelbar vor der Luna lag und nur noch schwache Lebenszeichen von sich gab. Er zupfte am Fell des Hammels. Die Haare fielen fast von selbst aus. Die freigelegte Haut war schleimig erweicht. An einigen Stellen löste sie sich bereits vom Fleisch. An den Vorderbeinen lagen die Knochen bloß, weil das Tier gestrampelt hatte und dabei das zerstörte Gewebe abgefallen war. Riedel erhob sich und trat zu den Offizieren. »Es ist gar kein Zweifel«, so erklärte er ihnen, »daß es sich um radioaktive Verbrennungen schwerster Art handelt, wie man sie ganz ähnlich an den Menschen in Nagasaki und Hiroschima und an den Tieren auf dem Atoll Bikini nach dem amerikanischen Atombombenversuch beobachtet hat.« Er schilderte diese Symptome im einzelnen unter Hinweis auf das am Boden liegende Tier, das gerade in diesem Augenblick nach einem letzten Röcheln von den Leiden erlöst wurde, die der Amerikaner ihm auferlegt hatte. »Der Kadaver«, fuhr Dr. Riedel fort, »muß tief verscharrt werden, denn er verpestet die Umgebung nicht nur durch seine Verwesung. Wir werden ihn einstweilen in die Grube unter dem Weltraumschiff werfen, die ohnehin verseucht ist.« Spiller war neugierig zu dem toten Tier getreten. Er stieß mit der Stiefelspitze gegen seine Schnauze. »Verreckt«, stellte er fest. Dann ließ er seine Augen über den entstellten Kadaver schweifen. Ein Grauen kroch ihm über den Rücken. »Brrr!« schüttelte er sich. Mit einer abwinkenden Geste des Ekels trat er zu seinen Kameraden. Riedel reichte Heinz ein zweites Paar Gummihandschuhe und half ihm hinein. Dann packten beide zu und warfen den Kadaver in die Grube unter der Luna; dort würde er beim Start des Apparats in Atome zerblasen werden. Nur eine flache Erdgrube würde zurückbleiben, die vielleicht noch einige Zeit etwas radioaktiv, aber kaum mehr eine Gefahr für die Wüstenbewohner sein würde. Der kleine persische Diener des Arztes hatte bei den Amerikanern keinen Argwohn erregt, und Habermann hatte sich im Wagen geduckt, so gut es ging. Für ihn stand es fest, daß er in der nächsten Nacht mit der Luna starten würde. Aber dazu mußte er mit der Flugzeugbesatzung in Verbindung treten, und der persische Polizeiposten ließ leider, außer den Kindern, niemand zu den Deutschen hinübergehen. Heinz litt nach der Rückkehr ins Zelt an einem plötzlichen Unwohlsein, war sehr schwach und hatte Kopfschmerzen. Daher mußte Fatima mit schriftlichen Botschaften die Vermittlerin spielen. Auf diese etwas umständliche Weise wurde verabredet, daß Habermann, sobald die Dunkelheit einsetzte, mit seinem Sohn und mit Dr. Riedel zum Flugzeug schleichen sollte. Von dort würde der Professor dann in Begleitung Martins mit dem Schutzanzug, dem Strahlensuchgerät und dem sonstigen Werkzeug zur Luna gehen. Sobald dort alles in Ordnung gebracht wäre, sollte Martin den Schutzanzug zum Flugzeug zurückbringen. Eine Viertelstunde später würde Habermann durch Blinkzeichen mit der Taschenlampe anzeigen, daß er in wenigen Minuten starten werde. Dann würden die Propeller angeworfen werden, und das Flugzeug sollte zugleich mit dem Weltraumschiff in die Nacht hinaus starten. Leider kann man bei einem so schwierigen Unternehmen nicht alle Störungen vorausberechnen, die unter Umständen eintreten können. Die erste Schwierigkeit bildete die Tatsache, daß Spiller die Bewachung des Weltraumschiffes verschärft hatte. Er hatte ein
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Auto bis auf 50 m an die Luna heranfahren lassen, so daß diese im Scheinwerferlicht stand. In dem Wagen saßen, soweit man das vom Zelt und vom Flugzeug aus beurteilen konnte, außer dem Fahrer zwei Amerikaner, von denen ab und zu einer zur Luna ging und dann zum Wagen zurückkehrte. Die zweite Erschwerung brachte die Erkrankung des jungen Habermann. Er wurde von Fieberfrösten geschüttelt, und Dr. Riedel hielt seinen Zustand für ernst. Um radioaktive Schädigungen handelte es sich aber nicht. Heinz konnte natürlich nicht zurückgelassen werden. Der Arzt war schon vorher halb entschlossen gewesen, mit nach Deutschland zu gehen. Jetzt wußte er: Er würde den Kranken nach Haus begleiten. Jussuf, der ein Telegramm zur Stadt gebracht hatte, hielt zu kurzem Besuch bei Riedels Zelt. Habermann teilte ihm seine Sorgen mit: Wie konnte er zu der von den Amerikanern bewachten Luna gelangen? »Wir müssen die Amerikaner ablenken«, meinte der junge Perser. »Aber wie?« Mehrere Vorschläge wurden erwogen und verworfen. Schließlich sprang Jussuf auf: »Ich hab's! Wir kokeln den Amerikanern ihr Zelt über dem Kopf ab. Dann haben sie mit sich zu tun und können sich nicht um die Luna kümmern.« »Und wenn man Sie dabei erwischt?« »Mich?« Der Perser lachte. »Ich bin gar nicht dabei. Das macht unsere Jugendgruppe, die schon lange darauf brennt, sich praktisch zu betätigen, besonders wenn es gegen die Amerikaner geht. Fast alle unsere Jungen aus Sebsewar lungern seit vorgestern hier herum. Heute haben sie den Amerikanern eine Leuchtpistole samt Munition wegstibitzt. Ich habe noch ein paar Kanister Benzin, die lasse ich mir von den Jungen wegnehmen. Kann ich dafür, wenn einer von ihnen das Benzin bei dem Amerikanerzelt auskippt und wenn nachher von weitem eine Leuchtkugel in das benzingetränkte Zelt zischt? Es wäre das beste, wenn Sie jetzt gleich hinter mir aufs Motorrad klettern und ich Sie zu dem deutschen Flugzeug bringe. Der Gendarm kann uns...« Er mutete dem braven Mann die gleiche Handlung zu, die Götz von Berlichingen nach dem Zeugnis Goethes dem Kaiser anriet. »Doktor Riedel und Ihr Sohn müssen nachher den allgemeinen Tumult benutzen, um das Flugzeug zu erreichen«, meinte Jussuf abschließend. Der Plan war gewagt, aber der Perser ließ ihnen keine Zeit zu langem Überlegen. Er zerrte den Professor mit hinaus, wechselte ein paar Scherzworte mit dem Gendarmen und trat auf den Starter. Knatternd sprang der Motor an. Jussuf saß auf und zog den Professor hinter sich. Schon fegte das Motorrad davon und im Bogen zu dem deutschen Flugzeug hin. Als der Polizist das merkte, rief er zwar »Halt, halt!«, aber es war zu spät. Der Gendarm wußte, daß es ein aussichtsloses Unternehmen sein würde, auf das Geknatter im Dunkeln etwa zu schießen. Er dachte gar nicht daran. Fatima vergoß bittere Tränen, als sie erfuhr, daß die Abschiedsstunde geschlagen habe. Die wenigen Tage des Zusammenlebens mit den Deutschen hatten ihr eine neue Welt erschlossen. Besonders aber war sie geistig gewachsen an den Aufgaben, die ihr zur selbständigen Erfüllung übertragen worden waren. Und nun sollte sie wieder in das dumpfe Zelt ihres Vaters zurückkehren? Für die Deutschen in Riedels Zelt und im Flugzeug schlichen die Stunden unerträglich langsam dahin. Würde Jussufs Plan gelingen? Heinz lag im Fieber. Seine Zähne klapperten. Fatima flößte ihm kühlen Scherbet ein.
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Da blitzte draußen in der Nähe des Amerikanerzeltes eine Leuchtkugel auf; sie brannte auf dem Erdboden ab. In ihrem Schein wimmelten dunkle Gestalten um das Zelt. Da zischte es wieder, ein zweiter Brand loderte auf dem Felde und bald ein dritter. Jetzt züngelte eine Flamme empor, hohe Stichflammen folgten, und schon bildete das ganze Zelt eine wabernde Lohe. Feuerfetzen flogen hoch in den Himmel. Darüber aber entfalteten sich immer mehr Leuchtraketen: weiße, rote, grüne. Es war ein großartiges Feuerwerk, das alle Augen auf sich lenkte. Nur Habermann und Martin achteten nicht mehr darauf. Sie hatten längst bereitgestanden und hasteten nun zur Luna hin, keuchend unter der Last, die sie zu schleppen hatten. Jetzt zuckte der Scheinwerfer über sie hin, denn der Fahrer des amerikanischen Wagens wendete zu dem brennenden Zelt hin und fuhr davon. Die Luna lag im Dunkel. Aber die beiden Deutschen waren schon ganz nahe. Hastig streifte Habermann den Schutzanzug über. Er kletterte in die Luna und ließ sich das Werkzeug reichen. Sorgfältig untersuchte er die Kugel innen und außen mit dem Strahlensuchgerät. Im Schein der flackernden Lohe konnte er erkennen, daß zwar an den Düsen in der Grube ein leichter Ausschlag der Nadel erfolgte, daß aber lebensgefährliche Strahlungen sonst nirgends auftraten. Da zog er den schweren Schutzanzug aus. In dem Augenblick, da er ihn dem draußen wartenden Martin zureichen wollte, sprangen die Flugzeugmotore an. »Zu spät!« rief der Professor. »Sie kommen nicht mehr rechtzeitig zum Flugzeug. Sie müssen mit mir reisen.« »Jawohl, Herr Professor!« Martin war hocherfreut über die Reise im Weltraumschiff, von der er schon oft geträumt hatte. Er zitterte vor Erwartung, als er hineinkletterte. Habermann schaltete das Radargerät ein und legte die Kopfhörer an. Zu seiner Genugtuung hörte er alsbald das Zeichen des Senders vom Atominstitut. Jetzt kam es nur darauf an, daß der Motor einwandfrei ansprang und lief. Sorgfältig schloß er den Einstieg, schaltete den Luftreiniger ein und gab dann durchs Fenster das Blinksignal mit der Taschenlampe. Drüben hatte man ihn verstanden und zeigte das Gegensignal. Die Flugzeugmotoren heulten lauter. Die Flieger waren sich wohl darüber im klaren, daß sie auf Martin nicht mehr warten konnten, sondern ihn seinem Schicksal überlassen mußten. Erleichtert seufzte Habermann auf. Er schob Martin auf einen der Sessel und setzte sich ihm gegenüber. Mit einem letzten Blick auf den bereits sinkenden Brand des amerikanischen Zeltes und einem stillen Dank an den treuen Helfer Jussuf drückte er den Starthebel nieder. *** Als das Feuerwerk bei dem Amerikanerzelt begann, hatte Riedel den Jungen aufgerüttelt: »Wir müssen zum Flugzeug!« Während sich Heinz mit Fatimas Unterstützung mühsam aufrappelte, ergriff der Arzt den bereitgestellten Kasten mit Instrumenten und Heilmitteln und trat vors Zelt. Er tauschte mit dem Gendarmen Vermutungen über das aus, was da drüben vor sich ging. Hinter ihm wankten die beiden Kinder aus dem Zelt, fest aneinandergeschmiegt, Heinz von einer Decke umhüllt. Der persische Polizist, dessen Augen wie gebannt an dem lodernden Brande
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hingen, achtete nicht darauf, daß sich die Kinder zu dem Flugzeug hin entfernten. Als sich jetzt mit lauten Rufen die Patrouille näherte, ging er ihr entgegen. Diesen günstigen Augenblick benutzte Riedel, um hinter Heinz und Fatima herzueilen. Er nahm den Jungen auf dem Arm und schritt rüstig aus. »Geh zurück, Fatima!« keuchte er. Aber das Mädel hatte seinen Entschluß gefaßt: »Ich bleibe bei Heinz.« Frenzen stand wartend an der Einstiegtreppe. Er nahm dem Arzt den Knaben vom Arm und brachte ihn in die Kabine. Auch Fatima hatte schon einen Fuß auf die Treppe gesetzt, da tauchte unter ihr eine dunkle Gestalt auf; sie stieß einen Schrei aus. Aber es war nur Henning, der das Fahrgestell kontrolliert hatte. Lachend trug er das aufgeschreckte Kind hinauf und setzte es neben Heinz, den Professor Frenzen in einen Sessel gebettet hatte. Als letzter kam der Arzt, schwer atmend unter der Last seines Besteckkastens. Man wartete auf Martin und auf das Zeichen von der Luna. Unsäglich langsam schlichen die Minuten. Niedermayer ließ die Motoren anwerfen. Einer nach dem anderen begann sein Lied, keiner versagte; erleichtert hörte der Flugkapitän sie singen. Aber Martin kam noch nicht, obwohl der Brand des amerikanischen Zeltes schon am Erlöschen war. Da, die Stimme des Funkers: »Blinkzeichen von der Luna!« Niedermayer blickte hinaus. Wahrhaftig, Habermann gab das verabredete Signal. Dann konnte man nicht mehr auf Martin warten. Er steigerte die Umdrehungszahl der Motoren. »Antwortzeichen an Luna geben!« »Verstanden!« antwortete der Funker. Alle schauten zur Luna hinüber. Da: ein Feuerschein, eine Erschütterung, ein Knall und ein durchdringendes Zischen. Mit einem glühenden Schweif wie ein Komet enteilte die Luna in die Nacht. Niedermayer zögerte nicht mehr; er wollte sich nicht der Gefahr aussetzen, von den Amerikanern festgehalten oder wenigstens beschossen zu werden. »Einstieg schließen. Bremsen los!« Schon kamen die Antworten: »Einstieg geschlossen!« - »Bremsen sind los!« Laut aufheulten die Motore und erschütterten das ganze Flugzeug. Der Scheinwerfer zitterte voraus und tastete das Feld ab. Stoßend begann sich der Apparat vorwärtszubewegen. Bald aber hörte die Erschütterung auf: die schwere Maschine mit ihrer Menschenfracht schwebte, hob sich. Niedermayer nahm Kurs auf die Heimat. Aber mit wenig Benzin in der Nacht nur nach dem Kompaß fliegen... »Suchen Sie Verbindung mit dem nächsten sowjetischen Nachtflughafen !« forderte Niedermayer den Funker auf. Nach wenigen Minuten hatte dieser das Erkennungszeichen des Flugplatzes Baku in den Kopfhörern.
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»Gut«, entschied der Flugkapitän, »melden Sie hinunter, daß wir in Baku landen und tanken wollen!« *** Heinz lag im Fieber. Nur undeutlich erkannte er die Gesichter Dr. Riedels und Fatimas, die sich um ihn bemühten. An dem festlichen Empfang, der dem deutschen Flugzeug und seinen Insassen morgens in Baku bereitet wurde, konnte er nicht teilhaben. Nur wie ein fernes Brausen drangen die Rufe von draußen an sein Ohr. Als man ihn in sein heimatliches Bett legte, rief ihn die Berührung mit dem frischen kühlen Linnen für kurze Zeit voll ins Bewußtsein zurück. Er erkannte das besorgte Gesicht des Vaters, die brennenden Augen Fatimas und die vertraute Gestalt Dr. Riedels. Aber nur von weit her vernahm er die Stimme des Arztes: »Wahrscheinlich Flecktyphus, übertragen durch die Läuse. In wenigen Tagen werden wir es genau wissen.« Dann verfiel Heinz wieder in unruhigen Schlaf. Und das Fieber stieg und gaukelte dem Jungen schreckliche Bilder vor. Er rief nach dem Vater, aber wenn der an sein Bett trat, erkannte er ihn nicht. Die Arbeit des Vaters war es, um die die Gedanken des Kranken immer wieder kreisten. In gesunden Tagen hatte er gelernt, daß eine Beschleunigung von Körpern über die Geschwindigkeit des Lichts hinaus unmöglich war, und daß kein Mensch aus der Zeit herausgelangen konnte, in der er lebte. Aber im Unterbewußtsein haftete dieser Gedanke immer noch, und jetzt, da die Krankheit die Kontrolle des Bewußtseins über das Denken aufgehoben hatte, kehrte diese Phantasie immer zurück: Der Vater war in eine andere Zeit gereist und nicht zurückgekommen! Wo war der Vater?
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SPARTACUS Professor Frenzen hatte einen neuen Stoff entdeckt, dessen Atomzerfall noch größere Energien entwickelte als die bisher bekannten Treibstoffe. Damit konnten die Weltraumschiffe bis zur Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Darüber hinaus aber war es Professor Habermann unter Verwendung des Resonanzprinzips sogar gelungen, Strahlenschwingungen »hinaufzuschaukeln«, so daß er Körper auch noch über die Lichtgeschwindigkeit hinaus in Bewegung zu setzen vermochte. Und nun war Habermann mit der Luna zu seiner ersten Reise ins Altertum gestartet. Als Ziel hatte er einen Punkt in Mittelitalien etwa hundert Jahre vor dem Auftreten des Jesus von Nazareth gewählt, weil er die Weltsprache jener Zeit, das Lateinische, einigermaßen beherrschte. Aber er hatte nur drei Tage fortbleiben wollen, und diese Frist war abgelaufen. Heinz wußte, daß der Vater eine Kopie seiner Berechnungen für die Fahrt der Luna ins Altertum und auch Tabellen für eine Hilfsexpedition mit dem »Mars« zurückgelassen hatte für den Fall, daß er nicht zur festgesetzten Zeit zurück sei. Dr. Heise konnte mit seinem gebrochenen Arm diese Reise nicht unternehmen. Er selbst, Heinz, mußte den Vater retten! Rastlos suchte er in des Professors Schreibtisch nach den Berechnungen. Dabei fiel ihm der Schlüssel zum Panzerschrank in die Hände. Er ging ins Laboratorium und fand dort im Safe endlich die Tabellen. Aber Professor Frenzen machte große Schwierigkeiten, und erst den vereinten Bitten von Dr. Heise, Martin und Heinz gelang es, den Leiter des Instituts zur Hergabe des neuen Treibstoffs für die Fahrt des »Mars« zu veranlassen. An den Start und an die Fahrt erinnerte sich der Junge nicht mehr. Der Stoß mußte wohl so stark gewesen sein, und alles mußte so schnell gegangen sein, daß er während dieser Zeit bewußtlos war. Aber jetzt schien hell die Sonne durch das enge Bullauge in den »Mars«. Mit größter Mühe öffnete Heinz die schwere Stahlklappe über seinem Haupte und blickte hinaus. Eine unbekannte Landschaft umgab ihn: ein wildzerklüftetes Felsgebirge, bedeckt von dichten Wäldern, Eichenwäldern mit Blättern von etwas anderer Form, als wir sie in Deutschland gewöhnt sind. Zwischen den hohen Stämmen standen kleinere Bäume und Büsche mit lederartigem Laub von tiefgrüner Farbe: immergrüne Gewächse. Bei näherem Zusehen kamen dem Jungen einige bekannt vor: Das kleinblättrige Gebüsch war sicher Myrte; es war über und über mit kleinen weißen Blüten bedeckt. Und das Bäumchen daneben war wohl der dem Kunstgott Apollon heilige Lorbeer. Ganz genau aber kannte Heinz jene schlanken Gerten, die an dem kleinen Wasserrinnsal ein dichtes, süß duftendes Gebüsch bildeten: Oleander. Würzig roch es von den kleineren Pflanzen, die auf dem Boden einen schwellenden Rasen webten: Minze und Thymian und viele andere. Der »Mars« lag am Rande eines Lorbeerbusches, vor ihm senkte sich eine Alm ziemlich steil ab. Es war ein Wunder, daß die Kugel nicht hinabgerollt war. Heinz kletterte hinaus und arbeitete sich durch das dichte Gestrüpp hindurch bis zu einem Felsen, der am Hang emporragte. Als er näher kam und hinaufschaute, um eine Aufstiegmöglichkeit zu suchen, stand oben eine Ziege und äugte auf ihn nieder. Plötzlich entfloh sie mit einem blitzschnellen Satz nach der anderen Seite.
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Mit Mühe erklomm der Junge den Fels und suchte mit den Augen die nächste Umgebung nach dem Hirten ab. Aber er konnte nirgends die Spur eines menschlichen oder überhaupt eines lebenden Wesens entdecken. Es war wohl eine wilde Ziege gewesen, die ihn als erste Botin des Naturgottes Pan begrüßt und ihm fast einen panischen Schrecken eingejagt hatte. Als er die Blicke weiter schweifen ließ, bemerkte er am jenseitigen Hang des Tales ein silbernes Glänzen im Laub. Eine Bö strich über den Wald und öffnete für einen kurzen Augenblick den Blätterschleier. Da schien es Heinz, als liege dort drüben eine Metallkugel. Mit vor Erregung klopfenden Pulsen stieg er von seinem Beobachtungsposten und rutschte in das Bachtal hinab. Das Wasser war nicht tief, er konnte von Stein zu Stein springend hinübergelangen. Aber dann begann ein anstrengender Aufstieg und ein lange vergebliches Suchen. Erst gegen Abend fand Heinz die Kugel; es war die Luna. Der Vater war also fast an der gleichen Stelle gelandet wie Heinz. Aber der Professor selbst war nicht dort, und keine Spur deutete daraufhin, in welcher Richtung er sich entfernt hatte. ein.
Erschöpft setzte sich der Knabe auf einen der Sessel in der Luna und schlief sofort
Quälender Durst weckte den Jungen. In der Ledertasche neben seinem Sitz fand er eine Flasche, die er gierig an den Mund setzte. Sie enthielt Zitronensaft. Dankbar gedachte er des Vaters, der ihm ein Frühstück hinterlassen hatte. Aber zugleich überfiel ihn auch wieder peinigend der Gedanke: Wo ist der Vater? Heinz raffte sich auf und kletterte durch den Wald aufwärts, bis er zu einem Weg, einer schmalen Straße, gelangte. Von der Anstrengung war er noch in Schweiß gebadet. Sollte er nun der Straße folgen? Und in welcher Richtung? Er entschloß sich, nach links zu gehen, wo sich der Weg allmählich abwärts neigte. Aber er hatte kaum ein paar Schritte getan, da sprangen aus dem Gebüsch zwei Männer, von denen einer ihm einen Sack über den Kopf warf. Heinz fühlte sich von beiden Seiten gepackt und mitgezerrt. Es ging bald über Stock und Stein, bald auf gebahntem Wege, meist abwärts. Schließlich fühlte er eine Schwelle unter seinen Füßen, dann glatten Steinboden, und am Hall der Schritte erkannte er, daß er in ein Haus geschleppt wurde. Er hörte mehrere Männer in einer Sprache reden, die ihm zunächst fremd erschien. Dann aber verstand er einzelne Worte: sie sprachen Latein! Nur mußte er sich erst daran gewöhnen, denn die Männer verschluckten fast alle Endungen, auf die doch sein Lateinlehrer in der Schule so großen Wert gelegt hatte, und das C klang bei ihnen immer wie K. Der Sack wurde ihm abgenommen. Er stand vor einem spitzbärtigen Mann mittleren Alters, der auf einem Sessel mit Armlehnen, aber ohne Rückenstütze saß und von den anderen mit dem Namen Spartacus angeredet wurde. Da wußte Heinz, wen er vor sich hatte: den Führer des großen Sklavenaufstandes, der drei Jahre lang die stolzen Römer in Angst und Schrecken versetzte. Aber ihm flößte dieser Mann keine Furcht ein. Stand er doch dem geliebten Freiheitshelden gegenüber, von dem er schon in der Schule so viel gehört hatte, und den er sich zum Vorbild erwählt hatte. Dies also war Spartacus, den einst Rosa Luxemburg zum Taufpaten der ersten deutschen Organisation aufrechter Freiheits- und Friedenskämpfer, der Keimzelle der Kommunistischen Partei Deutschlands, gemacht hatte. In neugieriger Ehrfurcht betrachtete Heinz diesen Mann, der einen Brustharnisch und darunter nur eine kurze Tunica, ein Soldatenhemd, trug. An die Füße hatte er Ledersohlen
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mit Riemen gebunden; die Vorderseite der Unterschenkel war durch Beinschienen geschützt. Den rechten Arm stützte Spartacus auf die Marmorplatte eines kleinen Tisches, auf dem sein Schwert und sein Helm lagen. »Wer hat dich ausgeschickt, uns auszukundschaften?« fragte der Sklavenbefreier. »Nemo, niemand«, erwiderte Heinz. Aber mit diesem einen Wort war auch sein Latein erschöpft, er fuhr in seinem geliebten Deutsch fort: »Ich suche meinen Vater.« »Was spricht er für eine Sprache?« Spartacus hatte diese Frage an einen der beiden Männer gerichtet, die Heinz hereingeführt hatten, einen Riesen mit blondem Vollbart und nacktem Oberkörper, nur mit einer komischen langen Hose bekleidet. »Er scheint Germane zu sein«, antwortete der Mann lächelnd, »aber von einem anderen Stamm als dem meinigen.« Heinz nickte eifrig; »Germanus sum, ich bin Deutscher.« Da legte ihm der blonde Hüne die Hand auf die Schulter und fragte in einem Dialekt, der entfernt an das heutige Oberbayrisch anklang: »Wo bist du geboren? Wer ist dein Vater?« So deutlich, wie es hier geschrieben steht, verstand der Junge die Frage allerdings nicht, er konnte ihren Sinn nur erraten und antwortete deutsch: »Ich bin aus Berlin, und mein Vater ist Professor Habermann.« Der Germane schaute ihn mit offenem Munde an und zuckte hilflos die Schultern. Spartacus aber hatte ein Wort aufgefangen: »Sagt er nicht: Professor?« »Mein Vater«, erwiderte Heinz lateinisch an Stelle des Germanen. »Ah, ein Professor, ein Gelehrter, aus Germanien?« Heinz nickte. »Und was tut er hier in den Samnierbergen? Ist er Sklave oder freigelassener Klient eines Römers?« Der Junge schüttelte den Kopf und suchte nach einem passenden Wort; schließlich fand er es: »Er forscht.« Spartacus runzelte die Stirn, so daß sich seine dunklen Brauen über der Nase fast berührten: »Er forscht uns aus, kundschaftet uns aus?« Seine hellgrauen Augen sprühten Zornesfunken. Nochmals schüttelte Heinz den Kopf; er zählte auf: »Er erforscht Länder, Völker, Tiere, Pflanzen...« »Du kannst ganz gut Latein.« »Wenig.«
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Spartacus lächelte wieder und sagte zu den beiden andern Männern: »Er scheint wirklich ein Germane zu sein. Es ist nur erstaunlich, daß er behauptet, sein Vater sei ein Gelehrter, der eine Forschungsreise macht. Seit wann haben die Germanen so gelehrte Männer? Aber einerlei! Wenn er Germane ist, so ist er kein Römer. Und wenn er ein Römerfreund wäre, dann könnte er besser Latein. Sag mir nur«, so wandte er sich von neuem an Heinz, »wo ist dein Vater?« »Nescio, ich weiß nicht«, erwiderte der Junge. Wiederum fehlten ihm die Worte, und er ersetzte sie durch eine drastische Handbewegung, die Spartacus auch richtig verstand. »Verschwunden?« Heinz nickte. »Seit wann?« »Es sind drei oder vier Tage. Er ist hier in den Wald gegangen und - verschwunden.« »Meine Freunde suchen das ganze Gebirge ab, und die Holzknechte und die Hirten sind mit uns im Bunde. Wird dein Vater gefunden, so wird man ihn hierherbringen, wie man dich hergebracht hat. Aber ich fürchte, daß er den Römern in die Hände gefallen ist, denn bis gestern streifte hier eine Cohorte des Prätors Cnaeus Caecilius Metellus, den der römische Senat ausgeschickt hat, die in Capua und in ganz Campanien entlaufenen Sklaven wieder einzufangen. Das gelingt ihm zwar nicht, aber um so willkommenere Beute wird ihm ein germanischer Professor sein. Mach kein so trauriges Gesicht! Wir sind dem Metellus auf den Fersen und jagen ihm die wenigen Gefangenen, die er gelegentlich macht, wieder ab.« »Ich möchte selbst lieber nach meinem Vater suchen.« Spartacus lächelte und skandierte wie ein Rezitator: »Necprid expectes amicos, quod tu agere possies. Erwarte nichts von deinen Freunden, was selbst zu tun du fähig bist.« Am Tonfall erkannte Heinz, daß das ein Vers war. Daher fragte er neugierig: »Hat das ein Dichter gesagt?« »Jawohl, Quintus Ennius hat es geschrieben, und du willst danach handeln, aber es paßt schlecht auf deinen Fall. Was kannst du, Knabe, allein ausrichten? Non omnia possumus omnes, wir können nicht alle alles.« »Ist das nicht schon wieder ein Vers?« »Er ist es«, lachte Spartacus, »und er stammt von dem Dichter Caius Lucilius. Ich freue mich, daß du ein feines Ohr für die Schönheit der Sprache hast. Bald wirst du lateinisch sprechen wie ein Römer. Und wenn du bei uns bleibst, werde ich dir Unterricht in einer noch schöneren Sprache erteilen: der Sprache Homers, Anakreons und Sapphos.« Heinz wunderte sich, daß ein entlaufener Sklave soviel literarische Bildung besaß und in dem wilden Räuberleben, das er jetzt zu führen gezwungen war, die Neigung verspürte, Verse zu zitieren. »Haben wir eine Kammer für den Knaben?« wandte sich Spartacus an den blonden Bären, und als er nickte, forderte er Heinz auf: »Folge deinem germanischen Landsmann!« Der Junge zögerte noch; der Rebellenführer ließ es aber nicht zum Widerspruch
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kommen. Er mahnte: »Bleib bei uns! Nescis quid vesper serus vehat, du weißt nicht, was der späte Abend bringen mag, - sagt Varro.« *** Das Haus, das Spartacus zu seinem Standquartier erwählt hatte, war die Villa eines reichen römischen Adligen, des Marcus Scribonius Largus. Die Gutssklaven hatten sich dem Heere der Aufständischen angeschlossen, der Verwalter des Scribonianums, ein Freigelassener, war mit seiner Familie zu seinem Herrn nach Rom geflohen. Da die Villa nicht verteidigt und sofort von dem Oberbefehlshaber selbst besetzt worden war, so hatte sie keine erheblichen Beschädigungen erlitten. Küche und Keller waren gut versehen und wurden von ehemaligen Haussklaven versorgt, die zurückgekehrt waren, um ihrem selbstgewählten Anführer aufzuwarten. Der antike Herrensitz glich einer Burg. Er lag auf einem Ausläufer der Berge Samniums nicht weit von der Stelle, wo die Appische Straße den Caudinischen Paß überschreitet. Von der offenen Terrasse des Hauses konnte man weit in die fruchtbare Ebene Campaniens hineinschauen und ein langes Stück jener berühmten Heerstraße mit den Augen beherrschen. Bei klarem Wetter waren die beiden reichen Städte Capua und Nola zu sehen und zwischen ihnen am Horizont der kegelförmige Vesuv, hinter dem man das Tyrrhenische Meer nur ahnen konnte. Ein Feldherr, der Campanien erobern wollte, hätte keinen günstigeren Ausgangspunkt wählen können als das Scribonianum. Das Hauptgebäude hatte die übliche Form des römischen Hauses. Von der Straße aus sah man nur eine hohe Mauer mit einer einzigen Unterbrechung, nämlich der schmalen Tür und dem Fensterchen des Pförtners daneben. Diese kahle Mauer ließ kaum den Reichtum vermuten, mit dem das Innere verschwenderisch ausgestattet war. Selbst in der kleinen Kammer des Oberstocks, die Heinz bewohnte, waren die Wände so kunstvoll bemalt, daß man den Eindruck hatte, man könne durch die Mauer hindurch in eine herrliche Landschaft sehen. Obwohl die Kammer keine Fenster hatte, konnte man an einer Seite wirklich in die Landschaft hinausblicken, nämlich dort, wo die Tür zur offenen Terrasse führte. Und von draußen drang am nächsten Morgen lautes Geschrei und Hufgetrappel an das Ohr des Knaben. Er lief hinab zu sehen, was es gebe, und fand vor dem Hause ein Getümmel von Menschen und Tieren. Ein baumlanger Kerl in der schmucken Offiziersrüstung eines römischen Centurionen gab Befehle, worauf ein Teil des Zuges in den benachbarten Wirtschaftshof des Gutes einrückte. Dann kam dieser Anführer zum Tor der Villa, auf deren Schwelle in Mosaik das Grußwort »Salve« eingelegt war. Jetzt, da er den Mann näher sah, erschrak Heinz vor den vielen Narben, die dessen Gesicht entstellten, und vor einer furchtbaren Wunde im linken Oberarm, die kaum verheilt war, - Spuren des früheren Gladiatorenberufs. Der Türhüter führte den Mann zu Spartacus, der im Tablinum, dem gedeckten Empfangsraum zwischen dem offenen Atrium und dem mit gärtnerischen Anlagen geschmückten Peristylium, saß und Briefe schrieb. Hier hatte auch Heinz gestern vor dem Sklavenführer gestanden. Um nicht zu stören, blieb der Knabe jetzt im Atrium neben dem Impluvium, dem Wasserbecken unter der viereckigen Dachöffnung. »Salve, Astyanax, sei gegrüßt!« rief Spartacus dem Neuankömmling entgegen. »Was bringst du Neues, alter Kamerad?«
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»Wir haben einen großartigen Fang gemacht. Rate, wen ich dir bringe!« »Spanne mich nicht auf die Folter!« »Das ist meine Rache für den Hieb, den du mir hier über das ganze Gesicht gezogen hast.« »Aber Astyanax, ist der nicht längst ausgeglichen durch Hiebe, die du mir versetzt hast, und die mich an den Rand des Grabes gebracht haben? Waren wir nicht Sklaven und Gladiatoren? Was ich dir tat, ich habe es dir unter unausweichlichem Zwang angetan, unter der Fuchtel des Sklavenhalters Lentulus Battuatus und seiner unmenschlichen Kerkermeister.« »Und wir würden uns wahrscheinlich eines Tages gegenseitig umgebracht haben, wenn wir nicht endlich erkannt hätten, daß wir diesen Zwang nicht länger dulden durften. Und daß wir das eingesehen haben und nun wieder freie Männer sind, das verdanken wir dir, Spartacus, und darum wird dein Name unsterblich sein!« Der andere lächelte: »Nicht so große Worte, Freund! Sag mir lieber, wen du gefangen hast.« »Der schlimmste Bluthund des Lentulus, der Freigelassene Kalendio, ist mir heute in die Hände gefallen.« »Wie, Kalendio, der Oberaufseher der Capuaner Gladiatorenschule?« »Derselbe. Die Cohorten des Metellus hatten eine ganze Schar Sklaven wieder eingefangen, und Lentulus hatte seinen Kalendio ausgeschickt nachzusehen, ob nicht einige seiner Gladiatoren darunter wären, und aus der Zahl der übrigen solche auszuwählen, die für seine entflohenen Gladiatoren als Ersatz dienen könnten, unter dem Schutz eines ganzen Manipels Soldaten war er nun mit all den eingefangenen Sklaven unterwegs nach Capua. Aber der Centurio, der die Wachmannschaft befehligte, war ein Esel. Er hielt es nicht für nötig, den Hohlweg, über dem wir versteckt lagen, vorher aufzuklären, ehe er hineinmarschierte. Übrigens schade um den Mann, er hat sich gewehrt wie ein Gladiator, bis er so erschöpft war, daß ich ihm den Fangstoß geben konnte, den uns Kalendio gelehrt hat. Und er hat nicht um Gnade gewinselt, wie die meisten Offizierchen in solcher Lage tun. Wie steht mir seine Rüstung, he?« Spartacus tat ihm nicht den Gefallen, seiner Eitelkeit zu schmeicheln, sondern fragte sachlich: »Und die andern?« »Soweit sie nicht als Speise für die Geier in dem Hohlweg liegengeblieben sind, habe ich sie mitgebracht. In wenigen Tagen werden wir ja wieder in Capua einziehen. Dann veranstalten wir eine würdige Totenfeier für unsere gefallenen Kameraden. Können wir ihnen eine größere Ehre erweisen, als daß wir die Legionäre im Zirkus als Gladiatoren auftreten lassen?« »Ich bin dagegen. Wir wollen alles, was Menschenantlitz trägt, aus der Sklaverei befreien, aber wir wollen uns nicht mit den gleichen Verbrechen beflecken, die unsere Zwingherren an uns begangen haben.« »Ich verstehe dich nicht, Spartacus. Du bist doch selbst Gladiator gewesen. Wie oft hat dein Leben von der Gnade eines adligen Bürschchens abgehangen. Hätte der Togageschmückte oben in der Loge geruht, den Daumen nach abwärts zu kippen, so hätte ich dich vielleicht zum Gaudium des römischen Pöbels in Stücke hauen müssen. Und zu
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diesem Pöbel gehören auch diese Legionäre. Nein, deine alten Kameraden wollen einmal Herrenblut fließen sehen, sie wollen es einmal erleben, wie sich so ein stolzer Quinte in der Arena benimmt. Und der Schuft Kalendio soll ihr Vorkämpfer sein! Er soll sie einüben, wie er uns geschliffen hat.« Spartacus seufzte. »Warum den Feind noch reizen? Es genügt, wenn wir ihn besiegen. Wir wollen doch ein neues, schöneres Leben aufbauen und beweisen, daß wir besser und tugendhafter sind als jene!« »Hast du den Bericht vergessen, den dir unsere jenseits Capua streifenden Scharen gebracht haben? Denkst du gar nicht an die ungezählten Kreuze an der Straße nach Rom, an denen unsere gefangenen Kameraden einen qualvollen Martertod gefunden haben? Hast du die Empörung der alten Gladiatoren über diese Greuel vergessen? Wenn du ihnen die Genugtuung versagst, ihre Feinde als Gladiatoren sterben zu sehen, dann hast du alle alten Gladiatoren gegen dich; und die sind die besten deines Heeres.« Spartacus suchte Zeit zu gewinnen. »Was bringst du sonst noch?« »Zweihundertundzwölf befreite Sklaven, darunter sechzehn Gladiatoren. Sie sind alle bereit, sich uns anzuschließen. Siebenundachtzig sind wehrfähige Männer, einschließlich der Gladiatoren.« »Wir werden sie brauchen, wenn wir auf Capua rücken.« »Nur einer verlangt seine Freiheit, zu gehen, wohin es ihm beliebt. Er ist ein merkwürdiger Kauz. Ein komisches Latein spricht er, und sein Griechisch ist noch lächerlicher. Aber er ist sehr gelehrt, ein Polyhistor. Wahrscheinlich ist er ein Germane, vielleicht ein Priester oder Zauberer.« »Fürchtet er denn nicht, seine Freiheit wieder zu verlieren, wenn er uns verläßt?« »Er behauptet, die Römer würden ihn bestimmt nicht wieder einfangen, denn er werde sofort aus Campanien und überhaupt aus Italien verschwinden.« »Den Mann muß ich sofort sehen, Astyanax. Schaff ihn her!« Der erfolgreiche Freischarführer lief an Heinz vorbei zur Pforte und rief hinaus: »Lasset sofort den germanischen Wahrsager eintreten!« Mit laut pochendem Herzen schaute der Knabe auf das Tor. Er hörte kaum noch, was Astyanax über die Beute an Pferden, Eseln, Waffen und anderem Gerät zu berichten hatte. Und jetzt stand eine dunkle Gestalt in dem hellen Viereck des Türausschnitts: sein Vater! Ein Schrei entrang sich der Brust des Jungen. Durch den Schleier halber Bewußtlosigkeit sah er die Gestalt auf sich zuschreiten, größer und größer werden, und dann fielen Tränen aus des Vaters Augen auf sein Gesicht.
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DIE GENESUNG »Kind, mein Kind!« stammelte Professor Habermann, der seinen kranken Sohn in die Arme geschlossen hatte. »Komm doch zu dir! Es ist ja nur ein Traum, was dich quält.« Seine Tränen waren wirklich auf die heißen Wangen des Knaben gefallen. Zum ersten Male seit dem Ausbruch der Krankheit schlug Heinz an diesem Morgen die Lider voll auf und blickte den Vater an. Ein schwaches Lächeln des Erkennens spielte um Augen und Mundwinkel, aber dann senkten sich die Wimpern wieder. »Ja, ich habe geträumt«, flüsterte der Knabe mit einem Seufzer. »Ich bin so müde...« Habermann tupfte dem Kinde die Schweißperlen von der Stirn und deckte es sorgfältig zu. Immer noch mit einem leichten Lächeln auf den Lippen schlief Heinz ein. Der Vater schlich auf den Zehenspitzen hinaus und winkte Fatima fröhlich zu; er wußte, daß die Krisis überstanden war. Seit diesem Morgen, an dem er den Vater zum erstenmal mit vollem Bewußtsem wiedererkannt hatte, war Heinz fieberfrei, aber noch sehr schwach. Er schlief den ganzen Tag. Als er gegen Abend erwachte, saß Fatima, mit einer großen weißen Schürze über dem europäischen Kleidchen, an seinem Bett. Aber ihre äußere Veränderung interessierte den Kranken zunächst nicht. »Ich habe Hunger«, seufzte er; die Natur verlangte ihr Recht. Fatima klatschte vor Freude in die Hände und strahlte ihn aus ihren dunklen Augen an: »Ich habe eine Brühe gekocht, und Braten ist auch da. Willst du eine Scheibe Weißbrot mit Kalbsbraten?« Heinz wunderte sich über die Fortschritte, die seine Freundin im Gebrauch der deutschen Sprache gemacht hatte, und nickte: »Bring nur her, aber nicht zuviel!« Das Mädchen lief in die Küche zu der alten Haushälterin. Als Heinz ihr nachblickte, fiel ihm das Wort »Gazelle« ein. So war die kleine Fatima zu seinem Ärger von dem Gendarmerieoffizier aus Sebsewar genannt worden. Jetzt ärgerte es ihn nicht mehr, denn er sah, wie gut der Vergleich paßte. Wohlig streckte er sich im Bett. Er blieb nicht lange seinen Gedanken überlassen. Von Fatima benachrichtigt, trat der Vater ins Zimmer. »Bist du endlich von Spartacus zu uns zurückgekehrt?« fragte er lächelnd. »Ja, wir alle beide, nicht wahr?« erwiderte Heinz schelmisch. »Aber wie war eigentlich die Rückreise? Ich weiß gar nichts davon.« »Laß jetzt das dumme Zeug!« Der Professor wurde ernst. »Wie bist du nur auf den Gedanken verfallen, wir könnten uns ins Altertum zurückversetzen?« »Du hast doch selbst gesagt, theoretisch müßte man in eine andere Zeit gelangen, wenn man die Geschwindigkeit über die des Lichts hinaus steigert.«
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»Nicht einmal theoretisch«, widersprach der Professor, »sondern nur auf Grund gewisser mathematischer Überlegungen. Tatsächlich hat ja die Mathematik unsere Naturerkenntnis ungeheuer gefördert und gesteigert. Ein allgemein bekanntes Beispiel dafür ist die Entdeckungsgeschichte des Planeten Neptun: Der französische Liebhaberastronom Leverrier hatte 1845 dieses Gestirn mathematisch vorausberechnet, und auf Grund dieser Berechnungen gelang es dann 1846 dem Berliner Astronomen Galle, den Neptun tatsächlich am Himmel aufzufinden. Aber die Mathematik ist nicht an sich schon die Wirklichkeit, sondern nur ein Abbild der Wirklichkeit. Und so wie auch ein gemaltes Bild nicht einmal die Außenseite der Dinge naturgetreu wiedergeben kann, geschweige denn ihr Inneres, so sind auch die Ergebnisse mathematischer Berechnungen nur in bestimmten Grenzen auf die reale Natur übertragbar. Jeder mathematische Schluß muß an der Praxis daraufhin nachgeprüft werden, ob er im gegebenen Falle wirklich ein Bild der realen Verhältnisse widerspiegelt. Und das ist im Falle der Lichtgeschwindigkeit und des Übergangs vom Raum in die Zeit offenbar nicht so, sondern hier liegt ein Trugschluß vor. Außerdem ist nicht anzunehmen, daß wir Menschen jemals die Lichtgeschwindigkeit überhaupt erreichen können, so wie wir auch den absoluten Nullpunkt der Temperatur noch nicht erreicht haben, obwohl wir ihm in Einzelfällen - wenigstens nach Celsiusgraden gerechnet - schon sehr nahe gekommen sind. Aber ich darf dich nicht überanstrengen, du bist noch sehr schwach. Und da kommt auch Fatima mit deinem Abendbrot.« Heinz bekam einen Berg Kissen in den Rücken, so daß er mit dem Oberkörper fast aufrecht sitzen konnte. Fatima ließ sich auf dem Bettrand nieder und wollte ihm die Tasse an die Lippen führen. Er aber war zu stolz, sich füttern zu lassen wie ein Baby, und faßte selber zu. Mit Vergnügen biß er in die Häppchen, die das Mädchen zurechtgemacht hatte. Da klopfte es an der Tür. Mit vollem Munde rief Heinz: »Herein!« Siehe, da stand Dr. Riedel in der geöffneten Tür und lachte. »Wie geht es unserem Patienten?« Heinz hatte keine Zeit zum Antworten. Er zeigte nur mit dem Finger auf das Tablett, das Fatima auf den Knien hielt, und kaute weiter. »Das ist recht. Iß, soviel dir schmeckt! Bald wirst du wieder aufstehen können«, rief der Arzt näher tretend. Aber die Augen waren größer gewesen als der Magen. Die Kinnladen wurden dem Jungen schon lahm. »Ich kann nicht mehr.« Er schob das Tablett beiseite. »Oh!« machte Fatima enttäuscht. »Quäle ihn nicht!« mahnte der Arzt. »Wir wollen froh sein, daß er überhaupt schon etwas zu sich genommen hat. Morgen wird er bestimmt ein dankbarer Bewunderer deiner Kochkünste sein. Und nun müssen wir uns nach einer Schule für dich umsehen, Fatima. Ich selber kann dich nicht weiter unterrichten, denn ich habe soeben den Vertrag mit dem Krankenhaus unterschrieben und trete am Montag meine Stellung als Stationsarzt an.« Habermann schüttelte ihm die Hand. »Ich gratuliere.« »Ja, das können Sie«, erwiderte Riedel. »Es ist eine ganz moderne Anstalt, an der ich arbeiten werde. Ich bin erstaunt, was in Deutschland auch auf dem Gebiet der Gesundheitspflege geleistet wird. - Aber Fatima, was machst du für ein trauriges Gesicht?
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Hast du Angst vor der Schule?« Das Mädchen nickte. Ihre schwarzen Augen schimmerten feucht von verhaltenen Tränen. Da legte Heinz die Hand auf ihren Arm: »Heule nur nicht! An der Schule, in die du kommst, gibt es bestimmt eine Pioniergruppe wie bei uns. Die sorgt dafür, daß du keine Schwierigkeiten hast und gut mitkommst.« »Pioniergruppe, was ist das?« »Das sind die tüchtigsten und aktivsten Jungen und Mädel der Schule. Sie haben den Wahlspruch: Immer bereit! Du kennst ja die Jungen von Sebsewar, die deinem Bruder Jussuf geholfen haben, das Zelt der Amerikaner in Brand zu setzen. So sind unsere Pioniere auch: immer bereit zu helfen, wenn es sich um eine gute Sache handelt.« *** Die großen Ferien waren vorüber, und die Schule hatte ohne Heinz beginnen müssen. Täglich hatten sich die Kameraden nach seinem Befinden erkundigt. Als er sich nun endlich auf dem Wege der Besserung befand, wollte ihn die ganze Klasse besuchen. Aber Dr. Riedel bestand darauf, daß nur eine Abordnung von höchstens vier Jungen kommen sollte. Die Wahl fiel auf Felix, Uli, Manfred und Klaus, die nachmittags mit einem Blumenstrauß und einigen saftigen Apfelsinen einen Krankenbesuch machten. Als ihnen statt der alten Haushälterin, die sie gut kannten, die kleine Fatima öffnete, waren sie ein bißchen verlegen. Aber sie brauchten kaum ein Wort zu stammeln: An den Blumen hatte das Mädchen den Zweck des Besuchs sofort erkannt. Sie bat die Jungen mit orientalischer Höflichkeit in die Diele und ging zu Heinz, um ihm die Kameraden anzukündigen. »Wer is'n det?« fragte der lange Klaus überrascht, als sie hinter der Tür verschwunden war. »'n Mächen«, entgegnete der kleine Manfred trocken. »Du bist wohl lebensmüde, du Zwerg?« grollte Klaus. »Ick weeß alleene, daß dir nich so lange Zöppe wachsen.« »Und was die für Augen hat«, staunte Uli, »ganz schwarz!« »Die haben se sicher aus Persien mitgebracht«, schloß Felix weise. »Aber in Ordnung scheint se zu sein«, fügte Manfred hinzu. Da hörten sie von drinnen Heinz' jubelnde Stimme: »Kommt rein, ihr Strolche!« »Freundschaft!« riefen die vier im Chor, als sie ans Bett des Kameraden traten, und »Freundschaft« erwiderte der ihren Gruß. Dieses Wort kannte Fatima schon, und es gefiel ihr als Gruß so gut, daß sie es mit ihrer hellen Mädchenstimme wiederholte: »Freundschaft!« Wie auf Kommando drehten sich die vier um, und Uli fragte: »Warum haste nich gleich gesagt, daß du zu den Pionieren gehörst?« Er streckte ihr die Hand hin. Fatima war über und über rot geworden und reichte ihm die Hand nur zögernd. Heinz klärte die Kameraden auf. »Sie ist noch nicht Pionier, aber sie wird es bald
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werden. - Das ist Fatima, die Tochter von Gholam Ali Khan aus dem Descht-i-Kuwir.« »Mensch, langsam, langsam!« fiel Uli ein. »Fatima ist doch die Tochter vom ollen Propheten Mohammed.« Das Mädchen lachte und nickte. »Die Fatima ist längst tot«, belehrte ihn Heinz. »Unsere Fatima und ihr Vater Gholam und ihr Bruder Jussuf haben uns in der persischen Salzwüste aus der Patsche gezogen. Wenn die nicht gewesen wären... wer weiß, was die Amerikaner mit uns gemacht hätten!« »Hab ick nich gleich gesagt, sie is in Ordnung?« brüstete sich Manfred. »Na denn: Freundschaft!« rief Felix, indem er Fatimas Hand ergriff. Alle vier drängten sich um das Mädchen. »Siehst du, Fatima«, sagte Heinz, »genauso wirst du in der Schule empfangen werden.« »Mensch, erzähl doch mal, wie das da war in der Wüste!« verlangte Klaus. »Wir haben in der Pioniergruppe einen Dokumentenband mit der Aufschrift Weltraumschiff angelegt und alle Zeitungsausschnitte mit Berichten über eure Reise gesammelt. Aber...« Heinz winkte ab: »Das ist eine lange Geschichte. Da müssen wir mal einen Pionierabend machen, wenn ich wieder ganz gesund bin.« »Jawoll«, fiel Felix ein, »und du hältst das Referat...« »... und Fatima das Korreferat«, ergänzte Manfred. Das Mädchen machte große Augen. Referat und Korreferat waren ihr noch fremde Begriffe. Aber unter »Pionierabend« konnte sie sich schon etwas vorstellen. Und wenn die anderen Pioniere so waren wie diese hier, dann mußte ein Pionierabend eine feine Sache sein. Die Jungen waren zwar etwas derb und laut, aber sie hatten ehrliche, offene Augen und waren sehr lustig. Nachdenklich zog sie sich in die Küche zurück, um die Jungen unter sich zu lassen. Als Fatima hinaus war, wandte sich Klaus zu Heinz: »Is das 'ne richtiggehende Perserin?« »Frag nicht so dämlich!« griff Uli ein. »Das siehste doch.« »Außerdem fragt ein Pionier gar nicht danach, wo jemand herstammt«, fügte Felix hinzu. »Für uns sind alle Menschen Brüder und Schwestern.« »Ooch der Neumann?« zweifelte Uli. Felix verbesserte sich: »Alle anständigen Menschen.« »Hätte Fatima noch ihr persisches Kleid an, dann würde Klaus gar nicht erst gefragt haben«, erklärte Heinz. »Hat sie das Kleid mitgebracht?« »Natürlich, wir sind ja alle drei als Perser hier angekommen: Fatima, mein Vater und ich.« »Au, Junge, Junge! Zu der Pionierversammlung müßt ihr als Perser kommen, dann macht das, was ihr erzählt, erst den richtigen Eindruck.«
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»Im übrigen war Klaus' Frage gar nicht so dumm«, nahm Heinz das Gespräch wieder auf. »Es gibt eine Menge Unterschiede zwischen den Menschen: Denkt nur einmal an 'die Sprache! Fatima kann noch nicht viel Deutsch, und ihr müßt recht nett zu ihr sein und ihr helfen.« »Machen wir«, bekräftigte Manfred. »Sie hat zum Beispiel mächtigen Bammel vor der Schule. Wir müssen mit der Pioniergruppe ihrer Schule reden, damit die sie in ihre Obhut nimmt. Ihr müßt wissen: Sie ist einsam in der Wüste aufgewachsen...« »Die Tochter des Beduinenscheichs«, schwärmte Manfred. »Ja, so ungefähr«, lachte Heinz. »Die Beduinen sind allerdings arabische Nomaden, und Fatima ist aus Persien. Ihr Vater ist auch kein Scheich, sondern ein Khan. Aber abgesehen von diesen Sprachunterschieden leben die einen wie die anderen in ärmlichen Zelten und lassen ihre Schafherden auf kargem Wüstenboden weiden.« »Mensch, is das 'ne romantische Sache!« Manfred strahlte. »Hast du sie aus ihres Vaters Zelt entführt?« »Quatsch«, wies Heinz ihn zurecht. »Fatima ist natürlich freiwillig mitgekommen. Das heißt - halb war es wohl Zufall: Ich war ja krank, und als ich zu dem Flugzeug laufen wollte, das uns abholte, da klapperten mir die Knochen vor Fieber. Und da hat mir Fatima geholfen, und als wir bei dem Flugzeug waren, konnte sie nicht gut allein stehenbleiben; da ist sie eben mit eingestiegen. Aber ich glaube, sie ist auch ganz gern mit uns gegangen. Heute früh hat sie mir erzählt, sie möchte ganz viel lernen und dann nach Persien gehen und ihren Landsleuten helfen. Daran hat sie vielleicht schon gedacht, als sie mitkam.« »Wie geht's dir denn überhaupt?« fragte Felix. »Bist du noch nicht ganz gesund?« »Ich bin noch verdammt schlapp«, seufzte Heinz, indem er sich in die Kissen zurücksinken ließ. »Entschuldige, daß wir so lange geblieben sind!« Felix erhob sich und gab seinen Kameraden einen Wink. »Laß dir die Apfelsinen gut schmecken, und Hals- und Beinbruch!« *** Am nächsten Tage fühlte sich Heinz schon viel kräftiger. Die langen Stunden allein und wach im Bett zu liegen, wurde ihm bereits zur Qual. Als ihn der Vater besuchte, ließ er ihn deshalb nicht so schnell wieder fort. »Du meinst also, wir können uns nur im Fiebertraum ins Altertum zurückversetzen?« »Es braucht nicht gerade ein Fiebertraum zu sein. Es gibt eine ganze Reihe von Schriftstellern, die in historischen Romanen die antike Welt mit erstaunlicher Lebendigkeit geschildert haben. Dazu muß man allerdings Geschichte, vor allem Kultur- und Sittengeschichte, und Gesellschaftswissenschaft gründlich studiert haben.« Heinz seufzte: »Und Latein.« »Überhaupt die alten Sprachen. Aber warum willst du durchaus ins Altertum reisen ? Unser heutiges Leben bietet Probleme genug, und es lohnt sich, die Gegenwart zu bereisen und zu erforschen.« »Das haben wir ja auch getan - zum Teil unfreiwillig. Wir sind zum Saturn gereist
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und im fernen Persien gelandet.« »Und die Erlebnisse, die du dort hattest, werden dir gezeigt haben, daß es nicht genügt, alte Sprachen zu kennen, sondern daß man noch viel mehr und wichtigere Wissenschaften beherrschen muß. Wo wären wir hingeraten, wenn ich nicht von Astronomie und von Mathematik wenigstens so viel verstanden hätte, um bei der Umfliegung des Saturns unsere Stellung zur Erde neu zu berechnen? Und was wäre in Persien aus uns geworden ohne einige Kenntnisse in der Geographie und in den lebenden Fremdsprachen?« Wieder hob ein schwerer Seufzer die Brust des Knaben: »Was man alles lernen muß! Aber wenn man weiß, wofür es gut ist, und daß man es tatsächlich einmal brauchen kann, ja, daß sogar das Leben davon abhängen kann, dann macht das Lernen noch einmal soviel Spaß. Das werde ich in meinem Referat vor den Pionieren betonen, und ich werde beantragen, daß wir Arbeitsgemeinschaften für Fremdsprachen, Mathematik, Kernphysik, Astronomie... Ach, wir können ja nicht alles auf einmal schaffen!« »Nein, beschränkt euch zunächst auf einige wichtige Gebiete des Wissens, die euer besonderes Interesse finden!« *** Die Pioniergruppen der beiden Schulen, die Heinz und Fatima besuchten, hatten einen gemeinsamen Ausspracheabend veranstaltet. Mit atemloser Spannung hatten Jungen und Mädel den Berichten gelauscht, die der kleine Weltreisende und die junge Perserin erstatteten. Begeistert stimmten sie in der Aussprache Heinz' Vorschlag zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften für Sprachen, für Mathematik und für Atomphysik zu. In seinem Schlußwort wies Heinz mit Nachdruck auf die besondere Bedeutung der Wissenschaft im Kampf für die Erhaltung des Friedens zwischen den Völkern hin: »Nur den Werken des Friedens darf und muß die Wissenschaft dienen, sie soll die gesamte Menschheit einem besseren und schöneren Leben entgegenführen. Nie wieder darf das, was forschender Menschengeist schuf, in ein Instrument der Vernichtung, in eine Kriegswaffe umgefälscht werden, wie es bisher leider so oft geschehen ist. Raum für alle hat die Erde, und die Wissenschaft hat schon heute Mittel genug ersonnen, sie besser zu ernähren, zu kleiden, zu behausen, als es in der Vergangenheit je möglich war. Dabei stehen wir erst am Anfang einer wissenschaftlichen Entwicklung, deren künftige Möglichkeiten wir noch gar nicht ahnen. Wer nach einem besseren und schöneren Leben strebt, hat nicht nötig, einen Mitmenschen auszubeuten, zu berauben oder gar umzubringen. Er braucht sich nur in die Front derer einzugliedern, die für den Frieden schaffen und kämpfen. Vereint sind wir unüberwindlich. Wir müssen nur treu zusammenhalten, nicht nur diejenigen, die sich als Forscher in den Dienst eines Zweiges der Wissenschaft gestellt haben, sondern alle werktätigen Menschen. Und was von der Wissenschaft im allgemeinen gilt, das gilt in besonders hohem Maße von der Kernphysik, also von der Wissenschaft, die sich mit der Spaltung der Atome und der Verwertung der dadurch frei werdenden Energien befaßt. Gerade diese Wissenschaft ist berufen, unsere Lebensmöglichkeiten in ungeahnter Weise zu erweitern. Einer der ersten, die dies erkannt haben, war der Schöpfer der großen sozialistischen Sowjetunion, Wladimir Iljitsch Lenin. Lange bevor die Atomwissenschaft ihre ersten bescheidenen Erfolge errang, schrieb er schon im Jahre 1920, als er die Elektrifizierung seines Landes einleitete, die prophetischen Worte: Es öffnet sich eine blendende Perspektive in der Richtung der radioaktiven
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Elemente. Die Chemie wird zu einem Teil der Elektrizitätslehre. Die Elektrotechnik führt uns zu den inneren Energiereserven des Atoms. Die Morgenröte einer neuen Zivilisation hebt an. Wir jungen Pioniere schreiten in diese Morgenröte hinein und werden uns ihrer strahlenden Schönheit würdig erweisen. Seid bereit, immer bereit!«
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