C.H.GUENTER
Der Adler fliegt allein
ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT.
1. Eine Stunde nach Sonnenuntergang öffn...
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C.H.GUENTER
Der Adler fliegt allein
ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT.
1. Eine Stunde nach Sonnenuntergang öffneten sich die haushohen Hangartore. Eines der größten Geheimnisse dieses Jahrzehnts, ganz in mattem Schwarz, rollte heraus. Noch hatte der Fernbomber die Flügel eng an den Rumpf angelegt. Dadurch wirkte er wie ein Pfeil, und nicht wie ein zweihundert Tonnen schweres Monster aus Titan, Waffenstahl, Elektronik und Kunststoff. Während der Achtradschlepper die B-1B zum Startpunkt zog, sagte einer der wenigen Auserlesenen, der dieses Flugzeug bewachen durfte, zu seinem Kameraden: „Sie fliegt nur nachts. Schade, Ich würde sie gerne einmal bei Tageslicht sehen.“ „Niemand soll sie zu Gesicht bekommen.“ „Und keiner ihre Spur verfolgen können.“ „Deshalb sind Start und Landebasis immer verschieden.“ Der ältere der zwei Posten nahm den Schäferhund straffer an die Leine. „Möchte wissen, was so geheim daran ist. Ich habe schon 'ne Menge Sachen bewacht, Weltraumraketen, den neuen Kampfpanzer und Atom-U-Boote, nie gab es solch ein Theater, und das über Jahre hinweg.“ „Man sagt“, der andere senkte die Stimme, „man sagt eine Maschine dieses Typs sei in der Lage, allein einen Krieg zu entscheiden.“ „Sagt man“, bemerkte der ältere zweifelnd. Sie gingen weiter und trennten sich. Wenig später startete das Ungetüm. Ein rauher Ton, der alles bohrend durchdrang, erfüllte das weite Wüstental. Die Männer der USLuftwaffenbasis Nellis trugen Speziallärmschutz auf den Ohren. Trotzdem mußten sie sich abwe nden, als der Geisterbomber unter dem vollen Schub seiner vier Triebwerke an ihnen vorbeidonnerte, abhob und gen Himmel stieg. Angeblich war der Start einer B-1B noch in Las Vegas, zwanzig Meilen weiter südlich, zu hören. Und zwar so stark, daß die Spieler einen Augenblick mit Würfeln und Pokern innehielten, weil sie glaubten, ein Gewitter sei im Anzug. Mit doppelter Schallgeschwindigkeit folgte der Bomber der Sonne auf ihrem Weg. Irgendwo über China würde er sie eingeholt haben, und ehe der Tag anbrach, würde er auf einem Hangar in der Türkei Unterschlupf finden. Aber noch hatte er 25 000 Kilometer vor sich. Die Flugabwehrspezialisten der US Airforce saßen indessen in ihren Stationen. Von Kalifornien über
Hawaii bis Okinawa blickten sie während der nächsten Stunden gebannt auf ihre Radarschirme. Gelegentlich tauchte dort ein schwacher Schimmer auf. Nach herkömmlicher Erfahrung stammte er von einem großen Vogel, aber nicht von einem Flugzeug. Und das befriedigte sie außerordentlich. Denn laut Geheim-Telex wußten sie, daß sie wieder einmal von Amerikas neuem unsichtbaren Vergeltungsbomber überflogen worden waren. Sie nannten ihn Ghostfighter, Geisterkämpfer. „Sie überfliegen uns schon seit einem Jahr fast jede Nacht“, sagte einer der Radarexperten. „Immer rund um die Welt.“ „Und der Witz ist, daß es dieses Flugzeug offiziell noch gar nicht gibt.“ „Hast du es etwa gesehen? Ich nicht.“ „Bis mal eines runterfällt“, meinte ein dritter, der mit der Kaffeekanne zu ihnen kam. Einer der Offiziere lächelte überheblich. „Sie haben den Bomber gebaut, damit uns nicht noch einmal passiert, was uns mit der U-2 widerfuhr oder den Israelis im letzten Nahostkrieg, nämlich daß eine Rakete ihn vom Himmel putzt. Wo nichts ist, finden auch Raketen nichts.“ „Und wie macht er das?“ Darauf wußte niemand eine Antwort. „Man sagt, er sei ziemlich flach, habe keine Ecken, nur Rundungen, an denen alle Radarstrahlen praktisch abgleiten. Dazu hat er eine Tarnbeschichtung. Sie verschluckt einfach die Radarstrahlen.“ „Sie sollen so weit gehen“, ergänzte der Offizier, „daß sie den Ausstoß der Triebwerke mit flüssigem Stickstoff kühlen. Dadurch ist auch Infrarot machtlos.“ „Hoffentlich fällt keiner über Rußland runter“, sagte der mit der Kaffeekanne. „Oder noch schlimmer, aufs Pentagon, wo alle die Erleuchteten sitzen und sich solche Milliardendinger ausdenken.“ „Die haben doch Köpfe aus Beton und gepanzerte Ärsche“, sagte ein Sergeant, und alle lachten. Sieben Stunden später verging es ihnen. Der wetterunabhängige Geheimbomber, sonst auf die Sekunde computerpünktlich, landete weder auf der NATO-Basis Anatolien noch auf dem Ausweichplatz Ramstein in Deutschland. „Ghostfighter Zero!“ gab das Luftwaffenoberkommando an alle. „Ghostfighter Zero!“ Nie zuvor war dieser Alarm über die Funkbrücken gelaufen. Eingeweihte wußten, noch ehe die Erklärung Ghostfighter vermutlich über Afghanistan notgelandet aus Washington durchkam, was es bedeutete. Zunächst sah alles nicht ganz so
schlimm aus, und doch war es noch bei weitem schlimmer. Die B-1B war nicht im sowjetisch besetzten Afghanistan heruntergekommen, sondern in Pakistan, allerdings dicht an der Grenze, in jenem heißen Vierländereck, wo Rußland, China, Indien und Pakistan zusammenstießen. Und der Bomber war nicht nur notgelandet, sondern abgestürzt. Wenig später meldeten Aufklärer steppenbrandartiges Feuer über mehrere Quadratkilometer. Noch mehr Einzelheiten waren nur hohen Offizieren im Pentagon bekannt. „Zwar ist der Bomber nur noch ein Wrack mit Dutzenden von Trümmern, trotzdem, wer sie hat, findet genug, um einen technischen Rückstand von zwölf Jahren aufzuholen.“ „Dann darf man sie niemals finden.“ „Die Russen werden alles daransetzen.“ „Wir auch.“ „Nur sind ihre schweren Transporthelikopter schon unterwegs, während unsere noch nicht einmal betankt sind. Die Russen haben hundert Meilen zu fliegen, wir aber tausend Meilen. Und wer, zum Teufel, hat sie so schnell informiert?“ „Immerhin liegt das Wrack auf pakistanischem Territorium.“ „Das kümmert sie in diesem Fall vermutlich wenig.“ „Dann müssen wir sie an jeder Aktion hindern.“ Der General dachte realistisch. „Und wie, bitte, wenn ich fragen darf? Die Inder werden uns was husten. Sie sind Freunde der Russen und werden selbst versuchen, das Wrack zu kriegen. Unsere nächsten Kampfflugzeuge stehen auf einem Träger der Siebten Flotte im Persischen Golf.“ „Geben wir trotzdem Alarm“, riet der Admiral. „Wollen Sie Persien überfliegen und einen Zwischenfall mit Khomeini vom Zaume brechen?“ „Wir fliegen außen herum.“ „Das ist zu weit. Wir haben nur tausend Meilen Eindringtiefe.“ Sie waren ratlos. Alle blickten sie auf den General. Er trug drei Sterne. Die bekamen nur wirklich erstklassige Strategen. Wenn er drei Sterne hatte, mußte er auch einen Dreisterne-Vorschlag bereit haben. Der General steckte sich eine Zigarre an. Er atmete den Rauch tief ein, atmete ihn wieder aus und sagte dann: „Gentlemen, schätze, wir kommen nicht drumherum.“ Sie schienen zu erschrecken. „Das äußerste Mittel, Sir?“ „Es war Sabotage.“ „Unmöglich, Sir.“ „Dann war es Verrat.“ „Von wem, Sir?“ „Wie ist es ohne Verrat möglich, daß die Russen schon unterwegs sind. Den genauen Ort kennen doch nur wir hier.“ „Sie horchten den Funk ab.“ „Und kennen unseren Royal-
Code, he?“ Der General hatte Spott in der Stimme. „Sie können den Royal-Code nicht kennen, es sei denn, er wurde verraten.“ Es war nicht die Zeit, jetzt Mutmaßungen anzustellen. „Das äußerste Mittel“, befahl der General. „Geben Sie Order für Ghostfighter's death.“ „Ghostfighters Tod!“ wiederholte einer der Stabsoffiziere zutiefst betroffen. Man versuchte noch zu retten, was möglich war. Das Weiße Haus nahm Kontakt zur Regierung in Lahore auf. Dort bedauerte man. Das Absturzgebiet sei gebirgig und schwer zugänglich, die nächste Garnison aber zwei Tagesmärsche entfernt. Man könnte unmöglich rechtzeitig zur Stelle sein. Fernaufklärer und hochfliegende Awac-Maschinen bestätigten, daß sowjetische Kranhubschrauber bereits beim Wrack des B-1B-Bombers gelandet seien. Die Russen hatten blitzschnell reagiert und vier Mi-6-Helikopter, den schwersten Transporthubschrauber der Welt, zwei davon in Kranausführung, eingesetzt. Diese Kranhelikopter hatten sich über die kompaktesten Trümmer des abgestürzten Geheimbombers gesetzt, so wie Adler, wenn ihre Fänge in einen Hasen schlugen, um ihn hoch in die Luft zu ihrem Horst zu tragen. Techniker und Experten begutachteten die herumliegenden Kleinteile, um sie einzusammeln. Unter anderem hatten sie einen Vierradbagger mitgebracht. Mit seiner hydraulischen Zange griff er sich jedes größere Wrackstück und beförderte es in die Laderäume der wartenden Hubschrauber. Nach wenigen Stunden lagen nur noch drei schwere Teile herum. Ein Motor, eine der schwenkbaren Flächen und das Rumpfmittelstück, von dem Cockpit und Heck abgerissen waren. Auf Motor und Fläche wollten sie verzichten. Davon hatten sie schon je ein Stück geborgen. Das Rumpfmittelstück jedoch war selbst für die Kranhubschrauber zu sperrig. Die sowjetischen Ingenieure erwogen zwei Möglichkeiten der Bergung. Entweder sie zerschnitten das Rumpfstück, oder sie weideten es aus. Die Halbierung mit Hilfe der Trennscheiben ging wohl schneller. Vier Mann, jeder mit einer preßluftgetriebenen Turbinen-Flex ausgestattet, machten sich ans Werk. Obwohl hochfliegende sowjetische Abfangjäger die Bergungsstelle sicherten, wurde dies alles von einem US-Aufklärer beobachtet. Die Meldung des Piloten an seine Relaisstation lautete: „Aufräumkommando bei der
Arbeit. Die ersten Hubschrauber sind rückstartklar. In einer Stunde sind alle weg. Luftraum von MiG-31 gesichert. Rechne mit Angriff. Muß abdrehen.“ „Auslösen!“ kam es nach Sekunden von der weit entfernten Bodenstelle. Der F-15-Pilot aktivierte den extrem starken Sender für die Fernzündung. Es galt, eine ziemlich komplizierte Prozedur in kürzester Zeit durchzuziehen. Eine Reihe von Kippschaltern mußten in bestimmter Folge umgelegt werden, ein Code mußte eingetippt, eine Art Safeschlüssel eingeführt und nach links gedreht werden. Erst als sämtliche Kontrollampen von Grün auf Rot umsprangen, konnte der Pilot die Klappe vom letzten Knopf hochdrücken, »Achtung ich zünde!« gab er durch. Doch vorher schaltete er die Nachbrenner seiner zwei Triebwerke, ein. Sie katapultierten die F-15 auf zweieinhalbfache Schallgeschwindigkeit. Damit war sie für die sowjetischen Abfangjäger uneinholbar. Ebenso wie für den Donner der Detonation in dem fernen Himalajatal. Aber nicht für den Blitz. Es sah so aus, als ob irgendwo im Norden eine zweite Sonne aufgehen würde. Doch das war immer so, wenn nukleare Energien freigesetzt wurden. Jede B-1B war mit einer Selbstzerstörungsanlage in Form einer Mini-Atombombe versehen. Die hatte der F-15-Pilot in diesem Moment ausgelöst. Vierundzwanzig Stunden später meldeten Fernaufklärer, daß in dem Hochtal nichts Außergewöhnliches zu sehen sei. Was sich im Augenblick der Kernexplosion dort an Menschen und Material befunden hatte, war zu Staub geworden. Lediglich die Radioaktivität der Luft über dem Gebirge betrug etwa das Neuntausendfache ihres Normalwertes.
2. Der Einsatz des BND-Agenten Robert Urban, genannt Mister Dynamit, wurde von hoher Ebene gefordert. Genaugenommen gab es weltweit betrachtet keine höhere. Der Mann, der ihn begrüßt hatte, war hochgewachsen, hager, immer noch recht gutaussehend, aber wohl schon weit über siebzig. Der dritte Mann in dem merkwürdig oval geformten Raum hatte Urban an den dutzend Kontrollen regelrecht vorbeigeschmuggelt und
inzwischen Platz genommen. Außer ihnen gab es keine weiteren Zeugen für das Gespräch. Der Hagere war hinter seinen Schreibtisch zurückgekehrt und stand nun, die Flagge des Landes und das Wappen im Rücken, aufrecht da. Er stemmte die Fäuste auf die Tischplatte, schien lange nachzudenken, und begann dann im gemäßigten Ton eines Radiosprechers: „Mister Urban, wir haben Sie ausgewählt. Aus besonderen Gründen.“ Urban war neugierig. Mehr ließ sich seine Neugier kaum noch steigern. Er hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb er über den Nordatlantik hierher geflogen war. Auch seine Dienstvorgesetzten in Deutschland, Sebastian, der Operationschef, der BND-Präsident, der Minister in Bonn, hatten nichts anzudeuten vermocht. Sie waren lediglich dem merkwürdigen Wunsch ihres großen Alliierten gefolgt und hatten Urban freigestellt. Für eine Sonderaufgabe, wie es hieß. „Weil wir Vertrauen zu Ihnen haben“, fuhr der Hagere fort. „Auch wenn Sie nicht immer und in allen Fällen rückhaltlos auf unserer Seite standen, so standen Sie doch zweifellos immer auf Seiten des Westens, der NATO, des Friedens und ...“ Der dritte Mann im Oval-Office, nuckelte an seiner kalten Pfeife und ergänzte: ,,... der Freiheit.“ Der Hagere blickte zuerst den Sitzenden und dann Urban an, der immer noch stand. Sie mochten beide etwa gleich groß sein und von ähnlichem Gewicht. Beide trugen sie maßgeschneiderte Kleidung. Die von Urban hatte mehr englischen Touch, sie war in der Saville Row genäht. Die des Hageren hingegen verriet einen erstklassigen Hollywoodschneider. „Ja, wir haben Sie ausgewählt, Colonel Urban.“ „Wozu, Sir?“ erlaubte sich Urban jetzt zu fragen. Schließlich bestand zwischen ihnen weder ein Dienst noch ein Abhängigkeitsverhältnis. Mit lockerer Bewegung seiner Rechten, das aussah, als ob er die Hand trockenschütteln wollte, wandte sich der Hagere an den Mann im Clubsessel. „Unterbreiten Sie es ihm, George. Es war Ihre Idee.“ Sie nahmen nun in den hellen Velourssesseln Platz. Urban, an den Umgang mit Kaisern und Königen, mit Häuptlingen und Bossen gewöhnt, kam sich trotzdem ein wenig verloren vor. Immerhin saß er zwischen dem Chef des amerikanischen Geheimdienstes CIA und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Aus Geheimhaltungsgründen hatte der
CIA-Direktor auf Vorbereitung und Mitnahme eines Aktenhefters verzichtet. Er zog einen einfachen Briefumschlag, der mehrere Fotos enthielt, aus seiner Sakkotasche. Kommentarlos legte er sie auf den Tisch. Urban sah ein Flugzeug, schwarz, flach wie eine Flunder, auf hohen stelzenartigen Beinen. Vier Düsentriebwerke saßen nahe dem Rumpf, vermutlich ein Schwenkflügler, was die Maschine stark gepfeilt wirken ließ. Der CIA-Direktor ließ ihm Zeit. „Was sehen Sie?“ fragte er dann im Ton eines Oberlehrers. „Die Rockwell B-1B.“ „Nun, Leuten wie Ihnen bleibt nichts aus der Szene unbekannt“, fuhr der behäbige CIA-Chef fort. „Was sehen Sie auf dem letzten Foto?“ „Trümmer. Vermutlich in einem hochgelegenen Gebirgstal.“ „Und Ihre Querschlüsse?“ „Es läuft auf den Absturz Ihres Tarnbombers letzte Woche in Pakistan hinaus.“ „Woher wissen Sie davon?“ Urban blickte erstaunt. „Sir, das weiß man, oder man hat den falschen Job.“ „Was“, fragte der Präsident dazwischen, „wissen Sie noch?“ „Daß die Trümmer der B-1B vermutlich durch eine Nuklearexplosion atomisiert wurden. Es gab genug Proteste gegen die oberirdische Zündung eines solchen Sprengsatzes.“ „Welche Gerüchte laufen sonst noch um?“ „Einmal, daß das Bergungskommando mit der Atombombenladung an Bord der B-1B unvorsichtig verfuhr. Schlußfolgerung: Es waren Russen, die es eilig hatten, mit den Trümmern jenseits ihrer Grenze zu verschwinden. Möglichkeit Nummer zwei: Die USA haben per Funk einen Selbstzerstörungssprengsatz auf atomarer Basis gezündet, weil sie nicht mehr rechtzeitig zur Absturzstelle kommen konnten und nicht eine einzige Schraube in die Hände der Russen fallen durfte.“ Mit unerwarteter Offenheit sagte der Präsident: „Schlußfolgerung zwei ist korrekt. Ich habe die Zerstörung befohlen.“ Die Gründe dafür brauchte er einem Mann wie Urban, erfahren auf allen Gebieten der Agentenarbeit, der Spionage und deren Abwehr, nicht zu nennen. Der CIA-Chef bohrte weiter: „Warum, glauben Sie, waren wir dazu gezwungen?“ „Sagte ich bereits“, antwortete Urban. „Die Sowjets waren schneller.“ „Wie konnten sie schneller sein?“ „Sie hatten von ihren Basen in der kirgisischen SSR oder in Pamir nur wenige hundert Meilen.“ „Aber wie haben sie von dem Absturz überhaupt etwas erfahren?“ „Gute
Frage, Sir“, räumte Urban ein. „Die B-1B ist ein Tarnbomber, also nicht mit Radar ortbar. Wovon man nichts sieht, davon kann man auch, keinen Absturz registrieren Erst recht nicht im Himalaja und bei dem unzureichenden Frühwarnsystem der Russen m Asien.“ „Also?“ mischte sich nun der Präsident ein. „Ein wenig Verrat, Gentlemen“, spielte es Urban herunter, „wird wohl dabeigewesen sein.“ „Wer konnte verraten?“ „Leute, die im Moment des Absturzes über die automatische Telemetrie oder den Notfunk davon erfuhren“ „Das lief alles auf Geheimfrequenzen.“ „Ferner“, entgegnete Urban, „gibt es genug Leute bei Ihnen und bei anderen Diensten, die in solchen Fällen alarmiert werden, zum Beispiel im Pentagon, beim Oberkommando der Air-force, auf den Basen rund um die Erde, bei der NATO und und und ...“ „Nicht genug damit“, fuhr der CIA-Direktor fort, „daß irgendeiner der wenigen Männer, die Zugang zu solchen Informationen haben, es sofort den Russen steckte, er informierte Moskau auch über den genauen Absturzort, den nur wir allein mit Hilfe der telemetrischen Loran-Werte zu ermitteln in der Lage waren.“ Der Präsident hob die Hand. „Wann, Mister Urban, haben Sie von der Katastrophe erfahren?“ „Beim Frühstück“, erinnerte sich Urban. „Wann genau nach Zulu-Zeit?“ „Die Minute weiß ich jetzt nicht mehr“, erwiderte Urban. „Ich muß zugeben, daß ich gerade mit anderen Sachen befaßt war.“ „Angenommen, Sie wären nicht mit anderen Sachen befaßt gewesen.“ „Sie meinen, nur mit dem B-1B-Tarnbomber.“ „Ja, das meine ich.“ „Das wäre eine grundlegend andere Situation“, versicherte Urban, ohne nachzudenken. Die Amerikaner blickten sich an. „Der Mann, der es nach Moskau gemeldet hat, war damit befaßt. Er hatte Zugang zu solchen Meldungen und bewegte sich mithin auf hoher Geheimdienstebene. Er ist ein Verräter, ein Maulwurf. Was hat er schon alles verraten, und was verrät er künftig noch?“ Urban wußte jetzt, weshalb man ihn ins Weiße Haus gebeten hatte „Eine Menge“, befürchtete er. Der CIA-Direktor nahm noch ein zusammengefaltetes Blatt im amerikanischen Briefformat aus dem weißen Umschlag. Ehe er es öffnete, erklärte er: „Dies ist kein NATO-Auftrag, Colonel Urban.“ Der deutsche Geheimagent hatte inzwischen die Hintergründe durchschaut. „Es läuft an der NATO vorbei?“
„An allen Geheimdiensten der NATO“, ergänzte der CIA-Boß, „läuft es vorbei. Einschließlich CIA und BND. Denn irgendwo muß der Verräter ja sitzen.“ „Jeder ist verdächtig“, ergänzte der Präsident. „Gehen Sie stets davon aus. Jeder kann es gewesen sein.“ Urban verstärkte sein angeborenes Lächeln. „Vielleicht war ich es, Gentlemen.“ „No, das haben wir gecheckt. Checken Sie nun alle anderen.“ Der CIA-Direktor faltete das Blatt auseinander. „Dies sind die Namen derjenigen Personen, die in der ersten Stunde offiziell von der B-1B Katastrophe erfuhren. Die roten Namen neben den schwarzen sind Randfiguren aus dem Umfeld der in Frage kommenden.“ „Ich werde auf Ihre Computer zurückgreifen müssen.“ „Auf was immer Sie wollen. Auf Personalakten, Dienstbücher, Einsatzpläne. Aber von den offiziell Informierten kommt wohl keiner ernsthaft in Betracht.“ „Man muß sie dennoch überprüfen“, entschied Urban, „und sich einen Grund dafür einfallen lassen. Irgend etwas Unauffälliges. Kann ich mit dem FBI rechnen?“ „Sie genießen jede Unterstützung“, erklärte der Präsident. „Und wenn ich sage jede, dann meine ich jede denkbare. Sollte es Leute geben, die sich querlegen oder sperren, dann wenden Sie sich an George, notfalls direkt an mich,“ „Kreisen Sie den Täter ein“, fügte der CIA-Chef hinzu, „und dann päng!“ „Seine Position wird sehr weit oben anzusiedeln sein“, befürchtete Urban. „Ja, es wird ein harter Job“, pflichtete der Präsident ihm bei. „Aber warum sonst, meinen Sie, haben wir ausgerechnet Sie dafür geholt, warum gerade Sie?“ Urban antwortete nicht. Er wußte längst, er war ein Mann fürs Grobe. Sie gingen in Details. Es gab Drinks, und dann war die Stunde gekommen, wo der Präsident noch andere Pflichten wahrzunehmen hatte. „Die Operation erhält den Namen Adler“, entschied er. „Und nur wir drei sind eingeweiht“, bekräftigte der CIA-Direktor. „Adler deshalb“, erläuterte der Präsident, „weil der Mann, der es verriet und der wohl schon sehr lange als Spion tätig ist, ein Einzelgänger sein muß und in hohem Maße unangreifbar. Eben wie der Adler. Ein Adler fliegt immer allein.“ „Der Geier tritt in Rudeln auf“, ergänzte der CIA-Direktor, „die Möwe in Scharen, der Falke hat seinen Herren. Aber der Adler fliegt immer allein...“ Der deutsche BND-Agent hielt sich mehrere Tage im CIA-Headquarters Langley und in der FBI-Zentrale in
Washington auf. Bei der Bundeskriminalpolizei, die sich auch mit Spionageabwehr befaßte, hatte Urban keine Schwierigkeiten. Aber dort, wo man ihn gut kannte, nämlich in der Geheimdienstzentrale, versuchte man, ihn zu stoppen, ihm Steine in den Weg zu rollen oder passiven Widerstand zu leisten. Als sie erklärten, dieser oder jener Sektor in der EDV sei ihm nicht zugänglich, bestand er darauf, daß sie ihm alles offenlegten. Da nahm ihn Colonel Shnider, einer seiner Kollegen, beiseite und sagte: „Bob, wir sind gute Freunde noch aus der Kennedy-Zeit, als wir beide anfingen. Ich kenne die Order der Direktion, dir alles zu zeigen, was du sehen willst. Sag mir, was dahintersteckt, und ich werde diese Order befolgen. Wenn du schweigst, lege ich das als Zeichen von Unfreundlichkeit aus, und zwar im Sinne des Wortes, daß wir keine Freunde mehr sind.“ Urban zuckte mit der Schulter. „In unserem Job kann Freundschaft für gewisse Zeit ausgesetzt werden.“ „Ohne unsere Füße und Arme kommst du nicht weiter, Mann. Kein Kopf kann seinem Bein befehlen Los, geh! wenn es nicht will.“ Urban hatte Verständnis für sie. Sie wollten wissen, um was es ging. In einem gut funktionierenden Apparat war vonnöten, daß auch das kleinste Rädchen wußte, in welche Richtung es sich zu drehen hatte. Sie fühlten sich auf irgendeine Weise beunruhigt. Kein Wunder: Da kam einer aus Europa und führte geheimnisvolle Untersuchungen durch. Und ein blütenreines Gewissen hatte keiner hatte nie einer gehabt, in keinem Job der Welt. „Bedauere“, antwortete Urban. „Entweder bekomme ich jetzt den gewünschten Zugriff, oder ich muß dich bitten, diese Nummer anzurufen.“ Der Colonel winkte ab. „Die Nummer kenne ich. Es ist die vom Boß. Aber auch den können wir auflaufen lassen.“ „Irrtum“, entgegnete Urban. „Es ist die Nummer vom Boß des Bosses. WhiteHouse. Schätze, bevor ihr den Präsidenten auflaufen laßt, löst der die CIA auf und gründet eine neue Firma.“ Colonel Shnider verschwand. Er blieb solange weg, wie es nötig war, zu telefonieren, und kehrte ein wenig blaß zurück. Fortan hatte Urban keine Schwierigkeiten mehr. Er bekam sie erst wieder im Pentagon. Gewisse Stabsoffiziere im Verteidigungsministerium machten stur die Klappe dicht. Das war der Moment, in dem Urban befürchtete, sie würden gleich
die hauseigene Sabotageabwehrtruppe anmarschieren lassen, um ihn zu verhaften und in irgendeinem Texas-Gulag-Camp verschwinden zu lassen. Er hob das nächste Telefon ab und wählte die Geheimnummer. Wenig später kreuzte ein junger Mann auf, der es nicht besonders im Kopf, aber auch nicht sehr in den Muskeln hatte. Er zeigte eine Vollmacht vor und wich nicht mehr von Urbans Seite. „Percy Londale vom Stab des Präsidenten“, hatte er sich vorgestellt. Am nächsten Tag bat er Urban einmal um Feuer für seine Zigarette. Das war die ganze Konversation, die sie pflegten. Nach einem weiteren Tag im Pentagon Urban hatte Zugang zu allen ihm wichtig erscheinenden Top-secret-Aufzeichnungen erhalten schloß Urban die erste Phase seines Auftrages ab. Von allen Personen auf der Liste des CIA-Chefs hatte keiner Verbindungen zum Ostblock. Weder zu militärischen Personen oder zu Diplomaten, noch gab es private Kontakte. In einigen nicht ganz zweifelsfreien Fällen glaubte sich Urban auf seinen Instinkt und seine Erfahrung verlassen zu können. Dieser Personenkreis und sein Umfeld waren somit abgehakt. Nun mußte er anderswo weitersuchen. „Fertig“, sagte er zu seinem Begleiter. Es war das erste Wort an diesem Tag. Er kam sich fast schon wie eine Quasselstrippe vor. Mit einem Mal, als hätte jetzt die Ampelanlage auf Grün geschaltet, äußerte der Schweigsame einen für seine Verhältnisse langen Satz. „Was machen wir mit dem angebrochenen Abend, Sir?“ Urban war einigermaßen froh, daß er Washington als erledigt betrachten konnte. „Ich schaue noch einen Sprung bei McDonald's vorbei, auf einen Hamburger.“ „Und dann?' „Ab ins Bett“ „Und dann?“ „Morgen früh geht meine Maschine nach München.“ ,,Ich kenne ein paar nette Leute. Sie geben eine Party. Kesse Puppen, Schauspieler, Schriftsteller, Maler, Journalisten, lauter so 'n Grobzeug.“ ,,Okay“, entschied Urban sich rasch. Es war eine heiße Nacht Jeder Schluck von den eiskalten Champagnerdrinks trieb einem den Schweiß aus den Poren. Die Mädchen hatten es leicht, sie hatten fast nichts an, Aber Urban mit Schlips und Sakko fühlte sich stark ove rdressed. Er ging vom Garten ins Haus. Die Air-condition hatte alles auf angenehme einundzwanzig Grad heruntergekühlt. Drinnen donnerte Bruce Springteens Nebraska aus allen Ecken, daß ihm
Angst wurde wie einem Vierjährigen in der Geisterbahn. Er lehnte an einer Säule und dachte mehr an seinen Job, der wie im Nebel vor ihm lag, als an ein Mädchen. Plötzlich standen zwei vor ihm. „Wer ist der denn?“ „Kennst du ihn?“ „No, nie hier gesehen.“ „Wie mag er heißen.“ „Bob“, sagte er, „heißt er.“ „Faul wie eine satte Katze, he?“ „Faul“, bemerkte er, „wie eine müde Katze, die den ganzen Tag unterwegs war.“ „Ohne was zu jagen.“ Er nahm einen Schluck. Sie musterten ihn, seine dunkle Gabardinehose, den Glenchecksakko, den schmalen unifarbenen Seidenstrickbinder und die Slipper. Offenbar hielten sie ihn für eine Erscheinung aus einer anderen Welt. „Wo kommst du denn her?“ „Europa.“ „Kleidet man sich dort noch auf diese altertümliche Weise?“ „Das ist nur äußerlich, Gnädigste.“ „Nein, Kleidung färbt nach innen ab.“ „Nackt sehe ich aus wie jeder andere hier, schätze ich.“ „Bloß das nicht“, meinte die Wortführerin der beiden. „Das sind doch alles Softys.“ Diejenige, die redete, war groß und blond, mit mindestens siebzig strahlendweißen Zähnen und einer Löwenmähne. Sie hatte einen Blick, der jede Masse Männer verrückt machte. Und sie gehörte gewiß nicht zu jener spröden Sorte, die erst etwas in Schwung brachten und dann abhauten. Ihre Freundin hingegen gefiel Urban. Ein vornehm zurückhaltendes Mädchen. Aber sie stand jetzt in der Ecke und sah sich ein paar Bilder an. Sie war dunkelhaarig, mit der matten gebräunten Haut von Frauen, die spanisches Blut in sich haben. Die Blonde machte ihn wieder auf sich aufmerksam. „Ist so langweilig hier, daß es verboten werden sollte.“ „Eben Washington“, meinte er. Sie nahm ihn beim Arm. „Gehen wir.“ „Wohin?“ Sie lachte. „Nach oben. Fallen wir in irgendein Bett. Okay?“ Er zögerte, und sie merkte, daß er zu ihrer Freundin schielte, auf ihren bis zum Rockgürtel freien Rücken. „Keine Lust, he?“ fragte die Blonde. Urban steckte sich eine MC an und nickte. „Na so was“, rief sie. „Das ist mir in zweitausend Jahren höchstens dreimal passiert öfter nicht.“ „Wer ist sie?“ fragte Urban. „Cooleen.“ „Sie gefällt mir.“ „Schlag sie dir aus dem Kopf“, riet ihm die mit der Löwenmähne. „Was schnellen Sex betrifft, ist sie taub wie ein Türpfosten,“ „Und was langsamen Sex betrifft?“ Sie kicherte. „Wie funktioniert der, bitte? Also was mich angeht, ich entwickle im Bett blitzartig
den ganzen faulen Zauber. Erst Riesenfeuerwerk, dann bum und aus. Aber was meine Freundin betrifft, da endete schon die ganze Familie im Kloster. Und sie wird wohl auch keine Ausnahme bilden.“ Das war so ein Tag heute. Entweder er bekam, was er wollte, oder er verzichtete. Also verzichtete er, weil er nicht bekam, was er wollte. Während des Fluges von Washington nach Frankfurt versuchte Urban, so etwas wie einen Schlachtplan zu entwickeln, erkannte aber bald, daß dies nicht möglich war. Das schwierigere Stück Arbeit lag jetzt vor ihm. In Washington hatte er jede Unterstützung gehabt. Aber nun galt es, bei den anderen NATO-Geheimdiensten nachzufassen, bei jenen Leuten, die sich hauptsächlich mit Geheimwaffen befaßten. Das waren nur wenige. Bei jedem Dienst vielleicht zwei. Und nur einer davon war der große Experte aber was für ein ausgebuffter Typ. Er kannte sie alle. Doch wie kam man unauffällig an sie heran. Das Wort des USPräsidenten zählte in Paris, in London, in Rom, in Athen und in Madrid verdammt wenig. Er mußte alles anders einfädeln. Ganz anders. Selbst indianerähnliches Anpirschen durch die Hintertür und die Küche wäre ein noch zu grober Stil gewesen, als daß sie es nicht bemerkt hätten. Klarer Fall. Für diesen Verrat kam nur ein ganz gewiefter Knabe in Betracht. Irgendeiner von den Topagenten fuhr zweigleisig. Der Club hatte zwar nur wenige Mitglieder, aber wie sortierte man den richtigen aus. Es war schon schwierig genug, den Unschuldigen auf den Zahn zu fühlen. Wie schwer würde es erst bei dem Verräter sein. Urban notierte die Decknamen aller Leute, die in Frage kamen, weil sie den nötigen Zugang sowohl zu Informationen als auch zu Abnehmern für diese Informationen hatten. Aber wie ging er weiter vor? Diese Burschen waren wie Seismographen, wie hochentwickelte Meßinstrumente. Sie überblickten ihre Umwelt wie die Figuren auf einem Schachbrett. Sie sahen Entwicklungen voraus, noch ehe die Spieler, die für diese Züge nötig waren, überhaupt wußten, daß sie in einem Match mitwirkten. Ein großer Geheimdienstmann hatte einmal gesagt: Ein Spitzenagent spürt, daß der Goldfisch in jenem Aquarium, das er nächstes Jahr zu kaufen beabsichtigt, etwas gegen ihn hat. Und die, die er aufs Korn genommen hatte, waren solche Spitzenagenten.
3. Regelmäßig kamen die Wochen der Saure-Gurken-Zeit. Überall in den Zeitungen tauchten Enten auf. Meist die aufgewärmten vom Vorjahr. Regelmäßig im August wurden einsam campende Mädchen auf Sardinien von wilden Bergbewohnern vergewaltigt. Meist im August fuhr ein blinder Mann in Arkansas betrunken mit dem Auto nach Hause, nur dirigiert von seinem wachsamen Hund. Und meist im August lernte eine hundertjährige Großmutter fliegen, nachdem sie vorher durch Einnahme von Kräutertee vom Krebs geheilt worden war. Immer im August tauchte auch die Story von diesen alten deutschen Unterseebooten auf. Dann hieß es, eines der berüchtigten drei Flucht-U-Boote, mit denen prominente Nazis, samt Gold, Diamanten und Familien, nach Südamerika zu entkommen versucht hätten, wäre gefunden worden. Keines der Boote sei damals durchgekommen. Meist seien sie schon beim Abmarsch von der Royal-Navy oder durch Luftangriffe versenkt worden. Dazu wurden Fotos eines 7-C-Bootes sowie Interviews mit angeblich noch lebenden Besatzungsmitgliedern, Bootsmaat Huber von UX.Y.Z. usw., abgedruckt. Manchmal wagte sich ein Massenblatt auch weiter vor und kannte sogar den Punkt im Skagerrak, tief unter der See, wo das Wrack des Bootes im Schlick lag. Angeblich machten sich schon Tauchergruppen bereit, um hinabzusteigen und es zu heben. Nur die Frage, wem die Beute gehören würde, war noch zu klären. Erhoben die ehemaligen Alliierten Anspruch, die jetzige deutsche Regierung, die Regierung jenes Staates, in dessen Küstenbereich das Boot lag, oder gab es gar noch Eigentümer des Goldes wie Banken und Privatpersonen. Drei Tage später stand meist keine Zeile mehr in der Presse. Die Ente war geschlachtet wie die meisten Augustsensationen. Aber in diesem besonderen Fall lag die Sache anders. * In den Morgenstunden des Freitag die Wochenendausgabe war noch in Arbeit wurde dem Wirtschaftsredakteur einer Hamburger Tageszeitung ein Anruf durchgestellt. „Wer, bitte“, fragte ein Unbekannter, „ist bei Ihnen für Nachrichten zuständig?“ „Welcher Art?“ „Altes Unterseeboot. Weltkrieg zwei.“ „Ah,
die U-Boot-Kiste“, reagierte der Redakteur spöttisch. „Wie gehabt. Vergessen Sie das.“ . „Ich will ja nichts dafür“, erwiderte der Anrufer. Der Zeitungsmann lachte abfällig. „Nicht einmal, wenn Sie dafür den Anzeigenpreis bezahlen, drucken wir solchen Schwachsinn.“ Der Anrufer blieb hartnäckig. „Es ist die am besten recherchierte U-BootGeschichte aller Zeiten.“ ,,Wie, bitte, wollen Sie das beweisen, mein Lieber?“ „Indem ich Ihnen Material zugehen lasse.“ „Seit den Hitler-Tagebüchern weiß man, daß sich Beweise jeder Art fälschen lassen.“ „Sie können s elbst nachforschen. Sie erhalten von mir die Adressen der zuständigen staatlichen Archive sowie der damals beteiligten Personen, soweit sie noch leben ...“ Der Redakteur unterbrach den Anrufer. „Wer sind Sie überhaupt?“ Der Anrufer nannte einen Namen. „Wie bitte?“ „Wie ich heiße, tut nichts zur Sache, oder? Der Name kann falsch sein.“ Das sah der Mann in Hamburg ein und drängte: „Dann schießen Sie mal los!“ „Die Geschichte mit den NaziFlucht-U-Booten ist frei erfunden.“ „Woher wissen Sie das?“ ,,Ich weiß es. Aber die Story von den Null-Booten mit Sondermission ist garantiert echt.“ Der Redakteur biß an. „Null-Boote, Sondermissionen. Werden Sie genauer, bitte.“ Da der Anrufer glaubte, das Interesse des Redakteurs geweckt zu haben, drosselte er jetzt seine Nachrichtenzufuhr. „Gegen Kriegsende wurden neue Boote vom Typ einundzwanzig mit Sonderaufgaben betraut und dafür ausgerüstet. Sie beförderten nicht Gold oder Prominente, Sondern Material, das man für kriegsentscheidend hielt, unter anderem zu unseren damaligen Verbündeten, den Japanern.“ „Was für Material?“ „Wenn Sie an Me-109-Motoren denken, an Düsentriebwerke, an Raketen, dann ist das nicht zu hoch, eher ein wenig zu tief gegriffen. Es gab noch Entwicklungen auf anderen Gebieten.“ „Nämlich?“ „Der Physik und der Chemie.“ „Können Sie etwas deutlicher werden“, bat der Redakteur. Der Anrufer wurde deutlicher, aber auf einem anderen Gebiet. „Ein solches Null-Boot war das von Korvettenkapitän Ostroff.“ „Wie lautet die ganze Nummer?“ „Nullvier. Man fing bei der Numerierung wieder von vorne an.“ „Was hatte dieses Boot an Bord?“ „Einen IGFarben-Chemiker und mehrere Tonnen Material.“ „Kampfgifte, Arzneimittel, neue Sprengstoffe, etwa auf
atomarer Basis?“ „Mit Sicherheit nicht“, wich der Anrufer aus. „Das Boot wurde m den letzten Kriegswochen auf dem Weg nach Japan versenkt.“ „Wo?“ „Im nördlichen Eismeer.“ Der Redakteur begann sofort wieder an der Seriosität der Information zu zweifeln. „Alle Japanboote nahmen stets den Weg um Südafrika.“ „Dieses Boot sollte wohl unter der Polareiskappe in den Pazifik vorstoßen. Das hatte den Weg um mehr als die Hälfte verkürzt.“ „Tauchfahrten unter dem Polareis gelangen erstmals den amerikanischen Nautilus AtomBooten.“ „Irrtum“, entgegnete der Mann mit dem unverständlichen Namen. „Sogar alte 7-C-Kampfboote flüchteten sich bei Verfolgung schon unter das Packeis. Die Null-Boote hatten unter anderem einen Walthermotor. Er arbeitete mit Wasserstoffantrieb oder irgendeinem anderen exotischen Treibstoffgemisch, das alles zur Verbrennung Nötige enthielt. Nun, das Boot Nullvier sollte nach Japan, wurde aber im Eismeer, kurz vor dem endgültigen Abtauchen, versenkt.“ „Von einem russischen Zerstörer?“ „Nein, von einem amerikanischen Fernbomber, aber leider auf sowjetischem Seegebiet, oder zumindest sehr nahe an der Grenze zwischen Norwegen und der UdSSR.“ „Das wäre in der Barentssee.“ „Nein, wohl eher im Varanger-Fjord.“ „Mann, wenn das nicht bloß wieder ein Gerücht ist.“ „Und wenn ich Ihnen Material dazu liefere?“ fragte der Unbekannte. „Dann bringen wir es. Aber bieten Sie es nicht gleichzeitig Bild, Stern und Spiegel an.“ „Der Stern ist ein gebranntes Kind, die nächste Spiegelnummer ist schon gedruckt, und Bild brachte wie stets die alte Gold-U-Boot Klamotte.“ „Wann habe ich das Material?“ Nun überraschte der Anrufer den abgebrühten Journalisten doch ein wenig. „Es liegt in Ihrem Korb für unerledigte Post, links neben dem Foto Ihrer Freundin. Ein Umschlag, Natronpapier, braun, Aufschrift: Herrn Doktor Lebovsky. Sie sind doch Lebovsky, oder'„.“Mann, und wer sind Sie? Raus mit der Sprache.“ „Sie hören wieder von mir.“ Damit legte der Anrufer auf! Die Nachricht in der hanseatischen Wirtschaftszeitung schlug nicht wie eine Bombe ein. Aber sie zeigte Wirkung. Andere seriöse Blätter schickten ihre Reporter los. Sie kamen zu spät. Der Redakteur der Wirtschaftszeitung war längst nach Berlin zum Bundesarchiv
geflogen. Dort fand er nach langem Suchen tatsächlich die Aufzeichnungen des Befehlshabers der U-Boote aus dem Jahr 1945. Unter anderem war dann auch der Vertust von U04 unter Korvettenkapitän Ostzoff vermerkt. Ziel des Bootes war der japanische Pazifikhafen Nemuro gewesen. Eine Namensliste der Besatzungsmitglieder fand sich ebenfalls bei den Akten. Der Redakteur fragte die Archivarin, die ihm ständig über die Schulter blickte: „Gab es Überlebende?“ „Angeblich konnten sich die vier oder fünf Mann, die auf dem Turm Wachdienst versahen, retten.“ „Woher wissen Sie das? In den Akten steht nichts davon.“ Das Mädchen mit der dickglasigen Brille lächelte verstohlen. „Sie sind nicht der erste in dieser Sache.“ Der Redakteur Lebovsky nahm an, daß es sich dabei um den Unbekannten handelte, der ihm die Fotokopien geliefert hatte. Die Kopien waren nicht gefälscht. „Und wer waren diese fünf Überlebenden?“ „Soweit ich mich erinnere, der Kommandant, der zweite Wachoffizier, der Obersteuermann und einige Matrosen.“ „Wer von ihnen lebt noch?“ „Dies zu ermitteln, dürfte wohl auch Ihrem Vorgänger Mühe gekostet haben“, lautete die Antwort. Ein Weg, auf dem er weiterkam, wies in Richtung Kommandant, Wachoffizier und Obersteuermann. Sie waren namentlich erfaßbar. Wieder in Hamburg ermittelte Dr. Lebovsky mit Hilfe der Bundesmarine, daß der ehemalige II-WO von U-04 im Jahre 1956 von der Bundesmarine reaktiviert worden, aber kurz nach seiner Pensionierung als Kapitän zur See verstorben war. Der Redakteur rechnete sich aus, daß der Kommandant von U-04, damals vierzig Jahre alt, inzwischen achtzig sein müsse. Auch mit Hilfe des Bundeskriminalamtes konnte er nicht gefunden werden. Dafür fand er den ehemaligen Obersteuermann des Bootes, einen gewissen Oskar Schuster. Schuster hatte sein Friseurgeschäft verpachtet und lebte jetzt als Rentner im Odenwald. Aber er ging nicht ans Telefon. Als der Redakteur hinfuhr, sagte man ihm, daß Schuster mit unbekanntem Ziel verreist sei. Lebovsky ließ nicht locker und fand Schuster bei seiner Tochter. Der ExObersteuermann von U-04 war sogar zur Aussage bereit. „Ja, ich habe Ihren Artikel gelesen“, erklärte er, „und auch die in den anderen Zeitungen. Bis auf ausschmückende Einzelheiten ist alles korrekt. Es muß in der letzten Märzwoche gewesen
sein. Wir liefen mit U-nullvier, einem Typ EinundzwanzigBoot, vom Marinehafen Kristiansand nach Norden und umrundeten das Kap. Im Varanger-Fjord warteten wir schlechtes Wetter ab, um unter das Eis zu schlüpfen.“ „Warum schlechtes Wetter?“ „Um von den amerikanischen Geleitzügen, die nach Murmansk gingen, von ihren Begleitzerstörern und den Aufklärungsflugzeugen nicht entdeckt zu werden. Die Distanz bis zum Packeis betrug immerhin noch sechshundert Meilen. Dann kam der erwartete Nebel auf. Wir verließen den Küstenbereich und fuhren, aufgetaucht, mit Diesel nordwärts. Wir kamen gut voran. Als wir glaubten, daß wir es schaffen würden es war gegen Abend ging alles blitzschnell. Motorengeräusche, dann, tief aus den Wolken heraus, ein viermotoriger Liberator. Er hatte uns mit Radar erwischt und deckte uns mit einem Bombenteppich zu. Zwei Treffer. Heck und mittschiffs. Das Boot sackte sofort weg. Wir fünf auf der Brücke sprangen in den Bach. Ich war wie betäubt von dem Explosionsdruck und stieß gegen etwas. Es war ein Schlauchboot. Drei Tage später fischten mich norwegische Kutterleute heraus. Ich war halb totgefroren. Nach zwei Jahren Gefangenschaft wurde ich nach Hause geschickt.“ Dr. Lebovsky konnte fragen, was er wollte, die Darstellung des Obersteuermanns war nicht zu erschüttern. „Welche Ladung befand sich an Bord des Bootes?“ fragte Lebovsky. „Material für Japan.“ „Was für Material?“ „Das wußte wohl auch der Kommandant nicht genau, und ich war nur Obersteuermann.“ „Was nahmen Sie an Bord?“ „Drums, kleine, große, und eiserne Kisten heute würde man Container dazu sagen.“ „Wo kamen die her?“ „Das stand nicht drauf. Nur Ziffern.“ „Stank das Zeug?“ Schuster verzog den Mundwinkel zu einem Grinsen. „Auf U-Booten herrschen immer Gerüche, so daß neue kaum dagegen anzustinken vermögen.“ „Hatten Sie wirklich Zivilpersonen an Bord?“ „Ja, einen älteren Herrn.“ . „Wie alt?“ „Um die Vierzig. Für uns junge Spunde war das schon ein Opa. Name unbekannt. Der Kommandant sprach ihn nur mit Professor an. Er hielt sich meist in der Kommandantenkammer auf. Und bei der Versenkung kam er wohl darin um.“ Dr. Lebovsky von der HWZ war noch nicht zufrieden. „Und wo passierte das?“ „Ausgang Varanger-
Fjord.“ „Wo genau?“ „Vermutlich dort, wo die südlichen Sicherungskräfte der Murmansk-Geleitzüge operierten.“ „Ich meine die präzise Länge und Breite. Sie als Obersteuermann waren doch mit nichts anderem als mit Navigation beschäftigt.“ Doch der alte Herr bedauerte. „Bei dem Bombentreffer bekam ich etwas gegen den Hinterkopf. Ich kann mich an Daten nicht erinnern. Ich habe da ein Loch.“ Am selben Tag flog der Redakteur wieder nach Hamburg. Jetzt brachte er die Story groß heraus. Internationale Blätter schlossen sich an und druckten nach. Die Wirkung war nicht vergleichbar mit der einer Feuerwerksrakete, die hochfuhr, zerplatzte, glitzerte und verlöschte Es war die gleiche Wirkung wie die eines großen bunten Ballons, der für alle sichtbar langsam dahintrieb. Und genau das hatte der Ausgräber der alten Geschichte beabsichtigt. Der Mann, der den Wirtschaftsredakteur der HWZ informiert hatte, betrat gegen 22.00 Uhr in München eine Telefonzelle. Er wählte eine achtstellige Nummer. Vier Ziffern für die Vorwahl, vier für den Anschluß in dem kleinen Odenwaldstädtchen. Der Exobersteuermann von U-04, Oskar Schuster, war sofort am Apparat. „Ach Sie sind es, Oberst“, sagte er vergnügt. “Was gibt es Neues, Schuster?“ „Einiges. Dieser Hamburger Redakteur war da wie erwartet.“ „Was haben Sie ihm erzählt?“ „Alles der Wahrheit gemäß. Nur an die genaue Stelle, wo uns damals der Bomber erwischte, konnte und konnte ich mich nicht erinnern.“ „Danke, Schuster.“ „Nichts zu danken. Ich habe Ihre Zehntausend erhalten. Dafür bin ich jederzeit bereit, noch mal einiges zu vergessen.“ „Sonst noch was?“ fragte der Mann in der Telefonzelle in München. Im Gegensatz zu seinem Kontakt mit der Presse, hatte er Schuster gegenüber sein Inkognito ein wenig gelüftet. ,,Ja klar, noch etwas“, antwortete der Rentner im Odenwald. „Es kam, wie Sie vorhersagten. Kaum stand mein Name in der Zeitung, riefen massenhaft Leute an. Aber einer nahm Kontakt auf.“ „Wie?“ „Ich führte gestern spätabends meinen Hund ums Haus. Da quatschte er mich an.“ „Deutsch?“ „Ich kann nur deutsch, und er sprach es nahezu akzentfrei. Fragen Sie mich nicht nach der Klangfarbe, er kann, Engländer gewesen sein, Franzose, Spanier, Italiener oder Skandinavier. Fragen Sie mich auch nicht, wie er aussah.
Es war dunkel, er trug Brille und Hut und schaute immerzu nach unten.“ „Was wollte er?“ ,,Den genauen Lageort des Wracks.“ „Und Ihre Reaktion, Schuster?“ „Erst hielt ich Ihn hin, dann kam er mit einem Angebot übern Tisch. Alles lief, wie Sie es prophezeiten. Er fing mit zehntausend an und ging bis fünfzig aber die Angaben müßten sehr genau sein.“ „Sie sagten okay?“ „Nicht sofort. Ich ließ mich erst langsam breitschlagen.“ „Ging er auf Ihre Bedingungen ein?“ fragte der Mann in der Telefonzelle in München. „Nach einigem Zögern schon. Ich erklärte ihm, daß ich die Zahlen nicht im Kopf, aber in meinem Tagebuch hätte. Das aber würde in meinem Häuschen in Oberbayern liegen. Er war mit allem einverstanden. Ich soll ihm nur noch Ort und Zeit unserer Zusammenkunft nennen er will pünktlich zur Stelle sein.“ „Er wird sich bei Ihnen melden?“ „Ja, telefonisch. Ich sagte, er würde von meiner Tochter Einzelheiten erfahren.“ „Und er schluckte das?“ „Anzunehmen. Heute morgen kam die Anzahlung in einem eingeschriebenen Brief. Zehn Tausender.“ „Gute Arbeit, Schuster“, lobte der Mann in München. „Ist das alles nicht ein bißchen illegal, Oberst?“ fragte der Rentner. „Nein. Sie verraten ja keine militärischen Geheimnisse. Sie verkaufen nur Informationen. Und obendrein falsche Zahlen. Das fällt nicht unter Paragraph hundert. Außerdem stehen Sie unter meinem Schutz.“ „Wann kann's losgehen, Herr Oberst?“ Der Mann in der Telefonzelle in München hatte noch eine Frage: „Versuchen Sie trotzdem, den Mann zu beschreiben.“ „Denke, Sie sind bei der Übergabe dabei.“ „Trotzdem hätte i ch schon vorher gerne gewußt, mit wem wir es zu tun haben.“ „Hilft Ihnen diese Beschreibung? Er war mittelgroß, vielleicht ging er gebückt, vielleicht trug er hohe Absätze.“ „Es kommen nur ein paar Leute in Betracht.“ „Spione für eine fremde Macht?“ erkundigte Schuster sich. „Wenn es nur das wäre.“ „Nun, das will ich gar nicht so genau wissen“, erklärte Schuster. „Morgen fahre ich zum Tegernsee. Dann fädeln wir die Sache ein.“ „Dann bis morgen.“ Der Mann in München hängte ein, verließ die Zelle und. bestieg seinen am Gehsteig geparkten BMW, ein stahlblaues CSi-Coupè. Dort steckte Robert Urban sich eine Goldmundstück-Zigarette an. Es lief. Wenn sie Glück hatten, bekamen sie den Burschen in den
nächsten achtundvierzig Stunden. Und er wollte den Job wechseln, wenn es nicht der Mann war, der die Absturzstelle der B-1B an die Sowjets verraten hatte. Urban ließ an und fuhr noch zu einem Bistro, um in netter Gesellschaft einen Bourbon zu nehmen, ehe es hektisch wurde.
4. Sie trafen sich in einem Nachtclub in Paris. Es ging auf Mitternacht zu. Alles was halbseiden war in Nordfrankreich Immobilienhaie, Großhehler, Ganoven die das schnelle Geld liebten, Edelnutten schien im Miracle versammelt zu sein. Die zwei Herren in der Ecke hinter der Säule fielen kaum auf. Erst recht nicht bei der Mitternachts-Show. Die Musik war so heiß, daß sich die Tänzerinnen völlig entkleideten. „Wissen Sie“, fragte der im grauen Anzug den im dunkelblauen, „wie man Sie neuerdings nennt?“ „Woher sollte ich.“ „Man nennt Sie Adler.“ „Und woher haben Sie das?“ „Man besitzt so seine Quellen. Adler bedeutet, daß man hinter Ihnen her ist.“ Der andere lächelte nicht einmal, so wenig berührte ihn diese Eröffnung. „Man ist hinter Adler her, nicht hinter mir.“ „Richtig. Man sucht den Adler, der von seiner Höhe aus viel sieht und dem man wenig anhaben kann, weil er der König der Vögel ist.“ „Und allein fliegt“, fügte der Mann im dunkelblauen Maßanzug hinzu. „Dann will ich das fortan als neuen Decknamen benutzen.“ „Interessiert Sie, wer die Aktion gegen Adler gestartet hat?“ „Gefahr droht von überall. Agenten sind darauf trainiert.“ „Es sind die Vereinigten Staaten.“ „Die sind besonders empfindlich, wenn man eines ihrer Geheimnisse weitergibt.“ ,,Aber es ist nicht die CIA“, schränkte der andere ein. Das löste bei Adler einiges Staunen aus. „Wer dann?“ „Man sagt, es komme direkt vom Weißen Haus.“ Adler reagierte ironisch. „Kaum anzunehmen, daß, es der Präsident persönlich ist, der mich jagt. Er gebietet über genug Hände, die es für ihn erledigen. Kennen Sie die Hand?“ Der in Grau er hatte einen deutlich slawischen Akzent bedauerte. Bei der zweiten Flasche Champagner kamen sie zur Sache. Der im blauen Anzug übermittelte seinem sowjetischen Kontaktmann einen Extrakt der Zeitungsmeldungen über das deutsche U-
Boot-04. „Nichts Neues“, tat der KGB-Oberst es ab. „In der Moskauer KGB-Zentrale lesen wir jedes bedeutende westeuropäische Blatt und analysieren die Artikel. „Aber ich weiß mehr.“ Sofort fing der Russe zu pokern an, denn jetzt ging es um Geld. ,,Wenn Sie soviel wissen wie vom Absturz der B-1B, dann winke ich dankend ab.“ Der im blauen Anzug spürte den Vorwurf und gab ihn kaltlächelnd zurück. „Ort und Minute waren genau. Die Information lag schneller auf dem Schreibtisch des KGB-Chefs als auf dem des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Daß Ihr Bergungskommando umständlich arbeitete und dadurch versagte, ist nicht meine Schuld.“ Der Russe schluckte es, weil es der Wahrheit entsprach. „Worin also besteht Ihr Mehrwissen um Unullvier?“ „Ich kriege den genauen Lageort des Wracks.“ „Angeblich kann sich der Obersteuermann nicht erinnern.“ „Für hunderttausend Mark erinnert er sich bestens.“ „Und für wieviel geben Sie es an uns weiter?“ „Für die gleiche Menge, aber in Dollar. Diesmal bin ich billig.“ Der KGB-Oberst leerte sein Glas, schaute der Stripperin zu, die nicht nur ihren Busen kreisen ließ, sondern ebenso perfekt auch ihre Gesäßbakken, dann stellte er den Blick wieder auf den Agenten ein. Er schätzte Verräter wenig, das lag in seiner Natur. Aber er mußte sich ihrer bedienen. Sie waren die Basis des Geschäftes. „Am Preis wird es nicht scheitern“, äußerte er vorsichtig. ,,Woran dann?“ „Am Wert des Gekauften.“ In diesem Punkt konnte Adler auch nur vermuten, kombinieren, Querschlüsse ziehen. „Bewiesen ist, daß Container an Bord von U-nullvier genommen wurden und daß ein Zivilist, der als Professor angesprochen wurde, mitfuhr. Erstklassige Reporter haben nachgeforscht. Da nach dem Krieg aber die IG-Farben-Fabriken entflochten wurden, läßt sich nicht mehr feststellen, we r damals aus welcher der vielen Forschungsabteilungen nach Japan geschickt wurde.“ „Wer weiß, vielleicht ist diese Sache längst überholt.“ „Möglicherweise“, spielte Adler die Angelegenheit herunter, „wurde U-nullvier durch die Bomben auch so stark in Mitleidenschaft gezogen, daß man nur noch undefinierbare Reste vorfindet.“ „Andererseits“, bemerkte der Russe, „sind Container meist recht stabile und seewasserfeste Behälter.“ „Und die Deutschen hatten damals Projekte in der
Entwicklung, die heute noch Spitzentechnologie sind. Ich denke da beispielsweise an ihre Borsig Luft-Luft-Raketen, an gewisse Medikamente, Antibiotikas, an Kunststoffe wie Perlon, die ganze Wasserstoffantriebstechnik, Kohleverflüssigung und Anti-Radar-Maßnahmen.“ Der Russe beugte sich vor. „Letzteres würde uns besonders faszinieren.“ „Na bitte.“ „Und wenn wir nur Rost finden?“ „Die Chancen sind zehn zu eins.“ „Und keine hunderttausend Dollar wert“, ergänzte der Russe. „Bedenken Sie, was eine Bergung kostet.“ „Die liefert die russische Marine gratis.“ Die Nackttänzerin auf der kleinen Bühne schleuderte im Rhythmus der Musik den Unterleib vor. Jedesmal, bei jedem Zucken, entsproß ihrer Schampartie eine neue Blume alle in den französischen Nationalfarben. Als der Strauß aus Blau, Weiß und Rot komplett war, zog sie ihn zwischen den Schenkeln hervor und warf ihn ins Publikum. Licht aus Tusch. Der Russe zollte Beifall und wandte sich an den Mann im blauen Abendanzug. „Schön, versuchen Sie, die Koordinaten zu kriegen. Aber, bitte, auf Bogenminute und Sekunde genau, Monsieur Adler.“ Daraufhin verabschiedete Adler sich rasch. Die Rechnung überließ er dem sowjetischen Geheimdienstoffizier. Die schmale Straße zwischen Bad Wiessee und Wildbad Kreuth, die Schuster ihm als Treffpunkt übermitteln ließ, hatte Adler erst auf der Karte des Bezirks Oberbayern suchen müssen. Jetzt war er, mit vierzigtausend Mark in der Tasche, in einem Mietwagen unterwegs. Es ging auf 21.00 Uhr. Eine kühle Spätsommernacht Der Vollmond stand niedrig. Es würde ziemlich hell bleiben. Die Straße führte vom Tegernsee aus bergwärts, fast immer durch den Wald und zwischen zwei Gipfeln hindurch, die sie um etwa tausend Meier überragten. Von dem westlichen hatte Adler sich den Namen gemerkt: Fockenstein. Es gab kaum Verkehr auf dieser Nebenstraße. Bis jetzt war ihm lediglich ein Motorradfahrer begegnet. Adler fuhr mit vollem Licht. Dies, um Schuster rechtzeitig zu sehen. Schuster wollte ab Kilometer sechs, von Wiessee aus gerechnet, seitlich der Straße irgendwo im Wald parken. Nach Angaben seiner Tochter fuhr er einen hellen Ford-Escort mit Sinsheimer Kennzeichen. Auch das sagte einem Ausländer wie Adler wenig. Wichtig war das Erkennungssignal. Auf zweimal
lang und zweimal kurz geblinkt, sollte Adler mit kurz-langlang-kurz antworten. Dann sollte er anhalten, sich eine Zigarette anstecken und langsam auf Schusters Wagen zugehen. Eine klare Abmachung. Das Sträßchen bog um eine Felszunge herum und senkte sich. Nach einem Hohlweg mit steilen Böschungen ging es bergauf in eine Kurve. Der Scheinwerfer schien die Stämme der Tannen abzutasten. Plötzlich traf ein scharfer Reflex Adlers Augen, Solche Reflexe entstanden nur durch polierte Metallflächen oder durch Glas. Und sie mußten eine gewisse Größe haben. Mit einemmal fühlte er, wie sein besonderes Sinnesorgan ansprach. Alle erfahrenen Agenten verfügten über so etwas, aber bei jedem wirkte es anders. Bei Adler entstand eine merkwürdige Verspannung der Oberlippe. Sofort wußte er: Hier ist Gefahr im Anzug! Aber noch wußte er nicht, in welcher Form. Der Wald führte bis dicht, an die Straße heran, doch dann wich er rechts zurück und bildete so eine Lichtung. Sie begann schmal und verbreiterte sich nach Süden hin. Nur die Bandzonen der Scheinwerferkegel seines Wagens erhellte sie. Aber er hatte erstklassige Augen und ein hervorragendes Nachtsehvermögen. Etwas Bizarres ragte aus dem Unterholz. Wie ein hockendes Rieseninsekt mit mächtigem Auge und angelegten Flügeln. Blitzartig wußte er, was es war. Ein Hubschrauber. Verdammt, wie kam ein Hubschrauber bei Nacht hierher? Was suchte er da oben? Und den Lichtreflex aus dem Wald, den mußte die Frontscheibe eines Fahrzeugs hervorgerufen haben. Vielleicht war es ein Transportwagen für Soldaten oder Polizisten. Wenn hier ein offizielles Nachtmanöver stattfand, dann hätten sie die Straße gesperrt. Also war es kein Manöver, sondern er fuhr in den Sack einer Falle, und hinter ihm hatten sie ihn schon zugebunden. Sein Gehirn arbeitete mit der Präzision eines Computers. Sekundenschnell warf es aus, was zu tun war. Weiterfahren. Durchbrechen durch den Sack. Vorausgesetzt, sie hatten die Straße nicht mit Bäumen oder Stacheldraht gesperrt. Wenn es nicht anders ging, dann raus aus dem Auto und querfeldein. Er war ein geübter Langstreckenläufer. Er schaffte sechzig Kilometer« ehe er zusammenbrach. Er wußte auch, wie man Hunde abschüttelte. Und er war nicht unbewaffnet. Ein Mann wie er nahm selbst zum Rendezvous
mit einer Dame die Pistole mit. Adler projezierte die Karte in sein Gedächtnis, Luftlinie bis zum Achenpaß, bis zur Grenze nach Osterreich also, rund zwanzig Kilometer. Er gab Gas. Du mußt so weit wie möglich kommen, dachte er, und die Sperre rechtzeitig erkennen. Dann zeigst du ihnen die Zahne. Versuche, sie zu bluffen. Irgendwie! Der Motor heulte im dritten Gang. Er ließ den Wagen durch die Schotterkurven driften, daß der Kies spritzte. Wie war das bloß möglich gewesen? Okay, Washington hatte eine Maulwurfsuchaktion nach ihm gestartet, aber daß sie ihm schon hier auf den Fersen waren, so schnell... Vielleicht hatte er sich auch geirrt. Eine Steigung kam, mindestens zwanzig Prozent. Erster Gang. Dann Kurvengeschlängel, übergehend in Serpentinen. Eine Brücke führte über einen Wildbach. Gefälle. Danach ein gerades Stück und rechts ein heller Punkt. Der Escort. Er blinkte wie verabredet, zweimal lang, zweimal kurz. Ein Mann stand daneben. Als er sah, daß Adler sein Tempo nicht verringerte, sprang er in den Wagen, vermutlich, um ihn auf der Straße querzustellen. Doch da war Adler schon sehr nahe. Er hatte die Scheibe heruntergekurbelt und die Eierhandgranate in der Rechten. Mit den Zähnen biß er den Sicherheitsstift heraus, ließ den Federbügel los und warf. Gleichzeitig ein Tritt aufs Gaspedal. Der Mietwagen zog, voll beschleunigend, ab. Zwei Sekunden. Drei Sekunden. Abstand zu dem Escort jetzt fünfundzwanzig Meter, Dann die Detonation, der Blitz, die Erschütterung, die Druckwelle, der in den Ohren schmerzende Knall. Dürres Unterholz fing zu brennen an. Vielleicht hast du dich geirrt, dachte Adler. Dann hast du dich verraten wie ein Idiot und könntest statt dessen jetzt im Besitz der Koordinaten sein, auf die Moskau wartet. Aber vielleicht war eben zu wenig. Ungehindert kam er bis zur Bundesstraße 307. Bei einem Gasthaus in Glashütten stellte er den Miet-Golf hinter die Scheune und entschloß sich unter den geparkten Fahrzeugen für einen Mercedes aus Starnberg. Er knackte ihn. Da er kein geeignetes Werkzeug bei sich hatte, dauerte es länger: ungefähr zwei Minuten. Er mußte die Scheibe einschlagen, um hereinzukommen. Mit brachialer Gewalt riß er die Sperrbolzen im Lenkschloß ab. Im Kabelgewirr unter dem Lenkrad suchte er die richtigen Drähte und fummelte daran
herum. Die Zündung sprang an, der Anlasser drehte. Wenden und ab. Kurz nach 22.00 Uhr überquerte er die Staatsgrenze am Achenpaß. Die Grenzer winkten ihn durch.
5. An einem Tag mit Rückenwind flogen die Bälle besonders weit. Der kleine Golfspieler zog seinen Caddie-Wagen selbst. Er ließ sich auch von keinem beraten, welches Eisen für diesen oder jenen Schlag das beste war. Und dies, obwohl er als Golfer nie geglänzt hatte. Man konnte sagen, von all den Dingen, die er hervorragend beherrschte, kam Golf mit Abstand zuletzt. Vielleicht war es deshalb sein Hobby. „Ich werde mich verbessern“, sagte er zu sich selbst, wenn ihm wieder einmal ein Putt vom Grün ins Loch weit danebenging. Sein Handikap womit Golfspieler ihre Leistung auszudrücken pflegten war mies. „Aber ich werde mich verbessern“, erklärte er dann oben an der Bar, im exklusiven Highland-Club, lautstark. Das nächste Loch spielte er mit einem Schlag über Par. Man nannte das einen Bogey, und es gab einen Minuspunkt. Er wanderte seinem Ball hinterher und schlug ihn mit dem schweren Eisen, dem Sand Wadge, aus dem Bunker, daß es nur so staubte. Der Ball flog zu kurz. Du hättest das schwerere Eisen nehmen müssen, dachte er, den vierhundertfünfzig-Gramm-Schläger. „Ich werde mich verbessern“, tröstete er sich selbst. Aber er wußte, ein As würde er nie werden. Zum Teufel, woran lag es bloß? Im Leben war ihm wie oft bei kleinen unscheinbaren Männern fast alles geglückt. Nur beim Golf hatte er Pech. Es kam wohl daher, daß er kaum einssechzig maß. Doch er gab nicht auf. Besonders solche Tage mit Rückenwind, wenn der Himmel blau war, mit ein paar Wolken und man die See riechen konnte, liebte er über alles. Er setzte den Ball auf den Plastikstift, den man Tee nannte, stellte sich hin, nahm Maß und trieb ihn in einem wunderbar weiten Schlag davon. Natürlich ins Rough, ins hohe Gras, wo man ihn nicht fand. Das bedeutete wieder Punktabzug. Der kleine Mann zog seinen Wagen mit dem Schlägersack die zweihundert Meter ins Tal, suchte den Ball, und plötzlich stand einer da und deutete mit der Schuhspitze
seines Gucci-Slippers auf das weiße, runde Gummiding. Tom, der Golfer, stieß das Eisen in den Sack und ließ Golf Golf sein. Ungläubig musterte er den Mann. Er kannte ihn gut. Es hatte eine Zeit gegeben, da waren sie, wenn auch nicht direkt befreundet, so doch dicke Kumpel« gewesen. Aber wie es so kam, die Jobs trennten einen. Man verlor sich aus den Augen. Und jetzt, nicht zu fassen, stand er vor ihm auf diesem Golfplatz in Nordschottland. Also wollte er zu ihm. Was sonst wohl. „Hallo, Dynamit!“ rief der MI-6-Agent ehrlich entzückt. „Hallo, Tom“, sagte Bob Urban. Tom hob die Hand. „Kein Wort weiter. Gehn wir erst einen trinken.“ Auf dem Weg ins Clubhaus wurde der Engländer neugierig. „Du marschierst nicht zufällig beim kleinen Tom vorbei. Dazu hast du gar keine Zeit.“ „Dafür hast du um so mehr, wie man hört.“ „Ich bin nicht in Pension“, sagte Tom, „nur zet-be-vau.“ „Warum haben sie dich kaltgestellt?“ „Ich bin nur zet-be-vau“, wiederholte Tom, von dem man wußte, daß er für den britischen Geheimdienst dasselbe war wie Bond fürs Kino, nur nicht so hübsch. „Ich laborierte an einer saublöden Gelbsucht rum. Hat mich doch glatt einen Monat auf die Federn geschmissen. Aber ich war auch schon wieder in London. Jetzt bin ich im Training.“ Urban blieb Stehen. „Worin besteht dein Konditionstraining?“ Tom grinste. „Ich bete viel“ Dann wurde er mit einem Mal ernst. »Dynamit, wo brennt's?“ Mit dem Instinkt des Geheimagenten, ohne den man nicht lange überlebte, hatte er rasch kapiert, daß Urban nicht gekommen war, um guten Tag! zu wünschen. „Ich brauche dich, Tom.“ „Offiziell?“ „Halb. Nur der jeweilige Boß der Dienste weiß Bescheid.“ „Wofür?“ „Ganz heiße Sache. Dafür suche ich mir in Europa ein paar Experten zusammen. Du hattest nie vor irgend etwas Angst.“ „Doch“, gestand Tom. „Vor großen Weibern. Ich sehe mich immer an ihnen hängen wie ein Klammeraffe.“ „Du bist genau der Mann, den ich brauche.“ „Nur mich?“ „Wir werden zu viert sein“, äußerte Urban. „Wer macht noch mit?“ „Weiß ich noch nicht. Du bist der erste, den ich besuche und frage. Aber schätze, du wirst sie alle kennen, wie sich jeder im Club der Zwölf kennt.“ „Der zwölf fixen und schnellen Jungs“, scherzte Tom, „von denen ich der minimalste bin. Wie hast du mich oft aufgezogen? Er ist ein bißchen klein,
aber das macht nichts. Wenn er angegriffen wird, steigt er auf den Stuhl, oder er beißt den Gegner ins Knie.“ „Ich soll das gesagt haben?“ wunderte Urban sich. „Weißt du noch im Sinai, in dieser wilden Geschichte mit den Beduinen, die das Plutonium aus der abgestürzten Transportmaschine geklaut hatten? Ich nahm nicht den Stuhl, sondern sogar die Leiter, aber dieser Scheik war einfach zu groß für mich. Damals hast du mich rausgehauen.“ „Und jetzt“, hakte Urban sofort nach, „hilfst du mir. Okay?“ „Es geht wohl nicht anders. Da komme ich nicht dran vorbei.“ „Kaum.“ „Und was kann ich für dich tun?“ „Sei blind und taub“, sagte Urban, „und verschwiegen. Kein Wort, zu niemandem.“ „Wann geht es los?“ „Das erfährst du noch.“ Im Clubhaus tranken sie, was aus der Flasche in sie hineinging. Tom schluckte wie ein Bursche von einsneunzig. Anschließend brachte er Urban zum Flugplatz. „Mit deinem Alkoholspiegel?“ fragte Urban, als Tom sein Jaguar-Cabrio anließ. Der MI-6-Agent grinste. „Bei uns fährt doch jeder besoffen“, sagte er. „Genau wie in Bayern. Natürlich nicht im Dienst. Dienst ist Dienst. Okay?« Lächeln und Freundlichkeit hatten bei Peer nie Anlaß zu Klagen gegeben. Sie waren bei dem Norweger nicht vorhanden. Als er Urban sah, stand er auf dem Deck seines Heringskutters, gröhlte und gestikulierte wild mit den Armen. „He, was sehen meine entzündeten Augen? Mister Dynamit. Dich gibt's noch, und fünfhundert Millionen Chinesen wissen nichts davon.“ Urban sprang an Deck des stinkenden Kutters, den sich Peer umgebaut hatte. Kaum hatte er sich in der bequem eingerichteten Kajüte hingefläzt, begann der Kutter, ungewöhnlich stark zu schaukeln. Gleichzeitig sprang ein Motor an, dessen Pferdestärken den Kahn schier entzweirissen. Er war mindestens zehnmal so stark wie ein normaler Bootsdiesel. Der Kutter legte los wie ein Rennboot. Urban stieg wieder an Deck und trat zu Peer ins Ruderhaus. „Anstatt Familie“, erklärte der Norweger. „Und immer nach dem Motto: Mehr scheinen als sein!“ Dazu grinste er, denn Lachen hatte er nie gelernt. „Was ist das für eine Maschine?“ „Mopedmotor“, witzelte der Norweger. „Aber mit siebzehn Turbos.“ „So hört es sich an.“ „Ist aber ein ganz simpler Rolls-Royce-Flugmotor.
Aus einer alten Spitfire, die in der Scheune meines Vaters notgelandet ist. Hat satte zweitausend PS. Hab' ihn ausgegraben und konserviert. Jetzt macht er wieder Dienst und freut sich seines Lebens.“ Er trieb den Kutter mit gut und gern dreißig Knoten den enggeschlängelten Fjord entlang meerwärts. Es wurde frisch. Peer deutete auf eine Lederjacke mit Schafpelzfutter, Urban zog sie an. Sie standen im Ruderhaus, rauchten, tranken Aquavit aus der Flasche und verscheuchten die Mücken. Peer vom norwegischen Geheimdienst, auf Wochenendpause nördlich von Bergen, sagte: „Du bist doch nicht aus Jux am Polarkreis, oder?“ „Ein Jux ist es, verdammt, nicht. Woran arbeitest du gerade, Peer?“ „Nichts Heißes. Ich organisiere den Innendienst um. Nach KGB-Muster. Sie denken, ich wüßte darüber am besten Bescheid. Ziemlich sture Arbeit, diese Bürohengste vom Mittelalter in die Neuzeit zu transplantieren. Da tut einem die Luft hier oben wirklich gut. Die Tage werden kürzer. Gibt bald den ersten Schnee. Aber es tut gut.“ Urban kam zur Sache. „Ich habe da ein Problem, Peer.“ Peer nahm Witterung auf. „Und dazu brauchst du den alten Wikinger.“ „So ist es.“ Peer fragte nicht, warum und wozu. Es machte ihn nicht eine Sekunde besorgt, ob die Sache mit seinem Chef abgesprochen sei. Er vertraute Urban. Wenn der kam und sagte, ich brauche dich, auch ohne zu erwähnen, daß Peer ihm einen Dienst schuldete, dann war er zur Stelle. „Wann geht's los?“ wollte er lediglich wissen. „Das erfährst du noch.“ „Warme Unterhosen oder Dreiecksbadehose?“ „Für die Ausrüstung wird gesorgt“ Wieder verfiel Peer in Sturmgebrüll. „Kosten spielen keine Rolle. Das mag ich an dir, Dynamit. Weißt du noch, damals in der Mongolei, als wir diesen Professor aus dem verluderten Atomkraftwerk rausholten, ehe es in die Wolken abmarschierte. Mann, da kamen sie an wie die Mücken. Wir haben sie erschlagen wie die Mücken. Und jetzt zerschlagen wir die Mücken wie sie.“ Es gab wirklich eine Menge Mücken, und sie hatten zu tun, sich ihrer zu erwehren. Urban wußte, was jetzt kam. Das Wiedersehen würde gefeiert werden. Schlimmer als irgendwo, schlimmer als in Schottland. Die Drinks im Clubhaus der Highland-Golfer waren ein Kindergeburtstag dagegen. Am Ende des Fjords, wo man den Atem der See
spürte, wenn man den Kutter treiben ließ, stellte Peer ab. Sie gingen unter Deck. Peer schnitt Brot, machte eine Dose Thunfisch in Öl auf und entkorkte zunächst zwei Flaschen. „Skal“ Sie tranken und redeten. „Erzähl!“ sagte Peer immer wieder. „Wir hier oben, wo es ein halbes Jahr lang Nacht ist, kriegen immer nur die Hälfte mit. Wie war das mit diesem B1B-Bomber in Pakistan? Was hört man da von einem alten Nazi-U-Boot? Los, erzähl, Junge! Halte dich nicht lange bei der Wahrheit auf, erzähl mir ruhig Märchen, Aber erzähl was. Skal!“ Urban sagte: „Tom macht auch mit.“ „Tom, der MinusMann?“ Peer riß die Augen auf. „Geht es ins Land der Liliputaner, oder soll er den Kreml von innen her anbohren?“ „Wir werden vier Mann sein“, erklärte Urban. „Nummer eins bist du.“ „Nummer zwei ist Tom, der Kleine.“ „Nummer drei bin ich“, sagte Peer. „Nummer vier ...“ Der Norweger winkte ab. „Danke, die Zahlen von eins bis vier kenne ich. Du wirst es schon machen. Skal! Sag mir wenn es soweit ist. Schätze, die Sache steht noch auf dünnen Beinen.“ Urban nickte. „Auf gar keinen Beinen“, gestand er. Zwei Tage später den Kater hatte er mit einer Gegeninjektion, bestehend aus Alkohol, kuriert landete Urban mit dem BNDDienstflugzeug auf einer großen Fattoria in der Toskana. Die Landung war erlaubt, denn das weitläufige Landgut besaß einen eigenen Flugplatz. Urban rollte mit der einmotorigen Cessna hügelan auf die riesige Arkadenvilla zu. Dann stellte er ab und stieg aus. Die Hitze prallte ihn an. Mindestens dreißig Grad Dazu blies ein Südwind, der vielleicht zweiunddreißig Grad heiß war. Überall summte es von Zikaden, Insekten und was es sonst noch so gab an Getier im Gras, in den Büschen, in den Olivenbäumen. Vom Haus her näherte sich eine Gestalt. Urban hatte gewußt, daß er Rio antraf. Er hatte es von dessen Dienststelle in Rom erfahren. Gewiß hatte auch Rio, mit seinen superfeinen Ohren und seinen Falkenaugen, die Maschine schon im Anflug identifiziert Neben der hochgewachsenen athletischen Gestalt humpelte ein Tier. „Mit dem ist nichts mehr los.“ Rio deutete auf seinen Hund. „Den muß man zur Jagd tragen, genau wie den alten Rio.“ Diesen Eindruck hatte Urban ganz und gar nicht von seinem Gegenüber. Sie
umarmten sich. Mit seinem geradezu verheerenden Charme küßte der Italiener ihn. Er fragte nicht lange, wohin und woher. „Komm ins Haus, Bruder“, sagte er. „Komm in den Schatten, zu Wein, Weib und Gesang.“ Unter den Arkaden hatte jemand bereits den Tisch gedeckt Eine Karaffe mit toskanischem Wein stand da. Sie beschlug in der Hitze, also war der Wein kühl. Rio goß ein. „Cin cin, amico mio, salute e molti soldi! Ich freue mich, daß du da bist.“ Urban freute sich ebenfalls. Es war seine letzte Station, „Es ist, als hättest du mich erwartet“, stellte er fest. „Ja, es lag etwas in der Luft wie Dynamit.“ Urban kannte Rio schon lange. Sie hatten viel im Süden, in Libyen, zusammengearbeitet, mal gut, mal weniger gut. Aber Rio gehörte nicht zu jener Sorte von Italienern, von der man sagte, ihre Panzer verfügten über drei Rückwärts- und einen Vorwärtsgang. Den Vorwärtsgang für den Fall, daß der Feind unverhofft von hinten käme. Nein, Rio war hart im Nehmen und hart im Zurückgeben. Aber alles mit Charme, lachend, immer ein Lied auf den Lippen. Mia bella Napoli! Rio setzte sich in Positur. „Wie findest du mich?“ fragte er eitel. Urban musterte ihn anstandshalber etwas länger. „Du bist in Form, Rio.“ „Wie du mich findest?“ Urban suchte nach einem Vergleich. Der Bursche hatte einen echten Cäsarenkopf. „Früher“, sagte Urban, „hast du ausgesehen wie ein Enkel von Kaiser Konstantin. Jetzt bist du mehr stromlinienförmig.“ „Wie stromlinienförmig?“ „Vielleicht wie ein Sohn von Alfa Romeo.“ Diesen Vergleich fand Rio so riesig, daß er einen Mädchennamen rief. Daraufhin erschien eine toskanische Schönheit, der er alles erzählte. Sie lachte mit ihm, und er sagte: „Das ist Tonia. Sie hat mir kürzlich einen Sohn geschenkt.“ Urban bezweifelte, daß sie seine Frau war. Aber der alte Mann, der ebenfalls herausgekommen war und der aussah wie Rio, nur dreißig Jahre älter, der war gewiß sein Vater. Der Alte winkte nur und humpelte zu den Stallungen hinüber. „Er war ein armer Tagelöhner“, erzählte Rio. „Jetzt fühlt er sich auf meinem Gut wie ein Conte. Was kannst du als Sohn besseres für deine Eltern tun?' Urban fragte geradeheraus, ob Rio Zeit hätte. „Alles, nur das nicht“, lautete die Antwort. „Dann nimm dir Zeit, Amico.“ „Wofür?“ „Für eine heiße Sache.“ Rio stellte die Frage, auf die Tom und Peer verzichtet
hatten. Er fragte, ob es offiziell sei. „Man wird dich bei SISMI freistellen.“ Der Italiener er war nicht nur ein erstklassiger Agent, sondern auch geschäftstüchtig rieb den Daumen auf dem Zeigefinger. Urban verstand. „Du wirst zufrieden sein, Rio.“ „Unter hundert Millionen Lire halte ich den Kopf nicht mehr hin.“ „Das kann ich nicht bezahlen“, log Urban. „Dann laß uns einen trinken. Laß uns trinken und Zusammensein, solange du willst. Du bist mein Gast. Ich bin dir das schuldig. Aber wenn du gehst, wird Rio nicht dabeisein.“ „Es hat Zeit“, äußerte Urban. „Vor September läuft die Sache nicht an.“ Rio kniff die Cäsarenaugen schmal. „Was für eine Sache?“ „Sie ist noch geheim.“ „Supergeheim?“ „Es gibt einen neuen Geheimgrad, den höchsten, höher als cosmic, er nennt sich royal-secret.“ „Das macht mich geil“, gestand Rio. „Aber es ist nur Neugier.“ „Steig ein, und du erfährst alles.“ „Jetzt will ich es wissen. Vorher.“ „Nein. Erst wenn wir nahe dran sind.“ Rio winkte ab. „Bloß kein Risiko. Jeden meiner Zacken liebe ich. Ich will mir keinen davon abrechen. Erinnerst du dich an Tripolis?“ „Ja, du hattest eine Menge Weiber.“ Rio war fast beleidigt, als er entgegnete: „Es ist völlig unzutreffend, wenn immer behauptet wird, daß ich eine Dame auf dem Barhocker vögelte. Es gab' keine Barhocker in dem Hotel, nur Betten.“ Dann lachte er wieder, daß der Putz von den Wänden fiel. Aber als Urban zur Sache kam, winkte er ab. „No“, entschied er. „Rio liebt sein Leben. Und ich kenne dich, Dynamito. Wenn du einen wie mich anheuerst, dann regnet es... Was, zum Teufel, kam doch damals bei Sodom und Gomorrha vom Himmel? Genau das meine ich: glühende Scheiße.“ Urban packte Rio bei seiner Ehre. Er sagte, es ginge um die Sicherheit des Westens. Er lockte ihn mit Geld, erwähnte die Waffenbrüderschaft im NATO-Geheimdienstverbund, Rio blieb beim Nein. Stur wie einer seiner Schafböcke. Urban überlegte. So kriegst du ihn nicht. Aber vielleicht kriegst du ihn andersherum. Er wollte durchsetzen, daß sie ihn nach Rom riefen und ihm einen Job gaben, der mieser war als jeder andere, den er aber ablehnen konnte, wenn er sagte, er habe die Royal-secret-Sache mit Urban abgeschlossen. Das mußte er dem Admiral allerdings heimlich ins Ohr flüstern. Urban spürte, daß dies ein Tag mit Gegenwind war, und brach auf, als er merkte, daß er so nicht
weiterkam. „Schade, Rio“, bedauerte er. „Tom, der Kleine, macht mit und Peer, der Wikinger.“ „Ich lasse sie grüßen.“ „Du hast es nicht mehr nötig, he?“ „Bei mir hängen schon zu viele Orden im Schrank. Welche Brust sollen sie schmücken, wenn meine durchschossen ist.“ „Es gibt Fälle, da darf man Freunde nicht im Stich lassen.“ „Che belle parole“, höhnte Rio. „Was für hohle Worte. Komm ein andermal wieder, Dynamit. Für einen Zug durch die Puffs von Mailand will ich immer dein großer Führer sein.“ Urban stieg in seine Einmotorige, ließ an und rollte zum Start. So mühsam hatte er sich das nicht vorgestellt. Einen von den dreien hatte er unterschätzt. Er hatte gehofft, sie würden alle begeistert einsteigen, schon um die Sache unter Kontrolle zu haben und sich notfalls per Befreiungsschlag heraushauen zu können. Bei Rio hatte er sich wohl geirrt. Und am Ende bekam Urban Rio doch. Er fingerte etwas über NATO-Brüssel mit SISMI in Rom. Er hatte in der Sache schon so viele Hilfskonstruktionen gebaut, daß es auf die eine nicht mehr ankam. Zwei Tage später rief Rio an. „Wann gehen wir los, Amico?“ ,,Bist du krank geworden?“ Urban tat erstaunt. „Der Admiral im Palazzo wollte mich nach Sizilien versetzen, um dort die Abwehr in Schwung zu bringen. Weißt du, was Sizilien für einen Toskaner bedeutet? Das ist schlimmer als Zentralafrika plus Timbuktu, multipliziert mit Uranda Burundi. Ich habe dem Admiral was ins Ohr geflüstert. Etwas mit royal-secret.“ „Und er hat dich freigestellt?“ „Wann geht es los?“ „Fang mit deinem Konditionstraining an, Rio“, riet Urban. „Va bene, ich werde Tonia einmal mehr pro Nacht beglücken. Wenn es ihr zuviel wird, hat sie noch eine hübsche Schwester. Ich warte auf deinen Anruf, ci vediamo, amicol“ Da wußte Urban, daß er ihn hatte. Die Sache konnte anlaufen.
6. „Einer von den dreien ist es“, beharrte Urban. „Und er saß in dem Wagen, den wir ins Gebirge lockten.“ „Der Sie und diesen Schuster beinahe getötet hätte“, entgegnete sein Chef, Oberst a. D. Sebastian. „Nun, eine Handgranate ist das mindeste, was ein Agent an der Uhrkette trägt.“ „Er war so nahe, warum, zum Teufel, entkam er?“ „Fragen Sie die Landpolizeidirektion. Sie
hatten andere Vorstellungen. Hinten Hubschrauber, vorne nichts.“ „An der Grenze hätte man ihn zumindest kriegen müssen“ „Der Anruf kam wenige Minuten später, nachdem er mit einem gestohlenen Mercedes durchgerauscht war.“ Sebastian ärgerte die Sache so, daß er erklärte, er wolle damit nichts zu tun haben, nichts mehr davon hören. Genaugenommen rührte sein Ärger daher, daß alles an ihm vorbeilief. Nicht mal mit dem Nagel des kleinen Fingers konnte er im Fall Adler mitmischen. Und das wurmte ihn. „Warum übernehmen Sie hier nicht einfach den ganzen Laden“, giftete er Urban an. „Das wäre wohl das letzte“, äußerte Urban, „was sich ein Mann wünschen könnte.“ Auf diese Weise abgeschmettert, verfiel der Oberst in dumpfes Brüten und richtete an diesem Tag kein Wort mehr an seine Nummer 18. Urban erledigte den Bürokram und fuhr nach Hause. Noch nicht in Grünwald, summte das Autotelefon. Es war die BND-Zentrale, er kannte die Stimme der Telefonistin. „Ein Transcontinental für Sie. Washington. Ich verbinde.“ Sie hatten in der Zentrale die nötigen Einrichtungen, um einlaufende und ausgehende Gespräche zusammenzuschalten. Die Qualität litt kaum darunter „Hier George“, meldete sich der CIA-Direktor so klar, als wäre es ein Ortsgespräch. Sie hatten vereinbart, einander nur dann zu informieren, wenn es wichtige neue Erkenntnisse gab. Offenbar hatte George welche gewonnen. „Erstens“, begann er. „Der Bursche, den wir suchen, ich meine Adler, hat noch viel mehr auf dem Kerbholz als nur den B-1B-Verrat. Ich habe da mal nachfassen und Analysen anhand bestimmter Grundsituationen anfertigen lassen. Stets gleichen sich die Abläufe. Sie erinnern sich, daß wir Probleme mit einem unserer Flugzeugträger hatten. Ein Brand hätte beinahe auf das Atombombenlager übergegriffen, und das mitten im Ochotskischen Meer, nur wenige Meilen außerhalb der sowjetischen Hoheitsgewässer. Der Vorfall war nur auf höchster NATO-Ebene bekannt. Doch im Nu war unser Träger von sowjetischen U-Booten und Zerstörern umzingelt. Wie von Haien, die ein blutendes Opfer wittern. So schnell kann keine Flotte aufkreuzen, es sei denn, sie wurde alarmiert, und wenn sie alarmiert wurde, dann nur durch Verrat. Nächster Fall: Damals, als unsere Marins in Grenada an Land gingen,
wußte eine Stunde vorher kaum einer von der geplanten Aktion. Außer dem Pentagon waren nur höchste NATO-Stellen eingeweiht ...“ „Unter anderem London, Oslo und Rom“, warf Urban ein. „Trotzdem war die kubanische Besatzung vorgewarnt, und empfing uns mit allem, was ihre Rohre hergaben. Auch hier lief eine Warnung via Moskau.“ „Ich bin dabei“, versicherte Urban, „herauszufinden, von wo aus sie nach Moskau lief.“ George erwähnte noch zwei andere Fälle von Verrat beziehungsweise Frühwarnung, die auf Adler zurückzuführen sein mußten. „Ich kriege ihn.“ Urban hielt es für wenig angebracht, selbst an seinem Erfolg zu zweifeln. „Aber Ihr erster Vergleich schlug fehl, wie man hört.“ „Wäre ja auch zu leicht gewesen.“ Der CIA-Chef machte weiter. „Nun zu Punkt zwei: Meine cleveren Kerlchen in der Firma haben natürlich Wind bekommen. Ein guter Mitarbeiter zieht immer schon die Jacke an, ehe der Abteilungsleiter friert. Wäre ja auch zu einfältig, anzunehmen, Ihr Auftritt bei FBJ und im Pentagon würde nicht zu Diskussionen führen. Okay, die Knaben sind also munter geworden, ziehen ihre Schlüsse, und sie werden ihre Verantwortung ernst nehmen. Das bedeutet, daß man Sie wahrscheinlich beobachten wird, Dynamit, daß man Sie beschattet, daß man gar versuchen wird, Ihnen einen Mann ... wie es im Jargon heißt, aufs Auge zu drücken.“ „Nichts davon bemerkt“, äußerte Urban. „Aber seien Sie gewarnt.“ „Ich rechne mit allem.“ „Weiter durchhalten, aufpassen und stumm bleiben. Adler hat die Augen eines Falken und die Ohren eines Luchses.“ „Sonst wäre er nicht so gefährlich“, betonte Urban. Sie wollten weiterhin engen Kontakt pflegen. Über das normale Maß hinaus schenkte Urban den Fahrzeugen, die ihm folgten, besondere Aufmerksamkeit. Entweder der Verfolger besaß großes Geschick im Observieren oder es gab keinen. Urban war ziemlich sicher, daß eher letzteres zutraf. Es war wie in jedem Krieg gegen einen professionellen Gegner. Tagelang herrschte Ruhe an der Front, und mit einem Schlag begann das Trommelfeuer. Urban stellte sein BMW-Coupè in die Tiefgarage und fuhr mit dem Lift in sein Penthouse. Im Lift hing ein anderer Geruch als sonst Gewöhnlich überwog das Putzmittel die Reste von Parfüm und Lotion welche die
Lederbespannung im Laufe der Jahre aufgesogen hatte. Heute schwebte ein neuer Duft in der Kabine, herb frisch. Am Ende erinnerte er ein wenig an Tannen, an denen Zitronen hingen. Urban kannte die Gewohnheiten der drei Leute, die unter ihm wohnten. Der Industrielle aus dem Ruhrgebiet war selten da. Er benutzte die Luxuswohnung nur als gelegentliche Absteige. Die Dame im zweiten, Konsulin einer mittelamerikanischen Republik, verwendete einzig und allein Miß Dior. Der Schauspieler, noch eine Etage tiefer, galt als der Supermacho des deutschen Films und akzeptierte ausschließlich Tabak und Rum. Manchmal roch es nach guter Kernseife mit KölnischJuchten der Nachkriegsjahre. Das stammte dann von der Hausmeisterin. Aber dieser neue Duft war wie das Wetterleuchten am Horizont, wenn die feindliche Artillerie feuerte. Der Lift hielt sanft an. Urban hatte nur wenige Schritte über Marmor, Teppiche, Marmor bis zu seiner Wohnungstür. Sie war spaltbreit offen. Von den drei Schlössern war mindestens eines immer versperrt. Urban begnügte sich meist mit einem Schloß, weil er wußte, daß jemand, der hineinkommen wollte, auch hineinkam. Beim Weggehen hatte er die Tür verschlossen, und seine Putzfrau kam nur freitags. Heute war Mittwoch. Vorsichtig drückte er die Tür weiter nach innen. Jetzt konnte er vom hufeisenförmigen Entree bis hinunter in die Wohnhalle sehen. Überall brannte Licht. Er lauschte. Zu hören war nichts. Vorsichtig betrat er sein eigenes Heim. Dabei vergrößerte er den Türwinkel um etwa fünfundzwanzig Grad. Plötzlich fiel etwas von oben herunter. Etwas Gerilltes, Eiförmiges. Es war schwer genug, um laut auf dem Marmorboden aufzuschlagen, einmal zu springen und dann wegzurollen. Urban kannte die heimtückische Gefährlichkeit von Eierhandgranaten. Mit einem Satz war er bei ihr, bückte sich, packte sie, um sie durch die Halle, durch das Panoramafenster in den Swimmingpool auf der Terrasse zu werfen. Oder hinaus in die Gärten, wo sie weniger Schaden anrichten konnte. Aber er warf sie nicht, sondern behielt sie in der Hand. So genau wie ein Bäcker wußte, wie schwer eine Semmel zu sein hatte, wußte er, wie schwer eine Eierhandgranate dieses Typs wog. Falls sie komplett mit Sprengstoff und Zünder versehen war. Dieses Ding jedoch war
nicht mehr als die eiserne Hülle einer russischen Eierhandgranate vom Typ Bronsky. Er hob sie ans Licht. Der Federbügel war in Abzugstellung, der Sicherheitsring abgerissen. Eine schwarze Gummischnur hielt die zwei gerippten Hälften zusammen. Behutsam löste er die Schnur. Die eisernen Schalen fielen auseinander. Darin lag ein Zettel, auf dem mit Maschinenschrift in Englisch stand: Der Adler grüßt den Bastard. Das gefiel Urban beinahe noch weniger, als wenn man hinterrücks einen Schuß auf ihn abgefeuert hätte. Der Adler war also gewarnt und wußte, wer ihm nachstellte. In der Wohnhalle legte Urban die Hälften der Eierhandgranate neben die Flaschen auf dem Rokokotisch und goß einen Doppelten ein. Dann hob er den Hörer vom Telefon und tastete eine Nummer in die Knöpfe. Dabei musterte er die Frau, die im Sessel mit dem Rücken zur Tür saß und von der der neue Duft stammte. Ihr Duft war der Abschußblitz gewesen, die Handgranate, das heranorgelnde Geschoß und sie nun der Einschlag. Während er wählte, fragte er: „Und was bitte, Gnädigste, wünschen Sie?“ Die Zentrale der Landpolizeidirektion war belegt. Urban nahm einen Schluck und steckte sich eine MC an. Er kannte dieses Mädchen. Jetzt fiel ihm auch wieder ein, woher. Das Aussehen einer Amerikanerin mit spanischen Vorfahren war nicht alltäglich. Dazu diese vornehme Eleganz. Man sagte, wahre Eleganz sei ein kleiner Schritt der Tagesmode hinterher. Kein Zweifel, sie war es. Nur für Sekunden hatte er sie auf der Party in Washington von vorne gesehen und später nur noch diesen makellos schönen, zartbraunen Rücken. „Die Tür war offen“, sagte sie. „Und das erklärt alles“, höhnte er. „Ich spiele gewöhnlich nicht mit Eierhandgranaten, falls Sie das meinen.“ Er hob die Brauen. „Aber Sie wissen, daß es eine ist.“ „Manchmal läuft ein Rambo-Film im Fernsehen.“ Es gab ungefähr einhundert Fragen, die er an sie hatte. Er stellte keine einzige. Schließlich war nicht er in ihr Appartement in Washington eingedrungen. „Über Schuster kam ich zu Ihnen“, glaubte sie andeuten zu müssen. „Schuster?“ tat er erstaunt. Sie schlug die Beine, lange schlanke Dinger, übereinander. „Dieser U-Boot-Artikel wurde auch vom Times-Magazin aufgenommen. Sie zitierten die Aussage eines gewissen
Schuster, der damals zur Besatzung gehörte. Ich kontaktierte ihn. Er gab mir Ihre Adresse, Colonel.“ „Dann muß es verdammte Gründe dafür geben“, bemerkte Urban. Er hatte den Exobersteuermann dreimal vergattert, niemandem zu sagen, wer der Initiator der Sache sei. „Bedaure“, fuhr sie fort, „daß der Mann, dem Sie vertrauten, sein Schweigen brach. Aber es ist nun einmal so. Nehmen Sie es hin. Vielleicht lag es an den Gründen, die ich ihm nannte.“ Er war neugierig, sie zu hören. Doch erst rief er noch einmal bei der Landespolizeidirektion an. Diesmal kam er durch und ließ sich den zuständigen Sachbearbeiter geben. „Konnten Sie Splitter der Handgranate finden, die am Fockenstein auf mich geworfen wurde?“ „Mit der Magnetsonde holten wir ein paar aus der Erde.“ „Eindeutige Splitter der Granate?“ „Eindeutig.“ „Wurde eine metallurgische Analyse vorgenommen?“ „Die hat bis jetzt niemand beantragt.“ „Dann beantrage ich sie hiermit“, sagte Urban, „denn hier rollte soeben der Bruder dieser Eierhandgranate durch mein Wohnzimmer. Ich muß wissen, ob sie aus derselben Quelle stammt.“ „Wir machen das“, versprach der Mann bei der Polizeidirektion. Urban legte auf und blickte die Amerikanerin an. „Nun?“ „Ist es unverschämt, Sie um einen Gin zu bitten?“ „Nicht unverschämter als Ihr Eindringen“, stellte er fest und machte ihr, was sie wünschte: Gin, mit viel Eis und Limonensaft. Er ging zu dem Regal, wo seine Unterhaltungselektronik gestapelt war. Der Plattenspieler, der CD-Spieler, die Stereoanlage, Fernseher, der ganze Videokrempel. Er brauchte nur einen Knopf zu drücken, und die unsichtbare Videokamera fing an zu arbeiten. So nebenbei drang südamerikanische Musik aus den im Raum verteilten Boxen. Erwartete. „Sie wollten etwas sagen, Gnädigste.“ Sie atmete tief ein. „Meine Freundin hat natürlich maßlos übertrieben, was meine Keuschheit und meine Zugehörigkeit zu einem Kloster betrifft.“ Im Augenblick interessierte ihn das überhaupt nicht. Was in Washington ein Thema gewesen war, war hier keines. „Warum sind Sie hier?“ Sie nahm einen Schluck, behielt aber das Glas in der Hand und ließ den lackierten Zeigefingernagel über den Rand gleiten, als wäre er die Brust eines Mannes. „Mein Vater“, antwortete sie, „war der Bomberpilot, der U-nullvier versenkte.“ Das darf
nicht wahr sein, dachte Urban. Das ist mehr als faustdick. Die Videokamera lief, und Cooleen Sax erzählte. „Mein Vater, Major Berny Sax, flog an diesem Märztag 1945 Jagdschutz für einen nach Murmansk laufenden Geleitzug. Er und andere Maschinen seiner Staffel hatten die Aufgabe, den Konvoi nach der Südflanke hin gegen deutsche Bomber und U-Boote zu schützen.“ „Davon gab es kaum noch welche.“ „Offenbar aber doch.“ „Was für eine Maschine flog Ihr Vater?“ „Eine Moskito“, antwortete sie, ohne zu überlegen. Urban schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht. Nach Aussagen von Obersteuermann Schuster er gehörte in der Minute des Angriffe zur Brückenwache und sah den Bomber als erster war es ein viermotoriger Liberator.“ „Sorry, mein Vater flog die zweimotorige Moskito.“ „Dann war es nicht Ihr Vater, der Nullvier versenkte.“ Sie ließ sich nicht beirren. „Nach den Frontberichten und Kriegstagebüchern wurde an diesem Tag nur ein U-Boot bombardiert, und zwar in der Barentssee.“ „Es war im Varanger-Fjord.“ „Darüber läßt sich streiten, wo ein Fjord endet und die offene See beginnt“, gab sie energisch zurück. „Und was Ihren Fahrensmann Schuster betrifft, wie alt, bitte, ist er, und wie lange liegt das Ereignis zurück? Über vierzig Jahre. Der Mann kann sich obendrein geirrt haben.“ „Eine Moskito sieht anders aus, hat eine völlig andere Silhouette und hört sich anders an als ein Liberator-Bomber.“ „Die Liberators waren reine Vergeltungsbomber für Ferneinsätze. Konvois wurden bestenfalls von Jägern und Jabos begleitet. Außerdem war ein Liberator gar nicht in der Lage, ein einsam operierendes U-Boot zu orten und zu treffen. Auf Spitzbergen, der damaligen Luftbasis, waren keine Liberators stationiert. Außerdem gab es keine Liberatorversion mit U-Boot-Radarerfassung.“ Allmählich begann Urban selbst, an Schusters Aussage zu zweifeln. Wenn er sich bezüglich des Bombers geirrt hatte, stimmten vielleicht auch die Koordinaten nicht die Stelle, wo das Wrack lag. Wenn es so war, dann mußte man, in Teufels Namen, irgendwie ein Wrack dorthin befördern. Die US-Navy würde sich schon etwas einfallen lassen. „Ihr guter Schuster hat Ihnen einen Bären aufgebunden“, spottete Cooleen. „Wohl kaum.“ „Wie alt, sagten Sie, ist er?“ „Um die Siebzig.“ „Da hat man ein
Gedächtnis wie ein Sieb.“ „Aber sein Tagebuch schrieb er schon kurz nach dem Krieg.“ Das machte sie einen Moment nachdenklich. „Deutsche U-Boot-Leute kannten sich bei alliierten Flugzeugmustern nicht sonderlich gut aus.“ „Vielleicht“, räumte er ein. Er wollte es dabei belassen. Sollte sie glauben, daß er ihr vertraute. Cooleen Sax lieferte null den Rest der Geschichte. Als sie fertig war, fragte Urban hinterhältig: „Und um mir das zu erzählen, kommen Sie extra vorbei?“ Sie senkte den Blick und schwieg lange. „Ich habe dir gefallen“, antwortete sie leise, fast verschämt. „Du gefällst mir noch.“ Ihre Blicke trafen sich. Sie hatte eindringliche, wasserblaue Augen. „Eine Frau fühlt das.“ Er stand auf und mixte neue Drinks. „Warum hast du dich in Washington so plötzlich entfernt, Cooleen?“ Sie antwortete nicht sofort, sondern zögernd. „Weil weil auch du mir gefallen hast.“ Er reichte ihr das Glas, setzte sich auf die Sessellehne und fixierte sie. „Und jetzt?“ „Es hat sich nichts geändert.“ „Ich meinte es im Sinne von Was nun?“ „Glaubst du“, gestand sie, „ich fliege zehntausend Kilometer ohne mit dir zu schlafen?“ „Das glaube ich nicht. Das heißt, es würde mir schwerfallen, es zu glauben.“ Sie ließen sich Zeit. Sie tranken, warteten, bis die Platte abgelaufen war. Dann erst gingen sie nach oben. Man konnte nicht behaupten, daß sie bei Sex so taub war wie ein Türpfosten. Sie hatte eine Menge dafür übrig. Sie war geschaffen dazu, wie ihr Mund, ihre Brüste und ihre Schenkel. Sie brachte ihn immer wieder in Erregung, und er genoß es. Videokamera und Mikrofon, die aus Sicherheitsgründen auch im Schlafzimmer installiert waren, hatte er gar nicht erst eingeschaltet. Er glaubte, daß er sie und ihre Funktion durchschaut habe. Er brauchte nur noch den Beweis. Und eines wußte er: Geheimnisse, die einer Frau im Bett nicht zu entlocken waren, lagen in einem verdammt sicheren Tresor. Auch beim Frühstück behauptete sie noch, daß sie die Tochter von Major Berny Sax wäre, dem Mann, der U-04 versenkt hätte. Natürlich hatte sie sich in Washington erkundigt, wer er war. Dann war sie Gerüchten nachgegangen, denenzufolge ein europäischer Geheimdienst die U-04-Story gezielt zur Veröffentlichung gebracht hätte. Dabei war ihr der BND genannt worden. In der Hoffnung, daß sich ihre Wege kreuzen
würden, war sie nach Europa gejettet. „Der Rest war Glück“, endete sie. „Man hat es nicht immer“, antwortete er. Sie nickte. „Und deshalb“, sagte sie, „habe ich Angst vor morgen.“
7. Sie trafen sich in der Mitte, in Amsterdam. Auf einem Hausboot nahe der Prinsen-Gracht wartete Urban auf seine drei Partner. In den letzten Tagen hatte sich das Netz um sie immer enger gezogen. Alle drei, Tom von MI-6, Peer, der Norweger, und Rio von SISMI-Rom, hatten noch in der Stunde des Absturzes des Tarnbombers vom Alarm bei der 7. US-Flotte erfahren. Als Topagenten ihrer Dienste verfügte jeder von ihnen über Drähte in den Osten. Und über die Stunde, wo sie sich nach Eingang der Katastrophenmeldung aufgehalten hatten, gab es keine eindeutigen Alibis. Dies altes herauszufinden war für Urban äußerst schwierig gewesen. Aber eines stand mittlerweite fest, nur einer von ihnen kam als Übermittler der Information nach Moskau in Betracht. Dieser Mann war Adler, der langgesuchte Maulwurf, die undichte Stelle im NATO-System. Und es wurde Urbans schwierigste Aufgabe werden, ihn zu enttarnen. Draußen fuhr ein Wagen vorbei und hielt an. Der Diesel nagelte im Leerlauf. Urban trat an Deck. Es war dunkel. In den Häusern beiderseits des Kanals waren die Fenster erhellt. Über den Dächern reflektierte die Wolkendecke den Schein von Millionen von Großstadtlichtern. Der Wagen, ein Taxi, fuhr weiter. Ein großer, kräftiger Mann im Trenchcoat stand da und schien auf etwas zu warten. „Peer!“ rief Urban. Der Norweger orientierte sich an der Stimme wie eine Fledermaus im Dunkeln. Federnd schritt er über die Gangway an Bord. „Schon alle da?“ „Du bist der erste, Peer.“ Sie gingen in den Salon des gemütlichen Hausbootes. Er war vollständig holländisch eingerichtet. Spitzenvorhänge, chinesische Teppiche, alte Mahagonimöbel, Messingleuchter. Im Gaskamin züngelten blaue Flammen. „Gehört dir“, fragte Peer, „oder?“ „Einem Freund.“ „Ein guter Ort, um sich zu verschwören.“ Er bekam zu trinken, was er wollte. Er bevorzugte wasserklaren Hochprozentigen. „Genever“, stellte er fest. „Schmeckt nach Wacholder.“ „Wir
sind in dem Land, wo man auf die Idee kam, am besten würde er reifen, wenn man mit den Fässern einmal über den Äquator und zurück segelt.“ „War ein mieser Flug“, berichtete Peer. „War nahe dran, ins Cockpit zu stürmen und zu sagen: >Laßt mich mal ran, ihr Anfänger!<„ Peer schaute auf die Uhr. „Wie wär's mit einem Happen?“ fragte Urban. „Wir haben was Kaltes vorbereitet.“ „Wir?“ Peer hob die Brauen. „Dachte, die Sache bleibt streng unter uns.“ „Daran hat sich etwas geändert“, bedauerte Urban. „Die Erklärung möchte ich aufheben, bis Tom und Rio zur Stelle sind.“ „Klar, wer redet sich gern dreimal das Maul fusselig.“ Es dauerte nicht lange, dann wurde geklopft. Tom, der Minus-Mann, stand draußen. Er war gekleidet wie Peer. Agenten reisten meist unauffällig in Anzügen von gedeckter Farbe. Nur trug Tom alles ein paar Nummern kleiner. Sie machten Scherze, weil sie wußten, daß es bald ziemlich ernst werden würde. „Die BAC landet nach der SAS aus Oslo“, sagte Tom. „Im Nu waren alle Taxis weg. Ich nahm den Zubringer bis in die Stadt. Wo ist Rio mio?“ Urban hob ruckartig das Kinn. „Woher weißt du, daß Rio mitmacht?“ Tom musterte Peer, Urban und sich in dem Spiegel, der über dem Kamin hing. „Hast du das nicht erwähnt?“ „Vielleicht.“ Urban war sicher, daß er bei seinem Besuch in Schottland an die Teilnahme Rios noch nicht gedacht hatte. Aber sie hatten später noch zweimal telefoniert. „Ihr kennt Rio“, sagte Urban. „Ja, ein gewaltiger Spinner.“ „Aber einer von der gutartigen Sorte.“ „Ein Wahnsinniger“, ergänzte Tom. „Sag bloß, er kommt mit dem Wagen?“ „Er wollte seinen neuen Ferrari einfahren.“ „Er hätte Formel-einsPilot werden sollen.“ „Dann wäre er jetzt dreifacher Weltmeister“, äußerte Peer. „Kann mich nicht erinnern, daß Rio je verloren hat.“ Tom grinste hämisch. „Und selbst wenn er verlor, er gab es nie zu. Er verstand es immer, sich als Sieger hinzustellen. Wann erlitt ein Italiener je eine Niederlage.“ „Eigentlich nie“, bemerkte Urban. „Niederlage ist das Gefühl, das du hinterher hast. Doch wenn er sich immer als Sieger fühlt, na bitte, dann ist das seine Sache.“ Wie auf ein Stichwort scholl aus der Ferne ein unverwechselbares Auspuffrohren über das Wasser zu ihnen. Es schwoll an, wurde leiser, dann lauter. „Jetzt fährt er über die Brücke“, sagte Urban. Das
Röhren wurde jetzt sehr laut. Ein scharfes Bremsen, und der Zwölfzylindersound starb abrupt. Eine Tür wurde zugeschlagen. Schritte. Jemand riß die Schiebetür beinahe aus der Führung. Cäsar hielt seinen triumphalen Einzug. Rio, elegant in Creme cremefarbene Hosen, cremefarbenes Hemd, cremefarbene Schuhe. Sogar seine Uhr war aus cremigem Gold. „Hallo, Freunde!“ rief er, noch mit dem Drive von zweitausend Kilometer Autobahn im Kreislauf. „Der alte Rio grüßt die Todgeweihten. Wie ich sehe, lebt man noch. Können wir ja anfangen. Laß es zischen, Dynamito amico.“ Informiert waren sie rasch. „Die U-Bootgeschichte ist also nicht nur erfunden“, äußerte der Norweger. „Aber wir möchten, daß sie weiter für faulen Zauber gehalten wird“, erklärte Urban. „Deswegen die Geheimhaltung und die Operation etwas außerhalb der normalen Geheimdienstarbeit.“ Rio steckte sich eine Zigarette an. Als sie brannte, schaute er sich um. „Rauchen ist doch erlaubt?“ „Warum fragst du?“ erkundigte sich Tom. „Du würdest es sowieso tun, auch wenn es bei Todesstrafe verboten wäre.“ „Dann erst recht“, gestand der Italiener. „Die verbotenen Früchte ...“ „Furricoli-funicola“, frozzelte Peer. Tom wollte mehr Einzelheiten von Urban. „Warum, bitte ist U-nullvier so wichtig?“ Auch das breitete Urban jetzt vor ihnen aus. „Das Boot war im Frühjahr fünfundvierzig kurz vor Kriegsende unterwegs nach Japan. Da auf der Route Atlantik Indischer Ozean zu große Gefahren lauerten, sollte es die Nordpassage nehmen. Es war dazu eingerichtet. Leider kam es nicht weit.“ „Was war an Bord?“ fragte Rio präzise. „Ein Mann“, zählte Urban auf, „sein Labor und das Ergebnis seiner jahrelangen Forschungen.“ Die drei anderen wechselten Blicke. „Mach es nicht so spannend.“ Urban nannte einen Namen. „Professor Lutzdorf.“ „Nie gehört.“ Der Engländer erinnerte sich. „Er war Chemiker bei IG Farben. Kürzlich erst las ich in alten Berichten, daß man nach dem Krieg in den Werken und Laboren von Mannheim bis Leverkusen nach ihm und seinen Arbeiten gesucht hatte. Man fand nichts.“ „Weil sich alles auf U-nullvier befand“, erwähnte Urban. „Lutzdorf hatte ein Spezialgebiet, nämlich Farben. Tarnfarben, Schutzfarben, säurefeste, seewasserfeste, rostsichere und...“ Urban kam es jetzt auf Wirkung an „... und
Radar abweisende Anstriche.“ Nur einer reagierte. Der Norweger pfiff gedehnt. Urban machte weiter. „Ab 1942, dem Jahr, als die Alliierten großflächig Radar einsetzten und massenhaft U-Boote vernichtet wurden, und man glaubte, die Engländer hätten plötzlich Augen, die Nebel durchdringen vermögen, wurden die deutschen Frontboote mit dem LutzdorfAnstrich versehen. Man trug eine Radarschutzfarbe auf, eine Tarnbeschichtung. Sie bestand aus einer Werkstoffkombination mit elastischen Eigenschaften, gemischt mit Gummi und Zement. Die Farbe war wirkungsvoll, aber sie hielt nicht lange. Bald hing sie in Fetzen von den U-Boot-Rümpfen. Sie zogen wahre Schleier hinter sich her. Bis es Lutzdorf endlich gelang, seine Farbe zu vervollkommnen, war es zu spät. Er, sein Labor, die Produktionspläne sowie Materialproben sollten nach Japan gebracht werden. Dort baute man ganze Geschwader von UBooten, um sie gegen die übermächtig werdende amerikanische Pazifikflotte einzusetzen.“ „Das war nur wenige Monate vor Hiroshima.“ „Richtig“, bestätigte Urban. „Die Atombombe änderte alles. Im März jedenfalls war Lutzdorf auf U-nullvier unterwegs. Es wurde versenkt. Doch eines steht fest: Trotz aller Bemühungen der modernen Chemie, ist es bis heute nicht gelungen, einen Tarnanstrich zu entwickeln, der auch nur annähernd so wirksam ist wie der Lutzdorfsche. Leider hat der Professor seine Patente mit ins kühle Grab genommen.“ Der Norweger faßte alles in wenige Worte zusammen. „Und die sollen wir heraufholen.“ „Bevor die Iwans da sind“, ergänzte Rio. „Liegt das Wrack nicht im Grenzgebiet?“ „Auf ungefähr vierzig Meter Tiefe.“ „Wo genau?“ „Das wird noch von einem US-Forschungsschiff vermessen“, log Urban. „Das kann ja Monate bis Jahre dauern.“ „Wird es nicht“, versicherte Urban. „Es gibt ein paar Leute, die kennen die Koordinaten sehr genau. Man kann aufgrund der verschiedenen Strömungen den derzeitigen Lageort präzise ausmitteln und hochrechnen. Etwa auf eine Quadratmeile genau.“ „Das ist noch groß genug, wenn von Osten die Russen kommen und von Westen die NATO.“ „Und von Norden das Eis“, ergänzte Peer. „Deshalb“, betonte Urban, „ist es besser, wir fangen lieber gestern als morgen an. Darf ich euch jetzt zu einem Imbiß bitten?“ Er ging zur Tür, die zu den achteren Räumen führte und öffnete sie. Ein
hübsches, dunkelhaariges Mädchen fuhr einen Servierwagen, beladen mit Drinks und Happen, herein. ,,Das ist Cooleen Sax“ stellte Urban vor. Die Runde verstummte auf Kommando. Jeder Fremde bedeutete Gefahr. Allein die vier Männer hier in trautem Kreis beisammen zu sehen, mußte auf Vorbereitung einer Weltrevolution hindeuten. Urban entgingen auch nicht die Blicke, die Cooleen mit Rio wechselte. Kein Zweifel, sie gefielen sich auf Anhieb. Schon der erste Blitz hatte gezündet. Und doch war es Rio, der sagte: „Dachte, die Angelegenheit sei royal-secret und bliebe streng unter uns.“ Die anderen stimmten ihm zu. „Ohne sie geht gar nichts“, erklärte Urban. „Cooleen ist die Tochter von Major Sax. Er war der Mann, der als Begleitschutz für den Konvoi QX-22 Bog und das U-Boot versenkte.“ „Liefert sie etwa die Koordinaten?“ „Anhaltspunkte“, schränkte Urban ein. „Aber wichtige.“ , Jetzt griffen sie bei den Kanapees mit Lachs, Kaviar, Gänseleberpastete, Tatar, Bratensülze und Käse zu. „Bier, Wein, Champagner?“ fragte Cooleen. Rio hielt ihr das Bierglas hin. ,,Sekt“, bat er. „Voll.“ Obwohl Urban wußte, daß einer in der Runde derjenige war, der die Eierhandgranate auf ihn geworfen hatte diese Granate sowjetischen Ursprungs, deren Splitter metallurgisch mit der Handgranate in seiner Wohnung identisch waren -, weihte er sie noch tiefer in seine Pläne ein. „Nun zur Organisation, Freunde.“ „Na endlich“, seufzte Peer. „Was hat jeder zu tun?“ wollte der Engländer wissen. „Was ich nicht kann, werde ich noch lernen.“ Urban legte sie Hand auf seine Schulter. „Wir müssen ich denke das hat jeder verstanden zu dem Boot hinunter, denn heben kann man es in diesem Gebiet nicht. Es liegt zu dicht an der Grenze. Du, Tom, giltst als erstklassiger Taucher mit der größten Erfahrung von uns allen auf diesem Gebiete. „.“Und als Liliputaner, denkst du, komme ich durch jedes Nietloch im Wrack.“ „Auch das“, gestand Urban. „Du beschaffst die Ausrüstung, komplett für drei Mann. Naßtauchanzüge, Aqualungen, Kompressoren, Werkzeug, Unterwasserkameras, Scooter, Harpunen, Sprengmittel, alles was dazu gehört. Und du, Peer ...“ Der Norweger hatte längst verstanden. „Ich bringe das Zeug vor Ort.“ „Von Land auf See“, präzisierte Urban, „und von See auf Land. Und was ganz wichtig ist, du wirst für Unterkunft, für
Depots sowie für unseren Rückmarsch sorgen. Am Varanger Fjord und an den Grenzen zur Finnmark und UdSSR müssen Fahrzeuge für alle denkbaren Situationen bereitstehen.“ „Vom Hubschrauber bis zum Hundeschlitten“, ergänzte Peer. „Motorschlitten tun es auch.“ Urban wandte sich an Rio. „Du hattest, behauptet man, schon in der Schule den ersten Transistorempfänger Italiens.“ „Eigenbau. Als die Japaner noch daran bastelten.“ „Rio“, Urban beschrieb den Aufgabenbereich des Italieners, „alles was mit Kommunikation zu tun hat, mit Verbindung zu den NATO-Basen in Norwegen, zur NATO-Eismeerflotte, zur Air-Force, ist dein Sondergebiet. Aber das ist noch nicht alles. Im wesentlichen wirst du dich damit befassen, den Funk der russischen Luftwaffen- und Marineverbände abzuhorchen. Damit wir jederzeit darüber auf dem laufenden sind, was sie wissen, ob sie kommen, wann sie kommen, ob sie unsere Operation stören oder uns den Rückzug abschneiden.“ Rio zeigte klar. „Dazu baue ich am Nordkap eine Station. Sie ist leicht bis Weihnachten fertig.“ „Nein, schon nächste Woche“, entschied Urban. „Von mir aus auch bis Sonntag.“ Sie stellten viele Prägen. Tom wollte wissen, wer das Material er wollte es aus MI-6-Beständen besorgen über den Polarkreis schaffe. „NATO-Transporter?“ Urban winkte ab. „Nein, ein Charterflugzeug. Nimm dir eine Zweimotorige, fliege sie selbst. Rechnung an mich.“ „Wo ist unsere Hauptbasis?“ „Murmansk“, witzelte Peer. Sie konnten den Vorschlag nicht annehmen, weil dort die Russen saßen. „Kirkenes oder Verbö“, riet Urban. „Was hältst du davon?“ Peer war einverstanden. „Nehmen wir meinen Kutter?' „Deinen oder einen anderen.“ „Was Besseres gibt es nicht.“ „Daß eine Frau dabei ist, mißfällt mir“, äußerte Tom. „Wer behauptet, daß sie dabeisein wird?“ fragte Urban. „Sieht so aus.“ In diesem Moment gab Urbans Europiepser Signal. Er lag auf dem Kamin. „Muß rasch mal weg“, entschuldigte sich Urban, „Telefonieren.“ „Hat der Kahn keines?“ „Dafür hat er ein wundervolles Marmorbad“, sagte Urban. Vo n seinem BMW, der ein Stück weiter oben an der Gracht parkte, führte Urban ein Ferngespräch. Dann kam er zurück, und sie gingen stundenlang in Details. Sie checkten alles ab, was in dieser Phase möglich war. „Wann starten wir?“ fragte Rio. „Auf
Achtung, fertig, los“, scherzte Tom. „Heute in sechs Tagen in Kirkenes“, schlug Urban vor. ' „Und was machst du so lange, wenn man fragen darf?“ „Feinarbeit“, deutete Urban an. „Ich versuche den Lageort des Wracks auf hundert Meter genau zu liefern.“ „Ein feuchter Job“, Tom trat ans Fenster. Der Tag graute. Es ging auf fünf Uhr. „Ich kann die Frühmaschine noch erwischen“, sagte er. Peer hatte alle Flugpläne im Kopf. „Ich nehme die SAS nach Kopenhagen. Von dort komme ich jede Stunde weiter. Wie kriegen wir ein Taxi?“ Rio verstand die Andeutung. „Ich bringe euch zum Airport.“ „In dieser Sardinendose?“ „Kleine Fische sind schnell geschichtet“, meinte der Italiener. Sie gingen ohne große Worte. Rio ließ es sich nicht nehmen, Cooleen zum Abschied zu küssen. Urban begleitete sie nach draußen. Tom, der Minus-Mann, klemmte sich hinter den Sitzlehnen quer. Kein Problem für ihn. Und dann fuhren sie weg. Fast lautlos. Erstaunlich, wie leise man einen Ferrari bewegen konnte. Im Hausboot hatte die Amerikanerin schon aufgeklart. Urband fand sie im Schlafzimmer. Sie hatte sich bis auf BH und Slip entkleidet. Als sie ihn kommen hörte, sagte sie. „Bitte fass meine Nacktheit nicht falsch auf. Mir ist nur heiß.“ Er zog sich ebenfalls aus. „Mir auch.“ „Ich möchte jetzt aber nicht.“ „Was?“ Sie deutete auf das Bett. „Ich will nur duschen, Gnädigste. Außerdem haben wir keine Zeit.“ „Und außerdem möchte ich nicht“, wiederholte sie. „Mit Rio würdest du schon mögen, oder?“ „Vielleicht.“ „Warum hast du es ihm nicht gesagt?“ „Aus Rücksicht auf dich.“ „Ich bin nicht eifersüchtig“, versicherte er. „Jetzt schon gar nicht mehr.“ Sie fuhr herum. „Wieso jetzt schon gar nicht mehr?“ Urban verstärkte sein angeborenes Lächeln. „Rio gefällt dir?“ „Ja, natürlich.“ „Du lügst“, entgegnete er. „Er gefällt dir so wenig und so sehr, wie ich dir gefiel. Das gehört bei dir zum Geschäft.“ Leise, aber mit schmalen Augen, fragte sie, ob er verrückt geworden sei. Urban reagierte onkelhaft. „Es gibt da eine überholte Theorie, wonach man mit einem Mann nur bumsen muß, um eine Menge über ihn zu erfahren. Aber deswegen brauchst du nicht mit Rio zu schlafen. Ich kann dir alles über ihn sagen, ebenso wie über Peer und Tom. So gut wie alles.“ „Warum“, fragte sie, „ziehst du dann diesen Zirkus
auf? Ist doch alles nur Theater. Dir geht es bei dem sonderbaren U-Boot-Job doch um etwas ganz anders.“ Er nahm einen Schluck, steckte sich eine MC an und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Und um was geht es, bitte?“ „Weiß ich nicht.“ „O doch, du weißt es.“ „Und woher sollte ich?“ erwiderte sie. Er atmete aus und hüllte sie mit dem Rauch ein. Der Rauch verzog sich wieder, wie der Nebel, der sich in dieser Nacht aufgelöst hatte. „Cooleen Sax“, sagte er. „Klarname Cooleen Evita Morane. CIA-Agentin Code 84/22/f. Das f steht für female oder auch we iblich. Den Namen Sax hast du nur angenommen, weil Colonel Sax der U-nullvierVersenker war. Wir hätten das leicht nachprüfen können. Nun, wir prüften etwas anderes, nämlich die Bilder, die die Videokamera in meiner Wohnung von dir schoß. In irgendeinem Ar chiv fanden wir Fotos, die identisch sind, samt deiner Geheimnummer. Das war's dann. Noch etwas, Gnädigste?“ Sie drehte sich langsam um. „Die Handgranate stammte nicht von mir.“ „Wie sollte sie auch. Du wolltest mich nicht umlegen, sondern hautnah bei mir bleiben, um für die untere Ebene der CIA zu erfahren, was hier läuft. Und zwar deshalb, weil man sie von diesem Fall ausgeschlossen hat.“ Er drückte die Zigarette aus. „Gehen wir.“ „Gehöre ich nun zu deinem Team, Dynamit?“ „Noch lange nicht“, antwortete er.
8. Der Jeepmotor heulte noch einmal auf. So konnte nur einer Automobile quälen. Schritte näherten sich dem Blockhaus. Die Tür flog auf. Rio stand da, die Cordhose in die Stiefel gesteckt, pelzgefütterter Lappländer Anorak, und rief: „Das mußt du dir ansehen. So eine Kanaille! Das hat man davon.“ Urban war dabei, die Ausrüstung noch einmal zu überprüfen. Peer kümmerte sich um den Kutter, und Tom besorgte im Hafen einen zweiten Preßluftkompressor für die Tauchgeräte. „Wovon hat man was?“ „Eher kannst du dich auf dünnes Eis, Flugsand oder Sumpf verlassen, als auf ein Weib.“ Rio hatte noch das Nachtsichtgerät umhängen. „Komm mit!“ Urban schlüpfte in die Bomberjacke es war schon ziemlich kalt hier oben im September und folgte dem Italiener. „Ich war mit
meinem Funkpeiler an der Grenze unterwegs und fand den besten Platz auf einem Hügel. Von dort ist alles mitzukriegen, einschließlich des Taxifunks in Moskau.“ Rio drosch den Jeep durch die helle Nacht. Die Reifen sappten durch nasses Moos. Es hatte bis gestern geregnet. Um die norwegische Grenzstation Stirskoge machten sie einen weiten Bogen. Die Norweger waren informiert. Sie hatten auch Befehl, bei gewissen Vorgängen die Augen zuzudrücken und nicht gleich ans rote Telefon zu rennen, das sie mit den Russen verband, doch Urban wollte so wenig wie möglich auffallen. Nach wenigen Minuten erreichten sie den sowjetischen Sperrstreifen. Fünf Kilometer tief gestaffelt zog er sich an der norwegischen Polargrenze entlang. Selbst Füchse mieden den Stacheldraht voller Sensoren, die Selbstschußanlagen, die Stolperdrähte, die Alarmgeber und die Schneisen, die man in bewaldetes Gelände geschnitten hatte. Vor ihnen wölbte sich etwas wie der veralgte Rücken eines Walfisches. Es war ein mit Tundrabirken bewachsener Hügel. Rio schaltete zurück und ließ den Jeep langsam hinaufkriechen. Der Wind oben war eisig. Jetzt, um Mitternacht, fiel die Temperatur schon unter Null. „Der nächste Regen kommt als Schnee“, sagte Rio. „Woher weißt du, als Italiener, das?“ „Peer behauptet es.“ Aus dem Pasikely, der hier von der Grenzlinie durchschnitten wurde, dampfte es. Das Flußwasser war noch warm. Der Dunst verdichtete sich zu Nebelschwaden. „ „Hier“, sagte Rio, „ist es gewesen.“ Er zeigte in Richtung Norden und reichte Urban die schwere Nachtsichtelektronik. Zunächst konnte Urban nichts als wellige Ebene und die Umrisse von Buschwerk ausmachen, die wie schwarze Flecken in einer Graupensuppe aussahen. Rio deutete auf das Ziel: „Vierhundert Meter neben dem alten Wachbunker.“ Urban hatte es und fluchte. „Was siehst du?“ „Einen russischen Amphibienpanzer.“ „Weiter!“ „Zwei Schatten. Einer raucht. Man erkennt die Glut.“ Rio schaltete eines seiner elektronischen Lauschgeräte ein. Eine rote Diode leuchtete auf. Nun richtete er die Antenne auf das Ziel. Mit einemmal begann die rote Lampe zu blinken. „Ortung“, meldete er. „Ist es ihr Signal?“ „Frequenz drei Sekunden.“ Jeder von ihnen hatte einen Signalgeber bei sich. Damit hatten sie, was auch passierte, keine Schwierigkeiten, einander zu
finden. Sie wußten immer, wo der andere steckte. Den Signalgeber mit der Drei-Sekunden-Frequenz trug die CIAAgentin im Anorak. „Cooleen“, murmelte Urban, „drüben auf der anderen Seite?“ „Wie kam sie rüber?“ „Nicht zu fassen“, „Einwandfreier Feindkontakt“, stellte Rio fest. „Sie ist nicht koscher.“ „Sie konnte den Sicherheitsstreifen nur betreten, weil sie mit den Burschen in dem Sumpfpanzer verabredet war“, murmelte Urban. „Sie weiß, daß ich den gesamten Funkverkehr unter Kontrolle habe. Sie wagt nicht, ihr Agentengerät zu benutzen, sondern macht es persönlich. Mit Mund zu –Mund Atmung.“ Urban schüttelte den Kopf. „Das begreife ich nicht. Sie muß doch wissen; daß wir sie jederzeit orten können.“ Rio feixte lautlos. „Das weiß sie eben nicht.“ „Du hast ihr das Minipeilgerät doch gezeigt und erklärt, bevor du es in ihren Anorak eingenäht hast.“ „Stimmt“, sagte Rio. „Aber sie ahnt nichts von dem zweiten Gerät.“ Urban reagierte mit Kopfschütteln. „Du bist ein Hundesohn, Rio.“* „Nur vorsichtig.“ „Das ist mehr als Vorsicht.“ Darin stimmte Rio ihm zu. „Ja, es ist Mißtrauen. Solange ich nicht weiß, um was es hier wirklich geht, mißtraue ich jedem. Sogar dir.“ „Inwiefern?“ „Daß du einen von uns aufs Kreuz legst, Dynamito. Gib doch zu, das U-Boot, dieser ganze idiotische Nullvier-Zirkus, ist nur vorgeschoben.“ „Vorgeschoben an Stelle von was?“ Urban tat, als verstände er Rio nicht. „Sei ehrlich, Amico.“ Urban blickte ihn an, doch wegen der Dunkelheit sah er nicht, was in Rios Gesicht vor sich ging. Der Bursche war sein Geld wert, Und der Ruf, der ihm vorausging, traf zu. Wie alle Topagenten hatte er mehr als eine feine Nase. „Vielleicht“, deutete Urban an. „Es geht um viel mehr. Stimmt's?“ Urban nickte. „Um das eine, aber auch um etwas anderes.“ „Du wirst es mir nicht verraten.“ „Ein andermal, Rio.“ „Va bene. Du sagst es mir, wenn du sicher bist, daß ich dein Vertrauen verdiene.“ „In derselben Stunde“, versprach Urban, „erfährst du es.“ „Gib mir die Hand darauf.“ Rio hielt ihm die Rechte hin und Urban schlug ein. Sie beobachteten weiter. Drüben im Sperrstreifen hatte sich jetzt auch die zweite Person eine Zigarette angesteckt. Man merkte es an dem starken Infrarotreflex. „Was machen wir mit ihr?“ wollte Rio wissen. „Abwarten.“ „Das bringt nichts außer Gefährdung der
Operation. Du trägst die Verantwortung für uns alle.“ Urban bat um eine Denkpause. Doch dann wurden sie zum Handeln gezwungen. Die zwei Personen kletterten in den amphibischen Panzer und fuhren in Richtung Westen auf norwegisches Gebiet zu. Egal, ob der Mann im Panzer die CIA-Agentin nur sicher durch den verminten Sperrstreifen bringen wollte oder ob er vorhatte, mit der Kanone ihre Lapplandhütte zusammenzuschießen, sie mußten handeln. Dicht an der Grenze hielt das amphibische Kettenfahrzeug. „Erst lassen wir Cooleen raus“, entschied Urban. „Dann schnappen wir uns den Burschen. Du nimmst Cooleen, ich den Panzer.“ In diesem Moment begann sich der Turm des Sumpfpanzers zu drehen. Er schwenkte genau in ihre Richtung. Wahrscheinlich hatte der Schütze sie ebenfalls ausgemacht. Auch er verfügte über ein Nachtsichtgerät. In der Visierlinie zum Jeep rastete der Panzerturm ruckartig ein. Das Bohr senkte sich abwärts. Es hatte zuviel Überhöhung gehabt. Die Distanz betrug nur wenige hundert Meter. „Andersherum“, schrie Rio. „Ich nehme den Panzer und du Cooleen. Dem pfeffere ich eine geballte Ladung ins Luk.“ Er griff nach hinten, flankte aus dem Jeep und spritzte, mit der Sprengladung in den Rechten, durch die Pfützen im Moos. Urban hetzte hinter Rio her. Aus der Panzerkanone krachte der erste Schuß. Die Granate zischte an ihm vorbei und schlug weit hinter dem Jeep ein. Nasser Dreck flutschte hoch. Gott sei Dank, dachte Urban. Wenn der Zwischenfall hochgespielt wird, waren es die Russen, die zuerst geschossen haben. Am Panzer flankte jemand über den Kettenschutz und vorne in das Fahrerluk. Eine andere Gestalt löste sich von dem graugrünen Ungetüm, dessen Silhouette vor Himmel und Tundra fast verschwamm. Die Gestalt lief auf norwegisches Gebiet zu. Rio hatte behauptet, es wäre Cooleen. Urban konnte sich jetzt nicht darum kümmern. Er versuchte. Rio einzuholen. Er schrie ihn zurück. Aber dem Italiener ging wohl sein Temperament durch. Kaum hatte die Panzerkanone den zweiten Schuß gelöst, war Rio drüben und türmte auf das flache Hinterteil des Panzers. Urban sah ihn dort stehen. Im selben Moment zischte aus den rückwärtigen Stellungen eine Leuchtgranate in den Himmel. Sie flammte auf, segelte langsam herab und hüllte das Gelände in blauweißes Licht. In
ihrem grellen Schein wirkte der Panzer, und Rio auf ihm, wie mit der Schere aus dem Hintergrund herausgeschnitten, wie ein Gegenlichtfoto, ganz scharf. Urban warf sich platt hin, denn im selben Moment ratterte Maschinengewehrfeuer los. Der Motor des Panzers brummte auf. Urban hörte, wie die Ketten klirrend im Sumpf mahlten. Er sah, wie Rio das Turmluk aufriß. Eine zweite Leuchtgranate blendete ihn. Und dann folgte eine ungeheure Explosion. Der Panzer schien zu platzen. Im gelben Feuerball des TNT erkannte Urban ein letztes Mal Rios Gestalt, ehe sie hochgeschleudert und während des Fluges von der Urgewalt des Sprengstoffs zerrissen wurde. Urban preßte sich gegen den Tundraboden. Der Panzer war offenbar noch manövrierfähig. Er rollte rückwärts durch den Sperrgürtel auf sowjetisches Gebiet. Das MG schoß Dauerfeuer. Und mit einemmal war Stille. Urban lief gebückt zum Jeep, ließ an, wendete und preschte durch die wellige Ebene zum Blockhaus jenseits des Wäldchens. Als er dort angekommen war und hineinging, saß Cooleen vor dem Kamin und briet Fische. Wenig später ve rschwand sie in der Küche, nahm den anderen Fisch aus und steckte ihn auf einen festen Draht. „Wo ist Rio?“ fragte sie. „Wo kommst du her?“ „Ich war fischen. Siehst du doch.“ Er ging hinaus und kam mit ihren Stiefeln wieder. Wortlos stellte er sie hin und wartete auf eine Antwort. Weil sie nichts sagte, traf er eine nüchterne Feststellung. „Das Seeufer ist felsig und trocken. Deine Stiefel sind naß.“ „Ich mußte ins Wasser, die Angelleine hatte sich verhakt.“ Urban zupfte etwas Grünes von Sohle und Absatz. „Moos“, stellte er fest. „Und Geflecht. Hat keinen Sinn zu lügen.“ Sie öffnete die Lippen, als wollte sie etwas sagen, schwieg aber. „Außerdem gab der Lawinenpeiler in deinem Anorak Signal. Nicht das Gerät, das du abgeschaltet hast, sondern das andere. Wir haben alles gesehen. Den Panzer, den Mann und dich.“ „Wo ist Rio“, fragte sie noch einmal. „Tot“, sagte Urban. „Mein Gott, das wollte ich nicht.“ Sie salzte den ausgenommenen Fisch. Sie tat es wie automatisch und legte den Draht auf den Rost über dem Feuer. „Was wolltest du dort?“ fragte Urban. Langsam stand er auf, holte aus der Lederjacke seine 7,65er, lud durch und richtete sie auf Cooleen. „Du bist keine CIA-Agentin“, sagte er. „Aber wer bist du?“ Sie kniete vor dem Kamin und blickte
ihn ratlos an. „Du weißt, wer ich bin. Der Mann im Panzer, der sowjetische Hauptmann, ist einer von unseren Leuten drüben. Der KGB glaubt, daß er nur pro forma für uns arbeitet. Wir aber wissen, daß er zuverlässig ist. „Ein Doppelagent also.“ „Ja, ein Doppelagent.“ „Was soll ich dir noch alles abkaufen. Hältst du uns für Schwachköpfe?“ „Der Hauptmann hat mir bestätigt, daß sie drüben bereitstehen, aber noch keine Order haben.“ „Wer steht drüben bereit?“ „Landeinheiten, die Marine, die Luftwaffe. Sie warten noch auf Einzelheiten betreffs Beginn und Ziele unserer Operation.“ Demnach hatte Adler noch keine Details hinübergefunkt. Und warum nicht? Weil Urban bis zu dieser Stunde den Lageort des Wracks für sich behalten hatte. Vorausgesetzt Cooleen log nicht. Er musterte sie eindringlich. Aber was half's. Wenn ein Agent im ersten Semester etwas lernte, dann war es, sich perfekt zu verstellen. „Warum haben sie Rio getötet?“ murmelte er. „Haben sie das?“ Vermutlich hatte Rio sich selbst umgebracht, als er versuchte, die Sprengladung im Turm des Panzers zu plazieren. Die Ladung war explodiert, ehe sie an ihr Ziel gelangt war. Immerhin hatte der Panzer noch den Rückweg antreten können. Cooleen grillte die Fische, und Urban ging hinaus. Über der Tundra lag jetzt ein bleicher Schimmer. Ein dicker Kolkrabe saß auf dem Hüttendach. Drei minus eins gibt zwei, rechnete Urban. Peer oder Tom. Zum Teufel, wo blieben die beiden bloß? Peer sollte den Kutter klarmachen und Tom die Ausrüstung ergänzen. Aber dazu brauchte man nicht drei Tage. Drinnen hatte sich das Sprechfunkgerät eingeschaltet. Als Urban hineinkam, hatte Cooleen schon die Hörer auf und das Mikro in der Hand. Er schob sie beiseite und übernahm. Tom war am anderen Ende. Seine Stimme war vom Nordlichtrauschen überlagert. Er sprach von Schwierigkeiten bei den Armaturen. Sie hatten hier nur Millimeter-Adapter und keine für die britischen Zoll-Geräte. Er war dabei, die Nippel abzudrehen und die Überwurfmuttern mit anderen Gewinden versehen zu lassen. Es konnte noch einen Tag dauern. „Was von Peer gehört?“ forschte Urban. Erst verstand Urban die Antwort nicht. Beim zweitenmal wurde die Verbindung besser. „Peer hat ein Wasserflugzeug gechartert und ist nach Tromsö geflogen.“ „Warum meldet er das nicht?“ „Vielleicht kam er
nicht durch. Ich weiß nur, daß der Kutter, der ihm hier zugesagt war, nichts taugt Er holt seinen eigenen.“ „Danke.“ „Bis morgen“, sagte der Engländer. Urban hatte nichts gegen Eigeninitiative einzuwenden. Leute wie Tom und Peer waren gewöhnt, Schwierigkeiten sofort auszuräumen. Daß Peer lieber seinen eigenen Kutter als einen untauglichen nahm, war verständlich. Aber im Grunde ging es um etwas anderes. Auf diese Weise gerieten sie ihm außer Kontrolle. Bis Peer seinen Kutter heraufbrachte, konnten mehrere Tage vergehen Bis zum Wochenende wollte Urban die Operation durchziehen. Das Wetter wurde täglich schlechter, und drüben, auf der russischen Seite, schliefen sie auch nicht. „Schwierigkeiten?“ fragte Cooleen. „Was denn sonst“, antwortete er verärgert. Die Fische dufteten. Aber er war kein Fan, was Fisch betraf. Lieber rauchte er eine Zigarette. Aber nicht einmal die schmeckte ihm. „War Rio dein Freund?“ fragte die Amerikanerin. „In diesem Job hast du keine Freunde. Jeder muß sich selbst der Nächste sein. Da ist kein Platz für Freundschaften.“ „Wollen wir eine Flasche Schampus auf ihn trinken, Bob?“ „Kein Grund zum Feiern.“ „Vielleicht mußte er sterben, weil es so vorgesehen war.“ „Es ist immer vorbestimmt“, sagte Urban. „Aber manchmal fragt man sich, ob es nicht anders hätte laufen können.“ „Jeder, wie er es verdient.“ „Wie meinst du das?“ wollte er wissen. „Es gibt immer eine ausgleichende Gerechtigkeit auf Erden.“ Darin stimmte er nicht unbedingt mit ihr überein. Er hatte schon Schweinehunde nach einem langen ausschweifenden Leben friedlich im Bett sterben sehen, und Leute, die etwas wert waren, hatten auf erbärmliche Weise krepieren müssen. „Trotzdem“, sagte er. „Gott ist ein weiser Mann.“ Er holte eine Dose Bier aus dem Eiskasten und riß sie auf. Das Bier schmeckte fade.
9. „Hier Adler.“ „Wer, bitte?“ „Adler spricht.“ Die Antwort war eine Folge russischer Flüche. Adler hatte es eilig. „Zum Teufel, versteh’n Sie mich nicht?“ „Nix englisch,“ „Dann holen Sie einen Mann, der englisch kann.“ Aber wie sollte er dem Muschik begreiflich machen, was er wollte und um was es
ging. Rätselhaft, wie sie so ungebildete Leute an diesen Apparat setzen konnten. „General Rostrow“, versuchte Adler es. „R-o-st-r-o-w!“ „Ah, Gospodin Iwanij Rostrow.“ Offenbar hatte der Name einen gewissen Bekanntheitsgrad. Es ratterte und knackte in der mehrere tausend Kilometer langen Fernleitung nach Moskau! Zwischendurch meldete sich eine Telefonistin. Sie verband weiter, dann kam ein Vorzimmer. „General Rostrow?“ fragte der Anrufer. Er wurde unterbrochen, wieder auf russisch, von dem er nur wenige Brocken sprach. „Adler!“ schrie er. „Hier Adler! Verdammt, kapiert doch mal.“ Endlich hob einer ab, der ihn verstand. „Nennen Sie Ihren Code.“ „Er wurde auf Adler geändert.“ „Moment, bitte.“ Man hörte, wie die Tasten eines Computers klapperten. Es dauerte nur Sekunden. „Adler ist korrekt“, hörte er. „Was kann ich für Sie tun?“ „Wo ist der General zu erreichen?“ „Warum wählen Sie nicht die alte Kontaktschiene, Adler?“ „Weil ich diesmal nicht den Umweg über Paris nehmen kann. Fragen Sie nicht, sondern antworten Sie. Wo ist der General, Ich bin in Schwierigkeiten und weiß nicht, wann ich da rauskommen kann.“ „Sie brauchen also unsere Hilfe“, bemerkte der KGB-Offizier höhnisch. „Entweder geben Sie mir jetzt Rostrow, oder ein ganz fetter Fisch schwimmt Ihnen davon.“ „Kann der General Sie zurückrufen?“ Adler wandte sich an den Mann, der wenige Meter von ihm entfernt auf einem Hocker saß und Radio hörte. Dann gab er dem KGBOffizier in der Moskauer Dzerzhinskystraße die Nummer. „Wie lautet die Vorwahl?“ Adler lachte spöttisch. „Da, wo ich bin, gibt es kein automatisches Wählsystem. Sie müssen schon die Ämter und die Vermittlung bemühen.“ „Bleiben Sie erreichbar“, sagte der Mann in Moskau. Als Adler von Moskau angerufen wurde, lag er in einem todesähnlichen Schlaf. Auf einem eisernen Bettgestell, auf einer muffigen Matratze, unter einer rauhen Pferdedecke. Weder der starke Verkehr auf der Straße vor dem Haus noch der Lärm der Leute, noch die Lichtreflexe, noch der Gestank nach Fisch hatten ihn geweckt. Er hatte sich auf das Läuten eines Telefons programmiert. Als die Glocke des altmodischen Apparates schnarrte, war er wach und sofort voll da. Er hob ab. „Adler“, sagte er auf russisch. „Rostrow.“ „Sie wenden sich direkt an mich, Adler?“ fragte
der Russe in nahezu akzentfreiem Englisch. Adler wußte, daß er nach dem Krieg in London als Korrespondent für die Prawda gearbeitet hatte, hauptsächlich, um sich in der Sprache des Landes zu vervollkommnen. Für einen Geheimdienstmann seines Formats war Englisch unabdingbar. „Direkt an Sie, General, weil mir andere Wege versperrt sind.“ „Und Ihnen die Angelegenheit dringlich erscheint.“ „In der Tat, General.“ „Ist es diese Sache, die Sie unserem Residenten in Paris andeuteten?“ „Ich verfüge jetzt über Details.“ „Dann schießen Sie los, Adler.“ „Das versenkte U-Boot hat Unterlagen über für heutige Verhältnisse immer noch sensationelle RadarTarntechniken an Bord. Materialproben, Patentschriften, Anweisungen für das Herstellungsverfahren.“ „Das Zeug ist vierzig Jahre alt“, gab Rostrow zu bedenken. „Aber noch aktuell.“ „Die Forschung hat es längst überholt.“ „Warum soll es dann von einem Team ausgesuchter Experten gehoben werden?“ „Und einer davon sind Sie, Adler.“ „So ist es, Genosse General.“ „Ich bin nicht ihr Genosse“, erwiderte der General scharf. „Vielleicht später einmal, wenn wir gewisse Dinge mit Erfolg zu Ende führen konnten.“ „Genügt Ihnen nicht, was ich bisher geleistet habe?' „Für mich sind Sie ein Westagent. Ein Doppelagent. Doppelagenten sind wie Hermaphroditen, nicht Mann und nicht Frau, nicht Fisch und nicht Fleisch, Sie liefern und wir zahlen.“ Auch von soviel Verachtung ließ Adler sich nicht beeindrucken. Er wußte, was ein sowjetischer General verdiente und was er auf dem Konto hatte. Er wußte zuviel über das Leben in der UdSSR und im freien Westen. „Die Hebung des Bootes ist ausgeschlossen“, sagte er. „Man wird hinabtauchen.“ „Wo liegt es?“ „Dicht an Ihrer Hoheitsgrenze. Mal drüben, mal herüben. Wie die Strömung es treibt.“ „Wie gedenkt das Kommando es aufzufinden?“ „Es wurde von einem US-Forschungsschiff per Sonar und Magnetsonde geortet und markiert.“ ,,Vermutlich durch Unterwasser-Funkboje.“ Der General bekam die ungefähren Koordinaten, soweit Adler sie rekonstruiert hatte. „Wann greift Ihr Team an?“ „Das hängt vom Wetter und von der Materialbereitstellung ab. Spätestens in einer Woche dürfte alles gelaufen sein.“ „Adler“, versprach der General. „Wir werden zur Stelle sein.“ „Wählen Sie ein gutes
Kräfteverhältnis“, riet Adler, „wie die Amerikaner bei der Normandie-Invasion. Zehn zu eins.“ „Überlassen Sie das gefälligst mir.“ „Zu Wasser, in der Luft und zu Lande“, fügte Adler hinzu. Der General wurde hellhörig. „Rechnen Sie mit Tricks?“ „Der Mann, der die Operation leitet, ist Robert Urban, genannt Mister Dynamit.“ „Den kennen wir zur Genüge.“ „Ihm ist eine Menge zuzutrauen.“ „Das wissen wir.“ „Dann bin ich sehr beruhigt, General.“ „Verlassen Sie sich auf uns, Adler“, betonte Rostrow. „Und wenn alles so ist, wie Sie andeuten, dann soll es Ihr Schaden nicht sein.“ „Vielleicht steckt sogar noch mehr dahinter.“ „Was vermuten Sie?“ „Diesem BNDBastard ist alles zuzutrauen.“ Der General lachte dröhnend. „Arbeitet er etwa mit doppeltem Boden? Na schön, dann spannen wir ein dreifaches Netz.“ Sie beendeten das Gespräch. Adler legte sich wieder hin. Aber er konnte nicht mehr schlafen. Er stand auf, ging hinunter und fragte, ob sie Whisky hätten. „Wie wär's mit Wodka?“ fragten sie. „Nur in Verbindung mit Kaviar“, antwortete Adler großkotzig..
10. 6.00 Uhr morgens. Dämmerlicht. Die Küste wirkte scharf wie geschliffen. Langsam wanderte sie unter den Horizont. Vor dem Kutterbug lag das Eismeer, schmutziggrau, in der Farbe des bewölkten Himmels. Urban setzte das Glas ab. „Das Gesprenkelte an Steuerbord voraus“, fragte er, „was ist das?“ „Treibeis“, vermutete Peer. „Der Nordoststurm bricht es los und schiebt es bis in den Fjord.“ Urban beugte sich über die Karte. Vordö wanderte an Backbord langsam nach achtern. Sie erreichten Nordkapbreite. 71 Grad 10 Minuten 21 Sekunden Nord. Aber sie mußten weiter hinauf. „Ich würde drei Strich abfallen“, schlug Urban vor, „Der Strom setzt quer. Ich muß gegenhalten.“ „Der Sender ist ziemlich schwach.“ „Auf wieviel Meilen Distanz hören wir ihn?“ „Höchstens drei Meilen schätzte Rio.“ „Ja, Rio verstand was davon. Warum, zum Teufel, mußte er sterben.“ „Warum, zum Teufel“, sagte Tom, „hast du keine stärkere Boje setzen lassen, Dynamit.“ „Die Gefahr, daß die Russen sie ebenfalls orten, ist zu groß.“ Cooleen kam ins Ruderhaus. „Die Luftflaschen sind voll,
Gentlemen.“ „Auch die für die Reserve?“ „Und die für die Ballons“, ergänzte sie. „Tüchtiges Mädchen“, bemerkte Peer todernst und deshalb voller Ironie. „Zu tüchtig“, murmelte Urban, ging an Deck und prüfte das Geschirr. Die schweren Nylongurte, das Netz, die Schäkel und die Ballons, die alles, was sie aus dem Boot bargen, an die Oberfläche liften sollten. Dann verschwand er in der Kajüte unter Deck. Der Stauraum für die Ladung war auf diesem Kutter zum Logis ausgebaut. Er hängte sich an den Funk. Später kam Tom hinzu. „Er trübt ein.“ „Fabelhaft.“ „Eismeernebel.“ „Die Engel sind mit uns.“ Tom saß da, stopfte sich eine Pfeife, wartete und beobachtete Urbans Gesichtsausdruck. Er hatte sich wohl verändert. „Hörst du etwas?“ „Norweger, russische Fischer, Marinefunk, eine Passagiermaschine auf Polkurs. Wie gut sprichst du russisch?“ „Nicht besonders, aber ich lerne es noch.“ Der Engländer übernahm die Kopfhörer. „Ein Walfänger, denke ich.“ „Um diese Zeit gibt es hier keine Wale.“ „Ein Fabrikschiff. Es läuft aus. Und ein Kohlefrachter mit Kurs Spitzbergen. Die Russen haben dort Gruben gepachtet.“ Sie versuchten; die Kurse der Schiffe zu bestimmten. Urban setzte sie auf der Karte ab. „Sie stören uns nicht“, hoffte er. „Wer uns stören könnte, quatscht nicht im Äther rum“, befürchtete Tom. „Angst, Kleiner?“ „Angst, was ist das?“ Urban schlug ihm auf die Schulter, ging an Deck und überzeugte sich, daß der Sonarempfänger, der an einem Kabel über Bord hing und tief eintauchte, in Ordnung war. Es konnte nicht mehr lange dauern, und sie mußten die Signale der Markierungsboje empfangen. Und dort, wo die Sonarboje sendete, lag auch U-04. Das Sonarecho war stärker geworden, ganz stark, dann wieder schwach. Sie hatten beigedreht, bis es wieder die größte Lautstärke hatte. Dann hatten sie den Anker geworfen. „Notfalls kann ich die Kette rauschen lassen“, sagte Peer unfreundlich, aber auch zuverlässig wie immer. „Tiefe?“ „Einundvierzig Meter, laut Echolot.“ Tom und Urban hatten die schwarzen Neoprenanzüge an und die Aqualungen geschultert. „Dann wollen wir mal.“ Die Zeichen waren vereinbart. Urban träufelte Klarsichtmittel in die Brille und verrieb es auf den Gläsern. Tom hatte schon den Atemschlauch im Mund. „Los dann!“ „Wie kalt ist es?“ „Eher noch heiß“, scherzte Peer. „So um acht
Grad herum.“ Als sie sich rückwärts hineinfallen ließen, überkam es sie wie ein Guß mit Eiswasser. Aber die Schicht unter der Gummihaut erwärmte sich rasch. Sie tauchten ab. Das Wasser war ziemlich klar. Doch wenn oben kaum Tageslicht herrschte, wurde es unten rasch dunkel. Auf zehn Metern schalteten sie die Lampen an. Die Bleigürtel zogen sie langsam tiefer. Bald trennten sie sich. Jeder schwamm einen Suchkreis von etwa fünfzig Meter Durchmesser. Urban wußte, daß der Boden hier flach war und wenig Sedimente enthielt. Das Boot war, den Unterwasserfotos zufolge, gut erhalten und auch erkennbar. Aber er wollte es Tom überlassen, es zu finden. Sie trafen sich wieder an der Leine, die vom Kutter senkrecht herabhing und an deren unterem Ende das Bergungsgerät vertäut war. Tom machte das Zeichen für negativ. Urban beschrieb nun einen Suchkreis, der östlich lag und Tom nahm den Westsektor. Dabei entfernten sie sich so weit, daß ihre Lampen nur noch glühende Punkte zu sein schienen. Es gab massenhaft Fische hier im Schelfbereich. Schwärme von Heringen, aber auch Kabeljau, Barsche und kleines Grobzeug. Mit einem Mal sah Urban Toms Lampe näher kommen. Er gab Signal damit. Er bewegte sie im Kreis und schaltete sie mehrmals ein und aus. Urban schwamm auf ihn zu. Und da lag es, wie ein versteinertes Ungetüm aus der Eiszeit. Der Turm ragte bis auf fünfundzwanzig Meter Tiefe hinauf. Vorsichtig näherten sie sich dem U-Boot-Wrack und umschwammen es erst einmal. Es hatte zwei Treffer abbekommen. Einen auf dem Vorderdeck die Bombe hatte an Backbord die Tauchtanks aufgerissen und einen Treffer hinter der Brücke. Mit solchen Löchern im Druckkörper war kein UBoot mehr schwimmfähig. Sie verständigten sich und drangen durch das offene Torpedoluk ins Innere des Rumpfes vor. Anders als die Wracks in warmen Gewässern war dies hier nicht mit Muscheln und Korallen überwachsen. Nur Algen hatten es mit einer gleichmäßigen Schmiere Überzogen. Auf dem Trokkenen hätte man es eine grüne Staubschicht nennen können. Sie kamen zwischen dem achteren Torpedoraum und dem Maschinenraum herein. Die zwei MWM Diesel standen noch da wie unzerstörbare Monumente der Maschinenbaukunst. Sie zwängten sich zwischen den Dieseln nach vorn.
Tom leuchtete zur Seite hin. Ein Mensch war dort eingeklemmt, sein Gesicht ein Totenkopf, die linke Hand ein knochiges Gerippe. Mit seinem Fleisch hatten sich vermutlich Aale gemästet. Sie schwammen durch ein Rundschott an Funkraum und Kombüse vorbei in die Zentrale. Dort kamen sie nicht mehr weiter. Also kehrten sie um und untersuchten die Kommandantenkammer. Alles Holz war weggemodert. Nur die Aluminiumstreben und Eisen standen noch. Urban deutete auf ein Loch am Ende der oberen Koje. Der prominente Gast hatte mit Sicherheit in der Kommandantenkammer geschlafen. Das Wichtigste hatte er hier irgendwo aufbewahrt. Urban verständigte sich mit Tom darauf, daß er jetzt seine Aqualunge abschalten würde, um durch die Öffnung zu gelangen. Er deutete auf sein Presluftmundstück. Tom sollte es ihm reichen, sobald er in Atemnot geriet. Tom verstand sofort, denn es war vorher so besprochen worden. Aber dann deutete er auf die Öffnung im Stahl, auf dieses scharfgezackte Oval, dann auf Urban und zuletzt auf sich. Er wollte damit ausdrücken: Ich bin nur eine halbe Portion im Vergleich zu dir. Laß mich das machen! Urban war einverstanden. Tom übernahm diesen gefährlichsten Teil also freiwillig. Urban fragte sich, wie Adler reagieren würde. Würde er versuchen, als erster an die Hinterlassenschaft des Wissenschaftlers zu gelangen, sie an sich zu bringen und Urban dann irgendwie auszuschalten? Nein, Adler handelte anders. Er hatte den Operationsplan an die Russen verraten, und die würden sie mit der Beute auf dem Rückweg abfangen. Daß Tom sich bereit erklärt hatte, in das Loch zu schlüpfen, war weder ein Beweis gegen noch für die These, daß er Adler war. Inzwischen hatte der Engländer das Preßluftgerät abgelegt, atmete noch zweimal tief durch und wand sich wie eine Wasserschlange durch die Öffnung. Urban wußte, daß er dort etwas finden würde. Er hatte dafür gesorgt. Er wartete. Bald schon tauchte Toms Gesicht in der Öffnung auf. Er brauchte Sauerstoff. Erst atmete er aus Luftblasen stiegen hoch dann atmete er vom Mundstück ein und verschwand wieder. Eine halbe Minute später sah Urban zwei Hände und eine rostige Trommel, etwa so groß wie ein Gurkeneimer. Tom lieferte noch eine zweite Trommel und eine Stahlkassette und machte das Zeichen, daß dies alles sei. Urban
wußte, daß er nicht mehr als das hätte finden können. Tom wand sich aus der Öffnung heraus und hängte sich das Atemgerät wieder um. Sie brachten die Beute sofort ins Netz. Die Ballons bekamen Preßluft. Mit dem Netz tauchten sie auf. Oben schnitt Peer eine Öffnung in das Behälterblech. Etwas Flüssiges, das wie dickes, klumpiges Öl aussah, schwappte darin. „Die Farbe“, erklärte Urban. Nun brachen sie die Kisten auf. Was ihnen entgegenkam, war nur Papiermasche. „Das kann nicht alles gewesen sein.“ Urban wirkte enttäuscht. „Okay, gehn wir noch, einmal runter“, schlug Tom vor. Aber erst nahm er einen Schluck Scotch. An der Leine hangelten sie sich abwärts. Laut Tiefenmesser hatten sie vierzehn Meter erreicht, als sich die Leine heftig bewegte. Augenblicklich identifizierten sie das Signal. Stätiges Rucken bedeutete Alarm. Auftauchen. Sie schossen hoch. Kaum aus dem Wasser, streckten sich ihnen Arme entgegen und zogen sie an die Bordwand heran. Ein Klimmzug und sie lagen an Deck. Cooleen half ihnen aus Kopfhaube, Atemmaske und Gerät. Urban riß die Flossen von den Füßen. „Was gibt's?“ „Die Russen.“ Er schaute sich um. Überall dichter Nebel. Es wallte und brodelte, als hätten die nordischen Götter Waschtag. „Im Radar?“ „Sie laufen direkt auf uns zu.“ Urban hörte den Anlasser gehen und riß die Tür zum Ruderstand auf. „Jetzt soll er zeigen, was er kann, dein Mopedmotor mit den sieben Turbos.“ „Siebzehn Turbos.“ Peer hielt den Daumen auf dem Anlasserknopf und fummelte wütend am Choke. Endlich kam der 2000-PS-Rolls-Royce-Motor. Er tourte hoch. Peter gab ihm sofort Startleistung und warf das Wendegetriebe auf vorwärts. Die Schraub« kreischte im Wellentäler, als würde sie den Kutter zersägen. Der Druck warf sie gegen die Funkanlage. Hinten schäumte und gischtete es weiß. Vorn hob sich der Bug. Der Kutter legte los. „Siebzehn Turbos“, rief Urban und blickte in die Radarschirmmaske. Sie kamen von zwei Seiten. Sehr schnell. Vermutlich Küstenwachboote. Die Punkte, die der wandernde Strahl auf dem grünen Glas sichtbar machte, wurden größer und rückten näher. Im Drehpunkt des Suchstrahls war ihre eigene Position. Es sah schlecht aus. „Sie nehmen uns in die Zange“, stellte Urban fest. Peer nickte nur. „Was hier oben an Russen herumschippert, ist nicht schneller
als dreißig Knoten. Denen laufen wir auf und davon.“ Offenbar hatten die Russen ein paar neue Pötte hinzubekommen, von denen Peer nichts wußte und die über Wellenturbinen verfugten. In fliegender Hast kleidete Urban sich um. Raus aus dem schaumgefütterten Gummianzug, rein in den Isländer, Drellhosen und in die Stiefel. Bomberjacke darüber. Der Nebel verminderte die Sicht auf eine Kabellänge, eher weniger. Sie würden die Russen erst ausmachen, wenn sie unmittelbar neben ihnen schwammen. Und es schien auch, als würde es dazu kommen. Der Kutter gebärdete sich zwar wie ein Runaboat er arbeitete heftig, der Vorsteven zerschnitt die See, der Motor dröhnte ungedämpft aus dem Rohr, alles bebte und zitterte, Spanten, Planken und Aufbauten aber die Russen holten auf. „Festhalten!“ warnte Peer. Er löste eine Sperre, die den Gashebel drei Zacken vor dem Anschlag arretierte. „Kampfleistung!“ schrie er. „Das macht er nur fünfzehn Minuten. Mit Wasser-Methanol-Einspritzung.“ Urban wußte, daß die alten Weltkrieg-II-Motoren, die von Daimler-Benz und die Rolls-Royce-Merlin, kurzzeitig 2500 PS entwickeln konnten. Peer drückte den Gashebel bis zum absoluten Anschlag. Der Kutter machte einen heftigen Ruck nach vorn, legte noch deutlich zu. Fünfundvierzig Knoten, schätzte Urban. Das war Schnellboottempo. Eine hohe querlaufende Welle und der Kutter würde zum Salto rückwärts ansetzen. Urban musterte Peer. Furchtlos wie ein Wikinger trotzte er mit dem Stumpf seines Schwertes der Übermacht des Gegners. Wenn er Adler war und die Position den Russen verraten hatte, warum gab er dann alles, um ihnen zu entwischen? Taktik? Sie waren abgerückte Bastarde, diese Agenten. Urban nahm sich selbst nicht aus. Er war der ausgebuffteste. Wenn sie wüßten, warum sie das alles mit ihm durchstanden. Die Punkte auf dem Radarschirm fielen zurück. „Wir schaffen es.“ Peer wirkte erleichtert. Aber seine Hoffnung verlöschte wie die Streichholzflamme in einer Windbö. Am oberen Ende des Radarschirms tauchten plötzlich viele Punkte auf. Das waren noch lange nicht die Fjordberge. Mindestens sechs Küstenwachboote bildeten eine Auffangstellung. „Scheiße!“ Peer fluchte und gab hart Steuerbordruder. Er wollte versuchen, eindeutig norwegisches Gewässer zu erreichen. Wo
sie sich jetzt befanden, das war so etwas wie „Niemandssee“. Sie liefen jetzt Südwestkurs. Aber auch dort standen diese verdammten grünen Punkte. Peer fiel noch weiter ab, versuchte es auf Gegenkurs, auch wenn sie das wieder in sowjetisches Hoheitsgebiet brachte. Keine Chance. Sie waren jetzt überall. „Wir brechen durch!“ schrie Peer. Draußen stand Tom. Er hatte alles mitbekommen. Atemlos wühlte er in den Säcken für die Ausrüstung und riß ein mächtiges Ding von Maschinenpistole heraus, fast schon ein leichtes MG. Das gibt ein Gemetzel, dachte Urban, und stürzte an Deck. Da ballerte Tom schon los. Die schwere MPi im Arm gab er Dauerfeuer. Er hielt in den Nebel hinein, wo an Backbord der Schatten eines Vorpostenbootes auftauchte und näher kam. Urban konnte ihn nicht daran hindern. Flink wie ein Affe kletterte Tom auf das Dach des Ruderhauses und schoß, bis das Magazin leer war. Sekundenschnell klemmte er ein neues an, feuerte nach Steuerbord und voraus und überallhin, wo er den Gegner vermutete. Prompt setzte die Antwort ein. Erst mit Schnellfeuerwaffen, dann mit Maschinenkanonen. Die 4cmGarben rissen enorme Löcher. Sie schossen auch Reizgas auf sie ab. Pfeifend kamen die Behälter herüber. Links und rechts von Urban ging alles in Fetzen. Holz splitterte, Glas barst. Der Feuerlöscher spritzte los. Irgendwo kokelte es. Peer war hinter dem Ruder in Deckung gegangen. Cooleen lag im Schutz einer Taurolle. Nur Tom stand auf dem Ruderhaus wie ein Denkmal der Tapferkeit und erwiderte das Feuer. Er mußte wissen, daß es sinnlos war, aber er schoß. Schoß er, weil er sicher war, daß sie nicht auf ihn halten würden? Achtern gab es einen berstenden Schlag. Der Kutter fuhr daraufhin ruderlos im Kreis. Die Russen hatten ihn jetzt schön in der Mitte. Sie hielten herüber, was die Magazine hergaben. Urban preßte sich gegen die massive Bordwand. Plötzlich ein durchdringender Schrei. Tom warf die Arme hoch, die Waffe entglitt ihm, er taumelte und stürzte an Deck. Und mit einem Mal war Stille. Auen das Heulen des Spitfiremotors unter Deck hatte aufgehört. Mit letzter Fahrt trieb der Kutter dahin. Durch den Nebel tasteten sich Scheinwerferfinger. Dann eine Megaphonstimme: „Ergeben Sie s ich!“ Was sollten sie anderes tun. „Stehen Sie auf! Mit erhobenen Händen!“ Sie befolgten
den Befehl. ,,Wo ist Ihr vierter Mann?“ Woher wußten sie, daß sie noch zu viert waren. Peer und Cooleen standen auf der Back. Urban trat zu ihnen. „Wo ist der vierte Mann?“ fragte der Russe noch einmal. Der vierte Mann Tom, der Engländer war tot. Er lag mit dem Gesicht nach unten in seinem Blut, das die Gischt immer wieder wegwusch. Urban kniete neben ihm und drehte ihn um. Tom war durchlöchert wie eine Zielscheibe. Oberschenkelschüsse, Brustschüsse, Treffer quer durch den Hals. Die Schlagader war zerfetzt. Eine Kugel hatte ihm ein Stück vom Schädel weggerissen. Zwei sowjetische Wachboote manövrierten längsseits, ein Schnellboot und ein Trawler. Sie wurden an Bord des Trawlers gebracht. Die Russen fesselten Urban und der Amerikanerin die Hände. Peer, der Norweger, blieb merkwürdigerweise ungefesselt. Sie behandelten ihn wie einen der ihren. So kameradschaftlich wie Fischer, die einander an der Grenze ihrer Fangzonen begegneten, sich über die Beute unterhielten und dabei eine Flasche leerten.
11. Man hatte sie in einer verlassenen Trankocherei untergebracht. Es stank wie im Inneren eines vergammelten Herings. „Ein Weinkeller riecht nach Wein“, sagte Urban, „und eine Mühle nach Mehl.“ „Ich werde mich nicht daran gewöhnen.“ Urban stand am Fenster und starrte hinaus. „Wenn du erst einige Zeit hier bist, dann schon.“ „Was heißt, einige Zeit?“ „Tage, Wochen, Monate. Bei den Russen hat alles keine Eile.“ „Wo sind wir überhaupt?“ Die Fesseln hatte man ihnen abgenommen. Sie waren unnötig. Der ehemalige Kühlraum hatte dicke Mauern, eine eiserne Tür und vergitterte Fenster. „Ziemlich dicht an der Grenze“, schätzte Urban. „Woher weißt du das?“ „Ich konnte heute nachte im Norden den Polarstern sehen. Später hörte ich das Wasserflugzeug, das jeden Morgen die Post nach Vadsö bringt. Vadsö liegt genau gegenüber.“ „Dann sind wir am Fjord.“ „Leider an seiner falschen Seite.“ Urban deutete auf Lichter links in der Ecke des Fensters. „Das wäre die Freiheit“, bemerkte Cooleen. „Noch sind wir nicht in Sibirien, Gnädigste.“ „Aber wir haben reelle Chancen, dahin zu kommen.“ Er nickte zustimmend. „Wenn sie erst wissen, wer
ich bin.“ „An mich denkst du nicht?“ „Du bist Agentin. Agenten haben sich um sich selbst zu kümmern. Im Notfall würdest du immer erst den eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen.“ „Du nicht weniger.“ „Und Peer auch nicht“, ergänzte Urban. „Peer“, murmelte sie. „Wer ist dieser Peer eigentlich?“ Urban dachte lange nach und kam zu keinem eindeutigen Ergebnis. „Entweder steht er auf der Seite der Russen oder auf unserer.“ „Was glaubst du?“ Urban wurde einer Antwort enthoben, denn man holte ihn zum Verhör Es war das zweite. Er sagte, was er schon das erste Mal erzählt hatte: Er sei Berufstaucher, Inhaber einer Bergungsfirma und habe das deutsche U-Boot-Wrack heben wollen. Es liege auf norwegischem Gebiet, und er verfüge über die Genehmigung der Regierung in Oslo. „Im übrigen ist mein Name Piet Stricker. Ich bin aus Hamburg und verlange, daß man mich sofort auf freien Fuß setzt oder daß man meine Botschaft verständigt.“ Sie versuchten alles, aber sie holten nichts aus ihm heraus. Dann stellten sie ihm Peer gegenüber. Peer wirkte gepflegt, gebadet und rasiert. Er hatte offenbar gut gefrühstückt. Ein Duft von gutem Wodka strömte von ihm aus. „Der Norweger hat etwas anderes erzählt“, sagte der Russe. „Was kümmert mich das“, entgegnete Urban. „Er ist ein besoffenes Schwein von einem Skipper.“ Peer ballte wütend die Faust und schlug blitzschnell zu. Kaum hatte Urban den Treffer geschluckt, konterte er und traf Peers Kinn. Der Norweger taumelte, flog an die Wand, rieb sich mit tränenden Augen die Wange und spuckte Blut. Da waren die Posten schon über Urban. Sie hämmerten ihm einen Kolben ins Genick und führten ihn ab. Auf der Pritsche in der Zelle liegend, kam Urban zu dem Ergebnis, daß Peer deshalb zugeschlagen haben mußte, um die gefährliche Gegenüberstellung abzukürzen. Oder weil er der Verräter war und einen Rest von Scham empfand. Später holten sie Cooleen ab und brachten sie am Nachmittag wieder. „Was hast du erzählt?“ „Daß ich deine Freundin bin, daß ich mitkam, weil ich kochen kann und tauchen, und weil du mich am Gewinn beteiligen wolltest.“ „Das war alles?“ „Sie fragten mich, ob ich dich in den kühlen Nächten in der Koje wärmen sollte.“ „Und?“ „Ich sagte ihnen, daß es so sei.“ „Was hältst du von
dem Verhörführer?“ fragte Urban. „Nur ein gewöhnlicher Offizier.“ „Also kein Profi.“ „Aber ich fürchte, der Profi ist unterwegs. Und dann, gnade uns Gott!“ „Gott ist ein weiser Mann“, sagte Urban. „Du resignierst?“ fragte sie leise. „Ich sehe im Augenblick nur keine Chance“, erklärte er. „Chance, wofür? Zu entkommen?“ „Auch das.“ „Oder um den Hintergrund dieser mysteriösen U-Boot-Story zu erhellen.“ Urban blickte sie an und nickte. „Auch das.“ „Und um was geht es denn im Kern des Ganzen?“ Statt einer Antwort, lächelte er nur. „Du traust mir nicht, Bob.“ „Nein“, gestand er. „Und nur ein Mann, der schweigen kann, ist ein Mann.“ „Auch das.“ Er rollte zur Wand und versuchte zu schlafen. Urban erwachte von einem brutalen Fußtritt. Er spürte einen Stoß, dann einen Stich in der rechten Niere. Es schmerzte sehr. Er drehte sich um und blickte in ein großporiges Gesicht. „Komm hoch, Mann!“ Er sah zwei Gestalten im dämmrigen Dunkel der Polarnacht. Eine davon war Cooleen, die andere der Norweger. „Peer!“ „Bist du okay, kannst du gehen?“ „Und wie.“ Ohne zu fragen, folgte Urban dem Norweger. Die Tür war offen. Sie tasteten sich durch die Trankocherei nach draußen. Aus den Wachbarakken kam Licht und das Gegröle von Matrosen. Unten am Pier lag der Trawler. Urban stolperte fast über einen Sack. Es war der Posten. Peer hatte ihn niedergeschlagen. „Ging nicht anders, sorry höchste Zeit. Und jetzt bewegt euch!“ Er lief voraus, hinter ihm Cooleen, dann Urban. Sie erreichten den Ladehof. Links die rostigen Trantanks, rechts die Fahrzeuge in Reihe geparkt. Ein Posten tauchte auf. Peer blieb stehen und steckte sich eine Zigarette an. Der Posten forderte ihm die Parole ab. Peer sagte etwas, offenbar ein deutliches Wort mit der Handkante. Plötzlich lag der Posten am Boden. Zwischen den Lastwagen stand ein Molotow-Jeep. „Schieben!“ zischte Peer. „Der Diesel warnt alle.“ Cooleen übernahm das Lenkrad. Peer faßte über sie hinweg, riß den Gang heraus und löste die Bremse. Dann wuchteten sie das Auto vorwärts. Es war nur mühsam zu bewegen, als wäre es in der Kälte zähgefroren. Sie schoben und kamen ins Schwitzen, denn es ging bergauf. Cooleen merkte, wie sie sich abquälten. „Noch nicht starten“, zischte Peer. „Wir müssen hinter den Hügel kommen. Dann los! Sind nur noch ein paar Meilen bis
drüben.“ Aber was für ein Gelände, ergänzte Urban in Gedanken. Das Schieben wurde leichter, als verlöre der Jeep an Gewicht. Der Pfad wurde eben. Man sah das Meer und am Kliff den Leuchtturm mit Drehfeuer. Der Jeep rollte talwärts. „Anlassen!“ schrie Peer. Der Scheinwerfer des Leuchtturms erwischte sie und schwenkte vorbei. „Nur das Blinkfeuer.“ Cooleen startete. Der Diesel nagelte los. Sie preschten die Straße nach Grensedakobselv entlang. Dort gab es einen Übergang. Aber mehr als zehn Autos im Jahr kamen dort nicht durch. Außerdem brauchte man hundert gestempelte Papiere. Peer dirigierte Cooleen also querfeldein und übernahm dann das Lenkrad. Eine kristallklare, blaue Nacht. Abgestorbene Bäume gaben der Tundra ein groteskes Aussehen. Der Jeep sprang über Steine und Bodenwellen. Peer fuhr zu schnell. Ein Felsbuckel wölbte sich auf. Peer kurvte um ihn herum. Wasser schoß irgendwo aus dem Boden, bildete einen See. Ein breites Rinnsaal durchfeuchtete das Moos. Die Räder mahlten. Die Männer sprangen hinaus, schoben, kamen wieder in Fahrt. Dann ein Warnschild, krumm, mit Totenkopf. Die Grenze war nicht mehr weit. Jetzt kam der Sperrgürtel. Noch fünf Kilometer durch die öde, graue Tundralandschaft, und sie waren drüben. „Die Farbkübel konnte ich nicht mitnehmen“, bedauerte Peer. „Vergiß es“, sagte Urban. „Hier liegen KGBGrenztruppen, die schießen auf alles, was sich bewegt.“ „Ja, handverlesene Soldaten.“ „So wie wir,“ Peer knüppelte den Jeep, daß seine Halsadern schwollen. „Wie wir. Wie du, wie ich, wie Tom, wie Rio.“ Cooleen saß jetzt hinten. Sie mußte sieh festhalten, um nicht hinausgeschleudert zu werden. Urban vernahm ein flapperndes Geräusch und glaubte, am Himmel Licht zu sehen. Das war kein Stern, es bewegte sich zu schnell. Zweifellos ein Hubschrauber. Mit dem Jeep waren sie in dieser flachen, buschlosen Ebene einem Hubschrauber so unterlegen wie ein Hase einer Meute von Hunden. Urban deutete nach oben. Peer klammerte sich an das Lenkrad des wild springenden Jeeps und gab noch mehr Gas. Peer war der Mann, der für Transport und Rückzug sorgen sollte. Bis jetzt hatte er seine Aufgabe erfüllt. Aber wie es aussah, lief das Rennen jetzt endgültig zu ihren Ungunsten, Wenn die Russen Peer mit den Gefangenen im Jeep erwischten, war es wohl aus mit der
Kumpanei. Oder alles war wieder nur ein Übertrick. Urban blickte nicht mehr durch. Das Springlicht kam näher. Peer kurvte es aus, konnte aber dem Hubschrauber nicht entgehen. Und dann traf sie der Suchscheinwerfer des Kampfhelikopters. Fast gleichzeitig erreichten sie einen Wassergraben, den man nur mit großem Fahrkönnen überwinden konnte. Jenseits des Grabens stand ein sowjetischer Sumpfpanzer. Eines dieser gefährlichen amphibischen Kettenfahrzeuge, die. sogar fünf Meter tiefe Flüsse durchwateten. Nur fliegen konnten sie nicht. Aber dafür hatten sie den Hubschrauber. Der kam jetzt tiefer. Urban sah schon die Unterseite mit dem kreisenden Drehlicht. Er schwebte über ihren Köpfen. Sein Rotordruck nahm ihnen schier den Atem. Drüben richtete sich die Kanone und das Maschinengewehr des Sumpfpanzers auf sie. Peer trat die Bremse. Der Jeep stand. Sie sprangen heraus. Die Tundra stand hier knöcheltief unter Wasser. Sie warfen sich hin, sprangen auf und hasteten mühsam vorwärts. Der Panzer feuerte. Das Geschoß zog über sie hinweg und explodierte im Flug. Urban riß eine Handgranate ab und warf sie gegen den Panzer. Sie schlug vor ihm auf. Wasser mit Dreck vermischt spritzte hoch und nahm dem Schützen die Sieht. Aber der Hubschrauber hing über ihnen und verfolgte sie mit dem grellen Lichtkegel seines Scheinwerfers. Peer riß eine Waffe aus dem Gürtel, legte an und feuerte auf den Helikopter. Es sah so aus, als hätte er dessen Eingeweide getroffen. Entsetzt schrie Cooleen auf: „Nein! Peer, du bist wahnsinnig!“ Peer feuerte weiter. Aus dem Helikopter erwiderten sie die Schüsse. Peer warf die Pistole weg, rannte zum Jeep, riß eine Kalaschnikow aus der Halterung und legte hoch an. Vom Sumpfpanzer, herüber ratterte jetzt das MG. Die Garbe streute weit. Sie warfen sich hin. Cooleen packte Urban am Arm und deutete nach oben. „Der Hubschrauber ist einer von den unseren. Ein Bell.“ Er führte keine Kennzeichen und Peer, der offenbar nicht wußte, was er tat, gab Dauerfeuer. Wild entschlossen fischte Cooleen Peers Pistole aus dem Dreck und drückte ab. In der russischen Neunmillimeter war noch eine Kugel. Sie traf Peer genau ins Herz. Er schleuderte herum, riß die Arme hoch und taumelte zu Boden. „Er oder ich“, sagte sie, „ich oder er.“ Mit einem Satz war Urban bei Peer. Zu spät. Der Norweger atmete nicht mehr.
Der Helikopter kam jetzt herunter. Der Rotor peitschte das Wasser und hüllte sie in eine Wolke aus Gischt. Der Pilot öffnete die Plexiglastür der Kanzel. „Colonel Dynamit“, schrie er. „Colonel, Sie haben fünf Sekunden. Oder wir starten ohne Sie.“ Urban stieß Cooleen vorwärts. Sie kletterte in den Helikopter, und der Pilot zog am Pitch. Kaum schwebten sie einen Meter über dem Boden, da sah Urban, wie sich das MG des Sumpfpanzers auf sie richtete. Eine gezielte Garbe, und es war aus. Aber der Schütze verfolgte sie nur mit dem Lauf, wie bei einer Zielübung, ohne abzudrücken. Der Bell konnte zur Seite wegziehen. „Festhalten!“ „Er schießt nicht“, sagte Cooleen. „Warum schießt er nicht?“ fragte der Pilot fassungslos. „Er hat Ladehemmung“, erklärte Cooleen. Der Helikopter gewann an Höhe. In wenigen Minuten war er jenseits des Sperrgürtels auf norwegischem NATOTerritorium. „Und Peer“, murmelte Urban, „ist tot.“ „Weil er keine kugelsichere Weste trug.“ „Warum sollte er?“ „Ich trage eine, du trägst eine. Ich wollte ihn außer Gefecht setzen.“ „Der Russe am Maschinengewehr, ist das euer Doppelagent?“ „Wer kennt sich da noch aus“, antwortete Cooleen. Der Helikopter nahm Kurs NATO-Basis Kirkenes. „Wir lagen die ganze Nacht auf Lauer“, erklärte der Copilot. „Von wem kam die Order?“ „Von Major Peer Geiranger.“ „Er hielt Sie wahrscheinlich für Russen.“ „Wir sollten kein Erkennungssignal schießen. Ausdrücklicher Befehl. Nicht über sowjetischem Gebiet.“ Sie waren in Sicherheit. In wenigen Minuten würden sie in Kirkenes landen. Eine völlig sinnlose Operation lag hinter ihnen. Ohne das geringste Ergebnis. Rio, Tom, Peer alle drei tot. Urban war deprimiert. Drei Mann tot, zwei von ihnen waren unschuldig. Gute tapfere Männer. Eines wußte Urban weniger als je zuvor wer von ihnen Adler gewesen war. Das deprimierte ihn. Cooleen schmiegte sich an ihn. „Ich habe Angst“, gestand sie. „Ich bin ja noch da“, sagte er. „Eben, weil du noch da bist“, antwortete sie.
12.
Bewacht von zwei Offizieren brachte ein Kurierflugzeug die Beute aus dem Meer nach Moskau. Dort wurde die Munitionskiste in Gegenwart von KGB-Technikern geöffnet Ihre Enttäuschung war zunächst noch gedämpft. „Nur zwei Zehn-Kilo-Kübel“, stellte der Oberst fest, „und eine Stahlkassette.“ „Nun, auf den Inhalt kommt es an“, meinte der Mann in Zivil. Doch der Offizier blieb mißtrauisch. Er prüfte die Begleitpapiere der Sendung und sprach mit den Offizieren der Eismeer-Bau«. „Ist das alles, was diese Burschen aus dem U-Boot geholt haben?“ „Mehr fanden wir nicht auf dem Kutter.“ „Und unten im Wrack?“ „Ein Hubschrauber flog Marinetaucher von Kola herüber. Sie machten sich sofort an die Arbeit. Man kann sagen, sie kehrten in dem U-Boot das Unterste zuoberst Sie fanden nichts Brauchbares.“ Der KGBOberst gab sich damit nicht zufrieden. „Wie lange ließen sie sich Zeit?“ „Einen Tag und eine Nacht.“ „War das die Nacht, als die Gefangenen entkamen?“ Der Begleitoffizier nickte. „Ich war nicht dabei, Genosse Oberst, und nicht zuständig. Aber wie ich hörte, soll es in diesen Stunden gewesen sein.“ Der Zivilist ließ die Beute aus dem Meer in einen Kombi verladen. Doch vorher kratzte er an den Kübeln herum. Dabei bediente er sich der Klinge seines Taschenmessers. „Überlassen wir das dem Labor“, schlug der Oberst vor. Der Zivilist betrachtete die grünbraune Schmiere, die an seiner Klinge haftete und dann die Dose. „Kaum Rost“, stellte er fest. „Die Kübel lagen angeblich vierzig Jahre im Salzwasser. Würde mich doch sehr wundern, wenn die Deutschen damals noch über so hervorragendes Material verfügt haben sollten. Außerdem gab es seinerzeit noch gar kein Nirosta-Blech, das gegen Seewasser resistent gewesen ist. Es sei denn, man hätte es dick versilbert, wozu wohl kein. Anlaß bestand. Und selbst Silber wäre mittlerweile schwarz geworden.“ Er nahm etwas von der Schmiere zwischen die Finger, zerrieb sie und schnupperte daran. „Merkwürdig.“ Sie bestiegen die Wolga-Limousine und fuhren hinter dem Lieferwagen her. „Was ist merkwürdig?“ fragte der Oberst. „Unser Meeresbiologe muß sofort feststellen, ob es sich wirklich um Algenbewuchs handelt oder.. .“ Der Oberst wurde jetzt unruhig. „Oder um was? Nun aber heraus mit der Sprache, Parjutkin!“ Der technische Offizier in Zivil hütete
sich, Mutmaßungen anzustellen. Er zählte nur die Fakten zusammen. „Der Kübel ist nicht ein halbes Jahrhundert alt, sondern neu. Er liegt nicht seit 1945 im Eismeer, sondern wurde erst kürzlich hingebracht. Der Belag sollte Rost auf den Büchsenvortäuschen, ist aber irgend eine Mischung aus Rostmehl, getrockneten Algen und einem Haftmittel. Bin jetzt mächtig gespannt auf den Inhalt.“ Im Labor der neuen KGBZentrale am Rande Moskaus wurde zunächst die Kassette geöffnet. „Da war erst vor kurzem einer mit dem Stemmeisen dran“, erklärte der Experte den anwesenden Kontrolleuren. „Das sieht man mit bloßem Augen.“ Im Licht der Halogenlampen, wurde die Kassette auf dem Tisch geöffnet. Am Boden schwamm ein undefinierbares, sägemehlähnliches Material in einer zunächst nicht näher bestimmbaren Brühe. Proben wurden von dem Gemisch entnommen, gesiebt, gefiltert und getrocknet. Ein Teil wurde mikroskopiert, ein anderer chromatographisch ausgewertet. Sie testeten sogar die Radioaktivität. Sie gingen damit um, wie mit einer seltenen Eiszeitmumie. Metallfachleute untersuchten den Behälter, Das Ergebnis klang unbefriedigend. Es lautete: „Papier und Holzmehl in Meerwasser aufgeschwemmt. Kein Auflösungsprozeß von Aktenmaterial über lange Zeit, sondern eine künstliche Mischung, um Zerfall vorzutäuschen. Bei normalem Papiermache waren die Fasern von unterschiedlicher Länge und außerdem blättrig.“ Die Verantwortlichen blickten sich kopfschüttelnd an. „Und die Kassette?“ „Stahlblech, made in Germany.“ „Nun, das haben wir erwartet.“ „Aber made in Western-Germany, bestenfalls vor einem Jahr. Schätze, man kann die Dinger in jedem Kaufhaus für zwanzig D-Mark erwerben. Der Markenname wurde zwar weggeätzt, aber am Griff sind noch Spuren davon erkennbar.“ Sie gingen nun in den Nebenraum, wo die Chemiker des Geheimdienstes einen der Farbkübel aufgeschnitten hatten. „Es ging nicht anders“, erklärten sie. „Er war verlötet, und der andere war leer, ausgelaufen.“ , Vom Inhalt, einer graublauen Soße, lagen etwa 50 ccm in der gläsernen Laborschüssel. „Und was ist das?“ Dem Experten schien die Antwort peinlich zu sein. „Rostschutzfarbe auf Zinkbasis. Die gibt es im Westen überall unter der Bezeichnung Zincromat. Zinkanteil etwa neunzig
Prozent. Der Rest ist Farbstoff, Bindemittel, Haftmittel, Rostumwandler und eine Substanz, die die Trocknung beschleunigt.“' Einer der KGB-Oberen fragte: „Ist diese Emulsion, oder wie soll ich es nennen, diese Farbe in der Lage, Radarstrahlen abzulenken oder aufzusaugen?“ „Ungefähr so gut wie Buttermilch.“ „Dagegen war das Zeug“, versicherte man ihm, „das wir beim Marsch auf Berlin auf unsere StalinPanzer schmierten, schon Zukunftstechnologie.“ Einer der Offiziere fluchte. „Verdammt, prüfen Sie trotzdem alles noch einmal nach wissenschaftlichen Maßstäben. Vielleicht wird hier mittels Trick ein Supertrick vertuscht. Und die Analysen so rasch wie möglich zu mir.“ Der Experte machte sich an die Arbeit. Zwölf Stunden später lag das Ergebnis vor. Der Bericht und die Analysen waren von den kompetentesten Leuten, über die das KGB verfügte, unterschrieben und gegengezeichnet. Der stellvertretende KGB-Chef fegte die Blätter des Gutachtens mit einer Handbewegung vom Schreibtisch. „Da sind wir ja einer erstklassigen Falschmünzerei aufgesessen.“ Der General marschierte wütend auf und ab. Ruckartig blieb er stehen. „Wie ich erst jetzt erfahre, ist der Oberstratege, der Regisseur dieser bezaubernden Märchenoperette, kein anderer, als der von uns heißbegehrte Mister Dynamit. Und am Ende ist uns diese Ratte auch noch entwischt!“ Den letzten Satz hatte er hinausgeschrien, daß man es ein Stockwerk tiefer noch hörte. Damit hatte der General seinem Arger Luft gemacht. Leise, aber um so drohender, fuhr er fort: „Ist man denn von lauter Vollidioten umgeben? Muß man alles selbst in die Hand nehmen? Was haben Sie vor, dagegen zu tun. Genossen?“ Einer der jüngeren Leute wagte sich hervor: „Unternehmen kann man sehr viel, wenn man weiß, was dahintersteckt.“ Der General schob die Faust in die Tasche und das Kinn vor. „Das will ich Ihnen sagen“, erklärte er. „Sie nennen es drüben Operation Adler. Es gibt da einen Satz: Der Adler fliegt immer allein. Als Adler wird von ihnen einer unserer exzellentesten Doppelagenten im oberen NATO-Bereich bezeichnet. Ein Mann, der uns jahrelang treu diente und erstklassige Informationen zugehen ließ. Sie wurden durch die Ereignisse in Pakistan mit der B-1B auf diesen Mann aufmerksam. Dieser Hundesohn nun, dieser dreimal verfluchte BND-Agent, dieser
Mister Dynamit, bekam den Auftrag, Adler zu jagen und zu finden. Er knobelte die Sache mit dem U-Boot aus und kreiste die Verdächtigen ein. Er hoffte, der wahre Adler würde sich dadurch verraten, daß er uns informiert, und wir versuchen würden, die Operation zu stören. Prompt fielen wir darauf herein. Zwar störten wir die Operation nachhaltig, aber noch immer fliegt der Adler.“ „Und das Material aus U-nullvier?“ wagte einer zu fragen. „Hat dieser Dynamit, seine Helfer von der US-Navy oder seine NATO-Freunde vorher an Bord des Wracks gebracht. Ein Glanzstück an Infamie. Aber eines Genossen, tut mir ehrlich gut, nämlich, daß diese Adleroperation in die Hosen der NATO ging. Und zwar voll inhaltlich. Unsere Gegenmaßnahmen müssen nun darin bestehen, die Scharte auszuwetzen. Die Scharte, die dadurch entstanden ist, daß uns Urban entwischte. Ich bin sicher, daß er trotz allem gewisse Erkenntnisse erlangt hat. Wir müssen also unseren Doppelagenten dringend warnen.“ Der General steckte sich eine Zigarette an. „Wenn als Folge dieser NATOOperation“, kam er zum Schluß, „Adler auch nur eine Feder gekrümmt wird, dann dann, Genossen, rollen hier Köpfe. Danke, Sie können gehen.“ Adler war nicht erreichbar und meldete sich auch nicht. Sein Kontaktoffizier in Paris versuchte alles. Er. telefonierte jede Nummer, unter der er Adler jemals gesprochen hatte. Er versuchte es mit Codedurchsagen auf Agentenwelle und schickte Telegramme verschlüsselten Inhalts an die Adressen, unter denen sich Adler irgendwann einmal aufgehalten hatte, Beinahe stündlich rief Moskau an und nervte ihn. „Er ist unser bester Agent. Man muß ihn am Leben erhalten.“ „Ja, das ist unsere Pflicht“, bestätigte der Mann in Paris. „Wenn wir nicht alles tun, ihn zu schützen, ihn zu warnen, ihm aus dieser Klemme heraushelfen, dann spricht sich das herum, und keiner von den anderen Spionen hat in Zukunft Vertrauen zu uns.“ Der Kontaktoffizier, der so nahe wie keiner an Adler herangekommen war, ließ sich alles mögliche einfallen. Dann endlich kam die Antwort auf seine Bemühungen. Aber auf eine Weise, mit der er nicht gerechnet hatte. Als er spätabends die sowjetische Botschaft verließ, in einem Bistro noch ein Glas Vin blanc trank und dann wieder seinen Wagen bestieg, saß ein Mann hinten in dem großen
Volvo. „Drehen Sie sich nicht um“, zischte er. „Sie würden erschrecken.“ „Adler?“ „Ich war Adler für kurze Zeit“, antwortete der Mann hinter ihm. „Jetzt werde ich meinen Codenamen ändern oder wieder den alten annehmen.“ Der KGB-Oberst folgte der Aufforderung und blickte stur nach vom. „Wissen Sie auch, daß alles nur ein einziges Ziel hatte, Adler?“ „Mich zu enttarnen.“ Adler lachte kehlig. „Aber es mißlang.“ „Diese U-Boot-Geschichte wurde allein nur deswegen aufgezogen.“ „Aber es mißlang.“ „Sehen Sie zu, Adler, daß Sie am Ende nicht doch noch auffliegen.“ „Keine Sorge.“ „Bitte e rklären Sie mir, weshalb ich sorglos sein kann.“ Adler versuchte es zumindest. „Ich habe mich verändert. Ich werde abtauchen für lange Zeit. Bis Gras über die Sache gewachsen ist oder...“ „Oder?“ fragte der KGB-Mann. „Unterschätzen Sie diesen Urban nicht. Er ist hartnäckig wie die Krätze.“ „Oder bis Mister Dynamit tot ist“, ergänzte Adler. Er hatte die Fondtür geöffnet. Der KGB-Oberst spürte es am Luftzug. „Sie bleiben der Unsere, Adler.“ „Wie bisher.“ „Die Panne läßt sich ausbügeln. In Moskau ist man Ihnen nicht gram.“ „Es war die Niederlage der NATO, nicht die meine.“ „Wir bleiben in Kontakt, Adler.“ „Natürlich.“ „Und wie bleiben wir in Kontakt?“ „Sie hören von mir.“ 7 Die Tür schlug zu. Der Fond der Limousine war teer. Auch draußen war nichts mehr von Adler zu sehen. Die Dunkelheit von Paris hatte ihn geschluckt..
13. Die wahren Hintergründe der Operation Adler hatten sich m der NATO-Spitze herumgesprochen und eine Menge Leute verunsichert. Erst hatte der MI-6-Chef seinen BND-Kollegen angerufen, dann den SISMI-Admiral aus dem Palazzo Gregorie in Rom. Daraufhin hatte der BND-Vize mit Washington telefoniert. „Ich fürchte, George“, sagte er zu dem CIADirektor, „Ihre Hosen sitzen nicht mehr allzu fest. Wenn Sie eine Vertrauenskrise in der NATO-Kommission vermeiden wollen, müssen Sie jetzt Ehre Beinkleider herunterlassen.“ Der CIA-Direktor bat um Bedenkzeit. Er sei dem Präsidenten im Wort, sagte er, und würde sich wieder melden. Noch vor dem
Mittagessen an der amerikanischen Ostküste war es früher Morgen meldete er sich. „Das Royal-secret ist aufgehoben“, erklärte er. „Aber nur, soweit es die Chefs der Dienste betrifft.“ „Der Präsident hat sich also entschlossen ...“ „Notgedrungen“, bedauerte George. „Nachdem alles schiefging, was überhaupt schiefgehen konnte.“ „Wollen Sie damit sagen, unser Mann hat versagt?“ „Nun, drei Verdächtige sind tot. Aber ich fürchte, der Adler fliegt noch immer und zieht unerreichbar hoch in der Luft seine Kreise.“ „Ich kenne Urban“, antwortete der BNDVizepräsident. „Vermutlich hat er noch ein As im Ärmel.“ ,,Wo, zum Teufel, steckt er denn? Wäre langst an der Zeit, daß er sich bei uns meldet.“ „Er meldet sich nicht einmal bei mir, George.“ „Sie wissen doch, mein Bester“, erwiderte der Amerikaner, „daß Ihre Nummer achtzehn für diese Operation an uns überstellt wurde und nur von uns Weisungen entgegennahm.“ „Weshalb Sie auch alles verantworten, George.“ „Darum drücken wir uns nicht.“ „Sie versuchen nur, den Mißerfolg auf B.U. zu verlagern.“ „Er trägt einen Anteil am Mißlingen. Okay, wir stimmten schließlich seinen Plänen zu.“ „Und diese CIA-Dame, die ihm zwischenfunkte wie kam es zu deren Auftritt?“ „Das erfolgte ohne mein Wissen.“ „Wirklich, George? Oder haben Sie die Lady vielleicht doch als Aufsichtsperson, als Supervisor, delegiert?“ „Ich wußte nichts davon. Ich schwöre.“ „Aber man kann etwas ahnen und beide Augen schließen. Würde mich doch sehr gewundert haben, George, wenn Sie einen deutschen Agenten mit einer so brisanten, speziell die USA betreffenden Sache betraut hätten, ohne Um an der Leine zu führen.“ „Er ist erstklassig, und wir hatten keinen Besseren in unseren Kadern.“ Sie verfügten über Erfahrungen, wie es doch noch zu machen wäre, das Ruder herumzureißen und einen Kurs zu nehmen, der Adler schließlich in ihr Netz gehen lassen würde. Der BND-Vize wußte das. „Fragen Sie Urban. Keiner kennt den Fall besser“, riet George. „Worauf Sie sich verlassen können“, versicherte der BND-Vize. „Ich werde ihn suchen lassen, und ich werde ihn finden. Dann knöpfe ich mir diesen Burschen vor. Nach einer Niederlage einfach so abzuhauen ist nicht seine Art. Möchte wissen, was in ihn gefahren ist.“ „Grüßen Sie mir Ihren obersten Boß.“ „Sie Ihren desgleichen“, sagte der Deutsche.
Dann ließ er den Operationschef Sebastian zu sich bitten. Sebastian war Urbans direkter Vorgesetzter, aber in diesem Fall spielte er die drei Affen in einer Person. Er sah nichts, hörte nichts und äußerte im übrigen kein einziges Wort. Noch vor dem Rückflug aus Norwegen nach Süden hatte Robert Urban Peers Schwester besucht. Sie lebte auf einem Hof nahe dem Rystraum-Fjord. Vom Flugplatz Bardufos fuhr er mit einem gemieteten Bronco über die Berge zur Küste. In der Nacht hatte es Frost gegeben, und oben auf den Pässen lag Neuschnee. Auf Meereshöhe hingegen, die er über steile Serpentinen erreichte, brodelte Nebel. Mit einiger Mühe fragte er sich zum Geiranger-Hof durch. Urban fand Peers Schwester draußen bei den Rentierherden. Ragnhild war eine stolze, blonde Schönheit. Allein ihr Anblick wäre die beschwerliche Fahrt wert gewesen. Sie nahm die Nachricht von Peers Tod mit Haltung entgegen. „Er war ein furchtloser Mann“, sagte Urban, nachdem er den Hergang, nicht ganz der Wahrheit entsprechend, geschildert hatte. „Aber auch ein wenig zu kühn“, bemerkte sie. „Ich wußte, daß man ihn eines Tages bringen würde, blutend und sterbend, auf einem Schild.“ „Seine Leiche wird überführt.“ „Waren Sie sein Freund?“ fragte Ragnhild. Urban nickte. „Ich war es“, antwortete er. „Werden Sie zur Beerdigung hier sein?“ Irgend etwas blitzte dabei in ihren Augen auf. „Ich will es versuchen“, antwortete er. „Wenn nicht, dann komme ich wieder und lege Blumen auf sein Grab. Ich glaube, er liebte Lilien aus Plastik.“ „Ja, er liebte Plastiklilien, und niemand weiß warum.“ „Vielleicht, weil sie nie verblühen.“ Er fuhr wieder zurück nach Rystraum. Als er ankam, war es schon dunkel. Trotzdem flog er weiter über das Meer nach Schottland. Tom hatte noch eine siebzigjährige Mutter. Sie lebte in seinem Cottage, und sie weinte lautlos, als sie vom Tod ihres Sohnes erfuhr. „Ich habe ihn sehr spät geboren“, erzählte sie. „Ich war schon fast vierzig. Es war eine schwere Geburt. Vielleicht blieb er deshalb so klein und zart.“ „Aber er hatte ein großes Herz“, sagte Urban. Die alte Dame in Schwarz führte das Taschentuch an die Augen. „Er war alles, was ich besaß. Warum mußte er fortgehen, um zu sterben?“ „Weil man ihn rief“, erklärte Urban, und seine Kehle war wie zugeschnürt. „Wer rief ihn? England?“ „Ja, England, Madam.“
„Die Königin?“ „Er stand im Dienst Ihrer Majestät, Madam.“ Urban hatte auch ihr eine Geschichte erzählt und konnte nur hoffen, daß die Russen Toms Leiche bald ausliefern würden. Aber das erwähnte er nicht. Er wies nur darauf hin, daß es sehr weit im Norden geschehen sei und daß es einige Zeit dauern könne. Trotz ihrer Verzweiflung bot die alte Dame ihm Tee an. Er trank eine Tasse mit ihr: Dann empfahl er sich. „Noch am selben Tag sollte er bei dem dritten Hinterbliebenen, bei Rios Vater in der Toskana, sein Mitgefühl ausdrücken. Da in der PoEbene Nebel herrschte, der sich über ganz Norditalien breitmachte, mußte die kleine Einmotorige in Rimini landen. Erst am Morgen konnte Urban einen Mietwagen bekommen. Damit fuhr er über die Pässe auf die westliche Seite des Apennin in Richtung Assisi. Er kam gegen Mittag auf Rios Fattoria an. Der alte Mann, Rios Vater, saß im Schatten der Arkaden in seinem Schaukelstuhl. Nachdem Urban den Grund seines Besuches genannt und sein Beileid ausgedrückt hatte, wollte er beginnen, den Hergang von Rios Tod zu schildern. Da hob der alte Mann die Hand. „Ich wußte, daß er nicht zurückkehren würde.“ „Es war nicht vorherzusehen, Signore.“ „O doch“, entgegnete der Alte mit zittriger Stimme. „Wer so lebt wie er, der muß einmal an seinem Übermut scheitern. Es war vor drei oder vier Tagen in der Nacht. Ich hatte einen schlimmen Traum. Ich erwachte und wußte, daß Rio mein Sohn daß er nicht mehr lebt.“ Was sollte Urban jetzt noch sagen? Jedes weitere Wort klang abgedroschen. Darüber hinaus hatte Urban den Eindruck, daß der alte Herr nicht weiter mit ihm reden, sondern allein sein wollte. „Für seinen Sohn wird gesorgt“, versprach Urban. „Für ihn ist schon gesorgt“, antwortete der alte Mann stolz. Auch hier verabschiedete Urban sich rasch. Beim Wegfahren kam ihm auf der Zypressenallee zu Rios Gutshof ein Taxi entgegen. Der Fiat wirbelte Staub auf. Es hatte lange nicht geregnet. Trotzdem glaubte Urban, etwas gesehen zu haben. Im Fond des Fiat saß eine Frau. Und diese Frau konnte nicht die Mutter von Rios Sohn sein, denn sie hatte ein Profil gehabt, so unverwechselbar wie das von Cooleen Sax, alias Cooleen Evita Morane. Am Abend war Urban in München. Er meldete sich beim Hauptquartier und wurde nach Pullach beordert. Bevor er dem
Präsidenten referierte, diktierte er einen umfassenden Bericht auf Band, gab es zum Abschreiben ins Sekretariat und telefonierte dann. Später, als er oben beim Vizepräsidenten saß, fragte dieser: „Gibt es eine Rechtfertigung?“ „Wofür?“ „Für diese Niederlage.“ „Niederlagen kann man nicht rechtfertigen.“ „Was dann? Erklären etwa?“ „Erklären kann man sie“, antwortete Urban. „Aber es gibt nichts zu erklären, denn es war keine Niederlage.“ „Wie darf ich das verstehen?“ wollte der Vize wissen. Dabei bediente er sich eines unerwartet scharfen Tons. „Morgen“, sagte Urban, „werden Sie es vielleicht verstehen. Aber Sie erlauben, daß ich mich jetzt zurückziehe, Ich kann keinen zusammenhängenden Gedanken mehr fassen. Ich habe fast hundert Stunden kein Auge zugemacht.“ Oder sind es tausend Stunden, fügte er in Gedanken hinzu. In einer entlegenen Ecke des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr in der bayerischen Oberpfalz, hatte Urban in Eile zwei Dinge aufbauen lassen: ein Zelt und einen zusammengeschossenen, alten Zielpanzer. Mit Urban war von München ein Mann gekommen, der viel Ähnlichkeit mit Urban hatte. Er war über einsachtzig lang, athletisch gebaut, mallorcabraun, und er hatte Urbans helle Augen. Nur war er blond wie Siegfried der Drachentöter. Sein Name war Otto. „Du bist Student“, hämmerte Urban ihm ein. „Über deinen wahren Beruf machst du keine Angaben. Erst später, wenn die Show gelaufen ist.“ Otto war informiert und zeigte klar. Was er zu tun hatte, war sein alltäglicher Job. Er machte es gegen Honorar, gegen die ganz normale Gage von zweitausend Mark plus Gefahrenzulage und Spesen. Um 11.00 Uhr schwebten die Manager ein. Der MI-6-Boß, der SISMI-Vize, ein Mann von SDECE, ein Spanier, ein Norweger, und einige NATOStabsoffiziere waren unter ihnen. Es war regnerisch und windig. Sie versammelten sich im Mannschaftszelt. Urban begrüßte sie. Er stellte ihnen Otto vor und ließ dann die Zeltbahn zurückschlagen, so daß man einen ungehinderten Blick auf das Geschehen hatte. In dem welligen Gelände voller Hügel und Mulden, rings um den alten M-6, hatten Soldaten Stellung bezogen. Urban nahm das Sprechfunkmikro und gab den Befehl, anzufangen. Es lief so präzise ab wie eine Zirkusnummer. Zuerst schossen sie Nebelgranaten. Die hüllten
das Gelände in gelblich grauen Dunst. Von dem Panzer war nur noch Turm und Kanone zu sehen. Sie schössen auch Leuchtgranaten und ballerten aus allen Rohren. Plötzlich kam von rechts ein Mann im Kampfanzug angerannt. In der Hand hatte er einen olivgrünen Metallkasten, etwa so groß wie ein Waschmittelkarton. Dieser Kasten war nicht beschriftet. Die Experten wußten auch so, daß es sich um das NATOSprengmittel Norm 62/64 mit vier Kilo SpertexGelatinesprengstoff handelte. Trotz des Feuers es wurde ausnahmslos mit Platzpatronen geschossen schlug der Mann mit dem Sprengkasten im Nebel seine Haken, flankte auf den Panzer, erkletterte den Turm und riß die Lücke auf. In diesem Moment geschah es. Die Sprengladung explodierte zu früh. Ihr Blitz blendete die Zuschauer im offenen Zelt. Durch die Wucht der Detonation wurde der Mann auf dem Panzer emporgeschleudert. Jeder konnte sehen, wie die Explosion ihn zerfetzte, die Glieder vom Rumpf trennte und einzeln durch den Nebel wirbelte. Urban sprach wieder ins Funkmikro. Die Schießerei hörte auf. Der Wind vertrieb Nebel und Pulvergestank. Um den Panzer herum lagen die Fragmente eines Menschen: Rumpf, Kopf und Glieder. „Mußte das sein?“ fragte einer der Offiziere fassungslos. „Ein fürchterlicher Unfall“, pflichtete ihm der Spanier bei. „Was, zum Teufel, soll das Ganze?“ rief ein deutscher Teilnehmer. Wenige Sekunden später öffnete sich am hinteren Ende des Zeltes eine Bahn. Ein Mann trat herein, an Gesicht und Händen geschwärzt, sein Kampfanzug war versengt und ein wenig zerfetzt, aber sonst schien er okay zu sein. Vor sich hielt er ein Tablett mit Schalen, in denen Champagner perlte. „Bedienen Sie sich meine Herren“, bat Urban. „Übrigens, unser mitgenommen aussehender Diener ist Otto. Sie kennen ihn. Otto war es auch, der die Ladung auf dem Panzer zur Zündung brachte. Er ist Stuntman bei den Münchener Bavaria Filmateliers. Wir wollten Ihnen damit vorführen, daß man solche Zwischenfälle sehr wohl überleben kann.“ Der Applaus war kümmerlich. Einige verstanden, andere nicht. „Und wozu das Ganze?“ fragte ausgerechnet der amerikanische Teilnehmer. „Darf ich Sie bitten“, sagte Urban, „meinen Bericht über die Operation Adler nachzulesen er liegt auch in Englisch vor und dann Ihre
Schlüsse zuziehen?“ „Woraus?“ „Aus der Schilderung eines Ereignisses, das Ihnen nach dieser Darbietung bekannt vorkommen wird.“ Der Mann der CIA, einer der wenigen Zivilisten, er war extra aus Brüssel herbeigeflogen, nahm Urban beiseite. „Soll das etwa heißen...?“ Urban nickte nur. „Dieser italienische Agent, den Sie Rio nennen, er lebt?“ „Ich habe ihn gesehen so wahr ich Urban bin. Er nahm mein Beileid zu seinem eigenen Ableben in der Maske seines Vaters entgegen.“ „Dann muß man ja wohl sofort,..“ Der Admiral aus Rom war zu ihnen getreten. ,,Ja, man muß zugreifen, ehe er etwas wittert und wer weiß wohin abhaut“ Urban winkte gelassen ab. „Er fühlt sich bombensicher in der Toskana. Er hält die Nummer, mit der er mir seinen Tod vorspielte, für perfekt, Wir können uns Zeit lassen. Aber wenn wir den Adler einfangen, ist es am besten, vorher ein Netz über ihn zu spannen.“ „Ein dreidimensionales“, ergänzte der Mann aus Rom. „Mindestens“, bekräftige Urban ihn in seiner Ansicht. „Mindestens dreidimensional.“ „Ein Adler ist ein Adler.“ Der BND-Vize suchte Urban und trank ihm zu. „Gratuliere.“ „Nicht der Rede wert.“ „Wie heißt doch der schöne Allgemeinplatz: Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil.“ „Noch“, antwortete Urban mit einem anderen abgenutzten Sprichwort. „Noch ist nicht aller Tage Abend, Herr Direktor.“ „Wie kamen Sie zu der ungewöhnlichen Erkenntnis, daß der Italiener ...“ „... daß Rio sein Ende vorgetäuscht haben könnte?“ Urban steckte sich eine MC an. „Ganz einfach. Ich sah den Engländer tot vor mir liegen und sah Peer, den Norweger, sterben. Und was mich betrifft, so war ich fast sicher, daß ich nicht Adler bin.“ „Und dieses CIAGirl?“ „Dazu fehlte Cooleen das Format. Außerdem zog Rio seine Sterbeorgie erst auf, als er wußte, daß es um mehr ging, als nur um das U-Boot-Wrack. Er wußte es nicht genau, aber er konnte sich viel zusammenreimen. Deshalb starb er vor meinen Augen.“ „Um wieder aufzuerstehen?“ „Wie wir alle“, sagte Urban, „eines Tages so hoffe ich doch.“ Genau einen Tag plus eine Stunde später war Rio gefaßt. Als sie von allen Seiten und aus der Luft kamen, gab er auf, ohne sich zu verteidigen. Immerhin konnte er damit rechnen, daß seine Freunde in Moskau ihn irgendwann gegen einen Westagenten seines
Formats aus dem Kerker herausholen würden. Aber dem Adler waren die Flügel gestutzt. Ein für allemal. Sie begegneten sich noch einmal auf dem Flughafen Mailand Linate. Urban stieg in die Maschine nach München um, und Cooleen wartete auf den Abflug des Pan Am-Jets nach Washington. „Du warst bei ihm“, sagte er. Sie nickte. „Wie kamst du auf die Idee, er könnte noch leben?“ „Der Verrat kann erst nach seinem vorgetäuschten Ende erfolgt sein. Vorher kannte keiner die Koordinaten des Bootes.“ „Ja, ein wenig so ist es wohl gewesen“, meinte sie. „Ich fuhr hin, weil ich dachte, ich könnte den Fall auf diese Weise lösen.“ „Mit körperlichem Einsatz?“' „Warum nicht?“ „Aber Rio, das Objekt deiner Begierde, war nicht da.“ „Nur der alte Mann.“ Urban lachte. „Der alte Mann, Darling, der alte Mann war Rio. Das hast du nicht bemerkt. Wo blieb dein weiblicher Instinkt?“ „Der ging mir wohl in der Tundra verloren.“ Urban wurde aufgerufen. „Soll ich mitkommen?“ fragte Cooleen. „Wohin?“ „Nach München, zu dir.“ „Wozu?“ fragte er. Sie nahm seihen Arm, zog ihn an sich und küßte ihn. „Ich habe Angst vor morgen“, gestand sie. „Morgen“, antwortete er lachend, „morgen kennen wir uns schon lange nicht mehr...“ Er steckte sich eine MC an, ging dann schnell und drehte sich nicht mehr um. ENDE