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Fred Mc Mason
Der Despot von Malakka
Für Dom Alfonso de Albuquerque war dieser Januartag 1600 einer de...
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Seewölfe 725 1
Fred Mc Mason
Der Despot von Malakka
Für Dom Alfonso de Albuquerque war dieser Januartag 1600 einer der schwärzesten Tage überhaupt, an die er sich erinnern konnte. Und diese Erinnerung war noch sehr frisch, kaum einige Stunden alt. Dom Alfonso hatte einen Dreimaster dicht vor der Küste aufgebracht, doch diese Mittelmeer-Schebecke hatte sich als das reinste Teufelsschiff entpuppt. Der Satan schien persönlich an Bord des englischen Schiffes zu segeln, der Satan in Gestalt eines schwarzhaarigen Riesen mit silbergrauen Schläfen. Dom Alfonso wurde jetzt noch von Grauen geschüttelt, wenn er daran dachte, wie die Kerle seine Männer abgeräumt hatten, einen nach dem andern, gnadenlos und unbarmherzig... Die Hauptpersonen des Romans: Dom Alfonso de Albuquerque – der Despot von Malakka baut eine gerissene Falle auf, um das „englische Piratengesindel“ zu fangen. Edwin Carberry – der Profos der Arwenacks landet in einem offenen Mehlsack und erntet zu dem Schaden auch noch den Spott. Hasard junior – steuert als Rudergänger die Schebecke auf eine Sandbank, aber Vater Hasard bleibt gelassen. Big Old Shane – beweist als Bogenschütze seine Treffsicherheit und sorgt für eine feine Wuhling beim Gegner. Philip Hasard Killigrew – muß neidlos anerkennen, daß der Despot von Malakka ein ausgekochtes Schlitzohr ist.
1. Inzwischen war es Nacht geworden. Über der See hing ein schwachleuchtender Mond, der die Szenerie gespenstisch erhellte. Dom Alfonso de Albuquerque hockte verbittert und von Haß erfüllt in einer kleinen Jolle, die man gerade noch im letzten Augenblick vor dem Untergang der Karavelle über Bord geworfen hatte. Mit ihm befanden sich noch drei weitere Männer in der Jolle. Sein Erster Offizier Paco de Almeira, bärtig und hager, ein Decksmann, der Augusto gerufen wurde, und Vargas, ein schüchternes Männchen, das an Bord der Karavelle als Kanonier fungiert hatte. Die Männer in der Jolle schwiegen lange Zeit und blickten wutentbrannt auf das, was da weit vor ihnen in der See trieb. Es war nicht mehr viel, was zwischen schwarzen und langsam verwehenden
Nebelbänken zu erkennen war. Ein paar Trümmer, Spieren mit Segelfetzen, eine Gräting und ein paar leere Fässer. Der Wind, der auch die Nebelbank zerfaserte, trieb alles vor die Küste von Kuala Selangor und schob es dort an den Strand. Irgendwo dicht unter Land glaubte Dom Alfonso auch ein paar Köpfe zu sehen – Männer seiner Besatzung, die sich nach dem Untergang der Karavelle schwimmend zur nahen Küste retteten. De Albuquerque, ein strenger und harter Mann mit dämonisch blitzenden Augen und einem langen Vollbart, in dem Pfeffer und Salz vorherrschten, fand immer noch keine Worte. Die Überraschung lähmte ihn noch, und so hörten sie von ihm nur hin und wieder ein unverständliches Krächzen. Dabei starrte er aus seinen dämonischen Augen ständig und unverwandt über das Wasser.
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Endlich, nach einer Ewigkeit des Schweigens. rückte er sein schwarzes Barett zurecht, strich über seinen von silbrigen Fäden durchzogenen Bart und setzte sich bequemer auf der Ducht zurecht. Sie hatten die kleine Fock gesetzt, das Segel aber wieder eingeholt und trieben unter der Küste in der Nähe der Untergangsstelle. Der Wind ließ sie nur langsam nach Süden driften. „Bastarde“, sagte Dom Alfonso mit fremd klingender Stimme. „Verdammte englische Bastarde.“ Der Erste pflichtete ihm höflich bei. An Deck der Karavelle hatte er immer einen Kratzfuß zelebriert, aber in der Jolle war das nicht möglich, und so betonte er auch geflissentlich, daß es ganz verdammte englische Bastarde seien, die ihnen das eingebrockt hätten. Die Tatsache, daß sie es gewesen waren, die die englische Schebecke zuerst angegriffen hatten, verschwieg er. „Wo stecken die Halunken nur?“ fragte er nach einer Weile. „Sie scheinen wahrhaftig mit dem Leibhaftigen im Bunde zu stehen, denn sie können sich offenbar in Luft auflösen.“ Alle vier Männer in der Jolle hatten pausenlos die See abgesucht, doch die Schebecke war nirgends zu entdecken. Sie war hinter der schwarzen Explosionswolke ins Nichts getaucht, und jetzt war sie spurlos verschwunden. „Möglicherweise sind sie selbst untergegangen, als sich der schwarze Rauch entwickelte“, sagte de Almeira, um dem Kapitän eine gewisse Genugtuung zu lassen. Der herrische Mann winkte jedoch ab und wischte diesen Einwand mit einer Handbewegung zur Seite. „Quatsch, die Kerle sind nicht untergegangen, jedenfalls deutet absolut nichts darauf hin. Hier sind böse Mächte im Spiel, die unser Begriffsvermögen übersteigen.“ De Albuquerque hatte wieder deutlich die Szene vor Augen, die sich vor kurzer Zeit
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abgespielt hatte. Wie eine höllische Vision sah er sie vor sich. Sie wollten gerade eine Breitseite auf den Bastard abfeuern, als sich von der Schebecke ein kleiner, heulender Gegenstand löste. Ein zweiter und ein dritter folgten augenblicklich. Die Dinger näherten sich wahnsinnig schnell, und dann knallte es auch schon so berstend und donnernd, als fliege der Himmel in einer einzigen Detonation auseinander. Nach dem Knall senkte sich urplötzlich tiefe Finsternis über die Karavelle. Die Sicht war ihnen verwehrt, alles wurde pechschwarz. Pechschwarze Wolken hüllten auch die Karavelle ein, und über ihnen bildete sich ein dunkler Pilz. Da verspürte er zum ersten Male so etwas wie Angst, weil er sich diese Finsternis nicht erklären konnte. In seinem Hals saß eine dicke Qualle, und er gab mühsam den Befehl zum Feuern. Aber da war kein Gegner mehr. Ihre Kanonen schossen ins Leere und wühlten nur die See auf. Dann schlug es auch schon bei ihnen mit verheerender Gewalt ein, und Albuquerque flogen Holzsplitter von allen Seiten um die Ohren. Panik breitete sich an Deck aus, irgendwo drang Wasser ins Schiff. Weitere schmetternde Schläge ließen die Karavelle immer härter überkrängen. Das Wasser rauschte jetzt stärker. Sie befanden sich immer noch in dieser fürchterlichen Finsternis und hörten und spürten, wie ihr Schiff zusammengeschossen wurde von einem Gegner, der nicht zu sehen war. Da gab Dom Alfonso entnervt auf, und eine Jolle, deren Mannschaft als Beobachter fungierte, nahm den Kapitän an Bord. Eine weitere Jolle wurde einfach ins Wasser geworfen, und auf diese stieg Dom Alfonso nach kurzem Zögern um. Jetzt wollte er den Befehl zum Weitersegeln geben, als ihm dicht unter der Kimm ein schwarzer Strich auffiel. Er sah den Horizont nicht mehr, der an der Stelle wie ausradiert schien.
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„Was ist das, de Almeira?“ fragte er leise. „Sehen Sie den schwarzen Streifen auch? Oder täusche ich mich?“ Seine Hand wies in südwestliche Richtung. Weit hinter der Kimm lag dort die Insel Sumatra. Alle drei starrten jetzt unverwandt zu der Stelle. Dem Augenschein nach schien ein Stück vom Himmel und vom Wasser zu fehlen. „Das ist der schwarze Nebel, Dom Alfonso“, sagte der Erste mit belegter Stimme. Er legte den Arm auf die Pinne und peilte über das Dollbord hinweg nach Südwesten. „Er ist doch nicht ganz verschwunden.“ „Aber er ist sehr weit entfernt.“ „Wir sind ziemlich weit nach Süden abgedriftet, Dom Alfonso“, meldete sich die piepsende Stimme des Kanoniers, der schüchtern auf der Ducht saß und über das Wasser stierte. „Die Entfernung scheint eine optische Täuschung zu sein. Es sieht nur so weit aus.“ Normalerweise hätte Dom Alfonso den Kanonier jetzt heftig angefahren, aber die Situation war eine andere, und so gab er keine Antwort. Er beugte sich ebenfalls über das Dellbord, um besser sehen zu können. Dieser unheimliche, wabernde Nebel gab ihnen immer noch Rätsel auf. Sie konnten damit nichts anfangen und hatten auch keine Erklärung dafür. Aber sie fürchteten sich vor dem höllischen Zeug. Selbst dem harten und unbeugsamen Dom Alfonso erging es nicht besser. Er konnte sich nur besser beherrschen als die anderen. „Segeln Sie in Richtung der schwarzen Wand!“ befahl er nach kurzem Zögern. De Almeira zuckte zusammen, ließ dann aber von den beiden anderen das Focksegel setzen. Zu ihrem Erstaunen wurde die schwarze Wand rasch größer, als sie Kurs darauf nahmen. Sie war aber nicht mehr so kompakt, und schon bald ließen sich Einzelheiten erkennen. *
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Dom Alfonso verbarg sein Entsetzen, obwohl ihm der Schreck heftig in die Glieder fuhr. Heiser befahl er. das Segel wieder einzuholen, bis die Jolle ruhig in der See dümpelte. „Das – das ist meine Karavelle“, sagte er tonlos. „Ich dachte, sie sei längst untergegangen.“ Den drei anderen standen fast die Haare zu Berge, als sie erkannten, was sich da vor ihnen abspielte. Die Szene war gespenstisch und doch sehr realistisch. Es gab gar keinen Zweifel, daß es sich um ihre Karavelle handelte. Sie lag halb entmastet in der See und trieb mit schwerer Schlagseite vor dem Wind dahin. Albuquerque erkannte, daß sie bald sinken würde, und sein Gesicht verzerrte sich in ohnmächtiger und hilfloser Wut. Neben der sinkenden Karavelle lagen die englischen Bastarde. Sie hatten an dem Schiff vertäut. Gestalten rannten hin und her. Es herrschte eine lautlose Emsigkeit. Immer mehr Gestalten tauchten schemenhaft aus dem Nebel und schleppten Fässer, Kisten und andere Dinge von der Karavelle zur Schebecke hinüber. „Sie plündern das sinkende Schiff aus“, sagte de Almeira im Flüsterton. „Sie schleppen unser Pulver von Bord, unseren Proviant und ...“ Seine Stimme erstarb, die hilflose Wut erstickte sie. Er sah mit finsterem Gesicht dem nächtlichen Treiben zu, das sich wie ein Spuk vor ihren Augen vollzog. Beide Schiffe waren nur undeutlich und vage zu erkennen, die Gestalten dort drüben arbeiteten lautlos und huschten wie Gespenster von einem Schiff zum anderen. Die vier Männer in der Jolle konnten das Geräusch von eindringendem Wasser deutlich hören. Immer weiter neigte sich die Karavelle zur Seite. Mitunter mußten die Gestalten fast kriechen, aber sie waren unermüdlich bei der Arbeit.
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Faß um Faß wurde geborgen und weitergereicht, und so schien das schon eine ganze Weile zu gehen. Dom Alfonso konnte diese schmähliche Niederlage nicht verwinden, aber er war in diesem Augenblick so hilflos wie noch nie in seinem Leben. Er hatte keine Waffe, keine Pistole, Muskete oder Tromblon, er hatte nicht mal ein Messer. Er hätte allerdings auch mit ein paar Waffen nichts ausrichten können. Die Engländer hatten sie offenbar in ihrem Eifer nicht bemerkt, oder sie sahen in der Jolle keine Bedrohung, und so schleppten sie auch weiterhin Fässer an Deck und verstauten sie in ihren Räumen. Unterscheiden ließen sich die Gestalten nicht voneinander, aber einmal glaubte der Portugiese die hünenhafte Gestalt jenes schwarzhaarigen Mannes zu erkennen, der ihn verhöhnt hatte. Zum ersten Male waren jetzt Stimmen in dem vagen Nebel zu hören. Es waren kurze und knappe Befehle in englischer Sprache. „Verstehen Sie die Worte?“ fragte Dom Alfonso. De Almeira horchte in die Dunkelheit. „Anscheinend der Befehl zum Rückzug, Dom Alfonso. Die Karavelle dürfte jeden Augenblick sinken.“ „Bastarde!“ knirschte der schwergebaute Mann verhalten. Die Bewegungen dort drüben hörten auf. Nur noch ein paar Gestalten verließen die sinkende Karavelle. Die letzten Fässer wurden von Bord zu Bord gereicht. Die Karavelle hatte jetzt eine bedrohliche Schräglage erreicht. Eine Rah des Großmastes schleifte bereits durchs Wasser. In aller Eile wurden drüben jetzt die Leinen gelöst. Die Schebecke setzte ein Segel und wurde mit Bootshaken von der Karavelle abgedrückt. Beide Schiffe lösten sich langsam voneinander. In Albuquerque erstarb für Augenblicke jedes Gefühl, als sich die Karavelle ächzend und stöhnend ganz auf die Seite legte. Zischen von entweichender Luft, die jetzt vom Seewasser aus dem Rumpf gepreßt wurde, war deutlich zu hören.
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Im Rumpf knackte es laut. Das Schiff lag im Todeskampf gegen das eindringende Wasser, das immer mehr von allen Räumen und Kammern Besitz ergriff. Etwa eine halbe Kabellänge hatte sich die Schebecke jetzt gelöst, als ein hörbares Knacken durch die Spanten lief. Das Schiff schüttelte sich noch einmal wie im Kampf mit einem unsichtbaren Gegner. Der Bug sackte in Schräglage ab, das Heck mit dem großen Ruderblatt hob sich aus dem Wasser. „Das werden sie büßen, diese verdammten Engländer!“ keuchte Dom Alfonso. „Mit ihrem erbärmlichen Leben werden sie mir das bezahlen.“ Ein berstendes Geräusch überlagerte seine letzten Worte. Die Karavelle ging ziemlich schnell auf Tiefe. Ihr Heck hob sich weiter aus dem Wasser, während der Bug steil nach unten zeigte. Innerhalb von zwei Minuten war sie verschwunden, an ihrer Stelle brodelte es im Meer, wobei immer wieder riesige Blasen nach oben stiegen. Ein paar Hölzer schwammen auf, ein Faß flog wie ein Korken nach oben. „Was befehlen Sie, Dom Alfonso?“ fragte de Almeira. Er hielt die Ruderpinne umkrampft und blickte aus harten Augen zu jener Stelle, wo Blasen aufstiegen und es unter Wasser kochte und brodelte. „Wir warten noch, de Almeira. Ich will wissen, welchen Kurs dieses Piratengesindel nimmt, das uns offenbar immer noch nicht bemerkt hat. Erst wenn wir das genau wissen, werde ich meine Maßnahmen treffen. Wenn sie weiter nach Süden segeln, laufen sie in ihr Verderben, denn wir werden schneller in Malakka sein als sie. Dort aber wird die Kerle die Hölle erwarten.“ „Sie werden ganz sicher weiter durch die Straße von Malakka segeln, Dom Alfonso. Sie hatten diesen Kurs ja auch anliegen, als sie von dem Kurierschiff beobachtet wurden. Ihr Kurs muß zwangsläufig an der Stadt vorbeiführen.“ Dom Alfonsos Züge verzerrten sich. Das Blitzen seiner Augen wurde noch
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dämonischer. Er war der Nachfahre des legendären Dom Alfonso de Albuquerque, ein Urenkel jenes Mannes, der einen Feldzug im Persischen Golf durchgeführt und abwechselnd mit Gewalt oder List ein Imperium geschaffen hatte. Durch seine Taktik war Portugal die erste wirtschaftspolitische Macht der Erde geworden und beherrschte einen Teil des Atlantiks, des westlichen Pazifiks und des Indischen Ozeans. Er, Dom Alfonso, stand seinem berühmten Vorfahren in nichts nach. Er trug ebenfalls immer schwarze Kleidung, schwarze Kniebundhosen, schwarze Schnallenschuhe mit silbernen Spangen und das schwarze Barett wie seinerzeit die Gelehrten. Ein schwarzer Umhang unterstrich noch das Dämonische an seiner Gestalt. Hinzu kam der lange Vollbart durchzogen von silbernen Fäden und am unteren Ende fast weißgrau. Nur der Schnauzbart war noch pechschwarz. Er beherrschte die Stadt Malakka sowie die gleichnamige Straße und regierte mit eiserner Hand und unnachgiebiger Strenge. Seine Bekehrungsfeldzüge gegen die Heiden, wie er die Eingeborenen nannte, waren berüchtigt und gefürchtet. Unter seinem Kommando waren Scheiterhaufen errichtet worden, wurden Schnellgerichte einberufen und auch Muslims bekehrt. Wer sich nicht freiwillig seiner Religion unterwarf, endete auf dem Scheiterhaufen oder starb durch das Henkersbeil. Die Eingeborenen waren meist gewarnt, wenn er mit seiner schwarzen Karavelle persönlich erschien und wie ein Dämon durch die Ortschaften oder Fischerdörfer geisterte. Bei seinem Anblick verbargen sich die meisten Leute angstvoll und verkrochen sich in ihren Hütten, weil den hartblickenden Augen nichts entging und jeder sich angeklagt fühlte, den sein Blick traf. Die meisten aber verschwanden schon vorher von ihren Inseln, ließen alles im Stich und kehrten erst dann zurück, wenn die verhaßten Portugiesen wieder verschwunden waren.
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„Sie werden sich wundern“, flüsterte er so leise, daß ihn niemand verstand. „Eine ganze Flotte wird sie erbarmungslos jagen.“ Dom Alfonso wunderte sich allerdings auch über die Engländer, die ihm so verhaßt wie die hier teilweise ansässigen Muslims waren. Sie hätten mit ihrer Schebecke längst auf und davon sein können, aber sie trödelten ganz offensichtlich herum und ließen sich Zeit, bis alles in ihren Räumen verstaut war. Sie unternahmen auch keine Anstalten, weitere Segel zu setzen. Dom Alfonso belauerte sie. Er würde solange warten, bis sie lossegelten und er genau wußte, welchen Kurs sie nahmen. Er war immer noch sicher, nicht entdeckt worden zu sein. Die Kerle kümmerten sich um nichts weiter als ihre Beute. Eine Welle von Haß überschwemmte ihn und schüttelte seinen Körper. 2. Die Schebecke der Arwenacks trieb nur langsam von der sinkenden Karavelle weg. Sie hatten es auch nicht sonderlich eilig. Sie hatten jetzt Schießpulver, gutes trockenes Pulver, nicht das verkleisterte und teilweise unbrauchbare Zeug, wie sie es zu ihrer Überraschung in den eigenen Fässern entdeckt hatten, nachdem die Schebecke im Sturm gekentert war. Das, was sie hier den Portugiesen abgenommen hatten, war von allererster Qualität, wie der Stückmeister Al Conroy auf den ersten Blick festgestellt hatte. Immer noch hing der schwarze Nebel teilweise über der See. Mitunter verbarg er den schmalen Küstenstreifen zu einem Drittel. Der Wind löste die Nebelbänke auch nur zögernd auf. „Jaja, der geheimnisvolle Nebel“, sagte Dan O'Flynn zu Ben Brighton auf dem Achterdeck. „Der wird den Portus eine Menge Kopfzerbrechen bereitet haben. Wahrscheinlich glauben sie an ein Machwerk des Teufels.“
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„Mit Sicherheit, obwohl es nur eine mißglückte Erfindung ist. Aber Ferris hat da ein Meisterwerk zustande gebracht.“ Sie grinsten beide vor sich hin und dachten daran, daß der Schiffszimmermann Ferris Tucker Brandsätze nachbauen wollte. Er und Al Conroy hatten sich wirklich die größte Mühe gegeben. Das Endprodukt war dann eine „Rauchbombe“ geworden, ein Ding, das über der portugiesischen Karavelle explodiert war. Statt des berüchtigten Feuers hatte es so stark gequalmt, daß das Seegebiet fast meilenweit in schwarzen Rauch gehüllt worden war. Damit hatten sie die Portugiesen überlistet, was schließlich zur Versenkung der Karavelle geführt hatte. „Ich sehe was, was du nicht siehst“, sagte Dan nach ein paar Minuten des Schweigens. „Und das ist schwarz.“ Ben verzog amüsiert das Gesicht. „Ich weiß, daß du die besten Augen an Bord hast und wie ein Adler sehen kannst“, erwiderte er. „Deshalb bin ich sicher, daß du die Jolle mit den vier Kerlen an Bord meinst. Die ist rabenschwarz und die Gestalten darin ebenfalls.“ Dan O'Flynn sah Hasards Stellvertreter verblüfft an. „Da soll mich doch gleich jener mit dem zottigen Fell lausen. Die hast du tatsächlich gesehen?“ „Selbstverständlich.“ „Schon lange?“ erkundigte sich Dan verdattert. „Seit einer knappen halben Stunde. Aber wahrscheinlich treiben sich die Kerle schon länger hier herum.“ „Seit mehr als einer halben Stunde“, sagte eine Stimme hinter ihnen. Der Seewolf hatte das Achterdeck betreten. „Du hast die Jolle ebenfalls gesehen, Sir?“ „Ja, aber es geht keine Gefahr von ihr aus. Die vier Kerle darin sind unbewaffnet. Bestenfalls dürften sie ein Messer haben. Ich kann mir auch ungefähr denken, wer die Burschen sind.“ „Albuquerque und ein paar höhere Chargen“, sagte Dan O'Flynn. „Ganz richtig. Der Mann muß eine unbeschreibliche Wut im Bauch haben,
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dieser überhebliche und anmaßende Kerl. Aber sein Schießpulver ist von ausgesuchter Qualität.“ „Dafür sollten wir uns eigentlich bei ihm bedanken. Vielleicht freut er sich darüber“, schlug Ben vor. Hasards Lippen verzogen sich zu einem freudlosen Lachen. Deutlich erkannte er trotz der Dunkelheit die mit einem schwarzen Umhang bekleidete Gestalt des Despoten von Malakka. Unbeweglich hockte der Mann in der Jolle und starrte zur Schebecke. „Was hat er davon, wenn er uns beobachtet?“ fragte Dan. „Das muß seine Wut doch nur vergrößern.“ „Kannst du dir das nicht denken?“ „Vielleicht ist er ein bißchen verrückt, oder er versucht, uns etwas am Zeug zu flicken, weiß aber noch nicht, wie er das anstellen soll.“ „Nein, er hat einen anderen Grund. Als wir das erste Mal mit ihm zusammenstießen, hat er doch betont, er sei ein Urenkel von Albuquerque, und ihm gehöre Malakka.“ „Stimmt, das hat er behauptet.“ „Er hätte besser sagen sollen, er sei der Despot oder Tyrann von Malakka. Ich nehme an, daß er in der gleichnamigen Stadt eine Menge Schiffe liegen hat.“ „Höchstwahrscheinlich“, pflichtete Ben bei. „Aber was meinst du damit, Sir – daß wir Ärger kriegen?“ „Ich meine damit, daß er feststellen will, welchen Kurs wir segeln. Deshalb belauert er uns. Wenn er merkt, daß wir weiter nach Süden segeln, wie es ja auch unsere Absicht ist, wird er mit der Jolle voraussegeln und uns den Kurs mit seiner kleinen Armada verlegen. Die Jolle ist schneller als die Schebecke, und bevor wir da sind, wird Albuquerque bereits alles alarmiert und gewahrschaut haben.“ „Wenn wir unser Spitzbusensegel setzen, dann sind wir auf alle Fälle noch schneller“, sagte der Spanier Don Juan, der jetzt ebenfalls auf dem Achterdeck erschienen war und alles mitgehört hatte. „Können wir aber nicht“, sagte Hasard trocken. „Der Wind schralt, und das Spezialsegel können wir nur setzen wenn
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wir Schiebewind haben, sonst geht es nicht.“ Der Spanier nickte fast gleichmütig. „Genügend Pulver haben wir ja an Bord, um uns zu wehren. Der Ärger ist uns so gut wie sicher, zumal dieser Mann bestimmt noch erfahren wird, was sich weiter nördlich an der Küste abgespielt hat, falls ihm das nicht bereits zugetragen wurde.“ Dan schlug vor, die stummen Beobachter mit ein paar Warnschüssen zu vertreiben. „Nicht nötig“, sagte der Seewolf. „Zur Zeit ist Albuquerque so hilflos wie noch nie in seinem Leben. Wir werden einen Scheinkurs segeln, um ihn zu irritieren.“ Über Hasards Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln. „Wir segeln nach Norden, doch vorher werden wir dem ehrenwerten Herrscher von Malakka noch eine kleine Kostprobe unserer neuen Waffe geben.“ Dan O'Flynn begann breit zu grinsen. „Die netten Qualmdinger?“ „Genau die. Im Schutz der Qualmentwicklung laufen wir dann nach Norden ab, aber so, daß er es gerade noch bemerken kann. Hoffentlich hält er sich dann für besonders schlau und zieht die nötigen Rückschlüsse daraus.“ Sie blickten unauffällig zu der Jolle hinüber. Die Kerle in der Dunkelheit glaubten vermutlich, daß niemand ihre Anwesenheit bemerkt habe. Sie verhielten sich mucksmäuschenstill und bewegten sich auch nicht. Noch jemand erschien auf dem Achterdeck und gab sich sehr geheimnisvoll. Es war Mac Pellew, der eine umwerfende Neuigkeit auf Lager hatte und sich sehr überlegen fühlte. Er sah sich lauernd nach allen Seiten um, schien aber das eingefrorene Grinsen der anderen nicht zu bemerken. Vielleicht übersah er es in seinem Eifer aber auch. An Deck war jetzt eine Laterne entzündet, die milchigen Schein verbreitete. Stand man in ihrem unmittelbaren Lichtkreis, so war die Jolle nicht mehr zu sehen. „Was gibt's denn, Mac?“ erkundigte sich der Seewolf.
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„Nicht hinsehen“, raunte Mac und legte den Finger auf die Lippen. „Ich habe soeben etwas entdeckt, als ich die Kombüse verließ. Eine Jolle mit vier Gestalten hat sich uns unbemerkt genähert. Die Kerle beobachten uns aus sicherer Entfernung. Von uns aus gesehen, befinden sie sich etwa eine halbe Kabellänge entfernt an Backbord.“ Hinter ihm wollte der Profos gerade losböllern, daß die Jolle schon seit „Jahrhunderten“ hier herumkreuzte, aber Hasard sah ihn nur an und kniff ein Auge zusammen. Warum sollten sie dem guten Mac den Spaß verderben? Auch die anderen gaben sich betont interessiert und sahen Mac Pellew gespannt an. „Man muß immer Augen und Ohren am Wind haben“, sagte Mac, „sonst sitzt man sehr schnell in der Patsche. Vermutlich dürften das ein paar Kerle von der Karavelle sein.“ „Tatsächlich“, sagte Dan überrascht. „Wahrhaftig eine Jolle mit ein paar finsteren Gestalten. Du hast wirklich phantastische Augen.“ „Das will ich meinen“, erwiderte Mac bescheiden. „Aber ich passe eben auch auf wie ein Luchs. Wir müssen etwas unternehmen, aber vorerst so tun, als hätten wir nichts bemerkt.“ „Ein hervorragender Gedanke“, lobte Hasard. „Wir werden auch etwas unternehmen, Mac. Wir empfehlen uns auf einem Scheinkurs und feuern den Burschen etwas hinüber, das sie jetzt ja schon kennen.“ „Sehr gut. Ich werde weiterhin scharf Ausschau halten. Möglicherweise treiben sich noch mehr Portus hier herum.“ Als auch noch der Profos Mac über den grünen Klee lobte, drückte der Zweitkoch seine Hühnerbrust heraus und verschwand stolzgeschwellt. Carberry versicherte noch zusätzlich, daß sie Mac bei nächster Gelegenheit als den Retter der Arwenacks feiern würden. Das ging Mac Pellew runter wie Balsam.
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„Dieser quergeriggte Hühnerkoch will uns wohl verschaukeln“, sagte Carberry, „oder hält der uns für bescheuert?“ „Laß ihn“, entgegnete der Seewolf. „Er hat es doch nur gut gemeint. Er kam aus der Kombüse und entdeckte die Jolle. Immerhin ist das ganz beachtlich, aus dem Licht eine Jolle bei fast völliger Dunkelheit zu entdecken. Er wäre sicher enttäuscht gewesen, wenn wir gesagt hätten, daß wir die Jolle schon lange im Visier haben.“ „Na ja, wenn man es so sieht.“ Hasard schickte den Moses Clint Wingfield nach Ferris Tucker, der noch unten im Stauraum war. „Wie viele von den Rauchbomben habt ihr noch?“ fragte der Seewolf. „Ein knappes Dutzend, aber Al und ich können noch genügend von den Dingern herstellen“, erwiderte Ferris. Über die Jolle und die heimlichen Zaungäste waren mittlerweile alle Arwenacks informiert, aber niemand blickte in die Richtung. Auch Ferris vermied den Blick dorthin. „Zwei müßten eigentlich genügen, um alles zu vernebeln“, meinte Hasard. In kurzen Zügen umriß er das, was sie vorhatten. Der Schiffszimmermann nickte. „Zwei reichen aus“, bestätigte er. „Dann sitzen die Kerle buchstäblich in der Finsternis. Ich hole das Abschußgestell.“ Kurze Zeit später war alles bereit. Das Gestell für den Abschuß der chinesischen Brandsätze wurde so an Deck gebracht, daß man von der Jolle aus nichts erkennen konnte. Albuquerque würde höchstens ein paar Funken sehen, ehe die Finsternis aus Rauch und Qualm über ihm zusammenschlug. Ferris richtete das Gestell sorgfältig aus und schätzte die Entfernung. Es würde schon genügen, wenn die Rauchbomben dicht vor der Jolle explodierten. Sie qualmten auch dann noch weiter, wenn sie ins Wasser fielen. Mit einem Luntenstock, den Mac aus der Kombüse brachte, wurde der erste Brandsatz gezündet. '
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An Deck gab es einen kleinen knisternden Funkenregen, als das Geschoß fauchend davonzog und im spitzen Winkel in die Höhe stieg. Noch während es in die Dunkelheit raste, zündete Ferris bereits den zweiten Brandsatz. Es knisterte und pfiff ein bißchen, und dann zog auch der zweite mit einem pfeifenden Geräusch ab. „Segel setzen und auf Nordkurs gehen“, sagte Hasard. Pete Ballie stand schon am Ruder, während in aller Eile die Segel gesetzt wurden. Noch bevor die Schebecke Fahrt aufnahm, schien der Himmel in einer fürchterlichen Detonation zu zerreißen. Ein zweiter, bestialisch lauter Knall folgte, ein kurzes Aufblitzen war noch zu sehen. Die Schwärze breitete sich blitzschnell aus. Mond und Sterne verblaßten in der schwarzen Nebelbank, und dann war auch die Jolle ganz plötzlich verschwunden. Wo sie gelegen hatte, breitete sich jetzt pechschwarzer Qualm aus. Zwei rauchende Pilze stiegen zum Himmel und verteilten sich mit dem Wind in alle Richtungen. Die Schebecke ging zu diesem Zeitpunkt auf Nordkurs. * Dom Alfonso brannten die Augen vom unablässigen Starren zur Schebecke. Seine Lippen waren zusammengekniffen, die Nase stach spitz aus dem Gesicht hervor. Auf seiner hohen Stirn standen feine Schweißperlen, äußere Zeichen der Erregung, der Wut und der Hilflosigkeit, die ihn gepackt hatten. „Ob sie uns bemerkt haben, Dom Alfonso?“ fragte de Almeira im Flüsterton. „Nein“, war die knappe Antwort. „Keiner wirft einen Blick hierher“, fügte er noch hinzu. Von der Karavelle war mittlerweile nichts mehr zu sehen. Über der Untergangsstelle stiegen auch keine Blasen mehr hoch. Nur noch ein paar weit entfernt in der See treibende Holztrümmer kündeten von dem Untergang.
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Sie beobachteten weiter und rührten sich nicht. Wenn sie ein paar Worte sprachen, dann geschah das stets im Flüsterton und so leise, daß sie sich untereinander kaum verstanden. De Almeira unterdrückte krampfhaft einen Hustenreiz und lief im Gesicht knallrot an. Er hatte kein Verständnis für die Engelsgeduld seines Vorgesetzten, der wie erstarrt auf der Ducht hockte und die Schebecke der Engländer nicht aus den Augen ließ. Sie hätten jetzt nach Malakka zurücksegeln sollen, um die Piraten dort in Empfang zu nehmen. Aber Dom Alfonso blieb wie festgenagelt sitzen. Für de Almeira war absolut klar, daß die Engländer auf südlichen Kurs gingen. Er sagte jedoch nichts, denn Besserwisserei hatte in der Regel unangenehme Folgen, wie er aus Erfahrung wußte. Einen Dom Alfonso belehrte man nicht, ohne sein Leben zu riskieren. Der Decksmann Augusto und der Kanonier Vargas ähnelten leblosen Puppen, die sich nicht regten. Sie würden sich auch nicht mucksen, solange Dom Alfonso denkbar schlechte Laune hatte. Wenn man ihnen befahl, hier noch tagelang zu sitzen, so würden sie das tun, ohne eine einzige Frage zu stellen oder über Sinn und Unsinn eines solchen Befehls nachzudenken. De Almeira regte sich insgeheim darüber auf, daß sich die Engländer immer noch Zeit ließen. Die Kerle waren von einer fast stoischen Ruhe, um die man sie beneiden konnte. Etliche von ihnen hatten sich auf dem Achterdeck versammelt und schienen zu plaudern. Auch eine Laterne hatten sie entzündet und mittschiffs aufgehängt. Dadurch waren sie jetzt noch besser zu erkennen, sobald sie sich in dem dunstigen Lichtkreis bewegten. Mehr als eine halbe Stunde verging. Danach tat sich allerdings einiges, und es geschah so schnell, daß sich die Ereignisse überstürzten. Dom Alfonso zuckte unmerklich zusammen, beugte sich vor und hielt sich
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mit beiden Händen am Dollbord der Jolle fest. Er sah einen winzigen Lichtschein an Deck der Schebecke, einen Funken, der sich schnell vergrößerte. Aus dem Funken wurde für einen winzigen Augenblick ein ganzes Bündel, das jedoch rasch wieder erlosch. Dafür stieg einer der Funken in den nächtlichen Himmel, leuchtete dort noch einmal auf und verglühte dann. Ein schmetternder Schlag betäubte fast ihre Sinne. Irgendwo über der Jolle brüllte eine Explosion auf wie bei einem Blitzschlag der sofort folgende Donner. Dieses schmetternde Geräusch ließ sie die Köpfe einziehen und die Augen zusammenkneifen. Der erste Schlag war noch nicht verhallt, als abermals Funken aufzuckten und in den Himmel stiegen. „Teufelswerk!“ schrie Dom Alfonso. Sein wallender Bart zitterte, und er spürte, wie die unerklärliche Furcht wieder von ihm Besitz ergriff, eine Furcht, wie er sie beim ersten Angriff der Engländer gespürt hatte. Er wußte nicht, was es war, das so infernalisch knallte, das dann aufblitzte und alles in schwarzen Rauch hüllte. Es mußte ein Machwerk des Teufels sein. Es gab für ihn keine andere Erklärung. Er überwand diese Furcht, so gut er konnte, und hielt wieder Ausschau nach dem englischen Piratengesindel, wie er es nannte. Leider gab es nicht mehr viel zu sehen, denn jetzt senkte sich die schwarze Wolke aufs Meer und wallte von dort ganz langsam nach oben und den Seiten. Es war wie plötzlich einfallender Nebel, nur war dieser Nebel pechschwarz und wirkte dadurch noch unheimlicher. In der Luft lag ein Geruch nach Schwefel, wie er typisch für die flüchtige Anwesenheit des Satans war. Die Erfahrung hatte Dom Alfonso gelehrt, daß dieser schwarze Nebel nicht tödlich war. Allerdings hatte er die unangenehme Eigenschaft, alles zu verhüllen und rabenschwarz werden zu lassen. Befand man sich inmitten dieses Nebels, dann war
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man praktisch blind und somit auch der Fähigkeit beraubt, sich zu wehren. De Almeira war in Deckung gegangen, wie er im letzten Schimmer gerade noch erkennen konnte. Auch die beiden anderen Männer waren von den Duchten gerutscht und schlugen die Hände vor die Gesichter. Der Kanonier stöhnte verhalten, während der Decksmann Vargas ein leises Wimmern von sich gab. „Reißt euch zusammen!“ schrie Dom Alfonso wütend. „Und von einen, de Almeira, erwarte ich eiserne Disziplin.“ „Verzeihung, Dom Alfonso, es war nur der erste Schreck und der ungewohnte Knall. Welche Befehle haben Sie?“ 3. Dom Alfonso gab vorerst keine Antwort. Mit wachen Sinnen lauschte er in die immer dichter werdende Schwärze. Das allerletzte, was er noch flüchtig gesehen hatte, bevor die Finsternis alles schluckte, waren die Segel der Schebecke, die gerade gesetzt wurden. Das Schiff hatte den Bug nach Norden gedreht und lief auf diesem Kurs ab. „Haben Sie das Manöver auch gesehen?“ fragte er statt einer Antwort. „Jawohl, Dom Alfonso. Sozusagen im letzten Augenblick.“ „Was schließen Sie daraus?“ Der Erste wollte nicht zugeben, daß sich der ehrenwerte Dom Alfonso geirrt haben könnte, als er behauptete, die englischen Bastarde würden in jedem Fall nach Süden segeln, aber schließlich drehte. er es sich so zurecht, wie es auch den Tatsachen entsprach. „Sie sind auf Nordkurs gegangen, Dom Alfonso.“ „Sehr richtig“, erwiderte der Portugiese fast zufrieden. „Sie verschwinden also wieder aus unserem Hoheitsgebiet. Vermutlich ahnen sie bereits, was ihnen blühen könnte. Sie haben unser Schiff ausgeplündert und begeben sich auf den Rückzug. Ist es so?“ „Genauso ist es“, sagte de Almeira erleichtert.
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„Wie lange sind Sie schon Offizier?“ Die Frage verblüffte de Almeira. Er hatte sie in dieser Situation nicht erwartet. „Fast sechs Jahre, Dom Alfonso.“ „Sie werden noch sehr lange als Erster Offizier fahren“, mäkelte Dom Alfonso. „Sie haben einfach nicht das Zeug zu einem guten Kapitän, denn Sie verstehen nichts von Taktik und Strategie, wie sie einen guten Mann auszeichnen. Sie glauben also, diese Kerle werden jetzt nach Norden segeln und sich empfehlen.“ „Das war allerdings meine Ansicht.“ „Eine falsche Ansicht, eine völlig falsche Einschätzung der Lage“, sagte Dom Alfonso leidenschaftslos. Der Erste kroch in sich zusammen und war verunsichert. Er konnte den Kapitän nicht mehr sehen, er hörte nur die wie unbeteiligt wirkende Stimme und glaubte, leichten Hohn und Spott herauszuhören. „Aber – sie haben diesen Nebel gelegt und hoffen zu entkommen“, sagte der Erste. „Damit ... ich meine, damit wir nicht sehen können, welchen Kurs sie einschlagen.“ Das war Taktik, und was die Bastarde schon lange vorher planten, das war Strategie, mein Lieber. Vielleicht denken Sie mal etwas intensiver darüber nach.“ De Almeira ließ sich nicht anmerken, daß er gekränkt war. Aber er vermochte auch nicht das im Geist nachzuvollziehen, was diese Engländer planten. Seiner Ansicht nach hatten sie das, was sie wollten und zogen sich jetzt zurück. „Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Dom Alfonso. Für mich ist logisch, daß sie verschwinden. Von uns haben sie nichts zu befürchten, wir können mit einer Jolle gegen sie nichts ausrichten, aber im Süden steht ihnen Unheil bevor.“ „Das sollen wir nur glauben. Nichts als Augenwischerei, List und Taktik. Nein, nein, sie segeln auch weiterhin nach Süden. Sie wollen uns nur in Sicherheit wiegen.“ Ein paar Augenblicke herrschte Schweigen. Sie sahen jetzt absolut nichts mehr 'und spürten nur den leichten Wind, der durch die schwarzen Nebel trieb und sie doch nicht auflösen konnte.
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De Almeira sann unterdessen über Dom Alfonsos Worte nach. Allmählich begriff er, was die Größe dieses Mannes ausmachte, warum er sich immer durchsetzen konnte und man ihm von allen Seiten mit allergrößtem Respekt begegnete, ja, sogar Angst und Unterwürfigkeit. Dom Alfonso, der echte Nachfahre des Entdeckers und Eroberers Alfonso de Albuquerque, verstand es meisterhaft, sich in die Lage seines Gegners zu versetzen. Er konnte querdenken, was de Almeira nie so richtig gelang. Trotzdem mußte sich erst noch herausstellen, oh es wirklich so war. Die Stimme des Kapitäns unterbrach seine Gedankengänge. „Sie haben es wirklich sehr geschickt angestellt, diese Bastarde. Bevor sie in dem Rauch unsichtbar wurden, zeigten sie sich noch einmal so, daß man ihre Segel gerade noch erkennen konnte. Der Schwenk nach Norden war noch nicht vollzogen, denn auch das war Absicht. Ich soll jetzt annehmen, daß ich das Manöver noch im letzten Augenblick erkennen konnte. Daraus darf ich dann meine Schlüsse ziehen, die falschen natürlich, wie die Engländer denken.“ „Das heißt also, Dom Alfonso“, sagte de Almeira zusammenfassend, „daß sie unsere Jolle genau gesehen haben, aber so taten, als seien wir nicht vorhanden.“ „In etwa. Sie gaben vor, uns nicht bemerkt zu haben“, korrigierte der bärtige Portugiese. „Der schwarzhaarige Kerl versteht es hervorragend, andere in eine Falle zu locken. Ich denke, er ist davon überzeugt, uns in die Irre geführt zu haben.“ De Almeira fand das alles ein bißchen verwirrend und kompliziert. Man mußte ständig überkreuz denken, aber er zog lieber den geraden und unkomplizierten Weg vor. „Dann segeln wir jetzt zurück?“ fragte er leise. „Ja. Lassen Sie dicht unter Land gehen. Der Wind dreht langsam, aber sicher und wird den Rauch bald vertreiben. Dicht vor
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der Küste werden wir dann in den zweifelhaften Genuß gelangen, die englischen Halunken noch einmal aus der Ferne zu sehen.“ „Wie sie wieder auf Südkurs gehen“, sagte de Almeira siegessicher, mußte aber wieder eine Belehrung einstecken. „Wie sie auf Nordkurs bleiben, de Almeira. Auch damit rechnen sie natürlich, daß wir uns von der Tatsache überzeugen wollen.“ „Sehr wohl, Dorn Alfonso.“ So langsam wurde dem Ersten das Verwirrspiel mit dem ständigen Hin und Her unheimlich. Er gab seufzend auf und verzichtete darauf, die Gedankengänge nachzuvollziehen. Inzwischen war die Fock gesetzt worden, und die Jolle ging auf einen Kurs, wo Dom Alfonso Land vermutete. Zu sehen war allerdings nichts. Es roch, nur noch intensiv nach Schwefel, doch der Geruch verflüchtigte sich allmählich. Es war erstaunlich, wie lang und breit die Nebelbank war. Der Rauch war, langsam dünner werdend, fast auf eine Meile verteilt. Ganze Schwaden trieb der Wind langsam dahin und verteilte sie. De Almeira war wie blind und hätte nicht sagen können, wo das Land lag. Die kleine Jolle hatte keinen Kompaß an Bord, und so wäre er vermutlich stundenlang in dem brodelnden Qualm herumgesegelt, obwohl er eine Menge von Navigation verstand. Hier fühlte er sich überfordert. Doch Albuquerque gab mit ruhiger Stimme Kursanweisungen. Der schwergebaute Mann hatte sich nach außen offenbar wieder gefangen. Ganz plötzlich waren sie aus der Nebelbank heraus. Ein paar Kabellängen vor ihnen zog sich das Band der Küste hin, nur als Silhouette gegen den fernen Horizont erkennbar. Über den nächtlichen Himmel zogen ein paar einsame Wolken. Nur hin und wieder ließen sie etwas Mondlicht durch. Jedesmal glitzerte dann die See wie flüssiges Silber auf. Über das Wasser zuckten Reflexe, die sich meilenweit erstreckten.
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In dem Ort Kuala Selangor brannten Öllampen vor etlichen Häusern. Im Hafen waren Boote zu erkennen. Menschen waren zusammengelaufen, die zu dem finsteren Nebel auf See starrten. Albuquerque faltete die Hände über dem Bauch zusammen und beugte sich auf der Ducht etwas vor. „Sehen Sie den Bastard, de Almeira?“ fragte der Kapitän. „Wenn nicht, dann gehen Sie etwas mehr nach Backbord.“ De Almeira kniff die Augen zusammen und blickte über die zuckenden Lichtreflexe. „Ja, ich sehe ihn!“ stieß er hervor. „Er scheint fast unter der Kimm zu stehen.“ „Welchen Kurs segelt er?“ „Nordkurs, Dom Alfonso“, sagte der Erste schluckend. „Er segelt genau auf nördlichem Kurs.“ „Sie sollten keine Zufriedenheit in Ihrer Stimme aufklingen lassen, de Almeira“, rügte der Kapitän. „Das ist nur der scheinbare Kurs. Er wird später, außer Sichtweite selbstverständlich, einen westlichen Kurs einschlagen, der ihn zur Küste von Sumatra bringt. Von dort aus wird er später auf Südkurs ablaufen – in der irrigen Annahme, uns an der Nase herumgeführt zu haben.“ „Was jetzt, Dom Alfonso?“ fragte der Erste kleinlaut. „Warten wir, bis die Engländer in einem Bogen zurückkehren?“ „Nein, dadurch verlieren wir nur Zeit. Wir nehmen noch ein paar Männer von der Karavelle auf und segeln dann sofort nach Malakka zurück. Halten Sie Ausschau nach im Wasser treibenden Männern.“ Es fand sich niemand mehr. Ein paar von ihnen hatten sich mit gekenterten Jollen oder auf Holztrümmern retten können. Etliche andere waren an Land geschwommen und standen im Hafen herum. Sie warteten geduldig auf ihren Kapitän, der in aller Eile den nächtlichen Rückzug organisierte. Da nicht alle Männer in den paar kümmerlichen Jollen Platz hatten, requirierte Albuquerque rigoros ein paar
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malaiische Fischerboote, ohne sich daran zu stören, daß dadurch die Existenz einiger Familien bedroht war. Aber Kleinigkeiten solcher Art hatten Albuquerque noch nie gestört. * Auf dem Achterdeck der Schebecke blickte der Seewolf lange Zeit durch ein Spektiv. Anfangs sah er nur die zähe und pechschwarze Nebelwand, in der irgendwo die Jolle trieb. Wie besprochen, liefen sie nach Norden ab und blieben auch vorerst auf diesem Kurs. „Was wird der ehrenwerte Senhor jetzt tun?“ fragte Dan O'Flynn. „Natürlich kocht er vor Wut und ist bis zum Bersten geladen.“ Hasard setzte das Spektiv ab. Er konnte kaum noch etwas erkennen. „Gute Laune dürfte er sicher nicht haben“, erwiderte er. „Ich bin mir nur nicht sicher, ob er auf den Trick reinfällt. Dazu kenne ich ihn zu wenig.“ „Aber es wirkt echt, daß wir jetzt in nördlicher Richtung verschwinden“, meinte Don Juan. „Da er uns für Piraten hält, ist es durchaus glaubwürdig, daß wir mit der Beute wegsegeln.“ Hasard war sich da plötzlich nicht mehr so sicher, aber. er sagte nichts. Die fernen Lichter der kleinen Ortschaft waren noch deutlich zu sehen. Kurze Zeit später nahm Dan O'Flynn das Spektiv und blickte hindurch. „Da ist die Jolle“, meldete er. „Sie taucht gerade aus der Nebelbank auf und nimmt Kurs auf den Ort.“ „Ob sie uns erkennen können?“ fragte Hasard. „Ganz sicher. Unser Schiff dürfte sich deutlich gegen die Kimm abheben. Sie müssen uns sehen.“ „Dann bleiben wir weiterhin auf Nordkurs.“ Nach und nach wurden die Lichter kleiner und verblaßten. Auch die Jolle, die den Ort anlief, entschwand ihren Blicken.
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Schließlich wurde das Land ein schmaler und dunstiger Strich, der mit der Nacht verschmolz. Eine halbe Stunde lang segelten sie noch weiter, bis sie absolut sicher waren, nicht mehr bemerkt zu werden. „Wir gehen auf Westkurs, Pete“, sagte der Seewolf. „Aye, aye, Sir, Westkurs“, bestätigte der Rudergänger. Und dann: „Westkurs liegt an, Sir.“ „Recht so.“ Mehr als zwei Stunden lang segelten sie Westkurs. Die Küste Sumatras lag noch mehr als sechzig Meilen entfernt, wie Dan schätzte. Zu diesem Zeitpunkt übernahm Blacky das Ruder und löste Pete ab. „Ich habe so ein merkwürdiges Gefühl, als würden sie auf uns lauern“, sagte Old O'Flynn. Der Admiral hatte das Achterdeck geentert und lehnte an den Handlauf des Schanzkleides. „Wer wird auf uns lauern?“ „Die Portugiesen natürlich, Albuquerque. Der hat sicher noch ein paar seiner Leute eingesammelt und törnt jetzt nach Malakka. Dort wird er mit ein paar Schiffen auf uns warten.“ „Vorausgesetzt, er nimmt an, daß wir wieder umkehren.“ „Kann sein, daß er das annimmt. Ich werde das Gefühl nicht mehr los.“ „Und was sollten wir deiner Meinung nach tun?“ Old Donegal reckte seine hagere Gestalt und verlagerte das Körpergewicht auf das Holzbein. „So weit nach Westen segeln, bis wir die andere Küste sehen. Falls er das Seegebiet absucht, wird es dadurch so groß, daß er Ewigkeiten suchen kann.“ „Da ist etwas dran“, meinte Hasard nach kurzem Überlegen. „Wenn er aber wirklich auf uns lauert, dann wird er es tief im Süden tun, und da geht es wie in einen Schlauch hinein. Das Land rückt stark zusammen, die Meerenge ist sehr schmal.“ „Womit wir wieder am Anfang wären“, seufzte der Alte.
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„Ja, verstecken können wir uns da kaum. Aber vielleicht hat er Jollen ausgeschickt, Donegal, die wirklich das Seegebiet absuchen. Wir sollten immerhin damit rechnen und entsprechend vorsichtig sein. Dein Vorschlag wird also angenommen. Wir bleiben so lange auf Westkurs, bis wir die Ostküste von Sumatra erkennen können.“ Old Donegal blieb glatt die Spucke weg. Er blickte den Seewolf fassungslos an. „Mein Vorschlag wird angenommen?“ fragte er ungläubig. „Ja, er ist gut. Warum bist du so erstaunt?“ „Weil selten mal ein Vorschlag von mir angenommen wird“, brummte der Admiral. „Deshalb bin ich so erstaunt. Meistens tut ihr meine Vorschläge als Spinnerei ab.“ „Mitunter sind sie ja auch reichlich verwegen.“ „Na, dann bin ich ja zufrieden.“ Westkurs wurde beibehalten, und nach zwei Stunden wurde wieder der Rudergänger abgelöst. Diesmal übernahm Hasards Sohn Jung Hasard das Ruder. Carberry meldete sich auf dem Achterdeck. „Sir, der Wind weht jetzt beständig aus Ost. Schlage vor, daß wir unseren Spitzbusen setzen. Der läßt uns nur so über das Meer fliegen.“ Ein paar Arwenacks grinsten breit, als Carberry das sagte. Ein Fremder hätte sich unter der Bezeichnung auch nichts vorstellen können. Auch auf anderen Schiffen war er unbekannt. Der Spitzbusen – den Namen hatte der Profos geprägt – war ein besonderes Segel, dreieckig zugeschnitten, das ganz vorn gefahren wurde und weit über den Bug hinausragte. Erfunden hatte es der alte Segelmacher Will Thorne. Dieses spitze Segel fing den Wind voll ein und trieb die Schebecke mit unglaublicher Geschwindigkeit über das Wasser. Hasard schlug sich mit der Hand vor die Stirn. „Natürlich, Ed. Daß ich daran nicht gedacht habe! Laß es sofort setzen, wir werden doppelt so schnell sein. Der Wind ist wirklich äußerst günstig dafür. Juan hat
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es vorhin ja schon erwähnt, aber da war der Wind nicht so günstig.“ Das Segel, das man dreieinhalb Jahrhunderte später als Spinnaker bezeichnen würde, wurde augenblicklich gesetzt. Jung Hasard am Ruder spürte deutlich, wie der Druck auf das Schiff zunahm und die Schebecke durch die See zu preschen begann. Das Kielwasser schien zu kochen. Achteraus zeigte sich gleich darauf eine leuchtende und blasenwerfende Bahn im Meer, ein Schaumstreifen, der sich. weit hinten in der Nacht verlor. „Mann, der Zossen zieht aber ab“, sagte der Profos begeistert. „Schade, daß man dieses Segel nicht ständig fahren kann. Das ist schon eine Wucht. Wir würden jedem davonsegeln.“ „Wirklich schade darum“, gab Hasard zu. „Außerdem sieht es auch noch prächtig aus.“ Irgendwann gegen zwei Uhr nachts sichtete Dan O'Flynn mit seinen scharfen Augen die Küste der großen Insel Sumatra. Das Land lag in tiefer Finsternis; nirgendwo war ein Lichtschimmer zu sehen. An dieser Küste gab es auch nur vereinzelt kleine Fischerdörfer oder Ansiedlungen. Ein Teil der Einheimischen war wild und unberechenbar. Hier lebte das Volk der Batak, ein altindonesisches Volk, das in Pfahlbauten hauste und jeden Kontakt mit Fremden vermied. Etliche Male schon waren ahnungslose Seefahrer aus dem Hinterhalt angegriffen und getötet worden, als sie das Land betraten. Hasard nahm die Küste jetzt ebenfalls wahr. Sie war gerade noch zu erkennen, aber man mußte schon sehr genau hinsehen. Er gähnte verstohlen und hielt sich die Hand vor den Mund. „Müde?“ fragte Don Juan, der offenbar im Dunkeln sehen konnte. „Ein bißchen schon. Letzte Nacht habe ich nur drei oder vier Stunden geschlafen.“ „Dann solltest du das jetzt nachholen, Sir. Wir sind weit und breit allein.“
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„Das werde ich auch“, sagte Hasard, „aber erst nach dem Kurswechsel, wenn wir unseren Schwenk nach Süden vollzogen haben.“ Schon ein paar Minuten später wurde der Kurs geändert. Die Schebecke segelte jetzt parallel zur Küste, gerade noch in Sichtweite. Der Spitzbusen, wie das Dreieckssegel hieß, wurde wieder eingeholt, und sie segelten jetzt mit Backbordhalsen über Steuerbordbug liegend. Da Hasard das Schiff in guten Händen wußte, ging er in seine Kammer und legte sich auf die Koje. Trotz seiner Müdigkeit konnte er lange nicht einschlafen. Aber so unmerklich glitt er doch hinüber und träumte wirres Zeug von dem bärtigen Portugiesen, der Malakka und die gleichnamige Straße beherrschte. Mit seinen dämonisch blickenden Augen sah Albuquerque wie die Verkörperung der Inquisition aus. „Du hast dein Leben verwirkt, Engländer“, sagte der Kapitän zu ihm. „Du wirst auf dem Richtblock sterben.“ Der Traum wurde immer bizarrer. Hasard sah sich allein auf einem riesigen Platz stehen. Seine Hände und Beine waren gefesselt. Auf dem Platz befanden sich ein Galgen und ein Richtblock. Davor stand eine unheimliche Gestalt, bekleidet mit schwarzer Robe und Henkersmaske, in der nur zwei Schlitze für die Augen frei waren. Der unheimliche stumme Mann hielt ein Henkersschwert in den Händen und wartete, bis unsichtbare Hände den Seewolf vor den Richtblock schoben. Hasard sträubte sich, doch er konnte sich nicht wehren. Er sah nicht mal die Männer, die ihn weiterschoben. Er wurde nach vorn gedrückt, bis sein Hals den Block berührte. Um ihn herum erklang hämisches Gelächter auf, und eine donnernde Stimme rief, daß der Henker nun endlich seine Pflicht erfüllen möge. Der Unheimliche fackelte auch nicht lange und schlug zu.
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Hasard spürte den Schmerz durch seinen Körper rasen und wußte, daß sein Kopf abgetrennt worden war. Das war genau der Augenblick, als er schwungvoll aus der Koje flog und mit dem Schädel am gegenüberliegenden Schapp landete. Ein paar Sekunden lang blieb er wie benommen liegen und konnte zwischen Traum und Wirklichkeit nicht unterscheiden. Um ihn her war alles dunkel, und eine geradezu beängstigende Stille herrschte. Alles war anders als sonst. Da war kein vertrautes Geräusch mehr, kein Gurgeln von Wasser, kein Ächzen im Rumpf, absolut nichts war für Augenblicke zu hören. Ziemlich schnell fand er in die Wirklichkeit zurück. Er ahnte bereits etwas, und das war nichts Gutes. 4. Da Hasard seine Kammer auch bei völliger Finsternis kannte, fiel ihm die Orientierung leicht. Er erhob sich, stürzte zum Schott, riß es auf und war mit ein paar langen Sätzen an Deck. Zum erstenmal hörte er jetzt auch Geräusche. Da waren das leise Schlagen von Wellen, das ebenfalls leise Winseln des Windes und Stimmen. Jemand fluchte zum Gotterbarmen. Es war der Profos Edwin Carberry. „Das darf doch nicht wahr sein!“ schrie er. „Hat denn dieser dreimal verdammte Bilgenfrosch von Ausguck gepennt, oder ist der Kerl am Ruder besoffen, was, wie? Los, weckt den Sir, holt ihn an Deck!“ „Nicht nötig“, sagte Hasard. „Bin schon da. Was ist denn überhaupt passiert? Sind wir aufgebrummt?“ „Und wie“, sagte Carberry grollend. „Ich bin der Länge nach über die Planken gesegelt. Meine Rübe ist ganz weich und matschig.“ „Na, dann Mahlzeit. Gerade das hat uns noch gefehlt.“
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Hasard blickte sich um. Zu sehen gab es eigentlich nichts. Die Nacht war immer noch rabenschwarz, und an der westlichen Kimm hob sich undeutlich eine verwaschene Linie ab. „Ich bin aufgebrummt, Dad, Sir“, sagte Jung Hasard zerknirscht. „Es passierte wie aus heiterem Himmel. Es war auch nichts zu sehen.“ „Korallenriff ?“ fragte Hasard und lauschte angestrengt auf verdächtig klingendes Gurgeln im Schiffsinnern. „Nein, es muß eine Sandbank sein.“ Sam Roskill meldete sich ebenfalls sehr zerknirscht. „Ich habe nicht geschlafen, Sir, mein Wort darauf. Wenn es eine Sandbank ist, dann war sie nicht zu sehen. Ich sehe sie immer noch nicht.“ „Stimmt“, gab Hasard zu. „Man erkennt nicht mal die verräterischen winzigen Wellen. Wie lange war ich weg?“ „Knapp eine Stunde, Sir“, erwiderte der Profos. „Hoffentlich sind wir nicht bei Flut aufgelaufen, sonst sehe ich schwarz.“ „Ja, hoffentlich. Bergt die Segel!“ Inzwischen waren ausnahmslos alle Arwenacks an Deck. Ein paar schlaftrunkende Männer kapierten noch nicht ganz, was passiert war, und blickten begriffsstutzig ins dunkle Wasser. Paddy Rogers, der Mann mit der Knubbelnase, der zum Denken immer etwas länger brauchte als die anderen, schüttelte den Kopf. Seine Augen waren noch halb geschlossen. „Eben lag ich noch in der Taurolle und schlief“, beklagte er sich, „und jetzt sitze ich achtern unterm Niedergang. Wie finde ich das?“ „Sicher sehr abwechslungsreich“, brummte Carberry. „Wir sind aufgebrummt, falls du das noch nicht bemerkt hast, du Großhirsch.“ „Aufgebrummt – wo?“ „Auf Land, weil man meist auf Land aufbrummt, wenn man auf dem Wasser fährt.“ „Aber ich seh kein Land.“ „Weil das Land unter Wasser ist, Paddy. Das nennt man dann eine Untiefe, eine
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Sandbank oder ein Riff. Und auf irgendeinem von diesen Dingern liegen wir jetzt.“ Inzwischen waren die Segel eingeholt worden, und Hasard beugte sich über das Schanzkleid, um nachzusehen, auf was sie aufgelaufen waren und festsaßen. „Nichts zu sehen“, sagte er, „überhaupt nichts. Meiner Schätzung nach dürfte das Land knapp zwei Meilen entfernt sein. Wir müssen abwarten bis es hell wird.“ „Das dürfte in einer Stunde der Fall sein“, sagte Ben Brighton. „Aber ich bin mir jetzt schon sicher, daß es eine ganz gewöhnliche Sandbank ist. Der Bug hob sich etwas an, und schon saßen wir fest. Es war nicht mal ein Knirschen zu hören. Das Schiff wurde wie von einer Riesenfaust einfach gestoppt.“ Über ihnen zogen Wolkenbänke dahin, die keinen Schimmer durchließen. Der Wind wehte nur noch mäßig und hatte an Kraft eingebüßt. „Dann warten wir“, sagte Hasard. „Immerhin ist mir lieber, vor dieser Küste gestrandet zu sein als auf der anderen Seite. Hier wird uns in unserer hilflosen Lage niemand behelligen.“ Dan O'Flynn wollte allerdings nicht so lange untätig herumsitzen und sich lieber einen Überblick verschaffen. „Ich sehe mich mal um“, sagte er, „nur damit wir einen ungefähren Überblick haben.“ Er band sich eine lange Leine um den Leib und gab dem Profos das Ende in die Hand. „Halt mal ein bißchen fest, Ed.“ „Davon werden wir auch nicht wieder flott“, meinte Carberry. „Aber paß gut auf, daß dich kein Hai anknabbert.“ „Haie gibt's nicht auf Sandbänken.“ Dan ließ sich über Bord gleiten, schwamm in der Finsternis ein paar Züge bis zum Bug und tauchte dann. Er tauchte nicht tief. Der Tiefgang der Schebecke lag bei voller Ladung bei drei Yards, aber sie hatten nicht viel an Bord, außer den schweren Culverinen. Unter ihm war feiner Sand, keine Steine, keine Korallen, wie er deutlich fühlen konnte.
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Er stellte fest, daß sich der Bug mitten in den Sand gewühlt hatte und dadurch aufgeworfen wurde. Weiter achtern hing die Schebecke frei im Wasser. Prustend tauchte er wieder auf und ließ sich an Bord hieven. „Halb so schlimm“, sagte er, nach Atem ringend. „Der Bug sitzt ein Stück im Sand, achtern ist alles frei. Ich konnte nur nicht feststellen, ob wir bei Ebbe oder Flut aufgelaufen sind.“ „Hoffentlich bei niedrigem Wasser“, sagte Hasard. „Sobald es hell wird, haben wir einen besseren Überblick. Notfalls genügt es, die Geschütze nach achtern zu bringen.“ „Das dürfte wahrscheinlich genügen“, versicherte Dan. Es dauerte nicht mehr lange, bis an der östlichen Kimm ein winziger Lichtschimmer auftauchte. Die Morgendämmerung, die hier nur von sehr kurzer Dauer war, kündigte sich an. Gleichzeitig verschwanden auch die Wolken, als die Sonne ihre ersten Strahlen über den Horizont schob. Jetzt sah alles gleich ganz anders aus. Das Meer begann zu funkeln und zu gleißen. Die Küste schien sprunghaft näher gerückt zu sein. Neugierig sahen sich die Arwenacks um. Von der flachen, mit Palmen bestandenen Küste Sumatras lief der helle Streifen einer Sandbank weit ins Meer hinaus. Diese Sandbank war mindestens eine halbe Meile lang und zog sich als heller Strich durch das Wasser. Einmal wurde die Sandbank von einer pechschwarzen Stelle unterbrochen, danach tauchte sie wieder auf, wurde schmaler und schob sich wie ein flacher Rücken nach Backbord. „Mitten hineingesegelt“, sagte Hasard. „Aber das war auf keinen Fall zu vermeiden. Wir hätten sie nur bei Tag gesehen. Nachts ist dieser Streifen nicht zu erkennen. Es braucht also niemand ein schlechtes Gewissen zu haben. Das war einfach Pech. Seht mal aufs Meer hinaus. Die Bank läuft noch ein paar hundert Yards weiter wie eine untergegangene Landzunge.“
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Durch das Glitzern auf dem Wasser war die helle Spur einwandfrei weiter zu verfolgen. Dort endete sie dann jäh und abrupt, wie das schwärzer werdende Wasser ankündigte. Sein nächster Blick galt dem Land, das jetzt in silbriges Licht getaucht wurde. Von dort drohte keine Gefahr, denn nichts wies auf die Anwesenheit von Menschen hin. Es gab keine Hütten, nur scheinbar unberührte Natur. Der breit ausladende Strand war weiß und glitzerte im Sonnenlicht. Hinter dem Strand wuchsen hohe Büsche, und auf der linken Seite tummelte sich eine Kolonie heller Seevögel, die sich in ihrer Ruhe nicht stören ließen. Ein paar Kokospalmen standen unregelmäßig herum. Es war so still, daß Hasard glaubte, das leise Raunen der Palmwipfel zu hören. „Jetzt sollten wir uns aber Gewißheit verschaffen“, sagte Ferris Tucker. „Ich kenne den Tidenhub hier nicht, oder weiß das jemand?“ „In den Karten ist nichts angegeben“, erwiderte Dan. „Aber sehr hoch dürfte er nicht sein, wenn ich mich richtig erinnere. Damals haben wir das nicht aufgezeichnet, als wir durch die Straße segelten.“ Ferris enterte in den Stauraum ab, suchte dort nach passenden Hölzern und nagelte einige davon zusammen, bis er ein vier Yard langes Gebilde hatte, das einer dicken Stange ähnelte. „Damit kann man das genauer messen als durch Beobachten“, sagte er. Die Latte wurde vom Bug aus ins Wasser geschoben, bis sie auf Grund stieß. Ferris holte sie wieder ein und sah nach, wie weit sie naß geworden war. Die Stelle markierte er mit rötlicher Farbe und wiederholte die Prozedur. Das obere Ende der Meßlatte bändselte er am Schanzkleid so fest, daß man den roten Strich immer gut erkennen konnte. Clint Wingfield rannte alle Augenblicke zu der Latte und blickte auf den roten Strich. „Da mußt du schon etwas Geduld aufbringen“, sagte Carberry. „So schnell geht das auch wieder nicht.“
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Also warteten sie weiter ab. * In der Kombüse hantierten inzwischen der Kutscher und Mac Pellew, um für eine hungrige Mannschaft das Frühstück zuzubereiten. Jack Finnegan, der im Ausguck stand und nach allen Richtungen die See absuchte, stiegen verlockende Düfte in die Nase. Er beugte sich neugierig vor und sog den Duft nach gebratenem Speck in sich hinein. In diesem Augenblick zuckte er heftig zusammen und glaubte, ein Blitz aus heiterem Himmel habe ihn getroffen. Grell biß es für einen Augenblick in seine Augen. „Feuer im Stauraum!“ brüllte er. Köpfe ruckten blitzschnell herum. Gleich ein Dutzend Arwenacks stürzten zum offenen Stauraum und blickten hinein. Aber da war nicht mal Rauch zu sehen, geschweige denn ein Feuer, wie Jack aufgeregt verkündet hatte. Nach der ersten Verblüffung begann Big Old Shane laut zu lachen. Die anderen atmeten erleichtert auf, auch Hasard, der schon die Schrecken eines Brandes erwartet hatte. „Was ist denn?“ fragte Jack verwirrt aus dem tonnenförmigen Gebilde. „Dein Feuer ist die vergoldete Badewanne!“ rief Big Old Shane. „Das Ehrengeschenk vom Sultan von Golkonda. Kannst dich wieder beruhigen, Jack.“ Das etwas monströse Geschenk, die große, reichverzierte und vergoldete Badewanne, mit der niemand so recht etwas anfangen konnte, war im Stauraum untergebracht worden. Hasard hatte vor, sie zwei übergeschnappten Kerlen zu schenken, die vor den Marquesas-Inseln Schiffbruch erlitten hatten und etwas wirr im Kopf waren. Sie hatten den Arwenacks ein Schreiben an den König von Spanien mitgegeben und um eine goldene Badewanne ersucht. Der Zufall wollte nun, daß sie so ein Ding an Bord hatten.
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Jetzt war ein Sonnenstrahl auf die goldschimmernde Wanne gefallen und zauberte einen so grellen Reflex auf das Gold, daß es wie ein blitzartig aufzuckendes Feuer aussah. Ein paar Minuten lang funkelte und gleißte es, bis das Sonnenlicht weiterwanderte. Damit erlosch auch das seltsame „Feuer“. „Mann, ist das immer eine Aufregung“, nörgelte Mac Pellew. „Erst brummen wir auf, und dann gibt's auch noch Feuer an Bord.“ „Das war kein Feuer“, sagte der Kutscher geduldig. „Aber Jack hat es doch gemeldet.“ „Ja, aber er hatte sich geirrt.“ „Dann hat es nicht gebrannt?“ „Nein. Oder glaubst du, ich wäre dann so ruhig stehengeblieben?“ „Na, dann ist ja alles gut.“ Mac sammelte die Speckschwarten ein und verstaute sie in einem großen Beutel. Speckschwarten hob er immer auf, weil sie für alles mögliche gut waren. Er rieb damit die große Eisenplatte vom Herd blank, bevor er die Schwarten wegwarf, oder er kochte andere im großen Suppenkessel mit, damit der Geschmack deftiger wurde. Nachdem er den Speck in die große Pfanne geschnippelt hatte, nahm er den Abfallkübel und ging damit an Deck. Auf den Planken setzte er ihn ab, feuchtete seinen Daumen an und hielt ihn prüfend in die Luft, um die Windrichtung festzustellen. Von Mac war das eine Marotte, über die sich der Profos jedesmal fürchterlich aufregte. „Verdammt noch mal, kannst du dir diesen Blödsinn nicht endlich mal abgewöhnen“, wetterte Carberry auch gleich los. „Du glaubst gar nicht, wie dämlich du aussiehst, wenn du mit angefeuchtetem Daumen an Deck stehst und die Windrichtung peilst. Du mußt doch sofort merken, woher der Wind weht, du Tranfisch!“ „Ich prüfe eben immer sehr sorgfältig“, entgegnete Mac würdevoll. „Aber mir geht das auf die Nerven.“
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„Interessiert mich einen toten Stint. Wenn ich den Abfall mal nach Luv auskippe, fängst du wie ein Ochse an zu brüllen. Außerdem werden dann die Planken matschig.“ „Dazu braucht man keinen nassen Daumen.“ Mac gab keine Antwort und würdigte den Profos keines Blickes. Er nahm den Abfallkübel, leerte ihn über Bord, zog ein hochmütiges Gesicht und verschwand kommentarlos über den Niedergang zur Kombüse. Rein zufällig blickte er noch einmal in den Kübel. Ein Stück unansehnlicher Speckschwarte klebte in der Tonne, und da Mac ein pingeliger Mensch war, aber mit dem Kübel nicht mehr an Deck wollte, klaubte er die Schwarte heraus und warf sie vom Niedergang aus schwungvoll über Bord. Er sah nicht mehr, daß die glänzende Schwarte an das Want prallte und anschließend an Deck landete, dicht vor der Kombüse. Aber gleich darauf hörte er einen wilden Schrei. Carberry hatte es nicht verwunden, keines Blickes gewürdigt zu werden, und so rannte er hinterher, um Mac durch das offene Kombüsenschott die Meinung zu sagen. Die Speckschwarte übersah er in seinem Ärger. Er rutschte aus, geriet so richtig in Fahrt und verlor den Boden unter den Füßen. Vor Schreck stieß er einen Schrei aus, als er dann noch sah, daß sein Absturz nicht mehr aufzuhalten war. Und dieser Absturz führte genau durch das offene Schott und die Treppen nach unten. Da war nichts mehr zu retten. Es half auch nicht, daß Carberry mit den Armen wie ein Wilder ruderte. Gleich neben dem Herd stand der große Mehlsack, dessen weißer Rand gerollt und offen war. Mac und der Kutscher vernahmen ein ächzendes Geräusch, dem ein sehr dumpfer Fall folgte. Kopf voran und sich mit den Händen abstützend, sauste der Profos in den
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Mehlsack. Eine weiße Wolke breitete sich in der Kombüse aus und stieg bis an die Decke. Die beiden Köche zuckten zusammen, aber Mac hatte sich erstaunlich schnell wieder gefaßt. „Ah, wir haben lieben Besuch“, sagte er schadenfroh, als er den wild zappelnden Profos erkannte, der seinen Achtersteven in die Luft reckte und mit den Stiefeln um sich schlug. „Unser Profos sieht wie ein riesiger Mehlwurm aus. Was mag er da wohl so angestrengt suchen?“ „Vielleicht Kakerlaken“, schätzte der Kutscher und verbiß sich nur mühsam das Grinsen. Oben am Schott tauchten Gesichter auf, feixende Gesichter. Ein paar Kerle hieben sich brüllend auf die Schenkel und fanden das alles sehr lustig. Keinesfalls lustig fand das Edwin Carberry. Nachdem er sich aus dem Mehlsack herausgezappelt hatte, lief sein Gesicht unter der weißen Mehlschicht knallrot vor Wut und Zorn an. „Dir häng ich das Kreuz aus!“ brüllte er überlaut. Eine weiße Wolke begleitete sein Gebrüll. „Mir?“ fragte Mac entrüstet. „Na hör mal, du lausiger Weißkopfadler, was habe ich damit zu tun? Latsch gefälligst nicht über deine eigenen Quanten, dann passiert auch nichts.“ „Du hast was an Deck geworfen!“ schrie Carberry und fuchtelte mit den Armen, was zur Folge hatte, daß sich abermals eine weiße Mehlstaubwolke durch die Kombüse bewegte. Sie mußten niesen: „Ich habe den Kübel unter deinem blöden Geschrei genau richtig ausgekippt, und dabei fiel nichts an Deck, weil ich nämlich immer vorher mit dem Daumen prüfe, woher der Wind weht. Frag doch den Kutscher, der sagt auch immer: Stultorum plena sunt omnia.“ „Interessiert mich einen Scheiß, was der Kutscher immer sagt. Ich will sofort ...“ „Das heißt, die Welt steckt voll Torheit“, sagte Mac gleichmütig. „Und da ist was dran.“
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„Jedenfalls wirst du das büßen“, fauchte Carberry. „Ich seh ja aus wie eine, wie – äh ...“ „Wie 'n gepuderte Wildsau“, sagte Mac kichernd. Carberrys Zorn wurde von den hämischen Bemerkungen und dem Gelächter nur noch mehr angestachelt. „Das nimmst du mickriger Hühnerkoch zurück, aber sofort!“ Mac griff nach der gusseisern Bratpfanne mit dem Speck darin und wog sie am Stiel in der Hand. Er war ein Meister im Kampf mit Bratpfannen und Tiegeln. „Ich nehme gar nichts zurück. Aber du kannst gleich die Pfanne auf deinen Weißpoller kriegen, wenn du hier wie ein kranker Elch weiter herumröhrst.“ „Das würdest du tun?“ „Versuch es doch mal“, sagte Mac tückisch. „Die Pfanne ist auch noch richtig heiß.“ Carberry funkelte Mac aus weißgesäumten Augenlidern an. Wütend blies er sich etwas Mehlstaub von der Nase und nieste wieder. „Wir sprechen uns noch“, drohte er. „Und dir empfehle ich dringend, dich die nächsten drei Jahre nicht mehr an Deck blicken zu lassen, bis mein Zorn erloschen ist. Jetzt werde ich erst mal nach dem Corpos Christi suchen.“ „Such lieber das Corpus delicti“, riet der Kutscher. „Der andere Corpus dürfte wohl kaum auf den Planken liegen.“ „Oder das Corpus delirium“, tönte Mac dem Profos hinterher, als der, wie ein Büffel schnaubend, die Treppen hochstieg und nach dem zu suchen begann, was seinen Sturz verursacht hatte. Aber eine vorsichtige Seele hatte der Speckschwarte einen zarten Tritt gegeben, und so war sie durch das Speigatt geflogen und im Meer gelandet. Carberry suchte und suchte, aber daß er nichts fand, verminderte keineswegs seinen Zorn. „Was suchst du denn?“ fragte Matt Davies. „Große Kakerlaken mit grünen Triefaugen“, knurrte der Profos.
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„Habe ich nicht gesehen“, versicherte der Mann mit der Hakenprothese. „Aber eine riesige weiße habe ich eben gesehen.“ „Ihr wollt mir heute wohl den Tag versauen, was, wie?“ rief Carberry erbost. „Jeder denkt sich eine andere Heimtücke aus.“ „Ich doch nicht“, sagte Matt entrüstet, „ich habe nur auf eine dämliche Antwort entsprechend reagiert.“ Der Profos gab die Suche auf. „Das Corpusdings ist längst weg“, murrte er. „Aber da war eins, das weiß ich genau.“ Brummig entledigte er sich seiner mehlverstaubten Kleidung und sprang ins Wasser, um das weiße Zeug loszuwerden. 5. Etwas später war so ziemlich alles wieder im Lot. Jedenfalls hatte es den Anschein. Carberry wechselte seine Klamotten, und die anderen rissen noch ein paar schadenfrohe Witze. Anschließend beschäftigten sie sich ausgiebig mit dem Frühstück, das heute besonders reichhaltig ausfiel. Es gab Salmagundi, und da lief den Arwenacks schon beim bloßen Duft das Wasser im Mund zusammen. Korsaren-Menü hatten sie es einmal vor langer Zeit getauft. Die Fischer in der Straße von Malakka hatten sie mit den nötigen Zutaten ausgestattet, sogar Schildkrötenfleisch hatten sie erhalten. Mac und der Kutscher verteilten aus zwei Kesseln das Salmagundi. In den Kesseln befand sich Schildkrötenfleisch, Huhn, Fisch, Schinken, Zwiebeln, Tomaten, Trauben und viel Knoblauch. Das alles war mit gewürztem Wein, Salz, Pfeffer und Senfkörnern mariniert worden. Öl und Essig waren die letzten Zutaten. In jede Kumme tat der Kutscher noch ein Stück Kokosnußfleisch hinein. Smoky geriet sofort ins Schwärmen, als er den ersten Bissen nahm. „Ein dickes Lob der Kombüse und den Köchen“, sagte er begeistert. „Das könntest
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du jede Woche dreimal auf die Back bringen. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen.“ Der Kutscher freute sich sichtlich über das Lob, nur von Paddy Rogers erfolgte kein Kommentar. Der knubbelnasige Mann hob sich sein Lob für später auf, denn sonst hätte er sein Essen unterbrechen müssen, und das tat Paddy nur höchst ungern. Dafür mampfte er, als gäbe es einen Preis für schnelles Essen. „Wirklich sehr gut“, sagte auch der Seewolf. „Hoffentlich reichen unsere Vorräte noch, bis wir die vertrackte Straße durchpegelt haben. Was meinst du, Kutscher?“ „Wie lange brauchen wir, um den Zipfel zu erreichen?“ „Wir müssen mit mindestens einer Woche rechnen“, erwiderte Hasard. „Dann haben wir wieder kleine Inseln vor uns.“ „Nun, das kann gerade reichen. Vielleicht können wir unseren Speisezettel unterwegs mit Fischen, Langusten und Krabben anreichern. Die lieben Tierchen ergeben ja auch höchst schmackhafte Mahlzeiten. Und fangen können wir sie praktisch überall.“ „Ja, eine gute Idee, Kutscher. Von den Portugiesen haben wir nichts zu erhoffen, außer, daß sie uns ein bißchen gram sind.“ Hasards Worte wurden von leisem Gelächter übertönt. „Bißchen gram ist gut“, sagte Blacky. „Außer ein paar eisernen Grüßen haben sie nicht viel für uns übrig.“ „Nun, wir haben den ehrenwerten Dom Alfons() allerdings auch leicht verärgert. Kein Wunder also, daß er nicht gut auf uns zu sprechen ist. Auf der anderen Seite der Küste haben wir ebenfalls nichts zu erwarten. Die Batak sind kriegerisch, und es gibt unter ihnen auch noch ein paar Kannibalen. Die Batak hätten ihre Nahrungsprobleme schnell gelöst, nur bin ich nicht versessen darauf, ihnen zu begegnen.“ „Dann bleiben wir lieber bei Fisch und Krebsen“, meinte Carberry, „als selbst gefressen zu werden.“ „So sehe ich das auch.“
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Erneut wurden die Kummen gefüllt, wobei sich Paddy ganz besonders auszeichnete. Er hatte jetzt die dritte vor sich, und über der Schebecke hing immer noch dieser verführerische Duft. Hasard sah, daß der Moses Clint Wingfield immer wieder aufstand und nach vorn zum Bug ging. Das blonde Bürschchen war pfiffig und aufgeweckt und ließ nichts anbrennen. So hatte er auch keine Ruhe, bis er genau wußte, ob das Wasser nun fiel oder anstieg. „Nun, wie steht es, Clint?“ fragte der Seewolf. „Sir, es sieht so aus, als gäbe es hier keine Gezeitenströmung. Die Marke ist immer noch unverändert. Sie ist nicht gestiegen und auch nicht gefallen.“ „Es gibt hier ganz sicher eine Gezeitenströmung, Junge. Wir haben nur gerade eine Zeit erwischt, in der sich das Wasser kaum verändert. In einer halben Stunde kann das schon ganz anders aussehen. Dann wird sich auch zeigen, ob wir Glück haben und aufschwimmen, oder ob wir leichtern müssen.“ Fünf Minuten später war das Bürschchen schon wieder verschwunden, um nachzusehen. Clint war eifrig darauf bedacht, als erster mit der Meldung aufwarten zu können. Erst als die Kummen abgeräumt waren, erkannte Clint an der Marke, daß sich etwas zu ändern begann. So schnell er konnte, rannte er nach achtern. „Das Wasser fällt ganz langsam, Sir“, berichtete er atemlos. „Es ist ein paar Fingerbreiten gefallen.“ „Zuviel Glück darf man auch nicht haben“, sagte der Seewolf seufzend. „Ich gehe mit nach vorn.“ Dort standen bereits etliche andere und blickten auf die Stange im Wasser. „Wir sind tatsächlich bei Flut aufgebrummt“, sagte Hasard. „Das Wasser geht zurück.“ Die rote Markierung, die vorher mit der Wasserlinie auf gleicher Höhe gewesen war, ragte nun ein kleines Stückchen frei heraus.
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Ferris Tucker begann verhalten zu fluchen. Er beugte sich weit übers Schanzkleid und peilte die Markierung an. „Kein Irrtum möglich“, sagte er. „Die Stange ist festgebunden und kann nicht verrutschen.“ Hasard blickte zum Land hinüber. Dort hatte sich nichts verändert. Auch war bis zur Kimm kein Schiff zu sehen. Selbst die Kolonie der brütenden Seevögel schien wie erstarrt zu sein. „Wir fangen gleich an“, sagte er, als er sich umdrehte. „Jedes weitere Zögern oder Warten kostet uns nachher eine Menge Arbeit. Wir bringen die Geschütze nach achtern, bis sich der Bug etwas hebt. Warten wir noch, dann müssen wir Anker ausbringen, um uns von der Untiefe zu ziehen. Ihr kennt ja die Arbeit zur Genüge.“ „Und ob“, sagte Carberry. „Eine schweißtreibende Knochenarbeit bei der Hitze. Dann lieber gleich rangeklotzt.“ Leinen und Taue wurden geholt und um die Culverinen geschlungen. Die Brooktaue, die den Rückstoß abfingen, wurden gelöst. „Auf den Lafetten lassen sich die Dinger ja gut bewegen“, sagte Al Conroy, „aber wenn wir sie ganz nach achtern bringen müssen, steht uns noch einiges bevor.“ „Vorerst bringen wir sie nur bis an den achteren Niedergang“, sagte Hasard. „Das ergibt bereits eine beträchtliche Gewichtsverlagerung. Sollte das auch nicht helfen, müssen wir uns eben ein bißchen mehr anstrengen.“ „Die Kanönchen klemme ich mir notfalls unter den Arm“, behauptete der Profos grinsend. „Dann tu dir keinen Zwang an“, riet Hasard. „Wenn du jeweils zwei nimmst, brauchst du nur sechsmal zu laufen.“ Schon Augenblicke später wurde die erste Culverine auf ihrer fahrbaren Lafette nach achtern gebracht. Vier Mann zogen an den Tampen, vier weitere Männer schoben, bis sie vor dem Niedergang stand. Unmerklich fiel das Wasser weiter. Es ging jetzt etwas schneller, seit die Ebbe eingesetzt hatte.
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Als die zweite Kanone nach achtern gerollt wurde, stoben mit wildem Gekreische die Seevögel auf. Hunderte erhoben sich schlagartig in die Luft, als seien sie durch etwas aufgescheucht worden. Hasard nahm das Spektiv und suchte das Land ab. Er konnte nichts erkennen und fragte Piet Straaten, der im tonnenförmigen Ausguck stand. „Kannst du etwas Auffälliges sehen, Piet?“ Der Holländer schüttelte den Kopf. „Menschen jedenfalls nicht, Sir. Weit und breit gibt es keine. Aber da hat sich ein größeres Tier in Ufernähe bewegt, und das muß die Vögel wohl aufgescheucht haben. Sonst ist nichts zu sehen. Das Tier ist auch wieder verschwunden.“ „Danke. Schön die Augen offenhalten. Es wäre ziemlich unangenehm, ausgerechnet jetzt überrascht zu werden.“ „Aye, aye, Sir.“ Als die sechste Kanone nach achtern geschafft wurde, entdeckte Piet Straaten doch etwas. Er meldete das sofort an Deck. „An Steuerbord taucht hinter einer Landzunge ein kleines Segel auf. Ich kann noch nichts Genaues erkennen. Es ist jedoch ein winziges Boot. Fischer vielleicht“, fügte er hinzu. „Ausgerechnet jetzt“, schimpfte Hasard. „Warte, ich sehe mir das selbst an.“ Mit ein paar schnellen Sätzen war er ganz in der Nähe der Tonne und blickte abermals durch den Kieker. Zuerst sah er nichts, denn das Boot war hinter einer bewachsenen Landzunge für ein paar Augenblicke verschwunden. Dann war es wieder zu sehen, diesmal deutlicher. Es war ein kleines Boot, wie Piet es gesagt hatte, und es saßen drei nur spärlich bekleidete Männer darin. Sie hatten Speere und Bögen im Boot, schienen die Schebecke aber noch nicht bemerkt zu haben. „Batak“, sagte Hasard. „Das müssen Batak sein. Also scheint es doch in der Nähe einen Ort zu geben. Vermutlich segeln sie zum Fischen hinaus.“
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„Aber sie haben keine Netze“, wandte Piet ein. „Sie speeren die Fische. Netze haben sie nicht.“ Das Boot schoß jetzt etwas schneller hinter der Landzunge hervor, als der Wind in das Segel griff. Die drei Männer hatten vor, in nördliche Richtung zu segeln, und so wandten sie ihnen den Rücken zu. „Die sind beachtenswert sorglos“, meinte Piet. „Sehen sich nicht mal um.“ Als wären seine Worte das Kommando gewesen, wandte einer der Männer den Kopf. Durch den Kieker sah Hasard deutlich sein Erschrecken. Er rief den beiden anderen etwas zu, und auch sie drehten sich jetzt blitzartig um. Aufgeregt deuteten sie zu der Schebecke. Einer stand sogar im Boot auf und redete hastig auf die anderen ein. „Jetzt werden sie zurücksegeln und' ihre Angehörigen warnen“, sagte der Seewolf. „Wenn sie genügend Boote haben, besteht die Möglichkeit, daß sie uns einen kleinen Besuch abstatten.“ „Das sind doch Kannibalen, oder?“ „Ich weiß nicht, ob alle Batak Kannibalen sind. Aber es ist durchaus möglich.“ „Dann sehen sie in uns also Proviant“, sagte Piet trocken. „Sollen wir uns nicht lieber bewaffnen, Sir?“ „Wir haben noch die Drehbassen in den Halterungen, Piet. Wenn sie sich wirklich mit bösen Absichten nähern, lasse ich mit Grobschrot auf die Boote feuern.“ Hasard enterte wieder ab und erzählte den anderen, was geschehen war. „Sie verschwinden wieder, und das sehr eilig!“ rief Piet aus dem Ausguck. „Weiter gut beobachten, Piet!“ Von der Schebecke aus war das kleine Boot nicht mehr zu sehen. Die weiter achtern ins Meer ragende Landzunge verdeckte alles. Inzwischen fiel das Wasser weiter. Hasard kommandierte ein paar Männer ab, die die Drehbassen besetzen sollten. Al Conroy überprüfte sie noch einmal. Einige waren mit Grobschrot geladen, zwei andere mit feinem Schrot.
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Durch die Schebecke ging plötzlich ein spürbarer Ruck. Das Achterschiff hing jetzt wesentlich tiefer im Wasser. „Schnell, die anderen Kanonen!“ rief Hasard. „Es hört sich so an, als sei der Bug ein Stückchen vom Sand geglitten.“ Noch zwei Kanonen wurden nach achtern gebracht. Das Achterschiff sackte noch tiefer ab. „Der Bug hat sich tatsächlich bewegt!“ rief Ferris. „Sieht so aus, als hätten wir doch noch Glück.“ Auf Hasards Wink rannten alle Seewölfe nach achtern, nachdem die beiden Kanonen ihre Position erreicht hatten. Jetzt gab es einen spürbaren Ruck. Das Achterschiff drehte sich, tief im Wasser hängend. Mit ihm schor der Bug leicht nach Backbord und damit in tieferes Wasser. „Frei“, sagte Ferris Tucker erleichtert. „Wir schwimmen wieder. Da hat das Glück noch ein bißchen mitgeholfen.“ Auf den Gesichtern der Seewölfe stand Erleichterung, als die Schebecke ganz langsam achteraus trieb. Von weitem sah sie aus, als sinke sie über den Achtersteven, so tief lag sie im Wasser. Die Sandbank war jetzt deutlicher und in ihrer ganzen Länge zu sehen. Wie ein helles Band schnitt sie durch das Wasser. „Deck! Drei Boote hinter der Landzunge!“ rief in diesem Augenblick Piet Straaten vom Ausguck. Als die Boote vom Deck aus noch nicht zu sehen waren, meldete Piet zwei weitere. „Scheint so, als wollen die was von uns“, sagte Smoky, der auf dem schräg geneigten Deck neben einer Drehbasse stand. „Gut aufpassen“, sagte der Seewolf. „Die Burschen sind mit Speeren und Bogen bewaffnet, und die haben sie nicht nur zum Fischen. Weit hinten gibt es eine tiefeingeschnittene Bucht. Dort stehen vermutlich auch ihre Pfahlbauten.“ Ben Brighton übernahm ebenfalls eine Drehbasse und schwenkte den Lauf so, daß sie zur Landzunge zeigte. In dem Augenblick flitzten zwei kleine Boote hinter der Huk hervor. Ein drittes
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folgte. Von den beiden anderen war noch nichts zu sehen. „Noch mehr, Piet?“ fragte Hasard. „Nein, Sir, insgesamt fünf Boote.“ „Das reicht auch. Als ob wir nicht schon so genug Ärger haben.“ Shane, Batuti, Higgie, Jan Ranse und Stenmark nahmen die Taue und zogen eine der Culverinen auf ihren Platz zurück. Als sie wieder mit den Brooktauen verbunden war und ihren sicheren Platz hatte, waren alle fünf Boote da. Sie hielten Kurs auf die Schebecke. Bemannt waren die Boote mit jeweils drei hellhäutigen und kleinwüchsigen Burschen. Sie hatten lange, schwarze Haare und recht grimmige Gesichter. Ein paar von ihnen wuchsen Bärte, die sie eher lächerlich erscheinen ließen. Es waren kleine, mickrige Ziegenbärte. Um die nackten Schultern hatte jeder einen Bogen hängen. Auf den Duchten lagen lange Speere. Der Kutscher hatte glimmende Luntenstöcke gebracht und stellte noch ein paar Messinggefäße mit glutender Holzkohle auf. Die Boote näherten sich bis auf eine Distanz von einer Kabellänge. Danach drehten sie in den Wind, bis die kleinen Segel killten. Alle Batak wandten die Köpfe und starrten Schiff und Mannschaft an. Sie musterten alles ausgiebig, während sie ihrerseits von den Seewölfen argwöhnisch gemustert wurden. Zwei nahmen ihre Bogen von der Schulter und riefen den anderen etwas in ihrer Sprache zu. Ein dritter griff zu seinem Speer und stellte ihn aufrecht im Boot hin. Gleichzeitig setzten sich die Boote wieder in Bewegung. „Sieht aus, als meinten sie es ernst“, sagte Don Juan. „Aber die Kerle können sich doch an zehn Fingern abzählen, daß sie gegen so eine Übermacht keine Chance haben.“ „Das berührt sie Meistens nicht“, entgegnete Hasard. „Sie sind unglaublich mutig und nehmen Verluste in Kauf. Ich möchte hier aber kein Blutbad anrichten.“
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„Wir können einen Warnschuß abfeuern“, sagte Ben, „aber die Streuung des Schrotes ist sehr hoch, und die Culverinen können wir noch nicht einsetzen.“ „Dann feuert eine Drehbasse ab und haltet hoch über die Boote.“ „Hoffentlich schreckt sie das ab. Die Kerle sehen entschlossen aus.“ Die Boote näherten sich weiter, während die Gesichter der Batak noch finsterer wurden. Ben richtete die Drehbasse aus, schwenkte sie nach oben und feuerte sie ab. Ein Eisenhagel brach aus dem Rohr, begleitet von einem langem, rötlichen Blitz und dunklem Pulverqualm. Der Knall dröhnte bei der herrschenden Stille überlaut in den Ohren. Weit hinter den Booten ratschten Bleistücke ins Wasser und wühlten es an vielen Stellen auf. „Das scheint sie zu beeindrucken“, sagte Hasard. Der Knall war noch nicht richtig verklungen, als die Boote wie von einer unsichtbaren Faust gestoppt wurden. Überhastet gingen sie hoch an den Wind. Eine der hellhäutigen Gestalten sprang voller Panik aus dem Boot. Ein zweiter unternahm Anstalten, es ebenfalls zu tun, wurde aber von den anderen zurückgehalten. Alle warfen eilig die Speere in die Boote. Augen, in denen nackte Angst lang, blickten zur Schebecke. Die Blicke gingen anschließend dahin, wo es im Wasser eingeschlagen hatte. „Sie scheinen das nicht ganz zu begreifen“, sagte Don Juan. „Fast glaube ich, daß sie noch kein Geschütz gesehen haben. Der Knall muß sie unwahrscheinlich beeindruckt haben.“ „Umso besser“, sagte Hasard. „Dann holen sie sich auch keine blutigen Köpfe. Mir ist es auf jeden Fall lieber so, als daß hier ein Gemetzel losgeht.“ Die Batak hatten von dieser Demonstration genug. Jetzt wandten sie sich mit ihren Booten zur Flucht, was Hasard erleichtert zur Kenntnis nahm.
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Carberry sah ihnen finster nach. Als sich einer von den Batak umdrehte, hob er drohend die Faust. Da zogen die Kerle das Genick ein und segelten überhastet zur Landzunge zurück, bis ein Boot nach dem anderen dahinter verschwand. „Die dürften bedient sein“, murmelte er, „und bis sie Verstärkung geholt haben, sind wir längst weg.“ Piet Straaten meldete nach einer Weile, daß die Boote in die Bucht verholt hätten. „Dann setzen wir jetzt die Segel und bringen die Geschütze wieder an ihre Plätze zurück“, sagte Hasard. Nicht lange, und alle Culverinen befanden sich wieder an ihren vorgesehenen Plätzen. Inzwischen wurden die Segel gesetzt. Langsam nahm die Schebecke Fahrt auf und manövrierte parallel zur Sandbank ins offene Wasser. Diesmal hielten sie allerdings so viel Abstand von der Insel Sumatra, daß sie nur noch als dünner Strich an der Kimm zu sehen war. 6. Dom Alfonso hatte unterdessen viel Zeit gewonnen und konnte jetzt endlich das in die Tat umsetzen, was er schon lange plante. Sie erreichten mit der Jolle Malakka und liefen in den Hafen ein. Dort begab sich Dom Alfonso in sein großes und kühles Steinhaus. Danach schickte er einen Boten zu Dom Felipe Pordegar, der in Malakka als Generalkapitän eingesetzt und gleichzeitig Dom Alfonsos Stellvertreter war. Zu de Almeira sagte er: „Sie werden mir jetzt alles an Kartenmaterial heraussuchen, was wir haben. Ich brauche die Zeichnungen der gegenüberliegenden Küste bis hinunter zur Südspitze. Das Material liegt im Keller in jenem Raum, der als Archiv dient. Wenn Sie das haben, finden Sie sich in meinem Arbeitszimmer ein.“ „Zu Befehl, Dom Alfonso.“ Der Erste, der immer noch nicht glaubte, daß die
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Engländer nach Süden segeln würden, konnte jetzt endlich wieder seinen Kratzfuß zelebrieren und tat das mit vollendeter Grandezza. Als er weg war, ließ Dom Alfonso von einem seiner Bediensteten ein Bad bereiten. Er fühlte sich beschmutzt und dreckig, und so stieg er erst mal in die Wanne mit heißem Wasser, wo er sich behaglich ausstreckte und über seinen Plan nachdachte. Im Geist legte er bereits alles in Einzelheiten fest, die er später mit dem Generalkapitän besprechen wollte. Nach dem Bad stieg er in neue schwarze Gewänder und setzte auch das schwarze Barett wieder auf. Der Diener teilte ihm mit, daß Dom Felipe bereits anwesend sei und im Arbeitszimmer auf ihn warte. Als Dom Alfonso eintrat, erhob sich ein schlank gewachsener und hagerer Mann mit finsteren Blicken und einer Geiernase. Auch er war wie Dom Alfonso in Schwarz gekleidet und hatte einen pechschwarzen Vollbart. Er schüttelte Dom Alfonso die Hand, tat aber nicht so unterwürfig wie de Almeira. „Nehmen Sie wieder Platz, Felipe. Ich habe interessante Neuigkeiten, die ich mit Ihnen durchsprechen Ein Diener brachte Rotwein und goß ihn in silberne Kelche. Die beiden Männer tranken sich zu. „Ich habe auch ein paar Neuigkeiten, Alfonso, von denen Sie nicht unbedingt begeistert sein werden.“ „Was hat sich ereignet?“ Dom Felipe saß mit gefalteten Händen im Sessel und starrte düster an seinem Gegenüber vorbei. Sein Mund war etwas verkniffen, auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Boshaftigkeit. „Ich habe einen Bericht von Kapitän Valegos vorliegen und ihn auch selbst zu der Angelegenheit gehört.“ „Ein guter Mann, dieser Valegos“, sagte de Albuquerque und streckte die Beine von .sich. „Haben Sie ihm etwas vorzuwerfen?“
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„Nein, keineswegs. Es betrifft ein fremdes Schiff, eine sogenannte Schebecke, wie sie die algerischen Piraten gern benutzen.“ „Ach ja“, sagte Dom Alfonso gespannt. „Das ist wirklich sehr interessant, mein Lieber.“ „Kennen Sie diesen Schiffstyp?“ „Leider nur allzu gut“, erwiderte Dom Alfonso aufgebracht. „Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß diese Piratenschebecke bereits in Malakka vorbeigesegelt ist?“ „Nein, wir haben nichts dergleichen bemerkt. Aber Valegos und Paco, die beiden Karavellenkapitäne, hatten Berührung mit dem Schiff und seinen Leuten, die übrigens Engländer sind. Ist Ihnen nicht gut, Alfonso?“ „Mir geht es ausgezeichnet. Ich habe mit dieser Satansbrut ebenfalls Bekanntschaft geschlossen. Aber berichten Sie weiter, Felipe.“ Dom Felipe ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Er trank einen kleinen Schluck Wein und stellte den silbernen Kelch vorsichtig auf den großen Tisch zurück. „Die beiden Kapitäne waren oben im nördlichen Teil, wo sie auf Ihre Anordnung missionarische Handlungen vornahmen. Sie haben versucht, ein paar Muslems zu christianisieren, stießen aber auf heftigen Widerstand.“ „Heidenpack, erbärmliches“, sagte Dom Alfonso verächtlich. „Man sollte sie alle in Schweinshäute nähen und aufhängen.“ „Sehr richtig, ganz meine Meinung. Sie haben mit dem Lumpenpack auch nicht lange gefackelt, doch da half dem Heidenpack ganz unerwartet diese Schebecke. Zwei Missionare ließen bei dem Kampf ihr Leben, und ein paar Soldaten kamen ebenfalls um. Die beiden Karavellen griffen die Schebecke an, mit dem Erfolg, daß eine zusammengeschossen und brennend auf eine Sandbank geriet. Valegos konnte unsere Leute noch abbergen, mußte dann aber die Flucht antreten.“ Dom Alfonso hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die Kelche zu wackeln begannen.
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„Diese Brut“, fauchte er, „diese Teufel, dieses Piratenpack!“ „Sie kennen die Engländer, Alfonso?“ „Und ob ich sie kenne! Sie haben auch meine Karavelle auf eine sehr teuflische Art zusammengeschossen. Diese Bastarde sind nämlich in der Lage, unsichtbar zu werden.“ „Unsichtbar?“ fragte Dom Felipe schluckend. „Ja, unsichtbar. Sie müssen mit dem Teufel einen Pakt geschlossen haben, denn anders ist das nicht zu erklären. Sie benutzen ein Satanszeug, das auf große Entfernung pechschwarzen Nebel erzeugt. Man selbst kann in diesem Nebel nichts mehr erkennen und ist praktisch wie blind. Das nutzen sie aus, um unsichtbar ihre Position zu wechseln und in den schwarzen Nebel hineinzufeuern.“ „Allmächtiger“, sagte Dom Felipe entsetzt. „Und das ist Ihnen passiert?“ „Mir persönlich, das muß ich leider eingestehen. Meine Leute sind gute Kämpfer, aber gegen Teufelszeug ist noch kein Kraut gewachsen. Haben Ihre Kapitäne nicht über den schwarzen Nebel berichtet?“ „Nein“, sagte Dom Felipe verwundert. „Die Engländer haben mit Culverinen und Drehbassen gefeuert. Von einem schwarzen Nebel ist mir nichts bekannt.“ „Fragen Sie de Almeira, Felipe. Er wird Ihnen das bestätigen.“ De Almeira hatte bisher noch kein Wort gesprochen. Er hockte vor dem zweiten Tisch und hatte eine Unmenge Kartenmaterial vor sich liegen, das er sorgfältig sortierte. Jetzt hob er den Blick und nickte hastig. „Ja, es war so, Dom Felipe. Vielleicht haben sie dieses Teufelszeug zum erstenmal bei uns angewendet. Wir lagen völlig hilflos in diesem entsetzlichen Nebel und wurden zusammengeschossen. Wir konnten nicht mal die Richtung bestimmen, aus der gefeuert wurde. Diese Piraten stehen mit dem Teufel im Bunde.“ „Piraten“, wiederholte Dom Felipe langsam. „Es sind englische Korsaren, ausgerüstet mit einem Kaperbrief der
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englischen Königin. Zwei meiner Leute behaupten steif und fest, sie hätten den schwarzhaarigen Riesen auf dem Achterdeck erkannt. Es soll Killigrew sein, den sie den Seewolf nennen.“ Dom Alfonso verschluckte sich fast. Sein Bart zitterte, und er sprang mit einem Satz auf. „Meinen Sie etwa den Kerl, den die Spanier El Lobo del Mar nennen und auf dessen Kopf die spanische Krone eine hohe Belohnung ausgesetzt hat?“ „Ja, genau der soll es sein“, erwiderte Felipe. Dom Alfonso nahm langsam wieder Platz. In seinem Gesicht zuckte es, während seine Augen wieder den dämonischen und zerstörerischen Blick annahmen, vor dem sich viele sofort fürchteten. „Der Seewolf und Drake haben der spanischen Krone hart zugesetzt“, sagte er leise. „Drake hat es erwischt, und wir werden jetzt alles dransetzen, um diesen wilden Wolf der Meere zu erwischen.“ „Wie wollen Sie das anstellen, Alfonso?“ fragte Felipe. „Viele andere haben das schon versucht, gelungen ist es noch nie.“ „Diesmal wird es gelingen. Er segelt durch die Straße von Malakka und muß hier vorbei.“ „Ja, er segelte nach Süden, wurde aber bisher nirgendwo gesichtet.“ „Möglicherweise“, deutete de Almeira vorsichtig an, „ist er doch nach Norden gelaufen.“ Daraufhin lachte de Albuquerque verächtlich. „Sie mit Ihrer verdammten und absolut falschen Theorie. Das ist gegen alle Vernunft. Begreifen Sie endlich, daß ein Korsar wie er sich aller Tricks bedient, die es nur gibt und von denen er eine Menge beherrscht. Das war nichts als eine List, eine grandiose Täuschung, de Almeira. Aber in Ihren Kopf geht das offenbar immer noch nicht ganz hinein.“ „Darf man Genaueres erfahren?“ erkundigte sich der Generalkapitän. „Welcher List hat er sich diesmal bedient?“
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Dom Alfonso trank mit einem Zug seinen Kelch leer und stellte ihn hart zurück. Er legte beide Unterarme mit den weiten Ärmeln auf den Tisch und starrte Felipe in das düstere Gesicht. „Wir haben die Engländer aus einer Jolle heraus beobachtet, wie sie unsere sinkende Karavelle plünderten. Das alles spielte sich inmitten von Dunkelheit ab, einmal durch die anbrechende Nacht bedingt und zum anderen von dem 'Teufelszeug herrührend, dessen Qualmwolken stundenlang über der See hingen. Die Bastarde gaben vor, uns nicht zu sehen, aber sie sahen uns genau, das ist sicher. Nachdem mein Schiff gesunken war, trödelten sie auffallend lange herum.“ „Um Sie zu verunsichern“, warf Felipe ein. „Ja, genau das. Schließlich setzten sie Segel, taten es aber so, daß wir es nur mit großer Mühe erkennen konnten. Danach gingen sie auf einen nördlichen Kurs. Und jetzt frage ich Sie, Felipe: Welche Rückschlüsse ziehen Sie daraus?“ „Dieselben wie Sie, Alfonso.“ „Aus welchem Grund?“ „Weil die Kerle vorher schon auf Südkurs waren und sich das Gefecht mit den beiden Karavellen weiter nördlich abspielte. Sie sind also weitergesegelt und stießen dann mit Ihnen zusammen.“ „Eine logische Schlußfolgerung“, lobte Dom Alfonso. „Also stand für die Korsaren von vornherein fest, daß sie ihren Kurs nach Süden fortsetzen. Alles andere war ein Täuschungsmanöver.“ „Ein Köder, den man Ihnen hinwarf und auf den Sie anbeißen sollten, Alfonso. Sie sollten Ihre eigenen und natürlich aus Sicht der Bastarde, falschen Schlüsse ziehen.“ „Ganz meiner Ansicht. Nur de Almeira teilt sie nicht. Was, glauben Sie, hat die Kerle bewogen, so zu handeln?“ „Reine Vorsicht, denn von Angst möchte ich nicht sprechen. Sie wissen, daß sie hier bei Malakka einer Übermacht gegenüberstehen, gegen die sie keine Chance haben. Ich hätte ebenso gehandelt. Taktische Vorsicht, nichts weiter, um unbehelligt durch die Straße zu segeln und die anderen in Sicherheit zu wiegen.“
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„Was sagen Sie nun, de Almeira?“ fragte Dom Alfonso. „Das sind die Gedankengänge eines Generalkapitäns.“ De Almeira war wiederum reichlich verunsichert. „Ich kann es mir nicht vorstellen, Dom Alfonso. Vermutlich ist das alles noch viel komplizierter, und man wünscht seitens der Korsaren genau diese Ansicht und Meinung von Ihnen. Ein großer Bluff sozusagen mit totalem Umdenken. Während wir hier alles in Alarmbereitschaft versetzen und unsere Kräfte auf gewisse strategische Punkte konzentrieren, sind die Engländer längst auf und davon und lachen sich eins ins Fäustchen.“ „Welchen Sinn sollte das haben?“ fragte Alfonso scharf. „Sie hätten doch absolut nichts davon, nicht den geringsten Vorteil.“ „Das ergibt auch keinen Sinn“, entgegnete Dom Felipe. „Wenn es sich wirklich um den Seewolf handelt, dann gibt er sich mit derartigen Mätzchen nicht ab. Er versucht den Durchbruch in der Hoffnung, unsere Wachsamkeit habe nachgelassen.“ De Almeira nickte kläglich. Er stand mit seiner Theorie allein auf weiter Flur und wußte nicht, was er noch vorbringen sollte. Verlegen ordnete er das Kartenmaterial. Dom Alfonso nickte zufrieden. „Das Konzept werden wir ihm gründlich verderben, diesem Bastard“, sagte er. „Doch bevor wir die Einzelheiten unseres Vorgehens besprechen, werden wir eine Kleinigkeit zu uns nehmen.“ Er griff nach dem Gong auf dem Tisch. Sein dumpfer Klang zauberte einen Bediensteten herbei, der sich tief verneigte. „Eine kalte Platte mit ein paar erlesenen Köstlichkeiten“, verlangte de Albuquerque. * Die kalte Platte war schon vorbereitet. Genau genommen waren es drei große silberne Platten, die ein paar Diener hereintrugen und schweigend auf dem Tisch absetzten. Auch der Rotwein fehlte nicht auf der Tafel.
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Auf den Platten lagen gekochte Eier, Hummerschwänze, kalter und gebratener Fisch, kaltes Huhn sowie aufgeschnittenes Fleisch. Dazu gab es scharfe Soßen. Die drei Senhores langten kräftig zu, träufelten rötliche Soße auf die Hummerschwänze und schoben sich die Stücke in den Mund. Dazwischen wurde Wein gereicht. De Albuquerques Gesicht war immer noch finster, und Dom Felipe 1 stand ihm in nichts nach. „Wie viele einsatzbereite Karavellen haben wir?“ fragte Dom Alfonso zwischen zwei Bissen. „Abzüglich der verlorengegangenen haben wir sieben Karavellen zur Verfügung, die sofort einsatzbereit sind.“ „Was können wir noch aufbieten?“ „Mehr als ein Dutzend mittlere und kleinere Schaluppen, zwei größere Balors, neun Piahiaps und zwei Caracoras, die letzten zusätzlich ruderbar.“ „Die stehen alle zur Verfügung –auch die Balors?“ „Die Balors liegen ganz hinten im Hafen. Es sind jene Seeräuberschiffe, die wir den Piraten von den Molukken abgenommen haben. Schnelle, wendige Schiffe, gut bewaffnet.“ „Ich weiß. Wir werden sie alle einsetzen.“ „Alle, Alfonso? Wo bleibt da die Hafendeckung?“ „Wir setzen sie so gezielt ein, daß der Hafen trotzdem geschützt bleibt. Die Schiffe werden gestaffelt. Ich will diese Engländer haben, tot oder lebendig, aber ich will sie haben. Sie stellen für uns nicht nur eine Bedrohung dar, sie gefährden auch unseren Handel.“ „Ein paar Schiffe haben sie schön versenkt, und ein paar Männer ebenfalls getötet. Wir sollten diese Brut wahrhaftig abfangen und vernichten.“ „Ihre teuflischen Seelen werden auf dem Scheiterhaufen brennen“, versicherte Dom Alfonso düster. „Wann rechnen Sie damit, daß sie hier sind?“ fragte Felipe. „Schon sehr bald werden sie hier sein. Sie sind zwar eine ganze Strecke nach Norden
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gesegelt, aber sicher nicht sehr lange. Viel Zeit haben wir nicht mehr zu verlieren.“ Das Essen wurde beendet, und sie wuschen sich in kleinen Silberschüsseln die Finger. De Almeira hatte inzwischen die wichtigsten und auch besten Karten an die Wand gehängt. „Das sind die größten Karten, die wir haben, Dom Alfonso. Sie sind sehr genau und verläßlich und reichen bis zur Südspitze hinunter.“ Albuquerque und der Generalkapitän traten gemeinsam zu den in Kopfhöhe angebrachten Karten. „Versetzen Sie sich mal in die Lage dieses Engländers Killigrew“, sagte Dom Alfonso. „Und dann erklären Sie mir bitte, welchen Kurs Sie segeln würden.“ Auf dem Gesicht des Generalkapitäns erschien die Andeutung eines Lächelns. Aber es war ein bloßes Verziehen seiner Lippen, die hinter dem pechschwarzen Bart kaum zu erkennen waren. Er kannte diese Ecke der Welt besser als jede andere. Er kannte die mehr als vierhundertfünfzig Meilen lange Straße von Malakka bis tief hinunter zur Südspitze, und so brauchte er auch nicht lange zu überlegen. „Ich setze voraus, daß er ebenfalls gutes Kartenmaterial an Bord hat, Alfonso, oder daß er sich zumindest hier gut auskennt. Er wird in jedem Fall an der östlichen Küste entlangsegeln, also auf der sumatraischen Seite.“ „Die Angabe ist mir noch etwas zu dürftig, Felipe. Gerade gegenüber von Malakka hat die Straße ihren engen Punkt, denn drüben befinden sich die vorgelagerten Inseln. Segelt er außen an der Insel Rupat vorbei, dann nähert er sich unserem Hafen bis auf eine kurze Distanz.“ „An seiner Stelle würde ich den Weg zwischen Rupat und Sumatra wählen und weiter an Bengkalis vorbeisegeln, wo er tiefer südlich im Inselgewirr untertauchen kann, ohne daß wir ihn möglicherweise auch nur zu sehen kriegen.“ „Genau meine Theorie. Und da werden wir ihm eine sichtbare und zwei unsichtbare Fallen aufbauen.“
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„Wir setzen bei dieser Theorie allerdings voraus, daß er sich einigermaßen gut auskennt.“ „Selbst wenn er sich nicht gut auskennt, nimmt er diesen Weg, mein lieber Felipe. Er wird sehen, daß es da einen breiten Schlauch gibt, der an einer Insel vorbeiführt. Das wird ihm seine Entscheidung sehr schnell erleichtern.“ „Er könnte auch nachts gerade hier vorbeisegeln und so gut wie nichts sehen“, wandte der Generalkapitän ein. Sie gingen immer alle Möglichkeiten durch, wobei einer den Gegner und der andere die eigene Seite darstellte. Das taten .sie solange, bis sie sich in allen Punkten einig waren. „Wir haben Halbmond und fast wolkenlosen Himmel“, sagte Dom Alfonso, „also hat er auch einwandfreie Sicht.“ „Akzeptiert. Dann bauen wir jetzt die Falle auf.“ Da Malakka eine blühende Handelsstadt war und auch öfter von Piraten oder anderem Gesindel heimgesucht wurde, hatte de Albuquerque immer alle Möglichkeiten einer Verteidigung in Betracht gezogen. Mit Hilfe der Karten und kleiner flacher Holzstücke, die Schiffe darstellten, exerzierte er alles durch. Zunächst nahm er ein paar Holzstücke, die er gestaffelt auf die Karte steckte. „Das sind die Balors und ihre Begleitschiffe, die Piahiaps“, erläuterte er. „Zusätzlich werden hier die beiden Caracoras eingesetzt sowie ein paar kleinere Schaluppen. Sie alle bilden gestaffelt eine langgezogene Kette, die bis dicht vor den Hafen reicht. Sollte er wagen, am Hafen vorbeizusegeln, wird ihn alles unter Feuer nehmen, was wir in unserem Aufgebot haben. Aber er wird diese Falle sehr schnell erkennen – das traue ich ihm zu – und sofort abdrehen. Wobei wir dann wieder bei den Inseln Rupat und Bengkalis wären.“ Felipe nickte, während ein bösartiges Lächeln seine Züge zerknitterte. „Und da setzen wir die Karavellen ein“, sagte er.
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„Und ein paar Schaluppen. Die Karavellen werden wir hier oben in der Bucht verstecken, und zwar drei Stück. Vier weitere werden südöstlich eingesetzt, wo sie auf der Lauer liegen. Ich stelle mir vor, daß die Engländer bei Sichtung der Balors sofort abdrehen, falls sie es nicht schon vorher tun. Dadurch laufen sie unwissend in die erste Falle und werden von den drei Karavellen angegriffen. Diese Karavellen werden ihnen von achtern auflaufen. Schlußfolgerung, Felipe?“ Dom Felipe fuhr mit der Hand vorsichtig über die Karte, wo bereits die Lage der anderen Karavellen markiert war. „Die Engländer 'werden sich eins grinsen, weil sie glauben, sehr gerissen zu sein. Den drei Verfolgern werden sie vorübergehend entwischen, nicht wissend, daß vier weitere Karavellen sie weiter südlich erwarten. Fazit: Wir haben sie in einem Zangengriff, aus dem es kein Entweichen mehr gibt. Sie werden also von zwei Seiten unter Feuer genommen.“ Dom Alfons nickte zufrieden. „Genauso werden wir es halten. Ich möchte die Kerle natürlich möglichst lebend haben, um in Malakka einen großen Schauprozeß durchführen zu können. Sollte das nicht möglich sein, sind sie mir auch tot noch ganz recht. Weisen Sie Ihre Kapitäne aber diesbezüglich an. Ich setze eine extra hohe Belohnung für die Mannschaft aus, die mir diesen Seewolf lebend bringt.“ „Dann werde ich jetzt den Hafenkommandenten unterrichten und die Kapitäne der einzelnen Schiffe einweisen“, sagte Felipe. „Was werden Sie in der Zwischenzeit tun, Alfonso?“ „Mitgehen natürlich. Ich werde mich auch an Bord einer Karavelle begeben, die drüben auf der Lauer liegen wird. Den Spaß lasse ich mir nicht entgehen. Ich will sie gedemütigt und bettelnd auf den Planken liegen sehen, diese Hundesöhne, die mein Schiff versenkt und noch mehr Schaden angerichtet haben. Sie sollen um ihr Leben flehen, doch sie werden den Tag ihrer Geburt lauthals verfluchen.“
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Dom Alfonso wandte sich an den Ersten Offizier. „Sie begleiten mich, de Almeira. Haben Sie sich alles gut eingeprägt, was inzwischen besprochen wurde?“ „Ich habe mir alles genau gemerkt, Dom Alfonso“, sagte der Erste und verneigte sich abermals. „Dann gehen wir jetzt, die Zeit drängt.“ Als sie das Steinhaus verließen, empfing sie drückende Wärme. Nur ein ganz schwacher Wind wehte vom Wasser herüber, aber er brachte keine Kühlung, er wirbelte nur die warme Luft durcheinander. Die drei Männer schritten zügig aus. 7. Ihr Weg zum Hafen führte sie über den großen und mit Palmen bestandenen Marktplatz. Sonst herrschte hier immer buntes Treiben, wenn der Markt geöffnet war und sich schreiende Händler und Kunden um die Stände und kleinen Straßenküchen drängten. Zu dieser Stunde aber war der Markt bereits geschlossen, die Händler hatten ihr Zeug längst abgeräumt. Der malerische Markt diente jetzt einem anderen Zweck. An dem etwas künstlich erhöhten oberen Teil des Marktes war ein Scheiterhaufen errichtet worden. Inmitten des aufgehäuften Holzstoßes waren zwei Männer an einen dicken Pfahl gefesselt und wanden sich in ihrer Angst. Ein paar andere Kerle, Portugiesen in Uniformen, bewachten sie und schritten vor dem Scheiterhaufen auf und ab. „Was sind das für Kerle?“ fragte Dom Alfonso. „Es sind Malaien, zwei rüde Burschen, die von uns in einem Fischerdorf aufgegriffen wurden, Alfonso.“ „Was haben sie verbrochen?“ „Man wirft ihnen Ketzerei vor, Gottesleugnung und noch einige andere Dinge. Sie lassen sich nicht bekehren und verbreiten auch weiterhin ihre Irrlehre.“
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„Muslims?“ „Ja, sie geben vor, welche zu sein.“ „Hat man sie der Folter unterzogen?“ „Ja, wie üblich.“ Dom Alfonso trat näher an die beiden gefesselten Männer heran. In seinem Gesicht lag jetzt ein Zug tiefer Verachtung, und er zeigte genau das Gesicht, das viele nur zu gut kannten. Eine bösartige, dämonische Fratze, die kein Mitleid oder Erbarmen kannte. Die Wachsoldaten salutierten stramm. Sie blieben in dieser Haltung stehen, bis Dom Alfonso abwinkte. Die beiden Malaien blickten haßerfüllt zurück. Sie trugen deutlich sichtbar die Zeichen der Folter. Ihre nackten Oberkörper waren zerschunden und zerschlagen. Ihre Gesichter wiesen blaue und braune Flecken auf, dem einen war das rechte Auge zugeschwollen und das Gesicht von Schlägen entstellt. Dom Alfonso betrachtete sie mitleidlos. Er beherrschte ihre Sprache ein wenig, aber er redete sie nicht an. Nur sein dämonischer Blick lag auf ihnen. „Sie haben keine Reue gezeigt?“ vergewisserte er sich „Nein, Dom Alfonso. Sie haben die Richter beleidigt. Es sind Häretiker der übelsten Sorte, wie auch das ehrenwerte Gericht befand.“ „Wann soll das Urteil vollstreckt werden?“ „Morgen mittag, Dom Alfonso.“ Der Blick des despotischen Mannes wanderte noch einmal zwischen den beiden Gefangenen hin und her. „Bekennt euch zum Christentum, ihr heidnischen Bastarde“, herrschte er die beiden an. Er erntete nur verächtliche Ablehnung. „Söhne von Schweinen“, sagte er wutbebend und grinste, als die beiden zusammenzuckten. „Morgen mittag?“ vergewisserte er sich noch einmal bei einem der Wachsoldaten. „Ja, verehrter Dom Alfonso.“ „Dann befehle ich hiermit, daß ihr den Scheiterhaufen sofort anzündet und nicht zögert. Jetzt, auf der Stelle. Ich bin die oberste Gerichtsbarkeit in Malakka.“
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Die Kerle nahmen Haltung an. Dom Alfonso konnte sich ohne weiteres über alles hinwegsetzen, und wenn er befahl, dann hatten die anderen zu gehorchen, oder es ging ihnen selbst an den Kragen. Einer der Männer nahm eilfertig die Öllampe, die auf dem Boden stand, schüttete etwas Öl auf das Reisig und über die größeren Holzscheite und hielt den brennenden Docht daran. Augenblicklich flackerte es auf. „Mögen eure erbärmlichen Seelen im Fegefeuer geläutert und wieder rein werden“, sagte Dom Alfonso. Er sah die Gestalten nur noch durch eine auflodernde Feuerwand. Rauch hüllte sie gespenstisch ein, und aus dem -Vorhang aus Rauch und Feuer glaubte er ihr Schreien zu hören. Es konnte aber auch das Knistern der Holzscheite sein. „Weiter, zum Hafen“, drängte Dom Alfonso. Hinter ihnen brannte es jetzt in heller Glut, doch keiner der drei Männer -. drehte sich um. Ihr Weg führte sie direkt vom Marktplatz weg zum Haus des Hafenkommandanten. Der Hafenmensch trug ebenfalls einen Bart, weil Dom Alfonso und Dom Felipe einen trugen. Er war vollmondgesichtig und hatte abstehende Ohren. Er war bullig und untersetzt und auch ein wenig tückisch. Aber der Hafen war sauber und in Ordnung. Dom Alfonso wußte, daß er sich auf Augusto verlassen konnte. „Läute deine Glocke, Augusto“, sagte Albuquerque. „Die Kapitäne unserer Schiffe sollen sich augenblicklich in der Hafenmeisterei versammeln. Das gilt auch für die Schaluppenführer. Aber du kennst das Signal ja zur Genüge.“ „Zu Diensten, Dom Alfonso“, schnarrte der Hafenmensch und salutierte, doch das sah eher lächerlich bei seiner Figur aus. Diensteifrig rannte er zu der großen Messingglocke vor dem Hafengebäude und bimmelte los. Das Signal war auch dem letzten Muschelfischer bekannt. Wenn diese Glocke bimmelte, dann war Gefahr im
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Verzug, und jeder hatte sich augenblicklich einzufinden. Bestimmte rhythmische Schläge galten den Kapitänen von größeren Schiffen wie Karavellen, andere Schläge galten den kleinen Typen. Aber vorsichtshalber eilten auch gleich die Fischer herbei, die meistens wieder weggeschickt wurden. Der Ton der Glocke war noch nicht ganz verhallt, als es im Hafen auch schon lebendig wurde. Von überall flitzten Kerle über die Stelling und hasteten zur Hafenmeisterei. Innerhalb weniger Minuten hatten sich mehr als zwanzig Mann eingefunden. Die meisten blickten zum fernen Marktplatz hinüber, wo ein Feuer hell aufloderte. „Das hat nichts zu bedeuten“, erklärte der Generalkapitän, als er die fragenden Blicke sah. „Nur zwei Ketzer, deren Seelen geläutert werden. Es geht um etwas ganz anderes, das der ehrenwerte Dom Alfonso euch erklären wird.“ Dom Alfonso ließ die Karte von de Almeira auspacken. Er und der Hafenkommandant mußten sie hochhalten, damit er den Kapitänen die Lage erklären konnte. Schon bei seinen ersten Worten wurde leises Gemurmel laut. Die Männer waren plötzlich hellwach. Es dauerte auch nicht lange, dann hatte jeder begriffen, um was es ging. Von jetzt an lief alles wie am Schnürchen. Dom Alfonso ging an Bord einer Karavelle, die vorläufig zum Flaggschiff bestimmt wurde. Er nahm Dom Felipe Pordegar mit, um einen ausgefuchsten Strategen und Taktiker an seiner Seite zu haben. Wenig später lief schon die erste Balor aus, gefolgt von den kleinen Piahiaps und den Schaluppen. Für einen Uneingeweihten sah es so aus, als stünde eine Seeschlacht größeren Ausmaßes bevor, oder eine Armada sei im Anmarsch, um die Stadt Malakka einzunehmen.
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Dabei galt der ganze Feldzug einer verhältnismäßig kleinen Schebecke, die nur zwölf Culverinen an Bord hatte. Allerdings waren die Kerle, die diese Culverinen bedienten, aus gehärtetem Eisen, und dem war nicht so leicht beizukommen. * Die Schebecke lief wieder gute Fahrt. Tückische Sandbänke entdeckten die Seewölfe nur noch einmal an Steuerbord, aber so rechtzeitig, daß sie in einem gemütlichen Schlag ausweichen konnten. Eingeborene ließen sich ebenfalls nicht mehr sehen. Vielleicht aber war der ferne Küstenstrich unbesiedelt. An Deck waren die Karten ausgebreitet, die Hasard und Dan mittlerweile bereits auswendig kannten. Weit vor ihnen trat das Land jetzt hervor. Es schien, als segelten sie in eine riesige Bucht. Vor der Landmasse, die flach und eben war, waren winzige Inseln zu erkennen. „Einen Strich Backbord“, sagte der Seewolf zum Rudergänger. Diesmal war es wieder Pete Ballie, der sich als Gefechtsrudergänger immer besonders hervorgetan hatte. „Du kannst genau auf die kleine Insel zuhalten; Pete. Wir lassen sie an Steuerbord liegen. Später müßte dann die Insel auftauchen, die auf der Karte als Rupat angegeben ist.“ „Aye, Sir, einen Strich Backbord. Kurs auf die Insel“, wiederholte Pete Ballie und meldete dann, daß der Kurs anlag, als der Bug langsam nach Backbord wanderte. „Ein paar Stunden sind noch bis dahin“, sagte' Dan O'Flynn. „Da stellt sich dann allerdings die Frage, wie wir die Insel Rupat umsegeln. Wir stehen dann nämlich fast genau auf der Höhe der Stadt Malakka.“ Er stutzte, als er den Seewolf verwegen grinsen sah. „Die können uns von Malakka aus nicht sehen, Dan. Dafür ist die Straße nun doch zu breit. Außerdem ist noch gar nicht
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gesagt, daß Albuquerque schon etwas unternommen hat. Vielleicht leckt er erst noch seine Wunden.“ „Der fackelt nicht lange“, versicherte Dan. „Der unternimmt alles, um seine Niederlage zu rächen. Schließlich hat er durch uns schon zwei Schiffe verloren und sich eine Menge Ärger eingehandelt.“ „Das ist richtig. Als vorsichtiger Mensch rechne ich auch damit, daß er etwas unternimmt. Und da er ein Schlitzohr ist, wird er annehmen, daß wir Malakka auf der gegenüberliegenden Seite passieren, um nicht gesehen zu werden. Dort ist die Straße so eng, daß er ganz bequem eine Falle aufbauen kann.“ „Und weil wir das annehmen, segeln wir frech an Malakka vorbei, womit wiederum er nicht rechnet“, sagte Dan. „Das wäre die einfachste Lösung. Vielleicht denkt er aber auch genau das gleiche wie wir, und dann geht die Rechnung nicht mehr auf.“ „Und welchen Kurs wollen wir wirklich segeln?“ „Sagte ich doch schon. Wir lassen Rupat an Steuerbord liegen. Die Straße ist trotz der Insel immer noch so breit, daß er schon etliche Schiffe aufbieten muß, um uns zu entdecken.“ „Ein wunderbares Verwirrspiel“, gab Dan zu. „Jeder versucht, sich in die Lage des anderen hineinzudenken, und da wird es immer komplizierter, weil sich die Gedankengänge gegenseitig aufheben.“ Er hörte Don Juan leise lachen und drehte sich um. Der Spanier deutete zur östlichen Seite hinüber. „Man könnte dieses Verwirrspiel natürlich noch fortsetzen, immer vorausgesetzt, Dom Alfonso ist hier schon eingetroffen.“ „Und wie, bitte?“ „Es gibt eine Möglichkeit, mit der er ganz sicher nicht rechnet. Wir segeln direkt unter Land an der Stadt vorbei, so dicht am Hafen, daß wir alles mit bloßem Auge erkennen können.” „In die Höhle des Löwen also?“ „So kann man es nennen.“ „Mit der Möglichkeit rechnet er wahrscheinlich nicht“, sagte der Seewolf.
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„Es sei denn, er denkt genauso quer wie wir. Aber wer weiß das schon!“ Sie blieben vorerst auf dem Kurs, der sie zu der unbekannten Insel führte. Es war ein vorgelagertes Eiland, das sogar bewohnt war. Eine einzige Hütte stand auf der Insel, hoch auf den Strand war ein kleines Fischerboot gezogen. Die Insel war wieder einer jener für diese Gegend typischen „Bienenkörbe“. Ein Felsen wuchs gleichmäßig wie ein Bienenkorb aus dem Meer, und dem Felsen schloß sich eine flache Landzunge an, auf der ein paar Palmen und die einsame Hütte stand. Der Felsen war dicht mit kurzer Vegetation bewachsen. Den Fischer, der auf diesem Inselchen hauste, sahen sie allerdings nicht. Offenbar hatte er sich versteckt, als er das Nahen der Schebecke bemerkte. Es war immer das gleiche. Die Leute hatten Angst vor den Portugiesen, eine hündische Angst, denn sie hatten überall ihre grausamen Spuren hinterlassen. Mit Sicherheit hatten sie auch diesem Eiland schon einen Besuch abgestattet. Am Nachmittag tauchten weitere kleine Inseln auf. Manche wuchsen wie spitze Nadeln aus dem Meer, andere ähnelten in ihrer Form wieder den Bienenkörben. An Steuerbord war alles flach. Es gab endlos lange Strände und dahinter Wald, der kein Ende zu nehmen schien. An der Kimm tauchte jetzt genau voraus wieder Land auf. Die Arwenacks bewaffneten sich mit Spektiven, denn jetzt lag die gefährlichste Stelle vor ihnen, wenn de Albuquerque tatsächlich etwas unternommen hatte. „Das muß die Insel Rupat sein“, sagte Hasard. Er reichte das Spektiv an Dan weiter, weil der schärfere Augen als die anderen hatte. „Den Karten nach muß sie es sein“, erwiderte Dan nach einem kurzen Blick. „Andere Inseln von dieser Größe sind jedenfalls nicht eingezeichnet.“ „Dann müssen wir uns jetzt entscheiden“, sagte Ben Brighton. „Entweder segeln wir in die Höhle des Löwen, wie Juan vorhin
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gesagt hat, oder wir nehmen den Schleichweg.“ „Wir nehmen die dritte Möglichkeit“, sagte Hasard. „Wenn, dann lauern sie in dem schmalen Fahrwasser. Also segeln wir scharf an Rupat vorbei und bleiben auf südsüdöstlichem Kurs, bis wir auf die Insel Bengkalis stoßen. Haben wir die erst mal erreicht, kann uns der ehrenwerte Senhor gestohlen bleiben. Er sieht dann bestenfalls noch aus weiter Ferne unser Kielwasser.“ Es kam jedoch alles ganz anders, als sie sich vorgestellt hatten, und damit begann erst das eigentliche Verwirrspiel. Die Insel war jetzt gut zu erkennen. Die andere Seite mit der Stadt Malakka sahen sie nicht. Über dem Meer hing auch dicht unter der Kimm feiner Dunst wie ein zartes Nebelgespinst. „Darf ich dich ausnahmsweise mal bitten, den Ausguck zu übernehmen, Dan?“ fragte der Seewolf. „Von deinen scharfen Augen wird jetzt eine Menge abhängen.“ „Stets zu Diensten, Sir. Aber ich muß dazu nicht unbedingt in die Tonne. Ich sehe vom erhöhten Teil des Achterdecks genauso gut und einwandfrei.“ „Einverstanden. Du nimmst das beste Spektiv, das wir an Bord haben.“ Dan bezog seine Position so auf dem Achterdeck, daß er an den Segeln vorbei einen einwandfreien Blick voraus hatte. Ganz unmerklich schwang jetzt der Bug des Schiffes weiter herum, zeigte erst auf die Insel Rupat und wanderte dann weiter. Jetzt lag fast genau Südostkurs an, während der Wind achterlich einfiel und sanft aus Nordwesten wehte. „Feiner Schiebewind“, sagte der Profos, sah Mac Pellew grinsend an, der an Deck stand, und hob prüfend den Daumen. Als Mac nicht reagierte, feuchtete Carberry den Daumen an und grinste noch stärker. Mac tippte bloß mit dem Finger an die Stirn und gab keine Antwort. „Ab jetzt besteht erhöhte Gefechtsbereitschaft“, sagte der Seewolf. „Jeder geht auf seine Station. Bringt die Holzkohlenbecken an Deck und richtet die Luntenstöcke.“ „Alle Culverinen und Drehbassen geladen, Sir“, meldete der Stückmeister Al Conroy.
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„Grobschrot in den Drehbassen, in zwei Geschützen Kettenkugeln, in den anderen Eisenkugeln.“ „Gut so. Bringt auch das Abschußgestell für die Brandsätze an Deck, holt Flaschenbomben und Raucherzeuger. Vielleicht werden wir sie noch brauchen.“ Batuti und Shane nickten sich zu, grinsten hart und gingen nach unten in die Waffenkammer, wo sie ihre überlangen Bogen holten und sich mit Brand- und Pulverpfeilen versorgten, die sie in die Köcher schoben. So bewaffnet, kehrten sie wieder an Deck zurück und nahmen ebenfalls ihre Positionen ein. Der achterliche Wind brachte sie rasch vorwärts, bis sie auf der Insel die ersten Palmenhaine erkennen konnten. Hütten waren nicht zu sehen. Die große Insel lag wie ausgestorben da. Auf dem Achterdeck stand Dan O'Flynn wie eine Statue, fest und unverrückbar, das Spektiv vor dem Auge. Ausnahmslos alle Blicke waren nach vorn gerichtet. Der Moses Clint brachte glühende Holzkohle in Messingbecken an Deck und sorgte zusammen mit den Zwillingen Hasard und Philip auch für den Pulvernachschub. Das blonde Bürschchen bewegte sich dabei wie ein Wiesel, war mal hier, mal dort und tauchte an manchen Orten scheinbar zur selben Zeit auf. Auf der englischen Galeone unter den hochnäsigen Lords war er als Pulveraffe gefahren, und ein herrischer Stückmeister hatte ihm alles eingebleut, was man wissen mußte. Die Feinheiten hatte er dann ziemlich rasch bei den Arwenacks gelernt. Es war jetzt später Nachmittag. In etwa drei Stunden würde die Sonne untergehen. Noch aber war es warm, fast schwül, die Sonne stand wie ein etwas trüber glosender Ball am Himmel. An der Kimm zog bereits leichter Dunst auf. Hasard blickte scharf nach vorn, aber er konnte nichts erkennen. „Schon etwas bemerkt?“ fragte er Dan.
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„Nein, noch nichts, Sir. Scheint so, als würden die Kerle doch zwischen Insel und Festland auf der Lauer liegen.“ Im Ausguck standen jetzt zusätzlich noch die beiden Holländer Jan Ranse und Piet Straaten. Auch sie suchten zusätzlich mit dem Kieker unablässig die See ab. Nach etlichen endlos scheinenden Minuten setzte Dan das Spektiv ab und rieb sich über das rechte Auge. „Dort vorn ist etwas“, sagte er heiser. 8. Hasard blickte mit angehaltenem Atem durch das Spektiv. „Tatsächlich. Dort sind ganz fein wie Spinnweben ein paar Masten zu erkennen.“ „Mindestens sechs bis acht Schiffe“, sagte Dan. Die beiden Ausgucks stimmten zu. Auch sie erkannten die typischen Merkmale weit entfernt segelnder Schiffe. „Wir bleiben vorerst noch auf Kurs“, sagte der Seewolf. „Und zwar so lange, bis wir endgültig Gewißheit haben.“ Eine knappe halbe Stunde verging, bis sie die Gewißheit hatten und Einzelheiten erkennen konnten. Weit voraus kreuzten fast ein Dutzend verschiedener Schiffstypen. Sie lagen gestaffelt und bildeten einen spitzen Winkel, der auf die Küste von Malakka wies. Der Seewolf lachte freudlos auf. „Der gute Senhor Albuquerque. Er hat die Küste zu seinem unterjochten Herrschaftsbereich abgeriegelt. Eigentlich hätte ich ihn für etwas schlauer gehalten. Was sind das für Schiffe, Dan? Ich meine jetzt die beiden ersten.“ „Molukkische Piratenschiffe“, sagte Dan. „Balors werden sie genannt. In ihrer Nähe befinden sich zahlreiche kleine Piahiaps, ebenfalls Seeräuberboote, die den Balors auf ihren Raubzügen folgen und dicht unter der Küste operieren können.“ „Richtig“, sagte Hasard. „Wir haben ihre Bekanntschaft schon einmal in der Sundasee geschlossen. Ja, es sind tatsächlich Balors mit ihren Begleitschiffen. Aber sie werden ganz
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sicher von Portugiesen gesegelt und nicht von Eingeborenen.“ „Das ist stark anzunehmen. Kursänderung, Sir?“ „Noch nicht. Noch haben wir Zeit genug, um auszuweichen.“ Hasard betrachtete angelegentlich die gestaffelte Formation unterschiedlicher Schiffe. „Karavellen sind nicht zu erkennen. Nur die beiden Balors, ihre Begleitschiffe, ein paar Schaluppen und größere Jollen. Das finde ich allerdings ziemlich merkwürdig.“ Don Juan trat einen Schritt vor und zeigte zu den Balors. „Die sind noch schneller als Karavellen, und sie sind auch ausnehmend gut bestückt. Wenn wir da durchbrechen, geraten wir in konzentriertes Feuer von allen Seiten. Sie werden den Ring zusammenziehen, sobald wir nahe genug heran sind.“ „Warum haben sie keine einzige Karavelle aufgeboten? Das ist es, was mich irritiert.“ „Wir haben ihnen zwei zusammengeschossen, Sir“, erinnerte der Spanier. „Ein paar sind vielleicht irgendwo unterwegs und im Augenblick nicht erreichbar. Sie können Patrouillenfahrten unternehmen, wie wir das auf dem karibischen Stützpunkt tun.“ „Ein Mann wie Dom Alfonso hat immer Karavellen in Reserve“, widersprach Hasard. „Bei einem so riesigen Hafen wie Malakka wäre es Leichtsinn, ihn nicht genügend zu sichern. Aber die Möglichkeit besteht immerhin.“ Sie waren von der Gegenseite längst gesichtet worden, das bewiesen die Manöver, die jetzt ausgeführt wurden. Eine Balor ging abwartend in den Wind und nahm Fahrt weg. Ein paar andere Boote schlossen sich dem Manöver an. Hasard spürte, wie es unter seiner Kopfhaut zu prickeln begann. Es war ein Gefühl, das er sich bis heute nicht erklären konnte. Aber dieses Gefühl löste in ihm höchste Alarmbereitschaft aus und ließ ihn überaus mißtrauisch werden. „Eigentlich habe ich Dom Alfonso doch mehr zugetraut“, sagte er halblaut. „Er
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wird doch nicht annehmen, daß wir dort durchbrechen? Ich glaube, unsere schönen Theorien werden hinfällig, und alles, was wir uns ausgedacht haben, stimmt vorn und achtern nicht.“ „Wir laufen in eine Zange“, warnte Ben Brighton. „Die Balors legen sich so hin, daß wir zwischen ihnen hindurchsegeln müssen, die kleineren Schiffe rahmen sie buchstäblich ein. Sie werden wie wilde Köter zuschnappen.“ Zwei Minuten lang gab Hasard keine Antwort. Er blickte nur stumm zu der Phalanx der kleinen und großen Schiffe. Dann wandte er den Blick und sah zur Inselküste hinüber. „Kurswechsel!“ befahl er. „Es kostet mich eine verdammte Überwindung, aber wir segeln zwischen Insel und Festland hindurch. Gefechtsbereitschaft bleibt unverändert bestehen.“ Als der Kurs geändert wurde, schien man drüben die Absicht der Engländer sofort zu ahnen. Die erste Balor fiel ab und folgte der Schebecke, drei kleinere Piratenboote folgten sofort, und ein paar Augenblicke später ging auch die zweite Balor auf den neuen Kurs. Die Entfernung betrug allerdings anderthalb Meilen. Es bestand aber kein Zweifel daran, daß sie jetzt die Verfolgung aufnahmen. „Zu spät“, sagte Carberry lachend, hieb Smoky auf die Schulter und rieb sich die Hände. „Bis die Kerlchen richtig Fahrt drauf haben, sind wir längst verschwunden. Da wird der gute Dom Alfonso aber einen kleinen Tobsuchtsanf all kriegen.“ „Den gönne ich ihm und seinen Kerlen“, erwiderte Smoky. „Die Kerle haben sich selbst in eine ungünstige Lage manövriert. Jetzt können sie in unserem Kielwasser Frösche fangen.“ An Bord ging das große Grinsen um. Sie freuten sich darüber, daß sie Dom Alfonso nicht auf den Leim gekrochen waren. Aber sie freuten sich etwas zu früh, denn der alte Fuchs lag hämisch grinsend auf der Lauer.
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Dom Alfonso empfing das Signal von einem kleinen Berg, auf dem zwei Beobachter saßen. Von hier aus hatten sie einen guten und weiten Blick über die See. Das kurze Blinksignal mit einem Spiegel sagte Dom Alfonso alles. Er hatte die Karavellen bestens placiert und lag selbst mit seinem Flaggschiff und zwei weiteren Karavellen hinter einer größeren Landzunge. Die vier anderen Karavellen befanden sich tiefer im Süden und wurden von einem hervorragenden Kapitän geführt, der genau wußte, auf was es Dom Alfonso ankam. Albuquerque hatte ganz bewußt diese nördlichere Position gewählt, die den Engländern die erste Überraschung bereiten sollte. Er wollte daran teilhaben, wenn die Engländer nach Süden abliefen und dann in die Zange gerieten. „Sie sind drauf reingefallen, Felipe“, sagte er, und auf seinem bärtigen Gesicht erschien für Augenblicke ein teuflisches Grinsen. Die dunklen Augen blickten jetzt fanatisch. „Genauso habe ich es mir vorgestellt.“ „Ein Triumph für uns, Alfonso, den wir voll auskosten werden.“ Dom Alfonso blickte in das dichte Grün der großen Landzunge, wo ebenfalls zwei weitere Beobachter postiert waren. Für die Engländer waren diese Beobachter absolut unsichtbar, auch von den Karavellen konnten sie nichts bemerken. Wenn sie die Segel sahen, war es längst zu spät. Der große Mann mit dem dichten Bart begann vor Erwartung zu zittern, ein Gefühl, das er sonst kaum kannte, das sich nur dann einstellte, wenn er einen Gegner bezwang, der auf seine Schläue und List hereingefallen war. „Wir lassen sie also vorbei“, faßte Felipe noch einmal zusammen. „Eröffnen aber gleich das Feuer, nachdem sie die Landzunge passiert haben. Anschießend folgen wir ihnen so, daß sie glauben, wir können sie nicht mehr einholen.“ „So ist es vorgesehen. Sollten sie jetzt schon einen Treffer einstecken, so kann
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das nur von Vorteil für uns sein. Die eigentliche Überraschung steht ihnen erst später bevor. Zu dem Zeitpunkt sind wir ihnen aber bereits aufgesegelt.“ „Sie müßten also in etwa einer halben Stunde hier sein.“ „In etwa. Sobald die Männer das vereinbarte Zeichen geben, segeln wir aus dem Versteck und eröffnen das Feuer.“ Die Zeit, die ihnen noch blieb, nutzten Alfonso und Felipe, um alles erneut durchzugehen und zu kontrollieren. Selbst die Kanonen wurden noch einmal genau überprüft und' die Mannschaften angepfiffen, ja keinen Fehler zu begehen. Ungeduldig warteten sie. Die Zeit verstrich gerade jetzt sehr langsam, und noch immer war das vereinbarte Signal nicht gegeben worden. „Sie müssen gleich hier sein“, sagte Alfonso wütend. „Das Signal besagte, daß sich die Balors in Bewegung gesetzt haben, wobei ihnen die anderen Schiffe folgten. Daraufhin hat die Schebecke den Kurs gewechselt und kann keinen anderen Weg nehmen als diesen, weil es keinen anderen gibt. Sie treiben sie vor sich her wie Hasen.“ „Sie werden gleich da sein“, sagte Felipe ruhig. Jetzt, als die Spannung am größten war, wurde er eiskalt und ruhig. Schließlich war es soweit. Dom Alfonso zuckte zusammen, als das Signal sie erreichte. Sein Gesicht wirkte jetzt sehr entspannt, nur das fanatische Leuchten in seinen Augen verstärkte sich noch mehr. Er gab den Befehl, aus der Bucht hervorzuschießen, an die Kapitäne. Das war auch der Augenblick, in dem die Segel der Schebecke auftauchten. „Sofort feuern!“ rief er. Die Kanoniere lauerten hinter ihren Geschützen. * „Dieser verdammte Schlauch gefällt mir nicht“, sagte Hasard mißtrauisch und immer wieder nach allen Seiten Ausschau
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haltend. „Außerdem liegen im Süden noch ein paar kleine Inseln.“ „Es gibt keinen anderen Weg“, sagte Ben trocken. „Nur dieser führt noch nach Süden.“ „Kursänderung zur Küste“, sagte Hasard. „Wir gehen so dicht wie nur möglich unter Land vor Sumatra.“ Abermals fiel die Schebecke in einem Bogen ab und drehte weiter nach Steuerbord. Links, wo die Insel Rupat lag, sah Hasard wieder die vorspringenden und dicht bewaldeten Huks, jene Landzungen, hinter denen immer ganz unerwartet etwas auftauchen konnte, das man erst dann bemerkte, wenn es bereits zu spät war. Es waren hervorragende Verstecke, wie sie auch von Piraten gern für einen Überfall benutzt wurden. Batuti hatte inzwischen in den Ausguck gewechselt und Jan Ranse an Deck geschickt. Er war jetzt mit Piet Straaten da oben, und es wurde für zwei Mann ziemlich eng. Die Vorsicht und das Mißtrauen des Seewolfs zahlten sich wieder mal aus. Sie waren jetzt so dicht unter Sumatras Küste, daß sie das Land fast mit den Händen greifen konnten. Noch näher konnten sie sich wegen der zahlreichen Untiefen nicht heranwagen. „Deck! Segel hinter der Huk!“ brüllte eine Stimme. Hasard und die anderen, die sich zu dieser Zeit auf dem Achterdeck befanden, sahen sie jetzt auch. „Dieser dreimal verdammte Bastard“, sagte der Seewolf mit zusammengepreßten Lippen. „Er hat uns also doch noch eine Falle gestellt, wie ich vermutet habe.“ Drei Karavellen segelten hinter der Landzunge gestaffelt hervor, in der Absicht, ihnen den Weg zu verlegen. Allerdings hatte Albuquerque eins nicht bedacht, und das war die Tatsache, daß Hasard riskiert hatte, hart unter Land zu gehen. Die Karavellen konnten ihre Breitseiten noch nicht einsetzen, sie mußten sich erst etwas mehr an den Wind manövrieren.
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Aber die Schebecke konnte die Backbordseite einsetzen. Auf der. ersten Karavelle blitzte jetzt das Buggeschütz auf. Jede hatte nur eins, aber dafür noch zwei Drehbassen. Aus dem Rohr züngelte eine Flamme. Der Knall erfolgte ein paar Augenblicke später, als eine Kugel auch schon ins Wasser rauschte und eine Säule aufriß. „Feuer!“ rief Hasard. Die erste Culverine brüllte auf und spie ihre eiserne Ladung aus. Es war eine Eisenkugel, die den Bug der zweiten Karavelle erwischte. Wildes Donnern hallte über das Wasser. Auf der Lafette rollte die Culverine zurück, wurde abgebremst, ausgewischt und sofort wieder nachgeladen. Der Kranbalken zerbarst in einem Splitterregen. Der Anker löste sich und rauschte ins Wasser. Ein paar weitere kleine Trümmer stiegen wie eine Wolke hoch. „Entweder hat sich der Kerl verkalkuliert, oder er ist zu schnell bei der Sache gewesen!“ rief Hasard. „Er hat sich nur um ein paar Minuten verschätzt, aber die könnten uns reichen.“ Drüben blitzte es wieder auf, und eine Kugel strich haarscharf am Bug der Schebecke vorbei. Gleichzeitig wurden auch zwei Drehbassen abgefeuert. Ihr Wummern drang gedämpft über das Wasser. Aber die Streuladung aus grobgehacktem Blei verlor sich fast fünfzig Yards hinter der Schebecke im Wasser und ließ ebenfalls kleine Fontänen aufsteigen. Die Karavelle, die den Anker verloren hatte, geriet aus dem Kurs. Vermutlich war die Trosse nicht beschädigt worden, lind so schleppte sie jetzt den Anker mit sich. Der Seewolf grinste plötzlich. Er konnte nichts dafür, aber er mußte einfach grinsen. Anfangs hatte er diesen Kranbalkentreffer für einen miserablen Schuß gehalten, doch jetzt erwies er sich als eine Art Glückstreffer. Der Bug der Karavelle schwang herum und zeigte auf die Landzunge. Gebrüllte Kommandos waren zu hören. Ganz dicht schor eine Karavelle an dem behinderten
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Schiff vorbei und streifte es fast, als es immer weiter aus dem Kurs lief. ' Hasard erkannte den bärtigen Despoten auf dem Achterdeck der ersten Karavelle. Neben ihm stand ein Mann von fast gleicher Größe, der ebenfalls schwarz gekleidet war. „Schönes Wetter heute, Senhor de Albuquerque!“ rief er hinüber. Der Mann war sichtlich aus dem Konzept geraten. Aber er hatte sich in der Gewalt und nahm keine Notiz von dem Seewolf. Batuti hatte inzwischen einen seiner Brandpfeile angekokelt und legte ihn auf die Sehne. In der Tonne stehend, zielte er sorgfältig und ließ den Pfeil von der Sehne fliegen. Er mußte Dom Alfonso ebenfalls erkannt haben, denn er schoß auf die Karavelle, auf der er sich mit dem anderen finster wirkenden Mann befand. Hasard wußte, daß der Mann aus Gambia auf diese Entfernung nicht vorbeischoß. Sein Blick folgte dem winzigen flirrenden Pünktchen, das sich senkte und ins Focksegel fuhr. Dort zuckte augenblicklich eine kleine Flamme auf. Im Nu war auf der Karavelle der Teufel los. Kerle stürzten herbei und versuchten zu verhindern, daß sich der kleine Brand ausbreitete. Wasser wurde gepützt, nach oben ins Want gereicht und schwungvoll auf das Segel gekippt. Auf der zweiten Karavelle kappten sie kurzerhand die Ankertrosse, um klarzukommen. Es dauerte jedoch eine ganze Weile, bis sie wieder auf Kurs ging. Die dritte lag zurückgestaffelt hinter den beiden anderen und drehte jetzt nach Backbord, um ihre Steuerbordbreitseite einsetzen zu können. Al Conroy feuerte eine Culverine ab, die mit einer Kettenkugel geladen war. Die Kettenkugel eierte durch die Luft, nahm Kurs auf die Karavelle und erwischte das Want des Großmastes. Die Kugelhälften schlangen sich darum und fetzten Tauwerk auseinander. Shane feuerte mit dem Langbogen. Er stand vorn am Bug der Schebecke und zielte so lange, daß Hasard glaubte, er
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würde den Pfeil nie mehr von der Sehne lassen. Als er dann abrauschte, geriet auch die dritte Karavelle aus dem Kurs. Der Rudergänger klappte lautlos zusammen, als sei er im Stehen eingeschlafen, und fiel mit dem Gesicht auf die Planken. Als die anderen merkten, daß ihr Schiff aus dem Kurs lief, war es fast schon zu spät. Die Karavelle fiel ab, und bis ein anderer das Ruder übernommen hatte, war die Schebecke schon mehr als eine Kabellänge weiter. Jetzt hörten sie zum ersten Male Dom Alfonso brüllen. Er fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und gab Befehle. Seine Stimme war nicht mehr tief und dunkel, sie war ausgesprochen schrill und unangenehm geworden. Drüben blitzte es wieder auf. Jetzt flogen die Kugeln schon mehr achterlicher heran. Blitze glühten auf, Rauchwolken entstanden. In dem schmalen Fahrwasser wurde jedes andere Geräusch von dem Dröhnen der Abschüsse überlagert. „Zum Glück schießen sie schlecht“, sagte Hasard laut. „Aber das muß wohl an ihrer Wut und Enttäuschung liegen.“ Neben der Bordwand stieg eine Fontäne hoch. Im Rumpf war ein lautes Ächzen zu hören. „Nichts passiert“, sagte Ferris trocken. „Die Lady hat nur ein bißchen gerülpst. Wir sind gleich aus dem Bereich heraus, wo die Kugeln noch Schaden anrichten können.“ Wumm! Abermals lösten sich zwei Schüsse von den Karavellen, die achteraus im Kielwasser landeten. Eine Kugel hüpfte noch einmal über das Wasser, hinterließ eine Gischtfahne und versank dann wirkungslos. Auch zwei weitere Schüsse richteten keinen Schaden an. Aber Batuti und Shane hatten noch etwas in Reserve. Ihre Langbogen trugen weiter und waren treffsicherer als die Kanonen. Batuti feuerte einen Pulverpfeil ab, wiederum auf das Schiff, das sich Dom
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Alfonso offenbar zum Flaggschiff erkoren hatte. Wahrscheinlich bereitete es dem schwarzen Riesen Spaß, ausgerechnet dieses Schiff unter Feuer zu nehmen, um Dom Alfonso kräftig zu ärgern. Der Pfeil explodierte in einer weißlichen Rauchwolke auf dem Achterdeck. Für Dom Alfonso erfolgte dieser kleine Schreck so plötzlich, daß er entsetzt zur Seite sprang und mit einem anderen Mann zusammenprallte. Was sie sich dann an den Kopf warfen, war nicht gerade fein zu nennen. Old O'Flynn stieß ein Gelächter aus, wie es nur ein alter Ziegenbock hervorbringen konnte. Es klang meckernd und hohnvoll, und dabei hob der alte Zausel noch die Arme und hüpfte trotz seines Holzbeines übermütig herum Noch ein Pfeil ging auf die Reise, diesmal wieder ins Segel der Flaggschiffkaravelle. Auch hier loderten erst Funken auf, dann schlugen winzige Flammen zum Entsetzen der Kerle hoch. Sie konnten den beginnenden Brand aber noch löschen. „Alle Kanonen nachgeladen?“ fragte Hasard. Al Conroy bestätigte das. „War ein ziemlich kurzes Gefecht“, bemerkte der Seewolf. „Ihre Kugeln können uns nicht mehr erreichen. Außerdem sind die Karavellen wesentlich langsamer geworden. Wenn sie uns trotzdem weiterhin folgen, gibt sich Dom Alfonso nur der Lächerlichkeit preis.“ „Er muß seine Wut abreagieren“, meinte Don Juan, der durch ein Spektiv jetzt den großen Dom persönlich beobachtete. Der stand da und war vor Zorn knallrot angelaufen. Er schimpfte und schrie, aber die Worte verstanden sie nicht. „Sie werden uns sicher noch eine ganze Weile folgen.“ „Und sie feuern noch immer, diese Hitzköpfe“, bemerkte Dan. „Das zeigt überdeutlich ihre Ohnmacht.“ Hasard winkte ab. „Laß sie feuern, sie vergeuden nur ihr Pulver. Aber gerissen ist dieser Halunke doch, das muß man ihm lassen. Er hat uns
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in eine hervorragend aufgebaute Falle gelockt.“ „Von der er sich wohl unsere Vernichtung erhofft hat“, sagte Ben. „Da hat er sich zu seinem Leidwesen der verrechnet.“ Weit achteraus stiegen Fontänen aus der See. Immer wieder schor eine Karavelle aus dem Kurs, bis sie ihre Kanonen einsetzen konnte. Auch die Buggeschütze wurden ausgewischt, nachgeladen und in unregelmäßigen Abständen abgefeuert. Das Wummern wurde jedoch nach und nach immer leiser, als die Karavellen hoffnungslos zurückblieben. Hasard ließ wieder von dem dichten Küstenstreifen absegeln und hielt einen Abstand von ein paar Kabellängen. Die Karavellen folgten. Ziemlich unverdrossen hingen sie weit achteraus. „Auf den Erfolg sollten wir jetzt eigentlich mit einem klitzekleinen Schluckchen anstoßen“, äußerte der Profos. „Wir haben keinen Kratzer abgekriegt, haben im Kielwasser ein paar tobsüchtige Portugiesen hängen und den ehrenwerten Senhor so geärgert, daß er nur noch ein Nervenbündel ist. Meiner Ansicht nach ist das auch ein Erfolg und somit einen kleinen Schluck Wert. Oder siehst du das anders, Sir?“ erkundigte er sich mit frommem Augenaufschlag bei Hasard. „Eigentlich sehe ich das auch so. Aber wir halten trotzdem Augen und Ohren offen und immer schön am Wind. Mac soll zwei Flaschen aus meiner Kammer holen.“ Das ließ sich selbst Mac Pellew nicht zweimal sagen. Er war mit den beiden Buddeln so schnell zurück, daß der Profos vor Verblüffung stumm blieb, selbst als er sie noch entkorkte und vorsichtig an dem Inhalt schnupperte. „Das ist auch so eine dämliche Angewohnheit von dir“, meckerte Mac Pellew los, „immer an der Buddel zu schnüffeln. Ist doch ganz klar, was sich darin befindet, Mann.“ „Woher der Wind weht, ist immer klar“, motzte Carberry, „aber was in einer
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geschlossenen Buddel ist, weiß man nie genau.“ Die erste Flasche ging reihum, und als jeder einmal daran genuckelt hatte, war sie auch schon gelenzt. Der zweiten Buddel erging es nicht anders. Auch sie schaffte nur einmal die Runde. Die Karavellen achteraus waren zwar noch zu erkennen, doch sie fielen immer weiter zurück. Hasard wunderte sich darüber. „Der Kerl hofft wohl, daß wir irgendwo auf eine Untiefe auflaufen, aber da kann er lange warten.“ „Die Hoffnung ist vielleicht begründet“, meinte Don Juan. „Es wird bald dunkel, und wir kennen die Fahrrinne nicht. Sollten wir dann doch aufbrummen, stehen wir ziemlich schlecht da. Aus diesem Schlauch gelangen wir bestenfalls erst morgen mittag heraus.“ „Früher“, widersprach Dan. „Auf den Karten gibt es hier eine kleine Abweichung. In ein paar Stunden, irgendwann in der Nacht, müßten wir es geschafft haben. Dann befinden wir uns wieder in der breiten Straße von Malakka.“ „Wir segeln in der Mitte weiter“, sagte Hasard. „Ich möchte in der Hinsicht keine Überraschung erleben. Wir haben auch etwas Glück gehabt, daß wir den Karavellen entwischt sind.“ Die Überraschung stand ihnen jedoch noch bevor, und da verging ihnen das Grinsen sehr schnell. 9. Es war noch eine knappe Stunde, bis die kurze Dämmerung einsetzte. Sie hielten immer Kurs in der Mitte, um auf keine Untiefen zu laufen. Die kleinen Inseln und Inselchen, die verstreut wie Perlen im Wasser lagen, sahen sie immer rechtzeitig. Auch die Verfolger, jetzt sehr klein geworden, hingen immer noch weit achtern dran und waren zu erkennen. Ferris betrat grinsend das Achterdeck. „Wir haben noch ein paar von diesen prächtigen Rauchbomben, Sir. Wenn wir ein oder zwei davon zünden, vernebeln wir
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den Portugiesen die ganze Sicht. Das wird sie sicher ärgern, und wir sind sie dann endlich los. Möglicherweise brummen sie dann selbst auf, wenn sie nichts mehr sehen.“ „Die sollten wir lieber für einen Notfall in Reserve behalten“, erwiderte Hasard. „Die Portus können uns nicht mehr gefährlich werden. Wir sind wesentlich schneller.“ Sie zuckten alle zusammen, als aus dem Ausguck eine Stimme brüllte. „Segel Backbord voraus!“ Hasard glaubte nicht richtig zu hören und sah irritiert nach vorn. Weit vor ihnen schob sich ein Segel hinter einer Landzunge hervor. „Eine Karavelle“, sagte Dan verdutzt. „Ob das ein purer Zufall ist?“ Noch während sie zu der Karavelle starrten, erschien eine zweite hinter einer Insel, gleich darauf eine dritte und dann eine vierte. Verblüfft sahen die Seewölfe sich an. „Nein, das ist kein purer Zufall“, sagte Hasard mit klirrender Stimme. „Das ist ein von Albuquerque ganz bewußt gelegter Hinterhalt.“ „Aber – wie konnte er das ahnen?“ „Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß wir ihn wieder mal kräftig unterschätzt haben.“ Hasard lachte stoßartig auf. „Sie haben uns einen Hinterhalt gelegt, wie wir es auch nicht besser können. Und in den sind wir genau hineingesegelt.“ Die vier Karavellen segelten ebenfalls gestaffelt heran. Da es tiefer im Süden wieder kleine Inseln gab, war ein Ausweichen unmöglich. Sie mußten hindurch, sie hatten gar keine andere Wahl. „Ein feiner Zangenangriff“, sagte Hasard. „Vor uns lauern vier Karavellen und achtern segeln drei hinter uns her. Ich muß widerwillig meinen Respekt vor dem ehrenwerten Senhor bekunden. Das hat er sich wirklich fein ausgedacht, denn mit dieser Möglichkeit hat keiner von uns mehr gerechnet.“ „Sieben Schiffe gegen eins“, sagte Ben. „Diesmal sieht die Sache ein wenig anders aus.“
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„Wir setzen die Rauchbomben ein“, sagte Ferris. Hasard winkte ab. „Dann haben wir nach vorn ebenfalls keine Sicht mehr. Es gibt zu viele kleine Inseln, die alle ihre Riffe und Sandbänke haben.“ „Dann eben nach achtern, damit wir wenigstens die drei anderen Karavellen vom Hals haben. Sollen die in dem Rauch herumkrebsen.“ „Gut“, sagte der Seewolf. „Schieß zwei oder drei von den Dingern nach achtern ab. Es wird ohnehin bald dunkel. Damit haben wir die drei Verfolger vom Hals.“ „Und die vier anderen?“ Hasard blickte zu den Karavellen. Die Falle war ganz offensichtlich, und von einem Zufall konnte keine Rede mehr sein. Albuquerque hatte sehr überlegt gehandelt, das mußte ihm der Neid lassen. „Wir brechen durch, und wir werden aus allen Rohren feuern. Es gibt für uns keine andere Möglichkeit. Geht wieder auf eure Stationen, uns steht ein harter Kampf bevor.“ Die vier Karavellen waren jetzt immer deutlicher zu erkennen. Hinter ihnen war es dunstig, und die nahende Dämmerung kündigte sich bereits an. Nur noch eine Meile trennte sie jetzt von der kleinen Flotte, die ihre Position eingenommen hatte. „Stell dich auf blitzschnelle Segelmanöver ein, Pete“, sagte der Seewolf zum Rudergänger. „Der Durchbruch wird nicht einfach sein, und wir können nur einmal feuern. Mehr Zeit bleibt uns nicht.“ Pete Ballie war nicht aus der Ruhe zu bringen. „Aye, aye, Sir“, sagte er bedächtig. „Und wo brechen wir durch?“ Ein Knall überlagerte das letzte Wort. Ferris Tucker hatte die erste Rauchbombe aus dem Gestell abgefeuert und steil in den dunkler werdenden Himmel gefeuert. Sofort ließ er die zweite folgen. Achteraus flitzten die Dinger sirrend hoch, barsten in großer Höhe mit einem Knall auseinander und regneten dann ihren fürchterlichen Qualm ab, indem die feinen
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Körner immer wieder, ähnlich den chinesischen Brandsätzen, zerplatzten. Der erste schwarze Vorhang senkte sich bereits nieder, ließ die Konturen der Verfolger unscharf werden und schließlich ganz und gar verschwinden. Das Zeug breitete sich rasch nach den Seiten aus. Der zweite Vorhang ging nieder und hüllte alles in pechschwarzen Rauch, der aus der See aufzusteigen schien. Es sah aus, als krieche der Nebel aus dem Wasser nach oben. Die Verfolger wurden unsichtbar, aber vor ihnen befanden sich jetzt vier schwerarmierte Karavellen. „Wir brechen zwischen den beiden äußeren Karavellen an Backbord durch“, sagte Hasard. „Die stehen für uns am günstigsten. Kursänderung aber erst im letzten Augenblick, Pete.“ Das obligatorische und gleichmütige „Aye, aye, Sir“, folgte. Der Durchbruch stand unmittelbar bevor. * Die Portugiesen glaubten, mit der Schebecke leichtes Spiel zu haben, aber sie wurden völlig überrascht von der unbändigen Angriffswut. Die Männer der Schebecke verteidigten sich nicht – sie griffen sofort an, und das mit einer Vehemenz, die die Portugiesen erschütterte. Unter Vollzeug segelte die Schebecke heran und nahm Kurs auf die an Steuerbord stehenden Karavellen. Eine änderte daraufhin ihren Kurs, um mehr Platz zu schaffen. Es sah so aus, als wolle die Schebecke dort durchbrechen. Auch die auf der anderen Seite stehende Karavelle änderte ihren Kurs. Sie wollte der Schebecke den Weg verlegen, um nicht nutzlos ganz außen zu liegen. Genau darauf hatte Hasard gewartet. Er sah seine Männer mit den glimmenden Luntenstöcken neben den Culverinen stehen, geduckt, sprungbereit, wild zum Kampf entschlossen und alles auf eine Karte setzend.
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Die Karavellen-Kapitäne wurden zusätzlich dadurch verwirrt, daß die drei anderen Schiffe mit dem Befehlshaber nicht mehr auftauchten, sondern in pechschwarzem Qualm verschwunden waren. Der Zangengriff schied damit schon aus, denn von den anderen war zumindest vorerst keine Hilfe mehr zu erwarten. Damit hatte keiner gerechnet. Sie feuerten noch nicht, sondern wollten den Gegner möglichst dicht heransegeln lassen, um ihn dann von zwei Seiten unter Feuer zu nehmen. „Kursänderung wie besprochen!“ rief Hasard. Die Schebecke, ein schnelles und wendiges Schiff, änderte ganz überraschend den Kurs nach Backbord. Gleichzeitig lösten sich von ihr kleine flimmernde Punkte, die im beginnenden Dämmerlicht deutlich zu erkennen waren. Die glimmenden Pfeile flogen in die Segel und entfachten in kürzester Zeit kleine Brände, die sich rasch auf dem Tuch vergrößerten. Für die beiden jetzt außenstehenden Karavellen war eine Beteiligung an dem Gefecht nicht mehr möglich, ohne die eigenen Schiffe zu gefährden oder zu treffen. Eine Karavelle begann hell aufzulohen. Ein wilder Brand fraß sich in die Segel und griff auf laufendes und stehendes Gut über, das gleich darauf ebenfalls in Flammen stand. Damit schied die erste Karavelle endgültig aus, denn an Bord hatten sie alle Hände voll zu tun, um das Feuer zu löschen. „Feuer frei nach eigenem Ermessen!“ rief Hasard. Die Arwenacks brauchten keine besonderen Kommandos. In Hunderten von Gefechten aufeinander eingeschworen, wußten sie genau, was zu tun war, und handelten der Situation entsprechend. Zu diesem Zeitpunkt brach auch ein Brand auf der zweiten Karavelle aus, verursacht von zwei Brand- und zwei Pulverpfeilen, die alle ihr Ziel gefunden hatten.
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Jetzt erst blitzte es dort auf, wo die Arwenacks den Durchbruch versuchten. Doch in der überstürzten Eile feuerten die überraschten Portugiesen weit daneben. Die erste Kugel flog heulend hoch über die Takelage hinweg. Nur ihr Jaulen war kurz zu hören. Der zweite Schuß ratschte in den oberen Teil des Großsegels und hinterließ ein mehr als kopfgroßes Loch. Da brüllten an Backbord und Steuerbord gleichzeitig die Culverinen auf, und zwei Flaschenbomben wurden hinübergeschleudert. Die Schebecke schüttelte sich. Es hörte sich an, als würden die Spanten auseinanderfliegen. Auf beiden Seiten schlug es ein. Da war nur noch Gebrüll zu hören, ein ohrenbetäubender Donner und das Krachen und Bersten von Holz. Hasard sah in einem hellen Feuerschein ein paar Gestalten über Bord fliegen. Der Fockmast der Karavelle an Backbord knickte um wie eine überlange Bohnenstange und senkte sich langsam auf Deck. Abermals brüllten die Culverinen auf und zerfetzten Schanzkleider, rissen gezackte Löcher ins Holz oder zerfetzten Teile der Takelage. Von allen Seiten war jetzt wildes Geschrei zu hören, das den Seewölfen überlaut in den Ohren gellte. Sie steckten einen Treffer ein und sahen ein paar Holztrümmer steil in den Himmel steigen. Ferris nahm nur aus den Augenwinkeln wahr, daß ein Teil des Schanzkleides in Kleinholz verwandelt worden war. Die restlichen Culverinen wurden im allerletzten Augenblick gezündet, dann waren sie auch schon hindurch. Was dann folgte, wurde ihnen erst später so richtig bewußt. Zwei heiße Eisenkugeln mußten die Pulverkammer der einen Karavelle getroffen haben. Über der See breitete sich ein grell-weißer Pilz aus, so weiß und blendend, daß jeder krampfhaft die Augen schließen mußte. Da
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war nur noch grelles, wildblitzendes Weiß von einer Helligkeit, die absolut unerträglich war. Mehr war nicht zu sehen, nicht mal mehr die brennenden Segel der einen Karavelle. Hasard, halb betäubt von dem bestialischen Knall, wußte genau, was jetzt folgte. Mit brüllender und überkippender Stimme schrie er seinen Leuten eine Warnung zu, noch während das grelle Licht alles im Umkreis von: vielen Meilen erleuchtete. „Werft euch auf die Planken!“ Er wußte nicht mehr, ob sein Schreien gehört wurde, er konnte auch nichts mehr erkennen, denn jetzt fegte eine Druckwelle heran, die dem Ausbruch eines Vulkans ähnelte. Gewaltige Kräfte packten das Schiff und ließen es hart überkrängen. Heiß brüllte und orgelte es über sie hinweg, und der wilde, glutende Druck ließ sie taub werden, bis die ganze Welt in Watte gehüllt zu sein schien. Als Hasard endlich die Augen aufschlug, erkannte er in der Schwärze nur irgendwo ein glosendes trübes Auge. Es waren die glutenden Überreste der Karavelle, die es buchstäblich zerblasen hatte. Von ihr war nichts mehr übriggeblieben, nicht mal Asche. Halb betäubt und nahezu unfähig, noch einen klaren Gedanken zu fassen, segelten
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sie blindlings weiter, bis sich die Augen wieder an die einsetzende Dunkelheit gewöhnt hatten. Aber da flimmerten immer noch grelle Sterne vor ihren Augen. „Das war die Pulverkammer“, sagte Don Juan. „Ich glaube, zwei Karavellen folgen uns noch.“ Hinter ihnen blieb ein Chaos zurück, als sie den Kurs fortsetzten und in die Finsternis segelten. Irgendwann verschwanden auch die Karavellen aus ihrem Blickfeld, und es hatte den Anschein, als seien sie mutterseelenallein. Erst spät in der Nacht schlich der Profos mit einer schrecklichen Meldung aufs Achterdeck. Er konnte kaum sprechen. „Sir“, sagte er mit brüchig klingender Stimme. „Wir haben Bilanz gezogen.“ „Ist — ist — jemand ...?“ Hasard wagte nicht weiterzusprechen. „Wir wissen es nicht, Sir. Aber Stenmark, Smoky, Al Conroy und Jan Ranse sind nicht mehr an Bord.“ „Das steht einwandfrei fest?“ fragte Hasard heiser. „Leider ja, Sir. Wir nehmen an, daß sie von der gewaltigen Druckwelle über Bord geblasen wurden.“ Hasard sagte kein Wort. Er starrte nur über das dunkle Wasser und hoffte, daß die vier Männer noch am Leben waren...
ENDE