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Roy Palmer Der goldene Anker 1. Am Vormittag hatte es noch den Anschein, als brächte dieser 4. August 1579 keine Neuigkeiten für Philip Hasard Killigrew und seine Mannschaft. Nur im Morgengrauen hatten sich im Westen düstere Wolken zusammengeballt, die Sturm anzukündigen schienen. Doch ein handiger Südostwind hatte schließlich die Wolkentürme vor sich hergeschoben und es wieder aufklaren lassen. Seitdem hatte sich nichts Bemerkenswertes mehr ereignet. Es schien ein bedeutungsloser Tag zu werden, doch der Schein trog. Die ›Isabella IV.‹ - vormals hatte sie ›Cartagena‹ geheißen, war dann aber von Hasard und seinen Männern umgetauft worden -, die ›Isabella‹ lief unter vollem Zeug nordwärts durch die Karibische See. Der Seewolf hatte beschlossen, der Empfehlung des ehemaligen Karibikpiraten Jean Ribault zu folgen und auf der Spanienroute zurück nach England zu segeln. Der Himmel, der sich über den Mastspitzen spannte, war tiefblau gefärbt. Der Bug der ›Isabella‹ durchpflügte eine See, die die Tönung blaugrüner Edelsteine hatte. Die Karibik entfaltete sich in ihrer vollen Pracht und schien ihnen wohlgesinnt zu sein. In den frühen Nachmittagsstunden stand der Wind immer noch von Südosten her, so daß er also raumschots einfiel und die Zweimastkaravelle beständig vor sich hertrieb. Die See schlug kaum Wellen. Es war ein ruhiger Törn - fast zu ruhig für den Seewolf und seine Crew. Doch dann überstürzten sich die Ereignisse.
Es begann alles damit, daß der Kutscher das Kombüsenschott
öffnete und mit einem Holzkübel an Deck erschien. Der Holzkübel enthielt Küchenabfälle, wie sie mindestens zwei- bis dreimal am Tag anfielen und dann über Bord gekippt wurden. Das Behältnis, in dem der Kutscher sie transportierte, war in gewisser Weise schon Legende, denn ein ähnliches Gefäß hatte vor der Küste von Chile maßgeblich dazu beigetragen, daß Matt Davies und Pete Ballie von der Mocha-Insel zurückgeholt werden konnten. Der Vorfall lag über ein halbes Jahr zurück. Aber der Kutscher hatte ihn noch gut in Erinnerung, weil ausgerechnet er es gewesen war, der da mit voller Absicht kopfunter außenbords ging - er, der Nichtschwimmer. Inzwischen hatte er es immer noch nicht gelernt, sich aus eigenem Antrieb in dem balkenlosen Element zu halten. Auf fatale Weise wurden die Sache von damals und ähnliche »Unfälle« nun auch den anderen Männern der Crew ins Gedächtnis zurückgerufen. Und das geschah so: Der Kutscher ging an Buck Buchanan und Stenmark vorbei, steuerte an der Kuhlgräting entlang und beugte sich mit dem Kübel über das Backbordschanzkleid. Er entleerte den Unrat in die See, hatte jedoch einen ungünstigen Moment abgepaßt. Das Schiff holte leicht nach Steuerbord über, und etwas von dem Zeug klatschte gegen die Bordwand, kleckerte auf die Berghölzer und troff auch aufs Schanzkleid. »So ein Mist«, sagte der Kutscher leise. Er hoffte noch, niemand anderes hätte das Mißgeschick bemerkt, da trompetete Edwin Carberry bereits vom Achterdeck: »Schweinerei, das da! Kutscher, wie kannst du unser schönes Schiff so verschandeln! Sieh zu, daß du das wieder aufklarst, oder soll ich dir vielleicht Beine machen, was, wie?« »Schweinerei?« sagte Jean Ribault. »Ich dachte, es wären die Reste unserer mißglückten Mittagsmahlzeit, die er da den Haien vorwirft.« »Das Zeug mögen nicht mal die Kraken«, warf Matt Davies
ein. Er stand am Großmast und bohrte sich mit geradezu unglaublichem Geschick mit seinem Eisenhaken in der Nase. »Die sind nicht so abgehärtet wie wir, was den Fraß betrifft.« »Ignoranten«, erwiderte der Kutscher beleidigt. »Laßt es gefälligst an jemand anderem aus, wenn ihr euch langweilt.« Er beugte sich noch einmal vor, in der Hoffnung, die Abfälle langsam von der Bordwand ablaufen zu sehen. Doch das Zeug haftete wie Teer. Der Kutscher überlegte noch, wie er die Schweinerei am besten säubern könne, da sah er einen grauen Schatten dicht unter der Wasserlinie auf die Karavelle zuschießen. Ein Schatten mit der wohlbekannten dreieckigen Rückenflosse war das, und der Kutscher beobachtete auch noch, wie ein gewaltiges Maul aufklaffte und Teile der Küchenreste aufnahm, die gerade ins Meer absanken. »Da habt ihr’s«, sagte er. »Die Haie mögen doch alles. Sie sind eben nicht so empfindlich wie ihr.« Jean Ribault wollte etwas Passendes entgegnen. Doch was sich jetzt abspielte, raubte ihm fast den Atem. Arwenack, der Schimpansenjunge, turnte schimpfend über die Großsegelrah. Wie üblich nahm er regen Anteil an dem Wortgefecht der Männer. Er keckerte wild, hangelte nach Backbord hinüber und geriet plötzlich aus der Balance. Pete Ballie, der Rudergänger, hatte zu dem Affen hinaufgeblickt und für einen Augenblick nicht aufgepaßt. Er hatte vergessen, anzuluven, als eine Bö in die Segel gefahren war. Jetzt neigte sich die Karavelle nach Backbord. Arwenack rutschte an der schweren Spiere entlang, hielt sich noch einen Moment zappelnd an der Rahnock fest und sauste dann in die Tiefe. Batuti, der Gambianeger, stieß einen kehligen Ruf aus. Arwenack wäre kein flinker, gewitzter Schimpanse gewesen, wenn er jetzt nicht einen Ausweg gefunden hätte. Er drehte sich in der Luft, bekam ein Schot zu fassen und raste daran bis in die Nähe der Großmastwanten hinunter. Plötzlich ließ er
wieder los, wirbelte in die Webeleinen hinein und hüpfte daran bis aufs Schanzkleid hinab - zum Kutscher. Batuti war so begeistert, daß er in die großen Hände klatschte. Smoky stand neben ihm, grinste und stieß ihn an. Arwenack hatte derweil den Kutscher erreicht. Er hob zu einer schnatternden Strafpredigt an, weil er den Koch und Feldscher für seinen Sturz verantwortlich machte. Arwenack schob sich auf der Handleiste des Schanzkleides entlang. Der Kutscher warnte noch, aber da war es zu spät. Der Affe glitt auf den Abfallresten aus, die da immer noch hafteten. Der Kutscher streckte beide Hände aus. Arwenack griff danach, hatte aber zum zweiten Mal das Gleichgewicht verloren. Rücklings kippte er über. Seine Füße verloren den Halt, und er fiel außenbords. Diesmal gab es keine Schot, keine Brasse, kein Fall, das ihn retten konnte. Der Kutscher schrie vor Schreck auf. Batuti brüllte etwas. Die Crew vergaß das Grinsen. Arwenack kreischte. Sein kleiner Körper hieb in die See, die Fluten schlugen über ihm zusammen. Es war das erste Mal, daß Arwenack so etwas passierte - und er konnte nicht schwimmen, genau wie der Kutscher! »Den Kübel hinterher!« schrie Philip Hasard Killigrew vom Achterdeck. Dann jumpte er bereits über die Schmuckgalerie auf die Kuhl und hastete zum Backbordschanzkleid. Mit drei Sprüngen hatte er es erreicht und flankte darüber hinweg. Hinter ihm dröhnte die Stimme Ed Carberrys. Carberry ließ abfallen, kommandierte die Mannschaft der Wache an die Schoten und Brassen, und die ›Isabella IV.‹ ging vor den Wind, um in einem Bogen zu halsen. Der Kutscher schleuderte seinen Holzkübel in die Tiefe. Fast im selben Augenblick hob die sehnige Gestalt des Seewolfs vom Schanzkleid ab, federte an den breiten Berghölzern vorüber und stach der glitzernden See entgegen. Arwenack streckte wieder den Kopf aus dem Wasser, prustete und schrie dann gellend um Hilfe. In diesen Augenblicken klang seine
Stimme tatsächlich wie die eines Menschen. Dem Affen gelang es, sich an dem Holzkübel festzuhalten. Er konnte jetzt nicht mehr untergehen und kläglich ertrinken, aber damit war die Gefahr noch längst nicht gebannt. Da war der grauschwarze Schatten mit der dreieckigen Rückenflosse. Der HaI änderte seinen Kurs und hielt auf Arwenack zu. Die Küchenabfälle interessierten ihn nicht mehr, er witterte frische, schmackhaftere Nahrung. Der Schimpansenjunge bemerkte die Bestie und schrie um sein Leben. An Bord der ›Isabella‹ hielt die Crew die Luft an. »Himmel, Arsch und Zwirn«, sagte Matt Davies. »Das geht nicht gut aus.« »Verflucht, das ist der größte Hai, den ich je gesehen habe«, fügte Patrick O’Driscoll, der Ire, hinzu. »Ein Einzelgänger ist das. Ein Killer.« »Warum stehen wir hier ‘rum und tun nichts?« brüllte Smoky aufgebracht. Er wollte ebenfalls über Bord jumpen, aber Blacky und Stenmark hielten ihn zurück. Es hatte keinen Sinn, blindlings zu handeln. Der Seewolf befand sich bereits im Wasser und schwamm auf Arwenack zu. Wenn überhaupt noch jemand den Affen retten konnte, dann war er es. Die Aufgabe der Mannschaft war es nun, die Karavelle so nahe wie möglich zurück an die Unglücksstelle zu führen. Carberry stand an der Achterdeckgalerie und starrte über das Wasser, zu dem schwimmenden Seewolf hin. Die ›Isabella‹ hatte gehalst. Jetzt fuhr der Profos herum und rief: »Dicht die Schoten, ihr Himmelhunde willig, willig, holt doch die verdammten Tampen dicht, hopp, hopp!« Die Karavelle, jetzt über Steuerbordbug, segelte am Wind auf den Mann und den Schimpansenjungen im Wasser zu. Batuti verließ plötzlich seinen Posten, holte sich eine Pike mit kurzem Stiel und befestigte ein Tauende daran. Er nahm auf der Back Aufstellung - ein schwarzer Riese mit einem Gesicht, das jetzt
wie aus Stein gehauen wirkte. Er wartete auf seinen Moment. Dan O’Flynn rief aus dem Großmars: »Hasard hat es fast geschafft! Aber der Hai, der verfluchte Bastard, ist auch beinahe heran!« Hasard schwamm in seiner gewohnten Manier - wie ein Hund, allerdings mit abwechselndem Armschlag. Seine Beine schlug er dabei gestreckt auf und ab. Auf diese Art schwamm er bereits seit seinem fünften Lebensjahr, als Sir John Killigrew, sein Alter, ihn gepackt und einfach ins Wasser geworfen hatte. Philip Hasard Killigrew schwamm mit nacktem Oberkörper, so, wie er unter der heißen Sonne der Karibik auf dem Achterdeck seines Beuteschiffes gestanden hatte. Er führte die Hand an den Hosenbund, zog das Messer heraus und nahm es zwischen die Zähne. So hielt er auf den Holzkübel zu. Arwenack klammerte sich zitternd daran. Der Seewolf war nun so nahe heran, daß er die flackernde Angst in den Augen des Tieres lesen konnte. Arwenack strampelte mit den Beinen und planscihte plötzlich wie wild. Er wollte sich an Hasard festhalten. Hasard stieß ihn von sich. Er brauchte Bewegungsfreiheit. Der Hai war da, die drohende Rückenflosse glitt auf sie zu. Hasard nahm rasch den Kopf unter Wasser. Jetzt sah er ihn in seiner vollen Größe. Der Hai war tatsächlich riesig. Betrachtete man die Dinge sachlich, mußte man ihn als Prachtexemplar einstufen. Hasard ließ ihn heranschießen. Für Sekunden hatte er das Maul mit den dolchspitzen Zähnen vor sich und verfolgte, wie die Kiefer sich auseinanderzogen und einen gewaltigen, alles verschlingenden Schlund freilegten. Dann drehte der Seewolf sich. Er überlistete den Hai. Durch seine Wende brachte er sich an dessen linke Flanke. Die Bestie fand nicht mehr die Zeit, auf das Manöver zu reagieren. Hasard packte zu und bekam eine der starken Kiemenflossen in den Griff. Er hielt sich mit aller
Macht daran fest. Der Hai riß ihn mit. Der Hai wollte sich nach wie vor auf den hilflosen Affen stürzen, doch Hasard stach mit dem Messer zu. Der Hai erhielt die lange Klinge in die Körperpartie hinter den Kiemen. Der Seewolf bewegte seine Waffe hin und her und zog sie dann wieder heraus. Das Blut schoß aus der Wunde - Blut, das bald andere Mörderhaie anlocken würde. Die Bestie begann wie verrückt zu zucken. Hasard mußte all seine Kraft aufbieten, um sich halten zu können. Der Hai bäumte sich im Wasser auf. Er spürte den Schmerz, obwohl er nicht begreifen konnte, was der Mann an seiner Flanke tat. Der Hai fühlte, wie etwas an ihm emporklomm, und das brachte ihn zur Raserei. Der Hai tobte. Er schoß mit hin und her peitschendem Schwanz durch die See. An Arwenack dachte er nicht mehr. Nur ein Wunsch beschäftigte ihn - das Unbekannte loszuwerden und zu zermalmen. Er wollte es abschütteln. Doch der Seewolf hielt sich. Für eine Weile ritt er den Hai, krallte sich auf dessen Rücken fest und ließ sich aus dem Wasser heben. Hasard sah die Karavelle dicht neben sich. Mit einem huschenden Blick erfaßte er die Gestalten seiner Männer, die sich weit über das Schanzkleid gebeugt hatten und ihren Augen nicht trauen wollten. Er sah auch den Gambianeger, der wie ein Rachegott auf der Back stand und darauf wartete, dem Hai die Pike in den Leib zu schleudern. Dann wurde Hasard wieder in die Tiefe gerissen. Der Hai wollte ihn auf den Grund des Meeres entführen und auf diese Weise loswerden. Doch Hasard ließ sich nicht beirren. Noch fünf Stiche brachte er dem Mörder bei, dann ließ er endlich von seinen Flossen ab. Hasard gewann Auftrieb und kehrte an die Wasseroberfläche zurück. Keuchend schöpfte er frische Atemluft. Die Bestie unter ihm war schwer verletzt und schien benommen zu sein. Sie traf
keine Anstalten, ihm zu folgen, aber er war trotzdem auf der Hut. Ein Hai war unberechenbar. Selbst in seinem Todesmoment konnte er sich noch zu einer letzten blindwütigen, vernichtenden Tat aufraffen. Hasard schwamm zu Arwenack. Die Crew hatte inzwischen das Beiboot abgefiert und zu Wasser gelassen. Ed Carberry enterte mit Smoky, Karl von Hutten, Sam Roskill und dem Holländer Jan Ranse an einer Jakobsleiter ab. Sie sprangen an Bord des Bootes und legten ab. Während der Profos die Ruderpinne bediente, pullten die anderen vier, was das Zeug hielt und brachten sich rasch ihrem Kapitän näher. Arwenack klammerte sich jammernd an Hasards Brust und Schultern fest. Er rollte mit den Augen und gab alle erdenklichen Laute von sich, eine Mischung aus Keckem, Schnattern, Jaulen, Grunzen und Brabbeln. Hasard streichelte ihm den Kopf. »Ist ja gut, mein Alter«, murmelte er. »Nun beruhige dich mal wieder.« Das Beiboot war heran, als Dan O’Flynn sich plötzlich wieder aus dem Großmars meldete. »Da ist er wieder, der Satansbraten - he, ho, Hasard, aufgepaßt!« Der große Hai schob tatsächlich seine Dreiecksflosse aus den Fluten, aber er mußte die Distanz falsch eingeschätzt haben oder total verwirrt sein. Jedenfalls griff er Hasard und den Schimpansenjungen nicht direkt an, sondern manövrierte mit trägen Schlägen zwischen dem Boot, und alle Männer konnten das Blut sehen, das aus seinen Wunden hervorschoß. »Arwenack!« schrie Batuti. »Arwenack!« erwiderten die Männer der ›Isabella‹ den Schlachtruf, und der Neger schleuderte seine Pike auf den mächtigen Leib des Haies hinunter. Der kurze Stiel der Waffe riß das Tau mit, das an ihm festgeknüpft war. Salzwasser spritzte in Fontänen hoch, als die Pike sich in das Fleisch der Bestie bohrte. Der Hai warf sich in einem letzten Aufwallen
seines Widerstandes erbittert hin und her, doch das nutzte ihm nichts mehr. Die Pike steckte fest in seinem Leib. Das Tau straffte sich. Batuti, Blacky, Stenmark und ein paar andere zogen daran, und der grauweiße Leib bewegte sich auf die Bordwand der Zweimastkaravelle zu. Dan O’Flynn stieß eine Reihe von Jubelrufen aus. Seine Stimme schraubte sich in den höchsten Diskant empor, dann kippte sie über und sackte wieder in den Keller ab. Hasard grinste. Er hob Arwenack in das Beiboot. Danach ließ er sich von seinen Männern ebenfalls über das Dollbord helfen und setzte sich auf die Ducht vor Ed Carberry. Der Affe war auf Smokys Knie geklettert; jetzt schüttelte er sich wie ein Hund und spritzte die Männer mit Wasser voll. »Verdammt«, sagte Carberry. »Mit dir hat man aber auch nichts als Scherereien. So ein Affenzirkus.« Die Männer lachten. Arwenack fletschte die Zähne und zeigte so etwas wie ein Grinsen. Sie griffen nach den Riemen und pullten zurück zu ihrem Schiff. Hasard blickte nach achtern und gewahrte als erster die neuen Rückenflossen, die sich dem Schauplatz des Geschehens näherten. Sie bewegten sich in bedächtiger Eile, beschrieben Kurven und Kreise und arbeiteten sich auf Umwegen an den sterbenden Artgenossen heran. »Matt, Blacky, Batuti!« rief Hasard nach oben hinauf. Er legte die Hände wie einen Schalltrichter an den Mund. »Macht die Taljen bereit und fiert die Taue ab. Wir nehmen den Kameraden als Trophäe an Bord!« Das Beiboot legte an. Smoky durfte Arwenack nach oben bringen, die anderen blieben noch unten und halfen dem Seewolf, Tauenden um den Leib des Haies zu legen und festzuzurren. Ganz einfach war das nicht, denn die Bestie zuckte immer noch und konnte sie leicht vom Boot fegen oder noch einmal zuschnappen. Schließlich hatten sie die verzwickte Aufgabe bewältigt. Der
Hai wurde mittels der Taljen nach oben gehievt. Er regte sich immer noch, schaffte es aber nicht, sich aus den Schlingen zu befreien. Bevor seine Artgenossen heran waren, um ihn zu zerreißen, hatte die Crew ihn auf die Planken der Kuhl befördert und zurrte ihn zusätzlich mit Brooktauen fest, damit er ja kein Unheil mehr anrichten konnte. Hasard stieg an Bord der Karavelle. Das Beiboot wurde eingeholt, ebenso die Jakobsleiter. Hasard betrachtete seinen mörderischen Widersacher. Die Männer bildeten fast ehrfürchtig einen Kreis um die Bestie. Der Seewolf maß ihre Länge und kam auf fünfzehn Fuß. Arwenack stach schon wieder der Hafer. Er konnte es nicht lassen: Er mußte einen Tanz vor dem Rachen des Haies aufführen und Grimassen schneiden, um den Feind nachträglich zu verunglimpfen. Batuti eilte besorgt herbei. »Kleines Arwenack«, sagte er. »Du sehr, sehr dumm. Komm zu Batuti und laß den Quatsch!« Arwenack dachte gar nicht daran. Er hüpfte vor dem Hai auf und ab und boxte ihm gegen die Nase. Als aber ein schwacher Ruck durch den mächtigen Leib ging, schreckte er zurück und sprang kreischend auf Batutis Schulter. Der Leib des Haies erschlaffte. »Er ist tot«, stellte Hasard nach eingehender Prüfung fest. »Na, so ein Glück«, sagte Karl von Hutten erleichtert. »Puh«, sagte Matt Davies. Der Kutscher wagte sich jetzt heran und nahm die Bestie genau in Augenschein. Er schritt um sie herum, nickte voll Sachverstand und meinte schließlich: »Ich weiß, wozu wir den Burschen verwenden können. Einen Teil verarbeite ich zu Fischsuppe. Die besseren Stücke grille ich auf dem Holzkohlenfeuer. Ihr glaubt nicht, wie exquisit so was schmeckt.« Jean Ribault trat zwei Schritte vor und verengte die Augen zu Schlitzen. »Parbleu, dieser verlauste Kombüsenhengst will uns
wirklich vergiften, Freunde. Sollen wir uns das gefallen lassen?« »Moment mal«, protestierte der Kutscher. »Gerade du als angeblicher Feinschmecker solltest doch wissen ...« Weiter kam er nicht, denn plötzlich wehte Dans Stimme von oben aus dem Großmars auf Deck herab. Das Bürschchen war ein wenig heiser geworden, aber das nahm der Meldung nichts an Brisanz. »Segel ho! Mastspitzen Südsüdost achteraus!« »Den Kieker«, sagte Hasard. Ben Brighton brachte ihm sofort das Spektiv, und er hielt in der angegebenen Richtung Ausschau. Die Optik fing die Maststengen und Segel von mehreren Galeonen ein. Hasard zählte sie. »Vier«, sagte er. »Und ich verwette den Schatz des Vizekönigs von Lima, der unten im Frachtraum lagert, daß es sich um Spanier handelt.« »Dons!« rief Sam Roskill. »Leute, ich glaube, es gibt was zu tun für uns!« Matt Davies kratzte sich mit der Ledermanschette seiner Hakenprothese am Kinn. »He, eigentlich haben beide Dinge ja nichts miteinander zu tun, aber wenn die Geschichte mit Arwenack und dem Hai nicht dazwischengekommen wäre, hätten wir keinen Aufenthalt gehabt und wären weiter munter nach Norden gesegelt, den Galeonen voraus. Dann hätten wir sie wahrscheinlich überhaupt nicht zu Gesicht gekriegt.« »Stimmt«, sagte Sven Nyberg, der Däne. Batuti, immer noch mit dem Schimpansenjungen auf der Schulter, grinste breit. »Arwenack nicht dumm, Arwenack klug. Arwenack bringt Glück.« »Bloß eins vergeßt ihr«, wandte Hasard ein. Dann unterbrach er sich, denn Dan O’Flynn begann hoch oben über ihren Köpfen wie verrückt zu zappeln. Er gestikulierte, beugte sich weit über die Segeltuchverkleidung des Ausgucks und fiel fast
heraus. »Hasard!« schrie er. »Wie viele Schiffe hast du gezählt?« Der Seewolf blickte noch einmal durchs Spektiv und entgegnete dann: »Jetzt fünf. Aber von oben hast du doch einen viel besseren Rundblick. Nun laß dir die Würmer nicht aus der Nase ziehen!« Und Donegal Daniel O’Flynn, das gewiefte Bürschchen mit den schärfsten Augen an Bord, schrie zurück: »Es sind sechsunddreißig Galeonen, Hasard. Sechsunddreißig!« 2. Der Fang des Haies war eine Attraktion gewesen, aber jetzt schenkte dem grauweißen Ungetüm keiner mehr seine Aufmerksamkeit. Angespannt schauten die Männer der Crew zu dem an der Kimm aufziehenden Konvoi spanischer Galeonen hinüber, und für einige Zeit fehlten ihnen wirklich die Worte. Dan hatte sich wie üblich nicht verguckt und auch nicht verzählt. Die Zahl stimmte! Die sechsunddreißig Galeonen klüsten mit prallen Segeln nahezu vor dem Wind auf nordwestlichem Kurs. Ihre Bahn zog sich, wie Hasard bald erkannte, in schräg versetzter Doppellinie dahin, je achtzehn Schiffe fuhren hintereinander. Der Mannschaft der ›Isabella IV.‹ standen wahrhaftig die Haare zu Kopf. »Sechsunddreißig gottverfluchte Dons«, murmelte der Profos nach den Augenblicken andächtigen Schweigens. »So was hat die Welt noch nicht gesehen. Ob wir die wohl schaffen - oder ob der Konvoi selbst für eine Crew wie die unsere eine Nummer zu groß ist?« »Ein paar Nummern, würde ich sagen.« Piet Straaten, der Holländer, kratzte sich am Hinterkopf. Karl von Hutten sagte: »Der Konvoi segelt mit fast
nordwestlichem Kurs auf die Straße von Yukatan zu, soviel steht fest. Und wenn wir unseren derzeitigen Kurs halten, laufen unsere Bahnen spitz aufeinander zu.« Ben Brighton stand bei den Männern in der Kuhl und blickte aufmerksam nach Osten, wo die Schiffe des Konvois sich immer deutlicher abhoben. »Woher kommen die eurer Meinung nach und was haben die geladen?« »Ich schätze, die haben in Cartagena abgelegt«, erwiderte Karl von Hutten. Jean Ribault lächelte, in seinen dunklen Augen tanzten Funken. »Ja, mein Freund, ich denke, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Und nun spinne ich den Faden weiter. Meine Erfahrung als Freibeuter der Karibik sagt mir, daß die Himmelhunde von Philipps eine Flota in Cartagena zusammengestellt haben, und daß diese Flota sich in Havanna auf Cuba mit anderen Schatzschiffen von Portobello treffen soll, damit sie die gemeinsame Atlantiküberquerung nach Spanien antreten können.« Matt Davies klappte seinen Mund auf. »Himmel und Hölle, du meinst ...« »Ich meine, daß die Galeonen dort drüben die Bäuche mit einem Vermögen vollgestopft haben.« »Ja«, antwortete Ben Brighton. »Und wißt ihr, was der Witz bei der ganzen Sache ist? Unser neues Schiff, die ehemalige ›Cartagena‹, war doch ein Küstenwachschiff. Vielleicht hat sie vor der Kaperung Aufklärung gefahren und quer über den Golf von Darien Ausschau nach herum streunenden Freibeuterschiffen gehalten, um den Konvoi vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.« Der Seewolf ergriff das Wort. »Denkbar ist das durchaus. Aber nun zu meinem Einwand von vorhin. Ihr vergeßt ganz, daß unsere Devise lautet: die Beute unangetastet nach England zu bringen. Wir dürfen nicht mehr angreifen, sondern nur noch verteidigen. Außerdem: Der Laderaum der Karavelle ist bis
unter die Luken vollgestopft. Wir haben Reichtümer gehortet und können keine mehr aufnehmen.« Straaten kratzte sich wieder am Kopf, als könne er dadurch eine Antwort auf die Frage finden, die nun in der Luft hing. »Verdammt«, sagte er schließlich. »Da stehen wir wie die Ölgötzen und glotzen sechsunddreißig tiefgeladene Galeonen an - und können ihnen nicht beikommen!« »Paradox ist das«, sagte Karl von Hutten. Hasard verzog den Mund. »Und nicht nur das, wir sind auch gefährdet. Wenn die Dons ‘rauskriegen, wer wir sind, sind wir geliefert.« Er grinste plötzlich, und in seinen Augen tanzten tausend Teufel. »Es sei denn ...« »Es sei denn?« echote Matt Davies. »Nun, wir könnten versuchen, uns ein größeres Schiff zu schnappen, auf dem wir noch mehr verstauen können.« »Himmel, Arsch, das ist eine großartige Idee. Warum sind wir nicht selbst darauf gekommen?« Matt Davies blickte den Kutscher an. Dieser erwiderte, ohne eine Miene zu verziehen: »Das, lieber Matt, ist eine Frage der Menge an Grütze, die jeder von uns in seinem Gehirnkasten hat.« »Wir gehen auf Parallelkurs«, entschied der Seewolf. »Wir laufen in Lee des Konvois nach achtern gestaffelt, also auf der Backbordseite des Geleitzuges, mit. Und zwar in Sichtweite. Wollen doch mal sehen, was dann passiert.« * Der Tag, der so beschaulich begonnen und dann eine völlig unerwartete Wende genommen hatte, ging seinem Ende entgegen. Das schale Licht der Dämmerung löste die sonnendurchglänzte Helligkeit ab, das Blau des Himmels schlug in schattiges Grau um, die See verlor ihren Glanz. An Bord der spanischen Galeonen wurden Lichter gesetzt. Sie
hielten ihren Kurs und liefen nach wie vor unter vollem Zeug. Der Wind blieb handig bis steif und blies aus Südosten. Philip Hasard Killigrew hatte Position auf dem Achterdeck der Zweimastkaravelle bezogen. Aufmerksam blickte er immer wieder durch den Kieker zu dem Konvoi hinüber. Pete Ballie stand am Kolderstock. Ben Brighton und Edwin Carberry hielten an der Schmuckgalerie, die das Achterkastell zur Kuhl hin abschloß, die Hände aufgestützt und überwachten die Arbeiten an Deck. Die komplette Mannschaft war auf den Beinen und befand sich in Alarmbereitschaft. Hasard hatte die ›Isabella‹ gefechtsklar machen lassen. Er wollte auf jede Überraschung gefaßt sein. Der Hai war vom Kutscher und von Nils Larsen in Stücke zerlegt worden. Sie hatten das Fleisch unter Deck geschafft, und trotz der Einwände von Jean Ribault würde der Kutscher damit den Speisezettel anreichern. Haifisch schmeckte zwar etwas streng, war aber durchaus genießbar und überdies sehr nahrhaft. Carberry trat zu seinem Kapitän. »Was tut sich bei den Dons, Hasard?« »Bislang gar nichts.« »Ob die was ausbrüten? Den Hurensöhnen ist alles zuzutrauen.« »Ich glaube nicht, daß sie was ahnen.« »Verdammt, ich kann mir nicht vorstellen, daß unter sechsunddreißig Capitanos von sechsunddreißig spanischen Schatzschiffen nicht wenigstens einer ist, der beim Auftauchen einer fremden Karavelle Verdacht schöpft und wissen will, was los ist.« Die Dunkelheit nahm zu, aber der Profos konnte dennoch die weißen Zahnreihen des Seewolfs blitzen sehen, als dieser lächelte. »Hör zu, Ed. Nimm mal an, die ›Cartagena‹ war von vornherein als Geleitschutz für den Konvoi eingeteilt und sollte
nach dem Auslaufen des Konvois aus dem Hafen von Cartagena vom Golf von Darien aus zum Verband stoßen. Was würdest du als Generalkapitän wohl tun, wenn plötzlich am Nachmittag die wohlbekannte Karavelle an der Kimm auftaucht?« »Nichts«, gab der Profos zurück. »Ich würde annehmen, es ist alles in bester Ordnung. Ich würde den Dingen ihren Lauf lassen und keinen unmittelbaren Kontakt mit der Karavelle aufnehmen.« »Na also.« »Du meinst, es ist tatsächlich so?« »Ja. Die Spanier gehen davon aus, daß wir ihre Flanke sichern und Gefahr melden, wenn westlich des Konvois plötzlich Gegner auftauchen. Aber wir sind in aller Gemütsruhe Backbord achteraus mitgelaufen ohne näher an die Dons heranzustaffeln.« Carberry überlegte scharf, gelangte aber zu keinem Schluß. »Und jetzt? Was tun wir jetzt?« »Wir gehen näher an den Konvoi heran. Wir setzen ebenfalls unsere Positionslaternen und gesellen uns in aller Freundschaft zu ihnen. Bei Dunkelheit ist das ganz natürlich.« »Aye, aye, Sir.« Der Profos schluckte, denn ganz wohl war ihm in seiner Haut nicht. Und so ging es auch den anderen Männern, als sie nun die Karavelle anluven ließen und näher an den Verband heransteuerten. Sie spielten mit dem Feuer - schlimmer als in Panama, wo sie die Reede von Galeonen freigeräumt hatten und Hasard und Jean Ribault sich in die Höhle des Löwen, den Gouverneurspalast, gewagt hatten. Nein, das hier war noch um einige Zoll üppiger! Was sie riskierten, konnte verflixt bald ins Auge gehen. Und dann, unter dem Beschuß von sechsunddreißig dicken, gut bestückten Galeonen, gab es keine Rettung mehr für sie. Dann wurden sie mitsamt ihrem unermeßlichen Schatz, mit Gold, Silber, Perlen und Schmuck
auf den Grund der See und zu den Haifischen geschickt. Hasard überspielte die Bedenken, die auch er im stillen hegte, nach außen durch souveränes Verhalten. Im Grunde ging es ihm jedoch nicht anders an der Crew. Auch ihm war mulmig zumute, wenn er bis zur letzten Konsequenz an das dachte, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Schön, die Spanier hielten sie für einen Beschützer, und vielleicht kam es ihnen tatsächlich nicht in den Sinn, auch nur einen Augenblick daran zu zweifeln. Aber der Plan, ein größeres Schiff zu kapern - wie sollten sie ihn in die Wirklichkeit umsetzen? Er, Philip Hasard Killigrew, konnte sich doch nicht einfach frech und gottesfürchtig mit der Karavelle zwischen die Galeonen des Geleitzuges stehlen, sich die größte und schönste aussuchen und dann einfach entern! Nicht einmal unter dem schützenden Mantel der Dunkelheit war das möglich. Mit einem derartigen Unternehmen hätte er das Todesurteil für sich und seine Männer unterschrieben. Wie dann? Wie sollten sie es beginnen? Hasard gelangte zu dem Schluß, daß manche Entscheidungen eben erst im Laufe der Zeit gefällt werden konnten. Sie mußten allmählich heranreifen. Noch war es zu früh. Er mußte den Ereignissen ihren Lauf lassen - und abwarten. Vielleicht ergab sich bald etwas, ein Umstand, der ihr Vorhaben begünstigte. Das Leben auf See war voller Überraschungen. Man mußte nur die nötige Geduld aufbringen. Es wurde Nacht. Der Vollmond über der Karibischen See verschwand dann und wann hinter den Wolken. Hasard hatte Wachen eingeteilt und schickte das Gros seiner Männer nun für kurze Zeit aufs Ohr. Er wollte, daß sie frisch und munter waren, wenn es möglicherweise dick kam und jeder an Deck seinen Mann stehen mußte. Sonderlich erschöpft war die Crew nach dem ruhigen Törn des vergangenen Tages nicht, und so genügten ein paar Stunden Schlaf völlig. Hasard ließ auch Dan O’Flynn den Großmars räumen und
schickte Jean Ribault hinauf. Jean hatte, seitdem der Seewolf ihn und die anderen ehemaligen Karibikpiraten in seine Mannschaft aufgenommen hatte, schon mehrfach bewiesen, daß er mit den scharfen Augen des Bürschchens durchaus konkurrieren konnte. Auf der Back schoben Smoky und Karl von Hutten Wache. Die Kuhl wurde von Sam Roskill und Bob Grey im Auge behalten, auf dem Achterkastell standen Nils Larsen als Rudergänger, Ferris Tucker, Ed Carberry und der Seewolf. Hasards uneingeschränkte Aufmerksamkeit galt dem, was die Spanier drüben auf den letzten Galeonen im Geleitzug unternahmen. Immer wieder spähte er durchs Spektiv, nahm die Bordlaternen der Schiffe ins Auge und versuchte, in deren Lichtkreisen etwas zu erkennen. Hin und wieder erkannte er ein paar Gestalten, die sich durch das Licht bewegten. Sie versahen die Nachtwache an Bord, benahmen sich eher gelangweilt und träge als konzentriert und sandten selten einen Blick zur ›Cartagena‹ herüber. Wie fette, unheimliche Tiere schoben sich die Galeonen durch die Nacht, mit beständigem Kurs nach Norden in Richtung Kuba und die Straße von Yucatan. Der Seewolf wurde wieder ruhiger. Seine kühnen Behauptungen fanden ihre Bestätigung. Solange er nicht am Großmast die Flagge mit dem roten Georgskreuz auf weißem Feld vorheißen ließ und sich damit als Engländer zu erkennen gab, wurde der Argwohn der Dons nicht geweckt. Und Hasard würde sich hüten, eine derartige Torheit zu begehen! Schon mehrmals hatte er sich mit Erfolg als waschechter Spanier ausgegeben, und auch diesmal wollte er seine Rolle als Wolf im Schafspelz bis zum letzten Zug voll ausspielen. Er hatte es bis hierher geschafft, und nichts sollte ihn auf seinem Heimweg nach England aufhalten! Mit Francis Drake hatte er die Magellanstraße durchsegelt, ein Unternehmen, das einer Fahrt durch die Hölle gleichkam. In zahlreichen Raids an
der Westküste von Südamerika hatten sie die Spanier um Teile ihres immensen Gold- und Silberschatzes erleichtert, sich mit den Indianern verbündet und den Dons empfindliche Schlappen beigebracht - zuerst gemeinsam, dann getrennt. Nach der Kaperung der »Nuestra Senora de la Concepcion«, kurz »Feuerspucker« genannt, hatte er Drake wegen des Zwistes um Sir John Doughty ade gesagt und ihn und die ›Golden Hind‹ seitdem nicht wiedergesehen. Panama hatte unter dem einzigartigen Raubzug des Seewolfs und seiner Crew das Fürchten gelernt. Bei Callao in Peru hatte ein Verband spanischer Kriegsgaleonen den verhaßten Engländer stellten wollen, doch wieder hatte Hasard den Durchbruch geschafft. Danach der schwierige Weg vom Stillen Ozean zu den Küsten der Karibik: Hasard und seine Leute hatten die ›Isabella III.‹, ihre schnelle Zweimastgaleone, aufgegeben, und waren mit ihrer Gesamtbeute auf dem Rio Atrato durch Kolumbien zum Golf von Darien vorgestoßen mit Booten und zwei Flößen. Bei der Flußfahrt hatte sich ein Unglück ereignet: Jeff Bowie hatte durch den Biß eines Piranhas seine linke Hand verloren. Ende Juli hatten sie das Deltagebiet des Atrato am Golf von Uraba erreicht. Bei Punta Arenas, dem nordöstlichsten Zipfel des Golfes, war ihnen wiederum ein entscheidender Schlag gelungen. Sie hatten die ›Cartagena‹ entdeckt und gekapert. Hasard ließ den Blick über das schwach erleuchtete Deck, über die Aufbauten und die Takelage der Karavelle gleiten. Sie war kleiner, die ›Isabella IV.‹, doch der ›Isabella III.‹« ohne weiteres gleichwertig. Letztere hatte als Hauptarmierung nur acht Demi-Culverinen auf der Kuhl geführt. Die Karavelle jedoch verfügte über zwölf Kanonen, sechs auf jeder Seite. Außerdem war sie mit zwei Drehbassen auf dem Achterdeck bestückt. Auf der Back hatten Ferris Tucker und Al Conroy noch eine Drehbasse montiert, die sie in der Waffenkammer der Karavelle gefunden hatten.
Hasard hörte Jean Ribault rufen und schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er blickte zum Großmars auf. Schemenhaft waren die Körperkonturen des Franzosen zu erkennen. Hasard sah, daß er winkte. Offenbar hatte er nicht die Absicht, seine Meldung auf Deck herabzubrüllen und dadurch die Dons zu alamieren. Der Seewolf nahm den Niedergang zur Kuhl mit ein paar Sätzen, eilte zu den Luvhauptwanten und enterte katzengewandt in den Großmars auf. Er nahm das Spektiv mit, und als er oben neben Jean Aufstellung nahm, führte er es sofort ans Auge. Jean wies in östlicher Richtung, aber Hasard konnte dort nichts erkennen. Ein Kieker war eben völlig nachtuntauglich. Hasard blickte mit bloßem Auge nach Osten und entdeckte jenseits der behäbigen Leiber der Galeonen ein paar Schatten. »Piraten«, sagte Jean Ribault. »Sie schleichen sich wie die Raubtiere an. »Der Größe der Schiffe nach zu urteilen muß es sich um Schaluppen handeln«, sagte Hasard. »Wahrscheinlich führen sie jeweils einen Mast. Die Himmelhunde müssen ganz schön Mumm in den Knochen haben, sich mit ein paar Nußschalen an die Galeonen heranzuwagen.« »Ich glaube, es sind drei Schaluppen«, sagte Jean. Hasard beobachtete scharf und sah, wie sich die unheimlichen Schatten allmählich den letzten Schiffen im Konvoi näherten. Die Galeonen hielten nach wie vor die schräg versetzte Doppellkiellinie ein, aber drei hatten den Anschluß verloren, weil sie offensichtlich zu langsam waren oder ihre Kapitäne im wahrsten Sinne des Wortes schliefen und die Mannschaft nicht auf Trab hielten. Die ›Isabella‹ befand sich zwar nach wie vor leeseits achteraus des Geleitzuges, hatte die drei Bummelanten jedoch auch längst überholt. »Die hängen herum«, sagte Hasard. »Was würdest du tun, wenn du es wärst, der sich an den Konvoi heranpirscht, Jean?«
Ribault lächelte. »Das ist doch sonnenklar. Als Jäger würde ich die drei dicken Galeonen packen und verspeisen. Was tun wir? Greifen wir da ein?« »Warum denn wohl?« »Wir sind offiziell zum Schutz des Konvois da.« »Ja. Aber wir tun so, als wären wir blind - solange uns die Teufelsbraten von Freibeutern nicht in die Quere geraten.« Hasard kletterte wieder über die Segeltuchverkleidung des Großmars, schwang sich auf die Webeleinen der Luvwanten und hangelte nach unten. Vorläufig hatte er keine Lust, seine Mannschaft durch ein fragwürdiges Manöver größter Gefahr auszusetzen. Sollten die Spanier ihren Landsleuten zu Hilfe kommen! Dann waren die Fronten klar. Aber wenn er sich mit seiner Crew in die Bresche warf, riskierte er, zwischen zwei Feuern zu verbrennen. Es kam anders. Heimlich schoben sich die drei einmastigen Schaluppen an das letzte Transportschiff der Spanier heran. Hasard nahm wieder seinen Platz auf dem Achterdeck ein. Er stand neben dem Profos und hielt das Spektiv auf die in Bedrängnis geratene Galeone gerichtet. Im trüben Schein der Bordlaternen des Spaniers sah er, wie Bewegung auf Deck entstand. Gestalten stießen miteinander zusammen, verfingen sich ineinander. Gestalten sanken zu Boden, andere Gestalten turnten über sie weg und nahmen das Achterkastell in Beschlag. Kein Schuß fiel. Nur die Entermesser und Schiffshauer der Piraten sprachen. Bevor die Dons aus ihrer Lethargie erwachten, waren sie überwältigt. Ein paar Tote wurden in die See gestoßen. Klatschend schlugen die Körper ins Wasser. »Spätestens jetzt müßten die Dons Lunte riechen«, sagte Hasard. »Wenn sie aufpassen«, erwiderte Carberry. »Sie tun es nicht.«
»Und was tun die Piraten?« »Die nehmen sich die nächste Galeone vor.« »Verdammt und zugenäht«, sagte der Profos. »Irgendwie neide ich das diesen Rübenschweinen. Wollen wir nicht Kurs auf die Bastarde nehmen und ihnen die Suppe versalzen, was, wie?« »Nein«, antwortete der Seewolf ruhig. Die nächste Galeone wurde von den Freibeutern geentert, aber diesmal ging die Attacke nicht ohne Lärm ab. Die Überfallenen schrien. Schüsse krachten, Hasard konnte Mündungsblitze von Musketen und Pistolen zucken und weiße Qualmwolken aufsteigen sehen. Wieder ging die Partie zugunsten der Piraten aus, denn im Konvoi regte sich nichts. »Da pack mich doch der Satan«, platzte Carberry heraus. »Diese Stinkfische von Dons! Die scheren sich einen Dreck darum, was aus ihren Kameraden wird.« »Jeder ist sich selbst der Nächste«, sagte Hasard. »So lautet die Regel. Die Besatzungen der vorderen Schiffe tun einfach so, als hätten sie nichts bemerkt. Sie wollen nicht im Kampf gegen die Raubbestien verheizt werden.« Hasards Männer unter Deck waren von dem herüberwehenden Kampfeslärm geweckt worden. Sie stürzten aus Vor- und Achterdeck und versammelten sich betroffen am Steuerbordschanzkleid. Alle wurden Zeugen, wie auch die zweite gekaperte Galeone abdrehte und in der Nacht verschwand. Dann »schluckten« die Freibeuter der Karibik auch das dritte nachhängende Schiff, und wieder eilte kein Schiff aus dem Konvoi herbei, um Hilfe zu leisten. Die Piraten hatten fette Prise geschlagen. Das machte sie übermütig. Nachdem sie den Widerstand der Besatzung auf der dritten Galeone gebrochen hatten, veranstalteten sie ein Heidenspektakel. Sie johlten, pfiffen und stimmten ein wüstes Lied an. Es war der Gipfel der Dreistigkeit. Aber sie hatten wohl bemerkt, daß den Dons nicht
daran gelegen war, den Beutezug im Ansatz zu ersticken und die Prisenschiffe zurückzuerobern. Drei Verluste, das mochte noch in das Kalkül der Spanier passen - und die Freibeuter profitierten eiskalt von dieser Einstellung. Hasards Männer waren erbost über das Verhalten des Konvois. »Da hört sich alles auf«, sagte Matt Davies. »Die Spanier sind in meinen Augen allesamt lausige Kakerlaken, aber so ein Ende haben die Überfallenen nun wirklich nicht verdient.« Karl von Hutten blickte zu der abfallenden dritten Galeone hinüber und entgegnete: »Man muß unter den Spaniern gelebt haben, um ihre Anschauungen zu kennen. Den meisten gehen Kameradschaftsgeist und wahrer Patriotismus ab. Jeder denkt nur an seinen eigenen Vorteil, jeder ist verräterisch und bestechlich.« »He!« rief Dan O’Flynn plötzlich aus. »Jetzt seht euch doch mal diese rotzfrechen Burschen an!« Hasard stand über der Heckgalerie der Karavelle und hatte längst gesehen, was sich anbahnte. Die Freibeuter hatten jegliche Vorsicht vergessen. Drei Galeonen hatten sie sich unter den Nagel gerissen, aber das genügte ihnen noch nicht. Während einige Kerle mit den drei Prisenschiffen auf und davon rauschten, saßen die Restbesatzungen wieder in ihren Schaluppen und bereiteten einen neuen Zug vor. Sie hielten auf die ›Isabella IV.‹ zu. 3. Zwei einmastige Schaluppen segelten von Osten heran, die dritte hatte den Kurs gekreuzt und wollte die Zweimastkaravelle von Westen her angreifen. »He, Moment mal«, sagte Blacky. »Haben die nicht alle Becher im Schapp, oder was soll das heißen?«
»Da weiß man nicht, ob man lachen oder fluchen soll«, erwiderte Ferris Tucker vom Achterdeck her. Jan Ranse, der Holländer, schlug sich mit der Faust in die offene Hand. »Diese Narren! Jetzt haben sie sich aber ins eigene Fleisch geschnitten. Auf was warten wir noch?« Philip Hasard Killigrew trat an die Schmuckbalustrade und blickte auf die in der Kuhl versammelte Mannschaft hinunter. »Wir lassen sie heran«, sagte er. »Los, begebt euch auf die Gefechtsstationen und wartet mein Zeichen ab!« Schritte trappelten über Deck, die Männer suchten ihre Posten auf. Längst waren die Kombüsenfeuer gelöscht und die Planken mit Sand bestreut worden, längst war die Karavelle tipp topp klar zum Gefecht. Hasards Vorsichtsmaßnahme entpuppte sich wie üblich als Vorteil. Keine Hast und keine Nervosität kamen auf. Die Männer lauerten neben und hinter den Hartholzlafetten ihrer Geschütze und hatten die Fäuste um die Taue gespannt, die die Stückpforten öffnen würden. Edwin Carberry stand breitbeinig auf dem Quarterdeck, glich die leicht rollenden Schiffsbewegungen in den Hüften aus und hielt die Fäuste in die Seiten gestemmt. Mit wachem Blick kontrollierte er die Crew. Aber diesmal gab es nichts zu brüllen - alles war bereit. Al Conroy, Hasards Stückmeister, hatte sich an der Drehbasse auf der Back postiert und nahm schon die von Westen heransegelnde Schaluppe ins Visier. Der Seewolf hatte sich als Geschütz die Drehbasse auf der Steuerbordseite des Achterdecks ausgesucht, und Terris Tucker hielt sich neben ihm bereit, den Zündfunken anzuschlagen, der die Lunte in Brand setzen würde. Die dritte Drehbasse auf der gegenüberliegenden Seite des Achterdecks wurde von Bob Grey, dem flinken Engländer, bedient. Buck Buchanan assistierte ihm. Stille lastete plötzlich auf der ›Isabella‹. Nur das Knarren der Rahen und Blöcke waren zu vernehmen, das Rauschen, mit
dem die See gegen den Schiffsrumpf spülte, und das gelegentliche Ächzen des unter Zug stehenden Tauwerks. Die Piraten, die da von zwei Seiten heranglitten, mußten den Eindruck gewinnen, daß an Bord der Karavelle selbst die Wache in tiefem Schlummer lag. Sie versprachen sich leichtes Spiel. Die ehemalige ›Cartagena‹ war bei weitem nicht so groß wie die fetten Galeonen und hatte auch weniger Stückpforten. Philip Hasard Killigrew versetzte sich in die Gedanken der Freibeuter, während er über das Rohr der Drehbasse visierte und eine Schaluppe anpeilte. Er glaubte, die wilden Kerle schon grinsen zu sehen. Sie machten sich bereit, die Karavelle in die Zange zu nehmen, längsseits zu gehen und ihre Enterhaken an Berghölzern und Schanzkleid festzukrallen. Hasard besaß den Nerv, die Schaluppen ganz nahe heransegeln zu lassen. Der Abstand zwischen ihm und dem Einmaster, den er aufs Korn genommen hatte, betrug kaum noch einen Steinwurf oder besser: man konnte fast hinüberspucken. »Ich gebe den ersten Schuß ab«, raunte Hasard. Ben Brighton gab das weiter, und Carberry teilte es der Crew mit. Er konnte nicht nur brüllen, er konnte auch flüstern. Hasard konzentrierte sich auf die Schaluppe. Sie stach schräg von achtern auf das Heck der ›Isabella‹ zu und war eine schmale Silhouette, die mit dem Dunkel der Wasseroberfläche verwuchs. Hasard reichte Ferris Tucker die Lunte. »Anzünden.« Er kniete hinter dem Bodenstück der Drehbasse und zielte. Er registrierte die Stampfbewegungen seines Schiffes, korrigierte die Seiten- und Höhenrichtung des Geschützes in der Gabellafette, setzte es dann fest und war bereit. Der Abstand zwischen Karavelle und Schaluppe schmolz mit unheimlicher Schnelligkeit zusammen. Hasards Hand mit der Lunte glitt zur Zündpfanne, deren schmaler Kanal zur
Pulverladung im Bodenstück der Drehbasse führte. Hasard drückte die Lunte auf die Pfanne. Er warf sich nach links und rief: »Feuer frei! Zeigt den Hurensöhnen die Zähne!« »Feuer!« Carberrys Stentorstimme verstärkte den Ruf, daß er über Deck und durch die Schiffsräume bis in die Vorpiek hallte. Die Drehbasse ruckte in ihrer Lafette zurück und spie Feuer und Rauch. Das Geschoß fuhr in den Nachthimmel, orgelte zu dem Einmaster der Piraten hinüber und riß ein breites Loch in die Backbordwand knapp oberhalb der Wasserlinie. Jemand schrie auf, jemand kippte todwund über Bord. Bei den Freibeutern war plötzlich der Teufel los. Bevor sie richtig begriffen, was los war, flogen die Stückpforten der Karavelle hoch, und an beiden Seiten lugten die Kanonenmündungen hervor. Sie brüllten auf und spuckten Tod und Verderben, und plötzlich herrschte auch auf den anderen beiden Schaluppen allerschlimmster Zustand. Bob Grey und Al Conroy ließen schließlich auch ihre Drehbassen sprechen. Damit war das Unheil perfekt. Die Piraten schrien durcheinander und schleuderten sich gegenseitig sinnlose Befehle an den Kopf. Und doch wußte niemand, was er tun sollte. Die Panik war perfekt, weil der Angriff der Karavelle völlig überraschend erfolgt war. Was bei den drei nachhängenden Galeonen prompt gelungen war, wurde hier für die Freibeuter zum großen Fiasko. Einige warfen sich hinter die Bordgeschütze und zündeten die Lunten oder feuerten ihre Musketen auf den Gegner ab. Doch in der Aufregung zielten sie entweder schlecht oder überhaupt nicht. Kein Blei drang der ›Isabella IV.‹ in die Seite und riß sie wund, kein Geschoß fetzte über Deck und richtete ein Blutbad unter den Männern an. Hasard nutzte die Unschlüssigkeit und Verwirrung des Feindes kaltblütig aus. Er ließ seine Drehbasse nachladen, zielte von neuem und feuerte wieder auf den Steuerbord
achteraus segelnden Einmaster, ehe die Piraten überhaupt richtig zum Luftschnappen kamen. Diesmal traf er den Mast. Der knickte ab, und die Großmarsspiere durchbohrte einen Freibeuter. Sein Gebrüll vermischte sich mit den klagenden Rufen der anderen Kerle, die von dem fallenden und in die See schlagenden Mast mitgerissen wurden. Die Schaluppe kenterte und kippte ihre gesamte Besatzung ins Meer. Al Conroy war unterdessen auch nicht untätig gewesen. Frisches Pulver und Blei ruhten im Rohr seiner Drehbasse. Er setzte die Lunte in Brand. Die einzelne Schaluppe auf der Backbordseite der ›Isabella‹ war schon hart angeschlagen, hielt aber nach wie vor auf die Karavelle zu. Ein paar ausgesprochen hartnäckige Freibeuter bedienten weiterhin die Geschütze und rückten der Karavelle jetzt so bedenklich nahe, daß ein Treffer durch die Geschütze der Piraten unabwendbar schien. In die Anstalten der Piraten, dem Feindschiff eine Kanonenkugel in die Backbordwand unterhalb der Wasserlinie zu setzen, donnerte Al Conroys Geschoß. Das Blei hieb in die Schaluppe, es krachte und splitterte, und ein paar der Kerle wurden glatt vom Deck geräumt. Das war aber noch nicht alles. Plötzlich stach ein grellgelber Feuerblitz himmelan. Seine Farbe schlug in flammendes Rot um und wurde dann, noch während ein ohrenbetäubender Donnerhall über die See bebte, von Rauchschwaden schmutziggefärbt. Hasards Männer legten sich flach auf Deck, denn die Trümmerstücke der Schaluppe wirbelten hoch durch die Luft und prallten entweder auf die Planken der Karavelle nieder oder verschwanden in der schwarzen See. »He, ho, Al hat die Pulverkammer der Piraten erwischt!« schrie Dan O’Flynn. Im nächsten Augenblick sackten seine Mundwinkel herunter, denn etwas klatschte mit dumpfem Laut neben ihm auf die Kuhl - das Bein eines zerfetzten Freibeuters. Die Steuerbordgeschütze der ›Isabella‹ stimmten von neuem
ihr vernichtendes Lied an. Sechs Rohre brüllten auf und streuten ihre Ladung gegen die dritte, noch halbwegs intakte Schaluppe aus. Die Geschütze ruckten auf ihren Lafetten zurück und wurden von den Brooktauen aufgehalten. Pulverqualm breitete sich auf Deck aus und fand beißend Einlaß in die Lungen der Männer. Blacky kroch an seiner Kanone vorbei, streckte den Kopf aus dem Lukensüll und rief: »Wir haben den Himmelhunden wieder eins verplättet!« Die dritte Schaluppe war so schwer getroffen worden, daß sie in der Mitte auseinanderbrach. Unter dem Beschuß der Kanonen waren auch hier Gegner getötet, zerfetzt und durch die Luft gewirbelt worden. Wer noch lebte, warf sich in die See und versuchte schwimmend zu entkommen. Der Untergang der Schaluppentrümmer war eine Sache von Augenblicken. Gurgelnd verschwanden sie in den Fluten. Für eine Weile war noch der Bugspriet zu sehen, der wie mahnend steil nach oben aufragte, dann entzog auch er sich den Blicken von Hasard und seinen Männern. Von der Schaluppe an der Backbordseite der Karavelle waren nur noch Rudimente übrig, die traurig auf den Wellen schaukelten oder auf der ›Isabella‹ verstreut lagen. Dan O’Flynn überwand sich und warf das Bein des Piraten über Bord. Als er aber über Deck schlich, fand er noch mehr Leichenteile. Bei ihrem Anblick stülpte sich ihm fast der Magen um. Der Seewolf blickte zu dem Rumpf der ersten Schaluppe hinüber. Nachdem der Mast weggebrochen und sie gekentert war, trieb sie kieloben. Sie blieb hinter der Karavelle zurück. Hasard sah, wie sich drei, vier Gestalten aus dem Wasser schoben und sich an den Holzwänden festklammerten. »Sie haben sich unter dem Kahn versteckt und die Luft des Hohlraumes geatmet, der zwischen Planken und Wasserspiegel entstanden ist«, sagte er zu Ben Brighton, Ferris Tucker und
dem Profos. »Wenn sie nicht von den Haien verschlungen werden, werden sie irgendwann mit ihren Gefährten zusammentreffen und ihnen berichten, was geschehen ist. Ich hoffe, daß ihnen die Sache eine Lehre ist.« »Denen schon«, erwiderte Bob Grey, der mitgehört hatte. »Aber es wird andere geben, die uns einen Besuch abstatten wollen. Die Karibik ist ein Tummelplatz für Freibeuter aller Herkunft.« Unten auf der Kuhl und vorn auf der Back begannen die Männer damit, die Geschütze zu säubern und mit Tauen festzuzurren. Einige, darunter Matt Davies, Batuti und Stenmark, räumten die Trümmerteile der explodierten Schaluppe und die Leichenteile von Deck. »Eins will mir nicht in den Kopf«, sagte Matt Davies. Er hob einen blutverschmierten Arm auf und schleuderte ihn in hohem Bogen in die See. »Diese Scheißpiraten haben drei Galeonen gekapert und hätten sich still und heimlich verziehen können, wenn sie nicht so dämlich gewesen wären, es mit uns aufzunehmen. Wieso sind wir nicht auf die Idee gekommen, uns eins der nachhängenden Schiffe aus dem Konvoi zu angeln, umzuladen und zu verduften? Wir wären dann längst in Sicherheit.« »Wieso hast du’s Hasard nicht vorgeschlagen?« fragte Stenmark. »Tja ich ...« »Frage von Grütze im Kopf«, erinnerte Batuti grinsend an die Worte des Kutschers. »Ach, hör doch auf«, gab Matt Davies zurück. Er drohte mit seiner Hakenprothese. »Komm mir nicht zu nahe, sonst kann’s passieren, daß ich dir die Haut abziehe.« »Ich glaube, Hasard hat sich das passende Schiff einfach noch nicht ausgesucht«, sagte Stenmark, der Schwede. »Er will das größte und schönste. Und ich schätze, er hat auch noch einiges mit dem Konvoi vor.«
Ferris Tucker hatte eine Beschädigung am Schanzkleid über der Heckgalerie festgestellt und schickte sich an, sie auszubessern. Ein Trümmerstück der in die Luft geflogenen Schaluppe war mit voller Wucht auf die Handleiste geknallt, und da es sich bei dem Überrest um Eisen gehandelt hatte, war die Leiste glatt eingeknickt. Ferris wollte ein Holzleiste darunternageln und hielt eine Hand aufgestützt - da legte sich plötzlich etwas Kaltes auf seine Finger. Er zuckte unwillkürlich zusammen. Er wollte die Hand zurückziehen, aber sie wurde mit Macht festgehalten. Zu seinem Entsetzen erkannte er eine fremde Hand. Im nächsten Augenblick schob sich ein verzerrtes, dunkles Gesicht vor ihm hoch. Eine Fratze! Schwarze Augen richteten sich voll kaltem Haß auf sein Gesicht, und die andere Hand, die dem unheimlichen Angreifer gehörte, zeigte jählings ein langklingiges Messer. »Keine Dummheiten«, zischte der wüste Kerl. »Sonst stirbst du!« Ferris hatte keine Chance. Er hatte sein Steinschloßpistole im Hosenbund stecken, doch sie war in diesem Moment unerreichbar fern. Tat er auch nur eine Geste zum Heft der Waffe hin, war er ein toter Mann. Der fremde Kerl würde ihm das Messer in den Leib rammen. In Ferris Tuckers Kopf überstürzten sich die Gedanken, doch er konnte sich die Zusammenhänge einigermaßen zusammenreimen. Einer der Piraten mußte es im Kampfgetümmel geschafft haben, an die ›Isabella IV.‹ heranzuschwimmen. Er hatte es bis zum Heck geschafft und sich dann mit einem Enterhaken oder wußte der Teufel wie hochgezogen. Wahrscheinlich hatte er sich am Ruder festgeklemmt und sich möglicherweise in die Hennegatöffnung geduckt, während der Kampf tobte. Keiner hatte ihn bemerkt. Jetzt stand er jedenfalls auf einem der Berghölzer und bedrohte ihn, Ferris Tucker, mit einem spitzen Messer, und erweckte nicht den Eindruck, als würde er sich zu irgendwelchen Kompromissen überreden lassen.
»Umdrehen!« kommandierte der Kerl. Er verfügte über eine bräunliche Hauttönung, etwa in der Farbe wie das Zeug, das die Indianer Südamerikas Tabak nannten. Seine Lippen waren dick und stark geschwungen, fast wulstig, seine Haare schwarz und kraus. Ferris sagte sich, daß er ein Araber sein mußte. Aber das half ihm auch nicht weiter. Er saß in der Klemme. Der Araber würde ihn als lebenden Schutzschild benutzen und über das Achterdeck treiben. Im Handumdrehen würde er die ›Isabella‹ erobern, denn kein Mann aus der Crew würde es wagen, das Leben des Schiffszimmermannes leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Der Araber glitt hinter ihm auf Deck und zog ihm die Steinschloßpistole aus dem Hosenbund. Tucker war der Verzweiflung nahe. Er suchte nach einem Ausweg. Doch die Messerspitze berührte drohend seinen Rücken. Der Pirat schob die Pistole an Ferris Hüfte vorbei, spannte den Hahn und schrie: »Hergehört! Es geht eurem Freund dreckig, wenn ihr nicht sofort die Hände hebt!« Er rief das auf spanisch, mit falscher Betonung und hartem Akzent. Hasard, Ben Brighton, Karl von Hutten und alle anderen, die ein paar Brocken Spanisch verstanden, begriffen sofort. Sie wirbelten herum und blickten fassungslos auf den halbnackten Kerl, der da Tucker bedrängte und als Geisel benutzte. Hasard glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Wie hatten sie sich so übertölpeln lassen können! Er machte sich die schwersten Vorwürfe. Aber das hatte keinen Zweck. Damit kam er auch nicht weiter. »Keinen Widerstand leisten«, sagte er. Langsam hob er die Hände. Es war erniedrigend und schimpflich. Aber Ferris Leben, das in diesen Augenblicken an einem dünnen Faden hing, ging vor. Der Araber schob Ferris auf den Seewolf zu. »Du nimmst ihm die Waffen ab«, ordnete er an.
Tucker blickte seinen Kapitän fragend und verzweifelt an, er verstand die spanischen Worte wirklich nicht. Hasard übersetzte: »Du sollst mich entwaffnen.« »Nur über meine Leiche.« »Tu es, Ferris.« »Aye, aye, Sir.« Der Araber packte den Zimmermann am Kragen, hielt ihn zurück und brüllte: »Was redet ihr da? Wer seid ihr? Keine Spanier?« Eine Antwort blieb Hasard ihm schuldig, denn urplötzlich sauste etwas durch die Luft und geradewegs auf den Kopf des Arabers. Ein dumpfer, trockener Ton entstand, und der Freibeuter stöhnte auf. Er ging in die Knie. Arwenack hatte eingegriffen. Von dem Araber unbemerkt, hatte er in den Luvwanten gekauert und eine Kokosnuß auf den Schädel des Kerls geschleudert. Ferris Tucker nutzte diese Wende aus. Er ließ sich fallen und trat dabei mit den Füßen gegen die Knöchel des Piraten. Der Kerl geriet aus dem Gleichgewicht. Er stolperte und drückte trotz seiner Benommenheit noch die Pistole ab. Krachend brach der Schuß. Er raste wirkungslos in den Nachthimmel. Philip Hasard Killigrew federte aus dem Stand auf den Araber zu und hieb ihm die Faust auf den Messerarm. Der Kerl brüllte. Er ließ die Pistole fallen, aber das Messer wollte er sich nicht aus dem Griff winden lassen. Hasard packte zu und drehte seinen Arm um. Da polterte die scharfe Waffe auf die Planken des Achterdecks. Der Seewolf rammte dem Piraten die Faust unter das Kinn. Dieser flog an Deck, wälzte sich aber zur Seite und rappelte sich doch noch wieder auf. Er war knallhart im Nehmen, ein dunkler, triefender Riese mit haßverzerrtem Gesicht und rollenden Augen. Er hatte das seiner Hand entglittene Messer im Auge und wollte sich daraufstürzen. Doch in diesem
Augenblick zuckte etwas Blitzendes durch die Luft. Bob Grey hatte gehandelt. Er war klein und drahtig und ein Meister im Messerwerfen. Das Eisen, das er aus dem Gurt gerissen hatte, huschte auf den Araber zu und grub sich in dessen Herzgegend. Der Araber schnitt eine ungläubige Grimasse, die etwas Groteskes hatte. Er torkelte noch zwei Schritte auf den Seewolf zu, dann kippte er vornüber und schlug hart auf. Hasard kniete sich neben ihn und drehte ihn auf den Rücken. Das Messer hatte sich beim Aufprall noch tiefer in die Brust des Mannes gerammt und war fast darin verschwunden. »Tot«, sagte Hasard. »Das war knapp«, versetzte Ferris Tucker. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Hasard schaute zur Bob Grey hinüber und sagte: »Danke, Bob.« Der Engländer zuckte mit den Schultern. »War nicht mein Verdienst. Du wärst auch allein mit ihm fertig geworden.« Hasard erhob sich. »Es ist mehr wert als alles Gold der Welt, eine gute, aufeinander eingespielte Crew zu haben. Wäre dem nicht so, könnten wir nicht bestehen. Es ist schließlich nicht das erste Mal, daß wir uns im letzten Moment aus einer brenzligen Situation winden.« »Es ist alles meine Schuld«, sagte Ferris. »Ich hätte mich nicht so blöd anstellen sollen.« »Großer Irrtum«, entgegnete der Seewolf. »Wenn hier jemand die Verantwortung für den Zwischenfall trägt, bin ich das.« »Hört doch auf«, mischte sich der Profos ein. »Das nächste Mal überzeugen wir uns eben alle besser, ob nicht irgendwo außenbords ein blinder Passagier mitfährt.« Sie packten den Araber und hoben ihn über das Schanzkleid. Ihre Augen verfolgten den Flug seines leblosen Körpers und sahen zu, wie er in die schwärzlichen Fluten stieß und für ewige Zeiten in den Tiefen verschwand, in denen die
menschenfressenden Bestien Rückenflossen die Herren waren.
mit
den
dreieckigen
4. Die schmucke Dreimastgaleone hieß ›San Josefe‹ und war das Flaggschiff des spanischen Konvois. Unter prall gebauschten Segeln strich sie durch die Nacht, und ihr Kapitän, der Capitan General Don Francisco Rodriguez, befand sich in der Kapitänskammer des Achterkastells, einem prunkvoll und mit viel Pomp eingerichteten Gemach, als die ›Cartagena‹ das Feuer auf die Piratenschaluppen eröffnete. Einer der Seesoldaten, die oben auf Deck Wache schoben, tat seine Pflicht und eilte den Niedergang in die Poop hinunter. Er hastete durch einen Gang, verharrte vor der Tür zur Kapitänskammer und klopfte an, wie es die Vorschrift verlangte. Täuschte er sich, oder ertönte dort drinnen außer dem verhaltenen Fluchen des Generalkapitäns auch noch Gekicher? Etwas wurde zur Seite geschoben und fiel polternd um. Schlurfende Schritte näherten sich von innen der Tür, und eine barsche Männerstimme fragte: »Was, zum Teufel, fällt euch Idioten ein, mich in meiner verdienten Nachtruhe zu stören?« Der Seesoldat trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, als verspüre er ein dringendes Bedürfnis. »Senor Capitan General, verzeihen Sie vielmals, aber Sie müssen unbedingt an Deck kommen. Das dürfen Sie sich nicht entgehen lassen!« Eine Weile herrschte Schweigen, aber dann schien auch Don Francisco Rodriguez das Böllern der Kanonen auf See zu vernehmen, denn er rief: »Wer schießt?« »Unser Begleitschutz.« »Die ›Cartagena‹?«
»Die ›Cartagena‹.« »Dann ist doch alles in bester Ordnung. Die wird uns jeden Störenfried vom Leibe halten. Pack dich und verschwinde, du Narr.« »Senor Senor Capitan Senor, nein!« stammelte der Posten. »Wir wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen und brauchen Ihre Anweisungen.« Die Tür flog auf und knallte gegen die Wand. Ein übergewichtiger, schwitzender Mensch erschien. Er trug eine beinenge seidene Strumpfhose, hatte aber in der Eile weder seine kurze Kürbishose noch sein Schoßwams übergestreift und bot einen eher lächerlichen als beeindruckenden Anblick. Sein Oberkörper wurde nur von einem dünnen Hemd bedeckt. Der Posten hatte Gelegenheit, außer dem ihm bereits bekannten Wabbelkinn des Don Rodriguez auch dessen gewaltigen, wackelnden Bauch zu betrachten und das grobe Mißverhältnis zu registrieren, in dem dieser zu den dünnen und krümmen Beinen seines Besitzers stand. »Was glotzt du mich so an, du Hund?« schrie Don Rodriguez. »Hilf mir gefälligst in mein Wams!« Der Seesoldat assistierte seinem höchsten Vorgesetzten auf dem Gang. Der Generalkapitän streckte seine fleischige Hand in die Kammer zurück und nahm die notwenigen Kleidungsstücke entgegen. Der Posten fragte sich im stillen, wer es wohl sein mochte, der sich dort noch aufhielt. Wenig später begaben sich die Männer an Deck. Don Francisco Rodriguez kletterte in voller Montur auf das Achterdeck und verfolgte von nun an die Endphasen des Kampfes, der sich weit hinten am Ende des Geleitzuges abspielte. Als die eine Schaluppe der Piraten in die Luft flog, setzte er das Spektiv ab und sagte: »Großartig - ganz einfach großartig!« Im aufflammenden Licht des Feuers auf den Schaluppen erkannte der Generalkapitän, daß die Zweimast-Karavelle stolz
und unbehelligt mitten im Schlachtgetümmel schwamm, und er ließ sich zu weiteren begeisterten Kommentaren hinreißen. Als das Feuer nachließ, vermochte er durch die Optik kaum noch etwas zu erkennen, doch er wußte, daß die ›Cartagena‹ unversehrt war und drei Feindschiffe in die Flucht geschlagen hatte. »Hervorragend«, sagte er. »Ich bin entzückt.« Der erste Offizier meldete: »Senõr Capitan General, es ist meine Pflicht, Sie von der Kaperung der letzten drei Galeonen im Konvoi durch die Piraten zu unterrichten. Die Galeonen sind entführt worden.« Don Rodriguez winkte ab. »Den Verlust können wir verkraften. Hauptsache, uns ist nichts passiert und der Großteil der Schiffe befindet sich noch in unserem Kielwasser. Hätten die Narren auf den drei Galeonen doch besser die Augen aufgehalten.« Er holte tief Luft, was seinen prallen Bauch unter der Uniformjacke noch mehr aufblähte. Dann fügte er hinzu: »Diese ›Cartagena‹ ist ein blitzsauberes Kampfschiff. Wie die mit den Freibeutern fertig geworden ist - grandios! Sie gibt einen vorzüglichen Schild für unseren Konvoi ab. Ihr Führer, Capitan Rafael Castelar, verdient eine Belobigung und den Respekt sämtlicher Geleitzugkapitäne.« »Si, Senõr«, antwortete der Erste Offizier pflichtschuldigst. »Morgen früh statte ich ihm einen Besuch ab«, schloß der Generalkapitän. Dann kehrte er in seine Kammer zurück, wo er offenbar etwas Wichtiges und Unaufschiebbares zu erledigen hatte. * Der Morgen des 5. August 1579 kündigte sich durch graurote Schleier an. Dan O’Flynn hockte wieder als Großmastgast im Ausguck und hielt die Augen offen. Der glühende Sonnenball hatte sich im Osten noch nicht über die Kimm geschoben, da
ließ er einen gellenden Pfiff erschallen und scheuchte den Seewolf aus dem kurzen Schlaf, den dieser sich gegönnt hatte. Hasard riß sich von seinen Träumen los, fuhr aus der Koje hoch und kleidete sich rasch an. Er hastete nach oben und blickte vom Quarterdeck aus zu Dan hoch. »Wir kriegen Ärger!« rief das Bürschchen. Er wies nach Nordosten, und Hasard folgte der Geste mit dem Blick. Deutlich konnte er nun verfolgen, wie sich eins der spanischen Schiffe aus dem Konvoi löste und zur umgetauften ›Cartagena‹ herüberstaffelte. Die Galeonen waren graue Schatten unter dem Licht der Morgendämmerung, und sie hielten ihren Kurs nach wie vor strikt ein. Nur das eine Schiff tanzte aus der Reihe - unzweifelhaft mit der Absicht, ihnen einen Besuch abzustatten. Hasard nahm den Kieker zur Hand und hob ihn vors Auge. Die Dreimastgaleone war ein ausgesprochen schönes und allem Anschein nach reich verziertes Schiff. Ihren Flaggen nach zu urteilen mußte sie das Hauptschiff des Geleitzuges sein. Hasard spitzte die Lippen und stieß einen leisen Pfiff aus. Dann versammelte er die Männer auf der Kuhl. »Wir gehen nach dem erprobten Rezept vor«, erklärte er. »Mit dir, Ben, mit Karl und Jean und mir sind vier Männer an Bord, die die spanische Sprache einwandfrei beherrschen.« »Ich weiß, worauf das hinausläuft«, erwiderte von Hutten. »Wir sollen wieder mal so tun, als seien wir reinblütige Dons. Das kann ins Auge gehen, Hasard. Immer werden sie’s nicht schlucken, die Spanier!« »Wir müssen nur die Gelassenheit wahren«, widersprach der Seewolf. »Alle Dunkelhaarigen bleiben auf Deck, die anderen schieben nach unten ab. Ben, du setzt dir eine Perücke auf dein dunkelblondes Haar.« »Aye, aye, Sir«, antwortete der Bootsmann und Erste Offizier ohne Begeisterung. Er stöhnte sogar, denn nichts war ihm mehr zuwider als solche Unternehmungen. Er hing lieber mit einem
Entermesser zwischen den Zähnen an einer Brasse und ließ sich zu einem feindlichen Schiff hinüberschwingen. »Karl, du färbst dir rasch die Haare dunkel«, fuhr Hasard ungerührt fort. »Und dann verteilt ihr euch auf eure Posten und spielt gefälligst eure Rollen, wenn euch eure Haut und euer Schiff lieb sind. Was ihr zu tun habt, wißt ihr ja.« »Aye, aye, Sir«, gab die Mannschaft im Chor zurück. Bald befanden sich nur noch wenige Männer an Deck, eben nur die Dunkelhaarigen und die, die Spanisch konnten. Ferris Tucker mit seinem Rotschopf beispielsweise hatte sich unter das Achterdeck verziehen müssen, desgleichen Stenmark, der Kutscher, Batuti und Smoky. Arwenack befand sich bei ihnen. Seine Anwesenheit brauchte zwar nicht verfänglich zu sein - es war ja durchaus denkbar, daß auch eine spanische Schiffsbesatzung einen Affen als Maskottchen mitführte -, aber so vorbildlich, wie Arwenack sich beim Auftauchen des Arabers verhalten hatte, so sehr konnte er ins Fettnäpfchen treten, wenn Spanier an Bord stiegen. Wenn der Schimpansenjunge jemanden nicht leiden konnte, begann er mit Kokosnußschalen zu werfen. Und Spanier konnte er auf den Tod nicht ausstehen. Am Spillgang standen Blacky, Sam Roskill und Karl von Hutten, der sich seine Haare inzwischen gefärbt hatte und die Befehle weiterleiten sollte, falls Hasard oder Ben Brighton den Männern in der Kuhl Anweisungen geben mußten, während sich ein Spanier an Bord der ›Isabella‹ aufhielt. Ben und Jean waren bei dem Seewolf und standen mit ihm an der Steuerbordreling des Achterkastells, um den weiteren Verlauf der Dinge zu verfolgen. Es kam, was kommen mußte. Das Flaggschiff des Konvois staffelte näher heran, und der Seewolf und seine Vertrauten hatten Gelegenheit, es noch näher in Augenschein zu nehmen. Die Heckgalerie und überhaupt alle Aufbauten waren mit vielen Schnörkeln und
anderem reichen Zierrat versehen, man hatte sich nicht damit begnügt, nur die üblichen Holzschnitzereien anzubringen. Irgendwie hatte das steil nach, hinten aufragende und spitz zulaufende Achterkastell des Schiffes Ähnlichkeit mit dem Allerwertesten einer jener aufgedonnerten Ladys, die am Hof der Königin von England und in den Fürstenhäusern verkehrten - wenigstens stellte Hasard diesen Vergleich an. Sie war eine hochnäsige, aber schöne Lady, diese Dreimastgaleone. O ja, sie gefiel Philip Hasard Killigrew auf Anhieb. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick! Am Bugspriet des Schiffes, das konnten sie nun auch sehen, baumelte jenes unvermeidliche Holzkreuz, das Dons als Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit und Herkunft mitführten. Zwischen Vorsteven und Heck türmte sich das pralle Vollzeug an den drei Masten auf, und darunter, in der Backbordwand, hoben sich die Umrisse von zwölf Stückpforten ab. Zwölf auch auf der Steuerbordseite, das ergab insgesamt vierundzwanzig Geschütze. Hasard forschte mit dem Spektiv die Decks der Galeone ab und entdeckte noch vier Drehbassen auf dem Vorkastell sowie sechs Drehbassen auf dem Achterkastell - je zwei beziehungsweise drei auf jeder Seite. Ein nicht nur schmucker Kasten war dieses Flaggschiff, es war auch hervorragend armiert! »Ein toller Brocken«, sagte Ben Brighton anerkennend. Jean Ribault lächelte wieder einmal sein nonchalantes Hugenotten-Lächeln. »Er heißt ›San Josefe‹, der Brocken. Wenn ihr genau hinschaut, könnt ihr die Schriftzüge am Heck erkennen. Und stellt euch mal vor, wir würden statt dessen ›Isabella V.‹ aufmalen ...« »Du spinnst ja«, gab Ben zurück, denn ihm war immer noch nicht ganz wohl in seiner Haut. Angesichts der dreiunddreißig neben ihnen herdefilierenden Galeonen war das auch wirklich nichts Beschämendes. Alle Männer an Bord hatten dieses beklemmende Gefühl - und den Seewolf ritt wieder mal der
Teufel, den Spaniern etwas vorzugaukeln. Hasard liebäugelte mit dem Flaggschiff. Aber natürlich sah er sein Ziel noch in weite Ferne gerückt. Er wußte, daß es besser gewesen wäre, noch in der Nacht abzuziehen, doch jetzt war es zu spät. Es würde sich herausstellen, ob Frechheit siegte. Er setzte auf den großen Bluff. Er ließ den Kieker sinken, drehte sich zu seinen erstarrten Männern um und grinste sie an. »Nun stiert doch nicht wie die Hornochsen. Ich habe den Eindruck, unsere Freunde dort drüben haben sich endlich zu einer Anstandsvisite aufgerafft. Was ist denn daran so schlimm?« »Ich bewundere deine Nerven«, sagte Jean. »Pff«, machte Ben Brighton. »Ich hab’s ja gewußt, daß es eines Tages schlecht für uns ausgeht. Ich hab das blöde Gefühl, unsere Stunde hat geschlagen.« Hasard blickte wieder zu der ›San Josefe‹ hinüber. »Der Brocken geht in den Wind und geit die Segel auf. He, Leute, jetzt gibt er uns ein Signal!« Sie lasen aus den Signalflaggen der Galeone, daß der Generalkapitän der ›San Josefe‹ die ›Cartagena‹ darum bitte, ebenfalls beizudrehen, da der Generalkapitän die Absicht habe, an Bord zu kommen. »Na schön, dann geien wir also auch die Segel auf«, sagte der Seewolf gelassen. Ben Brighton blickte ihn bestürzt an. »Sag mal, ist das dein Ernst?« »Selbstverständlich. Zweifelst du an meinen Worten, Mister Brighton? Wo bleibt da die Disziplin?« »Ich - Verzeihung, Sir. Aye, aye, Sir!« Ben leitete den Befehl weiter. Die ›Isabella IV.‹ verlor an Fahrt und drehte in den Wind. Wenig später wurde von Bord der ›San Josefe‹ eine Segelpinasse abgefiert. Die Galeone dümpelte etwa eine halbe Kabellänge von der Karavelle entfernt auf den Wellen der See. Männer enterten an Bord der
Pinasse, aber sie setzten nicht erst das Segel, sondern überbrückten die kurze Distanz, indem sie sich kräftig in die Riemen legten. Sie pullten einen fettleibigen Menschen in Uniform heran. Hasard betrachtete ihn durch das Spektiv und studierte ihn eingehend. Kein Zweifel, das war der Generalkapitän. Der Führer des Geleitzuges. Ein Typ, wie er ihn zur Genüge kannte: pomadig, dick, mit Hängewangen und Doppelkinn und einem geradezu unanständig vorstehenden Bauch, der mit den anderen Fettpolstern im Gleichklang wabbelte. Dennoch unterschied sich dieser Mann im Charakter von Burschen wie etwa jenem Hafenkommandanten Don Alfonso de Roja aus Panama, dem er äußerlich glich, wie sich dicke Mastschweine nun einmal ähneln. De Roja war ein mieser Kerl, der nach oben hin buckelte und nach unten trat und bei Bedrohung umfiel wie ein Kartenhaus. In diesem Punkt taxierte Hasard den Generalkapitän des Konvois anders ein. Er war zwar auch ein feister Widerling, schien aber einen knallharten Kern zu besitzen. Und das mußte er sehr, sehr genau beachten, wenn er sich nicht durch eine Unvorsichtigkeit verraten wollte. Die Pinasse stieß mit ihren Fendern gegen die Steuerbordwand der Zweimastkaravelle. »Die Jakobsleiter«, sagte Hasard. »Auf was wartet ihr denn noch?« Sam Roskill und Karl von Hutten ließen die Leiter ab. Kurz darauf kletterten zunächst zwei Seesoldaten aus der Pinasse an Bord der ›Isabella‹. Sie nahmen Aufstellung neben Sam und Karl, nickten ihnen kurz und bedächtig zu, und einer von ihnen verkündete: »Der Capitan General, Don Francisco Rodriguez, will dem Capitan Rafael Castelar von der ›Cartagena‹ seinen Dank für den hervorragenden Einsatz von heute nacht aussprechen.« Ben Brighton stand auf dem Niedergang, der von der Hütte auf die Kuhl führte. Er wäre am liebsten im Schiffsbauch
versunken. Jean Ribault stand neben dem Seewolf am Querabschluß des Achterdecks und sagte leise: »Rafael Castelar? Verdammt, jetzt sitzen wir in der Falle. Den haben wir nicht zu bieten. Aber der Generalkapitän kennt ihn offenbar ...« »Ruhig Blut«, zischte der Seewolf. Laut erwiderte er: »Wir erwarten den Capitan General um ihm unsere Ehrerbietung zu erweisen.« Die Seesoldaten salutierten, dann beugte sich der Sprecher über das Schanzkleid und bedeutete seinem Capitan durch eine Gebärde, daß er hier erscheinen könne. Rodriguez hatte sich ankündigen lassen, wie das einem Mann seiner Reputation geziemt. Er quälte sich schnaufend die Jakobsleiter hoch. Als er an Bord trat, glich er tatsächlich einem Mastschwein. Seine schwarzen Augen glänzten hinter Fettwülsten, und seine Perücke war verrutscht. Doch all das täuschte nicht darüber hinweg, daß er Hasard und seiner Crew gefährlich werden konnte. »Rafael Castelar - wo ist er?« Rodriguez blickte sich um, entdeckte den Kapitän aber nirgendwo. Er wollte schon verärgert mit dem Fuß aufstampfen und seine beiden Posten zurechtstauchen, da schritt der Seewolf über die Kuhl auf ihn zu. Hasards Gesicht war von Trauer gezeichnet. Er verstand es glänzend, seinem Auftritt etwas unnachahmbar Tragisches zu geben. Vor dem Dicken deutete er eine Verbeugung an, dann sagte er in sauberem Spanisch: »Senor Capitan General, unsere Herzen sind voller Schmerz. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen die schreckliche Nachricht überbringen soll.« Rodriguez zog die spärlichen Augenbrauen hoch. »So reden Sie doch, Mann. Castelar geht es nicht gut? Ist er verletzt?« »Schlimmer, Senor Capitan General.« Rodriguez schluckte heftig und befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze. Erst dann sagte er leise: »Er ist - tot?«
Hasard nickte, und Ben Brighton und die anderen dachten, jetzt müßten sie alle in Glut und Asche versinken. Don Francisco Rodriguez stieß pfeifend die Atemluft aus. Er zückte ein weiches, weißes Tuch und fuhr sich damit über die Stirn. »Jesus Maria und Josef, der arme Rafael Castelar. Wie konnte das geschehen?« Hasard verzog leidend das Gesicht, als sei er den Tränen nahe. »Die Trauer überwältigt mich, Senor Capitan General, ich - ich bitte Sie, meine Schwäche zu entschuldigen.« Seine Stimme stockte tatsächlich. »Der Capitan - nun, gleich bei der ersten Feindberührung traf ihn das Blei einer Muskete. Es war ein verdammenswerter Zufall, und wir haben die Piraten dafür in Stücke geschossen, aber der Capitan war nicht mehr zu retten. Dabei haben wir alles getan, um ihn am Leben zu halten und ...« »Schon gut, schon gut«, erwiderte Rodriguez. »Und weiter?« »Nach seinem Heldentod haben wir ihn auf See bestattet, wie es sich gehört. Ja, und während der Schlacht gegen die Piraten habe ich den Befehl über die ›Cartagena‹ übernommen und den gottverdammten Schurken gezeigt, daß es auch noch andere spanische Kämpfer gibt.« Hasard stotterte plötzlich wieder. »O, verzeihen Sie das Wort ›gottverflucht‹, Senor Capitan General.« Rodriguez zeigte eine wegwerfende Gebärde. »Nicht der Rede wert.« Er musterte den Seewolf ungeniert von oben bis unten, verschränkte sogar die Arme auf dem Rücken und wanderte um ihn herum, als fände er irgendwo in der breiten, hoch aufgeschossenen Gestalt dieses schwarzhaarigen Teufels die Antwort auf seine vielen Fragen. Warum war ihm dieser Mann nicht schon früher aufgefallen? »Großartig«, sagte er versonnen. »Wirklich großartig. So ein vernichtender Schlag gegen die Hundesöhne, die Freibeuter- und die ›Cartagena‹ hat keinen Kratzer abgekriegt?«
Hasard nahm eine stramme Haltung ein und entgegnete: »So ist es, Senor Capitan General. Wir haben weder eine Schramme in der Bordwand noch einen Riß in der Takelung und sind voll manövrierfähig.« »Überwältigend«, sagte Rodriguez, dann: »Castelar, dieser Trottel.« Hasard tat verwirrt. »Wie bitte?« »Ich sagte: Castelar, dieser Trottel. Hätte besser aufpassen sollen. Wer die nötige Erfahrung im Kampf hat, der rettet immer seine Haut, ist es nicht so, Amigo?« »Ja, Senor.« »Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Verwegenheit und zu Ihrem Erfolg.« »Danke, Senor. Ich habe mir ein Beispiel an Ihnen genommen, denn ich habe viel über Ihre Kühnheit, Ihre Umsicht und Ihr großes strategisches Können gehört.« Das war eine dicke Lüge, und Hasard wußte nicht, ob Rodriguez sie schlucken würde. Der Dicke plusterte sich wie ein Pfau auf, betupfte sich mit dem Tuch die Wangen und blickte triumphierend zu den beiden Seesoldaten hinüber. »Na, wie findet ihr das? Es lebe das Spanische Königreich samt seinen Helden.« Er wandte sich wieder Philip Hasard Killigrew zu. »Nennen Sie mir endlich Ihren Namen, Amigo.« »Diaz de Veloso.« Hasard bediente sich wieder des Namens, den er auch schon in Panama verwendet hatte. Diaz de Veloso war der Kapitän der schnellen Zweimastgaleone ›Valparaiso‹ gewesen, die der Seewolf und seine Crew gekapert und als ›Isabella III.‹ bis zum Isthmus hinaufgeführt hatten. In Panama war Hasard entlarvt worden, doch er hoffte inständig, daß diese Nachricht noch nicht bis nach Cartagena und zu dem Generalkapitän Don Francisco Rodriguez gedrungen war. In Rodriguez Gesicht zeichnete sich keine Wende ab. Er lächelte, seine Schweinsäuglein glitzerten vergnügt. »Gut, de
Veloso, ganz ausgezeichnet.« Er trat zu Hasard und klopfte ihm auf die Schulter, wobei er sich fast auf die Zehenspitzen stellen mußte. »Wir haben drei Galeonen eingebüßt, aber was schert uns das schon! Es hätte viel schlimmer kommen können. Sie haben das größte Übel verhindert.« »Danke«, sagte Hasard ergeben. »Also! Ich ernenne Sie hiermit zum neuen Kapitän der ›Cartagena‹.« Hasard tat verdattert. »Wie bitte? Aber ich - ich habe nicht die Befähigung dazu, ich ...« Rodriguez lachte breit und schüttelte sich ein wenig dabei. Seine Körpermassen gerieten wieder bedrohlich ins Wackeln. »Reden Sie doch keinen Unnsinn! Wie fähig Sie sind, das haben Sie bewiesen, Amigo. Sie haben mehr Kühnheit als Castelar, dieser Schlappschwanz. Nun freuen Sie sich schon. Sie sind hiermit zum Kapitän befördert - und damit basta!« Er schüttelte Hasard die Hand und fand überschwengliche Worte. Den Männern der Seewolf-Crew war es an den Mienen abzulesen, daß sie ihr Grinsen kaum noch verbergen konnten. Rodriguez rückte sich die Perücke zurecht, dann sagte er: »So, das wäre erledigt. Capitan de Veloso, es ist zwar nicht vereinbart worden, daß Sie uns bis nach Havanna hinauf Geleitschutz gewähren, aber ich möchte Sie darum bitten. Mit Ihnen können wir uns sicher fühlen.« Hasard salutierte stramm. »Selbstverständlich, Senor Capitan General! Sie können sich auf meine Männer und mich verlassen!« »Danke.« Rodriguez schüttelte ihm noch einmal die Hand. Dann ging er zum Steuerbordschanzkleid, wuchtete seinen mächtigen Leib darüber hinweg und enterte die Jakobsleiter ab. Die Seesoldaten folgten ihm. Hasard und die Männer der Crew, die seinen Anweisungen nach auf Deck sein durften, beugten sich noch einmal über die Reling und winkten den Spaniern nach.
Der Generalkapitän wurde zu seinem Flaggschiff ›San Josefe‹ zurückgepullt. Der Konvoi hatte nahezu gestoppt, aber jetzt, als die Mannschaft der ›San Josefe‹ ihre Leute an Bord nahm und die Segel setzte, nahm er wieder Fahrt auf. Das Flaggschiff rauschte an den Galeonen vorbei, um sich wieder an deren Spitze zu setzen. Ben Brighton atmete dreimal auf, dann setzte er sich auf die Stufen des Achterdeckniederganges und begann zu lachen. Die anderen fielen ein. Ferris Tucker, Batuti, Smoky, Stenmark und all die anderen durften ihre Verstecke unter Deck verlassen. Sie ließen ihren Kapitän hochleben und selbst für den Fall, daß die Dons auf den benachbarten Galeonen davon etwas hörten, konnten sie keinen Verdacht mehr schöpfen. Es war ja nur zu verständlich, daß die Crew ihren neuen »Capitan Diaz de Veloso« gebührend feierte. »Mann, o Mann«, sagte Karl von Hutten prustend. »Wenn ich das nicht selbst erlebt hätte, würde ich’s für eine Legende halten.« »Hasard, du verrückter Teufel!« rief Jean Ribault. »Seit unserem Zug durch den Gouverneurspalast von Panama habe ich mich nicht mehr so prächtig amüsiert!« Der Seewolf blickte der ›San Josefe‹ nach und dachte immer noch daran, was für eine schmucke, aufgedonnerte Lady sie doch war. 5. Natürlich hätte er sich jetzt mit der Karavelle bis ans Ende des Konvois abfallen lassen können. Das hätte keinen Argwohn erregt. Er hätte also die Dunkelheit abwarten, beidrehen und sich in östlicher Richtung - gegen den Wind kreuzend - von den Spaniern absetzen können. Er hätte an Jamaica vorüberziehen und durch die Windward-Passage in
den Atlantik stoßen können. Heim nach England ... Aber der Seewolf wollte es nicht. Es reizte ihn, bei den spanischen Schiffen zu bleiben. Der Gedanke an die ›San Josefe‹ blieb und wurde beinahe zur fixen Idee. Hasard glaubte nach wie vor daran, daß sich ein günstiger Moment ergeben würde, in dem er sich das Schiff aneignen konnte. Und dann war da noch etwas: Als Einzelfahrer war er stets gefährdeter als ein Schiff im Geleitzug. Wurde es allzu mulmig, konnte er sich immerhin in den Konvoi verholen, wenn die Dons auch so gut wie keine Kampfbereitschaft zeigten. Doch zumindest Rückhalt boten sie ihm. Also legte er sich seine Taktik zurecht. Er ließ die Karavelle mal vorauslaufen, mal in Lee und mal in Luv des Konvois segeln. Manchmal fuhr er auch achteraus, ganz, wie es ihm gerade in den Sinn kam. Die ›Isabella IV.‹, die von den Spaniern nach wie vor für die ›Cartagena‹ gehalten wurde, war ein Jagdhund. Und der aus noch dreiunddreißig Schiffen bestehende Geleitzug war die Hammelherde, die sowohl beschützt als auch nach Kräften verschaukelt und einem ungewissen Schicksal entgegengelenkt werden sollte. Der Tag ging seinem Ende entgegen, und auch die Nacht brachte nichts Neues. Das Wetter war ihnen hold. Ihr Einstand in der Karibik schien belohnt zu werden. Weiterhin standen die Winde aus Osten bis Südosten, es gab keine Flaute, keinen Sturm, keine Wirbelwinde, keine Gewitter. Der kommende Tag verlief wieder nahezu ereignislos, und Matt Davies beschwerte sich: »Himmel, Arsch und Zwirn, soll das ewig so weitergehen? Man wird ja ganz steif vor Langeweile!« Das hätte er lieber nicht sagen sollen. In der Nacht, so, als hätte er’s heraufbeschworen, kam es knüppeldick für den Konvoi und die Crew der ›Isabella IV.‹ Jean Ribault, der wieder einmal Dan O’Flynn abgelöst hatte und als Ausguck
fungierte, meldete das Auftauchen von Schaluppen. Hasard ließ sofort die komplette Mannschaft aus den Kojen holen und die Gefechtsstationen besetzen. Dann wartete er die Entwicklung ab. Unter den »Brüdern der Küste«, den Karibikpiraten, hatte sich wahrscheinlich herumgesprochen, daß Anfang August von Cartagena aus ein Konvoi von Galeonen mit Kurs auf Havanna in See gegangen war. Oder die Überlebenden des ersten Gefechtes waren aufgefischt worden und hatten von dem berichtet, was ihnen widerfahren war. Oder die Kaperfahrer, die die drei Galeonen geentert und entführt hatten, hatten sich jetzt zu einem neuen Beutezug aufgerafft. Wie immer die Hintergründe sein mochten, die Gefahr nahte von Nordosten. Und zwar, so erkannten der Seewolf und seine Männer bald, handelte er sich um sechs Schaluppen. Was Jean Ribault und die anderen ehemaligen Karibikpiraten an Bord der ›Isabella‹ immer wieder betont hatten, bestätigte sich augenscheinlich: Die Karibik war das Revier von Freibeutern aller Provenienz, ein gewaltiger Kessel, der tagelang täuschend friedlich erscheinen mochte, dann aber, ganz unversehens, im Zusammenprallen der Geschehnisse überbrodelte. Hier hatten die französischen und englischen, die holländischen, schwedischen, dänischen und die orientalischen Piraten die Spanier als gemeinsamen Feind auserkoren, aber nicht selten schlugen sie sich auch untereinander die Schädel ein. Jeder war sich selbst der Nächste, und nur der Starke besaß ein Recht - das Recht der Gewalt. Der Seewolf unternahm zunächst nichts, er wägte nur kühl seine Chancen ab. Kam es zum Überfall, hatte er gegen die doppelte Zahl der Gegner zu kämpfen, die ihn in der Brandnacht angegriffen hatten. Daß sich die Piraten einmastiger Schaluppen bedienten, war durchaus kein Unterlegenheitsbeweis. Die Schaluppen waren schnell und wendig, boten ein schlechtes Ziel für die Kanonen und waren wie die Zecken, die Rindvieh befielen, wenn sie
einmal an die Bordwand eines Feinschiffes gelangten - sie klebten daran und ließen sich nicht mehr abwimmeln. Immerhin, der Seewolf hatte im Vergleich zu den plumpen Galeonen einige Pluspunkte aufzuweisen. Zwar war die ehemalige ›Cartagena‹ kleiner als die ›Isabella III.‹, und sie mußten sich platzmäßig beschränken, zumal sie ja die immense Beute an Gold- und Silberbarren, Edelsteinen, Perlen und Schmuckgegenständen unter Deck gestaut hatten. Doch die Zweimastkaravelle war immer noch überraschend schnell - und wendig! Karavellen waren gute Am-Wind-Segler wegen der langen Rahruten, die für Kreuzkurse ziemlich dichtgeholt werden konnten. Vorteilhafte Am-Wind-Eigenschaften brachten stets den Vorzug, daß man schnell in eine Luvposition gelangte. Wer in Luv des Gegners stand, konnte das Kampfgeschehen diktieren. Die Galeonen hingegen waren behäbiger und für Raumwindkurse gebaut. Allerdings hing viel von dem Können der Crew ab, die auf einem Schiff diente. Philip Hasard Killigrew konnte sich in dieser Beziehung weiß Gott nicht beklagen. Seine sechsundzwanzig Männer waren ausnahmslos gute Seeleute und erfahrene Kämpfer, selbst der Kutscher, seinerzeit noch eine blutige Landratte, hatte sich zu einem harten Klotz gemausert, der die Zähne zeigen konnte. Und das Wichtigste: Sie gingen für ihn durchs Feuer. Es gab keinen, der sich nicht notfalls für ihn umbringen ließ. Der Seewolf beobachtete, wie sich die Schaluppen tolldreist achtern an den Geleitzug hängten. Sie hatten keine Mühe, die Geschwindigkeit des Konvois einzuhalten. Im Gegenteil, sie holten sogar noch auf. Und irgendwie drängte ihr lautloses Herangleiten Vergleiche mit der Angriffstaktik der Mörderhaie auf. Sie fielen ihren Opfern in den Rücken ... »Wenn die wüßten, was ihnen blüht«, sagte der Profos. »Diese Rübenschweine.«
»Ich würde nicht so schreien«, erwiderte Hasard. »Es ist ja nicht gesagt, daß wir immer siegen. Außerdem könnten die Piraten nach der ersten Auseinandersetzung mit uns hinzugelernt haben.« »Du meinst, es ist dieselbe Bande?« »Ich meine gar nichts.« Der Profos nickte grimmig und zupfte sich an den Fingern, daß es in den Knöcheln knackte. »Na schön, ist ja auch völlig gleich. Hauptsache, wir brennen diesen Nachttopfseglern wieder eines auf den Pelz, das ihnen sämtliche Haare vom Hintern wegsengt.« Wenig später teilte der Seewolf seine Kommandos aus. Die Schaluppen der Freibeuter hatten die Galeonen am Schluß des Konvois fast erreicht, aber jetzt schwenkte die ›Isabella‹ mit dem Bug herum, ging über Stag und führte den steil aufragenden Bugspriet durch den Wind. Mit ein paar Kreuzschlägen war sie plötzlich mitten zwischen den letzten Galeonen, ging dann wieder auf Raumwindkurs und hatte zwei, drei der feindlichen Schaluppen auf knapp eine Kabellänge vor den Geschützrohren der Backbordseite. »Feuer!« schallte der Ruf des Profos über Deck der Karavelle. Und die Kanonen orgelten ihren Todesruf in die Nacht hinaus, spuckten Flammen und Blei und deckten zwei Schaluppen mit einem wahren Hagel von Geschossen ein. Während Hasard die sechs Demi-Culverinen nachladen ließ, während seine Männer mit fliegenden Fingern Pulver und Kugeln in die Rohre stopften, brüllten die Drehbassen los. Eine weitere achteraus segelnde Schaluppe drehte ab, näherte sich dann der Steuerbordseite der ›Isabella‹ und ließ die Waffen sprechen. Hasards Antwort war ein donnerndes Stakkato von Schüssen. Sechs Kugeln spie die Steuerbordbreitseite aus, und drei davon hieben mitten in die Schaluppe. Es knackte, prasselte und splitterte in den Planken
und Verspannungen des kleinen Gefährts, und wieder einmal ging ein Mast in die Brüche. Die Piraten heulten und tobten. Sie waren nahezu kampfunfähig, und daher widmete die Seewolf-Crew ihre volle Aufmerksamkeit wieder den Schaluppen auf der Backbordseite der Karavelle. Die Backbordbreitseite war bereit und wartete nur darauf, abgefeuert zu werden. Hasard gab das Zeichen, der Profos leitete es mit dröhnender Stimme weiter. Die Kanonen prallten in ihren Laschungen zurück. Pulverauch zog in Schwaden über Deck. Ein paar Männer husteten und fluchten, aber dann schrie Dan O’Flynn: »Holla, jetzt hat es den Hunden glatt das Vorschiff weggerissen!« Das stimmte haargenau. Die Schaluppe, die der letzten Galeone im Konvoi am nächsten lief, stand in hellen Flammen und brach praktisch in zwei Teile auseinander. Schreiend warfen sich die Überlebenden in die See. Die andere Schaluppe eröffnete das Feuer auf die Zweimastkaravelle, und die Kanonendonner und Musketenschüsse wurden von dem Geheul der Besatzung begleitet. Die Kerle waren entsetzt und aufgebracht über den jähen Angriff, aber sie besaßen immer noch die nötige Konzentration, einigermaßen genau zu zielen. Diesmal pfiffen die Geschosse bedenklich dicht über die ›Isabella‹ weg. Diesmal mußten sich Hasard und seine Männer flach hinlegen und die Köpfe einziehen. Aber dann, als die Piraten nachluden und kostbare Zeit vergeudeten, holte der Seewolf zu einem neuen Schlag aus. Und jetzt zog er alle ihm zur Verfügung stehenden Register. Er schickte nicht nur normale Kugeln, sondern auch Kettenkugeln und griechisches Feuer zu den Schaluppen hinüber. Batuti kauerte im Vormars und ließ seine Brandpfeile auf die Freibeuter niederzischen. Die Burschen von dem Schiff an der Steuerbordseite der ›Isabella‹ hatten sich wieder gesammelt und erwiderten die Attacke. Sie rückten der
Karavelle bedrohlich nahe. Carberry tobte, denn er hatte den Eindruck, daß sie buchstäblich zwischen den Kanonenkugeln hindurchschlüpften. Al Conroy handelte geistesgegenwärtig, brachte seine Drehbasse auf der Back in Anschlag auf die Schaluppe und holte mit einem einzigen Schuß drei, vier Mann vom Achterdeck weg. Aber das genügte nicht. Die Piraten, verzweifelt und von blindem Haß erfüllt, hielten weiter auf die Steuerbordseite der ›Isabella‹ zu. »Hasard!« rief Ben Brighton. Hasard zog sich von der Backbordflanke des Achterkastells zurück, glitt nach Steuerbord hinüber und bemerkte die Bescherung. Schon waren die verzerrten Gesichter der Piraten zu erkennen, ihre bunten Kopfbedeckungen, ihre abenteuerliche Kleidung, ihre Gestalten, die sich aufrichteten und Entermesser, Haken, Äxte, Piken und Säbel schwangen. Einer der Kerle legte mit der Muskete auf Karl von Hutten an. Von Hutten stand am Schanzkleid auf der Kühl, nicht weit von den Luvhauptwanten entfernt und bemerkte nichts. Aber plötzlich hatte der Pirat mit der Muskete einen brennenden Pfeil in der Brust stecken. Er gab einen Schrei von sich, der kaum noch als menschlich zu bezeichnen war. Er kippte vornüber, schlug über das Dollbord der Schaluppe hinweg und stürzte mitsamt seiner Waffe in die Fluten. Ein anderer Pirat, ein wüster Bursche mit langem schwarzen Haar, das er im Nacken zu einem Zopf geflochten hatte, warf einen Enterhaken und schaffte es tatsächlich, ihn in eins der Berghölzer zu krallen. Da half keine Kanone, da half kein wütendes Geschrei von Hasards Männern, der Bursche baumelte plötzlich unten an der Bordwand. Er hatte das Entermesser quer im Mund und hangelte wie ein Affe nach oben. Hasard flankte kurz entschlossen über das Schanzkleid. Er stellte sich auf die Berghölzer und zielte mit seiner Radschloßpistole auf den Angreifer. Zwei Piraten schossen von
Bord der Schaluppe auf ihn, doch er duckte sich und ließ die Bleiladungen haarscharf über sich wegpfeifen. Er riskierte Haut und Haare, aber dies war die einzige Möglichkeit, den Schuft dort unten abzuwimmeln. Hasard drückte den Abzug der Pistole. Die Feder gab den Sperrhebel frei, das Rad schnurrte ab und der Schwefelkies zwischen den Hahnlippen begann sofort Funken zu sprühen. Die Funken zündeten die Pulverladung. Krachend entlud sich die Waffe. Hasard sah durch den Feuerblitz vor der Mündung und durch den hochpuffenden Qualm hindurch, wie es jäh die Schädeldecke des Freibeuters auftrieb. Mit blutüberströmten Gesicht rutschte der Mann von dem am Enterhaken befestigten Tau. Er klatschte in die See und verschwand. Die Piraten quittierten dies mit einem wütenden Gebrüll. Sie versuchten, den Seewolf von seinem Platz außerhalb des Schanzkleides wegzuschießen. Doch er jumpte wie ein Panther auf das Deck zurück. Stenmark hatte ihm inzwischen die Drehbasse auf der Steuerbordseite der Poop geladen. Während die Crew die Schaluppe mit Musketenfeuer belegte, brachte Hasard das Geschütz in eine günstige Zielposition und zündete es. Der Schuß fegte mitten ins Deck des Einmasters. Leiber wirbelten in hohem Bogen durch die Luft, begleitet von Schiffstrümmern. Batutis Brandpfeile trafen nun auch die Takelung des kaputten Mastes, und unter einer einzigen Feuerlohe sank die Schaluppe. Die dritte Schaluppe war beschädigt, ihre Besatzung traute sich nicht mehr auf Schußweite heran. Hasard und seine Männer gewannen eine Verschnaufpause. Die Geschütze wurden neu geladen und gerichtet. Der Seewolf schnappte sich den Kieker und verschaffte sich ein Bild von der Situation. Und dann staunte er. Zwei Schaluppen hatten sie im wahrsten Sinne des Wortes
geknackt und geradewegs in die Hölle geschickt. Die dritte konnte der letzten Galeone im Geleitzug nicht mehr gefährlich werden. Sie fiel immer weiter ab, ihre Umrisse wurden eins mit den Schatten der Nacht. Aber die vierte, fünfte und sechste Schaluppe! Ihre Mannschaften hatten sich rechtzeitig nach vorn verholt und die Kampfgefährten einfach ihrem Schicksal überlassen. Jetzt waren sie dabei, ein paar Galeonen des Konvois empfindlich nahe auf den Pelz zu rücken. Offenbar wurstelten die Spanier an ihren Geschützen herum, aber sie waren viel zu langsam, so verdammt langsam und schwerfällig. Ganz anders hingegen die ›San Josefe‹! Sie hatte gedreht und rauschte nun unter vollem Zeug auf die vierte Schaluppe zu. Das Flaggschiff glich einem rachesüchtigen Schwan, der seine Brut verteidigen will. Ehe die Piraten richtig begriffen, was sich anbahnte, fingen der Generalkapitän Don Francisco Rodriguez und seine Männer an, ganz kräftig in der Schlacht mitzubolzen. Vielleicht hatte Rodriguez beschlossen, daß er die Ereignisse einfach nicht mehr ignorieren konnte. Vielleicht hatte er einen regelrechten Narren an Hasard gefressen und wollte ihm unbedingt beistehen. Möglich auch, daß die Laudatio, die der Seewolf auf den fetten Kerl losgelassen hatte, jetzt ihren Rückhall fand. Rodriguez, der Held! Rodriguez ließ sein Schiff eine volle Breitseite gegen die vierte Schaluppe ausspucken. Unter dem Dröhnen der Geschütze und ihrem starken Rückstoß krängte die ›San Josefe‹ ein Stück nach Backbord über. Gleichzeitig bohrten sich die Kugeln in das Piratenschiff und sägten es buchstäblich auseinander. In das Krachen und Ballern der Geschütze mischte sich das Schreien der Sterbenden und Verwundeten. Hasard verfolgte, wie die Überreste der Schaluppe schnell von der Bildfläche verschwanden. Doch dann trübte sich das glorreiche Bild von der gewonnenen nächtlichen Schlacht. Gewitzt hatten sich die
Piraten mit den anderen beiden Schaluppen nach Westen verdrückt. Aber statt im Schutz der Dunkelheit zu verschwinden, hatten sie einfach zwei Galeonen überfallen. Deren Besatzungen mußten derart von der Vernichtung des vierten Feindschiffes beeindruckt gewesen sein, daß sie von dem Nahen der Kerle nichts bemerkt hatten. Jedenfalls brandete jetzt auf der zweiten Galeone der Nahkampf hin und her. Hasard stieß einen Pfiff aus. Der Kopf des Profos ruckte herum. »Kurs auf die Kähne dort!« rief Hasard. Er wies die Richtung. »Macht die Geschütze bereit, damit wir diesen Brüdern Zähne und Krallen zeigen können.« Der Wolf pirschte sich an den Widersacher heran, und von der anderen Seite pflügte die ›San Josefe‹ heran. Doch bevor sie den bedrohten Galeonen beistehen konnten, war dort der Zwist entschieden. Leichen wurden über die Schanzkleider gekippt, und diese Leichen waren keine Piraten. Die Freibeuter triumphierten, die Anführer hetzten ihre Leute an die Brassen und Schoten, ließen sämtliche Segel bis auf den letzten Fetzen setzen, die Galeonen herumnehmen und zogen bei rauhem Wind westwärts. Hasard nahm die Verfolgung auf. Die ›Isabella IV.‹ bewies ihre große Wendigkeit und Schnelligkeit, doch die Freibeuter hatten bereits einen zu großen Vorsprung gewonnen. Die Nacht war eine schwarze, undurchdringliche Barriere. Hinter ihr verzogen sich die Kerle und lenkten ihre Prisenschiffe auf unbekannten Kurs. »Der Teufel soll diese Kanalratten holen«, wetterte Edwin Carberry. »Sie sollen auf Grund laufen und sich die Pest und die Pocken holen.« Ben Brighton grinste schwach. »Hör mal, du brauchst dich gar nicht so aufzuregen. Schließlich sind wir nicht die Leidtragenden. Mir scheint, bei uns an Bord ist soweit alles in Ordnung.«
Hasard brach die Verfolgung ab. Die vermeintliche ›Cartagena‹ kehrte zum Konvoi zurück. Hasard stieg auf die Kuhl hinunter und unternahm einen Rundgang, um sich nach dem Befinden der Männer zu erkundigen. Blacky hatte einen Kratzer an der linken Schulter davongetragen. Der Kutscher betätigte sich aber als Feldscher und versorgte ihn. Die Verletzung war eigentlich kaum der Rede wert. Weitere Kratzer registrierte der Seewolf bei Sam Roskill, Buck Buchanan und Batuti. Es floß ein wenig Blut, aber keine der Blessuren gab Anlaß zu ernsthaften Sorgen. »Dan«, sagte Hasard. »Sir?« »Lauf in meine Kammer und hol eine Flasche aus dem Schapp. Wir haben alle einen ordentlichen Schluck verdient. Zuerst kommen die, hm - Verletzten dran, verstanden?« »Aye, aye, Sir.« Dan flitzte los und verschwand im Achterdeck. Erstaunlich schnell hatte er die Flasche Schnaps gefunden und kehrte damit auf die Kuhl zurück. Blacky durfte als erster ansetzen und einen tiefen Schluck nehmen. Er ließ das scharfe Zeug die Kehle herabrinnen, nahm die Flasche wieder vom Mund, schmatzte und gab einen satten, zufriedenen Seufzer von sich. »Ich dachte, ich sterbe, aber jetzt fühle ich mich wie neugeboren«, verkündete er grinsend. »Angeber«, sagte Matt Davies. Er wollte die Flasche in Empfang nehmen, doch Blacky führte sie an seiner Nase vorbei und drückte sie Sam Roskill in die Finger. Sie fanden sich mit ihrer Karavelle am Ende des Geleitzuges ein. Sie hatten das Deck einigermaßen aufgeklart und sich halbwegs von dem Schlachtgetümmel erholt, als ihnen ein neuer Nackenhieb erteilt wurde. Von Bord des Flaggschiffes aus wurde ihnen durch Signale mitgeteilt, daß drei weitere Galeonen spurlos verschwunden seien.
6. Im Morgengrauen wurde eifrig nach den wie von der See verschluckten Schiffen geforscht, doch sie blieben verschwunden. Wrackteile der zerschossenen Schaluppen und zerfetzte Leichen trieben auf den Wellen des Meeres - doch von den drei Galeonen gab es nicht die geringste Spur. Im Osten kroch der gleißende Ball der Sonne über die Kimm. Zu diesem Zeitpunkt gaben sie die Suche nach den Vermißten auf. Hasard schaute durch das Spektiv zur ›San Josefe‹ hinüber. Er konnte den dicken Don Francisco Rodriguez sehen, wie er auf dem Achterdeck auf und ab tigerte. Rodriguez Zufriedenheit war offener Wut gewichen. Aber er wußte auch, daß er das Resultat des nächtlichen Zwischenfalles nicht der ›Cartagena‹ anlasten konnte. Hasard und seine Crew hatten ihr möglichstes getan, um das Schlimmste abzuwenden. Ohne die Optik abzusetzen, sagte Hasard zu Ben Brighton, Ed Carberry und Jean Ribault: »Es kann sich nur so abgespielt haben: Während wir damit beschäftigt waren, den beiden gekaperten Galeonen auf den Leib zu rücken, fielen andere Piraten heimlich und leise in den Konvoi ein und holten sich die anderen drei Schiffe. Rodriguez muß ebenfalls zu dieser Erkenntnis gelangt sein.« »Also hat der Geleitzug jetzt nur noch achtundzwanzig Schiffe«, sagte Jean Ribault. Ben lachte auf. »Nur? Du machst mir Spaß. Für meine Begriffe ist das immer noch viel zuviel. Ja, wenn wir die Fracht vernaschen könnten, die sie in ihren Laderäumen mitführten ...« »Der Dicke gibt uns Zeichen«, meldete Dan O’Flynn aus dem Großmars. Hasards Züge versteiften sich, die Narbe in seinem Gesicht
färbte sich dunkelrot. »Jean, tu mir einen Gefallen. Klettre zu dieser dreimalklugen Rotznase ‘raus und sage ihr, daß ich mich vergesse, wenn er noch mal was auf Englisch ruft. So groß der Abstand zwischen uns und den Spaniern zur Zeit auch ist - wir müssen allergrößte Vorsicht wahren.« »Aye, aye!« Der Franzose beeilte sich, das Achterdeck zu verlassen und auf die Kuhl hinunterzugelangen. Flink enterte er in den Großmastwanten auf, kletterte zu Dan in den Ausguck und musterte das Bürschchen eindringlich und zurechtweisend. »Hör zu. Ist dir deine Haut lieb?« »’türlich«, gab Dan verdutzt zurück. »Dann lerne Spanisch oder halt die Schnauze. Hasard zieht dir das Leder in Streifen vom Hintern oder haut mit der Neunschwänzigen ein hübsches Muster drauf, wenn du dich nicht in acht nimmst und daran denkst, daß wir vor Don Rodriguez und den anderen Philipps als waschechte Spanier auftreten müssen.« Dan biß sich auf die Unterlippe. »Au weia, das habe ich ganz vergessen.« Der Seewolf verfolgte inzwischen das Signalisieren der ›San Josefe‹. Der Generalkapitän hatte eine Entscheidung getroffen: Die ›Cartagena‹ sollte fortan nur noch nach Osten sichern. Alles Übel schien aus östlichen Richtungen zu kommen -dachte Rodriguez. Hasard fiel es nicht ein, ihm zu widersprechen, es war wirklich nicht der geeignete Moment dafür. Er hätte einiges als Argument gegen diesen Befehl vorzubringen gewußt, aber der Dicke bestimmte nun mal, was im Konvoi geschah. Der Dicke durfte nicht noch mehr verärgert werden. Der Geleitzug hielt seinen Nordkurs stur bei. Zwei Tage lang ging alles gut, und allmählich breitete sich wieder Entspannung auf den Schiffen aus. Am dritten Tag, es ging auf den Abend zu, war es dann wieder soweit. Dan O’Flynn hatte seine »Lektion« gelernt. Er beugte sich
aus dem Großmars, legte die Hände an den Mund und rief: »Adelante, mi Capitan, schnell, schnell, sieh dir das an!« Weiter reichte sein Spanisch nicht. Hasard durfte sich den Rest zusammenreimen. Doch dazu bedurfte er keines großen Scharfsinns. Das Bürschchen deutete gestenreich nach Westen, und dort zeigten sich nach und nach mehrere Mastspitzen über der Kimm. Im schalen Licht des ausklingenden Tages sichteten Hasard und die anderen auf Deck insgesamt zehn Schaluppen. Es waren wieder die kleinen Piratenschiffe. Sie schoben sich mit gleichsam erschreckender Geschwindigkeit an den Konvoi heran. »Jetzt brat mir doch einer einen Storch«, polterte der Profos los. »Das ist ja fast so, als hätten die was von unseren neuen Vorkehrungen geahnt. Rodriguez, dieser Holzkopf! Er hat uns nach Osten geschickt, aber an dieser Seite tut sich nichts. Ihr glaubt doch wohl nicht, daß wir jetzt noch flink genug an die westliche Flanke des Konvois hinübergelangen, was, wie?« »Ich, mein Freund, glaube es ganz bestimmt nicht«, erwiderte Jean Ribault. Ben Brighton nickte zustimmend. »Der Generalkapitän hätte uns eben nach eigenem Ermessen handeln lassen sollen. Dann hätte es jetzt weniger Verdruß gegeben.« Matt Davies stand am Niedergang vom Achterdeck zur Kuhl und grinste breit. »Ich finde, das Ganze ist ein Riesenspaß. Was schert es uns schon, wenn’s den Dons an den Kragen geht? Sie kriegen mal wieder die Jacke voll. Und Rodriguez wird sich vor Wut in die Finger beißen und sich die letzten Haare unter seiner Perücke einzeln ausrupfen, weil er einen Riesenbock geschossen hat.« »Ja«, sagte Hasard trocken. »Trotzdem. Wir sagen den Piraten mal kurz Guten Tag.« Carberrys Befehle purrten die Männer an die Brassen und Schoten. Pete Ballie hebelte am Kolderstock, und die ›Isabella IV.‹ lehnte sich zunächst nach Steuerbord, dann nach
Backbord, und zog das Heck in einer Halse durch den Wind. Sie lavierte zwischen zwei Galeonen hindurch, schob sich weiter nach Westen und erreichte die äußere Flanke des Geleitzuges, als die Piraten wie die Raubtiere über die achteren sechs Galeonen herfielen. Die See war an diesem Abend etwas bewegter als in den letzten Tagen. Wogen schoben sich in rhythmischen Abständen vor die Silhouetten der Schaluppen und verschlangen sie in ihren Tälern. Die Fluten rollten behäbig ab und hoben die Einmaster wieder auf ihre Kämme hoch. Mal verschwanden die einen, dann die anderen, es war ein beständiges Auf und Ab. Mit großem seemännischem Geschick manövrierten die Freibeuter ihre Fahrzeuge an die spanischen Schatzschiffe heran. Es gelang ihnen, im Handumdrehen die achteren sechs Galeonen von dem Verband zu trennen. Die Spanier hatten offenbar nichts hinzugelernt. Zwar hallten Kommandos über Deck, Stückpforten fielen, Kanonenrohre ragten aus den Lukenumrandungen und glotzten böse in die Dämmerung. Doch wie üblich erfolgte die Reaktion zu spät. Eine Schaluppe strich am Heck der am weitesten achteraus liegenden Galeone vorbei. Plötzlich schaukelte sie an der Steuerbordwand. Sie schien an der Galeone zu haften und mit ihr zu verwachsen. Flinke, bunt und abenteuerlich gekleidete Gestalten enterten mit Geschrei auf. Schüsse krachten. Ein Mann stürzte in die Fluten zurück und tauchte nicht wieder auf. Die ›Isabella‹ schob sich auf eine der noch frei segelnden Schaluppen zu. Dan O’Flynn hockte im Großmars und sagte, diesmal wieder auf Englisch: »Ho, wir drängen die Halunken ab.« Arwenack saß neben ihm, fletschte die Zähne und legte sich Kokosnußschalen parat - man wußte nie, wozu sie gut sein konnten. Natürlich erkannten die Piraten in der Schaluppe die Sachlage. Ihr Anführer, ein bärtiger Bursche mit breitkrempigem schwarzen Hut, rotem Halstuch und großen
Ohrringen, brüllte Befehle. Die Freibeuter versuchten es mit einem Trick: Sie schlüpften mit ihrem Einmaster hindurch in ein langgezogenes Wellental und versuchten, dort in Deckung zu bleiben. Dadurch wollten sie sich dem Zugriff der Karavelle entziehen. Hasard parierte jedoch augenblicklich und lief auf Parallelkurs mit. Als die Schaluppe endlich wieder auf dem Kamm einer Woge auftauchte, schrie der Profos der ›Isabella‹ sein »Feuer frei«, und eine Breitseite, die wie ein einziger Donnerschlag klang, verließ die Geschützrohre. Die Schaluppe nahm plötzlich den Vorsteven aus dem Wasser, als wollte sie das Fliegen lernen. Ja, sie bäumte sich regelrecht auf! Holz- und Metallteile wirbelten in hohem Bogen durch die Luft, und mittendrin hob es auch einige Kerle über die Fluten hinaus. Ihre gellenden Schreie gingen in den Böllern der Drehbassen auf der ›Isabella‹ unter. Die Schaluppe sank, ihre Besatzung kam nicht mehr zum Schuß. Hasard sah den bärtigen Anführer als letzten im sinkenden Schiff stehen. Er ließ die Karavelle herumnehmen und betätigte die Drehbasse an der Steuerbordseite des Achterdecks, und plötzlich schwamm unter den Schwaden von Rauch und Qualm nur noch der Breitkrempige schwarze Hut des Freibeuters auf den Wellen. Mit der ersten Schaluppe hatte der Seewolf noch ziemlich leichtes Spiel gehabt. Aber jetzt scharten sich andere Piratenschiffe zu einem kleinen Verband zusammen, um ihm Widerstand zu leisten. Die Nacht senkte sich auf die Karibik nieder, und die Mündungsblitze der Geschütze auf beiden Seiten waren gelblich-rote Zackenmuster. Batuti, der riesige Gambianeger, hatte wieder Position hoch oben im Fockmast bezogen und schickte seine Brandpfeile aus. Er traf, und die Takelung einer Schaluppe wurde zu einem lodernden, weithin mahnenden Fanal in der Dunkelheit.
Generalkapitän Rodriguez hatte sich wieder zu dem Entschluß durchgerungen, daß er nicht tatenlos zusehen konnte, wie sich sein Geleitschutz mit den neun Einmastern abrackerte. Die ›San Josefe‹ drehte und näherte sich breit, wuchtig und drohend. Die letzte Galeone am Schwanzzipfel des Konvois war nun vollends geentert worden. Die Piraten siegten über die letzten tapferen spanischen Kämpfer, deren Anstrengungen von der Angst vor dem Tod diktiert wurden. Blutüberströmte Männer sanken zusammen und stürzten in die wogende See. Decksplanken färbten sich dunkel vorn Blut der Sterbenden und Toten. Zwei der insgesamt sechs abgedrängten Galeonen eröffneten nun auch endlich das Feuer auf die Freibeuter, doch sie waren keine ernsthaften Widersacher für die wilden Kerle und kein Flankenschutz für Philip Hasard Killigrew. Hasard lenkte seine ›Isabella IV.‹ gegen eine weitere Schaluppe - und dann fiel der Mast der Piraten wie ein frisch gefällter Baum. Der Jubel der Crew hallte über Deck. Die fauchenden Geschütze der Steuerbordseite wurden neu geladen und ausgefahren. Die Laschungen wurden geprüft. Ed Carberry stapfte über das schwankende Deck und rief: »Los, los, jagt ihnen gehacktes Blei in die Fresse, bevor sie wieder zum Zug kommen!« Karl von Hutten, Blacky, Stenmark und Sam Roskill schoben sich mit ihren Luntengewehren hinter dem Schanzkleid hoch. Die Musketen lagerten auf Gabelstützen, die Lunten glühten bereits. Die vier betätigten die Abzüge, und die eingeklemmten Lunten schwangen unter Federdruck auf die Pulverladungen nieder. Brüllend verließen die Ladungen die Läufe. Drüben auf der Schaluppe sanken Piraten im Bleihagel zusammen. Es gab keinen mehr, der ihnen ernsthaft gefährlich werden konnte. Hasard stand breitbeinig auf dem Achterdeck, die Fäuste in die Seiten gestemmt. Er zeigte seine weißen Zahnreihen, und in seinen eisblauen Augen blitzte es
kampflustig ein Riese, dessen schwarzes Haar in den Böen flatterte, ein wilder, verwegener Wolf, dessen Gesicht jung und doch schon alt von Erfahrungen, von Wind, Wetter und Kampf gezeichnet war. Hasard wies nach Backbord und rief: »Jetzt die nächste! Pete, nimm den verdammten Waschzuber herum!« »Hastig!« brüllte der Profos. »Schrickt weg die Schoten, ihr verdammten Affenärsche; hopp, hopp, ein bißchen dalli, zum Teufel, glaubt ihr denn, wir haben es mit alten Waschfrauen zu tun, was, wie?« Die Karavelle luvte an und ging höher an den Wind, dann knöpften sich der Seewolf und seine Crew die dritte Schaluppe vor. Die ›San Josefe‹ war nun auch heran und entlud Feuer und Blei in die Nacht. Aber immer noch waren es acht Piratenschiffe, denen sie Zunder geben mußten, acht mit bissigen Hunden vollgestopfte Schiffe, die wie Ameisen zwischen den fetten Galeonen umherwirbelten. »Wir geben ihnen die Backbordbreitseite zu schmecken«, bestimmte der Seewolf, als sie sich von achtern an die dritte Schaluppe heranschoben. Aber dann war plötzlich ein Schatten am Heck der Zweimastkaravelle. Dan O’Flynn hatte zu lange voraus geblickt, aber es war nicht seine Schuld, was nun eintrat. Die Piraten hatten sich angepirscht. Jetzt eröffneten sie das Feuer. Carberry heulte vor Wut, die Crew wandte entsetzt die Köpfe. Hasard ließ sich fallen, und mit ihm legten sich Ben Brighton, Pete Ballie, Ribault, Tucker und Conroy auf dem Achterdeck flach. Kugeln orgelten bedrohlich dicht über das Deck weg. Gehacktes Blei prasselte in die Heckgalerie und in die Aufbauten des Achterstevens. »Zum Teufel«, sagte Al Conroy. »Zunder!« schrie Ferris Tucker. »Die Schweine haben uns überlistet, aber sie schießen wie blutige Anfänger!« Hasard arbeitete sich zur Backborddrehbasse vor, setzte die
Lunte in Brand und zielte nach Gutdünken. Er wagte nicht, den Kopf über das Schanzkleid zu heben, denn das wäre glatter Selbstmord gewesen. Aber er feuerte. Das Splittern von Holz und das Wut- und Schmerzgeschrei der Piraten kündeten davon, daß er Erfolg gehabt hatte. Die Kerle gebärdeten sich wie verrückt. An Bord der Schaluppe herrschte heller Aufruhr, aber sie schossen immer noch. Offenbar hatten sie sich in den Kopf gesetzt, die Karavelle mit Blei zu spicken. Unter Hasards Kommandos drehte sich die ›Isabella‹ wie eine beleidigte Jungfrau. Dann hieb sie den Piraten ein paar Maulschellen um die Ohren, und zwar in Form einer wummernden Breitseite. Die Freibeuter brüllten unter Qualen, aber sie erwiderten das Feuer immer noch. Plötzlich wirbelte etwas durch die Nacht auf das Achterdeck zu. Ferris Tucker sichtete es, rief: »Vorsicht!« und »Deckung!« und sonst noch etwas, aber für den Seewolf war es schon zu spät. Er kriegte das Objekt gegen den Kopf. Ihm war, als habe ihm ein Pferd mit voller Wucht gegen den Schädel getreten. Rote und gelbe Schleier wallten vor seinen Augen auf und ab. Das Deck war ein schwarzer Mantel, der sich aufwarf, zusammenknüllte und ihn dann unter sich begrub. Der Seewolf stürzte, aber er spürte den harten Aufprall nicht mehr. »Hasard ist verletzt!« schrie Ben Brighton. »Diese Hunde! Kutscher, Kutscher!« Gary Andrews fuhr von seinem Geschütz hoch, gab Smoky einen Wink, ihn abzulösen und hastete zum Achterdeck hinauf. Er rannte wie der Teufel. Er war ein Wahnsinniger, ein Lebensmüder, denn die Bordgeschütze der Piratenschaluppen donnerten von neuem los. Etwas surrte über ihn hinweg, etwas heulte auf die Stelle zu, an der der Seewolf lag - und Gary Andrews, der Mann, der sich selbstvernichtend für seinen Kapitän einsetzte, warf sich der Länge nach auf Hasard. Das Blei fuhr über ihn hinweg. Gary hätte es mit seinem Leib
aufgehalten, um den Seewolf vor Schlimmerem zu bewahren. Ferris Tucker und Ben Brighton sprangen ihm zu Hilfe. Sie schleppten Hasard unter Deck, trugen ihn in die Kapitänskammer und legten ihn auf der Koje ab. Ben zündete ein Talglicht an. Der Kutscher erschien. Während draußen der Kampflärm hallte und die dritte Schaluppe der Piraten unter dem Beschuß der erbosten Seewolf-Crew zerrissen wurde, untersuchte der Kutscher den bewußtlosen Mann. Blut sickerte aus einer Kopfwunde und näßte die Bettücher. »Eine wüste Verletzung ist das«, sagte der Kutscher. »Wie konnte das passieren?« »Ich glaube, eine herumwirbelnde Spiere ist ihm auf den Kopf gefallen«, erwiderte Ben Brighton. »Wie beurteilst du seinen Zustand?« »Das läßt sich jetzt schwer sagen«, erklärte der Koch und Feldscher. Die Männer schwiegen und warfen sich bestürzte Blicke zu. * Der bärtige Pirat mit dem roten Halstuch und dem breitkrempigen schwarzen Hut stieg aus dem Meer, hinter ihm drängten sich zerlumpte Gestalten. Alle wateten durch die Uferbrandung auf ihn, Philip Hasard Killigrew, zu und schauten von oben auf ihn herab. Hasard war mit den Armen und Beinen an Pflöcken festgebunden und konnte sich nicht bewegen. Er konnte nicht mal einen Finger krümmen. »Habe ich mir doch gedacht, daß wir uns irgendwann Wiedersehen«, sagte der bärtige Freibeuter finster. Seine Stimme klang tief und dunkel, als käme sie direkt aus der Hölle. »Jetzt wirst du büßen, Wolf der Verdammnis.« Hasard erwiderte nichts. Sie griffen zu schweren Eisenhämmern und schlugen ihm damit von allen Seiten gegen den Kopf. Wumm! Einmal von links. Wumm! Einmal von
rechts, und dann - Wumm - von oben auf die Schädelplatte. Sie hieben in regelmäßigen Zeitabständen zu, und er hatte das Gefühl, sein Kopf würde zerspringen und das Hirn und sämtliche Lebenssäfte auf den weichen, weißen Strand entlassen. Er stöhnte. Er zog die Augenlider auseinander und hoffte, sie nicht mehr zu sehen. Ein Gesicht schob sich in sein Blickfeld. Zunächst erkannte er es sehr, sehr unscharf, aber dann nahm es klarere Konturen an. Hasard ächzte. Er versuchte ein Grinsen, aber es gelang ihm nicht. Er hörte eine krächzende, eigentümliche Stimme und stellte fest, daß es seine war. »Kutscher! Himmel, warum siehst du mich so entgeistert an? Hast du einen Wurm verschluckt?« Der Kutscher legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Stirn. »Du hast ganz schön im Fieber phantasiert, aber jetzt scheint es im Abklingen zu sein. Deine Bärennatur möchte ich haben. Hast du Alpträume gehabt?« »Ja. Und wie!« »Ich mußte dich mit aller Macht festhalten. Ich dachte, ich schaffe es nicht, aber dann hast du dich wieder beruhigt.« »Was ist passiert?« Der Kutscher sagte es ihm. Hasard richtete sich etwas auf. Ihm war wieder, als trete ein wiehernder Gaul mit den Hufen nach ihm. Aber allmählich klang der Schmerz wieder ab. Er setzte sich auf den Rand der Koje und betastete seinen Kopf. Er war bandagiert. »Ist es ein übler Kratzer, Kutscher?« »Zu Anfang erschien er mir schlimmer, als er ist. Aber du mußt noch auf dich aufpassen. Mit solchen Wunden ist nicht zu spaßen.« Hasard nickte. Das Grinsen gelang ihm diesmal. »Kurzum, die Sache ist nicht der Rede wert.« Er erhob sich ganz, wankte vor dem Kutscher her auf Deck und blinzelte etwas benommen
in die Nacht. Jean Ribault entdeckte ihn als erster. Er stieß einen grellen Pfiff aus und rief: »Holla, Freunde, Hasard ist von den Toten zu den Lebenden zurückgekehrt.« Nach und nach versammelten sich die Männer auf der Kuhl. Ben Brighton atmete sichtlich auf. »Mann, Hasard, wir haben uns ernsthaft um dich gesorgt.« »Du siehst ziemlich gerupft aus«, erklärte Matt Davies. Der Seewolf rieb sich die Nase. Das Mitgefühl seiner Männer wurde ihm langsam unangenehm. »Na schön, ich danke euch. Jetzt fühle ich mich schon wieder sehr gut. Wie ist der Kampf ausgegangen?« »Ich habe das Schiff übernommen«, sagte Ben. »Wir haben abgebrochen und uns luvwärts nach Osten verholt. Was sollten wir sonst tun? Deine Gesundheit ging uns vor.« »Blinde Passagiere, die von außenbords überklettern und uns dann mit Messern bedrohten, haben wir diesmal nicht gehabt«, meldete der Profos mit schiefem Grinsen. Hasard entgegnete: »Und die sechs Galeonen, die von den Piraten abgedrängt worden waren?« Ben Brighton zuckte mit den Schultern. »Die waren nicht mehr zu retten. Rodriguez konnte da auch nichts tun. Die Piraten haben die Galeonen geentert und sind mit ihnen verschwunden. Jetzt sind es also noch zweiundzwanzig Galeonen, die im Konvoi fahren.« »Wenn das so weitergeht, bleiben zuletzt nur noch wir übrig«, sagte Karl von Hutten. Keiner wußte, ob er das ernst meinte, aber es lachte auch niemand. Von Hutten selbst wußte nicht, wie erstaunlich nahe er den späteren Ereignissen mit dieser Äußerung kam. »Diese Fahrt«, sagte Jean Ribault, »wird langsam zu einem richtigen Alptraum.« Hasard verzog den Mund. »Den Eindruck habe ich auch. Als ich bewußtlos war, erschienen mir die Piraten. Scheint so, als
würden sich sämtliche Himmelhunde und Bastarde von den Küsten der Karibik am Konvoi ein Stelldichein geben. Jeder will sich seine Scheibe vom großen Kuchen abschneiden. Hat eigentlich unser großer Freund Don Francisco Rodriguez schon etwas verlauten lassen?« »Nein«, erwiderte Ben. »Wir wollten warten, bis du wieder auf den Beinen bist und dann Verbindung mit ihm aufnehmen.« »Gut. Dann staffeln wir jetzt an die ›San Josefe‹ heran«, entschied der Seewolf. Der Wind hatte wieder etwas abgeflaut und war in den gewohnten gleichmäßigen Südost übergegangen. Die bewegte See begann sich zu glätten. Hasard ging mit der Karavelle bis auf Rufweite an die ›San Josefe‹ heran. Von Bord zu Bord entspannte sich jetzt ein reger Dialog zwischen Hasard und dem dicken Rodriguez. »Senor Capitan General!« schrie Hasard. »Sechs weitere Galeonen sind verschwunden. Sollen wir noch weiter nur die östliche Flanke des Geleitzuges sichern?« Rodriguez lief rot an, plusterte sich wie eine Henne auf und brüllte zurück: »Nein! Was schlagen Sie vor, Capitan Diaz de Veloso?« »Wir sichern wieder nach allen Seiten!« »Einverstanden! Al diablo, sind Sie verletzt?« »Eine Kleinigkeit. Für Helden des Vaterlandes wie uns sind das Nichtigkeiten!« rief Hasard durch den Schalltrichter seiner Hände. Worauf sich Don Rodriguez vermanschte Figur straffte und er zurücktrompetete: »Das versteht sich, Senor. Es lebe unser geliebtes Spanien mit seinen Helden! Wir lassen dem Feind nicht die Genugtuung, uns leiden zu sehen!« »Jawohl«, gab Hasard zurück, und seine Mannschaft grölte Zustimmung. Man verabschiedete sich voneinander, und die ehemalige
›Cartagena‹ sackte wieder achteraus. Die ›San Josefe‹ mit ihrem fetten, schwitzenden Geleitzugführer entrückte nach vorn an die Spitze des Konvois. Vorläufig hatte die SeewolfCrew wieder ihre Ruhe. 7. In der übernächsten Nacht sichtete Dan O’Flynn wieder Schiffe - diesmal im Osten. Hasard hielt selbst Ausschau und identifizierte sie wenig später als Schaluppen. Eine neue Begegnung mit Freibeutern kündigte sich an, aber der Seewolf änderte dieses Mal seine Taktik. Er ließ volles Zeug setzen und klüste an den Galeonen des Konvois vorbei mit direktem Kurs auf die ›San Josefe‹. »Verdammte Schaluppen!« schimpfte Ed Carberry unterwegs. »Die hängen mir langsam zum Hals ‘raus.« Hasard grinste. »Hör auf zu nörgeln, Edwin. Geh unter Deck und sorge gefälligst dafür, daß nur Dunkelhaarige oben bleiben. Und daß mir ja keiner Englisch spricht!« Wenig später ging die Karavelle wieder auf Rufweite an die Backbordseite des Flaggschiffes heran. Ben Brighton übernahm es, die spanische Bordwache anzurufen und nach dem Generalkapitän zu verlangen. Ein frischgebackener Kapitän wie »Diaz de Veloso« tat so etwas nicht selbst, er hatte selbstverständlich seine Leute dafür. Don Francisco Rodriguez mußte augenscheinlich aus dem Schlaf gerissen oder von einer anderen wichtigen Beschäftigung weg auf Deck geholt werden - es dauerte einige Zeit, bis er sich zeigte. Er machte einen höchst verstimmten Eindruck. Langsam schien ihm sein besonderer Heldenfreund de Veloso auf die Nerven zu gehen. Hasard amüsierte sich im stillen. Während de Rodriguez vom Quarterdeck aus nach achtern
watschelte, glitt der bewundernde Blick des Seewolfes wieder einmal über den reich verzierten Achtersteven der schmucken Lady ›San Josefe‹. Er schaute sich eingehend die kunstvollen Schnitzereien an, betrachtete die erleuchteten Bleiglasfenster der Heckgalerie mit dem pompösen Wappen darüber, dann das blau-rot-golden eingelegte Heiligenbild, das den Heckspiegel beherrschte und aller Wahrscheinlichkeit nach den heiligen Josef zeigte. Darüber prangte das Relief eines Kreuzes und noch ein Stück höher flackerte die Achterlaterne, die den Abschluß und höchsten Punkt der Poop darstellte. In ihrem Lichtkreis erschien jetzt der fette, verdrossen dreinblickende Don Francisco Rodriguez. Ein Juwel, dachte Hasard, aber der Dicke paßt dazu wie die Faust aufs Auge. Laut äußerte er: »Es gibt wieder Verdruß, Senor Capitan General.« Er mußte das wiederholen, denn Rodriguez schüttelte nur den Kopf. Er schien nicht nur verbiestert, sondern plötzlich auch schwerhörig zu sein. »Besuch!« schrie Hasard. »Es kreuzen wieder Schaluppen auf. Sie kommen aus dem Osten.« »Zum Teufel mit ihnen!« »Darf ich etwas vorschlagen?« »Ja!« brüllte der Dicke. »Ich sage, es ist besser, wenn wir nach Westen schwenken und vor dem Wind ablaufen. Wir können uns doch nicht ewig mit diesem Gesindel herumschlagen.« »Sondern?« rief Rodriguez quengelig. »Wollen Sie jetzt etwa kneifen, Capitan de Veloso?« Du störrischer Hund, dachte Hasard. Rodriguez stellte sich regelrecht auf die Hinterbeine, und es dauerte eine Weile bis er ihn davon überzeugt hatte, daß ein organisierter Rückzug sinnvoller war als ein neuer Kampf. »Wir müssen die Ladung der Galeonen sicher nach Havanna
geleiten«, erklärte er. »Das ist unser höchstes Ziel. Aber wir können es nur, wenn wir weitere Verluste vermeiden. Der Konvoi ist fast bis auf die Hälfte zusammengeschrumpft.« »Ja«, entgegnete Rodriguez endlich. »Das sehe ich ein.« »Wir gehen also auf Westkurs?« »Ja, Hölle und Teufel!« Im weiteren Verlauf der Nacht begab sich Hasard mit Ben Brighton, Edwin Carberry und einigen anderen Männern, darunter auch Karl von Hutten und Jean Ribault, in die Kapitänskammer. Das Manöver war geglückt, sie hatten die Piraten abgehängt und brauchten sie nicht mehr zu fürchten. Natürlich bestand jederzeit die Gefahr, daß neue Schaluppen, Karacken, Karavellen oder Galeonen in der Dunkelheit auftauchten. Sie waren darauf gefaßt. Dan hockte im Großmars, seinem liebsten Platz, und hielt die wachen Augen nach allen Seiten hin offen. Hasard stellte einige Berechnungen an. Er breitete eine Seekarte auf dem Tisch aus und beschwerte sie, damit sie sich nicht wieder aufrollte. Karl von Hutten und vor allem Jean Ribault, der ja diese Gefilde als Pirat der Karibik befahren und ausgiebig erkundet hatte, konnten ihm Hinweise liefern, die seine Positionsbestimmung präziser machte. »Hier«, sagte der Seewolf schließlich. Er wies auf einen Punkt inmitten der blauen Fläche des Karibischen Meeres. »Hier befinden wir uns, etwa auf halber Strecke zwischen Cartagena und Havanna.« Jean beugte sich über die Karte. »Ja. Wir haben die St.-Andres-Insel und die Pearl-Insel passiert und könnten immer noch nach Osten Reißaus nehmen, durch die Windward-Passage ziehen und diesen verflixten Dons den Rücken kehren.« »Kommt nicht in Frage.« Hasard lächelte unter seinem weißen Kopfverband. Seine Stirn war dabei gefurcht und die Augenbrauen etwas
zusammengezogen, denn die Wunde schmerzte noch immer. »Ich muß euch gestehen, ich habe mich bis über beide Ohren in den schmucken Brocken verschossen - in die ›San Josefe‹. Und ich lasse nicht locker, bis nicht eine Entscheidung fällt. Entweder kriege ich sie oder die Dinge entwickeln sich so, daß der Pott in unerreichbare Ferne für uns rückt. Erst dann stecke ich auf.« »Puh«, sagte Ben Brighton. »Daß wir uns nicht wie anständige Korsaren mit Einzelschiffen befassen können. Ich werde die böse Ahnung nicht los, daß wir uns noch die Finger verbrennen.« »Ach Quatsch«, sagte der Profos. »Es sind doch bloß noch zweiundzwanzig elende alte Waschzuber, mit denen wir es notfalls aufzunehmen haben - was ist das schon?« »Gott erhalte dir deinen Übermut«, sagte Jean Ribault zu Carberry. Er studierte immer noch angestrengt die Seekarte. »Übrigens, Hasard, mir fällt hier eine Kleinigkeit auf. Es ist bei weitem nicht alles eingezeichnet, was für einen Seemann von Interesse sein sollte, aber wenn mich nicht alles täuscht, so führt uns unser Westkurs ziemlich nahe an die berüchtigten Serranilla-Bänke heran.« »Was für Bänke?« erkundigte sich Blacky. Der Franzose wiederholte den Namen, dann fügte er hinzu: »Das ist eine Anhäufung von Korallenriffen übelster Sorte. Wenn ihr mich fragt: Wir tun gut daran, so bald wie möglich wieder auf nördlichen Kurs zurückzugehen.« »Zeichne die Bänke ein«, bat Hasard ihn. Jean kam der Aufforderung nach. Der Seewolf holte eine Flasche und Gläser aus einem der Schapps und schenkte schweren, süffigen Malaga aus. Er hatte ihn sozusagen aus dem unfreiwilligen Nachlaß des echten Diaz de Veloso zurückbehalten. Es handelte sich um die letzte Flasche. Hasard stieß mit seinen Vertrauten an. Etwas später inspizierte Hasard, was der Franzose auf die
Karte gemalt hatte. Er stellte noch ein paar Messungen an, dann beschloß er, den dicken, leicht aufbrausenden Generalkapitän vorsichtshalber doch lieber noch einmal aufzusuchen. Sie arbeiteten sich an die ›San Josefe‹ heran. Rufe gellten bald von einem Schiff zum anderen, es war die gleiche Schau wie bei den vorherigen Malen: Ben Brighton verlangte den hochwohlgeborenen Don Rodriguez im Namen des ehrwürdigen Capitan de Veloso zu sprechen. Aber diesmal kniff der Dicke. Oder besser: Er zeigte ihnen die kalte Schulter, indem er nämlich überhaupt nicht an Deck stieg. Einer der wacheschiebenden Seesoldaten meldete! »Der Capitan General sagt, er sei unpäßlich und möchte auf keinen Fall gestört werden.« »Aber es ist wichtig!« rief Ben. »Tut mir leid, ich kann’s nicht ändern.« Hasard zeigte sich jetzt auf dem Quarterdeck und schrie zum Flaggschiff hinüber: »Hör zu, Mann, wir laufen spätesten morgen früh auf, wenn der Konvoi nicht den Kurs ändert. Sag das deinem Capitan General, oder ich ziehe dir die Hammelbeine lang.« Der Bursche verschwand wieder im Achterdeck, aber es blieb ungewiß, ob er die Nachricht überbrachte und ob Don Francisco sie aufnahm. Vielleicht lag er, der die angenehmen Seiten des Lebens über alles schätzte, im tiefen Schlaf oder frönte irgendwelchen Lastern, beispielsweise dem Suff. Die ›San Josefe‹ drehte jedenfalls ab, und das bedeutete für Hasard und seine Crew, sie sollten gefälligst abhauen und sich vorläufig nicht mehr blicken lassen. »Diese gesengte Sau«, sagte der Profos. »Dem möchte ich mal persönlich die Meinung geigen, wenn’s möglich ist.« Er trat auf die Kuhl, sobald die Luft wieder rein war. Hinter ihm drängten sich die anderen Männer an Deck. Hasard erwartete, daß Rodriguez irgendwann zu Verstand
kommen würde, aber das trat nicht ein. Die ganze Nacht über blieb der Geleitzug stur auf Westkurs. Hasard fand keinen Schlaf. Er setzte sich noch einmal mit Jean Ribault zusammen, und sie beschäftigten sich von neuem mit der Seekarte. »Natürlich sind die Serranilla-Bänke keineswegs kartographisch erfaßt«, erklärte der Franzose. »Im Laufe der Jahre, die ich in der Karibik zugebracht habe, hat sich bloß herumgesprochen, daß man diese Gegend südwestlich von Jamaica tunlichst meiden soll. Sogar der Araber, unter dem ich damals fuhr, Mac Dundee, das verfluchte Einohr, und alle anderen waren darüber im Bilde. Frag doch mal Buck Buchanan, Will Thorne, die Dänen oder die Holländer in unserer Crew - die werden es dir bestätigen.« »Schon gut«, erwiderte Hasard. »Ich glaube dir ja. Ich sehe keinen Grund, warum ich an deinen Worten zweifeln soll. Bloß Rodriguez - kann denn der so hirnverbrannt sein?« »Vielleicht hat er nie von den Bänken gehört. Oder er tut die Geschichte darüber als Sage oder Hirngespinst ab.« Hasard lächelte grimmig. »Möglich. Oder aber er hat im Augenblick überhaupt keine Ahnung, wo wir uns befinden. Mir scheint, der Dickwanst interessiert sich für die Nautik wie ein Ochse für wunderschöne Landschaftsgemälde.« »Immerhin«, sagte Jean Ribault. »Es könnte durchaus sein, daß wir an den Riffen vorbeisegeln.« »Ja«, meinte Hasard, aber er war nicht überzeugt. * Im Morgengrauen lasteten milchige Nebelschleier über der See. Der Konvoi befand sich immer noch auf Westkurs, und Philip Hasard Killigrew begann sich zu fragen, ob Rodriguez den Verstand verloren hatte. Die Zweimast-Karavelle segelte Backbord achteraus vom Geleitzug, um ihn nach wie vor gegen angreifende Piraten abzuschirmen. Hasard hatte Dan O’Flynn
genaueste Anweisungen gegeben, obwohl das eigentlich überflüssig war, denn der beste aller Ausgucks hatte sie bisher noch nie auf eine Untiefe gelotst und ins Verderben gestürzt. Aber Dan hielt an diesem grauen Augustmorgen die Augen doppelt offen. Jede Veränderung an der Wasseroberfläche würde ihm sofort auffallen, und auch die leichteste Verfärbung konnte seinen Augen nicht entgehen. Der Kutscher erschien mit etwas linkischem Gebaren auf Deck. Er trug wieder seinen unvermeidlichen Abfallkübel. Dan lehnte sich aus dem Großmars, verfolgte seinen Weg über die Kuhl und rief: »Obacht, Kutscher! Die grauen Vielfraße sind wieder da!« Der Kutscher beugte sich mißmutig übers Schanzkleid und suchte das Meer an der Steuerbordseite der ›Isabella IV.‹ nach Haien ab. Er konnte keine entdecken. Vorsichtshalber vergewisserte er sich, daß Arwenack nicht in der Nähe war. Die Ereignisse des 4. August waren ihm noch allzugut in Erinnerung. So etwas sollte sich nicht wiederholen. Der Kutscher hielt erneut nach Haien Ausschau - wieder ohne Erfolg. »Der will mich auf den Arm nehmen«, sagte er und kippte den Kübel aus. Der Unrat schlug mit planschenden Geräuschen in die Fluten. Und plötzlich waren sie da, die grauweißen, stummen Leiber mit den Riesenmäulern. Plötzlich stießen sie beschleunigend auf die Reste aus der Kombüse zu, tauchten ihnen nach, rissen sie gierig in sich hinein. Ihre Rückenflossen zerschnitten das Wasser, ihre Schwanzflossen schlugen und ließen Gischt sprühen und kleine Fontänen aufsteigen. Der Kutscher schluckte. »Verdammt, der Naseweis hat doch unglaublich gute Augen«, sagte er. Haie hatten sie von Anfang an durch die Karibik begleitet, Haie waren auch jetzt ihre schweigenden Gefährten. Hasard schaute ihnen vom Achterdeck aus zu. Er gestand sich ein, daß sie etwas gemeinsam hatten, sie und er: die Unnachgiebigkeit,
die Zähigkeit, die Ausdauer. Wer ausharren konnte, bis seine Stunde schlug, der würde Erfolg haben. Die Stunde nahte. Die Nebelschleier lichteten sich etwas. Weißliches Sonnenlicht durchbrach den Filter und setzte den Wellenkämmen glitzernde Kronen auf. Eine Wende zeichnete sich ab. Drüben auf der ›San Josefe‹ wurde eifrig signalisiert. Hasard verfolgte die Flaggenparade durch den Kieker. »Rodriguez läßt jetzt anluven und nimmt wieder den Nordkurs auf«, sagteer. »Endlich«, sagte Ben Brighton. »Ist er vernünftig geworden? Hat er kapiert, daß unser Ratschlag richtig war?« Hasard zog die Unterlippe zwischen die Zähne, dann antwortete er: »Ich weiß es nicht. Wenn du mich fragst, kann sich die böse Überraschung nach wie vor bieten. Wir befinden uns genau bei dem Gebiet, in dem Jean Ribault die Korallenriffe weiß.« Etwa eine halbe Stunde verstrich, dann geschah es. Ganz vorn an der Spitze des Konvois fuhren die beiden nach der ›San Josefe‹ größten Galeonen. In ihrem Gefolge befanden sich andere untergeordnete Schiffe, und die ›San Josefe‹, die während der Kursänderung nach Norden ein gutes Stück abgefallen war, hielt sich ungefähr in der Mitte des Konvois. Rodriguez Ratschluß war unergründlich. Allein der Allmächtige wußte, warum er sich jetzt diesen Platz ausgesucht hatte. Ahnte er etwas von dem, was passieren konnte? Hasard glaubte es nicht. Vielmehr war er davon überzeugt, daß Rodriguez cholerisch und kapriziös in seinen Unternehmungen war. Ein launischer Bursche. Heute ernannte er einen Mann, der ihm sympathisch war, zum Kapitän eines Schiffes - morgen sank der Mann in seiner Gunst, übermorgen ließ er ihn seinen Haß spüren. Rodriguez war unberechenbar. Lange konnte das Schattenspiel zwischen der ›Cartagena‹ und dem Flaggschiff nicht mehr andauern.
Hasard wurde durch einen Ruf Dans aus seinen Überlegungen gerissen. Die Mannschaft blickte voraus. Vorn, an der Spitze des Konvois, herrschte plötzlich Unruhe. Zunächst ließ sich nicht genauer erkennen, um was es ging, doch dann stand es fest: Eine der Galeonen lief auf. Donegal Daniel O’Flynn hätte das Unheil heraufziehen sehen, wenn sie sich vorn befunden hätten, doch die Ausgucks der Spanier schliefen. Der Mannschaft der Galeone blieb nicht einmal die Zeit, in einem Sofortmanöver auszuweichen. Unter vollem Zeug rauschte der Dreimaster auf die Bank, krängte über und legte sich plötzlich quer. Die Zweimastkaravelle des Seewolfes holte auf. Durch Kieker und bald sogar mit bloßem Auge konnten die Männer der Crew beobachten, was sich nun abspielte. Verwirrung und Nervosität bestimmten die Szene. Der ersten Galeone folgte eine zweite nach. Sie pflügte mit prall geblähten Segeln aus das Riff, als habe der Kapitän in einem Anflug von Größenwahn beschlossen, über die Barriere hinwegzurutschen. Auf der dritten, vierten und fünften Galeone stellte sich größtes Entsetzen ein. Man konnte auf der ›Isabella IV.‹ die Schreie vernehmen, die die Spanier ausstießen. Zwei Schiffe trachteten danach, über Stag zu gehen und sich aus der Gefahrenzone zu bringen. Sie benahmen sich wie flügellahme Enten. Die eine trieb quer auf die Korallenbank, die andere rammte mit voller Wucht einen Dreimaster. Sie schob das Schwesterschiff ein Stück vor sich her. Fast kollidierte sie mit einem anderen Segler, um Haaresbreite wurde es verhindert. Dann kenterte eine Galeone. Zwei andere prallten auf die Riffe, daß das Knirschen ihrer schweren Rümpfe auf dem Widerstand zu vernehmen war. Die beiden ineinander verkeilten Schiffe liefen nun gleichfalls auf und knüllten sich regelrecht zu einem Wust aus splitterndem Holz, umgeknickten Masten, schlackernden Segeln und brüllenden Männern zusammen. Es war ein wahres Massaker.
Innerhalb kürzester Zeit krachten mehr als ein Dutzend Galeonen auf die Riffe. Dan O’Flynn verfolgte das Geschehen mit offenem Mund. Er kauerte nach wie vor im Großmars und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Jetzt konnte er die graubraunen Umrisse der ausgedehnten Korallenriffe erkennen. Er begriff, daß es sich um eine Barriere gewaltigen Ausmaßes handelte. Ihr Ende war weder im Osten noch im Westen zu erkennen, sie zog sich wie eine alles verriegelnde Kette quer über die See. Hinter der vorderen Bank dehnte sich helleres Wasser aus, vielleicht war es so flach, daß man darin stehen konnte. Im Hintergrund erkannte das Bürschchen braune und weiße Streifen, die vor einem Passieren warnten. Nicht einmal mit einem Beiboot konnte man darüber wegsetzen, ohne aufgeschlitzt zu werden. Hasard ließ anluven und hielt sich mit der Karavelle außerhalb des Gefahrenbereiches. Das Chaos unter den Galeonen dauerte an. Sechzehn Schiffe, so zählte der Seewolf, waren inzwischen Opfer der trügerischen Riffe geworden. Die Galeonen lagen wie hilflose Riesentiere auf der Bank, brachen auseinander und ließen ihre Mannschaften ins Meer stürzen. Und wieder waren die Menschenfresser zur Stelle! Eilfertig schoben sich die Haie auf die Unglücksstelle zu. Niemand konnte sie aufhalten oder ihrem blutigen Vorhaben Einhalt gebieten. Nur die restlichen sechs Galeonen, die am weitesten achtern standen, konnten noch rechtzeitig vor den Riffen ausweichen. Unter ihnen war auch das Flaggschiff ›San Josefe‹. Generalkapitän Don Francisco Rodriguez tobte vor Wut und stimmte ein Lamento über den enormen Verlust an. Jemand schien ihn an den Wert menschlichen Lebens zu erinnern, denn er setzte Boote aus. Mit den Galeonen konnte man sich unmöglich an die lebensgefährlichen Riffe heranwagen - doch Boote hatten eine Chance, unbeschädigt zu bleiben. Sie sollten Schiffbrüchige aufnehmen und von den Ladungen der
havarierten Galeonen bergen, was irgend noch zu bergen war. »Er hätte auf uns hören sollen«, sagte Jean Ribault neben dem Seewolf. »Bedauerst du die Spanier?« fragte Hasard. »Nicht sonderlich. Sie sind große Narren.« »Wir werden noch einiges ausfechten müssen. Wenn Rodriguez erstmal die Fassung wiedergewonnen hat, wird er uns für den Unfall verantwortlich machen. Schließlich habe ich ihm den Kurswechsel von Nord auf West ans Herz gelegt.« »Aber unsere Warnung hat er in den Wind geschlagen.« Hasard wandte den Kopf und schaute den Franzosen an. »Das ist richtig. Aber daran wird er sich natürlich nicht mehr erinnern. Leute wie er brauchen einen Sündenbock, auf dem sie herumhacken können. Es wäre gut, wenn er nicht mehr lange Kapitän auf der ›San Josefe‹ wäre.« Jean Ribault grinste, denn er wußte, auf was der Seewolf jetzt wieder anspielte. 8. Sie konnten es von Bord der ›Isabella IV.‹ aus in aller Deutlichkeit verfolgen: Zwei spanische Seeleute schwammen unweit der Trümmer ihres Schiffes in den türkisfarbenen Fluten. Sie trachteten danach, das Riff zu erreichen, denn dort waren sie sicher und konnten - mit etwas Glück - bald auf eins der Rettungsboote umsteigen. Sie schwammen nebeneinander her, doch der Kopf des einen verschwand plötzlich mit einem Ruck unterhalb der Oberfläche. Im nächsten Moment breitete sich etwas Dunkles, Wallendes im Wasser aus - Blut. Der andere Mann sah es und brüllte vor Grauen und Panik los. Doch das nutzte ihm nichts. Keiner konnte ihm mehr helfen. Haie hatten seinen Kameraden in die Tiefe gezerrt und hielten
furchtbare Mahlzeit. Und nun drängten sich die Bestien auch auf ihn zu. Ein zahnbewehrtes Maul fuhr neben ihm hoch und ragte aus den brodelnden Fluten. Es stülpte sich über seinen Arm und biß zu. Die Schreie des Mannes klangen gellend. Mit einem Mal schien das Naß in seiner Umgebung nur noch rotes, sprudelndes Blut zu sein ... »Gott sei ihrer Seele gnädig«, sagte Ben Brighton, als auch der zweite Mann im Meer verschwunden war. »Ich sage dir, es ist besser, durch die Waffe eines Gegners zu sterben, als so ums Leben zu kommen, Hasard.« Sie wurden Zeugen anderer, ähnlich schrecklicher Szenen. Der Seewolf wollte nun auch ein Beiboot klarmachen und abfieren lassen, doch plötzlich schallte Dan O’Flynns Warnruf in das blutige und chaotische Durcheinander. »Deck! Masten achteraus!« Hasard, Ben, der Profos und die anderen Männer auf dem Achterdeck fuhren herum. Der Nebel hatte sich jetzt so weit gelichtet, daß sie den Kieker einsetzen und Konturen an der Kimm erkennen konnten. Hasard reichte das Glas an Carberry weiter, und dieser schimpfte los: »Das schlägt doch dem Faß den Boden aus! Rücken die verfluchten Bastarde jetzt wieder an? Können die den Hals nicht voll genug kriegen? Himmel, Arsch und Zwirn!« »He, es sind wieder Schaluppen!« schrie Dan. »Zwei Einmaster.« Hasards Stirn umwölke sich. »Langsam habe ich diese verfluchten Scheißpiraten satt. Wir lassen sie heran, aber wir lassen sie nicht wieder abrücken, das schwöre ich euch.« Wie um seine Worte zu unterstreichen, betastete er mit der Hand seinen Kopfverband. Die Wunde schmerzte weniger stark, aber das Andenken an den heimtückischen Flankenangriff der Freibeuter war immer
noch gegenwärtig. »Was treibt denn Rodriguez?« sagte Edwin Carberry plötzlich. Ihre Köpfe ruckten wieder nach Steuerbord herum, und sie hatten jetzt Gelegenheit, die Gewandtheit des Generalkapitäns zu bestaunen. Der hatte die Schaluppen ebenfalls entdeckt und brach jetzt die Rettungsaktion ab, nahm seine Pinasse an Bord, signalisierte den anderen noch intakten Galeonen, es ihm gleichzutun und ließ seine ›San Josefe‹ hurtig abdrehen. Unter vollen Segeln strich der Dreimaster nach Nordwesten davon. Er zog an dem Todesriff vorüber und fuhr mit den fünf anderen Galeonen in seinem Kielwasser vor der ›Isabella IV.‹ Parade. Don Francisco Rodriguez stand in schmucker Uniform auf dem Achterkastell und gestikulierte zu ihnen herüber. Was er präzise damit ausdrücken wollte, ließ sich nicht ermitteln. »Ab durch die Mitte«, sagte der Profos betroffen. »Diese Affenärsche und Rübenschweine. He, Hasard, sollen wir nicht auch ...?« »Nein«, gab der Seewolf zurück. Und dann jagte er seine Männer an die Brassen und Schoten, ließ die Karavelle herumnehmen, luvte an und warf sich den Piraten über Backbordbug entgegen. Routiniert erledigten die Männer ihre Arbeit während des Segelmanövers, und ebenso flink und sauber bereiteten sie die Gefechtsstationen auf die Auseinandersetzung vor. Der Wolf war wütend und benahm sich gereizt. Er hatte nicht vor, irgendeine Art von Kompromiß einzugehen. Er wollte den Piraten keine Chance bieten und die Wendigkeit, die vorzügliche Am-Wind-Eigenschaften und die überlegene Reichweite der Feuerwaffen der ›Isabella‹ rigoros ausnutzen. Hart am Wind pflügte die Zweimastkaravelle auf die Schaluppen zu. Die Decksplanken begannen unter den Füßen der Männer leicht zu vibrieren, als das Schiff die höchstmögliche Geschwindigkeit erreichte. Es war ein kurzer,
entschlossener Törn nach Südosten, und er brachte sie direkt vor die Nase der Piraten. Hasard ließ wieder abfallen, bis die ›Isabella‹ bei halbem Wind segelte. Sie stellte sich somit quer und hielt den Piraten seine Steuerbordbreitseite entgegen. »Schiff klar zum Gefecht!« schrie der Profos. »Macht uns keine Schande, ihr Satansbraten!« Die Freibeuter taxierten die heraufziehende Gefahr und beschlossen, die Herausforderung nicht anzunehmen. Sie schickten sich an, in Luv der Karavelle nach Westen abzuziehen, aber der Seewolf machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Er luvte hart an, ließ wenden, sofort wieder abfallen und steuerte über Steuerbordbug schräg auf die Piraten zu. Noch einmal versuchten es die Freibeuter. Ihre beiden Schaluppen trennten sich voneinander. Sie wollten an Bug und Heck der Karavelle passieren und dann ungehindert auf das Riff zuhalten. Vielleicht glaubten sie, die Crew der ›Isabella‹ verwirren zu können und dadurch Vorsprung zu erhalten, doch sie irrten sich. Hasards Männer fegten wie die Derwische über Deck. Pete Ballie bearbeitete das Ruder, daß es eine Freude war. Wieder schwang die Karavelle herum, richtete ihren Bug nach Nordwesten und ihr Heck nach Südosten und jagte zwischen die beiden Schaluppen! »Feuer!« rief der Profos. Die zwölf Kanonen dröhnten fast gleichzeitig los, die ›Isabella‹ schickte ihre beiden Breitseiten über das Meer hinaus. Hasard spürte die Planken unter sich zittern und hatte den Eindruck, es würde die Karavelle auseinanderreißen. Die Geschosse fegten über die Wasserlinie, rasten sehr flach auf die Schaluppen zu und trafen, wo sie treffen sollten. Es krachte und splitterte, auf beiden Piratenschiffen wirbelten Trümmer hoch. Der Mast der linken Schaluppe geriet bedrohlich ins
Wanken. Nur drei Kugeln der ›Isabella‹ hatten das Ziel verfehlt und waren wirkungslos ins Blaue geflogen. Dennoch, die Piraten waren noch nicht am Ende. Sie beantworteten das Feuer der Karavelle mit erbittertem Beschuß. Hasard und seine Männer hörten die Böller und sahen die weißen Qualmwolken, die über den Bordwänden der Schaluppen hochpufften. Sie hörten die Kugeln heranorgeln, doch dann sahen sie zu ihrer Begeisterung, wie das Blei lediglich vor der Karavelle ins Wasser stob und Fontänen hochriß. Das war alles. Sowohl die linke als auch die rechte Schaluppe vermochten die Distanz zu dem Zweimaster durch ihre Geschütze nicht zu überbrücken. Sie sahen ein, daß sie so nicht weiterkamen. Sie suchten ihr Heil in der Flucht. Zunächst wollten sie nach vorn ausreißen. Doch Hasard ließ jetzt die Drehbassen sprechen. Und wieder gab es Treffer. Das Wut- und Schmerzgeheul der Freibeuter drang zur ›Isabella‹ herüber. »Wir knacken sie!« rief Dan O’Flynn aus dem Großmars. »Sie machen sich die Hosen voll!« Die Piraten sahen ein, daß sie geradewegs ins Unheil liefen, wenn sie noch weiter auf das Riff mit den verunglückten, vielverheißenden Galeonen zuhielten. Sie gaben auf. Sie drehten ab und wollten sich verholen. Aber Hasard kannte kein Erbarmen. Er ließ die inzwischen wieder bereite Steuerbordbreitseite seines Schiffes auf die in Luv segelnde Schaluppe abfeuern. Die Geschosse fuhren schräg von achtern in die Schaluppe, trieben ihren Achtersteven auf und holten ihr das Großsegel vom Mast. Es sah aus, als würde das Schiff durch die Wucht des Aufpralls ein Stück voranbefördert. Das Segel flatterte mitsamt seiner Rah über den Bug in die See hinaus und tauchte dann unter. Die Schaluppe brach auseinander und sank. Es gab kein Beiboot, das die Piraten flottmachen konnten. Sie waren aufs
Schwimmen angewiesen. Wer nur leicht verletzt war und das noch konnte, paddelte eilends los und suchte nach Planken und anderem Treibholz, an dem er sich festhalten konnte. Aber da waren die Haie zur Stelle. An den Schreien der Freibeuter war zu vernehmen, daß die Bestien ihre Schreckensmahlzeit fortsetzten. Für die Schiffbrüchigen war es die Hölle, aber für die Haie mußte dies der gelobte Tag sein. Die andere Schaluppe versuchte, die Backstagswinde auszunutzen. Doch kaltblütig und unerbittlich setzte der Seewolf dem Gegner nach und gab ihm die Backbordbreitseite zu spüren. Auf der Back stand wieder Al Conroy. Der Beschuß durch die Drehbasse setzte den Freibeutern ebenfalls erheblich zu. Und beim Heransegeln taten nun Batuti, Smoky, Karl von Hutten, Patrick O’Driscoll und Gary Andrews ihren Teil. Sie bepflasterten das Deck der Piraten mit Brandpfeilen und Musketenblei. Binnen kurzem stand die Takelage der Schaluppe in hellen Flammen. Der Einmaster krängte unter dem vernichtenden Feuer, bis er mit der Steuerbordseite vollends eintauchte und Meerwasser übernahm. Die Schaluppe sank. Es wirkte, als zerfiele sie schmelzend in der See. Die Morgensonne war Zeuge, wie die letzten lebenden Piraten unter den Kugeln der Seewolf-Crew starben oder von den Haien zerrissen wurden. * Stille breitete sich aus. Die Ruhe nach dem Gefecht mutete geradezu gespenstisch an. Philip Hasard Killigrew blickte auf die Wellenringe, die die letzte untergehende Schaluppe gezeugt hatte. Sie breiteten sich kräuselnd und gleichmäßig nach allen Seiten aus, erreichten die Bordwand der ›Isabella IV.‹ und zerfielen daran. Leichen trieben zwischen Schiffsrudimenten im Wasser, und immer neue Dreiecksflossen gesellten sich zu ihnen.
Hasard wandte sich der Kuhl zu. Seine Männer schauten zu ihm auf. Etwas Pulverrauch deckte noch das Deck zu, es sah aus, als wüchsen sie daraus hervor. Über ihren Köpfen ertönte das Knarren der Rahen und Blöcke. Hasard musterte sie. Es dauerte eine Weile. Langsam wurde ihnen mulmig zumute. Hatten sie etwas falsch gemacht? »Danke«, sagte er endlich, und: »Das war mal nötig. Ist jemand verletzt?« »Nein, Sir«, antwortete der Profos. Hasard deutete voraus. »Gut, dann halten wir jetzt auf das Riff zu. Vielleicht gibt es Männer, die wir noch retten können. Jean, du kletterst bis zum Bugspriet vor, legst dich auf die Galion und lotest die Tiefe aus, wenn es brenzlig wird. Dan!« Er schaute nach oben zum Großmars auf. »Halt die Augen offen!« »Aye, aye, Sir!« tönte es zurück. Dieses Mal enterte Hasard in den Vormars auf und beobachtete selbst, was sich vor dem Bug des Schiffes ausdehnte. Unter dem zunehmenden Licht des Tages konnte er sehen, daß es sich bei den Serranilla-Bänken keineswegs um teilweise überflutete Cayes handelte, wie die Spanier Korallenund Sandbänke zu nennen pflegten. Nein, dies waren regelrechte Inseln mit Mangroven und Lagunen, eine Ansammlung von bizarren Korallenbauten, deren Spitzen allenthalben aus dem Wasser standen - ein entsetzliches Gewirr, das keinerlei Öffnung oder gar Fahrrinne bot, sondern nach außen hin total abgeschlossen erschien. Der Seewolf war auf eigenartige Weise fasziniert. Unwillkürlich fragte er sich, welche Farbenpracht sich wohl in der Tiefe des Meeres offenbaren mochte. Er hatte von den Korallenformationen gehört, aber nie Gelegenheit gehabt, sie unter Wasser zu erforschen. Der Anblick der gestrandeten Galeonen holte ihn in die raune Wirklichkeit zurück. An den Wracks, die trostlos und in
unendlicher Hilflosigkeit auf den gezackten, harten Korallen lasteten, zeigte sich keinerlei Regung. Kein Leben. Die Haie schienen vollends aufgeräumt zu haben. Hasard spürte einen leichten Schauer auf dem Rücken, verdrängte aber rasch wieder die Vorstellung an das grausige Wüten der Mörderbestien. Plötzlich sah er den Mann. Dan hatte ihn auch entdeckt, denn er stieß sein bekanntes »He, ho!« aus. Hasard bedeutete ihm durch ein Zeichen, daß er bereits Bescheid wußte. Der Mann lag rücklings auf einer treibenden Planke. Hasard holte den Kieker hervor und blickte hindurch. Etwas Beklemmendes legte sich um sein Herz. Der Teufel mochte wissen, wie der Mann es geschafft hatte, sich auf die Planke zu ziehen und wie er sich jetzt überhaupt darauf halten konnte! Er war ein Spanier, und zwar einer der ranghöchsten, wie Hasard an der Uniform erkannte. Sein linkes Bein war bis zum Oberschenkel von Haibissen zerfleischt. Der Anblick war entsetzlich. Hasard lehnte sich aus dem Vormars und rief: »Laßt das Beiboot zu Wasser und holt ihn an Bord!« Edwin Carberry leitete das Unternehmen. Er nahm Buck Buchanan, Stenmark und die beiden Dänen mit, bediente selbst die Ruderpinne des Beibootes und steuerte an den Schiffbrüchigen heran. Behutsam zogen sie ihn übers Dollbord an Bord. Der Mann stöhnte zum Gotterbarmen. Sie pullten zur Karavelle zurück und verwandten dann noch einige Zeit darauf, den Schwerverletzten an Bord zu hieven. Hasard enterte vom Fockmast ab und trat zu dem auf der Kuhl liegenden Mann. Er kniete sich neben ihn. Der Kutscher erschien, untersuchte kurz und beschied dann: »Da kann man nichts mehr tun. Selbst wenn wir amputieren würden, würde er’s nicht überstehen.« Hasard nickte ihm zu. »In Ordnung, danke.« Er sah selbst,
daß dieser Mann im Sterben lag. Er legte ihm die Hand auf die Stirn und sagte ihm ein paar belanglose, beschwichtigende Worte. »Es - ist aus«, flüsterte der Spanier. »Ich weiß es.« »Du darfst dich nicht aufregen«, sagte der Seewolf. Die Männer der Crew scharten sich um ihn. »Ich bin - Capitan Urbano de Angelis«, fuhr der Todgeweihte fort. »Von der - der Galeone ›San Antonio‹.« Er atmete schwer und röchelte. Das Sprechen fiel ihm schwer. Dennoch redete er weiter. »Das Schiff - aufgelaufen - schrecklich. Die Mannschaft alle tot. Mit mir geht es auch - zu Ende, aber - aber ich will es -euch beichten.« Hasard blickte auf und musterte überrascht seine Leute. Der Profos zuckte mit den Schultern. Im Beiboot hatte de Angelis nichts geäußert.was auf ein Geheimnis schließen ließ. »Beichte«, sagte Hasard zu dem Kapitän. »Es ist die letzte Gelegenheit. Frieden zu finden. Ich bin Capitan Diaz de Veloso. Du kannst mir vertrauen.« De Angelis lächelte schwach. »Ja. Ich - ich habe einiges von den Schätzen, die ich aus der Neuen Welt nach Spanien bringen wollte, in - in meine eigene Tasche fließen - lassen ich habe den - König - beraubt ...« »Beruhige dich«, sagte Hasard. »Du bist nicht der erste, der das tut. Keiner wird dich mehr dafür zur Rechenschaft ziehen, und von uns wird es niemand erfahren.« Er schaute wieder zu der Crew auf, und die murmelte rollengemäß ihre Zustimmung. Tatsächlich war es nicht der erste Don, der heimlich in den eigenen Geldsack wirtschaftete. Karl von Hutten hatte ihnen zur Genüge über derartige Praktiken berichtet, und in Panama hatten sie schließlich aufgedeckt, wo Alfonso de Roja, der dicke Hafenkommandant, seinen privaten Schatz zu horten gewußt hatte. »Ich - habe einen Trick ausgedacht«, keuchte der Sterbende.
»Das Gold - ich habe es einschmelzen -lassen ...« »Auch nichts Neues«, raunte Matt Davies. »Aber dann - habe ich es in eine Ankerform gießen - lassen«, fuhr Urbano de Angelis fort. »Um - nicht entlarvt zu werden, ließ ich den goldenen Anker mit eisenhaltiger Substanz überziehen - ich - er wirkte so wie ein gewöhnlicher Anker ...« Hasard stieß einen leisen Pfiff aus. »Höchst raffiniert finde ich das. Auf diese Weise hätte kein Beamter der Casa und auch sonst niemand bemerkt, daß Gold nach Spanien geschmuggelt wird. Du hättest dich in aller Gelassenheit zur Ruhe setzen können, mein Freund.« De Angelis keuchte, dann wurde er von heftigem Husten geschüttelt. Er spuckte Blut und hatte große Schmerzen. »Schnaps«, sagte Hasard. »Holt Schnaps und gebt ihm davon zu trinken. Der hilft ihm nicht, lindert aber etwas die Qual.« Der spanische Kapitän wurde für kurze Zeit ohnmächtig, kam dann aber doch wieder zu sich und trank von dem scharfen Zeug, das der Kutscher ihm in einer Muck entgegenhielt. Er verschüttete einiges davon und hatte Schwierigkeiten beim Schlucken. Die ersten Schlucke brach er sofort wieder aus, doch schließlich gelang es ihm, etwas zu trinken. Er atmete tief durch und lächelte verkrampft. »Das tut gut.« Seine Zunge schien sich durch den Alkohol zu lösen und besser lenken zu lassen. Er sprach jetzt wieder fließend, fast ohne Stockungen. In seinem Blick lag jener Ausdruck, den Menschen hatten, wenn sie nach Absolution verlangten. »In meiner Gier«, sagte er, »damit niemand jemals von dem Goldanker erfahre oder ihn sich aneigne, habe ich ihn - kurz nach dem Auflaufen der ›San Antonio‹ - selbst gekappt. Er - er war unter dem Bugspriet vertäut.« »Und dann ist er mitsamt der Trosse ausgerutscht und versunken«, beendete Hasard den Bericht. »Ja.« »Wo ist deine Galeone aufgelaufen?« fragte Hasard.
Urbano de Angelis versuchte, sich aufzurichten, doch es mißlang. Er schaffte es nicht einmal, sich auf die Ellenbogen zu heben. Auf Hasards Wink hin griffen dann Blacky und Ferris Tucker zu und stellten den Mann auf sein gesundes Bein - ohne ihn loszulassen. Sie hielten ihn, und Capitan Urbano de Angelis bot einen grausigen Anblick mit seinem blutigen, zerfressenen, herabbaumelnden linken Bein. Er stöhnte, schaffte es aber dennoch, über das Steuerbordschanzkleid der Karavelle nach Nordwesten zu weisen. »Dort. Die - Mastspitzen ...« Der Seewolf trat neben ihn und legte eine Hand als Schutz gegen die Sonne über die Augen. Er glaubte, unter den sechzehn gestrandeten und havarierten Schiffen das richtige herausgefunden zu haben. »Sind es die Masten, die im Riff gerade noch aus dem Wasser ragen?« fragte er. De Angelis »Ja« klang schwach. »Rasch, legt ihn wieder hin«, sagte der Seewolf. Sie ließen ihn auf den Planken der Kuhl nieder und gaben ihm erneut Schnaps zu trinken. Der Mann röchelte und übergab sich zweimal, dann lag er wieder still. Er gab jetzt nur noch unverständliche, abgehackte Sätze von sich. Hasard brachte sein Ohr dicht vor den Mund des Sterbenden, konnte aber dennoch nichts von dem, was er stammelte, deuten. Plötzlich wurde der Körper von Urbano de Angelis von Krämpfen geschüttelt. Er bäumte sich auf. Stenmark und Ferris Tucker wollten eingreifen und etwas tun, um die Lage des Mannes wenigstens etwas zu verbessern, aber der Seewolf hielt sie zurück. Es gab nichts mehr zu tun. Urbano de Angelis unternahm seine letzten Regungen. Er zuckte noch ein paarmal, dann sackte er in sich zusammen und rührte sich nicht mehr. Sein Körper ließ den Geist entschlüpfen, und der Geist trat den langen Sprung über jene düstere Schwelle an, die alle Menschen einmal passieren müssen.
Hasard erhob sich. »Der Herr sei seiner Seele gnädig. Er war kein ehrlicher Mann, und vielleicht hat er in seinem Leben wenig wirklich Vernünftiges geleistet. Aber wir wollen ihn bestatten, wie es ihm zusteht.« Der Kutscher und Matt Davies holten Segeltuch und nähten den Leichnam darin ein. Die Sonne stieg weiter am Himmel auf und verdrängte die letzten Nebel- und Wolkenstreifen. Das Wasser der Karibischen See leuchtete tiefblau, als sie Kapitän Urbano de Angelis sterbliche Hülle über die Bordwand schoben. Blacky und Stenmark hielten sie noch einen Moment, dann erteilte der Seewolf ihnen das Zeichen und sie übergaben den Toten dem Meer. Er fiel senkrecht an der Bordwand vorbei, tauchte ein, ohne viel Naß aufspritzen zu lassen und verschwand in der Tiefe. Merkwürdigerweise waren diesmal keine Haie zur Stelle. Hasard blickte nun zu den Serranilla-Bänken hinüber. Ben Brighton trat neben ihn. Er sagte: »Ich weiß, was du denkst. Aber ich bin absolut nicht damit einverstanden.« Hasard streifte ihn mit einem halb verwunderten, halb amüsierten Seitenblick. »Was denke ich denn?« »Daß man den goldenen Anker bergen könnte.« »Stimmt.« »Es ist Wahnsinn.« »Dann werde ich diesen Wahnsinn versuchen.« 9. Er wandte sich ab, nahm die Stufen des Niederganges zur Kuhl hinunter und schritt langsam auf den Großmast zu. Ben Brighton blickte ihm kopfschüttelnd nach. Er konnte halsstarrig sein, dieser schwarzhaarige Draufgänger. Normalerweise war er kein Mann, der als Kapitän die Autorität und Disziplin vor alles stellte und nach diesem Prinzip marschierte. Nein, er hatte
das Prinzip des Volksentscheids an Bord verwirklicht, wie es nicht einmal Drake getan hatte. Er ließ sich gern Ratschläge geben, wägte gern alle guten und schlechten Seiten eines geplanten Unternehmens ab und beteiligte die Männer an allen Entscheidungen, die ein längeres Beraten zuließen. Er war ein Mordskerl, ihr Seewolf - aber er konnte halsstarrig sein. Ben ging ihm nach. Hasard hatte den Großmast erreicht und versammelte die Männer um sich. »Hört zu«, sagte er. »Wir setzen das Beiboot aus, und ihr pullt mich zur ›San Antonio‹ hinüber. Ich will den goldenen Anker bergen. Ich schätze, unsere königliche Lissy daheim in England wird die Augen aufreißen, wenn wir ihr zu allem Reichtum auch noch ein goldenes Riesenschmuckstück aus purem Gold mitbringen.« »Kann sein«, platzte der Profos heraus. »Aber du kannst das unmöglich schaffen, Hasard.« »Wie meinst du das?« »Du bist verletzt. Laß uns das Ding herausholen - Stenmark und mich beispielsweise. Oder Ben Brighton und mich.« Hasard winkte ab. »Danke für das Angebot, aber den Spaß will ich mir selbst gönnen, Männer, das müßt ihr verstehen.« Der Kutscher protestierte: »Mit der Wunde am Kopf darfst du das nicht riskieren. Sie könnte von neuem aufplatzen.« »Ach, Unsinn.« Hasard winkelte die Beine leicht ab und stemmte die Fäuste in die Seite. »Sagt mal, haltet ihr mich neuerdings für einen Schlappschwanz?« Ben Brighton mischte sich ein. »Davon kann doch gar nicht die Rede sein. Aber vergiß nicht die Haie. Wie willst du dir die vom Leib halten?« »Genauso wie am 4. August, als es Arwenack zu retten galt.« Hasard blickte zum Großmars hoch, und so, als hätte er es verstanden, erschien plötzlich Arwenack. Er keckerte, sauste auf der Großrah entlang, ließ sich dann in die Luvhauptwanten fallen und hangelte zu dem Seewolf herab, um sich auf seine
Schulter zu setzen. Hasard sagte: »Ich habe keine Lust, große Reden zu halten. Wir gehen soweit an die Riffe heran, wie es die Wassertiefe erlaubt. Dann fieren wir das Boot ab. Ed, Ben, Karl, Smoky, Batuti und Jean, ihr begleitet mich.« »Moment mal«, erhob Ben Brighton einen letzten Einwand. »Wir haben doch gar keinen Platz, um so einen Anker zu transportieren. Hast du das vergessen?« Hasard grinste. »Nein. Aber Urbano de Angelis hat ihn unter dem Bugspriet gefahren. Das werden wir auch tun. Und falls es nicht geht, verstauen wir das Ding mitten auf der Back, auf der Kuhl oder auf der Hütte und zurren es mit Tauen fest, verstanden?« »Aye, aye, Sir.« »Nehmt Waffen mit. Wenn ihr vom Boot aus einen verdammten Hai seht, knallt ihr ihn ab.« »Aye, aye, Sir«, murmelte Carberry. Was sollte er sonst tun? Der Seewolf akzeptierte es nicht, daß seine Männer sich um ihn sorgten. Und die Ausführung seiner Befehle konnten sie nicht verweigern, das wäre mit Meuterei gleichzusetzen gewesen. Unter Hasards wachem Kommando pirschte sich die ›Isabella IV.‹ an die Riffe heran. Jean Ribault arbeitete mit dem Lotblei. Als sie nur noch zwei Faden Wasser unter dem Schiffskiel hatten, ließ Hasard backbrassen, das heißt, die Luvbrassen wurden so weit angeholt, daß der Wind von vorn auf die Segel fiel. Die Karavelle stoppte. Die Crew fierte das Boot ab. Carberry, Ben Brighton, Karl von Hutten, Smoky, der Gambianeger und Jean Ribault machten sich bereit. Sie enterten mit ihrem Kapitän an der Jakobsleiter ab, stiegen in das Boot und legten von der Steuerbordwand der ›Isabella‹ ab. Mit kräftigen, regelmäßigen Riemenschlägen pullten sie das Boot an die Unglücksstelle heran.
Die ›San Antonio‹ lag mehr als rund zwei Kabellängen südwestlich von dem Platz entfernt, an dem die Haupt-Havarie stattgefunden hatte. Ihr Rumpf war bereits völlig von den Fluten überspült, nur noch ihre Takelage ragte aus der See auf. Die Rahen standen breit und widerspenstig von den Masten ab, das Zeug hing herab und wurde ein wenig vom Wind bewegt. Der Seewolf saß auf der Heckducht des Bootes und hielt die Pinne. Sein Blick war ins Wasser gerichtet. Die Färbung war hier nicht mehr tiefblau oder türkis wie draußen in den tieferen Zonen, sie war hell, manchmal richtig weißlich. Hasard sah Getier. Es waren Mollusken, Muscheln und Flügelschnecken, wie sie, so hatte der Seewolf gelegentlich vernommen, in Korallenregionen haufenweise vorkommen sollten. Der goldene Anker ließ sich mit dem bloßen Auge von hier oben natürlich nicht erkennen. Hasard schätzte, wo er liegen konnte. Er dirigierte das Boot an die ungefähre Stelle und ließ die Riemen einholen. Er holte seine Radschloßpistole aus dem Hosenbund und reichte sie Ben Brighton. Das Rad war aufgezogen, die Ladung steckte, zwischen den Hahnlippen klemmte ein frischer Pyrit. »Verwalte sie solange«, sagte Hasard. »Ich hoffe nicht, daß du sie gebrauchen mußt. Habt ihr anderen eure Musketen geladen?« Carberry nickte. »Alles in bester Ordnung.« Hasard richtete sich auf, das Boot schwankte leicht hin und her. Er entledigte sich seiner Kleidung bis auf eine kurze Hose, die von einem verzierten Ledergürtel gehalten wurde. Sein Messer nahm er mit. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare, die der Kopfverband freiließ, und stellte einen Fuß auf das Backbord-Dollbord, als Ben Brighton sich plötzlich auch erhob. »Hasard, ich komme mit. Das kannst du mir nicht verwehren.« Hasard zog die Augenbrauen zusammen. »Jetzt ist aber
Schluß, Mister Brighton. Ich befehle dir, den Schnabel zu halten. Ich tauche allein, und damit basta!« Er schwang sich übers Dollbord, streckte die Hände vor und stieß wie ein Pfeil in die Fluten hinab. »Und damit basta«, sagte Ben Brighton erbittert. »Der spricht schon wie Don Francisco Rodriguez. Möchte wissen, was heute mit dem los ist.« »Laß ihn«, gab Jean Ribault. »Ihn sticht der Hafer. Daran kannst du nichts ändern. Geben wir lieber acht, daß kein Hai in seine Nähe kommt.« Philip Hasard Killigrew schoß ungefähr zwei Faden tief, ohne die Gliedmaßen zu bewegen. Dann wollte ihn der Auftrieb bremsen und an die Oberfläche zurückbefördern. Er begann, dagegen anzuschwimmen. Seine kräftigen Stöße brachten ihn tiefer in die bizarre Welt, die sich nun vor seinen Augen öffneten. Der Riffsaum lag unter dem Wasserspiegel und bestand aus einer Mauer von großen Rindenkorallen, verschiedenfarbigen Schwämmen und zarten Elchkorallen. Darunter breitete sich ein regelrechtes Plateau von Korallen aus. Es war von Gängen durchsetzt und bildete ein verwirrendes, buntes Labyrinth. Hasard stieg an der Korallenmauer ab. Das Sonnenlicht hatte genügend Kraft, um tief in die Fluten vorzustoßen und ihm den Weg auszuleuchten. Farbige, pittoreske Formationen mit teilweise groteskem Aussehen glitten an ihm vorüber. Unter der Mauer grub sich eine dunkle Grotte in das Riff, und Hasard fühlte sich plötzlich von einem starken Sog hineingezerrt und gefangengesetzt. Es kostete ihn viel Muskelkraft, sich wieder zu befreien. Er nahm Abstand von der Mauer und schwamm bis auf das Plateau hinab. Schillernde, nicht sonderlich große Fische beäugten ihn neugierig bei seinem Ausflug. Eine dicke Qualle pumpte sich beleidigt davon. Bald entdeckte Hasard in einiger Entfernung größere Fische, identifizierte sie schließlich aber
erleichtert als Thunfische und Barrakudas, nicht als Haie. Ein Rochen stob schwänzelnd unter ihm davon, als er Einlaß in das Labyrinth suchte. Hasard hielt es für durchaus möglich, daß der goldene Anker in einen der Labyrinthgänge abgerutscht war. In den Vertiefungen des Plateaus war es finster. Wie sollte er dort jemals den Anker finden? Er hoffte auf die Trosse, die sich ja an dem Stück befinden mußte und möglicherweise irgendwo herausragte. Die Luft in seinen Lungen wurde knapp. Er ließ sich nach oben treiben, nahm den Kopf aus dem Wasser und atmete japsend durch. Das Boot lag nicht weit entfernt. Er blickte hinüber und konstatierte die fragenden Mienen seiner Männer. »Nichts!« rief er. »Bis jetzt noch nichts. Holt aber vorsichtshalber eine Trosse von der ›Isabella‹ herüber. Sie muß mit dem Schiff verbunden bleiben, damit wir den Anker hochziehen können.« »Warte, bis wir zurück sind!« rief der Profos. Hasard schüttelte den Kopf. Eine Art Fieber hatte ihn gepackt, ein Gefühl, wie es ihn immer befiel, wenn er kurz vor einem wichtigen Ziel stand. Er verlor nicht den Verstand wie manche Gold- und Silberschürfer oder solche Narren wie jene Spanier, die seinerzeit den Schatz des Vizekönigs in Lima geraubt und zu der Guanoinsel »Isla del Medio« geschafft hatten. Er konnte sich beherrschen, aber dennoch fiel es ihm schwer, den Drang zu bändigen. Er mußte seinen Plan zur Durchführung bringen! Er harrte aus, bis das Boot gedreht hatte und davongepullt wurde, dann ließ er sich unter den Wasserspiegel gleiten, drehte sich und schwamm zurück in die Tiefe. Er hatte das Plateau beinahe wieder erreicht, da spürte er eine Bewegung an seinem Kopf. Er tastete noch mit der Hand danach. Doch der Verband hatte sich bereits gelöst. Er fächelte durch das Wasser davon, trieb an die Oberfläche zurück. Hasard kümmerte sich
nicht weiter darum. Die Wunde schmerzte nicht mehr, er konnte sie auch ohne Bandage heilen lassen. Zwar juckte das salzhaltige Wasser auf der Narbe, doch das störte ihn wenig. Er drang wieder in einen Gang des Labyrinthes ein und schob sich darin davon. Nichts. Keine Spur von einem Anker. Er schwang wieder daraus hervor und sah den düsteren Schatten der aufgelaufenen Galeone ›San Antonio‹ schräg vor sich. Hasard fahndete mit Kurs auf das Schiff weiter. Denn wenn de Angelis den Goldanker gekappt hatte, wie er es erzählt hatte, mußte sich der Brocken irgendwo in der näheren Umgebung befinden. Plötzlich sah Hasard das Trossenende liegen. Er fühlte sich angespannt, hielt darauf zu und fand es zwischen spitzen Korallengebilden eingeklemmt. Jetzt brauchte er es nur noch in die Hände zu nehmen und daran entlang zu hangeln. War die Trosse nicht noch zusätzlich gerissen, nachdem de Angelis sie gekappt hatte, mußte sein Weg unweigerlich zu dem goldenen Anker führen. Eine Art Kessel tat sich unter ihm auf. Er schwamm vom Rand des Plateaus an einem scharfen Abbruch hinunter. Die Korallenformationen des Abhanges fächerten sich lamellenartig vor ihm auf. Sie waren flache, scharfe Kronen, die einen Mann verletzen konnten, wenn er ihnen zu nahe geriet. Und dann sah er den Anker matt unter sich blinken. Es war ein großer, imposanter Stockanker von der Art, wie ihn auch die ›Isabella III.‹ und jetzt die ›Isabella IV.‹ führten. Während die Trosse sich zwischen den Korallen verheddert hatte, lag der Anker weitgehend frei. Hasard ließ sich auf ihn hinabgleiten und untersuchte ihn. Wie der Kapitän der ›San Antonio‹ angegeben hatte, wirkte er äußerlich wie ein ganz normaler Eisenanker. Hasard benötigte unbedingt frische Atemluft. Er stieg zur Oberfläche auf. In seinen Lungen stach es bereits schmerzhaft.
Er keuchte, als er endlich den Kopf aus dem Wasser streckte. Carberry, Ben Brighton und die anderen kehrten soeben mit dem Boot von der Zweimastkaravelle zurück. Sie hatten die Trosse übernommen und schleppten sie nach. Ihre Gesichter sahen alles andere als begeistert aus. Hasard wartete auf sie. Er grinste über das ganze Gesicht. »Ich hab ihn«, verkündete er. »Gebt mir die Trosse, damit ich sie unten anstecken kann. Der Rest ist dann ein Kinderspiel. Wir hieven den Anker mit dem Spill der ›Isabella‹ hoch.« »Aye, aye«, erwiderte Carberry. Er ließ sich an den Seewolf heranpullen, beugte sich dann übers Dollbord und händigte ihm das Trossenende aus. Hasard verlor nicht viel Zeit. Er tauchte sofort wieder. Die Position des Kessels und die Lage des Goldankers hatte er sich genau eingeprägt. So fand er den Platz ohne Hindernisse wieder. Er schob sich an der Kesselmauer nach unten. Sie wirkte auf ihn wie die Architektur eines wuchtigen Kathedralenturmes. Ihr Aussehen war imposant und gleichzeitig doch irgendwie beunruhigend. Hasard beschäftigte sich sogleich mit dem Trossenende des goldenen Ankers. An einer Stelle hatte es sich derart fest zwischen den Korallen verankert, daß er es nicht mehr lösen konnte. Also zückte er sein Messer und kappte das Stuck. Er hatte die Trosse der ›Isabella‹ angesteckt und fachgerecht verknotet, als sich etwas zwischen ihn und die helle Wasseroberfläche schob. Unwillkürlich duckte er sich. Dann nahm er den Kopf hoch und legte ihn langsam und vorsichtig in den Nacken. Er schaute auf und sichtete, womit er hatte rechnen müssen. Die Haie! Sie waren zu zweit. Hasard sah ihre weißen Bäuche, ihre dicken, kräftigen Flossen, ihre leicht hin- und herwippenden Schwanzflossen. Er verhielt sich völlig ruhig und hoffte darauf, daß sie ihn nicht bemerken würden. Aber da hatte er sich
verrechnet. Sie hatten ihn bereits entdeckt. Der Seewolf zog das Messer aus dem Bund seiner Hose. Mit der einen Hand hielt er die Waffe, mit der anderen klammerte er sich an der Trosse fest. Er befand sich über dem goldenen Anker, kniete fast darauf. Sollte der Fluch des Todes sein ganzes Vorhaben zunichte machen? Er hielt sich bereit, dem ersten Hai die Klinge in den Leib zu rammen, als dieser überraschend abbog und in einer Schleife davonzog. Hasard wußte nicht, was ihn dazu bewogen hatte. Aber der zweite schob sich heran! Möglicherweise hatte er das Vorrecht, sich auf das Opfer zu stürzen. Jedenfalls bot er, während der andere einen Kreis im Wasser beschrieb, dem Seewolf seine platte, abgestumpfte Schnauze dar und ließ langsam die Kiefer auseinanderklaffen. Hasard ließ ihn eiskalt heran. Man mußte hartgesotten sein, um so etwas durchzustehen. Hasard gewährte dem Hai die Illusion, leichte Beute zu reißen. Bis auf etwa zwei Armlängen ließ er ihn heranschnüren dann zog er sich flink an der Trosse hoch. Vor dem Hai huschte er ein Stück an der Korallenwand hoch. Die Bestie reagierte wütend und ruckte in eine senkrechte Stellung herum. Doch in diesem Augenblick befand sich Hasard bereits in ihrem Rücken. Er fackelte nicht lange, holte aus und stach mit dem Messer zu. Der Hai zappelte wie besessen. Hasard mußte seiner peitschenden Schwanzflosse ausweichen. Sie besaß genügend Macht, um einen ausgewachsenen Mann zu erschlagen. Hasard rutschte unter den Bauch des Gegners und hieb ihm die Klinge zweimal in die Partien, die ihm als besonders empfindlich bekannt waren. Blut schoß aus den Wunden. Der Hai stellte wilde Versuche an, dem Todfeind doch noch die Zähne in den Körper zu schlagen, aber Hasard war auf der Hut. Er hielt sich an den unteren Flossen des Tieres fest. Es handelte sich um ein Exemplar, das nicht ganz so groß war wie
jener Hai, der Arwenack hatte vertilgen wollen. Dennoch unterschätzte Hasard ihn nicht. Und er vergaß auch den zweiten Hai nicht. Er zerrte an dem Leib des verwundeten Haies, stieß ihn herum und hielt ihn dem heranschießenden zweiten Mörder wie einen Schutzschild entgegen. Der unverletzte Hai wandte sich irritiert wieder ab. Noch mochte er nicht zupacken. Hasard fügte dem Hai zwei weitere Stöße zu. Mit knapper Not entging er diesmal einem lebensgefährlichen Biß. Hätte er das Handeln des Gegners nicht im voraus kalkuliert, dann hätte ihm dieser den Kopf zermalmt oder sogar vom Rumpf gerissen. Hasard brachte ihm den entscheidenden Stich ins Herz bei. Dann ließ er ihn treiben. Der zweite Hai glitt zu seinem Artgenossen und verbiß sich in ihn so, wie der Seewolf es angenommen hatte. Doch dann ereignete sich etwas Unvorhergesehenes. Der Hai ließ erstaunlich schnell wieder von seinem sterbenden Artgenossen ab, offenbar schmeckte ihm dessen Blut nicht. Er zuckte in dem weißlichen Wasser herum und warf sich dem Seewolf entgegen. Hasard wurde die Luft knapp. Er spielte mit dem Gedanken, zum Boot zu flüchten. Doch das war aussichtslos. Die Bestie hatte sich bereits zu weit genähert. Hasard schwebte im Wasser und wußte ganz genau, daß er diesmal keinen Trick landen konnte. Haie waren nicht dumm. Dieser Mörder hatte beobachten können, wie der Mensch seinen Artgenossen überlistet und getötet hatte. Hasard konnte ihm nicht ausweichen und in den Rücken oder in die Seite fallen - er mußte ihn frontal nehmen. Als der Hai dicht vor ihm war, zog er das Messer hoch und stach zu. Er traf das rechte Auge. Der Hai riß ensetzt den Kopf hin und her. Hasard tauchte unter seinem breiten, häßlichen Maul weg und rammte ihm das Messer zweimal zwischen die Kiemen. Der Hai hätte von ihm ablassen können, aber er wollte nicht, er benahm sich wie toll. Hasard mußte auch diesen
Kampf bis in die letzte Phase durchstehen. Es stach in seinen Lungen, und sein Kopf begann zu dröhnen. Entschlossen, jedoch mit letzter Kraft, fügte er dem Hai zwei weitere Wunden zu. Dann glaubte er, wegen des Luftmangels sterben zu müssen. Eine Tatze schien seine Lungen von innen her zu zerreißen. Er mußte sich nach oben treiben lassen, wenn er nicht elendig ertrinken wollte. Der Hai, blutend und schwerfällig, stieß nach. Hasard sah unter sich das dolchspitze bewehrte Maul aufklaffen. Er dachte an seine Beine und daran, daß er wie Kapitän Urbano de Angelis enden würde. Doch urplötzlich hielt der Hai inne. Er sackte nach unten zurück und verschwand zuckend und kollernd in der Ungewißheit der Tiefe. Hasard tauchte neben dem Boot auf. Er gab einen pfeifenden Laut von sich. Die Schmerzen hielten auch noch an, als er bereits kräftig Luft in seine Lungen pumpte. Er mußte sich von seinen Männern in das Boot ziehen lasse. »Ihr könnt das Zeichen geben«, keuchte er. »Wir bergen den Anker.« »Ja«, entgegnete Ben Brighton grimmig. »Aber vorher will ich noch was erledigen.« Er drückte die Radschloßpistole ins Wasser ab. Auch Carberry und die anderen schossen mit ihren Musketen - und ein dritter Hai, der sich zu nahe herangewagt hatte, trug blutige Wunden davon. Die Distanz war dicht genug, um ihn mit den Schußwaffen treffen zu können. Später hievte die Crew den goldenen Anker an Bord. Er entpuppte sich als ungewöhnlich schwer. Sie bugsierten ihn auf die Back, und Hasard begutachtete ihn noch einmal. Er war ein ganz normaler Stockanker mit einer ovalen Durchbohrung am oberen Endes des Schaftes, durch die der Wulst am gebogenen Ende des Stockes gesteckt war. Hasard benutzte das Messer, mit dem er die beiden Haie erlegt hatte. Er kratzte etwas von der bleiartigen Überzugsschicht des Ankers ab. Und darunter
erschien tatsächlich pures Gold. »Hasard hat es wieder mal geschafft!« jubelte Dan O’Flynn. »Der Seewolf soll hochleben!« Die Männer grölten Beifall. Die neue ›Isabella‹ war um einen Schatz schwerer. Philip Hasard Killigrew aber richtete sich auf und blickte nach Nordwesten, wo die letzten sechs Galeonen des Konvois verschwunden waren - mit ihnen die ›San Josefe‹, die schmucke Lady, auf die er so versessen war. Er beschloß, doch nicht auf sie zu verzichten. »Setzt die Segel«, sagte er. »Wir haben eine Verabredung mit dem dicken Generalkapitän. Schließlich müssen wir uns ordnungsgemäß bei Don Rodriguez zurückmelden.« »Ja«, entgegnete der Profos grinsend. Im nächsten Moment sackten seine Mundwinkel nach unten, und er begann loszubrüllen: »Na los, ihr Rübenschweine, was glotzt ihr so? Glaubt ihr, ihr könnt euch auf den Lorbeeren ausruhen, die ihr nicht verdient habt? Hopp, hopp, ein bißchen zackig, keine Müdigkeit vorschützen, oder soll ich euch die Hammelbeine langziehen, was, wie?« Ohne zu murren, gingen die Männer an die Arbeit. Sie wußten ja, wie das Geschrei des Profos zu verstehen war. Außerdem fehlte ihnen irgendwie doch etwas, wenn sie sein Gebrüll nicht tagtäglich über Deck schallen hörten. ENDE
Stürmische Karibik von Roy Palmer
Rodriguez und der Seewolf hoffen auf eine Atempause nach den Kämpfen der letzten Tage. Und natürlich ist Hasard auf die ›San Josefe‹ scharf. Da schlägt ein anderer Feind zu: die Natur. Vierundzwanzig Stunden lang kämpft die Crew des Seewolfs um ihr Schiff. Und auch die Besatzung der ›San Josefe‹ versucht sich wacker zu schlagen mit weniger Glück. Als Hasard aber anderntags das Flaggschiff von Rodriguez betritt, fallen ihm und seinen Männern vor Überraschung schier die Augen aus dem Kopf.