Nr. 295
Der Maahkfinder und die Meuterer Begegnungen auf dem Planeten Versank - Rebellen auf dem Weg nach Arkon von Ma...
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Nr. 295
Der Maahkfinder und die Meuterer Begegnungen auf dem Planeten Versank - Rebellen auf dem Weg nach Arkon von Marianne Sydow
Das Geschehen im Großen Imperium der Arkoniden wird gegenwärtig durch innere Konflikte bestimmt – in höherem Maße jedenfalls als durch die Kämpfe gegen die Methans. Es gärt auf vielen Welten des Imperiums. Und schuld daran ist einzig und allein Or banaschol, der Brudermörder und Usurpator, der in seiner Verblendung und Korrupt heit einen politisch völlig falschen Weg beschritten hat. Die Tage Orbanaschols scheinen gezählt, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann die Gegenkräfte im Imperium stark genug sind, den Usurpator vom Thron zu stoßen. Kristallprinz Atlan, der eigentliche Thronfolger, und seine verschworenen Gefähr ten, die Orbanaschol bisher schwer zu schaffen machten, sind augenblicklich aller dings nicht in der Lage, gezielt einzugreifen, denn Kraumon, ihre geheime Stütz punktwelt, wurde von den Methans zerstört. Dennoch versuchen sie es – sowohl Atlan als auch seine Gefolgsleute! Während Atlan und Fartuloon, den Gefahren auf Celkar und der Beutewelt glücklich entronnen, auf ihrem Weg nach Arkon sind, verfolgt Getray von Helonk, die Rebellin, ebenfalls den Plan, eine Passage nach Arkon zu bekommen. Die schöne Arkonidin erreicht den Planeten Versank – und dort kommt es zur Be gegnung: DER MAAHKFINDER UND DIE MEUTERER …
Der Maahkfinder und die Meuterer
3
Die Hautpersonen des Romans:
Getray von Helonk - Die schöne Arkonidin sucht den Rückweg nach Arkon.
Plutonz - Ein Maahkfinder.
Kornelius - Ein Sonnenträger.
Hesthan - Leiter einer Kampfgruppe.
Kelthos und Renquor - Geheimdienstler auf dem Planeten Versank.
1. Plutonz beobachtete den Raumfahrertreff punkt mit gemischten Gefühlen. Er hatte Hunger. Das Raumschiff, auf dem er Dienst getan hatte, war vor wenigen Tagen von den Maahks so schwer zusammengeschossen worden, daß sich eine Reparatur nicht mehr lohnte. Plutonz und alle anderen Überleben den waren vom Rekrutierungsbüro freige stellt worden, bis sich eine Gelegenheit er gab, sie erneut einzusetzen. Die Kameraden des jungen Maahkfinders genossen den unerwarteten Urlaub. Plutonz dagegen traf pausenlos auf Schwierigkeiten. Er hatte kein Geld. Seine Kreditkarte war während der Kämpfe verlorengegangen. Und die Ersatzkarte, die man ihm im Büro ausgestellt hatte, galt nur für flotteneigene Einrichtungen. Drüben im Treffpunkt konn te er sich dafür jederzeit eine Mahlzeit be stellen. Leider gab es in der riesigen, viel fach unterteilten Halle nicht nur Servoauto maten, sondern auch jede Menge Raumfah rer. Sie duldeten einen Maahkfinder nur dann in ihrer Nähe, wenn dies aus militäri schen Gründen unbedingt erforderlich war. Seit zwei Tagen hatte Plutonz fast nichts mehr gegessen. Einmal hatte er sich mitten in der Nacht, als der Betrieb nachließ, in das Gebäude gewagt. Man hatte ihn mit den zwei Konzentrattäfelchen, die ein Automat ausgespuckt hatte, hinausgeworfen. »He, Schwarzer!« sagte jemand. Plutonz fuhr herum. »Willst du etwa da hinein?« Die acht Männer hinter dem Sprecher ki cherten albern. Plutonz sah sie ausdruckslos an. Situationen dieser Art hatte er schon zu oft erlebt, um sich noch darüber aufzuregen.
»Warum antwortest du nicht?« fragte der Arkonide herausfordernd. »Willst du hinein oder nicht?« »Natürlich will er!« grölte ein leicht schwankender Raumsoldat mit schmutziger Uniform. »Aber einen so dreckigen Bur schen lassen sie nicht hinein. Hat deine Ma mi dir nicht beigebracht, wie man sich wäscht, Kleiner?« Die Männer lachten. »Vielleicht sollten wir ihm helfen!« mein te der Anführer der Gruppe. »Wenn wir ihn lange genug unter Wasser halten, wird er weiß wie Schnee, wetten?« »Der kriegt höchstens Flecken.« Plutonz wandte sich schweigend ab und wollte davongehen. Aber die Männer woll ten das grausame Spiel nicht so schnell auf geben. Der Anführer setzte dem Maahkfin der nach und hielt ihn am Arm fest. »Hiergeblieben!« befahl er. »Laßt uns überlegen, Freunde. Möglicherweise gibt es doch ein Mittel, aus diesem Schwarzen einen anständigen Arkoniden zu machen!« »Anstreichen!« schlug jemand vor. »Das ist die Lösung«, sagte der Mann, der Plutonz festhielt, begeistert. »Los, Freunde, fangen wir an. Wer hat eine Farbsprühdose dabei?« »Ich«, meldete sich einer der Männer. »Aber leider nur in Rot.« »Dann verpassen wir ihm Streifen!« rief ein anderer. »Ich stifte eine Büchse blaue Farbe. Will sich noch jemand an dem Kunst werk beteiligen?« Sie hatten diese Aktion offensichtlich vorbereitet. Irgendwann war Plutonz ihnen aufgefallen, obwohl er immer sehr vorsichtig gewesen war. Der Maahkfin der sah ein, daß er etwas unternehmen muß te. In den Gesichtern seiner Gegner entdeck te er genug Anzeichen dafür, daß dies kein
4 harmloser Scherz werden sollte. Diese Män ner würden ihn töten. Als die erste Sprühdose auf dem Boden stand und der Anführer der Gruppe Plutonz einen Stoß gab, war der Maahkfinder bereit. »Zieht ihn aus!« kreischte jemand. »Es darf kein Fleckchen Schwarz an ihm übrig bleiben!« Plutonz landete zwischen zwei hochge wachsenen Männern, die ihn auffangen und festhalten wollten. Sie erlebten eine Überra schung, denn im letzten Augenblick drehte sich der Maahkfinder um und schlug zu. Er war viel kleiner als seine Gegner, aber er hatte sich seit seiner Kindheit einem harten Training unterworfen. Mit den Handkanten traf er beide Männer an einem Punkt dicht unterhalb des Kehlkopfs. Für einen Augen blick wurde es still, als die Arkoniden zu sammenbrachen. Plutonz duckte sich und beobachtete seine Gegner. »Das reicht!« sagte der Anführer haßer füllt. »Macht ihn fertig!« Dem ersten Gegner wich Plutonz ge schickt aus, den zweiten brachte er zu Fall. Dann traf eine Faust ihn im Nacken, und für einen Augenblick verschwamm die Umge bung vor seinen Augen. Er spürte die Schlä ge, die auf ihn herabprasselten. Mühsam raffte er sich auf und versuchte, die Fäuste der anderen abzublocken. Er wußte, daß er verloren war. Dennoch dachte er nicht dar an, einfach aufzugeben. Als die anderen plötzlich von ihm ablie ßen, war Plutonz zunächst mehr erstaunt als erleichtert. »Auseinander!« sagte eine harte Stimme. »Sie da! Stehen Sie auf!« Plutonz öffnete die Augen und sah einen Polizisten, der die anderen mit einer Waffe in Schach hielt. Irgendwie gelang es dem Maahkfinder auf die Beine zu kommen. »Sie werden uns doch wohl wegen dieser kleinen Prügelei nicht verhaften!« knurrte der Mann mit der schmutzigen Uniform. »Außerdem -Sie sehen doch, mit wem wir es hier zu tun haben!« »Verschwindet!« befahl der Polizist
Marianne Sydow knapp. Die Arkoniden traten den Rückzug an. Sie nahmen ihre beiden bewußtlosen Freunde mit und gingen langsam in Richtung Treff punkt davon. »Danke!« sagte Plutonz leise. »Was haben Sie hier zu suchen?« fragte der Polizist schroff. Der Maahkfinder zuckte die Schultern. Ihm war klar, daß dieser Mann ihm nicht aus Gründen der Freundlichkeit geholfen hatte. »Ich wollte essen gehen.« »Warum tun Sie es nicht?« »Sie haben es doch eben gesehen«, sagte Plutonz bitter. »Drüben im Treffpunkt wird es mir nicht besser ergehen. Ich habe nur ei ne Lizenzkarte.« »Sie machen sich strafbar, wenn Sie hier herumlungern«, behauptete der Polizist un beeindruckt. »Wohin Sie gehen, interessiert mich nicht, aber – wenn Sie nicht bald ver schwinden, werde ich Sie verhaften.« Plutonz nickte. Der Polizist entfernte sich, aber er würde zurückkehren und nachsehen. Um einen Maahkfinder ins Gefängnis zu bringen, brauchte er nicht lange nach Grün den zu suchen. Und im Gefängnis war Plu tonz den Wächtern hilflos ausgeliefert. Unschlüssig näherte er sich dem Treff punkt. Er sah Berge von Unannehmlichkei ten vor sich. Dennoch blieb ihm keine ande re Wahl. Er betrat die Halle.
* Getray von Helonk befand sich seit vier Tagen auf Versank. Seit ihrer Ankunft ver suchte sie, jemanden zu finden, der sie nach Arkon mitnahm. Es war für die CRYSALGIRA nicht schwierig gewesen, Getray auf diesem Kolo nialplaneten abzusetzen. Nur ein paar Dut zend Lichtjahre entfernt verlief eine der ge fährlichsten Fronten gegen die Maahks. Frü her war Versank eine ruhige, etwas hinter wäldlerische Welt gewesen. Jetzt herrschte hier die Hektik, die der Krieg mit sich brachte. Die Überwachungsanlagen waren
Der Maahkfinder und die Meuterer total überlastet. Raumschiffe starteten und landeten, ohne irgendwo registriert zu wer den. Die CRYSALGIRA bildete keine Aus nahme. Schwieriger war es, eine Passage nach Arkon zu bekommen. An der Front ging es heiß her, und mehr als einmal gelang den Maahks ein blitzschneller Durchbruch. Die Bürger von Versank hatten die Gefahr er kannt. Die Evakuierung ließ auf sich warten, und so versuchten viele, sich auf eigene Faust in Sicherheit zu bringen. Die Kom mandanten privater Raumschiffe richteten sich nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Die Preise für Flüge zu weniger gefährdeten Planeten stiegen ins Astronomi sche. Getray sah nur einen Ausweg: Sie mußte sich an die Leute von der Raumflotte wen den. Manchmal gingen Kurierschiffe nach Arkon. Vielleicht half einer der Offiziere ihr weiter. Der Treffpunkt der Raumfahrer wurde zu ihrem beinahe ständigen Aufenthaltsort. Es war nicht einfach für sie. Zwar gab es im Dienst der Flotte viele Frauen, aber die bevorzugten in ihrer Freizeit eine andere Umgebung. Die meisten Besucher dieser Halle waren freigestellte Raumsoldaten, die auf ihren nächsten Einsatz warteten. Es wa ren rauhe Burschen, vom Grauen des Krie ges geprägt. Feinsinnige Konversationen la gen ihnen fern, und zu Frauen, die sich in ih re Mitte wagten, kannten sie nur ein Verhält nis. Getray von Helonk war dreißig Jahre alt und sehr attraktiv. Noch vor wenigen Wo chen hätte sie nicht im Traum daran gedacht, sich den beleidigenden Bemerkungen sol cher Männer auszusetzen. Heute kam ihr ih re eigene Vergangenheit wie ein flüchtiger Traum vor. Alles hatte begonnen, als man ihren Mann verhaftete, weil dieser sich an einer Ver schwörung gegen den Imperator beteiligt hatte. Getray wollte das nicht hinnehmen. Sie versuchte, ihrem Mann zu helfen. Es ge lang ihr nicht. Statt dessen bekam sie nach
5 etlichen Schwierigkeiten Kontakt zu Atlan. Sie wunderte sich manchmal selbst darüber, wie schnell sie auf die Seite des Kristallprin zen übergewechselt war. Dabei wurde Atlan gerade jetzt vom Pech verfolgt. Getray hatte sich darauf gefreut, Atlans geheimen Stütz punkt kennenzulernen – als sie ihn auf den Bildschirmen der CRYSALGIRA erblickte, war Kraumon eine leere, verbrannte Welt. Atlans Freunde hatten zwar fliehen können, aber sie waren verschollen – nachdem Atlan und Fartuloon zu ihrem Solounternehmen aufgebrochen waren, hatte die CRYSALGI RA noch mehrere Tage in der Nähe von Sor koth gewartet, ohne daß eines der Schiffe eingetroffen wäre. Die CRYSALGIRA wür de auch weiterhin Wache halten. Und Ge tray von Helonk war nun auf sich selbst ge stellt. Sie hatte an diesem Tag einen Platz im Hintergrund der Halle gefunden. Schräg ge genüber saß auf einer etwas erhöhten Platt form ein Arkonide, der sie immer wieder an starrte. Der Fremde machte sie nervös. Er war groß, hatte kurzgeschnittenes Haar und ein hartes Gesicht. Bis jetzt hatte er Getray nicht angesprochen, aber sie rechnete jeden Augenblick damit, daß er herüberkam. Und sie hatte ein bißchen Angst davor. Der Fremde trug nicht einmal eine Uniform, die ihr seinen Dienstrang hätte verraten können. Sie nippte an ihrem Glas und dachte dar über nach, was sie sonst noch unternehmen konnte, um ihr Ziel zu erreichen. Ein lautes Grölen riß sie aus ihren Gedanken. Weiter vorne waren Dutzende von Män nern aufgesprungen. Sie drängten sich um etwas oder jemanden, der für Getray un sichtbar blieb. Die Männer waren aufgeregt. Schreie, Flüche und Gelächter bildeten eine bedrohlich wirkende Geräuschkulisse. Getray zuckte die Schultern. Es gab oft Prügeleien, und niemand schien sich daran zu stören. Aus den Augenwinkeln sah sie rechts von ihrem Tisch eine Bewegung und blickte automatisch in diese Richtung. Im ersten Augenblick war sie überrascht. Sie dachte, ein Kind hätte sich hierher ver
6 irrt. Dann geriet der Fremde in den Licht kreis einer Lampe. Getray sog zischend die Luft durch die Zähne. Ein Maahkfinder! Der Maahkfinder war ein junger Mann. Er sah sich nach allen Seiten um. Offensicht lich hatte er Angst, und dazu hatte er auch allen Grund. Als er näher kam, sah Getray, daß er schon vorher in einen Kampf ver wickelt worden war. Die zum Teil blutenden Wunden weckten das Mitgefühl der Arkoni din. Die Maahkfinder waren allgemein ver haßt, weil sie nicht wie alle anderen Arkoni den aussahen. Sie winkte dem jungen Mann zu. Der Maahkfinder blieb stehen und schien zu überlegen. Sie winkte noch einmal. Der Fremde änderte die Richtung und kam zwischen Tischen und Rampen lang sam näher. In diesem Bereich des Treff punkts war es ziemlich dunkel. Die einzel nen Lampen erhellten nur besetzte Tische. Der junge Mann nutzte die dunklen Zonen aus. Bis jetzt schien niemand außer Getray etwas von seiner Anwesenheit bemerkt zu haben. »Sie gehören in die Hände eines Bauch aufschneiders«, sagte Getray, als der Maahkfinder vor ihr stand. Der junge Mann brachte ein schwaches Lächeln zustande. Die Arkonidin beobachte te ihn fasziniert. Wie alle Maahkfinder war er klein, schlank und zartgliedrig. Man hätte ihn tatsächlich für ein Kind halten können, wäre nicht seine dunkle Hautfarbe gewesen. Getray wußte, daß man diese Leute mit dem Schimpfwort »Schwarze« versehen hatte, aber in Wirklichkeit war die Haut des Maahkfinders nur von einem tiefen, satten Braun. Seine Augen waren tiefschwarz und glänzend, sein ebenfalls schwarzes Haar trug er halblang. Seine hellgrüne Uniform war an vielen Stellen zerrissen, und es war offen sichtlich, daß der Maahkfinder große Schmerzen hatte. Getray bemerkte, wie der junge Mann plötzlich die rechte Hand auf die Magenge gend preßte. Früher hätte sie diese Geste
Marianne Sydow nicht verstanden. Inzwischen hatte sie am ei genen Leibe erfahren, welche Symptome wirklicher Hunger hervorzurufen vermochte. »Hast du keine Kreditkarte?« fragte sie mitfühlend. »Doch«, sagte der Maahkfinder leise und blickte unsicher in die Richtung der immer noch lautstark debattierenden Arkoniden. »Sie werden dir nichts tun!« behauptete Getray und fragte sich gleichzeitig, wie sie notfalls für dieses Versprechen geradestehen sollte. Der Maahkfinder ließ sich auf der Kante einer Bank nieder. Getray sah, wie er den Kode für ein einfaches Konzentrat drückte und schüttelte den Kopf. Sie war nicht mehr so reich wie früher, aber auch nicht gerade arm. Sie tastete eine heiße Suppe, Brot und ein belebendes Getränk. Die Augen des jun gen Mannes leuchteten auf. »Die Konzentrate würden dir jetzt nicht bekommen«, stellte Getray fest. »Das dort ist besser.« Plötzlich wurde es ruhiger. Der Maahkfin der ließ den Löffel sinken und starrte an Ge tray vorbei. Sie drehte den Kopf und be merkte den großen, breitschultrigen Arkoni den, der mit wiegenden Schritten näher kam. Sie schalt sich selbst einen Narren. Sie würde nichts als Ärger bekommen, und von dem Maahkfinder hatte sie ohnehin keine Hilfe zu erwarten. Wenigstens war sie nicht wehrlos. Auf der CRYSALGIRA hatte man ihr eine Waf fe gegeben, ein kleines, gefährliches Ding, das sich jedoch auch auf Paralysewirkung einstellen ließ. Unauffällig ließ sie im Sichtschutz der Tischplatte die Hand in die Tasche gleiten, ertastete die Umrisse der Waffe und verstellte die Rändelschraube. Hier, im Innern der Halle, konnte sie un möglich Impulsstrahlen verschießen. Es hät te zu einer Katastrophe führen können. Der Fremde hatte den Tisch erreicht und blieb stehen. »Welch erfreulicher Anblick!« sagte er höhnisch. Hinter ihm tauchten immer mehr Männer auf. Einige trugen die Spuren einer
Der Maahkfinder und die Meuterer Prügelei. »Eine richtige Arkonidin neben ei nem schwarzen Bastard!« Getray musterte den Fremden, schloß die Hand fester um die Waffe, wartete jedoch schweigend ab. Sie hoffte immer noch, daß es ohne Schwierigkeiten weitergehen moch te. »Nun, Schwarzer, was hast du zu sagen?« Der Maahkfinder hielt immer noch den Löffel in der Hand. Er starrte den Arkoniden mit merkwürdig ausdrucksloser Miene an. Es schien beinahe, als sähe er durch diesen Mann hindurch. »Ich rede mit dir!« fauchte der Fremde, beugte sich blitzschnell über den Tisch und packte den Maahkfinder am Kragenauf schlag. Gleichzeitig schoß die Hand mit dem Löffel nach oben und öffnete sich. Die ge streckten Finger stachen gegen die linke Brustseite des Arkoniden. Der Mann schrie erschrocken auf und brach zusammen. Getray zog vorsichtig die Waffe aus der Tasche. Die Männer waren im ersten Mo ment wie erstarrt, die unerwartet heftige Ge genwehr des Maahkfinders hatte sie ver blüfft. Dann erhob sich ein drohendes Ge murmel. Ein Arkonide mit einer riesigen Beule an der Stirn drängte sich nach vorne. »Wir haben es euch gesagt!« schrie er wütend. »Ihr wolltet es nicht glauben, ihr Narren! Los, helft mir! Wir müssen ihn schnappen, und dann …« Er machte eine vielsagende Handbewe gung. Das Gemurmel schwoll an. Drohend rück ten die Männer vorwärts. Getray biß die Zähne zusammen und hob zögernd die Waf fe bis zur Tischkante. Sie hätte niemals ge dacht, daß sich zivilisierte Männer in einen solchen Zustand versetzen ließen. Diese Kerle waren wie blind in ihrem Haß und ih rer Hysterie. Sie schob die überflüssigen Gedanken zur Seite und erhob sich ruckartig. Die Männer blieben stehen, als sie den schimmernden Lauf der kleinen Waffe sa hen. »Er ist mein Gast!« sagte Getray laut.
7 »Und jeder, der etwas von ihm will, muß sich zuerst an mich wenden!« Natürlich gab es im Großen Imperium ei ne Einheitssprache, aber die Abweichungen waren sehr groß. Getray sprach das reine, unverfälschte Arkonidisch der Zentralwelt – und der höchsten Gesellschaftsschicht. Die Männer sahen sich verblüfft an. Getray merkte, daß sie einen kleinen Vorteil errun gen hatte, ahnte jedoch nicht, woran das lag. Sie nutzte die Situation aus. »Zurück!« befahl sie eisig, und in ihrer Stimme lag die einmalige Arroganz, die kein Arkonide niederer Herkunft zu imitieren vermochte. Einige der verhinderten Raufbolde wand ten sich ab. Andere blieben unschlüssig ste hen. Der erste Angreifer, dessen Oberkörper auf der Tischplatte lag, erwachte stöhnend, schlug die Augen auf und warf sich mit der Wildheit eines gereizten Raubtiers nach vor ne. Fast instinktiv schwenkte Getray den Strahler herum. Der Maahkfinder wich den heranschießenden Armen des Arkoniden leichtfüßig aus und blieb einen Meter vom Tisch entfernt stehen, als er das Fauchen des Schusses hörte. »Ich hätte ihn ebensogut töten können!« sagte Getray hart und richtete die Waffe wieder auf die anderen Gegner. »Aber ich mache mir nicht gerne die Finger schmutzig. Und jetzt verschwindet, ehe ich es mir an ders überlege!« Sekundenlang herrschte absolute Stille. Dann endlich löste die Schar der Raufbolde sich auf. Getray ließ sich auf die Bank zu rücksinken. Die Suppe des Maahkfinders war verspritzt worden. Sie bestellte eine neue Schale und für sich selbst ein alkoholi sches Getränk. Sie wunderte sich darüber, wie leicht sie diesen Sieg errungen hatte. Im Ernstfall war ein so winziger Strahler gegen diese Übermacht nicht besser als eine Steck nadel. »Wie heißen Sie?« fragte sie den Maahkfinder. Der junge Mann legte den Löffel zur Seite
8 und sah Getray an. Trotz der Platzwunden und Blutspuren in seinem Gesicht wirkte er stolz. Das imponierte ihr. »Mein Name ist Plutonz«, sagte er mit an genehm weicher Stimme. »Was tun Sie hier auf Versank?« »Ich warte«, erklärte Plutonz gleichmütig. »Mein letztes Schiff wurde vernichtet – fast. Nun warte ich darauf, daß man mich zu ei nem anderen Einsatz anfordert.« »Das sollte nicht sehr lange dauern. So viel ich weiß, sind Ihre Fähigkeiten von großem Wert für jeden Kommandanten.« Plutonz lächelte bitter. »Das stimmt. Aber noch größer ist die Abneigung der sogenannten normalen Arko niden gegenüber uns Maahkfindern.« »Du sagst das in einem reichlich heraus fordernden Ton. Warum?« »Sie denken, weil Sie mir geholfen haben, bin ich Ihnen zu Dank verpflichtet, nicht wahr?« Plutonz lächelte herablassend. »Aber da haben Sie sich geirrt. Selbst um den Preis meines Lebens bin ich nicht bereit, das Spielzeug einer verwöhnten Adligen zu werden!« Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Ihre Sprache! Darum hatten die Männer so schnell aufgegeben. Sie mußten befürchten, daß Getray nicht alleine war, daß ihre Leib wächter sich in der Nähe aufhielten, viel leicht sogar Polizisten sie bewachten. Und Plutonz … »Warte einen Augenblick!« sagte sie leise, als der Maahkfinder sich zum Ge hen wandte. Er blieb stehen, sah sich jedoch nicht nach ihr um. »Ich wollte dir wirklich nur helfen«, fuhr sie fort. »Und ich bin nicht das, wofür du mich hältst. Ich bin selbst in einer verzwei felten Lage. Findest du es nicht richtig, wenn Leute unserer Art sich gegenseitig bei stehen, anstatt ihren Stolz zu pflegen und da bei noch tiefer zu sinken?« Plutonz zögerte. »Wir müssen von hier weg«, murmelte er schließlich. »Diese Männer trinken zuviel, und das bekommt ihnen nicht.«
Marianne Sydow Bevor sie ging, sah Getray zum Nachbar tisch hinüber. Der düstere Mann von vorhin war immer noch da. Er starrte sie an. Als er ihren Blick bemerkte, lächelte er flüchtig und hob die linke Hand leicht an. Ärgerlich drehte sie sich um und folgte Plutonz zum Ausgang dieser Halle.
2. Die Sonne war fast untergegangen, als sie auf die Straße hinaustraten. Der Himmel war türkisfarben, mit glühenden Wolkenstreifen und rauchfarbenen Schleiern über dem Hori zont. Tief schwarz hoben sich die Silhouet ten der Raumschiffe gegen diesen Himmel ab. Der Treffpunkt lag direkt am R and des Landefelds. »Wir müssen in die Stadt«, sagte Plutonz. »Hier draußen ist es zu unsicher.« Getray ging schweigend neben ihm her. Der junge Mann war ihr sympathisch. Sie fragte sich, ob das daran lag, daß er kleiner als sie selbst war. Entwickelte sie am Ende Mutterinstinkte für Plutonz? Sie lächelte über sich selbst. Plutonz war kein Kind. Er vermochte sich sehr wohl seiner Haut zu wehren. Die Maahkfinder waren eine sehr kleine Gruppe von Arkoniden, die sich durch ir gendwelche Einflüsse verändert hatten. Da für konnten sie nichts. Dennoch hatte es Zei ten gegeben, in denen man sie wie Tiere jag te und tötete, und noch heute gab es immer wieder Gerüchte, denen zufolge einige rei che Adlige die Jagd auf einen Maahkfinder für den höchsten Nervenkitzel hielten, den es gab. Dabei hätten die Arkoniden allen Grund gehabt, gerade in dieser schlimmen Zeit die Maahkfinder mit größter Behutsamkeit zu behandeln, denn diese kleinen Leute trugen ihren Namen zu Recht. Sie besaßen ein untrügliches Gespür, wenn es um die Erz feinde des Großen Imperiums ging. Sie wit terten selbst die raffinierteste Falle dieser Methanatmer auf weite Entfernung, spürten geheime Stützpunkte auf und konnten sogar
Der Maahkfinder und die Meuterer bisweilen Spione der Maahks erkennen – Arkoniden, die zu Gegnern ihres eigenen Volkes gemacht worden waren. Sie waren von unschätzbarem Wert für jeden Kom mandanten, der sich in die Nähe der Front begab. Leider wußten nur wenige Arkoniden die Fähigkeiten der Maahkfinder zu schät zen. »Wohin gehen wir?« fragte Getray, als sie die Zone der Hafeneinrichtungen verließen. Vor ihnen lag die eigentliche Stadt, eine wild wuchernde Ansammlung von Gebäuden aller Art, wie sie auf Kolonien dieser Art üblich waren. »Es gibt ein paar Häuser, in denen man nicht nach dem Aussehen der Gäste fragt«, antwortete Plutonz. »Dorthin werde ich gehen. Vielleicht gibt mir jemand ein Quartier für die Nacht. Wo wohnen Sie?« »Ich habe hier in der Nähe eine kleine Wohnung gemietet. Wollen Sie nicht mit kommen? Ich habe genug Platz.« Plutonz zögerte. Er war sehr stolz und neigte dazu, jede Hilfe abzulehnen. Anderer seits würde er gezwungen sein, um ein Quartier zu betteln, wenn er nicht, wie in der Nacht zuvor, im Freien übernachten wollte. Die Stadt lag auf einer Hochebene, und nachts wurde es empfindlich kalt. Darum nahm er das Angebot schließlich doch an. Später saßen sie in einem der beiden Zim mer. Sie waren niemandem begegnet. Das Haus, in dem sich die Wohnung befand, war alt und wenig komfortabel. Dennoch gab es keine einzige freie Wohnung, und die Mie ten stiegen beinahe täglich. Auf Versank wimmelte es von Raumfahrern, die sich zwangsweise für einige Zeit hier einrichten mußten. »Ich suche einen Weg, um nach Arkon zu kommen«, erklärte Getray. »Können Sie mir einen Rat geben?« Plutonz überlegte. »In regelmäßigen Abständen fliegen Ku rierschiffe nach Arkon«, sagte er. »Aber es wird schwer werden, einen von den betref fenden Kommandanten zu bestechen. An Ih
9 rer Stelle würde ich es lieber mit den Kampfraumern versuchen.« »Warum das? Ich habe keine Lust, an ei ner Raumschlacht teilzunehmen.« Plutonz lächelte flüchtig. »Das brauchen Sie auch nicht zu befürch ten. Mehrere dieser Schiffe werden dem nächst Arkon ansteuern – oder doch wenig stens den Raumsektor, in dem die Zentral welt liegt.« Getray runzelte die Stirn. Sie begriff nicht, was Plutonz andeuten wollte. »Es ist ganz einfach«, erklärte der Maahkfinder. »Die politische Lage kennen Sie. Vielleicht haben Sie auch schon gehört, daß die Flotte nicht gerade erfolgreich gegen die Maahks vorgeht. Die Leute sind unzu frieden. Oft mangelt es an Nachschub, die Verpflegung ist miserabel, und bei den Re paraturen beschädigter Schiffe wird ge pfuscht. Ersatzteile gehen unterwegs verlo ren und tauchen auf dem Schwarzmarkt auf. Es kommt häufig vor, daß Raumschiffe be mannt und an die Front geschickt werden, die eigentlich gar nicht mehr fliegen dürften. Sie bilden eine leichte Beute für die Maahks.« »Sie meinen, das alles könnte zu einer Meuterei führen?« »So ungefähr. Man gibt dem Imperator die Schuld. Er kümmert sich nicht genug um die Flotte. Vor allem sorgt er nicht dafür, daß jenen Leuten das Handwerk gelegt wird, die an diesem Krieg nur verdienen wollen.« »Das will Orbanaschol auch«, murmelte Getray. Plutonz sah sie verblüfft an, und die Ar konidin erschrak. Sie mußte vorsichtig sein. »Die Offiziere wollen dem Imperator ein Ultimatum stellen«, fuhr der Maahkfinder fort. »Eine ziemlich große Zahl von Schiffen wird sich in der Nähe von Arkon versam meln. Dem Imperator wird nichts anderes übrigbleiben, als die Forderungen der Offi ziere zu erfüllen.« »Woher wissen Sie das alles?« fragte Ge tray mißtrauisch. »Man hört so allerhand«, winkte Plutonz
10 ab. »Das habe ich auch schon gemerkt. Aber wie komme ich an die richtigen Leute her an?« »Wir müssen abwarten«, sagte Plutonz schulterzuckend. Abwarten! Das kostete Zeit, und Getray war ungeduldig. Vor zwei Tagen hatte sie zufällig gehört, daß Atlan und Fartuloon al lem Anschein nach auf dem Gerichtsplane ten Celkar aufgetaucht waren. Es hieß, daß die beiden geflohen wären. Vielleicht waren sie schon unterwegs nach Arkon, und nur sie saß auf Versank fest. »Es gibt noch andere Orte, an denen sich Raumfahrer treffen«, sagte Plutonz plötz lich. »Wir sollten uns dort umsehen. Natür lich brauchen wir eine gehörige Portion Glück, um zufällig die richtigen Leute zu treffen, aber wenn wir hier herumsitzen, er reichen wir erst recht nichts.« »Das stimmt zweifellos«, murmelte Ge tray. »Aber was ist mit Ihnen? Die Männer von vorhin machten nicht den Eindruck, als wollten sie die Sache auf sich beruhen las sen. Was ist, wenn wir ihnen begegnen.« »Dann werden sie mich umbringen«, sag te Plutonz gelassen. »Dann gehe ich alleine!« »Ich komme mit«, erklärte der junge Mann entschlossen. »Das ist eine komplizierte Form von Selbstmord!« »Vielleicht. Aber ich habe keine Angst – nicht vor diesen Kerlen. Sie sind mir zwar überlegen, aber wenn ich mich vor ihnen verstecke, befinde ich mich selbst im Un recht.« »Das verstehe ich nicht.« Plutonz lächelte traurig. »Sie wissen zu wenig von mir und meinen Artgenossen. Wir werden nicht ohne Grund gehaßt und verfolgt. In einigen Dingen un terscheiden wir uns von den Arkoniden. Es wäre sinnlos, Ihnen das alles zu erklären.« Getray zuckte die Schultern und akzep tierte den Entschluß des Maahkfinders.
Marianne Sydow
* Nach Einbruch der Dunkelheit verwandel te sich die Stadt in einen Hexenkessel. Die Raumsoldaten, die oft jahrelang im Raum gelebt, gearbeitet und gekämpft hatten, nutz ten jede Gelegenheit, um sich zu amüsieren. Früher war Versank ordentlich, sauber und ein bißchen spießbürgerlich gewesen. Jetzt merkte man davon kaum noch etwas. Ein Teil der Einheimischen hatte die neue Geldquelle gewittert. Andere hatten sich aus der Stadt zurückgezogen oder waren bereits geflohen. Dafür waren andere Leute nach Versank gekommen. Getray hatte ihre Schif fe auf einem Handelshafen gesehen, unor dentliche Kästen, manchmal sogar eroberte Maahkraumer, die entsprechend umgebaut worden waren. Diese Raumschiffe enthiel ten Spielhallen und anderes mehr. In verlas senen Häusern hatten sich Händler, Gaukler und Kneipenwirte breitgemacht. Es gab Kampfarenen, Wettbüros, Bordelle, Lokale mit mehr oder weniger zweifelhaftem Ruf. Läden, in denen man ungeniert um den Preis verbotener Drogen feilschte, zwei Sklaven märkte, Agenturen, die höchst mysteriöse Geschäfte abwickelten – kurz: Alles, wo nach die Raumfahrer sich sehnten. Getray und der Maahkfinder tauchten in dieses Durcheinander wie in einen trügeri schen Ozean – von draußen wirkte alles ganz harmlos, die Gefahren lauerten in der Tiefe. Schon nach kurzer Zeit gab es Ärger. »Wohin so eilig?« fragte ein angetrunke ner Arkonide und hielt Getray am Arm fest. »Ich lade dich ein, Mädchen. Komm!« Getray schüttelte die Hand des Fremden ab und ging weiter, aber der Arkonide war hartnäckig: »Du solltest es dir lieber noch einmal überlegen«, knurrte er, packte Getray an den Schultern und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. »Na? Wie ist es?« »Lassen Sie mich los!« verlangte Getray kalt.
Der Maahkfinder und die Meuterer Der Mann lachte. »Stell dich nicht so an. Warum rennst du denn sonst hier herum, he?« Getray riß sich mit einem Ruck los und verpaßte dem Fremden eine schallende Ohr feige. »Sie sollten in der Beurteilung Ihrer Mit menschen vorsichtiger sein!« sagte sie zor nig. Der Mann stierte sie an. Dann hob er langsam die Fäuste. »So etwas tut man nicht!« sagte er dro hend. »Schon gar nicht, wenn es sich um mich handelt. Du wirst dafür bezahlen, und ich fürchte, der Preis wird sehr hoch ausfal len. Ich …« Der Rest blieb ungesagt. Plutonz, der sich bis zu diesem Augenblick vorsichtig im Hin tergrund gehalten hatte, sprang den Mann von hinten an und schlug ihm die zur Faust geballte rechte Hand gegen die Schläfe. Es ging so schnell, daß der Arkonide nicht ein mal einen Schrei ausstoßen konnte. Lautlos brach er zusammen. Vorher hatte sich niemand um Getray oder den Maahkfinder gekümmert. Streit und Prügeleien waren hier an der Tagesord nung. Jetzt wurden einige Leute aufmerk sam. »Das war der Schwarze!« kreischte je mand. Getray entdeckte eine Durchfahrt und winkte Plutonz zu. Der Maahkfinder rannte vor ihr her. Im Laufen zog sie die kleine Waffe aus der Tasche. Die ersten Verfolger waren dicht hinter ihr. Sie schoß und nahm sich nicht einmal die Zeit, nachzusehen, ob sie getroffen hatte. Dann waren sie in der Durchfahrt und liefen in die Richtung, in der sie einen schwachen Lichtschein sahen. Hin ter ihnen knallten schnelle Schritte. Von Zeit zu Zeit gab Getray einen Schuß ab, und als sie den Ausgang fast erreicht hatten, war es hinter ihnen still geworden. »Das war knapp!« keuchte Plutonz. »Noch haben wir es nicht geschafft«, sag te Getray leise. »Sie wissen, wo wir heraus kommen werden und können uns in die Zan
11 ge nehmen.« »So viel Ausdauer traue ich diesen Kerlen nicht zu. Außerdem ging alles so schnell, daß es sich nur um eine kleine Gruppe von Verfolgern handeln kann.« Getray blieb skeptisch. Ehe sie die Durch fahrt verließen, horchte sie mit angehalte nem Atem. Hinten rührte sich nichts mehr. Von vorne kam nur die typische Geräusch kulisse dieses Viertels. Vorsichtig trat sie ins Freie und sah sich um. »Ein Innenhof«, flüsterte sie. »Es scheint niemand hier zu sein.« »Wir müssen nach links«, behauptete Plu tonz. »Da gibt es ein Tor zur Straße hinaus.« »Das ist zu riskant«, lehnte Getray ab. »Für heute reicht es mir. Ich werde froh sein, wenn wir ungeschoren von hier weg kommen.« »Wir haben nichts erfahren, was uns wei terbringt.« »Das ist mir im Augenblick völlig egal. In der Durchfahrt liegt mindestens ein halbes Dutzend Männer, die ich paralysiert habe. Wenn man die findet, wird es brenzlig. Schade, daß ich mich hier nicht auskenne. Sicher gibt es Schleichwege, auf denen man ungesehen in eine ruhigere Gegend kommt.« »Das ist kein Problem«, sagte Plutonz und nahm ihre Hand. »Ich werde Sie führen.« Getray begann zu begreifen, daß die Maahkfinder tatsächlich besondere Fähig keiten besaßen. Die meiste Zeit über beweg ten sie sich durch dunkle Höfe, verlassene Häuser und schmutzige, lichtlose Gassen. Plutonz fand den Weg mit schlafwandleri scher Sicherheit. Jenseits der Mauern und Häuser dröhnte Musik durch die Straßen – sie befanden sich immer noch in diesem ge fährlichen Teil der Stadt. Erst nach mehr als einer Stunde wurde es ruhiger. Kurz darauf öffnete Plutonz behutsam ein breites Tor, spähte hinaus und nickte zufrieden. »Wir haben es geschafft«, sagte er. Schräg gegenüber befand sich das Haus, in dem Getray wohnte.
*
12 Der klapperige Lift war ausgefallen. Wäh rend sie hinter dem Maahkfinder die spärlich beleuchtete Treppe hinaufstieg, zerbrach sich Getray verzweifelt den Kopf darüber, wie es weitergehen sollte. Der erste Besuch in jenem Gebiet, in dem man noch am ehesten die gesuchten Infor mationen bekam, hätte beinahe ein katastro phales Ende genommen. Getray fürchtete, daß es ihr bei ihrem nächsten Vorstoß nicht besser ergehen würde. Als sie die Tür aufschließen wollte, gab Plutonz ihr ein Zeichen und legte den Zeige finger über die Lippen. Getray erschrak. Wenn sie dem Maahkfinder glauben durfte, befand sich jemand in der Wohnung. Sie fühlte sich mit der Waffe in der Hand alles andere als wohl. Flüchtig dachte sie daran, wie sie früher gelebt hatte. Es hatte sich vieles geändert. Merkwürdig war nur, daß sie sich eine Rückkehr in dieses frühere Leben gar nicht vorstellen konnte. Sie drückte die Tür auf und blieb daneben stehen. Plutonz war einen Schritt zur Seite gegangen. Aus der Wohnung kam kein Laut. Das Licht war ausgeschaltet. »Kommen Sie heraus!« befahl Getray lei se. »Ich habe einen Strahler. Bei der ersten falschen Bewegung schieße ich.« Jemand räusperte sich verlegen. Dann ging das Licht an, und ein Mann trat mit er hobenen Armen aus der Tür. »Haben Sie hellseherische Fähigkeiten?« fragte er spöttisch. Getray starrte ihn verblüfft an. Es war der düstere Fremde, der sie im Treffpunkt pausenlos angestarrt hatte. »Was wollen Sie?« fragte sie schroff. »Ich hatte die Absicht, mit Ihnen zu re den«, erklärte der Fremde, entdeckte Plutonz und nickte ihm freundlich zu. »Ich hörte einen Teil der Unterhaltung, die Sie mit die sem mutigen jungen Mann führten. Viel leicht kann ich Ihnen in einer etwas heiklen Angelegenheit helfen.« Getray betrachtete den Fremden mißtrau isch. Sie fürchtete eine Falle. Aber dann sag-
Marianne Sydow te sie sich, daß nicht viel passieren konnte, solange sie die Waffe in der Hand behielt. Und Plutonz hatte bereits bewiesen, wie wachsam er sein konnte. Sie gab dem Frem den einen Wink, in die Wohnung zurückzu gehen. Plutonz bildete den Schluß, warf noch einige Blicke nach draußen und zog dann leise die Tür zu. »Wie heißen Sie?« fragte Getray. »Kornelius«, antwortete der Mann und deutete auf einen Sessel. »Darf ich mich set zen?« Der fremdartige Name verwirrte sie. Den noch blieb sie vorsichtig. Auf ihr Zeichen trat Plutonz hinter den Arkoniden und tastete ihn schnell und geschickt ab. »Ich kann nichts finden«, gab er bekannt. Kornelius zog amüsiert die Augenbrauen hoch. Getray gab sich unbeeindruckt. »Warum glauben Sie, daß Sie mir helfen können?« fragte sie. »Sie möchten Versank verlassen«, stellte Kornelius fest. »Und zwar in Richtung Ar kon.« »Darüber haben wir im Treffpunkt nicht gesprochen!« »Nein, aber ich beobachte Sie schon seit einer ganzen Weile.« »Warum?« Kornelius sah sie an, und Getray stellte überrascht fest, daß er aus der Nähe gar nicht so düster wirkte. Er hatte sehr freundli che Augen. »Sie werden es mir nicht glauben«, seufz te er. »Sie sind mir sympathisch, und es täte mir leid, wenn Sie hier auf Versank hängen blieben. Dies ist nicht die richtige Welt für Sie. Und jetzt ist noch ein besonders wichti ger Punkt hinzugekommen: Sie haben einem Maahkfinder geholfen, und es gibt eine Rei he von Leuten, die das nicht vergessen wer den.« »Wer sagt mir, daß Sie nicht dazugehö ren?« »Ich arbeite sehr oft mit Maahkfindern zusammen. Ohne sie wäre ich längst nicht mehr am Leben. Unter solchen Umständen kann man sich gewisse Vorurteile abgewöh
Der Maahkfinder und die Meuterer nen.« »Das sollte für alle gelten, die mit diesen Leuten zu tun haben.« »Da haben Sie Recht, aber wenden wir uns wieder unserem eigentlichen Problem zu. Ich kenne jemanden, der Sie mitnehmen könnte.« Getray schwieg überrascht. »Wenn Sie einverstanden sind«, fuhr Kor nelius fort, »werde ich noch heute alles vor bereiten. Morgen gebe ich Ihnen Bescheid. Wir treffen uns am Raumhafen, und zwar im Südsektor, neben der Lagerhalle drei. Sie können dieses Gebäude kaum verfehlen, wenn Sie die Ringstraße benutzen. Werden Sie kommen?« Es konnte eine Falle sein. Andererseits konnte Getray es sich nicht leisten, eine sol che Chance ungenutzt zu lassen. Natürlich mußte sie vorsichtig sein. Sie wußte über haupt nichts über Kornelius, während dieser Mann seinerseits erstaunlich gut informiert war. »Ein Schwierigkeit gibt es«, sagte sie. »Ich habe nicht viel Geld, und Sie wissen selbst, wie teuer die Passagen sind.« Kornelius lächelte schwach. »Diese Passage ist kostenlos«, versicherte er. »Die Raumflotte ist schließlich kein Transportunternehmen.« Getray nickte nachdenklich. Sie überlegte, welche Position Kornelius einnehmen moch te. Mit Sicherheit war er kein einfacher Raumsoldat. Gehörte er am Ende zu den Meuterern, von denen Plutonz gesprochen hatte? »Ich werde kommen«, versprach sie. »Wann?« »Genau mittags«, antwortete Kornelius. »Bis dahin schaffe ich es. Aber reden Sie bitte mit niemandem darüber, und versuchen Sie, möglichst ungesehen den Treffpunkt zu erreichen. Sie verstehen sicher, daß ich eini ge Schwierigkeiten bekommen könnte, wenn die falschen Leute etwas von unserer Abmachung erfahren!« Getray nickte, und Kornelius stand auf. »Ich muß gehen«, sagte er. »Passen Sie
13 gut auf sich auf!« »Was halten Sie davon?« fragte sie den Maahkfinder, als sie alleine waren. »Ich weiß nicht. Der Mann macht einen ehrlichen Eindruck. Außerdem hätte er es nicht nötig, Ihnen eine so komplizierte Falle zu stellen, nachdem es ihm bereits gelungen war, hier einzudringen.« »Er war in keiner sehr günstigen Situati on«, widersprach Getray. »Er hat sicher nicht damit gerechnet, daß Sie seine Anwe senheit bemerken würden.« »Diese kleine Waffe dürfte ihn nicht sehr beeindruckt haben.« Getray seufzte. Sie fand es schwierig, zu einer Entscheidung zu kommen. Sie hatte zwar versprochen, am nächsten Tag den Treffpunkt aufzusuchen, aber ob sie dieses Versprechen einhielt, stand auf einem ganz anderen Blatt. Das scheinbar uneigennützige Angebot, ihr aus reiner Sympathie zu helfen, erschien ihr verdächtig. »Sie haben bis morgen Zeit«, sagte Plu tonz beruhigend. Getray schlief sehr schlecht in dieser Nacht. Die Angst, in eine Falle zu laufen, verfolgte sie bis in ihre Träume hinein. Doch am nächsten Morgen, nachdem sie gefrühstückt hatten, faßte Getray den Ent schluß, es wenigstens zu versuchen.
3. Im hellen Tageslicht wirkte die Stadt un freundlich und kalt. Getray und Plutonz be nutzten die Rollstraße, die zum Raumhafen hinausführte. Immer häufiger bekam die Ar konidin dabei zu spüren, was es hieß, als Außenseiter angesehen zu werden. Für die anderen mußte zwangsläufig der Eindruck entstehen, als hätte sie sich mit dem Maahkfinder eingelassen, und das war für jeden Arkoniden eine geradezu ungeheu erliche Tat. Die Reaktionen der Leute, denen sie begegneten, waren verschieden. Manche sahen demonstrativ weg. Andere starrten dem ungleichen Paar nach. Wieder andere machten sich mit Beschimpfungen Luft oder
14 schickten ihnen vieldeutige Bemerkungen nach. Getray atmete auf, als sie die Ringstraße erreichten. Der Südsektor war ein fast men schenleeres Gebiet, und dementsprechend spärlich wurde die Rollstraße benutzt, die zu diesem Ziel führte. »Es tut mir leid«, sagte Plutonz, nachdem sie die Richtung gewechselt hatten. »Unsinn!« wehrte Getray ab. »Sie haben durch mich nur Schwierigkei ten«, beharrte der Maahkfinder auf seiner Entschuldigung. »Vielleicht ist es besser, wenn ich mich jetzt von Ihnen verabschie de.« »Das kommt gar nicht in Frage!« fauchte sie. »Erstens habe ich mir nichts vorzuwer fen, und es kann mir egal sein, was diese Dummköpfe denken. Und zweitens brauche ich dich. Du bemerkst Gefahren schneller als ich.« Das war ein Argument, das Plutonz zu ak zeptieren vermochte. Sie waren lange unterwegs, fast eine Stunde. Die Straße führte durch immer ver lassenere Gebiete, an endlosen Reihen von Lagerhallen vorbei, über Ödland und Bauge lände, auf dem Robotfahrzeuge den Boden aufwühlten. Dann zeigte Plutonz nach vor ne, wo die nächste Hinweistafel auftauchte. »Das muß es sein.« Sie wechselten auf die langsamste Fahr spur hinüber und warteten, bis die von Kor nelius genannte Halle in Sicht kam. Getray sah sich nach allen Seiten um. »Niemand zu sehen«, murmelte sie. »Wir sind etwas zu früh dran. Kommen Sie, wir suchen uns eine Ecke, in der wir uns verstecken können, bis Kornelius eintrifft.« Sie liefen an der Halle entlang. Weiter links gab es einen Anbau, eine Art über dachte Rampe, die ihnen wenigstens in die Richtung zur Straße Deckung bot. Sie hatten ihr Ziel fast erreicht, als Plutonz plötzlich stoppte. »Vorsicht!« schrie er. »Da sind …« Weiter kam er nicht. Getray sah ihn stol pern und hinfallen. Ehe sie noch begriff, was
Marianne Sydow geschehen war, berührte etwas ihre Beine in Kniehöhe. Sie schrie vor Schmerzen auf, denn es war, als wäre sie gegen einen glü henden Draht gelaufen. Sie stürzte vornüber, stieß mit dem Kopf gegen die Wand und blieb für einen Augenblick benommen lie gen. Als sie den Strahler aus der Tasche ho len wollte, packte jemand sie an den Schul tern und riß sie brutal herum. »Wen haben wir denn da!« sagte der Mann, den sie im Treffpunkt paralysiert hat te, zynisch. »Du solltest dir deine Freunde etwas sorgfältiger aussuchen, Mädchen!« Getray bemühte sich, einen klaren Kopf zu behalten. Gestern war es ihr gelungen, sich mit einem Bluff aus der Affäre zu zie hen. Warum sollte das nicht noch einmal klappen? »Nehmen Sie Ihre dreckigen Pfoten weg!« befahl sie kalt. »Und verschwinden Sie, ehe meine Leute hier eintreffen!« Der Mann lachte schallend. Inzwischen waren auch die anderen Mitglieder dieser Gruppe zum Vorschein gekommen. Sie bil deten einen Halbkreis um Plutonz, Getray und ihren Anführer. Diesmal waren sie be waffnet. »Damit legst du uns nicht noch einmal herein«, knurrte der Mann, der sie immer noch festhielt. »Wir wissen jetzt Bescheid. Hast du wirklich geglaubt, wir würden so schnell aufgeben? Keine Sekunde haben wir dich und diesen schwarzen Zwerg aus den Augen gelassen! Schade, daß es euch ge stern Abend nicht erwischt hat, aber ande rerseits wären wir dann um unseren Spaß gekommen.« Wo blieb Kornelius? Er war der einzige, der jetzt noch zu ihren Gunsten eingreifen konnte. Oder gehörte er dazu? Getray biß die Zähne zusammen. Wenn das stimmte … Aber im Augenblick war es sinnlos, dar über nachzudenken. Sie mußte sich wehren. Ihr Gegner war sehr wachsam. Er sah die Veränderung in ihren Augen und stieß sie von sich. Sie krachte mit dem Rücken gegen die Wand und starrte die Waffe an, die jetzt
Der Maahkfinder und die Meuterer auf sie gerichtet war. Vor der Mündung flimmerte es. »Nicht, Hesthan!« rief jemand. »Wenn du sie umlegst, bekommen wir wirklich Är ger!« Hesthan starrte Getray haßerfüllt an. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er die Waffe senkte. »Wir nehmen sie mit«, befahl er seinen Leuten. »Wenn die beiden sich schon so gut verstehen, sollen sie auch gemeinsam in den Tod gehen.« »Bist du wahnsinnig geworden?« fragte einer der Männer fassungslos. »Wir können uns das nicht leisten, das weißt du genau. Wegen so einem Schwarzen wird uns nie mand in die Todeskammer schicken, aber mit dieser Frau ist es anders. Laß uns von hier verschwinden, ehe es zu spät ist!« Hesthan sah den Mann an, der den Mut hatte, ihm zu widersprechen. Atemlos ver folgte Getray das stumme Duell der Blicke. Plutonz lag immer noch regungslos auf dem Boden. Er schien bewußtlos zu sein. »Zilor hat recht«, murmelte schließlich ein anderer. »Das hat keinen Sinn. Wir ver brennen uns nur die Finger dabei.« Hesthan nickte düster. »Also gut«, sagte er. »Packt den Burschen ein.« Ein Mann lief zur Rampe und steuerte einen Gleiter aus dem Versteck. Zwei ande re packten Plutonz, hoben ihn mühelos hoch und warfen ihn auf die Ladefläche. Getray sah ihnen wütend zu. Sie hatte gehofft, daß der Maahkfinder nicht wirklich bewußtlos war, sondern nur den günstigsten Augen blick abwartete, um dann aufzuspringen und sich zu wehren. Hesthan hatte nicht daran gedacht, Getrays Waffe an sich zu nehmen. Mit etwas Glück hätte sie die Verwirrung dazu nutzen können, sich und Plutonz zu be freien. Aber der Angriff des Maahkfinders blieb aus – die hinterhältige Falle hatte ihn schlimmer erwischt, als sie angenommen hatte. Die Klappe der Ladefläche schlug zu. Die Männer kletterten eilig in das Fahrzeug.
15 Hesthan wartete, bis die anderen verschwun den waren, dann wandte er sich an Getray. »Ich gebe dir einen guten Rat, Mädchen«, sagte er drohend. »Verschwinde und gib acht, daß du mir nicht noch einmal über den Weg läufst. Beim nächstenmal ist vielleicht niemand in der Nähe, der mich zurückhält.« Getray antwortete nicht. Sie nahm sich ei sern zusammen und blickte Hesthan kalt und verächtlich an. »Komm endlich!« rief jemand aus dem Gleiter. Hesthan nickte und ging rückwärts bis zu dem Fahrzeug. Die Waffe blieb auf die Ar konidin gerichtet, bis der Gleiter mit hoher Beschleunigung davon schoß. Getray sank in sich zusammen, als sie al leine war. Sie hätte heulen mögen vor Wut und Verzweiflung. Wäre sie doch nur nicht auf diesen Kornelius hereingefallen! Ihr taten sämtliche Knochen weh, und als sie aufzustehen versuchte, knickten ihr die Beine unter dem Körper weg. Aber das alles erschien ihr unbedeutend im Vergleich zu dem, was dem Maakhfinder bevorstand. Sie zweifelte nicht daran, daß die Drohung Hesthans ernst gemeint war. Dieser Mann war fest entschlossen, Plutonz zu töten. »Bei den Göttern von Arkon!« sagte eine Männerstimme hinter ihr. »Was hat man mit Ihnen gemacht?« Diesmal reagierte Getray schneller. Als sie sich umdrehte, hielt sie die Waffe schuß bereit in der Hand. »Wohin hat man ihn gebracht?« fragte sie scharf. »Reden Sie, Kornelius, reden Sie sehr schnell. Ich warte nicht lange!« Kornelius starrte sie entgeistert an. »Wovon reden Sie überhaupt?« fragte er. »Wo ist der Maahkfinder? Haben Sie ihn nicht mitgebracht?« Er hätte sehen müssen, daß die Arkonidin zu diesem Zeitpunkt nicht fähig war, logisch und normal zu denken. Immerhin bemerkte er die Bewegung ihres Zeigefingers, und ihm dämmerte die Erkenntnis, daß Getray es ernst meinte. Tödlich ernst sogar, wie er gleich darauf feststellen mußte, denn das,
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Marianne Sydow
was den grauen Boden zum Kochen brachte, war kein harmloser Paralysestrahl. Im letz ten Augenblick war er ausgewichen, und an gesichts der Gefahr übernahmen seine au ßerordentlich gut funktionierenden Reflexe die Kontrolle über seinen Körper. Getray war gegen diesen Mann viel zu langsam. Sie starrte noch auf den Fleck, auf dem Kornelius eben gestanden hatte, als er sie bereits erreichte. Als sie die Waffe an hob, landete die flache Hand des Arkoniden auf ihrem Nacken, und mit der rechten Stie felspitze trat er ihr die Waffe aus der Hand. Kornelius hatte bestenfalls mit halber Kraft zugeschlagen, aber Getrays Kopf hatte schon vorher mit der Wand Bekanntschaft geschlossen. Sie stieß ein schwaches Stöh nen aus und wurde bewußtlos.
* Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf dem zurückgeklappten Sitz eines Gleiters. Neben ihr saß Kornelius, der sie düster be obachtete. Sie senkte den Blick und stellte fest, daß ihre Waffe den Besitzer gewechselt hatte. »Versuchen Sie es lieber nicht«, sagte Kornelius, der ihre abschätzenden Blicke be merkte. »Ich müßte Ihnen, sonst weh tun, und das macht mir wirklich keinen Spaß. Sind Sie soweit, daß man sich vernünftig mit Ihnen unterhalten kann?« »Sie haben Plutonz und mich verraten und verkauft«, sagte Getray bitter. »Was wollen Sie jetzt noch von mir?« Der Arkonide seufzte. »Es geht also um den Maahkfinder«, stell te er fest. »Wo ist er?« »Das müßten Sie doch am besten wis sen!« »Sie sind schwer zu überzeugen, Getray. Sie werden es mir natürlich nicht glauben, aber ich habe niemanden verraten. Und ich würde es auch niemals zulassen, daß jemand einem Maahkfinder etwas antut.« »Oh, natürlich nicht! Im Treffpunkt haben Sie sich sehr für Plutonz eingesetzt, nicht
wahr?« »Mit dieser Situation sind Sie zum Glück ohne meine Hilfe fertig geworden. Ich hätte eingegriffen, wenn das nötig gewesen wäre, obwohl ich damit gewisse Pläne gefährdet hätte.« »Und woher wußten diese Mörder, an welchem Ort wir uns treffen wollten?« »Wir wurden belauscht. Zum Glück, war ich vorsichtig genug – es ist nichts gesagt worden, was niemand hätte hören dürfen. Warum sind Sie so stur? Ich sage die Wahr heit! Vorhin bekam ich einen Anruf, darum kam ich etwas zu spät. Ich bin sicher, daß dieser Anruf mit dem Überfall auf Sie und Plutonz zusammenhängt. Das Ganze stellte sich als eine Fehlverbindung heraus.« »Wenn das die Wahrheit ist und Sie wirk lich so viel für Maahkfinder übrig haben, werden Sie mir sicher helfen, Plutonz zu be freien«, sagte Getray spöttisch. Kornelius sah sie ernst an. »Das wird nicht gehen. In einer halben Stunde starten wir.« »Wir?« »Die drei Schiffe, die unter meinem Kom mando stehen.« Sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. »Mein Flaggschiff können Sie von hier aus sehen«, erklärte Kornelius und deutete nach vorne. »Es ist die BEMORC. Die bei den anderen Raumer stehen etwas weiter zu rück.« Getray starrte das Schiff an. Es war ein Kampfraumer der Fünfhundert-Me ter-Klasse. »Gegen Befehle kann man nicht viel un ternehmen«, murmelte sie resignierend. »Würden Sie bitte landen, damit ich ausstei gen kann? Oder haben Sie die Absicht, mich zu entführen.« Kornelius schüttelte lächelnd den Kopf. »Das selbstverständlich nicht. Aber wohin wollen Sie so kurz vor dem Start noch?« »Ich bleibe hier. Ich kann Plutonz jetzt nicht im Stich lassen.« Kornelius schwieg und sah sie nachdenk lich an. Nach einer Weile zuckte er die
Der Maahkfinder und die Meuterer Schultern und gab ihr die Waffe zurück. »Vermutlich bin ich verrückt«, murmelte er. »Aber ich werde Sie begleiten. Mehr als zwei Tage darf die Verzögerung allerdings nicht betragen, sonst komme ich zu spät.« »Können Sie das so einfach? Ist das nicht so, als würden Sie desertieren?« »Diesen Schritt habe ich genau genom men schon hinter mir«, sagte Kornelius dü ster. »Bleiben Sie im Gleiter, ich werde mich beeilen.« Sie sah ihm nach und zerbrach sich den Kopf darüber, was für eine Sorte Mann ihr da begegnet war. Zweifellos gehörte Korne lius doch zu den Meuterern. Sie hatte sich diese Leute anders vorgestellt. Abgesehen davon mußte er ein hoher Offizier sein, ob wohl er gar nicht danach aussah.
* »Alles in Ordnung«, brummte Kornelius, als er zurückkehrte. »Meine Leute wissen Bescheid, und ich konnte sogar noch etwas Zeit herausholen. Drei Tage lang wartet die BEMORC auf uns. Wenn wir bis dahin nichts erreicht haben – werden Sie dann mit kommen?« Drüben auf dem Raumhafen starteten zwei Schiffe. Kornelius lächelte flüchtig. »Sie fliegen voraus. Ich konnte nicht gut alle drei Raumer startunfähig melden. Au ßerdem ist es sicherer, wenn man am Treff punkt weiß, daß wir uns eventuell etwas ver späten. Aber Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.« »Warum legen Sie solchen Wert darauf, daß ich mitkomme? Warum verschieben Sie sogar den Start?« »Ist das so schwer zu erraten?« Getray sah verlegen zur Seite. So war das also! »Nun?« »Ich werde mitkommen«, sagte sie, und gleichzeitig dachte sie an Helcaar Zunth, ih ren Mann, von dem sie nicht wußte, ob er noch am Leben war. Sie hatte allerhand ge hört und eingesehen, daß ihr Bruder recht
17 hatte. Er hatte sie oft genug gewarnt und im mer wieder behauptet, Helcaar Zunth sei nicht nur Besitzer der TUUMAC, sondern auch das Oberhaupt einer Verbrecherbande. Sie hatte ihm kein Wort geglaubt, sondern ihm vorgeworfen, aus purem Neid diese Ge schichte zu erfinden. Um ihrem Mann zu helfen, hatte sie Ar kon verlassen. Hier, auf Versank, mußte sie erfahren, daß Helcaar Zunth tatsächlich ein Verbrecher war. Und jetzt saß sie neben ei nem Mann, den sie für einen Schurken ge halten hatte, den sie beinahe getötet hätte, und der ihretwegen den Start eines Groß kampfschiffes verzögerte. Aus Liebe! Sie begriff die Welt nicht mehr. »Fliegt die BEMORC direkt nach Ar kon?« fragte sie, um das Thema zu wech seln. »Früher oder später ganz sicher.« »Das verstehe ich nicht«, sagte sie ver wirrt. Kornelius sah sie von der Seite an. Sie spürte, daß er unsicher war, und sie konnte sich auch den Grund dafür denken. Er wußte nicht genau, auf welche Seite sie gehörte. Sie beschloß, einiges klarzustellen, auch wenn sie damit ein Risiko einging. »Ist der Gleiter abhörsicher?« fragte sie. Kornelius nickte. »Nun gut. Ich habe einige Gerüchte ge hört. Besonders Plutonz erzählte mir von ei ner Verschwörung, die vorbereitet wird. In der Flotte ist man mit dem Verhalten des Imperators nicht mehr einverstanden. Was Sie vielleicht nicht wissen, ist, daß es noch andere Organisationen dieser Art gibt. Man che sind schwach, andere erstaunlich um fangreich. Im Auftrag einer solchen Gruppe bin ich unterwegs. Ich soll auf Arkon be stimmte Vorbereitungen treffen – soweit mir das möglich ist.« Der Arkonide schwieg einige Zeit, dann lachte er leise. »Ich ahnte etwas«, gab er zu. »Aber Sie kennen das System der POGIM – die Spitzel sind allgegenwärtig. Es stimmt. Wir werden den Imperator zwingen, seine Politik zu än
18 dern.« »Wie das?« »Zu diesem Zeitpunkt brechen von über all Kampfraumer in Richtung Arkon auf«, sagte Kornelius grimmig. »Natürlich haben wir dafür gesorgt, daß keine der wichtigen Fronten geschwächt wird, aber die Streit macht, die am Treffpunkt zusammenkommt, ist groß genug, um sich notfalls mit Gewalt Zugang zum Arkon-System zu verschaffen. Außerdem haben wir Verbündete in fast al len Abwehrstationen und sogar im Kristall palast selbst. Falls unser Ultimatum den Im perator nicht zu überzeugen vermag, werden wir ihm einen besseren Beweis dafür liefern, daß unsere Geduld erschöpft ist.« »Sie wollen …« »Wir werden notfalls mit Gewalt einen Umsturz herbeiführen, ja!« erwiderte Korne lius hart. Getray von Helonk schwieg. Unwillkür lich dachte sie an die Bilder, die sie im Kraumon-Sektor gesehen hatte – das, was nach einer Schlacht zwischen Maahks und Schiffen des Großen Imperiums übriggeblie ben war. Sie erinnerte sich auch an die sorg fältig zensierten Nachrichten, die sie auf Ar kon gehört hatte. Inzwischen wußte sie, daß die Wirklichkeit anders aussah. »Orbanaschol ist ein Mörder«, sagte sie plötzlich. »Er hat ohnehin kein Recht, den Imperator zu spielen.« Kornelius sah sie überrascht an. »Ich habe den Kristallprinzen kennenge lernt«, fuhr Getray entschlossen fort. »Er ist noch jung, aber er lebt nur für das Ziel, die sen unfähigen Dickwanst vom Thron zu ent fernen.« »Ich habe oft von ihm gehört. Er hat eini ge verblüffende Aktionen durchgeführt. Es heißt, daß ihm inzwischen eine ganze Reihe von Schiffen und viele überzeugte Anhänger zur Verfügung stehen. Wenn er sich mit uns verbünden will …« »Sein Stützpunkt wurde von den Maahks zerstört«, murmelte Getray bitter. »Es ge lang zwar, den Planeten zu evakuieren, aber als man mich nach Versank brachte, waren
Marianne Sydow die Schiffe und ihre Besatzungen noch nicht am vereinbarten Ausweichspunkt eingetrof fen. Atlan und Fartuloon unternahmen einen Versuch, sich nach Arkon durchzuschlagen – ich habe keine Ahnung, wo sie sich jetzt befinden und ob sie nicht längst getötet wur den.« »Letzteres bestimmt nicht. Das wäre be kannt geworden. Orbanaschol ließe es sich nicht nehmen, diesen angeblichen Sieg hin auszuposaunen.« »Vielleicht haben Sie Recht, und die bei den schaffen es. Ich könnte mir vorstellen, daß Atlan ein guter Imperator werden könn te. Zumindest ist er der rechtmäßige Anwär ter auf den Thron, und er ist mutig und auf richtig. Er würde bestimmt nicht rauschende Feste feiern, während draußen seine besten Leute von den Maahks umgebracht wer den.« »Sie haben ihn persönlich kennengelernt und können sich ein Urteil erlauben«, ant wortete Kornelius gedehnt. »Außerdem – et was Schlimmeres als Orbanaschol kann uns nicht mehr passieren.« Getray war etwas enttäuscht über die Re aktion des Arkoniden. Sie hatte gehofft, in ihm einen heimlichen Anhänger des Kri stallprinzen zu finden, der begeistert die Chance, Atlan zum Imperator zu machen, aufgriff. Ihr scharfer Verstand sagte ihr, was sie vom Gefühl her nicht wahrnehmen woll te: Atlan war wirklich noch sehr jung. Hätte er unter normalen Umständen die Nachfolge seines Vaters angetreten, so wäre das kein Hindernis gewesen. Jetzt jedoch herrschte Chaos im Großen Imperium. Zu viele Pro bleme waren zu lösen, zu groß war die Zahl derer, die unter Orbanaschol ihre schmutzi gen Geschäfte zu riesigen Unternehmen aus gebaut hatten und ihre Position nicht ohne Widerstand räumen würden. Unter diesen Voraussetzungen war es ver ständlich, wenn Leute wie Kornelius sich einen älteren, erfahreneren Mann auf dem Thron im Kristallpalast wünschten. Getray beschloß dennoch, das Spiel so schnell nicht aufzugeben. Vielleicht änderte
Der Maahkfinder und die Meuterer Kornelius seine Meinung, wenn er dem Kri stallprinzen persönlich begegnete. »Wo beginnen wir mit unserer Suche?« fragte der Arkonide. Sie wußte im ersten Augenblick gar nicht, wovon er sprach. Dann fiel es ihr wieder ein. Plutonz! Er schwebte in akuter Lebensge fahr, und das erschien ihr als vorrangig. »Ich weiß es nicht«, gab sie ratlos zu. »Vielleicht erfahren wir im Treffpunkt et was. Hesthan und seine Leute haben sicher über ihren Plan gesprochen.« »Hoffen wir es«, murmelte Kornelius und änderte die Flugrichtung.
19 mand auf den unseligen Gedanken, einen Verbrecher in diesem Irrgarten auszusetzen und abzuwarten, was geschah. Vermutlich konnte man sich nicht genau entscheiden, ob dieser Mann schuldig war oder nicht. Jeden falls machte das Beispiel Schule. Wie wenig die Siedler dem Willen der Götter vertrau ten, zeigte sich jedoch darin, daß sie an dem Labyrinth gewisse Umbauten vornahmen. Zu jenem Zeitpunkt, als Getray von Helonk sich auf Versank aufhielt, war es in der Tat ein Wunder, wenn jemand das Labyrinth le bend verließ.
* 4. Kolonien sind – im Anfangsstadium ihrer Entwicklung – Vorposten einer Zivilisation. Sehr oft ziehen sie gerade jene Individuen magisch an, die sich den komplexen Regeln ihrer Heimat nicht unterwerfen möchten. Brutalitäten kommen weit häufiger vor, scheinbar vergessene Mythen erwachen zum Leben, Aberglaube und alte Zeremonien werden plötzlich wieder praktiziert. Die Berge von Kaynth bildeten ein grau sames Beispiel dafür, zu welchen Riten Ko lonisten bisweilen zurückkehrten. Vor unermeßlich langer Zeit hatten die Arkoniden, beziehungsweise ihre Vorfahren, die Akonen, die Entscheidung über Recht und Unrecht, Schuld und Sühne irgendwel chen Göttern überlassen. Es gab vermutlich niemanden auf Versank, der noch im Ernst von der materiellen Existenz dieser Götter überzeugt war. Aber man bediente sich die ser Wesen immer noch. Die Berge von Kaynth waren ein zerklüf teter, gebirgiger Landstrich, weit von der Hauptstadt entfernt. Unter dem Namen je doch verstand man weniger die Landschaft, als vielmehr ein eng begrenztes Gebiet. Dort hatten die ersten Siedler ein Labyrinth vor gefunden, teils handelte es sich um Höhlen, aber auch um total unzugängliche Schluch ten und Felsengärten. Das alles stand mitein ander in Verbindung. Irgendwann kam je
Der Gleiter stand vor dem Eingang zum Labyrinth, einer bogenförmigen Öffnung im Fels, der man deutlich ansah, daß sie nicht ganz und gar natürlichen Ursprungs war. Plutonz war inzwischen zu sich gekommen. Die Arkoniden hatten ihr Opfer an eine iso liert stehende Felsnadel gefesselt, von der aus Plutonz den Eingang deutlich sehen konnte. Der Maahkfinder wußte noch nicht, was ihm bevorstand. Er rechnete jeden Augen blick damit, daß die Männer ihn umbringen würden. Er hatte Angst. Außerdem machte er sich Sorgen um Getray. Er konnte sie nir gends entdecken und fürchtete, daß man sie an Ort und Stelle gleich neben dem Lager schuppen ermordet hatte. Als Hesthan end lich zu sprechen begann, war das wie eine Erlösung. »Jetzt kannst du zeigen, ob du wirklich ungewöhnliche Fähigkeiten hast«, sagte Hesthan höhnisch. »Siehst du dieses Tor? Es ist der Zugang zu einem Labyrinth. Hier auf Versank ist es üblich, Verbrecher hineinzu schicken. Die wenigsten von ihnen wurden jemals wieder gesehen. Von nun an ist das dein Spiel. Findest du den Ausgang, dann bist du frei.« Plutonz wußte, daß Hesthan auf eine Ant wort wartete, aber er schwieg beharrlich. Ihm war klar, daß dieses Versprechen herz lich wenig galt. Sie würden auf ihn warten
20 und ihn abschießen, sobald er das Hindernis überwunden hatte. »Für dich müßte das ja ein Kinderspiel sein«, bemerkte Hesthan. »Ihr Schwarzen seid doch bekannt dafür, immer einen Aus weg zu finden, nicht wahr?« Plutonz sah ihn schweigend an. Hesthan starrte zurück, bemerkte die Verachtung in den Blicken des Maahkfinders und legte die Hand auf den Kolben der Waffe. »Bringt ihn auf den Weg!« befahl er hei ser. Zwei Männer lösten seine Fesseln. Sie drehten ihm die Arme auf den Rücken, zerr ten ihn zum Höhleneingang und sprangen dann hastig zurück. Plutonz wirbelte herum. Ein Energiestrahl schlug vor seinen Füßen ein. »Los!« schrie Hesthan mit überschnap pender Stimme. »Lauf um dein Leben!« Ein zweiter Schuß zwang den Maahkfin der, zurückzuweichen, dann beteiligten sich auch die anderen Mitglieder der Bande an dem grausamen Spiel. Plutonz warf sich her um und rannte in die Finsternis. Hinter sich hörte er das Johlen und Schreien der Män ner. Die Waffen fauchten und brachten den Boden hinter ihm und die Wände des Stol lens zum Glühen. Plutonz rang keuchend nach Luft, aber er hielt nicht an. Irgendwann mußte er an eine Abzweigung kommen, und dann war er fürs erste in Sicherheit – wenigstens hoffte er darauf. Es dauerte fast fünf Minuten, bis er merkte, daß die Schießerei plötzlich aufge hört hatte. Sofort blieb er stehen. Es war absolut dunkel um ihn herum. Sorgfältig untersuchte er seine Taschen, aber man hatte ihm keine noch so winzige Lampe mitgegeben. Auch gut, dachte er und konzentrierte sich auf seine unsichtbare Umgebung. Seine besonderen Fähigkeiten erwiesen sich als äußerst nützlich. Plutonz liebte zwar helles Licht, brauchte es aber nicht eigent lich. Er spürte seine Umgebung, ohne erklä ren zu können, wie dieser Vorgang zustande
Marianne Sydow kam. Er stellte fest, daß er sich in einem Gang befand, der gerade groß genug war, um zwei normal gewachsenen Arkoniden genügend Bewegungsfreiheit zu bieten. Weiter vorne verzweigte sich die schlauchförmige Höhle. Plutonz nickte zufrieden, als er in geringer Entfernung Wasser aufspürte. Lautlos sch lich er bis zu der Stelle, an der die Feuchtig keit in winzigen Perlen durch das Gestein drang. Während er die Tropfen aufleckte, um den grausamen Durst zu stillen, tastete er mit seinen fremden Sinnen jeden Quadrat zentimeter der Umgebung ab. Als er etwas Metallisches entdeckte, richtete er sich un gläubig auf. Vorsichtig inspizierte er das Gerät, dann hatte er begriffen. Nicht nur die Dunkelheit und die Vielfalt der Gänge waren seine Gegner, sondern auch automatische Waffensysteme, die durch das Geräusch von Schritten oder durch Erschütterungen ausgelöst wurden. Wäre er nur ein paar Sekunden lang weiter gerannt, so hätte er sich über sein weiteres Vorgehen keine Gedanken mehr zu machen brauchen. Er ließ sich Zeit und blieb solange an der »Wasserstelle«, bis er seinen ärgsten Durst gestillt hatte. Dann ging er den Weg zurück, den er gekommen war. Er hatte nicht die Absicht, sich allzu tief in das Labyrinth hin einzubegeben. Zwar war er überzeugt da von, in jedem Fall den Rückweg zu finden, aber erstens konnte er in diesem Abschnitt der Höhle sicher sein, auf keine Fallen zu treffen, und zweitens hatte es seine Vorteile, in der Nähe des Eingangs zu bleiben. So konnte er am besten erfahren, wann die an deren sich zurückzogen. Als er den Hauptgang erreichte, hörte er die Männer miteinander reden. Obwohl er einige hundert Meter von ihnen entfernt war, verstand er jedes Wort. Aus irgendeinem Grund wurde der Schall in dieser Höhle un gewöhnlich weit getragen. »Ich traue dem Schwarzen nicht«, sagte einer. »Der bringt es fertig und entkommt
Der Maahkfinder und die Meuterer uns wirklich.« »Dazu müßte er durch massive Felswände gehen können«, antwortete Hesthan zynisch. »Keine Angst, den sehen wir nicht wieder. Wahrscheinlich hat es ihn schon längst erwi scht. Manche Fallen funktionierten zwar nicht mehr, aber dafür sind die Dinger so zahlreich, daß man ihnen kaum ausweichen kann.« »Wenn es so ist – warum warten wir hier noch? Wir können ebensogut in die Stadt zurückfahren.« »Du kommst noch früh genug zu deinem Mädchen«, sagte Hesthan spöttisch. »Aber er hat recht!« mischte ein anderes Bandenmitglied sich ein. »Wozu hier her umstehen, wenn die Angelegenheit sich von selbst erledigt?« »Wenn ich das gewußt hätte«, schrie eine hohe Stimme, »hätte ich dem Plan niemals zugestimmt! Wo bleibt der Spaß, den wir uns machen wollten?« »Halt den Mund!« brüllte Hesthan wü tend. »Wir haben einen von diesen widerli chen Kerlen aus dem Verkehr gezogen – ist das nichts? Vielleicht lebt er auch noch. Was meint ihr, wie er sich jetzt vorkommt? Der hat die Hosen voll, dafür garantiere ich!« »Trotzdem finde ich das Ganze idiotisch«, protestierte die hohe Stimme. »Wir stehen herum und wissen nicht einmal, woran wir sind. Warum gibt es keine Beobachtungska meras in der Höhle?« »Weil es da drinnen dunkel ist«, knurrte Hesthan. »Aber wenn es dich beruhigt, dann geh doch hinterher, Vren! Im Gleiter liegen genug Geräte herum, mit denen du unseren kleinen Freund aufspüren kannst.« »Keine schlechte Idee«, sagte Vren. »Ist noch jemand an einer Verfolgung interes siert?« Plutonz hörte, wie zwei Männer sich mel deten. Sie hießen Korm und Hegethor. Die anderen unterhielten sich lautstark über die Erfolgschancen der drei Verfolger und schlossen erste Wetten darüber ab, wer Plu tonz zuerst finden konnte. Inzwischen hatten die drei Männer wohl ihre Ausrüstung ge
21 holt, denn plötzlich wurde es ruhiger, und man hörte metallisches Klirren. »Das dürfte reichen!« sagte Vren zufrie den. »Damit spüren wir den Burschen auf und finden außerdem jederzeit den Rück weg. Na, wie ist es? Hat nicht noch jemand Lust, sich an der Jagd zu beteiligen?« Diesmal meldete sich niemand. Den ande ren war das Labyrinth offensichtlich un heimlich. Plutonz nickte nachdenklich. Als weit ent fernt starke Handscheinwerfer aufflammten, zog er sich vorsichtig zurück. In seinem Ge hirn entstand ein Plan, und er lächelte ver ächtlich. Seine Gegner hatten den ersten Fehler gemacht. Er würde diesen Umstand weidlich ausnutzen!
* Die nachträglich eingebauten Fallen und Abwehrsysteme konnte Plutonz zwar auf spüren, aber mit seinen Sinnen ließ sich nicht feststellen, ob diese Dinge noch funkti onsfähig waren. Darum blieb ihm nichts an deres übrig, als allen verdächtigen Stellen auszuweichen. Zum Glück fand er immer wieder einen Durchschlupf. Seine Verfolger kamen nicht schneller voran als er, dafür sorgte er. Er lockte sie hinter sich her bis an eine Stelle, an der von einer fast kugelförmigen Halle drei Stollen in verschiedene Richtungen weiterführten. Sein Vorsprung reichte aus, um jeden ein zelnen Gang kurz zu inspizieren. Als er den günstigsten Weg ausgemacht hatte, rannte er los. Plutonz trug – da niemand es für nötig ge halten hatte, ihm eine planetentaugliche Ausrüstung zu geben – halbhohe Raumfah rerstiefel aus dünnem Leder und mit außer ordentlich weichen Sohlen. Er verursachte nicht das leiseste Geräusch. Innerhalb kurzer Zeit legte er eine Entfernung zurück, die ihn aus dem Bereich herausbrachte, in dem die Verfolger ihn orten konnten. Plutonz vergewisserte sich, daß keine Fal len an diesem Ort vorhanden waren. Dann
22 untersuchte er die weitere Umgebung und fand ein System von zum Teil sehr schmalen Gängen, das für seine Zwecke wie geschaf fen war. Er kehrte in den Gang zurück und lauschte. Zufrieden stellte er fest, daß die Arkoni den auf seinen Trick hereingefallen waren. Sie drangen einzeln in die Gänge ein und nahmen regelmäßig Kontakt miteinander auf, um zu erfahren, wer die Spur wiederge funden hatte. Plutonz zog sich weiter zu rück, quetschte sich durch einen Spalt und lief durch ein halbes Dutzend verwinkelter Gänge. Er achtete darauf, daß er möglichst viel festen Fels zwischen sich und den Gang brachte, durch den sein Verfolger näherkam. Dadurch wurde die Ortung erschwert. Schließlich kletterte er lautlos eine flache Geröllhalde hinauf und duckte sich oben un ter einen Felsvorsprung. Mit angehaltenem Atem wartete er. Es dauerte nicht lange, bis er die Schritte hörte. Sein Gegner fühlte sich sehr sicher, obwohl er inzwischen wissen mußte, daß Plutonz ihm sehr nahe war. Das, was der Maahkfinder von Anfang an einkalkuliert hatte, traf ein: Der Mann – es war Korm – verschwieg seinen Kameraden, daß er dem Ziel nahe war. Er wollte den Triumph für sich allein behalten. Der erste Lichtschimmer drang um die Ecke. Plutonz schloß die Augen, um in der Dunkelheit später keine Schwierigkeiten zu haben. Korm gab sich keine Mühe, beson ders leise zu sein. Er trat selbstsicher in die ziemlich große Höhle, in der Plutonz ihn er wartete. Erst als das Spürgerät ein rotes Alarmzeichen gab, blieb Korm stehen. Er sah sich nach allen Seiten um und leuchtete die Höhle mit seinem Handscheinwerfer ab. Der Maahkfinder duckte sich noch tiefer un ter den Felsvorsprung. »Gib auf, Schwarzer!« knurrte Korm und hob die Waffe. »Du entwischst mir doch nicht!« Plutonz lächelte flüchtig und warf einen kleinen Stein in Richtung auf die gegenüber liegende Wand. Korm wirbelte herum und
Marianne Sydow schoß. Gleichzeitig schnellte Plutonz sich aus der Deckung, erreichte mit drei, vier lan gen Sprüngen den Boden und stand direkt hinter Korm. Der Arkonide hatte eben be merkt, daß er das falsche Ziel gewählt hatte und wollte sich umdrehen, da legte Plutonz ihm die Hand auf die Schulter. »Still!« sagte er. »Keinen Laut. Laß die Waffe fallen, wenn dir dein Leben lieb ist.« Korm ließ die Waffe tatsächlich los. Aber gleichzeitig drehte er sich halb zur Seite, um dem Maahkfinder den Ellbogen in die Ma gengrube zu rammen. Plutonz, der immer noch die Augen geschlossen hielt, spürte die Bewegung und wich geschmeidig aus. Seine Hände zuckten hoch, und die gestreckten Finger stießen gegen den Nacken des Arko niden. Korm sank lautlos zusammen. Plutonz schaltete den Scheinwerfer aus, hob die Waffe auf und steckte sie in seinen Gürtel. Korm hatte offensichtlich damit ge rechnet, daß die Jagd nur wenig Zeit in An spruch nahm. Er hatte weder Proviant noch Wasser mitgenommen. Plutonz durchsuchte die Taschen des Arkoniden und nickte er leichtert, als er ein paar Wassertabletten und einen Konzentratriegel fand. Er lutschte eine Tablette und zerrte Korm in eine Ecke, die man vom Eingang der Höhle nicht sehen konnte. Dann beschäftigte er sich mit Korms technischer Ausrüstung. Das Spürgerät zer trümmerte er mit einem großen Stein, das Funkgerät dagegen nahm er an sich. Lautlos verließ er die Höhle und suchte sich einen günstigen Platz für sein nächstes Vorhaben. Er fand eine Vertiefung neben dem Höhleneingang und duckte sich hinein. Das Funkgerät knackte, als er den Schal ter betätigte. »Korm!« rief eine aufgeregte Stimme. »Wo steckst du? Warum meldest du dich nicht?« »Nicht so laut!« flüsterte Plutonz in das winzige Mikrophon. »Ich habe ihn, das heißt, ich weiß, wo er steckt. Er lebt noch. Könnt ihr kommen?« »Bist du sicher, daß er bis dahin nicht wieder verschwunden ist?«
Der Maahkfinder und die Meuterer »Ganz sicher. Er steckt in einer Höhle, die zwar zwei Eingänge hat, aber auf der einen Seite durch einen Todesautomaten versperrt wird. Beeilt euch!« Er hörte zu, wie Vren und Hegethor sich untereinander verständigten und nickte zu frieden. Während die beiden Arkoniden in den Gang eindrangen, der zu ihm und Korm führte, traf er die letzten Vorbereitungen. Er stellte den Strahler auf Paralysewirkung um, steckte verschiedene Metallteile – Bestand teile des Spürgeräts – in seine Taschen und legte ein paar kleine Steine bereit. Dann un tersuchte er die Felsen neben dem Eingang und fand eine schwere Gesteinsplatte, die sich bewegen ließ. Es würde schwer werden, aber das störte ihn nicht. »Wir sind jetzt an dem Seitengang«, mel dete Hegethor leise. »Wie geht es weiter?« Plutonz gab geflüsterte Anweisungen. Nach kurzer Zeit sah er den ersten Licht schimmer. »Verdammt!« zischte er. »Schaltet die Lampen aus, oder wollt ihr den Kerl laufen lassen?« »Der hat doch längst gemerkt …«, begann Vren, und Plutonz schleuderte den ersten kleinen Stein. Vren stieß einen knurrenden Laut aus. »Dieses Biest schmeißt mit Steinen«, flü sterte Plutonz gleichzeitig. »Mich hat er fast erwischt.« Der Lichtschein verschwand. Die beiden Arkoniden fluchten leise vor sich hin, wäh rend sie sich entlang der Wände weitertaste ten. Nur die Skalen der Spürgeräte lieferten ein bißchen Helligkeit. Für Vren und He gethor war die Lage eindeutig. Sie hatten einen Arkoniden in der Ortung, bei dem es sich ihrer Meinung nur um Korm handeln konnte, denn dieser Mann hielt sich außer halb der Höhle auf, war bewaffnet und trug verschiedene Geräte aus Metall mit sich her um. Sie hatten ein zweites, etwas schwäche res Echo von einem anderen Mann, der sich auf der anderen Seite der Felswand befand, dort offensichtlich regungslos lauerte und als Plutonz identifizierbar war, weil er bis
23 auf seine Kleidung nichts bei sich hatte. Plutonz sorgte dafür, daß Vren und He gethor auf der anderen Seite des Eingangs Stellung bezogen. »Wie kommen wir an ihn heran?« fragte Vren flüsternd. »Er ist zwar unbewaffnet, aber ich traue dem Frieden nicht.« »Unsinn«, knurrte Hegethor. »Er ist seit Stunden in diesem Labyrinth, und mit Si cherheit hat er sich schon ein paarmal fast den Kopf eingerannt. Er ist total erschöpft, da gehe ich jede Wette ein!« »Genau das meine ich auch«, gab Plutonz seinem Jäger flüsternd recht. »Ich schlage vor, daß zwei von uns reingehen und sich den Schwarzen schnappen.« »In Ordnung. Du bleibst zur Sicherheit draußen. Vren?« »Einverstanden.« Der Maahkfinder hörte, wie seine Gegner die Waffen schußbereit machten und die Handscheinwerfer aus den Gürtelschlaufen hakten. Die Spürgeräte deponierten sie ne ben dem Eingang – sie waren überzeugt da von, sie nicht mehr zu brauchen. »Jetzt!« sagte Vren leise. Die beiden Arkoniden ließen die Schein werfer aufflammen und sprangen in die Höhle. Plutonz ließ ihnen nicht genug Zeit, um etwas von dem Täuschungsmanöver zu merken. Er schoß, sobald seine Gegner im Innern der Höhle standen. Auch jetzt hielt er die Augen geschlossen. Er eilte zu den beiden paralysierten Männern und schaltete als erstes die Lampen aus. Die beiden Waffen brauchte er nicht. Er ent deckte einen schmalen, nach unten führen den Schacht und warf die Strahler hinein. In den Taschen der Arkoniden fand er weitere zwei Konzentratriegel und ein halbes Dut zend Wassertabletten. Vren hatte außerdem eine flache Dose bei sich, in der er die prä parierten Blätter der Shoy-Pflanze aufbe wahrte. Plutonz verabscheute Drogen, aber diese Blätter wirkten in erster Linie bele bend und schmerzlindernd. Das konnte er jetzt gebrauchen. Die Handscheinwerfer ließ er liegen, aber die beiden Armbandfunkgerä
24 te wanderten ebenfalls in den engen Schacht. Als er mit dieser Arbeit fertig war, schob er die schwere Felsplatte vor den Eingang, zertrümmerte die beiden Spürgeräte und kehrte dann an seinen Ausgangspunkt zu rück. An der Stelle, an der er zum erstenmal den Hauptgang verlassen hatte, hob er das Funkgerät an die Lippen. »Hesthan! Kannst du mich hören?« »Wer spricht da?« fragte Hesthan über rascht. »Kennst du meine Stimme nicht? Ich bin es, Plutonz, der Maahkfinder. Deine drei Jä ger sind mir in die Falle gegangen. Sie sit zen ziemlich hilflos in einer Höhle. Ohne die Spürgeräte dürfte es ihnen schwerfallen, das Labyrinth zu verlassen, und sie besitzen we der Waffen noch Proviant.« Hesthan schwieg. Plutonz lächelte scha denfroh. Er konnte sich lebhaft vorstellen, welche Gedanken jetzt den Arkoniden be wegten. »Ich mache dir ein Angebot«, fuhr er fort. »Ich bringe deine Freunde nach draußen, und dafür bekomme ich freien Abzug.« »Ich glaube dir kein Wort!« knurrte Hest han. »Mir geht es nicht anders«, erwiderte Plu tonz spöttisch. »Darum werde ich die drei Männer mitnehmen, wenn ich diese Gegend verlasse. Nur damit du nicht auf dumme Ge danken kommst. Außerdem verlange ich von dir, daß du den Gleiter ein Stück in diesen Gang hineinfährst. Keine Tricks, hörst du? Wenn du jemanden in das Fahrzeug setzt, werde ich das merken!« »Du bist verrückt! So leicht entkommst du uns nicht.« »Das Schicksal deiner Freunde scheint dir keine Sorgen zu bereiten, wie?« »Wir werden uns um sie kümmern. Aber erst dann, wenn du erledigt bist.« Ein hartes Knacken zeigte, daß Hesthan die Verbindung unterbrochen hatte. Plutonz zuckte die Schultern. Früher oder später würde dem Arkoniden keine andere Wahl bleiben, als das Angebot zu akzeptieren.
Marianne Sydow Er hörte Hesthan vor der Höhle fluchen. Dann drangen die nächsten zwei Jäger in den Gang ein. Plutonz zog sich zurück um die nächste Falle vorzubereiten.
5. Der Treffpunkt war fast leer, als Getray von Helonk und Kornelius dort eintrafen. »Merkwürdig«, murmelte Getray. »Hier ist doch sonst immer etwas los!« »Wahrscheinlich sind ein paar Schiffe startklar, und die Leute versuchen, einen Platz zu ergattern.« »Ich hatte bis jetzt nicht den Eindruck, als würden sie sich darum reißen, an die Front zu kommen.« Kornelius zuckte die Schultern. »Versank ist kein besonders angenehmer Planet«, meinte er. »Außerdem gibt es fürs Herumsitzen keinen Sold.« »Jedenfalls haben wir Pech gehabt«, stell te Getray fest. »Hier werden wir nicht viel erfahren.« Kornelius sah sich um und deutete in eine dunkle Ecke. »Vielleicht doch«, murmelte er. »Lassen Sie mich reden, und bleiben Sie vorerst im Hintergrund.« In der Ecke roch es merkwürdig. Ein win ziges Licht warf einen scharf begrenzten Kreis auf die Tischplatte. In einem geschlif fenen Glas schimmerte eine blaue Flüssig keit. Der Mann, der an diesem Tisch saß, sah völlig verwildert aus. Kornelius setzte sich neben ihn. »Hau ab«, grunzte der Fremde. »Es ist schon gut«, sagte Kornelius fried lich. »Ich will nichts von dir. Es ist mir egal, was du hier machst.« »Wenn es dir egal ist«, lallte der Fremde schwerfällig, »warum störst du mich dann?« »Ich suche jemanden. Und ich bezahle, wenn mir jemand eine gute Information gibt. Das Zeug da ist teuer, nicht wahr?« Der Fremde starrte Kornelius mißtrauisch an. Getray, die am Rande der schwach be leuchteten Zone wartete, erschrak, als sie die
Der Maahkfinder und die Meuterer Augen des Fremden sah. Sie waren blutun terlaufen und geschwollen. Es fiel dem Mann schwer, seine Blicke zu konzentrie ren. »Um wen geht es?« fragte er nach einer Weile. »Um einen Maahkfinder.« Der Fremde verzog das Gesicht zu einer häßlichen Grimasse. »Ein Mann namens Hesthan hat ihn ein gefangen, zusammen mit ein paar anderen Leuten«, fuhr Kornelius eindringlich fort. »Sie brachten ihn weg, und ich will wissen, wo er jetzt sein könnte.« »Sie wollen ihn umbringen«, murmelte der Fremde. »Aber an einem Maahkfinder wollen sich die feinen Herren nicht die Fin ger schmutzig machen. O ja, sie haben da von gesprochen. Das Labyrinth!« Er trank einen Schluck von der blauen Flüssigkeit und nickte nachdrücklich. »Das Labyrinth«, murmelte er »das ver dammte Labyrinth. Die Berge von Kaynth. Da kommt niemand lebendig heraus.« Er redete noch weiter, aber es waren sinn lose, unverständliche Silben. Kornelius stand schweigend auf und legte ein paar Chronners auf den Tisch. Für einen Augen blick erwachte der Fremde aus seinem Rausch. Seine Hand fuhr blitzschnell über den Tisch und sammelte die leise klingelnden Cholittringe ein. »Was ist mit ihm?« fragte Getray leise, während sie sich von dem Tisch entfernten. »Er ist süchtig«, antwortete Kornelius ru hig. »Er hat sich ein Gift ausgesucht, das ihn ziemlich schnell umbringen wird. Ich gebe ihm noch ein halbes Jahr – auf keinen Fall mehr.« »Und Sie geben ihm auch noch Geld, da mit er mehr von dem Zeug kaufen kann?« »Es kommt nicht mehr darauf an. Er wird auf jeden Fall sterben. Wenn man ihm das Gift entzieht, ist er innerhalb von zwei Ta gen tot.« »Meinen Sie, daß auf die Faseleien eines Süchtigen Verlaß ist?« Kornelius blieb stehen und sah sie ernst
25 an. »Diese blaue Flüssigkeit wird im Raum fahrerjargon die ›tödliche Wahrheit‹ ge nannt. Es ist die fürchterlichste Wahrheits droge, die jemals erfunden wurde. Keine Angst, dieser Mann hat uns nicht belogen. Ihm geht es genauso wie den armen Kerlen, die mit Hilfe dieser Teufelsdroge verhört werden.« Getray biß die Zähne zusammen. Seitdem man ihren Mann ins Gefängnis gesteckt hat te, fragte sie sich oft, ob dies wirklich noch die Welt war, in der sie aufgewachsen war. Es gab so vieles, von dem sie nichts wußte. »Kommen Sie«, sagte Kornelius und legte einen Arm um ihre Schultern. »Sehen wir zu, daß wir dieses Labyrinth finden. Hof fentlich kommen wir nicht zu spät.« In der Nähe des Raumhafens entdeckten sie einen Informationspavillon, in dem sich zur Zeit niemand aufhielt. Kornelius fragte einen der Roboter nach den Bergen von Kaynth und dem Labyrinth. Eine halbe Mi nute später wußten sie, in welche Richtung sie fliegen mußten. Sie ahnten aber auch, daß eine schwierige und gefährliche Aufga be vor ihnen lag. Am späten Nachmittag manövrierte Kor nelius den Gleiter in ein Versteck in der Nä he des Eingangs. Sie gingen zu Fuß weiter, und als sie einen Felsvorsprung umrundet hatten, sahen sie das Tor zur Unterwelt vor sich. Etwas weiter rechts stand der Gleiter, den Getray bei dem Überfall gesehen hatte. Und direkt daneben hatte ein Mann eine Reihe von kleinen Gegenständen vor sich auf dem Boden ausgebreitet. »Was macht der da?« flüsterte Getray. »Ich weiß es nicht«, gab Kornelius zu rück. »Wir müssen näher heran.«
* Plutonz hatte das Kunststück fertigge bracht, auch die beiden nächsten Jäger ein zufangen. Diesmal war es schwieriger gewe sen, denn die Männer waren gewarnt. Und als er Hesthan über Funk anrief, mußte er er
26 kennen, daß er sich eine neue Methode aus denken mußte. Der Arkonide beschimpfte Plutonz zwar in allen Tonarten, ließ sich je doch nicht dazu reizen, weitere Männer in das Labyrinth zu schicken. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die sen Irrgarten systematisch nach einem zwei ten Ausgang abzusuchen. Er hoffte, daß es so etwas gab. Als er vor sich plötzlich Licht entdeckte, glaubte er bereits, es geschafft zu haben. Er rannte los, trat ins Freie – und blieb enttäuscht stehen. Er stand auf dem Grund einer Schlucht. Die Wände waren mindestens einhundert Meter hoch und so glatt, daß höchstens eine Fliege hätte hinaufklettern können. Für sol che Gelegenheiten hatten sich die arkonidi schen Erfinder eine ganze Reihe von Hilfs mitteln ausgedacht. Am einfachsten war es, ein Fluggerät zu benutzen, aber es gab auch Plastiksaugnäpfe, die man sich an Hände und Füße schnallen konnte. Oder man be nutzte eine spezielle Flüssigkeit, die direkt auf den Fels gesprüht wurde, dort auf schäumte und binnen Sekunden zu Stufen erstarrte, die sogar ein schwerer Roboter ge fahrlos benutzen konnte. Leider standen dem Maahkfinder diese Mittel nicht zur Verfügung. Langsamer als vorher ging er weiter. Er achtete buchstäblich auf alles, untersuchte jeden Riß in den Wänden und prüfte den Bo den unter seinen Füßen. Er fand nichts, was ihm hätte weiterhelfen können. Dafür stieß er auf jemandem, der offenbar gleich ihm die Hoffnung gehegt hatte, doch noch einen Ausgang zu finden. Im ersten Augenblick dachte Plutonz, er hätte jemanden, der ihn begleiten würde. Aber dann stellte er fest, daß dieser Mann nirgendwohin gehen wür de. Es ließ sich schwer sagen, wieviel Zeit seit dem Tode dieses Fremden vergangen war. Seine Kleidung, eine hellgraue Kombi nation, rote Stiefel und eine kapuzenartige Kopfbedeckung, war einwandfrei erhalten geblieben, aber unter dieser Kleidung gab es
Marianne Sydow nur noch blanke Knochen. Das Skelett lehn te in sitzender Haltung schräg an der Wand und wurde von den Seiten durch große Stei ne gestützt. Darum war es nicht zusammen gefallen. Schaudernd wandte Plutonz sich ab. Al lerdings hatte diese »Begegnung« auch einen positiven Aspekt. Niemand hatte die Leiche des Fremden berührt, und demzufol ge gab es hier auch keine Tiere, die Ge schmack an Arkonidenfleisch fanden. Die Sonne stand mittlerweile ziemlich tief und beleuchtete nur noch die oberen Ränder der Felswände. Unten wurde es rasch dun kel. Ab und zu schaltete Plutonz das Funk gerät ein und lauschte, aber er hörte nichts. Sein Versuch, Kontakt zu Hesthan aufzu nehmen, scheiterte. Vielleicht schwieg der Arkonide, um ihn zu der Annahme zu bewegen, das Tor im Felsen wäre längst verlassen, damit er ihn dann um so leichter erledigen könnte. Viel leicht schirmten aber auch die Felsen die Funkstrahlen ab. Einmal fand er eine rechtwinklig abzwei gende, zweite Schlucht. Er ignorierte sie, denn sie schien genauso ausweglos zu sein wie die, in der er sich befand. Er war fest entschlossen, diese Richtung einzuhalten, solange es möglich war. Wenn er stur gera deaus ging, mußte er ja irgendwohin kom men. Wenig später verengte sich die Schlucht. Unter seinen Füßen knirschten kleine Steine. Er ging schneller. Wenn die Wände dicht genug zusammenrückten, hatte er eine Chance. Tatsächlich fand er eine Stelle, die schmal genug war. Er preßte den Rücken an die eine Wand, Hände und Füße an die andere und arbeitete sich langsam nach oben. In Gedan ken war er bereits bei Hesthan, dem er eine unangenehme Überraschung zu bereiten ge dachte. Diese Überlegungen nahmen ihn so in Anspruch, daß er beinahe in die Falle ge tappt wäre. Im letzten Moment spürte er die Nähe von Metall. Vor Schreck verlor er den Halt und rutschte ein Stück zurück.
Der Maahkfinder und die Meuterer Das rettete ihm das Lesben, denn der To desautomat funktionierte noch. Über ihm fauchte ein Energiestrahl durch die Dunkel heit. Glühendes Gestein spritzte nach allen Seiten. Es war reines Glück, daß Plutonz nichts von diesem gefährlichen Regen abbe kam. Der Schreck war ihm in die Glieder ge fahren, und er brauchte all seine Kraft und Konzentration, um nicht abzustürzen. Müh sam rutschte er nach unten. Als er wieder fe sten Boden unter den Füßen hatte, war er so erschöpft, daß er sich an Ort und Stelle hin legte. Er verfluchte die Leute, die dieses Laby rinth erbaut, beziehungsweise eingerichtet hatten. Nach einer Weile raffte er sich auf und taumelte weiter. Dann wurde die Schlucht so eng, daß selbst Plutonz, der wahrhaftig nicht breit gebaut war, keinen Durchschlupf mehr fand. Niedergeschlagen kehrte er um. Viel leicht hatte er in der anderen Schlucht mehr Glück. Aber auch dort endete der Weg plötzlich, und Plutonz kam zu der Auffassung, daß es tatsächlich nur den einen Ausgang gab. Dort stand Hesthan mit seinen Leuten, und wenn er sich blicken ließ, würden sie ihn umbrin gen. Der Maahkfinder setzte sich auf einen Stein und dachte eine Weile über dieses Pro blem nach. Dann entschied er, daß ein qual voller Tod hier im Labyrinth für ihn nicht in Frage kam. Er würde versuchen, Hesthan zu überlisten.
* Hesthan war mit seiner Geduld am Ende. Fünf Männer waren im Labyrinth ver schwunden und tauchten nicht wieder auf. Der Maahkfinder hatte ihm mitgeteilt, daß die Leute zwar noch am Leben waren, prak tisch jedoch keine Chance hatten, diesen Zu stand auch für die Zukunft zu sichern. Über die Videoanlage im Gleiter hatte er erfahren, daß sich in der Hauptstadt einiges tat. Es schien, als gäbe es verschiedene
27 Möglichkeiten, diesen Planeten zu verlassen – und dies nicht nur in Richtung Front. Hest han ärgerte sich darüber, daß er die günstige Gelegenheit nicht wahrnehmen konnte. Selbst wenn sie jetzt gleich aufbrachen, ka men sie auf jeden Fall zu spät in der Stadt an. Auch seine Kameraden hatten ihre gute Laune inzwischen verloren. Sie machten Hesthan Vorwürfe, und das steigerte seinen Ärger noch. An allem war nur der Maahkfinder schuld. Hesthan mußte Zilor im stillen Recht geben, als dieser meinte, sie hätten den Schwarzen doch lieber an einem anderen Ort erledigen sollen. Jetzt hockte Hesthan auf einem Stein und dachte angestrengt darüber nach, wie er sich aus der Affäre ziehen sollte. Es mußte etwas geschehen – und zwar bald! Plötzlich hatte er eine Idee. Er winkte Zi lor zu sich herüber. Der Arkonide schlender te mißmutig über den steinigen Platz. »Was hältst du davon, wenn wir den Schwarzen ausräuchern?« fragte Hesthan. »Das versuchen wir doch schon die ganze Zeit, und es kommt nichts dabei heraus.« »Wir haben ihm zu viele Chancen gelas sen«, widersprach Hesthan grimmig. »Diesmal machen wir es gründlich. Wir sprengen einen Teil des Labyrinths.« Zilor starrte ihn entgeistert an. »Hast du vergessen, daß fünf von uns da drinnen festsitzen?« fragte er. »Wir können sie doch nicht umbringen!« Hesthan lächelte überlegen. »Das werden wir auch nicht.« »Aha. Und wie willst du herausfinden, daß ihnen nicht die Decke auf den Kopf fal len wird?« »Bist du so dumm, oder tust du nur so? Du wirst doch auf die Lügen eines Maahkfinders nicht hereinfallen!« »Du meinst?« Hesthan nickte nachdrücklich. »Er hat sie längst umgebracht. Die Spren gung kann ihnen nichts mehr anhaben, aber wir haben eine Chance, ihren Tod zu rä chen.«
28 »Ich weiß nicht recht«, murmelte Zilor unschlüssig. »Wenn sie nun doch noch leben … Warum sollte der Schwarze gelogen ha ben?« »Um uns davon abzuhalten, schärfere Maßnahmen zu ergreifen. Er weiß natürlich, daß wir unsere Kameraden nicht in Gefahr bringen werden. Es war ein ziemlich ge schickter Täuschungsversuch, aber ich bin sicher, daß unsere Leute tot sind. Der Schwarze kann es sich gar nicht erlauben, sie herumlaufen zu lassen. Außerdem – wie hätte er sie entwaffnen sollen, ihnen die Ausrüstung abnehmen, wenn sie noch leb ten? Jeder einzelne hätte die Kraft gehabt, den Maahkfinder mit den bloßen Händen umzubringen!« »Das leuchtet mir ein«, sagte Zilor nach denklich. »Aber was ist mit den Siedlern? Sie werden nicht erfreut darüber sein, wenn wir das Labyrinth zerstören.« »Die Siedler gehen uns nichts an. Sie ha ben jetzt sowieso andere Sorgen. Außerdem – woher sollen sie erfahren, daß wir die Sprengung vorgenommen haben? Bis sie auch nur den Beginn einer Spur gefunden haben, sind wir längst von diesem Planeten verschwunden.« Zilor schien immer noch Bedenken zu ha ben, und Hesthan ärgerte sich darüber. Er empfand es ohnehin als eine Zumutung, eine so ausgedehnte Diskussion zu führen. Ge stern noch hätte Zilor ohne mit der Wimper zu zucken getan, was Hesthan ihm befahl. Auch daran war der Maahkfinder schuld – seine Leute wagten es neuerdings, seine Ent scheidungen zu kritisieren. Wenn sie erst wieder draußen waren, wür de er schon dafür sorgen, daß alles wieder in Ordnung kam. Er war der Anführer einer Kampfgruppe, und wenn sie – wie schon so oft – auf einem Planeten einer Gruppe Maahks gegenüberstanden, waren Diskus sionen ohnehin nicht möglich. »Also gut«, nickte Zilor endlich. »Was soll ich tun?« Hesthan atmete erleichtert auf. »Ich bin sicher, daß der Schwarze in der
Marianne Sydow Nähe des Eingangs geblieben ist«, erklärte er. »Nur so konnte er überleben und unsere Leute abfangen. Außerdem wird er hoffen, daß wir irgendwann aufgeben. Es reicht al so, wenn du den vorderen Teil des Laby rinths zerstörst. Es gibt nur diesen einen Ausgang. Nach der Sprengung fliegen wir sofort zurück. Falls unser Freund das Unter nehmen bis dahin überlebt hat, wird er in spätestens vier Tagen verdurstet sein. Wir brauchen uns also nicht mehr um ihn zu kümmern. Im Gleiter findest du alles, was du brauchst. Serkor soll dir helfen.« Zilor nickte und entfernte sich. Mit düste rer Miene beobachtete Hesthan, wie er mit den anderen sprach und dann gemeinsam mit Serkor die Ladefläche des Gleiters durchsuchte. Hesthan hatte sich die Jagd auf den Maahkfinder entschieden einfacher vorge stellt. Fünf Männer hatte er verloren, jetzt waren sie nur noch sieben. Wütend schlug er mit der flachen Hand auf den Stein. In Zu kunft, das schwor er sich, würde er jeden Maahkfinder, der ihm über den Weg lief, auf der Stelle umbringen. Zilor war der Spezialist für Sprengungen. Er suchte das nötige Material zusammen und schickte Serkor zum Höhleneingang. Er brauchte Daten über die Festigkeit des Ge steins, um die Wirkung der Bombe berech nen zu können. Es war später Nachmittag. Bis alle Vorbe reitungen getroffen waren, würde es Nacht sein.
* Getray und Kornelius hatten sich im Schutz einer Felsrinne bis dicht an den Glei ter herangearbeitet. So konnten sie hören, wie Zilor seinem Kameraden Anweisungen gab. Getray verstand die technischen Aus drücke nicht, aber Kornelius hatte schnell begriffen, worum es ging. Er gab Getray ein Zeichen, und sie zogen sich vorsichtig zu rück. »Sie wollen einen Teil des Labyrinths
Der Maahkfinder und die Meuterer sprengen«, flüsterte Kornelius, als sie weit genug von dem Gleiter entfernt waren. »Das müssen wir verhindern!« sagte Ge tray entsetzt. »Ja, aber es wird nicht leicht sein. Wir ha ben sieben Gegner, und diese Burschen sind zu allem entschlossen. Können Sie mit Ih rem kleinen Strahler wirklich umgehen?« Getray lachte leise. »Es wird reichen. Ein Kunstschütze bin ich nicht.« »Das ist auch nicht nötig. Paralysestrahlen wirken auch dann, wenn sie breit gefächert sind. Ich frage mich nur, warum die Kerle das Labyrinth zerstören wollen. Es scheint, als hätte Plutonz ihnen doch einigen Ärger bereitet.« »Das würde bedeuten, daß er noch lebt!« sagte Getray aufgeregt. »Wir müssen uns beeilen, sonst war alles umsonst!« Kornelius nickte und spähte vorsichtig über eine Felskante zu dem Platz hinüber, auf dem ihre Gegner sich aufhielten. Sorg fältig suchte er mit den Augen die Gegend ab. Sie brauchten ein gutes Versteck. Diese Kerle würden sich nicht auf die Anwendung von Paralysatoren beschränken. Außerdem waren die Männer zu weit voneinander ent fernt, als daß man sie mit zwei Schüssen überwältigen konnte, selbst wenn man die Streuwirkung der lähmenden Strahlen be rücksichtigte. Eben hatte er eine Stelle entdeckt, die vielversprechend aussah, da stieß Getray ihn an. Er drehte sich hastig um und starrte ver blüfft das Wesen an, das wie aus dem Nichts unten in der Felsrinne aufgetaucht war. »Was ist das?« flüsterte Getray. »Ist es gefährlich?« »Dem Aussehen nach, ja«, gab Kornelius nüchtern zurück. »Es hat uns bemerkt. Kom men Sie, wir gehen diesem Biest besser aus dem Weg.« Sie konnten hier, in unmittelbarer Nähe der Höhle, die Waffen nicht einsetzen, denn in dieser Stille mußte man jeden Schuß mei lenweit hören. Und das Tier sah wirklich ge fährlich aus. Es hatte mindestens zehn Bei-
29 ne, eine schuppige Haut, deren Färbung ständig wechselte, gelbe Stielaugen und sechs zangenförmige Greiforgane, die auf robusten Armen saßen. Die größte dieser Scheren konnte mühelos den Körper eines Arkoniden umfassen. Sie krochen rückwärts aus der Felsnische. Zum Glück bewegte das Tier sich langsam und vorsichtig. Es hielt die Scheren über dem Körper zusammengefaltet, um nicht ge gen die Felsen zu stoßen, und es knickte sei ne Beine so geschickt ein, daß kein Teil sei nes Körpers über die Kante der Rinne hin ausragte. Gespenstisch wirkte die Lautlosig keit, mit der dieses Ungeheuer sich voran schob. Sie erreichten einen schrägen Hang, auf dem die Männer von der Höhle sie nicht se hen konnten. Jetzt konnten sie sich aufrich ten und das bedeutete, daß sie schneller vor an kamen. Allerdings mußten sie bei jedem Schritt aufpassen, um keinen der losen Stei ne nach unten zu befördern. Kornelius warf einen Blick nach hinten. Von dem Tier war nichts zu sehen. Er hoffte, daß das Biest die Jagd aufgeben würde, wenn es seine Beute aus den Augen verlor. Aber als er sich wie der umsah, bog das Tier gerade um die Ecke. Einen Augenblick blieb es stehen, dann kam es zielstrebig näher. Und es wurde ebenfalls schneller. »Los!« zischte Kornelius. »Da hinüber!« Sie mußten diese Geröllfläche verlassen. Der Arkonide hatte ein Stück weiter rechts festen Boden entdeckt. Das Tier machte die Richtungsänderung mit. Den beiden Arkoni den blieb nichts weiter übrig, als das Biest hinter sich herzulocken, bis sie weit genug von Hesthan und seinen Freunden entfernt waren, um ihre Waffen einzusetzen. Sie er reichten das Felsband. Das Tier war nur noch etwa zwanzig Meter von ihnen ent fernt. Seine Scheren klapperten leise. Der von der Natur geschaffene Weg ga belte sich. Getray schlug unwillkürlich den Weg nach oben ein, aber Kornelius zerrte sie zur anderen Seite. Er hatte die starke Stei gung gesehen, die es weiter oben gab. Sie
30 wußten nicht, wie gut dieses Tier klettern konnte, aber mit großer Wahrscheinlichkeit war es geschickter als die Arkoniden. Sie rannten bergab, um ein paar Kurven und über eine natürliche Brücke, die ein Wildbach aus dem Gestein gefressen hatte. Das Tier rannte scherenklappernd hinter ih nen her, aber es gelang ihnen, den Abstand zu halten. Und dann sahen sie die seltsamen Felsen vor sich, schlanke Nadeln, figuren ähnliche Gebilde, Kuppeln, unregelmäßig geformte Tore, aufrecht stehende Steinplat ten mit Löchern darin. »Du läufst nach rechts!« stieß Kornelius hervor. »Wir teilen uns!« Während er auf den erstbesten Felsen auf der linken Seite zu rannte, überlegte er, ob die Entfernung jetzt reichte. Er war sich nicht sicher, aber er wußte auch, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Er selbst war durchtrainiert und an Strapazen gewöhnt, aber wie war es mit Getray? Bis jetzt hielt sie sich gut. Kornelius hatte Glück. Der Felsen, den er sich ausgesucht hatte, besaß ein Loch. Er sah hindurch und stellte zufrieden fest, daß die Bestie ihn für die lohnendere Beute hielt. Hoffentlich gelang es ihm, sie noch ein Stück hinter sich herzulocken. Das Tier schien sich in erster Linie auf seinen Geruchssinn zu verlassen. Es konnte unmöglich gesehen haben, wie Kornelius das Versteck wechselte, aber es folgte ihm unbeirrbar. Er lief in einem wilden Zick zackkurs von einem Felsen zum nächsten, bis er annahm, daß man vor der Höhle von einem Schuß nun wirklich nichts mehr ver nehmen würde. Er entdeckte einen weiteren durchlöcherten Felsen, umrundete ihn halb und steckte den Lauf der Waffe durch eines der Löcher. Das Tier lief direkt in den Strahl hinein. Das Biest mußte einen Panzer haben, der in der Festigkeit fast an Arkonstahl heran reichte. Der glutheiße Impulsstrahl vernich tete zwar die Stielaugen und die kleineren Scheren der Bestie, aber die erwartete tödli che Wirkung blieb aus. Blind und rasend vor
Marianne Sydow Schmerz stürmte es vorwärts, genau auf den Felsen zu. Dem Arkoniden blieb gerade noch genug Zeit, sich herumzuwerfen und zurückzuspringen, dann gab es einen schmetternden Knall, dem ein unheilvolles Knistern folgte. Kornelius sah, wie die Kan te der Felsplatte sich bewegte. Er rannte um sein Leben. Die tonnenschwere Felsplatte krachte zu Boden. Kornelius war von ihrem Rand höchstens drei Meter entfernt. Steine pfiffen an ihm vorbei, und etwas traf seine rechte Schulter. Fast hätte er die Waffe fallen las sen, so scharf war der Schmerz, der ihn durchzuckte. Hinter sich hörte er das Krat zen und Schaben, mit dem die Füße des un bekannten Tieres über den Boden fuhren. Er rannte mit aller Kraft vorwärts, auf den nächsten Felsen zu. Auch wenn das Biest noch so stark war, es konnte doch unmög lich diesen ganzen Felsengarten zertrüm mern! Im selben Augenblick, in dem er den Fel sen erreichte, hörte Kornelius das Fauchen eines Schusses. Er sah zur Seite und ent deckte Getray, die völlig ungedeckt dastand und auf das Tier schoß. Blitzschnell wirbelte er herum, nahm die Waffe in die linke Hand und feuerte ebenfalls. Es schien, als würde das Biest auch diesen Angriff verdauen. Es hielt zwar an, aber es stand immer noch fest und sicher auf seinen Beinen. Erst nach einigen Sekunden begann es zu schwanken, und während es auf den Boden krachte, streckte es mit einem krampfartigen Ruck alle Gliedmaßen von sich. Kornelius sah zwar die stumpfe Kante der einen Schere auf sich zukommen, aber er konnte nicht mehr ausweichen. In seinem Kopf gab es einen dumpfen Knall, und dann kam die Finsternis.
* »Wie geht es dir?« fragte Getray ängst lich, als er wieder zu sich kam. Kornelius zwang sich zu einem Lächeln. »Halb so schlimm«, murmelte er und
Der Maahkfinder und die Meuterer richtete sich vorsichtig auf. Er lag im Schat ten, ein Stück von der toten Bestie entfernt. »Das war knapp.« »Ich hatte solche Angst«, gestand die Ar konidin. »Als das Biest dich erwischte, dachte ich, es ist alles aus.« Gemeinsam bestandene Gefahren haben manchmal auch eine positive Seite. Das stei fe »Sie« war vergessen. »Kannst du aufstehen?« »Das kommt auf einen Versuch an«, ächzte Kornelius und biß die Zähne zusam men. Der rechte Arm war fast gefühllos, und in der Schulter pochte der Schmerz. Bei je der Bewegung tanzten feurige Punkte vor seinen Augen, und die Felsen begannen um ihn zu kreisen. Abgesehen davon hatte er ei ne stattliche Anzahl von Prellungen davon getragen, als er auf den harten Boden stürz te. »Soll ich nicht lieber versuchen, den Glei ter zu holen?« fragte Getray besorgt. »Immer mit der Ruhe«, murmelte er. »Das wird schon noch. Sieh mal nach, was mit meiner rechten Schulter passiert ist.« Er rückte ein Stück von dem Felsen ab, an den er sich gelehnt hatte. »Hast du ein Messer bei dir?« fragte sie leise. »In der Tasche hier vorne. Da findest du auch das Wundspray.« »Ein Glück, daß du welches bei dir hast.« »Flottenvorschrift«, erklärte Kornelius kurz und zuckte zusammen, als Getray den Stoff der Jacke und der Uniformbluse aus einanderzog. Er hörte das scharfe Zischen. Fast augenblicklich ließen die Schmerzen nach. »Schade, daß es so etwas nicht auch für meinen Kopf gibt«, versuchte er zu scherzen, als die Arkonidin fertig war. »Im Gleiter sind Medikamente«, sagte sie. »Hoffentlich hältst du durch, bis wir dort sind.« Die Schatten waren sehr lang geworden. Zwischen den seltsamen Felsfiguren war es stellenweise schon fast dunkel. Kornelius dachte an den Weg, der vor ihnen lag, und stemmte sich vorsichtig in die Höhe.
31 »Gehen wir«, sagte er. »Sonst sitzen wir hier in der Dunkelheit fest. Vielleicht gei stern noch ein paar Familienmitglieder von diesem Biest in der Gegend herum.« Getray wurde sich erst jetzt dieser Gefahr bewußt. Erschrocken sah sie sich nach allen Seiten um. Sie konnte keines der Tiere ent decken, aber auch sie hatte es jetzt eilig, die ses unübersichtliche Gebiet zu verlassen. Und dann merkte sie, daß sie einen wichti gen Punkt vergessen hatte. »In welche Richtung müssen wir über haupt gehen?« »Ich habe zwar eine Menge Haken ge schlagen«, überlegte Kornelius, »aber im Ganzen gesehen bin ich ziemlich genau ge radeaus gelaufen. Dort ist die Platte, die un ser kleiner Freund niedergewalzt hat. Also muß es dort auch nach draußen gehen.« Sie marschierten los. Kornelius schlug ein ziemlich scharfes Tempo an, denn auch er hatte die unbestimmte Ahnung, daß es bes ser war, sehr schnell aus dieser Gegend zu verschwinden. Getray warf ihm besorgte Blicke zu, und er biß die Zähne zusammen. Sie brauchte nicht zu merken, wie schwer ihm jeder einzelne Schritt fiel. Sie brauchten fast eine Stunde, um das Gewirr der seltsamen Steine zu verlassen, denn ein paarmal kamen sie von der Rich tung ab, mußten sich mühsam an der Form der Steine orientieren und zurückarbeiten, während es immer dunkler wurde. Als sie endlich draußen waren und das Rauschen des Baches hörten, hätte Getray von Helonk sich am liebsten vor Erleichterung auf den Boden gesetzt und geheult. Aber auch sie riß sich zusammen. Sie überquerten den Bach und betraten den Pfad, der nach oben führte. Als sie die Geröllhalde erreichten, taumelte Kornelius plötzlich und wäre hingefallen, wenn Getray ihn nicht rechtzeitig festgehal ten hätte. »Wir legen eine kurze Pause ein«, ent schied sie. »Komm, setz dich dahin.« Er sah ein, daß sie Recht hatte. Sobald sie die Geröllhalde betreten hatten, mußten sie doppelt vorsichtig sein, wenn sie Hesthan
32 und seinen Leuten nicht direkt vor die Waf fen laufen wollten. »Wir dürfen uns doch unter diesen Um ständen nicht auf einen Kampf einlassen«, sagte Getray erschrocken. Sie hatte beinahe vergessen, warum sie in dieser unwirtlichen Gegend herumliefen. »Dein Arm …« »Jetzt paß mal auf«, knurrte Kornelius är gerlich. »Wenn du glaubst, daß ich das alles mitgemacht habe, um hinterher still und heimlich davonzulaufen, dann irrst du dich. Wir werden Plutonz herausholen – wenn er noch lebt. Und um das festzustellen, müssen wir diese Verrückten ausschalten, die den halben Berg in die Luft jagen wollen. Etwas anderes bleibt uns auch gar nicht übrig, weil ich nämlich diese Verletzung habe. Ich kann damit nicht etliche hundert Meter durch die se Felsenrinne kriechen. Davon abgesehen haben wir den Vorteil, daß es jetzt dunkel ist. Wie ich diesen Hesthan einschätze, herrscht am Eingang zum Labyrinth regel rechte Festbeleuchtung. Wenn wir aus der Dunkelheit heraus angreifen, haben wir eine gute Chance.« Getray gab sich geschlagen. Nach einer kurzen Pause gingen sie wei ter. Es wurde von Meter zu Meter schwieri ger. Erst als sie die Nische erreichten, von der aus sie das seltsame Tier zum erstenmal gesehen hatten, drang von unten ein schwa cher Lichtschimmer zu ihnen vor. »Na also!« flüsterte Kornelius zufrieden. Er ließ sich auf den kalten Boden sinken und wartete, bis sein Atem wieder ruhig ging. Getray kroch inzwischen bis an den Rand der Aushöhlung. Wenn sie sich etwas vor beugte, konnte sie den Platz vor dem Laby rinth zum größten Teil überblicken. Korneli us hatte sich nicht geirrt. Mehrere grelle Scheinwerfer tauchten das Gelände in helles Licht. Sie sah die Männer, die sich hastig hin und her bewegten, Dinge zum Eingang schleppten und Ausrüstungsgegenstände zum Gleiter transportierten. Im ersten Au genblick begriff sie nichts, dann wurde ihr schlagartig klar, was da unten vor sich ging. »Schnell!« flüsterte sie dem Arkoniden
Marianne Sydow zu. »Ich glaube, die Kerle sind fast fertig. Wenn wir uns nicht beeilen, fliegen wir mit in die Luft!« Kornelius kam nach vorne. »Gut«, murmelte er, nachdem er die Si tuation überprüft hatte. »Es sind alle sieben Männer draußen. Die zwei am Höhlenein gang gehören dir. Ich übernehme die, die beim Gleiter herumlaufen. Einverstanden?« Sie nickte. Ein paar Sekunden vergingen, dann be fanden sich die Männer auf der Felsplatte in den günstigsten Stellungen. Kornelius gab das Zeichen. Die Strahler fauchten los. Getray hatte schnell und einigermaßen ge nau gezielt. Ihr erstes Opfer brach lautlos zusammen. Der zweite Mann hörte wohl den Aufprall des Körpers, wollte herumwirbeln, wurde dann aber ebenfalls getroffen. Obwohl Kornelius den rechten Arm im mer noch nicht benutzen konnte, hatte er es einfacher, denn seine Waffe hatte eine be deutend größere Reichweite, und darum konnte er den Paralysestrahl weit gefächert auf die Reise schicken. Vier Männer gingen sofort zu Boden, den fünften erwischte es, als er gerade hinter den Gleiter in Deckung hechten wollte. Getray schüttelte fassungslos den Kopf. »So einfach habe ich es mir nicht vorge stellt«, gab sie zu. Kornelius grinste verzerrt. »Glück muß man haben«, kommentierte er. Mit viel Mühe bewältigten sie den Weg hinunter zur Felsplatte. Kornelius humpelte auf die herumliegenden Männer zu und wollte sich überzeugen, daß auch wirklich alles in Ordnung war, aber Getray hielt ihn zurück. »Für dich ist jetzt erstmal Sendepause!« sagte sie energisch. »Komm, ich helfe dir in den Gleiter. Sieh zu, daß du wenigstens wie der einen klaren Kopf bekommst!« »Na hör mal!« protestierte er, aber dann bekam er einen Schwindelanfall, der ihn zum Schweigen brachte. Getray untersuchte die Fächer, brachte eine Medobox und eine
Der Maahkfinder und die Meuterer Flasche mit Fruchtsaft herbei und stellte al les auf dem zweiten Sitz ab. »Kümmere dich erst um diese Kerle und Plutonz«, murmelte Kornelius halb benom men, als sie Anstalten traf, ihn mit Medika menten zu versorgen. Sie hörte gar nicht hin, sondern suchte die richtigen Mittel heraus, goß den Saft in einen Becher und paßte auf, daß er die Tabletten auch wirklich schluckte. Männer wie Kornelius waren ihrer Erfah rung nach kaum bereit, jemals eine Schwä che einzugestehen, und um Medikamente al ler Art schlugen sie einen weiten Bogen – bis sie eines Tages gründlich auf die Nase fielen. Dann allerdings waren sie hilflos wie Kinder. Anschließend untersuchte sie Hesthan und die anderen. Es bestand keine Gefahr, daß diese Männer innerhalb der nächsten vier Stunden zu sich kommen würden. Sie nahm eines der Armbandfunkgeräte an sich und drückte auf die Sendetaste. »Plutonz!« sagte sie in das Mikrophon. »Hier spricht Getray. Bitte melde dich!« Einige Sekunden vergingen. Dann knack te es im Lautsprecher, und sie hörte keu chende Atemzüge. »Sie sind ein Narr, Hesthan!« schrie die Stimme des Maahkfinders. »Bringen Sie die Frau in die Stadt zurück, oder ich bringe Ih re Leute doch noch um! Sie ist keine Maahkfinderin, sondern eine Arkonidin. Wenn Sie ihr etwas antun, wird man Sie und Ihre Leute zum Tode verurteilen!« »Du regst dich umsonst auf«, antwortete Getray. »Ich bin nicht Hesthans Gefangene. Ganz im Gegenteil. Ich habe in der Stadt je manden gefunden, der mir hilft. Wir haben die Bande vollzählig erwischt – bis auf die, die offensichtlich bei dir im Labyrinth stecken.« Plutonz schwieg eine Weile. »Gut«, sagte er dann gedehnt. »Ich will versuchen, das zu glauben. Falls aber Hest han neben dir stehen sollte und das Ganze eine Falle ist, wird es ihn diesmal auch erwi schen. Sag ihm das!« »Von mir aus, gerne. Aber da er paraly
33 siert ist, wird er mir nicht antworten kön nen.« Sie erhielt keine Antwort. Weil sie nicht wußte, wieviel Zeit Plutonz brauchen würde, um das Labyrinth zu ver lassen, ging sie zum Gleiter zurück. Korneli us war eingeschlafen. Sie war froh darüber, denn so konnten die Medikamente voll zur Wirkung kommen. Sie stellte den Sitz zu rück und breitete eine Decke über dem Ar koniden aus. Dann setzte sie sich direkt vor dem großen, schwarzen Tor auf einen Stein. Fünf Minuten später trat Plutonz in die Hel ligkeit hinaus. »Ich konnte es einfach nicht glauben«, sagte er leise. Getray nickte nur. »Hilf mir mal«, bat sie, »dann kommen wir schneller von hier weg.« Plutonz hätte allen Grund gehabt, sich an seinen Jägern zu rächen. Dennoch beteiligte er sich an dem, was Getray selbst diesen Männern gegenüber für ihre Pflicht hielt. Zweifellos war die Paralyse eine der hum ansten Verteidigungsformen, aber auch da bei gab es Risikofaktoren. Mit Hilfe von Steinen, die die inzwischen versteiften Kör per im Rücken abstützten, lagerten sie die Arkoniden so, daß sie auf der linken Seite lagen. Das entlastete den Kreislauf. Außer dem hatte es schon Fälle gegeben, in denen Leute an ihrer eigenen Zunge erstickt waren, weil diese zwar die typische Starre verloren hatte, die zur Kontrolle notwendigen Ner venbahnen aber noch nicht aktiviert waren. In der Medobox fanden sich Streifen aus ei nem speziellen Präparat, die über die Augen gelegt wurden. Das verhinderte eine Aus trocknung der Hornhaut, die unter Umstän den eine Erblindung verursachte, weil ja auch das Blinzeln durch die Starre verhin dert wurde. Nachdem die sieben Männer versorgt wa ren, schrieb Getray eine kurze Nachricht für Hesthan. Sie teilte ihm darin mit, daß Plu tonz befreit worden war. Den Gleiter der Gruppe nehme sie aus Sicherheitsgründen mit.
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Marianne Sydow
Dann endlich starteten sie, hielten kurz vor dem Versteck jenes Gleiters an, mit dem Getray und Kornelius gekommen waren, und Plutonz wechselte in dieses Fahrzeug hinüber. Als sie die Stadt erreichten, ging die Son ne gerade auf, und Kornelius rieb sich gäh nend die Augen. »Sind wir schon da?« fragte er erstaunt. »Dann nichts wie ab zum Raumhafen. Die BEMORC wartet!«
6. Die BEMORC wartete tatsächlich noch immer auf ihren Kommandanten. Nur die Zusammensetzung der Mannschaft hatte sich inzwischen etwas verändert. Und das war fatal. Kurz nach dem Start der anderen beiden Schiffe war ein Mann, der am Rand des Raumhafens in einem unauffälligen Büro saß, von einem wahren Geistesblitz getrof fen worden. Kelthos kannte natürlich die Gerüchte, die man sich in der Stadt erzählte. Das gehörte zu seinem Geschäft. Er hätte auch nichts da gegen einzuwenden gehabt, wenn ihm einer der verräterischen Kommandanten über den Weg gelaufen wäre. Arkon I war zwar weit entfernt, aber die Nervosität des Imperators war wie ein Virus, das sich rasend schnell über das Imperium verbreitete und alle die ansteckte, deren finanzielles Wohlbefinden durchaus von Orbanaschol abhängig war. Kelthos gehörte nicht direkt zu diesem Per sonenkreis, aber wenn er dazu beitrug, daß ein Unsicherheitsfaktor ausgeschaltet wurde, durfte er mit einer fetten Prämie rechnen. Kelthos brauchte dringend Geld – das war bei ihm ein geradezu chronischer Zustand. Versank mochte eine nicht sehr fortschrittli che Welt sein, aber es gab auch hier allerlei Möglichkeiten, um sein Konto zu strapazie ren. Kelthos kostete alles aus, was sich ihm auf diesem Gebiet bot, und leider hatte er bei Glücksspielen und Wetten wenig Glück. Er hatte die Füße auf seinen Arbeitstisch
gelegt, starrte zum Fenster hinüber und überlegte angestrengt, wie er dem drohenden Ruin noch einmal entwischen konnte. In we nigen Tagen wurden ein paar Wechsel fällig, und er hatte immer noch keine Ahnung, wo her er das Geld nehmen sollte. Beiläufig be obachtete er den Start von zwei Kampfrau mern der Fünfhundert-Meter-Klasse. Erst nach geraumer Zeit fiel ihm auf, daß diese beiden Schiffe zur BEMORC gehörten. Et was irritiert stellte er fest, daß das Flagg schiff des kleinen Verbandes noch auf dem Landefeld stand. Und das war der Augen blick, in dem er den ersten Verdacht schöpf te. Er hätte natürlich seine Vorgesetzten ver ständigen müssen, aber darauf verzichtete er lieber. Wenn es wirklich eine Prämie gab, wollte er sie mit niemandem teilen. Er rief beim Hafenmeister an. »Warum ist die BEMORC nicht gestar tet?« wollte er wissen. »Technische Schwierigkeiten«, knurrte ein offensichtlich total überarbeiteter Mann mit dunklen Ringen unter den Augen. »Aha«, machte Kelthos. »Ist ein Repara turkommando an Bord gegangen?« »Weiß ich nicht. Gehört nicht zu meiner Arbeit.« »Aber den Namen des Kommandanten können Sie mir sicher verraten?« Der Mann verschwand für einen Augen blick vom Bildschirm. »Der Kommandant heißt Kornelius. Ein facher Sonnenträger«, teilte er dann mit. »Namen gibt es!« sagte Kelthos verwun dert. »Kennen Sie den Mann?« »Nein.« »Vielen Dank für Ihre freundliche Aus kunft«, sagte Kelthos betont höflich. Der an dere brummte ein paar unfreundliche Be merkungen und unterbrach die Verbindung. Kelthos ließ sich nun mit der BEMORC verbinden und erwischte einen noch sehr jungen, nervösen Offizier. »Ich hörte, daß Sie Schwierigkeiten ha ben«, sagte Kelthos forsch. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Mein Name ist Kelthos,
Der Maahkfinder und die Meuterer ich vertrete die BLIREZE.« »Was ist denn das?« fragte der Offizier verdattert. »Blitz-Reparatur-Zentrale«, übersetzte Kelthos bereitwillig. »Ein privates Unter nehmen. Wir arbeiten aber auch mit der Flottenleitung zusammen. Sie verstehen – in Sonderfällen können wir dafür sorgen, daß ein Schaden schneller beseitigt wird, als es auf dem sonst üblichen Weg geschieht.« »Wir brauchen keine Hilfe!« lehnte der Offizier das Angebot ab. »Mit den hier vor liegenden Arbeiten werden wir aus eigener Kraft fertig.« Kelthos nickte nachdenklich. »Vielleicht«, murmelte er. »Aber die BLI REZE ist sehr vielseitig. Wäre es möglich, daß Sie mich mit ihrem Kommandanten ver binden?« »Augenblick bitte.« Auf dem Bildschirm erschien das Warte zeichen, dann ein anderes, älteres Gesicht. »Sie wünschen?« »Sind Sie der Kommandant?« »Sonnenträger Kornelius befindet sich in einer wichtigen, militärischen Besprechung. Für die Dauer seiner Abwesenheit hat er mich als seinen Stellvertreter eingesetzt. Sie können also unbesorgt sein und mir ihr An liegen mitteilen.« »Hm«, machte Kelthos. »Es ist eine – nun ja, vertrauliche Angelegenheit. Ich möchte doch lieber mit dem Kommandanten persön lich sprechen.« »Darf ich ihm etwas ausrichten?« fragte der andere höflich. »Oder kann unser Kom mandant Sie nach der Besprechung anru fen?« »Nein, danke«, sagte Kelthos rasch. »Ich melde mich selbst wieder.« Nachdenklich starrte er auf den Bild schirm. Merkwürdig dachte er. Eine militärische Besprechung – jetzt, nachdem die beiden an deren Schiffe des Verbands bereits unter wegs sind? Da stimmt doch etwas nicht. Es war sinnlos, die Kontrollposten an den Ha fenzugängen anzurufen. Dort wurde zwar
35 überprüft, ob jemand berechtigt war, in Richtung Landefeld weiterzugehen, aber es wurden keine Namen registriert. Um die Leute, die in die Stadt wollten, kümmerte man sich überhaupt nicht. Man war hier nicht auf einer der Arkonwelten. Kornelius konnte also kommen und ge hen, wie es ihm paßte. Kelthos hatte den un bestimmten Eindruck, als sei der Komman dant zur Zeit keineswegs in einer Bespre chung – jedenfalls nicht in einer, die an Bord der BEMORC abgehalten wurde. Er sah aber auch keine Möglichkeit, das zu be weisen. Selbst wenn ihm dieses Kunststück gelang, hatte er damit noch lange nicht her ausgefunden, ob Kornelius zu den Verrätern gehörte. Unter normalen Bedingungen hätte Kelt hos die BEMORC und ihren Kommandan ten aus seinem Bewußtsein verbannt und seinen unterbrochenen Büroschlaf wieder aufgenommen. Aber wie gesagt – er brauch te Geld. Kelthos war nur ein einfacher Agent des planetarischen Geheimdiensts, und man hät te ihn zweifellos längst noch tiefer einge stuft, wären ihm nicht ab und zu einige spektakuläre Erfolge in den Schoß gefallen. Diese Erfolge verdankte er weder seinem kriminalistischen Spürsinn, noch fleißigen Nachforschungen, sondern einzig und allein der Tatsache, daß er leicht zu bestechen war. Es gab eine ganze Anzahl von Waren, die man unmöglich auf offiziellen Wegen ein führen durfte. Waren derartige Dinge im Anrollen, so erhielt Kelthos einen kurzen Anruf. Er erfuhr den Namen des Schiffes und den des Kommandanten, und dann stie felte er los. Die entsprechenden Kisten, Säcke und sonstigen Behälter erhielten einen Aufdruck, durch die sie zum Eigentum des Geheimdiensts gehörten. So wanderten sie in gesonderte Lagerabteile, aus denen sie unter Kelthos' Kommando in Privatgleiter verladen wurden. Es war überhaupt nicht gefährlich, denn im herrschenden Durcheinander war eine lückenlose Kontrolle aller Lagerlisten völlig
36 unmöglich. Ein bis zwei Tage nach einer solchen Aktion gewann Kelthos dann über raschend doch irgendeine Wette und ließ sich das Geld auf sein Konto überweisen. Diese Beziehungen hatte er schon oft und gerne ausgenutzt. Er würde es auch diesmal tun. Er sprach eine kurze Nachricht in den Au tomaten, nahm seinen purpurfarbenen Um hang vom Haken, zog die hohen, knallgel ben Stiefel an und verließ sein Büro. Er fuhr auf verschiedenen Rollstraßen eine Weile kreuz und quer durch die Stadt und achtete dabei auf die Leute in seiner Umgebung. Als er sicher war, daß niemand ihm folgte oder ihn beobachtete, betrat er eine Videozelle. Systematisch rief er einen »Kunden« nach dem anderen an, gab seine Wünsche bekannt und nannte den Ort, an dem er in etwa zwei Stunden erreichbar sein würde. Anschlie ßend besuchte er ein Automatenlokal, ließ sich dort eine sehr umfangreiche Mahlzeit servieren und kehrte eineinhalb Stunden später auf die Straße zurück. Er fuhr quer durch die Stadt, benutzte dabei zahlreiche Nebenstrecken und betrat endlich ein Haus in einer sehr verrufenen Straße. Im dritten Stockwerk hatte er unter falschem Namen eine Zweitwohnung gemietet – diese Quar tiere wechselte er regelmäßig, denn er war ein vorsichtiger Mann. Er brauchte nicht lange zu warten. Wenig später kam der erste Anruf, und dann ging es Schlag auf Schlag weiter. Zuerst war er ent täuscht, denn niemand schien etwas über Kornelius zu wissen. Aber dann erhielt er ei ne Nachricht, die ihn fast vom Stuhl riß. Jemand hatte den Sonnenträger gesehen – und zwar ausgerechnet im Treffpunkt am Raumhafen, in dem sich nur selten Offiziere blicken ließen, von Sonnenträgern ganz zu schweigen. Aber es kam noch besser. Der Beobachter, der großen Wert darauf legte, anonym zu bleiben, hatte gesehen, wie eine junge, sehr attraktive Frau einen Maahkfin der verteidigt hatte, mit dem sie später den Treffpunkt verließ. Kornelius hatte später mit dieser Frau Kontakt aufgenommen. Den
Marianne Sydow Maahkfinder hatte man geschnappt, offen sichtlich in der Absicht, ihm irgendwo au ßerhalb der Stadt den Garaus zu machen. Und unmittelbar nach dieser Entführung hat te Kornelius den Start der beiden Begleit schiffe befohlen, die BEMORC jedoch zu rückgehalten. Er war mit der jungen Frau im Gleiter davongeflogen, und es schien, als hätten die beiden die Absicht, dem Maahkfinder zu helfen. Kelthos rieb sich zufrieden die Hände. Er wußte zwar immer noch nicht, wie Korneli us zu den Verrätern innerhalb der Flotte stand, aber sein Verhalten grenzte auch so schon an Hochverrat. Fest stand, daß er ein Großkampfschiff aus privaten Gründen länger als notwendig dem Einsatz an der Front entzog. Bei den derzeitigen Verhältnissen reichte das aus, um ihn zum Tode zu verurteilen. Kelthos war sehr zuversichtlich, als er zu seinem Bü ro zurückkehrte. Jetzt hatte er die Gewißheit, daß der Sonnenträger sich außerhalb des Ha fengeländes aufhielt. Bei seiner Rückkehr konnte er ihn erwischen und aushorchen. Er fuhr er dabei etwas über die angebliche Meuterei – umso besser. Wenn nicht, fiel die Prämie kleiner aus, aber das war besser als gar nichts. Er hatte kaum die Tür geöffnet, da melde te sich der Automat mit einem aufdringli chen Summen. Kelthos drückte auf eine Ta ste und ließ sich die gespeicherten Anrufe vorspielen. Er bekam einen gewaltigen Schrecken, als er die Stimme seines obersten Chefs vernahm. »Bitte schnellstens zurückrufen.« Hatte er etwas übersehen? Oder war ihm doch jemand auf die Schliche gekommen? Mit zitternden Fingern betätigte er den Wählautomaten. »Sie haben mich rufen lassen«, murmelte er unterwürfig. »Wo haben Sie die ganze Zeit gesteckt?« fragte Renquor wütend. Kelthos wollte sich in wortreiche Entschuldigungen stürzen, aber der Mann auf dem Bildschirm winkte wütend ab. »Sparen Sie sich das Gewäsch!
Der Maahkfinder und die Meuterer Vor fast vier Stunden sind zwei Kampfschif fe in Richtung Front gestartet. Über die Re laiskette haben wir erfahren, daß beide Schiffe nach der dritten Transition spurlos verschwanden. Es scheint festzustehen, daß sie in Richtung Arkon abgedreht haben. Die Schiffe gehören zum Verband des Sonnen trägers Kornelius. Das Flaggschiff, die BE MORC, hat Versank noch nicht verlassen. Es besteht der Verdacht, daß Kornelius über die Pläne der beiden anderen Kommandan ten informiert ist. Entweder hat er ebenfalls die Absicht, die ausgegebenen Befehle zu mißachten, oder er hat sich von seinen Leu ten distanziert. Möglicherweise will er ihnen auch nur Zeit lassen, damit sie ihren Fehler einsehen. Auf jeden Fall gehen Sie jetzt so fort zur BEMORC und stellen die Angele genheit klar. Haben Sie verstanden?« »Aber …«, begann Kelthos und klappte den Mund hastig wieder zu. »Was ist denn noch?« fauchte Renquor ungeduldig. »Nichts«, erwiderte Kelthos hastig. »Wirklich gar nichts!« Er konnte ja nichts von seinen eigenen Nachforschungen erzählen, ohne dadurch Verdacht zu erregen. Wenn er jetzt sagte, daß Kornelius nicht an Bord war, würde Renquor fragen, woher er diese Information hatte. Kelthos war im Augenblick außerstan de, sich eine vernünftige Ausrede auszuden ken. Renquor gönnte Kelthos noch einen dü steren Blick, dann schaltete er ab. Kelthos seufzte, überprüfte vorsichtshal ber seinen Strahler und machte sich auf den Weg.
* In der Bodenschleuse traf er ausgerechnet jenen jungen Offizier, mit dem er vorher als angeblicher Vertreter der BLIREZE verhan delt hatte. Der junge Mann erkannte das fei ste Mondgesicht mit den viel zu kleinen Au gen und der roten Nase auf Anhieb wieder. »Bevor Sie mich hinauswerfen, sollten
37 Sie sich das hier ansehen«, sagte Kelthos ha stig und hielt ihm seinen Dienstausweis un ter die Nase. Der junge Offizier schluckte. »Was wollen Sie?« fragte er dann. »Es gibt da ein kleines Rätsel«, sagte Kelthos lässig und kam sich sehr geschickt vor. »Ihre beiden Begleitschiffe sind bereits gestartet, nicht wahr?« Der Offizier nickte. »Zur Front?« »Natürlich.« Kelthos lächelte strahlend. »Sie sind dort nicht eingetroffen!« ver kündete er. Der Offizier wurde etwas grün um die Nase. Er sah sich hilfesuchend um, aber nur das übliche Schleusenpersonal befand sich in der Nähe. »Die Maahks …«, stotterte er. Kelthos schüttelte sanft den Kopf, und der Junge ver stummte. »Beide Schiffe befanden sich im Bereich der Relaiskette. Einen Walzenraumer hätte man geortet, von einem Angriff ganz zu schweigen. Nein, die beiden Schiffe haben nach der vierten Transition den vorgeschrie benen Kurs verlassen – allem Anschein nach in Richtung Arkon. Haben Sie eine Erklä rung dafür?« Das hatte der Junge in der Tat. Er war auch gar nicht so nervös und unsicher, wie Kelthos geglaubt hatte. Der Agent hatte das letzte Wort kaum gesprochen, da zischte ein Paralysator auf. Während Kelthos zusam menbrach, starrte er entgeistert den jungen Mann an, der die Waffe zurücksteckte und der Schleusenwache winkte. »Schafft den Burschen weg!« befahl er. »Und sperrt ihn irgendwo ein, wo er keinen Unsinn anstellen kann.« Sekunden später befand sich die Besat zung der BEMORC im Alarmzustand. Drau ßen merkte man davon nichts. Die Schleu senwachen standen scheinbar gleichmütig herum. Aber mit einem einzigen unauffälli gen Zeichen konnten sie die schwerbewaff neten Leute herbeiholen, die sich weiter hin
38 ten verborgen hielten. In der Zentrale fand eine erregte Debatte statt. »Du bist ein Idiot!« behauptete Isma, der Erste Offizier der BEMORC. »Warum hast du diesen Schwachkopf nicht heraufge bracht? Wir hätten ihm ein wunderschönes Märchen erzählt, und damit fertig. Jetzt ha ben wir die Meute auf dem Hals. Wenn der Agent sich nicht zurückmeldet, werden sie schwereres Geschütz gegen uns auffahren! Und Kornelius hat sich noch nicht gemel det!« Der junge Offizier bekam einen roten Kopf. »Ich kannte den Mann«, sagte er. »Er hat vor ungefähr drei Stunden versucht, unseren Kommandanten zu erreichen. Damals gab er sich als Agent einer privaten Reparaturwerk statt mit weitreichenden Beziehungen aus. Er ließ sich nicht abwimmeln. Ich gab ihn an Battra weiter.« Battra, der stellvertretende Kommandant, nickte bedächtig. »Ich glaube, Kerhus hat das einzig Richti ge getan«, sagte er. »Der Kerl war sehr hart näckig. Er muß schon vorher Verdacht ge schöpft haben. Ist euch klar, was das bedeu tet?« »Vor drei Stunden hatte die Kursänderung noch gar nicht stattgefunden«, stieß Isma er schrocken hervor. »Genau. Diesem Mann ging es zu diesem Zeitpunkt noch nicht so sehr um die BE MORC, sondern um Kornelius. Da hätte auch die beste Lügengeschichte nichts genützt.« »Ich sehe immer noch nicht ein, weshalb Kerhus ihn paralysieren mußte«, protestierte der Pilot der BEMORC. »Was haben wir da mit gewonnen?« »Zeit«, sagte Battra ernst. »Und das ist wichtig. Dieser Kelthos weiß zweifellos, daß Kornelius nicht an Bord ist, aber aus irgend einem Grund hat er das für sich behalten. Wir hätten sonst schon früher etwas vom Geheimdienst gehört. Jetzt werden die Vor gesetzten des Agenten erst einmal abwarten,
Marianne Sydow und dadurch gewinnen wir Zeit. Hoffentlich kommt unser Kommandant zurück, ehe man drüben in der Stadt endgültig Verdacht schöpft.« Die anderen gaben sich mit diesen Erklä rungen zufrieden. Sie wußten genau, wie ge fährlich die Situation war. Kornelius hatte sie umfassend informiert – bis auf einige Dinge, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Rolle spielten. Es wäre einfacher und siche rer für ihn gewesen, seinen Leuten ganz kla re Befehle zu erteilen und sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Aber Kornelius wußte, was geschehen würde, wenn das Unterneh men schiefging. Die BEMORC hatte fünf tausend Mann an Bord – Orbanaschol würde sie ausnahmslos hinrichten lassen, ob sie nun über die Meuterei informiert waren oder nicht. Seiner Meinung nach hatten die Leute von der BEMORC ein Recht darauf, zu wis sen, wofür sie ihren Hals riskierten. Und es hatte niemanden gegeben, der sich gegen den Plan entschied. Wenn der Geheimdienst sie zu fassen be kam, würden sie einiges verraten. Der wich tigste Punkt jedoch blieb geheim. Niemand außer Kornelius kannte die Koordinaten des geheimen Treffpunkts. Battra tippte den Schalter der Rundruf an läge an. »Aktion K drei!« hallte sein Befehl bis in die entlegensten Räume des gewaltigen Schiffes. K drei – das hieß »KAYMUURTES, drit te Kategorie«. Lange vor der Landung auf Versank hatten sie verschiedene Stichworte vereinbart. Dem Gegner durften keine ver nehmungsfähigen Opfer in die Hände fallen. Von jetzt an war jeder an Bord darauf ge faßt, seine Kameraden oder sogar sich selbst zu paralysieren, wenn die Situation es erfor derte. Gleichzeitig schaltete Battra die Kon trollen in der Zentrale auf einige wenige Sammelpulte um. Die BEMORC würde im äußersten Notfall den Befehlen eines einzel nen Arkoniden gehorchen. Die program mierten Daten reichten, um das Schiff von Versank zu starten und zu einer Transition
Der Maahkfinder und die Meuterer zu veranlassen. Der Zielpunkt lag in einer so abgelegenen Ecke dieses Raumsektors, daß der Gegner Tage brauchen würde, um das Schiff ausfindig zu machen. Und bis dahin konnte viel geschehen.
* Renquor war ein ziemlich ungeduldiger Mann. Von Kelthos hielt er nicht viel, aber er kannte die Art der Geschäfte, mit deren Hilfe der Agent seine Finanzen aufbesserte. Bis jetzt hatte er darüber hinweggesehen. Im Notfall konnte er sein Wissen dazu benut zen, Kelthos in seine Dienste zu zwingen. Auch – oder gerade – als Chef eines planeta rischen Geheimdiensts durfte man sich sei ner Haut niemals zu sicher sein. Als Kelthos sich nach einer Stunde nicht gemeldet hatte, rief Renquor die Leute an, die er auf dem Hafengelände postiert hatte. Er erfuhr, daß Kelthos sich immer noch an Bord aufhielt. Damit war die Sachlage für ihn völlig klar. Auf der BEMORC hatte man Verdacht geschöpft, und das deutete auf ein schlechtes Gewissen hin. Renquor befand sich auf der richtigen Fährte. Er gab das Zeichen zum Angriff. Eine Minute später starteten drei Trans portgleiter. Sie hielten direkt unter der Pol schleuse, ihre Türen öffneten sich, und ins gesamt neunzig Männer sprangen hinaus. Die Leute hatten genaue Anweisungen er halten. Sie durften nur die Paralysatoren be nutzen, denn Renquor brauchte die Verräter noch, um sie zu verhören. Aber die BEMORC wehrte sich. Sobald die Türen der Transporter sich öff neten, fauchten oben in der Schleuse die Waffen auf. Eine Chance bekamen nur die jenigen, die hinter den Gleitern in Deckung gehen konnten. Von den neunzig Männern blieben dreiundsechzig am Fuß der Rampe liegen. Der Rest verschanzte sich hinter den Fahrzeugen und versuchte, die Schleusen wache durch einzelne, gezielte Schüsse aus zuschalten. Dabei stellte sich heraus, daß man es keineswegs nur mit dieser kleinen
39 Gruppe von Männern zu tun hatte. »Wir kommen nicht durch«, meldete der Anführer des Kommandos. Renquor fluchte lautlos vor sich hin. Die Rebellen schienen seinen Plan durchschaut zu haben. Eines verstand er allerdings nicht: Warum ließen sie sich überhaupt auf einen Kampf ein? An ihrer Stelle hätte er die Schleuse geschlossen und den Start eingelei tet. Die Bodenabwehr dieses Planeten be fand sich in einem erbarmungswürdigen Zu stand, die BEMORC hatte also nichts zu be fürchten. »Ich schicke Verstärkung«, versprach er. Eine Stunde später gelang es seinen Leu ten, die Schleuse zu stürmen. Dabei machten sie eine Beobachtung, die Renquor eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. Einige Besatzungsmitglieder waren noch auf den Beinen, als der Stoßtrupp in der Schleuse erschien. Sie flohen ins Innere des Schiffes, und wenn das nicht mehr möglich war, richteten sie die Paralysatoren auf sich selbst. Renquors Stoßtrupp hatte also eine Art Vakuum erobert. Obwohl Renquor ahnte, daß er sich auf ei ne sehr unbequeme Sache eingelassen hatte, befahl er seinen Leuten, in Richtung auf die Zentrale vorzudringen. »Der zentrale Antigravschacht ist ausge schaltet«, lautete die Antwort. »Alle anderen Zugänge sind durch Sicherheitsschotte ver schlossen. Sollen wir uns durchschießen?« »Nein«, antwortete Renquor sofort. »Keine unnötigen Zerstörungen.« »In Ordnung. Wir versuchen es mit den Nottreppen.« Renquor konnte es sich nicht leisten, die BEMORC zu beschädigen, solange es noch andere Möglichkeiten gab. Die Verluste an der Front waren hoch. Jedes Schiff, das er halten blieb, konnte den Ausschlag geben. »Nottreppe erreicht«, quäkte es aus dem kleinen Empfangsgerät. »Starke Gegen wehr.« Renquor hörte die Kampfgeräusche und stellte sich vor, wie seine Leute sich Meter um Meter nach oben vorarbeiteten, während
40 ihnen aus allen Seitengängen die lähmenden Strahlen entgegenschlugen. Zu seiner Er leichterung verzichteten auch die Meuterer auf den Einsatz tödlicher Waffen. Auch sie waren bestrebt, ihr Schiff zu schonen. Ein paar Minuten später stieß der Anfüh rer der Gruppe einen erschrockenen Laut aus. »Sie kommen durch die Lüftungsschäch …« Ende. Renquor versuchte es auf allen Kanälen, aber keiner von seinen Männern meldete sich. Dann knackte es plötzlich und eine grim mig klingende Stimme sagte: »Wir bringen Ihre Leute nach draußen. Sie können sie dort abholen. Aber wenn wir auch nur eine Waffe sehen, schießen wir scharf. Haben Sie verstanden?« Renquor schaltete schweigend ab und rief den Beobachtungsposten an. »Sie tragen die Männer nach draußen und laden sie in die Transporter«, wurde ihm be stätigt. »Bereitschaft, bitte melden«, befahl Ren quor, immer noch einigermaßen ruhig, in nerlich aber schon von einer eiskalten Wut erfüllt. »Wir können nichts tun«, kam die Ant wort. »Wie weit seid ihr von den Schleusen ent fernt?« »Wir stehen hinter den Landestützen und haben die Gegner im Visier, aber oben in der Schleuse stehen Leute mit Impulsstrah lern. Sie haben uns mitgeteilt, daß sie die pa ralysierten Männer töten würden, sobald wir uns rühren.« »Dann müßt ihr eben schneller sein!« brüllte Renquor wütend. »Verdammt, wor auf wartet ihr noch?« Wieder hörte er das Fauchen der Waffen, und wieder wurde es plötzlich still. »Bereitschaftskommando wurde ausge schaltet«, teilte der Beobachtungsposten lei denschaftslos mit. »Beim Gegner nur vier Ausfälle.« Warum ließen sie die Rampe immer noch
Marianne Sydow unten? Warum bauten sie den Schutzschirm nicht auf? Renquor verstand die Leute von der BEMORC nicht. Um so mehr ärgerte es ihn, daß er keinen Schritt vorwärts kam. Gegen Abend herrschte immer noch der Status quo. Die BEMORC war von allen Seiten umstellt. Der Kreis der Belagerer war ungewöhnlich groß, der Abstand zum Schiff betrug fast eintausend Meter. Wagte sich ein Fahrzeug weiter vor, dann fauchten die Pa ralysegeschütze des Kampfschiffs los. Nie mand kam an die BEMORC heran, aber um gekehrt konnte auch niemand das Schiff ver lassen. Renquor kochte vor Wut. Bis jetzt hatten seine Leute noch keinen einzigen Gefange nen gemacht. Die einzige Gelegenheit dazu hatte man verpaßt – im Eifer des Gefechts war auch Renquor nicht darauf gekommen, daß man wenigstens die paralysierte Schleu senwache abtransportierte. Am liebsten hätte er schwere Strahlenge schütze auf das Schiff richten lassen. Wenn in der BEMORC die Luft zu kochen begann, wenn schmelzendes Metall die Männer zu begraben drohte, würden sie schon einsehen, daß Widerstand sinnlos war. Aber ihm waren die Hände gebunden. Er mußte die Rebellen gegen seinen Willen mit Samthandschuhen anfassen – bis er den end gültigen Beweis in den Händen hielt. Als es dunkel wurde, flammten die Scheinwerfer der BEMORC auf. Es gab kei ne Chance, ungesehen in die Nähe der Schleuse zu gelangen.
* Kelthos erwachte aus der Lähmung und stand die üblichen Qualen durch, bis sein Körper wieder einsatzfähig war. Vorsichtig richtete er sich auf und sah sich um. Er befand sich in einer Arrestzelle. Vier kahle Wände, ein Fernsehauge unter der Decke, ein winziges Gitter, durch das frische Luft in den Raum geblasen wurde, eine schmale, harte Pritsche – das war alles. Er durchsuchte seine Taschen und verzog är
Der Maahkfinder und die Meuterer gerlich das Gesicht. Sie hatten ihm alles abgenommen. Er fand nicht einmal mehr ein Taschentuch. Langsam ging er zur Tür, betrachtete sie von oben bis unten und hämmerte wütend mit den Fäusten dagegen. Dann lauschte er. Nichts. Es schien, als hätten die Leute von der BEMORC ihn einfach seinem Schicksal überlassen. Niedergeschlagen ließ er sich auf die Prit sche sinken und dachte nach. Ihm war klar, daß sein Versagen Folgen haben mußte – falls diese verräterischen Raumfahrer ihn je mals wieder laufen ließen. Was konnte er tun, um das Schlimmste zu verhindern? Die Zelle war ausbruchssicher. Selbst wenn ihm genügend Werkzeug zur Verfü gung gestanden hätte, wäre er nicht hinaus gekommen. Da er es mit Gewalt nicht schaffen würde, mußte er sich eine List ausdenken. Gut. Aber womit konnte er seine Gegner dazu verführen, die Tür zu öffnen? Kornelius! Kelthos nahm an, daß die BEMORC nur im absoluten Notfall ohne ihren Komman danten starten würde. Vielleicht ließ sich daraus etwas machen. Er lauschte ange strengt, vernahm nichts, was darauf hinge wiesen hätte, daß die Triebwerke bereits lie fen, und nickte zufrieden. »Ich schlage euch ein Geschäft vor!« sag te er in Richtung Fernsehauge. »Ich verrate euch, wo ihr euren Kommandanten finden könnt, und dafür darf ich das Schiff verlas sen.« Es geschah nichts. Vielleicht achtete nie mand auf ihn. Inzwischen mußte Renquor gemerkt haben, daß etwas nicht in Ordnung war. Er würde die BEMORC angreifen las sen. Dem Agenten rann ein eiskalter Schau er den Rücken hinunter. War der Kampf am Ende bereits entschieden? Hatte Renquor die Besatzung abtransportieren lassen? In die sem Fall konnte es Tage dauern, bis jemand das Schiff betrat, und noch viel länger, bis man ihn in dieser Zelle fand.
41 »Habt ihr nicht gehört?« schrie er, und seine Stimme schnappte über vor Angst und Wut. »Ich serviere euch Kornelius auf einem Silbertablett. Interessiert euch das nicht?« Diesmal knackte ein verborgener Laut sprecher. »Sie behaupten, seinen Aufenthaltsort zu kennen?« Kelthos atmete auf. Er erkannte die Stim me – es war der Stellvertreter des Komman danten. Er hielt es für ein gutes Zeichen, daß dieser Mann sich persönlich mit ihm be schäftigte. »Ja«, sagte er etwas ruhiger. »Ich weiß, wo er ist.« »In Ordnung. Nennen Sie uns den Ort, dann werden zwei von meinen Leuten sie nach draußen bringen.« »O nein!« knurrte Kelthos. »So leicht le gen Sie mich nicht herein. Holen Sie mich zuerst aus dieser Zelle und bringen Sie mich zur Schleuse. Rufen Sie einen Mietgleiter, der direkt an der Rampe auf mich wartet. Wenn ich hinter dem Steuer sitze, bekom men Sie Ihre Informationen.« Mehrere Minuten lang herrschte Schwei gen. Kelthos wurde immer nervöser. Bis jetzt hatte er keinen Hinweis darauf erhalten, daß sein Bluff überhaupt ankam. Er hatte keine blasse Ahnung davon, wo Kornelius sich herumtrieb, aber es war leicht vorstell bar, daß er in ständiger Verbindung mit der BEMORC stand. »Sie werden leider bei uns bleiben müs sen«, sagte Battra, »ob es Ihnen nun gefällt oder nicht. Das Schiff ist von Ihren Leuten umstellt. Man würde Sie nicht passieren las sen.« »Das glaube ich nicht.« »Sie meinen, weil Sie die richtigen Signale kennen?« In Battras Stimme schwang of fener Spott mit. »Die Herren halten sich mit Fragen nicht auf. Sie rechnen mit jedem nur denkbaren Trick.« Kelthos überlegte blitzschnell. Die Ge wißheit darüber, daß Renquors Leute drau ßen warteten und man ihn keineswegs ver gessen hatte, gab ihm seine Zuversicht zu
42 rück. Noch war der Kampf nicht entschie den, und er hatte den Eindruck, als wäre au ßer ihm niemand in die BEMORC einge drungen. Er übersah wohlweislich die Tatsa che, daß von »Eindringen« auch bei ihm kei ne Rede sein konnte. Jedenfalls hatte er eine Chance. Wenn er es geschickt anstellte, konnte er die Entscheidung herbeiführen und damit Pluspunkte sammeln. »Sie sind in Ihre eigene Falle gelaufen, Kelthos«, fuhr Battra fort. »Schon möglich«, erwiderte Kelthos gleichmütig. »Ich mußte damit rechnen. Bei uns ist jeder auf sich selbst angewiesen. Sie haben Recht. Man würde mich sofort ab schießen, wenn ich versuchte, das Schiff zu verlassen. Und wenn man mich hier in der Zelle erwischt – aber das können Sie sich wohl denken.« Battra schwieg. Kelthos war ein wenig enttäuscht, denn er hatte gehofft, der Offi zier würde auf sein Spiel eingehen. »Es sieht so aus, als hätte ich bisher auf der falschen Seite gestanden«, seufzte der Agent. »Aha«, machte Battra. »Sie wollen zu uns überlaufen?« Endlich hatte der Offizier angebissen. »Es bleibt mir nichts anderes übrig!« ver sicherte Kelthos. »Sie bilden sich doch hoffentlich nicht ein, daß wir auf dieses Angebot hereinfal len?« »Aber ich meine es ernst«, sagte der Agent ärgerlich. »Es geht um mein Leben, das wissen Sie ganz genau. Ich habe keine andere Wahl.« Battra lachte. »Sie sind ein mieser kleiner Verräter!« sagte er dann hart. »Für Leute Ihres Schla ges haben wir nichts übrig. Wir brauchen Ih re Hilfe nicht. Sie werden in dieser Zelle bleiben, bis wir genug Zeit haben, um uns mit Ihnen zu beschäftigen.« »Warten Sie!« schrie Kelthos verzweifelt. »Sie müssen Kornelius in das Schiff brin gen, und Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Renquor ihn passieren läßt? Ich könnte
Marianne Sydow Ihnen helfen!« »Und wie wollen Sie das anstellen?« »Holen Sie mich hier heraus«, forderte Kelthos. »Meinetwegen können Sie mich auf Schritt und Tritt von zwei Dutzend Ihrer Leute bewachen lassen. Aber geben Sie mir wenigstens eine Gelegenheit, Sie zu über zeugen.« Der Lautsprecher blieb still. Wieder ver ging die Zeit, unendlich langsam und zäh wie Sirup. Kelthos wanderte in der engen Zelle hin und her und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Es hatte keinen Sinn, sich der Angst zu überlassen, die in ihm lauerte. Und dann hörte er Geräusche vor der Tür. Zwei Raum soldaten mit vorgehaltenen Waffen sahen ihm entgegen. »Kommen Sie mit«, befahl der eine knapp. Es war kurz vor Mitternacht.
* Renquor hatte sich stundenlang den Kopf zerbrochen, ohne jene elegante Lösung zu finden, die er suchte. Als er den Befehl gab, die Narkosestrahler einzusetzen, war er sich des Risikos voll bewußt. Die Waffen, die ihm hier auf Versank zur Verfügung stan den, waren nicht leistungsfähig genug, um bis in den Kern der BEMORC hinein zu wir ken. Die wichtigsten Männer an Bord des Schiffes würden also wach bleiben, und von der Kommandozentrale aus konnten sie sich immer noch recht wirksam verteidigen. Aber er konnte auch nicht länger warten. Die bisherigen Aktionen waren nicht unbe merkt geblieben. Von allen möglichen Dienststellen trafen Anfragen ein. Man woll te wissen, was eigentlich gespielt wurde. Renquor hütete sich, einen konkreten Hin weis zu geben. Kornelius war Sonnenträger, und wer einen Offizier dieses Ranges ver dächtigte, unehrenhafte Pläne zu schmieden, der hatte die Beweise besser schon in der Hand. Das Flottenkommando war in diesem Punkt äußerst empfindlich. Eine Minute vor Mitternacht gab er den
Der Maahkfinder und die Meuterer Befehl, das Feuer zu eröffnen.
* Die beiden Raumsoldaten hielten sich schräg hinter ihm, und sie waren sehr wach sam. Kelthos schritt schweigend in die Rich tung, die sie ihm wiesen. Er hütete sich da vor, eine falsche Bewegung zu machen. Er hatte sowieso keinen konkreten Plan. Vor läufig legte er es nur darauf an, in die Kom mandozentrale gebracht zu werden. Alles Weitere würde sich dann schon finden. Die Gänge, durch die man ihn führte, wa ren leer und still. Es gab nicht das geringste Zeichen dafür, daß die BEMORC Mittel punkt einer mit Waffen geführten Auseinan dersetzung war. Aus heiterem Himmel geschah dann et was, was Kelthos zunächst an seinem Ver stand zweifeln ließ. Die beiden Raumsoldaten brachen plötz lich zusammen. Er hörte hinter sich ein dumpfes Ächzen in doppelter Ausführung, zwei Körper prall ten auf den Boden, die Waffen klapperten und rutschten an dem Agenten vorbei, fast bis an den Rand eines Antigravschachtes. Ungläubig starrte Kelthos die beiden Männer an. Ein paar Sekunden später heulten Alarmpfeifen los. Dann dröhnte es aus den Lautsprechern: »Wir stehen unter Narkose beschuß! Sofortiger Rückzug in Richtung Zentrale!« Kelthos ergriff seine Chance mit beiden Händen. Es war ein schier unglaublicher Glücksfall. Die beiden Wachen hatten sich gerade noch im Einflußbereich der Strahler befunden. Der Agent rannte los, denn der nächste Treffer konnte auch ihn erwischen. Renquor mußte ziemlich in Rage sein, wenn er zu solchen Mitteln griff. Er bekam die beiden Waffen zu fassen und schwang sich in den Antigravschacht. Instinktiv wählte er die Spur, die ihn nach oben trug. Er kannte die Ausrüstung dieses provisorischen Stützpunkts. Versank war ei
43 nigermaßen schlecht dran, und die Narkose strahler, die Renquor einsetzte, waren er stens ziemlich klein und zweitens an den Boden gebunden. Je weiter er nach oben kam, desto sicherer durfte er sich fühlen. Außerdem glaubte er sich daran zu erinnern, daß die Arrestzellen bei diesem Schiffstyp knapp unterhalb des Zentraldecks lagen. Er stellte fest, daß er sich nicht im zentra len Liftschacht befand. Während er nach oben schwebte, suchte er nach weiteren Ori entierungspunkten. Leider kannte er sich mit Raumschiffen nicht besonders gut aus. Er erschrak, als dicht neben ihm eine jun ge Frau in den Schacht sprang. Zum Glück herrschten an Bord der BEMORC etwas merkwürdige Verhältnisse – niemand schien sich hier um den Uniformzwang zu küm mern, und daher fiel Kelthos mit seiner Zi vilkombination nicht auf. »He, wo wollen Sie denn hin?« rief die Arkonidin ihm zu. Er griff hastig nach einer Haltestange und sah, daß die Frau sich wenige Meter unter ihm in einen Gang tragen ließ. Hastig folgte er ihr. Er war fest entschlossen, sie nicht aus den Augen zu lassen, denn einen besseren Wegweiser konnte er sich kaum noch wün schen. Kelthos wunderte sich über die Ausdauer der Arkonidin. Sie rannte mit langen, gleich mäßigen Schritten vor ihm her, und er hatte alle Mühe, nicht den Anschluß zu verlieren. Sein Herz hämmerte wild, und zum ersten mal kam ihm der Gedanke, daß er besser doch ab und zu etwas für seine Kondition tun sollte. Aber dann sah er den Ringkorri dor, das geöffnete Schott und dahinter einen riesigen Raum mit überdimensionalen Bild schirmen, einer verwirrenden vielfältigen technischen Einrichtung und zahlreichen Männern und Frauen, die scheinbar ziellos herumliefen. Er blieb stehen und atmete tief durch. Die Arkonidin war in dem Gewimmel jenseits des Schotts untergetaucht. Von rechts und links kamen weitere Leute herbeigeeilt. Sie beachteten Kelthos überhaupt nicht.
44 Um so besser, dachte er. Die Zentrale ha be ich immerhin erreicht. Aber was jetzt? Mit seinen beiden Strahlern konnte er gegen eine so erdrückende Übermacht nichts aus richten. Plötzlich durchschnitten schrille Schreie, scharfe Kommandos und das häßliche Zi schen von Waffen das Stimmengewirr. Kelthos sah, daß ein paar Leute direkt auf ihn zurannten und dabei mit ihren Strahlern herumfuchtelten. Natürlich nahm er an, die Aufregung gelte ihm. Er warf sich zur Seite, um wenigstens zum Teil durch die Wand des Korridors ge deckt zu sein, und dann eröffnete er das Feu er. Er kämpfte mit dem Mut der Verzweif lung. Vor ihm häuften sich die paralysierten Arkoniden, und der Strom der Gegner schi en kein Ende zu nehmen. Er schoß mit bei den Händen und spürte, wie die Griffschalen der Waffen allmählich heiß wurden. Dabei fragte er sich entsetzt, was das alles sollte. Der freie Raum zwischen ihm und dem Schott war längst mit den Körpern der Ge lähmten bedeckt. Was zum Teufel bezweck ten die Leute von der BEMORC mit diesem Wahnsinnsangriff? Man sollte doch meinen, daß ihnen bessere Mittel zur Verfügung standen. Und dann sah er drüben, in der Zentrale, vertraute Uniformen auftauchen. Die Er leichterung war so groß, daß er fast zusam mengeklappt wäre. Nur mit Mühe bewahrte er die Ruhe und schickte die letzten Arkoni den, die ihm den Weg versperrten, in den Schlaf, dann taumelte er hinüber in den Kommandoraum, ohne darauf zu achten, ob er einer der erstarrten Gestalten dabei auf die Finger trat. »Ihr kommt zur rechten Zeit, Freunde!« krächzte er. Jemand zielte auf ihn, und eine scharfe Stimme fuhr dazwischen. Vor Kelthos' Au gen wallten düstere Schleier. Man führte ihn zu einem Sessel, gab ihm etwas zu trinken, was in der Kehle brannte und in seinem Ma gen eine kleinere Atombombe zu zünden
Marianne Sydow schien, und endlich nahm er seine Umge bung wieder halbwegs klar zur Kenntnis. »Der Kommandant!« sagte eine eindring liche Stimme. »Wo ist der Kommandant?« »Draußen«, krächzte Kelthos mühsam. »Er macht einen Ausflug.«
* Renquor war zwar nicht ganz zufrieden mit dem Erfolg der Aktion, aber immerhin hatten sich einige Dinge aufgeklärt. Korneli us hielt sich außerhalb der BEMORC auf – das mußte der Grund dafür sein, daß das Schiff nicht einfach gestartet war. Der größ te Teil der Besatzung war außer Gefecht ge setzt. Die wenigen Leute, die sich noch in ir gendwelchen Räumen verschanzt hatten, hielt Renquor für unwichtig. Seine Leute sa ßen in der Kommandozentrale und be herrschten somit das Schiff fast völlig. Jetzt kam es nur noch darauf an, die Ruhe zu be wahren und nach außen hin den Anschein zu erwecken, als wäre in der BEMORC alles in bester Ordnung. Auf keinen Fall durfte Kor nelius etwas merken. Renquor war fest da von überzeugt, daß er einen guten Fang ge macht hatte, aber erst, wenn es ihm gelang, den Sonnenträger der Meuterei zu überfüh ren, würde sein Triumph vollkommen sein.
7. Sie stellten den Gleiter, den Hesthan ge mietet hatte, vor dem Hafengelände ab, und Plutonz stieg mit gesenktem Kopf aus Kor nelius' Fahrzeug. »Ich danke Ihnen«, sagte er. »Ohne Ihre Hilfe wäre ich wahrscheinlich verloren ge wesen. Ich werde niemals vergessen, was Sie für mich getan haben. Vielleicht gelingt es mir eines Tages, meine Schuld zu bezah len.« »Was soll das heißen?« fragte Getray ver blüfft. »Willst du nicht bei mir bleiben?« Der Maahkf inder lächelte traurig. »Ich würde diesen Planeten gerne verlas sen«, gab er zu. »Aber meine Anwesenheit
Der Maahkfinder und die Meuterer allein reicht aus, um immer und überall den Haß der Arkoniden zu wecken. Es ist besser, wenn ich zurückbleibe. Ich will dir nicht noch mehr Schwierigkeiten bereiten.« Sie sah Kornelius hilfesuchend an. »Wir können ihn nicht zurücklassen!« sagte sie verzweifelt. »Die Jagd auf ihn wird weitergehen, und diesmal ist niemand da, der ihm helfen kann.« Kornelius befand sich in einer Zwickmüh le. Er wußte genau, was geschehen würde, wenn er den Maahkfinder an Bord der BE MORC brachte – und Plutonz begriff die Lage ebenfalls. Nur Getray wollte es nicht wahrhaben, daß es für das Problem des Maahkfinders keine so einfache Lösung gab. »Sie sollten vorläufig wirklich noch bei uns bleiben«, wandte er sich an Plutonz. »Wir werden schon einen Ausweg finden.« Plutonz zögerte, aber dann gab er nach. Er wollte Getray von Helonk nicht kränken. Außerdem verrieten ihm seine Extrasinne, daß es noch einige Schwierigkeiten gab. Vielleicht konnte er diesen beiden Arkoni den helfen und sich auf diese Weise für sei ne Befreiung revanchieren. Kornelius hatte sich inzwischen gut er holt. Nur der rechte Arm schmerzte immer noch, und darum überließ er es Getray, den Gleiter zu steuern. Sie waren nur noch etwa hundert Meter vom nächsten Kontrollpunkt entfernt, als Plutonz plötzlich »Halt!« sagte. »Was ist los?« fragte Kornelius beunruhigt. »Ich weiß es noch nicht genau«, murmelte der Maahkfinder. »Aber irgend etwas stimmt nicht. Man will uns in eine Falle locken.« Sie konnten die BEMORC deutlich erken nen. Kornelius musterte das Schiff aufmerk sam, fand aber nichts Verdächtiges. Den noch nahm er die Warnung des Maahkfin ders ernst. »Wir fliegen zum Treffpunkt!« entschied er. Plutonz blieb im Gleiter zurück. Getray dagegen bestand darauf, Kornelius zu be gleiten. Diesmal suchten sie sich keinen Tisch im Hintergrund, sondern setzten sich
45 an eine Art Bar, die trotz der frühen Stunde von Raumfahrern umlagert wurde. Sie be stellten zwei Portionen des auf Versank übli chen Gebräus aus belebenden Kräutern und lauschten den aufgeregten Unterhaltungen der anderen. »Und ich sage euch, das ist eine regel rechte Schweinerei!« rief ein hagerer Mann mit feuerrotem Haar. »Diese Geheimen wer den immer frecher!« »Du bist doch nur wütend auf sie, weil sie euch Kolonisten von Shan hereingelegt ha ben!« brüllte ein Arkonide. Die anderen lachten. »Shan exportierte verbotene Drogen«, er klärte Kornelius leise. »Die Kolonisten leb ten nicht schlecht davon. Inzwischen hat sich der Geheimdienst das Geschäft unter den Nagel gerissen.« »Stimmt genau!« erwiderte der Rothaari ge gelassen. »Aber hier geht es nicht um Drogen, sondern um einen verdammt an ständigen Offizier. Ich habe mich mit den Leuten von der BEMORC unterhalten. Die ser Kornelius muß ein hervorragender Kom mandant sein. Der schickt seine Leute nicht mit einem Enterhaken in die Schlacht. Er spielt auch nicht den feinen Herrn und sieht aus sicherer Entfernung zu, wie seine Leute von den Maahks niedergemacht werden. Ausgerechnet dem wollen die Geheimen einen Verrat anhängen! Findet ihr das etwa richtig?« »Natürlich nicht!« knurrte ein Soldat. Kornelius drehte sich überrascht um, denn diese Stimme glaubte er zu kennen. Er sah einen ziemlich alten Mann, der neben ihm an der Theke lehnte und Kornelius aufmerk sam beobachtete. Der rechte Ärmel der Uni formjacke hing schlaff herab. Der alte Mann nickte Kornelius kaum merklich zu und fuhr fort: »Ich kenne den Kommandanten der BE MORC. Ich glaube nicht, daß er so einfach in die Falle gehen wird.« »Sie haben sein Schiff!« grunzte der Rot haarige aufgebracht. »Was soll er also tun?« »Alleine wird er nicht weit kommen«,
46 stimmte der Alte zu. »Wir müssen ihm helfen!« sagte ein ande rer Raumfahrer. »Aber wie? Wir wissen ja nicht einmal, wo er steckt. Vielleicht haben die Geheimen ihn schon erwischt.« »Dann hätten sie die anderen Gefangenen bereits abtransportiert«, sagte der Alte. »Sie verhalten sich nur deshalb still, weil sie Kor nelius nicht warnen wollen. Sie müssen ja jeden Augenblick damit rechnen, daß er zu rückkehrt. Wenn er dann sieht, wie man sei ne Leute davonschleppt, weiß er Bescheid.« »Kennst du ihn wirklich?« fragte der Rot haarige herausfordernd. Der Alte nickte. »Worauf warten wir dann? Wir fangen Kor nelius ab und warnen ihn. Und dann werden wir ja sehen, ob diese feigen Ratten es wa gen, sich uns entgegenzustellen. Wer ist da bei?« Wildes Gebrüll antwortete ihm. Getray saß ganz still da und wunderte sich. Wie groß mußte die Wut dieser Männer auf den Geheimdienst sein, wenn sie sich spontan in Gefahr begaben, um einem einzelnen Mann zu helfen – nur weil sie ihn für menschlicher und anständiger hielten als andere Komman danten. »Was ist mit Ihnen, Fremder?« wandte sich der Rothaarige in aggressivem Ton an Kornelius. »Machen Sie mit, oder sind Sie einer von diesen ekelhaften Spitzeln? Glau ben Sie ja nicht, daß wir Ihnen eine Gele genheit geben, Ihre Freunde zu warnen!« »Ich verbürge mich für ihn«, sagte der al te Mann lächelnd. »Kommandant, darf ich Ihnen Ihre neueste Hilfstruppe vorstellen?« »Was denn!« schrie jemand. »Ist er das etwa?« Kornelius hob die Hand, und es wurde still. »Es stimmt«, sagte er langsam. »Ich bin der Kommandant der BEMORC. Ich freue mich, daß ihr mir helfen wollt, und ich dan ke euch allen. Leider weiß ich nicht, was mit meinem Schiff inzwischen passiert ist.« »Laßt mich das erklären«, bat der Alte und berichtete von der Nacht-
Marianne Sydow und-Nebel-Aktion des planetarischen Ge heimdiensts. »Ihre Leute befinden sich im mer noch an Bord. Die meisten sind paraly siert – sie haben sich zum Teil selbst verneh mungsunfähig gemacht. Die Leute vom Ge heimdienst haben sich in der Kommando zentrale eingenistet und beherrschen damit den zentralen Liftschacht. Die Umgebung des Schiffes steht unter strengster Überwa chung – es wird schwer sein, da hindurch zu kommen.« Kornelius nickte nachdenklich. »Mir wird schon etwas einfallen«, ver sprach er. »Was hast du mit deinem Arm ge macht, Zserr?« Der Alte verzog das Gesicht. »Nur ein kleiner Unfall«, wehrte er ab. »Seitdem ich wegen dieser blöden Schram me auf Grewor zurückbleiben mußte, hatte ich eine Menge Pech.« »Und mir fehlt seitdem der beste Feuer leitoffizier, den die BEMORC je gesehen hat«, brummte Kornelius. »Wie sieht es aus – hast du Lust, deinen alten Posten wieder zu übernehmen?« »Damit?« fragte Zserr und zeigte auf den leeren Ärmel. »Du bist mit einem Arm immer noch bes ser, als die meisten anderen mit Händen und Füßen zusammen«, versicherte Kornelius. »Aber zurück zum Thema. Was ist mit den Kontrollen?« »Man hat sie natürlich verschärft«, sagte der Rothaarige. »Individualtaster?« »Wo denken Sie hin? Auf diesem armseli gen Planeten gibt es so etwas höchstens im Regierungsgebäude.« »Das ist gut«, murmelte Kornelius. »Ich brauche zehn Leute und einen Lastengleiter, dazu ein paar Planen und die landesüblichen Jagdtrophäen.« Um die Bar hatten sich mindestens fünf zig Männer versammelt, und jeder von ihnen wollte dabei sein. Kornelius griff hastig ein und sorgte für Ruhe, ehe es zu Streitigkeiten kommen konnte. »Überlegt doch mal!« forderte er die
Der Maahkfinder und die Meuterer Männer ernst auf. »Wenn wir wie eine wilde Horde über das Landefeld rennen, haben wir überhaupt keine Chance. Sie würden uns der Reihe nach abschießen. Auf meine Rück kehr wartet man. Es ist durchaus üblich, daß die Kommandanten von Kampfraumern jede Gelegenheit wahrnehmen, um sich zu amü sieren. Niemand wird es verdächtig finden, wenn ich mit einem Berg von Trophäen an gefahren komme. Zehn Männer kann ich im Laderaum mitnehmen, ohne daß man sie sieht. Das heißt, daß wir ungeschoren in das Schiff kommen.« »Falls man Sie nicht schon festnimmt, wenn Sie die Kontrolle passieren!« warf der Rothaarige ein. »Dieses Risiko müssen wir in Kauf neh men. Es gibt keinen anderen Weg.« »Sie könnten die Kontrolle umgehen!« »Rede doch keinen Unsinn!« knurrte je mand. »Die Burschen sind doch nicht blind. Ein unkontrollierter Gleiter käme keine hun dert Meter weit.« »Eben«, nickte Kornelius. »Es muß legal aussehen. Je sicherer sich die Leute vom Ge heimdienst fühlen, desto leichtsinniger wer den sie sein.« »Aber warum nur zehn!« schrie jemand empört. »Wir anderen wollen auch unseren Spaß haben!« »Mehr als zehn Männer kann ich nicht durch die Kontrolle schmuggeln«, erklärte Kornelius geduldig. »Wenn wir erst an Bord sind, muß alles sehr schnell gehen. Wahr scheinlich werde ich gezwungen sein, einen Alarmstart durchzuführen. Das heißt, daß ich nicht warten kann, bis alle anderen an Bord sind. Ihr wißt selbst, was der Geheim dienst mit allen Leuten anstellen wird, die mich unterstützt haben. Es ist doch unsinnig, sich dieser Gefahr auszusetzen, wenn sich das Ziel auch noch anders erreichen läßt!« Getray beobachtete die Männer. Sie stellte verwundert fest, daß tatsächlich jeder dabei sein wollte. Aber auch die Argumente des Kommandanten leuchteten ihnen ein. Es gab eine kurze Diskussion, dann ergriff der Rot haarige das Wort.
47 »Wir werden losen!« verkündete er. »Wer dann nicht dabei ist, geht seiner Wege und vergißt das Ganze. Einverstanden?« Zustimmendes Gemurmel antwortete ihm, und jemand lief zu einem Automaten, der auf Knopfdruck ein Päckchen mit runden Spielmarken ausspuckte. Getray kannte die se Kunststoffplättchen. Sie waren grau, aber wenn man sie in die Hand nahm, änderten sie die Farbe. Normalerweise wurde auf eine bestimmte Farbe Geld gesetzt. »Wir setzen auf Blau«, bestimmte der Rothaarige. »Die ersten zehn gewinnen.« Getray hoffte, daß der Kolonist dabei sein würde. Er machte einen tatkräftigen, zuver lässigen Eindruck. Während die Spielmar ken mit Hilfe eines Plastikhakens gleichmä ßig auf der Tischplatte verteilt wurden, wandte Zserr sich an den Kommandanten. »Ich könnte inzwischen den Gleiter besor gen«, sagte er leise. »Dann sparen wir Zeit. Ich kenne jemanden, der Fahrzeuge verleiht, ohne sie zu registrieren.« »Aber es kann sein, daß wir das Fahrzeug mitnehmen müssen« wandte Kornelius ein. Zserr lächelte verschmitzt. »Dieser Jemand schuldet mir sein Leben«, erklärte er. »Ich bin sicher, daß er den Ver lust eines Gleiters verkraften kann. Übrigens ist er passionierter Jäger. Von seinen Tro phäen wird er sich allerdings nicht so leicht trennen.« »Warte hier!« befahl Kornelius. Die Männer rund um den Tisch waren voll auf die Verlosung konzentriert. Korneli us ging an ihnen vorbei zum Robotschalter, der als Verbindung zwischen dem Raum fahrertreffpunkt und der Kreditzentrale fun gierte. Es war nichts Ungewöhnliches, daß von hier aus Bargeld angefordert wurde. Man brauchte es für allerlei Spiele. Getray konnte nicht sehen, wieviel Geld Kornelius sich aushändigen ließ, aber seine linke Jackentasche hing schwer herab, als er zu rückkehrte. »Eintausend«, murmelte er und steckte Zserr die Münzschnüre unauffällig zu. »Das muß reichen! Wann wirst du zurück sein?«
48 »Spätestens in einer halben Stunde«, ver sprach der Alte und huschte wie ein Schat ten zur Tür. Inzwischen hatte die Verlosung begon nen. Blau war die Farbe, die bei dieser Art von Spielmarken am seltensten auftauchte. Die meisten Plättchen erstrahlten in Rot und Gelb, nachdem sie einige Sekunden auf der Handfläche gelegen hatten. Die erste blaue Marke erwischte ein breit schultriger, kahlköpfiger Mann. Zwei Minu ten später waren die Teilnehmer der Aktion ermittelt. Auch der Rothaarige gehörte dazu. »Das wäre es also«, sagte er und sah sich um. »Vergeßt nicht, was wir vereinbart ha ben. Ihr habt mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun – ihr wißt nichts und habt nichts gesehen oder gehört. Ein falsches Wort kann uns allen den Tod bringen.« »Mach's nicht so dramatisch!« knurrte ei ner von denen, die eine rote Marke gezogen hatten. »Wir passen schon auf.« Getray zupfte Kornelius am Ärmel. »Was wird aus Plutonz?« flüsterte sie. »Soll er mit uns fliegen?« Kornelius biß sich auf die Lippen. Wie sollte er dieser Frau erklären, daß der Maahkfinder das ganze Unternehmen zum Platzen bringen konnte? Da drüben standen zehn Männer, die darauf brannten, die BE MORC zurückzuerobern. Vielleicht waren zwei oder drei bereit, die Anwesenheit des Maahkfinders zu tolerieren, aber die anderen würden sich sofort zurückziehen. Der uralte Haß ließ sich nicht so schnell überwinden. Und wenn er Plutonz in der Fahrerkabine mitnahm, wie er es mit Getray und Zserr zu tun gedachte? Unmöglich! Die Anwesenheit der schö nen Arkonidin würden die Wachtposten mit einem wissenden Grinsen akzeptieren. Den alten Raumsoldaten konnte er ebenfalls durchschleusen, ohne Verdacht zu erregen. Aber ein Sonnenträger in Begleitung eines Maahkfinders – es ging nicht. Wäre alles normal verlaufen, hätte Kornelius behaupten können, er brauche Plutonz für den bevor stehenden Einsatz. Das Eingreifen des Ge-
Marianne Sydow heimdiensts ließ eine solche Lüge zu einem untragbaren Risiko werden. Außerdem muß te Kornelius an die Zukunft denken. Die BE MORC sollte Bestandteil jener Flotte wer den, die Orbanaschol in die Knie zwingen würde. Er konnte sich keinen Unruheherd an Bord leisten – und genau das würde Plutonz immer sein. So leid es ihm tat – der Maahkfinder muß te seinen eigenen Weg finden, und zwar nicht an Bord der BEMORC, sondern hier, auf Versank. Kornelius kannte diese kleinen, dunkel häutigen Leute gut genug, um zu wissen, daß Plutonz ihn verstehen würde. Mehr noch: Der Maahkfinder würde von sich aus versuchen, eine sichere Position zu erobern. Alle Maahkfinder waren viel zu stolz, um sich für längere Zeit auf die Hilfe eines Ar koniden zu verlassen. Das Problem bestand nur darin, Getray das alles schonend beizu bringen. Als Kornelius die Frau ansah, wußte er, daß sie bereits verstanden hatte. Er wich ih ren vorwurfsvollen Blicken aus und wandte sich an den Rothaarigen und die anderen Männer der Gruppe. »Da drüben sind wir ungestört«, sagte er und deutete auf eine Anordnung von niedri gen Tischen und Bänken neben einer steilen Rampe. »Einen detaillierten Plan können wir zwar nicht ausarbeiten, aber einige Dinge lassen sich doch vorher festlegen.« Er merkte, daß Getray von Helonk zu rückblieb und nach draußen ging, als sie sich unbeobachtet glaubte, aber er hielt sie nicht zurück. Mit diesem Problem mußte sie selbst fertig werden.
* Sie fand Plutonz in Kornelius' Gleiter. Der Maahkfinder hatte sich tief in den Sitz geduckt, so daß er von draußen kaum gese hen werden konnte. Als sie die Tür öffnete, zuckte er zusammen. »Ich bin es«, murmelte sie beruhigend. »Ich muß mit dir sprechen!«
Der Maahkfinder und die Meuterer Plutonz rückte schweigend zur Seite. »Du hattest recht«, sagte Getray, als sie neben dem Maahkfinder saß. »Mit der BE MORC stimmt eine ganze Menge nicht. Der Geheimdienst hat die Zentrale des Schiffes besetzt. Sie haben herausgefunden, daß Kor nelius zu den Rebellen gehört, und nun wol len sie ihn einfangen. Wir haben da drin Leute gefunden, die uns helfen wollen. Kor nelius plant einen Handstreich. Zehn Män ner sollen ihn begleiten.« »Du wirst mit ihm fliegen«, stellte Plu tonz fest. »Nein!« erwiderte sie heftig. »Das werde ich nicht tun. Ich dachte, er wäre ein mutiger und anständiger Bursche, aber jetzt weiß ich es besser. Er ist zu feige, um das kleinste Ri siko einzugehen!« »Wie kommst du auf diese Idee?« »Er will dich zurücklassen«, sagte Getray bitter. Plutonz schwieg. Er hätte dieser Frau er klären können, daß Kornelius mit dieser Entscheidung lediglich bewiesen hatte, wie wichtig ihm seine eigentliche Mission war. Dieser Arkonide konnte es sich nicht leisten, einen Plan zu gefährden, an dem wer weiß wieviel tausend Arkoniden beteiligt waren, nur um einem persönlichen Gefühl nachzu geben. Plutonz rechnete es dem Sonnenträ ger bereits hoch an, daß er wenigstens Ge tray mitnehmen würde. Getray von Helonk war nicht in der Stim mung, solche Argumente zu hören, ge schweige denn anzuerkennen. Plutonz ver dankte ihr und Kornelius sein Leben. Er wollte keinem von beiden Schmerz zufügen oder Ärger bereiten. »Was hat Kornelius vor?« fragte er, um Zeit zu gewinnen. Sie erzählte ihm alles, was sie bisher er fahren hatte. Er hörte kaum zu, sondern dachte angestrengt nach. Endlich glaubte er, einen Ausweg gefunden zu haben. »Paß auf«, sagte er. »Ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich an Bord komme. Dieser Gleiter hier stammt von der BEMORC. Kornelius hat damit das Hafengelände verlassen. Nie
49 mand kann nachprüfen, wo und wann er draußen in der Stadt einen Lastengleiter ge mietet hat, aber es wird auch niemand Ver dacht schöpfen, wenn er seinen eigenen Gleiter jemandem anvertraut hat – zum Bei spiel jemandem, der ihm bei der Jagd behilf lich war. Die Angehörigen meines Volkes werden Maahkfinder genannt – aber früher, als es diesen irrsinnigen Krieg noch nicht gab, nutzte man unsere Fähigkeiten für an dere Zwecke. Wenn es um die Jagd ging, gab es keine geschickteren Sklaven als uns. Es wäre also logisch, daß Kornelius mich gemietet hat, um schneller an die Beute her anzukommen. Er hatte ja nicht viel Zeit, denn die BEMORC sollte bald weiterflie gen.« »Das ist eine großartige Idee!« stimmte Getray sofort zu. »Du fliegst mit uns zum Schiff hinüber. Die zehn anderen werden dich in ihrem Versteck sowieso nicht bemer ken, und Kornelius …« »Moment«, wurde sie von Plutonz unter brochen. »Es gibt da gewisse Regeln. Kein Sonnenträger würde offiziell zugeben, daß er sich von einem Maahkfinder die Beute zeigen ließ. Ich werde also erst dann die Kontrolle passieren, wenn ihr bereits die BEMORC erreicht habt.« »Er sagte, er müsse vielleicht einen Alarmstart durchführen«, wandte Getray ein. »Wenn du zu spät kommst, war alles um sonst.« Plutonz lächelte. »Ich werde aufpassen«, versprach er. »Auch vor einem Alarmstart bleibt immer noch genug Zeit, um an Bord zu kommen – vorausgesetzt, man kennt sich gut genug aus. Ich habe gewisse Fähigkeiten, vergiß das nicht.« Sie zögerte immer noch, aber Plutonz gab sich so unbesorgt und siegessicher, daß sie ihre Befürchtungen zur Seite schob. »Also gut«, murmelte sie. »Hoffentlich geht alles gut.« »Wir sehen uns an Bord!« versicherte Plutonz. Als sie zum Treffpunkt zurückging, drehte sie sich ein paarmal um. Er winkte ihr
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Marianne Sydow
lächelnd zu. Als die Tür sich hinter ihr schloß, verschwand das Lächeln von seinem Gesicht. Er war zwar tatsächlich entschlossen, Kornelius und seinen Leuten zu folgen – aber nicht, um sich an Bord des Kampfrau mers zu schmuggeln. Getray tat ihm leid, und auch aus einem anderen Grund fiel es ihm schwer, sich von ihr zu trennen: Sie war die erste Arkonidin, die ihn wie einen gleichberechtigten Partner behandelt hatte. Plutonz ließ den Gleiter aus der Parklücke schweben. Es war besser, wenn man ihn hier nicht mehr sah. Bevor er um die Ecke bog, sah er ein großes Fahrzeug mit geschlosse ner Ladefläche vor dem Treffpunkt halten. Ein alter Mann, dessen einer Jackenärmel im leichten Wind haltlos flatterte, stieg aus. Dann befand sich der Maahkfinder auf einer Straße, die vom Treffpunkt wegführte. In ei niger Entfernung hielt er an und wartete.
* »Alles erledigt«, sagte Zserr, als er an den Tisch trat. Kornelius sah auf. Inzwischen war auch Getray zurückgekehrt. Sie wirkte verschlos sen, und er machte sich einige Sorgen. Hof fentlich hatte sie inzwischen eingesehen, daß Plutonz wirklich nur aus Gründen der Si cherheit zurückbleiben mußte. Wäre es nach Kornelius gegangen, so hätte er den Maahkfinder sehr gerne mitgenommen. »Der Gleiter steht draußen«, fuhr Zserr fort. »Planen und Trophäen sind vorhanden. Wie geht es weiter?« Sie durften natürlich nicht direkt vor dem Treffpunkt auf die Ladefläche kriechen und sich unter Fellen und Gehörnen verstecken. »Am besten nehmen wir die Lagerhalle in Ost zehn«, bemerkte Thiron, der rothaarige Kolonist von Shan. »Erinnert ihr euch an das Unglück vor zehn Tagen? Da hat doch ein Raumer eine Bruchlandung gebaut und ein paar Hallen weggefegt. Wenn wir ein bißchen aufpassen, sieht uns dort niemand.«
»Ja«, stimmte Zserr zu. »Außerdem ist das ganz in der Nähe der Ausfallschneise in Richtung Tiefland. Die Trophäen stammen aus den unteren Dschungelgebieten. Das macht sich gut.« Kornelius nickte. »Kennt ihr alle den Weg?« fragte er. »Gut, dann kann es ja losgehen. Aber ver teilt euch ein bißchen, sonst denkt die Ha fenpolizei, ihr plant einen Aufstand.« »Keine Sorge!« lächelte Thiron selbstsi cher. »Wer sich hier dumm anstellt, der lebt nicht lange.« Nacheinander verließen die Männer das Gebäude, einzeln oder in kleinen Gruppen. Auch Plutonz sah sie, und er nickte anerken nend. Kornelius hatte keine schlechte Wahl getroffen. Der Maahkfinder hielt diese Leute für durchaus fähig, den verwegenen Hand streich zu einem erfolgreichen Ende zu brin gen. Etwas später sah er den Lastengleiter da von brummen. Drei Personen saßen in der Kanzel, Getray, Kornelius und der alte Mann. Plutonz verzichtete darauf, dem Fahr zeug zu folgen, denn er fürchtete, damit nur Verdacht zu erregen. Er wußte ohnehin, wel chen Kontrollpunkt Kornelius anfliegen würde. Getray von Helonk war aufgeregt. Sie hielt immer wieder Ausschau nach dem klei nen Fahrzeug, in dem Plutonz ihnen folgen sollte, aber sie konnte den Maahkfinder nir gends entdecken. Der Gleiter stand nicht mehr an seinem Platz. Kornelius hatte es be merkt, aber er hatte keine Fragen gestellt. Zserr dirigierte den Gleiter durch fast menschenleere Straßen. Er schien jeden Winkel auf diesem riesigen Gelände zu ken nen. Nach einiger Zeit sahen sie draußen die Spuren des Unglücks. Teile der Straße wa ren zerschmolzen, dazwischen lagen die Überreste zerfetzter Baracken. Eine riesige Halle war zerknüllt wie ein Stück Papier, das ein Riese achtlos weggeworfen hatte. »Da drüben ist es!« sagte Zserr leise und deutete auf ein Gebäude, das noch recht gut aussah. »Das Dach fehlt.«
Der Maahkfinder und die Meuterer Der Gleiter wurde langsamer und hielt vor der Frontwand an. Aus dem Schatten eines zertrümmerten Fahrzeugs lösten sich zehn Gestalten. Thiron erreichte das Ziel zuerst, schlug mit der Faust gegen einen Kontakt und sprang zurück, als das riesige Tor sich langsam öffnete. Er winkte die anderen her bei. Sie waren bereits in der Halle ver schwunden, als die Öffnung noch nicht ein mal groß genug war, um den Gleiter hin durch zu lassen. »Du bleibst hier!« befahl Kornelius, als das Fahrzeug zwischen den hochaufragen den Wänden stand. Es war ein merkwürdi ges Gefühl, nach oben zu blicken und den freien Himmel zu sehen. Sie fragte sich, wa rum diese Wände nicht längst zusammenge fallen waren. Überall zeigten sich Risse. Die Waren, die man hier gelagert hatte, waren in Sicherheit gebracht worden, soweit sich der Aufwand noch lohnte. Geborstene Kisten standen herum, dazwischen lagen zer quetschte und zerplatzte Konservendosen. Durch die offene Tür drang der Gestank ver dorbener Lebensmittel in die Gleiterkanzel. Von hinten kamen unterdrückte Ge räusche und bissige Bemerkungen. Sie wartete ungeduldig. Wie lange dauerte es, zehn ausgewachsene Männer auf der drei mal vier Meter großen Ladefläche zu ver stecken? Warum hatte Zserr nicht ein größe res Fahrzeug besorgt? »Alles in Ordnung?« fragte Kornelius endlich. »Ich komme mir vor wie Trockenkäse im Notpaket«, sagte jemand. »Das könnte stimmen«, kam sofort die Antwort. »Der Geruch ist eindeutig!« »Ruhe!« das war Thiron. »Wie sieht es von draußen aus, Kommandant?« »Für einen besonders ordentlichen Mann wird man mich zweifellos nicht halten«, meinte Kornelius nüchtern. »Es ist die rein ste Rumpelkammer. Aber ich denke, es wird gehen, bis wir durch die Kontrollen sind. Ich sage euch Bescheid, wenn es ernst wird.« Während Kornelius den Gleiter aus der Halle steuerte, sah sich Getray abermals
51 nach Plutonz um. »Was ist?« fragte Kornelius. »Nichts«, murmelte sie verlegen. »Ich bin nervös.« »Das sind wir alle«, behauptete Zserr be ruhigend. Getray schwieg. Zumindest die Männer auf der Ladefläche schienen keines wegs von übertriebenen Ängsten gequält zu werden. Sie benahmen sich eher wie über mütige Kinder bei einem besonders ausge fallenen Spaß. Die Frotzeleien nahmen kein Ende, während der Gleiter sich der Ausfall schneise näherte, im Schutz einiger Bäume wartete, bis die Strecke frei war und dann in Richtung Raumhafen weiterflog. Der Kon trollpunkt tauchte vor ihnen auf. »Noch zweihundert Meter!« sagte Korne lius laut, und schlagartig herrschte auf der Ladefläche Ruhe. Kornelius ließ den Gleiter vor der energe tischen Sperre halten. Ein Mann in Uniform verlangte die Id-Karten. »Meine Begleiter dürften bei Ihnen nicht registriert sein«, bemerkte Kornelius beiläu fig. Der Mann sah Zserr prüfend an. »Sie waren zur Jagd?« fragte er. »Ja«, antwortete Kornelius knapp »Und jetzt wollen wir das Ergebnis begießen!« Der Uniformierte streifte Getray von He lonk mit einem Blick und nickte lachend. Er ging um den Gleiter herum, hob die hintere Ladeklappe kurz an und hob dann die Hand. Die Energiesperre löste sich auf. »Den hat man jedenfalls nicht infor miert«, stellte Zserr fest, als sie weiterfuh ren. Die BEMORC türmte sich wie ein Gebir ge aus Arkonstahl vor ihnen auf. Jenseits der Landestützen war es so dunkel, daß man die Scheinwerfer eingeschaltet hatte. Niemand sprach, als sie die Rampe erreichten und die Männer oben in der Schleuse sahen. Es schi en alles in bester Ordnung zu sein. Von hier aus waren die Gesichter der Männer nicht zu erkennen. Wäre Kornelius nicht gewarnt worden, so hätte er angenommen, die nor male Schleusenwache vor sich zu haben. Er
52 benahm sich dementsprechend. Der schwere Gleiter brummte über die Rampe nach oben, Kornelius winkte den scheinbar gelangweilt herumstehenden Män nern zu. Er fuhr in einen offenen Hangar, hielt an und sprang aus dem Fahrzeug. Die Wachtposten waren für einen Augenblick ir ritiert. Kornelius, Zserr und Getray ließen ihnen keine Zeit, sich von dieser Überra schung zu erholen. Binnen Sekunden war die Schleuse frei. Zserr rannte um das Fahr zeug herum, riß die hintere Tür auf und war tete, bis Thiron und die anderen draußen wa ren. »Nach oben!« flüsterte Kornelius hastig. »Wir müssen in der Zentrale sein, ehe man dort Verdacht schöpft.« Der Antigravschacht war wieder in Be trieb. Kornelius gab Getray einen Wink. Sie sollte ein wenig zurückbleiben, denn er wollte sie nicht in Gefahr bringen. Die Ar konidin achtete nicht auf das Zeichen, son dern blieb neben ihm. Zwei Männer über nahmen die Aufgabe, die Schleuse zu si chern und weitere Überraschungen zu verei teln. Alle anderen schwebten nach oben und stießen sich dabei geschickt von den Wän den ab, um zusätzliche Geschwindigkeit zu gewinnen. Dann hatten sie das Zentraldeck erreicht. Sie sahen die Männer in den fremden Uni formen, die in den Kontursesseln saßen und mit ihren Waffen herumspielten. Die Über raschung war perfekt. Elf Strahler bestrichen die Kommandozentrale mit den lähmenden Energien. Nur ein Gegner wurde zu spät ge troffen. Ausgerechnet dieser Mann hatte die Kon trollen für den Schacht direkt vor sich. Be vor er zusammenbrach, schlug er auf einen Schalter. Das Antigravitationsfeld brach zu sammen. Zserr und Getray von Helonk be fanden sich zu diesem Zeitpunkt immer noch im Schacht, alle anderen hatten sich bereits auf die Plattform hinausgeschwun gen. Während der alte Mann und die junge Frau schreiend in die Tiefe stürzten, raste
Marianne Sydow Kornelius auf das Schaltpult zu. Er wäre auch dann zu spät gekommen, wenn hinter dem halbgeöffneten Schott kein Gegner ge lauert hätte. Seine Beine wurden von einem Schuß gestreift. Der Kommandant der BE MORC stürzte hilflos zu Boden.
* Plutonz folgte dem Lastengleiter in gerin gem Abstand, und er behielt Recht. Nie mand hielt ihn auf – wenn man von einigen beleidigenden Bemerkungen absah, die er jedoch kaum wahrnahm. Jenseits der Ener giesperre beschleunigte er das Fahrzeug. Er spürte die Gefahr, die im Innern des Groß kampfschiffes lauerte, und er wußte, daß es um Sekunden ging. Schleudernd hielt das Fahrzeug mitten in der Schleusenkammer. Die beiden Wachen brachten die Strahler in den Anschlag, aber sie kamen nicht zum Schuß. Plutonz nahm keine Rücksicht mehr auf gewisse Geheimnisse der Maahkfinder. Er bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die ihm niemand zugetraut hätte. Seine Extrasinne verrieten ihm, was in der Zentrale geschah. Er spürte, wie der Ener giefluß an einer Stelle unterbrochen wurde. Als der erste Schrei schaurig durch den Schacht drang, hatte er die Notkontrolle er reicht. Blitze umzuckten seine dunklen Hän de, als er mit einem Ruck die Plomben zer riß, eine Abdeckplatte zur Seite fetzte und in das Gewirr der Schaltelemente griff. Es ging so schnell, daß die beiden Arkoni den erst viel später begriffen, was geschah. Sie hatten nur bemerkt, daß die Kontrollam pen am Schachteinstieg flackerten und sich dann wieder normal verhielten. Die Schreie brachen ab, dafür kam von oben der Lärm eines erbitterten Kampfes. Plutonz blieb für einen Augenblick stehen, lauschte mit leicht geneigtem Kopf und huschte lautlos wie ein Schatten zu dem Gleiter zurück. »He!« schrie einer der Arkoniden. »Stehenbleiben!« Aber da war der Gleiter bereits gestartet.
Der Maahkfinder und die Meuterer
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* Ein paar Minuten später war alles vorbei. Die Leute vom Geheimdienst hatten die Ent schlossenheit ihrer Gegner weit unterschätzt. Einige hundert Männer und Frauen von der BEMORC waren unbemerkt bis in die Nähe der Zentrale vorgedrungen. Als sie die Schüsse hörten, warfen sie alle bisher gefaß ten Pläne über den Haufen und stürmten vorwärts. Renquors Truppe geriet zwischen zwei Fronten. Es gab keinen einzigen Toten. Getray und Zserr kamen dank der schnellen Reaktionen des Maahkfinders mit dem Schrecken da von. Als Renquor seine Reservetruppe auf die BEMORC ansetzen wollte, schlossen sich die Schleusen, eine Sirene heulte kurz auf, und das Schiff raste in den Himmel hin ein. In ohnmächtiger Wut befahl Renquor, das Feuer auf das fliehende Raumschiff zu eröffnen, aber die BEMORC hatte den Wir kungsbereich der schwach bestückten Bo denforts längst verlassen, und einsatzfähige Raumschiffe waren nicht in der Nähe. Renquor bekam einen Tobsuchtsanfall, als man ihn über die letzte »Unverschämtheit« der Rebellen in Kennt nis setzte: Kornelius hatte alle Gefangenen in ein Beiboot verfrachten lassen, das von einer Automatik in eine stabile Umlaufbahn über Versank gebracht wurde. Die Leute, die in dem kleinen Schiff auf ihre Befreiung warteten, zweifelten mit Recht daran, daß ihre Ankunft auf Versank Anlaß zur Freude geben würde. Die BEMORC flog ungehindert auf und
davon. »Jetzt kann uns nichts mehr aufhalten«, sagte Kornelius zu Getray von Helonk eini ge Stunden später. »Wir werden den Treff punkt der Rebellen rechtzeitig erreichen. Zwölf Lichtjahre von Arkon entfernt wartet man auf uns. Ich fürchte, Orbanaschols Macht wird in Kürze zusammenbrechen. Dann kommt eine neue Zeit.« »Ja«, sagte Getray nur. Sie dachte an Plutonz, der nun doch zu rückgeblieben war. Inzwischen wußte sie, wer das künstliche Schwerefeld wieder ein geschaltet hatte, ehe sie und Zserr auf dem Grund des Schachtes zerschmettert werden konnten. Sie hatte aber auch begriffen, daß der Maahkfinder seinen eigenen Weg gehen mußte. Sie konnte ihm auf die Dauer nicht helfen, ohne seinen Stolz zu verletzen. Die ser Stolz jedoch war der einzige Besitz, den Plutonz sich in dieser feindlichen Welt be wahrt hatte. Sie konzentrierte sich auf die Zukunft. Kornelius würde Recht behalten, dessen war sie sich sicher. Eine neue Zeit mußte kom men, die Zeichen der bevorstehenden Verän derung waren unübersehbar. Aber was kam danach? Wer würde die Macht über das Große Imperium überneh men? Sie würde alles tun, was in ihrer Macht stand, um dem Kristallprinzen zu helfen. Und während sie das dachte, wurde ihr be wußt, daß ihre Möglichkeiten verzweifelt gering waren …
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 296 Orbanaschols Rache von Harvey Patton Ein Planetenvolk soll ausgelöscht werden – der Imperator kennt keine Gnade