Lynda S. Robinson
Der Spion des Pharaos
Historischer Kriminalroman Band 2
Inhaltsangabe Ein neuer Fall für Meren, je...
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Lynda S. Robinson
Der Spion des Pharaos
Historischer Kriminalroman Band 2
Inhaltsangabe Ein neuer Fall für Meren, jenen umtriebigen Günstling des erst zehnjährigen Königs Tutenchamun. Ein Priester ist auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. War simple Eifersucht das Motiv? Oder stecken politische Motive hinter der schrecklichen Tat? Spätestens als ein zweiter Priester – ausgerechnet der Lesepriester, der für seine Traumdeutungen und die Treffsicherheit seiner düsteren Prophezeiungen bekannt war – durch rätselhafte Kobrabisse sein Leben verliert, weiß Meren, daß er alles daransetzen muß, um das Leben des Tutenchamun und die Zukunft des Reiches zu retten. Zusammen mit seinem Sohn Kysen macht er im Laufe seiner Recherchen eine atemberaubende Entdeckung nach der anderen…
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1995 unter dem Titel Murder at The God's Gate bei Walker and Company, New York.
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg Copyright der Originalausgabe © 1995 by Lynda S. Robinson Copyright der deutschen Ausgabe © 1997 by Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH, Berlin Übersetzung: Nicole Terwort Umschlaggestaltung: Studio Höpfner-Thoma, München Umschlagmotiv: Corbis, Düsseldorf / AKG, Berlin Gesamtherstellung: Oldenbourg Taschenbuch GmbH, Hürderstraße 4, 85551 Kirchheim ISBN 3-8289-7398-1 2007 2006 2005 2004 Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an. Dieses eBook ist umwelt- und leserfreundlich, da es weder chlorhaltiges Papier noch einen Abgabepreis beinhaltet! ☺
Cherry Weiner, meine Agentin, gehört zu den Menschen, die mir immer die Wahrheit sagen – auch, wenn ich sie nicht hören will – die mich ermutigen, sich für mich einsetzen, und an meine kühnsten Träume glauben. Sie stand von Anfang an hinter dem Plan, eine Serie von Kriminalromanen zu schreiben, die im alten Ägypten spielen, und sie hat mich als Schriftstellerin unterstützt und inspiriert. Deshalb widme ich dieses Buch ihr, meiner Freundin, der ich immer dankbar sein werde.
Kapitel 1 Im Jahre Fünf der Regentschaft des Pharao Tutenchamun
U
nas, ein Reiner und Diener des Gottes, war schon spät dran. Die letzten goldenen Strahlen des Sonnengottes beleuchteten die goldenen und silbernen Intarsien auf der Vorderseite des großen äußeren Pylonen-Tores, als der Priester in den Tempel des Amun eilte. Während er auf den Klang seiner Sandalen auf den Steinfliesen horchte, fühlte er sich sogar noch unbedeutender als sonst. Das Geräusch seiner Schritte hallte von den Wänden wider. Er blickte hinauf, aber die Decke des Tempels war so hoch, daß sie in der Dunkelheit nicht zu sehen war. Die abendliche Zeremonie war beendet. Diejenigen, die nicht im Tempelbereich lebten, hatten das heilige Tor schon seit einiger Zeit hinter sich gelassen. War er der einzige, der noch hier war? Er haßte es, nach Einbruch der Dunkelheit allein im Tempel zu sein, aber er mußte seine Liste mit den Namen der königlichen Kunsthandwerker noch an einem Ort verstauen, an dem er sie morgen schnell wiederfinden konnte. Wie eine Ameise, die zwischen den Beinen eines Elefanten dahinhuscht, eilte Unas in die Dunkelheit des Tempels, vorbei an den mit Elektrum besetzten Obelisken und Säulen. Kurz vor dem Allerheiligsten bog er nach rechts ab und bahnte sich seinen Weg zwischen den unzähligen Statuen, die von Königen und Hohepriestern geweiht worden waren. Inzwischen konnte er noch nicht einmal 1
mehr die verebbenden Stimmen der anderen Priester hören, die den Tempel verließen und sich auf den Heimweg begaben. Er kam an einer Fackel vorbei, die nur noch schwach brannte und ein flackerndes Licht auf jene farbenfrohen Wandmalereien warf, die Männer und Götter in unzähligen Situationen und Stellungen abbildeten. Er betrat einen Nebenraum, wo die dem Gott geweihten Tücher und Öle aufbewahrt wurden. Hier war seine Liste sicher, und er konnte sie am nächsten Morgen wieder hervorholen, ohne den ganzen Weg zur Schatzkammer zurücklegen zu müssen. An den Wänden des Raumes befanden sich Holzborde, die mit seltenen Ölen, Salben und Tüchern beladen waren, welche bei den Ritualen des Gottes Amun verwendet wurden. Unas wischte sich den Schweiß vom rasierten Kopf. Er rieb die Handfläche an seinem Rock ab und nahm die Papyrusrolle in die trockene Hand. Er blinzelte in der Dunkelheit, nahm sich eine Lampe und stellte sie auf ein Bord neben die Parfümflakons. Er reckte sich und schob die Rolle zwischen die Hälse zweier hinten stehenden Flaschen. Er trat zurück und runzelte die Stirn. Ein Haufen Bandagen war achtlos auf den Boden geworfen worden. Er beugte sich nach unten und griff nach den weißen Tüchern, dann wandte er den Kopf. Er hatte ein zischendes Geräusch gehört und hielt den Atem an. Die Schatten der toten Könige suchten in der Nacht den Gott heim. Dessen war er sich sicher. Er konnte etwas hören, etwas, das sich außerhalb des sicheren Lichtkreises der Lampe befand, irgendwo in den Tiefen des Tempels. Was, wenn sich Dämonen in das Allerheiligste geschlichen hatten? Unas preßte sich gegen die Wand neben der Tür. Das Zischen hatte sich in ein Murmeln verwandelt, leise, kehlig, mit einem summenden Unterton. Er schauderte, als die Kälte des Steines, gegen den er sich drückte, seine Kleider durchdrang. Wo waren diese verdammten Tempelwachen? Faul, das waren sie. Sie lungerten auf den äußeren Wachtürmen herum und tauschten Ge2
schichten und Zoten mit den Studenten aus, die auf dem Heimweg waren, um ihr Abendbrot einzunehmen. Seine Eingeweide krampften sich vor Angst zusammen. Er umklammerte sein Amulett, das er um den Hals trug, damit es ihn vor dem Bösen schützte, und trat einen Schritt aus dem Lagerraum hinaus. Er konnte nicht ewig dort drinnen verharren. Er würde in die Halle schlüpfen und auf die Wachtürme zurennen. Unas schob seinen Fuß über die Schwelle und erstarrte. »Jetzt verliert nicht den Kopf. Das Zeug ist unter der Grenzbefestigung verstaut, dort, wo die Soldaten nicht danach suchen werden. Also helft Ihr mir jetzt, oder nicht?« Unas atmete aus und lächelte vor sich hin. Er hatte sich wieder einmal zum Narren gemacht. Alle sagten, daß er sich zu sehr vor den Schatten und den Dämonen fürchtete. Er erkannte diese Stimme, obwohl er sie schon lange nicht mehr im Tempel gehört hatte. Und die andere kannte er ebenfalls. Er ging den Gang entlang und auf die Männer zu, die sich in dem Zimmer befanden, in dem die Abschriften der geheiligten Texte aufbewahrt wurden. Doch plötzlich, als ihm der Sinn ihrer Unterhaltung bewußt wurde, wäre Unas beinahe gestolpert. Seine Schritte wurden langsamer, dann blieb er stehen. Sein Körper wurde kalt, als ob sein Ka, seine Seele, in die Unterwelt geflogen wäre und seine ganze Körperwärme mit sich genommen hätte. Was er da hörte, konnte einfach nicht wahr sein. Er wischte sich den Schweiß von der Oberlippe. Wie kam es, daß er trotz der Kälte so schwitzte? Die Stimmen summten und zischten. Gefährliches Wissen sickerte in sein Herz, bis er so verängstigt war, daß er sich langsam rückwärts in den Gang zurücktastete. Sein Arm stieß an die Fackel. Er wimmerte leise auf und ergriff sie, bevor sie zu Boden fiel. Unas stolperte wieder in den Lagerraum und schloß die Tür. Er starrte sie voller Schrecken an und stieß gegen eines der Borde. Der 3
Aufprall brachte eine Flasche mit Öl zum Schwanken, und er machte einen Satz. Er fing den Keramikflakon auf, bevor er zu Boden fiel, und stellte ihn an seinen Platz zurück. Dabei verfing sich sein Fuß in den Tüchern, die auf dem Boden lagen. Er stieß sie beiseite und hörte ein reißendes Geräusch. Er erstarrte und horchte. Wenn die beiden in der kleinen Bibliothek ihn hörten, würden sie ihn umbringen. Keiner, der solche Dinge sagte, würde zögern, einen Mord zu begehen, um sie zu verbergen. Niemand kam herbeigeeilt, um ihn zu töten, also zog Unas seinen Fuß zurück. Er kniete nieder, versuchte die Tücher in die Höhe zu heben, aber der Stoffstapel bewegte sich nicht. Der unterste Stoffstreifen hing an einer lockeren Steinfliese fest. Er ließ seine Finger unter den Stein gleiten und zog das Tuch heraus. Irgend etwas machte ein klirrendes Geräusch. Etwas unter der Fliese. Unas stemmte den flachen Stein nach oben und schob ihn zur Seite, darunter entdeckte er ein Loch. Und darin Schüsseln. Wer hatte Schüsseln unter den Bodenziegeln versteckt? Er nahm die oberste der fünf Schüsseln in die Hand und hielt sie ans Licht. Unverwechselbar. Eine schlichte Keramikschüssel, flach und in einfachen Mustern bemalt, blau auf ockerfarbenem Hintergrund. Unas Finger zogen das Lotusmuster auf dem inneren Rand nach, dann hielten sie an ein paar Tintenspuren inne. Nein, keine Spuren – Wörter. Wörter in den ausdrucksstarken Zeichen eines Schreibers. Seine Lippen bewegten sich, während er las, aber dann klappte ihm der Unterkiefer herunter. Sein Herz weigerte sich, die Worte am Ende der Zeile ebenfalls auszusprechen. Sein Magen krampfte sich zusammen, und seine Hände zitterten. Die Schüssel fiel zu Boden und zerbarst. Unas sprang zur Seite, duckte sich und wartete darauf, daß die beiden Bösewichte sich auf ihn stürzten. Er schwitzte und hatte jedes Gefühl verloren, wieviel Zeit wohl vergangen sein mochte, während er um Erlösung betete. Er wartete und wartete. Nichts pas4
sierte, während er auf dem Boden inmitten der Scherben kauerte. Schließlich schloß Unas, daß sie verschwunden sein mußten und begann, die Scherben aufzusammeln. Mit unsicheren Bewegungen und unter gelegentlichem Wimmern legte er den Steinziegel und die Tücher wieder an ihren Platz und strich sich die Kleider glatt. Die zerbrochene Schüssel, er mußte sie verstecken. Aber nicht hier. Wenn er sie mitnahm, dann würde der geheimnisvolle Unbekannte, der sie versteckt hatte, vielleicht gar nicht bemerken, daß sie fehlte. Als er sich im Zimmer umsah, entdeckte er einen kleinen Kasten aus geflochtenen Weidenruten. Er räumte die Phiolen mit Salbe heraus und stopfte die Scherben hinein. Nachdem er ein paar Minuten damit verbracht hatte, sich innerlich zu wappnen, öffnete Unas die Tür einen Spalt und horchte. Er hörte nichts außer einem undefinierbaren Geräusch, das die Leere des Tempels von sich zu geben schien. Er würde den langen Weg nach draußen wählen, würde durch das von vier Pylonen begrenzte Tor und dann über die Straße, die zum Anlegesteg am Nil führte, gehen. Dieser Weg würde ihn weiter von den Menschen fortführen, die er im Tempel hinter sich zu lassen hoffte. Unas spähte auf den Gang hinaus, dann preßte er sich an die Wand und tastete sich daran entlang, um schließlich bis zum innersten Pylon zu gelangen. Er duckte sich, versteckte sich und rannte dann wieder los, und schließlich erreichte er den Hof mit den vergoldeten Papyrussäulen, der sich zwischen den mittleren Pylonen befand. Im Hof hielt er erneut inne, um zu horchen. Seine Ohren schmerzten beinahe vor Anstrengung, da er jeden auch noch so geringen Laut wahrnehmen wollte. Kein Schritt war zu hören. Keine Faust, in der ein Messer steckte, tauchte hinter ihm auf. Die Bösewichte hatten diesen Ort tatsächlich vor ihm verlassen. Unas klemmte den Kasten unter seinen Arm und eilte an den vier hoch über ihm aufragenden Obelisken vorbei. Dann huschte er an der großen Statue eines toten Königs vor5
über und schoß auf die Tore des äußeren Pylonen zu. Er straffte seine Schultern, als er zwei Wachen entdeckte, die in den Türen standen. Sie starrten ihn an, aber dann erkannten sie ihn und öffneten das Portal. Die Muskeln ihrer Arme arbeiteten, als sie den schweren, mit Gold und Bronze beschlagenen Schild aus Zedernholz bewegten. Er schlängelte sich hinaus. Die beiden Wachen traten hinzu, grüßten ihn und halfen ihren Gefährten, die Türen wieder mit einem hohlen Geräusch zu schließen. Sie waren guter Stimmung. Das waren sie immer, wenn die Zeit nahte, da sie ihren Posten den Nachtwachen überlassen konnten. Unas zögerte. Es war jetzt dunkel, aber er konnte das vertraute Klatschen der Flaggen gegen die elektrumüberzogenen Spitzen der großen Masten hören, die vor jeder Seite des heiligen Tores standen. Er spähte zwischen den unzähligen Votivstatuen im Vorhof hindurch, deren riesige Gestalten weiß, rot, grün und blau bemalt und mit Inschriften bedeckt waren. Sie hatten sich während unzähliger Generationen vermehrt, da die Einwohner Thebens sie dort aufstellten, um sich der Gunst des Gottes zu versichern. Unas Atem ging flach und schnell während er zwischen zwei Fahnenstangen hindurchging und die göttliche Straße der Sphinxen überquerte. Dann bog er nach Süden ein und wandte seine eiligen Schritte vom heiligen Bezirk des Amun fort. Als ihn die Wachen nicht mehr sehen konnten, begann er zu laufen. Er trabte an den Schreinen vorbei, ließ Haus um Haus hinter sich und bog dann nach Norden in eine Straße ein, in der sich die Werkstätten und Häuser von Schmieden, Goldschmieden und Schreibern befanden. Die weiße Fassade seines eigenen Hauses und der bemalte Toreingang waren ihm noch nie so willkommen erschienen. Unas schaute sich ein letztes Mal um, schlüpfte hinein und schlug die Tür zu. Sofort begann er zu zittern. Mit dem Armrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn und von dem kahlen Kopf ab. Irgend 6
etwas drückte ihm in die Seite. Er blickte nach unten und bemerkte, wie seine Hand das Weidenkästchen fest an seinen Körper preßte. Er hob es in die Höhe und sofort befiel ihn wieder namenlose Furcht. Was sollte er tun? Er hatte so viel Böses gehört, und er war nur ein Reiner, noch nicht einmal ein Lesepriester oder einer der höherstehenden Diener des Gottes. Wenn er jemandem davon erzählte, wie konnte er dann sicher sein, daß sein Gegenüber nicht ebenfalls an dieser Verschwörung beteiligt war? Unas packte das Kästchen fester und durchquerte die Empfangshalle. Dabei stieß er mit dem Fuß an Ipwets Webstuhl. Er schrie auf, stolperte und rieb sich mit der freien Hand das Fußgelenk. Er stieß die Spindel beiseite, dann eilte er in den Aufenthaltsraum hinter der Empfangshalle. Er hielt inne, um auf das gleichmäßig mahlende Geräusch zu horchen, das vom Dach zu ihm herunterdrang. Ipwet bereitete das Abendessen vor. Bei dem Gedanken an Essen drehte sich ihm der Magen um, und Unas schlüpfte um die Mittelsäule herum und durch die Tür, die in ihr gemeinsames Schlafgemach führte. Endlich konnte er den Kasten unter sein Bett schieben, dann hielt er inne und dachte angestrengt nach. Er warf einen Blick auf den Hausaltar, den er dem Gott Bes errichtet hatte. Kein besonders mächtiger Gott, wenn man ihn mit Amun, dem König der Götter, verglich. Von dieser Seite war keine Hilfe zu erwarten. Man würde ihn jagen wie eine verwundete Hyäne. Sie würden ihn zerstören, wenn sie herausfanden, daß er ihr Geheimnis kannte. Ob er sich diesem Krieger und Wagenlenker anvertrauen sollte? Es war noch keine zwei Wochen her, da der Krieger und sein Herr, der große Fürst Meren, zu ihm gekommen waren, um Informationen über eine Salbe von ihm zu erhalten. Eine seltsame Forderung. Und er war so verängstigt gewesen. Unas hätte sich damals am 7
liebsten in eine Ecke seines Schlafgemachs verkrochen, als er sich an den Besuch der Augen und Ohren des Pharao erinnerte. Der einzige Grund, warum er sich einverstanden erklärt hatte, etwas preiszugeben, war die Belohnung gewesen. Er brauchte Geld, um seiner Frau etwas bieten zu können. Ipwet war jung, viel jünger als er selbst – ein wohlhabender Ehemann und hübsche Dinge standen ihr zu. Wenn er gut für sie sorgte, dann konnte er sich vielleicht ihrer Zuneigung versichern, denn Frauen schätzten vermögende Männer mehr als solche, deren einziger Vorzug ihre Jugend war. Er wandte sich um und setzte sich auf das Bett. Dann stützte er die Ellbogen auf die Oberschenkel, ließ den Kopf nach unten hängen und stöhnte. Er wollte keine Scherereien. Er wollte einzig und allein gute Arbeit leisten, damit er ein schönes Heim hatte und für die Kinder sorgen konnte, die Ipwet und er sich wünschten. So viele andere Priester, die von Geburt an eine höhere gesellschaftliche Stellung besaßen, konnten sich auf ihren Privilegien ausruhen, ohne daß sie auch nur einen ihrer fetten Finger krümmen mußten, um sie sich zu verdienen, während er viele Überstunden machen mußte und sich wenig Fehler erlauben durfte. Vor ihm waren andere durch ihre Fähigkeiten aufgestiegen, und auch er hoffte immer noch darauf, etwas Besseres zu werden. Doch momentan schien es widersinnig, daß er so aufgeregt gewesen war, als sein Vorgesetzter, Qenamun, ihn letzte Woche zum Ersten unter den Reinen in der Schatzkammer ernannt hatte. Denn jetzt war seine vielversprechende Zukunft in Gefahr. Besonders, wenn er dem Falken des Pharao irgend etwas davon mitteilte. Keine weiteren Beförderungen mehr, keine Aussicht auf weitere üppige Sonderzahlungen, kein Anteil mehr an den Einkünften des Tempels. Doch wie konnte er über diese Sache Stillschweigen bewahren? Er mußte den Willen des Gottes Amun erfahren. Es bestand 8
durchaus die Möglichkeit, daß Amun seine Schritte heute nacht geleitet hatte, damit er das Böse abwenden konnte. Genausogut konnte ihn aber auch ein Dämon dazu verführt haben, den sündigen Worten zu lauschen. Was von beidem war der Fall? Er haßte derlei Konflikte. Er liebte Klarheit und Einfachheit, wie zum Beispiel die Aufgabe, die Anzahl der Männer herauszufinden, die notwendig waren, um einen Obelisken mit einem bestimmten Gewicht zu transportieren. Unas stützte den Kopf in die Hände und stöhnte. Er fühlte sich wie ein Spatz unter Geiern. Sie würden sich auf ihn stürzen und ihm den Hals brechen. Er mußte genau darüber nachdenken, ob er über die Angelegenheit sprechen sollte oder nicht, und wenn ja, wem er sich anvertrauen sollte. Eine übereilte Entscheidung könnte ihn das Leben kosten. Unas holte tief Luft, erhob sich und schritt zur Tür. Dann dachte er an die Schüssel mit der Inschrift. Er wandte sich um und warf dem Kasten unter seinem Bett einen grimmigen, raubvogelartigen Blick zu. Hohe, raubvogelartige Schreie daraus kündeten von Gefahr. Er sollte dieses Kästchen zerstören. Wenn jemand es fand, könnte man ihn unsäglicher Greueltaten bezichtigen. Unas ergriff den Kasten und eilte in die Küche im hinteren Teil des Hauses. Ipwet war die Treppen vom Dach hinabgestiegen und knetete nun neben einem kuppelförmigen Ofen den Brotteig. Schwache Rauchfetzen zogen durch die Abzugsöffnung im Dach. Sie blickte auf und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. Ihr dunkelbraunes Haar war zurückgebunden, damit es ihr nicht ins Gesicht fiel, und sie trug ihr altes Kleid, das sie nur anlegte, wenn sie schwere Hausarbeit verrichtete, wie das Korn zu mahlen. Er beobachtete sie gern, wenn sie mit den Mühlsteinen zugange war. Die Muskeln ihrer Arme arbeiteten, während sie den Stein vor und zurück bewegte, und ihre Brüste wippten auf und nieder. »Weißt du was?« sagte Ipwet. »Papa hat heute nachmittag eine Ente vorbeigebracht.« Sie sog die Luft ein. »Riechst du das, Unas? 9
Gibt es etwas Besseres als gebratene Ente?« »Mm-hmm.« Unas hob den Deckel des Kästchens hoch. »Was ist das?« fragte Ipwet. Sie formte mit ihren Händen einen runden Laib. »Ich hoffe, du hast Datteln mitgebracht.« Er griff nach den Scherben. Eine schnitt ihm in den Finger, aber es gelang ihm trotzdem, die meisten Stücke mit einer Hand zu greifen. Er hob sie aus dem Kasten, ging zum Ofen und warf sie ins Feuer. Zu guter Letzt leerte er den Inhalt des Kästchens in das Ofenloch und schob die kleineren Stücke in die Flammen. Ipwet schlug die Hände zusammen. »Was tust du denn da? Du ruinierst mir noch das Feuer!« Unas wich zurück, als sie ihn vom Ofen wegdrängte. »Ich – ich habe versucht, es zu schüren.« »Mit Tonscherben?« Ipwet kniete vor dem Ofen nieder und spähte hinein. »Wenn du mir das Feuer kaputt gemacht hast, dann kannst du selbst ein neues machen, wenn du etwas zum Abendessen haben willst.« Sie erhob sich und zuckte die Achseln. »Scheint aber in Ordnung zu sein. Warum hast du nur so etwas Dummes getan? Na ja, egal. Geh jetzt, Unas. Es stört mich, wenn du dich so über mich beugst.« Er reckte den Hals, um ihr über die Schulter zu blicken, aber die Scherben waren in den Flammen verschwunden. Seine Handflächen waren feucht. Als er die Küche verließ, rieb er sie an seinen Kleidern trocken. Im Wohnraum ging er zu einer großen Flasche mit schlankem Hals, nahm ein Sieb, durch das er Bier in einen Becher goß. Er trank ihn in einem Zug leer und goß sich noch einen ein. Erleichterung senkte sich auf seinen Körper herab wie einer jener seltenen Regenfälle im Winter. Die Schale war zerstört, und er brauchte sich vor nichts zu fürchten. Er war in Sicherheit und konnte sich Zeit lassen, während er darüber nachdachte, was er jetzt unterneh10
men wollte. Hast war grundsätzlich von Übel. Sie führte nur zu Fehlern; und in diesem Fall würde sie ihn vielleicht gar das Leben kosten. Die Nacht verhüllte den Vorhof im Tempel des Amun. Die Schwelle der Doppeltüren, an denen ein Wachtposten hätte stehen sollen, war leer. Eine Eule kreiste am Himmel, dann stob sie herab und landete auf dem Kopf der massiven Votivstatue eines vor langer Zeit verstorbenen Edelmannes. Der Mann mußte einmal sehr wohlhabend gewesen sein, denn die Figur war einst bemalt und vergoldet gewesen. Ein ganzes Jahrhundert nach seinem Tod jedoch war das Standbild beiseite geschoben worden, um für die Gaben eines neuen Jahrhunderts Platz zu machen. Das Blattgold war nach und nach heimlich entfernt worden, und jetzt pickte die Eule an der abblätternden Farbe, unter der kostbarer, schwarzer Diorit sichtbar wurde. Eine undeutliche Bewegung ließ den Vogel aufschreien und sich wieder in die Lüfte schwingen. Das Rascheln von Kleidung, die über die Haut streicht. Ein unterdrücktes Seufzen. Die Statue schien jenen Mann zu gebären, der da aus dem Schutz der drohend aufragenden Figur trat. Das Mondlicht schimmerte in den Falten seines durchsichtigen Gewandes. Ein bronzener Armreif spiegelte die Lichtstrahlen ebenso wider wie der goldene Ring mit dem flachen Siegel, auf dem die Namenshieroglyphen seines Besitzers standen. Der Mann wandte sich um und beobachtete die Eule, die über die Altäre und die Dächer des Tempelkomplexes flog. Ein anderer, kleinerer Mann schloß sich dem ersten an und flüsterte kaum hörbar. »Also, Ihr seid sicher, daß ihr den Lauscher erkannt habt?« »Natürlich«, sagte der Mann, der den Türsteher entlassen hatte. »Habt Ihr ihn deutlich erkannt? Ganz sicher?« 11
»Bestimmt, Herr. Ich kenne diesen Reinen.« Der kleinere Mann nickte. »Dann übergebe ich diese Sache Euren Händen. Ihr wißt, was zu tun ist, damit wir in Sicherheit sind.« »Ich werde sofort jemanden aussenden, der ihn bewachen soll. Ich kenne ihn. Er wird tagelang grübeln, zaudern und zagen. Zeit genug also, um ihm etwas zustoßen zu lassen.« »Wartet nicht zu lang. Sie sammeln sich im Palast, und meine Leute in der Wüste haben einen passenden Ort gefunden, wo wir mit unserer Arbeit beginnen können.« »Hast ist unklug. Solche Dinge müssen sorgfältig geplant werden, sonst schaffen sie mehr Schwierigkeiten als sie lösen sollen.« »Ihr könnt es Euch leisten, gelassen zu bleiben. Ihr müßt Euch nicht auf dem Parkett des Palastes zwischen königlichen Wachen und mißtrauischen, verflucht schlauen Mistkerlen wie diesem Meren bewegen.« »Beruhigt Euch«, sagte die Gestalt in dem prächtigen Gewand. »Ich werde die Tat begehen, wenn die Zeit dafür reif ist. Immerhin ist unser Vorhaben durch den Verborgenen, den großen Gott Amun, der den Stürmen gebietet und seine Schüler beschützt, gesegnet.« Der kleinere Mann grunzte. »Denkt bitte auch daran, daß er nur denen hilft, die wissen, wann sie mit der Schnelligkeit des Blitzes und der Tödlichkeit einer Kobra zu handeln haben. Ich gehe jetzt nach Hause.« Der Mann in der Robe verbeugte sich, und das zarte Gewebe seines Gewandes umschmeichelte seine Knöchel. »Möge Amun Euch Frieden schenken, mein Freund.« »Bei den Hoden des Gottes, man könnte meinen, daß Ihr so häufig Morde begeht, daß sie schon zu Eurer Morgenzeremonie gehören.« »Nein, so häufig nun auch nicht, mein Freund, bei weitem nicht so häufig.« 12
Kapitel 2
M
eren stand neben General Horemheb vor dem Tempel des Amun und genoß die letzten kühlen Augenblicke des Sonnenaufganges. Er legte den Kopf in den Nacken, um den Kopf der riesigen Statue zu betrachten, die sich auf ihn zubewegte. Die Luft war erfüllt vom rhythmischen Gesang der Arbeiter, akzentuiert durch das Keuchen und Grunzen von fast zweihundert Leibeigenen, die an den Seilen standen, mit denen die Kufen unter dem Koloß weitergezogen wurden. Auf dem Sockel der Statue stand ein Aufseher, der die Zugbewegungen durch Gesang und Händeklatschen koordinierte. »Der Hohepriester wird vor Zorn seine reine weiße Robe beschmutzen, wenn er das hier sieht«, flüsterte Horemheb. Meren unterdrückte ein Grinsen. »Und Ihr werdet jeden einzelnen Augenblick seiner Qualen genießen.« Tonnen roten Granits scharrten über den geölten und planierten Weg auf die Nordhälfte des heiligen Pylonen zu. Meren warf einen Blick über die Schulter auf die Schatten, die das Tor warf. Kein Zeichen vom König, der sich zum morgendlichen Ritual in das Allerheiligste begeben hatte. Das Wohl des Zweifachen Reiches hing von der Fürsprache des Königs bei den Göttern, besonders bei Amun ab, und Tutenchamun vollzog diese Zeremonie wie es schon seine Ahnen über Jahrhunderte hinweg getan hatten. Wenn der König nicht anwesend sein konnte, dann nahm der Hohepriester seinen Platz ein. Auch heute lagen wieder eine Menge dringender Geschäfte an, aber der König hatte das heutige Ritual nicht verpassen wollen. Wenn er heute nicht dabei gewesen wäre, dann hätte er die Ankunft seiner Statue und ihre Wirkung auf den 13
Hohepriester, Parenefer, verpaßt. Meren warf Horemheb einen verstohlenen Blick zu, der voller Zuneigung war. Seit ihren Jugendtagen, als sie zu Kriegern ausgebildet wurden, waren sie Freunde und waren es auch geblieben, als ihre Pflichten sie getrennt hatten. Unter seiner höfischen Perücke war das Haar des Generals hellbraun geworden, weil er so viele lange Tage bei Übungen in der Sonne verbracht hatte. Horemheb trug sein Haar kurzgeschnitten und aus dem Gesicht gebürstet, aber es war so eigensinnig, daß es von seinem Kopf abstand wie die Federn eines wütenden Habichts. Er hatte ein quadratisches Gesicht und über seine Stirn zogen sich drei lange Falten. Meren hatte beobachtet, wie diese Linien mit den Jahren tiefer wurden. Seine Nase war leicht schief, das Ergebnis einer Verletzung, als er mit einem flüchtenden Wagen zusammengestoßen war. Horemhebs Gesichtsausdruck zeugte von großer Entschlossenheit, als hätte er gerade eine Horde asiatischer Nomaden am Horizont erspäht. Sein Gang war energisch, er schien immer zu marschieren, als folgte er gerade den Schritten eines pflichtvergessenen Rekruten. Er war ziemlich laut, wenn er mit Soldaten, Verbündeten oder Freunden sprach, und besaß die Fügsamkeit eines schlafenden Krokodils, wenn er sich in Gesellschaft von Fremden oder Feinden befand. Meren hatte schon erlebt, daß er sich innerhalb eines halben Herzschlages vom fäusteschwingenden Wüterich in einen verschlagenen, Süßholz raspelnden Höfling verwandelte. Und auf dem Schlachtfeld besaß er die List eines Leoparden und eine Geschicklichkeit, von der Meren hoffte, daß sie sich niemals gegen ihn richten würde. Am verblüffendsten jedoch war, daß es Horemheb niemals in den Sinn kam, sich seiner bescheidenen Abstammung zu schämen. Er war Horemheb, General der königlichen Armee, königlicher Schreiber, Ratgeber des Pharao, ein einflußreicher Mann. Seine bürgerliche Familie war unwichtig. 14
Der General wippte auf seinen Fersen vor und zurück und betrachtete mit finsteren Blicken den Anlegeplatz des Tempels. Das Boot, mit dem die Statue hierhergebracht worden war, hatte dort festgemacht, und für die Menge, die sich dort versammelt hatte, um die Ankunft des Königs zu beobachten, war sie Gegenstand aufgeregten Interesses gewesen. Aber Meren kannte Horemheb. Sein Freund hatte die Statue vergessen; das Herz des Generals war mit der Bedrohung durch die Hethiter beschäftigt. »Geduld, alter Freund«, sagte Meren. »Wir können noch den ganzen Tag über Straßenräuber, Krieg und Truppen diskutieren.« Sie verstanden beide, daß der Koloß auf seine Weise eine ebenso wichtige Funktion erfüllte wie die Feldzüge der Armee, denn diese Statue – die so riesig war, daß sie beinahe die mächtigen Pylonen des Götterkönigs überragte –, dieses Abbild des Königs sollte vor dem Tempel stehen. Und durch ihre Pracht und Größe sollte sie den Einwohnern Ägyptens vermitteln, daß der Pharao mächtiger war als jeder einzelne Priester hinter dem Standbild. Deshalb hatte die Ankunft der Statue auch schon vorher dazu geführt, daß der Hohepriester des Amun das Gesicht verzogen hatte, als wäre er auf eine Schlange getreten. Sein Kummer spiegelte sich in den Gesichtern der anderen versammelten Priester wider. Sie hatten sich grüppchenweise zusammengerottet, wie mürrische Tauben, und ergriffen hastig die Flucht, während die Arbeiter die Statue die Straße entlangzogen. Als die komplizierten Manöver, mit denen der Koloß an die richtige Stelle gerückt werden sollte, begannen, sah Meren ein Paar königlicher Wachen am Tor auftauchen. Eine Welle der Bewegung erfaßte die Menge, als die mit Speeren bewaffneten Männer in Rüstungen aus Bronze und Gold ein Zeichen machten, welches das Kommen des Königs ankündigte. Die Höflinge wandten sich um, die Statue war vergessen. Köpfe senkten sich. Meren versetzte Horemheb einen Rippenstoß, und beide knieten nieder. 15
Horemheb wandte Meren den Kopf zu und grinste. »Darauf habe ich gewartet, seit dem König dieser Gedanke gekommen ist.« »Seid bloß vorsichtig, daß Parenefer nicht bemerkt, wie sehr Ihr seine Verärgerung genießt.« Die plötzliche Stille in Augenblicken wie diesen beeindruckte Meren immer. Es war, als hörte das Königreich auf zu atmen. Dann horchte er auf das klingelnde Geräusch der Sistrums und auf den Klang der Trommeln. Der Lärm wurde lauter und lauter, bis die Trommeln in seinem Körper zu vibrieren schienen. Schließlich verstummten sie, und er vernahm die Jubelrufe. Er verbarg ein Grinsen, als er sich erhob und bemerkte, daß Horemheb bereits auf den Füßen war. Er mußte nur mit den Augen dem goldenen Schimmer folgen, um den König zu finden. Tutenchamun stand vor dem Tor zwischen dem Hohepriester des Amun und dem Wesir Ay, und er leuchtete so hell wie die Sonne. Das Kobra-Diadem auf seiner Stirn, die schweren Armreifen und Fußketten, das Zepter, das er in einer Hand hielt, alles war aus Gold. Selbst seine Sandalen erstrahlten von dem edlen Metall. Gold symbolisierte die Majestät und Göttlichkeit des Pharao, aber Meren wußte, wie nutzlos diese Art von Schmuck sein konnte. Die Jugend des Königs, seine Stärke, sein gebieterischer Geist, gestatteten es ihm, die Gewänder eines lebenden Gottes zu tragen, ohne davon beherrscht zu werden. Neben dem König sah Parenefer genau so aus wie er war, wie ein zerborstener und vertrockneter Sarg, der bis zum Rand mit Groll und Haß gefüllt war. Meren beobachtete den Hohepriester, während der König zu der Menge sprach und verhinderte, daß die Statue Amun, seinem Vater, zur größeren Ehre gereichen sollte. Parenefers Schädel glänzte von den duftenden Ölen, die er nach der Rasur auftrug. Die Haut spannte sich fest über den Knochen, als ob sie das lose Fleisch an seinem Unterkiefer und seinem Hals ausgleichen wollte. Sein Mund war von tiefen Falten umgeben, die sich von seiner Nase bis in die 16
Oberlippe hineingruben wie Wadis in eine Wüstenlandschaft. Parenefer war kurzsichtig, weshalb er den Kopf von seinen gebeugten Schultern aus nach vorne reckte und wie ein mißtrauischer, argwöhnischer Geier in die Welt blinzelte. Sein Leben und sein Charakter waren seit der Vernichtung des Tempels durch den Pharao Echnaton zerstört. Er war aus dem Tempel vertrieben und als Krimineller verfolgt und gejagt worden. Parenefer hatte überlebt, hatte sich verborgen, Ränke geschmiedet und die Menschen gegen den Pharao aufgewiegelt. Obwohl er und sein Gott ihre frühere Vormachtstellung wiedererhalten hatten, war sein Hohepriester-Ka verstümmelt. Er konnte den Tod seiner Freunde und seine eigene Demütigung durch die Hand Echnatons nicht vergessen, noch konnte er Tutenchamun vergeben, daß er ein Bruder des Ketzers war. Meren und Horemheb vertrauten dem Gesandten der Hethiter mehr als sie Parenefer vertrauten. Horemheb sprach, wobei er die Lippen kaum bewegte. »Seht Ihr. Ich habe Euch gesagt, daß es das Warten wert sei.« Der Hohepriester legte den Kopf in den Nacken und betrachtete das Gesicht des Kolosses, bemerkte die gerade, kleine Nase und die geweiteten Nasenflügeln, die vollen, sinnlichen Lippen und die leicht gerundeten Wangen der Jugend. Parenefers Lippen preßten sich zu einem dünnen Strich zusammen. Er lief zinnoberrot an, seine Wangen blähten sich auf, so daß er einem ältlichen, entrüsteten Frosch glich. Er wandte sich ab. »Das war es in der Tat«, sagte Meren leise. Als er hörte, wie der Befehlshaber der königlichen Wachen in schneidendem Ton seine Befehle erteilte, eilte er zum König, um seinen Platz hinter ihm einzunehmen. Horemheb ging zum Landungssteg, wo der Frachter Platz für das königliche Boot gemacht hatte. Meren fiel in Gleichschritt mit Maja, dem Schatzmeister. Als sie innehielten, um dem König Zeit zu geben, mit einigen Bürgerlichen zu sprechen, blickte Meren über die Schulter und betrach17
tete die Arbeiter, die sich um den Koloß scharten. Plötzlich traf ihn der direkte Blick eines Priesters. Sein Blick glitt über eingefallene Schultern, breite Hüften, registrierte die viel zu großen Ohren des Mannes, die ihm vom Kopf abstanden wie getrocknete Melonenstücke. Er kniff die Augen zusammen, das Gesicht kam ihm bekannt vor. Irgend etwas stimmte mit dem Mann nicht. Vielleicht war es sein direkter Blick; vielleicht war es auch die Furcht in seinen Augen. Meren war daran gewöhnt, Furcht in den Augen anderer zu entdecken. Dann öffnete der Priester den Mund und machte einen Schritt auf ihn zu. Er blieb abrupt stehen, blickte zur Seite und erschrak. Ohne sich noch einmal nach Meren umzusehen, tauchte er inmitten der Arbeiter, Kunsthandwerker und Architekten am Fuße der Statue unter. Meren ließ seine Augen in die Richtung wandern, in die der Priester geblickt hatte, aber er konnte nur noch mehr Priester und ein paar Höflinge entdecken. Was immer den Mann erschreckt haben mochte, es konnte nichts Ungewöhnliches gewesen sein. Maja legte ihm die Hand auf den Arm. »Meren, der König.« Der Kammerherr des Königs winkte ihn heran. Er überquerte die Rampe, die zum königlichen Boot führte und kniete vor Tutenchamun nieder. »Ihr mögt Euch vor meiner Majestät erheben.« Meren stand auf und begegnete der kaum unterdrückten Erheiterung in den Augen des Königs, der immerhin gerade erst vierzehn war. Er runzelte als Antwort zurückhaltend die Stirn, und die Erheiterung wich aus dem Gesicht des Jungen. Eine Maske der Würde und des Wohlwollens glitt über das Gesicht des Königs, und er wandte sich dem Hohepriester und den obersten Propheten des Gottes zu, um ihre Abschiedsworte entgegenzunehmen. Meren erlaubte sich einen stummen Seufzer. Tutenchamun hatte die Macht der Priester heute schon einmal herausgefordert. Es hatte keinen 18
Sinn, sie noch weiter gegen sich aufzubringen. Als das Schiff sich vom Kai fort bewegte, stellte Meren sich neben den König. Er beugte den Kopf, um Tutenchamuns leise Stimme verstehen zu können. »Habt Ihr ihn gesehen?« fragte der König. »Habt Ihr gesehen, wie rot er anlief, als er bemerkte, welche Größe mein Standbild besitzt?« Meren riskierte einen Seitenblick auf den König. Er trug noch immer seine königliche Würde zur Schau. Er blickte geradeaus zum Westufer, fort vom Ostteil der Stadt und seinen unzähligen Tempeln. »Ja, Majestät. Euer Bild ist in der Tat das eines lebenden Gottes.« Tutenchamun hob eine Augenbraue und begegnete Merens mildem Blick. »Es war auch Eure Idee«, sagte der König. »Also tut jetzt nicht so, als ob Ihr sein Unbehagen nicht auch genießt.« »Aber unsere Freude muß stumm bleiben, Majestät.« Der König seufzte und wandte sich um, um einen letzten Blick auf das monumentale Bild seiner selbst zu werfen. Meren blickte es ebenfalls an, dann blinzelte er plötzlich. Ein Priester war auf den Fuß der Statue geklettert und starrte auf die königliche Barkasse, während sie sich vom heiligen Ort entfernte. Meren schloß die Augen, als die Strahlen der aufgehenden Sonne ihn blendeten, dann öffnete er sie wieder. Der Priester stand immer noch da, regungslos, und Meren hätte schwören können, daß es derselbe Mann war, dessen Furcht noch vor ein paar Minuten seine Aufmerksamkeit gefesselt hatte. Seine einsame Gestalt hatte etwas Beunruhigendes an sich. Zweifellos war es der Kontrast zwischen dem Priester und diesem Berg von einem Standbild; er sah wie ein Käfer neben einem Elefanten aus. Der König richtete ein paar Worte an Meren. Als er das nächste 19
Mal hinsah, war die kleine Gestalt vom Fuß der Statue verschwunden, und er dachte nicht länger an sie. Als sie wieder im Palast waren, verschwand der Pharao in den königlichen Gemächern, um sich seiner beiden Kronen zu entledigen. Meren und ein paar Ratgeber blieben in einem der kleineren Audienzsäle zurück. Das Licht fiel durch die hohen, rechteckigen Fenster und beleuchtete das Bild, das die eleganten Bewegungen des Königs bei der Jagd in den Sümpfen des Nil darstellte. Das tiefe Blau des Flusses war durch glasierte Bodenfliesen nachgebildet worden. Meren zog diesen Raum dem großen Audienzsaal vor, dessen Größe und hohe Säulen eine Atmosphäre kalter Göttlichkeit ausstrahlte. Ein Diener reichte ihm gerade einen Becher Wein, als Maja zu ihm trat. Meren mochte den Schatzmeister, denn er interessierte sich stärker für die Effizienz derjenigen, die unter ihm dienten, als für sein eigenes Fortkommen. Er stammte aus einer alten Adelsfamilie und meinte, daß er nicht viel gewinnen konnte, wenn er nach noch mehr Macht strebte. Er hatte genug, und er widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem persönlichen Leben der Menschen, die ihn umgaben – wobei er natürlich nur ihr Wohlergehen im Auge hatte. Maja hatte nur wenig für diejenigen übrig, die das Leben als eine Ansammlung von Kriegen und Auseinandersetzungen betrachteten; er wollte das Leben genießen. Er liebte gewissenhafte Arbeiter, die ihm Ärger ersparten. Er liebte Musik und Feste, Akrobaten und gute Geschichten. Meren hatte das Gefühl, daß er jene Leichtigkeit ausstrahlte, die der Pharao so bitter nötig hatte, denn sonst war er ausschließlich von ernsten Männern umgeben und trug eine überwältigende Verantwortung, derer er sich nur allzu sehr bewußt war. Jetzt deutete Maja in Ays Richtung, der in einen leisen Streit mit 20
Horemheb verwickelt war. »Was ist geschehen, Falke?« flüsterte Maja. Er hatte Meren diesen Namen vor Jahren gegeben, als er bemerkt hatte, daß der Geist des Freundes so flink wie der Flug des Falken war. »Diese spontane Audienz war Euer Einfall, nicht wahr?« Das stimmte, aber Meren hätte es niemals zugegeben. Er hatte zu viele beunruhigende Meldungen von Scharmützeln im besiegten Königreich Mitanni am nördlichen Euphrat und in den Vasallenstaaten und den Staaten der Verbündeten des Reiches, die zwischen Syrien und den Grenzen Ägyptens lagen, erhalten. Jeder wußte, daß die Hethiter hinter diesen Unruhen steckten. Als Meren nicht antwortete, deutete Maja auf Horemheb. »Er will nach der nächsten Ernte einen Feldzug nach Palästina und Syrien starten.« Meren trank einen Schluck Wein. »Das ist nicht der Punkt, über den zwischen uns Uneinigkeit herrscht.« »So? Worüber dann? Denn wir müssen gegen die Hethiter etwas unternehmen.« »Das stimmt, aber Ay ist der Meinung, daß der König an dem Feldzug nicht teilnehmen sollte.« »Zu jung?« Meren neigte den Kopf. Maja, der durch seine Leidenschaftlichkeit und sein organisatorisches Geschick die Zuneigung des Königs und Ays gewonnen hatte, wandte sich Meren zu und runzelte die Stirn. »Und was sagt Ihr? Ihr habt ihn ausgebildet.« »Kein Junge seines Alters, wie göttlich er auch sein mag, kann die Fähigkeiten eines Kriegers in so kurzer Zeit erlernen. Vielleicht in einem Jahr. Bis dahin…« »Und Horemheb ist dermaßen in Bedrängnis, daß er meint, das Reich könne nicht mehr so lange warten.« »Er könnte recht haben.« 21
»Dann könnte einer der anderen Prinzen den König vertreten.« Meren schüttelte den Kopf. »Ihr wißt, daß das für die Truppen nicht das gleiche wäre.« Er trank einen weiteren Schluck Wein und blickte sich im Audienzsaal um. Huy, der Vizekönig Nubiens – derjenigen Länder im Süden also, über die Ägypten die Vorherrschaft besaß –, unterhielt sich mit dem nubischen Prinzen Khai, der ebenfalls bei der Regierung des Südens half. Nakhtmin, General und königlicher Schreiber, hatte sich in die Diskussion Ays und Horemhebs gemischt. Er war überrascht, als er sah, daß Ahiram, ein fremder Prinz, anwesend war. Ahiram war der Sohn Rib-Addis, des Königs von Byblos, und einer der verbündeten Prinzen, die gegen Aufstände im eigenen Land zu schützen Echnaton versäumt hatte. Rib-Addi hatte den Raubzügen der durch den Hethiter-König Supiluliumas angestachelten Rebellen nicht standgehalten. Der arme Ahiram wurde an den ägyptischen Hof geschickt, um dort unterrichtet zu werden. Und jetzt stand er vaterlos da, ohne eine Stadt oder einen Thron, zu dem er zurückkehren konnte. Vielleicht hatte Ay Ahirams Anwesenheit gefordert, weil der fremde Prinz mit dem Land um Byblos und Tyros vertraut war. Alle schauten aufmerksam zur Tür, als die königlichen Wachen in den Raum platzten und die Speere auf die Bodenfliesen senkten. Tutenchamun marschierte schneidig herein, wie nur ein Knabe es kann, und klatschte in die Hände. »Ja, ja, erhebt Euch jetzt alle. Meine Majestät geruht, die Zeremonie zu übergehen. Wir werden uns zuerst mit Nubien beschäftigen. Huy, was ist mit dieser Expedition zu den Goldminen geschehen?« Der König ließ sich auf einen mit getriebenem Blattgold geschmückten Stuhl sinken. Bevor Huy antworten konnte, stieß der Aufseher des Audienzsaales die Flügeltüren auf und steckte seinen Kopf hindurch. Merens Aufmerksamkeit war sofort geweckt, denn die Augen des alten 22
Mannes glitzerten, während er den Blick des Pharao suchte. Tutenchamun nickte und der Aufseher trat zur Seite, um Kysen Eintritt zu gewähren. Als Meren seinen Sohn sah, wußte er, daß etwas geschehen sein mußte. Er hatte Ky das Tagesgeschäft überlassen – er sollte die Berichte von Tumulten im Königreich lesen und die verschiedenen Informanten empfangen, während er der Audienz beiwohnte. Jetzt eilte Kysen voran, um sich dem König zu Füßen zu werfen. Er hob sein Gesicht vom Boden, und Merens Unruhe verschwand. Kysen grinste den König an. »Oh lebender Gott, Göttlicher und Goldener.« Tutenchamun machte eine wegwerfende Handbewegung. »Bitte, Ky.« »Majestät.« Kysen grinste breit. »Sie sind wieder da!« Tutenchamun sprang von seinem Stuhl auf und klatschte erneut in die Hände. »Wo sind sie?« Kysen wandte sich um und deutete mit dem Kopf auf die Türen. Eine lärmende Gruppe junger Männer platzte herein, gefolgt von aufspielenden Musikanten, um die ein paar fremdländisch aussehende Frauen tanzten. Dahinter folgten Diener, die mit Einlegearbeiten verzierte Schatztruhen trugen. Der König brach in Gelächter aus und rief: »Tanefer!« Alle im Raum wiederholten diesen Ruf. Meren wich zur Seite aus, als der Körper einer Frau an ihm vorbeiwirbelte. Lächelnd beobachtete er, wie die jungen Männer auf den König zuschritten. Zerzaust, schmutzig und staubig wie ihr Anführer bewegte er sich ausgesprochen unbefangen in der Anwesenheit des Königs, so, als würde er täglich in Königshäusern ein und ausgehen, was ja auch tatsächlich der Fall war. Prinz Tanefer kniete vor dem König nieder, der ihn zu sich emporzog. Meren bemerkte die offensichtliche Ähnlichkeit zwischen Tanefer, der vierzehn Jahre älter war als Tutenchamun, und dem 23
König selbst, insbesondere, was die großen runden Augen und die vollen Lippen betraf. Sie hatten sie von ihrem Vater, dem Pharao Amenhotep, geerbt, und Tanefer unterschied sich nur durch die dunklere Haut und das weich gekräuselte Haar, ein Vermächtnis seiner fremdländischen Mutter. Der König und Tanefer umarmten sich stürmisch. Dann rief Tanefer einen Befehl, und die Musik begann. Der sinnlich pulsierende Rhythmus von Trommeln ertönte, als Tanefer dem König etwas zuflüsterte. Dann begann er, in die Hände zu klatschen und sich hinund herzuwiegen. Meren erkannte den traditionellen Kriegertanz der königlichen Wagenlenker. Er verschränkte die Arme über der Brust und lächelte, als Tanefer einen Becher Wein ergriff, ihn vor dem König in die Höhe hob und weitertanzte. Tutenchamun lachte und begann ebenfalls zu tanzen. Der König griff nach Kysen, der gehorchte, indem er ebenfalls in Tanzschritt fiel und einen weiteren Neuankömmling, Rahotep, mit sich zog. Sie wirbelten, stampften und sprangen durch den Raum, bis Tanefer gegen Meren stieß, der einem Arm auswich, sich duckte und sich schließlich an Tanefers Seite schwang. Dieser wirbelte schnell im Kreis herum, dann stellte er ein Bein aus. Tanefer sprang darüber, aber Meren umklammerte seinen Fußknöchel und zog. Tanefer fiel zu Boden, schrie auf, und rollte beiseite, als die Reihe der Männer auf ihn zutanzte. Tutenchamun bot ihm seinen Arm, und Tanefer griff danach. Er sprang auf die Füße, beugte sich nach vorn, stemmte die Hände in die Hüften und schnappte keuchend nach Luft. Die Reihe der Männer brach auf, alle lachten sie über Tanefer und holten Atem. Der König schlug Meren auf den Rücken. »Das wird ihn lehren, sich in unserer Gegenwart wie ein babylonischer König zu benehmen.« Tanefer hob den Kopf und grinste Tutenchamun an. 24
»Aber Majestät, in Wirklichkeit sollte ich, nachdem mein Onkel entthront wurde, tatsächlich König von Mitanni sein. Das wäre ich auch, wenn ich nicht das Zweifache Reich für den angestammten Platz der Götter hielte. Und außerdem braucht der Göttliche Frohsinn und Heiterkeit. Meine Aufgabe ist es, ihm als Trost in seinen Tagen, die mit der Sorge um das Reich angefüllt sind, beides zu schenken.« Diese letzte Bemerkung ließ Meren erwartungsgemäß aufhorchen. Er starrte Tanefer an, der sich vor dem König verbeugte. Als er sich wieder aufrichtete, warf er Meren einen Blick zu. Meren erriet die Bedeutung dieses Blickes und setzte sich von der Gruppe ab. Er ging zu Ay hinüber und flüsterte dem alten Mann etwas zu. Ay nickte. Auf seinen Stab gestützt durchschritt er die Gruppe junger Männer und sprach zum König. »Vielleicht wünscht Eure Majestät, allein mit den Abgesandten aus Palästina und Syrien zu sprechen?« Tutenchamun hielt einen Moment inne, warf Meren einen Blick zu und sagte. »Ja, das wünscht meine Majestät auf der Stelle. Huy, Khai, Maja, entfernt Euch eine Zeit lang. Wir werden Euch erneut rufen lassen.« Innerhalb kurzer Zeit waren nur noch wenige Vertraute übrig – der Wesir, Horemheb, Prinz Tanefer und seine Begleiter, Prinz Rahotep und Prinz Djoserkarenseneb, genannt Djoser. Prinz Hunefer blieb neben dem König stehen. »Warum muß ich gehen?« fragte er in klagendem Ton. Meren verdrehte die Augen. Hunefer besaß den Verstand eines Bierfasses, aber er bildete sich ein, Belohnungen und Ehrenbezeugungen zu verdienen, obwohl er nichts dafür getan hatte. Tutenchamun knirschte mit den Zähnen und blickte Hunefer grimmig an, während er mit dem Fuß auf den Boden trommelte. »Ihr müßt gehen, Halbbruder, weil ich es befohlen habe.« Meren glitt an Hunefers Seite und lächelte ihn an. Hunefer er25
schrak, als er ihn plötzlich neben sich sah, wich seinem Blick aus und schlich sich aus dem Raum. Meren überzeugte sich davon, daß der Aufseher die Türen des Audienzsaales geschlossen hatte und daß die königlichen Wachposten daneben standen. Als er zurückkehrte, hatte Tutenchamun sich wieder in seinem Stuhl niedergelassen. Tanefer, Rahotep und Djoser standen vor ihm, die anderen waren hinter ihnen versammelt, alle, außer Ay. Wegen seines Alters und seiner besonders ehrenvollen Stellung bei Hof war es ihm gestattet, bei inoffiziellen Anlässen auf einem Hocker neben dem König zu sitzen. Meren schloß sich der Gruppe an, als Tanefer begann. »Euer Majestät, Karkashar ist den Hethitern in die Hände gefallen.« Tutenchamun umklammerte fluchend die Armlehnen seines Sessels. »Seid Ihr sicher?« »Ja, Göttlicher«, sagte Rahotep. »Wir haben uns die Ruinen selbst angesehen. Sie haben die Stadt niedergebrannt und dem Erdboden gleichgemacht und die Frauen und Kinder verschleppt.« Rahotep wandte seinen Blick vom König ab. Seine persönliche Meinung blieb unausgesprochen, war aber jedermann bekannt. Er hätte diese Katastrophe verhindern können, wenn er an Tutenchamuns Stelle Pharao gewesen wäre. Aber Meren war sich darüber im klaren, daß Rahotep grundsätzlich alles besser zu können glaubte. Djoser schauderte. »Niemand hat überlebt, Majestät. Ihr hättet das Schlachtfeld sehen müssen. Zuerst glaubte ich, daß einige der Körper sich noch bewegten, aber dann bemerkte ich, daß es … daß es Fliegen und Würmer waren.« Meren betrachtete Djoser, der unter einer Staubschicht erblaßt war. Djoser war wie Tutenchamun, Tanefer und Rahotep der Sohn Amenhoteps des Großen. Aber in seinen Adern floß nur zur Hälfte 26
königliches Blut, denn seine Mutter war eine ägyptische Edelfrau gewesen und keine Prinzessin. Er war Anfang Zwanzig und eigentlich Gelehrter. Seine Teilnahme an dieser Expedition war der mißglückte Versuch gewesen, Krieger zu werden. Jetzt hinkte er und sah aus wie ein Mann, der von den Ungeheuern der Unterwelt gejagt worden war. Meren nahm nicht an, daß er noch einmal in den Krieg ziehen würde, egal, wie sehr er den König und Tanefer um ihre kriegerischen Fähigkeiten und ihre Ausstrahlung beneidete. »Dann stehen zwischen uns und den Hethitern nur noch die Städte Palästinas«, sagte der König. »Nicht mehr lange, Majestät«, antwortete Tanefer. »Ja«, sagte Horemheb, »nicht mehr lange. Ich kann mit den Kriegsvorbereitungen für die Armee und die Flotte sofort beginnen. Nach der nächsten Ernte werden wir dann –« Ay hob die Hand. »Es besteht kein Grund zur Eile. Der Pharao hat es nicht nötig, sich der Unterstützung von Vasallen zu versichern, deren einziger Wunsch es ist, ihm sein Gold abzuschwatzen und einander umzubringen. Diese Leute aus dem Norden haben keine Ahnung, was Frieden und Harmonie bedeutet. Sollen sie sich doch lieber gegenseitig vernichten, während wir einen gegen den anderen ausspielen.« Als Tanefer sich in diesem Augenblick abrupt aus der Gruppe der Streitenden löste, folgte Meren dem Prinzen. Tanefer verbarg sich hinter einer Säule und blieb dort mit geballten Fäusten und zusammengekniffenen Augen stehen. Meren hörte seine mühsam beherrschten, tiefen Atemzüge und wartete einen Augenblick, bevor er sprach. »Er wollte Euch nicht beleidigen.« Tanefer öffnete die Augen und warf Meren ein spöttisches Lächeln zu. »Meren, mein Lieber, mein alter Freund. Glaubt Ihr etwa, daß er vergessen hat, daß meine Mutter eine Prinzessin von Mitanni war?« 27
»Vielleicht.« Meren lehnte sich gegen die Säule. »Ihr seht zu sehr wie ein Ägypter aus, mein Freund, und Ihr ähnelt Eurem königlichen Vater viel stärker, als der König es tut.« Schweigend blieben sie nebeneinander stehen, während der König und seine Ratgeber miteinander stritten. Meren hatte immer ein Herz für die Prinzen und Halbprinzen des Königreiches gehabt. Nur die Söhne der großen königlichen Frau hatten ein Recht auf den Thron, deshalb wurden diese Männer ungeachtet ihrer Begabungen beiseite geschoben. Einige, wie Tanefer, bevorzugten das Leben eines Kriegers, das frei von der Verantwortung des Königtums war. Wieder andere, wie Djoser, waren vom Temperament her vollkommen ungeeignet für die Regierungsgeschäfte, während Rahotep und Hunefer ein Leben voller Groll und Neid führten, weil ihre Mütter Konkubinen gewesen waren und ihre niedere Abstammung sie um das Recht auf den Thron brachte. Tanefers große Leidenschaft bestand darin, sich mit schönen Gegenständen zu umgeben. Seine Einstellung gegenüber Statuen, kostbaren Möbeln und Juwelen war seltsam; er wollte sie einfach nur betrachten, statt sie zu benutzen. Für Meren, wie für die meisten anderen Menschen auch, hatte eine Statue einen Zweck: Sie war eine Gabe an die Götter, ein Gefäß des Geistes, ein Bild, das die Seele auf die Ewigkeit vorbereitete. Juwelen waren gleichzeitig Zierde und Zauber. Möbel waren zur Bequemlichkeit gedacht. Kostbare Stoffe symbolisierten den gesellschaftlichen Status eines Mannes. Tanefer wollte diese Dinge einfach nur betrachten wie man eine schöne Frau betrachtet. Auf die gleiche Weise trachtete er danach, es in der Reitkunst zur Vollendung zu bringen, und außerdem war er einer der geschicktesten Krieger und Wagenlenker des Pharao. Er war jetzt achtundzwanzig, sechs Jahre jünger als Meren, und war im Militär steil aufgestiegen. Außerdem stand er in dem Ruf, ein brillanter Stratege zu sein. Meren dankte den Göttern für einen Mann 28
wie Tanefer, denn der ketzerische Pharao, Tutenchamuns toter Bruder Echnaton, hatte das Reich geschwächt zurückgelassen. »Tanefer«, sagte Meren. »Ay war es nicht, der sich damals geweigert hat, Mitanni zu Hilfe zu kommen.« »Das weiß ich, Bruder meines Herzens, aber Tutenchamun kann es nicht zulassen, daß das Werk der Zerstörung weitergeht. Die Hethiter werden so lange an den Grenzgebieten unseres Reiches nagen, bis sie eines Tages an der Tür stehen.« Tanefer wandte ihm seinen Blick zu, und Meren bemerkte darin eine Unruhe, die er vor dem König verborgen hatte. »Hört mir zu, Meren. Die Hethiter kämpfen anders als wir. Sie setzen Wagen ein, die schwerer sind als unsere. Diese Wagen können statt nur eines Kriegers zwei transportieren und zusätzlich noch einen Fahrer. Sie sind zwar langsamer und weniger manövrierfähig, aber sie könnten unsere Linien durchbrechen und zerstören. Mit drei Männern können sie uns im Mann-gegen-Mann-Kampf vernichten. Meren, die Hethiter sind vielleicht in der Lage –« »Ägypten zu besiegen«, Meren nickte. Tanefer hatte nur bestätigt, was er schon aus anderen Quellen gehört hatte. »Ihr mögt recht haben, alter Freund, aber sie werden es nicht heute tun und nicht morgen, und noch nicht einmal im nächsten Jahr. Echnaton hat es zugelassen, daß die Armee und die Flotte Stück für Stück zerfielen. Horemheb und Nakhtmin brauchen Zeit, um sie wieder aufzubauen.« »Aber –« Meren stieß sich von der Säule ab und drückte Tanefers Arm. »Entspannt Euch. Ich habe Euch gehört, und ich glaube Euch.« »Wir haben nicht viel Zeit. In diesem Augenblick sonnen sie sich in ihrem Sieg, sind fett und selbstzufrieden. Wenn wir jetzt angriffen, dann könnten wir sie sogar aus Mitanni vertreiben.« »Und Euch an die Stelle des hethitischen Speichelleckers setzen, der dort im Augenblick regiert?« Meren grinste, als er das Erstaunen 29
in Tanefers Gesicht sah. »Oh, blickt nicht so besorgt drein. Ich habe mir nur einen Scherz erlaubt. Für einen Mann, der Vergnügen und Leichtigkeit zu seinen obersten Prinzipien gemacht hat, entgehen Euch zu oft die Scherze der anderen.« Tanefer schüttelte den Kopf und deutete auf den König, der Ay zuhörte. »Ich sehe es ja schon vor mir. Ay wird ihn davon überzeugen, daß es besser ist, zu zögern. Zögerlichkeit und Mangel an Disziplin haben meinen Onkel sein Königreich und sein Leben gekostet.« Meren stand neben Tanefer und betrachtete den König. »Und übereilte Entscheidungen, mein lieber Tanefer, könnten den Pharao seines kosten.«
Kapitel 3
U
nas huschte durch die schwarzen Straßen des westlichen Theben, sein Ka war leichter als noch vor zwei Tagen, denn er hatte jetzt keine Angst mehr. Niemand hatte Verdacht geschöpft; er konnte sich wieder ohne Risiko im Tempel bewegen. Gestern hatte er Fürst Meren im Gefolge des Pharao entdeckt und hätte fast mit ihm gesprochen. Glücklicherweise hatte ihn der Mut verlassen; der Mann, den er fürchtete, gab keinerlei Anzeichen von Nervosität von sich. In der Dunkelheit der Stunde vor Sonnenaufgang konnte er den Umriß der Sphinxen, welche die Straße zum Tempel säumten, kaum erkennen. Er ging zwischen zwei von ihnen hindurch, dann die Straße hinunter und auf den ersten Pylon, das Tor des Gottes zu. Es war immer noch sehr früh am Morgen, und niemand war zu 30
sehen. Unas näherte sich dem Koloß. Er war von einem Gerüst umgeben und sollte bald fertiggestellt sein. Das meiste war bereits im Steinbruch, der tief im Süden, in der Nähe von Assuan lag, herausgemeißelt worden, aber der Stein mußte noch poliert werden. Bald würden die Steinmetzmeister und ihre Lehrlinge mit Schleifsteinen und Körben voller zerstoßenem Quarz ankommen, um die Teile der Oberfläche zu glätten und zu polieren, die nicht bemalt oder mit Gold verkleidet werden sollten. Unas näherte sich der Leiter, deren Stufen bis nach oben führten, bis zu der Plattform, die den Kopf der Statue umgab. Er hielt inne, als er ein lautes Schnarchen hörte. Er spähte um die Ecke des Sockels. Der Lärm kam von dem Tor zwischen den beiden Pylonen. Dieser faule Pförtner schlief schon wieder. Unas schniefte und klopfte auf die Liste der Werkzeuge und Hilfsmittel, die er zusammengefaltet und in den Gürtel seines Rockes gesteckt hatte. Die Wachen waren wohl gerade an der anderen Seite des Tempels. Nicht, daß sie den Pförtner gestört hätten, denn er hätte sogar das Geheul von Dämonen verschlafen. Unas jedoch wachte immer sehr früh auf, eine Gewohnheit, die ihm heute morgen zugute kam. Gestern abend hatte der Erste Steinmetz einen Jungen mit der Nachricht zu ihm gesandt, daß er sich heute morgen in aller Frühe mit ihm treffen wollte, um den Arbeitsplan für diesen Tag mit ihm durchzugehen. Er griff nach der Leiter und begann, hinaufzuklettern. Als er zur Hälfte oben war, hielt er inne und blickte sich um. Er konnte nun Lichter in den Häusern sehen, und in weiter Ferne schrie ein Esel. Er stieg weiter und lächelte. Es bereitete ihm viel Vergnügen, wenn er als erster ankam und als letzter ging, denn sein Fleiß hatte die Aufmerksamkeit der Propheten des Gottes auf sich gezogen. In ihren Händen lag es, ihm einen weiteren beruflichen Aufstieg zu ermöglichen. 31
Sein Kopf war nun auf der Höhe des obersten Gerüsts. Er griff nach den oberen Enden der Leiter und setzte einen Fuß auf den Boden. Die Granit-Augen des Pharao, so groß wie Unas' Kopf, starrten ihn an. Als er sich auf die Plattform hievte, hörte er das Holz knarren. Etwas Weißes stürzte sich auf ihn, als er sich aufrichtete, seine Füße ganz am Rande der Plattform. Unas Mund öffnete sich, aber der Mann, der hinter dem riesigen Kopf des Kolosses hervorsprang, war zu schnell für ihn. Unas schrie, ruderte mit den Armen und stürzte hinab. Er spürte einen letzten stechenden Schmerz und dann nichts mehr. Der Mann auf dem Gerüst spähte über die Kante auf den unten liegenden Körper. Dann sah er sich um, wobei er das Tor Gottes und den Türsteher ständig im Auge behielt. Ein lauter, sägender Laut drang zu ihm hinauf; die Wache schlief also noch immer. Schnell kletterte er hinunter. Einen Moment lang blieb er stehen und blickte auf den Körper hinab, bevor er sich umwandte und mit der Dunkelheit hinter der hohen, den Tempel umgebenden Mauer verschmolz. Unas lag regungslos da, ohne daß ihn außer der Fliegen jemand bemerkt hätte. Als hinter den östlich gelegenen Tempeln des heiligen Ortes das erste Licht erschien, gingen einige Priester die Straße zum heiligen Tor entlang. Den Sockel der Statue würdigten sie keines Blickes, der Leichnam lag ja auch auf der dem Tor abgewandten Seite. Die Priester weckten den Türsteher, schimpften ihn aus und betraten den Tempelbezirk. Wenig später legte eine Gruppe von Männern in einem Boot am Kai an. Sie stiegen aus, hievten Körbe und Säcke auf ihre Schultern und gingen auf den Pylon zu. Schwatzend und lachend schwankten sie zur Seite und strebten dem Koloß entgegen. 32
Sie gingen an den Füßen aus Granit vorbei, die größer als zwei Männer waren, umrundeten die Ecke des Sockels, auf dem diese Füße standen und blieben abrupt stehen. Um die Gruppe wurde es still, nur das Summen der Fliegen war zu hören. Dann begannen sie alle gleichzeitig zu reden. »Es ist dieser Priester, Unas.« »Was ist passiert? Ist er gefallen?« »Sieh mal, sein Kopf. Seine Innereien haben sich auf den ganzen Steinfliesen verteilt.« »Er muß den Boden unter den Füßen verloren haben.« Der älteste Mann, dessen Haut faltig, rissig und von jahrelangem Steineklopfen in der Sonne vernarbt war, erhob schließlich die Stimme. »Ruhe, seid alle ruhig!« Er ging zu dem Leichnam hinüber und betrachtete ihn eine Weile, während die anderen Abstand wahrten. In seinen Jahren als erster Steinmetz hatte Seneb schon einige Wunder gesehen – den riesigen Begräbnistempel Amenhoteps des Großen, die Ankunft der Prinzessin von Mitanni, Giluchepa und ihrer über hundert Dienerinnen am Hof von Theben, selbst daß Wasser sich auf den Bergspitzen im fernen Norden in weiße Wolken voller Schnee verwandelte. Aber noch nie hatte er einen toten Priester auf dem Sockel einer Statue gesehen. Er blickte von dem Leichnam zu der Leiter, die zur Plattform um den Kopf der Statue führte. Er rieb sich das Kinn und setzte dann den Korb ab, den er getragen hatte. Der alte Unas war ein Schreiber, und Schreiber pflegten über ihre eigenen Füße zu fallen. »Ich werde die Priester holen. Ihr bleibt alle hier und sorgt dafür, daß keiner den Leichnam anrührt.« »Aber Seneb –« »Ihr bleibt hier, habe ich gesagt.« Seneb verfiel in Laufschritt. Er lief zum Tor und stand schließlich dem Türsteher gegenüber, der sich, gegen die Steinmauer gelehnt, 33
die Augen rieb und gähnte. Er brauchte mehrere Anläufe, um sich dem Mann verständlich zu machen, aber dann endlich wurde ihm gestattet, einzutreten. Drinnen traf er auf einen Diener, der die Steinfliesen fegte. Der Diener führte ihn zu einem Reinen, der ihn wiederum zu seinem Vorgesetzten geleitete. Dieser horchte wortlos Senebs Bericht. Dann ließ man ihn unter einer Papyrussäule stehen, während der Priester im schwarzen Inneren des Tempels verschwand. Eine Weile später erschien der Mann erneut im Hof, im Schlepptau einen großen Priester mit kostbarer Perücke und einem goldenem Stirnband. Er bewegte sich mit eleganter, an Zerbrechlichkeit grenzender Grazie. Seine Knochen waren dünn, was ihm das Aussehen eines Hirsches gab. Sein mageres, langes Gesicht erinnerte Seneb an den alten Ketzerkönig Echnaton. Sein Gewand war aus feinem, fast durchsichtigem Leinen, und er trug einen goldenen Skarabäus auf der Brust. Seneb entspannte sich, denn dies war ein hochstehender Priester. Dieser Mann würde die Verantwortung nicht von sich weisen, und er würde wissen, was zu tun war. »Ich bin Qenamun, der erste Wächter des göttlichen Schatzes und Lesepriester des Amun. Du hast einen unserer Reinen gefunden?« »Ja, Herr. Es ist der Priester, der mit uns an der Statue des lebenden Gottes gearbeitet hat. Sein Name war Unas. Er ist vom Gerüst gefallen.« »Gefallen? Bist du sicher? Amun steh uns bei. Führ' mich auf der Stelle zu ihm.« Seneb stellte fest, daß der Lesepriester seine eigene Vorstellung von ›auf der Stelle‹ hatte. Gemessenen Ganges schritt er aus dem Tempel und achtete sorgfältig darauf, daß kein Stäubchen sein priesterliches Obergewand und seine feinen Sandalen befleckte. Die Gruppe der Kunsthandwerker, die sich um den Leichnam versammelt hatte, teilte sich, als Qenamun erschien. Einige Minuten verstrichen, in denen sich mehr und mehr Arbeiter, Priester 34
und Tempelbesucher vor sich hinmurmelnd zusammenrotteten. Seneb beobachtete, wie der Lesepriester den Leichnam betrachtete. Es war offensichtlich, daß Qenamun zu jenen Priestern gehörte, die ihre hohe gesellschaftliche Stellung von ihren Vorfahren geerbt hatten. Sein Verhalten und seine Kleidung zeugten davon, daß er zu den Privilegierten gehörte. Seine kunstvolle Perücke, die er auf dem rasierten Kopf trug, bestand aus durch Hunderte von Bronzeringen zusammengehaltenen Flechten. Seine vertrocknete Haut war geölt. Zweifellos saugte sie Feuchtigkeit auf wie der Wüstenboden. Seneb wollte gerade erklären, wie sie den Toten gefunden hatten, als Qenamun sich über den Körper beugte und magische Zeichen zu machen begann. Die Kunsthandwerker wichen geschlossen zurück. Seneb, der sich seiner führenden Stellung bewußt war, ging nur halb so weit wie die anderen zurück. Qenamun wandte sich von dem Leichnam ab und sprach zu ihm. »Dies ist ein außerordentlich unglücklicher Unfall. Du sagtest, daß er wahrscheinlich ausgerutscht und von der Leiter gefallen ist?« »Ja, Lesepriester.« »Nun gut. Du und deine Männer, ihr werdet hier Wache halten. Er stand in meinen Diensten. Ich werde meine Diener herschicken, damit er in sein Haus gebracht wird.« »Ja, Lesepriester. Und dann muß ich den Vorfall dem Schatzmeister, dem Prinzen Maja, melden.« Er zuckte innerlich zusammen, als der Priester ohne Vorwarnung glühende Kohlen des Zorns auf sein Haupt niederregnen ließ. »Bei den Göttern, das wirst du nicht!« Qenamuns Stimme zischte, und er spuckte Gift und Galle. »Unverschämte Laus, das hier ist eine Angelegenheit der Diener des Amun, nichts für einen Arbeiter, der bloß Steine zerschlagen kann. Du wirst meinem Befehl gehorchen und sonst gar nichts, oder ich werde dafür sorgen, daß du in die Steinbrüche in der östlichen Wüste verbannt wirst.« Qenamun drehte sich auf dem Absatz um und ließ Seneb in der 35
Leere zwischen dem Leichnam und seinen Gefährten stehen. Seine Eingeweide krampften sich zusammen und schlugen ein paar Purzelbäume, bevor er seine Selbstbeherrschung wieder erlangte. Er blickte sich um und bemerkte, daß alle ihn anstarrten. Er warf ihnen einen grimmigen Blick zu. »Was glotzt Ihr denn so, Ihr Dungfresser?« Er befahl ihnen, einen Kreis um den Leichnam zu bilden, nahm seinen Platz unter ihnen ein, das Gesicht von dem Toten abgewandt. Einige neugierige Jungen, die auf dem Weg zur Schule im Tempel waren, versuchten, sich zwischen ihre Beine zu schieben, was ihm Gelegenheit gab, zu fluchen und jemanden anzuschreien. Minuten vergingen und niemand kam, um den toten Mann fortzutragen, so daß Seneb Zeit zum Nachdenken blieb. Er war ein königlicher Kunsthandwerker und war seinem Meister in den königlichen Werkstätten verantwortlich, der wiederum einem anderen Vorgesetzten Rede und Antwort stehen mußte, der sich schließlich vor Prinz Maja zu verantworten hatte, dem Schatzmeister und Freund des Königs. Wem schuldete er die Treue, Maja oder diesem Skorpion von einem Priester, Qenamun? Er wandte sich seinem Sohn zu, der auch als Lehrling unter ihm arbeitete, und sagte leise. »Djefi, du gehst jetzt sofort zurück zu den königlichen Werkstätten und erstattest dem Meister Bericht. Sag ihm, daß ich das trotz des Verbotes durch den Lesepriester angeordnet habe. Mache ihm klar, daß keinen von uns beiden die Schuld trifft, daß wir aber von allem berichten müssen, was im Zusammenhang mit dem Standbild des lebenden Gottes passiert, möge ihm ein langes Leben, Gesundheit und Stärke zuteil werden. Kannst du das behalten?« »Ja, Vater.« »Dann geh jetzt, bevor die Priester zurückkommen. Beeil dich!« Er blickte seinem Sohn nach, bis er in der Menge verschwunden war. Verflucht sollten sämtliche Priester sein. Warum mußte dieser 36
ausgerechnet auf Senebs Statue sterben und damit die Aufmerksamkeit der Großen auf ihn ziehen? Aus Erfahrung wußte er, daß es fast genauso war, als stoße man in ein Hornissennest, nur noch viel gefährlicher. Meren erhob sich von seinem Hocker und streckte die Arme und Beine, während er dem Schatzmeister lauschte, der seine Bedenken äußerte, sollte der König selbst die Armee nach Syrien führen. Seit sie das erste Mal über diese Möglichkeit diskutiert hatten, war Maja immer besorgter geworden, daß der Pharao im Kampf den Tod finden könnte. Er wollte dem König nicht raten, ein solches Risiko auf sich zu nehmen. Die Ratgeber hatten nach einer vierstündigen Debatte ihre Sitzung aufgehoben, und der König hatte sie nach draußen an den künstlichen Teich geführt. Wann immer es ihm möglich war, suchte Tutenchamun das Freie. Meren verstand die Ruhelosigkeit des Königs, denn er hatte selbst drei Töchter und einen Adoptivsohn. Keinem Knaben, der gezwungen war, sich stundenlang mit Themen wie den Finanzen, dem Gesetz und der Diplomatie auseinanderzusetzen, konnte man einen Vorwurf daraus machen, wenn es ihm nach physischem Ausgleich gelüstete. Er ging zu einem Diener, der Maja und ihm mit einem Fächer aus Straußenfedern Luft zufächelte. Er streckte den Arm aus und dehnte ihn mit der anderen Hand, während er die blauen und rosafarbenen Lotusblumen auf der gegenüberliegenden Seite des Wasserbeckens betrachtete. Unter einem Baldachin, der ihn vor der Sonne schützte, saß der König und horchte Ays Worten. Selbst aus der Entfernung konnte Meren erkennen, daß Tutenchamun immer wütender wurde. Im hohen Rat machte sich Uneinigkeit unter den Ratgebern des Königs bemerkbar. General Horemheb und Prinz Tanefer plädier37
ten für eine militärische Aktion gegen die rebellischen Vasallen Syriens und Palästinas. Jeder war sich darüber im klaren, daß das notwendig war. Aber der König wollte die Armee selbst führen, und Horemheb und Tanefer stimmten mit ihm überein. Nach der jahrelangen Vernachlässigung der Armee von Seiten des Ketzerkönigs Echnaton mußte die Armee erst einmal wieder in Form gebracht werden, und sie brauchte einen kriegerischen Pharao an ihrer Spitze. Ay und Maja verstanden das, aber beide wiederholten immer und immer wieder ihren Einwand – daß der König zu jung sei. Meren beugte sich nach vorne und berührte mit den Fingerspitzen den Boden. Er richtete sich wieder auf, als er die Stimme des Königs über das Wasser zu ihm herüberklingen hörte. »Ich bin nicht zu jung, alter Mann. Und ungeachtet meiner Jugend bin ich immer noch der Pharao, und ich werde geruhen, das zu tun, was meiner Hoheit gefällt!« Tutenchamun sprang von seinem vergoldeten Stuhl auf. Dieser fiel zur Seite und stieß gegen einen Tisch, auf dem ein mit Elektrum überzogener Krug und ein Weinbecher standen. Alles krachte auf die Steinfliesen am Ufer des Sees. Ay wich einem auf ihn zu rollenden Becher aus, als der König von ihm fortstürmte. Der Wesir blickte seinem Mündel nach, als dieses in den Palast zurückstürmte, dann wandte er seinen Blick Meren zu. Kopfschüttelnd ging Meren um das Wasserbecken, um sich dem Wesir anzuschließen, während einer der Leibwächter einen Beamten der königlichen Schatzkammer zu Maja hinausbegleitete. Er schüttelte immer noch den Kopf, als er bei dem Wesir unter dem Baldachin anlangte. »Ay, Ay, Ay.« Er kannte Ay schon sein Leben lang. Er war der Bruder der Mutter des Königs, der großen Königin Teje, der Gattin Amenhoteps des Großen und war im Zweifachen Reich berühmt für sein politisches Geschick. Er war sogar noch berühmter dafür, daß er die Re38
gentschaft Amenhoteps des Großen, Echnatons, Smenchkares und jetzt Tutenchamuns überlebt hatte. Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch. Merens Ansicht nach war er seit dem Zeitalter der Pyramiden nicht erstaunt gewesen. Die Knöchel an seinen Händen waren schmerzhaft geschwollen, und sein Rücken krümmte sich wie eine Sense. Der Wesir bewegte sich langsam, nur seine Augen schienen niemals zu ruhen. Sein Blick glitt nun über Meren hinweg und dann wieder zu dem Stuhl, von dem sein königlicher Neffe soeben verschwunden war. Seine Stimme klang vom Alter rauh, als er sagte: »Er ist zu jung, und dieser kleine Affe weiß das.« Ay hielt inne und kauerte seinen knochigen Körper in einen Sessel, während die Diener den des Königs wieder aufrichteten. Als sie verschwunden waren, fuhr er fort. »Und manchmal wünschte ich, daß er immer noch jung genug wäre, um einen Regenten zu benötigen.« »Der Kampf wäre der gleiche«, sagte Meren und lehnte sich gegen einen der Stützpfeiler des Baldachins. »Als Ihr und Horemheb Vizeregenten wart, habt Ihr immer der Vorsicht den Vorzug gegeben, wie die Oryxantilope auf dem Feld, während Horemheb immer handeln wollte, wie der Löwe, der die Antilope jagt.« »Aber zumindest hat er auf mich gehört, junger Mann.« »Der Göttliche hört immer noch zu, aber er wächst langsam zum Manne heran. Wenn Ihr nicht zulaßt, daß er sich selbst unter Beweis stellt, dann wird er Euren Rat irgendwann beiseite schieben und etwas tun, das noch gefährlicher wäre als dies hier.« Ay blickte ihn finster an. »Dann glaubt Ihr also auch nicht, daß er zu jung für den Krieg ist?« »Natürlich ist er zu jung.« »Beim Schoße der Isis, warum tadelt Ihr mich dann, wenn ich es ihm sage?« »Ay, wo ist Eure sagenhafte Diplomatie geblieben? Der König ist 39
ein unerfahrener Jüngling, der sich beweisen muß und sich nur allzu bewußt ist, daß sein Königreich sein Verhalten beobachtet. Seine Fehler und Schwierigkeiten werden vom Nildelta bis hin nach Nubien diskutiert, bei dem morgendlichen Bier, in jeder Taverne, jedem Stall und in jedem Laufgehege für das Vieh. Bietet ihm etwas anderes an als nur Eure Meinung über seinen Mangel an Tapferkeit.« Ay seufzte und stützte das Kinn in die Hand. »Ich werde alt. Ich habe vergessen, was es bedeutet, so jung zu sein. Deshalb bin ich froh, daß Ihr hier seid. Er braucht junge Männer in seiner Umgebung.« »Wie Tanefer?« »Tanefer? Dieses wilde Fohlen? Die Hälfte der Verantwortung für diesen Ärger liegt auf seinen Schultern.« »Wir müssen handeln, Ay.« »Ich weiß. Ich weiß. Jetzt geht und laßt mich nachdenken, junger Mann.« Meren kehrte zu seinem Sessel, der am gegenüberliegenden Ufer des Beckens im Schatten stand, zurück, wo er Maja vorfand, der gerade einen Zornesanfall hatte. Sein eingefallener Kiefer arbeitete, und seine Mundwinkel senkten sich herab, während er vor sich hinschimpfte. »Warum mußt du mich mit einer solch unbedeutenden Sache belästigen, während ich in einer Sitzung mit seiner Majestät sitze? Regele diese Sache selbst.« »Aber der Steinmetzmeister ist sehr bestürzt«, sagte der Gehilfe. »Und Ihr habt mir doch selbst immer gesagt, daß Meisterhandwerker viel Übel anrichten können, wenn sie aufgebracht sind. Und immerhin ist dieser Priester genau vor dem Tempel des Amun vom Standbild des Pharao gefallen.« Meren hatte gerade einen Becher voll Wasser getrunken, als er das hörte. Er wischte sich den Mund ab. »Was ist los?« 40
Maja hob die Hände gen Himmel und sagte: »Irgend so ein Priester ist vom Gerüst um den Koloß des Königs vor dem Tempel des Amun zu Tode gestürzt. Ein Unfall, über den ich nichts wissen möchte und der mich nicht weiter kümmert.« »Was für ein Priester?« fragte Meren und trank einen weiteren Becher mit Wasser. Der Gehilfe studierte ein Stück Papyrus. »Ein Reiner, Herr. Der Reine, der mit der Lieferung von Edelsteinen und Metallen für die Statue betraut war. Er hieß, hmmm, er hieß Unas.« »Ist mir egal, wie er hieß«, rief Maja. Er setzte sich mit gekreuzten Beinen nieder und blickte den Gehilfen grimmig an. »Fort mit dir.« Der Gehilfe wandte sich ab, aber Meren hob die Hand, so daß der Mann innehielt. »Maja, ich glaube, ich verstehe, warum Ihr von dieser Angelegenheit unterrichtet wurdet. Wenn Ihr Euch das Vergnügen ins Gedächtnis ruft, das dieses brillante Bildnis seiner selbst dem König bereitet, seine monumentale Größe – und seine strategische Position vor dem Tempel…« Maja stöhnte und rieb sich die Schläfen. »Seine Hoheit wird zornig sein. Beim Stabe des Ptah, er ist doch schon wütend, und jetzt… ich möchte seinen Zorn nicht noch steigern.« »Ihr habt recht«, sagte Meren leichthin. Er warf Maja einen Seitenblick zu und fuhr in dem nachlässigsten Ton, dessen er fähig war, fort. »Wie wäre es, wenn er wüßte, daß sich bereits jemand um diese Sache kümmert?« »Ah!« Majas gequälter Blick verschwand, und er richtete sich auf. »Ihr wollt also in diesem Fall ermitteln? Ich weiß, daß es sich um eine unwichtige Angelegenheit handelt, eine, um die Ihr Euch wohl kaum selbst kümmern würdet, wenn der König nicht wäre. Könntet Ihr das tun?« »Wenn Ihr wollt.« 41
»Hervorragend.« Maja bedeutete dem Gehilfen, sich zurückzuziehen, und strahlte Meren an. »Mein Dank, Falke.« Während Maja weiterhin vor sich hin schwatzte, nickte Meren und lächelte, während seine Gedanken sich überschlugen. Er hatte den Namen erkannt. Unas. Unas war der Name des Informanten, den sein Gehilfe, Abu, bezahlte. Es war gerade ein paar Wochen her, da er ihn im Tempel des Amun begegnet war, als er einen Mord im Tempel des Anubis aufzuklären hatte. Jetzt erinnerte er sich. Gestern hatte er den kleinen Mann mit dem spitzen Schädel wiedergesehen. Er hatte auf dem Sockel der Statue gestanden und ihn angestarrt, und nun war er von dem Standbild heruntergefallen. Meren liebte ein solches Zusammentreffen der Ereignisse nicht. Er glaubte nicht an Unfälle, zumal nicht an solche, die seinen Informanten zustießen. Und doch konnte es sich um einen einfachen Unfall handeln. Er lebte schon zu lange unter Höflingen, die um der Macht willen sogar bereit waren, ihre eigenen Männer und Frauen zu töten. Immerhin, Unas war einer von Tausenden von Reinen, die im Dienste des Amun standen. Doch er mußte sichergehen, daß sein Tod ein Unfall war. Weswegen er die Ermittlungen in diesem Fall selbst übernommen hatte, eine leichte Aufgabe, wenn man in Betracht zog, wie sehr Maja es verabscheute, den König aufzuregen. Majas Beschützerinstinkt war fast ebenso ausgeprägt wie Ays. Tanefer hatte recht, wenn er sie beschuldigte, den König zurückzuhalten und ihn zu verhätscheln wie ein krankes Kalb. Man mußte vorsichtig und mißtrauisch sein, wenn man wollte, daß der König am Leben blieb und das Mannesalter erreichte. Der Pharao hatte zu viele Feinde – sogar seine eigene Frau gehörte dazu. Nein, es war besser, mißtrauisch zu sein als auf närrische Weise vertrauensselig. Er würde den König über den Tod des Priesters informieren, aber er würde den Fall nicht selbst verfolgen können. Seine Anwesenheit konnte den Hohepriester noch zusätzlich verärgern. Er würde Ky42
sen hinschicken. Nachdem er entschieden hatte, wie er verfahren würde, schloß Meren die Augen und hörte zu, wie Maja erneut die Risiken, denen sich der König im Krieg gegenüber sehen würde, analysierte. Er nickte zum dritten Mal zustimmend, als er eine vertraute Stimme über sich hörte. »Wach auf, Vetter.« Meren riß die Augen auf und starrte in das Gesicht von Ebana, das seinem eigenen, abgesehen von der Narbe, die quer darüberlief, so sehr ähnelte. Sein Vetter stand über ihm, eine elegante und königliche Erscheinung in Gold und Lapislazuli, gekleidet in ein durchscheinendes Gewand. Er hatte breite Schultern, war stark wie ein Krieger und ebenso tödlich. So durchbohrte Ebana ihn mit düsterem, schwarzem Blick. Meren umfaßte die Armlehnen seines Sessels mit den Händen, alle seine Sinne waren hellwach, sein Körper pochte vor Beunruhigung. Ebana, der ihn haßte, der in den Diensten des mächtigen Hohepriesters des Amun stand. Ebana schenkte Meren das Lächeln einer Kobra. »Sei bereit, Vetter. Dein Spion im Tempel ist tot.«
Kapitel 4
M
eren schüttelte den Kopf, lehnte sich lächelnd zurück und lockerte seinen Griff um die Armlehnen. »Ah, Vetter, wir haben gerade von diesem Unfall im Tempel gehört. Mein Spion?« Er warf Maja einen Blick zu, der gleichzeitig amüsiert und resigniert 43
war. »Warum glauben bloß alle bei Hof, daß ich in jedem Haushalt und in jedem Tempel des Königreiches Spione versteckt habe?« »Weil es stimmt«, sagte Maja ruhig. Meren hätte dem Schatzmeister jetzt gern eine Ohrfeige gegeben, aber Ebana unterbrach sie. »Ich habe gesehen, wie dein Mann vor ein paar Wochen mit ihm sprach. Normalerweise verrätst du deine Speichellecker nicht so ohne weiteres, aber ich habe ihn seitdem beobachten lassen.« Seine Augen glitzerten, als er Meren ins Gesicht sah. »Und jetzt ist er vom Standbild des Königs zu Tode gestürzt. Zweifellos hat sich der gute Gott an seinem verräterischen Diener gerächt.« Meren seufzte und sagte: »Unas war kein Spion von mir.« »Du kennst seinen Namen.« »Bei den Göttern, Ebana«, rief Maja. »Er ist uns vor ein paar Minuten zum ersten Mal zu Ohren gekommen.« Meren hatte seinen Vetter durch halb geschlossene Augen beobachtet. Wenn jetzt nicht etwas geschah, dann konnte Ebana einen Skandal auslösen, der auch dem König zu Ohren kommen würde. Er seufzte erneut und sah Maja schuldbewußt an. »Hättest du etwas dagegen, alter Freund, wenn ich allein mit meinem Vetter spräche? Familienstreitigkeiten und Rivalitäten, das verstehst du doch.« Maja ließ sich seine Überraschung nicht anmerken, auch widersprach er nicht, obwohl er von einer Angelegenheit ausgeschlossen wurde, die seine Untergebenen betraf. Stillschweigend ließ er sie allein. Meren wußte, daß er später mit Fragen bestürmt werden würde, deshalb gelang es Maja jetzt, seine Neugier zu zügeln. Als er fort war, erhob sich Meren, damit Ebana nicht mehr auf ihn hinunterschauen konnte. Er wandte sich ab, winkte einen Sklaven heran und befahl ihm flüsternd, Kysen zu holen. Dann entließ er die Diener mit den Fächern und ging von den Stühlen fort. Er hielt an, als er eine der 44
Sykomoren erreichte, die in wohlgeordneten Reihen das Wasserbecken säumten. Er sah sich nach seinem Vetter um. Mit seinen breiten Schultern, dem flachen Bauch und den langen Beinen hatte Ebana eine Figur, die in ihren Proportionen dem Idealbild der Maler entsprach, wenn sie Götter und Könige darstellten. Man sagte, daß eine große Ähnlichkeit zwischen den Cousins bestand. Meren hatte diesem Umstand niemals sehr viel Beachtung geschenkt. Er erinnerte sich daran, wie Ebana ihn immer ausgelacht hatte, weil er verlegen geworden war, wenn die Mädchen in Türeingängen oder auf den Dächern herumlungerten, während sie ihre Wagen durch die Stadt lenkten. Das war zu der Zeit gewesen, da sie wie Brüder zusammengelebt hatten. Er lehnte sich gegen den Baum und wartete, daß Ebana zu ihm kam. »Ich bin nicht gekommen, um mit dir ein Familienschwätzchen zu halten«, sagte Ebana. Er stellte sich Meren gegenüber und kreuzte die Arme über der Brust. »Ich bin gekommen, um seiner Majestät Bericht zu erstatten.« »Du weißt sehr gut, daß ich mit diesem Priester sprach, weil ich in einem Mordfall ermittelt habe. Ich spreche fortwährend mit den Priestern des Amun, Ebana. Verdächtigst du jeden von ihnen? Und wenn ja, vielleicht sollte ich dich verdächtigen, diesen hier getötet zu haben.« Ebana errötete. »Ich bin kein Mörder, und versuch nicht, mich abzulenken.« Ein Windstoß fuhr durch die Blätter der Sykomore. Meren atmete die kalte Luft ein, schloß die Augen und streckte das Gesicht dem Sonnenlicht entgegen, das durch die Blätter fiel. »Folge deinem Verstand, Ebana. Von allen Priestern des Amun bist du derjenige, mit dem ich am häufigsten spreche. Es ist also am wahrscheinlichsten, daß du mein Spion bist. Und, verdächtigt dich 45
Parenefer etwa?« Da Ebana nicht antwortete, öffnete Meren die Augen. Wenn er nicht seine gesamte Kindheit mit diesem Mann verbracht hätte, wäre ihm in diesem Gesicht nichts aufgefallen. Ebanas Augen hatten nicht einfach nur die dunkelbraune Farbe Ägyptens. Sie waren wahrhaft schwarz wie der Nil bei Nacht. Nur Meren konnte der Schimmer nicht entgehen, der aussah, als ob der Vollmond sich in sie hinabgesenkt hätte, und er bemerkte auch, daß er dunkle Ringe um die Augen hatte. »Das wußte ich nicht«, sagte Meren sanft. »Du weißt gar nichts. Ich habe den Befehl, dem König Bericht zu erstatten. Ich könnte ihm sagen, was ich von deinem Spion weiß.« »Tu es nicht«, sagte Meren und rieb seine Narbe am inneren Handgelenk. »Du wirst ihn nur verärgern und weitere Spannungen zwischen dem Tempel und dem Hof heraufbeschwören.« »Amun fürchtet sich nicht vor –« »Ebana, manchmal bist du unglaublich schwer von Begriff. Ich habe einen Brief von meiner Schwester bekommen. Sie ist mit Bener und Isis zu Hause, die lernen, wie man ein Anwesen führt, und beide machen große Fortschritte. Zugegeben, ich hätte nicht gedacht, daß Isis sich so gut machen würde. Auch du hast Töchter. Du solltest wissen, daß es den Jüngsten immer gelingt, sich vor der Verantwortung zu drücken.« »So wie du dich von deiner Verantwortung mir gegenüber gedrückt hast?« Ebana berührte die Locke, unter der seine Narbe begann. Sie lief über die linke Wange, den ganzen Hals hinunter und verschwand unter dem Halskragen aus Gold und Karneol. Meren pflanzte sich breitbeinig vor Ebana auf. »Verdammt sollst du sein. Ich habe versucht, dich zu warnen, aber ich habe zu spät davon erfahren.« »Ich werde niemals glauben, daß du nichts von Echnatons Urteil 46
gegen mich wußtest. Du wußtest, wie launisch er war.« »Warum willst du mich nicht verstehen? Er hat mich auch beinahe getötet. Ich war gerade ein paar Tage aus der Haft entlassen, als ich herausfand, daß er seine Truppen nach dir ausgesandt hatte. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, doch als ich von seiner fixen Idee hörte, daß du mit Amun sympathisierst, versuchte ich, mich zu dir durchzuschlagen. Ich konnte niemandem eine Botschaft an dich anvertrauen, also versuchte ich selbst, dich zu warnen.« Ebana sah ihn nicht an, sondern starrte in die Ferne. Seine Lippen verzerrten sich, während er in Erinnerungen versank. »Du hast sie gefunden, nicht wahr? Meine Frau. Meinen Sohn. Die Wachen zogen mich von ihren Leichnamen fort. Ich habe sie nie wieder gesehen.« Langsam streckte Meren die Hand aus. Er berührte den Arm seines Vetters, aber Ebana schüttelte ihn ab. »Du weißt, daß ich mich um sie gekümmert habe. Habe ich sie nicht versteckt und nach Theben gebracht? Der alte König hat ihre Leichen nie gefunden, nicht wahr? Ich habe es versucht, Ebana.« »Wirklich?« Meren blickte seinem Vetter in die Augen. Einen Moment lang sah er den alten Ebana, seinen Freund und Gefährten, jenen Ebana, der mit ihm gelernt und gejagt hatte und der mit ihm zur See gefahren war. Dann öffnete sich die Kluft von Mißtrauen und alten Wunden wieder zwischen ihnen. Meren unterdrückte den Schmerz des Verlustes, den er im Verlaufe solcher Konfrontationen immer verspürte. Ebana war fest entschlossen, in einer Unterwelt unendlichen Kummers und Hasses zu leben. Er konnte seinen Vetter nicht heilen. »Hör auf damit«, sagte Meren sanft. »Hör auf damit, bevor es dich zerstört.« Ebana sagte nichts, und Meren wechselte das Thema. Er blickte über seine Schulter auf den Palast. »Es ist wahr47
scheinlich schwer zu glauben, aber ich habe mich mit Wichtigerem zu beschäftigen als mit diesem Unfall. Jedenfalls habe ich, um Maja einen Gefallen zu erweisen, Kysen ausgesandt, um die Vorkommnisse am Gottestor zu überprüfen.« Ebana blickte zurück, um Kysens Ankunft zu beobachten. »Ah, dein Bauernsöhnchen. Hast du keinen Samen mehr in deinen Lenden, daß du den Sproß eines Gemeinen adoptieren mußt?« Meren trat dicht an Ebana heran. »Halt den Mund, Vetter, sonst greife ich dir in die Kehle und ziehe dir dein Rückgrat heraus, um es anschließend wieder an dich zu verfüttern.« Er trat wieder zurück und lächelte Ebana liebenswürdig an, bevor er Kysen willkommen hieß. Er hörte, wie Ebana ihn verfluchte, aber als Kysen ihn begrüßte, hatte er wieder seine übliche unbeteiligte Maske aufgesetzt. Da Ebana neben ihm lauerte, konnte er Kysen nicht über die Bedeutung dieses Todesfalles aufklären. Er konnte nur hoffen, daß Ky genug gelernt hatte, um Gefahr auch ohne Hilfe zu erkennen. Kysen näherte sich der Statue des Königs vor dem Tor des Amun. Sein Kopf pochte, denn er hatte die Nacht damit verbracht, Bier zu trinken und Senet zu spielen und dabei Geld an Tanefer, Ahiram und ein paar andere Freunde zu verlieren. Er hätte am Morgen auf den Kalender schauen sollen, denn heute war bestimmt sein Unglückstag. Er wußte, daß seine Augen rotgerändert waren. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Moorwasser gefüllt. Und jetzt mußte er auch noch mit dieser Schlange von einem väterlichen Cousin den Tag verbringen. Der im Tempel herrschende Lärm verstärkte seine Kopfschmerzen, denn das Haus des Amun war wie eine Stadt in einer Stadt. Die hohen Wände bargen nicht nur das Haus des Gottes, sondern auch weniger bedeutende Schreine, das Haus des Lebens, Werkstät48
ten, eine Schatzkammer, Bibliotheken, den Sitz des Hohepriesters und die Häuser der Dienerschaft. Außerdem gab es ein heiliges Becken, und jedes Gebäude hatte seinen eigenen Stab eifriger Priester, Diener, Sklaven und oft auch Priesterinnen. Er blinzelte im gleißenden Licht der Sonne, legte schützend die Hand gegen die Stirn und versuchte, beim Gehen keinen Staub aufzuwirbeln. Irgend etwas stimmte nicht. Normalerweise würde der Tod eines niederen Reinen niemals den großen Diener Gottes, Ebana, auf den Plan rufen. Genausowenig hätte ein solches Ereignis normalerweise die Aufmerksamkeit seines Vaters erregt. Doch beide Männer waren sehr zurückhaltend gewesen, als sie ihm die Aufgabe übertrugen, in diesem Unfall zu ermitteln. Meren sprach nur selten von Ebana. Sein Schweigen hatte jedoch nicht verhindern können, daß Kysen die Leidenschaft erkannte, die hinter dem Geheimnis lauerte, das die beiden Männer trennte. Auch hatte es nicht verbergen können, welchen Platz Ebana immer noch in Merens Herzen einnahm. Nur wenige Menschen bedeuteten seinem Vater so viel. Kysen hatte schon vor langer Zeit festgestellt, daß Meren es vermied, sein Ka stärkere Gefühlsbande außerhalb der Familie knüpfen zu lassen. Er nahm an, daß der Grund dafür die vielen Verluste waren, die er hatte erleiden müssen – sein Vater, seine Mutter, die geliebte Frau und der kleine Sohn, Kameraden im Krieg. Die Sonne stieg hoch über die Mauern des Tempels und spiegelte sich in den goldenen und silbernen Intarsien des Gottestores wider. Das Licht sandte Speere des Schmerzes in Kysens Augen. Er blinzelte und trat in den Schatten, den die Statue des Pharao warf. Arbeiter krochen über die große Steinfigur und kletterten das Gerüst hinauf, beladen mit Werkzeugen und Steinabfällen. Kysen hielt neben dem Sockel inne und betrachtete den Boden. »Ihr habt zugelassen, daß der Leichnam bewegt wurde? Wo ist er jetzt? Wo hat man ihn gefunden? Bei den Göttern, sie haben hier 49
alles niedergetrampelt.« Ebana wirbelte zu ihm herum. »Sprich nicht mit mir wie mit einem Früchteverkäufer, Junge. Sicher ist es Meren mittlerweile gelungen, dir etwas zivilisiertes Benehmen einzubläuen.« Kysen war von brennender Wut erfüllt, und er spürte, wie seine Wangen brannten. Ebana gab ihm immer das Gefühl, Unrat zu sein, aber er hatte seinen Vater beobachtet und daraus gelernt. Er beugte vor Ebana den Kopf und sagte: »Ich war wohl vorschnell. Außerdem bezweifle ich, daß mir jemand mein einfaches Blut, meine niedere Abstammung nehmen kann, Adoptivvetter.« Er hielt inne und durchbohrte Ebana mit einem messerscharfen Blick. »Wer unter angenehmeren Umständen aufgewachsen ist, hält mich deshalb manchmal für unberechenbar.« »Bei der Krone des Amun, du magst vielleicht niederer Abstammung sein, aber du hast die kluge Zunge und den scharfen, gerissenen Verstand deines zweiten Vaters bekommen.« Ebana deutete auf einen staubigen Fleck am Fuße einer Leiter, die gegen das Standbild lehnte. »Er fiel vom Gerüst. Dort.« Kysen kniete nieder und wischte Staub und Steinsplitter beiseite, bis getrocknetes Blut und ein paar dunkle Haare sichtbar wurden. Er erhob sich und ließ den Blick über die Steinfliesen schweifen, blickte die Treppe hinauf und dann wieder auf den Blutfleck. Plötzlich sah er sich um, griff nach einem schweren Holzhammer, der in einem Werkzeugkorb steckte und begann, die Leiter hinaufzusteigen. »Was tust du da?« Er ignorierte die Nervosität in Ebanas Stimme. Als er die Spitze der Leiter erreichte, kletterte er auf die Plattform. Die Arbeit an der Statue hörte abrupt auf. Zwei Handwerker auf dem Gerüst sahen ihn entgeistert an, als er sich umwandte und auf Ebana hinunterblickte. Weitere Steinmetze, Lehrlinge und Arbeiter starrten ihn 50
vom Boden aus an. »Ihr solltet besser zurücktreten, oh, Diener Gottes.« Ohne zu zögern, streckte er den Arm aus und ließ den Hammer fallen. Das Werkzeug fiel fast direkt unter der Leiter zu Boden. Kysen starrte ihn an, dann murmelte er. »Das Gewicht eines Mannes. Er stolpert, fällt, versucht nach der Leiter zu greifen, greift daneben. Vielleicht hat er im Fall die Sprossen berührt. Doch …« Er wandte sich um und stellte fest, daß die Kunsthandwerker ihn immer noch fixierten. Der älteste suchte eifrig seinen Blick. »Ihr habt den Priester gefunden?« fragte Kysen. »Ja, Herr. Ich heiße Seneb. Wir haben ihn auf dem Rücken liegend gefunden. Sein Kopf war gespalten.« »Habt Ihr irgendwelche Anzeichen von Gewalt an ihm entdeckt?« fragte Kysen. »Irgendwelche Prellungen oder Schnitte?« »Herr, wenn ihr damit meint, ob er vielleicht angegriffen wurde, nein. Es gab keine Anzeichen von Gewalt.« »Und wann seid Ihr hier eingetroffen?« »Im Morgengrauen, Herr.« Kysen spürte die unterdrückte Aufregung des Steinmetzes und seines Gehilfen. Sie hatten Unas nicht allzu lange gekannt, denn die Aufgabe, sich um die Arbeiten an dem Standbild zu kümmern, war ihm erst vor kurzem übertragen worden. Es gab so viele Priester des Amun, und bis zur Ankunft in Theben war sie sowieso ausschließlich von den königlichen Handwerkern im Steinbruch bearbeitet worden. Kysen setzte seine Befragung fort und Seneb gab nach und nach seine Zurückhaltung auf. »Wir haben niemanden in der Nähe des Leichnams entdecken können, deshalb ging ich los, um einen Priester zu holen. Jede Wette, daß der Türsteher eingeschlafen war. Wir haben auch mit den Nachtwachen gesprochen, bevor sie nach Hause gingen. Sie kamen her, um sich den Leichnam anzusehen. Wißt Ihr, Sie sagten, daß sie den Tempel wahrscheinlich gerade auf der anderen Seite umrunde51
ten, sonst hätten sie Unas kommen sehen.« Kysen nickte. Er ging zurück zur Spitze der Leiter, blieb dort stehen und blickte über die Kante des Gerüsts. Der Steinmetz trat zu ihm hin. »Seneb«, sagte Kysen. »Zweifellos habt ihr in Eurem Leben schon häufig Menschen gesehen, die von Felsen hinabgestürzt sind.« »Ja, Herr.« »Wenn ein Stein vom Gewicht eines Mannes von diesem Gerüst herunterfiele, wo würde er aufkommen?« »Fast direkt darunter, Herr. Dort.« Seneb deutete mit einem rissigen und schmutzigen Daumen auf eine Stelle am Fuße der Leiter. Kysen blickte von diesem Punkt zu dem Blutfleck hinüber. »Nicht dort, wo der Priester gelandet ist?« »Zu weit entfernt, Herr, aber ein Mann ist kein Stein.« »Aber wenn er versucht hat, nach der Leiter zu greifen?« »Solch eine Bewegung kann bewirken, daß er am Fuß der Leiter aufkommt, oder sie kann ihn weiter weg schleudern, zu der Stelle, wo das Blut ist.« »Ah.« Kysen versuchte, die Entfernung zwischen dem Blut und der Leiter zu schätzen – bestimmt einige Armeslängen. »Ah, Herr.« »Ja.« »Ich habe schon Männer von Gerüsten herunterfallen sehen. Ihr Verstand arbeitet dann nicht mehr und sie treten aus, treffen die Leiter und stoßen sich sogar noch weiter fort als dieser Mann es getan haben mag.« »Vielen Dank, Seneb.« Er verfiel in Schweigen, als sich ein Priester aus der Menge löste, die sich im Tempelbereich bewegte. Dieser hier trug, wie Ebana, eine Perücke auf seinem rasierten Kopf und war momentan nicht in 52
heiliger Mission unterwegs. Er war in wolkenweißes Leinen und Gold gekleidet. »Das ist der Priester, der gekommen ist, als wir den Leichnam gefunden haben.« Seneb stand neben ihm. Sie schauten sich an, und Kysen wußte, daß der Mann darauf wartete, zum Weitersprechen ermutigt zu werden. »Was hat er gesagt?« »Er wollte nicht, daß ich den Vorfall dem Schatzmeister melde. Sagte, daß dies eine Angelegenheit des Tempels sei, aber das hier ist die Statue des lebenden Gottes. Ich bin ein königlicher Handwerker. Der Pharao – möge ihm ein langes Leben, Gesundheit und Stärke zuteil werden – der Pharao war sehr großzügig zu seinen Steinmetzen. Wir konnten nicht zulassen, daß so etwas Böses geschieht, ohne daß wir es unserem Herrn meldeten.« Jetzt verstand er. »Fürchtet Euch nicht. Euer Herr ist erfreut, genau wie sein Vorgesetzter und alle im Palast, die an dieser Sache interessiert sind. Euch und Euren Männern wird kein Leid geschehen, Seneb. Ihr könnt in Frieden und ohne Furcht vor dem Tempel arbeiten.« »Ich danke Euch, Herr. Möge Ptah, der Gott der Künstler, Euch schützen.« »Und Euch«, sagte Kysen, als er die Leiter hinabkletterte und einen außerordentlich erleichterten Steinmetz auf der Plattform zurückließ. Er ging zu Ebana und dem gerade eingetroffenen Priester und wurde vorgestellt. Er hatte sich von Qenamun schon einen Eindruck verschafft, während er ihn aus der Höhe beobachtete. Der Mann ging, als wären seine Gelenke mit heißem Öl gefüllt, sein weicher, gleitender Gang schien geräuschlos zu sein. Aus der Nähe wirkte er so schlank wie ein Wanderstab. Er hatte lange, dünne Knochen, mandelförmige Augen und zarte, zitternde Nasenflügel, die 53
die Ähnlichkeit mit einer Gazelle nur noch verstärkten. Neben Ebanas muskulöser Stärke wirkte er geradezu zerbrechlich. »Der Leichnam wurde also in sein Haus gesandt«, sagte Qenamun. »Zweifellos ist er mittlerweile bei den Einbalsamierern auf der anderen Seite des Flusses. Und natürlich haben wir auch seiner Frau die traurige Nachricht überbracht.« »Natürlich«, sagte Kysen. »Wie schnell und aufmerksam Ihr gehandelt habt.« Qenamun schenkte Kysen ein frostiges Lächeln und verbeugte sich knapp. »In den Diensten des guten Gottes ist größter Eifer vonnöten. Habt Ihr noch weitere Fragen?« »Was ist mit dem Türsteher? Wo ist er?« »Der Mann hat geschlafen und war nicht auf seinem Posten. Er wurde bestraft und in die Bergwerke verbannt. Faulheit und Nachlässigkeit sind eine Beleidigung Gottes.« »Ich würde ihn gern selbst befragen.« »Was für ein Unsinn«, sagte Ebana. »Der Mann weiß nichts, und er ist nicht hier.« »Ich werde zu ihm gehen.« »Das wirst du nicht!« Kysen zog eine Augenbraue hoch, eine Geste, die er bei seinem Vater abgeguckt hatte. Ebana sah ihn grimmig an. »Du wirst uns nicht in die Bergwerke zerren. Qenamun wird ihn gegen Mittag in dein Haus senden, um dort auf dich zu warten.« Qenamun murmelte zustimmend, machte eine geschmeidige Verbeugung und verließ sie. Die Sonne hatte sich bewegt, der Schatten der Statue hatte sich verschoben. Kysen ging mit ihm und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Eine beeindruckende Persönlichkeit, dieser Qenamun«, sagte er. Ebana antwortete nicht. 54
»Wirst du mir etwas über ihn erzählen, Adoptivvetter, oder soll ich Diener und bescheidene Reine bestechen?« Ebana zuckte die Achseln und sagte: »Qenamun ist ein Lesepriester.« »Du magst ihn nicht.« Als seine Bemerkung wieder unbeantwortet blieb, seufzte Kysen. »Also gut. Ich habe gehofft, zum Mittagessen wieder zu Hause zu sein, aber wie es scheint, muß ich mich in den Tempel begeben und dort bis zum Einbruch der Nacht Fragen stellen, und alles nur, weil du nicht mit mir zusammenarbeiten willst.« »Du bist ein unverschämter Hund.« »Der alles, was er wissen will, von einem jeglichen Diener des Tempels durch Bestechung oder Drohungen in Erfahrung bringen kann.« Ebana betrachtete ihn aufmerksam und mit offener Feindseligkeit, aber schließlich sprach er. »Qenamun ist einer unserer begabtesten Lesepriester. Er beherrscht die Magie, ist ein mächtiger Mann, dessen Zauber schon vielen geholfen hat, die Hilfe brauchten. Für einen bestimmten Preis.« »Ihr mögt ihn nicht, Ebana.« »Der Mann ist ein Skorpion«, stieß Ebana hervor. »Ich verabscheue ihn, weil er mit Vergnügen Zwietracht sät, so wie eine Spinne ihr Netz spinnt. Einer meiner Untertanen erwies ihm vor ein paar Jahren einen Freundschaftsdienst, als wir den Schaden reparierten, den der Ketzer am Tempel angerichtet hatte. Sie arbeiteten zusammen. Dann unterhielt ich mich eines Tages mit Qenamun, und er erwähnte, daß mein Untergebener wiederholt bei anderen schlecht über mich geredet habe. Ich war wütend und verbannte den Mann in einen Tempel in Nubien. Später erfuhr ich durch einen Freund, daß Qenamun die gleiche Geschichte über einen seiner Untergebenen verbreitet hatte.« 55
»Aber warum?« »Um Rivalen auszuschalten, Menschen, die ihm im Weg sein könnten. Die üblichen Gründe.« Kysen spürte, wie der pochende Schmerz in seinem Kopf stärker wurde, und die Hitze, die von den Steinfliesen aufstieg, begann, ihn zu quälen. »Bei den Göttern, ich hasse Aristokraten.« Er fluchte innerlich, als er bemerkte, daß Ebana ihn plötzlich anlächelte. »Geh nach Hause, Ky«, sagte er. »Hier findest du nichts außer einem trockenen Blutfleck und dem Tod eines leichtsinnigen Narren. Du solltest nicht in den Tempel platzen und es wagen, Menschen von hohem gesellschaftlichen Ansehen und aristokratischer Abstammung Fragen zu stellen. Denk dran, der Hohepriester des Amun stammt aus derselben Familie wie der Pharao; seine Diener Gottes sind ebenfalls Prinzen und Adelige. Du hast hier nichts zu suchen. Geh nach Hause.« »Unas hat nicht unter Prinzen und Adeligen gearbeitet. Oh, nun platz nicht gleich vor Wut, ich gehe ja schon.« Kysen drehte sich auf dem Absatz um und marschierte grimmig davon. Mit den Schultern bahnte er sich seinen Weg durch die Menge in den Tempel, er blickte nur ein einziges Mal zurück. Ebana stand immer noch an derselben Stelle, wo Kysen ihn verlassen hatte. Sein Gesicht war regungslos und konzentriert, während er den dunklen Blutflecken am Fuße des Standbildes des lebenden Gottes musterte.
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Kapitel 5
E
bana beobachtete, wie Kysen in der Menge vor dem Tor des Gottes verschwand. Hatte er Erfolg gehabt? Er wußte es nicht. Mit Meren war heute nichts so verlaufen, wie er es erwartet hatte. Er wußte, daß Unas Tod bestimmt Merens Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Er hatte ein Ablenkungs- und Verwirrungsmanöver versucht und seinen Cousin durch einen Angriff auf die falsche Fährte setzen wollen. Er hätte niemals erwartet, daß Meren den jungen Kysen damit beauftragen würde, den Tod des Reinen aufzuklären. Er wandte sich um und schritt in den Tempel, durch die großen Säulenhallen und zum Haus des Lebens. Währenddessen verfluchte Ebana Merens Fähigkeit, gegen ihn gerichtete Worte in eine Attacke auf seinen Angreifer zu verwandeln. Seine Kriegslist hatte darin bestanden, Meren eine unliebsame Überraschung zu bereiten; das hatte nicht funktioniert. Und dann war da noch die Bauernbrut Kysen. Der Junge war von einem linkischen, tapsigen Welpen zu einem aristokratischen Krieger herangewachsen. Mit seinem kräftigen Kiefer, dem runden Kinn und den halbmondförmigen Augen sah er seinem Adoptivvater in keiner Weise ähnlich. Die einzige Ausnahme bildete die gerade, harte Linie seines Mundes. Mit diesem Merkmal ähnelten Vater und Sohn dem großen König Khafre. Er wußte nicht, wie lange er sich schon fragte, warum Meren sich weigerte, wieder zu heiraten und einen eigenen Sohn zu zeugen. Viele Frauen starben bei der Geburt. Sit-Hathor war in den Wehen gestorben, ebenso wie ihr kleiner Sohn. Das war vor vielen Jahren gewesen, lange nachdem das Mädchen sich schließlich doch noch in ihren Mann verliebt hatte. Er erinner57
te sich, daß er sie für eine Närrin gehalten hatte, weil sie Meren in ihren ersten Ehejahren nicht bewundert hatte. Das war vor langer Zeit gewesen, bevor der Ketzer ihrer Familie Chaos und Tod gebracht hatte. Die Erinnerung an seine eigene Frau, an ihr blutüberströmtes Gesicht nagte an ihm. Er preßte die Lippen zusammen und zwang sich, nicht an die Vergangenheit zu denken, als er über die Schwelle des Hauses des Lebens trat. Er hatte nicht bemerkt, wie heiß es gewesen war, bis er das Halbdunkel des Gebäudes betreten hatte. Er blickte sich um und nahm sich einen Augenblick lang Zeit, den Frieden, den dieser Hort des Wissens, der Geschichte und der Gelehrsamkeit ausstrahlte, in sich aufzunehmen. Alabasterlampen beleuchteten die Seen mit gelbem Licht. Priester saßen um sie herum und lasen in den alten Aufzeichnungen. Wie ein Wald stand eine Vielzahl von Säulen vor ihm, und neben ihnen befanden sich Kästen mit Papyrusrollen. Neben der Tür stand ein in Stein gemeißeltes Becken mit einer Fontäne. Dank den Kerben in der Beckenwand konnte man ablesen, wenn der Wasserspiegel sank. Er erinnerte sich daran, wie stolz er als Junge gewesen war, als er gelernt hatte, diese Markierungen zu deuten. Er nickte einigen Priestern zu, während er an einer Reihe aus Säulen vorbeiging, durch eine geöffnete Tür trat und einen Korridor hinunterschritt, der zu einem weiteren Tor führte. Zwei Priester standen zu beiden Seiten der Schwelle. Ihre Körper bewegten sich wachsam, als sie ihn sahen, aber als er näher kam, nahmen sie wieder eine entspanntere Haltung an. Er betrat den Raum, ohne ein Wort mit ihnen zu wechseln. Die Tür schloß sich. Im Haus des Lebens gab es viele Räume, die so aussahen wie dieser. Es handelte sich um eine kleine, fensterlose Kammer, die vom Boden bis zur Decke mit Fächern ausgestattet war. In diesen Fächern lagen Lederkästen mit Bündeln aus Papyrusrollen. Ebana liebte diesen Raum, denn hier befanden sich einige der ältesten 58
Chroniken im ganzen Königreich. Sie stammten noch aus der Zeit der Großen, die die Pyramiden errichtet hatten. Als er eintrat, hörte er ein zischendes Flüstern, als würde der Wind Sandkörner über den Boden einer Steinwüste treiben. Nur ein einziger Mann konnte solche Geräusche von sich geben – Qenamun. Der Lesepriester hatte sich anmutig herabgeneigt, um mit einem alten Mann in einem gefalteten Gewand mit goldenen Medaillons zu sprechen. Er blickte auf, als Ebana auf sie zukam, und schloß den Mund. Ebana kniete nieder und spürte, wie Parenefer ihm die Hand auf die Schulter legte. Der Hohepriester warf ihm einen argwöhnischen Blick zu und streckte wie ein Geier den Kopf vor. »Erhebt Euch, mein Freund«, sagte Parenefer. »Qenamun hat mir soeben berichtet, wie geschickt Ihr Augen und Ohren des Pharao abgewimmelt habt.« Ebana warf Qenamun einen Seitenblick zu, während er sich vom Boden erhob. »Tatsächlich?« Parenefers Züge verhärteten sich zu einer verärgerten Miene. Er gehörte zu den Männern, deren äußeres Erscheinungsbild vom Ritual der Rasur profitierte. Er hatte einen wohlgeformten Schädel, der von keinerlei Beulen oder Einbuchtungen verunziert war, und seine kräftigen Knochen verliehen seinem Gesicht einen Ausdruck der Entschlossenheit. Ebana wußte, daß der Mann erheblich älter war als er selbst, und doch schien das Alter ihm Stärke zu verleihen. Vielleicht war es die Würde und die Macht seines Amtes oder seiner Abstammung. Parenefers Familie hatte schon seit der Zeit Thutmosis des Eroberers das Priesteramt inne. Vielleicht war es auch so, daß Parenefer, wie er selbst, den Lauf der Zeit durch die Erinnerung an das Unrecht der Vergangenheit ignorierte. Der alte Hohepriester war durch Echnaton seines heiligen Amtes enthoben worden und war im Exil vor Kummer, Zorn und Hunger fast gestorben. 59
Wenn er die Geschichte seiner Demütigung erzählte, kam es vor, daß Parenefer sich in der Vergangenheit verlor. Eines Nachts hatte er diese Geschichte aus dem vom Wein redselig gewordenen Mund Parenefers siebenmal hintereinander gehört. Jede Erzählung klang gehässiger als die vorherige. Ja, vom fetten Fleisch solcher Erbitterung konnte man lange zehren. »Ihr seid nicht einer Meinung mit Qenamun.« »Unglücklicherweise«, sagte Ebana, »hat Meren die ganze Sache in seinem Kopf herumgedreht. Er sagte, daß er mit vielen Priestern gesprochen habe, was der Wahrheit entspricht. Und das sie alle Spione sein könnten, was ebenfalls wahr ist. Er ist schwerer zu überraschen als ein syrischer Bandit. Ich habe Euch gesagt, daß er Verdacht schöpfen würde, egal, wie wir mit der Sache umgehen.« »Solange sein Verdacht den falschen Kurs einschlägt, bin ich zufrieden. Qenamun hat unsere Freunde bei Hof gewarnt. Sie lassen Vorsicht walten.« Ebana ging zu einem der Fächer und berührte den Riemen an einem Dokumentenkasten. »Ihr kennt Meren nicht so gut wie ich, Geheiligter. Es ist schlimm genug, daß dieser Unfall seine Aufmerksamkeit auf den Tempel gelenkt hat. Wir müssen außerordentlich sorgfältig vorgehen. Ein falscher Schritt, der falsche Klang in meiner Stimme, ein unvorsichtiger Blick von Qenamun, und wir sind verloren.« »Deshalb seid Ihr ja auch auserkoren, um Euch mit dem Tod dieses verdammten Reinen zu befassen«, sagte Parenefer und erhob sich aus seinem Sessel. »Wir brauchen jemanden, der als Mittler zwischen Tempel und Hof agiert. Was für ein Pech, daß dieser Narr ausgerechnet jetzt von der Statue des Königs herunterfallen mußte. Möge das Untier der Unterwelt seine Seele fressen. Einfach so im Dunkeln zu stolpern. Wer hat ihm gesagt, daß er so eifrig schon so früh mit der Arbeit beginnen soll?« Qenamun glitt hinüber, blieb an Parenfers Seite stehen und mur60
melte: »Unas war sehr eifrig in seiner Arbeit für den guten Gott, viel zu eifrig. Seine Erregung machte ihn oftmals ungeschickt.« »Das interessiert mich nicht«, sagte Parenefer, als er sich der Tür näherte. Er hob die Hand, um Ebana daran zu hindern, sie zu öffnen. »Kümmert Euch um diese Sache, Ihr beide, denn sonst werden wir eines Tages den Giftbecher der Verdammten zu trinken bekommen. Wir alle.« Kysen erreichte das Ende der hohen Mauer, die den Tempel des Amun umgab, bog um eine Ecke und blickte über die Schulter zurück, um sich zu versichern, daß ihm niemand gefolgt war. Er wollte nicht, daß Ebana sich einmischte, wenn er im Haus des Reinen, Unas, eine Befragung durchführte. Einige Priester schienen sich ebenfalls in diese Richtung zu bewegen, aber sie gingen schnellen Schrittes, zielstrebig Tempelgeschäfte verfolgend, an ihm vorbei. Im Gegensatz zu der sorgfältig geplanten Ketzerstadt Echnatons war das östliche Theben ein Sammelsurium aus Tempeln, Hütten, Herrschaftshäusern und Werkstätten, die sich in lärmendem Durcheinander dicht aneinanderdrängten. Er schritt an dem von einer Mauer umgebenen Wohnsitz eines Prinzen vorbei, bog um die Ecke und ging auf eine Reihe erheblich bescheidenerer Häuser zu. Die oberen Stockwerke waren mit engen Fensterschlitzen gesprenkelt, und er konnte die Frauen auf den Dächern sehen. Vor ihm erstreckte sich eine unregelmäßige Häuserfront, die von etlichen Türschwellen unterbrochen wurde. Die meisten Haustüren waren geöffnet, damit die Luft zirkulieren konnte. Er wußte nur, in welcher Straße Unas wohnte. Das Haus kannte er nicht, doch würde es ein Leichtes sein, es herauszufinden, da es momentan wahrscheinlich von Klageweibern und Verwandten bevölkert war. Fast am Ende der Straße sah er, wie einige Leute durch eine Tür traten, und er hörte, daß im Innern des Hauses eine Frau 61
wehklagte. Es waren keine professionellen Klageweiber dort. Möglicherweise hatte die Familie noch nicht dafür gesorgt, oder sie konnte sich keine leisten – oder wollte es einfach nicht. Er hatte sich dicht an eine Häuserwand gepreßt, um den Menschen, dem Vieh und den Eseln auszuweichen. Als er sich jetzt wieder unter die Menge mischte, spürte er, wie ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte und ihn wieder an die Seite der Straße zog. »Abu, verdammt sollst du sein, du hättest ein Wort zu mir sagen können.« Der Gehilfe seines Vaters ließ die Hand sinken. Wie die meisten Krieger und Wagenlenker war er groß. Auf der Straße machten ihm die Leute Platz; keiner behinderte einen Mann, der eine Rüstung aus Leder und Bronze trug und mit einem Krummsäbel und einem Dolch bewaffnet war. Besonders dann nicht, wenn es sich um einen Wagenlenker handelte, die meist nicht nur von vornehmer Herkunft sondern auch besonders kampferfahren waren. Abu war fast genau so ein Riese wie Karoya, Tutenchamuns nubischer Leibwächter. Er hatte schwere Knochen und seine Muskeln schienen unter der Haut ein vibrierendes Eigenleben zu führen. Er war ein paar Jahre jünger als Meren, lächelte selten, und wenn er nicht im Dienst war, trank er so viel Wein, daß selbst Krieger, die nur halb so alt waren wie er, nicht mehr mithalten konnten. Kysen hatte es niemals gewagt, Abu nach dem Grund für seine Melancholie oder seine Saufgelage zu fragen. Er blickte grimmig zu Abu hinauf, der ihn etwa eine Handbreit überragte und aus dieser Höhe auf ihn hinuntersah. »Er hat dich geschickt.« »Ky, wißt Ihr, wer dieser Unas war?« »Ich bin kein Anfänger«, sagte Kysen. Das Pochen in seinem Schädel versetzte ihn in eine gereizte Stimmung. »Vater hätte nicht nach mir geschickt, wenn dieser Reine nicht wichtig gewesen wäre. Ein Informant? Einer von deinen, nehme ich an.« 62
Abu trug die Kurzperücke eines Kriegers. Er wischte sich den Schweiß darunter fort und nickte. »Der Herr hat nach mir geschickt, um Euch zur Seite zu stehen.« »Es hat keinen Zweck zu lügen. Ebana hat ihn wieder einmal geködert, und mein Vater faßt nun jedes Wort und jede Bewegung als bedrohliches Zeichen für seine Ränke auf.« »Der Herr ist sehr scharfsinnig und hat mit seinem Verdacht meistens recht.« »Ja, aber dieser Tod scheint ein Unfall gewesen zu sein, Abu. Qenamun sagte, daß der Priester äußerst reizbar war, eifrig um Erfolg bemüht und ungeschickt, wenn er erregt war.« Abu schaute zu Boden. »Das stimmt, und Unas hat mir weder Meldung gemacht, daß Gefahr drohte, noch, daß er irgendeine wichtige Botschaft für mich hätte, derentwegen er vielleicht getötet wurde. Trotzdem hat Fürst Ebana Euren Vater angeklagt, Unas bestochen zu haben, und er hätte sogar den König damit behelligt, wenn man ihn nicht daran gehindert hätte.« »Warum?« Kysen hob die Hand, um ihn an der Antwort zu hindern. »Entweder, um meinen Vater in Verlegenheit zu bringen, oder … Nein, es hat keinen Zweck herumzuspekulieren, ohne die ganze Geschichte zu kennen. Komm, und hör auf zu leugnen, daß du nicht gesandt wurdest, um mir Rückendeckung zu geben, Abu.« Sie gingen zum Haus. Abu klopfte an die geschlossene Tür, trat einen Schritt zurück und kreuzte die Arme über der Brust. Kysen wandte den Blick zum Himmel, weil die Wagenlenker das taten, um die Armmuskulatur stärker hervortreten zu lassen. Die Muskeln seiner Schenkel spannte er ebenfalls an. Wer immer die Tür jetzt öffnen mochte, würde mächtig eingeschüchtert werden. Die Tür quietschte in den Angeln, und eine gebeugte Gestalt mit lederner Haut erschien. Ein weiterer Klagelaut drang zu ihnen herüber. Kysen betrachtete den zerbrechlichen alten Mann mit den silbernen Haarbüscheln und seinem Rock, der die knochigen Hüften 63
umflatterte. Wässrige Augen blinzelten Abu an. Trockene Finger klammerten sich in die Tür. »Der Bevollmächtigte der Augen und Ohren des Pharao, der edle Fürst Kysen, Sohn des Meren, wünscht die Familie des Osiris Unas zu sprechen«, sagte Abu. Nach dieser formellen Ankündigung, in der, wie es sich gehörte, der Tote erwähnt wurde, trat der alte Mann einen Schritt zurück und gewährte ihnen Eintritt. Er entbot Kysen einen ehrerbietigen Gruß, indem er sich vor ihm verbeugte und dabei die Hände hob. »Ich bin der Vater Ipwets, der Gattin des Unas, Herr.« Kysen nickte, wurde aber durch den Leichnam abgelenkt, der einen Großteil der kleinen Empfangshalle einnahm. Daneben kauerte eine Frau, die sich auf ihren Fersen vor- und zurückwiegte und sich mit ihrem Haar, das sie mit Asche bestreut hatte, die Tränen abwischte. »Meine Frau«, sagte der alte Mann. »Unsere Tochter hat uns erst vor kurzem benachrichtigt. Unas war der Vetter meiner Gattin, Herr.« Kysen warf Abu über die Schulter hinweg einen Blick zu, der daraufhin Mann und Frau von dem Leichnam fortschob. Kysen kniete nieder. Unas lag rücklings auf einer Tragbahre, und bislang schien ihn noch niemand angerührt zu haben, denn er war immer noch von einer feinen Staubschicht bedeckt. Unas war ein schmaler Mann gewesen, mit leichtem Körperbau wie die meisten Ägypter. Was ihn von den meisten anderen unterschied, war sein rasierter Schädel, der am Hinterkopf spitz zulief. Die linke Seite des Hinterkopfes war zerborsten. Kysen konnte das blutverschmierte Gehirn sehen. Das Fleisch in der Umgebung der Wunde war zerfetzt und voller Sand und Staub. Der Rock des Priesters war zwar zerknittert, jedoch fast nicht beschmutzt, außer an der Stelle, wo er aufgekommen war. Seine Hände waren leer und trugen keine Spuren, die auf einen Kampf hingedeutet hätten. Der Mann schien so plötzlich vom Gerüst gefallen zu sein, daß er noch nicht einmal Zeit gehabt hatte, um nach ei64
nem Halt zu greifen. Kysen wischte die Fliegen beiseite. Unas' Haut war blaß und wächsern, das Blut hatte sich bereits in den niederen Regionen des Körpers gesammelt. Die Augen waren eingesunken, und die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt. Kysens Blick glitt über die Gestalt hinweg. Seine Nase zuckte, als ihm der Geruch in die Nase stieg, der auf die Erschlaffung des Schließmuskels hindeutete. Ihm wurde übel, und er schluckte, das Blut pulsierte in seinen Schläfen. Er erhob sich, bevor sich der Inhalt seines Magens über den Leichnam ergießen konnte. Er verfluchte Tanefer, der ihn verleitet hatte, fast einen ganzen Weinkrug zu leeren, und machte Abu ein Zeichen. »Ich kann keine Spuren von Gewalt entdecken.« »Es ist bereits nach den Einbalsamierern geschickt worden«, sagte Abu. »Sie müssen jeden Augenblick eintreffen.« Kysen zögerte. Er hätte sich gerne beim Arzt seines Vaters die Rückversicherung geben lassen, daß Unas tatsächlich durch einen plötzlichen Sturz ums Leben gekommen war, aber wenn er sich in Unas' Einbalsamierung einmischte, würde er die Aufmerksamkeit Qenamuns und Ebanas auf sich ziehen und eine weitere Konfrontation zwischen den Tempelpriestern und seinem Vater heraufbeschwören – und das, obwohl er kaum Anlaß dazu sah. Er würde sich auf seine eigene Erfahrung verlassen müssen; wenn sie provoziert wurden, würden die Priester weiteren Ermittlungen Hindernisse in den Weg stellen. »Die Einbalsamierer können ihn mitnehmen«, sagte Kysen. »Wo ist der Rest der Familie?« »Es gibt nur die Frau, Ipwet. Sie und Unas waren noch nicht lange verheiratet, etwas weniger als ein Jahr. Die Eltern haben die Eheschließung arrangiert, um Ipwet versorgt zu wissen, bevor sie starben. Sie ist ihre Jüngste. Ich glaube, sie ist erst siebzehn Jahre alt.« Kysen blickte auf Unas hinab. Der Priester war bestimmt doppelt so alt. Nicht unüblich, wenn man bedachte, wie lange ein Mann 65
brauchte, um die Mittel für ein eigenes Haus zu erwerben. Etliche Männer verwandten viele Jahre darauf, das Privileg zu erlangen, sich eine Frau zu nehmen und eine Familie zu gründen. »Sieh dich im Haus um«, flüsterte Kysen Abu zu, »aber sei diskret. Wir haben nichts in der Hand, das uns das Recht gäbe, uns so zu verhalten, als wäre dieser Tod kein Unfall gewesen.« Abu nickte fast unmerklich. »Die Frau ist in der Schlafkammer.« Der Wagenlenker deutete zum rückwärtigen Teil des Hauses. Kysen fand die Schlafkammer leer vor, abgesehen von zwei niedrigen Holzbetten und ein paar Möbelstücken. Ein tragbarer Toilettenstuhl stand in einer Ecke. An einer Wand stand eine Truhe mit Kleidern. In einer anderen, kleineren Kiste befanden sich Döschen mit vielerlei Salben. Der Boden war mit Bastmatten bedeckt. Unter einem der Betten, teilweise verdeckt durch eine Decke, die an der Seite etwas überhing, stand ein Weidenkästchen. Kysen beugte sich hinunter, holte das Kästchen hervor und öffnete es. Abgesehen von ein paar ockerfarbenen Tonstückchen war es leer. Er verschloß die Kiste und verstaute sie wieder unter dem Bett. Wo war die Frau? Er verließ die Kammer, warf einen Blick in das Wohnzimmer, dann ging er in die Küche. Als er sich näherte, hörte er ein Schluchzen. Die Stimme einer Frau drang an sein Ohr. »Armer Unas. Armer, armer Unas.« Unas' Frau war in der Küche, aber sie war nicht allein. Kysen hielt genau neben dem Eingang inne, und sah einen jungen Mann, der neben der Frau, die Ipwet gerufen wurde, niederkniete. Er nahm die schluchzende Frau in die Arme und flüsterte ihr sanfte Worte ins Ohr. Kysen verhielt sich regungslos und still. Der junge Mann konnte nicht viel älter sein als er selbst. Unas hatte schmächtige Schultern, einen hervorstehenden Bauch und spitze Knie gehabt, doch dieser Mann hätte als königlicher Bogenschütze durchgehen können. Wahrscheinlich lagen ihm die Frauen zu Füßen. Die klaren Linien seines Körpers und seine offensicht66
liche Vitalität hätten einen scheuen und alternden Mann wie den armen Unas sicherlich eingeschüchtert. Armer Unas, fürwahr. Kysen betrat die Küche. Der junge Mann blickte auf. Seine Augen, die unter geraden Brauen hervorblickten, weiteten sich, als er Kysens kostbares Gewand sah. Ipwet keuchte, als sie ihn erblickte. Einen Augenblick lang hatte Kysen Schuldgefühle. Früher hatte auch er zu denjenigen gehört, die im Angesicht eines der Großen vor Furcht erstarrten. Er wußte, was es hieß, den Zorn derjenigen zu fürchten, die lediglich aufgrund ihrer Abstammung in der Lage waren, über das Leben anderer zu bestimmen. »Ich bin Kysen, Bevollmächtigter der Augen und Ohren des Pharao. Ich bin gekommen, um die Todesumstände des Reinen aufzuklären, den man Unas nannte. Ich spreche der Frau des Unas mein Beileid aus.« Er warf dem Mann einen bohrenden Blick zu. »Wer seid Ihr?« Der Mann blinzelte nervös und zögerte, bevor er antwortete. »Ich bin Nebera. Ich – ich bin, war, ein Freund von Unas. Ich wohne im Haus nebenan.« »Wer seid Ihr?« fragte Kysen schnell. »Und wie habt Ihr den heutigen Morgen verbracht?« Nebera öffnete den Mund, aber nun ergriff Ipwet das Wort. »Nebera ist Handwerker. Er arbeitet mit Metall und Juwelen und ist ein Lehrling des Meisters in den königlichen Werkstätten. Er hat von Unas' Tod erfahren, als die Nachricht die dortigen Steinmetze erreichte und kam her, um mir Trost zu spenden.« »Ich muß bald zur Arbeit zurückkehren«, fügte Nebera hinzu. Was war Besonderes an diesen beiden Menschen? Es war nicht nur die Tatsache, daß sie einander mit der Innigkeit Liebender umarmten. Es war ihre Art und Weise zu reden. Ihre Sprache war wie eine von professionellen Sängern vorgetragene Melodie. Erst sang der eine, dann der andere, sie wechselten einander mit Leichtigkeit ab, als ob jeder seine Rolle und ebenso die des anderen kannte. Diese beiden erinnerten ihn an seine älteste Schwester und ihren 67
Mann – Seelenverwandte in harmonischem Einklang. Ipwet sprach für Nebera, und Nebera sprach für Ipwet. Kysen murmelte seine Zustimmung, und Nebera wandte sich Ipwet zu. »Ich werde zurückkehren, sobald die Arbeit getan ist.« Ipwet nickte und schüttelte ihr glänzendes, dunkelbraunes Haar. Sie senkte den Blick zu Boden, als Nebera ging. Ihre Hand spielte mit den tiefblauen Perlen ihrer Kette. Im schwachen Licht der Öllampe konnte Kysen die leichte Rötung ihrer Wangen kaum erkennen. Der Kohlstrich um ihre Augen war durch die Tränen zerlaufen, ihr Haar in Unordnung. Trotz ihres zerzausten Aussehens konnte Kysen erkennen, warum Nebera so sehr darauf versessen war, zu ihr zurückzukehren. Ipwet hatte große Rehaugen, volle Lippen und schlanke Arme und Beine, die von geschmeidiger Kraft zeugten und einen Mann dazu einluden, sich Gedanken darüber zu machen, was sie alles damit tun konnte. Wie alle ägyptischen Frauen sah sie einem Mann offen in die Augen und ihr Blick war furchtlos und stolz. Kysen hätte wetten mögen, daß kein Ehemann dieser Frau es gewagt hätte, sie zu mißhandeln. Wenn sie schon in jungen Jahren so beeindruckend war, wie würde sie wohl als reife Frau sein? »Herr, warum seid Ihr gekommen? Mein armer Unas fiel vom Gerüst der Statue des lebenden Gottes, mögen ihm ewiges Leben, Gesundheit und Stärke zuteil werden.« »Wirklich beeindruckend«, murmelte Kysen. »Herr?« »Es ist nichts. Die Augen und Ohren des Pharao ermitteln häufig beim plötzlichen Tod von Personen, die mit den Angelegenheiten des lebenden Gottes zu tun hatten, egal wie geringfügig die Sache auch scheinen mag. Wie ging es Eurem Gatten heute morgen?« »Nicht anders als sonst, Herr. Er war vielleicht ein bißchen aufgeregt wegen seiner neuen Verantwortung im Tempel. Aber Unas regte sich häufig über seine Arbeit auf. Er träumte davon, eines 68
Tages aufzusteigen und direkt in den Diensten des Amun zu stehen – ah, aber solche Träume führen zu nichts.« »Und Ihr habt in den letzten Tagen nichts Außergewöhnliches bemerkt?« »Nein, Herr. Er war wie sonst. Gewissenhaft blieb er länger als alle anderen bei seiner Arbeit. Neulich habe ich ihn gescholten, weil er noch nach Einbruch der Dunkelheit draußen war. Ich war bereits dabei, das Abendessen zu kochen, als er nach Hause kam.« Ipwet lächelte, aber schnell schossen ihr wieder Tränen in die Augen. »Ich schalt ihn, weil er beinahe mein Feuer zerstört hätte.« Sie wandte sich um und wischte sich die Augen. Ihre Finger waren jetzt voll Schminke. Sie beugte sich nach unten, hob einen Lumpen neben dem Ofen auf und wischte sich das Gesicht ab. »Machte er sich über irgend etwas im Tempel Sorgen und hat deshalb Euer Feuer ruiniert?« fragte Kysen. »Ich weiß es nicht«, sagte Ipwet. »Ich war gerade dabei, Brot zu backen, als er herein kam. Ich dachte, daß er mir zusehen wollte, aber statt dessen warf er zerbrochenen Ton in mein Feuer. Unas konnte einen wirklich verärgern, immer versuchte er zu gefallen, er war so bemüht, immer scharwenzelte er um einen herum.« Kysen runzelte die Stirn. »Er warf Scherben ins Feuer? Warum?« »Er sagte, daß er sie wegwerfen wolle. Ich glaube, er wollte einfach nur meine Aufmerksamkeit erregen.« Kysen antwortete nicht. Meren hatte ihn gelehrt, nach Verhaltensweisen zu suchen, die von der Norm abwichen, nach Widersprüchlichkeiten oder fehlender Logik. Zwar war Unas ein leicht erregbarer, nervöser Mann gewesen, doch würde sogar jemand, der befürchtete, eine viel jüngere Frau zu verlieren, nicht Scherben in ein Feuer werfen. Oder doch? Vielleicht hatte Ipwet mit ihm gestritten. Vielleicht war während dieses Streits ein Gefäß zu Bruch gegangen und er hatte die Reste in den Ofen geworfen. Vielleicht schreckte Ipwet ja nur 69
davor zurück, den Streit mit ihrem Mann vor einem Fremden zu erwähnen. Dann erinnerte sich Kysen an die Tonkrümel, die er in dem Kasten in Unas' Schlafkammer gefunden hatte. Der Priester hatte die Scherben darin aufbewahrt. Eine so sorgfältige Aufbewahrung solch bescheidener Dinge – das war wirklich ungewöhnlich. Kysen kniete vor dem Ofen nieder, und stocherte mit einer Holzzange in der Asche herum. Zuerst fand er nur verkohltes Holz. Dann, als Ipwet ihm leuchtete, kratzte er ein paar kleine, geschwärzte Scherben heraus. Er wollte schon aufgeben, als ihm ein kleines ockerfarbenes Tonstück mit blauen Verzierungen in der Ecke auf dem Boden des Ofens, abseits der Asche, auffiel. Er fischte es heraus. Es schien ein Stück vom Rand einer Schüssel zu sein, und Teile einer Hieroglyphen-Inschrift waren erkennbar. Kysen hielt das Stück näher an die Flamme der Lampe. Zwei Linien bogen sich nebeneinander wie identische Wurfspeere. Unter der linken befand sich ein Häkchen, das die Form einer Pfeilspitze hatte. Unter der rechten befand sich eine weitere gebogene Linie, die aussah wie die darüber, nur etwas stärker gerundet. Ein gewöhnliches Stück Ton. In Ägypten gab es Tausende und Abertausende solcher Lehmgefäße. Trotzdem ließ Kysen die Scherbe zusammen mit den geschwärzten Tonstücken in Ipwets Lumpen fallen, faltete das Tuch zusammen und band es sich an den Gürtel. »Könnt Ihr mir sagen, warum Euer Gatte so früh zum Tempel ging?« »Ein Junge kam mit einer Nachricht vom ersten Steinmetz. Er sollte ihn zu früher Stunde bei der Statue treffen.« »Kanntet Ihr den Jungen?« »Nein, Herr. Ich nahm an, daß der Steinmetz ihn geschickt hatte.« »Und eine solche Botschaft«, sagte Kysen, »war sie denn nicht überraschend?« Ipwet sah ihn argwöhnisch an. 70
»Die Bitte kam unerwartet, aber sie war nichts Ungewöhnliches. Stimmt etwas nicht, Herr?« Kysen schüttelte den Kopf. Seneb hatte nicht erwähnt, daß er nach Unas geschickt hatte, und er war davon überzeugt, daß der Steinmetz es ihm mitgeteilt hätte. Er würde den Mann nochmals befragen müssen. »Es ist alles in Ordnung. Möge der gute Gott Amun Euch in Eurem Kummer Trost spenden, Herrin.« Bei seinen Worten begannen Ipwets Lippen zu zittern, und erneut kamen ihr die Tränen. »Ich danke Euch, Herr. Mein Gatte war kein großer Mann, er war auch nicht besonders … hübsch –, aber er hatte ein sanftes Herz, und er hatte seine bescheidene Freude daran, wenn er gute Arbeit verrichtete.« Kysen beobachtete, wie sie kurz die Augen zusammenkniff. In diesem Augenblick wurde ihm klar, daß Unas' Frau tatsächlich litt, allerdings eher an Schuldgefühlen als an Kummer. Er zog sich aus der Küche zurück, suchte Abu, und beide verließen das Haus. »Laß den ersten Steinmetz Seneb zu mir kommen«, sagte er, als sie sich von Unas' Haus entfernten. »Unas hat früh morgens eine Botschaft erhalten, von einem Jungen, der angeblich von Seneb geschickt worden war.« »Ihr glaubt, es war eine falsche Botschaft?« »Seneb hat nichts vor einer Botschaft erwähnt, aber vielleicht wollte er auch nur Ärger aus dem Weg gehen. Ich weiß, wie es ist, die Aufmerksamkeit der Großen nicht auf sich ziehen zu wollen. Wenn die Botschaft falsch war, dann ist dieser Todesfall möglicherweise mehr als nur ein Unfall.« »Und das bedeutet…« Abu hielt inne, um einer Gruppe von Frauen mit großen Wasserkrügen auf den Köpfen auszuweichen. »Und das bedeutet, daß wir ab jetzt nach jemandem suchen, der Unas' Gewohnheiten kannte, der wußte, daß der Türsteher seine Wache zugunsten eines Nickerchens vernachlässigte, der die Route der Tem71
pelwachen kannte und wußte, wann die Kunsthandwerker mit ihrer Arbeit begannen.« »Ein Priester«, sagte Abu. »Oder die Frau eines Priesters, oder ein Freund. Unglücklicherweise gibt es unzählige Möglichkeiten, wenn man es mit einem Mord zu tun hat, der an einem so gut besuchten Ort wie dem Tor Gottes geschehen ist.«
Kapitel 6
D
er König hatte sich vor der sengenden Nachmittagssonne in den Audienzsaal zurückgezogen. Dafür war Meren dankbar, aber er wäre lieber am Ufer des Teichs geblieben, statt sich das Gezänk der königlichen Ratgeber anhören zu müssen. Tutenchamun hatte Unterstützung für seine Ansicht gefordert, deshalb standen nun einige der jüngeren Männer gestikulierend vor dem erschöpften Ay. Merens Blick wanderte von dem kleinen und drahtigen Ahiram aus Byblos zu Tanefer, Djoser und Rahotep. Seine Sorge um den König vermischte sich mit der um Kysen. Im Tempel des Amun stimmte irgend etwas nicht, etwas, das für Ebana so beunruhigend gewesen war, daß er den Hof eingeschaltet hatte. Jetzt war Kysen mitten in seinen Ermittlungen, die ihn auf Ebana und möglicherweise auch auf Parenefer prallen lassen würden. Es hatten schon mächtigere Männer als Ky in solchen Kämpfen ihr Leben lassen müssen. Ein unerwarteter Gifttod oder vorgeblicher Unfall, die ein Leben plötzlich beenden konnten, überraschende Skandale, die den Ruf eines Mannes ruinierten. Der Arm des Tempels des Amun reichte weit und war tödlich. 72
Djoser erhob sich abrupt aus seiner knienden Stellung neben dem König und lenkte Meren von seinen Sorgen ab. Der König runzelte die Stirn, als er seinen Blick auf Djoser richtete. Meren konnte erkennen, daß ihn Djosers mangelnde Begeisterung für den Krieg verwirrte. Tutenchamun war in der Tradition kriegerischer Pharaonen erzogen worden und hatte nicht genug Erfahrung, um einen Mann zu verstehen, der die ruhigen Zyklen des Landlebens dem Glanz und dem Ruhm am Hof und im Krieg vorzog. Meren seufzte und rieb die runde Narbe an der Innenseite des Handgelenks. Er ertappte sich dabei und schob ein schweres Gelenkband über die Wunde. Zu einem großen Teil war es auch seine Schuld, daß der König so eigensinnig auf seiner Teilnahme an der Schlacht bestand. Er wußte, wie groß die Bedrohung durch die Hethiter war, wie leicht die Barbaren in Ägypten eindringen konnten, deshalb hatte er dafür gesorgt, den König zum Kampf auszubilden. Der Vater des Königs, Amenhotep der Große, hatte große Tempel errichtet, und seine Regierungszeit war dadurch geprägt gewesen, daß er Verbündete und Freunde manipulierte und auseinandertrieb. Er hatte die Kriegsführung ebenso vernachlässigt wie Tutenchamuns älterer Bruder, weshalb solche politischen Intrigen heute nicht mehr ausreichten. Die Zeit des Krieges nahte. Deshalb sah er sich nun einem jungen Hengst gegenüber, der gegen die Stalltür trat, der sich in dem Versuch, sich zu befreien, selbst zu verletzen drohte. Meren rieb sich das Kinn und blickte auf den gepflasterten Boden hinab. Er stand wie in einem Gemälde, auf dem auch ein künstlicher Teich zu sehen war. Ein gelb-blauer Fisch glotzte ihn aus dem tiefen Grün des Schilfs an. Seine Aufmerksamkeit wandte sich nun wieder der Gruppe zu, die um den König stand. Ahiram von Byblos und Prinz Rahotep stritten miteinander – wieder einmal. Egal um welches Thema es auch ging, sie waren sich niemals einig. Ahiram hatte für den Krieg plädiert, und Rahotep widersprach sofort. 73
Ahiram wippte auf den Fußballen. Er war klein, aber von kräftiger Statur. Er trug sein lockiges Haar länger als ägyptische Männer es zu tun pflegten und hatte einen Spitzbart. Meren war schon immer der Meinung gewesen, daß ihm dieser Bart das Aussehen eines Ziegenbocks verlieh, aber er hatte diese Ansicht niemals vor Ahiram geäußert. Nicht so Rahotep, der jeden außer dem Pharao mit der gnadenlosen Aufrichtigkeit eines vierjährigen Kindes kritisierte. Egal, ob er jemanden damit beleidigte, Rahotep gab seine Ansicht zum besten. Vielleicht mochte Rahotep Ahiram nicht, weil sie sich so ähnlich waren. Beide trugen den Stachel eines Minderwertigkeitsgefühls in sich, Rahotep wegen seiner bäuerischen Mutter, Ahiram aufgrund seiner fremden Abstammung und des verlorenen Thrones. Weil ihr Charakter sich auf eine solch schwache Basis stützte, schien keiner der beiden Männer fähig zu sein, seinem Ka Frieden zu geben. Ein warnender Trompetenton erklang in Merens Kopf, als Rahotep plötzlich aufsprang. Ahiram steckte die Daumen in den Gürtel seines Gewandes. Sein bärtiges Kinn streckte sich nach vorn, so daß die Spitze auf seinen Gegner zeigte. »Solche weibischen Gegenargumente haben meinen Vater das Leben und mich den Thron gekostet.« Rahotep kniff die Augen zusammen und warf einen Blick auf Ahirams Bart, aus seinem höhnischen Grinsen sprach die vollkommene und reine Verachtung des zivilisierten Ägypters. »Hütet Eure Zunge, Barbar. Meine Vorfahren haben von Euresgleichen schon Tribut gefordert, als Eure Familie noch in der Wüste Syriens Ziegen züchtete.« Hierbei starrte er auf Ahirams Bart. Plötzliches Schweigen ließ Meren näher an die Gruppe herantreten. Selbst der König erstarrte und fuhr mit der Hand an den Zeremoniendolch in seinem Gürtel. Die Luft schien vor Spannung und Kampflust zu knistern. »Ihr wißt sehr gut, daß Byblos ein Verbündeter ist. Sprecht gefäl74
ligst nicht von Tributzahlungen, wenn ihr Handel meint, Narr.« Meren warf dem ersten Leibwächter des Königs, dem Nubier Karoya, einen Blick zu, aber dieser hatte sich bereits an Tutenchamuns Seite gestellt. Beim Erscheinen des turmhohen Kriegers hörte Ahiram auf, Rahotep grimmige Blicke zuzuwerfen. Die Gefahr ebbte ab, und Meren glitt zwischen die beiden Männer. »Wir sind alle erschöpft, weil wir einen langen Morgen voller Pflichten hinter uns haben, und der Göttliche muß noch die Kaufleute und Abgesandten aus Mykene und Libyen empfangen.« »Wie immer übernimmt Meren die Rolle des Schiedsrichters«, sagte Prinz Tanefer, während er Ahiram gewandt von Rahotep fortzog. »Es ist möglich, daß wir keinen Frieden finden, bevor wir die Hethiter nicht in ihre verlassenen Berge zurücktreiben und ihre Kinder als Geiseln nehmen, so wie Ahiram als Geisel genommen wurde«, sagte Rahotep, weshalb ihm Meren beinahe einen Tritt versetzt hätte. »Mein Vater hat mich freiwillig nach Ägypten geschickt, damit ich hier ausgebildet werde. Ich war niemals eine Geisel!« Ahiram entzog sich Tanefers Griff. Seine Hände legten sich um Rahoteps Kehle. Meren stieß Djoser zur Seite, griff nach Ahirams Finger und bog sie zurück. Ahiram schrie auf, seine Finger lockerten sich, und Meren wechselte den Griff, um den Arm des Mannes zurückbeugen und die Sehnen und Muskeln gegen die Knochen drücken zu können. Die ganze Bewegung dauerte nicht länger als ein Herzschlag, dann trat Meren zurück und lächelte Ahiram träge zu. »Beherrscht Euch in Anwesenheit des Goldenen«, sagte er. »Ihr wißt es doch besser, mein Freund. Es sieht Euch gar nicht ähnlich, Karoya gegen Euch aufbringen zu wollen.« Meren deutete mit einem Ruck des Kopfes auf den königlichen Leibwächter. Ahirams Kopf wirbelte in dieselbe Richtung. Karoya hatte ein 75
Messer gezückt. Er hatte seinen Arm erhoben, die Klinge in der Hand, und zielt auf Ahiram. Der fremde Prinz errötete und streckte seine leeren Hände vom Körper – eine Geste der Ergebung. Karoyas Gesicht war ausdruckslos. Er wirkte, als würde es keinen Unterschied für ihn machen, ob er Ahiram tötete oder einen Käfer zertrat. Er warf Tutenchamun einen Blick zu. Der König machte eine wegwerfende Handbewegung. Karoya steckte das Messer wieder in die Scheide. »Göttlicher«, sagte Ay. »Fürst Meren hat recht. Euch erwarten noch weitere Pflichten.« »Nun gut«, sagte Tutenchamun und winkte seine Ratgeber fort. Meren flüsterte Tanefer zu. »Bringt sie alle zu mir. Wir brauchen alle ein gutes Mahl und Kühlung bei dieser Hitze.« Tanefer nickte und ging. »Fürst Meren wird sich meiner Majestät anschließen.« Er war überrascht, als er bemerkte, daß der König ihn aufmerksam musterte. Ay ging auf seinem Weg nach draußen an ihm vorbei und warf ihm einen Blick zu, der voller Zuneigung war. Karoya hatte sich wieder auf seinen Posten hinter den Königsthron zurückgezogen. Als er sich dem Stuhl aus Gold und Ebenholz näherte, ließ sich Meren auf die Knie fallen und beugte das Haupt. »Oh, hört doch auf damit«, sagte der König scharf. »Was soll das, vor mir niederzuknien, wenn Ihr doch genau wißt, daß ich derjenige bin, der gehorchen, der die Tradition und die Ordnung erhalten und ihnen folgen muß?« Meren blickte auf, erhob sich jedoch nicht. »Was wünscht Ihr, Göttlicher?« »Ihr wart den ganzen Tag über schweigsam. Als Ay für Vorsicht plädierte und darlegte, daß ich für eine Schlacht zu jung sei, sagtet ihr nichts. Als Horemheb und Tanefer darüber spotteten und von den Verwüstungen sprachen, die die Hethiter angerichtet haben, schwiegt ihr ebenfalls.« 76
Tutenchamun erhob sich von seinem Thron und streckte die Hände in die Höhe. »Verdammt, Meren. Es sieht Euch gar nicht ähnlich, Euch nicht festlegen zu wollen. Was denkt Ihr?« Meren setzte sich auf die Fersen und blickte zum König auf, der umherschritt wie seine Löwen, die er im Palast als Haustiere hielt. Schließlich schüttelte er den Kopf und sprach. »Zu meinem Unglück denke ich zwei Dinge gleichzeitig, Goldener.« Der König blieb stehen und blickte ihn an. Meren erhob sich. »Wenn wir der Bedrohung durch die Hethiter nichts entgegensetzen, dann gestatten wir einem mächtigen Feind, sich genau an unseren Grenzen niederzulassen. Unsere Armee und unsere Verbündeten sind lange vernachlässigt worden. Ihnen fehlt der Glaube, denn sie haben erlebt, daß ihre Hilferufe nicht erhört wurden, und daß sie deshalb unnötiges Blut vergießen mußten. Sie brauchen einen kriegerischen König, der sie in den Kampf führt.« »Ich wußte es«, sagte der König. »Ich wußte, daß Ihr mich verstehen würdet.« »Und wenn Ihr Euch vor Eurer Zeit auf einen Kampf mit ihnen einlaßt und getötet werdet, dann kann kein Sieg und kein noch so großes erobertes Stück Land oder kein noch so hoher Tribut einen Ausgleich für das Übel schaffen, das über Ägypten hereinbrechen wird.« »Aber Ihr habt selbst gesagt, daß ich über hohe kriegerische Fähigkeiten verfüge.« »Das tut Ihr auch, und ebenso groß sind Euer Herz und Euer Mut«, sagte Meren. »Aber habe ich nicht auch gesagt, daß die Spanne eines Kriegers so lang wie der Nil sein muß? Denkt nach, Majestät. Wie lang ist Euer Arm im Vergleich zu dem meinen? Versucht, mich zu berühren.« Der König streckte den Arm aus, und Meren schoß mit ausgestrecktem Arm vor, als hielte er ein Kurzschwert in der Hand. Seine 77
Hand berührte die Perlen aus Gold und Lapislazuli, die den Halskragen des Königs zierten. Er zog seinen Arm schweigend zurück, als Tutenchamuns Blick von der Brust zu Merens Arm schoß. Die Wangen des Königs röteten sich. »Verdammt sollt Ihr sein«, murmelte Tutenchamun. »Wenn ich ein Hethiter wäre, hätte ich Euer Herz in zwei Teile geschnitten.« »Hinaus!« Meren verbeugte sich und ging rückwärts hinaus. »Wartet.« Tutenchamun umfaßte die Lehne seines goldenen Stuhles. Meren neigte den Kopf zur Seite. »Ich wollte Euch nicht anschreien«, sagte der König mit zusammengepreßten Lippen. Es fiel Meren schwer, seine Bewunderung und seine Überraschung zu verbergen. Diese Äußerung kam einer Bitte um Verzeihung näher, als er das von einem lebenden Gott jemals gehört hatte. »Eure Majestät sind momentan in starker Bedrängnis.« Tutenchamun stellte sich vor ihn hin. »Meine Majestät wünscht nochmals über Euren Rat nachzudenken.« Er berührte flüchtig Merens Arm. »Ihr solltet vor allen anderen an mich glauben.« »Das tue ich, Euer Majestät.« »Dann denkt noch einmal darüber nach, denn ich bin mit dieser Sache noch nicht fertig, und genausowenig sind es Horemheb und Tanefer.« »Wie Euer Majestät befehlen.« »In vertraulichen Zusammenkünften mit mir solltet Ihr nicht vorgeben, gehorsam zu sein, Meren. Ich weiß, daß Ihr handelt, wie Ihr wollt.« »Ich verspreche es Euch, Majestät. Ich werde lange und gewissenhaft darüber nachdenken.« »Und bevor Ihr mich jetzt verlaßt, berichtet mir, welchen Unfug 78
Euer Vetter da verbreitet hat. Ah, Ihr glaubt, daß ich von seinem Besuch nichts weiß.« »Euer Majestät ist allwissend«, sage Meren. Er berichtete dem König von dem Todesfall am Fuße der Statue. »Solch ein Affront gegen das Standbild Eurer Majestät kann nicht ohne Nachforschungen vonstatten gehen.« »Da steckt noch mehr dahinter«, sagte Tutenchamun. Er erhob sich und ging zu Meren hinüber. »Erzählt mir die ganze Geschichte.« »Wie es scheint, ist Ebana der Ansicht, daß dieser Reine in meinen Diensten stand.« »Und stimmt das?« »Nur indirekt, Majestät.« »Ihr glaubt, daß er deshalb getötet wurde?« Meren schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Wenn Parenefer veranlaßt hat, den Reinen zu töten, warum sollte er dann meine Aufmerksamkeit auf diese Sache lenken und riskieren, daß ich Ermittlungen anstelle?« »Aber das werdet Ihr doch sowieso«, sagte der König. »Vielleicht greifen Sie Euch einfach nur an, bevor Ihr es tut, um Euch abzulenken.« »Ja, Majestät. Ich werde mehr wissen, nachdem Kysen seine Untersuchungen angestellt hat.« »Sehr gut. Ich merke, daß Ihr Euch zurückzuziehen wünscht, aber vergeßt meine Worte nicht. Ich will meine Armeen führen, Meren.« Er verließ den König mit dem erleichterten Gefühl, den Jungen nicht durch seinen Widerstand erzürnt zu haben. Als er ging, wurde ihm klar, daß der Feldzug des Königs nicht mehr nur ein Streit unter den königlichen Ratgebern war. Diese Frage war nun zu einer Staatsaffäre geworden – zu einer Sache auf Leben und Tod.
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Fast eine Stunde nachdem er den König verlassen hatte, ging Meren durch das Tor in der Mauer, die sein Stadthaus im Palastdistrikt im westlichen Theben umgab. Die Wagenlenker hinter ihm schlugen den Weg ein, der linker Hand um den künstlichen Teich herumführte, fuhren durch ein weiteres Tor in der Mauer und dann hinter das Haus zu den Amtsräumen und Baracken. Der Türsteher schloß das Tor, und Meren stand nun allein im Schatten der ersten einer Doppelreihe von Akazien, die den Weg um das Wasserbecken vor dem Haus säumten. Als er den König verlassen hatte, war er in der draußen stehenden Menschenmenge mit dem Hohepriester des Amun zusammengetroffen. Nach der Konfrontation mit dem Pharao war er nicht in der Stimmung gewesen, auch noch Parenefer zu ertragen. Jetzt noch hatte er die hohe Stimme des alten Mannes im Ohr, die wie eine bronzene Säge klang, die Granit zu zerteilen versuchte. »Ah, der Fürst Meren, in geheimer Unterhaltung mit dem Sohn des Gottes, wie gewöhnlich. Wir groß ist das Glück des Zweifachen Reiches doch, daß sein junger Herr sich solchermaßen auf den Rat eines Dieners verläßt.« Ihm wurde jetzt noch ganz kalt, wenn er an das plötzliche Schweigen dachte, in das die Höflinge und Regierungsbeamten verfallen waren. Diese Blicke, die meisten davon verschlagen und berechnend, keiner von ihnen enthüllte den nagenden Neid und die Furcht, die Parenefer sorgfältig genährt hatte. Meren rieb sich die Nasenwurzel und schloß die Augen. Selbst Horemhebs Blick war merkwürdig gewesen. Aber der Schaden war nun angerichtet. Er dachte, daß Skorpione wie dieser Parenefer immer und überall lauerten und bis jetzt war es noch keinem gelungen, ihn mit ihrem tödlichen Stachel zu vernichten. Er öffnete die Augen und warf einen Blick auf die kleine Familienkapelle im Vorderhof, die im Sonnenlicht weiß leuchtete. Dann ging er den Pfad zum Haus entlang. In der Ferne hörte er aus den 80
Ställen das Wiehern seines Lieblings-Vollbluthengstes. Vielleicht war Kysen aus dem Tempel des Amun zurückgekehrt. Die morgendliche Konfrontation mit Ebana machte ihm immer noch Sorgen. Es sah seinem Vetter nicht ähnlich, offene Anklagen zu erheben, die zu nichts führten. Er überlegte, ob Parenefer den ganzen Ärger entfacht hatte, vielleicht als Rache dafür, daß man die Statue vor seinem Tempel errichtet hatte, vielleicht aber auch wegen irgend einer anderen Boshaftigkeit oder aus einem anderen dunklen Grund, den er erst noch aufdecken mußte. Parenefer hatte gewußt, daß Unas' Tod seine Aufmerksamkeit erregen würde. Es war durchaus möglich, daß der Hohepriester beschlossen hatte, ein Angriff wäre besser, als der Vernichtung eines mutmaßlichen Spions bezichtigt zu werden. Im Haus gab Meren Anweisungen für die Vorbereitung eines großen Festmahls, dann zog er sich in seine Räume zurück. Als Kysen ihn aufsuchte, hatte er bereits gebadet, sich umgezogen und war in seinen Dienstraum hinter das Haus gegangen. Er holte die Jonglierbälle hervor und warf die drei Lederkugeln in die Höhe. Die Bälle machten weiche, klopfende Geräusche, wenn seine Hände sie berührten. Es dauerte nicht lange, bis sein Sohn mit einem Krug Bier und zwei Bechern das Zimmer betrat. Kysen setzte sie ab, hob einen vierten Ball auf und warf ihn Meren zu. Meren verfehlte ihn. Ein weiterer Ball traf seinen Arm, während der andere ihm vor die Füße rollte. »Du kannst es immer noch nicht mit vier Bällen«, sagte Kysen, während er das Bier einschenkte. Meren beugte sich nach unten und hob die Bälle auf. Dann verstaute er sie in einem Kasten aus Zedernholz. »Nicht, wenn man sie mir zuwirft.« »Hat das Jonglieren deinen Zorn besänftigt?« »Welchen Zorn?« 81
»Ach komm, Vater, ich habe dein Gesicht heute morgen gesehen. Und Ebana gelingt es immer, bei dir in ein Wespennest zu stechen.« Meren schloß den Deckel des Zedernkästchens und nahm sich einen Kelch mit Bier. »Die Nachforschungen im Tempel, was ist mit dem Tod des Priesters?« »Eines Tages mußt du mir mehr über ihn erzählen.« Meren nahm einen tiefen Schluck, bevor er sprach. »Der Priester.« »Ich bin nicht sicher, ob sein Tod ein Unfall war oder nicht. Vielleicht hat Ebana auch nur versucht dich anzustacheln«, sagte Kysen. »Unas scheint eine aufgeregte kleine Motte gewesen zu sein, übereifrig und gleichzeitig ungeschickt. Höchstwahrscheinlich hat er einen falschen Schritt getan und ist durch sein eigenes Ungeschick heruntergefallen. Es gibt keine Anzeichen für einen Kampf.« »Aber?« »Aber, wenn jemand seine Verbindung zu dir entdeckt hat, nun, dann könnte sein Tod Parenefers Art sein, dir zu sagen, daß du dich fernhalten sollst. Und es gibt eine Uneindeutigkeit.« »Was für eine Uneindeutigkeit.« »Unas' Frau sagt aus, daß er in der Frühe zur Statue gegangen sei, weil ein Junge eine Botschaft vom Meisterbildhauer gebracht habe, durch die er aufgefordert worden war, frühmorgens zu einem Treffen zu erscheinen. Doch der Bildhauer sagt, daß er keine Botschaft geschickt habe. Ich glaube ihm, denn er ist derjenige, der uns den Unfall gemeldet hat, und er steht in dem Ruf, ein aufrechter und ehrenhafter Mann zu sein.« »Hast du diesen Jungen gefunden?« »Nein. Er ist verschwunden.« Meren stellte seinen Becher ab. »Es wäre möglich, daß die Frau lügt, oder daß sie sich hinsichtlich der Person, die die Botschaft geschickt haben soll, täuscht.« »Ich habe nochmals Abu zu ihr geschickt. Er versteht es, Men82
schen so in Angst und Schrecken zu versetzen, daß sie die Wahrheit sagen.« »Wenn Unas' Sturz kein Unfall war, dann muß der Mörder jemand sein, der seine Arbeitsumstände und Gewohnheiten im Tempel sowie die der Wachen, des Türstehers, der Priester und der königlichen Kunsthandwerker kannte.« »Mit anderen Worten, jemand aus dem Tempel oder seine Frau oder deren Liebhaber.« »Liebhaber?« fragte Meren. »Ja, ein Mann, der viel jünger als Unas ist und der ohne Zweifel die Aufmerksamkeit vieler Frauen auf sich zieht.« »Ich verstehe«, sagte Meren. »Wieder einmal ein Beispiel für die Freuden der Ehe.« Er ließ sich in seinen Stuhl fallen. »Gott, wie ich es leid bin, jedermann nach seinen Motiven zu fragen, sogar den Sklaven zu verdächtigen, der im Bad das Wasser über mich gießt.« Er blickte zu Kysen auf, der ihn überrascht ansah. »Selbst ich kann der Kriegslisten und Intrigen müde werden, Ky.« »Ist das der Grund, warum du mich an Sohnes Statt angenommen hast? Um jemanden zu haben, der dir so dankbar ist, daß du ihm vollkommen vertrauen kannst?« »Nein.« Sie sahen sich an, aber schließlich senkte Kysen den Blick. »Vergib mir, Vater.« »Du solltest nicht auf Ebana hören. Sein Ka ist vergiftet.« »Ich werde nicht auf ihn hören, wenn du es nicht tust«, sagte Kysen grinsend. »Unverschämtes Füllen.« »Zurück zu dem Priester. Die Frau, Ipwet, ist noch ein junges Mädchen, aber sie ist klug und hübsch. Und der Liebhaber scheint auf dem Weg zu den königlichen Werkstätten gewesen zu sein, als der Priester starb. Wenn Unas ermordet worden ist, dann werden wir vielleicht nie wissen, ob es wegen der heimlichen Liebe seiner 83
Frau war, oder weil er in deinen Diensten stand.« Während Kysens Lagebericht erschien Abu, im Schlepptau Huni, den Türsteher vom Tempel des Amun. Der Mann fiel vor Meren auf die Knie und berührte den Boden mit der Stirn. Meren wich zurück, als ihn ein beißender Geruch traf. Das Haar des Mannes war fettig und klebte ihm am Kopf. Seine Haut war mit einer Schicht aus Staub und Ruß bedeckt. Außer der Unreinlichkeit nahm Meren noch den Hauch einer Fahne von billigem Bier wahr. »Sieh mich an«, sagte Meren. Huni hob den Kopf. Das Weiße seiner Augen war von einem Netz roter Äderchen durchzogen und er zwinkerte Meren langsam zu, als hätte er gerade ein paar Becher Bier hinuntergeschüttet. »Hast du gesehen, wie der Reine, Unas, von der Statue des Königs heruntergefallen ist?« »Nein, Herr. Hab' nichts geseh'n.« Huni zupfte an seinem Gewand und seinem Haar, er wollte wohl sein unschönes Äußeres in Ordnung bringen. »Weil du geschlafen hast«, sagte Kysen, als er um ihn herumging und sich neben Meren stellte. Der Türsteher setzte sich wieder auf die Fersen und legte die Hände auf die Schenkel. Hunis Blick wanderte von den beiden Männern fort zu seinen schmutzigen und zerrissenen Fingernägeln. »Niemals«, murmelte er. »Ich schlafe niemals im Dienst.« »Mir liegen Berichte vor, nach denen dies zu deinen hervorragendsten Fähigkeiten gehört«, sagte Kysen. »Ich habe gehört, daß du, wenn es Wettbewerbe für Schläfer gäbe, das goldene Halsband gewinnen würdest.« »Das stimmt nicht«, gab Huni beschämt zurück. Meren blickte zu Abu, der sich dem Türsteher sofort näherte, ihn am Nacken griff und auf die Füße hievte. Er hob den Mann an der Kehle in die Höhe, bis er gurgelnd und keuchend auf seinen Zehen balancierte. 84
»Ich habe keine Geduld mit lamentierenden Drückebergern«, sagte Meren. »Gib zu, daß du geschlafen hast, oder sag mir, was du gesehen hast. Hebe die rechte Hand, wenn du die ganze Sache verschlafen hast, Türsteher. Aha, du hast also geschlafen. Dann wirst du mir jetzt sagen, wer dich als Türsteher eingesetzt hat. Laß ihn los, Abu.« Huni fiel wieder auf die Knie und hockte sich keuchend nieder. Schließlich war er wieder in der Lage zu sprechen. »Ich war gar nich' mehr Türsteher bis vor'n paar Tagen. Da hat mich der erste Türsteher wieder zurückgenommen und mich auf Nachtschicht geschickt.« »Warum?« fragte Kysen scharf. »Weiß nich' Herr. Aber jetz' bin ich für immer in die Minen verbannt worden. Das is' eine schreckliche Strafe. Schrecklich.« Eine neue Woge vom Geruch dieses Mannes ließ Meren und Kysen ein paar Schritte zurücktreten. Meren hielt sich die Nase zu und winkte Abu heran. »Schaff ihn hier heraus und laß die Tür offen.« Als die beiden gegangen waren, sah sich Meren nach einem Fächer um, konnte aber keinen finden. »Verdammt«, sagte er. »Ich muß die ganze Kammer säubern und lüften lassen.« »Ich glaube, er hat die Wahrheit gesagt«, bemerkte Kysen. »Ich würde es tun, wenn Abu mich würgte. Bei den Göttern, Mutemwia hat dieses Zimmer schon wieder aufgeräumt. Kein Wunder, daß ich nichts finden kann.« Meren gab die Suche nach einem Fächer auf. »Jemand muß vorsichtige Nachforschungen anstellen, wer Huni zur Nachtwache am Tor Gottes eingesetzt hat.« »Ebana ist da nicht besonders entgegenkommend.« »Ich könnte noch einmal mit ihm sprechen«, sagte Meren. Kysen stimmte zu, aber keiner von beiden hegte allzu große Hoffnung, daß man von Ebana irgend etwas in Erfahrung bringen wür85
de. Wäre Unas tatsächlich ermordet worden, dann hätte sich Meren vom Pharao ermächtigen lassen, sich der Zusammenarbeit seines Vetters zu versichern. Ohne eine solche Ermächtigung konnte er nur darauf hoffen, und es war zu bezweifeln, daß Ebana kooperieren würde, wenn Meren im Spiel war. Wenn Meren seinen Vetter zu stark bedrängte, würde er vielleicht einen Streit anzetteln, der den gesamten Hof in Aufruhr versetzte. Seine Position in einem solchen Kampf wäre prekär. Und vielleicht war das auch genau das, was Ebana die ganze Zeit anstrebte. Meren und Kysen diskutierten den ganzen Nachmittag über Unas' Tod und darüber wie man die Priester des Amun zu behandeln hätte. Als ein Diener die Ankunft Ahirams ankündigte, ließ Meren das Thema für den Augenblick ruhen. »Komm«, sagte er zu Kysen. »Du solltest dankbar sein, daß du nicht im Audienzsaal warst, als Ahiram versuchte, Rahotep zu erwürgen.« In der mit Säulen geschmückten Haupthalle, wo Diener Sessel, gepolsterte Hocker und niedrige Tische, die mit Körben voller Früchte und Brot beladen waren, herbeigetragen hatten, trafen sie auf den ersten ihrer Gäste. Eine Magd goß Wein aus einem großen Krug in die Kelche. Ahiram sah seine Gastgeber kaum an und sprach auch keine höflichen Grußformeln. Meren konnte erkennen, daß er immer noch wütend war: wenn ihn etwas störte, dann hatte er eine besondere Art und Weise, die Dinge auszusprechen. »Ich bin jetzt nicht in der Stimmung, vor mich hinzuträumen, ich nicht.« Meren lachte. »Dann werde ich nicht nach meinen Harfenisten und Sängern rufen lassen.« »Ahiram, Ihr seid ein Schakal. Warum habt Ihr versucht, Rahotep zu erwürgen?« fragte Kysen, während er dem Gast einen Stuhl anbot. 86
Meren gab seinem Sohn einen Korb mit Früchten in die Hand und sagte: »Nicht jetzt, Ky. Wir haben schon einen Großteil des Tages damit verbracht, zu streiten. Diese Mahlzeit soll meinen Freunden eine Verschnaufpause verschaffen.« »Eine Verschnaufpause!« Alle blickten auf und sahen, wie Tanefer auf die Schwelle zuschritt, in der einen Hand einen Becher, in der anderen eine Flasche Wein. Er bewegte sich lässig, natürlich und ungezwungen. Wie es seine Gewohnheit war, trug er seinen Dolch in einer Scheide am Oberarm. »Ja, eine Verschnaufpause brauchen wir wirklich«, wiederholte Tanefer. »Sie sind hier drin, Djoser«, rief er, einen Blick über die Schulter werfend. Bald saßen alle, und die Diener servierten gebratene Gans und frisch gebackenes Brot. Rahotep kam als letzter von allen und nahm ein ganzes Stück von Ahiram entfernt Platz. Diener gingen zwischen ihnen umher, füllten ihre Becher mit Wein oder Bier aus Krügen, deren Hälse mit Girlanden aus Lotusblumen geschmückt waren. Meren lenkte Ahiram ab, während Tanefer sich mit Rahotep und Kysen unterhielt. Wie üblich hörte Djoser jedem ruhig zu und sagte selbst wenig. Als die Dämmerung nahte, senkte sich weinselige Schläfrigkeit über die Gruppe. Kysen verwickelte Rahotep in eine Partie Senet. »Ich werde Euch schlagen«, sagte Rahotep. »Ich schlage jeden. Ich bin der beste Senet-Spieler im Zweifachen Reich.« Meren sah, wie Kysen sich mühsam eine Antwort verkniff. Er hatte Ky schon vor langer Zeit vor Rahoteps Angeberei gewarnt. Rahotep hielt sich selbst immer für den Besten, egal, ob es um einen Schwertkampf oder um das Atmen ging, und er sorgte dafür, daß das gesamte Königreich davon erfuhr. Meren hatte das Gefühl, daß seine Angeberei Minderwertigkeitsgefühle überdecken sollte. Und irgendwie konnte er sich niemals lange über Rahotep ärgern. Seine 87
Grobheit und seine Ungeschicklichkeit waren so kindisch, daß er hinterher häufig selbst ganz erstaunt darüber war, daß es ihm mal wieder gelungen war, jemanden zu beleidigen. Djoser schien ebenfalls nur wenig Neigung zu haben, sich Rahoteps Prahlereien anzuhören. Er bat darum, daß man die Musikanten holte. Als sie kamen, machte er es sich auf den Kissen bequem – vor sich hatte er einen Korb mit Granatäpfeln und Trauben stehen – und lauschte den Klängen der Harfe, der Flöte und des Sistrums. Tanefer verließ ihn, um sich Meren und Ahiram anzuschließen. Die Unterhaltung drehte sich zuerst um die Jagd und dann um eine jüngst verwitwete Adelige, Fürstin Bentanta, die Gefallen an Meren gefunden hatte. Meren ließ Tanefers sanfte Neckerei über sich ergehen, während seine eigenen Gedanken einen anderen Kurs verfolgten. Der Zwist zwischen den Ratgebern des Königs und gleichzeitig der Tod eines Priesters – das gefiel ihm gar nicht, und auch die allgemeine Unzufriedenheit bei Hof schien ihm beunruhigender als sonst zu sein. Das war der Grund gewesen, warum er Tanefer und die anderen in sein Haus eingeladen hatte. Infolge ihrer gesellschaftlichen Stellung und hochherrschaftlichen Abstammung hatten diese Männer großen Einfluß auf weniger hochstehende Personen. Hinzu kam, daß Ahiram die Bögen des Ra befehligte, eine Elitetruppe von zweihundert königlichen Bogenschützen, und Tanefers Regiment aus Wagenlenkern, die Goldenen Leoparden, waren nicht viel schwächer als die Truppe des Königs. Djoser stand zumindest nominell einer Infanterietruppe vor. Keiner erwartete, daß er das Kommando sehr lange innehaben würde. Rahotep jedoch hatte den König gerade dazu überredet, ihm den Oberbefehl über ein Regiment aus Wagenlenkern und zusätzlichen Fußtruppen zu übertragen. Für diese Truppe rekrutierte er ägyptische und fremde Soldaten, besonders solche aus Mitanni, von denen er seit seiner Statio88
nierung in Syrien eine Menge hielt. All diese Männer unterstanden wiederum General Horemheb. Jeder von ihnen, außer vielleicht Djoser, besaß das Wissen, den Reichtum und die Fähigkeit, den Pharao zu bedrohen, wenn er es wollte. Merens Aufgabe bestand nun darin, den Charakter eines jeden zu erkennen. Nur auf diese Weise konnte er für die Sicherheit des Königs sorgen. »Habe ich recht, Meren?« »Was?« »Ihr träumt ja«, sagte Tanefer. »Bruder meines Herzens, ich habe gerade dieses goldene Fußkettchen verwettet, da Ihr Euch geweigert habt, der Fürstin Bentanta Eure Gunst zu gewähren.« Meren streckte den Arm aus, und eine Magd stellte einen Silberteller mit seinen Lieblingsfeigen vor ihn hin. Er erhob sich und ging zu einer Liege. Er ließ sich in die Kissen hineinsinken und biß in die Frucht. Unglücklicherweise folgten Tanefer und Ahiram ihm. Tanefer ließ sich auf einem Lederkissen an seiner Seite nieder, nahm sich eine Feige von Merens Teller und biß hinein. »Er will nicht antworten, Ahiram. Was sagst du? Hat er sie in sein Bett gelassen?« »Ich würde nicht nein sagen, ich nicht«, sagte Ahiram zwischen weinseligen Rülpsern. »Eine Witwe – Götter, man denke an ihre Erfahrung, und sie ist immer noch jung genug, um –« »Ahiram«, sagte Meren sanft. »Ihr solltet wirklich lernen, Euch nicht das Maul über Frauen zu zerreißen.« »Dann entscheidet unsere Wette«, sagte Ahiram. Meren lag auf den Kissen und betrachtete die geflieste Decke mit dem grün-weißen Zierstreifen aus Papyrusfächern. »Ich bedaure, daß Ihr durch die Frage, ob wir im nächsten Herbst einen Feldzug führen, an den Verlust Eures Vaters erinnert wurdet.« Er warf Ahiram einen Blick zu, aber der Syrer starrte Tanefer an, 89
als hielte der jüngere Mann die Geheimnisse der Unterwelt in den Händen. Tanefer betrachtete seine Feige, dann nahm er noch einen Bissen. Meren hatte erwartet, eine ganze Flut von Klagen auszulösen, Ahirams besondere Stärke. Seine Klagen über sein Unglück waren bei Hof wohl bekannt, und er konnte einen ganzen Abend damit verbringen, die Ungerechtigkeiten aufzulisten, die man ihm angetan hatte, und Gründe aufzuführen, warum seine Pläne immer wieder gescheitert waren (es war immer der Fehler anderer) und was für Kränkungen er hatte hinnehmen müssen. Meren hatte schon viele interessante Dinge aus diesen Tiraden erfahren. »Ich weiß, daß der alte König Euren Vater diesen Rebellen und Banditen schutzlos ausgeliefert hat«, sagte Meren. »Dungfresser in den Diensten des Hethiter-Königs.« Meren versuchte es erneut. »Wie es Euch schmerzen muß, als Ägypter erzogen worden zu sein, dazu ausgebildet, den Platz Eures Vaters einzunehmen, und in freundschaftlichem Nebeneinander mit dem Reich zu existieren – um dann festzustellen, daß diejenigen, die so viel versprochen haben, nichts davon erfüllen.« Ahiram wich seinem Blick aus und zuckte die Achseln. »Das ist lange her.« »So lang nun auch wieder nicht«, sagte Tanefer. Er betrachtete den Wein in seinem Becher. Meren beobachtete, wie sich seine Mundwinkel herabsenkten, und bedauerte wieder einmal, daß es notwendig war, Salz in alte Wunden zu streuen. Tanefers Mutter war eine Prinzessin gewesen, die Tochter des Königs von Mitanni, die den ganzen Weg von den Ufern des nördlichen Euphrat gekommen war, um den Vater des Pharao zu heiraten, nur um dann als eine seiner Nebenfrauen im Palast zu verschwinden. Er konnte sich an Giluchepa erinnern. Eine Frau, die – wie viele andere im Haushalt des Pharao – mit dem Platz, den das Schicksal 90
ihr im Schatten der großen Königin Teje zugewiesen hatte, nicht zufrieden war. Je älter sie wurde, um so stärker hatte ihre Unzufriedenheit zugenommen. Sie hatte versucht, Tanefer in diese Bitternis zu tauchen, aber ihr Sohn besaß ein glückliches und verzaubertes Ka, das genausowenig im Elend leben wollte, wie ein Krokodil auf zwei Beinen laufen konnte. Er umgab sich mit Schönheit und hatte eines der prachtvollsten und größten Häuser in Theben errichten lassen. Er beschäftigte ganze Werkstätten von Künstlern, die seine Häuser dekorierten, seinen Schmuck, seine Rüstung und seine Waffen anfertigten und sein Grab entwarfen. Tanefer hatte eine besondere Begabung für die Schönheit. Die meisten jungen Männer, die den Pharao umgaben, neideten ihm seine ungezwungene und doch königliche Art, sein brillantes Kriegsgeschick, seinen scharfen Verstand. »Ihr hättet König sein können«, sagte Meren. Tanefer stellte seinen Becher auf den Boden und begann eine Feige auf und nieder zu werfen. »Mein Onkel ist tot, zweifellos ermordet von einem seiner Vettern, und meine Verwandten lechzen nach dem, was von Mitanni übrig ist. Glaubt Ihr etwa, ich möchte die Wiege der Zivilisation verlassen, um mich in ein Bett aus Schlangen zu legen?« »Byblos ist eine großartige Stadt und sehr reich«, sagte Ahiram. »Ich würde mich nicht weigern, dort zu regieren, ich nicht, wenn das Imperium seine Hoden endlich zurückerobert.« »Ein solcher Feldzug würde Jahre dauern«, erwiderte Meren. »Denkt nur an die ganzen Städte, die zwischen Ägypten und Byblos liegen.« »Wir würden jetzt nicht kämpfen müssen, wenn der alte König nicht –« »Friede! Wir sind hier, um uns an Merens Speisen zu laben.« Tanefer schlug Ahiram auf den Rücken und flüsterte ihm einen schlüpfrigen Witz ins Ohr. 91
Ahiram brüllte vor Lachen. Kysen, der seine Partie Senet gewonnen hatte, kam herüber, um sich dem Gelächter anzuschließen. Meren war nun frei und konnte zu Djoser und Rahotep hinübergehen, die den Musikanten lauschten. Die Worte des Liedes drangen an sein Ohr, als er sich auf einen Sessel neben sie setzte. Meine Geliebte regiert mein Herz. Oh, wie lang ist es her, da ich bei ihr lag. Die Musik der Harfe plätscherte dahin, und Meren konnte erkennen, daß diese Ruhe im Widerstreit mit Djosers Gedanken lag. Offensichtlich hatte Rahotep auf seine unbeholfene Weise versucht, die schlechte Stimmung seines Freundes zu vertreiben, und hatte keinen Erfolg dabei gehabt. Djosers schlechte Laune stand in direktem Gegensatz zu seiner exquisiten Kleidung. Von allen Anwesenden kleidete er sich am sorgfältigsten. Im Moment betrachtete er seine Sandale, ein prächtiges Stück aus vergoldetem Leder. Djoser liebte Sandalen. Meren nahm an, daß er für jeden Tag des Jahres ein Paar besaß. Rahotep versuchte immer noch, seinen Freund aufzuheitern. Er war großmütig. Ein einziges Mal hatte er jemanden gefunden, mit dem er sich vergleichen konnte und dabei tatsächlich immer als der Bessere abgeschnitten. »Nicht eines jeden Mannes Schicksal ist es, ein Krieger zu sein«, sagte Rahotep. »Viele große Ägypter waren es nicht. Erinnert Euch an die Architekten Amenhotep, Sohn des Hapu und Imhotep, der zusätzlich Weiser und Zauberer war. Immerhin erschuf Imhotep die große Stufenpyramide und wird als Gott verehrt.« Djoser leerte einen halben Becher Bier, dann wischte er sich den Mund. Selbst diese Menge Alkohol schien seine Erregung nicht bezwingen zu können. Seine Augen bewegten sich unruhig hin und her. Schließlich sagte er: »Ihr habt Euch auf dem Schlachtfeld nicht übergeben müssen. Ihr habt nicht Euren eigenen Krummsäbel fallen lassen. Ihr habt die Herrschaft über Eure Pferde nicht verloren, und mußtet nicht 92
vor Eurem eigenen Wagen gerettet werden.« Djoser schluckte den Rest seines Biers herunter. Seine Worte klangen jetzt schleppend. »Ich muß meinen Wert erst noch beweisen. Jedermann lacht mich aus, aber ich werde ihnen mit ihrem Gelächter noch das Maul stopfen. Niemand darf einen Prinzen auslachen …« Meren tauschte einen Blick mit Rahotep. »Ich werde dafür sorgen, daß er nach Hause gebracht wird«, sagte Rahotep. Meren nickte. »Seid Ihr nun wieder besserer Stimmung?« Rahotep begann, die Senet-Spielsteine wieder in ihrem Kasten zu verstauen. »Ahiram hätte es nicht gewagt, Hand an mich zu legen, wenn ich königlichen Blutes gewesen wäre.« »Sein Temperament wird ihn eines Tages zerstören«, sagte Meren. »Ich habe ihn schon so wütend erlebt, daß ich dachte, er würde den Pharao selbst angreifen.« Er merkte, daß Rahotep ihm nicht glaubte. Er kannte diese Männer schon sein Leben lang, aber Rahotep war der einzige, in dessen Adern kein adeliges Blut floß. Seine Mutter war eine Bäuerin gewesen, die die Aufmerksamkeit des Pharao erregt hatte. Und mit jedem Atemzug bedauerte Rahotep, daß sie niemals mehr als nur eine Konkubine gewesen war. Er haßte sogar sein eigenes Erscheinungsbild, denn er hatte das breite, flache Gesicht und die flache Nase seiner Mutter geerbt, die er für bäuerische Gesichtszüge hielt. Kysen sagte häufig, daß Rahotep erheblich königlicher aussähe, wenn er nicht beständig mit seinem kleinen Finger im Ohr pulte. Meren hörte Rahotep zu, der Djosers Sorgen nur geringen Wert beimaß und sie angesichts seiner eigenen Probleme als geradezu unbedeutend abtat, und er wußte, daß er recht daran getan hatte, seine Freunde zu sich nach Hause einzuladen. Hier war eine Menge Öl, das ins Feuer gegossen wurde, um den Kessel des Streites am Hof zum Kochen zu bringen. Um ihn am Überkochen zu hindern, mußte er den Klagen zuhören, mußte die Ohren spitzen, und auf 93
das Heulen der Hunde horchen, um rechtzeitig zu erkennen, wann sie sich in Schakale und Hyänen verwandelten.
Kapitel 7
I
m Norden Thebens, an der Grenze zum Ostteil der Stadt, hatte das Wasser des Nils sich tief in die Böschung hineingegraben, hatte Strudel gebildet und die Strömung des Flusses verlangsamt. Hier, zwischen dem Fluß und den Feldern, gab es einen kleinen Sumpf. Ebana lenkte seinen Wagen sorgsam die Straße entlang, die aus der schwarzen Erde bestand, die beim Ausheben der Kanäle übrigblieb. Er kam nur langsam voran, denn es war schon spät, und nur das Licht des Mondes beleuchtete seinen Weg. Schließlich zog er die Zügel an und stieg von seinem Wagen. Er holte einen Speer aus einem an dem Wagen befestigten Kasten und ging über einen Deich auf den Sumpf zu, wo ihn ein Boot aus Papyrusrohren erwartete. Er stieg in das Boot und stieß sich mit Hilfe des Ruders, das im Innern des Bootes gelegen hatte, vom Ufer ab. Das Wasser um das Boot herum kräuselte sich schwarz und kühl wie Obsidian. Sein Herannahen scheuchte ein Sumpfhuhn auf, das aus dem Wasser krabbelte, als es die Schreie seiner Jungen hörte. Ebana glitt zwischen den großen Papyruswedeln dahin und achtete darauf, nicht zu nah an die dicken Halme heranzufahren. Bei dem Glück, das er in den letzten Tagen gehabt hatte, lief er Gefahr, dort ein Krokodil aufzuscheuchen oder ein Nilpferd zu wecken. Das Boot fuhr langsamer, dann hielt es an. Er saß ruhig da und 94
horchte auf die Frösche und Insekten und auf das Wasser, das gegen den Bug klatschte. Er umfaßte seinen Speer fester. Wenn es nicht so wichtig gewesen wäre, die Sache geheimzuhalten, dann hätte er sich niemals der Gefahr ausgesetzt, auf Krokodile zu stoßen oder hier zu ertrinken, jedenfalls nicht für den Mann, den er hier treffen sollte. Ein undeutlicher rosafarbener Fleck fiel ihm auf – ein Rosenlotus. Während die Minuten verrannen, fühlte er sich, als würden in seinen Eingeweiden ein paar Ratten einen Tanz aufführen. Ein Fluch drang über das Wasser zu ihm herüber. Er ruderte zurück und wendete, um dem anderen Boot, das vom Fluß aus in das Moor fuhr, entgegenzufahren. Die beiden Fahrzeuge blieben längsseits nebeneinander stehen. Der Neuankömmling sprach ohne Einleitung. »Er weiß Bescheid!« »Das ist absurd«, antwortete Ebana. »Ihr solltet nicht zulassen, daß er Euch lenkt wie einen verängstigten Ochsen, sonst verratet Ihr Euch noch selbst – und uns.« »Ich war heute mit ihm zusammen, und ich sage Euch, Meren weiß etwas. Warum ist er so wachsam? Er stochert doch sonst nicht in jedem Unfall und plötzlichen Todesfall herum, von dem er hört.« »Weil er die Intrige riecht wie ein Jagdhund die Oryx-Antilope. So ist er eben, und ich bin darauf vorbereitet.« »Meine Fährte war es nicht, die er gewittert hat«, sagte der andere mit erhobener Stimme. »Ich schwöre es. An mir liegt es nicht.« »Wovon sprecht Ihr eigentlich?« »Nichts, nichts. Beim Zorne Seths, ich hasse Sümpfe. Zu viele Wesen der Nacht.« Ebana betrachtete den Neuankömmling, dessen Kopf sich wild nach rechts und links drehte, als erwartete er, von einem Nilpferd verschlungen zu werden. Das bißchen Mut, das dieser Narr noch zu besitzen schien, hatte ihn hier verlassen, und das, obwohl doch 95
gar kein richtiger Anlaß bestand, es sei denn, er hatte etwas zu verbergen. »Hört gut zu«, sagte Ebana mit leiser, aber deutlicher Stimme, »wenn Eure ängstliche, wilde Hast uns verraten hat, dann werde ich Euch mit meinen eigenen Händen töten.« Sein Gegenüber sah Ebana besänftigend an. »Nein, nein. Nein. Regt Euch nicht auf. Ich werde die Sache schon regeln.« »Haltet Euch einfach nur zurück, Narr. Wir haben darauf spekuliert, daß der König und die anderen durch die Bedrohung der Hethiter abgelenkt würden, aber solange Meren überall herumschnüffelt, sollten wir nach Ansicht unseres hohen Meisters eine Weile abwarten.« »Zu spät.« »Warum?« Eine Hand schnellte hervor und griff nach dem Rand von Ebanas Boot. »Zu spät. Ich habe heute morgen in der Frühe die Nachricht erhalten. Die Arbeit hat bereits begonnen.« »Verdammt.« »Versteht Ihr nun? Zum Zeitpunkt, da ich sie erreichen könnte, ist die Sache bereits erledigt. Ich erwarte in ein paar Wochen die Lieferung.« Ebana blickte auf die Hand nieder, die die zusammengebundenen Papyrusrohre am Ende des Bootes umklammerte. Er konnte durch das Boot hindurch spüren, wie angespannt der Arm seines Gegenübers war. Er zwang seine Stimme zur Ruhe, lehnte sich hinüber und löste die Hand von seinem Boot. »Es hat sich nichts geändert. Geht Euren Angelegenheiten genauso nach wie immer. Mehr müßt Ihr nicht tun. Und laßt Euch durch die Machenschaften meines Vetters nicht ins Bockshorn jagen. Er weiß nichts. Überhaupt nichts. Jetzt geht. Im Moment lauert grö96
ßere Gefahr vom Fluß als von Meren.« Ebana beobachtete, wie sein Verbündeter durch einen Vorhang aus Riedgräsern verschwand. Irgend etwas stimmte hier nicht. Es war mehr als nur der unwillkommene Tod eines Priesters. Was es auch war, er begann langsam zu glauben, daß man sich um diesen besonderen Verbündeten kümmern mußte – aber mußte er die Aufgabe erfüllen, die man ihm übertragen hatte? Sie waren aus dem breiten grünen Band des Niltales in die Wüste und dort in ein von steilen Kalkfelsen umgebenes Tal geklettert. Meren stieg aus seinem Wagen und reichte Abu die Zügel, der das Gespann ans Wasser führte. Hinter ihm folgten Kysen und Tanefer, Djoser, Rahotep und einige andere. Den ganzen Morgen über hatten sie Ibisse und Oryx-Antilopen erlegt. Tanefer hatte dieses tiefe Tal ausfindig gemacht, in dem sich so viel Feuchtigkeit sammeln konnte, daß um den kleinen See herum einiges an Pflanzen wuchs. Bis zum Ende des Herbstes würde das Wasser verdunstet sein. Tanefers Jäger hatten an einem Ende des Tals ein Netz aufgehängt, und die Hunde hatten das Wild vom anderen Ende der Schlucht aus hineingetrieben. Meren suchte unter einem tragbaren Sonnensegel Schutz. Ein Leibdiener brachte ihnen eine Wasserflasche. Er goß sich etwas Wasser übers Gesicht, das mit einer Schicht aus feinem Sand, Steinchen und Staub bedeckt war. Er trank, wischte sich den Mund und beobachtete, wie Kysen und Tanefer einem Jäger Anweisungen gaben, der gerade eine Gazelle an einen Tragepflock band. Tanefer hatte diese Jagd organisiert, und Meren war für die Ablenkung dankbar; es war ihm gelungen, vom König eine Gnadenfrist zu erwirken. Zwei Wochen, um eine Entscheidung zu treffen, ob man einen Kampf des Pharao gegen die Hethiter riskieren sollte. War es wirklich schon so lange her, daß man den Priester am Fuß 97
der Statue vor dem Tor des Gottes gefunden hatte? Meren trank noch mehr Wasser, und Kysen verließ ihren Gastgeber und gesellte sich zu ihm. Tanefer war eifrig dabei, Dienern, Jägern und Hunden Befehle zuzurufen. Kysen nahm eine Wasserflasche von einem Diener entgegen, entließ ihn und machte es sich auf der Riedmatte zu Merens Füßen bequem. Sie tranken Wasser und beobachteten die Vorbereitungen für die Rückkehr in die Stadt. Nicht weit entfernt zogen sich auch andere Männer unter den Schatten der Sonnensegel zurück, scherzten und lachten. »Wo ist Ahiram?« fragte Kysen. »Er hat erfahren, daß Rahotep eine Staffel Hunde gespendet hat und hat sich geweigert, an der Jagd teilzunehmen«, sagte Meren. Er wischte sich sandigen Schweiß von der Stirn, dann berührte er den Schnitt in Kysens Armbeuge. »Du hältst deinen Bogen zu fest.« Kysen grunzte. »Mein rechtes Wagenrad ist gegen einen Felsen geprellt, da habe ich das Gleichgewicht verloren.« Meren nickte, und sie schwiegen, als eine Brise das Tal durchstreifte und ihnen Kühlung verschaffte. »Ist bei deiner Unterhaltung mit dem Lesepriester gestern nichts herausgekommen?« fragte Kysen. »Nichts. Qenamun verhält sich in dieser Sache ebenso geschickt wie es im Umgang mit der Magie von ihm behauptet wird.« »Ebana mag ihn nicht.« »Das hast du schon gesagt. Aber daß er ein Intrigant ist, unterscheidet Qenamun wohl kaum vom Rest der Menschheit.« Meren machte eine Handbewegung, mit der er auf Djoser, Tanefer und Rahotep deutete. »Wer von unseren Freunden nutzt nicht die Gelegenheit, wenn er mit Hilfe von List und Tücke ans Ziel kommen kann? Rahotep ist eifersüchtig auf Tanefer – obwohl er dauernd von seiner eigenen Perfektion schwärmte – und möchte vom Pharao früher oder später über jeden anderen erhoben werden. Djosers Blut verwandelt sich in Galle in dem gleichen Maße, wie sein Neid auf 98
uns alle wächst.« »Aber ihre Intrigen werden von Parenefer und Ebana doch bei weitem übertroffen.« Meren warf seinem Sohn einen mitfühlenden Blick zu. Kysen hatte die letzten paar Tage damit verbracht, bei Unas' Kollegen Erkundigungen über seine Arbeit, seine Gewohnheiten und seine Sympathien einzuholen, mit dem Ergebnis, daß Ebana darauf bestand, bei jeder Unterhaltung anwesend zu sein. Deshalb hatte er nichts Wichtiges erfahren. Nur Abus Unterhaltung mit Ipwet und Nebera hatte sie weitergebracht. Als ihr Mann gestorben war, hatte Ipwet zusammen mit einigen anderen jungen Frauen Gerstenbrot zubereitet. Aus seinen Nachforschungen in den königlichen Werkstätten schloß Abu, daß Nebera zu früh dort angekommen war, um einen kleinen Abstecher zu machen und Unas zu töten. »Mag sein, daß ich auch schon dort Intrigen wittere, wo gar keine sind«, sagte Meren. »Doch der Türsteher Huni ist gerade rechtzeitig wieder eingesetzt worden, um einen Todessturz zu verschlafen. Dieses Zusammentreffen gefällt mir gar nicht. Aber als ich den ersten Türsteher befragte, sagte dieser, daß er sich entschlossen hatte, Huni eine weitere Chance zum Dienen zu geben. Doch als ich ihn aufsuchte, war Ebana bei mir, deshalb kann ich nicht sicher sein, ob er die Wahrheit gesagt hat.« Meren seufzte und trank noch einen Schluck Wasser. »Mich plagt ein ebensolcher Verdacht, aber wir können kaum anfangen, den Mann aus so einem nichtigen Grund prügeln zu lassen. Er steht unter dem Schutz des Tempels.« »Ich hasse Ermittlungen, die ich unter den Großen durchführen muß«, sagte Kysen, während er seinen verletzten Unterarm massierte. »Und dieser verfluchte Tempel quillt geradezu über vor Menschen, doch keiner gibt zu, irgend etwas zu wissen.« 99
»Und den Jungen, der Unas die Botschaft gebracht hat, hast du auch noch nicht gefunden, nicht wahr?« Kysen schüttelte den Kopf. »Und niemand im Tempel gibt zu, ihn geschickt zu haben. Ipwet sagt, sie habe nicht besonders auf den Jungen geachtet, deshalb könne sie nicht vollkommen sicher sein, was er wirklich gesagt hat.« »Armer Unas«, sagte Meren. »Er scheint niemandem wirklich wichtig gewesen zu sein.« »Aber ich sage dir eines«, bemerkte Kysen. »Dieser Türsteher wird bald ebenfalls einen Unfall haben, oder aus dem Tempel zur nubischen Grenze verbannt werden.« Meren rückte auf die vordere Kante seines Hockers, stützte die Arme auf die Knie und schüttelte den Kopf. »Und wenn das passiert, dann werden wir unseren Ansatz noch mal überdenken. Aber ich mache mir auch über andere Dinge Sorgen.« »Ah, deine vierzehn Tage sind um, und der König wird nun von dir fordern, daß du einen Standpunkt einnimmst, was das Thema seines Feldzuges angeht.« »Er wird wütend sein, und ich enttäusche ihn nicht gern. Sein Leben ist so voll von Sorgen und Pflichten.« »Er führt das Leben eines Gottes.« Meren hob den Kopf, als er Kysens ungläubigen Ton vernahm, aber er widersprach nicht. Kysens Kindheit war vor der Adoption ebenso schmerzerfüllt gewesen wie die Tutenchamuns. Sein Vater hatte ihn verkauft, nachdem es ihm nicht gelungen war, ihn durch Schläge zu feiger Unterwerfung zu bewegen. Es war nicht Kysens Schuld, wenn er es sich nicht vorstellen konnte, daß das Leben eines Königs eine Tortur sein konnte. Meren erhob sich und zuckte zusammen, als er den Schmerz in seinen Muskeln fühlte, die einiges an Stößen abbekommen hatten, als sein Wagen über den Boden der Wüste dahingerast war. 100
»Es ist Zeit, nach Hause zurückzukehren. Der Kalender hat diesen Tag zu meinem Glückstag erklärt, deshalb hoffe ich, daß mir ein weiterer Abend, an dem ich zuhören muß, wie Horemheb und Tanefer die Versorgung der Truppen und Grenzposten diskutieren, erspart bleibt. Und wenn ich gesegnet bin, dann erinnert sich der König vielleicht ein paar Tage lang gar nicht daran, daß ich versprochen habe, Partei zu ergreifen.« Sie verließen Tanefer und die anderen Jäger, die sich an einer über dem Feuer gerösteten Gazelle labten, und als die Sonne den Zenit überschritten hatte, erreichten sie das Haus. Binnen kurzem stand Meren in seiner Badekammer, während ein Diener Krug um Krug mit kühlem Wasser über ihm entleerte. Zögernd gab er ihm ein Zeichen, diesen Luxus zu beenden und streckte sich auf dem nebenstehenden Massagetisch aus, während sein Leibdiener ihn mit Öl einrieb. Dabei sah er einige Briefe von seiner Familie durch. Einer kam von seiner Schwester, die sich beklagte, daß er seine Töchter vernachlässigte und sie schon vor langem hätte besuchen müssen. Vernachlässigte er sie tatsächlich? Isis und Bener sollten die Fähigkeit, ein großes Anwesen zu führen, erlernen und sich alle weiblichen Fertigkeiten aneignen, die er sie nicht lehren konnte. Tefnut, seine Älteste, lebte weit entfernt mit ihrem Mann im Delta. Er vermißte sie alle, besonders abends, wenn er nach Hause kam und sich selbst dabei ertappte, wie er auf ihr fröhliches Gelächter horchen wollte. Ein weiterer Brief kam von seinem jüngeren Bruder Nakht, den er Ra nannte. Meren faltete das Papyrus auseinander, überflog die ersten Zeilen und ließ es dann zu Boden fallen. Noch mehr Klagen darüber, daß Ras Urteilsvermögen von ihrem Hausverwalter immer kritisiert wurde. Meren legte den Kopf auf die verschränkten Arme. Er spürte den Druck in seinen Schläfen, als läge sein Kopf in einer Traubenpres101
se. Es war, als zerrten die Mitglieder seiner Familie an seinen Armen, er hatte das Gefühl, bald in der Mitte zu zerreißen. Er flüsterte seinem Diener einen Befehl zu, und dieser begann, ihm den Kopf zu massieren. Er war gerade dabei, einzuschlummern, als die Massage plötzlich aufhörte. Er öffnete schlagartig die Augen, sein Körper spannte sich, als er den Kopf hob und Abu das Gemach betreten sah. Er hatte eine Scherbe aus Kalkstein bei sich, ein Ostrakon, auf dem man Notizen machte, um Papyrus zu sparen. Meren setzte sich auf und schlang sich das Badetuch um die Hüften. Sein Leibdiener zog sich in sein Schlafgemach zurück. »Vergebt mir, Herr, aber soeben hat mich ein Bericht von der Stadtpolizei erreicht. Das Haus des Unas wurde beraubt, oder besser, es wurde durchsucht. Sie glauben nicht, daß irgend etwas gestohlen wurde.« »Hat man jemanden erwischt?« »Nein, Herr. Die Frau besuchte gerade ihre Eltern, und der Nachbar, Nebera, hat die Straftat gemeldet.« Abu hielt ihm das Ostrakon entgegen. Meren nahm es und überflog den Bericht. Aus jedem anderen Haus wäre eine solch unbedeutende Straftat Meren niemals gemeldet worden. Er gab Abu den Bericht zurück, als Kysen eintrat. Er hatte sich umgezogen, sein Haar war feucht. »Du hast schon davon gehört?« fragte er. »Ich glaube, Abu und ich sollten das Haus morgen aufsuchen.« »Ich hoffe, ihr entdeckt mehr als die Stadtpolizei«, sagte Meren. Seine Gedanken überschlugen sich; er erhob sich und trottete in sein Schlafgemach. Die anderen folgten ihm. Er ließ sein Badetuch fallen und gestattete seinem Leibdiener, ihm einen sauberen Rock anzulegen. Kysen warf ihm einen Gürtel zu, den er sich um die Taille schlang, nachdem er den Diener hinausgeschickt hatte. »Ich bin es leid, mit starrköpfigen Priestern zu streiten«, sagte er. 102
Kysen blickte von seiner Lektüre auf. »Aber du hast doch gesagt, daß wir es uns nicht leisten können, einen offenen Streit zu provozieren.« »Das war vor diesem neuen Schlag.« Meren rieb das Brandmal von der Sonnenscheibe an seinem Handgelenk, während er nachdachte, dann ließ er ein Gelenkband aus Leder und Bronze darübergleiten. »Wir müssen die Vögel aus dem Sumpf scheuchen, Ky.« »Die Scherben?« »Ja, die Scherben. Wenn sie von Bedeutung sind, dann sind sie vielleicht der Stachel, den wir brauchen, um unser Opfer auf die Lichtung hinauszutreiben. Aber wir können den Priestern nicht auf direkte Weise davon erzählen. Ich schlage vor, daß du die Geschichte deiner Entdeckung heute abend, wenn wir auf diesem Empfang beim Prinzen Sahure sind, beiläufig erwähnst.« Er lächelte Kysen zu. Viele Höflinge dienten auch in verschiedenen Tempeln als Priester. Die Nachricht würde sich unter den Priestern des Amun schneller verbreiten als das Geheul eines Wüstensturms. »Glaubst du, daß sie unser Haus durchsuchen werden?« fragte Kysen. »Nein, aber es ist möglich, daß jemand einen Fehler begeht.« Später an diesem Abend unterhielt sich Meren auf dem Bankett höflich mit Fürstin Bentanta. Doch die ganze Zeit beobachtete er Kysen, wie dieser lachend die Geschichte seiner Entdeckung unter den anderen Gästen verbreitete. Er stand neben einer Säule, einen gefüllten Weinbecher in der Hand und verfluchte sein Pech. Bentanta hatte ihm den Weg abgeschnitten, bevor er in einen anderen Raum verschwinden konnte. »Ihr seid besorgt.« Seine Aufmerksamkeit kehrte zu der Frau zurück, die vor ihm stand. Sie war groß und geschmeidig, war noch jung und wohlhabend und hatte einige Söhne und Töchter, die ihr Gesellschaft leis103
teten. Und dabei war sie so klug und aufmerksam wie die alte Königin Teje es gewesen war. Aus der Ferne kannte er sie schon seit seiner Kindheit, aber er war schon in jungen Jahren, mit fünfzehn, getraut worden, und sie war schon mit dreizehn verheiratet gewesen. Meren beäugte sie mißtrauisch. Was hatte sie bemerkt, und wie? »Ihr habt es erraten, Fürstin.« Bentanta gab ein verächtliches Prusten von sich, was Meren noch mehr verärgerte. »Ich kenne Euch seit Eurer Kindheit, Meren.« Sie trat näher an ihn heran, und er nahm den Duft von Myrrhe wahr. »Eure Augen«, sagte sie flüsternd. »Ich kenne Euch lang genug, um in Euren Augen lesen zu können, auch wenn der Rest Eures Gesichts zur Maske erstarrt ist. Lastet der Streit unter den Ratgebern des Pharao auf Euch?« Er wich zurück, bis er die Säule im Rücken hatte. »Das solltet Ihr doch wissen, da es in meinen Augen geschrieben steht wie Hieroglyphen auf einer Tempelmauer.« »Aber Meren, mein Krieger, mein Fürst und Freund des Königs, Ihr habt Angst vor mir.« Er warf ihr einen finsteren Blick zu und öffnete den Mund, aber Bentanta kicherte nur leise. Sie verließ ihn und berührte mit ihrem Arm leicht den seinen, als sie in einer Wolke aus durchsichtigem Leinen und Parfüm davon rauschte. Wütend blickte er ihr hinterher, aber schon bald war auf seinem Gesicht wieder die altbekannte Gleichmut zu sehen, und er glitt tiefer in die Schatten der Fackeln hinein, die in Sahures großer Halle überall verteilt waren. Musikanten stimmten eine Melodie an, und eine Tanzgruppe schlängelte sich in den Raum. Meren nahm sich einen Gewürzkuchen von einem Stapel auf einem Tisch, brach ihn in zwei Teile und wünschte sich, daß es sich 104
um Bentantas Nacken handelte. Diese Frau war unerträglich klug. Sie erinnerte ihn an Qenamun. Beide hatten so eine Art, einen aus der Fassung zu bringen. Ihre Worte, die eigentlich so harmlos waren, gingen einem durch Mark und Bein. Qenamuns Motive jedoch waren ihm ein noch größeres Rätsel als Bentantas. Er erinnerte sich an sein Gespräch mit dem Mann am Tag zuvor. Er hatte nach dem Priester schicken lassen, denn weder Kysen noch Abu hatten große Fortschritte in den Ermittlungen um Unas' Tod gemacht. Als er von der Entdeckung des Leichnams sprach, war Qenamun höflich, zuvorkommend und offen gewesen. Er hatte keinen Anlaß zur Klage über einen Mangel an Kooperation gegeben, aber sein Verhalten hatte Meren äußerst mißtrauisch im Hinblick auf seine Motive gemacht. Kein Priester hohen Ranges im Tempel des Amun war ohne Grund so liebenswürdig. Qenamun war in diese Stellung hineingeboren worden; sein Vater und Großvater waren bereits Priester gewesen und die Linie reichte zurück bis zu der Zeit der Invasion der Hyksos. Es war eine vornehme Familie, die in bescheidenem Wohlstand lebte, und deren Männer es verstanden, Kriege, Hungersnöte und politische Umstürze zu überleben. Von ihnen allen schien Qenamun der erfolgreichste zu sein. Seine Verleumder fielen großem Unglück anheim, seine Freunde hüteten sich, seine Pläne zu durchkreuzen. Ebana hatte gesagt, daß Parenefer in Erwägung zog, ihn zum Diener Gottes zu befördern. Dies war Ebanas Titel, und er war darüber alles andere als erfreut. Qenamun war während des gesamten Verhörs mit vor der Brust gefalteten Händen stehengeblieben. Seine zerbrechliche Eleganz hatte geradezu etwas Treuherziges an sich gehabt, seine leuchtenden, dunklen Augen waren ruhig gewesen. »Ich bedaure, nicht früher mit Euch gesprochen zu haben«, hatte Meren gesagt. »Aber Angelegenheiten von großer Wichtigkeit haben mich bis jetzt daran gehindert.« 105
»Fürst Meren ist zu gnädig, sich mit einer solch nichtigen Angelegenheit zu befassen.« »Ein Todesfall am Fuße der Statue des Königs ist mehr als nur eine nichtige Angelegenheit.« Qenamun neigte den Kopf. Er sah aus wie eine Gazelle, die sich zum Trinken niederbeugt. »Wie Ihr meint, Herr. Aber ich habe um den gesamten Tempel herum Reinigungsriten vollzogen. Vergebt mir, aber nach meiner Erfahrung kann das Böse, das durch einen plötzlichen Todesfall freigesetzt wird, außerordentlich wirkungsvoll wieder vertrieben werden. Es gibt zu diesem Zweck einige Zaubersprüche mit großer Macht.« »Euer Ruf eilt Euch voraus«, sagte Meren. »Ich habe aus vielen Quellen vernommen, daß Eure magischen und hellseherischen Fähigkeiten dem guten Gott wohlgefällig sind.« Tatsächlich stand Qenamun eher in dem Ruf, die Furcht vor seiner Macht zu schüren als in dem, Gutes zu tun. Sein Aufstieg an die Spitze des Tempels war wohl hauptsächlich seiner Fähigkeit zu verdanken, den Ruf derjenigen zu ruinieren, die ihm im Weg waren. »Diese Gabe hat mir Amun gegeben«, sagte Qenamun, »und ich habe mich bemüht, sie in der Angelegenheit, die Euch so besorgt macht, Herr, einzusetzen. Denn Amuns Wille ist herrlich, seine Macht ist groß und schrecklich. Er bewacht seine Schäflein und wirft diejenigen in den See des Feuers, die sich ihm widersetzen.« Qenamun neigte den Kopf zur Seite. Sein Blick schien sich wie warmer Honig über Meren zu ergießen. Meren bekam das Gefühl, daß der Abstand zwischen ihnen geringer und die Luft, die er atmete, heißer wurde. Seine Lungen schienen zu brennen. Der Priester sprach noch immer mit leiser Stimme zu ihm. »Hütet Euch vor Amun, dem König der Götter. Der Zorn, den er gegen seine Feinde richtet, ist schrecklich.« Das Gefühl der Nähe und die Hitze ließen ihn vor dem, was Qe106
namun tat, besonders auf der Hut sein. Zorn strömte durch seinen Körper wie geschmolzenes Kupfer. Er war versucht, nach seiner Peitsche zu greifen und den Priester für seine Unverfrorenheit zu züchtigen. Statt dessen hob er nur eine Augenbraue und ließ ein leises Lachen hören. »Wie Ihr meint.« Qenamun hatte die Lider gesenkt und dadurch den Bann ihrer ineinander verschlungenen Blicke gebrochen. Meren hatte sich von dem Priester abgewandt, um seinen Gehilfen zu rufen. »Ich danke Parenefer dafür, daß er Euch gestattet hat, zu mir zu kommen. Es scheint, daß der Tod des Reinen tatsächlich nur ein einfacher Unfall war.« »Der Herr ist weise.« »Ihr mögt gehen.« Qenamun hatte sich verbeugt und die Hände gehoben. »Möge Amun-Ra, der Größte im Himmel, der Herr der Wahrheit, der Vater der Götter, Euch segnen, Fürst. Und sollte die Notwendigkeit bestehen, dann bitte ich darum, Euch meine Dienste anbieten zu dürfen.« »Ich werde mich an Euer Angebot erinnern.« Ein Tänzer wirbelte an ihm vorbei und bearbeitete eine Trommel. Der Krach weckte Meren aus seiner Träumerei. Er blickte nach unten und bemerkte, daß er noch immer den Gewürzkuchen in der Hand hielt. Der Priester hatte ihn verwirrt. Lesepriester waren Gelehrte und Zauberer, aber dieser – dieser war mehr. Selten hatte Meren jemanden getroffen, der mit seinem Blick solche Macht ausüben konnte. Der Versuch, die Oberherrschaft zu gewinnen, war subtil und wortlos gewesen, und er verachtete den Mann dafür. Auch seine Schuldgefühle, weil er Kysen hier allein ließ, konnten Meren nicht davon abhalten, sich aus dem Saal zu stehlen und nach Hause zurückzukehren. Er hatte genug von Vergnügungen, von Trinkgelagen und den Aufmerksamkeiten der amüsierten Bentanta. Außerdem erwartete man den König dort, und er hatte wenig Nei107
gung, auf einem Fest über seine Ansichten hinsichtlich der Schlacht befragt zu werden. Fast bis zum Morgengrauen spielte er mit Kysens Sohn Remi, bevor er bei Hof zu einer Audienz erwartet wurde. Er wäre lieber mit Kysen zusammen zu Unas gegangen, und noch lieber hätte er seine Pflichten ganz vernachlässigt und mit dem Kind seinen Unsinn getrieben. Der Junge verbrachte fast jeden Morgen damit, im Hof neben dem See vor Merens Schlafgemach zu spielen. Er war ein durchtriebener kleiner Teufel von drei Jahren, die Geißel seiner Kinderfrau und aller Diener. Im Augenblick schleuderte er trotz Merens Schelte einen Lederball in den See. Meren hob den Jungen hoch, bevor er ins Wasser springen konnte. Er richtete sich auf und setzte Remi auf seine Hüfte. Da sah er, daß Abu sich ihm näherte, im Schlepptau einen königlichen Diener. Der Mann blickte an ihm vorbei, auf einen Punkt irgendwo über Merens Schulter. »Fürst Meren wird zum Palast befohlen.« Meren seufzte und stellte Remi auf die Füße. »Ich komme sofort.« Der Mann verschwand, und Meren ging in sein Gemach, um sich fertig anzukleiden. Als er sein prächtiges Hofgewand angelegt hatte, reichte ihm Abu den zeremoniellen Dolch. Nur er und Kysen wußten, daß seine Klinge so scharf war wie ein Kriegsschwert, und daß das Gold seiner Klinge nur einen praktischen und stabilen Bronzekern verbarg. »Ich glaube, du kommst besser mit«, sagte er zu Abu. »Wie es scheint, ist meine Verschnaufpause beendet, und ich muß mich heute morgen in eine Grube voller Krokodile werfen.«
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Kapitel 8
T
heben war erwacht, die Stadtmauer schien vom Widerschein der Sonne zu glühen. Kysen war auf dem Weg zu Unas' Haus. Seit dem Tod des Priesters war nichts vorgefallen, das sie zur Wahrheit geführt hätte. Was ihn am meisten irritierte, war die Tatsache, daß sie noch immer kein Motiv für Unas' Ermordung gefunden hatten. Aber das Verhalten der Priester des Amun… Kysen hatte das Gefühl, daß Meren, der jetzt mit erheblich gewichtigeren Problemen zu kämpfen hatte, dem Vorfall inzwischen weniger Bedeutung beimaß. Zu diesen Problemen gehörte nicht nur der erste Feldzug des Königs, genauso besorgniserregend waren die Raubzüge der Banditen in den kleineren Dörfern an der Grenze zur Ostwüste, die von Theben nur eine halbe Tagesreise mit dem Segelboot entfernt lagen. Und außerdem waren da noch die Briefe der Familie. Einer der Vorzüge seiner Adoption war, daß er die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern aus einer gewissen Distanz betrachten konnte. In den vergangenen Jahren wurde ihm klar, wie groß die Bürde war, die Meren als ältester Sohn zu tragen hatte. Nakht, den Meren Ra nannte, und einer von Merens Hausverwaltern stritten sich mal wieder. Obwohl Meren überredet worden war, seinem jüngeren Bruder die Verwaltung von Bäht, dem großen Familienbesitz im Gau von Thinite, zu übertragen, führte Nakhts Faulheit dazu, daß ein Großteil der Verantwortung auf den Schultern des Gutsverwalters lag. Kysen hatte nur einen Tag in Nakhts Gesellschaft verbringen müssen, um zu erkennen, welches Gefühl das Leben seines Adoptivonkels beherrschte. Nakht haßte Meren. Soweit Kysen erkennen konnte, wünschte Nakht alle Privilegien 109
und das Prestige, das Merens Position mit sich brachte, für sich, wollte aber nicht die damit verbundene Verantwortung und die harte Arbeit auf sich nehmen. Und Meren war ihm gegenüber nachsichtig, denn Nakht gelang es immer, seinem Bruder Schuldgefühle einzuflößen, weil dieser so viel mehr geerbt hatte als er selbst oder ihre Schwester, als wäre er dafür verantwortlich, der Erstgeborene zu sein. Dann war da noch die arme Tante Idut, die nicht verstehen konnte, warum Meren ihrem Sohn kein hohes Amt verschaffte, obwohl der Junge erst vierzehn war und noch immer zur Schule ging. Idut machte sich mehr Sorgen darum, ihren Sohn zu großen Leistungen anzuspornen als sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Glücklicherweise war Idut damit beschäftigt, Kysens Schwestern auf dem Lande, auf Bäht, auszubilden. Er für seinen Teil beneidete weder Bener noch Isis. Die schwierige Arbeit der Bierbrauerei, die Aufsicht über die Diener und Landarbeiter, die Buchführung, die Geheimnisse der Getreideverarbeitung und der Webkunst, all das fiel unter ihre Oberaufsicht. Idut war es gewesen, von der Kysen etwas über Merens Eltern erfahren hatte. Der Vater, Amosis, war ein Kind des Gottes Seth gewesen, jähzornig, brillant, ein Tyrann, der von Meren verlangte, auf jedem Gebiet der Beste zu sein, sei es als Schreiber oder als Krieger. Er hatte jeden auch noch so kleinen Fehler Merens bestraft, doch hatte er Nakhts Trägheit toleriert. Idut hatte er grundsätzlich ignoriert, nur dann nicht, wenn er sie zusammen mit ihrer Mutter, Neith, terrorisierte. Neith, eine große Schönheit, von der Meren die ausgeprägten Wangenknochen und den schlanken Wuchs geerbt hatte, hatte niemals versucht, ihren Gatten zu zügeln, wenn er mal wieder herumtobte. Statt dessen hatte sie ihr Leben der Aufgabe gewidmet, die Kinder dazu zu erziehen, sich den Launen ihres Mannes zu fügen und jegliche Schuld auf sich zu nehmen. Folglich war Meren hin- und hergerissen zwi110
schen dem Gefühl, für das Fehlverhalten und Scheitern seiner Geschwister und aller anderen verantwortlich zu sein und dem zornigen Widerwillen gegen das, was man ihm aufbürdete. Die Glut der alten Verletzungen und des alten Grolls glomm beständig weiter, und das erklärte, warum Meren mit solcher Anspannung und mit Rückzug reagierte, wenn er Briefe von seiner Familie erhielt. Einmal hatte Kysen überlegt, die Briefe abzufangen und sie zu verbrennen, aber bald schon wurde ihm klar, daß die Familienmitglieder sie plärrend und quengelnd persönlich heimsuchen würden, wenn die Briefe nicht beantwortet wurden. Kein Wunder, daß Meren seinen Bruder und seine Schwester mied. Das einzige Familienmitglied, das sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte, war Merens Großmutter mütterlicherseits, die alte Wa'bet, deren Klugheit und Weisheit unendlich waren wie das grüne Meer, in das der Nil floß. Aber Wa'bet lebte im Norden, in der Nähe von Memphis, und reiste selten und noch seltener tolerierte sie Besuche ihrer Familie. Kysen kam an zwei Arbeitern vorbei, die einen Karren mit in der Sonne getrockneten Ziegeln hinter sich herzogen. Dann passierte er einen Esel, der mit Getreidesäcken beladen war, und ein paar Jungen, die auf dem Weg zur Schule im Tempel waren. Vor ihm, an der Schwelle zu Unas' Haus, stand Ipwets Freund Nebera. Kysen hatte ihn benachrichtigen lassen, denn Nebera war es gewesen, der die Angelegenheit der Polizei gemeldet hatte. Eine violette Prellung verunzierte seine linke Wange, und seine Unterlippe war geschwollen. Kysen warf einen Blick auf die Verletzungen, sagte aber nichts. In dem Bericht, den er gelesen hatte, hatte nichts davon gestanden, daß Nebera mit dem Dieb gekämpft hatte. Nebera begleitete Kysen mit scheinbar unbeteiligter Miene durch das Haus. Die vorderen Zimmer schienen unberührt zu sein, aber das Schlafgemach sah aus, als hätte dort eine Herde Ziegen ihr Un111
wesen getrieben. Der Inhalt einiger Truhen lag auf dem Boden verstreut. Kysen schritt über Hemden, Lendenschürze und Röcke hinweg. Seine Sandale stieß an einen Halskragen aus glasierten Keramikperlen. Er durchsuchte die Bettdecken, die heruntergerissen worden waren, so daß man nun die nackten Lederstreifen sah, die den Rahmen bildeten. Die Kopfstütze lag neben dem Bett unter einem kurzbeinigen Stuhl. Ebenfalls daneben stand eine Schatulle. Jede Menge Papyrusrollen darum verstreut. Kysen hob die Dokumente auf und las jedes genau durch. Unglücklicherweise waren es die gleichen Aufzeichnungen, die er schon bei seiner ersten Durchsuchung gefunden hatte – Aufzeichnungen über die Ausgaben, verschiedene private Briefe, Rezepte, eine Abschrift von Unas' spärlichem Testament. Er stopfte die Papiere in den Kasten zurück. Dann hob er einen Becher für Khol auf und legte ihn in die Truhe für die Kosmetika zurück. Die Truhe stand abseits neben einem großen, umgeworfenen Ständer, auf dem zuvor eine Schüssel mit Wasser gestanden hatte. Die Scherben der Schüssel lagen auf dem Boden, so daß Kysen und Nebera gezwungen waren, über sie hinwegzusteigen. Das Gefäß war bemalt gewesen. Ein Fries mit blauen Lotusblüten auf ockerfarbenem Untergrund. Neben den Scherben lag eine ebenfalls zerbrochene Öllampe, deren Inhalt sich über den Ziegelboden ergoß. Etwas von dem Öl war in den Ton eingesickert. »Nun gut«, sagte Kysen und kniete neben der Kosmetiktruhe nieder. »Erzählt mir, was passiert ist.« Nebera ließ sich neben ihm nieder. »Vor drei Nächten schlief ich auf meinem Dach, und plötzlich hörte ich ein Krachen. Ich wußte, daß Ipwet bei ihren Eltern war, um Unas' Begräbnis vorzubereiten, deshalb konnte sie es nicht sein. Ich nahm an, daß es sich um einen Einbrecher handelte, der gehört hatte, daß das Haus im Augenblick nicht bewohnt war.« 112
»Ihr seid also allein losgezogen, um einen Dieb zu fangen? Und, wenn es mehrere gewesen wären?« »Daran – daran habe ich gar nicht gedacht. Ich war so wütend darüber, daß jemand Ipwet bestehlen wollte, wo sie doch einen Trauerfall in der Familie hat, daß ich von meinem Dach auf das des anderen Hauses sprang. Ich ging die innere Treppe zur Hälfte hinab und horchte. Ich hörte, wie jemand im Schlafgemach rumorte, also ging ich auch die restlichen Stufen hinunter und schlich mich zur Tür. Es war dunkel, aber ich konnte hören, daß sich jemand darin zu schaffen machte und vor sich hin fluchte.« »Wer es auch gewesen sein mag, er muß gegen diesen Ständer gestoßen sein und die Lampe fallengelassen haben, die er in der Hand hielt«, sagte Kysen, während er einen fächerförmigen Parfumflakon betrachtete. »Und Ihr seid sicher, daß es sich bei dem Dieb um einen Mann handelte?« »Ja, Herr. Obwohl er nur flüsterte, konnte diese Stimme keiner Frau gehören. Er stolperte in der Schlafkammer umher, während ich mich an der Tür versteckte. Ich denke, er suchte den Ausgang, denn er tastete sich an der Wand entlang, bis er zur Schwelle kam. Als er aus dem Zimmer trat, stürzte ich mich auf ihn.« »Und Ihr habt mit ihm gekämpft, wie ich sehe.« Nebera warf ihm ein schmerzverzerrtes Lächeln zu. »Ich griff ihn von hinten und legte ihm den Arm um den Hals, aber der Hund stieß mich mit dem Ellbogen in den Bauch, und während ich mich zusammenkrümmte, schlug er ein paar mal auf mich ein, bis er endgültig floh.« Nebera berührte seine geprellte Wange. »Als meine Ohren dann aufgehört hatten, zu dröhnen und ich wieder aufrecht stehen konnte, ohne daß mir schwindelig wurde, war er verschwunden.« »Also habt Ihr ihn nicht richtig sehen können.« »Nein, Herr.« »Aber Ihr habt ihn berührt«, sagte Kysen. »Ihr seid ihm sehr nahe 113
gekommen.« »Ja, aber es gab ja kein Licht.« Kysen seufzte. »Als ihr ihn am Hals gepackt habt, mußtet Ihr da nach unten greifen?« »Oh, nein, jetzt verstehe ich.« Nebera setzte sich auf die Fersen und ließ seinen Blick in dem verwüsteten Zimmer umherschweifen, ohne wirklich etwas zu sehen. »Nein, ich mußte mich etwas nach oben recken.« »Seid Ihr sicher?« »Ja, Herr. Der Mann muß ziemlich groß gewesen sein, größer als ich es bin. Und – und er war weich.« »Weich?« »Er war nur mit einem Rock bekleidet und sein Oberkörper war sehr gepflegt. Ihr versteht schon. Seine Haut war nicht die eines einfachen Arbeiters, der den ganzen Tag in der Sonne ist und sich nicht viele Bäder und Öle leisten kann.« Neberas Blick kehrte zu Kysen zurück, und seine Augen weiteten sich. »Bei den Göttern, er roch nach dem Parfüm, das in Körperölen verwendet wird. Nicht sehr stark, aber ein bißchen.« »Konntet Ihr das Parfüm erkennen?« »Nein Herr. Aber es enthielt Duftstoffe, die ich schon einmal gerochen habe – wie von Duftkegeln.« Kysen nickte. Duftkegel waren ein allgemein gebräuchliches Luxusgut. Man setzte sich die Kegel, die aus Ochsentalg, Kräutern und Gewürzen bestanden, auf die Perücke, so daß sie in der Sonne schmolzen. Dadurch wurde die Haut vor der Sonne geschützt und die Nase des Trägers wurde durch angenehme Düfte erfreut. Eine der gebräuchlichsten Duftkombinationen bestand aus Thymian und süßem Majoran. Vielleicht hatte der Eindringling einen Duftkegel benutzt, und zum Zeitpunkt seines Diebstahls hatte seiner Haut noch etwas von dem Duft angehaftet. »Also«, sagte Kysen. »Dieser ungeschickte Dieb ist groß und kann 114
sich Öl oder Duftkegel leisten. Und er arbeitet nicht in der Sonne.« »Und er arbeitet nicht mit Metall.« Kysen blickte Nebera an, der eilig fortfuhr. »Bei den Männern, die über den mit flüssigem Kupfer oder Gold gefüllten Schmelztiegeln arbeiten, bleibt der bittere Geruch an ihren Händen und an ihrem Körper haften.« »Könnt Ihr Euch an noch etwas anderes erinnern? Was war mit seinen Händen?« Nebera rieb sich das Kinn und schwieg eine Weile. »Ich weiß es nicht, Herr. Er war zu schnell verschwunden. Er war kein einfacher Dieb. Er besaß keinerlei Übung. Und jetzt, da ich näher darüber nachdenke, glaube ich, daß es eigentlich überhaupt kein Dieb war. Wahrscheinlich hat er nach etwas Besonderem gesucht, obwohl ich mir nicht denken kann, was das sein könnte.« »Und Ihr könnt Euch keinen Grund denken, warum jemand insgeheim Unas' Haus durchsuchen wollte?« »Nein, Herr. Unas war ein so wenig bemerkenswerter Mann und so völlig ohne jede Bedeutung. Er besaß keine Reichtümer, keine Geheimnisse, keine herausragenden Fähigkeiten. Er arbeitete gewissenhaft. Er war Ipwet ein ergebener Mann, aber in Wirklichkeit faszinierten ihn die heiligen Schriften und die staubigen alten Texte mehr als alles andere.« Nebera hatte ihm alles gesagt, was er wußte, und so erhob sich Kysen und inspizierte den Rest des Hauses. Der Keller, die Küche und das Dach schienen unberührt zu sein. Er untersuchte sogar den Ofen, in dem er die Tonscherben gefunden hatte, aber ohne Ergebnis. Nebera begleitete ihn, schwieg jedoch die ganze Zeit über. Seine Bemerkungen hatten Kysens Ansicht erhärtet, daß Unas ein schlichter, ehrlicher Mann gewesen war. Und jeder Mann, der glaubte, sein Eifer und sein Vorrat an mythologischen Geschichten hätte mit der Liebe eines starken jungen Hengstes wie Nebera konkurrieren kön115
nen, war ein Narr. Oder hatte Unas die ganze Zeit von Nebera und seiner Frau gewußt? Wenn dem so war, konnte das Wissen darum ihn dazu getrieben haben, sich von dem Gerüst hinunterzustürzen? Eher hätte sich wohl Nebera des unbequemen Ehemanns entledigt. Unglücklicherweise jedoch war Neberas Unschuld von einem Dutzend königlicher Handwerker bezeugt worden. Unas war zwar nicht wohlhabend gewesen, aber Ipwet würde zweifellos das Haus und alles Hab und Gut erben. Da Nebera erst noch einen eigenen Haushalt gründen mußte, würde ein solch unverhoffter Glücksfall ihm lange, arbeitsreiche Jahre ersparen. Für so manchen wäre das sicher ein Grund, einen Mord zu begehen. Nebera kannte Unas' Gewohnheiten. Vielleicht hatte er dem Priester auf dem Gerüst aufgelauert, vielleicht hatte er ihn hinuntergestoßen und war dann zur Arbeit in die königlichen Werkstätten gegangen. Nebera hätte dann sicher erwartet, daß der Tod seines Nebenbuhlers als Unfall durchginge. Solche Unfälle geschahen im Zweifachen Reich, wo ein Großteil der Menschen an Götter- und Königsstandbildern arbeitete, öfters. Wie dumm, daß dieser Mann kein Mörder sein konnte – Nebera schien ein ehrlicher Mann zu sein. Sein Ruf bei seinen Nachbarn und Kollegen war gut. Er war ein begabter Arbeiter, war immer guter Laune und mit seinem Los zufrieden. Kysen hatte sich, während er mit ihm zu tun gehabt hatte, ein ähnliches Bild von ihm gemacht. Nebera war wie viele junge Männer, die er kennengelernt hatte, zufrieden damit, daß ihm die Götter einen bestimmten gesellschaftlichen Platz zugewiesen hatten, wie sie es mit allen Menschen taten, damit das Königreich in vollkommenem Gleichgewicht blieb. Nur wenige stiegen nach ihrer Geburt auf, und wenn sie es taten, dann war es auf Geheiß der Göttlichen. Es kam allerdings auch schon mal vor, daß jemand seinem Schicksal grollte. Er mußte über andere Möglichkeiten, die mit Unas' Tod zusam116
menhingen, nachdenken. Da war das merkwürdige Verhalten von Ebana und Qenamun. Schlugen sie einfach nur ihren Vorteil aus dem Tod des Priesters, um Meren ein Hornissennest um die Ohren zu schlagen? Oder verbargen sie ein größeres Geheimnis? Wo waren Ebana und Qenamun zur Zeit des Überfalls auf Quenanums Haus gewesen? Müßig, sie das zu fragen – zweifellos würden sie eine Handvoll Priester bestechen können, die ihre Anwesenheit an irgendeinem anderen Ort bezeugen würden. Zu dumm, daß er nicht einen Trupp Männer beauftragen konnte, um Freunde, Nachbarn und Kollegen der beiden Priester zu befragen – aber ein solcher Schritt würde einen politischen Aufruhr zur Folge haben. Kysen entließ Nebera, schloß die Haustür hinter sich und trat auf die Straße hinaus. Die letzte Kühle der Nacht war verschwunden. Einen kurzen Augenblick lang war er allein. Mit geschlossenen Augen streckte er sein Gesicht den Strahlen des Sonnengottes entgegen und vertiefte sich in das rote Glühen hinter seinen Augenlidern. Dann wandte er sich um und kehrte langsam zum Anlegeplatz zurück, von dem aus er eine Fähre über den Fluß nehmen wollte. Er war nur wenige Schritte gegangen, als er gezwungen war, einem dampfenden Haufen Eselsmist auszuweichen. Er wurde langsamer, dann schoß er zur Seite und seine Schulter streifte die Häuserwand. Unglücklicherweise hatte er den zweiten Haufen nicht gesehen. Er fluchte und sprang über den ärgerlichen kleinen Hügel hinweg. Als er wieder auf dem Boden landete, hörte er einen dumpfen Aufprall und drehte sich um. Im Dung lag ein schwerer Stein von der Größe seines Kopfes. Kysen wirbelte herum, trat rückwärts auf die offene Straße hinaus und blickte zu dem Dach hinauf, von dem der Stein gefallen war. Der einzige Mensch auf der Straße war eine alte Frau, die auf ihrer Türschwelle schlief. Wütend wollte er in das Haus stürmen, aber sein Verstand gebot ihm Einhalt. Er war allein. Alle möglichen 117
Männer konnten in diesem Haus auf ihn warten. Er begann zu laufen, rannte die Straße hinab, um die Straßenbiegung herum und eine Gasse hinunter, die an das Haus angrenzte. Er schob sich an einem grell gekleideten syrischen Kaufmann und seinen Gefolgsleuten vorbei, während ein Mann, der einen Wagen mit Holz hinter sich her zog, ihm auswich. Die Gasse endete in einer scharfen Kurve, die wiederum zu der Straße führte, von der er gekommen war. Kysen suchte aufmerksam die Gasse und sämtliche Hausdächer ab. Er wurde mit dem Anblick einer Mutter belohnt, die Wäsche aufhing, während sie ein paar Kinder anschrie, sonst nichts. Der Mann mit dem Holz bog in Unas' Straße ein. Kysen hielt ihn auf. »Hast du einen Fremden aus dem Haus da kommen sehen?« fragte er und deutete auf das Gebäude, von dessen Dach der Stein heruntergeworfen worden war. »Nur Euch selbst, guter Herr.« Kysen nickte, entließ den Mann und suchte erneut das Haus ab. Es handelte sich um ein altes Gebäude wie es für dieses Viertel typisch war. An vielen Stellen waren die Lehmziegel bereits brüchig. In ein paar Jahren konnte der Besitzer gezwungen sein, die Wände niederzureißen, das Fundament zu ebnen und ein neues Haus zu errichten. Er kämpfte gegen den Drang, allein hineinzugehen. So groß die Versuchung auch war, Meren und Abu hatten ihn vor solch unüberlegten Schritten immer gewarnt. Er hatte so etwas schon einmal gemacht und war beinahe getötet worden, damals, in einem verlassenen Tempel, der libyschen Banditen als Zufluchtsstätte diente. Er hatte beinahe ein Ohr verloren – und sein Leben. Er hätte auf Meren hören und seine Krieger mitbringen sollen. Jetzt würden sich alle den Mund über seinen Leichtsinn zerreißen, jeder Hauptmann, Gehilfe oder Friseur, der unter Meren diente. 118
Er überlegte, den Vorfall einfach nicht zu melden, aber er wußte, daß er die Wahrheit nicht verbergen konnte. Es war durchaus möglich, daß der Stein zufällig heruntergefallen war, aber genausogut konnte es ein Anschlag auf sein Leben gewesen sein. Was bedeutete, daß es besser war, nicht länger allein in dieser Gasse zu verharren. Kysen ging Richtung Westen zum Flußufer und fand sich bald auf dem Marktplatz in der Nähe der Anlegestelle wieder. Er mischte sich unter die Kunden, Verkäufer und fremden Kaufleute, die sich in schmalen Rinnsalen zwischen den Ständen bewegten, welche mit ägyptischen und fremdländischen Gütern beladen waren. Im Schatten eines Gebäudes stand ein Friseur und rasierte oder schnitt Haare. Ein Nubier rammte Elefantenzähne in den Boden vor eine Bude mit kleinen Olibanumbäumen. Unter den Sonnensegeln boten Verkäufer Brot, Fisch, Melonen und Zwiebeln feil. Kysen umrundete den Stand einer Bierverkäuferin und ihre Kunden, die sich um ein einfaches Gefäß drängten, in dem Trinkhalme aus Lehm steckten. In der Ferne konnte er sehen, wie eines der großen königlichen Handelsschiffe, das mit Bauholz aus Byblos beladen war, anlegte. Er bahnte sich seinen Weg zwischen der Bierverkäuferin und ihren Kunden hindurch, sein Blick war auf das königliche Schiff gerichtet, in Gedanken war er noch immer bei dem Stein. Er drängte sich durch eine Gruppe von Kunden hindurch, von denen plötzlich jemand die Hand ausstreckte und seinen Arm ergriff. Kysen wirbelte herum, riß sich frei – und sah sich Auge in Auge mit seinem Adoptivcousin, dem Priester Qenamun, der umringt war von einigen niederen Reinen. Sie drängten sich um ihn herum und bildeten eine Mauer aus weißen Röcken und kahl rasierten Köpfen. »Mein edler Vetter. Wie glücklich ist der bescheidene Träger des göttlichen Kelches, daß er dich hier findet.« Kysen fragte sich, wie es möglich war, daß einem unter der ägyp119
tischen Sonne kalt wurde. Er bekam eine Gänsehaut, als er sich im Kreise der Priester umblickte. »Ich habe dich auch vermißt, Ebana«, sagte Kysen. Ebanas Raubvogellächeln erstarrte zur Maske. Er kam näher und blieb etwa eine Armeslänge vor ihm stehen, und auch die Priester rückten näher heran. »Man sollte doch eigentlich glauben«, sagte Ebana, »daß ein Mitglied der Augen und Ohren des Pharao zu sehr mit königlichen Geschäften beschäftigt ist, um an diesem Ufer des Nils einen Marktbummel zu machen.« Kysen blickte in die Runde der Kahlköpfe. Es waren fünf Reine, von denen keiner aussah, als würde er viel Zeit mit gelehrten Studien verbringen. Sie hatten breite Nacken und Brustkörbe breit wie Frachtsegelschiffe – man hätte sie gut und gern für Söldner halten können. Sie standen regungslos inmitten des Marktplatzes, wie eine Insel, an der sich die Wellen der Marktbesucher brachen. Er wußte, daß er sich sein Unbehagen nicht anmerken lassen durfte. Es war richtig gewesen, denjenigen, der den Stein hatte fallen lassen, nicht zu suchen. »Wie lange seid Ihr schon hier?« fragte er forsch. Ebanas falsches Lächeln verschwand. »Hüte deine Zunge, Junge.« »Jemand hat gerade versucht, ein Stück Mauer auf mich zu werfen.« »Deshalb bist du ans Ostufer geflüchtet?« »Es ist hier geschehen«, sagte Kysen. »Nachdem ich das Haus des Reinen Unas verlassen hatte.« Er fixierte Ebana. Ein kurzes Flackern seiner Augen, dann sah er wieder aus wie zuvor. Ebana grinste ihn an und sagte mit süßholzraspelnder Stimme: »Was sagst du dazu, Qenamun? Was für ein Pech mein Vetter doch hat! Ihr solltet ihm die Zukunft voraussagen. Man muß ihn doch vor drohenden Gefahren warnen, damit er 120
zu Hause bleiben und sie meiden kann.« Qenamun fingerte an einer Falte seines Rockes herum. »Es wäre mir eine Ehre, dem Sohn des Fürsten Meren dienlich zu sein.« Das letzte, was er sich wünschte, war ein Zauberpriester des Amun, der sich in sein Schicksal und sein Glück vertiefte, ihn mit Zaubersprüchen belegte und die Zukunft seines Ka voraussagte. Ein Mann wie Qenamun konnte durch sein Wissen um die göttlichen Mysterien viel Unheil anrichten. »Ich brauche keinen Zauber«, antwortete er. »Ich brauche die Wahrheit.« Ebanas Lächeln erstarb erneut. »Willst du uns etwa beschuldigen …« »Na endlich. Ich habe sie gefunden. Probiert die hier und dann sagt mir, daß ich recht habe. Ich habe den besten Gaumen Ägyptens und diese hier sind die besten Honigkuchen in ganz Theben.« Rahotep drängte sich in den Kreis, der um Kysen herumstand, die Arme voll mit runden Laibern, die mit Honig überzogen waren. »Kysen«, sagte Rahotep. »Was für ein Glück, daß ich dich treffe. Jetzt kannst du mit mir wetten. Ich finde, Ebana sollte die Bäckerin dieser Honigkuchen anheuern, denn sie sind genau das Richtige für den guten Gott.« Er drückte Ebana einen Kuchen in die Hand. Als der Kreis aus Priestern langsam aufbrach und sich auflöste, nahm Kysen auch einen. Um seine Erleichterung zu verbergen, biß er in einen Kuchen. »Ihr wart mit Ebana auf dem Markt?« fragte Kysen. »Ja. Ihr kennt mich doch, immer hungrig, und diese Kuchen sind mir schon im Traum erschienen. Wenn Ebana den Bäcker nicht einstellt, dann werde ich es tun.« »Wie lange wart Ihr mit ihm zusammen?« »Wie lange?« Rahotep warf ihm einen neugierigen Blick zu. »Eine ganze Zeit, nehme ich an. Was meint Ihr damit?« »Oh, nichts, mein Freund. Ich hatte nur keine Ahnung, daß Ihr 121
und mein Adoptivvetter so gute Kameraden seid.« »Ebana wird mir zwei Fohlen von seinem schwarzen Rassehengst verkaufen. Ihr wißt ja, ich bin der beste Pferdekenner im Zweifachen Reich. Sie werden ein wundervolles Paar für einen Kriegswagen abgeben. Wir haben uns schon auf einen Preis geeinigt: Waren im Wert von hundert Deben Silber.« Kysen hatte Ebana beobachtet, während Rahotep protzte und prahlte, aber der Mann ließ sich nichts anmerken. Er stand mit einem Honigkuchen in der Hand da und blickte Kysen mit verkniffener Miene in die Augen. Er war so unbehelligt wie der goldene Horus-Falke, so kühl wie die Wasser des Nil bei Nacht. Kysen nahm die Herausforderung an, hörte Rahotep zu, wich Ebanas Blick keine Sekunde lang aus und aß jeden Bissen seines Honigkuchens auf. Dann fiel Ebana Rahotep doch noch ins Wort. »Vielleicht war das eine Warnung der Götter, Vetter. Vielleicht solltest du am Westufer bleiben. Ich wäre betrübt, wenn ich eines Tages vernähme, daß du wirklich westwärts gegangen bist, in das Land, aus dem niemand mehr wiederkehrt.« Kysen wandte sich auf dem Absatz um und ging fort. »Mach dir keine Sorgen um mich. Wenn ich sterben soll, das verspreche ich dir, dann komme ich als Ba, als Vogel der Seele, wieder und nehme dich mit mir.«
Kapitel 9
Z
um Zeitpunkt, als Meren den Palastbezirk erreicht hatte, hatte der König bereits seine heiligen Pflichten erledigt und befand 122
sich auf einer der Exerzieranlagen unweit der königlichen Anlegestelle am Westufer des Flusses. Als er von seinem Wagen herunterstieg, überblickte Meren das provisorische Lager der königlichen Kriegstruppen. In die Erde gerammte Schilde bildeten eine Mauer, um die ein königlicher Leibwächter patrouillierte. Die vierte Seite des rechteckigen Gebietes wurde durch das Flußufer begrenzt. Innerhalb der Einzäunung hatten die Knechte die Pferde von den Wagen losgebunden, sie angepflockt und ihnen Futterkörbe umgebunden. Man hatte ein offenes Zelt aufgestellt, in dem der Stuhl des Königs, seine Rüstung und ein paar weitere Waffen lagen. Neben ein paar Palmen kämpften zwei junge Offiziere begleitet vom Applaus und den Rufen ihrer Gefährten, während andere vom Regiment der Tapferen Bogenschützen am gegenüberliegenden Ende des Camps vier Zielscheiben aus Kupfer in der Erde verankerten. Eines der königlichen Kriegsschiffe war an der Küste vor Anker gegangen. Seemänner hielten an Deck nach Krokodilen und Nilpferden Ausschau, genau wie es die Männer in den Booten taten, die einen Ring um das Schiff des Königs gebildet hatten. Tutenchamun stand zwischen zwei älteren Offizieren, die einen langen Stab in den Händen hielten. Meren verbeugte sich vor dem König, dann reichte er die Zügel seines Wagens einem Pferdeknecht und ging zum Ufer hinüber, um sich Horemheb und Tanefer anzuschließen, die sich zu den anderen königlichen Beratern gesellt hatten. Wagenlenker der königlichen Kriegstruppen säumten zu beiden Seiten die Gruppe, die sich den Wettkampf ansehen wollte. Aus der Gruppe, die die Kämpfenden umgab, wurden Hochrufe laut. Einer der Männer wurde am Boden niedergehalten. Meren warf einen Blick auf die beiden, als er seine Freunde begrüßte. Horemheb stieß ihn mit dem Ellbogen in die Seite und deutete mit dem Kopf zum Flußufer. Meren erkannte die ersten Propheten vom Gott Ra, dem Sonnenfalken; von Montu, dem Gott des Krieges; und von Seth, der über das Chaos und über die Wüste herrschte. Die 123
Priester am Flußufer beobachteten den König, sie verneigten sich, und ihre Nasenflügel bebten vor Erregung. »Narren«, sagte Horemheb leise. »Jedes Mal, wenn der König den Kampf eröffnet, fallen sie auf die Knie und beten, was das Zeug hält, als würden sie für jeden Schnitt und jede Prellung verantwortlich gemacht. Sie haben bereits ihre Opfer dargebracht. Was will man denn mehr? Die Götter werden auch ohne ihr Getue über seine Majestät wachen.« Auf dem Wasser näherte sich dem Schiff des Königs ein zweites Boot. Zwei Männer stießen ihr Gefährt mit Stangen nahe an das königliche Boot, und ein dritter griff mit einem Speer an. Der Angreifer war nur wenig größer und schwerer als der König. Tutenchamun hob seinen eigenen Speer und wehrte den Schlag über seinem Kopf ab, dann ließ er seine Waffe nach unten schnellen, wobei er seinen Angreifer an den Beinen traf. Der Gegner beschrieb mit dem Speer einen Bogen und zielte auf die Brust des Königs, aber Tutenchamun nutzte den Schwung seines letzten Schlages aus; sein Speer schwang nach oben und traf den anderen mit Wucht. Gleichzeitig lehnte sich der König nach hinten, hob sein Bein und rammte den Fuß in die Brust des Gegners. Der Mann verlor das Gleichgewicht. Er ruderte mit den Armen und schlug einen seiner Kameraden mit seinem Speer, als er den Boden unter den Füßen verlor und ins Wasser fiel. Die Krieger jubelten. Meren lächelte, als der König ihnen mit dem Speer zuwinkte. Der Sieg war echt gewesen. Es würde dem Jungen nichts nutzen, wenn man ihm in bezug auf seine Fähigkeiten etwas vormachte. Tatsächlich konnten unnötige Schmeicheleien ihm die Chance nehmen, sich zu einem Krieger zu entwickeln, der die Armee und das Königreich führen konnte. Während das Schiff des Königs sich der Küste näherte, rotteten sich die königlichen Wagenlenker zusammen, um sich im Bogenschießen zu üben. 124
Meren wandte sich wieder Horemheb und Tanefer zu. »Ich habe seine Majestät lange nicht mehr so glücklich gesehen.« »Ha!« Tanefer schlug Horemheb auf die Schulter. »Wir haben ja auch Ay überreden können, heute morgen anstelle des Königs im Prozeß gegen Prinz Hunefer zu Gericht zu sitzen. Seine Majestät hat seit gester mittag keine Nachricht und keinen Bericht des Schatzmeisters oder eines fremden Gesandten mehr gesehen.« »Gut«, sagte Meren. Horemheb grunzte und schlug mit seiner Reitpeitsche gegen das Gras. »Genug von diesem Geplänkel. Ich habe Euch jetzt lang genug in Ruhe gelassen, Meren, und Ihr wißt, warum der König nach Euch geschickt hat.« »Eure Stimmung ist so schlecht wie die eines verwundeten Ochsen«, sagte Meren. Tanefer kicherte. »Er ist nicht daran gewöhnt, daß jemand ihm widerspricht… Er verbringt die Tage mit Soldaten, die ihm nach dem Mund reden und die Nächte mit einer Frau, die ihn für den Inbegriff der Perfektion hält.« Meren hob die Hand, bevor Horemheb etwas entgegnen konnte. »Ich weiß, daß meine beiden Wochen vorbei sind, alter Freund.« Er blickte zum Fluß hinüber und sah, daß das Boot des Königs fast bei ihnen war. »Wo ist Maja?« Horemheb schnaubte wie eines der Pferde, die man vor die Wagen spannte. »Versteckt sich. Ihr wißt ja, wie sehr er eine vernünftige Auseinandersetzung verabscheut. Er hat eine Nachricht geschickt, daß seine Verpflichtungen beim Aufzeichnen der Ernteerträge ihn für ein paar Tage vom Rat fernhalten würden.« Meren nahm davon Abstand, zu erwähnen, daß Maja ihn heute nachmittag zum Essen eingeladen hatte. Er war daran gewöhnt, daß der Schatzmeister sich Situationen entzog, in denen er mit Menschen konfrontiert wurde, die energischer waren als er selbst. Und Horemheb war bei weitem der energischste Ratgeber des Königs. 125
Seine Argumente und Ansichten betonte er mit Knurren und Schreien, und wenn er wütend wurde, warf er mit allem um sich, was ihm in die Quere kam. Ja, Maja verabscheute solche gewalttätigen Manieren. Häufig, wenn Horemheb die Beherrschung verlor, zog Maja sich blitzschnell in seine Höhle zurück, bis der Krieger sich wieder etwas beruhigt hatte. Als der General Luft holte, um Meren noch etwas zu fragen, lief das Schiff des Königs auf Grund. Ratgeber, Priester und Offiziere verbeugten sich, doch Tutenchamun ignorierte sie, sprang, ohne auf das Wasser oder den Schlamm zu achten, an Land und marschierte der Gruppe entgegen, in der Meren stand. Als er sie erreichte, machte er ihm ein Zeichen und ging weiter. »Fürst Meren wird meine Majestät begleiten. Tiglith, Wasser.« Der syrische Leibsklave des Königs preschte mit einem goldenen Becher vor. Tutenchamun riß ihm den Becher aus der Hand und ging weiter. Meren warf Tanefer und Horemheb einen fragenden Blick zu, aber sie schüttelten die Köpfe. Er folgte dem König in den Schatten einer Palme und wünschte, bei Kysen zu sein und im Mord an einem einfachen Priester zu ermitteln. »Nun?« fragte Tutenchamun, als sie den Baum erreichten. »Wie ist Euer Wille, Goldener?« »Tut nicht, als wüßtet ihr nicht, was ich meine, Meren.« Der König goß das Wasser in seine Kehle, und Meren nahm ihm den Becher ab. »Nun gut, Eure Majestät.« »Und, wie lautet Eure Antwort? Werden wir im kommenden Jahr in die Schlacht ziehen?« »Es ist notwendig, Göttlicher.« Er sah den Funken, der in den Augen des Jungen glomm, und atmete tief ein. »Wie auch immer, ich kann nicht empfehlen, daß der Goldene seine Truppen in die Schlacht führt, ohne daß er vorher Erfahrungen gesammelt hat.« 126
Der Funke verwandelte sich in ein Feuer, und der Königs bewegte nervös seinen Unterkiefer. »Und wie soll der Goldene Erfahrungen in der Schlacht sammeln, ohne an einer Schlacht teilzunehmen?« »Tatsächlich Majestät führt Euch Euer Herz zum Kern der Frage«, fuhr Meren eilig fort, als Tutenchamun leise zu fluchen begann. »Deshalb empfehle ich Eurer Majestät, an kleinen Schlachten gegen Banditen und Aufsässige teilzunehmen, die unsere Dörfer an den Grenzen von Zeit zu Zeit überfallen, und vielleicht anschließend an einer größeren Schlacht gegen die barbarischen Stämme der Kush, die unsere Grenzen im Süden bedrohen.« Das Gesicht des Königs überzog ein strahlendes Lächeln, dann lachte er und klopfte Meren auf den Rücken. »Ich wußte, daß Ihr Eure Ansicht ändern würdet.« Meren hob seine Hand. »Einen Augenblick, Majestät. Da ist noch mehr.« »Und was?« »Wenn Euer Majestät bei diesen Manövern und Scharmützeln besteht, dann wird alles so gehen, wie Ihr es wünscht. Aber wenn nicht…« Der König machte eine wegwerfende Handbewegung, wie alle Jungen seines Alters sie machen würden. »Bei meinem Ka, Meren, Ihr redet, als wärt ihr meine Großmutter. Ich werde es hervorragend meistern.« Meren spürte einen Stich des Bedauerns, weil er den Jungen dermaßen in die Enge trieb, aber er tat es trotzdem. »Wird der Göttliche dann geruhen, mir sein Wort zu geben, daß er sich, sollte ihm bei diesen Scharmützeln Übles widerfahren, an meine Empfehlung halten wird und sich ein weiteres Jahr vom Schlachtfeld fernhalten wird?« Sein Lächeln verschwand. »Ihr habt mich hereingelegt.« »Nein, Majestät«, antwortete Meren. »Betrachtet es als eine Wette 127
zwischen uns beiden. Ihr wettet gegen mich, daß ihr innerhalb eines Jahres die Fähigkeit erlangt, die notwendig ist, um nach dem Großen Regen im nächsten Jahr unsere Truppen zu führen.« »Horemheb, Tanefer!« rief der König. Die beiden Männer eilten zu ihnen hinüber, während der König vor Meren auf und ab stapfte. Als sie ankamen, deutete er auf Meren und warf ihm wütende Blicke zu. »Er hat mich hereingelegt. Ich soll den Krieg erst an Dieben und Barbaren üben.« Meren neigte den Kopf. »Der Göttliche hat gesehen, wie weise es ist, Erfahrungen in kleinen Scharmützeln gegen Banditen und die Stämme des Südens zu sammeln, bevor er sich den gut ausgebildeten Armeen der Asiaten stellt.« Meren konnte erkennen, daß es Tanefer schwer fiel, seine Erheiterung zu verbergen, aber Horemheb warf ihm einen scharfen Blick zu, bevor er antwortete. »Fürst Meren empfiehlt Euch nur, die gleiche Ausbildung zu absolvieren, die jeder große Krieger, einschließlich seiner selbst, mitgemacht hat. Dies ist der Weg, den sogar Thutmosis der Eroberer, Euer mächtiger Nachfahre, beschritten hat.« Wenn sie unter vier Augen waren, mußte er Horemheb seinen Dank aussprechen, denn Tutenchamuns Zorn war augenblicklich verraucht. »Der Eroberer, sagt Ihr? Das wußte ich nicht.« Leicht wie ein königliches Schiff, das auf dem Nil dahinschwimmt, reihte sich Tanefer in die Unterhaltung ein. »Und natürlich ist es der Weg, den auch dieser bescheidene Untertan Eurer Majestät und General Horemheb selbst beschritten haben.« »Und es gibt noch mehr zu tun«, sagte Meren. »Euer Majestät müssen die Berichte der Schlachten lesen, die im Hause des Lebens aufbewahrt werden, die über den Eroberer, den großen Ahmosis, der Ägypten von den Hyksos befreit hat. Und Ihr solltet einige der 128
Berichte von meinen Informanten über die Vorgehensweise der hethitischen Armeen einholen.« Seine Stimme verklang, als ihm ein Gedanke kam. Er würde Agenten nach Norden schicken, an die Außenposten Syriens, mit der Anweisung, einige der hethitischen Offiziere lebendig zu fangen, vielleicht würde er sogar selbst dorthin gehen, um sie zu verhören. »Hervorragend«, sagte Tutenchamun. »Wenigstens kommen wir voran. Diese endlose Streiterei hätte mich beinahe zum Wahnsinn getrieben. Was müssen wir sonst noch tun?« »Euer Majestät müssen Befehl geben, die Reservetruppen zu mobilisieren«, sagte Meren. »Alle Soldaten, denen gestattet wurde, nach Hause oder in ihr Land zurückzukehren, müssen eingezogen werden.« »Und ich muß damit beginnen, weitere Männer anzuwerben«, fügte Horemheb hinzu. »Was bedeutet«, sagte Tanefer, »daß der Göttliche eine Einberufungszeremonie abhalten wird.« Meren nickte zustimmend. »Dann müssen wir natürlich ein Inventar aller Waffen und Ausrüstungen aufstellen und weitere herstellen lassen, und außerdem müssen sämtliche Truppen die gleiche Ausbildung absolvieren wie Euer Majestät. Es gibt viel zu tun.« Der König grinste und machte sich auf den Weg in sein Zelt. »Und nachdem das erledigt ist, ziehe ich in den Krieg.« Meren tauschte einen Blick mit Tanefer und Horemheb. Keiner von beiden lächelte. Ebana betrat zusammen mit Rahotep das Haus des Lebens. Qenamun ging ihnen ein paar Schritte voran. Rahotep war mit ihnen in den Tempel zurückgekehrt, um Qenamun ein neues Buch mit Traumauslegungen abzukaufen. Der Priester war für seine Fähigkeit bekannt, die alten Schriften und magischen Zeichen deuten zu kön129
nen. Rahotep ließ sich gerade über das neueste Ärgernis aus, nämlich, daß der König ihm nicht den Oberbefehl in Kush gegeben hatte, dem Land, das südlich von Ägypten lag und das die Quelle der Goldströme bildete, welche die königlichen Kassen füllten. Qenamun hielt inne, um mit einem der Schreiber zu sprechen, der damit beauftragt war, eine Abschrift vom Buch der Toten anzufertigen. Ebana gab vor, Rahotep zuzuhören, während er darüber nachdachte, was Kysens plötzliches Erscheinen auf dem Markt wohl zu bedeuten hatte. Der Junge hatte gesagt, daß Unas' Haus durchsucht und verwüstet worden war. Woher wußte er das? Meren hatte wahrscheinlich die Stadtpolizei angewiesen, ihn in sämtlichen Angelegenheiten, die den toten Priester betrafen, zu informieren. Oder seine Spione hatten es ihm gesagt. Meren hatte wirklich überall seine Spitzel. Und nun war die Aufmerksamkeit seines Vetters wieder auf den Tempel oder auf die Priester gelenkt worden. Ebana rief den Zorn des Amun auf das Haupt des Dämons, der so viel Unglück über ihn brachte. Kysen machte jetzt ihn für den Unfall mit dem Stein verantwortlich. Warum konnte der Junge nicht einfach glauben, daß alte Mauern brüchig werden und demzufolge auch Steine herausbrechen konnten? »Das einzige, was mir also jetzt bleibt, ist dieser armselige Oberbefehl über die Division des Amun«, sagte Rahotep gerade. Ebana rollte die Augen zum Himmel. Rahotep schien diese Beleidigung des guten Gottes und damit Ebanas gar nicht zu bemerken, aber Rahotep hatte sich für die Gefühle anderer ja nie interessiert. »Ihr tragt eine schwere Last auf den Schultern«, antwortete Ebana feierlich. »Aber nun kommt.« Qenamun hatte seinen Weg zwischen den Säulenreihen wieder aufgenommen. Sie folgten ihm und schritten einen Korridor entlang, der zu den Arbeitsräumen der Priester führte. Ebana ging nicht 130
gern in dieses Zimmer, wo er den vielen magischen Werkzeugen so nahe war. Qenamuns Arbeitstische ächzten unter der Last der Mühlsteine, die zum Zermalen von Knochen, Steinen und irgendwelchen anderen Materialien benutzt wurden. In den Ecken standen Krüge und Schüsseln, in denen Wurzeln, Wachs, Farbpigmente und Pasten aufbewahrt wurden. In einer Schüssel wuchs eine Art Schimmel, von der Ebana vermutete, daß er giftig war. Er ließ Rahotep den Vortritt. Der Priester ging zu einer Regalwand an der linken Seite und zog ein Kästchen hervor, in dem er seine Schreibutensilien und die Aufträge, an denen er gerade arbeitete, aufbewahrte. Der Kasten aus poliertem Zedernholz war kunstvoll mit Ebenholz verziert. Der Deckel und die Seitenflächen waren mit Hieroglyphen geschmückt. In das flache Relief auf dem Zedernholz war ein Abbild Qenamuns geschnitzt, der dem Gott der Weisheit, Toth, eine Gabe darbrachte. »Ich muß das Buch nur noch mit Eurem Namen und Euren Titeln versehen, Prinz Rahotep«, sagte Qenamun. Ebana hielt an der Schwelle inne, während Rahotep zum ersten Arbeitstisch hinüberschritt und eine kleine Wachsfigur berührte. Qenamun warf ihm einen Blick zu, als er das Kästchen auf eine Arbeitsfläche setzte, die aus der Mitte des Regals hervorragte. »Der Erste Prophet hat mir die Aufgabe erteilt, die rebellischen Nubier zu verfluchen, die letzten Monat die Festung angegriffen haben«, sagte der Priester. Ebana schürzte die Lippen. Qenamun gehörte genau zu der Sorte von Männern, denen er verboten hätte, sich auf Magie zu spezialisieren. Wie konnte Parenefer ihn dermaßen bevorzugen? Es stimmte, der Mann konnte Träume besser deuten als jeder andere, aber ein solch verschlagenes Herz sollte von der Macht des großen Wissens ferngehalten werden. Aber er durfte seinen Gedanken auf keinen Fall freien Lauf lassen, man würde sie in seinem Gesicht lesen. Ebana zwang sich, den 131
Lesepriester anzulächeln, während er beobachtete, wie er den Deckel aus Zedern- und Ebenholz hob und seine Hand in den Kasten steckte. Er hörte ein Zischen, dann Stille. Auf Qenamuns Gesicht zeigte sich Verblüffung und im gleichen Atemzug verzerrte es sich, und er schrie. Seine Hand kam aus dem Kasten, umschlungen von dunklen sich windenden Tentakeln. Die Schreie des Priesters hallten von den Steinwänden wider, als er die dunkle, zuckende Masse von seinem Körper fortschleuderte. Ebana sah eine Haube mit horizontalen Streifen. Kobras! Ebana schrie Rahotep etwas zu, der bereits an ihm vorbeirannte. Qenamun war auf den nächsten Arbeitstisch gesprungen, er umklammerte stöhnend seinen Arm. Ebana sprang einer flüchtenden Schlange aus dem Weg und warnte die Priester, die bei dem Lärm herbeigeeilt waren. Sie rannten davon und flüchteten den Gang hinunter, und Ebana rief ihnen zu, daß sie die Wachen holen sollten. Er lief aus dem Zimmer, drehte sich dann erneut um und umklammerte die Kante der offenen Tür. Er suchte den Boden nach Kobras ab, aber die meisten von ihnen hatten sich unter die Möbel und die Regale geflüchtet. Qenamun befand sich immer noch auf dem Tisch inmitten der Phiolen, Wachsfiguren und Kräuterfläschchen. Er hatte sich zusammengerollt und hielt noch immer seinen Arm fest umklammert, der mindestens fünf Bißwunden aufwies. Ebana rief ihm etwas zu, aber er bekam als Antwort nur ein Stöhnen. Er trat näher heran, wich aber sofort zurück, als ein schmaler, langer Körper sich mit geblähter Haube vor ihm aufrichtete. Ein Wachmann kam den Gang entlang. Mit dem Speer, den er in Händen hielt, stocherte er in den Schatten herum und inspizierte Raum für Raum. Nach einigen Augenblicken konnte er hören, wie Qenamuns Atem schneller wurde, bis er wie das Keuchen eines Hundes klang. Die Wache erreichte ihn, und Ebana deutete auf die Kobra hinter dem Glaskrug. 132
»Ich glaube, da sind noch vier weitere, vielleicht sogar mehr.« Der Wachmann schluckte, dann zog er ein Messer aus seinem Gürtel, zielte und warf. Das Messer traf den Glaskrug und die Kobra glitt unter den Tisch, auf dem Qenamun nun hinter einem Korb versteckt lag. Ebana hielt den Mann zurück, als dieser seinen Speer werfen wollte. »Seht.« Er deutete auf Qenamun. Der Körper des Priesters begann zu zucken. Sein Fuß traf einen Glaskrug, der zu Boden fiel. Der Krach ließ die Kobra zwischen zwei große Ölkrüge gleiten. Mit entsetzter Faszination beobachteten sie, wie Qenamuns Körper immer heftiger zuckte. Zwei weitere Wachen schlossen sich ihnen mit ihren Messern und Speeren an, während ein Diener mit drei von Parenefers Jagdkatzen ankam. Ebana befahl, die Jagdkatzen im Arbeitsraum freizulassen, und alle schauten zu, wie die Tiere sich ruhig daran machten, die Kobras aufzuscheuchen. Jetzt bestand keine Eile mehr, denn jeder konnte die Anzahl der Bisse auf Qenamuns Körper sehen. Einen Biß konnte ein Mensch überleben, aber nicht sieben. Während die Katzen suchten und im Zimmer umhersprangen, fiel der Priester in Ohnmacht. Als sie ihre Suche beendet hatten, war auch Qenamuns Leben vorüber.
Kapitel 10
M
eren lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte an der Säule hinauf, die wie ein Strauß Lotusblumen geformt war. Hinter der Loggia, wo Maja und er an diesem Nachmittag zusam133
men speisten, schwammen im Glanz des Sonnenlichtes Blumen auf dem Zierteich seines Gastgebers. Während Meren, Tanefer und Horemheb weiterhin dem König zugesehen hatten, hatte Prinz Djoser ihnen die Geschichte von den Tonscherben erzählt, die Kysen überall verbreitete. Während Tanefer und Djoser über Merens merkwürdiges Interesse an Töpferwaren nachdachten, erschien Ahiram, er lärmte herum und schien entschlossen, seine gute Laune zur Schau zu stellen. Er hatte sich die Kämpfer angesehen, und jetzt verkündete er lautstark, daß Meren hinter jedem Schatten und in jedem Flüstern Intrigen und Verschwörungen vermutete. Dieser Narr von einem Priester sei doch wahrscheinlich über sein eigenes Gewand gestolpert, und deswegen von der Statue des Königs gefallen. Meren bemühte sich nach Kräften, den Anschein zu erwecken, daß er mehr wußte, als er sagte, und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder dem König zu. Tutenchamun hatte einen schwereren Bogen als gewöhnlich gewählt, und die Übung war nicht so gut verlaufen. Mit jedem Schuß, der daneben ging, hatte der Junge die Lippen fester aufeinander gepreßt, jetzt bildeten sie eine gerade Linie und sahen aus wie der Mörtel zwischen zwei Pyramidenblöcken. Die Krieger und Würdenträger, die um den König standen, wurden immer stiller. Ahiram hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Beim letzten verpatzten Schuß hatte er laut gesagt, der Fehler liege bei demjenigen, der seiner Majestät diesen Bogen gegeben habe, er sei einfach zu schwer für einen so jungen Mann. Tutenchamun war errötet und hatte die Bogensehne an seinem Gelenkband vorbeischnellen lassen, wodurch eine häßliche Wunde entstanden war. Damit war die Übung im Bogenschießen beendet. Der Priester des Montu rettete die Situation, indem er aus den Überresten seiner Opfergabe las, daß heute kein guter Tag für Pfeil und Bogen war. Als der Stolz des Königs solchermaßen besänftigt war, verließ Me134
ren den Hof. Er hatte bemerkt, daß der Priester seine Erklärung abgegeben hatte, nachdem Tanefer hinübergegangen war und ein paar leise Worte mit ihm gewechselt hatte. Meren entschloß sich, mit Ay über Tanefers diplomatische Fähigkeiten zu sprechen. Sie konnten in einer Position mit größerer Machtbefugnis von großem Nutzen sein, vorausgesetzt, daß der Prinz überredet werden konnte, die Verantwortung zu akzeptieren. Jetzt hob Meren seinen silbernen Becher, damit ein Diener, der einen Weinkrug aus seinem Ständer hievte, ihm von der dunklen, süßen Flüssigkeit eingießen konnte. Er war gesättigt vom Lamm und dem frischen Brot, was bedeutete, daß Maja jeden Moment mit dem Geschwätz über seine Familie aufhören würde. Die Probleme anderer Leute lieferten ihm bessere Nahrung als das Essen, und er hatte die Angewohnheit, seine Vertrauten mit reichhaltigen Speisen zu versorgen, weil er annahm, daß ein voller Magen die Zunge löste. Maja wußte, daß diese Strategie bei Meren nichts bewirkte, aber er versuchte es trotzdem. Er versuchte es schon seit Jahren. Im Augenblick interessierte er sich scheinbar besonders für den Umstand, daß Meren keine Frau hatte. »Es ist schon zu viele Jahre her, mein Falke. Sit-Hathor lebt nun in der Unterwelt, und Ihr seid noch hier.« Maja warf ihm aus halb geschlossenen Augen einen Seitenblick zu. »Lady Bentanta, ja, das ist eine Frau, die es sich lohnte zu heiraten. So schön wie der Nil.« »Wechselt das Thema, Maja.« »Nun gut«, stimmte Maja so bereitwillig zu, daß Meren sofort mißtrauisch wurde. »Glaubt Ihr nicht, daß dieser Streit, ob der König die Armee in den Krieg führen soll oder nicht, schon viel zu lange andauert?« Meren zog schweigend eine Augenbraue hoch. »Diese beständige Streiterei geht mir auf die Nerven«, sagte Maja, als ihm klar wurde, daß Meren nicht antworten würde. »Es quält mein Ka, wenn Horemheb mir mehrere Stunden am Tag ins Ohr 135
schreit. Ich war ebenfalls im Krieg, wißt Ihr. Ich kenne die Risiken, und das ist auch der Grund, warum ich zur Vorsicht rate. Aber ich sage Euch eins, ich denke darüber nach, zum König zu gehen, wenn mein Mut noch einmal von dem Sohn einer Bäuerin in Frage gestellt wird.« Diesmal setzte sich Meren in seinem Sessel auf. »Dazu besteht keine Veranlassung. Heute habe ich dem König einen Plan unterbreitet, durch den er das Kriegshandwerk üben kann, ohne tatsächlich am Krieg teilnehmen zu müssen.« Er berichtete Maja von seinem Plan, und dessen Gesicht hellte sich auf, als er die Kompromißlösung begriff, die Meren dargeboten hatte. »Das wird Ay nicht gefallen.« Meren nickte. »Aber er wird die Notwendigkeit erkennen.« »Trotzdem«, sagte Maja. »Horemheb geht mir immer noch auf die Nerven.« »Wie das?« Maja entließ die Diener, die ihnen Luft zufächelten und schob seinen Stuhl näher an Meren heran. Mit leiser Stimme fuhr er fort. »Ich habe ein paar irritierende Gerüchte gehört, Gerüchte, denen zufolge Horemheb die Beschränkungen, die ihm auferlegt wurden, zu umgehen versucht. Er ist wütend darüber, daß die Armee und das Reich vernachlässigt werden. Man sagt, daß er Ay für zu alt und den Rest von uns allen für zu vorsichtig hält, und daß er glaubt, daß Ägypten einen mutigen, jungen Mann an der Spitze braucht, und keinen…« »Meren!« Maja sprang auf, und Meren hätte fast nach seinem Dolch gegriffen. Tanefer kam aus dem Haus geeilt. »Der Pharao hat mich beauftragt, Euch zu suchen«, sagte Tanefer und nahm einen Schluck Wasser. Atemlos wischte er sich den Schweiß von Stirn und Oberlippe 136
und fuhr dann fort: »Der Tempel des Amun versinkt im Chaos. Einer der Priester wurde getötet – schon wieder. Und zwar derjenige, den Ihr über den Reinen befragt habt, der von der Statue des Königs herunterfiel, der Lesepriester Qenamun. Durch den Biß einer Kobra, stellt Euch das vor!« Meren wußte, daß die beiden Männer ihn jetzt beobachteten. Er runzelte nachdenklich die Stirn und erhob sich. »Was soll ich mit einem Priester anfangen, der durch einen Schlangenbiß niedergestreckt wurde, Tanefer?« Tanefer lächelte ihn schief an. »Jemand hat fünf Kobras in seiner Schreibschatulle versteckt. Er hat seinen Arm hineingestreckt, und dann ist es passiert. Wohl kaum ein Unglück, oder? Ich kenne nur wenige Kobras, die die Fähigkeit besitzen, gemeinsam in ein Kästchen zu springen und den Deckel hinter sich zu schließen.« »Fünf? Fünf?« fragte Maja. Meren ignorierte den Schatzmeister. »Wann ist das passiert?« »Irgendwann heute morgen«, antwortete Tanefer. Er spießte sich mit dem Dolch ein Stück Lamm auf und begann es zu verspeisen. Kauend fuhr er fort: »Die Nachricht hat sich heute in der Stadt wie ein Lauffeuer verbreitet. Ich wette, der alte Parenefer hätte die Dinge lieber im Stillen abgewickelt, aber es geschah im Haus des Lebens, und viel zu viele Leute haben es mitbekommen. Die meisten von ihnen sind vor den Kobras geflüchtet. Und jetzt befiehlt der Pharao Euch, Nachforschungen anzustellen.« Tanefer verschlang ein weiteres Stück Lammfleisch und grinste Meren an. »Die Worte des Göttlichen waren: Meine Majestät verabscheut die Plage von Todesfällen unter den Priestern des Amun. Was er tatsächlich meinte, war –« »Daß er die Plage von Morden unter den Priestern des Amun verabscheut«, sagte Meren und warf Tanefer einen strengen Blick zu. Er wandte sich Maja zu, der mit offenem Mund dastand. »Danke für das Mahl, mein Freund.« 137
Maja entließ ihn mit einer Handbewegung. »Geht schon, geht. Fünf Kobras, bei den Göttern. Fünf!« »Wollt Ihr nicht vielleicht dort vorbeifahren?« fragte Tanefer ihn. »Vielleicht haben sie sie noch nicht getötet, und wir können sie unterstützen.« Aus Majas Gesicht wich alle Farbe, woraufhin Tanefer kicherte, Meren trat zwischen sie, bevor sich Maja genug erholt hatte, um Streit anzufangen. Er rief einen von Majas Dienern, schrieb eine kurze Nachricht, in der er nach Kysen, Abu und einer Truppe von Wagenlenkern schickte, die ihn am Tempel treffen sollten. Parenefer würde es nicht sonderlich gefallen, wenn er mit seinen Streitkräften im Tempel erschien, aber die Zeit diplomatischen Verhandelns war vorbei. Zwei Priester tot. Zwei, die zusammengearbeitet hatten. Das war kein Zufall. Es konnte einfach kein Zufall sein. Im Tempel des Amun war irgend etwas faul, das heißt, noch fauler als sonst. Er fuhr seinen Wagen zu der Fähre, die ihn über den Fluß zum Tempel bringen würde. Er hätte verstanden, wenn jemand Parenefer oder einen seiner Hauptpropheten getötet hätte. Der Tempel des Amun war der reichste in ganz Ägypten, voll unvorstellbarer Kostbarkeiten; seine Macht konnte beinahe mit der des Königs verglichen werden. Die Rivalität zwischen den Priestern des Amun und denen der anderen großen Götter – Ra, Osiris, Set, Hathor, Isis – verlief manchmal tödlich. Aber dieser scheinbar bedeutungslose Tod eines kleinen Reinen, und dann der eines Lesepriesters, das konnte Meren nicht verstehen. Ob Parenefer beide verdächtigt hatte, für ihn zu spionieren? Nein, der alte Mann war zu klug, um sich auf so plumpe Weise irgendwelcher Spitzel zu entledigen. Parenefer hätte solche ›Unfälle‹ viel geschickter inszeniert, er konnte also nicht hinter diesen Todesfällen stecken. Er mußte also woanders nach dem Schuldigen suchen. Wer hätte 138
die Frechheit und die Macht, den Tod zweier Priester herbeizuführen? Es mußte jemand sein, für den eine Menge auf dem Spiel stand, einer der Mächtigen. Ein hoher Regierungsbeamter vielleicht – ein Edelmann – ein Höfling. Nein, sein mißtrauisches Herz war wieder einmal voreilig. Er wußte nicht genug, um solch eine Schlußfolgerung ziehen zu können. Er würde warten müssen, bis die Wahrheit sich selbst enthüllte. Priester und Bürger hasteten durch das große Pylonen-Tor Amenhoteps des Großen. Im Haus des Gottes herrschte immer reges Treiben. Handwerker kletterten auf dem Gerüst herum, das die Statue des Königs umgab, als hätten sie nichts von einer Gewalttat gehört. Meren schritt an der Statue vorbei und warf einen Blick auf den Sockel, der fast ebenso hoch war wie er selbst. Man hatte Fortschritte gemacht: Zeichner hatten die Doppelkartuschen von der Krönung und den Vornamen des Königs – Nefercheprure Tutenchamun – bereits entworfen. Keine der auf den länglichen Ovalen der Kartuschen dargestellten Hieroglyphen war bis jetzt fertiggestellt worden. Am linken oberen Rand der Kartuschen entdeckte er das spitze Ende eines Riedblattes und die Anfänge eines Vogelkopfes. Auf der zweiten Kartusche waren lediglich der Kreis der Sonne und die Umrisse eines Käfers zu sehen. Nach Fertigstellung der Zeichnungen würde ein Bildhauer das Motiv einschnitzen. Er ging durch das Tor Gottes und hörte leise Gemurmel. Priester jeden Ranges hatten sich in Grüppchen zusammengefunden und flüsterten miteinander. Er bog nach links ab, schritt durch eine Tür hindurch und schlug einen Weg ein, der zu einem abgelegenen Gebäude führte, das als Haus des Lebens bezeichnet wurde. Wie alle anderen Gebäude innerhalb des Tempelbezirks war es mit geschnitzten und bemalten Reliefs verziert, die den Gott, seine Frau 139
Mut und ihren Sohn Shonsu darstellten. Vor der Tür aus poliertem Zedernholz wogte eine Menge aus Priestern, Studenten und Dienern, die von zwei Wachmännern zurückgehalten wurden. Die Gruppe, die ihm den Weg versperrte, teilte sich, als er sich näherte, und verfiel in Schweigen. Die Wachen tauschten Blicke aus, sie überlegten offenbar, ob es gefährlicher war, ihn eintreten zu lassen oder ihn davon abzuhalten. Sie waren jedoch im Nachteil; kein Edelmann seines Standes würde auch nur langsamer werden, um die Erlaubnis zu erbitten, eintreten zu dürfen. Meren ging an den beiden Männern vorbei und durch die halb geöffnete Tür hindurch, ohne einen Blick in ihre Richtung zu werfen. »Herr?« Er sah sich überrascht um. Der Wachmann, der gesprochen hatte, räusperte sich. »Da drinnen sind Kobras.« Er nickte und ließ den Mann, der ihm mit offenem Mund hinterherstarrte, einfach stehen. Vor ihm lag eine Säulenhalle, in der das reinste Chaos herrschte. Truhen waren geöffnet, ihr Inhalt war auf dem Boden verteilt, dort, wo die Gelehrten die Dinge fallengelassen hatten, um in wilder Hast zu entfliehen. Er horchte auf das hohle Tropfen der Wasseruhr. Er trat über eine auf dem Boden verstreute Schreiberausrüstung hinweg, wobei er acht gab, nicht mit dem feinen Ockerstaub in Berührung zu kommen. Hinter dem Säulenwald verbarg sich ein Türeingang; er ging eben darauf zu, da hörte er zu seiner Linken Stimmen. Er stieß auf einen Gang, der das gesamte Gebäude durchzog. Dort traf er auf Ebana, der mit einigen Männern vor dem dritten Raum am Korridor stand und ihnen Befehle erteilte. Als er sich näherte, blickte Ebana auf, hielt mitten im Satz inne, dann winkte er einem Wachmann zu. Der Mann verschwand in dem Raum und erschien dann wieder, gefolgt von einem Diener, der vier Jagdkatzen in den Armen hielt. Sie gingen eilig an Meren vorbei, der das laute Schnurren der Kat140
zen hören konnte und sah, wie ihre Schwänze vor Zufriedenheit hin- und herschwangen. Ebana stellte sich ihm in den Weg, als er das Zimmer betreten wollte. Meren war überrascht, als er Prinz Rahotep sah, der sich gegen die Wand außerhalb des Raumes lehnte. Rahotep stand im Schatten, aber jetzt trat er ins Licht, das aus dem Zimmer kam. Sein Gesicht war feucht von Schweiß. Dieses eine Mal war seine Prahlerei verstummt. Er wischte sich mit zitternder Hand über die Stirn. Er ignorierte Meren. »Seid Ihr sicher, daß sie alle dort drin sind?« fragte er Ebana. »Alle fünf, außer dem was die Katzen gefressen haben. Ich habe Euch doch schon gesagt, daß es sicher ist, sich hier zu bewegen.« »Und wenn eine von ihnen entkommen ist?« Rahotep spähte den Gang in Richtung der Eingangshalle entlang. »Es könnte sich gut noch eine hinter einer Säule verstecken.« »Es kann nichts passieren«, sagte Ebana scharf. »Bei den Göttern, Rahotep, sie haben Euch noch nicht einmal gestreift.« »Bleibt«, sagte Meren. Rahotep preßte sich wieder gegen die Wand und befeuchtete seine Lippen, während er Meren anstarrte. »Ihr habt doch noch welche in der Halle gesehen?« »Nein, aber ich wünsche mit Euch zu sprechen.« Ebana verschränkte die Arme über der Brust, immer noch versperrte er den Eingang zu dem Raum, vor dem Meren stand. »Was tust du hier? Diese Angelegenheit geht nur Priester etwas an, nicht Krieger oder Spione.« »Ich bin auf Befehl des Pharao hier, Vetter. Wenn du die Wünsche des Pharao nicht mißachten möchtest, tritt also zur Seite. Ich will mir Qenamuns Leiche ansehen, bevor Parenefer kommt. Du hast diesem Wachmann befohlen, ihm zu sagen, daß ich hier bin, nicht wahr?« Ebana trat zur Seite, und als Meren an ihm vorbeirauschte, flüs141
terte er: »Bist du etwa allein gekommen, Vetter? Wie mutig von dir.« Meren hielt inne, und schaute in die Augen. »Ich fürchte mich nicht davor, den heiligen Bezirk des Amun zu betreten. Wie es scheint, greift der Tod hier nur nach Priestern.« Er warf einen Blick auf Qenamuns Leichnam, dann wieder auf Ebana, der ihn voller Groll ansah, so daß die Narbe an seiner Schläfe deutlich hervortrat. Meren sah sich in dem Raum um. Qenamun lag rücklings auf einem Tisch vor einer Wand mit Regalen. Seine Füße ruhten auf einem Steinmörser und sein Kopf auf den Überresten einer Lehmschüssel. Neben ihm, auf dem Boden, sowie um den Tisch herum lagen Teller mit getrockneten Kräutern, Krüge und Wachsfiguren. Qenamun sah aus, als würde er schlafen. Seine Nägel und Lippen waren blaß, und sein Körper hatte bereits jenen typischen rötlichen Schimmer angenommen, den Meren kannte. Er hatte Nebamun, seinen Arzt, zu dieser Färbung befragt, und dieser hatte ihm erklärt, daß der Körper ohne die Seele das Blut nicht mehr tragen könnte, weshalb es hinablief wie Wasser einen Abhang. Er hob Qenamuns Arm in die Höhe, er ließ sich noch beugen. Der Arm war an beiden Seiten mit den Bißspuren der Kobra übersät. Getrocknetes Blut an seiner linken Hüfte zeigte, daß er auch dort gebissen worden war. Meren zählte insgesamt sieben Bisse, fünf davon am Oberarm. Er wandte sich von der Leiche ab, um sich im Arbeitszimmer umzusehen. Einige auf dem Boden stehende schwere Krüge waren umgefallen. Dazwischen stand ein Korb mit halb geöffnetem Deckel. Er öffnete ihn und entdeckte die Überreste einiger Kobras, ihre dunklen Körper waren aufgerissen, so daß an einigen Stellen nur zermalmtes Fleisch zu sehen war. Er zählte fünf Köpfe, und schloß den Deckel wieder. »Du warst dabei? Wie ist es passiert?« fragter er Ebana. »Wir waren gerade vom Markt am Hafen zurückgekehrt«, sagte 142
Ebana. Er deutete mit dem Kopf in Rahoteps Richtung. »Rahotep wollte ein Traumbuch abholen, das er bei Qenamun in Auftrag gegeben hatte, und es sollte sich in diesem Kasten befinden. Er steckte die Hand hinein, und stieß dann auf die Kobras.« Meren schritt zu einem der Regale, aus dessen Mitte ein großer Tisch hervorragte. Darauf lag ein Kasten aus Zedern- und Ebenholz. Er war rechteckig, seine längste Seite war nicht größer als eine Elle. Er spähte hinein, aber der Kasten war, abgesehen von ein paar Schreibkielen, leer. Rahoteps blasses Gesicht erschien an der Tür. »Jemand hat die Schlangen absichtlich hineingetan.« Ebana wandte den Blick zur Decke. »Sammelt Eure fünf Sinne. Natürlich war das Absicht.« Meren war damit beschäftigt, die Stapel von Dokumenten durchzusehen, die auf den Borden lagen. Ein Brett war den Abschriften von Kapiteln aus dem Buch der Toten vorbehalten. Auf einem weiteren lagen die verschiedenen Theologien der Hauptgötter – die von Ra, Osiris, Isis, Horus und Seth ebenso wie die von Amun. Er fand Rahoteps Traumbuch unter der Geschichte des Streites zwischen Horus und Seth, zusammen mit ein paar unvollständigen Deutungen für Prinz Ahiram. »Qenamuns Fähigkeiten auf dem Gebiet der Voraussagen und Deutungen scheinen unter einigen unserer Freunde sehr gefragt gewesen zu sein«, sagte Meren, während er ein paar Papyrusrollen von einem Regal nahm. »Hier ist eine für Prinzessin Hathor, eine weitere für Prinz Djoser, und auf dieser Rolle hier scheint ein Traum verzeichnet zu sein, der für General Horemheb gedeutet wurde.« »Wie haltet Ihr es hier nur aus? Hier stinkt es nach Tod«, sagte Rahotep. »Bei den Göttern, ich brauche frische Luft!« Er schlug eine Hand vor seinen Mund und rannte fort. Meren beobachtete seine Flucht ohne Kommentar, während er mit den Fingerspitzen über eine Papyrusrolle strich, die den Namen 143
des Prinzen Djoser trug. Er zog eine weitere Rolle aus einem Regal und fand darunter die Palette des Schreibers. Meren hielt inne und berührte die vergoldete Holzoberfläche. Hinter einem Dokument bemerkte er einen Schimmer von Alabaster. Er schob die Dokumente beiseite, und entdeckte dahinter ein paar Tintenfässer. Er sah Ebana an. »Wo bewahrte Qenamun seine Palette normalerweise auf?« »In diesem Kasten.« Ebana deutete auf den Kasten aus Zedernund Ebenholz. »Dann hat jemand den Inhalt herausgenommen, ihn versteckt und statt dessen die Kobras hineingelegt, jemand, der genau wußte, daß Qenamun seine Hand in den Kasten stecken würde, ohne groß darauf zu achten, was er tat.« Er wandte sich erneut den Regalen zu und begann, Qenamuns Kasten mit Dokumenten zu füllen. »Was tust du da?« »Ich nehme mit, was mir bedeutsam erscheint.« Ebana schritt zu Meren herüber und griff nach seinem Handgelenk, als er nach Djosers Papyrus greifen wollte. Ihre Blicke trafen sich, und keiner von ihnen bewegte sich. »Dies ist eine Angelegenheit des Tempels. Ich werde die Untersuchungen führen.« »Laß mich los, Ebana.« Er spürte, wie der Griff um sein Handgelenk fester wurde, bis seine Hand fast taub war. Meren seufzte und schlug mit seinem Handgelenk gegen Ebanas Daumen, dann drehte er die Hand aus seiner Umklammerung. Ebana balancierte auf seinen Fußballen, aber Meren machte keine weitere Bewegung. »Warum macht dich meine Anwesenheit so nervös?« Ebanas Körper spannte sich, dann schienen sich seine Gesichtsmuskeln, seine Arme und Beine wieder zu lockern. »Weil du deine Befugnisse überschreitest. Es ist unsere Aufgabe, die der Bewoh144
ner des Tempels also, den Verbrecher zu suchen, der verantwortlich ist für diesen … diesen…« »Mord«, sagte Meren und griff nach dem Kasten mit der Papyrusrolle. Dann fuhr er fort, Dokumente darin zu verstauen »Weißt du, wann Qenamun diesen Kasten zum letzten Mal geöffnet hat?« »Nein.« Meren ließ seinen Unterarm auf dem Deckel des Kastens ruhen und dachte über seinen Vetter nach. »Du bist kein Narr. Sobald dir klar war, daß es Mord war, hast du mit den Nachforschungen begonnen. Meine Wagenlenker werden bald hier sein, um jeden zu befragen, der mit Qenamun zu tun hatte. Weder sie noch ich werden gehen, bevor wir nicht die Antworten bekommen haben, die wir brauchen.« Sie starrten einander an, senkten den Blick aber, als sich hinter ihnen ein klopfendes Geräusch näherte. Der Lärm wurde immer lauter, bis der Hohepriester mit seinem Stock das Zimmer betrat. Die beiden Wachen polterten hinter ihm herein. »Wie könnt ihr es wagen, in den heiligen Ort des Amun einzudringen!« hallte Parenefers Bellen von den verputzten Wänden wider. »Ich habe bereits eine Botschaft an den Wesir Ay und seine Majestät geschickt, um sie von diesem Unglück zu unterrichten. Unverschämter junger Barbar, macht, daß Ihr sofort von hier verschwindet.« Parenefers Gesicht hatte die Farbe roten Jaspis' angenommen. Er stützte sich auf seinen Stock und hielt inne, um Atem zu schöpfen. Dann gab er den Wachen ein Zeichen, und sie griffen nach ihren Krummsäbeln, bereit sie zu ziehen. Ebana wich nach hinten aus, und Meren trat einen Schritt von den Regalen weg, damit sein rechter Arm nicht behindert wurde. Parenefer fügte in ruhigerem Ton hinzu: »Ich bin sicher, der Göttliche wird mir zustimmen, daß die Priester des Amun größere Befähigung besitzen, diese Angelegenheit zu regeln als jemand, der 145
von außen kommt.« »Und ich bin sicher, daß seine Majestät den Wunsch hat, daß das Böse gefunden wird und daß er seinen Platz im Hause seines göttlichen Vaters Amun selbst einnehmen wird – und zwar durch mich.« Parenefer ging zu dem Tisch hinüber, auf dem Qenamun lag und warf einen Blick auf ihn. Gelbes Licht von einer Fackel flackerte in den Tiefen seiner Augen, aber sie zeigten keinerlei Reaktion beim Anblick des toten Priesters. Seine Stimme erfüllte den Raum. »Ihr seid ein Freund des Königs, Meren, aber hütet Euch, einen Fehler zu machen. Ihr überschreitet Eure Kompetenz, wenn ihr die heiligen Vorrechte des Amun nicht befolgt.« Aus den Augenwinkeln konnte Meren erkennen, wie sich die Knöchel eines der Wachmänner weiß färbten, während er den Griff seines Krummdolches umklammerte. Die Luft schien plötzlich immer stickiger zu werden, Meren konnte das Böse förmlich riechen. »Es hat heute schon ein unerfreuliches Ereignis gegeben«, sagte Parenefer. Er hob seinen Stock und berührte den Korb mit den toten Schlangen. Der Behälter bewegte sich. Parenefer lächelte Meren zu. »Keiner von uns beiden möchte doch, daß ein weiteres Unglück geschieht. Nicht wahr, mein Fürst Meren?«
Kapitel 11
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ls Parenefer ihm sein Schakals-Lächeln zuwarf, spürte Meren, wie sich auf seinem Rücken und seinen Armen eine Gänsehaut bildete. Er war sicher gewesen, daß keine der Kobras mehr am Le146
ben war. Oder vielleicht doch? Im Inneren des Korbes war es dunkel gewesen, aber eine Bewegung wäre ihm doch nicht entgangen? Aber wenn die Kobras tot waren, warum beobachtete Ebana den Korb jetzt? Er hörte, wie Parenefer kicherte, als er mit der Spitze seines Stocks den Deckel leicht anhob. »Ihr solltet darauf achten, nicht den Zorn des Götterkönigs auf Euer Haupt herabzubeschwören, Meren.« Gerade in dem Augenblick, als sich zwischen dem Deckel und dem Korb ein Spalt öffnete, erklang vom Korridor aus ein lauter Ruf zu ihnen herüber. »Mein Herr, Meren!« In der Hoffnung, daß seine Erleichterung ihm nicht anzusehen war, lächelte Meren Parenefer liebenswürdig zu, bevor er seine Stimme erhob, um dem Rufenden zu antworten. Schritte marschierten in ihre Richtung, und innerhalb weniger Augenblicke füllte sich der Raum mit großen Körpern in Rüstungen aus Leder und Bronze. Sechs Krieger betraten das Zimmer, blieben vor ihm stehen und salutierten. In ihrer Mitte erschien Kysen, gefolgt von Abu. Kysen neigte den Kopf vor dem Hohepriester, und sagte zu Meren: »Ihr habt nach uns gerufen, Herr?« »Ja«, sagte Meren. »Der Pharao hat befohlen, daß wir den Mord an diesem Priester, Qenamun, aufklären, der das Haus des Amun besudelt hat.« Meren wandte sich Parenefer zu. »Vielleicht sollte ich zu Eurer Sicherheit noch mehr Männer herzitieren, erster Prophet. Ich könnte ein Bataillon zu Eurem Haus schicken, ein paar meiner eigenen Männer zu Euren Leibwächtern machen, meine Krieger in jedem Teil Eures Tempels stationieren, um weiteres Übel zu verhindern, bis ich dahinter gekommen bin, wer diese schreckliche Tat begangen hat.« Der Hohepriester war außer sich. »Mir stehen genügend Wachen zur Verfügung.« 147
»Aber woher wißt Ihr, daß nicht einer von ihnen der Verbrecher ist?« fragte Meren sanft. Parenefer hob den Arm und deutete mit gekrümmtem Finger auf Meren. »Eines Tages wird Eure Listigkeit Euer Unglück sein, mein Bester.« Der alte Mann stapfte, mit dem Stock auf den Boden tappend, aus dem Zimmer, im Schlepptau seine Wachen. Meren befahl seinen Männern, jeden zu befragen, der im Verlauf des vergangenen Tages das Haus des Lebens betreten hatte. Sie würden nicht alle in Frage kommenden Personen befragen können, aber sie mußten es versuchen. Kysen untersuchte den Leichnam. Ebana brach sein langes Schweigen und sprach Meren an. »Du hast dieses Scharmützel also gewonnen.« Meren verstaute zwei weitere Papyrusdokumente in Qenamuns Zedern- und Ebenholzkästchen. »Ich bin es leid, daß du mir Hindernisse in den Weg stellst. Wirst du mir sagen, wer gestern hier war, oder soll ich dem Pharao sagen, daß du dich weigerst, mich bei den Nachforschungen, die er mir anzustellen befohlen hat, zu unterstützen?« »Deine Herumschnüffelei wird dir nichts nützen«, sagte Ebana. »Weißt du, wie viele Menschen täglich in diesem Tempel ein und ausgehen? Hunderte, nein Tausende, aus allen Teilen des Reiches. Andächtige, Bittsteller, Verwalter und Beamte aus den Besitztümern des Amun, Regierungsbeamte, heilige Sänger, Priesterinnen, Studenten mit ihren Meistern, Untertanen, die offizielle Beglaubigungen oder andere Dokumente benötigen. Ich könnte die Liste endlos fortsetzen.« »Nein, erzähle mir einfach nur, wer Qenamun den Tod gewünscht haben könnte.« Ebana trat neben Meren und stützte sich auf den Tisch neben dem Korb. »Qenamun war ein Lesepriester. Ich nehme an, daß er jemanden durch seine Magie beleidigt hat. Sieh dir den Tisch ne148
ben seinem Leichnam an. Diese Wachsfigurine stellt den König der Hethiter dar.« Kysen nahm die Figur in die Hand und las die Inschrift. »Er hat recht.« »Ein äußerst geheimer Auftrag von General Horemheb«, sagte Ebana. »Ihr seht also, es kann auch ein Fremder gewesen sein, der Qenamun diese Kobras untergeschoben hat.« »Mörder sind häufig im engsten Umfeld des Opfers zu finden, Vetter. In diesem Fall muß es jemand gewesen sein, der mit Qenamuns Gewohnheiten und seinen Besitztümern eng vertraut war. Jemand, der den Weg in seinen Arbeitsraum kannte, der wußte, wann und wie lange Qenamun sich nicht darin aufhalten würde. Ein Priester zum Beispiel.« Kysen stellte sich zu ihnen. »Und jemand, der Grund hatte, ihn zu hassen. Jemand, der, wenn ich mich recht erinnere, ihn verabscheute, weil er mit der gleichen Sorgfalt Zwietracht säte wie eine Spinne ihr Netz spinnt.« Meren zog eine Augenbraue hoch. »Tja«, sagte er. »Wie hast du Qenamun doch beschrieben, als Skorpion? Hat er dir vielleicht mehr angetan als nur einen deiner vielversprechenden Gehilfen zu zerstören? Stellte er eine Gefahr für dich dar?« Ebana sprang zwischen Kysen und Meren, griff nach Merens Arm und drehte ihn herum, so daß die sonnenförmige Narbe zu sehen war. Nur Meren konnte sein Flüstern hören. »Liebster Vetter, dieser Skorpion war für mich eine ebenso große Gefahr wie für dich der alte König.« Meren zuckte zusammen, als Ebanas Finger sich in sein Fleisch um die Narbe gruben. Ebana wußte, daß der alte Ketzerkönig ihn mit dem Symbol seines persönlichen Gottes gebrandmarkt hatte. Wollte er andeuten, daß er die Umstände von Echnatons Tod kannte? Für einen Augenblick verschwand das Arbeitszimmer um ihn her149
um, als ihm seine unbeabsichtigte Rolle beim Tod des alten Königs in den Sinn kam. Er spürte die Gewissensbisse, die Scham eines besudelten Ka. Dann gewann er wieder die Oberherrschaft über seine Sinne und machte sich von Ebanas Griff los. Dabei sah er, wie ein befriedigter Ausdruck über das Gesicht seines Cousins glitt. Meren schloß den Deckel des Kastens. »Ich sorge mich nicht um die Vergangenheit. Ich sorge mich um den Pharao – die Harmonie und das Gleichgewicht im Zweifachen Reich. Und an erster Stelle bin ich daran interessiert, diejenigen, die den Pharao, den lebenden Sohn des Gottes, bedrohen, ausfindig zu machen und zu vernichten.« Ebanas Lippen, wenn nicht sogar das ganze Gesicht, verzogen sich zu einem Lächeln, und er schritt zur Tür. »Und da ich dem Gott Amun, dem Vater des Königs, diene«, sagte Ebana im Hinausgehen, »sind unsere Interessen dieselben.« Meren blieb stehen und starrte kurz den leeren Türrahmen an, bevor er einen leisen Fluch von sich gab. »Glaubst du, daß er es war?« fragte Kysen. »Ich weiß es nicht«, antwortete Meren. »Es ist so wie er sagt. Unzählige Menschen gehen jeden Tag im Tempel ein und aus. Bei den Göttern, Rahotep war hier, als es passierte. Aber ich kann trotzdem nicht glauben, daß diese beiden Todesfälle nichts miteinander zu tun haben. Sie arbeiteten zusammen, Herr und Untertan. Unglücklicherweise sind die Geheimnisse des Tempels ebenso verborgen wie die der Unterwelt.« Kysens Blick fiel auf seine Sandalen. »Rahotep. Ach ja, Rahotep.« Er hörte das Zögern in der Stimme seines Sohnes und blickte ihn an. »Rahotep. Und Ebana. Und Qenamun.« »Ich warte.« Kysen räusperte sich und begann, seine Erlebnisse im Hause des Unas, die Geschichte mit dem Stein und das Zusammentreffen mit 150
den Priestern und Rahotep auf dem Marktplatz zu schildern. »Verdammnis und Feuer der Unterwelt! Habe ich dich nicht davor gewarnt, Nachforschungen wie diese im Alleingang zu betreiben? Nein, sag jetzt nichts.« Meren seufzte, während er innerlich den Gott Toth anbetete, ihm dabei zu helfen, sein Temperament zu zügeln. Kysen wußte, daß er einen Fehler gemacht hatte, und man durfte ihn jetzt nicht schelten wie ein kleines Kind. »Du sagst, daß jeder von ihnen versucht haben könnte, dich zu töten – Ebana, Rahotep, Qenamun oder einer der anderen.« »Ja«, bestätigte Kysen. »Rahotep«, sagte Meren ruhig. »Ich hatte vergessen, wie streitlustig er ist, nachdem er so lange mit Tanefer weg war. Aber vielleicht ist er wirklich schlimmer geworden – angriffslustig und überheblich bis zum Wahnsinn.« »Er ist aufbrausender als früher«, sagte Kysen. »Ich kann einfach nicht glauben, daß diese beiden Todesfälle nichts miteinander zu tun haben«, sagte Meren, »aber ich kann mir auch nicht vorstellen, welchen Grund Rahotep gehabt haben sollte, sie zu töten.« »Wir wissen nicht, warum sie getötet wurden.« Meren ging zum Leichnam des Lesepriesters hinüber. »Noch nicht, aber ich werde es herausfinden.« Schweigend untersuchten sie den Arbeitsraum, bis Meren den Kasten nahm und Anstalten machte zu gehen. Kysen nahm ihm den Kasten ab und zwang Meren, ihm in die Augen zu sehen. »Was ging zwischen Euch vor, als ich hereinkam?« Meren blickte über Kysens Schulter hinweg auf den Korb mit den Kobras. Er hatte sich nicht bewegt, seit Parenefer ihn zuletzt berührt hatte. »Ich bin nicht sicher, aber vielleicht hast du mir das Leben gerettet.« Er lächelte, als er sah, wie Kysen vor Entsetzen der Mund offen 151
stehen blieb. »Diese Kobras sind nicht die einzigen, um die wir uns Sorgen machen müssen.« Zwei Tage, nachdem Qenamun ermordet worden war, hatten Merens Männer Dutzende von Priestern und Besuchern im Haus des Lebens verhört. Meren und Kysen hatten sich selbst mit höherstehenden Personen befaßt. Nachdem der erste Tag vorüber war, hatte Parenefer sie ihren Aufgaben überlassen, während er sich in die Wohnräume des Hohepriesters und in andere Teile des Tempelkomplexes zurückzog, in sichere Entfernung von den Augen und Ohren des Pharao. Meren befand sich in seiner Amtsstube zwischen dem Haus und den Baracken der Wagenlenker und Krieger und hörte Kysen zu, der ihm eine Liste derjenigen vorlas, die sich am Tage vor Qenamuns Tod im Haus des Lebens aufgehalten hatten. Qenamun hatte den Tempel an diesem Tag zum letzten Mal verlassen, und zwar eine Stunde vor Sonnenuntergang. »Jeder wußte, daß er an diesem Wochentag immer früh ging, um zu Hause private Aufträge zu erledigen«, sagte Kysen. »Wenn sich jemand an seinen Sachen zu schaffen machen wollte, hat er bestimmt diesen Tag abgewartet.« »Ich hatte nicht erwartet, daß unser Gerücht mit den Scherben solch schlimme Folgen haben würde«, sagte Meren. »Ein scheußlicher Tod, selbst für Qenamun. Und, wenn dieses Gerücht dem Mord tatsächlich voranging, dann habe ich versagt, weil ich seine Bedeutung nicht erkannt habe.« »Nur ein Gott könnte die Bedeutung von ein paar Tonstückchen verstehen«, sagte Kysen. Meren seufzte, legte eines von Qenamuns Traumbüchern beiseite und erhob sich von seinem Stuhl. Beide hatten Stunden damit verbracht, die Scherben zu untersuchen, ohne Ergebnis. Er ging zu ei152
ner mit Elfenbeinintarsien verzierten Schachtel, holte seine Jonglierbälle heraus und begann, damit zu spielen. »Ein Lesepriester mit Qenamuns berühmter Macht ist in viele Geheimnisse eingeweiht. Und Ebanas Worten konnte ich entnehmen, daß er zu den Männern gehörte, die ihr Wissen nutzen, um ihre Macht zu vergrößern und Zwietracht zu säen.« Meren folgte mit dem Blick seinen Bällen, die vor ihm herwirbelten. Je schneller sie flogen, desto mehr rasten auch seine Gedanken. »Wenn es stimmt, was Ebana über ihn sagt, dann ist es gut möglich, daß er versucht hat, dich zu töten. Und daß er verantwortlich Unas' Haus durchwühlt hat, was wiederum bedeuten könnte, daß er auch Unas' Mörder war.« »Aber wir haben in seinem Arbeitszimmer im Tempel oder in seinem Haus keinerlei Hinweise darauf gefunden«, sagte Kysen. Meren mußte sich recken und strecken, um seine Jonglierbälle in der Luft zu halten. »Und auch nicht in irgend einem anderen Haus. Ich bin versucht, den Pharao um die Erlaubnis zu bitten, Rahotep zu überprüfen.« »Bei den Göttern«, sagte Kysen. »Was für einen Sturm des Zorns das hervorrufen würde.« »Und ich habe keinen wirklichen Beweis, den ich dem König vorlegen könnte, wenn ich von ihm die Erlaubnis erböte, einen Prinz von halb königlichem Blut wie einen Verbrecher behandeln zu dürfen.« Kysen schnaubte. »Genausogut könntest du Parenefer ins Gefängnis werfen lassen.« »Ich sehe, daß du die Schwierigkeiten erkennst.« Kysen fuhr sich durchs Haar, dann ließ er einen Finger über die Liste von Namen auf dem Papyrus gleiten, das er in Händen hielt. »Ich habe all diejenigen durchgestrichen, die keine Verbindung zu Qenamun zu haben scheinen. Es bleiben dreißig Personen über, die ihn entweder kannten oder mit ihm arbeiteten und sich am 153
Tag, bevor er getötet wurde, im Tempel aufhielten.« Meren begann, im Zimmer umherzuwandern, wobei er nicht aufhörte zu jonglieren. »Ebana hatte recht. Der Tempel ist das ideale Versteck. Vielleicht hat jemand die Kobras in einem Kasten oder einem Korb mitgebracht, das ganze kann als Gabe für den Gott getarnt gewesen sein. Doch es muß jemand gewesen sein, dessen Anwesenheit im Haus des Lebens den Priestern nicht weiter aufgefallen ist. Ein anderer Priester, ein Edelmann oder eine Priesterin.« »Abu sagt, daß er noch immer keine Hinweise darauf gefunden hat, daß in irgendeinem Haus oder im Tempel Kobras gehalten wurden«, sagte Kysen. »Irgendwo müssen sie gehalten worden sein.« Kysen erhob sich und ging zu dem Tisch, auf dem Qenamuns Zedern- und Ebenholzkästchen stand. Der Inhalt war auf dem ganzen Tisch verstreut, außer den Schreibkielen, die noch auf dem Grunde der Truhe lagen. Er hob ein Gewicht, das einen Stapel Papyrusrollen beschwerte, auf und blätterte sie durch. »Das sind Texte für Prinz Djoser, Rahotep, General Horemheb und Ahiram.« »Ich weiß«, sagte Meren. »Ich habe sie gelesen, aber es handelt sich ausschließlich um Trauminterpretationen und Kalender, die jeden einzelnen Tag gemäß der Zeichen deuten, entweder gut oder schlecht. Ich sehe nichts, was jemanden zu einem Mord hätte veranlassen können. Jeder hat Kalender und Trauminterpretationen. Horemheb konsultiert jedes Jahr fünf oder sechs Lesepriester.« Merens Bälle wurden langsamer. Er horchte auf das sanfte TapTap des Leders, wenn sie in seinen Händen landeten. »Horemheb. Ich denke gerade über Horemheb nach.« Kysen blickte von seinem Stapel Papyrusrollen auf, sagte aber nichts, sondern wartete. Schließlich wurde Merens Hand unsicher, und ein Ball fiel zu Boden und rollte unter den Tisch. Meren fing 154
die übrigen Bälle auf und stand da, er starrte ins Leere. »Ich war bei Maja, gerade bevor Tanefer kam und mir von Qenamun berichtete. Du kennst ja Maja. Er liebt es, sich intime Probleme anzuhören, und er wollte mich dazu bringen, ihm meine zu erzählen. Als ich schwieg, begann er zu reden. Und er sagte etwas über Horemheb – darüber, daß er an den Beschränkungen, die ihm auferlegt worden waren, zu rütteln versucht. Daß er wütend darüber ist, wie sehr die Armee und das Reich vernachlässigt werden. Es geht das Gerücht, daß er Ay für zu alt hält, um noch Wesir zu sein, und daß er die Ratgeber des Pharao für zu vorsichtig hält.« »Das wissen wir doch«, sagte Kysen. Meren warf seinem Sohn einen Blick zu. »Jetzt scheint mir, als wisse es der ganze Hof, und die Armee. Und was mich noch mehr beunruhigt ist, was Maja von Horemheb erzählt hat. Er findet, daß Ägypten einen mutigen, jungen Mann an der Spitze brauche. Tanefer hat uns unterbrochen, aber ich glaube, er wollte sagen, einen jungen Herrscher statt eines Kindes.« Meren und Kysen sahen einander schweigend an. Draußen waren die Geräusche aus der Kaserne zu hören, Pferde wieherten, Krieger lachten rauh, eine Tür schlug zu. »Was denkst du?« Meren beugte sich hinab, um den Ball aufzuheben und begann wieder zu jonglieren. »Solche Gerüchte wachsen und vermehren sich wie Schilf in einem Sumpf. Die meisten verzerren die Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit.« »Aber wenn das Gerücht General Horemheb betrifft…« »Dann«, sagte Meren, und warf einen Ball in die Höhe, »dann müssen wir herausfinden, wie sehr die Wahrheit verzerrt wurde, und wo der Samen der Wahrheit liegt, aus dem die Blume des Gerüchts entsprang.« »Aber Horemheb? Er hat neben dir gekämpft, und seit Jahren schon verteidigt er das Reich gegen seine Feinde.« 155
»Ich weiß«, sagte Meren ungeduldig und warf die Bälle in ihre Kiste zurück. »Ich weiß, Ky, aber Pharaonen können es sich nicht leisten, jemandem blind zu vertrauen, und es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß jedem Hinweis auf ein Risiko nachgegangen wird.« Kysen ging zu seinem Stuhl zurück und nahm eine Lederschachtel zur Hand. »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, daß Maja lügen könnte?« »Natürlich«, sagte Meren. »Aber Maja hätte nichts davon, er hat doch gar nicht den Ehrgeiz, etwas anderes zu sein als er ist. Ich neige eher dazu, ihn als Furche zu sehen, durch die das Wasser den Schlamm der Gerüchte und Neuigkeiten trägt, alle durcheinandergemischt, egal ob sie der Wahrheit entsprechen oder nicht.« Meren zog seinen Stuhl an Kysens heran, setzte sich und rieb sich die Stirn. »Bei den Göttern, diese endlosen Intrigen und Streitigkeiten werden mir eines Tages noch den Verstand rauben.« Er vernahm einen der Flüche, die Kysen während seiner Ausbildung als Wagenlenker gelernt hatte und blickte schnell auf. Kysen hielt eine Nachricht in den Händen, die das Siegel eines der Befehlshaber trug, die an den Grenzbefestigungen zwischen dem Delta und Palästina und Syrien stationiert waren. Er reichte das Schriftstück Meren. Es berichtete von einer erhöhten Aktivität an der Grenze, einem erhöhtem Aufkommen feindlicher Truppen auf den Wüstenstraßen, Raubzügen neuer Banditengruppen – frühere Soldaten der Armeen des eroberten Reiches von Mitanni waren nach Süden gewandert und erreichten nun die Grenze. Sie verwüsteten zusammen mit den gesetzlosen Nomaden abgelegene Dörfer, griffen Reisende und insbesondere die Karawanen der Kaufleute an. Ägyptische Truppen waren mit den Mitanni zusammengestoßen, hatten sie in die Flucht geschlagen und verfolgt, aber sie hatten ihre Spur in der Wüste verloren. Der Befehlshaber machte sich aufgrund der ungewöhnlich 156
großen Zahl von Banditen Sorgen. Einige Gruppen bildeten fast eine kleine Armee. Meren gab Kysen den Bericht zurück, erhob sich ruckartig von seinem Stuhl und schritt zwischen ihm und dem Tisch auf und ab. »Verdammt. Nun gut. Suche Abu und veranlasse, daß er Abschriften von diesem Bericht erstellen läßt. Dann schicke ihn zu Horemheb und General Nakhtmin. Er soll sie persönlich und allein aufsuchen. Sie werden die Grenzbefestigungen verstärken.« Meren hielt vor Kysens Stuhl inne und blickte auf ihn hinunter. »Vielleicht muß ich selbst nach Norden gehen. Diese Berichte von Abtrünnigen, die unsere Grenzen bedrohen, höre ich gar nicht gern, und ich muß dringend einen Hethiter befragen, wenn ich einen finden kann.« »Du gehst allein an die Grenze?« »Ich möchte nicht, daß man mich bemerkt und meine Anwesenheit dem hethitischen König oder seinen Verbündeten unter den syrischen Prinzen ankündigt.« »Aber du kannst doch nicht ohne Schutz gehen. Wenn du erkannt wirst…« Es klopfte und sie drehten sich beide um. »Herein«, sagte Meren. Abu trat ein, und zu dessen Überraschung auch Tanefer. Abu warf Meren einen erstaunten und alarmierten Blick zu, aber Meren schüttelte den Kopf. »Euer Mann wies mich an, zu warten, aber Ihr wißt doch, wie sehr ich das hasse«, sagte Tanefer, als er sich in Merens Stuhl fallen ließ und einen Blick auf die Papiere warf, die Kysen auf dem seinen hatte liegen lassen. Kysen beugte sich hinab und hob sie auf, und Tanefer grinste ihn an. »Fürchtet Euch nicht, junger Mann, ich bin kein Spion. Ich bin nur ein einfacher Soldat, gut im Töten, aber unfähig zu Intrige und 157
Betrug.« »Tanefer«, sagte Kysen, und reichte Abu die Papiere, »Ihr seid der wandelnde Skandal.« »Eine Fähigkeit, an der ich beständig arbeite.« »Ihr seid doch nicht etwa gekommen, um mir von einem weiteren Mord zu berichten?« fragte Meren. »Nein, Bruder meines Herzens. Ay bat mich, dem König Ablenkung zu verschaffen. Der Göttliche kann sein erstes Scharmützel gar nicht abwarten, aber der Vizekönig von Kush muß jeden Tag mit einer Flotte voller Tributzahlungen ankommen, und der König muß anwesend sein, um ihn gebührend zu empfangen.« Tanefer erhob sich und klopfte Meren auf den Rücken. »Deshalb habe ich eine Nilpferdjagd organisiert. Ein einzelnes männliches Tier treibt an der Stadtgrenze sein Unwesen. Es hat heute drei Fischer getötet. Deshalb werden wir es morgen früh gemeinsam jagen. Der König wünscht Eure Anwesenheit, Euer beider Anwesenheit.« »Ich habe viel zu tun«, sagte Meren. Tanefer nickte. »Ah, der Lesepriester. Habt Ihr herausgefunden, wer ihn getötet hat?« »Nein.« Kysen hob die Hände in die Luft. »Es scheint, als hätte an dem Tag, da die Kobras in Qenamuns Kasten gelegt wurden, die halbe Stadt den Tempel des Amun besucht.« »Die Antwort ist vielleicht ganz einfach«, sagte Tanefer. »Hat Qenamun mit der Frau eines anderen Priesters geschlafen? Stand er dem Fortkommen eines anderen im Weg? Oder hat er einen seiner Vorgesetzten bedroht?« »Zweifellos hat er all das getan«, sagte Meren. Tanefer trat an den Tisch mit Qenamuns Dokumenten, in denen er herumzublättern begann. Meren ging schnell zur Tür und zeigte in Richtung Haus. »Möch158
tet Ihr mit uns zu Abend essen?« Tanefer blickte auf, dann ging er Meren voran nach draußen. »Ihr macht ein Geheimnis um Euch wie eine Jungfrau mit ihrem ersten Verehrer, Meren.« »Und Ihr seid zu neugierig für einen einfachen Soldaten.« Als Tanefer zum Haus zurückging, flüsterte Meren Kysen zu: »Gib Abu seine Befehle und folge uns dann.« Meren ging neben Tanefer. Sie liefen von seinen Amtsräumen durch den Dienstbotentrakt und passierten dann ein kleines Tor in der Mauer, die den Teich und den Lustgarten umgab. Tanefer hielt neben dem Teich inne, um den blauen Lotus zu betrachten, der in einem Nest aus tiefgrünen Blättern ruhte. Der feurige Sonnenwagen des Gottes Ra hatte seinen Zenit überschritten und jagte nun den westlichen Horizont entlang. Meren nannte diese Augenblicke vor der Dämmerung die goldene Zeit des Tages, denn die Sonnenstrahlen verwandelten die Luft und das Wasser in Gold. Tanefer kniete nieder und streckte die Hand aus, um die Blätter der blauen Lotusblume zu berühren. »Ich stamme von einem Kriegervolk ab, Meren.« »Die Mitanni waren immer schon große Kämpfer.« »Unglücklicherweise haben mein Onkel und seine Nachkommen niemals gelernt, wann man aufhören und verhandeln muß. Deshalb hat er ja auch seinen Thron verloren.« Tanefer tauchte die Hand ins Wasser und blickte zu Meren auf. Seine Augen waren voller Trauer, genau wie damals, als er aus Syrien wiedergekommen war. »Das Reich zerbröckelt. Eine rivalisierende Familie sucht die Gunst des hethitischen Königs Supiluliumas zu gewinnen, und jetzt wird Ägypten bald die Klinge der Barbaren zu spüren bekommen.« »Supiluliumas ist kein Narr«, sagte Meren. »Er wird Ägypten nicht direkt angreifen.« Tanefer erhob sich und wischte sich die Hand an seinem Rock ab. »Nein, den Göttern sei Dank. Ägypten wird verschont bleiben, 159
und der Nil wird sich nicht rot färben wie seinerzeit der Euphrat.« Er lächelte Meren müde an. »Aber wie lange wird das noch dauern?« »Es sieht Euch gar nicht ähnlich, so gedrückter Stimmung zu sein.« Tanefer ließ den Blick über das Wasser schweifen und schüttelte den Kopf. »Ich habe versucht, es Ay zu erklären, aber er hört gar nicht zu. Ihr kennt die Hethiter, Meren. Ihr kennt ihr unvergleichliches Verlangen nach einem Blutbad. Wie lange können wir noch in unseren Palästen sitzen und streiten wie verwöhnte Kinder?« Er seufzte. »Es ist Ays Fehler, wißt Ihr, denn er läßt es zu, daß der Pharao und seine Ratgeber an Kleinigkeiten herumnörgeln und herumdoktern und den Rest der Welt ignorieren.« »Ihr glaubt, daß Ay zu sehr wie Echnaton ist.« Mit einer nachlässigen Bewegung, wie sie typisch für ihn war, pflückte Tanefer eine Lotusblüte und drehte sie zwischen den Fingern. »Wir haben in unserer Blindheit schon ganze Städte untergehen sehen, während wir uns an den Früchten des Nils labten, immer fetter wurden und gar nicht merkten, wie nah wir dem Tod waren.« »Ich bin nicht blind«, sagte Meren. Tanefer warf ihm ein trauriges Lächeln zu. »Nein – nein, das seid Ihr nicht.« Er warf Meren die Lotusblume zu und lachte plötzlich auf. »Kommt, alter Freund, habt Ihr mir nicht ein Mahl versprochen? Gebt mir etwas Wein, dann bin ich vielleicht in der Lage, Euch dabei zu helfen, das Rätsel um den Mord an dem Zauberpriester zu lösen.«
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Kapitel 12
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m nächsten Tag saß Kysen noch vor Morgengrauen neben dem königlichen Ruderer im Boot des Königs und bibberte in der kühlen Feuchtigkeit des Sumpfes. Zwei Priester waren ermordet worden, aber weder er noch Meren konnten es versäumen, an der großen Nilpferdjagd teilzunehmen, die Tanefer für den König arrangiert hatte. Der Pharao flüsterte aufgeregt mit dem ersten königlichen Jäger, während im hohen Schilf und zwischen den Papyruspflanzen die Edelmänner und Jäger ihre Boote zum Stehen brachten. Die Boote wurden auf den Seiten einer Furche, die am Flußufer durch das Schilf verlief, aufgestellt. Dort kamen die Nilpferde gewöhnlich an Land. Das Boot des Königs war aus Holz, größer und prächtiger als die anderen Boote, aber Kysen wünschte, mit seinem Vater und Tanefer in einem Boot zu sein. Diese Boote waren erheblich leichter manövrierbar und würden sich ganz nahe an das Opfer heranbewegen. Gleichzeitig waren sie allerdings auch viel unsicherer. Dem König war es erst dann gestattet, sich dem Nilpferd zu nähern, wenn schon ein paar Harpunen in dem Tier steckten. Tatsächlich hatte Kysen sich nie daran gewöhnen können, ein Gefährte des Pharao zu sein. Er war als Sohn eines einfachen Handwerkers geboren, und es fiel ihm nicht so leicht wie seinem Vater, mit einem lebenden Gott auf die Jagd zu gehen. Er beobachtete, wie Ahiram sein Boot mit der Schifferstange beidrehte und sich im Sumpf gegenüber des Bootes von Tanefer und Meren plazierte. An der Küste gab ein Jäger Tanefer ein Signal, und die Nachricht wurde von Boot zu Boot weitergegeben. Der Mann neben Kysen flüsterte: 161
»Göttlicher, drei Männer kommen auf uns zu. Sie glauben, daß das Nilpferd ihnen folgt.« Schweigen senkte sich über die Jäger, während sie warteten. Nilpferde kamen in der Nacht an Land, um zu fressen und richteten auf ihren Wanderungen großen Schaden an. Kysen blickte über das schwarze Wasser und konnte die hellen Schatten der Gewänder Tanefers und Merens kaum erkennen. Sie hatten sich niedergekniet, die langen Schäfte ihrer Waffen ragten über das Ende des Bootes hinaus. Er warf einen Blick auf den König, dem schmächtigen Schatten mit einem Halskragen aus Gold und Lapislazuli, aber er konnte sein Gesicht erkennen. Tanefer hatte die Hoffnung ausgesprochen, daß diese Jagd die Spannung, unter der der König stand, vertreiben würde. Kysen bezweifelte, daß sie ihm mehr als nur eine vorübergehende Abwechslung und Erholung bieten konnte. Am Hof schwelte immer noch der Streit zwischen denen, die den Krieg befürworteten, und denjenigen, die für diplomatisches Vorgehen plädierten. Die Folgen dieser Spaltung hatte er im Gesicht seines Vaters lesen können. Meren haßte den Krieg. Er haßte Gewalt. Schon in frühester Jugend hatte Kysen hingegen nicht verstanden, warum ein Mann, der so gewandt mit dem Dolch, der Lanze und dem Bogen umgehen konnte, es verabscheute, sie außerhalb der Jagd auch einzusetzen. Dann war er alt genug geworden, um Meren als einen Agenten der Augen und Ohren des Pharao zu unterstützen. Jetzt verstand er, daß Meren Krieger befehligte, um Gewalt zu verhindern. In den letzten beiden Jahren hatte auch Kysen genug Blut gesehen. Im Tod lag keinerlei Ruhm, er war nichts als Verschwendung. Und genau dieses Wissen war es, das Meren und Kysen von vielen Männern am Hof trennte. Meren war in Sorge. Kysen spürte das, wagte es aber nicht, seinem Vater Fragen zu stellen. Wenn Meren sich zurückzog und ins 162
Nichts starrte, während er das Brandmal an seinem Handgelenk rieb, dann war er tief beunruhigt. Er wußte, daß sein Vater davon überzeugt war, daß es zwischen Unas' und Qenamuns Tod einen Zusammenhang gab. Er wußte auch, daß Merens Konfrontation mit dem Hohepriester des Amun einen offenen Bruch zwischen dem Tempel und dem Hof hervorzurufen drohte. Parenefer hatte sich bei dem Wesir Ay und beim König beklagt. Ay war wütend auf Meren gewesen, weil dieser noch mehr Ärger verursachte, als momentan sowieso schon am Hof brodelte. Der König, der immer empfindlich war, wenn seine Autorität von Parenefer in Frage gestellt wurde, hatte den Hohepriester beleidigt. Und jetzt weigerte er sich, den alten Mann zu besänftigen. Die Höflinge traten sich nun gegenseitig auf die Füße in dem Versuch, sich mit demjenigen zu verbünden, den sie für den zukünftigen Gewinner hielten. Unterdessen fuhr Tanefer fort, einen riesigen Feldzug zu propagieren. Er plädierte dafür, durch Palästina zu marschieren und dann weiter nördlich bis in die oberen Regionen des Euphrat, ja bis in die Heimat der Mitanni vorzudringen. Horemheb stimmte ihm teilweise zu. Es überraschte Kysen, daß Parenefer ihnen ebenfalls zustimmte und seinen Einfluß für einen neuen Feldzug geltend machte. Meren sagte, daß der alte Schakal die Fährte der Beute aufgenommen hatte – die Sklaven, die reichen Ländereien, die Schätze, die aus den besiegten Territorien in die Schatzkammern des Amun fließen würden. Kysen war noch etwas anderes in den Sinn gekommen. Wenn es Krieg gab, dann würde der Pharao Ägypten verlassen, und ebenso würde Meren es tun. Kysen verlagerte sein Gewicht und nahm eine bequemere Stellung ein. Der Himmel wurde heller, und immer noch hatten die Nilpferde das Ufer nicht erreicht. Bald würden die Jäger den Schutz der Dunkelheit verlieren. Tanefer dachte wahrscheinlich gerade das163
selbe, denn er machte Ahiram über das Wasser hinweg Zeichen. Die beiden Boote, auf denen sein Vater, Tanefer und Ahiram sich befanden, fuhren aus dem Schilf hinaus und aufeinander zu. Als die beiden Booten dicht nebeneinander lagen, begann das Schiff des Königs sich wild zu drehen. Von der Küste aus hörte man ein hohles, summendes Geräusch, das wie ein Lachen klang. Nilpferde. Kysen blickte sich um, aber er sah nichts, was die Bewegung unter ihm hätte verursachen können. Er schaute über die weite Fläche des Wassers zu Meren hinüber, der etwas zu Ahiram sagte. Plötzlich sprudelte die bis dahin glatte, schwarze Wasseroberfläche auf, und ein schlammähnlicher Berg mit Augen erhob sich vor ihnen und knurrte böse. Kysen rief eine Warnung aus. Das aufgerissene Maul eines Nilpferdes klaffte ihnen entgegen und enthüllte einen hellen, muskulösen Schlund und Zähne, die so lang waren wie der Arm eines Kindes. Sie rissen Ahirams Boot in zwei Teile. Ahiram wirbelte in die Luft und fiel dann ins Wasser. Er sank nieder und tauchte sofort wieder an der Wasseroberfläche auf, genau vor dem Tier. Über seinem Kopf öffnete sich der Rachen erneut. In diesem Augenblick schleuderte Meren seine Harpune. Sie traf das Nilpferd, das schon nach Ahiram schnappte, in der Schulter. Ahiram schrie laut auf, als der Zahn seinen Arm aufschlitzte. Unterdessen stakten alle ihre Boote auf die Stelle des Kampfes zu. Kysen hatte nach einem Stab gegriffen und tat es den königlichen Seemännern gleich, die ihre Stäbe tief in das Flußbett eintauchten, um das königliche Boot auf Kysens Vater zuzulenken. Verwundet und zornig sank das Nilpferd unter die Wasseroberfläche, um kurze Zeit später wieder hochzukommen und Ahiram mit seinem Körper in die Luft zu wirbeln. Die Gewalt der Welle, die seine Bewegung verursachte, schleuderte Merens Boot vom Kampf fort und auf ein anderes Boot. Der Zusammenstoß ließ Meren ebenfalls ins Wasser stürzen. Kysen schrie Tanefer etwas zu, aber der Prinz tauchte bereits seinem Freund hinterher. 164
Das Boot des Königs hatte ein anderes eingeholt. Kysen erkannte Horemheb und Maja, rief ihnen etwas zu und schwang sich auf ihr Fahrzeug. Sie glitten schnell auf Meren zu, der untergetaucht war. Als er versuchte, im schwachen Licht etwas zu erkennen, sah er, wie Meren und Tanefer neben Ahiram an die Wasseroberfläche kamen. Ahiram blutete, und sein Arm hing schlaff im Wasser. Kysen spürte einen Stich der Angst, als der schwarzgraue Koloß von einem Nilpferd sich umdrehte und wieder ins Wasser abtauchte. Plötzlich erschienen kleine, hervorstechende Augen und geblähte Nüstern gerade über der Wasseroberfläche. Boote trafen auf den Körper des Nilpferdes, aber das Tier ignorierte sie. Sein Kopf hob sich aus dem Wasser. Der mächtige Kiefer öffnete sich so weit, daß ein Mann hätte hineinfallen und dort verschwinden können. Kysen schrie erneut auf, ein scharfer Stoßzahn schwebte über Meren. Ahiram wedelte und schlug mit dem gesunden Arm auf das Tier ein, aber er konnte sich nicht schnell genug bewegen. Der Kiefer begann sich zu senken, was auch Kysen, der nach Majas Harpune griff und sie losschleuderte, nicht verhindern konnte. Die Waffe traf das Tier am Nacken, konnte aber nicht in das dicke Fleisch eindringen. Da sprang Meren auf und griff nach seiner Harpune, die immer noch in der Schulter des Nilpferdes steckte. Tanefer schrie auf und warf sich Meren entgegen. Dabei traf sein Fuß Ahiram, so daß dieser weiter in die Nähe des wütenden Tieres gestoßen wurde. Tanefer stieß mit Meren zusammen, und sein Gewicht ließ sie unter der Wasseroberfläche verschwinden. Im gleichen Augenblick schnappte das Nilpferd nach Ahiram, und Kysens Boot rammte in seinen Körper. Harpunen und Speere flogen von anderen Booten auf das Tier zu. Das Nilpferd gab eine Art Bellen von sich – es klang wie die Mischung aus dem Schrei einer Frau und dem Trompeten eines Elefanten. Mit einem letzten laut grollenden Schrei tauchte das Tier schließlich unter den Boo165
ten ab und schwamm schnell auf den offenen Fluß hinaus. Kysen rief den Namen seines Vaters und suchte die Trümmer der zerborstenen Boote und vorübertreibenden Waffen ab. Ein dunkler Kopf tauchte aus dem Wasser auf; ein zweiter folgte. Kysen streckte sich über die Seite des Bootes, als Horemheb und Maja das Schiff in die Richtung der Schwimmer lenkten. Er erreichte Meren, der völlig außer Atem war und vor Erschöpfung zitterte. Gemeinsam gelang es Kysen und Tanefer, ihn nach oben zu hieven und an Bord zu zerren. Maja und Horemheb hoben auch Ahiram auf ihr Schiff. Er lag fluchend da und wehrte sämtliche Versuche, ihn zu versorgen, ab. Das Boot des Königs legte seitwärts ihres Schiffes an, und Tutenchamun befahl Tanefer, Meren und Kysen, an Bord zu kommen. Kysen kletterte die Bootswand hinauf und ließ sich an Deck neben seinen Vater fallen. Meren blickte lächelnd auf. »Von einem großen, schwimmenden Fettkloß aufs Kreuz gelegt.« Kysen sagte nichts, aber sein Blick wanderte über Merens Körper hinweg. Mit ernster Miene suchte er nach Spuren des Kampfes. »Mir geht es gut, Ky. Nur ein paar geprellte Rippen.« Kysen stieß den Atem aus, den er angehalten hatte, äußerte aber keinerlei Erleichterung. Der König, der neben Tanefer gekniet hatte, erhob sich und näherte sich ihnen. »Was für ein Kampf«, sagte er. »Diese verdammte Kreatur war einfach überall. Tanefer sagt, die Jäger hatten ein anderes Männchen mit diesem Einzelgänger verwechselt.« Tanefer schloß sich ihnen an und wischte sich die feuchten Haarsträhnen aus der Stirn. »Was für ein Unglück.« »Göttlicher«, sagte Meren, »was ist mit Ahiram?« Der König trat zur Seite, so daß man auf dem danebenliegenden Boot Maja sehen konnte, der einen Stoffetzen auf Ahirams Arm preßte. »Sie bringen ihn zur Küste zu einem Arzt, aber er ist wü166
tend.« »Aieee!« Ahiram befreite seinen Arm aus Majas Griff. »Ihr seid schlimmer als ein Nilpferd.« Im schwachen Licht glänzte das Weiß in seinen Augen, als er sich aufrappelte und wütend die Zähne fletschte. »Ich habe nicht die Absicht, als Futter für Nilpferde oder Krokodile zu enden, ich nicht.« Er keuchte, umklammerte seinen Arm und sank, ihnen weitere zornige Blicke zuwerfend, auf die Knie. »Kein Wesen, ob Tier oder Mensch, wird mich unversehens und bei lebendigem Leib zu fassen kriegen. Hört Ihr mich?« Das Boot glitt weiter auf die Küste zu. Ahiram schaute auch dem Schiff des Königs wütend nach, bis die beiden Boote außer Sichtweite waren. Um sie herum hoben die Edelmänner ihre Waffen auf und bereiteten sich ebenfalls darauf vor, zur Stadt zurückzukehren. »Warum ist er so wütend?« fragte der König. Tanefer kicherte, während er seinen kurzen Rock auswrang. »Ihr kennt doch Ahiram, Majestät. Er fühlt sich grundsätzlich beleidigt, auch wenn er gar nicht beleidigt wurde. Er schämt sich dafür, daß ihn das Nilpferd überwältigt hat und befürchtet, daß wir ihn auslachen werden.« »Aber es war doch nicht sein Fehler«, sagte der König. »Das Tier hat uns doch alle überlistet.« Meren seufzte und zog eine Grimasse, als er sich mit Kysens Hilfe vom Deck erhob. »Eure Majestät besitzt logischen Verstand und jenen Gleichmut, der Prinz Ahiram immer schon gefehlt hat.« Tutenchamun runzelte die Stirn und ließ den Blick über die durchnäßten Gestalten seiner Ratgeber wandern. »Was für ein Narr. Das war doch nichts weiter als Pech bei der Jagd. Ich werde es Ahiram sagen, wenn er morgen seinen Wachtpflichten nachkommt. Wenn es ihm gut genug geht, um Wache zu stehen.« »Er würde lieber Wache stehen als zu Hause in Reichweite eines Arztes zu bleiben«, sagte Kysen. Ahirams Feigheit hinsichtlich medizinischer Behandlungen war 167
wohl bekannt. Der König grinste, dann verlor er die Beherrschung und lachte laut los. Kysen mußte ebenfalls unwillkürlich lächeln, wenn er auch etwas zerknirscht darüber war. Meren jedoch schien keine Schuldgefühle zu haben, über seinen abwesenden Freund zu lachen, und ebensowenig hatte Tanefer welche. Als die Sonne hoch über der östlichen Wüste aufging, trieb fröhliches Gelächter über das Wasser und plätscherte sanft an die Flußufer. Am Morgen nach der Nilpferdjagd lag Meren auf die Kissen einer Liege gebettet, die man unter die sich niedrig ausbreitenden Zweige eines Feigenbaumes in seinem Garten gestellt hatte. Sein Arzt hatte die Bandagen um seine Rippen so fest gezogen, daß ihm das Atmen schwerfiel. Und es juckte ihn überall. Er kratzte sich unter dem Leinen, während Kysen die Berichte von den Untersuchungen über Qenamuns Tod vorlas, die angekommen waren, während sie den König zur Jagd begleitet hatten. »Qenamuns Frau und seine fünf Kinder besuchen gerade ihre Eltern auf deren Hof in der Nähe von Edfu«, sagte Kysen, als er in den Schatten eines Olibanumbaumes trat. »Der einzige Mensch, der außer den Dienern überhaupt noch im Haus war, war seine alte Mutter, die nun krank vor Kummer ist.« »Und die Kunden, derentwegen Qenamun so früh nach Hause ging?« fragte Meren. »Eine Kundin war Prinzessin Hathor, die befürchtet, unfruchtbar zu sein, und ein weiterer ist ein Aufseher der königlichen Landvermesser, der unter geschwollenen Fußgelenken leidet. Beide haben außer Qenamun noch etliche andere Ärzte und Priester aufgesucht und um Hilfe gebeten.« Meren setzte sich auf und wehrte Kysen ab, als dieser ihm helfen wollte. »Ich bin nur verletzt, Ky, ich liege nicht im Sterben. Ah, da kommt Abu. Ich hatte ihm gesagt, daß ich mir die Liste der Per168
sonen noch einmal ansehen wollte, die im Tempel waren und die Gegenstände bei sich trugen, in denen man Kobras hätte verbergen können. Was hast du herausgefunden, Abu?« Der Gehilfe setzte sich vor Merens Liege auf einer Matte nieder und kreuzte die Beine, so daß sein Gewand eine flache Fläche bildete, die aussah wie eine Tischplatte. Dann breitete er eine Papyrusrolle auf dem Stoff aus. »Ein wohlhabender Bauer aus Abydos hat am Haus des Lebens Halt gemacht, bevor er eine Schatulle mit Spenden im Allerheiligsten abgab. Er wollte seinen Sohn besuchen, einen Novizen, der unter Qenamun ausgebildet wird.« Abu drückte das Papier mit den Handflächen nieder, damit es sich nicht aufrollte. »Drei Reliefmaler gingen den ganzen Tag über ein und aus. Sie trugen Kisten und Kasten, Körbe mit Bürsten, Mörtel, Farbe und anderen Werkzeugen bei sich.« Abu hielt inne und blickte zu Meren auf. »Sowohl Prinz Rahotep als auch Prinz Ahiram haben Qenamun besucht. Um mit ihm über Traumdeutungen zu reden. Und ihre Diener brachten Kästen, in denen sie Geschenke mitbrachten. Natürlich hat niemand in diese Kästen hineingesehen.« »Natürlich«, sagte Meren. Er stand auf und streckte das Gesicht in den Wind, der plötzlich aufgekommen war. »Jetzt fahre fort und sag es, Abu.« Kysen blickte von seinen eigenen Berichten auf. »Was meinst du?« Abu begann die Papyrusrolle zu einem schmalen Zylinder zusammenzurollen. Er sagte nichts. »Es sind mindestens noch zwei weitere Namen auf dieser Liste«, sagte Meren. Er hielt inne und warf seinem Sohn einen Blick zu. »Einer von ihnen ist Ebana, der am Vorabend des Tages, an dem Qenamun getötet wurde, zahlreiche Dokumente ins Haus des Lebens brachte – und zwar in großen Dokumentenkästen aus Le169
der. Und noch nach Einbruch der Dunkelheit war er in einem der Archive zugange.« Meren streckte vorsichtig die Arme aus, während Kysen über die Bedeutung dieser Neuigkeiten nachdachte. Er lächelte seinem Sohn zu. »Ich wußte, daß dich das interessieren würde. Kannst du den anderen Namen erraten?« »Parenefer«, sagte Kysen sofort. »Sehr gut.« »Dachtest du, ich würde einen Hohepriester nicht in Betracht ziehen?« »Der erste Prophet des Götterkönigs«, sagte Meren. »Ich würde dich nicht tadeln, wenn du ihn nicht in Betracht ziehen würdest.« »Oh, ich halte ihn einer solchen Tat durchaus für fähig, aber was hätte das für einen Sinn?« Meren schüttete aus einem Krug, der an dem Feigenbaum aufgehängt war, Wasser in einen Becher und trank. »Du hast recht, Ky. Parenefer lebt innerhalb des Tempelkomplexes. Er könnte jemanden damit beauftragt haben, die Kobras in Qenamuns Schreibschatulle zu verstecken. Aber warum?« »Das ist bei beiden Todesfällen das Problem«, sagte Kysen. »Für keinen von beiden scheint es einen Grund zugeben.« »Ja«, sagte Meren, »und es scheint, daß man jetzt nur noch mit Gewalt weiterkommen kann.« Er setzte sich wieder auf die Liege und lächelte Abu und Kysen unglücklich an. »Freut sich einer von Euch beiden auf den Versuch, einen Priester den Rohrstock und die Peitsche spüren zu lassen?« Bei diesem Vorschlag schwiegen sie, denn keiner hatte jemals so etwas getan. Priester wurden nur von ihresgleichen gezüchtigt. Und wenn der Hohepriester oder andere hohe Funktionäre des Tempels mit diesem Verbrechen zu tun hatten, dann war der einzige, der die Macht hatte, sie dafür zur Verantwortung zu ziehen, der Pharao. 170
»Es gibt noch einen anderen«, sagte Abu, während er seine Papyrusrolle zusammenband. »Prinz Tanefer war an jenem Tag dort, aber er trug nichts bei sich und kam, um Euren Vetter zu besuchen, Herr.« »Verdammt«, sagte Meren. »Ich hätte danach fragen sollen, wer nicht in den Tempel gegangen ist. Die Liste wäre kürzer gewesen.« Er rieb sich das Kinn. »Ich werde den Pharao um eine Sondererlaubnis bitten, die mir gestattet, Prinzen und Priester hohen Ranges zu befragen.« Eine solche Erlaubnis würde bedeuten, daß er Parenefer, Ebana und Rahotep dazu zwingen konnte, Fragen zu beantworten, auf die sie bis jetzt nicht hatten antworten wollen. »Ich habe noch eine andere Botschaft für Euch, Herr.« Abu erhob sich. »Die Köchin hat mir auf meinem Weg hierher aufgelauert und mich gebeten, Euch mitzuteilen, daß sie ihre gewürzten und gerösteten Enten in den Fluß werfen wird, wenn Ihr nicht augenblicklich erscheint.« Meren sprang von der Liege auf und schritt auf das Haus zu. Kysen und Abu folgten ihm auf dem Fuße. »Bei meinem Ka, ich verbringe mein Leben damit, mich abzuhetzen, um jedermann zu Gefallen zu sein – ich besuche königliche Statuen, wohne Turnieren auf dem Wasser bei, den Übungen der Bogenschützen, Abendessen, Morden in Tempeln und Nilpferdjagden, aber jetzt befiehlt mir meine Köchin, an meinem eigenen Tisch zu erscheinen.« In der Loggia, die sich über die gesamte Rückseite des Hauses erstreckte, waren Tische aufgestellt worden. Meren hatte seine Ente gerade zur Hälfte verspeist, als ein königlicher Wachmann erschien und ihn zum Pharao zitierte. Seine Augen trafen Kysens Blick. »Schau nicht so amüsiert«, sagte Meren, »sonst nehme ich dich mit.« »Jemand muß hierbleiben, um die Nachforschungen über Qenamun und Unas zu überwachen.« »Nun gut. Aber wenn der König ein paar Banditen aufgespürt hat, 171
die es zu jagen gilt, dann werde ich nach dir schicken lassen. Ich reite nicht in der größten Hitze der Wüste ein paar Verbrechern hinterher, ohne diese Erfahrung mit dir zu teilen. Komm mit, Abu.« Sein Gehilfe bestand auf einer Eskorte, deshalb erschien Meren mit Abu, vier weiteren Wagenlenkern und einigen persönlichen Dienern bei Hof, wie es sich für einen Mann hohen Ranges gehörte. Von dem Augenblick an, da er sich dem königlichen Palast näherte, bemerkte er, daß mehr Wachen anwesend waren als sonst. Eine Truppe von Kriegern raste in ihren Wagen an ihm vorbei, während sein eigener die lange, breite Straße entlangfuhr, die zu den Palastmauern führte. Meren wurde immer unruhiger und ließ seine Peitsche über den Köpfen seiner Vollblutpferde knallen. Sie galoppierten unter geneigten Palmen hindurch, vor einer Reihe königlicher Wachen schwang Meren den Wagen herum. Er ließ seine Männer und Diener vor den Palasttoren stehen und suchte den König in dem Zimmer auf, das neben seinen Privatgemächern lag, und von dem aus Tutenchamun die meisten seiner alltäglichen Geschäfte erledigte. Rahotep stand außerhalb des Zimmers und sprach mit dem Hauptmann der Stadtpolizei und einem Offizier der Bogenschützen, der unter Prinz Tanefer diente. Sie verstummten, als Meren den Amtsraum des Königs betrat und starrten ihn an. Tanefer stand auf einem Balkon und starrte auf die Stadt hinaus. Eine große Karte des Deltas lag auf einem Tisch ausgebreitet. Maja und Ay waren gerade dabei, dem König die Vermessungslinien zu zeigen, als Meren eintrat und sich verbeugte. »Ah, Meren.« Der König ließ die Karte liegen, bedeutete den Männern, ihm zu folgen und trat neben Tanefer auf den Balkon. »Erzählt es ihm«, sagte er zu Tanefer. »Ahiram ist heute morgen nicht zu seinem Wachdienst im Palast erschienen«, sagte Tanefer. 172
Das war also der Grund für die zusätzlichen Wachen. Er konnte die Gefahr förmlich spüren. Er hob eine Braue und bemerkte, daß Tanefers Gesicht vollkommen ausdruckslos war. »Vielleicht hat seine Wunde zu eitern begonnen?« »Er ist nicht zu Hause«, sagte Tanefer. Der König fuhr eilig fort. »Er ist in der ganzen Stadt nicht aufzufinden. Tanefer hat die Suche eingeleitet und herausgefunden, daß er vor Morgengrauen nach Norden gesegelt ist.« Meren versuchte, Tanefers Gesichtsausdruck zu deuten, aber sein Freund blickte wieder über die flachen Dächer der Stadt und stand mit dem Rücken zum Raum. Prinzen flohen nicht ohne Grund aus der Hauptstadt. »Verdammt, Meren«, sagte der König. »Ja, Majestät.« »Was hat er getan, daß er voller Furcht die Flucht ergreift?« fragte der König. »Ja, Majestät«, sagte Meren. »Dies ist eine Frage, die beantwortet werden muß.« Tanefer sah Meren schließlich doch noch an, sein Gesicht war immer noch ausdruckslos. »Ich habe um Erlaubnis gebeten, Ahiram zu verfolgen, aber der Göttliche hat sich entschlossen, nach Euch schicken zu lassen.« Der König schritt auf dem Balkon hin und her und schlug sich mit der Faust erbost gegen den Oberschenkel. »Er hat etwas getan, und er hat Angst, in meiner Nähe zu bleiben. Was bedeutet, daß ich seinen Männern nicht trauen kann.« »Euer Majestät spricht das Rechte«, sagte Meren. »Ihr habt sie entlassen?« Der König nickte. »Ich habe Tanefers Männer und meine gesamten Truppen einberufen. Ihr wißt, was ich will, Meren.« »Ja, Majestät«, sagte Meren, als er sich zum Gehen wandte. »Ich werde versuchen, ihn lebendig zu fassen.« 173
Plötzlich kniete Tanefer vor dem König nieder. »Bitte, Göttlicher, gestattet mir, Meren zu begleiten. Ich kenne Ahiram gut, und ich könnte in der Lage sein, ihn zum Aufgeben zu bewegen.« Der König suchte über Tanefers Kopf hinweg Merens Blick. »Nein. Es gibt zu viele Kämpfe am Hof, und ich brauche Männer, denen ich vertrauen kann. Dieser tollkühne Akt erfordert Merens besondere Fähigkeiten. Tatsächlich möchte ich wetten, daß einige seiner geheimen Machenschaften Ahiram veranlaßt haben, die Flucht zu ergreifen. Habe ich recht?« Meren hatte nicht vor, zuzugeben, wie verwirrt er tatsächlich war, deshalb verbeugte er sich lediglich vor dem König. »Die Wahrnehmung Eurer Majestät ist göttlich, wie immer.« »Lebt wohl, Meren. Das nächste Mal, bevor ihr einen meiner Wachen in die Flucht schlagt, könntet Ihr vorher darüber nachdenken, meiner Majestät davon zu berichten.«
Kapitel 13
K
ysen sah sich in Ahirams Schlafgemach um, während Meren den einzigen Diener befragte, den der Prinz zurückgelassen hatte, den Türsteher. Ihre Männer durchsuchten die anderen Teile des Hauses. Ahirams Familie, seine Frau, die drei kleinen Söhne und eine Tochter waren schon vor ein paar Tagen aufs Land geschickt worden, während der Prinz in Theben geblieben war. Sie waren sehr plötzlich aufgebrochen, und Ahirams Frau war nicht darauf vorbereitet gewesen. Ahiram hatte darauf bestanden, daß die meisten Diener sie begleiteten. In weniger als einer Woche hatte Ahiram das 174
Haus geräumt, es war niemand mehr da, der seine Aktivitäten hätte beobachten können. Nachdem er das in Erfahrung gebracht hatte, erhärtete sich Merens Verdacht so sehr, daß er seine Abreise nochmals verzögerte. Er sollte in nicht allzu langer Zeit die Schiffsreise antreten. Tanefer hatte den Türsteher bereits befragt, aber Meren tat es noch einmal. Als er über die fein gewobene Matte ging, beobachtete Kysen, wie der Mann seinen Kopf schüttelte, sich verneigte und ging. Tanefer hatte Ahirams plötzliche Abreise nicht erwähnt, aber Tanefer war einfach nicht daran gewöhnt, Nachforschungen für den Pharao anzustellen. Ahirams Haus war nicht so groß wie das von Meren, aber es war kostbar möbliert. Kysen hielt neben dem Bett aus poliertem Zedernholz inne. Die Bettpfosten waren wie Löwentatzen geformt und wie das Fußbänkchen mit Gold verziert. Das Zimmer selbst war am Boden und an der Decke mit einem Fries aus Lotusblumen verziert. Kleidertruhen waren geöffnet worden, ihr Inhalt war über den Boden, die Stühle und das Bett verstreut. Ahiram hatte gepackt und das Haus so hastig verlassen, daß seine Diener noch keine Zeit gehabt hatten, es wieder in Ordnung zu bringen. Eine Kiste, die neben einer Nische in der Wand gegenüber dem Bett gestanden hatte, war umgeworfen worden. In dieser Nische stand eine kleine Statue der fremden Göttin Ishtar. Jemand hatte Gürtel, Armbänder und andere Gegenstände aus der Kiste in der Nische und im Deckel des Kastens verstaut. Kysen hob einen goldenen, mit Türkisen besetzten Gürtel hoch, dann legte er ihn in die Nische neben die Statue zurück, wo auch ein Halter für Schreibgeräte stand, der wie eine Papyrussäule geformt war. Seine Hand glitt über ein Armband, ein breites, mit Scharnieren versehenes Goldband, an dem ein Anhänger in Form eines stilisierten Bootes befestigt war. In dem Boot ruhte die runde, blaue Scheibe des Mondes, die jede Nacht über den Himmel segelt. 175
Meren entließ den Türsteher und verließ ebenfalls den Raum. »Der Türsteher weiß nur wenig, denn auf seinem Posten hatte er nicht viel mit seinem Herrn zu tun«, sagte Meren, als er das Mondarmband in die Hand nahm. »Er sagt aus, daß Ahiram seine Familie weggeschickt hat, bevor Qenamun ermordet wurde. Nur drei Diener blieben außer dem Türsteher im Haus.« »Nachdem der königliche Arzt ihn gestern morgen besucht hat, ist er immer verstörter geworden. Interessanterweise hat er in dem Augenblick, da er nach Hause kam, den Befehl gegeben, das Haus zu bewachen. Alle drei Diener wurden zur Wache eingeteilt, aber er hat nicht gesagt, wonach sie Ausschau halten sollten.« »Er hatte Angst«, sagte Kysen. »Von dem Augenblick an, da er nach Hause kam, und ich kann mir keinen Grund dafür denken.« Meren legte das Mondarmband beiseite und lehnte sich gegen die Mauer neben der Schatulle. »Hast du nichts gefunden?« »Es ist so, wie Tanefer sagte. Er hat das Haus verlassen, ohne es in Ordnung bringen zu lassen. In der Küche sind noch Lebensmittel, wobei fast alles in den Abfall geworfen wurde.« Kysen deutete mit dem Arm auf das Zimmer. »Und wenn hier irgend etwas zu finden war, dann hat er es mitgenommen. Hier sind keine Papiere.« Meren ließ seinen Blick im Schlafzimmer umherwandern. Er bemerkte die Kleidung und andere persönliche Dinge, die überall im Zimmer verstreut lagen. Es herrschte eine Unordnung, die von Hast und nicht von Gewalteinwirkung zeugte. Er rieb sich das Kinn und warf Kysen einen Seitenblick zu. »Ich habe den Türsteher gefragt, ob er Kobras im Haus bemerkt hätte.« »Und?« »Nein«, antwortete Meren. Er verschränkte die Arme und betrachtete das Fries aus Lotusblumen. »Ich kann mir nur kein anderes wichtiges Ereignis denken, das Ahiram veranlaßt haben könnte, die 176
Flucht zu ergreifen, und wir wissen, daß er Qenamun kannte.« »Wenn du ein paar Schlangen gefangen hättest, wo würdest du sie halten und wie?« fragte Kysen. »Ich würde sie in einem Korb an einem abgelegenen Ort aufbewahren«, sagte Meren. »Aber nicht lange. Sie sind nur schwer zu verstecken, denn sie brauchen Futter… Nagetiere.« »Und im Hause eines Prinzen gibt es wegen der zahlreichen Dienerschaft nur wenige sichere Verstecke.« Meren stieß sich von der Wand fort und ging auf die Tür zu, Kysen folgte ihm. »Ja, also wenn ich meine Kobrasammlung verstecken wollte, würde ich versuchen, einen abgelegenen Ort zu finden, aber so etwas ist in einer Stadt wie Theben nicht leicht zu finden. Deshalb würde ich sie schnell fangen und sie schnell loszuwerden versuchen. Und die notwendige Eile hätte zur Folge, daß ich ein geeignetes Versteck in der Nähe finden müßte.« »Einer der Lagerräume«, sagte Kysen, als sein Vater ihn in die Küche führte. Abu und ein weiterer Krieger begleiteten sie. Meren ging durch die Küche zu einer Treppe, die in die Dunkelheit hinunterführte. Kysen fand eine Fackel und ging seinem Vater und den anderen nach unten voran. Unten fanden sie die üblichen Hinweise auf Haushaltstätigkeiten – das Zubereiten von Brotteig, das Weben und die Lagerung von Ölen, Wein und Gewürzen. »Keine Kobras«, sagte Kysen. Abu wirbelte herum und blickte ihm ms Gesicht. Vorsichtig begann Abu, alle Krüge zu öffnen, die nicht verschlossen waren. Der andere Krieger tat es ihm gleich. Meren ging an einem Mörser und einem Stößel vorbei, die neben einem Stapel Tabletts und Tonbechern auf dem Boden standen. Er ging um eine Gruppe von Ölkrügen herum und hielt inne. Er bedeutete Kysen, ihm zu folgen. Gemeinsam betrachteten sie die sieben Weidenkörbe, die in zwei Reihen – unten vier, oben drei – an der Wand stan177
den. Meren trat näher heran, streckte die Hand aus und schüttelte den oberen Behälter. »Ich glaube, er ist leer.« »Ich hoffe, du hast recht«, sagte Kysen. »Ich werde ihn öffnen, Herr.« Als er zwischen sie und die Körbe trat, ließ Abus Stimme keinen Zweifel daran, daß er nicht vorhatte, sie um Erlaubnis zu fragen. Der zweite Wagenlenker zog seinen Dolch. Abu hob den Deckel der Schachtel, wobei er sorgfältig darauf achtete, daß er die Öffnung von seinem Körper weg hielt. Er kippte die Schachtel zur Seite und sprang im selben Moment zurück. Nichts. Er schüttelte die nächste Schachtel. Irgend etwas klapperte, aber es klang wie Ton. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, daß es sich um die Scherben einer zerbrochenen Schüssel handelte. Abu benetzte seine Lippen und fuhr mit seiner Untersuchung fort. Die restlichen Schachteln waren ebenfalls leer, abgesehen von Klumpen getrockneter Binsen, die vielleicht zum Einpacken oder als Nest gedient hatten. »Verdammt«, sagte Meren. »Und ich muß bald fortsegeln.« »Wir werden hier weitermachen«, sagte Kysen, während er seinem Vater über die Treppe nach oben folgte. Meren war auf dem Weg durch die Empfangshalle, als er plötzlich stehenblieb, so daß Kysen beinahe mit ihm zusammengestoßen wäre. »Warte.« Er blickte zurück in die Haupthalle. »Reia.« Der Krieger verließ die Halle, um zu ihnen zu kommen. »Ja, Herr.« »Hast du in die Abfallgrube hinter dem Haus geschaut?« »Ja, Herr.« »Irgend etwas Ungewöhnliches?« »Nein, Herr. Das Übliche – Abfall, verdorbene Lebensmittel, Ungeziefer.« 178
»Ungeziefer?« fragte Kysen und blickte seinen Vater an. »Ja, Herr. Es sieht aus, als wären die Katzen des Prinzen sehr fleißig gewesen. Jemand hat einen Sack mit toten Mäusen in die Grube geworfen.« Kysen tauschte einen Blick mit Meren. Er wandte sich um und nickte Reia zu. »Ich werde mich darum kümmern«, sagte er zu Meren. »Komm, Reia, wir werden uns diese Mäuse mal ansehen.« Meren stand am Bug des schnellsten Schiffs seiner Flotte mit Namen Schwingen des Horus, und hielt den Kopf in den Nordwind. In der Nähe hielt der Lotse in den lapislazuli-blauen Gewässern des Nil nach der nächsten Sandbank Ausschau, während dreißig Ruderer gleichzeitig zum Rhythmus des Gesangs ruderten. Das Schiff war lang, niedrig und schlank und war eines der größten privaten Schiffe auf dem Nil. Der Rumpf war schwarz bemalt, die Reling war rot und gold, und jedes andere Boot auf dem Fluß wich seiner dunklen Bedrohung; Boote und Frachter wurden zusammengetrieben wie Vieh von einem Leoparden. Meren hatte eine doppelte Mannschaft an Bord befohlen. Er mußte Ahiram fangen, selbst wenn das bedeutete, bei Nacht zu segeln. Hinter ihnen fuhren Versorgungsschiffe, die Nahrungsmittel, Waffen, Wagen und Pferde an Bord hatten. Seine Hand zuckte fast vor Ungeduld. Sowohl bei Hof als auch im Tempel des Amun hatte er wegen eines toten Priesters ein Nest voller Skorpione aufgescheucht, und das Ergebnis waren ein zweiter Mord und die Flucht eines Prinzen gewesen. Bevor er die Körbe gesehen und die Sache mit den Mäusen herausgefunden hatte, war er nicht sicher gewesen, daß alle drei Ereignisse etwas miteinander zu tun hatten. Er hatte geglaubt, durch all die Jahre bei Hof mittlerweile vielleicht zu mißtrauisch geworden zu sein. Jetzt jedoch … 179
Er blickte zurück zum Heck, wo der Steuermann die riesigen Steuerruder bediente, die an der Ruderpinne befestigt waren. Sowohl backbords als auch steuerbords konnte er hören, wie die Ruder in den Seilen knarrten, mit denen sie befestigt waren, und er vernahm das Geräusch der Ruderblätter, die das Wasser durchpflügten. Der rhythmische Gesang der Ruderer wurde vom Plärren der Trompeten übertönt, mit denen drei Seemänner andere Boote warnten. Er hatte noch nicht einmal Zeit gehabt, seine Amtsinsignien abzulegen, nachdem er Ahirams Haus verlassen hatte, und die Sonne brannte so heiß, daß er das Gefühl hatte, seine goldenen Gelenkbänder an den Armen müßten zerschmelzen. Abu und seine Offiziere hatten Befehl, nach Ahirams Jacht Ausschau zu halten. Krieger standen an der Reling und suchten jeden Anlegeplatz, jede kleine Insel und jeden Sumpf nach dem auffälligen rot-gelben Gefährt des Prinzen ab. Wegen der Durchsuchung des Hauses hatte Meren erst einige Stunden, nachdem er den König verlassen hatte, ablegen können, und jetzt hatte die Sonne schon lange den Zenit überschritten. Dorf um Dorf, verborgen in der grünen Vegetation, ließen sie hinter sich zurück. In der Ferne ragten die kahlen braunen Berge und Felsen der Wüste auf, die bereit schienen, sich auf das schmale blaue Band des Nil zu stürzen. Meren hatte befohlen, die Fahrt zu verlangsamen, als das Schiff Gebtu passierte, eine Stadt, an der der Fluß eine der Straßen kreuzte, die durch die östliche Wüste zur Küste des Roten Meeres führte. Diese Straße war die Verbindung zu den Pfaden, die zu den Gold und Kupferminen und zu den Steinbrüchen führten, die am Wegesrand lagen. Wenn er selbst flüchten müßte, würde er vielleicht versuchen, einen der Häfen am Roten Meer zu erreichen, statt die naheliegende Route zum Delta und zum Großen Meer zu wählen. Aber es war keine rotgelbe Jacht in Sicht. 180
Jetzt eilten die Schwingen des Horus nach Norden, der Stadt Iunet zu, dem Sitz eines der größten Tempel, die Hathor gewidmet waren, der Göttin der Liebe, der Musik, des Tanzes und des Vergnügens. Wenn die Jagd noch weiterging, dann würde er an seinem eigenen Landhaus vorbeifahren, ohne bei seinen Töchtern vorbeischauen zu können. Ahiram sollte verflucht sein. Warum? Warum sollte er den Lesepriester töten? Und was war mit dem Reinen? Nur der Schatten eines Verdachts verband Unas mit Qenamun und Ahiram. Meren hatte sich das eingestehen müssen. Er hatte nichts davon gehört, daß die drei sich jemals miteinander unterhalten hätten, obwohl Qenamun und Ahiram einander kannten. Ahiram war in der letzten Zeit empfindlich und gereizt gewesen; das hatte Meren wohl bemerkt. Aber angesichts diese Kontroverse, die den Hof derzeit in zwei Lager spaltete, ging das doch allen so. Meren hatte nicht den Anschein erweckt, daß er Ahiram des Mordes verdächtigte, also warum hatte der Prinz seinen Mut verloren? Etwas wahrhaft Beängstigendes mußte Ahiram zur Flucht veranlaßt haben. Etwas Schwerwiegenderes als einfach nur ein Unfall bei einer Nilpferdjagd. Meren mutmaßte, daß einer der Priester im Haus des Lebens Ahirams Schuld entdeckt und ihn bedroht haben könnte. Immerhin war Ebana zugegen gewesen, als Qenamun starb. Er war an dem Abend, als die Kobras in Qenamuns Schreibschatulle gelegt worden waren, gleichzeitig mit Ahiram im Haus des Lebens gewesen. Meren konnte nur zu den Göttern beten, daß Ahiram noch am Leben war, wenn er ihn fand, damit er seine Fragen beantworten konnte. Meren ging zurück zum Deckhaus in der Mitte des Schiffes und betrat sein Quartier, wo sein Leibdiener ihn von seinem Hofgewand befreite. Er nahm die lange, heiße Perücke von seinem Kopf und fuhr sich mit der Hand durch die dicken Locken, die wie bei den meisten Kriegern kurz geschnitten waren. Er wusch sich, dann legte 181
er ein einfaches Gewand an. Als sein Diener ihn mit einer weiteren schweren Perücke und mit schweren Armreifen schmücken wollte, verweigerte er diese und wählte statt dessen ein leichtes Kopfband aus Gold und Malachit. Er hatte nicht vor, in einer sperrigen Höflingsrobe einem erfahrenen Krieger hinterherzujagen. Er ging nach draußen und stellte sich zwischen die beiden schlanken Säulen, die das Sonnensegel vor dem Deckhaus stützten. Ein Koch namens Thay, der Meren schon seit seiner Jugend begleitete, erhob sich aus seiner knieenden Position vor einer Kohlenpfanne und schob ihm einen Teller mit Rindfleisch zu. »Der Herr hat den ganzen Tag noch nichts gegessen.« Meren nahm den Teller und wünschte, er wäre nicht dauernd von Menschen umgeben, die es für ihre Pflicht hielten, seine Gewohnheiten zu beaufsichtigten. Thay klatschte in die Hände, und aus dem Deckhaus trug ein Junge einen Stuhl herbei. Der Knabe stellte den Stuhl vor einen Tisch, auf dem schon ein Krug und ein Kelch standen. Dann stellte er sich daneben. Der Junge beobachtete Meren. Ebenso der Koch. Meren seufzte und ging zu dem Stuhl. Er warf Thay einen wütenden Blick zu und biß ein großes Stück Fleisch ab, an dem er voller Groll kaute. Der Koch nickte zufrieden, holte Brot aus einem Korb und schob es Meren zu. Während er aß, versuchte er darüber nachzudenken, welchen Grund Ahiram gehabt haben konnte, Qenamun den Tod zu wünschen. Soweit er wußte, waren sie nur miteinander bekannt gewesen. Welche Gefahr hätte Qenamun für den königlichen Prinzen darstellen können? Er wußte noch nicht genug, um diese Frage zu beantworten. Meren hatte sein Mahl fast beendet, als am Bug ein Ruf erklang. Er schluckte den letzten Rest Wein hinunter, warf den Becher dem Jungen zu und schritt über das Deck zu Abu und einigen Kriegern. 182
»Seht, Herr!« Abu deutete auf eine gelb-rote Jacht, die gerade vom Kai am Ostufer ablegte. Meren rief dem Lotsen einen Befehl zu, der ihn an den ersten Ruderer weitergab. Er spürte die Woge, als die Ruder sich tief in das Wasser hinabsenkten und die Geschwindigkeit der Züge sich verdoppelte. Der Steuermann schwang das Steuerruder herum. Die Schwingen des Horus fuhren um einen schwerfälligen, mit Kalksteinblöcken beladenen Lastkahn, bogen scharf um eine Sandbank und steuerten direkt in den Kurs der Jacht. Hinter ihnen glitten Merens Versorgungsboote heran und blockierten ihrem Opfer den Weg vollständig. Innerhalb kurzer Zeit wurde eine Planke zwischen den Schwingen des Horus und der Jacht niedergelassen. Meren und einige seiner Männer gingen an Bord des kleineren Schiffes, fanden aber nur eine verwirrte und verängstigte Mannschaft samt ihrem Kapitän vor. Ein weiteres kleineres Boot, das Ahiram gehörte, war schon zu früherer Stunde mit Dienern und Sklaven an Bord davongesegelt. Ahiram war vor nicht allzu langer Zeit am Ostufer ausgestiegen. Der Kapitän hatte den Befehl erhalten, nach Norden zu segeln, zu einem kleinen Gut, das einem Freund Ahirams gehörte. Meren ließ die Besatzung der Vorratsschiffe zurück, damit diese sich um die Jacht kümmerten, und ging zusammen mit Abu an Land. Er schickte seine Männer voran, um den Hafen zu durchkämmen. Kurze Zeit später kam einer mit der Nachricht zurück, daß Ahiram sich auf den Weg durch die Wüste gemacht hatte. Er war mit einigen seiner Männer losgezogen, und sie hatten die Wagen genommen. Meren wartete ungeduldig darauf, daß sein eigener Wagen und seine Pferde abgeladen wurden. Er starrte über den Fluß hinweg nach Westen. Die Sonne ging schon unter. Ihr fast weißer Glanz verwandelte sich in ein tiefes Gold. Es würde ihnen nicht gelingen, Ahiram vor dem Einbruch der Nacht zu fassen. Gleich nachdem sein Stallknecht seine Vollblutpferde angeschirrt 183
hatte, stieg Meren in seinen Wagen. Abu schob einen Köcher in das Seitenteil und reichte Meren den Dolch. Während Abu die Zügel nahm, überprüfte Meren seine Lanzen und seinen Krummsäbel. Dann warf er einen Blick zurück auf die vierzehn Wagen, die hinter ihm in einer doppelten Reihe aufgestellt waren, und rief ihnen den Befehl zu, sich in Bewegung zu setzen. Zuerst ließen sie die Pferde traben, dann verfielen sie in vollen Galopp. Die Docks verschwanden hinter ihnen; Gruppen von Reisenden wichen ihnen aus. Ein Führer auf dem Rücken eines Pferdes führte die Gesellschaft um die großen Karawanen herum, die sich langsam nach Westen auf die entfernten Minen und Steinbrüche zubewegten. Ebenso umgingen sie jene, die mit fremder Ladung in Richtung Westen zogen. Meren umklammerte die Seitenwand seines Wagens und stemmte die Beine in den Boden, als das Fahrzeug über ausgefahrene Furchen und Steine ruckelte. Staub und Kies flogen ihm ins Gesicht, aber sein Blick suchte unermüdlich den Horizont ab, während die Wagen die kahlen Hügel nahmen und über den steinigen Grund der Wüste dahinbrausten. Bald trafen sie keine Reisenden mehr. Aber auch von Ahiram fehlte jede Spur, und hinter ihnen versank die Sonne schnell im Meer. Wenn die Schwingen des Horns nicht so schnell gewesen wären, hätte er den Abstand zwischen ihnen niemals in diesem Maße verringern können. Jetzt aber mußte er auf die Überlegenheit seiner Pferde vertrauen. Das beständige Training der Tiere würde sich nun in ihrem Durchhaltevermögen und ihrer Schnelligkeit bezahlt machen. Die Frage war nur, hatte Ahiram bessere Tiere? Der Voranreitende wurde langsamer. Plötzlich deutete er auf den Horizont, schrie auf und wich nordwärts von der Straße ab. Er sprang von seinem Pferd ab und beugte sich über etwas im Wüstensand. Das Licht wurde langsam schwächer, als Merens Wagen neben dem Späher anhielt. 184
»Herr, hier hat eine Gruppe von Wagen die Straße verlassen.« Meren betrachtete die flachen Spuren im cremefarbenen Staub. Eine Gruppe von mindestens sieben Wagen, keine Karawane mit Packtieren und Fahrern, die zu Fuß gingen – Ahiram. Die Spuren mußten ganz frisch sein, sonst hätte der Wind sie verweht. Niemand verließ die Straße und fuhr nachts in die Wüste – es sei denn, er würde dazu gezwungen. Hatte Ahiram den Verstand verloren? Hatte ihn der Mut verlassen? Vielleicht hatte er Banditen gesehen, die ihn verfolgten? Oder wollte er jemanden treffen? »Folgt den Spuren«, befahl Meren. Er sprang wieder in seinen Wagen, und Abu ließ die Zügel auf die Rücken seines Gespanns niedersausen. Zu beiden Seiten ihres Wagens verteilten sich die Männer. Peitschenknallend entfernten sie sich von der Straße des Roten Meeres. Wenn sie Ahiram nicht bald fanden, würden sie aus Angst davor, seine Spur in der Dunkelheit zu verlieren, anhalten müssen. Sie bewegten sich nun im Trab. Meren wollte gerade den Befehl zum Anhalten geben, als durch die Nachtluft ein Laut an sein Ohr drang. Er kannte diesen Klang, dieses hochklingende, wortlose Getöse: Stöhnen und das Scheppern von Metall gegen Metall – das Geräusch eines Kampfes, der in einiger Entfernung stattfand. Er warf einen Blick auf Abu, dann wandte er sich um, rief einen Befehl und winkte mit dem Arm in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Ein Kriegsruf stieg aus den Kehlen der Krieger auf, und die Gruppe galoppierte los in Richtung des Hügels. Auf der Hälfte des Weges zwischen dem Hügel und dem Horizont entdeckte er das Scharmützel. Eine Gruppe von Männern kauerte hinter umgeworfenen Wagen und toten Pferden und kämpfte gegen eine Gruppe von Männern; offensichtlich Banditen. Als Meren und seine Männer auf sie zurasten, ließen die Angreifer von ihren Opfern ab. Manche kletterten in verlassene Wagen, während ein paar andere sich auf die Rücken der 185
Pferde schwangen, die sich aus ihrem Geschirr gelöst hatten. Sie kämpften mit den Tieren, bis sie in Galopp verfielen. Andere warteten lang genug, um eine Pfeilsalve von sich zu geben. Meren langte über die Seitenwand seines Wagens hinweg nach seinem Schild und rief eine Warnung. Er hörte das wütende Surren der Pfeile. Er hob sein Schild in die Höhe, so daß es Abu und ihn selbst deckte und hielt sich mit dem freien Arm am Wagen fest. Drei Geschosse trafen das Schild, bevor er einen Blick riskierte. Die Angreifer hatten sich zerstreut und zogen sich nun zurück. Um ihn herum sah er, wie Krieger das Gegenfeuer auf die, die noch in Reichweite waren, eröffneten, während die Wagenlenker ihre Fahrzeuge auf den Feind zulenkten. Mit jener Leichtigkeit, die man nur durch jahrelange Übung erwerben kann, griff er nach seinem eigenen Bogen, spannte ihn und schoß einen Pfeil ab. Wie alle Krieger war er darin geübt, Pfeile abzuschießen, während er von einem Wagen durchgerüttelt wurde. Er ließ schnell wieder los und hörte das dumpfe Geräusch, als sein Bogen zurückschnellte. Der Pfeil beschrieb einen flachen Bogen und landete in der Brust eines Banditen, der zu lange mit der Flucht gewartet hatte. Meren stellte den Bogen zurück in den Schaft und griff nach seinem Krummsäbel. Doch als sie am Ort des Geschehens angelangt waren, war auch der letzte Räuber verschwunden. Meren sprang von seinem Wagen, noch bevor dieser anhielt. Kein Mann stand mehr aufrecht, deshalb machte er seinen Männern ein Zeichen, die Banditen zu verfolgen. Zwei Wagen blieben zurück. Mit Abu an seiner Seite ging Meren von Leiche zu Leiche. Die meisten der Opfer schienen zu Ahirams Wachen zu gehören. Auch ein unbewaffneter Mann lag da, dem groben Stoff seines Gewandes nach ein Diener, zweifellos einer von denen, die Ahirams Türsteher erwähnt hatte. Meren ging am Leichnam des Dieners vorbei. Er deutete auf ein verwundetes Pferd. Einer der Krieger zog ein kurzes Schwert. 186
Meren drehte sich weg und sah den verhüllten Leichnam eines Banditen. Er wollte gerade daran vorbeigehen, als ihn seine Gründlichkeit zwang, sich hinabzubeugen und an dem Mantel zu ziehen. Der Körper rollte zur Seite, der Mantel fiel zurück. Der Bandit war durch einen Pfeil in den Hals getötet worden. Er trug das Haar in Flechten, die von Lederriemen zusammengehalten wurden, und im Gegensatz zur ägyptischen Mode war sein Bart in kunstvolle Löckchen gelegt. Meren war durch die Rüstung des Kriegers irritiert, eine Schicht aus bronzenen Schuppen. Er kniete nieder und betrachtete das Kurzschwert, das neben der Hüfte des Mannes zu Boden gefallen war. Dann hob er den rechten Arm des Banditen. Das rechte Handgelenk war dicker als das linke, der rechte Unterarm war muskulöser und kreuz und quer von Narben überzogen. Meren erhob sich und rieb sich das Kinn. Er hörte ein Stöhnen und wirbelte herum, um sich den Mann anzusehen, den er für einen weiteren Leichnam gehalten hatte. Er erkannte eine vertraute kleine Gestalt, die mit dem Gesicht nach unten neben einem umgefallenen Wagen lag. Er kniete neben Ahiram nieder und drehte ihn auf den Rücken. Gesicht, lockiges Haar und spitzer Bart waren mit einer Schicht aus Staub und Blut bedeckt. Ahiram keuchte und hielt sich den Bauch. Sein anderer Arm lag in einer Schlinge. Meren versuchte, die Hand von der blutenden Wunde fortzuziehen, aber Ahirams riß voller Angst die Augen auf. »Meren.« Ahiram rang nach Atem, und seine blutbesudelte Hand griff nach Merens Arm. »Seid vorsichtig. Er wird auch Euch betrügen.« »Wer? Habt Ihr Qenamun getötet?« Ahiram starrte zu ihm hinauf, zwischen seinen Atemzügen machte er lange Pausen. Meren legte seine Hand über die von Ahiram. »Habt Ihr ihn getötet? Warum seid Ihr geflohen?« 187
Er hörte ein langes, gurgelndes Einatmen. Meren fluchte; diesen Laut hatte er schon zu häufig gehört. Er war nicht überrascht, als aus Ahirams Augen das Leben wich, und sein Körper erschlaffte. Meren stand auf und ging einen Schritt zurück, sein Blick glitt suchend über den toten Mann hinweg und bemerkte das weite, zerrissene, dunkelbraune Gewand. Ahiram hatte seinen ägyptischen Rock ausgezogen und die wollene Kleidung eines Asiaten angelegt, genau wie seine Gefährten. Die Angreifer hatten ihre Opfer sämtlicher Juwelen und Waffen beraubt. Es war nur wenig übriggeblieben, was man einer Überprüfung hätte unterziehen können. Ahiram war barfüßig; hatten sie den Toten sogar ihre Sandalen abgenommen? Meren dachte gerade über den seltsamen Zufall nach, daß der Mann, den er jagte, auf Banditen gestoßen war, als die Sonne hinter dem Horizont versank. Ein letzter Strahl feurigen Lichts fing sich im Gold einer Sandale, die ein paar Schritte von Ahirams Körper entfernt auf dem Boden lag. Meren starrte sie an, in Gedanken immer noch mit der Frage beschäftigt, wer die Angreifer wohl gewesen sein mochten. Dann blinzelte er und ging auf die Sandale zu. Abu hielt eine Fackel in der Hand und folgte ihm. »Die Leichname sind geplündert worden«, sagte Abu, als Meren die Sandale langsam aufhob. »Aber ich glaube, bei den meisten handelt es sich um Offiziere, die unter Ahiram dienten. Sollen wir ein Lager für die Nacht aufstellen, Herr?« Meren antwortete nicht. Er drehte die Sandale um und ließ seine Finger über die Oberfläche gleiten – Holz, das mit einer geriffelten Schicht aus Baumrinde, Leder und Blattgold verziert war. Ein wertvolles Stück. Die Sandale eines Prinzen. Er wollte sie gerade fortwerfen, aber dann zögerte er. Etwas daran schien ihm allzu vertraut. Er hielt sie näher an das Licht der Fackel heran und studierte das in der Sohle eingelassene Muster. Zwei Gefangene, ein Asiate und ein Nubier, die mit den Stengeln des ägyp188
tischen Lotus zusammengebunden waren. Über und unter den Figuren waren einige Bogen abgebildet. Diese Darstellung der traditionellen Feinde Ägyptens auf der Sohle einer Sandale war ein üblicher Kunstgriff, durch den es dem Träger ermöglicht wurde, seine Feinde im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen zu treten. Nur wenige Männer nannten solches Schuhwerk ihr eigen. Es war Königen vorbehalten, aber keinesfalls fremden Prinzen wie Ahiram. Mit wachsender Beunruhigung suchte Meren in seinem Gedächtnis, wann er diese Sandale schon einmal gesehen hatte. Sie war zu groß, um dem König zu gehören, und das Schuhwerk des Pharao bestand in der Hauptsache aus Gold. Manche Schuhe ähnelten diesem hier, aber keiner trug das rautenförmige Muster aus rot-goldenem Metall. Aber Meren hatte diese Sandale schon einmal gesehen, vor langer Zeit. Er schloß die Augen und kramte angestrengt die Erinnerung hervor, eine, die er bewußt in die dunklen Winkel seines Ka verbannt hatte. Er war im Kerker gewesen und mußte die Auspeitschung ertragen, die Echnaton angeordnet hatte, weil er nicht an den Lieblingsgott des Pharao, die Sonnenscheibe des Aton, glaubte. Er lag auf dem Bauch, seine Wange war auf den Bodens gedrückt. Ein Luftzug traf ihn, und er öffnete die Augen, um einen Fuß unter dem Saum durchsichtigen Leinens zu sehen, einen Fuß, der in dieser Sandale steckte. Ein Fuß, der auf seine Feinde trat – auf die Feinde des Herrschers über das Zweifache Reich. »Verdammte Dämonen und immerwährendes Feuer«, murmelte Meren. »Herr?« Meren griff nach Abus Arm und zog ihn von den anderen fort. Er schob Abu die Sandale in die Hände, der sie sorgfältig betrachtete. »Die gehörte nicht Prinz Ahiram.« Abu betrachtete ihn jetzt mit wachsamem Blick. »Ja, Herr?« 189
»Als ich diese Sandale zum letzten Mal gesehen habe, steckte sie am Fuß des toten Königs.« »Aber…« Sie starrten einander an und dachten fünf Jahre zurück. Echnaton war ohne Vorzeichen gestorben, ein Opfer der Seuchen, die das Königreich von Palästina, Syrien und dem Königreich zwischen Euphrat und Tigris befallen hatten. Das war jedenfalls das, was der Hof erfuhr. Das war es, was Ay Meren sagte. Echnaton war verstorben, kurz nachdem er Tutenchamuns älteren Bruder, Smenchkare, zum Mitregenten ernannt hatte, damit er die Last des Regierens mit einem jüngeren Mann teilen konnte. Alle Bewohner des Zweifachen Reiches hatten getrauert – wenn auch nicht gerade tief oder lang. Und dann war Echnaton begraben worden, entgegen der Tradition in einem Grabmal östlich seiner Ketzerstadt statt am Westufer des Nils. Bald schon folgten ihm eine seiner Töchter und der junge Smenchkare. Die Krone Ägyptens war auf den einzigen männlichen Erben, den jüngsten der drei Brüder, Tutenchamun, übergegangen. Meren hätte glauben können, daß Echnatons Tod durch die Seuchen hervorgerufen worden war, wenn er nicht die Spuren der wahren Krankheit bei Smenchkare gesehen hätte. Echnatons Tod war ein plötzlicher gewesen, ohne Fieber, ohne Verzögerungen. Aber das Königreich brauchte Stabilität, nicht den Zwist, der durch den Verdacht des Königsmordes aufkommen konnte. Tutenchamun, ein neunjähriger Knabe, brauchte eine Unterstützung, eine Wachsamkeit, einen Schutz. Deshalb hatte er der Beisetzung Echnatons, des Königs von Ägypten, beigewohnt und hatte die Priester und Diener beobachtet, wie sie alle Besitztümer des Pharao in reich verzierte Kästen und Schatullen verpackten. Diese waren im Grab Echnatons verborgen worden, das er für sich selbst hatte errichten lassen, das aber niemals vollendet worden war. Der Hof verließ die Ketzerstadt und ließ einen kleinen Stab zur 190
Bewachung der königlichen Gräber zurück, in denen der fanatische Echnaton, seine unvergleichliche Königin Nofretete und einige ihrer Töchter begraben lagen. Und dort, in der verlassenen Hauptstadt, tief unter der Erde im königlichen Grab sollte diese Sandale eigentlich liegen. »Die Sandale des Königs«, flüsterte Abu. Merens Gedanken rasten – er suchte fieberhaft nach einer Erklärung. »Du weißt, wovon ich spreche. Wir wissen beide, wie sehr Echnaton gehaßt wurde. So vielen wurde ihr Besitz weggenommen, so viele Leben wurden ruiniert. Ahirams eigener Vater fand wegen Echnaton den Tod.« Abu schauderte, als er die Sandale betrachtete. »Er ließ die Namen der Götter an ihren Tempeln ausradieren und rief den Zorn des Amun auf uns alle herab. Seuchen, Hunger –« »Der Zorn des Amun!« Meren starrte Abu an. »Herr«, sagte Abu, »Wollt Ihr damit sagen –« »Sprich es nicht aus«, sagte Meren scharf. Er warf die Sandale Abu zu. »Verstecke die Sandale und sprich mit keinem darüber. Mit keinem. Wir gehen.« »Aber Herr, die anderen sind noch nicht zurückgekehrt.« »Abu, sieh dir den Banditen an. Das ist kein einfacher Krimineller. Das ist ein Krieger, der sich noch nicht einmal viel Mühe gemacht hat, es zu verbergen. Laß einen Mann zurück, der auf die anderen wartet. Sie sollen unsere Gefangenen zum Hafen bringen. Wir werden sofort auf das Schiff zurückkehren.« »Bei Nacht?« Meren hörte gar nicht zu. Er wandte sich um und lief zu seinem Wagen zurück. Abu rannte hinter ihm her und sprang auf, als Meren schon die Zügel auf die Rücken der Pferde niedersausen ließ. Während Abu den Männern am Ort des Scharmützels Befehle zurief, drehte Meren den Wagen ab und fuhr auf die Wüstenstraße zu, die sie verlassen hatten. 191
Abu wäre beinahe aus dem Fahrzeug gefallen, als es über einen Stein holperte. Er landete auf den Knien und umklammerte die Seitenwände des Wagens. »Wohin fahren wir, Herr?« »An einen Ort, von dem ich glaubte, daß ich ihn nie wieder sehen würde«, sagte Meren, während er die Zügel nach rechts zog, um das Gespann südwärts zu lenken. »An einen Ort von großer Schönheit, an einen Ort des Todes – zum Horizont der Sonnenscheibe, nach Achet-Aton.«
Kapitel 14
S
echs Tage später fuhr Meren seinen Wagen im Morgengrauen ein neben dem königlichen Wadi gelegenes Tal hinab, das außerhalb der Ketzerstadt der Sonnenscheibe lag, die man Achet-Aton nannte. Krieger, Priester und Wachen folgten ihm im Trab, ihre Gesichter waren verzerrt, und zwar mehr aus Angst als vor Anstrengung. Meren hielt am Eingang zu Echnatons Grab an, einem Loch, das von vier Männern bewacht wurde, die mit einfältiger Miene vor sich hinstierten, als er seine Zügel einem schnaufenden Priester zuwarf. Er erwartete nicht, hier irgend etwas zu sehen, aber er ging an den Wachposten vorbei, eine Reihe von Treppenstufen hinab und trat in die Dunkelheit. Der oberste Begräbnispriester folgte ihm und fummelte an einem Docht herum. Meren wartete – seine Peitsche schlug ungeduldig gegen den Oberschenkel – bis der Mann die Lampe angemacht hatte. Dann wandte er sich um und stieg weiter 192
hinab. Nach ein paar Schritten stand er vor einer Wand, deren Oberfläche man mit Mörtel geglättet hatte. Das Siegel der Nekropole. Er besah sich den Abdruck eines liegenden Schakals, der über neun Gefangene wachte, und die Kartusche Echnatons. Nichts war zerstört. Die Abdrücke waren genauso deutlich zu sehen wie an dem Tag, da er beobachtet hatte, wie sie in den weichen Mörtel gepreßt wurden. »Ihr – Ihr seht, Herr«, sagte der Begräbnispriester. »Unberührt. Ich bin sehr gewissenhaft, äh …« Ohne ein weiteres Wort wandte Meren sich ab und stieg die Treppen wieder hinauf. Der Eingang zu Echnatons Grab zeigte nach Osten, auf die aufgehende Sonne, seinen Gott. Meren blinzelte, als er dem Grab entstieg und seinen Blick über das Tal und die Hügel in der Umgebung schweifen ließ. Das Grab des Pharao lag am Ende eines langen Ganges, der in den Hügel hinabführte. Ein Trampelpfad verlief seitwärts den Hügel hinauf. Merens Erscheinen ließ die draußen auf ihn wartenden Männer plötzlich verstummen. Abu löste sich aus einer Gruppe ängstlicher Priester, als Meren zu seinem Pferdegespann ging. Keiner sprach, bis Abu fragte: »Ist alles in Ordnung, Herr?« Meren flüsterte seiner Stute etwas zu, und sie liebkoste seine Wange mit den Nüstern. »Die Siegel sind unberührt, aber das hat nichts zu bedeuten. Wir werden sehen, was hinter dem Hügel hegt.« Sein Ka wußte, daß er zu spät kam. Er ließ die Wagen stehen und erklomm mit seinen Männern die Böschung über dem Grab, bis der Wadi unter ihnen lag. Steine fielen geräuschvoll den Hügel hinab, als ihre Füße auf dem unebenen Boden ausrutschten. Meren sah über die Fläche aus Felsen und Sträuchern – verlassen, leblos, ohne einen Hinweis auf Räuber oder auf Ausschachtungen. Hinter ihm ging die Sonne sehr schnell auf, 193
und die Krieger stellten sich zu seinen beiden Seiten in einer Reihe auf und inspizierten die Weite der Wüste, die sich bis zum Horizont erstreckte. Meren schüttelte den Kopf. »Vielleicht müssen wir sogar das Grab öffnen.« »Öffnen – Herr, seid Ihr sicher?« fragte Abu. Meren warf seinem Gehilfen einen Blick zu und hörte, wie er ein Gebet gegen Dämonen und Wüstenungeheuer sprach. Erneut warf er einen prüfenden Blick auf die Wüste. »Glaubst du vielleicht, daß ich das unbedingt möchte? Ich sagte dir, ich habe diese Sandale gesehen –« Er hielt inne, als er einen langen Schatten bemerkte, den eine Unregelmäßigkeit im Wüstenboden zu werfen schien. Er begann darauf zuzugehen, wurde schneller, schließlich rannte er. »Herr, wartet!« Abu stampfte wie seine Männer hinter ihm her. Meren umrundete einen großen Felsblock und blieb stehen. Abu kam abrupt neben ihm zum Halten. Beide starrten auf den Schatten, der, wie sie nun sahen von einem breiten, fast flachen Stein kam, nicht groß genug, um das Loch zu verbergen, auf dem er lag. Meren erhob seine Hand, als sich einige Männer um ihn scharten, und sie traten zurück. Er untersuchte den Boden um das Loch, aber die spärliche Erde ließ keine Fußspuren erkennen. »Bewegt ihn«, sagte Meren. Abu und zwei weitere Männer schoben den Stein beiseite. Ein Schacht wurde sichtbar. Er führte in östlicher Richtung in die Erde, also in Richtung des Grabes. Meren blickte von Abu zu den anderen Kriegern auf und betrachtete ihre beherrschten, angespannten Gesichter. Dann blickte er über ihre Schultern hinweg und sah, wie einige Begräbnispriester auf sie zustolperten. »Habt ihr etwas gefunden, Herr?« keuchte der Oberpriester. 194
Die Krieger vor dem Schacht traten zur Seite. Der Priester kreischte, während sich aus den Kehlen seiner Gehilfen ein Schrei zum Himmel hob. »Ruhe!« bellte Meren. Er hatte noch nie einen Priester wie einen erschreckten Hund zittern sehen. »Ihr«, sagte er zu dem Oberpriester, »sucht nach einem Mitglied Eures Stabs, schlank genug, um in diesen Schacht zu passen, und schickt ihn her. Laßt außerdem Arbeiter aus dem Tempel holen. Das Grab muß geöffnet werden.« Der Priester starrte ihn an, sein Unterkiefer fiel vor Entsetzen herab. »Glotzt mich nicht an. Gehorcht!« Als die Priester sich wieder in das Königliche Tal trollten, deutete Meren mit einem Kopfnicken auf die Krieger und sagte zu Abu: »Ich werde Männer hier lassen, um dafür zu sorgen, daß keiner von ihnen die Flucht ergreift. Dieser Tunnel kann nicht ohne Hilfe einiger Priester des Begräbnistempels zustande gekommen sein, besonders nicht ohne die Tempelwachen. Wir werden die Wagen hierher bringen und unsere Suche in westlicher Richtung fortsetzen, aber wir werden einige Mühe haben, die Plünderer aufzuspüren.« »Warum, Herr?« Meren starrte in den dunklen Schacht hinab. »Weil ich vermute, daß Ahiram das meiste der gestohlenen Schätze aus Ägypten hinausgeschafft hat, als ihm vor ein paar Wochen der Mut zu schwinden begann. Und weil einige der Plünderer bereits tot sind. Sie wurden vor einigen Tagen von jemandem an der Straße zum Roten Meer getötet, noch bevor ich sie aufstöbern und befragen konnte. Und nun muß ich mich fragen, warum ein Prinz wie Ahiram das Grab eines Königs ausgeraubt hat.« Mehr als vierzehn Tage nach der Abreise, schritt Meren in die Empfangshalle seines Hauses in Theben. Er war so müde, daß er 195
kaum merkte, wie ihm der Türsteher die Peitsche abnahm. In dem schwachen Licht der Alabasterleuchten konnte er Kysen auf sich zukommen sehen. Hinter seinem Rücken hörte er, wie Abu den Dienern Befehle erteilte. Er lehnte sich gegen eine schlanke Säule und preßte die Stirn dagegen. »Vater?« Er richtete sich auf und lächelte Kysen zu. »Eine lange Reise. Ich bin sogar an Baht vorbeigekommen und konnte nicht anhalten, um deine Schwestern zu sehen.« Kysen betrachtete aufmerksam sein Gesicht, dann entließ er die Diener. Abu verschwand, ohne daß man es ihm hätte sagen müssen, und Meren folgte seinem Sohn durch das Haus und nach draußen in die Loggia, von der aus man den Teich überblicken konnte. Das Mondlicht zauberte Silber auf das schäumende Wasser. Er ließ sich mit einem Seufzer niedersinken, während Kysen einen Becher mit Wein füllte, den er ihm reichte. Seine Augen fühlten sich so trocken an wie der Boden eines Wüstentales. »Du siehst aus, als ob die Dämonen der Unterwelt sich an deinem Ka gütlich getan hätten«, sagte Kysen und ließ ein Kissen auf den Boden neben der Sänfte fallen. »Das ist durchaus möglich.« »Was ist passiert?« »Ich habe Ahiram gefunden. Er ist tot.« Er berichtete, wie er Ahiram und die königliche Sandale entdeckt hatte. »Deshalb bist du zu dem Grab gegangen.« Meren antwortete nicht sofort. Eine Magd erschien mit einem Tablett voller Speisen, aber er winkte sie fort, und sie waren wieder allein. In der Nachbarschaft kreischte ein zahmer Hauspavian, und er vernahm den Ruf eines Reihers, als er über ihre Köpfe zum Fluß flog. Meren hob seinen Becher. Er trank ihn in einem Zug leer, und fuhr dann fort: 196
»Echnatons Grab wurde geschändet.« Er wollte nicht weitersprechen. Kysen fluchte leise und schluckte. »Von Ahiram?« Er machte ein Zeichen gegen das Böse. Meren hörte den Unglauben und das Erschrecken in Kysens Stimme. »Ahiram«, sagte er. »Er muß schon vor Wochen begonnen haben, das Grab zu plündern, denn er trug die Sandalen des Königs. Zweifellos hat er veranlaßt, daß seine Männer einige der Schätze nach Theben brachten, wo er sie nutzen konnte. Aber in seinem Haus haben wir nichts gefunden, er muß sie an einem anderen Ort versteckt haben … Er hat Söldner angeheuert, Wachen und Priester bestochen. Ich habe ein paar meiner Leute in Achet-Aton zurückgelassen. Sie warten auf den Untersuchungsstab des Pharao und seine Soldaten. Sie sollen die Grabschänder und ihre Beute aufspüren.« »Aber warum? Warum sollte er so etwas tun?« Meren rieb sich das Gesicht und seufzte. »Ich habe darüber nachgedacht. Du weißt doch, daß Echnaton sich geweigert hat, Ahirams Vater zu unterstützen, als dieser von den Rebellen des Hethiter angegriffen wurde. Er hat ihm das niemals vergeben. Er muß geglaubt haben, sich an dem Geist des Pharao rächen zu können, indem er seinen Körper zerstörte.« »Ihn zerstörte?« Kysens Stimme klang rauh, als er begriff, was Meren da gesagt hatte. Meren nickte. Sie verfielen wieder in Schweigen. Die Zerstörung des Körpers war ein Schicksal, das die Ägypter am meisten fürchteten. Der Körper war notwendig, sollte das Ka, sein spiritueller Zwillingsbruder, überleben. Jeder wußte es, das Ka benötigte die gleichen Dinge, wie der Körper – Nahrung, Flüssigkeit, Kleidung, ein ewiges Haus, das Grab. Wer mit diesen Dingen ausgestattet war, der war bereit für das Leben im Jenseits. Aber ohne den Körper ging die Seele zugrunde. 197
Meren schloß die Augen, um die Vision von übertünchten und bemalten Wänden, auf denen der König und Nofretete zu sehen waren, zu vertreiben. Er erinnerte sich, wie er auf zerrissene Bandagen und vergoldete Holzsplitter der Schreine, die einmal Echnatons Grab umgeben hatten, getreten war, um einen Blick auf seinen zerstückelten Körper werfen zu können. Die abgetrennten Überreste waren eingesammelt und in den steinernen Sarkophag zurückgelegt worden. Bandagen, die mit Harz vollgesogen waren, vermischten sich mit Haarbüscheln und Knochen. Von diesem erschreckenden Anblick hatte er sich unter dem Vorwand, die verbliebenen Reste des ehemals kostbaren Grabschatzes überprüfen zu wollen, abgewandt. Der Hauptteil der königlichen Juwelen und Insignien war gestohlen worden, nicht aber die hohen Krüge mit Öl und Wein. Ahirams Schergen mußten bei ihrem Raub entdeckt worden sein, denn sie hatten auch Truhen mit kostbarem Leinen, Mobiliar und blattgoldverzierte Wagen zurückgelassen. Meren stellte seinen Weinbecher auf den Boden. Er ließ einen Finger in den Gürtel gleiten, holte einen kleinen Gegenstand hervor und reichte ihn Kysen. Es war eine goldene Schnalle. Die Durchbrucharbeit zeigte Echnaton, der die stilisierte Sonnenscheibe anbetete. Die Sonnenstrahlen waren direkt auf das Gesicht des Königs gerichtet und endeten in kleinen Händen. Merens setzte sich auf. »Ich muß es dem König sagen. Er wird mir glauben, wenn ich ihm das hier zeige. Die Diebe ließen es fallen, als sie flohen.« Kysen legte Meren beruhigend die Hand auf den Arm. »Du kannst damit auch noch ein paar Stunden warten. Du brauchst Ruhe. Sieh dich doch mal an. Deine Wangen sind hohl und die Schatten unter deinen Augen sehen aus wie Prellungen.« »Ich kann nicht warten«, sagte Meren. »Ahirams letzte Worte waren eine Warnung, ich solle mich vorsehen, denn ›er‹ würde auch mich betrügen. Das bedeutet, jemand, den wir kennen, ist durch 198
die Plünderung des königlichen Grabes mit Ahiram zu Reichtum gelangt.« »Götter«, sagte Kysen. Meren erhob sich und schritt auf und ab. »Jemand, der fremde Söldner in der Maske von Banditen hinter Ahiram hergeschickt hat. Jemand, der bemerkte, daß Ahiram den Mut verlor, der vor uns wußte, daß er fliehen wollte, der wußte, warum er fliehen wollte und wohin. Jemand, der sein Verbündeter war und nicht riskieren konnte, daß Ahiram gefangen und verhört wurde.« »Parenefer«, sagte Kysen. »Jeder kennt doch die Feindseligkeit, die die Priester des Amun für Echnaton empfinden. Wer sonst hätte Einfluß genug gehabt, Ahiram zu dieser Grabschändung zu verführen? Welchen Grund hätte Ahiram haben sollen, Qenamun zu töten, außer dem, daß er befürchten mußte, die Priester des Amun würden ihn töten, da er sich mit Qenamun entzweit hatte?« »Ja, aber warum Ahiram? Der Einfluß und die Macht des Amun ist groß genug, auch ohne Außenseiter. Oh, sag das nicht. Parenefer plante, die Schuld ganz auf Ahiram abzuwälzen, würde dieser entdeckt werden. Und ich kann die Verbindung zwischen Ahiram, Qenamun und dem armen Unas nicht erkennen. Bei den Göttern, Ky, ich kann nichts beweisen, außer Ahirams Schuld.« »Wir glauben, daß Ahiram Qenamun getötet hat«, sagte Kysen. »Wahrscheinlich, weil sie sich wegen der Grabschändung entzweit hatten. Wenn die Priester hinter dieser schrecklichen Tat stecken, dann hat Unas das vielleicht herausgefunden und wurde getötet. Wenn Qenamun derjenige war, der Unas Haus durchsucht hat und mich töten wollte, dann …« »Dann könnte Ahiram den Entschluß gefaßt haben, sich Qenamuns zu entledigen, bevor dieser sie beide auffliegen ließ«, sagte Meren. »Und wir können nichts davon beweisen.« Er fluchte und schritt an den See hinaus, mit finsterem Blick einen Frosch verfolgend, der über die Fliesen hüpfte. Kysen schloß 199
sich Meren an und ließ sich am Ufer des Sees nieder. »Nachdem ich dem König davon berichtet habe, müssen wir uns zusammensetzen und alles zusammentragen, was wir wissen. Ohne einen eindeutigen Beweis für Parenefers Beteiligung können wir nichts tun. Er ist zu mächtig, mächtig genug, um eine Armee gegen den König zu führen.« »Was ist mit diesen Söldnern, die Ahiram getötet haben?« fragte Kysen. »Tot oder geflohen.« Meren ließ sich neben Kysen nieder. »Hast du die Versiegelung von Ahirams Haus veranlaßt?« »Ja, und ich habe den Sack mit Mäusen und die Körbe sichergestellt. Aber können wir ihn des Mordes an Qenamun überführen, wenn wir außer diesen Gegenständen nichts in der Hand haben? Du sagst, daß seine Diener nach ihrer Rückkehr befragt werden.« »Ihre Worte werden für den Pharao ein erheblich sicherer Beweis sein. Vorausgesetzt sie wissen überhaupt etwas.« Meren seufzte. »Ich muß gehen.« »Wenn du jetzt gehst, dann weiß bald die ganze Stadt, daß irgend etwas nicht stimmt.« Meren rieb sich wieder das Gesicht. »Du hast recht. Ich muß wirklich müde sein, da ich nicht daran gedacht habe, welchen Aufruhr ich damit verursache, den Pharao zu dieser Stunde aus dem Bett zu holen. Nun gut. Ich werde morgen früh gehen.« Kysen sprang auf die Füße und reichte seinem Vater die Hand. Meren nahm sie und zog sich nach oben. Gemeinsam gingen sie ins Haus und durch Merens Schlafgemach, danach verließ ihn Kysen. Ein Leibdiener erwartete Meren im Badezimmer mit frischem Wasser, und er genoß sein erstes Bad seit seiner Abreise. Abgetrocknet kroch er ins Bett, und war wieder hellwach. So erging es ihm jede Nacht, seit er die Bedeutung von Ahirams gestohlener Sandale erfaßt hatte – er war müde und doch unfähig zu schlafen, aus Angst vor Dämonen, die ihn in seinen Träumen 200
heimsuchen könnten. Wenn er schlief, kam Echnaton gekleidet in die feinsten Gewänder zu ihm, geschmückt mit der doppelten Krone des Oberen und Unteren Ägypten. In einem Traum trug er eine weißglühende Sonnenscheibe, die er auf Merens Herz preßte. Er hatte Echnaton gehaßt. Wußte es das Ka des toten Königs und suchte es nun Rache? Wußte Echnaton, daß er eine mörderische Verschwörung gegen den Pharao vermutet und es trotzdem geduldet hatte, vom Hof fortgesandt zu werden, statt darum zu kämpfen, die Verschwörer aufzuhalten? Er versuchte, mit einer Kopfstütze zu schlafen. Seine Kopfschmerzen, die ihn seit dem Anblick von Echnatons geschändetem Körper plagten, waren zu einem dumpfen Pochen geworden. Jetzt bohrten sich die Schmerzen wieder in seinen Schädel. Er warf die Kopfstütze auf den Boden, drehte sich auf den Bauch und stöhnte. Wie sollte er jemals schlafen in dem Wissen, daß die Priester des Amun sich mit Höflingen verschworen hatten, das Grab des Ketzers auszurauben? Es geschah nicht so leicht, daß er sich fürchtete, aber er horchte trotzdem beständig auf das Schlagen von Flügeln, das die Ankunft des Ba ankündigen würde, der Seele Echnatons in Gestalt eines Vogels und dem Kopf des toten Königs. Jemand klopfte, und er rief »Herein«. Es war Kysen, der einen kleinen Becher aus hauchdünnem Ton in Händen hielt. Er gab den Becher Meren. »Abu schickt dir dies.« »Ich brauche es nicht.« »Er sagte, daß du das brauchen würdest. Ich könnte Mutemwia rufen und sie bitten, einen ihrer magischen Sprüche aufzusagen, um dir zum Schlaf zu verhelfen.« Meren stöhnte. Mutemwia war die Kinderfrau von Kysens Sohn und sammelte Zaubersprüche für jede Gelegenheit. Ihre Magie richtete meist mehr Schaden an als sie half. Er nahm den Becher und schüttete den Trank in einem Zug in 201
seine Kehle. Er war scharf und beißend und brannte sich seinen Weg bis in die Brust. Aber ein paar Minuten später verschwand der Schmerz in seinem Kopf. Er legte sich zurück und schloß die Augen. Dann hörte er Kysens Stimme. »Mach dir keine Sorgen. Abu hat um das ganze Haus und vor deinem Schlafgemach Wachen aufgestellt. Ich weiß, daß du es verabscheust, wenn man dir ein Schlafmittel verabreicht, aber ohne Schlaf geht es nicht weiter.« Meren nickte, ohne die Augen zu öffnen. »Sei vorsichtig, Ky. Es steckt mehr hinter der Sache als nur Mord. Und jeder, der es wagt, das Grab eines Pharao, eines Bruders des lebenden Gottes, auszurauben, schreckt auch nicht davor zurück, uns beide zu töten.« Meren erreichte den Palast, noch bevor der König begonnen hatte, sich anzukleiden. Er lauschte gerade Ay, der die Liste der an diesem Tag anstehenden Aufgaben vorlas. Er spürte das Unbehagen der Wachen und der Diener, was er dem plötzlichen Wechsel des Arbeitsplanes zuschrieb. Ay hatte alle Männer Ahirams vom Dienst befreit, ein ganzes Bataillon von königlichen Wachen. Diese Männer wurden nun verhört. Er betrat die königlichen Gemächer, und der Pharao begrüßte ihn freudig. »Ah, Meren, Ay hat mir berichtet, daß Ihr Ahiram gefunden habt«, sagte Tutenchamun. Der König saß lässig auf einem Stuhl aus Ebenholz und Gold und beendete gerade eine Mahlzeit aus Gewürzkuchen und Früchten. Meren blickte auf Ay, aber wie üblich enthüllten die verschleierten Augen des alten Mannes nichts. Die geschwollenen Finger des Wesirs krallten sich um seinen Gehstock wie dicke, alte und knorrige Weinstöcke. Meren hatte Ay eine Botschaft gesandt und ihm vom Tode Ahirams berichtet, aber er war davor zurückgeschreckt, seine ganze Entdeckung schriftlich festzuhalten. 202
Er studierte Ays Gesicht. Es war lang und zerknittert. Falten durchfurchten die Haut wie ein ausgetrocknetes Flußbett. Er verdankte Ay sein Leben, denn der Wesir hatte bei Echnaton für ihn Fürsprache eingelegt, als sein Vater sich dem alten Pharao widersetzt hatte und er ihn deshalb töten wollte. »Prinz Ahiram ist tot, Goldener, er wurde von Banditen überfallen, als er auf dem Weg zu einem der Häfen am Roten Meer war.« Der König rieb sich die Brotkrumen von den Händen. Ein Diener reichte ihm ein feuchtes Tuch. »Und habt ihr herausgefunden, warum er geflohen ist?« fragte Tutenchamun leise. Meren warf einen Blick auf den Diener. »Im Garten ist es immer noch kühl, Majestät.« Tutenchamun hob den Kopf und sah Meren an, während er fortfuhr seine Hände mit dem feuchten Tuch zu säubern. Nach kurzem Schweigen warf er das Tuch seinem Diener zu, drehte sich auf dem Absatz um und verließ sein Schlafgemach. Ay folgte ihm, zögerte aber, damit Meren aufholen konnte, als sie den Garten des Königs betraten. »Ihr seht aus, als ob Ihr seit Eurer Abreise nicht mehr geschlafen hättet. War es so schrecklich?« »Ich habe geschlafen, aber es nützt nichts. Nein, fragt jetzt nicht. Ich möchte diese Geschichte des Bösen nur einmal erzählen müssen.« Unter einem kostbar verzierten Gitter, das von Weinreben umrankt war, hielten sie. In der Umgebung wuchsen niedrige Sträucher, es gab keine hohen Wände oder große Bäume in der Nähe, daher schien es unmöglich, daß sie belauscht wurden. Tutenchamun setzte sich auf einen Faltstuhl und bedeutete seinen Gästen, sich ebenfalls zu setzen. Ay nahm Platz, aber Meren kam nah an den König heran und kniete auf der gewobenen Matte neben ihm nieder. 203
Er hatte darüber nachgedacht, auf welche Weise er ihm Bericht erstatten sollte, wenn er vermeiden wollte, den König in Furcht zu versetzen. Er entschloß sich, die Geschichte einfach zu erzählen, und zwar von dem Zeitpunkt an, da sie Segel gesetzt hatten. Der König hörte ihn schweigend an, bis Meren auf die Entdeckung des Tunnels, den die Grabräuber ausgehoben hatten, zu sprechen kam. Dann unterbrach er. »Wie schlimm ist es?« fragte er, sein Blick war auf eine Reihe Olibanumbäume gerichtet. Meren spürte, wie sich seine Mundwinkel krampfartig nach unten zogen. »Sie wollten Echnaton ganz zerstören. Damit hatten sie beinahe Erfolg.« Tutenchamun richtete weit aufgerissene, erschrockene Augen auf ihn. Er befeuchtete seine Lippen und sprach mit schwacher Stimme. »Ihr meint, daß Ahirams gedungene Verbrecher das Grab meines Bruders ausgeraubt und dann die Flucht ergriffen haben? Sie haben das ewige Haus des Pharao zerstört?« Als Meren den ungläubigen Ton in der Stimme des Königs hörte, zog er die Schnalle hervor und ließ sie dem Jungen in die Hand fallen. Tutenchamun starrte sie an, drehte sie wieder und wieder herum und schüttelte den Kopf. Meren wartete. Tutenchamun war der jüngste von drei Söhnen, die Amenhotep dem Großen geboren worden waren. Er war erheblich jünger als Echnaton. Er war bei seiner Mutter, der großen und mächtigen Teje aufgewachsen und kam erst im Alter von fünf Jahren nach Achet-Aton. Smenchkare, ein Knabe, hatte Tutenchamun am Hof des Ketzers bewacht. Echnaton war stets viel zu sehr mit seinem Sonnengott beschäftigt, um diesem Jungen allzuviel Aufmerksamkeit zu schenken. Aber er war immer freundlich, wenn er sich an Tuts Anwesenheit erinnerte. Meren merkte nun, wie sehr das begangene Sakrileg Tutench204
amun beunruhigte und wie in ihm die Sorge um sein eigenes Leben aufkeimte. Der König erkannte, daß es nur noch ein kleiner Schritt von der Gewalt an einem toten König zum Verbrechen an einem lebenden war. Als der König weiterfragte, fuhr Meren fort und begründete seinen Verdacht hinsichtlich Qenamun, der Priester des Amun und Unas' Tod. »Ich bin nicht sicher, wer sonst noch an der Sache beteiligt war. Qenamun scheint mit einigen der ersten Diener Eurer Majestät zu tun gehabt zu haben.« »Mit wem?« fragte Tutenchamun scharf. Meren zögerte, aber auf die Frage eines Königs mußte man antworten. »Mit Rahotep, Djoser und mit einigen Priestern, besonders mit Ebana. Ahirams Diener werden zur Stunde befragt. Ich werde gegen Ende dieses Tages wahrscheinlich mehr wissen.« Der König sprang von dem Faltstuhl auf und umschritt einen Stützpfosten des Weingitters. »Am besten lasse ich alle in den Kerker werfen!« Zum ersten Mal seit Beginn der Unterredung, ergriff Ay das Wort. »Tut, ich habe Soldaten ausgesandt, die die Grabschänder verfolgen, aber Ihr könnt keine Prinzen und Priester ins Gefängnis werfen, ohne ihre Verbrechen überprüft zu haben oder sie gar zu töten. Das könnte Aufstände zur Folge haben.« »Wer würde es wagen, einen Aufstand gegen mich anzuzetteln?« »Parenefer würde dafür sorgen«, sagte Ay. Tutenchamun schlug mit der Faust in seine Handfläche. »Ich werde ihn ebenfalls in den Kerker werfen.« Meren erhob sich und ging zum König hinüber, der nun gequält auf und abschritt. Er trat ihm in den Weg und blickte ihm in die Augen. Der junge König hielt inne und funkelte ihn wütend an. »Es wäre besser zu warten, bis wir genau wissen, was passiert ist und wer verantwortlich war, Göttlicher.« »Wir wissen es bereits«, sagte der König. 205
»Nein, Majestät, wir vermuten es. Die einzigen Personen, von denen wir wissen, daß sie an diesem Verbrechen beteiligt waren, sind tot. Aber es lebt mindestens noch ein Mensch, der daran beteiligt war, jemand, der diese sogenannten Banditen hinter Ahiram herschickte, um ihn zu töten. Denkt daran, was er sagte: ›Er wird auch Euch betrügen.‹« »Was bedeutet«, fügte Ay hinzu, »daß wir dafür sorgen müssen, daß dieser Mann gefunden wird, denn er ist ohne Zweifel das Oberhaupt dieser verräterischen Verbrecher.« Tutenchamun trommelte auf den Stützpfeiler des Weingitters. »Es muß einfach Parenefer sein!« Merens Stimme schnitt durch das königliche Murmeln. »Was ist, wenn wir uns irren?« Die kindlichen Flüche des Königs verstummten. »Dann würde ich Parenefer eben wieder frei lassen.« »Ja«, sagte Meren. »Aber dann würde er Euch hassen.« »Er haßt mich jetzt doch auch.« Ay hievte sich auf die Füße, indem er sich auf seinen Stock stützte. »Es ist der Zorn, den er für Echnaton hegt, der Euch jetzt trifft. Wenn Ihr ihn aber demütigt, ihn, den größten Priester im ganzen Königreich, dann wird er Euch um Euer selbst willen hassen, dann wird er beginnen, Euren Tod zu planen.« Tutenchamun wandte sich Meren zu. »Also wünscht Ihr, daß ich mein Leben riskiere, um Parenefer nicht zu beleidigen?« »Nein, Majestät, ich –« »Oh, macht Euch nichts daraus. Wenn ich diese Bedrohung einfach abwarten muß, dann werde ich mich zumindest ablenken. Ich werde an einem Überfall auf die Banditen, die das Dorf der Langen Schatten attackieren, teilnehmen.« Meren hätte am liebsten laut aufgestöhnt. »Euer Majestät sollten solche Ausflüge verschieben, bis ich Zeit hatte, das Geheimnis zu lösen.« 206
»Verdammt sollt Ihr sein, Meren, dies ist ein weiterer Trick von Euch, um mich daran zu hindern, ein Mann zu werden!« Die Götter mochten ihn vor jungen Bullen schützen, die nichts anderes im Kopf hatten, als sich die Hörner abzustoßen. Meren listete im Geiste all die logischen Gründe auf, warum der König Theben besser nicht verlassen sollte, und wußte gleichzeitig, daß Tutenchamun nicht auf sie hören würde. Deshalb blieb ihm nur eine Wahl – die unangenehmsten. »Vergebt mir, Göttlicher, aber Eure Majestät hat ein dringendes Problem nicht bedacht, das Eure königliche Aufmerksamkeit fordert.« Tutenchamun verschränkte die Arme über der Brust. »Ach so?« »Eure Majestät muß den Schaden, der dem Leichnam Eures Bruders zugefügt wurde, wiedergutmachen und für ihn, die Königin Nofretete und all die anderen Mitglieder der königlichen Familie, die in Achet-Aton begraben worden waren, ein anderes Haus der Ewigkeit finden. Und dies muß im Geheimen erfolgen, damit seine Feinde ihn nicht noch einmal angreifen und keiner je von dieser unsäglichen Schandtat erfährt. Ich bin sicher, Eurer Majestät ist klar, wie gefährlich es wäre, wenn Eure Untertanen erführen, daß das Gebot der Unberührbarkeit der Grabstätte des Pharao verletzt wurde.« Ein erschrockener Blick. Ein verwirrtes Schweigen. Dann Flüche, ein lauter, haßerfüllter Schwall von Flüchen. Der König hatte verstanden. Er würde einwilligen, und er machte Meren für seine plötzliche Enttäuschung und seine erneute Angst verantwortlich. Trotzdem war Meren erschrocken, als Tutenchamun auf ihn losstürzte. Seine Bewegung war so abrupt, daß er nichts zu tun vermochte, um den Schlag einer Ohrfeige abzuwehren, die ihm der König versetzte. »Die Götter mögen Euch verfluchen, Meren. Hinaus, hinaus!« Sein Kiefer schmerzte, und er schmeckte Blut. Meren richtete sich 207
auf, hob den Arm und berührte vorsichtig seinen Mundwinkel mit dem Handrücken, während er den Jungen anstarrte. Tutenchamun atmete schwer. Sein Blick fiel auf Merens Hand, dann auf die Innenseite des Handgelenks. Meren versteifte sich; er hatte vergessen, einen Armreif oder ein Gelenkband anzulegen, um das Brandmal der Sonnenscheibe zu verdecken. Ay machte dem König Vorhaltungen, aber weder der Pharao noch Meren hörten ihn. Tutenchamun verengte die Augen, als er auf die Narbe starrte. Meren ließ seine Hand sinken. Ihre Augen trafen sich. »Ich hatte es vergessen«, sagte er. Ay verstummte. Tutenchamun fuhr mit plötzlich belegter Stimme fort. »Parenefer ist nicht der einzige, der Grund hatte, meinen toten Bruder zu hassen.«
Kapitel 15
M
eren versuchte, den Palast gemäßigten Schrittes zu verlassen. Tu so, als ob du aus deinem eigenen Haus kämst, sagte er sich. Tu so, als ob es Remi gewesen wäre, der gerade einen Wutanfall hatte. Nur ein paar Minuten. Nur, bis du außerhalb des Palastbezirks bist. Er konzentrierte seine ganze Aufmerksamkeit darauf, sich ohne Hast weiterzubewegen, mit Leichtigkeit, als ob er noch etwas schläfrig wäre zu dieser frühen Stunde. Die ganze Zeit über jedoch war er im tiefsten Winkel seines Ka einfach nur wütend. Wütend auf den Sohn des Gottes. Der dickköpfige junge Narr. 208
Er trat in die große Empfangshalle und sah sich der wachsenden Menge aus Höflingen und Beamten gegenüber, die an diesem Tag mit dem Pharao zu tun haben würden. Ein junger Mann löste sich aus einer Gruppe von Armeeoffizieren und begrüßte ihn, während er sich mit dem kleinen Finger im Ohr pulte. Meren fluchte still vor sich hin, dann wandte er sich Prinz Rahotep zu, um ihn zu begrüßen. »Ah«, sagte Rahotep. »Ihr seid zurückgekehrt. Habt Ihr ihn gefunden? Ich hätte ihn in der Hälfte der Zeit gefunden, die Ihr dazu benötigt habt.« »Natürlich habe ich ihn gefunden«, sagte Meren scharf. Der Prinz trat einen Schritt zurück und erhob beide Hände. Er schüttelte seinen breiten Kopf. Meren dachte, er sehe aus, als wäre er einmal unter einen fallenden Obelisken geraten. »Schnauzt mich nicht an«, sagte Rahotep. »Ich habe nur gefragt, was jeder andere ebenfalls fragen wird.« Beinahe hätte er sich selbst verraten. Er griff sich an die Stirn, um Müdigkeit vorzuschützen und lächelte. »Vergebt mir. Es war eine lange und unglückliche Reise.« »Also habt Ihr Ahiram gefunden. Wo ist er?« Meren zögerte. »Er ist tot.« »Tot! Aber wie das?« »Die Umstände seines Todes sind nicht ganz klar.« »Was meint Ihr damit, nicht ganz klar?« Rahoteps Stimme wurde langsam lauter. »Entweder ist er tot oder eben nicht. Habt Ihr ihn getötet?« Diesen letzten Satz hatte er mit lauter Stimme gesagt. Schweigen herrschte unter denen, die ihnen am nächsten standen, und Meren bemerkte, daß ein Priester des Ra und einige Offiziere der Infanterie zu ihnen herüberblickten. Rahotep hatte seinen Mund abrupt wieder geschlossen und glotzte ihn jetzt an, als ob er es selbst nicht glauben konnte, mit einer solchen Anklage herausgeplatzt zu sein. 209
Der Blick, mit dem Meren den Prinzen bedachte, war voller hochherrschaftlicher Autorität. »Ihr seid übermäßig erregt, Rahotep. Vielleicht ist dies für Euch ein Unglückstag, und ein Opfer an Amun oder Toth würde Eurem Gemüt dienlich sein.« Er hielt inne, während er zusah, wie Rahotep vor seinen Augen schrumpfte. »Oder vielleicht solltet Ihr auch einfach nur nach Hause gehen.« Er ließ den Prinzen stehen und bahnte sich weiter seinen Weg durch die Menge zu den großen doppelten Toren am Palasteingang. Diese Portale waren aus Zedernholz, das aus Byblos herbeigeschafft worden war. Sie waren mit Blattgold verziert und zeigten den König auf seinem Wagen im Kampf gegen die neun traditionellen Feinde Ägyptens. Meren zwang sich, dem Bild Tutenchamuns keinen zornigen Blick zuzuwerfen. Er konzentrierte sich so sehr, daß er fast mit Tanefer und Maja zusammengeprallt wäre, als sie vor ihm erschienen. Sie schritten neben ihm her, als er in den Hof hinaustrat und dem Stallknecht befahl, ihm seinen Wagen zu bringen. Als der Knecht fort war, sahen ihn die beiden Männer an. »Was habt Ihr getan, Falke?« fragte Maja flüsternd. »Wir kommen gerade vom König, und er ist wütend auf Euch. Ich habe noch nie erlebt, daß er auf Euch wütend ist.« Tanefer warf Maja einen ärgerlichen Blick zu. »Ihr wißt doch, daß er Euch das nicht sagen wird, das sollte er auch gar nicht. Habt Ihr Ahiram gefunden?« Dieses verstärkte Interesse an Ahiram war nur natürlich. Doch Meren beobachtete beide Männer trotzdem, als er antwortete. »Ich habe ihn gefunden.« Beide Männer starrten ihn interessiert an, doch ihre Augen verrieten ihm nichts. »Nun?« sagte Maja. »Was ist der Grund für seine Flucht? Konntet Ihr ihn zum Reden bringen? Götter, Meren, Ihr müßt es uns einfach irgendwann erzählen, und wenn Ihr es nicht tut, dann werden 210
wir es doch herausfinden. Ich werde es von Ay in Erfahrung bringen.« »Ahiram ist tot.« Maja verstummte und starrte ihn an, während Tanefer seufzte. »Was glaubtet Ihr, was passieren würde?« fragte Tanefer den Schatzmeister. »Nur die Schuldigen fliehen. Die Unschuldigen haben keinen Grund zur Flucht. Deshalb muß sich Ahiram einer großen Untat schuldig gemacht haben. Wegen eines kleineren Verbrechens hätte er wohl kaum die Flucht ergriffen.« Tanefer hielt inne und sah Meren an. Doch dessen Miene war ebenso freundlich wie nichtssagend. »Habt Ihr ihn irgendwo tot aufgefunden, oder habt Ihr ihn selbst getötet?« fragte Maja. »Hattet Ihr Gelegenheit, ihn zu verhören?« Der Schatzmeister betrachtete Meren noch immer mit eifriger Neugier, aber Tanefer lächelte, als er ihm einen abschätzigen Blick zuwarf. »Er wird Euch nichts sagen«, sagte Tanefer. »Gebt Frieden, Maja. Ihr werdet warten müssen, denn es muß etwas sehr Wichtiges geschehen sein, sonst würde unser Göttlicher wohl kaum in diesem Augenblick in den königlichen Gemächern herumtoben und sich weigern, seinen königlichen Pflichten nachzukommen. Ich wette, daß Meren Ahiram gefunden und etwas erfahren hat, das keiner von uns gern hören wird.« »Seht ihn an«, sagte Maja zu Tanefer. »Ich könnte genausogut versuchen, mit einer Säule zu reden nach dem, was ich aus diesem Gesicht lesen kann. Hat jemand Euch in Granit verwandelt, Meren?« Die goldenen Türen des Palastes öffneten sich, und Ay schritt aus dem dunklen Inneren, gefolgt von einer Schar Schreiber und Diener. Er bedeutete ihnen, wieder in den Palast zurückzukehren und schloß sich dann den drei Männern im Hof an. Zur gleichen Zeit erschien Merens Wagen. Der Knecht sprang ab und hielt ihm die 211
Zügel entgegen. »Da seid Ihr ja, Maja«, sagte Ay. »Der Goldene schickt wieder nach Euch. Tanefer, begleitet ihn.« »Was ist passiert?« fragte Maja den Wesir. »Ich sollte es sowieso erfahren, wißt Ihr. Ich gehöre nämlich auch zu den königlichen Ratgebern.« »Dann geht und beratet den König«, sagte Ay. Maja lief vor Verärgerung rot an. Meren schwieg, obwohl er wußte, daß sein Freund sich beleidigt fühlte. Aber das Risiko war zu groß. Er wollte nicht, daß jemand erfuhr, wie viel oder wie wenig Ahiram gesagt hatte, bevor er gestorben war. Und wenn jeder annahm, daß er den Prinzen getötet hatte, nun gut, es schadete nicht, wenn die Menschen ihn fürchteten. Nicht, wenn sich zwischen dem Hof und dem Tempel des Amun eine Verschwörung gegen den König zusammenbraute. Tanefer zog Maja fort und sie gingen auf den Palast zu. Meren nahm dem Pferdeknecht die Zügel ab und entließ den Mann. Ay griff nach seinem Arm und sie begannen, über den Hof zu gehen. Die Pferde gingen langsam neben Meren her. »Ihr dürft nicht wütend auf seine Majestät sein«, sagte Ay. Meren blickte über den Hof, aber sämtliche Wachen und Knechte waren ebenso wie die ankommenden Höflinge außerhalb der Hörweite. Ohne in die Richtung des Wesirs zu blicken, sagte er zu ihm: »Götter, Geister und Dämonen mögen mich vor Euren Ermahnungen bewahren.« »Ich weiß, daß er ungerecht ist, aber er wird sich wieder beruhigen. Seht Ihr, er hat die Gerüchte über Horemheb gehört.« Meren verlangsamte seinen Schritt, dann hielt er an und wandte Ay sein Gesicht zu. »Was hat er gehört?« »Daß Horemheb glaubt, er würde ein besserer Pharao sein. Er glaubt, daß er die Armee jetzt führen könnte, daß er den ganzen 212
Weg bis Karchemish marschieren und Supiluliumas in seine kalten anatolischen Berge zurücktreiben könnte. Jetzt wißt Ihr, warum Tutenchamun Angst hat. Wenn seine Generäle unzufrieden sind, dann schwebt er tatsächlich in Gefahr. Und seiner Meinung nach ist der einzige Weg, diese Bedrohung zu bekämpfen, selbst in den Krieg zu ziehen.« Das Gerücht war also nicht, wie er angenommen hatte, verstummt. Die meisten Gerüchte trieben um den Hof wie ein Wüstenwind und verschwanden dann wieder; dieses hatte sich gehalten. Es war sogar noch gewachsen, lief herum und gewann immer mehr an Gewicht durch all den Unrat, den es aufwirbelte. Er warf Ay, der den goldenen Kopf seines Stocks betrachtete, einen Blick zu. »Horemheb ist einfacher Abstammung«, sagte er. »Er würde noch nicht einmal selbst daran denken, den Thron zu besteigen.« »Jeder Mann, der eine königliche Erbin heiratet, kann den Thron besteigen. Das wißt Ihr. Es wäre ja auch nicht das erste Mal.« Meren schüttelte den Kopf. »Er hat mir das Leben gerettet, als wir beide noch jung waren und in einem Scharmützel gegen libysche Rebellen in der El-Kharga Oase als Wagenlenker kämpften. Mein Wagen war gegen einen Felsen geprallt, ich flog wie ein Pfeil in die Höhe und kam wie ein Stein auf der Erde auf. Ich war kaum noch bei Bewußtsein und während ich dalag, sprang mir ein Libyer auf die Brust. Er hätte mir die Kehle aufgeschlitzt, wenn ihm Horemheb nicht den Kopf abgeschlagen hätte.« Ein Fußtruppen-Bataillon marschierte auf sie zu, teilte sich und umfloß sie, während Meren und Ay einander stumm in die Augen blickten. »Ich will dieses Gerücht auch nicht glauben«, sagte Ay. »Aber keiner von uns beiden kann es sich leisten, es zu ignorieren.« »Er würde den König niemals verraten.« »Wir müssen bald entdecken, was hier gespielt wird.« Meren tätschelte die Nase seines Pferdes und dachte nach. »Seht 213
Euch genau an, was passierte.« »Das habe ich getan«, antwortete Ay. »Nein, ich meine, was das Ergebnis war. Der Pharao vertraut zweien seiner intimsten Berater nicht mehr.« Er rieb seine Wange an der weichen, großen Nase. »Horemheb und mir. Jemand versucht, den König von seinen nächsten und vertrauenswürdigsten Freunden zu trennen. Warum? Nicht einfach nur, um über einen Jungen, der König ist, Einfluß zu gewinnen, sondern möglicherweise auch, um ihn –« »Verletzlich zu machen«, fügte Ay hinzu. Meren nickte. »Und um ihn zu zwingen, sein Vertrauen in jemand anders zu setzen, in die falschen Menschen, die ihn verraten würden.« »Weshalb ich Karoya gewarnt habe und die Kriegstruppe des Königs zur Wache im Palast abkommandiert habe. Ich habe Tanefer gebeten, in Theben zu bleiben und seine Männer der Palastwache hinzuzustellen. Er wollte gerade zu seinem Gut in der Nähe von Bubastis reisen. Schon seit fast acht Monaten war er nicht mehr zu Hause, er wollte seine Frau sehen, bevor er wieder in irgendeine Schlacht geschickt würde. Aber er hat versprochen zu bleiben, so lange wir ihn brauchen.« »Gut.« Meren stieg in den Wagen und lehnte sich zu Ay hinunter. »Ich kann hier nicht nützlich sein, solange der König so unvernünftig ist.« »Es ist nur seine Furcht.« »Trotzdem, es ist, als ob Kysen mich des Versuchs angeklagt hätte, ihn zu töten. Nein, sagt jetzt nichts. Da der König nicht länger auf mich hört, werde ich mich mit der Lösung dieser Mordfälle beschäftigen. Eine mächtige Person hat großes Unrecht begangen, und ich will herausfinden, wer es war, bevor sie wieder zuschlägt und diesmal direkt den König trifft.« 214
Der Mann sprach nur die Sprache der Mitanni. Kysen betrachtete den Gefangenen aufmerksam. Obwohl er fast genauso alt war wie er selbst, trug er einen Bart und seine Haare waren gelockt. Ein ehemals kostbares Gewand aus einem rot-grün gemusterten und mit Goldfäden durchwirkten Stoff war um seinen Körper geschlungen, aber es war im Kampf zerrissen worden. Es war fleckig von Schweiß und Blut das aus einer Wunde im Oberarm des jungen Mannes sickerte. Er war in die Baracken gerufen worden, ein langgestrecktes, niedriges Gebäude mit Mittelgängen, Zellen und Quartieren für die Krieger. Zwei müde Männer hatten den Gefangenen hierher gebracht, nachdem sie ihn auf der Straße zum Roten Meer gejagt hatten. Offensichtlich hatte er nach dem Scharmützel einen Bogen geschlagen und versucht, die Küste zu erreichen. Sie hatten versucht, ihn zu verhören, aber er sprach nicht Ägyptisch. Kysen ging vor dem Mann auf und ab, er war ungeduldig und besorgt. Dieser Mann wußte vielleicht, wer Ahirams Tod und die Schändung von Echnatons Grab geplant hatte, und er verstand seine Sprache nicht. Je länger sie in Unwissenheit verblieben, desto größer wurde die Gefahr für den Pharao und das Zweifache Reich. Die Wachen hatten den Mitanni vor die Füße Kysens geworfen. Jetzt kauerte er dort, als wollte er jeden Augenblick auf ihn losgehen. Seine dattelförmigen Augen funkelten in dem goldenen Licht und den schwarzen Schatten einer Öllampe. Sie steckte auf einem hölzernen Ständer, der Kysen fast bis zur Schulter reichte. Hohe, rechteckige Fenster ließen nur wenig Tageslicht in den spärlich ausgeleuchteten Raum. Der Gefangene blickte zu den Wachen, die beidseitig neben ihm und Kysen postiert waren. Abu und Reia standen neben den Säulen zwischen Kysen und der Tür. »Fürst Meren hatte recht«, sagte Abu. »Gedungene Söldner. Wir haben gehört, daß die Soldaten der Mitanni angesichts der Invasion der Hethiter die Flucht ergreifen.« 215
»Geh in die Amtsräume des Wesirs und hole einen Schreiber, der mit dem Mann reden kann«, sagte Kysen zu Reia. »Aber hol keinen, der nur geschriebene Dokumente übersetzen kann. Und Reia, beeil' dich.« Als Reia gegangen war, betrachtete Kysen den Gefangenen. Seine Lippen waren rissig und geschwollen. Blut stand getrocknet in seinen Mundwinkeln. »Du bist sicher, daß dies einer der sogenannten Banditen ist, die Prinz Ahiram angegriffen haben.« »Ja, Herr«, sagte einer der Wachen. »Wir sind ihm vom Scharmützel weg gefolgt, aber seine Pferde waren schnell, wir konnten ihn nicht einholen, bis eines seiner Tiere anfing zu lahmen.« Kysen wandte sich von dem Gefangenen ab und goß einen Becher voll mit Wasser aus einem Krug, der neben einer der Säulen stand. Er näherte sich dem Gefangenen, dessen Körper sich anspannte, als er beobachtete, wie Kysen auf ihn zukam. Kysen hielt einen Schritt vor dem Mann und reichte ihm den Becher. Der Gefangene bewegte sich nicht. Seufzend trank Kysen einen Schluck Wasser, dann hielt er ihm den Becher erneut hin. Eine Hand schnellte hervor und griff nach ihm. Der Fremde schluckte geräuschvoll, trank den ganzen Becher leer und streckte ihn Kysen hin. Kysen lächelte bei dieser Geste. Nur wenige Gefangene waren mutig genug, Forderungen zu stellen. Aber dieser hier begegnete seiner Situation mit Todesverachtung. Kysen erkannte es daran, wie er seine Wächter ansah, er grinste fast. Als er den Becher nochmals füllte, sprach der Mitanni zum ersten Mal. Er spuckte unverständliche Worte aus wie unsichtbare Speere. Kysen verstand nichts, nur ein einziges Wort schien Sinn zu machen – Saustatar. Saustatar war ein großer mitannischer König gewesen, ein Eroberer, der die unbarmherzigen und blutrünstigen Assyrer bekämpft und den königlichen Palast in Assur geplündert hatte. Kysen runzelte die Stirn und dachte über den jungen Krieger vor 216
ihm nach. Wie konnte ein toter König für diesen Soldaten solche Bedeutung haben, daß er ihn über sein Leben stellte? Kysen wandte sich an Abu. »Warum –« Bevor er seinen Satz beenden konnte, öffnete sich die Tür. Reia führte Rahotep und Tanefer in die Halle. »Was ist denn los, Ky?« fragte Tanefer. »Reia rief nach mir, da du meine sprachmächtige Zunge benötigst.« Dann sagte er etwas auf Mitannisch und verbeugte sich spöttisch vor Kysen. »Ein Bandit?« fragte Rahotep, als er hinüberging, um den auf dem Boden kauernden Gefangenen genau anzusehen. Reia sagte: »Ihr wart in Eile, Herr, ich habe Prinz Tanefer auf der Straße getroffen.« Kysen bemühte sich, Reia nicht wütend anzufunkeln und zögerte. Wie sollte er dieses Angebot ablehnen, ohne Tanefer zu beleidigen? Bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, brach ein Wortschwall aus dem Gefangenen hervor. Tanefer hob den Kopf. Er wurde still und starrte den Mitanni an, dann sagte er ein paar Worte zu dem Mann. Der Gefangene antwortete mit einem weiteren Wortschwall, von dem Kysen wiederum ›Saustatar‹ verstand. »Was sagt er?« fragte Kysen, als sie beide zu dem Mitanni hinübergingen. »Er spricht zu schnell«, sagte Tanefer. »Denkt dran, Ky, daß nur meine Mutter diese Sprache mit mir sprach, und sie ist schon seit Jahren tot. Ich will ihn bitten, langsamer zureden.« »Macht Euch keine Mühe«, sagte Kysen, aber Tanefer sprach bereits mit ihm. Langsam und ruhig sagte er etwas, während Rahotep um den Gefangenen streifte und ihn begutachtete, als wäre er ein für Opfergaben bestimmter Ziegenbock. In einem schnellen Sprung schlug der Mitanni die Lampe von dem Ständer und stürzte sich auf Rahotep. Die Lampe fiel krachend zu Boden. Öl floß aus, eine Flam217
me glimmte auf und erlosch. Der Raum war nun fast vollkommen dunkel. Kysen und Tanefer hatten versucht, der ersten Bewegung des Gefangenen Einhalt zu gebieten, aber er war schneller als sie. Jetzt, in der Dunkelheit waren sie wie blind. Kysen hielt abrupt inne, um sich zu orientieren. Er horchte auf die Laute sich schlagender Männer und auf fremdartige Schreie, die immer höher und höher wurden. Jemand stürzte sich auf ihn. Er fiel nieder, als Hände sich um seinen Hals legten und zudrückten. Dann gelang es Reia, die Tür zu öffnen und er erkannte seinen Angreifer. »Abu, runter von mir!« »Vergebt mir, Herr. Ich hielt Euch für den Söldner.« Sie kamen wieder auf die Beine und sahen einen Haufen von Körpern. Rahotep schob sich von dem Söldner, dann zog er den Gefangenen von Tanefer. Der Gefangene rollte auf den Rücken, gurgelte. Ein Dolch steckte in seiner Brust. Seine Hände umklammerten den Griff, als er starb. Kysen ließ sich neben dem stöhnenden Tanefer nieder. Er half seinem Freund, sich aufzusetzen. Halsreif und Brust waren mit Blut besudelt. »Ihr seid verletzt?« fragte Kysen. »Mein Kopf ist angeschlagen. Er hat mich zu Boden geworfen.« Beide betrachteten den Toten. »Ich hätte Euch warnen sollen«, sagte Tanefer. »Aber er war zu schnell für mich. Er sagte, nie würde er es diesen ägyptischen Hunden erlauben, ihn zu foltern und zu töten. Er wollte wie ein Krieger sterben, aber ich glaubte nicht, daß er sich das Leben nehmen würde.« »Ich ebensowenig«, sagte Kysen, als er Tanefer einen langen Blick zuwarf. Er ging zu dem Toten hinüber und zog ihm den Dolch aus der Brust. Es war eine kostbare Waffe mit goldenem Griff. Nicht die 218
gewöhnliche Waffe eines dienenden Kriegers. Seinen eigenen Dolch hatte er noch, Tanefer ebenso. Kysen wandte sich Rahotep zu, der das Blut an Tanefers Halskragen anstarrte. »Er gehört Euch.« Rahotep warf einen Blick auf die Waffe und nickte. »Er muß ihn entwendet haben, als er sich auf mich stürzte.« »Ihr müßt Euch doch gewehrt haben.« »Natürlich, aber wir sind erst gegen die Säule geprallt und dann gegen Tanefer. Ich hätte keine Zeit gehabt, ihn zu töten. Wenn Tanefer es nicht war, dann muß er es selbst getan haben.« Kysen fluchte leise und gab Befehl, den Leichnam in eine der Zellen zu bringen. Er hätte Rahotep und Tanefer niemals in die Kaserne lassen sollen. Er war wütend auf sich selbst und ebenso auf Reia. Wie sollte er es Meren erklären, daß sie den einzigen lebenden Zeugen in dieser schattenhaften Serie von Verbrechen verloren hatten. Und wo war Meren überhaupt? Er war schon seit dem Morgen fort, jetzt war es Mittag.
Kapitel 16
M
eren verließ die Amtsräume des Wesirs und lenkte sein Gespann eine Straße entlang, die um die zahlreichen Regierungspaläste führte. Er hatte Ay hierher begleitet, um mit ihm abzuwägen, wie vertrauenswürdig die Männer sein mochten, die den Pharao nun bewachten. Jetzt brachen der unterdrückte Zorn und die Trauer über das Zerwürfnis mit dem König wieder hervor. 219
Er erinnerte sich, daß es erst wenige Wochen her war, seitdem er Nachforschungen zu einem Mordfall im Tempel des Anubis geleitet hatte, in deren Verlauf Kysen bemerkt hatte, wie töricht es sei, ein verstorbenes Mitglied der Pharaonenfamilie zu berauben. Es wäre weniger verhängnisvoll, Könige zu bestehlen, die schon lange tot und deren Namen längst vergessen waren. Doch jetzt war dieses unsägliche Verbrechen begangen worden. Warum jetzt? Ahiram hatte Echnaton lange Zeit gehaßt, weil dieser den langjährigen Verbündeten Ägyptens, den Prinzen von Byblos – seinen Vater –, nicht im Kampf unterstützt hatte. Aber seit Echnatons Tod waren Jahre vergangen, und Ahiram schien seinen Zorn vergessen und sich an ein neues Leben gewöhnt zu haben. Er war als Knabe nach Ägypten gekommen, war mit den anderen königlichen Kindern ausgebildet worden und ist stets zwischen der reichen Handelsstadt und Ägypten hin- und hergereist, bis die Auseinandersetzungen mit den hethitischen Plünderern es für ihn zu gefährlich machten, nach Hause zurückzukehren. Ahiram hatte am Hof ausgeharrt und erhielt immer häufiger gequälte und verzweifelte Botschaften von seinem Vater. Er hatte Echnaton angefleht, einzugreifen, seinem Vater die sagenumwobene ägyptische Armee zu Hilfe zu schicken. Aber Echnaton zog die friedliche Abgeschiedenheit einer kostspieligen Kriegsführung vor. Meren erinnerte sich, daß der König zu Ay gesagt hatte, er würde mit demjenigen Handel treiben, der die Oberhand gewinne, Byblos brauche das ägyptische Gold, egal, wer es regierte. Und so war es Ahiram nicht möglich gewesen, seinem Vater, Rib-Addi, dem langjährigen Freund des treulosen Ägypten, zu helfen. War es dieser Zorn, der ihn dazu bewogen hatte, Rache an Echnaton zu nehmen? Hatte er vielleicht sogar etwas mit dem Tod des Königs zu tun? Eine sinnlose Spekulation, wenn man bedachte, wie wenig Meren über die Umstände dieses Todes wußte. Er lenkte seinen Wagen über eine Wegkreuzung, an der sich zahl220
reiche Stände von Obst-, Bier- und Fischhändlern und Verkäufern anderer Waren befanden. Ein Mann hatte sein Sonnensegel an einem Obelisken befestigt, der von einem vor langer Zeit verstorbenen König an dieser Stelle errichtet worden war. Fußgänger machten Meren den Weg frei, während einige Händler versuchten, seine Aufmerksamkeit auf ihre Waren zu lenken. Aber er war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um anderes zu tun, als sie aus dem Weg zu winken. Warum sollte jemand gerade jetzt versuchen, Echnatons Seele zu zerstören? Und was war mit Qenamun und den anderen Priestern des Amun? Ohne Beweise konnte er sie auch nicht anklagen, sich mit Ahiram verbündet und das königliche Grab ausgeraubt zu haben. Trotzdem, sie mußten hinter dem Verbrechen stehen. Er hätte alles darauf wetten mögen. Er mußte Ebana, Parenefer und Rahotep verhören, aber ohne das Vertrauen des Pharao fehlte ihm die Macht, sie so sehr einzuschüchtern, daß sie ihm Antwort gaben. Jedenfalls würde er sich unter vier Augen mit Tanefer unterhalten, denn er kannte all diese Männer, ebenso wie er Qenamun gekannt hatte. Warum sollte jemand Echnatons Grab zu diesem Zeitpunkt schänden? Hatte Parenefer seinem Rachedurst nachgegeben? Vielleicht hatte Tutenchamun, da er den alten Mann mit seiner jugendlichen Arroganz beleidigt hatte, diesen Vergeltungsschlag heraufbeschworen. Nach dem Errichten dieser kolossalen Statue vor dem Tor Gottes hatte sich Parenefers Laune auch keineswegs verbessert. Oder hatte der Hohepriester sein Gefühl, schlecht behandelt worden zu sein, seinen Groll so lange gehegt, bis er jeden Sinn für Vorsicht verloren hatte? Parenefers Geldgier war immer größer geworden, seit Amun wieder eingesetzt war. Egal, wie viele seiner großen Besitztümer der Pharao dem Gott überschrieb – Amun besaß mehr Land als sonst jemand außer dem Pharao, Hunderte von Obsthainen, fast eine halbe Million Stück Vieh, unzählige Dörfer, Schiffe 221
und Werkstätten und fast einhunderttausend Arbeiter – der Priester war nie zufrieden. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als eine Frau auf dem Dach eines Hauses, an dem er gerade vorbeifuhr, einen Teppich in die Luft schwang und ihn ausschlug, so daß der Staub auf ihn niederfiel. Er fluchte und hustete. Er griff nach der Seitenwand des Wagens, öffnete sie, klopfte sich den Staub aus den Kleidern, und zügelte die Pferde bis sie stillstanden. Die Frau sah zu ihm hinunter, schlug sich die Hand vor den Mund und verschwand über eine innere Treppe nach unten. Sie eilte auf die Straße und warf sich unter unaufhörlichen Bitten um Vergebung zu Boden. »Es war ein Unfall, Herr.« Er nickte ihr zu und ließ die Zügel wieder auf die Rücken der Pferde niedersausen. Bald bog er in eine breitere Straße und achtete darauf, in der Mitte zu fahren, außer Reichweite von putzenden Frauen. Er zügelte die Pferde erneut und das Gespann fiel in Trab. Hausschwelle um Hausschwelle zog an ihm vorbei. Die Straße schien verlassen. Die Sonne brannte direkt auf ihn herab. Hitze stieg von der gepreßten Erde unter den Wagenrädern zu ihm auf und flutete ihm von den drei und vier Stockwerke hohen, unregelmäßigen Häuserwänden entgegen. Weißer Schaum bildete sich auf dem Rücken der Pferde, die unter der Hitze litten, während er nachdachte. Meren machte sich Vorwürfe wegen seiner Nachlässigkeit und spornte sein Gespann an, es durfte jetzt nicht mehr weit bis nach Hause sein. Als er das Ende der Straße erreichte, sah er nackte Haut und einen weißen Lendenschurz aufblitzen. Er schrie und zog hart an den Zügeln, als ein Kind vor die Hufe der Pferde sprang. Sie verlangsamten kaum ihren Schritt, scheuten jedoch, als sie eine undeutliche Bewegung vor sich wahrnahmen, hoben sich abrupt auf die Hinterbeine und wieherten aufgeschreckt. Der Wagen kippte zur rechten Seite. Meren mußte ihn ein Stück 222
auf einem Rad balancieren, er durfte sein Gleichgewicht nicht verlieren und versuchte, wieder Kontrolle über die Pferde zu erlangen. Seine Schulter schlug an die Wagenwand. Er warf sich auf die andere Seite des Fahrzeugs und stemmte die Füße gegen den Boden. Er fiel und die Zügel glitten ihm aus den Händen, aber der Wagen stand auf seinen Rädern, als er wieder aufkam. Außer Atem sprang er ab und ergriff das Pferdegeschirr. Mit einem Mal sah er sich von Soldaten umgeben. Lange Röcke, Krummsäbel, Speere. Fußtruppen, keine Wagenlenker. Meren zählte neun Männer. Er hatte keine Chance. Zwei von ihnen griffen nach den Pferden und beruhigten sie. Meren hörte das Schnauben eines anderen Gespanns, blickte auf und erspähte einen Wagen, der die Straße herunterkam. Horemheb stand neben dem Lenker, sein Gesicht war ausdruckslos. Als er an Meren vorbeikam, sprang er aus dem fahrenden Wagen. Meren warf ihm einen finsteren Blick zu. »Was habt Ihr vor, verdammter Schurke?« »Folgt mir.« Er blickte sich im Kreis der Soldaten um und schüttelte den Kopf. Horemheb schürzte die Lippen. »Was ist los mit Euch? Traut Ihr mir nicht? Nein, ich sehe, Ihr tut es nicht. Doch folgt mir, Ihr habt keine Wahl.« Meren beobachtete, wie Horemheb sich umdrehte und in den schwarzen Tiefen eines Hauses verschwand, neben dem sie angehalten hatten. Drei Männer machten einen Schritt auf ihn zu. Er bedrohte sie mit einem Blick, den er sonst Rekruten vorbehielt, die noch grün hinter den Ohren waren und dumme Fehler machten. Sie blieben vor ihm stehen, er folgte Horemheb ins Haus. Dabei sah er über die Schulter noch einmal auf die Straße zurück. Außer seiner Eskorte waren sämtliche Soldaten und beide Wagen verschwunden. Eine Frau bog in die Straße ein, sie zog einen Esel hinter sich her. Meren zögerte, versuchte abzuschätzen, ob eine Möglichkeit 223
zur Flucht bestand, aber eine Hand griff ihn am Arm und zog ihn in die Dunkelheit. Er griff nach seinem Dolch, aber die Hand hatte ihn schon wieder losgelassen. »Laßt das, Meren«, sagte Horemheb. »Gegen Speere habt Ihr keine Chance.« Er streckte die Hände vom Körper weg. Jemand schloß die Tür. Ein weiterer Soldat erschien aus dem Inneren des Hauses und brachte zwei Lampen herbei. Horemhebs grobe Gesichtszüge und seine krumme Nase tauchten in dem flackernden Licht auf. Die gelbe Flamme schien seinem sonnengebleichten Haar noch zusätzlichen Glanz zu verleihen. Dann, plötzlich, waren sie allein. »Ich will mit Euch reden«, sagte der General. Meren wirbelte herum, ging zur Tür und legte seine Hand auf den Knauf. »Ihr schenkt diesen Lügen also ebenfalls Glauben.« Er ließ den Türknauf los, wandte sich um und lehnte den Rücken gegen die Tür. »Welchen Lügen?« »Ich mag vielleicht einfacher Herkunft sein, Meren, aber ich bin nicht dumm. Ihr bekommt Gerüchte doch vor allen anderen zu hören, deshalb weiß ich, daß Ihr die über mich ebenfalls kennt. Ich bin unzufrieden, befürchte, daß Ägypten unter die Herrschaft der Hethiter fallen wird. Ich glaube, daß das Königreich einen starken Mann an der Spitze braucht, und daß ich der Richtige dafür bin.« »Wir sind Freunde, seit unserer Knabenzeit.« »Ja.« »Ihr habt mir das Leben gerettet.« Meren bewegte sich nicht, als Horemheb auf ihn zukam, er senkte seine Augen nicht zu Boden. »Ja, das tat ich«, sagte Horemheb. »Und wir haben dem Pharao gemeinsam gedient.« »Worauf wollt Ihr hinaus?« 224
»Und in all dieser Zeit«, sagte Meren, »habt Ihr mich niemals gewaltsam entführt und mich Eurem Willen unterworfen.« Horemheb fluchte, steckte seine Daumen in den Gürtel und blickte zu Boden. Nach einer Weile hob er den Kopf und sah Meren erneut an. »Vergebt mir, alter Freund. Diese Gerüchte haben mir fast den Verstand geraubt. Sogar Maja ist mir gegenüber voller Mißtrauen, und heute hat sich der König geweigert, mir eine Audienz zu gewähren. Ay rät zur Geduld, aber ich weiß, was Männern passiert, die das Vertrauen des Pharao verlieren.« »Habt Ihr die Stadt in den letzten vierzehn Tagen einmal verlassen?« »Was?« Horemheb warf ihm einen verwirrten Blick zu. »Wie hätte ich sie denn verlassen können? Wir haben doch Pläne für den Feldzug gemacht, gegen den Ihr Euch so sehr gesperrt habt.« »Also habt Ihr Theben nicht verlassen.« »Das sagte ich doch schon, nicht wahr? Wovon sprecht Ihr eigentlich?« »Ahiram ist tot.« »Tot! Ich glaubte, daß er Schulden gemacht oder eine jungfräuliche Prinzessin geschwängert hätte. Warum tot?« Meren fuhr fort, Horemheb zu beobachten. »Jemand hat Söldner angeheuert, um ihn aufzuspüren und zu ermorden.« Nichts. Kein Flattern des Augenlids, kein Zucken eines Muskels. »Dann hatte Ahiram einen mächtigen Feind«, sagte Horemheb. »Ja. Einen, der ihm Soldaten hinterherschicken konnte. Nicht unähnlich dem, was Ihr mit mir gemacht habt.« Die Stille, die auf diese Worte folgte, wurde nur durch das Geräusch ihres Atmens unterbrochen. »Einen Unterschied gibt es«, sagte Horemheb sanft. »Welchen?« »Ihr seid immer noch am Leben.« 225
Meren reckte das Kinn. »Und soll ich das auch bleiben?« »Nicht, wenn Ihr nicht aufhört, mir Verdächtigungen entgegenzuschleudern, verdammt sollt Ihr sein. Wie könnt Ihr mir eine solche Frage stellen? Ich komme, um Euch um Hilfe zu bitten, mögen die Götter Eure Haut verfluchen. Jetzt glaube ich, es wäre besser gewesen von diesem alten Haufen Geierdung namens Parenefer Hilfe zu erbeten.« Schließlich lächelte Meren. Sein Temperament zu zügeln und um Hilfe zu bitten, das waren Fertigkeiten, die Horemheb kaum beherrschte. »Ich habe vielleicht gar nicht die Macht, Euch auf lange Sicht zu helfen. Ich bin ebenfalls beim Pharao in Ungnade gefallen.« »Ihr? Wie das?« Meren antwortete nicht sofort. Wenn er sich Horemheb anvertraute, dann war es möglich, daß er einem Verräter in die Hände fiel, Ahiram hatte ihn gewarnt. Doch wenn das stimmte, war es sowieso schon zu spät. Er konnte nicht glauben, daß sein Freund hinter der wie auch immer gearteten Verschwörung stand, die um ihn gärte. Hätte Horemheb den Wunsch gehabt, die Macht zu ergreifen, so hätte er das kurz nach Echnatons Tod tun können, als Tutenchamun noch ein Kind und die Regierung in Unordnung war. Sprachen denn nicht die Handlungen eines Mannes für seinen Charakter? Horemheb hatte ihm das Leben gerettet, er hatte sich dem Schutz des Zweifachen Reiches verschrieben. Manchmal mußte man etwas riskieren, man muß seinen Freunden vertrauen. Langsam begann Meren zu berichten, was er vom Tod Ahirams, Qenamuns und des Reinen, Unas, wußte. »Ich denke also, daß Ahiram die Kobras in Qenamuns Schreibschatulle gelegt hat, aber der Diener, der ihm dabei half, wurde wie sein Herr getötet. So weit gibt es niemanden, der seine Tat bezeugen könnte. Der Türsteher sagt nur, daß ihm und einem anderen Diener befohlen wurde, sich den Weidenkörben nicht zu nähern.« 226
Sie saßen nun auf dem Boden und eine Öllampe stand zwischen ihnen. Horemheb hatte seine Männer entlassen. Der General reichte Meren einen Becher mit Bier und grunzte. »Ihr glaubt also, daß die drei Todesfälle und die Zwietracht bei Hof miteinander in Verbindung stehen?« »Ja«, sagte Meren. »Aber ich kann die einzelnen Fäden nicht zu einem Tuch zusammenweben. Keiner gibt zu, an dem Morgen, an dem der Reine getötet wurde, etwas gesehen zu haben. Wir haben nie den Jungen gefunden, der die für Unas bestimmte Botschaft, vor dem Morgengrauen in den Tempel zu gehen, gebracht hat. Als nichts geschah, kam ich fast schon zu dem Schluß, daß Ahirams Tod doch ein Unfall war. Dann aber wurde Unas' Haus von einem großen, rasierten Mann durchsucht, der nach Duftkegeln roch.« »Das kann der Lesepriester gewesen sein.« »Ihr würdet niemals einen guten Ermittler abgeben, Horemheb. Ihr verlaßt Euch zu sehr auf Annahmen.« »Was meint Ihr damit?« »Ich meine, daß die Beschreibung zu ungenau ist und auf viele Männer passen würde, selbst auf Euch oder meinen Vetter Ebana, oder diesen allzu freundlichen Nachbarn, Nebera. Deshalb verbreiteten wir das Gerücht, daß Kysen die Tonscherben gefunden hatte.« »Um das Opfer aufzuscheuchen«, sagte Horemheb. Meren nickte. »Aber mit unserem Erfolg war es zu viel des Guten, denn als Kysen zu Unas' Haus ging, um es zu untersuchen, versuchte jemand, ihn zu töten.« »Bei den Göttern! Habt Ihr den Betreffenden gefaßt?« »Nein, und ich danke den Göttern, daß Kysen nicht verletzt wurde. Ich hatte Qenamun schon zuvor verhört. Er schien ehrlich, offen und aufrichtig zu antworten.« »Klingt nicht nach einem Priester des Amun.« »Nein«, sagte Meren. »Und was noch schlimmer ist, es war kurz nach diesem Verhör, als der Anschlag auf Kysen verübt wurde. Es 227
gefällt mir gar nicht, daß Qenamun, Ebana und auch Rahotep in der Nähe waren, als jemand versuchte, ein Stück Mauer auf den Kopf meines Sohnes zu werfen. Kysen war so wütend, daß er sie mit seinem Verdacht, sie würden hinter dem Anschlag stecken, offen konfrontierte.« »Rahotep. Unser Prinz Allwissend, der immer gleich auf den Punkt kommt, wenn es darum geht, uns etwas unter die Nase zu reiben, und der sich für königlicher hält als er ist.« Sie tauschten einen spöttischen Blick. »Am gleichen Tag zu späterer Stunde wurde Qenamun getötet«, sagte Meren. »Die Kobras«, sagte Horemheb. »Ich habe es nicht getan. Wenn ich einen Menschen töten will, dann wähle ich eine direktere Methode.« »Aber Ihr hattet mit ihm zu tun.« »Qenamun war ein guter Traumdeuter.« Meren lächelte seinen Freund an. »Das finden auch Djoser und Rahotep, und Rahotep war bei ihm, als er getötet wurde. Ebenso, wieder einmal, Ebana. Und kurz vor Qenamuns Tod begannen die Gerüchte über Euch.« »Bei den Hoden des Seth, ich habe nichts getan!« »Beruhigt Euch. Ich klage Euch ja auch nicht an. Jeder, der Qenamuns Gewohnheiten kannte, hätte den Tempel an dem Tag betreten können, an dem er ihn zu früher Stunde verließ, und die Schlangen verstecken können. Von denen, die das wußten, haben viele eine hohe, gesellschaftliche Stellung inne – Djoser, Rahotep, Ahiram und Ihr, unter anderem.« »Schon wieder ich.« Meren seufzte. »Wollt Ihr mir erlauben, fortzufahren? Wie kann ich nachdenken, wenn Ihr mich dauernd anschnauzt? Ich hätte dazu nach Hause gehen sollen.« »Nein. Nein. Ich werde jetzt ruhig sein.« 228
»Und all das geschah, während Ihr und ich und die anderen Ratgeber des Pharao über die Unruhen in Syrien und Palästina, über die Hethiter und darüber, ob der König in die Schlacht ziehen sollte, stritten. Ihr wißt, daß vor den Hethitern flüchtende Soldaten aus dem mitannischen Reich die ägyptischen Grenzen überschreiten. Tanefer hat mich vor Ärger gewarnt, und jetzt hat sich seine Prophezeihung erfüllt.« »Aber was hat das alles mit diesen Mordfällen zu tun?« »Nichts. Nur, daß der Hof bereits aus den Fugen geriet, daß Gerüchte und Unruhe brodelten, und just in diesem Augenblick Ahiram verschwand. Es war nach der Nilpferdjagd. Ich denke, er tötete Qenamun und dann verließ ihn der Mut.« »Das klingt gar nicht nach Ahiram.« »Ich weiß, aber wenn man in Betracht zieht, was er zu verbergen suchte, dann ergibt es durchaus Sinn. Vielleicht glaubte er, daß die Götter zornig waren, und daß dies der Grund war, warum er beinahe von einem Nilpferd aufgefressen wurde.« »Ja«, sagte Horemheb. »Selbst ich würde langsam den Verstand verlieren, wenn ich das Grab eines Pharao ausgeraubt und geschändet hätte.« »Und bevor ich ihn erwischen konnte, war er von maskierten Söldnern ermordet worden.« Meren starrte in die Flamme der Lampe. »Und dieser letzte Mordfall macht die ganze Geschichte etwas klarer, denn wer immer Ahiram auch getötet haben mag, muß es getan haben, um ihn davon abzuhalten, seine Komplizen zu verraten, vor allem den Anführer der Verbrecher. Diese Person hat einen langen Arm, lang genug, um Ahiram zu jagen und ihn zu töten, und er besitzt die Kühnheit, alles zu riskieren, um gegen einen toten König vorzugehen.« »Wir wissen beide, um wen es sich handelt. Parenefer.« »Ich habe Euch doch gebeten, keine Mutmaßungen auszusprechen, mein Freund. Es gibt zu viele Lücken, zu viele Dinge, die wir 229
nicht wissen. Wer hat Unas getötet und warum? Es kann Qenamun gewesen sein oder Ahiram oder jemand anders. Wenn er schuldig war, was war dann der wahre Grund dafür, daß Ahiram Qenamun getötet hat, und warum ist er geflüchtet, wo ich doch keinerlei Zeichen für meinen Verdacht geäußert habe?« »Meren –« »Ja, Horemheb.« »Eure Arbeit ist ungleich härter als meine. Ich muß nur im Krieg kämpfen. Ihr müßt in die Seelen der Menschen schauen und die Zukunft voraussagen.« Meren lächelte ihn an. »Eure Worte sind ein großer Trost für mich.« »Ihr sagt, daß Maja hinter den Gerüchten über mich steckt?« »Nein, er hat sie irgendwo aufgeschnappt, aber Tanefer hat uns mit der Nachricht von Qenamuns Tod unterbrochen, bevor ich Maja nach der Quelle des Gerüchts fragen konnte.« Horemheb erhob sich und reichte Meren die Hand. »Ich glaube, ich werde versuchen, Maja zu finden.« »Er ist am Hof.« Meren griff nach der Hand seines Freundes und zog sich daran hoch. »Aber stürzt Euch nicht auf ihn wie Ihr Euch auf mich gestürzt habt. Er wird so laut schreien, daß das Palastdach einstürzt.« Er ging nach draußen und stellte fest, daß der Knabe, den er fast überfahren hätte, im Schatten eines Sonnensegels seinen Wagen bewachte. Diesmal fuhr er langsam nach Hause und auf dem Heimweg bemühte er sich, nicht wieder ins Nachdenken zu verfallen. Als er ankam, war es still im Haus. Selbst der kleine Teufel Remi war ruhig, aber wahrscheinlich nur, weil er ein Schläfchen hielt. Meren holte sich Brot und Fleisch aus der Küche und ging in sein Arbeitszimmer. Pferdeknechte eilten in die Ställe. Krieger begannen hastig, Speerspitzen und Schwerter zu schärfen, als er an ihnen vorbeikam. Sein Schreiber verschwand in der Schreibstube. 230
Er war mißtrauisch, als er Kysen vor seinem Zimmer warten sah. Ein paar Augenblicke später, nachdem er seinem Sohn zugehört hatte, wurde er wütend. »Welcher Dämon hat dir eingegeben, Tanefer übersetzen zu lassen?« »Es ging alles so schnell. Ich wollte ablehnen, aber er begann ohne meine Erlaubnis. Ich hätte besser auf der Hut sein müssen.« »Bei den Göttern, das stimmt.« Meren stapfte zu dem Tisch hinüber, wo ein Krug mit Bier und der dazugehörige Filter sowie die Becher standen. Er griff nach einem, dann dachte er an die Gefahr, der Kysen sich durch diesen Kampf im Dunkeln ausgesetzt hatte. Etwas zerbarst. Kysen schrie auf, und Meren blinzelte. Er hatte den Becher gegen die Wand geworfen. Ein Tonsplitter war von der Wand abgeprallt und hatte Kysen in die Wange getroffen. Meren fluchte, griff ein Tuch vom Tisch und ging zu seinem Sohn hinüber. »Nein, tu deine Hand beiseite und laß mich nachsehen.« Er fand ein kleines Stückchen des glasierten Bechers in einem Schnitt in Höhe des Oberkiefers. »Halt still.« Er zog seinen Dolch und entfernte mit der Spitze sorgfältig den Splitter aus der Wange, dann betupfte er den Schnitt mit dem Tuch. »Vergib mir, Ky.« »Du hast es nicht mit Absicht getan.« »Das ist keine Entschuldigung. Ich habe dich verletzt.« »Was ist geschehen?« Kysen nahm ihm das Tuch aus der Hand und hielt es gegen das Blutrinnsal, das ihm von der Wange herabrann. »Es ist etwas geschehen. Das spüre ich.« Meren berichtete von den morgendlichen Ereignissen. Kysens Augen weiteten sich vor Schreck, als er vom Zorn des Königs hörte. Er versuchte, etwas zu sagen, aber Meren fuhr fort und erzählte von Horemheb. Kysen runzelte die Stirn, als er hörte, daß man seinem Vater aufgelauert hatte. 231
»Du sagst, daß ein mächtiger Mann hinter diesen Todesfällen und dem – dem großen Verbrechen stecken muß.« Er legte das Tuch beiseite. »Vergib mir, Vater, aber es könnte durchaus Horemheb sein, und er könnte gerade versucht haben, dich in die Irre zu führen.« »Er ist es nicht.« Meren wandte den Blick vom Blut auf der Wange seines Sohnes ab. Am Tag, an dem er Kysens Narben und Prellungen gesehen hatte, die ihm von seinem leiblichen Vater beigebracht worden waren, hatte er geschworen, diesem Jungen gegenüber niemals gewalttätig zu werden. »Nicht«, sagte Kysen. »Was?« »Es war ein Unfall.« Meren versuchte zu lächeln. »Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Wir müssen mit Ebana, Parenefer, Tanefer und Rahotep reden, aber vorsichtig, denn ich habe keine offizielle Erlaubnis, sie zu verhören.« »Mit Tanefer können wir auch ohne eine solche Erlaubnis reden«, sagte Kysen. »Ich weiß, und das werde ich auch, aber Rahotep macht mir Sorgen. Er taucht an allen möglichen merkwürdigen Orten zu besonders wichtigen Zeitpunkten auf – der Hafenmarkt, nachdem jemand versucht hatte, dich zu töten, im Haus des Lebens, als Qenamun getötet wurde, und jetzt hier, wo unser einziger Zeuge der Grabschändung und des Mordes stirbt.« »Ich werde ihn finden«, sagte Kysen und ging zur Tür. »Nimm Abu und seine Männer mit.« »Ich werde sie bei Rahotep nicht benötigen.« Meren sprang zur Tür und griff nach Kysens Arm. »Das war keine Bitte, mein Sohn.« Kysen schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Wie Ihr befehlt, oh 232
Großer, oh Augen des Pharao, mein Herr. Nur wünsche ich, daß Ihr Euch ebenfalls in acht nehmt, auch in bezug auf Horemheb.« »Geh jetzt, Ky. Und sei diesmal vorsichtig. Wer einen Prinzen tötet, schreckt auch nicht davor zurück, meinen Sohn zu ermorden.«
Kapitel 17
N
achdem Kysen gegangen war, entschloß sich Meren, die Papiere in Qenamuns Schatulle nochmals durchzusehen. Er las eine Deutung eines Traumes von Rahotep. In den meisten Träumen kamen die verschiedensten Tiere vor, deren einziger Trieb es war, die Eingeweide des Prinzen zu verspeisen. In anderen erschien Rahotep seine Mutter, um ihm zukünftige Größe zu prophezeien. Hatte Rahotep diese Prophezeiungen geglaubt und demgemäß gehandelt? Während Meren las, marschierte Remi herein. Er zog ein Spielzeugnilpferd an einer Schnur hinter sich her und hielt einen Spiegel in der anderen Hand. Meren warf die Deutungen beiseite, hob den Jungen auf den Arm und nahm ihm den Spiegel ab. Sein Griff bestand aus poliertem Silber und trug das Bild der Göttin der Schönheit und Fruchtbarkeit, Hathor. »Wo hast du das her, du kleiner Teufel?« »Weiß nicht.« »Weißt du es nicht, oder willst du es nicht sagen?« Remi wand sich in seinen Armen, deshalb setzte er das Kind wieder auf den Boden. Ein Lichtstrahl aus den hohen Fenstern schien ihm in die Augen, und er zuckte zusammen. Er legte den Spiegel 233
auf einen Tisch neben ihm, dann wandte er sich von ihm ab. Der Spiegel hatte Sit-Hathor gehört. Vor Jahren hatte er viele ihrer Besitztümer wegpacken lassen für die Zeit, da seine Töchter alt genug sein würden, um sie zu benutzen. Die kostbarsten davon, diejenigen, die ihn am meisten an sie erinnerten, verwahrte er in einer Truhe in seinem Schlafzimmer. Mutemwia war wahrscheinlich einen Augenblick lang abgelenkt. Wenn sie ihre Aufmerksamkeit auch nur für den Bruchteil einer Sekunde von dem Jungen abwandte, stahl er sich davon und machte irgendwelche Dummheiten. Er hörte, daß Mutemwia nach Remi rief. Der aber grinste, hielt sich seine beiden kleinen Hände über den Mund und kauerte sich auf dem Boden zusammen. Meren konnte sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Und sein Gelächter lockte die Kinderfrau ins Zimmer. »Ungehorsamer, schrecklicher kleiner Affe.« Mutemwia hob Remi auf. »Vergebt mir, Herr. Ich habe mich nur kurz mit dem Koch unterhalten, und schon war er verschwunden.« »Eine willkommene Unterbrechung, Mut. Aber bitte, keine weiteren Ausflüge mehr am heutigen Nachmittag. Ich habe viel zu tun.« »Ja, Herr.« Als Meren wieder allein war, fiel sein Blick erneut auf den Spiegel – er hatte vergessen, ihn Mutemwia mitzugeben. Er sinnierte, wie verliebt er mit fünfzehn Jahren in diese schöne, unnahbare Frau gewesen war. So verliebt, daß er in ihr Zimmer zu gehen und sie beim Schminken zu beobachten pflegte, womit er das ganze Haus schockierte. Zuerst war sie wütend gewesen, daß er sich bei ihr einschlich, so wütend, daß sie ihn angeschrien hatte. Obwohl er durch seine Unterweisung in der Kunst des Schreibens und der Kriegsführung abgehärtet war, hatte ihn ihr Zorn über diese kleine Übertretung sehr getroffen. Doch schon damals, vor neunzehn Jahren, hatte er seinen 234
Schmerz hinter einer ausdruckslosen Miene zu verbergen gewußt, eine Maske, die ihm das Gefühl gab, wie eine der geschnitzten Figuren in den Tempelwänden zu sein, schön aber erstarrt und leblos. Und die ganze Zeit war der Schmerz, der hinter dieser Fassade lauerte, nicht vergangen. Weil sie ihn damals nicht liebte. Dabei hatte er erwartet, daß sie ihn mit der gleichen Leidenschaft empfangen würde, von der die Harfner sangen und über die er in den Gedichten gelesen hatte. Er schloß die Augen und versuchte die Erinnerungen zu verdrängen. Dann hielt er nach einem Platz Ausschau, wo er den Spiegel verstauen konnte. Nach einem Ort, wo er ihn nicht sehen konnte. Sein Blick fiel auf Qenamuns Schatulle, die auf dem Tisch stand. Er wollte gerade den Deckel öffnen, als ihm die Kobras in den Sinn kamen. »Narr«, sagte er zu sich selbst. Dann öffnete er den Deckel so, daß der Kasten von seinem Körper weg zeigte. Der Kasten war leer, abgesehen von ein paar Schreibkielen. Seine Finger fuhren über die schlanken Schreibwerkzeuge, dann legte er den Spiegel in die Schatulle. Er ließ den Deckel offen stehen und nahm erneut Rahoteps Traumdeutungen zur Hand. Kunstvolle Hieroglyphen bedeckten einen langen, rechteckigen Streifen Papyrus – der Text des Traumes war mit schwarzer Tinte, die Deutung mit roter Tinte niedergeschrieben worden. Er las. Oberflächlich betrachtet kennzeichneten Rahoteps Träume ihn als heimlichen Helden, aber die magische Deutung widersprach dem Traum häufig. Wenn Rahotep von Erfolg träumte, prophezeite Qenamun eine Steuererhöhung, träumte er vom Tod einer seiner Frauen, sagte der Priester einen Diebstahl voraus. Rahotep war ein Prinz, aber er liebte es gar nicht, sich von seinen Schätzen trennen zu müssen. Vielleicht hatte er wirklich versucht, das Grab des königlichen Bruders auszurauben, aber Meren konnte nicht verstehen, 235
warum er oder Ahiram ihr Leben dafür riskiert haben mochten. Aber weder Rache noch die Schätze im Grab schienen ein ausreichendes Motiv für beide. Was für einen Grund konnte es noch geben? Welchem anderen Zweck konnte das Gold noch dienen? Wenn man das Grab des Pharao ausraubte, erreichte man zwei Dinge – man wurde reich und man beraubte den Toten in der Unterwelt seiner Versorgung. Rache endete mit der Zerstörung der Seele. Aber von den Reichtümern zehrte man länger. Und die Schätze eines Pharao waren enorm. Mit Hilfe dieser Einnahmen konnte man jeden Plan verwirklichen. Um was für einen Plan könnte es gehen? »Verbrechen«, murmelte Meren, während er die Traumdeutung zusammenrollte. »Geheime Schätze liefern einem die Mittel für Taten, die man zu verbergen trachtet.« Er erstarrte. »Verrat zum Beispiel.« Er legte die Rolle auf den Tisch und rieb sich den Nacken. Wie eine Wasserschlange in der Nacht glitt ein undeutlicher Gedanke durch sein Hirn, dunkel und nicht faßbar. Er fluchte leise, als er erkannte, daß er diesen Gedanken nicht einfangen würde, indem er ihm hinterherjagte. Er entschloß sich, an den Ort zurückzukehren, wo der Ursprung der Geheimnisse lag, zur Statue des lebenden Gottes Tutenchamun. Meren konnte das rhythmisch mahlende Geräusch von Steinen hören, als er sich dem Koloß näherte. Mit einer Fähre hatte er den Fluß allein überquert. Abu hätte ihn getadelt, weil er keine Eskorte mitgenommen hatte, aber er hatte häufig das Bedürfnis, bei seinen Nachforschungen allein zu sein. Seine Überlegungen waren umfassender, wenn er nicht von einem ungeschlachten Krieger oder einer Gruppe von Dienern umgeben war. Er wußte, daß seine Freunde sich über sein häufiges Bedürfnis nach Einsamkeit wunderten. Große Männer bewegten sich mit ei236
nem Schwarm von Dienern durch die Welt – je bedeutender der Mann um so zahlreicher die schnatternden Gefolgsleute. Aber Meren brauchte kein Gefolge, um seine Bedeutsamkeit zu beweisen, keine Günstlinge, die ihm bei der Betrachtung einer Statue beistanden. Ein Großteil der Oberfläche des Kolosses war mittlerweile poliert worden. Er stand in einiger Entfernung und beobachtete, wie die Arbeiter das Gerüst hinaufkletterten. Die Inschriften mit den Namen des Königs am Fuß der Statue waren nun vollständig. Ein Meistersteinmetz war dabei, die Gravuren zu überprüfen. Gerade glitt seine Hand über eine der Hieroglyphen des Krönungsnamens des Königs, Nefercheprure. Dann rieb der Handwerker mit einem Tuch über das Zeichen des Blattes, das einer Feder ähnelte. Seine Finger glitten über die Oberfläche des Blattes. Dann ging er zum nächsten Feld über. Das Tuch glitt über das oberste Symbol, die geschwungene Oberfläche der Sonnenscheibe. Sie schwebte über dem Käfer, in einer Gruppe von Zeichen, die ›Tutenchamun‹ bedeuteten. Dann fuhr er über den Umriß eines ovalen Feldes, genau über der Sonnenscheibe. Er sah die Plattform, die noch den Kopf umgab. Er versuchte abzuschätzen, von welchem Punkt aus Unas heruntergefallen war. Kysen hatte sich zurecht über die Stelle des Aufpralls Gedanken gemacht, denn Unas hätte sich von der Leiter abstoßen müssen, um dort zu landen. Dieses Rätsel beschäftigte ihn, während er das geheiligte Tor des Gottes durchschritt und sich seinen Weg durch Schwärme von Priestern, Arbeitern und Lieferanten zum Haus des Lebens bahnte. Er zog die Aufmerksamkeit auf sich, als er sich dem Gebäude näherte, aber das überraschte ihn nicht weiter. Ein Mord war seinem letzen Besuch vorangegangen, hier hatte er sich dem Hohepriester widersetzt. Ein Novize glitt seitlich an ihm vorbei und schoß in den Tempel. Zweifellos auf dem Weg zu einem der Pro237
pheten, um die Nachricht von seinem Eintreffen zu überbringen. Mit einer Handbewegung wischte er die servilen Aufmerksamkeiten eines der ersten Schreiber im Haus des Lebens beiseite, ließ sich eine Lampe bringen und schritt allein zu Qenamuns Raum. Er stieß die Tür auf und hielt die Lampe in die Höhe. Jemand hatte die Kammer in Ordnung gebracht. Papyrusstreifen, zerbrochene Tongefäße und Wachsfiguren waren weggefegt worden. Die Dokumente, die im ganzen Raum verteilt gewesen waren, lagen zusammengerollt in ordentlichen Bündeln da. Einige solcher Bündel standen mit der Spitze nach unten auf dem Boden. An der Wand zu seiner Linken waren die Borde mit den Texten. Vor ihm stand der Tisch, auf dem Qenamun gestorben war. Jemand hatte seine Schreibutensilien daraufgelegt. Meren betrachtete die Tintenfässer, ein Messer, das zum Spitzen der Schreibkiele benutzt wurde, die unentbehrliche Palette des Schreibers. Sie bestand aus mit Elfenbein verziertem Holz, die kostbare Version eines alltäglichen Arbeitsinstruments. Es handelte sich um einen schlanken, länglichen Kasten mit zwei Aushöhlungen für die rote und die schwarze Tinte. Tausende von Schreibern trugen die bescheideneren Versionen dieser Palette durch die Stadt. Eine Schiebetafel bedeckte den Schlitz, der zur Aufbewahrung der Stifte benutzt wurde, aber er war leer: In der Hast, mit der er die Schreibutensilien durch Kobras ersetzt hatte, hatte Ahiram über fünfzig Stifte auf den Boden der Schatulle geworfen, die nun in Merens Arbeitsraum stand. Keiner hatte die unvollendete Wachsfigur des hethitischen Königs mit ihrem Fluch bewegt. Die Inschrift rief jede Verschwörung, jede böse Tat, jedes schreckliche Schicksal und sämtliche Ungeheuer der Unterwelt auf das Haupt des Supiluhumas herab, dessen Name in einer Kartusche verborgen war. Meren stellte die Figur beiseite. Er warf einen Blick auf den Stapel Schüsseln hinter der Figur. Sie 238
waren sauber, unbenutzt. Er ging weiter und fuhr fort, das Zimmer zu durchsuchen. Er hatte nur wenig Hoffnung, hier irgend etwas zu finden. Qenamun war zu schlau, um offensichtliche Zeichen seiner Schuld zurückzulassen, und er hatte diesen Raum ja auch schon einmal durchsucht. Er beugte sich gerade über eine Dokumententruhe aus Leder, als ein Schatten auf ihn fiel. Er wandte sich um und stand Auge in Auge mit Ebana. Sein Vetter schloß die Tür und versperrte Meren den Weg hinaus. »Ich hätte nicht gedacht, daß du nach unserem letzten Zusammentreffen noch einmal herkommen würdest.« Meren richtete sich auf und lehnte sich gegen den Tisch. »Wußtest du, Vetter, daß du einer der wenigen Menschen bist, die mich nicht als erstes gefragt haben, ob ich Ahiram erwischt habe?« »Würdest du es mir denn sagen, wenn ich dich fragte?« Es war, als balanciere man auf der Spitze eines Obelisken. Er konnte die Zerstörung in Achet-Aton nicht offen erwähnen, und doch mußte er unbedingt wissen, ob Ebana daran beteiligt war. »Soll ich es dir sagen?« fragte Meren. »Ich werde dir erzählen, was vermutlich geschehen ist. Ahiram ist aus Furcht geflohen, er hatte Angst, daß ein von ihm begangenes Verbrechen aufgedeckt würde, und wurde von Banditen getötet, bevor ich ihn erreichen konnte.« Ebana wandte den Blick nicht ab. Er sah Meren in die Augen. »Was für ein Verbrechen?« »Ich habe dir die Oberfläche des Sees beschrieben, auf der die Lilien schwimmen. Bist du sicher, daß du auch den unappetitlichen Schlamm am Grund sehen möchtest?« »Du besitzt mittlerweile großes Geschick darin, langsam Spannung aufzubauen und das Böse anzudeuten, das kommen wird«, sagte Ebana, »aber deine Künste treffen ins Leere, wenn das Opfer deine Strategie kennt.« 239
Meren hob einen Stein, der dazu benutzt wurde, Unregelmäßigkeiten aus Papyrus herauszuwalzen, und seufzte. »Nun gut. Ahiram hat sich schrecklicher Untaten schuldig gemacht. Dann hat er den Mut verloren und die Flucht ergriffen, als er glaubte, daß ich mich der Wahrheit näherte.« Er warf den Stein in die Luft und fing ihn wieder auf, dann lächelte er Ebana zu. »Merkwürdig eigentlich, daß ich die Wahrheit erst durch seine Nachlässigkeit und seine Unruhe entdeckte.« Ebana war ein glänzender Schauspieler in Theaterstücken, die die Geschichte der Götter nacherzählten. Sein schauspielerisches Talent war ihm bei seinem Aufstieg bei Hof und im Tempel sehr dienlich gewesen. Meren konnte nicht umhin, es auch jetzt zu bewundern, als es sich gegen ihn richtete. Seine Brauen zogen sich zusammen, Ebana sah verwirrt aus. »Ich verstehe immer noch nicht«, sagte er. »Die Schwingen des Horus sind das schnellste Schiff auf dem Nil, Ebana. Ich habe ihn eingeholt, bevor ihm die Söldner, die du gesandt hast, den Garaus machen konnten.« Ebana begriff langsam. Fassungslos starrte er Meren an, der aufhörte, mit dem Stein zu spielen; denn er hatte nicht erwartet, seinem Cousin die Selbstbeherrschung zu rauben. Eine Woge der Besorgnis überschwemmte dessen Züge, die seinen eigenen so sehr glichen, dann war es vorbei. Furcht bemächtigte sich Merens Seele. »Wenn du ihn gefaßt hättest, oder wenn du sonst irgend etwas in der Hand hättest, um zu beweisen, daß ich ein Vergehen verübt habe, dann hättest du mich – das wissen wir beide – in dem Augenblick festgenommen, da du im Hafen angelegt hast.« Meren schüttelte den Kopf. »Selbst nach all dieser Zeit glaubte ich nicht, daß du so weit gehen würdest. Warum? Der Pharao hat eine Wiedereinsetzung der alten Götter und Priester angeordnet, die so vollständig ist, daß Amun mächtiger ist als je.« 240
»Wenn ich über diese Sache Spekulationen anstellen wollte, dann würde ich mit einer Frage antworten. Kann das Böse durch einen beseitigt werden, in dessen Adern das Blut eines Ketzers fließt?« »Du glaubst also, daß ein unschuldiges Kind für die Verbrechen seines Bruders sühnen sollte.« Ebana trat näher, bis er nur noch einen Schritt von Meren entfernt war und sagte mit leiser Stimme. »Du willst in meine Seele sehen? Du, der du der Sonnenscheibe gedient hast, der die Blasphemie und Seuchen über Ägypten gebracht hat. – Das waren im übrigen deine Worte, nicht meine. – Aber da wir gerade von Unschuldigen sprechen, möchte ich dich an meine Frau und an meinen Sohn erinnern. Was würdest du sagen, wenn jemand deinen Sohn ergreifen und seinen Kopf auf die Steinplatten schlagen würde, bis er zerplatzt? Na, hat dich das jetzt in Schrecken versetzt?« »Willst du mich jetzt einschüchtern, indem du Kysens Leben bedrohst?« »Ich habe dir nur eine Frage gestellt.« »Verdammt sollst du sein, Ebana, wenn du ihm ein Leid antust, dann jage ich dich von hier bis in die Unterwelt. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, daß das Ungeheuer der Unterwelt doch schon vorher deine Seele verschlungen hätte.« »Du bist nicht länger groß genug, um Drohungen auszustoßen, mein lieber Vetter. Jeder weiß, was im Palast passiert ist, wie du den Pharao erzürnt und seine Gunst verloren hast. Was hast du nur getan, um ihn so wütend zu machen, wo er deine Worte doch anbetet und dich bewundert, als ob du der Gott wärst und nicht er?« Meren schwieg. Er hatte nicht erwartet, daß sich die Gerüchte seines Niedergangs so schnell verbreiten würden. Wenn sie schon den Tempel erreicht hatten, dann war seine Macht, mit der er dem König diente, ebenfalls bedroht, denn keiner würde seine Autorität respektieren. Ebana lächelte ihm zu und seufzte. Es klang wie das Zischen einer Kobra. Er öffnete die Tür und trat über die Schwelle. 241
»Du solltest dich vorsehen, liebster Vetter, sonst sendet der Pharao Männer aus, um dich, deinen Sohn und dessen Sohn in Euren Betten zu ermorden, so wie es sein Bruder mit mir tat.« Ebana lachte. Der Klang hallte im Raum wider, als die Tür sich hinter ihm schloß und er Meren in dem Zimmer, in dem Qenamun getötet worden war, allein ließ. Seine Hand schmerzte. Er blickte nieder und bemerkte, daß er den Griff seines Dolches umklammert hielt. Er mußte erst seine Gedanken beherrschen und seinen Zorn besänftigen, bevor er seinen Fingern befehlen konnte, sich zu entspannen und den Griff loszulassen. Der Weg aus dem Tempel erschien ihm endlos, und doch erreichte er den Koloß ohne Hindernis. Halb hatte er erwartet, daß Ebana ihm in irgend einer dunklen Ecke im Haus des Lebens auflauern würde. Er kehrte mit der Gewißheit nach Hause zurück, daß Ebana bei der Schändung von Echnatons Grab eine Rolle gespielt hatte, aber er konnte dem Pharao keine Beweise vorlegen. Nicht, daß Tutenchamun einen Beweis brauchte, um zu glauben, daß die Priester des Amun ein Unrecht begingen. Was sollte er tun? Er konnte nicht jedem erzählen, daß er seinen eigenen Vetter dieses Verbrechens verdächtigte. Welchen Beweis hatte er in der Hand? Einen Gesichtsausdruck, ein Schweigen. Ebana hatte nichts gesagt, das ihn oder sonst jemanden verriet. Die einzige Möglichkeit, mehr aus ihm herauszubekommen, war Gewalt. Dieser letzte Gedanke kam ihm, als er sein Arbeitszimmer betrat. Es war jetzt später Nachmittag, und er fühlte sich, als wäre seit seiner Auseinandersetzung mit dem Pharao ein Jahrhundert vergangen. Wie hatte es nur geschehen können, daß er in Ungnade gefallen war? Nein, er würde sich mit solchen Überlegungen nicht quälen. Er holte seine Jonglierbälle hervor und begann, mit dreien davon zu spielen. Er ließ seine Gedanken zurückwandern und erinnerte sich daran, wie verängstigt Unas bei der letzten Begegnung gewesen war. Unas 242
war eine ernste kleine Ameise gewesen, dessen einziges Interesse die Genauigkeit und die Qualität seiner Arbeit gewesen waren. Er hatte auf jedes kleine Detail geachtet. Warum sollte er eine Schüssel zerbrechen und dann versuchen, sie zu verbrennen? Eine sehr ungewöhnliche Handlungsweise für einen Mann, der tief im Herzen so gewöhnlich war. Er beobachtete einen der durch die Luft fliegenden Bälle. Er war aus dunklem Leder, fast so dunkel wie die verbrannten Scherben. Er erinnerte sich an die bruchstückhafte Inschrift auf einer von ihnen. Welche Hieroglyphen hatten wohl darauf gestanden? Diese geschwungenen Linien über jedem Fragment eines Buchstabens verärgerten ihn, aber er wußte nicht genau, warum. Er schoß nach vorne und es gelang ihm, einen Ball aufzufangen, den er schlecht geworfen hatte. Seine Gedanken wanderten zu den drei Toten weiter. Wie sehr er es auch versuchte, er konnte keine konkrete Verbindung zwischen ihnen herstellen. Sein Gang in den Tempel hatte zu nichts geführt, sondern ihn nur in Gefahr gebracht. Beinahe hätte er erwartet, daß Ebana versuchte, die Statue des Königs auf ihn zu werfen. Was für ein Schicksal, zerquetscht zu werden vom Standbild eines Pharao, für den er so hart arbeitete, unter der geschnitzten Inschrift seines Namens zu liegen. Meren spielte weiter mit den Lederkugeln. Inschrift. Zwei Felder, geschwungene Linien, die Hieroglyphen umgaben. Ganz plötzlich rutschten zwei nicht miteinander verbundene Stücke seines Wissens zusammen – die geschwungenen Linien um die Inschrift auf den Scherben und diejenigen, die als Relief in den Fuß der Statue eingelassen worden waren. Zwei geschwungene Linien, Seite an Seite, die Spitze eines Blattes und der Teil einer Sonnenscheibe. Zwei Kartuschen, die auf den Koloß angebracht worden waren – und auf dem Rand einer Schüssel. Eine Schüssel, die mit dem Namen des Königs beschriftet war. Der Name des Pharao auf einer einfachen Tonschüssel, aufgefun243
den im Haus eines toten Priesters. Warum sollte man eine Schüssel mit einer solchen Inschrift versehen? Ölkrüge waren mit dem Jahr der Herrschaft versehen, Weinkrüge ebenso. Nein, dies war eine kleine Schüssel wie sie in jeder normalen Küche vorkam. Meren fing seine Jonglierbälle auf, hielt sie in der Hand und blieb regungslos mitten in seinem Zimmer stehen. Er hatte noch kürzlich Schüsseln gesehen, aber nicht in einer Küche – in einem Zimmer, in Qenamuns Zimmer. Dort hatte hinter der Wachsfigurine des hethitischen Königs ein Stapel Schüsseln gestanden, hinter der Figur also, die mit einem Fluch versehen war. Der Fluch! Es gab einen besonderen Zweck, zu dem Schüsseln mit Inschriften versehen wurden – wenn sie als Fluchschüsseln benutzt werden sollten. Natürlich hatte Unas keinen Grund gehabt, eine Schüssel zu verbrennen, es sei denn eine Fluchschüssel – und dann auch nur, wenn es sich um einen schändlichen Fluch handelte. Wenn auf der Schüssel der Name Nefercheprure Tutenchamun stand. Magie. Und wer von all den Personen, die mit diesem Geheimnis in Verbindung standen, war mit Magie aufs engste vertraut? Lesepriester spezialisierten sich auf heilige Texte und auf Magie, und Qenamun hätte das Wissen besessen, wie Gefäße mit magischen Flüchen zustande zu bringen waren. Er mußte die Schüsseln mit Flüchen gegen den König hergestellt haben. Ein Lesepriester würde sie zerbrechen, um das Böse über den Verfluchten zu bringen und den Zauber heraufzubeschwören. Meren hielt zitternd noch immer die Lederkugeln in den Händen. Diese Schüsseln mußten ein Teil von Qenamuns Sammlung magischer Werkzeuge gewesen sein, und sie sollten einem grausamen Zweck dienen. Qenamun brauchte diese Flüche, um sich selbst zu schützen, während er Böses tat und den Pharao verriet. Hatten die Priester des Amun sich selbst davor schützen wollen, daß der Pharao ihre Untaten entdeckte? Wenn Qenamun wußte, 244
daß Unas die Schüsseln gefunden hatte, dann hätte er den Priester eher getötet als einen Verrat zu riskieren. Aber was, wenn der Fluch gegen den Pharao noch zur Verwirklichung eines viel größeren, weiterreichenden Übels gedacht war? Meren legte die Jonglierbälle auf den Tisch und sank auf seinen Stuhl. Je länger seine Gedanken eine bestimmte Richtung verfolgten, um so unbehaglicher wurde ihm zumute. Qenamun konnte die Priesterschaft mit Hilfe dieser Schüsseln einfach nur gegen den Pharao beschützt haben wollen. Aber eine solche Erklärung war keine Begründung dafür, warum Ahiram, der kein Priester, sondern nur ein Krieger und Höfling war, überhaupt mit dieser Sache zu tun hatte. Genausowenig konnte man damit erklären, warum jemand Ahiram fremde Söldner hinterhergeschickt hatte, um ihn zu töten. Es sei denn, die Schändung des königlichen Grabes diente neben der Rache noch einem weiteren Zweck. Wenn Ahiram plötzlich noch wohlhabender geworden wäre, dann hätte er, Meren, das bemerkt und Nachforschungen angestellt. Er mußte mit den Schätzen aus dem königlichen Grab noch etwas anderes vorgehabt haben. Ein weiterer Besuch im Hause Ahirams würde ihm vielleicht beim Nachdenken helfen. Durch seine Überlegungen ganz in Anspruch genommen und überzeugt, daß er die Witterung einer gefährlichen, wenn auch unsichtbaren Bestie aufgenommen hatte, verließ Meren das Haus, ohne jemandem zu sagen, wohin er ging.
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Kapitel 18
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or Ahirams Haus stand noch derselbe einzelne Türsteher, als Meren ankam. Da der Prinz nicht mehr lebte, und das Haus durchsucht worden war, hatte niemand es für nötig gehalten, es weiter zu bewachen. Wie die meisten Häuser der Adeligen, war es von einer hohen Mauer umgeben, außerdem von Gärten, einem Teich und Gebäuden für die Dienerschaft. Meren interessierte sich nur für die Orte, wo Ahiram Spuren seines bösen Tuns hinterlassen haben konnte. Er ließ den Türsteher am vorderen Tor zurück und ging erneut in Ahirams Schlafgemach. Noch einmal wühlte er in den Decken auf dem Bett aus polierten und goldbeschlagenem Zedernholz. Er trat verstreute Kleidung beiseite, die aus den Truhen geholt worden war. Neben dem Bett fand er ein kleines Kästchen mit Schreibutensilien, eine Palette mit Schreibkielen, Töpfe mit rotem Ocker und schwarzem Ruß sowie ein Töpfchen für Wasser. Ein mit Ebenholz und Elfenbein verzierter Kasten für weitere Riedstifte stand auf unbenutzten Papyrusrollen, doch es gab keine Briefe, keine Rechnungen, keine persönlichen Schriftstücke. Ahiram mußte sämtliche Korrespondenz zerstört haben, damit sie niemand fand. Was hatte er erwartet? Kysen war gründlich, und wenn sich etwas Wichtiges in diesem Raum befunden hätte, dann hätte er es gefunden. Trotzdem untersuchte Meren das Lotusblumenfries am Boden nach versteckten Nischen. Er beugte sich nach vorn, tastete die Wand ab, ließ seine Finger über das Lotusmuster gleiten, bis er zu der Nische kam, in der die Statue der Göttin Ishtar stand. Seine Sandale berührte einen Gürtel. Er richtete sich auf und stieß ihn mit dem Fuß beiseite. Sein Blick 246
fiel auf einen weiteren Gürtel, jenen goldenen mit Türkisen, den Kysen neben dem Stifthalter am Fuße der Statue hatte liegenlassen. Dann betrachtete er die Göttin, das Gewand, das in unzähligen sorgfältig drapierten Stoffschichten ihren schlanken Körper umhüllte, ihre runden Augen. Ahiram hatte es für notwendig gehalten, die fremde Göttin günstig zu stimmen, und doch, als er ihre Gunst am meisten benötigte, hatte er seine gesamten Besitztümer einfach achtlos über ihren Altar verteilt. Meren schüttelte den Kopf über ein solches Verhalten. Er konnte keinerlei Opfergaben entdecken. Weder Nahrung, noch Wein noch Weihrauch, und er glaubte nicht, daß Ishtar sich mit einem Stifthalter zufrieden gab. Ein Stifthalter. Langsam streckte er die Hand nach dem röhrenförmigen Behältnis aus. Es war aus vergoldetem Holz, war geformt wie ein Bündel aus schlanken Papyrusstangen. Er hob es auf und schüttelte es. Leer. Aber hatte er nicht ein weiteres, gleichermaßen kostbar ausgestattetes Behältnis in der Truhe neben dem Bett gesehen? Meren rollte den Holzzylinder zwischen seinen Handflächen hin und her und starrte an die Wand. Nur wenige Krieger brauchten so viele Schreibkiele, daß sie zwei elegante Stifthalter damit füllen konnten. Plötzlich sah er ein Bild vor seinem inneren Auge: Schreibkiele, die auf dem Boden von Qenamuns Kasten verstreut lagen. Ahiram hatte Qenamuns Stifthalter gestohlen. Der Mann war ein Narr gewesen, den Behälter aus Qenamuns Gemach zu entwenden, so wie er auch Echnatons Sandalen entwendet hatte. Aber Meren konnte auch erkennen, daß er nach Unas Tod immer verwirrter geworden war, bis er am Tag der Nilpferdjagd den Verstand vollkommen verloren hatte. Selbst als sie auf dem Wasser auf ihre Beute gewartet hatten, war er ängstlich gewesen, hatte Tanefer dauernd gefragt, wie lang sie denn noch auf das Tier warten wollten, hatte sich über die Verzögerung aufgeregt. Und dann hatte er sich fast selbst umgebracht. 247
Meren hörte auf, mit dem goldenen Kasten zu spielen, als er sich an den Kampf mit dem Nilpferd erinnerte. Tanefers Jäger hatten ihnen gesagt, daß das Nilpferd an Land war, nicht im Fluß. Deshalb hatte das Tier sie überrascht, als es wie ein Berg mit Augen aus dem Wasser emporgestiegen war und Ahiram angriff. Er und Tanefer hatten versucht, Ahiram zu helfen, aber das Nilpferd hatte ihn ebenfalls ins Wasser geworfen. Er erinnerte sich, wie er in der Schwärze versunken war, wie ihm die Luft ausgegangen war, wie er fast das Bewußtsein verloren hätte. Tanefer war ihm zur Hilfe geeilt. Als sie wieder an die Oberfläche kamen, hatte das Nilpferd Ahiram gerade erneut angegriffen. Er hatte sich auf das Tier geworfen, um nach der Harpune zu greifen, die ihm in der Schulter steckte, und dann hatte sich Tanefer auf ihn gestürzt. Sich auf ihn gestürzt und gleichzeitig getreten und Ahiram unter die langen, gelben Zähne gestoßen. Ihn gestoßen. Meren schloß die Augen. Nein. »Legt das wieder hin, Bruder meines Herzens.« Tanefer stand im Türrahmen, ein Dolch an den Oberarm gebunden, in der Hand trug er ein Schwert. Die Klinge war feucht und rot. Soldaten mit Speeren in den Händen folgten ihm und umzingelten Meren. »Legt das wieder hin«, wiederholte Tanefer. Meren stellte den Stifthalter in der Nische ab und ging auf seinen Freund zu. »Ihr habt gar nicht versucht, mich vor dem Nilpferd zu retten. Ihr versuchtet, Ahiram zu töten.« Er verspürte tiefen Kummer, als er sich Tanefer näherte. »Halt. Ich bin nicht so dumm, Euch noch näher an mich herankommen zu lassen.« Meren warf einen Blick auf das blutige Schwert. »Ihr habt den Türsteher getötet.« Er schüttelte den Kopf und sagte mit bebender Stimme: »Oh, Tanefer, nicht Ihr.« Tanefers Blick war voller Zynismus. »Ich wußte, daß Ihr mir auf 248
den Fersen wart, verdammt sollt Ihr sein. Ihr habt mich gezwungen, zu schnell zu handeln.« Meren machte einen weiteren Schritt, aber Tanefer berührte ihn mit der blutigen Spitze seines Schwertes am Halskragen. Speere richteten sich auf ihn. Er blieb stehen und hob die Arme. Er blieb nach außen hin ruhig, hatte aber das Gefühl, als würde ihm das Herz in zwei Stücke geschnitten. »Nichts von alledem war als Rache an Echnaton gedacht, nicht wahr?« Tanefer lächelte. »Ihr wart immer der Klügste von uns allen. Nein, die Rache war ein zusätzliches, aber nicht das Hauptvergnügen. Ich brauchte Gold für meine Männer.« »Der mitannische Gefangene«, sagte Meren, dessen Gedanken sich überschlugen. »Ihr habt ihn getötet, um uns daran zu hindern, ihn zu verhören.« »Ja, aber als meine Männer mir berichteten, daß Ihr zum Koloß und in Qenamuns Räume und anschließend hierher gegangen seid, da wußte ich, daß Ihr der Wahrheit nahe wart. Deshalb muß ich jetzt das tun, was ich aufschieben wollte, bis Ihr am Hof isolierter gewesen wärt, bis Ihr verzweifelt wärt.« »Was soll das bedeuten?« Meren trat zur Seite, aber Tanefer stellte sich ihm in den Weg. »Es ist, wie ich Euch gesagt habe, mein Freund. Das Reich wird von den Hethitern bedroht. Ohne einen starken Führer könnte Ägypten ihnen ebenso in die Hände fallen wie seinerzeit mein Land. Könnt Ihr Euch das stolze, reiche Ägypten unter der Knute dieser Barbaren vorstellen?« »Nein.« Tanefer kam näher und berührte mit der blutigen Spitze seines Schwerts Merens Hals. Meren bewegte sich nicht und blickte in die viel zu ruhigen Augen seines Freundes. »Keiner von Euch hat jemals nachvollziehen können, wie das ist. 249
Meine Mutter war die Tochter eines Königs, die in ein fremdes Land geschickt wurde, wo sie in den Palast des Königs geworfen und ab diesem Zeitpunkt ignoriert wurde. Sie hätte die erste Königin sein sollen und ich der Erbe, aber Jahr um Jahr mußte sie die Demütigung ertragen, denen Platz zu machen, die weniger königlichen Blutes waren. Aber sie erzog mich in dem geheimen Wissen um meine vornehme Herkunft.« »Aber Ihr seid zu großen Ehren gelangt. Ihr habt nie…« »Nachdem sie gestorben war, nun, da gab es niemanden mehr, der mich an meine Herkunft und das damit verbundene Erbe erinnert hätte, und ich war so jung. Ich war zufrieden.« Tanefers Atmen beschleunigte sich. »Bis ich die Heimat meiner Mutter zum ersten Mal sah. Verwüstete Städte, besiegte Armeen, Frauen und Kinder als Sklaven verschleppt. Und die Krieger – stolze, mutige Männer, die sich wegen der Feigheit des Pharao demütigen lassen mußten. Ich habe lange gebraucht, aber irgendwann habe ich begriffen, daß ich handeln muß. Ich habe versucht, Euch das zu sagen, als wir an Eurem Teich saßen. Habt Ihr mir nicht zugehört?« Meren betrachtete seinen Freund, die Art und Weise, wie er die Brauen zusammenzog, das Leuchten seiner Augen, wie die feuerspeienden Seen der Unterwelt. »Ich habe zugehört, aber ich glaube, ich habe den wahren Sinn Eurer Worte nicht verstanden.« »Nein, das habt Ihr nicht, sonst hättet Ihr Euch daran erinnert, daß mein Onkel seinen Thron nicht verloren hätte, wenn Ägypten ihm zur Hilfe gekommen wäre. Ich hätte sein Nachfolger als König werden können. Mit der Unterstützung Ägyptens hätte ich mein eigenes Reich gehabt. Aber Echnaton hat dazu beigetragen, daß Mitanni zerstört wurde. Seine Brüder waren keinen Deut besser. Eine Linie von Königen, die ein solches Werk der Zerstörung duldet, verdient es, zugrunde zu gehen.« 250
»Ägypten wird niemals einen fremden König anerkennen.« »Nur zur Hälfte fremd«, sagte Tanefer. »Und er wird mich anerkennen, wenn ich mit der Großen Königlichen Frau verheiratet bin, wenn ich die Unterstützung der Großen des Landes habe – wenn ich Eure Unterstützung habe, Meren.« »Ihr bittet mich um Unterstützung, während Ihr Euer Schwert auf mein Herz richtet?« Tanefer bewegte die Klinge, und Meren entwand sich ihm. »Ich lasse Euch die Wahl, Bruder meines Herzens, weil ich Euch am wenigsten von allen töten will.« Meren konnte es nicht über sich bringen, darauf zu antworten. Horemheb hätte ihn ausgelacht, wenn er hier gewesen wäre, er hätte gelacht, weil er nicht fähig gewesen war, tief in die Seele Tanefers zu blicken. Er war so wütend auf Ebana gewesen, weil dieser die Feuer ihres Zwistes immer aufs neue geschürt hatte, daß er die Gefahr, die aus anderer Richtung lauerte, nicht wahrgenommen hatte. Schließlich sagte er: »Ihr und Parenefer, Ihr habt das schon seit langem geplant.« »Parenefer? Der alte Narr weiß nichts von mir. Ich habe Ahiram veranlaßt, ihm über Qenamun den Vorschlag zu unterbreiten, Echnatons Grab auszurauben. Er glaubte, daß das Ziel in der Rache am Geist des Königs liege.« »Also sind die fremden Flüchtlinge und Bettler auf Eure Einladung hin nach Ägypten gekommen?« Tanefer nickte. »Ich habe das wohl geplant, und doch hat mich ein böser Dämon verflucht, als dieser Priester Qenamun und Ahiram im Tempel belauschte, wie sie Pläne für die Verteilung der Grabschätze machten.« »Unas«, sagte Meren. »Ja. Und als ich hörte, daß Ihr Teile von Qenamuns Fluchschüsseln entdeckt hattet, veranlaßte ich Ahiram, den Lesepriester ins Jenseits zu befördern. Unglücklicherweise habt Ihr ihn mit Euren 251
beständigen Nachforschungen und durch Euren Ruf als Spezialist für Verbrechen in Unruhe versetzt.« »Deshalb wolltet Ihr seinen Tod bei der Nilpferdjagd arrangieren.« Tanefer machte eine wegwerfende Handbewegung. »Notwendig. In diesem Zustand wäre er früher oder später zusammengebrochen.« »Aber Ihr seid gescheitert, und er floh, also habt Ihr ihm Eure mitannischen Söldner hinterhergeschickt.« »Sie folgten ihm in dem Augenblick, da er die Stadt verließ. Blieb er lange genug am Leben, um Euch etwas zu sagen?« »Nur, daß Ihr mich ebenso verraten würdet wie Ihr ihn verraten habt.« Tanefer lächelte. »Das ist nicht wahr. Ihr und ich, wir beide sind schon viel zu lange Freunde. Wir bewundern einander. Und immerhin habe ich Euch vor dem Nilpferd gerettet.« Meren schüttelte seinen Kopf. »Ihr könnt nicht gewinnen.« »Ihr wißt nicht, wie lange ich schon königliche Wachen besteche und mit der Bildung von Truppen aus abtrünnigen mitannischen Soldaten beschäftigt bin.« »Ihr habt das Militär mit Euren Günstlingen bestückt. Das ist der Grund, warum Rahotep so viele befehligt. Und Eure Abtrünnigen, wo sind sie?« Tanefer lachte, hob sein Schwert erneut, und Meren wich zurück. »Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß ich Euch das sage. Noch nicht, nicht, bis Ihr Euch mit mir verbündet habt.« Er mußte zögern, mußte vorgeben, zu schwanken, sonst würde Tanefer ihn töten. Plötzlich kam ihm noch eine Kleinigkeit in den Sinn. »Saustatar«, sagte Meren. »Dieser gefangene Mitanni erwähnte beständig Saustatar.« »Ah, ja, so nennen mich meine Leute. Ich habe einen Namen angenommen, der mir passender erschien als mein ägyptischer. Ihr seht, Meren, ich beabsichtige ein ebenso großer Eroberer zu werden 252
wie mein Vorgänger. Größer noch, denn mein Reich wird sich von Ägypten bis zum Euphrat und darüber hinaus erstrecken. Und ich hoffe, Ihr erklärt Euch bereit, mir dabei zu helfen, ein solches Reich zu schaffen.« »Ihr wißt, wie ich über den Pharao denke.« »Der Junge, der Euch gerade beiseite geworfen hat wie einen schmutzigen Lendenschurz?« Nun war es soweit. Meren wandte sich ab und senkte den Kopf in der Hoffnung, Tanefer würde diese Geste als Zeichen seines Grolls gegen Tutenchamun werten. Er konnte nicht gegen neun Männer kämpfen, besonders nicht, wenn einer davon ein so guter Krieger war wie sein Freund. Tanefer war wieder auf ihn zugekommen. »Ihr habt großen Einfluß und große Macht, Bruder meines Herzens, und die königlichen Wagenlenker, die Infanterie, zollen Euch Respekt. Und Ihr könnt mir mit Ebana helfen.« Meren hob den Kopf. »Ebana?« »Die Priester des Amun haben begonnen, Verdacht zu schöpfen. Zu viele Tote. Sie könnten mir bei meiner kleinen Palastrevolution Hindernisse in den Weg legen. Aber wenn Ihr mit Ebana sprecht…« »Nein.« »Trefft keine übereilte Entscheidung, alter Freund, denn Euer Leben hängt von Eurer Antwort ab.« Er durfte jetzt nicht zu schnell scheinbar kapitulieren, denn seine Loyalität dem Pharao gegenüber war allgemein bekannt. Er brauchte Zeit, Zeit, in der man ihn vermißte. Er verfluchte sich selbst, als ihm klar wurde, daß Tanefers Männer den Pharao bewachten. Er und Ay hatten Tanefer vertraut. Er biß sich in die Wange, um seinen Zorn zu zügeln. Dann wiegte er leicht den Kopf, als würde er angesichts Tanefers machtvoller Argumente ins Schwanken geraten. »Ich werde Euch ein paar Stunden zum Nachdenken geben«, 253
sagte Tanefer. Er deutete mit dem Schwert auf zwei seiner Männer. Sie näherten sich Meren und banden ihm die Hände vor dem Körper zusammen. Tanefer stieß ihn aus dem Raum. »Keiner wird daran denken, Euch hier zu suchen, besonders nicht im Keller.« Meren wurde die Treppe hinunter und in die schwarzen Tiefen eines unterirdischen Raumes gestoßen. Tanefer ließ ihn dort zurück und blieb im Eingang auf dem obersten Treppenabsatz stehen. »Ihr habt einen Tag Zeit, mein Freund. Überlegt es Euch wohl. Ihr könntet mein Wesir sein. Ich werde einen brauchen, nachdem ich Ay und Maja getötet habe.« »Ihr könnt nicht jeden umbringen.« »Ich bin des Streitens müde. Außerdem habt Ihr ja auch noch einen Sohn. Solange Ihr wißt, daß ich ihn unter mir habe, werdet Ihr nicht allzu heftig an Eurem Geschirr zerren. Einen schönen Abend wünsche ich Euch, Bruder meines Herzens.« Dann schloß sich die Tür, und Meren blieb in der Dunkelheit zurück. Er hatte höchstens ein paar Stunden, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, einen alten Freund töten zu müssen. Kysen schritt ins Haus, gefolgt von Abu und Reia. Diener gingen an ihm vorbei und brachten gebratenes Fleisch und frisches Brot herbei. »Mut«, rief Kysen. Die Frau, die mit einem Tablett voller Speisen auf dem Weg in die große Halle war, hielt inne. »Wo ist Fürst Meren?« »Ich habe ihn nicht gesehen, Herr. Er war ausgegangen, und dann hat er sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen.« Kysen und seine Männer traten aus dem Haus und gingen durch den Garten in die Amtsräume. Er war müde und verstimmt. Er hat254
te Stunden damit verbracht, Rahotep ausfindig zu machen und ihn dann mit Fragen zu durchlöchern. Rahotep brodelte noch immer vor Zorn, weil Meren ihn im Palast abgekanzelt hatte, deshalb hatte er gestritten, gekämpft und ihn mit Worten gegeißelt. Schließlich hatte er sich geweigert, noch mehr Fragen zu beantworten. Kysen hatte die Beherrschung verloren. Wenn Abu ihn nicht zurückgehalten hätte, dann wäre er auf den flachgesichtigen, eitlen Narren losgegangen. Er stieß die Tür zu Merens Arbeitszimmer auf. »Vater, du wirst mit diesem verdammten Kerl Rahotep sprechen müssen…« Seine Schritte verlangsamten sich, als er bemerkte, daß der Raum leer war. Abu trat ebenfalls ein, gefolgt von Reia, und alle blickten sich um. »Er ist wieder ausgegangen«, sagte Abu. »Ich dachte, er wollte uns zum Abendessen hier treffen«, sagte Kysen. Reia nickte. »Ja Herr, das hat er gesagt.« »Dann wird er bald wieder zurück sein«, sagte Kysen und ließ sich in den Stuhl fallen. Er sprang sofort wieder auf, als sein Blick auf den Tisch fiel, auf dem Qenamuns Schreibschatulle stand. Papyrusrollen lagen kreuz und quer darüber verstreut. Es sah seinem Vater gar nicht ähnlich, wichtige Beweismaterialien unordentlich herumliegen zu lassen. Er ging zum Tisch hinüber und nahm einen der ledernen Jonglierbälle in die Hand, die auf den Papieren lagen. Meren achtete immer sorgfältig darauf, sie zu verbergen, denn nur gemeine Gaukler jonglierten, nicht ein Fürst von edlem Geblüt und Freund des Königs. Kysen spähte in den Kasten. »Was hat denn das hier zu suchen?« Er hielt den silbernen Spiegel in die Höhe und zeigte ihn Abu und Reia. »Ich weiß es nicht«, sagte Abu. Reia schüttelte den Kopf. »Ihr habt ihn noch nie gesehen?« fragte Kysen. 255
Abu trat näher und betrachtete den Spiegel. »Ich glaube, er gehörte der Frau des Herrn, aber er liegt normalerweise in einer Truhe in seinem Schlafgemach.« Kysen legte den Spiegel auf den Tisch. Meren hatte das Haus in Eile verlassen, sonst hätte er seine Jonglierbälle niemals offen herumliegen lassen. Er hätte auch den Spiegel wieder fortgeräumt. Kysen trommelte mit den Fingern auf die Rückseite des Spiegels und dachte eine Weile nach. »Abu, suche das Haus, das Grundstück und die Soldatenlager ab, alles. Schau nach, ob mein Vater überhaupt zu Hause ist.« Während er wartete, packte er die Jonglierbälle fort und verstaute die Traumdeutungen und die anderen Dokumente wieder in dem Kasten. Abu kehrte mit Reia zurück. »Fürst Meren ist nicht hier.« »Nun gut, wir werden unsere Mahlzeit zu uns nehmen, während wir auf ihn warten, aber zunächst schickt Ihr Männer in die Amtsräume des Wesirs und zu den Häusern von Unas, Qenamun und Ahiram, um nachzusehen, ob Fürst Meren dorthin gegangen ist.« Als die Sonne schon unterging, kehrten die Boten ohne Nachricht von seinem Vater zurück. Keiner hatte ihn gesehen, und die Häuser der Toten schienen verlassen zu sein. Kysen ging mit Abu den Weg vor dem Haus entlang. »Dieses plötzliche Verschwinden gefällt mir gar nicht«, sagte Kysen. »Er hat auch keine Männer mitgenommen.« Kysen nickte und verzog das Gesicht. Nachdem sich die Nachricht verbreitet hatte, daß Meren nicht mehr in der Gunst des Pharao stand, konnte jemand beschlossen haben, sich eines Rivalen bei Hof zu entledigen. Merens Pflichten und sein Platz im Herzen Tutenchamuns hatten ihm Feinde geschaffen – Prinz Hunefer, einige der Generäle, und jetzt auch Rahotep. Und Parenefer. Und Ebana, der ihn einmal geliebt hatte, haßte ihn möglicherweise jetzt am 256
meisten von allen. Wenn Meren einen Beweis für die Beteiligung des Priesters an der Plünderung des königlichen Grabes gefunden hatte, dann war sein Leben in Gefahr. »Ebana«, murmelte Kysen. Abu drehte sich zu ihm um und schüttelte den Kopf. »Von dort droht Gefahr, Herr.« »Und deswegen wirst du mich begleiten. Hol deine Männer. Wir müssen uns beeilen, wenn wir ihn finden wollen, bevor er den Tempel verläßt.« Kysen befahl Abu und den anderen Kriegern, ihm in einem gewissen Abstand zu folgen, als sie den Kai verließen und sich dem Tempel näherten. Reine, Arbeiter, Schreiber und Diener des Gottes strömten durch das heilige Tor. Jungen, die ihre Schreibutensilien über der Schulter trugen, spielten auf der Straße und in dem langen Schatten der Statue des Pharao. Kysen näherte sich dem Tempeleingang über eine Seitenstraße. Er zögerte und hielt kurz vor der großen Straße bei einer Tafel, auf der die großen Taten des Vaters des Pharao, Amenhoteps des Großen, verzeichnet waren, an. Ein Brotverkäufer wäre beinahe mit ihm zusammen gestoßen, weil er sich hinter der großen Steinplatte verbarg. Er machte Abu ein Zeichen, und die Krieger verteilten sich grüppchenweise auf der Straße. Einer lehnte sich sogar gegen den Fuß des königlichen Standbildes. Kysen beobachtete, wie der Strom aus Priestern, Dienern und Sklaven hinauswogte und sich langsam verflüchtigte. Am anderen Flußufer schien der Horizont Feuer zu fangen; ein hellroter Dunst beleuchtete die Felsen, hinter denen die Wüste begann. Er warf einen Blick zurück auf die Tore des Tempels und sah, wie zwei Männer aus ihrem Schatten traten. Ebana hatte wohl eine Verabredung gehabt, die förmliche Kleidung erforderlich machte, denn er trug eine durchsichtige, in Falten gelegte Robe über seinem Gewand. Kysen hatte ihn zuerst gar nicht 257
erkannt, denn er trug eine lange höfische Perücke sowie Gürtel und Armreifen aus Elektrum und Türkisen. Ein dazu passender Halskragen bedeckte seine Schultern. Der Mann neben ihm war Tanefer, der ebenso prächtig in Gold, Lapislazuli und roten Jaspis gekleidet war. Abu bewegte sich neben ihm. Kysen hielt ihn zurück. »Warte, bis er allein ist.« Die beiden Männer waren schweigend aus dem Tempel herausmarschiert. Keiner sah den anderen an. Ein Wagen mit einem Fahrer erschien und rollte zu Tanefer hinüber. Tanefer lehnte sich nah zu Ebana herüber und sagte etwas. Ebana schüttelte den Kopf. Tanefer lachte und streckte die Hand aus. Sein Fahrer reichte ihm eine Peitsche, und Tanefer berührte Ebana mit der zusammengerollten Peitschenschnur am Arm. Kysen hielt den Atem an, als der Priester zu dem Prinzen herumwirbelte. Er konnte nicht hören, was Ebana sagte, aber Tanefer lachte, als er seinen Wagen bestieg. Die Peitsche sauste herab und brachte die Falten von Ebanas Robe in Unordnung. Ebana wich mit einem Sprung aus und zischte Tanefer etwas zu, der aus dem Wagen heraus eine elegante Verbeugung vollführte, die Peitsche noch einmal knallen ließ und davonfuhr. Ebana ging schnell die Straße hinab. Kysen wartete, bis der Priester beinahe vor ihm stand und schob sich dann auf die Straße. Als er sich bewegte, verließen die Krieger ihre Stellungen und umzingelten den Priester. »Ich grüße dich, Adoptivvetter«, sagte Kysen. Ebana hielt an, als Kysen ihm in den Weg trat und Abu und die anderen sich ihm näherten. Seine Hand fuhr an den goldenen Griff seines Dolches, den er im Gürtel trug. »Was ist los?« »Weißt du, wo mein Vater ist?« antwortete Kysen knapp. »Nein«, sagte Ebana. »Wo ist er?« »Du hast ihn nicht gesehen?« 258
Ebanas kniff die Augen zusammen, dann lächelte er. »Hast du deinen Vater verloren, Bauerncousin? Wie nachlässig von dir.« Kysen trat einen Schritt näher, was Ebana veranlaßte, nach seinem Dolch zu greifen, was nun auch seine Krieger nervös machte. »Ich habe keine Zeit für deine Ablenkungsmanöver und Mätzchen. Hast du meinen Vater jetzt gesehen oder nicht?« »Heute, am frühen Nachmittag, aber keine Sorge. Er war bei bester Gesundheit, als er mich verließ. Warum bist du so aufgeregt, Junge? Dein Vater braucht keine Truppe aus bewaffneten Ammen in seinem Schlepptau.« »Meren ist verschwunden, und du haßt ihn so sehr, daß es naheliegt, dich nach ihm zu fragen.« Kysen senkte die Stimme. »Und wenn ihm etwas zugestoßen ist und du dafür verantwortlich bist, dann werde ich dich finden, dich in Stücke hacken und deine Leiche den Krokodilen zum Fraß vorwerfen.« Ebana schaute ihn mit einem ruhigen Lächeln an. Die Narbe auf seinem Gesicht spannte sich. »Du hast ja wirklich Angst um ihn. Sag mir, bauernblütiger Vetter, fürchtest du dich wegen mir, oder weil du Angst hast, daß der Pharao sich von ihm abgewandt und seinen Tod veranlaßt hat?« »Ich werde dir dein Herz durch die Kehle herausreißen«, antwortete Kysen. Er erschrak beinahe, als er das bellende Gelächter hörte, das ihm antwortete. »Bei dem guten Gott, was bist du jähzornig.« Ebanas Blick glitt über Kysen. »Ich weiß nicht, wo Meren ist, aber Tanefer hat ihn gerade erwähnt.« »Warum?« Ebana zuckte die Achseln. »Er hatte mir so einiges zu sagen, und ein Teil davon betraf den Konflikt deines Vaters mit dem Pharao. Wo gehst du hin?« »Tanefer suchen«, rief Kysen ihm über die Schulter zu. »Er weiß vielleicht, wohin mein Vater gegangen ist.« 259
»Möge der gute Wille des Amun dich begleiten. Du kannst ihn brauchen, wenn dein Vater einem seiner Feinde in die Quere gekommen ist.« Kysen verschwendete keine Zeit damit, auf diesen Spott zu antworten. Während Ebana auf der Straße stehenblieb und ihm hinterherblickte, eilte er los, Tanefer nach. Ebana rief noch: »Tanefer war auf dem Heimweg, die Straße des Goldenen Löwen hinunter.« Kysen wich Karren, Eseln, Priestern und wassertragenden Frauen aus. Die Krieger folgten ihm auf dem Fuß. Wie der Wind sauste er Wege und Straßen hinab, denn er wußte, daß Tanefers Wagen in den engen Straßen und durch diese Menschenmenge nicht schnell vorankommen konnte. Er erreichte die Straße des Goldenen Löwen und erspähte Tanefers Wagen, als dieser das Tor passierte – dann hielt er an. Abu prallte mit ihm zusammen, und er preßte sich seitlich an die Wand eines Hauses. »Bleib zurück.« »Herr?« Kysen deutete auf Tanefers Haus. »Sieh.« Diener gingen zwischen dem Haus und etlichen Karren, die mit jeder Menge Truhen beladen waren, hin und her. Einige Wagen fuhren mit ein paar Frauen vom Haus fort. Kysen verbarg sich in einem Hauseingang, dann machte er seinen Männern ein Zeichen, ihm zu folgen. Er hastete die Straße hinab, bis er eine Außentreppe fand. Abu lauerte einem überraschten Hausbesitzer auf, und Kysen huschte nach oben auf das Dach. Als Abu sich ihm anschloß, kniete er hinter der vorderen Mauer nieder und starrte auf Tanefers Haus. Warum verließ Tanefer sein Heim? Stand ihm ein Feldzug bevor? Wenn es irgendwelche Nachrichten über Scharmützel an den Grenzen gab, dann wurde vielleicht sein Freund ausgesandt, um sich darum zu kümmern. Trotzdem kam dieser Umzug ziemlich plötzlich. 260
»Abu, hast du davon gehört, daß er umziehen muß?« »Nein Herr, aber am Hof können sich die Dinge schnell verändern.« Kysen schalt sich selbst. Er wurde langsam allzu mißtrauisch, und er hatte seiner Sorge um Meren gestattet, seinen gesunden Menschenverstand außer Kraft zu setzen. Er erhob sich. Er mußte doch nur zu Tanefer hinübergehen und ihn fragen, was er zu tun gedachte. Dann plötzlich kam jemand aus dem Haus, eine Gestalt in Jaspis und glänzendem Gold. Tanefer verließ sein Haus durch eine Seitentür, allein. Er preßte den Rücken dicht an die Häuserwand und schlüpfte dann durch ein kleines Tor, das auf einen Weg hinausführte. Als er draußen war, schritt er eilig den Weg hinab und bog schließlich in einen gewundenen Pfad ein, der von der Straße des Goldenen Löwen fortführte. Ohne ein Wort verließ Kysen das Dach, rannte auf den Weg und bog ebenfalls in den Pfad ein, bis er Tanefer wieder sehen konnte. Abu erschien an seiner Seite, als er um eine Ecke bog und Tanefers verschwindenden Rücken nachblickte. »Herr, was tut Ihr?« »Es sieht Tanefer gar nicht ähnlich, in den Straßen herumzuschleichen wie eine ausgehungerte Hyäne. Das gefällt mir nicht. Irgend etwas stimmt hier nicht.« »Aber Prinz Tanefer und Euer Vater sind alte Freunde.« »Schscht! Ich weiß, aber hier stimmt etwas nicht, und ich werde herausfinden, was es ist. Wenn alles in Ordnung ist, dann werden wir zurückkehren und Ebana auspeitschen.« Sie huschten hinter Tanefer her wie der Schatten eines Habichts. Bald erkannte Kysen die Straßen und Häuser wieder. Seine Vermutung wurde zur Gewißheit, als Tanefer, nachdem er sich auf der verlassenen Straße umgeblickt hatte, schnell im Eingang des Hauses verschwand, das Prinz Ahiram gehört hatte. Kysen preßte sich flach 261
gegen die Wand neben dem Tor. »Warum ist er wohl hergekommen?« fragte Abu. Kysen schüttelte den Kopf, um den Kriegern, die ihnen gefolgt waren, zu bedeuten, daß sie sich in Türeingängen verbergen und dicht an der Mauer halten sollten. Es wurde langsam dunkel. Kysen wartete ein paar Augenblicke, aber Tanefer kam nicht wieder. Dann erschien von der Rückseite des Hauses ein Mann, dem Aussehen nach ein Soldat. Er führte die Pferde eines Wagens, und band das Gespann an einem großen Stein neben der Tür fest. Dann verschwand er erneut hinter dem Haus. »Abu«, sagte Kysen. »Bleib bei den anderen.« »Das ist töricht. Ihr wißt, was Euer Vater gesagt hat.« »Er ist im Haus eines toten Mörders. Ich muß wissen, was hier vorgeht, und kann mich nicht hereinschleichen, wenn ihr alle hinter mir herstolpert. Bleib' hier.« Kysen huschte über die Straße und preßte sich gegen die Mauer, die Ahirams Haus umgab. Er schlich bis zur Seitenwand, wo er merkte, daß Abu ihm folgte. »Vergebt mir, aber Fürst Meren hat es mir befohlen.« »Verdammt sollst du sein. Nun gut, dann hilf mir, über die Mauer zu klettern.« Er wurde in die Luft gehoben und landete auf der Mauer. Er legte sich flach darauf und spähte in den Vorgarten, der in der Dämmerung lag. Er war leer, deshalb ließ er sich herunter und verbarg sich hinter einer Sykomore. Er hörte ein klatschendes Geräusch und ein Grunzen. Abus Kopf erschien über der Mauer. Der Krieger kämpfte sich auf die Mauer, dann ließ er sich seitlich hinabgleiten und schlich neben ihn. »Bei den Göttern, du bist so hartnäckig wie ein Frosch, der eine Fliege jagt.« »Danke, Herr.« Kysen beobachtete die Vordertür, doch langsam wurde es dunkel. 262
Er und Abu versteckten sich hinter Ahirams Kapelle. Er spähte um die Ecke des Gebäudes und sah, daß Tanefer aus der Vordertür heraustrat. »Er kommt. Ich glaube, wir sind nah genug, um zu hören – Götter!« Kysen verstummte, dann zog er seinen Dolch, denn hinter Tanefer, flankiert von zwei Männern, die mit Speeren bewaffnet waren, kam sein Vater.
Kapitel 19
M
eren ließ es zu, daß ihn die beiden Wachen hinter Tanefer aus dem Haus stießen. Wenn er zum Kämpfen gezwungen war, dann tat er das lieber im Freien, und Tanefer glaubte nicht so ganz an seine Beteuerungen, daß er sich seinem Verrat anschließen wollte. Er hatte versucht, überzeugend zu klingen, hatte vorgegeben, zwischen seiner Loyalität dem Pharao gegenüber und Tanefers leidenschaftlichem Ehrgeiz für Ägypten hin- und hergerissen zu sein. Doch seine Hände waren immer noch gefesselt. Er hatte versucht, sich an das zu gewöhnen, was getan werden mußte, aber die meiste Zeit hatte er damit verbracht, über die Geheimnisse nachzudenken, die die Menschen in ihren Seelen verbargen. Er kannte Tanefer nun schon so lange. Er hatte ihm im Krieg sein Leben anvertraut, hatte mit ihm gezecht, hatte mit ihm sogar bei derselben Frau gelegen. Doch jeder von ihnen behielt einen Teil seiner Seele für sich – einen Teil, der voller geheimer Verletzungen und voller Fäulnis war – einen Teil der in den Tiefen des Ka verbor263
gen blieb. Es war nun die Zeit zwischen Dämmerung und Dunkelheit, da die Dinge durch die letzten Strahlen des Ra zu leuchten schienen. Meren blickte sich im Vorhof um, als er zum Wagen gestoßen wurde. Er war jetzt lange genug fort, daß Kysen ihn vermissen würde. Er konnte nur hoffen, daß der Junge versuchte, ihn zu finden, aber er konnte sich nicht daran erinnern, irgendwelche Spuren hinterlassen zu haben, die darauf hindeuteten, daß Kysen in Ahirams Haus suchen mußte. Dann hörte er einen Schrei und dann noch einen – zwei kämpfende Katzen. Meren mußte sich anstrengen, um sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Als seine Wachen ihn erneut vorwärts schubsten, wich er aus und stieß einen Speer beiseite. Tanefer wandte sich um und zog seinen Dolch. »Wo bringt Ihr mich hin?« fragte Meren. »Ich habe gesagt, daß ich mich Euch anschließe. Laßt mich jetzt frei.« Tanefer schlenderte zu ihm zurück und schlug sich mit der stumpfen Seite der Klinge seines Dolches auf die Handfläche. »Ich glaube nicht. Ich habe Zeit gehabt nachzudenken, und trotz Eurer würdevollen Unterwürfigkeit glaube ich, daß ich mich besser fühlte, wenn Euer Entschluß durch eine vollständige Entfremdung zwischen dem Pharao und Euch untermauert würde.« Meren starrte seinen Freund an. »Also wollt Ihr dafür sorgen, daß er mich haßt.« Tanefer lachte. »Vielleicht. Aber zuerst werde ich Euch eine Weile bei mir behalten. Wenn Ihr ohne Vorwarnung verschwindet, wird der Pharao guten Grund haben, bei Euch ähnliche Umstände zu vermuten wie bei Ahiram. Nach etwa zehn Tagen werde ich Euch freilassen. Dann wird er Euch kein Vertrauen mehr schenken, egal wie teuer Ihr ihm seid.« »Und er wird mir nicht glauben, wenn ich ihm von Euch berichte«, sagte Meren. »Auch wenn Ihr mich verratet«, sagte Tanefer, »es wird zu spät 264
sein. In zehn Tagen habe ich meine Truppen vor den Toren der Stadt versammelt.« Er hielt inne und blickte sich um. »Genug geredet. Es ist fast dunkel. Ich konnte es nicht riskieren, mit Euch bei Tag herumzufahren. Euer Gesicht ist einfach zu bekannt.« Meren spürte, wie sich die Spitze eines Speers in seinen Rücken bohrte. Irgendwo hinter den hohen Mauern, die ihm die Sicht auf die Straße versperrten, erklang erneut der Lärm streitender Katzen. Er machte einen Schritt auf den Wagen zu und bewegte sich dabei von den Wachen fort. Gleich darauf vernahm er ein vertrautes Schwirren und Zischen. Der Wachmann hinter ihm grunzte und stürzte zu Boden, als ein Pfeil ihn in die Brust traf. Ein weiterer Pfeil flog an ihm vorbei und verfehlte den zweiten Wachmann nur knapp. Gleichzeitig wirbelte Meren herum und ergriff dessen Speer. Bevor der Mann noch reagieren konnte, hatte er ihm die Waffe entwunden. Der Wachmann zog ein Messer aus dem Gürtel. Meren war von seinen Fesseln behindert, deshalb sprang er zurück, hob den Speer und stieß ihn nach vorne. Die Spitze traf den Mann an der Hüfte. Er schrie und fiel zu Boden. Um ihn herum hörte er das Kriegsgebrüll seiner Wagenlenker und sah, wie Männer die Mauern hinabkletterten. Das Messer des zweiten Wachmanns lag neben ihm. Meren ließ sich auf ein Knie nieder und streckte die gefesselten Hände danach aus. Die scharfe Seite einer Klinge sauste vor ihm herab und preßte sich gegen seine Kehle. In diesem Augenblick hörte er, wie Kysens Stimme den Kriegern befahl, den Kampf einzustellen. Er hörte, wie Tanefer ihm ins Ohr flüsterte. »Nicht, alter Freund. Ich möchte Euch nicht töten.« Die Klinge des Dolches schlitzte ihm die Haut auf und verursachte einen brennenden Schmerz. Blut sickerte zwischen seinem Fleisch und der Klinge hervor und lief ihm den Hals hinunter. Er zog die Hände von dem Messer zurück und seine Trauer darüber, daß er 265
mit Tanefer kämpfen mußte, verwandelte sich in Zorn. »Und jetzt«, sagte Tanefer, »erhebt Euch langsam.« »Verdammt sollt Ihr sein, Tanefer.« »Ich weiß, Bruder meines Herzens. Auch das bereitet mir Kummer. Vergebt mir.« Tanefers Arm schloß sich um seine Kehle und schob sein Kinn hoch, so daß sein Hals ganz frei lag. Meren stand auf, und Tanefer drehte ihn um, so daß sie Kysen und einem halben Dutzend Kriegern, die zwischen dem Haus und den Mauern verteilt waren, gegenüberstanden. Der Wagen stand bereit, doch nur, weil die Pferde festgebunden worden waren. Tanefer packte Meren noch fester und rief: »Gut gemacht, Ky, aber Ihr hättet zuerst mich töten sollen.« Kysen kam auf sie zu, und Meren spürte, wie ihm die Klinge tiefer ins Fleisch drang. Der Kreis der Krieger um sie herum wurde enger. Er biß die Zähne zusammen, um nicht zu schreien, wie Tanefer es sich wünschte. Dann hob sich die Klinge, schnell. Wie der Biß einer Raubkatze senkte sich Tanefers Messer in Merens Schulter. Er hörte, wie Kysen schrie. Er konnte nicht verhindern, daß auch ihm ein Schrei entschlüpfte, als der Dolch in sein Fleisch eindrang und wieder herausgezogen wurde. Wie betäubt registrierte Meren, wie sich sein Körper versteifte. Seine Hände fuhren nach oben, um sich auf die Wunde zu pressen. Sie waren sofort voller Blut. Männer eilten auf ihn zu, aber Tanefer hielt sie auf, indem er den Dolch Meren wieder an die Kehle setzte. »Vergebt mir, Ky«, sagte Tanefer. »Ich bedaure, Meren Schmerz zufügen zu müssen, aber dies ist die wirksamste Lösung für mein Dilemma. Jetzt müßt Ihr mir freien Abzug zu meiner Jacht gewähren, denn nur das kann garantieren, daß Euer Vater überleben kann. Wenn Ihr mich zu hindern versucht, dann werde ich meine Abreise einfach nur hinauszögern, und wenn das passiert, so sehr wie Me266
ren jetzt blutet… Nun, wollt Ihr das riskieren?« »Nein.« »Das dachte ich mir. Jetzt laßt Eure Waffen fallen. Alle bewegen sich zur Wand zurück. Meren, wir steigen in meinen Wagen. Ihr werdet fahren. Deshalb habe ich Euch keine tiefe Wunde zugefügt.« »Ihr habt verloren«, stieß Meren zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Macht die Dinge nicht noch schlimmer.« »Ihr irrt Euch. Seht Euren Sohn an, er würde mir das Sonnenschiff des Ra schenken, wenn er damit Euer Leben retten könnte.« Tanefer begann, ihn seitwärts zum Wagen zu zerren. Es war jetzt fast Nacht, und er konnte Kysen und die anderen Männer kaum mehr erkennen. Seine Gedanken rasten, während er gegen den Schmerz, den seine Wunde verursachte, ankämpfte. Er wurde langsam schwächer. Wenn er gegen Tanefer kämpfen wollte, dann mußte es jetzt geschehen. Er wollte gerade nach Tanefers Arm, der den Dolch hielt, greifen, als er ein Geräusch hörte – schhhhhht. Tanefer machte einen Satz und keuchte, als ihn ein Pfeil am Arm streifte. Das war seine Chance. Meren griff nach Tanefers Dolch. Er stieß ihn fort und drehte sich gleichzeitig um, um seinem Gegner ins Gesicht zu sehen. Er hörte Kysen rufen, aber Tanefer und er waren in einen Kampf um den Dolch verwickelt. Alles ging sehr schnell, und Meren nahm alles wie durch einen Nebel wahr. Die Klinge wand sich in Tanefers Händen, dann deutete sie auf Meren. Ohne Warnung sprang ihm Tanefer auf die Brust. Der überrumpelte Meren verlor das Gleichgewicht. Er fiel unter Tanefer zu Boden. Sein Kopf schlug schmerzhaft auf dem Boden auf. Verzweifelt hielt er Tanefers Handgelenk fest. Aber noch während sie kämpften, spürte er, wie seine Kräfte schwanden, wie sie aus ihm hinausspülten wie eine müde Welle an den Strand. Seine Hände waren blutüberströmt und zitterten. Seine Muskeln ächzten unter der Belastung, während über ihm Tanefer den Dolch herunterdrückte und auf sein Herz zielte. Er wußte, daß er nur we267
nig Zeit hatte, und hievte sich mit dem ganzen Körper nach oben. Sie rollten sich mit ineinander verschlungenen Beinen über die Erde. Fast wäre er erneut von Tanefers Gewicht überwältigt worden. Wieder wurde er zu Boden gedrückt und schrie, als seine Wunde auf der rauhen Erde aufschlug. Seine Hände rutschten ab, als er versuchte, den Dolch von seinem Körper abzuwenden. Im letzten Augenblick konnte er die Waffe drehen, gerade als der schwarze Schatten von Tanefers Körper sich genau über ihm nach unten senkte. Er spürte, wie die Klinge in das Fleisch eindrang, am Knochen abprallte. Warmes Blut ergoß sich über ihn. Er konnte nicht mehr atmen. Tanefer keuchte ihm ins Ohr. »Vergebt mir, Bruder meines Herzens.« »Nein.« Er fühlte, wie Tanefers Körper fluchend erschlaffte. Plötzlich lastete Tanefers Gewicht nicht mehr auf ihm. Meren blinzelte ins Licht einer Fackel. Kysen und Abu zogen die Leiche von ihm herunter. Kysen fiel auf die Knie und rüttelte ihn. »Bist du verletzt? Antworte mir!« »Ich weiß nicht.« Er zuckte zusammen, als er sich aufzusetzen versuchte. Kysen half ihm, und als er saß, wurde ihm klar, daß er nicht ernstlich verletzt war. Er sah, wie Kysens Hände zitterten, während er das Fleisch um die Wunde an seiner Schulter berührte. Ein Krieger brachte ein Tuch, das Kysen auf die Wunde drückte. Noch mehr Krieger trugen Fackeln herbei und bildeten einen Lichtkreis um sie, der auch Tanefer beleuchtete. Er lag auf dem Rücken, seine Brust war blutbesudelt von einer Wunde in der Nähe des Herzens. Meren fluchte, dann schüttelte er den Kopf, als das Bild vor seinen Augen verschwamm. Er konnte sich nicht besinnen, Tanefer erstochen zu haben, aber wie es aussah, hatte er es getan. »Bei den Göttern«, sagte Kysen. »ich sah diesen Pfeil und begann zu laufen, aber es ging alles so schnell. Als wir bei euch ankamen, 268
dachte ich, er hätte dich bereits umgebracht.« Merens Blick wanderte zu Tanefers zerfetztem Körper. Das reine Weiß seines Gewandes hatte sich karmesinrot gefärbt, und das Elektrum um seine Handgelenke und seinen Hals war ebenfalls blutbefleckt. Der Tod war um so grausamer, wenn ein Körper strahlend schön, voller Geist und Jugend gewesen war. Er wandte sein Gesicht ab und gestattete Kysen, seine Wunde zu verbinden. »Das wird reichen, bis Nebamun dich behandeln kann.« Abu hielt ihm einen Becher Wasser an die Lippen, und während Meren trank, fiel ein Schatten zwischen ihn und das Licht der Fackel. Er stieß den Becher beiseite und hob den Blick. Ebana stand über ihm, in der Hand einen Bogen. Kysen half Meren beim Aufstehen, und zusammen starrten sie seinen Vetter an. Ebana beugte sich herab und hob einen blutigen Pfeil auf. Bei seinem Erscheinen zogen sich Abu und die anderen Krieger außer Hörweite zurück. »Du warst das!« rief Kysen. »Du hast den Pfeil auf Tanefer abgefeuert.« »Du hast durch deine Sorge um deinen Vater meine Neugier geweckt, also bin ich dir gefolgt«, antwortete Ebana. Meren stützte sich auf Kysen und studierte das vernarbte, ausdruckslose Gesicht seines Cousins. »Hast du versucht, ihn zu töten, um mich zu retten, oder um ihn davon abzuhalten, dich weiterhin in seinen Aktionen gegen den Pharao zu mißbrauchen.« Ebana antwortete nicht. »Ich verstehe nicht«, sagte Kysen. »Tanefer hat die ganze Zeit eine Revolte geplant«, sagte Meren. »Er benutzte Ahiram und Qenamun, um die Plünderung von Echnatons Grab zu veranlassen, um Gelder für seine Söldner zu sammeln. Der Reine, Unas, ist zufällig auf ihre Verschwörung gestoßen, und Qenamun hat ihn getötet.« Kysen schüttelte den Kopf. »Dann war Qenamun der Dungfresser, der versucht hat, mich zu töten.« 269
»Ja«, sagte Meren. »Aber Qenamuns Tollkühnheit und unsere Nachforschungen führten dazu, daß Tanefer Ahiram zum Mord an Qenamun anstiftete. Doch er bemerkte, daß Ahiram langsam die Nerven zu verlieren drohte. Deshalb versuchte Tanefer, sich Ahirams bei der Nilpferdjagd zu entledigen. Es gelang nicht, und Ahiram floh und führte uns so auf die Spur ihrer Intrige. Zu diesem Zeitpunkt nämlich begann ich erst, in der richtigen Richtung zu suchen.« Meren lächelte seinem Vetter gequält zu. »Und sie führt von Tanefer über Ahiram zu den Priestern des Amun.« »Wir haben mit dieser faulen Intrige gegen den Pharao nichts zu tun«, sagte Ebana schließlich. »Warum sollte ich dir Glauben schenken?« Ebana schwieg, während er seinen Bogen entspannte. Dann begann er die Saite aufzuwickeln. »Ich habe dir das Leben gerettet.« »Ja«, sagte Meren. »Und jetzt sag mir, wieso.« Ebana kam näher und warf einen Blick auf Merens Wunde. »Vielleicht wollte ich nicht, daß du stirbst.« Meren zog die Augenbrauen hoch und wartete. »Vielleicht dachte ich, daß ich mit dem Pharao und mit dir besser zurecht komme als mit Tanefer.« »Da hattest du recht. Schließlich hätte dich Tanefer ebenso getötet wie mich.« »Und natürlich sage ich die Wahrheit. Der Tempel des Amun hat niemals Intrigen gegen das Leben des Pharao geschmiedet.« »Was willst du, Ebana?« fragte Kysen. »Einen Handel.« Meren tauschte einen Blick mit Kysen und forderte Ebana mit einem Kopfnicken auf, fortzufahren. »Laß uns einen Waffenstillstand zwischen dem Tempel und dem Hof vereinbaren, Vetter. Wir bieten das Ende all dieser versteckten Kriegsführung an im Austausch gegen – wie soll ich es formulieren – die Beendigung deiner beständigen Nachforschungen. Qenamun 270
war der einzige Priester unter den Verschwörern, die den Frieden des lebenden Horus gestört haben.« »Warum sollte ich mich auf diesen Handel einlassen?« »Aus vielen Gründen«, sagte Ebana. »Zum Beispiel, weil du keinen Beweis in der Hand hast, daß sonst jemand aus dem Tempel irgendein Gesetz übertreten hat.« Ebana beobachtete ihn, während er das sagte, aber Meren hatte nicht vor, ein Zeichen der Zustimmung oder des Widerspruchs von sich zu geben. »Außerdem verschärft sich die Bedrohung durch die Hethiter sowie durch die Invasion abtrünniger Soldaten und Banditen, so daß du dir nicht auch noch einen Konflikt mit Amun leisten kannst.« Meren blickte finster drein, als ihm klar wurde, daß Ebana mit seinen Überlegungen recht hatte. Dann senkte sein Cousin die Stimme und trat näher auf ihn zu, so daß er Meren beinahe hätte berühren können. »Und außerdem, mein mißtrauischer, zynischer und erschöpfter Cousin, habe ich dir das Leben ja vielleicht einfach nur gerettet, weil es deines war.« Meren betrachtete Ebana aufmerksam, sein Blick wanderte über das schlanke Kinn und die dünne weiße Linie seiner Narbe. Welchen Beweis hatte er wirklich, daß die Priester des Amun an der Schändung von Echnatons Grab beteiligt gewesen waren? Worte, die Tanefer zu ihm gesprochen hatte, der nun tot war, und der sich niemandem anvertraut hatte. Scherben einer Schüssel mit Schriftspuren, die von jemandem, der so klug war wie Ebana, im Handumdrehen für nichtig erklärt werden konnten. Der Mord an Qenamun durch Ahiram legte nahe, daß sie Komplizen gewesen waren. Doch ohne daß er die tatsächlichen Diebe fing, die das königliche Grab geplündert hatten, konnte er wohl kaum erwarten, daß die mächtige Priesterschaft des Amun ihre Schuld zugab. 271
Bislang hatte keiner der Suchtrupps, die den Dieben hinterhergeschickt worden waren, sie gefunden. Meren hatte den Verdacht, daß sie schon längst über das Rote Meer entkommen waren. Um Ebana oder Parenefer anklagen zu können, mußte er mehr in der Hand haben, und die Priester schienen ihre Aktionen gut verborgen zu haben, sogar Qenamun. Qenamun! Der goldene Stifthalter. »Nun, Vetter?« sagte Ebana. Meren stützte sich auf Kysen, als er sich dem Haus zuwandte. »Komm mit mir.« Er führte sie zurück in Ahirams Schlafgemach und zu dem Schrein der Göttin Ishtar. Er ließ Kysen los und holte den Stifthalter aus der Nische. Er schwankte etwas, so daß Kysen seinen Arm um seine Taille legte. Er bot seine ganze ihm verbleibende Kraft auf, um den Deckel des Kastens zu öffnen und drehte ihn um. Nichts fiel ihm in die Hand. Meren starrte auf das Blut, das auf seinen Handknöcheln trocknete, dann schüttelte er leicht den Kopf. Er ließ einen Finger in die Röhre gleiten und zog eine fest zusammengewickelte Papyrusrolle hervor. Er reichte den Stifthalter an Ebana weiter. »Ohne Zweifel erkennst du das?« »Nein«, sagte Ebana. »Komm schon. Du mußt es schon einige Male im Haus des Lebens gesehen haben.« »Reiz mich nicht, Meren. Ich nehme an, du willst sagen, daß der Stifthalter Qenamun gehörte.« Meren entrollte das Papyrus. Er warf einen flüchtigen Blick auf die flüssige Schrift, die das Blatt füllte, und las dann die Unterschrift am Ende des Dokuments. Dann hob er den Kopf und blickte Ebana in die Augen. »Ich hätte wissen müssen, daß er Ahiram und Tanefer beschuldigt und schweigen würde über –« Ebana unterbrach ihn, indem er die Hand ausstreckte und seinen 272
Unterarm ergriff. »Sprich es nicht aus. Du hast keinen Beweis. Also sei kein Narr.« Meren entwand sich seinen Griff und reichte das Papyrus an Kysen weiter, der laut vorlas. »Ich, Qenamun, Lesepriester des Amun, rufe den guten Gott als meinen Zeugen an. Amun erschien mir in einem Traum und sprach zu mir: Geh hin und räche mich an dem großen Ketzer, der dieses Sakrileg beging. Das tat ich mit der Hilfe des Prinzen Ahiram.« Kysen hielt inne. »Es folgt noch mehr über Echnatons Ketzertum, aber aus dem Tempel wird niemand mehr erwähnt.« Meren zuckte zusammen und lehnte sich an die Wand. »Ich denke, daß dies eine Aufzeichnung seiner Größe sein sollte, vielleicht sollte es auf sein Grab geschrieben werden.« Er warf Ebana einen Blick zu. »Aber ein solcher Text könnte höchstens dann auf dem Grab stehen, wenn jemand anders als der Pharao oder sein Erbe Ägypten regierte.« »Oder wenn der Pharao eines Tages seine Meinung über seinen Bruder änderte«, sagte Ebana. »Qenamun kann das ja ebenso geträumt haben.« »Bei den Göttern, Ebana, du erwartest doch nicht von mir, daß ich Eure ganzen Untaten durchgehen lasse, ohne daß die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden.« »Ich erwarte, daß du dem Pharao berichtest, daß Prinz Tanefer eine Revolte gegen ihn plante, daß er Ahiram und Qenamun dazu anstiftete, ihn beim Ausrauben des königlichen Grabes zu helfen, damit er seinen Krieg und seinen Verrat finanzieren konnte, und daß es keinen Beweis dafür gibt, daß noch andere Mitglieder des Tempels daran beteiligt waren.« »Der Göttliche wird niemals glauben, daß Qenamun allein gehandelt hat, daß er die Söldner und Banditen eigenständig angeheuert hat.« »Was der Goldene vermutet, interessiert mich nicht. Das einzige, 273
was momentan von Bedeutung ist, sind seine Taten. Willst du jetzt einen Waffenstillstand oder nicht, Vetter? Und achte darauf, daß du als Ratgeber des Königs antwortest.« Meren preßte eine Hand auf seine Wunde. Sie blutete jetzt nicht mehr, aber er brauchte jetzt bald einen Arzt. Seine Augenlider waren schwer wie Goldbarren, er war unglaublich müde. Aber er mußte nachdenken. Ein Waffenstillstand zwischen dem Tempel des Amun und dem Hof würde Tutenchamun Gelegenheit geben, erwachsen zu werden, ohne beständig mit der Bedrohung der einzigen Macht in Ägypten leben zu müssen, die ihm gefährlich werden konnte. Der Junge brauchte Zeit, Zeit, um Stärke und Weisheit zu erlangen, um Allianzen mit anderen Prinzen einzugehen, mit den Tempeln anderer Götter, mit der Armee. Ein Waffenstillstand würde keinen Unterschied machen. Er würde die Priester immer noch im Auge behalten, ihnen immer noch nicht vertrauen. Aber vielleicht würde die Gefahr für eine Weile schwächer werden. Ganz sicher würde Parenefer jetzt nicht noch mehr Ärger machen, aus Angst, den Zorn des Pharao noch einmal zu erregen und getötet zu werden. Ja, Parenefer und Ebana würden von jetzt an in Angst leben und sich beständig fragen, wann Tutenchamun sich an ihnen rächen würde. Vielleicht wäre ein Waffenstillstand sogar eine gute Sache. »Ich werde mit dem Pharao reden«, sagte Meren. »Das Wohlergehen des Zweifachen Reiches hängt von der Harmonie und dem Gleichgewicht zwischen den Dienern des Amun und dem Sohn des Gottes ab.« Er stieß sich von der Wand ab und stolperte. Kysen war sofort neben ihm und legte sich Merens gesunden Arm um die Schulter. Meren fluchte, seine Augen schlossen sich, als er versuchte, seine Beine am Einknicken zu hindern. Jemand legte ihm einen Arm um die Taille. Er öffnete die Augen und stellte fest, daß Ebana ihn stützte. Sein Vetter begann, Kysen dabei zu helfen, ihn aus dem 274
Haus zu führen. »Sieh mich nicht so erstaunt an«, sagte Ebana. »Wenn du an dieser kleinen Verletzung stirbst, wer soll dann mein Fürsprecher beim Pharao sein?«
Kapitel 20
I
n der dritten Nacht, nachdem er Tanefer getötet hatte, saß Meren mit Ay und Horemheb in einem Palastzimmer in der Nähe der königlichen Gemächer zusammen. Der General ging im Zimmer auf und ab, während Meren auf einem Hocker neben Ay saß. Seine Wunde, die Nebamun gesäubert und genäht hatte, juckte. Ägypten war in der ganzen Welt für seine Heilkünste berühmt. Meren wünschte nur, daß der Arzt nicht darauf bestehen würde, eine Nadel zu benutzen, die er zuvor in eine weißglühende Flamme gehalten hatte; es hätte auch ohne den Zauber des Feuers gereicht. Sie gingen die Vorsichtsmaßnahmen durch, die ergriffen wurden, um Tanefers Nest von Verrätern auszuheben, und um die Wachen, die er in der Nähe des Pharao plaziert hatte, dingfest zu machen. Rahotep war die Aufgabe übertragen worden, die Söldner zu finden, die in der Wüste lauerten. »Vor einer Stunde kam ein Bote«, sagte Horemheb gerade. »Rahotep jagt die Abtrünnigen nach Norden. Diejenigen, die er nicht tötet, werden nach Palästina fliehen.« Meren nickte müde. Er hatte schlecht geschlafen, nachdem er Tanefers Verrat entdeckt hatte. Er würde niemals verstehen, wie sein Freund hatte beabsichtigen können, Tutenchamun zu töten, aber 275
tief in seinem Ka verstand er, daß jemand von seiner Größe die Kontrolle über sich verlor, nachdem er Jahr um Jahr hatte mitansehen müssen, welchen Schaden die Regentschaft eines unfähigen Königs anrichtete. Meren selbst war bisher nicht dahintergekommen, warum die Götter Ägypten einen König wie Echnaton aufgebürdet und dann dem mittleren Bruder einen frühzeitigen Tod beschert hatten, so daß der viel zu junge Tutenchamun den Thron hatte besteigen müssen. Das Land wurde bis zu Echnatons Tod von Seuchen und Katastrophen heimgesucht, die jedermann zur Verzweiflung trieben, aber Tanefer hatte sicherlich stärker unter Echnaton gelitten als die meisten anderen. Das Land seiner Mutter hatte unter den Hethitern viel größeren Schaden genommen als Ägypten unter der Regentschaft des ketzerischen Pharao. Und Tanefer war Zeuge dieser Zerstörung gewesen. Wieviel von dieser Rebellion entsprang dem Wunsch, Ägypten ein ähnliches Schicksal zu ersparen, und wieviel war der simplen Machtgier zu verdanken? Das würde er niemals wissen. Und der Schmerz, einen so nahen und geliebten Freund zu verlieren, nagte weiter an ihm, unaufhörlich und quälend. Horemheb hatte seinen Bericht beendet, und Ay erhob sich, um auf seinen Stock gestützt das Wort zu ergreifen, während er sprach. Meren hörte kommentarlos zu. Er hatte dem Pharao bereits in der Nacht, da sein Freund gestorben war, Bericht erstattet, und hatte ihm die gesamte Geschichte vom Tod des Unas, des Qenamun, des Ahiram und des Tanefer erzählt. Er hatte keinen Kommentar dazu abgegeben, seine Seele war vom Kummer so niedergedrückt, daß er seiner Entfremdung vom König nur wenig Beachtung schenkte. Er war aufrichtig gewesen, was seinen Verdacht hinsichtlich der Priester des Amun betraf, denn der König teilte seine Ansichten. Das Angebot eines Waffenstillstandes war besprochen worden. Dann war er gegangen. Der Pharao hatte kein Wort über ihre persön276
lichen Schwierigkeiten verloren. Während der Tage, die seitdem vergangen waren, hatte Tutenchamun sich mit Ay und Horemheb beraten, um eine Entscheidung zu treffen. Er hatte nicht ein einziges Mal nach Meren geschickt. Ays faltige Hand legte sich auf seine Schulter. »Ihr hört nicht zu, Meren.« »Vergebt mir«, sagte er. »Ihr spracht darüber, die königlichen Gräber aus Achet-Aton zu verlegen.« »Ich weiß, Echnaton hat befohlen, daß sein Haus der Ewigkeit niemals bewegt werden solle, aber wir können uns nicht länger seinem Wunsch fügen.« »Ja, ja.« Meren hörte die Ungeduld in seiner eigenen Stimme, aber manchmal konnte Ay so weitschweifig sein. »Jetzt, da der Leichnam wiederhergestellt ist«, sagte Ay, »ist es Zeit, die ganze Familie und ihre Grabbeigaben an einen geheimen Ort zu schaffen.« Meren blickte den Wesir an. Von Echnaton war nicht allzuviel übrig geblieben, das man hätte wiederherstellen können. Was immer man mit dem Leichnam gemacht hatte, war in erster Linie getan worden, um Tutenchamuns leidgeprüftes Ka zu beruhigen. »Wir müssen einen entsprechenden Ort aussuchen, vielleicht Abydos oder Memphis«, sagte Ay. »Dann veranlaßt das«, erwiderte Meren scharf. »Legt die Leichen in ein einfaches, unauffälliges Grab im Tal der Könige. Das ist der am besten bewachte Ort in Ägypten, und es ist der einzige Ort, wo sie eine Chance haben, daß ihre Ruhe nicht noch einmal gestört wird. Hier, wo die Macht des Pharao sie schützen kann.« »Und direkt vor den Nasen der Priester des Amun«, sagte Horemheb mit einem Glucksen. Er war in aufrührerischer Stimmung, seit er von Meren von allem Bösen freigesprochen worden war. »Errichtet keinen Grabestempel darauf, um den Ort hervorzuheben«, fuhr Meren fort. »Verlegt sie, und laßt es dann gut sein.« 277
Ays Stock tappte über die Bodenfliesen, als er auf Meren zuging. »Eure Stimmung wird von Tag zu Tag schlechter, Junge. Warum seid Ihr so schlecht gelaunt?« »Verrat und Verschwörung mögen vielleicht Euer täglich Brot sein, ich empfinde sie als ungenießbar.« Seine Narbe begann zu jucken. Das tat sie immer, wenn er an Echnatons Tod dachte. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er sich seiner heuchlerischen Position geschämt hatte. Er hatte Tanefer gejagt und getötet, wo er doch vor nicht allzu vielen Jahren die Zeichen einer ähnlichen Verschwörung gegen Echnaton, die letztlich zu seinem Tod geführt hatte, ignoriert hatte. Er hatte den einen König gerettet, den Tod des anderen aber gebilligt. Er bezweifelte, daß er Ay hätte aufhalten können. Hätte er es versuchen sollen, hätte er noch mehr Leben opfern sollen und die weitere Regentschaft eines Verrückten riskieren sollen? »Ich weiß, Ihr habt viel für Tanefer empfunden«, sagte Ay. »Das haben wir alle. Ihr wolltet ihn nicht töten, Junge, aber er hätte Euch getötet, wenn Ihr gezögert hättet.« Eine Tür öffnete sich schwungvoll, und es erschien der Aufseher über den Audienzsaal. Meren beobachtete ihn ohne großes Interesse, als er innehielt, um die kunstvollen Falten seines Gewandes zu ordnen und mit seinem Stock auf den Boden zu klopfen. »Der lebende Horus, der starke Bulle Thebens, voller Pracht, der goldene Horus, der in seiner Macht alle Länder unterwirft, der König des Oberen und Unteren Ägypten, Nefercheprure Tutenchamun spricht dies: Fürst Meren wird meiner Majestät Gesellschaft leisten. Er soll allein kommen.« Meren warf Ay einen Blick zu. Der Wesir stützte sich auf seinen Stock, sein Rücken war vom Alter so gebeugt, daß er einem lauernden Geier ähnelte. »Geht, Junge. Es wird Zeit, daß Ihr beide miteinander redet.« Meren seufzte und massierte seine verletzte Schulter. Er trug ein 278
Amulett mit dem Auge des Horus, das seine Gesundheit schützen sollte. Nebamun hatte darauf bestanden, und er hätte über der Wunde ohnehin keinen breiten Halskragen tragen können. Der Aufseher des Audienzsaals ging. Meren folgte ihm und umfaßte das Amulett. Es hing an einer schweren Goldkette. Vor langer Zeit hatte der Gott Horus im Kampf mit dem bösen Seth wegen des Mordes an seinem Vater Osiris ein Auge verloren. Toth, der Gott der Magie, hatte das Auge aufgefangen und es geheilt. Später hatte Horus das Auge Osiris als Speise dargebracht, um ihn wieder zum Leben zu erwecken. Meren fragte sich, ob das Amulett seinen Zauber auch bei ihm wirken und seine Beziehung zum Pharao wieder heilen konnte. Tutenchamun empfing ihn im Audienzsaal, der für offizielle Anlässe reserviert war. Zwei Nubier der königlichen Leibwache stießen die goldenen Türen vor dem Aufseher auf, und er schritt langsam zwischen den hohen Säulen hindurch in die Halle. Meren folgte ihm, sein Schritt war ebenso langsam. Er fröstelte. Der Pharao saß auf einem erhöhten Podest auf seinem Thron und trug die doppelte Krone des Oberen und Unteren Ägypten. Sein Körper war in goldene Gewänder gehüllt, in seiner Hand hielt er Krummstab und Dreschflegel, die Symbole seiner Herrschaft über das Zweifache Reich. Sie würden sich niemals versöhnen, wenn Tutenchamun sich weiterhin hinter diesem distanzierten königlichen Gebaren verbarg, das er mittlerweile so perfekt beherrschte. Der Aufseher kündigte ihn an und zog sich zurück. Meren sank vor dem Pharao zu Boden und beugte das Haupt. Wenn der Pharao eine förmliche Umgangsweise wünschte, dann sollte er sie haben. »Erhebt Euch, Fürst Meren.« Als er stand, hörte Meren, wie der Aufseher zurückkehrte. Er mochte keine Geräusche hinter sich, aber bevor er einen Blick über die Schulter werfen konnte, winkte ihn der Pharao zu sich. Er stieg 279
auf das Podest, und ein Stück hinter dem Thron, zur Rechten des Königs, bezog er Stellung. Hinter den Säulenreihen ging der Aufseher seinem Cousin voran, der wiederum eine Prozession aus Priestern anführte, welche geschmückte Kästen und Schatullen aus Gold, Ebenholz, Zedernholz und Elfenbein trugen. Ebana war in seinem Hofgewand ebenso reich geschmückt wie die Gaben, die er darbrachte. Ein schwerer Halskragen aus Malachit ruhte auf seinen Schultern, und seine schwarze Perücke hob sich schimmernd von den leuchtenden grünen Steinen ab. Meren beobachtete, wie Priester um Priester seine Last vor dem Podest absetzte. Er konnte nicht verhindern, daß sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen, als ihm klar wurde, wie besorgt Parenefer sein mußte, wenn er versuchte, den Pharao zu bestechen. Ebana sah ihn an, und er preßte die Lippen zusammen. Er durfte jetzt keine Schadenfreude zeigen. Immerhin hatte Ebana ihm das Leben gerettet. Der Aufseher begann mit der offiziellen Anrede des Pharao. Dann sprach Ebana. »Der gute Gott Amun hat die Gebete seines lebenden Gottes, des göttlichen Bullen, des goldenen Horus erhört. Die Sorge um seinen Sohn kennt keine Grenzen.« Ebana begann, die Schatullen zu öffnen. Im Innern lagen Stapel von Goldbarren. Der Strom der Priester war noch nicht versiegt, und bald war der Boden mit Kisten übersät, die mit Gold, Silber und Elektrum gefüllt waren. Meren hörte auf zu zählen, als er bei Fünfzig angelangt war. Er warf einen Seitenblick auf Tutenchamun, aber der Junge zeigte große Gelassenheit angesichts dieser Flut von Schätzen. Natürlich hatte ein Großteil des Wohlstandes im Tempel des Amun seinen Ursprung in der königlichen Großzügigkeit. Zweifellos hatte der Pharao auch auf seinen Ausflügen mit Maja in die königliche Schatzkammer schon größere Reichtümer gesehen. Zwei Priester bahnten sich ihren Weg. Sie trugen auf einer Art 280
Bahre eine Truhe herbei. Sie setzten sie vor Ebana ab, der den Deckel öffnete. Das Behältnis war gefüllt mit Juwelen, die in den Werkstätten des Amun verarbeitet worden waren. Meren sah einige Halsbänder aus Elektrum, deren Glieder die Form von Käfern hatten. Dann entdeckte er Diademe, Haarreifen und Bänder aus Gold, Ketten mit Anhängern aus Karneolen, Lapislazuli, Türkisen und Malachiten. Fußspangen aus mit Perlen versehenem Amethyst lagen auf einem falkenförmigen goldenen Kragen, daneben lange, schwere Ohrgehänge aus dem gleichen Metall. Dann gab es noch einige Halskragen, die fast vollständig aus schweren, linsenförmigen Goldperlen gefertigt waren, immer fünf Reihen nebeneinander. Das Gewicht auch nur einer solchen Reihe war beträchtlich. Ebana nahm einen Gürtel aus Elektrum und tiefgrünem Malachit. Er verbeugte sich tief und legte die Gabe dem Pharao zu Füßen. »Leben, Gesundheit und Stärke dem lebenden Horus, dem Sohn des Amun, dem leuchtenden Samen des Gottes voller Stärke, dem Eroberer der Asiaten, er der –« »Ja, ja«, sagte Tutenchamun. »Meine Majestät nimmt diesen … kleinen Ausdruck des guten Willens des Gottes, meines Vaters, zur Kenntnis.« Ebana richtete sich auf und wartete. Tutenchamun starrte ihn wortlos an, bis Ebana sich genötigt sah, Meren einen Blick zuzuwerfen. Meren ließ ihn noch ein paar Augenblicke länger leiden, bevor er dem König zuflüsterte. »Majestät, dieser bescheidene Träger des göttlichen Kelches glaubt, daß der Diener des Gottes ein privates Wort an Euch richten will.« Ein Zepter schwang durch die Luft und veranlaßte Aufseher, Priester und Wachen, zu verschwinden. Als sie allein waren, nickte Tutenchamun Ebana zu. Ebana warf Meren einen unbehaglichen Blick zu, bevor er mit einer Stimme, die wenig mehr als ein Flüstern war, zum Pharao sprach. 281
»Der oberste Prophet des Gottes grüßt den Göttlichen und fragt, ob in der Angelegenheit, die mit Fürst Meren besprochen wurde, nun Einigkeit besteht.« Tutenchamun sprach noch immer nicht. Eine Schweißperle erschien unter Ebanas Perücke und rollte seine Stirn hinab bis zu seiner Narbe. Die goldenen Kronen blieben regungslos. Der Krummstab und der Dreschflegel, die der König in überkreuzten Händen hielt, schienen ebenfalls unbeweglich. Ebanas Blick schoß zu Meren. Merens Gesicht blieb ausdruckslos wie ein Fels in der Wüste. Als er schon glaubte, daß Ebanas Kiefer auseinanderbrechen würde, weil dieser die Zähne so fest zusammenbiß, brach der Pharao das Schweigen. »Meine Majestät hat der Rede der Augen und Ohren des Pharao, des Fürsten Meren, gelauscht. Noch in dieser Minute wird nach den Verbrechern gesucht, die ihre Kräfte gegen uns gewandt haben.« Tutenchamun bewegte sich auf seinem goldenen Thron und ließ die Arme auf den Lehnen ruhen. »Während wir hier sprechen, sucht mein Zorn nach denen, die die Ordnung meines Königreiches zu zerstören suchten. Gerechtigkeit und Gleichgewicht werden wiederhergestellt, ganz gemäß der ewigen und ewigwährenden Harmonie zwischen meiner Majestät und dem Gott, meinem Vater. Es wird Frieden herrschen.« »Der Wille Eurer Majestät wird geschehen«, antwortete Ebana. Tutenchamun entließ ihn mit einer Handbewegung. »Das Herz meiner Majestät wünscht Harmonie und Ordnung vor allem anderen.« »Ebenso wie Euer Vater, der König der Götter.« Ebana verneigte sich und trat durch die vielen Truhen seinen Rückzug an. Als sich die Türen hinter ihm schlossen, seufzte Tutenchamun auf. Die Zepter schwankten, als seine steife Haltung in sich zusammenfiel. Meren wurde plötzlich zum Gegenstand scharfer Beobachtung durch diese großen, dunkeln Augen. 282
»Eure Wunde bereitet Euch keine Schmerzen?« fragte der König. »Nein, Majestät.« Tutenchamun erhob sich und legte die Zepter auf den Thron. Meren half ihm, die schwere Kopfbedeckung abzunehmen, und legte sie neben Krummstab und Dreschflegel. Der König fuhr sich mit den Fingern durch das Haar und rieb sich die Schläfen. »Bei den Göttern, sind die schwer. Davon bekomme ich Kopfschmerzen.« »Soll ich den königlichen Arzt rufen lassen?« »Nein«, sagte Tutenchamun. »Nein, ich möchte mehr von Tanefers Männern erfahren.« »Einige seiner Offiziere wollten aus der Stadt fliehen. Ich habe ihnen Kysen hinterhergeschickt, und er hat sie Horemheb übergeben. Sie wurden verhört, um uns den Aufenthaltsort von Tanefers Söldnern zu verraten, und Rahotep ist ihnen auf den Fersen. Keiner von ihnen scheint etwas über die Plünderung der königlichen Gräber zu wissen.« »Und die tatsächlichen Grabräuber?« »Über sie konnten wir nichts in Erfahrung bringen, Majestät. Ich beginne zu glauben, daß sie Ägypten niemals verlassen haben. Die Verbrecher leben wahrscheinlich unter uns.« Er erwähnte Parenefer oder Ebana nicht. Es war unnötig. »Zweifellos sind sie damit beschäftigt, die Juwelen auseinanderzunehmen, das Gold zu Barren zusammenzuschmelzen, Edelsteine herauszulösen und so weiter.« Beide blickten auf die Truhen voller Goldbarren. »Damit die Quelle des Goldes und der Steine niemals entdeckt werden kann«, sagte Tutenchamun. »Ja, Majestät.« »Wie Ihr seht, bin ich Eurem Rat gefolgt. Sowohl Ay als auch Horemheb waren der Meinung, daß Ihr Recht hättet, aber ich wünschte mir doch so sehr, Parenefer den Krokodilen zum Fraß vorzuwerfen.« 283
»Eure Majestät braucht Zeit und Frieden, um Erfahrungen zu sammeln.« »Mir steht der Sinn aber eher nach Rache.« Meren wandte sich von der funkelnden Beute ab und sah den König an. »Rache könnte Euch den Thron kosten.« »Ay hat mir prophezeit, daß Ihr das sagen würdet.« Tutenchamun senkte den Blick zu Boden. Er räusperte sich. »Hm. Ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch zu sagen, daß Maja sich an das Gerücht über Horemhebs Verrat von Tanefer gehört hatte.« »Das dachte ich mir, Majestät.« Tutenchamun wandte den Blick ab. »Und während Ihr fort wart und Ahiram gejagt habt, hat Tanefer immer wieder über die Vergangenheit nachgedacht, darüber, wie sehr Ihr unter meinem Bruder gelitten habt, wie Echnaton Euren Vater töten ließ und Euch gefoltert hat.« Seine Stimme starb, und er warf Meren einen beschwörenden Blick zu. »Ich verstehe, Majestät.« »Wirklich?« Meren hörte die Qual und den Schmerz in diesem Wort. Ganz plötzlich wurde ihm klar, daß er zum zweiten Mal etwas erhalten hatte, von dem man in Ägypten noch nie gehört hatte, die Bitte eines Pharao um Entschuldigung. Ebenso plötzlich hob sich seine Stimmung, und zum ersten Mal nach Tanefers Tod lächelte er. »Ja, Majestät, wirklich.« Er wäre fast zurückgewichen, als Tutenchamun einen Freudenschrei ausstieß, auf ihn zustürmte und sein Handgelenk ergriff. Obwohl ihn der körperliche Kontakt erschrak, erwiderte Meren die Geste, er griff nach dem Handgelenk des Jungen, ein Gruß von Krieger zu Krieger. »Ich habe Euch vermißt«, sagte der König. »Ich habe mich ebenfalls nach der Anwesenheit Eurer Majestät 284
gesehnt.« Tutenchamun ließ seinen Arm sinken und sah Meren aufmerksam ins Gesicht. »Ihr seht müde aus.« »Mir geht es gut, Göttlicher.« »Das glaube ich nicht. Ay sagt, daß Ihr nicht schlafen könnt.« Meren verfluchte Ays Neugier und seine Angewohnheit, sich überall einzumischen, was den König zum Lachen brachte. »Jetzt, da ich Euch sehe, stimme ich ihm zu«, sagte der König. »Wenn wir sicher sind, daß der Hof von Verrätern gesäubert ist, werdet Ihr aufs Land fahren und Euch ausruhen.« »Aber Majestät, es gibt viel zu tun.« »Und Kysen wird Euch begleiten, um dafür zu sorgen, daß Ihr Euch an meine Befehle haltet.« »Das ist nicht notwendig«, begann Meren. »Es ist notwendig«, sagte Tutenchamun. »Weil meine Majestät es für notwendig erklärt. Jetzt geht nach Hause und ruht Euch aus. Ay sagt, daß Ihr schon seit Sonnenaufgang arbeitet, und bald bricht die Dämmerung herein. Ihr müßt Eure volle Stärke wieder erlangen.« Als Meren von dem Podest herunterstieg, schlich sich ein Verdacht in seine Gedanken, und er wandte sich wieder dem König zu. »Ihr wollt, daß ich mich erhole, damit ich Euch auf einen Angriff mitnehmen kann.« »Ihr habt selbst gesagt, daß ich die Erfahrung brauche. Jetzt, da wir mit Parenefer einen Waffenstillstand geschlossen haben, habe ich die Zeit und die Freiheit, diese Erfahrung zu sammeln. Und diese Banditen plündern immer noch die Dörfer im Süden.« »Ich wußte es. Majestät, Ihr seid schlau und listig, wie die Kobra.« Tutenchamun ging zu ihm hinüber, verschränkte die Arme über der Brust und lächelte. »Ich wurde von einem Meister ausgebildet, der ein hohes Maß an Schläue und List besitzt. Wie könnte ich also anders sein?« 285
Meren schüttelte den Kopf, als der König ihm zum Abschied ein Lächeln zuwarf, und verließ den Audienzsaal durch die Tür hinter dem Podest. Meren verließ den Palast auf demselben Weg, den er gekommen war, und draußen kam ihm Kysen entgegen, begleitet von Abu und Reia. »Horemheb hat gerade drei von Tanefers Offizieren in die Wüste geschickt.« Es gab nichts weiter zu sagen. Verbrecher wurden schon zur Zeit der Gott-Könige, die die Pyramiden errichteten, in die Wüste geschickt. Meren fragte sich, ob Horemheb gnädig war und den Männern gestattete, sich selbst zu töten, statt sie der Sonne und den Elementen auszusetzen und sie langsam sterben zu lassen. In diese Angelegenheit konnte er sich nicht einmischen. Meren fiel in Gleichschritt mit seinem Sohn. »Bist du bereit, nach Hause zu gehen?« fragte Kysen. »Ja.« Kysen warf ihm einen besorgten Blick zu. »Hast du mit dem König gesprochen?« »Ja. Ich soll mich ausruhen.« »Gut.« Meren hörte einen erleichterten Seufzer und wußte, daß Kysen ihn verstanden hatte. Es hätte keinen Zweck, über die Reue des Königs im Palast zu reden. »Ich soll mich ausruhen, damit es mir bald wieder gut genug geht, um den Göttlichen in ein Scharmützel zu begleiten.« Kysen blieb stehen und sah Meren besorgt an. »Oh, nein.« Meren klopfte Kysen auf den Rücken, als sie sich durch Höflinge, Diener und Regierungsbeamte ihren Weg nach draußen bahnten. »Wie es scheint, können weder Verrat noch Mord am Tor Gottes den Pharao davon abhalten, ein richtiger Krieger zu werden.« Kysen schnaubte. »Und was ist, wenn der Goldene bei einem sol286
chen Scharmützel getötet wird?« »Es ist unsere Aufgabe, ihn davor zu bewahren.« Er lauschte den Unmutsäußerungen seines Sohnes und hätte beinahe gelächelt. Noch vor wenigen Jahren war Kysen ebensosehr darauf bedacht gewesen sich zu beweisen wie der Pharao. Das Gedächtnis der Jugend war kurz. Zweifellos hatte Kysen seine fast tödliche Einführung ins Kriegswesen vergessen. Meren hatte das nicht. Er hatte seinen Sohn beinahe durch das schmutzige Messer eines plündernden Nomaden verloren. Was er jetzt brauchte, war eine Pause von der Ruhelosigkeit der Jugend und den höfischen Intrigen. Er würde dem Pharao gehorchen und sich ein paar Wochen aufs Land zurückziehen. Dort würde er sicher Zuflucht finden.
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